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German Pages 682 [692] Year 2021
Eric Hilgendorf (Hrsg.) Die deutschsprachige Strafrechtswissenschaft in Selbstdarstellungen II
Juristische Zeitgeschichte Abteilung 4, Band 18
Juristische Zeitgeschichte Hrsg. von Prof. Dr. Dr. Dr. h.c. Thomas Vormbaum (FernUniversität in Hagen, Institut für Juristische Zeitgeschichte)
Abteilung 4: Leben und Werk Hrsg. von Prof. Dr. Dr. Dr. h.c. Thomas Vormbaum
Band 18
De Gruyter
Eric Hilgendorf (Hrsg.)
Die deutschsprachige Strafrechtswissenschaft in Selbstdarstellungen II
De Gruyter
Prof. Dr. Dr. Eric Hilgendorf, Ordinarius für Strafrecht, Strafprozessrecht, Rechtstheorie, Informationsrecht und Rechtsinformatik, Julius-Maximilians-Universität Würzburg.
ISBN 978-3-11-070291-0 e-ISBN (PDF) 978-3-11-070301-6 e-ISBN (EPUB) 978-3-11-070310-8
Library of Congress Control Number: 2020952698 Bibliografische Information der Deutschen Nationalbibliothek Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über http://dnb.dnb.de abrufbar. © 2021 Walter de Gruyter GmbH, Berlin/Boston Satz: jürgen ullrich typosatz, Nördlingen Druck und Bindung: CPI books GmbH, Leck www.degruyter.com
Inhaltsverzeichnis ERIC HILGENDORF Vorwort ................................................................................................................VII
WERNER BEULKE................................................................................................... 1 THOMAS FISCHER ................................................................................................. 25 WOLFGANG FRISCH ............................................................................................. 53 WOLFGANG HEINZ ............................................................................................... 91 THOMAS HILLENKAMP ....................................................................................... 127 HEIKE JUNG ........................................................................................................ 161 URS KINDHÄUSER .............................................................................................. 189 HANS-HEINER KÜHNE ....................................................................................... 213 REINHARD MERKEL ........................................................................................... 239 HEINZ MÜLLER-DIETZ ...................................................................................... 273 ULFRID NEUMANN ............................................................................................. 297 INGEBORG PUPPE................................................................................................ 325 RUTH RISSING-VAN SAAN ................................................................................. 355 WOLFGANG SCHILD ........................................................................................... 395 HEINZ SCHÖCH ................................................................................................... 427 BERND SCHÜNEMANN ........................................................................................ 453 HANS-DIETER SCHWIND ................................................................................... 509 FRANZ STRENG .................................................................................................. 539 THOMAS VORMBAUM ........................................................................................ 571 THOMAS WEIGEND ............................................................................................ 611
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Inhaltsverzeichnis
ANHANG Personenregister ................................................................................................ 637 Stichwortverzeichnis ......................................................................................... 651
Eric Hilgendorf
Vorwort „Eine Autobiographie schreiben heißt, in einer rückläufigen Bewegung am Anfang anzukommen“, schreibt die deutsche Ethnologin Heike Behrend. Diese nur scheinbar paradoxe Formulierung deutet die besonderen Schwierigkeiten an, das Erlebte nicht bloß zu erzählen, sondern als ein sinnvolles Ganzes zu deuten und zu gestalten.1 Selbstzeugnisse von Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftlern sind zudem in aller Regel nicht wegen der in ihnen enthalten persönlichen Details interessant – das gilt für juristische Autobiographien in wohl noch höherem Grade als für die Selbstberichte von Ethnologen – sondern weil sie die Bedingungen offenlegen, unter denen das jeweilige Fach sich als Wissenschaft entfaltet. Gerade in unserer Disziplin prägen biographische Zufälle, Zeitgeist und politische Ereignisse die Entwicklung des Fachs mehr, als Vielen bewusst ist. Die hier zur Sprache kommenden Autorinnen und Autoren gehören ganz überwiegend der Generation der „68er“ an, was sich im Stil und Inhalt vieler Beiträge widerspiegelt. Dabei wird deutlich, dass Juristinnen und Juristen den kulturellen Umbruch der späten 60er und frühen 70er Jahre nicht bloß als passive Zuschauer miterlebt haben, sondern durchaus auch aktiv daran teilnahmen, eine frühe Positionierung, die oft auch die spätere wissenschaftliche Arbeit der Autorinnen und Autoren beeinflusst hat. Die abgedruckten Autobiographien machen außerdem erneut deutlich, dass Strafrechtswissenschaft weit mehr umfasst als die dogmatische Ausdifferenzierung des (durchaus nicht ohne Grund) international sehr geschätzten deutschen Straftatsystems. Die Strafrechtsdogmatik steht zwar nach wie vor im Mittelpunkt der deutschen Strafrechtswissenschaft, sie wird jedoch vielfältig flankiert und ergänzt. Dementsprechend nehmen auch das Strafverfahrensrecht, das Recht des Strafvollzugs, die Kriminologie, die Rechtstheorie und auch die Rechtspolitik in den hier versammelten Selbstzeugnissen einen wichtigen Raum ein. Ziel des Buches ist es, einer künftigen Historiografie und Wissenschaftssoziologie der deutschen (Straf-)Rechtswissenschaft eine einigermaßen tragfähige Grundlage zu schaffen. „Einigermaßen tragfähig“ deshalb, weil die Autobiographie in der deutschen Rechtswissenschaft keine feste Tradition hat. Der Herausgeber stand deshalb wiederholt vor der Aufgabe, Überflüssiges streichen und Relevan1
Behrend, Heike, Menschwerdung eines Affen. Eine Autobiographie der ethnografischen Forschung, 2020. Das obige Zitat findet sich auf S. 19.
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Vorwort
tes aus den manchmal allzu zurückhaltenden Autorinnen und Autoren herauslocken zu müssen. Ob der Versuch gelungen ist und der erhoffte Erkenntnis- und Reflexionsgewinn eintreten kann, mögen die Leserinnen und Leser entscheiden. Der hier vorgestellte Band ist nach „Die deutsche Strafrechtswissenschaft in Selbstzeugnissen“ (2009) und „Die ausländische Strafrechtswissenschaft in Selbstzeugnissen (2019) der dritte Band mit Autobiographien von Autorinnen und Autoren aus dem Umfeld der internationalen Strafrechtswissenschaft.2 Der letzte, derzeit in Planung befindliche Band wird sich noch einmal mit Beiträgen ausländischer Strafrechtswissenschaftlerinnen und Strafrechtswissenschaftler beschäftigen. Die beiden bisher erschienen Bände haben eine ausgezeichnete Aufnahme gefunden,3 was den zunehmend engen Austausch von Meinungen und Positionen innerhalb der internationalen Strafrechtswissenschaft deutlich macht. Wissenschaft, auch dies zeigen die hier enthaltenen Beiträge, lebt von wechselseitiger Auseinandersetzung und gehaltvoller Kritik. Der Herausgeber würde sich freuen, wenn mit diesem Band ein neuerlicher Anstoß für eine fruchtbare Selbstreflexion der deutschen Strafrechtswissenschaft geleistet würde. Meine wissenschaftliche Mitarbeiterin Dr. Anna Lohmann und stud.jur. Daniela Brandl haben die Arbeiten am vorliegenden Werk von Anfang an tatkräftig unterstützt. Dafür danke ich ihnen auch an dieser Stelle noch einmal herzlich. Veitshöchheim, im Mai 2021
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Prof. Dr. Dr. Eric Hilgendorf
Zum Konzept einer „internationalen Strafrechtswissenschaft“ vgl. meinen Beitrag in Hilgendorf, Eric/Schulze-Fielitz, Helmuth (Hrsg.), Selbstreflexion der Rechtswissenschaft, 2. Aufl. 2021, S. 153–184. Der erste Band zur deutschen Strafrechtswissenschaft wurde unter Leitung von Prof. Dr. Feng, Jun sogar in das Chinesische übersetzt (2 Bände, Social Sciences Academic Press, 2018).
Werner Beulke
https://doi.org/10.1515/9783110703016-001
Werner Beulke Autobiographie I. Der Zweite Weltkrieg, dessen Fernwirkungen auch meine Jugend stark prägen sollten, ging am 12. Januar 1945, meinem Geburtstag, in seine Endphase, denn die Rote Armee eröffnete an diesem Tag mit Überquerung der Oder und langfristig mit der Eroberung von Berlin ihre groß angelegte Winteroffensive gegen die deutsche Ostfront. Überraschend schnell ging Hitlers 1000-jähriges Reich am 8. Mai 1945 endgültig zugrunde, leider bis dahin noch hunderttausende Tote sinnlos mit sich reißend. Zu den Opfern der letzten Schlacht gehörte mein Vater, der all die Kriegsjahre vom Wehrdienst befreit war, weil er als Physiker im Team von Wernher von Braun und im Auftrag der Firma Siemens die Steuerungselemente der V2 Waffe in Peenemünde mitentwickelt hatte. Am 23. April 1945, also etwa zwei Wochen vor Kriegsende, wurde mein Vater in Berlin doch noch zum Militär eingezogen und wenige Tage später tödlich verwundet. Während die meisten Deutschen (soweit sie es durften) vor den Russen verzweifelt Richtung Westen flüchteten, wurde meine Mutter noch Anfang Januar 1945 auf Anordnung des NS-Frauenbundes mit ihren vier Töchtern im hochschwangeren Zustand Richtung Osten evakuiert. Offiziell hielt man am propagierten „Endsieg“ fest! Diese törichte und von der Anlage her mörderische Fahrt endete in Neustadt/Oberschlesien (heute Prudnik), wo ich geboren wurde. Ein weiterer Verschub der Mutter Ende Januar 1945 mit nunmehr fünf Kindern nach Braunau/ Österreich fand einen Tag vor Einmarsch der Roten Armee in Neustadt statt. Das Kriegsende wurde für die Evakuierten unspektakulär in der Nähe von Salzburg erlebt, wo die Amerikaner die Macht übernahmen. Im Oktober 1945 mussten alle Deutschen Österreich verlassen und in ihre Heimatorte zurückkehren. Erst in Berlin erfuhr meine Mutter, dass ihr Mann gefallen war. Als Kriegerwitwe mit fünf Kindern hat sie es „in der schlechten Zeit“ schwer gehabt. „Hamstern“ war die einzige Überlebensstrategie. Zu unserem Glück waren inzwischen die Amerikaner im Tausch gegen Thüringen und Sachsen die neuen Herrscher im heimatlichen Berliner Stadtviertel (im Amerikanischen Sektor). Sie waren langfristig die Garanten unseres Lebens und unserer Freiheit, wofür ich bis heute einen tiefen Dank verspüre. Es gehört aus meiner Sicht zur schweren Schuld der deutschen Nation, dass sie die Nationalsozialisten nicht nur an die Macht gebracht und später ihre Willkür im Umgang mit „Gegnern“ sowie ihre Massenmorde im Zuge des Holocaust und ihre Kriegsverbrechen bejubelt und
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Werner Beulke
unterstützt, zumindest stillschweigend befürwortet und geduldet hat, sondern auch unfähig war, den Diktator zu stürzen, nachdem der verbrecherische Charakter seiner Herrschaft auch dem letzten Mitbürger hätte klar werden müssen. Millionen von russischen, britischen sowie amerikanischen Soldaten und Kämpfer aus anderen Ländern mussten sterben, weil wir Deutschen einen Massenmörder als Messias betrachteten, dem selbst mein intelligenter Vater in falsch verstandener Nibelungentreue meinte, im Endkampf sein Leben opfern zu müssen. Trotz widrigster äußerer Umstände verstand es die verwitwete Mutter, uns das Gefühl wunderbarer Geborgenheit zu geben, sodass ich eine unbeschwerte Jugend erleben durfte. Da viele unserer Spiel- und späteren Klassenkameraden ebenfalls als Halbwaisen aufwuchsen, habe ich das Fehlen eines Vaters nicht als spürbaren Verlust empfunden – auch wenn die Familiensituation mit Mutter und vier Schwestern (zuzüglich einer weiteren Halbschwester, die mein Vater mit in die Ehe gebracht hatte, die jedoch bei den Großeltern aufwuchs) gendermäßig stark einseitig geprägt war. Dankbar bin ich meiner Mutter auch dafür, dass sie trotz eigener Geldsorgen, das Ziel, allen Kindern eine gute Ausbildung zu ermöglichen, niemals aus den Augen verlor. Materielle Werte wurden wenig geschätzt, klassische Bildung und geistig anspruchsvolle Berufe für ihre Kinder waren ihr Herzenswunsch. Die Liebe meiner Mutter halte ich für den Urquell meines späteren Lebensglücks – bis hinein in das berufliche Wirken. Die Schulzeit verlief problemlos, und selbst das Abitur, das von den Lehrern vorher wortgewaltig als Menetekel an die Wand gemalt worden war, entpuppte sich als schaffbar. Schon während der Schulzeit führte mich meine nächstältere Schwester Helga im Alter von 15 Jahren in die Welt des Theaters und der Oper ein. Im Berliner Schiller-Theater erkämpften wir nach langem Anstehen von Sonnabendnacht bis zur Kassenöffnung am Sonntagmorgen um 10 Uhr Eintrittskarten für überwältigende Theaterabende mit Martin Held, Thomas Holzmann, Ernst Deutsch (Nathan der Weise, wunderbar!), Erich Schellow, Siegmar Schneider, Tilla Durieux, Eva Katharina Schulz und Gisela Uhlen. Unsere Ansicht über die Leistungen der Regisseure und Schauspieler wurden durch die meisterhaften Theaterkritiken von Friedrich Luft im Radiosender Rias Berlin („bis nächsten Sonntag, gleiche Stelle, gleiche Welle, herzlich auf Wiederhören“) zumeist bestätigt, selten verworfen. Die Oper – anfangs noch im heutigen Berliner Theater des Westens in der Kantstraße, später in der Deutschen Oper Berlin in der Bismarckstraße – eroberte durch Freischütz, Madame Butterfly, Fidelio, Belsazar und Carmina Burana mein Herz im Sturm. Diese Opernaffinität sollte mich ein Leben lang begleiten.
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Die politische Situation in Berlin war in all den Jahren meiner Jugend in höchstem Maße angespannt. Als einschneidendstes Ereignis ist mir der Mauerbau am 13. August 1961 in Erinnerung geblieben. Es erschien mir unvorstellbar, dass ein Regime die eigenen Bürger in einem großen Gefängnis einsperrt. Kennedys Besuch in Berlin, sein „Ich bin ein Berliner“ und die Standhaftigkeit der USA gegenüber der Sowjetunion, die den Westberlinern das Leben in Freiheit garantierte, waren Marksteine in der Entwicklung des eigenen politischen Weltbildes.
II. Die Wahl der Jurisprudenz als Studienfach hatte mir unser Geschichtslehrer irgendwie abgenommen („Werner, du studierst später einmal Jura“). Klassensprecherfunktion und vor allem Theateraufführungen unter Leitung unseres Deutschlehrers Dieter Lucke (auf dem „Spielplan“ immerhin Iphigenie auf Tauris von Johann Wolfgang von Goethe, in der ich den Pylades spielen durfte) waren meines Erachtens eine vorzügliche Schulung für den späteren Beruf. Das Interesse am Jurastudium hielt sich allerdings zunächst noch in Grenzen. Die Dozenten während der ersten zwei Semester 1964/65 an der FU Berlin habe ich als eher wenig mitreißend in Erinnerung. Deshalb stand für das dritte und vierte Semester ein Wechsel nach Tübingen an. Dort erfuhr ich als Berliner mit großem Erstaunen, dass es Professoren gibt, die exzellente Vorlesungen mit landsmannschaftlicher (schwäbischer) Sprachprägung halten! Ferner machten mitreißende Grundrechtsvorlesungen von Günter Dürig sowie literarische Sprachkaskaden von Walter Jens diese zwei Semester in Baden-Württemberg zu einem Erlebnis ersten Ranges! Jedoch erschien mir die Landschaft (insbesondere das Ausflugsziel „Schwärzloch“) zu schön, um das Leben schwerpunktmäßig in den Hörsälen zu verbringen, sodass ich die Reißleine zog und zur „Arbeitsuniversität“ Göttingen wechselte, die mir zur zweiten Heimat wurde und die ich erst 13 Jahre später wieder verlassen sollte. Zunehmend gefiel das Jurastudium, auch wenn das Jahr der Examensvorbereitung in wenig guter Erinnerung haften geblieben ist. Von unseren Göttinger Strafrechtsprofessoren bestach Friedrich Schaffstein durch seine ruhige, intelligente und der Jugend wohlgewogene Art, die ich auf vielen Exkursionen in Strafanstalten und Jugendheimen als „Dauerteilnehmer“ seiner Seminare erleben durfte. Der eigentliche Titan der Göttinger Studienjahre war Claus Roxin. In seiner spontanen, didaktisch-schauspielerisch phänomenalen Art der Wissensvermittlung war er für uns Nachwuchsjuristen einfach hinreißend. Seine Vorlesungen
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im Strafrecht AT/BT und Strafprozessrecht (für mich alle als Examensrepetitorium genutzt!) waren eine Offenbarung. Seine Lehrveranstaltungen verwandelten mich in einen hochmotivierten Jünger des Strafrechts und am Ende des Studiums hatte ich das Glück, im mündlichen Referendarexamen vom großen Meister selbst geprüft zu werden. Leider verließ er (begleitet von seinen Assistenten Hans Achenbach, Bernhard Haffke und Bernd Schünemann) schon bald Göttingen und ging nach München, blieb aber gleichwohl der Star unserer (damals!) jüngeren Generation. Er ist für mich bis heute das Idealbild eines Wissenschaftlers. Wir, der Göttinger Nachwuchs, sind ihm sehr dankbar, dass er uns über all die Jahre in Freundschaft verbunden geblieben ist.
III. Wenige Tage vor dem mündlichen Referendarexamen fragte mich Friedrich Schaffstein bei einem Treffen auf der Weender Straße, ob ich bei ihm Assistent werden wolle; er müsse die Namen jetzt für das nächste Semester benennen. Mein zaghafter Einwand, doch noch keine Noten zu wissen (wir bekamen die schriftlichen Noten damals erst mit der Verkündung des Endergebnisses nach Abschluss des Mündlichen mitgeteilt), wischte er mit väterlicher Geste vom Tisch. Natürlich sagte ich spontan zu, nicht ahnend, dass dieser Moment mein ganzes weiteres Berufsleben prägen sollte. Nach bestandenem Examen arbeitete ich am Lehrstuhl von Friedrich Schaffstein, der mir als Dissertation eine empirische Arbeit aus dem Jugendstrafrecht empfahl. Seine nationalsozialistische Vergangenheit empfand ich (in Übereinstimmung mit meinen Freunden und Studienkameraden) schon deshalb nicht als Ausschlusskriterium bei der Wahl des Doktorvaters und Mentors, weil er diesen Makel mit der großen Mehrheit der älteren Deutschen teilte. Die Aufarbeitung der nationalsozialistischen Verstrickungen ganzer Berufszweige (Juristen, Journalisten, Auswärtiges Amt, Künstler, Professoren, leitende Kriminalbeamte in Nordrhein-Westfalen etc.) sollte erst Jahrzehnte später einsetzen und ein Ergebnis bringen, dass eigentlich wenig überrascht: Die Mehrheit (m. E. weit über 90 %) der Deutschen und aller Berufsgruppen hat Hitlers Politik befürwortet und ganz überwiegend aktiv unterstützt – jedenfalls solange er mit seiner aggressiven Politik „Erfolg“ hatte. Mit dieser Mehrheit teilte Friedrich Schaffstein die schier unglaubliche Fähigkeit, im Zeitpunkt des Zusammenbruchs, also des Kriegsendes, den „Schalter“ umzulegen und sich vom glühenden Hitleranhänger zum Demokraten zu wandeln. Heute wissen wir, wie fragil dieser Prozess ist und wie sehr (offensichtlich weltweit) in der Bevölkerung die Sehnsucht nach starken Volkstribunen zurückkehrt. Das konnte sich vor 50 Jahren niemand vorstellen, da die
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Grauen des Krieges und des Totalitarismus noch allseits präsent waren. Hinzu kam, dass Friedrich Schaffstein – im Gegensatz zu vielen, die doch heimlich Befürworter des Nationalsozialismus geblieben waren – offen und für mich auch überzeugend seine Fehler bekannte, bis hin zum Eingeständnis, dass der von ihm mitgegangene Irrweg letztlich nach Auschwitz geführt habe. Diese Grundhaltung imponierte mir. Bis ins hohe Alter kam meinem Doktorvater niemals ein demokratiefeindliches Wort über die Lippen. Als geschichtsaffiner Zeitzeuge berichtete er mir sogar mehrfach, dass angesichts des Schicksals Napoleons für ihn seit dem Angriff auf die Sowjetunion im Juni 1941 kein Zweifel mehr bestanden habe, dass Deutschland den Krieg verlieren wird. Warum er in Übereinstimmung mit der Mehrheit der Deutschen dem Nationalsozialismus gleichwohl so lange die Treue hielt, wird für immer sein Geheimnis bleiben. So war Friedrich Schaffstein für mich ein typischer Vertreter meiner Elterngeneration, deren (neues) demokratisches Bewusstsein nicht in Zweifel gezogen wurde, ein idealer Seminarleiter und Doktorvater. Als er mir später die Fortführung seines Lehrbuchs im Jugendstrafrecht übertrug, habe ich dieses Angebot gerne angenommen und als große Ehre empfunden. Bis zu seinem Tode bin ich ihm eng verbunden geblieben und habe ihn vielfach im Altersheim besucht und mit ihm auch noch seine letzten Veröffentlichungen erarbeitet – auch nach seiner Erblindung. Jedenfalls in der Zeit, in der ich ihn gehört und mit ihm gearbeitet habe, war er ein aufgeklärter Wissenschaftler ohne Fehl und Tadel. Dennoch habe ich Verständnis dafür, dass spätere, familiär und gesamtgesellschaftlich unbelastete Generationen, inzwischen strengere Maßstäbe anlegen und den Rechtswissenschaftlern der NS-Zeit kritischer gegenüberstehen. Nach der Emeritierung von Friedrich Schaffstein wurde ich als Assistent von seinem Nachfolger Gunther Arzt übernommen, dessen bestechend scharfer, analytischer Verstand und Vorliebe für dogmatisch kniffelige Fragen sowie für die Klausurtechnik mich sehr faszinierten. Der Abschluss der von Friedrich Schaffstein weiterhin betreuten Promotion („Die Vermögenskriminalität Jugendlicher und Heranwachsender“) und das Assessorexamen fielen auf denselben Tag, sodass ich die Universität um Aufschub des Rigorosums bitten musste. Anschließend begann meine Habilitationsphase am Lehrstuhl von Gunther Arzt. Die Arbeit mit ihm war spannend und sehr lehrreich. Leider wechselte er bereits wenige Jahre später an die Universität Erlangen. Da ich mich weiterhin Göttingen sehr verbunden fühlte und Hans-Ludwig Schreiber mir anbot, bei ihm die Assistentennachfolge von Knut Amelung anzutreten, der gerade frisch nach Bochum berufen worden war, wechselte ich kurzentschlossen Pferd und Wagen und dockte bei Hans-Ludwig Schreiber als neuen Habilitationsvater an. Mit zunehmen-
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dem Alter steigt meine Ehrfurcht gegenüber Gunther Arzt, dass er mir trotzdem bis heute herzlich verbunden geblieben ist. Die Assistentenjahre habe ich als wunderbare und manchmal auch recht turbulente Zeit in Erinnerung, geprägt von der als Geschenk empfundenen völligen Freiheit bei Findung und Bearbeitung der wissenschaftlichen Themen, aber nicht zuletzt auch bei der Aufteilung des Tagesablaufs. Gemeinsam mit meinen neu gewonnenen Freunden, den Wissenschaftlichen Assistenten Thomas Hillenkamp und Hero Schall, habe ich diese Lebensphase genossen. Glücklicherweise blieb der enge Kontakt zu den beiden heutigen Kollegen bis ins hohe Alter bestehen. Jährliche gemeinsame Opernreisen festigten den Zusammenhalt. In der Göttinger Zeit trafen wir uns täglich und träumten von der universitären Zukunft! HansLudwig Schreiber entpuppte sich als idealer Habilitationsvater, der mir keinerlei Vorschriften machte, mir alle Steine aus dem Weg räumte und mein Habilitationsvorhaben mit allen ihm zur Verfügung stehenden Kräften förderte – nicht zuletzt, indem er mir ein Seminar zu dem von mir gewählten Thema anvertraute. Dass eine Teilnehmerin meines „Verteidigerseminars“ sich später mit Heinz Schöch vermählen würde, konnte zumindest ich damals noch nicht erahnen, hat aber mein freundschaftliches Verhältnis zu Heinz Schöch weiterhin gestärkt. Auch ein von Hans-Ludwig Schreiber gemeinsam mit Heinz Schöch abgehaltenes Seminar (betreut von dessem Wissenschaftlichen Assistenten Dieter Dölling), habe ich lebhaft in Erinnerung. Verständlicherweise war ich sehr glücklich, dass im Herbst 1978 die als hohe Hürde empfundene Habilitation mit der Arbeit „Die Rechtsstellung des Strafverteidigers“ und einem Vortrag zur „Strafbarkeit gem. § 142 StGB bei vorsatzlosem Sich-Entfernen vom Unfallort“ überwunden werden konnte.
IV. Im Frühjahr 1979 folgte der Ruf auf eine erste Professur nach Konstanz, die ich jedoch nur ein Jahr innehatte. Insbesondere die strafrechtlichen Kollegen Klaus Volk und Rudolf Leibinger machten mir den dortigen Aufenthalt zu einem Vergnügen. Die damals in Konstanz praktizierte einstufige Juristenausbildung erwies sich allerdings aus meiner Perspektive als wenig attraktiv; vorrangig, weil man im Beschleunigungsinteresse in der viel zu knapp bemessenen Universitätsphase im ersten Teilexamen das differenzierte Notensystem durch ein „Bestanden/Nicht bestanden“ ersetzt hatte. Da für ein schlichtes „Bestehen“ die Kenntnis der Rechtsprechung genügte, wurden Informationen über abweichende Lösungsansätze selbst bei wichtigen Streitfragen von den weniger interessierten Studenten als Zeitvergeudung eingestuft und entsprechende professorale Ausführungen
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eher lustlos entgegengenommen. Die spätere Abschaffung dieser Ausbildungsvariante erscheint mir als kein großer Verlust. Konstanz leuchtet auch ohne sie. Im Jahr 1980 kam der Wechsel auf einen Lehrstuhl an die zwei Jahre vorher gegründete Universität Passau. Dort war es Martin Fincke, der mich herzlich und kooperativ empfing. Später kam Bernhard Haffke hinzu. Beide waren mir über Jahrzehnte hochgeschätzte Kollegen, ohne dass jemals ein Streit ausgebrochen wäre, was für deutsche juristische Fakultäten Seltenheitswert haben dürfte. Die Universität Passau, von der ich mir vorher wegen ihrer Randlage in Deutschland wenig Strahlkraft versprochen hatte, erwies sich nicht zuletzt wegen ihres breit gefächerten Angebots an fachspezifischer Fremdsprachenausbildung und wegen ihrer vielen, sehr aktiv gelebten Austauschprogramme mit ausländischen Universitäten als weltoffene Ausbildungsstätte in einer faszinierend schönen Stadt, deren Charme sich selbst ein großstädtisch geprägter Berliner nicht entziehen konnte. Auch baulich handelte es sich bei der in der Innenstadt gelegenen Universität, mit dem „Nikolakloster“ (bis zur Säkularisierung Anfang des 19. Jahrhunderts ein Augustinerchorherrenstift) als Keimzelle und mit Neubauten, die sich gelungen in das Gesamtensemble einfügten und in denen man sich wohl fühlte, um einen großen Wurf. Die Bausünden der Universitätsneugründungen aus den 1960er- und 1970er-Jahren mit ihren auf dem Campus hochgezogenen Betonklötzen waren glücklicherweise Geschichte. Da das Gesamtkollegium aller juristischen Professoren (Professorinnen stießen erst später hinzu) etwa gleichaltrig (zu Beginn: gleich jung) war und es sich zumeist auch für die anderen Kollegen um einen Erstruf auf einen Lehrstuhl handelte, entstand schnell ein die Stimmung hebendes „Wir-Gefühl“, das über Jahrzehnte anhielt und für „normale“ (etablierte) Fakultäten ungewohnt sein dürfte. Als Jungprofessoren genossen wir alle die neu erworbene Freiheit in vollen Zügen. Lehrveranstaltungen konnten wir jetzt in Eigenverantwortung und mit eigenem didaktischem Konzept gestalten. Das machte uns allen riesigen Spaß! Familiengründung (im Rahmen meines ersten Grundkurses im Strafrecht lernte ich im Hörsaal 412 des ehrwürdigen „Nikolaklosters“ meine spätere Frau kennen!) bzw. Familienausbau und Betreuung der eigenen Kinder, die in Passau und Umgebung zur Schule gingen, waren im privaten Bereich mehrheitlich lebensabschnittsprägend. Das schweißte zusammen. Die „Professorien“ als Vorbereitung eher langweiliger Fachbereichsratssitzungen wurden anscheinend nicht nur von mir genossen, und die positive Gesamtstimmung führte dazu, dass Rufe mehrerer Kollegen an andere Universitäten überwiegend abgelehnt wurden, was jenseits der niederbayerischen Grenzen viele nur mit Kopfschütteln quittierten.
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Die Jahre an der Universität Passau waren für mich beglückend. Unsere Lehrstuhlausstattung war relativ gut und mit wenig Stress konnte man sich der Lehre und der Anfertigung wissenschaftlicher Publikationen widmen. Da sich die Universität Passau erst im Aufbau befand, habe ich bei meiner ersten (Kriminologie-)Vorlesung 1980 zu drei Hörern sprechen dürfen. War einer verhindert, wurde ich am Abend zuvor angerufen und darüber informiert, dass meine Vorlesung am morgigen Tag ausfallen wird. Ein Essen in der „Mensa“ (einem kleinen Kellerraum) musste man einen Tag vorher bestellen, damit sich der Lieferant (Siemens-Werkküche) darauf einstellen konnte. Studenten, die die „Unvorsichtigkeit“ begangen hatten, bei der Zentralen Studienplatzvergabe (ZVS) Passau als Studienort anzugeben (u. U. an letzter Stelle der Favoritenliste!) wurden hierhin „zwangsversetzt“ und fragten uns, ob wir ebenfalls Opfer der ZVS seien. Manche blieben nur wenige Tage, andere erkannten schnell die Vorzüge einer kleinen, im Aufbau befindlichen Universität, verliebten sich in die Stadt und wählten sie für lange Zeit – einige für immer – zu ihrem Lebensmittelpunkt. Schnell wuchs in den Folgejahren die Studentenzahl (auch nach Abschaffung der ZVS) bis hin zu Jahrgängen, in denen Vorlesungen in Zweithörsäle übertragen werden mussten. Später normalisierten sich die Neuzugänge und inzwischen hat die Juristische Fakultät der Universität Passau längst ein ausgewogenes Verhältnis von Lehrenden und Lernenden.
Generationen von Assistenten prägten die Lehrstuhlatmosphäre und waren unverzichtbare Helfer bei der Bewältigung des Tagesgeschäfts. Besonders stolz bin ich verständlicherweise auf meine Habilitanden Helmut Satzger, Christian Fahl und Sabine Swoboda. Ohne sie und die vielen anderen Wissenschaftlichen Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter, die im Laufe der Jahrzehnte kamen und gingen, hätte ich die Aufgaben niemals bewältigen können, die sich in Gestalt der vielfältigen wissenschaftlichen Publikationen, Vorträge und Lehrveranstaltungen stellten. Im Verbund mit den studentischen Hilfskräften und meiner, mir lieb gewonnenen, unermüdlichen Sekretärin Ursula Kuba, habe ich uns als Team empfunden, dem die gemeinsame Arbeit gefiel. Musste ich in den Anfangsjahren die zu besetzende Assistentenstelle mangels lokaler Uniabsolventen noch in der NJW ausschreiben und den Bewerber von auswärts nach Passau locken (erster Wissenschaftlicher Assistent: Hans-Walter Mayer), überstieg später die Nachfrage seitens der Bewerber bei weitem die Anzahl der zur Verfügung stehenden Finanzressourcen. Durch vielfaches „Splitten“ der Stellen ergab sich letztlich aber doch eine stattliche Schar, die unsere Räume im „Nikolakloster“ füllte. Ich halte das heute häufig als überholt eingestufte „Lehrstuhlsystem“ durchaus nicht für unzeitgemäß. Im Gegenteil: Es bietet dem wissenschaftlichen Nachwuchs vorzügliche Chancen – jedenfalls bei fairer Bemessung des „für den Chef“ zu erbrin-
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genden Arbeitsanteils und bei freundlicher Behandlung der Mitarbeiter. Das Lehrstuhlmotto „immer nur loben…“ wurde zwar intern vielfach durch den Kakao gezogen (und bietet auf jährlich stattfindenden „Passau Revival-Treffen“ noch immer viel Anlass zu Spott), hinterließ aber meinem Empfinden nach doch irgendwie Spuren. Ich selbst habe Positives bei meiner eigenen Ausbildung erlebt, und nur versucht, diese Tradition fortzusetzen. Ob mir das gelungen ist, müssen die „Ehemaligen“ entscheiden. Neben den Lehrveranstaltungen, der Erstellung unterschiedlichster Publikationen und den Vorträgen nahm die Betreuung von (bis heute 137) Doktoranden relativ viel Zeit in Anspruch, bereitete aber nicht minder Genugtuung. Kluge Köpfe erstellten kluge und im Glücksfall sogar hochkarätige Abhandlungen, oft auch mit erfreulichen Anregungen für meine eigenen Veröffentlichungen. Es freut mich, dass aus dem meinerseits betreuten Nachwuchs inzwischen neben den eigenen Habilitanden weitere Doktoranden als Kolleginnen und Kollegen an Universitäten und Hochschulen tätig sind – u. a. Gregor Bachmann, Max Förster, Annika Dießner und in der Habilitationsphase: Gloria Berghäuser.
Eigene Seminare waren immer wieder Leuchtsterne am Firmament des Lehrbetriebs. Lebhaft erinnere ich mich z. B. an „Verteidigerseminare“, in denen berühmte Strafverteidiger mitwirkten und die bei einigen Studentinnen und Studenten den (später realisierten) Wunsch aufkeimen ließen, in Zukunft auch einschlägig beruflich tätig zu werden. Ähnliches habe ich bei Jugendstrafrechtlichen Seminaren erlebt. Unvergessen sind auch zahlreiche feucht-fröhliche Abende mit den Seminarteilnehmern nach getaner Arbeit im Rahmen gemeinsamer Wochenendveranstaltungen. Die spätere Einführung von „Universitären Schwerpunkten“ und die Verlagerung der dort geforderten Examensleistungen in die Seminare habe ich sehr bedauert, zerstörten sie doch die Unbefangenheit der früher noch nicht vom eigentlichen Examensstress gebeutelten Seminarteilnehmer.
Eine völlig andere Atmosphäre herrschte schon immer bei den, in einem etwa dreijährigen Turnus durchgeführten Exkursionen nach Oswiecim/Polen. Die Fahrten waren eingebettet in das Generalthema „Auschwitz und die justizielle Aufarbeitung des Holocaust in der BRD nach dem zweiten Weltkrieg“. Der Verlauf dieser Seminare war jedes Mal aufs Neue höchst eindrucksvoll. Von Passau aus habe ich die Lehrveranstaltung zunächst (Wintersemester 1991/92) mit dem Historiker und Politikwissenschaftler Peter Steinbach abgehalten. Nach dem Weggang von Peter Steinbach aus Passau wurde das Seminar gemeinsam mit Armin Höland und Michael Kilian aus Halle und Andrzej Zoll aus Krakau fortgeführt. Inzwischen durfte ich auch vor Ort an einem von Christian Fahl mit Greifswalder Studenten durchgeführten „Auschwitz-Seminar“ teilnehmen und derzeit ist eine weitere Seminarfahrt mit Hallenser Studenten nach Oswiecim unter Leitung des Hallenser Öffent-
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lichrechtlers Dirk Hanschel geplant. Der Zeitzeuge Max Mannheimer hat mit seinem Bericht über sein Leben im Konzentrationslager – vorrangig in Auschwitz – mehrfach (Wintersemester 2001/02, 2005/06, 2008/09) die Seminarteilnehmer tief beeindruckt. Vor allem hat die Konfrontation mit der Vernichtungsstätte Auschwitz bei den deutschen Studenten auch viele Jahrzehnte nach dem NS-Terror tiefe Spuren hinterlassen. Erfahrungsgemäß kann sich aus deutscher Sicht niemand der Kollektivscham unserer Nation entziehen, wenn er die Lage vor Ort mit ihrer irrsinnigen Vernichtungsmaschinerie vor Augen geführt bekommt. Zumindest diese minimale Form der „Abbitte“ in Form der Konfrontation der nachfolgenden Generationen mit dem Grauen des Hitler-Faschismus sind wir den sechs Millionen Holocaustopfern schuldig – gerade angesichts des bereits angesprochenen eigenen Versagens unseres Vaterlandes sowie leider auch angesichts des Wiedererwachens des Judenhasses in jüngster Zeit in Deutschland. Nur mühsam fand man aus solchen, die Seele aufrührenden Lehrveranstaltungen in den normalen Universitätsalltag zurück. Das gelang z. B. durch den erfüllenden Umgang mit unseren hochbegabten Studenten. Als langjähriger Vertrauensdozent der Studienstiftung des deutschen Volkes (mit dreimaliger Teilnahme an deren Sommerakademien) kann ich auf beglückende Reisen und viele lebhafte Treffen mit meinen Stipendiaten zurückblicken. Bei immer neuen Generationen bin ich auf bewundernswürdige Intelligenz gestoßen, die mich hinsichtlich der Zukunft unseres Akademikernachwuchses nicht bange werden lässt.
Ehrenvoll waren für mich die Rufe an die Universität Bochum und die Universität Halle-Wittenberg, auch wenn ich sie aus Verbundenheit zu Passau letztlich abgelehnt habe. Erfreulich empfinde ich es bis heute, dass trotz meiner Absage in Halle-Wittenberg zu den dortigen Kollegen, insbesondere zu Hans Lilie und dessen Nachfolger auf den Lehrstuhl, Henning Rosenau, sowie zu Armin Höland, Christian Schröder, Joachim Renzikowski und Kai Bussmann freundschaftliche Beziehungen aufrechterhalten worden sind und man mir gestattet, in jedem Herbst für eine Woche das Hallenser Examensrepetitorium mitzugestalten. Im letzten Drittel meiner aktiven Universitätszeit habe ich verstärkt den wissenschaftlichen Austausch mit Partneruniversitäten genutzt. An der Universität Castilla La Mancha in Spanien lernte ich in Toledo Eduardo Demetrio und in Ciudad Real Luis Arroyo und Adan Nieto in vielen Begegnungen sowie in gemeinsamen Seminaren in Spanien und in Deutschland (zusammen mit Helmut Satzger) kennen und schätzen. Eine meiner Doktorandinnen (Mirja Feldmann) erlangte in gemeinsamer Betreuung mit Enrique Gimbernat (Universidad Complutense de Madrid) eine „EU-Doppelpromotion“ in Deutschland und Spanien.
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Die Austauschverträge der Universität Passau mit russischen Universitäten in St. Petersburg, Krasnojarsk, Iwanowo sowie Irkutsk ermöglichten es, auch dort Vorträge und gemeinsame Seminare mit örtlichen Kollegen abzuhalten. Besonders eng war der Kontakt zur Staatsuniversität Krasnojarsk (Sibirien), wo ich im Rahmen des dort angebotenen „Deutschsprachigen Studiengangs im deutschen Recht“ mehrfach deutsches Strafrecht unterrichten durfte. Das hohe Sprachniveau der jungen russischen Studentinnen und Studenten hat mich tief beeindruckt. Auch die Ausflüge in die Taiga sowie die Fahrten nach Irkutsk (mit Konferenzen in der dortigen Universität) sowie an den Baikalsee habe ich in wunderbarer Erinnerung. Drei meiner Doktoranden rekrutieren sich aus dem Kreis der ehemaligen Hörer in Krasnojarsk (Victor Yurkov, Svetlana Paramonova und Maria Bozhenova), was mir für die internationale wissenschaftliche Zusammenarbeit richtungweisend erscheint. An der Juristischen Fakultät der Universität Mailand hat Francesco Vigano einen Gastvortrag von mir arrangiert und er ist auch in meine Vorlesung nach Passau gekommen. Ferner bin ich in einen lebhaften wissenschaftlichen Austausch mit Japan eingebunden. Vor Ort haben mich Katsuyoshi Kato und Norio Tsujimoto rührend betreut. Sie haben inzwischen auch mein StPO-Lehrbuch ins Japanische übersetzt, wofür ich sehr dankbar bin. In den letzten Jahren bin ich ferner mehrfach zu Konferenzen und Vorträgen in die Volksrepublik China gereist. In Beijing (Peking) arbeite ich insbesondere mit Cheng Jie (University of Chinese Academy of Social Sciences [UCASS]) und Huang He (China University of Political Science and Law [CUPL]) zusammen. Nach Taiwan wurde ich von Jiuan-Yih Wu (Universität Kaohsiung) eingeladen. All diese Kontakte empfinde ich als große Bereicherung meines wissenschaftlichen und praktischen Werdegangs. Die Jahrzehnte in Passau sind wie im Fluge vergangen. Der Anfangszauber des Lebens in der Universität hielt im Großen und Ganzen bis zum Schluss an. Als wirklich lästig habe ich eigentlich nur die ständige Diskussion um die Reform der Juristenausbildung in Erinnerung. Sinnvolle Verbesserungen gab es insoweit trotz langen Palavers und unendlich vieler „Paper“ kaum. Die größte Reform in Gestalt der Einführung der „Schwerpunkte“ erscheint mir bis heute als bedauerliche Fehlentwicklung. Ähnlich ist meine Einstellung zur Neugestaltung der Universitätsstruktur. Die Glorifizierung der „Drittmitteleinwerbung“, die Bildung von „Exzellenzuniversitäten“ und die einseitige Machtverlagerung auf den Universitätspräsidenten nach dem Modell von Wirtschaftskonzernen stufe ich als eine, dem Zeitgeist der Wende vom 20. zum 21. Jahrhundert geschuldete, verfehlte Reform ein, die dem Idealbild der Freiheit von Forschung und Lehre an der Uni-
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versität zuwiderläuft. Jede Generation macht jedoch ihre eigenen Fehler, und das insgesamt noch immer vorbildliche deutsche Ausbildungssystem wird auch diese verkraften! Im Jahre 2011 bin ich aus Altersgründen mit 66 Jahren aus dem aktiven Universitätsdienst ausgeschieden. Zu den Höhepunkten des wissenschaftlichen Lebens zählen das „Finale“ in Gestalt eines von meinen Schülern in Zusammenarbeit mit Armin Engländer im Jahre 2012 organisierten Symposions zum Thema „Strafverteidigung – Grundlagen und Stolpersteine“ sowie die anlässlich meines 70. Geburtstags 2015 von Helmut Satzger, Christian Fahl, Sabine Swoboda und Eckhart Müller herausgegebene, beeindruckende Festschrift. Mit Vergnügen habe ich die mir gewidmeten Texte gelesen und zur Kenntnis genommen, wie sehr die Beiträge in der Wissenschaft rezipiert werden.
V. Bisher habe ich mich bei meiner Rückschau vor allem auf den Bereich der Universität beschränkt. Beruflich erlangte jedoch ein damit eng verknüpftes, weiteres Tätigkeitsfeld von Jahr zu Jahr zunehmende Bedeutung. Initiiert bereits durch meine Habilitationsschrift, nahm das Thema der Strafverteidigung einen immer breiteren Raum ein, und zwar nicht nur bezüglich der wissenschaftlichen Veröffentlichungen, sondern auch im Wege der praktischen Umsetzung. Christoph Rückel gründete in den 1980er-Jahren ein „Institut für Strafverteidigung“ und engagierte u. a. auch mich als Referenten und Ausbilder. Damit begann für mich ein neuer Lebensabschnitt. Im Laufe der folgenden Jahrzehnte prägten meine Berufsausübung unzählige einschlägige Veranstaltungen im Rahmen der Anwaltsfortbildung – nach Einführung des Fachanwalts Strafverteidiger speziell auch in diesem Bereich; vorrangig gemeinsam mit Reinhold Schlothauer – und nicht mehr zu zählende spannende Tagungen im Kreise der Verteidiger sowie im Rahmen justizieller Fortbildungsveranstaltungen.
Gemeinsam mit meinem Habilitationsvater Hans-Ludwig Schreiber und dem Hannoveraner Rechtsanwalt Josef Augstein (Bruder des damaligen Herausgebers des „Spiegels“ Rudolph Augstein) habe ich in den 1980er-Jahren die Reihe „Praxis der Strafverteidigung“ gegründet und als Herausgeber betreut (inzwischen fortgeführt gemeinsam mit Alexander Ignor als Mitherausgeber und Felix Ruhmannseder als Schriftleiter – seitens des C.F. Müller Verlags kompetent und einfühlsam betreut von Tilmann Datow). Sie ist aus meiner Sicht sehr viel mehr als eine Handreichung für Anwälte, und eine beträchtliche Anzahl von Einzelbänden aus der Feder von Spitzenjuristen sind inzwischen zu Klassikern ihres Spezialgebiets avanciert. So kam ich in Kontakt mit vielen Kolleginnen und Kollegen,
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die auf meinen weiteren Werdegang als Strafverteidiger großen Einfluss gewinnen sollten und mit denen ich mich inzwischen eng verbunden fühle. Meine Affinität zur Anwaltschaft brachte es glücklicherweise mit sich, dass mir schon als Jungprofessor die Gelegenheit gewährt wurde, in laufenden Strafverfahren als Verteidiger mitzuwirken. Das erste Angebot kam wiederum von Christoph Rückel in einem Verfahren wegen Totschlags. Später habe ich weiterhin mit ihm, vor allem aber mit Eckhart Müller zusammengearbeitet, und zwar vorrangig auf dem Gebiet des Wirtschaftsstrafrechts. Inzwischen hat es sich herumgesprochen, dass ich gerne verteidige, und es kontaktieren mich immer wieder Kolleginnen und Kollegen, wenn sie einen „Mitverteidiger“, einen Anwalt für Compliance-Maßnahmen oder „internal investigation“ oder einen sachkundigen Gutachter suchen. Darüber hinaus gehören zu meinen Mandanten und Kontaktpersonen neben Personen aus der Region sogar Beschuldigte und Mitverteidiger, die früher bei mir in Passau studiert haben. Der Bereich der Strafverteidigung gehört in Theorie und Praxis inzwischen zu den Schwerpunkten meiner Arbeit. Die Einflüsse sind wechselseitig, denn ich bemühe mich nicht nur theoretisches Wissen in die tägliche Arbeit einfließen zu lassen, sondern umgekehrt basieren viele meiner Publikationen auf eigener Berufserfahrung sowie auf dem Umgang mit Anwälten, Richtern und Staatsanwälten, und auch bei der Themenvergabe an meine Doktoranden habe ich mehrfach aus diesem Fundus geschöpft. Seit dem Jahre 1997 wurde ich für 16 Jahre ständiger Gast im Strafrechtsausschuss der Bundesrechtsanwaltskammer (Strauda), zunächst unter der Leitung von Günter Widmaier, anschließend unter der von Alexander Ignor, mit dem mich inzwischen eine tiefe Freundschaft verbindet, nicht nur – aber auch – weil er mit meiner Doktorandin Annika Dießner, die er auf meinem 60. Geburtstag kennengelernt hat, verheiratet ist! Gerade im Strauda habe ich besonders viel über Theorie und Praxis des Strafverfahrens gelernt und durch den Kontakt zu wunderbaren Kolleginnen und Kollegen unendlich viele Anregungen für die eigene Arbeit erhalten. In einigen bedeutenden, weit überregional bekannten Strafverfahren habe ich gelernt, welch unendliche Herausforderung in menschlicher, psychologischer und theoretischer Hinsicht die Ahndung einer Straftat (oder der Verzicht darauf) darstellt. Die Ehrfurcht vor der praktischen Tätigkeit der Richter, Staatsanwälte und – meiner Profession entsprechend – vor allem der Verteidiger ist ebenso gewachsen wie die vor der theoretischen Problemdurchdringung. Ohne die Strafprozessrechtswissenschaft und ihren permanenten Appell an die Rechtsstaatlichkeit und Fairness des Verfahrens und die daraus resultierende Forderung, die Wahrheit nicht um jeden Preis zu ermitteln, kann es keine Bürgerfreiheit geben. Diese fun-
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damentale Erkenntnis gerät im Tageskampf leider all zu leicht ins Hintertreffen. Zumeist empfinde ich aber das Strafverfahren auch dann als Seismograph der gelebten Demokratie, wenn ich nicht zur „obsiegenden Partei“ gehöre.
VI. Im Rahmen des vorliegenden Rückblicks auf meinen wissenschaftlichen Werdegang möchte ich noch eine Aussage dazu wagen, welche Schwerpunkte ich bewusst oder vielleicht sogar nur nachfragebedingt gesetzt habe. Angesichts eigener Befangenheit erscheint mir das zwar nicht unproblematisch, gleichwohl sei ein erster Versuch der Kategorisierung gewagt. Bei genauerer Betrachtung schälen sich m. E. vier Bereiche heraus – was „Exkursionen“ in andere Themenfelder selbstverständlich nicht ausschließt.
Bedingt durch die Dissertation und später durch die Fortführung des Schaffsteinschen Lehrbuchs lag der Schwerpunkt meiner Tätigkeit zunächst im Bereich des Jugendstrafrechts. Besonders lebhaft in Erinnerung ist mir die weit zurückliegende Mitarbeit an den „Kölner Richtlinien“ zur Pflichtverteidigung im Jugendstrafrecht.1 Von damals bis heute spannt sich ein weiter Bogen, vorerst endend im Referat auf dem im Jahr 2019 abgehaltenen Symposion anlässlich des 80. Geburtstages meines Freundes Ulrich Eisenberg. Die Affinität zum Jugendstrafrecht kommt auch dadurch zum Ausdruck, dass ich die einschlägige Vorlesung besonders häufig und stets mit großer Begeisterung gehalten habe. Mein Hauptanliegen in Forschung und Lehre war es stets, die Bedeutung des Erziehungsgedankens als Leitmotiv des Jugendstrafrechts und als Bollwerk gegen moderne, punitive Tendenzen zu stärken. Schon bald kam ferner das Interesse für die Ausbildungsliteratur zum Durchbruch. Wie dargelegt folgte ich insoweit vor allem den Spuren von Gunther Arzt. Viele Jahre habe ich intern an meinen Klausurenkursen (KK) gefeilt, bis ich ein für mich schlüssiges Gesamtkonzept präsentieren konnte. Im Gegensatz zu älteren Anleitungsbüchern habe ich die Anfänger (KK I) von den Fortgeschrittenen (KK II, die derzeitig letzte Auflage gemeinsam verfasst mit Frank Zimmermann) und den Examenskandidaten (KK III) getrennt und die Klausuranleitung kombiniert mit Repetitionsmöglichkeiten (Problemschwerpunkten) in Gestalt sog. „schwarzer Kästchen“. Diese „Beulke-Trilogie“ (so die Werbung durch den C. F. Müller Verlag) mit einer in Lehrveranstaltungen in Passau und Halle der Veröffentlichung vorgeschalteten Testphase von zehn Jahren, mag wissenschaftlich weniger an
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„Kölner Richtlinien“ für die Bestellung eines Pflichtverteidigers in Jugendstrafsachen, NJW 1989, S. 1024.
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spruchsvoll sein, gleichwohl betrachte ich sie bis heute als ein Kernstück meiner Arbeit, weil ich hier meine Erfahrungen aus den eigenen Lehrveranstaltungen einbringen und wechselseitig letztere verbessern konnte. Seitens der Leserinnen und Leser erreichen mich viele Zuschriften, die alle möglichst zeitnah beantwortet werden und deren Verbesserungsvorschläge häufig in die jeweils nächste Auflage einfließen. Insoweit zeigen sich auch einmal Segnungen des sonst so oft geschmähten Internets. Meiner Erfahrung nach schreiben Studierende niemals kritische Briefe an Buchautoren, bei E-Mails ist hingegen die Hemmschwelle zum Glück niedriger, zumal dort anscheinend auch ein Lob weniger anbiedernd wirkt („Ihr Buch ist mir eine große Hilfe…, aber in Rn. …). So viel Engagement seitens mir persönlich unbekannter Nachwuchsjuristinnen und -juristen finde ich phänomenal! Als Hochschullehrer sehe ich mich der Forschung und Lehre gleichermaßen verpflichtet und deshalb bereitet mir diese Sparte meiner Tätigkeit bis heute große Freude. Der Auftritt im Hörsaal gehört zu meinen größten Leidenschaften. Was kann der Spannung einer Vorlesung gleichkommen, wenn begeisterte, junge Nachwuchskräfte bei Schilderung von Tatbestand – Rechtswidrigkeit – Schuld – Versuch und Täterschaft/Teilnahme an deinen Lippen hängen? Erfreulicherweise konnte ich dieses Hochgefühl auch nach meiner aktiven Universitätsphase bei vielen Einladungen zu Gastvorlesungen an anderen Universitäten auskosten. Besonders lebhaft und emotionsgeladen ist mir eine Veranstaltung im Januar 2019 an der Universität Halle im Rahmen der über mehrere Semester verteilten Vorlesungsreihe „Das lebende Buch“ in Erinnerung (nach Claus Roxin und vor Ferdinand von Schirach). Das materielle Strafrecht als weiterer Themenschwerpunkt ergab sich nahezu zwanglos aus der Fortführung des Lehrbuchs von Johannes Wessels zum Allgemeinen Teil des Strafrechts. Ich habe es als ein großartiges Geschenk empfunden, dass Johannes Wessels mich im Jahre 2003 auf die Liste potentieller Kandidaten für die Nachfolge in der Autorenschaft seiner Schwerpunkte-Lehrbücher zum materiellen Strafrecht setzte. Das Angebot des C. F. Müller Verlags, alle drei Bände in einer Hand zu behalten, habe ich zwar als ein allzu gigantisches, mich überforderndes Vorhaben ausschlagen müssen, umso erfreuter bin ich aber, dass mir seit der 28. Auflage das Filetstück des Allgemeinen Teils anvertraut wurde, das – inzwischen in Zusammenarbeit mit Helmut Satzger, meinem ersten Schüler, der es mit großem Geschick permanent ausbaut – im Jahre 2020 bereits in 50. Auflage erschienen ist; verlagsseitig über viele Jahre sachkundig und herzlich betreut von Alexandra Burrer. Meines Erachtens spiegelt dieses Lehrbuch dank der großartigen Vorlage von Johannes Wessels sehr authentisch den hohen Stand der deutschen Strafrechtswissenschaft wider. Es ist ein erhebendes Gefühl sich vorzustellen, wie viele Juristengenerationen mit ihm das Strafrecht erlernt und seine inneren Zusammenhänge verinnerlicht haben. Übersetzungen ins Portugiesische
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(Juarez Tavares, 1976), Koreanische (Il Tae Hoh, 1998), Russische (Jana Ploškina, 2006), Georgische (Zurab Arsenischvlli, 2010) und Spanische (Raul Pariona Arana, 2018), dokumentieren die weltweite Ausstrahlungskraft des deutschen Strafrechts. Schließlich stufe ich das Strafprozessrecht als wichtiges „Standbein“ meiner wissenschaftlichen Tätigkeit ein. Vorrangig wird das durch mein Lehrbuch „Strafprozessrecht“ belegt, das in erster Auflage im Jahre 1994 erschien und inzwischen in 15. Auflage gemeinsam mit meiner Schülerin Sabine Swoboda weitergeführt wird. Das Werk ist ebenfalls bereits in andere Sprachen übersetzt worden, nämlich ins Russische (Jana Ploškina, 2004), Japanische (Katsuyoshi Kato/ Norio Tsuijmoto, 2016) und Usbekische (Azamat Egamberdiev, 2017). Das Lehrbuch dürfte entscheidend dafür verantwortlich sein, dass ich außerhalb von Passau v. a. als Strafprozessualist wahrgenommen werde – und das ist eine Klassifizierung, die mir durchaus schmeckt, deckt sie sich doch weitgehend mit meiner Selbsteinschätzung. In Kombination mit der bereits erwähnten Begeisterung für die Strafverteidigung, hängt am Strafprozessrecht heute mein besonderes Herzblut. Es hat sich als schier unerschöpflicher Quell spannendster Streitfragen entpuppt – gerade im Bereich der Strafverteidigung, aber eben nicht nur dort. Da das Prozessrecht vom Gesetzgeber nur rudimentär geregelt worden ist, eröffnen sich hier ungeahnte Interpretationsspielräume. Zur Problemlösung bedarf es jedoch der souveränen Beherrschung der Rechtsmaterie, gepaart mit einem Schuss „Phantasie“, bei gleichzeitigem Verständnis für die „Klippen“ des Strafverfahrens, dessen rechtsstaatskonforme Bewältigung in unser aller Interesse liegt. Erst wenn diese Kriterien erfüllt sind, hat ein Rechtswissenschaftler Aussicht darauf, auch außerhalb des eigenen, eher elitär geprägten Universitätskreises, wahrgenommen zu werden. Dass dies zu den von mir angestrebten Zielen gehört, kann ich nicht verleugnen. Dann bleiben allerdings auch dem Wissenschaftler Kompromisse nicht erspart. Sie einzugehen, bin ich bereit. Die Existenz sicherer Wahrheiten wird m. E. nur von verbohrten Fanatikern für möglich gehalten. Objektive Wahrheiten existieren nicht, weder im täglichen Leben, noch in der Politik, noch im realen Strafverfahren und schon gar nicht in der Strafprozessrechtswissenschaft. Mein Credo besteht zwar keinesfalls darin, den Praktikern nach dem Munde zu reden, gleichwohl versuche ich Lösungen zu finden, die einerseits den rechtsstaatlichen Lackmustest bestehen, die andererseits aber auch in der Praxis umsetzbar sind. Auf wenig Sympathie stoßen deshalb bei mir z. B. Standpunkte, die zwar den Anforderungen höchster Dogmatik entsprechen, denen aber erkennbar jede Bodenhaftung fehlt und die vielfach sogar den Interessen der Beschuldigten zuwiderlaufen (z. B. Abschaffung der §§ 153a ff. StPO). Der Spagat zwischen Fairness und Machbarkeit dürfte viele meiner strafprozessualen Ver
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öffentlichungen prägen, nicht zuletzt die Kommentierungen im Löwe-Rosenberg-StPO und im Satzger/Schluckebier/Widmaier-StPO. Ich bekenne mich offen zu ihm. Es bleiben genug Schlachtfelder übrig, in denen ich Fehlentwicklungen in Rechtsprechung und Schrifttum unnachgiebig bekämpfe!
VII. Nach dem Ende der aktiven Universitätszeit habe ich mich im Jahr 2001 als Rechtsanwalt bei der Rechtsanwaltskammer München niedergelassen, bin aber auch dann noch von den Nachfolgern auf meinem Lehrstuhl (zuerst Jochen Bung, seit 2017 Bettina Noltenius) fürsorglich in das Lehrstuhlgeschehen einbezogen worden. Den Einstieg in die eigene Anwaltskanzlei erleichterte mir erstrangig Imme Roxin, die mich zu einer „Außenstelle“ ihrer Münchner Kanzlei beförderte. In der Kanzlei wurde ich tatkräftig unterstützt durch vorzügliche Mitarbeiter – allen voran: Tobias Witzigmann und Hannah Stoffer. Ab 2015 stehe ich auf eigenen Füßen und übe meine Anwalts- und Verteidigertätigkeit in Bürogemeinschaft mit der Kanzlei „Bernhard Haffke und Partner [Andrea Schnabl und Sebastian Kahlert]“ aus – im Sekretariat seit Jahren umsichtig betreut durch Olga Kuhls. Dabei bin ich bestrebt, auch meinen wissenschaftlichen Ambitionen weiterhin nachzugehen. Einen Teil meiner Lehrbücher habe ich inzwischen – wie bereits hervorgehoben – an meinen „Schüler“ Helmut Satzger sowie meine „Schülerin“ Sabine Swoboda und an meinen wissenschaftlichen „Enkel“ Frank Zimmermann übergeben, im sicheren Wissen, dass sie sich dort in den besten Händen befinden. Ganz in diesem Sinne möge es hinsichtlich der restlichen „Erbfolge“ weitergehen. Ferner wünsche ich mir, das Treiben unserer juristischen Community noch eine Weile wohlwollend miterleben und mitgestalten zu können. Die Auszeichnung in Form des Max Alsberg-Preises 2019 durch den Verein Deutsche StrafVerteidiger e.V. sowie die Verleihung der Ehrendoktorwürde im Februar 2020 durch die Juristische Fakultät der Martin-Luther-Universität Halle-Wittenberg habe ich als Krönung meiner beruflichen Karriere in Praxis und Wissenschaft empfunden. Last but not least sei hervorgehoben: Die wichtigsten Ereignisse meines Lebens verorte ich verständlicherweise nicht im beruflichen Bereich, sondern in meinem Privatleben. Die Verbindung mit meiner geliebten Frau Sybille und der Familienzuwachs in Gestalt meiner Söhne Fabian und Felix sind die Highlights meines Lebens; aber das ist ein anderes, an dieser Stelle nicht zu erörterndes, weites Feld… Heute schaue ich also sowohl privat als auch beruflich auf ein erfülltes, glückliches Leben zurück und harre mit nur geringfügig abnehmender Spannung der Dinge, die noch kommen werden.
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Schriftenverzeichnis (in Auswahl)2 1. Selbständiges Schrifttum Als Autor Vermögenskriminalität Jugendlicher und Heranwachsender, 1974. Der Verteidiger im Strafverfahren. Funktionen und Rechtsstellung, 1980. Als Herausgeber Buchreihe „Praxis der Strafverteidigung“ (zusammen mit Alexander Ignor).
2. Kommentierungen Löwe, Ewald/Rosenberg, Werner (Begr.), Die Strafprozessordnung und das Gerichtsverfassungsgesetz, §§ 151–157, 26. Aufl. 2006–2013. Satzger, Helmut/Schluckebier, Wilhelm/Widmaier, Gunter (Hrsg.), Strafprozessordnung, Einleitung, §§ 137–149, 4. Aufl. 2020.
3. Lehrbücher Strafrecht. Allgemeiner Teil. Die Straftat und ihr Aufbau, seit der 28. Aufl. übernommen von Johannes Wessels, seit der 43. Aufl. fortgeführt unter Mitwirkung von Helmut Satzger, derzeit 50. Aufl. 2020. Strafprozessrecht, seit der 14. Aufl. fortgeführt unter Mitwirkung von Sabine Swoboda, derzeit 15. Aufl. 2020. Jugendstrafrecht. Eine systematische Darstellung, übernommen von Friedrich Schaffstein, seit der 15. Aufl. fortgeführt unter Mitwirkung von Sabine Swoboda, derzeit 16. Aufl. 2020. Die Strafbarkeit des Verteidigers Praxishandbuch, derzeit 2. Aufl. 2010 (zusammen mit Felix Ruhmannseder).
4. Aufsätze in Zeitschriften und Sammelwerken Strafbarkeit gemäß § 142 StGB bei vorsatzlosem Sich-Entfernen vom Unfallort, NJW 1979, S. 400–405.
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Vollständiges Schriftenverzeichnis bzgl. der Veröffentlichungen vor 2015 s. Festschrift für Werner Beulke, 2015, S. 1377.
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Die Vernehmung des Beschuldigten – Einige Anmerkungen aus der Prozessrechtswissenschaft, StV 1990, S. 180–184. Hypothetische Kausalverläufe im Strafverfahren bei rechtswidrigem Vorgehen von Ermittlungsorganen, ZStW 103 (1991), S. 657–680. Die Auswirkungen des Erziehungsgedankens auf die Rechtsprechung, in: Bundesministerium der Justiz (Hrsg.), Grundfragen des Jugendkriminalrechts und seiner Neuregelung, 1992, S. 353–368. Die „Lederspray-Entscheidung“ – BGHSt 37, 106, JuS 1992, S. 737–744 (zusammen mit Gregor Bachmann). Der fehlgeschlagene Deal und seine prozessualen Folgen, JuS 1997, S. 1072– 1080 (zusammen mit Helmut Satzger). Prozessualer Tatbegriff und Wahlfeststellung – strafprozessuale Probleme bei alternativer Tatsachenfeststellung, Jura 1998, S. 262–269 (zusammen mit Christian Fahl). Züchtigungsrecht – Erziehungsrecht – strafrechtliche Konsequenzen der Neufassung des § 1631 Abs. 2 BGB, in: Festschrift für Ernst-Walter Hanack, 1999, S. 539–552. Der prozessuale Tatbegriff, in: 50 Jahre Bundesgerichtshof. Festgabe aus der Wissenschaft, Bd. 4, Strafrecht, Strafprozeßrecht, 2000, S. 781–808. Empirische und normative Probleme der Verwendung neuer Medien in der Hauptverhandlung, ZStW 113 (2001), S. 709–742. Zwickmühle des Verteidigers, in: Festschrift für Claus Roxin, 2001, S. 1173–1194. Beschlagnahmefreiheit von Verteidigungsunterlagen, in: Festschrift für Klaus Lüderssen, 2002, S. 693–716. In memoriam Friedrich Schaffstein, Monatsschrift für Kriminologie und Strafrechtsreform 2002, S. 81–83. Neufassung des § 1631 Abs. 2 BGB und Strafbarkeit gemäß § 223 StGB – Darf der Erziehungsberechtigte in Ausnahmefällen eine „maßvolle Ohrfeige“ erteilen?, in: Festschrift für Hans-Ludwig Schreiber, 2003, S. 29–42. Zur Verletzung des Fair-trial-Grundsatzes bei Absprachen im Strafprozess, JZ 2005, S. 67–75 (zusammen mit Sabine Swoboda). Zum Umfang der Beweiskraft rechtskräftiger Strafurteile in Zivilverfahren de lege lata und de lege ferenda, in: Festschrift für Friedrich-Christian Schroeder, 2006, S. 663–675.
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Opferautonomie im Strafrecht. Zum Einfluss der Einwilligung auf die Beurteilung der einverständlichen Fremdgefährdung, in: Festschrift für Harro Otto, 2007, S. 207–218. „Pflichtenkollisionen“ bei § 323c StGB?, in: Festschrift für Wilfried Küper, 2007, S. 1–8. Ist die „Babyklappe“ noch zu retten?, in: Festschrift für Rolf Dietrich Herzberg, 2008, S. 605–626. Wirtschaftslenkung im Zeichen des Untreuetatbestands, in: Festschrift für Ulrich Eisenberg, 2009, S. 245–270. Schuldspruchersetzung – Berichtigung oder Benachteiligung? Der Austausch der Straftatbestände im Urteilstenor durch das Revisionsgericht unter Aufrechterhaltung des Strafausspruchs, in: Festschrift für Heinz Schöch, 2010, S. 963–978. Rechtliche Probleme der Entbindung von Rechtsbeiständen juristischer Personen von der Schweigepflicht (§ 53 Abs. 2 S. 1 StPO) bei personellem Wechsel innerhalb der Vertretungsorgane, in: Festschrift für Hans Achenbach, 2011, S. 39–56. Strafprozessuale Zwangsmaßnahmen in der Verteidigungssphäre (Teil 1) und (Teil 2), StV 2011, S. 180–188 und S. 252–260 (zusammen mit Felix Ruhmannseder). Das Akteneinsichtsrecht des Strafverteidigers in Fällen der Untersuchungshaft, NStZ 2011, S. 254–261 (zusammen mit Tobias Witzigmann). Kurze Freiheitsstrafen bei Bagatelldelikten? Ein Plädoyer zugunsten einer restriktiven Auslegung von § 47 StGB, in: Festschrift für Wolfgang Heinz, 2012, S. 594–608. Fahrlässige Mitwirkung an eigenverantwortlicher Selbstgefährdung, in: Festschrift für Andrzej Zoll, 2012, Bd. I, S. 735–750. Verwaltungssponsoring als legitime Form der Vertragsgestaltung oder als Bestechung? Dargestellt am Beispiel der Schulfotografie anhand des Urteils des BGH vom 26. Mai 2011 – 3 StR 492/10, in: Festschrift für Wolfgang Frisch, 2013, S. 965–984. Bewährung für den Deal? – Konsequenzen des BVerfG-Urteils vom 19. März 2013 für die Verständigungspraxis in deutschen Gerichtssälen, JZ 2013, S. 662– 673 (zusammen mit Hannah Stoffer). Die vermeintliche mittelbare Täterschaft, in: Festschrift für Kristian Kühl, 2014, S. 115–136.
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Zeugnisverweigerungsrechte im Zusammenhang mit der anonymen Kindesabgabe, in: Festschrift für Bernd Schünemann, 2014, S. 859–874. Der Reformvorschlag des Bundesverbandes der Unternehmensjuristen zu den §§ 30, 130 OWiG – Plädoyer für ein modernes Unternehmenssanktionenrecht, CCZ 2014, S. 146–152 (zusammen mit Klaus Moosmayer). Die Zeugnis(un)fähigkeit als Problem der Hauptverhandlung, in: Festschrift für Walter Kargl, 2015, S. 45–56. Armin Höland und das „Auschwitz-Seminar“ – Ein ganz persönlicher Bericht über das Wirken von Armin Höland, geschrieben von einem strafrechtlichen Kollegen, in: Festschrift für Armin Höland, 2015, S. 27–35. § 153a StPO im Wirtschaftsstrafrecht: abschaffen oder besser machen?, in: Festschrift für Bernd von Heintschel-Heinegg, 2015, S. 33–50. Ernstes Beruferaten – „linker Sozialromantiker“ oder „opferorientierter Hardliner“?, in: Festschrift für Heribert Ostendorf, 2015, S. 57–72. Die hypothetische Einwilligung im Arztstrafrecht – Eine Zwischenbilanz, medstra 2015, S. 67–76. Europäische und transnationale Strafrechtspflege als Herausforderung für eine moderne Strafrechtsdogmatik – eine Hinführung, in: Gedächtnisschrift für Joachim Vogel, 2016, S. 285–288. Glückwunsch für Gunther Arzt zum 80. Geburtstag, JZ 2016, S. 952–953. Zweifel an der Tatvollendung in Massenverfahren, in: Festschrift für Ottmar Breidling, 2017, S. 13–30 (zusammen mit Gloria Berghäuser). Jugendstrafe bei lange zurückliegenden Taten gegenüber inzwischen erwachsenen Straftätern, in: Festschrift für Franz Streng, 2017, S. 403–416. Entkriminalisierung – eine zeitgemäße Forderung?, in: Festschrift für Ulfried Neumann, 2017, S. 519–534. Strafbarkeitsrisiken des Strafverteidigers bezüglich seiner Mitwirkung an einer prozessordnungswidrigen Verständigung im Strafverfahren, in: Festschrift für Reinhold Schlothauer, 2018, S. 315–334. Sicherungsbetrug im privatärztlichen Abrechnungswesen, in: Festschrift für Klaus Rogall, 2018, S. 311–327. Strafbefreiung durch Rücktritt vom versuchten Prozessbetrug trotz vorangeschalteten versuchten Computerbetrugs?, in: Festschrift für Rudolf Rengier, 2018, S. 147–156.
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Verurteilte ohne Rechtsschutz? – Neue Ausjustierung des § 55 Abs. 2 S. 1 JGG, in: Festschrift für Ulrich Eisenberg, 2019, S. 187–200. Originalbeweisstücke beim Strafverteidiger – eine risikoreiche Gratwanderung, StV 2019, S. 205–210. Jugendstrafe wegen Schwere der Schuld – Notanker oder Achillesferse?, NK 2019, S. 269–291. Editorial, NStZ 10/2019. Psychologie des Strafverfahrens – Eröffnungsvortrag des Strafverteidigertags Regensburg 2019, in: Schriftenreihe der Strafverteidigervereinigungen, Bd. 43 Psychologie des Strafverfahrens, 43. Strafverteidigertag Regensburg, 22.–24. März 2019, 2020, S. 9–48. Rechtliche Grundlagen der Compliance-Risikoanalyse und Umsetzung im Unternehmen – Überblick zu den straf- bzw. ordnungswidrigkeitenrechtlich relevanten Organisations- und Aufsichtspflichten im Unternehmen (zusammen mit Tobias Witzigmann), in: Moosmayer, Klaus (Hrsg.), Compliance-Risikoanalyse – Praxisleitfaden für Unternehmen, 2. Aufl. 2020, S. 9–30.
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https://doi.org/10.1515/9783110703016-002
Thomas Fischer Autobiografische Skizze I. Ich war 30 Jahre lang Strafrichter. Als Strafrechtswissenschaftler bin ich nur Dilettant, im Übrigen das, was mit einem etwas zwiespältigen Begriff „Praktiker“ genannt wird. Diejenigen, die sich selbst so nennen, tun es gern mit Stolz auf selbst bescheinigte Lebensnähe, wer andere so nennt, gelegentlich mit einem Anflug von Herablassung. Jedenfalls zähle ich als Honorarprofessor nicht zum genuinen Kreis der in diesem Sammelband Vertretenen; ich habe in meinem Berufsleben auch weder Straftheorien entworfen noch Strukturen der Dogmatik neu geordnet. Gleichwohl (oder deshalb) freut es mich sehr, mitwirken zu dürfen.
II. Ich bin 1953 geboren. Das Jurastudium habe ich im Wintersemester 1980/1981 in Würzburg begonnen. Ich war damals 27 Jahre alt und hatte einige Um- oder Nebenwege hinter mir. Der Studienort Würzburg ergab sich daraus, dass ich mit einer Lehrerin aus Baden-Württemberg verheiratet war und wir einen Ort suchten, an den sie sich innerhalb Baden-Württembergs versetzen lassen und von dem aus ich studieren konnte. So fiel die Wahl auf Bad Mergentheim als Wohn- und Würzburg als Studienort. Die übliche Studienphase „Start ins Leben“ benötigte ich nicht mehr; zügiges Studieren drängte sich auch deshalb auf, weil meine Ehefrau es finanzierte. Die Motivation zum Fach ergab sich negativ durch Ausschluss solcher Fächer, für die ich nicht befähigt war oder die mich nicht interessierten, positiv aus einer etwas vagen Vorstellung davon, das Fach biete eine Mischung von Kriminologie (Soziologie), Politik und Sprache und halte überdies eine berufliche Perspektive – bevorzugt als Strafverteidiger – bereit. Trotz eines familiären Bezugs zum Rechtsberuf entsprach mein Vorstellungs- und Kenntnisstand vom Fach wohl dem (schlechten) Durchschnitt, der wiederum der allgemeinen laienhaften Fantasie entspringt. Danach sind Juristen einerseits Techniker der Macht, andererseits Wächter am Eingang zu einer Wissenschaft von der Gerechtigkeit. Als solche stellte ich mir bevorzugt vor, was den „kleinen Leuten“, den Beschuldigten und Gedemütigten, Mühseligen und Beladenen gegen die Starken und Reichen helfe. Die mich nach Studienbeginn erreichende Nachricht, dass am Anfang der Welt die Willenserklärung war und dass der Lauf der Geschichte vom Abstraktionsprinzip, dem Verwaltungsakt und der Handlungstheorie abhänge, empfand ich
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dennoch nicht als Enttäuschung, sondern als Ausblick in ein spannendes Universum zuvor ungeahnter Zusammenhänge. Dieses Gefühl hat – zu meinem Glück – seither angehalten. Über das Studium in Würzburg ist nichts Besonderes zu sagen. Die Fakultät war, wie die Stadt, überschaubar in jeder Hinsicht, die Personen von unterschiedlicher Eindrücklichkeit und Überzeugungskraft. Günter Spendel, letzter Kämpfer für die „objektive Versuchstheorie“, focht in seiner Vorlesung „Strafrecht Allgemeiner Teil“ fünf Semesterwochenstunden einen seit 100 Jahren verlorenen Kampf gegen Franz von Liszt, empfahl Beling und Birkmeyer als Leitsterne des Rechtswidrigkeitsbegriffs und quälte das weithin uninteressierte Auditorium mit skurrilen Fallgeschichten aus „Zwölf Uhr Mittags“. Deren Spannung ließ rasch nach, da der Gary Cooper in Spendels Fällen sich stets als gerechtfertigt erwies, was man schon daran erkennen konnte, dass die in Notwehr, Nothilfe oder aus sonstigen guten Gründen zu erschießenden Personen im Sachverhalt durchweg „der üble Verbrecher T“ hießen. Zweifelnde Nachfragen führten zu Zornesausbrüchen des Gelehrten, die in die Empfehlung baldigen Studienabbruchs mündeten. Nach zwei Wochen war auf diese Weise die Ruhe hergestellt, in welcher die Dogmatik sich entfalten kann; der Rest des Semesters verlief unspektakulär im Sand. Von Kuchinkes Vorlesung „Sachenrecht“, dargeboten mit lebhaftester gelehrter Emphase, verstand ich buchstäblich kein Wort; auch Baurs „großes Lehrbuch Sachenrecht“ ließ mich angesichts der Vielzahl von Scheiternsmöglichkeiten eines Hypothekenerwerbs lange ratlos. Pures Glück wollte es, dass ich in der Anfängerübung im Zivilrecht die bestmögliche Note erzielte, was mich zu der beruhigenden Ansicht brachte, meine Fachwahl sei richtig gewesen. Im Strafrecht stieß ich im zweiten Semester (Vorlesung „Besonderer Teil I“) auf Ulrich Weber – in jeder Hinsicht ein Glücksfall. Ich ahnte nun erstmals, worum es ging; er hielt mich für förderungswürdig; ab 1982 durfte ich als studentische Hilfskraft an seinem Lehrstuhl arbeiten und für die 9. Auflage des Lehrbuchs zum Allgemeinen Teil1 Fußnotenmaterial sammeln. Ich war einigermaßen gut im Straf- und im Zivilrecht; das Verwaltungsrecht und ich wurden hingegen nicht wirklich Freunde. Das Erste Staatsexamen legte ich im Frühjahr 1984 ab. Für die mündliche Prüfung lernte ich sämtliche Spezialansichten des Prüfers Spendel auswendig und repetierte sie auf Kommando; er lobte mich darob sehr. Ich kann nicht wirklich sagen, dass das Rechtsstudium mich zur Wissenschaft vom Recht geführt hätte. Das universitäre Strafrecht schien bestimmt von eher 1
Jürgen, Baumann/Weber, Ulrich (Hrsg.), Strafrecht, Allgemeiner Teil – ein Lehrbuch, 9. Aufl. 1985.
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rätselhaften Kämpfen um sog. „Theorien“, wobei für die Lehrenden damals noch die unübersichtlichen und langweiligen Differenzen zwischen „kausaler“ und „finaler“ Handlungslehre von großer Bedeutung waren. Die Studenten lernten bei Alpmann-Schmidt, was „hM“ meinte und welcher „Theorie“ man sich in der Klausur mit welchen Argumenten anschließen solle. Die heute üblichen universitären Repetitorien, Hilfs- und Nachhilfskurse gab es noch nicht; die letzten 18 Monate vor der Prüfung lernte ich mit einem gleichfalls schon lebensälteren Kommilitonen in einer privaten Zweier-Arbeitsgruppe. Wir diskutierten zweimal wöchentlich stundenlang „Medicus, Bürgerliches Recht“, lernten dabei viel und blieben bis heute freundschaftlich verbunden. Die Referendarzeit absolvierte ich am Landgericht Schweinfurt. Der hauptamtliche Arbeitsgemeinschaftsleiter Palder, der später ins bayerische Justizministerium wechselte, war der didaktisch beste Lehrer, den ich kennengelernt habe; die Arbeitsgemeinschaft zur Vorbereitung aufs Zweite Staatsexamen war daher sehr erfreulich. Eine Besonderheit vom Beginn der Referendarzeit soll erwähnt werden: Ulrich Weber wollte mich, zeitgleich mit dem Beginn des Vorbereitungsdienstes, als Wissenschaftlichen Mitarbeiter an seinem Lehrstuhl beschäftigen. Da verschwand im Dekanat angeblich meine Personalakte, so dass alles stockte. Eines Abends rief mich Weber an und erzählte mir, der Personalleiter der Universität habe ihm mitgeteilt, gegen mich lägen Bedenken des Verfassungsschutzamtes vor. Weber solle mir davon aber nichts sagen, sondern mich aus vorgeschobenen Gründen nicht beschäftigen. Weber bestand aber darauf, ein formelles Verfahren durchzuführen. Dies wurde mit der Einstellung als Beamter auf Widerruf verbunden. So kam es, dass mir eine Anhörung beim OLG Bamberg zuteilwurde. Man eröffnete mir, dass ich in den 1970er-Jahren in Münster/Westfalen Medizin studiert habe und dort aktives Mitglied des „MSB Spartakus“, der Studentenorganisation der DKP gewesen sei, und hielt mir staatsgefährdende Reden in münsterländischen Hinterzimmern vor. Es traf sich allerdings, dass ich nie in Münster gewohnt, nie Medizin studiert und nie irgendetwas mit dem MSB Spartakus zu tun gehabt hatte. Zum Zeitpunkt meiner angeblichen Tätigkeit für die DKP war ich zunächst Soldat in Oberhessen und dann Rettungssanitäter in Frankfurt. Das Ganze endete mit dem untauglichen Versuch, mir eine fiktive Ersatzverfehlung zuzuschreiben: Irgendetwas müsse ich doch wohl gemacht haben, so lautete eine von der Personalabteilung probeweise vertretene These, denn sonst hätte mich der Verfassungsschutz ja nicht erfasst. Dies erwies sich als ebenso falsch wie die erste These, was mir schließlich ein Entschuldigungsschreiben des bayerischen Staatsministeriums des Innern sowie die Versicherung des Justizministe-
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riums einbrachte, alle Hinweise auf die offenkundige Personenverwechslung seien aus allen Akten getilgt worden. So wurde ich bayerischer Rechtsreferendar und Mitarbeiter der Uni Würzburg. Später, während einer Einführungstagung für junge Richter, sprach mich ein Kollege beim Abendessen darauf an, dass ich vor dem Jurastudium in Frankfurt Germanistik studiert hatte. Da beugte sich der Personalreferent des Ministeriums über den Tisch und fragte jovial: „Gell, in Münster haben Sie aber nie studiert?!“ Ach, die bereinigten Akten! Von Ende 1984 bis Sommer 1986 schrieb ich meine Dissertation über den Begriff des „öffentlichen Friedens“, befasste mich erstmals ernsthaft mit der Wissenschaft vom Strafrecht, war beeindruckt von Hassemer und Amelung und lernte viel über Zusammenhänge von Empirie und Normativität. In Würzburg konnte man damals nur zum doctor iuris utriusque promovieren, also zum Doktor beider (des weltlichen und des kirchlichen) Rechte. Daher mussten im Schnelldurchgang Grundkenntnisse des kanonischen Strafrechts erworben werden. Die für die Promotion obligatorische römisch-rechtliche Digesten-Exegese betraf die Form der Eigentumsübertragung an Sklaven und war altsprachlich lehrreich, aber von beschränktem praktischen Nutzen. Im Dezember 1986 war die Promotion vollbracht. Ulrich Weber bot mir freundlicherweise an, mich bei ihm zu habilitieren, und ich beschloss, das zu tun. Im Frühjahr 1987 fand das (schriftliche) Zweite Staatsexamen statt. Die dreimonate Wahlstation vor der mündlichen Prüfung machte ich in der JVA Würzburg – eine interessante erste Begegnung mit den Problemen des Strafvollzugs. Insgesamt habe ich die juristische Ausbildung als intensive Erfahrung in Erinnerung. Im Rückblick bestätigt sie freilich auch fast jedes (Vor-)Urteil und jede Kritik, die gegen die Juristenproduktion im Allgemeinen seit jeher vorgetragen werden: Die Fixierung auf die dogmatischen Elemente der Rechtsanwendung als Methode der Herrschafts-Organisation lässt fast keinen Raum für anderes, insbesondere nicht für eine reflektierte Einordnung dieses Systems in ein Gesamtkonzept von Persönlichkeitsentwicklung und Bildung. Man findet Ähnliches auch in anderen Fächern, aber es ist in der Juristenausbildung von besonderem Gewicht. In einer Charakterisierung als „guter Jurist“ schwingt stets die Erfahrung der Spaltung von Juristenpersönlichkeiten in einen „privaten“ und einen „juristischen“ Teil mit, wobei der Letztere die Fähigkeit beschreibt, normative Systeme des Rechts fast ohne reflektierenden Bezug zu sozialen Bezügen, Quellen und Auswirkungen zu entwickeln, eigengesetzlich zu definieren und technisch zu exekutieren. Man findet einen ähnlich entwickelten Stolz auf die Wertfreiheit und Selbstgenügsamkeit der eigenen Kunst vielleicht noch bei Chirurgen; selbst den Ingenieurswissenschaften aber ist Selbstreflexion geläufiger.
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III. Im Januar 1988 begann ich als Proberichter an den Amtsgerichten Ansbach und Weißenburg. An beiden Gerichte war ich, jeweils mit der halben Arbeitskraft, durchweg als Strafrichter eingesetzt; kleinere Anteile betrafen Wohnungseigentumsrecht und Unterbringungssachen der Freiwilligen Gerichtsbarkeit. Die Aufteilung auf zwei Gerichte hatte zahlreiche Vorzüge, vor allem den einer fast ganz selbstbestimmten Tätigkeit von Anfang an sowie einer erheblichen organisatorischen Freiheit. Die praktische Richtertätigkeit war durch die Ausbildung in keiner Weise vorbereitet. Das Lernen der Berufsausübung vollzog sich, wie bei den meisten anderen auch, im Trial- & Error-Modus und mit der Hoffnung, nicht allzu viele und schwerwiegende Fehler zu machen. Das allgemeine Strafrecht plus Verkehrs-, Lebensmittel- und BtM-Strafrecht an zwei ländlichen mittelfränkischen Amtsgerichten hielt nichts Spektakuläres bereit, bot aber genügend Gelegenheiten, kleine Fehler zu machen und bei ihrer Reparatur und zukünftigen Vermeidung dazuzulernen. Als Anfänger wurde man auch getragen von einer sehr freundlichen kollegialen Atmosphäre und Hilfsbereitschaft am Gericht; ergänzt durch eine kaum konfrontative Verteidigungslinie der örtlichen Anwaltschaft. Unangenehme „Konflikt“-Strategien und Versuche, Verfahren gezielt zu sabotieren und „scheitern“ zu lassen, gab es allenfalls in Verkehrs-Ordnungswidrigkeiten aus dem Autobahnbereich von Ansbach, weil in diesen Sachen Verteidiger und Betroffene aus weit entfernten Großstädten anreisten, um gegen die selbstverständlich verfassungswidrigen Fahrverbote zu kämpfen und ländliche Amtsrichter das Fürchten zu lehren. Das einzig öffentlichkeitswirksame Verfahren, das ich in drei Jahren zu entscheiden hatte, war eine Anklage wegen Nötigung durch Straßenblockade im Rahmen einer Ansbacher Friedens-Demonstration; angeklagt war der Vorsitzende der DKP-Ortsgruppe. So wenig überzeugend ich die so genannte „Zweite-ReiheRechtsprechung“ des BGH finde, so teile ich seine Ansicht über die rechtliche Behandlung sogenannter „Fernziele“ bei demonstrativ begangenen Straftaten. Denn diese werden ausdrücklich zum Zweck des demonstrativen Hinweises darauf begangen, dass die Durchsetzung der an sich richtigen Verbotsgrenze aus jeweils spezifischen Gründen im konkreten Fall illegitim sei. Ein Freispruch verfehlt daher letztlich eher die Intention der Täter, die Rolle als von der Strafjustiz Verfolgte zur Demonstration der Wichtigkeit ihres Fernziels zu nutzen. Die Position als Richter und die damit verbundene Rolle „ergibt“ sich nicht von allein; andererseits erweist sie sich durch die Ausbildung doch in erstaunlichem
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Maß als eingeübt im Sinn einer Disposition und Bereitschaft zur abstrahierenden Distanz und zur Identifikation mit den normativen Setzungen und den Strukturen staatlicher Machtausübung. Die Abwendung vom ursprünglichen Berufsziel „Strafverteidiger“ fiel (mir) daher nicht schwer und bedeutete auch keine vollständige inhaltliche Neuorientierung. In der praktischen Lebenswirklichkeit muss man sich die Rolle erarbeiten. Dabei kann man gravierende Fehler machen: Der häufigste ist es, sich aus der zwangsläufigen Unsicherheit des Berufsanfängers in eine vorgebliche Sicherheit des „Üblichen“, des Korpsgeistes und der kritiklosen Übernahme von angeblicher Erfahrenheit und Routine, auch Erfolg symbolisierenden Bewertungen zu flüchten. Die Anpassungsleistungen junger Richter und Staatsanwälte sind insoweit enorm. Das ist nicht als Vorwurf individueller Beliebigkeit oder Schwäche zu verstehen, sondern als Hinweis auf die überaus prägende und dominante Kraft des „Systems Justiz“. Ein anderer möglicher Fehler hängt mit dem erstgenannten zusammen: Er besteht in dem (sich aufdrängenden) Irrtum, es seien gerade die eigene, persönliche Kraft, Fähigkeit und Weisheit, welche die soziale Rolle prägen; die Autorität des Richterseins entspringe also im Kern der Person, nicht dem legitimierenden System. Das ist eine Illusion, die erstaunlich viele Richter durch ihr ganzes Berufsleben trägt und gelegentlich in ein skurriles Festhalten-Wollen noch im Ruhestand mündet. Richter sind aber weder weiser noch gerechter noch fehlerfreier als alle anderen; es gibt unter ihnen, wie überall sonst, Begabte und Unbegabte. Die Kraft des Richterseins ergibt sich aus der verfassungsrechtlichen Legitimation ihrer Rolle, nicht aus charismatischer Erleuchtung oder außeralltäglicher Erkenntniskraft. Daher sind auch Richter an „Ober“- und „höchsten“ Gerichten keineswegs „bessere“, wichtigere oder gerechtere Richter als die an „Unter“-Gerichten. Sie haben nur eine andere Aufgabe.
IV. Im Januar 1991 wurde ich Wissenschaftlicher Mitarbeiter (genannt „HiWi“) beim 1. Strafsenat des Bundesgerichtshofs. Dorthin wurde ich vom Freistaat Bayern abgeordnet, zugleich zum Staatsanwalt ernannt und auf eine „Leerstelle“ in Würzburg gesetzt. Damit eröffnete sich eine neue, fremde und hochinteressante Welt, die, wie sich später zeigte, den weiteren Berufsweg prägte. Vom Revisionsrecht weiß man, wenn man es nicht praktisch betrieben hat, meist nur Abstraktes und „Prüfungsrelevantes“. In der Wirklichkeit erweist sich, dass es sich keineswegs um die während der Ausbildung erarbeitete Ansammlung von Ja-/Nein-Regeln zur Überprüfung der sog. „Revisionssicherheit“ handelt, umgekehrt auch nicht um ein Feld intuitiver Dezision nach Maßgabe des Kriteriums, ob das Er-
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gebnis „passt“. Letzteres wird vor allem von Menschen behauptet, die vom Revisionsrecht insoweit betroffen sind, als Ergebnisse ihrer eigenen Arbeit überprüft werden. Dies sowie (unvermeidbare) allgemeine Strukturen und (vermeidbare) Besonderheiten des Revisionsverfahrens führen dazu, dass Tatrichter wie Strafverteidiger gern mit der angeblichen „Lebenserfahrung“ kokettieren, Revisionsgerichte seien eigentlich nur damit beschäftigt, sachferne Vorurteile und Lebenswelt-Ferne in überformalisierte Schein-Bedeutsamkeit umzusetzen. Das ist eine in ihrer Schlichtheit rührende, aber unzutreffende Annahme. Die Rolle als Wissenschaftlicher Mitarbeiter ist eine dienende; wenn man zuvor als Richter selbständig tätig war, muss man sich also wieder umgewöhnen. Dabei ist das Ausmaß, in dem die Position hierarchischer Unterordnung vermittelt und erlebt wird, sehr von den Personen abhängig. Mit dem 1. Strafsenat hatte ich Glück. Ich traf, mit wenigen Ausnahmen, auf außerordentlich freundliche Richter (ausschließlich Männer), arbeitete und lernte viel. Natürlich gab es auch Belastungen. So waren etwa die Senatsberatungen in dem viel zu kleinen, überheizten und stickigen Dienstzimmer des Vorsitzenden echte Herausforderungen für Geist und Körper. Sie dauerten von 9 Uhr morgens bis 18 Uhr abends, praktisch ohne Pause, da der Senat die Ansicht vertrat, die Dringlichkeit der Beratungen erlaube bis zur körperlichen Erschöpfung keinerlei Unterbrechung. Die einzige Fluchtmöglichkeit bot sich dem HiWi, wenn er um die Mittagszeit ausgesandt wurde, um Wiener Würstchen, belegte Brötchen und Kaffee aus der Kantine zu besorgen. Die Würstchen wurden unter Fortsetzung der Beratung über den Akten verspeist, was zu Krümeln und Senfflecken in den Senatsakten führte. In den Nachmittagsstunden nickte der eine oder andere der älteren Herren gelegentlich ein. Der Fortgang der Erledigungen wurde dadurch aber nicht aufgehalten; notfalls hustete nach einigen Minuten jemand laut. Der Senat entschied damals mehr als 900 Revisionssachen im Jahr. Als (einziger) HiWi des Senats war man ständig mit einer Vielzahl interessanter und schwieriger Rechtsfragen zur Vorbereitung von Entscheidungen befasst. Die erhebliche Belastung wurde auch durch eine gute kollegiale Atmosphäre unter den Mitarbeitern der Zivil- und Strafsenate leichter gemacht. Eine ganze Reihe von ihnen habe ich später als Richter des Gerichts wieder getroffen, wobei die frühere Gemeinsamkeit sich in unterschiedliche Richtungen – von fortbestehender Freundschaft bis zu hochförmlicher Distanziertheit – entwickelte. Zwei Ereignisse aus jener Zeit erscheinen erwähnenswert. Ein Jahr lang hatte ich das Amt eines sog. „HiWi-Präsidenten“ inne, eine Aufgabe, die sich in der Regel auf die Organisation von Ein- und Ausständen, Grußworte und Ähnliches beschränkt. Aus gegebenem Anlass wurde damals beschlossen, der Amtsinha-
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ber solle sich dafür engagieren, Missstände bei der Reisekosten-Erstattung für die aus den Ländern abgeordneten Mitarbeiter zu beseitigen. Ich rief daher den damaligen Präsidialrichter an und fragte ihn, auf welchem Weg die Sache vorgebracht werden könne. Er riet mir, einen Brief an den Präsidenten des Gerichts zu schreiben und diesem das Anliegen vorzutragen. Der Präsidialrichter nimmt – neben seiner richterlichen Aufgabe – eine den Präsidenten unterstützende Verwaltungsfunktion wahr und ist unter anderem für die Personalsachen des richterlichen Personals und der Wissenschaftlichen Mitarbeiter zuständig. Regelmäßig mündet die mehrjährige Funktion in eine vom Präsidenten geförderte Ernennung zum Senatsvorsitzenden; hieraus ergeben sich spezifische Loyalitäten. Einen Tag nach Absenden des Briefs wurde ich zum Präsidenten gerufen. In meiner Anwesenheit stellte dieser zunächst den Verwaltungsleiter zur Rede. Sodann eröffnete er mir, mein Anliegen sei zwar berechtigt, er wünsche aber zukünftig keine schriftlichen Beschwerden mehr zu erhalten; dies sei „bei uns“ nicht üblich. Als ich auf den Rat des Präsidialrichters verwies, wurde ich vorläufig begnadigt und entlassen. 15 Minuten später wurde ich erneut gerufen und vor dem Schreibtisch des Präsidenten mit dem Präsidialrichter konfrontiert. Dieser versicherte, er habe mir ausdrücklich davon abgeraten, an den Präsidenten zu schreiben. Selbstverständlich entschuldigte ich mich sogleich für den schweren Fehler, tragischerweise genau das Gegenteil verstanden zu haben. Der Präsident forderte uns nun auf, uns „wie Männer“ die Hand zu reichen, und erklärte die Angelegenheit sodann für erledigt. Dies war eine Lehrstunde über Führung und Unterwerfung. Ein gerichtsinternes Drama entspann sich, als durch Veröffentlichungen in der „NJW“ bekannt wurde, dass die „Senatspräsidenten“ der (sämtlich) überbesetzten Senate durch die übliche „freihändige“ Bestimmung eines ihnen geeignet erscheinenden Berichterstatters aus der Gesamtzahl der Senatsmitglieder auch die Zusammensetzung der für die Sache zuständigen Spruchgruppe und damit den „gesetzlichen Richter“ (Art. 101 Abs. 1 Satz 2 GG) bestimmen konnten (und dies auch taten); die Vorschriften des GVG über die Mitwirkungsgrundsätze in Kollegialgerichten sollten für Oberste Bundesgerichte angeblich nicht gelten, da deren Aufgaben zu anspruchsvoll seien, um solch behindernden Regelungen zu unterfallen. Diese Ansicht war fernliegend und wurde damals erstmals auch öffentlich so genannt, was zu Aufregung und Empörung bei den Senatsvorsitzenden und solchen führte, die es werden wollten. In vielen Senaten wurden HiWis mit Gutachten zur Widerlegung beauftragt; in Krisensitzungen wurden Argumente für die Ansicht gesammelt, die Rechtsprechung des BGH werde unweigerlich zusammenbrechen, falls das GVG Anwendung finde. Am Schluss entschied der
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Gesetzgeber. Der neue § 21e GVG regelte die Pflicht zur internen Geschäftsverteilung auch in den Senaten und wurde problemlos umgesetzt. In der Endphase meiner Mitarbeitertätigkeit tauchte anlässlich eines Revisionsverfahrens die Frage auf, ob der BGH die Revision einer Staatsanwaltschaft durch Beschluss nach § 349 Abs. 2 StPO als „offensichtlich unbegründet“ verwerfen dürfe. Nachdem zunächst die hergebrachte Ansicht überwog, das beleidige nicht allein die Ehre der Staatsanwaltschaften, sondern sei auch unzulässig, beauftragte mich der Senatsvorsitzende damit, in einem Gegengutachten probeweise die abweichende Position zu vertreten. Es wurde als genuines „FischerGutachten“ dem Generalbundesanwalt zugeleitet und trug mir den Zorn des dortigen Abteilungsleiters ein. Noch acht Jahre später, als ich zum Bundesrichter ernannt war und mich in der Revisionsabteilung des GBA offiziell vorstellte, war jenes Gutachten Thema.
V. Zum Januar 1993 beendete ich meine Abordnungszeit beim BGH, schied aus der Bayerischen Justiz aus und ließ mich nach Sachsen versetzen, um dort Vorsitzender einer Strafkammer am Landgericht Leipzig zu werden. Damit begann eine Phase des Berufslebens, die viele neue, unvorhergesehene und spannende Erfahrungen bereithielt. Die Versetzung stellte berufliche und persönliche Herausforderungen, die nicht vorhersehbar waren und das Leben grundlegend veränderten. Die Strukturen der Justiz in den Beitrittsländern waren Anfang 1993 noch durchweg ungefestigt; an den Gerichten herrschten teilweise organisatorische Zustände, die man aus der behäbigen Sicht westdeutscher Gerichtsbarkeiten nur als „Chaos“ bezeichnen konnte. Das alte und neue Personal der Justiz passte nicht recht zusammen; die aus dem Westen angerückten „Aufbauhelfer“ fanden sich, oft entgegen ihren Erwartungen, in einem geradezu unwirklichen Zustand des Fremdseins wieder. Die Zeit verging in einem Mahlstrom von Arbeit, Neuorientierung, Wohnungssuche, endlosen Fahrten zwischen zuhause und fremder Welt, angefüllt mit verwirrenden Alltagserfahrungen. Die beruflichen Anforderungen enthielten viele Überraschungen: So traf man etwa auf Schöffen, die sich begeistert wählen ließen, dann aber konsequent weigerten, an Beratungen oder Schuldsprüchen teilzunehmen; auf Geschäftsstellen-Mitarbeiter, die praktisch keine Ahnung von ihren Aufgaben hatten; auf wichtigtuerische „Wessis“ an allen Ecken; auf Strafverteidiger, die bis vor Kurzem DDR-Staatsanwälte gewesen waren und routinemäßig die Strafanträge der Ankläger (deren Vorgesetzte sie zum Teil bis vor Kurzem gewesen waren) „überboten“, andere, die sich mit rührender Ahnungslosigkeit als
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Pflichtverteidiger in Schwurgerichts-Prozesse stürzten und ihren Mandanten eher schadeten als nützten. Überall aber war auch große Aufgeschlossenheit zu erleben, Zuversicht, erstaunlich viel Vertrauen. Die Arbeitssituation in der Schwurgerichtskammer 1993 bis 1996 war bemerkenswert. Verglichen mit einer gleichgroßen Stadt im Westen produzierte Leipzig in jenen Jahren die etwa dreifache Zahl von Schwurgerichtssachen. Das lag vor allem daran, dass es eine große Zahl von haltlosen Menschen in desolaten, gewaltgeprägten Lebensumständen gab. Sie waren in der DDR vom System aufgefangen, kontrolliert und verwaltet worden, nun verbrachten sie orientierungslos ihre Zeit mit Saufen, hausten in den leerstehenden Abbruchhäusern und begingen zahllose Straftaten mit exzessiver Gewalt. Die Polizei war verunsichert, fürchtete sich, machte sich eher auf „weiträumige Nachschau“ als auf die Suche nach Verbrechern. Westdeutsche Kriminelle drängten ins sächsische Prostitutions- und Drogengeschäft und lieferten sich spektakuläre Kämpfe um Marktanteile. Aufgefangen wurden viele der besonderen Belastungen durch eine Atmosphäre großer Freiheit, kollegialer Nähe und auch persönlicher Gemeinsamkeiten innerhalb der Justiz. Das lag auch daran, dass die meisten der aus Westdeutschland abgeordneten und versetzten oder neu eingestellten Richter sich in ähnlichen privaten Lebenssituationen fanden. Das führte über mehrere Jahre zu einer einzigartigen Vermischung beruflicher und privater Zusammenhänge. Sie hatte viele Vorteile, barg aber auch Risiken der Grenzüberschreitung und der sachfernen Vermischung von Interessen. Die Absonderlichkeiten der zeitweise hysterisiert diskutierten „Sachsensumpf“-Affäre entwarfen ein skurriles Schattenbild solcher Schwierigkeiten. Ihr realer Kern war eher lächerlich.
VI. Von 1996 bis 2000 war ich Ministerialrat und Referatsleiter im Sächsischen Staatsministerium der Justiz. Die Strafrechtsabteilung des Ministeriums hatte damals vier Referate, meines war das für Strafprozessrecht, Strafrechtlichen Datenschutz und strafrechtliche Aufarbeitung des DDR-Unrechts (einschließlich strafrechtliche Rehabilitierung). Ich hatte mir zuvor schwer vorstellen können, als Ministerialbeamter zu arbeiten. Meine Vorbehalte gegen die Tätigkeit in einer hierarchisch organisierten Behörde wurden aber nicht bestätigt; im Gegenteil erwiesen sich die Jahre in Dresden als lehrreiche und hochinteressante Zeit, die vertiefte Einblicke in eine zuvor weitgehend unbekannte Welt ermöglichte. Die Feinstrukturen staatlicher Verwaltung, Abläufe, Bewegungen, Bedeutungen und Eigengesetzlichkeiten von Gesetzgebung und die Steuerungsmechanismen an der Grenz-
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linie zwischen Politik und Staatsbürokratie sind weitaus interessanter als vielfach angenommen. Eindrucksvoll waren Erkenntnisse und Erfahrungen aus dem Bereich der strafrechtlichen Rehabilitation sowie allgemein die Beschäftigung mit der sog. „Aufarbeitung“ der DDR-Justiz, sowohl im Bereich des Strafrechts im engeren Sinn als auch in dem der Psychiatrie und sonstiger Unterbringungen. Schon am Landgericht Leipzig hatte ich 1995 ein Strafverfahren gegen einen ehemaligen „Volksrichter“ der DDR wegen Beteiligung an den sog. „Waldheimer Verfahren“ geführt; in diesem Zusammenhang vernahm ich – als von der Schwurgerichtskammer beauftragter Richter – alle damals noch lebenden Zeugen der Vorgänge in ganz Deutschland – eine eindrucksvolle Erfahrung. Interessant waren auch die Erfahrungen im Austausch mit dem Landtag. Insbesondere im Petitionsausschuss, aber auch im Ausschuss für Recht und Verfassung, traf man gelegentlich auf Abgeordnete, die sich durch ein Übermaß an gravitätischer Bedeutsamkeit bei zugleich eingeschränkter intellektueller Kraft auszeichneten. Als dienender Ministerialbeamter muss man lernen, dass es entscheidende Legitimitätsstrukturen auch außerhalb des Systems von Fachkunde und Sachrationalität gibt. Von erwähnenswertem Unterhaltungswert war das Büro der Gattin des Ministerpräsidenten in der Staatskanzlei, die sich in einer selbst definierten Rolle als Landesmutter immer wieder auch an den Justizminister wandte, Bittschreiben von Bürgern übersandte und anfragte, ob der liebe Herr Heitmann „helfen könne“. Das führte, wie es sich in einem Ministerium gehört, jeweils zu hektischen „Vorgängen“ mit „Beteiligungen“ aller Abteilungen, Rücksprachen, Abzeichnungen und schließlich zu Antwortschreiben, in denen der zuständige Referatsleiter den lieben Herr Heitmann der lieben Frau Biedenkopf mitteilen ließ, er habe sich gefreut, die Sache prüfen lassen zu dürfen; die jeweilige Petentin sei allerdings leider im Unrecht.
VII. Das 1988 begonnene Habilitationsprojekt habe ich ab 1990 nicht weitergeführt. Anlass war zum einen, dass Ulrich Weber an der Universität Tübingen den Lehrstuhl seines Lehrers Baumann übernahm und Würzburg verließ, Grund die Erkenntnis, dass eine jahrzehntelange ausschließliche Lehrtätigkeit mir auf Dauer keine Freude machen würde. Ein weiteres Promotionsstudium der Soziologie in Würzburg führte ich neben der Tätigkeit als Strafrichter bis zur (halben) Fertigstellung einer Dissertation; nach der Abordnung zum BGH (und nachdem ich zwei 1986 und 1987 geborene Kinder hatte) hatte ich keine Zeit mehr dafür. Ab 1991 hatte ich insgesamt 44 Semester lang Lehraufträge für Strafrecht, Strafpro-
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zessrecht und Rechtssoziologie an der Universität Würzburg, ab 1993 parallel auch 14 Semester lang an der Universität Leipzig. 1992 fragte mich der Herausgeber des „Karlsruher Kommentars zur StPO“, der frühere BGH-Präsident Gerd Pfeiffer, ob ich interessiert sei, das Sachverzeichnis neu zu erstellen. Ich sagte unter der Bedingung zu, dass ich auch einen inhaltlichen Teil übernehmen dürfe, und bearbeitete ab der 3. Auflage bis zur 5. Auflage die Vorschriften über die Strafvollstreckung und das Sicherungsverfahren.2 In der 6. Auflage übernahm ich von Gerhard Herdegen die Kommentierung der Vorschriften über die Beweisaufnahme.3 Bei der Vorbereitung der 7. Auflage4 erklärte mir der damalige Präsident des BGH, er werde meine Bewerbung um eine Stelle als Vorsitzender Richter am BGH (nur) befürworten, wenn ich die Mitarbeit an dem Kommentar aufgebe. Dies sagte ich schweren Herzens zu und gab meine Kommentierung an Christoph Krehl weiter. Kurz darauf erklärte mir der Präsident, ich sei für den Senatsvorsitz ganz unabhängig davon ungeeignet. Hierauf ist noch unten zurückzukommen. Ende 1994 fragte mich Gerd Pfeiffer, ob ich mit ihm zusammen einen StPOKommentar in der „gelben Reihe“ des Verlags C. H. Beck schreiben wolle, also ein StPO-Pendant zum „Lackner, StGB“. Ich sagte natürlich zu; die erste Auflage erschien 1995.
1997 wurde ich vom damaligen Leiter des Juristischen Lektorats des Verlags C. H. Beck, Hans-Peter Huber, gefragt, ob ich mir vorstellen könne, den StGBKommentar von Herbert Tröndle (früher: „Schwarz“, „Dreher“, „Dreher/Tröndle“) in Alleinbearbeitung zu übernehmen. Dieses Angebot war ehrenvoll und reizvoll; es veränderte in der Folge mein Leben stärker, als ich es damals für möglich hielt. Da Gerd Pfeiffer mich großzügig aus unserem gemeinsamen StPO-Projekt entließ und da Tröndle sich einverstanden erklärte, übernahm ich ab 1997 den StGB-Kommentar. Die 49. Auflage mit der Einarbeitung des 6. StÄG von 1998 bearbeiteten Tröndle und ich jeweils zur Hälfte;5 ab der 50. Auflage 2001 habe ich den Kommentar allein bearbeitet. Er erschien noch bis zur 54. Auflage unter der Herausgeberbezeichnung „Tröndle/Fischer“, seither unter der Herausgeber- und Verfasserbezeichnung „Fischer“. Ab der 55. Auflage habe ich das Erscheinen von einem zweijährigen auf einen Jahresrhythmus umgestellt; der Kom
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Karlsruher Kommentar zur Strafprozessordnung, §§ 407–416, §§ 449–463d, Sachverzeichnis, 3.–5. Aufl. 1993/1999/2003. Karlsruher Kommentar zur Strafprozessordnung, §§ 1–31a, §§ 244–246a, 6. Aufl. 2008. Karlsruher Kommentar zur Strafprozessordnung, Einleitung vor § 1, 7. Aufl. 2013. Vgl. Fischer, Thomas, in: Fischer, Thomas/Tröndle, Herbert (Hrsg.), Strafgesetzbuch und Nebengesetze, §§ 61–181c, 253–358, 49. Aufl. 1999.
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mentar erscheint seit 2007 jährlich im Dezember. Derzeit ist die 68. Auflage in Vorbereitung. Die Zusammenarbeit mit Herbert Tröndle endete bald in Dissonanzen. Unsere rechtspolitischen und dogmatischen Anschauungen waren sehr unterschiedlich, Tröndle wollte – aus seiner Sicht verständlich –, nachdem er das Werk 20 Jahre lang bearbeitet hatte, einen grundlegenden Wandel der Ausrichtung und Kommentierungsstruktur nicht akzeptieren. Mit vielen meiner Positionen, insbesondere zum Recht des Schwangerschaftsabbruchs, des „Lebensschutzes“ im Allgemeinen sowie zum Sexualstrafrecht, konnte er sich nicht abfinden. Umgekehrt gab es inhaltlich und biografisch keinen Anlass für ein Verhältnis „Lehrer – Schüler“, wie es für Projektübergänge zwischen Hochschullehrern typisch ist. So trennten sich die Wege früh.
VIII. Die Bundesrichter-Wahl ist ein Quell der Spekulation, der Gerüchte und der Ambition. Es ist wie in anderen Karriere-Systemen: Wer sich darauf einlässt, ist in den Bedeutungen gefangen. Der inhaltlich-technische Ablauf ist Gegenstand berechtigter Kritik; allerdings ohne dass überzeugende Alternativen erkennbar sind. Bestimmend sind eher allgemeine, auch partei-politisch geprägte Vorstellungen, die schon die Vorschläge bestimmen und sich in „Hintergrund“-Gesprächen entwickeln und realisieren. Zum Zeitpunkt der formellen Wahl sind Überraschungen wenig wahrscheinlich; vielfach geht es um „Pakete“, die zwischen den „Stimmführern“ der Parteien ausgehandelt werden. Das gibt Anlass zu Kritik. Eine stärkere Anknüpfung an Prüfungsverfahren (etwa durch Anhörungen der Kandidaten) oder an Auswahlverfahren von Berufsorganisationen (Verbände) würde aber kaum inhaltliche Änderungen bewirken und höhere Transparenz eher symbolisieren als faktisch herstellen. Mich auf die Vorschlagsliste zu setzen, wurde erstmals 1996 besprochen, als mich der Staatssekretär im Sächsischen Justizministerium fragte, „wie ich mir meine berufliche Zukunft vorstelle“. Nach drei Jahren im Ministerium wurde die Frage erneut erörtert; der Minister Heitmann schlug mich 1999 vor. In diesem Jahr wurde ich nicht gewählt, was mich betrübte; im darauf folgenden Jahr, als es mir (fast) gleichgültig war, wurde ich gewählt. Ein „Bleibe-Angebot“ Heitmanns nahm ich erst an, überlegte es mir dann aber kurzfristig anders. Es war fair und freundlich, dass der Minister trotz meines Wankelmuts an seinem Wahlvorschlag festhielt.
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Nach der Wahl schrieb mir der Vorsitzende eines der Strafsenate, zu seinem großen Bedauern habe das Präsidium des BGH mich nicht seinem Senat zugeteilt, obwohl er dies überaus gern gesehen hätte. In der Woche darauf erzählte mir Gerd Pfeiffer, eben dieser Senatsvorsitzende habe vielfach betont, der Richter Fischer „passe“ nicht in seinen Senat. Ich selbst machte aus Unbedachtheit einen Fehler, indem ich aus Begeisterung über die erwartete Zeit fachlich-wissenschaftlicher Auseinandersetzung dem damaligen Vorsitzenden des 2. Strafsenats den Sonderdruck eines Aufsatzes aus der „ZStW“ zusandte, in dem ich eine vom Senat abweichende Rechtsansicht vertreten hatte. Die Antwort war eisig. Wie ich später erfuhr, kursierte im BGH die Nachricht, der soeben gewählte Richter Fischer habe noch vor seiner Ankunft dem Senat mitgeteilt, dass er alles besser wisse. Das war ein kleiner Vorgeschmack aufs mögliche Binnenklima.
IX. Der Bundesgerichtshof ist von den obersten Bundesgerichten das größte, absolut gesehen aber eine recht kleine Behörde. Den zur Zeit meiner Ernennung bestehenden fünf Strafsenaten gehörten gerade 36 Personen an. Anders als bei den Ländergerichten, deren Besetzungen häufigem Wechsel unterliegt und bei denen Versetzungen, Beförderungen, Abordnungen oder auch nur Wechsel des Spruchkörpers oder des Tätigkeitsbereichs häufig vorkommen, sind die Senate des BGH sehr stabile Gebilde mit oft jahrzehntelanger personeller Kontinuität. Wenn mehrere fast gleich alte Richter dem Senat angehören, kann es vorkommen, dass über zehn oder fünfzehn Jahre keine personellen Wechsel eintreten. Entsprechend lange bleiben auch die internen Selbst- und Fremdbilder, die informellen Hierarchien, gegenseitigen Bewertungen sowie Klima und Stil des Umgangs langfristig unverändert und entwickeln ein beachtliches Eigengewicht mit Auswirkungen auch auf die Sacharbeit. Ergänzt wird die Funktionseinheit „Strafsenat“ durch ein etwas größeres Umfeld von Ehemaligen, also Pensionären, durch ihre und die Lebenspartner der aktiven Senatsmitglieder. Beide Gruppen spielen in der Binnenkultur unterschiedliche, wichtige Rollen. Die Ehegatten-Frage reduzierte sich in früheren Zeiten fast ausschließlich auf die nicht berufstätigen Gattinnen der (männlichen) Richter. Da es sich bei Bundesrichtern überwiegend um eine Funktions- und nur eingeschränkt um eine Herkunfts-Elite handelt, liegen die Bildungs- und kulturellen Standards nicht auf einem gemeinsamen, erprobten Niveau, wie es vor 100 Jahren selbstverständlich schien. Daher dominiert demonstrative „Gebildetheit“ auf kleinem gemeinsamen Nenner. Schon geringe Abweichungen des Geschmacks, des Lebensstils oder der biografischen Einzelheiten werden als spektakulär emp-
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funden; nur in engen Grenzen können sie als individuelle Schrullen akzeptiert werden. Eine allgemeine Darlegung von Aufgaben des und Abläufen im BGH ist hier nicht veranlasst; es ist darüber – auch von mir – schon an anderer Stelle einiges ausgeführt. Auf einige Spezifika ist aber besonders hinzuweisen; sie sind im allgemeinen öffentlichen Bewusstsein wenig bekannt, denn der Gerichtshof ist eine kleine, überaus spezielle und abgeschlossene Welt. Das ergibt sich nicht in erster Linie aus bewussten Haltungen und Abgrenzungen; vielmehr sind diese ihrerseits Ergebnis der Position des Gerichts und der Funktion seiner Tätigkeit im System der Justiz. Kern dieser Position ist die dem Gericht zukommende Macht letztinstanzlicher Entscheidung, verbunden mit dem Anspruch, die Maßstäbe der formellen und inhaltlichen Tätigkeit der gesamten ordentlichen Justiz in Deutschland zu setzen und über ihre Einhaltung zu wachen. Das verleiht dem Gericht als Institution, auf mittelbaren Wegen aber auch den dort tätigen Personen eine Aura des Geheimnisses und der Unwägbarkeit, die sich in der Vielzahl meist fernliegender Spekulationen über angebliche Interna der Meinungsbildung und Entscheidungsfindung spiegeln. Es wirken hier dieselben sozialpsychologischen Mechanismen, die auch in anderen Konstellationen von Machtausübung und Machtunterworfenheit zu finden sind. Hieran wirken nicht allein diejenigen mit, denen Macht zukommt, sondern auf vielfältige Weise auch diejenigen, die ihr als Betroffene, Abhängige, Interessierte gegenübertreten. Das ist in bestimmtem Umfang und Rahmen unvermeidlich; es muss in einem rechtsstaatlichen System aber reflektiert und organisatorisch entschärft werden. Misslich ist es, wenn passiv aggressive Unterordnung auf die Bereitschaft stößt, Macht als persönlich verdientes Privileg zu zelebrieren. Die Justiz ist, aus verschiedenen Gründen, für solche Konstellationen anfällig. Die Organisation der inhaltlichen Arbeit des Revisionsgerichts ist, jedenfalls im Bereich des Strafrechts, den ich recht gut kenne, auf Gleichförmigkeit der Ergebnisse und Vermeiden von Überraschungen ausgerichtet; es besteht ein extrem hoher Anpassungsdruck. Dieser kommt schlicht schon dadurch zustande, dass die Menge der Arbeit nur dann bewältigt werden kann, wenn mehr als 90 Prozent aller Entscheidungen „einstimmig“ getroffen werden. Jeder BGH-Strafsenat hat etwa 650 strafrechtliche Revisionen pro Jahr zu erledigen. Dieses Pensum kann unmöglich bewältigt werden, wenn in jeder Sache eine sorgfältig vorzubereitende Hauptverhandlung stattfindet, kontrovers diskutiert und abgestimmt und die Entscheidungsbegründungen detailliert und ggf. kontrovers besprochen werden. Die weit überwiegende Zahl aller Revisionen wird daher nicht durch Urteil, sondern durch jeweils einstimmig zu fassenden Beschluss nach § 349 Abs. 2 und 4 StPO
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erledigt. Wenn aber die gemeinsame Arbeit nur durch Einstimmigkeit von 90 Prozent der Entscheidungen bewältigt werden kann, erzeugt dies einen informellen Anpassungsdruck, für den es kein anderes Beispiel gibt; ich kenne keine Gremienund Kollegialaufgaben, die (fast) ausschließlich im Wege der „Einstimmigkeit“ erledigt werden können. Abgesichert wird dieser Druck durch eine „Kultur“ ständig gespannter Aufmerksamkeit gegenüber möglichen Abweichungen und permanenter informeller Justierung von „Linien“, Mehrheiten und Verhaltenserwartungen, all dies integriert in ein System der Umgangskultur, welche ein solches Steuerungssystem für die einzelne Richterperson erträglich macht und als normal, sachangemessen und erstrebenswert darstellt. In der Praxis führt es aber auch zu skurrilen oder sachlich destruktiven Kommunikationsstrukturen. Kritik verdient m. E. auch, dass anders als beim Bundesverfassungsgericht die Beifügung „abweichender Voten“ zu den veröffentlichten Entscheidungsgründen nicht üblich und zulässig ist; vielmehr steht es den Richtern nach der Geschäftsordnung des BGH vom 3.3.1952 (!) frei, eine ggf. abweichende Meinung zu den (nicht zugänglichen) Revisionsakten zu geben. Es handelt sich damit um ein geradezu unernsthaftes Placebo ohne Wirkung, das zu Recht praktisch nie genutzt wird. Vor lauter Angst, die Illusion von ständiger Einigkeit könne Schaden nehmen, wurde die Regel informell dahin ergänzt, dass die abweichende Meinung „in einem verschlossenen Umschlag“ zu den Akten zu nehmen sei; selbst ihre Bekanntgabe im (Gesamt-)Senat wird unter dem Gesichtspunkt des „Bruchs des Beratungsgeheimnisses“ kritisiert. Damit ist ein Niveau der Geheimhaltung erreicht, auf welchem man Richtern auch gestatten könnte, abweichende Meinungen heimlich in ein Erdloch zu sprechen. Tatsächlich erscheinen Bedenken gegen einen ausufernden „Missbrauch“ des Sondervotums-Rechts nicht begründet; die Zulassung veröffentlichter qualifizierter Abweichungen würde vielmehr zum einen das Diskussionsniveau insgesamt deutlich steigern, zum anderen die unwirkliche, auf Dauer frustrierende Lage einer fiktiv undifferenziert „herrschenden“ und zum lebenslangen Schweigen in Rechtsfragen verpflichteten, sich nur „gerüchteweise“ artikulierenden Minderheit durchbrechen.
Bei der deutschen Justiz im Allgemeinen, auch beim BGH, sind inhaltlich-rechtspolitische Konflikte ständig präsent, werden jedoch häufig personalisiert und zu „Stil“-Fragen umgedeutet. Insgesamt überwiegt eine konservative, ordnungs-orientierte Einstellung. Diese umfasst nicht allein Fragen des materiellen und formellen Rechts, sondern auch Beurteilungen etwa der Rolle von Strafverteidigung, Anliegen der Kriminologie und Reflexionen der eigenen Tätigkeit. Von außen kaum bemerkt und reflektiert wirken überdies parteipolitische Interessen auf die Rechtsprechung ein.
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Panik brach aus, als im Jahr 2001 der Richter Wolfgang Neskovic aus Lübeck gewählt wurde. Er hatte lange zuvor eine Richtervorlage nach Art. 100 Abs. 1 GG an das BVerfG unternommen, um eine Legalisierung des Konsums von Cannabis zu erreichen. Seither galt er in der Strafjustiz als nicht satisfaktionsfähig; sein auf Art. 1 und 2 Abs. 1 GG gestütztes Postulat eines „Rechts auf Rausch“ galt als beispielhaft lebensferne Verkennung des sich angeblich aus Gewöhnung ergebenden Grundrechts auf Alkoholismus. Der Präsidialrat des BGH versuchte vergebens, die Wahl Neskovic zu verhindern; nachdem dies nicht gelungen war, wurde auf den Fluren diskutiert, wie man den ungeliebten Richter davon abhalten könne, die Rechtsprechung des BGH zu zerstören. Der Strafrichter Neskovic, der sich später als Bundestagsabgeordneter für die Belange des Gerichts einsetzte, wurde schließlich dem Bankensenat zugewiesen. Trotz solcher und einiger weiterer struktureller Beschränkungen leistet der Bundesgerichtshof qualitativ Hervorragendes. Es herrscht fast durchweg ein beeindruckend hohes Arbeitsethos; die Vermutungen und Gerüchte außenstehender Beobachter und Deuter über sachfremde Entscheidungswege und -gründe sind beinahe immer unzutreffend oder jedenfalls holzschnittartig vereinfachend. Zu den besonderen Leistungen des Bundesgerichtshofs in Strafsachen zählt eine durchaus nicht selbstverständliche, in anderen Ländern fast unbekannte Kultur des Austausches und der Bezugnahme auf rechtswissenschaftliche Diskussionen und Entwicklungen. Das gilt selbst unter Berücksichtigung des Umstands, dass manche Bereiche dieses Austausches einen eher formalen, selbstlegitimierenden Charakter haben. Die Ausrichtung an Kriterien wie der „herrschenden Meinung“ und an der Aufgabe, Rechtssicherheit und Stetigkeit der Rechtsanwendung sicherzustellen, führt notwendig auch zu Unzuträglichkeiten; hinzu kommt gelegentlich eine Neigung zum starren Festhalten selbst an erkennbar unzutreffenden oder sachwidrigen Lösungen.
X. Von 2000 bis 2003 war ich mit einem Teil der Arbeitskraft auch Ermittlungsrichter des BGH, von 2007 bis 2009 auch ständiger Beisitzer im Richterdienstgerichts des Bundes. Im Jahr 2008 wurde ich stellvertretender Vorsitzender des 2. Strafsenats. Die Besetzung dieser Position war im Senat streitig, dies wirkte in der Folge fort. Von 2008 bis 2017 war ich Mitglied des Großen Senats für Strafsachen. Im Jahr 2011 bewarb ich mich um die Stelle als Vorsitzender des Senats, wurde jedoch vom Präsidenten des Gerichts entgegen früheren Beurteilungen und Zusagen abgewertet. Gegen zwei rechtswidrige Beurteilungen durch ihn erwirkte ich jeweils einstweilige Verfügungen von Kammern des Verwaltungs-
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gerichts – ein rechtsstaatlich regelgerechter Vorgang, der innerhalb und außerhalb des Gerichts irrational skandalisiert wurde. Im Jahr 2013 ernannte mich die Bundesministerin der Justiz Leutheusser-Schnarrenberger zum Vorsitzenden Richter am BGH; ich übernahm den Vorsitz des 2. Strafsenats. Von 2013 bis 2017 war ich auch Mitglied des Gemeinsamen Senats der Obersten Gerichtshöfe des Bundes. Zwischen 2013 und 2017 unternahm der 2. Strafsenat verschiedene Vorstöße, um in Fragen des materiellen Rechts (Beispiele: Wahlfeststellung; Vermögensbegriff) und des Strafprozessrechts (Beispiele: Verfahrenshindernis bei rechtswidriger Tatprovokation; Zulässigkeit sog. legendierter Kontrollen) bestehende Positionen zu diskutieren und zu ändern. Sie waren durchweg nicht erfolgreich; soweit der Senat liberalere Positionen vertreten hatte, wurden diese nach meinem Ausscheiden aus dem Dienst alsbald wieder geändert. Ein mir wichtiges Projekt war die Einführung eines „Zehn-Augen-Prinzips“ bei den Beschlussberatungen. Hier verfahren alle Strafsenate – nach meiner Ansicht sachwidrig – nach einem euphemistisch „Vier-Augen-Prinzip“ genannten Modell, nach welchem die zu prüfenden Urteile allein vom Senatsvorsitzenden (ggf. auszugsweise) und vom Berichterstatter gelesen werden, während drei von fünf Richtern allein auf der Grundlage eines informellen, qualitativ sehr unterschiedlichen und nicht selten unzureichenden mündlichen Vortrags entscheiden. Die Behauptung, BGH-Richter seien im Gegensatz zu allen anderen Menschen qua Amtes dazu befähigt, freie mündliche Wiedergaben umfangreicher Akteninhalte mit völlig neutralem Inhalt zu produzieren, und das Anhören solcher persönlich gefärbter Berichte führe bei den Zuhörern zu einer Verfahrenskenntnis, die der durch eigenes Lesen erworbenen gleich komme, ist evident unzutreffend. Die Umsetzung der gesetzlichen Regel, dass alle Entscheidungsbeteiligten die Revisionsakte lesen, erfordert eine Terminierung der Beschluss-Sachen, die beim BGH jedenfalls nicht üblich ist. Hieran scheiterte ein im 2. Strafsenat vereinbarter Modellversuch, denn jede Verhinderung eines beteiligten Richters führt zur Verschiebung des Termins. Die Prognose, das Projekt werde „sowieso nicht funktionieren“, wurde im Wege der Selbsterfüllung bestätigt. Zugleich stieg die Zahl der rückständigen Verfahren im Senat an, was in der Presse skandalisiert wurde. Als wenig später bei anderen Strafsenaten die Zahl unerledigter Verfahren noch höher anstieg, veranlasste dies hingegen keine Meldung. Mit Vollendung des 64. Lebensjahres bin ich zum 1. Mai 2017 aus dem Richterdienst ausgeschieden. Diese Entscheidung habe ich zu keinem Zeitpunk bereut. Nach 30 Jahren Strafrichter-Sein ist mein Bedarf an Akten, „Fällen“ und Geschichten darüber, was Menschen einander antun können, gedeckt.
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XI. In den Jahren 2015 bis 2018 habe ich für „Zeit Online“ die wöchentliche Kolumne „Fischer im Recht“ geschrieben. Die Texte waren – plangemäß – für das Format ungewöhnlich lang und auch ungewöhnlich strukturiert; entgegen manchen Bedenken erwies sich beides als erfolgreich. Die Kolumnen befassten sich mit allgemeinen und aktuellen Fragen des Strafrechts, pendelten zwischen Erläuterung und Kommentierung und versuchten, unter Einbeziehung philosophischer, soziologischer, psychologischer und literarischer Bezüge strafrechtliche Fragen in ihrem gesellschaftlichen Zusammenhang zu diskutieren. Die Zusammenarbeit mit der „Zeit“ endete Anfang 2018, als die Chefredaktion des Blattes öffentlich mitteilte, dass ich nicht weiter beschäftigt werde. Irgendwelche Mitteilungen an mich oder Gespräche mit mir erfolgten nicht. Anlass für dieses bemerkenswerte Verhalten war der Umstand, dass ich die von der „Zeit“ groß aufgemachte Skandalisierung des „Falles Dieter Wedel“ – mit meines Erachtens verfehlter Vor-Verurteilung und Vermischung von Anliegen der Presse, der staatlichen Strafverfolgung und persönlicher Parteinahme – öffentlich kritisiert hatte. Seit September 2018 schreibe ich die wöchentliche Kolumne „Recht Haben“ für den „Spiegel“. Im Übrigen bearbeite ich weiterhin den Kommentar „Fischer, StGB“.
XII. In der Sache habe ich mich sowohl in der Richtertätigkeit als auch in Veröffentlichungen bemüht, eine an Freiheits- und Bürgerrechten orientierte rechtspolitische Linie zu vertreten und, soweit möglich, durchzusetzen. Das beinhaltet eine grundsätzlich skeptische Haltung gegenüber der Hoffnung, mit den Mitteln des Strafrechts umfassende „Bekämpfung von Missständen“ betreiben zu können. Es bedeutet das Festhalten an Prinzipien der Fragmentarität strafrechtlicher Verfolgung sowie an der Trennung zwischen Strafverfolgung und Prävention. Namentlich der letztgenannte Grundsatz ist in den vergangenen Jahrzehnten immer mehr zurückgedrängt worden; im Bewusstsein breiter Bevölkerungskreise gilt er als anachronistisch. An seine Stelle ist eine Bereitschaft und Tendenz zu immer früherem Einsatz von Strafrecht gerade auch im präventiven Bereich getreten, also zur Abwehr abstrakter Gefahren und bösen Willens und zum Schutz weit ins Vorfeld verlegter Rechtsgutsgrenzen. Parallel gibt es eine Aufweichung der Grenzen zwischen formellem und materiellem Recht, etwa indem neue materiell strafrechtliche Regelungen neben vorwiegend „symbolischen“ Funktionen vor allem die Aufgabe erfüllen, Schnittstellen für strafprozessuale Eingriffe zu schaffen.
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„Bekämpfungs“-Strategien haben rechtspolitische Hochkonjunktur. Ursachen liegen in wirtschaftlichen und politischen Entwicklungen, die als „Globalisierung“ beschrieben werden. Eine von deren Auswirkungen ist die – ab etwa 1965 einsetzende – „Modernisierung“ des Straf- und Sicherheitsrechts, die zum einen als „Materialisierung“ beschrieben wurde (Beispiele: Umweltstrafrecht; Wirtschaftsstrafrecht; Sexualstrafrecht), also als verstärkte Einbeziehung inhaltlichwertender Anliegen („Moral“), welche in dem zuvor exekutierten, Unterschichten-orientierten Strafrecht nicht erforderlich war. Zum anderen sind die vom Strafrecht in den Blick genommenen Rechtsgüter einem erheblichen Inhalts- und Bewertungswandel unterworfen worden. Das gilt namentlich für solche Tatbestände, die sich auf den Schutz von Individual- und Persönlichkeitsrechten beziehen: Da die sozialen Veränderungen der Globalisierung und Modernisierung insbesondere auch die meisten der alten Systeme gemeinschaftsbezogener Sozialkontrolle zerstört haben und weiter zerstören (Beispiele: Familie, Schule, Ausbildung, Kirchen, Nachbarschaften), sind die Menschen auf ihr „Selbst“, ihr Innerstes, ihre Persönlichkeit als Akteur lebenslanger „Selbstoptimierung“, als Ort der Internalisierung von Regeln und als Schutzschild vor einer Welt umfassender Konkurrenz zurückgeworfen. Die Selbst-Bestimmung des Individuums wird so zum überragend wichtigen Schutzobjekt. Hinzu kommt die radikale und grundlegende Veränderung der gesamten gesellschaftlichen Kommunikation durch das Internet. Diese grundlegenden, in wenigen Jahrzehnten sich vollziehenden Veränderungen erzeugen Furcht, Unsicherheit und Angst, die sich in Unsicherheitsgefühle, Strafbedürfnisse und Abgrenzungsfantasien, auch irrationaler Art, umsetzen. Die Bewegung zu erhöhter Punitivität, einschließlich einer Konjunktur generalpräventiver Strafziele und einer Wiederbelebung von Sicherungsverwahrung, Vermischung von Strafe und „Sicherheit“, Zuschreibung von kaum erfüllbaren präventiven Aufgaben an das Strafrecht, hat mit der ganzen Gesellschaft auch den Rechtsstab, also die Strafjustiz selbst erfasst. Es finden sich hier, anders als vielfach behauptet, nicht überwiegend Tendenzen zur Bagatellisierung von Straftaten, zu unangebrachter „Milde“ oder zu optimistischer Prognose unter Verkennung der angeblich lebensweltlich bewiesenen Unverbesserlichkeit von Straftätern; vielmehr überwiegt auch im Justizsystem die Hinwendung zu punitiven Konzepten weitaus. Freilich wird diese Bewegung hier durch professionelle Distanz sowie eine insgesamt viel rationalere Betrachtung kriminologischer Erkenntnisse abgeschwächt. Das Justizpersonal in Deutschland ist, anders als von ihren Feinden behauptet, eben keine abgetrennte, hochprivilegierte Elite mit starren Grenzen, sondern Teil einer sich als bürgerlicher Mittelstand definierenden
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Mehrheits-Gesellschaft und daher in deren Lebensbedingungen und Bewertungsstrukturen eingebettet.
XIII. Die Entscheidung für das Strafrecht als Beruf hat sich für mich als glücklich erwiesen. Seit 40 Jahren hält mein Eindruck an, dass die Befassung mit der formellen Sanktionierung abweichenden Verhaltens außerordentlich interessant, spannend und lehrreich ist. Strafrecht betrifft Grenzen, Grenzerfahrungen und Grenzsituationen. Es spiegelt und prägt daher auf vielerlei Weise das soziale Leben. Ich bin seit jeher dankbar, an dieser Diskussion teilnehmen zu dürfen.
Schriftenverzeichnis (in Auswahl)6 1. Selbständiges Schrifttum Öffentlicher Friede und Gedankenäußerung. Grundlagen und Entwicklung des Rechtsguts „Öffentlicher Friede“, insbesondere in den §§ 126, 130, 140 Nr. 2, 166 StGB, 1986. Im Recht. Einlassungen von Deutschlands bekanntestem Strafrichter, 3. Aufl. 2017. Richter-Sprüche, 3. Aufl. 2017. Über das Strafen. Recht und Sicherheit in der demokratischen Gesellschaft, 2018. Sex & Crime. Über Intimität, Moral und Strafe. 2021.
2. Kommentierungen Karlsruher Kommentar zur Strafprozessordnung, §§ 407–416, §§ 449–463d, Sachverzeichnis, 3.–5. Aufl. 1993/1999/2003. Pfeiffer, Gerd/Fischer, Thomas, Strafprozessordnung. Kommentar, 1995. Karlsruher Kommentar zur Strafprozessordnung, §§ 1–31a, §§ 244–246a, 6. Aufl. 2008. Karlsruher Kommentar zur Strafprozessordnung, Einleitung vor § 1, 7. Aufl. 2013, 8. Aufl. 2019.
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Ein vollständiges Schriftenverzeichnis ist zu finden unter https://www.fischer-stgb.de/ fischer/schriftenverzeichnis/.
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Fischer, Thomas (Hrsg.), Strafgesetzbuch und Nebengesetze (ab 50. Aufl. 2001), 68. Aufl. 2021.
3. Aufsätze in Zeitschriften und Sammelwerken Die Eignung den öffentlichen Frieden zu stören, NStZ 1988, S. 159–165. Das Verhältnis der Bekenntnisbeschimpfung (§ 166 StGB) zur Volksverhetzung (§ 130 StGB), GA 1989, S. 445–468. Sind Behörden beleidigungsfähig?, JZ 1990, S. 68–75. Tatprovozierendes Verhalten als polizeiliche Ermittlungsmaßnahme, NStZ 1992, S. 7–13 (zusammen mit Heinrich Maul). Die Fortwirkung von Zeugnisverweigerungsrechten nach Verfahrenstrennung. Zum Begriff des Beschuldigten in § 52 Abs. 1 StPO, JZ 1992, S. 570–575. Entwicklungslinien der fortgesetzen Handlung. „Tatbestand“ und „Typus“ in der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs, NStZ 1992, S. 415–422. Glaubwürdigkeitsbeurteilung und Beweiswürdigung. Von der Last der „ureignen Aufgabe“, NStZ 1994, S. 1–5. Análisis de credibilidat y valoración de la prueba. Acerca de la carga de la „funcón especifica“ (Übersetzung ins Spanische), Rivista de Derecho Penal y Procecal Penal, Buenos Aires (Argentinien), Heft 9/2011, S. 1527–1534. Die „Begleiterscheinung“ beim Verdeckungs- und Ermöglichungsmord, NStZ 1996, S. 416–419. Rechtsmissbrauch und Überforderung der Justiz, NStZ 1997, S. 212–217. Sexuelle Selbstbestimmung in schutzloser Lage. Zum Anwendungsbereich von § 177 Abs. 1 Nr. 3 StGB, ZStW 112 (2000), S. 75–105. Waffen, Gefährliche und andere Werkzeuge nach dem Beschluss des Großen Senats, NStZ 2003, S. 569–576. Strafrechtswissenschaft und strafrechtliche Rechtsprechung – Fremde seltsame Welten, in: Festschrift für Rainer Hamm, 2008, S. 63–81; Ciencia del derecho penal y jurisprudencia penal – Mundos extrañamente ajenos (Übersetzung ins Spanische). Der Gefährdungsschaden bei § 266 in der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs, StraFo 2008, S. 269–277.
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Aussagewahrheit und Glaubhaftigkeitsbeurteilung. Anmerkungen zum Beweiswert von Glaubhaftigkeitsgutachten, Festschrift für Gunter Widmaier, 2008, S. 191–222. Zum Verhältnis zwischen tatrichterlicher Beweiswürdigung und revisionsrichterlicher Kontrolle, in: Festgabe für Rainer Paulus, 2009, S. 51–72. Absprache-Regelung: Problemlösung oder Problem?, StraFo 2009, S. 177–188. Prognosen, Schäden, Schwarze Kassen – Aktuelle Diskussionen im Untreue- und Betrugsstrafrecht, NStZ-Sonderheft für Klaus Miebach, 2009, S. 8–19. Beratungsgeheimnis, Sondervoten, Richterbilder. Einige Bemerkungen zu einer fast vergessenen Frage, in: Festschrift für Winfried Hassemer, 2010, S. 977–991. Risikomanagement und objektive Zurechnung, Vortrag beim 2. ECLE-Syposium des Instituts for Law and Finance, 20./21. November 2009, in: Lüderssen, Klaus/Kempf, Eberhard/Volk, Klaus (Hrsg.), Die Finanzkrise, das Wirtschaftsstrafrecht und die Moral, 2010, S. 190–200. Wirtschaftskriminalität und Korruption. Aktuelle Entwicklungen in der Rechtsprechung, Vortrag bei der 11. Jahrestagung der Kriminologischen Gesellschaft am 17. September 2009 in Gießen, in: Bannenberg, Britta/Jehle, Jörg-Martin (Hrsg.), Wirtschaftskriminalität, 2010, S. 3–24. Spuren der Strafrechtswissenschaft. Eine Leseempfehlung, in: Festschrift für Ruth Rissing-van-Saan, 2011, S. 143–179. Vestigos da Ciencia Penal na Republica Federal da Alemanha (Übersetzung ins Brasilianische/Portugiesische), Revista IBCCRIM 2015, Heft 4. Vestigos de la dogmatica penal en la jurisprudencia alemana (Übersetzung ins Spanische durch Andy Carriou Zenteno), 2016. Störung des Öffentlichen Friedens (§ 130 Abs. 4 StGB): Strafwürdigkeit als Tatbestandsmerkmal. Zugleich eine Besprechung von BVerfG, Beschl. vom 4. November 2009 – 1 BvR 2150/08, in: Festschrift für Ingeborg Puppe, 2011, S. 119–1141. Direkte Sterbehilfe. Anmerkung zur Privatisierung des Lebensschutzes, in: Festschrift für Claus Roxin, 2011, S. 557–576. Finanzkrise und Strafrecht. Impulsreferat zur Podiumsdiskussion, Strafrechtslehrertagung 2011 in Leipzig, 26. Juni 2011, ZStW 123 (2011), S. 816–826. Zur opferorientierten Reform des Sexualstrafrechts – Eine juristische Analyse, Vortrag bei der Tagung: „Ambivalenzen der Opferzuwendung im Strafrecht“,
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Zentrum für interdisziplinäre Forschung, Bielefeld, 14./15. September 2011, in: Barton, Stephan/Kölbel, Ralf (Hrsg.), Ambivalenzen der Opferzuwendung des Strafrechts, 2012, S. 177–194. Strafrechtliche Verantwortlichkeit der Organmitglieder von Kreditinstituten, Vortrag beim Bankrechtstag 2012 der Bankrechtlichen Vereinigung, Frankfurt am Main, 29. Juni 2012, in: Anlegerschutz im Wertpapiergeschäft. Verantwortlichkeit der Organmitglieder von Kreditinstituten, Schriftenreihe der Bankrechtlichen Vereinigung, Bd. 34, 2012, S. 129–151. Das Zehn-Augen-Prinzip, StV 2013, S. 395–402 (zusammen mit Ralf Eschelbach und Christoph Kehl). 15 Jahre Sechstes Strafrechtsreformgesetz – Blick zurück nach vorn, in: Festschrift für Wolfgang Frisch, 2013, S. 31–48. Therapie und Therapiebeurteilung als Grundlage juristischer Entscheidungen, Forensische Psychatrie, Psychologie, Kriminologie 7 (2013), S. 151–156. Die Deal-Entscheidung. Eine Polemik über rasselnde Federn in der Justiz, in: Festschrift für Hans-Heiner Kühne, 2013, S. 203–212. Zur Reform der Tötungsdelikte Mord und Totschlag – Überblick und eigener Vorschlag, NStZ 2014, S. 9–17 (zusammen mit Rüdiger Deckers, Stefan König und Klaus Bernsmann). Kommentatoren. Bemerkungen zum Versuch, 1000 Schmetterlinge zu fangen, in: Festschrift für Kristian Kühl, 2014, S. 963–975. Strafbarkeit beim Dealen mit dem Recht? Über Lausbuben- und Staatsstreiche, in: Gedächtnisschrift für Manfred Seebode, 2015, S. 66–90. Perspektiven der Strafverteidigung – aus richterlicher Sicht, Vortrag beim Symposion zum Gedenken an Gunter Widmaier am 28. September 2013 in Berlin, in: HRRS-Gedächtnisausgabe für Gunter Widmaier, 2014, S. 101–127. Zur Reform der Tötungsdelikte, Vortrag bei der DAV-Tagung „Reform der Tötungsdelikte“ am 29. April 2014 in Berlin, Anwaltsblatt 2014, S. 883–885. Antrag und gerichtliche Bescheidung auf Einholung eines alternativen psychatrischen und/oder psychologischen Gutachtens, in: Deckers, Rüdiger/Köhnken, Günter (Hrsg.), Die Erhebung und Bewertung von Zeugenaussagen im Strafprozess, 2. Aufl. 2014, S. 153–162.
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Noch einmal: Dogmatik und Praxis des Strafrechts. Zu Schünemanns Widerlegung einer Polemik über die Fremdheit zweier Welten, in: Festschrift für Bernd Schünemann, 2014, S. 41–53. Una vez mas: Dogmatica y praxis del derecho penal – Sobre la refutación de Schünemann a la polémica sobre la ajenidad de dos mundos (Übersetzung ins Spanische durch Andy Carriou Zenteno), 2016. Sexuelle Nötigung: Schutzlücken oder Schützlücken-Fantasien?, StraFo 2014, S. 485–493. Gesetzliche Richter im Strafverfahren. Zugleich: Kleine Nachlese großer Aufregungen, in: Festschrift für Werner Beulke, 2015, S. 709–722. Kann das strafrechtliche Revisionsrecht noch etwas bewegen?, in: Festschrift für Hans-Ullrich Paeffgen, 2015, S. 737–755. Faktischer, wirtschaftlicher, normativer Schuldbegriff, in: Fischer, Thomas u. a. (Hrsg.), Dogmatik und Praxis des strafrechtlichen Vermögensschadens, 2015, S. 51–57.
Welche und wie viel Aufmerksamkeit schuldet die Strafjustiz der Revision?, in: Festschrift für 200 Jahre Carl Heymanns Verlag, 2015, S. 463–485. Natur, Moral, Stigma – Bemerkungen zur Frage, wie Schuld in die Welt kam, in: Fischer, Thomas/Hoven, Elisa (Hrsg.), Schuld, 2017, S. 33–42. „Mut zur Lücke – auch im Sexualstrafrecht“, in: Rettenberger, Martin/Dessecker, Axel (Hrsg.), Sexuelle Gewalt als Herausforderung für Gesellschaft und Recht, KUP 72 (2017), S. 51–67. Sterbehilfe, Suizid und Strafrecht, Pflegerecht 2017, S. 623–629. „Straftaten aus Gruppen“ (§ 184j StGB) – Ein Lehrstück zwischen Horden, Dogmatik und deren Simulation, in: Festschrift für Ulfrid Neumann, 2017, S. 1089– 1104. Warum lässt das Revisionsrecht Fehlurteile zu?, in: Barton, Stefan u. a. (Hrsg.), Vom „hochgemuten, voreiligen Griff nach der Wahrheit“ – Genese, Korrektur und Prävention von Fehlurteilen im Strafprozess, 6. Bielefelder Verfahrenstage (2017).
Binnendivergenzen. Zur Entscheidungsfindung in überbesetzten Revisionssenaten, in: Festschrift für Reinhold Schlothauer, 2018, S. 471–483.
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Volksverhetzung im Eichsfeld. Besprechung der Einstellungsverfügung der StA Mühlhausen im Verfahren gegen Alexander Gauland, StV 2018, S. 491–494 (zusammen mit Klaus Ferdinand Gärditz). Strafrecht, Sexualmoral, Medienmoral. – Gesellschaftspolitik zwischen Vergeltung und Pathologisierung, FPPK 2018, S. 294–302. Anmerkungen zum Beweis subjektiver Tatsachen, in: Fischer, Thomas (Hrsg.), Beweis, 2019, S. 219–228. Normative Tatbestandsausweitung bei sexuellem Übergriff – Zur Anwendung von § 177 Abs. 1 StGB bei aktivem Handeln der geschädigten Person, NStZ 2019, S. 580–584. § 219a StGB: Der Kampf geht weiter – aber wohin?, ZfL 2 (2020), Heft 2. Zur Feststellung schwerer seelischer Abartigkeit, oder: Wieviel Selbstreferenzialität verträgt die Schuld?, in: Festschrift für Reinhard Merkel, 2020, S. 395–412.
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https://doi.org/10.1515/9783110703016-003
Wolfgang Frisch Mein Leben und mein wissenschaftliches Werk I. Vita und akademischer Werdegang Ich bin am 16. Mai 1943 in Wernsdorf, einem Dorf in der Nähe von Karlsbad im damaligen Sudetenland und heutigen Tschechien, geboren. An meinen Geburtsort, der später in den Fluten eines tschechischen Stausees versank, habe ich keine Erinnerung mehr. Meine Mutter und meine Großmutter wurden während der Kriegsgefangenschaft meines Vaters – wie viele andere Sudetendeutsche – aus der Heimat vertrieben. Zusammen mit meinem jüngeren Bruder und mir gelangten die beiden Frauen schließlich nach Franken, wo wir für drei Jahre eine – armselige – Unterkunft in dem kleinen Dorf Marloffstein in der Nähe Erlangens fanden. Hier trat ich auch noch im September 1949 in die dortige (einklassige) Volksschule ein, bevor wir Ende 1949 nach Erlangen zogen, wo mein aus der Kriegsgefangenschaft zurückgekehrter Vater inzwischen in der von Berlin nach Erlangen verlegten Firmenzentrale von Siemens eine Stelle in der neuen Vorstandsverwaltung gefunden hatte. In Erlangen besuchte ich bis Sommer 1953 die Volksschule; ab September 1953 wechselte ich dann auf das Mathematisch-Naturwissenschaftliche Gymnasium der Stadt. Obwohl die Schule als sehr streng galt, bereitete mir die Erfassung des von den Lehrern vermittelten Stoffes weder in den mathematisch-naturwissenschaftlichen noch in den sprachlichen Fächern besondere Schwierigkeiten, und ich zählte mit einem zeitlich doch sehr begrenzten Aufwand stets zu den Besten der Klasse. Die mir dadurch verbliebene freie Zeit verwendete ich für intensives Lesen und den Sport, später zunehmend für die Musik, die mit dem Studium der Violine und zeitweise auch der Klarinette und der Mitwirkung in mehreren Orchestern gegen Ende der Gymnasialzeit den größten Teil meiner freien Zeit in Anspruch nahm. Nach dem mit Auszeichnung bestandenen Abitur stellte sich die Frage des Studienfaches. Ich hatte während der letzten Jahre am Gymnasium eigentlich Rechtswissenschaften und Politikwissenschaft studieren wollen, war davon aber abgekommen, als mir zwei meiner Lehrer, die ihr Studium mit der Rechtswissenschaft begonnen hatten, davon abrieten – das Studium sei langweilig und die Sachverhalte, mit denen man sich befassen müsse, seien häufig wenig erfreulich. Der Urteilskraft dieser Lehrer und der Naturwissenschaftler unter meinen Lehrern vertrauend, die ein Studium der Mathematik und einer Naturwissenschaft empfahlen, begann ich daher im Wintersemester 1962/63 mit
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dem Studium der Mathematik und der Physik an der Universität ErlangenNürnberg.
1. Die Zeit an der Erlanger Universität Schon bald merkte ich, dass das von mir gewählte Studienfach nicht das richtige für mich war. Zwar war die Materie intellektuell anspruchsvoll (und reizvoll), aber ich fragte mich mehr und mehr, was ich mit dem, was ich im Studium erfuhr, eigentlich beruflich anfangen sollte, wenn ich weder Studienrat noch Versicherungsmathematiker werden wollte. Ich beschloss daher, doch noch einmal eine Probe mit dem Fach zu machen, das ich zuvor ungeprüft ausgeschlagen hatte. Ich wusste nach dem Wechsel rasch, dass ich nunmehr die richtige Wahl getroffen hatte. Nicht nur die traditionell am Anfang stehenden rechtshistorischen Vorlesungen sowie die Allgemeine Staatslehre und die optional gehörten Politikwissenschaften stießen auf mein ungeteiltes Interesse. Auch die dogmatischen Fächer des Zivilrechts, des Strafrechts und des Öffentlichen Rechts bildeten in ihrem Bestreben, das Leben in seiner Vielgestaltigkeit nach sachgerechten und begründbaren, bisweilen erst noch zu entwickelnden Regeln zu erfassen, eine faszinierende Materie. Die akademischen Lehrer, die mich in diese Gedankenwelt einführten, waren im Zivilrecht vor allem Karl-Heinz Schwab und Heinrich Hubmann, im Öffentlichen Recht Reinhold Zippelius, Hasso Hofmann und der spätere Richter des Bundesverfassungsgerichts Udo Steiner sowie im Strafrecht der rhetorisch brillante Hans-Jürgen Bruns. Die Freude, die mir das Studium der Rechtswissenschaften – neben einem in reduziertem Umfang fortgesetzten Studium der Violine am Nürnberger Konservatorium – bereitete, schlug sich auch in hervorragenden Ergebnissen der Qualifikationsarbeiten während des Studiums nieder. Eine besondere Freude war es für mich, als Hans-Jürgen Bruns mich nach der Lektüre meiner Hausarbeit schon im vierten Semester fragte, ob ich Assistent bei ihm werden wolle. Zum Ende des Studiums hin lernte ich im Rahmen eines Klausurenkurses auch meine Frau kennen, die bereits unmittelbar vor dem Examen stand. Ich selbst bestand das Referendarexamen ein halbes Jahr nach ihr im Herbst 1966 als Zweitbester unter 100 Prüflingen, wobei ein kleiner Wermutstropfen war, dass ich das „Sehr gut“ um ein Hundertstel verfehlt hatte. Wie schon während des Studiums beschlossen, übernahm ich nach dem Referendarexamen die Stelle eines Wissenschaftlichen Mitarbeiters bei Hans-Jürgen Bruns, der auch bereits feste Vorstellungen von der Thematik hatte, der ich in meiner Dissertation nachgehen sollte. Das von ihm genannte Thema – Strafzumessung und Revision – war zwar nicht das, womit ich nach dem ganz auf die
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Verbrechenslehre ausgerichteten akademischen Studium gerechnet hatte, aber je mehr ich mich in das Thema vertiefte, desto mehr war ich von ihm angetan: Es war praktisch hochbedeutsam, eines der Hauptthemen der Reformgesetzgebung und bei näherem Hinsehen auch theoretisch anspruchsvoll und attraktiv. Ich hielt an diesem Thema daher auch fest, als ich nach etwa einem Jahr im Strafrecht in das Öffentliche Recht wechselte, wo mir Reinhold Zippelius in seinem Institut für Rechtsphilosophie und Allgemeine Staatslehre eine Vollstelle angeboten hatte. Zippelius schrieb zu diesem Zeitpunkt an einer Staatstheorie und mehreren rechtsphilosophischen Büchern und suchte daher nach jungen Juristen, die an diesen Themen interessiert waren. Ich war interessiert und las in den folgenden vier Jahren eine Vielzahl von Büchern aus der Staatstheorie, der Rechtsphilosophie, der Rechtssoziologie und der juristischen Methodenlehre sowie den Politikwissenschaften, über die ich – wie die anderen Assistenten auch – jeweils zu referieren hatte, wenn Zippelius an den entsprechenden Kapiteln seiner Werke arbeitete. Die Tätigkeit war nicht nur schon als solche hochinteressant, weil sie Einblicke in Gedankenwelten vermittelte, von denen man im Studium wenig erfahren hatte. Sie gab auch der Arbeit an der Dissertation viele neue Impulse und sorgte für deren rechtstheoretisches, rechtsphilosophisches und verfassungsrechtliches Fundament. Und sie prägte vor allem auch mein Bild vom Strafrecht als Ganzem – von dem Stellenwert dieses Rechtsgebiets im Gesamtsystem des Rechts, den von diesem Rechtsgebiet zu erfüllenden Erwartungen, den von ihm zu beachtenden Vorgaben sowie dem verbleibenden Raum der Eigenständigkeit. Nach der Abgabe meiner Dissertation im Herbst 1969 hörte ich von meinem Doktorvater Hans-Jürgen Bruns einige Zeit überhaupt nichts, was mich mit Sorge erfüllte. Umso mehr war ich freudig überrascht, als mir Herr Bruns im März 1970 – fast feierlich – eröffnete: Herr Frisch, Sie haben die beste Dissertation geschrieben, die ich je betreut habe – ich habe sie ohne Einschränkung „summa cum laude“ bewertet. Die Arbeit wurde zugleich mit dem Fakultätspreis 1970 der Juristischen Fakultät der Universität Erlangen-Nürnberg ausgezeichnet. Ein Jahr später beendete ich auch den Referendardienst mit dem Zweiten Staatsexamen, das ich im Sommer 1971 vor dem Bayerischen Landesjustizprüfungsamt in München mit der Note „sehr gut“ bestand. Da die Note „sehr gut“ im Bayerischen Staatsexamen zu dieser Zeit außerordentlich selten vergeben wurde (in diesem Termin unter 500 Prüfungsteilnehmern zweimal), erhielt ich innerhalb kürzester Zeit eine Reihe von Angeboten von Ministerien, von der Bayerischen Notarkammer und renommierten Anwaltsbüros. Ich nahm keines dieser Angebote an, da ich Wissenschaftler bleiben und Hochschullehrer werden wollte. Die Frage war nur: im Strafrecht oder im Öffentlichen Recht? Im Öffentlichen Recht hatte ich in den letzten vier Jahren viele Erfahrungen, auch in der Lehre, ge-
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sammelt, für das Strafrecht sprach die mit der Dissertation geleistete wissenschaftliche Arbeit. Ich entschied mich schließlich für das Strafrecht. Wesentlich dafür war zum einen, dass ich in zahlreichen Diskussionen mit Herrn Bruns, die der Vorbereitung der Neuauflage seines fundamentalen Strafzumessungsrechts dienten, feststellen konnte, dass auch das Strafrecht mir Freude machte und ich viele Einsichten, die ich in der Rechtsphilosophie, im Verfassungsrecht und anderen Disziplinen gewonnen hatte, mit großem Nutzen auch in das Strafrecht und Strafprozessrecht einbringen konnte. Außerdem hatte ich inzwischen ein Habilitationsthema gefunden, das auf einen Grenzgänger zwischen dem Strafrecht und dem Öffentlichen Recht wie zugeschnitten schien: das Maßregelrecht. Es war, bevor es schließlich in das Strafrecht aufgenommen worden war, zwischen dem Strafrecht und dem Öffentlichen Recht hin- und hergeschoben worden. Es war aber auch – und das machte seinen besonderen Reiz aus – eines der zentralen Themen der Reformgesetzgebung in den 1960er-Jahren. Und es benötigte wissenschaftliche Pionierarbeit, denn die von der Reformpolitik an das Maßregelrecht herangetragenen Erwartungen in Bezug auf die Empirie und das theoretische Fundament dieses Sanktionstypus standen in krassem Gegensatz zum insoweit Vorhandenen. Ich bewarb mich daher alsbald um ein Habilitationsstipendium der Deutschen Forschungsgemeinschaft, das ich auch für zwei Jahre erhielt. Das Stipendium ermöglichte mir eine außerordentlich konzentrierte Arbeit an der Habilitationsschrift. Dementsprechend waren im Frühsommer 1974 bereits weite Teile der Arbeit geschrieben. Ich war gerade dabei, Skizzen zu den noch zu schreibenden restlichen Partien der Arbeit anzufertigen, als Herrn Bruns und mich im Mai 1974 Anrufe aus Bonn erreichten. Man habe – so der Bonner Strafrechtler Gerald Grünwald im Namen seiner Kollegen – im Oktober 1974 eine neu eingerichtete Professur im Strafrecht zu besetzen und man habe sich nach der Lektüre meiner Dissertation und einiger Aufsätze einstimmig für mich entschieden und wolle mich möglichst bald berufen. Als ich Herrn Grünwald daraufhin sagte, dass meine Arbeit noch nicht ganz fertig sei und ich diese wohl erst gegen Ende 1974 würde einreichen können, sagte er mir: „Lieber Herr Frisch, Sie haben doch sicherlich längst so viel, dass das für die Habilitation genügt. Reichen Sie ein und schreiben Sie den Rest als Professor.“ Ich hatte, obwohl das vorliegende Manuskript bereits über 800 Seiten umfasste, zunächst Bedenken, diesem Vorschlag zu folgen, machte ihn mir aber dann doch zu eigen, als ich von unserem Dekan erfuhr, dass die Möglichkeit einer Habilitation im Wintersemester 1974/75 wegen des Inkrafttretens eines neuen Universitätsgesetzes sehr fraglich sei. Ich reichte die Arbeit daher ein; diese wurde noch im Juli 1974 als Habilitationsschrift von der Juristischen Fakultät der Universität Erlangen-Nürnberg angenommen; der
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Habilitationsvortrag wurde durch die Bereitschaft der Fakultät zu einer Feriensitzung ermöglicht, und Anfang Oktober 1974 wurde ich in Bonn zum Professor ernannt.
2. Die Zeit an der Bonner Rechts- und Staatswissenschaftlichen Fakultät Meine Tätigkeit an der Bonner Juristischen Fakultät war kurz, sie dauerte nur drei Semester. Es war eine außerordentlich intensive und schöne, aber auch eine von großer Arbeitslast geprägte Zeit. Schön und wissenschaftlich außerordentlich anregend waren die zahlreichen Begegnungen mit den Bonner strafrechtlichen Kollegen. Armin Kaufmann führte mich – vornehmlich im Restaurant des Hotels Königshof mit herrlichem Blick auf den Rhein – in seine Normentheorie ein; von Hans-Joachim Rudolphi wurde ich aus erster Hand über zahlreiche Neuentwicklungen der Verbrechenslehre informiert; mit ihm und Gerald Grünwald gehörte ich auch einem Arbeitskreis zur Reform des Strafprozesses an. Viele Impulse zu kriminologischen und rechtshistorischen Fragen erhielt ich von den Kollegen Marquardt und Rüping; zahlreiche weitere Diskussionen fanden mit den damaligen Assistenten und späteren Kollegen Dencker, Loos, Rogall, Wolter und Zielinski statt. So kann ich aus heutiger Sicht uneingeschränkt sagen, dass die Bonner Fakultät es war, die mich Grenzgänger in strafrechtlicher Hinsicht entscheidend geprägt hat. Freilich war die Bonner Zeit auch durch ein hohes Maß an Arbeitslast in der Lehre bestimmt. Da ich in Erlangen Lehrveranstaltungen praktisch nur im Öffentlichen Recht abgehalten hatte, hatte ich keinerlei eigenen strafrechtlichen Textfundus. Alle Vorlesungen mussten vielmehr in kürzester Zeit erstmals erstellt werden. Hinzu kam, dass die Bonner Professur nach der Vorstellung der Bonner Kollegen als Durchgangsstelle gedacht war, die möglichst vielen jungen Nachwuchswissenschaftlern als Sprungbrett auf ein Ordinariat dienen sollte; man erwartete dementsprechend geradezu Bewerbungen auf vakante Ordinariate. Auch dafür mussten natürlich Vorträge geschrieben werden. Die Bonner Zeit war so eine Zeit pausenlosen Schreibens – nicht selten im Zug, da meine Frau als Richterin am Landgericht Nürnberg-Fürth und unsere Tochter Cornelia zu dieser Zeit noch in Erlangen lebten. Freilich war diese Arbeit auch von Erfolg gekrönt. Ich stand bereits im Laufe des Jahres 1975 auf fünf aussichtsreichen Listenplätzen an den Universitäten Berlin, Göttingen, Mannheim (dort auf zwei Listen) und Regensburg. Im Spätsommer 1975 erhielt ich dann mit 32 Jahren den Ruf auf ein Ordinariat in Mannheim, den ich im Wintersemester 1975/76 annahm.
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3. Die Zeit an der Mannheimer Fakultät für Rechtswissenschaft Die Arbeit an der Mannheimer Fakultät war zu Beginn ein absoluter Kontrast zu Bonn. Die Lehrveranstaltungen, die in Bonn durch sechs Kollegen getragen wurden, waren in Mannheim von zwei Professoren vorzuhalten; solange das zweite Ordinariat, auf das später Herr Schünemann berufen wurde, vakant war, musste ich die Last der Lehre praktisch allein tragen. An eine Überarbeitung und die Fertigstellung der Habilitationsschrift war bei dieser Sachlage zunächst auch hier nicht zu denken, zumal von mir schon im zweiten Mannheimer Semester eine Antrittsvorlesung erwartet wurde, die natürlich auch gut vorbereitet sein musste. Später stellte ich die Weiterarbeit an der Habilitationsschrift bewusst zurück, weil ich es für sinnvoller hielt, einen stärkeren literarischen Ausweis in der klassischen Dogmatik zu erhalten, als das ohnehin gut belegte Sanktionenrecht durch eine umfangreiche weitere Schrift zu stärken. Ich konzentrierte mich daher darauf, abgesehen von einigen Zeitschriften- und Festschriftenbeiträgen zum Besonderen Teil und zum Prozessrecht, zwei zum Kernbereich der Strafrechtsdogmatik gehörende Projekte voranzutreiben, an denen ich schon gearbeitet hatte. Das eine betraf die Vorsatzdogmatik oder – noch allgemeiner – die subjektive Tatseite, das andere das Thema meiner Mannheimer Antrittsvorlesung zum Straftatsystem, die auf eine sehr positive Resonanz gestoßen war. Aus den Überlegungen zum Straftatsystem („Vom klassifikatorischen zum funktionalen Straftatsystem“) entstand bis 1980 ein Textentwurf von etwa 280 Seiten, dessen Veröffentlichung ich jedoch zu Beginn meines ersten Mannheimer Dekanats (1980–1981) zurückstellte, weil ich der Meinung war, ich sollte noch mehr über die wesentlichen Einzelheiten des im System geordneten Stoffs wissen, bevor ich den Systementwurf vorstellte. Das zweite Projekt, das dem Vorsatz gewidmet war, wurde dagegen zu Ende geführt und erschien 1983 als umfangreiche Monographie. Der in diesem Band unternommene Versuch, die Vorsatzlehre auf normentheoretischem Fundament unter präziser Bestimmung des Vorsatzgegenstands ratioorientiert neu zu formulieren und statt der vagen, letztlich nicht fundierbaren voluntativen Komponente das Wissenselement zu präzisieren, hatte (u. a. in Besprechungen und Verarbeitungen) viel Beifall gefunden und veranlasste mich dazu, der subjektiven Tatseite später noch zwei weitere umfangreiche Abhandlungen, nämlich zum subjektiven Rechtfertigungselement und zur Irrtumslehre, folgen zu lassen.
Da durch die Zurückstellung des „System-Projekts“ Kapazität frei wurde, war es mir möglich, 1983 noch eine weitere Monographie zu veröffentlichen. Sie war aus einem Ende 1980 vor der Juristischen Studiengesellschaft Karlsruhe gehaltenen Vortrag entstanden und beschäftigte sich mit der Problematik der im refor-
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mierten Sanktionenrecht in vielen Vorschriften geforderten sogenannten Prognosen. In der Schrift „Prognoseentscheidungen im Strafrecht“ versuchte ich darzulegen, dass wirkliche Prognosen im Strafrecht mangels hinreichender Empirie weithin gar nicht möglich sind und es in Wahrheit nur darum gehen kann, ob bestimmte empirisch aufgehellte Risikosachverhalte aus normativer Sicht die Anordnung oder Versagung bestimmter Rechtsfolgen rechtfertigen – wobei das freilich auch nicht von vorher definierten (letztlich nicht feststellbaren) Wahrscheinlichkeitsgraden abhängig gemacht werden kann, sondern andere, im Buch im Einzelnen entwickelte normative Präzisierungen (unter anderem Regeln für das breite Mittelfeld der „Fraglich-Fälle“) notwendig macht. Zusammen mit einer umfangreichen Abhandlung über die Legitimation und die Voraussetzungen der Legitimation der Maßregeln war dies zugleich als eine Art „Abschlag“ auf die zurückgestellte Veröffentlichung der Habilitationsschrift gedacht. Eine dritte umfangreiche (während meines zweiten Mannheimer Dekanats erschienene) Monographie gilt der objektiven Tatseite. Sie unterzieht die in wenigen Jahren zur herrschenden Meinung aufgestiegene objektive Zurechnungslehre einer eingehenden, auch normentheoretischen Kritik und weist nach, dass in dieser heterogenen „Superkategorie“ unter einem Titel sehr verschiedene Problemkreise vermengt werden – nämlich das gegen eine Verhaltensnorm verstoßende „tatbestandsmäßige Verhalten“ im engeren Sinn und die objektive Zurechnung des Erfolgs im engeren Sinn, die ein in einer Sanktionsnorm enthaltenes Sanktionserfordernis des vollendeten Erfolgsdelikts darstellt. Die Vermengung ist deshalb problematisch, weil für beide Fragenkreise sehr unterschiedliche normative Leitmotive gelten. Zugleich wird in dem Buch eine umfassende, in späteren Abhandlungen weitergeführte Lehre vom tatbestandsmäßigen Verhalten entworfen. Die vorstehend genannten Bücher, die durch eine Reihe von zum Teil umfangreichen Abhandlungen ergänzt werden, haben – nicht zuletzt in Besprechungen und in Verarbeitungen durch andere Autoren – viel Anerkennung gefunden und waren wohl auch der Grund dafür, dass ich in der Mannheimer Zeit mehrere Rufe (nach Augsburg, Würzburg, Regensburg und Freiburg) erhielt, von denen ich den Ruf nach Freiburg – trotz wunderbarer Kollegen des Strafrechts in Mannheim (Burkhardt und Kuhlen) – schließlich annahm, weil ich das Gefühl hatte, dass ich vielleicht doch noch einmal eine andere Fakultät kennenlernen sollte.
4. Die Zeit als Mitglied der Freiburger Rechtswissenschaftlichen Fakultät Die Tätigkeit in Freiburg begann zunächst wie eine Fortsetzung der Arbeit an der Mannheimer Fakultät, nur eben an einem anderen Ort und mit einer viel stärkeren
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Anbindung an das Max-Planck-Institut für Ausländisches und Internationales Strafrecht, dessen Gremien (zuerst Kuratorium, dann Fachbeirat) ich von 1994– 2004 angehörte und zu dessen Auswärtigem Wissenschaftlichem Mitglied ich 2005 ernannt wurde. In der Lehre überließ man mir gerne (neben den turnusmäßigen Übungen und den Seminaren) die von mir schon in Mannheim mit Vorliebe gehaltenen Vertiefungsvorlesungen und Examinatorien. Und in der wissenschaftlichen Forschung konnte ich in den ersten Jahren – neben verschiedenen kleineren Beiträgen – mehrere große Abhandlungen zu grundsätzlichen Themen wie der Legitimation und den Grenzen des Strafrechts, den wesentlichen Strafbarkeitsvoraussetzungen einer rechtsstaatlichen Strafgesetzgebung, zu Straftatsystem und Strafzumessung, zu Straftat und Straftatsystem sowie eine kleinere Monographie zu „Verwaltungsakzessorietät und Tatbestandsverständnis im Umweltstrafrecht“ veröffentlichen. Ich lehnte in dieser Zeit auch einen ehrenvollen und verlockenden Ruf an die Universität Bonn – meine erste Station als junger Professor – ab, als das Rektorat der Universität Freiburg gewisse mir schon bei der Berufung nach Freiburg in Aussicht gestellte Verbesserungen in personeller und räumlicher Hinsicht sehr großzügig erfüllte. Leider kam dann jedoch das, was mit guter Fahrt begonnen hatte, etwas ins Stocken, weil ich nach meiner Wahl zum Fachgutachter der Deutschen Forschungsgemeinschaft, als der ich jährlich eine ganze Reihe von zum Teil umfangreichen Projekten zu begutachten hatte, auch noch viele Einladungen zu Tagungen und Vorträgen im In- und Ausland angenommen hatte. Der Zwang, ständig das zu liefern, was gerade gewünscht und gebraucht wurde, nahm mir die Zeit und die Freiheit, die ich benötigt hätte, um einige größere Abhandlungen druckreif abzuschließen, die – zum Teil noch in Mannheim begonnen – fast fertig waren (z. B. die Monographie „Die Entscheidung über den Strafrahmen“) oder doch sehr weit gediehen waren (wie die Monographien „Gegenwartsprobleme der Tatbestandslehre“ und „Die Bedeutung des Opfers für die Konstitution der Straftat“). Als ich dann auch noch – vorzeitig – für die Jahre 1997–1999 zum Dekan der Freiburger Fakultät gewählt wurde, war das für diese und einige andere Projekte das vorläufige „Aus“ – denn neben dem Dekanat konnte man zwar noch einige kleinere bis mittlere Beiträge in Festschriften und Sammelbänden verfassen (z. B. zur Strafbarkeit der Mauerschützen, zur Zurechnung von Retterunfällen, zur Theorie von der positiven Generalprävention, zur Individualprävention und Strafzumessung), nicht aber große Texte mit der notwendigen Ruhe und Überlegung zu Ende führen.
Die Hoffnung, dass sich das bisher nicht Geleistete nach dem Ende meines Dekanats alsbald würde nachholen lassen, erwies sich leider als trügerisch. Nunmehr forderte der Systematische Kommentar zur StPO, in dem ich das gesamte
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Rechtsmittelrecht zu kommentieren hatte (letztlich 1400 Seiten, von denen bisher nur ein Teil geschrieben war), seinen Tribut. Die Arbeit an diesem zeit- und kräftezehrenden Großkommentar machte wissenschaftliche Arbeit an anderen Projekten zwar nicht unmöglich, aber für große Monographien blieb auf Jahre kein Raum. Gefragt waren vielmehr Projekte, die sich auch in begrenzter Zeit gut bearbeiten ließen. Die Zurücknahme des eigenen Anspruchs und der Mut, auch zu größeren Themen für wichtig Gehaltenes zu sagen, ohne es umfassend zu behandeln und nach allen Seiten abzusichern, erwiesen sich letztlich als sinnvoll. Sie ermöglichten es mir, in der Zeit nach dem Dekanat bis zur Emeritierung zu vielen aktuellen Fragen des Strafrechts und einer Reihe von Grundfragen staatlichen Strafens zwar nicht umfassend, aber doch vielleicht in der einen oder anderen Hinsicht weiterführend Stellung zu nehmen. Die Themen, die ich so ab 1999 (dem Ende meines Dekanats) bis zu meiner Emeritierung im Jahre 2011 behandeln konnte, betreffen nahezu alle großen Themenbereiche des Strafrechts. Von den Grundbegriffen und Grundkategorien der Straftat galt das Interesse den Begriffen des Unrechts und der Schuld im Verbrechensbegriff und der Strafzumessung, aus den Bereichen der Tatbestandslehre der Conditio-Formel und ihrer wahren Bedeutung sowie wiederholt den Inhalten, dem Berechtigten und dem Problematischen der objektiven Zurechnungslehre; die Rechtfertigung wurde mit Beiträgen über die Einwilligung sowie über die Notstandskonstellationen und die ihrer Lösung geltenden Rechtsprinzipien bedacht; die Kategorie der Schuld war mit der wiederholten Behandlung von Gewissenstaten und Gewissensdruck vertreten, die Teilnahmelehre durch einen längeren Beitrag über „Beihilfe durch neutrale Handlungen“; mit Fragen des Besonderen Teils beschäftigten sich Abhandlungen zu „Konkludentes Täuschen“ sowie zu „Täuschung und Irrtum im Betrugstatbestand“. Weitere Beiträge galten der Straftheorie und der Kriminalpolitik, verschiedenen prozessualen Fragen und der Strafzumessung, zu der nicht nur eine Reihe von Einzelbeiträgen erschienen, sondern ich auch Sammelbände („Tatproportionalität und Strafzumessung“, „Grundfragen des Strafzumessungsrechts aus deutscher und japanischer Sicht“) herausgegeben habe. Aber auch die Reflexion über Grund- und Vorfragen des Strafrechts, wie die Rückbesinnung auf die das Strafrecht formenden Kräfte, und Analysen des Wesens strafrechtswissenschaftlichen Denkens und der Strafrechtsdogmatik sowie der Leistungen des Strafrechts bis zur Jahrtausendwende sind vertreten. Zusätzlichen Auftrieb erhielt die wissenschaftliche Arbeit nach meiner Emeritierung im Jahre 2011. Zwar habe ich auch danach noch (bis 2013) Vertiefungsveranstaltungen abgehalten; und auch die grundlegende Umgestaltung und Aktuali-
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sierung des Systematischen Kommentars zur StPO nahm nochmals viel Zeit in Anspruch. Gleichwohl blieb im Verhältnis zu früher mehr Zeit. Dies ermöglichte es mir, nach der Emeritierung – dank der liebenswürdigen technischen Unterstützung durch meinen Nachfolger Michael Pawlik und seine Sekretärin – noch mehr als vierzig größere Abhandlungen zu aktuellen und zu grundsätzlichen Fragen des Strafrechts zu publizieren; sie alle hier auch nur anzudeuten, würde zu weit führen (einige Hinweise dazu unter II). Ich beschränke mich stattdessen auf die Nennung zweier neuer Schwerpunkte, die sich in den letzten fünf Jahren herauskristallisiert haben. Der erste knüpft mit der Rückbesinnung auf den Zusammenhang zwischen Strafe, Straftat und Straftatsystem an die 1980 zurückgestellten Thesen meiner Mannheimer Antrittsvorlesung zum Straftatsystem an, die ich weitgehend bestätigt gefunden habe und – angereichert durch viele neu gewonnene Einsichten –, in einem eigenen Zyklus von Beiträgen zu „Strafe, Straftatbegriff und Straftatsystem“ ausführe. Der zweite Schwerpunkt ist einigen der Großen des Strafrechts (Feuerbach, von Liszt, Binding und Welzel) gewidmet und würdigt deren Strafrechtskonzepte oder Teile davon.
II. Meine Beiträge zur Strafrechtswissenschaft Wie schon die bisherigen Darlegungen zur Vita und zu meinem akademischen Werdegang zeigen, erstrecken sich meine Beiträge zum Strafrecht auf fast alle wesentlichen Materien der gesamten Strafrechtswissenschaft; zum Teil überschreiten sie die Grenzen der normativen Wissenschaft und beziehen auch empirische Fragen ein.
1. Grundlagen des Strafrechts – Allgemeine Lehren Eine erste Reihe von Abhandlungen befasst sich – noch vor der allgemeinen Verbrechenslehre – mit den Grundlagen und Grundfragen des Strafrechts. Eine Untergruppe bilden insoweit die Beiträge zu den das Strafrecht formenden Kräften (wie Rechtsphilosophie, Staatstheorie, Verfassungsrecht, gesellschaftliche Vorstellungen) und zu dem Wesen strafrechtswissenschaftlichen Denkens und der Strafrechtsdogmatik (als praktische Philosophie). Schon etwas konkreter auf die Inhalte des Strafrechts zugeschnitten sind die Abhandlungen zur Straftheorie, die nicht nur dem Zweck und der Legitimation der Strafe auf der Ebene der Strafverhängung und der Androhung der Strafe nachgehen, sondern auch nach der Bedeutung der Prävention im Strafrecht fragen und insoweit auch den Umgang des Strafrechts mit gefährlichen Rückfalltätern thematisieren. Eine dritte Untergruppe dieser allgemeinen Abhandlungen fragt nach den Voraussetzungen legitimierbaren staatlichen Strafens und den legitimationsbezogenen Grenzen des
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Strafrechts. Eine vierte Themengruppe schließlich befasst sich mit Prinzipien des Strafrechts, insbesondere dem Schuldprinzip. Dieses Prinzip wirft nicht nur die Frage nach der Vereinbarkeit des Schuldgedankens mit den neurowissenschaftlichen Erkenntnissen, sondern auch die nach dem Verhältnis zu dem Prinzip der Verhältnismäßigkeit auf, in dem immer wieder eine rationalere Alternative zur Schuldfrage gesehen wurde; beiden Fragen wird deshalb auch in eigenständigen Abhandlungen nachgegangen. Eine zweite große Gruppe von Beiträgen, unter anderem mehrere Monographien, gelten dem Straftatsystem (und seinem Wandel) sowie nahezu allen Kategorien und großen Problembereichen des Systems. Sie behandeln zentrale Fragen des Tatbestands, wie die Kausalität, die objektive Zurechnung, die von mir eingeführte Kategorie des tatbestandsmäßigen Verhaltens im engeren Sinn (monographisch dargestellt), die Vorsatzdogmatik und die Vorsatzformen, insbesondere den Dolus eventualis (monographisch behandelt), und die dazu gehörenden Irrtumslehren. Weitere zum Teil umfangreiche Einzelbeiträge befassen sich mit der Unrechtskonstitution und dem Unrechtsausschluss, insoweit insbesondere mit der Einwilligung und der dafür zentralen Weite des Selbstbestimmungsrechts, den verschiedenen Konstellationen des Notstands, der Notwehr (für die eine Neufundierung vorgeschlagen wird) und dem subjektiven Rechtfertigungselement. Im Bereich der Schuld wird dem Schuldbegriff, seiner Haltbarkeit und seiner Vereinbarkeit mit neurowissenschaftlichen Erkenntnissen nachgegangen, aber auch (kritisch) den Versuchen, den Begriff präventiv umzudeuten oder „aufzuladen“; weitere Beiträge zu dieser Kategorie befassen sich mit der Schuldfähigkeit und dem Vorverschulden (insbesondere in Affektfällen), dem Unrechtsbewusstsein (für das eine Neufundierung entwickelt wird), schuldrelevanten Irrtümern und den Entschuldigungsgründen sowie Entschuldigungssachverhalten (zum Beispiel bei Gewissenstaten). Auch zu dem, was in der allgemeinen Verbrechenslehre als „Erscheinungsformen der Straftat“ bezeichnet wird, findet sich eine Reihe von Beiträgen – etwa zu bestimmten Formen der mittelbaren Täterschaft und der Mittäterschaft, der Unterlassungstäterschaft und der (neutralen) Beihilfe sowie zum untauglichen Versuch und Wahndelikt (insbesondere bei Irrtümern über normative Begriffe). Quer zu diesen (vorstehend systematisch geordneten) Beiträgen liegen eine Reihe weiterer Abhandlungen, die bestimmten besonders aktuellen Fragen – wie der Strafbarkeit juristischer Personen, der strafrechtlichen Verantwortlichkeit von Unternehmern und Unternehmensorganen für die Straftaten ihrer Mitarbeiter oder dem Produktstrafrecht – gewidmet sind und bei der Stellungnahme zu diesen Fragen regelmäßig mehrere große Problemkreise der allgemeinen Verbrechenslehre ansprechen.
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Ein repräsentativer Teil dieser Beiträge erscheint noch in diesem Jahr in einem – dankenswerterweise – von meinem Nachfolger und meinen Schülern herausgegebenen Sammelband. Dieser soll es ermöglichen, interessierten Lesern in einem einzigen Buch meine Auffassung zu zentralen Grundfragen des Strafrechts und den wichtigsten Fragen der allgemeinen Verbrechenslehre samt deren Ausstrahlungen auf die Strafzumessung und den Strafprozess zu erschließen.
2. Beiträge zum Besonderen Teil Deutlich weniger im Gesamtwerk vertreten als der Allgemeine Teil und die Grundlagen des Strafrechts ist der Besondere Teil. Zwar finden sich auch dazu eine Monographie (Verwaltungsakzessorietät und Tatbestandsverständnis im Umweltstrafrecht) und Abhandlungen von fast monographischer Länge (etwa zu den Kernproblemen des Umweltstrafrechts oder zum Betrug). Meine Beiträge zu diesem Teil des Strafrechts konzentrieren sich jedoch – unter Außerachtlassung der kleinteiligen Phänomenologie der meisten Einzeltatbestände – auf gewisse sich auch im Besonderen Teil bisweilen stellende grundsätzliche Fragen. Hierher gehören z. B. Tatbestände, deren Legitimierbarkeit schon grundsätzlich problematisch ist – wie die Strafbarkeit der Körperverletzung trotz Einwilligung bei Sittenwidrigkeit der Tat. Grundsätzliche Fragen stellen sich auch, wenn bei Tatbeständen die Qualifikation objektiv mehr oder weniger neutralen Verhaltens als Straftat allein auf ein subjektives Moment gestützt wird – wie zum Beispiel in den Tatbeständen des neuen Terrorismusstrafrechts. Sie stellen sich weiter, wenn die Tatbestände des Besonderen Teils, insbesondere weil es in ihnen dem Wortlaut nach allein auf die Verursachung bestimmter Erfolge ankommt, offensichtlich viel zu weit greifen und es zu ihrer legitimierbaren Begrenzung der Herstellung praktischer Konkordanz zwischen der dem Einzelnen (trotz möglicher Ursächlichkeit seines Handelns) noch zuzuerkennenden Handlungsfreiheit und den mit dem Tatbestand verfolgten legitimen Schutzinteressen potenziell Beeinträchtigter bedarf.
Sehr grundsätzliche Fragen tauchen zudem auf, wenn es für die Auslegung gewisser Tatbestandsmerkmale offensichtlich auf gesellschaftliche Verhaltensmuster und ihre Verlässlichkeit ankommt, wie bei der Qualifikation bestimmter Verhaltensweisen als Täuschung im Sinn des Betrugstatbestands, weil der Rechtsverkehr bei der Vornahme dieser Handlungen vom Vorliegen gewisser Umstände muss ausgehen dürfen. In all diesen Fällen kann man sich die sachgerechte Lösung nicht ernsthaft von den sogenannten Auslegungsmethoden erhoffen, vielmehr geht es um Erwägungen der praktischen Vernunft. Ähnlich ist es, wenn die tatbestandliche Erfassung bestimmter Verhaltensweisen durch vorstrafrechtliche
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Normen oder behördliche Akte beeinflusst wird, die möglicherweise unvollständig oder gegenläufig oder problematisch zustande gekommen sind – wie im Fall des Handelns aufgrund problematisch erlangter Genehmigungen im Umweltbereich.
3. Beiträge zur Strafzumessung und zu den Maßregeln Einen wesentlichen Schwerpunkt meines wissenschaftlichen Arbeitens im Strafrecht bildet das Recht der strafrechtlichen Sanktionen. Diesem praktisch hochbedeutsamen (aber wissenschaftlich vernachlässigten) Rechtsgebiet sind nicht nur die Dissertation und die Habilitationsschrift, sondern auch drei weitere Bücher sowie eine Vielzahl von Buch- und Zeitschriftenbeiträgen von zum Teil monographischer Dimension gewidmet – und zwar bis in die jüngste Zeit. Der größere Teil dieser Beiträge betrifft das Recht der Strafzumessung, doch sind auch die Abhandlungen zum Maßregelrecht zahlreich vertreten. a. Die Abhandlungen zum Recht der Strafzumessung beginnen mit der Dissertation, die vor allem zwei große Fragenkreise zum Gegenstand hat: die Struktur, die rechtliche Qualität und die Maßstäbe der richterlichen Strafzumessung und (verfahrensrechtlich) die Frage ihrer Überprüfbarkeit durch die auf die Kontrolle rechtlicher Fehler beschränkten Revisionsgerichte. Zur ersten Frage weist die Arbeit unter eingehender Auswertung der umfangreichen rechtstheoretischen Diskussion zur Tat-, Rechts- und Ermessensfrage nach, dass die Strafzumessung weder Tatfrage noch echte Ermessensausübung ist, sondern dass es sich um die konkretisierende Anwendung rechtlicher Maßstäbe auf bestimmte Sachverhalte handelt – selbst die Bestimmung der Strafhöhe ist von rechtlichen Maßstäben geleitet. Freilich ist damit die – zweite – Frage der Revisibilität der Strafzumessung noch nicht endgültig entschieden; denn auch in Bezug auf Rechtsfragen kann es Gründe geben, sie nur einer beschränkten revisionsgerichtlichen Kontrolle zu unterwerfen. Die späteren Abhandlungen zur Strafzumessung, die zum Teil monographisches Ausmaß haben, betreffen vor allem drei Themenbereiche. Eine Reihe von Beiträgen gilt der Frage, welche Sachverhalte strafzumessungsrelevant sind (und warum) – wobei einen kleinen Schwerpunkt die schwierigen Fragen der außertatbestandlichen Folgen, des Nachtatverhaltens und des Prozessverhaltens (Geständnis, Kooperation) bilden. Eine zweite Gruppe von Beiträgen betrifft die Frage nach dem Verhältnis der Strafzumessung zur Straftheorie und zum Straftatsystem. Ich habe hierzu in mehreren Beiträgen unter eingehender Begründung – gegen die frühere These vom eigenständigen Charakter der Strafzumessung – die Auffassung vertreten, dass die Strafzumessung eine Konkretisierung der Straftheorie, zu-
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gleich aber auch eine Fortsetzung des Straftatsystems in die komparative und quantitative Dimension sei. In den letzten Jahren habe ich mich schließlich wiederholt mit der letzten großen, noch nicht befriedigend gelösten Frage der Strafzumessung beschäftigt, welche akzeptablen Möglichkeiten bestehen, auch in der die Strafzumessung abschließenden Frage der Umsetzung des gewürdigten Strafzumessungssachverhalts in eine konkrete Strafgröße zu mehr Rationalität, Voraussehbarkeit und Rechtsgleichheit zu kommen. b. Mit dem Maßregelrecht habe ich mich erstmals in meinem Habilitationsprojekt in den Jahren 1972–1974 befasst. Die daraus entstandene umfangreiche Schrift „Grundlagen des Maßregelrechts“ enthält in ihren 13 Kapiteln nicht nur Abschnitte zur (keineswegs kurzen) Geschichte der Maßregeln, die allein der Verhütung weiterer Taten gefährlicher Täter gelten, sowie zur Reformentwicklung und dem in Bezug auf die Maßregeln bestehenden Rechtszustand vor und nach der Strafrechtsreform von 1969/1975. Sie beschäftigt sich eingehend vor allem mit den denkbaren Strategien der Verbrechensverhütung, der Frage der grundsätzlichen (rechtsprinzipiellen und verfassungsrechtlichen) Legitimation des Instituts, den an die Anordnung derartiger präventiver Maßnahmen aus legitimationsbezogenen Gründen zu stellenden Anforderungen (Anknüpfungstat, empirisch belegbare Gefährlichkeit des Täters) und der Frage, ob die Voraussetzungen (insbesondere die zu fordernde Gefährlichkeit) rechtsstaatlich hinreichend präzisiert werden können und es für die damit erforderlichen Feststellungen überhaupt ausreichende empirische Grundlagen und Erkenntnisse gibt. Da die Habilitationsschrift, bedingt durch die Zeitumstände, als solche später nicht mehr im Ganzen veröffentlicht wurde, habe ich in den 1980er- und 1990erJahren einige der wichtigsten Erkenntnisse der Arbeit gesondert veröffentlicht. Ein langer Beitrag in der ZStW 1990 begründet nochmals die grundsätzliche Legitimierbarkeit derartiger präventiver Maßregeln auch gegenüber schuldfähigen Tätern sowie das legitimationsbezogene System der Anordnungsvoraussetzungen derartiger Maßregeln: Auch schuldfähige Täter können sich nicht einfach auf die ihnen im Schuldurteil zuerkannte Fähigkeit zu richtigem Verhalten berufen, sondern müssen sich im Verfahren der Freiheitsverteilung gegenüber anderen – den potenziell Bedrohten – für die Zukunft an den von ihnen zurechenbar geschaffenen in andere Richtung weisenden Belegen festhalten lassen. Der Frage nach der für die Anordnung erforderlichen Gefährlichkeit, dem insoweit bestehenden normativen Konkretisierungsbedarf und der Verfügbarkeit der benötigten Empirie wird daneben in einer Monographie „Prognoseentscheidungen im Strafrecht“1 1
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und der fast monographischen Abhandlung „Strafrechtliche Prognoseentscheidungen aus rechtswissenschaftlicher Sicht“2 nachgegangen. Deren Untertitel „Von der Prognose zukünftigen Verhaltens zum normorientierten Umgang mit Risikosachverhalten“ trägt der praktischen Unmöglichkeit hinreichend fundierter Prognosen Rechnung und bringt das zum Ausdruck, worum es bei den (auch in den Kommentaren meist geforderten) sogenannten Prognosen in Wahrheit geht – nämlich die Frage, ob der je vorfindbare empirisch aufgehellte Risikosachverhalt im Lichte der konfligierenden Interessen von Täter und potentiellen Opfern zur Anordnung der präventiven Maßregel genügen kann. Das ist im Kern keine Prognose, sondern eine normative Entscheidung. Ob darin eine „geniale Idee“ (so ein renommierter Strafrechtler), eine „kopernikanische Wende“ (so ein im Maßregelvollzug tätiger Psychologe) oder ein Reizwort für den Kriminologen (so ein Strafrechtler und Kriminologe) zu sehen ist, mag jeder für sich abmachen – ich halte die damalige Aussage jedenfalls nach wie vor für richtig. Eine nochmalige Befassung mit der Problematik der Maßregeln erfolgte im Zusammenhang mit der durch Entscheidungen des Bundesverfassungsgerichts und des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte ausgelösten Diskussion um die Sicherungsverwahrung. Diese ist zwar meines Erachtens grundsätzlich legitimierbar, in den noch vor der Jahrtausendwende erlassenen Gesetzen zur „Bekämpfung der Kriminalität“ aber eindeutig über das zu legitimierende Maß hinaus ausgedehnt worden. Im Zusammenhang mit dieser Diskussion und veranlasst durch den Blick auf die divergierenden „Konzepte des Strafrechts in Europa“3 gehe ich hier auch der Frage nach, ob es nicht besser wäre, das leidige Institut der Maßregeln ganz verschwinden und in einer stärker präventiv orientierten Strafe aufgehen zu lassen. Aus rechtsstaatlicher Sicht kann vor einer solchen Lösung nur gewarnt werden – denn mit ihr verschwinden all die rechtsstaatlichen Sicherungen gegenüber Maßregeln in der intransparenten, gesetzlich weniger normierten Strafzumessung.
4. Beiträge zum Strafprozess Ebenfalls seit dem Beginn meiner wissenschaftlichen Beschäftigung mit dem Strafrecht und bis heute liegt ein Schwerpunkt meiner wissenschaftlichen Tätigkeit im Strafprozessrecht.
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Frisch, Wolfgang/Vogt, Thomas, Prognoseentscheidungen in der strafrechtlichen Praxis, 1994 – dort S. 55–136. Frisch, Wolfgang, Konzepte der Strafe und Entwicklungen des Strafrechts in Europa, GA 2009, S. 385–405.
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Den Einstieg in die wissenschaftliche Beschäftigung mit dem Strafprozess brachte meine Dissertation, die ja nicht nur eine Arbeit zur Strafzumessung und deren Rechtsqualität, sondern auch eine eingehende Untersuchung zur Revision ist. Die Arbeit setzt sich nicht nur eingehend mit der Geschichte und den Zwecken der Revision auseinander, sondern würdigt auch umfassend die vielfältigen prozessualen Versuche zur Eingrenzung des revisiblen Gebiets. Unter Ablehnung der damals (1970) viel favorisierten sogenannten Leistungstheorie und von Ansätzen, die die Revision auf die Wahrung der Rechtseinheit beschränken wollten, verteidigt die Arbeit die Verknüpfung der Revisibilität mit der Rechtsfrage, verdeutlicht deren Abgrenzbarkeit von der Tatfrage, macht freilich auch deutlich, wie weit die richtig verstandene Rechtsfrage wirklich reicht und was danach alles zu Unrecht der Tatfrage zugeschlagen worden war. Weitere Abschnitte der Arbeit gelten der Frage, ob und aus welchen Gründen nicht auch Rechtsfragen unter Umständen nur beschränkt überprüfbar sind (sein können). Den Fragen der Revision hat mein wissenschaftliches Interesse am Strafprozessrecht bis heute in besonderem Maße gegolten. Dies nicht von ungefähr: In der Revision bündeln sich wie in einem Brennglas nahezu alle wichtigen Rechtsfragen des materiellen Rechts und des Prozessrechts. Das erklärt auch den Umfang der Kommentierung, die mehr als 500 Seiten in einem Großkommentar umfasst. Weitere umfangreiche Kommentierungen gleichen Umfangs sind dem Rechtsmittel der Beschwerde und der Berufung gewidmet. Eine Besonderheit der Gesamtkommentierung des Rechtsmittelrechts bildet der vorangestellte Allgemeine Teil des Rechtsmittelrechts, der übergreifende Fragen des Rechtsmittelrechts (z. B. Rechtskraft, innerprozessuale Bindungswirkung, Relevanz von Prozessvoraussetzungen und Prozesshindernissen im Rechtsmittelrecht) behandelt und dabei in einer Reihe von umstrittenen Fragen die Diskussion weiterzuführen versucht – ein Teil des Kommentars, der (ebenso wie die Revision) auch von der höchstrichterlichen Rechtsprechung gern zu Rate gezogen wird.
Natürlich galt mein wissenschaftliches Interesse am Strafprozessrecht nicht nur dem Rechtsmittelrecht, dem Rechtsmittelverfahren und einem durch die Revision mediatisierten Verfahrensrecht. Von Anfang an interessiert hat mich auch das Generalthema des Strafprozesses: die sachgerechte Auflösung des Spannungsfeldes zwischen dem Interesse an der Durchführung eines Strafverfahrens bei Anhaltspunkten für die Begehung einer Straftat und den Interessen der von den Verfahren in ihren Rechten Betroffenen, insbesondere des Beschuldigten. Dem entsprang nicht nur die Untersuchung der Frage nach den rechtlichen Möglichkeiten auch Privater, insbesondere sich verletzt Fühlender, die Einleitung und Durchführung eines Strafverfahrens durchzusetzen, sondern vor allem auch die Beschäftigung mit einer Reihe von Prinzipien des Strafprozesses, wie dem Prin-
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zip des gesetzlichen Richters, der Neutralität des Richters und Staatsanwalts, dem Recht auf Verteidigung, insbesondere auch des abwesenden Angeklagten, allgemeiner: den Grundrechten des Beschuldigten im Strafverfahren und den Möglichkeiten, zur Durchsetzung dieser Rechte Rechtsschutz zu erlangen – und zwar nicht erst (durch die gesetzlich geregelten Rechtsmittel) im Hauptverfahren, sondern auch schon im Ermittlungsverfahren. Anders als bei manchen Strafrechtswissenschaftlern, deren literarisches Interesse sich vor allem auf die Pathologie des Strafprozesses konzentriert, habe ich einen Großteil meiner Arbeit im Strafprozessrecht in die Erfassung der vernunftgeleiteten Normalität des Strafprozesses investiert. In dessen Zentrum steht die Überprüfung der Wahrheit eines dem Angeklagten angelasteten Geschehens – und damit der Versuch einer Rekonstruktion von Wirklichkeit, die im Kern den für solche Rekonstruktionen maßgebenden erkenntnistheoretischen Einsichten folgt, aber natürlich auch gewisse normative Beschränkungen (des verwertbaren Stoffes) zu beachten hat. Die Prozessrechtswissenschaft des 19. Jahrhunderts hat der Erörterung der ersten Frage und den insoweit zu beachtenden Grundsätzen eine reichhaltige Literatur gewidmet; mit der Konzentration der Prozessrechtswissenschaft allein noch auf die Rechtsfrage und der weitgehenden Abwendung von der Tatfrage sind diese Fragestellungen allmählich aus der Prozessrechtsliteratur verschwunden. Die Folgen dieses Desinteresses, das sich auch im akademischen Unterricht niederschlägt, sind offensichtlich: Fehler in der Methodik des Umgangs mit der Tatfrage sind mit die häufigsten Gründe, aus denen in der Revisionsinstanz tatrichterliche Urteile aufgehoben werden. Ein Umdenken an dieser Stelle wäre dringend notwendig. Dass sich im Übrigen bei der erkenntnistheoretischen Analyse der Verfahren und Methoden zur Rekonstruktion von Wirklichkeit eine ganze Reihe von auch theoretisch anspruchsvollen Fragen stellt, hat schon (mein geistiger Großvater) Karl Engisch in seinen „Logischen Studien zur Gesetzesanwendung“ gezeigt, dessen Wege ich an dieser Stelle gerne weitergegangen bin.
III. Beziehung meines Beitrags zur allgemeinen Entwicklung des Strafrechts in Deutschland Sein eigenes wissenschaftliches Werk zur allgemeinen Entwicklung seiner Disziplin in Beziehung zu setzen, ist ein schwieriges, zwangsläufig subjektiv gefärbtes Unternehmen. Um das Subjektive in Grenzen zu halten, werde ich zunächst – mehr formal – etwas über die Beziehung meines Werks zu aktuellen Entwicklungen in der Strafgesetzgebung sagen, dann auf die Beziehung zu Entwicklungen in der Lehre und Rechtsprechung eingehen und in einem dritten Schritt die Bezie-
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hung zur Entwicklung des Strafrechts in Bereichen in den Blick nehmen, in denen die Strafrechtswissenschaft – leider – wenig engagiert ist. Die daran anschließenden Bemerkungen beziehen sich auf den wohl wichtigsten Untersuchungsgegenstand, den ich mit der herkömmlichen Strafrechtsdogmatik teile, nämlich die Straftheorie und die allgemeine Verbrechenslehre. Ausgehend von der Kennzeichnung der eigenen Methode und Sichtweise des Strafrechts, soll dabei gezeigt werden, welche Konsequenzen eine spezifisch normative legitimationsbezogene Sicht von Strafe, Straftat und Straftatsystem für das Verständnis der Straftat, ihrer Elemente und des Straftatsystems hat – wo eine solche Sicht schon ansatzweise Vorhandenes verstärkt und fundiert, aber auch, wo sie darüber hinausweist und neue Einsichten eröffnet, die noch der Diskussion bedürfen.
1. Beziehungen zur Entwicklung der Strafgesetzgebung Was zunächst die Beziehung meines strafrechtlichen Werks zur jeweiligen Entwicklung der Strafgesetzgebung betrifft, so glaube ich sagen zu dürfen, dass es eine recht enge Beziehung ist. Dies nicht nur in dem Sinn, dass die je aktuelle Gesetzgebung auf dem Gebiet des Strafrechts und des Strafprozessrechts mich während aller Phasen meiner wissenschaftlichen Tätigkeit besonders interessiert hat. Meine strafrechtswissenschaftlichen Arbeiten haben auch die eine oder andere Rückwirkung auf die Gesetzgebung (oder die darauf fußende Praxis) gehabt. Mein hohes Interesse an der je aktuellen Gesetzgebung kommt schon in der Dissertation und der Habilitationsschrift zum Ausdruck. Die Strafzumessung war in dem Zeitpunkt, in dem ich mit meiner Dissertation begann, eines der zentralen Themen der strafrechtlichen Reformdiskussion; die vorgeschlagenen, wenn auch lückenhaften, erstmals in das Gesetz aufgenommenen Vorschriften zur Strafzumessung waren für mich ein wichtiger Beleg dafür, dass die Strafzumessung insgesamt eine Rechtsfrage sei. Beim Maßregelrecht (Gegenstand des Habilitationsprojekts) wiederum waren zwar viele renommierte Strafrechtler der damaligen Zeit (1960–1970) voll des Lobes für den durch die Reformgesetzgebung deutlich ausgebauten Sanktionstyp; kaum jemand beschäftigte sich jedoch mit der weitgehend fehlenden Legitimation, den offenen Fragen der Prognose und dem dürftigen theoretischen Unterbau. Für einen jungen Wissenschaftler, der mehrere Jahre im Verfassungsrecht und der Rechtsphilosophie gearbeitet hatte, war klar, dass hier wissenschaftliche Pionierarbeit zu leisten war. In ganz ähnlicher Weise habe ich später kritisch das neu geschaffene Umweltstrafrecht begleitet, in einer kleinen Monographie auf die vielen ungelösten Probleme der Verwaltungsakzessorietät hingewiesen und dazu Lösungsvorschläge unterbreitet. In den letzten Jahren habe ich mich entsprechend kritisch auch zu den deutlich zu
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weit gehenden Vorschriften des Terrorismusstrafrechts geäußert und auch hierzu legitimationsorientierte Restriktionsvorschläge entwickelt. Die Entwicklung des Strafrechts in der Gesetzgebung zum Strafrecht war freilich für mich nicht nur ein wichtiger Aspekt bei der Auswahl der von mir wissenschaftlich bearbeiteten Themen. Meine wissenschaftliche Arbeit hatte auch Rückwirkungen auf die von mir kritisch beurteilten gesetzgeberischen Leistungen. Das erwähnte Defizit im Umweltstrafrecht ist einige Zeit nach dem Erscheinen meiner Schrift (im Wege einer Legaldefinition in § 330d Abs. 1 Nr. 5 StGB) so behoben worden, wie ich das vorgeschlagen hatte. Im Verfahren zur Verfassungswidrigkeit des Verständigungsgesetzes bzw. der Absprachepraxis vor dem Bundesverfassungsgericht waren mein Gutachten und meine Ausführungen zu den verheerenden Auswirkungen der Absprachepraxis auf die Strafzumessung im Verein mit dem empirischen Gutachten des Kollegen Altenhain zu dieser Frage ein wesentlicher Grund dafür, die Absprachepraxis für verfassungswidrig zu erklären. Schon zuvor hatten meine Ausführungen zur Problematik des vom Gesetzgeber erweiterten Sachentscheidungsrecht des Revisionsgerichts (§ 354 StPO) das Bundesverfassungsgericht dazu veranlasst, dem zum Teil für verfassungswidrig erachteten Gesetz eine verfassungskonforme Auslegung zu geben. Auch im Recht des Berufungsverfahrens geht eine noch im Rechtsausschuss vorgenommene entscheidende Änderung des § 329 StPO (Berufungsverwerfung bei Abwesenheit des Angeklagten) auf meine Kritik an dem (damals) kurz vor der Verwirklichung stehenden Referentenentwurf des Bundesjustizministeriums und meinen Vorschlag zurück.
2. Beziehungen zu Entwicklungen in der Strafrechtswissenschaft und Rechtsprechung So wie die jeweiligen Entwicklungen der Strafgesetzgebung haben auch Entwicklungen der Strafrechtswissenschaft mich wesentlich bei der Auswahl meiner Forschungsprojekte bestimmt – gleich, ob es Neuentwicklungen oder stagnierende Entwicklungen waren. Auch hier hat das von mir Erarbeitete wiederholt erfreuliche Auswirkungen gehabt – nämlich die Weiterentwicklung bestimmter Materien beeinflusst. Aus Gründen des begrenzten Raumes beschränke ich mich hier auf zwei Beispiele. Als Beispiel für die impulsgebende Kraft einer stagnierenden Entwicklung sei die Vorsatzdogmatik und hier insbesondere der Anfang der 1970er-Jahre hoffnungslos festgefahrene Streit um den dolus eventualis genannt. Mein Eindruck, dass der Grund für die festgefahrene Situation hier möglicherweise schon bei Fehlern im Ausgangspunkt der Diskussion lag, wurde alsbald bestätigt: Natür-
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lich konnte der Vorsatz im Zeitpunkt der Handlung sich nicht – wie meist behauptet – auf den Tatbestand insgesamt beziehen, dessen Vorliegen ja vielfach erst nach dem Handeln des Täters feststeht, sondern nur auf das, was im Zeitpunkt des Handelns vorlag – also ein Handeln, das mit der Möglichkeit des Erfolgseintritts behaftet und deshalb (bei hierfür ausreichender Möglichkeit) verboten war. Es ging also gar nicht um ein schwächeres Wissen in Gestalt des Für-Möglich-Haltens, sondern um normales Wissen um bestimmte (nämlich das Handlungsverbot begründende) Möglichkeiten – ein Wissen, das freilich die verbindliche Sicht des Täters sein musste. Die Auffassung wurde zwar von einigen scharfsinnigen Kollegen mit Beifall bedacht, von vielen jedoch – mangels Lektüre der Monographie – noch nicht einmal zur Kenntnis genommen. Umso mehr habe ich mich darüber gefreut, dass der spanische Tribunal Supremo in seiner viel beachteten Olivenöl-Entscheidung der Verurteilung der Angeklagten meine Sicht des dolus eventualis zugrunde gelegt hat; und eine späte Genugtuung war es auch, dass der BGH vor einigen Jahren das ausgesprochen hat, was ich schon 1983 geschrieben hatte – dass nämlich die Absicht mit ihrem voluntativen Moment eine qualifizierte Form des Vorsatzes sei und daher als Strafschärfungsgrund gewertet werden dürfe. Als Beispiel für eine Neuentwicklung der Lehre, die mir Anlass gegeben hat, mich gründlicher (nämlich wiederum in einer umfangreichen Monographie) mit der allgemeinen Entwicklung des Strafrechts zu beschäftigen, sei die Lehre von der objektiven Zurechnung genannt, die in den Jahren zwischen 1970 und 1985 innerhalb kürzester Zeit zur herrschenden Meinung aufgestiegen war. Die Lehre hat – wie ich in der Monographie „Tatbestandsmäßiges Verhalten und Zurechnung des Erfolgs“ (1988) dargelegt habe – zwar recht, wenn sie für die Bestrafung aus einem vollendeten Erfolgsdelikt fordert, dass der Täter durch sein Handeln eine missbilligte Gefahr geschaffen hat und diese sich im eingetretenen Erfolg realisiert haben muss. Sie übersieht aber, dass die mit der Handlung verbundene Gefahrschaffung nicht erst ein Grund für die Zurechnung des Erfolgs ist, sondern bereits das Moment der Handlung darstellt, dessentwegen diese verboten ist. Die von der „Superkategorie“ der objektiven Zurechnung vernebelte richtige Qualifikation ist deshalb wichtig, weil die Maßstäbe, nach denen die Missbilligung von Handlungen zu bestimmen ist, ganz andere sind als die, die für die Zurechnung im engeren Sinne gelten. Meine Kritik wird inzwischen von vielen, vor allem jüngeren Wissenschaftlern geteilt; sie ist mittlerweile auch von Kommentaren übernommen und jüngst durch eine Habilitationsschrift zum Thema umfassend bestätigt worden. Einzelergebnisse der Arbeit (etwa zur Behandlung der „Retterunfälle“) sind auch (gegen den Urheber der Lehre von der objektiven Zurechnung) seitens der Rechtsprechung übernommen worden. Ich würde
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mich natürlich freuen, wenn die aus meiner Sicht richtige Auffassung sich im Laufe der Zeit endgültig durchsetzte.
3. Beziehungen zur allgemeinen Entwicklung des Strafrechts auf von der Wissenschaft vernachlässigten Gebieten Schwieriger ist die Beurteilung der Beziehungen meines wissenschaftlichen Beitrags zur allgemeinen Entwicklung des Strafrechts in Bezug auf das Sanktionenrecht, und insoweit insbesondere die Strafzumessung, und einen Teil der prozessualen Abhandlungen. Zwar war auch im Bereich des Sanktionenrechts das impulsgebende Motiv zur intensiven Beschäftigung mit der Materie der vorfindbare Entwicklungsstand des Strafrechts in diesem Bereich, der – um es gelinde zu sagen – in den 1960er-Jahren (Beginn meiner Dissertation) einigermaßen bescheiden war. Mein Anliegen war es, diesen Stand zu verbessern, die rechtspraktisch überragend wichtige Strafzumessung rationaler und einheitlicher zu gestalten und sie einer intensiven obergerichtlichen Kontrolle zuzuführen; dem Maßregelrecht wollte ich ein legitimationsbezogenes Fundament verschaffen, und auch die Prognoseproblematik war m. E. transparenter zu strukturieren. Zugleich hoffte ich, dass meine Schriften, zusammen mit den Schriften meines Lehrers Bruns und einer zeitgleich erschienenen Habilitationsschrift zur Strafzumessung, auch allgemein ein größeres Interesse der Strafrechtswissenschaft an Fragen des Sanktionenrechts wecken würde.
Zumindest diese letzte Hoffnung hat sich nur sehr begrenzt erfüllt. Die Strafzumessung fristet nach wie vor ein Schattendasein in der Strafrechtswissenschaft; nur wenige Wissenschaftler beschäftigen sich mit ihr näher und intensiv – eher noch mehr gilt das für das Maßregelrecht. So kann man die Wirkung des eigenen Werks im Bereich der Wissenschaft hier nur an einer durchaus überschaubaren Literatur, zu einem erheblichen Teil Dissertationen, messen. Insoweit ist die Resonanz nun freilich überaus positiv; die meisten der von mir zum Strafzumessungsrecht vertretenen Thesen und Standpunkte haben Beachtung, viele auch Beifall in der Literatur zum Sanktionenrecht gefunden – wie etwa die Qualifikation der Strafzumessung als Rechtsanwendung und als Fortsetzung der Wertungen des Straftatsystems in den Bereich des Komparativen und Quantitativen. Mehr noch freue ich mich freilich darüber, dass meine zentralen Thesen zur Strafzumessung – nämlich zur Qualität der Strafzumessung als Rechtsanwendung, zur Revisibilität der Strafzumessung und zur Notwendigkeit einer Vertretbarkeitskontrolle in Bezug auf die Strafhöhe – inzwischen auch in die höchstrichterliche Rechtsprechung Eingang gefunden haben und hier praktiziert werden. Für das Steuerstrafrecht ist selbst mein – damals kühner – Vorschlag, das Revisionsgericht möge zur Gewährleistung der Rechtseinheit in bestimmten Fällen selbst
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Vorgaben zur Strafzumessung machen, umgesetzt worden. Auch meine für die Strafzumessung wie für das Maßregelrecht getroffene Feststellung, dass es bei den hier geforderten sogenannten Prognosen in Wahrheit um eine normative Beurteilung empirisch aufgehellter Risikosachverhalte geht, findet bei einer Analyse der einschlägigen Rechtsprechung weithin Bestätigung. Wenn ich trotz dieser (begrenzten) Erfolge des eigenen Werks mit einer gewissen Sorge auf die Entwicklung der Strafrechtswissenschaft hinsichtlich der Verteilung ihrer Aufmerksamkeit sehe, so deshalb, weil ich glaube, dass es nicht richtig ist, wenn eine wissenschaftliche Disziplin sich ausgerechnet mit dem am wenigsten beschäftigt, was rechtspraktisch die größte Bedeutung hat – nämlich die Strafzumessung und (im Prozess) die Beweistheorie und die Beweiswürdigung. Die Feststellung eines bekannten Strafjuristen, Wissenschaft und Praxis bildeten Parallelwelten, trifft an dieser Stelle durchaus zu. Die Folgen der asymmetrischen Interessenverteilung zeigen sich in der Revisionsstatistik: Zwei Drittel der tatrichterlichen Urteile werden wegen Fehlern im Bereich der Strafzumessung und der Beweiswürdigung aufgehoben – also just den Materien, für die sich die Wissenschaft nicht interessiert und die (deshalb) auch in der Ausbildung keine Rolle spielen. Ich glaube, an dieser Stelle gilt es einiges zu überdenken! Doch kehren wir nach dieser Frage nach den Wirkungen meines wissenschaftlichen Werks auf einem von der Strafrechtswissenschaft traditionell stiefmütterlich behandelten Feld noch einmal in den Bereich zurück, der im Zentrum nicht nur meines Bemühens, sondern auch der Strafrechtswissenschaft allgemein steht.
4. Beziehung zur allgemeinen Entwicklung des Strafrechts in den Grundfragen der Verbrechenslehre Eckpfeiler der allgemeinen Verbrechenslehre sind seit langem die Begriffe der Strafe, der Straftat und des Straftatsystems. Auch ich habe mich vielfach mit diesem Themenkreis beschäftigt – erstmals 1977 in meiner Mannheimer Antrittsvorlesung, dann wiederholt im Rahmen der monographischen Behandlung bestimmter Straftatvoraussetzungen, wie des tatbestandsmäßigen Verhaltens, des Vorsatzes und der objektiven Zurechnung, seit meiner Emeritierung in einer Reihe von Abhandlungen, die ganz dezidiert diesem Themenkreis gewidmet sind. Die Besonderheit meines Beitrags zu diesem Themenkreis hängt wohl mit meiner Herkunft aus dem Öffentlichen Recht, insbesondere auch dem Verfassungsrecht, zusammen. a. Für einen (damals) jungen Wissenschaftler, der jahrelang in den Kategorien dieser Rechtsgebiete zu denken gelernt hatte, war Strafe ein Eingriff in die Rechte des von ihr Betroffenen, der der Legitimation bedurfte und überhaupt nur unter
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bestimmten Voraussetzungen legitimiert werden konnte. Gedanken dieser Art, die heute verfassungsrechtlich unabweisbar sind, spielten bei dem Entwurf des traditionellen Systems durch den jungen Franz von Liszt und durch Ernst Beling (und auch danach) ersichtlich keine Rolle – die Voraussetzungen jenes Straftatsystems waren der Tradition, dem positiven Recht und den Begrifflichkeiten der Einteilung der im positiven Recht enthaltenen Rechtssätze entnommen. Nicht weniger fehlte die explizite Verarbeitung der Einsicht, dass ein solcher Zwangseingriff wie die Strafe nur dann legitimiert werden kann, wenn er (mit seinen Charakteristika) erforderlich und verhältnismäßig ist; auch Kategorien der Straftat oder des Straftatsystems, die dem ausdrücklich Rechnung tragen, sucht man vergeblich. Kurz: Die Straftat mit ihren Voraussetzungen war im Grunde ohne den Blick auf die Sanktion der Strafe und deren Inhalte und auch ohne reflektierende Rücksicht auf die Frage ihrer Erforderlichkeit entworfen worden. Dieser Zustand war für mich nicht akzeptabel. Ich stand mit dieser kritischen Sicht auch nicht ganz allein. Dass im herkömmlichen Verständnis der Straftat und des Straftatsystems manches nicht befriedigte, war auch einigen anderen Strafrechtswissenschaftlern aufgefallen. Manche wünschten sich ein stärker auf die Strafe abgestimmtes teleologisches System; andere betonten, dass Strafe und Straftat aufeinander bezogen seien und deshalb zusammenpassen müssten – was eine Art funktionales System erfordere. Meine Vorstellungen hatten (und haben) mit solchen Vorstellungen und Forderungen Berührungspunkte. Doch ging es mir nicht nur um teleologische Abstimmung und funktionale Bezüge. Es geht um Legitimationszusammenhänge und um die Legitimationsvoraussetzungen staatlichen Strafens – und das, wofür ich seit 1977 eintrete, ist ein legitimationsbezogenes System. Bezogen auf die geschilderten Defizite waren es im Grunde nur unzureichende Notreparaturen, wenn man versuchte, unter Beibehaltung des normativ und legitimationsbezogen nicht fundierten Systems im Wege der normativen Aufladung oder Ersetzung bestimmter Begriffe zu akzeptabel erscheinenden Ergebnissen zu gelangen – wie etwa durch eine normative Deutung der Kausalität oder deren Ersetzung durch eine objektive Zurechnung. Auch der Versuch, gewisse Institutionen oder Kategorien wie die Entschuldigungsgründe durch die Hereinnahme präventiver Aspekte (etwa der Erforderlichkeit der Strafe) neu zu bestimmen, war lediglich eine Notreparatur, die zum Teil (insbesondere durch die verallgemeinernde Erstreckung auf die Schuld überhaupt) sogar Schaden anzurichten drohte. Was dringend notwendig war, war ein Überdenken der Straftat und des Straftatsystems von Grund auf.
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b. Eine solche Revision von Strafe, Straftat und Straftatsystem musste – darin stimmte ich mit einigen kritischen Autoren der damaligen Zeit überein – von einem klaren Begriff der Strafe, deren Einsatz ja legitimiert werden soll, ausgehen. Sieht man (wie ich und viele) in der Strafe einen mit einem zusätzlichen Rechtseingriff verbundenen Tadel des Täters wegen eines als Straftat bezeichneten Geschehens zum Zweck der Bekräftigung der Unverbrüchlichkeit (Geltung) der Rechtsordnung, so muss es sich um ein Geschehnis handeln, dessentwegen der Täter Tadel verdient und das auch geeignet ist, die Unverbrüchlichkeit der Rechtsordnung infrage zu stellen. Das Geschehen, dessentwegen eine Person getadelt wird, ist dabei (primär) ein Verhalten – es muss sich dementsprechend um ein Verhalten der Person handeln, das tadelnswert erscheint und, wenn es ungeahndet bleibt, die Unverbrüchlichkeit der Rechtsordnung infrage stellt. Sachlich kann es sich dabei nur um ein Verhalten handeln, das von der staatlichen Verhaltensordnung abweicht, genauer: von jenem Teil der Verhaltensordnung, der mit und in dem Sanktionstatbestand, den der Täter dem Wortlaut nach erfüllt (und im Hinblick auf das Gesetzlichkeitsprinzip erfüllen muss), durchgesetzt werden soll. Erste Voraussetzung dafür, dass das in einem (natürlich weiterhin benötigten) Tatbestand geforderte Geschehen eine Straftat darstellt, ist daher, dass der Täter von einer der in dem Tatbestand vorausgesetzten Verhaltensnormen abgewichen ist. Mit dem Rekurs auf den Topos der Verhaltensnormen habe ich 1977 in die Straftatsystematik einen Begriff eingebracht, der in der Normentheorie als normentheoretische Distinktion (zur Unterscheidung von den Sanktionsnormen) längst verwendet worden war. Seine dezidierte Heranziehung als erste Straftatvoraussetzung (nach der Erfüllung des Wortlauttatbestands) war freilich – soweit ich sehe – ein Novum. Sein Fehlen im traditionellen System war meines Erachtens ein gravierendes Defizit dieses Systems, das durch Notreparaturen wie den Rekurs auf die objektive Zurechnung bei den Erfolgsdelikten nur unzureichend und auch nicht überzeugend behoben werden konnte. Es wurde auch nicht durch das im traditionellen System ohnehin bestehende Erfordernis des Tatbestands kompensiert. Denn dieser bezeichnet einen Sachverhalt, der in bestimmter Hinsicht (zum Beispiel hinsichtlich des Eintritts eines durch die Handlung verursachten Erfolgs) erst nach dem Handeln des Täters vorliegt und feststellbar ist. Bei der Verhaltensnormverletzung geht es dagegen um ein Verhalten, das bereits im Zeitpunkt seiner Vornahme (wegen bestimmter Bezüge zum Tatbestand) als Verstoß gegen die Verhaltensordnung identifizierbar sein muss. In diesem Sinn verstanden wird der Begriff der Verhaltensnormverletzung inzwischen von vielen als notwendige Voraussetzung der Straftat gebraucht – nicht nur von meinen Schülern, sondern zum Beispiel auch von Teilen der Kommentarliteratur.
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c. Das Erfordernis der Verletzung einer dem Sanktionstatbestand zugrunde liegenden Verhaltensnorm bildet freilich nicht nur eine wichtige Voraussetzung der Straftat. Die Verhaltensnorm, die der Täter durch seine Tat verletzt, ist auch der Schlüssel zum richtigen Verständnis zentraler Begriffe der allgemeinen Verbrechenslehre und zu überzeugenden Problemlösungen in den unterschiedlichsten Zusammenhängen. Die Verhaltensnorm bezeichnet das tatbestandsmäßige Verhalten im engeren Sinn, also das im Tatbestand – wegen bestimmter (subjektiver oder objektiver) Bezüge auf den Tatbestand – als verboten vorausgesetzte Verhalten. Dieses Verhalten mit seinen Bezügen ist der Gegenstand des im Vorsatz vorausgesetzten Wissens. Auch die Rechtfertigung, Schuld und Entschuldigung beziehen sich richtigerweise auf dieses Verhalten. Der Begriff ist überdies der Schlüssel für die Lehre von Täterschaft und Teilnahme – denn Täter und Teilnehmer verstoßen, genau besehen, gegen sehr verschiedene Verhaltensnormen. Und auch die Lehre vom Versuch kommt nicht ohne den Begriff aus, denn natürlich muss auch der Täter des strafbaren Versuchs gegen eine fundierbare Verhaltensnorm verstoßen haben. Selbst im Rahmen der Begründung des subjektiven Rechtfertigungselements und in der Irrtumslehre (untauglicher Versuch/Wahndelikt) spielt der Begriff eine wichtige Rolle. Dies alles kann hier nur angedeutet werden, um die zentrale Bedeutung des Begriffs für ein legitimationsbezogenes Straftatsystem zu verdeutlichen; eine weitere Erläuterung ist an dieser Stelle nicht möglich. Stattdessen noch einmal zurück zu den (weiteren) Voraussetzungen der Straftat. d. Damit eine Straftat vorliegt, muss nicht nur der Wortlauttatbestand erfüllt sein und das Verhalten des Täters eine Abweichung von der im Tatbestand vorausgesetzten Verhaltensnorm darstellen, die nicht gerechtfertigt werden kann und vom Täter vermieden werden konnte (also schuldhaft ist). Es muss auch erforderlich sein, auf diese Verhaltensnormverletzung zur Erhaltung der Unverbrüchlichkeit der Rechtsordnung mit Strafe und dem in der Strafe enthaltenen Tadel und Rechtseingriff zu antworten. Dieses Erfordernis nicht ausdrücklich thematisiert zu haben, mag angesichts der Entstehung des Straftatsystems lange vor der heutigen Verfassung historisch verständlich erscheinen. Unter der Geltung des Grundgesetzes ist es jedoch ein gravierender Mangel, dieses Erfordernis für die Annahme einer Straftat (im Sinn eines die Strafe auch im konkreten Fall legitimierenden Sachverhalts) nicht explizit aufzuführen. Das gilt umso mehr, als das geltende Recht eine ganze Reihe von Sachverhalten kennt, die vor dem Hintergrund dieses Legitimationsmerkmals der Straftat zu sehen sind.
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Ausdruck der Begrenzung der Strafbarkeit von Verhaltensnormverletzungen auf das unbedingt Erforderliche sind nicht nur die in einer Reihe von Tatbeständen des Besonderen Teils geforderten objektiven Bedingungen der Strafbarkeit. In diesem Sinn begrenzend wirken vor allem auch der Strafaufhebungsgrund des Rücktritts, Strafausschließungsgründe und richtigerweise auch die Entschuldigungsgründe (bei denen ein gewisses Maß an Schuld ja durchaus gegeben ist und es daher jenseits der Schuld liegende Gründe sind, die die Strafbarkeit ganz entfallen lassen). Auch in Bezug auf diese weitere Kategorie der Straftat ist mir von vielen Strafrechtswissenschaftlern inzwischen Zustimmung signalisiert worden – und zwar nicht nur von Autoren, die sich schon jetzt (wie insbesondere meine Schüler) auch insgesamt zu meinem Systementwurf bekennen. Wenn trotzdem viele noch zögern, sich auf das System einzulassen, so wohl deshalb, weil sie Sorge haben, mit der Notwendigkeit der Formulierung jener Verhaltensnormen, von denen der Täter abgewichen ist, in Schwierigkeiten zu geraten; sie ziehen es daher vor, auch von ihnen für zutreffend erachtete Einsichten irgendwie im traditionellen System unterzubringen (zum Beispiel als weitere Bedingungen der Strafbarkeit jenseits von Unrecht und Schuld). Doch so verständlich dieses Zögern erscheint – die daraus gezogenen Konsequenzen halte ich für nicht akzeptabel: Wie will man den Täter überzeugend wegen seines Verhaltens tadeln, wenn man noch nicht einmal selbst in der Lage ist, jene Verhaltensnorm zu formulieren, die der Täter in der konkreten Situation hätte befolgen sollen und die doch einen in der Situation befolgbaren Inhalt haben muss? Welche Norm soll eigentlich bekräftigt werden, wenn sie – angeblich – nicht formuliert werden kann? e. Im Übrigen sollte man die an dieser Stelle auftauchenden Probleme auch nicht überschätzen. Wenn wir dem Täter einen Vorwurf machen, so haben wir doch – zumindest intuitiv – durchaus eine Vorstellung, was der Täter falsch gemacht hat und wie er sich richtigerweise hätte verhalten sollen. Notwendig ist nichts weiter, als dass wir das auch formulieren. Was daran so schwierig sein soll, vermag ich nicht zu sehen. Die Mühe, die wir hier mit der Formulierung haben, lohnt sich überdies. Sie macht das rechtlich Erwartete überprüfbar und diskutierbar und bildet die Grundlage für eine Norminternalisierung und die positive Generalprävention. Um es noch etwas zu konkretisieren: Was die Verhaltensordnung verbietet, sind Verhaltensweisen, die bestimmte Bezüge zu den in den Tatbeständen formulierten unerwünschten Sachverhalten haben. Die Bezüge können dabei subjektiver oder objektiver Art sein. Wegen eines negativen subjektiven Bezugs verboten sind Handlungen, die geradezu darauf zielen, den in den Tatbeständen geschil-
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derten Sachverhalt zu verwirklichen, weiter Handlungen, von denen der Täter sicher weiß, dass sie dazu führen, aber auch Handlungen, die bloß mit einer Möglichkeit verbunden sind, sofern es sich dabei um Risiken handelt, denen man vernünftigerweise nicht ausgesetzt sein will, und der Täter dies erkennen konnte (erst recht natürlich, wenn er die Risiken erkannt und ernst genommen hat). Besonderheiten gelten, wenn die Risiken sich nicht direkt über bloße Naturabläufe, sondern nur bei selbstgefährdendem Verhalten des potentiellen Opfers oder deliktischem Verhalten Dritter verwirklichen können – hier beginnen die Verhaltensverbote im Interesse der Offenhaltung von Handlungsfreiheiten erst, wenn das potentielle Opfer oder der zwischengeschaltete Dritte eine nicht vollverantwortliche Person ist. Natürlich sind das nur die Grundsätze; es gibt noch einige Ergänzungen. Aber all das ist ohne weiteres darstellbar und findet sich auch heute schon in nachlesbaren Konkretisierungen des tatbestandsmäßigen Verhaltens und der objektiven Zurechnungslehre. Macht man sich das bewusst, so sollte klar werden, dass ein auf die Verletzung einer Verhaltensnorm rekurrierendes System durchaus kein Wagnis mit ungewissem Ausgang oder eine Überforderung ist. Es nennt nur das beim Namen, was heute vielfach intuitiv und versteckt bzw. unter falschem Titel geschieht. Ich habe deshalb auch die Hoffnung nicht aufgegeben, dass das in der Sache Richtige sich eines Tages durchsetzen wird.
IV. Akademische Lehre – Schüler – Sonstiges Nach so vielen Ausführungen zur wissenschaftlichen Arbeit noch einige Bemerkungen zur Lehre. Die Lehre hatte für mich stets zumindest den gleichen Stellenwert wie die wissenschaftliche Forschung. „Zumindest“ sage ich bewusst; denn im Zweifel hatte die dem Allgemeininteresse dienende akademische Lehre für mich den Vorrang vor der an meinen Interessen orientierten wissenschaftlichen Arbeit. Manche wissenschaftliche Arbeit, die schon relativ weit gediehen war, habe ich zurückgestellt, weil eine erstklassige Lehre mir wichtiger war als ein weiterer Titel in der Veröffentlichungsliste. Erstklassige Lehre bedeutete für mich dabei nicht nur einen gründlich vorbereiteten und weitgehend frei gehaltenen Vortrag – für den mir die während des Studiums am Konservatorium erworbene Fähigkeit, ganze Konzerte und Sonaten im Kopf zu behalten, zweifellos zugutekam. Zu einer guten Lehrveranstaltung gehörte für mich auch, dass die Studierenden die wesentlichen Inhalte der Vorlesungen in einem Skript nochmals nachlesen und das Gehörte über ausgewählte Hinweise weiter vertiefen konnten. Skripten dieser Art gab es auch zu den Vertiefungsveranstaltungen, die – von einigen tausend Studierenden mit Freude be-
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sucht – in der Mannheimer wie in der Freiburger Zeit zu einer Institution wurden. Eine Reihe von Studierenden hat sich – wie sie mir sagten– mit diesen Materialien sogar auf das Zweite Staatsexamen vorbereitet und damit Prädikatsnoten erzielt. Ein wichtiger Bestandteil der Lehre waren für mich auch die Seminare und die Betreuung der Nachwuchswissenschaftler. Beides ließ sich gut miteinander verbinden, wenn man durch die Ausgabe anspruchsvoller Themen dafür sorgte, dass an den Seminaren nur am Strafrecht besonders interessierte Studierende, Doktoranden, die eigenen Mitarbeiter und interessierte ausländische Gastwissenschaftler teilnahmen. So angelegt, waren die Seminare Foren, die den am Strafrecht besonders Interessierten Möglichkeiten des vertieften Eindringens und denen, die – als Doktoranden, Assistenten und Habilitanden – bereits wissenschaftlich arbeiteten, die Möglichkeit boten, die Ergebnisse ihrer bisherigen Arbeit zu präsentieren und zur Diskussion zu stellen. Später wurden in diesen Seminaren unter internationaler Beteiligung Grundfragen des Strafrechts auch im Sinne einer vergleichenden und internationalen Dogmatik diskutiert. Aus diesen Seminaren und Betreuungsverhältnissen sind im Laufe von fast 40 Jahren eine stattliche Reihe von Dissertationen und drei Habilitationen (Freund, Murmann, Mansdörfer) hervorgegangen; zu vielen dieser Doktoranden und Habilitanden, die heute angesehene Positionen bekleiden, stehe ich noch immer in enger Verbindung. Entsprechendes gilt für die ausländischen Gastwissenschaftler, die inzwischen Professoren renommierter Universitäten ihres Heimatlandes sind, welche ich auf ihre Einladung hin in der Vergangenheit wiederholt zu Vorträgen besucht habe. Die Begegnung mit so vielen jungen hochmotivierten Menschen war für mich eine große Bereicherung und Freude, für die ich dankbar bin. Dankbar bin ich auch für das Vertrauen meiner fachwissenschaftlichen Kollegen, die mich zweimal zu ihrem Fachgutachter bei der Deutschen Forschungsgemeinschaft gewählt haben – desgleichen dafür, dass die „Criminal Society of Japan“ im Jahr 2012 mich für meine Bemühungen um den deutsch-japanischen Austausch und die Betreuung vieler japanischer Strafrechtswissenschaftler zu ihrem Ehrenmitglied gewählt hat. Und natürlich habe ich mich auch darüber gefreut, dass meine intensive wissenschaftliche Arbeit im Strafrecht mehrfach Anerkennung gefunden hat – insbesondere durch die Ernennung zum Auswärtigen Wissenschaftlichen Mitglied des Max-Planck-Instituts für Ausländisches und Internationales Strafrecht (2005), durch die Berufung zum ordentlichen Mitglied der PhilosophischHistorischen Klasse der Heidelberger Akademie der Wissenschaften (2006) und zum ordentlichen Mitglied der Geisteswissenschaftlichen Klasse der Sudetendeutschen Akademie der Wissenschaften und Künste (2016) sowie durch mehrere Ehrendoktorwürden.
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Schriftenverzeichnis (in Auswahl) 1. Selbständiges und herausgegebenes Schritfttum Revisionsrechtliche Probleme der Strafzumessung. Eine Untersuchung über die Struktur und die Revisibilität des richterlichen Ermessens bei der Strafzumessung, 1971. Grundlagen des Maßregelrechts, Habilitationsschrift, 1974. Prognoseentscheidungen im Strafrecht. Zur normativen Relevanz empirischen Wissens und zur Entscheidung bei Nichtwissen, 1983. Vorsatz und Risiko. Grundfragen des tatbestandsmäßigen Verhaltens und des Vorsatzes. Zugleich ein Beitrag zur Behandlung außertatbestandlicher Möglichkeitsvorstellungen, 1983. Tatbestandsmäßiges Verhalten und Zurechnung des Erfolgs, 1988 (Neudruck 2013). Verwaltungsakzessorietät und Tatbestandsverständnis im Umweltstrafrecht. Zum Verhältnis von Umweltverwaltungsrecht und Strafrecht und zur strafrechtlichen Relevanz behördlicher Genehmigungen, 1993. Prognoseentscheidungen in der strafrechtlichen Praxis, Schriftenreihe der Deutschen Strafverteidiger, 1994 (zusammen mit Thomas Vogt). Tatproportionalität. Normative und empirische Grundlagen einer tatproportionalen Strafzumessung, 2003 (zusammen mit Andrew von Hirsch und Hans-Jörg Albrecht). Comportamiento típico e imputación del resultado (Übersetzung ins Spanische durch Cuello Contreras und Serrano González), Madrid (Spanien) 2004. Gegenwartsfragen des Medizinstrafrechts, Portugiesisch-deutsches Symposium zu Ehren von Albin Eser in Coimbra, 2006. Grundfragen des Strafzumessungsrechts aus deutscher und japanischer Sicht, Freiburger Rechtswissenschaftliche Abhandlungen, Bd. 9, 2011; deutsche Fassung, hrsg. von Wolfgang Frisch. Lebendiges und Totes in der Verbrechenslehre Hans Welzels, 2015 (zusammen mit Günther Jakobs, Michael Kubiciel, Michael Pawlik und Carl-Friedrich Stuckenberg).
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2. Kommentierungen Systematischer Kommentar zur Strafprozeßordnung und zum Gerichtsverfassungsgesetz, Bd. VI, 5. Aufl. 2016; Bd. VII, S. 1–535, 2018.
