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German Pages 612 Year 2018
Eric Hilgendorf (Hrsg.) Die ausländische Strafrechtswissenschaft in Selbstdarstellungen Juristische Zeitgeschichte Abteilung 4, Band 15
Juristische Zeitgeschichte Hrsg. von Prof. Dr. Dr. Dr. h.c. Thomas Vormbaum (FernUniversität in Hagen, Institut für Juristische Zeitgeschichte)
Abteilung 4: Leben und Werk Band 15 Redaktion: Christoph Hagemann
De Gruyter
Eric Hilgendorf (Hrsg.)
Die ausländische Strafrechtswissenschaft in Selbstdarstellungen Die internationale Rezeption des deutschen Strafrechts
De Gruyter
Prof. Dr. Dr. Eric Hilgendorf, Ordinarius für Strafrecht, Strafprozessrecht, Rechtstheorie, Informationsrecht und Rechtsinformatik, Julius-Maximilians-Universität Würzburg.
ISBN 978-3-11-027744-9 e-ISBN (PDF) 978-3-11-027770-8 e-ISBN (EPUB) 978-3-11-038141-2
Library of Congress Control Number: 2018963415 Bibliografische Information der Deutschen Nationalbibliothek Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über http://dnb.dnb.de abrufbar. © 2019 Walter de Gruyter GmbH, Berlin/Boston Abbildungen auf dem Schutzumschlag: Enrique Bacigalupo, Feridun Yenisey, Taira Fukuda (von links nach rechts) Druck und Bindung: Hubert & Co. GmbH & Co. KG, Göttingen www.degruyter.com
Inhaltsverzeichnis ERIC HILGENDORF Einführung ..................................................................................................... VII ENRIQUE BACIGALUPO ...................................................................................... 1 MANUEL CANCIO MELIÁ ................................................................................. 17 BYUNG-SUN CHO ............................................................................................ 39 MIGUEL DÍAZ Y GARCÍA CONLLEDO ............................................................... 67 TAIRA FUKUDA ................................................................................................ 99 OTAR GAMKRELIDZE ..................................................................................... 117 ANDREAS VON HIRSCH .................................................................................. 129 MAKOTO IDA ................................................................................................. 149 IL-SU KIM ...................................................................................................... 175 YOUNG WHAN KIM ....................................................................................... 199 DIEGO-MANUEL LUZÓN PEÑA ....................................................................... 229 SANTIAGO MIR PUIG...................................................................................... 265 KETEWAN MTSCHEDLISCHWILI-HÄDRICH ..................................................... 287 FRANZISCO MUÑOZ CONDE ........................................................................... 317 CHRISTOS MYLONOPOULOS ........................................................................... 351 PETAR NOVOSELEC ........................................................................................ 371 JESÚS-MARÍA SILVA SÁNCHEZ ...................................................................... 389 MARCELO ALBERTO SANCINETTI .................................................................. 407 SERGIO SEMINARA ......................................................................................... 439 JAAN SOOTAK ................................................................................................ 467
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Inhaltsverzeichnis
ZORAN STOJANOVIĆ ...................................................................................... 483 WANG SHIZOU ............................................................................................... 503 FERIDUN YENISEY ......................................................................................... 535 PATRICIA ZIFFER ........................................................................................... 549
ANHANG Personenregister ............................................................................................ 569 Stichwortverzeichnis ..................................................................................... 583
Eric Hilgendorf