3. Aufsätze in Zeitschriften und Sammelwerken Grund- und Grenzprobleme des sog. subjektiven Rechtfertigungselements, in: Festschrift für Karl Lackner, 1987, S. 113–148. Gegenwärtiger Stand und Zukunftsperspektiven der Strafzumessungsdogmatik, ZStW 99 (1987), S. 349–388 (Teil I) und S. 751–805 (Teil II). Vorsatz und Mitbewußtsein. Strukturen des Vorsatzes – Zur normativen Relevanz psychologischer Befunde im Strafrecht, in: Gedächtnisschrift für Armin Kaufmann, 1989, S. 311–350. Maßregeln der Besserung und Sicherung im strafrechtlichen Rechtsfolgensystem. Straftheoretische Einordnung, inhaltliche Ausgestaltung und rechtsstaatliche Anforderungen, ZStW 102 (1990), S. 343–393. Las medidas de corrección y seguridad en el sistema de consecuencias jurídicas del Derecho penal (Übersetzung ins Spanische durch Patricia Ziffer), in: InDret 3/ 2007, S. 2–52. Gegenwartsprobleme des Vorsatzbegriffs und der Vorsatzfeststellung – am Beispiel der AIDS-Diskussion, in: Gedächtnisschrift für Karlheinz Meyer, 1990, S. 533–566. Der Irrtum als Unrechts- und/oder Schuldausschließungsgrund, in: Eser, Albin/ Perron, Walter (Hrsg.), Rechtfertigung und Entschuldigung im deutschen, italienischen, portugiesischen und spanischen Strafrecht, 1991, S. 217–289. Straftatsystem und Strafzumessung. Zugleich ein Beitrag zur Struktur der Strafzumessungsentscheidung, 140 Jahre GA, 1993, S. 1–38. An den Grenzen des Strafrechts, in: Festschrift für Walter Stree und Johannes Wessels, 1993, S. 69–106. Wesentliche Strafbarkeitsvoraussetzungen einer modernen Strafgesetzgebung, in: Eser, Albin/Kaiser, Günther/Weigend, Ewa (Hrsg.), Von totalitärem zu rechtsstaatlichem Strafrecht, 1993, S. 201–254. Strafrechtliche Prognoseentscheidungen aus rechtswissenschaftlicher Sicht. Von der Prognose zukünftigen Verhaltens zum normorientierten Umgang mit Risiko-
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sachverhalten, in: Frisch, Wolfgang/Vogt, Thomas (Hrsg.), Prognoseentscheidungen in der strafrechtlichen Praxis, 1994, S. 55–136. Zur Bedeutung des Beweisrechts und des Rechtsmittelrechts für die Revisibilität von Verfahrensmängeln, in: Wolter, Jürgen (Hrsg.), Zur Theorie und Systematik des Strafprozeßrechts, 1995, S. 171–202. Straftat und Straftatsystem, in: Wolter, Jürgen/Freund, Georg (Hrsg.), Straftat, Strafzumessung und Strafprozeß im gesamten Strafrechtssystem, 1996, S. 135– 210. Delito y sistema del Delito (Übersetzung ins Spanische durch Ricardo Robles Planas), in: Wolter, Jürgen/Freund, Georg (Hrsg.), El sistema integral del Derecho penal, Madrid/Barcelona (Spanien), 2004, S. 193–280. Leben und Selbstbestimmungsrecht im Strafrecht, in: Leipold, Dieter (Hrsg.), Selbstbestimmung in der modernen Gesellschaft aus deutscher und japanischer Sicht, 1997, S. 103–125. Übersetzung ins Japanische durch Kazushige Asada, in: Matsumoto, Hiroyuki/ Nishitani, Satoshi (Hrsg.), Selbstbestimmung in der modernen Gesellschaft, Tokyo (Japan), 1997, S. 151–185. Schwächen und berechtigte Aspekte der Theorie der positiven Generalprävention, in: Jareborg, Nils/von Hirsch, Andrew/Schünemann, Bernd (Hrsg.), Positive Generalprävention, 1998, S. 125–145. Zum Unrecht der sittenwidrigen Körperverletzung (§ 228 StGB), in: Festschrift für Hans Joachim Hirsch, 1999, S. 485–506. Unrecht und Strafbarkeit der Mauerschützen, in: Festschrift für Gerald Grünwald, 1999, S. 133–169. Grundlinien und Kernprobleme des deutschen Umweltstrafrechts, in: Leipold, Dieter (Hrsg.), Umweltschutz und Recht in Deutschland und Japan, 2000, S. 361–401. Übersetzung ins Japanische durch Kazushige Asada, in: Matsumoto, Hiroyuki/ Nishitani, Satoshi (Hrsg.), Umweltschutz und Recht in Deutschland und Japan, Tokyo (Japan), 2000, S. 487–544. Strafkonzept, Strafzumessungstatsachen und Maßstäbe der Strafzumessung in der Rechtsprechung des BGH, in: Canaris, Claus Wilhelm u. a. (Hrsg.), Festgabe der Wissenschaft zum 50-jährigen Bestehen des Bundesgerichtshofs, Bd. 4, 2000, S. 269–308.
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Übersetzung ins Japanische durch Masami Okaue, in: Housei Riron, The Journal of Law and Politics, Niigata University, Vol. 34 (Nr. 3), 2002, S. 49–116. Unrecht und Schuld im Verbrechensbegriff und in der Strafzumessung, in: Festschrift für Heinz Müller-Dietz, 2001, S. 237–258. Übersetzung ins Japanische durch Masami Okaue, in: Housei Riron, The Journal of Law and Politics, Niigata University, Vol. 35 (Nr. 4), 2003, S. 342–374. Beihilfe durch neutrale Handlungen. Bemerkungen zum Strafgrund (der Unrechtskonstitution) der Beihilfe, in: Festschrift für Klaus Lüderssen, 2002, S. 539–557. Complicidad mediante acciones neutrales (Übersetzung ins Spanische durch Luis Emilio Rojas Aguirre), in: Frisch, Wolfgang (Hrsg.), Estudios sobre imputación, Santiago de Chile (Chile), 2012. Die Conditio-Formel: Anweisung zur Tatsachenfeststellung oder normative Aussage?, in: Festschrift für Karl-Heinz Gössel, 2002, S. 51–71. La fórmula de la „conditio“: ¿Indicación sobre cómo constatar los hechos o declaración normativa? (Übersetzung ins Spanische durch Marcelo A. Sancinetti), in: Sancinetti, Marcelo A. (Hrsg.), Causalidad, riesgo e imputación, Buenos Aires (Argentinien), 2009, S. 403–434. Gesellschaftlicher Wandel als formende Kraft und als Herausforderung des Strafrechts, in: Festschrift für Heike Jung, 2007, S. 189–213. Konkludentes Täuschen. Zur Normativität, Gesellschaftsbezogenheit und theoretischen Fundierung eines Begriffs, in: Festschrift für Günther Jakobs, 2007, S. 97–130. Rechtsphilosophie und Strafrecht in Europa, GA 2007, S. 250–273. Wesenszüge rechtswissenschaftlichen Arbeitens – am Beispiel und aus der Sicht des Strafrechts, in: Engel, Christoph/Schön, Wolfgang (Hrsg.), Das Proprium der Rechtswissenschaft, 2007, S. 156–184. Grundfragen der Täuschung und des Irrtums beim Betrug, in: Festschrift für Rolf Dietrich Herzberg, 2008, S. 729–762. Cuestiones fundamentales del engaño y el error en la estafa (Übersetzung ins Spanische durch Patricia Ziffer), in: Revista de Derecho penal y procesal penal 2011, S. 781–800. Konzepte der Strafe und Entwicklungen des Strafrechts in Europa, GA 2009, S. 385–405.
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Conceptions of punishment and Trends in Criminal Law (Englische Fassung), in: Jurisdisk Tidskrift 2010/11 Nr. 1, S. 53–81. Los conceptos de pena y el desarrollo del derecho penal en Europa (Übersetzung ins Spanische durch Patricia Ziffer), in: Revista de Derecho penal y procesal penal 2011, S. 404–419. Zur Bedeutung der Rechtsdogmatik für die Entwicklung des Strafrechts, in: Stürner, Rolf (Hrsg.), Die Bedeutung der Rechtsdogmatik für die Rechtsentwicklung, 2010, S. 169–187. Japanische Übersetzung von Kazushige Asada, in: Moriya, Kenichi u. a. (Hrsg.), Tokyo (Japan), 2010, S. 195–215.
Notstandsregeln als Ausdruck von Rechtsprinzipien, in: Festschrift für Ingeborg Puppe, 2011, S. 425–450. Vergeltung, Schuldausgleich und Wiederherstellung des Rechts – Zur Idee der Strafe, in: Koslowski, Peter (Hrsg.), Endangst und Erlösung 2, Rechtfertigung, Vergeltung, Vergebung, Erlösung, 2012, S. 53–79. Strafbarkeit juristischer Personen und Zurechnung, in: Festschrift für Jürgen Wolter, 2013, S. 349–373. Responsabilidad de la Persona Jurídica e Imputación (Übersetzung ins Spanische durch Antonio Martíns), in: Cuadernos de Política Criminal 2017, S. 385–412. Freie Beweiswürdigung und Beweismaß – Historische und erkenntnistheoretische Grundlagen, in: Festschrift für Rolf Stürner, 2013, Teilband I, S. 849–875. Libre valoración de la prueba y estandar probatorio (Übersetzung ins Spanische durch Patricia Ziffer), in: Revista de Derecho penal y procesal penal 2013, S. 2206–2223. Zur Zukunft des Schuldstrafrechts – Schuldstrafrecht und Neurowissenschaften, in: Festschrift für Kristian Kühl, 2014, S. 187–212. Straftheorie, Straftat und Strafzumessung im gesamten Strafrechtssystem. Zur Revisionsbedürftigkeit des Grundverständnisses der Straftat, in: Festschrift für Werner Beulke, 2015, S. 103–114. Strafe, Straftat und Straftatsystem im Wandel (Vortrag am 12.6.2014 an der Universidad de San Pedro, Chimbote, Peru, anlässlich der Verleihung eines Ehrendoktors), deutsche Fassung, GA 2015, S. 65–85. Pena, delito y sistema del delito en transformación (Übersetzung ins Spanische durch Ivó Coca Vila), InDret 2014/Nr. 2, S. 1–30.
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Zum Recht des abwesenden Angeklagten auf Verteidigung, insbesondere in der Berufungsinstanz, in: Festschrift für Hans-Ullrich Paeffgen, 2015, S. 589–619. Voraussetzungen und Grenzen staatlichen Strafens, NStZ 2016, S. 16–25. Strafrecht und Solidarität. Zugleich zu Notstand und unterlassener Hilfeleistung (Vortrag an der Universität Alberto Hurtado, Santiago/Chile, und an der Universität Torcuato di Tella, Buenos Aires im November 2013), GA 2016, S. 121–137. Schuldprinzip und Absprachen, in: Festschrift für Franz Streng, 2017, S. 685– 702. Strafwürdigkeit, Strafbedürftigkeit und Straftatsystem, GA 2017, S. 364–382; Erstveröffentlichung in der Festschrift für Asada, Tokio (Japan), 2016, S. 25–48. Schwächen und Notwendigkeit einer Revision der Lehre vom Unrechtsbewusstsein, GA 2017, S. 699–710. Spanische Übersetzung durch Ricardo Robles Planas, in: Silva Sánchez u. a. (Hrsg.), Estudios de Derecho Penal, Festschrift für Santiago Mir Puig, Buenos Aires (Argentinien) 2017, S. 569–580.
Zur Verantwortlichkeit von Unternehmern und Unternehmensorganen für Straftaten ihrer Mitarbeiter. Zugleich ein Beitrag zur Lehre von der Täterschaft, in: Festschrift für Klaus Rogall, 2018, S. 121–146. Erfolgsgeschichte und Kritik der objektiven Zurechnungslehre – zugleich ein Beitrag zur Revisionsbedürftigkeit des Straftatsystems, GA 2018, S. 553–572. Crítica de la teoría de la imputación objetiva – asimismo un aporte a la necesidad de revisión del sistema del delito (Übersetzung ins Spanische durch Natalia Bautista), Vortrag an der Universidad Externado de Bogotá am 15.4.2015. Strafrecht und Terrorismus. Möglichkeiten und Grenzen eines sogenannten präventiven Strafrechts gegen terroristische Straftaten – am Beispiel des § 89a StGB, in: Festschrift für Thomas Fischer, 2018, S. 315–333. Straftheorie, Verbrechensbegriff und Straftatsystem im Umbruch, GA 2019, S. 185–204. Übersetzung ins Spanische durch Lautaro Contreras und Luis Rojas, in: Revista Estudios de la Justicia, Chile, 2019. Straftheorie, Verbrechensbegriff und Straftatsystem im Werk von Günther Jakobs, in: Kindhäuser, Urs u. a. (Hrsg.), Strafrecht und Gesellschaft. Ein kritischer Kommentar zum Werk von Günther Jakobs, 2019, S. 647–696.
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Untauglicher Versuch und Wahndelikt, insbesondere bei Irrtümern über außerstrafrechtliche Normen. Normentheoretische, straftheoretische und verfassungsrechtliche Überlegungen, GA 2019, S. 305–324. Zum Begründungshintergrund von Übel und Tadel in der Theorie der Strafe, GA 2019, S. 537–553. Konzepte der Unrechtsbegründung, in: Festschrift für Marcelo Sancinetti, 2020, S. 347–365. Bindings Bedeutung für die heutige Strafrechtswissenschaft, in: Kubiciel, Michael u.a. (Hrsg.), „Eine gewaltige Erscheinung des positiven Rechts“, 2020, S. 411–439. Notwendigkeit und Legitimation staatlichen Strafens. Beiträge von 1977–2018, in: Freund, Georg/Murmann, Uwe/Pawlik, Michael (Hrsg.), Abhandlungen zum Strafrecht, 2021 (im Druck).
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https://doi.org/10.1515/9783110703016-004
Wolfgang Heinz I. Lebenslauf Meine Mutter berichtete, sie habe kein „Führerkind“ haben wollen, für meine verspätete Geburt am 23. April 1942 (statt am 20.) in Pforzheim war sie deshalb dankbar. Meine Eltern wohnten damals in Eutingen, heute einem Teilort von Pforzheim. Zu meinen frühesten Kindheitserinnerungen gehören Nächte in einem unterirdischen Luftschutzbunker, Fliegerangriffe und das brennende, am 23.2.1945 fast völlig zerstörte Pforzheim sowie Wohnungsdurchsuchungen durch französische Soldaten. Meine Eltern waren sog. „einfache Leute“. Meine Mutter, frühe Vollwaise, war vor meiner Geburt als Haushaltshilfe bei einem Pforzheimer Fabrikantenehepaar „in Stellung“ gewesen. Mein Vater war gelernter Feinmechaniker. Beim Angriff auf Pforzheim starben die ehemaligen Arbeitgeber, die Betriebsstätte war ein Schutthaufen. Meine Eltern verdienten sich ihren Lebensunterhalt mit Heimarbeit bzw. als Handelsvertreter in verschiedensten Branchen. Die Geldknappheit meiner Eltern verhinderte, dass ich nach dem vierten Jahr Volksschule, trotz bestandener Aufnahmeprüfung, auf das Gymnasium wechseln konnte. Nach acht Jahren Volksschule hatte sich die finanzielle Situation etwas entspannt, weshalb ich – statt nunmehr als Lehrling Geld verdienen zu müssen – auf die dreijährige Höhere Handelsschule wechseln durfte. Danach konnten es sich meine Eltern nochmals leisten, mich drei Jahre lang die Wirtschaftsoberschule in Pforzheim besuchen zu lassen, wo ich 1962 die Reifeprüfung ablegte. Dank meiner guten Noten in den Kernfächern war ich nicht nur zum Studium der Wirtschaftswissenschaften an allen deutschen Hochschulen, sondern auch an den Hochschulen der Länder Baden-Württemberg und Bayern zum Studium aller Fächer zugelassen. Vielseitig interessiert, meine besten Noten hatte ich u. a. in Deutsch, Geschichte, Mathematik und Physik, riet mir die Berufsberatung zu einem Studium von Jura, weil damit das größte berufliche Spektrum abgedeckt werden könne.
Dank einer Förderung nach dem sog. Honnefer Modell – Stipendium und Pflichtdarlehen – konnte ich unabhängig von der Unterstützung durch meine Eltern und ergänzt durch regelmäßige Werkstudentenarbeit in Freiburg im Breisgau studieren. Die Rechts- und Staatswissenschaftliche Fakultät verfügte über beeindruckende Persönlichkeiten. Meine erste Vorlesung hörte ich bei Fritz Pringsheim, der mit den Worten begann „Zu welchem Behufe studieren wir römische Rechtsgeschichte?“. Unterhaltsam führte Gustav Böhmer in das Bürgerliche Gesetzbuch ein. Im Strafrecht hörte ich bei Thomas Würtenberger und Hans-Heinrich
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Jescheck, im Zivilrecht bei Fritz von Hippel, Ernst von Caemmerer und Wolfram Müller-Freienfels, im Öffentlichen Recht bei Martin Bullinger, Konrad Hesse und Horst Ehmke, Rechtsphilosophie bei Erik Wolf und Kirchenrecht bei Alexander Hollerbach, um nur die prägendsten Professoren zu nennen. Volkswirtschaftslehre hörte ich noch bei Friedrich August von Hayek, der Erwartungen mit dem Hinweis dämpfte, ein „richtiger“ Akademiker werde man erst in der dritten Generation. Zuvor hatte bereits Fritz Rittner in seiner Einführungsvorlesung auf schlechte Berufsaussichten infolge eines bestehenden „Überangebotes“ an Juristen aufmerksam gemacht. Über den Tellerrand zu blicken, war mir ein Anliegen. Bei Gerhart Baumann hörte ich dessen Kleist-Vorlesung; bei Bernhard Welte dessen Vorlesung über Existenzialismus („Freiheit und Determination“). Kurz vor Schluss meines Studiums – 1966 – wurde ich in die Studienstiftung des Deutschen Volkes aufgenommen und – ein Glücksfall für mich – der Studienstiftlergruppe von Bernhard Welte zugewiesen. Von den Seminaren bei Konrad Hesse, Alexander Hollerbach und Thomas Würtenberger war das Seminar zur Strafvollzugsreform bei Würtenberger wegweisend. Bei der Ausarbeitung meines Referates über „Soziale Ächtung nach dem Strafvollzug“ war die Diskrepanz zwischen dem im rechtswissenschaftlichen Schrifttum geschilderten Soll- und dem in der Literatur von Inhaftierten dargestellten Ist-Zustand unübersehbar. Um mir Klarheit zu verschaffen, suchte ich das damalige Freiburger Gefängnis auf, in dem nicht nur Gefängnis-, sondern auch Zuchthausstrafen verbüßt wurden. Meine Gespräche mit den Bediensteten waren ernüchternd. Die geschilderte Empirie war das krasse Gegenteil dessen, was die damaligen Strafrechtsprofessoren als Strafwirkung zu wissen glaubten und lehrten. Noch im selben Semester schrieb ich mich auch in der wirtschaftsund sozialwissenschaftlichen Fakultät ein, wo ich u. a. mehrere Vorlesungen von Heinrich Popitz hörte.
Das Erste Staatsexamen legte ich nach dem neunten Semester am 1.12.1966 mit der Note „gut“ und dem 2. Platz ab. Statt in den Referendariatsdienst zu wechseln, nahm ich bei Thomas Würtenberger vom 1.12.1966 bis zum 31.3.1972 eine Stelle als Wissenschaftliche Hilfskraft bzw. als Verwalter einer Assistentenstelle an dem von ihm geleiteten Institut für Kriminologie und Strafvollzugskunde der Universität Freiburg an. In der deutschsprachigen Kriminologie wurden in dieser Zeit Befunde der USamerikanischen Kriminologie zu Dunkelfeldforschung, Selektions- und Zuschreibungsprozessen rezipiert. In einem umfangreichen, mehr als 1.200 Seiten umfassenden Manuskript versuchte ich damals, die einzelnen Ebenen der Straf-
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verfolgung unter diesem Blickwinkel zu analysieren. Denn wenn Selektionsfaktoren mitbestimmen, welche Taten und Täter aus dem Dunkelfeld herausgefiltert und vom staatlichen Sanktionsapparat erfasst werden, dann steht die (von registrierter Kriminalität ausgehende) Kriminologe vor der Schwierigkeit, Faktoren, die kriminelles Verhalten erklären, von jenen zu trennen, die erklären, weshalb eine bestimmte Person angezeigt und verurteilt worden ist. Ausgehend von den klassischen Theorien zur Jugendkriminalität, in denen u. a. (aufgrund amtlicher Statistiken) ein Zusammenhang mit sozialer (Unter-)Schicht betont wurde (der durch die aufkommenden Täterbefragungen in Zweifel gezogen wurde), einer deshalb naheliegenden Analyse der Aussagekraft von Kriminal- und Strafrechtspflegestatistiken und einer sekundäranalytischen Auswertung zahlreicher Aktenanalysen arbeitete ich diese neue Blickrichtung in einem Dissertationsentwurf auf. Thomas Würtenberger riet mir, diesen Entwurf für die spätere Habilitation aufzubewahren und aus dem Vorwort die Dissertation zu entwickeln. Da er aber nach seiner Emeritierung, die 1973 erfolgen sollte, keine Habilitation betreuen wollte, wählte ich einen anderen Weg. Ein Kapitel wurde zur Dissertation „Bestimmungsgründe der Anzeigebereitschaft des Opfers. Ein kriminologischer Beitrag zum Problem der differentiellen Wahrscheinlichkeit strafrechtlicher Sanktionierung“ umgeschrieben, mit der ich 1972 promovierte.
Parallel zur Institutsmitarbeit war ich 1969 in den Referendariatsdienst eingetreten, den ich Anfang 1973 mit der Zweiten Juristischen Staatsprüfung und erneut der Note „gut“ (siebter/achter Platz) abschloss. Ein Angebot, gleich in den Justizdienst übernommen zu werden, schlug ich zugunsten eines Habilitationsstipendiums der DFG aus, das 1974 durch einen Werkvertrag mit dem Bundeskriminalamt unterbrochen wurde. Angefertigt werden sollte ein Forschungsbericht zu „Kriminalstatistik und Kriminalstatistiken – unter besonderer Berücksichtigung der Polizeilichen Kriminalstatistik.“ Meine Situation, zwar als Habilitand an der Fakultät angenommen worden zu sein, aber keinen Betreuer zu haben, veranlasste Hans-Heinrich Jescheck, den Doyen der strafrechtlichen Abteilung, mit dem damaligen Direktor der kriminologischen Abteilung des neu gegründeten MaxPlanck-Instituts für ausländisches und internationales Strafrecht, Günther Kaiser, Kontakt wegen einer Betreuung aufzunehmen. Meine fertige Arbeit für das BKA legte ich Kaiser vor; er fand sie als Habilitationsschrift geeignet. Sie wurde später – in stark gekürzter Form – in der Bibliographienreihe des BKA publiziert. Nachdem ich noch einige strafrechtsdogmatische Arbeiten, u. a. zur objektiven Zurechnung, eingereicht hatte (aus Zeitgründen wurden sie nie zur Publikation ausgearbeitet) erhielt ich im Februar 1976 die Lehrbefähigung für „Kriminologie und Strafrecht“.
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Zum Sommersemester 1976 wurde ich auf eine C2-Stelle in Augsburg berufen, zum Wintersemester wechselte ich auf eine C3-Stelle in Konstanz. 1978 nahm ich den Ruf auf eine C4-Stelle in Bielefeld an. In Bielefeld kam unsere Tochter zur Welt; meine Frau und ich hatten 1972 geheiratet. 1981 erhielt ich Rufe nach Trier und Konstanz. Ich nahm den Ruf nach Konstanz an, der mit der Einrichtung des Instituts für Rechtstatsachenforschung verbunden war, dessen geschäftsführender Direktor ich bis zu meiner Emeritierung 2007 blieb. Einen Ruf nach Münster lehnte ich 1994 ab. Mit der Emeritierung begann für mich die Zeit der nicht mehr der Genehmigung bedürfenden Forschungsfreisemester. Augsburg, Bielefeld und Konstanz waren damals Modelle der einstufigen Juristenausbildung, die u. a. eine stärkere Verzahnung von Theorie und Praxis sowie eine Berücksichtigung der Sozialwissenschaften in der Juristenausbildung vorsahen. Besonders intensiv war dies im Bielefelder Modell ausgeprägt. Ich hatte Vorlesungen nicht nur zu Kriminologie und Jugendstrafrecht zu halten, sondern auch zu „Straftatfolgen“, „forensische Psychologie“, „Kriminalpsychologie“, „Jugendrecht“, „Straftaten und ihre soziale Erledigung“ sowie „Sachverhaltsfeststellung“. Ich war vollauf beschäftigt, mich in diese auch für mich neuen Gebiete einzuarbeiten, teilweise unterstützt durch Praktiker. Später, in Konstanz, war die Lehre, schon allein deshalb, weil es nur drei strafrechtliche Stellen sowie einen abgeordneten Praktiker gab, wesentlich stärker auf die juristischen Kernfächer konzentriert. Rund die Hälfte meiner Vorlesungsverpflichtungen entfielen in Konstanz immer auf die Kernbereiche des Strafrechts, insbesondere des Besonderen Teils. Meine Kollegen Leibinger und Rengier ließen mir die Wahlfreiheit hinsichtlich der Vorlesungen und eröffneten mir so Freiräume, für die ich ihnen dankbar war. 1984 wurde das durchaus erfolgreiche einstufige Modell1 aufgegeben; die letzten Studierenden, die nach diesem Modell ihr Studium beenden durften, wurden im Wintersemester 1983/84 aufgenommen. Ergänzend zum nunmehrigen Wahlfachstudium (Kriminologie, Jugendstrafrecht, Strafvollzug) führte ich eine regelmäßige Vorlesung „Sanktionen und ihre kriminologischen Grundlagen“ ein, deren Inhalt auch Gegenstand der mündlichen Prüfung im Ersten Juristischen Staatsexamen wurde. Die Anfang 1990 erfolgte Einführung des Wahlpflichtfachs „Kriminologie“ für Psychologen2 führte zu einer interdisziplinären Zusammensetzung der Studierenden in den Vorlesungen, die diese – aus meiner Sicht – interessanter und durch Gegenfragen in den Diskussionen für beide Gruppen (und für
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Vgl. Heinz, Wolfgang, Rechtswissenschaft an der Universität Konstanz, in: Leibinger, Rudolf u. a. (Hrsg.), Zwischenbilanz, 1988, S. 401–429. Vorlesungsgegenstände waren: Kriminologie, Jugendstrafrecht, Straftatfolgen, Vollstreckung und Strafvollzug.
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mich) lehrreicher werden ließ. Wirtschaftsstrafrecht hatte ich bereits in Augsburg gelesen, später wieder im neuen Konstanzer Schwerpunktprogramm. Die Verbindung zur Praxis hielt ich aufrecht. Als Mitglied der Deutschen Vereinigung für Jugendgerichte und Jugendgerichtshilfen (DVJJ) war ich von 1983 ab knapp zehn Jahre Vorsitzender der Landesgruppe Baden-Württemberg in der DVJJ und organisierte fast ein Jahrzehnt lang die jährlichen „Kleinen Konstanzer Jugendgerichtstage“, auf denen sich Praktiker und Theoretiker über aktuelle Fragen austauschten. Die „Reform von unten“ im Jugendstrafrecht begleitete ich nicht nur durch eine Tagung in Konstanz, sondern auch durch meine jahrelange Mitgliedschaft im Vorstand der Bundesarbeitsgemeinschaft für ambulante Maßnahmen nach dem Jugendrecht. Vorträge in der Deutschen Richterakademie, beim Bundeskriminalamt, auf den Deutschen Jugendgerichtstagen sowie auf verschiedensten Fortbildungsveranstaltungen waren immer auch eine Rückkoppelung mit der Praxis. Der akademischen Selbstverwaltung konnte ich mich schon deshalb nicht entziehen, weil ich als geschäftsführender Direktor des Instituts für Rechtstatsachenforschung ständiges Mitglied des Fakultäts- bzw. Fachbereichsrats meiner Fakultät war. 1986/87 war ich Dekan, jahrelang Mitglied des Großen Senats sowie in einer Wahlperiode auch dessen Vorsitzender. Als Jurist mit Computerkenntnissen entsandte mich meine Fakultät von Anbeginn an in den EDV-Ausschuss der Universität (später: Senatsausschuss für Kommunikation und Information).
II. Arbeiten in Forschung und Lehre 1. Leitlinien in Forschung und Lehre Das Konstanzer Credo lautete: Lehre aus der Forschung entwickeln. Leitlinie meiner Forschung als Juristen-Kriminologe3 war es, die empirischen Grundlagen aufzubereiten für ein humanes, resozialisierungsfreundliches und rechtsstaatlichliberales Strafrecht. Mir und meiner Forschungsgruppe „Strafrechtliche Rechtstatsachenforschung und empirische Kriminologie“ – so die Bezeichnung in der Satzung des Instituts für Rechtstatsachenforschung – ging es um systematisch zu gewinnendes, empirisches Wissen für evidenzbasierte Kriminalpolitik sowie für die Möglichkeiten und Grenzen von (insbesondere tertiärer) Prävention. Hieraus ergaben sich die Schwerpunkte der wissenschaftlichen Arbeit meiner Forschungsgruppe: 1. Kriminalstatistik als Quellenwerk, 2. kriminalstatistische Erkenntnisse, 3. Dunkelfeldforschung, 4. Rückfallstatistik und Wirkungsforschung, 5. Kom3
Ausgeklammert werden im Folgenden die rechtswissenschaftlichen Beiträge im Bereich des Jugend- sowie des Wirtschaftsstrafrechts.
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munale Kriminalprävention, 6. EDV in Lehre und Forschung, 7. Internationale Zusammenarbeit.
2. Kriminalstatistik als Quellenwerk In modernen Gesellschaften sind Statistiken unerlässliche Grundlage für Planung, Organisation und Kontrolle. Eine rationale Kriminalpolitik, die die tatsächlichen Grundlagen, die Wirkungen und die (etwaigen) Zielabweichungen rechtlicher Regelungen beobachten will (und muss), ist auf statistische Daten als Grundlage folgenorientierten Handelns angewiesen. Ohne gesichertes Wissen lässt sich alles irgendwie behaupten und begründen, nur eines ist nicht möglich, nämlich eine rationale Kriminalpolitik. Deshalb hat das Bundesverfassungsgericht in seinem zweiten Urteil zum Schwangerschaftsabbruch vom 28.5.1993 nicht nur die bereits im Volkszählungsurteil vom 15.12.1983 gemachte Aussage bekräftigt, dass amtliche Statistiken „für eine am Sozialstaatsprinzip orientierte staatliche Politik unentbehrliche Handlungsgrundlage“4 sind, sondern sogar den Gesetzgeber von Verfassungs wegen in bestimmten Fallkonstellationen für verpflichtet erachtet, verlässliche Statistiken zu führen.5 Neben der Aufgabe, Zahlenmaterial für Parlament, Regierung und Verwaltung zur Verfügung zu stellen, dienen amtliche Datensammlungen auf dem Gebiet der Strafrechtspflege auch dazu, für Öffentlichkeit und Wissenschaft relevantes Informationsmaterial zu liefern. Ohne sie wären Gesetzgeber, (Justiz‑)Verwaltungen, Polizei, Rechtspflege, Wissenschaft und Öffentlichkeit auf dem Gebiet der strafrechtlichen Sozialkontrolle blind und taub; Kriminalpolitik wäre nur „im Blindflug“6 möglich. Die erste reichseinheitliche Statistik, die der heutigen Strafverfolgungsstatistik entsprechende Reichskriminalstatistik, wurde 1882 eingeführt. Sie genügte dem überwiegend administrativen und kameralistischen Interesse der Justizverwaltungen. Für die Wissenschaft bildeten ihre Daten, die einen hohen Anteil Rückfälliger, insbesondere unter den jungen Verurteilten, belegten, einen der Ausgangspunkte der Kritik am damaligen Strafrecht. Franz von Liszt fasste das Ergebnis der damaligen statistischen Auswertungen folgendermaßen zusammen. Der Hang zum Verbrechen (wächst) auch bei den Jugendlichen mit jeder neuen Verurteilung. […] je härter die Vorstrafe nach Art und Maß gewesen ist, desto rascher der Rückfall erfolgt. […] Wenn ein Jugendlicher oder auch ein Erwachsener ein
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BVerfGE 65, 1, 47. BVerfGE 88, 203, 310 f. Heinz, Wolfgang, Strafrechtspflegestatistiken und Kriminalpolitik. Zuverlässige und inhaltsreiche Strafrechtspflegestatistiken als Alternative zu einer „Kriminalpolitik im Blindflug“, in: Festschrift für Hans-Joachim Schneider, 1998, S. 779–812.
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Verbrechen begeht und wir lassen ihn laufen, so ist die Wahrscheinlichkeit, dass er wieder ein Verbrechen begeht, geringer, als wenn wir ihn bestrafen. Ist das Gesagte richtig […], so ist damit der völlige Zusammenbruch, der Bankerott unserer ganzen heutigen Strafrechtspflege in schlagendster Weise dargetan.7
Die von der sog. Modernen Schule des Strafrechts angestoßenen Strafrechtsreformen führten zu der heutigen, folgenorientierten und rechtsstaatlich begrenzten modernen Strafrechtskonzeption. Mit den zahlreichen Reformen des Verfahrens- und des Sanktionenrechts haben sich sowohl Aufgaben und Rollen der Strafverfolgungsinstanzen als auch die Sanktionsarten und deren Zumessungsgrundlagen geändert. Stichworte mögen genügen: Einführung des Jugendstrafrechts, Einführung und stetige Ausweitung des Opportunitätsprinzips, Aufwertung des Strafbefehlsverfahrens, „Verständigung“ im Strafverfahren, Ersetzung des tatschuldvergeltenden Strafrechts durch ein Tat-Täter-Strafrecht, Sanktionenrechtsreformen mit dem Ziel, Freiheitsstrafe zur ultima ratio werden zu lassen. Obwohl die Kriminal- und Strafrechtspflegestatistiken seit den 1950er-Jahren gegenüber dem Stand von 1882 erheblich ausgebaut und auch den gesetzlichen Reformen (teilweise) angepasst worden sind, genügen sie weder wissenschaftlichen Informationsbedarfen noch liefern sie hinreichende Eckdaten für eine evidenzbasierte Kriminalpolitik. Wiederholt habe ich deshalb kurz-, mittel- und langfristig zu realisierende Reformen der Kriminalstatistiken vorgeschlagen. Dabei geht es nicht nur darum, dass aussagekräftige Tätigkeitsberichte für die einzelnen Instanzen vorliegen, sondern, dass auch deren Zusammenwirken erkennbar wird. Denn das Strafverfahren ist nicht nur ein Prozess der Ausfilterung, sondern auch ein Prozess der Bewertungsänderung. Erkennbar ist z. B., dass nur etwa 20 % der wegen eines vorsätzlichen Tötungsdeliktes polizeilich ermittelten Tatverdächtigen auch wegen derartiger Delikte verurteilt werden. Was mit den anderen 80 % geschehen ist, ob sie während des Verfahrens gestorben sind, freigesprochen wurden oder wegen anderer, minder schwerer Delikte verurteilt wurden, lässt sich mit den verfügbaren Daten nicht ermitteln.
Als Vorsitzender von zwei Arbeitsgruppen, die vom Rat für Sozial- und Wirtschaftsdaten (RatSWD) 2008 und 2018 eingesetzt worden waren, hatte ich in den letzten Jahren Gelegenheit, anknüpfend an meine früheren Veröffentlichungen nochmals detaillierte Vorschläge für eine Weiterentwicklung der Kriminal- und Strafrechtspflegestatistik zu erarbeiten.8 Diese sahen zum einen Erweiterungen 7
Liszt, Franz von, Die Kriminalität der Jugendlichen, in: Liszt, Franz von, Strafrechtliche Aufsätze und Vorträge, Bd. 2, 1905, S. 338 f. Rat für Sozial- und Wirtschaftsdaten (Hrsg.), Optimierung des kriminalstatistischen Systems in Deutschland. Empfehlungen der Arbeitsgruppe „Optimierung des bestehenden kriminalstatistischen Systems“ unter dem Vorsitz von Prof. Dr. Wolfgang Heinz,
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bestehender Statistiken (Strafverfolgungs-, Strafvollzugs- und Maßregelvollzugsstatistik) vor, um verfahrens- und sanktionenrechtliche Reformen der letzten Jahrzehnte messen zu können. Zum anderen wurde die Einführung neuer Statistiken vorgeschlagen, um bestehende Informationslücken zu schließen (Beschuldigtenstatistik der StA, Untersuchungshaftstatistik, Strafvollstreckungsstatistik). Vor allem aber wurde die Schaffung einer bundesrechtlichen Grundlage für die Strafrechtspflegestatistiken gefordert. Derzeit handelt es sich um sog. koordinierte Länderstatistiken, die auf Verwaltungsanordnungen der Länder beruhen. Durch den Federstrich eines Landesministers kann, wie geschehen, die Führung einer Strafrechtspflegestatistik entweder gar nicht aufgenommen, zeitweilig ausgesetzt oder gänzlich wieder eingestellt werden.
3. Kriminalstatistische Erkenntnisse a. Umfang, Struktur und Entwicklung von Kriminalität Zu den scheinbar gesicherten Erkenntnissen gehört, dass insbesondere die Jugendkriminalität, namentlich die Gewaltkriminalität, gestiegen ist, dass Kriminalität „brutaler“ geworden ist, dass Ausländer bzw. Personen mit Migrationshintergrund überproportional kriminell werden. Zahlen amtlicher Statistiken sprechen nicht für sich. Um den Aussagegehalt einschätzen zu können, bedarf es Hintergrundwissen über die Datengewinnung und über die Zählweise. In zahlreichen Beiträgen zur Jugend-, zur Gewalt-, zur Frauen-, zur Wirtschaftskriminalität usw. habe ich immer wieder darauf hingewiesen, dass Hellfeldkriminalität nicht mit „Kriminalitätswirklichkeit“ identisch ist. Aussagen sollten die statistischen Daten nicht überfolgern; soweit möglich sollte eine Gegenkontrolle erfolgen einerseits durch Daten aus Dunkelfeldforschungen, andererseits durch Daten anderer Strafrechtspflegestatistiken. Nur einige Grenzen der Datenanalyse seien erwähnt: Die Polizeiliche Kriminalstatistik (PKS) ist eine Anzeigenstatistik. Ob eine Straftat in der PKS erfasst wird, ist in erster Linie davon abhängig, ob das Opfer (oder ein Zeuge) den Vorfall bei der Polizei anzeigt oder nicht. Rund 80 % aller erfassten Fälle gehen auf Anzeigen zurück. Die Anzeigebereitschaft ist aber nicht gleichmäßig verteilt, sondern ist deliktsspezifisch und täterspezifisch unterschiedlich hoch, sie ändert sich über die Zeit hinweg. Die Crux einer jeden Aussage zur Entwicklung von Kriminalität, die auf Daten über „registrierte“ Kriminalität, also auf Hellfeldkriminalität, gestützt ist, besteht darin, dass unklar ist, ob die statistischen Zahlen die Entwicklung der
Universität Konstanz, 2009. Rat für Sozial- und Wirtschaftsdaten (Hrsg.), Weiterentwicklung der Kriminal- und Strafrechtspflegestatistik in Deutschland, 2020 (abrufbar unter https://www.ratswd.de/publikationen/output).
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„Kriminalitätswirklichkeit“ widerspiegeln oder ob sie lediglich das Ergebnis einer Verschiebung der Grenze zwischen Hell- und Dunkelfeld sind. Die Aufklärungsraten sind ebenfalls delikts- und täterspezifisch unterschiedlich hoch. Tatverdächtige sind infolgedessen eine Auslese aus einem doppelten Dunkelfeld, dem Dunkelfeld der nicht polizeilich bekannt gewordenen Taten sowie dem Dunkelfeld der nicht erfolgten Aufklärung. Jugendliche sind z. B. eher zu einem Geständnis zu bewegen als Erwachsene; sie haben zu den schwer aufklärbaren Delikten der Betrugs- und Wirtschaftskriminalität kaum Zugang; sie verüben dagegen Delikte häufiger in Cliquen und im öffentlichen Raum (was ihre Taten „sichtbarer“ macht), sie agieren unprofessioneller und verüben vor allem einfache, unkomplizierte Delikte.
Ausländer – der Migrationshintergrund wird in der PKS nicht (und kann auch nicht) erfasst (werden) – sind im Vergleich zu ihrem Bevölkerungsanteil überproportional häufig als Tatverdächtige registriert. Daraus kann indes nichts abgeleitet werden für eine Höherbelastung, weil die Gruppen nicht vergleichbar sind. Praktisch nur Ausländer können ausländerrechtliche Verstöße verüben. Ausländer sind im Schnitt jünger, der Anteil der Männer ist höher, sie leben eher in Großstädten, gehören eher unteren Schichten an, sind eher arbeitslos usw., d. h. sie weisen viele Merkmale auf, die überproportional häufig auch bei einheimischen Tatverdächtigen vorliegen. Hinzu kommt noch die Wahrscheinlichkeit einer intensiveren sozialen Kontrolle. Nur einige dieser Merkmale sind mittels der Daten der PKS kontrollierbar (Alter, Geschlecht). Der Vergleich von Bevölkerungs- und Tatverdächtigenanteil überschätzt ferner die Relation zulasten von Ausländern. Ausländische Tatverdächtige werden unabhängig von ihrem Wohnsitz oder Aufenthaltsstatus in der PKS registriert; in der Wohnbevölkerung werden sie aber nur erfasst, wenn sie gemeldet sind. Nicht erfasst sind deshalb einerseits die nicht meldepflichtigen Personen (Touristen, Durchreisende, Berufspendler, andererseits die zwar meldepflichtigen, aber nicht gemeldeten Personen). Im Vergleich zur Tatverdächtigenerfassung liegt also eine „Untererfassung“ in der Bevölkerungsstatistik vor und damit eine systematische Überschätzung ihrer Kriminalitätsbelastung.
b. Kriminalitätsvorausschätzung in Abhängigkeit von der demografischen Entwicklung Planung wie Prävention setzen verlässliche Prognosen voraus. Keine der in der Vergangenheit erstellten Prognosen zur Entwicklung und Struktur von Kriminalität oder zur künftigen Gefangenenzahl hat sich hierbei als sonderlich treffsicher erwiesen, und zwar unabhängig von der Methode. Dies überrascht nicht, denn die prognostische Güte ist primär keine Frage der Methode, sondern der hinreichend
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präzisen und bestätigten Theorien. An diesen theoretischen Voraussetzungen fehlt es aber. Denn hierfür wäre ein hinreichend vollständiges Erklärungsmodell sowohl für Kriminalität als auch für strafrechtliche Sozialkontrolle erforderlich. Zukunftsorientiertes Handeln ist deshalb immer ein Handeln unter den Bedingungen des „aufgeklärten Nichtwissens“: Wir wissen, dass wir dem Zwang zum Handeln unterliegen, obwohl unsere prognostischen Fähigkeiten begrenzt sind, weshalb die im Hinblick auf die mutmaßliche künftige Entwicklung ergriffenen Maßnahmen mit großer Wahrscheinlichkeit einerseits nicht völlig gegenstandsadäquat sein werden und andererseits unbeabsichtigte/unerwünschte Nebenfolgen eintreten werden. Infolgedessen müssen wir bereit, willens und fähig sein, die Entwicklung fortlaufend zu beobachten, um sie erforderlichenfalls korrigieren zu können. Realistisch betrachtet sind hinsichtlich der Kriminalitätsentwicklung nur Modellrechnungen möglich, bei denen die gegenwärtigen, alters- und geschlechtsgruppenspezifischen Belastungszahlen auf die künftig zu erwartende Bevölkerungsentwicklung projiziert werden – bei ansonsten als unverändert angenommen Bedingungen. Die künftige Bevölkerungsgröße und -struktur wird, von (in jüngster Zeit zunehmend häufiger eintretenden) „Ausnahmefällen“ abgesehen, bestimmt von der Geburtenhäufigkeit, der Lebenserwartung und dem Wanderungssaldo, von Faktoren also, die ihrerseits in Grenzen variieren. Da die Höhe der Kriminalitätsbelastung alters- und geschlechtsabhängig ist, sind nicht nur diese „Demografieffekte“, sondern insbesondere auch Altersgruppeneffekte durch die Änderung der Altersstruktur zu erwarten. Dies wurde in einigen Modellrechnungen veranschaulicht, deren Ergebnisse sich denn auch von den überwiegend auf Trendexpolationen beruhenden Horrorszenarien einer explodierenden Jugendund Gewaltkriminalität erheblich (und wie wir heute wissen: realitätsnah) unterschieden.
c. Erledigungspraxis der Staatsanwaltschaft In sozialwissenschaftlicher Betrachtung ist die Staatsanwaltschaft (StA) nicht Anklagebehörde, sondern Einstellungsbehörde. Nach Auffassung der StA liegt bei vielen polizeilich ermittelten Tatverdächtigen entweder kein zur Anklageerhebung hinreichender Tatverdacht vor oder es handelt sich um einen Fall minderer Schwere, der aus Opportunitätsgründen eingestellt werden kann. 2019 wurde z. B. nur in 20 % aller Ermittlungsverfahren gegen Beschuldigte (also Tatverdächtige i. S. der PKS) Anklage erhoben oder Antrag auf ein Strafbefehlsverfahren gestellt. Werden die verfahrenstechnischen Erledigungen (z. B. Abgaben an eine andere StA oder an die Verwaltungsbehörde) sowie die Opportunitätsentscheidungen ausgeklammert, die nur vorläufig sind oder weil in anderer Sache eine schwerere
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Sanktionierung erfolgt,9 dann erhöhen sich bei diesem eingegrenzten Kreis von abschließend erledigten Verfahren die Anteile der Klagen auf 13 % und der Strafbefehlsanträge auf 16 %. Deutlich mehr Verfahren, nämlich 41 %, wurden aber mangels hinreichenden Tatverdachts gem. § 170 Abs. 2 StPO eingestellt, weitere 25 % durch Opportunitätseinstellungen i. e. S.10 sowie 6 % durch Verweis auf den Weg der Privatklage erledigt.
In mehreren Zeitreihenanalysen wurde dieser Bedeutungsgewinn der StA empirisch belegt, der sie zu einem „Richter vor dem Richter“11 hat werden lassen. Gezeigt wurde u. a. auch, dass der Anstieg polizeilich registrierter Kriminalität fast ausschließlich durch zunehmende Einstellungen aus Opportunitätsgründen verfahrensrechtlich entkriminalisiert wurde, dass die Hauptverhandlung durch Opportunitätsentscheidungen und durch das Strafbefehlsverfahren marginalisiert wurde, dass die Anklage- bzw. die Einstellungsentscheidungen der Staatsanwaltschaft erwartungsgemäß deliktspezifisch höchst unterschiedlich sind und zudem regional stark variieren.
d. Sanktionierungspraxis Zahlreiche Zeitreihenanalysen galten verschiedenen Dimensionen der Entwicklung der Sanktionierungspraxis der Gerichte in Deutschland. Diese ist gekennzeichnet •
im Langfristvergleich durch die Zurückdrängung stationärer durch ambulante, den Freiheitsentzug vermeidende Sanktionen,
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im mittelfristigen Vergleich durch die Einführung und den Ausbau helfender und stützender Maßnahmen (Bewährungshilfe), durch die Zurückdrängung kurzfristiger Freiheitsstrafen zugunsten von Geldstrafen sowie durch vermehrten Gebrauch von Verfahrenseinstellungen aus Opportunitätsgründen.
1882, zu Beginn des statistisch überblickbaren Zeitraumes, betrug der Anteil der unbedingt verhängten freiheitsentziehenden Sanktionen 77 %. 2018 entfielen auf unbedingt verhängte freiheitsentziehende Sanktionen lediglich noch 7 % aller Verurteilungen (unbedingte Freiheits- oder Jugendstrafe, unbedingter Strafarrest, Jugendarrest). Das volle Ausmaß der Zurückdrängung stationärer zugunsten ambulanter Sanktionen zeigt sich indes erst, wenn auch die Einstellungen gem.
9 §§ 154b I–III StPO, 154c StPO, 153c I, II StPO, 154d und e StPO, 154 I StPO. 10 4,8 % durch Einstellungen unter Auflagen (§ 153a I StPO, § 45 III JGG, § 37 I BtMG), 19,8 % durch Einstellungen ohne Auflagen (§§ 153 I, 153b I StPO, § 45 I, II JGG, § 31a BtMG). 11 Kausch, Erhard, Der Staatsanwalt, ein Richter vor dem Richter?, 1980.
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§§ 153, 153a, 153b StPO, §§ 45, 47 JGG, §§ 31a, 37 BtMG berücksichtigt werden, die ja 1882 (jedenfalls in der Theorie) alle zur Verurteilung führten. Denn dann dürften gegenwärtig (Stand: 2018) lediglich noch 3 % aller sanktionierbaren Personen zu einer unmittelbar mit Freiheitsentziehung verbundenen Sanktion verurteilt worden sein.
Quantitativ bedeutsamer als die formellen, also durch rechtskräftiges Urteil verhängten Strafen und Maßregeln sind inzwischen die informellen Sanktionen. Damit werden die Einstellungen aus Opportunitätsgründen bezeichnet, die überwiegend durch die StA angeordnet werden. Sie stellen teils, wie § 153 StPO, § 45 I JGG, einen Sanktionsverzicht dar (vom Verfahren als „Sanktion“ abgesehen), teils eine konsensuale Sanktionierung, wie § 153a StPO, 45 II JGG. Ihr Anteil an allen (informell oder formell) Sanktionierten stieg von 36 % (1981) auf 59 % (2018). Erwartungsgemäß war die sog. Diversionsrate im JGG höher (2018: 76 %) als im Allgemeinen Strafrecht (2018: 54 %).
Diese Zunahme der verfahrensrechtlichen Entkriminalisierung durch informelle Sanktionierung ist folgenreich für eine Analyse der Sanktionierungspraxis, weil leichte und mittelschwere Kriminalität zunehmend verfahrensrechtlich entkriminalisiert wurde, folglich der Anteil der schweren Kriminalität an den Verurteilungen stetig gestiegen ist. Bei unveränderter Sanktionierungspraxis müsste dies zu einem Anstieg härterer und längerer Strafen geführt haben. Erwartungswidrig ist aber der Anteil stationärer Sanktionen (unbedingte Freiheits- oder Jugendstrafe, unbedingter Strafarrest, Jugendarrest) an allen Verurteilungen nicht gestiegen, sondern gesunken von (1975) 10 % auf derzeit 7 %.
Allerdings ist innerhalb der (rückläufigen) stationären Sanktionen der Anteil der mittel- und langfristigen Freiheits- bzw. Jugendstrafen gestiegen. Von Teilen der Literatur wird diese relative Verschiebung als Indiz für zunehmende justizielle Punitivität gewertet. Meine Analyse der Punivitätsthese zeigte freilich, dass soziale Kontrolle insgesamt nicht punitiver geworden ist. Indizien müssten sein ein Rückgang der Einstellungen mangels hinreichenden Tatverdachts zugunsten von Diversion oder Anklage, ein Rückgang von Diversionsentscheidungen zugunsten von Anklagen sowie eine Verschiebung von nicht-intervenierender zu intervenierender Diversion, eine häufigere Anordnung von Untersuchungshaft, eine vermehrte Verurteilung zu stationären statt ambulanter Sanktionen, ein Rückgang der zur Bewährung ausgesetzten Jugendstrafen sowie eine Zunahme des Anteils von freiheitsentziehenden Sanktionen von längerer Dauer sowie auf der Ebene des Strafvollzugs ein Rückgang des Anteils der Gefangenen im offenen Vollzug und eine Zunahme der sog. „Vollverbüßer“. Mit Ausnahme der erwähnten Verschiebungen innerhalb von Freiheits- und Jugendstrafen sowie einem Rückgang
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des Anteils von Strafrestaussetzungen sprechen alle anderen geprüften Indikatoren gegen zunehmende Punitivität. Die relative Verschiebung innerhalb der verhängten Freiheits- und Jugendstrafen kann indes Folge einer Veränderung der Schwerestruktur der zur Verurteilung gelangenden Fälle sein; der Rückgang der bedingten Entlassungen Folge einerseits der 1998 erfolgten Verschärfung der Entlassungsvoraussetzungen (u. a. Ersetzung der Erprobungsklausel durch die „Berücksichtigung des Sicherheitsinteresses der Allgemeinheit“), andererseits durch eine zunehmend schwieriger gewordene Klientel. Dieser Globalbefund schließt freilich nicht aus, dass bei einzelnen Deliktsgruppen punitiver reagiert wird. Dies ist der Fall bei vorsätzlichen Tötungsdelikten sowie bei Verurteilungen nach Allgemeinem Strafrecht wegen gefährlicher Körperverletzung.
Innerhalb sanktionenrechtlicher Analysen fokussierte ich mich vor allem auf das Jugendstrafrecht. Angesichts sowohl der spezialpräventiven Zielsetzung des 1. JGGÄndG, das letztlich ein deutliches „Abstandsgebot“ zum Allgemeinen Strafrecht beinhaltet, als auch angesichts der regelmäßig geringeren Deliktsschwere und der niedrigeren Vorstrafenbelastung der nach JGG Verurteilten müsste die jugendstrafrechtliche Sanktionierungspraxis gekennzeichnet sein durch mehr informelle, insbesondere mehr folgenlose Sanktionen sowie durch einen deutlich höheren Anteil ambulanter Sanktionen. Erwartungswidrig zeigt sich indes, dass bei vergleichbaren Deliktsgruppen die Staatsanwaltschaft im Allgemeinen Strafrecht wesentlich häufiger folgenlos (§ 153 I StPO) einstellt als im Jugendstrafrecht (§ 45 I JGG), dass der Anteil stationärer Sanktionen nicht geringer ist als im Allgemeinen Strafrecht, dass ausgeprägt tatstrafrechtliche Tendenzen unübersehbar sind. Überspitzt lässt sich sagen, das Jugendstrafrecht sei zu einem „Straf-“Recht verkommen, in dem der Erziehungsgedanke dazu dient, einen – im Vergleich zur Sanktionierungspraxis im Allgemeinen Strafrecht – „Zuschlag“ aus erzieherischen Gründen zu legitimieren. Ein weiterer Schwerpunkt innerhalb der sanktionenrechtlichen Analyse galt der Frage der Gleichmäßigkeit der Sanktionierungspraxis. In mehreren Analysen wurde gezeigt, dass bei vergleichbaren Tat- und Tätergruppen erhebliche regionale Unterschiede bestehen. Eine für 2004 durchgeführte Totalerhebung aller im Bundeszentralregister (BZR) eingetragenen Verfahrenseinstellungen bei deutschen Jugendlichen, die ausschließlich wegen einfachen Diebstahls erfolgten, ergab z. B., dass bei Ersttätern kaum Unterschiede in den Diversionsraten (insgesamt) bestanden. Die Einstellungsrate gem. §§ 45, 47 JGG betrug zwischen 88 % und 100 %. Die Spannweite vergrößerte sich aber mit der Zahl der Voreintragungen. Bei mindestens zwei Voreintragungen reichte sie von 19 % bis 87 %. Selbst die Homogenität bei Ersttätern erwies sich als nur scheinbar. Denn es existieren extrem große Unterschiede im Gebrauch der Einstellungsvarianten. Bei
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deutschen jugendlichen Ersttätern eines einfachen Diebstahls reichte die zwischen den Ländern bestehende Spannweite der staatsanwaltlichen Einstellungen ohne Auflage gem. § 45 Abs. 1 JGG von 12 % bis 85 %. Weitere Analysen zu regionalen Justizkulturen für gefährliche Körperverletzung, Raub und Einbruchsdiebstahl, Delikten also, bei denen der verzerrende Einfluss unterschiedlicher regionaler Ausfilterung durch Diversion gering ist, belegten ebenfalls erhebliche regionale Unterschiede. Die Annahme, diese Ungleichmäßigkeit sei Ausdruck einer täterorientierten Zumessung, konnte empirisch widerlegt werden. Es handelt sich um eine über die Zeit hinweg stabile, regional teilweise extrem unterschiedliche Zumessungspraxis, die in diesem Ausmaß den verfassungsrechtlich zulässigen Konkretisierungsspielraum bei Gesetzesauslegung und ‑anwendung überschreitet.
In weiteren Beiträgen wurden Dimensionen der Sanktionierungspraxis ausgeleuchtet, wie z. B. hinsichtlich des Strafbefehlsverfahrens, des Bedeutungsverlustes der Hauptverhandlung, der Einbeziehung von Heranwachsenden usw.
e. Verhängung und Vollzug freiheitsentziehender Maßregeln Die freiheitsentziehenden Maßregeln haben in den letzten beiden Jahrzehnten eine kaum für möglich gehaltene Renaissance erlebt, obwohl weiterhin (verfassungs-)rechtliche Fragen offen und vielfältige empirische Probleme der Diagnose, Prognose, Behandlung und Effizienzkontrolle (trotz unbestreitbarer zwischenzeitlicher Fortschritte) der Lösung harren. Noch nie wurden sowohl absolut als auch relativ (bezogen auf Abgeurteilte) so viele freiheitsentziehender Maßregeln angeordnet wie derzeit. In der (ver-)öffentlich(t)en Diskussion stand vor allem die Sicherungsverwahrung im Mittelpunkt. Quantitativ wesentlich bedeutsamer ist dagegen die Unterbringung in einem psychiatrischen Krankenhaus (§ 63 StGB) oder in einer Entziehungsanstalt (§ 64 StGB). Die Unterbringungsanordnungen gem. §§ 63, 64, 66 StGB sind seit Mitte der 1980er-Jahre kontinuierlich gestiegen, von 1,1 auf derzeit 4,4 pro 1.000 Abgeurteilte. Überwiegend handelt es sich hierbei um die auf zwei Jahre begrenzte Unterbringung in einer Entziehungsanstalt, vorwiegend wegen Drogenmissbrauchs. Auf längerfristige Behandlung bzw. Sicherung angelegt sind die (selteneren) Unterbringungsanordnungen gem. §§ 63, 66 StGB; auch sie sind seit Mitte der 1980er-Jahre wieder gestiegen. In mehreren Beiträgen wurde die Beschränkung der öffentlichen wie wissenschaftlichen Diskussion auf Sicherungsverwahrung kritisiert und der Blick auch auf die strafrechtlich angeordnete Unterbringung gem. §§ 63, 64 StGB gelenkt. Die (erneut regional un-
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terschiedliche) Anordnungspraxis wurde deliktsbezogen analysiert und die Auswirkungen für den Vollzug dargestellt. Das zunehmende Maß des Gebrauchs freiheitsentziehender Maßnahmen zeigt sich vor allem im Vergleich zu den Strafgefangenen. 1985 waren 7 % Untergebrachte, derzeit sind es schon 20 % (bezogen auf alle Gefangene, Verwahrte und Untergebrachte). Im früheren Bundesgebiet waren am 31.3.2018 allein gem. § 63 StGB mehr Personen untergebracht (N=6.032) als Gefangene mit einer voraussichtlichen Vollzugsdauer von mehr als fünf Jahren oder mit lebenslanger Freiheitsstrafe (N= 4.751). Die der langen Freiheitsstrafe – neben dem Schuldausgleich – angesonnene Sicherungsfunktion wird zunehmend ersetzt bzw. übernommen durch die Unterbringung im psychiatrischen Krankenhaus.
f. Kohortenstudien zur Kriminalitätsentwicklung Zahlreiche kriminologische Aussagen, die in die Lehrbuchliteratur wie in die „Alltagstheorien“ der Strafrechtspraxis eingegangen sind, beruhen auf retrospektiv gewonnenen Daten. So wird z. B. häufig Ladendiebstahl bei jungen Menschen als „Einstieg“ in eine kriminelle Karriere bewertet, weshalb Ladendiebstahl entschlossen „bekämpft“ werden müsse. In der Tat ist Ladendiebstahl unter jungen Menschen weit verbreitet. Daraus jedoch abzuleiten, dies sei ein Einstiegsdelikt, ist ein Fehlschluss, weil bei rückblickender Betrachtung – vom Endpunkt der „kriminellen Karriere“ her – alle diejenigen Ladendiebe ausgeblendet werden, die nicht weiter auffällig geworden sind. Retrospektiv lässt sich grundsätzlich nicht erkennen, ob ein Delikt Einstiegsdelikt ist; diese Frage ist nur prospektiv zu beantworten. Das Straffälligkeits- und Rückfallrisiko, insbesondere die Bedeutung der sog. Frühauffälligkeit, welcher als „Einstiegskriminalität“ prognostisches Gewicht beigemessen wird, ist nur durch prospektive Analysen messbar. Entwicklungs- und interventionsbezogene Fragestellungen, also Fragen zum Beginn, Verlauf sowie zum Abbruch krimineller Karrieren, der Spezialisierung von Straftätern, der Veränderungen in der Registrierungsfrequenz und -struktur sowie in Umfang und Struktur der Bestraftenpopulation, der Untersuchung von Veränderungen justitieller Reaktionsstrategien sowie deren Auswirkungen auf das individuelle Kriminalisierungsrisiko, sind zuverlässig allein durch Auswertung prospektiv gewonnener Längsschnittdaten zu klären. Und nur durch den Vergleich über mehrere Geburtskohorten hinweg können Alters-, Perioden- und Kohorteneffekte besser eingeschätzt werden.
Gleichwohl dominierten im Ausland wie im Inland, teils wegen der leichteren Datenverfügbarkeit, teils in Verkennung der Bedeutung von justiziellen Selektionsprozessen, retrospektive Analysen. Noch Mitte der 1960er-Jahre wurde mit
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der Tübinger Jungtäter-Vergleichsuntersuchung zum Problem der Wiederholungstäter die in der deutschsprachigen Kriminologie wohl umfänglichste retrospektive Längsschnittuntersuchung in Angriff genommen. Im Gegensatz hierzu sah meine Forschungsgruppe den prospektiven Ansatz als alternativlos an. Angesichts des notwendigen Umfangs einer Kohortenstudie, der zahlreichen zu klärenden technischen und rechtlichen, insbesondere datenschutzrechtlichen Probleme und der erheblichen Ressourcen, die ein solches Vorhaben erfordert, wurden von meiner Forschungsgruppe als erster Schritt zum Aufbau einer prospektiv durchzuführenden kriminologischen Kohortenstudie die anonymisierten Datensätze für die beiden Geburtsjahrgänge 1961 und 1967 aus dem Datenbestand des BZR gezogen. Geklärt werden sollten die technischen und (datenschutz-)rechtlichen Voraussetzungen für Kohortenstudien. In diesem Zusammenhang wurde u. a. ein Programmsystem KOSIMA12 entwickelt, getestet und erfolgreich eingesetzt, das die vom BZR übermittelten Datensätze, die für Auskünfte in Papierform, nicht aber für statistische Auswertung konzipiert und entsprechend (un-) strukturiert sind, aufbereitet und hierarchische Datensätze mit definierter Satzstruktur erstellt, wie sie Voraussetzung für die weitere statistische Auswertung mit Standardanalysesystemen sind. Ferner sollten interventionsbezogene Fragestellungen untersucht werden. So konnte u. a. festgestellt werden, dass die Prävalenzrate der im Jugendalter formell Sanktionierten, d. h. der verurteilten Personen, in den beiden untersuchten Jahrgängen mit 5 % konstant geblieben ist. Angestiegen ist dagegen die Prävalenzrate der informell Sanktionierten, d. h. der Personen, deren Verfahren nach §§ 45, 47 JGG eingestellt worden ist, und zwar von 4 % auf 7 %. Dies ist ein Hinweis darauf, dass bedeutsame Verschiebungen in den strafrechtlichen Reaktionsmustern erfolgt sind. Durch den vermehrten Gebrauch von §§ 45, 47 JGG hat die Praxis – trotz eines Anstiegs polizeilich registrierter Kriminalität – den Anteil der Verurteilten konstant halten können.
Die personenbezogene Zuordnung weiterer Ziehungswellen zu den Daten der beiden Geburtskohorten scheiterte jedoch an technischen und datenschutzrechtlichen Problemen, die damals noch nicht geklärt werden konnten. Die mit dem BZR vereinbarte, in Zusammenarbeit mit dem Bundesamt für Sicherheit in der Informationstechnik (BSI) sowie dem Zentrum für Umfragen, Methoden und Analysen (ZUMA) zu erstellende Pseudonymisierung durch kryptographische Verschlüsselung der Identifikatoren war damals noch nicht hinreichend entwickelt und getestet.
12 KOSIMA steht für KOnstanzer System zur Inhaltsanalyse und Maschinenlesbaren Aufbereitung von BZR-Daten).
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g. Mitwirkung bei den beiden Periodischen Sicherheitsberichten der Bundesregierung Als Anerkennung meiner bisherigen Tätigkeit verstand ich die 1999 erfolgte Berufung als eines von fünf wissenschaftlichen Mitgliedern, die den Ersten und später auch den Zweiten Periodischen Sicherheitsbericht der Bundesregierung erstellen sollten. Jeder der Kollegen hatte ein oder mehrere Kapitel zu entwerfen, die in der großen Runde mit Vertreten von BMJ und BMI sowie des Statistischen Bundesamtes, des Bundeskriminalamtes und der Kriminologischen Zentralstelle in mehreren Durchgängen intensivst diskutiert wurden. Diese Mitwirkung war wissenschaftlich überaus ertragreich, gleichsam ein Oberseminar auf höchstem Niveau. Welche Kapitel von mir bearbeitet worden waren, ist anhand der Grafiken leicht zu identifizieren; nur bei wenigen gab es keine Gelegenheit, eine Grafik zu verwenden.
4. Dunkelfeldforschung Generationen von Kriminalpolitikern wie Kriminalstatistikern stützten sich für Aussagen über die Kriminalität ausschließlich auf die Daten der amtlichen Kriminal- und Strafrechtspflegestatistiken. Sie glaubten, von der 1835 von Quetelet postulierten „stillschweigenden Annahme“ ausgehen zu können, zwischen der statistisch erfassten Kriminalität und der „Totalsumme begangener Verbrechen“ bestehe „ein beinahe unveränderliches Verhältnis“,13 ein „Gesetz der konstanten Verhältnisse“.14 Diese Annahme ist theoretisch unbegründet und empirisch schon lange widerlegt. Um Selektionseffekte bei der polizeilichen Tataufklärung zu überwinden, wurden bereits in den 1950er-Jahren in den USA Befragungen zur selbstberichteten Delinquenz (Täterbefragungen) durchgeführt. Erst in den 1960er-Jahren wurden Opferbefragungen entwickelt, um auch die Selektion durch Anzeigeerstattung zu überwinden. Ziel dieser Studien war ursprünglich, Instrumente zu schaffen, die unabhängig von den amtlichen Datensammlungen über die „Kriminalitätswirklichkeit“ informieren sollten. Die anfängliche, euphorische Hoffnung, die amtlichen Statistiken zu ersetzen, wird heute nicht mehr geteilt; das Ziel von Dunkelfeldforschung wird vielmehr in der Ergänzung von Hellfelddaten gesehen. Denn 13 Quetelet, Adolphe, Sur l’homme et le développement de ses facultés ou essai de physique sociale, 1835, Bd. 2, S. 173 f. (zitiert nach: Quetelet, Adolphe, Soziale Physik oder Abhandlung über die Entwicklung der Fähigkeiten des Menschen, 2. Band, 1921, S. 253). 14 Wadler, Arnold, Die Verbrechensbewegung im östlichen Europa, Bd. 1, Die Kriminalität der Balkanländer, 1908, S. 15.
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auch durch die neueren Methoden der Dunkelfeldforschung ist das „Dunkel“ nur für Teilbereiche und auch für diese nur begrenzt aufhellbar. Ausgehend von der Überlegung, dass für eine evidenzbasierte Kriminalpolitik regelmäßig durchgeführte, bundesweit repräsentative Bevölkerungsbefragungen notwendig sind, dass aber derartige Befragungen aus Kostengründen darauf beschränkt werden müssen, einen Grunddatenbestand zu liefern, wurde Mitte der 1990er-Jahre der „Konstanzer Victim Survey“ (KVS) entwickelt.15 Mit diesem Instrument sollten regelmäßig Daten erhoben werden zur Viktimisierung, zum Anzeigeverhalten und zur Kriminalitätsfurcht. Um diese Befragung auf Dauer durchführen zu können, sollte sie kostengünstig sein. Deshalb sollte mit dem KVS lediglich ein Grunddatenbestand periodisch erhoben werden, der – nach Bedarf – durch zusätzliche Fragen sollte ergänzt werden können (modularer Aufbau). Die Fragen zur Opfererfahrung, zur Anzeigeerstattung und zu den Gründen der Nichtanzeige (Frageblock 1) sollten wegen der zu erwartenden geringen Prävalenzrate einer großen Bevölkerungsstichprobe vorgelegt werden, die Fragen zum Sicherheitsgefühl und zu Social Disorder (Frageblock 2) dagegen aus Kostengründen nur einer kleinen Stichprobe. 1997 wurde der KVS im Auftrag des Bundesministeriums der Justiz von der Gesellschaft für Marketing-, Kommunikations- und Sozialforschung mbH (GFM/ GETAS) durchgeführt. Frageblock 1 wurde 1997 in die GFM/GETAS-Mehrthemengroßumfrage (MTU) mit n = 20.000 Fällen integriert, Frageblock 2 in den SozialwissenschaftenBus (SWB) III/97 mit n = 3.000 Fällen. Auf Vorschlag von GFM-GETAS wurden die beiden Blöcke stichprobentechnisch verbunden, d. h. in den SozialwissenschaftenBus III/97 wurde auch Frageblock 1 eingestellt. Die Befragungen wurden Ende 1997, Anfang 1998 als face-to-face-Interview durchgeführt.
Mit den Daten des KVS 1997 war erstmals der Vergleich zweier im Detail unterschiedlicher Erhebungsdesigns im Hinblick auf deren Auswirkungen auf die gemessene Opferrate bei der Ziehung von Zufallsstichproben aus einer identischen Grundgesamtheit möglich. Denn es lagen Viktimisierungsdaten vor, die von demselben Institut, mit demselben Instrument und im gleichen Zeitraum, jedoch an zwei unterschiedlichen, jeweils repräsentativen Stichproben und mit nur im Detail unterschiedlichen Erhebungsdesigns durchgeführt worden waren. Erwartungswidrig zeigte sich, dass sowohl bei konventioneller als auch bei designkorrigierter Berechnung der Konfidenzintervalle die Befunde der MTU und 15 Die Konzeption des Konstanzer Victim Survey entstand im Zusammenhang mit der Mitarbeit meiner Forschungsgruppe im Pilotprojekt ‚Kommunale Kriminalprävention in Baden-Württemberg‘ (vgl. unten II. 6.).
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des SWB signifikant voneinander abwichen. Die daraufhin von den damaligen Konstanzer Kollegen Schnell und Kreuter16 durchgeführte Methodenstudie ergab, dass bislang die Bedeutung von Designunterschieden in der sozialwissenschaftlichen Forschung erheblich unterschätzt worden war. Nicht nur bedarf es eines hinreichend großen Umfangs der (Teil‑)Stichproben, erforderlich ist auch, die mit den eingesetzten Erhebungsdesigns verbundenen Fehlerquellen möglichst weitgehend durch geeignete Maßnahmen zu minimieren und durch Kontrollen der Feldarbeit abzusichern. Dunkelfelduntersuchungen sind, so die Bundesregierung in ihrem Ersten Periodischen Sicherheitsbericht, „ein notwendiges Instrument zur Messung der Kriminalitätsentwicklung.“ Sie sagte deshalb zu, „baldmöglichst eine Konzeption für die regelmäßige Durchführung von Dunkelfelduntersuchungen zur Verfügung (zu) stellen.“17 Anfang 2002 wurde vom Bundesministerium des Innern und vom Bundesministerium der Justiz eine Arbeitsgruppe unter meiner Leitung eingerichtet mit dem Auftrag, eine Konzeption für eine periodisch durchzuführende „Bevölkerungsumfrage zu Kriminalitätserfahrungen und Sicherheitsempfinden – BUKS“ zu erarbeiten. Die Arbeitsgruppe entschied sich allerdings gegen die vom KVS verfolgte „schlanke“ Lösung; sie sprach sich stattdessen für umfassende Datenerhebungen aus. Um auch noch in zehn Jahren vergleichbare Ergebnisse zu erhalten, entschied sie sich für eine face-to-face-Befragung einer Einwohnermeldeamtsstichprobe. Aus Kostengründen wurde dieser Vorschlag bislang nicht realisiert.18
5. Rückfall- und Wirkungsforschung a. Rückfallforschung Rückfallstatistiken wurden in Deutschland schon seit Ende des 19. Jahrhunderts gefordert. Denn ohne sie muss – mit Glaser19 – das strafrechtliche Sanktionensystem angesehen werden als „eine Firma ohne Buchhaltung, die in seliger Unkenntnis vom Ausmaß ihres Gewinnes oder Verlustes arbeitet.“ Rückfallraten
16 Schnell, Rainer/Kreuter, Frauke, Untersuchungen zur Ursache unterschiedlicher Ergebnisse sehr ähnlicher Viktimisierungssurveys, KZfSS 52, 2000, S. 96–117. 17 BMI, BMJ (Hrsg.): Erster Periodischer Sicherheitsbericht, 2001, S. 600. 18 Teile wurden in den beiden Viktimisierungssurveys 2012 und 2017 übernommen (Birkel, Christoph u. a., Der Deutsche Viktimisierungssurvey 2012 (abrufbar unter https://pure.mpg.de/rest/items/item_2499536_6/component/file_3011817/content). Birkel, Christoph u. a., Der Deutsche Viktimisierungssurvey 2017 (abrufbar unter https://pure.mpg.de/rest/items/item_3039765_7/component/file_3039766/content). 19 Glaser, Daniel, The Effectiveness of a Prison and Parole System, 1964, S. 5.
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sind aber methodisch schwierig und nur aufwendig ermittelbar. Aufgrund der Daten der Strafverfolgungsstatistik können lediglich retrospektiv die Vorbestraften ermittelt werden. Die Ermittlung des Rückfalls kann nur durch einen prospektiven Ansatz erfolgen: Alle in einem Berichtsjahr Rückfallfähigen müssen über einen mehrjährigen Zeitraum daraufhin geprüft werden, ob sie erneut justiziell auffällig werden. Als Datenquelle kommt in Deutschland hierfür das Bundeszentralregister (BZR) in Betracht, das einen quasi-prospektiven Ansatz ermöglicht.20 Nach einer ersten vom BZR selbst erstellten, auf die freiheitsentziehenden Sanktionen beschränkten Rückfallstatistik wollte das BMJ durch eine Machbarkeitsstudie klären lassen, ob eine umfassende, alle im Register erfassten (informellen und formellen) Sanktionen einbeziehende Rückfallstatistik technisch und rechtlich möglich ist. Ein Forschungsverbund aus Konstanz und Göttingen wurde mit dieser Studie beauftragt. Von meiner Forschungsgruppe wurden in einer Weiterentwicklung von KOSIMA (oben II., 3., f.) die BZR-Eintragungen für die maschinelle Auswertung und die Umsetzung in statistisch weiterverarbeitbare Daten aufbereitet, die Forschungsgruppe von Kollege Jörg-Martin Jehle, Göttingen, erstellte das Auswertungsprogramm und erarbeitete die Ergebnisdarstellung. Die Analyse der BZR-Daten für das Bezugsjahr 1991 ergab, dass zwar das Absammelkonzept in einigen Teilbereichen unvollständig, die Rückfallstatistik aber prinzipiell durchführbar ist. Mit einem verbesserten Absammelkonzept wurden deshalb in einer zweiten Projektphase Mitte 1999 die BZR-Daten für das Bezugsjahr 1994 abgesammelt. Wegen der mit meiner Emeritierung 2007 (erst im April 2008 erfolgte die Ziehung für das Bezugsjahr 2004) erfolgten Auflösung der Forschungsgruppe wurde die Konstanzer Aufgabe bei den folgenden drei Ziehungswellen für die Bezugsjahre 2004, 2007 und 2010 von der Forschungsgruppe Kriminologie des Max-Planck-Instituts für ausländisches und internationales Strafrecht übernommen. Die Rückfallstatistik ist ein unverzichtbarer Bestandteil eines kriminalstatistischen Systems, weil erst sie es erlaubt zu prüfen, ob und inwieweit die mit Verhängung und Vollstreckung von Strafen verbundenen Erwartungen in spezialpräventiver Hinsicht erfüllt werden. Die bisherigen Ergebnisse der Rückfallstatistik zeigen, dass unter den gegebenen Bedingungen härtere Sanktionierung jedenfalls 20 Da das BZR für mindestens fünf Jahre (vom Sonderfall des Erziehungsregisters gem. § 63 BZRG sowie § 27 JGG abgesehen) ausfallfrei alle justiziellen Registrierungen enthält, können beispielsweise im Jahr 2020 die Daten aller Personen gezogen werden, die im Jahr 2016 sanktioniert oder aus Strafhaft entlassen worden sind. Ausgehend von der Sanktioniertenkohorte des Jahres 2016 kann dann analysiert werden, wer erneut zwischen 2016 und 2020 wegen einer neuen Straftat sanktioniert worden, also rückfällig geworden ist.
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nicht geeignet ist, ein bei schwereren Delikten angenommenes höheres Rückfallrisiko auszugleichen. Die Rückfallraten sind nämlich umso höher, je härter die Strafe ist. Die deskriptiven Befunde der Rückfallstatistik erlauben zwar keine Aussagen über Kausalbeziehungen; die rückfallstatistische Datenbasis ermöglicht aber wegen der erheblichen Varianz der regionalen Sanktionspraxis den statistisch kontrollierten Vergleich von Gruppen, die sich (möglichst) nur durch Art bzw. Höhe der Sanktion unterscheiden, wie dies bei der Untersuchung der jugendstrafrechtlichen Diversionspraxis möglich war.
b. Wirkungsforschung Die Messung der Wirkungen von Sanktionen zählt zu den schwierigsten Problemen kriminologischer Forschung. Die größte Schwierigkeit besteht darin, den empirischen Nachweis zu führen, dass der gemessene Erfolg, hier: die Häufigkeit von (Nicht-)Rückfall, eine Wirkung der Sanktion ist. Dies ist nur möglich, wenn sichergestellt werden kann, dass die Variation der abhängigen Variablen (hier: der Rückfallraten) möglichst zweifelsfrei auf die Variation der zu evaluierenden unabhängigen Variablen (hier: der Strafen nach Art und Höhe) zurückgeführt werden kann. Ist dies nicht der Fall, dann muss offen bleiben, ob die festgestellten Unterschiede auf den Einfluss der Sanktion, auf die unterschiedliche Zusammensetzung der Gruppen hinsichtlich Tat- oder Tätermerkmalen oder auf die Vorselektion durch Staatsanwaltschaft oder Gericht zurückzuführen sind. Dies kann nur in experimentellen oder quasi-experimentell angelegten Untersuchungen gewährleistet werden. Experimentelle Untersuchungen sind in Deutschland nur selten möglich, etwa dort, wo ohnedies ausgewählt werden muss. Quasi-experimentelle Untersuchungsdesigns sind dagegen dort möglich, wo vergleichbare Gruppen entweder im Querschnitt (aufgrund regionaler Unterschiede in der Sanktionierungspraxis) oder im zeitlichen Längsschnitt (aufgrund von Änderungen der Sanktionierungspraxis) unterschiedlich sanktioniert werden. Bereits in meiner Bielefelder Zeit hatte ich das Thema „Diversion im Jugendstrafrecht“ aufgegriffen, zunächst nur hinsichtlich der regionalen Anwendungspraxis, die sich als höchst unterschiedlich herausstellte. Die spezialpräventive Wirkung war freilich – mangels empirischer Befunde – umstritten. Der Annahme, es handle sich um ein wirksames Instrument der Rückfallprävention, stand die Befürchtung entgegen, Rückfallkriminalität würde begünstigt, weil Straftäter Diversion als Quasi-Freispruch und als halbherzige Tolerierung der Straftat verstehen würden. In vier, teils von der Deutschen Forschungsgemeinschaft, teils vom Bundesjustizministerium geförderten Forschungsprojekten wurde die spezialpräventive
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Wirkung von Diversion untersucht, teils durch eine umfangreiche Aktenanalyse, teils durch Auswertung von BZR-Daten für zwei Geburtskohorten. Durchgängig wurde in diesen Projekten eine höhere Rückfallrate nach formellen im Vergleich zu informellen Sanktionen festgestellt, und zwar auch bei Kontrolle möglicher Selektionseffekte. Ferner zeigte sich, dass bei gleicher Ausgangslage das künftige Entscheidungsverhalten der Justiz durch die Erstsanktion beeinflusst wird. Diese beiden Diversionseffekte – insgesamt geringere Nachverurteilungsrate und höhere Wahrscheinlichkeit einer erneuten Verfahrenseinstellung nach Diversion – bedeutet für Jugendliche, deren Verfahren eingestellt wurde, eine Verringerung des Risikos, im Jugendalter überhaupt je formell sanktioniert zu werden. Die Jugendgerichtspraxis kommt, wenn sie mit einer formellen Sanktion beginnt, schneller an jenen kritischen „point of no return“, ab dem der Übergang zu einer Karriere wiederholten und verschärften Sanktioniertwerdens wahrscheinlicher wird als deren Ausbleiben. Zusammenfassend formulierte ich: Selbst wenn man nicht so weit geht, aus den vorliegenden Befunden den Schluß zu ziehen, Maßnahmen der Diversion seien in präventiver Hinsicht überlegen, einen empirischen Beleg dafür, daß die informelle Erledigung der formellen Erledigung (Verurteilung) unterlegen ist, gibt es nach dem dargestellten Stand der Forschung nicht und damit auch keinen empirischen Beleg für die Behauptung einer Erforderlichkeit und Geeignetheit der formellen Verfahrensalternative. Welche Folgerungen daraus zu ziehen sind, ist allerdings keine empirische, sondern eine rechtliche Frage, auf die das JGG eine klare Antwort gibt: Es gilt, nach oben durch Gesichtspunkte der Tatadäquanz begrenzt, diejenige Sanktion zu wählen, die erforderlich, aber auch ausreichend ist, um den Täter von weiteren Straftaten abzuhalten. […] Der Forschungsstand spricht dafür, im Zweifel weniger, nicht mehr zu tun. Die alterstypischen Rechtsbrüche junger Menschen gehen im Regelfall in einem Prozess der Spontanremission zurück und münden nicht in eine kriminelle Karriere. Möglichst früh möglichst hart zu intervenieren ist weder notwendig noch nützlich.21
Ein Beispiel für ein natürliches Experiment stellt die Strafaussetzung zur Bewährung dar. 1969 wurde durch die Anhebung der Obergrenzen der aussetzbaren Freiheitsstrafen bei einem erheblichen Teil der Straftäter, der früher zwingend zu einer vollstreckten Freiheitsstrafe verurteilt worden wäre, nunmehr die Strafe zur Bewährung ausgesetzt. Die Auswertung der Daten der Bewährungshilfestatistik zeigten, dass das gesetzgeberische Experiment erfolgreich war, jedenfalls gemessen an der abschließenden richterlichen Entscheidung über Widerruf oder Straferlass. Die Öffnung der Strafaussetzung für die bisherigen traditionellen Zielgruppen des Strafvollzugs führte nämlich nicht, wie aufgrund der damit verbundenen Zunahme einer nach „klassischen“ prognostischen Kriterien „schwieri21 Heinz, Wolfgang, Diversion im Jugendstrafverfahren der Bundesrepublik Deutschland, in: Heinz, Wolfgang/Storz, Renate (Hrsg.), Diversion im Jugendstrafverfahren der Bundesrepublik Deutschland, 1992, S. 61.
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gen“ Klientel zu vermuten war, zu einem Anstieg der Widerrufsraten. Die Ausdehnung der Strafaussetzung ging vielmehr einher mit einer deutlichen Erhöhung des Anteils der besonders risikobelasteten Probandengruppe und mit einem deutlichen Anstieg der Straferlassquote, namentlich bei den als besonders risikobelastet geltenden Gruppen. In mehreren Sekundäranalysen wurden ferner die vorhandenen Evaluationsstudien in Deutschland ausgewertet. Ernüchternde Feststellung war einerseits die Existenz von sowohl zu wenigen als auch von zu wenig methodischen Ansprüchen genügenden Wirkungsforschungen, andererseits die fehlende systematische Förderung von Evaluationsstudien.
6. Kriminalprävention Vor mehr als 200 Jahren, 1764, schrieb der italienische Aufklärer Cesare Beccaria in seinem Traktat „Dei delitti e delle pene“: Besser ist es, den Verbrechen vorzubeugen als sie zu bestrafen.22
Die Einsicht, dass Prävention nicht nur Vorrang hat vor Repression, sondern dieser auch überlegen ist, ist zwar alt, an der systematischen Umsetzung fehlte es aber. In Deutschland wurde das Thema Kriminalprävention – trotz etlicher Vorstöße schon in den 1970er-Jahren – erst Mitte der 1990er-Jahre aufgegriffen und eine kriminalpolitische Kurskorrektur – Prävention vor Repression – gefordert. Kriminalität ist durch eine breite Vielzahl von ökonomischen, sozialen, individuellen und situativen Faktoren beeinflusst, die regelmäßig außerhalb des Einflusses des strafrechtlichen Systems liegen. Untersuchungen zur Kriminalität sowohl jugendlicher Mehrfach- und Intensivtäter als auch jugendlicher Gewalttäter zeigen ein hohes Maß sozialer Defizite und Mängellagen bei diesen Tätergruppen. Lebenslagen und Schicksale sind positiv beeinflussbar, aber nicht mit den Mitteln des Strafrechts. Strafrecht kann weder Ersatz noch Lückenbüßer sein für Kinder- und Jugendhilfe, für Sozial- und Integrationspolitik. Mit (Jugend-)Strafrecht lassen sich soziale Probleme nicht lösen. Deshalb sind Einrichtungen und Maßnahmen der primären und sekundären Prävention zu fördern, die anzusetzen haben bei den Familien, Schulen und in den Kommunen. Positive Entwicklungen zu eröffnen, erkennbaren Risiken präventiv zu begegnen – das ist die primäre Gestaltungsaufgabe der Sozial- und Jugendpolitik. Wo der Zugriff des Strafrechts immer weiter vorverlagert wird, wo vom Strafrecht erwartet wird, gesellschaftspolitische Gestaltungsdefizite auszugleichen und zu ersetzen, da wird die Glaub22 Beccaria, Cesare, Über Verbrechen und Strafe (nach der Ausgabe von 1766 übersetzt von Alff), 1966, S. 148.
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würdigkeit und die Steuerungskraft des Strafrechts am Ende ebenso beschädigt wie die der (Kriminal-)Politik. Deshalb habe ich wiederholt eine Kurskorrektur der Kriminalpolitik als überfällig angemahnt. Besondere Bedeutung kommt Kriminalprävention auf kommunaler Ebene zu. Denn sowohl Entstehungsbedingungen für Kriminalität als auch von Komponenten der Kriminalitätsfurcht besitzen (auch) lokale Wurzeln. Da Probleme jedoch dort am ehesten und besten gelöst werden können, wo sie entstehen, begünstigt oder gefördert werden, ist die Kommune eine der Ebenen, auf der Kriminalprävention mit Aussicht auf Erfolg ansetzen kann. In einem Begleitforschungsprojekt wurde in den drei baden-württembergischen Projektstädten Calw, Freiburg im Breisgau und Ravensburg die dort im Rahmen des Vorhabens „Kommunale Kriminalprävention“ eingerichteten „kriminalpräventiven Räte“ durch insgesamt vier Forschungsgruppen23 unterstützt. Erstellt wurden Bestandsaufnahmen hinsichtlich Opfererfahrungen in Hell- und Dunkelfeld und ihrer Verarbeitung einschließlich Anzeigeverhalten sowie der Wahrnehmung der Kriminalität als Problem in der Gemeinde, der Verbrechensfurcht, des Sicherheitsgefühls, der Bewertung der Polizeiarbeit sowie präventionsrelevanter Einstellungen und Erwartungen der Bürger in den Gemeinden.
7. EDV-Anwendung, EDV-Ausbildung in der Lehre, Datenschutz in der kriminologischen Forschung – der Einsatz neuer elektronischer Hilfsmittel in Lehre und Forschung Selbstverständliches Handwerkszeug eines einen wissenschaftlichen Text schreibenden Juristen waren bis weit in die 1960er-Jahre hinein Schere und Leim, mit dem die verschiedenen Manuskriptteile zusammengefügt wurden. Meine Dissertation schrieb ich auf einer „normalen“, also einer mechanischen Schreibmaschine, meine Habilitationsschrift bereits auf einer elektrischen. Als ich Ende der 1970er-Jahre in Bielefeld war, war der neueste Stand der Bürotechnik die IBMKugelkopf-Schreibmaschine. 1981 kam ich nach Konstanz mit einem großen Stapel Lochkarten zu meinem Forschungsprojekt „Jugendkriminalität“ und mit handgefertigten Grafiken auf Millimeterpapier. Die Daten wurden damals ausschließlich auf dem Großrechner 23 Neben meiner Forschungsgruppe waren beteiligt die Forschungsgruppen von Dieter Dölling und Dieter Hermann (Institut für Kriminologie der Universität Heidelberg), Thomas Feltes (Fachhochschule Villingen-Schwenningen – Hochschule für Polizei) sowie Helmut Kury, Joachim Obergfell-Fuchs (Forschungsgruppe Kriminologie des Max-Planck-Instituts für ausländisches und internationales Strafrecht Freiburg im Breisgau).
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im Rechenzentrum verarbeitet. Aufgrund meiner empirischen Forschungstätigkeit lag es nahe, dass ich Ende 1983 den ersten PC im Juristischen Fachbereich beschaffte, einen SIRIUS mit 256 KB (nicht MB!) Hauptspeicher, zwei Diskettenlaufwerken mit je 1,2 MB – der Senat (!) hatte dafür 20.000 DM (!) bewilligt. Mit meinem SIRIUS blieb ich nicht allein, bekanntlich hielt der PC seinen Siegeszug auch bei den Juristen. Für die Studierenden der Rechtswissenschaft hatte ich im damaligen universitären EDV-Ausschuss als dessen Mitglied die Einrichtung eines ersten CIP-Pools24 durchgesetzt. Deshalb gab es hitzige Auseinandersetzungen mit dem damaligen Kanzler, der – selbst Jurist – der Auffassung war, Juristen benötigten lediglich Papier und einen spitzen Bleistift, aber nie und nimmer einen Computer. Ich war anderer Auffassung. Meine Antrittsrede als Dekan der Fakultät zur Eröffnung des Studienjahres 1986/87 galt deshalb auch dem Thema: „Judex non calculat – oder: Weshalb soll und wie kann den Juristen die Angst vor dem Computer genommen werden“. Ich gab eine halbe Mitarbeiterstelle ab, damit dieser Mitarbeiter regelmäßig Einführungen in juristische Textverarbeitung, in juristische Fachdatenbanken usw. geben konnte. Wer Neuland betritt, lässt sich oft auf ein Abenteuer mit ungewissem Ausgang ein. Zu den vielen Hürden, die es in der Forschung zu bestehen galt, gehörte u. a. auch der (aufkommende) Datenschutz, wenn dezentrale Rechner eingesetzt werden. Wer (wie ich) mit hochsensiblen Daten arbeitet (etwa denen des BZR – wir hatten in zwei Rückfallstatistik-Projekten vollständige Eintragungen, hinsichtlich der Person natürlich anonymisiert, zu je rund 1 Million Personen), muss nicht nur im Interesse der Betroffenen, sondern schon im ureigensten Interesse, dem Datenschutz penibel Rechnung tragen. Da Standardlösungen damals noch nicht existierten, musste ein eigenes Datenschutzkonzept entwickelt werden. Einer unserer Räume, in dem der Forschungs-PC stand, hatte deshalb Sonderschließung. Niemand kam ohne uns in diesen Raum, weder die Putzfrau noch der Hausmeister. Die Daten selbst wurden im Rechenzentrum für uns allein zugänglich verwahrt. Verarbeitet wurden sie auf einem speziellen, vom Rest der Welt getrennten sog. Datenschutzserver. Zur Gewährleistung der systemseitigen Protokollierung wurde ein auf einem Server-Client-Modell beruhendes System zur benutzerunabhängigen Zwangsprotokollierung der Verarbeitung personenbezogener Daten entwickelt.
24 Das „Computer-Investitions-Programm“ (CIP) des Bundes und der Länder lief 1984 an.
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8. Internationale Verbindungen in Forschung und Lehre 1995 war ich vom Korean Institute of Criminology sowie vom College of Law der Hanyang Universität in Seoul zu Vorträgen über Wirtschaftskriminalität und Wirtschaftsstrafrecht eingeladen. Wechselseitige Einladungen zu Seminaren mit der Hanyang Universität mündeten schließlich 2001 auf meine Anregung hin in einem Kooperationsabkommen des College of Law mit meinem Fachbereich. Ausgehend von einem trilateralen Seminar, das das College of Law der Hanyang Universität, Seoul, 2005 mit seinen beiden Kooperationspartnern, der Law School der Kansai Universität, Osaka, und dem Fachbereich Rechtswissenschaft der Universität Konstanz, durchführte, wurde 2006 ein Kooperationsabkommen zwischen der Universität Konstanz und der Kansai Universität, Osaka, geschlossen. Auf der Grundlage dieser beiden Kooperationsabkommen fand und findet noch weiterhin eine generationenübergreifende Kooperation statt. Studierende, Graduierte, Doktoranden und Hochschullehrer haben zu mehrmonatigen Studien- oder Forschungsaufenthalten die Partneruniversitäten besucht. Diese trilateralen Verbindungen führten ferner zu regelmäßigen, im zweijährigen Turnus abwechselnd in Konstanz, Osaka oder Seoul stattfindenden Seminaren zwischen den Rechtswissenschaftlern der drei beteiligten Fakultäten. Als Beauftragter meines Fachbereichs betreute ich bis 2009 zusammen mit meinen befreundeten Kollegen aus Seoul, Prof. Dr. Young Whan Kim und Prof. Dr. Dres. h.c. Keiichi Yamanaka, Osaka, diese Kooperation. Die Gelegenheit eines mehrmonatigen Aufenthaltes in Japan auf Einladung der Kansai Universität, Osaka, gab Anlass zu mehreren Vorträgen, die mich u. a. zu Prof. Dr. Kenji Takeuchi, Fukuoka, führte, der 2003/2004 an meinem Lehrstuhl als Humboldt-Stipendiat geweilt hatte.
III. Wissenstransfer Im Anschluss an ausländische Vorbilder wurde mit dem „Konstanzer Inventar“ ein neuer Weg der Veröffentlichung und der Zugänglichmachung von Forschungsergebnissen beschritten. Die klassische Publikation in den Printmedien wurde ersetzt durch eine auch oder sogar ausschließlich online erfolgende Publikation. Das „Konstanzer Inventar“, insbesondere mit den beiden Teilen „Konstanzer Inventar Sanktionsforschung (KIS)“ und „Konstanzer Inventar Kriminalitätsentwicklung (KIK)“, wurde 1999 auf der Homepage des Instituts für Rechtstatsachenforschung der Universität Konstanz eingerichtet. Unter KIS wurde eine zunehmend größere Zahl von Sonderauswertungen der Daten amtlicher Strafrechtspflegestatistiken zur Struktur und Entwicklung der Sanktionierungspraxis bereitgestellt. Entsprechendes gilt für Auswertungen zu Umfang, Struktur und Entwicklung der Kriminalität, die sich im „Konstanzer Inventar Kriminali-
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tätsentwicklung (KIK)“ finden. Die Befunde in KIS und KIK wurden grafisch veranschaulicht und regelmäßig aktualisiert; die Schaubilder finden inzwischen in Lehrbüchern und für Lehrzwecke Verwendung. Mit „Kriminalität und Kriminalitätskontrolle“ wurde schließlich eine übergreifende Darstellung unter Einbezug auch der Legalbewährung geschaffen. Den Elfenbeinturm habe ich durch viele Vorträge vor unterschiedlichsten Zuhörerkreisen, durch Zeitungsbeiträge und viele Interviews immer wieder verlassen. Mit der Veröffentlichung eines Forschungsergebnisses, das eine Antwort auf eine in der Wissenschaft umstrittene Frage enthält, ist die Hoffnung verbunden, diese Antwort würde auch in kriminalpolitische Entscheidungen einfließen. Dass schlagwortartige Verkürzungen der Antworten, wie „aufgeklärtes Nichtwissen“, „Kriminalpolitik im Blindflug“, „Milde zahlt sich aus“, „Sanktionierung nach dem Kilometerstein des Tatorts“, nachhaltiger wirken, ist meine Hoffnung. Dass sie von manchen ZEITgenossen25 missverstanden werden, ist dabei in Kauf zu nehmen. Öffentlich und direkt eingemischt habe ich mich, als 2007/2008 im Zusammenhang mit dem hessischen Wahlkampf erneut Forderungen nach einer Verschärfung des Jugendstrafrechts erhoben worden waren. Meine „Stellungnahme zur aktuellen Diskussion um eine Verschärfung des Jugendstrafrechts“ mit ihrem Kernsatz „Für eine Verschärfung des Jugendstrafrechts besteht kein Anlass“ wurde in kurzer Zeit von rund 1.150 Fachleuten unterschrieben. Eine zweite Einmischung erfolgte Ende 2017 durch den mit Kollegen HansJürgen Kerner verbreiteten „Vorschlag für eine Koalitionsvereinbarung zum 19. Deutschen Bundestag hinsichtlich einer unerlässlichen Optimierung der Kriminal- und Strafrechtspflegestatistiken in Bund und Ländern“, der ebenfalls von zahlreichen Fachverbänden und wissenschaftlichen Kollegen unterstützt wurde. Dieser Vorschlag wurde weitgehend in die Koalitionsvereinbarung 2018 von CDU, CSU und SPD für die 19. Legislaturperiode übernommen.
IV. Team, Teamwork und mehr Empirische kriminologische Forschung ist zumeist Teamwork. Ich hatte das Glück, mit vielen hervorragenden studentischen Hilfskräften, wissenschaftlichen 25 Vgl. den Artikel des Chefredakteurs der Wochenzeitung Die ZEIT vom 27.1.2011 unter der Überschrift „Falsche Milde“. Hierzu auch Viehmann, Horst, Denn sie wissen nicht, was sie tun – eine kriminalpolitische (An-)Klage, in: Festschrift für Wolfgang Heinz, 2012, S. 332–343.
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Mitarbeitern, Doktorandinnen und Doktoranden zusammenarbeiten zu dürfen. Sie haben die Last der Arbeit mitgetragen, haben Ideen und kritische Einwände beigesteuert. Alle können nicht genannt werden. Genannt werden sollen aber zumindest diejenigen, mit denen gemeinsam publiziert wurde: Martina Huber, Christine Hügel, Renate Storz und Peter Sutterer, vor allem aber DiplSoz Gerhard Spiess, der seit 1982 mein Weggefährte in der Forschung und mein engster Diskussionspartner und Berater ist. Wer mit offiziellen Daten arbeitet, ist auf die Unterstützung durch die datenproduzierenden Stellen angewiesen. Im Bundeskriminalamt habe ich durch Uwe Dörmann und Robert Mischkowitz, im Statistischen Bundesamt durch Stefan Brings und Thomas Baumann bestmögliche Unterstützung durch sie bzw. ihre MitarbeiterInnen erhalten. Im Bundesministerium der Justiz haben die Leiter der Referate Jugendstrafrecht, Horst Viehmann und sein Nachfolger Michael Gebauer, sowie die Leiter der Referate Kriminologie, Richard Blath, Monika Becker und Susanne Bunke, ein offenes Ohr für meine wissenschaftlichen Anliegen gehabt. Ihnen allen bin ich zu Dank verpflichtet. Ohne sie wäre meine Arbeit so nicht möglich gewesen. Last but not least gebührt mein Dank meiner Familie, meiner Frau und meiner Tochter. Sie mussten mich, häufiger als mir lieb war, entbehren. In den letzten Jahren vor allem hat mich meine Frau vielfach mehr als lebenden Bestandteil des Schreibtisches erlebt denn als Ehemann. Wie sie dies fast klaglos ertragen hat, ist und bleibt ihr Geheimnis. Ich kann mich bei der – wie Kishon zu sagen pflegte – „besten Ehefrau von allen“ nur bedanken. Dass ich sie habe, dies ist das wahre Geheimnis meiner Arbeit.
Schriftenverzeichnis (in Auswahl)26 1. Selbständiges Schrifttum Bestimmungsgründe der Anzeigebereitschaft des Opfers. Ein kriminologischer Beitrag zum Problem der differentiellen Wahrscheinlichkeit strafrechtlicher Sanktionierung, 1972. Kriminalstatistik. BKA-Bibliographienreihe, Bd. 5, 1990. Kriminelle Jugendliche – gefährlich oder gefährdet?, 2006. Legalbewährung nach strafrechtlichen Sanktionen – Eine kommentierte Rückfallstatistik, 2003 (zusammen mit Jörg-Martin Jehle und Peter Sutterer).
26 Vollständiger Nachweis unter https://www.jura.uni-konstanz.de/heinz/publikationen/.
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2. Aufsätze in Zeitschriften und Sammelwerken Ikonen. Aspekte der Kunstfälschung und des Betruges, in: Festschrift für Thomas Würtenberger, 1977, S. 219–239 (zusammen mit Hans-Otto Mühleisen). Konzeption und Grundsätze des Wirtschaftsstrafrechts (einschließlich Verbraucherschutz), ZStW 96 (1984), S. 417–451. Strafrechtliche Rechtstatsachenforschung und empirische Kriminologie, in: Heinz, Wolfgang (Hrsg.), Rechtstatsachenforschung heute, 1986, S. 39–81. Datenschutz bei automatisierter Datenverarbeitung in der kriminologischen Forschung, in: Jehle, Jörg-Martin (Hrsg.), Datenzugang und Datenschutz in der kriminologischen Forschung, 1987, S. 152–177. Judex non calculat – oder: Weshalb soll und wie kann den Juristen die Angst vor dem Computer genommen werden?, Informatik und Recht 1987, S. 242–247. Recht und Praxis der Untersuchungshaft in der Bundesrepublik Deutschland, Bewährungshilfe 1987, S. 5–31. Das Jugendgericht in der Bundesrepublik Deutschland und die Vorbeugung der Jugenddelinquenz einschließlich Selektion und Diversion, in: Eser, Albin u. a. (Hrsg.), Täterschaft und ihre Erscheinungsformen, 1988, S. 377–442.
Recht und Informationstechnik: Das Ausbildungsmodell an der Juristischen Fakultät der Universität Konstanz, JuS 1990, S. 509–513. Mehrfach Auffällige – Mehrfach Betroffene. Erlebnisweisen und Reaktionsformen, in: DVJJ (Hrsg.), Mehrfach Auffällige – Mehrfach Betroffene, 1990, S. 30– 73. Das Jugendstrafrecht auf dem Weg in das 21. Jahrhundert, JuS 1991, S. 896– 900. Abschied von der „Erziehungsideologie“ im Jugendstrafrecht? Zur Diskussion über Erziehung und Strafe, Recht der Jugend und des Bildungswesens, 1992, S. 123–143. Diversion im Jugendstrafverfahren der Bundesrepublik Deutschland, in: Heinz, Wolfgang/Storz, Renate, Diversion im Jugendstrafverfahren der Bundesrepublik Deutschland, 1992, S. 1–130. Kriminalitätsprognose. in: Kube, Edwin/Störzer, Hans Udo/Timm, Klaus (Hrsg.), Kriminalistik. Handbuch für Praxis und Wissenschaft. Bd. 1, 1992, S. 104–130.
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System und Gliederung der Wirtschaftsstraftaten im deutschen Recht, in: Eser, Albin/Kaiser, Günther (Hrsg.), Zweites deutsch-ungarisches Kolloquium über Strafrecht und Kriminologie, 1995, S. 155–215. Viktimisierung, Anzeigeerstattung und Einschätzung der Arbeit der Polizei durch die Bürger – Analysen anhand der Bevölkerungsbefragung in den Projektstädten, in: Feltes, Thomas (Hrsg.), Kommunale Kriminalprävention in Baden-Württemberg, 1995, S. 93–122 (zusammen mit Gerhard Spiess). Kriminalprävention auf kommunaler Ebene, in: Jehle, Jörg-Martin (Hrsg.), Kriminalprävention und Strafjustiz, 1996, S. 55–110. Kriminalpolitik, Bürger und Kommune, in: Kury, Helmut (Hrsg.), Konzepte kommunaler Kriminalprävention. Sammelband der „Erfurter Tagung“, 1997, S. 1–146. Begriffliche und strukturelle Besonderheiten des Wirtschaftsstrafrechts – Eine Übersicht über die Entwicklung des Wirtschaftsstrafrechts in der Bundesrepublik Deutschland, in: Gropp, Walter (Hrsg.), Wirtschaftskriminalität und Wirtschaftsstrafrecht in einem Europa auf dem Weg zu Demokratie und Privatisierung, 1998, S. 13–50. Die Abschlussentscheidung des Staatsanwalts aus rechtstatsächlicher Sicht, in: Geisler, Claudius (Hrsg.), Das Ermittlungsverhalten der Polizei und die Einstellungspraxis der Staatsanwaltschaften, 1999, S. 125–206. Kriminalpolitik an der Wende zum 21. Jahrhundert: Taugt die Kriminalpolitik des ausgehenden 20. Jahrhunderts für das 21. Jahrhundert?, Bewährungshilfe 2000, S. 131–157. Der strafrechtliche Schutz des kartengestützten Zahlungsverkehrs, in: Festschrift für Hartmut Maurer, 2001, S. 1111–1136. Der Strafbefehl in der Rechtswirklichkeit, in: Festschrift für Heinz Müller-Dietz, 2001, S. 271–313. Frauenkriminalität, Bewährungshilfe 2002, S. 131–152. Kinder- und Jugendkriminalität – ist der Strafgesetzgeber gefordert?, ZStW 114 (2002), S. 519–583. Der gesetzliche Embryonenschutz in Deutschland nach gegenwärtigem und künftigem Recht, in: Lorenz, Dieter (Hrsg.), Rechtliche und ethische Fragen der Reproduktionsmedizin, 2003, S. 190–225.
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Das deutsche Strafverfahren. Rechtliche Grundlagen, rechtstatsächliche Befunde, historische Entwicklung und aktuelle Tendenzen, in: Universidad Santo Tomás (Hrsg.), Seminario internacional de derecho alemán 2003, S. 29–81. Menschenhandel und Menschenschmuggel, in: Gedächtnisschrift für Theo Vogler, 2004, S. 127–150. Zahlt sich Milde wirklich aus? Diversion und ihre Bedeutung für die Sanktionspraxis, ZJJ 2005, S. 166–178, 302–312. Vom schönen Schein des Strafrechts oder vom „law in the books“ und vom „law in action“, in: Festschrift für Hans-Otto Mühleisen, 2006, S. 177–194. Was richten Richter an, wenn sie richten?, in: DVJJ (Hrsg.), Verantwortung für Jugend, 2006, S. 62–107. Zum Stand der Dunkelfeldforschung in Deutschland, in: Festschrift für Helmut Kury, 2006, S. 241–263. Evaluation jugendkriminalrechtlicher Sanktionen – eine Sekundäranalyse deutschsprachiger Untersuchungen, in: Lösel, Friedrich u. a. (Hrsg.), Kriminologie und wissensbasierte Kriminalpolitik, 2007, S. 495–518.
Gleiches (Straf-)Recht = ungleiche Handhabung? (!) Kriminalpolitischer Föderalismus und seine Folgen, in: Festschrift für Arthur Kreuzer, 2008, S. 231–261. Defizite des bestehenden kriminalstatistischen Systems in Deutschland: Einführung und Überblick, in: Dessecker, Axel/Egg, Rudolf (Hrsg.), Kriminalstatistiken im Lichte internationaler Erfahrungen, 2009, S. 17–72. Kriminalität und Kriminalitätskontrolle in Deutschland, in: Kröber, Hans-Ludwig u. a. (Hrsg.), Handbuch der forensischen Psychiatrie, Bd. 4, 2009, S. 1–133.
Judicature, in: RatSWD (Hrsg.), Building in Progress, 2010, S. 1197–1215. Neue Lust am Strafen. Gibt es eine Trendwende auch in der deutschen Sanktionierungspraxis?, in: Kühl, Kristian/Seher, Gerhard (Hrsg.), Rom, Recht, Religion, 2011, S. 435–458. Punitiveness in German Sanctioning Practice – Myth or Reality?, in: Kury, Helmut/Shea, Evelyn (Hrsg.), Punitivity – International Developments, 2011, S. 133–177. Wie weiland Phönix aus der Asche – die Renaissance der freiheitsentziehenden Maßregeln der Besserung und Sicherung in rechtstatsächlicher Betrachtung, Recht und Psychiatrie 2011, S. 63–78.
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Sicherungsverwahrung in Deutschland. Analysen (vornehmlich) auf der Grundlage der amtlichen Strafrechtspflegestatistiken, Bewährungshilfe 2013, S. 323– 347. „Wir werden weniger und die Wenigen werden immer älter.“ Zu den möglichen Auswirkungen des demografischen Wandels auf Kriminalität und Kriminalitätskontrolle, in: Festschrift für Rudolf Egg, 2013, S. 261–310. Was sollte der Strafgesetzgeber wissen wollen? Oder: Worüber sollten dem Gesetzgeber aus den Kriminal- und Strafrechtspflegestatistiken aktuelle und verlässliche Informationen zur Verfügung stehen?, in: Festschrift für Hans-Jürgen Kerner, 2013, S. 345–357. Das System strafrechtlicher Sozialkontrolle – oder: „Eine Firma ohne Buchhaltung, die in seliger Unkenntnis vom Ausmaß ihres Gewinnes oder Verlustes arbeitet“, in: Festschrift für Kristian Kühl, 2014, S. 893–913. Amtliche Daten der Kriminalstatistik versus Daten aus Opferbefragungen. Vergleichsschwierigkeiten und Kombinationsmöglichkeiten, in: Guzy, Nathalie u. a. (Hrsg.), Viktimisierungsbefragungen in Deutschland, Bd 2: Methodik und Methodologie, 2015, S. 275–298.
Der Erfolg jugendstrafrechtlicher Sanktionen – Was wirkt, was wirkt vielleicht, was wirkt nicht?, in: DVJJ Landesgruppe Baden-Württemberg (Hrsg.), Jugendkriminalität – Prävention und Reaktionen, 2015, S. 67–147. Frauenkriminalität. Immer mehr, immer häufiger und immer brutaler!?, Kriminalistik 2015, S. 275–285. Schülergerichtsverfahren – unnötig und unzulässig?, in: Festschrift für Dieter Rössner, 2015, S. 152–171. Regionale Justizkulturen in Justiz und Strafvollzug in Deutschland, in: Fink, Daniel u. a. (Hrsg.), Kriminalität, Strafrecht und Föderalismus, 2019, S. 41–85.
Rückfallmessung – Wo stehen wir? Versuch einer Zwischenbilanz, in: Dessecker, Axel/Harrendorf, Stefan/Höffler, Karin (Hrsg.), Angewandte Kriminologie – Justizbezogene Forschung, 2019, S. 191–213. Kriminalität und Kriminalitätskontrolle in Mecklenburg-Vorpommern, in: Festschrift für Frieder Dünkel, 2020, S. 101–133.
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3. Online Quellen Entwicklung und Stand der freiheitsentziehenden Maßregeln der Besserung und Sicherung (Berichtsstand 2012/2013), abrufbar unter http://www.uni-konstanz. de/rtf/kis/Heinz2014_Freiheitsentziehende_Massregeln.pdf. Das strafrechtliche Sanktionensystem und die Sanktionierungspraxis in Deutschland 1882–2012, abrufbar unter http://www.uni-konstanz.de/rtf/kis/Sanktionie rungspraxis-in-Deutschland-Stand-2012.pdf. Kriminalität und strafrechtliche Kriminalitätskontrolle in Deutschland – Berichtsstand 2015 im Überblick, abrufbar unter http://www.uni-konstanz.de/rtf/kis/ Kriminalitaet_und_Kriminalitaetskontrolle_in_Deutschland_Stand_2015.pdf. Sekundäranalyse empirischer Untersuchungen zu jugendkriminalrechtlichen Maßnahmen, deren Anwendungspraxis, Ausgestaltung und Erfolg: Gutachten im Auftrag des Bundesministeriums für Justiz und Verbraucherschutz, abrufbar unter https://www.jura.uni-konstanz.de/ki/sanktionsforschung-kis/gutachten-sekundaer analyse-empirischer-untersuchungen-zu-jugendkriminalrechtlichen-massnahmen -deren-anwendungspraxis-ausgestaltung-und-erfolg/.
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https://doi.org/10.1515/9783110703016-005
Thomas Hillenkamp I. Warum Jura? Meinem nach dem Abitur 1962 gefassten Entschluss, Jura zu studieren, lagen weder längeres Nachdenken noch besondere Neigungen noch so etwas wie Entschlossenheit zugrunde. Eher war ich in die Entscheidung „hineinsozialisiert“. Zwar hätte meine Mutter in mir gerne ihren eigenen Mädchentraum, auf dem weiten Feld der Künste Berühmtheit zu erlangen, verwirklicht gesehen. Sie förderte daher meine bis in die frühen Studienjahre reichenden (und im Alter wieder aufgenommenen) Versuche, etwas auf das Papier oder die Leinwand zu bringen. Es war mir aber klar, dass meine Talente zum Broterwerb nicht reichten. Deshalb tat ich mangels jeder Idee, was es sonst sein könnte, das, was meine beiden älteren Brüder zuvor auch begonnen hatten, nämlich Jura studieren. Dass dabei von Einfluss war, dass unser Vater Jurist, wie sein Vater und Großvater, Richter war, ist sicher so. Zwar litt er unter Aktenbergen und der drückenden Verantwortung, die er seit seinem 39. Lebensjahr als Vorsitzender Großer Strafkammern trug. Er hatte auch keinen von uns zur Juristerei gedrängt. Er hatte aber auch nicht abgeraten und uns mit dem „elaborierten Sprach- und Denkcode“ der Juristen, der ihn auch im Familiengespräch nicht verließ, unbewusst vertraut gemacht. Es war also eine Vorstellung davon da, was Jurist-Sein und juristische Denkweise bedeuten. Und, weil Juristen ganz unterschiedlicher Berufe zur präsenten Verwandtschaft gehörten, konnte man auch sehen, dass man sich mit dem Jurastudium nicht gleich in das Korsett eines einzigen Berufs schnürte. Das hilft, wenn man noch nicht bestimmt weiß, was man werden will oder sollte, auch wenn mir als Dreijährigem, wegen meines nachdenklich ernsten Gesichts, prophezeit worden sein soll, ich werde „bestimmt einmal Professor werden“. Dass es unter großen Künstlern auch Juristen gab, war für meine Mutter beruhigend. Dass mein Vater die Phase der Entscheidung seiner Söhne nicht nutzte, die Gratwanderungen zu thematisieren, zu denen sich ein von der jeweiligen Staatsverfassung und dem in ihr geltenden Recht namentlich als Richter abhängiger Jurist in seinen Lebenszeitläuften gezwungen sehen kann, auch dass wir Söhne ihn mit diesem Thema nicht konfrontierten, ist eine wohl verallgemeinerungsfähige Erfahrung jener Zeit, die für mich ein nur schwer erklärbares Versäumnis ist. Es bleibt auch deshalb wenig nachvollziehbar, weil die Problematik ja schnell in der Nachkriegszeit für alle, die in der Sowjetischen Besatzungszone und späteren DDR parallel zu uns Juristen wurden, gewissermaßen in die Verlängerung ging. Auch drängten die dann aufdämmernden 1968er-Jahre eigentlich dazu, spätestens dann die Vergangenheitserfahrungen auch im individuellen Familien-
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feld aufzuarbeiten. Das geschah nicht, obwohl die Vita meines Vaters dazu Anlass gab. Er war kein Nazi, kein Antisemit, aber seit 1934 Strafrichter im Dritten Reich und hatte es in Moabit zum Landgerichtsdirektor gebracht. Er wollte lieber Richter als Anwalt sein, was er zuvor war, allerdings Richter, kein Nazi. Deshalb bewarb er sich um den Vorsitz einer Strafkammer in der weniger politisierten Provinz in Guben. Ein Jahr später wurde er aber nach Moabit als Vorsitzender eines Sondergerichts zurückzitiert, an das er schon einmal ein Jahr lang noch als Landgerichtsrat abgeordnet war. Seine Intervention im Reichsjustizministerium führte ihn wenig später nach Guben zurück, wo er sein Amt, Zeitzeugen zufolge, bis kurz vor Kriegsende ohne NS-Zungenschlag ausübte. Dass das Sondergericht später den Grund abgab, dass er in Bielefeld, wo er Vizepräsident des Landgerichts und als Präsident lange im Gespräch war, nicht Präsident wurde, hat er bis zum Ende nicht (auch) seiner Entscheidung, Richter im Dritten Reich zu werden und zu sein, sondern allein Hitler angelastet. „Er hat mir mein Leben zerstört“, war dazu seine Aussage. Auseinandergesetzt haben wir uns mit ihm darüber, auch über seine Entnazifizierung (Gr. V), obwohl er das anbot, nicht, auch nicht, ob ihn sein positivistisch geprägtes Studium in der Weimarer Zeit zu wenig für die kommende gerüstet hatte. Erst später habe ich diese Fragen mit Zitaten Radbruchs in meine Vorlesungen eingebracht. Ich wüsste gerne, ob ich mit meinen Aussagen dazu der vergangenen Zeit gerecht wurde.
II. Warum Strafrecht? Wie ich zum Strafrecht kam, wäre einer psychoanalytischen Aufklärung wert. Ich will mich an ihr aber hier nicht versuchen. Auch das war jedenfalls keine „Überzeugungstat“. In meinem Studium spielte das Strafrecht keine prägende Rolle. Würtenberger und Sieverts, bei denen ich in Freiburg und Hamburg in meinen ersten vier Semestern dem Strafrecht begegnete, haben meine geringe Neigung, Vorlesungen regelmäßig zu besuchen, nicht zu ändern vermocht. Das lag nicht nur an ihnen. Ich erfuhr schnell, dass meine Zuhörgeduld und auditive Lernfähigkeit, aber auch mein Interesse am Stoff nicht leicht herzustellen waren. Als ich 1964 nach Göttingen wechselte, konnte selbst Badura, ein Hörermagnet im Öffentlichen Recht, daran nichts ändern, wohl aber Roxin. Dass er als junger Ordinarius, 1963 mit 32 nach Göttingen berufen, Entscheidungen des Bundesgerichtshofs in Strafsachen brillant kritisierte, hat zum Interesse an der Sache, wohl aber auch zu meiner Verselbständigung gegenüber meinem Vater beigetragen. Vor allem hat er aber auf unserem Gebiet in seinen fesselnden Vorlesungen eine Grundsicherheit hergestellt, nach der wir in dem unüberschaubaren Stoff allen Rechts suchten. Das galt für Examensrelevantes wie Teilnahme oder Versuch,
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aber auch für die Straftheorien oder den Weg, wie man aus dem damals so bestimmenden Streit zwischen Kausalisten und Finalisten herausfand.1 Gleichwohl habe ich mich 1967 im Ersten Staatsexamen für eine Hausarbeit im Zivilrecht entschieden. Meine erste auf diesem Gebiet war eine der wenigen Glanzleistungen meines Studiums. Konrad Zweigert, dessen Scharfsinn und Rhetorik mich in Hamburg beeindruckt hatten, gab sie mir als beste mit Handschlag zurück. Im Strafrecht war mir Vergleichbares nicht gelungen. Auch hieß es, man könne dort unausrechenbar ganz oben oder weit unten und bei einem Praktiker als Begutachter auch gänzlich daneben landen, nur weil man den Vorsatz im Tatbestand prüfe. Dieser Unsicherheit konnte auch Roxin nicht abhelfen. Meine Entscheidung war richtig, die Hausarbeit legte den Grundstein für „gut“. Das erleichterte die Suche nach einem Doktorvater. Meine aus der auf einem großen Gut im Lipperland als Flüchtlingskind verbrachte Kinder- und Jugendzeit stammende Begeisterung für Land- und Forstwirtschaft reichte für die Entscheidung für ein landwirtschaftsrechtliches Thema bei Kroeschell letztlich nicht aus. Auf Großfelds Angebot, mir mit einem Stipendium für die USA eine rechtsvergleichende Arbeit im Versicherungsrecht zu ermöglichen, ging ich aus provinzieller Ängstlichkeit, aber auch aus der Anschauung, was ein USA-Aufenthalt aus den wenigen machte, die sich dazu damals verstanden, nicht ein. Es hätte mein Leben in eine gänzlich andere Richtung geführt. Ich habe über meine Absage lange mit mir gehadert. Erst dann ging ich auf Friedrich Schaffstein und mit ihm auf das Strafrecht zu. Er hatte mich im Examen geprüft, schien mir „väterlicher“ als Roxin und war auch nicht wie jener bereits von einem ambitionierten Schülerkreis umringt.2 Ich bat ihn um ein dogmatisches Thema. Mit dem Fall Rose-Rosahl lockte er mich auf das von Bemmann, der als Göttinger Student vor meiner Zeit ein Schaffstein-„Fan“ war, 1958 noch einmal beackerte Feld von error in persona und aberratio ictus,3 auf dem mir immerhin gelang, mit der materiellen Gleichwertigkeitstheorie eine eigene Idee zu entwickeln. Dass sie trotz Aufnahme der Arbeit in die mit einer Schrift Welzels würdig eröffnete Reihe Göttinger Rechtswissenschaftliche Studien wenig Anklang fand, habe ich in der Vorlesung später damit erklärt, dass sich richtige Ansichten gemeinhin erst 100 Jahre nach ihrer 1
S. zu seiner Göttinger Zeit Roxin, Claus, Mein Leben und Streben, in: Hilgendorf, Eric (Hrsg.), Die deutschsprachige Strafrechtswissenschaft in Selbstdarstellungen, S. 449, 451 f.; dort auch zu seinem Verhältnis zu Friedrich Schaffstein (zu ihm weiter u.). Zu ihm gehörten mit Achenbach, Amelung, Haffke, Schall und Schünemann spätere Kollegen. Bemmann, Günter, Zum Fall Rose-Rosahl, MDR 1958, S. 817 ff.; Bemmann hat mir erzählt, er habe nach Vorlesungen Schaffstein öfter nachhause begleitet und seine Aktentasche getragen.
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Entwicklung durchsetzen. Man wird sehen. Die Anfertigung der Schrift wurde mir durch ein Stipendium aus Mitteln der Stiftung Volkswagenwerk erleichtert. Mir war damals noch nicht bewusst, dass ich mit meiner strafrechtlichen Promotion eine für mein späteres Berufsleben weichenstellende Entscheidung getroffen hatte. Auch habe ich mir nicht klar gemacht, dass ich mit Schaffstein einen Doktorvater hatte, der später sein „Überlaufen zum Nationalsozialismus“ als „Irrweg auf meinem Lebensweg“ bezeichnen sollte. Schon 1965 hätte man bei ihm nachlesen können, dass er sich in die „Irrtümer seiner eigenen Generation“, die schließlich zu „Krieg und den Verbrechen von Auschwitz“ führten, „ausdrücklich“ einschließe.4 Das war immerhin ein Ansatz, der ihn als Doktorvater akzeptabel machte. Dass er die Irrwege in Vorlesungen thematisierte, ist mir allerdings von ihm ebenso wenig wie von Huber, Michaelis und Wieacker, seinen Wegbegleitern aus der Kieler Schule, oder von Erler und Ebel bekannt,5 eine irritierende Zahl „Überläufer“ in die Rechtserneuerung des Dritten Reichs, die den in Göttingen Studierenden meiner Generation zugemutet wurde.6 Sie stellten sich nicht, und wir haben das selbst in den 1968er-Jahren zu wenig gefordert, oder später von den „Falschen“, die gar nicht „belastet“ waren.7 Was es 1933 bedeutet hatte, in der Göttinger Juristenfakultät ein jüdischer Gelehrter zu sein, wurde mir 1974 bewusst, als ich als Lehrstuhlassistent den Auftrag bekam, Richard Honig bei Recherchen zu helfen. Er war – wie Schaffstein Habilitand Robert von Hippels – als einer der ersten als „Nichtarier“ aus der Göttinger Fakultät entlassen worden. Dass er hochbetagt dorthin zurückkehrte, war für mich von schwer fassbarer menschlicher Größe, vergleichbar der Gutzwillers, über dessen verwandten Weg ich zu seiner Geburtstagsfeier 15 Jahre später als 4
Nachweise bei Dölling, Dieter, Das jugendstrafrechtliche Denken von Friedrich Schaffstein. Eine Annäherung, in: Schumann, Eva/Wapler, Friederike (Hrsg.), Erziehen und Strafen, Bessern und Bewahren, Göttinger Juristische Schriften, Bd. 20, 2017, S. 139, 158 f. Ich muss einschränkend bemerken, dass ich deren Vorlesungen nur sehr sporadisch besucht habe. Bemmann, Günter, Erinnerungen eines Weggefährten, ZIS 2011, S. 275 f. berichtet immerhin von einem „Schuld- und Reuebekenntnis“ Schaffsteins in einem Seminar in den 1950er-Jahren; s. dazu auch Krause, Thomas, Friedrich Schaffstein – Von der Strafrechtsgeschichte über die „Kieler Schule“ und das Strafrecht, in: von Arnauld, Andreas u. a. (Hrsg.), 350 Jahre Rechtswissenschaftliche Fakultät der Christian-Albrechts-Universität zu Kiel, 2018, S. 285, 311 ff. mit Fn. 149. S. dazu Schumann, Eva, Die Göttinger Rechts- und Staatswissenschaftliche Fakultät 1933–1955, in: Schumann, Eva (Hrsg.), Kontinuitäten und Zäsuren, Rechtswissenschaft und Justiz im „Dritten Reich“ und in der Nachkriegszeit, 2008, S. 65, 107 ff. Der Göttinger Strafrechtslehrer Schreiber berichtet vom Vorwurf, (ausgerechnet) er sei „Faschist“, s. Schreiber, Hans-Ludwig, in: Hilgendorf, Eric (Hrsg.), Die deutschsprachige Strafrechtswissenschaft in Selbstdarstellungen, 2010, S. 481, 485.
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Dekan in Heidelberg berichten wollte. Sein plötzlicher Tod ließ daraus eine Gedenkfeier werden.8
III. Warum Strafrechtslehrer? Der Entschluss, Strafrechtslehrer zu werden, reifte aus drei Gründen. Zum Ersten wusste ich nach meinem 1972 abgelegten, in seinem erfreulichen Ausgang wiederum maßgeblich durch die zivilrechtlichen Leistungen bestimmten Zweiten Staatsexamen recht sicher, dass ich keinen der praktischen Berufe, denen man in der Referendarausbildung begegnete, ausüben wollte. Zum Zweiten hatte ich mich in dieser Zeit, auch der Status eines Stipendiaten ließ das zu, immer wieder als Korrekturassistent und Leiter einer vorlesungsbegleitenden Arbeitsgemeinschaft im Strafrecht verpflichtet. Das beförderte das auch mit der Promotion wachsende intellektuelle Vergnügen an der Bewältigung dogmatischer Fragen. Vor allem aber erfuhr ich im Bemühen um hilfreiche Korrekturen und das Vermitteln des Stoffs, dass mir das „Lehren“ ungeahnte Freude verschaffte. Auch bestätigte mir die Rückmeldung, dass ich im „Dozieren“, obwohl mir die freie Rede selbst vor so überschaubaren Gruppen zu Beginn schwer fiel, nicht ganz untalentiert war. Das und die Tatsache, dass ich im Lehrberuf nicht die unmittelbare Verantwortung für strafrichterliches Richten, sondern „nur“ für dessen theoretische und mit einem Rechtsstaat verträgliche Grundlegung tragen musste, machte es als Drittes möglich, dass ich mich auf einen Beruf in diesem Fach festlegte. Die Entscheidung ließ es ja sogar zu, sich Radbruchs Prognose anzuschließen, „dass die Entwicklung des Strafrechts über das Strafrecht einstmals hinwegschreiten und die Verbesserung nicht in ein besseres Strafrecht […] sondern“ in etwas, „das besser als Strafrecht, das sowohl klüger wie menschlicher als das Strafrecht wäre,“ münden werde und diesen Satz, wie Radbruch es auch tat, zur Zielvorgabe, zum Forschungsprogramm, oder auch zu einem – wie es 1974 Arno Plack formulierte – Plädoyer für die Abschaffung des Strafrechts zu machen.9 In fortgeschrittenen Stunden habe ich in den frühen 1970er-Jahren in meiner Göttinger Stammkneipe, dem „Trou“, bisweilen verkündet, ich werde dereinst den ersten Lehrstuhl für die Abschaffung des Strafrechts besetzen. Dazu ist es zwar nicht gekommen. Auch habe ich gedankliche Investitionen in ein alternatives Programm – Kölbel hat da8
S. Begrüßung durch den Dekan, in: Institut für Ausländisches und Internationales Privat- und Wirtschaftsrecht der Universität Heidelberg (Hrsg.), In Memoriam Max Gutzwiller, 1990, S. 17 ff. S. dazu meinen Beitrag Gustav Radbruch – Eine Suche nach Alternativen zum Strafrecht, in: Baldus, Christian/Kronke, Herbert/Mager, Ute (Hrsg.), Heidelberger Thesen zu Recht und Gerechtigkeit, 2013, S. 401 ff. Den Abolitionismus hat sich Radbruch, obwohl es so klingt, – anders als Plack – nicht auf seine Fahnen geschrieben.
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zu unlängst einmal wieder aufgerufen – relativ schnell eingestellt. Ich habe ein mich überzeugendes Gegenkonstrukt nicht gefunden, eine Grundskepsis freilich bewahrt und Radbruchs Auftrag in Vorlesungen weitergegeben, wie wir wissen, bisher, und wie ich heute glaube, auch weiterhin ohne Erfolg. Es bleibt das Bemühen um ein besseres Strafrecht. Dass es schließlich zu Vorlesungen kam, setzte Habilitation und Berufung voraus. Den Einstieg hierzu ermöglichte mir Gunther Arzt. Er war 1970 Nachfolger Schaffsteins geworden, ausgestattet mit zwei Assistentenstellen.10 Werner Beulke, der 1969 sein Erstes Staatsexamen abgelegt und sich wie ich für Schaffstein als Doktorvater entschieden hatte, verwaltete die erste Stelle und empfahl mich, obwohl wir uns persönlich noch nicht kannten, für die zweite. Es war der Beginn einer langen Freundschaft. Zunächst nahm ich das Angebot, die Stelle als beurlaubter Referendar zu verwalten, nach dem Zweiten Staatsexamen, die Stelle als Wissenschaftlicher Assistent mit Aussicht auf Habilitation einzunehmen, an. Als Arzt 1975 einem Ruf nach Erlangen folgte, war ich bereits als junger Familienvater fürsorglich durch die Verwandlung meiner Assistenten- in eine Akademische-Rats-Stelle abgesichert. Arzt war ein anregender, mit seinen unkonventionell-originellen Ideen heraus-, bisweilen auch etwas überfordernder und uns in den gerade mühsam erworbenen Grundfesten verunsichernder Lehrer. Er ließ mich mit dem Vorschlag zurück, mich zur Habilitation mit in materiellem Gewand verborgenen Verdachtsstrafen zu beschäftigen, einem Thema, das ihn „unter dem Einfluss amerikanischer Erfahrungen“ selbst umtrieb.11 Ich habe zu ihm später zwei Beiträge verfasst und in anderen die Problematik gestreift,12 es als Thema einer Habilitationsschrift aber 1974 für mich aufgegeben. Zum einen gab es aus der Feder von Peters und Lüderssen zwar Überlegungen zur „strafrechtsgestaltenden Kraft“ des Strafprozesses bzw. Beweisrechts. Auch waren namentlich durch Tiedemann rechtsstaatlich anfechtbare Auffanglösungen im geplanten Wirtschaftsstrafrecht benannt. Es gab aber doch nur wenig, mit dem man sich hätte konkret auseinandersetzen können. Meine Phantasie reichte für eine monographische Ausbuchstabierung des Themas nicht aus. Zum anderen hatte Schaffstein gemahnt, den plakativ eingesetzten Begriff der Verdachtsstrafe nicht ohne eine gründliche Analyse dieses bedeutenden Instituts in der Strafrechtsgeschichte zu verwenden und mir damit mittelbar aufgetragen, ein Stück weit auch auf dem von ihm so meisterhaft bestellten, mir aber noch weithin unbekannten Feld der 10 S. zu seiner Göttinger Zeit Arzt, Gunther, in: Hilgendorf, Eric (Hrsg.), Die deutschsprachige Strafrechtswissenschaft in Selbstdarstellungen, 2010, S. 3, S. 11 ff., S. 20. 11 S. dazu Arzt (Fn. 10), S. 18. 12 S. den 5. und 6. Titel unter 4. Aufsätze usw. meines unten abgedruckten Schriftenverzeichnisses sowie z. B. den Beitrag zu § 217 StGB n.F. aus 2016.
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Historie unseres Fachs wenig Erforschtes zu erarbeiten. Ich habe resigniert, wenn man so will, bin ich, im Zweifel, ob das der richtige Ausdruck ist, an oder mit diesem Thema gescheitert. Ganz aufzugeben, ging mir, obwohl verunsichert, allerdings nicht durch den Kopf. Als Akademischer Rat – seit Mitte 1978 sogar Oberrat – mein Leben als an Lehre und Verwaltung beteiligter „Mittelbauer“ zu verbringen, schloss ich für mich aus. Das Ansehen dieses in der Juristischen Fakultät dünn besetzten „Standes“ war dort eher gering, die Aussicht, niemals den Ordinarien vorbehaltene Vorlesungen halten zu dürfen, ein schmerzender Stachel. Zwar machte mir das Abhalten von Übungen für Anfänger und Fortgeschrittene und vor allem eines gut besuchten Examensvorbereitungskurses – das war Akademischen Räten gestattet – weil eben „Lehre“, großen Spaß. Mich damit zu begnügen, erschien mir aber, soviel Selbstbewusstsein war geblieben, ein Unterwertverkauf. Darin bestärkte mich 1977 ein zweiter Platz auf einer Bochumer Liste, die Hans Achenbach, gleichfalls nichthabilitiert, anführte. Nachträglich war ich froh, dass er annahm, weil der Antritt der Stelle eine Habilitation nicht mehr zuließ. Den Abschied von der Verdachtsstrafe und den folgenden, ein neues Habilitationsthema einschließenden Selbstfindungsprozess, erleichterte mir ein Angebot meines zivilistischen Ratskollegen in Göttingen, Olaf Werner. Er hatte in der von Diederichsen herausgegebenen Reihe „Examenswichtige Klausurprobleme“ die beiden Strafrechtsbände erarbeitet und bedeutet, dass ihm das „Wildern“ im fremden Fach nicht weiter behagte. Ich übernahm. Ich stockte die Problemanzahlen auf, schrieb den gesamten Text neu und kam damit 1975/1978 „auf den Markt“. Das hat meiner angeschlagenen Psyche gutgetan, meinen Spaß an Didaktik nach außen getragen und mich fachlich bereichert. Ich hatte auf der Suche nach Argumenten für die verschiedensten „Theorien“ gelernt, zur Quelle der später oft nur gebetsmühlenhaft repetierten Argumentationsbausteine vorzustoßen, die man in der Rechtsprechung des Reichsgerichts und der sie begleitenden, in ihrer Polemik nicht selten erfrischenden Literatur fand. Ich bewältigte daher ein umfangreiches, mich gründlich bildendes Leseprogramm. Die fachliche Bereicherung wurde durch die pekuniäre ergänzt. Olaf Werner, der völligen Neufassung gewahr, hatte großzügig auf den zunächst vereinbarten 50 %-Anteil verzichtet. Dass der AT eine Zeit lang das „meistgeklaute Buch in öffentlichen Bibliotheken“ war, schmälerte mein Einkommen, war aber Bestätigung, dass es für viele Studierende hilfreich war. Auf keine meiner Publikationen bin ich später von ausländischen, namentlich asiatischen Nachwuchskräften, die in Deutschland studiert und sich für eine Promotion im Strafrecht entschieden hatten, so oft angesprochen worden, wie auf diese. Sie hatten sie als hilfreich empfunden. Nicht wenige Kollegen sahen auf diese Gattung Ausbildungsliteratur
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verächtlich herab, andere, z. B. Werner Beulke, Kristian Kühl und Claus Roxin, haben sie in ihren Lehrbüchern freundlich zitiert.
1977 fiel der Entschluss, mit einer Analyse der neu aufgekommenen „ViktimoDogmatik“ zu habilitieren. Bei ihr ging es um den dogmatischen Einfluss des Opferverhaltens auf die Beurteilung der Tat und die Strafbarkeit des Täters. Knut Amelung hatte 1977 im ersten Heft von Goltdammer’s Archiv den anschwellenden Trend, den Täter bereits auf der Tatbestandsebene bei Opfermitverschulden zu entlasten, am Beispiel des selbstverschuldeten Irrtums beim Betrug zugespitzt. Er trat für den Einbezug der Sozialwissenschaften, also auch der die Interaktion zwischen Täter und Opfer thematisierenden Viktimologie als Teil der Kriminologie in strafrechtsdogmatisches Denken ein. Das galt damals auch für Arzt, dem der dogmatische Trend sympathisch, die gesellschafts- und kriminalpolitischen Auswirkungen in ihrer Ambivalenz aber bewusster waren, als anderen, die sich neben Amelung für den Trend stark machten.13 Ich entschied mich dafür, die damals von der Viktimologie freilich nur unvollkommen und sektionsweise sichtbar gemachte Bedeutung der Täter-Opfer-Interaktion und des Anteils des Opfers an der Tatgenese erst in der Strafzumessung zu verorten. Straffreie Räume aufgrund sorglosen oder missbilligten Opferverhaltens zu schaffen, ergab für mich kriminalpolitisch keinen Sinn. Bestärkt fühlte ich mich darin durch Horst Schüler-Springorum. Er hatte als Erster in seiner 1969 gehaltenen Göttinger Antrittsvorlesung „Über Victimologie“ die Frage gestellt, was diese Wissenschaft „dogmatisch leisten könnte“ und ihr in seiner vorläufigen Antwort nur „einen Beitrag zur Strafzumessungslehre“ zuerkannt.14 Das Thema hat mich zeitlebens weiterbeschäftigt. Der BGH ist meiner Linie auf der Rechtsvoraussetzungsseite gefolgt.15 Er hat es aber wie der Gesetzgeber versäumt, der Opfermitwirkung in der Strafzumessung eine überprüfbare Kontur zu verschaffen. Mich hat die Arbeit nicht nur meinem Ziel näher gebracht. Sie hat mich auch aus meiner provinziellen Enge befreit. Auf 8 des 30 Seiten umfassenden Literaturverzeichnisses meiner 1981 gleichfalls in den Göttinger Rechtswissenschaftlichen Studien erschienenen Schrift16 „Vorsatztat und Opferverhalten“ ist die fremd13 S. dazu Arzt (Fn 10), S. 15 ff. mit Hinweisen auf seine einschlägigen Arbeiten. 14 Schüler-Springorum, Horst, Über Victimologie, in: Festschrift für Honig, 1970, S. 201, 207 ff. Er hat wohl auch als Erster von „victmo-dogmatischen“ Aussagen gesprochen; ich habe dann den Ausdruck „Viktimodogmatik“ geprägt. 15 S. BGH NJW 2003, S. 1198 f. und BGH NJW 2014, S. 2595 ff. und dazu meine Bemerkungen in ZStW 129 (2017), S. 596, 613 ff. 16 Ich habe in meinen Vorlesungen darauf hingewiesen, dass meine beiden Schriften nur noch antiquarisch erwerbbar sind, weil der Göttinger Otto Schwartz Verlag – trotz dieser beiden „Bestseller“ – in Konkurs ging und die Reihe daher eingestellt wurde.
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sprachige Literatur aufgeführt, die ich verarbeitet hatte. Gedanklich war ich also weit in der Welt. 1982 erhielt ich eine Einladung Koichi Miyazawas, auf dem 4. Internationalen Symposium der Viktimologie in Tokio und Kyoto über meine Forschung zu sprechen und mit Bernd Schünemann die Klingen zu kreuzen. Er war auf dem Weg, die Gegenposition zu einer das gesamte Strafrecht bestimmenden „viktimologischen Maxime“ auszubauen. 2015 kam es zu einer „Neuauflage“ dieses Streitgesprächs in einem Deutsch-Chinesischen Symposium an der Chinese University of Politics and Law in Peking.17 Meine mit dem Thema gewachsene Empathie gegenüber den Opfern und die Rechtfertigung des Strafrechts als probates Mittel des Rechtsgüterschutzes hat mich mit dem Strafecht als Metier leben, meine kritisch-liberale aber nicht in eine konservative Grundhaltung umschwenken lassen.
IV. Warum Bonn, Osnabrück und Heidelberg? Bevor ich im Juni 1980 meinen Antrag auf Habilitation einreichen konnte, waren in Erlangen und Bonn zwei C 3-Stellen im Strafrecht ausgeschrieben. Hans-Ludwig Schreiber, der mir nach dem Weggang von Arzt durch seine fürsorgliche Freundlich- und Menschlichkeit das Gefühl gab, im Strafrecht auch ohne Anbindung an einen Lehrstuhl gut aufgehoben zu sein, riet mir, mich zu bewerben. Die Erstplatzierung in Erlangen teilte mir Gunther Arzt, die Unico-Loco-Liste mit meinem Namen in Bonn Hans-Joachim Rudolphi mit. Armin Kaufmann hatte befunden, die Entdeckung eines gefährlichen Trends und seine „Bekämpfung“ seien ein wichtiger Beitrag. Für einen Noch-nicht-ganz-Habilitierten war das eine unerwartete und natürlich höchst erfreuliche Lage. Sie aufzulösen fiel mir nicht leicht. Dass Arzt sich trotz der „Ablage“ seines mir vorgeschlagenen Themas und meiner nicht eben freundlichen Behandlung seiner viktimodogmatischen Positionen in meiner Schrift für mich eingesetzt und mir zuvor in Göttingen eine mein Habilitationsvorhaben absichernde Position verschafft hatte, rechnete ich ihm hoch an. Abzusagen fiel mir deshalb schwer. Meine Sympathien aber drängten nach Bonn. Einer meiner Brüder war da, NRW mir auch mundartlich vertrauter als Bayern. Rudolphi hatte ich als Schüler Roxins und Privatdozent in Göttingen in Lehrveranstaltungen und in der Klarheit auch seiner schriftlichen Aussagen schätzen gelernt. Dass Arzt in Erlangen bleiben würde, war unsicher. Also nahm ich den Ruf nach Bonn zum Wintersemester 1980/81 an. Erleichternd war, dass eine Absage in Bonn aktuell niemand genutzt hätte, in Erlangen mit Kristian Kühl aber einer zum Zuge kam, der einen Ruf mehr als verdient hatte.
17 S. dazu meine 2017 in der ZStW publizierte „Zwischenbilanz“.
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Bonn wurde ein kurzes, belebendes aber auch sehr anstrengendes Intermezzo. Noch im Dezember 1980 erhielt ich einen Ruf auf eine C 4-Professur an den in der Universität Osnabrück gerade neueröffneten Fachbereich Rechtswissenschaften. Am 13. Januar 1981 nahm ich den Ruf zum Sommersemester an. Rudolphi war verärgert. Er gönnte mir den Ruf, hätte aber gerne auch eine längere Pause im Berufungsgeschäft gemacht. Grünwald war traurig. Er stand im Ruf, früher „Kommunist“ gewesen zu sein, war, was ich erst in Bonn von ihm erfuhr, 1952 AStA-Vorsitzender in Göttingen und gleichwohl, wenn auch nolens volens, der erste Habilitand Schaffsteins gewesen. Er hatte aber, was mir guttat zu hören, mit dem Gedanken, Schaffsteins Schüler zu sein, aufgrund dessen glaubwürdiger Abkehr von vergangenem Denken seinen Frieden gemacht.18 Das verband uns. In Bonn hatte ich mit einer Übung und Beteiligung am Klausurenkurs ein vertrautes, mit einer vierstündigen BT-Vorlesung aber auch ein noch unbeackertes Lehrterrain. Darauf lebte ich von der Hand in den Mund, bereitete mich bis tief in die Nächte vor und kam erschüttert aus der Vorlesung heraus, weil das jeweils Vorbereitete abgearbeitet war. Dass Alles erkennbar frisch aus der Küche kam und mit viel Adrenalin vorgetragen wurde, riss die rheinisch-fröhliche Hörerschaft mit. Diese Erstvorlesungserfahrung war deshalb beglückend, aber eben auch anstrengend, Stress. Eine erste feministische Kritik trübte zudem die Euphorie etwas ein. Ich berichte das, weil die Begegnung mit diesem Vorwurf eine Erfahrung wohl erst unserer Generation und Beginn eines sicher fälligen Lernprozesses war. Im Klausurenkurs hatte ich die BGH-Entscheidung dazu eingebaut, ob es Nötigung ist, wenn ein Warenhausdetektiv die Nichtweiterleitung einer Anzeige davon abhängig macht, dass die ertappte Ladendiebin ihm sexuelle Annäherung gestattet. Dass ich in der Besprechung auch die Meinung wiedergab, die in dem „Angebot“ eine „Freiheitserweiterung“ und folglich kein Nötigungsunrecht sah, lasteten mir Hörerinnen als frauenfeindlich und sexistisch an. Es war, auch wenn überzogen, eine heilsame Mahnung. Man musste nicht nur und zurecht auf „Amanda Semper“ als Bezeichnung einer sich prostituierenden Fallprotagonistin – ein aus der vorangegangenen Generation berichtetes Beispiel – verzichten. Man musste auch der neuen Sensibilität der angewachsenen Zahl weiblicher Hörerinnen etwa bei der Besprechung des „Lilo Du“- Falls in Ton und Ausdrucksform Rechnung tragen. Vielleicht war mir das im Bonner Beispiel misslungen. So berechtigt Kritik insoweit war, so wenig habe ich sie manchmal in der Sache verstanden. Dass mich später in Heidelberg, wo ich mir sicher war, dass ich, aus den Vorerfahrungen in Bonn und auch noch Osnabrück belehrt, alles im Ton zu Vermeidende vermied, der Vorwurf als Sachkritik noch einmal einhol-
18 S. dazu nochmals Bemmann (Fn. 5), S. 275 f.
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te, als ich den Myom- und den Buscopan-Fall besprach, hat mich erschüttert. Zum Myom-Fall – ein wahrlich unverzichtbarer „Klassiker“ – war der feministische Rat, ich solle ihn durch ein nichtsexistisches Beispiel ersetzen. Sexistisch sei er, weil die Gebärmutter (mit der das Myom verwachsen war) ein inneres weibliches Geschlechtsorgan sei. Das hat mich von einer Weiterverwendung des Beispiels nicht abgehalten. Dass eine Frau ihre Schwangerschaft, wie im Buscopanfall, bis hinein in die beginnende Geburt erfolgreich verdrängen könne, sei – so dort die Erläuterung des Vorwurfs – eine frauenfeindliche Verzeichnung weiblicher Psyche. So „dumm“ sei keine Frau.19 Auch dieser Fall blieb Bestandteil meiner Vorlesungen, aber auch die Lehre aus der berechtigten Tonfall- und Stilkritik. Dass sie mich nicht aufgrund einer „Haltung“ traf, konnte ich, so fand ich, mit Passagen zu Heiratsschwindel und Vergewaltigung in meiner Habilitationsschrift und meinen die Viktimologie erläuternden Vergewaltigungsfall in Heike Jungs Wahlfachbuch belegen. Ihn hatte mein (auch weibliches) Lehrstuhlteam in Osnabrück kritisch gegengelesen. Dass Bonn anstrengend war, hatte zwei weitere Gründe. Zum einen war mein Habilitationsvortrag nach Eingang der Begutachtungen meiner Schrift – Maiwald als Nachfolger von Arzt war Erstgutachter, auch Loos, Schaffstein und Schöch äußerten sich – auf den 26. November 1980 anberaumt worden. Auf Anregung meines ältesten Studienfreundes Klaus Hübner, der, später selbst Hochschullehrer im Wirtschaftsrecht, eine Bankenkarriere begonnen und mir von einer die Bankenwelt beunruhigenden Entscheidung des BGH zur Untreue des Geschäftsführers einer Bank berichtet hatte,20 machte ich „Risikogeschäft und Untreue“ zu meinem Thema. Die Erarbeitung war mühevoll, weil ich mich auf diesem Terrain damals noch nicht bewegt hatte, ein Risikogeschäft folglich auch für mich als Prüfungsgegenstand. Parallel dazu musste ich für das Bewerbungsverfahren in Osnabrück einen Vortrag erarbeiten. Schreiber, Vorsitzender der dortigen Gründungskommission, riet mir, obwohl das Thema zur wirtschaftsstrafrechtlichen Ausrichtung des Osnabrücker Fachbereichs gut gepasst hätte, von einer „Doppelverwertung“ meines Habilitationsvortrags ab. Stattdessen referierte ich dort über die „Zahlung der Geldstrafe durch Dritte“.21 All die Mühen haben sich gelohnt. Am 1. Dezember 1980 wurde mir, nun gerade habilitiert, im Rektoratsflügel des 19 Die drei „kontaminierten“ Fälle finden sich in BGHSt 31, 195 (Kaufhausdetektiv), BGHSt 11, 111 (Myom) und BGHSt 31, 348 (Buscopan), der Lilo-Du-Fall in BGHSt 9, 48; meine Schwiegereltern, die gemeinsam eine Landarztpraxis betrieben, hatten mir aus ihrer Erfahrung das Buscopan-Fall-Phänomen als selbst erfahren bestätigt. 20 Abgedruckt in NJW 1979, S. 1512. 21 Erst 1987 als Beitrag zur Festschrift für Karl Lackner erschienen. Der später vielzitierte Habilitationsvortrag ist dagegen schon in NStZ 1981, S. 161 ff. abgedruckt.
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Bonner Schlosses die Urkunde über die Ernennung zum Professor ausgehändigt, ein bewegender Moment. Der Blick ging in den Hofgarten, den ich im Mai 1968 zum ersten Mal als Teilnehmer des Sternmarsches nach Bonn gegen die Notstandsgesetzgebung betreten hatte. „Benda, wir kommen!“, war ein Schlachtruf. Benda selbst, damals Innenminister, war ein von Zweifeln geplagter Verfechter des attackierten Sujets. Schon im Sommersemester 1981 trat ich in Osnabrück an. Den Ruf dorthin hatte ich maßgeblich Schreiber zu verdanken. Massiv bedrängt, mich an erster Stelle zu platzieren, hatte ihn sein Assistent in der Gründungskommission, Andreas Jolmes, der als Student Hörer meiner Lehrveranstaltungen in Göttingen und davon angetan war. Die in Osnabrück bis 1987 verbrachten Jahre am damals jüngsten Juristischen Fachbereich der BRD waren eine wichtige Erfahrung. Zwar waren sie im wissenschaftlichen „Output“ nicht sonderlich ertragreich. Ich war, was das Zu-PapierBringen strafrechtlicher Gehalte anging, durch die gerade zurückliegende Phase erstmal erschöpft. Auch war mein Familienleben – ich hatte 1969 eine Göttinger Studentin geheiratet, 1972 und 1976 waren unsere ersten beiden Kinder geboren – schon zuvor durch meine Habilitationsmühen-Absorption in eine bedrohlich-belastende Schieflage geraten. Das hat mich bedrückt. Das Angebot Rudolphis und Horns, im Systematischen Kommentar zum StGB die Partien Samsons fortzuschreiben, schlug ich auch deshalb aus. In den Vordergrund rückten in dieser Zeit andere Dinge, die für meine Weiterentwicklung als Hochschullehrer aber auch nicht unwichtig waren. Zum einen waren noch nicht gehaltene Vorlesungen zu erarbeiten. Vom Wirtschaftsstrafrecht war ich zwar freigestellt. Hans Achenbach, Erstberufener in Osnabrück und seit meinem Bonner Semester dort Gründungsdekan, hatte sich dieser Materie mit großem Engagement und einstweilen „bedarfsdeckend“ angenommen. Ich hatte aber zugesagt, neben den Kerngebieten auch die Kriminologie zu lesen. Sie für mich vorlesungsreif zu machen, war eine Herausforderung, bei der freilich meine viktimologischen Vorarbeiten, das großartige Lehrbuch Kaisers, aber auch das didaktisch hilfreiche Schwinds halfen. Ich habe dadurch viel hinzugelernt und rückte dem Idealbild Schaffsteins einen Schritt näher, der mir mitgegeben hatte, die gesamten Strafrechtswissenschaften zu bedenken. Dass ich später neben kriminologischen Arbeiten auch einen jugendstrafrechtlichen Beitrag abgeliefert und das Strafprozessrecht nicht ausgeklammert habe, habe ich als eine bescheidene Einlösung dieses Auftrags betrachtet. Vor allem aber bestätigte sich die Erfahrung, dass die Lehre der für mich wohl befriedigendste Teil meines Berufslebens war. Ich hatte in Göttingen und Bonn zwar auch den „Auftritt“ vor großen Hörerzahlen genossen und habe das später auch in Osnabrück und Heidelberg getan. In den ersten Semestern in Osnabrück kam aber das bewegende und intensive Erlebnis hinzu, kleine, über-
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schaubare Gruppen, die die ersten Jahrgänge dort noch waren, in das gerade Erarbeitete sehr unmittelbar miteinzubeziehen. Das gelang naturgemäß auch in Seminaren, die man im Strafrecht früh anbieten konnte. Daneben freute mich, dass das Thema meiner Habilitationsschrift mir, wie schon berichtet, eine Einladung nach Tokio, aber auch zu Vorträgen in Deutschland verschaffte.22 Auch ein anderer, 1984 gehaltener Vortrag wurde zu einem in der Erinnerung haften gebliebenen Ereignis. Zusammen mit Alfred Emmerlich, damals stellvertretender Vorsitzender der SPD-Bundestagsfraktion, Osnabrücker Abgeordneter und ausgewiesener Rechtsexperte, war ich von der Schwulengruppe Osnabrück zu einer Podiumsdiskussion und zu einem einleitenden Referat über „§ 175 StGB als Teil des Sexualstrafrechts“ eingeladen worden. Mein Referat endete mit den Sätzen: „Die ersatzlose Streichung des § 175 (die ich zuvor gefordert hatte) wird die gesellschaftliche Diskriminierung der Homosexualität nicht beseitigen – so mächtig ist das Strafrecht nicht! Aber es war Jahrzehnte so mächtig, den Menschen hinter dem Etikett dieser Zahl verschwinden zu lassen und ihn als Hundertfünfundsiebziger zu diskriminieren. Mir schiene es schon von Gewinn, wenn mit dem Verschwinden von Etikett und Zahl der Mensch dahinter wieder sichtbar würde!“ Der Vortrag wurde im Gay Journal, einer Schwulenzeitschrift, veröffentlicht. Rüdiger Lautmann, ein Bremer Kollege, schrieb mir einen anerkennenden Brief, mein Vater, Jahrgang 1901, war nicht begeistert, bei Herbert Tröndle, Jahrgang 1919, kann man noch 1992 nachlesen, warum.23 Naturgemäß fallen in der Aufbauphase einer Neugründung auch viele Verwaltungsaufgaben an. Der Aufbau der Bibliothek, die Raum- und Bauplanung waren zu begleiten, eine Studien-, eine Promotions-, eine Habilitationsordnung zu entwickeln, Berufungskommissionen zu bestücken. Wir alle lernten etwas dazu. Ich habe von diesen Erfahrungen bei der späteren Neugründung in Dresden (s. u. VI.) sehr profitiert. Osnabrück war zudem aufgetragen, eine damals noch nicht etablierte, politisch aber gewollte Zwischenprüfung einzurichten und experimentell auszutesten. Man glaubte damit von Beginn an motiviertes Lernverhalten, eine gezieltere Studienplanung und eine verkürzte Studiendauer zu erreichen und diejenigen zu ihrem eigenen Nutzen früh- und rechtzeitig zu einem Fachwechsel zu zwingen, die erkennen mussten, dass sie zum Jurastudium ungeeignet waren. Ich wurde zum Beauftragten für die Zwischenprüfung bestellt. Meine Zwischenemp
22 Ein vor der Juristischen Studiengesellschaft Hannover abgehaltener Vortrag ist 1983 in einer kleinen selbstständigen Schrift erschienen. 23 Tröndle hat sich in ZRP 1992, S. 297 ff. mit teils drastischen Wendungen, die mein Vater nicht benutzte, gegen die Abschaffung des § 175 StGB ausgesprochen und dafür die die älteren Generationen bewegenden Gründe aufgegriffen. Der Abdruck meines Vortrags findet sich in Nummer 5/Mai 1984 des Gay Journals.
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fehlung 198424 war, „die in die Zwischenprüfung gesetzten Erwartungen deutlich zu reduzieren.“ Das kam in der Politik nicht sonderlich gut an. Einerseits aber stand aus meiner Sicht der große Prüfungs- und Verwaltungsaufwand in keinem akzeptablen Verhältnis zur erzielten „Sieb- und Verkürzungsfunktion“. Andererseits blieb ich auch skeptisch, ob man mit den wenigen „Ausgesiebten“ die Richtigen traf. Dazu trug bei, dass ich selbst durch meine erste Klausur im Zivilrecht durchgefallen war, weil ich den „Taschengeldparagraphen“ nicht kannte. Wäre mir Ähnliches auch in der zweiten Klausur passiert, wäre ich nach den damals angedachten Modellen als ungeeignet entlarvt. Auch bewegte mich das Bedenken, es könnten durch die frühe Weichenstellung Studierende benachteiligt werden, die es mit dem Erwerb des „elaborierten Sprachcodes“ der Juristen aufgrund nicht-akademischer/-juristischer „Sozialisation“ schwerer hatten. Ein vergleichbares Bedenken hat mich später bei der Bewertung erster Leistungen in Strafrechtsübungen in Dresden umgetrieben. Die Adaption einer westlichen Fachsprache war für in der DDR Sozialisierte schwer. Wer sich weniger als ich mit auch einmal soziologischen Texten beschäftigt hatte, fand solche Vorbehalte (politisch) verdächtig oder ridikül. Das war im Kollegenkreis die Mehrzahl. Überzeugen konnte ich nicht, auch später in Heidelberg z. B. nicht mit dem Vorschlag, in den neuen Ländern noch unter der DDR-Flagge zum Abitur gekommene Doktoranden von der Promotionsvoraussetzung „Latinum“ zu befreien. Bedarf, das auch nur zu diskutieren, sah man nicht.
Bei einem zunächst kleinen Kollegium und früher Berufung in den Aufbaukreis wurde man schnell Dekan. Ich habe als Erfahrung mitgenommen, dass für das Hineinwachsen in das Haus der Universität, in das Fakultätskonstrukt und -geflecht und das Verständnis der „Säuleninteressen“ die Ausübung dieses Amts ein Quantensprung ist, gegen dessen Vollzug auch in denkbar zukünftigen Konstellationen man sich nicht abwehrend verhalten sollte. Ihn zu bestehen, war nicht ganz leicht. Erfahrung fehlte, Souveränität, eine „natürliche“ Autorität gab es noch nicht. Auch barg die Zusammensetzung des „Lehrkörpers“ Ambivalenz. Zu ihm gehörte mit Gursky und von Bar im Zivilrecht, mit Ipsen und Meyn im Öffentlichen Recht und mit Achenbach, mir und bald als Drittem Hero Schall, der zwar von Horn aus Kiel kam, mit dem ich aus Göttinger Tagen aber befreundet und der dort bei Roxin Doktorand und später schon in Horns Göttinger Zeit Mitarbeiter war, im Strafrecht eine beträchtliche Zahl der Erstberufenen, die eine gemeinsame Göttinger Wurzel und sich als Angehörige einer identischen „Wissenschaftsgeneration“ in Osnabrück ohne nachhaltigen Erfahrungshintergrund gewissermaßen auf neuer, aber wiederum gleicher Augenhöhe frisch etabliert 24 Hillenkamp, Thomas, Erfahrungen mit der Zwischenprüfung im Juristischen Fachbereich der Universität Osnabrück, ZRP 1984, S. 31 ff.
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hatte. Das und die freundschaftliche, in das Privatleben hineinreichende Verbundenheit machte den Ausgleich in inhaltlichen Disputen nicht immer leichter. Auch die aus anderen Universitäten Hinzuberufenen waren in ihrer wissenschaftlichen Biographie nicht weiter. Gestandene(re) Fahrenspersonen, die dem bisweilen sicher noch etwas unausgereiften, unserem neuerworbenen Amt auch wohl nicht immer angemessenen Habitus erworbene Autorität hätten entgegensetzen können, gab es – Hans-Werner Rengeling vielleicht als Ausnahme – nicht. Ich habe deshalb später in Dresden für ein etwas ausgewogeneres „Gemisch“ geworben. Mit der Berufung namentlich Amelungs ist das dort dann auch im Strafrecht gelungen. Im Herbst 1984 wurde von der Ruprecht-Karls Universität Heidelberg eine Professorenstelle (C 4) für Strafrecht und Strafprozessrecht ausgeschrieben. Mittelbar ging es dabei immer noch um die Nachfolge von Karl Lackner, ehrfurchtsvoll auch „Karl der Große“ genannt. Zwar hatte Manfred Maiwald, als Schüler von Gallas ein ursprünglich Heidelberger „Gewächs“, 1983 die Nachfolge angetreten. Er hatte aber bald seine vormals Göttinger Kollegen gebeten, ihm die Rückkehr dorthin zu ermöglichen.25 Das geschah. Ich bewarb mich auf die Stelle. Dass ich mir keine große Chance ausrechnete, dort zum Zuge zu kommen, kann man daran ablesen, dass meine bis dahin mit den beiden Kindern in Göttingen verbliebene Frau und ich zum Sommer 1985 in Osnabrück wieder zusammenzogen und meine Frau dort die Stelle einer Lehrerin antrat. 1986 wurde unser drittes Kind in Osnabrück geboren. Zwar hatte mir im März 1985 Paul Kirchhof als Heidelberger Dekan mitgeteilt, der Senat habe der Berufungsliste zugestimmt, auf deren Platz 3 ich mich zu meiner Freude befand. Das hatte meine Einschätzung aber nicht deutlich verändert. Ich ging davon aus, dass einer der drei vor mir Platzierten zugreifen würde. Günther Jakobs stand mit Friedrich-Christian Schroeder pari passu auf Platz 1, Justus Krümpelmann auf Platz 2. Es kam anders. Jakobs ging nach Bonn, Schroeder wurde vom Ministerium übergangen, Krümpelmann blieb in Mainz. Ich nahm den mir im November 1986 erteilten Ruf im Februar 1987 zum folgenden Sommersemester an. Der Abschied aus Osnabrück ist mir nicht leichtgefallen. Ich war mit dem lippisch-ostwestfälisch-niedersächsischen Raum, seiner Landschaft, seinem Idiom, seinem „Menschenschlag“ seit dem zweiten Lebensjahr verwachsen. Auch meine Frau fühlte sich dort als Niedersächsin sehr wohl. Osnabrück ist eine liebens- und lebenswerte Stadt. Meine Eltern lebten noch im benachbarten Bielefeld, wo ich mein Abitur gemacht und 1962 die Schulabschiedsrede, wie drei Jahre zuvor am 25 Ich habe ihm später für diese Entscheidung wiederholt meinen Dank ausgesprochen. Das hat er mit Humor ertragen.
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Progymnasium Oerlinghausen/Lippe, dem heutigen Niklas-Luhmann-Gymnasium, gehalten hatte.26 Heidelberg aber konnte und wollte ich nicht ausschlagen. Der Ruf von Deutschlands damals jüngster an die älteste, dazu hochangesehene Fakultät bot neben dem Renommee27 die Chance, sich aus den akademischen Kinderschuhen und den Lasten einer Fakultät im Aufbau zu befreien und die schwebende Erwartung abzuschütteln, sich auch nach und nach stärker in das von mir nicht sonderlich favorisierte Wirtschafts(straf)recht einzubringen. Dass die in Heidelberg ehrfurchtsgebietenden großen „alten“ Namen28 mit Häsemeyer, Schmidt-Aßmann und Miehe, einem Habilitanden Schaffsteins, von drei mir noch aus Göttinger Zeiten vertrauten etwas jüngeren umringt und im Strafrecht durch Wilfried Küper, mit dem eine andauernde Freundschaft entstand, auch mit einem westfälischen Naturell ergänzt waren, federte den Umstieg in eine atmosphärisch ja ganz anders geprägte, Altehrwürdigkeit lebende Ordinarienfakultät etwas ab. Dazu trug auch bei, dass ich mit Gerhard Werle einen Habilitanden Karl Lackners als meinen ersten Assistenten übernahm, mit dem ich mich gut verstand und der in dieser Zeit eine Schrift zu Ende brachte, die das Recht(sleben) in der NS-Zeit wie keine zuvor (und danach) erhellte. Ich habe meine Entscheidung nie bereut und beibehalten. 1991 bat ich Horn, den ich in Göttingen als anregenden, mit der Sanktionenlehre damals noch ungewohntes dogmatisches Terrain eröffnenden Strafrechtler kennengelernt hatte, sein freundliches Angebot, mich nach Kiel als Kriminologen zu holen, nicht weiter zu verfolgen. Ich fühlte mich dem mangels empirischer Ausbildung nicht hinreichend gewachsen. Einen 1992 ergangenen Ruf nach Bochum (Nachfolge Warda), der mir eine Rückkehr in westfälisches Umfeld ermöglicht hätte, lehnte ich ab.29 Grund für mein Wohlbefinden in Heidelberg war schließlich auch, dass ich mich über die 26 Jahre, die es werden sollten, mit Küper und Miehe und auch mit den später berufenen Strafrechtlern Dieter Dölling, Rainer Zaczyk, Eva Graul, Gerhard Dannecker und Volker Haas gut
26 Niklas Luhmann war aus Oerlinghausen. Gut Menkhausen, auf dem ich aufgewachsen bin, liegt 2 km davon entfernt. 27 Und der Nichtwiederholung der Frage, ob es dort, wo ich Professor war, denn überhaupt eine Universität gäbe. 28 Ich nenne aus der älteren Generation und den nichtstrafrechtlichen Fächern nur Jayme, Jauernig, Laufs und Ulmer im Zivilrecht (auch Hefermehl las noch als Emeritus), Doehring, Frowein, und Steinberger im Öffentlichen Recht. Kirchhof war mein Jahrgang. 29 Eine solche Rückkehr war für mich immerhin eine Versuchung. Dass erst nach mir und Werner Beulke eine Frau platziert war, verschaffte mir die einzige persönliche Erfahrung, dass diese Tatsache die Ruferteilung aufgrund ministerieller Nachfragen an die Fakultät aufhalten konnte. Da auch Werner Beulke absagte, ging der Ruf an Ellen Schlüchter.
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verstand.30 Wie vielerorts, herrschte auch in Heidelberg in der strafrechtlichen Säule Harmonie. Literarisch wurde ich wieder lebendiger. Aufsätzen, Anmerkungen, Festschriftbeiträgen, ganz überwiegend zum materiellen Recht, gesellte sich 1998 eine kleine monographische Schrift im Strafprozessrecht hinzu. Sie war aus einem Gutachten zu einem heute hoch aktuellen Thema entstanden. Der 21. Auflage des dritten Wessel’schen Lehrbuchbandes zu den Vermögensdelikten, den ich 1999 übernahm,31 folgten neunzehn von mir allein, ab 2018 drei mit meinem Nachfolger Jan Schuhr zusammen bearbeitete Auflagen. Mit Betrug, Untreue und den Konkursdelikten32 holte mich darin immerhin das klassische Wirtschaftsstrafrecht zu einem Teil doch wieder ein. Zur 11. und 12. Auflage des Leipziger Kommentars lieferte ich 2003/2007 viele Seiten zum Versuch ab.33 Ab 1999 beschäftigte mich zunehmend das Medizinstrafrecht. Publikationen dazu folgten (s. u. V.).
Ich habe mich nicht gescheut, auch didaktische Beiträge – auch über meine Emeritierung mit 70 hinaus34 – zu verfassen. Einer davon trägt meine langen Erfahrungen zu Fehlern bei der Subsumtion in der Heidelberger Sudentenzeitschrift zusammen.35 Ein anderer betrifft den von Ferdinand von Schirach berichteten, zu einem Freitagabendkrimi im ZDF verwandelten Fall „Anatomie“. Dessen Vorführung habe ich an den vier Stätten meines Lehrwirkens mit einer in der JuS publizierten Fallbesprechung in einer „Nostalgie-Tour“ 2018/19 verbunden. Die 30 Joachim Schulz, der bei meiner Ankunft die C 3-Stelle im Strafrecht bekleidete, wurde mein Nachfolger in Osnabrück. 31 Werner Beulke, der den AT weiterführte, und Wilfried Küper hatten mich Wessels und dem Verlag gegenüber empfohlen. 32 Deren Darstellung habe ich später wegen der wachsenden Zahl auf das Wirtschaftsstrafrecht spezialisierter Lehrwerke aufgegeben, auch um den auf über 500 Seiten angewachsenen Umfang des Lehrbuchs „in Schach“ zu halten. 33 Die Übernahme der Kommentierung des § 24 StGB durch Dietlinde Albrecht/Hans Lilie war eine Verlagsentscheidung. Da ich erst spät mit der Versuchskommentierung betraut worden war (es hatte einer abgesagt), befürchtete der Verlag die Verzögerung des Abschlusses der 11. Aufl. über 2003 hinaus. Tatsächlich wurde sie mit dem Erscheinen des 9. Bandes erst 2006 abgeschlossen. Ich hätte die Kommentierung also gut zu Ende schreiben können. 34 Meine eigentlich mit 65 fällig werdende Pensionierung konnte ich unter Beibehaltung aller Rechte und Pflichten bis zum Sommersemester 2013, in dem ich 70 wurde, hinausschieben. Das habe ich als großes Glück empfunden. Den jeweiligen Verlängerungsantrag um ein Jahr habe ich auch von dem Ergebnis der Evaluationen abhängig gemacht. 35 Am Beispiel eines noch aus der Göttinger Zeit stammenden Falls. Ein Wiederabdruck findet sich im Jubiläumsheft 1/2019 zum 10-jährigen Bestehen der Heidelberger StudZR.
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beiden Bände in der Reihe „Klausurprobleme“ sind mehrfach neu aufgelegt worden. Die Lehre blieb auch in Heidelberg mein „Lebenselixier“. 1992 habe ich zweimal die landesweite „Prüf’ den Prof’“-Aktion des RCDS Baden-Württemberg gewonnen36 und mich später über die Ergebnisse der obligatorisch gewordenen Evaluationen meiner Lehrveranstaltungen gefreut. Ende der 1980er-Jahre habe ich zusammen mit Kollegen des Zivil- und des Öffentlichen Rechts unter dem Mittel einbringenden Titel „Studienzeitverkürzungsprogramm“ in Heidelberg ein Examensrepetitorium eingeführt. Es wurde doppelspurig von Professoren und Assistenten/-innen und von den Letzteren auch in der vorlesungsfreien Zeit abgehalten. Das fand auch außerhalb Heidelbergs große Beachtung. Brigitte Tag, meine erste Habilitandin, wurde für ihr federführendes Engagement in diesem Projekt mit dem Landeslehrpreis ausgezeichnet. Meine Abschiedsvorlesung schloss unter dem Titel „Über (un)erlaubtes Entfernen“ meine letzte BT-Vorlesung ab. In ihr habe ich das unerlaubte Entfernen vom Unfallort und mein erlaubtes aus Heidelberg behandelt. Meine Frau und ich sind danach in vertrauteres Land, nach Göttingen, zurückgezogen. Ich habe eine wirkliche Vorlesung als einen zu mir sehr passenden Abschied aus dem aktiven Universitätsleben empfunden. Auch die Nachwuchsförderung lag mir am Herzen. Viele meiner 85 erfolgreichen Doktoranden und Doktorandinnen haben an meinen Seminaren teilgenommen.37 Wenn meine letzte Doktorandin noch abgibt, besteht mit 43:43 zwischen männlichen und weiblichen Promovierten ein Patt. Das die Generation der Väter noch beherrschende Vorurteil, Frauen seien zu juristischem Denken wenig prädestiniert,38 haben sie und der gegenüber meiner eigenen Studienzeit immens gewachsene Anteil von Jurastudentinnen eindrucksvoll widerlegt. In den Übungen habe ich die jeweils besten Arbeiten mit einem Buchpreis aus meinem Bestand bedacht. Der weibliche Anteil war oft dominant. Von acht mit einem Preis ausgezeichneten, von mir betreuten Dissertationen haben fünf Frauen geschrieben, darunter mit Kallia Gavela eine Griechin. Habilitiert haben sich bei mir mit Ralph Ingelfinger und Kai Cornelius zwei Männer, mit Brigitte Tag als Erste eine Frau. Sie ist als Ordinaria in Zürich eine führende Medizin-Strafrechtlerin geworden.
36 Sie wurde schnell wieder eingestellt. Sie war bei vielen Kollegen auf Missfallen gestoßen. 37 Aus Osnabrück gibt es nur zwei. Für einen größeren Kreis dort habe ich die Neugründung zu früh verlassen. 38 Auch mein Vater teilte dieses Vorurteil und hat meiner Schwester, die zweifelsohne eine gute Juristin geworden wäre, von diesem Studium mit „Erfolg“ abgeraten.
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V. Warum Medizinstrafrecht? 1998 verpflichtete uns die Landespolitik, die Lebensberechtigung zweier räumlich eng benachbarter Fakultäten durch die Herstellung von Synergieeffekten zu erhöhen. Oettinger hatte bekundet, eigentlich gäbe es in Baden-Württemberg eine Fakultät zu viel.39 Das in Mannheim namentlich von Jochen Taupitz repräsentierte Medizinrechtsinstitut wurde in das neubegründete Institut für Deutsches, Europäisches und Internationales Medizinrecht, Gesundheitsrecht und Bioethik der Universitäten Heidelberg und Mannheim (IMGB) überführt. Aus Heidelberg traten Laufs, Haverkate und ich in das Direktorium ein. Der Strafrechtler aus Mannheim war Lothar Kuhlen. Taupitz wurde geschäftsführender Direktor, ich sein Stellvertreter. Das blieb, was mich betrifft, so bis 2018. Es ist hier nicht der Ort, die „Stimmungslage“ in diesem politikoktroyierten Projekt näher nachzuzeichnen. Sie war nicht nur gut. Für mich war der Eintritt zwiespältig. Ich war bis dahin sehr froh, von Institutsstrukturen und -aufgaben gänzlich unabhängig und vom Drittmitteleinwerbungszwang befreit zu sein. All das lag mir nicht. Die in beiderlei Sicht unübertreffbare Agilität und Effizienz von Taupitz erlaubte mir dann aber, meine Abneigung insoweit ohne große Abstriche weiterzuleben. Andererseits konnte ich mir gut vorstellen, das Medizinstrafrecht für die letzten zehn 1998 noch erwartbaren aktiven Jahre40 zu einem Lehr- und Forschungsschwerpunkt zu machen. Dafür war der Platz, an dem ich lehrte, ein geeigneter Ort, da Heidelberg für das Medizinrecht mit Adolf Laufs ein präsent, und mit Eberhard Schmidt und Karl Engisch auch in zurückliegender Zeit hell strahlender Wissenschaftsstandort war. Ich hatte in meinem zweiten Semester in Freiburg bei Schwalm „Der Arzt im geltenden und künftigen Strafrecht“ belegt und war dort für dieses Semester entschlossen, das Jura- gegen ein Medizinstudium zu tauschen. Landarzt wollte ich nun werden. Zwar kehrte ich schon zum dritten Semester zur Juristerei zurück.41 39 Die RNZ berichtete darüber mit einem Bild, auf dem sich der Ministerpräsident Oettinger in eine Ansammlung von Verbindungsstudenten – meine Welt war das nicht – vor dem Heidelberger Schloss eingereiht hatte. Offen blieb, an welche Fakultät er dabei dachte. 40 Es wurden bis 2013 fünfzehn und nach der Emeretierung in Heidelberg im Institut nochmals fünf daraus. 41 Die naturwissenschaftlichen Erstsemestervorlesungen waren fern von dem, was ich mir unter dem Arzt-Sein vorstellte und überforderten mich als Neusprachler. Auch das Praktikum, das ich auf der Urologischen Station der Universitätsklinik Freiburg angefangen hatte, sprach mich nicht an. Meine Erfahrung habe ich später in der Erstsemestervorlesung mit dem Rat weitergegeben, an Zweifeln an der Juristerei nicht zu verzweifeln und bei deren Anhalten ruhig zu überlegen, ob man nicht z. B. den Arztberuf oder, wie Robert Schumann, einen anderen, sich selbst und die Menschheit beglü
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Das Interesse an der Medizin aber hielt an und wurde in meiner Göttinger Zeit durch Gemeinschaftsseminare von Deutsch und Schreiber zum Medizinrecht mit dem Recht noch einmal verbunden. Irgendwie kehrte ich also 1998 auch zur Aufarbeitung meines eigenen Schwankens zurück, wenn auch nur in juristischen Bahnen. Auch diesen Schritt habe ich nicht bereut. Im Gegenteil, er hat mein Leben bereichert und tut es noch. Gunnar Duttge und Volker Lipp, die heute in der Nachfolge von Schreiber und Deutsch das Medizinrecht in Göttingen pflegen, haben mich seit meiner Rückkehr dorthin freundlich aufgenommen. Seit der Jahrhundertwende habe ich zahlreiche Beiträge mit medizinstrafrechtlichem Bezug, zwei davon mit einem Umfang von über 80 Seiten, veröffentlicht. Dabei haben mich klassische Themen wie die Sterbehilfe und der Schwangerschaftsabbruch, aber auch abgelegenere wie die Intramurale Medizin, für die sich nur wenige interessieren, und modernere wie die Auswirkungen der neueren Hirnforschung auf die Willensfreiheit (und Schuld) umgetrieben. Viele dieser Beiträge sind für oder nach Tagungen, Symposien, Vortragsveranstaltungen entstanden, in denen ich oft ein interdisziplinäres Forum aus Juristen, Medizinern, Theologen, auch Philosophen vorfand, in dem man sich über die unterschiedlichen Facetten und Sichtweisen gewinnbringend austauschte. Das war eine für mich neue Erfahrung und es war Zeit, sie zu machen. Zur Intramuralen Medizin, also der medizinischen Versorgung im Strafvollzug, habe ich mit Brigitte Tag ein nationales und ein internationales Symposium abgehalten, in Heidelberg und in Zürich. Die Referate sind in zwei Bänden in der bei Springer verlegten IMGB-Reihe publiziert. Die Hirnforschung machte die 15. Max-Alsberg-Tagung zum Thema. Dazu entstand ein von mir herausgegebener Tagungsband. 2012 habe ich für das Korean Institute of Crimnology (KIC) einen Bericht über die neuere Hirnforschung verfasst, 2013 in Seoul, 2015 an der Peking-Universität dazu vorgetragen. Meine im selben Jahr gezogene Zwischenbilanz beruht darauf.42 In Sarajewo, Salzburg, auch in Seoul, habe ich zur Sterbehilfe referiert. Fast alle Themen waren Gegenstand meiner Vortragstätigkeit auch im Inland. Zudem habe ich, seit der ersten in Halle, fast alle Tagungen der deutschsprachigen Medizinrechtslehrinnen und -lehrer besucht,43 ckenderen Beruf ergreifen sollte. Schumann schwankte beträchtlich, wie aus von mir verlesenen Briefen an seine Mutter hervorging (ein klagender aus Leipzig, ein euphorischer aus Heidelberg, zu finden in: Jugendbriefe von Robert Schumann, mitgeteilt von Clara Schumann, 2. Aufl., 1886, S. 22, 61), tauschte das Juristen- gegen das Komponistenleben aber erst nach Abschluss des Studiums ein. 42 Abgedruckt in ZStW 127 (2015), S. 10–96. 43 In Zürich habe ich über den Spätabbruch referiert; in Würzburg habe ich als Ältester der Anwesenden (Eser hatte die Tagung schon verlassen) dem Ausrichter Eric Hilgendorf den verdienten Dank ausgesprochen.
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die den Austausch zwischen den drei großen Fächern des Rechts erlauben, Verwirklichung einer großartigen Idee der nachrückenden Medizinrechtslehrergeneration. Schließlich seien auch Lehre und Nachwuchsförderung auf diesem Gebiet erwähnt. Überwiegend aus den vielen, immer „ausgebuchten“ Seminaren, die ich zum Medizinstrafrecht abgehalten habe, sind 26 Dissertationen entstanden, einige davon in der IMGB-Schriftenreihe erschienen. Sechs sind mit einem Preis ausgezeichnet worden, vier davon von Frauen geschrieben. Ralph Ingelfinger und Brigitte Tag haben mit dem Medizinstrafrecht verwobene Themen zum Gegenstand ihrer Habilitationsschriften gemacht. Erst nach meiner aktiven Zeit, aber immerhin, ist das Medizinrecht in Heidelberg als Schwerpunktangebot etabliert worden.
VI. Warum ein Dr. iur. h.c. der TU Dresden? Seit dem 10. November 1995 trage ich den Titel eines doctor iuris honoris causa der Technischen Universität Dresden. Ein „Alleinstellungsmerkmal“ ist das nicht, es können sich aber nur sehr wenige mit dieser Auszeichnung schmücken.44 Leider wird es dabei auch bleiben (dazu weiter u.). Zum Wintersemester 1989 wurde ich Dekan der Juristischen Fakultät in Heidelberg. Kurz nach der Wende entstand im Dozentenkreis die Idee,45 den überkommenen und noch nicht wieder „funktionsfähigen“ Juristenausbildungsstätten der ehemaligen DDR eine neue hinzuzufügen, die unbelastet von der Umbruchsituation schnell den Beginn eines dem Standard der „alten“ Länder entsprechenden Jurastudiums anbieten könnte. Der Bedarf an im nun gemeinsamen Recht ausgebildeten Juristen wurde von uns als hoch eingeschätzt, ihn in absehbarer Zeit auch in den „neuen“ Ländern mit eigenen Landeskindern decken zu können, war ein motivierender Gedanke. Baden-Württemberg wurde Partnerschaftsland von Sachsen, das als gewichtiger Freistaat mit Leipzig nur eine Juristenfakultät hatte. Die Wahl fiel auf Dresden. Die vier weiteren baden-württembergischen Landesfakultäten wurden für die Idee gewonnen. Ich wurde zum Beauftragten der Fakultäten für die Neugründung ernannt, Othmar Jauernig und Helmut Steinberger zu Vertretern der Heidelberger Fakultät. Als wir im Juni 1990 in Dresden für unseren Gedanken warben, stießen wir beim Runden Tisch, aber auch bei Magnifizenz Landgraf, dem ersten Rektor der TUD nach der Wende, auf offene Ohren. Er wollte, wie er sagte, die TU, die alma mater dresdensis, zu einer universitas litterarum machen. 44 Außer Othmar Jauernig und mir (dazu weiter u. im Text) sind es der Strafvollzugspraktiker Harald Preusker und (noch) die ehemalige koreanische Staatspräsidentin Park Geun-hye. 45 Der ehemalige Richter am Bundesverfassungsgericht und Heidelberger Ordinarius Helmut Steinberger stellte sie als Erster zur Diskussion.
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Beide Landesregierungen stimmten zu. Schon im März 1991 konnte mit annähernd 250 Studierenden der Lehrbetrieb aufgenommen werden.46 Der von mir konzipierte Struktur- und Entwicklungsplan sah in einem sog. Tandemmodell u. a. vor, dass sich in der Gründungsphase Kräfte aus Sachsen und Baden-Württemberg zur Bewältigung der Aufbaujahre zusammenfinden sollten. Ich wollte, so gut es ging, den Eindruck eines übergestülpten Westimports vermeiden. Personell ließ sich dieser Teil der Tandem-Idee aber nicht durchhalten. Die sächsischen Mitglieder der Gründungskommission fielen überwiegend der „Abwicklung“ zum Opfer. Auch von der guten Handvoll Juristen, die an der TUD die technischen Fakultäten mit dem für sie bedeutsamen Recht vertraut gemacht hatten, blieb letztlich nur einer übrig, der sich in Verwaltungsaufgaben einfand. Ich musste daher entgegen der Ausgangsidee den Vorsitz in der Gründungskommission und das Amt des Gründungsdekans bald übernehmen. Im ersten Semester wurden die drei Kernfächer von Jauernig, dem Tübinger Schnur und mir vertreten. Schnell traten zahlreiche Kollegen aus den baden-württembergischen Fakultäten hinzu. Als weiterer Strafrechtler in der Gründungskommission saß der Freiburger Wolfgang Frisch. Bereits zum Sommersemester 1992 konnte dann ein im Entwicklungsplan auch enthaltenes, etwas anders geartetes „Lehrtandem“ gefahren werden. Den ersten fünf nach Dresden Berufenen – alle Erstplatzierte nahmen den Ruf an – standen weiterhin baden-württembergische Kollegen aller Fachsäulen zur Seite. Diese Unterstützung war für sechs Jahre zugesagt, konnte aber schon zum Wintersemester 1993 beendet werden. Sieben Lehrstühle waren besetzt, drei weitere Berufungsverfahren weit gediehen.47 Die Gründungskommission konnte entpflichtet, die Dresdener Juristenfakultät in die „Selbstständigkeit“ entlassen werden, in ein für sie auf einem verwaisten DDR-Bausockel errichtetes Haus, den von-Gerber-Bau,48 in den eine mit großer Effektivität unter der Federführung der von Freiburg freigestellten jungen Bibliothekarin Claudia Holland mit Mitarbeiterinnen der SLUB aufgebaute Bibliothek aus einem anfänglichen Barackenprovisorium umgezogen war. Knut Amelung wurde der erste „reguläre“ Dekan.49
46 Berichte von mir darüber finden sich in JuS 1992, S. 1069 ff. und in: Jur. Fakultät TUD (Hrsg.), 10 Jahre Juristische Fakultät an der TUD, 2003, S. 9 ff.; s. auch die Redebeiträge in TUD (Hrsg.), Festakt zur Gründung der Juristischen Fakultät, 1991. 47 Nach den ersten fünf konnten auch für die weiteren fünf Lehrstühle die jeweils Erstplazierten gewonnen werden. 48 Von Othmar Jauernig und mir konnte der damalige Finanzminister Georg Milbradt überzeugt werden, dass diese Nutzung der DDR-Hinterlassenschaft ein politisch klügeres Zeichen wäre, als ihre (geplante) Sprengung. 49 S. dazu TUD (Hrsg.), Feierliche Übergabe des von-Gerber-Baus und Feierliche Entpflichtung der Gründungskommission der Juristischen Fakultät, 1994.
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Als Othmar Jauernig und mir im Herbst 1995 aufgrund der in der Gründungsphase geleisteten Arbeit der Titel eines juristischen Ehrendoktors der TUD verliehen wurde, hatte sich die Dresdener Juristische Fakultät bereits einen Namen gemacht. Das lag am Renommee der Dozenten, im Strafrecht Knut Amelung, HansUllrich Paeffgen, Hans Jörg Albrecht, Günter Heine und Helmut Frister,50 einem ambitionierten Lehrprogramm, an einer gut ausgestatteten Bibliothek mit modernen Arbeitsplätzen, dem eigenen Gebäude mit Hörsälen, Seminarräumen und den versammelten Lehrstühlen und natürlich auch am Standort Dresden. Es hatte sich gezeigt, dass eine neben Leipzig zweite Juristenfakultät in Sachsen die richtige Antwort auf die erwartete und tatsächlich eintretende große Nachfrage und den Ausbildungsbedarf im nach dem Einigungsvertrag vorgegebenen Recht war. Die Studierenden kamen zunächst ganz überwiegend aus Sachsen, nach und nach aber auch aus den westlichen Bundesländern, ein weiterer Stein des Tandemmodells. Die feierliche Ehrenpromotion51 bestritten Jauernig und ich ohne Talar. Wir gehörten beide zu der sehr kleinen Gruppe im Heidelberger Dozentenkreis, die Anfang der 1990er-Jahre gegen die Wiedereinführung des Talartragens zu feierlichen Anlässen gestimmt, und, überstimmt, sich der Bekleidungsvorgabe widersetzt hatte. Ich sah in ihr eine fragwürdige, durch zeitopportunistische Gründe immer wieder unterbrochene „Tradition“ und in ihrer Wiederbelebung keinen sie rechtfertigenden Sinn.52 Die Würde der Feier beeinträchtigte der fehlende Ornat nicht. Zum Thema meines Vortrags machte ich „Offene oder verdeckte Amnestie – über Wege strafrechtlicher Vergangenheitsbewältigung“.53 Die „Bewältigung“ des DDR-Unrechts durch die Justiz war bekanntlich ein hoch kontrovers diskutiertes Problem. Die Radbruch’sche Formel gewann neue Brisanz. Ich hatte den Kontakt zu Gerhard Werle aus seiner Heidelberger Zeit nicht abreißen lassen, sein zusammen mit Klaus Marxen an der Humboldt-Universität in Berlin betrie50 1997 kam Detlev Sternberg-Lieben nach Dresden, heute dort Seniorprofessor; er traf Otto Lagodny dort an, später hinterließen auch Wolfgang Wohlers und Roland Hefendehl ihre Spuren in Dresden. 51 U. a. über sie und die Dresdener Zeit habe ich in: Kern, Christoph A. (Hrsg.), Erinnerungen an Othmar Jauernig, 2018, in meinen „Begegnungen mit Othmar Jauernig“, S. 43 ff. berichtet. 52 Jauernig hatte der Fakultät die Zuständigkeit abgesprochen, die „Amtstracht“ wiedereinzuführen; ein öffentlich-rechtlicher Kollege hatte das in einem Gegengutachten bestritten und den Verweigerern nahegelegt, als talarfreie „Störer“ feierlichen Anlässen fernzubleiben. 53 Publiziert in: Jur. Fakultät der TUD (Hrsg.), Recht im Umbruch, Beiträge zur Ehrenpromotion von Thomas Hillenkamp und Othmar Jauernig, 1997, S. 41 ff. sowie in JZ 1996, S. 179 ff.
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benes Forschungsprojekt „Strafjustiz und DDR-Vergangenheit“ mit großem Interesse verfolgt. Ein Seminar dazu hatte mich mit Heidelberger Studierenden über Braunschweig nach Berlin geführt.54 Mit den Dresdener Erstsemestern in der AT-Vorlesung 1991 über diese Problematik zu sprechen, war bewegend, bisweilen beklemmend. Zu verkünden, was im „Westen“ Gewissheit schien, dass sich die „insgesamt fehlgeschlagene Auseinandersetzung“ mit dem vergangenen System- und Individualunrecht der NS-Zeit nicht wiederholen dürfe,55 war, obwohl in der Sache richtig, eine heikle Gratwanderung, die auf nicht wenige betroffene Gesichter stieß. Der „Westen“ werde über den „Osten“ zu Gericht sitzen, über die Generation ihrer Eltern, ja, über manche von ihnen selbst, die noch Grenzdienst verrichtet hatten, ohne hinreichende Kenntnis, wie es gewesen war, das waren Bedenken. Meine eigenbiographische Erinnerung an Scheu und Versäumnis, sich mit der Verstrickung der Elterngeneration in das Unrecht des Dritten Reichs auseinanderzusetzen, kehrte als Vermutung gegenwärtiger Empfindungen bei den Studierenden, die vor mir saßen, zurück. Parallelen zu ziehen, war gleichwohl „gewagt“. Zu leicht konnte man sich dem Verdacht aussetzen, das Ungeheure des Dritten Reichs mit dem Unrecht der DDR kurzer Hand gleichzusetzen. Aussparen ließ sich die Problematik gleichwohl nicht, auch nicht strukturelle Parallelen. In meinem Grußwort zum Gründungs-Festakt im März 1991 klang meine Ahnung vom noch erst zu bestehenden Balanceakt an. „Die Lehrenden aus dem Westen, sie haben nur zum Teil und niemals ganz das Wissen – wie es gewesen – und wenn das Wissen, dann jedenfalls nicht das Erleben. Juristen lehren und lernen das Besserwissen. Es könnte unbeabsichtigt zur missverstehbaren Attitüde, es könnte aber auch zur Chance werden“, habe ich gesagt und auch, an die Studierenden gewandt, dass ich noch nicht wisse, „wie wir gemeinsam den Bruch überstehen, der mit der Welt ihrer Jugend, bisweilen sehr real mit der Welt ihrer Eltern droht. Wir werden mit Offenheit, mit Takt nach einer neuen Sprache und einer anderen Form der Begegnung suchen müssen, als wir alle sie bisher erfahren haben.“ Ich habe mich darum bemüht, sicher nicht immer mit Erfolg.56 54 Gerhard Werle hat mich auch mit der Bewältigung des Unrechts des Apartheid-Systems in Südafrika, an der er beratend teilgenommen hat, vertraut gemacht, s. dazu Medard R. Rwelamira/Gerhard Werle (Hrsg.), Confronting Past Injustices, London 1996. 55 An diese auf die justizielle Auseinandersetzung mit der NS-Justiz bezogene Aussage in BGHSt 41, 317, 339 erinnert Thomas Fischer in seiner Besprechung des 2010 gleichfalls von Eric Hilgendorf herausgegebenen Vorläuferbandes „Die deutschsprachige Strafrechtswissenschaft in Selbstdarstellungen“, in: Festschrift für Rissing-van Saan, 2011, S. 152 f. 56 S. dazu auch die Schilderungen von Adolf Laufs, der im Wintersemester 1992/93 in Dresden BGB AT und Verfassungsgeschichte der Neuzeit las, in seiner Lectio Aurea 2012 aus Anlass seines 50-jährigen Doktorjubiläums vor der Juristischen Fakultät in
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Die fünf Semester, die ich in Dresden mit den Verwaltungsarbeiten eines Gründungsdekans und mit einem jeweils sechsstündigen Lehrprogramm verbracht habe, waren anstrengend,57 gehören aber zu den erfülltesten meines beruflichen Lebens. Dresden selbst, seine Umgebung, seine Kultur, namentlich seine Oper, die Begegnungen mit vielen Dresdnern, die Erfahrung, was ein Leben in der zweiten Diktatur bedeutet hatte, haben auch die freie Zeit lebenswert gemacht. Berührt hat mich die Rückkehr in die Stadt meiner Geburt, in der ich im Februar 1945, ein Jahr und gute acht Monate alt, im Kellergeschoss einer Villa am Erfurter Platz 1 das Flammeninferno Dresdens überlebt hatte.58 Dieses biographische Moment hat meine Aufnahme in Dresden leichter gemacht. Umso schmerzlicher ist für mich, dass die Schließung der Juristischen Fakultät der TUD nun zum 30. September 2020 beschlossene Sache ist. Die Gründe genauer zu berichten, ist hier nicht der Ort. Schon nach zehn Jahren stellten sich unter einem neuen Rektorat erste bedrohliche Anzeichen ein, statt wenige Stellen aller Fakultäten die Juristische Fakultät zur Erfüllung des bundesweiten Einsparerlasses zu opfern. In der Welt der Techniker und auch der Landespolitik wurde die „Hoffakultät“ nicht durchweg für unentbehrlich erachtet. Nicht alle Fakultätsmitglieder haben sich zudem um die notwendige „Klimapflege“ gleich intensiv bemüht. Ich habe auf den ersten von Rektorat und Senat gefällten Einstellungsbeschluss, der der Politik die Vorlage zu der weiteren Entwicklung gab, schwer getroffen der Universitätsspitze die Veruntreuung des Gründungskapitals vorgehalten und bekannt, dass ich das Erlebnis einer zweiten, ganz unsinnigen Zerstörung in Dresden für nicht möglich gehalten habe. Der Rektor gab sich beleidigt. Es war zugegeben ein etwas schiefer Vergleich, aber ein adäquater Ausdruck meiner Gefühlslage, die anhält. Amelung sah sich um den mit viel Empathie gesetzten Schlussstein seines akademischen Wirkens betrogen, „abgewickelt“. Es hat, wie Versuche poFreiburg im Breisgau, in einer kleinen Broschüre publiziert von den Freiburger Arminen. 57 Ich habe parallel dazu jeweils ein sechsstündiges Lehrprogramm in Heidelberg absolviert; die Verbindung erleichterte ein zehnstündiger durchgehender Nachtzug, der Freitagabend voll mit baden-württembergischen Nach-Wende-Helfern und dubiosen Ostrittern in Dresden startete, mit Radeberger Pils im Angebot. 58 Ich bin am 2.6.1943 in Dresden-Neustadt geboren. Verwandte haben uns nach einer Flucht über Österreich im Herbst 1945 auf Gut Menkhausen im Lipperland aufgenommen. Ich habe über die Jahre 1945–1947 ein über 600-seitiges Buch mit dem Titel „Übergänge – eine Nacherzählung“ für die Familie verfasst. Die „Villa“ am Erfurter(heute Alexander-Puschkin-)Platz hat auch überlebt und war zu DDR-Zeiten das Haus der deutsch-sowjetischen Freundschaft und deshalb vielen Dresdnern durch Pflichtbesuche von Veranstaltungen auch in seinem Inneren bekannt. Über das meinen „Opa“ einschließende spur- und benachrichtigungslose Verschwinden „belasteter“ Bürger in Schweigelagern der Sowjets (Mühlberg z. B.) hat Kai Cornelius, selbst in der DDR aufgewachsen, eine lesenswerte Dissertation verfasst.
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litischer Intervention, nichts geholfen. Nicht alle Erfolgsgeschichten des Lebens sind von Dauer.
VII. Warum … ? Der „Warums“ gäbe es noch viele, etwa warum man alles genauso oder warum man manches oder gar alles anders machen würde, hätte man noch einmal die Wahl. Was mein berufliches Leben angeht, gibt es für mich keinen durchgreifenden Änderungsbedarf.59 Gewiss, zu Zeiten der Habilitation hätte es mehr Zeit für die Familie und einen für das Leben freieren Kopf geben sollen. Im Übrigen aber war es erfüllt und auch das Strafrecht ist, wenn man es lehren und zugleich hinterfragen darf, gut auszuhalten. Keine Materie des Rechts ist so dankbar, wenn man sie zum Gegenstand der Lehre hat, anschaulich, aber auch anfällig für Kritik, die Herausforderung bleibt. Machen wir mit ihm das Richtige? Nur noch auf ein anderes Warum sei noch kurz eingegangen. Wilfried Küper hat es und die Antwort darauf in seiner Besprechung des Vorläuferbandes bei den daran Beteiligten vermisst. Niemand habe „das Motiv angegeben, das ihn dazu bewogen hat, seine ‚wissenschaftlichen Lebenserinnerungen‘ zu schreiben“, ist sein Monitum.60 Mein Motiv ist relativ schlicht. Ich habe mir eine Festschrift verbeten. Ich kann mit der Frage, „warum eine sicher erwartete Festschrift nicht kommt“,61 besser leben, als mit der, warum nun gerade der eine Festschrift bekommen habe. Es gibt folglich in unserer beruflichen Welt von mir bisher nirgends ein gedrucktes Bild noch einen Überblick über die Schriften, die ich selbst für immerhin nennenswert halte. Wer in 100 Jahren sich z. B. zu Rose-Rosahl meiner materiellen Gleichwertigkeitstheorie anschließen möchte (s. o.) und sich dabei sagt, ich wüsste eigentlich gerne, wie der aussah und was er sonst noch so geschrieben hat, kann dazu nun ein Buch in die Hand nehmen. Das ist für mich ein schöner Gedanke.62 Dass er jetzt umsetzbar ist, dafür bedanke ich mich bei dem, der zu diesem Buch die Idee gehabt, die Mühen der Herausgeberschaft auf sich genommen und mich zum Mitschreiben eingeladen hat.
59 Damit kein Missverständnis entsteht: es gilt nicht etwa der Umkehrschluss zum privaten Leben, auch wenn ich im eigenen Verhalten einiges an Verbesserungsbedarf sehe. Aber das gehört hier nicht hin. 60 Küper, Wilfried, GA 2011, S. 706, 707. Er erklärt dort in Fn. 3, warum er selbst der Einladung Hilgendorfs nicht gefolgt ist. 61 Kristian Kühl hat sie in: Festschrift für Beulke, 2015, S. 1309 freundlicherweise „im Fall von Thomas Hillenkamp“ gestellt. 62 Und ein schönerer gegenüber dem gegoogelten Internet.
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Schriftenverzeichnis (in Auswahl) 1. Selbständiges Schrifttum Als Autor Die Bedeutung von Vorsatzkonkretisierungen bei abweichendem Tatverlauf, Göttinger Rechtswissenschaftliche Studien, Bd. 85, 1971. Vorsatztat und Opferverhalten, Göttinger Rechtswissenschaftliche Studien, Bd. 115, 1981. Die Urteilsabsetzungs- und die Revisionsbegründungsfrist im deutschen Strafprozeß, Heidelberger Forum, Bd. 102, 1998. Als Herausgeber Medizinrechtliche Probleme der Humangenetik, Veröffentlichungen des IMGB der Universitäten Heidelberg und Mannheim, Bd. 10, 2002. Neue Hirnforschung – Neues Strafrecht? Tagungsband der 15. Max-Alsberg-Tagung am 28.10.2005 in Berlin, Schriftenreihe Deutsche Strafverteidiger e.V., Bd. 31, 2006. Als Mitherausgeber Intramurale Medizin – Gesundheitsfürsorge zwischen Heilauftrag und Strafvollzug, Veröffentlichungen des IMGB der Universitäten Heidelberg und Mannheim, Bd. 24, 2005 (zusammen mit Brigitte Tag). Intramurale Medizin im internationalen Vergleich, Veröffentlichungen des IMGB der Universitäten Heidelberg und Mannheim, Bd. 32, 2008 (zusammen mit Brigitte Tag).
2. Kommentierungen Strafgesetzbuch, Leipziger Kommentar, §§ 22–23, 11. Aufl. 2003; 12. Aufl. 2007.
3. Lehr- und Studienbücher Strafrecht, Besonderer Teil/2, Straftaten gegen Vermögenswerte (begr. von Johannes Wessels), 21. Aufl. 1999 bis 40. Aufl. 2017; 41. Aufl. 2018 bis 43. Aufl. 2020 (zusammen mit Jan Schuhr).
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32 Probleme aus dem Strafrecht – Allgemeiner Teil (begr. von Olaf Werner), 3. Aufl. 1978 bis 14. Aufl. 2012; 15. Aufl. 2017 (zusammen mit Kai Cornelius). 40 Probleme aus dem Strafrecht – Besonderer Teil (begr. von Olaf Werner), 2. Aufl. 1975 bis 12. Aufl. 2013; 13. Aufl. 2020 (zusammen mit Kai Cornelius).
4. Aufsätze in Zeitschriften und Sammelwerken Zur materiellen Rückfallklausel des § 17 StGB, GA 1974, S. 208–219. Verwirkung des Strafanspruchs durch Verfahrensverzögerung?, JR 1975, S. 133– 140. Risikogeschäft und Untreue, NStZ 1981, S. 161–168. Beweisnot und materielles Recht, in: Festschrift für Rudolf Wassermann, 1985, S. 861–874. Beweisprobleme im Wirtschaftsstrafrecht, in: Osnabrücker Rechtswissenschaftliche Abhandlungen, Bd. 1, 1985, S. 221–248. Möglichkeiten der Erweiterung des Instituts der tätigen Reue, in: Schöch, Heinz (Hrsg.), Wiedergutmachung und Strafe, Symposion zu Ehren des 80. Geburtstages von Friedrich Schaffstein, 1987, S. 81–106. Zur Höchstpersönlichkeit der Geldstrafe, in: Festschrift für Karl Lackner, 1987, S. 455–469. Dolus eventualis und Vermeidewille, in: Gedächtnisschrift für Armin Kaufmann, 1989, S. 351–369. Verfahrenshindernisse von Verfassungs wegen, NJW 1989, S. 2841–2849. In tyrannos – viktimodogmatische Bemerkungen zur Tötung des Familientyrannen, in: Festschrift für Koichi Miyazawa, 1995, S. 141–158. Offene oder verdeckte Amnestie – über Wege strafrechtlicher Vergangenheitsbewältigung, JZ 1996, S. 179–187. Zur Teilhabe des Laienrichters, in: Festschrift für Günther Kaiser, 1998, S. 1437– 1459. Zur Reichweite des Beleidigungstatbestandes, in: Festschrift für Hans Joachim Hirsch, 1999, S. 555–575. Zur „Vorstellung von der Tat“ im Tatbestand des Versuchs, in: Festschrift für Claus Roxin, 2001, S. 689–710.
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Unverstand und Aberglaube, in: Festschrift für Hans-Ludwig Schreiber, 2003, S. 135–152. Zum Heimtückemord in Rechtfertigungslagen, in: Festschrift für Hans-Joachim Rudolphi, 2004, S. 463–481. Strafrecht ohne Willensfreiheit? Eine Antwort auf die Hirnforschung, JZ 2005, S. 313–320. Der Arzt im Strafvollzug – Rechtliche Stellung und medizinischer Auftrag, in: Hillenkamp, Thomas /Tag, Brigitte (Hrsg.), Intramurale Medizin – Gesundheitsfürsorge zwischen Heilauftrag und Strafvollzug, 2005, S. 11–30. Gesundheitsfürsorge im Strafvollzug, in: Festschrift für Adolf Laufs, 2005, S. 881–907. Das limbische System: Der Täter hinter dem Täter?, in: Hillenkamp, Thomas (Hrsg.), Neue Hirnforschung – Neues Strafrecht?, 2006, S. 85–110. Was bedeutet das „Nofitti-Gesetz“?, in: Festschrift für Hans-Dieter Schwind, 2006, S. 927–944. Garantenpflichtwidriges Unterlassen nach vorsätzlichem Tatbeginn?, in: Festschrift für Harro Otto, 2007, S. 287–306. Zur Strafbarkeit des Arztes bei verweigerter Bluttransfusion, in: Festschrift für Wilfried Küper, 2007, S. 123–147. Zum Notwehrrecht des Arztes gegen „Abtreibungsgegner“, in: Festschrift für Rolf Dietrich Herzberg, 2008, S. 483–502. Impossibilium nulla obligatio – oder doch? Anmerkungen zu § 283 Abs. 1 Nrn. 5 und 7 StGB, in: Festschrift für Klaus Tiedemann, 2008, S. 949–968. Intramurale Medizin in Deutschland, in: Tag, Brigitte/Hillenkamp, Thomas (Hrsg.), Intramurale Medizin im internationalen Vergleich, 2008, S. 73–160. Zum Schwangerschaftsabbruch nach Pränataldiagnostik, in: Festschrift für Knut Amelung, 2009, S. 425–446. Zur Beobachtungs- und Nachbesserungspflicht des Gesetzgebers im Strafrecht, in: Festschrift für Ulrich Eisenberg, 2009, S. 301–320. Wann ist der Mensch strafmündig?, in: Böhme, Gernot (Hrsg.), Der mündige Mensch, 2009, S. 91–112. Zur Kongruenz von objektivem und subjektivem Tatbestand der Untreue, in: Festschrift für Manfred Maiwald, 2010, S. 323–344.
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Zum Mitwirkungsverweigerungsrecht beim Schwangerschaftsabbruch, in: Festschrift für Heinz Schöch, 2010, S. 511–530. Die strafrechtliche Regelung der Spätabtreibung und ihre strafrechtshistorische Entwicklung, in: Weilert, A. Katarina (Hrsg.), Spätabbruch oder Spätabtreibung – Entfernung einer Leibesfrucht oder Tötung eines Babys?, 2011, S. 29–54. Zum Schutz „deliktischen“ Besitzes durch die Strafgerichte, in: Festschrift für Hans Achenbach, 2011, S. 189–205. Zur Problematik des Spätabbruchs, in: Tag, Brigitte (Hrsg.), Lebensbeginn im Spiegel des Medizinrechts, Beiträge der 2. Tagung der Medizinrechtslehrerinnen und Medizinrechtslehrer 2010 in Zürich, 2011, S. 213–228. Die strafrechtliche Haftung des Geschäftsherrn – Ein Stolperstein für die Verteidigung?, in: Engländer, Armin u. a. (Hrsg.), Strafverteidigung – Grundlagen und Stolpersteine, Symposion für Werner Beulke, 2012, S. 73–83.
Sterbehilfe im Recht, in: Anderheiden, Michael/Eckart, Wolfgang (Hrsg.), Handbuch Sterben und Menschenwürde, Bd. 1, 2012, S. 349–374. Suizidbeihilfe im Nahfeld – Der strafrechtliche Hintergrund, in: Anderheiden, Michael/Eckart, Wolfgang (Hrsg.), Handbuch Sterben und Menschenwürde, Bd. 2, 2012, S. 1033–1053. Tatbestandlichkeit, in: Festschrift für Paul Kirchhof, 2013, S. 1349–1361. Gustav Radbruch – Eine Suche nach Alternativen zum Strafrecht, in: Baldus, Christian/Kronke, Herbert/Mager, Ute (Hrsg.), Heidelberger Thesen zu Recht und Gerechtigkeit, 2013, S. 401–419. Ärztliche Hilfe beim Suizid – ver- oder geboten?, in: Festschrift für Kristian Kühl, 2014, S. 521–538. Über den „Ausnahmevorbehalt“ zu § 25 I 1. Alt. StGB, in: Festschrift für Bernd Schünemann, 2015, S. 407–420. Zu den Folgen einer „verfassungskonformen“ Auslegung des § 142 II Nr. 2 StGB, in: Festschrift für Werner Beulke, 2015, S. 449–466. Freie Willensbestimmung und Gesetz, JZ 2015, S. 391–401. Hirnforschung, Willensfreiheit und Strafrecht – Versuch einer Zwischenbilanz, ZStW 127 (2015), S. 10–96. Wann ist die Einwilligung in eine Lebendorganspende (LOS) „nicht freiwillig“?, MedR 2016, S. 109–118.
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§ 217 StGB n. F.: Strafrecht unterliegt Kriminalpolitik, KriPoZ 2016, S. 3–10.
Zur „Freiwilligkeit“ von Täter-Opfer-Ausgleich und Schadenswiedergutmachung nach § 46a StGB, in: Festschrift für Franz Streng, 2017, S. 259–269. Was macht eigentlich die Viktimodogmatik? – Eine Zwischenbilanz zur „viktimologischen Maxime“ als Gesetzgebungs-, Auslegungs-, Zurechnungs- und Strafzumessungsprinzip, ZStW 129 (2017), S. 596–628. Zum Offenlassen von Unrechtsmerkmalen bei „jedenfalls“ fehlender Schuld, in: Festschrift für Rudolf Rengier, 2018, S. 553–562. Fahrlässige Tötung in unerkannter Rechtfertigungslage – ist Ferdinand von Schirachs „Anatomie“-Fall richtig entschieden?, in: Festschrift für Thomas Fischer, 2018, S. 237–251. Sterbehilfe zwischen Rechtssicherheit und Chaos, ZMGR 2018, S. 289–298. Der Einzelfall als Strafgesetzgebungsmotiv, in: Festschrift für Ulrich Eisenberg, 2019, S. 655–669. „Unbedingter Todeswunsch“ und konsentierte Tötung – (k)ein Strafmilderungsgrund? Anmerkungen zum Dresdener Kannibalen-Fall, in: Gedächtnisschrift für Herbert Tröndle, 2019, S. 553–574. Abgestufte Anforderungen an selbstbestimmtes Sterben?, in: Festschrift für Reinhard Merkel, 2020, S. 1091–1108. Strafgesetz „entleert“ Grundrecht – Zur Bedeutung des Urteils des Bundesverfassungsgerichts zu § 217 StGB für das Strafrecht, JZ 2020, S. 618–626. Altentötung und Alterssuizid – eine Bestandsaufnahme für die Kriminalpolitik, ZStW 132 (2020), S. 705–741.
Heike Jung
https://doi.org/10.1515/9783110703016-006
Heike Jung Das Saarland und die Welt Versuch einer Bestandsaufnahme in eigener Sache „Bei alledem gibt es Risiken des Rückschritts: das Subjekt spricht von sich (Gefahr des Psychologismus, des Dünkels), es bringt sich durch Fragmente zur Aussage (Gefahr des Aphorismus, der Arroganz).“1
I. Biographisches 1942 in Neunkirchen (Saar) geboren, zählen der Gang in den Bunker und ein Tieffliegerangriff zu meinen frühesten schemenhaften Erinnerungen. Fast alle Fotos zeigen meinen Vater in Uniform. Er fiel 1943 an der Ostfront. Für meine Mutter, Witwe mit einem einjährigen Sohn, lag die Welt in Scherben. Sie kämpfte sich durch und legte allen Ehrgeiz in ihren Sohn. Wie so oft in diesen Fällen, rückte ich früh in die Verantwortung. Ich besuchte das Gymnasium in Neunkirchen. Das heutige Bundesland Saarland stand damals als autonomes Gebilde unter französischem Einfluss. Das brachte es mit sich, dass ich schon seit der zweiten Volksschulklasse Französisch als Fach hatte und meine Ferien vom zehnten Lebensjahr an in den Colonies de vacances am Atlantik verbrachte. So wurden, zumal als sich dann die politischen Verhältnisse durch die Volksabstimmung 1955 geklärt hatten, schon früh die Grundlagen dafür gelegt, dass ich mich zu einem, wie man mir anlässlich meiner Abschiedsvorlesung attestiert hat, „frankophilen Saarländer“ entwickeln sollte. Die Welt öffnete sich mir, als ich 1958/1959 unter der Ägide des American Field Service ein Jahr als Austauschschüler eine kalifornische High School besuchen durfte. Die selbstverständliche Gastfreundschaft meiner amerikanischen Familie und meiner amerikanischen Schule sowie die verschworene Gemeinschaft dieser weltweit agierenden Austauschorganisation sind für mein weiteres Leben irgendwie prägend gewesen. Vielleicht sind damals – ich denke in diesem Zusammenhang vor allem an meine Klasse in Public Speaking und die damit verbundenen Speech Tournements – auch die ersten Anstöße in Richtung auf mein späteres Jurastudium erfolgt. Jedenfalls habe ich schon auf der Überfahrt in die USA meine Lektion für das Leben gelernt: „If you don’t move your baggage, your baggage won’t move.“
1
Barthes, Roland, Über mich selbst, 2019 (Neuausgabe), S. 182.
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Jurist zu werden, war mir nicht in die Wiege gelegt. Mein Vater war ein junger Volksschullehrer. Ein Großvater war als Steiger in den saarländischen Gruben tätig; er hatte als Elsässer nach dem Versailler Vertrag für Deutschland optiert. Der andere war Apotheker und betrieb außerdem noch eine chemische Fabrik. Da ich mich für Geographie begeistern konnte, hätte ich mir, als ich das kindliche Stadium, heißt die Hoffnung auf eine Karriere als Lokomotivführer hinter mir gelassen hatte, vorstellen können, Lehrer zu werden. Die Medizin, ein Onkel war Arzt, schied aus, weil ich kein Blut sehen konnte. Die regelmäßigen Kontakte mit einem Nennonkel, der als Rechtsbeistand tätig war, gaben schließlich vor dem Hintergrund der in den USA hinzugewonnenen Selbstsicherheit den Ausschlag für das Studium der Rechtswissenschaft. Ein väterlicher Juristen-Freund sollte dann meine ersten Gehversuche und überhaupt meine Karriere mit Wohlwollen und guten Ratschlägen begleiten. So schrieb ich mich 1961 in Heidelberg als stud. iur. ein und gehörte fortan zu jenen, die erleben durften, wie Gallas sein System des Strafrechts entwickelte (mit einem einstündigen „Nachschlag“ über die Konkurrenzen), und die um 12 Uhr zu Forsthoffs „Allgemeiner Staatslehre“ pilgerten. Diese Veranstaltung hatte – s. meine Beiträge über Montesquieu, Voltaire und Rousseau – ungeheure „Spätwirkungen“. Nach zwei Semestern wechselte ich nach Tübingen. Es zog mich nun zu den vielen Großen wie Bachof, Baumann, Baur, Dürig, Esser, Peters und Schröder im damaligen „Mekka“ der Juristischen Fakultäten, aber auch zu Walter Jens literarischem Kolloquium und zu Küngs Vorträgen über das Konzil. Schon in Heidelberg hatte ich mich bei anderen Fächern „umgehört“, wobei ich zugeben muss, dass ich bei Gadamers Vorlesung über den „Sophistes“ von Plato Mühe hatte zu folgen. Immerhin habe ich dort den Grundsatz der „wohlgesinnten Widerlegung“ gelernt. Ob ich ihn im Leben auch immer befolgt habe, weiß ich nicht recht. Den „Schlussakkord“ setzte ich an der Universität des Saarlandes in Saarbrücken, wo sich damals mit Werner Maihofer, Arthur Kaufmann, Günther Jahr und Hans Zacher sowie – wichtig für Studierende – einer nagelneuen Bibliothek so eine Art „Saarbrücker Schule“ herausbildete. Ich genoss es, dass ich in die Staatsrechtslehrertagung 1963 mit „hineinschlüpfen“ durfte und bei Günther Jahr im „Romanistischen Seminar“ mit einem Referat über „Sinn und Zweck eines Systems des Zivilrechts“ (Bearbeitungszeit: zwei Wochen!) mitmischen durfte. In diese Zeit fiel auch meine Bekanntschaft mit Winfried Hassemer, dem ich später fachlich und freundschaftlich verbunden war. 1965 legte ich die Erste Juristische Staatsprüfung ab. In der Hausarbeit hatte ich einen „strafrechtlichen“ Arzthaftungsfall zu behandeln, zu dessen Problematik (Stichwort: Arbeitsteilung) ich später einen kleinen Beitrag veröffentlicht habe. Ein erster Gehversuch auf dem Gebiet des Medizinrechts! Ich begann meine As-
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sistentenkarriere am Zivilrechtslehrstuhl von Gerhard Lüke und rückte in den legendären Montag-Morgen-Fußballclub auf. Inzwischen hatte ich mich dafür entschieden, noch einmal für ein Jahr ins Ausland zu gehen. Die Wahl fiel auf Südafrika. Das hing mit meiner Dissertation über „Der Einfluss des englischen Rechts im südafrikanischen Strafrecht“ zusammen, ein Thema, mit dem ich sozusagen eine Fußnote zur römisch-holländischen Tradition des südafrikanischen Rechts in der Habilitationsschrift meines Doktorvaters Gerhard Kielwein ausfüllte. Mit dem Abschluss der Arbeit sollte es angesichts der Doppelbelastung (Referendar und Mitarbeiter an der Universität) freilich dauern. Als Highlights im Vorbereitungsdienst, der mir insgesamt die Relevanz des Rechts für das praktische Leben erschlossen hat, möchte ich die Stagen beim Amtsgericht in Blieskastel, beim Justizministerium und beim Anwalt hervorheben. Mein erster Fall am Amtsgericht führte mich bis hin zur condictio ob rem. Das Justizministerium bot mir erhellende Einblicke in Sachen Gesetzgebungslehre und die Anwaltsstage ließ in mir den Wunsch aufkeimen, mich nach dem Assessorexamen als Anwalt niederzulassen. Es sollte jedoch anders kommen. Ich blieb zunächst an der Universität als Assistent an dem von Gerhard Kielwein geleiteten Kriminologischen Institut. Es galt ja die Promotion abzuschließen (1972). Danach habe ich mich eine Weile im Anwaltsbereich umgesehen. Doch als meine strafrechtlichen Mentoren Kielwein, Krauß und Müller-Dietz eine Assistenzprofessur für mich vorschlugen, konnte ich natürlich nicht nein sagen. Es lief sicher wie bei vielen anderen: Eine Universitätskarriere kann man im eigentlichen Sinne nicht planen. Sie ist kein Fall der „self-promotion“, sondern kommt irgendwie auf einen zu und dann muss man zugreifen. Nur war mit der Assistenzprofessur ja noch nichts garantiert. Salopp formuliert, konnte man sich nach sechs Jahren „die Straße aussuchen“. Dieser Druck hat bei mir eine rege Publikationstätigkeit ausgelöst. Nach meiner kumulativen Habilitation im Jahre 1976, u. a. gestützt auf meine Schriften „Straffreiheit für den Kronzeugen?“ und „Das Züchtigungsrecht des Lehrers“, ging alles relativ schnell. Ich nahm den Ruf auf eine Strafrechtsprofessur am Hamburger Fachbereich Rechtswissenschaft II an. Die Tätigkeit an dem „Modellfachbereich“ war angesichts des gewünschten Theorie-Praxis-Verbunds und der Integration der Sozialwissenschaften in konzeptioneller und didaktischer Hinsicht eine große Herausforderung. Die Arbeit mit dem Gründerteam machte Spaß. Alles hatte den Charme des Experiments, von dessen Erfahrungen wir zum Teil noch heute profitieren. Vielleicht sollte ich meinen Kurzvortrag im Rahmen der Anhörung in Zusammenhang mit meiner Bewerbung „Gedanken zur Darstellung der Straftatvoraussetzungen im Lehrprogramm der einstufigen Juristenausbildung“ einmal als „historisches Dokument“ veröffentlichen.
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Die Ressourcen für diese Pioniertätigkeit an einem Modellfachbereich waren jedoch begrenzt und ich stand zudem am Anfang meiner Hochschullaufbahn. So folgte ich schon 1977 einem Ruf auf eine Strafrechtsprofessur an der Universität des Saarlandes, wo ich nach meiner Überleitung in eine C 4-Stelle zuletzt den Lehrstuhl für Strafrecht, Strafprozessrecht, Kriminologie und Strafrechtsvergleichung innehatte. Es herrschte ein kooperatives Klima. Ich hatte auch keine „Rückkehrerprobleme“, sondern habe den Kontakt mit allen gesucht und gepflegt, auch und gerade in gemeinsamen z. T. fakultätsübergreifenden Seminaren, zuletzt mit Patricia Oster-Stierle, einer Kollegin aus der Romanistik, in einem Seminar über „Die französische Justiz in Literatur, Bildender Kunst und Film“.
Die Strafrechtskollegen „auf dem Gang“ sind mir – ob als Junior oder später als Senior – allesamt ans Herz gewachsen. Die Besetzung hat in den 30 Jahren meiner Saarbrücker Professur nicht sehr oft gewechselt. Trotz der gewissen Marginalisierung, die wir, natürlich nicht nur in Saarbrücken, als Fachrichtung über die Jahre erfahren mussten, waren und blieben wir eine interaktive Gruppe, in der viele originelle Projekte „ausgebrütet“ wurden. Dies mündete in zahlreiche gemeinsame Tagungen und Projekte, ob über „Recht und Moral“ oder über „Prinzipielles zum Strafprozess“. Das Alleinstellungsmerkmal der Fakultät war für mich im Übrigen das Centre juridique franco-allemand, eine kleine französische Fakultät im Herzen der Fakultät, was daran erinnert, dass die Fakultät in Nancy bei der Gründung der Saarbrücker Fakultät Pate gestanden hat. Christian Autexier, Françoise Furkel und vor allem Claude Witz habe ich zu verdanken, dass mir das französische Recht auf dem Präsentierteller serviert wurde. Das produktive Arbeitsklima unter den Strafrechtlern und das Centre, das mir den Zugang zum französischen Recht ungemein erleichtert hat, haben denn auch dazu beigetragen, dass ich die Rufe an die Universität Zürich (1980) und an die Universität zu Köln (1986) abgelehnt habe. 30 Jahre bringen es zwangsläufig mit sich, dass ich manches Amt an der Universität des Saarlandes übernommen habe. Turnusgemäß wurde ich 1981 zum Prodekan des Fachbereichs Rechtwissenschaft und 1988 zum Dekan der Rechts- und Wirtschaftswissenschaftlichen Fakultät gewählt. Ich saß lange Zeit im Vorstand des Studentenwerks (1978–1993) und fungierte auch für zwei Jahre als dessen Vorsitzender. Als „krönenden Abschluss“ meiner Laufbahn in der universitären Selbstverwaltung betrachte ich meine vierjährige Mitgliedschaft im Forschungsausschuss, weil sie mir Einblick in die Forschungslandschaft an der Gesamtuniversität gewährte.
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1980 wurde ich zum Richter im zweiten Hauptamt am Landgericht Saarbrücken ernannt. Später wechselte ich an den Strafsenat des Oberlandesgerichts, wo ich bis 1994 tätig war. 1989 wurde ich zum stellvertretenden Mitglied des Verfassungsgerichtshofes des Saarlandes gewählt, eine Funktion, die ich bis 2008 innehatte. Außerdem war ich einmal als ad hoc Richter des Europäischen Gerichtshofes für Menschenrechte tätig. Im nationalen und internationalen „Wissenschaftsbetrieb“ habe ich 1973 erste Aufgaben, es war ja die Zeit der Strafvollzugsreform, im Rahmen des Fachausschusses „Strafrecht und Strafvollzug“ des Bundeszusammenschlusses für Straffälligenhilfe unter dem Vorsitz von Heinz Müller-Dietz übernommen. Unter der Ägide von Horst Schüler-Springorum war ich dann auch für die Deutsche Vereinigung der Jugendgerichte und Jugendgerichtshilfen tätig. Es folgte 1987 der Arbeitskreis Alternativ-Entwürfe, dem ich nach wie vor angehöre. Für mein nationales und internationales Engagement als Rechtsvergleicher und Kriminologe steht meine Mitgliedschaft im Criminological Scientific Council des Europarats (1990–1995) und im Fachbeirat des Freiburger Max-Planck-Instituts für ausländisches und internationales Strafrecht (1995–2006). Die Aufenthalte als Gastprofessor an den Universitäten in Bergen, Edinburgh, Paris I und Uppsala sowie mein Visiting Fellowship am All Souls College in Oxford zählen für mich zu den Höhepunkten meiner akademischen Laufbahn. Am International Institute for the Sociology of Law in Oñati (Spanien), zu dem mein polyglotter Saarbrücker Fakultätskollege Alessandro Baratta schon in den Gründungsjahren Kontakt hielt, nehme ich seit einiger Zeit gerne Kurzauftritte in dem dortigen Socio-legal Master Course wahr. 1989 erhielt ich das Ehrenzeichen der deutschen Ärzteschaft. Im Jahre 2000 hat mir die Juristische Fakultät der Universität Uppsala die Ehrendoktorwürde verliehen. Zu meinem 60. Geburtstag wurde ich mit einem Kolloquium und zu meinem 65. Geburtstag mit einer Festschrift beschenkt. 2006 wurde ich zum SaarlandBotschafter ernannt. Zu dem Leben von Heike Jung gehört natürlich Elke Jung. Wir haben 1967 geheiratet. Ehefrau, Mutter und Großmutter – sie war der strahlende Mittelpunkt unserer Familie. Sie hat alle Stadien meines Berufslebens mit mir durchlebt. Ihr Schwung reichte für uns beide. Sie war mir bis zuletzt eine einfühlsame Ratgeberin. 2015 ist sie in unserem traditionellen Atlantik-Urlaub verstorben.
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II. Bevorzugte Themen Das Stichwort „Gesamte Strafrechtswissenschaft“, das der Herausgeber als Losung für diesen Band ausgegeben hat, passt auf mich. Denn im Grunde bin ich ein thematisch weit ausgreifender Generalist mit einer „prozessualen Schlagseite“. Näher hin habe ich ein ausgesprochenes Faible für Fragen der Prozesstheorie. Müsste ich meine prozessualen Beiträge unter einem Titel zusammenfassen, würde er wohl am ehesten lauten: „Prinzipielles zum Strafprozess“. Die Affinität zum Strafprozess oder allgemeiner zum Prozess durchzieht im Grunde mein ganzes Werk. Symptomatisch ist, dass ich einen Redeentwurf zum Thema „Der Bürger und sein Recht“, den ich als Referendar im Justizministerium erstellt habe, ausschließlich unter eine prozessuale Perspektive gestellt habe; damals war „Miranda v. Arizona“ gerade aktuell. Unlängst habe ich mich ausdrücklich zu meiner Präferenz für das prozessuale Denken bekannt, eine Position, die in der deutschen Strafrechtswissenschaft sicher nicht mehrheitsfähig sein dürfte. Es sind vor allem die Modelle, Konzepte und Grundannahmen des Verfahrens, die Rolle der Akteure und die sozialpsychologischen Hintergründe, die mich umtreiben. Teilweise habe ich dabei mit meinen Überlegungen zu Richtern und der Justiz über den Rahmen des Strafverfahrens hinausgegriffen. Dazu gehört auch, dass ich die Stellung der Justiz in der Öffentlichkeit einschließlich der Rolle der Medien immer wieder problematisiert habe. Eine vergleichbare Bedeutung haben für mich rechtsvergleichende Fragestellungen. Sie waren – in Gestalt von Rezeptionsproblemen – schon in meiner Dissertation angelegt und haben mich seither nicht losgelassen. Ja, diese Vorliebe für das Internationale wurde im Grunde immer ausgeprägter, wobei sich mein Blick, was das Auslandsrecht anbetrifft, zunehmend – das Saarland verpflichtet! – auf Frankreich fokussiert hat. Alles hängt natürlich mit allem zusammen. Insofern habe ich mich auch früh dem Europäischen Strafrecht zugewandt. Inzwischen habe ich vor dessen wachsender Komplexität kapituliert und betrachte das Thema „Europa“ nur noch unter dem Blickwinkel der Menschenrechte und der Judikatur des Europäischen Gerichtshofes für Menschenrechte. Rechtsvergleichung, Europäisches Strafrecht, Internationales Strafrecht und Menschenrechte zusammengenommen – und gelegentlich mit Medizinrecht untermischt – bilden auch in meinem Schriftenverzeichnis den größten Block an Aufsätzen. Natürlich habe ich das (deutsche) materielle Strafrecht deswegen nicht links liegen gelassen. Vorzugsweise habe ich mich dabei den Grundfragen des staatlichen Strafens, dem Sanktionensystem und dem Strafvollzug zugewandt, wobei die verfassungsrechtlichen und menschenrechtlichen Implikationen zunehmend in den Vordergrund getreten sind. Zugleich hat sich auch für mich das Medizinrecht
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als Anwendungsfeld für die Veranschaulichung „klassischer“ strafrechtsdogmatischer Fragestellungen erwiesen. Man denke nur an Sterbehilfe, Einwilligungsprobleme, Schweigepflicht, Organtransplantation, Heilversuch und medizinisches Experiment. Ich durfte den rasanten Aufschwung des Medizinrechts von Anfang an begleiten bis hin dazu, dass ich die Hilfe, die ich von der Medizin und den Medizinern erfahren habe, als Stimulus für meine Kooperation mit den Helfern verstanden habe. Meine Saarbrücker Sozialisation als Kriminologe hat sich natürlich auch in meinen Themen und der Art des Zugangs zu ihnen niedergeschlagen. Am Anfang stand mein auch didaktisch begründetes Interesse an dem Konzept der Wahlfachgruppe „Kriminologie, Jugendstrafrecht, Strafvollzug“. Bald zeigte sich die – für einen Juristen-Kriminologen naheliegende – Vorliebe für kriminalsoziologische Fragestellungen, die auch mein Denken über das Recht bis hin zu den Alternativen zum Recht beflügelt hat. Die Alternativendiskussion ist bekanntlich eine unerschöpfliche Quelle für Erkenntnisse über die Rolle des Rechts überhaupt. Im weitesten Sinne mit diesem Denken in Alternativen hängt auch meine Hinwendung zu „Literatur und Recht“ oder allgemeiner zu „Literatur und Kunst“ zusammen. Hier ist die Freude an einer Art „Ausstiegsszenario“, an einer anderen Art der Betrachtung und Aufarbeitung von Konflikten im Spiel. Es geht aber auch um das Bild der Justiz sowie die Verantwortung der Kunst, die für mich die Faszination dieses aufblühenden Wissenschaftszweiges ausmachen. Wenn man älter wird, wendet man sich gerne geschichtlichen Themen zu. Wiewohl gelegentlich von erstaunlicher Aktualität, verlangen sie nicht nach der Eile, die bisweilen mit dem Tagesgeschäft des wissenschaftlichen Publikationsbetriebs – ich denke nur an meine Erfahrungen mit den insgesamt 70 „Gesetzgebungsübersichten“ in der „Juristischen Schulung“ – verbunden ist. Insofern bin auch ich zunehmend und gerne in die Ideengeschichte eingestiegen. Mein bevorzugtes Interesse gilt dabei den französischen Aufklärern und ihrem Verhältnis zum Strafrecht und zur Strafjustiz einerseits und der Bedeutung der Napoleonischen Gesetzgebung für die Kodifikationsbestrebungen der Epoche andererseits. Damit rückten auch Feuerbach und Mittermaier sowie – hier spricht der Lokalpatriot – der Homburger Landcommissär Siebenpfeiffer für mich ins Blickfeld.
III. Handschrift Der Begriff „Handschrift“ ist in unserem Zusammenhang mehrdeutig. Er bedeutet zunächst ganz wörtlich, dass ich zu der Generation derer gehöre, die die Erstfassung eines Textes handschriftlich erstellen. Ich gelte deswegen auch als „Kaf-
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feehausschreiber“, der sich mit ein paar Blättern Papier bewaffnet an irgendeinen Tisch setzen und mit der Konzeptualisierung beginnen kann. Mit Handschrift ist aber auch gemeint, welches (literarische) Format man bevorzugt. Für mich ist es sicher nicht der Kommentar, der ja im Kern eine deutsche Erfindung ist. Die erste Vorschrift, die ich kommentiert habe, der Auswanderungsbetrug des § 144 StGB, ist prompt kurze Zeit später aufgehoben worden. Für meine Kommentierung der Indiskretionsdelikte in der ersten Auflage des Nomos-Kommentars habe ich für einen vergleichsweise überschaubaren Umfang so viel Material umgewälzt, dass ich mir sagte: „Das ist nicht mein Ding!“. Schon Prölss hat dieses Schicksal von Kommentatoren anschaulich geschildert.2 Um nicht missverstanden zu werden: Kommentatoren zählen, jedenfalls in Deutschland, zu den maßgeblichen Garanten sowohl der Rechtssicherheit als auch der Fortentwicklung des Rechts. Insofern kann ich in Montaignes Wehklagen über das Glossatoren(un)wesen nicht einstimmen. Auch wenn manches redundant klingen mag und Originalität vielleicht nicht gerade zu den bevorzugten Eigenschaften von Kommentaren zählt, bleibt es für mich eine Kunst, auf engem Raum das Programm des Gesetzgebers zu entfalten. Ja, als Student habe ich das Strafrecht – Tübingen verpflichtet – an Hand des Schönke/Schröder repetiert und noch heute lese ich ab und an Kommentierungen in geschlossener Form als Überblick über eine bestimmte Fragestellung – mustergütig insoweit die Kommentierung von Carl-Friedrich Stuckenberg zur Verständigung des § 257c StPO im Löwe/ Rosenberg. Doch zum Glück ist in der Welt der Interpreten des Rechts Raum für unterschiedliche Naturelle. Insofern sollte die Feststellung, dass ich mich auch nicht als Lehrbuchautor hervorgetan habe, nicht überraschen. Sicher hat es die eine oder andere Überlegung, ja sogar schon den einen oder anderen Vertrag gegeben. Gestalt angenommen hat jedoch nur das Kurzlehrbuch „Kriminalsoziologie“. Vielleicht bin ich für dieses Genre einfach nicht ausdauernd und systematisch genug. Dafür könnte sprechen, dass auch meine Monographien nicht ausladend angelegt sind. Vielleicht ist es überbordende Neugierde und meine ausgeprägt assoziative Denkweise, die mich schnell zu einem neuen Thema treibt. Das heißt freilich nicht, dass mir die Produktion schnell von der Hand geht. Auch oder gerade im Zeitalter des PC häufen sich vielmehr die Entwürfe, bis das Endprodukt steht. Wie sehr sich im Übrigen solche Produktionsprozesse im Zeitalter der modernen Informationstechnologien verändert haben, ist für mich immer noch ein
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Prölss, Erich, Glanz und Elend der Kommentatoren, in: Der Aquädukt 1963, 1963, S. 260.
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Stück unfassbar und bedürfte sicher, wissenschaftssoziologisch gesehen, einer vertieften Betrachtung. Meine Freude an der Zusammenarbeit mit anderen und zwar auch über die Fachund Landesgrenzen hinaus zeigt sich nicht nur darin, dass ich an zahllosen Sammelbänden mitgewirkt, sondern auch darin, dass ich rund zwanzig (mit)herausgegeben habe. Solche Sammelbände werden im Wissenschaftsbetrieb nicht immer hinreichend ernst genommen. Für mich waren die „konzeptionelle Organisation“ eines Sammelbandes und die Tagungen oder Vortragsreihen, aus denen sie hervorgingen, eine Herausforderung ganz eigener Art, bei der man vieles, auch die Atmosphäre von Tagungsstätten mitbedenken musste, um jenes kommunikative Klima zu gewährleisten, das für eine übergreifende wissenschaftliche Botschaft unabdingbar ist. Sicher zählt in der Wissenschaft primär die individuelle Aussage. Trotzdem schätze ich die Vorzüge von Teamarbeit. Ich beziehe dies einmal auf die vielen größeren und kleineren Studien, die ich zusammen mit anderen vorgelegt habe. Darüber hinaus habe ich an vielen Gemeinschaftswerken mitgewirkt, die von Kommissionen und Arbeitskreisen vorgelegt worden sind, allen voran der Arbeitskreis der Alternativ-Entwürfe, dem anzugehören man als permanenten intellektuellen Ansporn empfindet. In diesen Zusammenhang gehört schließlich die Funktion des „ständigen Mitarbeiters“, die ich über viele Jahre bei der „Juristischen Schulung“ innehatte und nunmehr bei „Goltdammer’s Archiv für Strafrecht“ innehabe und die mich irgendwie in einen Zustand „wacher Arbeitsbereitschaft“ versetzt (hat). Mit Handschrift kann man aber auch die Frage verbinden, welche (wissenschaftliche) Ausrichtung man eigentlich verfolgt. Hierauf werde ich zurückkommen. Soviel kann ich aber schon jetzt sagen. Ich bin sicher kein reiner Dogmatiker. Charakteristisch für mein Werk ist vielmehr eine kriminalpolitische Linienführung. Ich wage allerdings zu behaupten, dass reine Dogmatiker in der Strafrechtswissenschaft auch rar gesät sein dürften, weil Dogmatik ja kein Selbstzweck ist, sondern in der Regel, ob erklärt oder nicht, von rechtspolitischen Bewertungen durchsetzt ist. Mit Handschrift ist schließlich auch das gedankliche Strickmuster gemeint. Die Verknüpfung der strafrechtlichen Grundausrichtung mit der Rechtsvergleichung und der Kriminologie, dazu ein Schuss Strafrechtsgeschichte und gelegentliche Anleihen bei anderen Wissenschaften führen zu einer Gemengelage, die man, wenn alles passt, als ein „typischer Jung“ klassifizieren kann. Man könnte es aber auch als einen „assoziativen Eklektizismus“ betrachten, der den Problemen mit einer Art „Einkreisungstaktik“ auf die Spur kommen will.
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IV. Mein Praxisbezug Viele Kolleginnen und Kollegen zieht es in die Strafrechtspraxis. So war auch ich von 1980–1994 als Richter im zweiten Hauptamt tätig, zunächst am Landgericht Saarbrücken, später am Saarländischen Oberlandesgericht. Weil ich aus gesundheitlichen Gründen kürzer treten musste, habe ich dieses Amt 1994 aufgegeben. Die Möglichkeit, beide Ämter zeitgleich auszuüben ist wohl eine deutsche Spezialität; in Saarbrücken hatte dies Tradition. Ich trat gewissermaßen in Gerhard Kielweins Fußstapfen. Auf mich folgte später Henning Radtke. Die regelmäßig wiederkehrende Belastung, die mit einer solchen Doppelung zwangsläufig einhergeht, ist unter dem Stichwort „Arbeitsrhythmus“ sicher nicht ganz einfach zu schultern. Bekanntlich kann sie auch Probleme unter dem Blickwinkel des gesetzlichen Richters aufwerfen. Beim Landgericht fungierte ich als Beisitzer und damit zugleich als Berichterstatter an jedem ersten und dritten Mittwoch des Monats. Beim Oberlandesgericht wurden mir die Akten nach den Endziffern der Eingänge zugeteilt. Die Idee, die hinter dieser Kombinationsmöglichkeit steht, ist klar: Es geht um die wechselseitige Befruchtung. Für mich war diese Zeit, soweit man das von einer strafrichterlichen Tätigkeit überhaupt sagen kann, ausgesprochen bereichernd. Sie war zugleich bedrückend, was vielleicht Ausdruck des Radbruch’schen „schlechten Gewissens“ und der von Hassemer betonten Notwendigkeit war, trotzdem klaren Kopf zu behalten. Insofern bin ich rückblickend betrachtet irgendwie erleichtert, dass meine Kandidatur für eine Richterstelle am ICTY damals in der Vollversammlung der Vereinten Nationen gescheitert ist. Im Einzelnen möchte ich differenzieren zwischen der Tätigkeit am Landgericht und am Oberlandesgericht. Beim Landgericht war ich zunächst vornehmlich mit Jugendschutzsachen befasst, später war ich mit derselben Kammer für Wirtschaftsstrafsachen zuständig. Bei den Jugendschutzsachen ging es regelmäßig um Sexualdelikte, was allen Beteiligten viel abverlangte und prozessual durch die häufige Mitwirkung von Sachverständigen durchaus anspruchsvoll war. Ich stellte jedenfalls alsbald fest, dass sich mein Blick auf das Recht veränderte. Ich konnte nun bei manchen Fragen aus meiner „richterlichen Erfahrung“ mitreden. Meine universitären Veranstaltungen gewannen an Anschaulichkeit. Zu meiner Überraschung bot die Praxis der Tatsacheninstanz nämlich nicht nur Beweisprobleme, sondern es stellten sich auch Rechtsfragen, die mich über die betreffenden Verfahren hinaus noch lange beschäftigen sollten. Mich faszinierte aber nicht nur diese Kasuistik, sondern ich nahm von der Tätigkeit am Landgericht auch Erkenntnisse struktureller Art mit. So ist für mich die
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Zweiteilung der Hauptverhandlung noch nicht vom Tisch. Weiter sah ich mich durch die Praxis in meiner positiven Einstellung zur Laienbeteiligung bestärkt. Mir ist auch der Nutzen des Kollegialprinzips vor Augen geführt worden. Zudem habe ich gelernt, dass Lord Hewarts Diktum „Justice must be seen to be done“ in jede Richtung gilt. Denn die Tätigkeit war auch deswegen so beanspruchend und damit auch irgendwie erfüllend, weil ich es unmittelbar mit den betroffenen Menschen – Angeklagten, Verletzten, Zeugen, Sachverständigen, Verteidigern und Staatsanwälten – zu tun hatte und damit konfrontiert war, in einer Art „kommunikativen Zwangssituation“ der Wahrheit nachzuspüren. Seither hat mich auch die Figur des Richters und die Problematik der Wahrheits- und Entscheidungsfindung nicht mehr losgelassen. Und wenn ich schließlich heute im Arbeitskreis Alternativ-Entwürfe über die Einführung einer zeitgemäßen Protokollierung der Hauptverhandlung (Stichwort: Wortprotokoll) mitberate, sehe ich mich immer noch auf der Richterbank sitzend und Seite um Seite füllend. Das Saarländische Oberlandesgericht verfügt praktisch nur über einen Strafsenat. Das hatte zur Konsequenz, dass ich mit allen Sachen befasst war, für die ein Strafsenat zuständig ist: Revisionen, Beschwerden, Rechtsbeschwerden nach dem OWiG, Strafvollzugssachen und Anträge auf Pauschvergütungen. Die Möglichkeiten der Beschlussverwerfung nach § 349 Abs. 2 StPO brachten es mit sich, dass meine Tätigkeit am Strafsenat, anders als am Landgericht, fast eine reine „justice de bureau“ (Desprez) war. Die mündlichen Verhandlungen, an denen ich mitgewirkt habe, kann ich an einer Hand abzählen. Die Crux der Beschlussverfahren besteht ja zudem in der Diskrepanz zwischen dem Beratungsaufwand und dem formularmäßigen Erscheinungsbild der Entscheidung. Der besondere Reiz für mich bestand hier vor allem in der Vielfalt der Verfahrenstypen, mit denen ich zu tun hatte. Als „methodischer Höhepunkt“ erwies sich eine Beschwerde gegen die Versagung von Prozesskostenhilfe im Erinnerungsverfahren gegen eine Kostenentscheidung, die uns ganz grundsätzliche Erwägungen zur Lückenausfüllung abverlangte. Irgendwie hatte ich damals das Gefühl, dass sich der Kreis schließt, weil ich mich an einen meiner ersten Beiträge überhaupt zur Frage der Rechtsmittelbelehrung im strafprozessualen Kostenfestsetzungsverfahren und damit daran erinnert fühlte, dass auch „kleine Sachen“ sehr grundsätzliche Probleme aufwerfen können.
V. Die Lehre Für die Lehre wird man – das galt jedenfalls für meine Generation – nur bedingt ausgebildet. Man brachte seine eigenen Erfahrungen als Zuhörer mit. Immerhin: Als ich mit dem Studium begann, experimentierte man in Heidelberg gerade mit
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Arbeitsgemeinschaften. Meine Assistentenzeit fiel in die Zeit erheblicher didaktischer Umwälzungen. Es war ja überhaupt die Zeit tiefgreifender Reformen. Der sog. „Frontalunterricht“, die reine „Vorlesung“, war „out“. Neue Präsentationsformen und damit auch neue Lehrmaterialien bestimmten den Studienalltag. Später sollte ich mit der Internet-gestützten Lehre noch einen Entwicklungsschub ganz anderer Art mitbekommen. Auch ich wurde damals von dieser Bewegung erfasst, um nicht zu sagen mitgerissen. Im Grunde spielten die Belange des Studiums und seiner Reform von da an eine zentrale Rolle für mich und zwar in der Theorie und in der Praxis. Ich gehörte zwar nicht unbedingt zu den Impulsgebern für Veränderungen. Doch war ich gerne mit von der Partie, wenn es darum ging, modellhafte Entwicklungen umzusetzen: Über Gerhard Lüke stieß ich 1972 zum Team der ständigen Mitarbeiter der „Juristischen Schulung“. Dort habe ich über Jahre die „Gesetzgebungsübersicht“ und später die „Rechtsprechungsübersicht“ auf dem Gebiet des Strafrechts betreut. An der inhaltlichen Konzeptualisierung der kriminologischen Wahlfachgruppe habe ich als Herausgeber eines Sammelbandes und auf vielen Diskussionen anlässlich der Kolloquien der südwestdeutschen und schweizerischen kriminologischen Institute mitgewirkt. Die wenn auch kurzen Erfahrungen mit dem einphasigen Hamburger Modell und seiner anspruchsvollen Programmatik – Integration der Sozialwissenschaften, Theorie-Praxis-Verbund und durchgehende Kleingruppenarbeit – möchte ich nicht missen, obwohl manches als Reaktion auf Mängel der „traditionellen“ Juristenausbildung zu dogmatisch angelegt war und überdies das Programm auch angesichts der Zulassungsbeschränkung für die Studierenden nicht flächendeckend umsetzbar gewesen wäre. Man kann im Übrigen – damals wie heute – geteilter Meinung sein, was die Rolle der Sozialwissenschaften im Recht oder besser das Verhältnis der Sozialwissenschaften zum Recht anbetrifft, Unabhängig davon, wie man zu dieser wissenschaftstheoretisch nach wie vor reizvollen Frage steht, hat doch der Versuch der didaktischen Umsetzung solcher Konzepte zu einer Art Realitätskontrolle und damit auch zu differenzierteren Erkenntnissen geführt. Teile der Programmatik haben schließlich Eingang gefunden in das Konzept der Schlüsselkompetenzen, für das ich allgemein und speziell in Saarbrücken geworben habe. Meine Anstöße zur Implementierung der Schlüsselkompetenzen in der juristischen Ausbildung fielen auf fruchtbaren Boden. Das preisgekrönte „Saarbrücker Schlüko-Modell“ hat Schule gemacht und unlängst auch in einem Sammelband Eingang gefunden.3
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Jung, Sybille u. a. (Hrsg.), Strafverfahren und Kommunikationskompetenz, 2018.
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Soviel zu den größeren (hochschuldidaktischen) Linien! Mein eigenes Repertoire in der Lehre war breit gefächert. Neben dem gesamten Fächerkanon des Strafrechts und der Kriminologie zählten (Straf-)Rechtsvergleichung, Rechtsgeschichte, Medizinrecht, Medienstrafrecht, Menschenrechte und Völkerstrafrecht dazu, ja, anfangs las ich sogar Sportrecht. Ich zählte nicht zu jenen, die den Auftritt in der Vorlesung gescheut haben. Ich habe früh verstanden, dass diese für die Studierenden auch ein „soziales Ereignis“ war. Ich war jedoch nicht auf die große Bühne fixiert. Meine Lieblingsveranstaltungen waren die Seminare, vielleicht die Konsequenz der Tatsache, dass ich auch als Studierender ein fleißiger Seminarbesucher war. Besonders die interdisziplinär angelegten Projekte hatten es mir angetan. Mit zu den interessantesten Gemeinschaftsprojekten zählte das Seminar über „Nonverbale und symbolische Kommunikation durch Gefängnisarchitektur“, das ich zusammen mit meinem Saarbrücker Marketing-Kollegen Werner Kroeber-Riel durchgeführt habe. Die Teilnehmerinnen und Teilnehmer waren begeistert und der wissenschaftliche Ertrag beachtlich. Besondere Freude hat mir auch die Mitwirkung an dem international angelegten Saarbrücker Masterstudiengang „Europäische Integration“ bereitet, weil ich dabei mit Studierenden aus aller Welt zusammenkam. Diese Freude ist mir geblieben. Nur der Schauplatz hat sich verändert. Jetzt ist es das International Institute for the Sociology of Law in Oñati. In der Präsentationsform war ich ein Traditionalist, d. h. ich brauchte keinen Beamer. Immerhin habe ich, nicht zuletzt dank der Internetkompetenz meines Lehrstuhl-Teams, gelernt, das Material zur Veranstaltung ins Netz zu stellen, wo es, das Internet soll ja nichts vergessen, vielleicht heute noch eingesehen werden kann.
Lehrer ist man natürlich auch im Verhältnis zu den Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern sowie den Doktorandinnen und Doktoranden, obwohl es mir in diesem Zusammenhang eigentlich widerstrebt, von Lehrer und Schüler zu sprechen, weil ich angesichts meiner eigenen positiven Erfahrungen am Lehrstuhl Kielwein immer bemüht gewesen bin, den Teamgedanken in den Vordergrund zu rücken. Aus dem Kreis der Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter sind mir natürlich die Doktorandinnen und Doktoranden noch besonders präsent. Der Kreis ist eher klein (aber fein). Mit einer Reihe von ihnen habe ich nach wie vor persönliche, wissenschaftliche, ja freundschaftliche Kontakte. Drei sind in der Wissenschaft geblieben: Michael Bohlander, Kathrin Nitschmann und Julien Walther, einer meiner beiden Cotutelle Doktoranden. Der andere, Hervé Henrion, war am Lehrstuhl als Coopérant du service national, also – man höre und staune – als eine Art französischer Zivildienstleistender tätig, was nicht ganz einfach in die deutsche Universitäts-
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struktur umzusetzen war. Mit Joxerramon Bengoetxea, der nach seiner Promotion in Edinburgh und vor seiner Ernennung zum Professor an der Universität in Donostia/San Sebastián in Saarbrücken Zwischenstation gemacht hat, verbindet mich seither eine Freundschaft fürs Leben. Karl-Ludwig Kunz, meinem Habilitanden, musste ich, als er zu mir kam, nichts mehr beibringen. Er hatte gewissermaßen den wissenschaftlichen Marschallstab schon im Tornister. Aus ihm wurde prompt alsbald ein Schweizer Ordinarius.
VI. Und die Welt? Rechtsvergleichung kann man nicht vom Schreibtisch aus betreiben. Nur ein Kant konnte es sich leisten, regelmäßig über „Physikalische Geographie“ zu lesen, ohne Königsberg je zu verlassen. Rechtsvergleichung heißt eben normalerweise auch Reisen, Beobachtungen und Gespräche vor Ort, um Geist und Praxis einer anderen Rechtsordnung aufzusaugen. Das schottische Children’s Hearing System hätte ich nie verstanden, wenn ich nicht vor Ort einigen Hearings beigewohnt und Gespräche mit den Beteiligten geführt hätte. Die Teilnahme an einer Sitzung der Cour d’appel in Nancy hat mir mehr gebracht als die Lektüre mehrerer Kapitel eines Lehrbuchs über den französischen Strafprozess. Reisen bildet bekanntlich, aber es strengt auch an. Dennoch möchte ich meine Vortragsreisen ins Ausland, die Teilnahme an Kongressen, Kolloquien und Workshops nicht missen, zumal sie über das amtliche Programm hinaus die Gelegenheit bieten, persönliche Kontakte zu knüpfen. Besonders eindrücklich waren natürlich längere Auslandsaufenthalte, weil sie nicht nur mit beruflichen, sondern auch, zumal wenn meine Familie mich begleitet hat, mit Alltagserfahrungen einhergingen. Jeder dieser Aufenthalte hatte seine eigene Note, seine eigene Atmosphäre. Die an einem Oxforder College ist ja schon vielfach, auch literarisch, z. B. von Javier Marías4, beschrieben worden. Das Ambiente am All Souls College erlaubte geradezu klösterliche Einkehr, gewährte aber vor allem intellektuelle Anregung im Übermaß. Es gilt da die scherzhafte Devise: „Wer morgens mit einem Problem aufwacht, kann ganz beruhigt sein. Spätestens beim Tee wird sich jemand finden, der es löst.“ Die Ausrichtung des damaligen Centre for Criminology and the Social and Philosophical Study of Law – heute Centre for Law and Society – der University of Edinburgh war ganz nach meinem wissenschaftlichen Gusto. Bergen und Uppsala eröffneten mir die Welt der nordischen Rechte und den Kontakt mit dem wissenschaftlichen Nachwuchs, in dessen Betreuung ich dort involviert war. Der Aufenthalt an der Université Paris I war die Frucht der
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Marías, Javier, Alle Seelen, 1997.
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Kooperation mit einer von Mireille Delmas-Marty geleiteten Arbeitsgruppe, aus der das vergleichende Werk „Procédures pénales d’Europe“5 hervorging. Diese Erfahrungen verdanke ich nicht zuletzt meinen „Promotoren“ vor Ort wie Neil MacCormick in Edinburgh, Nils Jareborg in Uppsala, Roger Hood in Oxford, Mireille Delmas-Marty in Paris und Jørn Jacobsen in Bergen. Ich habe diese und andere Auslandserfahrungen genutzt, um eine Art wechselseitiges „Referenzsystem“ aufzubauen, auf das ich mich bei meinen Recherchen stützen konnte und kann. Solche personellen Netzwerke können natürlich das Wirken der entsprechenden Fachgesellschaften mit ihrer Organisations- und Gestaltungskraft nicht ersetzen. Sie sind jedoch individueller und damit auch persönlicher angelegt. Sie wachsen auf Empfehlung hin. Oder auf Saarländisch: Man kennt jemanden, der jemanden kennt. Natürlich hat jeder seinen persönlichen Arbeitsstil. Doch kann ich mir eine praxisnahe Rechtsvergleichung ohne eine solche persönliche Rückendeckung nicht vorstellen. Ich frage mich natürlich immer wieder, was mir die Rechtsvergleichung, also die Betrachtung der „Weltrechte“, an Erkenntnissen über das Recht gebracht hat. Sie hat mich zunächst einmal bescheiden werden lassen in dem Sinne, dass ich an der gelegentlich postulierten Überlegenheit der deutschen Strafrechtsdogmatik im internationalen Konzert zweifele. Mein „missionarischer Eifer“ hält sich daher in Grenzen. Nehmen wir zum Beispiel die Juristensprache. Die deutsche mag die präziseste sein. Sie wird aber, was die Anschaulichkeit anbetrifft, von der englischen und, was die Eleganz anbetrifft, von der französischen übertroffen. Nun mag man einwenden, dass es im Recht schließlich auf Präzision ankommt. Das mag sein. Nur was hilft die Präzision, wenn sie nur von einem kleinen Kreis gehandhabt und verstanden werden kann? Wie dem auch sei: Da es beim Recht bekanntlich auf das Wort ankommt, rangieren für mich die Sprache der Juristen und damit auch Übersetzungsprobleme ganz oben auf der rechtsvergleichenden Agenda. Deswegen habe ich mich auch selbst immer wieder an das nicht ganz einfache Geschäft der Übersetzung gewagt. In der Grund- und Bekenntnisfrage, nämlich „Wie hältst Du es mit der Universalisierbarkeit von Recht?“, zähle ich mich zu den skeptischen Universalisten oder, umgekehrt betrachtet, zu den „grenzbewussten“ Relativisten. Deswegen ziehe ich auch jedwedes Dominanzstreben einzelner Rechtssysteme in Zweifel und setze eher auf „sustainable diversity“ (Glenn) in der Hoffnung, dass wechselseitige Abhängigkeiten und konvergierende Notwendigkeiten zum Anwachsen des gemeinsamen Fundus führen werden.
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Delmas-Marty, Mireille (Hrsg.), Procédures pénales d’Europe, 1995.
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Trotz meiner gelegentlichen Beratertätigkeit für den Europarat und dem einen oder anderen Gutachten bin ich im Kern ein theoretisch ausgerichteter Rechtsvergleicher. Die analytische Betrachtung mehrerer Rechtssysteme, verbunden mit einem rechtsvergleichenden Fazit, hat das Freiburger Max-Planck-Institut immer wieder auf höchstem Niveau vorexerziert. Als „Einzelkämpfer“ stößt man da an Grenzen. Ich ziehe es daher vor, die fremde Rechtsordnung eher als eine Art Folie für die Betrachtung des Problems „an sich“ zu nehmen, womit sich „meine“ Art der Rechtsvergleichung der Rechtstheorie annähert. Für mich ist Rechtsvergleichung letztlich ein kulturelles Projekt, auch wenn ich um die juristische Bodenhaftung bemüht bin. Allerdings kommt es, was die Intensität der kulturellen Unterfütterung betrifft, immer auf den Zusammenhang an, in dem man als Rechtsvergleicher Stellung nimmt. Insofern kann und wird Rechtsvergleichung in unterschiedlichen Formen und mit unterschiedlichem Tiefgang geleistet. Speziell in der Lehre kommt es namentlich darauf an, die Studierenden erst einmal für den Blick über den Tellerrand der eigenen Rechtsordnung hinaus zu begeistern. Die „Generation Erasmus“ hat in diesem Punkt sicher viel dazugelernt!
VII. Wer und was bewegt mich und was habe ich bewegt? In eine wissenschaftliche Karriere wird man „hineinsozialisiert“. Die „Rekrutierungsvorgänge“ sind natürlich auf Qualität ausgerichtet, aber dennoch sehr persönlich angelegt. Damit entsteht ein Freiraum, der zugleich verpflichtet. Da sind die Lehrer, die ganz allmählich zu Kollegen werden: Gerhard Kielweins Anregungen, Detlef Krauß’ prozessualer Denkansatz und Heinz Müller-Dietz’ generalistischer Zugriff auf die Themen haben mich geprägt. Hinzu kam, dass im näheren Umfeld Günter Ellscheid mein Interesse für die philosophischen Bezüge geweckt und Egon Müller für mich den Brückenschlag zu einer wissenschaftlich durchdrungenen Strafrechtspraxis geleistet hat. So war das Saarbrücker wissenschaftliche Ambiente ein Glücksfall für mich. Will sagen: Man braucht schon fordernde Förderer, um in das akademische Leben hineinwachsen zu können. Es kamen die ersten Tagungen, die ersten Vortragseinladungen. Man tauscht Sonderdrucke aus. Eine „Koryphäe“ antwortet wohlwollend-interessiert auf eine Bücherzusendung. Man freut sich, dass man ernst genommen wird. Wissenschaft hat ja auch etwas mit dem Wunsch nach Anerkennung zu tun. Man teilt Freud und Leid des wissenschaftlichen Nachwuchses, die akademische Freiheit zur eigenen selbstverantwortlichen Gestaltung der beruflichen Agenda einerseits und andererseits die gewisse Unsicherheit, die mit dieser Karriere anfangs einhergeht. So tastet man sich vor, man testet sich gewissermaßen selbst und plötzlich ist man
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mitten drin. Man wird damit in der professionellen Wahrnehmung der Welt zwar selbstsicherer. Die Gespräche mit den Kolleginnen und Kollegen helfen einem aber nach wie vor auf die Sprünge. Wie oft habe ich einfach zum Telefon gegriffen, wenn ich mit einer Frage nicht weiter kam. Es waren zudem nicht so sehr die großen Tagungen, sondern eher die vertrautere Arbeitsatmosphäre der überschaubaren Arbeitskreise, in denen ich aufgelebt bin und von denen ich fachlich und menschlich am meisten profitiert habe. Besonders schön war es natürlich, wenn sich aus den wissenschaftlichen Kontakten Freundschaften entwickelt haben und wenn wissenschaftliche Diskurse in fröhliche Feste bei uns zu Hause in Kirkel einmündeten. Die Jurisprudenz lebt von der Anschauung der Praxis; das Recht muss sich schließlich in der Praxis bewähren. Recht wird gesprochen. Dazu gehört Öffentlichkeit. Das verträgt keinen Rückzug in die Bücherstube. Und dennoch ist die Jurisprudenz Bücherwissenschaft. Vielleicht hängt es mit meiner Affinität zu Büchern zusammen – Bücher sind ja bekanntlich nach Ludwig Harig das Leben (im Original seines Mundartgedichts: das „Läwe“6) – dass mich manches Werk der Fachliteratur von Studienbeginn an begleitet hat. Noch heute greife ich zu Eberhard Schmidts Vortragssammlung „Justitia Fundamentum Regnorum“ und zu Radbruchs „Rechtsphilosophie“, die ich mir als Studienanfänger in Heidelberg erstanden habe. Im Zeitalter der Informationsüberlastung, die durch die Informationsangebote des Internets noch gesteigert worden ist, sind die Strategien der Informationsauswahl natürlich von zentraler Bedeutung. Schon früher bin ich ja mit der Verarbeitung der regelmäßigen Zeitschriftenumläufe nicht nachgekommen. Mit den Jahren wächst wohl das Gespür dafür, was man „unbedingt“ lesen muss. Zugleich sinkt das Bedürfnis, „flächendeckend“ informiert zu sein. Die selektive Wahrnehmung, ausgerichtet an dem eigenen „Problemrepertoire“, übernimmt die Regie. In diesem Zusammenhang gewinnen natürlich Sonderdrucke eine zentrale Bedeutung. Ich krame bei meinen prozessualen Beiträgen immer zuerst in meiner Erinnerung und dann im Kasten meiner Sonderdrucke. Man mag darin eine Art Vorstufe zum „Zitierkartell“ sehen. Ich betrachte es als ein kreatives Vorsortieren. In diesem Kramen liegt auch etwas Zufälliges. Aber auch der Zufall hat seinen Platz in der Wissenschaft. Juristen sollten natürlich auch ihre Hand am Puls der Zeit haben. In diesem Sinne habe ich viele Hinweise und Anregungen aus in- und ausländischen Tageszeitungen entnommen, namentlich, wenn es um kriminalpolitische Initiativen ging. Heute genieße ich außerdem den Zugriff auf Daten-
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Harig, Ludwig, Die Biescher un es Läwe, in: Die neue saarländische Freude, 1990, S. 7.
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banken wie etwa „Gallica“, ohne deren logistische Hilfe ich nie so tief in die französische Strafrechtsphilosophie der Aufklärungszeit hätte eintauchen können. Damit ist die Bekenntnisfrage, jenes „What makes me tick?“, natürlich nicht geklärt. Ich bin auch gar nicht sicher, ob ich diese Frage überhaupt abschließend beantworten kann, zumal ich apostelhafte Bekenntnisse scheue. Dennoch will ich eine Annäherung versuchen. Mir gefällt Günther Jahrs Formel, wonach es die Aufgabe der Rechtswissenschaft sei, das Recht voranzudenken. Sie distanziert sich im Grunde von der reinen Bewahrung des Status quo und suggeriert Veränderungswillen. Freilich ist damit noch nicht ausgemacht, in welche Richtung die Veränderung gehen sollte. Ungeachtet vieler Einzelfragen, die ein solches Bekenntnis aufwirft, halte ich es in diesem Punkte mit der Möglichkeit des zivilisatorischen Fortschritts mit und durch Recht. Nun war natürlich die Epoche der Strafrechtsreform, die mit dem Beginn meiner strafrechtlichen Karriere zusammenfiel, von der „Wiederentdeckung“ der Aufklärung im Strafrecht geprägt. Das damit verbundene Rationalitätsgebot hat mich beflügelt und beflügelt mich heute noch. Es hat jenen menschenrechtlich ausgerichteten kriminalpolitischen Duktus meiner Arbeiten generiert. Aufklärerisches Denken verlangt vom Recht nicht zuletzt die Kontrolle des Missbrauchs von Macht. Dies ist mitprägend für die programmatische Ausrichtung namentlich meines prozessualen Œuvres. Als echter Saarländer, der ja nach besagtem Ludwig Harig die Versöhnung des So und des Anderssein ist,7 bin ich ein Freund von Kompromiss und Vergleich. Deswegen faszinieren mich auch Modelle wie z. B. Mediation, die über das Recht hinausreichen und zu einer umfassenderen Konfliktregelung gelangen wollen. Freilich würde ich nicht so weit gehen, Recht mit Einigung zu identifizieren. Denn, wie gesagt, bedarf Macht der Kontrolle und zwar gleichgültig, von wem sie ausgeübt wird. International betrachtet rücken damit die Menschenrechte ins Blickfeld. Man mag über ihre Universalisierbarkeit streiten und allenthalben Vollzugsdefizite beklagen. Doch stehe ich zu ihrer Leitbildfunktion. Das Modell der Menschenrechte ist für mich auch als emanzipatorischer Auftrag ohne Alternative.
VIII. Rückblick Dass ich gerade Jurist geworden bin, habe ich nie bereut. Darauf angesprochen, dass Jura doch so unendlich trocken sei, pflege ich scherzhaft mit meinem Kollegen Michael Martinek zu antworten, dass nichts nasser ist als die Juristerei. Juris7
Harig, Ludwig, Die Harmonie der Widersprüche, in: Die neue saarländische Freude, 1990, S. 46.
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ten sind die „Allrounder“, wenn es um Hilfestellung und Beratung bei der Klärung von sozialen Konflikten geht. Sie leisten daher einen unverzichtbaren Beitrag zum sozialen Frieden. Mir ist natürlich klar, dass Juristen als professionelle Elite immer auch der Kritik ausgesetzt waren und sind. Die Literatur ist – angefangen von der französischen Farce des „Maître Pathelin“ – voll von Beispielen hierfür. Entscheidend sollte daher sein, dass es nicht um juristische Selbstbespiegelung innerhalb einer geschlossenen Zunft geht, sondern im Sinne Gustav Radbruchs um den Menschen im Recht. Bekanntlich pflegen Hochschullehrer gerne darauf aufmerksam zu machen, dass es ihnen vergönnt ist, ihr Hobby zum Beruf zu machen. Damit ist wohl gemeint, dass dieser Beruf wenig Redundanz, viel Freiraum für Eigeninitiative und selbstgesteuerten Forscherdrang sowie die Chance bietet, den Studierenden, dem akademischen Nachwuchs und allgemein dem wissenschaftlichen Forum Ideen zu vermitteln und sich in diesen belebenden wissenschaftlichen Klimata immer wieder neu zu erfinden: Also Selbstverwirklichung ohne ein allzu enges Korsett! Das bedeutet nicht, dass man einen ruhigen Job hat. Ganz im Gegenteil: Im Ruhestand frage ich mich manchmal, wie ich das Tempo solange aushalten konnte. Natürlich geht es auch in der Lebenswelt der „scientific community“ nicht ohne Bindungen, Verpflichtungen und vorgegebene Strukturen ab. Doch sind sie nicht bis ins Einzelne durch Verwaltungsvorschriften definiert. Diese Lebenswelt wird bestimmt durch ein Netz von Verbindungen mit Fachkolleginnen und -kollegen an anderen Universitäten in Deutschland und der Welt, zu Verlagen, zu Verbänden, auch zur Politik oder allgemeiner zur Öffentlichkeit. Insofern sind die Hochschullehrer traditionell zwar „Einzelkämpfer“, aber auch „Netzwerker“. Vergleichbar in der Grundstruktur tragen diese Netzwerke doch eine genuin persönliche Note. Mein Netzwerk war und ist auch von meinem Hang zu Grenzüberschreitungen bestimmt. Das meine ich nicht nur international, sondern auch fachlich. Öffentlichkeit habe ich dabei nie im engeren Sinne als Fachöffentlichkeit verstanden. Vielmehr habe ich meine Aufgabe als Hochschullehrer auch darin gesehen, professionellen Sachverstand in die öffentliche Diskussion der Fragen einzubringen, zu denen ich als Wissenschaftler etwas zu sagen hatte. Das fiel mir nicht immer leicht, da man sich an den etwas anders verlaufenden kurzatmigeren und damit hektischeren Diskurs namentlich der Medien und das Scheinwerferlicht der Kameras erst gewöhnen muss. Sicher sollte man als Wissenschaftler nicht vorlaut sein. Andererseits halte ich die „Flucht in den Elfenbeinturm“ oder, um mit Bourdieu zu sprechen, „dans la pureté“8 für verfehlt.
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Bourdieu, Pierre, Pour un savoir engagé, Le Monde diplomatique, Februar 2002, S. 3.
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Schreiben hat mir immer Freude gemacht, vor allem der Prozess des Schreibens selbst. Überhaupt gehöre ich wohl zu den Juristen, die ihren Weg zum Fach über die Affinität zu Sprachen und nicht über die Mathematik gefunden haben. Überspitzt formuliert könnte man ja sagen, dass Recht mit Wörtern und nicht mit Kalkulieren zu tun hat. Trotz dieser Fixierung auf den Arbeitsprozess bin ich eitel genug mich zu fragen, ob ich und bei wem ich mit meinen Beiträgen „angekommen“ bin. Hier muss man sich wohl in Bescheidenheit üben. Selbst Verkaufsziffern sagen wenig aus. Online-Journale liefern oft desillusionierend präzise Zahlen zu den „Downloads“ bei Beiträgen, auf die man eigentlich ganz stolz gewesen ist. Was man bewegt hat, ist eine sehr grundsätzliche Frage, der ich am liebsten ausweichen möchte. Man schwankt da nämlich zwischen Unsicherheit, Verlegenheit und Eitelkeit, will man all dies nicht ohnehin als Windhauch betrachten. Wissenschaftlich gesehen handelt es sich im Grunde genommen um eine empirische Frage, bei deren Beantwortung man – je nach Ausgangspunkt – mit einem komplexeren Forschungsdesign zu Werke gehen müsste, bei dem man selbst eigentlich eher als Quelle, als Interviewpartner, in Erscheinung treten sollte. Ich will mich hier nicht näher zu der Lehre äußern. Hier verfügen wir zwar über ein methodisch gesichertes Prozedere der Evaluation. Das ist freilich wenig aussagekräftig, wenn es um die Langzeitperspektive geht. Binnenwissenschaftlich gesehen zähle ich sicher nicht zu denen, die sich mit der Formulierung dieser oder jener Theorie hervorgetan haben oder in dieser oder jener dogmatischen Frage „schulenbildend“ gewesen sind. Das mag auch mit meinen bisweilen kompromisslerischen Standpunkten zusammenhängen. Vielleicht wird meine Positionierung zu Prozessmodellen, Prozessrollen, der Relevanz von Verfahrensgarantien und den Richterbildern über den Tag hinaus Beachtung finden. Auch meine rechtsvergleichenden Beiträge setzen in der Summe einen eigenen Akzent. Da und dort war ich auch bei der Herauspräparierung neuer Blick- und Forschungsrichtungen – etwa dem Europäischen Strafrecht und der Rolle von EMRK und EGMR sowie „Literatur und Recht“ – mit von der Partie. Auch zur „Außenwirkung“ der Wissenschaft, des Wissenschaftlers, also von mir, muss ich es bei einigen Beobachtungen belassen, die zudem weniger die eigene Rolle als vielmehr die „Anstoßfunktion“ (Rieß) von Wissenschaft generell betreffen. Sicher ist Karl Bindings pathetische Feststellung, wonach die Wissenschaft die Fackel trage und die Richter und der Gesetzgeber folgten,9 bezogen auf das juristische Feld und erst recht gesamtgesellschaftlich gesehen, passé. Dennoch sind die deutschen Strafrechtswissenschaftler/innen nach wie vor bedeutsame 9
Binding, Karl, Strafgesetzgebung, Strafjustiz und Strafrechtswissenschaft in normalem Verhältnis zueinander, ZStW 1 (1881), S. 4, 29.
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Akteure in der (kriminal)politischen Meinungs- und Willensbildung – durch Mitwirkung in öffentlichkeitswirksamen Arbeitskreisen, als Sachverständige bei Anhörungen, als Mitglieder von amtlichen Regierungskommissionen, durch Interviews in den Medien etc. Sicher bleibt der gestalterische Einfluss der Wissenschaft begrenzt, wobei er in Deutschland im Verhältnis zu manch anderem Land noch mit am größten zu sein scheint. Er variiert zudem je nach Konstellation und Problembereich. Wenn die Rahmenbedingungen stimmen, d. h. also noch andere wirkmächtige Faktoren im Spiel sind, kann der Umschlag schnell gehen. So geschehen etwa bei der Opferthematik. Sie wurde von der Strafprozesswissenschaft angestoßen, die ihrerseits von der Kriminologie und der Viktimologie inspiriert war. In der Anfangsphase dürfte auch mein Vortrag auf der Bielefelder Strafrechtslehrertagung 1981 eine Rolle gespielt haben. Der Erfolg dieser kriminalpolitischen Kampagne verdankt sich ja nicht zuletzt der Tatsache, dass sich hier ganz unterschiedliche kriminalpolitische Strömungen und Richtungen zusammengefunden haben. Gelegentlich können auch persönliche Bekanntschaften für die Umsetzung einer wissenschaftlichen Position in der Kriminalpolitik förderlich sein. So hat wohl meine Schrift „Straffreiheit für den Kronzeugen?“ dazu beigetragen, dass der Vorschlag der Einführung eines § 153f StPO im Zusammenhang mit der Betäubungsmittelkriminalität abgelehnt wurde, bevor das Modell des Kronzeugen dann doch Karriere gemacht hat. Auch die saarländische Initiative zur (begrenzten) Zulassung des Fernsehens in der Hauptverhandlung, eine Frage zu der ich mich ja mehrfach geäußert habe, hat mit den kurzen Wegen in meinem Bundesland zu tun.10 Von der Rechtsprechung wird man wohl eher als Teil einer Strömung in der Literatur registriert. So dürfte der Widerstand im Schrifttum gegen das Institut der fortgesetzten Handlung maßgeblich zu dessen Aufgabe durch die Entscheidung des Großen Senats des Bundesgerichtshofs11 beigetragen haben. Mein gerade einmal einen Monat vorher erschienener Aufsatz über eine entsprechende Entscheidung des Schweizer Bundesgerichts figuriert in der Reihe der zitierten Kritiker an prominenter Stelle, freilich nur dank des Alphabets!
Die vielleicht interessantere Frage geht dahin, was man nicht geschafft hat, vielleicht gar, woran man gescheitert ist. Nun muss ich in diesem Zusammenhang zunächst einmal festhalten, dass sich „Niederlagen“ für mich eigentlich immer ins Positive gewendet haben. Sicher wird vieles von dem, was ich wissenschaftlich gerne hätte sagen wollen, ungesagt bleiben. Doch kann ich diesen Verlust leich10 Vgl. Morsch, Anke, Zum Verhältnis von Wissenschaft und Gesetzgebung, in: Zabel, Benno (Hrsg.), Strafrechtspolitik, 2018, S. 133, 140. 11 BGHSt 40, 138.
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ten Herzens verschmerzen. Sicher habe ich von der weiten Welt des Rechts, über die ich als Rechtsvergleicher schreibe, nur einen Teilausschnitt gesehen. Insofern bedauere ich auch manche Absage und meine bisweilen fehlende Courage. Zugleich hätte ich vielleicht doch noch öfter „nein“ sagen müssen. Aber es gibt eine Phase im Leben, in der man vorwärts stürmt und meint, alles verkraften zu können und zu allem Stellung nehmen zu müssen. Ich frage mich natürlich auch, wie mein Leben und das Leben meiner Familie verlaufen wären, wenn ich den Ruf nach Zürich oder den nach Köln angenommen hätte. Aber entschieden ist entschieden! So habe ich das Klischee vom heimatverbundenen Saarländer bestätigt und mir die Welt vom deutschen Südwesten aus erschlossen. Historisch betrachtet ist das ja nicht der schlechteste Standort, wenn es um den Fortschritt geht.
Schriftenverzeichnis (in Auswahl) 1. Selbständiges Schrifttum Straffreiheit für den Kronzeugen?, 1974. Das Züchtigungsrecht des Lehrers, 1977. Sanktionensysteme und Menschenrechte, 1992. Was ist Strafe? Ein Essay, 2002. Richterbilder – Ein interkultureller Vergleich, 2006. Kriminalsoziologie, 2. Aufl. 2007. Das kriminalpolitische Manifest von Jean-Paul Marat, 2009.
2. Aufsätze in Zeitschriften und Sammelwerken a. Strafrecht und Kriminalpolitik Rückwirkungsverbot und Maßregel, in: Festschrift für Rudolf Wassermann, 1985, S. 875–887. Fortgesetzte Handlung und Verjährung, in: Gedächtnisschrift für Dietrich Schultz, 1987, S. 183–191. Anmerkungen zum Verhältnis von Strafe und Staat, GA 1996, S. 507–517. Begründung, Abbruch und Modifikation der Zurechnung beim Verhalten mehrerer, in: Eser, Albin/Huber, Barbara/Cornils, Karin (Hrsg.), Einzelverantwortung und Mitverantwortung im Strafrecht, edition iuscrim, 1998, S. 175–197.
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Making Sense of the German „Straftatlehre“. A Personal Account, in: Festskrift till Nils Jareborg, 2002, S. 369–384. Zur Strafbarkeit des untauglichen Versuchs – ein Zwischenruf aus rechtsvergleichender Sicht, ZStW 117 (2005), S. 937–951. Von der Rache zur Strafe und zurück?, in: Kühl, Kristian/Seher, Gerhard (Hrsg.), Rom, Recht, Religion, 2011, S. 383–399. Pluralismus und Strafrecht – ein unauflösbarer Widerspruch?, JZ 2012, S. 926– 932. Über die Ratio des ultima-ratio-Prinzips, in: Festschrift für Rudolf Wendt, 2015, S. 1207–1223.
b. Strafprozessrecht Die Stellung des Verletzten im Strafprozeß, ZStW 93 (1981), S. 1147–1176. Plea Bargaining and its Repercussions on the Theory of Criminal Procedure, in: European Journal of Crime, Criminal Law and Criminal Justice 5 (1997), S. 112–122. Der Strafprozeß: Konzepte, Modelle und Grundannahmen, in: Festschrift für Stanisław Waltoś, 2000, S. 27–36. Über die Wahrheit und ihre institutionellen Garanten, JZ 2009, S. 1129–1135. Zum sozialpsychologischen Gehalt des Formalisierungskonzepts, in: Festschrift für Winfried Hassemer, 2010, S. 73–83. Der Strafprozess aus rollentheoretischer Sicht, in: Festschrift für Claus Roxin zum 80. Geburtstag, 2011, S. 1233–1243. “Justice must be seen to be done”, in: Nordisk Tidsskrift for Kriminalvidenskab 99 (2012), S. 65–76. Von der Emanzipation des Strafprozessrechts und der Strafprozesswissenschaft, ZStrR 2012, S. 39–54. Rituals and Procedure, in: Ackerman, Bruce/Ambos, Kai/Sikirić, Hrvoje (Hrsg.), Visions of Justice, 2016, S. 259–271. Auf den Spuren des Strafprozesskonzepts der Alternativ-Entwürfe, GA 2016, S. 266–274. Anmerkungen zum Verhältnis des materiellen Strafrechts zum Strafverfahrensrecht, GA 2019, S. 257–269.
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Heike Jung c. Kriminologie, Jugendkriminalrecht, Strafvollzug
Die jugendrichterlichen Entscheidungen – Anspruch und Wirklichkeit, ZRP 1981, S. 36–45. Das schottische Children’s Hearing System, in: Festschrift für Dietrich Oehler, 1985, S. 705–727. Behandlung als Rechtsbegriff, ZfStrVO 1987, S. 38–42. Zur Entwicklung internationaler Standards im Jugendkriminalrecht, in: Festschrift für Günther Kaiser, 1998, S. 1047–1067. The Renaissance of the Victim in Criminal Policy: A Reconstruction of the German Campaign, in: Zedner, Lucia/Ashworth, Andrew (Hrsg.), The Criminological Foundations of Penal Policy. Essays in Honour of Roger Hood, 2003, S. 443–462. Die postmoderne Kriminologie im Wechselspiel von Professionalität, Demokratie und Rechtsstaatlichkeit, in: Kunz, Karl-Ludwig/Besozzi, Claudio (Hrsg.), Soziale Reflexivität und qualitative Methodik, 2003, S. 153–165. Zum „cultural turn“ in der Kriminologie, in: Görgen, Thomas u. a. (Hrsg.), Interdisziplinäre Kriminologie. Festschrift für Arthur Kreuzer, 2. Aufl. 2008, S. 344– 355.
Die lästigen Weihnachtspakete, in: Verbrechen – Strafe – Resozialisierung. Festschrift für Heinz Schöch, 2010, S. 303–311.
d. Auslandsrecht, Rechtsvergleichung, Europarecht Der Grundsatz des fair trial in rechtsvergleichender Sicht, in: Festschrift für Gerhard Lüke, 1997, S. 323–336. Grundfragen der Strafrechtsvergleichung, in: JuS 1998, S. 1–7. Konturen und Perspektiven des europäischen Strafrechts, JuS 2000, S. 417–424. Wertende (Straf-)Rechtsvergleichung. Betrachtungen über einen elastischen Begriff, GA 2005, S. 2–9. Maintaining Human Rights in the Process of Harmonizing European Criminal Law, in: Husabø, Erling Johannes/Strandbakken, Asbjørn (Hrsg.), Harmonization of Criminal Law in Europe, 2005, S. 147–157. Recht und kulturelle Identität – Anmerkungen zur Rezeption, Transplantation und Diffusion von Recht, ZStW 121 (2009), S. 467–500.
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Über die Beobachtung als Methode der Strafprozessvergleichung, in: Festschrift für Klaus Volk, 2009, S. 223–230. From structure to actor. Reflections on comparative law theory, in: Meng, Werner/Ress, Georg/Stein, Torsten (Hrsg.), Europäische Integration und Globalisierung, 2011, S. 299–307. Rechtsvergleich oder Kulturvergleich?, in: Festschrift für Wolfgang Frisch, 2013, S. 1467–1481. Upgrade für die margin of appreciation?, in: Liber Amicorum für Torsten Stein, 2015, S. 976–987. Soixantes années de droit pénal comparé franco-allemand – Quelques réflexions et impressions personnelles, in: Cossalter, Philippe/Witz, Claude (Hrsg.), 60 ans d’influences juridiques réciproques franco-allemandes, Société de législation comparé, 2016, S. 223–238.
e. Medizinrecht Der strafrechtliche Schutz des Arztgeheimnisses im deutschen und französischen Recht, in: Gedächtnisschrift für Léontin-Jean Constantinesco, 1983, S. 355–376. Außenseitermethoden und strafrechtliche Haftung, ZStW 97 (1985), S. 47–67. Biomedizin und Strafrecht, in: ZStW 100 (1988), S. 3–40 (überarbeitet und ins Englische übersetzt in: Revue Internationale de Droit Pénal 1988, S. 831–860). L’expérimentation sur les êtres humains. Réflexions d’un juriste allemand, in: Revue de science criminelle et de droit pénal comparé 1991, S. 33–48. Organtransplantation im Licht der ethischen Herausforderungen, JZ 2004, S. 559–564. (Wie) Soll man Klonen bestrafen? – Eine Standortbestimmung, GA 2005, S. 377–384. Das Übernahmeverschulden als Regulativ im ärztlichen Feld, in: Festschrift für Ingeborg Puppe, 2011, S. 1401–1410. Ärztliches und juristisches Denken im Vergleich, JZ 2011, S. 459–462. Zur Entwicklung des Medizinstrafrechts, JZ 2015, S. 1113–1121. Sanft entschlafen? Anmerkungen zur Regelung der „sédation profonde et continue“ in Frankreich, JZ 2018, S. 601–613.
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Heike Jung f. Recht, Film und Literatur
Betrachtungen zum Prozeß gegen den Fremden, in: Mölk, Ulrich (Hrsg.), Literatur und Recht. Literarische Rechtsfälle von der Antike bis in die Gegenwart, 1996, S. 406–416. Camus’ „Betrachtungen über die Guillotine“, in: Jung, Heike (Hrsg.), Das Recht und die schönen Künste. Heinz Müller-Dietz zum 65. Geburtstag, 1998, S. 171– 181. Maigret und die Strafjustiz, JZ 2010, S. 885–890. Die Farce des Maître Pathelin, in: Jung, Heike/Müller, Egon/Müller-Dietz, Heinz (Hrsg.), Justiz und Komödie, 2014, S. 17–35. Der Prozess gegen Flaubert, GA 2016, S. 675–688. Der juge d’instruction im Spiegel von Literatur und Film, in: Festschrift für Frank Höpfl, 2018, S. 853–871. Montaigne und Handke im Streit über die Sprache des Rechts, in: Mélanges en l’honneur du Professeur Claude Witz, 2018, S. 377–390.
g. Ideengeschichte Ein Blick in Benthams „Panopticon", in: Gedächtnisschrift für Albert Krebs, 1994, S. 34–49. Montesquieu und die Kriminalpolitik, JuS 1999, S. 216–220. Michel Joseph Antoine Servan – der französische Beccaria?, JZ 2014, S. 1132– 1137. Voltaires Vermächtnis als Kritiker der Strafjustiz, in: Hilgendorf, Eric/Seminara, Sergio (Hrsg.), Strafrechtsphilosophie der Aufklärung, 2018, S. 33–56. Rousseau und die Rechtspflege, JZ 2019, S. 188–192.
Urs Kindhäuser
https://doi.org/10.1515/9783110703016-007
Urs Kindhäuser I. Beruflicher Werdegang Vier Tage nach Inkrafttreten des Grundgesetzes und 78 Tage vor den Wahlen zum ersten Deutschen Bundestag wurde ich in Gießen, einer damals noch kleinen, an der Lahn zwischen Marburg und Wetzlar gelegenen Universitätsstadt geboren. Im Verhältnis zu meinen beiden zehn und elf Jahre älteren Geschwistern, die als Kleinkinder noch in Bombenkellern und mit rationierten Mahlzeiten die Schrecken des Krieges erleben mussten, mag dies als Glück einer spät(er)en Geburt, mit Blick auf das Hineinwachsen in einen sich formierenden Rechts- und Wohlfahrtsstaat als Geschenk einer frühen Geburt anzusehen sein. Als ein von Beginn an mit dem Grundgesetz liierter Zeitgenosse ist daher meine in den „gesicherten Verhältnissen“ eines geordneten Gemeinwesens spielende Biographie privilegiert und damit recht langweilig. Ich hatte lediglich nach Aufgaben zu suchen, die ich halbwegs ordentlich erledigen konnte. Meine Eltern hatte es durch Zufall nach Gießen verschlagen. Mein Vater war Arzt. Meine Mutter, ebenfalls aus einer Medizinerfamilie stammend, war in Pensionaten in Italien, Frankreich und England erzogen worden und wurde vor allem aufgrund ihrer damals noch eher selten anzutreffenden Italienischkenntnisse zunehmend zu einer gefragten Dolmetscherin und Übersetzerin; sie übernahm beim Eintreffen der sog. Gastarbeiter in den 1960er-Jahren vielfältige Betreuungsaufgaben. So waren meine Kindheit und Jugend mitgeprägt von der sehr häufigen, anregenden, bisweilen auch anstrengenden Anwesenheit ausländischer Freunde und von Menschen, die Hilfe suchten und die es zu begleiten galt. Mein Elternhaus praktizierte Integration, als es dafür noch keine wohlfeile politische Kategorie gab. Die väterliche Familienlinie lässt sich bis zu dem Abt Johann von Kindhausen zurückverfolgen, der in der Reformationszeit zu Luther überlief und Zwingli auf dem Weg zum Marburger Religionsgespräch beherbergt haben soll. In den Annalen des Klosters Hornbach wird ihm, der heiratete, charakterliche Schwäche, seinem Sohn, der als Lehrer in den Schoß der katholischen Kirche zurückfand, dagegen beachtliche Bildung zugeschrieben – ersichtlich eine Frage der Perspektive. Gießen war im Krieg wegen seines für die Nord-Süd-Verbindung verkehrstechnisch wichtigen Bahnhofs nahezu völlig zerstört worden. Für mich bot dies bis in den Beginn der Grundschulzeit hinein die Möglichkeit, mit den Kindern aus der Nachbarschaft in den noch zahlreichen Ruinen des Stadtvierteils wahlweise Indianer oder Raubritter zu spielen, wobei vor allem die verwilderten Grundstücke,
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deren Betreten auf großen Warnschildern verboten war, als passende Kulisse dienten. Da in Gießen ein Notaufnahmelager zur Bewältigung des Vertriebenenstromes aus dem Osten und später das Zentrum für Flüchtlinge aus der DDR eingerichtet wurden, verdoppelte sich die Einwohnerzahl in kurzer Zeit, und die Stadt verlor aufgrund einer vornehmlich der Beseitigung von Wohnungsnot gehorchenden Bautätigkeit ihre kleinstädtische Beschaulichkeit. Für das dortige gesellschaftliche Leben war jedoch nach wie vor die 1607 gegründete Universität mit ihren großen Fakultäten für Landwirtschaft sowie Human- und Veterinärmedizin prägend; die juristische Fakultät, an der u. a. Ernst Beling, Reinhard Frank und Rudolf von Jhering zeitweilig lehrten, wurde allerdings erst gut zwei Jahrzehnte nach Kriegsende wiedereröffnet.
Noch zwei Jahre älter als die Universität und stets eng mit dieser verbunden war das humanistische Landgraf-Ludwigs-Gymnasium. Nach bestandener Aufnahmeprüfung erwarteten mich dort neun Jahre Latein- und sechs Jahre Griechischunterricht. Wegen dieser Anforderungen war die Schülerzahl mit nur zwei Parallelklassen pro Jahr relativ gering. Da jedoch nicht nur Englisch und Französisch, sondern auch Hebräisch und Russisch sowie Vertiefungskurse in den Naturwissenschaften angeboten wurden, war der Stoff lediglich reichhaltiger, keineswegs aber antiquiert im Vergleich mit den sog. modernen Gymnasien. Für mich hatte der Besuch des LLG den angenehmen Nebeneffekt, ein beachtliches Taschengeld verdienen zu können, da ich, vermittelt durch meinen Lateinlehrer, bereits als Quartaner Studenten der Veterinärmedizin zur Erlangung des für sie damals noch erforderlichen kleinen Latinums mit Nachhilfestunden behilflich sein konnte. Es kann nicht verwundern, dass dieses Gymnasium der damals auf den massiven Abbau von schulischen Anforderungen gerichteten hessischen Kultuspolitik ein Dorn im Auge war. Schon zu meiner Zeit wurde die Oberstufe dergestalt „reformiert“, dass etwa zwischen Kunst- und Musikunterricht oder zwischen neuen Sprachen und naturwissenschaftlichen Fächern zu wählen war. Wenige Jahre nach meinem Abitur wurde das auf seine Tradition stolze Gymnasium, das auch Karl Engisch zu seinen Ehemaligen zählte, zusammen mit einer Hauptschule in eine sog. Gemeinschaftsschule überführt. Der verbindliche altsprachliche Unterricht wurde abgeschafft, ohne durch eine Erweiterung des Angebots in anderen Fächern kompensiert zu werden. Ein Sieg der Bildungspolitik über die Bildung. Auf meinen späteren Lebensweg wirkte sich insbesondere der Umstand aus, dass ich als Nachkömmling noch in die Schule ging, als andere Familienmitglieder meiner Generation bereits studierten oder sogar promovierten. So hatte mich ein Vetter, der später mein germanistischer Kollege an der Bonner Universität war, auf den „Tractatus“ von Ludwig Wittgenstein aufmerksam gemacht. Ich wurde
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ein begeisterter Anhänger dieses Philosophen, schrieb eine Jahresarbeit sowie meinen Abituraufsatz in Deutsch über ihn und ging auch in meiner Abiturrede auf ihn ein. Da ich aber während meiner Schulzeit intensiv gemalt hatte – ein Erbteil aus der mütterlichen Familie –, war ich mir lange Zeit im Unklaren, ob ich mich an einer Kunsthochschule bewerben oder Philosophie und Mathematik studieren sollte. In dieser Phase des Überlegens stieß ich durch Zufall in einer Buchhandlung auf Ulrich Klugs „Juristische Logik“. Die Juristerei erschien mir in Anbetracht dieses Werks als ideales Fach, um mein Interesse an mathematischer Logik mit einer praktischen Aufgabenstellung zu verbinden. Ich immatrikulierte mich umgehend für Rechtswissenschaft an der Gießener Universität – und zudem für Kunsterziehung bei Walter Kröll. Von der ersten Vorlesung an war ich jedoch vom Jurastudium tief enttäuscht. Zwar war ich sehr angetan von den jungen und gerade erst berufenen Professoren – etwa Klaus Tiedemann, Wolfgang Grunsky oder Herbert Jäger –, aber der von ihnen vermittelte Stoff war fernab von dem, was Klug als juristische Logik vorgestellt hatte. Mein Entschluss, das Jurastudium wieder aufzugeben, war schnell gefasst. Um mir in Ruhe Klarheit über meinen weiteren Weg zu verschaffen, meldete ich mich zum zivilen Ersatzdienst in einem Krankenhaus; hiervon war ich zunächst aus gesundheitlichen Gründen zurückgestellt worden. Gegen Ende dieser anderthalb Jahre, in denen ich im städtischen Krankenhaus Frankenthal teils auf einer internistischen Station, teils als Röntgengehilfe tätig war, verstarb überraschend mein Vater. Wenn er mir auch jede Freiheit gelassen hatte, wären doch der Austausch mit ihm und sein Rat nicht unwillkommen gewesen. Nun war es wiederum die Lektüre eines Buches, das erneut mein Interesse an der Jurisprudenz weckte, nämlich Gustav Radbruchs „Rechtsphilosophie“. Dieses Werk hatte ich eher zufällig in einer kleinen Handbibliothek mit in den Zivildienst genommen. Auch wenn ich Radbruchs philosophischen Standpunkt nicht richtig einzuordnen vermochte, vermittelte der Text – einschließlich des Vorworts von Erik Wolf – doch den nachhaltigen Eindruck, dass die Befassung mit dem Recht weitaus bereichernder sein könnte, als ich dies bisher auch nur erahnt hatte. Ich entschloss mich, das Jurastudium mit erneutem Elan anzupacken. Allerdings konnte ich in den ersten beiden Semestern in Gießen und den anschließenden zwei Semestern in Marburg den dogmatischen Grundlagen und den schematischen Übungen der Falllösung nur geringes Interesse abgewinnen. Ganz anders verhielt es sich mit der juristischen Methode. Als ich nach einer Vorlesung Walter Schmitt Glaeser fragte, ob er auch zu der in Mode gekommenen topischen Verfassungsinterpretation Stellung beziehen werde, verneinte dieser zunächst mürrisch, um mich dann plötzlich lächelnd zu fragen, ob ich nicht selbst eine Vorlesungsstunde zu diesem Thema halten wolle. Ich bejahte dies vorschnell, mit der
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Folge, dass ich nach wochenlanger Vorbereitung am Ende meines dritten Semesters in einem vollen Hörsaal über Topik sprach: meine erste Vorlesung. Meine Kommilitonen reagierten zwar verständnislos auf solche Eskapaden, aber Schmitt Glaeser lud mich zur Teilnahme an seinem verfassungsrechtlichen Seminar im kommenden Semester ein. Damit nahm mein Studium einen eigenartigen Verlauf. Ich belegte Semester für Semester wenigstens ein Seminar, opferte nahezu meine gesamte Zeit der Ausarbeitung von Referaten und vernachlässigte so den gängigen Pflichtstoff. Nach zwei Jahren in München, wohin ich von Marburg aus gewechselt war, wurde mir klar, dass ich mit dieser Vorgehensweise nicht in der Lage sein würde, das Examen mit auch nur leidlich akzeptablen Noten abzulegen. Ich wechselte deshalb erneut den Studienort und nahm mir vor, nunmehr in Freiburg möglichst schnell das Studium zu beenden, ohne freilich auf die Teilnahme an Seminaren zu verzichten. Nach einer Veranstaltung bei Elmar Bund zur juristischen Logik besuchte ich die Vorbesprechung zu Alexander Hollerbachs Seminar über „Norm und Normativität“ und erkundigte mich nach der Möglichkeit, hierzu aus der Sicht der analytischen Metaethik zu referieren. Es muss wohl eine gewisse Neugier an der Behandlung eines für die Schule Erik Wolfs unbekannten Problembereichs gewesen sein, die mir Hollerbachs Zustimmung für diese Themenwahl einbrachte. Jedenfalls nahm mich Hollerbach nach dem Referat unter seine Fittiche und bot mir nach dem nunmehr fälligen Examen die Möglichkeit der Promotion. Ich hatte meine wissenschaftliche Heimat gefunden. Meine am Landgericht Baden-Baden begonnene Referendarzeit unterbrach ich für ein halbes Jahr, um die Dissertation im Wesentlichen fertigzustellen. Hollerbach war damit einverstanden, dass ich die Thematik, eine sprachphilosophische Analyse des Handlungsbegriffs, vom Verfassungs- in das Strafrecht verlagerte. Auf diese Weise promovierte ich unversehens im Strafrecht, einem Fach, das mich im Studium nur am Rande interessiert hatte. Allerdings war die Arbeit rechtstheoretisch angelegt und berührt dogmatische Fragen nur oberflächlich. Nach Einreichung der Dissertation setzte ich den Referendardienst fort und nahm nach dem Examen eine Assistentenstelle an einem arbeitsrechtlichen Lehrstuhl in Mannheim an. Da mir der dortige Lehrstuhlinhaber erst nach Abschluss des Habilitationsverfahrens meines damaligen Mitassistenten die Möglichkeit einer Habilitation einräumen wollte, wechselte ich zur Justiz und war für die Dauer von zwei Jahren zunächst Staatsanwalt und sodann Richter am Amtsgericht in Baden-Baden. Hollerbach legte mir jedoch nahe, meine Habilitationspläne nicht aufzugeben, und ermöglichte mir, als Nachfolger seines bisherigen Assistenten Joachim Bohnert nach Freiburg zurückzukehren. Hier waren die Rahmenbedingungen für einen Einstieg in einen wissenschaftlichen Berufsweg schlechthin ideal. Ein weiterer Glücksfall für mich war es, dass Klaus Tiedemann, zwischen-
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zeitlich von Gießen nach Freiburg berufen, nicht nur bereit war, mich auf dem Gebiet des Strafrechts zu betreuen, sondern auch als Thema der Habilitationsschrift eine rechtstheoretische Untersuchung zu den Gefährdungsdelikten anregte, einem Thema, bei dem ich analytische Methodik und allgemeine Straftatlehre mit Ausflügen in Bereiche des Besonderen Teils verbinden konnte. So war ich einerseits Hochschulassistent im Rechtsphilosophischen Seminar, konnte mich aber andererseits auch an Forschung und Lehre im wirtschaftsstrafrechtlichen Institut beteiligen. Meine universitären Aufgaben bezogen sich im Wesentlichen auf den akademischen Unterricht. Zum einen führte ich zusammen mit anderen Habilitanden in jeweils kleinen Gruppen die Anfängerübungen im Strafrecht durch, zum anderen hielt ich regelmäßig ein Proseminar zur Wissenschaftstheorie und analytischen Philosophie. In diesem Proseminar bildete sich mit der Zeit ein fester Kreis von Teilnehmern heraus, die mit großem Engagement bei der Sache waren und später selbst – wie etwa Friedrich Toepel und Joachim Vogel – in die Wissenschaft einstiegen. Lehrreich war für mich zudem die Mitarbeit an Publikationen im Wirtschaftsstrafrecht. Insbesondere im Zusammenhang mit der Kommentierung des GmbH-Strafrechts konnte ich bei Tiedemann lernen, wie sich große Stoffmengen gründlich durchforsten, einteilen und in kritischer Distanz auf die wesentlichen Gesichtspunkte zurückführen lassen. Die Eleganz, mit der Tiedemann Theorie und Praxis in dogmatischen Lösungswegen zu verbinden wusste, trug dazu bei, dass sich meine Abneigung gegen die gängige „Meinungsjurisprudenz“ des Besonderen Teils in ein starkes Interesse an den praktischen Bedürfnissen rechtlicher Regelungen wandelte. Die Suche nach Antworten auf die Frage, ob die Rechtstheorie zu einer Klärung gängiger dogmatischer Problemstellungen beitragen könne, wurde zu einem Ausgangspunkt meiner eigenen späteren Arbeit. Tiedemann bestärkte mich nachdrücklich bei den ersten Gehversuchen in diese Richtung, auch wenn er selbst manchen meiner Resultate nicht zuzustimmen vermochte. Nicht weniger verständnisvoll und aufmunternd zeigte er sich bei der Betreuung meiner Habilitationsschrift. Während meiner Freiburger Zeit stand ich in einem regen Gedankenaustausch mit Joachim Hruschka, der in seiner Schrift „Strukturen der Zurechnung“ meines Wissens zum ersten Mal methodische Verbindungslinien zwischen der strafrechtlichen Zurechnung und den von Peter Winch gezogenen Konsequenzen des Wittgensteinschen Regelbegriffs für die Sozialwissenschaften aufgezeigt hatte. Hruschka wurde damit zum Wegbereiter einer analytischen Strafrechtsdogmatik und bereicherte diesen theoretischen Ansatz obendrein noch durch tiefgreifende Studien zur Zurechnung aus der Blütezeit der praktischen Philosophie.
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Noch vor dem Abschluss der Habilitation nahm ich das Angebot einer Lehrstuhlvertretung in Regensburg an und musste dort ein Lehrprogramm mit Vorlesung, Übung und Seminar bewältigen. In didaktischer Hinsicht war dieses Semester ungemein lehrreich. Die tradierte Methode, den Stoff monologisierend von einem Pult aus vorzutragen, war für mich nicht weniger langweilig als für die Studenten. Ich nahm mir vor, künftig der Lehre eine der Forschung zumindest gleichrangige Bedeutung einzuräumen, und zwar nicht nur, weil Misserfolge in der Lehre persönlich belasten, sondern auch und gerade, weil Dogmatik einen „lehrenden“ Charakter hat. Nach der Habilitation in den Fächern Strafrecht, Strafprozessrecht und Rechtsphilosophie übernahm ich Lehrstuhlvertretungen in Frankfurt am Main und Freiburg. In dieser Zeit erhielt ich einen Ruf nach Erlangen und einen weiteren nach Bonn, den ich 1989 annahm. Mit der deutschen Wiedervereinigung ergab sich eine neue Situation für meine weitere berufliche Planung. Ich übernahm einen Lehrauftrag an der Universität Rostock und erhielt 1992 einen Ruf dorthin, den ich aus mehreren Gründen gern annahm. Die Rostocker juristische Fakultät war Anfang der 1950er-Jahre wegen „liberaler Umtriebe“ geschlossen worden, so dass mit Beginn der 1990er-Jahre ein völliger Neuaufbau ohne potenzielle Konflikte mit Kollegen aus der DDRZeit möglich war. Den zu besetzenden Lehrstuhl für Strafrecht und Rechtsphilosophie hatte einst mein hochgeschätzter wissenschaftlicher „Großvater“ Erik Wolf innegehabt, dem Hellmuth Mayer nachgefolgt war; Mayers Witwe, eine geborene Rostockerin, schenkte meinem Lehrstuhl aus Freude über dessen Wiederbelebung die private Bibliothek ihres Mannes. Da ich als erster Strafrechtler nach Rostock berufen wurde, hatte ich zudem die Möglichkeit, auf die Auswahl der weiteren Kollegen maßgeblich Einfluss zu nehmen. Mit Cornelius Prittwitz und Gabriele Wolfslast konnte das Strafrecht auch bestens besetzt werden. Rostock selbst hatte wegen seiner touristischen Reize und seines für den internationalen Warenaustausch wichtigen Überseehafens nur in den Randbezirken unter der städtebaulichen Misswirtschaft des DDR-Regimes gelitten und sich viel alte Bausubstanz bewahrt. Die junge Fakultät wählte mich – in Abstimmung mit der Gründungskommission – zu ihrem ersten Dekan; Wilfried Erbguth, der den ersten Lehrstuhl im Öffentlichen Recht übernommen hatte, vertrat uns im Senat. Es versteht sich von selbst, dass die Gründungszeit mit einem erheblichen Aufwand an Verwaltungsarbeit verbunden war und stetige, bisweilen recht harte Verhandlungen mit der Universität und dem Kultusministerium verlangte. Die positive Kehrseite dieser Belastungen waren eine ausgesprochen gute Ausstattung der Lehrstühle und die Möglichkeit, Studien- und Promotionsordnungen maßgeblich nach eigenen Vorstellungen zu gestalten. Die Lehre begann mit 300 Studenten und erreichte damit
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von Anfang an die festgelegte jährliche Kapazitätsgrenze. Die Studenten kamen aus dem gesamten Gebiet der ehemaligen DDR. Viele von ihnen hatten bereits ein anderes Studium absolviert, da sie früher zwar gern Rechtswissenschaften studiert hätten, sich aber der politischen Instrumentalisierung dieses Fachs nicht hatten beugen wollen. Die Einweihungsfeier in der gotischen Universitätskirche, der ein beeindruckender Vortrag von Günther Jakobs Glanz verlieh, war der erste selbstbewusste Auftritt der jungen Fakultät. Die Aussicht, als erste ostdeutsche Fakultät auch die für 1995 vorgesehene Strafrechtslehrertagung auszurichten, sollte ihrem erfolgversprechenden Start weiteren Schwung verleihen. Allerdings wurde das zunächst positive Bild Rostocks in der Nachwendezeit durch ein Ereignis in Misskredit gebracht, das sich nur wenige Schritte von den Gebäuden der Fakultät entfernt zutrug und weltweite Aufmerksamkeit auf sich zog: die Krawalle rund um das sog. Sonnenblumenhaus im Stadtteil Lichtenhagen. Das Land hatte in einem Wohngebäude eine Anlaufstelle für Asylbewerber vorwiegend rumänischer Herkunft eingerichtet, die ohne hinreichende hygienische Einrichtungen inmitten von Unrat und Müll im Freien kampierten. Auf einer angemeldeten Protestveranstaltung der Anwohner gegen die unhaltbaren Zustände kam es zu Reibereien mit Sicherheitskräften, die den ihnen entgegenschlagenden Aggressionen nicht standhalten konnten. Dieser „Sieg“ sprach sich unter Rostocks Schülern schnell herum, die sich an den kommenden Abenden klassenweise einfanden, um, wie die Parole hieß, „ins Fernsehen zu kommen“; angezogen wurden aber auch rechtsradikale Gruppierungen, die eigens etwa aus Hamburg anreisten, um zu randalieren. Daher wird die pauschale Charakterisierung der Krawalle als „ausländerfeindlich“ der Sachlage nicht gerecht. In ihnen entluden sich vor allem der in DDR-Zeiten aufgestaute Hass gegen die Polizei, gegen die nun in oft lebensgefährlicher Weise mit unglaublicher Brutalität vorgegangen wurde, und die Unzufriedenheit mit der wirtschaftlichen Situation – ein Großteil der Bewohner des Viertels litt unter Arbeitslosigkeit. Ich übernahm später die Vertretung des Rostocker Polizeipräsidenten vor dem Untersuchungsausschuss des Landtags wie auch in dem gegen ihn eröffneten Ermittlungsverfahren wegen fahrlässiger Brandstiftung; fehlerhaftes Verhalten konnte nicht festgestellt werden. Die von Gabriele Wolfslast, Cornelius Prittwitz und mir 1995 organisierte Strafrechtslehrertagung hatte strafrechtliche Grundlagenprobleme zum Gegenstand; vor allem sollte dem durch Neukantianismus und Wertphilosophie geprägten tradierten Verständnis der Straftat eine funktionale Sicht entgegengestellt werden. Für mich war diese Tagung mit dem Abschied von Rostock verbunden. Die Bonner Fakultät hatte mich auf zwei Berufungslisten gesetzt, so dass ich bei der Rufannahme zwischen zwei Lehrstühlen wählen konnte; ich entschied mich für die Nachfolge Gerald Grünwalds und übernahm zugleich die Geschäftsführung des
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Instituts für Strafrecht. Ich hatte zwar Rostock nicht als Zwischenstation meines beruflichen Weges betrachtet, war aber nach den Jahren des Aufbaus erschöpft und sehnte mich nach der Wiederaufnahme des fachlichen Gesprächs in der Ruhe des Bonner Strafrechts. In den Jahren 2003 und 2004 bekleidete ich das Amt eines Dekans bzw. Prodekans der Bonner Rechts- und Staatswissenschaftlichen Fakultät. Wenig später vertrat ich für ein knappes Jahrzehnt den juristischen Fachbereich im Senat der Universität. Die Geschäftsführung des Strafrechtlichen Instituts gab ich mit meinem Ausscheiden aus dem aktiven Dienst, den ich um drei Jahre bis 2017 verlängert hatte, an Martin Böse weiter, dem Nachfolger Hans-Joachim Rudolphis. Dem Kreis der Bonner Kollegen bin ich ungeachtet persönlicher Kontakte weiterhin verbunden, indem ich in der Lehre mit Veranstaltungen im Rahmen des strafrechtlichen Schwerpunktbereichs behilflich bin. Die von Strafrechtlern besetzten Lebenszeitstellen haben sich von meinem Eintreffen in Bonn im Wintersemester 1989 bis zu meiner Emeritierung genau halbiert, ohne dass sich die Anzahl der Studenten verringert hätte; erheblich zugenommen haben dagegen die Belastungen durch expandierende Prüfungen und Gremienarbeit. Ferner nehme ich gern die Gelegenheit zum fachlichen Gespräch im sog. Bonner Montagsseminar wahr. Seit nunmehr fast zwanzig Jahren hat sich ein monatliches Treffen der aktiven wie emeritierten Professoren, Mitarbeiter und Gastwissenschaftler etabliert, in dem Teilnehmer aus dem eigenen Kreis neuere, ggf. noch nicht veröffentlichte Arbeiten präsentieren und sich in der Diskussion der nicht selten ebenso schonungslosen wie hilfreichen Kritik stellen; bisweilen werden auch Gäste zu Vorträgen eingeladen. Auf diese Weise hat sich eine lebendige Streitkultur entwickelt, die eine besondere kollegiale Atmosphäre wechselseitiger Wertschätzung unter den Bonner Strafrechtslehrern hat entstehen lassen.
II. Wissenschaftlicher Weg 1. Das Jahr 1968, in das mein Abitur fiel, wurde aufgrund der Studentenunruhen in der gesamten westlichen Hemisphäre zu einem historischen Datum. Der Typus des 68er-Studenten hatte eine antiautoritäre Grundhaltung, verfolgte eine mehr oder weniger sozialistische Zielrichtung, protestierte heftig gegen den Vietnamkrieg und prangerte den vermeintlich allgegenwärtigen Faschismus an. Die deutschen Universitäten beugten sich schon formal dem Druck; Talare wurden eingemottet und die „Herrschaft der Ordinarien“ durch die Entscheidungsgewalt von Gremien unter Beteiligung fachlich nicht vorgebildeter Gruppierungen ersetzt. Der aufdringliche und intellektuell eher schlichte Zeitgeist brachte einerseits erhebliche und wohl auch unwiderrufliche Einbußen an tradierten Bildungsstan-
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dards mit sich, andererseits aber auch frischen Wind in die Hörsäle. Meine maßgeblichen strafrechtlichen Lehrbücher im ersten Semester etwa gehörten in frühen Vorauflagen einmal zur strammen NS-Literatur. Ihre Verfasser waren Edmund Mezger, der sich über die „besondere Kriminalität der Juden“ ausgelassen hatte, und Hans Welzel, einem entschiedenen Gegner der liberal-bürgerlichen Schule Franz von Liszts, der Todesstrafe und Kriegshandlungen als sozial adäquates Verhalten bezeichnet hatte. Es war durchaus an der Zeit, dass eine neue und unbelastete Generation das Wort auf den Kathedern übernahm. An dem sich in den 1970er-Jahren in den Vordergrund drängenden marxistisch ausgerichteten Schrifttum hatte ich wenig Interesse, war jedoch von der sich ebenfalls rapide verbreitenden Literatur zur neueren angloamerikanischen Philosophie und Wissenschaftstheorie begeistert. Dass ich später wesentliche Teile meiner Dissertation in wenigen Monaten fertigstellen konnte, hatte seinen einfachen Grund darin, dass ich mich bereits während meines Studiums intensiv mit Werken von Wittgenstein, Austin, Ryle und von Wright beschäftigt hatte. Besonders beeindruckt hatte mich auch Jürgen Rödigs Schrift „Die Denkform der Alternative in der Jurisprudenz“. Leider war dieser kraftvoll-faszinierende Denker schon in jungen Jahren auf tragische Weise ums Leben gekommen, so dass ich nach meinem Studium nicht mehr den so sehr gewünschten persönlichen Kontakt zu ihm aufnehmen konnte. Im gängigen juristischen Studienbetrieb war allerdings – aus meiner beschränkten studentischen Perspektive – von wissenschaftstheoretischer Methodik kaum etwas zu spüren. Ich erfuhr vielmehr, dass Juristen Kausalität mit Hilfe notwendiger Bedingungen erfassen, genauer: Ursachen durch das Wegdenken von Ereignissen aus der Welt identifizieren (und nicht etwa aus schlüssigen Erklärungen des Verlaufs der Welt). Daraus folgt die verblüffende Einsicht, dass der Tod eines Menschen als durch den Umstand, zuvor gelebt zu haben, verursacht anzusehen ist. Um Studenten dazu zu bringen, die Äquivalenztheorie als rechtlich relevante Theorie der Verursachung zu akzeptieren, bedarf es daher, wie Hruschka (später einmal) treffend bemerkte, einer nicht unerheblichen Indoktrination.1 Wie sehr mich selbst die Bilder der gängigen Strafrechtsdoktrin noch zum Zeitpunkt der Abfassung meiner Dissertation gefangen hielten, wurde mir erst Jahre später langsam bewusst. Zunächst ging ich, den Prämissen der tradierten Doktrin folgend, davon aus, dass die ein Delikt konstituierenden Merkmale nur Prädikate eines bestimmten vorgegebenen Verhaltens namens Handlung seien. Die Finalisten sahen das maßgebliche Kriterium für ein Handeln in der intentionalen Überdetermination eines Geschehens, konnten diesen Handlungsbegriff jedoch weder 1
Hruschka, Joachim, ZStW 110 (1998), S. 581, 594.
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den Unterlassungen noch den Fahrlässigkeitsdelikten zugrunde legen. Sie versuchten die Problematik in einer für Strafrechtswissenschaftler nicht untypischen Weise zu lösen, indem sie die mit ihrem Ansatz nicht zu vereinbarenden Deliktsformen dem als Grundform deklarierten vorsätzlichen Begehungsdelikt unverbunden an die Seite stellten. Doch wissenschaftstheoretisch gesehen ist die Addition von disparaten Einzelteilen ohne verbindenden Oberbegriff keine erklärungsmächtige Theorie, sondern eine beliebig dehnbare Verknüpfung von Kriterien. Ähnlich begnügt sich die herrschende Doktrin in der Beteiligungslehre damit, Pflicht- und Herrschaftsdelikte ohne innere Verbindung nebeneinander zu stellen, wobei auch der Begriff der Herrschaft wiederum kein durchgängig erforderliches Definitionsmerkmal aufweist. So lässt sich die Aufteilung der Beteiligungsformen nie falsifizieren, weil sie auf keinem durchgängig notwendigen Merkmal für Täterschaft aufbaut. Amorphe Konglomerate dieser Art mögen praktische Bedürfnisse befriedigen, genügen aber nicht den Anforderungen an eine wissenschaftliche Begriffsbildung. Auf der Basis der analytischen Handlungstheorie kam ich nun zu einem mit den Finalisten übereinstimmenden Ergebnis: Handeln ist intentionales Verhalten. Anders als die Finalisten begründete ich dies jedoch nicht ontologisch, sondern sah in Handlungen beschreibungsabhängige Interpretationskonstrukte. Übertragen auf das Strafrecht war dieses Resultat freilich ernüchternd, wenn die tradierte Prämisse, dass die Straftat eine Handlung sei, beibehalten wird. Der finale Handlungsbegriff wird dann nur durch einen intentionalen ersetzt – bei gleichbleibendem Lösungsabstand zum Problem der Integration fahrlässiger Delikte. Lediglich beim Erfassen von Unterlassungen schien mir ein analytisches Handlungsverständnis dem finalistischen Ansatz überlegen sein. Denn Unterlassungen sind keine Nichthandlungen, sondern wie aktive Handlungen auch intentionale Interpretationen von realen Verhaltensweisen: Jede Zuschreibung einer Handlung impliziert die Zuschreibung von zumindest einer Unterlassung und vice versa. Wer es unterlässt, Holz zu hacken, tut nicht nichts, sondern verhält sich in einer bestimmten Weise in Raum und Zeit, indem er etwa Geige spielt. Das Tun des Geigespielens und das Unterlassen des Holzhackens sind zwei beschreibungsabhängige Interpretationen ein und desselben tatsächlichen Verhaltens. Allgemein formuliert: Lässt sich ein Verhalten nicht als intentionales Unterlassen eines alternativen Verhaltens desselben Verhaltensspielraums interpretieren, lässt es sich auch nicht als Handlung begreifen. Unterlassungen weisen aber noch eine triviale und deshalb leicht zu übersehende Eigenschaft auf. Das Unterlassene muss notwendig ein intentionales Verhalten, also eine Handlung sein. Jemandem kann nicht der Vorwurf gemacht werden, er habe einen Ertrinkenden nicht gerettet, wenn dem Betreffenden nicht begründet
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unterstellt werden kann, die Rettung habe ein für ihn durch entsprechendes Verhalten gewollt realisierbares Ziel sein können. Gebote können nur durch Handlungen befolgt werden, und dies impliziert logisch, dass das bei einem Verbot gebotene Alternativverhalten ebenfalls eine Handlung sein muss. Der Begriff der Handlung, der notwendig als intentionales Verhalten zu bestimmen ist, musste folglich im Straftatsystem eine andere als die ihm von den Finalisten zugewiesene Rolle übernehmen; er durfte nicht Gegenstand, sondern musste Kriterium der Zurechnung sein. Der Ausarbeitung dieser Überlegung und der sich hieraus ergebenden Konsequenzen für den Vorsatzbegriff wandte ich mich erst einige Jahre später nach kleinen Aufsätzen zur Kausalität und Definitionenlehre wieder zu, und zwar unter der Fragestellung, warum zwischen verschiedenen Formen des Vorsatzes differenziert wird. An der Funktion des Vorsatzes, subjektive Verantwortung für ein rechtswidriges Geschehen zuzuschreiben, konnte es ersichtlich nicht liegen. Reicht dolus eventualis für die Zuschreibung von Verantwortung für die Verwirklichung eines bestimmten Tatbestands aus, so muss dies auch für die subjektive Zurechenbarkeit jeder beliebigen anderen Tatbestandsverwirklichung genügen. Daraus folgt wiederum: Wenn die Zurechnung nach Maßgabe des dolus eventualis keine auf eine Tatbestandsverwirklichung gerichtete Finalität verlangt, kann zielgerichtete Intentionalität auch kein notwendiges Zurechnungskriterium für Vorsatzdelikte im Allgemeinen sein. Das Wollen des Täters und Grade der Wissensdichte hinsichtlich der Folgen seines Verhaltens betreffen folglich nicht das Ob, sondern das Wie strafrechtlicher Verantwortlichkeit; sie sind Kriterien der Strafwürdigkeit und damit der Sanktionsnorm. In diesem Sinne unterscheidet sich ein Mord in Verdeckungsabsicht von einem Totschlag mit bedingtem Vorsatz nicht hinsichtlich der Zurechenbarkeit des jeweiligen Erfolgs, sondern in der Bewertung der Motivationslage sub specie Strafwürdigkeit. Mit dem Ergebnis, dass die Zurechnungsfunktion des Vorsatzes exakt von dessen Bewertungsfunktion zu trennen ist, gelangte ich wieder zu der bereits von Beling vertretenen Ansicht, dass etwa die Zueignungsabsicht bei Diebstahl mangels eines objektiven Zurechnungsgegenstandes kein Element der Zurechnung, sondern eine subjektive Strafbarkeitsbedingung ist.2 Nimmt man den Begriff der Handlung in dem Sinne ernst, dass er nur Verhaltensweisen unter einer intentionalen Beschreibung erfasst, so ist das Basiselement der Straftat nicht eine wie auch immer zu definierende Handlung, sondern ein Verhaltensspielraum aus wenigstens zwei Verhaltensalternativen: einem Verhalten unter der Beschreibung eines Tatbestands und einem Alternativverhalten dessel2
Beling, Ernst, Die Lehre vom Tatbestand, 1930, S. 12.
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ben Verhaltensspielraums, mit dessen Ergreifen sich die fragliche Tatbestandsverwirklichung hätte intentional vermeiden lassen. Der strafrechtliche Vorwurf lautet, so gesehen, nicht mehr, einen Deliktstatbestand ungerechtfertigt intentional verwirklicht, sondern seine Verwirklichung nicht durch ein erlaubtes Alternativverhalten intentional vermieden zu haben. Dass Normen nur intentional befolgt werden können, heißt ja keineswegs, dass gegen sie nur intentional verstoßen werden kann. Insoweit kann auch eine nur versehentlich verursachte Tatbestandsverwirklichung zurechenbar sein, sofern sie der Täter nur bei Einhaltung erwarteter Sorgfalt intentional hätte vermeiden können. Bei der Abfassung meiner Habilitationsschrift war mir durchaus klar, dass eine solche Konzeption der Straftat auf wenig Verständnis in der deutschen Strafrechtswissenschaft stoßen würde; die Definition der Straftat als tatbestandsverwirklichende Handlung gehört zu den (nahezu) einhellig vertretenen Dogmen. Vor allem die normtheoretische Konsequenz des Alternativenmodells mag schwer zu akzeptieren sein. Denn ob ein faktisches Verhalten samt Folgen unter die Beschreibung eines Tatbestands fällt und damit normwidrig ist, lässt sich notwendig erst ex post feststellen. Doch wie kann etwas verboten sein, das sich erst im Nachhinein als Verstoß gegen eine Norm mit dem Tatbestand als Proposition bezeichnen lässt? Die Antwort lässt sich unschwer geben, wenn mit von Wright3 unterschieden wird zwischen dem, was normativ (nicht) sein soll, und dem, was getan bzw. unterlassen werden muss, damit das Gesollte (nicht) realisiert wird. Das, was getan oder unterlassen werden muss, damit das Gesollte (nicht) eintritt, ist ex ante zu konkretisieren. Bei der Bestimmung dieses technischen Müssens werden die Fähigkeiten, das zu Vermeidende durch alternatives Verhalten zu vermeiden, mit dem Sollen, um dessentwillen zu vermeiden ist, verbunden. Dieses Müssen lässt sich als Pflicht bezeichnen, wobei offen bleiben kann, ob die Pflicht im konkreten Fall (allein) nach den Fähigkeiten des Pflichtigen – etwa mit Hilfe eines praktischen Syllogismus – zu bestimmen ist, was ich für richtig halte, oder (auch) nach Fähigkeiten einer Maßstabsfigur, wie dies einige Vertreter der objektiven Zurechnung verlangen. Von der Pflicht ist die Norm exakt zu trennen, die das Gesollte als zu intendierendes Ziel vorgibt, das (selbstverständlich) im Tatzeitpunkt noch nicht erreicht oder verfehlt sein kann. Ob ein Tatbestand verwirklicht wurde, in welchem Maße das ggf. hierzu führende pflichtwidrige Verhalten Ausdruck mangelnder Rechtstreue ist und welche Quantität und Qualität das zu verantwortende Unrecht aufweist, sind vielmehr die ex post zu beantwortenden Fragen sub specie der Sanktionsnorm.
3
von Wright, Georg Henrik, Is and Ought, in: Bulygin, Eugenio u. a. (Hrsg.), Man, Law and Modern Forms of Life, 1985, S. 263, 275 f.
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Die Gelegenheit, auf der Rostocker Strafrechtslehrertagung 1995 zu referieren, nutzte ich, um mich inhaltlich mit dem strafrechtlichen Schuldbegriff auseinanderzusetzen, einer Problematik, der ich bisher aus dem Weg gegangen war. Bei dieser Thematik konnte es von vornherein nicht darum gehen, neue Wege zu beschreiten. Ich sah meine Aufgabe darin, auf der Basis meiner analytischen Ausrichtung nach den Bedingungen der Möglichkeit zu suchen, in einer säkularen Gesellschaft berechtigt Schuld zuzuschreiben. Die Idee der Freiheit allein konnte aus meiner Sicht die nötige Berechtigung nicht absichern. Purer Liberalismus entwickelt eine „Zentrifugalkraft“, die die Gesellschaftsmitglieder auseinanderreißt und sie das Grundvertrauen in die wechselseitige Befolgung der eigenen Normen verlieren lässt. Es musste Solidarität als das die Bürger verbindende Moment hinzukommen. Freilich durfte diese Solidarität nicht inhaltlich bestimmt sein, um nicht ideologisch oder gar parteipolitisch aufgeladen zu werden; sie musste formal erfasst werden. Der Einzelne ist, so folgerte ich aus diesen Prämissen, gehalten, die Norm als Ergebnis demokratischer Verständigung zu achten, weil er selbst in seiner Rolle als Staatsbürger in den Prozess der Meinungsbildung eingebunden ist. Gegen die Norm kann nur kommunikativ Stellung genommen werden, mit der Folge, dass sich Schuld als Defizit an kommunikativer Loyalität darstellt, die rechtsförmige Verständigung erst ermöglicht. Strafrecht, so begründet, ist freilich nur in einer Demokratie legitim. Nur in einer demokratisch verfassten Gesellschaft beruhen die Normen des Strafrechts auf dem Gedanken der kommunikativen Autonomie des Einzelnen. Die einmal eingeschlagene Linie, die strafrechtliche Normen- und Zurechnungstheorie unter Rückgriff auf die analytische Philosophie zu durchleuchten und systematisch zu erfassen, habe ich in den folgenden zweieinhalb Jahrzehnten mit einer Reihe von Arbeiten zur allgemeinen Straftatlehre weiterzuverfolgen versucht. Dabei habe ich mich von drei Prämissen leiten lassen. Zunächst sollte stets die lex lata in enger Anlehnung an den Gesetzeswortlaut leitend sein. Da sich aus meiner Sicht weder die Tatherrschafts- noch eine Animuslehre mit diesem Prinzip vereinbaren lassen, war es unausweichlich, in der Beteiligungslehre eine Außenseiterposition zu beziehen. Ferner sollten alle Grundsätze ohne Ausnahmen gelten, insbesondere also jede kasuistische Aneinanderreihung von Fallgruppen ohne einheitliches Definitionskriterium vermieden werden. Schließlich sollte Ockhams Rasiermesser das maßgebliche Kriterium bei der Entscheidung zwischen gleichwertigen Lösungsalternativen sein. 2. Wie schnell diese Prinzipien, an denen ich meine Arbeitsweise ausrichten wollte, an ihre Grenzen stoßen, wurde mir recht bald vor Augen geführt, als ich mich näher mit Problemen des Besonderen Teils zu beschäftigen begann. Denn hier schleppt die Dogmatik bisweilen Relikte aus vergangenen Zeiten mit sich,
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ohne dass deren einstige Begründung noch erkennbar wäre. Als ich, gerade frisch nach Bonn berufen, im Rahmen eines Examensrepetitoriums den Diebstahl behandelte, fragte mich ein Student, warum die Rechtswidrigkeit der Zueignung objektiv festzustellen sei, wenn diese doch nur beabsichtigt sein müsse. Ich konnte dem Studenten keine befriedigende Antwort geben, zumal es nach gängiger Ansicht für den Vorsatz bei der Unterschlagung ausreichen soll, dass der Täter aufgrund mangelnder Rechtskenntnis irrig annimmt, das Tatobjekt sei fremd. Wenn also, wie die Frage des Studenten verdeutlicht, eine objektive Bestimmung der Rechtswidrigkeit der Zueignung aus logischen Gründen nicht mit der subjektiv zu bestimmenden Zueignung zu vereinbaren ist, kann es für den Widerspruch nur eine Erklärung geben: Der Diebstahl hatte ursprünglich eine andere Struktur als diejenige, die er nach heute vorherrschender Ansicht hat. Wer sich näher mit den Eigentums- und Vermögensdelikten befasst, wird alsbald mit weiteren Tatbestandsauslegungen konfrontiert, die aus sich heraus unverständlich sind und zudem eine Fülle von Folgeproblemen zeitigen. Beispielsweise bedingt die Annahme der Erforderlichkeit eines kollusiven Zusammenwirkens zwischen Vortäter und Täter bei der Hehlerei, dass dieses Delikt jedenfalls ausscheidet, wenn dem Vortäter die von ihm rechtswidrig erlangten Vorteile mit (absoluter) Gewalt entzogen werden. Um den Täter hier nicht straflos zu lassen, behandelt die h. M. das vom Vortäter rechtswidrig Erlangte als dessen vom Recht zu schützendes Vermögen. Das Erfordernis eines kollusiven Zusammenwirkens lässt sich jedoch dem Wortlaut des Hehlereitatbestandes, man mag es drehen und wenden, wie man will, nicht entnehmen.
Die Frage des Studenten im Examinatorium veranlasste mich, den Besonderen Teil, beginnend mit den Vermögensdelikten, unter zwei Fragestellungen näher zu betrachten: Zum einen nach der Anwendbarkeit der Regeln des Allgemeinen Teils auf die Auslegung einzelner Delikte, zum anderen auf eine möglichst widerspruchsfreie Systematisierung der diversen Deliktsbereiche ohne Eingriff in den jeweiligen Gesetzestext. Die erstgenannte Zielsetzung schien mir in hohem Maße ertragreich zu sein. So bot sich etwa die Möglichkeit, die Täuschung beim Betrug mit Hilfe der Lehre von der objektiven Zurechnung auf Fälle der Schaffung eines unerlaubten Risikos zu beschränken. Oder es ließe sich, so vermutete ich, eine klare Grenze zwischen Sachbetrug und Diebstahl mit Hilfe der Kriterien mittelbarer und unmittelbarer Täterschaft ziehen. Bei solchen „Experimenten“ ist jedoch von vornherein zu bedenken, dass sich die Dogmatik des Allgemeinen Teils beträchtlich von derjenigen des Besonderen Teils unterscheidet. Die allgemeine Straftatlehre bewegt sich auf einer metasprachlichen Ebene, d. h. sie rekonstruiert modellhaft das strafrechtlich relevante
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Geschehen als Gegenstand eines strafwürdigen Schuldvorwurfs. In diesem Sinne ist „Schuld“ keine Beschreibung einer empirisch vorgegebenen Größe, sondern Inbegriff strafbarer Verantwortlichkeit für einen Normbruch als Voraussetzung einer strafrechtlichen Sanktion. Die den Gegenstand dieses Vorwurfs konstituierenden Elemente werden nicht klassifikatorisch erfasst und dann addiert, sondern im Modell des Deliktsaufbaus nach Maßgabe askriptiver und präskriptiver Regeln aufeinander bezogen. So ist etwa die Unterteilung eines Tatbestands in eine objektive und eine subjektive Seite keine Bezeichnung zweier Ereignisse, die sich logisch unabhängig voneinander beschreiben ließen und dann in der Summe die Voraussetzungen des Begriffs „Vollendung“ erfüllten. Vielmehr sind Vorsatz und Fahrlässigkeit Kriterien der subjektiven Zurechnung eines Geschehens unter der Beschreibung des objektiven Tatbestands. Die Dogmatik des Besonderen Teils beschränkt sich dagegen auf die Auslegung einzelner Delikte und die Bestimmung der Charakteristika des jeweiligen Deliktstyps. Zwar kann die Auslegung des Tatbestands die Einbeziehung umgangssprachlicher, systematischer, teleologischer oder historischer Aspekte erfordern. Stets geht es aber nur um die Klärung der intensionalen Bedeutung von Tatbestandsmerkmalen, also um die Bestimmung ihrer Anwendungsbedingungen, wobei man häufig nicht um eine mehr oder minder akzeptabel begründete Dezision herumkommt. Ob zu einer Bande mindestens drei Personen gehören und wie viele ihrer Mitglieder am Tatort zusammenwirken müssen, damit von einer bandenmäßigen Tatbegehung gesprochen werden kann, ist logisch nicht vorgegeben. Ein theoretischer Zugriff auf den Besonderen Teil lässt sich daher nicht selten nur durch die Inanspruchnahme einer gewissen Plausibilität rechtfertigen, ein schwaches Argument, zumal dann, wenn sich die Gegenauffassung auf eine lange, Rechtssicherheit vermittelnde Judikatur stützen kann. Meine eigenen Versuche auf diesem Gebiet habe ich daher stets nur als Diskussionsvorschläge verstanden, etwa bezüglich der Vereinheitlichung der Kriterien eines Vermögensschadens durch den Gedanken der Zweckverfehlung. Mit der Zusammenfassung meiner Untersuchungen zum Vermögensstrafrecht und zum Sanktionenrecht der EU in den „Abhandlungen zum Vermögensstrafrecht“ habe ich einen Schlussstrich unter dieses Arbeitsgebiet gezogen. 3. Juristische Forschung lässt sich aus meiner Sicht in keiner literarischen Gattung so angemessen erfassen wie in großen Kommentaren. Wer sie zur Hand nimmt, erwartet eine möglichst umfassende Information über die historischen Wurzeln eines dogmatischen Problems und dessen Behandlung in der heutigen Diskussion. Diese Form der Darstellung zwingt aber auch den Autor, seinen eigenen Standpunkt dahingehend zu überprüfen, ob dieser den bisherigen Lösungsansätzen, namentlich der vorherrschenden Doktrin, gerecht zu werden vermag.
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Bei meiner Mitarbeit am Nomos-Kommentar zum StGB wie auch am Frankfurter Kommentar zum Kartellrecht habe ich mich stets bemüht, beim Leser nicht den Eindruck aufkommen zu lassen, vom Autor einseitig informiert oder sogar indoktriniert zu werden. Zudem lohnt sich nach meiner eigenen Erfahrung die Mühe, einen Kommentar selbst zu schreiben oder als Herausgeber eines Kommentars den gesamten einschlägigen Rechtsstoff im Blick zu haben, um Zusammenhänge erkennen zu können, über die man sonst leicht hinwegsieht. Beispielhaft mag es insoweit sein, einmal die Fragwürdigkeit eines „wirtschaftlich“ – und das heißt hier: nicht strikt rechtlich – ausgerichteten Vermögensschutzes vor dem Hintergrund der staatlichen Berechtigung zu Einziehung und Vermögensabschöpfung zu sehen. Auch Lehrbücher sollten meines Erachtens primär einer möglichst unvoreingenommenen Information des (studentischen) Lesers dienen. Von meiner ersten Vorlesung an habe ich den Hörern ein Manuskript an die Hand gegeben, in dem der zu behandelnde Stoff recht breit und mit Vertiefungen dargestellt war. Von Semester zu Semester habe ich versucht, das jeweilige Manuskript zu straffen und verständlicher zu gestalten, ohne dabei die darin enthaltenen Informationen zu reduzieren. Nach mehreren Jahren ergaben sich auf diese Weise relativ dichte Darstellungen, die nunmehr vom Nomos Verlag als Kurzlehrbücher publiziert werden. In diesen halte ich eigene Stellungnahmen zu Judikatur und herrschender Meinung nur dort für sinnvoll, wo sie sich im Kontext der bereits dargelegten Argumente unschwer verständlich machen lassen. Dort jedoch, wo eine abweichende Ansicht ausgreifend begründet werden muss, um dogmatisch hinreichend abgesichert zu sein, bedarf ein (halbwegs) kurzes Lehrbuch, das zur Vorbereitung eines juristischen Examens und nicht zur Weltverbesserung taugen soll, einer Selbstbeschränkung des Autors. Gewiss ließe sich zur Vermeidung des Dilemmas, das eigene Lehrbuch nicht strikt an der eigenen „Lehre“ auszurichten zu können, die Konsequenz ziehen, nur monographisch zu arbeiten und keine Studienliteratur zu schreiben. Ich habe diese Konsequenz nicht gezogen, weil mir daran gelegen war, meinen Hörern auch eine dem didaktischen Konzept meiner Lehrveranstaltungen entsprechende Darstellung des Stoffs an die Hand zu geben. 4. In meinen Lehrveranstaltungen habe ich mich stets bemüht, die Hörer auch darauf hinzuweisen, dass der Gegenstand der Beschäftigung, das Strafrecht, eine für die Freiheit des Bürgers durchaus gefährliche Materie ist; wir handhaben das dogmatische Geschirr in einer Giftküche. Die Frankfurter Fakultät hatte in ihrem Lehrplan zur Zeit meiner dortigen Lehrstuhlvertretung die Besonderheit vorgesehen, dass der eigentliche dogmatische Stoff erst ab dem zweiten Semester gelesen wurde, die Erstsemester aber zunächst mit Grundlagenveranstaltungen an das Jurastudium herangeführt wurden, etwa mit Rechtsgeschichte, Wissenschaftstheo-
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rie und Rechtssoziologie. Ich halte diese Planung des Studiengangs für hilfreich, um es den Studenten zu ermöglichen, von vornherein mit einer gewissen kritischen Distanz an ihr neues Fach heranzugehen. Noch besser wäre es aus meiner Sicht freilich, wenn dem Rechtsstudium wie in der mittelalterlichen Universität die Befassung mit artes liberales vorgeschaltet wäre, zu denen jedenfalls aus dem ehemaligen Trivium Grundlagen der Semantik und der Logik gehören sollten. Mit der heutigen Freischussmentalität einer am Modell der Berufsschule ausgerichteten Universitätspolitik sind solche Freiräume indessen a priori nicht zu vereinbaren.
III. Auslandsbeziehungen Kontakte nach Spanien und Portugal und später nach Südamerika gehörten von Anfang an wie selbstverständlich zu meinem wissenschaftlichen Werdegang. Tiedemann war weltweit ein Vordenker des Wirtschaftsstrafrechts und betreute in seinem Freiburger Institut, das bisweilen einem Taubenschlag glich, mit Rat und Tat Nachwuchs- und Gastwissenschaftler aus aller Welt, vor allem auch aus Lateinamerika. So lernte ich schon als junger Assistent Kollegen aus der spanischsprachigen Welt kennen, mit denen ich über Jahrzehnte in Kontakt blieb. Diese internationale Ausrichtung setzte sich bruchlos mit meinem Wechsel nach Bonn fort, das aufgrund der Attraktivität der dort Lehrenden ebenfalls eine besonders beliebte Ausbildungsstätte für den wissenschaftlichen Nachwuchs aus Lateinamerika und Ostasien war. Während bei Tiedemann in Freiburg das Wirtschaftsstrafrecht im Zentrum des Interesses stand, waren dies nun in Bonn die allgemeine Straftatlehre und die philosophischen Grundlagen des Strafrechts. Nach mehreren Aufenthalten in Spanien, vor allem an den Universitäten Barcelona und Madrid, besuchte ich 1995 zum ersten Mal ein Symposium in Kolumbien, zu einer damals besonders schweren Zeit für dieses Land. Seitdem unternehme ich jährlich oft mehrere Wochen dauernde Reisen durch nahezu alle Länder Südamerikas, zuletzt auch nach Mexiko, mit wissenschaftlichen Symposien, Fortbildungsveranstaltungen für Anwälte und Richter oder Vorträgen und Seminaren für Studenten. Im Jahre 2013 wurde ich von der Renmin Universität in Peking zum Gastprofessor ernannt und halte mich seither jährlich auch für zwei bis drei Wochen zu Vorträgen an verschiedenen Forschungseinrichtungen in China auf. Mehrmals habe ich dort zusammen mit meiner Frau, die Professorin für Musikwissenschaft an der Universität Koblenz-Landau ist, Doppelvorträge zu fachübergreifenden Themen gehalten, etwa zum Begriff der Ordnung in Musik und Recht. Bei solchen Auslandskontakten, die sich mit der Zeit auch auf weitere Länder – etwa Korea, Japan, Georgien, Türkei, Griechenland und Thailand – er-
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streckten, können Ehrungen wie Ernennungen zum Honorarprofessor oder Ehrendoktor nicht ausbleiben. Eine erfreuliche Folge ist zudem, dass die eigenen Arbeiten übersetzt werden, in meinem Fall in über zehn Sprachen. Zu meiner Freude entfaltete die in Bonn betriebene Strafrechtswissenschaft auch nach der Emeritierung von Hans-Joachim Rudolphi und Günther Jakobs keine geringe Anziehungskraft auf ausländische Kollegen. Das Strafrechtliche Institut konnte so weiterhin einer Vielzahl von Humboldtstipendiaten, Doktoranden und Magisterstudenten die Möglichkeit bieten, ihre jeweiligen Forschungsvorhaben, insbesondere auf den Gebieten der allgemeinen Straftatlehre und des Vermögensstrafrechts, zu verwirklichen. Gern unterstütze ich auch Strafrechtler an anderen deutschen Universitäten, solche Kooperationen fortzuführen und nach Möglichkeit in institutionalisierte Bahnen zu lenken. Es ist gleichwohl meine große Sorge, dass maßgebliche jüngere Repräsentanten der deutschen Strafrechtswissenschaft das Interesse an einem steten Gedankenaustausch mit Lateinamerika und Ostasien zugunsten einer alleinigen Hinwendung in die anglo-amerikanische Sphäre verlieren könnten.
Schriftenverzeichnis (in Auswahl) 1. Selbständiges Schrifttum Intentionale Handlung. Sprachphilosophische Untersuchungen zum Verständnis von Handlung im Strafrecht, 1980. Gefährdung als Straftat. Rechtstheoretische Untersuchungen zur Dogmatik der abstrakten und konkreten Gefährdungsdelikte, 1989. Pena y culpabilidad en el estado democrático de derecho, Buenos Aires (Argentinien) und Montevideo (Uruguay), 2. Aufl. 2011 (zusammen mit Juan Pablo Mañalich Raffo). O Sentido e o Conteúdo do Bem Jurídico Vida Humana, Coimbra (Portugal) 2013 (zusammen mit José de Faria Costa). Abhandlungen zum Vermögensstrafrecht, 2018. Analytische Strafrechtswissenschaft, 2021.
2. Kommentierungen Nomos Kommentar zum Strafgesetzbuch, §§ 32, 33; Vor § 242–§ 248c; Vor § 249–§ 256; §§ 263, 263a; § 266; § 266b; Vor § 283–§ 283d; § 291, 1.–5. Aufl. 2017.
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Frankfurter Kommentar zum Kartellrecht, Art. 81 EGV: Bußgeldrechtliche Folgen mit Verfahrensrecht; Art. 15 VO 17/62; Art. 14 VO 4064/89/FKVO, Stand 2013; fortgeführt von Frank Meyer. Strafgesetzbuch. Lehr- und Praxiskommentar, 7. Aufl. 2017; ab 8. Aufl. fortgeführt von Eric Hilgendorf.
3. Lehrbücher Strafrecht Allgemeiner Teil, 8. Aufl. 2017; ab 9. Aufl. fortgeführt von Till Zimmermann; 6. Aufl. in chinesischer Übersetzung von Cai Guisheng, Beijing (China) 2015. Strafrecht Besonderer Teil I, Straftaten gegen Persönlichkeitsrechte, Staat und Gesellschaft, 8. Aufl. 2017; ab 9. Aufl. fortgeführt von Edward Schramm. Strafrecht Besonderer Teil II, Straftaten gegen Vermögensrechte, 9. Aufl. 2016; ab 10. Aufl. fortgeführt von Martin Böse. Strafprozessrecht, 4. Aufl. 2015; ab 5. Aufl. fortgeführt von Kay H. Schumann.
4. Aufsätze in Zeitschriften und Sammelwerken Basis-Handlungen, Rechtstheorie 1980, S. 479–495. Zur Definition qualitativer und komparativer Begriffe, Rechtstheorie 1981, S. 226–248. Kausalanalyse und Handlungszuschreibung, GA 1982, S. 477–498. Der Vorsatz als Zurechnungskriterium, ZStW (96) 1984, S. 1–35. Rohe Tatsachen und normative Tatbestandsmerkmale, JA 1984, S. 465–478, 672. Rügepräklusion durch Schweigen im Strafverfahren, NZSt 1987, S. 529–535. Das Beweismaß des Strafverfahrens. Zur Auslegung von § 261 StPO, JA 1988, S. 290–296. Personalität, Schuld und Vergeltung. Zur rechtsethischen Legitimation und Begrenzung der Kriminalstrafe, GA 1989, S. 493–507. Zur Unterscheidung von Tat- und Rechtsirrtum, GA 1990, S. 407–423. Sicherheitsstrafrecht – Gefahren des Strafrechts in der Risikogesellschaft, Universitas 1992, S. 227–235.
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Rechtstheoretische Grundfragen des Umweltstrafrechts, in: Festschrift für Herbert Helmrich, 1994, S. 967–994. Erlaubtes Risiko und Sorgfaltswidrigkeit. Zur Struktur strafrechtlicher Fahrlässigkeitshaftung, GA 1994, S. 197–223. Zur Rechtfertigung von Pflicht- und Obliegenheitsverletzungen im Strafrecht, Jahrbuch für Recht und Ethik 1994, S. 339–352. Rechtstreue als Schuldkategorie, ZStW (107) 1995, S. 701–733. Handlungs- und normtheoretische Grundfragen der Mittäterschaft, in: Festschrift für Alexander Hollerbach, 2001, S. 627–653. Zur Unterscheidung von Einverständnis und Einwilligung, in: Festschrift für Hans-Joachim Rudolphi, 2004, S. 135–149. Gleichgültigkeit als Vorsatz?, in: Festschrift für Albin Eser, 2005, S. 345–358. Objektive und subjektive Zurechnung beim Vorsatzdelikt, in: Festschrift für Joachim Hruschka, 2005, S. 527–542. Schuld und Strafe. Zur Diskussion um ein „Feindstrafrecht“, in: Festschrift für Friedrich-Christian Schroeder, 2006, S. 81–98. Zum Begriff der Beihilfe, in: Festschrift für Harro Otto, 2007, S. 355–371. Der subjektive Tatbestand im Verbrechensaufbau. Zugleich eine Kritik der Lehre von der objektiven Zurechnung, GA 2007, S. 447–468. Risikoerhöhung und Risikoverringerung, ZStW (120) 2008, S. 481–503. Die deutsche Strafrechtsdogmatik zwischen Anpassung und Selbstbehauptung – Grenzkontrolle der Kriminalpolitik durch die Dogmatik, ZStW (121) 2009, S. 954–964. Strafrechtliche Schuld im demokratischen Rechtsstaat, in: Festschrift für Winfried Hassemer, 2010, S. 761–774. Zum sog. „unerlaubten“ Risiko, in: Festschrift für Manfred Maiwald, 2010, S. 397–416. Normtheoretische Überlegungen zur Einwilligung im Strafrecht, GA 2010, S. 490–506. Zum strafrechtlichen Handlungsbegriff, in: Festschrift für Ingeborg Puppe, 2011, S. 39–63.
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„Wie man Verbrechen vorbeugt“ – Zu Cesare Beccarias Konzeption der Kriminalprävention, in: Festschrift für Claus Roxin, 2011, S. 39–53. Zurechnung bei alternativer Kausalität, GA 2012, S. 134–148. Zur Genese der Formel „das Recht braucht dem Unrecht nicht zu weichen“, in: Festschrift für Wolfgang Frisch, 2013, S. 493–510. Zur möglichen Beeinträchtigung von Strafverfahren durch Medien, in: Festschrift für Jürgen Wolter, S. 979–993. Zur Funktion von Sorgfaltsnormen, in: Festschrift für Bernd Schünemann, 2014, S. 143–156. Zur Kausalität im Strafrecht, in: Festschrift für Walter Kargl, 2015, S. 253–272. Verursachen und Bedingen. Zur Regressverbotslehre Reinhard Franks, in: Festschrift für Hans-Ullrich Paeffgen, 2015, S. 129–151. Zur Notwehr gegen rechtswidrige Vollstreckungsmaßnahmen, HRR-Strafrecht.de Online-Zeitschrift und Rechtsprechungsdatenbank 10 (2016), S. 439–443. Versuch und Wahn, in: Festschrift für Franz Streng, 2017, S. 325–342. Zu Gegenstand und Aufgabe der Strafrechtswissenschaft, in: Festschrift für Keiichi Yamanaka, 2017, S. 443–465. Zu Bierlings Theorie der Erlaubnisnormen, in: Festschrift für Johannes Strangas, 2017, S. 317–330. Zur „Drittwirkung“ strafrechtlicher Verhaltensnormen, in: Festschrift für Ulfrid Neumann, 2017, S. 917–930. Zur Alternativstruktur des strafrechtlichen Kausalbegriffs, in: Rotsch, Thomas (Hrsg.), Zehn Jahre ZIS – Zeitschrift für Internationale Strafrechtsdogmatik, 2018, S. 183–231. Welzels Konzeption sozialer Adäquanz – normtheoretisch betrachtet, in: Festschrift für Rudolf Rengier, 2018, S. 49–58. Versuch und Vollendung – normtheoretisch betrachtet, in: Festschrift für Thomas Fischer, 2018, S. 125–141. Günther Jakobs und Hans Welzel, in: Kindhäuser, Urs u. a. (Hrsg.), Strafrecht und Gesellschaft. Ein kritischer Kommentar zum Werk von Günther Jakobs, 2019, S. 155–193.
Zur Abgrenzung des Irrtums über Tatumstände vom Verbotsirrtum, JuS 2019, S. 953–960.
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Zur limitierten Akzessorietät der Teilnahme, in: Gedächtnisschrift für Herbert Tröndle, 2019, S. 295–311. Zur Logik der Zurechnung. Anmerkungen zum Straftatmodell Joachim Hruschkas, in: Jahrbuch für Recht und Ethik: Strafrecht und Rechtsphilosophie. Zugleich Gedächtnisschrift für Joachim Hruschka, Bd. 27, 2019, S. 383–400. Einige Bemerkungen zu Regel und Regelbruch in Kunst und Recht – Regel und Regelbruch im (Straf-)Recht, in: Liber amicorum für José de Faria Costa, 2020, S. 53–72. Setzt Unrecht Schuld voraus?, in: Festschrift für Reinhard Merkel, 2020, S. 351– 370.
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https://doi.org/10.1515/9783110703016-008
Hans-Heiner Kühne I. Werden 1. Aufwachsen und Erwachsenwerden Ich wurde am 21.8.1943 als Sohn des Amtsgerichtsdirektors Hellmuth Kühne und seiner Ehefrau, der Kinderschwester Erna in Nikolaiken/Ostpreußen geboren. In Folge der Kämpfe des Zweiten Weltkrieges war meine Mutter gezwungen, sich mit meiner vier Jahre älteren Schwester, mir und meiner Großmutter im Winter 1944/45 auf die Flucht in den Westen zu begeben. Mein Vater war zu der Zeit bereits in Kriegsgefangenschaft geraten. Die Flucht, später der „Große Treck“ genannt, führte – zum Teil zu Fuß, zum Teil mit dem Pferdewagen – über das gefrorene Große Haff, ging quer durch die deutsch-russischen Kampflinien und war an Dramatik wohl nicht zu überbieten. Meine Familie, d. h. meine Mutter, meine ältere Schwester, ich und meine Großmutter, gehörte zu den wenigen, die ohne Verluste an Leib oder Leben sich über 1.000 km weit bis nach Berlin durchkämpfen konnten. Ich selbst habe an diese schwere Zeit keine Erinnerung, habe aber von meiner Mutter immer wieder gehört, dass sie von der Roten Armee immer sehr korrekt behandelt worden sei – bei versuchten Übergriffen sei vom jeweils kommandierenden Offizier stets schnelle Hilfe gewährt worden.
In Berlin angekommen, entschloss sich meine Mutter wegen des unklaren Status der Stadt weiter in den Westen zu gehen und bei Verwandten in Hannover Unterschlupf zu finden. Trotz mannigfaltiger Schwierigkeiten gelang dies. In Hannover lebten wir erst zu viert, dann nach der Rückkehr meines Vaters aus der Kriegsgefangenschaft im Jahre 1946 zu fünft in zwei kleinen Zimmern einer großen mit drei weiteren Familien belegten Wohnung. Die Umstände waren schwierig und meine Eltern versuchten mit unterschiedlichen Gelegenheitsarbeiten (mein Vater insbesondere als Tiefbauarbeiter) die Familie am Leben zu erhalten. Meine spätere Leidenschaft für das Strafrecht mag mit begründet worden sein durch den Umstand, dass ich im Winter meiner Mutter durch „Schmiere Stehen“ dabei helfen musste, einen Rucksack Kohle vom Gebiet der Reichsbahn in Hannover zu stehlen. Wegen der extrem schwierigen Ernährungssituation wechselte die Familie kurzfristig aufs Land in die Lüneburger Heide, wo meine Eltern als Magd und Knecht bei einem Bauern zumindest genug verdienten, um die Familie satt zu machen. Die Familie eines Onkels väterlicherseits war dort schon vorher angekommen und half.
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Für mich war diese Zeit eher unbeschwert, weil ich keinen so großen Hunger mehr litt und mit meiner Cousine Jutta durch Felder und Wälder streifen konnte. Um seine Wiederanstellung als Richter zu betreiben, wechselte mein Vater 1947 mit der Familie wieder zurück nach Hannover. Dort war die Versorgung immer noch überaus schlecht, was dazu führte, dass ich von einem amerikanischen Hilfsprogramm ausgewählt wurde, um meine Unterernährung in einem Kinderheim auf Norderney zu bekämpfen. Dort litt ich jedoch unter dem lieblosen Regime der Nonnen und dem steten Fischkonsum so sehr, dass ich zu sterben drohte und mit einem amerikanischen Hubschrauber in ein Krankenhaus in Cuxhaven gebracht wurde. Dort war es die freundliche Zuwendung zweier anderer Patienten, einem Zirkusclown und einem ehemaligen Soldaten der Fremdenlegion, die meinen Lebensmut wiederherstellten und mich gesunden ließ. Wieder in Hannover, begann sich unsere Lage zu verbessern. Nachdem mein Vater im Verfahren der Entnazifizierung als unbelastet eingestuft worden war, wurde er wieder als Richter, zunächst im etwa 30 km entfernten Hildesheim, dann am Landgericht Hannover eingestellt, wo er bis zu seiner Pensionierung tätig war. In der Grundschule litt ich unter meiner immer noch schwächlichen Statur und beschloss dies zu ändern, indem ich in einen Turnverein eintrat. Stetiges Training brachte mir dann die ersehnte Körperbeherrschung, die mich später mit 17 Jahren zum Gewinn der Hannoverschen Stadtmeisterschaften im Kunstturnen führte. Ein zwölfmonatiges Boxtraining machte mich dann auch immun gegen diejenigen Mitschüler, die versuchten, mich wegen meiner guten Schulleistungen als Streber anzuschwärzen und zu mobben. Insofern war meine Schulzeit sowohl in der Grundschule als auch danach am Leibnitz-Gymnasium unbeschwert. Meine weitere sportliche Vorliebe bestand im Reiten. Da die familiäre Situation nie durch großen Überfluss gekennzeichnet war – schließlich hatten wir alles verloren und mussten langsam wieder eine bürgerliche Existenz aufbauen – konnte ich mir während meiner Schul- und Studienzeit nie ein eigenes Pferd leisten, durfte aber auf Pferden befreundeter Reiter so manchen Turniersieg im Dressurviereck erringen. Sehr viel später, in Trier, hatte ich mehrere Jahre die Gelegenheit in einem Trakehner-Gestüt junge Pferde zuzureiten. Noch später, mit 50, nahm ich dann anlässlich meiner Bestellung zum Professor an der Westminster Universität zu London die Gelegenheit wahr, den Pferdesport als Polo in Richmond weiterzuführen. Meine Mutter hatte darauf bestanden, dass ich das Geigenspielen erlernen sollte. Dies tat ich zunächst mit nicht unerheblichem Widerwillen im Alter von elf Jahren. Erst eine drei Jahre danach von der niedersächsischen Landesregierung orga-
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nisierte Musikfreizeit für Jugendliche im ehemaligen Jagdschloss Kaiser Wilhelms in der Göhrde, brachte den Umschwung. Ich hatte Glück, dass zu dem Zeitpunkt das Angebot an jungen Streichern äußerst knapp war, so dass ich mich für die Beteiligung qualifizieren konnte – eine ganze Woche zusätzlicher Ferien lockte. Unter kundiger musikalischer Leitung entdeckte ich plötzlich die Liebe zur Musik und zu meinem Instrument. Ich übte das erste Mal in meinem Leben wie besessen. So kam es, dass ich als zweite Geige letztes Pult anfing und das Abschlusskonzert in Hannover kurz vor Weihnachten als Konzertmeister gestalten durfte. Wenig später gründete ich ein Streichquartett und ein Kammerorchester, welch letzteres ich im Barocken Stil vom ersten Pult aus leitete. Die Auftritte beider Klangkörper wurden in der städtischen Presse sehr positiv aufgenommen, was zu mehreren externen Engagements führte. Da mich der Direktor des Leibnitz-Gymnasiums in meinem musikalischen Bemühen sehr förderte, war es mir immer häufiger möglich, auch während der Schulzeit als Solist oder Konzertmeister anderer Orchester Engagements anzunehmen, die mich durch Europa führten. Im Alter von 16 Jahren besuchte mich der damalige Direktor der staatlichen Musikhochschule Hannover, Sergej Prohaska, um mich nach Abschluss der Mittleren Reife zu einem Violinenstudium zu überreden. Obwohl ich ablehnte, veranlasste er, dass ich kostenlosen Unterricht von einem seiner Professoren erhielt, was mich deutlich weiter brachte. Kurz vor dem Übergang in die letzte, die 13. Schulklasse, meinte ich, dass die noch vor mir liegenden schulischen Anforderungen auch nebenher zu erledigen seien. Nun ging ich zu Prof. Prohaska und bot ihm an, sogleich im kommenden Sommersemester, aber zugleich noch als Schüler der 13. Klasse, mein Violinenstudium an der Hochschule zu beginnen, wenn ich denn dafür eine Ausnahmegenehmigung vom Kultusministerium erhalten würde. Diese kam dann nach Befürwortung auch des Rektors meiner Schule kurzfristig und ich begann mein Studium im Sommersemester 1962. Die Aufnahmeprüfung wurde bei alledem schlicht vergessen, aber aufgrund der Drohung mit einer Konkurrentenklage eines abgewiesenen Geigers gleichsam im Rahmen eines privatissime Seminars nachgeholt. Nach Absolvierung des Abiturs wechselte ich an das Stern’sche Konservatorium zu Berlin, wo ich allerdings eine offizielle Aufnahmeprüfung absolvieren musste. Einer Einberufung zur Bundeswehr entging ich aufgrund des Musikerprivilegs, welches dazu diente, dem jungen Musiker die feinmotorischen technischen Fähigkeiten erwerben zu lassen, die er in späteren Jahren nicht mehr fähig ist zu erlernen. Dass ich knapp 20 Jahre später freiwillig zur Bundeswehr gehen und ein Offizierspatent erwerben würde, ahnte ich damals noch nicht.
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Nach Abschluss meines Berliner Studiums verdiente ich mir weiter mein Geld mit der Geige, erkannte aber, dass dies nicht mein Lebensinhalt sein konnte – auch wegen des Verletzungsrisikos durch das immer noch von mir betriebene Kunstturnen. Ich belegte einige Hospitanten-Kurse für Dirigenten, die in Berlin u. a. auch von Herbert von Karajan angeboten wurden. Diese Verbreiterung meines musikalischen Gestaltungswillens empfand ich als sehr befriedigend, merkte aber, dass intellektuell noch Defizite vorhanden waren. Also beschloss ich, diese durch ein weiteres Studium, welches meinem Plan nach dem Studium des Dirigierens vorangestellt werden sollte, zu kompensieren. Nach enttäuschenden Versuchen in der Philosophie fand ich zur Rechtswissenschaft, deren Struktur mir geeignet erschien, klares und eigenständiges Denken zu schulen. Eine Vorstellung, die sich für mich vollständig bestätigen sollte.
Da ich mich in Berlin kaum hinlänglich von meinen vielfältigen musikalischen Aktivitäten distanzieren konnte, um ein schnelles und intensives Jura-Studium zu absolvieren, wechselte ich an die Universität des Saarlandes. Dies war wegen persönlicher Beziehungen nach Paris ein zumindest lokal sehr passender Platz. Aufgrund vorangegangener Einschreibungen an der FU und meines Studiums der Musik wurden mir zwei Semester angerechnet, weshalb ich nach fünf Semestern mein Erstes Staatsexamen am Landesprüfungsamt des Saarlandes bestehen konnte. Diese fünf Semester waren geprägt von größter Arbeitsbelastung, Selbstzweifeln und finanziellem Druck. Jede musikalische Betätigung hatte ich mir verboten, weshalb mir in dieser Zeit auch der Trost der Musik fehlte. Allerdings gab es bereits nach dem vierten Semester ein Ereignis, welches mein Selbstvertrauen ein wenig bekräftigte und auch die finanzielle Situation erkennbar verbesserte. Nach einem Seminarvortrag bei meinem späteren akademischen Lehrer Kielwein, nahm mich der damalige Lehrstuhlassistent und spätere Starverteidiger Egon Müller bei Seite, um mich nach meinen beruflichen Plänen zu fragen. Ich erzählte, dass ich vorhätte, nach dem Examen meine Ausbildung als Dirigent weiter zu betreiben. Egon Müller war, ohne es mir zu sagen, durchaus anderer Ansicht und veranlasste Herrn Kielwein, mich mit einer halben Assistentenstelle an den Lehrstuhl zu binden, um gleichsam den Köder für eine akademische Karriere auszulegen, für die er mich geeignet sah. Da Kielwein als ehemaliger Rektor der Universität noch gute Kontakte hatte, war es ihm unter Berufung auf mein abgeschlossenes Musikstudium möglich, mir trotz Fehlens des Ersten Staatsexamens eine halbe BAT IIa Stelle anzubieten, die ich freudig annahm. Dies führte zu der ungewöhnlichen Konstellation, dass ich als Student Herrn Kielwein, der dann das Amt des Generalsekretärs des DAAD annahm, in Vorlesungen zu vertreten hatte. Wiederum war es Egon Müller, der mich hier mit der ihm eigenen Kraft stützte.
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All das aber führte zu Frust und Neid bei vielen examinierten Assistenten, die dann voller negativer Vorfreude auf das Ergebnis meines Ersten Staatsexamens warteten. Das erzeugte zwar wiederum einen gewissen Druck, hinderte mich aber nicht, das Jahresbest-Examen abzulegen. Obwohl ich entschlossen war, zur Musik zurückzukehren, veranlasste mich Herr Kielwein dazu, noch zu promovieren. Das Argument schien mir überzeugend: Als Dirigent sei man im Regelfall auch administrativer Leiter in der Position des Generalmusikdirektors; da würde ein Dr. iur. vor dem Namen nicht schädlich sein. Ich suchte mir ein Thema, stellte es vor und verabredete, dass nach zwölf Monaten die Abgabe sein sollte; dafür versprach Herr Kielwein die Arbeit in diesem Falle innerhalb von zwei Wochen korrigiert zu haben. Mittlerweile hatte ich auch eine volle Assistentenstelle, die mich wenig belastete und mir viel Raum zur Erstellung meiner Dissertation bot. Nach zwölf Monaten auf den Tag genau, gab ich die Arbeit ab, die mir Herr Kielwein dann innerhalb von nur sieben Tagen korrigierte, abzeichnete und damit das Promotionsverfahren in Gang setzte. Da auch das Zweitgutachten nicht lange auf sich warten ließ, war ich drei Monate nach der Abgabe promoviert. Meiner geplanten Rückkehr nach Berlin und zur Musik stellte sich nun ein besonderes Problem entgegen. Die Arbeit hatte den Universitätspreis erhalten, weshalb mich Herr Kielwein – wie offenbar schon zuvor von ihm und Herrn Müller geplant – bat zu bleiben, die Habilitation anzustreben und Professor zu werden. Dies war der „point of no return“, ich musste mich entscheiden. Wie bekannt, habe ich mich dann für die akademische Laufbahn entschieden – und habe es nie bedauert. Also nahm ich die Geige wieder aus dem Schrank, um sehr entspannt und privat wieder ein wenig zu spielen und begab mich in den Referendardienst, ohne meine Position als Assistent zu verlieren. Beides erwies sich als belohnend. Ich fand einen großartigen Pianisten (Hans Clasen, Gieseking-Schüler), der bereit war, mit mir privat wie auch gelegentlich öffentlich Violinensonaten des 19. und frühen 20. Jahrhunderts, zu spielen – ein Vergnügen, welchem ich mit unterschiedlichen Begleitern noch heute fröne. Der Referendardienst hinwiederum stellte sich als überaus lehrreich dar. Heute weiß ich, dass nirgendwo sonst in der Welt dem jungen Juristen ein so umfänglicher Einblick in die wichtigsten juristischen Arbeitsfelder gestattet wird, wodurch der juristische Diskurs zwischen den unterschiedlichen Akteuren vor Gericht oder anderswo auf ein sehr professionelles Niveau auf Augenhöhe gehoben wird. Folglich fiel es mir nicht schwer, auch das Zweite Staatsexamen mit der Rangnummer 1 zu bestehen.
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Interessant war dabei freilich ein Detail. Die Assistenzprofessuren waren vom Gesetzgeber geschaffen worden, damit man eigenständige Lehrerfahrung sammeln und zugleich seine Habilitationsarbeit anfertigen konnte. Auch in meiner Fakultät sollten diese Positionen eingeführt werden. In diesem Zusammenhang wichtig für mich wurde der Umstand, dass die Fakultät gegenüber der Keio Universität Tokyo eine Bringschuld hatte. Es waren schon drei japanische Kollegen in Saarbrücken gewesen, und Rückeinladungen waren immer abgelehnt worden. Obwohl nun keine Ausrede mehr möglich war, fand sich kein Professor, der bereit gewesen wäre, in das damals so ferne und fremde Japan für ein oder zwei Semester zu reisen. Also hatte man im Professorium den Vorschlag gemacht, als Notlösung und zur Probe einen jungen, abenteuerlustigen Assistenten, also mich, dorthin zu senden. Sollte ich das Ganze unbeschadet überstehen – da ich noch keine Familie hatte, ginge es ja auch nur um ein Einzelschicksal – wäre ja noch immer Gelegenheit für einen ordentlichen Professor gegeben, die beschwerliche Reise anzutreten. Dies berichtete mir dankenswerter Weise Herr Kielwein mit der zusätzlichen Bemerkung: Es gibt keinen anderen Kandidaten, Sie können und sollten so viel als möglich fordern. Er schlug mir in diesem Zusammenhang vor, als eine der Bedingungen die sofortige Ernennung zum Assistenzprofessor zu verlangen. Als dann der Dekan anrief und mich in dieser Angelegenheit nach meiner Bereitschaft fragte, akzeptierte er diese und eine Anzahl anderer Bedingungen. Kurzum: Eine Woche später hatte ich die Ernennungsurkunde in den Händen. Der Termin meiner mündlichen Prüfung im Zweiten Staatsexamen stand allerdings noch aus. So kam es, dass mich wenig später der Vorsitzende des Landesprüfungsamtes in der mündlichen Prüfung mit einer gewissen Süffisanz fragte, ob es denn gestattet sei, einem Professor an diesem Orte Fragen zu stellen. Im Verlaufe der Prüfung gab es aber in dieser Hinsicht keine Spannungen, lediglich am Ende konnte man es sich nicht verkneifen mir einen Zehntel Punkt vorzuenthalten, der mich zu der eher ungewöhnlichen Note des „gut“ geführt hätte. Eine Reise nach Tokyo war im Jahre 1971 ein abenteuerliches Unterfangen mit mindestens zwei Zwischenstopps. Ich nutzte die Gelegenheit und buchte einige weitere Haltepunkte, um mich in Bangkok, Bombay, Singapur, Hongkong und Seoul ein wenig umzusehen. Bemerkenswertes war dann insbesondere aus Seoul und Hongkong zu berichten. Auf dem Flug nach Hongkong lernte ich einen distinguierten Herren kennen, mit dem ich mich sehr gut über europäische Musik unterhalten konnte – ich hatte meine Geige, die ich nicht wieder so lange ablegen wollte, mit im Handgepäck. Als ich während dieser Gespräche erwähnte, dass ich Kriminologe sei und mich insbesondere mit dem Phänomen des Drogenmissbrauchs beschäftigte, fand dies
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mein Gesprächspartner amüsant und bot mir dann an, mich mit seinem Fahrer nicht nur ins Hotel zu bringen, sondern mir den Fahrer auch für die vier Tage meines Aufenthalts zur Verfügung zu stellen. Abends würde er dann – auch mit Geschäftsfreunden – dazu stoßen und nach dem Abendessen mir das wahre Hongkong zeigen. Ich war begeistert. Es zeigte sich dann, dass auch seine Geschäftsfreunde es lustig fanden, dass ich Drogenstudien betrieb. Erst bei dem Kauf eines kostspieligen Andenkens wurden mir die Augen endgültig geöffnet. Wegen des Preises wandte ich mich per Autotelefon an meinen Gönner, der auch prompt kam. Der Geschäftsinhaber begrüßte diesen dann auf den Knien und versicherte, dass er mir als Kunden nur äußerst faire Angebote gemacht habe und machen werde. Nun verstand ich auch, warum wir des Abends in Gebiete von Festland-Hongkong fahren und dort unbesorgt schlendern konnten, die die Polizei nur mit Mannschaftswagen zu betreten wagte. Als ich später in Tokyo im Polizeipräsidium nachforschte, fand ich alle wieder als hochrangige Drogenproduzenten/Drogenhändler und international gesucht. Die Angaben auf den mir übergebenen Visitenkarten waren natürlich falsch. Also konnte ich mich im Nachhinein für die übergroße Gastfreundschaft leider nicht bedanken. Seoul wartete mit einer Überraschung anderer Art auf mich. Im Hotel fand ich die Einladung des Arbeitsministers zum Abendessen. Ich fühlte mich überaus geschmeichelt. Sollte mein Ruf schon so gewaltig sein? Als mich der Regierungswagen abholte, saß darin ein guter alter Bekannter aus Saarbrücker Assistententagen, der bei seiner Promotion von tatkräftiger, mitunter über rein sprachliche Hilfe hinausgehende Unterstützung von Assistenten, zu denen auch ich gehörte, profitiert hatte… Ich war erfreut, ihn wiederzusehen und fragte nach dem Minister. Die Antwort war einfach: „Ich bin der Minister“. Seither weiß ich, wie notwendig und wirksam es sein kann, ausländische Studenten in Deutschland auszubilden/weiterzubilden und ihnen bei den dabei entstehenden Schwierigkeiten hilfreich zur Seite zu stehen. In Tokyo angekommen, wurde ich mit größter Freundlichkeit von Prof. Koichi Miyazawa in Empfang genommen, der mir bis zu seinem Tode vor wenigen Jahren ein väterlicher Freund und Kollege war, mit dem ich viele wissenschaftliche Arbeiten erstellen und veröffentlichen konnte, sowie internationale Tagungen in Japan, Korea, Thailand, Indien, Indonesien und natürlich in Deutschland veranstaltete. Über 30 Jahre lang war ich im Rahmen dieser Kooperation regelmäßiger Gast an der Keio Universität. Miyazawa war es auch, der bei meinem ersten Besuch meine durch Abneigung gegen Fisch beginnende Mangelernährung erkannte – Fleisch war nur überteuert als Kobe-Beef zu kaufen, Milchprodukte gab es damals in ganz Tokyo nur in einem, mir zunächst nicht bekannten Geschäft. Vier bis fünf Mal die Woche gingen wir dann gemeinsam Essen und erfreuten uns
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an Fleisch und Sake, was Koichi Miyazawa auch deshalb sehr zupass kam, weil er so den Diätforderungen seiner Ehefrau Kuniko mit dem schlagkräftigen Argument entgegen treten konnte, er müsse zunächst einmal dem jungen Kollegen helfen. Nach einer persönlich wie auch wissenschaftlich überaus reichen Zeit in Japan, wählte ich den Rückflug über Hawaii, wo ich die Gelegenheit wahrnahm, zehn Tage lang das Wellenreiten zu lernen. Berichtenswerter in diesem Zusammenhang ist aber ein zunächst banal erscheinendes Ereignis. Ich hatte die Erlaubnis erhalten, die Mensa der Universität von Honolulu zu benutzen. Am zweiten Tage meines Aufenthalts stand ich mit meinem Tablett in der riesigen Mensa und fand keinen Platz, bis ich an der einen Seite einen großen Tisch sah, der nur von drei Studenten besetzt war. Ich fragte, ob ich mich setzen dürfe oder ob die Plätze reserviert seien. Da ich zunächst keine Antwort erhielt, wiederholte ich die Frage und wunderte mich ein wenig, dass sehr plötzlich der Lärm der etwa 1000 Gäste verstummt war und man die sprichwörtliche Stecknadel zu Boden hätte fallen hören können. Die Studentin war die erste, die zu einer Antwort ansetzte, die allerdings eher eine Frage war: Ob ich denn Ausländer sei. Ich bejahte dies und sagte, ich sei Deutscher, um sogleich nachzufragen, ob ich denn irgendetwas falsch gemacht hätte. Nun lächelte die Studentin und bejahte dies. Ich sei am Tisch der „Schwarzen Panter“ gelandet und die beiden muskulösen Studenten neben ihr hätten bei einer derartigen Provokation durch einen Weißen mich eigentlich töten müssen. Jetzt verstand ich die Schockstarre des Publikums, fühlte mich aber nicht wirklich bedroht. Deshalb bat ich um Entschuldigung und wollte meine Suche nach einem Platz fortsetzen. Nun aber luden mich die drei doch ein bei ihnen Platz zu nehmen, um über die Probleme der Rassendiskriminierung in den USA, Deutschland und in Europa zu sprechen. Es wurde dann ein gutes Essen mit einem langen Gespräch, zu dem auch noch andere „Schwarze Panter“ kamen. Später verabschiedeten wir uns dann sehr freundlich voneinander, und ich erhielt die Einladung, jederzeit wieder an den Tisch der „Schwarzen Panter“ zu kommen. In den folgenden Tagen hatte diese Geschichte wohl die Runde in Honolulu gemacht, weil mich viele mir unbekannte Schwarze freundlich mit „Hey, brother, how are you“ grüßten und im Hotel einige Gäste fragten, ob ich denn der „crazy German“ sei. Zurück in Saarbrücken widmete ich mich den Vorlesungen und meinen Veröffentlichungen. Es war eine entspannte Zeit. Da ich nach meiner letzten Teilnahme an deutschen Meisterschaften im Kunstturnen zwar mit der saarländischen Mannschaft einen ehrenvollen dritten Platz erreicht hatte, aber zugleich erkennen musste, dass ich mit 30 Jahren die von den jungen Turnern gesetzten Standards nicht mehr erfüllen, geschweige denn übertreffen konnte, sah ich mich nach ei-
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nem anderen Sport um, den ich noch als Leistungssport ausüben konnte. Das Fallschirmspringen bot sich an. Hier konnte ich im freien Fall dem Wirken der Schwerkraft für bis zu 70 Sekunden (je nach Höhe des Absprungs) entkommen, etwas, was beim Kunstturnen immer nur für Bruchteile von Sekunden möglich ist. In den folgenden 35 Jahren absolvierte ich über 2.000 Sprünge und siegte in vielen nationalen wie internationalen Wettbewerben wie auch zwei Mal bei deutschen Meisterschaften in meiner Disziplin des Zielspringens. In diesem Zusammenhang ergab es sich auch, dass ich eine der ersten Lizenzen für Flugdrachen in Deutschland erwarb. Als Ende der 1970er-Jahre die Möglichkeit, militärische Fluggeräte zum Training zu benutzen, auf Angehörige der Bundeswehr begrenzt wurde, sah ich mich als einziger Zivilist in der Nationalmannschaft von einem erheblichen Trainingsdefizit bedroht. Ich stellte daher beim Bundesverteidigungsminister den Antrag, mir die Gelegenheit zu geben, als Externer, also nicht mehr Wehrpflichtiger, ein Offizierspatent zu erlangen. Dem Antrag wurde entsprochen. Ich musste einen sechswöchigen Probedienst als Oberleutnant absolvieren, nach dem ich dann durch weitere Wehrdienstleistungen diesen Dienstgrad endgültig zugewiesen bekam und später zum Hauptmann befördert wurde. Diese Zeit eröffnete mir nicht nur ideale Trainingsbedingungen zum Fallschirmspringen, sondern ergab auch wichtige Einsichten in die Parallelwelt der Bundeswehr. Insbesondere gemeinsame Übungen mit den Amerikanern oder der französischen Legion machten mir deutlich, dass die Bundeswehr als Friedensheer sehr hohen rechtsstaatlich-demokratischen Anforderungen entsprach. Allerdings erschienen mir die Organisationsstrukturen als veraltet und überwiegend ineffizient. Viele der Skandale und Probleme, mit denen heute (2019) die Bundesverteidigungsministerin wie auch ihre Vorgängerin zu kämpfen hat, haben hier ihren Ursprung. Das Jahr 1978 war durch zwei überaus wichtige Ereignisse gekennzeichnet. Ich heiratete meine Frau Monika (damals Rechtsreferendarin, heute Rechtsanwältin) und schloss meine Habilitation an der Universität des Saarlandes ab. Meine Ehe erwies sich als Glücksfall und bescherte uns zwei Söhne. Der Ältere promovierte in Naturwissenschaften und wurde Geschäftsmann in Zürich, der Jüngere promovierte in Rechtswissenschaften und ist erfolgreicher Anwalt für gewerblichen Rechtsschutz in einer Münchner Großkanzlei geworden. Die Habilitation öffnete mir dann wie geplant den Weg in die ordentliche Professur.
2. Die akademische Karriere Wegen des Auslaufens meiner Stelle als Assistenzprofessor nahm ich die Position als Richter am Landgericht Saarbrücken ein, die ich nach dem Ruf auf einen
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„Lehrstuhl für Strafrecht, Strafverfahrensrecht und Kriminologie“ an der Universität Trier im Herbst des Jahres 1981 nach nur sechs lehrreichen Monaten aufgab. Die Lehrstuhlbezeichnung änderte ich 1994 wegen einer Verschiebung meiner Forschungsinteressen in „Lehrstuhl für Deutsches, Europäisches und Internationales Strafrecht und Strafprozessrecht, Kriminologie“. In Trier übernahm ich u. a. die Betreuung des Erasmus-Programms, was mir unerwartete Einsichten ins Europäische Recht wie auch das der vielen Partnerländer brachte. In diesem Zusammenhang nahm ich Vortrags- und Lehrverpflichtungen an vielen Universitäten in Frankreich, den Niederlanden, Portugal, Schweden, Spanien, der Türkei und Ungarn wahr. Dies führte zu einer Ernennung an der Juristischen Fakultät der Westminster Universität, London zum Professor ohne Lehrverpflichtung. Gleichwohl bot ich bis zu meiner Pensionierung im Jahre 2008 dort regelmäßig Seminare zu den Themen Human Rights, European Criminal Law und German Criminal Law an.
An der Universität Trier versah ich 1987/89 das Amt des Prodekans und Dekans der Juristischen Fakultät sowie 1991 bis 1994 das Amt des Vizepräsidenten für Forschung und Lehre. Wegen meines europäischen Engagements erhielt ich die Ehrendoktorwürde von den Universitäten Miskolc, Ungarn, Kültür, Istanbul und der staatlichen Universität Athen. Aus Anlass meines 70. Geburtstags im Jahre 2013 widmeten mir Schüler und befreundete Kollegen eine Festschrift, die 2013 bei C.F. Müller erschien.
II. Werke und Wirken Ich sehe meine Beiträge zur Strafrechtswissenschaft vorwiegend auf den Gebieten der Kriminologie sowie des nationalen wie europäischen Strafverfahrensrechts, einschließlich der Menschenrechte. Dabei ist mein wissenschaftliches Denken vor allem auf die sinnhafte und logisch begründbare Anwendungssituation rechtlicher Vorschriften und Konstrukte gerichtet. Theoretische Systeme habe ich immer nur als Wege zu vernünftigen Ergebnissen, nicht aber als Werte an sich betrachtet. In der Kriminologie war es die Hinführung aus einer eher naiven Polizeiwissenschaft in eine interdisziplinäre empirische Wissenschaft, mithilfe derer unter Anwendung anerkannter sozialwissenschaftlicher Methoden Wirkweisen des Strafrechts hinterfragt wurden. Hier war ich einer der damals sogenannten „Jungen Kriminologen“, die in Deutschland diesen Umschwung in die Moderne betrieben.
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In der Drogenforschung habe ich – gegen großen Widerstand insbesondere aus der Soziologie und Psychologie – der Erkenntnis Raum gegeben, dass bei Drogenabhängigkeit der Entzug selbst kein medizinisch behandlungsbedürftiges Phänomen ist, da es den Alltag von Drogenabhängigen kennzeichnet, nicht hinreichend mit Drogen versorgt, also auf Entzug zu sein. Folglich erscheinen die vor allem in Film und Fernsehen so dramatisch beschriebenen Entzugserscheinungen nicht im Alltag, sondern – wenn überhaupt – überwiegend in der Obhut staatlicher Institutionen, was den Umgang insbesondere im Freiheitsentzug vom medizinischen zum psychologischen Bereich hin verschiebt, soweit nicht durch Lebensführung bedingte Krankheiten eine ärztliche Intervention erfordern. Die grundlegende Forschungsarbeit hierzu leistete ich im Rahmen teilnehmender Beobachtung in der Saarbrücker Drogenszene. Aus Sicherheitsgründen hatte ich das mit dem Saarländischen Innenministerium abgesprochen. Als allerdings bei einer Razzia in einer bekannten Drogenkneipe die Polizei kurz vor mir Halt machte und salutierte, um dann ihrer Tätigkeit weiter nachzugehen, war diese freundliche Geste Anlass für mich, in der Szene erneut um Glaubwürdigkeit kämpfen zu müssen und den Vorwurf zu entkräften, ich sei doch nur ein Spitzel. Im Übrigen habe ich mich für eine kontrollierte Drogenfreigabe eingesetzt. Dies nicht etwa wegen eines vermeintlichen Rechts auf Rausch, sondern wegen der Unwirksamkeit strafrechtlicher Sanktionen gegenüber Abhängigen, was auch angesichts der hohen Ermittlungs- und Vollzugskosten besonders schmerzhaft erscheint. Die immense Einnahmequelle der organisierten Kriminalität durch illegalen Drogenhandel würde zudem bei kontrollierter Freigabe drastisch reduziert werden können. Aus Anlass des bundesweiten Feiertagsfahrverbots im Rahmen der ersten Ölkrise 1973 wurde ich vom Saarländischen Rundfunk gebeten, eine juristische Stellungnahme zu der Frage abzugeben, ob Prostituierte vom aktiven Autostrich als Berufstätige an Feiertagen einen Anspruch auf Ausnahme-Fahrgenehmigung hätten, was die Münchener Verwaltung verneint hatte. Meine Ansicht, dass nach deutschem Recht die Prostitution nicht illegal sei und folglich die Ausübung zumindest wie ein Beruf behandelt werden müsse, hatte einen bundesweiten Mediensturm zur Folge. Das veranlasste mich, einen wissenschaftlichen Beitrag in der ZRP zu veröffentlichen, in dem ich mich mit dem Phänomen der Prostitution und seiner rechtlichen Behandlung beschäftigte. Insbesondere die damalige bigotte strafrechtliche Behandlung, nach der aufgrund eines moralisierenden Vermögensbegriffs die Prostituierte, welche kassierte, aber nicht leistete, wegen Betrugs für strafbar gehalten wurde, der Freier aber, der die Leistung in Anspruch nahm, aber nicht zahlte, straffrei bleiben sollte, veranlasste mich zu der abschließenden Bemerkung, dass die Justiz ihr Ideal des für alle gleichen Rechts hier
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ebenso ungeniert verkaufe, wie die Prostituierte ihren Körper. Das war meiner wissenschaftlichen Karriere wenig förderlich und veranlasste die Konstanzer Juristische Fakultät, die Professur, für die ich mich unico loco qualifiziert hatte, nach Erscheinen des Aufsatzes neu auszuschreiben. Immerhin führte aber schließlich die so angestoßene Diskussion zum Prostitutionsgesetz, welches viele der damaligen Ungereimtheiten ausschloss. Leider leidet dieses Gesetz seit seinem Inkrafttreten an erheblichen Vollzugsdefiziten vor allem in Hinblick auf die Bekämpfung der Zwangsprostitution. In der zweiten Hälfte der 1970er-Jahre konnte ich dem Saarländischen Innenministerium bei der Schaffung einer Polizeieinheit SEK behilflich sein. Meine Einschätzung, dass dadurch der Waffengebrauch bei der allgemeinen Vollzugspolizei deutlich zurückgehen werde, wurde bestätigt, ohne dass dies wissenschaftlich gesondert aufgearbeitet wurde. Allerdings gab mir diese Tätigkeit nicht nur die Gelegenheit, zwei Jahre am Nahkampftraining des SEK teilzunehmen, sondern auch die Arbeit des SEK in der Praxis zu begleiten. Im Bereich der Umweltkriminalität habe ich im Rahmen einer vom BKA finanzierten Studie die Probleme der polizeilichen und juristischen Aufarbeitung solcher Taten theoretisch wie empirisch offengelegt und Verbesserungsvorschläge gemacht, die in polizeilicher und staatsanwaltlicher Praxis weitgehend umgesetzt worden sind. Eine zusammen mit Miyazawa im Auftrag des BKA erstellte Studie zur Kriminalitätsbekämpfung in Japan erbrachte u. a. die zumindest für Deutschland ungewöhnliche Erkenntnis, dass die japanisch organisierte Kriminalität der Yakuza durchaus auch eine staatstragende Komponente hat, die von der Polizei anerkannt wird und im Regelfall zu einem interessanten und eher friedlichen Nebeneinander der beiden gesellschaftlichen Gruppen führt.
Im Strafverfahrensrecht, dem schärfsten und geschichtlich gesehen am häufigsten missbrauchten Instrument des Staates, hat mich von Anfang an die Abwägung des Individualrechtsschutzes gegenüber den legitimen Verfolgungsinteressen des Staates beschäftigt. In diesem Zusammenhang wurde die Bearbeitung der Menschenrechte nach EMRK und der Rechtsprechung des EGMR im Rahmen des Strafverfahrensrechts eingehend thematisiert. Ein Bemühen, welches noch Mitte der 1980er-Jahre einen Vorsitzenden Richter am OLG bei der im Übrigen positiven Besprechung der zweiten Auflage meines StPO-Lehrbuchs in der NJW zu der Bemerkung veranlasste, dass es mein Geheimnis bliebe, welche Bedeutung EMRK und EGMR für eine Darstellung des deutschen Strafverfahrensrechts hätten.
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Auch die Erweiterung dieses Lehrbuchs (seit der 5. Auflage 1999) auf das Europäische Strafverfahrensrecht brachte mir zunächst viele Fragen der Kollegen ein, die sich wunderten, ob es denn so etwas überhaupt gebe. Dass mittlerweile fast alle neu besetzten Strafrechtslehrstühle in Deutschland das Europäische Element in ihrer Bezeichnung führen, ist wohl auch Folge meiner Arbeit. In Hinblick auf das deutsche Strafverfahrensrecht habe ich mich u. a. intensiv mit der Konkretisierung des Verdachtsbegriffs, der als Einfallstor für alle unmittelbaren und mittelbaren Zwangs- und Schadensfolgen strafrechtlicher Ermittlungen dient, beschäftigt. Die gesetzliche Terminologie, welche kaum kontrollierbare subjektive Wertungen ermöglicht, versuchte ich durch die Beschreibung des Verdachts als retrospektive Prognose einzugrenzen. Im Ergebnis hatte meine Arbeit leider nur die Folge, zitiert, nicht aber angewendet zu werden. Etwas mehr Resonanz auch in der Praxis fanden meine Stellungnahmen zur rechtsmissbräuchlichen Nutzung des Strafprozessrechts durch Verteidiger. Hier konnte ich darlegen, dass der statistisch überaus seltene Fall solchen Verhaltens oft nichts anderes als ein letztes Mittel der Verteidigung gegenüber der gerichtlichen Gestaltungsmacht im Verfahren ist, mit Hilfe derer das Gericht die Aktionen der Verteidigung begrenzen und einschränken kann; die Möglichkeit der Anfechtung solcher Beschlüsse hilft hierbei wenig, weil in der Hauptverhandlung zunächst Situationen geschaffen worden sind, die trotz der möglichen späteren Aufhebung richterlicher Anordnungen wegen Rechtswidrigkeit ihre tatsächliche Wirkung weitgehend behalten. Wenn man den „Rechtsmissbrauch“ von Verteidigern rügen will, so kann dies folglich nur geschehen, wenn auf der anderen Seite die Zahlen für rechtswidrig erachtete richterliche Beschlüsse und Anordnungen gegenübergestellt werden.
Meine 1989 im Auftrag des Rheinland-Pfälzischen Innenministers erstellte empirische Studie über die geringe Effektivität innereuropäischer Grenzkontrollen schon vor dem geplanten Schengener Durchführungsübereinkommen (SDÜ) veranlasste die Innenministerkonferenz, ihre Sicherheitsbedenken in Hinblick auf die Haltung der Länder zum SDÜ zurückzustellen und führte zu einer politisch eher überraschenden Zustimmung, die 1990 letztlich den Beitritt der Bundesrepublik zum SDÜ ermöglichte. Die Studie wurde 1991 unter dem Titel „Kriminalitätsbekämpfung durch innereuropäische Grenzkontrollen? Die Schengener Abkommen und das Problem der Inneren Sicherheit“ als Monographie veröffentlicht. 1993 war ich Mitglied einer UN-Mission in Hongkong, die den Zustand der Menschenrechte zum aktuellen Zeitpunkt und prospektiv nach Übergabe der Kronkolonie an die Volksrepublik China im Jahre 1997 beurteilen sollte. Die Mission bestand aus dem späteren Richter im House of Lords, Lord Goodhart, dem
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australischen Justizminister John Dowd, dem Vorsitzenden der Malaysischen Rechtsanwaltskammer Raja Azis Addruse und mir. Die zwei Wochen, in denen wir öffentliche Anhörungen und private Gespräche durchführten, waren höchst interessant und sind auch dokumentiert worden.1 Überaus bemerkenswert war jedoch ein Gespräch mit führenden Vertretern der lokalen Wirtschaft, in dem die Frage aufkam, ob die für die kommende Woche geplante und weitestgehend unstreitige Erweiterung der mit Todesstrafe bedrohten Delikte auch auf unser Verständnis stieße. Da wir diese Frage unisono verneinten, wurde nachgefragt, ob eine solche Regelung auch in der westlichen Welt auf Ablehnung stoße und daher nicht gut für Hongkong sei. Unsere eindeutige Antwort war: Nur die Abschaffung der Todesstrafe sei eine Tat, die für Hongkong in der Welt positive Resonanz zeitigen könnte. Also entschlossen sich die Wirtschaftsvertreter, ihrer Stadt diesen positiven Effekt zu verschaffen. Sie baten uns, bis zum nächsten Morgen jeweils ein Plädoyer für die Abschaffung der Todesstrafe aus Sicht der beiden größten Parteien zu formulieren. Das taten wir und erhielten postwendend die Einladung zu der einige Tage später stattfindenden Sitzung des Legislative Council. Als dort der Tagesordnungspunkt „Erweiterung der mit Todesstrafe bedrohten Delikte“ aufgerufen wurde, gab es zur Überraschung aller Beobachter einen weitergehenden Antrag, nämlich den für die vollständige Abschaffung der Todesstrafe. Dann wurden von den jeweiligen Vertretern der beiden großen Parteien unsere Abhandlungen verlesen – allerdings als eigenständige Ansicht der Vortragenden. Das Parlament schien wenig erstaunt zu sein, nur eine liebenswerte alte Dame englisch-chinesischer Herkunft meldete sich danach zu Worte und meinte, darüber hätte sie noch nie nachgedacht, fände den Vorschlag aber sehr gut. Die kurz danach folgende Abstimmung führte dann in der Tat zur Abschaffung der Todesstrafe. Die Buchmacher, die in guter alter englischer Tradition die in der Tagespresse des Längeren diskutierten Wetten auf den Erfolg bzw. Misserfolg des ursprünglichen Antrags angenommen und hohe Prämien für die unwahrscheinliche Ablehnung des Antrags ausgeschrieben hatten, waren sprachlos. Gleiches galt für die Mitglieder der Mission, die einen derart durchschlagenden Erfolg ihrer kurzfristigen Bemühungen keinesfalls erwartet hatten. Als Ende der 90er-Jahre des letzten Jahrhunderts die UNO, INTERPOL und die EU überlegten, eine internationale akademische Bildungsstätte zur Korruptionsbekämpfung zu gründen, wurde ich von OLAF (Europäisches Amt für Betrugsbekämpfung – The European Anti-Fraud Office) als Mitglied der Gründungskommission in die vorbereitenden Arbeiten mit einbezogen. In den langen und schwierigen Verhandlungen ging es mir vor allem darum, einen interdisziplinären 1
Goodhart, William/Aziz Addruse, Raja/Dowd, John/Kühne, Hans-Heiner, Countdown to 1997. Report of a Mission to Hong Kong, International Commission of Jurists, 1992.
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Ansatz bei Forschung und Lehre zugrunde zu legen, anstatt die in zahllosen Polizeiakademien üblichen überwiegend dem Strafrecht und seiner Durchsetzung verpflichteten Programme zu wiederholen. Das konnte INTERPOL nicht mittragen und schied daher aus. Die „International Anti Corruption Academy“ (IACA) wurde dann gleichwohl im Jahre 2011 in Laxenburg, einem kleinen Ort vor Wien, gegründet. Die Österreichische Regierung war hierbei überaus hilfreich, stellte ein renoviertes Schlösschen zur Verfügung und trug zudem einen großen Teil der laufenden Kosten. Die IACA ist seit diesem Zeitpunkt eine Internationale Organisation mit 77 Staaten als Mitgliedern und betreibt als einzigen Zweck eine Universität nach Österreichischem Recht, in der interdisziplinäre Master-Studiengänge (Master of AntiCorruption Studies, MACS) sowie unterschiedliche Weiterbildungskurse angeboten werden. Seit der Gründung sitze ich dem „Board of International Academic Advisors“ vor, welches bis zur Schaffung einer ordentlichen Fakultät den Leiter der Organisation bei der Schaffung und Aufrechthaltung akademischer Regelungen und Standards berät. Aus Anlass meiner internationalen Forschungs- und Lehrtätigkeit habe ich immer versucht, das Niveau deutschen rechtsstaatlichen Schutzes auf andere Länder zu übertragen. Dabei habe ich meine Kritik an mitunter von mir in Deutschland als unzureichend empfundenen Schutzmechanismen überwiegend im nationalen Rahmen belassen. Sehr viele Anregungen für das wissenschaftliche Aufgreifen von nationalen wie europäischen und internationalen Rechtsproblemen habe ich zudem durch meine Tätigkeit als Verteidiger und gerichtlich bestellter Experte für ausländisches Recht bekommen. Diese Tätigkeit führte mich von den Tatsachengerichten bis zum BGH und dem BVerfG und von dort zum EGMR oder auch dem EuGH. Auch im Vereinigten Königreich und in Frankreich konnte ich jeweils mit einem inländischen Rechtsanwalt gemeinsam als Strafverteidiger auftreten. Als Experte wurde ich u. a. vom Federal High Court zu Ottawa und vom International Court of Arbitration in Paris bestellt.
Eher als indirekte Folge meiner Veröffentlichungs- und Lehrtätigkeit sind die Einladungen zu verstehen, die ich für die Mithilfe bei der Restrukturierung von Straf- und Strafprozessrecht verschiedener Staaten erhalten habe. So konnte ich in einem von der US-amerikanischen Regierung finanzierten und organisierten Projekt u. a. die nach dem Zusammenbruch der Sowjetunion zu erneuernde russische Strafprozessordnung mitgestalten und dafür sorgen, dass nicht so sehr der amerikanische, sondern der kontinental-europäische Einfluss sich im Text widerspiegelte. Insbesondere die Diskussionen mit den russischen Generalstaatsanwälten (die meisten von ihnen auch im militärischen Rang eines Generals!), die nur ungern ihre zuvor innegehabte fast absolute Machtfülle eingeschränkt wissen wollten, waren ebenso fordernd wie faszinierend. Der im Ergebnis konsentierte
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Text war durchaus Europa-kompatibel. Es bestand und besteht freilich Anlass zu der Befürchtung, dass dieses im Grunde liberale Gesetz in der Anwendungspraxis in erheblichem Maße andere Formen angenommen hat. Auf Einladung des Europarats habe ich geholfen, die rumänische StPO einmal vor der „Wende“ und dann ein weiteres Mal danach neu zu strukturieren. Vor allem nach 1989 waren meine rumänischen Gesprächspartner schwierig. Die trotz meiner ersten Intervention überwiegend kommunistisch geprägte alte Textfassung war in Rumänien ein wenig überarbeitet worden und nun gleichsam der Stolz der neuen, sich als rechtsstaatlich empfindenden Justiz. Zweifel daran wurden als Angriffe auf die rumänische Souveränität und juristische Kompetenz ihres Parlaments angesehen. Die vom Europarat wie auch von mir gehegten Bedenken gegenüber Strukturen und Details der bestehenden StPO waren nur in langen und vorsichtig geführten Diskussionen zu vermitteln. Allerdings war trotz alledem das fachliche Niveau der Diskussionen erfreulich. Interessant und bezeichnend für die damalige rumänische Situation war, dass wir innerhalb der 18 Monate Projektarbeit drei unterschiedliche Justizminister kennen lernten; die Besetzung der rumänischen Kommission blieb dabei jedoch unverändert erhalten! Die Einführung eines neuen Strafvollzugsgesetzes in Kroatien, ebenfalls ein Projekt des Europarats, war hingegen überraschend einfach. Als ich vor der Präsentation des u. a. von mir erarbeiteten Textes im kroatischen Parlament diesen zuvor noch dem Justizminister vorstellen sollte, ergab sich, dass dieser gerade zwei Tage zuvor das Amt übernommen und daher keine Zeit für mich hatte. Als der Name des neuen Ministers fiel, Svonimir Paul Separovic, sah ich, dass er ein alter Freund aus vielen akademischen Kooperationen war. Also rief ich ihn an und bat um eine kurze Gesprächszeit. Er erkannte mich sofort und fragte: „Hast du den Text gemacht oder mitverantwortet?“ Auf mein Bejahen hin meinte er, er wolle den Text sogleich unterzeichnen, und wir könnten dann ja beim gemeinsamen Abendessen noch darüber sprechen. So geschah es dann auch, und das Parlament konnte mit großer Mehrheit für den Entwurf stimmen. Es bleibt freilich bis heute eher zweifelhaft, ob das kroatische Justizsystem die fortschrittlichen Forderungen dieses Gesetzes auch tatsächlich umsetzen kann.
Eine seit 1984 bestehende Kooperation mit türkischen Kollegen wurde im Jahre 1998 wegen der damals ernsthaften Bemühungen der Türkei, Mitglied der EU zu werden, intensiviert, was viele Vortragseinladungen zur Folge hatte. Im selben Jahr erhielt ich eine Einladung, die erst kurz zuvor gegründete Kültür Universität zu Istanbul bei ihrer Entwicklung hin zu einer europaweiten Anerkennung zu unterstützen. Man richtete mir dort eine Professur ein, die ich bis kurz vor der endgültigen Abwendung der Türkei vom Rechtsstaat im Jahre 2016 innehatte. Nach
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einer langen überaus positiv und hoffnungsfreudig erscheinenden Zeit, in der ich auch die Regierung bei der Erneuerung ihres Strafverfahrensrechts beraten durfte und weit über 100 Fortbildungsveranstaltungen für Richter und Staatsanwälte veranstalten konnte, war der Rückfall in alte feudale Strukturen für mich besonders einschneidend und veranlasste mich, meine Arbeit in der Türkei einzustellen, was offensichtlich sowohl von der Kültür Universität wie auch von Regierungskreisen als angemessen angesehen wurde. Zunächst verlief aber auch die parlamentarische Arbeit im Komitee, in das ich eingebunden war, sehr gut. Mein Lehrbuch wurde (in der 6. und 7. Auflage) als allgemeine Lektüre zum Verständnis eines modernen, liberalen Strafverfahrensrechts als Teil der offiziell zur Verfügung gestellten Literatur viel gelesen und mit überbordenden türkisch-sprachigen Anmerkungen versehen. Der schließlich erarbeitete Text war überaus kompatibel mit europarechtlichen Forderungen und ging im Jahre 2005 glatt durch alle drei parlamentarischen Lesungen. Dabei war allen Beteiligten klar, dass damit noch keinesfalls die Anwendung des neuen Textes garantiert war. Insbesondere die älteren Richter und Staatsanwälte würden bis zu ihrem Dienstende das ihnen bekannte alte Recht weiter anwenden. Die jüngeren Kollegen hingegen würden bis zum Heranwachsen einer neuen Generation, die dieses Gesetz schon an der Universität kennenlernen konnte, Schwierigkeiten haben, sich trotz guten Willens den Inhalt des neuen Gesetzes anzueignen und gegenüber den älteren Kollegen auch durchzusetzen. Dies insbesondere unter Berücksichtigung der notorischen Überlast der türkischen Justiz, deren Fallzahlen bemessen pro Amtsträger etwa das Zehnfache der Belastung deutscher Richter und Staatsanwälte ausmachen. Folglich wurden in Zusammenarbeit von der Kültür Universität, dem türkischen Justizministerium und dem Rheinland-Pfälzischen Justizministerium (welches schon seit 1999 jährlich bis zu sechs Richter/Staatsanwälte zur Teilnahme an diesen Veranstaltungen freigestellt hatte), wie auch wenig später mit dem BGH, jährlich bis zu fünf Weiterbildungsveranstaltungen für englisch- bzw. deutschsprachige türkische Richter und Staatsanwälte durchgeführt. Die so geschulten Amtsträger sollten dann auf Türkisch ihr Wissen in weiteren Workshops an andere, der englischen oder deutschen Sprache nicht mächtige Kollegen vermitteln. Da der damalige Präsident des BGH, Prof. Dr. Tolksdorf, bereit war, sich auf eine fortbildende Kooperation mit dem Yargetay, dem türkischen Gegenstück des BGH, einzulassen, war es möglich, wesentliche Teile des liberalen Strafprozesses auch im Bewusstsein der obersten türkischen Richter zu verankern. Gerade diese von der IRZ2 sowie der 2
IRZ ist die Deutsche Stiftung für internationale rechtliche Zusammenarbeit e.V. Sie wurde 1992 auf Initiative des Bundesministers der Justiz, Klaus Klinkel, gegründet.
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Kültür Universität dankenswerter Weise finanzierten Treffen verliefen überaus harmonisch und inhaltlich erfolgreich. Hinzu kam, dass das Wissen der hierarchisch unter dem Yargitay platzierten Richter und Staatsanwälte über diese Veranstaltungen eine zusätzliche Motivation erbrachte, das neue Gesetz auch anzuwenden. Alle diese rechtsstaatlichen Fortschritte wurden leider durch eine politische Entwicklung weggefegt, die bereits 2015 anfing, nach dem Putschversuch vom Juli 2016 ihren Höhepunkt fand und das Land zurück in osmanisch-feudale Zeiten beförderte, in denen das politische Interesse der Regierenden die Tätigkeit der Justiz beherrscht. Die Erfahrung, dass viele türkische Kollegen und Freunde, die ich als liberal und dem Rechtsstaatsgedanken verpflichtet kennengelernt hatte, sich im vorauseilenden Gehorsam der neuen Ordnung unterwarfen, war ebenso unerwartet wie schmerzhaft. So war es wohl in Deutschland Anfang der 1930er-Jahre gewesen. Kaum eine Handvoll von Kollegen war in der Lage, sich in einer Haltung vorsichtigen, passiven Widerstands dem neuen System nicht zu unterwerfen. Was die Lehre angeht, die für mich stets Anregung und Herausforderung zugleich bedeutet hat, suchte ich lange nach Wegen, das im Gegensatz zum materiellen Strafrecht eher trocken erscheinende Strafverfahrensrecht für die Studenten spannend zu gestalten. Seit 1975 habe ich daher mit Video aufgenommene Prozessspiele veranstaltet, in denen die Studenten nach einer eher kurzen Einführung in die Grundlagen im Rollenspiel die Dramatik prozessualen Geschehens anhand originaler, aber aufbereiteter Fälle am eigenen Leib erleben konnten. Die Spieler waren nicht nur von ihrem im Video festgehaltenen Auftritt überrascht – ein übliches Phänomen der Außen- und Innenwahrnehmung – sondern staunten auch, wie sehr die übernommene Rolle als Staatsanwalt, Richter oder Verteidiger ihr Verhalten auch entgegen ihren zunächst vorhandenen Überzeugungen und Wertvorstellungen bestimmte, ohne dass sie dieses im Spiel bemerkt hatten. Nach einer derartigen Einführung gab es eine große Menge von zu beantwortenden Fragen, die zuvor als trockene Details kein Interesse erregt hätten. Der Erfolg dieses Ansatzes veranlasste mich, einen regelrechten strafrechtlich-strafprozessualen Lehrfilm zu produzieren. Dies gelang durch staatliche Fördermittel, eine großartige Zusammenarbeit mit dem Saarländischen Landeskriminalamt sowie der Saarländischen Justiz und letztlich nach Vorlage eines ausgearbeiteten Drehbuchs auch mit tatkräftiger Unterstützung der ARD. Der so entstandene Film enthielt wohl als erster seiner Art vom Zuschauer zu steuernde Entscheidungsmöglichkeiten – heute spräche man von einem interaktiven Film –, die ohne als falsch gewertet werden zu müssen das Verfahren aber zu sehr unterschiedlichen Ergebnissen, vom Freispruch bis hin zur Verurteilung wegen Mordes, führen konnten. Die so offen dargestellte Relativität eines jeden Versuchs der justiziellen Wahrheitsfindung verstörte die Mächtigen der ARD derart, dass die Sendung des
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Films „Strafsache gegen F“ zwar im Ersten Programm zur besten Sendezeit um 20:15 Uhr erfolgte, aber mit einer anschließenden 90-minütigen Diskussion von Politikern und Experten, zu denen ich glücklicherweise auch zählte, ergänzt wurde, um sich nicht dem Vorwurf auszusetzen, die Strafjustiz schlecht machen zu wollen. Der Film wurde dann in verschiedenen Dritten Programmen ausgestrahlt und wird bis heute in Landeskriminalämtern, Justizfortbildungsinstitutionen und beim BKA als Ausbildungsmaterial benutzt. Eine mit englischen Untertiteln versehene Kopie war in den 1980er- und 1990er-Jahren auch beim US-amerikanischen FBI im Umlauf. In den Anfangsjahren des 21. Jahrhunderts hatte ich die Gelegenheit, im Rahmen des von der Bundesregierung initiierten und organisierten deutsch-chinesischen Rechtsstaatsdialogs als Leiter der Abteilung für Strafrecht fünf Jahre lang mit einem chinesischen und meinem Team Strafverfahren nach chinesischem und deutschem Recht durchzuspielen. Die nachfolgenden Diskussionen waren deutlich weniger von Ideologien und Misstrauen belastet als solche, in denen die Rechtsfragen, insbesondere solche mit Menschenrechtsbezug, abstrakt behandelt wurden. In den kriminologischen Vorlesungen erwies es sich in den 1990er-Jahren als überaus erfolgreich, den damaligen Präsidenten des BKA, Herrn Zachert, für etwa sechs Jahre als Vortragenden zu gewinnen. Unser Konzept war es, jeweils inhaltlich dieselbe Vorlesung nacheinander zu halten. Die unterschiedlichen Haltungen und Bewertungen eines Berufspolizisten und eines Wissenschaftlers stellten den Studenten jeweils sehr unterschiedliche Darstellungen identischer Fragestellungen vor. Die dadurch zunächst verursachte Verwirrung der Studenten wich sehr bald der Entdeckung der Relativität jeglicher (geisteswissenschaftlicher) Erkenntnis, welche die Notwendigkeit, sich eigene Argumente und Wertungen zu erarbeiten, offenkundig machte. Diese Veranstaltungen waren so beliebt, dass wir drei Mal einen größeren Hörsaal suchen mussten, um die wachsende Zahl der Zuhörer platzieren zu können. Die Betreuung von Doktoranden war stets ein wesentlicher Teil im Schnittpunkt meiner Lehr- und Forschungsverpflichtungen. Viele der Arbeiten brachten mich in meiner eigenen Forschung weiter, weil sie sich mit Gebieten meines Interesses beschäftigten, die ich aus Zeitgründen selbst nicht erarbeiten konnte. So durfte ich 58 Doktoranden zum erfolgreichen Abschluss führen. Ausländische Doktoranden, insbesondere die aus dem asiatischen Raum, nahmen dabei regelmäßig sehr viel mehr Zeit und Aufwand in Anspruch als deutsche Schüler. Diese oft nicht unerhebliche Mehrarbeit war aber überaus lohnend, ging es doch darum, die wesentlichen Grundsätze unseres Rechtsstaats zu vermitteln und die jeweili-
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gen fremden nationalen Gesetze daran zu messen. Fünf dieser ausländischen Doktoranden wurde dann Professoren (Süd-Korea, Taiwan und Türkei) in ihrer Heimat und versuchen, die in Deutschland erfahrene Rechtskultur auch in ihrem Rechtssystem zu etablieren. Gutachtertätigkeiten für Stiftungen gehörten selbstverständlich zu der Betreuung des wissenschaftlichen Nachwuchses. Ich bin insbesondere als ständiger Gutachter für den DAAD, die DFG, die Humboldt-Stiftung, die F. Naumann Stiftung und die Studienstiftung des Deutschen Volkes tätig gewesen. In diesem Zusammenhang hatte ich auch das Glück, einen meiner Doktoranden, Robert Esser, zur Habilitation zu führen. Er ist inzwischen ein renommierter Kollege, mit dem ich noch heute in freundschaftlicher Verbundenheit zusammenarbeite.
III. Rückblick und Ausblick Rückblickend kann ich sagen, dass mir gerade aufgrund meiner reichen internationalen Erfahrungen das deutsche universitäre Ausbildungssystem zumindest im Bereich der Rechtswissenschaft als den meisten Systemen anderer Länder überlegen erscheint. Es ist nicht nur die breite Ausbildung zum allgemeinen Juristen, die viel Kompetenz schafft, sondern insbesondere auch das Hinführen der Studenten zum eigenständigen Denken. Der umfängliche zu lernende Stoff ist nicht Selbstzweck, wie vor allem in den repetitiv ausgelegten Bildungssystemen romanischer Herkunft, sondern Basis für den eigenständigen Umgang mit alten wie auch neuen Problemen. Deshalb haben deutsche ERASMUS-Studenten im Ausland in der Regel hervorragend abgeschnitten und zum Teil Angebote auf Assistentenstellen erhalten, obwohl das deutsche Staatsexamen noch weit in der Ferne auf sie wartete. Auch Kollegen aus aller Welt haben das deutsche Recht und das diesbezügliche Ausbildungssystem immer voller Hochachtung betrachtet. Insofern war und ist es mir nicht verständlich, wenn die deutsche Politik immer wieder versucht, die akademische Ausbildung nach ausländischen Vorbildern zu reformieren. Mir hat das deutsche Hochschulwesen stets alle Freiheiten gelassen, in Lehre und Forschung meinem Bildungsauftrag auf nationaler wie internationaler Ebene nachzukommen. Dafür bin ich dankbar und hoffe, dass auch die nachfolgenden Kollegen diese Möglichkeiten haben werden.
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Schriftenverzeichnis (in Auswahl) 1. Selbständiges und (mit-)herausgegebenes Schrifttum Strafprozessuale Beweisverbote und Art. 1 Abs. 1 GG. Zugleich ein Beitrag zur Auslegung des Rechtsbegriffs Menschenwürde, Annales Universitatis Saraviensis, Rechts- und Wirtschaftswissenschaftliche Abteilung, Bd. 50, 1970. Strafverfahrensrecht als Kommunikationsproblem. Prolegomena einer strafverfahrensrechtlichen Kommunikationstheorie, 1978. Geschäftstüchtigkeit oder Betrug? Wettbewerbspraktiken im Lichte des § 263 StGB; zugleich ein Beitrag zur Problematik der unechten Unterlassungsdelikte, 1978. Multimediales Lehrprojekt Strafprozess. „Strafsache gegen F“ – Drehbuch mit Erläuterungen, 1978, Begleitband zu: „Strafsache gegen F“ –. Ein strafprozessualer Lehrfilm für die multimediale Lehreinheit, Zentralbaustein Strafprozeßrecht. (Der Film ist auf CD zur Nutzung im universitären Lehrbetrieb disponibel und wird seit dem 1.2.1979 durch das Institut für den wissenschaftlichen Film, Göttingen, vertrieben.) Kriminalität und Kriminalitätsbekämpfung in Japan. Versuch einer soziokulturell-kriminologischen Analyse, Sonderband der BKA-Forschungsreihe, 1989; 2. neubearbeitete, erweiterte und um die Thematik der Organisierten Kriminalität ergänzte Aufl., 1991 (zusammen mit Koichi Miyazawa). Staatliche Drogentherapie auf dem Prüfstand, 1985. Die polizeiliche Bearbeitung von Umweltdelikten. Eine empirische Untersuchung zur strafprozessualen Implementierung materiellen Rechts, BKA-Forschungsreihe, 1991 (zusammen mit Thomas Görgen). Kriminalitätsbekämpfung durch innereuropäische Grenzkontrollen? Die Schengener Abkommen und das Problem der Inneren Sicherheit, 1991. Countdown to 1997. Report of a Mission to Hong Kong, International Commission of Jurists, 1992 (zusammen mit William Goodhart, Raja Aziz Addruse, John Dowd).
2. Kommentierungen und Lehrbücher Löwe-Rosenberg, Die Strafprozeßordnung und das Gerichtsverfassungsgesetz, Bd. 1, Einleitung, 27. Aufl. 2016. Art. 6 EMRK Kommentierung, Internationaler Kommentar zur EMRK, 2009.
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Strafprozessrecht. Ein Lehrbuch zum deutschen und europäischen Strafverfahrensrecht, 9. Aufl. 2015.
3. Aufsätze in Zeitschriften und Sammelwerken Video-Aufzeichnung in der Vorlesung – Bericht über ein durchgeführtes Experiment und Darstellung eines hierauf aufbauenden Projektes. Aus Forschung und Lehre, Hochschule des Saarlandes, November 1973, S. 55–60. Motivationsverläufe bei Rauschmittelgeschädigten. Ein Bericht über den Versuch einer empirischen Studie, in: Müller-Dietz, Heinz (Hrsg.), Kriminaltherapie heute, 1974, S. 50–113. Prostitution als bürgerlicher Beruf?, ZRP 1975, S. 184–189. Ethische Fragen beim Einsatz von Forschungsmethoden in der empirischen Sozialforschung, in: Eser, Albin/Schumann, Karl F. (Hrsg.), Forschung im Konflikt mit Recht und Ethik, 1976, S. 353–369. Die Definition des Verdachts als Voraussetzung strafprozessualer Zwangsmaßnahmen, NJW 1979, S. 617–622. Therapieforschung: Die Not bei der Überprüfung drogentherapeutischer Effizienz und ihrer institutionellen Rahmenbedingungen, in: Festschrift für Heinz Leferenz, 1983, S. 181–191. Der Beweiswert von Zeugenaussagen, NStZ 1985, S. 252–255. Steckkarte adé: Lagebeurteilung mit Hilfe der Elektronik. Rechnergesteuerte Kriminalgeographie, Kriminalistik 1988, S. 62–69. Polizeiliche Erfahrung und wissenschaftliche Methodik – Eine vergleichende Betrachtung, Kriminalistik 1993, S. 223–225. Vom Strafrecht, von der Kriminologie und vom Mythos der Rationalität, GA 1994, S. 503–513. Wer mißbraucht den Strafprozeß?, StV 1996, S. 684–689. Ne bis in idem in den Schengener Vertragsstaaten. Die Reichweite des Art. 54 SDÜ im deutsch-französischen Kontext, JZ 1998, S. 876–880. Rechtsmißbrauch des Strafverteidigers?, NJW 1998, S. 3027. Die Rechtsprechung des EGMR als Motor für eine Verbesserung des Schutzes von Beschuldigtenrechten in den nationalen Strafverfahrensrechten der Mitgliedstaaten, StV 2001, S. 73–78.
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Europäische Methodenvielfalt und nationale Umsetzung von Entscheidungen Europäischer Gerichte, GA 2005, S. 195–214. Die Instrumentalisierung der Wahrheitsfindung im Strafverfahren, GA 2008, S. 361–416. Grenzen richterlicher Unabhängigkeit im Strafverfahren, GA 2013, S. 30–48. Schwarze Listen: Bürgerlicher Tod ohne Gerichtsverfahren und ohne Beweise – Der Fall Kadi und kein Ende, ZRP 2013, S. 243–247. Staatliche Tötungen ohne Gerichtsverfahren (targeted killings) – Ein Problemaufriss, in: Festschrift für Kristian Kühl, 2014, S. 801–813. Der strafrechtliche Ehrenschutz ausländischer Staatsoberhäupter als Instrument des Imports freiheitsfeindlicher Vorstellungen, GA 2016, S. 435–442. Der mangelnde Rechtsschutz gegen einen internationalen Haftbefehl, GA 2018, S. 121–126. Die internationale Bekämpfung von Wirtschaftskriminalität und die Konstitution des Verdachts, GA 2020, S. 337–344.
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https://doi.org/10.1515/9783110703016-009
Reinhard Merkel I. Anfänge, Wege, Umwege Geboren bin ich am 12. April 1950 in Hof an der Saale, im nordöstlichen Zipfel Oberfrankens (und ganz Bayerns). Die freundlich biedere Provinzstadt lag damals im rechten Winkel zweier Grenzverläufe, die, wie ich früh lernte, das „Ende der freien Welt“ markierten. Nach Osten waren es knapp 15 Kilometer bis zur tschechischen Grenze, nach Norden nur vier oder fünf bis zu jener anderen, die damals zwei deutsche Staaten trennte, die Zonengrenze von ehedem. Dass jenseits der Stadtgrenzen in zwei Himmelsrichtungen die erfahrbare Welt zu Ende war, kam mir, wenn ich mich recht entsinne, nie sonderlich bedenkenswert vor. Als sie’s mit dem Fall der „Eisernen Vorhänge“ Europas plötzlich nicht mehr war, wurde mir diese eigene Blicklosigkeit bis zum Befremden merkwürdig. Mein Vater war Rechtsanwalt und stammte aus der Gegend. Meine Mutter, promovierte Germanistin, kam aus Diedenhofen im Elsass, das zur Zeit ihrer Geburt noch deutsch war. Vor der Eheschließung hatte sie in Heidelberg, wo sie meinen Vater kennenlernte, eine bescheidene Stelle am Germanistischen Seminar der Universität. Dass sie diese (oder eine andere) berufliche Laufbahn weiter hätte verfolgen können, war in der Normenordnung des Bildungsbürgertums der Nachkriegszeit nicht vorgesehen, und in der oberfränkischen Provinz wohl am wenigsten. An die sorglose Kindheit, die mir von dieser Ordnung gesichert wurde und die ich mit zwei älteren Schwestern und zwei jüngeren Brüdern teilte, denke ich gleichwohl gerne zurück. Bis heute verbindet mich mit meinen Geschwistern ein Verhältnis familiärer Herzlichkeit. Mein jüngster Bruder ist kürzlich verstorben. Nach vier Jahren Volksschule kam ich auf das Jean-Paul-Gymnasium in Hof, ein humanistisches Gymnasium mit dem Namen seines berühmtesten Schülers. Jean Paul, 1763 in Wunsiedel, nicht weit von Hof geboren und als Johann Paul Friedrich Richter getauft, bestand an dieser Schule 1780 das Abitur. Zur Absolventenfeier hielt er die Festrede „Über den Nutzen und Schaden der Erfindung neuer Wahrheiten“, in der er unerschrocken und blauäugig die moralische Perfektibilität des Menschen beschwor. Bis 1797 blieb er, mit einigen Unterbrechungen, in Hof. Dort entstanden die ersten seiner großen erzählerischen Werke, vor allem die Romane „Hesperus“ und „Siebenkäs“, mit denen er zu dem nach Goethe und Schiller berühmtesten Autor jener Zeit in Deutschland avancierte. Viel später notierte er in seiner „Selberlebensbeschreibung“: „Lasse sich doch kein Dichter in einer Hauptstadt gebären und erziehen, sondern womöglich in einem Dorfe, höchstens in einem Städtchen.“ Wiewohl mir die Ehre eines Adressaten dieses Monitums
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nicht zukommt, war mir der Satz, als ich ihn zum ersten Mal las, sofort plausibel. Halb für Jean Paul und ganz für mich selbst reklamiere ich ihn seither ohne weiteres zum Lob meiner Heimatstadt. 1969 bestand ich dort das Abitur. Im Jahr zuvor gab es in meiner Schulzeit eine Unterbrechung, deren Ursache jedenfalls für meine frühe Biographie eine große Rolle gespielt hat. Gelegentlich werde ich gefragt, ob ihre persönlichen Grundlagen nicht auch in meinem späteren akademischen Leben eine gewisse Wirkung geübt hätten. Ob es darauf eine Antwort gibt, weiß ich nicht, aber den Sachverhalt will ich berichten. Ich bin, motiviert vom Vorbild eines damals berühmten Hofer Schwimmers, Gerhard Hetz, der 1961 seinen ersten Weltrekord aufstellte und drei Jahre später bei den Olympischen Spielen in Tokio zwei Medaillen gewann, mit elf Jahren dem Schwimmverein Hof beigetreten. Die anschließende Karriere betrieb ich mit einem nicht unbeträchtlichen Ehrgeiz. Rasche Erfolge gaben ihr eine innere Dynamik, die sich trotz der damit verbundenen großen physischen und seelischen Belastungen meinem willentlichen Einfluss immer weiter und schließlich wohl ganz entzog. Viel später hat mir die Erinnerung daran für die philosophische Frage nach der Freiheit des Willens einige Zweifel nahegelegt. Nationale und internationale Erfolge in meiner Disziplin, dem Lagenschwimmen (der Kombination aller vier Stilarten in bestimmter Abfolge), darunter der vielleicht kuriose Titel eines Internationalen Ungarischen Meisters, qualifizierten mich 1968 für die Olympischen Spiele in Mexiko City. Dort erreichte ich im 400m Lagenschwimmen das Finale und belegte den 6. Platz – beiläufig, als zweitschnellster Europäer und doch nur als der Zweite in meinem damaligen Verein Blau-Weiß Bochum. Denn der Bronzemedaillengewinner des Finales war mein Vereinskamerad Michael Holthaus, mit dem mich bis heute eine herzliche Freundschaft verbindet. Ein Jahr vor den Spielen hatte ich den Schulbesuch unterbrochen. Die Belastung des täglich bis zu fünfstündigen Trainings war mit dem gebotenen Aufwand für die vorletzte Gymnasialklasse, noch dazu in einer neuen Schule und einer fremden Stadt, nicht zu vereinbaren. Nicht eigentlich meine damalige Entscheidung für das Ziel der Olympischen Spiele und gegen die geordnete Sicherheit des weiteren schulischen Wegs, wohl aber die Fraglosigkeit, mit der sie für mich feststand, ist mir heute rätselhaft. Meine Eltern hatte meine Bitte, mich von der Schule beurlauben zu lassen, in helle Aufregung versetzt. Aber sie spürten wohl, dass ihr Veto am Gang der Dinge nichts ändern würde. Mein Vater nahm mir das heilige Versprechen ab, nach den Spielen, für die meine Qualifikation ja noch in höchst ungewisser Ferne lag, zurück in die Schule zu gehen und mein Abitur nachzuholen. Das habe ich ernsthaft versprochen, aber wenn ich es heute bedenke, war mir die Frage, ob und wie sich das würde machen lassen, nicht halb so
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wichtig wie das sportliche Ziel. Für einen vernünftigen Lebensplan war das gewiss eine Art unerlaubtes Risiko. Doch selbst wenn mir dieser Begriff damals schon geläufig gewesen wäre, hätte mich der Gedanke von meinem Vorhaben nicht abgebracht. Immerhin, der Erfolg bei den Olympischen Spielen war offenbar auch für das Bayerische Kultusministerium respektabel genug, um mir nach meiner Rückkehr aus Mexiko eine Sondergenehmigung zu verschaffen, die (in Bochum) versäumte Schulklasse zu überspringen. So kehrte ich im November 68 nach Hof und in meine alte Klasse am Jean-Paul-Gymnasium zurück, ein halbes Jahr vor dem Abitur und daher nicht ohne Gefahr des Scheiterns. Jedenfalls für dieses halbe Jahr ließ sich aber der im Sport geschulte Ehrgeiz auf die neue Herausforderung übertragen. Monatelang kämpfte ich mich durch Nachhilfestunden in Mathematik, Physik und Chemie. In Latein, Griechisch und Deutsch gab es keine Anschlussprobleme. Das Abitur im Juni 1969 bestand ich mit einem erfreulichen Ergebnis. Die Bild-Zeitung berichtete darüber unter der Spitzmarke „Trainierte nicht nur den Körper, sondern auch den Geist“, was mir damals ausgesprochen peinlich, aber später eher Anlass zur abwinkenden Belustigung war. Ein Jahr nach dem Abitur ging ich mit einem (dem Sport verdankten) Stipendium nach Amerika. Ein Semester studierte ich an der University of Southern California in Los Angeles, ein zweites vierzig Kilometer südlich davon am California State College in Long Beach. Volkswirtschaft, Englisch und amerikanische Geschichte waren meine Fächer. Außer der Sprache ist mir davon nichts Nennenswertes geblieben. Dass es auf dem Campus der USC ein „Arnold Schoenberg Institute“ gab, sagte mir nichts. Von meiner späteren Begeisterung für das kulturelle Leben Wiens am Anfang des 20. Jahrhunderts war ich weit entfernt, vielleicht von jeder Begeisterung für jedwedes kulturelle Leben, wiewohl ich in Long Beach ein „Term Paper“ über Hemingways „Old Man and the Sea“ geschrieben habe, tief beeindruckt von der Wendung „the pain of life“, mit der Hemingway das Empfinden des alten Mannes beim Betrachten seiner Hände beschreibt, durch die der fliehende Fisch mit der sich abspulenden Fangleine eine blutige Spur gezogen hatte. Als Kind hatte ich im redensartlichen Modus des Verschlingens alles an altersgemäßer Literatur gelesen, was mir in die Finger kam, bevorzugt abenteuerliche Reiseerzählungen, die meisten Werke Karl Mays und Friedrich Gerstäckers, atemlos Robert Louis Stevensons „Schatzinsel“ mit der dunklen Figur des Long John Silver, die Lederstrumpfgeschichten James Fenimore Coopers und manches Weitere. Mit dem Beginn des Hochleistungstrainings im Schwimmen kam all das zum Stillstand, einer der Gründe übrigens für meine Skepsis gegenüber dem leistungssportlichen Teil meiner Jugend, der mir heute in mancherlei Hinsicht als verallgemeinerbares Modell eines unerlaubten biographischen Risi-
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kos erscheint. Wohl wegen dieser emotionalen Distanz zur eigenen Vergangenheit habe ich mich lange von philosophischen Fragen des Leistungssports ferngehalten und erst jüngst begonnen, mich mit ihnen und der Olympischen Idee zu beschäftigen. Deren regulative Prinzipien, „Fair Play“ einerseits und „Citius, altius, fortius“ andererseits, von Pierre de Coubertin im vergangenen Jahrhundert noch unbefangen als untrennbare Zwillingsmaximen proklamiert, sind im Zeitalter der technologischen Hochrüstung des menschlichen Körpers in einen destruktiven Konflikt geraten. Auf ihrem heutigen Weg, fürchte ich, werden die Olympischen Spiele nicht überleben. Dies alles gehört freilich auf ein anderes Blatt.
Studium; Examen; erste Begegnung mit Wissenschaft Nach meiner Rückkehr aus den USA begann ich mit dem Jurastudium. Die Entscheidung fiel mir nicht schwer, nicht weil ich unbedingt Jurist werden wollte, sondern weil es nichts gab, was mich anderswohin gezogen hätte. Auch das väterliche Vorbild spielte eine Rolle – also, warum nicht Jura. Die ersten zwei Semester in Bochum, die nächsten drei in Heidelberg, dann zum Sommersemester 1974 der Wechsel nach München. Gelernt hatte ich bis dahin nicht viel. Stattdessen hatte ich mich, wie ich mir selbst gestehen muss, in anmaßender Nichtsnutzigkeit in allerlei Zirkeln studentischer Bestrebungen zur Verbesserung der Welt herumgetrieben. Einerseits war mir dieses Ziel ein durchaus ehrliches Motiv, andererseits wurden meiner Unbedarftheit die (um das mindeste zu sagen) unehrlichen Wege, auf denen es erreicht werden sollte, lange nicht wirklich klar. Ich erinnere mich an eine Strafrechtsvorlesung Karl Lackners, in der es um Schuldfragen ging. Ich meldete mich zu Wort, um ihn in frecher Arroganz zu belehren, seine Thesen würden von jedem Psychologen, jedem Sozialwissenschaftler „vom Tisch gewischt“, was er bestritt, nach meiner damaligen Wahrnehmung höchst ignorant, in meiner heutigen Erinnerung bei weitem zu nachsichtig. Lange Jahre später bin ich ihm, inzwischen selbst Professor, bei einer Strafrechtslehrertagung zufällig an der Garderobe begegnet. Ich stellte mich vor, er bemerkte freundlich, meinen Namen zu kennen, und ich rang einen Moment mit mir, ob ich ihm die Heidelberger Episode, an die er sich gewiss nicht erinnert hätte, erzählen und ihn lange nach ihrer moralischen Verjährung um Entschuldigung bitten sollte. Das habe ich dann bleiben lassen, vielleicht war es besser so. In München nahm ich das Studium endlich ernst, schon, aber wohl nicht nur deshalb, weil der Moment absehbar war, an dem mein Vater, der außer mir auch seinen vier weiteren Kindern ein Studium bezahlte, mit der Frage kommen würde, ob nicht irgendwann das Examen anstehe. Vorlesungen habe ich kaum noch gehört, eine Ausnahme immerhin gab es. Zum common sense der Studentenschaft
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an der juristischen Fakultät und daher jedem Neuling schnell geläufig gehörte die Gewissheit, für den Maßbegriff der vollendeten Lehre gebe es zwar keine Theorie, aber in jeder Vorlesung Claus Roxins eine lebendige Anschauung. Das machte mich neugierig. Im Maß der mir (bis heute) gegebenen Einsicht habe ich es bestätigt gefunden. Auch deshalb meldete ich mich im Sommersemester 1974 zu einem von Roxin veranstalteten Seminar. Gegenstand meines Referats war die Kritik Erich Samsons an der Roxinschen „Risikoerhöhungstheorie“ zum sog. rechtmäßigen Alternativverhalten, insbesondere bei den Fahrlässigkeitsdelikten. Das wäre nun keiner Erwähnung wert, aber für mich war es die erste Begegnung mit dem, was man im Allgemeinen als Wissenschaft des Strafrechts versteht. Aus meinen bis dahin wenig ernsthaften Befassungen hatte ich den Eindruck gewonnen, das Geschäft des Strafrechts bestehe in einer Art mechanischer Anwendung komplexer Schemata aus haarspalterisch definierten Begriffen, vor allem den Merkmalen der gesetzlichen Tatbestände, auf jederlei denkbaren Lebenssachverhalt, woraus sich dann von selbst dessen rechtliche Lösung ergebe. Als sarkastische Kennmarke für den Alltag strafrechtlicher Instanzgerichte (und studentischen Examenstrainings) mag das ja auch nicht ganz falsch sein. Ich erinnere mich an die Bemerkung eines Züricher Moraltheologen, die ich während meiner Gastprofessur am dortigen Ethikinstitut im Sommer 2006 zu hören bekam: Was ihn an der Rechtsdogmatik besonders beeindrucke, sei der Umstand, dass sie durchschnittlichen Intelligenzen ermögliche, weit über ihrem kognitiven Niveau Probleme zu lösen. Sei dem, wie es sei. Hier saß ich nun im Sommer 1974 mit schwirrendem Kopf, schwankend zwischen Samson und Roxin, Sätze dreimal lesend, bis ich sie verstand und ihre Richtigkeit sich mit Händen greifen ließ, um sich unter dem Blick zum Gegner alsbald wieder im Nichts des Irrtums aufzulösen, Hilfe suchend bei anderen Autoren, die Wirren damit nur vergrößernd – bis ich am Ariadnefaden zweier Roxinscher Aufsätze aus diesem Labyrinth hinausfand. Heute kommt mir das, und wäre es nur als freundlich täuschende Erinnerung, wie ein erster ferner Lockruf aus jener Sphäre vor, zu der ich später meinen eigenen Zutritt angemeldet habe. Das Referat habe ich wohl verloren, Computerdateien zur Dokumentation der eigenen Opera omnia für die Ewigkeit gab es noch nicht. Vielleicht ist es gut so, wer weiß, wie mir das Werk meiner ehrgeizigen und gänzlich unreifen Bemühungen von ehedem heute vorkäme. Roxin immerhin lobte es freundlich mit der Bemerkung, er ahne schon das Thema einer Dissertation. Daraus ist nichts geworden. Aber Roxins Beispiel ist mir, bei mancherlei Differenzen in sachlichen Fragen, als das erste jener Leitbilder präsent geblieben, die meinem eigenen wissenschaftlichen Weg Richtung gaben und Vorbild waren.
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Das Ergebnis des Ersten Staatsexamens im Sommer 1976 war erfreulich, begünstigt gewiss auch vom Glück – ein „Gut“ im oberen Bereich, recht nahe am „Sehr gut“ sogar. Den Erfolg meiner zivilrechtlichen Klausuren verdanke ich vor allem Herrn Heeren, einem eindrucksvollen Repetitor, auch im Öffentlichen Recht half mir ein Repetitorium. Das strafrechtliche ließ ich bleiben und begnügte mich mit den Kurzlehrbüchern von Wessels, bei jedem schwankenden Verständnis nach Aufsätzen Roxins suchend, die mir regelmäßig die gewünschte Klarheit verschafften und unter denen sich zu beinahe jedem Problem des Allgemeinen Teils mindestens einer finden ließ. Nach dem Examen beschlich mich ein altes Laster: zu zögern vor dem nächsten Schritt, den mir die Lebensvernunft anriet. Ich verschob den Beginn des Referendariats, immatrikulierte mich für Philosophie und im Nebenfach für Literaturwissenschaft, erhielt wenige Jahre später sogar Gastrecht in einem germanistischen Oberseminar, hörte Vorlesungen in beiden philosophischen Hemisphären der damaligen Münchener Fakultät, der „analytischen“ wie der „kontinentalen“, die sinnwidrig beziehungslos auf ihre saubere Scheidung achteten, erinnere mich an eine einschüchternde Replik Wolfgang Stegmüllers auf eine Bemerkung von mir, mit der ich mich in seinem Seminar über John Rawls’ Theory of Justice zu einem wohl irrigen Wort gemeldet hatte, ein Umstand, der mich für den Rest des Seminars vorsichtig schweigen ließ. Jahre später bin ich dem damals schon todkranken Stegmüller bei einer Tagung zu Heidegger und Wittgenstein in Madrid wieder begegnet und habe die ausgesprochen freundliche, angesichts einer gewaltigen Lebensleistung viel zu bescheidene Persönlichkeit kennengelernt, die ihn auszeichnete. In dankbarer Erinnerung bewahre ich die Visitenkarte mit einem handschriftlichen Gruß, die er dem vierten Band seiner „Hauptströmungen der Gegenwartsphilosophie“ beilegte, den ich kurz nach der Madrider Tagung und kurz vor seinem Tod zugesandt erhielt. Irgendwann drängte das Zweite Examen. Ohne Begeisterung wurde ich Referendar, kultivierte aber sämtliche akademischen Flausen weiter, zu denen sich inzwischen die vage Idee einer universitären Laufbahn gesellt hatte. In einer MaxPlanck-Projektgruppe zum internationalen Sozialrecht, die Hans F. Zacher ins Leben gerufen hatte und aus der er später ein bedeutendes Institut machte, bevor er selbst Präsident der Max-Planck-Gesellschaft wurde, erhielt ich eine Stelle als Mitarbeiter, befasste mich eine Weile mit dem Sozialrecht, von dem ich wenig behalten habe, schielte aber längst nach dem Institut für Rechtsphilosophie, dessen Direktor Arthur Kaufmann war. Bei ihm hatte ich mich wegen der Möglichkeit einer Promotion gemeldet, die er mir freundlich zusagte, obwohl die Ideen für ein Thema noch unklar waren und, wenn ich mich recht entsinne, zwischen verwegen und verblasen changierten. Ende 1979 bestand ich das Zweite Staats-
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examen, im Vergleich zum Ersten mit einem gebührenden Malus, aber im Ganzen noch immer mit erfreulichem Ergebnis. Eine Stelle am Institut Arthur Kaufmanns wurde frei, ich bewarb mich, erhielt sie, und etwas Neues begann.
II. Philosophie, Rechtsphilosophie, Strafrecht: Explorationen, Exkurse, Risiken, Ziel Spiritus rector: Karl Kraus Genau besehen hatte etwas daran schon Jahre zuvor begonnen: in meiner Begegnung mit den Schriften des Wiener Satirikers, Dichters und Dramatikers Karl Kraus. Wegen der Bedeutung, die diese Begegnung für meine geistige Entwicklung und damit auch meine spätere Arbeit in der Wissenschaft erlangte, mag ein genauerer Rückblick erlaubt sein. In einem Buch mit Aphorismen von Kraus, von denen mir manche nahezu unverständlich waren, stieß ich auf seinen vielleicht bekanntesten und gewiss verständlichsten: „Psychoanalyse ist jene Geisteskrankheit, für deren Therapie sie sich hält.“ Was mir dabei aufging, war kein Licht über die Psychoanalyse, aber eines über die Sprache. Dass man einen derart geräumigen Gedanken, wie ungerecht immer, so in einen knappen Satz drängen kann, dass er noch den Lesern einer fernen Zukunft wie eine Ohrfeige fühlbar wird, war mir auf eine aufregende Weise neu. Ich besorgte mir eine Auswahlausgabe der Krausschen Schriften, dann den Nachdruck der ganzen Fackel, die er zwischen 1899 und 1936 in unregelmäßiger Folge hat erscheinen lassen und deren einziger Autor er von 1912 an gewesen ist. Mit jahrelang ungebrochener Faszination las ich mich durch alles, was er geschrieben hat, neben den 23.000 Seiten der Fackel neun Bände mit Gedichten und sechs Dramen, darunter die monumentalen „Letzten Tage der Menschheit“, die zu den großen Werken der dramatischen Weltliteratur des 20. Jahrhunderts gehören – kurz: alles, und zahlreiche Abhandlungen der Sekundärliteratur außerdem. Die bezwingende Wirkung einer außerordentlichen sprachlichen Kraft, deren Höhepunkte zu denen der deutschen Prosa gehören, begann unmerklich auch mein Denken, ja meine Wahrnehmung zu okkupieren und in Formen zu drängen, die klandestin von ihm beherrscht waren. Irgendwann fing ich an zu begreifen, dass dieser längst verstorbene Mann dabei war, mich zu entmündigen. Robert Musil spricht in einer Tagebuchbemerkung aus den dreißiger Jahren einmal von den „geistigen Diktatoren“, die lange vor den politischen seiner Zeit ihre Macht entfaltet hätten, und nennt neben Freud, George, Klages und Heidegger auch Karl Kraus. Bei allem Unrecht des Vergleichs ist die Beobachtung, die ihm zugrunde liegt, nicht ganz falsch.
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Ich begann mein Verhältnis zu Kraus zu klären, Distanz zu suchen, den kritischen Blick für seine Grenzen und Fehler zu schärfen. Der tschechische Autor Karel Čapek, auf dessen Drama „Rossum’s Universal Robots“ von 1920 der internationale Gebrauch des Wortes „Roboter“ zurückgehen soll, hat Kraus den „größten Lehrmeister des Lesens, den es je gegeben hat“, genannt. Das trifft etwas höchst Bedeutsames, das wohl auch an mir wirksam geworden ist. Irgendwann begann ich, das so Erlernte auf ihn, den Lehrmeister selbst, anzuwenden. Erst in dieser Distanz, mit dieser Rückgewinnung meiner inneren Unabhängigkeit konnte ich mich dem Thema Karl Kraus erneut und auf eine Weise nähern, die es mir ermöglichte, es zum Gegenstand meiner Dissertation zu machen. Ich habe oft darüber nachgedacht, was dieses erste geistige Elementarereignis meines Lebens auch für mein Denken und Schreiben in der Wissenschaft bedeutet hat. In klare Worte ist das nicht leicht zu fassen. Ob Literatur „Erkenntnisse“ über die Welt und den Menschen vermittle und welcher Art sie genau wären, ist eine alte philosophische Rätselfrage. Gustav Radbruch merkt in einer Fußnote seiner „Einführung in die Rechtswissenschaft“ beiläufig an, „schon der junge Jurist [solle] Tolstoi, Dostojewsky, Anatole France“ lesen, um sich das „Bewusstsein der Fragwürdigkeit des Strafrechts, neben dem Bewusstsein seiner Notwendigkeit, immer zu erhalten“. Vor allem für Tolstoi und Dostojewski liegt auf der Hand, was Radbruch meint. Was immer juristisches Räsonnement und psychologische Forschung über die Verbrechen und deren Täter in den Romanen der beiden großen Erzähler erhellen könnten – a limine unerreichbar bleibt für die Wissenschaft, was dort aus dem innersten Seelenleben von Tätern und Opfern zu einer anderen Art von Sprache und zu lebendiger Unmittelbarkeit kommt: die Möglichkeit einer eigenen moralischen Erfahrung des Lesers in den erzählten Begebenheiten, und damit die Chance einer moralischen Urteilskraft, die man „ein- und mitfühlend“ nennen mag und die sich rationaler Analyse allein nicht erschließt. Die Wirkung der meisten Schriften des Karl Kraus, zu denen kein erzählerisches Werk gehört, lässt sich so jedoch nicht erklären. Eine Ausnahme freilich gibt es: „Die letzten Tage der Menschheit“. In fünf Akten mit Vorspiel und Epilog, in 209 Szenen mit Hunderten von Menschen und Masken, „Larven und Lemuren“, wie es im Vorwort heißt, schlagen sie einen apokalyptischen Bogen vom Grotesken zum Gespenstischen und machen das Grauen eines bis dahin beispiellosen Maschinenkriegs in einem Pandämonium, das alle dramatischen Formen sprengt, bis an die Grenzen des Erträglichen fühlbar – und damit zugleich, welches „unauslöschliche Schandmal“ dieser Krieg „der Menschenwürde aufgeprägt“ hat.1 1
So der „Nörgler“ (als der Karl Kraus selbst in seinem eigenen Drama, dessen Abgründe kommentierend, auftritt) in seinem großen Monolog in der 54. Szene des V. Aktes.
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Für meine bis heute unbeirrte Aversion gegen jeden Krieg (und würde er unter dem Signum der Humanität geführt), wie ich sie in gelegentlichen Beiträgen zum Kriegsvölkerrecht artikuliert habe, dürfte dieses Erlebnis einer tiefen Erschütterung durch die „Letzten Tage der Menschheit“ nicht ohne Bedeutung geblieben sein. Was ich den Schriften von Kraus vor allem verdanke, ist jedoch etwas anderes: eine lebendige Vielfalt innerer Beziehungen zur Sprache. Dass sie weit über ihre rationalen Funktionen als Medium des Denkens, der Mitteilung und der Selbstverständigung hinaus eigene Welten des Sinnlichen, Anschaulichen, Emotionalen nicht nur im Stoff ihrer Inhalte, sondern in den Formen ihres Ausdrucks erschaffen kann; dass Sätze, wie Kraus einmal sagt, Gesichter haben, lachen, spielen, schielen, zwinkern können und nicht bloß Sachverhalte und Meinungen zum Ausdruck bringen: das habe ich bei ihm in einer Intensität sehen und erleben gelernt, wie sie mir sonst vielleicht verschlossen geblieben wäre. Man missverstehe das nicht. Ich weiß sehr genau, wie viel enger die Grenzen meines eigenen Vermögens zur sprachlichen Gestaltung sind als die meines ästhetischen Erlebens mit fremden Schriften, auch mit solchen der Wissenschaft. Woran ich aber keinen Zweifel habe, ist dies: In den Geisteswissenschaften, vor allem in Philosophie und Jurisprudenz, wird die Wirkung von Stil und Form der Texte auch für die Überzeugungskraft ihrer Argumente oft weit unterschätzt. Mit Unrecht hält man den sachlichen Gehalt für das alleinige Maß ihrer Bedeutung. Ein entsprechender Tadel wäre übrigens mutatis mutandis auch an den Gesetzgeber zu richten. In einem berühmten Brief an Balzac schrieb Stendhal 1840, er lese zur Einstimmung für seine literarische Arbeit jeden Morgen einige Seiten im Code civil. Als eine solche stilistische Vorlage wäre das deutsche BGB von 1900 gewiss ebenfalls denkbar. Aber irgendeines unserer neueren Gesetze? Ein weites Feld, zugestanden. Daher mag es bei diesem ungeneigten Hinweis sein Bewenden haben. Erschienen ist meine Dissertation unter dem Titel „Strafrecht und Satire im Werk von Karl Kraus“ 1994 im Nomos Verlag, vier Jahre später wurde sie, leicht überarbeitet, als Taschenbuch in die Wissenschaftsreihe bei Suhrkamp aufgenommen. Ihr Ertrag für die heutige Strafrechtsdogmatik ist, sofern es ihn überhaupt gibt, gering. Mehr erhoffe ich mir für ihren rechtshistorischen Wert. Ihr Einleitungskapitel rekonstruiert auf hundert Seiten die straf- und strafprozessrechtliche Entwicklung in Deutschland und Österreich im letzten Drittel des 19. und im ersten des 20. Jahrhunderts als eine der Ideengeschichte. Die vierhundert weiteren Seiten des Buchs stellen dieser Entwicklung einen begleitenden Bericht aus dem politischen, kulturellen und vor allem strafjustiziellen Innenleben jener Epoche bei, das im Gesamtwerk des Karl Kraus einen Spiegel von beispielloser Schärfe gefunden hat. Der literarhistorische Wert der Arbeit für die Kraus-Forschung dürfte
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beträchtlicher sein als der für die Strafrechtswissenschaft. Immerhin waren die Mitglieder der Jury, die alljährlich den Ehrentitel für die „juristischen Bücher des Jahres“ vergibt, so freundlich, 1996 auch mein Buch über Karl Kraus damit zu bedenken. Unter den höchstpersönlichen Interna der Strafrechtsgeschichte, die sich mir aus unpublizierten Quellen ergaben, mag eines hier Erwähnung finden: der vorher unbekannte Umstand, dass Karl Kraus und Franz von Liszt einander gekannt haben. In einem Aufsatz in der ZStW, der vor dem Buch erschien, habe ich die Geschichte dieser Bekanntschaft und ihres Scheiterns erzählt. Faksimiliert abgedruckt wurde dabei auch ein handschriftlicher Brief Franz von Liszts an Kraus, den ich im Wiener Kraus-Archiv gefunden hatte. In seinen Lebenserinnerungen „Der innere Weg“ spricht Radbruch einmal von Liszts „unvergleichlich schöner, beschwingter Schrift“. Der Brief an Kraus bestätigt sie in einem wahrhaft staunenswerten Maß.
Institut für Rechtsphilosophie; Extravaganzen: Luxus, Lohn und Risiko Zwischen meinem Eintritt in Arthur Kaufmanns Institut für Rechtsphilosophie und der Fertigstellung meiner Dissertation waren freilich zehn Jahre vergangen, für jede kluge Planung einer akademischen Karriere bei weitem zu viele. Zwar habe ich sie nicht im pathologischen Modus der Prokrastination verstreichen lassen, aber (einmal mehr) im fahrlässigen einer ausschweifenden Umtriebigkeit in weiteren Sphären meiner Neigungen. Karl Kraus hatte meinen Blick auf das geistige Wien des frühen 20. Jahrhunderts gelenkt. Dass darin irgendwann Ludwig Wittgenstein auftauchte, war unvermeidlich. Jahrelang habe ich mich mit ihm und seinem Denken befasst und tue dies zu wechselnden Gelegenheiten noch heute. Das amerikanische Standardwerk „Wittgenstein’s Vienna“ von Allan Janik und Stephen Toulmin habe ich ins Deutsche übersetzt, in weiten Teilen überarbeitet und von sachlichen Fehlern befreit. Von einem schwedischen und einem ungarischen Verlag erhielt ich später Anfragen, ob man den dort geplanten Ausgaben meine deutsche Fassung statt des amerikanischen Originals zugrunde legen dürfe. Das Buch erschien 1984 im Hanser Verlag, 1985 in 2. Auflage und seither, wenn ich recht sehe, in vier weiteren Ausgaben. Im Sommer 1984 lernte ich Georg Henrik von Wright kennen, einen der bedeutendsten Philosophen der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts, Freund Wittgensteins und dessen Nachfolger auf dem Lehrstuhl in Cambridge, eine Begegnung, die ich zu den Glücksfällen meines Lebens rechne. Nicht eigentlich als Vorbild, denn dafür wäre mir jede eigene Aspiration vermessen erschienen, wohl aber als jemanden, der dem mir verfügbaren Begriff des großen Philosophen in nachgerade idealer Weise entsprach, behalte ich diesen außergewöhnlichen Mann in Erinnerung. Eine Reihe von Briefen mit allerlei Sonderdrucken, darunter einer des Erstdrucks seiner Kor-
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respondenz mit Ludwig Wittgenstein, bleiben mir sprechende Zeugen für diesen Glücksfall meiner intellektuellen Biographie. 1986 finanzierte mir der German Marshall Fund eine sechswöchige Reise durch Amerika, deren Ziel es war, in Gesprächen mit dortigen Philosophen eine Studie zur amerikanischen Gegenwartsphilosophie zu erstellen. Das gelang in ganz unerwartetem Maß. Ich bewahre mehr als zehn Stunden Tonbandaufzeichnungen von Gesprächen mit einigen der damals wie heute weltweit berühmtesten Philosophen: Hilary Putnam, Thomas Kuhn, Stanley Cavell, Richard Rorty, Donald Davidson, John Searle, Richard Jeffrey, Patrick Suppes – auch für Strafrechtswissenschaftler bedürfen wohl die meisten dieser Namen keiner weiteren Erläuterung. Aus meinen Interviews wurde 1987 eine fast zweistündige Sendung im Bayerischen Rundfunk. Darin verband ich Ausschnitte aus den Gesprächen mit einem eigenen Fließtext, der wichtige philosophische Lehren meiner Gesprächspartner zu erläutern suchte. Eine stark gekürzte Version davon erschien 1987 in der Zeitschrift Merkur. Die Eindrücke aus diesen Gesprächen, das dafür Gelernte und dann für die Rundfunksendung Vertiefte haben zusammen mit den Arbeiten über Wittgenstein und der prägenden Begegnung mit von Wright meine philosophischen Orientierungen vielleicht stärker bestimmt als alle späteren Einflüsse, die es gleichwohl naturgemäß gegeben hat. Von Hilary Putnam habe ich übrigens einige Jahre nach unserem Gespräch in seinen Kant-Lectures in München die schlagendste Definition dessen gehört, was einen großen Philosophen ausmacht, veranschaulicht am Beispiel Wittgensteins: „Wenn ich ihn lese, werde ich klüger, und er wird es auch, und es kommt der Moment, da er anfängt mir meine Ideen zu stehlen.“ Noch heute beobachte ich mich bei der Lektüre philosophischer Schriften manchmal, ob mir diese Einsicht als eigene Erfahrung gelingt. 1988 fragte mich der Chefredakteur der Hamburger ZEIT, ob ich in die dortige Redaktion eintreten wolle. Man hatte eine Reihe meiner Essays im Merkur gesehen und hielt mich ersichtlich für einen geeigneten Destinatär dieser verblüffenden Offerte. In einer noch immer schlafwandlerisch sorglosen Mischung aus Eitelkeit und Neugier ließ ich auch diese Möglichkeit nicht aus. Eineinhalb Jahre blieb ich dort, erst in der Redaktion des „Dossiers“, dann im Feuilleton, lernte viel und gänzlich Neues. Das Schreiben freilich gehörte nicht dazu. Vor jeder selbst unbewussten Orientierung an einem journalistischen Stil stand der prohibitive Einfluss von Karl Kraus. Der Jean-Amery-Preis für Essayistik, den ich 1991 erhielt, widerlegt das nicht, beweist es vielmehr, wie ich hoffe. Gleichwohl habe ich die Zeit bei der ZEIT in bester Erinnerung. Meine Erfahrungen dort motivieren mich bis heute immer wieder, öffentlich und in Zeitungen zu Fragen des Straf- und des Völkerrechts, der politischen Philosophie und der Bioethik Stellung zu nehmen.
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In all ihrem Reichtum für das eigene Denken und Lernen waren diese umtriebigen Jahre für den Aspiranten einer beruflichen Zukunft als Strafrechtler ein ausgesprochen riskanter Luxus. Zurückschauend habe ich, da alles gut ging, keinen Anlass, ihn zu bedauern. Dass er möglich war, hatte ich auch der Anstellung am Institut für Rechtsphilosophie zu verdanken, und damit vor allem Arthur Kaufmann. Was ihn neben seiner wissenschaftlichen Leistung besonders auszeichnete, war die unbedingte Loyalität zu seinen Mitarbeitern, auch zu den unscheinbaren, zu denen ich jedenfalls am Beginn meiner Tätigkeit dort gehörte. An allen fachfremden Extravaganzen meiner damaligen Neigungen nahm er freundlichen Anteil, interessierte sich für ihre Inhalte, war stets zu Gesprächen darüber bereit und ließ nicht selten, vielleicht zu großzügig, sein Lob für ihre Resultate erkennen. Ich verdanke ihm mehr, als mir ehedem bewusst war. Seine auch in ihrer Emotionalität stets offen bekannte Bindung an seinen Lehrer Gustav Radbruch habe ich damals vor lauter Geschäftigkeit in ihrer menschlichen Tiefe so wenig begriffen wie Radbruchs Bedeutung und, wie ich hinzufügen muss, manches an der Bedeutung Arthur Kaufmanns selbst. Leise verlegen ob dieser Reminiszenz sehe ich heute seinen Rang in der Wissenschaft und darüber hinaus in völliger Klarheit. Rudolf G. Binding, Karl Bindings Sohn, erwähnt in seinen Lebenserinnerungen eine Bemerkung seines Vaters am Tag vor dessen Tod. Er, der Vater, sei jüngst „auf ein Problem der Strafe gestoßen“, an das er in seinem Leben nie gedacht habe: „das Problem der ewigen Strafen“. Wer unter den modernen Strafrechtstheoretikern wüsste mit diesem Satz noch etwas anzufangen? Mir ist er ein Sinnbild für die Weite des Horizonts Arthur Kaufmanns. Er, der zum strafrechtlichen Problem der Schuld Substanzielles beigetragen hat, hätte Bindings Bemerkung auf der Stelle verstanden, und womöglich tiefer als dieser selbst. Noch jemand, der die besondere Atmosphäre der Münchener Rechtsphilosophie geprägt hat, bedarf der Erwähnung: Lothar Philipps, der zweite Professor am Institut. Er war der Logiker, der Normentheoretiker, Analytiker „neuronaler Netze“ in der Begriffswelt des Strafrechts, scharfsichtiger Mittler zwischen formalen Strukturen und materialen Gehalten der Jurisprudenz, und in der leichten Eleganz seines Schreibens, in seiner umfassenden literarischen Bildung gleichwohl der heimliche Ästhet des Instituts. In einer Rezension von Leonard Nelsons „System der philosophischen Rechtslehre und Politik“ erinnert sich Gustav Radbruch an eine Bemerkung Emil Lasks, mit dem er befreundet war, über Nelsons Methode: „Wo der hindenkt, da wächst kein Gras mehr.“ Ungefähr das Gegenteil traf, bei aller Präzision seines Denkens, für Lothar Philipps zu. Wo er hindachte, oft nur sanft ironisch hindeutete, wuchs vielleicht nicht Gras, öffneten sich aber fast immer überraschende Einsichten ins logische Innenleben des Rechts. Als ich mit meiner Dissertation begann, war meine Stelle am Institut Lothar Philipps zuge-
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wiesen. Wiewohl die Arbeit erst viel später zum Abschluss kam, blieb er formell mein Doktorvater, in der Sache war er’s wohl stets zusammen mit Arthur Kaufmann. Beiden bewahre ich eine dankbare Erinnerung.
Habilitation Nach dem Ende meiner Jahre am Institut für Rechtsphilosophie machte sich die nagende Selbstkritik ihrer Versäumnisse fühlbar. Nach einiger Überlegung zur Ungewissheit meiner akademischen Chancen beschloss ich, es darauf ankommen zu lassen. Im Frühjahr 1993 war endlich das Promotionsverfahren erledigt, mit dem Resultat des Summa cum laude kam eine Habilitation in Betracht, nicht mehr in München freilich, da Arthur Kaufmann inzwischen emeritiert war, aber in Frankfurt am Main, wo mich Klaus Lüderssen mit einem generösen Vertrauensvorschuss als Habilitanden annahm, vor allem wohl meiner Kraus-Arbeit wegen, die seinem Enthusiasmus für alles im Interferenzraum von Recht und Literatur das Risiko meiner Betreuung akzeptabel erscheinen ließ. Ein kurzes Intermezzo an der Juristischen Fakultät in Kiel, an das mich die dort erfahrene Förderung durch Erich Samson und Eckhard Horn freundlich (und manches andere eher dubios) erinnert, verzögerte den Anlauf, aber zum Jahresende 1994 erhielt ich ein Stipendium der DFG, heilsam begrenzt auf zwei Jahre, das auf dem Weg zum Ziel keine Extravaganzen mehr zuließ. Das Thema der Arbeit lautete „Früheuthanasie“, ihr Untertitel, weiter ausholend, „Rechtsethische und strafrechtliche Grundlagen ärztlicher Entscheidungen über Leben und Tod in der Neonatalmedizin“. Ihr Motivgrund waren klaffende Lücken in der damals ausgesprochen spärlichen Diskussion des Themas in der Strafrechtswissenschaft. Deutlich geworden waren sie mir einige Jahre zuvor in der „Singer-Affäre“, einer mit lärmender Resonanz auch in der medialen Öffentlichkeit ausgetragenen Kontroverse um die Thesen des australischen Bioethikers Peter Singer zur Sterbehilfe an schwerstgeschädigten Neugeborenen. Ich hatte mich mit einem umfänglichen Artikel in der ZEIT unter dem Titel „Der Streit um Leben und Tod“ an dieser Debatte beteiligt. In meinem Bemühen, die in manchen Irrläufern bis zum Grotesken unvernünftige Diskussion zu versachlichen, hatte ich die im Strafrecht verfügbaren Argumente geprüft und für unzulänglich befunden. Aus meinen „Rückfragen an die Strafrechtsdogmatik“ entstand (mit diesem Untertitel) ein längerer Aufsatz. Er erschien in dem von mir und dem Philosophen Rainer Hegselmann bei Suhrkamp edierten Band „Zur Debatte über Euthanasie“. Da mir die unerledigten Rückfragen keine Ruhe ließen, machte ich sie zum Gegenstand der Habilitation. Im Frühjahr 1997 war die Arbeit fertig, im Sommer das Habilitationsverfahren abgeschlossen. Vertretungen in Saarbrücken, Bielefeld und Rostock folgten, auch Rufe an die beiden letztgenannten Fakultä-
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ten und nach ihrer Ablehnung schließlich der Ruf auf den Lehrstuhl für Strafrecht und Rechtsphilosophie in Hamburg, den ich annahm. Im April 2000 wurde ich ernannt. Wieder begann etwas Neues. Wissenschaftlich waren die ersten Jahre bestimmt von einer ausschweifenden Vielfalt neuartiger Themen. Deren gemeinsamer Ursprung waren zunächst Seitenwege, die mir in der Arbeit an meiner Habilitationsschrift in den Blick gekommen, aber dort unerforscht geblieben waren. Ihr (etwas abstrakter) Titel lautet „Bioethik und Recht“. Er deckte damals eine rasch expandierende thematische Landschaft, die durchzogen war von unklaren Frontverläufen zwischen der dynamischen Entwicklung der Lebenswissenschaften und Grundprinzipien der Rechtsordnung, vor allem des Strafrechts. An manchen dieser Frontlinien habe ich mich als Strafrechtler wie als Rechtstheoretiker ehedem ziemlich allein gefühlt. Wenn dieser vielleicht unbescheidene Eindruck nicht ganz falsch war, dann mag er nicht nur den Grund für den ersten Schwerpunkt meiner eigenen Arbeit erhellen, sondern auch den ersten Bereich einer gewissen Wirksamkeit in der Wissenschaft. Jedenfalls fühle ich mich heute bei diesen Themen im Strafrecht längst nicht mehr allein.
III. Forschung, Politik, Öffentlichkeit: Wirkung und Grenzen Strafrecht und Rechtsethik in Medizin, Bio- und Neurowissenschaften Zwei grundlegende Mängel der damaligen juristischen Diskussion zur Sterbehilfe bei Neugeborenen, ein sachlicher und ein normativer, waren mir während meiner Arbeit deutlich geworden. Zum einen lag den meisten (der wenigen) Abhandlungen eine lebensferne Vorstellung der klinischen Wirklichkeit zugrunde. Im Vorwort meiner Arbeit erlaubte ich mir die Vermutung, das „gute Gewissen der Strafrechtler mit ihren bisherigen schlechten Lösungen“ gründe auch in ihrer „profunden Unkenntnis der Phänomene“. Das war etwas grob, aber in der Sache nicht falsch. Die in der Literatur gängigen Bezeichnungen wie „schwere Behinderungen“ oder „Schädigungen“, meist illustriert mit Beispielen wie Down Syndrom oder Spina bifida („offener Rücken“), waren eher geeignet, die klinischen Befunde – weit über hundert schwerste, oft qualvolle Syndrome – zu verdecken, als sie zu verdeutlichen. Zum andern wurden den rechtlichen Überlegungen regelmäßig zwei kategorische Prinzipien vorangestellt, die sich in ihrer strikten Unbedingtheit als irrig erwiesen. Erstens dürften keinerlei Erwägungen zur Lebensqualität oder -quantität eines Neugeborenen in die Begründung einer ärztlichen Entscheidung contra vitam eingehen; und zweitens könne in engen Grenzen zwar das passive Sterbenlassen, niemals aber die aktive Tötung gerechtfertigt sein.
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Beides ist nicht richtig und beiden Mängeln versuchte ich abzuhelfen. Die ausführliche (70-seitige) Darstellung der klinischen Phänomene mag hier dahinstehen. Als Hintergrund meiner Kritik an den beiden normativen Prämissen spielte sie aber eine wichtige Rolle. Sie ließ das Postulat, Erwägungen zur Lebensqualität und -quantität eines schwerstgeschädigten Neugeborenen dürften ärztliche Entscheidungen über dessen Leben oder Sterben nicht beeinflussen, schon auf den ersten Blick wenig überzeugend erscheinen. Der rechtliche Irrtum hinter diesem Postulat war die Annahme, solche Qualitäts- und Quantitätsbestimmungen hätten in Notstandsabwägungen zwischen Lebensschutz und Leidvermeidungsinteresse des betroffenen Kindes keinen Platz, weil das „Rechtsgut Leben“ als „höchstrangiges“ eo ipso gewichtiger sei als jedes denkbare Interesse an der Vermeidung selbst extremen physischen Leidens. Ein solcher abwägungsresistenter Rang kommt freilich allenfalls dem Recht auf Leben zu, nicht aber dem rein biologischen Am-Leben-Sein. Das subjektive Recht verpflichtet jedoch nur Dritte, nicht seinen Inhaber selbst, andernfalls würde es zur Lebenspflicht. Es darf, heißt das, nicht gegen ihn gewendet werden. In Fällen eines de facto zweifelsfrei überwiegenden Sterbensinteresses (und die Realität solcher Fälle zeigen die einleitenden Kapitel meiner Arbeit) berührt daher die Entscheidung, das betroffene Kind sterben zu lassen, dessen Recht auf Leben nicht, wiewohl sie das Ende dieses Lebens herbeiführt. In solchen Fällen kommt eine Notstandsrechtfertigung, die sich allein auf die fundamentalen Interessen des Neugeborenen selbst bezieht, durchaus in Frage. Der Grundgedanke dieser Lösung, im Begriff des „Rechtsguts Leben“ die Schutzgüter „Recht auf Leben“ und bloßes „biologisches Leben“ zu unterscheiden und damit eine Rechtfertigung für Entscheidungen contra vitam zu ermöglichen, fand, wenn ich recht sehe, in der Strafrechtslehre und der Kommentarliteratur einige Resonanz. Umstritten sind die Fragen nach wie vor. Auch die undifferenzierte und insofern irreführende Rede vom menschlichen Leben als „höchstem Rechtsgut“ ist weiterhin gängig. Freilich ist nicht zu erwarten, dass solche Grenzfragen des Menschseins jemals konsensfähig lösbar würden. Und das ist, genau besehen, auch gut so.
Grenzgänge; Entdeckungen Manche dieser Grenzlinien zwischen medizinischer Entwicklung und rechtlichen Normen führten in meiner Habilitationsarbeit zu Problemen, die im Strafrecht überhaupt noch keine Erwähnung gefunden hatten. Eines davon war das der chirurgischen Trennung sog. „siamesischer Zwillinge“. Solche Operationen sind oft nur mit der Folge gravierender Verstümmelungen oder sogar des Todes eines der Zwillinge möglich und werfen dann schwierige und ungewöhnliche Fragen der
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Rechtfertigung auf. Zur Lösung dieser Probleme habe ich eine Reihe von Vorschlägen erarbeitet, die seither in der Strafrechtswissenschaft mehrfach aufgegriffen und erörtert worden sind. Diese Rolle eines, sagen wir, juristischen Kundschafters in allerlei Frontgebieten anderer Wissenschaften blieb mir, ohne dass ich sie je angestrebt hätte, noch eine ganze Weile. Vor allem zwei Gründe gab es dafür. Der erste war meine schiere Neugier gegenüber solchen Entwicklungen; der zweite lag in dem Umstand, dass mir allerlei Zuständigkeiten in anderen Kontexten der Wissenschaft, aber auch der Rechtspolitik anvertraut wurden, die sich auf Forschung und Praxis der Medizin bezogen. Im Jahr 2005 wurde ich Leiter eines internationalen Forschungsprojekts der Europäischen Akademie Bad Neuenahr, dessen Gegenstand neuartige Eingriffe ins menschliche Gehirn und daraus resultierende normative Probleme waren. Das Ergebnis war ein umfangreiches Buch, verfasst mit sechs weiteren Autoren aus Philosophie, Neurochirurgie und Neuropsychiatrie, und 2007 unter dem Titel „Intervening in the Brain – Changing Psyche and Society“ publiziert. Zwei Jahre später fiel mir auf der Hamburger Strafrechtslehrertagung zum Generalthema „Strafrecht, Naturwissenschaften und technologische Entwicklungen“ die Aufgabe eines Referats zu. Dessen Gegenstand, „Neuartige Eingriffe ins Gehirn – Verbesserung der mentalen condicio humana und strafrechtliche Grenzen“, ließ sich mit Ergebnissen des früheren Forschungsprojekts verbinden. Ziel solcher Eingriffe, international geläufig als „Neuroenhancements“, ist die Verbesserung mentaler Fähigkeiten, ihre Formen erstrecken sich über ein breites Spektrum von Neurotechniken (pharmakologische, genetische, elektromagnetische, chirurgische, optogenetische). Manche davon muten futuristisch an, sind es aber längst nicht mehr. Ihre strafrechtliche Analyse legte mir zwei Monita an den Gesetzgeber nahe: erstens, das Selbst-Enhancement autonomer Personen jedenfalls derzeit nicht mit Verboten zu blockieren; hingegen, zweitens, den Schutz vor einwilligungslosen Interventionen zur „Verbesserung“ fremder Gehirne, insbesondere solcher von Kindern, sehr wohl mit einem neuen Straftatbestand zu sichern. Für diesen machte ich einen Formulierungsvorschlag, sein prospektives Rechtsgut nannte ich „mentale Selbstbestimmung“. Der Vorschlag fand, wenig überraschend, beim Gesetzgeber kein Gehör und nicht bei allen meiner Kollegen Beifall. Immerhin sind Neuroenhancements seither zu einem veritablen Thema in literarischen Abhandlungen und in der Kommentarliteratur zu § 228 StGB geworden. Auch der Begriff „mentale Selbstbestimmung“ hatte in Zustimmung wie Ablehnung einige Resonanz, vornehmlich allerdings (und als „mental self-determination“), im englischen Sprachraum. Dorthin hatte ich ihn in mehreren Aufsätzen exportiert, die ich zusammen mit meinem Assistenten Jan Christoph Bublitz verfasste.
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Im April 2012 wurde ich auf Vorschlag der Bundesregierung in den Deutschen Ethikrat berufen. Das erweiterte meine strafrechtliche Beobachterfunktion an neuen Frontlinien der Lebenswissenschaften beträchtlich. An rund zwanzig Stellungnahmen des Rats habe ich als Co-Autor mitgewirkt. 2019 erschien „Eingriffe in die menschliche Keimbahn“, mit einem von mir verfassten Kapitel über genetische Enhancements – Interventionen nicht zur Eliminierung von Erbkrankheiten, sondern zum Zweck einer „Verbesserung“ des menschlichen Genoms und somit, wenn man will, der Menschheit. Wenige Jahre zuvor selbst als Idee oder Alptraum kaum vorstellbar, war die einschlägige Methode (das sog. CRISPR/ Cas9) 2015 weltweit verfügbar geworden. Ende 2018 konsternierte die Nachricht, das Verfahren sei in China an menschlichen Embryonen angewandt worden, die globale Öffentlichkeit. Die genetisch „edierten“ Embryonen, erfuhr man, seien implantiert, die Kinder inzwischen geboren worden. In Deutschland wäre ein solcher Eingriff nach § 5 des ESchG strafbar. Es gibt aber längst zellbiologische Methoden, die eine Umgehung des ESchG und eine straffreie Verwirklichung solcher Frankenstein-Versuche möglich machen. Noch spricht nichts dafür, dass in hiesigen Weltgegenden irgendjemand zu so etwas disponiert wäre. Angesichts der Entwicklungsdynamik der einschlägigen Technologien muss das aber (und wird wohl) nicht so bleiben. Einige der Probleme, die mit solchen und ähnlichen Entwicklungen auf das künftige Strafrecht zukommen, habe ich in einem Symposionsbeitrag zu Ehren Thomas Weigends erörtert. Es gibt eine ganze Reihe weiterer, die „Cyborgisierung“ des menschlichen Gehirns etwa, dessen biotechnische Fusion mit „autonomen“ Computern also, die außerhalb der Kontrolle ihrer Träger Entscheidungen beeinflussen und deren Zurechenbarkeit zweifelhaft machen können. Oder die Erzeugung sog. Organoide für die Grundlagenforschung, aktiver Verbünde aus artifiziell programmierten menschlichen Zellen unterschiedlicher Provenienz (etwa Herz-/Nieren-/Lungen-/Gehirn-Organoide), die zwar keine Embryonen sind, aber doch lebende menschliche „Entitäten“ (einer gänzlich obskuren Art), deren Mini-Organe sich wochenlang selbsttätig entwickeln und embryoartige Eigenschaften ausbilden können. Die normativen Probleme solcher Forschungen liegen auf der Hand. Moralisch konsensfähige Lösungen kennt derzeit niemand, aber die weltweite Diskussion darüber hat inzwischen begonnen. Auch die Strafrechtswissenschaft wird sie aufnehmen müssen. Eben dies hoffe ich als eine Art Whistleblower ein wenig anzuschieben.