Einführung Der vorliegende Band enthält 24 Selbstdarstellungen renommierter Strafrechtslehrerinnen und Strafrechtslehrer. Anders als in dem 2010 erschienenen Vorgängerband mit Autobiographien deutscher Strafrechtslehrer1 kommen diesmal nur ausländische Gelehrte zu Wort, die einen besonderen Bezug zur deutschen Strafrechtswissenschaft aufweisen. Sie stammen aus Argentinien, China, der Türkei, Mexiko, Südkorea, Spanien, Japan, Georgien, der Schweiz, Griechenland, Kroatien, Italien, Estland und Serbien. Bei der Auswahl haben natürlich auch Zufälligkeiten und subjektive Präferenzen eine Rolle gespielt. Dennoch dürfte der Band einen mehr oder weniger repräsentativen Querschnitt der ins Auge gefassten Autorengruppe darstellen. Die Texte sollen dazu beitragen, Grundlagen für eine faktenorientierte Theorie der (Straf-)Rechtswissenschaft der Gegenwart zu gewinnen. Es handelt sich um Selbstdarstellungen, nicht um Fremddarstellungen, wie sie in letzter Zeit im Zivil- und auch im Öffentlichen Recht vorgelegt wurden.2 Der Sozialphilosoph Oskar Negt hat die Besonderheiten der (Gelehrten-)Autobiographie in folgenden Worten auf den Punkt gebracht: „Eine Archiv-Biographie, auf der Grundlage von Archivalien von einem Dritten verfasst, wird man an der Sorgfalt der Quellenarbeit messen; die Autobiographie ist ein viel sensibleres Gebilde; jeder Satz enthält eine Wertung, ist ein Wahrheitsversprechen.“3 Schon damit wird deutlich, dass der autobiographische Ansatz Schwächen hat.4 Trotzdem erscheint er mir als Primärquelle und Grundlage der (rechts-)wissenschaftlichen
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Eric Hilgendorf (Hrsg.), Die deutschsprachige Strafrechtswissenschaft in Selbstdarstellungen. Berlin 2010. Stefan Grundmann / Karl Riesenhuber (Hrsg.), Deutschsprachige Zivilrechtler des 20. Jahrhunderts in Berichten ihrer Schüler. Eine Ideengeschichte in Einzeldarstellungen. 2 Bände, Berlin 2007 und 2010; Peter Häberle / Michael Kilian / Heinrich Amadeus Wolff (Hrsg.), Deutsche Staatsrechtslehrer des 20. Jahrhunderts. Deutschland – Österreich – Schweiz. Berlin und Boston 2015. Oskar Negt, Überlebensglück. Eine autobiographische Spurensuche. Göttingen 2016, S. 9. H.i.O. Dazu schon meine Einleitung zu den Selbstdarstellungen deutschsprachiger Strafrechtslehrer (Fn. 1), S. VII ff. und das dort genannte Schrifttum. Zu den besonderen Problemen der Autobiographie ferner Manfred Misch (Hrsg.), Autobiographien als Zeitzeugen, Tübingen 2001 und James Olney (ed.), Autobiography. Essays Theoretical and Critical. Princeton, New Jersey 1980. Zum Verhältnis zur Biographie Anja Tippner /
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Selbstreflexion5 den üblichen Fremddarstellungen überlegen zu sein, auch (und vielleicht sogar gerade) dann, wenn sie aus der Feder von Schülern der behandelten Persönlichkeit stammen.6 Um den jeweiligen persönlichen und landesspezifischen Besonderheiten gerecht zu werden, waren die inhaltlichen Vorgaben bewusst auf das Notwendigste beschränkt worden. Entstanden ist ein Band, der nicht bloß eindrucksvolle akademische Karrieren dokumentiert, sondern auch über persönliche Schicksale informiert und die enge Verwobenheit der (straf-)rechtlichen Entwicklung mit den jeweiligen gesellschaftlichen und politischen Tendenzen und Umbrüchen gelegentlich drastisch vor Augen führt. Gemeinsam ist allen Autorinnen und Autoren eine – freilich unterschiedlich stark ausgeprägte – Orientierung an der deutschen Strafrechtswissenschaft. Viele von ihnen sind als DAAD- oder Humboldt-Stipendiaten schon früh mit der deutschen Strafrechtskultur in Berührung gekommen und haben diese Bindung über die Jahre hinweg nicht bloß gepflegt, sondern ausgebaut. Dies mag – neben anderen, hier nicht zu diskutierenden Faktoren7 – zum Entstehen einer eigenständigen internationalen Strafrechtswissenschaft beigetragen haben, deren Bedeutung heute nicht unterschätzt werden sollte. In einer Zeit, in der nationale Egoismen in Politik und Wirtschaft wieder erheblich an Einfluss gewonnen haben, kann die Rechtswissenschaft eine Klammer zwischen den auseinanderdriftenden Nationalinteressen und Kulturkreisen bilden. Der naturwissenschaftliche und technische Fortschritt zwingt zur Zusammenarbeit. Die technischen und gesellschaftlichen Herausforderungen, vor die sich Staaten weltweit gestellt sehen, ähneln sich überdies mehr und mehr, man denke nur an die Umweltverschmutzung, an Internetkriminalität und den modernen Terrorismus. Den genannten Problemfeldern ist gemeinsam, dass sie nicht vor nationalen Grenzen haltmachen, sondern ihrer Natur nach grenzüberschreitend sind. Dies bedeutet, dass auch die Kriminalpolitik und die sie begleitende Strafrechtswissenschaft in globalen Kategorien denken müssen.