Ethikrat; Politik; öffentliche Wirkung Die Mitgliedschaft im Ethikrat eröffnete neue Möglichkeiten der Interaktion mit der Politik. Begonnen hatte dieser Austausch für mich schon früher. 1998 hatten
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amerikanische Forscher erstmals die Kultivierung und die unbegrenzte Selbstreplikation von Stammzellen aus in vitro erzeugten menschlichen Embryonen beschrieben. Daran knüpften sich weitreichende therapeutische Hoffnungen. Zugleich entstand eine weltweite kontroverse Debatte über die Frage, ob der Verbrauch lebender Embryonen für solche Chancen ethisch und rechtlich legitimierbar sei. Ende 2000 erreichte diese Diskussion die deutsche Öffentlichkeit. Im Januar 2001 veröffentlichte ich in der ZEIT unter dem Titel „Rechte für Embryonen?“ eine Analyse der normativen Probleme. Wohl schon wegen des Fragezeichens seiner Überschrift, vor allem aber wegen der darin entwickelten Argumente gegen eine ethische und verfassungsrechtliche Gleichstellung früher Embryonen mit geborenen Menschen und daher für die Freiheit der Stammzellforschung entfachte dieser Artikel eine ausgedehnte Kontroverse nicht nur in juristischen und moralphilosophischen Abhandlungen, sondern auch in der medialen Öffentlichkeit. Auf diese Weise beförderte er, wie mir später gesagt wurde, wohl auch die politische Absicht, einen „Nationalen Ethikrat“ einzurichten, die Bundeskanzler Schröder im Juni 2001 verwirklichte. Etwa zur gleichen Zeit bat mich die Bundestagsfraktion der FDP um ein Gutachten zu Grund und Grenzen des ethisch und rechtlich gebotenen Embryonenschutzes. Das legte ich Ende 2001 vor, zusammen mit einem Gesetzentwurf für eine liberale Reform des ESchG, der im Januar 2002 von der FDP und rund 60 Abgeordneten der CDU im Bundestag eingebracht und erwartungsgemäß abgelehnt wurde. Gutachten und Entwurf erschienen 2002 im dtv Verlag. Manches aus dieser Grundlagenarbeit ging später in meine ausführliche Kommentierung der §§ 218 bis 219b StGB im Nomos Kommentar ein. 2003 wurde ich in die Enquete-Kommission des Bundestags „Ethik und Recht der modernen Medizin“ berufen, der ich bis zu ihrer Auflösung 2005 angehört habe. In dieser Funktion habe ich (eingehende) Sondervoten zu den Zwischenberichten der Kommission über die Themen „Patientenverfügung“ und „Organlebendspende“ verfasst; zusammen mit den Berichten sind sie in den einschlägigen Drucksachen des Bundestags erschienen. Im Umgang mit der Politik eröffnete der Ethikrat neue formelle wie informelle Möglichkeiten. Dazu gehörten die jährlichen „Parlamentarischen Abende“ des Rats mit offenen Gesprächen jenseits der Parteiräson, zudem zahlreiche offizielle Einladungen als Sachverständiger in den Rechtsausschuss des Bundestags. 2014 berief mich Justizminister Maas in eine Kommission zur Reform der Tötungsdelikte. Im Sommer 2015 lag der knapp 900-seitige Abschlussbericht der Kommission vor – und verschwand folgenlos und wohl für immer in den Geheimfächern des Ministeriums. Das ist kein bitterer Ton, eher das Abwinken vor einer Erfahrung, die symptomatisch ist. Gewiss, der Mordparagraph, um dessen Re-
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form es so gut wie ausschließlich ging, präsentiert ein Labyrinth schwieriger Probleme dogmatischer wie rechtsprinzipieller Art. Zu einem einhelligen Votum fand die Kommission daher auch nur in einer Forderung, nämlich der längst überfälligen, die absolute Strafdrohung des § 211 durch die Möglichkeit einer zeitigen (bis lebenslangen) Freiheitsstrafe zu ersetzen. Gerade diese Forderung entfachte freilich in der (partei-)politischen Öffentlichkeit den Gegenwind einer ungehaltenen Kritik. Keine der gängigen Empörungsphrasen, von „Verharmlosung“ bis „Täterschutz“, wurde ausgelassen. Das ehrliche Interesse des Justizministers an der Reform braucht man nicht zu bezweifeln. Aber die Führung seiner Partei als die des kleineren Koalitionspartners hatte andere Sorgen, als sich wegen eines Strafparagraphen mit dem wenig reformgeneigten größeren Partner in der Regierung anzulegen. Der wievielte spurlos verblichene Versuch einer Reform des Mordtatbestands dies in den letzten fünfzig Jahren gewesen ist, weiß ich nicht. Aber die Prognose, er werde in den nächsten fünfzig nicht der letzte bleiben, scheint mir wenig riskant. Der Vorgang dürfte exemplarisch sein. Die Möglichkeiten der Wissenschaft, mit Argumenten die Vernunft der Rechtspolitik zu fördern, sind erheblich geringer, als man wünschen und im eigenen Bemühen um gute Lösungen vielleicht annehmen möchte. Das gilt nach meiner Erfahrung auch und gerade für Stellungnahmen im Rechtsausschuss, jedenfalls in sämtlichen Fällen, in denen das verhandelte Thema eine ideologieanfällige Flanke hat. Die Neigung der Abgeordneten, in solchen Anhörungen jeweils „ihre“ Experten durch Fragen zu instrumentalisieren, die kaum andere Antworten zulassen als die parteipolitisch approbierten, ist völlig plausibel. Und dass die Sachverständigen nach ihren (vierminütigen) Eingangsstatements nur zu reden haben, wenn sie gefragt werden, ist als Funktionsbedingung der Anhörungen ohne weiteres einzusehen. Nur eben die Bedeutung des eigenen Auftritts für die jeweils aktuelle rechtspolitische Genesis sollte man nicht überschätzen. Die politische Resonanz des Ethikrats ist naturgemäß anderer Art und Provenienz. Auch sie ist freilich nicht unabhängig von Billigung oder Missbilligung seiner Stellungnahmen durch die gerade herrschende Parteiräson. Das ist kein Grund zur Beschwerde. Aber idealistische Blütenträume sind eben auch hier nicht angebracht. Ein anschauliches Beispiel bietet die im Jahr 2014 veröffentlichte Stellungnahme des Rats zum Verbot des Geschwisterinzests nach § 173 Abs. 2 S. 2 StGB, an der ich erheblichen Anteil hatte. Sechs Jahre zuvor hatte das BVerfG, wenig überzeugend, die Verfassungsmäßigkeit des Tatbestands festgestellt. Aber das schloss eine Empfehlung an den Gesetzgeber natürlich nicht aus, dieses Relikt einer verjährten Sexualmoral aufzuheben, und eben darin bestand das Mehrheitsvotum der Stellungnahme. Die prompte Reaktion seitens der
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Politik kam als die mediale Anfrage, ob man im Rat noch bei Verstand sei, sowie als der Hinweis, weit eher als über eine Abschaffung des § 173 Abs. 2 S. 2 StGB sei über die des Ethikrats nachzudenken. Es gab natürlich auch andere Reaktionen, manchmal sogar in hohem Ton lobende, meistens dann, wenn die Äußerungen des Ethikrats den Tendenzen irgendeiner Parteipolitik entgegenkamen. Der seltene Fall, dass dies die einhellige Tendenz aller Parteien war, kam ebenfalls vor, etwa im Streit um die Zulässigkeit der frühkindlichen Knabenbeschneidung, der 2012 die Gemüter in Politik und Medienöffentlichkeit in Wallung versetzte. Ein Urteil des Landgerichts Köln hatte eine solche Beschneidung unbeschadet der elterlichen Einwilligung als rechtswidrige Körperverletzung qualifiziert. Lediglich ein unvermeidbarer Verbotsirrtum wurde dem angeklagten Arzt zugebilligt, ein Ausweg, der mit der großen Prominenz des Urteils für alle künftigen Fälle sofort obsolet wurde. Die Aufregung in der Politik war groß. Alle Abgeordneten wurden aus den Sommerferien zu einer Sondersitzung des Parlaments gerufen, in der man nicht etwa ein neues Gesetz, sondern den Beschluss verabschiedete, man werde in dieser Sache demnächst ein neues Gesetz verabschieden, um die Beschneidung als Bestandteil des Elternrechts zu legitimieren. Das politische Signal dieses ungewöhnlichen Vorgangs richtete sich vor allem ans Ausland. Es stand außer Frage, dass nicht ausgerechnet in Deutschland als vermutlich einzigem Land der Welt ein konstitutiver Ritus des Judentums zur Straftat erklärt werden konnte. Auch der Ethikrat berief eine öffentliche Sondersitzung ein. Mir fiel die Aufgabe einer strafrechtlichen und rechtsethischen Analyse der Beschneidung zu und ich fand mich in der unbehaglichen Lage, de lege lata wie auch nach rechtlichen Prinzipien dem LG Köln, nach den Maßgaben politischer Vernunft dagegen dem Parlamentsbeschluss zustimmen zu müssen. In einem nachfolgenden Artikel in der Süddeutschen Zeitung habe ich von einem „rechtspolitischen Notstand“ gesprochen. Das stieß auf Zustimmung wie auf Missfallen. Sinn der Formel war es, auf eine politische Grenze des Rechts zu verweisen, etwas, das es in der idealen Theorie des Rechtsstaats überhaupt nicht, in dessen unreiner Wirklichkeit dagegen häufiger gibt, als die Schulweisheit sich träumen lässt. Vor diesem Hintergrund verabschiedete der Ethikrat eine plausibel kompromisshafte Empfehlung an den Gesetzgeber: Er solle die Beschneidung qua Elternrecht legitimieren, aber an strikte Bedingungen der Sicherheit und Schmerzfreiheit für die Kinder knüpfen. Das wurde von allen politischen Parteien emphatisch begrüßt – und in dem dann verabschiedeten § 1631d BGB, dessen Begründung sich auch auf den Beschluss des Ethikrats beruft, höchst mangelhaft umgesetzt.
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Völkerstrafrecht; Kriegsvölkerrecht Eine andere Form öffentlicher Wirkung habe ich immer wieder in Zeitungsartikeln gesucht. Etwa fünfzig solche Artikel zu strafrechtlichen, rechtsphilosophischen und völkerrechtlichen Themen sind in den vergangenen dreißig Jahren erschienen, bis 2010 in der ZEIT, seither fast ausschließlich in der Frankfurter Allgemeinen. Politische Vorgänge lassen sich damit nicht beeinflussen, wohl aber lässt sich manchmal das Niveau öffentlicher Debatten verbessern, indem die in Politik und Leitartikeln gängigen Argumente um solche der Wissenschaft ergänzt (und gelegentlich um ihre Irrtümer bereinigt) werden. In meinen Beiträgen ging es naturgemäß vor allem um strafrechtliche und rechtsphilosophische Analysen, seit etwa 2000 zunehmend auch um solche des Kriegsvölkerrechts und des Völkerstrafrechts. Mein Interesse an diesen Fragen war in der zweiten Hälfte der 1990er-Jahre entstanden. Zusammen mit Roland Wittmann hatte ich 1996 anlässlich des zweihundertsten Jahrestags von Immanuel Kants „Zum ewigen Frieden“ einen Diskussionsband herausgegeben und darin die damals noch ungesicherte Idee eines Völkerstrafgerichtshofs mit dem Entwurf des großen Denkers zu einem Völkerbund souveräner Staaten in Verbindung zu setzen gesucht. Noch einen weiteren Jahrestag ganz anderen Ursprungs und doch verwandten Inhalts gab es 1996: den fünfzigsten des Urteils im Nürnberger Militärtribunal über die nationalsozialistischen Hauptkriegsverbrecher. Ich hatte einen Aufsatz zum Recht dieses Prozesses unter den Gesichtspunkten des „Gültigen, Fragwürdigen und Überholten“ seiner Grundlagen und Prinzipien geschrieben, der mir eine Einladung zu der internationalen Nürnberger Konferenz anlässlich des Gedenktags eintrug. Dort lernte ich Whitney Harris kennen, einen der letzten noch lebenden Ankläger aus dem Stab Robert Jacksons vor dem Militärtribunal, einen ausnehmend freundlichen Mann, ohne jeden Anflug von Herablassung gegenüber dem Mitglied der Nachfolgegeneration jener Besiegten von ehedem. Wenig später lud mich die jüdische Gemeinde in München zu einer Diskussion mit Otto Kranzbühler ein, dem letzten noch lebenden Verteidiger des Nürnberger Tribunals, der dort den Großadmiral Dönitz, Hitlers formellen Nachfolger, verteidigt und vor dem Galgen bewahrt hatte. Ich fragte ihn, ob er in Nürnberg auch mit Hermann Göring Gespräche geführt habe, was er bejahte. Meine Bitte, dem Publikum und mir davon zu berichten, wies er ruhig und bestimmt zurück. Er fühle sich noch fünfzig Jahre nach dem Prozess an seine Schweigepflicht gebunden. Das war in der Sache eine wenig überzeugende Begründung. Aber Kranzbühler selbst hatte eine so bezwingende persönliche Ausstrahlung von Integrität und Wahrhaftigkeit, auch übrigens für das gebannt lauschende jüdische Publikum, dass sich jede weitere Bitte von selbst verbot. Später habe ich das bedauert. Es mögen unschätzbare histori-
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sche Einsichten gewesen sein, die Kranzbühler acht Jahre danach mit ins Grab nahm. Das Interesse am Völkerstrafrecht habe ich bewahrt, meine Gedanken dazu in weiteren Aufsätzen zu klären und entwickeln gesucht. Festgehalten habe ich auch an meiner grundsätzlichen Sympathie für die zugrundeliegende Idee, die eines interkulturellen Strafrechts, das die globale Durchsetzung menschenrechtlicher Grundnormen unterstützt, indem es deren gravierendsten Verletzungen mit weltweit verbindlichen Sanktionsdrohungen begegnet. Freilich hat sich in den letzten Jahren mein Blick für die Grenzen der Legitimation eines globalen ius puniendi geschärft. Gewachsen ist damit auch mein Zweifel an einer allzu unbefangenen Tendenz, völkerstrafrechtliche Normenkataloge stetig und im Maß des politisch Möglichen statt des rechtspolitisch Vernünftigen zu erweitern. Auch in der angrenzenden Sphäre des Kriegsvölkerrechts, das sog. humanitäre Völkerrecht eingeschlossen, habe ich mich mit Aufsätzen und Zeitungsartikeln zu Wort gemeldet, zum Kosovo-Krieg etwa, zum amerikanisch-britischen Einmarsch im Irak, zur Libyen-Intervention der Nato, zur Einmischung der westlichen Vormächte in Syrien, zur „Annexion“ der Krim durch Russland und zur kollateralen Tötung von Zivilisten im Krieg. Manche meiner völkerrechtlichen Kollegen haben das nicht nur jeweils in der Sache, sondern auch als Überschreitung meiner fachlichen Zuständigkeit getadelt. Es ist aber ein Missverständnis zu glauben, die Probleme zwischenstaatlicher Gewalt seien ausschließlich, ja auch nur vorrangig eine Angelegenheit des positiven Völkerrechts, das übrigens in diesem Zusammenhang von durchaus überschaubarer Schwierigkeit ist (um nicht, mit Hans Kelsen, „Primitivität“ zu sagen). Die Staaten, die Krieg führen, halten sich selten an die Bedingungen seiner Rechtfertigung nach der Charta der Vereinten Nationen. Und selbst der Sicherheitsrat, Treuhänder des globalen Gewaltmonopols, ignoriert diese Grenzen gelegentlich, manchmal sogar dann, wenn er militärische Gewalt autorisiert, wie zuletzt in der rechtlich und politisch verfehlten Entscheidung, die Nato-Intervention in Libyen zu legitimieren. Die normativen Grundlagen des Kriegsvölkerrechts gehören zu den Gegenständen der Rechtsphilosophie nicht weniger als zu denen des positiven Völkerrechts – was mir die unbeirrte Neigung erhält, mich zu einschlägigen Fragen auch in Zukunft öffentlich zu äußern.
Interdisziplinarität Manche der vorstehenden Ausführungen haben dieses Stichwort schon avisiert. In meiner wissenschaftlichen Arbeit kennzeichnet es vor allem den engen Austausch mit der Philosophie – nicht unbedingt als persönliche Kooperation mit
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Philosophen (die es auch gab), wohl aber als die Neigung, zu Fragen und Problemen, die das Strafrecht wie die Philosophie gleichermaßen beschäftigen, den produktiven Blickwechsel zwischen beiden Sphären zu suchen. Das ist, wie man weiß, keine neue Idee. Auch Warnungen vor Irrwegen, auf die man dabei geraten kann, gibt es seit langem. Berühmt ist Feuerbachs Ausfall in seiner Antrittsvorlesung „Über Philosophie und Empirie in ihrem Verhältnisse zur positiven Rechtswissenschaft von 1804“ „wider die Anmaßung derer, welche alles Positive in der positiven Rechtswissenschaft nur als eine unterthänige Magd wollen behandelt wissen, deren höchste Bestimmung es sey, der Philosophie die Schleppe nachzutragen, ihren herrschaftlichen Befehlen sich in Unterthänigkeit zu beugen und, wenn es der Herrin beliebt, vor ihren Augen ganz zu verschwinden“. Das wäre weiß Gott unsinnig, wiewohl der Eindruck, dass Feuerbachs Kritik einen Hauch zeitloser Berechtigung enthält, auch heute nicht immer abzuweisen ist. Feuerbach war freilich selbst Philosoph, bevor er Jurist wurde. Er wusste genau um die Produktivität einer richtig verstandenen Interaktion. Wie man sie richtig zu verstehen habe, war für mich stets die erste Frage, bevor ich mich im jeweils fraglichen Kontext an einer vergleichenden Exploration versuchte. Das ist nun, wie man so sagt, ein weites Feld, und ein paar knappe Bemerkungen müssen hier genügen. Die „Anmaßung“, von der Feuerbach spricht, ist die Behauptung eines Vorrangs der Philosophie vor dem Gesetzgeber des positiven Rechts in der Frage, was bei Strafe zu verbieten sei und was nicht. Hier kann man Feuerbach nur zustimmen. Einen solchen Vorrang hat heute die Verfassung des säkularen Staats, nicht aber haben ihn die „zu aller positiven Gesetzgebung unwandelbaren Prinzipien“ eines philosophischen Vernunftrechts, die Kant in der Rechtslehre seiner „Metaphysik der Sitten“ zitiert. Etwas anderes mag gelten für die Klärung bestimmter Grundbegriffe, die sowohl im Allgemeinen Teil des Strafrechts als auch in philosophischen Theorien eine zentrale Rolle spielen und manchmal jenseits aller Empirie ein metaphysisches Element enthalten. Gewiss muss das Strafrecht Fragen wie die, was eine Handlung ist, was Kausalität, oder an welche Kriterien intentionale Zustände wie Beweggründe, Motive oder Absichten (etc.) gebunden sind, zuletzt mit Blick auf die Funktion solcher Begriffe im System der Zurechnung beantworten. Erforderlich ist aber auch eine Klärung ihres Inhalts und Umfangs. Und dafür sind die einschlägigen philosophischen Diskussionen, die gerade hier oft leistungsfähiger als die Strafrechtsdoktrin sind, eine wertvolle Ressource. Für andere Probleme, die beide Disziplinen beschäftigen, gilt übrigens das Umgekehrte. Welche Formen der Beteiligung, welche der Rechtfertigung oder der Entschuldigung begrifflich wie normativ zu unterscheiden und was jeweils ihre legitimen Bedingungen sind,
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darüber gibt die Strafrechtslehre profundere Auskunft, als man sie in den meisten philosophischen Analysen finden wird. Man verzeihe den langwierigen Anlauf. Aber die Überlegungen, die er skizziert, spielen für die Form meines Arbeitens an strafrechtlichen Grundfragen eine besondere Rolle. Ein ausführlicher Versuch, das Programm einer solchen Parallelaktion zwischen Strafrecht und Philosophie exemplarisch durchzuführen, ist meine Monographie über „Willensfreiheit und Schuld“, die 2008 in erster und 2014 in zweiter Auflage erschienen ist. Selbstverständlich gab es zu dem Thema schon vorher unzählige strafrechtliche Abhandlungen mit ebenfalls unzähligen Seitenblicken in die philosophische Diskussion. Schon vor hundert Jahren hat Binding „die ungeheure Literatur […] über die sog. Willensfreiheit“ beklagt. Gleichwohl schien mir die Behandlung des Freiheitsproblems in der gegenwärtigen Strafrechtsdoktrin zu den Bedingungen der Schuldfähigkeit unter einem prinzipiellen Mangel zu leiden. Sie ignorierte die jüngeren Diskussionen der Gegenwartsphilosophie fast vollständig, die ein durchaus anderes Niveau an analytischer Tiefe und begrifflicher Differenziertheit aufweisen als die philosophischen Freiheitskonzeptionen von, sagen wir, Aristoteles bis Kant. Diesem Mangel abzuhelfen war das Anliegen des kleinen Buchs. Ob hier von Mangel überhaupt die Rede sein könne, ist freilich nicht unumstritten. Das Strafrecht, meinen manche, dürfe ohne jeden Blick auf metaphysische Rätsel der Freiheitsfrage einen agnostischen Standpunkt beziehen. Er begründe keinerlei Zweifel an der Legitimität der Kriterien vernünftiger Schuldzurechnung. Dass die Rechtsprechung und große Teile der Literatur die Wirklichkeit eines freien Willens als Grundlage der Schuld annähmen, sei daher kein Problem, selbst wenn sie einen ungeklärten oder blauäugigen Freiheitsbegriff voraussetzten. Ich glaube nicht, dass man sich des lästigen Themas so leichthändig entledigen sollte. Zwar teile ich den Agnostizismus, meine aber, dass er nicht als bequemer Ausweg, sondern nur als analytisch geklärter seine Berechtigung als Prämisse der Schulddiskussion reklamieren kann. Agnostiker in einer so grundsätzlichen Frage darf man erst sein (und wissen, dass man’s sein darf, kann man erst), wenn man die streitigen Argumente durchdacht hat und ihr non liquet daher mit Gründen behaupten kann. Die wichtigsten dieser Argumente aus der jüngeren philosophischen Diskussion in die Strafrechtswissenschaft zu importieren und für das Problem der Schuldfähigkeit zu erproben, war die Absicht meines Büchleins. Womöglich war sie etwas zu verwegen. Aufgegangen ist sie immerhin insofern, als diese neuere Seitenlinie zu der uralten Diskussion, die ich zu erhellen versucht habe, seither in pro und contra auch von anderen Strafrechtlern genauer in den Blick genommen wird.
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IV. Lehre; Schüler; Ehrungen Die Lehre war mir stets ein besonderes Anliegen. Dieser Satz klingt in seiner ganzen wohlfeilen Geläufigkeit wie ein Musterbeispiel peinlicher Anbiederung. Darüber nicht im Zweifel, möchte ich gleichwohl insistieren. Es war einfach so, und ist es im Übrigen immer noch, da ich auch seit meiner Emeritierung noch Vorlesungen halte, meist allerdings zur Rechtsphilosophie und an (verschiedenen) philosophischen Fakultäten. Das Motiv einer unmittelbaren Lust an dieser Aufgabe war gegenüber dem der akademischen Pflichterfüllung wohl immer das stärkere. Die Ambivalenz einer solchen (etwas indiskreten) Selbstbespiegelung verkenne ich nicht. Lichtenberg bemerkt einmal, um eine Fremdsprache akzentfrei zu sprechen, müsse „man nicht allein Gedächtnis und Ohr haben, sondern auch in gewissem Grad ein kleiner Geck sein“. Etwas Ähnliches dürfte mutatis mutandis für den Ehrgeiz der guten Lehre gelten, die ja ein offensichtliches Element theatralischer Selbstinszenierung aufweist – in ihrem Nutzen für Dritte aber gewiss eine lässliche Eitelkeit. Welche Möglichkeiten die Verbindung von Kompetenz und Engagement in der Lehre eröffnet, den Stoff lebendig zu machen und die Hörer zu fesseln, hatte ich bei Claus Roxin erfahren. Nicht eigentlich als Vorbild, denn die Fähigkeit des Lehrens gibt es nur in höchstpersönlicher Prägung, wohl aber als Maß eines außerordentlichen Gelingens ist mir diese Erinnerung lebendig geblieben. Vor Jahren hat Roxin in einem Aufsatz die sachlichen Voraussetzungen guter Lehre anschaulich beschrieben. Wie er glaube ich, dass die große, manchmal abschätzig „frontal“ genannte Vorlesung nach wie vor nicht ohne Verlust zu ersetzen wäre, jedenfalls sofern sie à la Roxin gehalten wird. Die Psychologie des Lernens, die dazu manches zu sagen hätte, mag hier dahinstehen. Zwei Ergänzungen aus meiner persönlichen Erfahrung seien gestattet. Die erste betrifft die Verwendung moderner Medien, etwa PowerPoint-Folien, die den Vortrag begleiten (und längst nicht mehr neu sind). Deren Einsatz produktiv und nicht bloß als schale Plakatierung zu gestalten, ist eine Kunst, die gelernt, durchdacht und entwickelt sein will. Wird sie das, können die Folien eine Vorlesung substantiell bereichern, nicht nur übrigens für die Studierenden, sondern auch für den Lehrenden selbst. Die zweite Anmerkung betrifft die atmosphärische Interaktion zwischen dem oder der Vortragenden und dem Auditorium. Zwei Stunden lang wirklich fesseln wird man die Hörer nur, wenn sie eine intensive geistige und emotionale Präsenz des Lehrenden spüren, sein eigenes Miterleben gedanklicher Abenteuer in den Schwierigkeiten des vorgetragenen Stoffs. Und das ist freilich etwas, das sich nicht spielen lässt, das nur in authentischer Unmittelbarkeit gelingen kann. Dazu gehört immer wieder auch die eingehende Darlegung der labyrinthischen Wirren aus Argument und Gegenargument hinter den Fassa-
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den der Probleme und Lösungen des schieren Examensstoffs. Nicht so sehr deshalb, weil einige der Studierenden später selbst die akademische Laufbahn wählen mögen, etwas, das freilich nicht vergessen werden sollte. Sondern weil sich das Faszinierende (und nicht bloß Beschwerliche) des Gegenstands ihres Lernens erst über die Vielfalt der wissenschaftlichen Diskussion vollständig erschließt, und weil dies die Motivation eines wirklichen Verstehenwollens wohl besser sichert, als es das Karriereziel des Prädikatsexamens vermöchte (das damit nicht diskreditiert sei). In modifizierter Form besteht die Verpflichtung zur guten Lehre auch gegenüber den eigenen Mitarbeitern und Doktoranden. Während der neunziger Jahre, sogar nach meiner Ernennung zum Professor noch gelegentlich, war ich regelmäßiger Teilnehmer an (und irgendwann eine Art Mitveranstalter von) Seminaren Rolf Herzbergs und der Assistenten an seinem Lehrstuhl in Bochum. Dort gab es nicht nur ein hohes Maß an präziser, scharfsinniger und kohärenter Dogmatik zu bewundern, sondern auch eine Form der intensiven, intellektuell gleichberechtigten, wechselseitig lehrreichen Kommunikation zwischen allen Beteiligten. Das dürfte wohl schon damals meiner Intuition, was einen vitalen und erfolgreichen Lehrstuhlbetrieb kennzeichne, beispielhaft entsprochen haben. Später war es mir freundliche Erinnerung und begleitende Maßgabe für meinen eigenen. Vom Glück und Privileg kluger, kritischer und loyaler Mitarbeiter wüsste ich eine lebendige Geschichte zu erzählen; hier mag es bei deren Andeutung sein Bewenden haben. Drei von ihnen habe ich habilitiert: Anette Grünewald, Jörg Scheinfeld und Dorothea Magnus, eine vierte Habilitation, die von Jan Christoph Bublitz, ist noch nicht abgeschlossen. Anette Grünewald ist Professorin in Jena, Jörg Scheinfeld Professor in Mainz, und die jüngste der drei, Dorothea Magnus, wird, so hoffe ich, bei Erscheinen dieses Beitrags ebenfalls berufen sein. Jan Christoph Bublitz’ akademische Zukunft scheint mir nicht zweifelhaft. In manchen Hinsichten spielt er seit Jahren eine ähnliche Rolle wie ehedem ich selbst: als rechtstheoretischer Kundschafter in anderen Sphären der Wissenschaft. Vor allem in der expandierenden Disziplin einer globalen Neuroethik ist sein Name ein Begriff, viel zitiert aus und in renommierten englischsprachigen Zeitschriften. Dass meine Schüler keine „Schule“ bilden, rechne ich mir und ihnen als Verdienst an. Sie orientieren sich an der Maxime des „Selbstdenkens“, für Kant das Grundelement der Aufklärung. Und das eben ist es, was ich mir von ihnen erhofft habe. Ich bin dankbar für eine Reihe ehrenvoller wissenschaftlicher Auszeichnungen. Von meiner Mitgliedschaft im Deutschen Ethikrat zwischen 2012 und 2020 habe ich berichtet. 2010 wurde ich in die Nationale Akademie der Wissenschaften Leopoldina (Sektion Wissenschaftstheorie) gewählt. Auf deren Jahresversammlung 2019 habe ich den Festvortrag zum Thema „Wissenschaftsfreiheit und Wis-
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senschaftsverantwortung“ gehalten. 2008/09 war ich Fellow am Wissenschaftskolleg Berlin, 2013/14 am Wissenschaftskolleg Greifswald und 2016/17 in der Kollegforschergruppe „Theoretische Grundfragen der Normenbegründung in Medizinethik und Biopolitik“ in Münster. 2008 und 2012 gehörte ich zu den Autoren bioethischer Consensus Statements des britisch-amerikanischen Think Tanks „The Hinxton Group“. 1996 wurde mein Buch über Karl Kraus und 2009 das über „Willensfreiheit und Schuld“ in die Reihe der „Juristischen Bücher des Jahres“ gewählt. Ob und wie sich hier „Verdienst und Glück verketten“ (sagt Goethe, oder genauer: der Teufel im Faust), darüber steht mir kein Urteil zu. Aber alle diese Zeugnisse einer freundlichen Anerkennung meines bisherigen Bemühens in der Wissenschaft nehme ich zu meinen Motiven, es fortzusetzen. Mit der Gesellschaft selbst geht auch ihr Strafrecht einer ungewissen Zukunft und gewichtigen Problemen entgegen. Im Maß des mir Möglichen und solange mir Zeit und Kraft dafür bleiben bei ihrer Bewältigung zu helfen, ist Plan und Wunsch und Ziel.
Schriftenverzeichnis (in Auswahl) 1. Selbständiges Schrifttum Strafrecht und Satire im Werk von Karl Kraus, 1994, 2. Aufl. (Taschenbuch) 1998. „Früheuthanasie“ – Rechtsethische und strafrechtliche Grundlagen ärztlicher Entscheidungen über Leben und Tod in der Neonatalmedizin, 2001. Forschungsobjekt Embryo – Verfassungsrechtliche und ethische Grundlagen der Forschung an menschlichen embryonalen Stammzellen, 2002. Intervening in the Brain. Changing Psyche and Society, 2007 (zusammen mit Gerard Boer, Jörg M. Fegert, Thorsten Galert, Dirk Hartmann, Bart Nuttin und Steffen K. Rosahl). Willensfreiheit und rechtliche Schuld. Eine strafrechtsphilosophische Untersuchung, 1. Aufl. 2008, 2. Aufl. 2014. Nutzen und Schaden aus klinischer Forschung am Menschen. Abwägung, Equipoise und normative Grundlagen, 2009 (zusammen mit Joachim Boos, Heiner Raspe und Bettina Schöne-Seifert).
2. Kommentierungen Strafgesetzbuch, Nomos Kommentar, §§ 218–219b, 1. Aufl. 2003; 5. Aufl. 2017.
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3. Aufsätze in Zeitschriften und Sammelwerken „Là où contre la nature, ils font prévaloir les normes…“ – Remarques sur le rapport entre le droit pénal et la satire dans l’oe uvre de Karl Kraus, in: Austriaca, No. 22 („Karl Kraus“), 1986, S. 83–107. „Wo gegen Natur sie auf Normen pochten“ – Zum Verhältnis zwischen Strafrecht und Satire im Werk von Karl Kraus, in: Schönert, Jörg (Hrsg.), Erzählte Kriminalität, 1991, S. 607–631. Teilnahme am Suizid – Tötung auf Verlangen – Euthanasie. Fragen an die Strafrechtsdogmatik, in: Hegselmann, Rainer/Merkel, Reinhard (Hrsg.), Zur Debatte über Euthanasie, 1991, 2. Aufl. 1992, S. 71–127. Franz von Liszt und Karl Kraus, in: ZStW 105 (1993), S. 871–903. Zaungäste? Über die Vernachlässigung philosophischer Argumente in der Strafrechtswissenschaft (und einige verbreitete Mißverständnisse zu § 34 StGB), in: Institut für Kriminalwissenschaften Frankfurt am Main (Hrsg.), Vom unmöglichen Zustand des Strafrechts, 1995, S. 171–196. Nürnberg 1945, Militärtribunal. Grundlagen, Probleme, Folgen, Rechtshistorisches Journal 14 (1995), S. 491–525. Tödlicher Behandlungsabbruch und mutmaßliche Einwilligung bei Patienten im apallischen Syndrom, ZStW 107 (1995), S. 545–575. Ärztliche Entscheidungen über Leben und Tod in der Neonatalmedizin. Ethische und strafrechtliche Probleme, JZ 1996, S. 1145–1155. „Lauter leidige Tröster“? – Kants Entwurf „Zum ewigen Frieden“ und die Idee eines Völkerstrafgerichtshofs, ARSP 82 (1996), S. 161–18. Die chirurgische Trennung sogenannter siamesischer Zwillinge. Ethische und strafrechtliche Probleme, in: Joerden, Jan C. (Hrsg.), Der Mensch und seine Behandlung in der Medizin, 1998, S. 175–203. Universale Jurisdiktion bei völkerrechtlichen Verbrechen, in: Lüderssen, Klaus (Hrsg.), Aufgeklärte Kriminalpolitik oder Kampf gegen das Böse?, Bd. III, 1998, S. 237–255. Personale Identität und die Grenzen strafrechtlicher Zurechnung. Annäherung an ein unentdecktes Grundlagenproblem der Strafrechtsdogmatik, JZ 1999, S. 502– 511. Hirntod und kein Ende. Zur notwendigen Fortsetzung einer unerledigten Debatte, Jura 1999, S. 113–122.
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Das Elend der Beschützten. Über die Grundlagen der Legitimität sog. humanitärer Interventionen am Beispiel der Nato-Aktion im Kosovo-Krieg, in: Kritische Justiz 1999, S. 526–542. „Wrongful birth – wrongful life“: Die menschliche Existenz als Schaden?, in: Neumann, Ulfrid/Schulz, Lorenz (Hrsg.), Verantwortung in Recht und Moral, ARSP, Beiheft 74, 2000, S. 173–191. Gründe für den Ausschluss der Strafbarkeit im Völkerstrafrecht, ZStW 114 (2002), S. 437–454. Wer war Rüttgerodt? Aus einigen bislang kaum inspizierten Geheimfächern der Literatur-, der Kriminologie- und der Strafrechtsgeschichte, in: Festschrift für Klaus Lüderssen, 2002, S. 899–918. Nichttherapeutische klinische Studien an Einwilligungsunfähigen, in: Bernat, Erwin/Kröll, Wolfgang (Hrsg.), Recht und Ethik der Arzneimittelforschung, 2003, S. 171–205. Willensfreiheit, Handlungsfreiheit und strafrechtliche Schuld, in: Festschrift für Lothar Philipps, 2005, S. 411–466. Aktive Sterbehilfe. Anmerkungen zum Stand der Diskussion und zum Gesetzgebungsvorschlag des „Alternativ-Entwurfs Sterbebegleitung“, in: Festschrift für Friedrich-Christian Schroeder, 2006, S. 297–321. Folter und Notwehr, in: Festschrift für Günther Jakobs, 2007, S. 375–403. § 14 Absatz 3 Luftsicherheitsgesetz: Wann und warum darf der Staat töten?, JZ 2007, S. 373–385. The legal status of the human embryo, in: Edwards, Robert G. (Hrsg.), Ethics, Law and Moral Philosophy of Reproductive Biomedicine, in: Reproductive BioMedicine Online 14 (2007), S. 54–60. Die Abgrenzung von Handlungs- und Unterlassungsdelikt. Altes, Neues, Ungelöstes, in: Festschrift für Rolf D. Herzberg, 2008, S. 193–223. The Law of the Nuremberg Trial, in: Mettraux, Guénael (Hrsg.), Perspectives on the Nuremberg Trial, 2009, S. 555–576. Neuartige Eingriffe ins menschliche Gehirn – Verbesserung der mentalen condicio humana und strafrechtliche Grenzen, ZStW 121 (2009), S. 919–953. Die Intervention der NATO in Libyen. Völkerrechtliche und rechtsphilosophische Anmerkungen zu einem weltpolitischen Trauerspiel, ZIS 2011, S. 771–783.
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Über einige vernachlässigte Probleme des Kausalitätsbegriffs im Strafrecht und Ingeborg Puppes Lehren dazu, in: Festschrift für Ingeborg Puppe, 2011, S. 151– 169. Schuld, Charakter und normative Ansprechbarkeit. Zu den Grundlagen der Schuldlehre Claus Roxins, in: Festschrift für Claus Roxin, Bd. 1, 2012, S. 737– 761. Die „kollaterale“ Tötung von Zivilisten im Krieg. Rechtsethische Grundlagen und Grenzen einer prekären Erlaubnis des humanitären Völkerrechts, JZ 2012, S. 1137–1145. Legitimation der Weltrechtspflege, in: Jeßberger, Florian/Geneuss, Julia (Hrsg.), Zehn Jahre Völkerstrafgesetzbuch, 2013, S. 45–63. Guilty Minds in Washed Brains? Manipulation Cases and the Limits of Neuroscientific Excuses in Liberal Legal Orders, in: Vincent, Nicole (Hrsg.), Neuroscience and Legal Responsibility, 2013, S. 335–374 (zusammen mit Christoph Bublitz). Crimes against Minds: On Mental Manipulations, Harms and a Human Right to Mental Self-Determination, in: Criminal Law and Philosophy 8 (2014), S. 51–77 (zusammen mit Christoph Bublitz). Sind straflose Versuche rechtswidrig?, ZIS 2014, S. 565–571. Neurolaw: Introduction, in: Claussen, Jens/Levy, Neil (Hrsg.), Handbook of Neuroethics 3 (2015), S. 1269–1278. Neuroimaging and Criminal Law, in: Claussen, Jens/Levy, Neil (Hrsg.), Handbook of Neuroethics 3 (2015), S. 1335–1362. Grundlagenprobleme der „Leitprinzipien“ und der „Motivgeneralklausel“ des Mordtatbestands, ZIS 2015, S. 429–444. Killing or letting die? Proposal of a (somewhat) new answer to a perennial question, Journal of Medical Ethics 42 (2016), S. 353–360. Ist ein freier Wille Bedingung strafrechtlicher Schuld?, in: Hastedt, Heiner (Hrsg.), Macht und Reflexion. Deutsches Jahrbuch Philosophie, Bd. 6, 2016, S. 285–318. Demokratischer Interventionismus?, in: Bung, Jochen/Engländer, Armin (Hrsg.), Souveränität, Transstaatlichkeit und Weltverfassung, ARSP, Beiheft 153, 2017, S. 13–42.
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Neurowissenschaften und Recht, in: Hassemer, Winfried/Neumann, Ulfrid/Saliger, Frank (Hrsg.), Einführung in die Rechtsphilosophie und Rechtstheorie der Gegenwart, 9. Aufl. 2016, S. 401–433. Kopftransplantation, in: Festschrift für Ulfrid Neumann, 2017, S. 1133–1148. Feindstrafrecht. Zur kritischen Rekonstruktion eines produktiven Störenfrieds in der Begriffswelt des Strafrechts, in: Kindhäuser, Urs u.a. (Hrsg.), Strafrecht und Gesellschaft. Ein kritischer Kommentar zum Werk von Günther Jakobs, 2019, S. 327–356. Anmerkungen zur Theorie der Handlung im Straftatmodell Urs Kindhäusers, in: Festschrift für Urs Kindhäuser, 2019, S. 271–292. Wir können allen helfen – Aber nicht so. Die deutsche Flüchtlingspolitik ist ein moralisches Desaster, in: Markus Tiedemann (Hrsg.), Migration, Menschenrechte und Rassismus, 2020, S. 15–21. Die Rolle des Strafrechts in der (künftigen) Gesellschaft, in: Hoven, Elisa/Kubiciel, Michael (Hrsg.), Zukunftsperspektiven des Strafrechts. Symposion für Thomas Weigend, 2020, S. 61–81. Die Tragik der Triage – straf- und verfassungsrechtliche Grundlagen und Grenzen, JZ 2020, S. 704–714 (zusammen mit Steffen Augsberg).
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https://doi.org/10.1515/9783110703016-010
Heinz Müller-Dietz I. Herkunft und Berufe Am 2. November 1931 wurde ich als zweiter Sohn in Bretten (Krs. Karlsruhe) geboren. Mein Vater war Angestellter der Ortskrankenkasse in dieser Stadt, in der wir auch wohnten. Welche Funktion er dort wahrnahm, ist mir nicht bekannt. Mein 2017 verstorbener Bruder – dem ich nach meinem Abitur, nicht zuletzt wegen des frühen Todes unserer Eltern, viel zu verdanken habe – war über fünf Jahre älter als ich. Nach der sog. Machtergreifung der Nationalsozialisten am 30. Januar 1933 wurde mein Vater – wohl weil er damals Mitglied der SPD gewesen ist – als Angestellter der Brettener AOK abgelöst. Er konnte sich dann – namentlich nach seiner beruflich bedingten Übersiedlung nach Heidelberg und dem sehr wahrscheinlich 1937 erfolgten Beitritt zur NSDAP – allmählich durch teilweise Tätigkeit bis in die Nacht hinein an der dortigen AOK wieder halbwegs „hocharbeiten“ und Beamter werden. Unser Umzug nach Heidelberg fand 1935 statt. Dort wohnten wir zunächst im Stadtteil Neuenheim, um dann einige Zeit später in den Stadtteil Handschuhsheim überzusiedeln, in dessen Grundschule ich aufgenommen wurde. Kurz vor Kriegsbeginn wurde unser Vater an die AOK Lahr versetzt, wo wir bis Februar 1945 auch wohnten. Dort besuchte ich nach Absolvierung meiner Grundschulzeit bis zur kriegsbedingten Einstellung des Unterrichts im Sommer 1944 die Aufbauschule für Jungen (die nach heutiger Lesart einem Gymnasium entsprach). Unser Vater, der den Ersten Weltkrieg als Soldat und dann als französischer Kriegsgefangener erlebt hatte, war bis zu seinem Tod am 21. Februar 1945 als einziger männlicher Beamter der AOK u. k. gestellt.
Am 6. Oktober 1942 verstarb unsere Mutter an einer damals medizinisch nicht beherrschbaren Gehirnentzündung. Im Frühjahr 1944 ging unser Vater eine neue Ehe ein. Am 21. Februar 1945 fanden er und seine zweite Frau durch einen Luftangriff US-amerikanischer Jagdbomber in Lahr den Tod. Sie hatten zuvor zusammen mit einer im Haus lebenden Familie darüber beraten, wo man vor den fast täglich nachmittags stattfindenden Angriffen US-amerikanischer Jagdbomber hinreichenden Schutz finden könne, da unser Luftschutzkeller wie unser Haus insgesamt in seinem durch Luftdruck beschädigten Zustand keinen ausreichenden Schutz mehr bot. Nachdem ich an den Tagen zuvor schon mehrere Luftangriffe in unserem Umfeld erlebt hatte, wollte ich in meiner Angst das Ende des Gesprächs nicht mehr abwarten, sondern eilte den unmittelbar hinter unserem Haus aufragenden Berg hinauf, wo ich mich bis zum Eintritt der Dämmerung auf-
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hielt, als nach menschlichem Ermessen kein Angriff mehr zu befürchten war. Nach meiner Rückkehr fand ich unser Haus menschenleer vor. Ich wartete eine Weile. Doch es kam niemand mehr. Ich suchte deshalb eine in der Nähe wohnende Familie auf, die mich ins nahe gelegene städtische Krankenhaus schickte. Dort erfuhr ich, dass ich meine Eltern nicht mehr sehen konnte. Sie hatten zusammen mit vielen Frauen und Kindern zum Schutz vor Luftangriffen einen an der Peripherie der Stadt befindlichen Hohlweg aufgesucht und waren dort zusammen mit über 30 anderen einem Angriff zum Opfer gefallen. Die befreundete Familie nahm mich in ihre Wohnung auf. Mit ihr konnte ich dann ein paar Tage später nachts mit einem LKW zu einem in der Nähe vom Glaswaldsee unterhalb vom Kniebis gelegenen Bauernhaus fahren, das unser Vater – der ja Lahr nicht verlassen durfte – als Quartier für meine zweite Mutter und mich ausfindig gemacht hatte. Dort konnte ich mich bis auf weiteres aufhalten. Inzwischen muss ein Bruder meines Vaters in Bretten, wo er zusammen mit seiner Frau ein Schuhgeschäft betrieb, erfahren haben, was in Lahr geschehen war und wo ich mich befinde. Er holte mich nachts mit seinem Motorrad ab und fuhr mich nach Bretten zu seiner Familie. Ihr gehörte noch ein Sohn an, der ein Jahr älter als ich war. In dieser Familie – die mich wie einen zweiten Sohn behandelte, dem es an nichts fehlte – wuchs ich dann bis zum Abitur auf. Ich erinnere mich noch heute daran, dass ich Jahre vor dem Schulabschluss aus dem damaligen Melanchthon-Gymnasium ausscheiden wollte, weil ich mit meinen Noten (unter denen sich etliche „Dreier“ befanden) höchst unzufrieden war. Mein Onkel setzte indessen alles daran, dass ich den Schulbesuch fortsetzte. So suchte er zusammen mit mir einen psychologischen Sachverständigen auf, der mich nach einem längeren Gespräch davon überzeugte, doch das Abitur anzustreben. Am 25. April 1952 legte ich dann am Melanchthon-Gymnasium in Bretten das Abitur ab. Dass ich studieren wollte, stand für mich fest. Offen war nur die Frage des Fachgebiets. Mein Bruder, der im September 1944 als Soldat in amerikanische Kriegsgefangenschaft geraten war, hatte nach seiner Rückkehr das Abitur ablegen müssen (weil sein „Notabitur“ aus dem „Dritten Reich“ nicht zum Studium berechtigte). Er hatte sich dann für das Fach Rechtswissenschaft entschieden. Als ich ihn nach meinem Abitur um Rat bat, durchlief er gerade verschiedene Stationen der Referendarzeit. Er empfahl mir gleichfalls ein Jurastudium. Ich folgte seinem Rat. Zunächst studierte ich drei Semester in Heidelberg, dann zwei in Hamburg und weitere zwei in Freiburg. Am 28. Februar 1956 legte ich in Freiburg die Erste Juristische Staatsprüfung ab. Vom 16.4.1956 bis 31.1.1961 absolvierte ich – unter Beurlaubung vom 1.1. bis 31.12.1957 aus wissenschaftlichen Gründen – den juristischen Vorbereitungsdienst in Baden-Württemberg. In der Zeit vom 1.10.1956 bis 30.4.1958 war ich als Wissenschaftlicher Mitarbei-
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ter am Institut für Kriminologie und Strafvollzugskunde der Universität Freiburg tätig, das von Prof. Dr. Thomas Würtenberger geleitet wurde. Am 31.1.1961 legte ich in Stuttgart die Zweite Juristische Staatsprüfung ab. Seit 3.4.1956 bin ich mit der Ärztin Dr. Ortrud Müller-Dietz, geb. Koch, verheiratet. Aus der Ehe gingen zwei Töchter hervor. Heute ist die ältere Tochter, die Rektorin an einer Grundschule in Pirmasens war, im Ruhestand, die jüngere Richterin am Sozialgericht in Konstanz. Vom 1.3.1961 bis 30.9.1966 war ich – unter Beurlaubung vom 1.7.1962 bis 31.3.1963 zwecks Verfassung meiner Habilitationsschrift – im höheren Justizdienst in verschiedenen Strafanstalten Baden-Württembergs (Bruchsal, Stuttgart und Freiburg) tätig. Ich hatte diese berufliche Aufgabe im Hinblick auf mein besonderes wissenschaftliches Interesse an rechtlicher Regelung und praktischer Gestaltung des Strafvollzugs auf Vorschlag meines Lehrers Prof. Würtenberger übernommen. Am 15.3.1965 wurde ich zum Regierungsrat ernannt und am 15.6.1965 auf der Grundlage der Dissertation „Die Beschlagnahme von Krankenblättern im Strafverfahren“ an der Universität Freiburg zum Dr. jur. promoviert. Der Anregung meines Lehrers Prof. Würtenberger folgend widmete ich mich im Rahmen meiner strafrechtsgeschichtlichen Studien dem Thema „Geschichte, Philosophie und Politik im Strafrechtsdenken Karl Theodor Welckers“. Auf der Grundlage dieser Arbeit verlieh mir die Rechts- und Staatswissenschaftliche Fakultät der Universität Freiburg am 16.6.1966 die venia legendi für die Fächer Strafrecht, Strafprozessrecht und Kriminologie. Von jener umfangreichen, mit Fußnoten überfrachteten Arbeit konnte ich 1968 nur den biografischen Teil veröffentlichen, weil ich später wegen meiner beruflichen Verpflichtungen und anderweitigen wissenschaftlichen Interessen für eine Überarbeitung der übrigen Teile keine Zeit mehr fand. Am 5.10.1965 wurde ich zum Privatdozenten und mit Wirkung vom 1.1.1968 zum Wissenschaftlichen Rat an der Universität Freiburg ernannt. Vom Wintersemester 1966/67 bis einschließlich Sommersemester 1969 lehrte ich an der Universität Freiburg im Rahmen meiner venia. Daneben nahm ich im Wintersemester 1967/68 in Gießen und im Sommersemester 1969 in Mannheim einen Lehrauftrag wahr. Im Wintersemester 1967/68 vertrat ich aufgrund eines Forschungssemesters des Lehrstuhlinhabers einen strafrechtlichen Lehrstuhl an der Universität Mainz, im Sommersemester 1968 und im Wintersemester 1968/1969 einen strafrechtlich-rechtsphilosophischen Lehrstuhl sine spe in München sowie im Sommersemester 1969 einen strafrechtlichen Lehrstuhl in Saarbrücken, der durch die Berufung des Lehrstuhlinhabers Arthur Kaufmann nach München frei geworden war. Mit Wirkung vom 1.9.1969 wurde ich zum ordentlichen Professor für Strafrecht, Strafprozessrecht, Strafvollzug und Kriminologie an der Universität
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des Saarlandes ernannt. Ich war dort bis zu meiner Emeritierung am 1.4.1997 tätig. Während meines dortigen Wirkens gehörte ich bis zu meiner Emeritierung der Juristischen Prüfungskommission des Saarlandes an. Einen 1974 an mich ergangenen Ruf auf die ordentliche Professur für Strafrecht mit Nebengebieten an die Universität Bielefeld, die durch die Ernennung des Lehrstuhlinhabers Werner Maihofer zum Bundesinnenminister frei geworden war, lehnte ich ab. Neben meiner Lehr- und Prüfungstätigkeit an der Universität des Saarlandes nahm ich folgende Ämter im Rahmen der Selbstverwaltung wahr: Mitglied des Senats (1970– 1973), Prodekan des Fachbereichs Rechtswissenschaft (1974–1975) und Dekan der Rechts- und Wirtschaftswissenschaftlichen Fakultät (1980–1981). Von 1969 bis 1971 gehörte ich der Strafvollzugskommission des Bundesjustizministeriums an, die 1971 den Entwurf eines Strafvollzugsgesetzes vorlegte. Zum 48. Deutschen Juristentag in Mainz 1970 legte ich mein Gutachten C zur inhaltlichen Gestaltung eines künftigen Strafvollzugsgesetzes vor, das seit fast 100 Jahren, der bundesrechtlichen Ära Franz von Liszts, vergeblich angestrebt wurde. 1973 übernahm ich den Vorsitz des Fachausschusses „Strafrecht und Strafvollzug“ des Bundeszusammenschlusses für Straffälligenhilfe (Bonn-Bad Godesberg), dem ich seit 1962 angehörte. Er bearbeitete über etliche Jahrzehnte hinweg eine ganze Reihe teils strafvollzuglicher sowie strafrechtlicher Fragestellungen. Die von uns erarbeiteten Vorschläge sollten zur weiteren Reform des Strafvollzugs und des strafrechtlichen Sanktionensystems beitragen. Von 1972 bis 2006 war ich als Schriftleiter der praxis- und wissenschaftsbezogenen „Zeitschrift für Strafvollzug und Straffälligenhilfe“ (ZfStrVo) tätig. Von 1985 an gleichfalls bis 2006 wirkte meine Frau als Lektorin an diesem Organ mit. Vom 17.12.1993 bis 1.7.1994 war ich Mitglied der interdisziplinären Kommission für den Strafvollzug des Justizministeriums in Wien. Sie hatte die Aufgabe, anlässlich eines konkreten Falles, der in der österreichischen Öffentlichkeit großes Aufsehen erregt hatte, weil man die Sicherheit der Bürger durch Vollzugslockerungen gefährdet sah, ein Konzept zu entwickeln, das einerseits Sicherheitsbedenken Rechnung trug, es andererseits aber auch erlaubte, in vertretbaren Fällen Vollzugslockerungen zur Förderung des Wiedereingliederungsprozesses zu gewähren. Während meiner Saarbrücker Jahre hat mich der inzwischen verstorbene „Wegbereiter des japanisch-deutschen Strafrechtsdiskurses“ (Hans-Heiner Kühne) und Kriminologe Koichi Miyazawa von der Universität Keio in Tokio zweimal zu längeren Vortragsreisen nach Japan eingeladen. 1978 hielt ich an verschiedenen japanischen Universitäten und im japanischen Justizministerium eine ganze Reihe von Vorträgen, die dann 1979 in meinem Werk „Grundfragen des strafrechtlichen Sanktionensystems“ veröffentlicht wurden. Die Beiträge betrafen Themen wie „Schuld und Strafe“, „Grundfragen des Sanktionensystems“, „Grundproble-
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me der gesamten Strafrechtswissenschaften“ und „Grundprobleme des heutigen Strafvollzugs“. Über die zweite Japanreise von 1992 liegt ein Reisebericht unter dem Titel „Japanische Impressionen“1 vor. Anlässlich dieser Reise – in deren Rahmen mir die Tokioer Keio-Universität die Würde eines Ehrendoktors verlieh – hielt ich wiederum an verschiedenen japanischen Universitäten Vorträge über den „Strafvollzug in der Sicht Gustav Radbruchs“, über das deutsche Strafvollzugsgesetz, Schuld und Strafrecht, Strafzumessung, Grundfragen der Generalprävention, Schadenswiedergutmachung, Täter-Opfer-Ausgleich sowie Nationalsozialismus und Strafrecht. Beide Reisen haben mir die im Grunde banale Erfahrung nähergebracht, wie fruchtbar der wissenschaftliche Austausch zwischen Ländern mit unterschiedlichen Rechtssystemen sein kann und wie wichtig daher Diskurse vor Ort sind. Japan stellt in dieser Hinsicht ein Land dar, das zumindest unter wissenschaftlichen Aspekten in ungemein starkem Maße Rezeption anderswo erarbeiteter Erkenntnisse betreibt – ungeachtet der Frage, was und wieviel aus ausländischen – etwa deutschen und US-amerikanischen – Rechtssystemen in die eigene Rechtsordnung übernommen wird. Insofern haben mir beide Reisen zahlreiche Anregungen und Impulse vermittelt.
II. Lehrtätigkeit Meine Lehrtätigkeit an der Universität des Saarlandes umfasste die Fächer Strafrecht, Strafprozessrecht, Strafvollzug und Kriminologie. Die Lehrtätigkeit auf den Gebieten Strafrecht und Strafprozessrecht fiel namentlich in eine Zeit, in der diese Fächer einem mehr oder minder starken Wandel in rechtlicher Hinsicht unterworfen waren. Das gilt vor allem für das Strafrecht, das insbesondere durch das Erste Strafrechtsreformgesetz vom 25. Juni 19692 und das Zweite Strafrechtsreformgesetz vom 4. Juli 19693 sowie durch eine Vielzahl von Strafrechtsänderungsgesetzen im Laufe der Zeit erhebliche Veränderungen erfahren hat.4 Diese Gesetzesänderungen hatten natürlich mehr oder minder starke Auswirkungen auf die einschlägige Rechtsprechung und die wissenschaftliche Diskussion, die zur Folge hatten, dass sich die Lehrtätigkeit auf dem Gebiet des Strafrechts an dieser Entwicklung orientieren bzw. sie einbeziehen musste. 1 2 3 4
Müller-Dietz, Heinz, Japanische Impressionen, ZfStrVo 1992, S. 239–245. S. Vormbaum, Thomas/Welp, Jürgen (Hrsg.), Das Strafgesetzbuch. Sammlung der Änderungsgesetze und Neubekanntmachungen. 1954 bis 1974, Bd. 2, 1999, S. 78–113. Vormbaum, Thomas/Welp, Jürgen (Hrsg.), Das Strafgesetzbuch. Sammlung der Änderungsgesetze und Neubekanntmachungen. 1954 bis 1974, Bd. 2, 1999, S. 114–169. S. auch Vormbaum, Thomas/Welp, Jürgen (Hrsg.), Das Strafgesetzbuch. 1975 bis 1992, Bd. 3, 1999 und Vormbaum, Thomas/Rentrop, Kathrin (Hrsg.), Reform des Strafgesetzbuchs. Sammlung der Reformentwürfe. 1959 bis 1996, Bd. 3, 2008.
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Wohl noch einschneidender waren die rechtlichen Änderungen im Fach Strafvollzug, mit denen sich nicht nur die Praxis selbst, sondern auch die Lehrtätigkeit auseinandersetzen musste. Trat doch erstmals in Deutschland am 1.1.1977 eine bundesgesetzliche Normierung des Strafvollzugs in Kraft, die sich zunächst einmal in gewichtiger, ja grundlegender Weise auf die einschlägige Praxis auswirkte, deren Gestaltung und Handeln bisher untergesetzlich, durch Verwaltungsvorschriften der Länder, geregelt war. Dazu, dass es überhaupt zu einer bundesgesetzlichen Regelung gekommen ist, hat das BVerfG gleichsam „Geburtshilfe“ geleistet, indem es den Gesetzgeber wiederholt an seine Pflicht erinnert hat, seinem Verfassungsauftrag zur gesetzlichen Regelung des Strafvollzugs nachzukommen.5 Die Praxis sah sich durch die gesetzliche Regelung genötigt, den Anforderungen eines aufgrund des Gesetzes inhaltlich zu verändernden Strafvollzugs zu entsprechen, die jedenfalls teilweise durch Reformimpulse der Wissenschaft längst vorbereitet waren. So war etwa die Vermittlung des Themas Menschenrechte zentral mit der Neugestaltung des Strafvollzugs verbunden. Sie musste im Einklang mit der neuen Verfassung von 1949, dem Grundgesetz, ohne weitere geschichtliche Anknüpfung stattfinden, weil ja der Strafvollzug ebenso wie die anderen staatlichen Institutionen zuvor dem Zwangsdiktat des „Dritten Reiches“ unterworfen gewesen waren.6 Dementsprechend musste sich der Strafvollzug im Bemühen um praktische Realisierung der verfassungsrechtlichen und gesetzlichen Vorgaben mit einer Fülle rechtlicher und praktischer Probleme auseinandersetzen, zumal sich sichere wissenschaftliche Erkenntnisse im Zuge der bisher ungewohnten empirischen Untersuchungen des Freiheitsentzuges und seiner Folgen für Insassen, Personal und Gesellschaft erst allmählich herauszubilden begannen.7 Der Strafvollzug hatte als Ausdruck realer staatlicher Gewaltausübung besonders tiefgehende Veränderungsprozesse zu durchlaufen. Dies haben namentlich die seit Anfang der 1970er-Jahre vorgelegten Entwürfe eines StVollzG gezeigt. Das galt nicht zuletzt für die in der Praxis aufgetretenen Schwierigkeiten mit einem
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Müller-Dietz, Heinz, NJW 1976, S. 913. Vgl. etwa Jung, Heike/Müller-Dietz, Heinz (Hrsg.), Strafvollzug im „Dritten Reich“. Am Beispiel des Saarlandes, Baden-Baden 1996; darin Möhler, Reiner, Strafvollzug im „Dritten Reich“, S. 9–301; Müller-Dietz, Heinz, Standort und Bedeutung des Strafvollzugs im „Dritten Reich“, S. 379–416; vgl. ferner Wachsmann, Nikolaus, Gefangen unter Hitler. Justizterror und Strafvollzug im NS-Staat, 2004, S. 57–104, 239–308, 383– 417. Vgl. nur Harbordt, Steffen, Die Subkultur des Gefängnisses. Eine soziologische Studie zur Resozialisierung, 1972.
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den Menschenrechten entsprechenden Umgang mit Gefangenen.8 Ich selbst hatte während meiner Tätigkeit im Strafvollzug in der Zeit von 1961 bis 1966 einschlägige Erfahrungen machen können und müssen.9 Einen besonderen Problembereich bildete das Fach Kriminologie. Es hatte als wissenschaftliche Disziplin in Lehr- und Prüfungsveranstaltungen mehr oder minder tiefgehende Lernprozesse zu durchlaufen, die nur mühsam Konturen und Gestalt gewannen. Das war nach dem destruktiven, die Wirklichkeit des Verbrechens ausblendenden Verständnis und der aus heutiger Sicht geradezu ideologischen Handhabung des Fachs im „Dritten Reich“ gleichfalls notwendig geworden.10 Erst allmählich sollte das Fach – etwa auf der Grundlage von US-amerikanischen Studien und Projekten – Schwerpunkte und Aussagekraft in Form mehr oder minder umstrittener kriminalitätsträchtiger Topoi gewinnen, die Eingang in die fachwissenschaftliche Debatte und damit in die Lehre und Prüfungen finden konnten. Zur Entwicklung der Kriminologie sowie ihrer empirischen, nicht zuletzt soziologischen, psychologischen und analytischen Fragestellungen trug in der Lehre namentlich meine 15 Jahre andauernde Mitwirkung im Fachbeirat und Kuratorium des Freiburger Max-Planck-Instituts für ausländisches und internationales Strafrecht bei, vor allem natürlich die Mitarbeit in der Kriminologischen Forschungsgruppe unter der Leitung des Kollegen Günther Kaiser während seines Wirkens von 1973 bis 1996.11 Es ging dabei maßgeblich um die Entwicklung und Förderung zeitgerechter und methodisch überzeugender Projekte. In einer Gedenkveranstaltung vom 23.1.2009 für den am 3.9.2007 verstorbenen Direktor Kaiser wurde sein wissenschaftliches Lebenswerk auf den Feldern der Kriminologie und des Strafvollzugs gewürdigt. Es hat sowohl in Deutschland als auch im internationalen Bereich maßgeblich zur Weiterentwicklung der Kriminologie, aber auch des Strafvollzugsrechts und der Praxis des Strafvollzugs beigetragen. Dabei hat Kaiser auf der Grundlage seines immensen Überblicks über die internationale Kriminologie eine „vermittelnde“ Position zwischen der „klassischen“ 8
Vgl. zuletzt Müller-Dietz, Heinz, Menschenrechte und Strafvollzug, in: Albrecht, HansJörg (Hrsg.), Kriminalität, Kriminalitätskontrolle und Menschenrechte, 2009 [2016], S. 43–68. 9 Vgl. nur meinen frühen, gewiss nicht unproblematischen Versuch: Methoden und Ziele der Strafvollzugswissenschaft, ZStW 1967, S. 515–539. 10 Vgl. z. B. Kaiser, Günther, Kriminologie, 3. Aufl. 1996, S. 130–138; Simon, Jürgen, Kriminalbiologie im Dritten Reich, S. 69–105, Streng, Franz, Von der „Kriminalbiologie“ zur „Biokriminologie“, S. 213–244, beide in: Justizministerium NRW (Hrsg.), Kriminalbiologie, Bd. 6, 1997. 11 Vgl. Müller-Dietz, Heinz, Günther Kaiser zum Gedächtnis, ZStW 2008, S. 1–10.
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täterorientierten Kriminologie seines Tübinger Lehrers Hans Göppinger und der kritischen Strafrechtssoziologie von Fritz Sack sowie den verschiedenen Erscheinungsformen des sog. „labeling approach“ eingenommen. Dies hat ihm im internationalen Diskurs über das Selbstverständnis der Kriminologie nicht nur Kritik, sondern auch Respekt und vielfache Anerkennung eingetragen. Doch nicht nur durch meine Mitarbeit im Fachbeirat und Kuratorium des Freiburger MPI habe ich in Lehre und Forschung an den Fragestellungen und Erkenntnissen der kriminologischen Abteilung partizipieren können. Vielmehr hat auch meine häufige Teilnahme an den jährlichen Kolloquien der zunächst nur südwestdeutschen Institute und Lehrstühle der Kriminologie – die längst durch die Einbeziehung schweizerischer und über Südwestdeutschland hinausreichender kriminologischer Institutionen erweitert wurden – meinen Horizont kriminologischer Fragestellungen und Erkenntnisse vergrößert und stärker ausdifferenziert.
III. Wissenschaftliche Veröffentlichungen Nach meinen ersten wissenschaftlichen Publikationen, die ich in den Jahren 1958 bis etwa 1969 vorgelegt hatte, haben sich mehr und mehr Themen des Strafvollzugs in den Vordergrund gedrängt. Von 1970 an beanspruchten Fragestellungen des Strafvollzugsrechts und der Strafvollzugspraxis immer stärker meine für Veröffentlichungen zur Verfügung stehende Zeit. Das bedeutet freilich nicht, dass ich keine anderen fachlichen Beiträge veröffentlicht hätte. Vielmehr habe ich in diesem zeitlichen Rahmen eine ganze Reihe von Arbeiten aus verschiedenen Gebieten vorgelegt. In dem von Heike Jung und mir 1983 herausgegebenen Band „§ 218 StGB. Dimensionen einer Reform“ habe ich mich unter dem Titel „Zur Problematik verfassungsrechtlicher Pönalisierungsgebote“ mit der Rechtsprechung in BVerfGE 39, 1 auseinandergesetzt. Mein Fazit mündete in die Warnung, die Gestaltungsfreiheit des Gesetzgebers auf strafrechtlichem Gebiet nicht über Gebühr einzuschränken. Der Vortrag „Die geistige Situation der deutschen Strafrechtswissenschaft nach 1945“12 knüpfte im Rahmen einer Gedenkveranstaltung an Thomas Würtenbergers Freiburger Vortrag „Die geistige Situation der deutschen Strafrechtswissenschaft“13 und das weitere Wirken des Gelehrten an. Der Festschrift-Beitrag „Gibt es Fortschritt im Strafrecht?“ für
12 Müller-Dietz, Heinz, GA 139 (1992), S. 93–133. 13 Würtenberger, Thomas, Die geistige Situation der deutschen Strafrechtswissenschaft, 2. Aufl. 1959.
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Otto Triffterer14 wirft die kritische Frage auf, ob der Zeitgeist nach einer Phase strafrechtlicher Liberalisierung nunmehr in eine andere Richtung weist. Mit der Frage, ob und inwieweit Strafrecht in Gestalt der Generalprävention präventive Akzente zeitigt, habe ich mich in einem Beitrag in „Kriminalprävention und Strafjustiz“15 1996 auseinandergesetzt. Mit der Studie „Verfassungsrechtliche Schutz- und Pönalisierungspflichten“16 in der Gedächtnisschrift für Heinz Zipf habe ich 1999 an frühere Überlegungen und mit einer kleinen „Summa“ an zwischenzeitliche verfassungsrechtliche Grundsätze angeknüpft. In einem umfassenden Beitrag über „Gnade in der Strafrechtspflege“17 habe ich mich darum bemüht, Legitimität, rechtliche Kontrolle dieses Instituts und andere Aspekte auszuloten. Auch auf dem Gebiet des Strafprozessrechts habe ich mich – wenn auch nur in wenigen Studien – betätigt. Vor allem sind hier zwei Publikationen zu nennen: „Der Wahrheitsbegriff im Strafverfahren“.18 In diesem Vortrag habe ich versucht, die maßgeblichen Grenzen der Wahrheitsermittlung im Strafprozess abzustecken.19 Eine weitere, recht umfassende Studie von mir war der „Stellung des Beschuldigten im Strafprozess“20 gewidmet. Sie war gewiss eher ein Versuch der Ortsbestimmung als die Darstellung eines geschlossenen Konzepts. Seit dem Jahr 1967 veröffentlichte ich erste Beiträge vor allem zum Strafvollzug. In den darauf folgenden Jahren, in denen ich dann an der Universität des Saarlandes tätig war, standen im Zentrum meiner Publikationen namentlich Studien zur 14 Müller-Dietz, Heinz, Gibt es Fortschritt im Strafrecht?, in: Festschrift für Otto Triffterer, 1996, S. 677–693; vgl. auch ders., Gibt es Fortschritt im Strafrecht?, in: Jung, Heike (Hrsg.), Perspektiven der Strafrechtsentwicklung. Ringvorlesung im Sommersemester 1994 an der Universität des Saarlandes, 1996, S. 31–56. 15 Jehle, Jörg-Martin (Hrsg.), Kriminalprävention und Strafjustiz, 1996; vgl. aber auch Müller-Dietz, Heinz, Integrationsprävention und Strafrecht. Zum positiven Aspekt der Generalprävention, in: Festschrift für Hans-Heinrich Jescheck, 1985, S. 813–827. 16 Müller-Dietz, Heinz, Verfassungsrechtliche Schutz- und Pönalisierungspflichten, in: Gedächtnisschrift für Heinz Zipf, 1999, S. 123–133. 17 Müller-Dietz, Heinz, Gnade in der Strafrechtspflege, in: Schuhmann, Eva (Hrsg.), Das strafende Gesetz im sozialen Rechtsstaat. 15. Symposion der Kommission „Die Funktion des Gesetzes in Geschichte und Gegenwart“, 2010, S. 149–181. 18 Müller-Dietz, Heinz, Der Wahrheitsbegriff im Strafverfahren, Zeitschrift für Evangelische Ethik 15 (1971), S. 257–272. 19 Ein früherer Mitarbeiter von mir, Wolfgang Hetzer, hat später in seiner weit ausgreifenden Dissertation die „Wahrheitsfindung im Strafprozeß: unter Mitwkrung psychiatrisch-psychologischer Sachverständiger“, 1982, einer umfassenden Betrachtung unterzogen. 20 Müller-Dietz, Heinz, Stellung des Beschuldigten im Strafprozess, ZStW 93 (1981), S. 177–220.
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Ausgestaltung eines in Vorbereitung befindlichen Strafvollzugsgesetzes sowie zur verfassungsrechtlich gebotenen Reform der Strafvollzugspraxis wie zu empirischen Analysen der gegenwärtigen Realität des Strafvollzugs. Das waren etwa mein Gutachten C zum 48. Deutschen Juristentag21 und meine Studie „Strafvollzugsgesetzgebung und Strafvollzugsreform“22, aber auch gewiss ungewöhnliche Schriften wie „Strafvollzug und Gesellschaft“23. Letztere schickte sich an, den teils einfachen, teils aber auch überaus komplexen Zusammenhängen zwischen Verbrechen, Ahndung, Strafvollzug und Gesellschaft nachzuspüren. Diese Publikationen wurden nicht zuletzt durch meine Berufung in die Strafvollzugskommission des Bundesjustizministeriums und meine – wenn auch schon eine längere Zeit zurückliegenden – Praxiserfahrungen im Strafvollzug gefördert. Dazu trugen auch meine 1970 einsetzenden Literaturberichte zum Strafvollzug für die ZStW bei. Darüber hinaus habe ich in den Jahren nach 1970 in einer ganzen Reihe von Einzelbeiträgen vor allem zu folgenden Themen des Strafvollzugs(-rechts) Stellung genommen: Entwürfe zum StVollzG (vor Inkrafttreten des StVollzG), später zum Rechtsschutz im Strafvollzug und zum Jugendstrafvollzug. In einer aus einem Berliner Vortrag hervorgegangenen längeren Schrift von 1974 habe ich die „Möglichkeiten und Schranken eines behandlungsorientierten Vollzuges“ herauszuarbeiten gesucht. In einem Wiener Vortrag von 1976 habe ich eine kritische Bestandsaufnahme der damaligen empirischen Forschungsansätze und -themen im Strafvollzug unternommen. Am Diskurs über eine Vielzahl spezieller Themen des Vollzugs habe ich mich im Rahmen meiner zeitlichen Möglichkeiten beteiligt; zu nennen sind etwa: Organisation des Vollzugs und Struktur der Vollzugsanstalt, Gestaltung der Arbeit von Gefangenen, deren bis heute umstrittenes Arbeitsentgelt, das bis heute ungelöste Problem der Sozialversicherung, berufliche Bildung der Gefangenen, offener Vollzug, Vollzugslockerungen, Schuld und Wiedergutmachung im Strafvollzug, ehrenamtliche Tätigkeit im Strafvollzug, Straffälligenhilfe etc. Zum freilich gewichtigsten Projekt, das mein Hannoveraner Kollege Rolf-Peter Calliess und ich gemeinsam auf dem Gebiet des Strafvollzugs in Angriff genommen haben, hat sich der im Beck-Verlag in München erschienene Kurzkommentar zum StVollzG von 1977 entwickelt. Die Arbeit an diesem von uns beiden bis 2008 (11. Auflage) neben anderen Publikationen zum Strafvollzug herausgege21 Müller-Dietz, Heinz, Mit welchem Hauptinhalt empfiehlt es sich, ein Strafvollzugsgesetz zu erlassen? Gutachten C zum 48. Deutschen Juristentag, 1970. 22 Müller-Dietz, Heinz, Strafvollzugsgesetzgebung und Strafvollzugsreform, 1970. 23 Müller-Dietz, Heinz, Strafvollzug und Gesellschaft, 1970.
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benen Kommentar beanspruchte mich (und wohl auch meinen Kollegen) auf dem Gebiet des Strafvollzugs am meisten – war doch unser Kommentar (natürlich neben anderen einschlägigen Werken) zu einer wichtigen strafvollzugsrechtlichen Informationsquelle und Orientierungsmöglichkeit für Rechtsprechung und Vollzugspraxis geworden. Detailfragen der Kriminalpolitik habe ich schon des Öfteren behandelt. Aus der Reihe kriminalpolitischer Beiträge ragen vor allem zwei Arbeiten heraus. Da ist zum einen die inzwischen durch Neuregelung, Praxis und Diskussion weitergeführte Frage nach dem Verhältnis von lebenslanger Freiheitsstrafe und Entlassung, die ich 1972 in dem Sammelband „Die Reform der lebenslangen Freiheitsstrafe“ erörtert habe. An diesen Beitrag hat denn auch mein vor dem BVerfG bei seiner Entscheidung von 1977 über die Frage der Verfassungswidrigkeit der lebenslangen Freiheitsstrafe unterbreiteter Vorschlag angeknüpft. In meiner Stellungnahme habe ich dafür plädiert, die Entscheidung über die bedingte Entlassung eines zu lebenslanger Freiheitsstrafe Verurteilten in das System der bedingten Entlassung zu zeitiger Freiheitsstrafe Verurteilte einzubeziehen.24 In seinem grundlegenden Werk „Kriminalpolitik“ hat der leider 1992 verstorbene Salzburger Kollege Heinz Zipf 1980 seine systematische Betrachtung und Analyse dieses bedeutenden Themenbereichs vorgelegt. In einer der vier Reden von 1994 zu seinem Gedächtnis habe ich seine kriminalpolitische Sichtweise zu umreißen gesucht.25 Die Kriminologie hat in meinen wissenschaftlichen Publikationen weniger in Gestalt empirischer Untersuchungen eine Rolle gespielt. Stattdessen habe ich mich darum bemüht, allgemeine kriminologische Aspekte aufzugreifen und zu diskutieren. Dies ist etwa im Beitrag „Der Verbrecher als Verletzer gesellschaftlicher Normen“ geschehen, den ich im Sammelband „Strafvollzug und Öffentlichkeit“ von 1980 vorgelegt habe.26 In einem Gutachten, das ich dem BVerfG im Rahmen des Verfahrens über die Frage der Verfassungswidrigkeit der lebenslangen Freiheitsstrafe von 1977 erstattet habe, habe ich mich darum bemüht, die präventive Wirkung der lebenslangen Freiheitsstrafe beim Mord nicht zuletzt unter Rück24 Müller-Dietz, Heinz, Welche Vor- und Nachteile haben das bisherige Gnadenverfahren und eine etwaige gesetzliche Regelung der Strafaussetzung zur Bewährung hinsichtlich der zu lebenslanger Freiheitsstrafe verurteilten Mörder?, in: Jescheck, Hans-Heinrich/ Triffterer, Otto (Hrsg.), Ist die lebenslange Freiheitsstrafe verfassungswidrig?, 1978, S. 211–231. 25 Müller-Dietz, Heinz, Kriminalpolitik im Werk von Heinz Zipf, in: Gedächtnisschrift für Heinz Zipf, 1995/1999, S. 39–57. 26 Müller-Dietz, Heinz, Der Verbrecher als Verletzer gesellschaftlicher Normen, in: Kury, Helmut (Hrsg.), Strafvollzug und Öffentlichkeit, S. 17–72.
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griff auf US-amerikanische Untersuchungen zur Abschreckungswirkung der Todesstrafe einzuschätzen. Das Gutachten ist in der von Jescheck/Triffterer 1978 herausgegebenen Dokumentation jenes Verfahrens veröffentlicht worden.27 In einem freilich eher summarischen Überblick habe ich in dem von Hans-Jörg Albrecht 1994 herausgegebenen Sammelband „Kriminologie in Europa – Europäische Kriminologie?“ angestrebt, einen Überblick über die damaligen kriminologischen Tendenzen in Europa zu geben.28 In einem 2010 im „Jahrbuch der Juristischen Zeitgeschichte“ erschienenen Rezensionsaufsatz über den 2007 von Desirée Schautz/Sabine Freitag herausgegebenen Sammelband „Verbrecher im Visier von Experten“ habe ich die damalige Wahrnehmung kriminologisch-kriminalpolitischer Fachleute zusammengefasst.29
IV. Menschenrechte Die Bedeutung des in neuerer Zeit ins Blickfeld geratenen Topos der Menschenrechte habe ich in verschiedenen Bereichen thematisiert. Dabei ist einmal mehr deutlich geworden, wie die bei unterschiedlichen Anlässen erhobene Forderung nach Einhaltung der Menschenrechte zu ihrer faktischen Realisierung steht. Das gilt natürlich nicht zuletzt für jene Sphären, in denen der strafende Staat seine Macht gegenüber Beschuldigten in Untersuchungshaft und Verurteilten im Rahmen der Vollstreckung von Freiheitsstrafen ausübt. So habe ich in meiner Arbeit „Untersuchungshaft und Festnahme im Lichte der Menschenrechte“ in dem von Albin Eser herausgegebenen Band „Viertes deutsch-polnisches Kolloquium über Strafrecht und Kriminologie“ 1991 zu jenem Thema Stellung genommen.30 Die Analyse ergab – was aus deutscher Sicht mitnichten überraschte – die Notwendigkeit, vor allem die Untersuchungshaft aus dem Blickwinkel der Menschenrechte zu reformieren. Welche gewichtige Rolle die Menschenrechte im Strafvollzug selbst spielen – oder in jedem Falle spielen sollten – illustrieren verschiedene Beiträge, die vor 27 Müller-Dietz, Heinz, Wie ist beim Mord die präventive Wirkung der lebenslangen Freiheitsstrafe einzuschätzen, in: Jescheck, Hans-Heinrich/Triffterer, Otto (Hrsg.), Ist die lebenslange Freiheitsstrafe verfassungswidrig?, 1978, S. 91–113. 28 Müller-Dietz, Heinz, Kriminologie in Europa, in: Albrecht, Hans-Jörg (Hrsg.), Kriminologie in Europa – Europäische Kriminologie, 1994, S. 13–37. 29 Müller-Dietz, Heinz, Verbrecher im Visier der Experten, in: Schautz, Desirée/Freitag, Sabine (Hrsg.), Jahrbuch der Juristischen Zeitgeschichte, Bd. 11, 2010, S. 141–160. 30 Müller-Dietz, Heinz, Untersuchungshaft und Festnahme im Lichte der Menschenrechtsstandards, in: Eser, Albin (Hrsg.), Strafrechtsreform in Polen und Deutschland, Untersuchungshaft, Hilfeleistungspflicht und Unfallflucht, 1991, S. 219–245.
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allem die generelle Problematik eines menschenwürdigen Strafvollzugs – wie ihn etwa wiederholt das BVerfG angemahnt hat31 sowie das Verhältnis der Menschenrechte zu Zielkonflikten im Strafvollzug32 thematisieren. In diesem Beitrag, der die Menschenrechte im Strafvollzug zu dessen diversen Zielkonflikten in Beziehung setzte, legte ich dar, dass auch und weshalb der Freiheitsentzug ein besonders sensibler Teil der staatlichen Exekutive darstellt und verwies auf die herausragenden Problembereiche des Straf- und Maßnahmenvollzugs (in Deutschland des Maßregelvollzugs). Dass Inhaftierte so gut wie in sämtlichen wichtigen Lebensbereichen durch den Freiheitsentzug betroffen sind, zeigt, wie schwierig es ist, in dieser Situation den Menschenrechten gebührend Geltung zu verschaffen. In einem späteren Beitrag in der Festschrift zum 80. Geburtstag von Claus Roxin merkte ich an, dass und in welcher Weise auch Angehörige von Strafgefangenen von deren Freiheitsentzug betroffen sind – was dann auch zumindest bei der Vollzugsgestaltung berücksichtigt werden muss.33 Dass seit einiger Zeit nationale wie internationale Bestrebungen dahin tendieren, den Menschenrechten zu stärkerem Gewicht zu verhelfen, ist zwar nicht zu übersehen, begegnet aber immer wieder dem vom Publikum vielfach geäußerten intensiven Verlangen, den Strafvollzug möglichst sicher auszugestalten, was wiederum eine Vollzugsgestaltung erschwert, die darauf abzielt, den Menschenrechten zu stärkerem Gewicht zu verhelfen. Mein letzter einschlägiger Beitrag galt einmal mehr dem Bestreben, ein ausgewogenes Verhältnis zwischen Menschenrechten und Erfordernissen der Sicherheit herzustellen.34 Einer meiner weiteren Beiträge zum Thema setzte sich mit dem speziellen Problem auseinander, wie das Spannungsverhältnis zwischen langen, insbesondere lebenslangen Freiheitsstrafen und den Menschenrechten auszutarieren wäre.35 Zwei weitere Beiträge, in deren Zentrum wiederum Menschenrechte stehen, beziehen sich generell auf das Verhältnis von Menschenrechten zum Staat. Das gilt für die Untersuchung, die ich zum Thema „Menschenrechte zwischen nationalstaatlicher Souveränität und weltanschaulichen Systemen“ angestellt habe, um zu 31 Müller-Dietz, Heinz, Menschenwürde und Strafvollzug, 1994. 32 Müller-Dietz, Heinz, Menschenrechte und Zielkonflikte im Strafvollzug, in: Bundesministerium für Justiz in Wien (Hrsg.), Menschenrechte im Strafvollzug, 1998, S. 83– 122. 33 Müller-Dietz, Heinz, Zur sog. „Drittwirkung“ des Freiheitsentzugs, in: Strafrecht als Scientia Universalis: Festschrift für Claus Roxin, 2011, S. 1159–1171. 34 Müller-Dietz, Heinz, Menschenrechte und Strafvollzug, in: Albrecht, Hans-Jörg (Hrsg.), Kriminalität, Kriminalitätskontrolle, und Menschenrechte, 2009 [2016], S. 43–68. 35 Müller-Dietz, Heinz, in: Jung, Heike (Hrsg.), Langer Freiheitsentzug – wie lange noch?, 1994, S. 43–62.
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zeigen, wie leicht Menschenrechte staatsideologischen Zielen zum Opfer fallen können.36 Eine gewichtige Rolle spielt in diesem Kontext vor allem der vieldiskutierte Gegensatz zwischen der universellen Geltung und der religiös-weltanschaulichen Verankerung der Menschenrechte. In einem weit ausholenden Beitrag über „Dissidenten, Schriftsteller und Menschenrechte in der Volksrepublik China“ 37 habe ich mich darum bemüht, am Beispiel eines prominenten chinesischen Schriftstellers darzulegen, in welche Konflikte ein Autor gerät, der sich der Freiheit des Wortes verpflichtet fühlt, die ihm nicht nur verweigert wird, sondern auch als angeblich kriminelles Verhalten stattdessen eine dreijährige Gefängnisstrafe nach sich zieht. Am Schicksal des bekannten Schriftstellers Liao Yiwu ist gleichsam abzulesen, welche Folgen die Inanspruchnahme des freien Wortes, das er für sich in einem autoritären Staat beanspruchte, haben kann. Zur Vorgeschichte meines umfangreichen Beitrags gehört meine ursprüngliche Absicht, Yiwus Buch „Für ein Lied und hundert Lieder“ zu rezensieren – das natürlich in China nicht erscheinen durfte, so dass es der Autor erst nach seiner Flucht aus seinem Heimatland veröffentlichen konnte. Die Lektüre dieses Werkes hat mir vor Augen geführt, dass es angesichts der Vorgänge, die in diesem Buch über China verlautbart werden, mit einer „bloßen“ Besprechung nicht getan ist, sondern dass die darin geschilderten Vorgänge und ihre Zusammenhänge eine weitergehende Darstellung verdienen, die auch Aspekte der kulturellen und rechtlichen Situation in der Volksrepublik einbezieht. So ist es denn dazu gekommen, dass ich außer einer freilich kurzgefassten philosophischen und literarischen Geschichte Chinas die gegenwärtige Verfassungs-, strafrechtliche und strafprozessuale Lage näher thematisiert und an Beispielen prominenter Schriftsteller und Künstler der Gegenwart dargelegt habe, wie dortige Behörden und staatliche Instanzen mit ihnen umgehen.
V. NS-Verbrechen Meine Beiträge zur NS-Diktatur sind relativ spät entstanden. Eine erste Begegnung mit dem NS-System ergab sich im Rahmen meiner Seminare, in deren Zentrum zumeist literarische Werke in ihrer Beziehung zum Recht standen. Beispiele für Theaterstücke über das „Dritte Reich“ oder dessen Nachwirkungen in der 36 Müller-Dietz, Heinz, Menschenrechte zwischen nationalstaatlicher Souveränität und weltanschaulichen Systemen, in: Paul, Gregor u. a. (Hrsg.), Humanität, Interkulturalität und Menschenrecht, 2001, S. 331–358. 37 Müller-Dietz, Heinz, Dissidenten, Schriftsteller und Menschenrechte in der Volksrepublik China, Jahrbuch der Juristischen Zeitgeschichte, Bd. 15, 2014, S. 293–398.
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Bundesrepublik bildeten etwa das Werk „Juristen“ des Dramatikers Rolf Hochhuth, in dem die fiktive Hauptperson, der Minister Heilmeier, von den Folgen seines Handelns im Zweiten Weltkrieg eingeholt wird, oder das Oratorium „Die Ermittlung“ von Peter Weiss, der das Material für sein Theaterstück dem Frankfurter Auschwitz-Prozess entnommen hatte, in dem Zeugen über das barbarische Geschehen im Konzentrationslager berichtet hatten. Auch die Erzählung „Ein Kriegsende“ von Siegfried Lenz gehörte hierher, in der Meuterer an Bord eines Minensuchers im kritischen Zeitpunkt der Kapitulation zum Tode verurteilt und hingerichtet werden, aber ebenso auch Bertolt Brechts Stück „Furcht und Elend des Dritten Reiches“ mit der Szene über den Amtsrichter, der in die Zwickmühle gerät, über SA-Leute zu entscheiden, die in ein jüdisches Juweliergeschäft eingedrungen sind, den Inhaber verletzt und erheblichen Sachschaden angerichtet haben. In späteren Seminaren kamen noch weltbekannte Romane wie „Der Vorleser“ von Bernhard Schlink hinzu, dessen Werk auf besondere Weise Leser mit dem grausigen Thema Auschwitz konfrontiert. Im Rahmen einer Ringvorlesung der Saarbrücker Philosophischen Fakultät im Wintersemester 1989/90 habe ich einen Vortrag zum Thema „Recht und Nationalsozialismus“ gehalten, der dann 1991 in der Zeitschrift „Jura“ veröffentlicht wurde. Ich habe darin mit einer ganzen Reihe von Beispielen des terroristischen Umgangs mit Juden und sog. Staatsfeinden aufgewartet, den Missbrauch und die Ignorierung des geltenden Rechts nach der sog. Machtübernahme geschildert und auf Erklärungsansätze verwiesen, die den fortschreitenden Prozess der Zerstörung jeglicher Rechtsstaatlichkeit vor Augen führen. Im Rahmen eines Kolloquiums von 1991 über „Moral und Recht“ habe ich gleichfalls die abgründige Entwicklung und Natur des NS-Staates rechtsphilosophisch näher umrissen. Ob es mir in diesem Beitrag hinreichend gelungen ist, das diffizile Thema in überzeugender Weise in den Griff zu bekommen, wage ich aus der Retrospektive eher in Zweifel zu ziehen. Immerhin ist es mir in dem Festschrift-Beitrag von 1993 für Arthur Kaufmann „Recht, Nationalsozialismus und Karl Kraus. Eine notwendige Erinnerung“ geglückt, mit dem teils ironisch, teils sarkastisch und satirisch verfassten Werk „Dritte Walpurgisnacht“ des Wiener Schriftstellers das Grauen zu schildern, das unmittelbar nach der sog. Machtübernahme über Juden und sog. Staatsfeinde hereingebrochen ist. Das im Frühjahr und Sommer von 1933 verfasste Manuskript, das posthum erst nach dem Zweiten Weltkrieg veröffentlicht werden konnte – aber weitgehend unbekannt geblieben ist –, beschrieb auf der Grundlage von Presse- und Rundfunkmeldungen in geradezu unübertrefflicher satirischer Sprache die Gräueltaten, die SA-Mitglieder sowie NS-Funktionäre an Juden und ent-
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schiedenen Gegnern der NSDAP bereits im ersten Halbjahr nach der Machtübernahme begangen haben. Besser als die Beschreibung der geradezu barbarischen Verbrechen des NS dürfte die wissenschaftliche Annäherung an bestimmte Teilaspekte des NS-Systems gelungen sein, in denen Ideologie und Terror des „Dritten Reiches“ in besonderer Weise zur Geltung gekommen sind. Das gilt etwa für das Forschungsprojekt „Strafvollzug im ‚Dritten Reich‘. Am Beispiel des Saarlandes“, das mein Saarbrücker Kollege Heike Jung, der dortige Historiker Rainer Möhler und ich in Angriff genommen haben. In diesem 1996 erschienenen Werk haben sich namentlich zwei grundsätzliche Fragen gestellt, denen Möhler in seinem Beitrag „Strafvollzug im ‚Dritten Reich‘. Nationale Politik und regionale Ausprägung am Beispiel des Saarlandes“ und ich nachgegangen sind.38 Zum einen ging es um die Frage, wie sich der Strafvollzug insgesamt nach der sog. Machtergreifung der Nationalsozialisten im „Reich“ entwickelt hat. Und zum anderen stellte sich die Frage, wie die Entwicklung im Saarland verlaufen ist, das ja bis 1935 einen Sonderstatus innehatte. Im Ergebnis hatten die Formen der Herrschaftsausübung im saarländischen Strafvollzug den gleichen Charakter wie im Rest Deutschlands – namentlich was die weitgehende Eliminierung der Menschenrechte sowie die NS-Ideologisierung in der Vollzugsgestaltung anlangte. Dies wurde nicht zuletzt durch die Zeugenberichte bestätigt, die Brigitte Faralisch ausgewertet hat.39.
VI. Literatur und Recht Als wohl ersten Schriftsteller, der mein besonderes literarisches Interesse fand, muss ich den Wiener Satiriker Karl Kraus nennen, dessen Werk mir in den 1960er-Jahren begegnete. Die Vorliebe für diesen Autor hielt – mit Einschränkungen – auch später an. So sollte ich mich in drei Beiträgen von 1984, 1990 und 2004 mit seinen Publikationen auseinandersetzen. Weitere Spuren literarischen Interesses wurden in meinem Freiburger Probevortrag vor der Fakultät „Grenzen des Schuldgedankens im Strafrecht“ von 1966 sichtbar, wies er doch in seiner 38 Möhler, Rainer, Strafvollzug im „Dritten Reich“: Nationale Politik und regionale Ausprägung am Beispiel des Saarlandes, in: Jung, Heike/Müller-Dietz, Heinz (Hrsg.), Strafvollzug im „Dritten Reich“. Am Beispiel des Saarlandes, 1996, S. 9–301; MüllerDietz, Heinz, Standort und Bedeutung des Strafvollzugs im „Dritten Reich“, in: Jung, Heike/Müller-Dietz, Heinz (Hrsg.), Strafvollzug im „Dritten Reich“. Am Beispiel des Saarlandes, 1996, S. 379–416. 39 Faralisch, Brigitte, „Begreifen Sie erst jetzt, daß wir rechtlos sind?“ Zeitzeugenberichte über den Strafvollzug im „Dritten Reich“, in: Jung, Heike/Müller-Dietz, Heinz (Hrsg.), Strafvollzug im „Dritten Reich“. Am Beispiel des Saarlandes, 1996, S. 303–416.
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Veröffentlichung (1967) eine ganze Reihe literarischer Zitate auf. Die wohl erste Thematisierung von Literatur verkörperte der 1969 erschienene Beitrag „Zum Bild des Strafvollzugs in der modernen Literatur“, der eine erste Bezugnahme auf das große Vorbild des literarisch so gebildeten Gustav Radbruch enthielt. Unmittelbar nach meiner Berufung nach Saarbrücken kam es im Wintersemester 1969/70, als ich den Allgemeinen Teil des Strafrechts las, zu einer weiteren Konfrontation mit einem bedeutenden Schriftsteller des 20. Jahrhunderts, nämlich Robert Musil. Dessen erster Band des fragmentarisch gebliebenen Jahrhundertromans „Der Mann ohne Eigenschaften“ 1931 sowie sein erster Teil des zweiten Bandes waren 1933 erschienen. Der veröffentlichte Teil dieses Werkes enthält ja eine in frappierender Ironie verfasste Schilderung des Prozesses gegen den Prostituiertenmörder Moosbrugger, die die zeitgenössische Problematik des „Zusammenspiels“ von Justiz und Psychiatrie gleichsam auf die „Schippe“ nimmt. Freilich war ich erst viel später zeitlich in der Lage, mich mit dem Werk dieses außerordentlichen Autors aus rechts- und literaturwissenschaftlicher Perspektive näher zu beschäftigen. Das geschah etwa 1983 mit dem Beitrag „Strafrecht und Psychiatrie im Werk Robert Musils“ in der Festschrift für Heinz Leferenz, dann 1992 mit der Arbeit „Moosbrugger, ein Mann mit Eigenschaften oder Strafrecht und Psychiatrie in Musils ‚Mann ohne Eigenschaften‘“ sowie schließlich 2013 mit der Untersuchung „Strafrechtliche, prozessuale und kriminologische Aspekte in Musils Roman ‚Der Mann ohne Eigenschaften‘“. Anregungen, mich mit dem Werk Musils zu befassen, gingen nicht zuletzt von der Saarbrücker Literaturwissenschaftlerin Marie-Louise Roth aus. Frau Roth hatte wohl auch ihren Anteil daran, dass ich zweimal (1985 und 1992) zum damals jährlich stattfindenden „Internationalen Robert-Musil-Sommerseminar“ in Klagenfurt als Referent eingeladen wurde. Die knapp einwöchigen Tagungen fanden jeweils im Geburtshaus Musils statt, das zu einem Musil-Archiv ausgestaltet war, aber als Kärntens Literaturarchiv auch Dokumente von Ingeborg Bachmann und der relativ wenig bekannten Kärntner Lyrikerin Christine Lavant (1915–1973) beherbergt. Dieses Archiv dient zugleich als Robert-MusilInstitut für Literaturforschung der Universität Klagenfurt. An den Sommerseminaren nahmen in der Regel – von mir einmal abgesehen, der ich ja auch der einzige Jurist war – hervorragende deutschsprachige und ausländische Kenner von Musils Werk teil. Nicht immer verstand ich die meist „hochgestochenen“ Referate, die vielfach große Vertrautheit mit dem behandelten Stoff erforderten. Während meiner aktiven Saarbrücker Jahre hielten mich freilich auch noch weitere Umstände an der Beschäftigung mit Literatur fest. Ich schrieb Aphorismen, die – jedenfalls teilweise – auf Veranlassung des Kulturreferenten der „Saarbrü-
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cker Zeitung“ in diesem Blatt veröffentlicht wurden. Das hat dazu beigetragen, dass ich Mitglied des damaligen Verbandes deutscher Schriftsteller (VS) im Saarland wurde. In diesem Rahmen habe ich für verschiedene Almanache des saarländischen Verbandes literarische Beiträge geschrieben. Darüber hinaus habe ich Aphorismen und Glossen in zwei kleineren Werken unter den Titeln ALLES WAS RECHT IST40 und „Recht sprechen & rechtsprechen“41 (1987) veröffentlicht. Ich habe übrigens bis heute immer wieder solche Texte verfasst, die allerdings nur Teilnehmern der erwähnten jährlich stattfindenden kriminologischen Kolloquien durch meine dortigen Lesungen bekannt wurden. Auch manche meiner Seminare hatten Anteil an meiner Beschäftigung mit literarischen Werken. Sie hatten zunächst mit strafrechtlichen, kriminologischen und rechtsgeschichtlichen Themen begonnen. Doch im Laufe der Zeit bezogen sie auch Erörterungen literarischer Themen ein. Das konnten nicht zuletzt Romane und Bühnenstücke der literarischen Moderne, namentlich über die Zeit des „Dritten Reiches“ (etwa von Bertolt Brecht, Rolf Hochhuth, Peter Weiss, Siegfried Lenz, Bernhard Schlink, Jorge Semprun oder Imre Kertéz) sein. Es war deutlich zu erkennen, dass es – jedenfalls in den 1980er- und 1990er-Jahren – eine ganze Reihe von Jurastudenten gab, die Interesse an Literatur hatten, die sich unter zeitgeschichtlichen Vorzeichen mit Rechtsproblemen auseinandersetzt. Das letzte Seminar fand im Wintersemester 2010/11 statt.
VII. Schluss Ein abschließendes Wort sei den Förderern und Unterstützern meiner wissenschaftlichen Bemühungen gewidmet. Das gilt etwa für meinen Freund und Kollegen Heike Jung aus Saarbrücken und den Hagener Kollegen Thomas Vormbaum. Heike Jung hat eine ganze Reihe wissenschaftlicher Projekte in die Wege geleitet, die wir dann gemeinsam mit unseren Mitarbeitern ausgeführt haben. Darüber hinaus hat er sich auch während meines Wirkens oft als ausgezeichneter Anreger von Themen und Forschungsprojekten erwiesen. Ihm habe ich viele Hinweise auf Fragestellungen zu verdanken. Er war und ist nicht nur ein großer Anreger und Inspirator, der mit neuen Ideen mein wissenschaftliches Arbeiten förderte und zuweilen regelrecht in Gang hielt. Vielmehr hat er mir 1998 anlässlich meines 65. Geburtstags zu einer Festschrift mit dem Titel „Das Recht und die schö-
40 Müller-Dietz, Heinz, Alles was Recht ist. Aphorismen und Glossen zu Recht, Staat und Gesellschaft, 1983. 41 Müller-Dietz, Heinz, Recht sprechen & rechtsprechen. Neue Aphorismen und Glossen, 1987.
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nen Künste“ verholfen, die gerade dank der Mitwirkung Saarbrücker Kollegen und dortiger Literaturwissenschaftler literarische Themen angesprochen hat, die mich besonders beschäftigt haben. Darunter fand sich ein speziell auf mich gemünzter Beitrag aus der Feder des Literaturwissenschaftlers Gerhard SchmidtHenkel mit dem Titel „Alles was Recht ist und alles was Literatur ist“, das auf eine meiner bereits erwähnten Publikationen anspielt. Thomas Vormbaum hat mir schon seit längerer Zeit immer wieder Gelegenheit zu Rezensionen keineswegs nur mich interessierender literarischer Werke in dem von ihm herausgegebenen „Journal der Juristischen Zeitgeschichte“ sowie für Publikationen in dem gleichfalls von ihm edierten „Jahrbuch der Juristischen Zeitgeschichte“ gegeben. Darüber hinaus hat er auch viel Geduld und Nachsicht für die Fertigstellung und den Umfang meiner Manuskripte an den Tag gelegt. Schließlich hat er mir die Möglichkeit eröffnet, zahlreiche an verstreuten Stellen veröffentlichte Beiträge in Sammelbänden zusammenzufassen und zu publizieren. Beiden Kollegen sei für ihre wegweisende Unterstützung meiner Arbeit herzlich gedankt.
Schriftenverzeichnis (in Auswahl) 1. Selbständiges Schrifttum Grenzen des Schuldgedankens im Strafrecht, 1967. Das Leben des Rechtslehrers und Politikers Karl Theodor Welcker, 1968. Strafvollzug und Gesellschaft, 1970. Mit welchem Hauptinhalt empfiehlt es sich, ein Strafvollzugsgesetz zu erlassen?, 1970. Strafe und Staat, 1973. Probleme des modernen Strafvollzugs, 1974. Empirische Forschung und Strafvollzug, 1976. Grundfragen des strafrechtlichen Sanktionensystems, 1979. Grenzüberschreitungen. Beiträge zur Beziehung zwischen Literatur und Recht, 1990. Recht und Kriminalität im literarischen Widerschein, 1999. Recht und Nationalsozialismus, Gesammelte Beiträge, 2000.
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Recht und Kriminalität in literarischen Spiegelungen, 2007. Recht und Kriminalität in literarischen Brechungen, 2016.
2. Kommentierungen Kurzkommentar zum Strafvollzugsgesetz, 1. Aufl. 1977–11. Aufl. 2008 (zusammen mit Rolf-Peter Calliess).
3. Aufsätze in Zeitschriften und Sammelwerken Literaturberichte Strafvollzug, ZStW 82 (1970) – ZStW 119 (2007). Der Wahrheitsbegriff im Strafverfahren, ZEE 15 (1971), S. 257–272. Lebenslange Freiheitsstrafe und bedingte Entlassung, in: Einsele, Helga/Feige, Johannes/Müller-Dietz, Heinz (Hrsg.), Die Reform der lebenslangen Freiheitsstrafe, 1972, S. 35–105. Die Entwürfe zu einem Strafvollzugsgesetz und die Strafvollzugsreform, JZ 1974, S. 351–361, 489–501. Gewissensfreiheit und Strafrecht, in: Festschrift für Karl Peters, 1974, S. 91–107. Vom Wort der Gewalt und der Gewalt des Wortes, in: Festschrift für Thomas Würtenberger, 1977, S. 167–186. Zur Problematik verfassungsrechtlicher Pönalisierungsgebote, in: Festschrift für Eduard Dreher, 1977, S. 95–116. Strafvollzugsrecht, in: Handwörterbuch der Kriminologie, 2. Aufl., Bd. IV, 1979, S. 455–495. Mord, lebenslange Freiheitsstrafe und bedingte Entlassung, Jura 1983, S. 568– 580, 628–635. Vom intellektuellen Verbrechensschaden – eine nicht nur historische Reminiszenz, GA 1983, S. 481–496. Zur literarischen und juristischen Hermeneutik, in: Festschrift für Arthur Kaufmann zum 60. Geburtstag, 1984, S. 157–171. Strafvollzug, Tatopfer und Strafzweck, GA 1985, S. 147–175. Schweizerischer Strafvollzug, ZStW 98 (1986), S. 1064–1094. Existentielles Naturrecht und Rechtsanthropologie. Anmerkungen zum rechtsphilosophischen Werk Thomas Würtenbergers, ARSP 1987, S. 391–404.
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Zur moralischen Rechtfertigung totalitärer Anschauungen am Beispiel nationalsozialistischen Rechtsdenkens, in: Jung, Heike (Hrsg.), Recht und Moral. Beiträge zu einer Standortbestimmung, 1991, S. 177–204. Kriminalität und Kriminalitätsverarbeitung in der „Fackel“, in: Schönert, Jörg (Hrsg.), Erzählte Kriminalität, 1991, S. 571–611. Die geistige Situation der deutschen Strafrechtswissenschaft nach 1945, GA 1992, S. 99–133. Recht, Nationalsozialismus und Karl Kraus, in: Festschrift für Arthur Kaufmann, 1993, S. 769–802. Die soziale Wahrnehmung von Kriminalität, NStZ 1993, S. 57–65. Der Strafvollzug in der Sicht Gustav Radbruchs, in: Festschrift für Horst SchülerSpringorum, 1993, S. 607–627. Recht und Nationalsozialismus, in: Hummel, Gert (Hrsg.), Umgang mit dem Erbe (1933–1945), 1994, S. 67–109. (Straf-) Gerechtigkeit im Spiegel der Weltliteratur, GA 1995, S. 499–514. Gibt es Fortschritt im Strafrecht?, in: Festschrift für Otto Triffterer, 1996, S. 677– 693. Prävention durch Strafrecht. Generalprävention, in: Kriminalprävention und Strafjustiz, 1996, S. 227–261. Goethe und die Todesstrafe, in: Jahrbuch der Deutschen Schillergesellschaft 42, 1998, S. 120–145. Verfassungsrechtliche Schutz- und Pönalisierungspflichten, in: Gedächtnisschrift für Heinz Zipf, 1999, S. 123–133. Gesellschaftliche Erwartungen und Legitimierbarkeit von Recht, in: Rechtsbegründung – Rechtsbegründungen. Günter Ellscheid zum 65. Geburtstag, 1999, S. 90–117. Strafrecht und Strafprozeß in satirischer Perspektive, in: Kraus, Karl, Sittlichkeit und Kriminalität (1908), 2004, S. 289–327. Dostojewskis „Aufzeichnungen aus einem Totenhaus“ aus rechtlicher Sicht, in: Dostojewski, Fjodor: Aufzeichnungen aus einem Totenhaus (1860), 2005, S. 299–327. Richter und Strafverfahren – am Beispiel des literarischen Werkes von Gerhard Roth, in: Festschrift für Roland Miklau, 2006, S. 367–381.
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Kriminalitäts-, Sozial- und Strafrechtsgeschichte in Schillers Erzählung „Verbrecher aus Infamie“, in: Schiller, Friedrich: Verbrecher aus Infamie (1786), 2006, S. 25–71. Kein Ort für Kleist? Leben und Sterben des Dichters in der Sicht Christa Wolfs, in: Beiträge zur Kleist-Forschung 2004. Sterben und Tod bei Heinrich von Kleist und in seinem historischen Kontext, 2006, S. 193–210. Die Justizanstalt Leoben im Kontext der Gefängnisarchitektur, in: Jahrbuch der Juristischen Zeitgeschichte, Bd. 9, 2007/2008, S. 134–155. Rechtsutopien in Bettine von Arnims „Königsbuch“?, in: Festschrift für Elmar Wadle, 2008, S. 683–702. Kriminalität in der Literatur, in: Schneider, Hans Joachim (Hrsg.), Internationales Handbuch der Kriminologie, Bd. 2, 2009, S. 617–643. Schülergewalt in literarischer Perspektive, in: Festschrift für Ulrich Eisenberg, 2009, S. 119–137. E.T.A. Hoffmanns Erzählung „Das Fräulein von Scuderi“ in (straf-)rechtsgeschichtlicher und kriminologischer Perspektive, in: Hoffmann, E.T.A., Das Fräulein von Scuderi. Erzählung aus dem Zeitalter Ludwigs des Vierzehnten (1819), Juristische Zeitgeschichte, Bd. 36, 2010, S. 69–96. Die Strafjustiz in der Sicht Goethes, in: Jahrbuch der Juristischen Zeitgeschichte, Bd. 11, 2010, S. 277–305. Zwischen Fiktion und Realität – Zur literarischen Verarbeitung persönlicher Beziehungen, in: Festschrift für Wilfried Fiedler, 2011, S. 231–250. Ist Recht Kritik? Über eine Sentenz Gottfried Kellers, in: Festschrift für Udo Ebert, 2011, S. 309–327. Blutrache in literarischer Sicht – am Beispiel des Romans „Der zerrissene April“ von Ismail Kadare, GA 2011, S. 34–54. Selbstmordattentate in literarischer Perspektive, in: Festschrift für Hans-Jürgen Kerner, 2013, S. 143–156. Geschwisterinzest in literarischer Perspektive, in: Festschrift für Wolfgang Frisch, 2013, S. 797–812. Von der kriminologischen Literatur zur „Literarischen Kriminologie“, in: Gedächtnisschrift für Michael Walter, 2014, S. 877–892.
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https://doi.org/10.1515/9783110703016-011
Ulfrid Neumann I. Persönlicher Werdegang Ich bin am 20. August 1947 in Seligenstadt/Main geboren. Mein Vater, Dr. med. Ernst Heinrich Neumann, war zunächst als Arzt für Allgemeinmedizin tätig, bevor er, schon im mittleren Lebensalter, die Facharzt-Ausbildung zum Internisten nachholen konnte, die in der Kriegs- und der unmittelbaren Nachkriegszeit hatte zurückstehen müssen. Meine Mutter, Dr. med. Viktoria Neumann-Kern, absolvierte wenige Jahre nach Kriegsende ein Zweitstudium der Psychologie und war in der Folgezeit als Psychotherapeutin tätig. Sowohl mein Bruder Odmar, der 2013 im Alter von 71 Jahren verstorben ist, als auch meine Schwester Gerheid (geb. 1945) folgten später meiner Mutter in dieser Studienwahl, schlugen dann aber nicht eine praktische, sondern eine wissenschaftliche Laufbahn ein. Mein Bruder wurde später Professor für Allgemeine Psychologie in Bielefeld, meine Schwester Professorin für Grundschulpädagogik in Potsdam. Das Verhältnis zwischen uns drei Geschwistern war harmonisch. Mit meiner Schwester verbindet mich noch heute eine enge und vertrauensvolle Beziehung. „Stammsitz“ der Familien beider Eltern war Frankfurt am Main, wo die Eltern meines Vaters nach wie vor wohnten und wohin es meine Eltern nach Kriegsende zurückzog. Allerdings waren Kassenärzte in dieser Zeit bei der Ortswahl für ihre Praxis nicht frei, sondern an Vorgaben der Krankenkassen gebunden. So siedelte die Familie zunächst nach Heppenheim/Bergstraße über, wo mein Vater eine Praxis für Allgemeinmedizin eröffnete. Dort besuchte ich ab Ostern 1954 die ersten beiden Klassen der Grundschule, anschließend (ab Ostern 1956) die vierte Klasse einer Grundschule und die beiden ersten Klassen (Sexta und Quinta) des altsprachlichen Gymnasiums Hohenbaden in Baden-Baden. Nach dem Intermezzo in Baden-Baden konnte dann 1958 der Umzug der Familie nach Frankfurt erfolgen. Ich selbst habe diese Stadt, in der ich bis zum Abitur (1966) das altsprachliche Lessing-Gymnasium besuchte, während meines ganzen Lebens immer als Heimatstadt empfunden – trotz einer langen und sehr glücklichen Zeit, die ich in München verbracht habe. Bei der Wahl des Studiums stand die Entscheidung für ein geistes- bzw. sozialwissenschaftliches Fach frühzeitig fest – nicht aufgrund der im Abiturzeugnis ausgewiesenen schulischen Leistungen, die auch ein naturwissenschaftliches Studienfach nicht ausgeschlossen hätten, sondern wegen des besonderen Interesses, das ich in den letzten Schuljahren für gesellschaftswissenschaftliche, aber auch für philosophische Themen entwickelt hatte. Die Überlegung, ein Studium
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der Philosophie aufzunehmen, wurde – durchaus mit elterlicher Zustimmung – aus praktischen Gründen rasch verworfen. Demgegenüber schien das Jurastudium nicht nur meinen theoretischen Interessen, sondern auch dem Sekuritätsbedürfnis entgegenzukommen. Die Erwägung, dass sich ja über das Gebiet der Rechtsphilosophie die Brücke zur Allgemeinphilosophie schlagen lasse, hatte damals, psychologisch gesehen, wohl eher den Charakter eines die Entscheidung bestätigenden als den eines diese mitbestimmenden Arguments; denn die Chancen, dass die Rechtsphilosophie in meiner künftigen beruflichen Tätigkeit eine wesentliche Rolle spielen könnte, waren zu diesem Zeitpunkt sehr gering. Tatsächlich aber wurde sie später, dank glücklicher Umstände, neben der Strafrechtswissenschaft zu meinem zweiten zentralen Arbeitsgebiet. Die beiden ersten Semester waren hauptsächlich einem „Studium generale“ am Leibniz-Kolleg der Universität Tübingen gewidmet. Ich verdanke dieser Institution nicht nur einen zur Bescheidenheit mahnenden Überblick über die Vielfalt der Gebiete menschlichen Wissens, sondern auch eine Schulung in methodischem wissenschaftlichen Arbeiten. Daneben hörte ich Vorlesungen an der juristischen Fakultät, an der damals unter anderen Fritz Baur, Josef Esser, Günter Dürig und – im Strafrecht – Jürgen Baumann, Karl Peters und Horst Schröder lehrten. Insbesondere meine rechtsphilosophischen Interessen veranlassten mich, zum Wintersemester 1968/69 an die Ludwig-Maximilians-Universität München zu wechseln, die gerade Arthur Kaufmann als Nachfolger von Karl Engisch auf den Lehrstuhl für Strafrecht und Rechtsphilosophie berufen hatte. Die Seminare von Arthur Kaufmann, an denen sich auch seine Mitarbeiter Winfried Hassemer, Günter Ellscheid und Ulrich Schroth beteiligten, boten Raum für die Erprobung (damals) neuer Ansätze im Rechtsdenken – Sprachtheorie, Wissenschaftstheorie, moderne Logik wurden zur Analyse rechtlicher Normen und rechtswissenschaftlicher Aussagen herangezogen. Das geschah von Seiten der Teilnehmer/Innen in wissenschaftstheoretischer, zugleich aber auch in ideologiekritischer Absicht. In Kaufmanns Seminaren traf man immer wieder auf führende Köpfe der studentischen Protestbewegung, die gelegentlich nicht nur die herrschenden rechtswissenschaftlichen Denkmuster, sondern auch die Herrschaftsverhältnisse in universitären Lehrveranstaltungen in Frage stellten. Zur Illustration eine kleine Episode: Kaufmann hatte damals eine Hilfskraftstelle im Volumen von 250 DM (entspr. 125 €) monatlich zu vergeben, deren Besetzung er – eine Konzession an den universitären Zeitgeist – dem Votum der Seminarteilnehmer überantwortete. Das Seminar „beschloss“, entgegen dem Vorschlag von Kaufmann, die Stelle zu dritteln, so dass schließlich auf die Erwählten (darunter ich) je etwa 83 DM entfielen.
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Meine „Wahl“ zur Hilfskraft markierte den Beginn einer langjährigen Tätigkeit am Lehrstuhl Arthur Kaufmanns – später als Assistent, Doktorand, Habilitand. Nach dem im Sommer 1971 mit „gut“ bestandenen Ersten Staatsexamen war ich allerdings zunächst, parallel zum Referendardienst, als wissenschaftlicher Mitarbeiter bei einem von der Deutschen Forschungsgemeinschaft (DFG) geförderten argumentationstheoretischen Forschungsprojekt tätig, das der Münchner Philosoph und Wissenschaftstheoretiker Eike von Savigny zum Thema „Nichtempirische Argumente in nicht rein empirischen Wissenschaften“ durchführte. Den Referendardienst absolvierte ich mit der Einstellung, der alltagspraktische Umgang mit dem Recht sei lediglich etwas, das der wissenschaftlichen Befassung mit diesem wichtige zeitliche Ressourcen entziehe – eine Auffassung, die ich heute für gänzlich verfehlt erachte. Aus meiner damaligen Sicht aber war das (mit „vollbefriedigend“ abgelegte) Zweite Juristische Staatsexamen, mit dem im Herbst 1974 das Referendariat endete, nichts anderes als das Tor, durch das ich in die Freiheit der akademischen Rechtswissenschaft zurückkehren konnte. Das bedeutete vor allem die Möglichkeit, mich auf die Dissertation zum Thema „Rechtsontologie und juristische Argumentation“ zu konzentrieren, mit der ich 1977 „summa cum laude“ promovierte. Aus meiner heutigen Sicht leidet die Arbeit an typischen Mängeln ehrgeiziger wissenschaftlicher Erstlingsarbeiten: Sie verarbeitet eine Überfülle an Material, die zu starken Komprimierungen zwingt, und sie fürchtet die Einfachheit eines schlichten Stils. Die Grundthese der Arbeit, nämlich: dass die Rechtsdogmatik in ihrer vorherrschenden Ausprägung vielfach auf starken Idealisierungen („Ontologisierungen“) beruht, halte ich nach wie vor für richtig. Für die Rezeption der Arbeit wäre es aber förderlicher gewesen, den Akzent statt auf wissenschaftstheoretische Vertiefung auf die Darstellung überzeugender praktischer Beispiele zu legen. In die Phase der Arbeit an der Habilitationsschrift (1977–1982) fällt meine Eheschließung (1979) mit Maria-Elisabeth Wallner, die ich als Studentin in einem Seminar Arthur Kaufmanns kennengelernt hatte. Im Jahre 1983 wurde unsere Tochter Marion geboren, die später die elterliche Tradition einer juristischen Berufstätigkeit fortsetzte und heute (2020) als Rechtsanwältin in Hamburg arbeitet. Die im Spätsommer 1982 abgeschlossene Habilitationsschrift zum Thema „Zurechnung und ‚Vorverschulden‘. Vorstudien zu einem dialogischen Modell strafrechtlicher Zurechnung“ wurde von Arthur Kaufmann und Claus Roxin begutachtet. Die Habilitation erfolgte am 20. Januar 1983; sie umfasste die Venien für Strafrecht, Strafprozessrecht, Rechtsphilosophie, Rechtstheorie und Rechtssoziologie. Im darauf folgenden Sommersemester vertrat ich eine Professur an der Universität Passau – eine Stelle, die die Besonderheit aufwies, dass sie (noch) über keinerlei Ausstattung verfügte, so dass ich für technische Unterstützung bei
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den Vorlesungen auf die – freundlich gewährte – Hilfe der Kollegen angewiesen war (vor allem Werner Beulke gebührt Dank für seine kollegiale Hilfsbereitschaft). In dieser Zeit erhielt ich einen Ruf auf eine neu geschaffene Professur (C 3) für Rechtsphilosophie an der Johann Wolfgang Goethe-Universität Frankfurt, dem ich zum Wintersemester 1983/84 folgte. Die Stelle war dem Frankfurter Fachbereich im Rahmen von Rufabwehrverhandlungen Winfried Hassemers zugesagt worden; der künftige Inhaber sollte vor allem die für das erste Semester vorgesehene rechtsphilosophische Veranstaltung übernehmen, bei der erfahrungsgemäß mit mangelnder Disziplin und geringem Interesse der Teilnehmer/Innen zu rechnen war. In der Tat erwies sich der Einstieg in diese Veranstaltung als schwierig; man musste (heute unvorstellbar!) damit rechnen, in der Vorlesung mit Papierfliegern empfangen zu werden. Mit der Zeit aber bekam ich auch diese Veranstaltung gut in den Griff; daneben übernahm ich in Absprache mit den Kollegen Winfried Hassemer, Herbert Jäger, Klaus Lüderssen, Wolfgang Naucke und Ernst Amadeus Wolff zunehmend auch strafrechtliche Vorlesungen. Das Klima, das in dieser Zeit am Frankfurter Institut für Kriminalwissenschaften herrschte, möchte ich als „agonal-kooperativ“ bezeichnen: eine enge, durch ein gemeinsames Interesse an strafrechtlicher Grundlagenforschung ebenso wie durch persönliche Freundschaften geprägte Zusammenarbeit nahm in der konkreten Durchführung häufig die Form höchst kontroverser Diskussionen an, die bei gemeinsamen „Auftritten“ im Ausland bei den Gastgebern gelegentlich für Irritationen sorgten. Für mich persönlich war meine (erste) Frankfurter Zeit (1983–1987), in die auch die Frankfurter Strafrechtslehrertagung von 1985 fiel, eine Phase vielfältiger Anregungen und Herausforderungen. Wichtige Impulse kamen dabei nicht nur von den strafrechtlichen Kollegen; auch mit Erhard Denninger, Manfred Weiss, Spiros Simitis, Michael Stolleis, Wolf Paul, um nur einige zu nennen, ergaben sich gute und wissenschaftlich produktive Kontakte. Zum 1. Oktober 1987 folgte ich einem Ruf auf eine Professur (C 4) für Strafrecht, Strafprozessrecht, Rechtsphilosophie und Rechtssoziologie an der Universität des Saarlandes. In Saarbrücken ergab sich für die folgenden sieben Jahre eine freundschaftliche und fruchtbare Zusammenarbeit mit den Kollegen Heike Jung und Heinz Müller-Dietz im Strafrecht und mit Alessandro Baratta und Günther Jahr auf dem Gebiet der Rechtsphilosophie. Mit Heike Jung und Heinz MüllerDietz bin ich noch heute freundschaftlich verbunden. Auch zu den auf dem Gebiet der Rechtstheorie tätigen neuberufenen Kollegen Helmut Rüßmann und Maximilian Herberger fand sich ein guter und freundschaftlicher Kontakt.
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Der Saarbrücker juristische Fachbereich (Teil der Rechts- und Wirtschaftswissenschaftlichen Fakultät) war, jedenfalls im Vergleich zu Frankfurt, ein eher kleiner Fachbereich, der aber gleichfalls wissenschaftliche Persönlichkeiten von internationalem Renommee aufzuweisen hatte. Arthur Kaufmann und Werner Maihofer hatten dort in den Jahren zuvor eine umfangreiche und hervorragend strukturierte rechtsphilosophische Bibliothek aufgebaut, die auch zahlreiche Wissenschaftler/Innen aus dem Ausland anlockte. Während meiner Saarbrücker Zeit arbeiteten dort etwa Frau Kollegin Maria Archimandritou (Thessaloniki) sowie die Kollegen Alejandro Aponte (Bogotá), Paolo Becchi (Genua) und Dimitri Dimoulis (jetzt: São Paulo) und, zugleich als Gastprofessor, Yongliu Zheng (Peking). Heute erscheint mir die Saarbrücker Zeit als eine Phase der wissenschaftlichen Idylle – mit einer geringen Belastung durch Vorlesungen (angesichts der überschaubaren Teilnehmerzahlen und einer lediglich sechsstündigen Lehrverpflichtung), mit einer harmonischen Atmosphäre in der Kollegenschaft, „kurzen Wegen“ zu der Universitätsverwaltung und der Landesregierung, einem ruhigen, konzentrierter Arbeit förderlichen Universitätscampus. All dies eingebettet in ein französisch eingefärbtes saarländisches „Savoir-vivre“ und flankiert von der sprichwörtlichen Freundlichkeit und Hilfsbereitschaft der Saarländerinnen und Saarländer. Das bedeutet nicht, dass es an wissenschaftlicher und wissenschaftsorganisatorischer Arbeit gefehlt hätte. Im März 1989 veranstalteten die strafrechtlichen Kollegen (Heike Jung, Heinz Müller-Dietz und ich) ein dreitägiges Internationales Kolloquium zum Thema „Recht und Moral“, im Oktober 1990 fand (organisiert von Maximilian Herberger, Helmut Rüßmann und mir) in Saarbrücken die erste „gesamtdeutsche“ Tagung der Deutschen Sektion der Internationalen Vereinigung für Rechts- und Sozialphilosophie (IVR) zum Thema „Generalisierung und Individualisierung im Rechtsdenken“ statt. 1992/93 war ich Dekan des Saarbrücker Fachbereichs, in dieser Funktion aufgrund eines Streiks im öffentlichen Dienst zeitweise auch als „Hausmeister“ des Hörsaalgebäudes tätig. Als mich 1993 der „Rückruf“ auf eine Professur für Strafrecht, Strafprozessrecht und Rechtsphilosophie an der Universität Frankfurt am Main erreichte, stand ich vor einer schwierigen Entscheidung. Vieles sprach dafür, die Arbeit in Saarbrücken und die gute Kooperation mit den dortigen Kollegen und den Studierenden fortzuführen. Andererseits lockte auch die „große Bühne“ Frankfurt, ebenso wie die Aussicht, dort an die frühere Zusammenarbeit mit den strafrechtlichen Kollegen anzuknüpfen. Lange Zeit vermochte keine der widerstreitenden Tendenzen die Oberhand zu gewinnen. Schließlich siegte der Ruf der Ferne. Ich kehrte zum Wintersemester 1994/95 an die Goethe-Universität zurück. Der neue berufliche
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Lebensabschnitt, der damit begann, folgte einem Neubeginn in meinem privaten Leben. Ein Jahr zuvor hatte ich nach der Scheidung von meiner ersten Frau meine jetzige Ehefrau, Wassiliki Roustopani, geheiratet. Im Herbst 1994 bezogen wir eine Wohnung im Frankfurter Westend. Die Umstellung von der Saarbrücker Idylle auf die Tätigkeit an einem von Studierenden überlaufenen Fachbereich, dessen Betriebsamkeit gelegentlich nicht ohne Hektik war, wurde durch meine früheren Frankfurter Erfahrungen erleichtert, war aber gleichwohl nicht ganz einfach. Ich profitierte aber von der inzwischen erworbenen Vorlesungs-Routine und fand mich durch die Rückmeldungen, die damals am Ende der Vorlesungszeit in den Veranstaltungen systematisch erhoben wurden, sehr rasch bestätigt. Die gute Kooperation mit den anderen Frankfurter Strafrechtlern setzte sich, trotz leicht veränderter personeller Konstellation, fort; insbesondere den Diskussionen im traditionellen Dienstagsseminar der Frankfurter Strafrechtler verdanke ich zahlreiche Anregungen. Die Rechtsphilosophie wurde nach meiner Rückkehr institutionell dem Institut für Kriminalwissenschaften zugeordnet, das seither als „Institut für Kriminalwissenschaften und Rechtsphilosophie“ firmiert. Anfang 2000 erreichte mich ein Ruf an die Universität Bonn. Das Angebot, dort die Nachfolge von Hans-Joachim Rudolphi anzutreten, war verlockend, zumal es mit der Perspektive verbunden war, zu einem späteren Zeitpunkt die Leitung des Bonner rechtsphilosophischen Seminars zu übernehmen. Reizvoll erschien auch die Perspektive einer Zusammenarbeit mit den von mir hochgeschätzten Bonner Kolleginnen und Kollegen. Letztlich aber entschied ich mich, in Frankfurt zu bleiben. Ausschlaggebend dafür war die Erwägung, dass die Balance zwischen wissenschaftlichem Streit und persönlichem Einvernehmen, wie sie im Kreis der Frankfurter Strafrechtler traditionell gehalten werden konnte, außerhalb des Frankfurter Instituts nur schwer herstellbar sein dürfte. Im Oktober 2005 übernahm ich das Amt des Dekans, das ich bis September 2007 ausübte. In diesen Zeitraum fiel der Umzug des juristischen Fachbereichs (und anderer Fachbereiche) auf den neuen Campus „Westend“, der im Vergleich zu dem alten Standort sowohl funktional als auch ästhetisch eine wesentliche Verbesserung darstellt. Die damit verbundenen Übergangsschwierigkeiten (das Dekanat war mehrere Wochen ohne Telefon-, Fax- und Mailverbindung) nahmen wir gelassen in Kauf. Nach meinem Eindruck, der von Kolleginnen und Kollegen bestätigt wird, hat das neue Ambiente auch einen positiven psychologischen Einfluss auf die Grundstimmung bei den Studierenden und den Mitarbeiter/Innen. Mein Eintritt in den Ruhestand wurde auf meinen Antrag hin um ein Jahr auf den 30. September 2013 verschoben. Anschließend war ich noch weitere fünf Jahre
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als Seniorprofessor mit zunächst vollem, später reduziertem Lehrdeputat tätig. Seit dem Wintersemester 2018/19 beschränke ich mich in der Lehre auf die Veranstaltung von Seminaren für Studierende sowie für Postgraduierte.
II. Wissenschaftliches Werk Mein wissenschaftliches Interesse galt zunächst der Rechtsphilosophie. Hier waren es insbesondere Fragen der Erkenntnistheorie, der Wissenschaftstheorie der Rechtswissenschaft, der Juristischen Logik und der – damals noch am Anfang stehenden – Theorie der juristischen Argumentation, mit denen ich mich in meiner Dissertation und in meinen Beiträgen zu der von Arthur Kaufmann und Winfried Hassemer herausgegebenen, 1977 in erster Auflage erschienenen „Einführung in die Rechtsphilosophie und Rechtstheorie der Gegenwart“ befasste.1 Die mit dieser Themenwahl einhergehende „Engführung“ der Rechtsphilosophie in Richtung einer analytisch orientierten Rechtstheorie entsprach der damals verstärkt einsetzenden Tendenz zu einer „Rechtswissenschaft ohne Metaphysik“ – Wissenschaftstheorie, Logik und Argumentationstheorie sollten einen Beitrag zur Rationalität des Rechts und des Rechtsdenkens leisten. Ich halte den Beitrag, den diese Disziplinen zu einer „aufgeklärten“ Rechtswissenschaft leisten können, noch heute für wichtig, und ich habe deshalb meine entsprechenden Artikel in den späteren Auflagen der „Einführung“, bis hin zu der von Winfried Hassemer, Frank Saliger und mir herausgegebenen neunten Auflage2, fortgeführt. Allerdings muss man sich auch hier des Problems einer „Dialektik der Aufklärung“ bewusst sein. Ich sehe hier vor allem zwei Gefahren. Die erste Gefahr, die ich schon in meinem ersten Beitrag zur „Juristischen Logik“ in der „Einführung“ angesprochen und später in der kleinen Monografie „Juristische Argumentationslehre“ näher analysiert habe, besteht in einer Überschätzung der Leistungsfähigkeit der Logik, die der Rechtswissenschaft zeitweise geradezu als Zaubertrank angeboten wurde. Die Logik ist ein wichtiges Hilfsmittel zur Analyse von Argumentationen; es ist aber verfehlt, ihre Axiome und Theoreme generell zu normativen Standards der juristischen Argumentation zu erheben. Natürlich muss eine rationale Argumentation frei von Widersprüchen sein; insofern bezeichnet der „Satz vom ausgeschlossenen Widerspruch“ („nicht: a und non-a“) einen unverzichtbaren Standard (auch) der juristischen Argumentation. Aber schon der „Satz vom ausgeschlossenen Dritten“ („a oder non-a“) führt in 1 2
Kaufmann, Arthur/Hassemer, Winfried (Hrsg.), Einführung in die Rechtsphilosophie und Rechtstheorie der Gegenwart, 1977. Hassemer, Winfried/Neumann, Ulfrid/Saliger, Frank (Hrsg.), Einführung in die Rechtsphilosophie und Rechtstheorie der Gegenwart, 9. Aufl. 2016.
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seiner Anwendung auf juristische Argumentationen tendenziell zu der erkenntnistheoretisch nicht zu verteidigenden Vorstellung, eine bestimmte Rechtslage sei „an sich“ entweder gegeben oder aber nicht gegeben. Logik wird dann zur Basis einer neuen Metaphysik. Die zweite Gefahr der Verengung „rationaler“ Rechtsphilosophie auf juristische Logik, Wissenschaftstheorie und (analytische) Argumentationstheorie liegt darin, dass Fragen der Gerechtigkeit und der Legitimität rechtlicher Normen aus dem Bereich des rational Diskutierbaren ausgeschlossen werden, die inhaltliche Rechtsgestaltung damit schlicht politischer Dezision überantwortet wird. Ich sehe ein großes Verdienst der Diskurstheorie darin, normative Fragen auch auf dem Gebiet des Rechts und der Rechtswissenschaft wieder in den Bereich des rational Diskutierbaren zurückgeholt zu haben. Grundbedingung einer rationalen Diskussion normativer Fragen ist aus meiner Sicht allerdings, dass Normativität, entgegen den lange Zeit dominierenden Traditionen der Metaphysik, niemals aus Ontologie abgeleitet werden darf. An der Trennung von Sein und Sollen muss strikt festgehalten werden. Lediglich für die sog. „institutionellen“ Tatsachen (Searle), deren Struktur mich wiederholt beschäftigt hat, gilt etwas anderes. Eine rechtstheoretisch-analytische Perspektive bestimmte zunächst auch meine Sicht auf Probleme der Strafrechtsdogmatik. So konzentrierte sich meine Habilitationsschrift, die der Konstellation eines zurechnungsrelevanten vor-tatbestandlichen Verhaltens („Vorverschuldens“) gewidmet war, auf die Analyse, Systematisierung und Kritik der dogmatischen Konstruktionen, mit denen die Strafrechtswissenschaft diese Konstellationen wissenschaftlich in den Griff bekommen wollte (und will). Dieser kritischen Analyse, die ich nach wie vor für zutreffend halte, fehlte allerdings die Ergänzung durch einen dogmatisch-konstruktiven Teil, der für diese Konstellationen ein alternatives Zurechnungsmodell angeboten hätte. Ob allerdings ein solches Modell im Rahmen der überlieferten Kategorien der Strafrechtsdogmatik entwickelt werden kann, erscheint mir bis heute zweifelhaft. Bisher liegt ein solches Modell nicht vor. Ich vermute, dass es sich nur als Bestandteil eines umfassenderen Modells eines strafrechtlichen „Verantwortungsdialogs“ konzipieren ließe, wie ich es, im Anschluss an die Überlegungen in meiner Habilitationsschrift, kürzlich (2019) in der Gedächtnisschrift für Joachim Hruschka3 skizziert habe. Ab Mitte der achtziger Jahre dominiert in meinen Arbeiten zum Strafrecht dann eher eine konventionelle strafrechtsdogmatische und -theoretische Perspektive, die allerdings punktuell die rechtstheoretischen, insbesondere auch die norm3
Joerden, Jan C./Schuhr, Jan C. (Hrsg.), Jahrbuch für Recht und Ethik (27) 2019 (zugleich Gedächtnisschrift für Joachim Hruschka).
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theoretischen Grundlagen strafrechtlicher Probleme mit einbezieht. Insgesamt lassen sich fünf Bereiche markieren, denen mein besonderes Interesse galt und gilt: (1) Funktion und Legitimation der Strafe (Straftheorien); (2) die Lehre vom Rechtsgut; (3) im Bereich des Allgemeinen Teils des Strafrechts: die Notstandsund die Irrtumsregeln; (4) auf dem Gebiet des Besonderen Teils: die Tötungstatbestände (§§ 211 ff. StGB); (5) im Bereich des Strafprozessrechts: Fragen einer prozeduralen Gerechtigkeit und eines prozessualen Wahrheitsbegriffs, der Abgrenzung von Tatfrage und Rechtsfrage sowie die Legitimität bestimmter strafprozessualer Grundrechtseingriffe.
Mit den Problemen der Funktion und der Legitimation der Strafe habe ich mich zuerst in der zusammen mit Ulrich Schroth verfassten kleinen Monografie „Neuere Theorien von Kriminalität und Strafe“4 beschäftigt. Dem Konzept der Reihe „Erträge der Forschung“ entsprechend, in der der Band erschien, geht es überwiegend um eine referierende Darstellung der unterschiedlichen Ansätze, die in Rechtsprechung und wissenschaftlichem Schrifttum präsent waren. Meine eigene Konzeption entwickelte sich in Auseinandersetzung insbesondere mit unterschiedlichen Modellen der „positiven“ Generalprävention. Der Grundgedanke, den ich in der Festschrift für Günther Jakobs5 näher ausgearbeitet habe: Eine rationale Diskussion über den „Sinn“ der Strafe (der Begriff in einer umfassenden Bedeutung verstanden) setzt voraus, dass man zwischen der Institution, dem Zweck sowie der Funktion der Strafe unterscheidet. Die Institution der Strafe ist in ihrem Kern durch gesellschaftliche Traditionen, die sich in der Semantik des Wortes „Strafe“ spiegeln, vorgegeben. Zu ihr gehört vor allem das Element der Retribution; bestraft wird jemand primär „für etwas“, nicht aber zur Erreichung eines bestimmten Zwecks. Dieser Zusammenhang ist weder für die Politik noch für die Rechtswissenschaft disponibel (eine andere Frage ist, ob Strafe als gesellschaftliche Institution weiterhin exekutiert, oder aber durch andere Institutionen ersetzt werden soll). Dagegen wird der Zweck der Strafe von der jeweiligen Gesellschaft und deren repräsentativen Organen definiert; ob die Resozialisierung, die Abschreckung oder aber die „Normstabilisierung“ im Vordergrund stehen soll, ist eine Frage der politischen Entscheidung, für die die Rechtswissenschaft lediglich Argumente beisteuern kann (und soll). Selbstverständlich kann sich die Gesellschaft auch für eine Mehrzahl von Strafzwecken entscheiden („Vereinigungstheorie“). Welche Funktion die Strafe in der Gesellschaft tatsächlich hat, welche soziale „Leistung“ sie erbringt, ist eine Frage nach faktischen Zu4 5
Neumann, Ulfrid/Schroth, Ulrich, Neuere Theorien von Kriminalität und Strafe, 1980. Neumann, Ulfrid, Institution, Zweck und Funktion staatlicher Strafe, in: Festschrift für Günther Jakobs, 2007, S. 435–450.
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sammenhängen, für deren Erforschung die Wissenschaft (Sozialwissenschaft) zuständig ist. Auch hier kommt ein Nebeneinander unterschiedlicher Dimensionen in Betracht. So kann sich herausstellen, dass die Institution der Strafe sowohl die Funktion der Gewährleistung der Identität der Gesellschaft (durch die Garantie zentraler Normen) als auch die des Schutzes von Rechtsgütern übernimmt. Auf der Ebene der gesellschaftlichen Zwecksetzung aber erscheint das Ziel der Gewährleistung der Identität der Gesellschaft problematisch. Ein Straftatbestand kann nicht mit der Begründung in die Rechtsordnung eingeführt werden, er sei zum Schutz der Identität der Gesellschaft erforderlich – ganz abgesehen davon, dass Gesellschaften sich in stetigem Wandel befinden, und dass kaum konsensfähig zu bestimmen sein dürfte, welche Normen für die Identität der Gesellschaft konstitutiv sein sollen. Aus der internen Sicht der Gesellschaft, die für die Bestimmung des Zwecks der Strafe maßgeblich ist, geht es beim Einsatz des Strafrechts um die Reduktion von sozialschädlichem Verhalten. Dies kann erreicht werden durch Abschreckung, durch Stabilisierung sozialer Verhaltensnormen (positive Generalprävention) und/oder durch Resozialisierung von Straftätern. Auf den letzteren Gesichtspunkt wird eine Gesellschaft jedenfalls solange nicht verzichten können, als sie an der Institution der Freiheitsstrafe festhält. Welche Handlungen eine Gesellschaft für sozialschädlich erachtet, ist abhängig von Vorstellungen, die durch die Tradition geprägt und damit beliebiger, willkürlicher Veränderung entzogen sind. In Gesellschaften, in denen magische oder religiöse Deutungsmuster dominieren, kann der befürchtete Sozialschaden in den Folgen des Zorns von Gottheiten oder von Dämonen bestehen, der durch bestimmte Handlungen herausgefordert wird. In modernen, säkularen Gesellschaften ist „sozialschädlich“ die Verletzung wichtiger Interessen von Individuen und/oder Kollektiven. Ob dabei die Interessen von Individuen oder von Kollektiven, eventuell: der Gesellschaft insgesamt, in den Vordergrund gestellt werden, ist eine Frage der normativen Verfasstheit der Gesellschaft. Diese Überlegungen führen mich hinsichtlich der Strafrechtsordnung der Bundesrepublik zu der Position der „personalen Rechtsgutslehre“, wie sie insbesondere von Winfried Hassemer entwickelt worden ist. Ich habe meine Sicht dieser Theorie, weithin Hassemer folgend, in der von mir verfassten Kommentierung in der 5. Auflage des Nomos-Kommentars zum StGB dargestellt.6 Ich teile insbesondere Hassemers Auffassung, dass angesichts des Vorrangs des Individuums vor dem Kollektiv, den das Grundgesetz festschreibt, alle strafrechtlich schutz6
Hassemer, Winfried/Neumann, Ulfrid, in: Kindhäuser, Urs/Neumann, Ulfrid/Paeffgen, Hans-Ullrich (Hrsg.), Nomos Kommentar zum Strafgesetzbuch, 5. Aufl. 2017, Vor § 1 Rn. 108–148.
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würdigen Rechtsgüter letztlich auf individuelle Interessen zurückführbar sein müssen. Die in der letzten Zeit verschiedentlich geäußerte Kritik, dass die Rechtsgutstheorie (insbesondere in ihrer Ausprägung als „personale Rechtsgutslehre“) Terrain beanspruche, das dem Gesetzgeber zustehe, und dass sie deshalb „im Kern undemokratisch“ sei, habe ich in meinem Beitrag zur Festschrift für Thomas Fischer zu widerlegen versucht.7 Sie beruht meines Erachtens auf einem doppelten Missverständnis. Zum einen verkennt sie, dass Demokratie als „deliberative Demokratie“ Stellungnahmen aus der Zivilgesellschaft zu Fragen legitimer Rechtssetzung nicht nur erlaubt, sondern geradezu verlangt. Zum andern missversteht sie argumentative Grenzziehungen als intendierte rechtliche Verbote. Soweit die Rechtsgutslehre nicht die Verfassungsmäßigkeit bestimmter Regelungen in Zweifel zieht, bestreitet sie nicht die Legalität, sondern allenfalls die Legitimität bestimmter Straftatbestände. Zieht sie aber die Verfassungsmäßigkeit eines bestimmten Straftatbestandes in Zweifel, dann ist sie insoweit Bestandteil eines wissenschaftlichen verfassungsrechtlichen Diskurses, dessen Berechtigung nicht grundsätzlich bestritten werden kann und durch die Einbeziehung rechtswissenschaftlicher Gutachten in der Entscheidungspraxis des Bundesverfassungsgerichts bestätigt wird. Eine Schwachstelle weist die personale Rechtsgutslehre nach meiner Einschätzung derzeit vor allem hinsichtlich der Herausforderung auf, die Kriminalisierung von Verletzungen, die Tieren zugefügt werden, in ihr Schutzprogramm zu integrieren. Eine mögliche Lösung sehe ich darin, die interessenbasierte „personale“ Rechtsgutslehre auf eine generell an individuellen Interessen orientierte Rechtsgutslehre umzustellen. Das würde der zunehmenden Tendenz entsprechen, auch Tiere als Destinatäre von Rechtsnormen anzuerkennen, oder ihnen, weitergehend, sogar subjektive Rechte zuzuschreiben (die gegebenenfalls advokatorisch geltend gemacht werden können). Derzeit ist dieser Ansatz aber nicht mehr als ein Programm. Wenn man mit der personalen Rechtsgutslehre den Schutz von Interessen des Individuums zum Orientierungspunkt der Strafgesetzgebung erhebt, dann hat das die Konsequenz, dass eine Strafbarkeit von Handlungen, die mit Zustimmung des von der Handlung Betroffenen vorgenommen werden, grundsätzlich ausscheidet. Das bedeutet insbesondere, dass paternalistischen Straftatbeständen, die den Einzelnen vor Eingriffen schützen sollen, die er selbst (oder ein anderer mit seiner Zustimmung) vornimmt, grundsätzlich die Berechtigung abzusprechen ist. Ich 7
Neumann, Ulfrid, Dezision statt Argumentation? Zur (post)modernen Kritik der Rechtsgutslehre, in: Festschrift für Thomas Fischer, 2018, S. 183–197.
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wende mich deshalb gegen den – inzwischen vom Bundesverfassungsgericht für verfassungswidrig und nichtig erklärten – Straftatbestand des § 217 StGB, der unter dem Mantel des Schutzes der Autonomie der Selbstbestimmung eines qualvoll leidenden Sterbewilligen Hindernisse entgegenstellt, die auch das Recht auf menschenwürdiges Sterben und damit das verfassungsrechtlich garantierte Prinzip der Menschenwürde (Art. 1 GG) beeinträchtigen. Auch der Tatbestand der Tötung auf Verlangen (§ 216 StGB) ist aus meiner Sicht problematisch und, wie ich in einem gemeinsam mit Andrew von Hirsch verfassten Aufsatz dargelegt habe,8 allenfalls bei restriktiver Interpretation (als Schutz vor einer voreiligen Aufgabe des eigenen Lebens) zu legitimieren. Im Bereich des Allgemeinen Teils des Strafrechts stehen im Zentrum meiner Arbeiten der rechtfertigende und der entschuldigende Notstand, die Pflichtenkollision sowie die Irrtumslehre. Die Aufgabe, die Notstandsbestimmungen (§§ 34, 35 StGB) systematisch zu erläutern, hat zu einer Mehrzahl von Detailanalysen geführt, in denen ich insbesondere versuche, die Wertungs-Struktur des rechtfertigenden Notstands sowie des Instituts der Pflichtenkollision zu rekonstruieren. Für § 34 StGB ist hier aus meiner Sicht der Rückgriff auf Kategorien hilfreich, die in der Meta-Ethik entwickelt worden sind: § 34 StGB stellt sich insofern als eine Norm dar, die eine konsequentialistische Orientierung (maßgeblich kommt es auf die Wahrung des wichtigeren Interesses an) mit deontologischen Elementen kombiniert. Deontologische Komponenten finden sich u. a. in der Voraussetzung eines „wesentlichen“ Überwiegens des Rettungsinteresses, die dem Umstand Rechnung trägt, dass ein Eingriff gerechtfertigt werden muss, der typischerweise nicht nur ein bloßes Interesse, sondern ein subjektives Recht betrifft, also eine Position, die von der Rechtsordnung grundsätzlich vor Beeinträchtigungen geschützt ist.
Auch das Institut der Pflichtenkollision bezieht sich nach meiner Interpretation – entgegen der überwiegenden Auffassung – auf die Konstellation einer Kollision von Interessen. Anders, als der Begriff das nahelegt, setzt die Anwendbarkeit des Instituts die Existenz kollidierender Pflichten nicht voraus. Voraussetzung ist lediglich, dass der Täter mit der Ausführung der Rettungshandlung die Pflicht, ein anderes Interesse vor Schaden zu bewahren, verletzt. Dass bei der sog. Pflichtenkollision im Gegensatz zum rechtfertigenden Notstand zur Rechtfertigung schon ein leichtes Überwiegen des Rettungsgutes genügt (nach m. E. richtiger Auffassung auch schon die Gleichwertigkeit der kollidierenden Güter), erklärt sich nach meiner Interpretation daraus, dass hier, anders als im Fall des § 34 StGB, dem
8
v. Hirsch, Andrew/Neumann, Ulfrid, „Indirekter“ Paternalismus im Strafrecht – am Beispiel der Tötung auf Verlangen (§ 216 StGB), GA 2007, S. 671–694.
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Rettungsinteresse nicht eine Rechtsposition, sondern lediglich ein anderes (Rettungs-)Interesse gegenübersteht. Ich habe diese Auffassung in der Festschrift für Claus Roxin9 näher begründet und in der Reinhard Merkel gewidmeten Festschrift10 verteidigt. In meinen Arbeiten zur Irrtumsproblematik vertrete ich die schon zuvor (insbesondere von Friedrich-Christian Schroeder) verfochtene Auffassung, dass Bezugspunkt des Unrechtsbewusstseins die Sanktionierbarkeit des Verhaltens ist, der Handelnde sich also genau dann in einem Verbotsirrtum (§ 17 StGB) befindet, wenn er nicht weiß, dass seine Verhaltensweise mit Strafe (oder auch, als Ordnungswidrigkeit, mit einer Buße) bedroht ist. Strukturell ist der Verbotsirrtum nach meiner Interpretation, die ich in der Festschrift für Ingeborg Puppe11 entwickelt habe, immer ein Irrtum über eine Regel, niemals ein Irrtum (nur) über das Verboten-Sein einer konkreten Handlung. Das folgt meines Erachtens zwingend aus der allgemein anerkannten Tatbestandsbezogenheit („Teilbarkeit“) des Unrechtsbewusstseins. „Teilbar“ ist das Unrechtsbewusstsein nur als Kenntnis von Regeln (Verbotsnormen), nicht als unspezifisches Bewusstsein, sich in der konkreten Situation rechtswidrig zu verhalten. Diese Theorie hat Konsequenzen sowohl für den Bereich der Fahrlässigkeitsdelikte als auch für das immer noch umstrittene Problem der dogmatischen Einordnung eines Irrtums über das Vorliegen der tatsächlichen Voraussetzungen eines Rechtfertigungsgrundes („Erlaubnistatbestandsirrtum“). Sie gibt eine (negative) Antwort auf die von Rolf Herzberg aufgeworfene Frage, ob nicht im Falle unbewusster Fahrlässigkeit immer ein Verbotsirrtum bejaht werden müsse, weil der Täter nicht wisse, dass sein Verhalten Unrecht sei: Ein Irrtum über eine Regel (über eine Verbotsnorm) liegt im Fall unbewusst fahrlässigen Handelns gerade nicht vor. Und dieser Ansatz entzieht der strengen Schuldtheorie den Boden, weil ihm zufolge im Falle eines „Erlaubnistatbestandsirrtums“ schon strukturell kein Verbotsirrtum vorliegt. Denn der Täter irrt hier nicht über eine Rechtsnorm, sondern über Umstände des konkreten, singulären Sachverhalts. Mit den Tötungstatbeständen (§§ 211 ff. StGB) habe ich mich im Rahmen der Kommentierung im Nomos-Kommentar systematisch befasst; die Bearbeitung
Neumann, Ulfrid, Der Rechtfertigungsgrund der Kollision von Rettungsinteressen – Rechte, Pflichten und Interessen als Elemente der rechtfertigenden „Pflichtenkollision“, in: Festschrift für Claus Roxin, 2001, S. 421–439. 10 Neumann, Ulfrid, Rechtspositionen, Rechtsgüter und Rettungsinteressen in der aktuellen Diskussion zu Problemen des rechtfertigenden Notstands (§ 34 StGB), in: Festschrift für Reinhard Merkel, 2020, S. 791–812. 11 Neumann, Ulfrid, Regel und Sachverhalt in der strafrechtlichen Irrtumsdogmatik, in: Festschrift für Ingeborg Puppe, 2011, S. 171–187. 9
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erfolgt seit der fünften Auflage (2015) überwiegend gemeinsam mit meinem früheren Habilitanden und jetzigen Kollegen Frank Saliger. Mein besonderes Interesse gilt hier der Aufhellung der Grauzone im Grenzbereich zwischen Tötungsdelikt einerseits, strafloser Suizidbeihilfe bzw. strafloser Sterbehilfe andererseits. Dieses besondere Interesse ist nicht nur durch Anteilnahme für schwerstleidende Menschen bedingt, denen die Rechtsordnung in vielen Konstellationen ein menschenwürdiges, selbstbestimmtes Sterben verwehrt. Es gründet auch auf der Erfahrung, dass sich in kaum einem Bereich der Strafrechtsdogmatik ideologische (Schein-)Argumentationen in einer vergleichbaren Dichte finden. Es ist erstaunlich, zu welch geradezu abenteuerlichen Argumentationsfiguren in manchen Texten der Rechtswissenschaft und -praxis gegriffen wird, um den Wunsch schwerstkranker Menschen nach einem menschenwürdigen Sterben mit den Instrumenten des Strafrechts zu torpedieren. Ich habe das in meinem Beitrag zur Festschrift für Hans-Ullrich Paeffgen12 sowie in mehreren Rezensionen im Einzelnen analysiert. Erfreulicherweise betrifft diese Diagnose nur wenige Stimmen. Die übergroße Mehrheit der Strafrechtlerinnen und Strafrechtler steht auch in diesem Punkt auf der Seite eines liberalen, die Menschenwürde und die Menschenrechte respektierenden Strafrechts. Dieses Engagement der Strafrechtswissenschaft, das nicht nur in einer Vielzahl fachwissenschaftlicher Beiträge, sondern auch in einer Stellungnahme zahlreicher Strafrechtslehrerinnen und -lehrer gegen den 2015 neu eingeführten Straftatbestand des § 217 StGB („Geschäftsmäßige Förderung der Selbsttötung“) zum Ausdruck kommt,13 ist nachdrücklich zu begrüßen. Es bildet ein notwendiges „zivilgesellschaftliches“ Gegengewicht zu autoritären Tendenzen in Politik und Gesetzgebung, die darauf hinauslaufen, das Selbstbestimmungsrecht des Menschen über seinen eigenen Tod mit den Mitteln des Strafrechts weiter zu beschränken. Kennzeichnend ist insofern, dass das Bundesgesundheitsministerium es im Juni 2018 der zuständigen Behörde untersagt hat, ein Urteil des Bundesverwaltungsgerichts, mit dem schwerst- und hoffnungslos leidenden sterbewil12 Neumann, Ulfrid, Standards valider Argumentation in der Diskussion zur strafrechtlichen Bewertung von Maßnahmen der „Sterbehilfe“, in: Festschrift für Hans-Ullrich Paeffgen, 2015, S. 317–329. 13 Hilgendorf, Eric/Rosenau, Henning, Stellungnahme deutscher Strafrechtslehrerinnen und Strafrechtslehrer zur geplanten Ausweitung der Strafbarkeit der Sterbehilfe, medstra 2015, S. 129–131. Ich registriere mit Erleichterung das Urteil des BVerfG vom 26. Februar 2020, mit dem § 217 StGB für verfassungswidrig und nichtig erklärt wurde. Es bleibt der bittere Nachgeschmack, dass ein derartiges verfassungswidriges, in die grundgesetzlich garantierte Autonomie des Menschen eingreifendes Gesetz, das den überwunden geglaubten Geist eines gnadenlosen christlich-religiösen Fundamentalismus spiegelt, im deutschen Bundestag eine parlamentarische Mehrheit finden konnte.
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ligen Patienten der Zugang zu tödlich wirkenden Medikamenten erleichtert wurde,14 für künftige Fälle umzusetzen. Auch dieser „Nichtanwendungserlass“ ist im rechtswissenschaftlichen Schrifttum überwiegend auf Kritik, das Urteil des Bundesverwaltungsgerichts überwiegend auf Zustimmung gestoßen. Ich selbst habe das Urteil in meinem Beitrag zur Festschrift für Rudolf Rengier15 hinsichtlich der methodologischen Korrektheit der Urteilsbegründung verteidigt. Das Auftragsgutachten eines ehemaligen Verfassungsrichters, das die angebliche Verfassungswidrigkeit der Entscheidung des Bundesverwaltungsgerichts erweisen soll, bestätigt aus meiner Sicht das oben formulierte Urteil über die ideologische Anfälligkeit von Argumentationen im Bereich von Suizid- und Sterbehilfe.16 Mit dem Strafprozess habe ich mich zunächst unter rechtsphilosophischen Aspekten beschäftigt. In meiner Saarbrücker Antrittsvorlesung, die ich am 23. Juni 1988 gehalten habe, ging es um „Materiale und prozedurale Gerechtigkeit im Strafverfahren“. Meine These war (und ist), dass die Regelungen des Strafprozessrechts, die ein materiell gerechtes Urteil blockieren können (Rechtskraft, Beweisverbote), nicht allein auf das Ziel des Schutzes außerprozessualer Interessen des Beschuldigten (Integritätsinteressen) oder auf das Prinzip der Rechtssicherheit zurückgeführt werden können. Vielmehr geht es um Forderungen einer eigenständigen „Verfahrensgerechtigkeit“, die in Konkurrenz zu den Prinzipien einer an der Durchsetzung des materiellen Rechts orientierten materialen Gerechtigkeit treten. Mehrere Arbeiten habe ich dem Problem gewidmet, ob und ggf. wie sich im Recht der strafprozessualen Revision Tatfrage und Rechtsfrage voneinander abgrenzen lassen. Das hoch umstrittene Problem lässt sich meines Erachtens dann einer Lösung zuführen, wenn man die Abgrenzung anhand der Unterscheidung zwischen einer Regel einerseits, einer Feststellung über singuläre Sachverhalte andererseits vornimmt. Die Rechtsfrage betrifft stets die Frage nach der Existenz einer bestimmten Rechtsregel, die Tatfrage die nach der Existenz eines singulären Sachverhalts (oder einer Mehrzahl solcher Sachverhalte). Ich halte diese Abgrenzung für trennscharf. Allerdings hängt der genaue Grenzverlauf zwischen Rechts- und Tatfrage nach diesem Kriterium davon ab, bis zu welchem Punkt der Konkretisie14 BVerwGE 158, 142–163 = NJW 2017, 2215. 15 Neumann, Ulfrid, Selbstbestimmung am Lebensende – ein möglicher Konflikt zwischen Justiz und Gesetzgebung, in: Festschrift für Rudolf Rengier, 2018, S. 571–582. 16 Näher dazu mein Beitrag „Rechtstheoretische und -methodologische Aspekte der Diskussion zum Natriumpentobarbital-Urteil des Bundesverwaltungsgerichts, in: Neumann, Jacqueline u. a. (Hrsg.), Aktuelle Entwicklungen im Weltanschauungsrecht, 2019, S. 175–196.
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rung man die Regelbildung vorantreibt. Dies erklärt die Diskussion zu der Frage, ob ein „tatrichterlicher Beurteilungsspielraum“ anzuerkennen ist, innerhalb dessen die rechtliche (!) Bewertung des Sachverhalts der Revision entzogen und insofern als „Tatfrage“ (!) einzuordnen wäre. Die Antwort auf diese Frage hängt davon ab, ob sich jede rechtliche Bewertung eines Sachverhalts auf eine explizit formulierte Rechtsregel stützen muss, oder ob bei hyperkomplexen Konstellationen auf die Angabe einer solchen Regel verzichtet werden kann. Das Problem der rechtsstaatlichen Grenzen strafprozessualer Grundrechtseingriffe betreffen drei Arbeiten, in denen ich mich mit Duldungspflichten des Beschuldigten gegenüber körperlichen Eingriffen (§ 81a StPO), dem Institut der „Zwischenhaft“ und der Interpretation der Unverhältnismäßigkeit der Untersuchungshaft (§ 112 Abs. 1 Satz 2 StPO) als „Haftausschließungsgrund“ befasse. In meinem Beitrag zur Festschrift für Ernst Amadeus Wolff17 versuche ich zu zeigen, dass die von der herrschenden Meinung akzeptierte Unterscheidung zwischen – durch das Nemo tenetur-Prinzip ausgeschlossenen – aktiven Mitwirkungspflichten des Beschuldigten einerseits, zulässigen passiven Duldungspflichten andererseits in der überlieferten Form nicht haltbar ist. Der Grund dafür liegt darin, dass sich der gewaltsame Zugriff auf den Körper des Beschuldigten als eine Vollstreckungsmaßnahme darstellt, die in einer rechtsstaatlichen Ordnung eine Verpflichtung zur Mitwirkung des Beschuldigten (und die Verletzung dieser Pflicht) zwingend voraussetzt. Die Argumentation: „Du bist nicht verpflichtet, bei der Blutentnahme mitzuwirken, aber wenn du das nicht tust, werden wir dich fixieren und deinem Körper unter Einsatz von Gewalt Blut entnehmen“ liegt jenseits rechtsstaatlicher Argumentationsmöglichkeiten. Rechtsstaatliche Probleme sehe ich auch bei der Institution der sog. Zwischenhaft, die in der Praxis zwischen der Rechtskraft des Urteils, mit dem die Untersuchungshaft endet, und dem Beginn des Vollzugs der Freiheitsstrafe verhängt wird. Dieser Freiheitsentzug erfolgt ohne gesetzliche Grundlage.18 Auch wenn das Bundesverfassungsgericht diesen Eingriff in die Freiheit, unter Missachtung des Gesetzesvorbehalts des Art. 2 Abs. 2 Satz 2 GG, gebilligt hat, bleiben die rechtsstaatlichen Bedenken bestehen.
17 Neumann, Ulfrid, Mitwirkungs- und Duldungspflichten des Beschuldigten bei körperlichen Eingriffen im Strafverfahren, in: Festschrift für E.A. Wolff, 1998, S. 373– 393. 18 Neumann, Ulfrid, Die „Zwischenhaft“ – ein verfassungswidriges Institut der Rechtspraxis, in: Institut für Kriminalwissenschaften und Rechtsphilosophie Frankfurt am Main (Hrsg.), Jenseits des rechtsstaatlichen Strafrechts, 2007, S. 601–618.
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Schließlich wende ich mich in der Festschrift für Imme Roxin19 gegen die von der herrschenden Meinung vertretene Auffassung, § 112 Abs. 1 Satz 2 StPO schließe die Anordnung von Untersuchungshaft nur dann aus, wenn die Unverhältnismäßigkeit dieser Maßnahme feststehe; bei bloßem Zweifel an der Verhältnismäßigkeit sei der Haftrichter verpflichtet, den Haftbefehl zu erlassen, soweit die weiteren Voraussetzungen vorliegen. Gefolgert wird das aus dem Wortlaut der Bestimmung, die nicht – positiv – die Verhältnismäßigkeit als Voraussetzung der Anordnung der Untersuchungshaft festlege, sondern diese – negativ – bei Vorliegen der Untersuchungshaft ausschließe. Ich halte das aus mehreren Gründen für verfehlt. Zum einen handelt es sich bei der Feststellung der (Un-)Verhältnismäßigkeit um eine rechtliche Wertung, die der Richter zu treffen hat; für die Anwendung von Regeln, wie „im Zweifel“ zu entscheiden sei, ist hier kein Raum. Zum andern aber erscheint der Schluss, der aus der sprachlichen Gestaltung des Verhältnismäßigkeitskriteriums gezogen wird, verfehlt. Selbstverständlich wäre eine „positive“ Formulierung des Inhalts – die U-Haft dürfe nur angeordnet werden, wenn sie „in Hinblick auf … verhältnismäßig ist“, mit der Fassung, die Gesetz geworden ist, logisch äquivalent. Dann aber ist es wenig folgerichtig, aus der Wahl der Formulierung Schlüsse hinsichtlich des Anwendungsbereichs der Bestimmung ziehen zu wollen.
III. (Zwischen-)Bilanz Ich habe versucht und versuche weiterhin, mit meinen Arbeiten einen Beitrag zur Rationalität wie zur Rechtsstaatlichkeit des Strafrechts in Wissenschaft und Praxis zu leisten. Die Bereiche der Strafrechtswissenschaft und der Strafrechtspraxis habe ich dabei immer als miteinander verbunden erlebt – durch die gemeinsame „Währung“ der Strafrechtsdogmatik ebenso wie durch die übereinstimmende Aufgabe, das Recht als autonomes Entscheidungsprogramm gegenüber möglichen Zugriffen und Zumutungen der Politik zu verteidigen. Beiträge zur Strafrechtswissenschaft sind daher aus meiner Sicht mittelbar auch Beiträge zur Praxis des Strafrechts, et vice versa. Die Mittel, die dem Wissenschaftler bei der Verfolgung seiner Ziele zur Verfügung stehen, sind (1) die akademische Lehre, (2) die wissenschaftliche Publikation, (3) die Ausbildung des wissenschaftlichen Nachwuchses, (4) Kontakte mit Kolleginnen und Kollegen im In- und Ausland anlässlich von Vorträgen und
19 Neumann, Ulfrid, Der „Haftausschließungsgrund“ der Unverhältnismäßigkeit der Untersuchungshaft (§ 112 Abs. 1 Satz 2 StPO) – eine apokryphe Figur der Strafprozessrechtsdogmatik, in: Festschrift für Imme Roxin, 2012, S. 659–668.
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wissenschaftlichen Kongressen sowie (5) Tätigkeiten in nationalen und/oder internationalen wissenschaftlichen Organisationen. Ich habe die akademische Lehre immer sehr ernst genommen, sie in den letzten Jahrzehnten meiner Vorlesungstätigkeit sogar mit einer gewissen Leidenschaft ausgeübt. Ich habe dabei den Eindruck gewonnen, dass die Studierenden begeisterungsfähig sind, wenn sie das Gefühl haben, dass der/die Lehrende selbst mit Begeisterung bei der Sache ist. Natürlich gilt das nicht ausnahmslos. Aber hinsichtlich der großen Mehrzahl der Studierenden habe ich die Erfahrung gemacht, dass sie durch engagierte Lehrveranstaltungen motiviert, im Idealfall: begeistert werden können. Voraussetzung für eine erfolgreiche Lehre ist aus meiner Sicht, dass den Studierenden vor allem Verständnis und Strukturwissen vermittelt werden. Nach meiner Erfahrung in mehreren Jahrzehnten akademischer Prüfungen gilt indes: Auch Kandidat/Innen, die über ordentliche dogmatische Kenntnisse verfügen, ermangeln häufig des Verständnisses für strukturelle Zusammenhänge. Pointiert formuliert: zu viele wissen zu viel und verstehen zu wenig. Es lässt sich nicht ausschließen, dass dies auch eine Folge des verbreiteten Besuchs kommerzieller Repetitorien ist. Aber auch der universitäre Unterricht und das akademische Prüfungswesen sollten stärker darauf achten, das Verständnis rechtlicher Regelungen in den Mittelpunkt zu stellen. Was die Vorbildung sowie das sprachliche und intellektuelle Niveau der Studierenden betrifft, so sind die Klagen der Lehrenden über einen angeblichen kontinuierlichen Niedergang seit Jahren, Jahrzehnten und Jahrhunderten geradezu endemisch. Ich vermag den Realitätsgehalt dieser Klagen nicht zu überprüfen. Ich stehe aber auf dem Standpunkt, dass der/die Lehrende sich in den Vorlesungen an dem Niveau der Studierenden zu orientieren hat. Wenn man das heute teilweise dahingehend formuliert, man müsse die Studierenden dort „abholen“, wo sie sind, so ist allerdings sogleich hinzuzufügen: Man muss dies tun, um sie soweit wie möglich in anspruchsvollere Gefilde zu führen. Und natürlich muss durch die Prüfungen (insbesondere: die von der Praxis zu verantwortende Zweite Juristische Staatsprüfung) gesichert sein, dass nur hinreichend qualifizierte Absolvent/Innen den Beruf des Richters, des Verwaltungsjuristen, des Rechtsanwalts ergreifen können. Aber die Einstellung: „Wenn die Studierenden mich nicht verstehen – umso schlimmer für die Studierenden“ ist wenig hilfreich. Wiederum pointiert formuliert: Als „regulative Idee“ sollte gelten: „Wenn die Studierenden mich nicht verstehen, so liegt es an mir – und nicht an den Studierenden“. Als Wissenschaftler haben wir das große Privileg, dass wir die Themen unserer Publikationen weitgehend selbst bestimmen können. Auch dort, wo durch die
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Arbeit an Lehrbüchern oder Kommentierungen ein Zwang zur flächendeckenden Bearbeitung eines bestimmten Gebiets resultiert, sind wir jedenfalls beim ersten Schritt frei und erst beim zweiten „Knechte“. Selbst diese Knechtschaft aber hat nach meinen Erfahrungen ihre positiven Seiten: Man wird gezwungen, einen bestimmten Bereich vollständig und in allen Facetten durchzuarbeiten, und stößt dabei immer wieder auf Zusammenhänge, die bei der Bearbeitung eines isolierten Themas verborgen geblieben wären. Auch hinsichtlich der punktuell aufgegriffenen Themen gibt es typischerweise bestimmte, durch individuelle Präferenzen konturierte Auswahlmuster. Für mich selbst waren und sind es Fragen im Grenzbereich von Strafrecht und Rechtsphilosophie, die eine besondere Anziehungskraft ausüben. Auf viele strafrechtliche Probleme lässt sich m. E. ein helleres Licht werfen, wenn man sie unter rechtstheoretischen Gesichtspunkten betrachtet. In diesem Sinne habe ich in der Festschrift für Klaus Lüderssen20 versucht, die rechtsphilosophische Diskussion zwischen Rechtspositivismus, Rechtsmoralismus und Rechtsrealismus für das Problem der Strafbarkeit der sogenannten „Mauerschützen“ fruchtbar zu machen. Als besonders hilfreich für eine vertiefte Analyse strafrechtsdogmatischer Probleme erweist sich aus meiner Sicht in vielen Fällen das Instrumentarium der Normtheorie. Ich habe von diesem Instrumentarium beispielsweise in der Festschrift für Heinz Müller-Dietz21 Gebrauch gemacht – mit dem Ziel, aufzuzeigen, dass die (seinerzeit herrschende) Interpretation der Merkmale, die nach dem deutschen Strafgesetzbuch die „Geltung“ des deutschen Strafrechts begründen (§§ 3 ff. StGB), als „objektive Bedingungen der Strafbarkeit“ korrekturbedürftig ist.
Wie viele Doktorandinnen und Doktoranden ich als Erstgutachter betreut habe, kann ich nicht genau angeben; ihre Zahl dürfte etwas über sechzig liegen. Unter ihnen waren zahlreiche junge Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler aus dem Ausland, die heute selbst Professuren innehaben. Ich nenne aus Brasilien: Antonio Martins (Universität Rio de Janeiro) und Lauro Swensson (Universidade Estadual do Mato Grosso do Sul [UEMS]); aus China: Qingbo Zhang (Universität Wuhan) und Jing Zhao (Beijing University of Chemical Technology), aus Griechenland: Tanja Dionyssopoulou, Dimitris Kioupis, Giorgios Giannoulis (alle Universität Athen), Konstaninos Chatzikostas (Universität Thessaloniki) und
20 Neumann, Ulfrid, Rechtspositivismus, Rechtsrealismus und Rechtsmoralismus in der Diskussion um die strafrechtliche Bewältigung politischer Systemwechsel, in: Festschrift für Klaus Lüderssen, 2002, S. 109–126. 21 Neumann, Ulfrid, Normtheoretische Aspekte der Irrtumsproblematik im Bereich des „Internationalen Strafrechts“, in: Festschrift für Heinz Müller-Dietz, 2001, S. 589–607.
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Anastasios Triantafyllou (Universität Komotini); aus Südkorea: Zai-Wang Yoon (Korea-Universität, Seoul), Haktai Kim (Hankuk University of Foreign Studies, Seoul) und Sugil An (Myongji University Seoul); aus Taiwan: Hsiao-Wen Wang (National Cheng-Kung University, Tainan). Von den Doktorand/Innen, die gegenwärtig unter meiner Betreuung an ihrer Dissertation arbeiten, kommen vier aus dem Ausland (Brasilien, China, Iran und Südkorea). Ich habe drei Habilitationen betreut (zwei Verfahren laufen derzeit noch). Frank Saliger ist heute, nach Professuren in Hamburg (Bucerius Law-School) und Tübingen, an der Ludwig-Maximilians-Universität München tätig, Osman Isfen Professor an der Fernuniversität Hagen. Wolfgang Enderlein hat es nach seiner Habilitation, trotz eines rasch erfolgten Rufes an die Universität Köln, vorgezogen, eine anspruchsvolle Position in der Praxis zu übernehmen. Ich habe es immer als einen großen Vorzug unseres Berufs erlebt, dass er vielfältige Kontakte zu anderen Rechtsordnungen und -kulturen und zu Kolleginnen und Kollegen aus anderen Ländern und Kontinenten ermöglicht. Vortrags- und Kongressreisen sowie Einladungen zu Gastaufenthalten haben mich (und vielfach auch meine Frau) nach Brasilien (Rio de Janeiro, Belo Horizonte, Vitória), Chile (Santiago), China (Peking, Wuhan), Japan (Tokio, Osaka, Nagoya, Sendai, Kobe), Griechenland (Athen, Thessaloniki), Großbritannien (Cambridge), Kolumbien (Bogotá, Medellín), Österreich (Graz, Salzburg, Wien), Polen (Krakau, Lublin, Warschau), Portugal (Lissabon), Spanien (Barcelona, La Coruna), Südkorea (Seoul), Taiwan (Taipeh, Tainan), Tschechien (Brno), in die Schweiz (Luzern), die Türkei (Ankara) und die USA (New York, St. Louis) geführt. Ich bin Ehrendoktor der Universitäten Athen und Luzern; die Japanische Gesellschaft für Strafrecht hat mir die Ehrenmitgliedschaft verliehen. Aus den kollegialen Kontakten, die durch diese Reisen oder durch sonstige wissenschaftliche Kooperationen gewonnen wurden, sind vielfach enge Freundschaften entstanden. Ich nenne, stellvertretend für andere, die Professor/Innen Enrique Barros (Santiago de Chile), Fernando Perdomo Torres (Bogotá), Maria Kaiafa-Gbandi (Thessaloniki), Young-Whan Kim (Seoul), Shing I Liu (Taipeh), Christos Mylonopoulos (Athen), Marijan Pavčnik (Ljubljana), Carmen Eloisa Ruiz (Bogotá), Juarez Tavares (Rio de Janeiro), Keiichi Yamanaka (Osaka), Yongliu Zheng (Peking). Die internationalen Kontakte wurden gefördert durch meine langjährige Tätigkeit in der Internationalen Vereinigung für Rechts- und Sozialphilosophie (IVR) – zunächst als Generalsekretär der Deutschen Sektion (in der Zeit der Präsidentschaft von Arthur Kaufmann), später (1998–2006) als deren Präsident. Von 2011 bis 2015 war ich Präsident der Weltvereinigung der IVR. Heute bin ich der Welt-
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organisation (ebenso wie der Deutschen Sektion der IVR) als Ehrenpräsident verbunden. Im Bereich der akademischen Selbstverwaltung habe ich mich auf das „Pflichtprogramm“ beschränkt. Ich habe sowohl in Saarbrücken (1992/93) als auch in Frankfurt (2005–2007) als Dekan amtiert. Das Angebot, in Saarbrücken das Amt des Universitäts-Vizepräsidenten zu übernehmen, hatte ich abgelehnt. Mehr als diese zweifellos wichtigen Tätigkeiten in der akademischen Selbstverwaltung haben mich Aufgaben gereizt, die unmittelbar mit der Möglichkeit der gezielten Förderung wissenschaftlicher Forschungen und deren Publikation verbunden sind. In diesem Sinne habe ich die Tätigkeit als Fachgutachter der Deutschen Forschungsgemeinschaft (DFG) für das Gebiet der Rechts- und Staatsphilosophie mit Überzeugung ausgeübt (1992–2000) und bin bis heute als „Editor-in-chief“ des „Archiv für Rechts- und Sozialphilosophie“ (ARSP) und als Mitherausgeber der „Zeitschrift für die gesamte Strafrechtswissenschaft“ (ZStW) sowie von „Archives for Legal Philosophy and Sociology of Law“ (Peking) tätig. Es ist, neben der genannten internationalen Orientierung, ein weiterer großer Vorzug unseres Berufs, dass wir unsere Arbeit zu großen Teilen auch nach Erreichen der Altersgrenze fortführen können. Dass wir dabei institutioneller Unterstützung entbehren, muss wohl in Kauf genommen werden. Jedenfalls sollten wir die Möglichkeit, die wissenschaftliche Arbeit und die wissenschaftlichen Kontakte ohne feste zeitliche Begrenzung fortzuführen, sehr hoch schätzen.
Schriftenverzeichnis (in Auswahl) 1. Selbständiges Schrifttum Rechtsontologie und juristische Argumentation, 1979. Neuere Theorien von Kriminalität und Strafe, 1980 (zusammen mit Ulrich Schroth). Zurechnung und „Vorverschulden“. Vorstudien zu einem dialogischen Modell strafrechtlicher Zurechnung, 1985. Juristische Argumentationslehre, 1986. Wahrheit im Recht. Zu Problematik und Legitimität einer fragwürdigen Denkform, 2004.
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2. Kommentierungen Nomos-Kommentar zum Strafgesetzbuch, Vor § 1, 5. Aufl. 2017 (zusammen mit Winfried Hassemer). Nomos-Kommentar zum Strafgesetzbuch, §§ 17, 34-37, Vor § 211, 5. Aufl. 2017. Nomos-Kommentar zum Strafgesetzbuch, §§ 211–216, 5. Aufl. 2017 (zusammen mit Frank Saliger). Nomos-Kommentar zum Strafgesetzbuch, §§ 221, 222, 5. Aufl. 2017 (zusammen mit Frank Saliger).
3. Aufsätze in Zeitschriften und Sammelwerken Juristische Logik, in: Kaufmann, Arthur/Hassemer, Winfried (Hrsg.), Einführung in die Rechtsphilosophie und Rechtstheorie der Gegenwart, 1. Aufl. 1977, jetzt in: Hassemer, Winfried/Neumann, Ulfrid/Saliger, Frank (Hrsg.), Einführung in die Rechtsphilosophie und Rechtstheorie der Gegenwart, 9. Aufl. 2016, S. 272– 290. Wissenschaftstheorie der Rechtswissenschaft, in: Kaufmann, Arthur/Hassemer, Winfried (Hrsg.), Einführung in Rechtsphilosophie und Rechtstheorie der Gegenwart, 1. Aufl. 1977, jetzt in: Hassemer, Winfried/Neumann, Ulfrid/Saliger, Frank (Hrsg.), Einführung in die Rechtsphilosophie und Rechtstheorie der Gegenwart, 9. Aufl. 2016, S. 351–364. Normtheorie und strafrechtliche Zurechnung, GA 1985, S. 389–401. Abgrenzung von Teilnahme am Selbstmord und Tötung in mittelbarer Täterschaft – BGHSt 32, 38, JuS 1985, S. 677–682. Moralische Grenzen des Strafrechts. Zu Joel Feinberg, The Moral Limits of the Criminal Law, ARSP (72) 1986, S. 118–125. Die Strafbarkeit der Suizidbeteiligung als Problem der Eigenverantwortlichkeit des „Opfers“, JA 1987, S. 244–256. Neue Entwicklungen im Bereich der Argumentationsmuster zur Begründung oder zum Ausschluss strafrechtlicher Verantwortlichkeit, ZStW 99 (1987), S. 567–594. Die Abgrenzung von Rechtsfrage und Tatfrage und das Problem des revisionsgerichtlichen Augenscheinsbeweises, GA 1988, S. 387–402.
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Der strafrechtliche Nötigungsnotstand – Rechtfertigungs- oder Entschuldigungsgrund?, JA 1988, S. 329–335. Materiale und prozedurale Gerechtigkeit im Strafverfahren, ZStW 101 (1989), S. 52–74. Funktionale Wahrheit im Strafverfahren, in: Arthur Kaufmann zum 65. Geburtstag, 1989, S. 73–83. Deontologische und teleologische Positionen in der rechtlichen und moralischen Beurteilung von Sterbehilfe und Suizidteilnahme, in: Jung, Heike/Müller-Dietz, Heinz/Neumann, Ulfrid (Hrsg.), Recht und Moral, 1991, S. 393–400. Rückwirkungsverbot bei belastenden Rechtsprechungsänderungen der Strafgerichte?, ZStW 103 (1991), S. 331–355. Konstruktion und Argument in der neueren Diskussion zur actio libera in causa, in: Festschrift für Arthur Kaufmann, 1993, S. 581–593. Der Verbotsirrtum (§ 17 StGB), JuS 1993, S. 793–799. Zur Systemrelativität strafrechtsrelevanter sozialer Deutungsmuster – am Beispiel der Strafbarkeit von Streiks und Blockadeaktionen, ZStW 109 (1997), S. 1–16. Ontologische, funktionale und sozialethische Deutung des strafrechtlichen Schuldprinzips, in: Lüderssen, Klaus (Hrsg.), Aufgeklärte Kriminalpolitik oder Kampf gegen das Böse?, Bd. 1: Legitimationen, 1998, S. 391–405. Mitwirkungs- und Duldungspflichten des Beschuldigten bei körperlichen Eingriffen im Strafverfahren, in: Festschrift für E.A. Wolff, 1998, S. 373–393. Normative Kritik der Theorie der positiven Generalprävention. 10 Thesen, in: Schünemann, Bernd/v. Hirsch, Andrew/Jareborg, Nils (Hrsg.), Positive Generalprävention, 1998, S. 147–152. Die Schuldlehre des Bundesgerichtshofs – Grundlagen, Schuldfähigkeit, Verbotsirrtum, in: 50 Jahre Bundesgerichtshof. Festgabe aus der Wissenschaft, Bd. IV, 2000, S. 83–109. Normtheoretische Aspekte der Irrtumsproblematik im Bereich des „Internationalen Strafrechts“, in: Festschrift für Heinz Müller-Dietz, 2001, S. 589–607. Der Rechtfertigungsgrund der Kollision von Rettungsinteressen – Rechte, Pflichten und Interessen als Elemente der rechtfertigenden „Pflichtenkollision“, in: Festschrift für Claus Roxin, 2001, S. 421–439.
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Rechtspositivismus, Rechtsrealismus und Rechtsmoralismus in der Diskussion um die strafrechtliche Bewältigung politischer Systemwechsel, in: Festschrift für Klaus Lüderssen, 2002, S. 109–126. „Tatfrage“ und „Rechtsfrage“ im strafprozessualen Revisionsrecht, in: Festschrift für Nikolaos Androulakis, 2003, S. 1091–1103. Theorie der juristischen Argumentation, in: Kaufmann, Arthur/Hassemer, Winfried/Neumann, Ulfrid (Hrsg.), Einführung in Rechtsphilosophie und Rechtstheorie der Gegenwart, 7. Aufl. 2004, S. 333–347, jetzt in: Hassemer, Winfried/ Neumann, Ulfrid/Saliger, Frank (Hrsg.), Einführung in die Rechtsphilosophie und Rechtstheorie der Gegenwart, 9. Aufl. 2016, S. 303–315. Zur Veränderung von Verantwortungsstrukturen unter den Bedingungen des wissenschaftlich-technischen Fortschritts, Rechtstheorie 36 (2005), S. 435–448. Die „Zwischenhaft“ – ein verfassungswidriges Institut der Rechtspraxis, in: Institut für Kriminalwissenschaften und Rechtsphilosophie Frankfurt am Main (Hrsg.), Jenseits des rechtsstaatlichen Strafrechts, 2007, S. 601–618. Institution, Zweck und Funktion staatlicher Strafe, in: Festschrift für Günther Jakobs, 2007, S. 435–450. „Indirekter“ Paternalismus im Strafrecht – am Beispiel der Tötung auf Verlangen (§ 216 StGB), GA 2007, S. 671–694 (zusammen mit Andreas von Hirsch). – Wieder abgedruckt in: von Hirsch, Andreas/Neumann, Ulfrid/Seelmann, Kurt (Hrsg.), Paternalismus im Strafrecht. Die Kriminalisierung von selbstschädigendem Verhalten, 2010, S. 71–98. Sterbehilfe im rechtfertigenden Notstand (§ 34 StGB), in: Festschrift für Rolf Dietrich Herzberg, 2008, S. 575–590. Das Verhältnismäßigkeitsprinzip als strafbegrenzendes Prinzip, in: Festschrift für Anna Benakis, 2008, S. 410–433. Richtigkeitsanspruch und Überprüfbarkeit rechtlicher Entscheidungen, in: Festschrift für Winfried Hassemer, 2010, S. 143–157. Der Tatbestand der Tötung auf Verlangen (§ 216 StGB) als paternalistische Strafbestimmung, in: Fateh-Moghadam, Bijan/Sellmaier, Stephan/Vossenkuhl, Wilhelm (Hrsg.), Grenzen des Paternalismus. Ulrich Schroth zum 60. Geburtstag, 2010, S. 245–266. Regel und Sachverhalt in der strafrechtlichen Irrtumsdogmatik, in: Festschrift für Ingeborg Puppe, 2011, S. 171–187.
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Der „Haftausschließungsgrund“ der Unverhältnismäßigkeit der Untersuchungshaft (§ 112 Abs. 1 Satz 2 StPO) – eine apokryphe Figur der Strafprozessrechtsdogmatik, in: Festschrift für Imme Roxin, 2012, S. 659–668. Die rechtsethische Begründung des „rechtfertigenden Notstands“ auf der Basis von Utilitarismus, Solidaritätsprinzip und Loyalitätsprinzip, in: v. Hirsch, Andrew/Neumann, Ulfrid/Seelmann, Kurt (Hrsg.), Solidarität im Strafrecht, 2013, S. 155–173. Das sogenannte Prinzip der Nichtdispositivität des Rechtsguts Leben, in: Festschrift für Kristian Kühl, 2014, S. 569–583. Necessity/Duress, in: Dubber, Markus D./Hörnle, Tatjana (Hrsg.), The Oxford Handbook of Criminal Law, 2014, S. 583–606. Standards valider Argumentation in der Diskussion zur strafrechtlichen Bewertung von Maßnahmen der „Sterbehilfe“, in: Festschrift für Hans-Ullrich Paeffgen, 2015, S. 317–329. Zur Struktur des strafrechtlichen Instituts der „Pflichtenkollision“, in: Festschrift für Keiichi Yamanaka, 2017, S. 171–184. Strafrechtliche Grundlagenprobleme der „Übergangsjustiz“, ZIS 2017, S. 382– 390. Die Programmierung autonomer Fahrzeuge für Dilemma-Situationen – ein Notstandsproblem?, in: Rotsch, Thomas (Hrsg.), Zehn Jahre ZIS – Zeitschrift für Internationale Strafrechtsdogmatik, 2018, S. 393–407. Selbstbestimmung am Lebensende – ein möglicher Konflikt zwischen Justiz und Gesetzgebung, in: Festschrift für Rudolf Rengier, 2018, S. 571–582. Dezision statt Argumentation? Zur (post)modernen Kritik der Rechtsgutslehre, in: Festschrift für Thomas Fischer, 2018, S. 183–197. Aufgabe des Strafrechts und Strafbegründung, in: Kindhäuser, Urs u. a. (Hrsg.), Strafrecht und Gesellschaft. Ein kritischer Kommentar zum Werk von Günther Jakobs, 2019, S. 257–276.
Rechtstheoretische und -methodologische Aspekte der Diskussion zum Natriumpentobarbital-Urteil des Bundesverwaltungsgerichts, in: Neumann, Jacqueline u. a. (Hrsg.), Aktuelle Entwicklungen im Weltanschauungsrecht, 2019, S. 175– 196.
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Obliegenheiten und strafrechtliche Zurechnung, in: Joerden, Jan C./Schuhr, Jan C. (Hrsg.), Jahrbuch für Recht und Ethik (27), 2019 (zugleich Gedächtnisschrift für Joachim Hruschka), S. 455–472. Irrtümer auf der Ebene der Rechtswidrigkeit, in: Hilgendorf, Eric/Kudlich, Hans/ Valerius, Brian (Hrsg.), Handbuch des Strafrechts, Bd. 2, Strafrecht Allgemeiner Teil I, 2020, S. 927–965. Verbotsirrtum und sonstige Irrtümer, in: Hilgendorf, Eric/Kudlich, Hans/Valerius, Brian (Hrsg.), Handbuch des Strafrechts, Bd. 2, Strafrecht Allgemeiner Teil I, 2020, S. 967–1017. Ärztliche Unterstützung eines freiverantwortlichen Suizids – eine Wende in der Rechtsprechung des BGH?, StV 2020, S. 126–130. Rechtsphilosophie im Spiegel der Zeit: Gustav Radbruch (1878–1949), JZ 2020, S. 1–11. Zur (Un-)Vereinbarkeit des Verbandsstrafrechts mit Grundprinzipien des tradierten Individualstrafrechts, in: Lehmkuhl, Marianne Johanna/Wohlers, Wolfgang (Hrsg.), Unternehmensstrafrecht. Materiellrechtliche und prozessuale Aspekte, 2020, S. 49–66. Die Rolle des Strafrechts in der Gesellschaft, in: Hoven, Elisa/Kubiciel, Michael (Hrsg.), Zukunftsperspektiven des Strafrechts. Symposium zum 70. Geburtstag von Thomas Weigend, 2020, S. 91–100. Rechtspositionen, Rechtsgüter und Rettungsinteressen in der aktuellen Diskussion zu Problemen des rechtfertigenden Notstands (§ 34 StGB), in: Recht – Philosophie – Literatur. Festschrift für Reinhard Merkel zum 70. Geburtstag, 2020, S. 791–812.
Ingeborg Puppe
https://doi.org/10.1515/9783110703016-012
Ingeborg Puppe Rechtswissenschaft puppenleicht I. Eine Jugend im Nachkriegsdeutschland Die Inge ist ein Philosoph, doch manchmal ist ihr Verschen doof. Dies verfasste mein Bruder, als es eines Tages in unserer Familie Mode wurde, Verse aufeinander zu schmieden. Er war neun Jahre alt und ich sieben. Nun, wer glaubt, sein Vers sei niemals doof, der ist bestimmt kein Philosoph. Und dass ich damals wirklich einer war, erwies sich eines Tages in der Schule. Da kam unser Lehrer mit einer ausgestopften Eule in die Klasse und fuhr damit den Schülern über die Köpfe. Mit jenem seltsamen Gemisch aus Gaudi und Grusel, das man von der Geisterbahn kennt, zogen alle Kinder ihre Köpfe ein. Ich behielt meinen oben. Als die anderen das merkten, riefen sie mir Warnungen zu. Aber ich dachte mir, wann hat man schon einmal die Gelegenheit, sich eine Eule von so nahe anzusehen. Und das war das Ende: Ich sah die Eule an, der Lehrer sah mich an, die Klasse sah den Lehrer an und es war mucksmäuschenstill. Es war nicht das letzte Mal, dass ich nicht der h. L. folgte, und das sollte mich noch teuer zu stehen kommen.
Aber fangen wir doch lieber mit dem Anfang an. Mein Vater, der Rechtsanwalt Sigmund Puppe in Łódź und meine Mutter Wanda geborene Zinser, Lehrerin für Mathematik und Physik am deutschen Gymnasium zu Łódź, wollten noch ein viertes Kind haben. Da kamen drei und zwar am 11.1.1941. Während der Schwangerschaft machte meine Mutter die Röteln durch. Damals wusste man noch nicht, was die bei einem Embryo anrichten können. Und wenn man es gewusst hätte? Meine beiden Schwestern hatten eine Linsentrübung auf einem Auge, ich aber auf beiden. Außerdem hatte die eine der Schwestern offenbar auch noch eine Herzschädigung davongetragen, denn sie starb völlig unerwartet im Alter von fünf Jahren durch Herzstillstand. Meine Eltern fuhren mit den drei Säuglingen nach Berlin zur Charité. Dort schickte man sie aber wieder weg mit der Erklärung, sie sollten wiederkommen, wenn die Kinder zwei Jahre alt seien. Säuglinge konnte man damals noch nicht sicher genug narkotisieren. Erst bei einem Gespräch mit einem Arzt in der Augenklinik in Bonn im Jahre 1978 erfuhr ich, warum ich wesentlich schlechter sehe als jemand, der im Alter am Grauen Star operiert worden ist. In den ersten zwei Jahren lernt ein Kind sehen, und das ist später nicht nachholbar. Natürlich mussten wir am Ende des Krieges aus Łódź fliehen. Unser endgültiges Zuhause fanden wir 1950 in Bremen, wo mein Vater nach langem Bemühen an verschiedenen Orten eine Anwaltszulassung bekam, weil er sich mit einem
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ehemaligen Diplomaten aus einer guten Bremer Familie zusammentat. Denn natürlich wollten sich die Alteingesessenen die Konkurrenz von Flüchtlingen vom Leibe halten. Obwohl das Grundgesetz ja schon galt, war von Niederlassungsfreiheit noch keine Rede. Was erlebte damals ein kleines Mädchen, das weder richtig sehen konnte noch richtig blind war, in der Schule? Mobbing und Langeweile. Ein Beispiel für Mobbing: Ich hatte versehentlich eine Papprolle angestoßen, die unter der Bank hinter mir lag. Als ich mich umdrehte, um sie wieder zurechtzurücken, ging sofort ein Finger hoch „die Inge schwatzt“. Die Lehrerin sagte nur „Inge geh vor die Tür“. Ich wollte es zuerst gar nicht glauben. Als ich mich dann nachträglich bei der Lehrerin beschwerte und erklärte, wie es wirklich gewesen war, so etwas nennt man eine Fortsetzungsfeststellungsklage, sagte sie nur „ist ja gut, ist ja gut“. Die Petze wurde meines Wissens nicht belangt, denn Petzen war offenbar bei den Lehrern gern gesehen. Ein Beispiel für Langeweile: Selbst vom vordersten Platz aus konnte ich niemals die Tafel lesen. Im sog. Sachkundeunterricht erzählte uns die Lehrerin eine Stunde irgendetwas, mal von der Saalweide, mal von der Gründung Bremerhavens, mal von den Urmenschen. Nachdem sie uns eine Stunde etwas erzählt hatte, ließ sie die Schülerinnen vier Stunden lang einen Text von der Tafel abschreiben. „Dabei übt ihr gleichzeitig auch eure Rechtschreibung“ meinte sie. Aus klassenideologischen Gründen begann im sozialistischen Bremen die Gymnasialzeit erst mit der siebten Klasse. So gingen mir zwei Jahre des besten Lernens verloren. Im Gymnasium lebte ich dann erst einmal richtig auf. Da gab es einen richtigen Geschichtsunterricht, beginnend mit der Antike, Erdkundeunterricht, Biologieunterricht. Anstatt ein halbes Jahr lang Multiplikationsaufgaben und ein halbes Jahr lang Divisionsaufgaben zu rechnen, wie in der Grundschule, betrieben wir Geometrie. Der Höhepunkt meines ersten Schuljahrs auf dem Gymnasium war ein Schulfest, das unsere Direktorin unter den Titel gestellt hatte „Ein Gang durch die Jahrhunderte“. Unsere Klasse gehörte zur Mittelalterabteilung und führte zwei Eulenspiegeleien vor. In der einen gab sich Eulenspiegel als großer Gelehrter aus, der alle Fragen beantworten könne. Der Senat der Universität zu Prag, ich spielte den Rektor, lud ihn daraufhin zu einer Prüfung. Aber die Professoren stellten ihm lauter Fragen, die sie selbst nicht beantworten konnten. Das merkte Eulenspiegel natürlich. Er fantasierte sich irgendetwas zusammen und forderte die Professoren auf, sich selbst von der Richtigkeit seiner Antworten zu überzeugen. Verlange niemals von einem anderen, ein Problem zu lösen, dass du selbst nicht lösen kannst. Von mir hat man dergleichen mehrfach verlangt. So wird mir beispielsweise vorgeworfen, dass ich mit meiner Lehre von den Konkurrenzen nicht darstellen kann, dass der Täter durch ein und dieselbe Handlung dasselbe Straf-
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gesetz mehrfach verletzt. Das kann aber die herrschende Lehre auch nicht. Denn wenn zur Verwirklichung eines Tatbestandes stets eine Handlung gehört, so kann nicht ein und dieselbe Handlung einen Tatbestand mehrmals verwirklichen, sondern höchstens mehrere tatbestandsmäßige Erfolge verursachen. Aber zurück zu meiner Gymnasialzeit. Ich konnte ja immer noch nicht von der Tafel ablesen und deshalb beispielsweise dem Mathematikunterricht nur schwer folgen. Meine Mathematiklehrerin war meine Mutter. Wir entdeckten im Mathematikbuch so manchen Beweis, der nicht so ganz stimmte. In Mathematik, nämlich in Algebra, wurde später nur noch gerechnet und da es mir immer wieder passierte, dass ich ein Minuszeichen übersah, waren meine Ergebnisse oft falsch und das war doch das einzige, worauf es ankam. Da ich erst mit zwölf Jahren richtig las, obwohl ich natürlich längst alle Buchstaben kannte, weil ich bis dahin noch kein brauchbares Lesegerät hatte, habe ich kein visuelles Wortgedächtnis ausgebildet. Denn die Bildung des visuellen Wortgedächtnisses ist mit zwölf Jahren abgeschlossen. Ich hatte also eine Art künstliche Legasthenie. Trotzdem wurde von mir erwartet, dass ich die englische Rechtschreibung erlerne, indem ich jedes Wort buchstabiere und mir die Reihenfolge der Buchstaben merke. Da habe ich gestreikt. Mit meinen Zeugnisnoten hätte ich heutzutage gewiss für kein Studienfach eine Zulassung bekommen. Auch in Musik bekam ich nur eine drei, weil ich nicht vom Blatt singen konnte. Dabei spielte ich, wie auch meine Geschwister, zwei Instrumente, nämlich Geige und Klavier. Jedes Stück, das ich spielen wollte, musste ich auswendig lernen. Dabei zeigte ich mehr Eifer, als bei der englischen Rechtschreibung. Leicht auswendig zu lernen sind Mozart und Haydn. Wenn man die Melodie einigermaßen kennt und ungefähr weiß, wie es klingen muss, kann man sich die Begleitung fast dazu denken. Bach ist schon etwas schwieriger, aber da hilft einem die strenge Form. Richtig schwierig sind Schumann und Brahms, denen kommt man nicht so leicht auf die Schliche. Das erste Stück, das ich allein auswendig lernte, war übrigens von Bartók das Lied des Betrunkenen.
II. Berufswahl und Studium Ich war in der vierten Klasse, also noch in der Grundschule, als in der Schule die Heizanlage ausfiel. Wir wurden mit der Aufgabe nach Hause geschickt, einen Aufsatz zu schreiben über das Thema, was ich einmal werden will. Ich schrieb hin: „Wenn ich groß bin, werde ich einmal Rechtsanwalt“. Als das in der Deutschstunde vorgelesen wurde, lachte die ganze Klasse, und ich habe mich geschämt. Welche Anmaßung für ein Mädchen, Rechtsanwältin werden zu wollen! Die meisten Mädchen, die überhaupt studierten, wurden Lehrerinnen oder Dol-
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metscherinnen, höchstens noch Ärztinnen, aber auch das nur in bestimmten Sparten. In den fünfziger und sechziger Jahren betrug der Anteil der Studentinnen an den juristischen Fakultäten in der Bundesrepublik ungefähr 10 %. Es gab alte Professoren, die ihr Publikum immer noch mit „meine Herren“ anredeten. Professoren und auch Ausbilder bei Gericht konnten es sich ohne weiteres leisten, offen frauenfeindlich zu sein und die Überzeugung zum Ausdruck zu bringen, dass Frauen nicht denken können. Das einzige Kraut, das dagegen gewachsen war, war, sie vor die Alternative zu stellen, entweder diese These aufzugeben, oder zuzugeben, dass sie selbst nicht besser denken können, obwohl sie Männer sind. Wenn einer das gelang, dann hatte Frau gerade bei diesen Männern einen Stein im Brett. Aber natürlich waren nicht alle so.
Unter den Professoren haben mir am meisten Eindruck zwei Strafrechtler gemacht, Bockelmann und Gallas. Sie hätten nicht verschiedener sein können. Bockelmann war ein glänzender Redner, hoch gebildet, aber auch sehr auf Wirkung bedacht. Zu seiner Vorlesung, aus der Geschichte des Verbrechens, nahmen wir unsere nichtjuristischen Freunde gerne mit. Er vertrat die These, dass jede Zeit ihre typischen Verbrecher hat. So gab es zum Beispiel eine Zeit der Räuber und eine Zeit der Hochstapler. Wer sind die typischen Verbrecher unserer Zeit, die Hacker, Anlagebetrüger? Gallas war ganz anders. Sehr leise, sehr nachdenklich, sehr abwägend. Er präsentierte uns keine fertigen Ergebnisse. Man hatte vielmehr den Eindruck, dass er immer noch über die Probleme nachgrübelte, während er sie uns darstellte. Wer sich auf diese Lehrmethode einließ, der musste sich notwendig zu jedem Problem seine Meinung selbst bilden. Als ganz junger Professor kam Böckenförde zu uns. Bei dem hörte ich Verfassungsgeschichte der Neuzeit und nahm an einem rechtsphilosophischen Seminar teil. Wir lasen einen Text von Martin Drath, der behauptete, die sog. Goldene Regel (was du nicht willst das man dir tu’, das füg auch keinem andern zu) sei ein Gebot der Logik. Ich widersprach und erklärte diese Regel für ein Gebot allein der Moral. Ich kann, ohne die Logik zu verletzen, folgende allgemeine Regel aufstellen: Ich bekomme alles, die anderen bekommen nichts. Damals hatte man eben noch Zeit übrig, etwas aus reinem geistigen Interesse zu lernen. So besuchte ich auch eine Vorlesung zur Einführung in die Philosophie bei Gadamer. In jeder dritten Stunde forderte er uns auf, doch Fragen zu stellen. Um die Ehre des Auditoriums zu retten, dachte ich mir immer wieder Fragen aus. Gadamer erklärte uns den Unterschied zwischen der Philosophie und den anderen Wissenschaften wie folgt: Die anderen Wissenschaften betrachten alle Gegenstände der Welt immer nur unter einem Aspekt. Die Philosophie ist bestrebt, die Gegenstände, und sei es nur ein einziger, unter allen Aspekten zu betrachten. Die Achtundsechziger Studentenbewegung hatte ich fast verpasst. Ich war damals bereits Referendarin. Ich konnte allerdings mit dieser Bewegung auch nicht
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viel anfangen. Im Jahre 1918 wäre ich wohl auch Kommunistin gewesen, aber nicht im Jahre 1968, als wir von Staaten umgeben waren, deren autoritäre Regierungen im Namen des Kommunismuses ihre Bürger ausbeuteten, ihnen vorschrieben, was sie zu denken und zu sagen hatten und diejenigen, die etwas anderes dachten oder gar sagten in Gefängnisse, Straflager und psychiatrische Anstalten einsperrten. Dabei hatte es doch in den kommunistischen Parteien, die diese Diktaturen errichtet hatten, nicht an Idealismus und Opferbereitschaft gefehlt. Aber das kommt eben heraus, wenn ein großer Vorsitzender, eine Partei oder sonst eine Hierarchie im Namen einer Idee, und sei diese noch so human, die absolute Macht ausübt, denn Macht verdirbt den Charakter. Was wäre beispielsweise aus Trotzki geworden, wenn er und nicht Stalin die absolute Macht erlangt hätte? Manche Blüten, die die Achtundsechziger Bewegung getrieben hat, sind heute nicht mehr zu begreifen. In der psychiatrischen Universitätsklinik in Heidelberg gründete sich ein sog. „sozialistisches Patientenkollektiv“ und forderte von der Universität finanzielle Mittel zu seiner Unterhaltung. Offenbar gab es innerhalb der Universität Befürworter dieser Forderung, deshalb wurde sie im Haushaltsausschuss ernsthaft und heftig diskutiert. Kaum ins Bewusstsein der Öffentlichkeit ist es gedrungen, dass der Polizist, der durch seinen tödlichen Schuss auf den Studenten Ohnesorg die Gründung der RAF ausgelöst hat, ein Agent der Stasi war. Dabei war das wohl die erfolgreichste Destabilisierungsaktion der Stasi gegen die damalige Bundesrepublik überhaupt. Dass es das Verdienst der Achtundsechziger war, den Deutschen die Verbrechen des Nationalsozialismus zu Bewusstsein gebracht zu haben, ist eine Legende. Wir Kriegs- und Nachkriegskinder sind mit diesem Geschichtsbewusstsein aufgewachsen. Es gab in den fünfziger Jahren zahlreiche Radiosendungen beispielsweise über den Ghettoaufstand (1943) und über den Warschauer Aufstand (1944), über die Konzentrationslager und über die sog. Kristallnacht. Im Deutschunterricht hatten wir natürlich das Tagebuch der Anne Frank gelesen. Mit der damaligen Frauenbewegung wusste ich auch nichts anzufangen, sie war mir zu sexistisch. Die Pille auf Krankenschein und das Recht auf Abtreibung waren nicht das, wofür ich hätte kämpfen wollen. Sollen die Frauen über ihre Krankenversicherung die Kosten der Familienplanung alleine tragen? Dagegen habe ich mich mehrfach kritisch zu frauenfeindlicher Rechtsprechung des BGH geäußert. Wenn eine Frau noch Gelegenheit hatte, um ihr Leben zu flehen, ehe sie umgebracht wurde, war sie nicht wehrlos. Der Täter hat also nicht heimtückisch gehandelt.
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III. Die Promotion Nach glücklich bestandenem Ersten Staatsexamen im Herbst 1965 wollte ich bei Gallas promovieren, möglichst über ein Problem des Allgemeinen Teils. Das fand Gallas, vorsichtig wie er war, aber zu schwierig. Da ich ihm auch gesagt hatte, dass ich mich für Informationstheorie interessiere, ein Gebiet, das damals noch unter dem Namen Kybernetik allgemein populär wurde, legte er mir den § 306 E62, heute § 268 StGB vor. Dieser Tatbestand ist ein Musterbeispiel dafür, was geschieht, wenn der Gesetzgeber versucht, der technischen Entwicklung vorzugreifen: Er greift daneben. In der großen Strafrechtskommission glaubte man damals, technische Aufzeichnungen würden in Zukunft als Beweismittel vor Gericht eine bedeutende und vielfältige Rolle spielen. Aber bisher ist es beim Fahrtenschreiber geblieben. Wir sollten uns also nicht so sehr den Kopf über die Probleme zerbrechen, die uns autonom fahrende Autos und intelligente Maschinen in Zukunft im Strafrecht bescheren werden, solange wir autonom fahrende Autos und intelligente Maschinen noch nicht haben. Der neue Tatbestand der Fälschung technischer Aufzeichnungen war gewissermaßen übrig geblieben von einem Projekt der großen Strafrechtskommission, die Beweismittelfälschung generell unter Strafe zu stellen, das nach längerer Diskussion aufgegeben worden war. In der Literatur stieß dieser neue Tatbestand auf einhellige Kritik. Warum wollte man technische Aufzeichnungen gegen Fälschung schützen und andere Augenscheinsobjekte nicht? Schließlich, so wurde argumentiert, ist eine Kopie nicht schutzwürdiger als das Original. Aber da konnte doch etwas nicht stimmen. Wenn ein technisches Aufzeichnungsgerät nichts weiter leistet, als irgendein Phänomen zu kopieren, warum macht man sich dann die Mühe, solche Apparate zu konstruieren und nimmt nicht einfach eine Kamera? In dem berühmten Aufsatz von Max Weber, Wissenschaft als Beruf, sagt Weber, dass es den plötzlichen Einfall zur Lösung eines Problems manchmal gebe, aber, wenn man sich nicht lange über das Problem den Kopf zerbrochen hat, kommt er nicht. Ich zerbrach mir also den Kopf über die Frage, was der Unterschied ist zwischen einer Kopie und einer technischen Aufzeichnung und las zu diesem Zweck Bücher über Zeichentheorie und Kybernetik. In einem Buch eines damals berühmten Professors namens Steinbuch fand ich im Anschluss an die Erklärung des Codes den folgenden Satz: „Eine Kodierung ist beispielsweise jeder Messvorgang“. Da hatte ich es: Eine technische Aufzeichnung unterscheidet sich von einem Augenscheinsobjekt dadurch, dass sie eine kodierte Information ist. Ein Augenscheinsobjekt, z.B. eine Reifenspur, einen Fingerabdruck und auch eine Fotografie muss man deuten, um richtige Schlüsse daraus zu ziehen. Dabei kann man sich irren. Was die Zeichen einer
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technischen Aufzeichnung bedeuten, ist von vornherein klar, denn das Aufzeichnungsgerät reagiert nur auf bestimmte Phänomene durch die Produktion ganz bestimmter Zeichen und klassifiziert dadurch diese Phänomene. Ein Kopiergerät oder ein Fotoapparat tun das nicht. Nun war ich in der Lage, genau zu beschreiben, worin sich eine technische Aufzeichnung von einer Kopie unterscheidet und inwiefern der Aufzeichnungsvorgang selbsttätig sein muss, auch wenn eine Person an seiner Entstehung mitwirkt. Die beteiligte Person darf nicht selbst über die Zeichenauswahl entscheiden. Entscheidet bei ordnungsgemäßer Bedienung des Geräts die Bedienungsperson über die Zeichenauswahl, so liegt nicht eine technische Aufzeichnung vor, sondern eine menschliche Erklärung mithilfe eines technischen Geräts, also eine Urkunde. Deshalb sind die mit einem Computer hergestellten Texte und Rechnungen, so kompliziert der Entstehungsvorgang sein mag, keine technischen Aufzeichnungen, sondern Datenurkunden. Keine technischen Aufzeichnungen sind Fotokopien, sie klassifizieren nichts. Eine technische Aufzeichnung liegt aber vor, wenn ein Gerät das Verhalten einer Person kontrolliert. Das ist der Fall, wenn die Person bei ordnungsgemäßer Bedienung des Geräts nicht in der Lage ist, ein anderes Verhalten aufzeichnen zu lassen, als sie an den Tag gelegt hat. Dies gilt beispielsweise für den Fahrtenschreiber. Die störende Einwirkung auf einen Aufzeichnungsvorgang, die die einzige praktisch relevante Alternative des § 268 ist, besteht darin, dass der Täter sich durch Beeinflussung der Funktion des Geräts oder nicht ordnungsgemäße Bedienung die Herrschaft über die Zeichenauswahl anmaßt.
IV. Die Habilitation Nach erfolgreicher Promotion stand ich am Scheideweg. Ich hatte ein Angebot, in Bremen zur Staatsanwaltschaft zu gehen, ich wollte aber in die Wissenschaft. Das war damals für eine Frau sehr riskant und für eine Behinderte erst recht. Aber ich sagte mir, du musst es versuchen. Wenn es misslingt, dann wirst du bei der Staatsanwaltschaft dein Bestes geben. Wenn du es aber nicht versuchst, so wirst du es immer bereuen. Ich wandte mich also an Gallas, der mich an Lackner weiter empfahl. Lackner stellte mir eine Assistentenstelle zur Verfügung und ließ mir im Übrigen alle wissenschaftliche Freiheit. Nur bei der Kommentierung des Betruges im Leipziger Kommentar habe ich mich beteiligt. Obwohl Lackner kein „gelernter“ Professor war, sondern aus dem Justizministerium kam, war er als Universitätslehrer von Anfang an experimentierfreudig. Er hielt beispielsweise ein Seminar zur Strafzumessung, die damals in der Literatur kaum behandelt wurde und natürlich nicht examenswichtig war. In einem weiteren Seminar spielten die Teilnehmer Gesetzgebungskommission und entwarfen
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einen Gesetzestext zur Reform der Tötungsdelikte. Da sich Lackner in der Diskussion möglichst zurücknehmen wollte, übertrug er zunächst mir die Leitung, die dann Studenten übernahmen. Die erwiesen sich aber mit dieser Aufgabe als überfordert und schlugen vor, dass ich den Vorsitz des Gesetzgebungsausschusses wieder übernehmen solle. Interessant war es zu beobachten, dass man sich über grundsätzliche materielle Fragen schneller einigte, als über Äußerlichkeiten. Nachdem sich die Ansicht durchgesetzt hatte, dass wir keine Qualifikation der vorsätzlichen Tötung einführen sollten, da diese das schwerste Unrecht darstellte, wurde lange und heftig darüber diskutiert, ob man sie nun als Totschlag oder als Mord bezeichnen wolle. Der erarbeitete Entwurf wurde übrigens mit Begründung und Erfahrungsbericht in der JZ veröffentlicht. Am liebsten hätte ich mich ja über das Thema Kausalität habilitiert. Darüber erzählte ich meinen AG Teilnehmern schon längst etwas ganz anderes, als die Formel von der conditio-sine-qua-non und die Wegdenkmethode. Aber ich konnte doch nicht noch ein zweites Mal hinter Samson herschreiben. Also wandte ich mich den Konkurrenzen zu. Die Lehre von den Konkurrenzen ist die Schnittstelle zwischen der Lehre vom Tatbestand und der Lehre von der Strafzumessung. Sie hat das Problem zu lösen, wie man von den abstrakten Tatbeständen zu der konkreten Tat gelangt, die erstens die Tatbestände erfüllt und zweitens die Grundlage der Strafzumessung nach dem Tatschuldprinzip ist. Die h. L. löst das Problem dadurch, dass sie einen noch abstrakteren und inhaltsärmeren Begriff einführt als die Tatbestandsverwirklichung, der aber auf jede Tatbestandsverwirklichung passen soll, nämlich einen ganz äußerlichen Begriff von Handlung. Danach ist eine Handlung eine Körperteilbewegung, oder eine Menge von Körperteilbewegungen, beispielsweise ein Schlag, ein Stoß, ein Tritt usw. und alles, was über ein Verbrechen gesagt werden kann, wird als Eigenschaft solcher Körperbewegungen oder Mengen von Körperbewegungen dargestellt.
Zunächst passt dieser Begriff von Handlung nicht auf Unterlassungsdelikte, zu denen gar keine Körperbewegung gehört. Außerdem sind die übrigen Bedingungen der Tatbestandsverwirklichung, ein Erfolg, seine Verursachung, ein Vorsatz, eine überschießende Innentendenz oder eine Pflichtenstellung des Täters nicht bloß Eigenschaften der Körperbewegung, sondern selbstständige Elemente der Tatbestandsverwirklichung, die zueinander in bestimmten Beziehungen stehen. Der Übergang vom abstrakten Begriff eines Verbrechens zum konkreten Fall dieses Verbrechens geschieht nicht dadurch, dass man eine Körperbewegung bezeichnet, die die Eigenschaft hat, ein Diebstahl oder ein Totschlag zu sein, sondern dadurch, dass man die Tatsache feststellt, die der Tatbestand beschreibt, also die Tatbestands-
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verwirklichung. So erhält man einen Fall von Diebstahl oder einen Fall von Totschlag. Sollte man also jede Tatbestandsverwirklichung als eine Tat im Sinn der Strafzumessung und des Prozesses ansehen? Tatsächlich wird diese Idee von Binding heute wieder vorgeschlagen. Aber verschiedene Tatbestandsverwirklichungen können gemeinsame Unrechtselemente haben. Beispielsweise eine Gewaltanwendung gegen eine Person oder eine Täuschung. Würde man für jede von ihnen eine gesonderte Strafe zumessen, so würde man gegen das Doppelverwertungsverbot verstoßen. Würde man eine von ihnen außer Acht lassen, etwa die weniger schwerwiegende, so würde man gegen das Ausschöpfungsgebot verstoßen. Man muss also Tatbestandsverwirklichungen, die gemeinsame Unrechtselemente aufweisen, gemeinsam beurteilen. Mehrere Tatbestandsverwirklichungen, die gemeinsame Unrechtselemente aufweisen, etwa eine Gewaltanwendung oder eine Täuschung, bilden also eine Tat oder eine Handlung im Sinne des § 52. Der Begriff der einheitlichen Handlung steht nicht am Anfang, sondern am Ende der Konstitution des konkreten Verbrechens. Während die h. L. noch immer die Handlung im Sinne von § 52 als Körperbewegung oder gar Körperteilbewegung versteht, zeichnet sich in der Rechtsprechung ein Wandel ab. Die Bedürfnisse der Strafzumessung machen sich geltend, und die Rechtsprechung verlangt nach einer Konkurrenzlehre 2.0.
In meiner Assistentenzeit in Heidelberg lernte ich auch Engisch kennen, der nach seiner Emeritierung in München in sein Haus in Heidelberg zurückgekehrt war. Er veranstaltete gemeinsam mit Gallas Seminare, für die ich mich als Assistentin zur Verfügung stellte, um die Teilnehmer zu beraten. Später bat die juristische Fakultät Engisch, für meine Habilitationsschrift das Zweitgutachten zu erstellen. Es ist wahrscheinlich der letzte Text, den er geschrieben hat. Er sagte, es sei eine Strapaze gewesen. Damit hatte er Recht. Denn ich hatte in dem für Habilitanden typischen Bestreben, mich nach allen Seiten abzusichern, manches zu kompliziert dargestellt. Diese Erfahrung sollte ich noch öfters machen. Wenn man eine Idee zum ersten Mal darstellt, macht man es oft zu kompliziert. Je öfter man neu über die Sache nachdenkt und zwar gründlich und ohne Prätention, desto einfacher wird sie. Engisch war nicht nur ein philosophisch und literarisch hoch gebildeter, sondern auch ein sehr warmherziger Mensch. Ich erinnere mich an viele Besuche in seiner Wohnung, bei denen ich ihm einfach nur zugehört habe.
V. Ein Aufbruch Ich hatte damit gerechnet, nach meiner Habilitation vielleicht viele Jahre auf meine erste Professur warten zu müssen. Aber noch ehe ich meinen Habilitationsvor-
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trag hielt, klingelte mein Telefon und es meldete sich Professor Kaufmann aus Bonn und teilte mir mit, dass ich in Bonn auf dem ersten Listenplatz stehe. Ich traute meinen Ohren nicht. Da muss ich mich aber ganz schnell bewerben, sagte ich. Ich ging also mit einem Ruf in der Tasche in das Habilitationskolloquium. Damit begann ein Abenteuer, heute würde man sagen eine Herausforderung. Ich musste meinen Studenten anderthalb Stunden etwas erklären, ohne ein einziges Blatt Papier, ein einziges Stichwort vor mir zu haben. Noch heute bin ich etwas nervös, wenn ich in die Vorlesung gehe und denke, du weißt ja gar nichts. Und dann fällt mir doch was ein. Aber das macht nichts, Schauspieler und Musiker sind vor der Vorstellung auch nervös und, wenn sie es nicht mehr sind, taugen sie nichts mehr. Auch ich höre viel lieber einem Redner zu, der frei spricht, als einem, der abliest.
VI. Die Kausalität Nun konnte ich mich endlich meinem Lieblingsanliegen zuwenden, der Kausalität. Engisch hatte schon 1931 nachgewiesen, dass die Formel von der notwendigen Bedingung die Beziehung zwischen der Einzelursache und dem Erfolg logisch falsch beschreibt. Sie versagt sowohl bei Vorhandensein einer Ersatzursache, als auch bei Mehrfachkausalität. Engisch schlug daher vor, die Ursache als gesetzmäßige Bedingung zu bestimmen. Dabei hat er aber offengelassen, welche logische Bedingungsbeziehung zwischen der Einzelursache und der Folge bestehen muss, da es doch die Notwendigkeit nicht sein kann. Ich beschloss, dies nachzuholen. Ein Ereignis ist dann kausal erklärt, wenn man eine hinreichende und wahre gesetzmäßige Bedingung dafür angegeben hat, dass es eingetreten ist. Eine menschliche Handlung kann nur ein Teil davon sein, ein notwendiger Bestandteil einer wahren und vollständig erfüllten hinreichenden Mindestbedingung des Erfolges. Ein Fall von Mehrfachkausalität liegt vor, wenn es mehrere solcher wahren und vollständig erfüllten hinreichenden Bedingungen gibt. Dabei schadet es nichts, wenn diese hinreichenden Bedingungen gemeinsame Elemente haben. Wenn man weit genug in der Zeit zurückgeht, ist das immer der Fall. Damit waren natürlich noch nicht alle Probleme der Kausalität gelöst. Was ist überhaupt der strafrechtlich relevante Erfolg, den die Tatbestände beschreiben und der kausal zu erklären ist? Kann eine Unterlassung eine Ursache sein? Wie unterscheidet man eine Ursache von einer Ersatzursache? Schließlich stellt auch eine Ersatzursache eine hinreichende und wahre Bedingung für den Erfolgseintritt dar. All diese und weitere Fragen hatte ich zu beantworten. Ich hatte nun erwartet, dass die Strafrechtswissenschaft die Lehre vom notwendigen Bestandteil der hinreichenden Bedingung als eine vielleicht geringe, aber
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doch wichtige Fortentwicklung der Lehre von Engisch akzeptieren würde. Nichts dergleichen geschah. Nachdem in den Lehrbüchern die Lehre von der notwendigen Bedingung und die Wegdenkmethode erklärt worden sind, erwähnt man die Lehre von der gesetzmäßigen Bedingung, also die Lehre von Engisch, als eine Art Konkurrenzmethode und attestiert ihr theoretische Überlegenheit gegenüber der Lehre von der notwendigen Bedingung, um dann reumütig zu dieser zurückzukehren, weil die Methode von Engisch Kausalität zu ermitteln doch so schwierig und die h.L. doch so einfach ist. Man braucht sich ja nur die Handlung wegzudenken, dann wird man schon sehen, ob der Erfolg entfiele. Auf keinem anderen Fachgebiet und schon gar nicht in einer Wissenschaft wird eine Methode der Erkenntnis abgelehnt, weil sie zu schwierig ist, obwohl sie richtig ist und eine Methode propagiert, weil sie so einfach ist, obwohl sie falsch ist. Dabei ist die Methode, die Kausalität einer Handlung für den Erfolg festzustellen, indem man den wirklichen Kausalverlauf unter allgemeine Gesetze subsumiert, im Prinzip puppenleicht. Und dann kam die Lederspray-Entscheidung und damit das sog. Gremienproblem. Wenn in einem Gremium ein rechtswidriger Beschluss mit einer größeren Mehrheit gefasst wird, als für sein Zustandekommen erforderlich ist, so kann gemäß der conditio-sine-qua-non-Formel jeder, der für den Beschluss gestimmt hat, sich damit verteidigen, dass man seine Stimme hinweg denken kann, ohne dass der Erfolg entfiele. Da helfen auch die Remeduren nicht, die man sonst anwendet, um die conditio-sine-qua-non-Formel zu retten. Der Erfolg bleibt genau derselbe, er tritt genau zum gleichen Zeitpunkt ein und alle Stimmen werden zur gleichen Zeit wirksam, nämlich mit Abschluss des Abstimmungsvorgangs. Der BGH löste das Problem dadurch, dass er die Gremiumsmitglieder, die für den Beschluss gestimmt haben, erst zu Mittätern erklärte und sodann feststellte, dass sie alle zusammen nicht hinweggedacht werden können, ohne dass der Beschluss entfällt. Aber man wird doch nicht kausal, weil man Mittäter ist, sondern Mittäter, weil man kausal ist. Außerdem ist bisher die Figur der Mittäterschaft nach der h. L. und der Rechtsprechung auf Fahrlässigkeitsdelikte nicht anwendbar. Deshalb erschienen nun zahlreiche Monografien und Aufsätze mit dem Ziel, die fahrlässige Mittäterschaft zu begründen, ohne gemeinsamen Tatplan und ohne Kausalität des einzelnen Täters, nur um „das Gremienproblem“ zu lösen. Es sollte genügen, dass die Beteiligten ein gemeinsames Handlungsprojekt hatten, um einen jeden für den Fehler des anderen verantwortlich zu machen.
Nach der Lehre von der Ursache als notwendiger Bestandteil einer hinreichenden Mindestbedingung lässt sich dartun, dass jeder, der für einen rechtswidrigen Beschluss stimmt, für diesen kausal ist, gleichgültig mit welcher Mehrheit der Be-
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schluss angenommen worden ist. Ich erhalte eine hinreichende Minimalbedingung für den Beschluss, deren notwendiger Bestandteil eine Stimmabgabe ist, indem ich diese mit so vielen weiteren für diesen Beschluss abgegebenen Stimmen zusammenfasse, wie mindestens erforderlich sind, um ihn zustande zu bringen. Wie im Prinzip schon Engisch erkannt hat, darf man in die hinreichende Bedingung nicht mehr Stimmen hineinschreiben, als notwendig sind, um den Beschluss zustande zubringen. Aber diese Rechnerei ist ja viel zu schwierig für einen Juristen. Für nichts, was ich je geschrieben habe, bin ich so geschmäht worden, wie für die Lösung des Gremienproblems. Diese sei logisch falsch, widersprüchlich und gleichzeitig zirkelschlüssig, ich hätte nicht begründet, warum ich die überzähligen Stimmen, die doch schließlich auch da seien, nicht mitzähle und ich hätte das Problem nicht verstanden. Mit nichts macht man sich in der heutigen Strafrechtswissenschaft so unbeliebt, wie damit, dass man ein Problem löst. Das einzig nachvollziehbare Argument gegen diese Lösung ist, dass sie dem Vermeidbarkeitserfordernis widerspricht. Denn wenn mehrere hinreichende Bedingungen gegeben sind, kann keiner der Beteiligten durch sorgfaltsgemäßes Verhalten den Erfolg vermeiden. Aber das beweist nur, dass die Vermeidbarkeitstheorie jedenfalls für die Kausalität nicht gelten kann, sonst würden sich bei Mehrfachkausalität und Ersatzkausalität die Beteiligten gegenseitig entlasten. Mehrfachkausalität von Handlungen ist zwar selten, häufig sind aber Fälle der Mehrfachkausalität von Sorgfaltspflichtverletzungen. Zu einem Zusammenstoß gehören zwei. Begeht nun jeder von den beiden einen so schweren Fehler, dass er auch ohne den Fehler des anderen den Unfall erklärt, so könnte keiner von ihnen den Unfall durch sorgfaltsgemäßes Verhalten vermeiden. Trotzdem sind beide für den Unfall verantwortlich.
VII. Die Anstiftung Die Erkenntnis, dass man von notwendigen und hinreichenden Bedingungen, von analytischen Bedingungen abgesehen, sinnvoll nur sprechen kann, indem man voraussetzt, dass zwischen der Bedingung und dem Bedingten strikte empirische Gesetze bestehen, die sog. Kausalgesetze, führte mich zu der Frage, in welchem Sinne man von der Verursachung eines Entschlusses sprechen kann, sofern man voraussetzt, dass die Fassung menschlicher Entschlüsse nicht durch strikte Gesetze bestimmt ist. Ich behandelte sie zunächst im Zusammenhang mit der Anstiftung, die von der Rechtsprechung immer noch als Verursachung des Tatentschlusses beschrieben wird. Offenbar muss hier unter Verursachung etwas ganz anderes verstanden werden, als bei natürlichen Prozessen. Das Einzige, was jemand tun kann, um bei einem anderen einen Tatentschluss auszulösen ist, ihm ei-
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nen Grund zu geben, einen solchen Entschluss zu fassen. Ob der andere das dann tut, steht nicht in seiner Macht. Das ist eine ziemlich lose Verbindung zwischen Anstifter und Täter, die es nicht rechtfertigt, den Anstifter aus dem gleichen Strafrahmen zu bestrafen wie den Täter. Um dies zu rechtfertigen, halte ich es für erforderlich, dass der Anstifter mit dem Haupttäter, ähnlich wie Mittäter untereinander, einen Unrechtspakt schließt und der Täter die Tat dann unter dem Einfluss dieses Unrechtspakts auch begeht. An dieser Bestimmung der Anstiftung wurde kritisiert, sie sei mit dem Wortlaut des Gesetzes nicht vereinbar und nähere die Anstiftung zu sehr der Täterschaft an. Nun finde ich, dass dieser Begriff von Anstiftung zu dem im Gesetz verwendeten Ausdruck „bestimmen“ mindestens ebenso gut passt, wie jeder andere Vorschlag zur Interpretation dieses Ausdrucks, der in der Literatur gemacht wird. Die Anstiftung der Mittäterschaft anzunähern, war gerade der Sinn dieses Interpretationsvorschlags.
VIII. Die objektive Zurechnung An einem schönen Tag im Juni 1986 – ich weiß es noch genau, ich kam vom Schwimmen – da fand ich einen Brief (e-Mails gab es noch nicht) von Arthur Kaufmann. Er trug mir an, auf der Strafrechtslehrertagung 1987 in Salzburg über die objektive Zurechnung zu sprechen. Das ließ ich mir nicht zweimal sagen und machte mich daran herauszufinden, was sich aus dem Kausalbegriff von Engisch und Puppe für die Lehre von der objektiven Zurechnung gewinnen lässt. Als Geburtsstunde der heutigen Lehre von der objektiven Zurechnung, die ein Hauptexportschlager der deutschen Strafrechtswissenschaft ist, gilt ihre Trennung von der Kausalität durch Honig. Solange die Kausalität dadurch bestimmt und auch im Einzelfall festgestellt wird, dass man sich ausgerechnet die Tatsache, deren Ursächlichkeit für den Erfolg in Rede steht, also die menschliche Handlung, hinwegdenkt, um festzustellen (oder auch bloß zu behaupten), dass dann auch der Erfolg entfiele, kann Honig denn auch darin nicht widersprochen werden, dass er sagt, nach dieser Feststellung ist über die Kausalität „kein Wort mehr zu verlieren“. Aber nun fehlt einer Lehre von der objektiven Zurechnung die tatsächliche Grundlage. Sie kann nur noch sog. Wertungsformeln produzieren und ist deshalb dem Vorwurf ausgesetzt, nur ein Ensemble von Topoi zu sein, die an das Gefühl und die Plausibilität eines gewünschten Ergebnisses appellieren. Da wir mithilfe der Formel von der hinreichenden gesetzmäßigen Mindestbedingung den wirklichen Kausalverlauf und nicht einen fiktiven zum Gegenstand der Prüfung machen, sind wir nun in der Lage, die Kausalität und die objektive Zurechnung wieder miteinander zu verbinden und dadurch jene Wertungsformeln auf tatsächliche Grundlagen zu stellen.
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Beginnen wir mit der sog. Grundformel der objektiven Zurechnung, wonach sich im Erfolg die unerlaubte Gefahr realisiert haben muss. Eine unerlaubte Gefahr hat sich genau dann in einem Erfolg realisiert, wenn diejenigen Eigenschaften der Handlung, die sie unerlaubt machen, in der kausalen Erklärung des Erfolges vollständig als notwendige Bestandteile vorkommen. Diese Voraussetzung der Zurechnung des Erfolges ist beispielsweise nicht erfüllt, wenn ein Autofahrer mit abgefahrenen Reifen oder defekter Blinkanlage fährt und, während er an einer roten Ampel hält, von einem anderen Autofahrer von hinten angefahren wird. Der Autofahrer hat zunächst eine Sorgfaltspflicht verletzt, er hätte mit abgefahrenen Reifen oder defekter Blinkanlage nicht fahren dürfen. Aber die daraus resultierende Gefahr hat sich im Unfall deshalb nicht realisiert, weil ich zur Erklärung dieses Unfalls die Tatsache nicht brauche, dass der an der Ampel angefahrene Wagen eine defekte Blinkanlage oder abgefahrene Reifen hatte. Ganz ähnliche Gedanken haben in England Hart und Honoré und in den USA Richard Wright unter der Bezeichnung „causation of the wrong full aspects“ entwickelt. Und damit sind wir bei der nächsten Formel. Der Erfolg wird dem Täter nicht zugerechnet, wenn die von ihm verletzte Norm ihn nicht verhindern sollte oder wollte. Fragen Sie eine Norm doch einmal, was sie denn will. Um uns Klarheit darüber zu verschaffen, welche tatsächlichen Eigenschaften eines Kausalverlaufs das Urteil begründen, dass er vom Schutzzweck der Norm nicht erfasst wird, müssen wir uns an Fälle halten, in denen eben dieses Urteil gefällt wird. Nehmen wir zum Beispiel den Rotlicht-Fall. Ein Kraftfahrer missachtet ein rotes Ampelsignal oder eine Vorfahrt oder eine Geschwindigkeitsbegrenzung und später, während er wieder vorschriftsmäßig fährt, fährt oder läuft ihm ein anderer Verkehrsteilnehmer dergestalt vor die Räder, dass er einen Unfall mit Körperverletzungsfolgen auch durch Bremsen nicht mehr verhindern kann. Die h. L. fragt, ob der Täter diesen Unfall durch sorgfaltsgemäßes Verhalten vermieden hätte. Die Frage ist zu bejahen. Hätte er das Rotlicht, die Vorfahrt oder die Geschwindigkeitsbegrenzung respektiert, so wäre er zu dem Zeitpunkt, als der andere Verkehrsteilnehmer seine Fahrbahn kreuzte, noch gar nicht vor Ort gewesen, so dass es zu dem Zusammenstoß nicht gekommen wäre. Nun heißt es, „das war doch nur Zufall“ oder es ist nicht Schutzzweck einer Geschwindigkeitsbegrenzung oder einer Vorfahrtsregelung, Kollisionen mit anderen Verkehrsteilnehmern zu verhindern, die jenseits des Bereichs stattfinden, in dem die betreffende Regelung gilt. Das ist unmittelbar einsichtig, und damit begnügen sich die meisten.
Aber die Rechtswissenschaft muss doch fragen, warum das unmittelbar einsichtig ist. Sie muss den plausiblen Einzelfall zum Anlass für den Versuch nehmen, aus ihm eine allgemeine Regel zu entwickeln, nach der der Schutzzweck einer Norm zu bestimmen ist, und zwar rein deskriptiv. Der Schutzzweck einer Norm
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erfasst nur diejenigen unglücklichen Kausalverläufe, zu deren Verhinderung sie generell, nicht nur zufällig, geeignet ist. Das ist noch keine deskriptive Bestimmung. Was heißt hier zufällig? Zufällig sind all diejenigen Parameter des Einzelfalles, die eben vom Zufall abhängen, d. h., die nicht durch Normen geregelt sind. In unserem Fall beispielsweise der Zeitpunkt, zu dem der Autofahrer seine Fahrt angetreten hat oder die Geschwindigkeiten, die er erlaubter Weise hätte fahren können, die Pausen die er hätte machen können usw.
Verändern wir nun diese zufälligen Parameter, so stellt sich heraus, dass in bestimmten Fällen gerade die Einhaltung der Geschwindigkeitsbegrenzung den Unfall verursacht hätte, während ihre Missachtung ihn verhindert hätte. In unserem Beispiel hätte der Kraftfahrer, wenn er das Rotlicht, die Vorfahrt oder die Geschwindigkeitsbegrenzung respektiert hätte, den Unfall mit dem anderen Verkehrsteilnehmer gerade herbeigeführt, wenn er die Fahrt früher angetreten oder eine Pause nicht gemacht hätte. Für Kollisionen außerhalb des Geltungsbereichs einer Vorfahrtsregelung oder einer Geschwindigkeitsbegrenzung gilt also, dass die Wahrscheinlichkeit des unfallträchtigen Kausalverlaufs gleich bleibt, ob nun die Autofahrer die Regel einhalten oder nicht. Die Einhaltung der Regel bewirkt lediglich, dass die Kollisionen in anderen Fällen stattfinden, nicht aber, dass ihre Zahl reduziert wird. Das ist die deskriptive Bestimmung des Urteils, dass die Norm nicht generell geeignet ist, Schadensverläufe einer bestimmten Art zu verhindern bzw. des Urteils, dass die Verhinderung im Einzelfall nur zufällig wäre. Diese deskriptive Regel können wir auf andere Fälle übertragen, in denen sich die Frage stellt, ob ein Kausalverlauf innerhalb des Schutzzwecks der Norm liegt oder nicht. Mithilfe unseres Begriffs der generellen Eignung der Befolgung einer Sorgfaltsnorm zur Verhinderung eines schädigenden Kausalverlaufs können wir eine weitere Anwendung der Grundformel der Lehre von der objektiven Zurechnung erklären. Hat der Täter einen anderen mit dem Auto angefahren oder gar mit einem Messer in Tötungsabsicht verletzt und kommt das Opfer ins Krankenhaus, wo es bei einem Krankenhausbrand umkommt, so heißt es: Es hat sich nicht das unerlaubte Risiko des Anfahrens oder des Messerstichs realisiert, sondern ein anderes. Aber was heißt, es hat sich das unerlaubte Risiko nicht realisiert, ist doch das Opfer nur deshalb in das Krankenhaus gekommen, weil der Täter es verletzt hat. Nicht nur die Handlung des Täters, sondern auch deren unerlaubte Eigenschaften, die Verursachung einer Verletzung, ist notwendiger Bestandteil der kausalen Erklärung des Todes. Aber das Verbot, einen anderen körperlich zu verletzen, ist nicht generell geeignet, einen solchen Kausalverlauf zu verhindern, denn die Zwischenursache, dass das Opfer sich in einem Haus aufhält, in dem später ein Brand ausbricht, kann auf erlaubte wie auf unerlaubte Weise herbeigeführt werden. In einem Erfolg, der nur durch diesen erlaubten Zustand verursacht wurde, hat sich die
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unerlaubte Gefahr der Handlung, die den erlaubten Zustand verursacht hat, nicht realisiert. Sie realisiert sich nur dann, wenn die sorgfaltswidrige Handlung, der Erfolg durch eine Kette unerlaubter Zustände kausal verknüpft ist. Dieses Zurechnungserfordernis habe ich „Durchgängigkeit des unerlaubten Risikos“ genannt.
IX. Der Umkehrschluss des Reichsgerichts Als Beitrag zur Festschrift für Lackner hatte ich mir vorgenommen, nachzuprüfen, ob der sog. Umkehrschluss des RG ein logisch gültiger Schluss ist. Er wird vor allem angewandt, um die Frage zu entscheiden, ob die irrige Annahme des Täters, einen Straftatbestand zu verwirklichen, einen Versuch oder ein Wahndelikt darstellt. Zu diesem Zweck bildet man den sog. umgekehrten Irrtum, indem man zwischen der Tätervorstellung und der Wirklichkeit die Wahrheitswerte vertauscht. Wäre dann der Vorsatz des Täters ausgeschlossen, so liegt im Ausgangsfall ein umgekehrter Tatbestandsirrtum, also ein Versuch vor. Würde sein Irrtum aber keinen Einfluss auf die Strafbarkeit haben, so wäre es ein sog. Subsumtionsirrtum, im Ausgangsfall also ein sog. umgekehrter Subsumtionsirrtum, der keine Strafbarkeit begründen kann. Üblicherweise wird der Umkehrschluss wie folgt ausgedrückt: Wenn ein Irrtum den Täter entlastet, belastet ihn der umgekehrte, wenn ein Irrtum den Täter nicht belastet, entlastet ihn der umgekehrte nicht. Die Schwierigkeit bei der Anwendung logischer Schlüsse im Recht besteht nicht darin, dass die logischen Formeln, die man dabei braucht, so kompliziert wären. Sie besteht darin, die Prämissen so zu präzisieren, dass man logische Formeln überhaupt auf sie anwenden kann. Was bedeutet also der Ausdruck, ein Irrtum belastet den Täter und was bedeutet der Ausdruck, ein Irrtum entlastet ihn? Die Kenntnis der Umstände, die zum gesetzlichen Tatbestand gehören, ist zwar eine notwendige Voraussetzung der Strafbarkeit wegen eines Vorsatzdelikts, aber keine hinreichende. Aus der Feststellung, dass diese Voraussetzung erfüllt ist, lässt sich also kein zwingender Schluss auf die Rechtsfolge ziehen, sondern nur aus der Feststellung, dass sie nicht erfüllt ist, ein zwingender Schluss auf das Ausbleiben der Rechtsfolge. Sind wir also im Zweifel, ob eine bestimmte Vorstellung des Täters eine notwendige Voraussetzung für seine Strafbarkeit wegen Versuchs ist, ein sog. umgekehrter Tatbestandsirrtum, so bilden wir den Hilfsfall, dass dem Täter diese Vorstellung fehlt. Ergibt sich in diesem Hilfsfall der Ausschluss der Strafbarkeit, so liegt im Ausgangsfall eine notwendige Voraussetzung der Strafbarkeit vor, der Irrtum belastet den Täter. Die logische Formel, die dem zugrunde liegt, ist die Kontraposition. Sie besagt in Worten ausgedrückt: Wenn eine Tatsache eine notwendige Bedingung für eine Folge ist, so ist das Fehlen dieser Tatsache eine hinreichende Bedingung für deren Ausbleiben. Der Umkehrschluss des Reichsgerichts ist also
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logisch gültig. Auch dieses Ergebnis habe ich in der Festschrift für Lackner noch viel zu umständlich dargestellt. In späteren Aufsätzen und auch im NK habe ich es viel einfacher gemacht. Aufgegriffen wurde diese logische Fundierung des Umkehrschlusses des RG dennoch nicht. Seine Befürworter meinen offenbar, sie gar nicht nötig zu haben und seine Gegner argumentieren damit, dass die Logik bloß „formal“ ist, während es im Recht doch auf den Inhalt ankommt. Der Umkehrschluss sei deshalb falsch, weil er die Strafbarkeit des untauglichen Versuchs begründe, die abzulehnen sei. Aber aus dem Umkehrschluss ist nicht ableitbar, dass der untaugliche Versuch strafbar ist, denn dieser Schluss begründet nur, dass eine bestimmte Vorstellung des Täters eine notwendige Bedingung seiner Strafbarkeit nach einem Tatbestand ist. Er sagt nichts darüber aus, welche Bedingungen außerdem noch notwendig sind. Man kann einem logischen Argument nichts Schlimmeres antun, als zu behaupten, es sei etwas aus ihm ableitbar, was in Wahrheit gar nicht aus ihm ableitbar ist. Unter der Voraussetzung, dass jedes allgemeine Verbrechenselement eine notwendige Bedingung der Strafbarkeit ist, lässt sich zeigen, dass die sog. strenge Schuldtheorie logisch nicht vereinbar ist mit dem Erfordernis des subjektiven Rechtfertigungselements. Wird der Täter, sei es wegen Versuchs oder gar wegen Vollendung, bestraft, sofern er sich der rechtfertigenden objektiven Tatsachen nicht bewusst ist, so ist das Fehlen dieses Bewusstseins eine notwendige Bedingung der Strafbarkeit. Das schließt es aus, auch dann zu bestrafen, wenn der Täter dieses Bewusstsein hat, auch wenn es ein irriges ist. Wer mit einem Ergebnis nicht einverstanden ist, das aus anerkannten Prämissen logisch ableitbar ist, für den ist es nicht damit getan, auf den bloß formalen Charakter der Logik hinzuweisen, er muss eine dieser Prämissen aufgeben.