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Christopher F. Laferl (Hrsg.), Texte zur Theorie der Biographie und Autobiographie, Stuttgart 2016. Eric Hilgendorf / Helmut Schulze-Fielitz (Hrsg.), Selbstreflexion der Rechtswissenschaft, Tübingen 2015, 2. Aufl. in Vorbereitung für 2019. Treffend Florian Meinel, Unser Jahrhundert. Besprechung von Häberle / Kilian / Wolff (Hrsg.), Deutsche Staatsrechtslehrer des 20. Jahrhunderts (Fn. 2), in: Der Staat 54 (2015), S. 231 f. Eric Hilgendorf, Systembildung im (Straf-)Recht. In: Eric Hilgendorf (Hrsg.), Aktuelle Herausforderungen des chinesischen und deutschen Strafrechts. Tübingen 2015, S. 37–51.
Einführung
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Die Internationalisierung der Strafrechtswissenschaft reicht jedoch tiefer. Ausgehend von den Idealen der Aufklärung des 18. Jahrhunderts – zu nennen ist hier vor allem das maßgebende Werk Cesare Beccarias „Von den Verbrechen und von den Strafen“ (1764) – haben sich kriminalpolitische und strafrechtslimitierende Leitideen wie das Gesetzlichkeitsprinzip, der ultima-ratio-Grundsatz und das Verhältnismäßigkeitsprinzip herausgebildet, die heute fast weltweit anerkannt werden.8 Auf der Grundlage der genannten rechtsstaatlichen Prinzipien hat die deutsche Strafrechtswissenschaft eine Straftatlehre entwickelt, die mit ihrer Stufung von Tatbestandsmäßigkeit, Rechtswidrigkeit und Schuld, mit der Konzentration auf begriffliche Klarheit, Systematik und Folgerichtigkeit zum Kern einer genuin internationalen Strafrechtswissenschaft geworden ist. Wie in mehreren der hier abgedruckten Texte unüberhörbar anklingt, ist die internationale Strafrechtswissenschaft gerade in der spanisch sprechenden Welt fest verwurzelt. Dies spiegelt sich darin, dass Selbstdarstellungen spanisch sprechender Kolleginnen und Kollegen im vorliegenden Band besonders stark vertreten sind. Zum Einzugsbereich der internationalen Strafrechtswissenschaft gehören aber auch so unterschiedliche Länder wie Japan, Südkorea, Estland und die Türkei. Von besonderer Bedeutung ist die Tatsache, dass China im Begriff ist, sich die konzeptuellen Vorgaben und Leitgedanken der internationalen Strafrechtswissenschaft anzueignen und sie eigenständig weiterzuentwickeln. Der vorliegende Band soll die damit nur grob umrissene Entwicklung hin zu einer international verstandenen Strafrechtswissenschaft und einer internationalen kriminalpolitischen Diskussion begleiten und unterstützen. Die abgedruckten Texte wurden ganz überwiegend am Lehrstuhl des Herausgebers übersetzt und bearbeitet, was einen immensen, so nicht vorhergesehenen Aufwand bedeutete. Mehrfach musste die Drucklegung verschoben werden. Dass das Werk in der vorliegenden Form erscheinen konnte, verdanke ich nicht zuletzt meinen ehemaligen und heutigen Mitarbeitern Tilman Gauß, Martina Weis-Dalal, Johanna Wehner, Pia Mesenberg, Adrian Kleine-Kappenberg, Anna Lohmann, Annika Schömig und Nicolas Woltmann. Das Personen- und Sachregister haben Daniela Brandl, Franziska Schmitt, Vera Giese und Clara Wituschek erstellt. Ihnen allen gebührt mein herzlicher Dank!
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Eric Hilgendorf, Gesetzlichkeit als Instrument der Freiheitssicherung: Zur Grundlegung des Gesetzlichkeitsprinzips in der französischen Aufklärungsphilosophie und bei Beccaria. In: Hans Kudlich / Juan Pablo Montiel / Jan C. Schuhr (Hrsg.), Gesetzlichkeit und Strafrecht. Berlin 2012, S. 17–33.
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Zu danken habe ich aber auch Anne Gipperich und Christoph Hagemann vom Institut für Juristische Zeitgeschichte an der FernUniversität Hagen für ihre geduldige Unterstützung bei der Textgestaltung. Besonderer Dank gebührt schließlich dem Leiter des Instituts Thomas Vormbaum für die Aufnahme des Werkes in die Schriftenreihe Juristische Zeitgeschichte. Veitshöchheim, im Juni 2018
Enrique Bacigalupo
https://doi.org/10.1515/9783110277708-002
Enrique Bacigalupo I. Ich wurde am 14. Juli 1938 in Buenos Aires (Argentinien) geboren. Seit 1982 besitze ich neben der argentinischen auch die spanische Staatsbürgerschaft. 1962 heiratete ich Marta Saggese1 und wir bekamen zwei Kinder: Silvina (1965) und Mariano (1968), die mittlerweile beide Jura-Professoren an der Universidad Autónoma von Madrid, beziehungsweise der Universidad Nacional de Educación a Distancia, sind. In Buenos Aires besuchte ich die Grundschule (1945–1951) und von 1952–1956 sowohl das Liceo Militar Gral. San Martín, als auch das Colegio Nacional Nicolás Avellaneda, um dort mein Abitur zu machen. Das Liceo Militar Gral. San Martín ist ein vom argentinischen Militär geführtes Internat, das damals in meinem Geburtsjahr 1938 eingeweiht wurde. Dort absolviert man sowohl das Abitur, als auch die Ausbildung zum Reserveoffizier. Das Internat war nach dem Modell der deutschen und österreichischen Kadettenschulen organisiert. Mein Jurastudium absolvierte ich an der Fakultät für Rechtswissenschaft und Sozialwissenschaften der Universität Buenos Aires, an der ich mich im Jahr 1957 einschrieb. Obwohl das Studium insgesamt auf einen Zeitraum von fünf Jahren ausgelegt war, schloss ich mein Studium bereits 1960, also eineinhalb Jahre früher als vorgesehen, ab. Im gleichen Jahr erhielt ich ein Stipendium für ein Seminar zur Rechtsvergleichung an der Tulane University of Louisiana. Mein akademisches Leben besteht rückblickend aus drei sehr unterschiedlichen Phasen: Argentinien, Deutschland und Spanien. Darin manifestiert sich auch ein starker Einfluss der politischen Geschehnisse in Argentinien und der Haltung der argentinischen Universitäten zum damaligen Zeitgeschehen. Bereits während meines Studiums begann ich meine Lehrtätigkeit an der Universität Buenos Aires als studentische Hilfskraft (1959/60). Nach dem Abschluss meines Studiums arbeitete ich von 1962–1966 als wissenschaftlicher Assistent am Lehrstuhl Prof. Dr. Dr. h.c. mult. D. Luis Jiménez de Asúa (Madrid 1889/Buenos Aires 1970), der vor dem Ersten Weltkrieg Student bei Franz von Liszt in Berlin gewesen war und im Jahr 1916 die 20. Auflage seines Lehrbuchs ins Spanische übersetzt hatte. Jiménez de Asúa führte das System und die Methodik der deutschen Strafrechtsdogmatik in Spanien und 1
Marta Saggese war bis 1974 als Notarin in Buenos Aires, Argentinien, tätig und von 1984–1998 Professorin für Zivilrecht an der Universität San Pablo (CEU) in Madrid.
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Lateinamerika ein und war von 1925 bis zu seinem Tod im Jahr 1970 ein unbeirrbarer Verfechter und Verbreiter der deutschen Strafrechtstheorien. Bei der Gründung der Spanischen Republik 1931 war Jiménez de Asúa Vorsitzender jener Kommission, welche die Verfassung nach dem Vorbild der Weimarer Verfassung ausarbeitete.