X. Tatbestandsirrtum Trotzdem wollte ich mich nicht mit dem bloß formalen Charakter der Logik begnügen, sondern den Tatbestandsirrtum inhaltlich bestimmen. Auf die Frage, was der Täter wissen bzw. sich vorstellen muss, um vorsätzlich zu handeln, gibt es eine einfache Antwort: Er muss sich vorstellen, dass er den Tatbestand wahr macht, dass also diejenigen Tatsachen gegeben sind, die einen Einzelfall des Tatbestandes ausmachen. Das sind, wie das Gesetz sich ausdrückt, die Umstände, die zum gesetzlichen Tatbestand gehören. Wie man vom abstrakten Tatbestand zu dem einzelnen Fall einer Tatbestandsverwirklichung gelangt, hatte ich ja bereits bei meinen Studien zu den Konkurrenzen gelernt. Dazu braucht man keine sog. Lebenskonkreta, man muss nur wissen, das man die Tatsachen wahr macht, die der Tatbestand beschreibt. Damit erledigt sich die Rechtsfigur der aberratio ictus und
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ihre so problematische Unterscheidung vom error in objecto. Das gleiche gilt für das Problem des sog. Doppelirrtums. Wer sich ein Mauswiesel aneignet, hat den Vorsatz der Wilderei, wenn er weiß, dass dieses Tier dem Jagdrecht unterliegt. Ob er das Tier als Mauswiesel erkennt oder für eine Maus hält, ist dafür völlig irrelevant. Der unbeachtliche Subsumtionsirrtum besteht darin, dass der Täter sich diese Tatsachen in anderen Worten vorstellt als denen des Tatbestandes. Die h. L. unterscheidet drei Arten von Tatbestandsmerkmalen, die natürlichen, die naturgegebene Tatsachen beschreiben, die institutionellen, die vorwiegend Rechtsverhältnisse beschreiben und wertende Merkmale, die sich auf Tatsachen beziehen. Für die ersten beiden Merkmalsarten gilt, dass der Täter wissen muss, dass sie erfüllt sind. Bei den tatbewertenden Merkmalen muss er nur die Tatsachen kennen, durch die sie erfüllt sind, die Wertung braucht er nicht nachzuvollziehen.
Von den natürlichen Merkmalen wird gelehrt, dass man allein durch sinnliche Wahrnehmung ohne einen „Akt geistigen Verstehens“ feststellen könne, ob sie im Einzelfall erfüllt sind. Aber Anschauung ohne Begriffe ist blind. Das weiß man seit Kant und die Wahrnehmungspsychologie hat es experimentell bestätigt. Nicht nur um beispielsweise zu entscheiden, ob das deskriptive Merkmal „ionisierende Strahlen“ in § 311 StGB erfüllt ist, braucht man eine ganze Menge geistiges Verstehen. Allein durch sinnliche Wahrnehmung ohne geistiges Verstehen kann man nicht die einfachste Tatsache erkennen. Für die institutionellen (die sog. normativen) Tatbestandsmerkmale geht denn auch die h. L. davon aus, dass zur Feststellung ihrer Erfüllung im Einzelfall ein „Akt geistigen Verstehens“ erforderlich ist. Aber die Juristen trauen den Laien dieses geistige Verstehen nicht so richtig zu und begnügen sich daher mit einer ungefähren Vorstellung darüber, dass das tatbestandsmäßige Recht oder Rechtsverhältnis vorliegt, einer sog. Parallelwertung in der Laiensphäre. Die Formel von der Parallelwertung in der Laiensphäre ist ein Produkt juristischer Überheblichkeit. Die einfachen Rechtsbegriffe, die im Strafgesetzbuch auftreten, verstehen die meisten, jedenfalls wenn sie geschäftsfähig sind. Und wenn der Täter ein solches Merkmal nicht versteht, hilft auch keine Parallelwertung in der Laiensphäre. Der Wanderer, der eine Abwurfstange mitnimmt, ohne zu wissen, dass sie dem Jagdrecht unterliegt, hat nicht den Vorsatz, eine Wilderei zu begehen.
Für die sog. deskriptiven und die sog. normativen Tatbestandsmerkmale gilt also gleichermaßen, dass der Täter wissen muss, dass sie erfüllt sind. Dazu ist es nicht notwendig, dass er die im Recht gebräuchliche Definition des Merkmals kennt, es genügt, dass er einen Spezialbegriff kennt, der die Bedeutung des Merkmals ent-
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hält. Wer einen erwachsenen Mann angreift, weiß, dass er einen Menschen körperlich verletzt, auch wenn er nicht weiß, dass im Strafrecht das Leben des Menschen mit dem Beginn der Geburt anfängt. Die Kundin, die im Geschäft ein Preisschild austauscht, weiß, dass sie ein Kaufangebot verfälscht. Das ist ein Sonderfall einer Erklärung im Rechtsverkehr, also weiß die Frau, dass sie eine Urkunde verfälscht, auch wenn sie das nicht so nennen würde.
XI. Vorsatz und Wille Natürlich habe ich mich auch mit dem sog. Willenselement des Vorsatzes auseinandergesetzt. Einen Willen zum Erfolg in psychologischem Sinne gibt es nur bei der Absicht. Schon beim sog. dolus directus zweiten Grades – mit dieser merkwürdigen Bezeichnung meint man nichts anderes, als den alten dolus indirectus – wird der Wille zum Erfolg, sofern er überhaupt noch verlangt wird, dem Täter zugeschrieben. Wer ein Ziel anstrebt, von dem er weiß, dass mit seiner Erreichung der Eintritt des Erfolges notwendig oder nahezu notwendig verbunden ist, kann sich vernünftigerweise nicht damit entlasten, dass er den Erfolg nicht gewollt habe. Auch das billigende Inkaufnehmen als Erfordernis des dolus eventualis ist nur als Zuschreibung sinnvoll. Die Lehre ist sich darüber, im Gegensatz zur Rechtsprechung, heute weitgehend einig. Der Täter, der sein Opfer einer Lebensgefahr aussetzt, hat es gar nicht nötig, bevor er zuschlägt, zutritt oder zusticht, eine Entscheidung darüber zu fällen, ob er den Todeserfolg billigend in Kauf nehmen oder doch lieber ernsthaft und nicht nur vage darauf vertrauen will, dass er diesmal nicht eintreten wird. Aber eine Zuschreibung muss, zumal wenn sie von Rechts wegen erfolgt, nach Regeln erfolgen. Das Verhalten des Täters wird dahin interpretiert, dass er den Erfolg billigend in Kauf genommen hat, wenn ein vernünftiger Mensch an seiner Stelle die Gefahr nicht hätte schaffen können, ohne den Erfolg in Kauf zu nehmen, sog. Vorsatzgefahr.
XII. Die limitierte Akzessorietät Mir fiel dann auch die Kommentierung von § 28 und § 29 im Nomos Kommentar zu. Dabei war es mein Anliegen, die Interpretation der Tatbestände des Besonderen Teils dem Prinzip der limitierten Akzessorietät unterzuordnen und nicht umgekehrt. Daraus ergibt sich zunächst, dass es keine strafbegründenden reinen Schuldmerkmale geben kann. Abgesehen davon, dass es ohnehin illegitim wäre, wenn der Gesetzgeber ein Unrecht, das er nicht für schwer genug hält, um strafbar zu sein, gleichwohl dann unter Strafe stellt, wenn ein besonderes persönliches Schuldmerkmal hinzukommt, passen strafbegründende Schuldmerkmale nicht in das Konzept der limitierten Akzessorietät. Erfüllt sie der Täter und der Teil-
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nehmer nicht, so müsste nach § 28 Abs. 1 der Teilnehmer gleichwohl, wenn auch milder, bestraft werden. Die Schuld des Täters müsste ihm also zugerechnet werden, was dem Prinzip der limitierten Akzessorietät widerspricht. Erfüllt es der Teilnehmer und der Täter nicht, so könnte gemäß der limitieren Akzessorietät der Teilnehmer zwar nach § 29 bestraft werden, das würde aber dem Prinzip widersprechen, dass die Strafbarkeit eines Teilnehmers eine tatbestandsmäßige Haupttat voraussetzt. Man muss also die Tatbestände des Besonderen Teils so interpretieren, dass sie keine strafbegründenden Schuldmerkmale enthalten. Bei den Schuldmerkmalen des Mordtatbestandes ist das Problem leicht zu lösen, indem man sie mit der ganz h. L. als strafschärfend ansieht. Sie sind die praktisch wichtigsten Fälle des § 28 Abs. 2. Aber es gibt ja auch noch einige wenige andere Merkmale, die als strafbegründende Schuldmerkmale interpretiert werden, etwa die Böswilligkeit in § 90a und § 225 oder die Rücksichtslosigkeit in § 315c. Diese Merkmale sind also so zu interpretieren, dass sie nicht die Gesinnung oder den Charakter des Täters beschreiben, sondern die Krassheit des Unrechts seiner Tat.
Als besondere persönliche Merkmale i. S. v. § 28 Abs. 1 verbleiben die Pflichtstellungen bei den Sonderdelikten. Es bedarf der Rechtfertigung, dass der extraneus, der sich an einer Pflichtverletzung des intraneus beteiligt, überhaupt nach dem Pflichtdelikt bestraft werden kann, obwohl ihn selbst die verletzte Pflicht gar nicht trifft, so dass er als Täter das Pflichtdelikt gar nicht begehen kann. Eine solche Rechtfertigung liefert weder das Bedürfnis, vorausgesetzte Strafbarkeitslücken zu schließen, noch die historische Reminiszenz, dass der extraneus, der sich an einem Sonderdelikt beteiligt, früher ohne jede Strafmilderung nach dem Tatbestand des Sonderdelikts bestraft wurde. Die Pflichtverletzung des intraneus besitzt eine Doppelnatur. Als Vertrauensbruch erhöht sie die Schuld, als Machtmissbrauch das Unrecht. Die Pflichtenstellung eröffnet dem intraneus Möglichkeiten, das geschützte Rechtsgut in einer Weise zu verletzen, wie es der extraneus gar nicht kann, aber der extraneus kann sich einen Zugang zu dieser Machtstellung verschaffen, indem er mit einem intraneus zusammenarbeitet. Dies ist die Rechtfertigung für die semiakzessorische Zurechnung der Tatbestandsverwirklichung eines Sonderdelikts zum beteiligten extraneus.
XIII. Zwei Bücher Aus einer Aufsatzreihe, in der ich meine Lehre von der objektiven Zurechnung anhand höchstrichterlicher Entscheidungen dargestellt habe, entwickelte sich mein Lehrbuch des Allgemeinen Teils des Strafrechts. Die Probleme werden ausschließlich anhand höchstrichterlicher Entscheidungen behandelt. Zu Beginn werden die maßgeblichen Sätze der Entscheidungsbegründung zitiert, anschlie-
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ßend werden sie kritisch analysiert. In den Anfängerlehrbüchern werden die Rechtsfragen notwendig an simplen Beispielen veranschaulicht. Ich wollte sie so demonstrieren, wie sie in der Rechtsprechung tatsächlich aufgetreten sind. Meine Hoffnung, auf diese Weise auch eine Diskussion mit der Rechtsprechung anzuregen, hat sich freilich nicht erfüllt. Das Buch liegt inzwischen in der 4. Auflage vor, ein Teil davon ist ins Spanische übersetzt worden, das gesamte Buch wird zurzeit ins Chinesische übersetzt. Mein wohl erfolgreichstes Buch, die „Kleine Schule des juristischen Denkens“, habe ich erst nach meiner Pensionierung verfasst. Auch sie ist in 4. Auflage erschienen und ins Chinesische übersetzt worden. Ich habe dieses Buch vor allem geschrieben, um die Erkenntnisse der modernen und der klassischen Methodenlehre der Rechtswissenschaft auf den Boden der praktischen Rechtsanwendung herunter zu holen und so die Leser zu befähigen, diese Methoden bewusster, wenn nötig auch kritischer, aber vor allem besser anzuwenden. Dabei habe ich auch versucht, die sprachphilosophischen Erkenntnisse, die die Methodenlehre aufgegriffen hat, für die praktische Rechtsanwendung fruchtbar zu machen. Die Methodenlehre der Rechtswissenschaft hat in den letzten 50 Jahren viele Anregungen, aber auch Problemstellungen aus der allgemeinen Philosophie aufgegriffen, weniger aus der Rechtsphilosophie, als vielmehr aus der Sprachphilosophie, der Metaethik, der Hermeneutik und der Diskurstheorie. Das ist sicher zu begrüßen. Es hat aber auch dazu geführt, dass die Diskussionen um die Methoden der Rechtswissenschaft und Rechtsanwendung sich heute auf einer sehr hohen und abstrakten Ebene bewegen. Auch hat die Übernahme gewisser radikaler erkenntnistheoretischer und sprachtheoretischer Positionen zu einer manchmal selbstzerstörerischen Kritik der Methoden der Rechtswissenschaft geführt, durch die diesen Methoden am Ende jeder Erkenntniswert abgesprochen und alles dem Gutdünken des jeweils entscheidenden Richters anheimgegeben wurde. Damit ist weder dem praktisch tätigen Juristen noch gar dem angehenden Juristen gedient. Statt die Methoden der Rechtswissenschaft und Rechtsanwendung, beispielsweise die Systembildung und die viel gescholtene Begriffsjurisprudenz, im Ganzen zu verwerfen, weil sie manchen theoretischen Ansprüchen, die einmal an sie gestellt wurden, nicht genügen, ist es besser und nützlicher, diese Ansprüche auf ein vernünftiges Maß zurückzustecken und zu sehen, was diese Methoden dennoch für die Rechtsanwendung leisten können. Eine solche Wende zum Besseren zeichnet sich in der Methodenlehre bereits ab, etwa in der Diskussion um die Subsumtion. Aber die angehenden Juristen können nicht so lange warten, bis sich diese Tendenzwende durchgesetzt hat.
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XIV. Das große Missverständnis der normativistischen Strafrechtsdogmatik Ich bin am Ende meines Berichts, in dem ich Rechenschaft abgelegt habe, nicht nur über die Ergebnisse meiner wissenschaftlichen Arbeit und darüber, wie sie miteinander zusammenhängen, sondern auch darüber, was ich mir unter wissenschaftlichem Arbeiten auf dem Gebiete des Strafrechts vorstelle. Das ist weit von dem entfernt, was heute in der Strafrechtswissenschaft modern ist. Die moderne Strafrechtswissenschaft hat ihre Wurzeln in der richtigen Erkenntnis, dass uns das Leben, die Natur oder die natürliche Betrachtungsweise nicht die Begriffe und Tatsachen vorgibt, auf die es im Recht ankommen sollte. Wir müssen diese Begriffe selbst bilden und die Tatsachen selbst konstituieren. Dabei gilt aber nicht das definitorische Belieben, das gilt nur für theoretische Wissenschaften, nicht für praktische. Unsere Festsetzung von Begriffen, Unterscheidungen und Tatsachen bedarf vielmehr der Rechtfertigung und diese kann nur normativ sein. Das bedeutet, sie müssen durch die Ergebnisse gerechtfertigt sein, zu denen ihre Anwendung im Recht führt. Daraus ziehen nun sowohl die höchsten Gerichte als auch viele Rechtswissenschaftler die Konsequenz, dass ihre Aufgabe erfüllt ist, wenn sie zur Entscheidung von Rechtsfragen Wertungsformeln aufgestellt haben, um Tatsachen brauche man sich nicht zu kümmern. Die Entwicklung der modernen Lehre von der objektiven Zurechnung ist dafür ein anschauliches Beispiel. Aber wenn man eine Wertungsformel aufgestellt hat oder zum Ausdruck gebracht hat, dass eine Rechtsfrage wertend zu entscheiden ist oder ein Begriff normativ zu bestimmen ist, ist die Arbeit des Rechtswissenschaftlers nicht beendet, sie fängt erst an. Ich kann eine Wertung nur verstehen, wenn ich weiß, welche Tatsachen der Sprecher im Sinne dieses Prädikats bewertet. Ohne die Bezugstatsachen haben Wertaussagen keinen Sinn. Ich kann sie nicht nur nicht nachvollziehen und überprüfen, sondern auch nicht kritisieren. So immunisiert sich die moderne sog. Wertungsjurisprudenz und vor allem die höchstrichterliche Praxis gegen Kritik. Aus der Erkenntnis, dass uns die Natur oder das Leben keine fertigen Begriffe liefert, müssen wir die Konsequenz ziehen, den deskriptiven Begriffen, die wir im Recht anwenden, die größte Aufmerksamkeit und Sorgfalt zuzuwenden. Auch wenn diese Begriffe, wie alle Begriffe der natürlichen Sprache, nicht exakt sein können, so sollten sie doch klar sein. Um diese Klarheit habe ich mich in meiner wissenschaftlichen Arbeit bemüht. Das Ideal wissenschaftlicher Bearbeitung von Wertungsbegriffen und Wertungsaussagen wäre erreicht, wenn sie vollständig
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durch deskriptive Begriffe und Aussagen ersetzt wären. Ideale sind nicht zu erreichen. Anstreben soll man sie trotzdem. In der heutigen Strafrechtswissenschaft hält man ein Einzelergebnis dadurch für am tiefsten und festesten gegründet, dass man behauptet, es beruhe unmittelbar auf den höchsten Prinzipien des Rechts, auf der Verfassung, dem Rechtsstaat und vor allem auf dem Sinn und Zweck der Strafe. Darunter versteht man heute im Allgemeinen die sog. positive Generalprävention. Danach ist es der Sinn und Zweck der Strafe, die Geltung der durch die Tat desavouierten Norm wieder herzustellen. Man kann nun spekulative Behauptungen darüber aufstellen, ob das Verhalten eines Täters die Norm mehr oder weniger desavouiert als das eines anderen und danach die Unterscheidung treffen, z. B. zwischen Vorsatz und Fahrlässigkeit oder zwischen Mittäterschaft und Beihilfe.
Die Behauptung, dass nur der eigene Rechtsstandpunkt mit den höchsten Prinzipien des Strafrechts vereinbar ist, würde man nur relativieren, wenn man sich noch mit anderen Standpunkten inhaltlich auseinanderzusetzen würde. Es genügt klar zu stellen, welche von ihnen Zustimmung verdienen, weil sie der eigenen Ansicht nahe stehen und welche Ablehnung, weil sie ihr fernstehen. Der Einfachheit halber erteilt man jeder Rechtsansicht die verdiente Zensur, bevor man sie darstellt: „Wie X zu Recht aufgezeigt hat“ oder „nicht überzeugend ist die These von Y“. Dann ist der Leser, ebenso wie der Autor, weiteren Nachdenkens über die betreffende Rechtsansicht enthoben. Aber man kann ja trotzdem noch das ein oder andere Ablehnungsargument nachschieben, der Auslegungsvorschlag sei zu weit, zu eng, mit dem Gesetzeswortlaut nicht vereinbar oder zu unbestimmt. Ehe man die Feder in die Hand nimmt, sollte man sich doch fragen, ob man auch dem Leser etwas zu sagen hat, der nicht schon ohnehin der eigenen Meinung ist. Ehe man einer anderen Ansicht einen Vorwurf macht, sollte man prüfen, ob dieser nicht mindestens in gleichem Maße und mit dem gleichen Recht der eigenen Meinung gemacht werden könnte.
Schriftenverzeichnis (in Auswahl) 1. Selbständiges Schrifttum Die Fälschung technischer Aufzeichnungen, 1972. Idealkonkurrenz und Einzelverbrechen, 1979. Vorsatz und Zurechnung, 1992. Die Erfolgszurechnung im Strafrecht, 2000.
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La imputación objetiva (Übersetzung ins Spanische durch Percy García Cavero), 2001. La imputación del Resultado en Derecho Penal (Übersetzung ins Spanische durch Percy García Cavero), 2003. Strafrecht Allgemeiner Teil im Spiegel der Rechtsprechung, 4. Aufl. 2019 (Übersetzung ins Chinesische in Vorbereitung). Strafrechtsdogmatische Analysen (Aufsatzsammlung), 2006. Kleine Schule des juristischen Denkens (Übersetzung ins Chinesische durch Sheng-wei Tsai), 4. Aufl. 2019. El Derecho penal como ciencia, 2014 (Aufsatzsammlung). Estudos sobre imputação objetiva e subjetiva no direito penal, 2018 (Aufsatzsammlung).
2. Kommentierungen Strafgesetzbuch, Nomos-Kommentar, Vor § 13, 5. Aufl. 2017. Strafgesetzbuch, Nomos-Kommentar, § 15, 5. Aufl. 2017. A distinção entre, Dolo e Culpa, Tradução, introdução e notas (Übersetzung ins Portugiesische durch Luís Greco), 2004. La distinción entre dolo e imprudencia; Comentario al § 15 del Codigo Penal alemán (Übersetzung ins Spanische durch Marcello A. Sancinetti), 2010. Strafgesetzbuch, Nomos-Kommentar, § 16, §§ 28, 29, Vor § 52, § 52, §§ 146 ff., §§ 267 ff., § 348, 5. Aufl. 2017.
Strafgesetzbuch, Nomos-Kommentar, §§ 146 ff., §§ 267 ff., § 348, 5. Aufl. 2017, fortgeführt von Kay Schumann.
3. Aufsätze in Zeitschriften und Sammelwerken Die Norm des Vollrauschtatbestandes, GA 1974, S. 98–115. Grundsätze der actio libera in causa, JuS 1980, S. 346–350. Der Erfolg und seine kausale Erklärung im Strafrecht, ZStW 92 (1980), S. 863– 911. El resultado y su explicación causal en Derecho penal (Übersetzung ins Spanische durch Marcelo D. Lerman und Marcelo A. Sancinetti), in: InDret 4 (2008);
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danach auch in: Sancinetti, Marcello A. (Hrsg.), Causalidad, riesgo e imputación, 2009, S. 245–298. Zur Revision der Lehre vom „konkreten“ Vorsatz und der Beachtlichkeit der aberratio ictus (Übersetzung ins Japanische durch Osamu Sakuma), GA 1981, S. 1–20. Funktion und Konstitution der ungleichartigen Idealkonkurrenz, GA 1982, S. 143–165. Der objektive Tatbestand der Anstiftung (Übersetzung ins Japanische durch Osamu Sakuma), GA 1984, S. 101–123. Die logische Tragweite des sog. Umkehrschlusses, in: Festschrift für Karl Lackner, 1987, S. 199–247. Die Beziehung zwischen Sorgfaltswidrigkeit und Erfolg bei den Fahrlässigkeitsdelikten, ZStW 99 (1987), S. 595–616. Tatirrtum, Rechtsirrtum, Subsumtionsirrtum, GA 1990, S. 145–182. Error de hecho. Error de derecho, error de subsunción (Übersetzung ins Spanische durch Manuel Cancio Meliá und Gustavo Bruzzone), in: Cuadernos de politica criminal 47 (1992), S. 349–392; sowie in: Revista Brasileira de Ciências Criminais 51 (2004), S. 132–189. Kausalität: Ein Versuch, kriminalistisch zu denken, SchwZStR 1990, S. 141– 153. Causalidad (Übersetzung ins Spanische durch Jesus-Maria Silva Sánchez), in: Anuario de derecho penal y ciencias penales, 45 (1992), S. 681–694; Revista Juridica de Buenos Aires, 1992, S. 35–51; sowie in Cuadernos de análisis jurídico, 1993, S. 29–41. Die verschuldeten Folgen der Tat als Strafzumessungsgründe, in: Festschrift für Günter Spendel, 1992, S. 451–468. Zur Struktur der Rechtfertigung, in: Festschrift für Walter Stree und Johannes Wessels, 1993, S. 183–202. „Naturgesetze“ vor Gericht, JZ 1994, S. 1147–1151. Problemas de Imputación del Resultado en el Ámbito de la Responsabilidad penal por el Producto (Übersetzung ins Spanische durch Sergi Cardenal Montraveta), in: Revista Peruano de Ciencias Penales 20 (2008), S. 371–386. Die Erfolgseinheit, eine verkappte Form der Idealkonkurrenz, in: Festschrift für Georgios Alexandros Mangakis, 1999, S. 225–236 (= ZIS 2007, S. 254–259).
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Urkundenschutz im Computerzeitalter, in: 50 Jahre Bundesgerichtshof – Festgabe aus der Wissenschaft – Bd. 4, 2000, S. 569–592. La Protección De Documentos En La Era De La Informática (Übersetzung ins Spanische durch Carlos Gómez-Jara Díez), in: Revista Peruana De Doctrina Y Jurisprudencia Penales 3 (2002), S. 269–294; Revista Brasileira de Ciências Criminais 63 (2006), S. 156–187. Brauchen wir eine Risikoerhöhungstheorie?, in: Festschrift für Claus Roxin, 2001, S. 289–306. Der gemeinsame Tatplan der Mittäter, in: Festschrift für Dionysios Spinellis, 2001, S. 915–944 (= ZIS 2007, S. 234–246). Die strafrechtliche Verantwortlichkeit des Arztes bei mangelnder Aufklärung über eine Behandlungsalternative, Foundations and Limits of Criminal Law and Criminal Procedure – An Anthology in Memory of Professor Fu-Tseng Hung (Übersetzung ins Chinesische durch Yen-Ching Chao), 2003, S. 301 (= GA 2003, S. 764–776). Die Selbstgefährdung des Verletzten beim Fahrlässigkeitsdelikt, in: Festschrift für Nikolaos K. Androulakis, 2003, S. 555 (= ZIS 2007, S. 247–253). Bemerkungen zum Verbotsirrtum und seiner Vermeidbarkeit, in: Festschrift für Hans-Joachim Rudolphi, 2004, S. 231–242. Wider die fahrlässige Mittäterschaft, GA 2004, S. 129–146. Begriffskonzeptionen des dolus eventualis, GA 2006, S. 65–79. Dolo eventual e culpa consciente (Übersetzung ins Portugiesische durch Luís Greco), in: Revista Brasileira de Ciências Criminais 58 (2006), S. 114–132. Das sog gerechtfertigte Werkzeug, in: Festschrift für Wilfried Küper, 2007, S. 443–454. Der Aufbau des Verbrechens, in: Festschrift für Harro Otto, 2007, S. 389–402. La construcción del delito (Übersetzung ins Spanische durch Diego Leif Guardia), in: Revista de Derecho Penal 2007, Delitos de peligro – I, 2007, S. 61–79. Vorsatz und Rechtsirrtum, in: Festschrift für Rolf Dietrich Herzberg, 2008, S. 275–298. Die Lehre von der objektiven Zurechnung und ihre Anwendung, ZJS 2008, S. 488–496.
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Das „Gremienproblem“, die Kausalität und die Logik. Replik auf Rotsch, ZIS 2018, S. 1–13, ZIS 2018, S. 57–59. Ein mutiger Vorstoß und sein klägliches Ende. Zur neuesten Entwicklung in der Rechtsprechung zum Vermögensbegriff, in: Festschrift für Thomas Fischer, 2018, S. 463–478. Verursachen durch Verhinderung rettender Kausalverläufe und durch Unterlassen, ZIS 2018, S. 484–492. Abschied vom naturalistischen Verbrechensbegriff in der Lehre von den Konkurrenzen. Eine Konkurrenzlehre 2.0, ZStW (2020), S. 1–23 (online erschienen am 18.4.2020).
Ruth Rissing-van Saan
https://doi.org/10.1515/9783110703016-013
Ruth Rissing-van Saan Mein Leben und die Rechtswissenschaft I. Persönlicher Werdegang 1. Ich wurde am 25. Januar 1946 in Neuss am Rhein geboren. Mein Vater Hans van Saan war kaufmännischer Angestellter, meine Mutter war bei der damaligen Reichsbahn angestellt und arbeitete während des 2. Weltkriegs im Schalterdienst. Da sie in den Kriegswirren Ende 1944 als Flakhelferin eingezogen werden sollte, heirateten meine Eltern im November 1944. Mein Vater war niederländischer Staatsangehöriger, so dass meine Mutter nach damaligem Recht durch die Eheschließung ebenfalls die niederländische Staatsangehörigkeit erwarb und damit dem Zugriff der deutschen Behörden entzogen war. Ich war durch die Geburt als Kind niederländischer Eltern ebenfalls zunächst niederländische Staatsangehörige, bis ich 1970 die deutsche Staatsangehörigkeit beantragte und – natürlich nur gegen eine nicht unbeträchtliche Gebühr – auch erhielt. Dies war erforderlich, da in den 1960–70er Jahren für die Zulassung zum Ersten Juristischen Staatsexamen die deutsche Staatsangehörigkeit Voraussetzung war. Bis dahin hatte die Frage meiner Staatsangehörigkeit keine Rolle gespielt. 2. Im Alter von sechs Jahren kam ich in die Grundschule, die damals noch Volksschule hieß. In den Volksschulklassen war die gemeinsame Unterrichtung von Mädchen und Jungen üblich, wohl schon aus Gründen fehlender Räumlichkeiten, da nach meiner Erinnerung in meiner Kindheit zerbombte Häuser und ausgedehnte Trümmergrundstücke in den Innenstädten des Rheinlandes an der Tagesordnung waren. 1956 stand die Frage an, ob und welche weiterführende Schule ich besuchen sollte. Das „Ob“ war wohl relativ schnell gelöst und auch die Frage wohin. Denn in den 50er Jahren des 20. Jahrhunderts war es eigentlich selbstverständlich, dass für Mädchen, die ohnehin heiraten und Kinder bekommen würden, keine akademische, sondern eine allgemeines Wissen sowie auch – allerdings in Grenzen – Sprachen und praktische hauswirtschaftliche Fähigkeiten vermittelnde Ausbildung als das Richtige schien, das auf der Realschule angeboten wurde. Hinzu kam wohl auch der Umstand, dass das damals monatlich zu zahlende Schulgeld für die Realschule 10,– DM und für das Gymnasium 20,– DM betrug, denn meine Eltern waren nicht mit Reichtümern gesegnet. In der Realschule endete für mich die Koedukation. Jungen- und Mädchenrealschule waren in getrennten Neubauten untergebracht, die allerdings auf einem gemeinsamen Areal in einem Neubauwohngebiet lagen. Auch der Lehrkörper der beiden Realschulen war jeweils ein anderer, ich gehe davon aus, dass sich die
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Lehrpläne ebenfalls unterschieden. Ich blieb dann bis 1960 auf der Realschule, wo ich mich recht wohl fühlte, da ich keinerlei schulische Schwierigkeiten hatte und mit vielen Freundinnen und Jugendlichen aus der Nachbarschaft meine reichliche Freizeit – heute unvorstellbar, ohne Fernsehen, Internet und Smartphone – nach eigenen Vorstellungen gestalten konnte. Dies allerdings immer mit dem Einverständnis meiner Eltern, die, da ich keine Geschwister hatte, meine Kontakte zu und Unternehmungen mit Gleichaltrigen in der Regel unterstützt haben. Zuverlässigkeit und gegenseitiges Vertrauen, das nicht missbraucht werden durfte, waren in meinem Elternhaus oberstes Gebot. Während der Obertertia, nach heutiger Zählung der neunten Klasse, wurde meinen Eltern angeboten, mir zusammen mit ein paar Schülern der Jungenrealschule den Übergang auf das Gymnasium zu ermöglichen, meine Eltern waren einverstanden. Dies war allerdings kein einfaches Unterfangen, da sich die Lehrpläne der Gymnasien deutlich von denen der Realschulausbildung unterschieden. Vor allem waren die gleichaltrigen Schüler und Schülerinnen der Gymnasien bereits zwei Jahre im Fach Latein unterrichtet worden, ein Umstand, der dadurch ausgeglichen werden sollte, dass die in die nähere Wahl aufgenommenen fünf oder sechs Jungen und ich als einziges Mädchen auf Kosten der Schulbehörde neben dem eigentlichen Unterricht im Fach Latein unterrichtet wurden. Sehr effektiv war das aber nicht gewesen, wie sich nach meinem Wechsel zu Beginn der zehnten Klasse in die Untersekunda des Mädchengymnasiums Marienberg in Neuss, einer von katholischen Ordensschwestern geleiteten Oberschule für Mädchen – das städtische Mädchengymnasium war noch im Aufbau und bot erst die unteren Klassen an – schnell herausstellte. Auch in anderen, insbesondere naturwissenschaftlichen Fächern waren die Mitschülerinnen weiter, was letztlich in der folgenden elften Klasse (Obersekunda) dazu führte, dass ich diese Klasse wiederholen musste, ein Umstand, der mir und meinem Selbstverständnis einen heftigen Schock versetzte. Auch mein Vater war eigentlich nicht gewillt, mich weiter zur Schule zu schicken, denn den Realabschluss, das sog. ‚Einjährige‘, hat ich ja nach Abschluss der Untersekunda bereits erreicht. Den Lehrern der Schule gelang es jedoch, ihn umzustimmen. In den folgenden drei Schuljahren hatte ich in allen Fächern zunehmend Erfolg und es gelang mir im Februar 1966 ein Abiturabschluss, mit dem ich auch nach heutigen Maßstäben in den meisten Numerus-clausus Fächern der deutschen Universitäten einen Studienplatz bekäme. 3. Bereits vor dem Abitur war für meine Eltern und mich klar, dass ich studieren sollte und auch wollte, die Frage war allerdings, in welcher Fachrichtung das Studium aufgenommen werden sollte. Nach damaligen Vorstellungen, vor allem in einer Klosterschule für Mädchen, war es nahezu selbstverständlich, dass Mädchen den Lehrerberuf anstrebten, wenn sie denn überhaupt studieren wollten.
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Dies lag in Neuss schon deshalb nahe, weil es dort bereits eine Pädagogische Hochschule gab. Die Vorstellung, den Lehrerberuf auszuüben, war für mich jedoch indiskutabel, ich wollte etwas Neues, ganz Anderes machen. Ich hatte genug von der Schule, obwohl ich eine sehr gründliche, vor allem auch Allgemeinbildung umfassende Ausbildung erhalten hatte, die bei mir vielfältige kulturelle Interessen und Neugier auf Neues geweckt hatte. Außerdem war mir in der Schulzeit systematisches Arbeiten und Lernen vermittelt worden, so dass ich gelernt hatte, mich ohne größere Probleme in bis dahin fremde Sachgebiete einzuarbeiten, ein Umstand, der mir anschließend nicht nur im Studium, sondern auch in den Folgejahren bei meinen verschiedenen beruflichen Tätigkeiten sehr zugute kam. Ich hatte mir schon eine ganze Weile vor dem Abitur Gedanken gemacht, was mich als Studienfach interessieren könnte. Da ich mich immer sehr für Geschichte und verschiedene Kulturen interessiert hatte, dachte ich zunächst an Archäologie. Aber dass hätte vorausgesetzt, dass ich noch zwei Altsprachen hätte lernen müssen. Das schien mir nicht sehr verlockend. Außerdem hatte ich mich schon länger gedanklich mit juristischen Berufen befasst und mich mit Hilfe von Zeitungsartikeln, Radio- und Fernsehberichten zu informieren versucht. Zudem hatte ich mehrfach an Gerichtsverhandlungen im Amtsgericht Neuss als Zuhörerin teilgenommen. Recht und Gerechtigkeit zum Sieg zu verhelfen, diese Aussicht hat mich fasziniert. In meiner Familie gab es zwar keinen Juristen, aber trotzdem hatte ich Lust, mich einmal mit Juristerei bzw. der Rechtswissenschaft näher zu befassen, um zu sehen, ob mich diese Materie so interessiert, dass ich daraus einen Beruf machen könnte. Meine Eltern billigten meinen Wunsch, gaben mir aber zu verstehen, dass ich mich nach höchstens zwei Semestern entscheiden müsste, ob mir dieses Studium liegt und Freude macht oder nicht. Wenn nicht, hätte ich noch einmal, aber auch nur noch einmal die Chance, ein anderes Studium oder eine Ausbildung zu versuchen. Diese Wahlmöglichkeit war aber für mich dann später keine Option, denn das Studium der Rechtswissenschaft machte mir von Anfang an Spaß, ich merkte sehr schnell, dass mir diese Fachrichtung sehr lag. Und das lag vermutlich auch an der Wahl der Universität. 4. Ich hatte mich nämlich für die Aufnahme des Studiums an der ersten Neugründung einer Universität in Deutschland nach dem 2. Weltkrieg entschieden, der Ruhr-Universität in Bochum (RUB), die im Sommersemester 1965 in einigen geisteswissenschaftlichen Fächern den Lehrbetrieb aufgenommen hatte, u. a. auch im Fach Jura. Nun war Bochum, wie im übrigen das ganze Ruhrgebiet, Mitte der 1960er-Jahre alles andere als eine durch reizvolle Landschaften, architektonische Schönheit oder eine glanzvolle Geschichte verlockende Gegend. Es konnte weder mit Münster, noch mit Bonn oder Köln oder anderen altehrwürdigen
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Universitäten in diesen Punkten mithalten. Das Ruhrgebiet war noch deutlich von Bergbau, Kohleverarbeitung und Stahlindustrie sowie den dazu gehörigen Industrieanlagen wie zahlreiche Zechen, Hütten, Hochöfen und Walzwerke geprägt. Die Luft war damals – jedenfalls in den Innenstädten – noch meist verschmutzt und grau von den Emissionen der Bergbau- und Industrieanlagen. Die Ruhr-Universität, die außerhalb der Stadt im Grünen liegt, hatte aber einen entscheidenden Vorteil, sie war neu und unverbraucht und hatte so etwas wie Pioniergeist zu bieten. Außerdem war man von Seiten der Politik bemüht, für dieses PrestigeUnternehmen die nötigen Finanzmittel zur Verfügung zu stellen, so dass die Studenten und die Lehrkräfte, was die Ausstattung der Räumlichkeiten und das Lehr- und Lernmaterial betraf, bestens versorgt wurden. Der Umstand, dass das Universitätsgelände – ein mehrere Hektar großes Campusareal im Süden Bochums oberhalb des Ruhrtals gelegen – eine riesige Baustelle war, die im Winter am besten in Gummistiefeln durchquert wurde, konnte die ansonsten positiven Studienbedingungen nur unwesentlich beeinträchtigen. Die im Sommer 1966 ca. 150 Erstsemester Jura-Studenten wurden von überwiegend jungen und engagierten Professoren unterrichtet, der Lehrstoff der Vorlesungen wurde in maximal 20 Studenten umfassenden AG’s von Assistenten vor- und nachbereitet, die Seminarbibliothek bot genügend Arbeitsplätze usw. Es waren tatsächlich hervorragende Arbeitsbedingungen, die ich später nirgendwo mehr angetroffen habe. Ich hatte außerdem Glück, dass ich ein Zimmer in einem kleineren, von einer katholischen Frauenorganisation geführten, aber international ausgerichteten Studentenheim, dem Hegge-Kolleg, beziehen konnte, das in einem Wohnviertel im Süden von Bochum gelegen war und auch heute noch existiert, allerdings in anderer Trägerschaft. Das Studentenheim bot nicht nur eine angenehme persönliche Wohnatmosphäre, sondern hatte den Vorteil, nicht allzu weit von dem bereits genutzten Universitätsgelände entfernt zu liegen, so dass die Lehrveranstaltungen usw. auch ohne Auto mit dem Fahrrad oder zu Fuß gut zu erreichen waren, denn der öffentliche Nahverkehr – es gab eine halbstündlich verkehrende Buslinie – zur Universität war erst noch im Aufbau begriffen. Die Studienordnung der RUB im Fachbereich Rechtswissenschaften sah damals vor, dass in den ersten zwei Semestern noch keine „Scheine“ erworben werden konnten, sondern für die Teilnahme an den entsprechenden Vorlesungen in den einzelnen Fächern mit Klausuren und Hausarbeiten war das Bestehen einer sog. Zwischenprüfung nach dem zweiten Semester Voraussetzung, die für mich im Sommersemester 1967 anstand. Die Zwischenprüfung, in der überwiegend Wissen aus den Fachgebieten Öffentliches Recht, Zivilrecht und Strafrecht abgefragt wurde, aber auch kleine Fälle gelöst werden mussten, habe ich ohne Schwierigkeiten bestanden.
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5. Anschließend habe ich die Universität gewechselt und bin nach Freiburg gegangen, wo ich für zwei Semester, also im Wintersemester 1967/68 und im Sommersemester 1968, das Jurastudium fortgeführt habe. Ich hatte mir Freiburg im Breisgau bewusst als „Kontrastprogramm“ zu Bochum ausgesucht, eben weil es eine altehrwürdige Universität besaß, mit einer auch international anerkannten rechtswissenschaftlichen Fakultät, und zudem in einer wunderschönen Landschaft gelegen ist. Freiburg hatte allerdings auch kulturelle, kulinarische und landschaftliche Vorzüge zu bieten, die ich ebenfalls sehr schätzen lernte und immer noch schätze, denn Freiburg ist für mich auch heute noch immer eine Reise wert. Trotzdem ging ich nach zwei Semestern zurück nach Bochum und setzte ab dem Wintersemester 1968/69 mein Studium an der Ruhr-Universität fort, zum einen, weil ich davon ausging, dort mein Studium zügiger zu beenden, weil die Vorzüge Freiburgs auch die Gefahr nachhaltiger Ablenkungen vom Lehr- und Lernbetrieb der Universität bedeuteten. Zum anderen hatte ich schon vorher in Bochum meinen späteren Ehemann kennen gelernt, was natürlich eine zusätzliche Motivation war, in das landschaftlich weniger verlockende Ruhrgebiet zurückzukehren. Ich bekam auch wieder im Studentenheim Hegge-Kolleg einen Wohnplatz, das inzwischen durch zwei Neubauten erweitert worden war, so dass ich ohne äußere Beeinträchtigungen das Studium ungestört weiterführen und beenden konnte. Das war schon deshalb nicht unwichtig, weil die Universitäten wie die gesamten gesellschaftlichen Strukturen der 1960er-Jahre in das Kreuzfeuer der studentischen Proteste gegen den Vietnam-Krieg usw. geraten waren und unruhige Zeiten erlebten. Diese eskalierten nach dem Tod von Benno Ohnesorg durch Schüsse aus einer Polizeiwaffe bei Protestmärschen im Zusammenhang mit dem SchahBesuch 1967 in Berlin. Innerhalb der Studentenschaft fanden durch die sog. 68er-Bewegung revolutionäre Tendenzen viele Anhänger, die dafür sorgten, dass ungestörte Lehrveranstaltungen – Motto: „Unter den Talaren Muff von tausend Jahren“, den es zu vertreiben galt – keine Selbstverständlichkeit mehr waren. Tatsächlich waren dies Anfänge einer sich anschließend entwickelnden liberaleren und moderneren Lehr- und Lernkultur an den Universitäten, die offener und toleranter mit neuen Ideen und Impulsen aus fremden Kulturen umging, eine Entwicklung, die sich in den gegenwärtigen Zeiten in unserer Gesellschaft offenbar wieder in ihr Gegenteil verkehrt: Intoleranz, Verleumdung und Hass gewinnen mehr und mehr die Oberhand und drohen in Gewalt auszuarten. Eine beunruhigende Entwicklung. Nach meiner Rückkehr an die Ruhr-Universität Bochum habe ich mein Studium zielstrebig weiter betrieben. Ich habe die erforderlichen Übungsscheine erworben, an öffentlich-rechtlichen und strafrechtlichen Seminaren teilgenommen und
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eine Stelle zunächst als studentische, dann später als Wissenschaftliche Hilfskraft am Lehrstuhl für Straf- und Strafprozessrecht von Prof. Dr. Gerd Geilen angenommen, die dieser mir nach einer von ihm durchgeführten Übung im Strafrecht für Fortgeschrittene angeboten hatte. Mich hatten zwar immer alle Rechtsgebiete interessiert, aber beim Strafrecht als Schwerpunkt bin ich letztlich geblieben, wohl auch weil mein akademischer Lehrer, so kann ich Prof. Dr. Geilen ohne Übertreibung nennen, eine besondere Begabung hatte, junge Menschen für das Strafrecht zu interessieren. Im Laufe der Zusammenarbeit mit ihm habe ich vor allem seinen messerscharfen Intellekt und seine feinsinnige humorvolle Art, dogmatische strafrechtliche Probleme zu sezieren und mit neuen Ideen angereichert wieder zusammenzufügen, geschätzt. Er hatte sich schon in den 1970erJahren intensiv mit strafrechtlich/medizinischen Problemen der Euthanasie (heute Sterbehilfe) und anderen medizinrechtlichen oder ethischen Themen sowie Fragen der Selbstbestimmung am Lebensende befasst, Themen, die gegenwärtig wieder mehr als aktuell sind und auch meine beruflichen Tätigkeiten und wissenschaftlichen Arbeiten in den letzten elf Jahren geprägt haben. 6. Mein Studium habe ich nach sieben Semestern – Bachelor und Masterabschlüsse gab es noch nicht – mit dem beim OLG Hamm abgelegten Ersten Juristischen Staatsexamen am 29.5.1970 abgeschlossen. Da ich eine volle juristische Ausbildung absolvieren wollte mit dem Ziel, Richterin zu werden, hatte ich mich für die Referendarausbildung in der nordrhein-westfälischen Justiz beworben und war angenommen worden, eine Referendarstelle wurde mir am LG Bochum zugewiesen. Damit hatte ich Glück, weil ich keine Wohnsitzprobleme bekam, als ich im Oktober 1971 heiratete. Mein Ehemann hatte eine Stelle als Lehrer an einer berufsbildenden Schule in Bochum angetreten und wollte, so wie ich, gerne in Bochum bleiben, so dass wir beide in Bochum auch beruflich endgültig Fuß fassen konnten. Wir zogen wegen der Nähe zur Universität in eine Mietwohnung in Bochum-Stiepel, einem südlichen, an das Ruhrtal angrenzenden Bochumer Ortsteil, der auch schon damals zur Innenstadt verkehrstechnisch gut angebunden war. Heute ist er ein als Wohngebiet sehr begehrter Ortsteil, nicht nur wegen seiner Nähe zur Universität, sondern auch weil mit dem Ende der 1970erJahre im Ruhrtal fertig gestellten Kemnader Stausee ein schnell zu erreichendes großes Naherholungsgebiet entstand.
II. Berufliche Stationen in der Tatsacheninstanz 1. Nach dem Ersten Juristischen Staatsexamen habe ich am 1.7.1970 die weitere dreijährige Ausbildung als Rechtsreferendarin beim Landgericht Bochum begonnen, wo ich neben den obligatorischen zivilrechtlichen, strafrechtlichen und öf-
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fentlich-rechtlichen Referendararbeitsgemeinschaften die üblichen praktischen Referendarstationen beim Land- und Amtsgericht, bei der Staatsanwaltschaft, in der Verwaltung und in einem Rechtsanwaltsbüro absolviert habe. Unterbrochen habe ich diese Ausbildung jedoch für die Zeit vom 1.11.1971–31.1.1973 für einen Exkurs in die akademische Welt der Ruhr-Universität Bochum. Prof. Dr. Gerd Geilen hatte mir nämlich nicht nur eine Promotion zu dem Thema Privatsphäre und Datenverarbeitung unter seiner Betreuung angeboten, sondern auch eine Stelle als Wissenschaftliche Assistentin (m.d.V.b.) an seinem Lehrstuhl, damit ich den universitären Lehrbetrieb kennen lernen konnte, aber auch Zeit hatte, mich mit der gebotenen Sorgfalt meiner Doktorarbeit zu widmen. Beide Angebote habe ich sehr gerne angenommen. Meine Unterbrechung der Referendarausbildung zu diesem Zweck wurde vom Justizministerium genehmigt, so dass ich mich voll und ganz der Arbeit am Lehrstuhl Geilen und meiner Dissertation widmen konnte. Diese Zeit an der Universität war für mich sehr wichtig und auch prägend für meine spätere berufliche Befassung mit Recht und Gesetz, bei denen ich immer versucht habe, die wissenschaftlichen Aspekte mit im Auge zu behalten. Letztlich habe ich mich aber nicht für die wissenschaftliche Laufbahn entschieden, sondern habe es vorgezogen, in die Justiz zu gehen, da es dort nicht um rechtliche Theorien oder abstrakte Schulfälle, sondern vor allem um Menschen und deren alltägliche oder einer Sondersituation geschuldeten realen Probleme geht, die einer objektiven rechtlichen und in der Sache möglichst gerechten Entscheidung bzw. Lösung bedürfen. Hiervon unabhängig war aber zunächst klar, dass ich meine Referendarausbildung abschließen musste, gleich welchen beruflichen Weg ich einschlagen würde, so dass ich ab Februar 1973 meine Referendarausbildung neben meiner weiteren Beschäftigung als Wissenschaftliche Hilfskraft am Lehrstuhl Geilen fortgesetzt und sie am 10.12.1974 beim Justizministerium NRW in Düsseldorf mit dem Zweiten Juristischen Staatsexamen erfolgreich abgeschlossen habe. 2. Ich habe mich danach auf eine Richterstelle bei der nordrhein-westfälischen Justiz beworben und wurde auch sofort in den Richterdienst beim Landgericht Bochum übernommen. Dort habe ich den Dienst als Richterin auf Probe (Assessorin) am 3.3.1975 angetreten, zuvor allerdings meine Tätigkeit an der Universität beendet, da ich nun meine ganze Kraft den neuen Aufgaben widmen wollte. Zur Richterin am Landgericht, das heißt zur Richterin auf Lebenszeit, wurde ich am 12.7.1978 ernannt, nachdem ich eine ziemlich bewegte Zeit als Assessorin hinter mich gebracht hatte. Nach einem relativ ruhigen Jahr in einer erstinstanzlichen Zivilkammer war ich in einer großen Strafkammer, ein Jahr und drei Monate im Laufbahnwechsel im höheren Dienst bei der Staatsanwaltschaft Bochum – eine ausgesprochen interessante und lehrreiche Zeit –, anschließend beim Amts-
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gericht in einem Strafrichterdezernat, sowie in einer Wirtschaftsstrafkammer beim Landgericht beschäftigt. Noch vor meiner Plananstellung als Richterin am Landgericht wurde mir im Mai 1978 nebenamtlich die Aufgabe der Leiterin einer Referendararbeitsgemeinschaft übertragen, und zwar im Strafrecht, die mir viel Freude gemacht hat, obwohl oder vielleicht auch, weil es eine neue Herausforderung war. Diese Arbeitsgemeinschaften habe ich dann noch einige Jahre betreut. 3. Im August 1978 kam erneut ein Stellenwechsel auf mich zu, denn ich wurde als Beisitzerin und stellvertretende Vorsitzende in eine Hilfsstrafkammer versetzt, die vom Präsidium des LG Bochum für die als Schwurgericht tätige 7. Große Strafkammer eingerichtet werden musste, weil sich diese Strafkammer schon mehr als zwei Jahre mit einem scheinbar nicht enden wollenden NS-Verfahren befasste und nicht in der Lage war, die laufenden Amtsgeschäfte in anderen Schwurgerichts- und allgemeinen Strafverfahren zeitnah zu erledigen. Die Hilfsstrafkammer konnte nur mit dem vorhandenen Richterpersonal besetzt werden. Vorsitzende wurde eine strafkammererfahrene und bereits beim OLG Hamm erprobte Planrichterin, Beisitzer wurde außer meiner Person ein frisch ernannter Assessor, der noch keinerlei Spruchpraxis hatte, dafür aber spätestens nach sechs bis acht Monaten wieder abgezogen und durch einen/eine neue/n Assessor/in ersetzt wurde, weil der junge Kollege natürlich noch andere richterliche Tätigkeitsfelder kennenlernen und auch dort seine Fähigkeiten nachweisen musste. Hilfsstrafkammern sind, wie schon ihre Bezeichnung deutlich macht, eigentlich nur als Aushilfelösung für eine zeitweilige Überlastung einer ordentlichen Strafkammer zulässig. Diese Hilfsstrafkammer existierte und arbeitete allerdings bis Anfang 1985, weil das NS-Verfahren vor der 7. Großen Strafkammer nicht früher beendet wurde. 4. Nachdem die ersten beiden bereits im sog. Dritten Staatsexamen beim OLG erprobten Vorsitzenden der Hilfsstrafkammer zu planmäßigen Vorsitzenden am LG ernannt worden waren und eine ordentlich Strafkammer übernommen hatten, wurde mir am 1.3.1982 der Vorsitz in der Hilfsstrafkammer übertragen. Ich habe dann den Vorsitz dort bis zum 31.5.1983 ausgeübt und anschließend die obligatorische Erprobung beim OLG Hamm als Hilfsrichterin im 3. Strafsenat des OLG angetreten, die ich am 15.2.1984 erfolgreich abschließen konnte. Da ich mich nicht auf eine zu dem Zeitpunkt freie Richterstelle in einem Familiensenat des OLG Hamm bewerben wollte – dies wurde mir vom OLG-Präsidenten damals vorgeschlagen – und auch keine Neigung hatte, in das Justizministerium des Landes NRW zu wechseln, bin ich zum LG Bochum zurückgekehrt. Dort konnte ich wieder den Vorsitz in der noch immer agierenden Hilfsstrafkammer übernehmen, deren Tätigkeit dann, wie bereits erwähnt, Anfang 1985 mit der Urteilsverkündung in dem NS-Verfahren endete. Strafverfahren, die vor der Hilfsstrafkammer
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verhandelt worden waren und mit der Verurteilung der jeweiligen Angeklagten geendet hatten, waren in den Zeiten ihrer Existenz mehrfach Gegenstand von Revisionen beim Bundesgerichtshof (BGH), bei denen, allerdings jeweils erfolglos, u. a. die Besetzung der Richterbank mit noch nicht ernannten Vorsitzenden und die lange Dauer der Hilfsstrafkammer Rügegegenstand waren.1 In die Zeit meiner Tätigkeit in der Hilfsstrafkammer fiel ab Mai 1982 auch meine Tätigkeit als Prüferin beim Justizprüfungsamt des OLG Hamm für das Erste Staatsexamen, die schließlich im Mai 1985 in die Berufung zum Mitglied des Prüfungsamts beim OLG Hamm mündete. Zuvor, im November 1978, hatte ich auch endlich meine Promotion zum Dr. jur. mit dem sog. Rigorosum abschließen können, nachdem meine Doktorarbeit zwar schon länger vorgelegen, sich das weitere Verfahren aber aus unterschiedlichen Gründen verzögert hatte. Ein Grund waren meine von Anfang an umfangreichen Tätigkeiten in und für die Justiz des Landes Nordrhein-Westfalen.
5. Da mir für eine erfolgreiche Bewerbung um eine Stelle als Vorsitzende einer Straf- oder Zivilkammer beim Landgericht aber noch die nach den damaligen Beförderungsvorschriften in NRW notwendige Zeit als planmäßige Beisitzerin in einer erstinstanzlichen Zivilkammer fehlte, hatte ich den Präsidenten bzw. das Präsidium des LG Bochum gebeten, mich einer Zivilkammer zuzuweisen. Das geschah ab dem 1.2.1985. Ich wurde Beisitzerin in der 2. Zivilkammer des LG Bochum, wo mich ein sog. Assessoren-Dezernat erwartete, das heißt ein Dezernat mit vielen unerledigten Akten, deren Berg hauptsächlich durch den häufigen Wechsel der jungen Kollegen angewachsen war, da sie selten genügend Zeit hatten, sich intensiv mit dem Aktenberg zu befassen. Ich habe mich jedenfalls unverdrossen ans Werk gemacht und sehr schnell festgestellt, dass der dem im Zivilrecht herrschenden Parteienbetrieb geschuldete Umfang der Akte nicht unbedingt mit der Schwierigkeit der zu lösenden Rechtsfrage korrespondierte. Nach ein paar Wochen ging es mir in der Zivilkammer als Beisitzerin recht gut, zumal der in den Hauptverhandlungen in Strafsachen u. a. durch den zunehmenden Trend zur konfrontativen Strafverteidigung gesteigerte Stress entfiel und die streitenden Parteien bzw. deren Anwälte nicht selten vergleichswillig waren, so dass sich die Abfassung eines Urteils erübrigte.
6. Während meiner Zeit in der Zivilkammer hatte ich mich dann erfolgreich auf eine ausgeschriebene Stelle als Vorsitzende Richterin am Landgericht in Bochum beworben und erhielt am 1.10.1985 meine Ernennungsurkunde. Mir wurde vom Präsidium des LG Bochum als Vorsitzende eine als Wirtschaftsstrafkammer neu eingerichtete 13. Große Strafkammer zugewiesen. Diese neue Strafkammer war 1
Kann heute auch noch in BGHSt 31, 389 und BGHSt 31, 303 nachgelesen werden.
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erforderlich geworden, weil die Bochumer Staatsanwaltschaft, die vor einigen Jahren auch als eine der nordrhein-westfälischen Schwerpunktstaatsanwaltschaften zur Verfolgung von Wirtschaftsstraftaten eingerichtet worden war, was sich im industriellen Ballungsraum Ruhrgebiet als unbedingt notwendig und für die Staatskasse segensreich erwiesen hatte, für eine stetig anwachsende Zahl an umfangreichen Strafverfahren verantwortlich war. Die in der Folgezeit zahlreichen Ermittlungsverfahren in Wirtschaftsstrafsachen wurden mehrheitlich durch Einstellungen schon im Ermittlungsverfahren oder im Hauptverfahren im Rahmen einer sog. „Verständigung“ mit einer zur Bewährung ausgesetzten Freiheitsstrafe erledigt, jeweils verbunden mit erheblichen Geldbußen oder Geldauflagen. Zwar gelangten so nur wenige Wirtschaftsstrafverfahren zu Hauptverhandlungen, die dann auch streitig bis zur Urteilsverkündung durchgeführt wurden, diese wurden aber nicht selten seitens der Verteidigung mit allen (un)zulässigen Mitteln der StPO in die Länge gezogen mit dem Ziel, das Verfahren entweder zumindest vorläufig zum Scheitern zu bringen oder aber die absolute Verjährung der angeklagten Straftaten zu erreichen. Entsprechend war eine lange Verfahrensdauer bis hin zu mehrjährigen Hauptverhandlungen in Wirtschaftsstrafsachen keine Seltenheit und die damit befassten Strafkammern und Richter waren blockiert, so dass die nicht besonders eiligen Wirtschaftsstrafsachen oder auch nur die „normalen“ Strafverfahren, die es in Wirtschaftsstrafkammern – wenn auch nur in geringerer Zahl – in der Regel auch gab, liegen blieben, insbesondere, wenn die Angeklagten nicht in U-Haft waren. Die von mir übernommene 13. Strafkammer war zu Beginn also so etwas wie eine „Auffangkammer“ für überjährige Strafverfahren, die in anderen Strafkammern aus den genannten Gründen nicht gefördert werden konnten, aber der baldigen Erledigung bedurften, etwa weil die absolute Verjährung drohte. Ich habe nicht mehr in Erinnerung, wieviel Altbestände die 13. Strafkammer damals übernehmen musste, ich habe nur in Erinnerung, es war sehr arbeitsintensiv. In dieser Phase habe ich auch ein paar Verfahren nicht anders als im Wege der Verständigung mit der Staatsanwaltschaft und den Beteiligten auf der Seite des Angeklagten erledigen können. So richtig glücklich war ich in der Wirtschaftsstrafkammer allerdings nicht, mir war das alles zu „technisch“ und zu sehr auf „Verständigung“ zugeschnitten, die oft im Verdacht stand, mehr der Staatskasse als der Gerechtigkeit zu dienen. Jedenfalls habe ich mich bemüht, meine Aufgaben pflichtgemäß wahrzunehmen und die eiligen Verfahren zu erledigen. 7. Als im Laufe des Jahres 1986 deutlich wurde, dass der Vorsitz der 7. Großen Strafkammer, die Schwurgerichtskammer des LG Bochum, zum Jahreswechsel 1986/87 neu zu besetzen sein würde, habe ich sofort mein Interesse bekundet, als Vorsitzende in diese Strafkammer wechseln zu können. Es gab innerhalb des LG
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Bochum noch andere Interessenten für diesen Vorsitz, ich hatte jedoch Glück, dass das Präsidium beschloss, mir den Vorsitz der Schwurgerichtskammer ab dem 1.1.1987 anzuvertrauen, möglicherweise mit Rücksicht auf meine mehrjährige Erfahrung in Schwurgerichtssachen und den Umstand, dass die Urteile der Hilfsstrafkammer als Schwurgericht in der Revision beim Bundesgerichtshof (BGH) Bestand gehabt hatten. Mit dem Vorsitz in der ordentlichen 7. Großen Strafkammer, und damit auch und vor allem der Schwurgerichtskammer des LG Bochum, hatten sich meine Vorstellungen und Wünsche, was ich gerne in der Justiz tun und erreichen wollte, realisiert. Ich dachte damals, mehr kann ich nicht erreichen und fühlte mich beruflich zufrieden und erfüllt. Es kam jedoch anders, dazu später mehr. a) Was mich an der Spruchrichtertätigkeit in Schwurgerichtssachen so gereizt hat, also Strafverfahren, in denen vollendete oder versuchte vorsätzliche Tötungsdelikte Gegenstand des Verfahrens sind, war nicht der Umstand, dass es bei Anklagen wegen Mordes oft um die Frage ging, ob der oder die Angeklagte zu einer lebenslangen Freiheitsstrafe verurteilt wird oder mit einer zeitigen Freiheitsstrafe davon kommt, etwa wegen erheblich verminderter Schuldfähigkeit aufgrund einer schwerwiegenden Persönlichkeitsstörung oder wegen einer geistig/seelischen Erkrankung bzw. Störung. Denn auch in anderen Strafverfahren sind die Folgen einer Verurteilung für den Angeklagten immer schwerwiegend, sehr oft auch für die Opfer einer Straftat und nicht nur im Falle eines Freispruchs z. B. als Folge der Anwendung des Zweifelsgrundsatzes. Mich reizten vielmehr die rechtlichen Probleme, die in jedem einzelnen Verfahren auftreten und zu lösen sein konnten. So hatte etwa die prinzipielle Frage der Schuldangemessenheit einer lebenslangen Freiheitsstrafe seit eh und je die Diskussionen in der Strafrechtswissenschaft herausgefordert, die durch die Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts vom 21.6.1977 zur lebenslangen Freiheitsstrafe und deren Vereinbarkeit mit dem verfassungsrechtlichen Gebot der Verhältnismäßigkeit2 und die Entscheidung des Großen Senats für Strafsachen des BGH vom 19.5.1981 zur sog. „Rechtsfolgenlösung“3 immer wieder neue Nahrung erhielten. Insbesondere Strafverteidiger in der ersten Instanz stützten schon in den 1980er-Jahren ihre Hoffnung auf eine zeitige Freiheitsstrafe bei als „Mord“ angeklagten und aufgrund der Beweisaufnahme auch erwiesenen Fällen einer vorsätzlichen Tötung gerne auf die Entscheidung in BGHSt 30, 105, allerdings in der Regel ohne Erfolg. Denn die hohen Anforderungen, die vom Großen Senat in BGHSt 30, 105 für die Annahme „außergewöhnlicher Umstände“ aufgestellt und anschließend von nachfolgen
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BVerfGE 45, 187, 267. BGHSt 30, 105.
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den Entscheidungen der Strafsenate präzisiert worden waren4, aufgrund derer die Verhängung einer lebenslangen Freiheitsstrafe als unverhältnismäßig erscheinen kann, so dass – entgegen der absoluten Strafdrohung des § 211 Abs. 1 StGB – eine außerordentliche Strafrahmenmilderung nach § 49 Abs. 1 Nr. 1 StGB eröffnet wird, wurden und werden in der Realität höchst selten erfüllt. b) Aber auch für die rechtsfehlerfreie Annahme der Mordmerkmale selbst hat die Rechtsprechung stets hohe rechtliche Anforderungen aufgestellt. Diese verlangten eine möglichst präzise Aufklärung im Tatsächlichen sowie eine sorgfältige rechtliche Analyse und Subsumtion des Tatsachenmaterials unter die objektiven und subjektiven Voraussetzungen z. B. der „Heimtücke“ oder der „sonstigen niedrigen Beweggründe“, um nur die besonders häufig in Betracht kommenden Mordmerkmale zu benennen, wenn das Urteil in der Revisionsinstanz Bestand haben, also umgangssprachlich „halten“ sollte. Hinzu kamen nicht selten verfahrensrechtliche Komplikationen mit aufwändigen Beweisaufnahmen, die durch die Beteiligung von auf Konfrontation spezialisierten vermeintlichen „Staranwälten“ sowie deren Befangenheits- und Beweisanträge ausufern konnten. Die eben Genannten dürfen nicht mit den u. U. für das Gericht ebenfalls unbequemen, aber erfahrenen und anerkannt seriösen Strafverteidigern verwechselt werden! In der Schwurgerichtskammer war es im Übrigen die Regel, dass die verurteilten Angeklagten bzw. deren Verteidiger Revision gegen das Urteil einlegten, was ihnen nicht zu verdenken war, da es für sie um vieles ging. Entsprechend sorgfältig mussten die Urteile abgefasst und Schuld- und Strafausspruch begründet werden. Dass dies auch von den Beisitzern der Kammer beherzigt und entsprechend umgesetzt wurde, war mir wichtig und wurde von mir kontrolliert, gegebenenfalls durch Korrekturen im und am Urteilstext, die allerdings mit den Beisitzern vorab besprochen wurden. Eine abschließende Fassungsberatung mit den berufsrichterlichen Beisitzern war ohnehin selbstverständlich. Auf diese Art und Weise hat es die damalige Schwurgerichtskammer geschafft, dass bis zu meinem Ausscheiden Anfang 1989 ihre Urteile, bis auf eines, den Weg zum BGH unbeschadet überstanden haben, das heißt rechtskräftig wurden.
c) Das einzige Urteil, das vom 4. Strafsenat des BGH, der für das LG Bochum als Revisionssenat des BGH zuständig war, jedenfalls teilweise beanstandet wurde, war das Urteil im sog. „Katzenkönig-Verfahren“, das der BGH im Strafausspruch aufgehoben hat. Ein Tatrichter erlebt es auch im Schwurgericht nicht alle Tage, dass die Entscheidung des Revisionsgerichts über eines seiner Urteile Eingang in strafrechtliche Vorlesungen, Lehrbücher und Kommentare schafft und wegen seines skurrilen Sachverhalts und der grundlegenden Rechtsfragen zu Täterschaft 4
Vgl. BGHSt 35, 116, 127 f.; 42, 301, 304; u. a.
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und Teilnahme zum Ausbildungsklassiker wird. So geschehen mit dem Urteil der Bochumer Schwurgerichtskammer im „Katzenkönigfall“. Die drei Angeklagten P., H. und R. des zugrunde liegenden Falls lebten in einem von Mystizismus und Irrglauben geprägten neurotischen Beziehungsgeflecht, in dem es P. und H. gelang, den leicht zu beeinflussenden R., ein junger Polizeibeamter, von der Existenz des „Katzenkönigs“ als die Verkörperung des Bösen zu überzeugen. Sie suggerierten dem R., dass der „Katzenkönig“ konkret die Welt bedrohe und ein Menschenopfer verlange, weil sonst Millionen von Menschen vernichtet würden und nannten R. die später Geschädigte als vom „Katzenkönig“ gefordertes Opfer. R. sträubte sich zunächst, wurde aber von P. und H. heftig bedrängt und ließ sich schließlich unter Gewissensbissen zur Abwehr der vermeintlichen Gefahr darauf ein. Am Tattag begab sich R. in das Blumengeschäft des Opfers, wo er mehrfach von hinten auf das arglose Opfer einstach, um es zu töten. Dies misslang jedoch, weil Dritte dem sich wehrenden Opfer zu Hilfe kamen. Die Schwurgerichtskammer verurteilte den in seiner Steuerungsfähigkeit nur erheblich verminderten und einem vermeidbaren Verbotsirrtum erlegenen und deshalb für sein Tun verantwortlichen R. wegen versuchten heimtückischen Mordes zu einer Freiheitsstrafe von neun Jahren und hatte seine Unterbringung nach § 63 StGB angeordnet. Die beiden anderen Angeklagten P. und H. wurden von der Schwurgerichtskammer nicht als Anstifter, sondern als mittelbare Täter eines aus niedrigen Beweggründen begangenen versuchten Mordes jeweils zu einer lebenslangen Freiheitsstrafe verurteilt, weil sie den zwar nicht schuldunfähigen, aber erheblich vermindert steuerungsfähigen und einem (vermeidbaren) Verbotsirrtum erlegenen R. manipuliert und als Werkzeug benutzt hatten. Der BGH hat später die Wertung der Schwurgerichtskammer als mittelbare Täterschaft gebilligt, weil die P. und H. durch ihre ständigen Einwirkungen auf R. und ihr überlegenes Wissen den Irrtum des R. bewusst hervorgerufen und das Tatgeschehen gesteuert und beherrscht hätten.5 Beanstandet hat der BGH jedoch die Strafaussprüche. Einen Rechtsfehler sah er zum Nachteil der Angeklagten in der Versagung einer Strafrahmenmilderung nach § 23 Abs. 2 StGB.6 d) Der sachkundige Leser fragt sich möglicherweise, was die Schwurgerichtskammer damals veranlasst haben könnte, nicht den rechtlich scheinbar einfacheren Weg zu wählen und die Angeklagten P. und H. als Anstifter eines versuchten Mordes schuldig zu sprechen. Denn nach § 26 StGB ist der Anstifter wie der Täter zu bestrafen. Bei solchen Überlegungen ist aber stets § 28 StGB zu berücksichtigen, dem bei den Straftatbeständen der §§ 211, 212 StGB eine besondere 5 6
BGHSt 35, 354. Näheres zu den rechtlichen Ausführungen und auch zum komplexen Sachverhalt kann in BGHSt 35, 347 ff. nachgelesen werden.
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Rolle zukommt, weil nach damaliger und auch noch heute geltender Rechtsprechung § 211 StGB gegenüber § 212 StGB als selbstständiger Straftatbestand mit eigenem Unrechtsgehalt zu behandeln ist und nicht, wie die h. M. in der Literatur es tut, als Qualifikationstatbestand. Das kann zwar für Teilnehmer Auswirkungen auf den anzuwendenden Strafrahmen haben, aber nur soweit es um täterbezogene Mordmerkmale des Haupttäters geht. Im „Katzenkönig-Fall“ lag beim Haupttäter R. jedoch Heimtücke vor, also ein tatbezogenes Mordmerkmal, das auch nach der Rechtsprechung streng akzessorisch zu behandeln ist, so dass für den Anstifter nur das Wissen und Wollen der heimtückischen Tatbegehung durch den Haupttäter festzustellen ist, um ihn wie den Täter bestrafen zu können. Dieses Wissen um die Art der Tatbegehung durch R. hat das Schwurgericht damals für H. und P., die sich zum Tatzeitpunkt beide nicht in Tatortnähe aufhielten, nicht sicher festzustellen vermocht, so dass beide nur nach §§ 212, 22 StGB mit einem erheblich gemilderten Strafrahmen hätten verurteilt werden können. Eine eindeutige BGHEntscheidung dazu, dass es für den Anstiftervorsatz zum Heimtückemord ausreicht, wenn der Anstifter aus Gleichgültigkeit mit jeder Art der Tatausführung einverstanden ist, lag damals noch nicht vor.7 Im Übrigen war die Schwurgerichtskammer von der Richtigkeit ihrer rechtlichen Wertungen überzeugt und ich bin es heute noch.
III. Meine beruflichen Stationen in der Revisionsinstanz 1. Allgemein zur Tätigkeit beim BGH Wie schon erwähnt, war für mich die Leitung des Schwurgerichts nach meiner damaligen Vorstellung die Krönung der mir als Richterin zugänglichen beruflichen Tätigkeiten. Ende 1987/Anfang 1988 – genauer ist es mir nicht mehr in Erinnerung – wurde ich vom Landgerichtspräsident gefragt, ob ich bereit wäre, mich für die Wahl zur Richterin am BGH zur Verfügung zu stellen. Ich war zunächst konsterniert, weil ich mit einer solchen Möglichkeit nie gerechnet hätte. Ich habe dann um eine kurze Bedenkzeit gebeten, weil ich diese unerwartete Wendung natürlich mit meinem Ehemann besprechen wollte und musste. Ich habe anschließend mit meinem Mann alle denkbaren Szenarien besprochen, denn es war klar, wenn ich zusagen und auch noch gewählt werden würde, wäre dies ein Ereignis, das unsere familiäre Situation auf Dauer einschneidend verändern würde, weil zumindest ich eine Wohnung in Karlsruhe nehmen müsste. Mein Mann konnte aus beruflichen Gründen nicht mit nach Karlsruhe wechseln. Letztlich haben wir dann beide diesen Schritt gewagt und ihn später auch nicht bereut.
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BGHSt 50, 1.
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Ich bin dann nach meiner Einverständniserklärung vom Justizminister des Landes NRW 1988 für die Bundesrichterwahl zum Bundesgerichtshof dem Richterwahlausschuss des Bundes vorgeschlagen und im Herbst 1988 tatsächlich auch gewählt worden. Zuvor hatte ich mich aber noch persönlich in Karlsruhe vorstellen und beim Präsidenten und dem Vizepräsidenten des BGH vorsprechen müssen, außerdem hatte ich noch ein ausführliches Gespräch mit einem Vorsitzenden Richter am BGH zu führen, der als Berichterstatter im Präsidialrat zu meiner Person und meinem beruflichen Werdegang ein Votum abzugeben hatte. Mein Berichterstatter VRiBGH Dr. Wolfgang Ruß war im Übrigen später mein erster Senatsvorsitzender am BGH. Obwohl mir in Karlsruhe alle sehr freundlich und wohlwollend entgegen kamen, war doch alles ziemlich aufregend. Als die Nachricht kam, dass ich für die Besetzung einer Richterstelle am BGH gewählt worden sei, war ich dann doch erleichtert und froh. Allerdings sollte ich nicht sofort nach Karlsruhe wechseln, da die im 3. Strafsenat zu besetzende Stelle, die mir vom Präsidium des BGH zugewiesen werden sollte, erst zum 1.3.1989 vakant wurde. Mir blieb also noch hinreichend Zeit, meine Amtsgeschäfte am LG Bochum abzuwickeln und mein persönliches Umfeld in meiner zukünftigen zweiten Heimat – das wurde Karlsruhe für mich im Laufe der Jahre zweifellos – Wohnungssuche usw. in Ruhe einzurichten und zu ordnen. Mein Mann war dabei eine unverzichtbare Hilfe, wie er mir auch in den folgenden Jahren durch seine Unterstützung in allen persönlichen und beruflichen Belangen die notwendige Sicherheit gab, damit ich mich mit ganzer Kraft und Aufmerksamkeit meinen richterlichen Aufgaben widmen konnte. Ihm verdanke ich sehr viel. Am 2.3.1989 – am 1.3.1989 hatte ich in Berlin meine Ernennungsurkunde zur Richterin am Bundesgerichtshof erhalten – habe im meinen Dienst am Bundesgerichtshof angetreten. Meine aktive Richtertätigkeit am LG Bochum hatte Anfang Februar 1989 mit der Urteilsverkündung in einer umfangreicheren Schwurgerichtssache geendet. Ich habe die Spruchtätigkeit in der Tatsacheninstanz mit Wehmut und dem sicheren Gefühl beendet, dass zwar ein wesentlicher Teil meiner beruflichen Tätigkeiten hinter mir lag, dessen Erfahrungen aber auch meine zukünftige Richtertätigkeit in der Revision, einer reinen Rechtsprüfungsinstanz ohne eigene Beweisaufnahme, weiter beeinflussen würde. Denn wenn man immer wieder erlebt hat, wie schwierig es sein kann, Zeugen und Sachverständige so zu vernehmen und deren Angaben und Stellungnahmen in das übrige Bild der Beweisaufnahme so einzuordnen, dass das Ergebnis der Beweisaufnahme (möglichst) wahrheitsgemäß festgestellt und der gebotenen rechtlichen Würdigung unterzogen werden kann, erkennt man sehr schnell die Grenzen der sog. richterlichen Wahrheitsfindung. Akteninhalt und angeklagter Sachverhalt stimmen nicht sehr oft mit dem Ergebnis einer Hauptverhandlung und einer den An-
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forderungen der §§ 243 ff. StPO entsprechend durchgeführten Beweisaufnahme überein. Eine sog. Verständigung i. S. d. § 257c StPO – oder ein „Deal“, wie dieses ursprünglich aus der Schmuddel-Ecke des Strafprozesses stammende Phänomen richterlicher Bequemlichkeit oder tatsächlicher Überlastung und anwaltlicher Schlitzohrigkeit früher genannt wurde – kann nach meiner Überzeugung deshalb erst recht nicht für sich in Anspruch nehmen, der Wahrheitsfindung gedient zu haben. Auch die Gerechtigkeit bleibt meist auf der Strecke, Gewinner waren jedenfalls früher in der Regel bei einer Einstellung des Verfahrens die Staatskasse und ansonsten die Konten der Anwälte. Mit diesem Problem hatte ich nun in der Revisionsinstanz zwar persönlich nichts mehr zu tun, aber das Phänomen des sog. „Deals“ beschäftigte in den 1990er-Jahren zunehmend die Strafsenate des BGH, die bei der Bewertung der Zulässigkeit eines „Deals“ höchst unterschiedliche Auffassungen vertraten. Die Kodifizierung der Voraussetzungen und Grenzen einer zulässigen „Vereinbarung“ des Gerichts mit den Verfahrensbeteiligten sowie die Interpretation des § 257c StPO durch das Bundesverfassungsgericht8 haben hier zwar zu einer gewissen Beruhigung bei der Rechtsanwendung geführt, ändern aber nichts an dem Umstand, dass eine solche Verständigung im Strafverfahren, trotz § 257c Abs. 1 S. 2 StPO („§ 244 Abs. 2 bleibt unberührt“), mit dem Grundsatz der Aufklärungspflicht, der das Gericht zur Erforschung der Wahrheit verpflichtet, eigentlich nicht zu vereinbaren ist.
2. Im 3. Strafsenat In Karlsruhe und am BGH war für mich natürlich alles neu, die Stadt, die Menschen und dienstlich schon generell die Art der rechtlichen Befassung mit den einzelnen Strafverfahren. Abgesehen davon, dass es beim Rechtsmittel der Revision um eine reine Rechtsprüfung und nicht mehr um eigene Sachverhaltsfeststellung und Wahrheitsermittlung geht, was dem Revisionsrichter sowohl einen über die Revisionsrügen hinausgehenden Blick in die Akten als auch eine eigene Beweiswürdigung verwehrt, waren die in die Zuständigkeit des 3. Strafsenats fallenden sog. Staatsschutzdelikte, insbesondere Landesverrat (§§ 94 ff. StGB), geheimdienstliche Agententätigkeit (§§ 98, 99 StGB) und die Delikte terroristischer und krimineller Vereinigungen (§§ 129, 129a StGB), für mich absolutes Neuland.
a) Als ich im März 1989 zum BGH nach Karlsruhe kam und dort eine eigene Wohnung bezog, machte sich die Zuständigkeit des 3. Strafsenats für terroristisch motivierte Straftaten auch im privaten Umfeld bemerkbar, weil meine Wohnung durch besondere bauliche Maßnahmen gesichert werden musste. Über die äußere Sicherung der BGH-Gebäude durch Zäune und bewachte Ein- und Ausgänge hi8
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naus waren zudem auch innerhalb des gesicherten BGH-Areals die Diensträume des 3. Strafsenats im BGH nicht frei zugänglich, sondern nur für die Senatsmitglieder und die Mitarbeiter des Senats. Dies war dem Umstand geschuldet, dass die RAF noch sehr aktiv war. Zuletzt waren Karl-Heinz Beckurts im Juli und Gerold von Braunmühl im Oktober 1986 von Mitgliedern der RAF ermordet worden. Es folgte im November 1989 die Ermordung des Vorstandschefs der Deutschen Bank Alfred Herrhausen und schließlich Anfang April 1991 die Ermordung des Präsidenten der Treuhand Detlev Carsten Rohwedder, zu denen sich die RAF jeweils bekannt hatte, die Täter konnten allerdings nicht ermittelt werden. Die Senatsmitglieder hatten lediglich das Glück, dass das für die Sicherheit des BGH und seiner Richter zuständige Landeskriminalamt des Landes Baden-Württemberg einen persönlichen Begleitschutz nicht für erforderlich, sondern häufige Polizeipräsenz in den jeweiligen Wohngebieten für ausreichend hielt. Diese äußeren Arbeitsbedingungen bedurften dennoch einer gewissen Gewöhnung. Ebenso die fachliche Befassung mit dem Staatsschutzstrafrecht. Eine Besonderheit bestand noch darin, dass der 3. Strafsenat als Staatsschutzsenat neben seiner Zuständigkeit für Revisionssachen auch erstinstanzliches Gericht war bzw. auch heute noch ist, nämlich als Haftprüfungs- und Beschwerdegericht in Staatsschutzstrafverfahren, wenn es um Untersuchungshaft, Durchsuchungen und Beschlagnahmen ging (§ 135 Abs. 2 GVG i. V. m. §§ 304 Abs. 4 S. 2, Abs. 5 StPO). Aus den Gegenständen der Beschwerdezuständigkeit des BGH erschließt sich ohne weiteres, dass diese nicht selten zu Eilentscheidungen – bevorzugt an Freitagnachmittagen – nötigten, die mir als jüngstem Senatsmitglied in der Regel vom Vorsitzenden als Berichterstatterin zugeteilt wurden, was mich nicht sonderlich erschüttern konnte, da ich solche Situationen schon aus meinen früheren Tätigkeiten kannte. 1989 und in den ersten 1990er-Jahren war es beim BGH noch nicht üblich, eingehende Akten nach einem feststehenden System einem bestimmten Senatsmitglied zuzuschreiben. Der aufgrund eines zu Beginn des Jahres von allen Senatsmitgliedern beschlossenen senatsinternen Geschäftsverteilungsplans feststehende sog. „gesetzliche Berichterstatter“ auch in Revisionssachen wurde erst später nach teils sehr kontroversen Diskussionen in der Richterschaft des BGH und unter den einzelnen Senaten eingeführt.
b) Wie schon eben erwähnt, war die RAF als linksextremistische und terroristische Vereinigung i. S. d. § 129a StGB bis zu ihrer wegen inzwischen fehlender Unterstützung aus der linken Szene in Deutschland 1998 erfolgten Selbstauflösung noch sehr aktiv. Der 3. Strafsenat war bis zu Beginn der 2000er-Jahre noch häufig mit Anträgen des Generalbundesanwalts sowie mit Haft-, Durchsuchungs- und Beschlagnahmeentscheidungen der Ermittlungsrichter des BGH oder der OLG’s in dort anhängigen Strafverfahren gegen ehemalige RAF-Mitglieder befasst. Dies
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alles zu schildern, würde den Rahmen dieses Beitrags sprengen. Besonders erinnerlich ist mir noch das Strafverfahren gegen Monika Haas, die lange im Untergrund, u. a. in Nordafrika, gelebt hatte. Sie wurde von einer Frau aus der Tätergruppe der Entführer der Lufthansamaschine Landshut im Oktober 1977 – die im Rahmen der Schleyer-Entführung und Ermordung durch die RAF zur (erfolglosen) Freipressung inhaftierter RAF-Mitglieder gegen die Bundesregierung durchgeführt worden war – beschuldigt, den Waffentransport an das palästinensische Entführungskommando organisiert zu haben. Sie wurde schließlich im November 1998 vom OLG Frankfurt u. a. wegen Beihilfe zum Angriff auf den Luftverkehr, zur Geiselnahme und zum versuchten Mord in zwei Fällen zu einer Freiheitstrafe von fünf Jahren verurteilt, die sie allerdings wegen der langen Zeitdauer ihrer Untersuchungshaft nicht mehr antreten musste. Der 3. Strafsenat war in diesem Verfahren mehrfach mit Haftentscheidungen befasst und schließlich mit der Revision der Angeklagten gegen das Urteil des OLG Frankfurt, die der Senat im Jahr 2000 dann als unbegründet verworfen hat.
Ehemalige RAF-Mitglieder spielten außerdem schon 1990 bei den Dienstgeschäften des 3. Strafsenats eine Rolle. 1980 waren zehn ehemalige RAF-Mitglieder der zweiten Generation, die u. a. die Morde an Erich Ponto und Generalbundesanwalt Buback, sowie die Entführung und Ermordung von Hans Martin Schleyer im Jahr 1977 zu verantworten hatten, mit Hilfe der Staatssicherheit in der DDR untergetaucht und lebten dort unter neuem Namen und mit einer falschen Legende, bis die Mauer fiel. Dann wurden nach und nach u. a. Sigrid Sternebeck, Susanne Albrecht und Silke Witt enttarnt, verhaftet und, nachdem einige von ihnen bei den Vernehmungen ausführlich ausgesagt hatten, wohl um sich die Vergünstigungen der im Juni 1989 in das StGB eingeführten, aber bis Ende 1999 befristeten Kronzeugenregelung zu verschaffen, zu mehrjährigen Haftstrafen verurteilt. Auch in diesen Verfahren war ich natürlich an den Entscheidungen des 3. Strafsenats beteiligt und habe miterlebt, wie eine ehemals eine ganze Nation in Atem haltende terroristische Vereinigung, die mehr als 30 Mordopfer und zahlreiche Verletzte, sowie immense Sachschäden als Folgen ihrer Straftaten zu verantworten hatte, durch konsequente Strafverfolgung bis zum Schluss, aber auch begünstigt durch den Gang der Geschichte, bedeutungslos wurde und verschwand.
c) Mauerfall und Wiedervereinigung 1989/1990 hatten aber auch noch andere gravierende strafrechtliche Folgen. Der 3. Strafsenat war als Staatsschutzsenat nicht nur in Sachen Terrorismus zuständig, sondern vor allem auch für die Straftat des Hochverrats, des Landesverrats und der geheimdienstlichen Agententätigkeit. Die §§ 94, 99 StGB bildeten nach der Gründung der Bundesrepublik Deutschland und vor dem Auftreten der RAF den eigentlichen Schwerpunkt der Staatsschutzdelikte, mit denen der 3. Strafsenat sich zu befassen hatte. Der Blick richtete sich dabei
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hauptsächlich Richtung Osten, also auf die Sowjetunion und die DDR und deren kommunistische Regime. In der DDR wurden die Inlands- und Auslandsgeheimdienste im Ministerium für Staatssicherheit (MfS) geführt und koordiniert. Die Hauptverwaltung Aufklärung (HVA) führte ihre Ausspähung der politischen und wirtschaftlichen Vorgänge in der Bundesrepublik Deutschland – im DDR-Sprachgebrauch BRD genannt – durch eigene, aber auch mit Hilfe in der BRD angeworbener Agenten durch, die von Führungsoffizieren der HVA angeleitet und begleitet wurden. Beide, der bundesdeutsche Agent und der HVA-Mitarbeiter machten sich bei der Übermittlung von Informationen usw. zumindest nach §§ 94, 98, 99 StGB strafbar, wobei der HVA-Mitarbeiter, solange er kein bundesdeutsches Territorium betrat, vor Strafverfolgung in der sog. BRD sicher war. Das änderte sich mit dem am 31.8.1990 geschlossenen Einigungsvertrag, der den Anwendungsbereich des bundesdeutschen Strafrechts auf das Gebiet der DDR ausdehnte, so dass die Mitarbeiter der HVA wegen ihrer früheren gegen die Bundesrepublik gerichteten Tätigkeit nach den Straftatbeständen der §§ 93 ff. StGB festgenommen und bestraft werden konnten. Anfang der 1990er-Jahre kam es deshalb zu zahlreichen Strafverfahren gegen ehemalige Mitarbeiter von DDR-Geheimdiensten, insbesondere gegen Markus Wolf, der bis 1986 Leiter der HVA gewesen war, und gegen Werner Großmann, u. a. Wolfs Nachfolger als Leiter der HVA, und anderen hochrangigen Offizieren der HVA. Heftig umstritten war in der Strafrechtswissenschaft die Frage, ob der Strafverfolgung nicht völkerrechtliche oder verfassungsrechtliche Grundsätze und Normen entgegenstehen, zumindest wenn die gegen die Bundesrepublik gerichtete Agententätigkeit allein vom Boden der DDR ausgeübt wurde. Der 3. Strafsenat hatte zunächst ein derartiges allgemeines Strafverfolgungsverbot verneint.9 Auf Vorlage des Kammergerichts und auf mehrere Verfassungsbeschwerden hin entschied das Bundesverfassungsgericht jedoch, dass zwar eine allgemeine Regel des Völkerrechts, wonach in derartigen Fällen die strafrechtliche Ahndung nachrichtendienstlicher Tätigkeiten ausgeschlossen ist, als Bestandteil des Bundesrechts nicht feststellbar sei, aber ein aus dem Rechtsstaatsprinzip abgeleitetes Verfolgungshindernis bestehe, wenn der Betroffene zum Zeitpunkt der Tatbegehung vor Strafverfolgung sicher gewesen sei und zum Zeitpunkt der Wiedervereinigung seinen Lebensmittelpunkt in der DDR gehabt habe und die Sicherheit vor Strafverfolgung erst durch die Wiedervereinigung entfallen sei.10 Der 3. Strafsenat hat danach seine gegenteilige Rechtsprechung aufgegeben, das Urteil des OLG Düsseldorf gegen Markus Wolf aufgehoben und das Verfahren für neue Feststellungen an das OLG zurückverwiesen.11
9 BGHSt 39, 260, 264 ff. 10 BVerfGE 92, 277. 11 BGHSt 41, 292, 293 ff.
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d) Andere, allgemeine Delikte, die von der DDR-Führung gegen ihre eigenen Bürger begangenen worden waren, wurden davon allerdings nicht berührt. Insbesondere die Schüsse an der 1961 zwischen der DDR und der Bundesrepublik errichteten Mauer blieben nicht ungeahndet. In den sog. Mauerschützen-Fällen fand der für Berlin zuständige 5. Strafsenat des BGH deutliche Worte, und zwar nicht nur in den Fällen der Grenzsoldaten der DDR, die die vorsätzlichen Tötungen unmittelbar ausgeführt hatten,12 sondern auch für die aufgrund ihrer Organisationsherrschaft in der Befehlshierarchie als mittelbare Täter der Tötung von Flüchtlingen anzusehenden Mitglieder des Nationalen Verteidigungsrates der DDR und des Politbüros der SED.13 Im Übrigen wurden Wahlfälschungen bei den im Mai 1989 in der DDR durchgeführten Wahlen zu den örtlichen Volksvertretungen ebenso verfolgt und bestraft,14 wie auch Gewalt und Willkürmaßnahmen von SED-Funktionären im Zusammenhang mit gescheiterten Fluchtversuchen oder missliebigen Ausreiseanträgen von Bürgern der DDR. Auch wurden Strafverfahren gegen Richter und Staatsanwälte wegen in der DDR begangenen Justizunrechts durchgeführt, Verurteilungen wegen Rechtsbeugung i. S. d. § 244 StGB-DDR hatten aber in der Regel in der Revision keinen Bestand, weil die Strafsenate des BGH die Messlatte für eine vorsätzlich begangene gesetzeswidrige Handlung sehr hoch anlegten und eine Bestrafung auf die Fälle beschränkten, in denen die Rechtswidrigkeit so offensichtlich war und die Rechte anderer so schwerwiegend verletzt worden waren, dass sich die Entscheidung als Willkürakt darstellte.15 Dass dies gemessen am Wortlaut der zur Tatzeit geltenden Straftatbestände des StGB-DDR, die darauf ausgerichtet waren, den politischen Willen der SED durchzusetzen, meist nicht bejaht werden konnte, liegt nahe.
Überhaupt war es eine besondere Herausforderung, die eigentlich nicht miteinander zu vereinbarenden Justiz-Systeme der Bundesrepublik Deutschland und der DDR in den Wiedervereinigungsprozess so zu integrieren, dass für die Bürger kein Vakuum hinsichtlich ihres Justizgewährungsanspruchs und ihr Recht auf effektiven Rechtsschutz entstand. Die Justiz in der DDR war ein weisungsgebundenes Staatsorgan und keine unabhängige dritte Gewalt und musste umgestaltet werden, um den Vorgaben des Grundgesetzes zu genügen. Den Grundstein für die Umgestaltung des Justizwesens bildete der Einigungsvertrag, der verbindlich festlegte, dass das DDR-Strafrecht an das bundesdeutsche Recht mit Übergangs-
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Grundlegend BGHSt 39, 1, 9 ff, 23 ff. und 168, 181 ff. BGHSt 40, 218; 45, 270, 293 ff. BGHSt 39, 54 und 40, 307. BGHSt 40, 30, 40 ff. und 272, 283 f.
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regelungen angepasst werden sollte. Auch die bisherigen Strukturen der Gerichtsbarkeit sollten aufgelöst werden, jedoch Bezirks- und Kreisgerichte auf Landesebene übergangsweise alle Rechtsprechungsaufgaben übernehmen. Das Oberste Gericht der DDR wurde mit der Deutschen Einheit am 3. Oktober 1990 abgeschafft. Danach waren jedoch noch nicht alle Probleme gelöst. Die neuen Länder richteten zwar nach bundesdeutschem Vorbild Amts-, Land- und Oberlandesgerichte ein, diese mussten aber sowohl persönlich als auch sachlich ausgestattet werden. Die in den neuen Ländern vorhandenen Personal- und Sachmittel reichten dazu bei weitem nicht aus. Also starteten die bundesdeutschen Länder ein umfangreiches Hilfsprogramm. Neben finanziellen Hilfen wurden Richter, Staatsanwälte, Rechtspfleger, Geschäftsstellenbeamte, Schreibkräfte usw. als freiwillige Helfer für die neuen Länder angeworben, die mit ihren Berufserfahrungen dabei helfen sollten, eine funktionierende Justiz und Justizverwaltung erst einmal aufzubauen. Das dies nicht ohne Reibungen mit den verbliebenen ortsansässigen Richtern, Staatsanwälten und Justizbediensteten vonstatten ging, liegt auf der Hand. Beim BGH kamen diese Schwierigkeiten zwar nicht alle an, jedoch machten die Urteile zunächst auch der Bezirks- und später nur der Kreisgerichte, die ja übergangsweise die Rechtsprechungsaufgaben in Strafsachen wahrnahmen, genügend rechtliche Probleme. Die Richter hatten nach dem 3. Oktober 1990 das bundesdeutsche Strafrecht anzuwenden, das ihnen zwar in Schulungskursen nahe gebracht worden war, das sie aber längst noch nicht beherrschten. Die Strafsenate des BGH waren alle jeweils für eines der neuen fünf Länder zuständig, für den 3. Strafsenat war es das Land Sachsen bzw. das OLG Dresden, und alle berichteten über vergleichbare Probleme. Es hat einige Jahre gedauert, bis sich der Ausbildungsstand der Richterschaft in den neuen fünf Ländern an denjenigen der Altländer angeglichen hatte, was angesichts des immensen Nachholbedarfs nicht verwundern konnte. e) Damit bin ich in einem anderen Bereich meiner Richtertätigkeit am BGH angekommen, nämlich der revisionsrechtlichen Behandlung von Strafurteilen der großen Strafkammern eines Landgerichts in allgemeinen Strafsachen. Die sachliche Zuständigkeit der Zivil- und Strafsenate des BGH wird stets durch den vom Präsidium für die Geltungsdauer eines Jahres beschlossenen Geschäftsverteilungsplan geregelt. Die sachliche Zuständigkeit der Strafsenate richtete sich neben Spezialzuständigkeiten nach OLG-Bezirken. Zu meiner Zeit im 3. Strafsenat waren es die OLGs Celle, Düsseldorf, Oldenburg und Schleswig sowie nach der Wiedervereinigung das OLG Dresden und damit das gesamte neue Bundesland Sachsen. Das bedeutete einen nicht unerheblichen Zuwachs an jährlich zu bearbeitenden Revisionssachen bei allen Strafsenaten, aber auch den Zivilsenaten. Diese Mehr-
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belastungen mussten und wurden über Jahre ohne zusätzliches Richterpersonal bewältigt, weil es für die Einheit des Rechts und der Rechtsanwendung nicht zuträglich ist, wenn sich zu viele Senate eines obersten Bundesgerichts um die Kompetenz zur richtigen Gesetzesauslegung und der einheitlichen Rechtsanwendung streiten oder verständigen müssen. Die Auslegung und Anwendung des Gesetzes müssen nämlich verlässlich sein, um den Anspruch der Verbindlichkeit von höchstrichterlichen Entscheidungen zu rechtfertigen. Das sieht man heute bei den Verantwortlichen in Politik und Justizverwaltung offenbar nicht mehr in dieser Schärfe, wie die Neuerrichtungen eines 6. Strafsenats des BGH in Leipzig und des 13. Zivilsenats belegen. Dabei hatte sich schon in der Vergangenheit gezeigt, dass die nach der Wiedervereinigung aufrechterhaltene räumliche Trennung des 5. Strafsenats vom übrigen BGH mit seiner Umsiedlung von Berlin (aus politischer Rücksichtnahme!) nach Leipzig statt nach Karlsruhe der Einheit der Rechtsprechung und damit der Rechtssicherheit nicht gut tut. f) Allerdings hält das Gesetz in § 132 GVG ein Instrument bereit, das zur Klärung von Meinungsverschiedenheiten in Rechtsfragen, zur Änderungen von Rechtsansichten oder einfach zur Fortbildung des Rechts dienen soll und kann, nämlich die Großen Senate sowohl in Zivil- als auch in Strafsachen. Nur leider wird dieses Instrument zur Sicherung einer einheitlichen Rechtsanwendung von den Senaten nur selten genutzt, weil es mit erheblichem Zeit- und Arbeitsaufwand verbunden ist. Dagegen ist eher die Neigung vorhanden, tatsächlich bestehende Divergenzen mit einer oder mehreren Entscheidungen eines anderen Senats in einer entscheidungserheblichen Rechtsfrage durch formale Floskeln zu kaschieren oder einfach zu ignorieren. Greifbare Konsequenzen hat das in der Regel nicht. Ich hatte schon im 3. Strafsenat das Glück, an zwei wichtigen Entscheidungen des Großen Senats mitwirken zu dürfen, zum einen als Berichterstatterin für den Vorlagebeschluss des 3. Strafsenats an den Großen Senat zu den Voraussetzungen einer sog. fortgesetzten Handlung, einer Rechtsfigur, die schon vom Reichsgericht (RG) zur Erleichterung der materiell-rechtlichen Behandlung von Serienbzw. Massendelikten „erfunden“ und vom BGH übernommen worden war. Zum anderen bei der Entscheidung des Großen Senats zu der Frage, wieviel Mitglieder eine „Bande“ mindestens haben muss, um eine Bande i. S. der Straftatbestände des StGB zu sein. In dieser Sache war ich auch Berichterstatterin im Großen Senat, dem ich seit 1999 angehörte. Beide Rechtsfragen waren sowohl in der strafrechtlichen Wissenschaft als auch und vor allem in der Rechtsprechung höchst umstritten. Bei der strittigen „fortgesetzten Handlung“ hatten der 2. Strafsenat und der 3. Strafsenat das zentrale Problem der Struktur des für diese Rechtsfigur notwendigen Gesamtvorsatzes – open-end-Vorsatz ist möglich (so der 2. Strafsenat) oder dagegen, erforderlich ist ein Vorsatz, der einen Gesamterfolg zumin
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dest als umrissene Gesamtvorstellung mit einschließt (so der 3. Strasenat) – zum Gegenstand ihrer Anfragen gemacht.16 Die Entscheidung des Großen Senats ging noch darüber hinaus und erklärte die Annahme einer „fortgesetzten Handlung“ nur dann für zulässig, wenn dies, was am jeweiligen Straftatbestand zu messen sei, zur sachgerechten Erfassung des verwirklichten Unrechts und der Schuld unumgänglich sei, was bei den, den beiden Anfragen zugrunde liegenden Tatbeständen der §§ 173, 174, 176 StGB und § 263 StGB nicht der Fall sei.17 Das war zum Entsetzen vieler Kollegen bei den Instanzgerichten praktisch das Ende der „fortgesetzten Handlung“, weil auch andere Tatbestände von den Strafsenaten nach und nach für untauglich erklärt wurden. Entgegen mancher Prophezeiung ist danach die Rechtsprechung nicht im Chaos versunken. Die Frage der notwendigen Mindestmitgliederzahl einer Bande entschied der Große Senat18 mehr oder weniger pragmatisch dahin, dass der Begriff der Bande den Zusammenschluss von mindestens drei Personen voraussetzt, die sich mit dem Willen verbunden haben, künftig für eine gewisse Dauer mehrere selbständige, im Einzelnen noch ungewisse Straftaten des jeweiligen Delikts (z. B. Diebstahl, Betrug, Betäubungsmittelhandel usw.) zu begehen. Dieses Kriterium war zur Abgrenzung von der bloßen Mittäterschaft gedacht. Weiter wurde entschieden, dass ein „gefestigter Bandenwille“ oder ein „Tätigwerden im übergeordneten Bandeninteresse“ nicht erforderlich sei. Dies soll die Unterscheidung von den kriminellen oder terroristischen Vereinigungen ermöglichen, die die Feststellung solcher subjektiven Elemente voraussetzen.
Im weiteren Verlauf meiner richterlichen Tätigkeit am BGH, ab Juni 2002 als Mitglied des 2. Strafsenats, habe ich noch mehrfach an Entscheidungen des Großen Senats für Strafsachen mitwirken können, so u. a. an den Entscheidungen zu den Voraussetzungen eines wirksamen Rechtsmittelverzichts nach einer Urteilsabsprache,19 zum Begriff des unerlaubten Handeltreibens mit Betäubungsmittel,20 zur sog. „Rügeverkümmerung“, wenn durch eine Protokollberichtigung einer zulässig erhobenen Verfahrensrüge die Grundlage entzogen wird,21 sowie zur absoluten Revisionsrüge der Verletzung des § 338 Nr. 5 StPO durch Verhandlung über die Entlassung eines Zeugen in Abwesenheit des zuvor nach § 247 StPO
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BGH NStZ 1993, 434 und 585. BGHSt 40, 138. BGHSt 46, 321. BGHSt 50, 40. BGHSt 50, 252. BGHSt 51, 298.
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entfernten Angeklagten.22 Bei letzterer Entscheidung durfte ich sogar noch einmal Berichterstatterin sein. g) Die letzten Jahre meiner Zugehörigkeit zum 3. Strafsenat wurden deshalb besonders, weil die Folgen des Zerfalls des ehemaligen Jugoslawien Anfang der 1990er-Jahre und des von ethnischen Säuberungen, willkürlichen Tötungen und Vertreibungen gekennzeichneten sog. Jugoslawien-Krieges der ehemaligen Teilstaaten unter- und gegeneinander inzwischen die bundesdeutsche Justiz erreicht hatten. Dies bedeutete nach der Unterzeichnung der Völkermordkonvention 1948 und den Nürnberger Prozessen gegen die führenden Köpfe des deutschen NaziRegimes die Wiederbelebung des Völkerstrafrechts. Bereits 1993 war der Internationale Strafgerichtshof für das ehemalige Jugoslawien zur Aburteilung dieser das Völkerrecht verletzenden Straftaten in Den Haag errichtet worden und 1994 für ähnliche Gräueltaten in Afrika das Ruanda-Tribunal. Da wegen der Menge der anfallenden Verfahren die Kapazität des Jugoslawien-Strafgerichtshofs nicht ausreichte, wurde von den deutschen Strafverfolgungsbehörden bzw. dem Generalbundesanwalt die Strafverfolgung wegen des Verdachts des Völkermordes (§ 220a StGB a. F.) gegen die aus dem ehemaligen Jugoslawien stammenden und in Deutschland lebenden oder festgenommenen Beschuldigten übernommen und durchgeführt. Das ermöglichte u. a. Art. 9 Abs. 1 des Statuts des JugoslawienStrafgerichtshof, der eine konkurrierende Gerichtsbarkeit nationaler Gerichte für die Verfolgung des Völkermordes vorsah. Dies hier näher zu erläutern würde den Rahmen des Beitrags sprengen, zu weiteren Details muss deshalb auf zwei Entscheidungen des 3. Strafsenats verwiesen werden, in denen ich Berichterstatterin war.23 Die Beschäftigung mit dem Völkerstrafrecht war zunächst keine geringe Herausforderung, denn Rechtsprechung zum § 220a StGB a. F. gab es noch nicht, auch eine sich näher mit der Dogmatik des Völkermordes befassende Literatur fehlte. Es lag also am BGH, hier Grundsätze zu entwickeln. Und das hat wirklich Freude gemacht, zumal sich zunehmend auch die internationalen Gerichte mit dieser Thematik befassen mussten. Ich wäre gerne „am Ball“ geblieben, aber es kam anders.
Als mir im Jahr 1998 durch Beschluss des Präsidiums die Stellvertreterfunktion im Vorsitz des 3. Strafsenats übertragen wurde, lies mich der damalige Präsident des BGH Karlmann Geis zu sich kommen, gratulierte mir, gab mir aber im gleichen Atemzug zu verstehen, dass ich jetzt nicht glauben dürfte, ich könnte später auch Vorsitzende werden, das würde nämlich nicht geschehen. Diese Aussage hat mich zwar im ersten Augenblick irritiert, dann aber nicht mehr sonderlich interes22 BGHSt 55, 87. 23 BGHSt 45, 64; 46, 292.
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siert, denn ich hatte bis zum Erreichen der damaligen Altersgrenze für Bundesrichter noch zwölf Dienstjahre vor mir, dieser Präsident dagegen nur noch anderthalb Jahre im aktiven Dienst. Auch hatte mich seine Äußerung nicht wirklich überrascht, da mir als Mitglied des Präsidialrats des BGH, dem Mitwirkungsorgan des BGH bei den jährlichen Bundesrichterwahlen, dem ich als von der Richterschaft gewähltes Mitglied seit Anfang 1996 angehörte, die Sorge dieses Präsidenten bekannt war, es könnten zu viele jüngere Richterinnen gewählt werden, die dann später den Männern die (wenigen) Stellen als Vorsitzende eines BGH-Senats mit Erfolg streitig machen würden. Hier bestand jedoch Nachholbedarf. Denn als ich 1989 meinen Dienst beim BGH antrat, umfasste die Richterschaft des BGH 120 Richter, davon waren einschließlich meiner Person nur sieben Frauen. Auch hatte es noch keine Frau erreicht, zur Vorsitzenden eines BGH-Senats ernannt zu werden. Das hatte und hat sich dann im Laufe der Jahre geändert. Zu Beginn der 2000er-Jahre waren in drei Zivilsenaten Frauen die Vorsitzenden, zwei hatten es in den Strafsenaten geschafft, zu Vorsitzenden Richterinnen befördert zu werden. Heute sind von 130 BGH-Richtern 52 Frauen, davon drei Richterinnen im Amt der Vorsitzenden eines Zivilsenats, eine Frau führt in einem Strafsenat den Vorsitz. Der BGH verfügt zurzeit über 13 Zivil- und sechs Strafsenate. Damals ist es mir jedoch trotz meiner Bewerbung nicht gelungen, den Vorsitz im 3. Strafsenat zu übernehmen, als der von mir sehr geschätzte Vorsitzende Klaus Kutzer Mitte 2001 in den Ruhestand ging. Vorsitzender wurde im Herbst 2001 vielmehr Klaus Tolksdorf, der aus dem 4. Strafsenat kam und sich bis dahin nicht mit Staatsschutzsachen befasst hatte. Ich war nach wie vor stellvertretende Vorsitzende des Senats und hatte die Aufgabe, die Einarbeitung des neuen Vorsitzenden zu unterstützen, was ich nach besten Kräften getan habe. Wir hatten uns professionell arrangiert, so dass die Senatsarbeit reibungslos und erfolgreich fortgesetzt werden konnte.
3. Im 2. Strafsenat Erfolgreich beworben habe ich mich schließlich auf den im Juni 2002 aus Altersgründen frei werdenden Vorsitz im 2. Strafsenat. Dieser Senat galt seit einiger Zeit als Problemsenat, weil es zwischen einzelnen Senatsmitgliedern und dem scheidenden Vorsitzenden zu nicht unerheblichen Differenzen gekommen war. Tatsächlich war dieser Senat aber nicht problematischer als jeder andere Senat des BGH, was m. E. eigentlich schon in der Eigenart dieser Spruchkörper begründet liegt, weil alle, die den Sprung zum BGH schaffen, fachlich hervorragende Richter mit großer Berufserfahrung und in der Regel auch mehr oder weniger eigenwillige Persönlichkeiten sind. Die Besetzung der Senate muss sich nach
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fachlichen Notwendigkeiten richten und kann persönlichen Sympathieempfindungen und/oder Neigungen keine ausschlaggebende Bedeutung beimessen. Wird man zum BGH-Richter gewählt, so ist man u. U. gezwungen, über viele Jahre in einem Spruchgremium mit Kollegen/innen zusammenzuarbeiten, mit denen man selbst – hätte man die Wahl – nicht unbedingt zusammenarbeiten würde. Das kann Spannungen erzeugen, vor allem dann, wenn man auch noch sachlich/ fachlich konträrer Ansicht ist. Hier ausgleichend zu wirken ist, spätestens dann, wenn es den Betroffenen selbst nicht gelingt, auf einen gemeinsamen Nenner zu kommen, eine nicht unwesentliche Aufgabe des oder der Vorsitzenden. Damit hatte ich gelegentlich auch gut zu tun.
Im Vordergrund steht natürlich immer die Sacharbeit. Die war im 2. Strafsenat zwar in der Regel weniger spektakulär bzw. öffentlichkeitswirksam, aber nicht weniger bedeutsam. Dem 2. Strafsenat waren und sind auch heute keine Spezialzuständigkeiten zugewiesen, wenn man von der Alleinzuständigkeit für die Gerichtsstandbestimmungen nach den §§ 7 ff. StPO und für Entscheidungen in Zuständigkeitsstreitigkeiten zwischen mehreren Staatsanwaltschaften einmal absieht. Aber auch in diesen Zusammenhängen konnte es interessante Konstellationen geben, z. B. im Fall des als Aufseher im Vernichtungslager Sobibor tätig gewesenen John Demjanjuk der 2009, von den USA, wo er seit 1952 gelebt hatte, nach Deutschland ausgeliefert wurde, und wo zunächst unklar war, welche Staatsanwaltschaft für das weitere Strafverfahren zuständig sein könnte. In Revisionssachen war der 2. Strafsenat zuständig für Urteile der Landgerichte aus den Bezirken der OLGs Frankfurt, Jena, Koblenz und Köln. Diese Allgemeinzuständigkeit deckte fast die gesamte Bandbreite der Delikte des StGB, mit Ausnahme der Straßenverkehrsdelikte (4. Strafsenat) und der Staatschutzdelikte (3. Strafsenat) sowie des Sondergebiets der Steuerstrafsachen (erst 5. Strafsenat, dann 1. Strafsenat) ab. Schwerpunkte waren jedoch Betäubungsmittelstraftaten, sowie Sexual-, Gewalt- und Eigentums- bzw. Vermögensdelikte. Als besondere Verfahren sind mir im Zusammenhang mit dem 2. Strafsenat u. a. das Strafverfahren gegen den sog. Kannibalen von Rotenburg in Erinnerung, der nach einer ersten Verurteilung wegen Totschlags durch das LG Kassel, nach Aufhebung des Urteils durch den 2. Strafsenat24 letztendlich durch das LG Frankfurt wegen Mordes und Störung der Totenruhe zu einer lebenslangen Freiheitsstrafe verurteilt wurde, sowie das Revisionsverfahren gegen den ehemaligen Vorsitzenden der hessischen CDU und Bundesinnenminister Manfred Kanther, der wegen Untreue zum Nachteil des hessischen Landesverbandes der CDU durch Verheimlichung im Ausland befindlicher „schwarzer Kassen“ vom LG Wiesbaden verurteilt worden war.25
24 BGHSt 50, 80.
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Ganz besonders ist mir aber bis heute noch das Verfahren gegen Rechtsanwalt Putz gegenwärtig. Das LG Fulda hatte Putz zu einer zur Bewährung ausgesetzten Freiheitsstrafe wegen versuchten Totschlags verurteilt, weil er der Tochter einer seit vielen Jahren im Koma liegenden Patientin geraten hatte, die entgegen dem auf frühere Äußerungen gestützten mutmaßlichen Willen der Patientin in einem Pflegeheim rechtswidrig fortgeführte künstliche Ernährung durch Durchtrennen der PEG-Sonde zu beenden. Auf die Revision des Angeklagten Putz hat der 2. Strafsenat diesen am 25. Juni 2010 freigesprochen.26 Ich komme darauf noch zurück, weil mich dieses Urteil bzw. seine Auswirkungen noch heute beschäftigen. Der Alltag einer/eines Senatsvorsitzenden beim BGH wird relativ selten von derartigen rechtlichen Highlights unterbrochen, ist aber stets sehr arbeitsintensiv. Abgesehen von organisatorischen Aufgaben, wie Terminierung und Absprache der Termine mit Verteidigern, Nebenklägervertretern oder anderen anwesenheitsberechtigten Prozessvertretern, ist es vor allem die Aktenfülle, die es zu bewältigen gilt. In den letzten Jahren meiner aktiven Richtertätigkeit waren dies jährlich ca. 600 oder auch mal mehr Revisionsverfahren, die gelesen werden wollten. Aber es gab natürlich noch mehr Lese- und Beratungsstoff im Senat, so etwa Anfragen aus den anderen Senaten, Stellungnahmen zu Gesetzesvorhaben usw., so dass für andere rechtlich interessante Unternehmungen oder eigene wissenschaftliche Beiträge zu aktuellen strafrechtlichen Problemen relativ wenig Zeit übrig war. Dennoch habe ich z. B. die in allen Strafsenaten, so auch im 2. Strafsenat, üblichen jährlichen Tagungen mit Richtern und Staatsanwälten aus den OLG-Bezirken des eigenen Zuständigkeitsbereichs sehr geschätzt. Sie dienten dem wechselseitigen Erfahrungsaustausch und wurden gerne sowohl von den Kollegen und Kolleginnen aus der Instanz als auch von den Senatsmitgliedern wahrgenommen; die Organisation dieser Treffen wurde von dem jeweils besuchten OLG durchgeführt. Ich habe über diese mit der Senatsarbeit verbundenen Verpflichtungen hinaus, wie allerdings auch andere Senatskollegen, außerdem an anderen dem Erfahrungsaustausch und der Diskussion aktueller rechtlicher Probleme dienenden Veranstaltungen zum Teil mit eigenen Vorträgen teilgenommen. So etwa an dem alle zwei Jahre im Frühjahr in Karlsruhe stattfindenden „Strafverteidigersymposium“ und dem im Jahr 2007 von dem Kollegen VRiBGH Armin Nack und Prof. Dr. Matthias Jahn initiierten und danach ebenfalls im Zweijahresturnus im BGH durchgeführten „Karlsruher Strafrechtsdialog“ der Richter und Richterinnen des BGH und der Vertreter der Bundesanwaltschaft mit den Vertretern und
25 BGHS 51, 100. 26 BGHSt 55, 191.
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Vertreterinnen der Strafrechtswissenschaft. Mir war es nämlich in meiner gesamten Richterzeit wichtig, nicht nur das geschriebene Gesetz zu kennen, was ohnehin für meine Berufsausübung eine unabdingbare Voraussetzung war, sondern auch die wissenschaftliche Kritik am bestehenden Recht und an der Rechtsanwendung durch die Gerichte zur Kenntnis nehmen zu können und gegebenenfalls Reformüberlegungen zu unterstützen oder für eine Änderung der Rechtsprechung einzutreten.
4. Sonderaufgaben, Nebenbeschäftigungen etc. während meiner BGH-Zeit a) Aus den eben genannten Gründen war ich bereit, neben meinem Richteramt Zusatzaufgaben zu übernehmen. Deshalb habe ich mich auch schon in meiner Tatrichterzeit im Deutschen Richterbund engagiert, dem Interessenverband der Richter und Staatsanwälte in Deutschland und bin auch nach meinem Dienstantritt in Karlsruhe dem Verein der Richter und Bundesanwälte beim BGH beigetreten, der auf Bundesebene als einer der 25 Mitgliedsverbände des Deutschen Richterbundes die Interessen der Richter und Richterinnen des BGH vertritt. In Karlsruhe habe ich auch mehrere Jahre im Vorstand des Vereins mitgewirkt. Seit 1998 bin ich Mitglied der Großen Strafrechtskommission des Deutschen Richterbundes, die in unterschiedlichen Zeitabständen im Auftrag des Bundesjustizministeriums (BMJ) – heute Bundesministerium für Justiz und Verbraucherschutz (BMJV) – Gutachten zu Reformvorhaben des BMJV erstattet, die auch tatsächlich etwas bewirken können, wie z. B. das Gutachten aus dem Jahr 2009 zur Frage der Besetzungsreduktion der Großen Strafkammern. Das hat im Dezember 2011 zur Änderung des § 76 Abs. 2 GVG geführt, da mit dem Gesetz über die Besetzung der großen Straf- und Jugendkammern – wie von dem Gutachten vorgeschlagen – eine Erweiterung der Fälle einer verpflichtenden Dreierbesetzung der Strafkammern festgelegt wurde. Auch das Gutachten von 2013 zur Frage der Zeitgemäßheit des 1964 in § 169 S. 2 GVG festgeschriebenen Verbots von Bild- und Tonübertragungen aus Gerichtsverhandlungen mit dem Votum für eine vorsichtige Öffnung des generellen Verbots, hat gesetzgeberische Folgen bewirkt, wie sich unschwer aus der Neufassung des § 169 GVG ablesen lässt. Ich habe auch immer sehr gerne an den Arbeitssitzungen der Kommission teilgenommen, obwohl dies im Vorfeld einen nicht unerheblichen Zeit- und Arbeitsaufwand verlangte. Denn jedes Mitglied hatte für die einwöchige Sitzung der Kommission ein bestimmtes Thema referatsmäßig aufzubereiten und vorzutragen. Die Diskussionen der aus den verschiedensten Bereichen der Justiz und der Wissenschaft stammenden Teilnehmer waren immer engagiert und höchst interessant. Für mich war es deshalb jedes Mal eine Bereicherung, an den Beratungen teilzunehmen,
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zumal ich das Glück hatte, in diesem Rahmen Prof. Karl Lackner, Prof. Herbert Tröndle und Prof. Peter Rieß, die als ständige Gäste der Kommission mehrere Jahre bei den Sitzungen mitgewirkt haben, persönlich kennen und schätzen zu lernen. Aus den Sitzungen habe ich oft neue Ideen mitgenommen, die ich anschließend bei meiner Arbeit als Richterin am BGH in meine Überlegungen zu aktuellen Rechtsfragen einbezogen und in die Senatsberatungen eingebracht habe. b) Aber nicht nur die Arbeit in der Großen Strafrechtskommission hat meiner Neigung entsprochen, mich mit strafrechtswissenschaftlichen Themen näher zu befassen, sondern ich wurde schon 1993 dem Kreis der Herausgeber des Leipziger Kommentars zum StGB (LK) angesprochen, ob ich nicht Interesse hätte, an der in Arbeit befindlichen 11. Auflage des Großkommentars mitzuwirken. Ich habe zugesagt, weil diese Aufgabe sehr reizvoll war, obwohl der mir angebotene Themenbereich der Konkurrenzen §§ 52–55 StGB mir zunächst nicht sehr vielversprechend schien. Bei längerer Beschäftigung mit den Konkurrenzregelungen des StGB änderte sich meine Meinung allerdings grundlegend. Die Kategorien von Tateinheit und Tatmehrheit, von natürlichen und tatbestandlicher Handlungseinheiten, von echten und „uneigentlichen“ Organisationsdelikten, von Spezialität, Subsidiarität, mitbestrafter Vor- und Nachtat, also Gesetzeseinheiten, können in jedem Bereich des Besonderen Teils des StGB von Bedeutung sein, Fragen können sich bei jedem Straftatbestand stellen. Allein dies lässt schon ansatzweise die Bandbreite der systematischen und dogmatischen Problemstellungen erkennen, die sich bei der Auseinandersetzung mit dem Phänomen der Konkurrenzen ergeben können. Das ist auch kein reines Glasperlenspiel, da die Konkurrenzen in jedem Einzelfall für die Rechtsfolgen von Bedeutung sind, so können etwa die Frage des Rücktritts vom Versuch oder Verjährungsfragen tangiert sein, wenn z. B. eine langgestreckte Tatserie – u. U. sogar fälschlicherweise – als eine rechtliche Einheit gewertet wurde. Die Vorliebe für die Annahme arbeitserleichternder natürlicher oder rechtlicher Handlungseinheiten, für Organisationsdelikte, gleich welcher Art, oder andere Rechtsfiguren, die eine Mehrheit von natürlichen bzw. strafbaren Handlungen zusammenfassen, ist nicht nur den Tatgerichten eigen, sondern feiert – trotz der damaligen Absage des Großen Senats für Strafsachen an die Rechtsfigur der fortgesetzten Handlung – bei einigen BGH-Senaten gelegentlich fröhliche Urstände, ich denke hier z. B. an die Erfindung des sog. „uneigentlichen Organisationsdelikts“ bei serienmäßig Vermögensdelikten oder die in institutionalisierten Systemen begangenen Straftaten.27 Die Kommentierung der Konkurrenzen habe ich schon aus Interesse an der Materie in der 12. und der 13. Auflage
27 BGHSt 49, 177, 184.
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des LK fortgeführt. Ab 2002 kamen für mich als Autorin im LK noch die Kommentierung der vorsätzlichen Tötungsdelikte sowie die Aufgabe als Mitherausgeberin des LK hinzu. c) Neben meiner Senatsarbeit in den beiden Strafsenaten habe ich als für mich selbstverständlich auch im übrigen Arbeitsbereich des BGH zusätzliche Aufgaben übernommen; so wurde ich ab dem Jahr 2007 vom Präsidium mit dem Vorsitz im Dienstgericht des Bundes betraut, den ich bis zu meinem Eintritt in den Ruhestand Ende Januar 2011 wahrgenommen habe. Das Dienstgericht des Bundes ist gemäß § 61 Abs. 1 DRiG als besonderer Senat des BGH eingerichtet und erst- und zugleich letztinstanzliches Gericht in Disziplinar- und dienstrechtlichen Verfahren gegen Richter im Bundesdienst. Außerdem entscheidet es als Rechtsmittelgericht über die Revisionen von den in den Landesdiensten beschäftigten Richtern gegen Urteile der Dienstgerichte der Länder (§ 62 Abs. 1 und 2 DRiG). Diese Rechtsmaterie war mir bis dahin nicht sonderlich vertraut, obwohl ich schon zuvor einmal am Landgericht Bochum ein Disziplinarverfahren geleitet hatte. Im Dienstgericht gab es aber zum Glück erfahrene Beisitzer aus den Zivilsenaten, die mir sehr kollegial über die anfänglichen Einarbeitungshürden hinweggeholfen haben. Erwähnt werden muss hier aber auf jeden Fall noch eine andere, in meinen Augen sehr wichtige Zusatzaufgabe. Im Jahr 1996, im Vorfeld der Wahlen zu den Richtervertretungen am BGH, nämlich dem Präsidialrat und dem Richterrat, hatte ich mich bereit erklärt, für den Präsidialrat zu kandidieren und wurde auch von der Richterschaft gewählt. Ich habe es schon eingangs erwähnt, dass der Präsidialrat als Mitwirkungsorgan des BGH vor den jährlichen Wahlen neuer Bundesrichter durch den Richterwahlausschuss des Bundes zu den für die vakanten oder vakant werdenden Stellen am BGH vorgesehenen Kandidaten und Kandidatinnen mit einer Begründung versehene Stellungnahmen abgibt. Beurteilt werden die fachliche und persönliche Eignung der Kandidaten für die Tätigkeiten in einem Zivil- oder Strafsenat des BGH. Der positiven oder negativen Beurteilung der Eignung folgte der Wahlausschuss in der Regel. In den 2000er-Jahren gab es aber gelegentlich Divergenzen, weil er Kandidaten wählte, obwohl der Präsidialrat diese als fachlich und/oder persönlich nicht geeignet beurteilt hatte. Das führt zwar zu Missstimmungen, die sich aber mit der Zeit legten, da sich tatsächlich auftretende Probleme in kürzeren Zeitabständen erledigten, weil die betroffenen Kollegen entweder freiwillig in ihre früheren Positionen zurückkehrten oder weil sie in einer anderen – politischen – Institution ihnen näherliegende Aufgaben wahrnehmen konnten. Hier sei auch mit einem Vorurteil aufgeräumt: Bei den Bundesrichterwahlen sind eventuelle parteipolitische Bindungen der Kandidaten in aller Regel ohne Bedeutung, entscheidend ist ihre fachliche und persönliche Eignung, die sich aus den zur
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Verfügung stehenden Personalakten, sowie aus den mit den Kandidaten geführten persönlichen Gesprächen, einschließlich ihrer persönlichen Vorstellung im Plenum des Präsidialrats ergeben. Das zu beurteilen erlaube ich mir deshalb, weil ich zwölf Jahre dem Präsidialrat angehört, also auch bei zwölf Beurteilungsverfahren mitgewirkt habe, und zwar unter dem Vorsitz von drei verschiedenen BGH-Präsidenten. Als ich Anfang 2011 in den Ruhestand ging, war nahezu die Hälfte der noch aktiven BGH-Richter des BGH von mir im Präsidialrat (mit)beurteilt worden. Man sollte nicht den Fehler begehen und die Auswahl der Kandidaten oder Kandidatinnen für die Spruchkörper der Obersten Bundesgerichte für nebensächlich oder zweitrangig halten. Denn nach meinen Erfahrungen, nicht nur im Präsidialrat, sondern auch in den langen Jahren meiner Zugehörigkeiten zum 3. und danach zum 2. Strafsenat, verändert jedes neue Senatsmitglied, mal deutlicher, mal weniger auffällig die Rechtsprechung eines Senats. Es ist immer von Bedeutung, welche beruflichen Erfahrungen es mitbringt, welche Grundüberzeugungen es vertritt, wie es grundsätzlich gegenüber Reformbestrebungen eingestellt ist, ob es lieber Bewährtes bewahren oder Neues wagen will usw., und dann natürlich entsprechend im Senat agiert. Bei allem Respekt vor den Ideen und wissenschaftlichen Leistungen der Rechtsprofessoren und -professorinnen, neue rechtliche Argumentationen und Theorien werden erst dann wirklich zum Leben erweckt, wenn die Rechtspraxis sie aufgreift und auf tatsächlich zu entscheidende Rechtsfälle des täglichen Lebens anwendet. Ich darf hier z. B. noch einmal auf den sog. Katzenkönigfall und die Mauerschützenverfahren verweisen.
d) Meiner Affinität zu Wissenschaft und Lehre kam entgegen, dass ich im Sommersemester 2006 einen Lehrauftrag für Straf- und Strafprozessrecht der Juristischen Fakultät der Universität zu Köln erhielt, um den im Studium schon fortgeschrittenen und interessierten Studenten die forensische Praxis in der Tatsacheninstanz, insbesondere aber auch die Arbeit des BGH als Revisionsgericht nahezubringen. Diesen Lehrauftrag habe ich sehr gerne wahrgenommen, weil mir die Arbeit mit jungen Menschen Freude machte und es mir sehr sinnvoll erschien, über die theoretische Strafrechtswissenschaft hinaus, die von den ordentlichen Professoren gelehrt wurde, die praktische Relevanz strafrechtlicher Vorschriften anhand konkreter, tatsächlich von mir erlebter Fallbeispiele zu verdeutlichen. Das kam auch bei den Studenten gut an. Leider konnte ich diesen Lehrauftrag nur bis einschließlich des Wintersemesters 2007/2008 ausführen, da mein Mann schwer erkrankt war, so dass ich keinen Abstecher nach Köln machen konnte, sondern in Bochum sein musste, wenn mich meine Dienstgeschäfte nicht in Karlsruhe festhielten. Ich habe aber dann im Anschluss einen Lehrauftrag der Juristischen Fakultät der Ruhr-Universität mit vergleichbarem Tätigkeitsbereich erhalten und angenommen, den ich auch ab dem Sommersemester 2008 noch weit über meinen
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Ruhestandsbeginn als BGH-Richterin hinaus wahrgenommen habe. Es war für mich natürlich schon reizvoll, an meiner Heimatuniversität, der ich mich immer verbunden gefühlt hatte, jetzt auch als Lehrende tätig zu sein. In Hörsälen, die ich noch aus meiner Studentenzeit kannte, jetzt selbst Lehrveranstaltungen auszuführen, war schon etwas Besonderes. Etwas Besonderes war für mich auch die Ernennung zur Honorarprofessorin der juristischen Fakultät der Ruhr-Universität Bochum am 30.10.2009, sowie der Umstand, dass zu meiner Antrittsvorlesung am 29.1.2010 meine Senatskollegen und die Kollegen des Referats 2 der Bundesanwaltschaft aus Karlsruhe angereist waren, bei der mein alter Lehrer Prof. Geilen die Laudatio hielt, was mich natürlich besonders gefreut und bewegt hat.
5. Meine Beschäftigungen mit dem Strafrecht nach dem Eintritt in den Ruhestand a) Der 31. Januar 2011 war mein letzter Tag als amtierende Richterin am BGH. Wenige Tage zuvor hatte ich das 65. Lebensjahr vollendet und damit die damals noch gültige Altersgrenze erreicht. Ich hätte gerne noch zwei oder drei Jahre weiter meinen Richterdienst versehen, aber für mich war endgültig Schluss im Richterdienst. Nun stand ich vor der Frage, wo ich meinen zukünftigen Lebensmittelpunkt ansiedeln sollte, in Karlsruhe, wo ich immerhin 22 Jahre überwiegend gelebt und gearbeitet, mich wohlgefühlt und Freunde gefunden hatte, oder wieder nach Bochum zurückgehen sollte. Denn Anfang 2009 war mein Mann nach längerer schwerer Krankheit verstorben, so dass sich unsere Lebensplanung für die Zeit nach meinem Eintritt in den Ruhestand, die wir gemeinsam in Karlsruhe verbringen wollten, zerschlagen hatte. Ich habe mich dann letztlich entschieden, nach Bochum zurückzukehren, weil dort Familie in der Nähe lebt und außerdem auch Freunde aus Studienzeiten und den Zeiten meiner Tätigkeit in der Bochumer Justiz vorhanden sind, zu denen der Kontakt nie abgerissen war. Außerdem wollte und habe ich dann meine Arbeit im Lehrbetrieb der juristischen Fakultät der Ruhr-Universität Bochum verstärkt. Den Schritt, meinen Lebensmittelpunkt wieder nach Bochum zu verlegen, habe ich bis heute nicht bereut, zumal ich mich auf diese Weise den langen und unwürdigen Auseinandersetzungen um meine Nachfolge im Vorsitz des 2. Strafsenats weitgehend entziehen konnte. Ich habe aber nach wie vor gute Kontakte zu meinen Karlsruher Freunden und zu meinen früheren Senatskollegen und zu Kolleginnen aus den Zivilsenaten und bin deshalb nicht nur aus wissenschaftlichen Gründen häufiger in Karlsruhe anzutreffen. Die Bibliothek des BGH steht mir, wie allen Pensionären, weiterhin offen und ist für meine noch vorhandenen rechtswissenschaftlichen Aktivitäten unverzichtbar. b) Aus meiner aktiven Zeit als Vorsitzende des 2. Strafsenats des BGH ist mir vor allem ein Thema geblieben, das mich seit dem Urteil des 2. Strafsenats vom
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25. Juni 2010 zum sog. „Behandlungsabbruch“ seit fast 10 Jahren intensiv beschäftigt bzw. nicht loslässt, nämlich das Thema der Sterbehilfe in all ihren Erscheinungsformen. Ich habe damals im Fall Putz nicht nur den Vorsitz geführt, sondern auch den Senat darum gebeten, mir – entsprechend dem senatsinternen Geschäftsverteilungsplan – per Beschluss die Berichterstattung in diesem Fall zu übertragen. Das ist auch geschehen. Grund hierfür waren meine Erfahrungen aus der noch nicht lange zurück liegenden Zeit der schweren Erkrankung meines Mannes, die mir gezeigt hatte, wie wichtig eine gute medizinische Versorgung und klare Vorstellungen sind, was man erdulden kann und möchte und wo Grenzen erreicht werden. Die zivilrechtliche und strafrechtliche Rechtsprechung des BGH hatte sich schon zuvor in mehreren Entscheidungen mit Fragen zulässiger Sterbehilfe bei lebensbedrohlichen Erkrankungen befasst, die Senate waren aber uneins darüber, ob für den behandelnden Arzt der Verzicht auf (weitere) lebenserhaltende Behandlungsmaßnahmen, der dem Patientenwillen entspricht, nur zulässig ist, wenn die Sterbephase bereits eingesetzt hat.28 Dies verunsicherte Ärzte und Patienten. Die Entscheidung des 2. Strafsenats stellte deshalb klar, gestützt u. a. auf § 1901a BGB, dass Maßnahmen wie Unterlassen, Begrenzen oder Beenden einer medizinischen Behandlung – und zwar unabhängig vom Krankheitszustand des Patienten – rechtmäßig sind, wenn sie dem tatsächlichen oder mutmaßlichen Patientenwillen entsprechen, gleich ob das Beenden durch Unterlassen z. B. weiterer künstlicher Beatmung oder aktives Tun, wie etwa Abschalten des Respirators, geschieht. Denn diese Unterscheidung ist für die Zulässigkeit der Beendigung lebenserhaltender Maßnahmen unerheblich, wenn die Fortführung der Behandlung nicht dem Willen des Patienten entspricht. Ich konnte damals nicht ahnen und auch der gesamte Senat nicht, dass diese Entscheidung für die tägliche Arbeit der Ärzte in den Intensivstationen der Krankenhäuser und für die im Entstehen begriffene Palliativmedizin, sowie die örtlich und überörtlich tätigen ambulanten Palliativnetze und Hospiz-Organisationen, außerordentlich wichtig wurde, und zwar so wichtig, dass ich bereits 2010 aus verschiedenen Kliniken Anfragen für eine nähere Erläuterung der Entscheidung im Rahmen von Fortbildungsveranstaltungen für Ärzte und Pflegepersonal bekam. Ich habe nach meinem Eintritt in den Ruhestand bei zahlreichen Veranstaltungen dieser Art referiert und tue es heute noch gelegentlich, wobei sich die Themen über die Jahre hinweg und über die damalige Entscheidung des 2. Strafsenats hinaus auch allgemein auf Fragen zu allen Formen der Sterbehilfe erstrecken, insbesondere zu § 216 StGB und zur Suizidbeihilfe und deren rechtliche Behandlung. Deshalb wurde ich auch als eine von mehreren
28 BGHZ 163, 195, 200 f.; BGHSt 40, 257, 262 f.
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Experten am 23.9.2015 vor dem Ausschuss für Recht und Verbraucherfragen des Deutschen Bundestages zum Thema „Sterbebegleitung“ und den damals vorliegenden Gesetzentwürfen verschiedener Abgeordnetengruppen des Bundestages zu meiner Einschätzung der sehr unterschiedlichen Entwürfen angehört, bei denen es um die Strafbarkeit/Straffreiheit der Förderung bzw. Hilfe zur Selbsttötung und zu Regelungen einer ärztlich begleiteter Lebensbeendigung ging. Der dann im Dezember 2015 vom Bundestag mehrheitlich beschlossene § 217 StGB zur geschäftsmäßigen Förderung von Selbsttötungen wurde jedoch vom Bundesverfassungsgericht am 26.2.2020 für verfassungswidrig und deshalb nichtig erklärt. Ob und gegebenenfalls welche eine Regelung an dessen Stelle tritt, ist noch völlig offen. Jetzt gilt jedenfalls wieder die gesetzliche Lage, wie sie bis Dezember 2015 bestand. c) In den letzten acht Jahren beschäftigten mich noch weitere juristische Fragen aus dem medizinischen Bereich, aber in einem ganz anderen medizinischen Zusammenhang, nämlich mit Organtransplantationen und mit dem Transplantationsgesetz (TPG). Im Sommer des Jahres 2012 war bekannt geworden, dass an einem deutschen Transplantationszentrum Patientendaten so manipuliert worden sein sollten, dass die dort medizinisch versorgten Patienten, die dringend ein neues Organ – etwa ein neues Herz, eine neue Leber oder eine neue Niere – benötigten, bei der Zuteilung der zur Verfügung stehenden postmortal gespendeten Organe entgegen den verbindlichen Regeln des TPG und den medizinischen Richtlinien bevorzugt wurden. Dies wurde als ein Skandal wahrgenommen und sorgte in der Öffentlichkeit für erhebliche Empörung, ebenso bei den Ärzten anderer Transplantationszentren und deren benachteiligte Patienten. Denn jedes Jahr standen und stehen erheblich mehr lebensbedrohlich erkrankte Menschen auf der Warteliste für eine Organtransplantation, als tatsächlich gespendete Organe zur Verfügung stehen. Es ging und geht also darum, eine Mangelware gerecht nach den für alle Beteiligten gleichen verbindlichen Regeln zu verteilen. Wer diese Regeln umgeht oder erforderliche Daten verfälscht, macht sich jedenfalls gegenwärtig nach den Strafvorschriften des TPG strafbar. Den öffentlich gewordenen Vorwürfen musste durch Überprüfung aller Transplantationszentren nachgegangen werden. Zu dem Zweck wurde von den für die Transplantationsmedizin zuständigen Organisationen (Bundesärztekammer, Deutsche Krankenhausgesellschaft und Spitzenverband der gesetzlichen Krankenkassen) zunächst eine Task Force für die Prüfungen der Zentren eingerichtet, zu der ich als Teilnehmerin eingeladen wurde. Ich habe diese Funktion gerne übernommen, weil es für mich eine völlig neue und bis dahin unbekannte Rechtsmaterie war, in die ich mich jetzt einarbeiten musste. Auch war die Aufklärungsarbeit in den Transplantationszentren zusammen mit medizinischen Sachverständigen anspruchsvoll
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und spannend. Aus der für eine überschaubare Zeitspanne geplanten Zusammenarbeit mit den eben genannten medizinischen Institutionen wurden allerdings mehr als sieben Jahre. Denn Ende 2012 war mir die Leitung der bei der Bundesärztekammer eingerichteten „Vertrauensstelle Transplantationsmedizin“ übertragen worden, die für die Meldung verdächtiger Ereignisse in Transplantationszentren oder von sonst im Zusammenhang mit einer Transplantation stehenden Vorkommnisse und deren Aufklärung zuständig war, eine Aufgabe, die ebenso interessant wie befriedigend war. Auf meinen Wunsch hin bin ich allerdings Ende August 2019 dort ausgeschieden, da ich allmählich doch mehr Zeit für meine privaten Interessen und Neigungen haben möchte. d) Es gab in den letzten Jahren noch ein erwähnenswertes rein strafrechtswissenschaftliches Intermezzo. Im Sommer 2014 plante der damalige Bundesjustizminister Heiko Maas eine grundsätzliche Reform der Tötungsdelikte und berief zu dem Zweck eine 17-köpfige Expertengruppe ein, zu der auch ich gehören durfte. Sie war besetzt mit Vertretern aus verschiedenen Justizbereichen, Ministerialbeamten aus den Ländern, sowie Vertretern der Strafrechtswissenschaft. Man traf sich insgesamt zehn Mal im BMJV und legte im Mai 2015 einen Abschlussbericht mit verschiedenen Vorschlägen zur Reform der §§ 211, 212, 213 StGB und der lebenslangen Freiheitsstrafe vor. Dem Abschlussbericht folgte auch Anfang 2016 ein Referentenentwurf des BMJV, der es jedoch nicht einmal in die Beratungsgremien der Parteien schaffte. Diese sog. Reform verlief also, wie schon diverse Vorgängerversuche, im Sande. Das ist eigentlich schade, denn der Abschlussbericht enthält einige gut begründete Reformvorschläge, die es verdient hätten, dass sich der Gesetzgeber einmal näher mit ihnen befasst. Besonders dringend scheint mir jedoch, dass die Politik endlich einmal den Mut hat, die lebenslange Freiheitsstrafe nicht mehr als absolute Strafandrohung des § 211 StGB im Gesetz vorzuschreiben, sondern einen minder schweren Fall als Abs. 3 des § 211 StGB in das Gesetz einfügt, zumindest für die Fälle, in denen die Tatumstände entsprechend den Kriterien des Großen Senats für Strafsachen in BGHSt 30, 105 als außergewöhnliche Umstände bewertet werden können, die eine lebenslange Freiheitsstrafe unverhältnismäßig erscheinen lassen. Gesetzliche Klarheit ist hier schon im Interesse der Rechtssicherheit angebracht, um die kaum einzuschätzenden Umgehungsstrategien der Rechtsprechung zur Vermeidung lebenslanger Freiheitsstrafe obsolet zu machen.
IV. Schlussbemerkungen Wie ich bei der Abfassung dieses Beitrags zu meinem eigenen Erstaunen festgestellt habe, habe ich ein – was meine Befassung mit der Rechtswissenschaft an-
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geht – ziemlich bewegtes Leben hinter mir. Ich bin meist auf für mich günstige Rahmenbedingungen getroffen, sowohl als Richterin in der Tatsachen- als auch in der Revisionsinstanz. Allerdings habe ich auch immer nach bestem Wissen und Gewissen versucht, alles richtig zu machen und den betroffenen Menschen gerecht zu werden. Es war für mich aber vor allem ein großes Glück, dass ich die Chance bekommen habe, zum Bundesgerichtshof zu gehen, auch wenn ich das damals zunächst nicht so eingeordnet habe. Die BGH-Senate haben einerseits die Aufgabe, durch ihre Rechtsprechung für Gleichheit im Recht und Rechtssicherheit zu sorgen und andererseits, wenn geboten, das Recht fortzubilden. Wenn man so will, vereinen sich in der revisionsrichterlichen Tätigkeit gelegentlich Praxis und Wissenschaft, was mir sehr viel Freude gemacht und das Gefühl beruflicher Erfüllung verschafft hat. Ich hatte wiederum das Glück, nach dem Beginn des Ruhestands als Richterin mein Wissen und meine beruflichen Erfahrungen in der Universität an junge Menschen weitergeben zu können und auch noch in anderen Bereichen, wie bei meinen Tätigkeiten für die Bundesärztekammer, für Ärzte und Ärztinnen, Pflegepersonal und andere medizinische Berufe hilfreich einsetzen zu können. Mehr kann man sich eigentlich an beruflichem Erfolg nicht wünschen. Dafür bin ich sehr dankbar. Für die Zukunft hoffe ich, dass es dem BGH gelingt, das hohe Niveau seiner Rechtsprechung aufrecht zu erhalten und trotz der zahlenmäßig erheblich vergrößerten Richterschaft und der fortgeschriebenen räumlichen Aufspaltung der inzwischen sechs Strafsenate auf zwei Gerichtsorte ein Auseinanderdriften der Rechtsprechung in verschiedene Richtungen zu vermeiden. Nach meiner Einschätzung dürfte sich das auf Dauer als schwierig erweisen, denn die modernen Kommunikationsmittel können einen Austausch von Gedanken und Argumenten im persönlichen Gespräch oder in der Diskussion mehrerer Personen miteinander nach meinen Erfahrungen nicht gleichwertig ersetzen.
Schriftenverzeichnis (in Auswahl) 1. Kommentierungen Strafgesetzbuch, Leipziger Kommentar, §§ 52–55, 11. Aufl. 1999. Strafgesetzbuch, Leipziger Kommentar, §§ 52–55, 12. Aufl. 2006. Strafgesetzbuch, Leipziger Kommentar, §§ 52–55, 13. Aufl. 2019. Strafgesetzbuch, Leipziger Kommentar, §§ 211–217, 12. Aufl. 2019 (§§ 211– 213 StGB gemeinsam mit Georg Zimmermann).
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2. Aufsätze in Zeitschriften und Sammelwerken Die Behandlung rechtlicher Handlungseinheiten in der Rechtsprechung nach Aufgabe der fortgesetzten Handlung (unter besonderer Berücksichtigung des Staatsschutz-Strafrechts), in: Festschrift aus Anlaß des fünfzigjährigen Bestehens von Bundesgerichtshof, Bundesanwaltschaft und Rechtsanwaltschaft beim Bundesgerichtshof, 2000, S. 475–494. Die „Bande“ – Rückblick und Ausblick nach der Entscheidung des Großen Senats für Strafsachen des BGH, Beschluss vom 22.3.2001 – GSSt 1/00, in: Bochumer Beiträge zu aktuellen Strafrechtsthemen, Vorträge anlässlich des Symposion zum 70. Geburtstag von Gerd Geilen am 12./13.10.2001, 2003, S. 131–144. The German Federal Supreme Court and the Prosecution of International Crimes Committed in the Former Yugoslavia, Journal of International Criminal Justice 3 (2005), S. 381–399. Vorbehaltene und nachträgliche Sicherungsverwahrung als Bewährungsproben des Rechtsstaats, in: Festschrift für Kay Nehm, 2006, S. 191–204. Für betrügerische oder andere kriminelle Zwecke errichtete oder ausgenutzte Unternehmen: rechtliche Handlungseinheiten sui generis?, in: Festschrift für Klaus Tiedemann, 2008, S. 391–394. Divergenzausgleich und Fragen von grundsätzlicher Bedeutung – Stellung und Funktion des Großen Senats für Strafsachen des Bundesgerichtshofs und sein Verhältnis zu den Strafsenaten – ein Problem des gesetzlichen Richters (Art. 101 Abs. 1 S. 2 GG), in: Festschrift für Gunter Widmaier, 2008, S. 505–520. Das systematische Verhältnis von Mord und Totschlag und die Reform der Tötungsdelikte – Eine kritische Betrachtung aus der Perspektive der Rechtsprechung, in: Rechtsprechung, Gesetzgebung, Lehre: Wer regelt das Strafrecht?, in: Strafrechtsdialog, Schriften zur Theorie und Praxis des Strafrechts, Bd. 2, 2010, S. 26–43. Die Besetzungsreduktion der großen Strafkammern nach § 76 Abs. 2 GVG, § 33b Abs. 2 JGG – als Dauerlösung tauglich?, in: Festschrift für Volker Krey, 2010, S. 431–447. Strafrechtliche Aspekte der aktiven Sterbehilfe nach dem Urteil des 2. Strafsenats des BGH v. 25.6.2010 – 2 StR 454/09, Zeitschrift für Internationale Strafrechtsdogmatik 2011, S. 544–551. Strafrechtliche Aspekte der aktiven Sterbehilfe, in: Juristische Studiengesellschaft Karlsruhe, Jahresband 2011, S. 107–120.
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Der bedingte Tötungsvorsatz und die Hemmschwellentheorie des Bundesgerichtshofs, in: Festschrift für Klaus Geppert, 2011, S. 497–517. Neuere Aspekte der Sicherungsverwahrung im Kontext der Rechtsprechung des EGMR, in: Festschrift für Claus Roxin, 2. Hlbbd., 2011, S. 1173–1191. Der sog. „Transplantationsskandal“ – eine strafrechtliche Zwischenbilanz, NStZ 2014, S. 233–243. Das „Zehn-Augen-Prinzip“ – Wunschvorstellung oder zwingendes Gebot?, in: Festschrift für Werner Beulke, 2015, S. 963–972. Organallokation in Deutschland – Voraussetzungen und Probleme, in: Tag, Brigitte/Groß, Dominik/Mausbach, Julian (Hrsg.), Transplantation – Transmortalität, rechtliche und ethische Kontroversen, Tagungsband zur interdisziplinären Tagung im Kompetenzzentrum Medizin-Ethik-Recht Helvetiae der Universität Zürich (MERH), 2016, S. 55–66. Das BGH-Urteil 2010, in: Bormann, Franz-Josef (Hrsg.), Lebensbeendende Handlungen – Ethik, Medizin und Recht zur Grenze von „Töten“ und „Sterbenlassen“, 2017, S. 645–666. Das BGH-Urteil vom 28. Juni 2017 (5 StR 20/16) zum sog. Transplantationsskandal – eine Schicksalsentscheidung?, NStZ 2018, S. 57–67 (zusammen mit Torsten Verrel). Der Fall Wittig und die Verweigerung von Rechtssicherheit durch den BGH, NStZ 2020, S. 121–129 (zusammen mit Torsten Verrel).
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https://doi.org/10.1515/9783110703016-014
Wolfgang Schild I. Vita und akademischer Werdegang Schaut man auf sein Leben zurück und versucht, es als einen Weg zu verstehen, dann wird deutlich, dass es einige Weichen gegeben hat, die jeweils eine Zukunft eröffneten und bestimmten. In der Rückschau werden sie daher auch zu den wesentlichen Ereignissen, meist Zufälle, die aber auch als Chancen ergriffen werden mussten, was nur gelingen konnte, wenn sie „glückten“. Wie viele solcher Chancen man nicht erkannt, nicht ergriffen hat, wie viel Pech dazu kam, ist schwer zu sagen. Als philosophischer Mensch und Goethe-Verehrer weiß ich, dass jeder Versuch, die Wahrheit seines Lebens zu erfassen, Dichtung ist. Ich versuche, mich ehrlich zu erinnern, was bedeutet, dass ich das Vergessene nicht berichten kann. Ich beschränke mich auch auf sechs Wegweiser, die für die Schilderung des Zwecks meiner Ausführungen – den Werdegang als Strafrechtler – relevant waren; dass noch bedeutender die Ereignisse im privaten Leben, vor allem das Kennen- und Liebenlernen meiner Frau und die Geburt und Erziehung meiner beiden Töchter, also das Familienleben waren und sind, soll außen vor bleiben. Die erste Weichenstellung verdanke ich meiner Mutter. Wie wäre mein Leben verlaufen, wenn sie der Aufforderung Folge geleistet hätte, die wenige Tage nach meiner Geburt an sie gestellt wurde! Ich wurde an einem 2. November (nämlich des Jahres 1946) in einem Vorort von Wien – Stadlau, Teil des 22. Stadtbezirkes jenseits der Donau („Donaustadt“) – geboren; für die überwiegend katholische Bevölkerung damit am „Allerseelentag“, der dem Gedenken der nicht-erlösten Seelen gewidmet war. Die Nonne, die meine Mutter – die zuhause geboren hatte und noch im Kindbett lag – besuchte, sah darin ein gottgesandtes Zeichen, das sie dazu bewegen sollte, mein Leben dem geistlichen Stand zu widmen, mich also zu einem Priester zu erziehen. Meine Mutter war eine gläubige Frau, aber von einer lebensfreundlichen Pragmatik getragen; sie lehnte dieses Ansinnen ab. Sie hatte eine Mädchenoberschule besucht, mit 17 Jahren geheiratet, um dem Arbeitsdienst zu entgehen, hatte Klavierspielen gelernt, sang sehr schön in der Kirche, war aber nicht wirklich gebildet worden. Mein Vater kam aus einem kleinen Dorf in Oberösterreich, hatte nach Schwierigkeiten mit dem oft alkoholisierten Vater die Hauptschule abgebrochen, war dann bei einem Automechaniker untergekommen, bis er dann als junger Mann beschlossen hatte, nach Wien zur Polizei zu gehen. Mit Fleiß und Disziplin konnte er sich allmählich bis zum Leiter der Kantine in einer Polizeikaserne hinaufarbeiten. Sein Beruf prägte seinen Erziehungsstil: Disziplin, schnelles Aufstehen in der Früh auf Zuruf, Kontrolle der Jugendfreunde (aus einer Angst vor einem Abrutschen in die Kriminalität, auch weil er mir of-
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fensichtlich Führungsqualität zuschrieb), aber auch Gewährung von Sicherheit durch Stärke, Verlässlichkeit und Schutz. Dadurch und durch die liebevolle, pragmatische, empathische Erziehung durch die Mutter konnte ich Urvertrauen ausbilden. Hervorzuheben ist das wirklich gute, harmonische Verhältnis zu dem vier Jahre älteren Bruder. Insgesamt durfte ich eine Kinderzeit leben, an die ich mich deshalb schlecht erinnern kann, weil sie so problemlos verlief. Geboren in einer Altbauwohnung, erfolgte der Umzug in eine neue Gemeindebausiedlung der Stadt Wien um 1950; ich hatte gemeinsam mit dem Bruder ein Zimmer. Stadlau lag jenseits der Donau, damals schlecht zu erreichen, dafür fast kein Autoverkehr, weshalb selbst die Straßen geeignete Spielflächen waren; wie auch die vielen grünen Wiesen ringsherum, die stets Möglichkeiten zum Fußballspielen boten. Als Novemberkind, das zudem anfangs körperlich klein und dünn war, wurde ich zunächst an der nahegelegenen modernen „Volksschule“ (das heißt der österreichischen Grundschule) nicht angenommen; dann aber nach einer Begutachtung durfte ich in einer älteren Schule mit fünf Jahren beginnen. Der Lehrer war ein Mann, der sich dem Experiment verschrieben hatte, mit der Schreibschrift zu beginnen. Die Schulzeit war problemlos. Der Weg zur Schule ging durch Felder und grüne Wiesen und dauerte so lang, dass auch ein zur Strafe verhängtes Nachsitzen problemlos durch schnelles Gehen verborgen werden konnte. Allmählich verbesserte sich die finanzielle Lage der Familie durch Erhöhung der Besoldung der Polizeibeamten. Die zweite Weichenstellung geschah durch einen mit der Familie befreundeten kinderlosen Arzt, den mein Bruder und ich „Onkel Walter“ nennen durften. Irgendwie hatte er Gefallen an unserer Familie und vor allem an mir gefunden. So schenkte er mir allmählich alle seine Karl May-Bücher, die ich mit Begeisterung und Hingabe las. In unserem Haushalt gab es keine Bücher, von einer Bibel abgesehen, aus der am Weihnachtsabend immer vorgelesen wurde. Ob ich ohne Onkel Walter auch zu einem Büchernarren geworden wäre? Entscheidend(er) aber waren seine vielen Diskussionen mit meinem Vater, von denen wir Kinder damals nichts mitbekamen. Mein Vater hatte sehr schlechte Erfahrungen mit Akademikern gemacht und deshalb bei sich beschlossen, dass seine Söhne (nur) einen anständigen Handwerkerberuf erlernen sollten. Es bedurfte vieler Diskussionen mit Onkel Walter (und seiner Frau), bis mein Vater einverstanden war: Wir durften auf das Gymnasium. Ich besuchte das Gymnasium im 20. Wiener Bezirk (Unterbergergasse). Dies bedeutete einen langen Schulweg: Zunächst 15 Minuten Fußmarsch, dann 40 Minuten Straßenbahn; dabei gab es viele Gespräche mit einem Freund, der ebenfalls bis zur achten Stufe in diese Schule ging. Sie war nur Knabenschule (bis in der Abiturklasse „erstklassige“ Mädchen dazukamen). Viel Qualität bot sie nicht, au-
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ßer einem exzellenten Unterricht in Latein und Deutsch. Das Erlernen der englischen Sprache fiel mir schwer, weil ich gerade in den Anfangsjahren (unglücklich) in die junge mollige Englischlehrerin verknallt war. Doch war der Englischunterricht schwach; wir sprachen bis zuletzt nur Deutsch im Unterricht, das Englische beschränkte sich auf die Lektüre von Texten. Überhaupt war insgesamt das Lernniveau in der kleinen Klasse (meist nur 16 Schüler, davon 15 Wiederholer) sehr schlecht; ohne mich anstrengen zu müssen, war ich immer der Klassenbeste, was offensichtlich – betrachtet man frühere Fotos – zu einer gewissen Überheblichkeit führte. Zwei Ereignisse unterstützten diese Rolle: In Latein übergab mir der Lehrer mehrfach die Durchführung der Stunden, übernahm sogar die Noten für die von mir geprüften Mitschüler; der Deutschlehrer ließ mich im Abiturjahr ein mehr als 25-stündiges Referat über den Expressionismus in der Literatur halten. Es lag auf der Hand, dass ich deshalb Probleme mit dem Rest der Klasse bekam, die aber dadurch aufgefangen und schließlich aufgelöst wurden, weil ich der beste Fußballspieler, der schnellste Läufer und in den höchsten Klassen auch ein begehrter (meist kostenloser) Nachhilfelehrer für die Mitschüler wurde. Der Grund für meine sportlichen Erfolge lag darin, dass ich ab dem 14. Lebensjahr Mitglied in einem Ruderklub („Donau-Wien“) war, anfangs wegen meiner Kleinheit Steuermann, dann schließlich ab dem 17. Lebensjahr sogar Schlagmann im Jugendachter. Bei Sommerkursen an den Kärtner Seen erwarb ich das Diplom für die Trainertätigkeit im Jugendsport, praktizierte diese auch kurz für die Frauenmannschaft, was freilich einen männlichen 17-Jährigen doch überforderte. Meine eigentliche Leidenschaft seit früher Jugend galt allerdings dem Fußballspiel, das ich als schneller Rechtsaußen intensiv betrieb; doch verbot mir mein Vater das Training in einer Jugendmannschaft. Später (während des Studiums) spielte ich in unterklassigen Mannschaften und in der Studentenauswahl der Universität Wien; ich denke heute noch mit Stolz an die Tatsache zurück, dass ich mit 20 Jahren von dem Verein „Polizei Wien“ dem „Eisenbahnersportverein Stadlau“ abgekauft wurde. Das Abitur – in Österreich „Matura“ genannt – legte ich mit 17 Jahren (nach zwölf Stufen) am 15. Juni 1964 mündlich in den drei Hauptfächern Mathematik, Deutsch und Latein mit Auszeichnung ab. Deshalb erhielt ich ein staatliches Leistungsstipendium, das meine Eltern mir überließen: Ich kaufte mir für das Geld ein kleines Auto. Zum Abitur schenkten meine Eltern mir die Führerscheinprüfung für alle Sparten (also auch für LKW mit Anhänger). Schon frühzeitig hatte ich Interesse an allem, was ich tat bzw. tun musste, was dazu führte, dass ich mich mit all diesen Praktiken tiefergehend beschäftigte, häufig mit übersteigerten und daher unerfüllbaren Ansprüchen. So versuchte ich, aus den Andeutungen bei Karl May die Sprache der Apachen zu rekonstruieren; so
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führte der (kurz „genossene“) Klavierunterricht dazu, dass ich die Idee gebar, den „Kampf um Rom“ von Felix Dahn zu einer Oper zu gestalten; die erste Szene – Totila auf einem Hügel vor dem Heer der Goten – hatte ich schon geschrieben (sogar in Versen), auch einige Akkorde – die ich auf dem Klavier mühsam zusammensuchte – notiert. Die völlige Unkenntnis der musikalischen Gesetze verhinderte die Komposition. Diese Einstellung – Interesse an den eigenen Lebenspraktiken – hat sich ein Leben lang gehalten, in manchen Fällen später sogar durchaus mit Erfolg. Zahlreiche Unterrichtsstunden arbeitete ich zuhause unter Heranziehung von Literatur tiefergehend durch, schrieb Texte dazu, illustrierte sie durch Zeichnungen oder durch ausgeschnittene Bilder oder Zeitungsberichte. Insgesamt interessierten mich sehr viele Gegenstände; am wenigsten die Naturwissenschaften, wahrscheinlich auch, weil die Lehrer in keiner Weise faszinierend waren (obwohl ich in Mathematik – auch mein Abiturfach – ein sehr guter Schüler war). Meine Lieblingsfächer waren Latein und Deutsch. Eine Konsequenz, die mich mein gesamtes Leben begleitete, ist in diesem Zusammenhang zu nennen: Mein selbständig erworbenes Geld (anfangs als Nachhilfelehrer, dann als studentische Hilfskraft, Universitätsassistent, schließlich Professor) gab ich in unverantwortlicher Weise für Bücherankäufe aus, eine Leidenschaft, die durch die Praxis der Buchhandlungen – die Bücherrechnungen aufzuschreiben und erst am Monatsende die Bezahlung zu verlangen – gesteigert wurde. Dass ich nun nach meiner Pensionierung nicht weiß, was ich mit diesen Büchermengen anfangen soll, steht auf einem anderen Blatt. Mit 17 Jahren (also nach dem Abitur) konnte ich in Wien mit einem Studium beginnen; die Bundeswehr drohte erst später. Wegen meines Interesses an vielen geisteswissenschaftlichen Fächern fiel die Wahl des Studienfaches nicht leicht. Letztlich siegte meine damalige Prägung durch die Lektüre der Kriminalromane von Erle Stanley Gardner: Sein Serienheld, der Strafverteidiger Perry Mason, der die interessanten Kriminalfälle meist im Plädoyer im Gerichtssaal löste, unterstützt von der hübschen Sekretärin Stella Street, war zum Vorbild durchaus geeignet; zudem hatte ein befreundeter Rechtsanwalt mir rhetorisches Talent zuerkannt und daher das Jurastudium empfohlen. Dieses war damals noch verbunden mit dem Anspruch auf universale Bildung (des zu erzeugenden Beamten): zwei Semester rechtshistorischer Studienabschnitt (vor allem römisches und kanonisches Recht, Abschluss erste Staatsprüfung), drei Semester judizieller Studienabschnitt (Bürgerliches Recht, Straf-, Prozess- und Handelsrecht; Abschluss zweite Staatsprüfung, möglich erstes Rigorosum [als reine Uni-Prüfung und Vorbereitung für das Doktorat]), drei Semester staatswissenschaftlicher Studienabschnitt (mit öffentlichem Recht, Volkswirtschaftslehre, Finanzrecht, Völkerrecht, Rechtsphilosophie; Abschluss dritte Staatsprüfung, zweites Rigorosum); dann mögliches
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drittes Rigorosum („Romanum“ über den Stoff des ersten Studienabschnitts). Und damit war man „Doctor iuris“, also ohne eine Dissertation geschrieben zu haben. Den ersten Studienabschnitt absolvierte ich mit eher verhaltenem Eifer, weil ich aus privaten, mit dem anderen Geschlecht zusammenhängenden Gründen oft den Lehrveranstaltungen fernblieb. Die erste Staatsprüfung bestand ich aber mit einhellig gutem Erfolg. Im anschließenden Semester kam ein junger Innsbrucker als neuer Professor für Strafrecht und Strafprozessrecht an die Universität: Winfried Platzgummer, der eine studentische Hilfskraft suchte. Ich bewarb mich; und wurde ab dem vierten Semester „studentische Hilfskraft“, damals eine ganztägige Stelle. Ich bekam im Institut für Kriminologie einen eigenen Raum, daneben ein Kopiergerät. Vielleicht könnte man auch darin eine Weichenstellung sehen. Denn nun begann ich wirklich und ernsthaft zu studieren. Nur besuchte ich bewusst keine Vorlesungen, sondern studierte mit der Lektüre von Büchern und (kopierten) Aufsätzen, die ich dann oft zu einem eigenen Skriptum über den Stoff zusammenstellte. Dadurch verlief das weitere Studium sehr erfolgreich, das zweite Rigorosum bestand ich sogar mit der seltenen Note „einstimmige Auszeichnung“. Das Romanum am 30. Oktober 1968 war ein sehr gutes Gespräch mit Prof. Sybille Bolla-Kotek über deutsche und römische Strafrechtsgeschichte. Mit diesem 30. Oktober 1968 (also drei Tage vor meinem 22. Geburtstag) war ich laut Urkunde vom 27. November „Doktor beider Rechte“ (gemeint: des römischen und des kanonischen Rechts). Winfried Platzgummer übernahm mich ab dem 1. November 1968 als Universitätsassistenten. Mein ursprünglicher Plan, in Nachfolge von Perry Mason Strafverteidiger zu werden, hatte sich nicht nur wegen der anderen Rechtslage in Österreich aufgelöst; mein Lebensziel war nun die Wissenschaft und der Beruf eines Universitätslehrers geworden. Die Verpflichtung, in der Bundeswehr zu dienen, wurde wegen der Universitätstätigkeit aufgeschoben. In den Sommerferien 1971 und 1972 absolvierte ich meine Gerichtspraxis als Rechtspraktikant am Landesgericht für Strafsachen Wien. Förderungspreise der Theodor-Körner-Stiftung (1974) und der Gemeinde Wien (1975) gaben Schwung und Mut. Bald (ab 1971) wurde mir im Rahmen eines Lehrauftrages in jedem Semester die Abhaltung des Repetitoriums für Strafrecht und Strafprozessrecht übertragen. Mein eigenes Zimmer und der Kopierer daneben blieben für einige Jahre mein berufliches Zuhause. Meine Frau, die ich im Sommer 1969 kennengelernt hatte, war eine eifrige abendliche Kopiererin von durch die Fernleihe herbeigeschafften Büchern. Ich lernte das von mir so genannte „Planatolieren“ (also das Blockverleimen der kopierten Seiten durch das Klebemittel Planatol); meine eigene Bibliothek wuchs nicht nur in Gestalt von
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Büchern, die ich hemmungslos kaufte, sondern auch durch diese gebundenen Kopien. Die dritte Weichenstellung beruhte auf der Bekanntschaft mit dem Professor für Philosophie an der Universität Wien: Erich Heintel, geboren 1912, seit 1960 Professor. Ich lernte ihn erstmals kennen in einer Veranstaltung, die Felix Ermacora – Professor für öffentliches Recht – mit ihm durchführte. Ich trat als Referent auf und sprach über die Reine Rechtslehre Kelsens. Im dritten Studienabschnitt hatte ich mich intensiv mit Kelsen auseinandergesetzt; im Seminar des Kelsen-Schülers Prof. Robert Walter muss ich überzeugender Kelsenianer gewesen sein, da ich mit der bei ihm sehr seltenen Note „sehr gut“ abschloss (wodurch sich später auch kurz die Möglichkeit eröffnete, Assistent am neu gegründeten Kelsen-Institut in Wien zu werden, was dann aber wegen der nun zu schildernden Entwicklung ausschied). Dieses Referat im Ermacora-Heintel-Seminar, ganz im Sinne der Reinen Rechtslehre bis hinein in alle Konsequenzen, hatte einen bemerkenswerten Erfolg. Heintel nannte mich ein „Wunderkind“: Denn so einen Idioten habe er noch niemals erlebt; und wollte mich aus der weiteren Veranstaltung ausschließen. Bis er erkannte, dass es nur mehr eines kleinen, aber wesentlichen Schrittes bedurfte: die herausgearbeiteten Konsequenzen der Reinen Rechtslehre in ihrer eigentlichen Bedeutung zu erkennen und kritisch zu hinterfragen. Ich habe dies in mehreren Arbeiten auch versucht. Jedenfalls war ich durch Erich Heintel in die Philosophie geraten; und damit in die Welt, in der ich bis heute lebe und hoffentlich heimisch geworden bin. Es war faszinierend, einen Menschen zu erleben, der in einer hemdsärmeligen Art, humorvoll, rhetorisch überzeugend, bei einem Glas Wein bis spät in die Nacht hinein einfach über jedes Thema reden, diskutieren, sich auseinandersetzen konnte. Heintel war gebildet in der griechischen Philosophie, in der Scholastik (Thomas von Aquin), in Leibniz, in Kant und in Hegel; die Breite seiner Arbeiten kann man aus den neun Bänden seiner „Gesammelten Abhandlungen“ ersehen, aber auch aus den Themen der „Ost-West“-Tagungen, die er als neutraler Österreicher im niederösterreichischen Zisterzienserstift Zwettl abhielt, gemeinsam mit Philosophen aus westlichen und östlichen Staaten. Vor allem aber war er Gesprächspartner für Einzelwissenschaftler (wie z. B. bereits genannt: den Rechtswissenschaftler Ermacora), die offen für den Dialog waren. Er veranstaltete mit Vertretern wohl jeder Fachdisziplin Symposien in dem bereits genannten Zwettl im Waldviertel, mit dessen Abt er – als Protestant – befreundet war: mit Physikern, Biologen, Psychologen, Verhaltensforschern, Sprachwissenschaftlern, Theologen. Es wurden fachspezifische Referate gehalten, die dann philosophisch „abgeklopft“ wurden; Heintel sprach von „universaler Sprachkritik“, die die Sätze der Wissenschaften ernst nehmen und kritisch aufarbeiten sollte. Ich hatte das Glück, nach
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meiner „Konversion“ zu dem inneren Zirkel der Assistenten zu gehören, und habe diese Symposien und die (auch nächtlichen) intensiven Diskussionen genossen. Ich meine auch, dass ich von und in ihnen sehr viel gelernt habe: nicht nur die fachspezifischen Themen der Einzelwissenschaften kennengelernt, sondern deren Zusammenhang mit der Methode der jeweiligen Wissenschaft erkannt habe, den deren Vertreter gerne zu vergessen neigten, weshalb sie dann oft ihre methodisch-reduzierten Thesen als Wahrheit (und damit als Philosophie) verkündeten. Das eröffnete selbstverständlich einem streiterfahrenen Mann wie Erich Heintel die Möglichkeit zu tiefgehender (freilich meist nicht verstandener oder akzeptierter) Kritik. Sein Hinweis auf „kollektives Irresein“ klingt mir heute noch bei manchen eigenen Diskussionen in den Ohren! Für mich jedenfalls war eine Beschränkung auf juristische Dogmatik oder juristische Theorie nicht mehr möglich. Gerade im Strafrecht stellten sich über das eigentlich Juristische hinausgehende Fragen: vor allem die nach der menschlichen Freiheit, nach der Möglichkeit von strafrechtlicher Schuld, nach dem Sinn der Bestrafung; Fragen, die philosophisch zu stellen und zu lösen waren, was bedeutete, dass die vielen Ergebnisse der Einzelwissenschaften (Hirnforschung, Psychologie, Psychoanalyse, Soziologie) unter Reflexion auf die jeweils angewendete Methode aufgearbeitet und systematisiert werden mussten. Als Habilitationsthema dachte ich an eine Handlungslehre, die in dieser Weise Einzelwissenschaften und Philosophie zusammendenken und für die strafrechtliche Dogmatik fruchtbar machen sollte. Winfried Platzgummer, der mir stets sehr viel Freiheit eingeräumt hatte, war darüber überrascht; und wahrscheinlich auch betroffen. Ich hatte – ohne ihn vorher zu fragen – 1972 in der Festschrift für Erich Heintel einen Beitrag geschrieben, hatte auch in der damals heißen Diskussion um die Strafbarkeit der Abtreibung eine abweichende Meinung veröffentlicht; zudem hatte meine Heirat 1972 und eine anschließende Operation wegen einer Netzhautablösung – die im Übrigen meine bescheidene Fußballerkarriere beendete (aber zugleich auch meine endgültige Freistellung vom Wehrdienst bedeutete) – meine persönliche Situation (und meine Zukunft) in den Vordergrund geschoben. Platzgummer meinte, dass er mich in dem offensichtlich eingeschlagenen Weg nicht mehr begleiten oder unterstützen könnte, und lehnte eine Verlängerung meiner Assistentenzeit ab. Da ich Assistentenvertreter war, entstand ein Problem, das schließlich einvernehmlich gelöst werden konnte. Ich bewarb mich um ein Stipendium der Alexander von Humboldt-Stiftung, wofür auch Platzgummer mir ein freundliches Empfehlungsschreiben verfasste, und schied nach der Zusage des Stipendiums – das am 1. Oktober 1974 begann – aus dem Assistentenverhältnis am Institut für Kriminologie aus; das heißt, mir wurde für ein Jahr Karenzurlaub gewährt, nach dessen Ende das Dienstverhältnis beendet werden sollte. Damit
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drohte für die Zukunft Arbeitslosigkeit. Eine mögliche Zukunft sah ich im Richteramt nicht, für das zudem nach der österreichischen Rechtslage eine zusätzliche juristische Ausbildung verlangt war; eher stellte ich mir den Beruf eines Bibliothekars vor. Der Wunsch, auch später an der Universität zu bleiben und dafür eine „große“ Arbeit zu verfassen (eben im Rahmen des Stipendiums), blieb freilich bestehen. Und ich hatte das Glück, dass noch während der Verlängerung meines Humboldt-Stipendiums (also nach dem Ende des ersten Stipendienjahres und dem Ausscheiden aus dem Universitätsdienst) eine Assistentenstelle am Institut für Philosophie der Universität Wien frei wurde, die mir Erich Heintel zur Verfügung stellte. So wechselte ich am 1. Oktober 1975 als Assistent an die philosophische Fakultät, mit der Aussicht, mein Leben damit weiter an der Universität verbringen zu können. Das Ministerium sah mich im Habilitationsstadium (an der Arbeit mit dem Thema „Rechtsphilosophische Grundlagen des Zurechnungsbegriffes“). Ich brauchte deshalb das bereits 1970 aufgenommene Philosophiestudium nicht zu beenden. Alles änderte sich, als ich im Herbst 1976 beauftragt wurde, eine Lehrstuhlvertretung an der Universität Bielefeld anzutreten. Und damit kann ich auf zwei weitere Weichenstellungen eingehen. Zunächst auf die vierte Weichenstellung, die mit der Person Arthur Kaufmann verbunden ist. Er war der deutsche Professor, der mich als Stipendiat der Alexander von Humboldt-Stiftung annahm und für meine beginnende Laufbahn als deutscher Hochschullehrer bestimmend wurde. Ich hatte ihn in meinem Stipendiumsantrag als Betreuungsprofessor genannt und ihn angeschrieben; er hatte ein positives Gutachten erstellt. Kurz ist auf diesen Antrag einzugehen. Ich war aus den genannten Gründen auf ein Stipendium angewiesen; das sicherlich attraktivste war die großzügige Förderung junger Wissenschaftler durch die Alexander von Humboldt-Stiftung. Das Problem war nur, als deutschsprachiger und mit der deutschen Kultur und Rechtswissenschaft vertrauter Österreicher in den Genuss dieses Stipendiums zu kommen. Ich wählte schließlich ein Thema, von dem ich annahm, dass es chancenreich war, weil es eine deutsche Institution nur schwer würde ablehnen wollen: die Rechtsphilosophie des Nationalsozialismus. Ich kannte die heftige Diskussion in Deutschland, die für mich als in Österreich geborenen und erzogenen jungen Menschen nur schwer nachzuvollziehen war. Denn die offizielle historische Lesart sah in Österreich das erste Opfer des deutschen Nationalsozialismus. Dies war selbstverständlich eine historische Lüge; aber sie war für uns Kinder und Jugendliche insofern hilfreich, als sie uns ein offeneres Verhältnis zu dieser Geschichte ermöglichte. Ich hatte mich auf der Suche nach dem Einfluss Hegels auf die Rechtswissenschaft schon frühzeitig mit den Arbeiten von Karl Larenz, Julius Binder, Gerhard Dulckeit, auch Walter Schönfeld und Carl Schmitt beschäftigt und versucht, den
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Nationalsozialismus als argumentatives System nachzuzeichnen, ihn dadurch zu verstehen und den in ihm liegenden Fehler zu erkennen. Mir genügte ein Hinweis auf die Verbrechen der NS-Täter, die sprachlos erschütterten, nicht; ich wollte die argumentativen Hintergründe aufarbeiten und philosophisch widerlegen, was auch die Aufgabe einschloss, diese Verbrechen als die Konsequenzen des argumentativen Systems (der Ideologie) aufzuzeigen. Dieses Interesse ist bis heute geblieben. Ich habe als Professor in Bielefeld zahlreiche Veranstaltungen in Volkshochschulen und Akademien zu diesem Thema durchgeführt, habe 1983 in einem Beitrag unter dem Titel „Die nationalsozialistische Ideologie als Prüfstein des Naturrechtsgedankens“ meine Chancen auf einen möglichen Listenplatz vertan, habe noch 2005 und 2014 in zwei Arbeiten Karl Larenz in diese Richtung interpretiert. Jedenfalls hatte mein Antrag bei der Alexander von Humboldt-Stiftung Erfolg. Ich begann am 1. Oktober 1974 meine Arbeit in München. Arthur Kaufmann war ein freundlicher, an vielen Themen und Fragen interessierter und sehr gebildeter Strafrechtswissenschaftler und Rechtsphilosoph, der als designierter RadbruchErbe berufen war, die dominierende Persönlichkeit in der deutschen und internationalen Universitätswelt zu werden; wenn er nicht durch eine in den letzten Kriegstagen erlittene Kopfverletzung bzw. durch die deshalb erforderlichen Medikamente immer wieder gesundheitliche Rückschläge erlitten hätte. So musste ich als sein Gast erleben, wie er nach einigen intensiven und interessanten Seminarstunden wochenlang ausfiel, ins Krankenhaus musste und dann mit einer bewundernswerten Einstellung immer wieder zurückkam und erneut seine Lehrtätigkeit (und meine Betreuung) annahm. Unser freundliches und offenes Verhältnis trübte nur meine Begeisterung für die Hegelsche Philosophie, da er diese für eine Wegbereiterin des Nationalsozialismus hielt. Es ist bewundernswert, dass er trotzdem meine Bemühungen mit Interesse verfolgte, auch z. B. mir einen Besuch bei Karl Larenz ermöglichte. Leider war jeder Hinweis auf Hegel auch ein Störfaktor in dem sonst recht harmonischen Verhältnis zu den damaligen jungen Wissenschaftlern, die Arthur Kaufmann um sich geschart hatte. Es war eine interessante und überwiegend schöne Zeit mit Ulfrid Neumann, Ulrich Schroth, Alfred Büllesbach, Jochen Schneider, auch Reinhard Merkel; Winfried Hassemer kam häufig aus Frankfurt vorbei. Die engste Beziehung hatte ich zu Michael Marx, der über den Begriff des Rechtsgutes promoviert hatte. Er war von der Seniorchefin des Münchner Callwey Verlages, Dr. Margarete Baur-Heinhold, aufgefordert worden, ein strafrechtshistorisches, reich bebildertes und volkskundliche Inhalte aufnehmendes Buch zu verfassen; zunächst sollte ich als Co-Autor mitarbeiten. Als er dann das Interesse an diesem Thema verlor, blieb ich als Verfasser über. Ich hatte mich immer schon – auch in Nachfolge Hegels – für die Ge
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schichte (als Geistesgeschichte) interessiert. Nun begann ich zusätzliche Studien in Strafrechtsgeschichte, aber auch in Volkskunde und Rechtsikonologie. Später (nämlich 1980) konnte dann das Buch „Alte Gerichtsbarkeit“ erscheinen,1 wodurch ich in den Kreis der Rechtsikonologen um Louis Carlen, Clausdieter Schott und Gernot Kocher, auch Heiner Lück von der Universität Halle/Wittenberg kam; und auch zu einem Berater und Mitarbeiter am Mittelalterlichen Kriminalmuseum in Rothenburg ob der Tauber (damals unter dem Leiter Christoph Hinckeldey) wurde, für das ich zahlreiche Führer schrieb und Ausstellungen konzipierte. Besonders faszinierte mich – weshalb ich Mitglied des Arbeitskreises für Interdisziplinäre Hexenforschung (AKIH) wurde – die geistesgeschichtliche Aufarbeitung der strafrechtlichen Verfahren gegen Frauen, Männer und Kinder wegen des Verbrechens der Hexerei, das ich neben dem theologischen Begriff und der alltagsweltlichen Vorstellung von der Hexerei und dem ästhetischen Hexenbild der Kunst zu entwickeln versuchte. Zurück zum Kaufmann-Kreis in München! Die wechselseitige Sympathie fand nur an Hegel ihre Grenze, wobei es zu überhaupt keiner Diskussion kam, sondern allein der Name ausreichende Abscheu hervorrief (noch war die „Weisheit der absoluten Theorie“, die Hassemer später verkünden sollte, nicht erkannt). Heute ist diese unreife Einstellung der Hegelschen Philosophie gegenüber wohl nicht mehr nachzuvollziehen; damals (1974) galten Menschen, die sich auf ihn beriefen, als unwissenschaftlich, ideologisch, gefährlich, borniert. Auch später noch wurde ich mit dieser Einstellung häufig konfrontiert. Ich könnte einige Fakultäten aufzählen, bei denen meine Bewerbung auf den ersten Blick unter Berufung auf „Hegelianer“ verworfen wurde, ohne meine vielen Beiträge zur Strafrechtsdogmatik auch nur zur Kenntnis zu nehmen. Das Ziel meines Humboldt-Stipendiums sah ich damals in dem Verfassen einer Monographie über die Rechtsphilosophie des Nationalsozialismus, die ich in Wien als Habilitationsschrift einbringen wollte, um beruflich wieder an die Universität zu kommen. Doch änderte sich die Planung, als mir Arthur Kaufmann nach einem Seminar anbot, mich in München zu habilitieren, allerdings mit einer anderen Arbeit, die im Schwerpunkt Strafrechtswissenschaft darstellen müsste. Hegel sollte im Titel vermieden werden; am besten wäre eine Arbeit, die Claus Roxin ansprechen würde. Ich nahm dieses Angebot dankend an und wählte das Thema „Die Formen der Täterschaft. Studien zu einer systematischen Verbrechenslehre“. Die Stiftung akzeptierte die Themenveränderung, gewährte mir sogar ein zweites Jahr Stipendium für die Ausarbeitung. Nun konnte ich all meine 1
Schild, Wolfgang, Alte Gerichtsbarkeit. Vom Gottesurteil bis zum Beginn der modernen Rechtsprechung, 1980.
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vielen, in den interdisziplinären Veranstaltungen von Erich Heintel erlernten Inhalte zu einem System ausarbeiten, auf das unter II. näher eingegangen wird. Ich war im Frühjahr 1976 mit der ersten Fassung fertig und stellte sie in einigen Thesen Claus Roxin vor, der von dem Entwurf sehr angetan war. Damit war der Zweitgutachter gefunden. Die Arbeit reichte ich im Mai 1976 ein. Der Erstgutachter und „Habilitationsvater“ Arthur Kaufmann allerdings konnte aus Krankheitsgründen sein Gutachten erst im Dezember 1976 fertigstellen. Doch stockte dann das weitere Verfahren, weil Kaufmann erneut ins Krankenhaus musste. Erst nachdem ich bereits am 16. März 1977 auf Platz 1 der Berufungsliste in Bielefeld gereiht worden war, konnte das Verfahren in München zu Ende geführt werden. Ich bin der Münchner Fakultät heute noch sehr dankbar für die Chance, die mir als Österreicher gewährt wurde, noch dazu, wo mir eine Dissertationsschrift fehlte. Ich versuchte diese Lücke durch einige Kelsen-Arbeiten zu schließen, vor allem durch die schmale Schrift „Die Reinen Rechtslehren“, in denen ich Hans Kelsen und Robert Walter gegenüberstellte und kritisierte. Als die Gesundheit es Arthur Kaufmann ermöglichte, im Verfahren weiter mitzuwirken, ging dieses dann schnell voran. Claus Roxin unterzog mich am 23. Juni 1977 in der in der Fakultätssitzung geführten Diskussion meines Habilitationsvortrages über die „Menschenrechtskonvention und die Strafprozessordnung“ einer mehr als einstündigen „Prüfung“ im Strafprozessrecht, hatte ich doch zu diesem Thema noch nichts geschrieben; mit erfolgreichem Abschluss. Mein Dank gilt – neben dem „Weichensteller“ Arthur Kaufmann und der Münchner Fakultät – in besonderem Maße Claus Roxin, der meine weitere Entwicklung stets mit Interesse verfolgte und mir 1981 als Leiter der Diskussion meines noch zu erwähnenden Bielefelder Vortrages zur Seite stand. Es hat mich sehr getroffen, dass der Herausgeber – an den ich mich wegen der Mitarbeit an der Festschrift für Roxin wandte – mich mit falschen Hinweisen (es sei nur eine Festschrift für ausländische Kollegen geplant) von einer Mitarbeit faktisch ausschloss. – So war ich am 23. Juni 1977 Münchener Privatdozent für die Fächer Strafrecht, Strafprozessrecht und Rechtsphilosophie, verbunden mit dem akademischen Grad „Dr. jur. habil.“, geworden. Damit kann ich die fünfte Weichenstellung einholen. Denn diese hatte bereits vor dem Erwerb der Privatdozentur begonnen. Wegen der geschilderten Verzögerungen endete mein zweijähriges Stipendium der Alexander von Humboldt-Stiftung – der ich für diese zweijährige großzügige Förderung sehr dankbar bin – Ende September 1976 ohne endgültigen formalen Erfolg. Doch hatte ich die Assistentenstelle am Wiener Institut für Philosophie bekommen, weshalb meine Universitätslaufbahn nach dem Ende des Stipendiums gesichert war. Dann erhielt ich im Oktober 1976 einen Anruf von Udo Ebert aus Bielefeld (an welcher Universität ich mich kurz zuvor ohne Erfolg beworben hatte): Ich sollte einen
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Lehrstuhl für Kriminologie ab 1. Januar 1977 vertreten; die Stelle war auch (für „Strafrecht mit Nebengebieten“) ausgeschrieben worden. Selbstverständlich nahm ich gerne an. Die Ankunft in Bielefeld – bekanntlich die Stadt, die es gar nicht geben soll – am Abend des 7. Januar 1977, einem Freitag, war nicht gerade berauschend. Es schneite heftig; die Universität war menschenleer, nur Dekan Peter Schwerdtner begrüßte meine Frau und mich und zeigte mir die Bibliothek, wobei ich vor dem Betreten meinen Mantel wegen Diebstahlsgefahr abgeben musste. Ab 20:30 Uhr gab es damals in der Stadt kein offenes Lokal mehr. Wir hatten ein kleines Zimmer – beheizt, aber nur mit kaltem Wasser – im Zentrum für Interdisziplinäre Forschung und damit in unmittelbarer Universitätsnähe mieten können. Die Vorlesungen liefen am Montag, 10.1., gut an. In dem Berufungsverfahren kamen letztlich nur zwei Bewerber in die engere Wahl, ein eher kriminologisch ausgebildeter Kollege und ich. Mein Berufungsvortrag am 25. Januar 1977 behandelte das Thema „Die strafrechtsdogmatischen Konsequenzen des rechtsfreien Raumes“. In einer fairen Diskussion mit den (späteren) Kollegen Udo Ebert, Martin Fincke, Ernst-Joachim Lampe und Hans-Jürgen Kerner konnte ich mich bewähren. Die Kommission und später die Fakultät setzten mich am 16. März 1977 auf den ersten Platz der Berufungsliste. Man wartete auf das Ende des Münchner Habilitationsverfahrens. Danach ging es schnell. Mit Wirkung vom 1. Oktober 1977 wurde ich, noch im Alter von 30 Jahren, Wissenschaftlicher Rat und Professor (H-3, 1980 umgewandelt zu Professor C-3) für „Strafrecht mit Nebengebieten“ an der Universität Bielefeld. Unterrichtet wurde damals in Bielefeld nach dem Einphasenmodell (in dem die theoretische und praktische Ausbildung miteinander kombiniert waren), nicht zu sozialwissenschaftlich wie in Bremen oder Hamburg II, nicht zu rechtsdogmatisch wie in Konstanz, sondern in einer wohlgeordneten Mischung. Die erste (vierstündige) Vorlesung, die ich als Lehrstuhlvertreter zu halten hatte, trug den Titel „Strafrecht und strafrechtliche Sanktionen unter Berücksichtigung ihrer gesellschaftlichen Funktion“. Meine interdisziplinäre Vergangenheit in den vielen Zwettler Symposien und meine Habilitationsschrift halfen hier sehr weiter; ich arbeitete nicht nur soziologische, sondern auch psychologische und psychoanalytische Themen ein, nahm auch auf philosophische Grundfragen Bezug. Diese breite Ausrichtung war wohl auch letztlich der Grund für meine Berufung gewesen. Die Universität war erst 1969 gegründet worden, konzipiert als Reformuniversität, die Lehrstühle – ohne Institute – besetzt durch junge Dozenten, ohne jede „Ordinarienmentalität“, ein offenes und diskussionsbereites Klima und eine intensive Zusammenarbeit in der Einphasenausbildung. Daran änderte auch der bald einsetzende ständige Wechsel der Professorenschaft (durch Berufungen an andere Universitäten, aber auch z. B. an das Bundesverfassungsgericht) nichts
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Wesentliches, da immer wieder neue Dozenten vollwertigen Ersatz schaffen konnten. Ein Schwerpunkt lag immer in der Lehre, was durch die Kleingruppen – es bestand ein numerus clausus – gefördert wurde; inhaltlich kam den Grundlagendisziplinen (Rechtsgeschichte, Rechtsphilosophie) und den Sozialwissenschaften große Bedeutung zu. Für die Vorlesungen in Rechtsphilosophie waren die Veranstaltungen hilfreich, die ich seit 1978 im Menschenrechtskreis um Johannes Schwartländer (an der Universität Tübingen) mittragen durfte. Mit Unterstützung der Fakultät konnte ich ein Bild- und Diaarchiv aufbauen, das für die Vorlesungen (vor allem in der Strafrechtsgeschichte) und für Veröffentlichungen das Begleitmaterial aufbereitete. Auch mein umfangreiches Comic-Archiv konnte ich für die (auch bildliche) Gestaltung von Strafrechtsfällen in den Lehrveranstaltungen fruchtbar machen. Die Tätigkeit an der Einphasenuniversität kam meinen Interessen und meiner Arbeitsweise entgegen. Stets bezog ich ein strafrechtsdogmatisches Thema auf den damit geregelten Lebensbereich. Dies galt als Beispiel dem Sport, vor allem dem Fußballsport. Ich veröffentlichte 2002 ein Buch „Sportstrafrecht“, in dem sich auch Ausführungen zur Geschichte, aber auch zu Themen der Sportwissenschaft finden. Für meine Darstellung des § 142 StGB im Alternativ-Kommentar2 arbeitete ich psychologische und soziologische Aspekte des Straßenverkehrs ein. Auch war ich Mitarbeiter, später Mitherausgeber dieses „Alternativ-Kommentars“, der aus dem Münchner und Frankfurter Kreis (Hassemer, Neumann) hervorging und der – wie der Name schon ankündigt – das Ziel hatte, eine sozialwissenschaftlich und philosophisch „unterfütterte“ Strafrechtslehre hervorzubringen. Dies zeigte ich vor allem in der ausführlichen Kommentierung der §§ 20, 21 StGB (Schuldunfähigkeit). Kurz ist noch in diesem Zusammenhang ein wichtiges Ereignis zu nennen, das allerdings nicht als eigene Weichenstellung aufzufassen ist. Es führte zur Erreichung des mir möglichen wissenschaftlichen Zieles, nämlich der C-4-Professur. 1977 war ich als H-3-Professor berufen, 1980 zum C-3-Professor umgewandelt worden. Im Oktober 1978 kehrte Werner Maihofer, seit 1970 in Bielefeld berufen, dann abgeordnet in die Politik, nach seinem Rücktritt vom Amt des Bundesministers für Inneres in sein Universitätsamt zurück. Vom 28. bis 31. Mai 1981 organisierten wir die Strafrechtslehrertagung. Ich durfte den Bielefelder Vortrag über „Der Strafrichter in der Hauptverhandlung“ halten, der bei einigen Anwesenden heftige Proteste hervorrief (dazu näher II. Teil).
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Wassermann, Rudolf (Hrsg.), Kommentar zum Strafgesetzbuch, Reihe Alternativkommentare, Bd. 3, 1986.
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Als Maihofer 1982 die Universität verließ, um in Florenz Präsident des Europäischen Hochschulinstituts zu werden, wurde sein Lehrstuhl (Strafrecht und Rechtsphilosophie) ausgeschrieben. Einige Kollegen ermunterten mich, eine Bewerbung einzureichen; doch leider folgten sie noch vor den entscheidenden Schritten Rufen an andere Universitäten. So mussten auswärtige Strafrechtsprofessoren in die Kommission gewählt werden. Das Hindernis einer Hausberufung bestand nicht (mehr), da ich kurz zuvor in Tübingen für die Nachfolge Baumann (C-4) an zweiter Stelle gereiht worden war. Der noch verbliebene Bielefelder Strafrechtskollege versuchte als Vorsitzender, in der Kommission eine Liste ohne mich durchzubringen. Der beharrlichen Nachfrage von Prof. Gerhard Otte im Lehrkörpergespräch verdanke ich es, dass in der Fakultätssitzung nach reger Diskussion schließlich eine Liste beschlossen wurde, in der ich nach Winfried Hassemer auf dem zweiten Platz gereiht wurde. Als der Erstgereihte den Ruf ablehnte, war so der Weg für mich geebnet. Mit Wirkung vom 6. Juli 1983 wurde ich zum C-4-Professor für Strafrecht und Rechtsphilosophie und – auf meinen Antrag hin – auch seit 31. Januar 1985 für Strafrechtsgeschichte ernannt. Die sechste (und letzte) Weichenstellung verbindet die Dimension des wissenschaftlichen Werdeganges am intensivsten mit der persönlich-menschlichen. Meine Frau hatte in Wien das Jurastudium abgeschlossen und vor unserer Eheschließung (1972) auch dort promoviert, wollte aber einen juristischen Beruf in Bielefeld nicht ausüben. Deshalb absolvierte sie ein Lehramtsstudium (katholische Religion, Musik) und war als Klavierlehrerin tätig. 1980 fassten wir einen mutigen Plan. Da unsere Ehe kinderlos geblieben war und 1981 der Weltkongress für Rechts- und Sozialphilosophie in Mexiko-Stadt ausgeschrieben war, beschlossen wir, diesen Kongress zu besuchen (für dessen Symposiumband ich einen Beitrag über die Reine Rechtslehre als Rechtspositivismus einreichte) und anschließend ein halbes Jahr an einer noch zu bestimmenden amerikanischen Universität als Gastprofessor zu verbringen. Eine Anfrage von Prof. Koichi Miyazawa, den ich über Arthur Kaufmann kennengelernt hatte, auf eine japanische Universität zu wechseln, hatte ich abgelehnt; ich wollte in Deutschland bleiben. Doch war mir immer deutlicher bewusst geworden, dass erstens meine Ausbildung in der englischen Sprache im Wiener Gymnasium nicht gut gewesen war und dass zweitens der Wissenschaftsbetrieb sich in Richtung auf angloamerikanische Themen und Literatur zu verändern begann. Der geplante Aufenthalt in Amerika – für den ich mich in Bielefeld beurlauben lassen wollte – sollte den Mangel in der Beherrschung des Englischen beseitigen: Zwar konnte ich englischsprachige Texte lesen und auch wissenschaftlich verwerten; doch in der mündlichen Auseinandersetzung fehlte mir die für die Stringenz eines Arguments erforderliche Sprachkompetenz. Dies sollte sich durch den Amerikaauf-
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enthalt 1981 ändern. Doch im Januar 1981 erfuhren wir, dass meine Frau schwanger geworden war. Diese uns menschlich so beglückende Nachricht bedeutete zugleich das Ende dieser Planung. Die Geburt unserer Tochter Marie Louise (September 1981) und dann unserer Tochter Anne Alice (Juni 1985) verstärkte unsere Neigung, in Bielefeld zu bleiben. Nun hätte ich freilich trotzdem einen Sprachkurs unternehmen können. Doch hatte ich zunächst noch die Auffassung, mein wissenschaftliches Leben mit deutschsprachigen Themen ausfüllen zu können. Nicht nur die deutsche Strafrechtsdogmatik und Rechtstheorie, die deutschsprachige Geschichtswissenschaft, die Philosophie Hegels und zunehmend auch die Interpretation des Werkes von Richard Wagner schienen mir ausreichendes Material für ein wissenschaftliches Leben zu bieten. Lange Zeit ging diese Überlegung auch auf. Doch muss ich heute eingestehen, dass die Entwicklung hin zu einer Angloamerikanisierung des Wissenschaftsbetriebes für mich eine zunehmende Isolierung nach sich zieht. Wenn Symposien über Hegel oder Nietzsche oder Wagner in Deutschland in englischer Sprache durchgeführt werden, dann bleibt (mir) nur Resignation; und die Beschränkung auf die deutschen Originalwerke. Daran ändert im Übrigen auch nichts die Tatsache, dass ich als Leadsänger der 2000 von mir gegründeten „Juraband“ (in der Professoren, Assistenten und Studierende gemeinsam und wirklich gleichberechtigt [besser: gleichgewichtig] Musik machen) durchaus auch englische Popsongs oder Bluesstücke zu singen versuche! Weitere Weichenstellungen sind nicht mehr zu melden. Zu erwähnen sind aber noch einige Ereignisse bis zu meiner Pensionierung und darüber hinaus bis heute. Zunächst erhielt ich im Dezember 1985 einen Ruf an die Universität Innsbruck (Nachfolge Friedrich Nowakowski, Lehrstuhl Strafrecht, Strafprozessrecht, Kriminologie), nachdem ich hinter Winfried Platzgummer an zweite Stelle gereiht worden war und der Erstgereihte abgesagt hatte. Ich lehnte am 10. Juni 1986 den Ruf ab, um in Bielefeld zu bleiben: aus familiären Gründen, aber auch wegen des sehr freundlichen und für Grundlagenfächer offenen Fakultätsklimas (vor allem in der Fachsäule des Strafrechts) (im März 1986 war ich außerdem zum Dekan gewählt worden). Deshalb strebte ich auch nicht einen Wechsel an die Universität Leipzig an, mit der mich seit 1989 eine enge Beziehung verbindet. Denn im Herbst 1989 wandte sich Werner Grahn, Inhaber des Lehrstuhls für Theorie des Staates und Rechts an der Karl-Marx-Universität zu Leipzig, an mich und fragte an, ob ich mit ihm im Sommersemester 1990 gemeinsam die Vorlesung „Rechtsphilosophie“ halten würde; er wolle sich auf Rechtslogik beschränken, mir die anderen Themen überlassen. Bei einem ersten Gespräch in Auerbachs Keller war auch der Strafrechtsprofessor Dietmar Seidel dabei, der mich um eine entsprechende Mitarbeit für die Strafrechtsvorlesungen bat. Ich weiß bis heute nicht, wie
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es zu diesem Kontakt gekommen war. Ich nehme an, dass er sich meiner Bekanntschaft mit dem DDR-Rechtsphilosophen Hermann Klenner – den ich 1975 in einem Aufsatz wegen seiner Kelsen-Interpretation kritisiert, ihn dann über Werner Maihofer persönlich kennengelernt hatte und der selbstverständlich mit Grahn in Verbindung stand – verdankt. Jedenfalls sagte ich die Mitarbeit zu. Doch kam es wegen der politischen Veränderungen ab Oktober 1989 anders. Grahn schied aus dem Lehrkörper der Universität aus, Seidel beging Suizid. Der zweite Strafrechtsprofessor, Walter Orschekowski, verabschiedete sich sofort in den Ruhestand. Man bat mich um die Durchführung der nun frei gewordenen Vorlesungen in Strafrecht und Rechtsphilosophie. Und plötzlich fand sich mein Name auf der Liste der Mitglieder für die Gründungskommission der Juristenfakultät. Die alte Karl-Marx-Universität Leipzig wurde damit abgewickelt. In Leipzig wurde nicht wie in anderen Universitäten eine westliche Fakultät mit der Übernahme und Neuausrichtung betraut, sondern einzelne Persönlichkeiten aus unterschiedlichen Universitäten angesprochen. Die meisten hatten sich – wie ich auch – bereits in den Lehrbetrieb eingebracht. Nach Turbulenzen zu Beginn trat unter dem Gründungsdekan, dem Bayreuther Arbeits- und Sozialrechtler Wolfgang Gitter, ein freundliches und förderliches Arbeitsklima ein. Mir wurde der Bereich Strafrecht und Rechtsphilosophie übertragen. Ich hielt in den ersten Semestern die erforderlichen Vorlesungen, zum Teil in den großen Hörsälen für Medizinstudenten, da wir den Studiengang für alle Interessierten – also auch für die Älteren, die zu DDR-Zeiten nicht hatten studieren dürfen – geöffnet hatten. Den einen Teil der Arbeitswoche verbrachte ich in Leipzig, den anderen in Bielefeld, wo ich meine Amtspflichten ebenfalls weiter erfüllte. Mit den Professoren Olaf Miehe (Heidelberg), Harro Otto (Bayreuth) und Theodor Lenckner (Tübingen) bildete ich die Berufungskommission für diese Bereiche; als erster Professor für Strafrecht wurde Walter Gropp berufen. Allmählich entstand die neue Juristenfakultät. Mit ihrer formellen Wiedererrichtung am 26. April 1993 waren die Aufgaben der Gründungskommission erfüllt. Doch blieb ich für mehrere Jahre der Universität als Lehrbeauftragter (meist für in Blockform abgehaltene Seminare unter Mitarbeit des damaligen Universitätsassistenten Benno Zabel) erhalten. Meine Laufbahn als Universitätslehrer endete formal mit der Pensionierung zum Ende des Wintersemesters 2011/12; mein Lehrstuhl wurde eingezogen. Doch hatte Nordrhein-Westfalen durch eine Schulreform gerade für Abiturdoppeljahrgänge gesorgt. Das Rektorat bot mir an, als Senior-Lecturer-Professor am 1. März 2012 für weitere Jahre meinen (ehemaligen) Lehrstuhl im vollen Umfang zu betreiben. Mit Ende des Wintersemesters 2017/18, also am 28. Februar 2018, war mein formelles Universitätsleben endgültig abgeschlossen. Doch hat mir die Fakultät freundlicherweise ein Arbeitszimmer und eine studentische Hilfskraft
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weiterhin zur Verfügung gestellt. Ich hoffe, weiterhin wissenschaftlich meine Interessensgebiete bearbeiten zu können, auch wenn es deutlich langsamer vorangeht. Hält man einen Moment inne, um kurz zurückzuschauen, dann zeigt sich ein sehr glücklich verlaufendes Leben. Es fiel in die Zeit eines immensen Ausbaus der Universitäten, der wohl allen damals Habilitierten eine Professorenlaufbahn ermöglichte. Darüber hinaus kam es in den neugegründeten Universitäten nicht nur zu neuen Strukturen (Stichwort: Abschaffung der Ordinarienherrschaft), sondern auch zu einer neuen inhaltlichen Ausrichtung des Jurastudiums, vor allem in Bielefeld mit dem Einphasenmodell. Zudem konnte die wissenschaftliche Freiheit in sehr großem Maße verwirklicht werden; es gab keinen Drittmittelzwang, keine für Geisteswissenschaften unsinnigen Leistungskriterien (wie Anzahl der Zitationen), eine Freiheit der Fakultäten (auch gegenüber dem Rektorat). Dies hat sich in den letzten Jahrzehnten geändert. Es fällt daher schwer, auf die spekulative Frage – welchen Weg ich heute als 18-Jähriger einschlagen würde – eine Antwort zu geben!
II. Meine Beiträge zur Strafrechtswissenschaft Es sollen (nur) meine Beiträge zur Strafrechtswissenschaft dargestellt werden, welche Beschränkung drei Vorbemerkungen nahelegt. Erstens hat dies zur Konsequenz, dass nur ein Teil meiner wissenschaftlichen Arbeiten erfasst werden kann. Ich habe zahlreiche Beiträge zu anderen Disziplinen verfasst.3 Daraus folgt eine zweite einleitende Feststellung. Nach meiner Auffassung kann eine Strafrechtswissenschaft nur im traditionellen Sinne als „gesamte“ betrieben werden, also unter Einarbeitung der Einsichten der Grundlagenfächer (Philosophie und Geschichtswissenschaft) und der Sozialwissenschaften. Damit komme ich zur dritten Vorbemerkung, nämlich zu dem Eingeständnis, nicht das Ziel erreicht zu haben, das mir frühzeitig schon vor Augen stand: ein wirkliches System einer solchen gesamten Strafrechtswissenschaft zu erarbeiten. Immer wieder schrieb ich Entwürfe, verbesserte, veränderte sie; vielleicht waren die Vorbemerkungen vor §§ 13 ff. StGB im Alternativ-Kommentar zum StGB unter dem Titel „Der freiheitliche Straftatbegriff“ ein ausbaufähiger Ansatz,4 dessen Ausführung mir aber auch wegen des Engagements in Leipzig nicht gelang. Ich habe mein gesamtes wissenschaftliches Leben an einem solchen System gearbeitet, habe Baustein für
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Die Liste meiner Veröffentlichungen kann im Internet unter www.jura.uni-bielefeld.de/ fakultaet/lehrstuehle/schild eingesehen werden. Schild, Wolfgang, Vorbemerkungen vor §§ 13 ff. StGB: Der freiheitliche Straftatbegriff, in: Wassermann, Rudolf (Hrsg.), Kommentar zum Strafgesetzbuch, Reihe Alternativkommentare, Bd. 1, 1990, S. 274–376.
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Baustein zusammengetragen, viele Bereiche zu erfassen versucht. Aber man kann dieses System nicht als Baukasten vollenden, nicht aus „Elementen“ zusammenfügen, sondern muss es aus einem einheitlichen Guss verfassen. Mein Vorbild war und ist ein System, wie es Georg Wilhelm Friedrich Hegel in den Jahren 1817 bis 1831 mit seiner „Enzyklopädie der philosophischen Wissenschaften“, in dieser mit der Darstellung des „objektiven Geistes“ und mit der Ausgliederung in einem eigenen Buch („Grundlinien der Philosophie des Rechts“) vorgelegt hat; freilich jetzt in einer modernen, die Ergebnisse der heutigen Wissenschaften mit verarbeitenden Gestalt. An diesem System bin ich gescheitert. Dabei ist der Grundbegriff (und damit der Ausgangspunkt, von dem die nähere Entfaltung ausgehen muss) eigentlich klar,5 zunächst in einem negativen Sinn: nämlich nicht die Strafgesetze, die das strafwürdige und –bedürftige Unrecht inhaltlich bestimmen, auch nicht in Verbindung mit den Strafverfahrens- und Vollzugsgesetzen, die die Realisierung des staatlichen Strafzwanges regeln. Zu beginnen ist mit dem, was diese Gesetze voraussetzen: nämlich mit dem Begriff des Rechts. Dieser geht dem Unrecht(sbegriff) voraus, also dem Unrecht, das als Widerspruch zu diesem Recht zu begreifen ist, das daher nicht Bestand haben, sich nicht durchsetzen darf, sondern rechtlich außer Kraft, in seinem Geltungsanspruch beseitigt werden muss. Erforderlich ist deshalb ein Begriff des Rechts (und daraus des von ihm abgeleiteten Unrechts), das als menschliches Handeln bzw. als dadurch konstituiertes Verhältnis der als Personen anzuerkennenden Menschen in Sicht kommt. Vorbild für mich ist die Ableitung im System von Hegel, das das Verhältnis zu anderen als freiheitliches bestimmt. In diesem Sinne muss das (straf)gesetzgebende Handeln rechtlich sein, was den Grund bietet, die Gesetze als Gegenstand der Rechtslehre anzuerkennen, von einer Wissenschaft, die ebenfalls rechtliches Handeln sein und ein freiheitliches Recht darstellen muss. Dieser Rechtsbegriff verklammert Theorie und Praxis (nicht nur der gesetzgebenden Parlamentarier, sondern auch der Richter [bis hinauf zum Bundesverfassungsgericht] und der Vollzugsbediensteten). Selbstverständlich muss dieser im wahren Sinne „freiheitliche“ (weil am freien Handeln ansetzende) Rechtsbegriff für eine moderne Gesellschaft (und Welt) entfaltet werden. Hegel hat mit seinem „abstrakten“ Recht und den Rechtsverhältnissen des Eigentums, des Vertrages und der das Unrecht aufhebenden Wiederherstellung des ursprünglichen Rechtszustandes Vorarbeiten geliefert; einen zeitgemäßen Versuch (freilich ohne den philosophisch-spekulativen Anspruch
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Dazu vgl. Seelmann, Kurt, Wolfgang Schild als Rechtsphilosoph, in: Zabel, Benno/ Kretschmer, Bernhard (Hrsg.), Leidenschaftliches Rechtsdenken. Interdisziplinäre Beiträge zum 70. Geburtstag von Wolfgang Schild, 2018, S. 1–9.
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Hegels) hat z. B. Axel Honneth in seinem Buch „Das Recht der Freiheit“6 vorgelegt. Dabei kann eine Strafrechtswissenschaft bei diesem Rechts- und gegebenenfalls Unrechtsbegriff nicht stehen bleiben (weshalb Hegel diese Verhältnisse als „abstraktes“ Recht gekennzeichnet hat, in dem es weder Gesetze noch Staat noch „Strafe“ im gesetzlichen Sinne gibt und geben kann). Es bedarf weiterer Überlegungen und Ableitungen, bis die letztlich maßgebende Dimension des staatlich gesetzten und durchgesetzten Rechts (als eines Handelns, das Freiheit und Zwang in gesetzlicher Form zusammenführt und dadurch rechtsstaatliche Lebensverhältnisse sichern und ermöglichen soll) in Sicht kommt.
Von daher zeigt sich (auch) die Strafe in mehreren Dimensionen, die miteinander zusammenhängen, sich aber dennoch inhaltlich unterscheiden, ja miteinander in Widerspruch stehen. Begrifflich ist die Strafe nur als Reaktion auf ein Verhalten zu erfassen, das als Unrecht auftritt und deshalb als dieses negiert werden muss; in diesem Inhalt kennen wir eine solche „Strafe“ aus unserem alltäglichen Leben im Verhältnis zu unseren Mitmenschen. Begrifflich kann Strafe nur als Unrechtsvergeltung gedacht werden. Berücksichtigt man aber die weiteren Dimensionen (wie etwa den Charakter des Unrechts einer Straftat als einer Handlung in der gesetzlichen Erfassung und Umschreibung als einer sozialwidrigen, sozialschädlichen oder zumindest – gefährlichen Handlung, gegen die der Staat reagieren muss), dann wird deutlich, dass die Strafe als staatliche Maßnahme den Kriterien staatlichen Zwangshandlungen überhaupt (also dem Verhältnismäßigkeitsgrundsatz) und damit dem Zweckgedanken folgen muss. Strafbegriff und Charakter der staatlichen Strafmaßnahme müssen unterschieden, aber auch aufeinander bezogen werden; und weiter entfaltet werden im rechtlichen Verfahren und im Vollzug der verhängten Strafen, die ebenfalls als „rechtliche“ nur erfasst und dargestellt werden können, wenn sie sich als Verwirklichung von Freiheit erweisen und begriffen werden können. Hier wird deutlich, welches kritische Potential ein solches Strafverständnis – in dem Zusammenhang und Unterschied von Strafbegriff, gesetzlicher Regelung als staatlicher Maßnahme, prozessmäßiger Verhängung und Vollzug – bietet, wie lebendig, wie dynamisch und wie systematisch eine solche Wissenschaft ist, die von vornherein neben den staatlichen Gesetzen auch die soziale und psychische Wirklichkeit des Verbrechens, des Verfahrens, des Vollzugs einbeziehen muss. Ein solches System habe ich – wie zuvor eingestanden – nicht schaffen können; über Bausteine bin ich nicht hinausgekommen.
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Honneth, Axel, Das Recht der Freiheit. Grundriß einer demokratischen Sittlichkeit, 2011.
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Über die schon genannten Vorbemerkungen zum „freiheitlichen Straftatbegriff“ im Alternativ-Kommentar7 hinaus möchte ich doch einige weitere Bausteine anführen. Zunächst die umfangreiche Kommentierung der §§ 20, 21 StGB (Schuldunfähigkeit), erstmals 1990 im Alternativ-Kommentar: als Versuch, die menschliche Freiheit jenseits des Scheinproblems von Determinismus und Indeterminismus darzustellen (wobei bereits damals ausführlich auch auf die Theorie der Hirnforschung eingegangen wurde), ja sogar ein System der Geistesschwächen und -krankheiten auszuarbeiten; in den späteren Auflagen des Nomos-Kommentares mussten aus Platzgründen, aber auch wegen der anderen Ausrichtung diese grundlegenden Passagen gekürzt, schließlich ausgeschieden werden, weshalb ich sie 2009 als eigenes Buch unter dem Titel „Dimensionen der Schuldunfähigkeit“ veröffentlichte. Sodann und zweitens sind einige Arbeiten zum Strafprozess zu nennen. Zwar habe ich im Lehrbetrieb „Strafprozessrecht“ nur einmal gelesen, diese Veranstaltung im Übrigen den KollegInnen überlassen, die auch eigene praktische Erfahrungen (etwa als Strafverteidiger) hatten. Doch kann die Wichtigkeit eines rechtlichen Verfahrens (wie auch eines Strafvollzugs) für die Freiheitlichkeit rechtsstaatlicher Lebensverhältnisse nicht übersehen werden. Meinen Vortrag auf der Bielefelder Strafrechtslehrertagung 1981 über den „Strafrichter in der Hauptverhandlung“ habe ich unter I. schon erwähnt, auch auf die heftigen Angriffe in der Diskussion (unter der vornehmen und freundlichen Leitung durch Claus Roxin) und in der Besprechung des Buches, das ich 1983 veröffentlichte, hingewiesen. Ich bin Ralf Kölbel sehr dankbar, dass er eine „Ehrenrettung“ dieses Vortrages bzw. dieses Buches vorgenommen hat.8 Wie gerade Hegel – dessen Einfluss sicherlich die Gemüter der damaligen ZuhörerInnen erregte und empörte – die Wichtigkeit des Strafprozessrechts (bis hin zur Notwendigkeit des Strafverteidigers) betont hat, habe ich in zwei Arbeiten aus 2011 und 2013 zu zeigen versucht. Schließlich ist auch meine Münchner Habilitationsschrift „Die Formen der Täterschaft. Studien zu einer systematischen Verbrechenslehre“ (1976) zu nennen. Sie sollte – damals vielleicht noch nicht wirklich in aller Tragweite begriffen – wesentliche Schritte zu einem System liefern. Ich legte zunächst – ausgehend von der Einheitstäterlehre und ihrem grundlegenden Merkmal der Kausalität – in
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Schild, Wolfgang, Vorbemerkungen vor §§ 13 ff. StGB: Der freiheitliche Straftatbegriff, in: Wassermann, Rudolf (Hrsg.), Kommentar zum Strafgesetzbuch, Reihe Alternativkommentare, Bd. 1, 1990, S. 274–376. Vgl. Kölbel, Ralf, Der Strafrichter in der Hauptverhandlung revisited: Zur Verfahrensgerechtigkeit und den Leistungen des Strafprozessrechts, in: Zabel, Benno/Kretschmer, Bernhard (Hrsg.), Leidenschaftliches Rechtsdenken. Interdisziplinäre Beiträge zum 70. Geburtstag von Wolfgang Schild, 2018, S. 49–65.
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einem ersten Abschnitt eine Theorie dieser Kausalität vor, die deutlich machen sollte, dass mit und auf dieser kein System zu bauen ist. Kausalität muss aufgehen (im Hegelschen Sinne: „aufgehoben werden“) in einer Handlung, die als erfolgsherbeiführend zu begreifen ist, die Kausalität in das Handlungsprogramm aufnimmt, das das Geschehen steuernd beherrscht. Thema war vor allem die finale Handlungslehre, die aber in der Version von Hans Welzel daran scheitern muss, dass er „Finalität“ und „Freiheit“ unterschiedlichen Schichten der Wirklichkeit zuordnet, also die Handlung nicht von Freiheit her begreift. Zudem ist sie nur eine Theorie des steuernden Willens, die nicht mehr zu begreifen vermag, wie dieser finale Wille auch in der objektiven Welt erfolgreich sein kann, also tatsächlich den Erfolg kausal herbeiführt. Erforderlich zeigt sich daher eine Theorie der Zurechnung oder Zuschreibung, die diesen Zusammenhang von Willen, Verhalten und Erfolg – der vom Tatbestand des Strafgesetzes verlangt wird, der z. B. nicht nur ein „Schießen“ oder „Zustechen“ als Verwirklichung eines Tötungswillens, sondern ein tatsächliches „Töten“ verlangt – erfassen kann. Aber diese Zurechnung/Zuschreibung ist noch ein Phänomen der alltäglichen Praxis. Es bedarf des letzten Teiles, der den eigentlichen Straftatbegriff thematisiert, das heißt eigentlich der Tatbestandserfüllung als der gesetzlich bestimmten Tatbegehung, die sich in den unterschiedlichen Formen (vorsätzliches Begehungsdelikt durch Tun, vorsätzliches Begehungsdelikt durch Unterlassen, Fahrlässigkeitsdelikt, Teilnehmerdelikt [wobei diese Bezeichnung als „Delikt“ schon im Ansatz unzureichend ist, weil dafür auch das Schadenersatzrecht zuständig ist]) entfaltet. Von daher erklärt sich der Titel der Schrift.
Die Habilitationsschrift habe ich nicht veröffentlicht. Die Gründe dafür lagen darin, dass ich erstens nach Beendigung des Verfahrens bereits Professor in Bielefeld geworden war, eine Drucklegung zweitens sehr viel Geld gekostet hätte; und dass ich drittens bemerkte, dass diese Arbeit noch nicht das gesuchte System darstellte. Ich griff manche Themen heraus und gestaltete sie in Aufsätzen, so zum Handlungsbegriff (in der Festschrift für den Theologen Johannes Messner 1981).9 Vor allem fasste ich die für mich wesentlichen Erkenntnisse des letzten Teils über den Straftatbegriff in einem kleinen Band mit dem Titel „Die ‚Merkmale‘ der Straftat und ihres Begriffs“ heraus, den ich 1979 in einem eher unbekannten, aber sehr ordentlichen Verlag veröffentlichte. Die darin entwickelten Thesen zum Straftatbegriff halte ich immer noch für überaus wichtig. Nämlich dass zu unterscheiden ist, ob mit den drei Merkmalen der Straftat (meist genannt: Tatbestand, Unrecht und Schuld) drei in sich abgeschlossene „Elemente“ gemeint sind oder ob sie als „Momente“ eines Ganzen zu verstehen sind. Im ers9
Schild, Wolfgang, Die Vielheit der Handlungslehren und die Einheit des Handlungsbegriffs, in: Festschrift für Johannes Messner, 1981, S. 241–292.
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teren Falle werden sie wie Bausteine zu einem Ganzen (zu einer Pyramide) aufgeschichtet oder zu konzentrischen Kreisen gemacht, wobei die Einheit dieser drei Elemente nicht in Sicht kommen kann. Im letzteren Fall bilden sie zusammen die Straftat, die nur in diesen drei Merkmalen zu begreifen ist, nämlich als tatbestandsmäßiges, rechtswidriges und schuldhaftes Verhalten; deshalb sind diese drei Merkmale nicht abgeschlossen und in einem Nebeneinander, sondern in einem Miteinander und daher jeweils auf die Einheit (und auf die beiden anderen Merkmale) bezogen zu denken: als „Tatbestandsmäßigkeit“, „Rechtswidrigkeit“, „Schuldhaftigkeit“ des Verhaltens, das als „Straftat“ zu begreifen ist. Es geht damit nicht um irgendein Element „Schuld“, sondern um eine „Schuldhaftigkeit“ eines Geschehens, das zugleich „tatbestandsmäßig“ und „rechtswidrig“ sein muss, um eine Straftat begründen zu können. Auch diese „Tatbestandsmäßigkeit“ hat nur Sinn, wenn sie auf die „Rechtswidrigkeit“ und auf die „Schuldhaftigkeit“ bezogen ist: denn sie ist immer die Tatbestandsmäßigkeit eines Geschehens, das sich als Straftat erweist. Allerdings rückt dadurch in den Vordergrund, dass der Straftatbegriff zugleich als ein Fallprüfungsschema gedacht ist, der einen Sachverhalt auf das Vorliegen einer Straftat hin überprüft: in einem Nacheinander von Prüfungsschritten, die aufeinander aufbauen, ohne dadurch zu einem Elementensystem werden zu können. Als grundlegend wird das Verhältnis von Typus (Regel) und Ausnahme erkannt. Es ist für diese Prüfung zweckmäßig, den Sachverhalt auf die typischen Inhalte hin zu überprüfen, die sich als die Merkmale der bestimmten Straftat – auf die hin geprüft wird – herausstellten; also z. B. für § 212 I StGB die Merkmale „wer einen anderen Menschen vorsätzlich tötet“. Können in der Prüfung diese Merkmale bejaht werden, ist klargestellt, dass das zu prüfende Geschehen tatbestandsmäßig dem § 212 I StGB entspricht, dass also der Tatbestand des § 212 I StGB vorliegt. Prüft man auf § 211 II StGB, dann umfasst dieser Tatbestand/diese Tatbestandsmäßigkeit auch die Merkmale des niedrigen Beweggrundes, der Ermöglichungs- und Verdeckungsabsicht, der Heimtücke usw., die für die Straftat des § 211 II StGB (Mord) wesentlich sind. Weist der zu prüfende Sachverhalt Inhalte auf, die auf eine Ausnahmesituation (wie Notwehr, § 32 StGB) hindeuten, so ist in einem zweiten Schritt dieser Rechtfertigungsgrund zu prüfen; liegen keine solche Hinweise vor, so verfestigt sich das typische Ergebnis des ersten Fallprüfungsschrittes zur Feststellung, dass der geprüfte Sachverhalt wirklich als Totschlag oder Mord zu bewerten ist, nämlich als tatbestandsmäßig-rechtswidriges Geschehen. So wird verständlich, warum dieses zweite Merkmal „Rechtswidrigkeit“ genannt wird, obwohl eigentlich nur Rechtfertigungsgründe zu erörtern sind. Dieses Verhältnis von Typus und Ausnahme bleibt weiterhin bestimmend, nämlich ebenso für das Verhältnis zur Schuld(haftigkeit), die ebenfalls nur negativ auf Nichtvorliegen eines Grundes, der sie ausschließt oder aufhebt, thematisiert wird.
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In mehreren Arbeiten habe ich versucht, sozialwissenschaftliche Einsichten für die Strafrechtsdogmatik fruchtbar zu machen. Dies liegt von dem oben skizzierten weiten, auch das alltägliche Handeln einbeziehenden Rechtsbegriff von vornherein auf der Hand. In diesem Sinne versuchte ich 1980 und 1988, die Merkmale des Straftatbegriffs mit Verantwortungsstrategien im Alltag in Verbindung zu bringen: „Rechtfertigungsgründe“ mit dem alltäglichen „Sich-Rechtfertigen“, „Entschuldigungsgründe“ mit dem alltagspraktischen „Sich-Entschuldigen“, daher auch „Tatbestandsmäßigkeit“ mit dem „Vorwurfsverhalten“ im Alltag (das oft auch zu einem „Strafen“ führt). Auch das Verhältnis des aus dem Alltag zumindest in der negativen Verantwortungsgestalt („das habe ich nicht gewollt!“) bekannten „Willens“ zum strafgesetzlichen bzw. strafwissenschaftlichen Begriff des „Vorsatzes“ habe ich 1991, 1993 und 1995 zu klären versucht. Ebenso lässt sich das Verhältnis von „Täter“ und „Teilnehmer“ im sozialen Alltag, aber auch im Sport, in der Geschichte finden; wie schon Roxin mit seinem Ansatz bei der „Zentralgestalt“ aufgewiesen hat. Auf die umfangreichen Ausführungen zu den §§ 25–27 StGB (Täterschaft und Teilnahme) (auch als: Vorbemerkungen vor §§ 25 ff.) im Alternativ-, dann Nomos-Kommentar, auf die Bücher „Täterschaft und Tatherrschaft“ (1994) und „Tatherrschaftslehren“ (2009) sowie auf den Beitrag in der Neumann-Festschrift 2017 darf ich hinweisen. Am tiefsten habe ich diese Verbindung der unterschiedlichen Disziplinen in meinen Arbeiten zum Sportstrafrecht hergestellt.10 Wie unter I. dargestellt, war ich nicht nur viele Jahre im Rudersport, noch mehr im Fußballsport aktiv; und stets daran interessiert, meine eigene Lebenspraxis zu hinterfragen und durch einschlägige Literatur vertiefend zu verstehen. Deshalb versuchte ich, über die Grenzen der juristischen Dogmatik hinauszugehen und das Phänomen des modernen Wettkampfes anhand der Erkenntnisse der Sportphilosophie und -wissenschaft aufzuarbeiten. Deutlich wurde mir dabei die Sonder- und Eigenwelt des modernen Sports (vor allem des Spitzensports), die sich nicht nur in einem eigenen Sportverbandsrecht zeigt, das in vielen Punkten vom staatlich gesetzten Recht abweicht, sondern auch darin, dass dieser Sport grundlegend auf Wertungen beruht, die denen der bürgerlichen Gesellschaft und deren rechtsstaatlicher Organisation fundamental widersprechen. Man denke nur an die Zulässigkeit körperlicher Gewalt (in den Kampfsportarten, wobei mich vor allem der Fußballsport interessiert) oder an das Verbot einer künstlichen Leistungssteigerung durch Doping, die im Rahmen der bürgerlichen Arbeitswelt zugelassen (als Inhalt des Rechts auf eigene Persönlichkeitsentfaltung anerkannt) ist, ja sogar im Rahmen des „Enhancements“ gefordert
10 Vgl. dazu Schild, Wolfgang, Meine Tätigkeit im Sportrecht, in: Szwarca, Andrzeja J. (Hrsg.), Polskie Towarzystwo Prawa Sportowego w kontekscie ksztaltowania sie polskiego prawa sportowego, 2019, S. 265–270.
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wird. Auch der Unterschied zwischen Sportregeln und Rechtsnormen erwies sich als grundlegend. Es erschien mir insgesamt daher erforderlich, auch für eine strafrechtliche Betrachtung sportspezifischer Handlungen von einer Anerkennung dieser Eigenweltlichkeit des modernen Sports auszugehen. So führte der genannte methodische Ansatz dazu, einen neuen strafrechtsdogmatischen Begriff zu finden, der das erstaunliche Ergebnis – dass trotz der zahlreichen und auch schweren Körperverletzungen im Sport meist keine rechtlichen Verfahren (geschweige denn: Verurteilungen) erfolgen – verständlich machen kann. Da ein Argumentieren mit irgendeiner Einwilligung des Verletzten ausscheidet, aber auch andere Begriffe (wie erlaubtes Risiko, Risikoeinwilligung oder Sozialadäquanz) wegen der Eigen- und Sonderweltlichkeit des Sports nicht hilfreich sind, entschied ich mich für die „Sportadäquanz“, die im Rahmen des Straftatbegriffs als Tatbestandsausschließungsgrund einzuordnen ist (da diese zum Entfallen des typischen Strafunrechts führt und deshalb nicht nur als ausnahmsweise eingreifender Rechtfertigungsgrund aufzufassen ist). Selbstverständlich bedarf es dafür einer konkretisierenden Betrachtung des Einzelfalls, auch unter Einbeziehung von „maßgerechten Sportlern“, wodurch eine gewisse Offenheit (und damit Rechtsunsicherheit) eintreten muss. Aber dieses Ergebnis gilt auch und noch mehr für die anderen theoretischen Versuche. Das Missverständnis, dadurch würde der Sport zu einem rechtsfreien Raum totaler Willkür und Gewalt, verleitet bis heute manche Strafrechtler – die übersehen, dass es nur um die Begründung eines strafrechtsfreien Bereiches (und nur im Rahmen der Sportadäquanz) geht – zur überzogenen und unhaltbaren Kritik an dieser Theorie. Zur „Sportadäquanz“ verfasste ich für den Weiterbildungsstudiengang „Sportrecht“ der Fernuniversität Hagen eine Studieneinheit. Auch das zweite zentrale Thema eines Sportstrafrechts – das Dopingproblem – muss von dieser Eigen- und Sonderwelt des Sports her gesehen werden, da von der staatlichen Rechtsordnung her ein Sichdopen oder das Dopen eines anderen zugelassen ist. Deshalb kann das Dopingverbot nur als Inhalt des Sportverbandsrechts erfasst werden, wobei streng darauf zu achten ist, trotz aller Hinweise auf „Sportrecht“, „Sportgerichte“ und „Sportstrafen“ den fundamentalen Unterschied zum staatlichen (Straf)Recht anzuerkennen. Von daher kann z. B. nicht von einem „Verbrechen“ des Dopens gesprochen werden, was zu großen Schwierigkeiten führt, wenn der Staat sich zu einem Antidopingstrafgesetz entschließt, um ein Bündel von seltsamen Rechtsgütern (Integrität des Sports, gesellschaftliche Anerkennung des Sportbereichs, Gesundheit, Sport als Kulturgut) durch staatliche Zwangsmaßnahmen zu schützen. Mehrere meiner Arbeiten behandelten das Thema „Doping“, vor allem die ausführliche grundlegende Darstellung aus 2012, die auch als (zweite) Studieneinheit für den Weiterbildungsstudiengang „Sportrecht“ der Fernuniversität Hagen dient. Ich hoffe, die zweite Auflage des „Sportstrafrechts“ (aus 2002) bald fertigstellen zu können.
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Insgesamt sind meine Arbeiten nicht wirklich in der Strafrechtswissenschaft angekommen, weshalb sich Ausführungen zu einem III. Abschnitt (Beziehung zur allgemeinen Entwicklung des Strafrechts in Deutschland) erübrigen. Da sie – abgesehen von dem „Strafrichter in der Hauptverhandlung“ – nicht einmal negativ erörtert wurden, kenne ich die Gründe nicht. Vielleicht lag es daran, dass ich die Habilitationsschrift nicht veröffentlicht habe; und dass die „Merkmale der Straftat“ in keinem renommierten juristischen Verlag und meine Thesen zur Handlung in einer Festschrift für einen Theologen veröffentlicht wurden. Vielleicht war ein Grund auch, dass wichtige Bausteine für Kommentare geschrieben wurden, in denen die hier behandelten allgemeinen Fragen gewöhnlich nicht gesucht werden (diese Arbeiten sind daher auch nicht in Literaturverzeichnissen zu finden), die auch durch die jeweils späteren Auflagen in den Archiven verschwinden. Auf den Wandel von „Alternativ-Kommentar“ zum „NomosKommentar“ habe ich schon hingewiesen. Für manche StrafrechtlerInnen mag die Einarbeitung von Fragestellungen und Lösungen im Sinne Hegels ein rotes Tuch gewesen sein, das den Blick auf die eigentlichen strafrechtssystematischen Inhalte verstellt haben könnte. Wie soll ein „Hegelianer“ denn irgendetwas strafrechtlich Sinnvolles niederschreiben können! Aber vielleicht liegt ein Grund einfach im fehlenden Netzwerk eines in Österreich ausgebildeten Juristen oder in dem Fehlen im Zitationskartell, wie es Niklas Luhmann beschrieben hat. Ich gehörte keiner Schule an, vertrat weder kausalen noch finalen noch teleologischen Handlungsbegriff, sondern stellte vielleicht zu viel in Frage. Welches Glück hatte ich mit dem Ausbau der deutschen Universitätslandschaft und mit der Universität Bielefeld! Damit lässt sich der Bogen zu den Ausführungen unter I. schließen.
Schriftenverzeichnis (in Auswahl) 1. Selbständiges Schrifttum Die Reinen Rechtslehren, 1975. Die „Merkmale“ der Straftat und ihres Begriffs, 1979. Alte Gerichtsbarkeit, 1980. Der Strafrichter in der Hauptverhandlung, 1983. Täterschaft als Tatherrschaft, 1994. Bilder von Recht und Gerechtigkeit, 1995. Schuld und Unfreiheit. Gedanken zu Strafjustiz und Psychoanalyse in Leonhard Franks „Die Ursache“, 1996.
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Dimensionen der Schuldunfähigkeit. Eine alternative Kommentierung der §§ 20, 21 StGB aus 1990, 2009. Folter, Pranger, Scheiterhaufen. Rechtsprechung im Mittelalter, 2010. Verwirrende Rechtsbelehrung. Zu Ferdinand von Schirachs „Terror“, 2016. Richard Wagner – recht betrachtet. Vierzehn Beiträge, 2020.
2. Kommentierungen Kommentar zum Strafgesetzbuch. Reihe Alternativkommentare. Vorbemerkungen vor §§ 13 ff StGB: Der freiheitliche Straftatbegriff, §§ 20, 21, 25–27, 142, 145, 145a, 145c, 145d StGB, Bd. 1, 1990; Bd. 3, 1986. Nomos-Kommentar zum StGB, §§ 19–21, 25–27, 142, 143, 145, 145a, 145c, 145d StGB 1999 (und spätere Auflagen).
3. Aufsätze in Zeitschriften und Sammelwerken Geschichtlichkeit des Rechtsgesetzes und Rechtswissenschaft, in: Festschrift für Erich Heintel, 1972, S. 144–172. Die Aktualität Ernst Belings. Gedanken zu seiner Wissenschafts- und Strafrechtslehre, Juristische Blätter 1975, S. 281–300. Reine und politische Rechtslehre. Zu Hermann Klenners Kelsen-Verurteilung, Der Staat 1975, S. 69–92. Juristisches Denken und Hegels Rechtsphilosophie, Österreichische Zeitschrift für öffentliches Recht und Völkerrecht 1978, S. 5–56. Die strafrechtsdogmatischen Konsequenzen des rechtsfreien Raumes, Juristische Arbeitsblätter 1978, S. 449–456, 570–573, 631–636. Die Aktualität des Hegelschen Strafbegriffs, in: Heintel, Erich (Hrsg.), Philosophische Elemente der Tradition des politischen Denkens, 1979, S. 199–233. Soziale und rechtliche Verantwortungen, JZ 1980, S. 597–603. Die Vielheit der Handlungslehren und die Einheit des Handlungsbegriffs, in: Festschrift für Johannes Messner, 1981, S. 241–292.
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Ist die Reine Rechtslehre eine Theorie des Rechtspositivismus?, in: Memoria del X. Congreso Mundial Ordinario de Filosofia del Derecho y Filosofia Social. 10. Weltkongreß für Rechts- und Sozialphilosophie Mexico City 1981, Band V, 1981, S. 179–192. Der strafrechtsdogmatische Begriff der Zurechnung in der Rechtsphilosophie Hegels, Zeitschrift für philosophische Forschung 35 (1981) S. 445–476. Freiheit – Gleichheit – „Selbständigkeit“ (Kant): Strukturmomente der Freiheit, in: Schwartländer, Johannes (Hrsg.), Die Menschenrechte als Fundament und kritischer Maßstab der Demokratie, 1981, S. 135–176. Die nationalsozialistische Ideologie als Prüfstein des Naturrechtsgedankens, in: Gedächtnisschrift für Renè Marcic, 1983, S. 437–453. Entschuldigungen und Rechtfertigungen im Alltag, in: Bryde, Brun-Otto/Hoffmann-Riem, Wolfgang (Hrsg.), Rechtsproduktion und Rechtsbewußtsein, 1988, S. 195–220. Hegels Lehre vom Notrecht, in: Hösle, Vittorio (Hrsg.), Die Rechtsphilosophie des Deutschen Idealismus, 1989, S. 146–163. Berühmte Berliner Kriminalprozesse der Zwanziger Jahre, in: Ebel, Friedrich/ Randelzhofer, Albrecht (Hrsg.), Rechtsentwicklungen in Berlin, 1988, S. 121– 192. Bemerkungen zur Ikonologie des Jüngsten Gerichts, in: Forschungen zur Rechtsarchäologie und Rechtlichen Volkskunde 10 (1988), S. 163–203. Strafrechtsdogmatische Probleme der Tötung des Intimpartners, JA 1991, S. 48– 56. Der gequälte und entehrte Leib. Spekulative Vorbemerkungen zu einer noch zu schreibenden Geschichte des Strafrechts, in: Schreiner, Klaus/Schnitzler, Norbert (Hrsg.), Gepeinigt, begehrt, vergessen, 1992, S. 149–168. Abstrakte und konkrete Rechtslehre. Zu den Schwierigkeiten eines Verständnisses der Reinen Rechtslehre Kelsens, in: Rechtsphilosophische Hefte 1 (1992) S. 97–120. Menschenrechtsethos und Weltgeist. Eine Hegel-Interpretation, in: Festschrift für Johannes Schwartländer, 1992, S. 199–222. Vorsatz als „sachgedankliches Mitbewußtsein“, in: Festschrift für Walter Stree und Johannes Wessels, 1993, S. 241–266.
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Der strafrechtliche Vorsatz zwischen psychischem Sachverhalt und normativem Konstrukt, in: Widmungsschrift für Manfred Rehbinder, 1995, S. 119–140. Reine Rechtslehre und Strafrechtswissenschaft, in: Carrino, Agostino/Winkler, Günther (Hrsg.), Rechtserfahrung und Reine Rechtslehre, 1995, S. 59–82. 1577 Paragraphen aufgeklärter Strafrechtsvernunft. Zum ALR als philosophischem Strafgesetzbuch, in: Ebel, Friedrich (Hrsg.), Gemeinwohl – Freiheit – Vernunft – Rechtsstaat: 200 Jahre Allgemeines Landrecht für die Preußischen Staaten. Symposium der Juristischen Gesellschaft zu Berlin, 27.–29. Mai 1994, 1995, S. 41–101. Die Legitimation des Grundgesetzes als der Verfassung Deutschlands in der Perspektive der Philosophie Hegels, in: Brugger, Winfried (Hrsg.), Legitimation des Grundgesetzes aus Sicht von Rechtsphilosophie und Gesellschaftstheorie, 1996, S. 65–96. Missetäter und Wolf, in: Festschrift für Karl Kroeschell, 1997, S. 999–1031. Der Strafbegriff Friedrich Nietzsches. Eine philosophische Annäherung, in: Festschrift für Günther Bemmann, 1997, S. 101–124. Die staatliche Strafmaßnahme als Symbol der Strafwürdigkeit. Zur Verbrechensund Strafphilosophie von Immanuel Kant, in: Festschrift für E. A. Wolff, 1998, S. 429–441. Strafbegriff und Grundgesetz, in: Festschrift für Theodor Lenckner, 1998, S. 287–311. Anerkennung als Thema in Hegels „Grundlinien der Philosophie des Rechts“, in: Schild, Wolfgang (Hrsg.), Anerkennung – Interdisziplinäre Dimensionen eines Begriffs, 2000, S. 37–72. Verbrechen und Strafe in der Rechtsphilosophie Hegels und seiner „Schule“ im 19. Jahrhundert, Zeitschrift für Rechtsphilosophie 2003, H.1, S. 30–42. Die Dimensionen der Hexerei, in: Lorenz, Sönke/Schmidt, Jürgen Michael (Hrsg.), Wider alle Hexerei und Teufelswerk. Die europäische Hexenverfolgung und ihre Auswirkungen auf Südwestdeutschland, 2004, S. 1–104. Person als Begriff – Zur Begriffslehre von Karl Larenz, in: Festschrift für Gerhard Otte, 2005, S. 329–350. Gerichtliche Strafbarkeit des Dopings, in: Kauerhof, Rico/Nagel, Sven /Zebisch, Mirko (Hrsg.), Doping und Gewaltprävention, Dokumentation des Leipziger Sportrechtstages 2007, 2008, S. 35–128.
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„Das Recht erhält die Bestimmung, ein erweisbares sein zu müssen“. Zu Hegels Theorie der Strafrechtsinstitution, in: Festschrift für Ingeborg Puppe, 2011, S. 77–90. Der große Leipziger Ordinarius Benedict Carpzov (1595-1666), in: Festschrift der Juristenfakultät zum 600jährigen Bestehen der Universität Leipzig, 2009, S. 3–26. Töten als Rechtsakt, in: Paragrana. Internationale Zeitschrift für Historische Anthropologie 20 (2011), S. 32–50. Naturrecht bei Hegel, in: Naturrecht und Staat in der Neuzeit. Diethelm Klippel zum 70. Geburtstag, 2013, S. 349–373. Geschworenengericht und Strafrechtsinstitution, in: Seelmann, Kurt/Zabel, Benno (Hrsg.), Autonomie und Normativität, 2014, S. 207–226. Psychologie der Strafverteidigung, in: Stuefer, Alexia u. a. (Hrsg.), Strafverteidigung und Psyche. 11. Österreichischer StrafverteidigerInnentag Graz 15./ 16. März 2013, 2013, S. 11–46.
Das Recht als Form der „Gemeinschaft freier Wesen als solcher“. Fichtes Rechtsphilosophie in ihren aktuellen Bezügen, in: Hoffmann, Thomas Sören (Hrsg.), Begriff und Konkretion. Beiträge zur Gegenwart der klassischen deutschen Philosophie, 2014, S. 155–188. Zwischen Hegel und Hitler: Die Straftheorie von Karl Larenz (1936), in: Strafrecht und Juristische Zeitgeschichte. Symposium anlässlich des 70. Geburtstages von Thomas Vormbaum, 2014, S. 119–158. Doping, Sportethos und rechtliche Sanktionierung, in: Festschrift für Walter Kargl, 2015, S. 507–522. Sportadäquanz. Zur Begründung eines Strafbarkeitsfreiraums, in: Festschrift für Hans-Ullrich Paeffgen, 2015, S. 153–176. Strafrechtliche Wortfeldanalyse, in: Bormann, Franz-Josef (Hrsg.), Lebensbeendende Handlungen. Ethik, Medizin und Recht zur Grenze von „Töten“ und „Sterbenlassen“, 2017, S. 191–230. Beteiligung am Selbstdoping, in: Festschrift für Ulfrid Neumann, 2017, S. 1177– 1193. Hirnforschung und Strafrecht. Die Schwierigkeit, keine Satire schreiben zu müssen, in: Fischer, Thomas/Hoven, Elisa (Hrsg.), Schuld. Baden-Badener Strafrechtsgespräche, Bd. 3, 2017, S. 11–32.
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Historisches Folter(un)recht. Die Kriminalgeschichte der Beatrice Cenci (1598/ 99), Zeitschrift für internationale Strafrechtsdogmatik 10 (2018), S. 404–427. Historische Anmerkungen zum Recht der Wirtschaftssubjekte, in: Kretschmer, Bernard/Zabel, Benno (Hrsg.), Studien zur Geschichte des Wirtschaftsstrafrechts, 2018, S. 31–56. Das Böckenförde-Diktum. Zu den nicht von ihm zu garantierenden Voraussetzungen des Staates, in: Spieker, Michael u. a. (Hrsg.), Sittlichkeit. Eine Kategorie moderner Staatlichkeit?, 2019, S. 185–214.
Rechtliche Fragen der Einwilligung vulnerabler Personengruppen, in: Steckler, Brunhilde (Hrsg.), Einzelaspekte rechtswissenschaftlicher Begleitforschung für Projekte der Mensch-Technik-Interaktion, 2019, S. 123–199. „Terror“ (v. Schirach) zwischen Theater und Rechtskunde, in: Petzsche, Anneke u. a. (Hrsg.), Terrorismusbekämpfung in Europa im Spannungsfeld zwischen Freiheit und Sicherheit, 2019, S. 307–325.
Das nicht-rechtliche Wissen der Strafrechtswissenschaft, in: Populismus und alternative Fakten. (Straf-) Rechtswissenschaft in der Krise? Abschiedskolloquium für Walter Gropp, 2020, S. 233–251.
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https://doi.org/10.1515/9783110703016-015
Heinz Schöch Mein Leben und Beruf I. Vita und akademischer Werdegang Als Nachkomme schwäbischer und österreichischer Auswanderer bin ich am 20. August 1940 in Sarata im damaligen Bessarabien geboren, das es heute als geographische Bezeichnung nicht mehr gibt. Es handelt sich um einen Landstrich am Schwarzen Meer, dessen südöstlicher Teil (mit der Gemeinde Sarata) von der Mündung des Pruth in die Donau bis kurz vor Odessa reichte (jetzt westliche Ukraine) und dessen nordwestlicher Teil an die Karpaten angrenzte (jetzt Moldawien). In Südrussland hatte es seit einem Einwanderungsmanifest der deutschstämmigen Kaiserin Katharina II aus dem Jahr 1763 verschiedene Siedlungswellen mit deutschen Zuwanderern gegeben, zunächst im Wolgagebiet, dann im Schwarzmeergebiet. In diesem Einwanderungsmanifest waren deutsche Ansiedlungswillige mit Privilegien wie Landzuteilung, Aufbauhilfen, lokaler Selbstverwaltung, freier Religionsausübung und Befreiung vom Militärdienst gelockt worden. Nach dem Sieg Russlands über die Osmanen im Jahr 1812 gelangte Bessarabien nach 350-jähriger türkischer Besatzung wieder uneingeschränkt an Russland. Daraufhin erneuerte der Enkel von Katharina II, Zar Alexander I, das Einwanderungsmanifest für deutsche Siedler. Nun begann die Besiedlung des weitgehend brachen, aber fruchtbaren Landes Bessarabien, die sich von 1814 bis 1842 hinzog. Die Siedler stammten meist aus kinderreichen Bauern- und Handwerkerfamilien, in denen nur jeweils der älteste Sohn Hof- oder Betriebserbe werden konnte. Ein weiteres Motiv, die angestammte Heimat zu verlassen, war der Wunsch vieler Pietisten nach freier, uneingeschränkter Religionsausübung, die nicht von der Konfession der Landesherren abhängig war. Meine Vorfahren mütterlicherseits waren Landwirte, meine Vorfahren väterlicherseits Schneider oder Schreiner. Der Name Schöch stammt aus der Gegend von Lech in Vorarlberg und bedeutet Getreide- oder Heuhaufen, die man zum Trocknen auf den Feldern belässt. Die heute noch existierende kleinstädtische Gemeinde Sarata (ukrainisch Сарата), die im südwestlichen Teil des Landkreises Akkermann (heute BilhorodDnistrovskij) liegt, war 1822 von evangelischen Christen gegründet worden. Dank der rasch einsetzenden Prosperität entwickelte sich das Gemeinwesen aus zunächst etwas mehr als 100 eingewanderten Familien bald zu einem kulturellen
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Zentrum mit etwa 3000 Einwohnern. 1844 wurde ohne staatliche Unterstützung ein deutschsprachiges Gymnasium mit integrierter Lehrerbildungsanstalt gegründet, und 1864 wurde mit Spenden der Einwohner mehrerer Gemeinden das Alexander-Asyl eingerichtet, ein Diakonieheim für Waisen sowie für geistig behinderte, blinde, taubstumme und altersschwache Personen. Mein Großvater väterlicherseits betreute dieses einige Jahre als ehrenamtlicher „Kurator“. Er war einer der ersten Deutschen, die von Russland – entgegen den früheren Zusagen – 1896 zum fünfjährigen Militärdienst in der russischen Armee einberufen wurden. Er verbrachte diesen zum größten Teil in der Region St. Petersburg. Danach wurde er Schreinermeister. Er war musikalisch und ein sozial engagierter Bürger. In den 1920er- und 1930er-Jahren unternahm er mit seinem Chor drei Konzertreisen nach Deutschland und Österreich. Gemeinsam mit meinem Vater, der ebenfalls Schreinermeister war, gründete er einen Handwerksbetrieb mit etwa zehn Arbeitskräften. Nach dem frühen Tod seiner Frau hat er immer in unserem Haushalt gelebt. Er war für mich ein Vorbild und hat unauffällig zu meiner Erziehung beigetragen. Meine Mutter stammte aus einer Bauernfamilie. Sie war eine begabte Schülerin und wollte an der Lehrerbildungsanstalt in Sarata die Ausbildung als Grundschullehrerein abschließen. Sie musste aber das Gymnasium im Alter von 13 Jahren verlassen, weil die seit 1918 für Bessarabien zuständige rumänische Regierung ab 1926 höhere Schulbildung für deutsche Mädchen verbot, ebenso Deutsch als Schulsprache. Sie hat dann in der elterlichen Landwirtschaft gearbeitet und nach der Heirat den großen Haushalt geführt, in dem auch einige der Schreinerlehrlinge und -gesellen des väterlichen Handwerksbetriebs verpflegt wurden. 1938 ist meine ältere Schwester geboren. Ende Juni 1940 war kurz vor meiner Geburt die sowjetische Armee in Bessarabien einmarschiert. Das hätte normalerweise zur Deportation der deutschen Bevölkerung nach Sibirien oder Kasachstan geführt. Zum Glück gab es zu diesem Zeitpunkt trotz des im Jahr zuvor begonnenen Zweiten Weltkriegs noch einen Waffenstillstand zwischen Deutschland und der Sowjetunion, so dass nach dem sog. Hitler-Stalin-Pakt ab Oktober 1940 ca. 90.000 Bessarabiendeutsche einigermaßen friedlich in die von Deutschland besetzten Ostgebiete umgesiedelt werden konnten. Unsere Umsiedlung geschah – unter Zurücklassung des gesamten Eigentums – in Donauschiffen bis Belgrad. Von dort ging es mit der Bahn nach Böhmisch-Kamnitz, etwa 110 km nördlich von Prag. Dort verbrachten wir die nächsten zehn Monate in Matratzenlagern in einer Turnhalle. Im August 1941 wurden wir dann in ein Umsiedlungslager nach Litzmannstadt (Łódź) gebracht. Von dort aus erfolgte
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schließlich im Oktober 1941 nach einjähriger Odyssee die endgültige Ansiedlung in Rawitsch (Rawicz) im Wartheland, einer polnischen Kleinstadt zwischen Breslau und Posen. Da mein Vater und Großvater Schreinermeister waren, wurde ihnen eine kleine Möbelfabrik zugewiesen, die hauptsächlich für das deutsche Heer zu produzieren hatte. Mein Vater wurde jedoch kurz danach zum Wehrdienst an der Ostfront eingezogen und kam dann erst nach dem Krieg und mehrmonatiger Kriegsgefangenschaft im Oktober 1945 wieder zu uns. Meine persönlichen Erinnerungen beginnen im Januar 1945, als meine Mutter mit uns Kindern sowie mit ihrer Schwester und deren drei Töchtern vor dem herannahenden Kanonendonner der Ostfront bei –20 °C auf offenen Güterwagen in den Westen geflohen ist. Wir haben wenige Stunden vor Sprengung der Neißebrücke, Cottbus in Brandenburg erreicht und sind dann bis zum Kriegsende in Eisfeld im oberen Werratal in Thüringen notdürftig in Dachkammern untergekommen. Dort konnte mein damals 69 Jahre alter Großvater in einer Schreinerei arbeiten und etwas verdienen, nachdem er auf abenteuerlichen Wegen wieder zu uns gestoßen war. Ich erinnere mich noch an den Einmarsch der amerikanischen Soldaten Mitte April 1945, die von uns mit Beifall begrüßt wurden. Sie warfen uns von ihren Militärfahrzeugen aus Süßigkeiten zu. Nach dem Abzug der amerikanischen Armee aus Thüringen im Juli 1945 beschlossen die Erwachsenen, vor dem Einmarsch sowjetischer Truppen weiter nach Südwestdeutschland in das von der amerikanischen Armee besetzte Gebiet zu fliehen. Wir mussten vom südlichen Thüringen zu Fuß heimlich die grüne Grenze nach Nordbayern überwinden, die teilweise schon von russischen Soldaten bewacht wurde. Von Coburg sind wir dann auf offenen Armeelastwagen schließlich nach Grunbach im Remstal gelangt, einem damals etwa 3000 Einwohner zählenden Dorf 22 km östlich von Stuttgart. Von dort stammte ein Teil unserer Vorfahren, die aber nicht in der Lage oder gewillt waren, uns Flüchtlinge aufzunehmen. Dort fanden wir nach zwei Monaten in einer Scheune schließlich eine Notunterkunft im Pfarrhaus mit zwei Räumen (externe Waschküche und Klo). Auf knapp 40 qm wohnten wir mit fünf Personen sieben Jahre bis zu unserem Umzug nach Stuttgart. Mein Vater und Großvater fanden Gelegenheitsarbeiten in einer Glaserei, meine Mutter arbeitete in einer Wachsfabrik. Im September 1946 wurde ich als Jüngster zusammen mit 56 Kindern eingeschult. 1950 bestanden nur zwei aus der Grundschulklasse die Aufnahmeprüfung für das Gymnasium in der 8 km östlich gelegenen Kleinstadt Schorndorf. Meine
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Mitschüler aus der Grundschulzeit, die ich immer noch gelegentlich treffe, hatten aber auch mit Real- oder Hauptschulabschluss größtenteils beachtliche berufliche Erfolge in handwerklichen, landwirtschaftlichen oder kaufmännischen Berufen. Der Versuch meines Vaters, nach Absolvierung der deutschen Meisterprüfung einen eigenen Schreinerei- und Glasereibetrieb aufzubauen, scheiterte schließlich aus gesundheitlichen Gründen, da er im Krieg mehrfach schwer verwundet worden war. So kam er dann 1952 als Mesner und Verwalter eines großen Gemeindezentrums der evangelischen Kirche nach Stuttgart-Bad Cannstatt, wo wir eine kleine Dreizimmer-Dienstwohnung erhielten. Für mich bedeutete dies, dass ich nicht – wie es der Familientradition entsprochen hätte – nach der mittleren Reife eine Handwerksausbildung zur Übernahme eines Meisterbetriebes beginnen musste, sondern als erster und einziger in der Familie das Abitur machen durfte. Allerdings ging es uns in der ganzen Zeit – auch wegen Restschulden aus der gescheiterten Unternehmensgründung – finanziell sehr schlecht, weshalb ich während meiner gesamten Schulzeit nebenher mitverdienen musste: in der Grundschulzeit unter Anleitung meines Großvaters durch Kräutersammeln für ein Pharmaunternehmen und durch Rasierklingenverpacken in Heimarbeit. Später in Stuttgart, als im Gymnasium in den ersten Klassen sogar noch Schulgeld bezahlt werden musste, verdiente ich zunächst bis zum 15. Lebensjahr geringe Beträge durch Hilfsarbeiten in einer Buchhandlung und Austragen von Wochenzeitungen. Danach hatte ich regelmäßig bescheidene Einkünfte aus Nachhilfestunden. Da neben Deutsch meine Lieblingsfächer Mathematik, Physik, Englisch und Französisch waren, hatte ich fast regelmäßig Nachhilfeschüler. Gegen Ende der Schulzeit und während des Studiums arbeitete ich in den Sommerferien jeweils vier Wochen in einem Industriebetrieb oder in der kirchlichen Verwaltung. Meine knapp bemessene Freizeit während der Schulzeit verbrachte ich teilweise in einer aktiven evangelischen Pfadfindergruppe, die ich auch zwei Jahre selbst geleitet habe. 1954 starb meine Schwester im Alter von 16 Jahren wenige Tage nach einer beim Sport erlittenen Wundinfektion infolge einer falsch behandelten Sepsis. Das Abitur habe ich 1959 am naturwissenschaftlichen Gottlieb-Daimler-Gymnasium in Stuttgart-Bad Cannstatt abgelegt. Nach dem Abitur war ich zunächst unentschlossen, ob ich Maschinenbauingenieur, Jurist oder Lehrer werden sollte. Dank eines Förderkreises um Theodor Heuß, Eduard Spranger und Carl Friedrich von Weizsäcker erhielt ich dann überraschend einen Freiplatz für ein einjähriges Studium Generale am Leibniz Kolleg der Universität Tübingen. Dort entdeckte ich – vielleicht auch mangels spezifischer Begabung – mein Interesse am fächerübergreifenden interdisziplinären Denken. In dem einjährigen Trimester-
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Programm, das nebenher nur einige Schnupperstunden im Fach Jura an der Universität zuließ, wurden in täglichen zweistündigen Colloquien die Rahmenthemen Erde, Stadt und Dialog aus verschiedenen Fachrichtungen beleuchtet, zu denen wir dann auch schriftliche Hausarbeiten nach Wahl schreiben mussten. Ich erinnere mich noch an eindrucksvolle Vorträge des Altphilologen Wolfgang Schadewaldt, des Religionsphilosophen Martin Buber, des Literaturhistorikers und Schriftstellers Walter Jens, des Politikwissenschaftlers Theodor Eschenburg, des Astrophysikers Heinrich Siedentopf, des Geologen Georg Wagner und der Juristen Ludwig Raiser, Fritz Baur, Günter Dürig und Horst Schröder. Die Juristen folgten sogar einer Einladung unserer achtköpfigen Jurastudenten-Gruppe ins Leibniz Kolleg zu einem abendlichen Umtrunk mit intensiven Gesprächen. Nebenher mussten noch Arbeitsgemeinschaften bei Assistenten besucht werden. Ich besuchte u. a. eine AG zur Stein‘schen Gemeindereform bei Friedrich Karl Fromme, dem späteren Ressortleiter Innen- und Rechtspolitik bei der FAZ, sowie eine AG Rechtswissenschaften bei Erhard Denninger, dem späteren Professor für Öffentliches Recht an der Universität Frankfurt, der uns mit großem didaktischem Geschick die Wertordnung des Grundgesetzes, aber auch die Straftheorien und den Finalismus-Streit in der deutschen Strafrechtswissenschaft erläuterte.
All diese Begegnungen trugen dazu bei, dass ich 1960 mit dem Jurastudium in der Überzeugung begann, dass dies für mich der richtige Weg ist. Ich habe diese Entscheidung nie bereut. Da ich auch die Absicht hatte, nach dem Examen zu promovieren, ohne an eine wissenschaftliche Laufbahn zu denken, holte ich im ersten Studienjahr nebenher das Große Latinum nach, das damals in Tübingen für die Promotion verlangt wurde. Im zweiten Studienjahr (1961/62) wechselte ich nach Hamburg, um nach der Enge des schwäbischen Umfeldes erstmalig eine Weltstadt zu erleben. Es wurde mein schönstes und erfolgreichstes Studienjahr. Nach einmonatiger Untermiete durfte ich bei zwei pensionierten Lehrerinnen – gegen Blumenpflege und Wohnungsbewachung während ihrer Abwesenheit – unentgeltlich wohnen. An der Hamburger Universität begegnete ich meinen späteren Münchener Kollegen Dieter Medicus und Claus Roxin, die seinerzeit im Habilitationsverfahren waren, aber schon regelmäßige Lehrveranstaltungen abhielten bzw. Vertretungsstunden für Professoren übernahmen. Beide ragten schon damals fachlich und didaktisch aus der recht gut besetzten Hamburger Fakultät heraus. Als Rudolf Sieverts, der damalige Rektor der Hamburger Universität, in der strafrechtlichen Übung für Fortgeschrittene verhindert war, übernahm Claus Roxin (damals Assistent bei Heinrich Henkel) einige Doppelstunden. Er verharrte nicht auf dem Podium, sondern schritt dynamisch durch die Hörsaalreihen und ermun-
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terte die Hörer zur Mitarbeit. Seine Eloquenz und sein Scharfsinn – dokumentiert an Beispielsfällen zu den Grenzen des rechtfertigenden Notstands, zum übergesetzlichen Verantwortungsausschluss in einer Gefahrengemeinschaft (Euthanasieärzte) sowie zur Ablehnung des übergesetzlichen entschuldigenden Notstandes im Weichensteller-Fall von Welzel – beeindruckten mich damals so sehr, dass ich mir vornahm, die weitere Entwicklung dieser faszinierenden Persönlichkeit zu verfolgen. Ich bin dann aber Claus Roxin nicht nach Göttingen gefolgt, weil ich das reine Klausurexamen in Tübingen bevorzugte. Während meiner Promotionszeit entdeckte ich Roxins fulminanten Aufsatz über „Sinn und Grenzen staatlicher Strafe“ in der Juristischen Schulung 1966. Dessen Inhalt wurde in den Folgejahren zu meinem straftheoretischen Credo. Meine erste Begegnung mit der Kriminologie hatte ich ebenfalls in meinem Hamburger Studienjahr, als Rudolf Sieverts seine Antrittsvorlesung als Rektor der Universität über das Thema „White-Collar-Kriminalität“ hielt. Bei ihm nahm ich dann auch an einem gemeinsamen Seminar über Recht und Ethik mit dem Theologen Helmut Thielicke teil. Hierbei lernte ich meinen späteren Vorgänger in Göttingen und München, Horst Schüler-Springorum, flüchtig kennen, der mich schon in seinem ersten Jahr als Assistent mit seinen originellen Gedanken und eleganten Formulierungen beeindruckte. Als ich nach Tübingen zurückkehrte, besuchte ich zwei Seminare zum Verfassungs- und Verwaltungsrecht bei Otto Bachof, der uns am Ende des Seminars zum Abendessen in sein Haus und zu einem Wasserballspiel in seinem Swimmingpool einlud. Außerdem machte er mit uns eine einwöchige Exkursion nach Berlin, die damals vom Bundesministerium für gesamtdeutsche Fragen bezuschusst wurde. Neben Stadtbesichtigungen und Museumsbesuchen gehörte dazu auch die Teilnahme an einer Verhandlung des Bundesverwaltungsgerichts und an einem Seminar mit den Professoren Peter Lerche und Karl August Bettermann an der FU Berlin. Für die danach beginnende Examensvorbereitung habe ich vor allem in den Vorlesungen, Examinatorien und Klausurenkursen von Fritz Baur, Joachim Gernhuber, Ludwig Raiser, Otto Bachof und Horst Schröder sowie in den Ferienkursen der Assistenten Gunter Arzt und Ulrich Weber so viel gelernt, dass ich nie daran dachte, ein privates Repetitorium zu besuchen. Meine Mitschriften und die Vertiefung anhand großer Lehrbücher und Kommentare im Juristischen Seminar genügten für die Examensvorbereitung. Im vierten Studienjahr beeindruckte mich Karl Peters mit seiner großen empirischen Untersuchung über Fehlurteile im Strafprozess, die ich in einem Seminar bei ihm näher kennen lernte. Karl Peters war für mich Vorbild nicht nur im Hin-
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blick auf die Synthese von Rechtstatsachenforschung und normativer Rechtswissenschaft, sondern auch bezüglich seines humanitären Engagements für die Rechte von Straf- und Untersuchungsgefangenen. Auf seinen Rat hin nahm ich im Wintersemester 1963/64 am ersten Seminar des neu berufenen Kriminologen Hans Göppinger teil, das zugleich das erste Seminar von Günther Kaiser als Assistent am Kriminologischen Institut war. Kaisers wacher und kritischer Geist, sein Ringen um empirische Fundierung kriminologischer Theorien und kriminalpolitischer Forderungen haben mich von Anfang an beeindruckt. Ihm ist es auch zu verdanken, dass ich nach dem Ersten Staatsexamen im Mai 1965 das Angebot von Hans Göppinger annahm, in seinem interdisziplinären Team mitzuarbeiten. Wir haben bis zur Berufung Kaisers an das Max-Planck-Institut in Freiburg im Jahr 1970 gut zusammengearbeitet, und er ist auch danach bis zu seinem Tod im Jahr 2007 mein wichtigster Mentor in kriminologischen Fragen geblieben. Ich bedauere es sehr, dass ich 2003 sein Angebot, das Lehrbuch Kriminologie weiterzuführen, ablehnen musste, da mich mein zweijähriges Dekanat in München übermäßig in Anspruch nahm und ich danach nur noch fünf Jahre bis zur Emeritierung hatte. Hans Göppinger war habilitierter Psychiater und Jurist mit Erstem Staatsexamen und juristischer Promotion bei Eduard Kern. Er war als Soldat bereits im Alter von 22 Jahren 1941 schwer verwundet worden und hatte eine Oberschenkelamputation erlitten. Mit bewundernswerter Energie absolvierte er bis 1948 beide Studien und schloss sie jeweils mit der Promotion ab. Nach mehrjähriger Tätigkeit an den Psychiatrischen Universitätskliniken Heidelberg und Bonn erfolgte 1960 die medizinische Habilitation und 1962 die Berufung auf einen kriminologischen Lehrstuhl an der Juristischen Fakultät Tübingen, dem zweiten in Deutschland nach Heidelberg. Ich erhielt dort neben dem Referendariat eine Hilfskraftstelle und war vor allem für die Organisation der Aktenbeschaffung und systematischen Auswertung für die große interdisziplinäre Jungtäter- und Vergleichsuntersuchung mit je 200 Strafgefangenen und jungen Männern aus der Normalpopulation zuständig. Hans Göppinger war ein ausgezeichneter Menschenkenner mit einer Neigung zur Dominanz. Seine kriminologischen Einzelfallanalysen waren unübertrefflich. Seine empirische Leidenschaft war ansteckend. Die Konzeption des Täters in seinen sozialen Bezügen und die daraus entwickelte Methode der idealtypischen Einzelfallanalyse sind von bleibendem Wert. Mir wurde aber bald klar, dass er an einer juristischen Dissertation auf kriminologischer Grundlage, wie sie mir vorschwebte, kein besonderes Interesse hatte. So wählte ich selbst mein Dissertationsthema „Strafzumessungspraxis und Verkehrsdelinquenz – Kriminologische Aspekte der Strafzumessung am Beispiel einer empirischen Untersuchung zur
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Trunkenheit im Verkehr“. Göppinger beurteilte dieses Vorhaben zunächst skeptisch, ließ mich aber gewähren, da ich nebenher engagiert an den kriminologischen Untersuchungen des Instituts und an den Vorarbeiten für sein Lehrbuch zur Kriminologie1 mitarbeitete. Wegen des großen Arbeitsanfalls am Institut ließ ich mich dann für ein Jahr vom Referendardienst beurlauben, kam aber auch in dieser Zeit nicht über eine Gesamtkonzeption der Dissertation und die Vorbereitung der empirischen Untersuchung anhand einer systematischen Zufallsstichprobe einschlägiger Verurteilungen aus dem Bundeszentralregister in Flensburg hinaus. 1969 legte ich dann mein Zweites Juristisches Staatsexamen in Stuttgart ab. Als mir im Anschluss an die mündliche Prüfung der Personalreferent des Justizministeriums, der spätere BGH-Präsident Karlmann Geiß, eine Einstellung in den Justizdienst anbot, war ich sehr erfreut, da dies meinen langfristigen beruflichen Zielvorstellungen entsprach. Ich bat ihn aber um Aufschub, bis ich meine Dissertation zu Ende gebracht hätte. Im kriminologischen Institut in Tübingen erhielt ich ab jetzt eine volle Assistentenstelle. Dort bin ich u. a. Hans-Jürgen Kerner begegnet, der sich schon als Student der Kriminologie verschrieben hatte. Er wurde nach dem Weggang von Günther Kaiser für einige Jahre ein wichtiger Wegbegleiter. Da Hans Göppinger als ehemaliger Kliniker die Auffassung vertrat, dass tagsüber für das Institut zu arbeiten sei, begann unsere kreative Phase für eigene Vorhaben meist mit dem gemeinsamen Abendessen und endete in der Regel erst gegen 2:00 Uhr früh, manchmal auch noch später. Ich habe viel von Kerners Universalbildung und seinen damals durchgeführten Feldforschungen im Bereich der organisierten Kriminalität gelernt.
Da es mit der Dissertation unter diesen Umständen nur schleppend voranging, nutzte ich die Zeit, um an der Soziologischen und Psychologischen Fakultät der Universität Tübingen Lehrveranstaltungen zu besuchen und Scheine für den Bereich empirische Sozialforschung und mathematische Statistik für Psychologen zu erwerben. Dies kam mir dann für den empirischen Teil der Dissertation zugute, sowohl für die Operationalisierung der Erhebungsinstrumente als auch für die statistische Hypothesenprüfung der Strafzumessungsrelevanz von Tat- und Tätermerkmalen und deren Bedeutung für einen Rückfall durch Signifikanztests, Korrelationsanalysen und Mittelwertvergleiche. Die 1972 abgeschlossene und 1973 veröffentlichte Dissertation wurde mit „summa cum laude“ bewertet. Der Zweitgutachter Karl Peters bezeichnete sie als „habilitationswürdige Leistung“. Göppinger legte dar, dass es sich im Grunde um drei Dissertationen handelte,
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Göppinger, Hans, Kriminoligie, 1. Aufl. 1971.
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eine strafzumessungsrechtliche Grundlegung sowie eine kriminologische Rückfalluntersuchung und eine kriminologische Generalpräventionsstudie. Gleichwohl hatte ich nicht die Absicht, mich bei Göppinger zu habilitieren. Trotz seiner großen Verdienste um die empirische Kriminologie sah ich die von ihm propagierte strikte Trennung der Kriminologie vom Strafrecht (einschließlich Jugendstrafrecht und Strafvollzug) nicht als zukunftsweisend an. Außerdem hatte ich 1968 geheiratet und inzwischen zwei Söhne (Hans-Peter Schöch, derzeit Mathematiker und Ökonom bei einer Bank in London, und Stefan Schöch, Architekt in Basel). Die Ehe wurde 1977 geschieden, da meine Frau als Biochemikerin keinen angemessenen beruflichen Wirkungskreis in Göttingen fand. Ich wollte vor meinem Eintritt in die Justiz nur noch eine eigene Dunkelfelduntersuchung zu Ende bringen, für die ich bei der DFG Drittmittel eingeworben hatte. In dieser Phase erhielt ich auf Umwegen die Anregung, mich in Göttingen auf eine ausgeschriebene C4-Professur für Kriminologie und Strafrecht zu bewerben. Nach einem Probevortrag über „Strafrecht und Kriminologie“, in dem ich meine Vorstellungen über das Zusammenwirken beider Disziplinen anhand mehrerer Beispiele darlegte, wurde ich 1974 auf diesen Lehrstuhl berufen. Dies verdanke ich vor allem Gunther Arzt (damals Dekan) und Hans-Ludwig Schreiber, zwei Strafrechtslehrern mit großer Aufgeschlossenheit für die empirische Kriminologe. Zugute kam mir auch der rasche Ausbau der Universitäten in Deutschland in den 1970er-Jahren, der in einigen Fächern – nicht nur an Rechtswissenschaftlichen Fakultäten – zur Berufung nichthabilitierter Professoren führte. Für die Juristische Fakultät in Göttingen, die kurz zuvor das Urteil des Bundesverfassungsgerichts zur Verfassungswidrigkeit der sog. Drittelparität bei Hochschulentscheidungen erstritten hatte,2 war dies aber doch ein besonderer Kraftakt. Ich fand es eindrucksvoll, dass bei dem Mittagessen im Anschluss an meine Berufungsverhandlungen nicht nur alle aktiven Strafrechtslehrer (Gunther Arzt, Hans-Ludwig Schreiber, Eckhard Horn) anwesend waren, sondern auch der Richter des Bundesverfassungsgerichts Gerhard Leibholz, und die ProfessorenFranz Wieacker, Friedrich Schaffstein, Wolfram Henckel, Erwin Deutsch, Uwe Diederichsen, Christian Starck und Volkmar Götz. Die darin zum Ausdruck kommende Toleranz gegenüber der neuartigen Kriminologie an einer ehrwürdigen Juristenfakultät habe ich während meiner gesamten 20-jährigen Tätigkeit in Göttingen gespürt. Ich habe versucht, meine Dankbarkeit nicht nur in Forschung und Lehre, sondern auch durch Übernahme mehrerer Ämter in der akademischen Selbstverwaltung zum Ausdruck zu bringen (Dekan, geschäftsführender Semi-
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BVerfGE 35, 79 = NJW 1973, S. 1176–1190.
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nardirektor, Senatsmitglied, Vertretung der Universität Göttingen in der zentralen Studienreformkommission des Landes Niedersachsen und Mitwirkung in mehreren Kommissionen auf Universitätsebene). Aufgrund des forschungsfreundlichen Klimas in der niedersächsischen Justiz wandte ich mich zunächst mit mehreren Projekten der empirischen Strafverfahrensforschung zu (s. u. II.). Diese fanden – ebenso wie meine zwischenzeitlichen Veröffentlichungen – so großen Anklang in der Fachwelt, dass ich bereits 1977 einen Ruf an die Universität Bielefeld erhielt, den ich nach einem Vertretungssemester in Bielefeld ablehnte. 1981 erhielt ich einen Ruf an die Universität Zürich, den ich ebenfalls nicht annahm, da ich 1981 wieder geheiratet hatte und meine Frau kurz zuvor ihr Zweites Staatsexamen bestanden hatte und sich in der Schweiz erneut einem Anwaltsexamen hätte unterziehen müssen. Seither bin ich mit Gabriele Schöch verheiratet, die als Fachanwältin für Strafrecht jetzt in München zugelassen ist. Sie hat in fortgeschrittenem Alter noch bei Werner Beulke, den sie aus dessen Inaugurationsseminar zur Strafverteidigung in Göttingen kannte, in Passau promoviert. Unsere Tochter Ann-Kristin ist ebenfalls Rechtsanwältin und arbeitet nach mehrjähriger Tätigkeit bei KPMG inzwischen als Prokuristin im mittelständischen Betrieb ihres Ehemannes in Ulm im Bereich Personal, Datenschutz, Inkasso und Wirtschaftsauskunftei.
1986 wurde ich auf meinen Antrag zum Richter im zweiten Hauptamt am Landgericht Göttingen ernannt. Ich hatte bewusst die für Professoren übliche und mir auch angebotene Ernennung zum Richter am Oberlandesgericht Celle oder Braunschweig abgelehnt, da mir für die angewandte Kriminologie die tatrichterlichen Aufgaben in einer Jugendstrafkammer mit Zuständigkeiten als erstinstanzliches Gericht bei Kapitaldelikten und als Berufungsgericht für Urteile des Jugendrichters und des Jugendschöffengerichts wichtiger erschienen. Außerdem war diese Strafkammer als Strafvollstreckungskammer zuständig für alle Entscheidungen im Strafvollzug in der JVA Göttingen und im Maßregelvollzug der psychiatrischen Krankenhäuser in Göttingen und Moringen. Ich habe daraus viele Anregungen für meine Forschungs- und Lehrtätigkeit erhalten, insbesondere auch für die Zusammenarbeit mit der Forensischen Psychiatrie und Psychologie. Leider wurde die letzte Phase meiner Göttinger Zeit im Februar 1991 durch einen Brandanschlag autonomer Chaoten auf mein separates Institutsgebäude überschattet, in dem auch Dieter Rössner untergebracht war. Der Anschlag richtete sich nicht gegen uns beide persönlich, sondern – wie sich aus einem Flugblatt ergab – gegen alle Strafrechtler, die versuchten, das Straf- und Strafprozessrecht als humane Antwort des Rechtsstaats auf abweichendes Verhalten zu propagieren. Außer Rössner und mir wurden auch Schreiber und Maiwald sowie unser Hono-
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rarprofessor Peter Rieß (Ministerialdirektor im Bundesministerium der Justiz) in einem anonymen Flugblatt namentlich genannt. Unser Gebäude musste vollständig entkernt werden, ebenso kurze Zeit später ein Gebäude der Göttinger Tiermedizin, das nach den anarchistischen Flugblattparolen wohl von denselben Tätern heimgesucht worden war, die niemals ermittelt werden konnten. Leider gelang es danach trotz zweier Umzüge nicht mehr, eine angemessene Unterbringung für mich und mein Team bereitzustellen. Da ich bald danach mein 52. Lebensjahr vollendet hatte, nach dem in fast allen Bundesländern eine Berufung regelmäßig ausgeschlossen war, hatte ich mich damit abgefunden, den Brandgeruch meiner Möbel, Bücher und Akten in meinen Diensträumen zu ertragen und so viel wie möglich zu Hause zu arbeiten. Umso überraschender kam im Sommer 1993 die Anfrage von Claus Roxin und Klaus Volk, ob ich mich nicht auf den Münchner Lehrstuhl für Strafrecht, Kriminologie, Strafvollzug und Jugendrecht als Nachfolger von Horst Schüler-Springorum bewerben wolle. Dank des Verhandlungsgeschicks der Münchner Fakultät und der Befürwortung meiner Berufung durch das Bayerische Staatsministerium der Justiz gelang es, das Wissenschaftsministerium und das Finanzministerium davon zu überzeugen, dass ich auch mit 53 Jahren noch berufungsfähig sei. Die Aufnahme durch die Kollegen in München war nicht nur privat, sondern auch beruflich überwältigend. Man traute mir alsbald auch den strafrechtlichen Grundkurs zu, obwohl ich bis dahin, neben den Veranstaltungen aus der Wahlfachgruppe Kriminologie, Jugendstrafrecht und Strafvollzug, nur die Anfängerübung im Strafrecht und den strafrechtlichen Klausurenkurs sowie die Vorlesung Strafprozessrecht gehalten hatte. Ich habe dann den ganzjährigen sechsstündigen Grundkurs, in dem das gesamte Strafrecht vermittelt wurde und die Anfängerübung und die Zwischenprüfungsklausur integriert waren, mit wachsender Freude viermal wiederholt. Natürlich war die weitgehende Einbeziehung in das strafrechtliche Lehrprogramm nicht ohne Einbußen bei der kriminologischen Produktivität realisierbar. Ich habe das aber gern gemacht, einmal weil ich auch die Rechtswissenschaft liebe, zum anderen, weil ich überzeugt bin, dass die Kriminologie in ihrer Breite und Vielfalt an den juristischen Fakultäten nur überleben kann, wenn ihre Vertreter auch im Straf- und Strafprozessrecht tätig sind. Meines Erachtens hat die Entwicklung des Faches Kriminologie in den letzten 40 Jahren gezeigt, dass die fachliche Verankerung im Kernfach nicht nur für Juristen-Kriminologen, sondern auch für Kriminologen aus der Psychiatrie, Psychologie und Soziologie existenziell ist. Daneben bleiben natürlich einzelne Institute wie das Max-Planck-Institut oder das Kriminologische Forschungsinstitut Niedersachsen wünschenswert, die
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sich personell eine Konzentration auf die Kriminologie leisten können und die dann eher die Möglichkeit haben, Grundlagenforschung oder langfristige Großprojekte durchzuführen. In der akademischen Selbstverwaltung habe ich mich bereiterklärt, in einer sehr schwierigen Phase von 2001 bis 2003 das Dekanat zu übernehmen, obwohl man in München üblicherweise nicht dazu verpflichtet wurde, wenn man bereits an einer anderen Fakultät Dekan war. Die Universitätsleitung hatte relativ kurzfristig beschlossen, einzelne Institute aufzulösen und alle Professoren in einer neuen Verwaltungseinheit „Juristisches Seminar“ mit weitgehend autonomer Haushaltsführung umzuwandeln, ohne eine einzige Stelle für die neuen Verwaltungsaufgaben auf Fakultätsebene zur Verfügung zu stellen. Zugleich war eine neue Studien- und Prüfungsordnung für die im DRiG 2002 erstmalig geschaffene Universitätsprüfung in den Schwerpunktbereichen zu entwickeln, die neben der Pflichtfachprüfung mit 30 % in die Erste Juristische Abschlussprüfung einbezogen wurde. In Sorge um die Vernachlässigung der für den Juristenberuf zentralen Pflichtfächer zugunsten der spezialisierten Lehr- und Forschungsinteressen vieler Professoren gelang es mir als Dekan zunächst, die Zahl der Schwerpunktbereiche auf sechs zu begrenzen (je zwei im Zivilrecht und im Öffentlichen Recht, je einen im Strafrecht und für Grundlagenfächer). Leider hat die Fakultät inzwischen zehn Schwerpunktbereiche eingerichtet. Das sind zwar immer noch weniger als an einigen anderen Fakultäten, führt aber bedauerlicherweise zu einem immer stärker werdenden Rückzug der Professoren aus der staatlichen Pflichtfachprüfung.
Im Herbst 2008 wurde ich emeritiert. Im gleichen Jahr erhielt ich das Bundesverdienstkreuz 1. Klasse. Im Jahr 2009 verlieh mir die Kriminologische Gesellschaft, die wissenschaftliche Vereinigung deutscher, österreichischer und schweizerischer Kriminologen, für meine Verdienste um die kriminologische Forschung die Beccaria-Medaille in Gold.
II. Forschung Während am Tübinger Institut die durchaus anregende interdisziplinäre Grundlagenforschung und die Konzentration auf die täterorientierte Kriminologie im Mittelpunkt stand, war mein eigener Weg etwas stärker an der Verbindung der Kriminologie mit dem Strafrecht und der Strafrechtspraxis orientiert. In dieser Zeit war wissenschaftlich eines meiner größten Vorbilder Hermann Mannheim, dessen zweibändiges Lehrbuch 1965 zuerst in englischer Sprache als „Comparative Criminology“ erschienen war.3 Er hatte 1920 mit einem bedeutenden Auf3
Deutsch: Mannheim, Hermann, Vergleichende Kriminologie, Bd. 1 und 2, 1974.
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satz „Über Gleichmäßigkeit und Systematik in der richterlichen Strafzumessung“ seine wissenschaftliche Laufbahn begonnen, und er war nach seiner Habilitation im Jahr 1924 zugleich Professor an der Humboldt-Universität und Richter am Landgericht Berlin, später auch am Kammergericht. 1934 emigrierte er nach England und baute dort zunächst in Cambridge, dann als Professor an der London School of Economics and Political Sciences, die britische Kriminologie auf. Er war Mitbegründer der überaus leistungsfähigen „Home Office Research Unit“. Ich habe ihn persönlich nicht mehr kennen gelernt, jedoch hat mich seine am kritischen Rationalismus orientierte Kriminologie durch ihre methodische Strenge und sprachliche Klarheit fasziniert. Dieser Ansatz kam auch in meiner Dissertation über „Strafzumessungspraxis und Verkehrsdelinquenz“ zum Ausdruck sowie in meiner DFG-geförderten Dunkelfelduntersuchung. Deren Ergebnisse präsentierte ich 1975 in meiner Göttinger Antrittsvorlesung über das Thema „Ist Kriminalität normal?“.4 Die Daten stammten aus einer von mir in Baden-Württemberg anonym durchgeführten schriftlichen Gruppenbefragung zur nichtregistrierten Kriminalität bei jungen Strafgefangenen und jungen Männern aus der Normalbevölkerung (Wehrpflichtige bei der Musterungsuntersuchung der Bundeswehr). Die Angaben zur Deliktsbegehung korrelierte ich mit intervenierenden Variablen wie Aufrichtigkeit, soziale Schichtzugehörigkeit, Intelligenz und eingeschätzter Normalität der Delikte durch die Befragten. Dies ermöglichte eine differenziertere Bewertung der bis dahin ziemlich pauschalen Self-Report-Studien sowie eine Relativierung einiger überspitzter Thesen von Vertretern des Labeling Approach. Substanziierte und aussagekräftige kriminologische Forschung lässt sich an den Universitäten wegen der starken Inanspruchnahme der Professoren durch andere Aufgaben ganz überwiegend nur durch Doktoranden oder Habilitanden realisieren, welche bereit sind, die Mühen empirisch-kriminologischer Untersuchungen auf hohem wissenschaftlichem Niveau auf sich zu nehmen. Dem Hochschullehrer kommt dabei die Aufgabe der Themenfindung und der inhaltlichen und methodischen Beratung zu, außerdem die Unterstützung beim oft hindernisreichen Zugang zu Strafakten, zu Befragungspopulationen oder zu Beobachtungsobjekten. Die Zusammenarbeit mit meinen Doktoranden und Habilitanden gehörte zu den Höhepunkten meiner Tätigkeit als Hochschullehrer. In der mir zum 70. Geburtstag gewidmeten Festschrift sind deshalb auf meinen Wunsch die bis 2010 abgeschlossenen Dissertationen oder Habilitationen aufgeführt.
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Schöch, Heinz, KrimGegfr 12 (1976), S. 211–228.
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Schreibers Vernetzung in der niedersächsischen Justiz ist es zu verdanken, dass wir schon Mitte der siebziger Jahre mit unseren Feldexperimenten zur Zweiteilung der Hauptverhandlung nach dem von uns entwickelten Modell des informellen Tatinterlokuts5 beginnen konnten, gefolgt von der Jugendgerichtsverhandlung am Runden Tisch6 und der Hauptverhandlung nach dem Modell des Passivrichters ohne Aktenkenntnis.7 In dieser Zeit stieß auch der damalige Ministerialrat Peter Rieß aus dem Bundesministerium der Justiz zu uns, was u. a. zu bundesweiten Untersuchungen über die Praxis der Opportunitätseinstellungen im Strafprozess,8 die Rechtswirklichkeit der Untersuchungshaft9 und die Rechtswirklichkeit und Effizienz der Strafverteidigung10 führte. Das Forschungsthema Untersuchungshaft habe ich zu Beginn meiner Münchener Zeit noch einmal vertieft, indem ich ein Feldexperiment der Hessischen Justiz zum Einfluss der frühen Strafverteidigung auf den Verlauf der Untersuchungshaft evaluiert habe.11 Die dabei festgestellte Vermeidung und Verkürzung der Untersuchungshaft hat in Verbindung mit einem von mir vorgeschlagenen und von Jörg Jehle in Hannover durchgeführten Feldexperiment12 2009 zu der gesetzlichen Änderung geführt, dass dem Untersuchungsgefangenen ein Verteidiger nicht erst nach drei Monaten, sondern sofort nach Beginn der Vollstreckung der Untersuchungshaft beigeordnet wurde.
Mein Vortrag bei der Bonner Strafrechtslehrertagung im Jahr 1979 über „Kriminologie und Sanktionsgesetzgebung“13, war ein Bekenntnis zu einer empirisch fundierten Kriminalpolitik. Er hat u. a. dazu geführt, dass ich 1980 auf Betreiben
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Dölling, Dieter, Die Zweiteilung der Hauptverhandlung – Eine Erprobung vor Einzelrichtern und Schöffengerichten, 1978; Schunck, Bernd, Die Zweiteilung der Hauptverhandlung – Eine Erprobung des informellen Tatinterlokuts bei Strafkammern, 1982. Schreiber, Hans-Ludwig/Schöch, Heinz/Bönitz, Dieter, Die Jugendgerichtsverhandlung am „Runden Tisch“, 1981. Weißmann. Ulrich, Die Stellung des Vorsitzenden in der Hauptverhandlung, 1982. Ahrens, Wilfried, Die Einstellung in der Hauptverhandlung gem. §§ 153 II, 153a II StPO, 1978; Hertwig, Volker, Die Einstellung eines Verfahrens wegen Geringfügigkeit, 1982. Gebauer, Michael, Die Rechtswirklichkeit der Untersuchungshaft in Deutschland, 1987. Vogtherr, Thomas H., Rechtswirklichkeit und Effizienz der Strafverteidigung, 1990. Schöch, Heinz, Der Einfluss der Strafverteidigung auf den Verlauf der Untersuchungshaft, 1997. Busse, Ulrike, Frühe Strafverteidigung und Untersuchungshaft, Göttinger Studien zu den Kriminalwissenschaften, Bd. 3, 2008. Schöch, Heinz, Kriminologie und Sanktionsgesetzgebung, ZStW 92 (1980), S. 143– 184.
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von Claus Roxin und anderen in den Kreis der kriminalpolitisch einflussreichen Alternativ-Professoren aufgenommen wurde, dem ich bis heute angehöre und der mein Verständnis für eine liberale, am Rechtsgüterschutz und am Verhältnismäßigkeitsprinzip orientierte Kriminalpolitik geprägt hat. Ich habe mich an allen seither erschienenen Entwürfen mit eigenen Beiträgen beteiligt. Mit der organisatorischen Leitung war ich bei den Alternativentwürfen zur Reform der Hauptverhandlung (1985), zur Sterbehilfe (1986), zur Wiedergutmachung (1992) und zur Sterbebegleitung (2006)14 betraut. In den Mittelpunkt meines Gutachtens für den Juristentag 1992 über die strafrechtlichen Sanktionen ohne Freiheitsentzug habe ich die adäquate gesetzliche Regelung der Wiedergutmachung gestellt, die dann 1994 im Verbrechensbekämpfungsgesetz zur typisierten Strafrahmenmilderung beim Täter-Opfer-Ausgleich und bei der Schadenswiedergutmachung in § 46a StGB geführt hat. Einer meiner weiteren Vorschläge, das Fahrverbot als Denkzettelsanktion für alle Straftaten einzuführen, ist nach 25-jähriger kontroverser Diskussion 2017 in § 44 Abs. 1 S. 2 StGB realisiert worden. Auch in München kam bald eine intensive Forschungskooperation mit der bayerischen Strafjustiz durch rechtstatsächliche Untersuchungen und kriminologisch orientierter Feldexperimente zustande. Dies ist vor allem den früheren Ministerialdirigenten Reinhard Böttcher und Manfred Markwardt zu verdanken. Zu den wichtigsten kriminologischen Forschungsarbeiten aus dieser Zeit zähle ich die Implementation und die Evaluation der Schadenswiedergutmachung im Strafverfahren über anwaltliche Schlichter15 und der kriminalpädagogischen Schülerprojekte in Bayern, der sog. Teen Courts,16 die es inzwischen nicht nur bei zehn bayerischen Staatsanwaltschaften, sondern auch in einigen anderen Bundesländern gibt. Hinzu kommt eine interdisziplinäre Untersuchung von Psychiatern, Psychologen und Juristen über „Gesundheitliche und rechtliche Risiken bei Scientology“17 sowie zwei mit dem Würzburger Psychologen Hans-Peter Krüger arrangierte Feld14 Schöch, Heinz/Verrel, Torsten, Alternativ-Entwurf Sterbebegleitung (AE-StGB), GA 2005, S. 553–586. 15 Kaspar, Johannes, Wiedergutmachung und Mediation im Strafrecht, 2004; Götting, Bert, Schadenswiedergutmachung im Strafverfahren, 2004; Köberlein, Carolin, Schadenswiedergutmachung und Legalbewährung, 2006. 16 Sabaß, Verena, Schülergremien in der Jugendstrafrechtspflege – Ein neuer Diversionsansatz, 2004; Englmann, Robert, Kriminalpädagogische Schülerprojekte in Bayern, 2009. 17 Küfner, Heinrich/Nedopil, Norbert/Schöch, Heinz (Hrsg.), Gesundheitliche und rechtliche Risiken bei Scientology, Lengerich, 2002.
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experimente zum Dunkelfeld bei Autofahrten unter Alkoholeinfluss und zum Einfluss von Drogen und Alkohol auf die Fahrtüchtigkeit.18
III. Lehre Da mein akademischer Lehrer Hans Göppinger es ablehnte, seine juristischen Assistenten für Arbeitsgemeinschaften oder Examinatorien der Juristischen Fakultät auf dem Gebiet des Strafrechts freizustellen, hatte ich bei meinem Dienstantritt in Göttingen außer drei propädeutischen Übungen in der Kriminologie keinerlei Lehrerfahrung. Deshalb hatte ich in den ersten Jahren bei den Vorbereitungen für die Vorlesungen Kriminologie, Strafrechtliche Sanktionen, Jugendstrafrecht, Strafvollzug und Strafprozessrecht oft nur wenige Stunden Vorsprung vor meinen Hörern. Außer einer klaren Strukturierung des Stoffes konnte ich daher keine didaktischen Glanzpunkte setzen, zumal ich gleichzeitig größere empirische Forschungsprojekte und DFG-Anträge vorzubereiten hatte. Dennoch hat eine stattliche Zahl motivierter Studenten durchgehalten, vielleicht auch, weil ich mich von Anfang an bemüht hatte, die Studierenden durch Zwischenfragen an der Vermittlung des Lehrstoffes zu beteiligen. Es hat aber lange gedauert, bis ich mit meinen eigenen Lehrveranstaltungen einigermaßen zufrieden war. Im Examensklausurenkurs oder in den Anfängerübungen im Strafrecht war das einfacher, ebenso in München nach einem ersten Durchgang im ganzjährigen sechsstündigen Grundkurs im Strafrecht. Die Gestaltung der Seminare, die ich regelmäßig angeboten habe, fiel mir von Anfang an leichter. Hier habe ich auch viele meiner Doktoranden entdeckt. Seit Inkrafttreten der Justizausbildungsreform im Jahr 2003 gehen die Seminarnote und die Abschlussklausur im Schwerpunktbereich mit jeweils 15 % in die Examensnote der Ersten Juristischen Prüfung ein. Deshalb strengen sich seither die Studierenden in der sechswöchigen Seminararbeit sowie beim mündlichen Vortrag besonders an. Das wissenschaftliche und rhetorische Niveau der Seminare ist dadurch deutlich gestiegen. Deshalb habe ich auch nach meiner Emeritierung bis in mein 80. Lebensjahr in jedem Semester dreistündige Seminare angeboten, die immer voll ausgebucht waren. Da die Nachfrage im Schwerpunktbereich „Strafjustiz, Strafverteidigung und Prävention“ meist größer war als das Angebot, habe ich auch keinem aktiven Kollegen etwas weggenommen.
18 Mettke, Melanie, Drogen im Straßenverkehr, 2001; Schöch, Heinz, Generalprävention und Fahren unter Alkohol, in: Krüger, Hans-Peter/Giebe, Wolfgang (Hrsg.), Fahren unter Alkohol in Deutschland, 1998, S. 161–185.
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Im Grenzbereich zwischen Forschung und Lehre liegt die Betreuung von Doktoranden und Habilitanden. Dass ich trotz meiner relativ starken Einbindung in strafrechtliche Lehraufgaben und in die akademische Selbstverwaltung auch bedeutsame kriminologische Forschungsarbeiten leiten und betreuen konnte, verdanke ich meinen 61 Doktoranden und Doktorandinnen sowie acht Habilitanden und Habilitandinnen, welche ganz überwiegend die Mühen empirisch-kriminologischer Untersuchungen auf hohem wissenschaftlichen Niveau auf sich genommen haben. Den Habilitanden hatte ich freigestellt, die zweite Qualifikationsarbeit auf dem Gebiet des Straf- oder Strafprozessrechts vorzulegen, da seit Mitte der 90er Jahre des 20. Jahrhunderts erkennbar wurde, dass sich die Berufungschancen ohne eine primär rechtliche Habilitation oder Dissertation verschlechterten. Torsten Verrel und Johannes Kaspar haben diesen Weg gewählt, während Dieter Dölling, Bernd-Dieter Meier, Bert Götting und Rita Haverkamp auch die Habilitationsschriften mit überwiegend empirisch-kriminologischem Inhalt vorgelegt haben. Katrin Höffler ist kurz nach ihrer Rückkehr aus der Justiz an die Universität schon während ihrer geplanten Habilitation nach Göttingen berufen worden. Der griechische Stipendiat Vasileius Petropoulos hat zwei strafrechtsdogmatische Arbeiten vorgelegt und lehrt jetzt neben seiner Anwaltstätigkeit an der Universität Athen. Vertiefen konnte ich in München dank Norbert Nedopil die schon in Göttingen mit Ulrich Venzlaff und Gunter Heinz begonnene intensive Kooperation mit der forensischen Psychiatrie, einmal in der wöchentlichen Vorlesung mit Probandenvorstellung, zum anderen seit 1989 bei den auch von Volker Dittmann mitbegründeten Fortbildungswochen für forensische Psychiater und Psychologen in Niederpöcking am Starnberger See. Diese Aktivitäten führten auch zu meiner Beteiligung an den „Mindestanforderungen für Schuldfähigkeitsgutachten“19 und „Mindestanforderungen für Prognosegutachten“,20 die gemeinsam mit Bundesrichtern, Bundesanwälten sowie Forensischen Psychiatern und Psychologen veröffentlicht wurden.
IV. Außeruniversitäre Aktivitäten Meine Wahl in die Ständige Deputation des Deutschen Juristentages im Jahr 1994 bedeutete, dass erstmals in der 150-jährigen Geschichte dieses rechtspolitisch einflussreichen Gremiums ein Kriminologe den einzigen Sitz für einen 19 Boetticher, Axel u. a., Mindestanforderungen für Schuldfähigkeitsgutachten, NStZ 2005, S. 57–62. 20 Boetticher, Axel u. a., Mindestanforderungen für Prognosegutachten, NStZ 2006, S. 537–544; ders. u. a., Empfehlungen für Prognosegutachten, NStZ 2019, S. 574–579.
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Strafrechtsprofessor innehatte. Nach Vorgängern wie Kohlrausch, Radbruch, Graf zu Dohna, Gallas, Hanack und Eser war dies m. E. ein wichtiges Signal für den Stellenwert der Kriminologie in der modernen Kriminalpolitik. Die sechs Juristentage, die ich bis 2006 für das Strafrecht thematisch mitgestalten konnte, – 1998, 2002 und 2006 hatte ich zusätzlich den Vorsitz bei den Beratungen und Abstimmungen – hatten teilweise beträchtlichen Einfluss auf die Gesetzgebung, insbesondere für das Korruptionsstrafrecht (1996), für den strafprozessualen Zeugenschutz (1998), für das Jugendstrafrecht (2002) und für die Aufwertung der Patientenverfügung bei der Sterbebegleitung (2006).
Gemeinsam mit Claus Roxin und Manfred Burgstaller gehörte ich von 1986 bis 1998 dem Fachbeirat des Freiburger Max-Planck-Instituts an, wo ich in der Begegnung mit Günther Kaiser, Hans-Heinrich Jescheck und Albin Eser viele Anregungen für mein Ideal vom „Strafrecht und der Kriminologe unter einem Dach“ fand. Von 2008 bis 2018 war ich erneut Mitglied dieses Fachbeirats (bis 2016 als Vorsitzender). In dieser Zeit konnte ich u. a. das von Ulrich Sieber entwickelte, in deutscher und englischer Sprache publizierte sowie computergestützt zugängliche „Internationale Max-Planck-Informationssystem zur Strafrechtsvergleichung“ sowie die von ihm konzipierte fachliche Neuorientierung des Instituts durch Einbeziehung des Sicherheitsrechts neben Strafrecht und Kriminologie unterstützen.
Im Kriminologischen Forschungsinstitut Niedersachsen war ich bis 2020 als Gründungsmitglied beratend tätig (seit 1978). Bis 1985 war ich auch Vorsitzender des Kuratoriums. Danach wurden die beiden Funktionen in einer neuen Satzung vernünftigerweise getrennt. In der Kriminologischen Zentralstelle Wiesbaden, der zentralen Forschungs- und Dokumentationseinrichtung des Bundes und der Länder für kriminologisch-forensische Forschungsfragen, war ich von 1998 bis 2004 Vorsitzender des Beirats. Im Präventionsnetzwerk „Kein Täter werden“, das sich der freiwilligen vorbeugenden Therapie von Pädophilen widmet, die nicht übergriffig werden und auch keine Kinderpornographie benutzen wollen, bin ich seit dessen Gründung durch Klaus Michael Beier an der Berliner Charité im Jahr 2005 im Beirat. Dieses Modell gibt es inzwischen in zwölf deutschen Städten. Neben der Beratung des Vorstands in Grundsatzfragen beantworte ich bis heute in Einzelfällen Fragen zur Schweigepflicht und zum Zeugnisverweigerungsrecht sowie zum Beschlagnahmeverbot bezüglich der Patientendaten. Seit 1994 bin ich im Vorstand der Opferhilfevereinigung WEISSER RING e.V. und in dessen Fachbeirat Strafrecht tätig, den ich seit dem Tod von Alexander Böhm im Jahr 2006 auch leite. Ich war dem Verein im Gegensatz zu einigen anderen Kollegen nicht bereits bei dessen Gründung im Jahr 1976 beigetreten, weil
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mich die Law-and-Order-Parolen einiger Gründungsmitglieder und deren Kritik an einer angeblich zu laschen Strafjustiz störte. Andererseits war mir spätestens bei meiner Vorbereitung auf den Hamburger Juristentag 1984 klar geworden, dass die Rechtsstellung des Verletzten im deutschen Strafverfahrensrecht defizitär war.21 Durch meinen Einsatz in den Gremien des WEISSEN RINGS ist es gelungen, deutlich zu machen, dass Opferschutz und Opferhilfe keine Gegensätze zur Resozialisierung eines Straftäters sind, sondern dass vielmehr Resozialisierungschancen auch im Interesse des Opfers genutzt werden müssen. So haben wir uns für die Förderung des Täter-Opfer-Ausgleichs durch den Verein ausgesprochen. Außerdem haben wir alle Ansinnen zur Einführung und zum Ausbau der nachträglichen Sicherungsverwahrung zurückgewiesen. Auch verschiedene Vorschläge der Rechtspolitik zur Strafrahmenverschärfung wurden nicht unterstützt. Durch Vermittlung des befreundeten japanischen Strafrechtsprofessors Koichi Miyazawa (Keio Universität Tokio), den ich während seiner Forschungsaufenthalte in Göttingen betreuen konnte und den ich wegen seines unermüdlichen Einsatzes für die Kooperation zwischen deutscher und japanischer Strafrechtswissenschaft bewunderte, konnte ich mehrere Vortragsreisen nach Japan unternehmen. 1995 wurde ich zum Ehrenmitglied der japanischen Strafrechtsgesellschaft ernannt. Von 1999 bis 2007 war ich im Vorstand der Kriminologischen Gesellschaft, der wissenschaftlichen Vereinigung deutscher, österreichischer und schweizerischer Kriminologen. Von 2001 bis 2003 hatte ich das Amt des Präsidenten inne. In dieser Eigenschaft habe ich die Tagung unter dem Leitthema „Angewandte Kriminologie zwischen Freiheit und Sicherheit“ in München ausgerichtet, an der über 400 Besucher aus elf Ländern teilgenommen haben. Die praxisnahe Ausrichtung meiner kriminologischen Forschungen sowie die außeruniversitären Aktivitäten haben dazu geführt, dass ich insgesamt neunmal zu Gesetzentwürfen als Sachverständiger vor dem Rechtsausschuss des Deutschen Bundestages Stellung genommen habe. Ich habe an Anhörungen des Rechtsausschusses zu folgenden Gesetzentwürfen teilgenommen: Opferschutzgesetz (1986), Verbrechensbekämpfungsgesetz, insbesondere wegen § 46a StGB (1994, Rechts- und Innenausschuss), Gesetz zur Bekämpfung von Sexualdelikten und anderen schweren Straftaten (1997), 36. Strafrechtsänderungsgesetz – Verletzung des höchstpersönlichen Lebensbereichs durch Bildaufnahmen gemäß § 201a StGB (2003), Gesetz zur Sicherung der Unterbringung in einem psychiatrischen Krankenhaus und in einer Entziehungsanstalt (2007), Gesetzentwurf des Bun21 Schöch, Heinz, Die Rechtsstellung des Verletzten im Strafverfahren, NStZ 1984, S. 385–391.
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desrates zur Reform des strafrechtlichen Wiederaufnahmerechts (2009), Gesetz zur Änderung des Untersuchungshaftrechts (2009), 2. Opferrechtsreformgesetz (2009) und Gesetz zur effektiveren und praxistauglicheren Ausgestaltung des Strafverfahrens (2017). Im Gegensatz zu vielen anderen Stimmen hatte ich nur selten den Eindruck, dass die Anhörungen bloße Formalitäten waren. Vielmehr haben die gut vorbereiteten Abgeordneten oft präzise Fragen gestellt, deren Beantwortungen teilweise auch in die abschließenden Beschlüsse des Rechtsausschusses eingingen. Höhepunkt war die Anhörung zur Änderung des Untersuchungshaftrechts im Jahr 2009, als der Rechtsausschuss auf der Grundlage der Göttinger und der Münchner Forschungsergebnisse22 erfolgreich die notwendige Verteidigung des Untersuchungsgefangenen bereits zu Beginn der Vollstreckung der Untersuchungshaft einführte, obwohl dieser Aspekt im Regierungsentwurf auch nicht ansatzweise angesprochen war.
V. Schluss Ich bin dankbar, dass ich durch mehrere glückliche Zufälle Hochschullehrer geworden bin. Dies ist – trotz gestiegener Lehr-, Prüfungs- und Selbstverwaltungsverpflichtungen in den letzten Jahrzehnten – einer der schönsten Berufe, die ich mir vorstellen kann. Gerne erinnere ich mich an die Zusammenarbeit mit meinen Doktoranden und Habilitanden, ebenso an die meisten Seminarveranstaltungen. Auch auf die vorübergehende Ausübung des Richterberufs und viele anregende außeruniversitäre Aktivitäten und Beratungstätigkeiten blicke ich dankbar zurück. Ich bin überzeugt, dass die große Bereitschaft der nachfolgenden Kriminologengeneration, Kriminologie im Kontext der gesamten Strafrechtswissenschaft zu betreiben und bei Bedarf auch strafrechtliche Lehrveranstaltungen und juristische Prüfungsverpflichtungen zu übernehmen, dazu beigetragen hat, dass im deutschsprachigen Raum die von Juristen betriebene Kriminologie dominiert, während die Kriminalsoziologie an den deutschen sozialwissenschaftlichen Fakultäten weitgehend abgeschafft ist. Hoffnung auf eine weiterhin breit angelegte interdisziplinäre Kriminologie macht die neuere Entwicklung der Rechtspsychologie sowie der Forensischen Psychiatrie und Psychologie.
22 S. o. II.
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Schriftenverzeichnis (in Auswahl)23 1. Selbständiges Schrifttum Strafzumessungspraxis und Verkehrsdelinquenz – Kriminologische Aspekte der Strafzumessung am Beispiel einer empirischen Untersuchung zur Trunkenheit im Verkehr, 1973. Ausländerkriminalität in der Bundesrepublik Deutschland, 1991 (zusammen mit Michael Gebauer). Empfehlen sich Änderungen und Ergänzungen bei den strafrechtlichen Sanktionen ohne Freiheitsentzug? Gutachten C für den 59. Deutschen Juristentag, 1992. Der Einfluss der Strafverteidigung auf den Verlauf der Untersuchungshaft, 1997. Gesundheitliche und rechtliche Risiken bei Scientology, 2002 (hrsg. zusammen mit Heinrich Küfner/Norbert Nedopil). Angewandte Kriminologie zwischen Freiheit und Sicherheit, Neue Kriminologische Schriftenreihe der Neuen Kriminologischen Gesellschaft e.V., Bd. 109, 2004 (hrsg. zusammen mit Jörg-Martin Jehle).
2. Kommentierungen Strafgesetzbuch, Leipziger Kommentar, §§ 19–21, 12. Aufl. 2007. Strafgesetzbuch, Leipziger Kommentar, Vor § 61 und §§ 61–64, 67, 12. Aufl. 2008. Satzger, Helmut/Schluckebier, Wilhelm/Widmaier, Gunter (Hrsg.), Strafgesetzbuch, §§ 323a–323c, 1.–5. Aufl. 2009–2021. Strafprozessordnung, Reihe Alternativkommentare, Bd. 2, Teilbd. 1, §§ 151– 160, 1992. Strafprozessordnung, Reihe Alternativkommentare, Bd. 2, Teilbd. 2, §§ 238– 245, 1993. Strafprozessordnung, Reihe Alternativkommentare, Bd. 3, §§ 403–406h, 1996. Satzger, Helmut/Schluckebier, Wilhelm/Widmaier, Gunter (Hrsg.), Strafprozessordnung, §§ 395–406l, 1.–4 Aufl. 2010–2020.
23 Ausführliche Version auf der Website der Juristischen Fakultät der Ludwig-Maximilians-Universität München (https://www.jura.uni-muenchen.de/personen/s/schoech_ heinz/publikationen/index.html).
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3. Lehrbücher und Fallsammlungen Strafvollzug, 1. Aufl. 1974 (zusammen mit Günther Kaiser, Hans-Jürgen Kerner und Hans-Heinrich Eidt); 5. Aufl. 2002 (zusammen mit Günther Kaiser). Kriminologie, Jugendstrafrecht, Strafvollzug, Juristischer Studienkurs, 1. Aufl. 1979 (zusammen mit Günther Kaiser); 8. Aufl. 2015 (zusammen mit Günther Kaiser und Jörg Kinzig). Jugendstrafrecht, Grundriss, 1. Aufl. 2003; 3. Aufl. 2013 (zusammen mit BerndDieter Meier und Dieter Rössner).
4. Aufsätze in Zeitschriften und Sammelwerken Grundlage und Wirkungen der Strafe – Zum Realitätsgehalt des § 46 Abs. 1 StGB, in: Festschrift für Friedrich Schaffstein, 1975, S. 255–273. Die Reform der Hauptverhandlung, in: Schreiber, Hans-Ludwig (Hrsg.), Strafprozess und Reform, 1979, S. 52–81. Kriminologie und Sanktionsgesetzgebung, ZStW 92 (1980), S. 143–184. Verstehen, Erklären, Bestrafen?, in: Immenga, Ulrich (Hrsg.), Rechtswissenschaft und Rechtsentwicklung, Ringvorlesung von Professoren der Juristischen Fakultät der Georg-August-Universität Göttingen, 1980, S. 305–321. Experimente in Strafverfahren und ihre Auswirkungen auf strafrechtliche Sanktionen, in: Kerner, Hans-Jürgen/Kury, Helmut/Sessar, Klaus (Hrsg.), Deutsche Forschungen zur Kriminalitätsentstehung und Kriminalitätskontrolle, Interdisziplinäre Beiträge zur kriminologischen Forschung, Bd. 6, Teilbd. 2, 1983, S. 1083–1108. Empirische Grundlagen der Generalprävention, in: Festschrift für Hans-Heinrich Jescheck, Halbband 2, 1985, S. 1081–1105. Wird in der Bundesrepublik Deutschland zu viel verhaftet? Versuch einer Standortbestimmung anhand nationaler und internationaler Statistiken, in: Festschrift für Karl Lackner, 1987, S. 991–1008. Göttinger Generalpräventionsforschung, in: Kaiser, Günther/Kury, Helmut/Albrecht, Hans-Jörg (Hrsg.), Kriminologische Forschung in den 80er Jahren. Projektberichte aus der Bundesrepublik Deutschland, 1988, S. 227–246. Strafrechtliche Verantwortlichkeit von Ärzten bei Suizidhandlungen, in: Pohlmeier, Hermann/Schöch, Heinz/Venzlaff, Ulrich, Suizid zwischen Medizin und Recht, 1996, S. 81–94.
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Medikamente im Straßenverkehr, DAR 1996, S. 452–460. Das Gesetz zur Bekämpfung von Sexualdelikten und anderen gefährlichen Straftaten vom 26.1.1998, NJW 1998, S. 1257–1262. Willensfreiheit und Schuld aus strafrechtlicher und kriminologischer Sicht, in: Eisenburg, Josef (Hrsg.), Die Freiheit des Menschen. Zur Frage von Verantwortung und Schuld, 1998, S. 82–101. Täter-Opfer-Ausgleich und Schadenswiedergutmachung gemäß § 46a StGB, in: Canaris, Claus Wilhelm u. a., 50 Jahre Bundesgerichtshof. Festgabe aus der Wissenschaft, 2000, Band IV, S. 309–338.
Erfahrungen mit der Videovernehmung nach dem Zeugenschutzgesetz, in: Festschrift für Lutz Meyer-Goßner, 2001, S. 365–384. Bewährungshilfe und humane Strafrechtspflege, BewHi 2003, S. 211–225. Schweige- und Offenbarungspflichten für Therapeuten im Maßregelvollzug, in: Festschrift für Hans-Ludwig Schreiber, 2003, S. 437–447. Zum Verhältnis von Psychiatrie und Strafrecht aus juristischer Sicht, Der Nervenarzt 2005, S. 1382–1388. Alternativ-Entwurf Sterbebegleitung (AE-StB), GA 2005, S. 553–586 (zusammen mit Torsten Verrel). Kriminalprognose, in: Schneider, Hans Joachim (Hrsg.), Internationales Handbuch für Kriminologie, Bd. 1, 2007, S. 359–393. Die Todesstrafe aus viktimologischer Sicht, in: Festschrift für Heike Jung, 2007, S. 865–874. Mindestanforderungen für Schuldfähigkeits- und Prognosegutachten, in: Festschrift für Gunter Widmaier, 2008, S. 967–986. Die Aufklärungspflicht des Arztes und ihre Grenzen; Unterlassene Hilfeleistung; Gesundheitsfürsorge im Straf- und Maßregelvollzug; in: Roxin, Claus/Schroth, Ulrich (Hrsg.), Handbuch des Medizinstrafrechts, 4. Aufl. 2010, S. 51–74; 161– 178; 777–809. Maßstäbe für Strafart und Strafhöhe in der Bundesrepublik Deutschland, in: Frisch, Wolfgang (Hrsg.), Grundfragen des Strafzumessungsrechts aus deutscher und japanischer Sicht, 2011, S. 163–173. Das Urteil des Bundesverfassungsgerichts zur Sicherungsverwahrung, GA 2012, S. 14–31.
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Das kriminalpädagogische Schülerverfahren in der Bewährung, in: Festschrift für Wolfgang Heinz, 2012, S. 507–520 (zusammen mit Monika Traulsen). Psychische Störung, Sicherungsverwahrung und Therapieunterbringung, in: Festschrift für Norbert Nedopil, 2012, S. 251–262. Opferschutz im Strafverfahren, in: Dölling, Dieter/Jehle, Jörg-Martin (Hrsg.), Täter, Taten, Opfer. Grundfragen und aktuelle Probleme der Kriminalität und ihrer Kontrolle, 2013, S. 217–233. Restorative Justice in Deutschland und Europa, in: Scripta amicitiae, Freundschaftsgabe für Albin Eser, 2015, S. 185–201. Defizite bei der strafrechtlichen Dopingbekämpfung, in: Festschrift für Dieter Rössner, 2015, S. 669–685. Recht der Sterbehilfe in der Bundesrepublik Deutschland, in: Jahn, Michael u. a. (Hrsg.), Medizinrecht 2015, S. 103–120.
Rechtliche Aspekte einer Opferorientierung im Strafvollzug, Forum Strafvollzug 4 (2016), S. 273–276. Das Akteneinsichtsrecht des Verletzten bei Sexualdelikten, in: Festschrift für Franz Streng, 2017, S. 743–754. Zur Strafbarkeit der Behinderung von hilfeleistenden Personen, GA 2018, S. 510–519. Fahrverbot für alle Straftaten – ein kriminalpolitischer Paradigmenwechsel, in: Festschrift für Rudolf Rengier, 2018, S. 657–665. Empfehlungen für Prognosegutachten, NStZ 2019, S. 553–573 (zusammen mit Axel Boetticher und Matthias Koller u. a.).
Schuldfähigkeit, in: Hilgendorf, Eric/Kudlich, Hans/Valerius, Brian (Hrsg.), Handbuch des Strafrechts, Bd. II, Grundlagen des Strafrechts, 2020, S. 755–789. Das Recht auf selbstbestimmtes Sterben – Konsequenzen aus dem Urteil des Bundesverfassungsgerichts vom 26.2.2020 zur Förderung der Selbsttötung für den Gesetzgeber, GA 2020, S. 423–438. Verwertungsverbot für getilgte Vorstrafen bei Sanktionsentscheidungen, in: Festschrift für Frieder Dünkel, 2020, S. 457–469.
Bernd Schünemann
https://doi.org/10.1515/9783110703016-016
Bernd Schünemann I. Schriftenverzeichnis als Autobiographie Die Autobiografie eines Wissenschaftlers, könnte man meinen, besteht in seinem Schriftenverzeichnis. Und dafür, dass dies nicht nur für die Protagonisten der exakten Wissenschaften gilt, könnte man a fortiori auf den in der Literaturinterpretation einflussreichen Topos vom „Tod des Autors“1 verweisen, dass ein Text allein aus sich selbst heraus auszulegen sei und die Person des Verfassers dafür keine Rolle spiele. Ich möchte dieser Sichtweise dadurch meine Reverenz erweisen, dass ich zwar nicht mit einer Gesamtaufstellung meiner Publikationen2, aber doch mit einem schlagwortartigen Überblick über diejenigen Themen aus den Gebieten der Rechtstheorie, Rechtssoziologie, Dogmatik und Kriminalpolitik des Strafrechts und Wirtschaftsstrafrechts sowie des Strafverfahrensrechts beginne, über die ich am intensivsten gearbeitet und zu denen ich meine nach meinem Dafürhalten wichtigsten Beiträge geliefert habe.
1. Rechtstheorie a) Der Begriff des Rechts
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b) Sprachanalytische Rekonstruktion der Rechtsfindung, insbesondere der Gesetzesinterpretation, c) auf der Basis der Unterscheidung (1) von Objektsprache und Metasprache, (2) von Bedeutungskern, -hof und Rest der Welt („Spiegeleimodell“), sowie (3) der logischen Entschlüsselung des Typusbegriffs, analytisch klare Unterscheidung und Rangfolge der vier Stufen der Rechtsgewinnung im gewaltenteilenden Rechtsstaat unter Einbau der in der traditionellen Rechtstheorie dominierenden Konzepte des Vorverständnisses und des hermeneutischen Zirkels als bloß heuristischer Praktiken3a d) Logisch präzise Abgrenzung von Ober- und Untersatz im Justizsyllogismus und damit logische Präzisierung des Subsumtionsschlusses 1 2
Grundlegend Barthes, Roland, The death of the author, 1967. Dazu mein vollständiges Schriftenverzeichnis in: Schünemann, Bernd, Rechtsfindung im Rechtsstaat und Rechtsdogmatik als ihr Fundament, 2020, S. 497 ff., sowie aktualisiert auf der Webseite , auf das sich die nachfolgend jeweils in Klammern angegebenen Hinweise (z. B. III 154) beziehen. III 144, 154, 230, 242. I 3, 63; III 33, 204, 217.
3 3a
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e) Logisch präzise Abgrenzung von Tat- und Rechtsfrage4 f) Logisch präzise Abgrenzung von Auslegung und Analogie.5
2. Rechtssoziologie a) Klärung der gesellschaftlichen Aufgabe der Rechtswissenschaft nicht als ancilla potestatis, sondern als Avantgarde der Zivilgesellschaft zur Kontrolle der staatlichen Gewalten, quasi als nur intellektuell wirkender vierter Gewalt; exemplarische Analysen zur schwindenden Kontrolle staatlicher Machtausübung durch die Rechtswissenschaft6 b) Empirischer Nachweis und theoretische Analyse des Inertia- und des Schulterschlusseffekts als dominanter Entscheidungsdeterminanten im deutschen Strukturmodell des Strafverfahrens7 c) Soziologische Analyse der Urteilsabsprachen im Strafverfahren („Deal, Plea Bargaining“) im Bezugsrahmen von Wert- und Interessenkonflikt, Rollentheorie d) Empirische Aufklärung der Verbreitung und Funktionsweise der Absprachen im deutschen Strafverfahren Ende der 80er Jahre des 20. Jahrhunderts8 e) Dekonstruktion der Entstehung des Völkerstrafrechts und des Strafrechtsimperialismus und –kolonialismus in der Ära der Globalisierung9
3. Theorie der Strafe und Bedingungen der Strafgesetzgebung a) Präventionstheorie10, insbesondere Ersetzung der von Anbeginn deplatzierten Vergeltungsideologie der Strafe durch die Realität des Overkill11
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Umfassend in I 63, 65; III 33. I 4. III 114, 185, 223, 249, 263, 286. Umfassend in I 65; III 34, 62, 65, 246; IV 20–22. I 11, 32, 52; III 66, 68, 76, 82, 120, 122, 157, 169, 179, 192, 199, 212, 237, 253, 254, 272, 285. 9 III 131, 144, 284. 10 I 18; III 14, 59, 102, 136. 11 III 247, 266, 268.
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b) Daraus Deduktion des Rechtsgüterschutzprinzips als Grenze jeder Strafgesetzgebung in einem Rechtsstaat, logische Struktur und Anwendungspraxis des Rechtsgutsbegriffs12 c) Logische Struktur und praktische Konsequenzen des Gesetzlichkeitsprinzips („nulla poena sine lege“)13 d) Erkenntnistheoretische Begründung und Konsequenzen des Schuldprinzips14
4. Strafrechtsdogmatik – Allgemeiner Teil a) Unrecht und Schuld als Basalwertungen und Systemstufen des Strafrechts = Essenz des zweistufigen Verbrechensaufbaus anstelle des pragmatischen Aufbauschemas der Dreistufigkeit, die Abgrenzung von Unrecht und Schuld15 b) „Herrschaft über den Grund des Erfolges“ als Typus der Täterschaft der Herrschaftsdelikte, der unechten Unterlassungsdelikte, der Garantensonderdelikte sowie der eigenhändigen Delikte und damit der großen Masse legitimer Tatbestandsformen16 c) Die Unterscheidung von Tatherrschaftsstufen bei der mittelbaren Täterschaft17 d) Die Konkretisierung der Garantenstellungen bei den unechten Unterlassungsdelikten durch die Herrschaft über eine wesentliche Erfolgsursache bzw. über die Hilflosigkeit des Rechtsguts18 e) Die Theorie der Garantensonderdelikte als Schlüssel zur strafrechtlichen Vertreterhaftung19 f) Die ratio essendi und cognoscendi besonderer persönlicher Merkmale20
12 13 14 15 16 17 18 19 20
III 125, 135,164. I 4; III 242. III 40, 69, 137; V 20, 28, 36, 52, 54. I 8; III 90, 165. I 1, 64. III 168. I 1, 64; III 11, 37, 194. II a; III 269. III 19, 182.
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g) Die vier Stufen der objektiven Zurechnung, vor allem beim Fahrlässigkeitsdelikt21 h) Begriff und Abgrenzung des Vorsatzes; der Irrtum im zweistufigen Strafrechtssystem22
5. Strafrechtsdogmatik – Besonderer Teil a) Viktimodogmatik als übergeordnete Auslegungsrichtlinie23 b) Untreue (§ 266 StGB) – umfassend24 c) Betrug (§ 263 StGB) – Irrtum, Vermögensbegriff25 d) Verletzungen der Geheimsphäre (§§ 201 ff. StGB)26
e) Abtreibung (§ 218 StGB) – Dekonstruktion ideologischer Positionen27 f) Bestechungsdelikte im System der Delikte gegen Kollektivrechtsgüter28 g) Aufarbeitung der NS- und SED-Untaten29 h) Strafrechtsprobleme von AIDS30 i) Parteispenden31
6. Dogmatik des Strafverfahrensrechts a) Umfassend32 b) Revisionsrecht33
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III 13, 105, 124. III 104, 173. III 17, 27, 36, 125. I 58; III 132, 158, 163, 205, 214, 227, 228, 234. I 24; III 191, 255. II a; III 17. III 73, 143, 238, 280. III 174, 251, 259; V 171. III 16, 23, 85, 94, 109, 110; V 32. I 10; III 64, 71, 152. I 9; III 52, 53. I 41. I 65; III 30.
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c) Beweisrecht34 d) Rechtsstellung der Verfahrensbeteiligten35 e) Urteilsabsprachen36
7. Reform des Strafverfahrens a) Notwendige Ausbalancierung der unzulänglich kontrollierten Übermacht der Strafverfolgungsorgane im 4. Verfahrensparadigma – insgesamt –, vor allem b) Stärkung der Verteidigung im Ermittlungsverfahren c) Kompensation des Inertia- und Schulterschlusseffekts in der Hauptverhandlung d) Bedingungen für die Legitimierbarkeit von Urteilsabsprachen37
8. Supranationales Recht und Rechtsvergleichung a) Deutsches vs. Amerikanisches Strafprozessmodell38 b) Europäisierung des Strafverfahrens – umfassend39 c) Stellung der Verteidigung in der EU insbesondere40
9. Wirtschaftsstrafrecht – Dogmatik und Reform a) Strafrechtliche Zurechnung in der Unternehmenskriminalität – umfassend41 b) Dogmatische und kriminalpolitische Probleme der Verbandssanktionen42
34 35 36 37 38 39 40 41 42
III 100, 116. I 65; III 111, 166, 211. s. o. 2d. I 11, 30, 32, 47, 52, 65; III 120, 253, 254, 257, 272, 275. III 192; V 46. I 55. III 139, 149,166, 220, 258. I 6; III 86, 113, 147. I 54; III 186, 241, 274.
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c) Zurückdrängung der Verbandsgeldbuße durch die Unternehmenskuratel43 sowie durch d) Unternehmensinterne Ermittlungen im Auftrage der Staatsanwaltschaft44
II. Autobiographie als Zeitdokument 1. Tatsächlich zeigt jedoch gerade das Paradebeispiel der „Autorentodthese“, nämlich ihre Nutzung durch die die anglistischen Lehrstühle dominierenden Stratfordianer als Ausweg aus der Verlegenheit, die Identität des Autors der Werke Shakespeares mit dem Handschuhmacherssohn Shacksper aus Stratford plausibel zu machen,45 seit den tiefgründigen und subtilen Shakespeare-Interpretationen der Oxfordianer die ganze Flachheit und Hilflosigkeit dieser Ausrede46. Und mithilfe des Dekonstruktivismus ließen sich alle nicht exakt abgeleiteten wissenschaftlichen Aussagen als nur biografisch erklärbare Meinungsäußerungen entlarven, so dass in letzter Konsequenz selbst Autoren in der NJW einem Überblick über die Rechtsentwicklung im Hypothekenrecht eine kurze Schilderung ihrer Lebensumstände und ihrer Befindlichkeiten bei der Abfassung des Manuskripts vorausschicken müssten, um aufrichtig zu sein. Mit einer weiteren Zuspitzung 43 III 97, 98, 107. 44 III 252, 274, 282. 45 Shackspers gründlichster Biograph Samuel Schoenbaum resümierte (Shakespeares Lives, 1991, S. 568): „Perhaps we should despair of ever bridging the vertiginous expanse between the sublimity of the subject (scil. des Autors von „Shakespeares“ Werken) and the mundane inconsequence of the documentary record“, weshalb die „Shakespeare-Akademiker“ die Urheberfrage einfach für irrelevant erklärt haben, s. Leahy (Hrsg.), Shakespeare and His Authors: Critical Perspectives on the Authorship Question, London 2010, S. 9 s.: „It (scil. the authorship question) exists on the very margins of academia, deemed by most Shakespearean academics as irrelevant, of interest only to fools and fantasists.“ 46 Beispiele bietet die von Richard F. Whalen hrsg. „The Oxfordian Shakespeare Series“, bisher Macbeth, Othello the Moor of Venice, Anthony and Cleopatra und Hamlet. Ich stelle die Debatte um die „Authorship Question“ ganz bewusst an den Beginn meiner Selbstdarstellung, weil sie (1) mir als Paradigma der heutigen Situation einer um ihre Unabhängigkeit ringenden Wissenschaft inmitten des immer weniger camouflierten Diktats der ideologischen Gleichschaltung durch das politisch-mediale Establishment erscheint, weil sie (2) durch Shakespeares (= Edward de Veres) Wappenspruch „Vero Nihil Verius“ das Ziel dieses Ringens bezeichnet, weil sie (3) als „historische Inquisition“ die packendste Sublimierung der die Langeweile der gegenwärtigen Zivilisation in monotoner und trivialer Dauerunterhaltung ausfüllenden „Krimis“ darstellt und weil sie (4) durch ihre Verschränkung mit Shakespeares Werken im letzten Jahrzehnt ins Zentrum meiner eigenen, mit einer noch zu notierenden Ausnahme mein ganzes Leben beherrschenden Beschäftigung mit schöngeistiger Literatur getreten ist, s. Schünemann, Bernd, in: Festschrift für Hans-Heiner Kühne, 2013, S. 361 ff.
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ließe sich deshalb sogar sagen, dass gerade in der Jurisprudenz mit ihrer schon auf der abstrakten Ebene äußerst heiklen und bei konkreten Aussagen bestenfalls fragmentarisch möglichen Abtrennbarkeit rationaler Argumentationen von persönlichen und damit biografisch zu erklärenden Präferenzen47 die Metaebene der eigenen Erfahrungen und erfahrungsbedingten Einstellungen für das Verständnis der Positionen eines bestimmten Autors unverzichtbar sei. 2. Jedoch spielen diese unleugbaren biographischen Einflüsse auf der Objektebene der intersubjektiven kritischen Überprüfung rechtsdogmatischer Sätze keine Rolle und werden deshalb im dogmatischen Diskurs mit Recht ausgeklammert. Ferner ist die gesellschaftliche Relevanz sei es auch des gesamten Lebenswerkes eines deutschen Professors der Rechtswissenschaft viel zu gering, als dass man aus der biographischen Komponente zu viel Aufhebens machen sollte. Erst in der Zusammenfassung einer ganzen Epoche ändert sich das, und diese setzt sich wiederum aus den kleinen Mosaiksteinen zusammen, die aus dem je einzelnen „little life“48 bestehen. Deshalb bedeutet es keine Hybris, wenn ich nachfolgend hierzu ein Mosaiksteinchen beizutragen versuche. Freilich ist die in der jeweiligen Selbstdarstellung liegende Selbst-Entblößung ein gefährliches, wenn nicht desaströses Unterfangen, wie der als „Leseempfehlung“ getarnte grandiose Essay von Thomas Fischer über die vorangegangene Ausgabe der „deutschsprachigen Strafrechtswissenschaft in Selbstdarstellungen“49 gezeigt hat.50 Übrig bleibt ein trotziges „Hier stehe ich“ ohne Erwartung, irgendwo Hilfe zu finden.
III. Herkunft und Geburt 1. Ich will versuchen, mich dieser Aufgabe wenigstens in Umrissen zu stellen und dabei zu Beginn der Frage der nationalsozialistischen Belastung des Elternhauses nicht auszuweichen, die nach dem ex cathedra gesprochenen Urteil von Thomas Fischer in der Rezension der ersten Auflage dieses Sammelbandes un47 Zu meinen eigenen Versuchen, diese Abgrenzung und die jeweils geeigneten Erkenntnis- und Argumentationsmethoden so exakt wie möglich zu bestimmen, siehe nunmehr die exemplarische Sammlung in: Schünemann, Bernd, Rechtsfindung im Rechtsstaat und Rechtsdogmatik als ihr Fundament, Gesammelte Werke, Bd. 1, 2020. 48 S. Shakespeare, William, The Tempest, 4.1 Z. 158. 49 In: Festschrift für Ruth Rissing-van Saan, 2011, S. 143 ff. 50 Zumal sich dessen damals noch als Bonhomie auftretende Ironie seit seinen ZEIT-Kolumnen in beißenden Sarkasmus gewandelt und eine große Schar begeisterter Proselyten gemacht hat (s. die ihm gewidmeten Elogen in: Festschrift für Thomas Fischer, 2018, Teil 1), wahrlich „non sanz droict“ („Nicht ohne Recht“) entspr. dem Wappenspruch Shackspers, in Ben Jonsons „Every Man out of his Humour“ travestiert zu „Not without mustard“ (Akt 3, Szene 1).
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erlässlich ist51 und auch wegen des in der heutigen Medienlandschaft als landläufiges Totschlagsargument grassierenden Faschismusvorwurfes nicht ignoriert werden darf. a) Ich stamme sowohl mütterlicher- als auch väterlicherseits von kleinen Leuten ab, die aber Wert darauf gelegt hätten, nicht als Proletarier bezeichnet zu werden. Die Großväter meiner Mutter waren selbständige Handwerker, der eine Schmied, der andere Schuster und zugleich Kothsaß, nachdem er durch die Heirat 11½ Morgen Land erworben hatte. Beide Familien waren in Wolfenbüttel bzw. Broistedt fest im Herzogtum Braunschweig verankert. Mein Großvater schlug dann als Schmiedesohn deutlich aus der Art, weil er eine musikalische Naturbegabung hatte, die ihn bei den meisten Lebensentscheidungen geleitet hat, mit einer freilich gravierenden Ausnahme durchweg in eine glücksverheißende Richtung. Nach einer seinen glaubwürdigen Erzählungen entsprechend überwiegend am Waldhorn statt am Karabiner verbrachten und als Hoboist-Sergeant abgeschlossenen Militärzeit trat er als Beamter des mittleren Dienstes in die Finanz- und Zollverwaltung des Herzogtums Braunschweig ein. Im Zuge der Brüningschen Reformen ließ er sich freudig in den einstweiligen Ruhestand versetzen, weil er die äußerst bescheidene Pension nunmehr als permanenter Aushilfsbratschist am Braunschweiger Staatstheater aufbessern konnte. Freilich konnte er der musikalischen Versuchung auch nicht widerstehen, als ihm die Stelle eines SA-Kapellmeisters angeboten wurde, und obwohl er diese nur drei Jahre lang von 1934 bis 1937 wahrnahm, wurde ihm nach 1945 die kümmerliche Beamtenpension für mehrere Jahre entzogen, bis er im Entnazifizierungsverfahren (freilich ohne Nachzahlung!) 1949 entlastet wurde – wobei er in diesen Jahren, inzwischen im normalen Pensionsalter, wieder wie in seiner Jugend mit einer Tanzkapelle von Dorffest zu Dorffest ziehen und dadurch in den Elendsjahren den Familienunterhalt buchstäblich ergeigen konnte. Dieses in keiner Weise spektakuläre Leben meines Großvaters – des in nationalsozialistischer Hinsicht sozusagen meistbelasteten Mitglieds der Familie – liefert in meinen Augen eine exemplarische Ergänzung zu dem zuletzt in Goldhagens Theorie der willigen Vollstrecker52 verarbeiteten historischen Befund, dass nahezu jeder quivis ex populo, wenn er ohne vorherige Prüfung seiner Gesinnung irgendwie in die monströsen Untaten des NS-Regimes hineingezogen wurde, „mit-
51 In: Festschrift für Ruth Rissing-van Saan, 2011, S. 151 ff., 167. 52 Hitler’s Willing Executioners, N.Y. 1996. Nach meiner eigenen Kenntnis der Akten verschiedener NSG-Verfahren gab es beispielsweise in den Einsatzgruppen durchaus (erfolglose) Proteste gegen die Erschießungsbefehle, bezeichnenderweise aber hauptsächlich deshalb, weil Frauen und Kinder einbezogen wurden.
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gemacht“ hat, und wird deshalb hier notiert. Goldhagen erklärt – prima facie durchaus plausibel – die Bereitschaft einer sechsstelligen Personenzahl zur Mitwirkung an der Ermordung hilf- und wehrloser Menschen (einschließlich Frauen, Kindern und Greisen) durch einen in Deutschland schon im 19. Jahrhundert in allen gesellschaftlichen Klassen verbreiteten, tief in die Kultur eingebetteten „Auslöschungs-Antisemitismus“.53 Nicht nur aus vielen Gesprächen, die ich als Jugendlicher in meiner weiteren Familie geführt habe, sondern auch aus dem, was ich als Kind aufgeschnappt habe,54 habe ich dagegen keine größere Distanz meiner (evangelischen) Familie zu Juden als zu Katholiken wahrgenommen. Es gab viele jüdische Bekannte aus dem Milieu des Theaters, der Rechtsanwaltschaft und der Braunschweiger Geschäftswelt, mein Vater hatte eine jüdische Schwägerin, während selbst die unteren Chargen des NS-Systems in solchen Gesprächen und Erzählungen nur wie Kolonialoffiziere aus der Perspektive der indigenen Bevölkerung vorkamen, denn weder meine Eltern noch meine Großeltern kannten davon irgendjemanden persönlich. Der nach innen gerichtete Terrorismus des nationalsozialistischen Systems,55 dessen Ausblendung freilich zum Bild eines ganzen Volkes von willfährigen Mitläufern führen muss, wurde deshalb quasi anonym erlebt: Den akuten Terror zeigte etwa die Ermordung meines Urgroßvaters durch NS-Ärzte in Königslutter wegen der „Unwertigkeit“ seines hochbetagten und bettlägerigen Lebens56 sowie die völlige Hilflosigkeit seiner Tochter nach der (am auf ihren letzten Besuch folgenden Tag erhaltenen) offiziellen Mitteilung, ihr Vater sei in der Nacht überraschend verstorben. Zu dem latenten Terror eine Anekdote, die ich als Kind oft gehört habe: Als meine Großmutter, die in dem kleinen Dorf Broistedt aufgewachsen war und nur Dorfschulbildung besaß, sich weigerte, den „deutschen Gruß“ zu verwenden, warnte sie mein Großvater: „Dich holen sie noch einmal ab“. In summa gab es also einerseits keinerlei Nähe zu den NS-Verbrechen, andererseits aber über die Unmöglichkeit eines 53 Prägnante Zusammenfassung in: Goldhagen, Daniel J./Browning, Christopher R./Wieseltier, Leon, The „Willing Executioners“/„Ordinary Men“ Debate, US Holocaust Memorial Museum 2006, S. 1 ss., 3 („eliminationist antisemitism“). 54 Bei Gesprächen könnte man noch an eine gezielte Verharmlosung denken, bei aufgeschnappten Gesprächen weit weniger. 55 Worin auch nach Browning eine notwendige Bedingung für den Holocaust liegt, aaO. (Fn. 53), S. 21 ss. 56 Zu solchen Fällen allg. Reiter, Raimond, Psychiatrie im Dritten Reich in Niedersachsen, 1997, S. 311; w.N.b. Schünemann, Bernd, GA 2020, S. 1, 6 f. Die dabei angewandte Maxime, Krankenbetten durch Tötung der Alten für verwundete junge Soldaten „freizumachen“, hat in der durch die COVID-19-Pandemie ausgelösten Triage-Diskussion eine beklemmende Aktualität erhalten, s. zu den DIVI-Empfehlungen Engländer, Armin/Zimmermann, Till, NJW 2020, S. 1398 ff. und zu dem direkt auf das Alter abstellenden sog. fair innings-Argument Hoven, Elisa, NStZ-Editorial 7 (2020).
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demonstrativen Aufbegehrens57 gegen das Regime hinaus nicht einmal ernsthafte Erwägungen in diese Richtung. Offensichtlich stamme ich also aus einer besonders unbedeutenden Familie, aber in einer Bevölkerung von 60 Millionen dürften solche die große Mehrheit gebildet haben. b) Was die väterliche Linie anbetrifft, so hat sich mein Großvater aus bescheidensten Verhältnissen zunächst zum Schiffsführer und dann Schiffseigner eines kleinen Binnenschiffes auf der Weser emporgearbeitet, von seinen elf Kindern aber nur für eines das Schulgeld für das Hamelner Gymnasium erübrigen können, an dem mein Vater 1928 das Abitur ablegte und sogleich, um sein Leben fristen zu können, als Supernummerar in die preußische Finanzverwaltung eintrat. In den nächsten 15 Jahren brachte er es bis zum Zolloberinspektor, und abermals 15 Jahre später war ihm dann noch eine bescheidene Beamtenkarriere vergönnt, über die Stufen des Amtmannes, Zollrats, Regierungsrats bis zum Oberregierungsrat, so dass er aus der sog. gehobenen in die sog. höhere Beamtenlaufbahn aufgestiegen war. Es war ersichtlich diese Aufstiegsmentalität, die es in seinen Augen für seine beiden Söhne „alternativlos“ erscheinen ließ, dass sie (wie es damals noch hieß:) Akademiker werden müssten. Zum Verhältnis meiner väterlichen Familie zum NS-Regime: Zwei seiner acht Brüder starben an der Ostfront, zwei weitere gerieten in sowjetische Kriegsgefangenschaft, aus der sie 1950 mit schweren und dauerhaften gesundheitlichen Schäden entlassen wurden; der fünfte hatte sich geweigert, sich von seiner (dadurch vor Deportation und Ermordung bewahrten) Ehefrau jüdischen Glaubens scheiden zu lassen, und wegen hinzukommender „defätistischer“ Äußerungen verschiedene Haftstrafen erlitten, die im Rückblick lebensrettend gewesen sein dürften.58 Mein Vater hatte als Flaksoldat im Ruhrgebiet anfangs einen weniger gefährlichen Posten inne und durfte sogar, als meine Mutter in Braunschweig ausgebombt wurde, Anfang März 1944 ihren Umzug in die nahegelegene Dorfgemeinde meiner Großmutter organisieren (wodurch meine Existenz ermöglicht wurde). Ende Oktober 1944 wurde er an die Ostfront kommandiert und kam rechtzeitig an diesem Dorf vorbei, um dem womöglich durch die unablässigen Bombenangriffe (Broistedt lag direkt neben den sog. Hermann Göring Werken, am 15. Oktober war die Innenstadt Braunschweigs in dem durch einen Groß-
57 Denn es fehlte bereits an einem Zugang zu den Medien, ganz abgesehen davon, dass nach 1933 die (damals anders als heute erzwungene) Gleichschaltung der (in der wilhelminischen Zeit z. T. extrem kritischen) Medien hinzukam. 58 Näheres bei Obenaus, Herbert zus. m. Bankier, David u. Fraenkel, Daniel (Hrsg.), Historisches Handbuch der jüdischen Gemeinden in Niedersachsen und Bremen, 2005, Bd. 1, S. 231.
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angriff ausgelösten Feuersturm vernichtet worden59) vor der Zeit geborenen Kind die Nabelschnur zu durchtrennen und dadurch die Hebamme zu entlasten, die unter heulenden Sirenen gerade noch rechtzeitig auf dem Fahrrad eingetroffen war. Mit großer Rührung habe ich viele Jahrzehnte später in der Personalakte meines Vaters gelesen, dass er als guter Beamter noch von seinem Einsatzort in Hinterpommern aus dem Dienstherrn die Geburt seines Sohnes Bernd gemeldet und Festsetzung eines weiteren Kinderzuschlages beantragt hatte. Er wurde im Februar westlich der Oder schwer verwundet, sodann Ende März, notdürftig zusammengeflickt, in Richtung auf die „Alpenfestung“ in Marsch gesetzt, desertierte und flüchtete zu seiner Familie nach Broistedt, wo ihn die einrückende 2. US Panzerdivision aufgriff, aber – dem Anschein nach mit dolus eventualis – erneut flüchten ließ. So konnte er noch im Spätsommer 1945 seinen Dienst bei der Zollverwaltung wieder antreten und in den anschließenden Hungerwintern seine Familie „über Wasser halten“, nunmehr wieder in Braunschweig in dem notdürftig ausgebesserten Haus. 2. Mein eigenes Überleben stand anfangs auf der Kippe, weil meine Mutter mich infolge der Entbehrungen nicht zu stillen vermochte und ich die (Kuh-)Milchflasche mit dem aus Leunagummi gefertigten Nuckel verweigerte, so dass ich bereits als Neugeborenes mit dem Löffel aufgezogen werden musste und in einem überproportional großen Wäschekorb auch nur gegen den Protest der Dorfbewohner bei Luftangriffen in den einzigen und viel zu engen (Erd-)Keller des Dorfes bugsiert werden konnte. Berichtenswert erscheint mir noch, dass meinem fünfeinhalb Jahre älteren Bruder meine Geburt mit dem Klapperstorch erklärt wurde, an den auch ich dann später jahrelang „geglaubt“ habe. Diese kindliche Leichtgläubigkeit ist der eigentliche und fundamentale Kitt jeder totalitären Herrschaft, sei es klerikaler, staatlicher oder weltanschaulicher. Sie im Reifungsprozess zu überwinden, ist notwendige individuelle Kulturarbeit „etwa wie die Trockenlegung der Zuydersee“.60 Bezüglich des Klapperstorchs habe ich die innere Unstimmigkeit schon als kleines Kind gefühlt, weil es mir halb paradox, halb ungeheuer erschien, dass sich der anfangs engelsgleiche Vogel beim Biss ins Bein der Mutter als Dämon entpuppte. Der Osterhase spielte, da ich erst mit fünf Jahren das erste Stück Schokolade kosten und Hühnereier aus dem Hühnerstall holen konnte, ohnehin eine geringere Rolle 59 siehe Friedrich, Jörg, Der Brand, 2002, S. 233 ff., 421 ff. 60 In Abwandlung von Freud, Sigmund, Neue Folge der Vorlesungen zur Einführung in die Psychoanalyse, 1933, Nr. 31. Die Zerlegung der psychischen Persönlichkeit, am Ende: „Wo Es war, soll Ich werden.“, geht es mir hierbei um die Überwindung eines mithilfe der kindlichen Leichtgläubigkeit und nicht erst durch den Ödipuskomplex aufgebauten falschen Überichs.
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(ich kann mich übrigens in dieser Hinsicht an kein Entbehrungsgefühl erinnern, zumal ich ja nichts Anderes kannte als z. B. Kartoffelbrei hin und wieder mit Speckstippe, der mir ebenso die Normalität des Lebens und damit die beste aller Welten verkörperte wie das Spielen auf Trümmergrundstücken und gelegentliche Straßenbahnfahrten durch die Ruinen des vollständig zerstörten Braunschweigs). Mich auch vom Christkind zu lösen, gelang mir erst viel später bei der Lektüre von Nietzsche, emotional fiel mir die Preisgabe dieser ersehntesten aller Tröstungen sehr schwer, und intellektuell hatte mich das Gebirge theologischer Spintisierereien bis dahin zu sehr eingeschüchtert.
IV. Die Schulzeit 1. Die Bedeutung der Schulzeit für die eigene Charakterentwicklung und damit für die danach selbst zu verantwortenden Lebensentscheidungen in einem Lebensrückblick zutreffend einzuordnen, ist wegen der Vielzahl der dazu gehörenden, nach Jahrzehnten nicht mehr abrufbaren „kleinen Ereignisse“ nicht möglich. Die Schule (am Anfang zwei Jahre Grundschule in Ostfriesland, dann sieben Jahre in Hannover und zuletzt drei Jahre in Braunschweig) spielte nach meiner Erinnerung keine bedeutende aktive, aber doch eine nicht zu unterschätzende passive Rolle gewissermaßen als Widerlager der eigenen Entwicklung. Ich stellte schon in der Grundschule fest, dass gute schulische Leistungen von der rasch verhassten Mithilfe im Haushalt der Eltern (zum Beispiel Geschirr abtrocknen oder Stachelbeeren pflücken) befreiten und dadurch jedenfalls diejenige Konsequenz abmilderten, die Evas verbotener Griff nach dem Baum der Erkenntnis der Menschheit eingebrockt hatte: Sich laut Kindergottesdienst sein Brot im Schweiße seines Angesichts verdienen zu müssen,61 war in meinen Kinderaugen eine allzu harte Strafe, ich verabscheute die Prellsonne (bekam deshalb von meinem Bruder den Spitznamen „Schattengewächs“), erst recht den Schweiß und fand deshalb Mittel und Wege, um mich davor zu drücken. Irgendwann habe ich auch mitbekommen, dass der Mensch wieder zu Erde wird, und deshalb den mir von Kindesbeinen an in der Braunschweigisch-evangelischen Landeskirche eingetrichterten Herrn Zebaoth als den empfunden, als der er in der Bibel ja auch beschrieben wird, als einen grausamen Tyrannen, dessen Allgüte auch dann noch zu vermissen ist, wenn man ihn einen quälend langen Gottesdienst pausenlos gebenedeit hat. Wieso mich diese intuitive Gewissheit, die von mir ungefähr in der Zeit der Konfirmation Besitz ergriffen haben dürfte, später nicht daran gehindert hat, die Redeweise von der Vergeltungsstrafe jahrzehntelang für bare Münze zu nehmen, ist eine mir selbst peinliche Frage, auf die ich noch zurückkomme. 61 Bibel 1. Buch Moses 3, 19.
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2. Im Übrigen stand ich die ganze Gymnasialzeit über unter den allerstrengsten Leistungsanforderungen meines älteren Bruders, der von mir nicht nur in allen Klassenarbeiten a limine eine Eins verlangte, sondern sogar die Erfüllung seiner Forderungen für wertlos erklärte, wenn auch meine schärfsten Konkurrenten Baumhögger und Volkerding diese Note erreichten. Da ich schon früh eine Brille trug und im Sport die Note „ausreichend“ abonniert hatte, also fast alle Voraussetzungen für die Rolle des in der schöngeistigen Literatur durchgängig verachteten Primus erfüllte und überdies wegen meines noch bis zur Mittelstufe erwogenen Berufswunsches von meinem Bruder stets als „weltfremder Studienrat“ verspottet wurde, bildete ich als Kompensation eine kritische und satirische Haltung zu allen Autoritäten heraus, die für mein ganzes Leben nicht ohne Folgen geblieben sein dürfte. In der Schule führte das dazu, dass ich (vermutlich weniger wegen meiner Leistungen als um meinen lästigen Widerspruchsgeist zu plombieren) von der siebten sogleich in die neunte Klasse versetzt wurde, was aber zur Besänftigung nicht lange vorhielt, denn in der Oberstufe schrieb ich in unserer Schülerzeitung satirische Artikel über die Schule im Allgemeinen und unser Gymnasium im Besonderen und beging bei einer Travestie der Weltliteratur den niemals verziehenen Fehler, Dantes Visionen von Hölle und Fegefeuer in den Physikunterricht von Studienrat B. zu verlegen. Zwar entging ich, obwohl ich die verlangte Entschuldigung ablehnte und allein schon das Verlangen als Missverständnis meiner lauteren Absichten zurückwies, dennoch knapp dem consilium abeundi, musste aber die Hoffnung auf die mich einzig begehrenswert dünkende Abiturientenrede fahren lassen. 3. Im Rückblick von der heutigen Überwältigung durch die angelsächsische Welt ist es besonders auffällig, dass Anfang der 1960er-Jahre jedenfalls bei mir und meinen engeren Schulkameraden eine weitgehende Fixierung auf die französische Literatur und Philosophie gegeben war. Jean Anouilh war mein Wahldichter (ein Jahrzehnt später von Marcel Proust abgelöst, dessen Stil ich mich vielleicht mittlerweile über Gebühr angenähert habe), Camus und Sartre waren meine Halbgötter, und außer dem Existentialismus kam für mich keine Weltanschauung ernsthaft in Betracht. Das Bewusstsein von der Sinnlosigkeit des einzelnen Lebens und der Absurdität der eigenen Situation war nicht nur eine theoretische Erkenntnis, sondern wurde immer wieder so intensiv erlebt wie von fanatischen Anhängern der von der Menschheit in ihrer Geschichte in buntester Vielfalt produzierten und oft genug handgreiflich törichten Religionen die jeweils bevorzugte Heilsbotschaft. Erst Jahre später habe ich nach und nach gelernt, dass man ein Leben in unserer Gesellschaft auf die Dauer nur konfliktfrei führen kann, wenn man das ganze leidige Thema des Lebenssinnes nicht existentialistisch nach außen trägt, sondern sich den üblichen Heucheleien und Denkblockaden der bei uns
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seit Jahrhunderten dominierenden und selbst Kopernikus und Darwin letztlich folgenlos verschluckenden kirchlichen Organisationen anbequemt, d. h. außerhalb der engsten Vertrauensverhältnisse darüber mit niemandem spricht.
4. Abgesehen von den üblichen trivialen Beschäftigungen eines Gymnasiasten habe ich mich zwei Gegenständen besonders intensiv gewidmet: dem Schachspiel (zeitweise mehrere Stunden pro Tag mit dem Traum einer Schachkarriere) und der Lektüre populärnaturwissenschaftlicher, historischer und belletristischer Werke. Hierbei war vieles unorganisiert, so wenn ich einerseits zahlreiche Werke Karl Mays las und andererseits sämtliche Werke Shakespeares in der Übersetzung von Schlegel-Tieck, von denen ich nur einen Bruchteil wirklich verarbeiten konnte. Dazu auch möglichst viele berühmte Werke der Philosophie – Kant glaubte ich halbwegs zu verstehen, bei Hegel kaum einen Satz. Meine Lektüre endete beim Existenzialismus, während ich von der analytischen Sprachphilosophie damals nicht einmal gehört habe und auch Horkheimer und Adorno nur dem Namen nach kannte. Rückblickend hatte ich mir also eine enorme, aber zu wenig aktuelle Bildung angelesen. Das musste ich schmerzlich erfahren, als ich von meinem Gymnasium für die Studienstiftung des deutschen Volkes vorgeschlagen und in dem Auswahlgespräch (in dem sich auch die arglose Offenlegung meiner Faszination durch die Musik Wagners verhängnisvoll auswirkte) krachend in die Pfanne gehauen wurde. Da ich auf dem Weg dorthin als Führerscheinneuling auf dick vereister Straße den PKW meines Vaters verschrottet hatte (Kasko-Versicherungen waren damals für ihn nicht erschwinglich) und kurz danach die Entscheidungspartie um die niedersächsische Schach-Jugendmeisterschaft vergeigte, klammerte ich jetzt alle meine Hoffnungen daran, mithilfe eines hervorragenden Juraexamens in den Auswärtigen Dienst der BRD aufgenommen zu werden und dort alle meine exotischen Träume erfüllt zu bekommen, mit denen ich mich bis dahin über die Absurdität des Lebens hinweggetröstet hatte.
V. Die Studienzeit 1. Meine ersten Jurasemester an der „Landesuniversität Göttingen“ (damals kam ein mittelgroßes Bundesland noch mit einer Universität aus!) hätten mir von der mir bis dato unbekannten Jurisprudenz eine nicht eben hohe Meinung vermittelt (nämlich im Sinne einer überaus langweiligen Begriffshuberei), wenn es nicht zu zwei unerwarteten Erweckungserlebnissen gekommen wäre. Auf den regelmäßigen freitäglichen Heimfahrten nach Braunschweig (denn die Studentenbude, statt Fließendwasser mit Waschschüssel und Wasserkanne ausgerüstet, war nur an „Wochenendfahrer“ vermietet worden, aber ich war froh, überhaupt ein Zimmer zu finden) las ich, in einem nicht enden wollenden Sommer im Bummelzug am
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Rande des Harzes, Engischs „Einführung in das juristische Denken“, eigentlich ein schmales Buch, aber ich habe es so langsam und andächtig gelesen wie in der Schulzeit Camus „Mythos von Sisyphos“ oder viel später García Márquez „Chronik eines angekündigten Todes“. Zusammen mit Roxins „Täterschaft und Tatherrschaft“ im nächsten Jahr und Flumes „Rechtsgeschäft“ in einem späteren Jahr entstand in mir die Vorstellung einer unkörperlichen, aber dennoch realen Gegenwelt des mit dem Mittel der Dogmatik zu erschließenden Rechts bzw., genauer gesagt, einer von sich aus sprechenden Welt, die immer vernehmlicher wurde, je mehr man sich in sie vertiefte. Ein ähnliches Erlebnis hatte ich einige Jahre vorher gehabt, als ich durch immer erneutes geduldiges Hören die Orchestersprache in Wagners Musikdramen zu verstehen und damit das zu deuten lernte, was ich mit 15 Jahren, damals von Wagner wenig wissend, durch Zufall am Radio beim Anhören der mir zuvor unbekannten „Walküre“ empfunden hatte und was eine Analogie zu einem mir damals noch viel weniger bekannten Gesetzeskommentar darstellte – ein knapper spröder Text auf der Oberfläche, der erst in der Tiefenstruktur des Orchesters bzw. der Kommentierung seine eigentliche Bedeutung erfährt. Was ich dann bei meinen Erkundungsreisen durch die Rechtswissenschaft wieder und wieder erfuhr, habe ich erst viel später und erst in Stufen analytisch aufzuschlüsseln vermocht: Es war der hermeneutische Zirkel (Stufe 1 der analytischen Erkenntnis), der auf der Ebene der Intuition stattfindet, also ein heuristischer Prozess ist.62 2. Wirklich ausschlaggebend für mein gesamtes weiteres Leben war jedoch noch nicht diese erste Stufe des Eintauchens in ein mir bis dahin unbekanntes intellektuelles Wunderland, sondern erst die kurz danach anschließende zweite Stufe, als ich erfuhr, dass man die anfangs unüberwindlich erscheinende Schwellenangst durchaus besiegen und von der Betrachtung in die Besitzergreifung übergehen kann, indem man sich die hier geltenden Regeln einprägt und sodann den eigenen Verstand damit arbeiten lässt. Den Türöffner hierzu verdanke ich Claus Roxin, dessen Wirkung auf die Göttinger Studenten der Jahre 1963 und folgende ich ein wenig nachspüren möchte, um sie auch dem heutigen Leser so gut es geht verständlich zu machen. Ihr Geheimnis bestand in einer sorgfältig vorbereiteten und gerade dadurch spontan wirkenden Pädagogik mit Elementen der Commedia dell’arte auf der Seite des Katheders und in einer nach gewisser Zeit in Süchtigkeit umschlagenden totalen Konzentration im Hörsaal. Die Didaktik der meisten Vorlesungen bestand damals in der zu keinem tieferen (funktionalen) Verständnis führenden und deshalb äußerst langweiligen Vermittlung juristischer Einteilungsschemata, die man immerhin wenigstens zähneknirschend mitschreiben konnte, 62 Dazu näher Schünemann, Bernd, Rechtsfindung im Rechtsstaat und Rechtsdogmatik als ihr Fundament, Gesammelte Werke, Bd. 1, 2020, S. 35 ff., 78 ff.
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im Unterschied zu solchen Vorlesungen, in denen sich der Dozent von der Fülle des eigenen Wissens zu einem vom Zuhörer nicht mehr entwirrbaren Strudel von Assoziationen hinreißen ließ. Wie anders war demgegenüber die überaus bunte, spaßige und doch stets von der Klugheit eines nie um eine Auskunft verlegenen Verstandes geordnete Strafrechtswelt Claus Roxins, deren materielle Substanz in sauber geführten Schulheften und den in blasses Rosa gehüllten Entscheidungen des Bundesgerichtshofes bestand, welch letztere hin und wieder auch das Richtige trafen, aber selbst dann die eigentliche intellektuelle Substanz, gewissermaßen den Astralleib der von ihnen zu entscheidenden Missetaten und Tragödien des Alltages, durchweg verfehlten und an dessen Oberfläche haften blieben. Dabei bestand die Genialität von Roxins Didaktik darin, dass noch der unbedarfteste Student die Überzeugung gewann, dass es seine eigene Verstandeskraft gewesen sei, die diese höhere Ordnung der Welt vollbracht habe. Bei mir führte die Begeisterung durch Roxins Vorlesungen zu einem neuen, anschließend mein ganzes Leben prägenden Berufsziel: Ich ließ die Diplomatenlaufbahn fahren und wollte nunmehr nichts Anderes als Universitätsprofessor für Strafrecht werden. Auch wenn mir klar war, dass ich den steilen und steinigen Pfad zu dieser Karriere nirgendwo anders als am Nabel der Strafrechtswelt (Göttingen) und als Schüler von Roxin würde erklimmen können, wollte ich vorher noch fremde Universitätsluft schnuppern. Dass ich mich dabei mit einem Semester an der Freien Universität Berlin und einem Semester in Hamburg nur im Kreise um das Braunschweiger Land herum bewegte, mag einer fehlenden Abnabelung oder der schon damals blühenden Anhängerschaft an den Fußballverein Eintracht Braunschweig geschuldet sein, war aber außerdem wegen meiner noch nicht völlig aufgegebenen Schachkarriere notwendig, weil ich am Spitzenbrett des Braunschweiger Schachclubs alle 14 Tage gegen andere norddeutsche Vereine antreten und deshalb halbwegs in der Nähe bleiben musste. Wenigstens blieb ich mit dem Göttinger Strafrechtsolymp in telepathischer Verbindung, weil ich mir in den Semesterferien nach dem dritten Semester Roxins „Täterschaft und Tatherrschaft“ kaufte (was mich einen Sechstel meines in den Semesterferien ohnehin fortfallenden Wechsels kostete) und auch komplett einschließlich aller Fußnoten durchlas. Ich habe dadurch endgültig begriffen, dass das Studium der Jurisprudenz vor allem bedeutet, in einer fremden Sprache so heimisch zu werden wie in der Muttersprache, und bald darauf wurde mir klar, dass man vor keiner Klausur und keiner Prüfung Angst zu haben braucht, wenn man genau so viel gelesen hat wie der Klausurverfasser oder Prüfer. Als Folge würgte ich die Leidenschaft für schöngeistige Literatur, der ich bis zum Abitur unablässig gefrönt hatte, kurzerhand ab und las jetzt ausschließlich, aber dafür in riesiger Zahl juristische Texte. Dass gerade das deutsche Ausbildungs- und Prüfungswesen auf die anspruchs-
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voll begründete „Lösung“ komplexer Fälle zugeschnitten ist und dadurch die systematische Rechtswissenschaft mit der Arbeitsweise der Obergerichte verbindet, ist mir schon als Student klar geworden und erschien mir damals wie eine überaus nützliche, aber höchst triviale Erkenntnis. Dass genau hierin das Wesen der Jurisprudenz besteht, welches durch die Juristenausbildung im Rechtskreis des Common Law mit ihrer weitaus naiveren, nämlich die systematischen Zusammenhänge unzulänglich reflektierenden Fallvergleichung ebenso verfehlt wird wie umgekehrt durch die von scholastischen Traditionen geprägte, abstrakt-philosophische Fragen in den Vordergrund rückende Ausbildung im Süden Europas und über Spanien und Portugal auch Lateinamerikas (von der vor 200 Jahren in einen eigenartigen Dornröschenschlaf gefallenen französischen Strafrechtsdogmatik ganz abgesehen), habe ich erst viel später begriffen. Als Student schlussfolgerte ich ganz simpel, dass man einfach für die Fallanalyse alle irgendwie relevanten obergerichtlichen Urteile und für die systematische Verknüpfung die anspruchsvollen Lehrbücher und eine gehörige Zahl an Aufsätzen gelesen haben muss, um jeder Prüfung gewachsen zu sein. Ich habe dementsprechend dann auch beide Staatsprüfungen 1967 bzw. 1971 mit der Note „sehr gut“ bestanden, was mein Ansehen in der kleinen Göttinger Universitäts- und niedersächsischen Juristenwelt gewaltig steigerte, aber mit einem Schlage nichts mehr wert war, als ich mich danach zur Habilitation nach Süddeutschland aufmachte und Wissenschaftlicher Assistent an der LMU München wurde. 3. Bevor es dazu kam, hatte ich mich allerdings in Göttingen bei meiner Rückkehr aus Hamburg im fünften Semester bewähren müssen. Meine Schachkarriere hängte ich endgültig an den Nagel, indem ich meine Qualifikation zur deutschen Einzelmeisterschaft in den Wind schlug, um mich stattdessen ganz auf das RoxinSeminar zu konzentrieren, für das ich in der Vorbesprechung ein Referat ergattert hatte. Hier muss ich einen passablen Eindruck gemacht haben, außer durch mein Referat auch durch nachträglich angefertigte Diskussionsbeiträge zum vorangegangenen Seminarabend, die ich unter Verbrauch zahlreicher Tippex-Blättchen in meine Monica-Schreibmaschine haute. Außer die Teilnehmer zu solchen nachträglichen Reflektionen zu animieren, verfügte Roxin noch über ein ganzes Arsenal weiterer didaktischer Kniffe, von denen die Ausgabe von Bierflaschen durch einen eigens dazu abgestellten Studenten und der Konsum von Villiger-KielStumpen (mit gelbem Plastikmundstück als Nachfolger der ursprünglichen Gänsekiele!) nicht die geringsten waren. All das führte dazu, dass die Seminarabende (durchweg erst ab 20.00 Uhr) nicht nur für mich, sondern auch für viele Teilnehmer die absoluten Sternstunden der Woche bildeten, hinter denen der Besuch eines damals noch „Diskothek“ genannten Clubs oder der morbide Genuss eines Besuches in der die Depressionen von Jahrhunderten atmenden studentischen
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Kellerkneipe „Trou“ weit zurückstand. Überhaupt war die Göttinger Seminarkultur einzigartig, außer (immer wieder) Claus Roxins und Friedrich Schaffsteins Seminare besuchte ich auch diejenigen von Werner Weber, Karl Michaelis, Erwin Deutsch und Franz Gamillschegg.
VI. Referendar- und Assistentenzeit in Göttingen 1. Nach meinem Referendarexamen im Mai 1967 durfte ich sogleich als Wissenschaftliche Hilfskraft am Lehrstuhl Roxin anfangen. In der zweiten Hälfte der 1960er-Jahre avancierte Göttingen zu einer nicht nur zahlenmäßig ungemein starken, sondern auch durch die unterschiedlichen Ausrichtungen enorm façettenreichen Kaderschmiede der Strafrechtsdogmatik. Ich nenne hier nur die Namen Hans-Joachim Rudolphi (schon älter und gewissermaßen über uns Youngstern schwebend), Hans Achenbach, Knut Amelung, Werner Beulke, Bernhard Haffke, Thomas Hillenkamp, Hero Schall, Jürgen Wolter, zusammen mit meiner Wenigkeit also neun, hinter denen sich noch eine ganze Schar äußerst talentierter Nachwuchsspieler drängte, die von den beati possidentes nur mühsam von den spärlichen Fleischtrögen (sprich Assistenten- und Hilfsassistentenstellen) ferngehalten werden konnten. 2. In meinen Göttinger Assistentenjahren von Juni 1967 bis zum Assessorexamen Ende Juli 1971 war deshalb die Referendartätigkeit eine (nach der im Gefolge des Machtwechsels zur sozialliberalen Koalition vorgenommenen deutlichen Erhöhung des „Unterhaltszuschusses“ durchaus lukrative) Nebenbeschäftigung, während die Tätigkeit als Wissenschaftliche Hilfskraft von Claus Roxin (13 Monate auch als Verwalter einer Wissenschaftlichen Assistentenstelle) sowie die Arbeit an der Dissertation quasi das Hauptamt darstellten. Eine Ausnahme bildete die OLG-Station in Celle, die (anders als im Freistaat Bayern, in dem es nur auf die Staatsnote ankam) als Casting-Agentur für den niedersächsischen Justiznachwuchs fungierte. Meine Tätigkeit in dem vom damaligen OLG-Vizepräsidenten Guido Schräder geleiteten Senat lieferte einen ungeheuren Ansporn für mich, ich las stets sämtliche Akten durch und durfte mich dann in der Senatsberatung unter der gütigen Leitung des Vorsitzenden mit den Berichterstattern duellieren, angespornt durch meinen Ausbilder Jürgen Doerry, der einige Zeit später nach Karlsruhe zum Bundesgerichtshof berufen wurde. Die spezifische Mischung von Pflichtgefühl, Selbstbewusstsein und bei aller Freundlichkeit mitschwingenden noblen Distanz, die ich am OLG Celle kennenlernte, empfand ich damals (vielleicht dank meiner Fontane-Lektüre) ebenso als „preußisch“63 wie die Relations63 Dazu besonders instruktiv Roellecke, Gerd/Bahners, Patrick (Hrsg.), Preußische Stile – Ein Staat als Kunstwerk, 2001.
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theorie des „Sattelmacher“, die in Bayern unbekannt sei und deren virtuose Beherrschung einem norddeutschen Assessor gegenüber einem süddeutschen ein ähnliches nutzloses Überlegenheitsgefühl verschaffte wie einstmals dem Braunschweiger Lutheraner gegenüber einem Hildesheimer Katholiken. 3. Mein Bild der Justiz ist damals von solchen Richterpersönlichkeiten geprägt worden, ich wäre nicht einmal auf den Gedanken gekommen, dass die Justiz von den politischen Machthabern gekapert werden könnte bzw. sich selbst als politisches Machtinstrument missversteht, wie dies seit langem für den EuGH gilt64 und mit der Wahl eines Mittelbänklers der CDU zum Präsidenten des Bundesverfassungsgerichts nun auch in Deutschland offen praktiziert worden ist.65 Auch in einem weiteren Punkt kann ich meine damalige Naivität nachträglich nicht bestreiten: Als ich nach meinem Assessorexamen in Celle in überaus dezenter Form darauf angesprochen wurde, ob ich mich bereits endgültig für eine Universitätskarriere entschieden hätte, weil mir doch aller Voraussicht nach auch eine glänzende Karriere im niedersächsischen Justizdienst offen stünde, habe ich nicht einmal richtig nachgedacht, sondern nicht ohne Hoffart angedeutet, dass ich die Rechtsprechung über die Wissenschaft prägen zu können hoffe und nicht die Absicht hätte, viele Jahre mit der Entscheidung trivialer Rechtsstreitigkeiten in unteren Instanzen zu vergeuden. Für diese halbnaive, halbhybride Einschätzung mag damals das hohe Prestige des Universitätsprofessors nicht nur allgemein, sondern auch im Verhältnis zur Justiz ausschlaggebend gewesen sein, doch weiß ich nicht, ob ich mich damals anders entschieden hätte, wenn ich die inzwischen eingetretene, weitgehende gesellschaftliche Marginalisierung der akademischen Rechtswissenschaft vorausgesehen hätte. 4. In Göttingen habe ich als Claus Roxins Assistent vorwiegend an der Neubearbeitung seines strafprozessualen Studienbuches mitgearbeitet und ihn auch bei der Vorbereitung von Sitzungen des Alternativ-Entwurfs zum StGB unterstützen dürfen, während mein eigener Schwerpunkt neben mehreren kleineren Abhandlungen in meiner Dissertation über „Grund und Grenzen der unechten Unterlassungsdelikte“ lag. Das Thema der strafrechtlichen Gleichstellung der Nichtabwendung eines Erfolges mit dessen Verursachung war eigentlich seit über einem Jahrhundert verhext, weil das von Feuerbach ersonnene und im Neukantianismus erneuerte Kriterium der außerstrafrechtlichen Pflichtwidrigkeit am „Kindermädchenfall“ sein Waterloo erlebte,66 während die nach der Kausalität in 64 Dazu mwN. Schünemann, Bernd (I 55), S. 222, 333. 65 Nämlich des stv. Vorsitzenden der CDU/CSU-Bundestagsfraktion Stephan Harbarth. 66 Es kommt unstreitig nicht auf den Vertrag, sondern auf die tatsächliche Übernahme der Obhut an.
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der Unterlassung fahndenden Theorien entweder (wie bei der Ingerenz) einen dolus subsequens bestraften oder (wie die sog. Interferenztheorien) die Kausalität in innerseelische Vorgänge verlängern wollten, was ihren eigenen Ansatz ad absurdum führte. Dass ich bei meiner eigenen Lösung, das Gleichstellungskriterium in der „Herrschaft über den Grund des Erfolges“ zu finden, von meiner frühen Begeisterung für Roxins für die Tätigkeitsdelikte in allen Nuancen ausgeführte Tatherrschaftstheorie beeinflusst worden bin, mag ich nicht bestreiten. Indem ich dieses Kriterium später als typologische Basis aller Deliktsgruppen ausgebaut und damit eine allgemeine Struktur der strafrechtlichen Täterschaft reklamiert habe, habe ich freilich auch diesen sicheren Hafen hinter mir gelassen.67 Dabei habe ich von Anfang an versucht, meine inhaltlichen Eingebungen gleichzeitig methodologisch zu reflektieren (und dabei die hierin defizitären Gegenmeinungen nach Kräften zu diskreditieren). Noch wichtiger als diese frühen Bemühungen, eine eigene dogmatische Handschrift zu entwickeln, will mir allerdings im Rückblick der in Göttingen erlebte Beginn der sozialliberalen Koalition und der Einfluss der „Alternativprofessoren“ auf die Strafrechtsreform vorkommen.68 5. Dass ich in Göttingen meine Ehefrau (damals am Anfang ihres Jurastudiums, bis heute als zumeist mit Alltagsfällen betraute Rechtsanwältin um meine Bodenhaftung besorgt) kennen gelernt habe und hier die ersten beiden unserer vier Kinder geboren worden sind, ist für mein Leben wichtiger geworden als alles, was ich zuvor und nachfolgend berichte. Es entspricht aber der Tradition dieses Autobiographienbandes, von der selbst gegründeten Familie kein weiteres Aufhebens zu machen.
VII. Habilitationszeit in München 1. Kurz nach meinem Assessorexamen im Juli 1971 bin ich Claus Roxin nach München gefolgt, um mich als sein Wissenschaftlicher Assistent an der Juristischen Fakultät der LMU zu habilitieren. Daneben war ich auch als Rechtsanwalt zugelassen und habe dadurch die dreieinhalb Münchner Jahre aufgeteilt in meine Assistententätigkeit, die Anfertigung der Habilitationsschrift, eine Nebentätigkeit als Rechtsanwalt und (neben verschiedenen Aufsätzen) die Anfertigung der „Strafrechtlichen Klausurenlehre“, für die Claus Roxin seine Übungsfälle beisteuerte, die dann von Bernhard Haffke und mir bearbeitet und schließlich von mir in die endgültige Form gebracht wurden. Dieses mit über 400 Seiten stattliche, in seinem wissenschaftlichen Profil aber natürlich begrenzte Werk ist bis
67 Dazu umfassend Schünemann, Bernd (I 64). 68 Dazu näher IV 61.
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heute mein erfolgreichstes geblieben, es hat in rascher Folge vier (zuletzt von mir allein bearbeitete) Auflagen erlebt. Dass ich danach die Lust verloren habe, weil mich die einen übergroßen Teil der Juristenausbildung an deutschen Universtäten einnehmenden anspruchslosen Falllösungen mehr und mehr langweilten, hat mir gegenüber dem allezeit freundlichen und geduldigen Lektor beim Carl Heymanns Verlag, Herrn Frohn, ein über die Jahre wachsendes Schuldkonto aufgehäuft, das ich leider niemals ausgeglichen habe. 2. Die Habilitation erforderte den Gepflogenheiten gemäß ein strafprozessuales Thema, nachdem ich das materielle Strafrecht mit meiner Dissertation bereits ausreichend „abgedeckt“ hatte. Ich habe dann für das hierfür ausgewählte Thema des Revisionsrechts zunächst die äußerst umfangreiche einschlägige Literatur des 19. Jahrhunderts gelesen und sodann die von Hahn herausgegebenen Materialien zu den Reichsjustizgesetzen, insbesondere zur Reichsstrafprozessordnung. Sie haben bei mir bis heute einen tiefen Eindruck hinterlassen, weil ihr Niveau im Verhältnis zu den heutigen Beratungen des Bundestages ungefähr mit dem Verhältnis von Goethes Faust zu Hedwig Courths-Maler verglichen werden kann. Doch drängte sich alsbald ein zweites Thema in meine Habilitationspläne hinein und in gewisser Weise sogar in den Vordergrund. Noch bevor ich feststellen musste, dass meine Konzeption des unechten Unterlassungsdelikts genauso wenig wie alle vorangegangenen 99 Konzeptionen auf allgemeinen Beifall stoßen würde, sondern dass vielmehr die Standardkommentare und -lehrbücher wie so oft auf eine eigene theoretische Lösung verzichteten und stattdessen einfach die in der Rechtsprechung produzierten unsystematischen Fallgruppen unter dem zirkulär eingesetzten Schlagwort der Garantenstellung aneinander reihten, hatte die jahrelange dogmatische Arbeit in Göttingen bei mir zu einer Infragestellung eben dieser Arbeit geführt. Ich wollte wissen, was die dogmatische Welt im Innersten zusammenhält, und wurde von der Meta-Ebene gequält und beschäftigt, nämlich der Frage nach dem bloß rhetorischen oder wissenschaftlichen Charakter der juristischen Dogmatik. Die Gewissheitsverluste, die Ende der Sechziger Jahre Schritt für Schritt die deutsche Gesellschaft ergriffen hatten, machten ja vor der Jurisprudenz nicht Halt und übten Anfang der Siebziger auf mich geradezu einen psychologischen Zwang aus, nach einem festen Boden zu suchen, von dem aus sich überhaupt noch Rechtsdogmatik betreiben ließ. 3. Vom Standpunkt der akademischen Philosophie aus betrachtet, wies meine nunmehr ebenso intensive wie extensive Beschäftigung mit der modernen Erkenntnistheorie, sprich Wissenschaftstheorie, insbesondere den Rationalitätskriterien der Ethik, sprich Metaethik, ein deutliches Handicap auf: Ich residierte in einem mühsam freigekämpften Assistentenzimmer auf der Ostseite der Münchener Ludwigsstraße, wo das Hauptquartier der Strafrechtsdogmatik lag, während
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die Rechtsphilosophie auf der Westseite in dem von Arthur Kaufmann geleiteten Institut zuhause war, so dass ich Autodidakt war. Die Auskünfte der damals in der Dogmatik herrschenden ontologischen Hermeneutik, die gerade an der LMU München in Karl Larenz und Arthur Kaufmann einige ihrer hervorragendsten Vertreter hatte, klangen in meinen Ohren eher wie Gedankenlyrik als wie rationale Analyse. Spekulativen Begriffsgebäuden begegnete ich von Anfang an mit intuitiver Skepsis. Ich gewann damals den Eindruck und bin noch heute überzeugt davon, dass die abendländische Philosophie zu lange „ancilla theologiae“ gewesen ist und deshalb sozusagen auch nach dem Urknall von Kants Kritiken immer wieder in die Versuchung gerät, unzulässigerweise in die Welt davor zu spekulieren, in der der Satz vom Widerspruch nicht gilt, sondern Paradoxien unbegrenzt zulässig und Wahrheit und Dichtung noch nicht getrennt sind. So führte mich der Weg von Stegmüller über Wittgenstein und seiner Warnung vor einer „Verhexung unseres Verstandes durch die Mittel unserer Sprache“69 in die Ordinary Language Philosophy und Metaethik, wobei ich mich aber an einem zentralen Beispiel der sprachanalytischen Skepsis in eine andere, nach meiner Meinung realistische Richtung hin orientierte (als Folge des Mutes zur Benutzung des Alltagsverstandes, den ich mir als Schüler Roxins, diesem Genie des Common Sense, erworben hatte): Wittgenstein fragt, warum das Symbol des Pfeiles in die darin angegebene Richtung weist, und reklamiert dahinter eine reine Konvention70; aber nach meiner Meinung zeigt sich genau hier die Verarbeitung der (beobachteten) Realität in der (Symbol-) Sprache, denn nur, wenn man den realen Pfeil in der Richtung seiner Spitze abschießt, wird er auch sein Ziel erreichen, während die entgegengesetzte Praxis scheitern und deshalb in der Evolution ausgemerzt würde. So hat sich eine wahrhaftig der Natur der Dinge abgeformte oder – stärker noch – eine in der gesellschaftlichen Kommunikation hergestellte Ordnung, quasi ein Proto-Naturrecht, in freilich hoch fragmentarischer Weise bereits in der Sprache gebildet. Von dieser Grundposition aus war es klar, wo ich meine eigene Position in den großen philosophischen Streitfragen fand: für Popper und Albert gegen Adorno und Habermas; gegen die ontologische Hermeneutik und für eine analytische Rechtstheorie, aber nicht in ihrer radikalen, jede normative Aussage für irrational (emotiv, willkürlich) erklärenden Form, und damit auch gegen den Absolutheitsanspruch der Topik. Erst recht konnte ich mit Extravaganzen der Sprachtheorie wie etwa der Theorie der Sprechakte wenig anfangen, weil ich in ihnen eine erneute Vermischung jener logisch stringenten Unterscheidung sah, die seit Kant als Graben zwischen Sein und Sollen oder zwischen deskriptiver und präskriptiver Sprache als unhintergehbar erkannt ist und auch durch moderne 69 Wittgenstein, Ludwig, Philosophische Untersuchungen, § 109 S. 52. 70 Wittgenstein, Ludwig (Fn. 69), Nr. 454.
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Ansätze wie etwa der „dichten Begriffe“ (Thick Concepts) nicht eingeebnet wird, sondern genau umgekehrt die Notwendigkeit weiterer Präzisierung manifestiert.71 4. Als Ergebnis dieser in zwei getrennten Welten unternommenen Erkundungsreisen habe ich im September 1974 meine Habilitationsschrift über „Die vier Stufen der Rechtsgewinnung exemplifiziert am strafprozessualem Revisionsrecht“ abgeschlossen. In ihrem umfangmäßig größeren, rechtstheoretischen Teil stand sie zwischen den damals mächtigsten Lagern, nämlich der traditionellen ontologischen Hermeneutik, einer die Wissenschaftlichkeit der Rechtsdogmatik in Bausch und Bogen verdammenden, rhetorischen Jurisprudenz und einer zum selben Ergebnis führenden radikal analytischen, sozusagen asketischen Sprachphilosophie. Nachdem der „Showdown“ hierüber bei der Begutachtung meiner Habilitationsschrift infolge einer Erkrankung Arthur Kaufmanns zunächst vertagt war, löste ich im Februar 1975 dessen heftigen Unwillen durch meinen Probevortrag über „Ungelöste Rechtsprobleme bei der Bestrafung nationalsozialistischer Gewalttaten“72 aus, in dem ich sowohl aus einer präventionsorientierten Straftheorie als auch aus dem zur Tatzeit geltenden Recht (§ 47 Abs. 2 Militärstrafgesetzbuch) eine Beschränkung der weiteren Strafverfolgung auf Initiativ- und Exzesstäter ableitete und damit der damals herrschenden Praxis eine dogmatische Legitimation unterlegte, die wegen ihrer ausdrücklichen Verwerfung der Vergeltungstheorie in seinen Augen rechtsphilosophisch inakzeptabel war. Dass die Praxis über 40 Jahre später, ohne sich darüber theoretisch Rechenschaft abzulegen, bei der Bestrafung der allein noch lebenden, aber bereits am Rande des Grabes stehenden Befehlstäter am untersten Rand der NS-Hierarchie und ohne konkrete Mitwirkung an den eigentlichen Mordhandlungen auf eine extreme Vergeltungstheorie umschwenken würde,73 während ich mich heute anheischig machen möchte, durch die Entlarvung nahezu aller geschichtlichen Formen der staatlichen Strafe als „overkill“ die Jahrtausende alte Verlogenheit aller Vergeltungstheorien nachzuweisen,74 zeigt die unverminderte Aktualität unserer damaligen Kontroverse. Letztlich erhielt ich die von mir neben Strafrecht und Strafprozessrecht begehrte Venia für Rechtsphilosophie, auch weil offenbar ClausWilhelm Canaris, selbst ein Larenz-Schüler, jedoch mit einem „toleranteren“ Systemkonzept, sich dafür ausgesprochen hatte. Aber die mich in der heftig ausgetragenen Kontroverse plötzlich ergreifende Bangigkeit führte zu dem für meine 71 Grdl. Williams, Bernard, Ethics and the Limits of Philosophy, 1985. 72 Später veröffentlicht in der Festschrift für Hans-Jürgen Bruns, 1978, S. 223 ff. 73 BGHSt 61, 252 und dazu statt aller Greco, Luís, Festschrift für Reinhard Merkel, 2020, S. 443 ff. 74 III 248, 250, 267, 269.
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weitere Universitätslaufbahn letztlich folgenlosen, aber jedenfalls unvernünftigen Entschluss, gegen die anscheinend von der herrschenden Lehre zu erwartende Bausch-und-Bogen-Ablehnung meiner methodologischen Innovationen eine umfassende präventive Verteidigung hinzuzufügen, bevor ich das Ganze in den Druck gab. Die Zeit hierfür hatte ich allerdings zunächst nicht, weil ich im Sommersemester 1975 eine Lehrstuhlvertretung an der Universität in Mannheim wahrzunehmen hatte, zum Wintersemester 1975/1976 zum Wissenschaftlichen Rat und Professor an der Universität Bonn ernannt wurde und sodann zum Sommersemester 1976, nunmehr als Ordinarius für Strafrecht, Strafprozessrecht und Kriminologie, wieder nach Mannheim ging. Das bedeutete fast 1½ Jahre permanenten Reisens, ausgefüllt mit dem Aufbau der Vorlesungsmanuskripte für alle Grundvorlesungen, weshalb die Publikation der „4 Stufen der Rechtsgewinnung“ immer weiter warten musste und erst jetzt als eine Art Vermächtnis erfolgt ist.75
VIII. Mannheim 1. Die elf Jahre in Mannheim von 1976 bis 1987 verliefen nicht nur in einer zur Kollegen- und Studentenschaft völlig ungetrübten, geradezu heimeligen Atmosphäre, sondern öffneten mir auch in inhaltlicher Hinsicht neue Dimensionen. Als Senatsbeauftragter für das an der Universität etablierte Theater, die Compagnia Palatina, wirkte ich als Verfasser satirischer Sketche, Regisseur und Kabarettist an etlichen dies academici mit und wurde dadurch zu weiteren literarischen Aktivitäten inspiriert, von denen die tragische Justizposse „Der Herbst des Starverteidigers und die Herbstmeisterschaft des Landgerichts“ die größte Zahl an Aufführungen erlebt hat,76 „Richard Wagners letzte Liebe“ immerhin noch drei Inszenierungen und mein Opus Magnum „Der Verlust der Unschuld oder das kurze glückliche Leben Ludwigs II.“ nur eine einzige, nach der das betreffende Theater Insolvenz anmelden musste und sich nachher verständlicherweise niemand mehr an dieses fluchbeladene „Lustspiel in vier Auszügen“ herangewagt hat. 2. Für den vorliegenden Kontext meines Lebensrückblicks ohnehin weitaus wichtiger war die in Mannheim hinzukommende neue rechtswissenschaftliche Dimension empirischer Forschung, die dritte nach der Dogmatik in Göttingen und der Rechtstheorie in München. Durch meine dortige Nebentätigkeit als Rechtsanwalt war ich mehr oder weniger gezwungen gewesen, mich mit der Psy75 In: I 63 und 65, jeweils S. 1 ff. 76 Zu einer Frühfassung s. Schünemann, Bernd u. Ilse, in: Müller-Dietz, Heinz (Hrsg.), Festschrift – oder nicht?, 1989, S. 51 ff.
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chologie richterlicher Entscheidungsfindung zu befassen und damit die Rechtspsychologie in den Blick zu nehmen. Es war die in jeder Hauptverhandlung evidente starke Bindung des Richters an die belastenden Teile der Ermittlungsakten, gegen die ich als Verteidiger eine praktisch wirksame Kompensationsstrategie ersinnen musste, während ich auf der theoretischen Ebene nach einer empirischen Erklärung suchte. Hierfür fiel mir zunächst nur das Redundanzprinzip ein, wonach eine bereits bekannte Information leichter apperzipiert und deshalb auch als verlässlicher empfunden wird. Das erklärt aber noch nicht die erkennbar gedämpfte richterliche Nachfrage nach den in den Ermittlungsakten zumeist (wenn auch in geringerer Zahl) zu findenden entlastenden Momenten. Die Antwort hierauf fand ich in der Kognitionspsychologie in der Theorie der kognitiven Dissonanz, und in diesem theoretischen Bezugsrahmen habe ich dann jahrelang im Rahmen des Mannheimer Sonderforschungsbereiches 34 (Sprecher Martin Irle) und finanziert von der DFG eine Reihe von empirischen Forschungsprojekten durchgeführt bzw. geleitet. In diversen der Struktur der deutschen Hauptverhandlung nachgebauten Experimenten mit Richtern und Staatsanwälten als Versuchsteilnehmern konnten der sog. Inertia- und der (von mir sog.) Schulterschlusseffekt nachgewiesen werden, denen zufolge die Kenntnis der polizeilichen Ermittlungsakten, der Eröffnungsbeschluss und die auf dieser Basis erfolgende Vorbereitung der Hauptverhandlung eine systematische Verzerrung der in der Hauptverhandlung erhobenen Informationen bewirken (dergestalt dass der Richter belastende Informationen häufiger nachfragt und systematisch überschätzt, während er entlastende Informationen weniger nachfragt und in ihrer Bedeutung systematisch unterschätzt) und der Richter sich unabhängig vom Inhalt eher an der Einschätzung des Staatsanwalts als an derjenigen des Verteidigers orientiert.77 3. Daneben erweiterte ich meine dogmatischen in Richtung auf kriminalpolitische Arbeiten, gewissermaßen als eine vierte Ebene. Ein mir vom Bundesjustizministerium im Rahmen der Reform des Wirtschaftsstrafrechts übertragenes Rechtsgutachten über die grundlegenden strafrechtlichen Zurechnungsfragen im Bereich der unternehmerischen Tätigkeit (Geschäftsherren- und Vertreterhaftung, Aufsichtspflichtverletzung und Unternehmenssanktionen) habe ich 1979 unter dem Titel „Unternehmenskriminalität und Strafrecht“ publiziert und damit eine Seite aufgeschlagen, die mich über Jahrzehnte begleitet hat und gerade jetzt wieder in Gestalt der Sanktionierung juristischer Personen als „kriminalpolitischer Zombie“ abermals ins Zentrum der Diskussion getreten ist.78
77 Zusammenfassend I 65, S. 215 ff., 239 ff. 78 Siehe III 242, 275.
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4. In den Achtziger Jahren wurde sodann der Schleier über ein von der Gerichtssaalelite mit gutem Grund ängstlich gehütetes Geheimnis gelüftet, das in der Einführung amerikanischer Prozesspraktiken in das deutsche Strafverfahren bestand. Bei meinen gelegentlichen Verteidigungen, die ich nach der Rückgabe meiner Anwaltszulassung als Rechtslehrer an einer deutschen Hochschule weiterhin ausüben durfte, war ich von erfahrenen Rechtsanwälten darauf hingewiesen worden, dass man mit manchen Richtern „dealen“ konnte, indem man in einer komplizierten Hauptverhandlung das Ergebnis aushandelte (der Verteidiger bot etwa eine Geldstrafe an, dem Richter schwebten nach seiner Erklärung drei bis vier Jahre Freiheitsstrafe vor, und das Ergebnis war dann in der Regel zwei Jahre Freiheitsstrafe mit Bewährung). Alle Beteiligten waren sich über die Illegalität dieses Vorgehens ebenso im Klaren wie über die Unverbindlichkeit der dabei getroffenen „Absprachen“, weshalb die Vertrauenswürdigkeit des Partners auch vorher sorgfältig abgetastet wurde. Meistens wurde auch die Staatsanwaltschaft eingeweiht, manchmal aber auch nicht. Bald wurde diese Art der „Sachbehandlung“ immer beliebter, manchmal wurden in diesem Metier besonders erfahrene Verteidiger eigens dafür mandatiert und eingeflogen. Es war immer Aufgabe des Verteidigers, den Angeklagten, der etwa renitent seine Unschuld beteuerte, für diese „optimale Lösung“ zu gewinnen. Besonders berüchtigt wurde ein Münchener Richter, der die Verteidiger einzubestellen und ihnen mitzuteilen pflegte, die Kammer habe in Bezug auf den Strafausspruch drei Tarife, den Kurzstreckentarif (wenn sie nur die Anklageschrift zu lesen brauche), den Mittelstreckentarif (wenn sie sich umfassend in die etwa bei Wirtschaftsstrafsachen exorbitant umfangreichen Akten einarbeiten müsse) und schließlich den Langstreckentarif (wenn es erst in der Hauptverhandlung oder womöglich gar nicht zu einem Deal komme); nun sei die Verteidigung am Zuge, was sie wähle. Ich entschloss mich deshalb, sofort nach Ende der Experimente zur Informationsverarbeitung und bevor die bewährte Arbeitsgruppe sich auflösen würde,79 sie für die Erforschung des „deutschen Deals“ einzusetzen und mit ihrer Hilfe eine methodisch unangreifbare empirische Aufklärung der heimlichen Absprachenpraxis in Angriff zu nehmen. Als Hauptinstrument (neben einem mit Richtern und Staatsanwälten durchgeführten Experiment über die Konsequenzen des „gescheiterten Deals“) sollte uns eine Repräsentativumfrage unter Strafrichtern, Staatsanwälten und Verteidigern dienen, die trotz vieler verdienstvoller späterer empirischen Untersuchungen bis heute die einzige geblieben ist. Weil das Thema extrem heikel war, sorgte ich mich natürlich um eine hinreichende Rücklaufquote 79 Bestehend vor allem aus dem Diplomsoziologen Wolfgang Bandilla, dem Diplompsychologen Volker Gross und ganz intensiv meinem damaligen Wissenschaftlichen Assistenten Raimund Hassemer.
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meiner Fragebögen und bat damals das Bundesjustizministerium um eine jedem Fragebogen beizulegende Befürwortung. Der damalige Leiter der Prozessabteilung, Hartmut Rieß, äußerte gravierende Bedenken, weil man mit einer solchen Untersuchung den Deckel von der Büchse der Pandora nehmen würde. Ich verdanke es deshalb dem damals für die Prozessforschung zuständigen Referenten Dietmar Strempel, dass ich dennoch die Befürwortung erhielt und mit ihr im Rücken eine phantastische Rücklaufquote von 76 % erhielt.
IX. Intensives Intermezzo in Freiburg im Breisgau 1. Während noch die ausgefüllten Fragebögen eintrudelten, stolperte ich, durchaus nicht unverschuldet, von einer beruflichen Herausforderung in die nächste. Ich hatte (nachdem ich einen früheren Ruf an die Universität Gießen abgelehnt hatte und ein mir listenmäßig anstehender Ruf an die Universität zu Köln durch die Löschung der Stelle im Landeshaushalt vereitelt worden war) einen Ruf an die Universität Freiburg im Breisgau angenommen, sozusagen als meine Mannheimer Abschiedsvorstellung einen mehrtägigen Kongress über „Die Rechtsprobleme von Aids“ mit fast 500 Teilnehmern veranstaltet, den es jetzt zu publizieren galt, und es war bereits das Gutachten zum Deutschen Juristentag 1990 über „Absprachen im Strafverfahren?“ im Anfluge, nach dem ich mich mehr oder weniger gedrängt hatte. Überdies hatte ich mich schon in meinem ersten Freiburger Semester auf Universitätsebene missliebig gemacht, weil ich ausgerechnet in der Anfängervorlesung einen Fall gebildet und besprochen hatte, in dem ein Transplantationschirurg die Zuteilung der Organe nicht nach dem Kriterium der besten Überlebenschance, sondern des dicksten Portemonnaies des Patienten vorgenommen hatte. Dass ich damit ein Problem erstmals thematisierte, das in den letzten Jahren heftig diskutiert wurde und sogar den Bundesgerichtshof zur Entscheidung zwang,80 hat man mir freilich in Freiburg damals wenig gedankt. Ein Kollege von der Medizinischen Fakultät war in irgendeiner Form über den Inhalt meiner Vorlesung unterrichtet worden und richtete ein förmliches Beschwerdeschreiben an den Rektor der Universität, in dem ich ziemlich ultimativ aufgefordert wurde, mich für die unerhörten Verleumdungen zu entschuldigen. Voller Empörung ob dieses in meinen Augen unbegründeten und darüber hinaus törichten Verlangens, nahm ich ein Gespräch beim Rektor wahr und musste erleben, dass dieser sich tendenziell eher auf die Seite des mir naturgemäß völlig unbekannten, offenbar aber in der Albert-Ludwigs-Universität über ein gewisses Prestige verfügenden Kollegen schlug. Ich fühlte mich an meine Gymnasialzeit und Studienrat B. erinnert, erklärte die Entschuldigungsforderung für abstrus und ver80 BGHSt 62, 223.
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langte meinerseits, der Kollege müsse diese mit dem Ausdruck des Bedauerns zurückziehen. Die ganze Angelegenheit verlief dann im Sande, blieb aber nicht folgenlos, denn kurz darauf erreichte mich eine informelle Anfrage aus München, es stünde die Nachfolge von Arthur Kaufmann an, dass dessen Schüler Winfried Hassemer auf Platz 1 gesetzt werde, sei so gut wie sicher, aber für den Fall, dass dieser den Ruf ablehnen würde, wäre eine Bewerbung von mir nicht chancenlos. Ob ich mich unter anderen Umständen zu einer Bewerbung entschlossen hätte, weiß ich nicht, denn ich war in der Freiburger Rechtswissenschaftlichen Fakultät sehr warm aufgenommen worden, und mit dem dortigen Direktor des Instituts für Kriminologie und Wirtschaftsstrafrecht, Klaus Tiedemann, entwickelte sich rasch eine freundschaftliche, geradezu perfekte Zusammenarbeit, aber das gerade überstandene Rencontre auf Universitätsebene ließ mich dann doch halb aus Trotz diesen Schritt ergreifen. 2. In den infolgedessen nur noch übriggebliebenen drei Freiburger Jahren habe ich als erstes das AIDS-Symposium publiziert und eigens für den Sammelband ein umfangreiches kriminalpolitisches Credo geschrieben.81 Parallel dazu war ich auf etlichen einschlägigen Tagungen aktiv. Was heute, ein Menschenalter später, weitgehend in Vergessenheit geraten ist, ist die wegen der seinerzeit hundertprozentigen Letalität einer Infektion (gegenüber einer maximal einstelligen Prozentzahl bei Covid-19) mit Urgewalt empfundene Bedrohung für die Gesundheit großer Bevölkerungsteile, die eine ganz ähnliche Besorgnis auslöste wie gegenwärtig Corona. So viel Zeit in dieses Projekt zu investieren, war trotzdem ein Fehler, denn die Diskussion um die sog. Aidstests und um die polizeiliche Kontrolle von „Hot Spots“ (sprich Bordellen, denn die Dark Rooms büßten ihre Klientel bald von selbst ein) sind damals genau entgegengesetzt entschieden worden wie heute, indem die Testempfehlungen nach der BGH-Entscheidung über die Strafbarkeit der Infizierung eines arglosen Geschlechtspartners82 zurückgenommen und der Handel mit Geschlechtsverkehr aus dem ehedem durch das Gesetz zur Bekämpfung von Geschlechtskrankheiten organisierten Überwachungssystem herausgenommen wurde.83 3. Die bescheidenen Erfolgsaussichten einer aus an sich allgemein anerkannten normativen Prinzipien durch Einsetzung der empirischen Prämissen entwickelten rationalen Rechts- und vor allem Kriminalpolitik in der nach ganz anderen Maximen funktionierenden öffentlichen Arena hätten mir vielleicht damals schon klar werden sollen, aber stattdessen unternahm ich (vielleicht verleitet durch die ins81 I 10, III 61. 82 BGHSt 36, 1. 83 Nämlich durch das neue Infektionsschutzgesetz.
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gesamt „freundliche Aufnahme“ meiner Analysen zur Unternehmenskriminalität) einen noch umfassender angelegten Versuch, nämlich meine empirischen Erkenntnisse über den Deal im Strafverfahren mit einer dogmatischen Analyse der Rechtsstellungen und Pflichten der Prozessobjekte zu konfrontieren und daraus wiederum für den Fall, dass de lege lata verbotene Verfahrensformen de lege ferenda zugelassen werden sollten, die dann zur Wahrung des fairen Verfahrens gebotenen weiteren Rechtsänderungen abzuleiten. Es dünkte mich fast „more geometrico“ beweisbar, dass die beim Deal stattfindende Abschaffung aller im reformierten Strafverfahren erkämpften Kautelen der Hauptverhandlung für die Wahrung der Verteidigungsrechte und die Auffindung der materiellen Wahrheit durch eine Verstärkung der Verteidigungsrechte namentlich im Ermittlungsverfahren kompensiert werden müsse, wenn die Macht der Strafverfolgungsorgane weiterhin einigermaßen ausbalanciert werden solle – worauf gerade der reformierte Prozess und die Idee des fairen Verfahrens beruhen. Den direktesten Zugang zu dem, was die Absprachenwelt im Innersten zusammenhält, fand ich gleichzeitig in den USA, namentlich nachdem ich, gemeinsam mit meinem damaligen Wissenschaftlichen Assistenten Roland Hefendehl, meinem ausgedehnten Literaturstudium einige Interviewwochen mit amerikanischen Richtern und Staatsanwälten in Chicago hinzufügte, wo mir Al Alschuler, der größte Experte in diesem Feld und darüber hinaus ein Muster an kollegialer Hilfsbereitschaft, einen raschen Zugang zu hervorragenden und ebenso kooperationswilligen Praktikern verschaffte, allen voran der (hierüber ausgesprochen stolze) Rekordhalter des Staates Illinois in Todesurteilen. Das auf diesen Grundlagen in meinem Gutachten für den Deutschen Juristentag 1990 umfassend entfaltete Konzept84 hatte dann aber gegenüber der als geschlossene Interessengruppe antretenden Phalanx der mit Zweidrittelmehrheit präsenten Richter und Staatsanwälte nicht die geringste Chance, vielmehr wurde die durch meine Repräsentativumfrage belegte Realität kurzerhand geleugnet: Wenn sich der Angeklagte nach hypothetischen Erörterungen zu dem in Betracht kommenden Strafmaß aus freien Stücken zur Ablegung eines Geständnisses entschließe, so seien die Prinzipien von Wahrheit und Gerechtigkeit in keiner Weise tangiert, eine Aushandlung des Strafmaßes finde allenfalls in seltenen Fällen des Wildwuchses statt. Da die die eigentliche Macht im eingetragenen Verein „Deutscher Juristentag e. V.“ ausübende Ständige Deputation dieses „Ergebnis“ schon vorher dadurch abgesichert hatte, dass für die die Tagung eröffnenden Referate bekannte Befürworter des Deals ausgesucht worden waren, die mein Gutachten offenbar ebenso wenig gelesen hatten wie der Vorsitzende der Strafrechtlichen
84 I 11.
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Abteilung, verließ ich im September 1990 die Tagungshallen in München (wo ich schon im nächsten Monat als Nachfolger Arthur Kaufmanns in der LMU wieder antreten sollte) um eine Enttäuschung ärmer, aber eine Erfahrung reicher, nachdem die wissenschaftliche Arbeit von fünf Jahren gesellschaftlich vollständig folgenlos geblieben war. Natürlich musste ich mich fragen, ob ich nicht als moderner Don Quichote gehandelt hatte. Das glaubte ich allerdings ruhigen Gewissens verneinen zu können, weil es ja die Pressure Group der Justizinteressen war, die ihre Windmühlenflügel als Inkarnation der Gerechtigkeit maskiert hatte.85 Und weil unmittelbar nach dem Juristentag die Wiedervereinigung in Deutschland und mein Wechsel oder besser meine Rückkehr nach München anstanden, stand mir zu elegischen Betrachtungen nicht der Sinn.
X. Und wieder München 1. Dass die Wiedervereinigung für einen allzu kurzen Frühling auch in der Rechtspolitik eine große Aufbruchsstimmung erzeugte, ist heute genauso vergessen wie die bis heute unheilvoll nachwirkende List der Regierung Kohl, die Wiedervereinigung rechtstechnisch nicht über den dafür eigentlich vorgesehenen, verheißungsvollen Grundgesetzartikel 146, sondern als einfachen Anschluss entsprechend dem für das Saarland vorgesehenen Art. 23 zu vollziehen. Die von der Thyssen-Stiftung finanzierte, von Ernst-Joachim Lampe gegründete Deutsch-deutsche Arbeitsgruppe zur Herstellung der Rechtseinheit im Strafrecht hat deshalb rückblickend fruchtlose Arbeit geleistet,86 aber doch seine Mitglieder (darunter mich) mehrere Jahre intensiv beschäftigt. Für das dabei von mir im Anschluss an meine Monografie von 1979 betreute Thema der Unternehmenskriminalität habe ich damals die Idee der „Unternehmenskuratel“ entwickelt, durch die die notorisch ineffiziente, überdies letztlich die falschen Personen (Aktionäre und Arbeitnehmer) treffende Verbandsgeldbuße durch eine gezielte Schmälerung der Willkür und des Prestiges des Managements ersetzt werden sollte.87 Durch die heute zum vierten Mal innerhalb weniger Jahrzehnte erneut auf die politische Tagesordnung gesetzte Novellierung der Sanktionierung von 85 Meine eigene „Selbstgerechtigkeit“ beruhte natürlich auf der in meinen „Vier Stufen der Rechtsgewinnung“ untersuchten und bis zu einem gewissen Grad bejahten Prämisse, dass auch im normativen Bereich Aussagen über „richtig oder falsch“ mit einem Gültigkeitsanspruch formuliert werden können und damit dem Wahlspruch des Geschlechts von Edward de Vere alias Shakespeare entsprechen (Vero nihil verius), in den Worten der verratenen Isabella in einem seiner tiefsinnigsten Stücke „Maß für Maß“: „For truth is true to th‘ end of reckoning“ (V, 1 Z. 48/49). 86 S. I 16 sowie III 84, 85 u. 89. 87 III 89, 97 u. 98.
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Unternehmen88 ist der Vorschlag eigentlich wieder hochaktuell geworden und hat sogar im sog. Kölner Entwurf eine wenn auch verzeichnete (durch die bloße Reduzierung auf Bewährungssanktionen) und plagiierende (durch die Ersetzung des Wortes Kuratel durch „Monitor“ Originalität reklamierende) Aufnahme gefunden,89 doch ist davon schon im Entwurf der Bundesregierung90 kaum noch etwas zu lesen, weil es offenbar leichter fällt, Unternehmen in einer letztlich nur die Aktionäre und Arbeitnehmer treffenden Weise zur Kasse zu bitten, als dem politisch einflussreichen Spitzenmanagement eine Einbuße seiner Herrlichkeit zuzumuten. 2. Als die Vorschläge der deutsch-deutschen Arbeitsgruppe seitens Politik und Regierung ebenso ignoriert wurden wie zuvor die von mir in meinem Juristentagsgutachten 1990 präsentierten Dringlichkeitsforderungen „zur Wiederherstellung des Gesetzesgehorsams“ der Strafjustiz,91 fühlte ich mich schmerzhaft auf den Boden der Tatsachen versetzt, dass es für die Gesetzgebung nicht auf die Folgerichtigkeit professoraler Vorschläge, sondern auf den Organisationsgrad der dahinter stehenden Interessen ankommt und dass meine in der „alten“ Bundesrepublik durch die Beobachtung der Alternativ-Entwürfe und der Sachverständigenkommission zur Bekämpfung der Wirtschaftskriminalität sowie bei Veranstaltungen des baden-württembergischen Justizministeriums gewonnenen gegenteiligen Einschätzungen angesichts des Politikstils in der „neuen“ Bundesrepublik naiv waren. Dasselbe zeigte mir die Teilnahme an verschiedenen Expertenanhörungen von Bundestagsausschüssen, die nicht auf eine offene Meinungsfindung, sondern nur auf Bestätigung der schon vorher eingenommenen Standpunkte angelegt waren. Aus der Aufbruchsstimmung wurde ein perplexer Katzenjammer, denn nachdem 1989 eine bürgerliche Graswurzelbewegung durch eine in Gandhis Bahnen verlaufende Revolution (und nicht etwa nur eine „Wende“, wie Politiker aller Couleur den Aufstand der Massen gerne klein redeten) ihren wohl größten Erfolg nicht nur in der deutschen Geschichte erzielt hatte – konnte es das gewesen sein, dass die ostdeutschen Freiheitskämpfer in den etablierten westdeutschen Parteien umstandslos entweder eingesponnen oder
88 Deren inzwischen in die Milliarden reichende Sanktionierung – notabene völlig nutzlos, aber die öffentlichen Kassen füllend – von den Trommlern der Neuregelung entweder ignoriert oder falsch dargestellt wird. 89 III 275. 90 Der Regierungsentwurf eines Gesetzes zur Stärkung der Integrität in der Wirtschaft (Stand 16.6.2020, verfügbar über die Website des BMJV), § 13 Abs. 2, spricht nur noch vage von Anweisungen zu „bestimmten Vorkehrungen“. 91 I 11 S. 158 ff.
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marginalisiert wurden und das Volk, der große Lümmel, zwar die grundgesetzlichen Freiheiten, aber kein wirkliches Gehör gewonnen hatte? In dieser Situation faszinierte mich der Erfolg der in Hamburg gegründeten STATT Partei, und ehe ich mich versah, war ich ihr Bundesvorsitzender mit dem Entwurf eines Programms in der Tasche, um die autoritär erstarrte, an allen Scharnieren von oben gesteuerte Parteiendemokratie durch neuartige, namentlich auch plebiszitäre Gewaltenhemmungen und -teilungen flexibler zu gestalten. Die Europawahl 1994 sollte den Lackmustest hierfür abgeben, und ich erhielt von der Bundesversammlung der Partei die Zustimmung zu einem Europaprogramm, in dem ich die Lesart von der Mehrebenendemokratie einer Dekonstruktion unterzogen und die konventionelle Legitimitätsdiskussion vom Kopf auf die Füße gestellt, nämlich durchgehend gefragt hatte, wieviel gewaltenkontrollierende, plebiszitäre o. ä. Legitimation vorhanden sein muss, bevor einem bestimmten Machtkonglomerat eine bestimmte Kompetenz übertragen werden darf. Euro und EZB hatte ich darin zu leicht befunden, weil (1) ihr ökonomisches Grundgebrechen, die industriell schwachen Volkswirtschaften im Wettbewerb noch mehr zu schwächen, durch den verdeckten Rettungsschirm des TARGET-Systems zu einer unbegrenzten Bedarfsdeckung auf Kredit ohne Bonität führen musste92 und es (2) wie eine Bestätigung des bei der Volksabstimmung in Frankreich über die Euro-Einführung bei den Befürwortern propagierten Vergleichs mit dem Vertrag von Versailles 1919 wirkte, bei der Leitung der EZB den Vertretern der nur mit einem Bruchteil eines Prozents beteiligten Mitglieder Malta und Zypern doppelt so viele Stimmen zu geben wie der mit über 25 Prozent beteiligten BRD.
Wegen der bei der Bevölkerung verbreiteten Skepsis gegenüber dem Euro trotz dessen rückhaltloser Befürwortung durch das gesamte Parteienestablishment musste die bis jetzt in den Medien als possierlicher Sonderling durchaus gehätschelte STATT Partei plötzlich als Gefahr für das gewünschte Wahlergebnis wirken, jedenfalls habe ich die Konsequenzen buchstäblich von einem Tag auf den anderen gespürt: Sämtliche Medien berichteten abrupt nur noch negativ, dabei das Europaprogramm komplett verschweigend und sogar kontrafaktisch (das gab es offensichtlich damals schon!) hämisch lügend, der kleine Gernegroß besitze nicht einmal ein eigenes Programm; ich erhielt von diesem Tag an durch nächtliche Telefonanrufe und Telefaxe sich steigernde Morddrohungen; ein seit der Parteigründung einflussreiches Mitglied verlangte von mir, die Anmeldung zur Europawahl zurückzuziehen, widrigenfalls es mich „an die Wand fahren würde“; und verschiedene Funktionsträger taten plötzlich alles, um die Partei von innen
92 Dazu III 228.
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zu zerstören und den Medien Material für einen öffentlichen Ostrakismus zu liefern. Eigentlich war ich jetzt genau in der Situation, von der ich seit meiner Camus-Lektüre in der Schulzeit geträumt hatte. Ich warf deshalb auch noch nicht sofort die Flinte ins Korn, sondern versuchte mich gegenüber den catilinarischen Elementen mit den von mir beherrschten juristischen Waffen zu wehren, wobei ich alle Prozesse beim LG Augsburg gewann und beim LG Hamburg verlor. Die Entscheidungsschlacht hätte dann ausgerechnet auf der Bundesversammlung in Hamburg stattfinden müssen, wo mir allerdings vom LG Hamburg bei Strafe der Verhaftung ein Auftreten als Bundesvorsitzender verboten wurde. Weil mir das die Muße verschafft hätte, endlich die fünfte Auflage der „Strafrechtlichen Klausurenlehre“ fertigzustellen, lockte mich die Versuchung. Aber nachdem die Partei zwischenzeitlich in der öffentlichen Wahrnehmung ohnehin in den Orkus gesackt war und den viermaligen täglichen Schultransporten meiner beiden kleinen Kinder (die einmal pro Tag stattfindende Fahrt einer Polizeilimousine durch unsere Wohnstraße hatte meine Frau nicht hinreichend beruhigen können) endlich ein Ende gesetzt werden musste, zog ich statt dessen den Schluss des Prinzen von Homburg, der in den Worten des von mir allezeit hochverehrten Klaus Lüderssen „die Kraft hatte, sich abzuwenden“93, und zog mich von dem Schlachtfeld der Politik zurück, zurück in die resignierte Idylle des Universitätsprofessors. Was geblieben ist? Die Erkenntnis meiner Naivität, man könne mit Argumenten in der Welt des (laut Carl Schmitt) Freund-Feind-Schemas etwas bewirken; und letztlich doch ein beruhigendes Gefühl beim Blick in den Spiegel, weil ich nicht mein ganzes Leben eine wohlfeile und ruhige Kugel geschoben, sondern mich einmal in zum Scheitern verurteilter Weise und deshalb gleich Sisyphos für die Verbesserung unserer staatlichen Ordnung eingesetzt hatte (was übrigens in meiner neuen Fakultät nicht so gesehen wurde, in der als dafür probatestes Mittel die Übernahme einer Prozessvertretung oder eines Rechtsgutachtens für die Bundesregierung galt). 3. Es war die Ausweitung (im Grunde genommen sogar überhaupt der Ausbau als fünfter Ebene) meiner internationalen Aktivitäten, durch die ich den erwähnten Rückzug ins Positive wendete oder jedenfalls zu wenden versuchte (schon während sich die Fronde zur Paralyse der STATT Partei zusammenfand, weilte ich auf einem Strafrechtskongress auf Taiwan, auf einem weiteren in Polen während des erwähnten Hamburger Auftrittsverbots). In den Mannheimer Jahren hatte ich den wissenschaftlichen internationalen Austausch im Wesentlichen nur mit Polen und Japan gepflegt, nunmehr kamen über Südeuropa (außer Italien, Griechenland und Portugal vor allem und immer wieder Spanien) ganz Lateinamerika, im fer93 In: Produktive Spiegelungen, 1991, S. 163, 181.
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nen Osten Taiwan, Südkorea, die Mongolei und dann mit zunehmender Intensität die Volksrepublik China, hinzu, und eine ganze Anzahl gemeinsamer Projekte habe ich in den USA mit den Staatsuniversitäten von Buffalo und Tallahassee durchgeführt. Diese meine internationalen Aktivitäten, die sich in den meisten Fällen in anschließenden fremdsprachigen ausländischen Publikation (insgesamt rund 200) niederschlugen, bestanden (1) in einer ganzen Anzahl kleiner gemeinsamer Forschungsprojekte, zumeist über Reformfragen (vor allem mit Spanien, aber auch USA, Taiwan u. a.m.), (2) Teilnahme an internationalen Tagungen über Fragen des Straf- und Strafprozessrechts (besonders reichhaltig in Lateinamerika, zunehmend auch in China) und (3) zahlreichen Vortragsreisen auf allen Kontinenten mit Ausnahme Australiens94 auf Einladung von Universitäten, Ministerien und Justizbehörden oder im Auftrage der Hanns Seidel-Stiftung und der GIZ. Dabei habe ich durchweg die Rolle des Propheten einer kritischen Strafrechtsdogmatik zu spielen versucht, der mitnichten aus einem nationalen Standpunkt heraus argumentiert, sondern die heimatlichen Zustände nicht selten als abschreckendes Beispiel zitiert, etwa an Hand der strafprozessualen Absprachen oder bei uns verbreiteter, meines Erachtens in eine Sackgasse führender dogmatischer Denkweisen.95 Diese Einstellung ist in den 32 Jahren meiner strafrechtsdogmatischen und kriminalpolitischen Wanderjahre bei so vielen Kollegen weltweit auf lebhafte Resonanz gestoßen, dass ich hier von den mir besonders eng verbundenen nur die leider viel zu früh verstorbenen benennen kann: Seiji Saito und Soichiro Shimada in Japan, José Cerezo, Santiago Mir und Luis Gracia in Spanien, Danilo Rivero in Kuba und Mohamad Koesnoe in Indonesien.
Der Don Quichote-Frage zu meinen kriminalpolitischen entspricht bei meinen internationalen Aktivitäten die „Neckermann“-Frage: Haben alle diese Reisen mehr bewirkt als touristische Freuden für den Reisenden und den zweiten Platz in der einstmals von Klaus Tiedemann proklamierten und von Claus Roxin mit uneinholbarem Vorsprung angeführten Ehrendoktorrallye? Überraschenderweise fällt die Antwort hierauf nicht einmal so schwer, weil sich das Sprichwort vom Propheten durchaus bestätigt hat. Um nur einige Belege unter vielen zu zitieren, nenne ich das einwöchige Seminar an meinem Münchener Institut 2004 mit der vom Ständigen Ausschuss des Nationalen Chinesischen Volkskongresses, der praktisch unserem Gesetzgeber entspricht, berufenen Strafprozess-Reformkommis-
94 Afrika war nur einmal vertreten, als ich in Abuja/Nigeria sogar im Fernsehen mit eher geringem Erfolg gegen die Steinigung schwanger gewordener Witwen protestierte. 95 Eine große Rolle spielte namentlich in Spanien und Lateinamerika die Auseinandersetzung mit der Jakobs-Schule (I 8, 25; III 245, 270; V 38, 166, 194 u. ö.).
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sion unter der Leitung meines Kollegen Chen Weidong und die zwei Jahre später in Peking stattfindende Konferenz über das von meinem Kollegen Chen Guangzhong durchgeführte Pilotprojekt der (von mir in Deutschland seit langem ohne Resonanz geforderten) obligatorischen Videoverfilmung polizeilicher Vernehmungen; die zahlreichen Reformdiskussionen in den obersten Gerichten (JustizYuan) und Justizministerien in Taiwan und der Mongolei; den mit den einheimischen Kollegen (allen voran Moisés Moreno in Mexiko) gemeinsam artikulierten Widerstand gegen die politisch gewollte Einführung des US-amerikanischen Prozessmodells in den Staaten Lateinamerikas; oder die Gewinnung herausragender Nachwuchswissenschaftler für eine Promotion oder einen Forschungsaufenthalt in München. Natürlich wurde ich auch durch die enorme Erweiterung der persönlichen Eindrücke verlockt, bin meinen Kindheitsträumen aber andernorts nachgegangen (im LandRover mit Dachzelt insgesamt sechs Monate auf vielen Safaris durch das östliche und südliche Afrika), während der Lohn für die Mühen des Referenten wie bei Lynkeus dem Türmer in den „glücklichen Augen“ bestand, die zwar keine „ewige Zier“, aber in Ostasien und Lateinamerika noch die letzten Regungen eigenständiger Kulturen „gesehn – was sich sonst dem Blick empfohlen, mit Jahrhunderten ist hin“. Zum Beispiel in Kolumbien auf den Spuren der Werke von Gabriel García Márquez bis hin zu einem Abend in Cartagena de las Indias am Set der Verfilmung von „El amor en los tiempos del cólera“ – „es sei wie es wolle, es war doch so schön“.96 4. Nach der Jahrtausendwende habe ich noch einmal ein großes Rad gedreht. Jahrzehntelang hatte ich das Recht der EU als eine außerstrafrechtliche Materie angesehen, wurde aber plötzlich gewahr, dass die EU im Zuge ihrer Kompetenzausweitung die Arme auch nach dem Strafrecht ausstreckte. Bereits in den Neunziger Jahren hatte sich die deutsche Strafrechtswissenschaft im Schulterschluss mit ihren Schwestern, namentlich aus Südeuropa, um die Erarbeitung gemeineuropäischer Grundsätze bemüht, vor allem auf drei programmatischen Symposien in Coimbra, Madrid und Freiburg im Breisgau.97 Jetzt wurde aber erkennbar, dass es in Brüssel weniger um inhaltliche Angleichung als vor allem um eine Kompetenzverschiebung ging, und zwar erstens um das (durch den Europäischen Haftbefehl „scharf gemachte“) Prinzip der gegenseitigen Anerkennung, kraft dessen dann jede nationale Strafjustiz im gesamten EU-Raum operieren konnte; zum zweiten durch europäische Institutionen, u. a. durch den bereits in dem Grünbuch von 2001 projektierten europäischen Staatsanwalt; und zum dritten durch Usurpierung einer eigenen Strafgewalt seitens der im Rat versammelten
96 Goethe, Johann Wolfgang von, Faust II, V. 11302 f. 97 I 13 u. 14, III 119.
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Regierungen vermöge von ihnen erlassener und von den Mitgliedstaaten in nationales Recht zu transformierender Rahmenbeschlüsse, deren Rahmen in der Folge so eng gesetzt wurde, dass man besser von Schießscharten hätte sprechen sollen. Ich hatte inzwischen wahrlich genug Erfahrungen gesammelt, um die Chancen der professionellen Rechtswissenschaft, bei den gesetzgebenden Organen Gehör zu finden oder mithilfe einer von ihr intellektuell beeinflussten Judikative als unabhängiger dritter Gewalt machtpolitische Beugungen des Rechts zu verhindern oder zumindest einzuschränken, gegen Null tendieren zu sehen, empfand aber dennoch für einen vom Staat und damit von der gesamten Gesellschaft bezahlten Hochschullehrer die Verpflichtung, wenigstens einen Versuch zu unternehmen. Deshalb fühlte ich mich aus meinem dogmatischen Schlummer geweckt, verfasste einen im Titel bewusst ganz hoch angesetzten Aufsatz für Goltdammer’s Archiv „Ein Gespenst geht um in Europa – Brüsseler ‚Strafrechtspflege‘ intra muros“, präsentierte gemeinsam mit meinen Kollegen Roland Hefendehl und Cornelius Nestler eine Art Protestaufruf, der von 90 Kollegen unterzeichnet wurde, gründete eine von der Thyssen-Stiftung finanzierte Arbeitsgruppe zur Ausarbeitung eines „Alternativentwurfs europäische Strafverfolgung“, wirkte als damaliger „Sekretär“ der deutschsprachigen Strafrechtslehrer auf der Tagung in Bayreuth 2003 auf die Veranstaltung einer außerordentlichen Tagung im Herbst desselben Jahres in Dresden über die Probleme der Europäisierung der Strafrechtspflege hin, auf der dann der Vorentwurf des Alternativentwurfs umfassend diskutiert werden konnte,98 und erwirkte anschließend im AGIS-Programm der EU die Finanzierung einer von mir gegründeten europäischen Arbeitsgruppe mit 16 Kollegen aus 15 Ländern, die bereits im Mai 2006 in Thessaloniki das von ihr ausgearbeitete „Gesamtkonzept für die europäische Strafrechtspflege“ vorstellen konnte.99 Parallel dazu habe ich eine ganze Reihe von kritischen Abhandlungen verfasst, von deren zahlreichen (in einem eigenen Sammelband publizierten100) Themen ich hier nur eines erwähnen möchte: den Rahmenbeschluss über den europäischen Haftbefehl.101 Weil das Strafrecht den Bürger vom Verbrecher trennt, den freien Menschen von der in einen Käfig gesperrten Kreatur, wobei die Strafe – entgegen einer seit Jahrtausenden von den Machthabern und ihren philosophischen und juristischen Speichelleckern genährten unfrommen Legende – beileibe keine bloße Vergeltung, sondern im Regelfall einen Overkill darstellt, der den Be-
98 99 100 101
I 28, III 146 u. 148. I 37; III 171, 172. I 55. III 126, 127, 133, 134, 142, 145, 153, 159.
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straften in seinen angeborenen Rechten trifft,102 müssen das Strafrecht und das seine Durchführung ermöglichende Strafprozessrecht, wenn die Idee der Demokratie nur irgendeinen noch so bescheidenen Sinn haben soll, in dem mit den größten vorstellbaren Garantien ausgestatteten Gesetzgebungsverfahren des parlamentarischen Gesetzgebers erlassen werden.103 Dass auf dem Gebiet der Strafrechtspflege Regierungsvertreter durch Rahmenbeschlüsse die Parlamente der Mitgliedstaaten nicht zu „Lakaien von Brüssel“ degradieren können und die Parlamente deshalb selbst ultra vires handeln würden, wenn sie sich einem derartigen Diktat unterwerfen wollten, ist in meinen Augen von keiner kleineren Evidenz als die in der Geburtsstunde der modernen Demokratie erklärten Menschenrechte. Aber die herrschenden politischen Kräfte und eine ihnen dienstbare After-Jurisprudenz hat dieses zentrale Problem einer demokratischen Gesetzgebung einfach ignoriert. Da auch die Alternativ-Entwürfe ohne Resonanz geblieben sind,104 stellt sich nach der Wirkungslosigkeit aller einschlägigen Bemühungen abermals die Don Quichote-Frage. Aber sie kann mich heute nicht mehr genieren, da sie sich jetzt auch das BVerfG stellen und beantworten muss, nachdem es am 5. Mai 2020 nach jahrelangen Prüfungen die Rechtsakte von EZB und EuGH in Bezug auf das Staatsanleihekaufprogramm PSPP seit 2015 als nichtige ultra-viresHandlungen qualifizierte, woraufhin der Deutsche Bundestag am 2. Juli 2020 mit den Stimmen der Regierungsfraktionen, der FDP und der Grünen beschloss, dass der Rat der EZB durchaus die (laut BVerfG über Jahre verabsäumte) nachvollziehbare Verhältnismäßigkeitsprüfung durchgeführt habe105 – eine Ohrfeige, die unser höchstes Gericht sich in gewisser Weise selbst eingebrockt hat, als es zur Begründung anstelle der offensichtlichen Umgehung des Verbots monetärer Haushaltsfinanzierung (Art. 123 AEUV) den molluskenhaften Verhältnismäßigkeitsgrundsatz bevorzugte. 102 III 248, 267, 269. 103 Wobei ich mich über die heutige Realität des von der Regierung total beherrschten Parlaments keinerlei Illusionen hingebe; aber wenigstens der Gesetzgebungsprozess kann durch die daran anteilnehmende und ihn kritisch begleitende Medienöffentlichkeit eine Residualkontrolle bieten, die geheimen Versammlungen von Regierungsvertretern von vornherein abgeht. 104 Und dadurch etwa die Idee einer institutionellen Kompensation für den ungeheuren Machtzuwachs der europaweiten Strafverfolgung durch den „Eurodefensor“ a limine erstickt wurde. 105 S. BVerfGE 154, 17 sowie BT-Dr 20/19621 – weil damit die letzte verfassungsrechtliche Bastion geschleift worden ist, die der diskreten Merkel-Autokratie noch standhielt, werden spätere Historiker diesen in den (schon heute oder in Zukunft staatsfinanzierten) Medien kaum beachteten Tag vielleicht mit dem Preußenschlag vergleichen, dem die EU-Kommission durch die Einleitung des Vertragsverletzungsverfahrens gegen die BRD am 9.6.2021 die Garrotte hinzugefügt hat.
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XI. Nach der Emeritierung 1. Meine Emeritierung zum 1. April 2013 hat zu dem damit naturgemäß verbundenen Rückzug aus dem üblichen Vorlesungsprogramm und auch den seit den Universitätsreformen nur noch ausnahmsweise für einen Emeritus relevanten Fakultätsangelegenheiten geführt, meine sonstigen Aktivitäten aber eher stimuliert: Außer Neuauflagen des von Claus Roxin übernommenen Strafverfahrenslehrbuches (das mir eine willkommene Plattform für die Entfaltung meiner Grundidee der Verfahrensbalance geboten hat) und der Kommentierungen der §§ 14, 25 ff., 201 ff., 266, 286 ff. StGB im Leipziger Kommentar habe ich seitdem über 50 Abhandlungen zum Straf- und Strafverfahrensrecht sowie deren Reform in deutscher und 20 in anderen Sprachen publiziert. In den nach wie vor von mir regelmäßig abgehaltenen Grundlagenseminaren und den im Rahmen des von mir weiterhin geleiteten Instituts für Anwaltsrecht106 veranstalteten Kolloquien erlaube ich mir größere thematische Freiheiten als früher, etwa durch eine Vortragsreihe über politische Prozesse in der Bundesrepublik oder rechtsphilosophische und -soziologische Seminare über Krieg und Demokratie. Auch meine strafrechtswissenschaftlichen Wanderjahre durch Vorträge und ausländische Publikationen sowie durch die Organisation von Tagungen habe ich „vor Corona“ fortgeführt, wenn nicht intensiviert.
Ferner habe ich häufiger als zuvor Verteidigungen übernommen. Eine der umfangreichsten, wichtigsten und auch für mich selbst lehrreichsten war diejenige des früheren baden-württembergischen Ministerpräsidenten Stefan Mappus, gegen den wegen des von ihm organisierten Rückkaufs der „französischen“ Hälfte des Energiekonzerns EnBW von der „Électricité de France“ (EdF) ein Ermittlungsverfahren wegen Untreue und ein Untersuchungsverfahren des Landtages von Baden-Württemberg eingeleitet worden waren. Was ich dabei an Intrigen und Manipulationen einer in engem Schulterschluss agierenden Clique aus Politik und Medien erlebt habe, ließ meine exakt 20 Jahre zurückliegenden Erfahrungen mit der STATT Partei wie eine Kinderei erscheinen. Geheime Inhalte der Ermittlungsakten wurden, bevor die Verteidigung von ihnen Kenntnis erhielt, vermutlich über anonym bleibende Mitglieder des Untersuchungsausschusses an die Medien durchgestochen, von diesen durch selektives Zitieren in ihrer Aussage auf den Kopf gestellt und für eine breite Rufmordkampagne ausgemünzt;107 106 Obwohl es sich dabei um einen weitgehend mittellosen Mantel handelt, hat es mir die Veranstaltung von über 150 Vortragsabenden ermöglicht und in drei „Langen Nächten des Strafrechts“ die Gelegenheit geboten, an meine Mannheimer theatralische Sendung wiederanzuknüpfen, Näheres unter http://anwaltsrecht.de/. 107 Eine rühmliche Ausnahme bildete die „Zeit“.
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in dem von den „Grünen“ angestrengten Prozess vor dem Staatsgerichtshof wurde der die Verfassungsmäßigkeit des Ankaufs begründende entscheidende Gesichtspunkt108 von dem neuen „grünen“ Ministerpräsidenten nicht vorgetragen und dadurch ein Fehlurteil veranlasst, welches einem grob fehlerhaften Bericht des Landesrechnungshofes als Anhaltspunkt für den Vorwurf von Pflichtverletzungen gegenüber dem früheren Ministerpräsidenten diente, woraufhin der neue Finanzminister ein (durch den von ihm gewählten astronomischen Streitwert extrem kostspieliges) Schiedsgerichtsverfahren gegen EdF anhängig machte und verlor; der in Wahrheit weit unter dem Ertragswert der (zuvor sanierten) EnBW liegende Rückkaufpreis wurde von dem von der Staatsanwaltschaft bestellten Gutachter als überhöht qualifiziert, obwohl dieser relativ kurz vorher (und vor der Sanierung!) eine (von ihm verschwiegene) weitaus höhere Bewertung vorgenommen hatte; und als ich dies durch eigene Recherchen herausgefunden hatte, versuchten mich Verteidiger eines Mitbeschuldigten (natürlich erfolglos) zu bewegen, diesen wichtigen Gesichtspunkt im Verfahren nicht vorzutragen. Die StA Stuttgart hat dann, ungeachtet des mutmaßlich starken politischen Drucks, das Verfahren auf meinen eingehend begründeten Antrag hin gemäß § 170 II StPO eingestellt, was in den erwähnten Medien nur in größter Kargheit und kleinster Drucktype berichtet wurde, die „Stuttgarter Zeitung“ erfand dafür sogar den Terminus der „Nichtanklage“. 2. Vor allem finde ich jetzt die Muße, große Manuskripte zu publizieren, die ich aus den verschiedensten Gründen über die Jahrzehnte hinweg zunächst einmal liegen ließ, um den je aktuellen Herausforderungen hinterherzuhecheln, sowie auch vergriffene Werke neu zu edieren.109 Wenn ich so die Fäden der Vergangenheit wieder aufnehme und bis in die jüngste Zeit verfolge, kann ich mich tatsächlich zumindest anheischig machen, den zu Beginn dieses Rückblicks gezogenen Wechsel einzulösen, meine rechtswissenschaftlichen Bemühungen als Mosaikstein einer Epoche zu präsentieren, die – ein doppeltes Paradox – in der „alten“ Bundesrepublik einen optimistischen Anfang nahm, wie er ausgerechnet in der Nationalhymne der DDR formuliert war,110 und in dem 1990 scheinbar hergestellten „einig Vaterland“ der „neuen“ Bundesrepublik ihr Ende findet. Dazu abschließend: 108 Nämlich die eindeutige Erklärung des CEO von EdF, dass der Rückerwerb nur über eine Eilentscheidung des baden-württembergischen Finanzministers realisierbar und anderenfalls in Frankreich nicht durchsetzbar sein werde. 109 Nämlich meine in Deutschland seit langem vergriffene und nur in spanischer Übersetzung noch greifbare Dissertation (I 1), nunmehr in I 64 S. 1 ff. 110 „Auferstanden aus (scil. stofflichen und moralischen) Ruinen und der Zukunft zugewandt“.
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XII. Phasenübergreifende Betrachtungen 1. Meine rechtswissenschaftliche „Laufbahn“ hat nicht nur in den Sechziger Jahren des vorigen Jahrhunderts begonnen, sondern ist zweifellos auch durch den damaligen Zeitgeist wesentlich geprägt worden. Aber vieles, was ich mir damals versprochen hatte, ist seitdem wieder verspielt oder in eine Richtung gewendet worden, die eine nur formale Erfüllung der Erwartungen bei Zerstörung ihres inneren Kerns bedeutet, worüber ich an anderer Stelle berichtet habe und worauf ich hier verweisen muss.111 2. Das eigentliche akademische Leben hat sich in meiner Zeit tendenziell von einer Gelehrtenrepublik in einen Dienstleistungsbetrieb verwandelt. Ich habe noch als Student Fackelzüge erlebt, um einen wegberufenen Ordinarius der Verehrung seiner Studenten zu versichern und dadurch zum Bleiben zu bewegen; die RoxinBegeisterung der Göttinger Studenten habe ich schon eingangs erwähnt. Danach überkreuzten sich in meinen Erfahrungen unterschiedliche Entwicklungen, weshalb ich mit dem für alte weiße Männer typischen Urteil, früher sei alles besser gewesen, vorsichtig sein muss. Seilschaften und dementsprechend informelle Herrschaftsstrukturen hat es in Fakultäten schon immer gegeben, doch dürften sie durch die vermehrte Auslagerung von Entscheidungskompetenzen auf Ausschüsse wie etwa die Berufungskommission sichtbarer geworden sein, weil bereits die Besetzung dieser Kommissionen von ihnen dominiert wird. Dasselbe gilt für die sachlich nicht gerechtfertigte Protektion von Schülern, an der sich durch die stärkere Formalisierung der qualifizierenden Verfahren nichts geändert hat, weil eine stillschweigende Verständigung existiert, dem Kollegen nicht in seinen Bereich hineinzupfuschen. Eine schwer zu ändernde Ursache liegt in der Eigenart der akademischen Karriere, deren Abbruch durch Scheitern der Habilitation zu einem für den Aufbau einer gleichwertigen anderen Laufbahn allzu späten Zeitpunkt erfolgen würde, weshalb auch bei schwachen Habilitationen keiner den ersten Stein zu werfen wagt. Das spricht natürlich dafür, auf diese Qualifikation überhaupt zu verzichten, aber das würde wiederum zu einer generellen Niveauabsenkung beim akademischen Nachwuchs führen und dadurch das Kind mit dem Bade ausschütten. Ich darf mich glücklich schätzen, derartigen Problemen in meinem engeren Wirkungskreis nie begegnet zu sein. Mit Roland Hefendehl, Tatjana Hörnle, Luís Greco, Peter Kasiske und Mariana Sacher habe ich fünf ausgezeichnete sog. Schüler112 im Habilitationsverfahren betreut und damit meine Schuldigkeit bei der Auswahl des akademischen Nachwuchses getan, ebenso wie auch bei der Be111 IV 61. 112 Wobei das für die sprachliche Beschreibung benutzte grammatische Geschlecht notabene keine genderbezogene Aussage transportiert. Den gegenwärtigen Aktivitäten, die
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treuung von Promotionen, deren Zahl eher unterdurchschnittlich, deren Leistung aber weit überdurchschnittlich war, namentlich auch bei meinen ausländischen Doktoranden. 3. Außerhalb der jeweils eigenen Fakultät habe ich mich noch als Mitherausgeber verschiedener Schriftenreihen sowie der ZStW und ZIS, als Ständiger Mitarbeiter von GA, als Fachgutachter der Alexander von Humboldt-Stiftung und von 2001 bis 2013 als eine Art Sekretär der deutschsprachigen Strafrechtslehrer betätigt. Mein wichtigster Einsatz für diese, nämlich die Veranlassung und wissenschaftliche Organisation der außerordentlichen Dresdener Strafrechtslehrertagung 2003,113 sollte ein doppeltes Fanal gegen die Schließung der dortigen Juristischen Fakultät und für eine rechtsstaatlich tief verankerte und dogmatisch hoch entwickelte Europäisierung der Strafrechtspflege setzen, abermals ein SisyphosProjekt. Im Inland wurde ich 2008 zum Ordentlichen Mitglied in der Bayerischen Akademie der Wissenschaften gewählt, im Ausland hat man mir zwölf Ehrendoktorwürden, diverse Honorar- und Gastprofessuren und die Ehrenmitgliedschaft in verschiedenen Strafrechtswissenschaftlichen Vereinigungen verliehen. Ich habe mich bei der Entgegennahme dieser Ehrungen in erster Linie nicht als Individuum, sondern als Empfangsbote der in der zweiten Hälfte des letzten Jahrhunderts maximal elaborierten, die Grenzen einer einzelnen Rechtsordnung und seiner Jurisprudenz überschreitenden und deshalb erstmals von Roxin so genannten internationalen Strafrechtsdogmatik gefühlt, die die in jedem liberalen Rechtsstaat anzuerkennenden Legitimationsbedingungen des in der Kriminalstrafe liegenden Overkill analysiert und in ein umfassend kritisch-rationales System integriert, wobei die den bundesdeutschen Strafrechtswissenschaftlern hierbei zukommende und ihr globales Prestige begründende Rolle als Avantgarde jedenfalls zum Teil als Reaktion auf den zuvor teils erlittenen, teils mitverschuldeten NS-Unrechtsstaat erklärbar sein dürfte. Mit dem dagegen erhobenen, in meinen Augen törichten114 Vorwurf der „Provinzialität und Rückwärtsgewandtheit“115 habe ich mich anderweitig auseinandergesetzt,116 was ich hier nicht wiederholen will.
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Grammatik gendergerecht zu reformieren, stehe ich sine ira et studio gegenüber und empfinde nur das Missverhältnis zwischen Aufwand und Ertrag. ZStW 116 (2004), 222 ff. sowie III 148. Und mutmaßlich aus einem Wettbewerb um die beste Ausgangsposition für die Führung des insoweit die arrière-garde bildenden Freiburger Max-Planck-Instituts zu erklären ist, das durch seine aktuelle Einordnung auf eine polizeilich und angelsächsische Linie zur Reduktion auf die frühere Juristenrolle der ancilla potestatis prädestiniert ist. So das Resümee von Weigend, Thomas, GA 2020, S. 139, 145. III 264, 286.
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4. Ein Wort noch zur akademischen Lehre. Außer dem üblichen Vorlesungsspektrum im Strafrecht und Strafprozessrecht habe ich in Mannheim anfangs auch Kriminologie, später in Freiburg auch Rechtssoziologie und in München turnusmäßig Rechtsphilosophie, Methodenlehre und Rechtssoziologie gelesen. Mein didaktischer Ehrgeiz war darauf gerichtet, bei meinen Hörern zunächst Problembewusstsein zu wecken und sodann scheinbar durch spontanes Nachdenken die überzeugendste Lösung zu entwickeln. In meinen Mannheimer und Freiburger Jahren scheint mir das wirklich gelungen zu sein, jedenfalls schmeichelte ich mir, der größte Teil des Hörsaales hinge an meinen Lippen. Der Kulturschock kam bei meinem Wechsel nach München, wo die Studenten primär klausurtechnisch verwertbares Wissen vermittelt bekommen wollten und beispielsweise zu Beginn der Strafrechtsvorlesung Überlegungen zur Fragwürdigkeit der staatlichen Strafe, erst recht zu deren historischen Widerlichkeiten, als eine überflüssige Verzögerung der Aufbauschemata empfanden. Weil dieser Pragmatismus offensichtlich (1) in dem reinen Klausurexamen in Bayern, bei dem nicht der Tiefsinn, sondern die flotte Subsumtion zählt, und (2) in dem in München als heilige Kuh verehrten, schon im Ersten Semester einsetzenden Grundkurssystem mit seiner frühen „Scheindressur“ verankert, also unabänderlich war, habe ich für viele Jahre die eigene Freude an den Standardvorlesungen eingebüßt, um sie paradoxerweise in den Nebenfächern Rechtsphilosophie, Rechtssoziologie und vor allem Strafprozessrecht wiederzufinden. Es ist deshalb wohl kein Zufall, dass meine Vorlesungen im letzten Semester vor der Emeritierung über Rechtsphilosophie und Strafprozessrecht als Podcast überlebt haben und ich noch heute gelegentlich E-Mails von Studenten oder Rechtsanwälten erhalte, die von dem Podcast auf welchem Wege auch immer erfahren und ihn sich bei einer langweiligen Autofahrt o. ä. „reingezogen“ haben.
5. Die bei Abfassung dieser Zeilen und noch auf ungewisse Zeit anhaltende Coronakrise hat meine internationalen Aktivitäten auf virtuelle Kommunikationen reduziert und auch sonst zu einer Entschleunigung des Lebens beigetragen, die Zeit zum Lebensrückblick lässt als Versuch, Kohärenz zu stiften. Das strafrechtswissenschaftliche Projekt der alten Bundesrepublik (das ich nicht erfunden, sondern nur auf den Begriff gebracht habe), auf dem über Jahrtausende ekelhaftesten Gebiet obrigkeitlicher Gewaltausübung die hier vor 250 Jahren begonnene Aufklärung zu vollenden und eine intellektuelle Kontrolle von Gesetzgebung und Strafjustiz zu etablieren, hätte für die sich darin Engagierenden (in den Worten Thomas Manns) eine Art „lebensgütiger Erfüllung“ bringen können. Der zunehmenden Aushöhlung der parlamentarischen Demokratie durch oligarchisch-autoritäre Strukturen, camoufliert vermöge einer durch vielfältige Netzwerke gleichgeschalteten Medienlandschaft, korrespondiert aber stattdessen eine allmähliche
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Metamorphose der Strafrechtsprofessoren in beflissene Hofnarren der Macht, die jedes noch so illiberale legislatorische Machwerk krampfhaft zu legitimieren versuchen.117 Die Amtspflicht, dagegen aufzustehen, endet zwar für einen beamteten Gelehrten mit der Entpflichtung, aber es bleibt in meinen Augen dazu eine moralische Verpflichtung übrig, deren Erfüllung laut Florestan süßen Trost im Herzen bescheren kann. Il faut imaginer Sisyphe heureux (Camus).
Schriftenverzeichnis (in Auswahl)118 I. Sammelbände, Monographien und sonstige selbständige Publikationen 1. Grund und Grenzen der unechten Unterlassungsdelikte – Zugleich ein Beitrag zur strafrechtlichen Methodenlehre, 1971. Fundamento y Límites de los Delitos de Omisión Impropia, Übersetzung ins Spanische, Madrid (Spanien)/Barcelona (Spanien)/Buenos Aires (Argentinien) 2009; 2. Aufl. s. I 64. 4. Nulla poena sine lege? (Rechtstheoretische und verfassungsrechtliche Implikationen der Rechtsgewinnung im Strafrecht), 1978. 6. Unternehmenskriminalität und Strafrecht – Eine Untersuchung der Haftung der Wirtschaftsunternehmen und ihrer Führungskräfte nach geltendem und geplantem Straf- und Ordnungswidrigkeitenrecht, 1. Aufl. 1979. 8. Grundfragen des modernen Strafrechtssystems (mit Beiträgen von Hans Achenbach u. a.), 1984; Übersetzung ins Japanische durch Kazushige Asada u. a., 1990; Übersetzung ins Spanische durch Jesus M. Silva-Sanchez, 1991; Übersetzung ins Chinesische durch Y-H. Hsue u. a., 2004.
9. Parteispendenproblematik, 1986 (zusammen hrsg. mit Wolfgang de Boor und Gerd Pfeiffer). 10. Die Rechtsprobleme von AIDS, 1988 (zusammen hrsg. mit Gerd Pfeiffer). 11. Absprachen im Strafverfahren? Grundlagen, Gegenstände und Grenzen. Gutachten B zum 58. Deutschen Juristentag, 1990. 13. Bausteine des europäischen Wirtschaftsstrafrechts, 1995 (zusammen hrsg. mit Carlos Suárez González). 117 Nachweise in III 264, 286. 118 In der nachfolgenden Übersicht wird die Bezifferung aus meinem vollständigen Schriftenverzeichnis, oben Fn. 2, beibehalten.
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14. Bausteine des europäischen Strafrechts, 1995 (zusammen hrsg. mit Jorge de Figueiredo Dias). 15. Internationale Dogmatik der objektiven Zurechnung und der Unterlassungsdelikte, 1995 (zusammen hrsg. mit Enrique Gimbernat und Jürgen Wolter). 16. Deutsche Wiedervereinigung. Die Rechtseinheit – Arbeitskreis Strafrecht, Bd. III: Unternehmenskriminalität, 1996. 19. Die Stellung des Opfers im Strafrechtssystem – Neue Entwicklungen in Deutschland und in den USA, 2000 (zusammen hrsg. mit Markus Dubber). 22. Temas actuales y permanentes del Derecho penal después milenio, Madrid (Spanien) 2002. 23. Das Menschenbild im weltweiten Wandel der Grundrechte, 2002 (zusammen hrsg. mit Jörg Paul Müller und Lothar Philipps). 24. Strafrechtssystem und Betrug, 2002. 27. Organuntreue – Der Mannesmann-Fall als Exempel?, 2004. 28. Alternativ-Entwurf Europäische Strafverfolgung, 2004. 32. Wetterzeichen vom Untergang der deutschen Rechtskultur – Die Urteilsabsprachen als Abgesang auf die Gesetzesbindung der Justiz und den Beruf unserer Zeit zur Gesetzgebung, 2005. 33. La reforma del Proceso Penal, Madrid (Spanien) 2005. 34. Cuestiones básicas del derecho penal en los umbrales del tercer milenio, Lima (Peru) 2006. 36. Unbestechlich und unbeirrbar im Dienst von Recht und Gerechtigkeit – Abhandlungen zur gesamten Strafrechtswissenschaft von Bernd Schünemann in chinesischer Sprache (hrsg. von und Übersetzung durch Yü-hsiu Hsü und JyhHuei Chen), Taipei (Taiwan) 2006. 37. Ein Gesamtkonzept für die europäische Strafrechtspflege, 2006. 38. El derecho penal es la ultima ratio para la protección de bienes jurídicos!, Bogotá (Kolumbien) 2007. 39. Aspectos puntuales de la dogmática jurídico-penal, Bogotá (Kolumbien) 2007. 42. Obras, Tomo I y II, Santa Fé (Argentinien) 2009.
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45. Die sogenannte Finanzkrise – Systemversagen oder global organisierte Kriminalität?, 2010. 46. Derecho penal contemporáneo – Sistema y desarrollo. Peligro y límites, Buenos Aires (Argentinien) 2010. 47. Risse im Fundament, Flammen im Gebälk: Zum Zustand des kontinentaleuropäischen Strafverfahrens, 2010. 52. Vom Tempel zum Marktplatz, 2013. 53. Estudos de direito penal, direito processual penal e filosofia do direito, São Paulo (Brasilien) 2013. 54. Zur Frage der Verfassungswidrigkeit und der Folgen eines Strafrechts für Unternehmen, 2013. 55. Die Europäisierung der Strafrechtspflege als Demontage des demokratischen Rechtsstaats, 2014. 58. Leipziger Praxiskommentar Untreue – § 266 StGB, 2017. 59. Direito penal, Racionalidade e Dogmatica, São Paulo (Brasilien) 2018. 61. El Derecho Penal en el Estado Democrático y el irrenunciable nivel de racionalidad de su dogmática, Madrid (Spanien)/Buenos-Aires (Argentinien)/Montevideo (Uruguay) 2019. 63. Rechtsfindung im Rechtsstaat und Rechtsdogmatik als ihr Fundament, Gesammelte Werke, Bd. I, 2020 64. Täterschaft als Herrschaft über den Grund des Erfolges, Gesammelte Werke, Bd. II, 2020. 65. Strafprozessrecht und Strafprozessreform, Gesammelte Werke, Bd. III, 2020.
II. a) Kommentierungen Strafgesetzbuch, Leipziger Kommentar, §§ 14, 25–31, 201–205, 266, 288–297, 11. Aufl. 2001 (z. T.) – 13. Aufl. 2020.
III. b) Lehrbücher I 2. Strafrechtliche Klausurenlehre mit Fallrepetitorium, 1. Aufl. 1973–4. Aufl. 1982 (1.–3. Aufl. zusammen mit Claus Roxin und Bernhard Haffke). I 41. Strafverfahrensrecht, 26. Aufl. 2009 – 30. Aufl. 2021; Derecho procesal penal, Übersetzung ins Spanische, Buenos Aires (Argentinien) 2019.
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III. Aufsätze in Zeitschriften und Sammelwerken 3. Die Belehrungspflichten der §§ 243 IV, 136 n.F. StPO und der BGH, MDR 1969, S. 101–103. 9. Das strafprozessuale Wiederaufnahmeverfahren propter nova und der Grundsatz „In dubio pro reo“, ZStW 84 (1972), S. 870–908; Übersetzung ins Japanische durch Y. Ode, Hanrei Taimuzu – Monatsschrift für Rechtsprechung 328 (1976). 13. Moderne Tendenzen in der Dogmatik der Fahrlässigkeits- und Gefährdungsdelikte, JA 1975, S. 435–444, 511–516, 575–584, 647–656, 715–724, 787–798. 16. Ungelöste Rechtsprobleme bei der Ahndung nationalsozialistischer Gewalttaten, in: Festschrift für Hans-Jürgen Bruns,1978, S. 223–247. 17. Der strafrechtliche Schutz von Privatgeheimnissen, ZStW 90 (1978), S. 11– 63. 18. Zur Reform der Hauptverhandlung im Strafprozeß, GA 1978, S. 161–185. 19. Besondere persönliche Verhältnisse und Vertreterhaftung im Strafrecht, Zeitschrift für Schweizer Recht 1978, S. 131–158. 32. Umsturzversuche deutscher Studenten einst und jetzt. Ein strafrechtsgeschichtlicher Vergleich der Deutschen Burschenschaft und der Unbedingten mit der APO und der RAF, in: Festschrift für Heinz Leferenz, 1983, S. 279–299. 33. Die Gesetzesinterpretation im Schnittfeld von Sprachphilosophie, Staatsverfassung und juristischer Methodenlehre, in: Festschrift für Ulrich Klug, 1983, S. 169–186. 34. Experimentelle Untersuchungen zur Reform der Hauptverhandlung in Strafsachen, in: Kerner, Hans-Jürgen/ Kury, Helmut/Sessar, Klaus (Hrsg.), Deutsche Forschungen zur Kriminalitätsentstehung und Kriminalitätskontrolle, 1983, S. 1109–1151. 36. Die Zukunft der Viktimo-Dogmatik: Die viktimologische Maxime als regulatives Prinzip zur Tatbestandseinschränkung im Strafrecht, in: Festschrift für Hans Faller, 1984, S. 357–372. 37. Die Unterlassungsdelikte und die strafrechtliche Verantwortlichkeit für Unterlassungen, ZStW 96 (1984), S. 287–320. 45. Die deutschsprachige Strafrechtswissenschaft nach der Strafrechtsreform im Spiegel des Leipziger Kommentars und des Wiener Kommentars, GA 1985, S. 341–380; 1986, S. 293–352.
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51. Zur Stellung des Opfers im System der Strafrechtspflege, Teil I und II, NStZ 1986, S. 193–200, 439–443. 62. Daten und Hypothesen zum Rollenspiel zwischen Richter und Staatsanwalt bei der Strafzumessung, in: Kaiser, Günther/Kury, Helmut/Albrecht, Hans-Jörg (Hrsg.), Kriminologische Forschung in den 80er Jahren, Bd. 35, 1988, S. 265– 280. 69. Die Entwicklung der Schuldlehre in der Bundesrepublik Deutschland, in: Hirsch, Hans-Joachim/Weigend, Thomas (Hrsg.), Strafrecht und Kriminalpolitik in Japan und Deutschland, 1989, S. 147–176. 73. Quo vadis § 218?, Zeitschrift für Rechtspolitik 1991, S. 379–392. 80. Materielle Tatverdachtsprüfung und völkerrechtswidrige Entführung als nationalstaatliche Sprengsätze im internationalen Auslieferungsverkehr, in: Wolter, Jürgen (Hrsg.), 140 Jahre GA, 1993, S. 215–240. 86. Die strafrechtliche Verantwortung der Unternehmensleitung im Bereich von Umweltschutz und technischer Sicherheit, in: Breuer, Rüdiger/Kloepfer, Michael/Marburger, Peter/Schröder, Meinhard (Hrsg.), Umweltschutz und technische Sicherheit im Unternehmen, 1994, S. 137–177. 88. Kritische Anmerkungen zur geistigen Situation der deutschen Strafrechtswissenschaft, GA 1995, S. 201–229, Übersetzung ins Spanische s. V 25. 92. Der Richter im Strafverfahren als manipulierter Dritter? – Zur empirischen Bestätigung von Perseveranz- und Schulterschlußeffekt, in: Bierbrauer, Günter/ Gottwald, Walther/Birnbreier-Stahlberger, Beatrix (Hrsg.), Verfahrensgerechtigkeit – Rechtspsychologische Forschungsbeiträge für die Justizpraxis, 1995, S. 215–232. 93. Zur Dogmatik und Kriminalpolitik des Umweltstrafrechts, in: Festschrift für Otto Triffterer, 1996, S. 437–456. 94. Aufarbeitung von Unrecht aus totalitärer Zeit, in: Pawlowski, Hans-Martin/ Roellecke, Gerd (Hrsg.), Der Universalitätsanspruch des demokratischen Rechtsstaates, ARSP Beiheft 65 (1996), S. 97–116. 100. Der deutsche Strafprozeß im Spannungsfeld von Zeugenschutz und materieller Wahrheit. Kritische Anmerkungen zum Thema des 62. Deutschen Juristentages 1998, StV 1998, S. 391–401. 104. Vom philologischen zum typologischen Vorsatzbegriff, in: Festschrift für Hans Joachim Hirsch, 1999, S. 363–378.
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105. Über die objektive Zurechnung, GA 1999, S. 207–229. 108. Vom Unterschichts- zum Oberschichtsstrafrecht. Ein Paradigmawechsel im moralischen Anspruch?, in: Kühne, Hans-Heiner/Miyazawa, Koichi (Hrsg.), Alte Strafrechtsstrukturen und neue gesellschaftliche Herausforderungen in Japan und Deutschland, 2000, S. 17–36. 109. Verfassungsrechtliche Probleme der strafrechtlichen Aufarbeitung, in: Deutscher Bundestag (Hrsg.), Enquete-Kommission „Überwindung der Folgen der SED-Diktatur im Prozeß der deutschen Einheit“, Bd. II/2, 1999, S. 1304–1380. 113. Unternehmenskriminalität, in: Canaris, Claus-Wilhelm u. a. (Hrsg.), 50 Jahre Bundesgerichtshof – Festgabe aus der Wissenschaft, Bd. IV, 2000, S. 621–646.
114. Strafrechtsdogmatik als Wissenschaft, in: Festschrift für Claus Roxin, 2001, S. 1–32. 120. Wohin treibt der deutsche Strafprozeß?, ZStW 114 (2002), S. 1–62. 121. Aporien der Straftheorie in Philosophie und Literatur – Gedanken zu Immanuel Kant und Heinrich von Kleist –, in: Festschrift für Klaus Lüderssen, 2002, S. 327–343. 126. Ein Gespenst geht um in Europa – Brüsseler „Strafrechtspflege“ intra muros, GA 2002, S. 501–516. 131. Das Strafrecht im Zeichen der Globalisierung, GA 2003, S. 299–313. 135. Das Rechtsgüterschutzprinzip als Fluchtpunkt der verfassungsrechtlichen Grenzen der Straftatbestände und ihrer Interpretation, in: Hefendehl, Roland/ Hirsch, Andrew von/Wohlers, Wolfgang (Hrsg.), Die Rechtsgutstheorie – Legitimationsbasis des Strafrechts oder dogmatisches Glasperlenspiel?, 2003, S. 133– 154. 137. Zum gegenwärtigen Stand der Lehre von der Strafrechtsschuld, in: Festschrift für Ernst-Joachim Lampe, 2003, S. 537–559. 144. Globalisierung als Metamorphose oder Apokalypse des Rechts ?, in: Joerden, Jan C./Wittmann, Roland (Hrsg.), Recht und Politik, ARSP-Beiheft 93 (2004), S. 133–156. 148. Grundzüge eines Alternativ-Entwurfs zur europäischen Strafverfolgung, ZStW 116 (2004), S. 376–399. 164. Rechtsgüterschutz, ultima ratio und Viktimodogmatik – von den unverrückbaren Grenzen des Strafrechts in einem liberalen Rechtsstaat, in: Hirsch, Andrew
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von/Seelmann, Kurt/Wohlers, Wolfgang (Hrsg.), Mediating Principles – Begrenzungsprinzipien bei der Strafbegründung, 2006, S. 18–35. 165. Strafrechtssystematisches Manifest, GA 2006, S. 378–382. 167. Feindstrafrecht ist kein Strafrecht, in: Festschrift für Kay Nehm, 2006, S. 175–183; auch in: Vormbaum, Thomas (Hrsg.), Kritik des Feindstrafrechts, 2010, S. 11–20. 168. Die Rechtsfigur des „Täters hinter dem Täter“ und das Prinzip der Tatherrschaftsstufen, in: Festschrift für Friedrich-Christian Schroeder, 2006, S. 399– 411. 173. Der Erlaubnistatbestandsirrtum und das Strafrechtssystem – Oder: Das Peter-Prinzip in der Strafrechtsdogmatik?, GA 2006, S. 777–792 (zusammen mit Luís Greco). 174. Die Unrechtsvereinbarung als Kern der Bestechungsdelikte nach dem KorrBekG, in: Festschrift für Harro Otto, 2007, S. 777–789. 175. Vom kriminalpolitischen Nutzen und Nachteil eigenhändiger Delikte, in: Festschrift für Heike Jung, 2007, S. 881–891. 182. Die „besonderen persönlichen Merkmale“ des § 28 StGB, in: Festschrift für Wilfried Küper, 2007, S. 561–576. 183. Der Ausbau der Opferstellung im Strafprozess – Fluch oder Segen?, in: Festschrift für Rainer Hamm, 2008, S. 687–700. 185. Aufgabe und Grenzen der Strafrechtswissenschaft im 21. Jahrhundert, in: Festschrift für Rolf Dietrich Herzberg, 2008, S. 39–53. 186. Strafrechtliche Sanktionen gegen Wirtschaftsunternehmen?, in: Festschrift für Klaus Tiedemann, 2008, S. 429–447. 189. Prolegomena zu einer jeden künftigen Verteidigung, die in einem geheimdienstähnlichen Strafverfahren wird auftreten können, GA 2008, S. 314–334. 190. Die Liechtensteiner Steueraffäre als Menetekel des Rechtsstaats, NStZ 2008, S. 305–310. 192. Zur Kritik des amerikanischen Strafprozessmodells, in: Festschrift für Gerhard Fezer, 2008, S. 555–575. 194. Zur Garantenstellung beim unechten Unterlassungsdelikt, in: Festschrift für Knut Amelung, 2009, S. 303–323.
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197. Verfassungsrechtliche Vorgaben für die Struktur des Strafverfahrens, in: Arbeitsgemeinschaft Strafrecht des Deutschen Anwaltsvereins (Hrsg.), Strafverteidigung im Rechtsstaat, 2009, S. 827–845. 198. Die strafrechtliche Beurteilung der Beeinflussung von Betriebsratswahlen durch verdecktes Sponsoring, in: Festschrift für Peter Gauweiler, 2009, S. 515– 531. 204. Spirale oder Spiegelei? Vom hermeneutischen zum sprachanalytischen Modell der Rechtsanwendung, in: Festschrift für Winfried Hassemer, 2010, S. 239– 247. 205. Der Begriff des Vermögensschadens als archimedischer Punkt des Untreuetatbestandes (Teil 1 und 2), StraFo 2010, S. 1–10, 477–483. 209. Die Kritik am strafrechtlichen Paternalismus – Eine Sisyphus-Arbeit?, in: Hirsch, Andreas von/Neumann, Ulfrid/ Seelmann, Kurt (Hrsg.), Paternalismus im Strafrecht, 2010, S. 221–240. 210. Die Hauptverhandlung im Strafverfahren – Was sie leistet, wo sie versagt und in welcher Form sie bewahrt werden muss, StraFo 2010, S. 90–96. 218. Vagheit und Porosität der Umgangssprache als Horizont extensionaler Rechtsfortbildung durch die Strafjustiz, in: Festschrift für Ingeborg Puppe, 2011, S. 243–261. 222. Schrumpfende Basis, wuchernder Überbau? Zum Schicksal der Tatherrschaftsdoktrin nach 50 Jahren, in: Festschrift für Claus Roxin, 2011, S. 799–817. 228. Die Target 2-Salden der Deutschen Bundesbank in der Perspektive des Untreuetatbestandes, ZIS 2012, S. 84–106. 229. Wider verbreitete Irrlehren zum Untreuetatbestand, in: Festschrift für Imme Roxin, 2012, S. 341–368; auch in: ZIS 2012, S. 183–194. 230. Standpunkte der deutschen Strafrechtslehrer zu den Zukunftsperspektiven der Rechtswissenschaft und der akademischen juristischen Ausbildung in Deutschland, ZIS 2012, S. 302–311. 234. Die großen wirtschaftsstrafrechtlichen Fragen der Zeit, GA 2013, S. 193– 205. 235. Der Straftatbestand der Untreue als zentrales Wirtschaftsdelikt der entwickelten Industriegesellschaft, in: Festschrift für Wolfgang Frisch, 2013, S. 837–856.
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237. Die Urteilsabsprachen im Strafprozess – ewige Wiederkunft des Gleichen?, in: Festschrift für Jürgen Wolter, 2013, S. 1107–1129. 242. Die aktuelle Forderung einer Verbandsstrafe – ein kriminalpolitischer Zombie, ZIS 2014, S. 1–18. 243. Das strafrechtliche Rückwirkungsverbot als Prüfstein des Rechtsbegriffs – Von den dogmatischen Untiefen strafrechtlicher Vergangenheitsbewältigung und der Wertlosigkeit der Radbruchschen Formel, in: Festschrift für Kristian Kühl, 2014, S. 455–470. 245. Ein neues Bild des Strafrechtssystems?, ZStW 126 (2014), S. 1–26. 248. Can Punishment be just?, in: Liberal Criminal Theory, Essays for Andreas von Hirsch, hrsg. von A. P. Simester, Antje du Bois-Pedain und Ulfrid Neumann, 2014, S. 269–282. 250. Vom schwindenden Beruf der Rechtswissenschaft unserer Zeit, speziell der Strafrechtswissenschaft, in: Hilgendorf, Eric/Schulze-Fielitz, Helmuth (Hrsg.), Selbstreflexion der Rechtswissenschaft, 2015, S. 223–242. 253. Das Schuldprinzip und die Sanktionierung von juristischen Personen und Personenverbänden, GA 2015, S. 274–283. 254. Legitimation durch Verfahren? – Von den Mindestbedingungen, unter denen die Ausübung der furchtbaren Strafgewalt durch Menschen in samtbesetzter Robe gerecht sein kann, StraFo 2015, S. 177–187. 255. Die gemeineuropäische Prozessrechtswissenschaft – Anstöße und Relevanz, in: Barton, Stephan/Kölbel, Ralf/ Lindemann, Michael (Hrsg.), Wider die wildwüchsige Entwicklung des Ermittlungsverfahrens, 2015, S. 177–192. 257. Parlamentarische Untersuchungsausschüsse und Strafverfahren, in: Festschrift für Heribert Ostendorf, 2015, S. 817–836. 260. Die Bestrafung der Auslandsbestechung – eine strafrechtsimperialistische Torheit?, in: Hoven, Elisa/Kubiciel, Michael (Hrsg.), Das Verbot der Auslandsbestechung, 2016, S. 25–43. 262. Zur Stellung der Staatsanwaltschaft im postmodernen Strafverfahren, in: Gedächtnisschrift für Edda Weßlau, 2016, S. 351–368. 264. Über Strafrecht im demokratischen Rechtsstaat, das unverzichtbare Rationalitätsniveau seiner Dogmatik und die vorgeblich progressive Rückschrittspropaganda, ZIS 2016, S. 654–671; auch in: Rotsch, Thomas (Hrsg.), Zehn Jahre ZIS – Zeitschrift für Internationale Strafrechtsdogmatik, 2018, S. 17–57.
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266. Der unabhängige Strafrichter – Macht ohne Maß?, in: Festschrift für Franz Streng, 2017, S. 755–766. 267. Sinn und Zweck der Strafe – eine unendliche Geschichte?, in: Festschrift für Keichi Yamanaka, 2017, S. 501–514. 268. Macht die Regelung und Verfolgung von Finanzkriminalität vor den heutigen gesamtwirtschaftlichen Hintergründen einen Sinn?, in: Kempf, Eberhard u. a. (Hrsg.), Unbestimmtes Wirtschaftsstrafrecht und gesamtwirtschaftliche Perspektiven, S. 66–85.
269. Versuch über die Begriffe von Verbrechen und Strafe, Rechtsgut und Deliktsstruktur, in: Festschrift für Ulfrid Neumann, 2017, S. 701–714. 270. Herrschaft über die Hilflosigkeit des Rechtsguts oder Pflichtverletzung als Strafgrund der Sonderdelikte, GA 2017, S. 678–688. 275. Der Kampf ums Verbandsstrafrecht in dritter Neuauflage, der „Kölner Entwurf eines Verbandssanktionengesetzes“ und die Verwandlung von Kuratoren in Monitore – much ado about something, StraFo 2018, S. 317–327. 276. Stichworte zum Vierten Paradigma des Strafverfahrens, in: Festschrift für Klaus Rogall, 2018, S. 691–706. 279. Gefährden Fake News die Demokratie, wächst aber im Strafrecht das Rettende auch?, GA 2019, S. 620–640. 281. Kritische Anmerkungen zum tragischen Dilemma im Strafrecht, GA 2020, S. 1–13. 282. Grundlinien durchgreifender Strafjustizreform statt Wunschkonzert für Strafverfolgungsorgane, StraFo 2020, S. 45–50. 283. Der Begriff der sog. Einheitstäterschaft im Strafrecht – Kritik eines dogmatischen Monstrums, GA 2020, S. 224–231. 284. Von den trüben Quellen und seichten Mündungen des Völkerstrafrechts, in: Festschrift für Reinhard Merkel, 2020, S. 1361–1374.
IV. Urteilsanmerkungen, Rezensionen, Lexikon-Beiträge, Forschungsberichte und Varia 60. Der Fall Shakespeare und ein durchschnittlicher deutscher Strafprozess, in: Neue Shake-Speare Gesellschaft (Hrsg.), Spektrum Shake-speare, Bd. 6, 2017, S. 59–79.
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61. Karl May: Ein beispielhafter Fall, Claus Roxin und die sozialliberale Reformära, in: Zeilinger, Johannes/Schleburg, Florian (Hrsg.), Abenteuer zwischen Wirtschaftswunder und Rebellion – Karl May in den 60er Jahren, 2017, S. 191– 204.
V. Ausländische Publikationen (siehe hierzu mein vollständiges Schriftenverzeichnis, oben Fn. 2).
Hans-Dieter Schwind*
* Photo: Ralf Sänger
https://doi.org/10.1515/9783110703016-017
Hans-Dieter Schwind Herausforderungen eines ereignisreichen langen Lebens im Kontext kriminalpolitischer Perspektiven Wie die Beschreibung meines Lebenslaufs aussehen kann, haben die Herausgeber einer Festschrift (FS) zu meinem 70. Geburtstag (2006) in vortrefflicher Weise gezeigt. Aber: Sie waren mir zugetan und haben deshalb in ihrem Vorwort ein Bild entworfen, das schmeichelhaft war und Freude auslöste, aber nicht aufzeigen konnte, wie die Entwicklung aus meinem eigenen Erleben tatsächlich verlief. Dafür fehlten die persönlichen Hintergrund-Informationen. Gemeint sind Kausalitäten, die sonst keiner kannte. Die Chance der ergänzenden Selbstdarstellung, die sich nunmehr eröffnet, ist aber auch nicht unproblematisch, weil sie naturgemäß dem Verdacht Dritter ausgesetzt ist, nicht objektiv zu berichten. Danach könnte also ein wichtiges „Gütekriterium“ der empirischen Forschung, die Objektivität, in Zweifel geraten. Dem kann der Verfasser nur dadurch entgegenwirken, dass er sich streng an den (erinnerten bzw. belegten) Realitäten orientiert. Das will ich zumindest versuchen. Nach dieser Vorbemerkung wage ich mich (im Auftrag des Herausgebers) ohne weitere Skrupel an ein Unterfangen heran, das man der narrativen Methode zuordnen kann. Ich bitte jedoch um Verständnis dafür, dass ich (kurz) etwas weiter ausholen möchte. Meine Familie stammt aus dem sächsischen (mittleren) Erzgebirge; ich bin also von den Vorfahren her ‒ ein Sachse. Die Schwinds waren jedoch ursprünglich im süddeutschen Raum ansässig, wo der Familienname noch heute häufiger vorkommt. Es wird überliefert, dass auch unsere Familie mit Rodungsaufgaben und zur Grenzsicherung („Wehrbauern“) an der damaligen Grenze zum (heutigen) Tschechien gezielt angesiedelt worden ist, und zwar wahrscheinlich im 13. oder 14. Jahrhundert. Unser Stammbaum lässt sich über 500 Jahre ins 15. Jahrhundert zurückverfolgen. Einen „Erbhof Schwind“ hat es im Erzgebirgsdorf Beutha noch vor wenigen Jahren gegeben, auch ein entsprechendes metallisches Schild, das im „Dritten Reich“ über dem Hoftor angebracht wurde. Von diesem alten Familienbesitz haben sich im Ort (durch Einheiratungen) „Ableger“ ausgebreitet, zu denen auch ein „Weidegut“ gehörte. Auf diesem Hof ist mein Großvater, Albin Schwind (geb. 1876) groß geworden. Übernehmen konnte er die Hofstelle als zweitältester Sohn allerdings nicht. So wurde er, weil er schon in der Dorfschule durch gute Leistungen aufgefallen war, Lehrer. Seither ist dieser Beruf in unserer Familie verbreitet. Mein Großvater hat es in Penig (an der Mulde) zum Schulleiter einer Mittel-, dann einer Berufsschule, gebracht und stand dort (auch als „Vor-
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steher“ der Stadtverordneten-Versammlung) offenbar in hohem Ansehen. So hat ihm der Rat der Stadt zu seinem 80. Geburtstag am 22. November 1956 eine „Festgabe“ gewidmet, in der man nachlesen kann, dass mein Großvater u. a. den örtlichen Turnverein sowie einen Heimat- und Geschichtsverein gegründet hat; auch die Einrichtung einer Stadt-Bibliothek ging auf seine Initiative zurück. Sein Sohn, mein Vater, Martin (Georg) Schwind (geb. 1906), hat in Leipzig Geographie (auf Lehramt) studiert und im Studium meine Mutter (Eva Klamroth) aus einer halberstädtischen Juristenfamilie kennengelernt und geheiratet. Zusammen zogen meine Eltern 1934 (mein Vater nach der Promotion zum Dr. phil.) für fünf Jahre (1934 bis 1939) nach Japan. Mein Vater konnte dort (mit erst 28 Jahren) die Leitung der „Deutschen Schule“ in Tokyo (die sich gerade im Aufbau befand) übernehmen. Meine Mutter hat als Realschullehrerin mitunterrichtet.
I. Vita und akademischer Werdegang In Tokyo-Omori wurde ich am 31. Mai 1936 geboren: ein gesundes Kind, das in den nächsten drei Jahren von japanischen „Amas“ mitbetreut wurde. Angeblich wuchs ich bis dahin zweisprachig auf. Jedenfalls hat meine Mutter behauptet, dass ich beim Einkaufen schon dolmetschen konnte.
1. Vita-Hinweise 1939 kehrten meine Eltern nach Deutschland zurück. Mein Vater war zum Leiter der Danziger Luisenschule, einem Mädchengymnasium, ernannt worden. Seine Familie zog ins nahegelegene Gotenhafen (heute polnisch Gdingen). Dort kam ich am 19. August 1942 zur Schule. Am 1. September 1939 hatte der Zweite Weltkrieg begonnen, mein Vater wurde ein Jahr später zur Wehrmacht eingezogen. Im Frühjahr 1943 fuhr der „Führer“ Adolf Hitler durch Gotenhafen; wir, die Schüler der Klasse 1a, standen (wie von unserem Lehrer befohlen) am Straßenrand mit Hakenkreuz-Fähnchen und jubelten ihm zu. In der Nacht zum 9. Oktober 1943, also wenige Monate nach diesem Ereignis wurde Gotenhafen durch alliierte Bomber weitgehend zerstört. Bekannt wurde später der Spielfilm „Nacht über Gotenhafen“. Wir (meine Mutter, zwei jüngere Schwestern und ich) überlebten die Katastrophe und versuchten zwei Jahre später vor den anrückenden Russen auf das im Hafen ankernde KdF („Kraft durch Freude“)-Schiff „Wilhelm Gustloff“ zu gelangen: ohne Erfolg, was sich nachträglich als schicksalhafte Fügung herausstellte, weil die Gustloff am 21. Januar 1945, von einem russischen Torpedo getroffen, in der Ostsee versank.