II. Meine Studienjahre in Argentinien verliefen aufgrund politischer Unruhen recht kompliziert. Ein Staatsstreich der Streitkräfte folgte dem anderen. Die Verfassungsmäßigkeit der Rechtsordnung, die man uns in der Universität lehrte, war vor allem im Bereich des Strafrechts in der Praxis quasi inexistent. Damals durchlebte die argentinische Bevölkerung Jahre großer Unsicherheit. Nichtsdestotrotz blieben die Universität und die Juristische Fakultät bis 1966 davon unberührt: Man verwies weder Professoren noch Studenten des Instituts. De facto akzeptierte die Mehrheit der Rechtsprofessoren die durch die Staatsstreiche geschaffene Situation. Nicht so Jiménez de Asúa, der die Militärregierungen stets konsequent ablehnte. An der Juristischen Fakultät von Buenos Aires2 existierten zahlreiche, durchaus voneinander abweichende rechtliche Auffassungen nebeneinander. Das Zivilrecht war ganz klar nach dem Modell der französischen Auslegungsmethode strukturiert. Trotzdem begannen einige junge Professoren damit, andere dogmatische Konzepte aus Italien, Deutschland und Spanien einzuführen. Das Strafrecht entwickelte sich innerhalb des Musters der deutschen und italienischen Strafrechtsdogmatik der 1920er und 1930er Jahre. Als ich mein Studium beendet hatte, kam in Argentinien gerade der Meinungsstreit bezüglich Kausalität und Finalität auf, vor allem an den Juristischen Fakultäten der Universität Buenos Aires und der Universität Córdoba. Die Rechtsphilosophie orientierte sich an dem Gedankengut von Hans Kelsen und Edmund Husserl, wenn auch einige junge Professoren (u.a. Eugenio Buligyn und Carlos Alchourrón) erstmals die analytische Philosophie einführten. Im Bereich des Öffentlichen Rechts kam hingegen keine Debatte zur Legitimität der durch die Staatsstreiche zustande gekommenen Militärregierungen auf. Vielmehr gab es sogar theoretische Versuche, eben diese zu legitimieren, wie beispielsweise durch das sogenannte „Derecho Constitucional del Poder“ („Verfassungsrecht der Macht“) von Germán Bidart Campos, 2
Vgl. E. Bacigalupo, La facultad de derecho en los años de oro de la Universidad de Buenos Aires, 2012.
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welches ganz klar antidemokratisch war.3 Als Institution behielt sich die Universität Buenos Aires, vor allem in den Fakultäten für Philosophie, Medizin, Architektur, Ingenieurswesen und exakte Wissenschaften, eine deutliche Haltung gegen die Staatsstreiche vor.
III. Alles änderte sich, als 1966 der Staatsstreich unter General Juan Carlos Onganía durchgeführt wurde. Dessen Bundespolizeichef, General Fonseca, ordnete die Invasion der Fakultät der exakten Wissenschaften an der Universität Buenos Aires an und führte einen Vergeltungsschlag gegen Professoren und Studenten durch, die friedlich ihre Lehrveranstaltungen abhielten. Es gab zahlreiche Verletzte, unter ihnen befanden sich der damalige Dekan der Fakultät, Prof. Rolando García und der Universitätsvorsitzende Prof. Julio B. Simón. Der Vorfall ist bis heute unter dem Namen „Noche de los bastones largos“ (Nacht der langen Stöcke) bekannt. Prof. Jiménez de Asúa und viele andere Professoren der Universität verließen aus Protest gegen den brutalen Überfall der Bundespolizei ihre Lehrstühle. Nachdem mein Vorgesetzter seinen Posten aufgegeben hatte, gab auch ich schließlich meine Stelle als Dozent auf. Jiménez und seine Studenten blieben allerdings weiterhin wissenschaftlich tätig. So hielt er private Seminare im „Instituto de Estudios Jurídicos de la Asociación de Abogados de Buenos Aires“ (Institut für juristische Studien der Gesellschaft der Anwälte von Buenos Aires) ab. Einen Großteil seines Schaffens widmete Jiménez de Asúa der Rechtsvergleichung und dem ausländischen Recht. Er führte die Tradition nach Franz von Liszt fort, indem er mit der wohlbekannten „Vergleichenden Darstellung“ arbeitete und hielt es für wichtig, dass seine Studenten das ausländische – insbesondere das deutsche, französische, schweizerische und italienische – Recht mit großer Genauigkeit studierten. In seinem Werk4 beschränkt sich die Rechtsvergleichung nicht allein auf den Vergleich ausländischer Rechtsvorschriften, zumal er es ebenso für notwendig hielt, die nationalen Dogmatiken miteinander zu vergleichen. So richtete ich meine Aufmerksamkeit im Rahmen meines wissenschaftlichen Arbeitens bereits von Beginn an auf die Rechtsvergleichung im Strafrecht und auf das ausländische Recht. Bis heute lege ich den Schwerpunkt meiner 3 4
Vgl. G. Bidart Campos, Derecho Constitucional del Poder, 1967. Vgl. Tratado de Derecho Penal, Bände I/VII, Buenos Aires 1949/1970.