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Zu dieser Zeit befand sich meine Familie bereits auf der Flucht über Land nach Halberstadt am Harz zu meinen Großeltern mütterlicherseits. Einzelheiten dieser Wochen habe ich verdrängt und das soll auch so bleiben. In Erinnerung blieb unendliches Leid (Empathie) und die eigene Opfersituation. Nur so viel: In diesen Wochen änderte sich mein Status in der Restfamilie und damit zugleich auch abrupt meine Kindheit. Ich wurde zum Ratgeber meiner Mutter, es war ja sonst niemand da, und ich kümmerte mich mit um die Mädchen: Hella fünf und Eveli zwei Jahre alt, die sich jedoch sehr diszipliniert bzw. geduldig bis apathisch verhielten. Wir vier waren erschöpft, hungrig und verfroren. Es war Winter. Die Evakuierungen und Fluchtbewegungen aus Ostpreußen, dem Warthegau und aus Schlesien begannen nach dem sowjetischen Frontdurchbruch im Januar 1945. Mit uns machten sich Millionen Menschen auf den Weg in den Westen. Bei unserer Ankunft in Halberstadt mussten wir feststellen, dass die Villa der Großeltern schon durch andere Flüchtlinge besetzt war. Für uns blieb nur der Dachboden übrig. Heizbar war dieser nicht. Ich kam in die dritte Klasse der Halberstädter Volksschule, konnte diese aber nicht lange besuchen. Am 8. April 1945 (also kurz vor der Kapitulation Deutschlands am 8. Mai 1945) wurde auch Halberstadt noch durch alliierte Bomber zerstört. Die alte Fachwerkstadt brannte fast vollständig nieder. Wir durften auch diese Katastrophe lebend überstehen. Eine Sprengbombe hatte nur das Nachbargrundstück getroffen. Unser Haus hatte danach keine Fensterscheiben mehr. Nun war das ganze Haus kalt. Mein Vater befand sich zu dieser Zeit als Leutnant und Zugführer einer Legionärseinheit im Kaukasus und hat vor diesem Hintergrund auch das Ende des Zweiten Weltkriegs erlebt. Seine Kompanie zog sich 1945 (um der russischen Kriegsgefangenschaft zu entgehen) nach Westen zurück: ins Erzgebirge. Dort wurde er 1946 aus amerikanischer Kriegsgefangenschaft nach Wunstorf bei Hannover entlassen. In der neuen Heimat war er zunächst (in Erwartung seiner ‚Entnazifizierung‘) als „Laufbursche“ in einer Gemüsehandlung beschäftigt. Vier Jahr zuvor (1942) war seine Habilitationsschrift mit dem Titel „Die Gestaltung Karafutos zum japanischen Raum“ in Petermanns Mitteilungen in Gotha veröffentlicht worden. Die Familie folgte dem Familienoberhaupt, was auch nicht einfach war, weil es in Deutschland inzwischen eine ‚Zonengrenze‘ gab, die auch russisch bewacht wurde. Halberstadt war zwar zunächst von den Amerikanern besetzt worden, wurde dann aber nach einem Gebietstausch zur russischen Zone. In Wunstorf kam ich (nach acht Monaten ohne Schulunterricht) in die vierte Klasse der „Stadtschule“ (Volksschule) und erlebte wie es ist, Opfer von „Mobbing“ zu werden. Mangels
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„Zuzugsgenehmigung“ waren wir froh, dass es meinem Vater gelang, ein Zimmer in der Südstraße 25 für uns zu bekommen. Das war aber die Adresse der „Heil- und Pflegeanstalt“, die in Wunstorf jeder als „Verrücktenanstalt“ kannte. Die Schulklasse bekam die Adresse heraus und grenzte mich zunächst aus. Hauptsache aber war, dass die Familie wieder vereint war. Die Deutschen krempelten die Ärmel hoch und bauten ihr Land in bemerkenswerter Geschwindigkeit wieder auf. Trübsal und Trauer waren verpönt. Die ‚Jecken‘ im Rheinland besangen das Land „Trizonesien“ und ein junges Mädchen namens Conny Froboess trällerte ihr fröhliches Lied „Pack die Badehose ein“. Man durfte wieder stolz darauf sein, ein Deutscher zu sein. 1949 kam die „Währungsreform“. Der Kinderhaarschnitt (ich war inzwischen 13 Jahre alt) kostete nur noch 50 Pfennig, der Eintritt in das Wunstorfer Freibad 10 Pfennig; dort habe ich „an der Angel“ schwimmen gelernt. Meine Freizeit verbrachte ich im Übrigen auf dem Sportplatz des TuS Wunstorf und lernte auch Niederlagen zu ertragen. Ein (frühes) Beispiel: Bei einem Geländelauf spurtete ich (unerfahren) an die Spitze eines regional besetzten Feldes, um dann zu erleben, dass meine Kräfte nachließen und ich nach hinten durchgereicht wurde. Als ich weit abgeschlagen als Letzter im Ziel ankam, hörte ich zwei Mädchen am Wegesrand mitleidig sagen „Ach, der Arme“. Das reichte für mich als Lektion: Kräfte einteilen. 1954 zog die Familie um nach Hannover, weil mein Vater dort in Hannover-Linden zum Oberstudiendirektor der Humboldt-Schule ernannt worden war. Ich musste mit, wechselte vom Wunstorfer Hölty – Gymnasium an das Humboldt – Gymnasium in Hannover und erlebte dort, wie es ist, wenn der „Direx“ der eigene Vater ist. Am 13. März 1956 bestand ich an dieser Schule die Reifeprüfung mit guten Noten in „Deutsch“, „Geschichte“ und „Sport“. Mein Interesse an der Geschichte führe ich auf meinen damaligen Lesestoff zurück: historische Romane (wie die mehrbändigen „Ahnen“ von Gustav Freitag). Mein sportlicher Ehrgeiz endete (beim Weitsprung) mit dem Totalabriss der Achillessehne. Gleich nach dem Abitur (mit: „Großem Latinum“) bewarb ich mich als Offiziersanwärter (OA) bei der gerade im Aufbau befindlichen neuen „Bundeswehr“. Ich wollte Offizier werden. Nach meiner Erinnerung spielte dafür ein Bündel von Motiven eine Rolle, z. B. der Widerstand gegen den Zeitgeist („Soldaten sind Mörder“), aber auch ein bisschen Abenteuerlust. Mein Vater schüttelte den Kopf, meine Mutter war offen nicht einverstanden, aber aus anderen Gründen: „Junge, such dir einen anderen Beruf. Wir verlieren immer alle Kriege.“
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Am 2. Mai 1956 trat ich meinen Dienst im Fernmelde-Lehr-Bataillon in Sonthofen (Allgäu) an, in einem Ort, den ich erst einmal auf der Landkarte auffinden musste. Dann aber hat mich die dortige Bergwelt verzaubert. Die Marschlieder der ausrückenden Kompanien und Züge passten dazu. Im Dienst wurden wir an (amerikanischen) Waffen durch US-amerikanische Unteroffiziere ausgebildet. Unsere deutschen Vorgesetzten lernten mit uns zusammen von den amerikanischen Siegern. Nach der Grundausbildung wurde ich schon nach drei Monaten zum „Gefreiten“ befördert, nicht wegen guter Leistungen, sondern weil das so vorgesehen war und alle OA’s (Offiziersanwärter) betraf. Nach sechs Monaten kam der Armwinkel des Fahnenjunker-Unteroffiziers dazu, dann nach Absolvierung der Heeresoffiziersschule (HOS II) in Husum die Beförderung zum Fähnrich. 1957 kurz vor Weihnachten wurden fast alle Kameraden zum Leutnant befördert, ich nicht, weil es noch keine Wehrpflicht gab (also noch keine Reserveoffiziere) und ich eine Beurlaubung zum Studium beantragt hatte. Die Beförderung zum „Leutnant der Reserve“ wurde im Februar 1958 nachgeholt. So wurde ich einer von vier ersten Reserveoffizieren der Bundeswehr. Nebenbei: mein Schulkommandeur in Husum (Brigadegeneral Hansen) fiel nicht nur durch seine Zwei-Meter-Statur auf, sondern auch durch sein persönliches Schicksal. Er war (wie viele seiner Lehroffiziere) erst ein Jahr zuvor (1955) von dem damaligen Bundeskanzler Dr. Konrad Adenauer aus der russischen Kriegsgefangenschaft nach Hause geholt worden. Wir, „seine Junker“, wie er uns nannte, waren stolz auf diesen Mann. Unsere Ausbilder hielten allerdings wenig von der neu entwickelten „Inneren Führung“, sondern verlangten Gehorsam ohne Diskussion, Leistung und Disziplin. Meine Inspektion nannte sich „Inspektion zackig“. Der potentielle Feind war noch immer „der Russe“. Unter den Fahnenjunkern befanden sich übrigens auffällig viele Söhne früherer hoher Wehrmachtsoffiziere und Generäle, auch solcher aus dem Kreis der Attentäter des 20. Juli 1944, wie der Sohn von Oberst Graf von Stauffenberg. Die Verbindung zur Bundeswehr ist geblieben. 1960 gehörte ich zu den 27 Reservisten, die in Bonn (unterstützt durch das Bundesverteidigungsministerium) den „Verband der Reservisten der Deutschen Bundeswehr“ (Reservistenverband) gegründet haben, der heute weit über 100.000 Mitglieder zählt. 26 der 27 Gründer sind inzwischen verstorben, der überlebende „Kamerad“ (so spricht man sich im Verband an) Hans-Dieter Schwind wurde rund 30 Jahre später zum „Ehrenmitglied“ ernannt. Die letzte Station meiner militärischen Laufbahn wurde 1985 (nach etlichen Wehrübungen) mit der Beförderung zum Oberstleutnant der Reserve erreicht. Die Beförderung nahm Hannsjörn Boes vor, ein früherer Jahrgangskamerad aus Husum, der es zum Generalmajor gebracht hatte (später KG in Münster). Auch die anderen Hörsaalkameraden haben im Zuge des Neuaufbaus
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der Streitkräfte Karriere gemacht. Freundschaften haben überdauert: mit meinem Freund Peter Poschwatta („PePo“), der den Dienstgrad des Brigadegenerals erreicht hat und Jürgen Hurlin, der zum Oberst aufstieg. 2020 feierte der Reservisten-Verband sein 60-jähriges Bestehen. Inzwischen gehören dem Verband auch Reservisten der „Nationalen Volksarmee“ (NVA) der untergegangenen DDR an. Der Präsident des Verbandes (Prof. Dr. Patrick Sensburg, MdB) und die Führung der Bundeswehr (Generalinspekteur) forderten mich auf, ein (erinnerndes) Grußwort zu verfassen, das dann am 22.2.2020 im Verteidigungsministerium zu Beginn einer Feierstunde verlesen (und in der Verbandszeitschrift „loyal“ abgedruckt) wurde: „Einmal Soldat – immer Soldat?“.
2. Akademischer Werdegang Aber zurück ins Jahr 1958: Im Frühjahr kam es zu dem von meiner Mutter erhofften Berufswechsel. Ich ließ mich von der Bundeswehr beurlauben und schrieb mich an der Universität Hamburg für das Sommersemester ein, um Jura zu studieren. Ich hatte zwar keine Ahnung davon, worauf ich mich einließ, folgte aber blindlings dem Beruf meines (von mir bewunderten) Halberstädter Großvaters, der Landgerichtsrat war (bis ihn die „DDR“ aus diesem Amt entließ). Den „Spurwechsel“ in der Wissenschaft habe ich schon bald bereut, und zwar schon deshalb, weil ich nun für meinen Lebensunterhalt selbst sorgen musste. Da traf es sich gut, dass ich beim neuen Deutschen Fernsehen in Hamburg-Lokstedt als „Kabelträger“ anheuern konnte und miterleben durfte, mit welch einfachen Mitteln damals Sendungen in einem unverputzten Raum produziert wurden. Mangels Studienplan (den es damals nach meiner Erinnerung noch nicht gab) schloss ich mich einem Kommilitonen an, der mich ins „Erbrecht“ mitgenommen hat, eine Vorlesung, die bekanntlich nichts für Studienanfänger ist. Der Dozent, der vorn am Stehpult erschien, war weißhaarig und im fortgeschrittenen Alter. Mein Banknachbar raunte mir zu, dass er schon über 80 Jahre alt war (wie ich heute) und früher als Repetitor bekannt wurde. Dieser Dozent faszinierte mich, weil er sein Publikum für ein dröges Thema begeistern konnte. Dass das möglich ist, wurde ein Beispiel, das für mein ganzes Leben Bedeutung erlangt hat. Andere Dozenten lasen damals einfach aus einem ihrer Lehrbücher vor („Vorlesung“). Aussprachen und Fragen waren nicht üblich. Vielleicht sollte ich noch erwähnen, dass ich mich mit Erfolg beim Hamburger „Europakolleg“ bewarb, einer Institution, die für den Europagedanken warb und ihren „Kollegiaten“ außer entsprechenden Informationen (Vorträgen und Seminaren) auch eine Wohngelegenheit in Hamburg-Othmarschen bot; ich zog ein.
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In der Universität ließ ich mich ins Studentenparlament wählen und übernahm im AStA das Referat für „Gesamtdeutsche Fragen“. In dieser Funktion konnte ich z. B. einen Fackelzug der Studierenden an die nahe Zonengrenze mitorganisieren: Zur Erinnerung an den Volksaufstand in der DDR vom 17. Juni 1953, der bekanntlich von sowjetischen Panzern niedergewalzt worden ist.
Im Wintersemester 1959 wechselte ich aus persönlichen Gründen an die Universität München. 1960/61 „ergatterte“ ich die Stelle einer studentischen Hilfskraft am Lehrstuhl des bekannten Strafrechtlers Reinhard Maurach und konnte miterleben, wie eine neue Auflage seines bewährten Lehrbuchs zum Strafrecht AT entstand. Seine beiden Assistenten haben aus meinem Erleben die Hauptarbeit für seine Neuauflagen geleistet. Der eine ließ sich schon mal in ein Gespräch mit den „Hilfskräften“ ein, der andere verlangte von mir regelmäßig, dass ich ihm seine Aktentasche ins Dienstzimmer nachtrug. Ich habe an diese Geschichte auf Strafrechtstagungen in seiner Gegenwart gern erinnert. So nachtragend kann ich auch sein. Mein Studium und dann meine Referendarzeit endeten mit dem Ersten bzw. Zweiten Staatsexamen am OLG München. In München bin ich auch zum Repetitor Gustav Rottmann gegangen, damals eine bekannte Institution. Die Promotion folgte an der Universität Hamburg bei Prof. Dr. Rudolf Sieverts, den ich aus meiner AStA-Zeit kannte. Nach der „Stammtafel der deutschen Strafrechtslehrer“ von Prof. Dr. Koichi Miyazawa (Tokyo) war er der wissenschaftliche „Enkel“ von Franz von Liszt, dem großen Juristen und Kriminalpolitiker (1851–1919): v. Liszt – Eberhard Schmidt – Rudolf Sieverts; bei der Verlängerung der Stammtafel kam ich dann auch vor. Betreut wurde meine Dissertation durch den damaligen Assistenten von Sieverts, Horst Schüler-Springorum, der sich in Hamburg mit einer Arbeit zum „Strafvollzug im Übergang“ (1968) habilitiert hatte, noch im selben Jahr einem Ruf nach Göttingen folgte und mich in München telefonisch mit der Frage überraschte, ob ich „Lust hätte“ seinen Assistenten zu „spielen“ und zu habilitieren. Ich nahm sofort an und habe diese Entscheidung niemals bereut. Damals wusste ich allerdings noch nicht, dass Schüler-Springorum (fortan der „Chef“) als Mitglied der Strafvollzugskommission der Bundesregierung viel unterwegs sein würde mit der Folge für mich, dass mir die Durchführung eines Großteils seiner Veranstaltungen zufiel. Ich fühlte mich überfordert. Die ersten „Übungen für Examenssemester“ endeten dementsprechend mit einem Desaster. Die geschulten Anhänger Prof. Dr. Claus Roxins, einem Stern am Himmel der Wissenschaft und begnadetem Lehrer, erkannten sofort meine Schwächen und machten mich mit ihren Fragen gnadenlos „fertig“. Nach zwei Stunden wollte ich
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den „Chef“ bitten, „mich aus dem Ring zu nehmen“, also mich wegen Unfähigkeit zu entlassen. Dieser fürsorgliche Mann dachte aber gar nicht daran, sondern erinnerte mich an den Wahlspruch meiner Familie, den ich ihm etwas voreilig anvertraut hatte: „numquam dimitto“, d. h. grob übersetzt „nach Niederlagen wieder aufstehen und weitermachen“; inzwischen nennt man diese Fähigkeit auch Resilienz. Der „Chef“ hätte auch andere Gründe für die frühzeitige Beendigung meiner Karriere ins Feld führen können. Als wir in Göttingen-Weende (wo ich wohnte; der Chef brachte mich mit seinem Auto mal wieder nach Hause!) an einem hohen Fabrikschornstein vorbeikamen und über Strafzwecke diskutierten, hatte ich die Meinung vertreten, man könnte hartnäckige Wiederholungstäter zur Abschreckung für eine gewisse Zeit auf einen solchen Schornstein setzen („Schornsteintheorie“). Der Chef war entsetzt; meine „Bekehrung“ gelang ihm aber nur teilweise; die „rote Karte“ halte ich noch heute bei einer gewissen Klientel für angebracht, z. B. bei hartnäckigen Bewährungsversagern.
Das „Weitermachen“ bzw. die Fortsetzung meiner Lehrtätigkeit im Hörsaal gestaltete sich dann erfolgreich. Besser vorbereitet (eingestellt auch auf unerwartete Situationen) ging es (aufgrund ererbter Pädagogik-Gene?) bald schon „bergauf“, und zwar so erfolgreich, dass ich nach einem weiteren Jahr übermütig geworden, sogar ein privates Repetitorium für Examenssemester aufmachte, bis mir der Dekan nahelegte, die Veranstaltung (weil sie zu meinen Dienstgeschäften zu rechnen sei) künftig unentgeltlich anzubieten. Von da ab nahm die Teilnehmerzahl allerdings drastisch ab: Was nichts kostet, kann nichts taugen. Auch eine Erfahrung. Eine andere Episode aus meiner Göttinger Zeit möchte ich auch noch erwähnen, weil sie in die Zeit passt. Die 1968er-Jusos hatten unter Führung des damaligen Jura – Studenten Gerhard Schröder (des späteren MP und Bundeskanzlers) das Auditoriumsgebäude der Uni besetzt und mit Ketten versperrt. Der „Chef“ wollte auf dem Wege zu seiner Vorlesung umkehren. Ich war dagegen, trommelte kräftige Wissenschaftliche Assistenten (damals war ich Vorsitzender des „Assistentiums“) zusammen und drang mit diesen unter Glasbruch in das Auditorium von hinten ein. Die überraschten Revoluzer ergriffen die Flucht. Schröder wird sich vielleicht nicht mehr daran erinnern oder doch? Erste Niederlagen solcher Art vergisst man meist ebensowenig wie die „erste Liebe“. Meiner Habil-Arbeit mit dem Thema „Oligophrenie und Delinquenz“ haben die zusätzlichen Aktivitäten in zeitlicher Hinsicht nicht gut getan. Als der „Chef“ 1967 einem Ruf auf die Nachfolge von Rudolf Sieverts folgte, reichte ich meine Arbeit in Göttingen ein, die die dortige Fakultät aber nach Hamburg weiterreichte. Dort ist sie wohl (auf Wiedervorlage) abgelegt worden. Aus Frust darüber, dass das Habil-Verfahren offenbar auf unbestimmte Zeit vertagt wurde, trat ich die „Flucht nach vorn“ an; d. h. ich habe mich (noch ohne abgeschlossene Habili
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tation) auf gerade offene C4-Stellen von drei Universitäten beworben. Eigentlich wollte ich aber nur Erfahrungen sammeln. Dabei ist es in Regensburg auch geblieben: Ich erreichte dort aber immerhin schon Platz 4 der Bewerberliste. In Göttingen wurde ich auf Platz 2 gesetzt, in Bochum dann (unter 23 Bewerbern) auf Platz 1. Das Habilverfahren war mit meiner Ernennung zum Universitäts-Professor in Bochum erledigt. Das Verfahren hatte sich in Hamburg verzögert, weil einer der dortigen Strafrechtler (Schmidhäuser) die Auffassung vertrat, dass mein HabilThema nicht in eine juristische Fakultät gehören würde, sondern „irgendwoanders“ hin. Franz von Liszt stand dabei sicherlich nicht Pate. Meine Urkunde bekam ich in Bochum zusammen mit dem Völkerrechtler Knut Ipsen, dem später langjährigen Rektor der Ruhr-Universität; wir kannten uns aus der HOS Husum. Mein Vater war auch schon da, und zwar als Honorar-Professor bei den Bochumer Geographen. Meine Veranstaltungen suchte ich durch neue Wege attraktiver zu gestalten (nicht nur durch mediative Mittel, sondern auch durch viele praktische Beispiele). In die Vorlesung „Kriminologie der Einzeldelikte“ kamen Wirtschaftsstraftäter, Prostituierte, Räuber und Mörder. Manche Kollegen rümpften die Nase. Die Studierenden sahen das anders, der Hörsaal war regelmäßig überfüllt. Das Jura-Studium wird oft als trocken empfunden: Die Kriminologie kann eher Realitätsbezüge (und damit Interesse) herstellen. Meine Seminare bezogen sich z. B. auf die Beobachtung von Kaffeefahrten und ihre strafrechtliche Einordnung. Ihre Eindrücke durften die Teilnehmer selbst im Fernsehen ausbreiten. Nach der Wiedervereinigung führte eine zehntägige Exkursion durch die Strafanstalten der ehemaligen DDR.
Ärger hat es auch gegeben: z. B., als ich eine Stellenausschreibung mit dem Zusatz versah „männliche Bewerber bevorzugt“. Schon am nächsten Tag meldete sich die Personalvertretung der Uni mit Abscheu. Die Empörung gab sie erst auf, als sie hörte, dass an meinem Lehrstuhl nur Damen tätig waren, die sich einen männlichen Kollegen gewünscht hatten.
Meine spätere Frau war aus Neugier in eine meiner Veranstaltungen geraten; ihr („Geographie“-)Professor, bei dem sie eine Examensarbeit über „Japan als Land internationaler Kongresse“ verfasste, hieß auch Schwind, Martin Schwind war mein Vater. Aus Neugier wurde eine über 40-jährige glückliche Verbindung, aus der drei Kinder hervorgingen: Elke (geb. 1982), Maike (geb. 1983) und Volker (geb. 1985), die sich alle drei nach Abitur und Studium auch beruflich durchgesetzt haben, die richtigen Partner gewählt haben und uns mit fröhlichen, sportlichen Enkeln versorgt haben.
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3. Forschungssemester in den USA Zurück in die siebziger Jahre. 1977 besuchte ich in meinem ersten Bochumer Forschungssemester die USA. Ich wollte selbst überprüfen, ob die Horrormeldungen aus amerikanischen Großstädten über zunehmende Kriminalität, über die der damalige Direktor des LKA von Nordrhein-Westfalen (Hamacher) 1973 in einem Buch „Überrollt uns – die Kriminalität?“ berichtet hatte, stimmten. Einladen ließ ich mich von der „Commission on Delinquency Prevention“, die in Chicago (Illinois) das „Chicago Area Project“ (CAP) der Kriminologen Shaw und McKay betreute; im März 1977 ging es los. Mitarbeiter des CAP (Vorläufer der „Kommunalen Kriminalprävention“ in Deutschland) machten mich mit einem aus Deutschland stammenden Gastwirt bekannt, in dessen Gaststätte auch „officers“ der Chicagoer Polizei verkehrten, unter anderem der Polizeipräsident. Auf diesen machte ich offenbar einen günstigen Eindruck: „You look so irish“, seine Vorfahren stammten aus Irland. In den folgenden Monaten durfte ich nachts mit Fahrzeugen der Chicagoer Polizei mitfahren, tagsüber war ich mit Sozialarbeitern unterwegs. Die Polizei hatte kein Problem, mir eine Waffe anzuvertrauen, einen Revolver der Marke „Smith & Wesson“. Bei meinen Exkursionen wurde mir deutlich, dass Hamacher mit seinem Warnruf recht hatte. Das, was ich zu sehen bekam, war für mich (rückblickend betrachtet) ein Schlüsselerlebnis; ich konnte erfahren, wie sich Kommunen entwickeln, wenn die Kriminalpolitik versagt bzw. völlig ausfällt.
II. Kriminalpolitische Perspektiven und Aktivitäten Silvester 1977/78 schien das Ende meines „Traumberufes“ gekommen. Ein Sektkorken traf mein linkes Auge und beeinträchtigte auch die Sehkraft rechts. Nach drei Wochen in Dunkelheit unter Verbänden, geschah dann das von den Ärzten nicht mehr erwartete Wunder: Ich konnte nach weiteren drei Wochen auf beiden Augen zunehmend wieder sehen. Im April 1978 stand ich wieder im Hörsaal. Den Sektkorken aus Plastik habe ich aufgehoben: zur Erinnerung daran, dass es auch im Unglück noch Chancen geben kann. Im Juni 1978 erreichte mich in der Ruhr-Universität ein Anruf aus der niedersächsischen Staatskanzlei in Hannover. Am Telefon war der niedersächsische Ministerpräsident Dr. Ernst Albrecht. Ganz überrascht war ich nicht. Albrecht hatte mich 1973 zu sich nach Haus (in Beinhorn bei Hannover) eingeladen, wohl um zu testen, ob ich (ein Jahr zuvor in die CDU eingetreten) für eine Nachwuchsförderung in Betracht kam.
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1. „Reformminister“ in Niedersachsen Auf einem langen Spaziergang in Beinhorn hat er mich auf den Prüfstand gestellt und meine kriminal- und justizpolitischen Vorstellungen offenbar grundsätzlich interessant gefunden; gesagt hat er das allerdings ausdrücklich nicht. Ich muss gestehen, dass das, was ich damals anbieten konnte, grundsätzlich noch die Ideen Schüler-Springorums waren. Seither hatte ich die Begegnung vergessen und von Dr. Albrecht auch nichts mehr gehört. Nun kam der Anruf nach fünf Jahren. Albrecht fragte mich (nach kurzer Erkundigung nach meinem Wohlbefinden), ob ich in sein Kabinett als Justizminister eintreten wollte. Ich lehnte spontan ab (weil ich mich überfordert fühlte), hatte aber nicht mit der Hartnäckigkeit von Albrecht (fortan „MP“) gerechnet. Schon eine Woche später wurde ich im Niedersächsischen Landtag vereidigt. Zuvor musste ich mich allen möglichen (Partei-)Gremien vorstellen, fand aber Zustimmung. In der Regierungserklärung des MP fiel mir dann auf, dass er den justizpolitischen bzw. den kriminalpolitischen Teil aus meiner Feder, um den er mich gebeten hatte, fast wortwörtlich übernommen hatte. Ich hatte meine Zusage mit einer Reihe von Bedingungen verbunden. Diese betrafen die Durchsetzung von Ideen, die ich auf unserem Spaziergang 1973 (damals noch unvollständig) vortragen durfte. Meine neue Aufgabe bestand darin, als „Reformminister“ (so die Presse) die Postulate des neuen Strafvollzugsgesetzes von 1976 bzw. der Regierungserklärung von 1978 in die Praxis umzusetzen bzw. das zumindest zu versuchen. Mit meiner Ernennung zum Minister musste ich mich an „öffentliches Interesse“ gewöhnen. Die „Oldenburger Volkszeitung“ (OVZ) reagierte am 3. Juli 1978 mit der Schlagzeile „die Astruper sagen: ein Mann des Volkes“. Der Ortsteil Astrup in Vörden im Landkreis Vechta ist für meine Familie und mich zu einem Teil unserer Heimat geworden. Als ich zur Amtsübergabe vor dem Justizministerium in Hannover mit meinem „VW – Käfer“ vorfuhr, wollte mich der Pförtner vertreiben: „Verschwinden Sie, hier kommt gleich der neue Minister“. Zu den bekannteren Minister-Kollegen im Kabinett Dr. Ernst Albrecht gehörten: Birgit Breuel (spätere Chefin der „Treuhand“), Walther Leisler Kiep („Atlantik – Brücke“), Prof. Dr. Eduard Pestel („Club of Rome“) und der CDU-Landesvorsitzende Wilfried Hasselmann. Dass Albrecht für den Justizposten keinen anderen Kandidaten ins Spiel bringen konnte, hatte aus meiner Sicht übrigens auch damit zu tun, dass andere Kandidaten wahrscheinlich die Gefahrensituation abschreckte. Die RAF-Morde an pro-
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minenten Personen lagen erst wenige Monate zurück. Zuletzt war der Generalbundesanwalt Siegfried Buback umgebracht worden. Dass sich ihr Mann in Gefahr begab, wurde meiner Frau bewusst, als sie kurz nach meiner Vereidigung vom LKA darüber informiert wurde, dass die Polizei nicht in der Lage sein würde, mich „rund um die Uhr“ zu beschützen. Dafür wurde ich mit einem Revolver „Smith & Wesson“ bewaffnet, mit dem ich mich im Ernstfall selbst verteidigen sollte. Ich kannte diese Waffe schon aus den USA. Samstagnachmittag war „Combat“-Schießen auf einem Gelände der Polizei vorgesehen. Die Gefährdungslage verschärfte sich noch, als ein „Hochsicherungstrakt“ (HS) in die JVA Celle (ein früheres Zuchthaus) eingebaut wurde. Als Justizminister war ich jedenfalls auch für Celle zuständig. Weggesperrt wurden dann schon bald führende Terroristen aus dem RAF-Kreis. In Celle sollen Plakate geklebt worden sein: „Schwind, wir kriegen dich auch“. Mit der JVA Celle verbindet mich noch eine zweite Erinnerung. Kaum im Amt, hatte mich der MP in einem vertraulichen Gespräch, an dem nur noch der Innenminister teilnahm, zu meiner weiteren Überraschung über das geplante „Celler Loch“ informiert. Ich bat mir Bedenkzeit aus, um in Ruhe (auch mit Freunden) prüfen zu können, ob ich mich mit meiner Zustimmung (es war ja „meine“ Anstalt) strafbar machen würde. Die Aktion selbst findet aber auch nachträglich betrachtet meine Billigung. Der Staat muss mit ganz ungewöhnlichen Methoden zur Abwehr von Gefahren für seine Bevölkerung (soweit keine Strafgesetze verletzt werden) reagieren dürfen. Ich hatte dabei an den (späteren) Bundeskanzler Helmut Schmidt (SPD) gedacht, der 1962 (als Hafensenator) an vielen Hindernissen vorbei die Hamburger Flutkatastrophe in den Griff bekam. Vertrauensbildend wirkte auf mich, was das „Celler Loch“ betraf, die Beteiligung hoher Regierungsvertreter (BKA, Verfassungsschutz, Bundesinnenminister usw.). Die Durchführung der Planung war allerdings in meinen Augen eher stümperhaft und verliert damit ihre Legitimität. Mit der Justiz hatte ich bis dahin in der Forschung, als Rechtsreferendar und als Gerichtsassessor (in der Funktion eines Staatsanwalts) zu tun gehabt. Im Justizministerium stieß die Ernennung eines Wissenschaftlers auf ein geteiltes Echo. Der Staatssekretär, der unter meinem Vorgänger offenbar frei walten konnte, belehrte mich darüber, dass meine Aufgabe vorrangig darin bestehen sollte, mit einem grünen Stift zu unterschreiben. Der Presse gegenüber betonte er, dass er verhindern würde, dass „sein“ Ministerium in eine „Forschungsanstalt“ umfunktioniert würde.
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Entsprechende Befürchtungen hatte die Regierungserklärung ausgelöst. Tatsächlich wurde ich nur über unwichtige Vorgänge informiert, also vom „Haus“ isoliert. Um mich zu befreien, schlug ich dem MP den Aufbau einer „Referatsgruppe Planung, Forschung und soziale Dienste“ (PFS) vor, die mir, am Staatssekretär vorbei, als eine Art „Bypass“ direkt unterstellt werden sollte. Der MP willigte ein; der Vorsitzende des Haushaltsausschusses des Landtags (MdL Detlev Drape), ein Kamerad aus dem Reservistenverband, stellte die finanzpolitischen Weichen. Zum Leiter der neuen Referatsgruppe wurde Dr. Gernot Steinhilper (aus dem BKA) berufen, einer der drei Herausgeber meiner späteren Festschrift. Steinhilper hat im Rahmen der Umsetzung des kriminalpolitischen Teils der Regierungserklärung mit seinem Team exzellente Arbeit geleistet und wurde von mir deshalb gefördert und befördert. Die oppositionelle SPD-Fraktion zeigte sich einerseits begeistert über „die neuen justizpolitischen Töne“, andererseits aber auch befremdet, weil der neue Minister auf ihrem Territorium arbeiten („wildern“) wollte. Meine Postulate entsprachen auch mehr dem Programm der SPD als dem der Union. Unerwartete Unterstützung meiner Aktivitäten fand ich in Dr. Heidi-Adele Albrecht, der „Landesmutter“, die ich schon 1973 kennen und schätzen gelernt hatte. Damals begegnete mir im Hause Albrecht in Beinhorn auch „Röschen“, ein 15-jähriges hübsches Mädchen, das Hauptrollen in Theaterstücken spielte, die ihre Mutter für die Familie erdacht hatte. Aus „Röschen“ wurde Dr. Ursula von der Leyen, die es bekanntlich weit gebracht hat. Die nächsten Jahre war ich vollauf mit der Umsetzung der Vorhaben beschäftigt, die in der Regierungserklärung annonciert worden waren. Dabei half, dass der MP signalisiert hatte, dass bei Zwistigkeiten zwischen Minister und Staatssekretär „nicht der Minister, sondern der Staatssekretär geht“. Diese Sprache wurde verstanden. Die Verbindung zur Familie Albrecht blieb bis zum Tode von Ernst Albrecht (am 13. Dezember 2014) erhalten. Sein Sohn Holger ist an der RuhrUniversität zum Dr. jur. promoviert worden: Sein „Doktorvater“ war ich. 1980 fiel mir (turnusgemäß) der Vorsitz der „JuMiko“ zu, also der Vorsitz der „Justizministerkonferenz der Länder“, der alle Länderjustizminister und JustizSenatoren angehören und der Bundesjustizminister (damals war das Dr. HansJochen Vogel, SPD) mit beratender Stimme. In dieser Funktion gelang es mir z. B. zu verhindern, dass die in Salzgitter ansässige „Zentrale Beweismittel- und Dokumentationsstelle der Landesjustizverwaltungen“ (ZESt) auf Drängen der damaligen „DDR“ und einiger westdeutscher Politiker aufgelöst wurde. Der „DDR“ missfiel, dass die ZESt (seit 1961) auch die Aufgabe wahrnahm, in der „DDR“ (z. B. in den dortigen Gefängnissen) begangenes Unrecht zu dokumentieren. Nach der Wiedervereinigung unseres Landes konnte man in Strafprozessen auf
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diese Kartei immer wieder zurückgreifen. Mein Widerstand gegen die Auflösung der Behörde verband mich wieder mit meinem Staatssekretär, mit dem ich von da ab auch in anderen Fragen „im Gleichschritt“ vorankam, etwa in der gemeinsamen Ablehnung der juristischen Einstufenausbildung, die zwar in der Theorie funktionierte, aber im Praxistest aus meiner Sicht völlig versagte. Meine Mutter hatte mit meinen neuen Ämtern (Funktionen) Probleme. Ein Beispiel dafür: Die jährliche Konferenz der JuMiko fand 1981 in Celle statt. Seinerzeit wohnte ich vorübergehend wieder bei meinen Eltern in Isernhagen NB Süd bei Hannover und hatte es eilig, nach Celle zu kommen. Meine Mutter sah das nicht ein und forderte die Abarbeitung einer Einkaufsliste mit der Begründung, in Celle würden sich sicherlich noch andere interessierte Teilnehmer finden. Erst mein Einwand „Mutti, ich muss da hin, ich bin doch der Vorsitzende“ änderte ihre Haltung. Mein Vater hat meine berufliche Laufbahn in drei Disziplinen (Wissenschaft, Politik, Militär) eher überrascht zur Kenntnis genommen, wahrscheinlich, weil er mir solche Karrieren nicht zugetraut hatte. Für mich war er lange ein unerreichbares Vorbild. Eine Festschrift wurde auch ihm zu seinem 70. Geburtstag 1976 gewidmet. Die Bochumer Fakultät hatte mich nur für eine Legislaturperiode beurlaubt (Beschluss der 93. Fakultätssitzung 1978). Diese Beurlaubung lief im März 1982 ab. Mit der Fakultät war übrigens verabredet worden, dass ich auch im „Urlaub“ jeweils montags im Semester (von 8 bis 10 Uhr) nach wie vor die Große Kriminologievorlesung (Kriminologie I) halten durfte, an der Studierende verschiedener Fachrichtungen (angehende Juristen, Psychologen, Soziologen, Pädagogen) teilnahmen. Nach der Vorlesung brachte mich mein Fahrer (Heribert Rosenthal) dann ins Ministerium nach Hannover. Ich brauchte den Hörsaal als Erfolgserlebnis, um Angriffe der Presse besser ertragen zu können. Das „dicke Fell“ der Politiker habe ich mir nicht angewöhnen können. Vor der Rückkehr an meinen Lehrstuhl (im April 1982) hat mir der Bundespräsident (Prof. Dr. Karl Carstens) für „meine erfolgreichen Bemühungen um die Reform des Strafvollzugs in Niedersachsen“ (so MP Albrecht dazu) das Große Bundesverdienstkreuz der Bundesrepublik Deutschland verliehen. Am Ende der Legislaturperiode gehörte ich bereits zu den dienstältesten Justizministern aller Bundesländer. Die anderen hatten zurücktreten müssen, meist wegen negativer Schlagzeilen, die mit dem Strafvollzug zu tun hatten. Justizminister tragen noch immer die „politische Verantwortung“ für Ausbrüche, Entweichungen oder (angebliche) Misshandlungen. Damals bestanden nur Männer an der
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Spitze dieses Ressorts, eine rein männliche Domäne. Das hat sich geändert. Derzeit amtiert in Niedersachsen Barbara Havliza im MJ.
2. Vorsitz der „(Anti-)Gewaltkommission“ der Bundesregierung In Bochum fühlte ich mich im Kreise meiner Strafrechtskollegen (Günther Warda, Gerd Geilen und Rolf Dietrich Herzberg) wieder „zu Hause“. Nach meiner Erinnerung haben wir uns auch später niemals ernsthaft gestritten. In den nächsten Jahren folgte die Übernahme verschiedener (Wahl-)Ämter, zu denen insbesondere gehörten: •
die Wahl zum Dekan in Bochum für die Amtsperiode 1982/83;
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die Wahl (und Wiederwahl) zum Präsidenten der „Neuen Kriminologischen Gesellschaft“ (NKG) für die Jahre 1984 bis 1989;
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die Wahl (und Wiederwahl) zum Präsidenten der „Deutschen Stiftung für Verbrechensverhütung und Straffälligenhilfe“ (DVS), die (indirekt) auch die jährlichen „Deutschen Präventionstage“ (DPT) ausrichtet (1996 bis 2014); Vorsitzender der DVS ist der Tübinger Kriminologe Hans-Jürgen Kerner;
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die Wahl zum Vorsitzenden des „Externen Beirats für Strafvollzugsfragen beim Justizministerium in Brandenburg“ (Sitz in Potsdam);
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die Wahl (und Wiederwahl) in den Vorstand der Opferorganisation WEISSER RING (2002–2012) in dem ich den Vorsitz des Fachbeirats Vorbeugung übernahm.
Zurück in die Mitte der 1980er-Jahre: 1984/85 führten Hans-Jürgen Kerner und ich die beiden deutschen kriminologischen Gesellschaften zur „Neuen Kriminologischen Gesellschaft“ (NKG) zusammen. Kerner war der Vorsitzende der einen Gesellschaft und ich Präsident der anderen. 1985 entsandte mich der Rektor der Ruhr-Universität Bochum, Prof. Dr. Knut Ipsen, nach China. Ich sollte eventuelle Kooperationsmöglichkeiten (vor allem) mit den Bochumer Ostasienwissenschaften erkunden. Dafür habe ich in Shanghai als sog. „Kurzzeitprofessor“ (wiederholt) Lehraufgaben an der „Ostchinesischen Universität“ wahrgenommen. Mein Auftrag wurde erledigt. 1986 erhielt ich eine Einladung aus dem Bundeskanzleramt nach Bonn. Dort erwarteten mich der damalige Kanzleramtsminister Dr. Wolfgang Schäuble und der damalige Staatssekretär im BMJ Klaus Kinkel, die mich darüber informierten, dass die Bundesregierung (vor dem Hintergrund zunehmender Gewalt in fast allen
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Lebensbereichen) plante, eine entsprechende Regierungskommission einzusetzen mit dem Auftrag, „die Ursachen der Gewaltphänomene zu untersuchen und Konzepte zu entwickeln, die geeignet sein könnten, die Aggression einzudämmen“. Die Bundesregierung wolle mir (in Abstimmung mit der Opposition) den Vorsitz dieser „Unabhängigen Regierungskommission“ (kurz: „Anti-Gewaltkommission“) übertragen. Eine solche ehrenvolle Berufung konnte ich nicht ablehnen, ich nahm aber nur unter der Bedingung an, dass die Mitglieder dieser Regierungskommission keine (wie vorgesehen) verdienten Politiker sein sollten, sondern erfahrene Gewaltforscher und erfahrene Praktiker aus allen einschlägigen Bereichen. 39 Mitarbeiter arbeiteten interdisziplinär zwei Jahre lang so gut zusammen, dass das Endgutachten 1989 einstimmig verabschiedet werden konnte. Es wurde in Anwesenheit mehrerer Bundesminister dem damaligen Bundeskanzler Dr. Helmut Kohl übergeben und 1991 im Berliner Verlag Duncker & Humblot (transparent für alle Kritiker) veröffentlicht. Dass die Regierungskommission nach anfänglichen Problemen nahezu reibungslos zusammengearbeitet hat, verdanke ich auch meinem Stellvertreter, dem Strafrechtler Prof. Dr. Jürgen Baumann (FDP) mit Erfahrungen als Berliner Justizsenator und dem OLG-Präsidenten Dr. Rudolf Wassermann (SPD), beide halfen mir immer wieder „Wogen zu glätten“. 1989 (also drei Jahre später) verabredete der damalige Bundesinnenminister Dr. Friedrich Zimmermann (CSU) mit mir ein gemeinsames Essen in Bonn oder Bad Godesberg (so genau weiß ich das gar nicht mehr), in dessen Verlauf er mir eröffnete, dass er mir die (bald frei werdende) Position des Präsidenten des Bundeskriminalamtes anbieten würde. Auch die Opposition (SPD) sei mit dieser Personalie einverstanden. Im SPIEGEL stand bereits, dass der frühere BKA-Präsident Dr. Horst Herold meine Kandidatur befürworten würde; Herold hatte bereits meine Dunkelfeldforschung und Kriminalgeographie maßgeblich unterstützt. Die Möglichkeit, bundesweit und in Europa agieren zu können, hat mich fasziniert, dennoch habe ich mir Bedenkzeit erbeten und bekommen. Am nächsten Tag bin ich mit meiner Frau nach Wiesbaden ins BKA gefahren. Der damalige Präsident Hein Boge, den ich von Hannover her kannte (er war da als LKA-Chef tätig gewesen), führte uns selbst durch sein Amt, warnte mich aber vor Schwierigkeiten, weil mir der „Stallgeruch“ fehlen würde. Eher maßgeblich für meine Absage, die in der Presse mit Überraschung quittiert wurde, war aber die Sicherheitslage für meine Familie. Wir hätten im BKA wohnen sollen und unsere Kinder hätten wohl – begleitet von „Bodyguards“ – zur Schule gehen müssen. In der Neuen Osnabrücker Zeitung (NOZ) vom 3. November 1988 stand dann „Schwind will nicht BKA-Chef werden. Er gibt der Antigewaltkommission den Vorzug.“ Meine Hauptaufgabe in Bochum bestand in der Fortsetzung der (statistikbegleitenden) Dunkelfeldforschung. Eine Replikationsstudie („Bochum II“) wurde
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1989 fertig, eine „Bochum III“-Studie 2001. Beide Befragungen wurden wie die erste (1978) wieder „face-to-face“ durchgeführt (als Opfer-Befragung einer Random-Auswahl) und in der Schriftenreihe des BKA veröffentlicht. Vorbild für die Bochumer Serie war eine Göttinger Untersuchung (1975) unter gleicher Leitung und gleicher Methodik: neu für Deutschland war die Berechnung von Konfidenzintervallen (Streubreiten). Der 9. November 1989 (Fall der „Berliner Mauer“) und die folgende Wiedervereinigung unseres Landes hat auch mich tief bewegt. Ich wollte etwas beitragen und bekam die Gelegenheit dazu. Weitgehend unbekannt blieb, dass Hochschullehrer der Bundesrepublik freiwillig (und ehrenamtlich) Aufbauhilfen für Hochschulen der ehemaligen DDR geleistet haben. So schickte mich die Bochumer Fakultät nach Jena und die Osnabrücker Fakultät (an der ich einen Lehrauftrag hatte) nach Greifswald. An der Uni Greifswald war mein Halberstädter Großvater 1904 zum Dr. jur. promoviert worden. Die Aufgabe in Jena war unangenehm, weil überprüft werden sollte, ob und welche der dortigen Dozenten „übernommen“ werden konnten und welche nicht. Das war allerdings sinnvoll, weil sich herausstellte, dass manche Habil.-Arbeiten („Dr. sc.“) fast nur aus der Wiedergabe von SED-Parteitagsbeschlüssen bestanden bzw. Materien betrafen, die gar nicht mehr unterrichtet werden konnten wie z. B. das „LPG“-Recht. Die Prozedur überstanden haben u. a. ein Kriminologe und der (auch international anerkannte) Kriminalist Prof. Dr. Armin Forker aus Leipzig. In Greifswald ging es darum, eine juristische Fakultät überhaupt erst neu aufzubauen. Mir fiel der Vorsitz der Berufungskommission für die Besetzung eines Kriminologie-Lehrstuhls zu. Auf Platz 1 der Bewerberliste wurde Frieder Dünkel vom MPI Freiburg gesetzt, der auch berufen worden ist und in Mecklenburg-Vorpommern eine gute Rolle gespielt hat.
Auf meinen Exkursionen nach Greifswald (meine Frau fuhr immer mit) entdeckten wir in der Nähe von Wismar eine alte zerfallene „Stellmacherei“, die wir der dortigen LPG abkauften und auf unsere Kosten wiederherstellen ließen. Sie steht heute unter „Denkmalschutz“ und dient unserer Familie als Sommersitz („Datscha“) nahe der Ostsee. 1997 hat mich die Juristische Fakultät der Universität Osnabrück zum Honorarprofessor ernannt. So konnte ich meine Hörsaaltätigkeit (nach meiner Emeritierung in Bochum) bis zum 75. Lebensjahr fortsetzen (also 2011). Mein Status als Honorarprofessor machte es auch möglich (zusammen mit dem Osnabrücker Polizeipräsidenten Rolf Sprinkmann und zwei seiner engen Mitarbeiter) eine „Ringvorlesung Kriminalistik“ aufzubauen. Der Mittwoch-Abend wurde für Studierende aller Fakultäten ein Treffpunkt, zu dem auch Polizeibeamte (mit und oh-
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ne Uniform) erschienen. Die Zahl der Teilnehmer wuchs oft auf über 600: Sprinkmann ließ zählen. Hemmschwellen der Polizei gegenüber verschwanden; man kam miteinander in unbelastete Gespräche. Vielleicht auch ein Beitrag zur „Friedensstadt“ Osnabrück. In den 1980er- und 1990er-Jahren waren meine Frau und ich fast an jedem Wochenende zu den Sport- und Musikveranstaltungen (Schwimmen, Fechten, Klavier spielen) unserer drei Kinder unterwegs. Zu dieser Zeit kam es vermehrt auch zu Vortrags- und Forschungsreisen ins Ausland (oft verbunden mit Exkursionen in dortige Strafanstalten) z. B. in die USA und Brasilien, Israel, die Türkei und Sri Lanka, China und Japan. Im Frühjahr 2000 wurde ich gebeten, aus aktuellem Anlass in der zentralen Osnabrücker Marienkirche von der Kanzel herab über ein soziales Problem zu sprechen: die unterlassene Hilfeleistung vor dem Hintergrund der Bibel und der einschlägigen Forschung. 2001 wurde ich in Bochum (nach 29 Jahren) emeritiert. Mein Nachfolger wurde der Kriminologe und Polizeiwissenschaftler Prof. Dr. Thomas Feltes, erster Herausgeber der Festschrift.
2003, zwei Jahre vor meinem 70. Geburtstag, ereilten mich im Abstand von nur acht Monaten zwei gesundheitliche Katastrophen: ein Herzinfarkt (zwei „Bypässe“) im Januar und im September die Diagnose, dass ich an einem bösartigen Krebs erkrankt war. Ich habe das alles aber (auch psychisch) gut überstanden: numquam dimitto.
III. Kriminalpolitik – exemplarisch beschrieben In diesem dritten Teil meiner Lebensbeschreibung geht es um (rationale) Kriminalpolitik. Zunächst muss allerdings geklärt werden, ob ich in den Kreis der angesprochenen Strafrechtler überhaupt passe. Dafür spricht, dass mich der Herausgeber dieses Bandes angesprochen hat. Strafrechtswissenschaft ist, so hat er mir in einem Brief vom 6. Mai 2019 mitgeteilt, „in der Tradition von Franz von Liszt zu verstehen, also als Gesamte Strafrechtswissenschaft“, zu der auch Kriminologie, Kriminalistik, Strafvollzug und Kriminalpolitik zählen. Unter (rationaler) Kriminalpolitik wiederum sind nach der Definition der AntiGewaltkommission (die insoweit meine Begriffsbestimmung übernommen hat) „alle staatlichen und außerstaatlichen (also nicht nur die strafrechtlichen) Maßnahmen zu verstehen, die zum Schutz der Gesellschaft und des einzelnen Bürgers auf Verhütung und Bekämpfung der Kriminalität gerichtet sind.“ In allen Fällen geht es grundsätzlich um die Verstärkung von protektiven Einflussfaktoren (Schutz-Faktoren) und die Eindämmung von Risikofaktoren. Risikofaktoren sind solche, von denen man aufgrund der Ergebnisse der (kriminologischen) For-
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schung davon ausgeht, dass sie als Ursachen kriminellen Verhaltens in Betracht kommen. Zu den Schutzfaktoren werden z. B. gerechnet: Problemlösefähigkeit, Bindung an Werte und Normen, stabile Beschäftigung und gelungene Integration. Die Doppelstrategie des „flexible response“, die für mich immer Leitlinie war, erscheint als die gleichzeitige Vermeidung unnötiger Härte und unangebrachter Milde. Das Ziel sollte praxisorientierte interdisziplinäre Forschung sein, also keine ideologisch gefärbte Übung. Insoweit sollte auch versucht werden, die Ressorttrennung bei der Kriminalpolitik zu überwinden.
Wenn ich zurückdenke, haben mein Leben bzw. mein beruflicher Werdegang meine kriminalpolitischen Interessen (fast zwangsläufig) immer mehr in den Vordergrund gerückt. Im folgenden Text sollen aus Gründen der besseren Anschaulichkeit einige kriminalpolitische Aktivitäten vorgestellt werden, die in meinem Leben an der Universität (RUB), im Ministeramt (MJ) und als Vorsitzender der (Anti-)Gewaltkommission eine Rolle gespielt haben.
1. Statistikbegleitende Dunkelfeld-Forschung in Bochum Die Bochumer Dunkelfeldforschung hatte zum Ziel, das Dunkelfeld ausgesuchter (relevanter) Straftaten aufzuhellen, um die in der Polizeilichen Kriminalstatistik (PKS) registrierten Fallzahlen zu ergänzen. Außerdem sollte (auch zur Verbesserung der Lagebeurteilung) das Anzeigeverhalten untersucht werden. Bei einer Dunkelziffer-Relation von 1 zu 2 beim Wohnungseinbruch entfallen z. B. zwei nicht bekannt gewordene Wohnungseinbrüche auf einen registrierten Wohnungseinbruch. Da die entsprechende Aufklärungsquote (die sich naturgemäß nur auf das Hellfeld beziehen kann) derzeit lediglich bei rund 20 % liegt, haben wir (unter Einschluss des Dunkelfeldes) nur über rund 7 % der Wohnungseinbrüche Informationen. Um gegenzusteuern, setzt die Polizei derzeit auf Erfolge des „predicting policing“.
Die Vorbemerkungen der PKS beginnen seit einigen Jahren (auch unter Einfluss der Bochumer Dunkelfeldforschung) mit dem Hinweis, dass „die Aussagekraft der Polizeilichen Kriminalstatistik besonders dadurch eingeschränkt wird, dass der Polizei ein Teil der begangenen Straftaten nicht bekannt wird.“ Mit der Bochum I-Studie (1978) wurde auch die Kriminalgeographie in Deutschland wiederbelebt: „Kriminalitätsatlas Bochum“. Der Atlas bildete ein Vorbild für die „Kriminologischen Regionalanalyse“ (KRA) der „Kommunalen Kriminalprävention“.
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2. Beispiele für Kriminalpolitik in Niedersachsen Während meiner vierjährigen Beurlaubung aus dem Universitätsdienst in die niedersächsische Justiz sollen auf dem exemplarischen Wege folgende Aktivitäten genannt werden: •
1978: der Aufbau einer Planungs- und Forschungsgruppe (PFS) im Justizministerium in Hannover;
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1979: die Etablierung eines „PPS-Programms“ (Sozialarbeiter im Polizeirevier) geregelt in einem gemeinsamen Erlass mit dem MI;
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noch 1979: die Gründung des „Kriminologischen Forschungsinstituts Niedersachsen“ (KFN);
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1980: die Unterstützung des „Uelzener Modells sozialen Trainings für jugendliche Straftäter“;
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noch 1980: der Aufbau einer „Stiftung Resozialisierungsfonds“ im Rahmen eines Bürgschaftsmodells;
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weiter 1980: Beteiligung an der Gründung des juristischen Fachbereichs der Universität Osnabrück;
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ab 1980: der Aufbau von (vierzehn) „Anlaufstellen für Straffällige“ in den größeren Städten Niedersachsens;
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1981: Beteiligung an der Gründung der „Kriminologischen Zentralstelle (KrimZ) einer Bund/ Länder-Institution mit Sitz in Wiesbaden.
Fast alle diese (und andere) Aktivitäten konnten meine Dienstzeiten „überleben“, haben sich also als „nachhaltig“ erwiesen. Dazu: Die Forschungsaufgabe hat eine „Kriminologische Forschungsstelle“ (KFS) im LKA Niedersachsen übernommen. Das KFN feierte am 8. Oktober 2019 sein 40-jähriges Bestehen (im Eingangsbereich hängt noch immer mein Foto); unter der Leitung von Prof. Dr. Christian Pfeiffer, dem zweiten Herausgeber meiner Festschrift, hat es sich zu einer weltbekannten praxisorientierten Forschungsinstitution entwickelt. Die Erfahrungen mit dem „Uelzener Modell“ kamen der späteren „Diversion“ (§§ 45, 47 JGG) zugute. Die inzwischen gegründete „Landesarbeitsgemeinschaft der Anlaufstellen“ blickt 2020 ebenfalls auf eine erfolgreiche 40-jährige Tätigkeit zurück. Die Juristische Fakultät der Universität Osnabrück hat sich zur Konkurrenz zu den Münsteraner Juristen entwickelt. Die KrimZ in Wiesbaden kümmert sich seit seinen frühen Direktoren (und späteren Professoren) Jörg Jehle und Rudolf Egg um Meta-Evaluationen im Auftrag der Praxis. Dass die Mitarbeiter der PFS-Referatsgruppe sorgfältig ausgewählt wurden, zeigt sich an deren späteren
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Karrieren. So wurde die Diplom-Psychologin (Dr. Monika Steinhilper) im männerdominierten Justizministerium Abteilungsleiterin (Strafvollzug) im Range einer Ministerialdirigentin. Besonderen Wert habe ich auf den Aufbau bzw. Ausbau des „Chancenvollzuges“ gelegt. Dazu gehört (demonstriert am Beispiel der JA Hameln-Tündern) der Wohngruppenvollzug sowie die Einstellung von Handwerksmeistern (Tischlern, Malern, Maurern, Kfz-Schlossern, aber auch „Meisterköchen“), die dazu beitrugen, dass inzwischen hunderte junger Strafgefangener einen Gesellenbrief vorweisen können. Zeitweise soll es in Hannover damals z. B. keine Gaststätte mehr gegeben haben, in der nicht mindestens einer der Köche seine Kunst in einer Strafanstalt erlernt hatte.
Das „Herz“ der JA bildet (seither) ein Therapiezentrum, das „Rudolf SievertHaus“, das nicht nur nach meinem Doktorvater benannt wurde. Chancenvollzug zu realisieren sollte auch das Ziel im Regelvollzug bleiben. „Hotelvollzug“ ist aber nicht gemeint; die „rote Karte“ des Staates muss jedenfalls deutlich bleiben, jedoch unter Eröffnung von Perspektiven. Wer sich als Gefangener selbst nicht am Chancenvollzug beteiligt, muss mit der Rückverlegung in den Verwahrvollzug vorliebnehmen. Der Wechsel kann sich auch innerhalb derselben Anstalt vollziehen. Die Sozialtherapeutische Anstalt sollte weiterhin eine Vorreiterfunktion wahrnehmen. 1986 gab ich zusammen mit meinem Kollegen Prof. Dr. Alexander Böhm aus Mainz (einem früheren Anstaltsleiter der JVA Rockenberg) einen „PraktikerKommentar“ zum Strafvollzugsgesetz heraus, der sich auch auf Fragen und Probleme des Strafvollzugs einlässt, die sonst nicht kommentiert werden. Dieser Kommentar ist (als Schwind/Böhm/Jehle/Laubenthal) 2020 in siebter Auflage erschienen. Zurück nach Hameln: Für die Eröffnung der Hamelner Anstalt (am 27. Juni 1980) konnte ich den Bundespräsidenten (Prof. Dr. Karl Carstens) auf seiner Wanderung durch Niedersachsen (er hat sich ganz Deutschland erwandert) gewinnen. Das Bundespräsidialamt war wegen der vermuteten Gefährdung des Staatsoberhauptes dagegen. Carstens ignorierte aber die Warnung und erschien (bestärkt durch seine Frau Veronica) pünktlich im Hubschrauber mitten auf dem Anstaltsgelände. Er wollte ein „Zeichen setzen“, das auch bei den Bediensteten der Anstalt gut ankam. Das Signal, das nicht zuletzt die Presseleute als solches empfanden, lautete: Der Bundespräsident kümmert sich um den „Resozialisierungsvollzug“. Dazu gehörte in meiner Amtszeit z. B. auch die Einrichtung einer „Mutter-Kind-Station“ in der JVA Vechta. Die Mütter wurden in ihrer Erziehungsaufgabe unterstützt, erlernten einen Haushalt zu führen und kochen.
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3. Vorschläge der (Anti-)Gewaltkommission Wie schon eingangs erwähnt, wurden 39 Experten aus verschiedenen Bereichen in diese Kommission berufen: Juristen, Psychologen, Soziologen, Sozialarbeiter, Pädagogen, aber auch Polizeibeamte. Zu den Juristen gehörten Staatsanwälte, Richter und Hochschullehrer. Aus dem Bereich des Strafrechts waren das z. B. folgende neun Professoren: Böttcher (München), Kaiser (Freiburg im Breisgau), Kerner (Tübingen), Kreuzer und Kühl (beide Gießen), Krey (Trier), Otto (Bayreuth), Pfeiffer (Hannover) und H. J. Schneider (Münster).
Im Mittelpunkt der (zweijährigen) Arbeit dieser Regierungskommission (die unter meinem Vorsitz gearbeitet hat) stand (entsprechend dem schon erwähnten Auftrag der Bundesregierung) die Aufhellung der Ursachen (bzw. Einflussfaktoren) der Gewalt in verschiedenen Lebensbereichen sowie die Entwicklung von Konzepten zur Eindämmung der Gewaltphänomene. Einigkeit bestand darin, dass das Gewaltmonopol des Staates unberührt bleiben musste. Der Katalog der Anregungen umfasste über 100 konkrete Vorschläge (mit ausführlicher Begründung) verbunden mit Hinweisen, welche Institutionen für die Durchsetzung bzw. Implementierung zuständig bzw. verantwortlich sein sollten. Benannt wurden insoweit z. B. der Gesetzgeber, die Bundesregierung, die Länderregierungen, einzelne Bundes- und Länderminister, Gerichte und Staatsanwaltschaften, Schulleiter, Lehrerkollegien, Kommunen, Institutionen der Forschungsförderung, Berufsvereinigungen, Medien, Arbeitgeberverbände und Gewerkschaften, aber auch Sportvereine und Wohnungsbaugesellschaften usw.
Beispiele aus dem Vorschlagskatalog (V= Vorschlagsnummer)1: V. 1:
Kinder sind gewaltfrei zu erziehen. Die Anwendung physischer Gewalt und anderer entwürdigender Erziehungsmaßnahmen ist unzulässig. § 1631 Abs. 2 BGB ist entsprechend geändert worden.
V. 17: Modellhafte Erprobung der Möglichkeiten zur Zusammenarbeit zwischen den Strafverfolgungsbehörden und den Beratungs-, Hilfs- und Therapieeinrichtungen der Kommunen und freien Träger. V. 30c: Verstärkung der „Übersichtlichkeit“ der Schulen; kleinere Klassen, auch baulich überschaubare Strukturen. Es sollten keine Mammutschulen
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Schwind, Hans-Dieter/Baumann, Jürgen u.a. (Hrsg.), Ursachen, Prävention und Kontrolle von Gewalt. Analysen und Vorschläge der unabhängigen Regierungskommission zur Verhinderung und Bekämpfung von Gewalt (Gewaltkommission). Endgutachten, 1989. Katalog der Vorschläge und Empfehlungen zur kriminalpolitischen Kurskorrektur in Bund und Ländern, S. 183–226.
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mehr gebaut werden. Auf jeden Fall ist für eine gute Binnenstruktur mit „Wohnlichkeit“ zu sorgen. V. 40: Die Lehrer sind in ihrer Ausbildung besser als bisher auf gewalttätiges Verhalten von Schülern, insbesondere auf den Umgang mit Kindern aus gewaltbelasteten Familien, vorzubereiten. V. 48: Im sozialen Wohnungsbau darf nicht mehr nach der Betonsilobauweise gebaut werden, weil diese zur Ghettobildung führt. V. 51: Von kommunalpolitischer Seite sollten zukünftig zwei Fehler vermieden werden, nämlich a) großflächige Luxussanierung von Stadtgebieten zu Lasten gewachsener Mischbevölkerung, die sich zur Abwanderung in andere Problemgebiete gezwungen sieht; b) zusammenhängende Wohnareale für Subkulturen (auch „AlternativModelle“), weil durch kaum steuerbaren Zuzug von Multi-ProblemGruppen die Gefahr besteht, dass alteingesessene Bevölkerungsteile von sich aus fortziehen. V. 56: Die Angebote zur Integration der hier lebenden ausländischen Arbeitnehmer und ihrer Familien sind weiter zu verstärken. […] Das wird jedoch langfristig nur erfolgreich sein, wenn gleichzeitig ein weiterer Zuzug ausländischer Bevölkerungsgruppen eindeutig begrenzt wird. Den Stand der Umsetzung allein dieser sieben Vorschläge und ihrer Begründung zu erläutern, würde den Rahmen dieses Beitrages sprengen. Dass die (vier) Bände des Gutachtens gelesen werden, kann man daran erkennen, dass Teile (mit und ohne Quellenangabe) z. T. wörtlich von Interessierten übernommen, also als „Steinbruch“ (bzw. Fundgrube) benutzt wurden und vermutlich auch weiter noch werden.
IV. Didaktische Anliegen Unvergessen ist mir bis heute mein erster öffentlicher Auftritt: als Prinz in einem Märchen, einer Schulaufführung in Wunstorf. Ich kann mich andererseits auch noch gut daran erinnern, dass ich nächtelang nicht gut schlafen konnte, wenn ich (vor der Klasse) ein Referat halten sollte. Bei der Bundeswehr wurde ich dazu bestimmt, der Kompanie jeweils montags zu Beginn des Dienstes Informationen darüber vorzutragen, was sich politisch in der Welt inzwischen vollzog. Grundlage bildeten die Berichte in zwei Zeitungen, die
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die Geschäftsstelle für den Kompaniechef Hauptmann Koch bezog. Koch war vor seiner Aktivierung Lehrer gewesen, hatte den linken Arm im Krieg verloren und behandelte uns wie seine Schüler. Deshalb bekam ich für meine Informationsstunde jeweils auch eine Zensur. Das spornte mich an. Die Lehrtätigkeit während meiner Assistentenzeit in Göttingen reichte dann, was die Erfolge betraf, vom geschilderten „Desaster“ bis zum eigenen erfolgreichen Repetitorium. Diese Erfahrungen kamen mir im Rückblick zugute. Dazu gehörten eine sorgfältige Vorbereitung, eine klare Gedankenführung, kurze Sätze, die Erklärung von Fremdworten, die Möglichkeit der Studierenden jederzeit Fragen zu stellen, ohne befürchten zu müssen, bloßgestellt zu werden. Auch wichtig: der Dozent darf niemals die Kontrolle über seinen Hörsaal verlieren; ein zunehmender Geräuschpegel (in großen Hörsälen) ist ein Warnzeichen. Am Ende der jeweils zweistündigen Vorlesung habe ich den Lesestoff noch einmal schlagwortartig zusammengefasst. Die Universität kümmert sich erst in den letzten Jahren um die didaktische Vorbereitung der nachwachsenden Hochschullehrer. Für mich haben die Stunden zur „Methodik des Unterrichts“ auf der Truppenschule in Sonthofen Grundlagen gelegt. Hilfreich für die Zeitplanung meiner Forschungsvorhaben war auch die auf HOS und Truppenschule erlernte Berechnung von „Durchlaufzeiten“. Didaktisch-publizistisch bin ich zusammen mit drei Studienfreunden (Heinz und Georg Nawratil/Helwig Hassenpflug) auch in Erscheinung getreten: „Strafrecht leicht gemacht, eine Einführung ins Strafrecht an Hand von Fällen“ erschien 1964 zum ersten Mal und löste bei nicht wenigen Strafrechtlern der Universitäten eher Ablehnung aus: „Strafrecht ist nicht leicht“. Das stimmt zwar, die Vermittlung des Stoffs lässt sich aber erleichtern. Unser „120-Seiten Pamphlet“, wie es ein bekannter Kollege einordnete, erreichte bis 2019 insgesamt 17 Auflagen bei einer Gesamtauflage von über 50.000 Exemplaren. Erwähnen darf ich in diesem Zusammenhang noch eine zweite didaktisch konzipierte Publikation, die im Gegensatz zur „Leicht-gemacht-Version“ auch bei den Strafrechts-Professoren auf Akzeptanz stieß und in Lehrbüchern (z. B. von Kühl) als hilfreich zitiert wurde. Gemeint ist die „Anfängerübung im Strafrecht“, die ich zusammen mit meinen Assistenten Dr. Manfred Winter und Dr. Einhard Franke verfasst habe (sieben Auflagen).
Dass der Band keine 8. Auflage erreicht hat, kann darauf zurückgeführt werden, dass die Veranstaltung „Anfängerübung im Strafrecht“ abgeschafft wurde. Ich habe das immer als Fehler betrachtet, weil das Strafrecht mit dieser Entscheidung zugleich einen Teil seiner Relevanz in der Ausbildung verloren hat.
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Den größten Erfolg erreichte mein Lehrbuch „Kriminologie“ (ab 23. Auflage „Kriminologie und Kriminalpolitik“), das erst 1986 (auf Drängen aus dem Kreis der Studierenden) in erster Auflage erschien. Bis dahin habe ich eigene Vorlesungsskripte (die die Fachschaft vervielfältigte und verkaufte) für hinreichend gefunden, weil das bekannte Lehrbuch von Günther Kaiser den Markt bis 1997 (10. Auflage) eindeutig dominierte. Dass mein Lehrbuch den „Kaiser“ vom Markt verdrängen würde, konnte ich nicht voraussehen. In diesem Jahr (2021) erscheint der Band (unter Mitarbeit von Jan-Volker Schwind) nach 34 Jahren in 24. Auflage. Unser Sohn, der als Praktiker (Polizei-Oberkommissar) den Blickwinkel auch thematisch erweitern kann, hat Interesse an wissenschaftlicher Arbeit entwickelt (MA-Kriminologe, Dr. jur.). Nicht zuletzt: Zu den Aufgaben eines (Bochumer) Lehrstuhl-Inhabers gehört auch die Öffentlichkeitsarbeit. Fast jede Woche meldeten sich Medienvertreter, die Fragen zu (aktuellen) Geschehnissen stellten. Insoweit bietet sich auch die Gelegenheit, Vorurteile abzubauen. Mein Nachfolger Prof. Dr. Thomas Feltes hat die Tradition übernommen und an seinen Nachfolger Prof. Dr. Tobias Singelnstein weitergereicht.
V. Schlussbemerkung Dass in meinem Leben vieles gelang, hat rückblickend insbesondere mit zwei Umständen zu tun: zum einen mit „Resilienz“ und konstruktiven Ideen, zum anderen mit der Unterstützung guter Freunden und Kollegen. Wie viele das sind, hat die Festschrift zu meinem 70. Geburtstag gezeigt. Titel: „Kriminalpolitik und ihre empirischen Grundlagen“.2 Beteiligt haben sich 69 Kriminalwissenschaftler aus dem gesamten deutschsprachigen Raum: Deutschland, Österreich und der Schweiz. Auch der BKA-Präsident Jörg Ziercke (nach seiner Pensionierung „Chef“ des Weissen Ringes) und sein Vize Dr. Jürgen Stock (inzwischen Generalsekretär von Interpol) beteiligten sich. „Orden“ sind mir (als Rückmeldung zu meinem Leben) auch zuteil geworden. Dazu gehört nicht nur das schon erwähnte „Große Bundesverdienstkreuz“, sondern auch z. B. die „Beccaria-Medaille“ der (Neuen) Kriminologischen Gesellschaft, der „Knatterton Ehrenschild“, sowie der „Bul le mérite“ (vulgo: „Bullenorden“) des „Bundes Deutscher Kriminalbeamter“ (BdK), der mir im Karneval in Bad Godesberg überreicht worden ist.
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Festschrift für Hans-Dieter Schwind, 2006.
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Dann kam noch der „Mühlenhoff-Preis“ dazu, eine Auszeichnung, die die Osnabrücker juristische Fakultät jedes Jahr auf Vorschlag der Studierenden verleiht: „für gute Lehre“. Mein besonderer Dank gilt nicht zuletzt meiner Familie, insbesondere meiner Frau Ortrud Schwind, die mein unstetes Leben aushalten musste und aus dem Hintergrund (meist unsichtbar für dritte Personen) viele meiner Entscheidungen in über 40 Jahren mitgelenkt hat. Erinnern möchte ich auch an meine bodenständige Mutter, die mich durch gefährliche Zeiten geschleust hat und immer für mich da war, wenn ich sie brauchte. Zu meinem 80. Geburtstag (2016) hat mir Kollege und Freund Klaus Laubenthal in der JZ einen freundlichen Text gewidmet.3 Auch dafür möchte ich mich an dieser Stelle bedanken. Am 31. Mai 2020 bin ich 84 Jahre alt geworden und zähle damit (nach medizinischer Einordnung) zu einer „Risikogruppe“, die im Rahmen der „Corona“-Seuche zu den potentiellen Todeskandidaten gehört: „überholende Kausalität“?
Schriftenverzeichnis (in Auswahl) 1. Selbständiges und (mit)herausgegebenes Schrifttum Dunkelfeldforschung in Göttingen 1973/74, BKA-Schriftenreihe, Bd. 2, 1975 (zusammen mit Wilfried Ahlborn, Hans-Jürgen Eger und Volker Pudel). Strafvollzug in der Praxis. Eine Einführung in die Probleme und Realitäten des Strafvollzugs und der Entlassenenhilfe, 1. Aufl. 1976 (zusammen mit Günter Blau); 2. Aufl. 1988. Empirische Kriminalgeographie – Kriminalitätsatlas Bochum, BKA – Schriftenreihe, Bd. 8, 1978 (zusammen mit Wilfried Ahlborn und Rüdiger Weiß). Präventive Kriminalpolitik. Beiträge zur ressortübergreifenden Kriminalprävention, Forschung, Praxis und Kriminalpolitik, Kriminologische Forschung (KF), Schriftenreihe des Niedersächsischen Ministeriums der Justiz, Bd. 1, 1980 (hrsg. zusammen mit Friedhelm Berckhauer und Gernot Steinhilper). Modelle zur Kriminalitätsvorbeugung und Resozialisierung – Beispiele praktischer Kriminalpolitik aus Niedersachsen, Kriminologische Forschung (KF), Schriftenreihe des Niedersächsischen Ministeriums der Justiz, Bd. 2, 1982 (hrsg. zusammen mit Gernot Steinhilper). 3
Laubenthal, Klaus, Glückwunsch Hans-Dieter Schwind zum 80. Geburtstag, S. 568– 569.
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Ursachen, Prävention und Kontrolle von Gewalt, Gutachten der Unabhängigen Regierungskommission zur Verhinderung und Bekämpfung von Gewalt (Gewaltkommission der Bundesregierung), vier Bände, 1990 (hrsg. zusammen mit Jürgen Baumann u. a.).
Gewalt in der Schule – am Beispiel von Bochum, Schriftenreihe des WEISSEN RINGES, Bd. 10, 1. Aufl. 1995 (hrsg. zusammen mit Karin Roitsch, Wilfried Ahlborn und Birgit Gielen ); 2. Aufl. 1997. Alle gaffen – keiner hilft. Unterlassene Hilfeleistung bei Unfällen und Straftaten, 1998 (zusammen mit Karin Roitsch und Birgit Gielen). Kriminalitätsphänomene im Langzeitvergleich am Beispiel einer deutschen Großstadt. Bochum 1975 – 1986 – 1998, 2001 (zusammen mit Detlef Fetchenhauer u. a.).
2. Lehrbücher und Kommentare Strafrecht – leicht gemacht. Eine Einführung mit praktischen Fällen und Hinweisen für Klausuraufbau und Studium, 1. Aufl. 1965 (zusammen mit Heinz und Georg Nawratil sowie Helwig Hassenpflug); 18. Aufl. 2016. (Groß-)Kommentar zum Strafvollzugsgesetz, 1. Aufl. 1983 (hrsg. zusammen mit Alexander Böhm); 7. Aufl. 2020 (hrsg. zusammen mit Alexander Böhm, JörgMartin Jehle und Klaus Laubenthal). Übungen im Strafrecht für Anfänger, 1. Aufl. 1985 (zusammen mit Einhard Franke und Manfred Winter); 5. Aufl. 2000. Kriminologie. Eine praxisorientierte Einführung mit Beispielen, 1. Aufl. 1986; 23. Aufl. 2016, Kriminologie und Kriminalpolitik; 24. Aufl. in Vorbereitung für 2021.
3. Aufsätze in Zeitschriften und Sammelwerken Ungebührliches Verhalten vor Gericht und Ordnungsstrafe, JR 1973, S. 133–139. Verbrechen und Schwachsinn, in: Sieverts, Rudolf/Schneider, Hans-Jürgen (Hrsg.), Handwörterbuch der Kriminologie, Bd. III, 2. Aufl. 1975, S. 445–453. Zur Entwicklung der Tötungsverbrechen und Raubkriminalität in den Vereinigten Staaten, Kriminalistik 1977, S. 383–387. Präventionsprogramm Polizei/Sozialarbeiter (PPS). Ein Modellversuch des Niedersächsischen Justizministeriums in Hannover, Kriminalistik 1980, S. 58–64 (zusammen mit Gernot Steinhilper und Monica Wilhelm-Reiss).
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Alte und neue Wege in der Entlassenenhilfe, erläutert am Beispiel von Niedersachsen, ZfStrVo 1981, S. 4–11 (zusammen mit Peter Best). Zur Zukunft der Sozialtherapeutischen Anstalt. Was soll (kann) aus der Sozialtherapeutischen Anstalt werden?, NStZ 1981, S. 121–125. Zur Neuordnung der Juristenausbildung – Ende der Reformen oder neuer Anfang?, DRiZ 1981, S. 441–446. Rebellion gegen die Fertigkeit dieser Welt. Der Jugendprotest, FAZ vom 25.11.1981, S. 10. Zu den Ergebnissen der niedersächsischen Justizpolitik in den letzten vier Jahren, Niedersächs. Rechtspflege Nr. 3 vom 15.3.1982, S. 49–52. Kann Täterwissen zur Kriminalitätsvorbeugung genutzt werden?, Kriminalistik 1984, S. 317–319 (zusammen mit Gernot Steinhilper). 20 Thesen zur Kriminalpolitik (CDU/BACDJ), 1985 (zusammen mit Alexander Böhm u. a.).
Die „Neue Kriminologische Gesellschaft (NKG)“ und ihre Vorgeschichte, in: Festschrift für Hans Göppinger, 1990, S. 633–654. Die Lawine der Gewalt wird immer größer, wenn nicht bald etwas passiert, Welt am Sonntag vom 28.8.1993. Die gefährliche Verharmlosung der Ausländerkriminalität, Aus Politik und Zeitgeschichte, Beilage zur Wochenzeitung ‚Das Parlament‘ 43 (1995), S. 32–36. Zur „Mauer des Schweigens“. Gedanken zum sog. Hamburger Polizeiskandal aus kriminologischer Sicht, Kriminalistik 1996, S. 161–167. Strafvollzug im Rückwärtsgang?, Kriminalistik 1997, S. 618–622. „Wer das Tor zu weit aufmacht, fördert Hass, Gewalt und Rechtsextremismus“, in: forum kriminalprävention 2 (2002), S. 8–9. Schafft die Kriminalität Arbeitsplätze im Sicherheitsdienstleistungsgewerbe?, 7. Hamburger Sicherheitsgewerberechtstag am 14. Februar 2006. (Gewalt-) Intensivtäter – Karrieren: Ursachen und polizeiliche Gegenstrategien, in: Festschrift für Hans-Jürgen Kerner, 2013, S. 221–236 (zusammen mit JanVolker Schwind). Erinnerungen an die Entstehung des KFN, in: Festschrift für Christian Pfeiffer, 2014, S. 593–603 (zusammen mit Gernot Steinhilper).
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https://doi.org/10.1515/9783110703016-018
Franz Streng Kriminologie und Strafrecht – Strafrecht und Kriminologie I. Kindheit und Jugend Ich wurde im Februar 1947 als sechstes Kind in eine Landwirtsfamilie hinein geboren, die einen im westlichen Mittelfranken gelegenen Gutshof bewirtschaftete. Das Aufwachsen auf dem alleinstehenden Hof prägte meine Kindheit entscheidend. Man wurde in keiner Weise durch eine lokale Jugendszene beeinflusst. Neben den Eltern waren die älteren Geschwister die ganz zentralen Bezugspersonen. Prägend war auch das Leben und Arbeiten zusammen mit den auf dem Hof Beschäftigten. Die schulbegleitende Tätigkeit als landwirtschaftliche Hilfskraft brachte es mit sich, dass man sehr früh schon das Bedienen von Maschinen, etwa das Fahren von Traktoren, erlernte. Wohl von daher ist mir bis heute eine Affinität für Technik erhalten geblieben. Die Grundschule besuchte ich in einem drei Kilometer entfernt gelegenen Nachbardorf. Die Schüler der ersten vier Klassenstufen wurden gemeinsam in einem Klassenzimmer unterrichtet. Dass man als Schüler in dieser Zwergschule tatsächlich etwas lernte, lag weniger an einer didaktischen Fähigkeit des Lehrers als vielmehr – wenn vorhanden – an natürlicher Lernbegierde der Schüler. Im Rückblick mutet es erstaunlich an, dass der Übergang ins Gymnasium bei mir – genauso wie bei meinen fünf Geschwistern zuvor ‒ reibungslos vonstatten ging. Die Gymnasialzeit verbrachte ich als Schüler des kirchlichen neusprachlichen Gymnasiums in der nahegelegenen Kleinstadt Uffenheim.
II. Studium Unvermeidlich stellte sich gegen Ende der Schulzeit die Frage eines passenden Studienfachs. Die Funktion des Hoferben mit vorgegebener Landwirtschaftsorientierung war bereits an den ältesten Bruder vergeben. Andere Anregungen für ein interessantes Berufsfeld hatte ich aber durchaus erhalten. Wie bereits geschildert, wurde man auf dem Hof fast automatisch an Maschinen und Technik herangeführt. Überdies hatte ich dort eine gut ausgestattete Schmiede nutzen können, um jugendgemäßen Technik-Hobbys zu frönen, etwa dem Umbauen von Mopeds und später dem Reparieren von Motorroller und Motorrad. Der Weg in ein Ingenieurstudium war damit ansatzweise gebahnt. Freilich wurden mir von Seiten der Familie auch noch andere Perspektiven nahegebracht. Denn außer dem Hoferben waren meine anderen Geschwister bzw. de-
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ren Partner alle als Ärzte tätig oder studierten Medizin. So konnte ich an einer Tätigkeit als Klinikarzt oder als Landarzt Maß nehmen. Insbesondere eine Spezialisierung auf Psychiatrie hätte mein Interesse gefunden. In dieser Patt-Situation zwischen Ingenieurwissenschaften und Medizin entwickelte sich dann aber Jura als dritte Option. Bei einer im Gymnasium durchgeführten Berufsberatung hatte der Berater nach einem kurzen Blick auf meine Handschrift geäußert: „Sie werden Jurist“. Ich fand diese, mir willkürlich erscheinende Aussage merkwürdig. Aber irgendwie haftete das Ganze. Man denkt unwillkürlich an die psychologische AnchoringTheorie, welche die Wirksamkeit von (auch aufgedrängten) Bewertungs-Ankern thematisiert. Letztendlich führte vielleicht gerade dieser recht überraschende Vorschlag dazu, dass ich aus der Unfähigkeit, mich zwischen Ingenieurwissenschaften und Medizin zu entscheiden, befreit wurde. Nachdem ich im Sommer vor Beginn des Jura-Studiums Karl Engischs „Einführung in die Rechtswissenschaft“ durchgearbeitet hatte, begann im Wintersemester 1967/68 das Studium an der Julius-Maximilians-Universität Würzburg. Aus dieser Phase soll immerhin eine Erinnerung aus dem Unterricht hier berichtet werden. Im ersten Semester las Walter Sax „Strafrecht ‒ Allgemeiner Teil“. Es war eine der erfreulicheren Vorlesungen, die freilich erst infolge einer Marotte des Professors unvergesslich wurde. Immer wieder hielt der Lehrende in der Rede inne, holte tief Luft, wuchs über seine eigentlich eher geringe Körpergröße hinaus, stach mit dem Finger in die Luft und rief: „Hier irrt Welzel“! Dass uns Studienanfängern diese Auseinandersetzung mit einem gewissen Hans Welzel einigermaßen überforderte, muss ich nicht betonen. Erst im weiteren Verlauf des Studiums und dann der wissenschaftlichen Beschäftigung mit dem Strafrecht wurde mir die Bedeutung der Welzelschen finalen Handlungslehre und der personalen Unrechtslehre klar. Immerhin habe ich später aus dieser Geschichte den Schluss gezogen, eine Überforderung der Hörer – nicht nur in der Anfängervorlesung – nach Kräften zu vermeiden. Die in dem damals katholisch-provinziellen Würzburg aufkommende Langeweile schuf den Wunsch nach Veränderung. So kam es 1969 zum Wechsel an die Freie Universität Berlin für das vierte Semester. Dort hörte ich „Strafrecht ‒ Besonderer Teil II“ bei Hermann Blei. Die Kriminologie Vorlesung bei Ernst Heinitz konnte mich angesichts des vom Dozenten dargebotenen Tätertypen-Ansatzes allerdings nicht überzeugen. Geprägt war dieses halbe Jahr von unendlich vielen Eindrücken in einer geteilten Stadt, die durch die Studentenbewegung auch im Westteil innerlich zerrissen war. Das Juristische Seminar war durchgängig von Polizei bewacht, große Vollversammlungen im überfüllten Audimax sind
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mir in Erinnerung. Auf der anderen Seite war das kulturelle Angebot in der Stadt enorm. Angesichts der zu verarbeitenden Eindrücke und Erlebnisse dieses Berlin-Semesters und der Notwendigkeit, mit dem Studium weiterzukommen, lag ein erneuter Universitätswechsel nahe. Dieser führte, wiederum angeregt durch meinen Studienfreund Günther Heger, zum Wintersemester 1969/70 an die Ruprecht-Karls-Universität Heidelberg. Trotz des auch hier durchaus manifesten studentischen Aufbegehrens war die Entscheidung zielführend. Die im RheinNeckar-Raum gefundene Kompromisslösung zwischen Großstadt und Provinz lag mir letztlich sehr. Ohne im Detail auf das Studium in Heidelberg eingehen zu können, soll doch eine Lehrveranstaltung erwähnt werden, die mir die Idee der Wissenschaft besonders eindrücklich näherbrachte. Es war ein von Wilhelm Gallas und Karl Lackner gemeinsam abgehaltenes Seminar zum Betrugstatbestand. Hier ergänzten sich diese so unterschiedlichen Denker in der wunderbarsten Form. Gallas neigte dazu, sich in die letzten Verästelungen jedes Problems hineinzugrübeln, was immer wieder in Sackgassen hineinführte, die Gallas dann in tiefem Schweigen verharren ließen. Ganz anders Lackner, der stets den Überblick behielt und nicht nur dem ratlos gewordenen Kollegen, sondern vor allem uns Seminarteilnehmern den Überblick über den derzeitigen Stand der Überlegungen mit beeindruckender Präzision in druckreifer Diktion klarmachte. Von da aus konnte dann sehr fruchtbar weiterdiskutiert werden. Für mich überraschend fiel die Bewertung meiner Seminararbeit über den Schadensbegriff so freundlich aus, dass zu vermuten war, die beiden Dozenten hätten bei mir gewisse wissenschaftliche Potentiale entdeckt. Nach drei Semestern in Heidelberg schien mir die Zeit reif, das Studium abzuschließen. Vorbereitet in Eigenregie und in einer Lerngruppe aus Mitgliedern und Sympathisanten der Basisgruppe Jura ging ich nach dem achten Semester ins Referendarexamen. Bemerkenswert war der Verlauf der mündlichen Prüfung. Merkwürdigerweise waren nicht weniger als drei der vier Prüflinge Aktivisten der politisch linkslastigen Basisgruppe Jura, welche bei Konflikten zwischen Studierenden und Fakultät bekannt geworden waren. Die Prüfung verlief denn auch in denkbar frostigem Klima, wenngleich wohl hinlänglich fair. Auf die übliche Gratulation und das Händeschütteln verzichteten die Prüfer. Dafür, dass dieses Procedere sich allein gegen die drei als politisch extrem Eingestuften gerichtet haben dürfte, spricht die Tatsache, dass mir der Zivilrechtsprüfer wenig später eine Stelle als Wissenschaftlicher Mitarbeiter an seinem Lehrstuhl anbot. Freilich gingen meine Interessen in eine andere Richtung.
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III. Referendariat und Promotion Der eigentliche Einstieg in die Wissenschaft erfolgte auf Umwegen. Als badenwürttembergischer Referendar mit bayerischen Wurzeln hatte ich keine Chance, im Bereich Heidelberg-Mannheim zu bleiben, vielmehr wies man mich dem abgelegenen Landgericht Ellwangen zu. Abgelegen deshalb, weil damals dort noch keine Autobahn vorbeiführte. Die beiden hervorstechenden Institutionen waren die Justiz und eine große Kaserne. Angesichts drohender Langeweile erschien es ratsam, ein Arbeitsprojekt mit auf den Weg zu nehmen. So bat ich Heinz Leferenz, den damaligen Direktor des Instituts für Kriminologie der Universität Heidelberg, um ein Gespräch. Ich trug ihm vor, gerne über Schuld und Verantwortung aus psychoanalytischer Sicht bei ihm promovieren zu wollen. Leferenz, als Jurist und Psychiater ein höchst geeigneter Betreuer für eine derartige Thematik, hörte sich den Vorschlag aufmerksam an, hob dann aber den Finger und sagte in seiner ruhigen, freundlichen Art „Herr Streng, dafür sind Sie zu jung“. Meine Enttäuschung war groß, da ich als 68-er Student nicht nur Marx und Engels, sondern auch und gerade Sigmund Freud mit großem Interesse gelesen hatte. Leferenz wollte meine Enttäuschung dämpfen und schlug ein anderes Thema mit Psychoanalyse-Bezug vor. Es sollte um einen Vergleich von psychoanalytischen Theorien zur Sexualkriminalität mit entsprechenden Theorien der daseinsanalytischen Psychologie gehen. Obwohl über Daseinsanalyse bis dato noch überhaupt nicht informiert, sagte ich zu. Immerhin Psychoanalyse! Während der Referendarzeit wurden die ersten Kapitel der Arbeit fleißig bearbeitet, nämlich der psychoanalytische Teil. Als dieser fertig war, beschloss ich, die Daseinsanalyse zur Seite zu lassen und gleich zu einem Schlusskapitel überzugehen. Dieses sollte sich mit Schuld und Verantwortung aus psychoanalytischer Sicht beschäftigen ‒ also mit der vom Doktorvater eigentlich abgelehnten Thematik. Ich war mutig genug, diese abredewidrige Arbeit Leferenz vorzulegen. Zu meiner großen Erleichterung leuchtete ihm das Geschriebene ein und er verzichtete großmütig auf den daseinsanalytischen Teil. Dass er die Arbeit ausgesprochen positiv beurteilte und mir damit den Weg hinein in die Wissenschaft offen hielt, ist besonders hervorzuheben. Denn als Kurt Schneider-Schüler und damit als Repräsentant der Heidelberger Schule der Psychiatrie stand er der Psychoanalyse – ganz anders als ich – sehr kritisch gegenüber. Dass es möglich war, während der Referendarzeit nebenher – ohne Beurlaubung – zu promovieren, hatte auch damit zu tun, dass man damals noch ein dreijähriges Referendariat absolvieren konnte. Meine strafrechtsrelevanten Stationen waren infolge dessen recht vielfältig, nämlich zunächst die Strafkammer beim Landgericht Ellwangen und dann der Strafrichter beim dortigen Amtsgericht. Nach-
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dem es mir gelungen war, dem näher an Heidelberg gelegenen Landgericht Heilbronn zur weiteren Ausbildung zugewiesen zu werden, konnte ich die Staatsanwaltsstation in Mannheim und eine Wahlstation bei der Justizvollzugsanstalt Mannheim absolvieren. Als Referendar bei der Staatsanwaltschaft am Landgericht Mannheim wurde man damals ohne jegliche Einführung oder gar Schulung als Sitzungsvertreter in die Verhandlungen beim Strafrichter am Amtsgericht entsandt. Dass man auf diesem Wege völlig selbstständig auch in Jugendsachen zu plädieren hatte, ist aus heutiger Sicht kaum mehr nachzuvollziehen. Nachgerade dramatisch waren die Erfahrungen in der JVA Mannheim. Wenige Tage nach Dienstantritt im Jahre 1974 entfalteten sich die damals als „Mannheimer Gefängnisskandal“ bekanntgewordenen Vorgänge. Mitarbeiter des allgemeinen Vollzugsdienstes hatten einen Gefangenen erschlagen. In der Folge wurden die vielfältigen Mängel der Personalführung in der Anstalt deutlich, die ganz sicher zu diesem Verbrechen mit beigetragen hatten. Die tiefen Einblicke in die Schattenseiten des strafrechtlichen Freiheitsentzugs führten zu der Konsequenz, dieses Berufsfeld nicht anzustreben. Auf der anderen Seite waren die vielen Gespräche, die ich mit Vollzugsmitarbeitern jeder Beschäftigtengruppe dort hatte führen können, hochinteressant und stachelten meine wissenschaftliche Neugierde an.
IV. Wissenschaft als Beruf – Einstieg in Heidelberg Nach Promotion und anschließendem Zweiten Staatsexamen im Frühjahr-Sommer 1975 bewarb ich mich bei der baden-württembergischen Justiz. Bevor sich diese Option realisieren konnte, machte mein ehemaliger Doktorvater Heinz Leferenz das Angebot, als Wissenschaftlicher Assistent an sein Institut zu kommen. Als Hauptaufgabe war vorgesehen, dem Wissenschaftlichen Rat und Professor Siegfried Wolfgang Engel bei seiner jeweils einzigen Lehrveranstaltung pro Semester, einem Seminar entweder zu Kriminaltherapie oder zu „Literatur und Kriminalität“, hilfreich zur Seite zu stehen. Der Psychiater Engel war am Institut sowohl als Kriminaltherapeut als auch als forensischer Gutachter tätig und in seiner Freizeit literarisch aktiv. Die Arbeit für Engel und die Durchführung kleinerer eigener Projekte ließen freilich noch Raum für weitere Aktivitäten. Daher reagierte ich durchaus positiv auf die Anfrage der Heidelberger Strafrechtler, vorlesungsbegleitende Arbeitsgemeinschaften (propädeutische Übungen) zu leiten. Da die Mitarbeiter des kriminologischen Instituts zu irgendwelchen Lehraufgaben damals nicht herangezogen wurden, wäre ein Ablehnen ohne weiteres möglich gewesen. Aber es war ganz gewiss eine vorausschauende Entscheidung, diese Herausforderung anzunehmen. Die Aufgabe, ein eigenes Lehrkonzept zu entwerfen und den Allgemeinen Teil des Strafrechts so in den Griff zu bekommen, dass man die Studenten auch vernünftig unterrichten konnte, führte von der zunächst sehr
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starken Konzentration auf Kriminologie und Straftheorie weg und eröffnete einen Pfad hinein in die Strafrechtsdogmatik. Einige der damals erarbeiteten Fragestellungen und die damalige Wahrnehmung von Widersprüchen in der etablierten Dogmatik beschäftigen mich bis heute. Nach drei Jahren als Wissenschaftlicher Assistent stellte sich die Alternative, in die Praxis zu gehen oder die Habilitation in Angriff zu nehmen. Meine Frau Barbara, damals Hauptschullehrerin in Mannheim, unterstützte mich im Entschluss, das Risiko einer Wissenschaftslaufbahn einzugehen. Nachdem ich durch meine Studie „Strafmentalität und juristische Ausbildung“1 schon einige Erfahrung mit der Befragung von werdenden Juristen gesammelt hatte, schien es vielversprechend, nun Justizpraktiker zu befragen und dabei insbesondere den bislang nur sehr unzulänglich ausgeforschten Bereich der Strafzumessungsentscheidung empirisch und theoretisch in den Blick zu nehmen. Obwohl Leferenz ursprünglich ein jugendkriminologisches Habilitationsthema empfohlen hatte, unterstützte er das Strafzumessungsprojekt voll und ganz. Es war wichtig, sein hohes Ansehen als forensisch-psychiatrischer Gutachter zu nutzen, um die Staatsanwälte und Strafrichter dazu zu bewegen, einen umfangreichen Fragebogen auszufüllen. Nachdem sich zu unserer großen Enttäuschung das baden-württembergische Justizministerium geweigert hatte, die Befragung zu unterstützen, konnte diese dann 1979 in Niedersachsen durchgeführt werden, wo der Kriminologie-Professor Hans-Dieter Schwind Justizminister war. Am Heidelberger Institut förderte Hans-Jürgen Kerner, der Nachfolger von Leferenz, über das Institutssekretariat das Vorhaben in zuvorkommendster Weise. Dass dann 64 % der 821 angeschriebenen Strafrichter und Staatsanwälte den Fragebogen ausgefüllt zurücksandten, konnte als großer Erfolg verbucht werden. Auf dieser Datengrundlage entstand im Weiteren die Habilitationsschrift „Strafzumessung und relative Gerechtigkeit“.2 Das Verfahren unter Beteiligung von Leferenz als Erstgutachter und Kerner als Zweitgutachter wurde 1983 abgeschlossen, die Arbeit 1984 veröffentlicht. Die venia legendi wurde für Kriminologie und Jugendstrafrecht erteilt. Der Vorschlag der Strafrechtsprofessoren Wilfried Küper, Karl Lackner, Manfred Maiwald und Olaf Miehe, die Habilitation auch auf das Fach Strafrecht zu erstrecken, war von den Öffentlichrechtlern und Zivilrechtlern nicht mitgetragen worden – ein Vorgang, der durch das damals schwierige Verhältnis der Fachsäulen der Heidelberger Fakultät geprägt war. Erst 1986, nach Veröffentlichung weiterer straf
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Streng, Franz, Strafmentalität und juristische Ausbildung – Eine Untersuchung der Einstellungen junger Juristen zu Kriminalität und Strafe, 1979. Streng, Franz, Strafzumessung und relative Gerechtigkeit – Eine Untersuchung zu rechtlichen, psychologischen und soziologischen Aspekten ungleicher Strafzumessung, 1984.
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rechtlicher Aufsätze, erfolgte die Habilitation auch für das Fach Strafrecht, nachdem Küper und Miehe Gutachten dazu erstellt hatten. Im Jahr 1985 wurde ich zum Professor auf Zeit (C2) für Kriminologie und Jugendstrafrecht an der Juristischen Fakultät der Ruprecht-Karls-Universität Heidelberg ernannt. Nach dem Wechsel des Institutsdirektors Hans-Jürgen Kerner an die Universität Tübingen hatte ich als der letzte verbliebene Professor des Instituts für Kriminologie die undankbare Aufgabe, die Datenbestände des Instituts zu verteidigen. Die damalige Datenschutzbeauftragte des Landes hatte das Institut verpflichten wollen, schon ausgewertete Datenbestände zu löschen, soweit sie Personenbezug aufwiesen. Mit erheblichem juristischem Aufwand gelang es, den Rektor davon zu überzeugen, dass die Forderungen der Datenschutzbeauftragten unbegründet sind und ein Nachgeben überdies einen erheblichen Verlust an wissenschaftlichem Kapital bedeuten würde. Auf diesem Wege konnten wichtige Datenbestände gerettet werden – darunter auch diejenigen aus der Staatsanwaltsund Richterbefragung; diese werte ich bis heute immer wieder zur Klärung neu auftretender Fragestellungen aus. Als größeres wissenschaftliches Projekt ist eine 1986–1987 durchgeführte Kooperation des Instituts für Kriminologie mit der kriminalistisch-kriminologischen Forschungsgruppe des Bundeskriminalamts zu erwähnen. Es ging darum, eine Bevölkerungsbefragung per Telefon zu Viktimisierungserlebnissen durch Angriffe gegen die Person durchzuführen. Obschon als Methodenstudie zur Untersuchung der Brauchbarkeit gerade von Telefonbefragungen für Dunkelfeldstudien konzipiert, erwiesen sich die Befragungsergebnisse selbst als durchaus aufschlussreich. In Zusammenarbeit mit dem Heidelberger Institutskollegen Dieter Hermann, einem Soziologen und Mathematiker, entstand daraus eine Studie zu den psychischen Langzeiteffekten von Delikten gegen die Person und zu den Folgen unterschiedlichen Umgangs der Opfer mit ihrer Viktimisierung.
V. Wechsel an die Universität Konstanz Infolge der damaligen Konjunktur des Faches Kriminologie waren bereits zu Zeiten meiner Habilitation fast alle Professuren für Kriminologie bzw. für Strafrecht und Kriminologie mit jungen Kollegen besetzt. So galt es, auf eine „normale“ Strafrechtsprofessur zu setzen. Mit dem Ruf auf eine C3-Professur für Strafrecht an der Universität Konstanz zum Sommersemester 1987 war die berufliche Unsicherheit zu Ende. Auch erwies sich in Konstanz das – nicht nur landschaftliche – Ambiente als hervorragend; unter den Strafrechtlern Wolfgang Heinz, Rudolf Leibinger und Rudolf Rengier herrschte eine enge kollegiale und auch freundschaftliche Zusammenarbeit, die mir den Einstieg leicht machte. Durchaus ansprechend
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war es auch, dass die Lehrveranstaltungen im Rahmen der damals noch laufenden einstufigen Juristenausbildung keine Großveranstaltungen waren; und dieses Vermeiden von Massenveranstaltungen hat die Konstanzer Fakultät anfangs auch im zweistufigen System durch Parallelveranstaltungen in den Anfangssemestern weitergeführt. Zu den schon in Heidelberg gehaltenen Vorlesungen Kriminologie, Jugendstrafrecht und Strafvollzug kamen nun die Hauptvorlesungen im Strafrecht hinzu und die von Wolfgang Heinz in das Curriculum eingeführte Sanktionen-Vorlesung. Letztere gab den Anstoß dazu, das Studienbuch „Strafrechtliche Sanktionen“ zu verfassen, das inzwischen als recht umfangreiches Lehrbuch eine 3. Auflage erlebt hat.3 Den Aufgaben in der wissenschaftlichen Selbstverwaltung wollte ich nicht ausweichen. Obwohl ich als a. o. Professor es schadlos hätte ablehnen können, amtierte ich im Studienjahr 1990/91 als Dekan der Juristischen Fakultät und war Mitglied des Senats der Konstanzer Universität.
VI. Wechsel an die Universität Erlangen-Nürnberg Zum Wintersemester 1991/92 übernahm ich den Lehrstuhl für Strafrecht und Kriminologie an der Friedrich-Alexander-Universität Erlangen-Nürnberg. Dieser war durch den Wechsel des bisherigen Stelleninhabers Dieter Dölling auf die Direktorenstelle am Heidelberger Institut für Kriminologie vakant geworden. Die Rückkehr in meine Heimatregion Mittelfranken erleichterte den Ortswechsel nach Erlangen; meiner Frau und unseren Kindern Anne Franziska und Simon fiel der Abschied vom Bodensee, nicht zuletzt wegen des dadurch bedingten Verlusts vielfältiger sozialer Kontakte, allerdings schwer. Bezüglich der Lehre an der Erlanger Juristenfakultät (jetzt: Fachbereich Rechtswissenschaft der Rechts- und Wirtschaftswissenschaftlichen Fakultät) änderte sich für mich gegenüber früher wenig. Zum Programm gehörten auch jetzt die Fächer Strafrecht (AT und BT), Kriminologie, Sanktionenrecht, Jugendstrafrecht und Strafvollzug. Den regelmäßigen Einsatz bei der Vorlesung „Strafrecht ‒ Allgemeiner Teil“ musste ich mir allerdings erkämpfen, da Joachim Hruschka seine Lieblingsvorlesung möglichst oft, nämlich abwechselnd nur mit Karl Heinz Gössel, halten wollte. Nach Klärung der gleichberechtigten Teilhabe des jüngeren Kollegen ergab sich dann aber auch zu Hruschka ein gutes, kollegiales Verhältnis. Dass das Erlanger Strafrecht harmonisch zusammenarbeitet(e), gilt es besonders für die jüngere Professorengeneration festzuhalten, nämlich für Hans Kudlich, Volker Erb (jetzt Mainz), Matthias Jahn (jetzt Frankfurt am Main), Christian Jäger, Chris3
Streng, Franz, Strafrechtliche Sanktionen, 1. Aufl. 1991; 3. Aufl. 2012.
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toph Safferling und Gabriele Kett-Straub. Mein akademischer Schüler Safferling hat sich zu meiner Freude von seinem Lehrstuhl an der Universität Marburg nach Erlangen zurückberufen lassen. Ebenfalls von mir habilitiert wurde Gabriele Kett-Straub, die als apl. Professorin am Strafrechtsinstitut tätig ist und mit mir zusammen die Forschungsstelle für Kriminologie und Sanktionenrecht leitet. Die Kriminologie-Vorlesung habe ich auch nach der Emeritierung im Jahr 2013 beibehalten. Zum einen war mir die Lehre schon immer mehr Lust als Last. Zum anderen ist bei der Wiederbesetzung meines ehemaligen Lehrstuhls die Zuständigkeit für Kriminologie weggefallen, weshalb es galt, hier eine Lücke zu schließen. Neben den Jura-Schwerpunktbereichs-Studierenden nimmt erfreulicherweise auch eine größere Zahl von Studierenden der Psychologie an der Vorlesung teil, nachdem in Erlangen die Rechtspsychologie sehr gepflegt wird. Die enge Verbindung zu den Psychologen zeigt sich ganz besonders in der Institution des „Rechtspsychologischen Kolloquiums“. Hier werden pro Semester mindestens drei Vorträge zu psychologischen und kriminologischen Fragestellungen angeboten. Bei den Vortragenden handelt es sich um profilierte Wissenschaftler aus dem In- und Ausland. Gründer dieser Vortragsreihe war der Psychologieprofessor Friedrich Lösel, ein international hoch angesehener Kriminologe, der auch jetzt noch dem Veranstalter-Triumvirat vorsteht; 1993 stieß ich als Mitveranstalter hinzu und inzwischen gehört auch der Erlanger Psychologieprofessor Mark Stemmler dazu. Die Aufgabe, an der akademischen Selbstverwaltung mitzuwirken, stellte sich selbstverständlich auch in Erlangen. Dies geschah zunächst als Mitglied der Hochschulplanungskommission der Universität, dann als Senatsmitglied und schließlich von 1998–1999 als Dekan der Juristischen Fakultät. Durchaus arbeitsaufwendig war überdies die nachfolgende, langjährig ausgeübte Funktion als „Hausvorstand“ des Juridicums. Nur am Rande erwähnt seien die Tätigkeit im Leitungsgremium des Graduiertenzentrums der Universität und ‒ bis jetzt andauernd ‒ im Beirat von FAU University Press. Dass ich mich an der Universität Erlangen stets wohlgefühlt habe, mag man daran ablesen, dass ich Ende der 1990er-Jahre einen Ruf an die Universität Regensburg, nämlich auf den dortigen Kriminologie-Lehrstuhl, abgelehnt habe. Dies hat den damaligen Rektor der Erlanger Universität, Gotthard Jasper, dazu veranlasst, mir den Festvortrag des Jahres 1999 beim dies academicus, der alljährlichen akademischen Gründungsfeier, anzuvertrauen. So ergab sich die schöne Gelegenheit, der Universitätsgemeinde die „Nischenwissenschaft“ Kriminologie in einem Vortrag über das broken windows-Paradigma näher zu bringen.4 4
Streng, Franz, Das „broken windows"-Paradigma – Kriminologische Anmerkungen zu einem neuen Präventionsansatz, Erlanger Universitätsreden 57 (1999).
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VII. Bemühungen um die Wissenschaft 1. Schuldprinzip, Straftheorie, forensische Begutachtung und Kriminalpolitik Nachdem in der Dissertation das Schlusskapitel zu Psychoanalyse und Strafrecht recht knapp ausgefallen war, bot es sich an, diese Thematik zu vertiefen. Auf Grundlage einer kritischen Betrachtung des Vergeltungsdenkens votierte ich damals für die Ersetzung des Schuldprinzips durch ein Verantwortlichkeitsprinzip – ein heute wieder moderner Ansatz. Wenige Jahre später nahm ich diesen Vorstoß in einem Aufsatz zu „Schuld, Vergeltung, Generalprävention“ angesichts des kulturell tief verwurzelten Schuldbegriffs zurück, ohne aber die Kritik am – auch im Kopf von Juristen ‒ etablierten Vergeltungsdenken zu relativieren, welches mit „gerechter Vergeltung“ einigermaßen euphemistisch beschrieben wird. Diese Linie habe ich insbesondere in Festschriftbeiträgen bis in neueste Zeit hinein verfolgt. Dabei lieferten die Befragungen der Studierenden wie auch der Justizpraktiker Argumente dafür, den durch ein Übermaß an Punitivität belasteten Vergeltungsbegriff aus dem Schuldstrafrecht zu eliminieren und stattdessen auf den neutraleren Begriff des Tatausgleichs zu rekurrieren. Naturgemäß sind diese Auseinandersetzungen mit Schuld und Verantwortung aufs Engste verbunden mit der Freiheitsfrage, weshalb sich bereits meine frühen kriminalpolitischen Schriften damit beschäftigten. Als durchgehende Linie lässt sich dabei eine Ablehnung des Willensfreiheitspostulats festhalten. Damit befand ich mich in Übereinstimmung mit der für meine Dissertation ausgewerteten psychoanalytischen Literatur, aber auch mit der Position meines akademischen Lehrers Heinz Leferenz, eines sehr erfahrenen forensischen Psychiaters. Der Aufsatz „Schuld ohne Freiheit?“, der aus meiner Konstanzer Antrittsvorlesung hervorgegangen war, stellte diese Position im Jahre 1989 nochmals ausführlich dar und setzte den dabei entwickelten funktionalen Schuldbegriff mit strafrechtsdogmatischen Fragen des Vorverschuldens, der Schadenswiedergutmachung und des Rücktritts vom Versuch in Beziehung. Die schon so lange diskutierte und im Meinungsstreit festgefahrene Freiheitsfrage ist dann durch die moderne Hirnforschung überraschend zu neuem Leben erwacht. Nach reger Diskussion zur Tragweite der empirischen Befunde und zu den zu ziehenden Folgerungen hat sich gezeigt, dass die Grundlagen des Strafrechts nicht unterminiert worden sind. Auch für mich blieb es dabei, dass die vom hierzulande üblichen Freiheitsempfinden geprägte Wahrnehmung individueller Verantwortlichkeit eine zentral wichtige Determinante dafür darstellt, dass sich die Bürger um ein norm- und realitätsorientiertes Handeln bemühen und dieses auch von ihren Mitbürgern erwarten. Dieses kompatibilistische bzw. soziale Schuldverständnis, welches ich als sozialpsy-
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chologisch-funktional bezeichne, wird tragfähig bleiben, solange die Annahme einer derartigen Steuerungsfähigkeit des Menschen nicht wirklich widerlegt werden kann. Die Tätigkeit in dem stark mit forensischen Begutachtungen befassten Heidelberger Kriminologischen Institut hat es mit sich gebracht, dass ich einige Male als Helfer von Leferenz bei Begutachtungen beteiligt war. Dies, und später die Vortragstätigkeit an den vom forensischen Psychiater Norbert Nedopil (LudwigMaximilians-Universität München) geleiteten, am Starnberger See abgehaltenen Fortbildungsveranstaltungen für psychiatrische und psychologische Forensiker hat sich in Untersuchungen etwa zu den Eingangsmerkmalen der §§ 20, 21 StGB, zur Bedeutung der Hirnforschung für die Schuldfähigkeitsfrage und zum Umgang mit Fällen von sog. Komorbidität niedergeschlagen. Die Übernahme der Kommentierung der §§ 19–21 StGB im damals neu entstehenden Münchener Kommentar, die im Jahr 2020 in der 4. Auflage erschienen ist, war von daher nur konsequent. Von der Beschäftigung mit den Grundlagen strafrechtlicher Schuld führte ein direkter Weg zur Auseinandersetzung mit den dogmatischen Grundlagen der actio libera in causa. Entgegen einer neueren Linie in der Lehre sehe ich die actio libera durch den Wortlaut des § 20 StGB gedeckt, da „bei Begehung der Tat“ einen eigenständigen Tatbegriff anspricht. Anders als auf Tatbestandsebene geht es auf Schuldebene unvermeidlich um eine Gesamtbewertung, also einschließlich des Vorverschuldens. Diese Position widersteht auch Einwänden aus dem Koinzidenzprinzip und dem Gesetzlichkeitsprinzip, da diese Bedenken den grundlegenden Unterschied zwischen dem deskriptiven Unrechtstatbestand und dem weiter ausgreifenden, bewertenden Schuldtatbestand nicht hinreichend berücksichtigen. Gleichfalls zur Vorverschuldensfrage zählt die Vollrauschstrafbarkeit, die ich ebenfalls in mehreren Publikationen behandelt habe. Kaum bestritten werden kann, dass § 323a StGB mit seiner Vorverschuldensregelung, die als Tatbestand des Besonderen Teils verkleidet ist, einen groben legislatorischen Fehlgriff verkörpert. Der Gesetzgeber hatte damals wohl den offenen Konflikt mit einem willensfreiheitszentrierten Schuldverständnis vermeiden wollen. In der Sache handelt es sich um eine Vorverschuldensregelung des Allgemeinen Teils, deren Strafmaß-Kupierung als generelle Strafmilderungsregelung verstanden werden sollte. Eine ehrliche Lösung, die die vielfältigen Unstimmigkeiten und Anwendungsprobleme des gemeinhin als Gefährdungsdelikt verstandenen § 323a vermeiden würde, wäre eine Regelung im Allgemeinen Teil des StGB, am Besten in (oder im Zusammenhang mit) § 20 StGB.
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Aus der kriminologischen Fragestellung der „Ausländerkriminalität“ hervorgegangen sind straftheoretische und kriminalpolitische Überlegungen zur Funktion des Strafrechts angesichts neuer Bevölkerungsgruppen mit anderen kulturellen Prägungen. Diese Fragestellung entsprang der Feststellung, dass ein „demokratisches Strafrecht“ ganz wesentlich durch die Wertorientierungen der Bevölkerung getragen ist, weshalb eine zunehmende Inhomogenität in der Bevölkerung Fragen nach der künftigen Effektivität bzw. nach erforderlicher Veränderung des Strafrechtssystems aufwirft. Diese ab den 1990er-Jahren veröffentlichten Überlegungen zu den Folgen „offener Grenzen“ haben angesichts des neueren Flüchtlingszustroms unerwartet wieder an Aktualität gewonnen. Dem Topos „demokratisches Strafrecht“ kommt zentrale Bedeutung auch bei meiner Beschäftigung mit dem von Günther Jakobs in die Diskussion gebrachten „Feindstrafrecht“-Ansatz zu. Denn gerechtes Strafen in seiner Funktion der Bestätigung gesellschaftlicher Werte und Normen verliert an Gewicht, wenn ein Teil der zu Bestrafenden vorrangig nach anderen Regeln, nämlich denen der Sicherung, behandelt wird. Überdies stellt man durch den Feindstrafrechts-Ansatz die Rolle der Bürger als Träger der Gesellschaft und der Strafgewalt in Frage. Die Definitionsmacht der politisch Herrschenden und/ oder der Akteure im Strafrechtssystem bestimmt dann über den Status als Bürger oder als Feind.
2. Kriminologische Studien Meine Bemühungen um einen strafrechtlichen Schuldbegriff, den man als sozialpsychologisch-funktionales Schuldverständnis bezeichnen könnte, waren seit jeher nicht rein strafrechtsdogmatisch fundiert, sondern ganz wesentlich auch empiriebezogen. Gemeint ist damit zum einen die Heranziehung psychologischer und psychiatrischer Befunde und Theorien. Zum anderen sind damit gemeint die von mir durchgeführten Befragungen insbesondere von werdenden Juristen und von Justizpraktikern. Die erste Studierendenbefragung fand 1977 an der Universität Heidelberg statt und wurde durch eine Befragung von Rechtsreferendaren ergänzt. Diese Studie, die unter dem Titel „Strafmentalität und juristische Ausbildung“ im Jahre 1979 publiziert wurde, hatte soziale und psychische Hintergründe spezifischer Strafhaltung zum Gegenstand und war nicht zuletzt den Auswirkungen der juristischen Ausbildung auf die Einstellungen zu Kriminalität und Strafe gewidmet. Letztlich handelte es sich dabei um eine Vorstudie zu der (oben in IV.) bereits erwähnten Staatsanwalts- und Richterbefragung des Jahres 1979 in Niedersachsen, welche hauptsächlich der Frage nach den Hintergründen ungleicher Strafzumes-
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sung gewidmet war. Auch in dieser großen Studie ging es zunächst um die kognitive und affektive Wahrnehmung der Kriminalitätssituation und um die individuelle Strafhaltung der Befragten, gemessen an der Stellungnahme zu den Strafzwecken und zu bestimmten Sanktionsformen wie lebenslanger Freiheitsstrafe oder Todesstrafe. Erhoben wurden aber auch kriminologische Grundannahmen sowie die je individuellen Vorgehensweisen bei der Strafzumessungsentscheidung. In konkreterer Form abgefragt wurde die Strafhaltung mittels sechs fiktiver Kriminalfälle, zu denen die Justizjuristen in-etwa-Strafmaße angeben sollten. Ein wesentliches Ziel der Auswertung war es, den Hintergründen der hier sich zeigenden großen Strafmaßunterschiede nachzugehen. Wichtiger als Herkunftsvariablen erwiesen sich die jeweilige berufliche Einbindung, die empfundene Kriminalitätsfurcht und die präferierten Strafzwecke. Im Jahre 1989 an der Universität Konstanz begann ich ein neues Befragungsprojekt, das der Herkunft, den Berufsperspektiven, der Kriminalitätswahrnehmung und der Strafhaltung von Jura-Studienanfängern gewidmet war. Im Jahre 1993 fand eine Folgebefragung mit (annähernd) demselben Fragebogen an der Universität Erlangen-Nürnberg statt. Die große Verunsicherung in der Folge der Öffnung der Grenzen nach Osten hin spiegelte sich in massiv angestiegenen Kriminalitätsfurchtwerten in Relation zu der älteren Heidelberger und der unmittelbar vor dem Fall der Berliner Mauer durchgeführten Konstanzer Befragung. Auch diese nachgerade dramatische Entwicklung ließ es ratsam erscheinen, die Befragung später noch einmal durchzuführen. Letztlich wurden es bis 2012 elf Befragungstermine in Erlangen. Dabei zeigte sich eine deutlich zunehmende Punitivität erst mehrere Jahre nach dem drastischen Anstieg der Kriminalitätsfurcht und konträr zu deren markantem Rückgang; dies ist einer der Befunde, die einer eindeutigen Erklärung noch harren. Im Jahre 2014 wurde eine Gesamtdarstellung unter dem Titel „Kriminalitätswahrnehmung und Punitivität im Wandel“5 publiziert. Dies führte zu einem außergewöhnlich intensiven Medienecho. Großes Aufsehen erregte der in der Tat irritierende Befund, dass mehr als ein Viertel der befragten Studienanfänger sich für die Wiedereinführung der Todesstrafe aussprachen. In einer im Jahr 2016 durchgeführten weiteren Befragung wurde der Fragebogen ergänzt, um Stellungnahmen zu den Auswirkungen der Flüchtlingskrise erheben zu können. Insgesamt wurden im Konstanz-Erlanger Projekt dreieinhalbtausend Jura-Studienanfänger befragt.
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Streng, Franz, Kriminalitätswahrnehmung und Punitivität im Wandel – Kriminalitätsund berufsbezogene Einstellungen junger Juristen. Befragungen von 1989 bis 2012, 2014.
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Man kann die dargestellten Befragungsstudien und eine weitere schweizerischdeutsche Repräsentativbefragung zu Kriminalitätswahrnehmung und Strafmentalität wohl als meine kriminologisch-empirische Hauptbeschäftigung einstufen. Eingestiegen war ich in das Feld kriminologischer Untersuchungen jedoch zunächst mit täterorientierten Aktenstudien. Eine erste widmete sich den persönlichkeits- und situationsbezogenen Hintergründen von Tötungsdelikten, die unter Nutzung von Schusswaffen begangen wurden. Herausgearbeitet werden konnte, dass die nach Stärke und Sicherheit durch Waffenbesitz strebenden illegalen Waffenträger dann in nicht vorhergesehenen Krisensituationen gerade durch die greifbare Waffe überfordert waren und kurzschlussartig von ihr Gebrauch machten. Eine zweite Aktenstudie untersuchte Brandstiftungshandlungen Jugendlicher unter den Aspekten Täterpersönlichkeit und emotionaler Tathintergrund, wobei versucht wurde, tiefenpsychologische Erklärungsansätze fruchtbar zu machen. Etwa zwanzig Jahre später ergab sich anhand der Daten aus zwei von mir als Promotionsprojekte betreuten Schülerbefragungen die Möglichkeit zu erneuter empirischer Untersuchung von Jugendkriminalität. Die als Dunkelfeldbefragungen angelegten Studien lieferten Daten aus Hauptschule (jetzt Mittelschule), Realschule und Gymnasium. Auch nach Auswertung durch die Doktoranden Martin Pöll und Wolfgang Hacker blieben – nicht zuletzt in der Zusammenschau der beiden Datensätze – interessante Fragen zu klären. Etwa konnte untersucht werden, inwieweit problematischer Medienkonsum eine Gewaltneigung begünstigt; bei Berücksichtigung intervenierender Variablen ließ sich in einer multiplen Regressionsanalyse kein wirklich nennenswerter Einfluss auf die Begehung von aggressiven Handlungen belegen. Eine letzte Veröffentlichung aus diesem Material habe ich der Frage gewidmet, ob die „Situational Action Theory“ von Per-Olof Wikström durch die Erlanger Befragungsdaten bestätigt werden kann. Letztlich ließ sich das bejahen, nachdem die herausragende kriminalpräventive Bedeutung einer in Kindheit und Jugend gelingenden Internalisierung gesellschaftlicher Werte und Normen deutlich wurde. Eine weitere von mir betreute Dissertation, nämlich die von Dirk Niedling zu „Strafprozessualer Opferschutz am Beispiel der Nebenklage“, basierte auf einer umfangreichen Auswertung von Verfahrensakten. Diese Daten zu abgeurteilten Straftaten gegen die Person konnten nach Abschluss des Promotionsverfahrens von mir für eine Auswertung der Strafzumessungspraxis in Verfahren des Allgemeinen Strafrechts wie auch des Jugendstrafrechts genutzt werden. Bestätigen ließ sich etwa die in früheren Untersuchungen immer wieder konstatierte dominante Bedeutung von Tatschwere und Vorstrafen für das Strafmaß, wohingegen sich erwartungswidrig ein nur begrenzter Effekt von vorliegender Verständigung
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zwischen Gericht und Verfahrensbeteiligten (gemessen am Verzicht auf Vernehmung des Tatopfers) darstellte. Hinsichtlich der Verurteilung nach Jugendstrafrecht ließ sich die vielfach vertretene These, die jungen Verurteilten würden mit Blick auf Erziehungsbedürfnisse unverdient härter abgeurteilt als Erwachsene, (erfreulicherweise) nicht bestätigen.
3. Jugendstrafrecht Für einen juristischen Kriminologen, insbesondere wenn er an Jugendkriminologie sowie an Straftheorie und an Sanktionenrecht interessiert ist, liegt es überaus nahe, sich auch im Bereich des Jugendstrafrechts zu engagieren. Meine ersten einschlägigen Arbeiten waren dem System der Jugendstrafe gewidmet. Dabei ging es darum, der Illusion entgegenzusteuern, die Jugendstrafe wegen „schädlicher Neigungen“ sei genuine Erziehungssanktion und weitgehend losgelöst von Aspekten des Schuldausgleichs. Bei der Jugendstrafe wegen der Schwere der Schuld wiederum war der gerade von der Rechtsprechung vertretenen Annahme zu widersprechen, es gehe hier um einen spezifischen, weitestgehend subjektiv geprägten Schuldbegriff. Offenbar ist es Ziel dieses wenig überzeugenden Sonder-Begriffsverständnisses, die am Erwachsenenstrafrecht eingeübten Justizjuristen von einer allzu sehr am Erfolgsunrecht geprägten Strafbemessung abzuhalten. Eine meiner wenigen strafprozessualen Arbeiten betraf das Öffentlichkeitsprinzip im Jugendstrafverfahren. Auch bei diesem, im Rechtsstaatsprinzip und in den Anforderungen eines von den Bürgern getragenen Strafrechts verankerten Verfahrensgrundsatz legt man in der Rechtsprechung und der herrschenden Lehre den Fokus ganz auf den Schutz des jungen Angeklagten, nämlich durch Nichtöffentlichkeit. Allerdings gibt das Jugendgerichtsgesetz Vorgaben, wonach beim Zusammentreffen von jugendlichem Angeklagten und – eventuell personenidentischem – höheraltrigem Angeklagten dem Öffentlichkeitsprinzip zumindest gesteigerte Beachtung, wenn nicht gar Vorrang gebührt. Angesichts dieser Gesetzeslage erscheint mir – trotz allen Engagements für ein jugendangemessenes Verfahren – die von der herrschenden Meinung vertretene Lockerheit im Umgang mit dem für unser Strafrechtssystem zentralen Öffentlichkeitsprinzip bedenklich. In der Antrittsvorlesung in Erlangen beschäftigte ich mich näher mit dem Erziehungsgedanken. Herauszuarbeiten war, dass der Erziehungsanspruch des Jugendstrafrechts nur ein sehr zurückgenommener sein kann, der wenig mit elterlicher Erziehung gemein hat. Vielmehr geht es um einen weitgehenden Verzicht auf formelle strafrechtliche Sanktionierung und auch im Übrigen um eine zurückhaltende Tatreaktion im Sinne von „nil nocere“; dabei stehen das Bemühen um
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Normvermittlung und das Initiieren von sozial konstruktiven Lernvorgängen im Vordergrund. Auf eine Reihe weiterer Veröffentlichungen zum Jugendstrafrecht kann hier nicht eingegangen werden. Besonders erwähnt werden soll aber mein Referat beim 64. Deutschen Juristentag in Berlin 2002, bei dem sich die strafrechtliche Abteilung der Frage widmete: „Ist das deutsche Jugendstrafrecht noch zeitgemäß?“ Während der DJT-Gutachter Hans-Jörg Albrecht eine in einiger Hinsicht radikale Wende befürwortete, schienen mir begrenzte Korrekturen, insbesondere im Sanktionenbereich, sinnvoller. Letztlich gab die für das Erarbeiten des Referats nötige Konzentration auf eine Reihe von jugendstrafrechtlichen Fragen den letzten Anstoß dazu, das in langjähriger Vorlesungstätigkeit gereifte Skriptum für eine Veröffentlichung um- und auszubauen. Im Jahre 2003 erschien so das Kurzlehrbuch „Jugendstrafrecht“, das inzwischen die 5. Auflage erreicht hat.6
4. Sanktionenrecht Für einen Strafrechtler und Kriminologen nicht weniger naheliegend ist eine Beschäftigung mit Fragen der Sanktionen des Allgemeinen Strafrechts. Denn hier treffen Aspekte der Strafrechtsdogmatik, der Straftheorie, der Kriminalprognose und der kriminologischen Evaluationsforschung aufeinander. Bereits in der Habilitationsschrift (vgl. oben IV.) und dann immer wieder in Aufsätzen und Urteilsanmerkungen habe ich zu Fragen der Strafzumessung Stellung genommen. Hinsichtlich der Strafzumessungsbegründung votierte ich für ein zweistufiges Modell, wonach auf der ersten Stufe ein Abgleich mit bereits abgeurteilten Fällen einen Einstiegspunkt in den gesetzlichen Strafrahmen markiert, während auf der zweiten Stufe die Besonderheiten des abzuurteilenden Falles strafmildernde und/oder strafschärfende Argumente ergeben. Von den Strafzumessungstheorien erscheint mir nach wie vor die von der herrschenden Meinung vertretene Spielraumtheorie als am relativ plausibelsten, wonach das Gericht die Strafe innerhalb des konkreten, fallbezogenen Schuldrahmens nach Maßgabe von Strafzweckerfordernissen definiert. Tatsächlich haben auch meine Studierendenbefragungen zur Strafzumessung bezüglich eines Affekttotschlags gezeigt, dass die Präferenz für eine bestimmte Strafhöhe nicht besagt, es würde eine in Maßen niedrigere oder höhere Strafe als ungerecht angesehen. Gerade mit Blick auf das verfassungsrechtliche Verhältnismäßigkeitsprinzips erscheint aber eine ganz freie Nutzung dieses durch den einzelnen Richter wahrgenommenen fallbezogenen Schuldrahmens schwerlich rechtfertigbar. Deshalb ergibt sich die Di-
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Streng, Franz, Jugendstrafrecht, 5. Aufl. 2020.
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rektive, die Strafe grundsätzlich am unteren Rand des Schuldrahmens zu lozieren, wenn nicht gewichtige Strafzweckerfordernisse eine höhere Strafe einfordern. Man kann hier von einer „asymmetrischen Spielraumtheorie“ sprechen. Ein Resümee zu einem Teil dieser Überlegungen findet sich in meinem Begleitaufsatz zum 72. Deutschen Juristentag 2018 in Leipzig. Der strafrechtlichen Abteilung war die Frage gestellt worden: „Sentencing Guidelines versus freies richterliches Ermessen – Brauchen wir ein neues Strafzumessungsrecht?“ Durchaus nicht in Widerspruch zum DJT-Gutachten von Johannes Kaspar wiederholte ich den bereits in der Habilitationsschrift erarbeiteten Vorschlag, ein computergestütztes bundesweites Strafzumessungs-Informationssystem einzurichten. Durch dieses soll es dem Tatrichter – aber auch dem Staatsanwalt und dem Verteidiger – ermöglicht werden, anhand der markanten Tatumstände des abzuurteilenden Falles die Verteilung und auch die Durchschnittswerte der zu entsprechenden Fällen bisher rechtskräftig verhängten Strafen abzufragen. Dies würde zunächst den regionalen Strafzumessungsunterschieden entgegenwirken und insgesamt zu einer Verringerung der hoch problematischen Strafzumessungsdiskrepanzen beitragen – ohne die richterliche Verantwortung des nun sogar besser informierten Richters einzuschränken. Dass die neue Informationsbasis auch für die Arbeit der Revisionsgerichte und für den Gesetzgeber nützlich sein würde, erscheint naheliegend. Angesichts der langdauernden und intensiven Beschäftigung mit Fragen der Strafzumessung war mir die Erstbearbeitung der §§ 46, 46a, 46b, 47 StGB im Nomos-Kommentar anvertraut worden. Inzwischen befindet sich dieser Kommentar in der 5. Auflage von 2017, die 6. Auflage ist in Vorbereitung. Das Sanktionenrecht reicht naturgemäß weit über den Bereich der Strafzumessung hinaus. Wiederholt geäußert habe ich mich zur Legitimierbarkeit der wohl problematischsten Sanktion des deutschen Strafrechts, der Sicherungsverwahrung. Beiträge entstanden auch zur Unterbringung nach § 63 StGB, zur lebenslangen Freiheitsstrafe, zum Fahrverbot, aber auch zur Kriminalprognose, zur Geldstrafe und zum Gnadenrecht. Einer Reform des Sanktionensystems galt der Vortrag „Modernes Sanktionenrecht?“ bei der Strafrechtslehrertagung 1999 in Halle/Saale. Zum Strafvollzugsrecht haben Gabriele Kett-Straub und ich im Jahre 2016 ein Studienbüchlein publiziert. Letztlich hat das umfassende Interesse an den strafrechtlichen Sanktionen und den Fragen der Schuldfähigkeit sich in dem (oben in V.) bereits erwähnten Lehrbuch der „Strafrechtlichen Sanktionen“, das in 3. Auflage von 2012 vorliegt, niedergeschlagen.
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5. Allgemeines Strafrecht – ohne Sanktionenrecht Auf der Ebene des objektiven Tatbestands hat mich in den letzten Jahren die Handlungsform des Unterlassens besonders beschäftigt. Immer weniger plausibel erschien es, bloße Phänomenologie für die Abgrenzung von Tun und Unterlassen ausreichen zu lassen. Überzeugender mutet das Abstellen auf eine Kausalitätsbetrachtung an. Wer garantenpflichtwidrig darauf verzichtet, in einen potentiell erfolgsträchtigen Kausalverlauf einzugreifen und dadurch einen Erfolg abzuwenden, unterlässt im Rechtssinne. Dies gilt auch dann, wenn er eine bereits begonnene Abwendungshandlung aktiv wieder zurücknimmt – etwa durch Abkoppeln von einem Beatmungsgerät. Wer inaktiv bleibt, und gerade dadurch selbst einen tatbestandsmäßig-schädigenden Kausalverlauf in Gang setzt, unterlässt nicht im Sinne von § 13 StGB eine Erfolgsabwendung, sondern verwirklicht die tatbestandsmäßige Schädigung durch „passives Tun“, wobei seine Handlungspflicht aber noch zu klären bleibt. Auf der Ebene des subjektiven Tatbestands habe ich error in persona und aberratio ictus, die Hemmschwellentheorie für die Abgrenzung des dolus eventualis vom dolus directus und die Absicht rechtswidriger Zueignung/Bereicherung bei den Eigentums- und Vermögensdelikten näher untersucht. Des Weiteren waren das subjektive Rechtfertigungselement und der Erlaubnistatbestandsirrtum wichtige Themen. Eine in der Folge der Angriffe auf die Twin Towers des New Yorker World Trade Centers auftretende Diskussion betraf den Defensivnotstand bei terroristischen Angriffen. In der Lehre wurde und wird vielfach die Meinung vertreten, dass der Abschuss eines mit Passagieren besetzten und von Terroristen auf sensible Ziele gelenkten Flugzeugs durch einen Defensivnotstand gerechtfertigt sein könne. Dem war zu widersprechen, da die Passagiere in derartigen Konstellationen nicht als Angreifer anzusehen sind und ihnen auch kein Sonderopfer für die Gemeinschaft aufzuerlegen ist. Straflosigkeit eines die Passagiermaschine abschießenden Bundeswehrpiloten kann sich allerdings aus den Grundsätzen des entschuldigenden übergesetzlichen Notstands oder eines Strafausschließungsgrunds ergeben. Hinsichtlich des versuchten Delikts habe ich mich sowohl mit dem subjektiven wie dem objektiven Versuchstatbestand näher beschäftigt. Zum einen ging es um die Frage, inwieweit Fehlvorstellungen von Teilnehmern der Tat deren Versuchsstrafbarkeit beeinflussen. Eng damit verwandt ist die Unterscheidung von straflosem Wahndelikt einerseits und einem den Tatentschluss nicht berührenden Irrtum über normative Tatbestandsmerkmale andererseits. Hier mündete die Untersuchung in die Empfehlung einer „Vollendbarkeitsprobe“. Denn die Versuchs-
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strafbarkeit muss – nicht weniger als die Vollendungsstrafbarkeit ‒ auf den Verbotsbereich der jeweiligen Strafnorm begrenzt bleiben. Eine weitere Untersuchung begründete Kritik an den BGH-Entscheidungen zum „MünzhändlerFall“ und zum „Giftfallen-Fall“, da diese den objektiven Versuchstatbestand über eine bloße Manifestation des Tatentschlusses hinaus durch weitere Elemente – m. E. systemwidrig – ergänzt haben. Eine Brücke zum Sanktionenrecht schlug eine weitere Arbeit mit der Frage nach dem Eintritt einer Regelwirkung ‒ etwa bei § 243 StGB ‒ in Versuchsfällen. Der in der Lehre verbreitete Ansatz, die ungeliebte Regelbeispielstechnik immerhin dann zu unterlaufen, wenn das Regelbeispiel nur versucht ist, erwies sich als wenig konsequente Lösung; nur der Gesetzgeber kann die problematische Strafrahmensystematik des StGB heilen.
Die Rücktrittsdogmatik übte seit Beginn meiner Beschäftigung mit der Strafrechtsdogmatik eine große Anziehungskraft aus, womit ich unter den juristischen Kriminologen nicht allein stehe. Vermutlich liegt das daran, dass hier eine kriminalpolitische Dimension deutlicher hervortritt als in manch anderem Bereich der Dogmatik des Allgemeinen Teils. Zunächst galt meine Aufmerksamkeit dem Teilrücktritt im Sinne eines Abstandnehmens von qualifizierenden Tatmerkmalen. Dieser bis dahin kaum behandelten Fragestellung steht der Bundesgerichtshof bis heute deutlich reservierter gegenüber als ich. Der von mir wenig später erörterte Rücktritt in Fällen eines mit Eventualvorsatz begangenen Versuchs bereitet Probleme mangels eines definitiven Schädigungswillens, den man folglich auch nicht aufgeben kann im Sinne von § 24 StGB. In Fällen des körperlichen Angriffs auf eine Person erschien mir freilich das Widerstehen einer hier häufig in der Aktion sich entwickelnden Tatdynamik als prämierungswürdig. In Teilen der Literatur ergab sich hiergegen Kritik, weil man sich nicht von kriminologischen – gar tiefenpsychologischen – Befunden abhängig machen wollte. Wieder einmal zeigten sich die nicht unerheblichen Widerstände dagegen, die Empirie für die Dogmatik fruchtbar zu machen. Letztlich könnte man die Probleme um den Rücktritt in dolus eventualis-Konstellationen wohl nur in der Weise lösen, dass de lege ferenda für Versuchsstrafbarkeit stets dolus directus vorausgesetzt wird. Beschäftigt hat mich des Weiteren die Frage der Rücktrittsmöglichkeit bei erfolgsqualifiziertem Versuch. Entgegen der großzügigen Linie in Rechtsprechung und herrschender Lehre kann hier eine restriktive Position eher überzeugen. Etwa muss im Falle eines schon eingetretenen Nötigungserfolges der strafbefreiende Rücktritt vom Raubversuch durch Abstandnehmen allein vom Diebstahlstatentschluss ausscheiden. Da das Aufgeben der Tat lediglich die Schuld, oder nach herrschender Meinung die Bestrafung, nicht aber das bereits verwirklichte Tatunrecht beeinflusst, sind diese Zurechnungsfragen – natürlich im Rahmen des Wort-
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lauts von § 24 StGB – gerechtigkeitsbezogen und kriminalpolitisch zu entscheiden. Die Arbeiten im Bereich des Besonderen Teils sollen hier nur kurz angerissen werden. Meine Aufmerksamkeit fand zunächst die Volksverhetzungsvorschrift des § 130 Abs. 1 StGB und die Pönalisierung der „Auschwitzlüge“ in § 130 Abs. 3 StGB. Auch den Verleumdungstatbestand sieht man gemeinhin als Äußerungsdelikt an. Freilich erscheint mir hier der Verzicht auf einen Drittbezug und daher eine Interpretation des Verleumdungstatbestands als Zuschreibungsdelikt sehr viel plausibler, da derart auch das Fabrizieren einer ehrenrührigen Faktenlage erfassbar ist. Dass mich auch die Eigentums- und Vermögensdelikte zu wissenschaftlichen Arbeiten herausgefordert haben, kann angesichts der regelmäßig gehaltenen Vorlesungen zum Besonderen Teil kaum überraschen. Beim Diebstahlstatbestand ging es etwa um die rechtlichen Anforderungen an das Tatobjekt und um Fehlvorstellungen über das faktisch Weggenommene. Die herrschende Einstufung des Rechtswidrigkeitselements als objektive Dimension im Rahmen von Zueignungsabsicht wurde einer kritischen Prüfung unterzogen. Hinsichtlich des den Diebstahl oder Raub qualifizierenden Beisichführens eines „anderen gefährlichen Werkzeugs“ stellte ich auf eine „Waffenersatzfunktion“ des gefährlichen Werkzeugs ab. Bezüglich der Struktur des Raubtatbestands war Untersuchungsgegenstand die „finale Verknüpfung“ von Nötigung und Wegnahme; als Kriterium ergab sich hier, ob ohne die von ihm geplante Wegnahme der Täter auch die fragliche Nötigungshandlung nicht durchgeführt hätte. Auch wenn ich – nicht nur im Bereich des Besonderen Teils – gelegentlich eher technische Strafrechtsdogmatik betrieben habe, war es mir stets wichtig, das System und die gesellschaftliche Funktion der behandelten Rechtsinstitute im Auge zu behalten. Insbesondere eine sozialpsychologische und kriminologische Betrachtung scheint mir in vielen Fällen unverzichtbar, um der Gefahr einer doktrinären „Strafrechtswissenschaft im Blindflug“ zu entgehen.
6. Wissenschaftsgeschichte Nach Übernahme des Erlanger Lehrstuhls stellte ich fest, dass in der Seminarbibliothek viel kriminologische Literatur aus dem „Dritten Reich“ angesammelt worden war. So ließ sich schnell ein über meinen bisherigen Wissensstand hinausreichender Überblick zur damaligen Kriminalbiologie gewinnen, der – vorsichtig ausgedrückt – nachdenklich stimmen musste. Es zeigte sich, dass man in Deutschland die bereits vor 1933 in der internationalen Kriminologie stark beachteten kriminalbiologischen Ansätze dann im Schulterschluss mit der national-
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sozialistischen Rassenideologie auf die Spitze getrieben hatte, wobei wissenschaftliche Standards gerade auch im Bereich empirischer Forschung ignoriert worden waren. Der Titel meines daraufhin entstandenen Aufsatzes benennt die Auswirkungen: „Der Beitrag der Kriminologie zu Entstehung und Rechtfertigung staatlichen Unrechts im ‚Dritten Reich‘“. In der Folge wurde ich gebeten, für einen Sammelband „Kriminalbiologie“ eine Art Fortsetzung hinein in die Nachkriegszeit zu liefern. Unter anderem war darin zu berichten, wie lange sich die Kriminalbiologie, trotz der mit ihr verbundenen nationalsozialistischen Exzesse, in der Bundesrepublik als kriminologischer Mainstream hatte halten können. Der Umschwung geschah erst ab Ende der 1960er-Jahre zunächst in Gestalt eines Sieges makro-soziologischer Orientierung, was die täterorientierte Kriminologie insgesamt für eine Zeitlang in die zweite Reihe verbannte. Zwei weitere historische Arbeiten galten Franz v. Liszt. Zunächst ging es um ihn als Kriminologen. Obschon seine Bedeutung für die Kriminologie sicher weniger groß war als sein kriminalpolitischer Einfluss, hatte er doch prägende Bedeutung für die Entwicklung einer empirisch-kriminologischen Schule, die insbesondere mit staatlichen Daten arbeitete. Obwohl v. Liszt im Jahre 1907 ganz entschieden und mit statistischen Belegen der Behauptung einer überhöhten Kriminalitätsbelastung der Juden entgegengetreten war, haben einige seiner prominenten Schüler später in wenig rühmlicher Art den nationalsozialistischen Rassenansatz vertreten. Der zweite Beitrag stand unter dem Titel „Franz v. Liszt und das Jugendstrafrecht“. Hervorzuheben war v. Liszts besonderes und wirkmächtiges Engagement für die Schaffung eines am Besserungs- bzw. Erziehungsgedanken orientierten Jugendstrafrechts und für eine Stärkung von Jugendfürsorge und Jugendgerichtshilfe.
VIII. Beziehungen zum Ausland Als besonders bereichernder Bestandteil des Wissenschaftlerlebens erwiesen sich die internationalen Kontakte. Diese ergaben sich etwa bei einer Reihe von Vorträgen an mittel- und nordeuropäischen Universitäten. Als besonders intensiv und eindrucksvoll erwiesen sich Vortragsreisen nach Asien und nach Griechenland. Eine erste Reise nach Asien führte 1994 nach Seoul, um Vorträge am Korean Institute of Criminology und an der Hanyang-Universität zu halten. Betreuer an der Hanyang-Universität war Professor Young-Whan Kim, der bei Arthur Kaufmann promoviert hatte und durch seine ausgezeichneten Kenntnisse des deutschen Strafrechts beeindruckte. Dieser Kontakt ist erfreulicherweise erhalten geblieben.
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Eine Einladung nach Japan war Folge des sich bei einer Tagung ergebenden Zusammentreffens mit Professor Koichi Miyazawa von der Keio-Universität in Tokio. Dieser ließ sich mit dem Untertitel der ihm gewidmeten Festschrift ganz treffend als „Wegbereiter des japanisch-deutschen Strafrechtsdiskurses“ bezeichnen. Da in den 1950er-Jahren seine erste Station in Deutschland die Universität Heidelberg gewesen war, hat er mich als ehemaligen Heidelberger mit besonderem Wohlwollen bedacht und 1998 als Vortragenden zu einer Tagung der Deutsch-Japanischen Juristenvereinigung nach Tokio eingeladen. Aus diesem ersten Besuch wurden im Weiteren sechs Vortragsreisen nach Japan. Diese Entwicklung wurde ganz wesentlich durch den Miyazawa-Schüler Professor Makoto Ida von der Keio-Universität, jetzt an der Chuo-Universität in Tokio, getragen. Dieser hatte in Erlangen am Lehrstuhl von Karl Heinz Gössel einige Zeit als Gastwissenschaftler verbracht und wurde von Hans Joachim Hirsch in Köln promoviert. Als Preisträger des Philip Franz von Siebold-Preises der Alexander von Humboldt-Stiftung verbrachte er 2007–2008 ein halbes Jahr an meinem Lehrstuhl. Im Jahr 2012 wurde er zum Dr. h. c. der Friedrich-Alexander-Universität ernannt. Er ist nicht nur exzellenter Kenner auch des deutschen Strafrechts, sondern überdies den empirischen Wissenschaften gegenüber in besonderer Weise aufgeschlossen. Wenn er einen seiner deutschsprachigen Aufsätze veröffentlicht hat, landet dieser stets ganz oben auf dem Stapel der von mir zu lesenden Arbeiten. Aus diesen, in beeindruckend klarer Diktion verfassten Aufsätzen lässt sich stets großer Gewinn ziehen. Umso erfreulicher war eine erneute intensivere Zusammenarbeit mit dem inzwischen zum Freund gewordenen Kollegen, als die Keio-Universität mir für den März 2015 eine Gastprofessur anvertraute (Distinguished Guest Professor [Global]).
Die Berührungen mit dem japanischen und dem – daraus hervorgegangenen ‒ koreanischen Strafrecht erwiesen sich als straftheoretisch hoch interessant. Zunächst auffallend war, dass koreanische Juristen meine Ablehnung der sentencing guidelines überhaupt nicht teilen mochten. Die Idee, dass der Strafrichter ohne derartige Instrumente in eigener Verantwortung unter Rückgriff auf staatsbürgerliche Wertungen die angemessene Strafe bestimmt, war ihnen recht fremd. Auch bei den Japan-Aufenthalten wurde deutlich, dass das aus Deutschland übernommene Strafrecht eine Funktion ganz wesentlich als Handlungsanweisung für die Juristen besitzt, aber vergleichsweise wenig mit den Wertorientierungen und Handlungsmaximen der Bürger verbunden ist. Dies dürfte dazu geführt haben, dass das japanische Strafgesetzbuch sehr viel seltener reformiert bzw. verändert wurde als das deutsche. Freilich versucht man den Kontakt zwischen den Anschauungen der japanischen Bevölkerung und der Strafrechtsanwendung nun zu fördern, indem man vor kurzem Schöffengerichte geschaffen hat.
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Eine weitere wichtige Verbindung hat sich zur Nationalen und Kapodistrias Universität Athen ergeben. In den Jahren 2004 und 2005 lud mich Professor Leonidas Kotsalis, der bei Jürgen Baumann in Tübingen promoviert hatte, zu Vorträgen über Fragen strafrechtlicher Schuld zu den von der Universität und dem Goethe-Institut Athen gemeinsam veranstalteten Tagungen ein. Für den deutschen Teilnehmer auffallend war, welch extrem große Bedeutung der Bezugnahme auf die klassische Philosophie in den Stellungnahmen der griechischen Kollegen zukam. Zu den Kontakten nach Griechenland war es gekommen, weil auch der Gastgeber Kotsalis einen zentralen Forschungsschwerpunkt im Bereich der Schuldfähigkeit hatte. Er hat zu dieser Thematik wichtige Beiträge auch in deutscher Sprache vorgelegt. Im März 2010 von ihm erneut als Vortragender nach Athen eingeladen, wurde mir die große Ehre zuteil, den Ehrendoktorgrad der Universität Athen verliehen zu bekommen. Gegen Ende meiner Dienstzeit als Lehrstuhlinhaber beschloss ich, außer den genannten ausländischen Kollegen (Miyazawa war freilich schon verstorben) weitere japanische und koreanische Kollegen zusammen mit spanischen und deutschen Kollegen zu einer rechtsvergleichenden Tagung nach Erlangen einzuladen. Gefördert worden ist dieses Projekt dankenswerterweise von der Volkswagen-Stiftung. Die Referate und Diskussionen wurden 2012 unter dem Titel „Strafrechtsvergleichung als Kulturvergleich“ veröffentlicht.7
IX. Tätigkeiten im wissenschaftsnahen Bereich Immerhin Berührungspunkte zum Gebiet der Wissenschaft haben einige Tätigkeiten, die nachfolgend noch angesprochen seien. Bereits in der Eingewöhnungsphase in Erlangen ergab sich im Herbst 1991 die Übernahme der Vorsitzenden-Position in der Regionalgruppe Nordbayern der „Deutschen Vereinigung für Jugendgerichte und Jugendgerichtshilfen e.V.“. Der bisherige Vorsitzende, der von Erlangen an die Universität Heidelberg gewechselte Dieter Dölling, überzeugte mich von der Notwendigkeit der Übernahme dieser Aufgabe, da nur so das Fortbestehen dieser wichtigen Fortbildungsinstitution für die Akteure im Feld des Jugendstrafrechts möglich schien. Die DVJJ-Regionalgruppe veranstaltet zum einen Institutionsbesichtigungen (z. B. Strafvollzugsanstalt, Fachklinik, Jugendhilfeeinrichtung) und zum anderen alljährlich eine ganztägige Fachtagung zu wechselnden Themen. Bis jetzt bin ich Vorsitzen
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Streng, Franz/Kett-Straub, Gabriele (Hrsg.), Strafrechtsvergleichung als Kulturvergleich – Beiträge zur Evaluation deutschen „Strafrechtsexports“ als „Strafrechtsimport“, 2012.
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der der Regionalgruppe und Mitglied des Geschäftsführenden Ausschusses der DVJJ geblieben, obwohl nun unter erschwerten Bedingungen, da seit der Emeritierung die frühere technische Unterstützung durch das Lehrstuhlsekretariat entfallen ist. Belohnt werde ich nach wie vor durch vielfältige Anregungen aus der Praxis für meine wissenschaftliche Tätigkeit. Gleichfalls ein Langzeitprojekt hat sich in der Tätigkeit für die Friedrich-EbertStiftung ergeben. Bereits an der Universität Konstanz als Vertrauensdozent tätig gewesen, wurde ich 1994 zum Mitglied des Auswahlausschusses der Studienförderung berufen. Auch diese recht aufwändige Tätigkeit dauert bis heute an. Belohnt wird man hier durch die vielfältig interessanten Gespräche mit Studierenden verschiedener Fachrichtungen und durch die informativen und anregenden Diskussionen mit den in unterschiedlichen Wissenschaftsdisziplinen und Berufsfeldern beheimateten anderen Mitgliedern des Auswahlausschusses. Wiederholt wurde ich gebeten, in parlamentarischen Rechtsausschüssen Stellungnahmen abzugeben, etwa im Bundestag, im Bayerischen Landtag und im Rheinland-Pfälzischen Landtag. Im Bundestag wurde ich zur Reform der Führungsaufsicht angehört. Sehr klar war hier, dass der Koalitionskompromiss bereits festgezurrt worden war, weshalb die Anhörung mehr zur Kategorie „Legitimation durch Verfahren“ als zur Kategorie ernsthaften Zuhörens rechnete. Auf weitere Beteiligungen dieser Art habe ich verzichtet. Offener und fruchtbarer scheinen mir die Anhörungen im Bayerischen Landtag zum Strafvollzugsgesetz, zum Sicherungsverwahrungsgesetz und zum psychiatrischen Maßregelvollzug verlaufen zu sein. In neuerer Zeit sind Aufgaben in Beiräten hinzugekommen. Nach Gründung des 2010 in Erlangen angesiedelten Kriminologischen Dienstes des bayerischen Strafvollzugs wurde ich zum Mitglied von dessen Wissenschaftlichem Beirat ernannt. Noch jüngeren Datums ist die Schaffung von Maßregelvollzugsbeiräten an den verschiedenen bayerischen Maßregelvollzugseinrichtungen; im Erlanger Beirat bin ich seit dessen Gründung im Jahre 2016 tätig.
X. Festschrift zum 70. Geburtstag Sehr gefreut habe ich mich darüber, dass die Erlanger Strafrechtslehrer mir zum 70. Geburtstag eine Festschrift gewidmet haben. 56 Beiträge in- und ausländischer Kolleginnen und Kollegen aus den Bereichen Strafrecht und Kriminologie sind in diesem Werk versammelt, das 2017 bei C. F. Müller in Heidelberg erschienen ist. Die von den Autoren in die Beiträge investierte große Mühe hat mich ver
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legen und ein klein wenig stolz gemacht. Und ganz gewiss war das Lesen der Beiträge nicht etwa Pflicht, sondern Vergnügen.
XI. Rückblick Dass auch nach Emeritierung/Pensionierung sehr viele Universitätsprofessoren weiterhin in der Wissenschaft und teils auch in der Lehre tätig sind, macht deutlich, dass der Hochschullehrerberuf kein normaler Beruf ist, sondern auch Hobby und vielleicht sogar Lebenserfüllung. Durchaus in diesem Sinne stellt sich im Rückblick das Einschlagen der Universitätslaufbahn als eine das ganze Leben prägende Richtungsentscheidung dar, die ich nicht besser hätte treffen können. Diese Entscheidung und der günstige weitere Verlauf der Dinge wären ohne Ermunterung und Unterstützung seitens der akademischen Förderer und meiner Frau so nicht denkbar gewesen. Ihnen gebührt mein Dank!
Schriftenverzeichnis (Aufsätze in Auswahl ‒ nach Sachgebieten) 1. Schuldprinzip, Straftheorie, forensische Begutachtung und Kriminalpolitik Psychoanalyse und Strafrecht, MschrKrim 59 (1976), S. 77–92. Schuld, Vergeltung, Generalprävention – Eine tiefenpsychologische Rekonstruktion strafrechtlicher Zentralbegriffe, ZStW 92 (1980), S. 637–681. Schuld ohne Freiheit? – Der funktionale Schuldbegriff auf dem Prüfstand, ZStW 101 (1989), S. 273–334. Die Öffnung der Grenzen und die Grenzen des Strafrechts, JZ 1993, S. 109–119. Psychowissenschaftler und Strafjuristen – Verständigungsebenen und Kompetenzkonflikte bei der Schuldfähigkeitsentscheidung, NStZ 1995, S. 12–16 und S. 161–165. Überfordern Sexualstraftaten unser Strafrechtssystem? – Kriminalpolitische Überlegungen zum Verhältnis von Tat- und Täterstrafrecht, in: Festschrift für Günter Bemmann, 1997, S. 443–464. „actio libera in causa“ und Vollrauschstrafbarkeit – rechtspolitische Perspektiven, JZ 2000, S. 20–27. Probleme der Strafrechtsgeltung und ‑anwendung in einem Europa ohne Grenzen, in: Zieschang, Frank/Hilgendorf, Eric/Laubenthal, Klaus (Hrsg.), Strafrecht und Kriminalität in Europa, 2003, S. 143–164.
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„Komorbidität“, Schuld(un)fähigkeit und Maßregelanordnung – Befunde zur rechtlichen Relevanz des Zusammentreffens mehrerer psychischer Störungen, StV 2004, S. 614–620. Bürgerstrafrecht oder Feindstrafrecht? – Zu den Gefahren der Folgenorientierung für ein „demokratisches Strafrecht“, in: Berg, Manfred/Kapsch, Stefan J./Streng, Franz (Hrsg.), Criminal Justice in the United States and Germany – Strafrecht in den Vereinigten Staaten und Deutschland, 2006, S. 195–218. Die Schuldfähigkeitsentscheidung bei Persönlichkeitsstörungen, Paraphilien und Süchten, in: Festschrift für Argyrios Karras, 2010, S. 189–214. Strafrechtsexport als Strafrechtsimport – zugleich rechtskulturvergleichende Hypothesen zu Deutschland und Japan, in: Streng, Franz/Kett-Straub, Gabriele (Hrsg.), Strafrechtsvergleichung als Kulturvergleich. Beiträge zur Evaluation deutschen „Strafrechtsexports“ als „Strafrechtsimport“, 2012, S. 1–22. Schuldausgleich im Zweckstrafrecht? – Befunde und Überlegungen zu Schuld, Vergeltung und Generalprävention, in: Festschrift für Bernd Schünemann, 2014, S. 827–842. Grundlagen der Schuld, in: Hilgendorf, Eric/Kudlich, Hans/Valerius, Brian (Hrsg.), Handbuch des Strafrechts, Bd. 2, 2020, S. 717–754.
2. Kriminologie Schußwaffen-Kriminalität – Das Verhältnis des Täters zu seiner Waffe und die Bedeutung der Schußwaffe für Entstehung und Verlauf der Tat, Kriminalistik 1977, S. 197–204. Die Bewältigung des Traumas – Zum Stellenwert spezifischer Opferstrategien im Viktimisierungsprozeß, Bewährungshilfe 1991, S. 5–21 (zusammen mit Dieter Hermann). Fremdenfeindliche Gewaltkriminalität als Herausforderung für kriminologische Erklärungsansätze – Betrachtungen zu Anomie, Status, Subkultur und Heterophobie, Jura 1995, S. 182–191. Kriminalität und Kriminalitätswahrnehmung nach der Vereinigung Deutschlands, in: Festschrift für Christoph Link, 2003, S. 959–983. Verfahrensabsprachen und Strafzumessung – zugleich ein empirischer Beitrag zur Strafzumessung bei Delikten gegen die Person, in: Festschrift für Hans-Dieter Schwind, 2006, S. 447–467.
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Gewalt und Fremdenfeindlichkeit in der Schule. Ergebnisse einer Replikationsstudie, in: Festschrift für Heinz Schöch, 2010, S. 81–99. Sicherheitskrise, Kriminalitätswahrnehmung und Strafhaltung, in: Spinellis, C. D./Theodorakis, Nikolaos u. a.(Hrsg.), Europe in Crisis: Crime, Criminal Justice, and the Way Forward. Essays in Honor of Nestor Courakis, Bd. II, 2017, S. 921–935.
Empirische Befunde zur Situational Action Theory. Eine jugendkriminologische Forschungsnotiz, ZJJ 2017, S. 341–347.
3. Jugendstrafrecht Die Jugendstrafe wegen „schädlicher Neigungen“ (§ 17 II 1. Alt. JGG) – Ein Beitrag zu den Grundlagen und zum System der Jugendstrafe, GA 1984, S. 149–166. Der Erziehungsgedanke im Jugendstrafrecht – Überlegungen zum Ideologiecharakter und zu den Perspektiven eines multifunktionalen Systembegriffs, ZStW 106 (1994), S. 60–92. Ist das deutsche Jugendstrafrecht noch zeitgemäß? Referat beim 64. Deutschen Juristentag, in: Verhandlungen des 64. Deutschen Juristentages Berlin 2002, Bd. II/1, 2002, N 69–108. Jugendstrafrecht zwischen Hilfe und Repression, in: Festschrift für Nikolaos K. Androulakis, 2003, S. 1233–1261. Das Öffentlichkeitsprinzip im Jugendstrafverfahren – Zugleich ein Beitrag zur Altersstufen-Systematik des Jugendgerichtsgesetzes, in: Festschrift für Jürgen Wolter, 2013, S. 1235–1242. Jugendstrafrechtliche Strafzumessung zwischen Tat- und Täterprinzip, GA 2017, S. 80–91.
4. Sanktionenrecht Die Strafzumessungsbegründung und ihre Orientierungspunkte – Ein Beitrag zur Idee und Praxis vergleichender Strafzumessung, NStZ 1989, S. 393–400. Modernes Sanktionenrecht?, ZStW 111 (1999), S. 827–862. Praktikabilität und Legitimität der „Spielraumtheorie“ – Perspektiven einer Strafzumessungstheorie angesichts neuer Befunde und Entwicklungen, in: Festschrift für Heinz Müller-Dietz, 2001, S. 875–903.
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Der Einfluß von Alkohol und Drogen auf Tatbestandserfüllung, Schuldfähigkeit und Strafe, in: Festschrift für Anna Benakis, 2008, S. 593–620. Strafabschlag oder Anrechnung als Strafersatz? Überlegungen zur Reichweite der „Vollstreckungslösung“ des großen Strafsenats, JZ 2008, S. 979–986. Zur Legitimation der Sicherungsverwahrung, StV 2013, S. 236–243. Punitivität und Dekulpation – Befunde und Überlegungen zur Anwendung von § 21 StGB bei Kapitaldelikten, in: Yundina, Elena/Stübner, Susanne u.a, (Hrsg.), Forensische Psychiatrie als interdisziplinäre Wissenschaft. Festschrift zum Geburtstag von Norbert Nedopil, 2012, S. 301–313. Die Todesstrafe – Bemerkungen aus deutscher Sicht (japanisch), in: Ida, Makoto/ Ota, Tatsuya (Hrsg.), Ima Shikei-Seido wo kangaeru (Jetzt nochmals über die Todesstrafe nachdenken!), 2014, S. 89–104. Problembereiche und Reformperspektiven der Unterbringung in einem psychiatrischen Krankenhaus gem. § 63 StGB, ZG 2014, S. 24–42. „Abstand“ zu normalem Strafvollzug auch bei lebenslanger Freiheitsstrafe? Straftheoretische und kriminalpolitische Überlegungen zum „Sicherungsüberhang“ bei lebenslanger Freiheitsstrafe vor dem Hintergrund der Sicherungsverwahrung, JZ 2017, S. 507–513. Perspektiven für die Strafzumessung (Begleitaufsatz zum 72. DJT), StV 2018, S. 593–600. Strafmilderung gem. §§ 21, 49 I StGB auch bei eigenverantwortlich herbeigeführter Trunkenheit?, in: Festschrift für Rudolf Rengier, 2018, S. 113–123.
5. Strafrecht – ohne Sanktionenenrecht Tatbegriff und Teilrücktritt – Zugleich eine Besprechung zum Urteil des BGH vom 23.8.1983 – 5 StR 408/83, JZ 1984, S. 652–656. Verleumdung durch Tatsachenmanipulation?, GA 1985, S. 214–230. Das Unrecht der Volksverhetzung, in: Festschrift für Karl Lackner, 1987, S. 501– 526. Die Strafbarkeit des Anstifters bei error in persona des Täters (und verwandte Fälle) – BGHSt 37, 214, JuS 1991, S. 910–917. Der Irrtum beim Versuch – ein Irrtum? – Ein Beitrag zur Struktur des Versuchstatbestandes, ZStW 109 (1997), S. 862–899.
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Wie „objektiv“ ist der objektive Versuchstatbestand? Der „komplettierte Tatentschluß“ und seine Ausführung durch Tun oder Unterlassen, in: Gedächtnisschrift für Heinz Zipf, 1999, S. 325–350. Die „Waffenersatzfunktion“ als Spezifikum des „anderen gefährlichen Werkzeugs“ (§ 244 Abs. 1 Nr. 1a, § 250 Abs. 1 Nr. 1a StGB), GA 2001, S. 359–368. Kindliche Delinquenten im Ermittlungsverfahren – de lege lata und de lege ferenda, in: Festschrift für Karl Heinz Gössel, 2002, S. 501–510. Das subjektive Rechtfertigungselement und sein Stellenwert – Grundlagen, Anforderungen und Irrtumskonstellationen, in: Festschrift für Harro Otto, 2007, S. 469–487. Rücktritt vom erfolgsqualifizierten Versuch? – Die aufzugebende „Tat“ i. S. v. § 24 I StGB und das Analogieverbot, in: Festschrift für Wilfried Küper, 2007, S. 629–644.
Das Wahndelikt – ein Wahn? Überlegungen zum umgekehrten Irrtum über normative Tatbestandsmerkmale, GA 2009, S. 529–540. Gerechtfertigte Aufopferung Unbeteiligter? Anmerkungen zum Defensivnotstand bei terroristischen Angriffen, in: Festschrift für Heinz Stöckel, 2010, S. 135–157. „Passives Tun“ als dritte Handlungsform – nicht nur beim Betrug. Plädoyer für eine kausalitätsorientierte Abgrenzung von Tun und Unterlassen, ZStW 122 (2010), S. 1–23. Die Struktur des Raubtatbestands. Zugleich ein Beitrag zum Raub als unechtes Unterlassensdelikt, GA 2010, S. 671–683. Straflose „aktive Sterbehilfe“ und die Reichweite des § 216 StGB. Zugleich ein Beitrag zum System der Handlungsformen, in: Festschrift für Wolfgang Frisch, 2013, S. 739–755. Hemmschwellentheorie, Vorsatz und Schuldfähigkeit, in: Festschrift für HansHeiner Kühne, 2013, S. 47–58. Wie weit reicht das Koinzidenzprinzip? Aspekte des Zusammenhangs von Tatbestandsmäßigkeit, Rechtswidrigkeit und Schuld, in: Festschrift für Werner Beulke, 2015, S. 313–325. Objektive Elemente im subjektiven Tatbestand – gibt es die? Überlegungen anhand der Absicht rechtswidriger Zueignung oder Bereicherung gem. § 242 oder § 263 StGB, in: Festschrift für Bernd von Heintschel-Heinegg, 2015, S. 423–433.
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Der Erlaubnistatbestandsirrtum und die Teilnahmefrage – Elemente einer Akzessorietätslösung, in: Festschrift für Hans-Ullrich Paeffgen, 2015, S. 231–245. Art. 103 II GG zwischen allgemeinem Sprachgebrauch und juristischer Fachsprache, in: Bouffier, Volker u. a. (Hrsg.), Grundgesetz und Europa. Liber Amicorum für Herbert Landau zum Ausscheiden aus dem Bundesverfassungsgericht, 2016, S. 471–484.
Rechtsgefühl und Vorverschulden – Zur Bedeutung von Freiheitsintuition und Gerechtigkeitsgefühl für die Schuldformalisierung, in: Festschrift für Urs Kindhäuser, 2019, S. 501–513.
6. Wissenschaftsgeschichte Der Beitrag der Kriminologie zu Entstehung und Rechtfertigung staatlichen Unrechts im „Dritten Reich“, MschrKrim 76 (1993), S. 141–168. Von der „Kriminalbiologie“ zur „Biokriminologie“? – Eine Verlaufsanalyse bundesdeutscher Kriminologie-Entwicklung, in: Justizministerium des Landes NRW (Hrsg.), Kriminalbiologie (Juristische Zeitgeschichte NRW, Band 6), 1997, S. 213–244. Franz v. Liszt als Kriminologe und seine Schule, in: Koch, Arnd/Löhnig, Martin (Hrsg.), Die Schule Franz von Liszts – Sozialpräventive Kriminalpolitik und die Entstehung des modernen Strafrechts, 2016, S. 135–151. Franz v. Liszt und das Jugendstrafrecht – ein Blick zurück nach vorn, ZJJ 2017, S. 208–214.
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https://doi.org/10.1515/9783110703016-019
Thomas Vormbaum Ob ich, wie es in der Einladung zur Teilnahme an diesem Buch hieß, zu jenen gehöre, welche die Strafrechtswissenschaft „maßgeblich beeinflusst“ haben, bezweifle ich. Eher habe ich den Eindruck, dass meine Ansichten, soweit ich sie ausformuliert und veröffentlicht habe, Minderheitspositionen geblieben sind. Wenn ich mich dennoch nach einigem Zögern entschlossen habe, mich zu beteiligen, so deshalb, weil vielleicht mein Beitrag – zusammen mit denen der Altersgenossen gelesen – in der Quersumme für Leser und Leserinnen der jüngeren Generation Einsichten in Geschichte und Lebensumstände der in diesem Band versammelten Generation von Strafrechtslehrern, so unterschiedlich sie im Detail sein mögen, eröffnen könnte.
I. Kindheit und Schulzeit Die Angehörigen dieser Generation sind noch im Zweiten Weltkrieg oder in der unmittelbaren Nachkriegszeit geboren worden. Ich selbst bin 1943 in Münster, der Heimatstadt meiner Mutter, zur Welt gekommen. Die Lebensumstände haben mich später in diese Stadt als meinen jetzigen Wohnort zurückgeführt. Aufgewachsen bin ich aber seit meinem dritten Lebensjahr im Ruhrgebiet, nämlich in Essen, der Heimatstadt meines Vaters. Meine ersten Erinnerungen gehen freilich zurück auf einen westfälischen Bauernhof, wohin meine Familie den Bomben auf Münster entkommen war. 1946 zogen wir nach Essen, wo mein Vater seine Anwaltspraxis wieder aufbauen wollte. Das Ende des Ersten Weltkriegs lag bei meiner Geburt gerade einmal 25 Jahre zurück. Die älteren Lehrer hatten ihre Jugend noch im Kaiserreich verlebt; sie sprachen von der „guten alten Zeit“: Wer nicht vor 1914 gelebt habe, wisse nicht, wie schön das Leben sein könne – ein Satz, den sie bei Talleyrand ausgeliehen hatten, der ihn auf die Zeit vor der Französischen Revolution gemünzt hatte. Für jeden aus unserer Generation gehörte – wenn er nicht auf dem Lande aufgewachsen ist – der Anblick ganzer Straßenzüge von Ruinen zu den Alltäglichkeiten – Bilder, wie sie heute das Fernsehen aus Syrien überträgt. Viele Familien, so auch die Familien meiner Eltern, waren „ausgebombt“ – ein Ausdruck, der damals zur Alltagssprache gehörte. Lebensmittel und viele weitere Artikel gab es einige Jahre lang nur auf Bezugschein. Wer es sich leisten konnte und nicht erwischt wurde, ergänzte seine Einkäufe auf dem „schwarzen Markt“. Mit der Währungsreform 1948 und dem sog. Wirtschaftswunder der 1950er-Jahre verbesserte sich die Lage für viele. Mit den meisten unserer Generation wuchs zugleich auch der Wohlstand heran; die Generation unserer Kinder und Enkel muss hingegen mit der Er-
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fahrung leben, dass die Lebensumstände schwankender geworden sind – wobei die ökologischen Risiken noch gar nicht berücksichtigt sind. Meine Volksschul-Zeit1 verbrachte ich an zwei ganz unterschiedlichen Schulen. In Essen wohnten wir zunächst im vornehmen Stadtteil Bredeney. Die Krupp’sche „Villa Hügel“ lag in fußläufiger Entfernung. Meine Mitschüler kamen zum größten Teil aus wohlsituierten Familien. Wir selbst wohnten zur Untermiete bei der Witwe eines Richters, der nur wenige Wochen vorher gestorben war; der durch seinen Tod „überschüssig“ gewordene Teil der Wohnung (zwei Zimmer) unterlag sogleich der Wohnungs-Zwangsbewirtschaftung; die Obermieterin war immerhin froh, dass ihr die Familie eines Juristen eingewiesen wurde. Weitere drei Jahre später – ich hatte die Hälfte des ersten Schuljahres absolviert – legte mein Vater die inzwischen aufgebaute Anwaltskanzlei in der Essener Innenstadt mit der Wohnung der Familie zusammen, wie es damals (z. B. auch bei Ärzten) noch weit verbreitete Übung war. Der damit verbundene Schulwechsel brachte mich, da in der Essener Innenstadt schon damals keine Grundschule existierte, in die Volksschule des benachbarten Arbeiterviertels Stoppenberg – ein Wechsel, den ich noch heute als „Kulturschock“ in Erinnerung habe, für dessen Überwindung ich einige Wochen brauchte. Außer drei Söhnen von Gastwirten und kleinen Geschäftsleuten des Viertels und mir als einzigem Akademikerkind stammten alle Mitschüler aus Arbeiterfamilien. Ein beachtlicher Teil ihrer Mütter war „Kriegerwitwen“ (auch dies ein damals gängiger Begriff) – ein Phänomen, das ich in der vorigen Schule nicht kennengelernt hatte: Die Väter dort waren eben nicht Kanonenfutter, sondern (meist höhere) Offiziere oder Freigestellte gewesen.
Nach Abklingen des Kulturschocks fand ich rasch Anschluss an die Lebensgewohnheiten und Lebensumstände der neuen Mitschüler. Die unkomplizierten, direkten, realitätsnahen und auf Lebensbewältigung ausgerichteten Umgangsformen, die auch eine offene Gastfreundschaft einschlossen, sind mir eine prägende und nie vergessene soziale Erinnerung geblieben und haben mich vor manchen Vorurteilen meines späteren Lebenskreises bewahrt. Zu diesen Erfahrungen gehörten nicht nur die Annäherung an den Fußball – damals in bügerlichen Kreisen noch (anders als Boxen) eine verächtlich betrachtete Sportart –, sondern auch erste, wenngleich äußerliche Kontakte mit der Politik: Ein großer Teil der Mitschüler war Mitglied der sozialdemokratischen Jugendorganisation „Die Falken“ und trug deren Abzeichen am Revers. Das kategorische Nein meiner Eltern zu einer
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Eigene „Grundschulen“ gab es noch nicht. Alle Schüler besuchten die (damals achtjährige) Volksschule. Schüler, die auf die Realschule oder auf das Gymnasium wechseln wollten, schieden nach dem vierten Schuljahr aus der Volksschule aus.
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eigenen Mitgliedschaft schloss freilich jede weitere Überlegung in dieser Richtung aus. „Mit uns zieht die neue Zeit“ habe ich immerhin – da häufig gehört – damals singen gelernt. Vor der Aufnahme in das Gymnasium stand damals noch generell eine Aufnahmeprüfung, die allerdings keine allzu hohe Hürde bildete. Weniger aus inhaltlichen Gründen als solchen der Wohnortnähe meldeten meine Eltern mich auf dem Burggymnasium in der Essener Innenstadt an. Das Gymnasium gehörte zu den drei letzten rein altsprachlichen Gymnasien (neun Jahre Latein, sechs Jahre Griechisch) in Nordrhein-Westfalen. Die Schule verstand sich überdies als „Eliteschule“, was sich damals in einer sehr intensiven Auslesetätigkeit manifestierte, die mehr als 25 Prozent eines Jahrgangs erreichen konnte und auch mich nicht ungeschoren ließ. Ich habe die Wahl meiner Eltern aber nie bereut, wenngleich sie dazu führte, dass die zweite lebende Unterrichtssprache – Französisch – bei mir stets „unterbelichtet“ blieb. Wer eine solche Schule absolviert hatte, bewegte sich in der europäischen Kultur wie ein Fisch im Wasser. Die Grundlagen und Grundfragen der europäischen Philosophie inhalierte er zugleich mit dem Sprachunterricht. Wissenschaftliche Texte, die bis ins 18. Jahrhundert hinein, teilweise auch noch später, lateinisch verfasst wurden, können im Original gelesen werden. Dass der medizinische, biologische, juristische und mancher andere Fachjargon keine Verständnisprobleme aufwerfen und ein Großteil der gängen Fremdwörter sich leicht erschließt, ist nur ein angenehmer Nebeneffekt. Die unmittelbare Nähe zur Anwaltspraxis meines Vaters führte zur Vertrautheit mit elementaren juristischen Chiffren. Die Unterschiede zwischen BGB und StGB, zwischen ZPO und StPO waren mir bereits als Grundschüler geläufig. Gelegentlich besorgte und holte ich die Anwaltspost meines Vaters aus dem Anwaltszimmer im Landgericht. Und wäre mein Vater nicht gestorben, als ich elf Jahre alt war, wäre ich womöglich auf natürliche Weise in den Anwaltsberuf hineingewachsen. So aber machte ich meine zweite soziale Erfahrung: Damals war der ideelle Wert einer Anwaltspraxis („Goodwill“, Kundenstamm usw.) nicht verkäuflich, und da die Aufbaujahre der Praxis gerade erst beendet gewesen waren und eine anwaltliche Altersversorgung noch nicht existierte, musste plötzlich jeder Pfennig herumgedreht werden. Meine Mutter musste als Büroangestellte arbeiten gehen. Auch diese soziale Erfahrung hat meine sozialpolitische Einstellung geprägt. Die Schulzeit erstreckte sich von der Nachkriegszeit bis in die frühen 1960er-Jahre. Über die politische und gesellschaftliche Atmosphäre der 1950er- und beginnenden 1960er-Jahre ist viel geschrieben worden. Die Charakterisierung als „bleierne Zeit“ ist nicht falsch, erfasst freilich nicht Unter- und Nebenströmun-
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gen. Die NS-Vergangenheit wurde weitgehend „kommunikativ beschwiegen“ (H. Lübbe). Erleichtert wurde dies dadurch, dass die Menschen sich nach durchlebten Bombennächten und inmitten von Ruinen vor allem als Opfer fühlten. Gelegentlich sickerte etwas über die NS-Aktivitäten von Lehrern durch, was allerdings meistens mit nachlässigem Lächeln aufgenommen wurde. Die jüngeren Lehrer – davon kann man ausgehen – waren überwiegend in der Hitlerjugend gewesen. Erst in der Rück- und damit Außenschau wurde deutlich, wie sehr dies ihren Unterrichts- und Erziehungsstil prägte. Körperliche Züchtigungen wurden in der Grundschule und bis in die mittleren Klassen des Gymnasiums selbstverständlich und – vom BGH abgesegnet2 – straffrei praktiziert. Meine Aufsätze zum Züchtigungsrecht von Lehrern, mit denen ich mich in den späten 1970erJahren in die noch einmal aufflackernde Debatte eingebracht habe, kann man getrost als Kompensation leidvoller Erfahrungen interpretieren – immerhin war es das einzige und letzte Mal, dass ich mich in einer strafrechtspolitischen Debatte für mehr Strafbarkeit eingesetzt habe. Im Deutsch-Unterricht wurden, neben den Klassikern, Carossa, Bergengrün und Ina Seidel, allenfalls noch Frisch und Dürrenmatt, interpretiert. Noch in den 1960er-Jahren – zum Abitur musste jeder Schüler einen „Abitur-Schriftsteller“ benennen – traf meine Wahl, Heinrich Heine, auf wenig Begeisterung („Muss das sein?“), wurde aber immerhin akzeptiert3; der Vorschlag „Günter Grass“ eines Mitschülers wurde rundweg abgelehnt. Die Jahre der Schulzeit waren auch Krisenjahre; der Kalte Krieg warf seinen Schatten auf den Alltag; die Sorge vor dem nächsten großen Krieg war über lange Zeit präsent. Der Korea-Krieg, diverse Berlin-Krisen (bis zum Bau der Mauer 1961) und vor allem die Kuba-Krise 1962 bildeten die Höhepunkte. Im Unterricht, vor allem im Deutsch-Unterricht, wurde der Kalte Krieg unbefangen klein-
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Ich habe 2010 in einem Rückblick die damalige höchstrichterliche Rechtsprechung noch einmal rekapituliert: Vormbaum, Thomas, „Auch mal eine Ohrfeige“. Zur Debatte über weit zurückliegende Züchtigungshandlungen, JoJZG 4 (2010), S. 60–63; dort auch Nachweise zu meinen Beiträgen in den 1970er-Jahren. In einer Stellungnahme des Presse- und Informationsamtes der Bundesregierung zum hundertsten Todestag Heinrich Heines, die offenkundig noch von der Einschätzung während der jüngsten Vergangenheit geprägt ist (Immerhin glaubte man, ihn nicht mehr verschweigen zu können), heißt es: „Dieser Mann hat so vieles geschrieben, was man, von welchem Standpunkt auch immer, unmöglich billigen kann, dass es in der Tat Schwierigkeiten bereitet, vor den Augen der uns gerade jetzt ironisch aufmerksam betrachtenden Welt das allzu Abscheuliche taktvoll zu übersehen und das Großartige und Schöne umso lauter zu loben“; Presse- und Informationsamt der Bundesregierung, hier zitiert nach: Müller-Jentsch, Walter, Adornos ambivalente Heine-Rezeption, in: Brenner-Wilczek, Sabine, Heine-Jahrbuch 2019, 2019, S. 93 m. w. N.
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gearbeitet. Die DDR hieß kurz und knapp „die Zone“. Aufsatzthemen wie „Berlin – mehr als ein Grenzproblem“ standen auf dem Programm von Klassenarbeiten. Die Nachbildung der Berliner Freiheitsglocke nebst Kerze, die zu Weihnachten in die Fenster gestellt werden sollte, wurde über die Schulen vertrieben und musste von jedem Schüler abgenommen und bezahlt werden. Hieran habe ich mich später erinnert, als in der hochschulpolitischen Diskussion betont wurde, Schulen und Universitäten hätten kein „politisches Mandat“. Die katholischen Bischöfe veröffentlichten regelmäßig zu Bundestags- und Landtagswahlen Hirtenbriefe, in denen kaum verklausuliert zur Wahl von CDU und CSU aufgerufen wurde. Im Ruhrgebiet war es fast unvermeidlich, dass man von den Strafprozessen gegen wirkliche und angebliche Kommunisten erfuhr und auch Betroffene kennenlernte, die Opfer dieser militanten, durch die Rechtsprechung loyal exekutierten und vom Bundesverfassungsgericht nur moderat abgemilderten Gesetzgebung geworden waren. Später habe ich Diether Posser, Strafverteidiger und 1972 bis 1978 Justizminister von NRW (übrigens ebenfalls Absolvent des Essener Burggymnasiums), kennengelernt, der über seine Erfahrungen den „Klassiker“ „Anwalt im Kalten Krieg“ verfasst hat, dessen Neuauflage ich dann in der Schriftenreihe „Juristische Zeitgeschichte“ besorgt habe.4 Posser hat auch an einem von mir mitorganisierten Symposium in der Justizakademie NRW mitgewirkt, dessen Texte in der Schriftenreihe „Juristische Zeitgeschichte NRW“ erschienen sind,5 und wurde später Mitglied des Beirates des Hagener Instituts für juristische Zeitgeschichte. Die konservative Grundstimmung in Gesellschaft und Schule erfasste auch die Schüler. In der Mittelstufe des Gymnasiums gehörte ich als früher SPD-Sympathisant zu einer kleinen Minderheit; bis zum Ende der Schulzeit fand hierin allerdings eine deutliche Verschiebung, tendenziell sogar Umkehrung, statt.
II. Studium und Ausbildung Meine Vorstellungen über das zu ergreifende Studium waren lange Zeit unbestimmt. Ein über längere Zeit gehegter Plan – „Vergleichende Religionswissenschaft“ – verblasste, als ein wohlwollender Lehrer mir klar machte, dass die Vertreter dieses Faches – soweit es nicht als Hilfswissenschaft für Theologen
4 5
Posser, Diether, Anwalt im Kalten Krieg (Juristische Zeitgeschichte, Abt. 5 Bd. 1), 1999. Justizministerium NRW (Hrsg.), Politische Strafjustiz 1951–1968. Betriebsunfall oder Symptom, 1998; unveränderte Neuauflage ebd. 2014.
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diente – nur ihren eigenen Nachwuchs ausbildeten. So gelangte denn nach der Lektüre mehrerer „Studienführer“ doch wieder die Rechtswissenschaft ins Blickfeld. Allerdings bestand von Anfang an der Wunsch, daneben ein weiteres Fach zu studieren: Schon früh hatte mich Historie fasziniert, zunächst in Bildgeschichten (der Ausdruck „Comic“ kam erst später auf) und in Romanen für die Jugend verpackt, später dann anhand von schulischen Geschichtsbüchern der vorigen Generation. Von zu Hause bekam ich das Interesse für preußische Geschichte geliefert. Im Gymnasium durfte ich mich in Musik und Religion und eben in Geschichte zu den Klassenbesten zählen. Irgendeinen Bezug zur Geschichte sollte daher auch mein Studienwunsch aufweisen. Daher habe ich als solchen „Rechtswissenschaft und Geschichte“ angegeben. Als sich dann herausstellte, dass zu einem geordneten Studium an der Philosophischen Fakultät – außer beim Lehramtsstudium – ein Hauptfach und zwei Nebenfächer gehören, schwankte ich zwischen Indologie, Philosophie, Publizistik und Politikwissenschaft. In den letzteren drei Fächern habe ich dann Vorlesungen gehört und Leistungsnachweise erworben. Im Geschichtsstudium habe ich zwar in Alter, Mittlerer und Neuerer Geschichte Veranstaltungen besucht und Pro- und Hauptseminare absolviert. Als sich aber zeigte, dass jedes dieser drei Fächer separat abgeschlossen werden konnte, haben sich schließlich die Neuere Geschichte als Hauptfach und das Nebenfach Politikwissenschaft herausgeschält. Die Möglichkeit, ein Fach außerhalb der Fakultät als Nebenfach zu wählen, ermöglichte die Wahl der Rechtswissenschaft als zweites Nebenfach, was natürlich eine Erleichterung bedeutete. Aber damit habe ich vorgegriffen. Zunächst stand das Jura-Studium im Vordergrund. Ich begann es an der Universität Münster, die damals als „Arbeitsuniversität“ bekannt war. Das Strafrecht war dort gemäß Studienplan ab dem 2. Semester vorgesehen. Es war prominent vertreten. Damals lehrten es Walter Stree und Theodor Lenckner. Beide hatten sich in Tübingen habilitiert, und beide gehörten zu den „Alternativ-Professoren“. Ihre Vorlesungen waren ein wenig „spröde“, aber immerhin so anregend, dass Strafrecht von Anfang an zu meinen Favoriten gehörte. Die Übungsscheine für Anfänger und Vorgerückte habe ich rasch abgehakt. Das Wintersemester 1965/66 und das Sommersemester 1966 verbrachte ich an der Universität Würzburg. Die dortige Fakultät war – vor allem im Bereich des Öffentlichen Rechts – als besonders konservativ bekannt. Dies galt allerdings nicht für die beiden Vertreter des Strafrechts, Walter Sax und den RadbruchSchüler Günter Spendel. Von ihnen sah der Studienplan für mich nur die Vorlesung „Strafprozessrecht“ bei Sax vor, der nach meiner Erinnerung der einzige
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Hochschullehrer war, der in der Vorlesung auf die NS-Vergangenheit prominenter Kollegen hinwies und deren aktuelle Lehren damit in Beziehung setzte. Ansonsten beschäftigte ich mich in Würzburg mit Handelsrecht (Laufke), Verwaltungsrecht (Küchenhoff) und Rechtsgeschichte (Merzbacher). Bei Merzbacher absolvierte ich ein Seminar über „Deutsche und nordische Rechtsbücher“. Mein Referat behandelte die Stellung des Hochadels im Sachsenspiegel. Im Zweitstudium absolvierte ich einige Vorlesungen in Philosophie. Nach Münster zurückgekehrt intensivierte ich nach dem Erwerb aller juristischen Pflichtscheine mein Zweitstudium mit historischen und politikwissenschaftlichen sowie weiteren philosophischen Veranstaltungen. Im Rechtsstudium belegte ich bei Rudolf Gmür, bei dem ich schon die Vorlesung über Deutsche Rechtsgeschichte besucht hatte, ein Seminar zur Entstehungsgeschichte des BGB. Die Thematik war im Zusammenwirken von Gmür und seinem Assistenten Werner Schubert (später Lehrstuhlinhaber in Kiel) aufgekommen. Schubert selbst hatte den Anfang mit der Arbeit „Die Entstehung der Vorschriften des BGB über Besitz- und Eigentumsübetragung“ gemacht. Gmür hat dann noch weitere Dissertationsthemen aus diesem Bereich vergeben. Das Thema meines Seminarreferates war das (private) Vereinsrecht, genauer: der Erwerb und Verlust der Rechtsfähigkeit durch Vereine. Die Thematik gehörte zu jenen, in denen das Bürgerliche Gesetzbuch beachtliche Zugeständnisse an den Obrigkeitsstaat gemacht hatte, wenngleich diese sich im Verlauf der Beratung des Vereinsrechts ein wenig abgeschwächt hatten. Für die Sozialdemokraten war die Regelung des Vereinsrechts einer der wichtigsten Gründe für die Ablehnung des BGB im Reichstag. Mein Referat gefiel Gmür, und er bot mir an, bei entsprechender Examensnote das Thema als Dissertation zu bearbeiten. Die folgenden Semester galten der Vorbereitung auf das Erste Staatsexamen. Gerade diese Zeit war aber auch geprägt von den politischen Unruhen, die heute unter der Chiffre „1968“ abgehandelt werden. Auch an einer Provinz-Universität wie Münster gingen sie nicht vorbei. Die Jahre ab 1967 waren ausgefüllt mit politischen Demonstrationen und teach ins. Allerdings hatte sich bereits seit den frühen 1960er-Jahren, vor allem an den Hochschulen, die politische Debatte intensiviert.6 Bereits 1965 fand wie in anderen deutschen Städten auch in Münster eine große Demonstration gegen die von Georg Picht konstatierte „Bildungskatastrophe“ statt. Mehrere politische – darunter auch rechtspolitische – Vorgänge führten zur Intensivierung des politischen Lebens. Der Wechsel im Kanzleramt
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S. dazu die Beiträge in: Löhnig, Martin/Preissner, Mareike/Schlemmer, Thomas (Hrsg.), Reform und Revolte. Eine Rechtsgeschichte der 1960er und 1970er Jahre, 2012; dazu meine Besprechung in ZRG.GA 2014, S. 687–688.
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von Konrad Adenauer zu Ludwig Erhard 1963 wurde weithin als Öffnung des Fensters verstanden. In den Hochschulen intensivierte sich die Diskussion um die Hochschulreform und gegen die Ordinarienuniversität. Die erste (aus heutiger Sicht kleine) Konjunkturkrise der Bundesrepublik führte bereits nach drei Jahren zum Sturz von Kanzler Erhard und zur Bildung der ersten Großen Koalitition unter dem durch seine NS-Vergangenheit stark belasteten Kanzler Kurt Georg Kiesinger. Im NRW-Landtagswahlkampf 1966 erklärte der Hirtenbrief der katholischen Bischöfe erstmals, Christen könnten unterschiedliche Parteien wählen. Die Große Koalition intensivierte nicht nur die Arbeit an der Strafrechtsreform, die Ende der 1960er-Jahre zu den ersten beiden Strafrechtreformgesetzen führten, sondern forcierte auch den Erlass der seit Jahren diskutierten Notstandsgesetze. In beiden Fällen konnte im Bundestag nur die Minifraktion der FDP einen Kontrapunkt setzen – im Falle der Strafrechtsreform immerhin mit einigem Erfolg, indem sie den Entwurf der „Alternativprofessoren“ als Antrag in den Bundestag einbrachte. An der Protestdemonstration gegen die Tötung des Studenten Benno Ohnesorg durch den Polizisten Kurras beim Staatsbesuch des Schahs in Berlin am 2. Juni 1967 beteiligten sich in Münster noch Studenten aller politischen Richtungen. Beim Mordanschlag auf Rudi Dutschke kurz vor Ostern 1968 war die Studentenschaft bereits gespalten, was zeigt, wie sehr sich die Diskussionen inzwischen polarisiert hatten. Ich selbst war bereits in Würzburg Mitglied der Humanistischen Studentenunion, einer auf Rechtsstaatlichkeit und Liberalisierung vieler Gesellschaftsbereiche ausgerichteten Organisation, geworden. Auch innerhalb der HSU selbst führten die Debatten zu gewisser Polarisierung, jedoch hielten der (links)liberale Flügel und der Flügel, der (auch) soziologische und historisch-materialistische Positionen in die Reflexion einbeziehen wollte, noch längere Zeit zusammen. Bei den Wahlen zum Studentenparlament 1968 traten HSU, Sozialistischer Deutscher Studentenbund (SDS) und Sozialdemokratischer Hochschulbund (SHB) in Münster als gemeinsame Liste „Demokratische Linke“ auf und waren recht erfolgreich. Neben den Demonstrationen gegen Notstandsgesetze und Vietnam-Krieg und für Hochschulreform und dem Wahlkampf für das Studentenparlament, an denen ich mich beteiligte, schritt die Examensvorbereitung voran. Im Januar 1969 erhielt ich meine Examens-Hausarbeit im Verfassungsrecht. Obwohl ich eine recht minoritäre Auffassung vertrat, auf deren Grundlage fast alle bis dahin erfolgten Erhöhungen der (damals noch staatlich durch Verordnung geregelten) Telefongebühren verfassungswidrig gewesen wären, wurde die Hausarbeit recht gut bewertet; und da auch die Examensnote ordentlich war, konnte ich, wie seinerzeit
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von Rudolf Gmür angeboten, das Thema meines Referats als Dissertation bearbeiten. Den Referendardienst begann ich bereits wenige Tage nach der mündlichen Prüfung. Die Referendarzeit war kurz zuvor verkürzt worden, betrug aber immer noch zweieinhalb Jahre plus Examen und konnte noch um eine Wahlstation verlängert werden. Die daraus sich ergebenden Freiräume konnte man für die Arbeit an der Dissertation nutzen – eine Möglichkeit, die meinen eigenen Doktoranden später nicht mehr gegeben war. Und so war am Ende meiner Referendarzeit eine Rohfassung der Dissertation weitgehend fertiggestellt. Nach bestandenem Zweiten Staatsexamen im Frühjahr 1973 hatte Gmür mir ein Stipendium zur Graduiertenförderung vermittelt; die gewonnene Zeit konnte ich zwei Semester lang weitgehend dem Abschluss des Zweitstudiums widmen.
III. Universität Münster 1. Aufbau der strafrechtlichen Seminarbibliothek Noch während dieser Zeit traf ich im Herbst 1973 in der Münsteraner Innenstadt zufällig einen Bekannten, der mich informierte, dass die juristische Seminarbibliothek aufgeteilt werden solle, um für die gestiegenen Zahl der Studenten mehr Arbeitsplätze zur Verfügung zu stellen. Zunächst war an eine reine „Lehrbuchbibliothek“ gedacht, die nur die für Übungshausarbeiten unbedingt erforderliche Literatur enthalten sollte; diese Schmalspurlösung verfiel zum Glück der Ablehnung, und es wurde nun die Abtrennung einer Fachrichtung favorisiert. Nachdem zunächst das Öffentliche Recht im Gespräch gewesen war, fiel die Wahl aufgrund komplizierter Abstimmungsvorgänge auf das Strafrecht. Mit der Umsetzung wurde der jüngste Strafrechtslehrer der Fakultät, Jürgen Welp, Nachfolger auf dem Strafrechts-Lehrstuhl von Theodor Lenckner, beauftragt. Als Geschäftsführer sollte ihm ein auf Lebenszeit ernannter Akademischer Rat zur Seite stehen, der zugleich Lehraufgaben wahrnehmen sollte. Ich hatte mich noch während der Phase, in der das Öffentliche Recht den Zuschlag zu erhalten schien, beworben; die Einladung zu einem Vorstellungsgespräch erhielt ich dann aber bereits von Welp. Der Wechsel vom Öffentlichen Recht zum Strafrecht war für mich kein Problem, da Verfassungsrecht und Strafrecht während des Studiums beide meine favorisierten dogmatischen Fächer gewesen waren. Das Vorstellungsgespräch bei Welp zeigte Berührungspunkte in den Interessen. Welp hatte sich von Gmür ein Exemplar meiner Dissertation ausgeliehen, in der ihn vor allem die Schilderung der politischen Hintergründe des Vereinsrechts interessiert hatte. Am Strafrecht, so erklärte er, interessiere ihn vor
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allem – und im Grunde ausschließlich – die Beziehung zum Verfassungsrecht. Ich erklärte ihm offen, dass ich mein Zweitstudium zu beenden beabsichtige, allerdings die meisten Leistungsnachweise bereits erworben hätte. Welp hatte keine Einwände. Und so trat ich Anfang 1974 – kurz vor der Geburt meiner ältesten Tochter7 – meinen Dienst in der Universität Münster an. Mit dem Universitätsbetrieb war ich bis dahin – außer als Studierender und Promovierender – noch nicht in nähere Berührung gekommen. In gewissem Sinne bin ich daher ein „Quereinsteiger“. Obwohl mich bereits in der ersten Vorlesungsstunde des ersten Semesters die Position des Hochschullehrers fasziniert hatte, habe ich nicht ernsthaft in diese berufliche Richtung gedacht. Während des Referendardienstes neigte ich abwechselnd, je nach gerade absolvierter Station, zum Anwaltsberuf und zur Verwaltung. Eine Zeit lang war auch der Journalismus eine Option; ich hatte mich bereits bei einer Regionalzeitung nach den Möglichkeiten eines Volontariats erkundigt; die Justizverwaltung hatte mir signalisiert, dass ich hierfür die Wahlstation einsetzen dürfe. Dann aber verlangte der Vertreter der Zeitung von mir, eine volle Ausbildungszeit von zwei Jahren zu absolvieren. Der damit faktisch verbundene Verzicht auf Zweites Staatsexamen und Promotion brachte mich von diesen Plänen wieder ab. Die Tätigkeit in der Universität war zunächst rein organisatorischer Art. Die neue Bibliothek musste aufgebaut werden; organisiert werden musste der Umzug der aus der bisher umfassenden Seminarbibliothek abgezogenen Strafrechtsliteratur; für die neue Bibliothek standen aber nicht nur diese Altbestände zur Verfügung, sondern es mussten auch eigene Anschaffungen aus einem großzügig bemessenen Etat getätigt werden. Dazu mussten zahlreiche Verlagsprospekte gewälzt werden, es musste eine neue Systematik entworfen werden und es mussten gemeinsam mit Welp Überlegungen angestellt werden, welche Bereiche außerhalb des – weit verstandenen – Strafrechts als „Arrondierung“ gepflegt werden sollten. Das Ergebnis war, dass die neue Bibliothek schon bald als Geheimtipp für Rechtsphilosophie und Strafrechtsgeschichte galt. Hinzu kam der Aufbau einer eigenen Abteilung „Recht der DDR“. Nach einiger Zeit dürfte ich zu den Personen mit dem besten Überblick über den strafrechtlichen, rechtshistorischen und rechtsphilosophischen Büchermarkt gehört haben. Erstmals stand ich auch vor der Aufgabe, Personalpolitik zu betreiben; es mussten Bibliotheks-Aufsichtskräfte eingestellt werden, ferner eine Geschäftsstellenleiterin und eine Bibliothekarin sowie eine nicht geringe Zahl von studentischen Hifskräften für die technische
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Seit 1970 bin ich verheiratet mit Marlies Große-Kleimann. Unsere Kinder Sarah, Sangita und Moritz wurden 1975, 1977 und 1979 geboren.
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Bearbeitung der angeschafften Bücher (Einschlagen, Abstempeln, Buchbinderlisten erstellen usw.).
2. Lehrveranstaltungen; Abschluss des Zweitstudiums Nachdem der Bibliotheksbetrieb in den Routinemodus übergegangen war, gewannen die Lehrverpflichtungen an Bedeutung. Zu meinen Veranstaltungen gehörten Arbeitsgemeinschaften zu den Vorlesungen „Einführung in die Kriminalwissenschaften“, „Strafrecht AT“ und „Strafrecht BT“, ferner Übungen im Strafrecht für Anfänger und für Fortgeschrittene, die angesichts der gestiegenen Studentenzahlen in mehreren parallelen Übungsgruppen angeboten wurden. In wechselnder Zusammensetzung waren an deren Veranstaltung Jürgen Welp und Johannes Wessels, später auch die neu berufenen Professoren Friedrich Dencker und Eberhard Struensee, ferner regelmäßig ein Richter im Hochschuldienst (darunter der spätere BGH-Präsident Klaus Tolksdorf) beteiligt. Im Zweitstudium hatte ich unterdessen meine letzte Veranstaltung, ein Seminar über Staatsphilosophie der Romantik, bei Heinz Dollinger absolviert. Meine am Ende der Veranstaltung gestellte Frage nach der Möglichkeit einer Magisterarbeit beantworete er mit der Gegenfrage: „Warum nicht gleich eine Dissertation?“; er machte aber den erfolgreichen Abschluss des juristischen Promotionsverfahrens zur Bedingung. Nachdem diese Bedingung im Jahr darauf erfüllt und die juristische Dissertation von der Fakultät mit einem Preis ausgezeichnet worden war, akzeptierte Dollinger meinen Themenvorschlag „Gesinderecht im 19. Jahrhundert“. Mit diesem Thema, auf das ich in Reinhart Kosellecks Buch „Preußen zwischen Reform und Revolution“ gestoßen war, konnte ich Überlegungen fortführen, die ich in meiner juristischen Dissertation verfolgt hatte und die ich mit der von Ernst Bloch geprägten Formel von der „Gleichzeitigkeit des Ungleichzeitigen“ zu erfassen versuchte. Wie das Vereinsrecht war auch das deutsche Gesinderecht – vor allem in Preußen – als Residualstruktur hinter der allgemeinen Entwicklung des Rechtsgebietes, hier: des allgemeinen Privat- und des gewerblichen Arbeitsrechts, zurückgeblieben. Das Strafrecht, wo der Dienstherrschaft u. a. ein Züchtigungsrecht gegenüber dem Gesinde eingeräumt war, bildete eher einen Nebenstrang.8
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Das Promotionsverfahren wurde im Frühjahr 1979 abgeschlossen. Neben der beruflichen Tätigkeit, ersten strafrechtlichen Veröffentlichungen und Kinderbetreuung waren für die Anfertigung der Arbeit zahlreiche Nachtschichten erforderlich. Ein an sich unglücklicher Umstand schaffte mir weiteren Freiraum. Ein Indien-Aufenthalt zur Betreibung des Adoptionsverfahrens meiner jüngeren Tochter führte zur Ansteckung mit einer Tropenkrankheit (wahrscheinlich Malaria) und nach mehrtägigem Klinikaufenthalt zu der ärztlichen Anordnung mehrwöchiger Schonung, was aber behutsame hei-
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Es dauerte einige Jahre, bis ich diese zweite Dissertation abgeschlossen hatte. Dies war nicht nur durch meine Tätigkeit in Bibliotheksverwaltung und Lehre und durch die Beteiligung an der Erziehung von drei Kindern bedingt, sondern auch dadurch, dass ich zunächst ein weiteres Buchprojekt abschließen wollte: Beim Studium der Reichstagsprotokolle über die Beratung des BGB war mir aufgefallen, dass die Sozialdemokraten mit beachtenswerter Sachkompetenz an den Beratungen teilgenommen hatten. Ihre abschließende Ablehnung des Gesetzeswerkes war also nicht das Ergebnis ideologischer Verengung, sondern aus der Sache abgeleitet. Es zeigte sich ferner, dass die sozialdemokratische Tageszeitung „Vorwärts“ sowie die theoretische Zeitschrift der Partei, die „Neue Zeit“, ausgiebig über die Beratugen des Plenums und der Reichstagskommission berichtet hatten. Diese Berichte stellte ich mit Erläuterungen zusammen und versah sie mit einer umfangreichen Einleitung, für die ich auch meine seit 1968 angeeigneten Kenntnisse über die Geschichte der Arbeiterbewegung verwerten konnte.9 Die Veröffentlichung wurde von der Friedrich-Ebert-Stiftung finanziert. Mit diesem Werk nahm ich Abschied von der Privatrechtsgeschichte; fortan galten meine rechtshistorischen Bemühungen der Strafrechtsgeschichte. Die Strafrechtsdogmatik hatte ich neben der Rechtsgeschichte aber nie aus den Augen verloren. Die Lehrveranstaltungen, vor allem die häufig mehrfach abgehaltenen Arbeitsgemeinshaften, verschafften Routine. Die internen Besprechungen zwischen den Übungsveranstaltern waren häufig spannende Diskussionsrunden. In steter Erinnerung geblieben sind mir die Debatten zwischen Johannes Wessels und Eberhard Struensee um die dogmatische Kategorie der „objektiven Zurechnung“, die Struensee ablehnte, weil er der Meinung war, dass die mit ihr gelösten Probleme sich sachgerechter über die Erfolgsbeschreibung oder über die subjektive Tatseite lösen ließen, während die Lehre von der objektiven Zurechnung differenzierte dogmatische Erkenntnisse wieder zunichte mache. Wessels hingegen war mit seinem Lehrbuch ein prominenter Vertreter dieser Lehre.10
mische Tätigkeit nicht ausschloss. Während dieses „Freisemesters“ erfuhr die Arbeit an der Dissertation einen entscheidenden Schub. – Die mündliche Prüfung im Nebenfach „Rechtswissenschaft“ war eigener Art. Mein Prüfer war der Kollege Friedrich Dencker. Protokollführer war ein Sinologe. 9 Im Rahmen meines Zweitstudiums hatte ich auch ein Seminar über „Die Philosophie der deutschen Sozialdemokratie 1870 bis 1914“ besucht und ein (Gruppen-)Referat über den Revisionismus-Streit (mit-)verfasst. 10 Die Mehrzahl der Kollegen schloss sich der Auffassung von Struensee an – mit der Folge, dass die „objektive Zurechnung“ in der Münsteraner Lehre jahrelang „unterbelichtet“ blieb. Auch ich selbst bin bis heute skeptisch, würde davon aber in puncto „Risikoerhöhung“ bzw. „Risikoverminderung“ eine Ausnahme machen.
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In der Verwaltung der Bibliothek ließ Welp mir weitgehend freie Hand. In die Lehrveranstatungen – auch in die Arbeitsgemeinschaften – redete mir niemand hinein. Ich merkte bald, dass die Kenntnisse, die man bei den Teilnehmern voraussetzen konnte, von der didaktischen Qualität des Dozenten der zugehörigen Vorlesung abhingen und richtete mich jeweils darauf ein.11 Strafrechtliche und strafrechtspolitische Diskussionen mit Welp waren zunächst geprägt durch unterschiedliche Nuancen in den rechtspolitischen Vorverständnissen. Welp verstand sich als radikaler Liberaler – was freilich mitunter recht unverbunden mit ausgeprägt hierarchischen Vorstellungen einhergehen konnte.12 Ich selbst pflegte nach „1968“ zeitweise eine„kompensatorische“ Position von Strafrecht zu Lasten der Reichen und Mächtigen, deren Vorzugsstellung in der Gesellschaft durch ein höheres Strafrechtsrisiko ausgeglichen werden sollte. Lange Diskussionen mit Welp13 leiteten schließlich einen Auffassungswandel ein und führten zu der Einsicht, dass Strafrecht kein legitimes Mittel der Gesellschaftsveränderung sei.14 An die Stelle der „Kompensation“ trat die „Entkriminalisierung“ – in den frühen 1970er-Jahren ein breit diskutierter Begriff, zu dem ich mir mit einem Aufsatz15 in einem ersten Zugriff eine Position zu verschaffen versuchte. Damit kam auch eine veränderte Einstellung zum Strafrecht und zum Recht insgesamt zum Ausdruck, denn die Diskussionen um 1968 hatten bei mir die Auffassung von der Rechtswissenschaft als einer Herrschaftswissenschaft gestärkt, die in eine „normative Sozialwissenschaft“ umgestaltet werden müsse. 11 Ich habe später eine Zeit lang zu meiner eigenen Vorlesung „Strafrecht AT“ eine Arbeitsgemeinschaft selbst übernommen, um den Lehrerfolg zu kontrollieren. 12 Zur Person von Jürgen Welps s. meinen Nachruf in JZ 2014, S. 337–338, erweiterte Fassung in: Jahrbuch der juristischen Zeitgeschichte 15 (2014), S. XIX–XXIII; erneut abgedruckt in: Beiträge Strafrecht (u. Fn. 29), S. 501–504. 13 Zentraler Diskussionspunkt war die Frage, ob es mit einer „emanziatorischen“ Position vereinbar sei, auch die Interessen von gesellschaftlich Privilegierten gegenüber dem strafenden Staat zu vertreten. Auslöser war die Nachfrage von Welp, ob ich mich an einem Gutachten für einen wegen Insolvenzdelikten angeklagten Unternehmer beteiligen wolle. Aus meiner schließlich zögernd gegebenen Zustimmung ist später ein grundlegender Aufsatz zur Thematik der Gläubigerbegünstigung hervorgegangen: Probleme der Gläubigerbegünstigung. Zur Auslegung des § 283c StGB, GA 1981, S. 101–133; Wiederabdruck in: Beiträge Strafrecht (u. Fn. 29), S. 389–428. 14 Eine Einsicht, die mich leider unter politischen Gesinnungsfreunden bis heute isoliert, welche zum Schutz von Tieren, Frauen, Kindern und anderen Benachteiligte nach Verschärfung des Strafrechts rufen und damit ein großes Vertrauen in dessen Legitimität und Funktionalität investieren. 15 Vormbaum, Thomas, Entkriminalisierung und Strafgesetz. Über Schwierigkeiten, Entkriminalisierung zu begründen und zu verwirklichen, in: Festschrift für Rudolf Gmür, 1983, S. 323–343; Wiederabdruck in Beiträge Strafrecht (u. Fn. 29), S. 1–29.
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Der vollzogene Paradigmenwechsel, der zur Auffassung von der Strafrechtswissenschaft als „Strafbegrenzungswissenschaft“ führte – dazu sogleich –, machte mich zu einem „überzeugten Juristen“.
3. Arbeitskreis Strafprozessreform Als „Quereinsteiger“ besaß ich zunächst einen unzulänglichen Überblick über den Kreis der deutschen Strafrechtslehrer, soweit sie mir nicht als Lehrbuch-Verfasser oder Kommentatoren begegnet waren. Die Anschaffungstätigkeit für die Bibliothek hatte mir – wie erwähnt – Markttransparenz verschafft. Persönliche Kontakte aber gab es nicht. Dies änderte sich mit meiner Rolle im Arbeitskreis Strafprozessreform. Von Jürgen Welp und anderen Kollegen initiiert, hatte der Arbeitskreis sich zum Ziel gesetzt, der gerade damals anbrandenden Welle antiliberaler Tendenzen im Strafprozessrecht – denen die Terrorismus-Bekämpfung teils als nachvollziehbarer Anlass, teils als Vorwand für die Verwirklichung autoritärer Vorstellungen diente – einen Kontrapunkt entgegenzusetzen, zugleich aber auch eigene lang gehegte liberale Vorstellungen auszuformulieren. Finanziert wurden die Treffen des Arbeitskreises durch die Thyssen-Stiftung. Welp sprach mich an, ob ich die Geschäftsführung und Protokollführung des Arbeitskreises übernehmen wolle. Zielsetzung sei letztlich die Schaffung eines alternativen StPO-Entwurfs. Ich sagte natürlich zu. Gründungsmitglieder des Arbeitskreises waren neben Welp die Bonner Gerald Grünwald und Hans Joachim Rudolphi, der Saarbrücker Detlef Krauß, ferner Günter Bemmann (später mein Lehrstuhlvorgänger in Hagen) und die Frankfurter Winfried Hassemer, Klaus Lüderssen und Wolfgang Naucke, mithin die gesamte legendäre „Frankfurter Strafrechtsschule“, die freilich nur von außen als eine „Schule“ wahrgenommen wurde, in der Eigenwahrnehmung hingegen mitunter geradezu konträre Positionen vertrat; ihr gemeinsamer Nenner war eine gewisse Strafrechtsskepsis und damit eine – unterschiedlich ausgeprägte und begründete – Tendenz zu einem restriktiven Strafrechtsverständnis. An den ersten Tagungen nahmen auch der Schweizer Strafrechtslehrer Peter Noll und der Kieler Lehrstuhlinhaber Erich Samson teil. Auch wegen der damals besonders aktuellen Tendenzen zur Einschränkung der Rechte der Strafverteidigung beschloss der Arbeitskreis, zunächst diesen Themenkreis zu behandeln; der Beschluss war aber auch generell von der Überzeugung getragen, dass die Strafverteidigung der wichtigste „Probierstein“ für die Rechtsstaatlichkeit des Strafverfahrens sei. In dieser ersten Sitzungsetappe (1976–1979) hatten ausgiebige, mitunter sehr stark das Grundsätzliche im Detail
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suchende Diskussionen schließlich zur Folge, dass das große Ziel einer StPO aufgegeben wurde und am Ende ein Entwurf zum Thema „Die Verteidigung“ übrig blieb.16 Nicht zuletzt aufgrund des für ihren Geschmack zu „akademischen“ Charakters der Diskussionen waren Noll und Samson da bereits aus dem Arbeitskreis ausgeschieden. Es ist hier nicht der Ort, den Inhalt des Entwurfs und die Debatten17 im Einzelnen darzustellen. Der auf Jürgen Welp zurückgehende Kerngedanke war, dass der Staat einen als unschuldig Geltenden in ein Strafverfahren mit seinen Belastungen einbeziehe und ihm daher seine Verteidigung bezahlen müsse. Dem stimmten alle Mitglieder des Arbeitskreises zu. Welp ging aber noch einen Schritt weiter: Wenn der Beschuldigte keinen Verteidiger wünsche – etwa, weil er sich von der Darstellung seiner Hilflosigkeit größeren Effekt verspreche – dann gebiete es seine Autonomie, dass ihm kein Verteidiger aufgezwungen werde. Hier mochte die Mehrheit des Arbeitskreises Welp nicht folgen und sah weiterhin einen Katalog von Fällen notwendiger Verteidigung (Welp: „Zwangsverteidigung“) vor. In der öffentlichen Reaktion wurde der Entwurf dennoch – außer von Stimmen aus der Anwaltschaft – als zu liberal oder als „unrealistisch“ kritisiert. Eine zweite dreijährige Sitzungsperiode (1979–1982) hatte einen Entwurf zu den strafprozessualen Grundrechtseingriffen zum Ziel. Zum Arbeitskreis waren diesmal Knut Amelung (damals Trier) und Martin Schubarth (damals Bonn, später Schweizer Verfassungsrichter) hinzugestoßen. Als Protokollführerin trat mir in dieser Phase Ursula Nelles, die inzwischen Habilitandin bei Welp geworden war, an die Seite. Auch dieses Mal verengte sich das Themenfeld, und am Ende stand ein Gesetzentwurf mit dem Titel „Die Untersuchungshaft“18. Die Hauptmerkmale des Entwurfs waren das Bemühen um eine weitgehende Ersetzung der Untersuchungshaft durch weniger einschneidende Maßnahmen, sowie eine strenge Regelung ihrer Höchstdauer. 16 Arbeitskreis Strafprozeßreform, Die Verteidigung. Gesetzentwurf mit Begründung. Vorgelegt von Günter Bemmann, Gerad Grünwald, Detlef Krauß, Klaus Lüderssen, Wolfgang Naucke, Hans-Joachim Rudolphi, Jürgen Welp. Redaktion: Thomas Vormbaum, 1979. 17 Als Historiker habe ich nicht versäumt, den Schriftwechsel, die Protokolle, die Diskussionspapiere und meine Protokollnotizen (mit Namensangaben) binden zu lassen. Sie stehen im Institut für juristische Zeitgeschichte der FernUniversität in Hagen (und werden ggf. an das Universitätsarchiv abgegeben). 18 Arbeitskreis Strafprozeßreform, Die Untersuchungshaft. Gesetzentwurf mit Begründung. Vorgelegt von Knut Amelung, Günter Bemmann, Gerald Grünwald, Winfried Hassemer, Detlef Krauß, Klaus Lüderssen, Wolfgang Naucke, Hans-Joachim Rudolphi, Martin Schubarth, Jürgen Welp, Redaktion: Ursula Nelles, Thomas Vormbaum, 1983.
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Bleibende Bedeutung für mich erlangte neben zahlreichen Kontakten mit kritischen Strafrechtslehrern der Kontakt mit Wolfgang Naucke. Er war neben Jürgen Welp derjenige, der am meisten zu meinem Versuch beigetragen hat, eine Position in der strafrechtspolitischen Diskussion zu finden. Dazu später mehr.
4. Habilitation Ich hatte inzwischen ein Thema für meine Habilitationsschrift gefunden. Die Anfertigung der Lösungsskizze für eine Hausarbeit im Rahmen der Übung für Fortgeschrittene führte zu der Erkenntnis, dass es eine umfassende Untersuchung der sog. Rechtspflegedelikte noch nicht gab. In langen, auch kontroversen Diskussionen mit Welp schälte sich das Thema „Der strafrechtliche Schutz des Strafurteils“ heraus. Die generelle Thematik war somit in zweierlei Hinsicht eingeschränkt – auf die strafprozessuale Relevanz von Rechtspflegedelikten und auf den Schutz des strafprozessualen Verfahrenszieles. Zur Strukturierung dieser zweiten Einschränkung hatte ich die Trias „Verfahrensgefüge – Verfahrensziel – Verfahrensfunktionen“ entwickelt und beschränkte die Bearbeitung auf die Erörterung des Verfahrenszieles. In einem Besonderen Teil der Untersuchung wurden neben den Aussagedelikten die Tatbestände der Strafvereitelung, der Rechtsbeugung und der falschen Verdächtigung untersucht. Letzterer wurde im Ergebnis ausgeschieden, weil er, wie mich vor allem die einschlägigen Beiträge von Hans Joachim Hirsch überzeugt hatten, weder eine „doppelte Schutzrichtung“ besitzt (so die h. M.) noch einen ausschließlichen Rechtspflegeschutz bezweckt, sondern dem Individual-Güterschutz dient.19
Das Habilitationsverfahren gab Anlass zu meinen ersten strafrechtsgeschichtlichen Monographien. Für den Habilitationsvortrag war unter den von mir vorgeschlagenen Themen „Die Lex Emminger von 1924“ gewählt worden. Diesen Vortrag habe ich anschließend zu einer Monographie ausgearbeitet.20 Gleich anschließend erweiterte ich ein aus der Habilitationsschrift ausgeschiedenes Kapitel über die Geschichte der Aussagedelikte zu einer weiteren Monographie.21 Deren Gliederungsstruktur haben später mehrere meiner Doktoranden ihren Dissertationen zur Geschichte einzelner Institute und Tatbestände zugrunde gelegt.
19 Ich habe die §§ 164, 165 StGB aber später im Nomos-Kommentar bearbeitet. 20 Vormbaum, Thomas, Die Lex Emminger vom 24. Januar 1924. Vorgeschichte, Inhalt und Auswirkungen. Ein Beitrag zur deutschen Strafrechtsgeschichte des 20. Jahrhunderts, Schriften zur Rechtsgeschichte 43, 1988. 21 Vormbaum, Thomas, Eid, Meineid und Falschaussage. Reformdiskussion und Gesetzgebung seit 1870. Münsterische Beiträge zur Rechtswissenschaft 47, 1990.
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Beide Monographien schlossen mit umfangreichen Kapiteln zur Würdigung der geschilderten Entwicklung. Dies gab mir Gelegenheit, Überlegungen zur Kontinuität in der (nicht nur deutschen) Strafrechtsgeschichte auszuarbeiten, die ich kurz zuvor bereits in einem Aufsatz über „Aktuelle Probleme nationalsozialistischer Strafgesetzgebung“ erwogen hatte.22 Er enthielt zum Teil eine Fortentwicklung der in den privatrechtsgeschichtlichen Monographien angestellten Gedanken der Kontinuität problematischer Elemente der modernen Rechtsgeschichte, zum anderen Teil folgte er Erkenntnissen von Klaus Marxen, die dieser in seinem Buch „Der Kampf gegen das liberale Strafrecht“ dargestellt hatte und die auch – mit Unterschieden im Detail – von seinem Lehrer Wolfgang Naucke vertreten wurden. Der springende Punkt von Kontinuitätsüberlegungen ist natürlich stets die Einordnung der Zeit der NS-Herrschaft, die in ihrer Exorbitanz nicht geleugnet werden darf. Genaue Betrachtung zeigt aber, dass jedenfalls im Strafrecht das NS-Recht problematische historische Tendenzen „zur Kenntlichkeit verzerrt“. Ich habe versucht, diese Erkenntnis mit der Kennzeichnung als Radikalisierung einer kontinuierlichen Entwicklung auf den Punkt zu bringen. Noch vor der Veröffentlichung der Habilitationsschrift erreichten mich Anfragen wegen Lehrstuhlvertretungen. Damit begann ein Problem, das mich über eine Reihe von Jahren begleiten sollte, virulent zu werden: Lehrstuhlvertretungen abzulehnen, verstieß (jedenfalls damals) gegen den Komment. Ich habe mir diesen Verstoß dennoch – auch in „cum-spe“-Fällen – mehrmals erlaubt. Mit voll berufstätiger Ehefrau und drei Kindern und mit dem Anspruch, mich in angemessenem Umfang an der Erziehung der Kinder zu beteiligen,23 musste ich – auch im Hinblick auf Bewerbungen – meinen Aktionsradius auf Standorte beschränken, die ich als Pendler (allenfalls mit Kurzaufenthalt) erreichen konnte. „Erlauben“ konnte ich mir dies natürlich nur wegen meiner Lebenszeit-Stelle als Akademischer Rat/Oberrat.24 Von Kollegen, die noch den traditionellen familiären Rollenbildern verpflichtet waren, wurde meine Haltung mit Unverständnis registriert. 22 Schon 1980 war Friedrich Dencker mit der Frage auf mich zugekommen, ob ich an einem von ihm veranstalteten Seminar zum Thema „Strafrecht und Nationalsozialismus“ mitwirken wolle. Meine von ihm als Unterstützung gedachte Mitwirkung gab mir in Wirklichkeit Gelegenheit, mich selbst intensiv in diese Thematik einzuarbeiten. Dem Vernehmen nach soll sich Dencker mit dieser Seminar-Thematik bei Manchem in der Fakultät nicht beliebter gemacht haben. 23 Einige Jahre lang waren meine Frau und ich in der Münsteraner SPD politisch aktiv gewesen; wir haben aber nach der Geburt unserer ersten Tochter festgestellt, dass Beruf und Kindererziehung ein solches drittes Tätigkeitsfeld nicht mehr zuließen und uns aus diesem zurückgezogen. 24 Die Gefahr dieses Status liegt auf der Hand: Es fehlt – nicht nur in Lagen wie der geschilderten – der äußere Druck, die akademische Karriere mit Nachdruck zu verfolgen;
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IV. FernUniversität in Hagen 1. Lehrveranstaltungen; Gremien Meine Lehrveranstaltungen in Münster deckten den klassischen Themenbereich ab – mit Ausnahme des Strafprozessrechts, wo sich mit Jürgen Welp und Friedrich Dencker zwei besondere Experten abwechselten. Schon in meinen Arbeitsgemeinschaften hatte ich regelmäßig umfangreiches schriftliches Begleitmaterial ausgegeben; diese Praxis setzte ich in meinen Vorlesungen fort. Als 1992 die Ausschreibung der FernUniversität in Hagen für den einzigen dortigen Strafrechtslehrstuhl (Nachfolge Günter Bemmann) erschien, habe ich mich daher nicht nur wegen der räumlichen Nähe, sondern auch wegen meiner Affinität zu schriftlichem Lehrmaterial beworben. Allerdings würde ein Hochschullehrer nur schweren Herzens auf seine Präsenz-Lehrveranstaltungen verzichten. Doch war gerade damals eine Kooperation zwischen der FernUniversität und der neu gegründeten juristischen Fakultät der Heinrich-Heine-Unversität in Düsseldorf im Aufbau. Außerdem habe ich nach der Annahme des Rufes nach Hagen regelmäßig Lehraufträge für Seminare zur Strafrechtsgeschichte an der Universität Münster wahrgenommen. Bei den Berufungsverhandlungen mit der FernUniversität und dem – damals noch zuständigen – Wissenschaftsministerium NRW kam mir zugute, dass ich in der Zwischenzeit einen Ruf an die Universität Bielefeld erhalten und Aussicht auf einen Ruf an die Goethe-Universität Frankfurt hatte. Damit konnte ich den Widerstand des Ministeriums gegen die Erweiterung der Lehrstuhlbezeichnung um „Juristische Zeitgeschichte“ überwinden. Der Begriff „Juristische Zeitgeschichte“ ist – soweit ersichtlich – erstmals von Diethelm Klippel verwendet worden. Verbreitet wurde er dadurch, dass die Frankfurter Juristische Fakultät im Rahmen der Ausschreibung eines entsprechend denominierten Lehrstuhls von allen Bewerbern einen Vortrag über ihre Vorstellungen zu diesem Fach erbeten und diese Texte später in einem Sammelband veröffentlicht hatte.25 Ich hatte im Rahmen dieser – erfolglosen – Bewerbung die Auffassung begründet, die ich später auch meinem Lehrbuch zugrunde gelegt habe, dass der zeitliche Bereich der juristischen Zeitgeschichte die gegenwärtige Rechtsepoche umfasse und diese mit der Sattelzeit gegen Ende des 18. Jahrhunderts beginne.26 man ist auf seinen „inneren Druck“ angewiesen. Mir sind Fälle bekannt, in denen sich der Lebenszeit-Status als Sackgasse für die Karriere erwiesen hat. 25 Stolleis, Michael (Hrsg.), Juristische Zeitgeschichte – ein neues Fach?, 1993. 26 Stolleis, Michael (Hrsg.), Juristische Zeitgeschichte – ein neues Fach?, 1993, S. 69–81.
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Mit der Annahme des Rufs nach Hagen war ich somit an drei Universitäten zugleich regelmäßig in der Lehre tätig. In Hagen selbst hatte zwar – zur Enttäuschung der dortigen Kollegen – kein Studiengang mit Staatsexamens-Abschluss aufgebaut werden können. Günter Bemmann, mein Lehrstuhlvorgänger, hatte dann für das Strafrecht eine Wahlstation für Referendare mit einer Mischung aus schriftlichem Studienmaterial und Präsenzveranstaltungen eingerichtet. Der Lehrstuhl war ferner als Nebenfach in den Magister-Studiengang der Geistesund Sozialwissenschaften eingebunden und bot einzelne Kurse als Zusatzangebot an. Im Rahmen der Referendarstation übernahm ich einen eintägigen Kurs „Einführung in die moderne Strafrechtsgeschichte“. Durch deren wiederholte Abhaltung schälte sich allmählich die Struktur des späteren Lehrbuchs heraus. Mit dem Hinzutreten der Düsseldorfer Lehrveranstaltungen war das Lehrprogramm komplett. Die Düsseldorfer Kollegen waren leider an der Verstetigung des innovativen gemischten Programms nicht interessiert und strebten von Anfang an danach, einen konventionellen Studiengang zu betreiben, sodass der gemeinsame Studiengang im Jahre 2001 auslief. Die Bemühungen der Düsseldorfer Fakultät, ihren Personalbestand aus einer Hagener „Konkursmasse“ mit Unterstützung aus der Politik aufzustocken, blieben mit einer Ausnahme ergebnislos. Dennoch war die kleine Hagener Fakutät (damals noch „Fachbereich“) mit ihren sieben Lehrstühlen in ihrer Existenz akut bedroht und konnte nur mit Mühe gerettet werden. Die geringe Anzahl der Lehrstühle bedeutete auch, dass alle Fakutätsmitglieder Aufgaben in der Selbstverwaltung übernehmen mussten. Ich selbst war u. a. von 1997 bis 1999 Mitglied des Rektorates und von 2001 bis 2008 Dekan. In die Zeit meines Dekanats fiel die schon erwähnte Krisensituation der Fakultät, die durch die zeitweilige Vakanz mehrerer Lehrstühle noch verschärft wurde und nur durch tatkräftige Unterstützung der verbliebenen Kollegen, vor allem der Inhaberin des Lehrstuhls für Öffentliches Recht und juristische Rhetorik, Katharina Gräfin von Schlieffen, sowie durch die Solidarität des Rektorats und durch die Intervention der Hagener Wirtschaft bei der Landesregierung behoben werden konnte. Die Fakultät baute einen Bachelor-Studiengang mit starken wirtschaftswissenschaftlichen Elementen auf, der sogleich große Nachfrage fand. Nachdem dieser Studiengang etabliert war, begann die Planung des konsekutiven Master-Studiengangs. Für ihn entwickelte die Fakultät ein Programm, in dem die Grundlagenfächer, die anderswo in den ersten Studiensemestern „abgehakt“ werden, im Vordergrund stehen. Ich selbst schrieb für diesen Studiengang eine „Einführung in die moderne Strafrechtsgeschichte“, die ich später zum gleichnamigen Lehrbuch erweiterte. Nach meiner Amtszeit als Dekan hat die Fakultät schließlich und endlich auch die Genehmigung des Studiengangs für die Erste Juristische Prüfung er
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langt, den sie auf geschickte Weise mit dem Bachelor/Master-Studiengang in einem „Y-Modell“ verbunden hat. Nachdem ich mir zu Beginn meiner Hagener Tätigkeit einen Überblick über das strafrechtliche Angebot des Lehrstuhls verschafft hatte und nachdem dort einige durch die Zusammenarbeit mit Düsseldorf bedingte Neustrukturierungen durchgeführt worden waren, setzte ich mich mit den Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern des Lehrstuhls zusammen, um Möglichkeiten einer Profilierung des Lehrstuhls zu beraten. Sie mündeten zum einen in die Gründung einer „Juristischen Gesellschaft Hagen“ in Zusammenarbeit mit der Hagener Justiz und Anwaltschaft, für die der Lehrstuhl die Geschäftsführung übernahm, ferner in der Gründung eines „Instituts für juristische Zeitgeschichte“, zu dessen Vorstandsmitgliedern neben mir u. a. der Historiker Prof. Peter Brandt und mein Fakultätskollege, der bekannte Rechtshistoriker Prof. Ulrich Eisenhardt gehörten,27 und schließlich in die Gründung eines „Vereins für juristische Zeitgeschichte“ zur Förderung des Instituts. Zu den Ergebnissen der Beratung gehörte schließlich noch die Eröffnung einer Schriftenreihe „Juristische Zeitgeschichte“, für die ich den damaligen Leiter des Nomos-Verlages, Dr. Volker Schwarz, gewinnen konnte.
Mit diesem Verlag stand ich schon vorher in Kontakt durch die Mitarbeit am Nomos-Kommentar zum Strafgesetzbuch. Meine Kommentierung war ursprünglich für einen „Alternativ-Kommentar zum Strafgesetzbuch“ vorgesehen. Rudolf Wassermann, der von Klaus Lüderssen auf meine Habilitationsschrift zu den Rechtspflegedelikten hingewiesen worden war, hatte mich zur Kommentierung der betreffenden Paragraphen eingeladen. Der Luchterhand-Verlag stellte jedoch das Projekt ein, nachdem es durch Säumnis mehrerer Autoren, aber auch durch schlechtes Management der beim Verlag zuständigen Person faktisch zum Erliegen gekommen war. Volker Schwarz hatte dann das vewaiste Projekt an sich und seinen Verlag gezogen. Institut, Förderverein und Schriftenreihe bildeten von nun an neben dem Lehrstuhl den institutionellen Rahmen meiner Forschungstätigkeit in der Strafrechtsgeschichte. Im Strafrecht war zunächst durch die Kooperation mit Düsseldorf, später durch den Bachelor/Master-Studiengang der Arbeitsumfang, den ich mir, von einigen Lehraufträgen an externe Autoren abgesehen, mit den Mitarbeitern – vor allem mit den Habilitanden Dr. Gabriele Zwiehoff und später Dr. Martin Asholt – teilte, umschrieben. Im Bereich der Forschung gingen die Bereiche Strafrecht und Juristische Zeitgeschichte ineinander über. Dies hing nicht nur mit dem 27 Ulrich Eisenhardt hatte sowohl die Gründung der juristischen Gesellschaft Hagen, deren Vorsitzender er wurde, als auch die Gründung des Instituts mit Sympathie und Tatkraft unterstützt.
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gegenwartsaffinen Charakter der juristischen Zeitgeschichte zusammen, sondern auch mit dem im Institut zugrunde gelegten Verständnis von juristischer Zeitgeschichte, die auch ein „Lernen aus der Geschichte“ einschließt.28 Rein strafrechtlichen Charakters war freilich – abgesehen von kurzen historischen Hinweisen – die Mitarbeit am Nomos-Kommentar zum StGB sowie diejenige am Leipziger Kommentar, in dem ich die Kommentierung der §§ 353, 353a–d und 355 übernommen hatte.
2. Schriftenreihen, Jahrbuch, Journal Die Struktur der Schriftenreihe „Juristische Zeitgeschichte“ war von Anfang an als eine Gliederung in Abteilungen konzipiert. Auf eine allgemeine Reihe sollte eine Abteilung „Forum juristische Zeitgeschichte“ folgen, worin Tagungsberichte und Sammelbände zu bestimmten Themen unterkommen sollten. Eine dritte Abteilung „Beiträge zur modernen Strafrechtsgeschichte“ sollte vor allem Monographien zur Geschichte einzelner Tatbestände und Rechtsinstitute aufnehmen, die in ihrer Summe eine Art „Handbuch der modernen Strafrechtsgeschichte“ ergeben. Zu einem beachtlichen Teil handelt es sich hier um Werke meiner Doktoranden, die – wie erwähnt – überwiegend die Struktur meiner Abhandlung über die Geschichte der Aussagetatbestände übernommen haben. Eine vierte Abteilung, „Leben und Werk“, sollte schließlich Biographien und Werkanalysen zu einzelnen rechtsphilosophischen und rechtsdogmatischen Autoren enthalten. Schon bald erwies es sich als empfehlenswert, dem fließenden Übergang zwischen Rechtsgeschichte, geltendem Recht und Rechtspolitik Rechnung zu tragen und unter dem Titel „Juristisches Zeitgeschehen“ eine fünfte Abteilung mit Abhandlungen zu Themen anzufügen, die erwarten lassen, dass sie historische Bedeutung erlangen. Für das Profil der Schriftenreihe von besonderer Bedeutung war die Anfügung einer sechsten Abteilung „Recht in der Kunst – Kunst im Recht“, für die ich den Literaturwissenschaftler Prof. Gunter Reiß von der Universität Münster als Mitherausgeber gewinnen konnte. Der Schwerpunkt der Abteilung liegt naturgemäß im Verhältnis von Recht und Literatur. Als Kern der Abteilung sollten Wiederabdrucke literarischer Werke mit je einem Kommentar aus rechtlicher/rechtshistorischer und aus literaturwissenschaftlicher Perspektive dienen. Im Laufe der Zeit wurde die Abteilung aber auch attraktiv für Autoren, die einen Publikationsort für ihre einschlägigen gesammelten Abhandlungen suchten. Und so haben denn dort u. a. die Juristen Klaus Lüderssen, Heinz Müller-Dietz, Bodo Pieroth,
28 Diese – unter Historikern umstrittene – Möglichkeit habe ich näher diskutiert in meinem Lehrbuch „Einfühung in die moderne Strafrechtsgeschichte“, § 1 II 1 b.
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Wolfgang Schild und Hermann Weber sowie die Literaturwissenschaftler Jörg Schönert und Walter Müller-Seidel solche Bände veröffentlicht. Ich selbst habe mich mit Kommentaren zu Jakob Wassermann („Der Fall Mauritius“), Heinrich Heine („Deutschland ein Wintermährchen“), Thomas Mann („Das Gesetz“), Anton Mathias Sprickmann („Über die Eyde“), Theodor Storm („Ein Doppelgänger“) und E.T.A. Hoffmann („Meister Floh“) an den Doppelkommentierungen beteiligt. Inzwischen ist diese Abteilung zur umfangreichsten der Schriftenreihe geworden. Im Jahre 2019 ist Frau Kollegin Anja Schiemann, die bereits mit mehreren Veröffentlichungen zum Verhältnis von Recht und Literatur hervorgetreten ist, in den Herausgeberkreis eingetreten. Geringeren Umfang haben bislang die später hinzugekommenen Abteilungen 7 („Beiträge zur Anwaltsgeschichte“), 8 („Judaica – Jüdisches Recht, Judenrecht, Recht und Antisemitismus“) und die jüngst eröffnete und von meinem Fakultätskollegen Andreas Haratsch mitherausgegebene Abteilung 9 („Beiträge zur modernen Verfassungsgschichte“). Ich selbst habe zur Abteilung 8 meine letzte größere Monographie, „Der Judeneid im 19. Jahrhundert“ sowie die Übersetzung des Buches von Michele Sarfati „Die Juden im faschistischen Italien“ beigetragen. Nachdem in der Abteilung 2 („Forum juristische Zeitgeschichte“) neben mehreren themenbezogenen Sammelbänden auch solche ohne speziellen Themenbezug unter dem Titel „Themen juristischer Zeitgeschichte“ erschienen waren, reifte der Entschluss, an deren Stelle ein „Jahrbuch der juristischen Zeitgeschichte“ treten zu lassen, das als Scharnier zwischen Rechtgeschichts- und Geschichtswissenschaft dienen sollte und neben Originalbeiträgen auch Zweitabdrucke von Beiträgen aufnehmen sollte, die für jeweils eine der beiden Gruppen an entlegener Stelle erschienen waren. Nachdem in den ersten Bänden die Zweitabdrucke weit überwogen hatten, hat sich das Verhältnis deutlich zugunsten der Originalbeiträge verschoben. Vom Jahrbuch sind bis heute zwanzig Jahrgänge erschienen. Eine Ergänzung zum Jahrbuch bildet die Zeitschrift „Journal der juristischen Zeitgeschichte“, die dreimal im Jahr erscheint und neben einem umfangreichen Rezensionsteil u. a. eine Kolumne zum juristischen Zeitgeschehen enthält, die derzeit vom Vors.Ri am BGH a.D. Prof. Thomas Fischer verfasst wird.
Als Volker Schwarz sich mit dem neuen Eigentümer des Nomos-Verlages überwarf und den „Berliner Wissenschaftsverlag“ gründete, bin ich ihm mit der Schriftenreihe und den beiden Periodika dorthin gefolgt. Allerdings bereitete mit der Zeit das Verhältnis zu seinem Verlag zunehmend Probleme – die nicht meine Beziehung zu Schwarz persönlich betrafen, jedoch von Verlagsangehörigen im Hintergrund forciert wurden. Als daher bei einer Besprechung wegen des Leipzi-
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ger Kommentars im Verlag Walter de Gruyter das Gespräch zufällig auf Journal, Jahrbuch und Schriftenreihe kam und der Verlag mir spontan ein günstiges Übernahmeangebot machte, griff ich zu. Wie heute üblich, forderten alle oben genannten Verlage von den Autoren in der Regel einen Druckkostenzuschuss. Da dieser die finanziellen Möglichkeiten vieler Doktoranden und anderer junger Wissenschaftler überstieg, hatte ich mich früh nach „Ausweichmöglichkeiten“ umgesehen, die ich in dem Münsteraner LIT-Verlag fand, dessen Konditionen für die Autoren leichter erfüllbar waren. Über diese Notlösung hinaus bot dieser Verlagskontakt aber auch weitere Möglichkeiten. So ist die dort eröffnete Reihe „Rechtsgeschichte und Rechtsgeschehen“ nicht an die zeitlichen Grenzen der juristischen Zeitgeschichte gebunden. Eine kleine Nebenreihe, die der Verlag De Gruyter nicht hatte übernehmen wollen, konnte nun bei LIT als „Kleine Schriften“ fortgeführt werden und findet rege Nachfrage bei Autoren. Es folgte eine Nebenreihe zum Themenkreis „Italien“. Und als ich kurz vor meiner Pensionierung meine zu verschiedenen Bereichen veröffentlichten Aufsätze in enger Nachbarschaft zueinander veröffentlichen wollte, diente dem die Reihe „humaniora“, wo ich Aufsatzsammlungen zum Strafrecht und zur Strafrechtspolitik,29 zur Juristischen Zeitgeschichte30 und zum Verhältnis von Recht und Literatur31 sowie schließlich eine Sammlung von Übertragungen klassischer italienischer Lyrik32 nebeneinander stellen konnte.33
29 Vormbaum, Thomas, Beiträge zum Strafrecht und zur Strafrechtspolitik, 2011, 2. erweiterte Aufl. 2016. 30 Vormbaum, Thomas, Juristische Zeitgeschichte. Darstellungen und Deutungen, Bd. 1, 2011; Bd. 2, 2016. 31 Vormbaum, Thomas, Diagonale. Beiträge zu Verhältnis von Rechtswissenschaft und Literatur, 2011, 2. veränderte Aufl. 2016. 32 Vormbaum, Thomas, „Du schmücktest ihm mit Lächeln seine Lieder“ – Klassische italienische Gedichte von Dante Alighieri bis Giosuè Carducci, 2011. 33 Auch hier habe ich eine Nebenreihe mit „Kleinen Schriften“ hinzugefügt, in denen ich selbst bislang mit folgenden Titeln vertreten bin: „Als Doktor beider Rechte”. Heinrich Heine, das Recht und die Jurisprudenz, 2016. Gerechtigkeit mit Huld im Bunde. Rechtshistorische Betrachtungen zu Beethovens „Leonore/Fidelio“, 2016. Norland als juristischer Tagtraum. Rechtsutopien und Rechtsdystopien in Karl Mays Roman „Scepter und Hammer“, 2016. Zauberberg und Läuterungsberg. Dante-Rezeption bei Thomas Mann, 2016, 2. erweiterte Aufl. 2020. Auch zum Strafrecht habe ich sowohl bei De Gruyter („Strafrechtswissenschaft und Strafrechtspolitik“) als auch bei LIT („Beiträge zur Strafrechtswissenschaft“) Schriftenreihen aufgelegt, die aber eher bescheidenen Umfang erreicht haben.
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V. Forschungsschwerpunkte Meine Forschungsschwerpunkte lassen sich in vier – einander teilweise überschneidende – Komplexe gliedern: Strafrecht und Strafrechtspolitik; Juristische Zeitgeschichte; Recht und Literatur; Italien.34
1. Strafrecht und Strafrechtspolitik Soll ich einen Leitgedanken für meine dogmatische und strafrechtspolitische Grundauffassung formulieren, so würde ich sie als Position der Strafrechtsskepsis bzw. als solche eines restriktiven Strafrechts kennzeichnen. Hier haben die Beeinflussung durch die Debatten mit Jürgen Welp und Wolfgang Naucke, aber auch eine schon früh ausgeprägte antiautoritäre Grundeinstellung ihren Niederschlag gefunden. Gelegenheit, diese öffentlich vorzustellen, gaben zwei Einladungen zu Referaten auf den Tagungen der deutschsprachigen Strafrechtslehrer: 1995 in Rostock und 2011 in Leipzig. Ausgangspunkt meines Vortrages in Rostock („‚Politisches‘ Strafrecht“)35 war die Feststellung, dass keiner der jahrhundertelangen Versuche, das Strafrecht zu legitimieren, unbestritten geblieben sei und von dorther die Forderung von Wolfgang Naucke, Strafrechtswissenschaft als Strafbegrenzungswissenschaft zu begreifen, eine Rechtfertigung finde. Naucke selbst freilich geht von einem anderen Ausgangspunkt – der Rechtsphilosophie Immanuel Kants – aus und leitet daraus die Forderung nach einem Kernstrafrecht ab, das im Wesentlichen die schweren Delikte gegen die Person umfasst; dieses Kernstrafrecht hält er allerdings – vor allem gegenüber der Kriminalität Mächtiger – für unverzichtbar, während mein Ansatz als gedanklichen Fluchtpunkt die Entkriminalisierung im Auge hat. Die methodische Überlegung zur Strafbegrenzungswissenschaft (die weitgehend mit derjenigen von Naucke übereinstimmen dürfte) lautet, dass zwischen „Strafrecht“ und „Strafen“ zu unterscheiden sei. „Strafen“ ist ein vorgefundenes gesellschaftliches Phänomen, das als solches seine Begrenzung nicht in sich selbst findet; Aufgabe des Strafrechts und der Strafrechtswissenschaft ist es, dieses Phä34 Einen weiteren Bereich – die juristische Weiterbildung – lasse ich hier beiseite. Ich habe einige Zeitnach der Gründung des Instituts für juristische Zeitgeschichteauch einInstitut für juristische Weiterbildung gegründet, das – neben der inzwischen eingestellten Wahlstation für Referendare – folgende Weiterbildungsgänge anbietet: „Einführung in den Anwaltsberuf“; „Masterstudiengang „Anwaltsrecht und Anwaltspraxis“; Fachanwalt für Strafrecht“; „Sportrecht“. Die Angebote sind in jüngster Zeit in eine GmbH überführt worden. 35 Vormbaum, Thomas, ‚Politisches‘ Strafrecht, ZStW 107 (1995), S. 734–760; wiederabgedruckt in: Beiträge Strafrecht (s. o. Fn. 29), S. 31–58.
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nomen nach rechtlichen Maßstäben zu begrenzen, das heißt als freiheitsbeschränkendes Phänomen so weit wie möglich36 zu minimieren. Ich habe als Prüfschema die Radbruchsche37 Trias von Gerechtigkeit – Rechtssicherheit – Zweckmäßigkeit herangezogen und im Sinne einer „Meistbegünstigung“ die Forderung aufgestellt, dass Strafnormen und ihre Auslegung jeder dieser drei Kriterien gerecht werden müssen und habe dies für alle drei Bereiche durchdekliniert. Das Ergebnis für das geltende Strafrecht war alles andere als günstig. Der Leipziger Vortrag („Fragmentarisches Strafrecht in Geschichte und Dogmatik“)38 hat zum Teil auf die Rostocker Thesen zurückgegriffen, sie diesmal aber in die historische Entwicklung der Strafgesetzgebung und -dogmatik der vergangenen 150 Jahre eingebettet. Vorangestellt habe ich den Versuch einer Klärung von Begriffen im Zusammenhang mit der Thematik der „Fragmentarität“ des Strafrechts. Dabei habe ich vor allem zwischen deskriptiver Fragmentarität („Strafrecht ist fragmentarisch“) und präskriptiver Fragmentarität („Strafrecht soll fragmentarisch sein“) und zwischen äußerer (aus dem begrenzten Wesen aller Normen folgenden) Fragmentarität und innerer (aus dem Grundsatz „nullum crimen sine lege“ folgenden) Fragmentarität unterschieden. Bei meinen abschließenden Betrachtungen zur gegenwärtigen Lage des Strafrechts habe ich neben dem erneuten Werben für eine Strafbegrenzungswissenschaft auf ein formelles Angebot hingewiesen, das bereits von mehreren Seiten – u. a. von Knut Amelung – in die Diskussion eingebracht worden ist: für den Erlass von Strafnormen eine qualifizierte Mehrheit im Parlament zu verlangen. In diesem Punkt bin ich später der verschiedentlich an mich gerichteten Aufforderung, einige Aspekte meines Leipziger Vortrages zu konkretisieren, in einem Aufsatz nachgekommen.39
36 Zu dem (m. E. Rand-) Phänomen, dass Strafrecht gegenüber anderen Maßnahmen die freiheitlichere Lösung darstellt, bin ich in ZStW 107 (1995), S. 751 ff. eingegangen. 37 Verschiedene historische Untersuchungen haben mich – bei aller verbleibenden Wertschätzung – an manchen rechtspolitischen Äußerungen Radbruchs zweifeln lassen (z. B. seine Rolle beim Erlass der „Lex Emminger“; manche Regelung des m. E. nur bedingt als „liberal“ zu bezeichnenden Entwurfs von 1922 und seine Sympathie für den Gesetzbuch-Entwurf von Enrico Ferri von 1921); das im Text genannte Schema erscheint mir jedoch als geglückter Weg eines pragmatisch handhabbaren Verfahrens zur Strafbegrenzung. 38 Vormbaum, Thomas, Fragmentarisches Strafrecht in Geschichte und Dogmatik, ZStW 123 (2011), S. 660–690. Der Text ist bislang ins Spanische, Italienische, Türkische und Japanische übersetzt worden. Übersetzungen ins Russische und Chinesische stehen vor dem Abschluss. 39 Vormbaum, Thomas, Strafgesetze als Verfassungsgesetze, JZ 2018, S. 53–63.
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In mehreren Aufsätzen habe ich ferner eine Diagnose des Zustandes des gegenwärtigen (nicht nur deutschen) Strafrechts versucht. Das Ergebnis lässt sich mit einer Zwischenüberschrift meines Aufsatzes in der Festschrift für meinen Fakultätskollegen Dimitris Th. Tsatsos zusammenfassen40: „So viel Strafrecht war nie“ – ein Resümee, dass selbst manche Juristen (aber wohl kaum einen Strafrechtler) überrascht, die immer noch glauben, die Entwicklung sei durch eine tendenzielle Zurückdrängung des Strafrechts gekennzeichnet.41 Die Widerlegung dieser Illusion fällt leicht, nachdem ich zusammen mit Jürgen Welp eine bislang vierbändige Dokumentation der Änderungen und Neubekanntmachungen des StGB seit 1870 herausgegeben habe.42
2. Strafrechtsgeschichte Wie schon erwähnt, habe ich in dem von Michael Stolleis herausgegebenen Sammelband den zeitlichen Bereich der juristischen Zeitgeschichte mit dem Beginn der gegenwärtigen Rechtsepoche, d. h. mit der seit dem ausgehenden 18. Jahrhundert anzusetzenden „Sattelzeit“ betrachtet. Damit gehört auch das Strafrecht der Aufklärungsepoche zum Gegenstand kritischer Reflexion. Auch hier haben Beiträge von Wolfgang Naucke43 Anregungen geliefert.44 Einen Schwerpunkt bildet die Auseinandersetzung mit dem Werk Cesare Beccarias von den Verbrechen und den Strafen – einem Werk, das nicht nur in Italien legendären Status besitzt.45
40 Vormbaum, Thomas, Aktuelles zur Lage des Strafrechts, in: Festschrift für Dimitris Th. Tsatsos, 2003, S. 703–721. 41 Richtig ist daran nur, dass Strafrecht häufiger als früher im Wege der „Diversion“ abgemildert ist. Doch ist dies zum guten Teil nur die zwingende Konsequenz aus der Expansion des Strafrechts, denn ein so umfangreiches Strafrecht wie das gegenwärtige lässt sich nicht mehr konsequent exekutieren. 42 Vormbaum, Thomas/Welp, Jürgen (Hrsg.) Das Strafgesetzbuch. Sammlung der Änderungsgesetze und Neubekanntmachungen, 4 Bände, 1999–2002. Die Sammlung umfasst die Zeit von 1870 bis 2000. Ein fünfter Band, herausgegeben von Martin Asholt, erscheint 2020. 43 S. dazu meine Besprechung zweier Beiträge von Naucke, vgl. Vormbaum, Thomas, Sammelrezension, Zeitschrift für Neuere Rechtsgeschichte 1990, S. 224–228. 44 Statt Einzelnachweisen verweise ich auf den Sammelband Naucke, Wolfgang, Die Zerbrechlichkeit des rechtsstaatlichen Strafrechts. Materialien zur neueren Strafrechtsgeschichte, 2000, der als einer der ersten Bände der Schriftenreihe „Juristische Zeitgeschichte“ erschienen ist. 45 Ich habe Beccarias Klassiker in der Ausgabe von 1764 „Dei delitti e delle pene“ ins Deutsche übersetzt: Beccaria, Cesare, Von den Verbrechen und von den Strafen, 2004. Seitenidentische Taschenbuchausgabe 2005. Naucke hat zu dieser Ausgabe eine eingehende Einleitung verfasst.
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Das Thema „Aufklärung und Humanität“ steht dabei im Vordergrund. Das Ergebnis lautet, dass der Zweckgedanke die humanitären Aspekte deutlich überwiegt, dass allerdings die Kritik der Aufklärungsphilosophie ihrerseits eine aufklärerische sein muss und den Humanitätsgedanken in den Vordergrund stellen muss. Breiter ausgeführt habe ich diesen Gedanken im Schlusskapitel meines Buches über den Judeneid im 19. Jahrhundert.46 Dessen Thema war mir als ein Rest aus meiner Monographie über die Geschichte der Aussagetatbestände geblieben und hat mich über viele Jahre begleitet, bis ich es schließlich 2006 mit Recherchen im Archiv Preußischer Kulturbesitz und im Bundesarchiv entschlossen zu Ende geführt habe. Weitere Beiträge zur juristischen Zeitgeschichte betrafen die Geschichte des Rechtsgut-Gedankens47 und – wie bereits erwähnt – das Verhältnis von Recht und Nationalsozialismus und insbesondere das Problem der Kontinuität, sowie die kritische Auseinandersetzung mit der Aufarbeitung der NS-Vergangenheit.48 Die Wiedervereinigung der deutschen Staaten gab Anlass zu einigen kritischen Beiträgen auch mit rechtshistorischem Bezug.49 Zu erwähnen sind ferner mehrere Quellensammlungen zur modernen Strafrechtstheorie,50 zur Entstehung des StGB51 und zur Reformgeschichte des StGB52 so-
46 Vormbaum, Thomas, Der Judeneid im 19. Jahrhundert. Vornehmlich in Preußen. Ein Beitrag zur Juristischen Zeitgeschichte, Juristische Zeitgeschichte, Abt. 8 Bd. 2, 2006. 47 Vormbaum, Thomas, Birnbaum und die Folgen, in: Birnbaum, Johann Michael Franz, Zwei Aufsätze, hrsg. von Dalbora, José Guzmán/Vormbaum, Thomas, 2011, S. 93– 117. Eine italienische Übersetzung unter dem Titel „Birnbaum e le sue conseguenze“ ist erschienen in der Zeitschrift Diritto penale XXI secolo 2020, S. 94–114. 48 Für die NS-Justizverbrechen zusammenfassend dargestellt in dem Beitrag: Vormbaum, Thomas, „Die strafrechtliche Aufarbeitung“ der nationalsozialistischen Justizverbrechen in der Nachkriegszeit, in: Görtemaker, Manfred/Safferling, Christoph (Hrsg.), Die Rosenburg. Das Bundesministerium der Justiz und die NS-Vergangenheit – eine Bestandsaufnahme, 2013, S. 142–168. 49 Zusammenfassend in: Vormbaum, Thomas, Der strafrechtliche Schutz von Institutionen der DDR durch das bundesdeutsche Strafrecht, in: Festschrift für Diether Posser, 1997, S. 153–174. 50 Vormbaum, Thomas (Hrsg.), Moderne deutsche Strafrechtsdenker, 2010; vorangegangen war die Textsammlung: Texte zur Strafrechtstheorie der Neuzeit, 2 Bände, 1993; als einbändige illustrierte Ausgabe unter dem Titel: Strafrechtsdenker der Neuzeit, 1998. Die zu Beginn der Fußnote erwähnte Ausgabe beschränkt sich auf das 19. und 20. Jahrhundert. Denselben Zuschnitt hat die parallele Ausgabe: Dezza, Ettora/Seminara, Sergio/Vormbaum, Thomas (Hrsg.), Moderne italienische Strafrechtsdenker, 2012. 51 Schubert, Werner/Vormbaum, Thomas (Hrsg.), Entstehung des StGB. Kommissionsprotokolle und Entwürfe, 2 Bände, 2003, 2004. 52 Vormbaum, Thomas/Rentrop, Kathrin (Hrsg.), Reform des Strafgesetzbuchs. Sammlung der Reformentwürfe, 3 Bände, 2008.
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wie eine von mir eingeleitete und von einem Historiker (Uwe Kaminsky) und einem Juristen (Friedrich Dencker) kommentierte Dokumentation der Anklageschrift gegen den KZ-Arzt Heyde alias Sawade.53 Alle zur modernen Strafrechtsgeschichte angestellten Überlegungen und Vorarbeiten sind schließlich 2009 eingegangen in das Lehrbuch „Einführung in die moderne Strafrechtsgeschichte“54, in dessen Schlusskapitel ich auch den Bogen zur Kritik des geltenden Strafrechts geschlagen habe. Die 4. Auflage ist soeben erschienen.55
3. Recht und Literatur Das Verhältnis von Rechtswissenschaft und Literatur hatte mich schon bald nach Beginn des Rechtsstudiums interessiert. Zwei meiner bevorzugten Autoren – Heinrich von Kleist und Heinrich Heine – waren ja studierte Juristen; ein weiterer – Thomas Mann – hat eine Novelle mit dem Titel „Das Gesetz“ geschrieben; und die seit der Jugend beibehaltene Karl-May-Lektüre eröffnete, durch die Brille des Studierenden wie des studierten Juristen betrachtet, interessante Einblicke in volkstümlich-naive Rechtsauffassungen. Auch Operntexte erwiesen sich als ergiebig. Ich habe mich allerdings lange Zeit gescheut, mich eingehender auf diese Materie einzulassen. Nur hier und da habe ich in Fußnoten mir kleine Hinweise erlaubt. Erst als nach der Eröffnung der Abteilung 6 der Schriftenreihe „Juristische Zeitgeschichte“ mich Klaus Lüderssen bat, zur Neufauflage seiner Aufsatzsammlung „Produktive Spiegelungen“ in dieser Abteilung eine Einleitung zu schreiben, nahm ich dies zum Anlass, grundlegende Überlegungen zu den Berüh53 Institut für juristische Zeitgeschichte Hagen, „Euthanasie“ vor Gericht. Die Anklageschrift des Generalstaatsanwalts beim OLG Frankfurt/M. gegen Dr. Werner Heyde u. a. vom 22. Mai 1962. Mit Anmerkungen von Uwe Kaminsky und Friedrich Dencker, hrsg. von Thomas Vormbaum, 2005. 54 Vormbaum, Thomas, Einführung in die moderne Strafrechtsgeschichte, 2009, 4. Aufl. 2020. Die Ausführungen zum 20. Jahrhundert waren ursprünglich als mein Anteil an einem mehrbändigen „Handbuch der Strafrechtsgeschichte“ vorgesehen. Zu diesem Projekt hatte bereits ein Treffen der ins Auge gefassten Autoren stattgefunden. Als sich später abzeichnete, dass dieses Projekt nicht zustandekommen würde, habe ich den Text, der auf meinen Materialien zur Hagener Referendarausbildung und dem Hagener Kurs zum Master-Studiengang aufbaute, zeitlich und sachlich auf den gesamten Bereich der (straf-)juristischen Zeitgeschichte ausgedehnt. 55 Das Lehrbuch wurde von der Redaktion der „Juristischen Schulung“ als eines der „Ausbildungsbücher des Jahres“ 2009 ausgezeichnet. Es hat auch im Ausland erfreuliche Resonanz gefunden. Englische, italienische und spanische Übersetzungen sind bereits erschienen; eine japanische und eine chinesische Übersetzung stehen nach Auskunft der Übersetzer kurz vor dem Abschluss; die Arbeit an einer portugiesischen Übersetzung hat begonnen.
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rungspunkten der beiden Sphären anzustellen.56 Dabei konnte ich von der Lektüre der Beiträge Lüderssens profitieren. Neben den Möglichkeiten wechselseitigen Erkenntnisgewinns der beiden Welten schien mir geboten, zwischen den jeweiligen Wissenschaften und ihren Gegenständen (Recht bzw. literarisches Werk) zu differenzieren, sodass ein Beziehungsquadrat entsteht. Da den Rechtswissenschaftler eher das literarische Werk als die Literaturwissenschaft interessiert, kann man diese hauptsächliche Beziehung – um im geometrischen Bild zu bleiben – als „Diagonale“ bezeichnen. Unter diesem Titel habe ich daher später meine Beiträge zu diesem Themenbereich, vor allem meine bereits erwähnten Beiträge zu doppelt kommentierten literarischen Werken, veröffentlicht.57
4. Auslandskontakte, Italien Etwa seit dem Jahr 2000 intensivierten sich die Beziehungen zu ausländischen Kollegen aus Strafrecht und Rechtsgeschichte. Für Spanien besonders zu erwähnen ist Francisco Muñoz Conde von der Universidad Pablo Olavide in Sevilla. Er hatte zur Tätigkeit des Strafrechtlers Edmund Mezger während der NS-Zeit, dessen Strafrechtslehrbuch bis in die 1960er-Jahre das unter Studenten verbreitetste war, ein Buch und mehrere kleinere Beiträge verfasst, während mein Doktorand Gerit Thulfaut dessen Strafrechtslehre kritisch untersucht hatte.58 Dies brachte uns in Kontakt; der Austausch erweiterte sich und führte zu wechselseitigen Vortragseinladungen und zu einer gemeinsamen Tagung in Sevilla.59 Die Hagener Juristenfakultät pflegt enge Beziehungen zu Japan vor allem im Rahmen des von Hans-Peter Marutschke und Ulrich Eisenhardt gegründeten Instituts für japanisches Recht. Dies führte 2007 zur Einladung zu einem deutsch-
56 Vormbaum, Thomas, Die Produktivität der Spiegelung von Recht und Literatur, in: Lüderssen, Klaus (Hrsg.), Produktive Spiegelungen. Recht in Literatur, Theater und Film, 2. erweiterte Aufl. 2002, S. XI–XXVII; wieder abgedruckt in: Diagonale (s. o. Fn. 31), S. 3–18. 57 S. bereits o. unter IV 2. 58 Thulfaut, Gerit, Kriminalpolitik und Strafrechtslehre bei Edmund Mezger (1883– 1962). Eine wissenschaftsgeschichtliche und biographische Untersuchung, 1999. 59 Der Tagungsband ist außer auf Spanisch auch auf Deutsch erschienenen: Muñoz Conde, Francisco/Vormbaum, Thomas (Hrsg.), Transformation von Diktaturen in Demokratien und Aufarbeitung der Vergangenheit. Humboldt-Kolleg an der Universidad Pavlo de Olavide Sevilla 7.–9. Februar 2008, 2010 – Ich habe außerdem eine Sammlung seiner Beiträge zu Mezger in der Schriftenreihe „Juristische Zeitgeschichte“ herausgebracht: Muñoz Conde, Francisco, Edmund Mezger. Beiträge zu einem Juristenleben (aus dem Spanischen übersetzt von Moritz Vormbaum), 2007.
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japanischen Symposium an der Doshisha-Universität Kyoto, in dessen Rahmen ich einen Vortrag zum Thema Nationalsozialismus und Strafrecht gehalten habe. Anschließend folgte ich einer Einladung von Prof. Makoto Ida zu einem weiteren Vortrag an der Keyo-Universität in Tokyo.60 Weitere Kontakte gibt es mit Kollegen in Argentinien61, in Brasilien62, in Chile63 in China64 und in Russland65. Der weitaus intensivste Kontakt besteht jedoch mit Italien. Schon als Schüler habe ich mir zur Vorbereitung von Italienreisen per Zug und per Anhalter anhand eines Sprachführers Grundkenntnisse der Sprache angeeignet. An der Universität habe ich dann nach mehreren Anläufen einen Italienisch-Kurs über drei Semester „durchgehalten“. Danach empfand ich den Wunsch, mich an der Übersetzung rechtswissenschaftlicher Werke zu versuchen.66 Den Anfang machte ich mit strafrechtsphilosophischen Texten von Mario A. Cattaneo, mit dem mich Wolfgang Naucke in Kontakt gebracht hatte.67 Bald schlossen sich Übersetzungen weiterer italienischer Strafrechtler und Rechtshistoriker an, die häufig Einladungen zu Vorträgen und Tagungen zur Folge hatten. Dabei bildeten sich neben zahlreichen weiteren Universitäten Schwerpunkte in den Universitäten Bologna68, Ferrara69, Macerata70, Modena71, Pavia72 und Turin73. Das Verhältnis zwischen italienischer und deutscher Rechtswissenschaft ähnelt häufig einer Einbahnstraße; die italienische Seite hat viel aus der deutschen Dogmatik übernommen,
60 Wissenschaftlichen Austausch mit Japan gibt es ferner mit den Professor/inn/en Keiichi Yamanaka (Kansai-Universität Osaka), Kanako Takayama (Doshisha-Universität Kyoto) und vor allem mit Minoru Honda (Ritsumeikan-Universität Kyoto). 61 Prof. Ezequiel Malarino und Prof. Carlos Elbert (Buenos Aires). 62 Prof. Juarez Tavares (Rio de Janeiro). 63 Prof. José Luis Guzmán Dalbora (Valparaiso), Prof. Jaime Couso Dalas (Santiago). 64 Prof. Wang Shizhou (Peking), Prof. Wang Yu (Universität Zhejiang), Prof. Lideng Huang (Universität Chengdu). 65 Prof. Evgenij Potsuelev (Universität Iwanowo). 66 Gewisse Defizite sind in der Alltags-Konversation geblieben, da ich außer zu Urlaubsund Vortragszwecken keinen längerfristigen Aufenthalt in Italien absolviert habe. Auch das Gastsemester in Bologna 2010 konnte auf eine Woche komprimiert werden. 67 S. vor allem Cattaneo, Mario A., Aufklärung und Strafrecht. Beiträge zur deutschen Strafrechtsphilosophie des 18. Jahrhunderts, 1998. 68 Prof. Stefano Canestrari, Prof. Emanuela Fronza, Prof. Gaetano Insolera. 69 Prof. Daniele Negri, Prof. Michele Pifferi. 70 Prof. Luigi Lacchè, Prof. Massimo Meccarelli. 71 Prof. Massimo Donini, Prof. Luigi Foffani, Prof. Elio Tavilla. 72 Prof. Ettore Dezza, Prof. Sergio Seminara, Prof. Alba Negri. 73 Prof. Sergio Vinciguerra.
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wenngleich in den letzten Jahren der Einfluss der Letzteren nicht nur in Italien abgenommen hat. Die deutsche Seite hingegen öffnet sich nur zögerlich den italienischen Anregungen. Dies ein wenig zu relativieren war eine meiner Zielsetzungen. Ob und wieweit sie in Deutschland zur Kenntnis genommen werden, weiß ich nicht. Freilich ist auch nicht zu verkennen, dass der Einfluss, den die deutsche Strafrechtswissenschaft seit dem ausgehenden 19. Jahrhundert in der Welt ausgeübt hat, auch ein Ausdruck ihrer Qualität ist, die sich aus ihrem hohen – freilich oft auch abgehobenen – abstrakten, „philosophischen“ Charakter ergibt.74 Mittlerweile habe ich neben zahlreichen Aufsätzen 50 schmalere und umfangreichere strafrechtliche und rechtshistorische Bücher75 aus dem Italienischen übersetzt. Schwerpunktmäßig handelt es sich um Bücher von Kollegen der Universitäten Pavia, Modena, Bologna und Macerata.76 Meinerseits habe ich besonders zwei Danksagungen auszusprechen: Die erste geht an Prof. Sergio Vinciguerra, Emeritus der Universität Turin. Er hat nicht nur die italienische Übersetzung meines Lehrbuches besorgt,77 sondern auch eine Auswahl meiner Aufsätze zur Strafrechtsgeschichte und Strafrechtspolitik in der von ihm herausgegebenen Schriftenreihe „Fonti e studi per il diritto penale“ veröffentlicht.78 Die andere Danksagung geht an Prof. Luigi Lacchè und an die juristische Fakultät der Universität Macerata, die mir im Herbst 2018 die Ehrendoktorwürde (Laurea magistrale) verliehen haben.
VI. Betreuungen Neben Lehre und Forschung lag mir stets die Betreuung des wissenschaftlichen Nachwuchses und der Doktoranden am Herzen. Hierzu gibt es bekanntlich in der Professorenschaft zwei unterschiedliche Linien: Die eine, sich als liberal verste-
74 Eben dieser Charakter wird ihr zum Vorwurf gemacht von Donini, Massimo, Der Kodex-Vorbehalt als Verfassungsgrundsatz. Zum neuen Artikel 3bis des italienischen StGB, in: Jahrbuch der juristischen Zeitgeschichte (20) 2019, S. 265–301. 75 Nicht eingerechnet sind meine Übertragungen von Werken italienischer Dichter, die hier weniger interessieren, darunter mehrere Werke Dantes („Die Göttliche Komödie“, „Das Neue Leben“, „Monarchie“, „Gedichte“) und Leopardis („Gesänge“). An dieser Stelle verweise ich auch auf meine kleine Monographie „Zauberberg und Läuterungsberg. Dante-Rezeption bei Thomas Mann“. 76 Für Einzelheiten verweise ich auf das systematische Verzeichnis meiner Schriften auf der Homepage der FernUniversität: https://www.fernuni-hagen.de/strafrecht/docs/ litera-sparten-tv.pdf unter i) dd). 77 Vormbaum, Thomas, Storia moderna del diritto penale tedesco. Una introduzione. Traduzione di Giorgia Oss e Sara Porro, 2013. 78 Vormbaum, Thomas, Saggi di storia del diritto penale moderno, 2018.
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hende überlässt die Habilitanden und Doktoranden sich selbst und produziert damit eine verhältnismäßig hohe Abbrecherquote. Man mag dies als ein Mittel zur Besten-Auslese gutheißen. Für mich selbst steht hingegen der Aspekt der fehlinvestierten Lebenszeit gescheiterter Kandidaten im Vordergrund, weshalb ich mich stets bemüht habe, einerseits durch regelmäßige, mehrmals jährliche Abhaltung von Doktorandenseminaren und durch kritische Kommentierung von Probekapiteln das Fortkommen der Arbeiten zu fördern, andererseits hoffnungslosen Fällen früh genug den Abbruch des Versuchs anzuraten. Da in der Juristenausbildung mittlerweile die Examenshausarbeiten und weitgehend auch die Übungshausarbeiten weggefallen sind, hat sich das Erlernen der Abfassung umfangreicherer wissenschaftlicher Texte praktisch auf das Referat im Schwerpunktseminar reduziert. Doktoranden stehen daher fast unvorbereitet vor der doppelten Aufgabe, nicht nur inhaltlich ein mitunter anspruchsvolles Thema zu bewältigen, sondern auch den formalen und methodischen Anforderungen einer wissenschaftlichen Arbeit gerecht zu werden. Ich rechne mir immerhin an, mit meiner Methode 77 Promotionsverfahren erfolgreich zu Ende geführt zu haben. Bei der Betreuung von Habilitanden liegen die Dinge etwas anders, denn diese haben mit der Dissertation ja bereits ihre Fähigkeit zur Bewältigung der genannten Anforderungen nachgewiesen. Hier konnte sich die Betreuung nach der Absprache und Strukturierung des Themas auf die „Beratung auf Anfrage“ beschränken, denn ab einem gewissen Punkt erreicht die Reflexion erfolgreicher Kandidaten ohnehin einen Punkt, an dem eine „Betreuung“ im eigentlichen Sinne schwerfallen würde. Von mehreren Versuchen waren in meinem Bereich immerhin zwei erfolgreich. Gabriele Zwiehoff hat mit ihrer Habilitationsschrift über das strafprozessuale Thema des Sachverständigenbeweises79 eine Arbeit vorgelegt, deren Grundzug beschuldigtenfreundlich ist. Knut Amelung hat die Arbeit in einem externen Gutachten als eine Arbeit der „oberen Kategorie“ bezeichnet. Auch in der tiefschürfenden Habilitationsschrift von Martin Asholt zur Verjährung im Strafrecht80 ist die Grundtendenz zu einem restriktiven Strafrechtsverständnis erkennbar. 79 Zwiehoff, Gabriele, Das Recht auf den Sachverständigen. Beiträge zum strafprozessualen Beweisrecht, 1999 – Gabriele Zwiehoff ist durch die Wahrnehmung familiärer Verpflichtungen gehindert gewesen, den üblichen Weg der akademischen Laufbahn zu verfolgen. Die FernUniversität und ihre rechtswissenschaftliche Fakultät haben ihre wissenschaftliche Qualifikation jedoch dadurch gewürdigt, dass sie ihr einen eigenen unabhängigen Arbeitsbereich für Wirtschaftsstrafrecht und Strafprozessrecht eingerichtet haben. 80 Asholt, Martin, Verjährung im Strafrecht. Zu den theoretischen, historischen und dogmatischen Grundlagen des Verhältnisses von Bestrafung und Zeit in §§ 78 ff. StGB, 2016 – Asholt ist derzeit Professor an der Universität Passau.
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VII. Schluss Nach Erreichen der Altersgrenze haben die FernUniversität und die Rechtswissenschaftliche Fakultät mir dankernswerter Weise die Möglichkeit eröffnet, die Arbeit im Institut für juristische Zeitgeschichte fortzusetzen, und dieses auch weiterhin personell ausgestattet. So konnte ich mehrere Jahre auch weiterhin Schriftenreihe, Journal und Jahrbuch betreuen. Nachdem im Jahre 2019 die langjährige Redakteurin Anne Gipperich, die ich aus meiner früheren Lehrstuhlbesatzung übernehmen konnte, altersbedingt ausgeschieden ist, naht auch der Zeitpunkt, an dem ich diese Tätigkeiten in andere Hände legen werde. Ich hoffe, dass dann das Institut nach Ausscheiden der Gründergeneration seinen Weg in „zweiter Generation“ ungefährdet fortsetzen wird. Ich habe eingangs darauf hingewiesen, dass ich mich nicht zu jenen zähle, die meinungsbildend für die Strafrechtswissenschaft geworden sind. Freilich bleibt die Hoffnung – vielleicht die Illusion eines Historikers –, dass das eine oder andere Publizierte zu einer Zeit auf fruchtbaren Boden fallen wird, die nicht mehr den Auffassungen huldigt, dass man (Straf-)Rechtswissenschaft ohne die Kenntnis ihrer Geschichte angemessen betreiben könne und dass Kriminalpolitik die beste Sozialpolitik sei.81
Schriftenverzeichnis (in Auswahl) 1. Selbständiges Schrifttum Als Autor Die Rechtsfähigkeit der Vereine im 19. Jahrhundert. Ein Beitrag zur Entstehungsgeschichte des BGB, 1976. Sozialdemokratie und Zivilrechtskodifikation. Berichterstattung und Kritik der sozialdemokratischen Partei und Presse während der Entstehung des Bürgerlichen Gesetzbuches. (Eingeleitet, erläutert und herausgegeben), 1977. – 2. erweiterte und überarbeitete Aufl. u.d.T. Die Sozialdemokratie und die Entstehung des Bürgerlichen Gesetzbuches, 1997. Politik und Gesinderecht im 19. Jahrhundert (vornehmlich in Preußen 1810 – 1918), 1980.
81 Damit habe ich meine Ausführungen mit einem Fremdzitat beendet, denn diese Umkehrung des Liszt’schen Satzes, dass Sozialpolitik die beste Kriminalpolitik sei, findet sich in dem vorzüglichen Buch von Kubink, Michael, Strafen und ihre Alternativen im zeitlichen Wandel, 2002, S. 711, als Beschreibung des gegenwärtigen Zustandes.
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Der strafrechtliche Schutz des Strafurteils. Untersuchungen zum Strafrechtsschutz des strafprozessualen Verfahrenszieles, 1987. Die Lex Emminger vom 4. Januar 1924. Vorgeschichte, Inhalt und Auswirkungen. Ein Beitrag zur deutschen Strafrechtsgeschichte des 20. Jahrhunderts, 1988. Eid, Meineid und Falschaussage. Reformdiskussion und Gesetzgebung seit 1870, 1990. Der Judeneid im 19. Jahrhundert. Vornehmlich in Preußen. Ein Beitrag zur Juristischen Zeitgeschichte, 2006. Juristische Zeitgeschichte. Darstellungen und Deutungen (Aufsatzsammlung), Bd. I, 2011; Bd. II, 2017. Diagonale – Beiträge zum Verhältnis von Rechtswissenschaft und Literatur (Aufsatzsammlung), 2011; 2. veränderte Aufl. 2016. Beiträge zum Strafrecht und zur Strafrechtspolitik (Aufsatzsammlung), 2011; 2. erweiterte Aufl. 2018. Reform der Aussagetatbestände (§§ 153–162 StGB). Reformüberlegungen und Gesetzentwurf, 1992; 2. aktualisierte Aufl. (Rechtsgeschichte und Rechtsgeschehen – Kleine Schriften 36) 2012. „Gerechtigkeit mit Huld im Bunde“. Rechtshistorische Überlegungen zu Ludwig van Beethovens „Leonore/Fidelio“, 2015. Norland als juristischer Tagtraum. Rechtsutopien und Rechtsdystopien in Karl Mays Roman „Scepter und Hammer“, 2016. Saggi di storia del diritto penale modern, 2018. Als Herausgeber Texte zur Strafrechtstheorie der Neuzeit. (Mit Erläuterungen und weiterführenden Hinweisen herausgegeben). 1993 – Einbändige illustrierte Ausgabe u.d.T. Strafrechtsdenker der Neuzeit, 1998. Das Strafgesetzbuch. Sammlung der Änderungsgesetze und Neubekanntmachungen, Bd. 1: 1870–1953, 1999; Bd. 2: 1954–1974, 1999; Bd. 3: 1975–1992, 1999; Bd. 4: 1993–2000, 2002; Supplementband I: 130 Jahre Strafgesetzbuch; Supplementband II: Das Strafgesetzbuch der DDR, 2006; Supplementband III: Nachtrags-, Ergänzungs- und Registerband. Mit Beiträgen von Asholt, Martin/ Werle, Gerhard/Jeßberger, Florian und Utsch, Miriam, 2006 (zusammen mit Jürgen Welp).
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Entstehung des Strafgesetzbuchs, Bd. 1, 1869; Bd. 2, 1870, 2003/2004 (zusammen mit Werner Schubert). „Euthanasie“ vor Gericht. Die Anklageschrift der Staatsanwaltschaft Frankfurt gegen Heyde u. a., 2005.
Recht, Rechtswissenschaft und Juristen im Werk Heinrich Heines, 2006, (Einführung: „Kraft meiner akademischen Befugniß als Doktor beider Rechte“, S. 1–33). Reform des StGB. Band 1: 1909 bis 1919; Band 2: 1922 bis 1939; Band 3: 1959 bis 1996, 2008 (zusammen mit Kathrin Rentrop). Kritik des Feindstrafrechts, 2009 (zusammen mit Martin Asholt). Rechtliche Transformation von Diktaturen in Demokratien und juristische Aufarbeitung der Vergangenheit (Tagungsband), 2010 (zusammen mit Francisco Muñoz Conde). Moderne italienische Strafrechtsdenker, 2011 (zusammen mit Ettore Dezza und Sergio Seminara). Johann Michael Franz Birnbaum. 2 Aufsätze („Über die Nothwendigkeit einer Rechtsverletzung zum Begriffe des Verbrechens“ und „Bemerkungen über den Begriff des natürlichen Verbrechens“), Mit Kommentaren der Herausgeber, 2011 (zusammen mit José Luis Guzman Dalbora) (Eigener Beitrag: Birnbaum und die Folgen (S. 93–117); davon leicht abgeänderte italienische Übersetzung u. d. T., Johann Michael Franz Birnbaum e le sue conseguenze, in: Diritto penale XXI secolo 2020, S. 94–114).
Moderne deutsche Strafrechtsdenker, 2011.
2. Kommentierungen Nomos-Kommentar zum Strafgesetzbuch, §§ 153–163 StGB; §§ 164, 165 StGB, Loseblatt-Kommentierung 1995/1996. Nomos-Kommentar zum Strafgesetzbuch, §§ 153–165 StGB, 2. Aufl. 2005; 3. Aufl. 2010; 4. Aufl. 2013; 5. Aufl. 2017. Leipziger Kommentar, §§ 352, 353, 353a, 353b, 353d, 355 StGB, 12. Aufl. 2009.
3. Lehrbuch Einführung in die moderne Strafrechtsgeschichte. Lehrbuch, 2008; 2. Aufl. 2010; 3. Aufl. 2015; 4. Aufl. 2020.
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Storia moderna del diritto penale tedesco: Una introduzione (Übersetzung ins Italienische durch Sara Porro und Giorgia Oss), 2013. An Introduction to the modern German history of penal law (Übersetzung ins Englische durch Margareth Healey), ed. Michael Bohlander, 2013. Historia moderna del derecho penal alemán (Übersetzung ins Spanische durch Carlos Elbert), 2018.
4. Aufsätze in Zeitschriften und Sammelwerken Die strafrechtliche Beurteilung des Scheckkartenmißbrauchs – OLG Köln, NJW 1978, 713–715; JuS 1981, S. 18–25. Probleme der Gläubigerbegünstigung. Zur Auslegung des § 283c StGB, GA 1981, S. 101–133. Entkriminalisierung und Strafgesetz. Über Schwierigkeiten, Entkriminalisierung zu begründen und zu verwirklichen, in: Festschrift für Rudolf Gmür, 1983, S. 323–343. Versuchte Beteiligung an der Falschaussage. Zum Verhältnis der §§ 30 und 159 StGB, GA 1986, S. 353–369. Aktuelle Bezüge nationalsozialistischer Strafgesetzgebung, in: Festschrift zum 125jährigen Bestehen der Staatsanwaltschaft von Schleswig-Holstein, 1992, S. 71–91. Zur juristischen Zeitgeschichte, in: Stolleis, Michael (Hrsg.), Juristische Zeitgeschichte – ein neues Fach?, 1993, S. 69–81. „Politisches“ Strafrecht (Referat auf der Strafrechtslehrertagung 1995), ZStW 107 (1995), S. 734–760. Mord sollte wieder verjähren, in: Festschrift für Günter Bemmann, 1997, S. 481– 502. Strafjustiz im Nationalsozialismus. Ein kritischer Literaturbericht, GA 1998, S. 1–31. Die Produktivität der Spiegelungen von Recht und Literatur, in: Lüderssen, Klaus, Produktive Spiegelungen. Recht in Kunst, Literatur und Film. 2. erweiterte Aufl. 2002. S. XI–XXVII. Aktuelles zur Lage des Strafrechts, in: Festschrift für Dimitris Th. Tsatsos, 2003, S. 703–721.
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Probleme der Korruption im geschäftlichen Verkehr. Zur Auslegung des § 299 StGB, in: Festschrift für Friedrich-Christian Schroeder, 2006, S. 647–658. Strafvereitelung auf Zeit – ein zeitloses Thema, in: Festschrift für Wilfried Küper, 2007, S. 663–673. Probleme des § 353d Nr. 3 StGB (Verbotene Mitteilungen über Gerichtsverhandlungen), in: Festschrift für Manfred Seebode, 2008, S. 421–436. Vergangenheitsbewältigung im Rechtsstaat, in: Festschrift für Knut Amelung, 2009, S. 783–792. Eduard Kohlrausch (1874–1947). Opportunismus oder Kontinuität?, in: Festschrift zum 200jährigen Bestehen der juristischen Fakultät der Humboldt-Universität zu Berlin, 2010, S. 523–543. Fragmentarisches Strafrecht in Geschichte und Dogmatik, ZStW 123 (2011), S. 660–690; spanische Übersetzung: El derecho penal fragmentario en la Historia y la Dogmática, Revista Penal (Übersetzung durch Luigi Foffani und Francisco Muñoz Conde), 2012, S. 203–222; italienische Übersetzung: Il diritto penale frammentario nella storia e nella dogmatica (Übersetzung durch Massimo Donini), Diritto penale contemporaneo. Rivista trimestrale 2015, S. 51–71, abrufbar unter http://www.Penalecontemporaneo.it/foto/3260DPC_Trim_1_2015.pdf#page= 57&view=Fit; ferner in: Diritto penale XXI secolo 2015, S. 167–201; japanische Übersetzung: Ritsumeikan Hogaku No. 354 (= 2014 No. 2), S. 211–252. (Übersetzung durch Minoru Honda); türkische Übersetzung: Tarih ve Doğmatiğin İçinde Fragmentar (Noksan) Ceza Hukuku, KHuKA (Kamu Hukuku Arsivi – Archiv des öffentlichen Rechts) 14 (2014), S. 37–75 (Übersetzung durch Ercan Yasar). Verdächtig: Der Tatbestand der falschen Verdächtigung (§ 164 StGB) und seine Interpretation, in: Festschrift für Friedrich Dencker, 2012, S. 359–372. Die „strafrechtliche Aufarbeitung“ der nationalsozialistischen Justizverbrechen in der Nachkriegszeit, in: Görtemaker, Manfred/Safferling, Christoph (Hrsg.), Die Rosenburg. Das Bundesministerium der Justiz und die NS-Vergangenheit – eine Bestandsaufnahme, 2013, S. 142–168; leicht veränderte Fassung in: Die strafrechtliche Transition in Deutschland nach 1945 unter besonderer Berücksichtigung der Aufarbeitung des Justizunrechts der NS-Zeit, in: Neumann, Ulfrid u. a. (Hrsg.), Transitional Justice. Das Problem gerechter strafrechtlicher Vergangenheitsbewältigung, 2013, S. 81–104. – Übersetzung aus dem Portugiesischen durch João Manuel Fernandes u.d.T. A transição jurídico-penal na Alemanha depois de 1945, com especial consideração do tratamento do ilícito judiciário do período nacional socialista, in: Martins, Antonio u. a. (Hrsg.), Justiça de Transição: Análises comparadas brasil-alemanha, 2015, S. 84–104.
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Recht und Gesetz – Mythos, Erzählung, Realität. Thomas Manns Novelle „Das Gesetz“, in: Mann, Thomas, Das Gesetz. (1943). Mit Kommentaren von Volker Ladenthin und Thomas Vormbaum, 2013, S. 101–141. Das Delta der Rechtsbeugung. Zum Schutzgut und Täterkreis des § 339 StGB, in: Festschrift für Hans-Ullrich Paeffgen, 2015, S. 377–389. Strafgesetze als Verfassungsgesetze, JZ 2018, S. 53–63; italienische Übersetzung: Leggi penali come leggi costituzionali Diritto penale XXI secolo, im Erscheinen (2021) (Übersetzung durch Jacopo Governa). Prolusione (Antrittsvorlesung), in: Conferimento della Laurea honoris causa in Giurisprudenza a Thomas Vormbaum 24 ottobre 2018. Macerata (eum) 2018, S. 41–53; spanische Übersetzung: Revista penal Nr. 45 (2020), S. 274–279 (Übersetzung durch Víctor Manuel Macías Car). Entwicklungsstufen des Strafgesetzbuchs, in: Hilgendorf, Eric/Kudlich, Hans/ Valerius, Brian (Hrsg.), Handbuch des Strafrechts, Bd. I, 2018, S. 387–430.
5. Außerrechtliches Übertragung aus dem Italienischen: Dante Alighieri, Die göttliche Komödie. (mit vierfarbigen Collagen von Ruth Tesmar). Erster Teil: Inferno/Hölle, 2003; Zweiter Teil: Purgatorio/Läuterungsberg, 2004; Dritter Teil: Paradiso/Paradies, 2005; Überarbeitete Paperback-Ausgabe 2007. Übertragung aus dem Italienischen: Dante Alighieri, La Vita Nuova/Das Neue Leben, 2007; überarbeitete Taschenbuchausgabe 2016. Übertragung aus dem Lateinischen: Dante Alighieri, Monarchie/Monarchia, 2010. „Du schmücktest ihm mit Lächeln seine Lieder“. Klassische italienische Dichtung von Dante Alighieri bis Giosuè Carducci (Übertragungen), 2011. Übertragung aus dem Italienischen: Dante Alighieri, Gedichte/Rime, 2014. Zauberberg und Läuterungsberg. Dante-Rezeption bei Thomas Mann, 2016; erweiterte Neuauflage 2020. Übertragung aus dem Italienischen: Giacomo Leopardi, Gesänge/Canti, 2020.
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* Photo: Heike Zons
https://doi.org/10.1515/9783110703016-020
Thomas Weigend I. Werdegang Mein Leben ist schnell erzählt. In meiner Kindheit und Jugend habe ich eine Reihe verschiedener Wohnorte kennengelernt, aber die letzten 50 Jahre habe ich im Wesentlichen in zwei Städten verbracht, zunächst in Freiburg im Breisgau und dann in Köln. In dieser weitgehend stationären Vita spiegelt sich das Glück meiner Generation wider, in stabilen, friedlichen und ruhigen Zeiten leben zu dürfen. Der Anfang war allerdings noch durch die Nachwirkungen des Zweiten Weltkriegs geprägt. Meine Eltern wurden als Sudetendeutsche aus ihrer Heimat vertrieben und fanden sich in Dresden, wo ich 1949 geboren wurde. Ein Jahr später entschlossen sie sich, die repressiven Verhältnisse in der DDR zu verlassen, und wagten die damals noch relativ leicht mögliche Flucht über Westdeutschland nach Österreich. Da es für meinen Vater als jungen Journalisten nicht leicht war, eine feste Anstellung zu finden, verbrachte ich meine Kindheit in häufig wechselnden Domizilen in Salzburg, Oberösterreich und schließlich in Wien. Im Jahre 1962 nahm mein Vater das Stellenangebot einer Wochenzeitung im Ruhrgebiet an. Das bedeutete für meine Eltern gewiss einen Kulturschock; für mich war es der Einstieg in eine menschlich durchaus angenehme neue Umgebung, in der ich die Jahre bis zum Beginn des Studiums verlebte. Nach den ersten vier Semestern an der Universität Hamburg (meine Strafrechtslehrer waren dort Eberhard Schmidhäuser, Heinrich Henkel und Rudolf Sieverts) wechselte ich nach Freiburg, wo ich die nächsten 17 Jahre verbringen sollte. Prägend für den weiteren Weg war die Begegnung mit Hans-Heinrich Jescheck, der neben der Leitung des Max-Planck-Instituts für ausländisches und internationales Strafrecht einen Lehrstuhl für Strafrecht an der Freiburger Rechtswissenschaftlichen Fakultät innehatte. Ich besuchte zwei seiner Seminare, die mir den Blick für das damals in der deutschen Strafrechtslandschaft noch sehr periphere internationale Strafrecht öffneten. Jescheck beteiligte an seinen Seminaren jeweils einige ausländische Gäste des Max-Planck-Instituts (darunter den damals noch jungen US-amerikanischen Strafrechtsprofessor Cherif M. Bassiouni, der später zu einer führenden Figur des Völkerstrafrechts werden sollte), so dass wir Studenten unsere Referate vor einem illustren Publikum halten durften. Kurz vor dem Ende meines Studiums entwickelte sich bei mir der Wunsch, nach dem Ersten Staatsexamen für ein Jahr an einem Master-Studiengang in den USA teilzunehmen. Ich suchte Jescheck auf, um ihn um ein Empfehlungsschreiben zu bitten. Er war in seiner großzügigen Art gleich bereit, meinen Plan zu unterstüt-
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zen, und bot mir außerdem spontan an, nach Abschluss des Studienaufenthalts in dem USA-Referat des Instituts mitzuarbeiten. Damit war eigentlich ohne mein Zutun ein Weg in die Strafrechtsvergleichung eröffnet, und ich nahm diese Chance mit der optimistischen Zuversicht eines 22-Jährigen wahr. Bei dem Aufenthalt an der Law School der University of Chicago – als einer von nur vier nicht-amerikanischen Studenten – öffnete sich für mich eine neue Welt. Ich bekam im Zuge des Studiums einen Überblick über verschiedene Bereiche des amerikanischen Rechts, vor allem aber lernte ich nette AltersgenossInnen und die Eigenheiten des Lebens an der Grenze zwischen dem „schwarzen“ Chicago und der akademischen Insel des Campus in Hyde Park kennen. Meine wesentlichen Mentoren waren sehr unterschiedliche Charaktere: Norval Morris, ein liberaler Kriminologe und Strafrechtler, und der deutlich konservativere John H. Langbein, der sich später unter anderem als Rechtshistoriker und Rechtsvergleicher an der Yale University einen großen Namen gemacht hat. Beide stellten mir häufig Fragen zum deutschen Recht, die mir wesentliche Denkanstöße gaben. Kurz nachdem ich den Master-Grad erworben hatte und nach Freiburg zurückgekehrt war, nahm Joachim Herrmann, der bis dahin das USA-Referat am MaxPlanck-Institut betreut und mich sehr freundlich in das Aufgabengebiet eingeführt hatte, den Ruf auf einen auswärtigen Lehrstuhl an; und so wuchs dem Referendar unversehens die Verantwortung für die Betreuung des Strafrechts der USA innerhalb des Instituts zu. Dank der kollegialen Atmosphäre und der Hilfsbereitschaft insbesondere der Verwaltungsreferentin Johanna Bosch – die im Laufe der Jahre eine gute Freundin wurde – sowie der BibliothekarInnen ließ sich das Alltagsgeschäft im Referat neben dem juristischen Vorbereitungsdienst in Freiburg gut bewältigen. Gleichzeitig konnte ich mich auch an einem von Rudolf Leibinger geleiteten vergleichenden Projekt zur Rolle der Staatsanwaltschaft1 beteiligen. Aus meinem Landesbericht zu diesem Projekt entstand meine Dissertation, in der ich in jugendlicher Unbekümmertheit ein paar recht gewagte Ideen zur Neugestaltung des staatsanwaltschaftlichen Entscheidungsermessens in die Welt setzte.2 An der University of Chicago war mein früherer Mentor Norval Morris inzwischen Dekan geworden. Er lud mich zu einem Abenteuer ein, das ich in späteren Jahren sicher nicht mehr gewagt hätte: Direkt nach dem Abschluss meines Zweiten Staatsexamens sollte ich nach Chicago zurückkehren und dort einen Teil der 1 2
Ergebnis war das Sammelwerk Jescheck, Hans-Heinrich/Leibinger, Rudolf (Hrsg.), Funktion und Tätigkeit der Anklagebehörde im ausländischen Recht, 1980. Weigend, Thomas, Anklagepflicht und Ermessen. Die Stellung des Staatsanwalts zwischen Legalitäts- und Opportunitätsprinzip nach deutschem und amerikanischem Recht, 1978.
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First Year Students im Strafrecht unterrichten, und zwar im Strafrecht der USA. Bei der Semester-Eröffnungsparty fragten mich verschiedene Studienanfänger (durchweg etwa in meinem Alter) „Are you in the group of Mr. Weigend?“ – was ich guten Gewissens bejahen konnte. Dank der toleranten und freundlichen Kooperation der Studierenden habe ich die Vorlesung mit Anstand hinter mich gebracht, bei der Vorbereitung des Stoffes dem Auditorium günstigstenfalls eine knappe halbe Stunde voraus. Nach diesem Ritt über den Bodensee kehrte ich 1977 nach Freiburg zurück und tauchte ganz in das von Jescheck mit väterlicher Autorität und unglaublicher Arbeitskraft geleitete wissenschaftliche Leben des Instituts ein. Dass ich weiter im akademischen Bereich arbeiten sollte, schien für Jescheck fraglos festzustehen, und so dachte ich auch nicht ernsthaft über etwaige Alternativen nach. Das Thema für meine Habilitationsschrift ergab sich aus einem später nicht weitergeführten Institutsprojekt zu den verschiedenen Akteuren des Strafverfahrens, in dessen Rahmen ich mich mit der Rolle des Verletzten beschäftigte.3 Die Arbeit an diesem Vorhaben zog sich aus verschiedenen Gründen wesentlich länger hin als geplant, unter anderem aufgrund der – für mich sehr anregenden und bereichernden, aber zeitaufwendigen – Beschäftigung mit den historischen Aspekten des Themas. Aber es wäre irreführend zu behaupten, dass diese Jahre allein dem Lesen und Exzerpieren strafrechtshistorischer Literatur gewidmet gewesen wären. Durch meine erste Ehefrau Ewa Weigend, die am Max-Planck-Institut als Referentin u. a. für Polen tätig war, kam ich schon in den 1970er Jahren in freundschaftlichen Kontakt mit den führenden polnischen Strafrechtlern jener Zeit (Kazimierz Buchała, Marian Cieślak, Stanisław Waltoś, Eleonora Zielińska, Andrzej Zoll) und bekam wertvolle Einblicke nicht nur in das polnische Strafrecht, sondern auch in das Leben unter dem spät-kommunistischen Regime des Landes. Überhaupt war ein wesentlicher Bestandteil des Institutslebens das Kennenlernen von WissenschaftlerInnen aus aller Welt, nicht nur in der Bibliothek und in der Cafeteria, sondern auch beim wöchentlichen Institutsfußball. Noch heute sprechen mich prominente ausländische Kollegen gelegentlich darauf an, welch traurige Figur ich damals im Fußballtor abgegeben habe.
Als ich 1985 endlich meine Habilitationsschrift abschloss, war Jescheck bereits emeritiert und Albin Eser hatte die Leitung des Instituts übernommen. Dennoch begleitete Jescheck fürsorglich das Habilitationsverfahren und half mir auch bei der Vorbereitung des nächsten schwierigen Schrittes, der Suche nach einer Professur. Ich hatte das Glück, nach einem Vertretungssemester in Konstanz neben einem Ruf an diese sehr angenehme Universität auch einen Ruf auf einen Lehrstuhl 3
Daraus wurde viel später das Buch „Deliktsopfer und Strafverfahren“, 1989.
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für ausländisches und internationales Strafrecht der Universität zu Köln zu bekommen. Die Entscheidung für Köln fiel mir nicht schwer, auch wenn ich die Stadt kaum und die Universität gar nicht kannte. Dabei machte es mir allerdings einiges Kopfzerbrechen, dass ich an der Kölner Fakultät nicht nur einige hoch renommierte Kollegen (darunter den mir väterlich wohlgesonnenen Hans Joachim Hirsch), sondern auch eine größere Zahl von Mitarbeitern haben würde – auf die Aufgaben von Personalführung und Arbeitsverteilung war ich in keiner Weise vorbereitet. Eine große Hilfe war mir in dieser Situation Dietrich Oehler, mein Vorgänger auf dem Kölner Lehrstuhl, der mir aus seiner reichen Erfahrung speziell mit den Fakultätskollegen viele gute Tipps und einige wertvolle Warnungen mit auf den Weg gab. Ein anderer wichtiger Begleiter und zugleich ein großes Vorbild als Rechtsvergleicher war und ist der Saarbrücker Komparatist Heike Jung, der mir seit Beginn meines Weges immer mit freundschaftlichem Rat zur Seite steht. Letztlich bin ich für mein gesamtes Professorenleben auf dem großzügig ausgestatteten Kölner Lehrstuhl geblieben. Ich habe mich an das Arbeiten in einer großen Universität mit vielen StudentInnen gewöhnt, was durch die freundliche Kollegialität innerhalb der Fakultät sehr erleichtert wurde. Redlich – wenn auch mit mäßigem Erfolg – habe ich auch versucht, mich für die in Köln wirklich wichtigen Dinge (den Karneval, das lokale Bier und den 1. FC Köln) zu begeistern. Zwei auswärtige Angebote (aus Gießen und Freiburg) waren reizvoll, aber doch nicht stärker als die Beharrungskräfte, die sich im Lauf der Zeit entwickelt hatten. An meinem Lehrstuhl haben im Laufe der Jahre viele intelligente, aufgeschlossene, freundliche und fleißige junge JuristInnen mitgearbeitet. Zwei von ihnen sind Kölner Fakultätskollegen geworden: Claus Kreß, der mich während seiner Jahre am Institut als bereits einschlägig ausgewiesener Experte zum Völkerstrafrecht (zurück) geführt hat, und Bettina Weißer, die meine rechtsvergleichenden Interessen teilt und 2017 als meine Nachfolgerin die Leitung des Lehrstuhls übernommen hat. Von 2009 bis 2011 war ich als Dekan der Rechtswissenschaftlichen Fakultät tätig. Wie es mir einer meiner Vorgänger in diesem Amt vorhergesagt hatte, bekam ich während dieser Zeit Gelegenheit, an manchen meiner Fakultätskollegen ganz neue Seiten kennenzulernen. Dennoch bereue ich es keineswegs, diese Funktion übernommen zu haben. Sie hat mir nicht nur interessante Einblicke in das Innenleben der Universität ermöglicht, sondern auch die Chance gegeben, in Zusammenarbeit mit den durchweg sehr liebenswürdigen und hilfsbereiten MitarbeiterInnen des Dekanats das eine oder andere kleine Problem in der Fakultät zu lösen.
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Eine Aufgabe innerhalb der Fakultät, die ich 15 Jahre lang mit großer Freude wahrgenommen habe, war die Betreuung des gemeinsam mit dem University College London betriebenen Bachelor-Studienganges Rechtswissenschaft, der einer (leider kleinen) Anzahl besonders vielversprechender junger JuristInnen die Möglichkeit bietet, innerhalb von vier Jahren einen Doppel-Abschluss als Bachelor im englischen und deutschen Recht zu erwerben (an den sich dann die Erste Juristische Prüfung in Deutschland leicht anschließen lässt). In diesem Rahmen habe ich nicht nur viele interessante junge Menschen kennengelernt, sondern auch in sehr angenehmer Weise mit der englischen Seite zusammengearbeitet. Rechtswissenschaft ist eher eine Tätigkeit für Einzelkämpfer, und das kommt meinem Naturell durchaus entgegen. Auch wenn natürlich das Zusammenführen der Expertise mehrerer Autoren einen Zugewinn an Information für den Leser verspricht, habe ich doch gelegentlich die Erfahrung gemacht, dass das Produzieren von Veröffentlichungen gemeinsam mit Co-Autoren – wegen der Notwendigkeit, sich zu einigen – durchaus Zeit und Nerven kosten kann. Mit zwei Wissenschaftlerinnen habe ich allerdings in den letzten Jahren kontinuierlich mit Freude und Gewinn zusammengearbeitet: Jenia Turner (Dallas/Texas) und Elisa Hoven (Leipzig). Der Gedankenaustausch mit den beiden (in Wesensart und Fachrichtung sehr unterschiedlichen) Kolleginnen war für mich lehrreich und erkenntnisfördernd, und ich denke, dass sich auch die Produkte der gemeinsamen Arbeit sehen lassen können.4 Von Vereinen und Organisationen versuche ich mich möglichst fernzuhalten. Eine Ausnahme habe ich für die Gesellschaft für Rechtsvergleichung gemacht, der ich schon in meiner Freiburger Zeit beigetreten bin. Seit 1997 gehöre ich dem Vorstand der Gesellschaft an, und zwei Jahrzehnte lang habe ich auch den Vorsitz in der Fachgruppe Strafrecht geführt. Die Gesellschaft für Rechtsvergleichung hat ein überschaubares Vereinsleben; ihre Tätigkeit beschränkt sich im Wesentlichen darauf, alle zwei Jahre eine Tagung für Rechtsvergleichung zu organisieren. In deren Rahmen gibt es oft interessante Diskussionen mit ausländischen WissenschaftlerInnen über aktuelle Themen aus dem Straf- und Strafverfahrensrecht; hier lässt sich die intellektuelle Bereicherung durch das rechtsvergleichende Gespräch mit Experten aus verschiedenen Rechtsordnungen unmittelbar erleben. 4
S. z. B. Turner, Jenia Iontcheva/Weigend. Thomas, Negotiated Justice, in: Sluiter, Goran u. a. (Hrsg.), International Criminal Procedure. Principles and Rules, 2013, S. 1375–1414; dies., The Purposes and Functions of Exclusionary Rules: A Comparative Overview, in: Gless, Sabine/Richter, Thomas (Hrsg.), Do Exclusionary Rules Ensure a Fair Trial?, 2019, S. 255–282; Hoven, Elisa/Weigend, Thomas, „Nein heißt Nein“ – und viele Fragen offen, JZ 2017, S. 182–191; dies., Praxis und Probleme des Verbandsstrafrechts in den USA, ZStW 130 (2018), S. 213–253.
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II. Arbeitsgebiete Es fällt schwer, in meinen wissenschaftlichen Interessen und Arbeiten eine inhaltliche Entwicklungslinie zu erkennen. Jedenfalls gibt es für mich keinen festen politischen oder philosophischen Ausgangspunkt, aus dem sich alles Weitere hätte ableiten lassen. Hans-Heinrich Jescheck, der mich bei den ersten Schritten in die Wissenschaft mit viel Wohlwollen und großzügiger Distanz geleitet hat, hat sich in einzelnen strafrechtlichen Fragen durchaus deutlich positioniert; er hat jedoch kein eigenes Lehrgebäude entwickelt, sondern in seinem Lehrbuch die in der Wissenschaft vertretenen Auffassungen mehr oder weniger neutral vorgestellt. Im Vergleich zu manchem, was insbesondere in den 1970er Jahren geschrieben wurde, war Jeschecks kriminalpolitische Grundhaltung konservativ und baute auf der Idee einer primär schuldausgleichenden Funktion der staatlichen Strafe auf. Dabei betonte er jedoch stets die rechtsstaatlichen Begrenzungen des Strafrechts durch das Gesetzlichkeits- und das Schuldprinzip wie auch die humanistische Idee des Vollzugs der Strafe als Zuwendung zum Täter mit dem Ziel seiner Resozialisierung. Mit diesen Grundpositionen stimme ich überein, auch wenn ich manche strafrechtsdogmatische Einzelfrage anders sehe als Jescheck dies getan hat. Der Konsens im Grundsätzlichen war es wohl auch, der Jescheck nach meiner Habilitation veranlasst hat, mir die Mitarbeit an seinem Lehrbuch anzubieten. Für die 5. Auflage des Werkes, die schließlich im Jahre 1996 erschienen ist,5 habe ich daraufhin die Überarbeitung des Teils über die Sanktionen übernommen, während alles Übrige in den Händen Jeschecks blieb. Ohne die Konsequenzen hinreichend zu überlegen, nahm ich das sehr großzügige Angebot Jeschecks an, mich trotz meines geringen Anteils an dem Werk nicht als bloßen Mitarbeiter, sondern als Mit-Autor zu nennen. Damit war für die Außenwelt dokumentiert, dass ich das Lehrbuch in den weiteren Auflagen fortführen sollte, und es entstand die entsprechende Erwartung nicht nur bei Jescheck selbst, sondern auch bei den Fachkollegen im In- und Ausland. Es war allerdings geplant, dass ich die Weiterführung des Werkes nicht allein, sondern gemeinsam mit einem oder mehreren Kollegen in Angriff nehmen sollte. Die Suche nach Mit-Autoren blieb jedoch leider aus verschiedenen Gründen erfolglos; und es hat sich dann gezeigt, dass ich es angesichts der Jahr für Jahr zunehmenden Fülle an einzuarbeitendem Material allein nicht schaffen konnte, das gesamte Buch neu zu schreiben, so wie dies nach dem Ablauf von einigen Jahren nach der letzten Auflage nötig gewesen wäre, zu-
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Jescheck, Hans-Heinrich/Weigend, Thomas, Lehrbuch des Strafrechts, Allgemeiner Teil, 5. Aufl. 1996.
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mal das Werk im Kern aus den 1970er-Jahren stammt und danach von Jescheck lediglich aktualisiert worden war. So ist die unglückliche Situation entstanden, dass das Lehrbuch „Jescheck/Weigend“, mit dem viele Fachkollegen meinen Namen assoziieren, tatsächlich nur zu einem kleinen Teil von mir stammt und dass ich die Erwartungen Jeschecks selbst und vieler anderer hinsichtlich einer Neubearbeitung nicht mehr werde erfüllen können. Mir tut das sehr leid, vor allem da das Lehrbuch aufgrund seines noch überschaubaren Umfangs und seines eingängigen Stils ein ideales Medium zur Vermittlung der Grundzüge der deutschen Strafrechtsdogmatik (einschließlich ihrer historischen, philosophischen und kriminologischen Bezüge) insbesondere für ausländische StrafrechtlerInnen darstellt. Die strafrechtsdogmatischen Entwicklungen in Deutschland habe ich zwar stets mit großem Interesse verfolgt und mich auch gelegentlich zu Einzelthemen geäußert, die Schwerpunkte meiner Arbeit habe ich jedoch im Strafverfahrensrecht sowie in der Kriminalpolitik, insbesondere im Sanktionenrecht gesetzt. Als drittes Interessengebiet ist später das Völkerstrafrecht hinzugetreten.
1. Strafverfahrensrecht Was das Strafverfahrensrecht betrifft, so war ich überwiegend als Dolmetscher zwischen Deutschland und der anglo-amerikanischen Welt, insbesondere den USA tätig. In den 1970er Jahren entstand in den USA ein Interesse daran, Alternativen zu dem in eine Krise geratenen adversatorischen Verfahrenstyp zu finden. Bekannte Forscher wie John H. Langbein (University of Chicago) und Abraham Goldstein (Yale Law School) kamen nach Europa und speziell nach Deutschland, um das Funktionieren des inquisitorial system in der Praxis kennenzulernen. Ich hatte in meiner Freiburger Zeit das Vergnügen, mit ihnen sowie mit dem großen Prozessrechtsvergleicher Mirjan Damaška (Yale Law School) zusammenzutreffen und sie bei ihren Untersuchungen zu unterstützen. Ich habe dann einen eigenen Beitrag zum Vergleich zwischen dem deutschen und dem amerikanischen Strafverfahren verfasst,6 und auch später haben mich insbesondere die Frage der Wahrheitsfindung in den beiden unterschiedlichen Verfahrenstypen7 sowie die
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Weigend, Thomas, Continental Cures for American Ailments: European Criminal Procedure as a Model for Law Reform, in: Morris, Norval/Tonry, Michael (Hrsg.), Crime and Justice, Bd. 2, 1980, S. 381–428. S. Weigend, Thomas, Is the Criminal Process about Truth? A German Perspective, Harvard Journal of Law & Public Policy 26 (2003), S. 157–173; ders., Rechtsvergleichende Bemerkungen zur Wahrheitssuche im Strafverfahren, in: Festschrift für Ruth Rissing-van Saan, 2011, S. 749–766.
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Rolle der Beweisverwertungsverbote in verschiedenen Rechtssystemen8 beschäftigt. Vergleichende Untersuchungen vornehmlich für deutsche Leser habe ich vor allem im Zusammenhang mit dem Auftauchen des Phänomens der Absprachen im deutschen Strafverfahren veröffentlicht; hier interessierten Theorie und Praxis des US-amerikanischen plea bargaining als (eventuell zur Abschreckung geeignetes) Vorbild deutscher Entwicklungen.9 Bei dem Vergleich der Strafprozesssysteme bin ich immer wieder auf das Phänomen gestoßen, dass auf den ersten Blick sehr unterschiedliche Strukturen und Praktiken letztlich auf dieselben Ziele ausgerichtet sind. So findet sich heute in den meisten Strafprozesssystemen eine deutliche Zweiteilung zwischen der Behandlung von Routinefällen, die in einem kurzen administrativen Verfahren möglichst einvernehmlich erledigt werden sollen (wie z. B. in Deutschland die Verfahrenseinstellung nach § 153a StPO und das Strafbefehlsverfahren, in den anglo-amerikanischen Ländern das plea of guilty), und „streitigen“ oder besonders schwerwiegenden Strafsachen, in denen das Gericht im Wege einer umfassenden Beweisaufnahme der Wahrheit auf den Grund zu kommen sucht. In letzteren Fällen gibt es graduelle Unterschiede in der Rollenverteilung zwischen dem Gericht (das die „inquisitorische“ Hauptverhandlung beherrscht) und den Parteien (die die Beweisaufnahme im „adversatorischen“ Verfahren steuern), aber letztlich wird in beiden Systemen auf der Grundlage unterschiedlicher psychologischer Annahmen nach einer möglichst verlässlichen Tatsachengrundlage für die Entscheidung gestrebt.10 Insofern ist es durchaus sinnvoll, nach Lösungswegen für eigene Fragestellungen in fremden Rechtsordnungen zu suchen; man muss allerdings darauf achten, dass übernommene Lösungen so angepasst werden, dass sie mit dem eigenen prozessualen Umfeld harmonieren.11
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Weigend, Thomas, Throw it all out? Judicial Discretion in Dealing with Procedural Faults, in: Caianiello, Michele/Hodgson, Jacqueline S. (Hrsg.), Discretionary Criminal Justice in a Comparative Context, 2015, S. 185–206; ders., The Potential to Secure a Fair Trial Through Evidence Exclusion: A German Perspective, in: Gless, Sabine/Richter, Thomas (Hrsg.), Do Exclusionary Rules Ensure a Fair Trial?, 2019, S. 61–92. 9 Weigend, Thomas, Absprachen in ausländischen Strafverfahren. Eine rechtsvergleichende Untersuchung zu konsensualen Elementen im Strafprozeß, 1990; ders., Why have a Trial when you can have a Bargain?, in: Duff, R. Athony u. a. (Hrsg.), The Trial on Trial, Bd. 2, 2006, S. 207–222; ders., Verständigung in der Strafprozessordnung – auf dem Weg zu einem neuen Verfahrensmodell?, in: Festschrift für Manfred Maiwald, 2010, S. 829–848. 10 Dazu schon Weigend, Thomas, Wechselverhör in der Hauptverhandlung?, ZStW 100 (1988), S. 733–757. 11 Frase, Richard S./Weigend, Thomas, German Criminal Justice as a Guide to American Law Reform: Similar Problems, Better Solutions?, Boston College International and Comparative Law Review 18 (1995), S. 317–360.
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Das Bestreben, Juristen aus anderen Rechtsordnungen die Besonderheiten des deutschen Strafverfahrensrechts verständlich zu machen, hat mich verschiedentlich an ausländische Universitäten geführt. Besonders beeindruckt war ich von zwei Seminaren zum deutschen Strafverfahrensrecht, die ich 1991 und 1996 an der Tokyo University gemeinsam mit den mir in Freundschaft verbundenen Kollegen Kuniji Shibahara und Masahito Inouye abgehalten habe. Leider hat es mir die fehlende Kenntnis der japanischen Sprache unmöglich gemacht, bei meinen Aufenthalten mehr als nur ein ganz oberflächliches Verständnis des japanischen Strafverfahrens zu erwerben; aber die zahlreichen interessierten Fragen der Seminarteilnehmer (überwiegend Professoren, Doktoranden, Richter, Staatsanwälte und Strafverteidiger) haben mich nicht nur veranlasst, das deutsche System aus einer anderen Perspektive zu sehen, sondern haben indirekt auch gezeigt, an welchen – für mich manchmal überraschenden – Stellen im Ausland kritische Punkte des Strafverfahrens liegen. So interessierten sich japanische Juristen vor allem für die – bei uns eher marginale, in Japan aber damals im Mittelpunkt einer heftigen rechtspolitischen Diskussion stehende – Beteiligung von Laienrichtern am Strafprozess. Seminare mit Schwerpunkt im deutschen Strafverfahrensrecht habe ich seit 2004 auch an chinesischen Universitäten (Peking University, China University of Political Science and Law) zusammen mit dortigen Kollegen veranstaltet. Daran nahmen überwiegend Studierende und DoktorandInnen teil, die mit vielen interessierten und klugen Fragen den aus ihrer Sicht sehr seltsamen Zuständen in der deutschen Strafjustiz auf die Spur zu kommen suchten. Mein Ziel bei diesen Veranstaltungen war es vor allem, den TeilnehmerInnen die Einsicht zu vermitteln, dass auch ein System, das den Beschuldigten weitreichende Mitwirkungs- und Verweigerungsrechte gewährt, in den meisten Fällen das Ziel der Klärung des Tatverdachts erreicht. Man kann vielleicht hoffen, dass dieser Gedanke bei dem einen oder anderen jungen Juristen Früchte trägt, wenn sich in China eine Tür für Reformen öffnet. Die Aufenthalte in Ostasien (einschließlich Taiwan und Südkorea) haben mir eindrucksvoll vor Augen geführt, mit welch großer Ernsthaftigkeit und Begeisterung junge JuristInnen in diesen Ländern Straf- und Strafverfahrensrecht studieren. Ihr Interesse bezieht sich insbesondere auch auf ausländische Rechtsordnungen: Immer wieder bin ich in den Diskussionen auf verblüffende Detailkenntnisse über deutsche Strafrechtsdogmatik und Strafprozesstheorie gestoßen. Auch, aber vielleicht nicht nur aus historischen Gründen genießt das deutsche Strafrecht in den Staaten Ostasiens immer noch hohes Ansehen; und es ist erfreulich zu sehen, dass StrafrechtlerInnen der mittleren und jüngeren Generation an die Tradition der großen Namen wie Claus Roxin und Günther Jakobs anknüpfen
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und mit ihrer Expertise in modernen Bereichen des Strafrechts (z. B. Medizin- und IT-Strafrecht) den internationalen Dialog fortsetzen. Eine besonders fruchtbare Form des Austauschs hat Eric Hilgendorf gemeinsam mit chinesischen Kollegen im Jahre 2011 mit der Gründung des Chinesisch-Deutschen Strafrechtslehrerverbandes geschaffen, dessen zweijährliche Tagungen – an denen ich verschiedentlich teilnehmen durfte – ein hochkarätiges Forum des vergleichenden Gesprächs vor allem über strafrechtsdogmatische Themen darstellen.
Auch mit JuristInnen aus England und den USA lassen sich Diskussionen über strafverfahrensrechtliche Themen mit großem Gewinn führen. Ich denke dabei nicht nur an Lehrveranstaltungen gemeinsam mit meinem Kollegen James Jacobs an der New York University (2001) zurück, sondern vor allem auch an hoch interessante internationale Kolloquien, die der Rechtsphilosoph und Strafrechtstheoretiker Antony Duff im Rahmen eines groß angelegten Projekts über die Zukunft des Strafverfahrens („The Trial on Trial“) in den 2000er-Jahren an verschiedenen schottischen Universitäten veranstaltet hat.12 Auch hier wurde deutlich, dass sich hinter unterschiedlich benannten prozessrechtlichen Phänomenen in den verschiedenen Rechtsordnungen ähnliche Sachprobleme verbergen. An diese Einsicht knüpft in jüngerer Zeit auch ein von Kai Ambos initiiertes Projekt „Core Concepts in Criminal Law and Criminal Justice“ an, das englische, amerikanische und deutsche StrafjuristInnen in halbjährlich stattfindenden Kolloquien zusammenbringt, um gemeinsam an transnationalen Veröffentlichungen über ausgewählte Themen des Straf- und Strafverfahrensrechts zu arbeiten. Daran mitzuwirken war und ist für mich ein mit großem intellektuellen Gewinn verbundenes Vergnügen.
2. Sanktionenrecht und Kriminalpolitik Den ersten Kontakt zum Sanktionenrecht bekam ich während meiner Studienzeit in den USA in einer spannenden Phase der 1970er-Jahre, in der dort der Umschwung von einer klaren Präventionsorientierung zu der Idee des just desert als Maßstab der Strafe stattfand. Ich habe über diese Entwicklung in Deutschland berichtet13 und gleichzeitig versucht, die deutsche „gemischte“ Theorie der Strafzumessung in die US-amerikanische Diskussion einzubringen.14 In der Folgezeit 12 Die Ergebnisse des Projekts sind veröffentlicht in Duff, R. Antony u. a. (Hrsg.), The Trial on Trial, Bd. 1, 2004; Bd. 2, 2006; Bd. 3, 2007. 13 Weigend, Thomas, Entwicklungen und Tendenzen der Kriminalpolitik in den USA, ZStW 90 (1978), S. 1083–1127. 14 Weigend, Thomas, Sentencing in West Germany, in: Tonry, Michael H./Zimring, Franklin E. (Hrsg.), Reform and Punishment: Essays on Criminal Sentencing, 1983, S. 21– 68.
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haben sich die beiden Systeme allerdings sehr unterschiedlich entwickelt, wobei der punitive turn des US-amerikanischen Sanktionenrechts weniger theoretischen Einsichten als vielmehr politischen Vorgaben geschuldet war. In der gegenwärtigen Situation kann man als europäischer Beobachter nur zu zeigen versuchen, dass auch eine Gesellschaft mit einer deutlich milderen Sanktionspraxis durchaus nicht von einer riesigen Kriminalitätswelle überschwemmt wird.15 Während Kriminalitätsbelastung und Sanktionsschwere in Deutschland zur Zeit nicht als größeres Problem erscheinen, bleiben doch einige Grundfragen der Strafzumessung ungelöst. Dabei geht es zum einen immer noch um das Verhältnis zwischen Schuldausgleich, Generalprävention und Spezialprävention als mögliche theoretische Leitsterne für die Begründung und Bemessung von Sanktionen, zum anderen um die Ungleichheit der Strafzumessung zwischen verschiedenen, selbst unmittelbar benachbarten Gerichten. Zu letzterer Frage hatte ich schon vor langer Zeit einen rechtsvergleichenden Blick auf die damals relativ neuen sentencing guidelines der USA geworfen;16 und mit einem neuen Projekt möchte ich gemeinsam mit Elisa Hoven auf empirischer Grundlage der Frage nachgehen, ob (und wenn ja: wie) sich relative Gerechtigkeit bei der staatlichen Bestrafung herstellen lässt.17 Dieses Projekt entspricht meinem generellen Interesse an Strafrechtspolitik, die ich als kontinuierliche Fortentwicklung des Strafrechts- und Strafverfahrenssystems entsprechend der aktuellen Situation der Gesellschaft verstehe. In diesem Zusammenhang steht auch meine Mitwirkung im Kreis der „Alternativ-Professoren“, dem ich seit den 1980er-Jahren anzugehören die Freude habe. Ich wurde damals eingeladen, an der Ausarbeitung eines „Alternativ-Entwurfs Wiedergutmachung“18 mitzuarbeiten, und habe mich seither kontinuierlich an den Projekten des Arbeitskreises beteiligt. Auch wenn die Ergebnisse unserer Bemühungen in den letzten Jahrzehnten keinen unmittelbaren Einfluss auf die Gesetzgebung genommen haben – es gilt das Motto „Der Weg ist das Ziel“ –, macht der intellektuelle Austausch und die Zusammenarbeit mit exzellenten StrafrechtlerInnen aus Deutschland, Österreich und der Schweiz große Freude und bringt immer wieder 15 In diesem Sinne Weigend, Thomas, No News is Good News: Criminal Sentencing in Germany Since 2000, in: Tonry, Michael (Hrsg.), Crime and Justice 45 (2016), S. 83– 106. 16 Weigend, Thomas, Richtlinien für die Strafzumessung, in: Festschrift der Rechtswissenschaftlichen Fakultät zur 600-Jahr-Feier der Universität zu Köln, 1988, S. 579–604. 17 S. dazu Hoven. Elisa/ Weigend, Thomas, Strafzumessung in den Augen der Bevölkerung, in: Kaspar, Johannes/Walter, Tonio (Hrsg.), Strafen „im Namen des Volkes“?, 2019, S. 263–274. 18 S. Baumann, Jürgen u. a., Alternativ-Entwurf Wiedergutmachung, 1992.
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neue Einsichten. Besonders angenehm ist die absolute Hierarchiefreiheit des Diskurses in diesem freundschaftlichen Kreis, verbunden mit der konstruktiven Orientierung an einem Ziel, nämlich der möglichst kunstgerechten Formulierung eines Gesetzestextes mit Begründung. Der „Kriminalpolitische Kreis“, den die Leipziger (damals Kölner) Strafrechtsprofessorin Elisa Hoven gemeinsam mit Gereon Wolters (Ruhr-Universität Bochum) und mir im Jahre 2015 ins Leben gerufen hat, versucht ähnlich wie der Kreis der Alternativ-Professoren, rationale Kriminalpolitik durch die Bündelung von Expertenwissen zu unterstützen. Während der Alternativ-Kreis aber eher langfristige selbstdefinierte Gesetzgebungsprojekte verfolgt, geht es dem Kriminalpolitischen Kreis, dem derzeit 37 StrafrechtslehrerInnen angehören, um die Begleitung der aktuellen deutschen Kriminalpolitik in engem Kontakt mit dem Bundesministerium der Justiz und für Verbraucherschutz. Auch hier bemühen wir uns um die Formulierung von gesetzlichen Regelungen, die möglichst vor dem Abschluss aktueller Gesetzgebungsverfahren in die Debatte eingebracht werden und legislative Vorhaben im Idealfall optimieren (oder auch verhindern) sollen. Bisher funktioniert dieses Modell recht gut. Meinen Arbeiten zur Kriminalpolitik und speziell zum Sanktionenrecht liegt die Annahme zugrunde, dass die staatliche Strafe ein notwendiges Übel ist – ein Übel, da sie den betroffenen Menschen Leid zufügt; notwendig, da auf sie zur Durchsetzung der Verhaltensnormen zum Schutz der Bürger nicht verzichtet werden kann. Die Antworten auf die Frage, welche Normen unverzichtbar sind, verändern sich im Lauf der sozialen und technischen Entwicklung und sind auch von den kulturellen Vorstellungen der jeweiligen Gesellschaft geprägt. Das Strafrecht ist insofern akzessorisch; es ist jedenfalls kein Mittel, um die soziale Anerkennung von Verhaltensnormen erst zu generieren. Kriminalpolitik erfordert daher einerseits die empirische Beobachtung der gesellschaftlichen Entwicklungen und beruht andererseits auf normativen Entscheidungen über den Schutz bestehender sozialer Interessen durch die Strafbewehrung von Verhaltensnormen. Bei dieser normativen Entscheidung gilt das liberale Prinzip, dass Strafe – als bewusste Zufügung eines Übels durch den Staat – nur insoweit eingesetzt werden soll als sie notwendig ist, um den gewünschten Zweck zu erreichen. In diesen Grundannahmen sehe ich mich mit vielen deutschen KollegInnen einig, auch wenn man natürlich über die Anwendung des ultima-ratio-Prinzips in einzelnen Problembereichen streiten kann. Das Interesse an Kriminalpolitik mag einen gewissen Ausgleich dafür bieten, dass ich mich – abgesehen von gelegentlichen Gutachten für Gerichte oder Verteidiger – fast immer im Elfenbeinturm der Wissenschaft aufgehalten und wenig
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Kontakt zur Strafrechtspraxis aufgenommen habe. Das ist sicher ein Defizit, vor allem wenn man über Strafverfahrensrecht schreibt. Ich habe versucht, diesen Nachteil durch die Lektüre praxisbezogener Literatur ein wenig auszugleichen.
3. Völkerstrafrecht Mein Interesse am Völkerstrafrecht wurde schon während der Zeit als Student durch die Seminare von Hans-Heinrich Jescheck in Freiburg geweckt. Wenn man von praktischen Fragen des Rechtsanwendungsrechts absieht, war die Materie damals einigermaßen esoterisch, da seit den Nürnberger und Tokioter Prozessen gegen die deutschen und japanischen Verantwortlichen für Kriegs- und Menschlichkeitsverbrechen jede Praxis eines Völkerstrafrechts fehlte. Jescheck sprach plastisch von einer Partitur für ein nicht existierendes Orchester. Durch die Übernahme des Kölner Lehrstuhls von Dietrich Oehler, der das damals einzige Lehrbuch zum Internationalen Strafrecht verfasst hatte,19 wurde ich gewissermaßen von Amts wegen für diese Materie zuständig, ohne dass ich mich zunächst eingehender mit ihr beschäftigte. In den 1990er-Jahren erlangte das Völkerstrafrecht allerdings aus dem traurigen Anlass des Völkermords in Ruanda und der Kriegsgreuel in den jugoslawischen Auseinandersetzungen erneut praktische Relevanz. Nach der Schaffung des Internationalen Strafgerichtshofs (1998) sah man in Deutschland die Notwendigkeit, die Grundregeln strafrechtlicher Verantwortlichkeit für die völkerrechtlichen core crimes (Genozid, Menschlichkeitsverbrechen, Kriegsverbrechen, Aggressionsverbrechen) auch im nationalen Recht festzulegen. Dank der Vermittlung meines damaligen Mitarbeiters Claus Kreß wurde ich im Jahre 2000 in eine Arbeitsgruppe des Bundesjustizministeriums aufgenommen, die den Auftrag hatte, ein entsprechendes Gesetz vorzubereiten. Die Arbeit in dieser Gruppe, die aus Experten der beteiligten Ministerien sowie aus einigen in der Materie ausgewiesenen Professoren bestand, war für mich eine Art Oberseminar im Völkerstrafrecht, in dem ich auch viel über die komplexen Überlegungen erfuhr, die dem Statut des Internationalen Strafgerichtshofs zugrunde liegen. Es war für uns alle ein schöner Lohn für unsere Mühen, dass sich in dem 2002 in Kraft getretenen Völkerstrafgesetzbuch manche Formulierungen wiederfanden, die wir gemeinsam erarbeitet hatten. In den folgenden Jahren habe ich mich auch an der internationalen Diskussion über das Völkerstrafrecht, speziell über die Rechtsprechung des Internationalen Strafgerichtshofs beteiligt. Der Diskurs über diese Materie hat seinen besonderen Reiz, da an ihm JuristInnen aus allen Rechtsordnungen gleichberechtigt teilneh19 Oehler, Dietrich, Internationales Strafrecht. Geltungsbereich des Strafrechts, internationales Rechtshilferecht, Recht der Gemeinschaften, Völkerstrafrecht, 2. Aufl. 1983.
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men; es wird also wahrhaft global über dieselben Rechtsfragen verhandelt, wobei natürlich das jeweilige nationale Vorverständnis der Beteiligten (und insbesondere der Richter des IStGH) nicht ohne Relevanz ist. Man betreibt also in gewisser Weise angewandte Rechtsvergleichung und arbeitet gleichzeitig intradisziplinär, da das Strafrecht hier immer mit dem humanitären Völkerrecht verbunden ist. In einer bestimmten Phase hat für das Völkerstrafrecht auch die deutsche Strafrechtsdogmatik eine nicht unwichtige Rolle gespielt, so dass ich mich in die internationale Diskussion einbringen konnte.20 In den letzten Jahren ist die Euphorie, die die Entwicklung des Völkerstrafrechts in den 1990er- und 2000er-Jahren charakterisiert hatte, deutlich abgeflaut. Die von den Vereinten Nationen eingesetzten Straftribunale für die strafrechtliche Aufarbeitung bestimmter Konflikte (insbesondere in Jugoslawien und Ruanda) haben ihre Arbeit beendet oder führen nur ein Schattendasein, und der Internationale Strafgerichtshof sieht sich verschiedenen Vorwürfen ausgesetzt: Es fehle ihm die Unterstützung der relevanten Großmächte (insbesondere China, Russland und USA), er gehe politisch brisanten Konflikten aus dem Weg, er arbeite insgesamt zu schwerfällig, und die Anklagen richteten sich einseitig gegen Personen aus Afrika, während Verbrechen der Angehörigen mächtiger Staaten ungesühnt blieben. Dessen ungeachtet arbeitet eine interessierte internationale community, zu der auch deutsche Wissenschaftler (z. B. Kai Ambos, Stefanie Bock, Florian Jeßberger und Gerhard Werle) zählen, an der Materie des Völkerstrafrechts weiter und bemüht sich teilweise um eine Ausdehnung des Feldes völkerstrafrechtlicher Verantwortlichkeit etwa auf Wirtschaftsunternehmen. Wie diese Entwicklung weitergeht, ist schwer abzuschätzen. Jedenfalls scheint sich der Schwerpunkt der Diskussion einerseits auf die für die gerichtliche Praxis wichtigen (Detail-)Probleme des Verfahrensrechts, andererseits auf völkerrechtlich geprägte Fragen zu verlagern, zu deren Lösung man ohne spezielle Expertise auf diesem Gebiet nur wenig beitragen kann.
III. Zur allgemeinen Entwicklung des Strafrechts Die deutsche Strafrechtswissenschaft scheint mir seit den 1980er Jahren durch eine starke Diversifizierung der Arbeitsfelder und damit auch durch eine Zersplitterung der Diskussion unter einer wachsenden Zahl von Akteuren charakterisiert zu sein. Dazu trägt zunächst die Inflation an Kommentaren und Lehrbüchern bei. 20 S. Weigend, Thomas, Intent, Mistake of Law, and Co-perpetration in the Lubanga Decision on Confirmation of Charges, Journal of International Criminal Justice 6 (2008), S. 471–487; ders., Perpetration through an Organization: The Unexpected Career of a German Legal Concept, Journal of International Criminal Justice 9 (2011), S. 91–111.
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Viele überwiegend für Studierende oder für die eilige Praxis konzipierte Publikationen dieser Art binden die Arbeitskraft von StrafrechtsprofessorInnen, beschränken sich aber schon wegen der vorgegebenen knappen Seitenzahlen zumeist auf die Wiedergabe des Standes der Rechtsprechung und der „herrschenden“ Lehre, ohne dass die AutorInnen die Sachdiskussion hier wesentlich fördern könnten. Es ist zu hoffen, dass das Vordringen digitalisierter Informationsquellen manchen Wildwuchs auf dem Büchermarkt schon aufgrund ökonomischer Erwägungen zurückstutzt und damit das geistige Potential der Strafrechtswissenschaft für wichtigere Aufgaben freisetzt. Nicht zu übersehen ist die inhaltliche Fragmentierung des strafrechtlichen Diskurses. Während Strafrechtswissenschaft noch bis in die 1970er-Jahre hinein mehr oder weniger gleichbedeutend mit der Dogmatik des Allgemeinen Teils einschließlich ihrer philosophischen Bezüge war, ist seither eine Vielzahl von Bindestrich-Strafrechtsgebieten entstanden, von denen das Wirtschaftsstrafrecht das praktisch wichtigste, vielfältigste und auch für viele jüngere Forscher attraktivste sein dürfte. Ähnlich bedeutsam sind das Medizin- und das Medienstrafrecht geworden. An den Debatten in diesen Spezialbereichen habe ich mich nur wenig beteiligt,21 und Ähnliches gilt auch für die etwas vage mit „Digitalisierung“ umschriebene Materie,22 die gewiss auch auf mittlere Sicht eine Herausforderung für das Straf- und Strafverfahrensrecht darstellen wird. Im Rahmen meines allgemeinen kriminalpolitischen Interesses versuche ich auch auf diesen Gebieten einigermaßen au courant zu bleiben. Hier kann mein Beitrag vielleicht in dem Versuch bestehen, die hergebrachten Grundsätze des Strafrechts für die unübersichtlichen neuartigen Materien zu adaptieren und so das Einfüllen des neuen Weins in die alten Schläuche zu erleichtern. Im Zuge der Diversifizierung ist auch das Strafverfahrensrecht von einem intellektuell vermeintlich anspruchslosen, „technischen“ Nebengebiet zu einer Spezialmaterie mit ihrem besonderen Charme der Verbindung von Grundsätzlichem und Praktischem avanciert. Manche deutsche Wissenschaftler befassen sich inzwischen sogar im Schwerpunkt mit dem Strafverfahrensrecht. Dessen Reiz liegt auch darin, dass es eng mit dem Verfassungsrecht und insbesondere mit dem
21 S. die Überblicksdarstellungen bei Weigend, Thomas, Corruption and Related Offences in International Economic Activities. National Report: Germany, Revue Internationale de Droit Pénal 74 (2003), S. 71–92; ders., Information Society and Penal Law. General Report, Revue internationale de droit pénal 84 (2013), S. 19–47. 22 S. dazu Gless, Sabine/Weigend, Thomas, Intelligente Agenten und das Strafrecht, ZStW 126 (2014), S. 561–591; Weigend, Thomas, Notstandsrecht für selbstfahrende Autos?, ZIS 2017, S. 599–605.
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Recht der Europäischen Menschenrechtskonvention verknüpft ist.23 Auch insoweit fließen rechtsvergleichende Aspekte wie selbstverständlich in die Diskussion und manchmal auch in die Rechtsprechung ein. Diese Verbindung habe ich in ein paar Arbeiten aufzugreifen versucht.24 Mit dem im Strafgesetzbuch positivierten Sanktionenrecht einschließlich der Strafzumessungsfaktoren (§ 46 StGB), das traditionell als „Praktiker-Materie“ angesehen wurde, haben sich auch in den letzten Jahrzehnten in Deutschland nur wenige Hochschullehrer (etwa Wolfgang Frisch, Bernd-Dieter Meier und Franz Streng) kontinuierlich beschäftigt. Unverändert stark wurde dagegen auch in der jüngeren Vergangenheit die Theorie der Strafzwecke diskutiert, wobei sich sowohl die Verfechter einer eher retributiv orientierten Straftheorie (z. B. Tatjana Hörnle und Michael Pawlik) wie auch diejenigen einer präventiven Zwecksetzung der Strafe (z. B. Johannes Kaspar) prägnant positioniert haben. Ich sehe, wie oben schon dargelegt, keine Notwendigkeit, einen bestimmten Zweck des Strafrechts und der Strafe exklusiv festzulegen, auch wenn jedenfalls nicht zu leugnen ist, dass die Strafe ihrem Wesen nach retributive Reaktion auf begangenes Unrecht ist. Innerhalb eines relativ offenen Theorierahmens scheint es mir vor allem darauf anzukommen, die konkreten Faktoren, die auf die Bemessung der Strafe Einfluss nehmen sollen, herauszuarbeiten, zu begründen und zu gewichten, um so den Gerichten nachvollziehbare Maßstäbe für die Strafzumessung im Einzelfall anzubieten. Außerdem steht das Ensemble der strafrechtlichen Sanktionen kontinuierlich auf dem Prüfstand, dabei insbesondere die Rolle der Freiheitsstrafe sowie moderne Möglichkeiten alternativer Sanktionen. Zu diesen Fragen möchte ich auch in der Zukunft weiter arbeiten.
Als ich begann, mich mit Strafrecht zu beschäftigen, schrieben nur wenige Spezialisten über „europäisches“ Strafrecht. Allgemein herrschte das Verständnis vor, dass sich gerade in der Strafrechtsordnung die kulturelle Besonderheit des jeweiligen Volkes unverwechselbar ausprägt, so dass eine transnationale Vereinheitlichung der Materie nicht in Betracht komme. Dies hat sich in den letzten 23 Besonders deutlich wird dies in dem großen Lehrbuch von Kühne, Hans-Heiner, Strafprozessrecht: eine systematische Darstellung des deutschen und europäischen Strafverfahrensrechts, 9. Aufl. 2015. 24 S. etwa Weigend, Thomas, Deutschland als Folterstaat? Zur Aktualität und Interpretation von Artikel 3 EMRK, in: Buruma, Ybo u. a. (Hrsg.), Op het rechte pad. Liber Amicorum for Peter J. P. Tak, 2008, S. 321–339; ders., Das Konfrontationsrecht des Angeklagten – wesentliches Element eines fairen Verfahrens oder Fremdkörper im deutschen Strafprozess?, in: Festschrift für Jürgen Wolter, 2013, S. 1145–1165; ders., Learning about the charges: The suspect’s right to information, in: Spinellis, Calliope D. u. a. (Hrsg.), Europe in Crisis: Crime, Criminal Justice and the Way Forward. Essays in Honour of Nestor Courakis, Bd. 2, 2017, S. 937–954.
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Jahrzehnten wesentlich geändert. Strafrecht ist zwar bisher im Kern eine Materie des nationalen Rechts geblieben, aber die Verknüpfungen mit transnationalen Entwicklungen und Vorgaben haben deutlich zugenommen. Neben dem Völkerstrafrecht gehören in diesen Zusammenhang vor allem die Aktivitäten der Europäischen Union, die darauf abzielen, über verbindliche Vorgaben zu einzelnen Sachbereichen des Straf- und Strafverfahrensrechts die Strafrechtsordnungen der Mitgliedstaaten zu harmonisieren. Obwohl es gewiss notwendig ist, Antworten auf das Phänomen der grenzüberschreitenden Kriminalität zu finden, sehe ich diese Bemühungen der EU eher skeptisch.25 Sie sind überwiegend von einem instrumentalen, expansiven Verständnis des Strafrechts geprägt; überdies sind einige Produkte der EU-Gesetzgebung in unklarer, weitschweifiger und eher politischer als juristischer Diktion abgefasst, die zunehmend auch die Sprache des nationalen Strafrechts infiziert. Natürlich werden meine persönlichen Präferenzen nichts daran ändern, dass die Beschäftigung mit den Vorgaben des europäischen Rechts – einschließlich der Europäischen Menschenrechtskonvention – auch für die Zukunft eine kontinuierliche Aufgabe für die deutsche Strafrechtswissenschaft bleibt. Dabei ist die Kenntnis der übrigen am europäischen Projekt beteiligten Rechtsordnungen und der Argumentationsweisen der Juristen in den Nachbarländern eine wichtige Voraussetzung für einen sinnvollen und effektiven europäischen Diskurs. Insofern hoffe ich, dass die Relevanz der strafrechtsvergleichenden Ansätze, denen ich einen Teil meiner Arbeitskraft gewidmet habe, in Zukunft sogar noch zunimmt. Es zeigt sich deutlich, dass die jüngere Generation der StrafrechtlerInnen in Europa den Kontakt, das Gespräch und den Austausch sucht. Das gibt Hoffnung für die Zukunft, auch wenn die Regierungen einiger Länder das Strafrecht gegenwärtig (auch) zur Festigung autoritärer Strukturen missbrauchen. In jedem Fall öffnet der Blick über die Grenzen die Augen für denkbare Alternativen zum eigenen Recht, und ein erweiterter gedanklicher Horizont kann für die Fortentwicklung eines humanen, rationalen Strafrechts nur von Nutzen sein.
IV. Schlusswort Ich habe in meinem Leben viel Glück gehabt. Ich bin biographisch von Katastrophen, Kriegen und schweren Krankheiten verschont geblieben, habe als Wissenschaftler große Freiheit und den Zugang zu allen notwendigen Ressourcen genossen, konnte mich mit interessanten und herausfordernden Themen beschäftigen und hatte vor allem die Freude, eine große Zahl kluger und freundlicher Kolle25 S. dazu Weigend, Thomas, Der Entwurf einer Europäischen Verfassung und das Strafrecht, ZStW 116 (2004), S. 275–303.
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gInnen im In- und Ausland kennenzulernen und mit ihnen in Austausch zu treten. Bei all dem war meine liebe Frau Anke über vier Jahrzehnte meine verständnisvolle, charmante und lebenskluge Begleiterin. Meine Söhne David und Severin haben in ihrer je eigenen Art ihren Weg gefunden und mir viel Freude gemacht. So kann ich nur von Herzen dankbar sein für alles, was mir geschenkt worden ist.
Schriftenverzeichnis (in Auswahl) 1. Selbständiges Schrifttum Anklagepflicht und Ermessen. Die Stellung des Staatsanwalts zwischen Legalitäts- und Opportunitätsprinzip nach deutschem und amerikanischem Recht, 1978. Deliktsopfer und Strafverfahren, 1989. Absprachen in ausländischen Strafverfahren. Eine rechtsvergleichende Untersuchung zu konsensualen Elementen im Strafprozeß, 1990. Empfehlen sich gesetzliche Änderungen, um Zeugen und andere nicht beschuldigte Personen im Strafprozeß besser vor Nachteilen zu bewahren? (Gutachten C zum 62. Deutschen Juristentag), 1998.
2. Kommentierungen Strafgesetzbuch, Leipziger Kommentar, Einleitung und § 13, 12. Aufl. 2007; 13. Aufl. 2020. Strafgesetzbuch, Münchener Kommentar, 1. Aufl. 2009, Bd. 6/2, Nebenstrafrecht III, §§ 2–5, 13, 14 Völkerstrafgesetzbuch; 2. Aufl. 2013, Bd. 8, Nebenstrafrecht III, §§ 2–5, 13, 14 Völkerstrafgesetzbuch; 3. Aufl. 2018, Bd. 8, Nebenstrafrecht III, §§ 2–5, 14, 15 Völkerstrafgesetzbuch.
3. Aufsätze in Zeitschriften und Sammelwerken Continental Cures for American Ailments: European Criminal Procedure as a Model for Law Reform, in: Morris, Norval/Tonry, Michael (Hrsg.), Crime and Justice Bd. 2, 1980, S. 381–428. Zwischen Vorsatz und Fahrlässigkeit, ZStW 93 (1981), S. 657–700. Anmerkungen zur Diskussion um den Kronzeugen aus der Sicht des amerikanischen Rechts, in: Festschrift für Hans-Heinrich Jescheck, 1985, S. 1333–1349.
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Über die Begründung der Straflosigkeit bei Einwilligung des Betroffenen, ZStW 98 (1986), S. 44–72. Wechselverhör in der Hauptverhandlung?, ZStW 100 (1988), S. 733–757. Richtlinien für die Strafzumessung, in: Festschrift der Rechtswissenschaftlichen Fakultät zur 600-Jahr-Feier der Universität zu Köln, 1988, S. 579–602. Schwangerschaftsabbruch im internationalen Vergleich. Landesbericht USA, in: Eser, Albin/Koch, Hans-Georg (Hrsg.), Schwangerschaftsabbruch im internationalen Vergleich, Teil 2: Außereuropa, 1989, S. 949–1118. Abgesprochene Gerechtigkeit. Effizienz durch Kooperation im Strafverfahren, JZ 1990, S. 774–782. „Neo-klassische“ Bestrafungskonzepte: Rück- oder Fortschritt?, in: Bundesministerium der Justiz (Hrsg.), Grundfragen des Jugendkriminalrechts und seiner Neuregelung, 1992, S. 152–168. Sanktionen ohne Freiheitsentzug, GA 1992, S. 345–367. Strafrecht durch internationale Vereinbarungen – Verlust an nationaler Strafrechtskultur?, ZStW 105 (1993), S. 774–802. Zukunftsperspektiven der Opferforschung, in: Kaiser, Günther/Jehle, Jörg-Martin (Hrsg.), Kriminologische Opferforschung, Teilband I, 1994, S. 43–62. Bewältigung von Beweisschwierigkeiten durch Ausdehnung des materiellen Strafrechts?, in: Festschrift für Otto Triffterer, 1996, S. 695–712. Grenzen strafbarer Beihilfe, in: Festschrift für Haruo Nishihara, 1998, S. 197– 212. Der Grundsatz der Verhältnismäßigkeit als Grenze staatlicher Strafgewalt, in: Festschrift für Hans Joachim Hirsch, 1999, S. 917–938. Spricht Europa mit zwei Zungen?, Strafverteidiger 2001, S. 63–68. Unbegrenzte Freiheit oder grenzenlose Strafbarkeit im Internet?, in: Hohloch, Gerhard (Hrsg.), Recht und Internet, 2001, S. 85–92. Unverzichtbares im Strafverfahrensrecht, ZStW 113 (2001), S. 271–304. Zum Verhaltensunrecht der fahrlässigen Straftat, in: Festschrift für Karl Heinz Gössel, 2002, S. 129–144. Bemerkungen zum „Allgemeinen Teil“ der „Europa-Delikte“, in: Tiedemann, Klaus (Hrsg.), Wirtschaftsstrafrecht in der Europäischen Union, 2002, S. 407– 426.
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Is the Criminal Process about Truth? A German Perspective, Harvard Journal of Law & Public Policy 26 (2003), S. 157–173. Die Misere der Strafrechtslehre, in: Festschrift für Günter Kohlmann, 2003, S. 741–764. Der Entwurf einer Europäischen Verfassung und das Strafrecht, ZStW 116 (2004), S. 275–303. Bemerkungen zur Vorgesetztenverantwortlichkeit im Völkerstrafrecht, ZStW 116 (2004), S. 999–1027. Grund und Grenzen universaler Gerichtsbarkeit, in: Festschrift für Albin Eser, 2005, S. 955–976. Strafrecht und Zeitgeist, in: Sieber, Ulrich/Albrecht, Hans-Jörg (Hrsg.), Strafrecht und Kriminologie unter einem Dach, 2006, S. 44–65. Internationale Korruptionsbekämpfung – Lösung ohne Problem?, in: Festschrift für Günther Jakobs, 2007, S. 747–765. Notwehr im Völkerstrafrecht, in: Festschrift für Klaus Tiedemann, 2008, S. 1439–1451. The Decay of the Inquisitorial Ideal: Plea Bargaining Invades German Criminal Procedure, in: Jackson, John/Langer, Máximo/Tillers, Peter (Hrsg.), Crime, Procedure and Evidence in a Comparative and International Context, 2008, S. 39– 64. Societas delinquere non potest? A German Perspective, Journal of International Criminal Justice 6 (2008), S. 927–945. Unmittelbare Beweisaufnahme – ein Konzept für das Strafverfahren des 21. Jahrhunderts?, in: Festschrift für Ulrich Eisenberg, 2009, S. 657–671. „Die Strafe für das Opfer”? Zur Renaissance des Genugtuungsgedankens im Straf- und Strafverfahrensrecht, Rechtswissenschaft 1 (2010), S. 39–57. Germany, in: Heller, Kevin Jon/Dubber, Markus D. (Hrsg.), The Handbook of Comparative Criminal Law, 2011, S. 252–287. Human Dignity in Criminal Procedure: A Comparative Overview of Israeli and German Law, Israel Law Review 44 (2011), S. 199–228 (zusammen mit Khalid Ghanayim). A Judge by Another Name? Comparative Perspectives on the Role of the Public Prosecutor, in: Luna, Erik/Wade, Marianne (Hrsg.), The Prosecutor in Transnational Perspective, 2012, S. 377–391.
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‚In general a principle of justice‘. The Debate on the ‚Crime against Peace‘ in the Wake of the Nuremberg Judgment, Journal of International Criminal Justice 10 (2012), S. 41–58. Wohin bewegt sich das Strafrecht? Probleme und Entwicklungstendenzen im 21. Jahrhundert, in: Festschrift für Wolfgang Frisch, 2013, S. 17–30. Assuming that the Defendant is not Guilty: The Presumption of Innocence in the German System of Criminal Justice, Criminal Law and Philosophy 8 (2014), S. 285–299. Die Volksrepublik China auf dem Weg zu einem rechtsstaatlichen Strafverfahren, in: Festschrift für Bernd Schünemann, 2014, S. 981–993. „Das erledigt mein Anwalt für mich.“ – Hat der Angeklagte ein Recht darauf, sich in der Hauptverhandlung vertreten zu lassen?, in: Festschrift für Kristian Kühl, 2014, S. 947–960. Subjective Elements of Criminal Liability, in: Dubber, Markus D./Hörnle, Tatjana (Hrsg.), The Oxford Handbook of Criminal Law, 2014, S. 490–511. Intelligente Agenten und das Strafrecht, ZStW 126 (2014), S. 561–591 (zusammen mit Sabine Gleß). Verfahrenseinstellung nach § 153a StPO: praktikabel, aber nicht legitim, in: Gedächtnisschrift für Edda Weßlau, 2016, S. 413–425. „Nein heißt Nein“ – und viele Fragen offen. Zur Neugestaltung der Strafbarkeit sexueller Übergriffe, JZ 2017, S. 182–191 (zusammen mit Elisa Hoven). Notstandsrecht für selbstfahrende Autos?, ZIS 10 (2017), S. 599–605. Praxis und Probleme des Verbandsstrafrechts in den USA, ZStW 130 (2018), S. 213–253 (zusammen mit Elisa Hoven). Selbst schuld? Zur Zurechnung von Tatfolgen, an deren Entstehung der Verletzte mitgewirkt hat, in: Festschrift für Rudolf Rengier, 2018, S. 135–144. Beweisverwertungsverbot als Sanktion für Menschenrechtsverletzungen?, in: Festschrift für Frank Höpfel, 2018, S. 243–257. Strafrechtsvergleich, in: Hilgendorf, Eric/Kudlich, Hans/Valerius, Brian (Hrsg.), Handbuch des Strafrechts, Bd. 1: Grundlagen des Strafrechts, 2019, S. 1055– 1080. Modelle des Strafverfahrens: Deutschland und USA, in: Hilgendorf, Eric/Schünemann, Bernd/Schuster, Frank Peter (Hrsg.), Verwirklichung und Bewahrung des Rechtsstaats, 2019, S. 31–45.
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The Purposes and Functions of Exclusionary Rules: A Comparative Overview, in: Gless, Sabine/Richter, Thomas (Hrsg.), Do Exclusionary Rules Ensure a Fair Trial?, 2019, S. 255–282 (zusammen mit Jenia Turner). Truth in Criminal Law and Procedure: The Erosion of a Fundamental Value, Juridica international [Estland] 28 (2019), S. 28–36.
ANHANG
Personenregister
ACHENBACH, Hans: 6, 135, 140, 142, 472 ADDRUSE, Raja Aziz: 228 ADENAUER, Konrad: 515, 580 ADORNO, Theodor W.: 468, 476 ALBERT, Hans: 476 ALBRECHT, Ernst: 520–521, 523 ALBRECHT, Hans Jörg: 151, 286, 556 ALBRECHT, Susanne: 374 ALSCHULER, Al: 483 ALTENHAIN, Karsten: 73 AMBOS, Kai: 622, 626 AMELUNG, Knut: 7, 30, 136, 143, 150–151, 153, 472, 587, 597, 604 AN, Sugil: 318 ANOUILH, Jean: 467 APONTE, Alejandro: 303 AQUIN, Thomas von: 402 ARCHIMANDRITOU, Maria: 303 ARISTOTELES: 264 ARROYO, Luis: 12 ARSENISCHVLLI, Zurab: 18
BACH, Johann Sebastian: 329 BACHMANN, Gregor: 11 BACHMANN, Ingeborg: 291 BACHOF, Otto: 164, 434 BADURA, Peter: 130 BAR, Christian von: 142 BARATTA, Alessandro: 167, 302 BARROS, Enrique: 318 BASSIOUNI, Cherif M.: 613 BAUMANN, Gerhart: 94 BAUMANN, Jürgen: 300, 526, 563 BAUMANN, Thomas: 120 BAUR, Fritz: 164, 300, 405, 433–434 BAUR-HEINHOLD, Margarete: 405 BECCARIA, Cesare: 115, 440, 535 BECCHI, Paolo: 303 BECKER, Monika: 120 BECKURTS, Karl-Heinz: 373 BEIER, Klaus Michael: 446 BELING, Ernst: 28, 77, 192, 201 BEMMANN, Günter: 131, 586, 590–591 BENDA, Ernst: 140
ARZT, Gunther: 7–8, 16, 134, 136–137, 139, 434, 437
BENGOETXEA, Joxerramon: 176
ASHOLT, Martin: 592, 604
BERGENGRÜN, Werner: 576
AUGSTEIN, Josef: 14
BERGHÄUSER, Gloria: 11
AUGSTEIN, Rudolph: 14
BETTERMANN, Karl August: 434
AUSTIN, John: 199
BEULKE, Werner: 16, 134, 136, 302, 438, 472
AUTEXIER, Christian: 166
BIEDENKOPF, Ingrid: 37
https://doi.org/10.1515/9783110703016-021
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Anhang
BINDER, Julius: 404
BUCHAŁA, Kazimierz: 615
BINDING, Karl: 182, 252
BÜLLESBACH, Alfred: 405
BINDING, Rudolf G.: 252
BULLINGER, Martin: 94
BLATH, Richard: 120
BUND, Elmar: 194
BLEI, Hermann: 542
BUNG, Jochen: 19
BLOCH, Ernst: 583
BUNKE, Susanne: 120
BOCK, Stefanie: 626
BURGSTALLER, Manfred: 446
BOCKELMANN, Paul: 330
BURKHARDT, Björn: 61
BÖCKENFÖRDE, Ernst-Wolfgang: 330
BURRER, Alexandra: 17
BOES, Hannsjörn: 515
BUSSMANN, Kai: 12
BOGE, Hein: 526 BOHLANDER, Michael: 175 BÖHM, Alexander: 446, 531 BÖHMER, Gustav: 93 BOHNERT, Joachim: 194 BOLLA-KOTEK, Sybille: 401 BOSCH, Johanna: 614 BÖSE, Martin: 198 BÖTTCHER, Reinhard: 443, 532 BOURDIEU, Pierre: 181 BOZHENOVA, Maria: 13 BRAHMS, Johannes: 329 BRANDT, Peter: 592 BRAUN, Wernher von: 3 BRAUNMÜHL, Gerold von: 373 BRECHT, Bertolt: 289, 292 BREUEL, Birgit: 521 BRINGS, Stefan: 120 BRUNS, Hans-Jürgen: 56–58, 75 BUBACK, Siegfried: 374, 522 BUBER, Martin: 433 BUBLITZ, Jan Christoph: 256, 266
CAEMMERER, Ernst von: 94 CALLIESS, Rolf-Peter: 284 CAMUS, Albert: 467, 469, 487, 497 CANARIS, Claus-Wilhelm: 477 ČAPEK, Karel: 248 CARLEN, Louis: 406 CAROSSA, Hans: 576 CARSTENS, Karl: 524, 531 CATTANEO, Mario A.: 602 CAVELL, Stanley: 251 CEREZO, José: 488 CHATZIKOSTAS, Konstaninos: 317 CIEŚLAK, Marian: 615 CLASEN, Hans: 219 COOPER, James Fenimore: 243 CORNELIUS, Kai: 146 COUBERTIN, Pierre de: 244 COURTHS-MALER, Hedwig: 475 DAHN, Felix: 400 DAMAŠKA, Mirjan: 619 DANNECKER, Gerhard: 144
Personenregister DARWIN, Charles: 468
DUTSCHKE, Rudi: 580
DATOW, Tilmann: 14
DUTTGE, Gunnar: 148
639
DAVIDSON, Donald: 251 DELMAS-MARTY, Mireille: 177 DEMETRIO, Eduardo: 12 DEMJANJUK, John: 382 DENCKER, Friedrich: 59, 583, 590, 600 DENNINGER, Erhard: 302, 433 DESPREZ, François: 173 DEUTSCH, Ernst: 4 DEUTSCH, Erwin: 437, 472 DIEßNER, Annika: 11, 15 DIEDERICHSEN, Uwe: 135, 437 DIMOULIS, Dimitri: 303 DIONYSSOPOULOU, Tanja: 317 DOERRY, Jürgen: 472 DÖLLING, Dieter: 8, 144, 445, 548, 563 DOLLINGER, Heinz: 583 DÖNITZ, Karl: 261 DÖRMANN, Uwe: 120 DOSTOJEWSKI, Fjodor Michailowitsch: 248
EBEL, Friedrich Wilhelm: 132 EBERT, Udo: 407–408 EGAMBERDIEV, Azamat: 18 EGG, Rudolf: 530 EHMKE, Horst: 94 EISENBERG, Ulrich: 16 EISENHARDT, Ulrich: 592, 601 ELLSCHEID, Günter: 178, 300 EMMERLICH, Alfred: 141 ENDERLEIN, Wolfgang: 318 ENGEL, Siegfried Wolfgang: 545 ENGISCH, Karl: 71, 147, 192, 300, 335–339, 469, 542 ENGLÄNDER, Armin: 14 ERB, Volker: 548 ERBGUTH, Wilfried: 196 ERHARD, Ludwig: 433 ERLER, Georg: 132 ERMACORA, Felix: 402 ESCHENBURG, Theodor: 433
DOWD, John: 228
ESER, Albin: 286, 446, 615
DRATH, Martin: 330
ESSER, Josef: 300
DRAPE, Detlev: 523
ESSER, Robert: 234
DREHER, Eduard: 38 DUFF, Antony: 622 DULCKEIT, Gerhard: 404 DÜNKEL, Frieder: 527 DURIEUX, Tilla: 4 DÜRIG, Günter: 5, 164, 300, 433 DÜRRENMATT, Friedrich: 576
FAHL, Christian: 10–11, 14 FARALISCH, Brigitte: 290 FELDMANN, Mirja: 12 FELTES, Thomas: 528, 535 FEUERBACH, Ludwig: 64, 169, 263, 473 FINCKE, Martin: 9, 408
640 FISCHER, Thomas: 35, 38, 40, 45, 309, 461, 594 FLORESTAN: 497 FONTANE, Theodor: 472 FORKER, Armin: 527 FÖRSTER, Max: 11 FRANK, Anne: 331 FRANK, Reinhard: 192
Anhang GIESEKING, Walter: 219 GIMBERNAT, Enrique: 12 GIPPERICH, Anne: 605 GITTER, Wolfgang: 412 GLASER, Daniel: 111 GLENN, Patrick: 177 GMÜR, Rudolf: 579, 581
FRANKE, Einhard: 534
GOETHE, Johann Wolfgang von: 5, 241, 268, 397, 475
FREITAG, Gustav: 514
GOLDHAGEN, Daniel J.: 462–463
FREITAG, Sabine: 286
GOLDSTEIN, Abraham: 619
FREUD, Sigmund: 247, 544
GOODHART, William: 227
FREUND, Georg: 82
GÖPPINGER, Hans: 282, 435–437, 444
FRISCH, Wolfgang: 57–58, 150, 576, 628
GÖRING, Hermann: 261, 464
FRISTER, Helmut: 151 FROMME, Friedrich Karl: 433 FURKEL, Françoise: 166 GADAMER, Hans-Georg: 164, 330 GALLAS, Wilhelm: 143, 164, 330, 332–333, 335, 446, 543 GAMILLSCHEGG, Franz: 472 GARCÍA MÁRQUEZ, Gabriel: 469, 489 GARDNER, Erle Stanley: 400 GAVELA, Kallia: 146 GEBAUER, Michael: 120 GEIß, Karlmann: 436 GEILEN, Gerd: 362–363, 388, 525 GEIS, Karlmann: 327, 380
GÖSSEL, Karl Heinz: 548, 562 GÖTTING, Bert: 445 GÖTZ, Volkmar: 437 GRÄFIN VON SCHLIEFFEN, Katharina: 591 GRAF VON STAUFFENBERG, Claus Schenk: 515 GRAHN, Werner: 411–412 GRASS, Günter: 576 GRAUL, Eva: 144 GRECO, Luís: 494 GROßMANN, Werner: 375 GROPP, Walter: 412 GRÜNEWALD, Anette: 266 GRUNSKY, Wolfgang: 193
GEORGE, Leopold: 247
GRÜNWALD, Gerald: 58–59, 138, 197, 586
GERNHUBER, Joachim: 434
GUANGZHONG, Chen: 489
GERSTÄCKERS, Friedrich: 243
GURSKY, Karl-Heinz: 142
GIANNOULIS, Giorgios: 317
Personenregister HÄSEMEYER, Ludwig: 144
HEINTEL, Erich: 402–404, 407
HAAS, Monika: 374
HEINZ, Gunter: 445
HAAS, Volker: 144
HEINZ, Wolfgang: 547–548
HABERMAS, Jürgen: 476
HEITMANN, Steffen: 37, 39
HACKER, Wolfgang: 554
HELD, Martin: 4
HAFFKE, Bernhard: 6, 9, 19, 472, 474
HEMINGWAY, Ernest Miller: 243
HAHN, Carl: 475
HENCKEL, Wolfram: 437
HAMACHER, Karl Anton: 520
HENKEL, Heinrich: 433, 613
HANACK, Ernst-Walter: 446
HENRION, Hervé: 175
641
HANSCHEL, Dirk: 12
HERBERGER, Maximilian: 302–303
HANSEN, Helge: 515
HERDEGEN, Gerhard: 38
HARATSCH, Andreas: 594
HERMANN, Dieter: 547
HARIG, Ludwig: 179–180
HEROLD, Horst: 526
HARRIS, Whitney: 261
HERRHAUSEN, Alfred: 373
HASSELMANN, Wilfried: 521
HERRMANN, Joachim: 614
HASSEMER, Winfried: 30, 164, 172, 300, 302, 305, 308, 405–406, 409–410, 482, 586
HERZBERG, Rolf Dietrich: 266, 311, 525
HASSENPFLUG, Helwig: 534 HAVERKAMP, Rita: 445 HAVERKATE, Görg: 147 HAVLIZA, Barbara: 525 HAYDN, Joseph: 329 HAYEK, Friedrich August von: 94 HE, Huang: 13 HEFENDEHL, Roland: 483, 490, 494 HEGEL, Georg Wilhelm Friedrich: 402, 405–406, 411, 414–415, 417, 421, 468 HEGSELMANN, Rainer: 253 HEIDEGGER, Martin: 246–247 HEINE, Günter: 151 HEINE, Heinrich: 576, 594, 600 HEINITZ, Ernst: 542
HESSE, Konrad: 94 HETZ, Gerhard: 242 HEUß, Theodor: 432 HEYDE, Werner: 600 HILGENDORF, Eric: 622 HILLENKAMP, Thomas: 8, 472 HINCKELDEY, Christoph: 406 HIPPEL, Fritz von: 94 HIPPEL, Robert von: 132 HIRSCH, Andrew von: 310 HIRSCH, Hans Joachim: 562, 588, 616 HITLER, Adolf: 3, 6, 12, 130, 261, 430, 512 HOCHHUTH, Rolf: 289, 292 HÖFFLER, Katrin: 445 HOFFMANN, E.T.A.: 594
642
Anhang
HOFMANN, Hasso: 56
JACOBS, James: 622
HÖLAND, Armin: 11–12
JACOBSEN, Jørn: 177
HOLLAND, Claudia: 150
JAHN, Matthias: 383, 548
HOLLERBACH, Alexander: 94, 194
JAKOBS, Günther: 143, 197, 208, 307, 552, 621
HOLTHAUS, Michael: 242 HOLZMANN, Thomas: 4 HONIG, Richard: 132, 339 HONNETH, Axel: 415 HOOD, Roger: 177 HORKHEIMER, Max: 468
JANIK, Allan: 250 JAREBORG, Nils: 177 JASPER, Gotthard: 549 JAUERNIG, Othmar: 149–151 JEßBERGER, Florian: 626 JEFFREY, Richard: 251
HORN, Eckhard: 140, 142, 144, 253, 437
JEHLE, Jörg: 112, 442, 530
HÖRNLE, Tatjana: 494, 628
JENS, Walter: 5, 164, 433
HOVEN, Elisa: 617, 623–624
JESCHECK, Hans-Heinrich: 94–95, 286, 446, 613, 615, 618–619, 625
HRUSCHKA, Joachim: 195, 199, 306, 548
JHERING, Rudolf von: 192
HUANG, Lideng: 13
JIE, Cheng: 13
HUBER, Hans-Peter: 38
JOLMES, Andreas: 140
HUBER, Martina: 120
JUNG, Heike: 139, 167, 171, 282, 290, 292, 302–303, 616
HUBMANN, Heinrich: 56 HÜGEL, Christine: 120 HURLIN, Jürgen: 516 IDA, Makoto: 562, 602 IGNOR, Alexander: 14–15 IL, Tae Hoh: 18 INGELFINGER, Ralph: 146, 149
KAHLERT, Sebastian: 19 KAIAFA-GBANDI, Maria: 318 KAISER, Günther: 95, 140, 281, 435– 436, 446, 532, 535 KAISERIN KATHARINA II: 429 KAMINSKY, Uwe: 600
INOUYE, Masahito: 621
KANT, Immanuel: 176, 251, 261, 263–264, 266, 344, 402, 468, 476, 596
IPSEN, Knut: 142, 519, 525
KANTHER, Manfred: 382
IRLE, Martin: 479
KARAJAN, Herbert von: 218 KASISKE, Peter: 494
JÄGER, Christian: 548 JÄGER, Herbert: 193, 302 JACKSONS, Robert: 261
KASPAR, Johannes: 445, 557, 628 KATO, Katsuyoshi: 13, 18
Personenregister KAUFMANN, Armin: 59, 137
KOTSALIS, Leonidas: 563
KAUFMANN, Arthur: 164, 246–247, 250, 252–253, 277, 289, 300–301, 303, 305, 318, 339, 404–407, 410, 476–477, 482, 484, 561
KRANZBÜHLER, Otto: 261–262
KELSEN, Hans: 262, 402, 407, 412 KERN, Eduard: 435 KERNER, Hans-Jürgen: 119, 408, 436, 525, 532, 546–547
KRAUß, Detlef: 165, 178, 586 KRAUS, Karl: 247–251, 253 267, 289–290 KREß, Claus: 616, 625 KREHL, Christoph: 38 KREUTER, Frauke: 111
KERTÉZ, Imre: 292
KREUZER, Arthur: 532
KETT-STRAUB, Gabriele: 549, 557
KREY, Volker: 532
KIELWEIN, Gerhard: 165, 172, 175, 178, 218–220
KROEBER-RIEL, Werner: 175
KIESINGER, Kurt Georg: 580 KILIAN, Michael: 11 KIM, Haktai: 318 KIM, Young-Whan: 318, 561 KINKEL, Klaus: 525 KIOUPIS, Dimitris: 317 KIRCHHOF, Paul: 143 KISHON, Ephraim: 120 KLAGES, Ludwig: 247 KLEIST, Heinrich von: 600 KLENNER, Hermann: 412 KLIPPEL, Diethelm: 590 KLUG, Ulrich: 193 KOCH: 277, 534 KOCHER, Gernot: 406
KROESCHELL, Karl Adolf: 131 KRÖLL, Walter: 193 KRÜGER, Hans-Peter: 443 KRÜMPELMANN, Justus: 143 KUBA, Ursula: 10, 488, 576 KÜCHENHOFF, Günther: 579 KUDLICH, Hans: 548 KÜHL, Kristian: 136–137, 532, 534 KUHLEN, Lothar: 61, 147 KUHLS, Olga: 19 KUHN, Thomas: 251 KÜHNE, Hans-Heiner: 278 KUNZ, Karl-Ludwig: 176 KÜPER, Wilfried: 144, 154, 546–547 KURRAS, Karl-Heinz: 580 KUTZER, Klaus: 381
KOESNOE, Mohamad: 488 KOHL, Helmut: 484, 526
LACCHÈ, Luigi: 603
KOHLRAUSCH, Eduard: 446
LACKNER, Karl: 38, 143–144, 244, 333–334, 342–343, 385, 543, 546
KÖLBEL, Ralf: 133, 416 KOPERNIKUS, Nikolaus: 468 KOSELLECK, Reinhart: 583
643
LAMPE, Ernst-Joachim: 408, 484 LANGBEIN, John H.: 614, 619
644
Anhang
LARENZ, Karl: 404–405, 476–477
LÜKE, Gerhard: 165, 174
LAUBENTHAL, Klaus: 531, 536
LUTHER, Martin: 19, 191
LAUFKE, Franz: 579 LAUFS, Adolf: 147 LAUTMANN, Rüdiger: 141 LAVANT, Christine: 291 LEFERENZ, Heinz: 291, 544–546, 550– 551 LEIBHOLZ, Gerhard: 437 LEIBINGER, Rudolf: 8, 96, 547, 614 LEIBNIZ, Gottfried Wilhelm: 402 LEISLER KIEP, Walther: 521 LENCKNER, Theodor: 412, 578, 581 LENZ, Siegfried: 289, 292 LERCHE, Peter: 434 LEUTHEUSSER-SCHNARRENBERGER, Sabine: 44
MAAS, Heiko: 258, 391 MACCORMICK, Neil: 177 MAGNUS, Dorothea: 266 MAIHOFER, Werner: 164, 278, 303, 410, 412 MAIWALD, Manfred: 139, 143, 438, 546 MANN, Thomas: 496, 594, 600 MANNHEIMER, Max: 12 MANSDÖRFER, Marco: 82 MAPPUS, Stefan: 492 MARÍAS, Javier: 176 MARKWARDT, Manfred: 443 MARQUARDT, Helmut: 59 MARTINEK, Michael: 180
LEYEN, Ursula von der: 523
MARTINS, Antonio: 317
LICHTENBERG, Georg Christoph: 265
MARUTSCHKE, Hans-Peter: 601
LILIE, Hans: 12 LIPP, Volker: 148 LISZT, Franz von: 28, 64, 77, 98, 199, 250, 278, 517, 519, 528, 561 LIU, Shing I: 318 LOOS, Fritz: 59, 139 LÖSEL, Friedrich: 549 LÖWE, Ewald: 19, 170 LÜBBE, Hermann: 576 LÜCK, Heiner: 406 LÜDERSSEN, Klaus: 134, 253, 302, 317, 487, 586, 592–593, 600–601
MARX, Michael: 405 MARXEN, Klaus: 151, 589 MAURACH, Reinhard: 517 MAY, Karl: 243, 398–399, 468, 600 MAYER, Hans-Walter: 10 MAYER, Hellmuth: 196 MCKAY, Henry D.: 520 MEDICUS, Dieter: 29, 433 MEIER, Bernd-Dieter: 445, 628 MERKEL, Reinhard: 311, 405 MERZBACHER, Friedrich: 579 MESSNER, Johannes: 417
LUFT, Friedrich: 4
MEYN, Karl-Ulrich: 142
LUHMANN, Niklas: 144, 421
MEZGER, Edmund: 199, 601
Personenregister MICHAELIS, Karl: 132, 472
NIETZSCHE, Friedrich: 411, 466
MIEHE, Olaf: 144, 412, 546–547
NITSCHMANN, Kathrin: 175
MIR PUIG, Santiago: 488
NOLL, Peter: 586–587
MISCHKOWITZ, Robert: 120
NOLTENIUS, Bettina: 19
MITTERMAIER, Carl Joseph Anton: 169
NOWAKOWSKI, Friedrich: 411
MIYAZAWA, Koichi: 137, 221–222, 226, 278, 410, 447, 517, 562–563
OEHLER, Dietrich: 616, 625
MÖHLER, Rainer: 290
OETTINGER, Günther: 147
MONTESQUIEU: 164
OHNESORG, Benno: 331, 361, 580
MORENO, Moisés: 489
ORSCHEKOWSKI, Walter: 412
MORRIS, Norval: 614
OSTER-STIERLE, Patricia: 166
MOZART, Wolfgang Amadeus: 329
OTTE, Gerhard: 410
MUÑOZ CONDE, Francisco: 601
OTTO, Harro: 412
645
MÜLLER, Eckhart: 14–15 MÜLLER, Egon: 178, 218
PAEFFGEN, Hans-Ullrich: 151, 312 PALDER, Helmut: 29
MÜLLER-DIETZ, Heinz: 165, 167, 178, 302–303, 317, 593
PARAMONOVA, Svetlana: 13
MÜLLER-FREIENFELS, Wolfram: 94
PARIONA ARANA, Raúl: 18
MÜLLER-SEIDEL, Walter: 594
PAUL, Jean: 241–242
MURMANN, Uwe: 82
PAUL, Wolf: 302
MUSIL, Robert: 247, 291
PAVČNIK, Marijan: 318
MYLONOPOULOS, Christos: 318
PAWLIK, Michael: 64, 628 PESTEL, Eduard: 521
NACK, Armin: 383 NAUCKE, Wolfgang: 302, 586, 588– 589, 596, 598, 602 NAWRATIL, Georg: 534 NEDOPIL, Norbert: 445, 551 NELLES, Ursula: 587 NESKOVIC, Wolfgang: 43 NESTLER, Cornelius: 490 NEUMANN, Ulfrid: 299, 405, 409, 419 NIEDLING, Dirk: 554 NIETO, Adan: 12
PETERS, Karl: 134, 164, 300, 434, 436 PETROPOULOS, Vasileius: 445 PFEIFFER, Christian: 530 PFEIFFER, Gerd: 38, 40 PHILIPPS, Lothar: 252 PICHT, Georg: 579 PIEROTH, Bodo: 593 PLACK, Arno: 133 PLATZGUMMER, Winfried: 401, 403, 411
646
Anhang
PLOŠKINA, Jana: 18
ROSENAU, Henning: 12
PÖLL, Martin: 554
ROSENBERG, Werner: 19, 170
PONTO, Erich: 374
ROSENTHAL, Heribert: 524
POPITZ, Heinrich: 94
RÖSSNER, Dieter: 438
POPPER, Karl: 476
ROTH, Marie-Louise: 291
POSCHWATTA, Peter: 516
ROTTMANN, Gustav: 517
POSSER, Diether: 577
ROUSSEAU, Jean-Jacques: 164
PRINGSHEIM, Fritz: 93
ROXIN, Claus: 5, 17, 130–131, 136– 137, 245–246, 265, 287, 301, 311, 406–407, 416, 419, 433–434, 439, 443, 446, 469, 474, 488, 492, 494–495, 517, 621
PRITTWITZ, Cornelius: 196–197 PROHASKA, Sergej: 217 PRÖLSS, Jürgen: 170 PUPPE, Ingeborg: 311, 339 PUTNAM, Hilary: 251 PUTZ, Wolfgang: 383, 389
ROXIN, Imme: 19, 315 RUß, Wolfgang: 371 RÜßMANN, Helmut: 302–303 RÜCKEL, Christoph: 14–15
QUETELET, Adolphe: 109
RUDOLPHI, Hans-Joachim: 59, 137– 138, 140, 198, 208, 304, 472, 586
RADBRUCH, Gustav: 130–134, 151, 172, 179, 181, 193, 248, 250, 252, 279, 291, 405, 446, 578, 597
RUHMANNSEDER, Felix: 14
RADTKE, Henning: 172 RAISER, Ludwig: 433–434 RAWLS, John: 246 REIß, Gunter: 593 RENGELING, Hans-Werner: 143 RENGIER, Rudolf: 96, 313, 547 RENZIKOWSKI, Joachim: 12
RUIZ, Carmen Eloisa: 318 RÜPING, Hinrich: 59 RYLE, Gilbert: 199 SACK, Fritz: 282 SAFFERLING, Christoph: 549 SAITO, Seiji: 488 SALIGER, Frank: 305, 312, 318
RIEß, Hartmut: 481
SAMSON, Erich: 140, 245, 253, 334, 586–587
RIEß, Peter: 182, 385, 439, 442
SARFATI, Michele: 594
RITTNER, Fritz: 94
SARTRE, Jean-Paul: 467
RIVERO, Danilo: 488
SATZGER, Helmut: 10, 12, 14, 17, 19
ROGALL, Klaus: 59
SAVIGNY, Eike von: 301
ROHWEDDER, Detlev Carsten: 373
SAX, Walter: 542, 578
RORTY, Richard: 251
SCHÄUBLE, Wolfgang: 525
Personenregister SCHADEWALDT, Wolfgang: 433
SCHOTT, Clausdieter: 406
SCHAFFSTEIN, Friedrich: 5–7, 16, 131– 132, 134, 138, 140, 144, 437, 472
SCHRÄDER, Guido: 472
647
SCHALL, Hero: 8, 142, 472
SCHREIBER, Hans-Ludwig: 7–8, 14, 137, 139–140, 148, 437–438, 442
SCHAUTZ, Desirée: 286
SCHRÖDER, Gerhard: 258, 518
SCHEINFELD, Jörg: 266
SCHRÖDER, Horst: 170, 300, 433–434
SCHELLOW, Erich: 4
SCHROEDER, Friedrich-Christian: 143, 311
SCHIEMANN, Anja: 594 SCHILD, Wolfgang: 594 SCHILLER, Friedrich: 4, 241 SCHIRACH, Ferdinand von: 17, 145 SCHLEGEL, August Wilhelm: 468 SCHLEYER, Hans Martin: 374 SCHLINK, Bernhard: 289, 292 SCHLOTHAUER, Reinhold: 14 SCHLUCKEBIER, Wilhelm: 19 SCHMIDHÄUSER, Eberhard: 519, 613 SCHMIDT, Eberhard: 147, 179, 517 SCHMIDT, Helmut: 522 SCHMIDT-AßMANN, Eberhard: 144 SCHMIDT-HENKEL, Gerhard: 293 SCHMITT GLAESER, Walter: 193–194 SCHMITT, Carl: 404, 487 SCHNABL, Andrea: 19 SCHNEIDER, Jochen: 405 SCHNEIDER, Kurt: 544 SCHNEIDER, Siegmar: 4 SCHNELL, Rainer: 111 SCHNUR, Roman: 150 SCHÖCH, Heinz: 8, 139, 429 SCHÖNERT, Jörg: 594 SCHÖNFELD, Walter: 404 SCHÖNKE, Adolf: 170
SCHROTH, Ulrich: 300, 307, 405 SCHUBARTH, Martin: 587 SCHUBERT, Werner: 579 SCHUHR, Jan: 145 SCHÜLER-SPRINGORUM, Horst: 136, 167, 434, 439, 517, 521 SCHULZ, Eva Katharina: 4 SCHUMANN, Robert: 329 SCHÜNEMANN, Bernd: 6, 60, 137 SCHWAB, Karl-Heinz: 56 SCHWALM, Jörg: 147 SCHWARTLÄNDER, Johannes: 409 SCHWARZ, Volker: 592, 594 SCHWERDTNER, Peter: 408 SCHWIND, Hans-Dieter: 515, 546 SCHWIND, Jan-Volker: 535 SEARLE, John: 251, 306 SEIDEL, Dietmar: 411–412 SEIDEL, Ina: 576 SEMPRUN, Jorge: 292 SENSBURG, Patrick: 516 SEPAROVIC, Svonimir Paul: 230 SERGIO, Alba: 603 SHAKESPEARE, William: 460, 468 SHAW, Clifford: 520
648
Anhang
SHIBAHARA, Kuniji: 621
STREMPEL, Dietmar: 481
SHIMADA, Soichiro: 488
STRENG, Franz: 544, 628
SIEBENPFEIFFER, Philipp Jakob: 169
STRUENSEE, Eberhard: 583–584
SIEBER, Ulrich: 446
STUCKENBERG, Carl-Friedrich: 170
SIEDENTOPF, Heinrich: 433
SUPPES, Patrick: 251
SIEVERTS, Rudolf: 130, 433–434, 517–518, 531, 613
SUTTERER, Peter: 120 SWOBODA, Sabine: 10, 14, 18–19
SIMITIS, Spiros: 302 SINGELNSTEIN, Tobias: 535
TAG, Brigitte: 146, 148–149,
SINGER, Peter: 253
TAKEUCHI, Kenji: 118
SPENDEL, Günter: 28, 578
TAUPITZ, Jochen: 147
SPIESS, Gerhard: 120
TAVARES, Juarez: 18, 318
SPRANGER, Eduard: 432
THIELICKE, Helmut: 434
SPRICKMANN, Anton Mathias: 594
THULFAUT, Gerit: 601
SPRINKMANN, Rolf: 527–528
TIECK, Ludwig: 468
STALIN, Josef: 331, 430
TIEDEMANN, Klaus: 134, 193–195, 207, 482, 488
STARCK, Christian: 437 STEGMÜLLER, Wolfgang: 246, 476 STEINBACH, Peter: 11 STEINBERGER, Helmut: 149 STEINBUCH, Karl W.: 332 STEINER, Udo: 56 STEINHILPER, Gernot: 523 STEINHILPER, Monika: 531 STEMMLER, Mark: 549 STENDHAL: 249 STERNEBECK, Sigrid: 374 STOCK, Jürgen: 535 STOFFER, Hannah: 19 STOLLEIS, Michael: 302, 598
TOEPEL, Friedrich: 195 TOLKSDORF, Klaus: 231, 381, 583 TOLSTOI, Lew Nikolajewitsch: 248 TORRES, Fernando Perdomo: 318 TOULMIN, Stephen: 250 TRIANTAFYLLOU, Anastasios: 318 TRIFFTERER, Otto: 283, 286 TRÖNDLE, Herbert: 38–39, 141, 385 TROTZKI, Leo: 331 TSATSOS, Dimitris Th.: 598 TSUIJMOTO, Norio: 18 TURNER, Jenia: 617 UHLEN, Gisela: 4
STORM, Theodor: 594 STORZ, Renate: 120
VENZLAFF, Ulrich: 445
STREE, Walter: 578
VERREL, Torsten: 445
Personenregister
649
VIEHMANN, Horst: 120
WERLE, Gerhard: 144, 151, 626
VIGANO, Francesco: 13
WERNER, Olaf: 135
VINCIGUERRA, Sergio: 603
WESSELS, Johannes: 17, 246, 583–584
VOGEL, Hans-Jochen: 523
WIDMAIER, Gunter: 15, 19
VOGEL, Joachim: 195
WIEACKER, Franz: 132, 437
VOLK, Klaus: 8, 439
WIKSTRÖM, Per-Olof: 554
VOLTAIRE: 164
WINCH, Peter: 195
VORMBAUM, Thomas: 292–293
WINTER, Manfred: 534 WITT, Silke: 374
WAGNER, Georg: 433 WAGNER, Richard: 411, 468–469, 478
WITTGENSTEIN, Ludwig: 192, 195, 199, 246, 250–251, 476
WALTER, Robert: 402, 407
WITTMANN, Roland: 261
WALTHER, Julien: 175
WITZ, Claude: 166
WALTOŚ, Stanisław: 615
WITZIGMANN, Tobias: 19
WARDA, Günther: 144, 525
WOLF, Erik: 94, 193, 196
WASSERMANN, Jakob: 594
WOLF, Markus: 375
WASSERMANN, Rudolf: 526, 592
WOLFF, Ernst Amadeus: 302, 314
WEBER, Hermann: 594
WOLFSLAST, Gabriele: 196–197
WEBER, Max: 332
WOLTER, Jürgen: 59, 472
WEBER, Ulrich: 28–30, 37, 434
WOLTERS, Gereon: 624
WEBER, Werner: 472
WU, Jiuan-Yih: 13
WEDEL, Dieter: 45
WÜRTENBERGER, Thomas: 93–95, 130, 277, 282
WEIßER, Bettina: 616 WEIDONG, Chen: 489 WEIGEND, Thomas: 257, 615, 619 WEISS, Manfred: 302 WEISS, Peter: 289, 292 WEIZSÄCKER, Carl Friedrich von: 432 WELP, Jürgen: 581–583, 585–588, 590, 596, 598 WELTE, Bernhard: 94 WELZEL, Hans: 64, 131, 199, 417, 434, 542
WRIGHT, Richard: 340 YAMANAKA, Keiichi: 118, 318 YIWU, Liao: 288 YOON, Zai-Wang: 318 YURKOV, Victor: 13 ZABEL, Benno: 412 ZACHER, Hans F.: 164, 246 ZACZYK, Rainer: 144 ZAR ALEXANDER I: 429
650
Anhang
ZHANG, Qingbo: 317
ZIPF, Heinz: 283, 285
ZHAO, Jing: 317
ZIPPELIUS, Reinhold: 56–57
ZHENG, Yongliu: 303, 318
ZOLL, Andrzej: 11, 615
ZIELIŃSKA, Eleonora: 615
ZWEIGERT, Konrad: 131
ZIERCKE, Jörg: 535
ZWIEHOFF, Gabriele: 592, 604
ZIMMERMANN, Frank: 16, 19
ZWINGLI, Huldrych: 191
ZIMMERMANN, Friedrich: 526
Stichwortverzeichnis
1968: 140, 242, 277, 331, 401, 580, 585
Alternativ-Entwürfe: 485, 491
1968er Jahre: 129, 132, 198, 518, 579
Alternativ-Entwürfe, Arbeitskreis: 167, 171, 173
2. Strafsenat: 43 f., 378 f., 381–383, 387–389
2. Weltkrieg: siehe Zweiter Weltkrieg
Alternativ-Kommentar: 409, 413, 416, 421, 592 Alternativkommentar StGB: siehe Alternativ-Kommentar
3. Oktober 1990: 377 3. Strafsenat: 364, 371–375, 377 f., 380–382
Alternativverhalten, rechtmäßiges: 201 f., 245
5. Strafsenat: 376, 378, 382
Altersgrenze: 319, 381, 388, 605 Amerika: 243, 251, 410
aberratio ictus: 131, 343, 558 Abitur: 4, 55, 129, 142 f., 192 f., 241–243, 275 f., 299, 358 f., 399 f., 432, 514, 576
Amerikanische Armee: 431
Abolitionismus: 133
Amnestie: 151 Analyse, prospektive: 107 Analyse, retrospektive: 107
Abschaffung des Strafrechts: 133 Abschiedsvorlesung: 146, 163 Absprache: 480–483, 488, 620, siehe auch Deal, Verständigung
Anfängerübung im Strafrecht: 28, 195, 439, 444, 534 Anlaufstellen für Straffällige: 530 Anstiftung: 338 f.
Absprachepraxis: 73, 480 Abwesenheit des Angeklagten: 73, 379
Antiautoritär: 198, 596 (Anti-)Gewaltkommission der Bundesregierung: 525 f., 528 f., 532
Abwesenheitsverhandlung (Berufung): 73, 379 Abwicklung: 150
Antrittsvorlesung: 60, 64, 76, 136, 263, 313, 388, 434, 441, 550, 555 Anwaltsfortbildung: 14
actio libera in causa: 551 Adäquanz, soziale: 420
Anzeigebereitschaft: 95, 100 Arbeitsalltag: 383
Agent(en): 331, 372, 374 f.
AIDS: 481 f.
Alexander von Humboldt-Stiftung: 118, 151, 208, 234, 403–407, 495, 562
https://doi.org/10.1515/9783110703016-022
Arbeitsethos: 43 Arbeitsgemeinschaft: 29, 133, 174, 363 f., 433, 444, 545, 583, 585, 590
Anhang
652 Arbeitskreis für Interdisziplinäre Hexenforschung (AKIH): 406
Bandenbegriff: 205, 378 f.
Beccaria-Medaille: 440, 535
Arbeitskreis Strafprozessreform: 59, 586 f.
Befehlshierarchie: 376
Arbeitsschwerpunkte: 16
Befragung: 109–111, 441, 527, 546 f., 550, 552–554
Archiv für Rechts- und Sozialphilosophie (ARSP): 319
Begriff des Rechts: 414, 455
Archives for Legal Philosophy and Sociology of Law: 319
Begriff des unerlaubten Handeltreibens mit Betäubungsmitteln (BtM): 379
Argumentationstheorie, juristische: 305 f.
Begriffsbildung: 200
Behandlungsabbruch: 389
artes liberales: 207 Assessorexamen: 7, 165, 472–474, Assistent(en): 6–8, 56 f., 140, 144, 165, 194 f., 218–221, 256, 400–404, 407, 433–436, 517 f.
Beihilfe: 63, 65, 349 Beobachtung: 182, 247, 485, 624
Assistentenzeit: 174, 335, 403, 472– 474, 534 Asylbewerber: 197 Athen: 224, 317 f., 445, 563
Aufklärung: 101, 109, 130, 180, 266, 305, 390 f., 456, 480, 496, 529, 598 f.
Beobachtung, teilnehmende: 225 Berliner Wissenschaftsverlag: 594 Berufung (Rechtsmittel): 70, 73, 438 Berufung (beruflich/akademisch): 62, 82, 109, 134, 138, 141–143, 150, 197, 277, 284, 291, 365, 407 f., 412, 435, 437, 439, 526 f., 590
Beschneidung: 260
Aufklärungspflicht: 372
„Beschweigung“ der NS-Vergangenheit: 576
Ausbildungsliteratur: 16, 135
Beschwerdezuständigkeit: 373
Auschwitz: 7, 11 f., 132, 289
Besonderer Teil: 28, 458, 542
„Auschwitzlüge“: 560
Besserungsgedanke: 561
„Ausgebombte“: 464, 573
Beteiligung: 37, 173, 200, 203, 263, 621
Ausländer: 100 f.
Ausländerfeindlichkeit: 197 „Ausländerkriminalität“: 552 Aussagedelikte: 588 Ausschuss für Recht und Verbraucherfragen des deutschen Bundestages: 390 Auswanderer: 429
Betrug: 63, 66, 101, 136, 145, 170, 204, 225, 543, Beurteilungsspielraum: 314 Bewährungsversager: 518 Beweistheorie: 76 Beweiswürdigung: 76, 372 Bezirksgerichte: 377, 382
Stichwortverzeichnis BGH, Präsident des: 34, 38, 43, 231, 371, 380 f., 387, 436, 583
BGH, Vorsitzende Richterin am: 38, 40, 43 f., 371, 380–383, 388, 594
BGH-Rechtsprechung: 31, 34, 43, 138 f., 331, 367, 370, 389, 482, 559
Bielefeld: 96, 113, 116, 130, 143, 183, 253, 299, 404 f., 407–413, 416 f., 438
653
Bundesrichterwahlen: 371, 381, 386 Bundesverfassungsgericht (BVerfG): 56, 73, 98, 259, 280, 285, 287, 309 f., 314, 367, 372, 375, 390, 408, 437, 473, 491, 577
Bundeswehr: 217, 223, 400 f., 514– 516, 533
Bundeszentralregister (BZR): 105, 108, 112, 114, 436
„Bildungskatastrophe“ (G. Picht): 579
Bürgerliches Gesetzbuch (BGB): 249, 260, 389, 532, 575, 579, 584
Bioethik: 147, 251, 253 f.
Bürgerliches Gesetzbuch, Entstehungsgeschichte: 579
„Bleierne Zeit“ (50er und 60er Jahre): 575 Bochum: 7, 135, 144, 242, 244, 266, 359–369, 371, 386–388, 524 f., 526– 529, 535
Bürgerliches Gesetzbuch, Sozialdemokratie: 605 Bürgerliches Gesetzbuch, Vereinsrecht: 579
Bonn: 58–60, 62, 137–140, 192, 196– 198, 204, 207 f., 304, 336, 435, 442, 478, 515, 525
C.F. Müller Verlag: 14, 16 f., 224, 564
Bonner Montagsseminar: 198
„Celler Loch“: 522
Brandstiftung: 197, 554
Centre juridique franco-allemand: 166
Bretten: 275 f.
broken windows-Paradigma: 549
Chancenvollzug: 531 Chicago Area Projekt (CAP): 520
Bücherwissenschaft: 179 Bundesarbeitsgemeinschaft für ambulante Maßnahmen nach dem Jugendrecht: 97 Bundesärztekammer (BÄK): 390– 392 Bundesgerichtshof (BGH): 32, 35, 37, 40–44, 74, 130, 136, 337, 367–373, 376–389, 392 Bundesjustizministerium (BMJ): 73, 109, 112 f., 278, 284, 384, 479, 481, 625
Bundeskriminalamt (BKA): 95, 97, 109, 120, 226, 233, 523, 526 f., 535, 547
China: 13, 207, 227, 257, 288, 317 f., 488, 525, 528, 602, 621
Code civil: 249 Comic-Archiv: 409 Conditio-Formel: siehe Conditiosine-qua-non-Formel Conditio-sine-qua-non-Formel: 63, 334, 337 Corean Institute of Criminology: 118 Criminological Scientific Council: 167
CRISPR/Cas9: 257
Anhang
654 Datenschutz: 36, 108, 116 f., 438, 547
DDR: 35–37, 142, 149–152, 196 f., 374–377, 412, 493, 516 f., 523, 527, 577, 582, 613
Deutsche Vereinigung für Jugendgerichte und Jugendgerichtshilfen (DVJJ): 97, 167, 563 f.
Deutscher Bundestag, Rechtsausschuss: 73, 258 f., 447 f., 564
DDR, Grenzsoldaten der: 376
Deutscher Ethikrat: 257–260, 266
DDR, Justiz in der: 37, 376
Deutscher Juristentag: 278, 284, 443, 445 f., 481, 483–485, 556 f.
DDR, Staatssicherheit der: 374
DDR-Strafrecht: 376
Didaktik: 135, 469 f.
Deal: 372, 456, 480, 483, siehe auch Absprache, Verständigung
Diebstahl: 105 f., 201, 204, 334 f., 559 f.
Defensivnotstand: 558
Dienstgericht des Bundes: 43, 386
De Gruyter, Verlag: 595
Diskurstheorie: 306, 347
Dekan: 58, 62, 97, 117, 133, 142 f., 149 f., 166, 196, 198, 220, 224, 278, 303 f., 319, 408, 411 f., 437, 440, 518, 525, 548 f., 591, 616
Dissertation: 6, 30, 56–58, 67, 95, 165, 194, 248–250, 277, 301, 435 f., 441, 473, 550, 579, 581, 583 f.
Diversion: 104–106, 113 f., 530
Dekanat: 29, 60–63, 304, 435, 440, 591, 616
Dogmatik: 60, 171, 196, 203–205, 266, 380, 403, 475 f., 546, 559, 602, 627
Deliktstatbestand: 202 Deliktstyp: 205
Dogmatik, internationale: 82, 498
Demokratie: 16, 203, 309, 486, 491 f., 496
Doktorand(innen): 11–13, 15, 82, 120, 142, 146, 175, 233 f., 317 f., 441, 445, 603 f., 621
Demokratie, deliberative: 309 Den Haag: 380 Deontologisch: 310 Der Vorleser: 289 Determinismus: 416
Doktorandenbetreuung: 11 f., 82, 176, 233 f., 318, 445, 603 f.
Doktorvater: 6 f., 57, 131 f., 134, 165, 253, 523, 531, 544, 545
dolus eventualis: 65, 73 f., 201, 345, 465, 558 f.
Deutsche Demokratische Republik: siehe DDR
Doping: 419 f.
Deutsche Forschungsgemeinschaft (DFG): 58, 62, 82, 95, 234, 253, 301, 319, 437, 441, 479 Deutsche Präventionstage (DPT): 525 Deutsche Rechtsgeschichte: 579 Deutsche Richterakademie: 97
Dresden: 36, 141–143, 149–153, 377, 490, 495, 613 Dresdener Juristenfakultät: 150 f.
„Drittes Reich“: 3, 130, 276, 281, 288, 290, 511, 560 f.
Drogen: 225, 444 Dunkelfeld: 95, 101, 116, 444, 529
Stichwortverzeichnis Dunkelfeldforschung: 94, 97, 100, 109 f., 526 f., 529
Dunkelfeldstudie: 547
655
Erfahrungen, berufliche: 387, 392 Erfolgszurechnung: 74, 349 Erkenntnistheorie: 305, 475
DVS: 525
Erlangen: 7, 55–59, 134, 137, 196, 548 f., 553, 555, 562–564
EDV-Anwendung: 116 EDV-Ausbildung: 116
Erlaubnistatbestandsirrtum: 311, 558
Ehrendoktor: 151, 208, 279, 318,
Erledigungspraxis: 102
Ehrendoktorwürde: 19, 82, 167, 224, 495, 603
error in persona: 131, 558
Ehrenpromotion: 151
Ersatzdienst, ziviler: 193 Erscheinungsformen der Straftat: 65
Ehrung: 208, 265, 495 Eignung, fachliche und persönliche: 386
Erstes (Juristisches) Staatsexamen: 28, 94, 96, 131, 134, 218 f., 246, 301, 332, 357, 362, 365, 435, 579, 613
Einheit der Rechtsanwendung: 378
Erzgebirge: 511, 513
Einheit des Rechts: 70, 75, 378, 484
Erziehungsbedürfnis: 555
Einigungsvertrag: 151, 375 f.
Erziehungsgedanke: 16, 105, 555, 561
Einphasenmodell: 408, 413
Erziehungssanktion: 555
Einstiegsdelikt: 107 Einstufenausbildung, juristische: 524 Einwilligung: 63, 65 f., 260, 420
Embryonenschutzgesetz (ESchG): 257 f.
Emeritierung: 63 f., 95 f., 112, 145, 198, 265, 278, 335, 435, 444, 492, 496, 527, 549, 564 f.
Europäischer Gerichtshof für Menschenrechte (EGMR): 69, 167 f., 182, 226, 229
Europäisches Strafrecht: 168, 182, 628 Europakolleg: 516 Europarat: 167, 178, 230 Evaluation: 146, 182, 443, 530
Englische Sprache: 177, 231, 399, 410 f., 440, 446
Examenswichtige Klausurprobleme: 135
Entkriminalisierung: 585, 596
Existentialismus: 467
Entkriminalisierung, verfahrensrechtliche: 104
Experimentelle Untersuchung: 113
Entnazifizierung: 130, 216, 462, 513
Expertenanhörung: 390 Expertengruppe beim BMJV: 391
Entschuldigung: 65, 77, 79 f., 263, 419
Entziehungsanstalt: 106, 447 Erasmus/ERASMUS: 178, 224, 234
Fachspezifische Fremdsprachenausbildung: 9
Anhang
656 Fahrlässigkeit: 205, 245, 311, 337 Fahrtüchtigkeit, Drogen und Alkohol: 444 Falken (SPD-Jugendorganisation): 574 Fälle, fiktive: 553
Freiburg: 61 f., 93 f., 116, 130, 147, 150, 194–196, 207, 276 f., 290, 361, 481 f., 489, 496, 532, 613–617, 619, 625
Freiburger Max-Planck-Institut: 178, 282, 446, 495, 527
Falsche Verdächtigung: 588, 609
Freie Universität Berlin: 5, 59, 434, 470, 542
Fälschen technischer Aufzeichnungen: 332 f.
Freiheit: 3, 5, 13, 94, 203, 206, 264, 288, 314, 403, 413, 415–417, 550
Faschismus: 12, 198
Freiheits- und Bürgerrechte: 45
Feindstrafrecht: 552
Freiheitsempfindung: 550
Feminismus: 138 f.
Freiheitsentzug: 103 f., 106 f., 112, 225, 242, 280, 287, 314, 443, 545
Fernuniversität Hagen: 318, 590
Fernuniversität Hagen, BachelorStudiengang: 420
Freiheitsstrafe, lebenslange: 107, 259, 285, 287, 367–369, 382, 391, 553, 557
Fernuniversität Hagen, Dekanat: 591
Friedrich-Ebert-Stiftung: 564, 584
Fernuniversität Hagen, Institut für jur. Zeitgeschichte: 587 Fernuniversität Hagen, Rektorat: 591 Festschrift: 14, 154, 167, 224, 311– 315, 317, 441, 511, 523 f., 530, 535, 564
Finale Handlungslehre: 29, 542 Finalismus: 433
Frontalunterricht: 174 Frühauffälligkeit: 107 Früheuthanasie: 253 Führungsoffizier der HVA: 375 Funktionalismus: 60, 77, 197, 550– 552 Gastarbeiter: 191
Finalisten: 131, 199–201
Gastwissenschaftler: 82, 198, 207, 562
flexible response: 529
Gefährdungsdelikte: 195, 551
Flüchtlingskrise: 553
Geheimdienstliche Agententätigkeit: 372, 374 f.
Fragebogen: 481, 546, 553 Fraglich-Fälle: 61 Frankfurter Strafrechtsschule: 304, 409, 586
Generalbundesanwalt: 35, 373 f., 380, 522
Generalprävention, positive: 62, 80, 307 f., 349
Französische Revolution: 573 Frauenbewegung: 331 Frauenquote: 381
Georgien: 207 Gerechtigkeit, prozedurale: 307, 313
Stichwortverzeichnis Gerichtsstandbestimmung: 382 Gesamte Strafrechtswissenschaft: 64, 140, 168, 279, 319, 413, 448, 528 Geschäftsmäßige Förderung der Selbsttötung (§ 217 StGB a. F.): 310, 312, 390
Geschäftsverteilungsplan: 373, 377, 389 Gesellschaftliche Vorstellungen: 64 Gesellschaftlicher Wandel: 86 Gesetzmäßige Bedingung: 336 f., 339
657
Große Strafrechtskommission: 332, 384 f.
Großer Senat für Strafsachen: 43, 97, 183, 367, 378 f., 385, 391
Grundgesetz (GG): 34, 43, 79, 191, 280, 308, 310, 314, 328, 376, 433, 484 Grundkurs Strafrecht: 9, 439, 444 Grundlagenveranstaltung, juristische: 206 Grundrechtseingriffe, strafprozessuale: 307, 314, 587
Gesinderecht 19. Jahrhundert: 583
Gründungsdekan: 140, 150, 153, 412 Gründungskommission: 139 f., 150, 196, 228, 412
Gewaltfreie Erziehung: 532 Gewaltneigung: 554
Gutachten: 34 f., 73, 145, 178, 258, 278, 284–286, 309, 384, 404, 407, 443, 481, 483, 533, 547, 557, 604, 624
Gewissenstaten: 63, 65 Ghettobildung: 533 Gießen: 191–193, 195, 277, 481, 532, 616 „Giftfallen-Fall“: 559
Gutachtenaufträge des BMJV: 384 Gymnasium, altsprachliches: 299, 575 Gymnasium, humanistisches: 192, 241
Gleichheit im Recht: 392 Gleichmäßigkeit der Sanktionierungspraxis: 105 f.
Habilitand(innen): 10 f., 82, 132, 138, 144, 146, 176, 253, 312, 441, 445, 587, 592, 604
Gleichzeitigkeit des Ungleichzeitigen: 583 Goethe-Universität Frankfurt: 302 f., 590
Habilitation: 7 f., 58–61, 95, 134 f., 137, 139–141, 165, 194–196, 219 f., 223, 253–255, 301, 333 f., 403 f., 406– 408, 416 f., 435 f., 474–477, 546 f., 588 f.
Goldene Regel: 330
Göttingen: 6 f., 59, 112, 130, 132, 135, 137 f., 140, 143 f., 146, 148, 434, 444 f., 447, 470–475, 478, 517–519, 534
Göttinger Rechtswissenschaftliche Studien: 131, 136
Haftentscheidung: 374 Hamburg: 130 f., 174, 197, 251, 254, 256, 276, 301, 318, 408, 447, 470 f., 486 f., 522
Gottlieb-Daimler-Gymnasium Stuttgart: 432 Grenzsituation: 47 Griechenland: 207, 317 f., 487, 561, 563
Handlung, fortgesetzte: 183, 378 f., 381, 385
Handlungsbegriff: 194, 199, 200, 417, 421
Anhang
658 Handlungseinheit, natürliche: 385 Handlungseinheit, rechtliche: 385 Handlungstheorie, analytische: 200 Handschrift: 169–171, 474, 542 Hanyang Universität Seoul: 118, 148, 561
Idealisierungen: 301 Ideengeschichte: 169, 188, 249 Ideologie: 233, 259, 290, 405, 561 Indeterminismus: 416
Hehlerei: 204 Heidelberg: 137 f., 140, 151 f., 164, 173, 179, 241, 244, 275 f., 331, 335, 435, 551, 553, 564
Informationstheorie: 332 Informationsüberlastung: 179 Institut für Medizinrecht (IMGB): 147–149
Heidelberger Akademie: 82 Hemmschwellentheorie: 394, 558 Herrschaftsdelikte: 200, 457
Integration: 175, 191, 529 Integrations-Angebot: 533
Herrschafts-Organisation: 30
Intention: 31, 199–202, 263
Herrschende Meinung: 43, 61, 74, 206, 314 f., 555 f., 559
Interdisziplinarität: 262–264
Hilfskraft, studentische/wissenschaftliche: 10, 28, 94, 119, 300 f., 362 f., 400 f., 412, 435, 472, 517, 541
„Hundertfünfundsiebziger“: 141
Identität der Gesellschaft: 308
Hauptverwaltung Aufklärung (HVA): 375
Humboldt-Stipendium: 118, 208, 403–407
Hilfsprogramme der Länder: 377 Hilfsrichterin: 364 f.
Interessenkollision: 310 International Institute for the Sociology of Law: 167, 175 Internationale Strafrechtsdogmatik: 495
Hilfsstrafkammer beim LG: 364 Hirnforschung: 148, 416, 550 f.
„Hirtenbriefe“ zu Wahlen: 577 Hitlerjugend: 576 Hitler-Stalin-Pakt: 430 Hochschulreform: 580 Holocaust: 3, 11 f.
Homosexualität: 141 Honorarprofessor(in): 27, 208, 388, 527 HS-Trakt in Celle: 522 Humanistische Studentenunion: 580
Internationale Strafrechtswissenschaft: VIII Internationale Vereinigung für Rechts- und Sozialphilosophie (IVR): 303, 318 f.
Interpol: 228 f., 535
Intramurale Medizin: 148 Irrtum: 32, 63, 65, 132, 136, 245, 255, 261, 311, 342, 369, 558 Irrtumslehre: 60, 65, 79, 310 Irrtumsregeln: 307 Italien: 191, 594–596, 598, 601–603 IVR-Tagung: 303
Stichwortverzeichnis Japan: 13, 82, 118, 207, 220–222, 226, 278 f., 318, 447, 487 f., 512, 519, 562, 601, 621
Japanische Gesellschaft für Strafrecht: 318 Judeneid 19. Jahrhundert: 594, 599 Jugend: 3–5, 131, 152, 191, 243, 327, 399, 462, 541, 554, 573, 600, 613
659
Juristische Zeitgeschichte, Schriftenreihe: 577, 592 f., 600
Juristischer Fachbereich Osnabrück: 138, 140 Juristisches Staatsexamen: 96, 301, 357, 362 f., 436
Justiz: 32, 35 f., 41 f., 44, 98, 114, 151, 166, 168 f., 194, 225, 230–232, 291, 362 f., 365, 367, 376 f., 380, 384, 388, 437 f., 442, 445, 473, 489, 522 f., 530, 544 f., 592
Jugendgerichtstag: 97
Jugendkriminalität: 7, 95, 98, 100, 102, 116, 554 f.
Jugendstrafe, System der: 555
Justizgewährungsanspruch: 376 Justizprüfungsamt: 57, 365
Jugendstrafrecht: 16, 96 f., 104 f., 113, 119 f., 437–439, 444, 446, 546– 548, 554–556, 563
Justizsyllogismus: 455
Justizministerkonferenz (JuMiko): 523 f.
Jurastudium: 5, 27, 30, 129, 141, 149, 163, 193, 206, 218, 244, 276, 300, 361, 400, 410, 413, 433, 519, 542, 578 Juristenausbildung: 13, 30, 96, 174, 471, 475, 604 Juristenausbildung, einphasige: 174 Juristenausbildung, einstufige: 8, 96, 165, 548
Kaiserreich: 573 Kalter Krieg: 576 f.
Kannibale von Rotenburg: 382 Kansai Universität Osaka: 118 Karlsruhe: 60, 275, 370–372, 378, 383 f., 472, 387 f.,
Karlsruher Strafrechtsdialog: 383 Kartellrecht: 206 Katzenkönig-Fall: 368–370, 387
Juristensprache: 177
Kausalisten: 131
Juristische Personen, Strafbarkeit: 65
Kausalität: 65, 77, 199, 201, 263, 334, 336–339, 416 f., 473 f., 511, 536
Juristische Studiengesellschaft Karlsruhe: 60
KdF-Schiff „Wilhelm Gustloff“: 512
Keio-Universität Tokio: 220 f., 278 f., 447, 562
Juristische Zeitgeschichte, Institut Hagen: 577, 592, 605 Juristische Zeitgeschichte, Jahrbuch: 286, 293, 594 Juristische Zeitgeschichte, Journal: 293, 594 Juristische Zeitgeschichte: 590, 592– 596, 598 f., siehe auch Strafrechtsgeschichte
Kernstrafrecht: 596 KFN (Kriminologisches Forschungsinstitut Niedersachsen): 439, 446, 530 KFS (Kriminologische Forschungsstelle): 530 Kieler Schule: 132
Klagenfurt: 291
Anhang
660 Klausurenkurse: 16, 56, 138, 434, 439
Korea-Krieg: 576
Kohortenstudie: 107 f.
Körperverletzung: 105 f., 260, 340, 420
Kollegialprinzip: 173
Körperverletzung, sittenwidrige: 66
Kölner Entwurf: 485
Korrekturassistent: 133
Kommentar(e): 38, 45, 70, 74, 170, 205 f., 285, 368, 421, 434, 593 f., 626
Kommentarliteratur: 78, 255 f.
Kreisgerichte: 377 Kriegerwitwen: 3, 574 Kriegsflüchtling: 131, 328, 431, 513
Kommentator: 170, 586 Kommentierung(en): 19, 38, 45, 70, 170, 195, 317, 409, 469, 604
Kriminalbiologie: 560 f.
Kriminalität: 69, 95, 100–104, 107– 109, 115 f., 118 f., 199, 225 f., 307, 397, 434, 436, 441, 520, 527 f., 545, 552, 596, 629
Kommunale Kriminalprävention: 98, 116, 520, 529 Kommunistenprozesse: 577 Komorbidität: 551 „Kompensatorisches Strafrecht“: 585
Kriminalitätsfurcht: 110, 116, 553 Kriminalitätskontrolle: 119 Kriminalitätsvorausschätzung: 101 Kriminalitätswahrnehmung: 553 f.
Konkurrenzen: 164, 334, 343
Kriminalpolitik: 63, 97–99, 110, 116, 119, 183, 285, 442 f., 446, 455, 482, 520, 528–530, 535, 550, 605, 619, 622, 624
Konkurrenzen der Straftatbestände: 385
Kriminalpolitik, rationale: 98, 528, 624
Konkurrenzen, Lehre von den: 328, 334
Kriminalpolitischer Kreis: 624
Konfidenzintervalle (Berechnung): 110, 527
Kriminalprävention: 115 f., 283
Konsequentialismus: 310 Konstanzer Inventar: 118 Konstanzer Inventar Kriminalitätsentwicklung (KIK): 118
Kriminalsoziologie: 170, 448 Kriminalstatistik: 95, 97–100, 109, 529 Kriminologie: 10, 27, 42, 94, 96 f., 108, 112, 120, 136, 140, 166, 169, 171, 175, 183, 224, 277, 279, 285 f., 401, 403, 408, 434–442, 444, 446–448, 478, 482, 496, 519, 546–549, 561
Konstanzer Inventar Sanktionsforschung (KIS): 118 Konstanzer Jugendgerichtstage: 97 Konstanzer Victim Survey (KVS): 110 Kontinuität: 40, 589, 599 Kontinuität und NS-Herrschaft: 589
Kriminologie und Kriminalpolitik (Lehrbuch): 535 Kriminologie und Strafrecht: 541 Kriminologie, interdisziplinäre: 448
Stichwortverzeichnis Kriminologie, täterorientierte: 282, 440, 561 Kriminologische Gesellschaft: 440, 447, 525, 535 Kriminologische Regionalanalyse (KRA): 529 Kriminologische Wahlfachgruppe: 169, 174, 439 Kriminologische Zentralstelle (KrimZ): 109, 446 Kriminologischer Dienst: 564
661
Lehrbuch Jugendstrafrecht: 7, 556, Lehrbuch Strafprozessrecht: 13, 18, 226 f., 231
Lehrbuch Strafrecht AT: 17, 28, 346, 517 Lehrbuch/Lehrbücher: 16–19, 28, 119, 136, 176, 199, 317, 337, 368, 434–436, 440, 471, 516, 534 f., 548, 557, 590 f., 600, 618 f., 625
Lehre: 10, 13, 16 f., 57, 59–62, 71, 74, 81 f., 96–98, 116, 118, 135, 139 f., 146, 154, 173–175, 195 f., 206, 224, 232, 245, 265 f., 281 f., 387, 409, 444 f.
Kriminologisches Institut Tübingen: 165, 174, 435 f., 545
Kronzeuge: 165, 183 Kronzeugenregelung: 374
Lehre, akademische: 81, 316, 496 Lehre, universitäre: 300, 316, 363 Lehrstuhl: 9–11, 19, 166, 175, 196 f., 224, 254, 277, 300, 408, 411 f., 435, 524, 535, 548 f., 590–592, 615 f.
Krupp (Firma): 574 Kuba-Krise (1962): 576 Kurzkommentar zum Strafvollzugsgesetz: 284 Kurzzeitprofessur: 525
Lehrstuhlsystem: 10 Lehrtätigkeit: 37, 229, 279–282, 518, 534 Leibniz-Kolleg Tübingen: 300, 432 f.
Kybernetik: 332
Leipzig: 37, 149, 151, 378, 412 f., 512, 527, 557, 597, 617, 624
labeling approach: 282, 441 Ladendiebstahl: 107 Lahr: 275 f.
Leipziger Kommentar StGB (LK): 145, 333, 386, 492, 593 Lex Emminger (1924): 588
Laienbeteiligung: 173, 621 Landesverrat: 372, 374 Lateinamerika: 207 f., 471, 487–489
Liberalisierung: 283, 580 Liberalismus: 203 Limitierte Akzessorietät: 345 f.
Lebensschutz: 39, 255 Lederspray-Entscheidung: 337
Literatur und Recht: 169, 182, 290– 292
Legitimation der Maßregeln: 61
Literatur, belletristische: 468
Legitimation des Strafrechts: 62, 307
LIT-Verlag Münster: 595
Legitimationsvoraussetzungen der Strafe: 77
Logik: 207, 300, 305 f., 330, 343
Lehrauftrag: 37, 196, 277, 387, 401, 527, 590, 592
Logik und Argumentation: 305 Logik, juristische: 193 f., 305 f.
Anhang
662
Menschenrechte: 168, 175, 180, 224, 226 f., 280 f., 286–288, 290, 312, 491
Logik, mathematische: 193
Löwe-Rosenberg: 19, 170
Menschenrechtsverletzungen: 288
Loyalität: 34, 203, 252 Lufthansamaschine Landshut: 374
Menschenwürde: 248, 310, 312 Metaethik: 194, 347, 475 f.
Luxussanierung: 535
Metaphysik: 263, 305 f.
Mainz: 143, 266, 277 f., 531
Metasprache: 455, siehe auch Objektsprache
Manipulationen bei der Organvergabe: 390, 481
Methodenlehre: 57, 347, 496
Mannheim: 60–62, 64, 76, 147, 194, 277, 478–481, 496, 545 f.
„Mannheimer Gefängnisskandal“: 545 Marxismus: 199
Migrationshintergrund: 100 f.
Ministerium für Staatssicherheit (MfS): 374 f.
Miranda: 168 Mitarbeiter: 10 f., 19, 32–35, 65, 175, 266, 301, 375, 406, 409, 495, 520, 545, 592, 616
Maßregel, freiheitsentziehende: 106 f.
Maßregelrecht: 58, 67–69, 72, 75 f.
Mitbewusstsein: 84, 423
Maßregelvollzugsbeirat: 564
Mittelalterliches Kriminalmuseum Rothenburg: 406
Mathematik: 55 f., 93, 182, 329
Mittelbauer: 135
Mauerbau: 5
Moabit: 130
Mauerfall: 374 Mauerschützen-Fälle: 62, 317, 376
Mobbing: 328, 513 Mord: 201, 232, 258 f., 285, 334, 367, 369, 373 f., 382, 418, 521, 580
Mauerschützen-Urteile: 387
Max Alsberg-Preis 2019: 19
Mordmerkmale: 201, 346, 368–370
Max-Planck-Institut für ausländisches und internationales Strafrecht Freiburg: 62, 82, 95, 112, 167, 178, 281, 435, 439, 446, 613–615 Mediation: 180
„Münzhändler-Fall“: 559
Medien: 181, 265, 486 f., 492 f.
Medien, Rolle der: 168 Medienkonsum: 554 Medizin(straf)recht: 145, 147–149, 164, 168 f., 175
„Meisterköche“: 531
München: 6, 19, 57, 194, 225, 244, 246, 251–253, 261, 277, 284, 299, 335, 405–407, 433–435, 439– 445, 447, 474–478, 484, 496 Musik: 55, 207, 217–220, 411, 468 Musikstudium: 218, 410 Mutter-Kind-Station: 531 Nachkriegszeit: 129, 241, 561, 573, 575
Stichwortverzeichnis Nachwuchsförderung: 146, 149, 520
Notstandsgesetzgebung: 140
Narrative Methode: 511
Notstandsregeln: 307
Nationale Akademie der Wissenschaften Leopoldina: 266
NS-Diktatur: 288
Nationale und Kapodistrias-Universität Athen: 224, 317 f., 445, 563
663
NS-Literatur: 199 NS-Regime: 462, 464
Nationalsozialismus: 7, 132, 279, 289, 331, 404–406, 599, 602
NS-Verbrechen: 288–290, 463 NS-Zeit: 7, 144, 152, 601
Naturwissenschaften: 192, 256, 400
Numquam dimitto: 518, 528
Nebenbeschäftigung: 472, 384–388
Nürnberger Militärtribunal: 261
Nemo tenetur-Prinzip: 314 Netzwerk: 177, 181, 446, 496 Neugründung: 9, 141, 149, 359 Neukantianismus: 197, 473 Neunzehnhundertachtundsechzig: siehe 1968 Neuroenhancement: 256 Neurowissenschaften: 254 f.
Neustadt: 3 Nichtarier: 132 Nichtwissen, aufgeklärtes: 102, 119 NKG: 525 Nomos-Kommentar StGB: 170, 206, 258, 308, 311, 345, 416, 419, 421, 557, 592 f.
Objektive Zurechnung: 61, 65, 77 f., 339–342
Objektivität: 511 Objektsprache: 455, siehe auch Metasprache Ockhams Rasiermesser: 203 Öffentliches Recht: 56–59, 76, 94, 130, 142, 146, 196, 360, 402, 433, 578, 581, 591 Öffentlichkeit: 98, 168, 179, 181, 254–260, 278, 285, 331, 390, Öffentlichkeitsprinzip: 555 Olympische Idee: 244 Ontologie: 306 Ontologisierung: 301
Normbefolgung: 203, 341
Oper: 4, 153, 400
Normentheorie: 59, 78, 317
Opfer: 3, 10, 62, 69, 81, 95, 100, 136 f., 150, 248, 341, 345, 367, 369, 447, 547
Normgeltung: 78, 349 Normtheorie und Strafrechtsdogmatik: 317 Notstand: 65, 260 Notstand, entschuldigender: 310, 434 Notstand, rechtfertigender: 310, 434 Notstand, übergesetzlicher: 558, Notstandsgesetze: 580
Opfer und Straftatdogmatik: 62 Opferbefragung: 109, 527 Opferhilfeverein WEISSER RING: 446 f., 525
Opfermitverschulden: 136 Opferverhalten: 136 Opportunitätsentscheidung: 102 f.
Anhang
664 Opportunitätsgründe: 102–104
Praktiker-Kommentar: 531
Orden: 535
Praktische Konkordanz: 66
Ordinarienuniversität: 580
Praktische Relevanz: 387, 625
Organisationsdelikte: 385
Praktische Vernunft: 66
Organisationsherrschaft: 376
Präsidialrat des BGH: 43, 371, 381, 386 f.
Organtransplantation: 169, 390 Osnabrück: 137–146, 526–528, 536 Ostasien: 207 f., 489, 621
Prävention: 45, 64, 97, 101, 115, 444 Prävention, primäre: 115
„Ost-West“-Tagungen: 402
Prävention, sekundäre: 115
Palliativmedizin: 389
Präventiv: 45 f., 65, 68 f., 77, 114 f., 283, 285, 628
Parallelwertung in der Laiensphäre: 344
Praxis der Strafverteidigung: 14
Preußen: 583
Paternalismus: 322, 504
Professor: 59, 62, 140, 176, 216, 219 f., 224, 266, 277, 299, 402, 405, 408–410, 478, 519, 547 f.
Peenemünde: 3
Pfadfinder: 432
Pflicht: 35, 202, 280, 310, 314, 346, 565 Pflichtdelikte: 200, 346
Professorien: 9 Prognose: 46, 61, 69, 76, 101, 227 Prognoseentscheidung: 61, 68 f.
Pflichtenkollision: 310
Promotion: 7, 30, 132 f., 165, 194, 246, 332 f., 363, 365, 434 f., 517, 544 f., 554
PFS-Referatsgruppe: 523, 530
Philosophie: 193, 195, 199, 218, 246 f., 249, 251, 256, 262–264, 277, 330, 347, 402–407, 411, 467 f., 475 f., 579
Philosophie, analytische: 195, 203 Philosophie, praktische: 54, 54, 195 plea bargaining: 456, 620 Politbüro der SED: 376 Politik: 37, 116, 142, 252, 254–264, 290, 312, 360, 378, 391, 492, 524
Prostitution: 36, 225 f.
Proteste, studentische: 198, 300, 361, 580 Prozesstheorie: 168 Prozessuales Denken: 168 „Prüf’ den Prof’“: 146 Psychiatrie, forensische: 438, 445, 448 Psychiatrisches Krankenhaus: 106 f., 438
Politikwissenschaft: 11, 55–57, 578 PPS-Programm (Sozialarbeiter im Polizeirevier): 520, 530
Psychoanalyse: 247, 403, 544, 550 Psychologie, Studierende der: 549
Stichwortverzeichnis
665
Publikation: 10 f., 15, 95, 118, 135, 145, 195, 282–285, 290, 293, 315 f., 319, 455, 478, 488, 492, 534, 551, 627
Rechtsgeschichte: 93, 175, 206, 409, 579, 584, 589, 593, 595, 601, siehe auch Tatfrage und Rechtsfrage
Punitivität: 46, 104 f., 550, 553
Rechtsgüterschutz: 443
Rechtsgutslehre: 309 RAF-Mitglieder: 373 f., 522
Rechtsgutslehre, personale: 308 f.
RAF-Morde: 373 f., 521
Rechtsikonologie: 406
Random-Auswahl: 527
Rechtslehre, reine: 402, 410
Rassendiskriminierung: 222
Rechtsmittelrecht: 63, 70
Rassenideologie, nationalsozialistische: 561 Rat für Sozial- und Wirtschaftsdaten (RatSWD): 99 Rationalismus (kritischer): Recht und Kultur: 43 Recht und Literatur: 253, 593–596, 600 Recht, Universalisierbarkeit von: 177, 180 Rechtfertigung: 63, 79, 137, 255 f., 262 f., 310, 346, 561
Rechtsmittelverzicht: 379 Rechtspflegedelikte: 588, 592 Rechtsphilosophie: 57 f., 179, 193, 196, 247–254, 300–306, 317, 404, 410, 477, 496, 596
Rechtsphilosophie und Strafrechtsgeschichte: 582 Rechtsprüfungsinstanz: 371 Rechtspsychologie: 448, 479, 549 Rechtsschutz: 71, 223, 284, 376
Rechtfertigungselement, subjektives: 60, 65, 558
Rechtssicherheit: 43, 170, 205, 313, 378, 391 f., 597
Rechtssoziologie: 38, 57, 207, 301 f., 455 f., 496
Rechtmäßiges Alternativverhalten: 201 f., 245
Rechtsstaatlichkeit: 15, 289, 580, 586
Rechtsanwalt: 19, 329, 383, 474, 478
Rechtsstaatlichkeit des Strafrechts: 315
Rechtsausschuss (des Bundestags): 73, 258 f., 447 f.
Rechtstatsachenforschung: 96 f., 118, 435
Rechtsausschuss, parlamentarischer: 564
Rechtstheorie: 178, 195, 301 f., 305, 411, 455, 476
Rechtsbeugung: 376, 588
Rechtstreue: 202
Rechtsdogmatik: 245, 301, 475, 477
Rechtsvergleichung: 166, 171, 175– 178, 617, 626
Rechtseinheitlichkeit: 70, 75, 484
Rechtswissenschaft: 248, 263, 305– 307, 340, 347, 469, 585, 600, 602
Rechtsfolgenlösung: 367 Rechtsfrage und Tatfrage: 67, 70 f., 307, 313 f.
Rechtswissenschaft, Aufgabe der: 180, 456
Anhang
666 Rechtswissenschaftliches Arbeiten: 72
Richter- und Staatsanwaltstagungen: 383
Referendar: 29 f., 134, 165, 168, 246, 330, 522, 544 f., 591, 614
Richterbilder: 182
Referendarausbildung: 133, 362– 364,
Richterdienst, Eintritt: 363, 437 Richterliche Erfahrung: 172
Referendardienst: 57, 94 f., 194, 219, 301, 436, 581 f.
Ringvorlesung: 289, 527
Risiken, missbilligte: 74, 81, 136
Referendarexamen: 6, 56, 472, 543
Risikoerhöhungstheorie: 245
Referendariat: 246, 301, 435, 517, 544
Risikosachverhalte: 61, 69, 74 Roman: 291
Regel: 42, 44, 311, 313 f., 330, 340 f., 368, 375, 418
Romantik: 583 Rostock: 196–198, 203, 253, 596 f.
Regelbeispielstechnik: 559
Rostock-Lichtenhagen Krawalle: 197
Regeln, askriptive: 205 Regeln, präskriptive: 205, 476, 597 Rekonstruktion der Wirklichkeit: 71
Rote Armeefraktion (RAF): 331, 373 f., 521 f.
Religionswissenschaft: 577
Rückfallforschung: 111
Repetitorien: 29, 316
Rückfällige: 98
Repetitorium: 246, 401, 434, 518, 534
Rückfallstatistik: 97, 111–113, 117
Rückfalltäter: 64
Reservistenverband: 515, 523
Rücktritt: 80, 385, 550, 559
Resilienz: 518, 535
„Rudolf Sievert-Haus“ (in d. JA Hameln): 531
Resozialisierung: 307 f., 447, 618
Ruf(e): 8, 59, 96, 137 f., 143 f., 165 f., 196, 223, 254, 278, 302, 336, 411, 438, 481 f., 517 f., 547, 590, 614 f.
Resozialisierungsfonds: 530
Retribution: 307
Revision: 35, 56, 70, 78, 313 f., 367 f., 371 f., 374, 376, 383
Rügeverkümmerung: 379
Revisionsinstanz: 71, 368, 370, 372, 392 Revisionsrügen: 372, 379 Revisionssachen: 33, 373, 377, 382
Ruhestand: 181, 304, 386–389 Ruhr-Universität Bochum (RUB): siehe Universität Bochum Saarbrücken: 164–176, 220, 222 f., 253, 277, 291 f., 302 f., 319
Rezeption: 279, 301
Richter(in): 31–34, 40, 103, 130, 167, 172, 194, 216, 223, 231 f., 315, 377, 381 f., 438, 479 f.
Saarland: 163, 167 f., 290, 292, 484
Sachentscheidungsrecht (Revisionsgericht): 73
Stichwortverzeichnis Sanktion: 77, 96, 103 –105, 112 f., 548, 556 f., 618, 623, 628
Sanktion, formell: 114, 112 Sanktion, informell: 104, 112, 114 Sanktion, strafrechtliche: 67, 205, 225, 408, 443 f., 628
Sanktionenrecht: 60 f., 75, 548 f., 555–559, 619, 622–625, 628
Sanktionenrecht der EU: 205
667
Schuldtheorie, strenge: 311, 343 Schuldverständnis, soziales: 550 Schülerprojekte, kriminalpädagogische: 443 Schulterschlusseffekt: 456, 459, 479 Schultheater: 5 Schulzeit: 4, 216 f., 242, 398, 432, 466, 487, 541, 573–577
Schusswaffe: 554
Sanktionensystem: 111, 168, 278, 557 Sanktionierte: 104, 108 Sanktionierungspraxis: 103–106, 113, 118 Sanktionsgesetzgebung: 442 Sanktionsnorm(en): 61, 78, 201 f.
Satz vom ausgeschlossenen Dritten: 305
Schwangerschaftsabbruch: 39, 98, 148 Schwarze Parteikassen: 49, 382 Schwerpunktbereich im Studium: 198, 440, 444, 549 Schwerpunkte: 11, 13, 15 f. 64, 67, 69, 97, 105, 382, 619 Schwerpunktseminare: 604
Satzger/Schluckebier/Widmaier: 19
Schwerpunktstaatsanwaltschaft: 366
Schachspiel: 468, 470 f.
Schwurgerichtskammer: 36 f., 366– 370
Schadenswiedergutmachung: 279, 443, 550
Scientology: 443
Schah-Besuch 1967: 361, 580
Sekretariat: 19, 546, 564
Schleyer-Entführung: 374
Sekretärin: 10, 64, 400
Schlussbemerkungen: 391, 535
Selbstbestimmung am Lebensende: 310, 362
Schlüsselkompetenzen: 174 „Schornsteintheorie“: 518 Schuld: 3, 63, 203, 205, 252, 264, 346, 418, 544, 550 f.
Selbstbestimmung, mentale: 256 Selbstbestimmungsrecht: 65, 312 Selbstgefährdung: 22, 352
Schuldbegriff: 65, 203, 550, 552, 555
Selbstreflexion: 30
Schuldbegriff, funktionaler: 550
Selektionseffekt: 109, 114
Schuldfähigkeit: 264, 367, 557
Selektionsprozess: 107
Schuldprinzip: 65, 550, 618
Semantik: 207, 307
Schuldrahmen: 556 f.
Seminar: 8, 11, 118, 175, 195, 434 f.
Schuldstrafrecht: 550
Senatsbesetzungen: 43, 381
Schuldtatbestand: 551
Senatsrechtsprechung: 367, 374, 378
Anhang
668 Senior-Lecturer-Professor: 412
Sprachphilosophie: 347, 468, 477
sentencing guidelines: 557, 562, 623
Sprachtheorie: 300, 476
Seoul: 118, 148, 220 f., 318, 561
Staatsanwaltschaft: 35, 102 f., 105, 113, 333, 363, 366, 382, 545, 514
Serienstraftaten: 378, 385
Staatslehre, allgemeine: 56 f.
Sexualstrafrecht: 39, 141
Staatsphilosophie: 319, 583
Shanghai: 525
Staatsschutzdelikte: 372, 374
Sicherheitsbericht: 109, 111 Sicherungsverwahrung: 447 Situational Action Theory: 554
Staatstheorie: 57 Statistik: 98, 100 Statistik, mathematische: 436
Solidarität: 203, 591
STATT Partei: 486 f., 492
Sonderaufgaben: 384
Stellvertreterfunktion: 380
Sonderdruck: 40, 178 f., 250
Sterbehilfe: 148, 253 f., 312 f., 362, 389, 443
Sorgfalt: 202, 338, 340–342 Sowjetische Besatzungszone: 129 Sozialdemokratischer Hochschulbund (SHB): 580 Sozialforschung, empirische: 436
Sterbehilfe, Formen der: 389 Sterbehilfeverfahren: 383 Steuerstrafrecht: 75 Stiftung Volkswagenwerk: 132
Sozialisation: 142, 169 Sozialistischer Deutscher Studentenbund (SDS): 580
Stipendium: 58, 93, 95, 131 f., 243, 253, 399, 403–407, 581
Strafaussetzung zur Bewährung: 114
Sozialschaden: 308 Sozialwissenschaft(en): 96, 110, 136, 165, 195, 409, 413, 585, 591 Sozialwissenschaften, Rolle der: 174
Strafbarkeitsbedingung: 201 Strafbedürftigkeit, Strafwürdigkeit: 88 Strafbegrenzungswissenschaft: 586, 596 f.
Soziologie: 27, 37, 225, 439
Spanien: 12, 167, 207, 224, 318, 471, 487 f., 601
Strafe: 46, 64, 69, 76–79, 113 f., 252, 263, 307, 415, 496, 552, 556 f., 562, 618, 624
Spielraumtheorie, asymmetrische: 557 Sport: 55, 223, 243, 409, 419 f., 467, 528
Strafe, Erforderlichkeit der: 77 Strafe, Funktion: 307 Strafe, Institution: 307 f.
Sportadäquanz: 420 Sportstrafrecht: 409, 419 f.
Strafe, Zweck: 64, 307 f., 349, 628
Sprachcode: 142
Strafen, ewige: 252
Stichwortverzeichnis
669
Strafgerichtshof für das ehemalige Jugoslawien: 380, 626
Strafrechtslehrer: 133, 312, 437, 490, 495, 517, 564, 573, 586, 622, 624
Strafhaltung: 552 f.
Strafrechtslehrertagung: 183, 244, 256, 339, 409, 416, 442, 495, 557
Strafhöhe: 67, 75, 556 Strafmaßdiskrepanzen: 557
Strafrechtslehrertagung 1985: 302
Strafmentalität: 546, 552, 554
Strafrechtslehrertagung 1995: 197, 203, 596
Strafmilderungsregelung, generelle: 551
Strafrechtslehrertagung 2011: 596
Strafmündigkeit: 157
Strafrechtspflegestatistik: 95, 99 f., 109, 118 f.
Strafprozess: 66, 69 f., 166, 168, 176, 283, 313, 416, 434, 442, 488, 621
Strafprozess, Verfahrensziel: 588 Strafprozessrecht: 18, 69–71, 229, 438 f., 491, 586
Strafrechtspraxis: 107, 172, 178, 315, 440, 625 Strafrechtsreform: 68, 99, 180, 279, 474, 580 Strafrechtswissenschaft: 72 f., 76, 282, 312, 315, 339, 348, 447, 489, 560, 586, 603, 626 f.
Strafprozessrechtswissenschaft: 15, 18 Strafrahmen: 62, 339, 370, 556 Strafrahmenwahl: 368 Strafrecht, bundesdeutsches: 375, 377 Strafrecht, demokratisches: 552
Strafrechtswissenschaft und -praxis: 278, 312, 315, 392 Strafrechtswissenschaft, gesamte: 64, 168, 413, 448, 528 Strafsenat: 32 f., 40 f., 167, 173, 368, 378, 381 f., 386
Strafrecht, materielles: 17, 168, 232, 475 Strafrechtsausschuss der Bundesrechtsanwaltskammer (Strauda): 15 Strafrechtsdogmatik: 60, 177, 253, 306, 315, 348, 406, 419, 471 f., 488, 495, 556, 619, 621
Strafrechtsdogmatik, analytische: 195 Strafrechtsdogmatik und Rechtstheorie: 411 Strafrechtsgeschichte: 134, 250, 401, 582, 589–593, 598–600 Strafrechtsgeschichte, internationale: 401, 589
Straftatbegriff: 64, 413, 416, 417 f.
Straftatsystem: 60, 62, 64 f., 72, 79, 201
Straftatsystem und Strafzumessung: 62, 67 Straftheorie(n): 27, 64, 67, 72, 131, 307, 433, 477, 546, 550, 555, 628 Strafvereitelung: 588 Strafverfahren, Feldexperimente: 443 Strafverfahrensrecht: 226 f., 232, 447, 619–621, 625, 627
Strafverfolgungsbehörden: 380, 532 Strafverfolgungsstatistik: 98, 112
Anhang
670 Strafverfolgungsverbot: 375 Strafverteidiger: 8, 14 f., 35, 229, 367 f., 400 f., 577
Studienzeitverkürzungsprogramm: 146
Strafverteidigersymposium Karlsruhe: 383 Strafverteidigung: 14 f., 18, 42, 365, 438, 442
Strafverteidigung, Beschränkungen: 586 Strafvollzug: 94, 148, 167, 278–281, 283–287, 290, 438, 517 Strafvollzugsgesetz (1976): 279, 531, 564 Strafvollzugskommission: 278, 284, 517
Subjektives Rechtfertigungselement: 60, 65, 558 Sudetendeutsche Akademie: 82 Sudetenland: 55 Suizidbeihilfe: 312, 389 Syllogismus, praktischer: 202 Systematischer Kommentar: 62, 64, 140 Tadel (Strafe): 78 f.
Taiwan: 13, 234, 318, 487–489, 621 Talar: 151, 198, 361
Strafvollzugsrecht: 557
Tandemmodell: 150 f.
Strafwürdigkeit: 201
Tat- und Rechtsfrage: : 67, 70 f., 307, 313 f.
Strafzumessung: 62 f., 67–70, 72 f., 75 f., 136, 333–335, 435, 441, 546, 556 f., 622 f., 628
Tatbestandsirrtum: 342 f.
Tatbestandslehre: 62 f.
Strafzumessung, ungleiche: 546 Strafzumessungs-Informationssystem: 557 Strafzumessungsbegründung: 556 Strafzumessungsentscheidung: 546, 553 Strafzumessungspraxis: 435, 441, 554 Strafzumessungstheorien: 556 Strafzumessungsumstände: 67, 85 Strafzweck: 307, 518, 553, 628 Strukturwissen: 316 Studentenbewegung: 330, 542 Studentenunruhen: 198
Tatbestandsmäßiges Verhalten: 61, 65, 74, 76, 79, 81, 417–419 Tatbestandsmerkmal: 66, 205, 209, 344, 558 Tatdynamik: 559 Täter, mittelbare: 369, 376 Täterbefragung: 95, 109 Täter-Opfer-Ausgleich: 279, 443, 447 Täter-Opfer-Interaktion: 136 Täterschaft: 65, 79, 200, 204, 337, 339, 368, 406, 419, 474 Täterschaft, mittelbare: 65, 204, 369 Täterschaft, unmittelbare: 204
Studienordnung: 360
Tatfrage und Rechtsfrage: 67, 70 f., 307, 313 f.
Studienstiftung: 12, 94, 234, 468
Tatinterlokut, informelles: 442
Stichwortverzeichnis
671
Tatproportionalität: 63
Transplantationsgesetz (TPG): 390
Tatsachen, institutionelle: 306, 344
Trivium: 207
Tatsacheninstanz: 172, 362, 371, 387
Tschechien: 55, 318, 511
Täuschung: 63, 66, 204, 335
Tun und Unterlassen: 558
Teamarbeit: 171
Tun, passives: 558
Teamwork: 119
Türkei: 207, 224, 230 f., 234, 318, 528
T(echnische) U(niversität) Dresden: 149–151, 153
„Überholende“ Kausalität: 536
Teen Courts: 443
Umkehrschluss: 342 f.
Teilnahme: 79, 130, 419
Umweltkriminalität: 226
Teilnahme bei Mord: 368 f.
Umweltstrafrecht: 62, 66, 72 f.
Teilnahmelehre: 63
Universität Bielefeld: 278, 404, 408, 421, 438, 590
Teilrücktritt: 559
Universität Bochum: 12, 359–361, 363, 387 f., 519 f., 523, 525, 624
Terrorismus: 374, 463
Terrorismusbekämpfung: 426, 586
Terrorismusstrafrecht: 66, 73
Universität des Saarlandes: 164, 166, 218, 223, 278 f., 283, 302
Theater: 4, 288 f., 462 f., 478
Universität Düsseldorf: 590 f.
Thema „Behandlungsabbruch“: 388
Universität Erlangen-Nürnberg: 56– 58, 548, 553
Themenschwerpunkt: 17 Theorie-Praxis-Verbund: 165, 174 Thesen zur Kriminalpolitik: 538 Tiefenpsychologie: 554, 559 f.
Tierschutz: 309 Todesstrafe: 199, 228, 286, 553 Tokyo: 220 f., 512, 517, 602, 621
Topik: 194, 476 Tötung auf Verlangen: 310 Tötungsdelikte: 554
Universität Göttingen: 5, 438, 468 Universität Göttingen, Juristische Fakultät: 437 Universität Halle-Wittenberg: 12, 19 Universität Hamburg, Juristische Fakultät: 165, 433, 516 f., 613
Universität Heidelberg: 143–149, 543–548, 552, 562 f.
Universität Konstanz: 118, 547, 553, 564 Universität Leipzig: 38, 411 f.
Tötungsdelikte, Reform der: 258, 334, 386, 391 Tötungsdelikte, vorsätzliche: 99, 105, 367 Tractatus logico-philosophicus: 192
Universität Macerata: 603 Universität München: 300, 318, 471, 517, 551 Universität Münster: 578, 581 f., 590, 593
Anhang
672 Universität Osnabrück: 138, 530
Verdachtsstrafe: 134 f.
Universität Passau: 9 f., 13, 301
Verein der Richter und Bundesanwälte beim BGH: 384
Universität Regensburg: 549 Universität Tübingen: 37, 300, 409, 432, 436, 547 Universität Würzburg: 38, 542, 578 Unrecht: 80, 152, 202, 247, 311, 334, 345 f., 414 f., 523, 628
Vereinigung von Praxis und Wissenschaft: 392 Vereinigung, kriminelle: 379 Vereinigung, linksextremistische: 373
Unrechtsbewusstsein: 65
Vereinigung, terroristische: 373 f., 379
Unrechtsbewusstsein, Bezugspunkt: 311
Verfahrensgerechtigkeit: 313
Unrechtsbewusstsein, Teilbarkeit: 311
Verfassungsinterpretation: 193 Verfassungsrecht: 76, 106, 168, 258, 280, 282–284, 309 f., 375, 582, 627
Unterlassen: 200, 202, 389, 417, 558
Vergeltungstheorie: 477
Unterlassene Hilfeleistung: 528
Vergleich: 101, 107, 110, 113, 180, 544, 619 f.
Unterlassung: 200, 336, 474
Unternehmensstrafrecht: 324
Verhaltensnorm(en): 61, 78–81, 308, 624
Unterschlagung: 204
Verhaltensspielraum: 201
Untersuchung, quasi-experimentelle: 113 Untersuchungshaft: 104, 286, 314 f., 373 f., 442, 448, 587
USA: 109, 131, 163 f., 222, 318, 340, 382, 483, 488, 520, 522, 613–615, 619, 622 f.
Verhältnismäßigkeitsprinzip: 65, 556 Verletzter: 173, 374, 420, 447, 615, 633 Vermögensbegriff: 44, 225
Verantwortlichkeitsprinzip: 550 Verantwortungsdialog: 306 Verantwortungsstrategien: 419 Verbindung, internationale: 118 Verbotsirrtum: 260, 311, 369 Verbrechensbegriff: 63 Verbrechenslehre, allgemeine: 64–66, 72, 76, 79 Verdacht: 227, 380,
Verständigung: 73, 99, 170, 366, 372, 554, siehe auch Absprache, Deal Versuch: 29, 65, 79, 130, 145, 342 f., 550,
Versuch, erfolgsqualifizierter: 559 Verteidigung, Recht auf: 71 „Vertrauensstelle Transplantationsmedizin“: 391 Verwaltungsakzessorietät: 62 Vietnam-Krieg: 198, 361, 580 Viktimisierung: 110, 547
Stichwortverzeichnis
673
Viktimologie: 136 f., 139, 183
Warteliste: 390
Völkermord (§ 220a StGB a. F.): 380, 625
WEISSER RING: 446 f., 525
Werkzeug, gefährliches: 560
Völkermordkonvention von 1948: 380 Völkerrecht: 261 f., 375, 380, 625 f.
Wertfreiheit: 30 Wertphilosophie: 197
Wiedervereinigung: 196, 374–378, 484, 519, 523, 527, 599
Völkerrecht, humanitäres: 626 Völkerstrafrecht: 261 f., 380, 613, 616, 625 f., 629
Wien: 243, 250, 278, 318, 397–407, 613
Volkskunde: 406
Willensfreiheit: 148, 264, 267, 551
Volksverhetzung: 560 Vollrauschstrafbarkeit: 551
Wirkungsforschung: 97, 111, 113– 115
Vollzug: 104, 106 f., 284, 415
Wirtschaftsstrafkammer: 364–366
Voluntatives Vorsatzelement: 60, 74
Wirtschaftsstrafrecht: 15, 118, 134, 145, 195, 207, 479, 627
Vorbereitungsdienst: 29, 165, 276, 614
„Wirtschaftswunder“: 573
Wissen (Vorsatz): 74, 343 f., 369 f.
Vorbestrafte: 112
Wissen und Wollen: 370
Vorlesungen: 5, 59, 96, 130, 135, 218, 233, 265, 302, 316, 408 f., 412, 469 f., 542
Wissenschaft: VIII, 75 f., 98, 171, 178 f., 182 f., 244, 259, 378, 387, 401, 415, 544 f., 550, 624
Vorsatz: 60, 74, 79, 131, 201, 204 f., 342, 344 f., 378
Wissenschaft, Rolle der: 174
Vorsatzdogmatik: 60, 65, 73
Wissenschaftliche Akademien und Gesellschaften: 82, 266, 495, 525
Vortragsreisen: 176, 278, 447, 488, 561 f.
Wissenschaftlicher Assistent: 10, 134, 471, 474, 545 f.
Vorverschulden: 65, 301, 306, 550 f.
Wissenschaftsfreiheit: 266
Wissenschaftskolleg: 267 Waffenersatzfunktion: 560 Wahlfälschung: 376 Wahndelikt: 65, 79, 342, 558 Wahrheit: 15, 173, 372, 483, 620, Wahrheit, prozessuale: 620 Währungsreform: 514, 573 Währungsreform von 1948: 573
Wissenschaftstheorie: 195, 199, 266, 300, 305 f., 475
Wissenschaftstheorie der Rechtswissenschaft: 305 Wissenstransfer: 118 Wohngruppenvollzug: 531 Wohnungs-Zwangsbewirtschaftung: 574
674
Anhang
Zehn-Augen-Prinzip: 44
Zuschreibungsprozess: 94
Zeit Online: 45
Zuständigkeit: 256, 262, 383, 438, 549
Zeitschrift für die gesamte Strafrechtswissenschaft (ZStW): 40, 68, 250, 284, 319, 495
Zuständigkeiten Strafsenat: 372 f., 377, 382
Zitationsmodell: 421
Zweckverfehlung: 205
Zivilgesellschaft: 309
Zweiter Weltkrieg: 3, 11, 215, 289, 357, 359, 430, 512 f., 573, 613
Zivilprozessordnung: 575
Zueignung: 204, 558
Zweites Staatsexamen: 29 f., 57, 82, 133 f., 219 f., 301, 363, 436, 517, 545, 581 f., 614
Zueignungsabsicht: 201, 560
Zwettl: 402, 408
Zurechnung: 62, 74, 195, 201, 205, 263, 301, 340, 346, 417, siehe auch Erfolgszurechnung, Objektive Zurechnung
Zwillinge, siamesische: 255
Züchtigungsrecht: 165, 576, 583
Zuschreibungsdelikt: 560
Zwischenhaft: 314 Zwischenprüfung: 141 f., 360, 439
Juristische Zeitgeschichte Herausgeber: Prof. Dr. Dr. Dr. h.c. Thomas Vormbaum, FernUniversität in Hagen Abteilung 1: Allgemeine Reihe 1 Thomas Vormbaum (Hrsg.): Die Sozialdemokratie und die Entstehung des Bürgerlichen Gesetzbuchs. Quellen aus der sozialdemokratischen Partei und Presse (1997) 2 Heiko Ahlbrecht: Geschichte der völkerrechtlichen Strafgerichtsbarkeit im 20. Jahrhundert (1999) 3 Dominik Westerkamp: Pressefreiheit und Zensur im Sachsen des Vormärz (1999) 4 Wolfgang Naucke: Über die Zerbrechlichkeit des rechtsstaatlichen Strafrechts. Gesammelte Aufsätze zur Strafrechtsgeschichte (2000) 5 Jörg Ernst August Waldow: Der strafrechtliche Ehrenschutz in der NS-Zeit (2000) 6 Bernhard Diestelkamp: Rechtsgeschichte als Zeitgeschichte. Beiträge zur Rechtsgeschichte des 20. Jahrhunderts (2001) 7 Michael Damnitz: Bürgerliches Recht zwischen Staat und Kirche. Mitwirkung der Zentrumspartei am Bürgerlichen Gesetzbuch (2001) 8 Massimo Nobili: Die freie richterliche Überzeugungsbildung. Reformdiskussion und Gesetzgebung in Italien, Frankreich und Deutschland seit dem Ausgang des 18. Jahrhunderts (2001) 9 Diemut Majer: Nationalsozialismus im Lichte der Juristischen Zeitgeschichte (2002) 10 Bianca Vieregge: Die Gerichtsbarkeit einer „Elite“. Nationalsozialistische Rechtsprechung am Beispiel der SS- und Polizeigerichtsbarkeit (2002) 11 Norbert Berthold Wagner: Die deutschen Schutzgebiete (2002) 12 Miloš Vec: Die Spur des Täters. Methoden der Identifikation in der Kriminalistik (1879–1933), (2002) 13 Christian Amann: Ordentliche Jugendgerichtsbarkeit und Justizalltag im OLGBezirk Hamm von 1939 bis 1945 (2003) 14 Günter Gribbohm: Das Reichskriegsgericht (2004) 15 Martin M. Arnold: Pressefreiheit und Zensur im Baden des Vormärz. Im Spannungsfeld zwischen Bundestreue und Liberalismus (2003) 16 Ettore Dezza: Beiträge zur Geschichte des modernen italienischen Strafrechts (2004) 17 Thomas Vormbaum (Hrsg.): „Euthanasie“ vor Gericht. Die Anklageschrift des Generalstaatsanwalts beim OLG Frankfurt/M. gegen Werner Heyde u. a. vom 22. Mai 1962 (2005) 18 Kai Cornelius: Vom spurlosen Verschwindenlassen zur Benachrichtigungspflicht bei Festnahmen (2006) 19 Kristina Brümmer-Pauly: Desertion im Recht des Nationalsozialismus (2006) 20 Hanns-Jürgen Wiegand: Direktdemokratische Elemente in der deutschen Verfassungsgeschichte (2006) 21 Hans-Peter Marutschke (Hrsg.): Beiträge zur modernen japanischen Rechtsgeschichte (2006) 22 Katrin Stoll: Die Herstellung der Wahrheit (2011)
23 Thorsten Kurtz: Das Oberste Rückerstattungsgericht in Herford (2014) 24 Sebastian Schermaul: Die Umsetzung der Karlsbader Beschlüsse an der Universität Leipzig 1819–1848 (2013) 25 Minoru Honda: Beiträge zur Geschichte des japanischen Strafrechts (2020) 26 Michael Seiters: Das strafrechtliche Schuldprinzip. Im Spannungsfeld zwischen philosophischem, theologischem und juridischem Verständnis von Schuld (2020)
Abteilung 2: Forum Juristische Zeitgeschichte 1 Franz-Josef Düwell / Thomas Vormbaum (Hrsg.): Themen juristischer Zeitgeschichte (1) – Schwerpunktthema: Recht und Nationalsozialismus (1998) 2 Karl-Heinz Keldungs: Das Sondergericht Duisburg 1943–1945 (1998) 3 Franz-Josef Düwell / Thomas Vormbaum (Hrsg.): Themen juristischer Zeitgeschichte (2) – Schwerpunktthema: Recht und Juristen in der Revolution von 1848/49 (1998) 4 Thomas Vormbaum: Beiträge zur juristischen Zeitgeschichte (1999) 5 Franz-Josef Düwell / Thomas Vormbaum: Themen juristischer Zeitgeschichte (3), (1999) 6 Thomas Vormbaum (Hrsg.): Themen juristischer Zeitgeschichte (4), (2000) 7 Frank Roeser: Das Sondergericht Essen 1942–1945 (2000) 8 Heinz Müller-Dietz: Recht und Nationalsozialismus – Gesammelte Beiträge (2000) 9 Franz-Josef Düwell (Hrsg.): Licht und Schatten. Der 9. November in der deutschen Geschichte und Rechtsge schichte – Symposium der Arnold-FreymuthGesellschaft, Hamm (2000) 10 Bernd-Rüdiger Kern / Klaus-Peter Schroeder (Hrsg.): Eduard von Simson (1810– 1899). „Chorführer der Deutschen“ und erster Präsident des Reichsgerichts (2001) 11 Norbert Haase / Bert Pampel (Hrsg.): Die Waldheimer „Prozesse“ – fünfzig Jahre danach. Dokumentation der Tagung der Stiftung Sächsische Gedenkstätten am 28. und 29. September in Waldheim (2001) 12 Wolfgang Form (Hrsg.): Literatur- und Urteilsverzeichnis zum politischen NSStrafrecht (2001) 13 Sabine Hain: Die Individualverfassungsbeschwerde nach Bundesrecht (2002) 14 Gerhard Pauli / Thomas Vormbaum (Hrsg.): Justiz und Nationalsozialismus – Kontinuität und Diskontinuität. Fachtagung in der Justizakademie des Landes NRW, Recklinghausen, am 19. und 20. November 2001 (2003) 15 Mario Da Passano (Hrsg.): Europäische Strafkolonien im 19. Jahrhundert. Internationaler Kongreß des Dipartimento di Storia der Universität Sassari und des Parco nazionale di Asinara, Porto Torres, 25. Mai 2001 (2006) 16 Sylvia Kesper-Biermann / Petra Overath (Hrsg.): Die Internationalisierung von Strafrechtswissenschaft und Kriminalpolitik (1870–1930). Deutschland im Vergleich (2007) 17 Hermann Weber (Hrsg.): Literatur, Recht und Musik. Tagung im Nordkolleg Rendsburg vom 16. bis 18. September 2005 (2007) 18 Hermann Weber (Hrsg.): Literatur, Recht und (bildende) Kunst. Tagung im Nordkolleg Rendsburg vom 21. bis 23. September 2007 (2008) 19 Francisco Muñoz Conde / Thomas Vormbaum (Hrsg.): Transformation von Diktaturen in Demokratien und Aufarbeitung der Vergangenheit (2010)
20 Kirsten Scheiwe / Johanna Krawietz (Hrsg.): (K)Eine Arbeit wie jede andere? Die Regulierung von Arbeit im Privathaushalt (2014) 21 Helmut Irmen: Das Sondergericht Aachen 1941–1945 (2018)
Abteilung 3: Beiträge zur modernen deutschen Strafgesetzgebung. Materialien zu einem historischen Kommentar 1 Thomas Vormbaum / Jürgen Welp (Hrsg.): Das Strafgesetzbuch seit 1870. Sammlung der Änderungen und Neubekanntmachungen; fünf Textbände (1999–2020) und drei Supplementbände (2005, 2006) 2 Christian Müller: Das Gewohnheitsverbrechergesetz vom 24. November 1933. Kriminalpolitik als Rassenpol itik (1998) 3 Maria Meyer-Höger: Der Jugendarrest. Entstehung und Weiterentwicklung einer Sanktion (1998) 4 Kirsten Gieseler: Unterlassene Hilfeleistung – § 323c StGB. Reformdiskussion und Gesetzgebung seit 1870. (1999) 5 Robert Weber: Die Entwicklung des Nebenstrafrechts 1871–1914 (1999) 6 Frank Nobis: Die Strafprozeßgesetzgebung der späten Weimarer Republik (2000) 7 Karsten Felske: Kriminelle und terroristische Vereinigungen – §§ 129, 129a StGB (2002) 8 Ralf Baumgarten: Zweikampf – §§ 201–210 a. F. StGB (2003) 9 Felix Prinz: Diebstahl – §§ 242 ff. StGB (2003) 10 Werner Schubert / Thomas Vormbaum (Hrsg.): Entstehung des Strafgesetzbuchs. Kommissionsprotokolle und Entwürfe. Band 1: 1869 (2002); Band 2: 1870 (2004) 11 Lars Bernhard: Falsche Verdächtigung (§§ 164, 165 StGB) und Vortäuschen einer Straftat (§ 145d StGB), (2003) 12 Frank Korn: Körperverletzungsdelikte – §§ 223 ff., 340 StGB. Reformdiskussion und Gesetzgebung von 1870 bis 1933 (2003) 13 Christian Gröning: Körperverletzungsdelikte – §§ 223 ff., 340 StGB. Reformdiskussion und Gesetzgebung seit 1933 (2004) 14 Sabine Putzke: Die Strafbarkeit der Abtreibung in der Kaiserzeit und in der Weimarer Zeit. Eine Analyse der Reformdiskussion und der Straftatbestände in den Reformentwürfen (1908–1931), (2003) 15 Eckard Voßiek: Strafbare Veröffentlichung amtlicher Schriftstücke (§ 353d Nr. 3 StGB). Gesetzgebung und Rechtsanwendung seit 1851 (2004) 16 Stefan Lindenberg: Brandstiftungsdelikte – §§ 306 ff. StGB. Reformdiskussion und Gesetzgebung seit 1870 (2004) 17 Ninette Barreneche †: Materialien zu einer Strafrechtsgeschichte der Münchener Räterepublik 1918/1919 (2004) 18 Carsten Thiel: Rechtsbeugung – § 339 StGB. Reformdiskussion und Gesetzgebung seit 1870 (2005) 19 Vera Große-Vehne: Tötung auf Verlangen (§ 216 StGB), „Euthanasie“ und Sterbehilfe. Reformdiskussion und Gesetzgebung seit 1870 (2005) 20 Thomas Vormbaum / Kathrin Rentrop (Hrsg.): Reform des Strafgesetzbuchs. Sammlung der Reformentwürfe. Band 1: 1909 bis 1919. Band 2: 1922 bis 1939. Band 3: 1959 bis 1996 (2008)
21 Dietmar Prechtel: Urkundendelikte (§§ 267 ff. StGB). Reformdiskussion und Gesetzgebung seit 1870 (2005) 22 Ilya Hartmann: Prostitution, Kuppelei, Zuhälterei. Reformdiskussion und Gesetzgebung seit 1870 (2006) 23 Ralf Seemann: Strafbare Vereitelung von Gläubigerrechten (§§ 283 ff., 288 StGB). Reformdiskussion und Gesetzgebung seit 1870 (2006) 24 Andrea Hartmann: Majestätsbeleidigung (§§ 94 ff. StGB a. F.) und Verunglimpfung des Staatsoberhauptes (§ 90 StGB). Reformdiskussion und Gesetzgebung seit dem 19. Jahrhundert (2006) 25 Christina Rampf: Hausfriedensbruch (§ 123 StGB). Reformdiskussion und Gesetzgebung seit 1870 (2006) 26 Christian Schäfer: „Widernatürliche Unzucht“ (§§ 175, 175a, 175b, 182, a. F. StGB). Reformdiskussion und Gesetzgebung seit 1945 (2006) 27 Kathrin Rentrop: Untreue und Unterschlagung (§§ 266 und 246 StGB). Reformdiskussion und Gesetzgebung seit dem 19. Jahrhundert (2007) 28 Martin Asholt: Straßenverkehrsstrafrecht. Reformdiskussion und Gesetzgebung seit dem Ausgang des 19. Jahrhunderts (2007) 29 Katharina Linka: Mord und Totschlag (§§ 211–213 StGB). Reformdiskussion und Gesetzgebung seit 1870 (2008) 30 Juliane Sophia Dettmar: Legalität und Opportunität im Strafprozess. Reformdiskussion und Gesetzgebung von 1877 bis 1933 (2008) 31 Jürgen Durynek: Korruptionsdelikte (§§ 331 ff. StGB). Reformdiskussion und Gesetzgebung seit dem 19. Jahrh undert (2008) 32 Judith Weber: Das sächsische Strafrecht im 19. Jahrhundert bis zum Reichsstrafgesetzbuch (2009) 33 Denis Matthies: Exemplifikationen und Regelbeispiele. Eine Untersuchung zum 100-jährigen Beitrag von Adolf Wach zur „Legislativen Technik“ (2009) 34 Benedikt Rohrßen: Von der „Anreizung zum Klassenkampf“ zur „Volksverhetzung“ (§ 130 StGB). Reformdiskussion und Gesetzgebung seit dem 19. Jahrhundert (2009) 35 Friederike Goltsche: Der Entwurf eines Allgemeinen Deutschen Strafgesetzbuches von 1922 (Entwurf Radbruch) (2010) 36 Tarig Elobied: Die Entwicklung des Strafbefehlsverfahrens von 1846 bis in die Gegenwart (2010) 37 Christina Müting: Sexuelle Nötigung; Vergewaltigung (§ 177 StGB) (2010) 38 Nadeschda Wilkitzki: Entstehung des Gesetzes über Internationale Rechtshilfe in Strafsachen (IRG) (2010) 39 André Brambring: Kindestötung (§ 217 a. F. StGB). Reformdiskussion und Gesetzgebung seit 1870 (2010) 40 Wilhelm Rettler: Der strafrechtliche Schutz des sozialistischen Eigentums in der DDR (2010) 41 Yvonne Hötzel: Debatten um die Todesstrafe in der Bundesrepublik Deutschland von 1949 bis 1990 (2010) 42 Dagmar Kolbe: Strafbarkeit im Vorfeld und im Umfeld der Teilnahme (§§ 88a, 110, 111, 130a und 140 StGB). Reformdiskussion und Gesetzgebung seit dem 19. Jahrhundert (2011) 43 Sami Bdeiwi: Beischlaf zwischen Verwandten (§ 173 StGB). Reform und Gesetzgebung seit 1870 (2014)
44 Michaela Arnold: Verfall, Einziehung und Unbrauchbarmachung (§§ 73 bis 76a StGB). Reformdiskussion und Gesetzgebung seit dem 19. Jahrhundert (2015) 45 Andrea Schurig: „Republikflucht“ (§§ 213, 214 StGB/DDR). Gesetzgeberische Entwicklung, Einfluss des MfS und Gerichtspraxis am Beispiel von Sachsen (2016) 46 Sandra Knaudt: Das Strafrecht im Großherzogtum Hessen im 19. Jahrhundert bis zum Reichsstrafgesetzbuch (2017) 47 Michael Rudlof: Das Gesetz zur Strafbarkeit der geschäftsmäßigen Förderung der Selbsttötung (§ 217 StGB nF.) (2018) 48 Karl Müller: Steuerhinterziehung (§§ 370, 371 AO). Gesetzgebung und Reformdiskussion seit dem 19. Jahrhundert (2018) 49 Katharina Kühne: Die Entwicklung des Internetstrafrechts unter besonderer Berücksichtigung der §§ 202a–202c StGB sowie § 303a und § 303b StGB (2018) 50 Benedikt Beßmann: Das Strafrecht des Herzogtums Braunschweig im 19. Jahrhundert bis zum Reichsstrafgesetzbuch (2019) 51 Josef Roth: Die Entwicklung des Weinstrafrechts seit 1871 (2020) 52 Arne Fischer Die Legitimität des Sportwettbetrugs (§ 265c StGB). Unter besonderer Berücksichtigung des „Rechtsguts“ Integrität des Sports (2020)
Abteilung 4: Leben und Werk. Biographien und Werkanalysen 1 2 3 4 5 6 7 8 9 10 11
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Mario A. Cattaneo: Karl Grolmans strafrechtlicher Humanismus (1998) Gerit Thulfaut: Kriminalpolitik und Strafrechtstheorie bei Edmund Mezger (2000) Adolf Laufs: Persönlichkeit und Recht. Gesammelte Aufsätze (2001) Hanno Durth: Der Kampf gegen das Unrecht. Gustav Radbruchs Theorie eines Kulturverfassungsrechts (2001) Volker Tausch: Max Güde (1902–1984). Generalbundesanwalt und Rechtspolitiker (2002) Bernd Schmalhausen: Josef Neuberger (1902–1977). Ein Leben für eine menschliche Justiz (2002) Wolf Christian von Arnswald: Savigny als Strafrechtspraktiker. Ministerium für die Gesetzesrevision (1842–1848), (2003) Thilo Ramm: Ferdinand Lassalle. Der Revolutionär und das Recht (2004) Martin D. Klein: Demokratisches Denken bei Gustav Radbruch (2007) Francisco Muñoz Conde: Edmund Mezger – Beiträge zu einem Juristenleben (2007) Whitney R. Harris: Tyrannen vor Gericht. Das Verfahren gegen die deutschen Hauptkriegsverbrecher nach dem Zweiten Weltkrieg in Nürnberg 1945–1946 (2008) Eric Hilgendorf (Hrsg.): Die deutschsprachige Strafrechtswissenschaft in Selbstdarstellungen (2010) Tamara Cipolla: Friedrich Karl von Strombeck. Leben und Werk – Unter besonderer Berücksichtigung des Entwurfes eines Strafgesetzbuches für ein Norddeutsches Staatsgebiet (2010) Karoline Peters: J.D.H. Temme und das preußische Strafverfahren in der Mitte des 19. Jahrhunderts (2010)
15 Eric Hilgendorf (Hrsg.): Die ausländische Strafrechtswissenschaft in Selbstdarstellungen. Die internationale Rezeption des deutschen Strafrechts (2019) 16 Hannes Ludyga: Otto Kahn-Freund (1900–1979). Ein Arbeitsrechtler in der Weimarer Zeit (2016) 17 Rudolf Bastuck: Rudolf Wassermann. Vision und Umsetzung einer inneren Justizreform (2020) 18 Eric Hilgendorf (Hrsg.): Die deutschsprachige Strafrechtswissenschaft in Selbstdarstellungen II (2021)
Abteilung 5: Juristisches Zeitgeschehen. Rechtspolitik und Justiz aus zeitgenössischer Perspektive Mitherausgegeben von Gisela Friedrichsen („Der Spiegel“) und RA Prof. Dr. Franz Salditt 1 Diether Posser: Anwalt im Kalten Krieg. Ein Stück deutscher Geschichte in politischen Prozessen 1951–1968. 3. Auflage (1999) 2 Jörg Arnold (Hrsg.): Strafrechtliche Auseinandersetzung mit Systemvergangenheit am Beispiel der DDR (2000) 3 Thomas Vormbaum (Hrsg.): Vichy vor Gericht: Der Papon-Prozeß (2000) 4 Heiko Ahlbrecht / Kai Ambos (Hrsg.): Der Fall Pinochet(s). Auslieferung wegen staatsverstärkter Kriminalität? (1999) 5 Oliver Franz: Ausgehverbot für Jugendliche („Juvenile Curfew“) in den USA. Reformdiskussion und Gesetz gebung seit dem 19. Jahrhundert (2000) 6 Gabriele Zwiehoff (Hrsg.): „Großer Lauschangriff“. Die Entstehung des Gesetzes zur Änderung des Grund gesetzes vom 26. März 1998 und des Gesetzes zur Änderung der Strafprozeßordnung vom 4. Mai 1998 in der Presseberichterstattung 1997/ 98 (2000) 7 Mario A. Cattaneo: Strafrechtstotalitarismus. Terrorismus und Willkür (2001) 8 Gisela Friedrichsen / Gerhard Mauz: Er oder sie? Der Strafprozeß Böttcher/Weimar. Prozeßberichte 1987 bis 1999 (2001) 9 Heribert Prantl / Thomas Vormbaum (Hrsg.): Juristisches Zeitgeschehen 2000 in der Süddeutschen Zeitung (2001) 10 Helmut Kreicker: Art. 7 EMRK und die Gewalttaten an der deutsch-deutschen Grenze (2002) 11 Heribert Prantl / Thomas Vormbaum (Hrsg.): Juristisches Zeitgeschehen 2001 in der Süddeutschen Zeitung (2002) 12 Henning Floto: Der Rechtsstatus des Johanniterordens. Eine rechtsgeschichtliche und rechtsdogmatische Untersuchung zum Rechtsstatus der Balley Brandenburg des ritterlichen Ordens St. Johannis vom Spital zu Jerusalem (2003) 13 Heribert Prantl / Thomas Vormbaum (Hrsg.): Juristisches Zeitgeschehen 2002 in der Süddeutschen Zeitung (2003) 14 Kai Ambos / Jörg Arnold (Hrsg.): Der Irak-Krieg und das Völkerrecht (2004) 15 Heribert Prantl / Thomas Vormbaum (Hrsg.): Juristisches Zeitgeschehen 2003 in der Süddeutschen Zeitung (2004) 16 Sascha Rolf Lüder: Völkerrechtliche Verantwortlichkeit bei Teilnahme an „Peacekeeping“-Missionen der Vereinten Nationen (2004)
17 Heribert Prantl / Thomas Vormbaum (Hrsg.): Juristisches Zeitgeschehen 2004 in der Süddeutschen Zeitung (2005) 18 Christian Haumann: Die „gewichtende Arbeitsweise“ der Finanzverwaltung. Eine Untersuchung über die Aufgabenerfüllung der Finanzverwaltung bei der Festsetzung der Veranlagungssteuern (2008) 19 Asmerom Ogbamichael: Das neue deutsche Geldwäscherecht (2011) 20 Lars Chr. Barnewitz: Die Entschädigung der Freimaurerlogen nach 1945 und nach 1989 (2011) 21 Ralf Gnüchtel: Jugendschutztatbestände im 13. Abschnitt des StGB (2013) 22 Helmut Irmen: Stasi und DDR-Militärjustiz. Der Einfluss des MfS auf Militärjustiz und Militärstrafvollzug in der DDR (2014) 23 Pascal Johann: Möglichkeiten und Grenzen des neuen Vermögenschabschöpfungsrechts. Eine Untersuchung zur vorläufigen Sicherstellung und der Einziehung von Vermögen unklarer Herkunft (2019) 24 Zekai Dağaşan: Das Ansehen des Staates im türkischen und deutschen Strafrecht (2015) 25 Camilla Bertheau: Politisch unwürdig? Entschädigung von Kommunisten für nationalsozialistische Gewaltmaßnahmen. Bundesdeutsche Gesetzgebung und Rechtsprechung der 50er Jahre (2016)
Abteilung 6: Recht in der Kunst Mitherausgegeben von Prof. Dr. Gunter Reiß 1 Heinz Müller-Dietz: Recht und Kriminalität im literarischen Widerschein. Gesammelte Aufsätze (1999) 2 Klaus Lüderssen (Hrsg.): »Die wahre Liberalität ist Anerkennung«. Goethe und die Juris prudenz (1999) 3 Bertolt Brecht: Die Dreigroschenoper (1928) / Dreigroschenroman (1934). Mit Kommentaren von Iring Fetscher und Bodo Plachta (2001) 4 Annette von Droste-Hülshoff: Die Judenbuche (1842) / Die Vergeltung (1841). Mit Kommentaren von Heinz Holzhauer und Winfried Woesler (2000) 5 Theodor Fontane: Unterm Birnbaum (1885). Mit Kommentaren von Hugo Aust und Klaus Lüderssen (2001) 6 Heinrich von Kleist: Michael Kohlhaas (1810). Mit Kommentaren von Wolfgang Naucke und Joachim Linder (2000) 7 Anja Sya: Literatur und juristisches Erkenntnisinteresse. Joachim Maass’ Rom an „Der Fall Gouffé“ und sein Verhältnis zu der historischen Vorlage (2001) 8 Heiner Mückenberger: Theodor Storm – Dichter und Richter. Eine rechtsgeschichtliche Lebensbeschreibung (2001) 9 Hermann Weber (Hrsg.): Annäherung an das Thema „Recht und Literatur“. Recht, Literatur und Kunst in der NJW (1), (2002) 10 Hermann Weber (Hrsg.): Juristen als Dichter. Recht, Literatur und Kunst in der NJW (2), (2002) 11 Hermann Weber (Hrsg.): Prozesse und Rechtsstreitigkeiten um Recht, Literatur und Kunst. Recht, Literatur und Kunst in der NJW (3), (2002) 12 Klaus Lüderssen: Produktive Spiegelungen. 2., erweiterte Auflage (2002)
13 Lion Feuchtwanger: Erfolg. Drei Jahre Geschichte einer Provinz. Roman (1929). Mit Kommentaren von Theo Rasehorn und Ernst Ribbat (2002) 14 Jakob Wassermann: Der Fall Maurizius. Roman (1928). Mit Kommentaren von Thomas Vormbaum und Regina Schäfer (2003) 15 Hermann Weber (Hrsg.): Recht, Staat und Politik im Bild der Dichtung. Recht, Literatur und Kunst in der Neuen Juristischen Wochenschrift (4), (2003) 16 Hermann Weber (Hrsg.): Reale und fiktive Kriminalfälle als Gegenstand der Literatur. Recht, Literatur und Kunst in der Neuen Juristischen Wochenschrift (5), (2003) 17 Karl Kraus: Sittlichkeit und Kriminalität. (1908). Mit Kommentaren von Helmut Arntzen und Heinz Müller-Dietz (2004) 18 Hermann Weber (Hrsg.): Dichter als Juristen. Recht, Literatur und Kunst in der Neuen Juristischen Wochens chrift (6), (2004) 19 Hermann Weber (Hrsg.): Recht und Juristen im Bild der Literatur. Recht, Literatur und Kunst in der Neuen Juristischen Wochenschrift (7), (2005) 20 Heinrich von Kleist: Der zerbrochne Krug. Ein Lustspiel (1811). Mit Kommentaren von Michael Walter und Regina Schäfer (2005) 21 Francisco Muñoz Conde / Marta Muñoz Aunión: „Das Urteil von Nürnberg“. Juristischer und filmwissen schaftlicher Kommentar zum Film von Stanley Kramer (1961), (2006) 22 Fjodor Dostojewski: Aufzeichnungen aus einem Totenhaus (1860). Mit Kommentaren von Heinz Müller-Dietz und Dunja Brötz (2005) 23 Thomas Vormbaum (Hrsg.): Anton Matthias Sprickmann. Dichter und Jurist. Mit Kommentaren von Walter Gödden, Jörg Löffler und Thomas Vormbaum (2006) 24 Friedrich Schiller: Verbrecher aus Infamie (1786). Mit Kommentaren von Heinz Müller-Dietz und Martin Huber (2006) 25 Franz Kafka: Der Proceß. Roman (1925). Mit Kommentaren von Detlef Kremer und Jörg Tenckhoff (2006) 26 Heinrich Heine: Deutschland. Ein Wintermährchen. Geschrieben im Januar 1844. Mit Kommentaren von Win fried Woesler und Thomas Vormbaum (2006) 27 Thomas Vormbaum (Hrsg.): Recht, Rechtswissenschaft und Juristen im Werk Heinrich Heines (2006) 28 Heinz Müller-Dietz: Recht und Kriminalität in literarischen Spiegelungen (2007) 29 Alexander Puschkin: Pique Dame (1834). Mit Kommentaren von Barbara Aufschnaiter/Dunja Brötz und Friedrich-Christian Schroeder (2007) 30 Georg Büchner: Danton’s Tod. Dramatische Bilder aus Frankreichs Schreckensherrschaft. Mit Kommentaren von Sven Kramer und Bodo Pieroth (2007) 31 Daniel Halft: Die Szene wird zum Tribunal! Eine Studie zu den Beziehungen von Recht und Literatur am Bei spiel des Schauspiels „Cyankali“ von Friedrich Wolf (2007) 32 Erich Wulffen: Kriminalpsychologie und Psychopathologie in Schillers Räubern (1907). Herausgegeben von Jürgen Seul (2007) 33 Klaus Lüderssen: Produktive Spiegelungen: Recht in Literatur, Theater und Film. Band II (2007) 34 Albert Camus: Der Fall. Roman (1956). Mit Kommentaren von Brigitte Sändig und Sven Grotendiek (2008)
35 Thomas Vormbaum (Hrsg.): Pest, Folter und Schandsäule. Der Mailänder Prozess wegen „Pestschmierereien“ in Rechtskritik und Literatur. Mit Kommentaren von Ezequiel Malarino und Helmut C. Jacobs (2008) 36 E.T.A. Hoffmann: Das Fräulein von Scuderi – Erzählung aus dem Zeitalter Ludwigs des Vierzehnten (1819). Mit Kommentaren von Heinz Müller-Dietz und Marion Bönnighausen (2010) 37 Leonardo Sciascia: Der Tag der Eule. Mit Kommentaren von Gisela Schlüter und Daniele Negri (2010) 38 Franz Werfel: Eine blaßblaue Frauenschrift. Novelle (1941). Mit Kommentaren von Matthias Pape und Wilhelm Brauneder (2011) 39 Thomas Mann: Das Gesetz. Novelle (1944). Mit Kommentaren von Volker Ladenthin und Thomas Vormbaum (2013) 40 Theodor Storm: Ein Doppelgänger. Novelle (1886) (2013) 41 Dorothea Peters: Der Kriminalrechtsfall ,Kaspar Hauser‘ und seine Rezeption in Jakob Wassermanns Caspar-Hauser-Roman (2014) 42 Jörg Schönert: Kriminalität erzählen (2015) 43 Klaus Lüderssen: Produktive Spiegelungen. Recht im künstlerischen Kontext. Band 3 (2014) 44 Franz Kafka: In der Strafkolonie. Erzählung (1919) (2015) 45 Heinz Müller-Dietz: Recht und Kriminalität in literarischen Brechungen (2016) 46 Hermann Weber (Hrsg.): Das Recht als Rahmen für Literatur und Kunst. Tagung im Nordkolleg Rendsburg vom 4. bis 6. September 2015 (2017) 47 Walter Müller-Seidel: Rechtsdenken im literarischen Text. Deutsche Literatur von der Weimarer Klassik zur Weimarer Republik (2017) 48 Honoré de Balzac: Eine dunkle Geschichte. Roman (1841). Mit Kommentaren von Luigi Lacchè und Christian von Tschilschke (2018) 49 Anja Schiemann: Der Kriminalfall Woyzeck. Der historische Fall und Büchners Drama (2018) 50 E.T.A. Hoffmann: Meister Floh. Ein Mährchen in sieben Abentheuern zweier Freunde (1822). Mit Kommentaren von Michael Niehaus und Thomas Vormbaum (2018) 51 Bodo Pieroth: Deutsche Schriftsteller als angehende Juristen (2018) 52 Theodor Fontane: Grete Minde. Nach einer altmärkischen Chronik (1880). Mit Kommentaren von Anja Schiemann und Walter Zimorski (2018) 53 Britta Lange / Martin Roeber / Christoph Schmitz-Scholemann (Hrsg.): Grenzüberschreitungen: Recht, Normen, Literatur und Musik. Tagung im Nordkolleg Rendsburg vom 8. bis 10. September 2017 (2019) 54 Wolfgang Schild: Richard Wagner recht betrachtet (2020) 55 Uwe Scheffler u.a. (Hrsg.): Musik und Strafrecht. Ein Streifzug durch eine tönende Welt.
Abteilung 7: Beiträge zur Anwaltsgeschichte Mitherausgegeben von RA Dr. Dieter Finzel (†), RA Dr. Tilman Krach; RA Dr. Thomas Röth; RA Dr. Ulrich Wessels; Prof. Dr. Gabriele Zwiehoff 1 Babette Tondorf: Strafverteidigung in der Frühphase des reformierten Strafprozesses. Das Hochverratsverfahren gegen die badischen Aufständischen Gustav Struve und Karl Blind (1848/49), (2006)
2 Hinrich Rüping: Rechtsanwälte im Bezirk Celle während des Nationalsozialismus (2007) 3 Dieter Finzel: Geschichte der Rechtsanwaltskammer Hamm (2018)
Abteilung 8: Judaica 1 Hannes Ludyga: Philipp Auerbach (1906–1952). „Staatskommissar für rassisch, religiös und politisch Verfolgte“ (2005) 2 Thomas Vormbaum: Der Judeneid im 19. Jahrhundert, vornehmlich in Preußen. Ein Beitrag zur juristischen Zeitgeschichte (2006) 3 Hannes Ludyga: Die Rechtsstellung der Juden in Bayern von 1819 bis 1918. Studie im Spiegel der Verhandlungen der Kammer der Abgeordneten des bayerischen Landtags (2007) 4 Michele Sarfatti: Die Juden im faschistischen Italien. Geschichte, Identität, Verfolgung (2014)
Abteilung 9: Beiträge zur modernen Verfassungsgeschichte 1 Olaf Kroon: Die Verfassung von Cádiz (1812). Spaniens Sprung in die Moderne, gespiegelt an der Verfassung Kurhessens von 1831 (2019)