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Forschungsarbeit auf diese beiden Themenbereiche.5 Neben der Prägung durch Jiménez de Asúa gibt es jedoch noch weitere Faktoren, die zu meinem Interesse an der Rechtsvergleichung beigetragen haben. Der bedeutendste Faktor ist wohl der Umstand, dass ich in drei verschiedenen Ländern gelebt und geforscht habe. Sowohl in Argentinien als auch in Spanien basiert die Strafrechtsforschung seit 1931 auf der Rezeption der Methodik und des Systems der deutschen Strafrechtsdogmatik. Folglich nimmt das Studium des deutschen Strafrechts sowohl in Argentinien als auch in Spanien einen wichtigen Platz ein. Die großen Diskurse zur deutschen Dogmatik haben bedeutende Auswirkungen auf unsere Wissenschaft. Das Arbeiten mit deutscher Literatur ist so üblich, wie der Gebrauch spanischer Literatur. Seit drei Generationen dient die deutsche Strafrechtsdogmatik als Modell für die strafrechtliche Wissenschaft der spanischsprachigen Länder (die lateinamerikanischen mitinbegriffen). In denjenigen Jahren, in denen ich in Deutschland lebte, konzentrierte ich mich folglich bei meiner Forschungsarbeit auf das deutsche Recht.
IV. Mit dem wissenschaftlichen Arbeiten im Strafrecht begann ich nach dem Abschluss meines Studiums unter der Leitung von Prof. Jiménez de Asúa. Gleichzeitig arbeitete ich als Assistent am Lehrstuhl für Rechtsphilosophie von Prof. Ambrosio Gioja und war Hilfsprofessor am Lehrstuhl für Öffentliches Recht von Prof. Dr. Florentino Sanguinetti an der wirtschaftswissenschaftlichen Fakultät. Meine Forschungsarbeit im Strafrecht sollte eigentlich einer Doktorarbeit dienen, aber die juristische Fakultät hatte ihr Promotionsprogramm bis zum Jahr 1967 ausgesetzt. So veröffentlichte ich meine Ergebnisse in zwei Arbeiten, in denen ich die finale Handlungslehre auf die Interpretation des argentinischen „Código Penal“ (argentinisches Strafgesetzbuch) anwandte: „La noción de autor en el Código Penal“ („Der Begriff des Täters im Código Penal“, Buenos Aires, 1965) und „Culpabilidad, dolo y participación“ („Schuld, Vorsatz und Teilnahme“, Buenos Aires, 1966). Dabei handelt es sich um zwei Monographien, in denen ich versuchte, der Kritik der damals herrschenden Meinung an der Theorie der finalen Handlungslehre zu begegnen.6 Ich zeigte auf, dass es dogmatisch möglich war, das argentinische Strafrecht aus einer anderen Perspektive als der des weit verbreiteten juristischen Positivismus zu erklären. In gewisser Weise waren meine Thesen bedingt durch die Kritik 5 6
Vgl. E. Bacigalupo, Studi in onore di Giorgio Marinucci, Milano 2006, S. 3 f. Sebastián Soler, Ricardo Núñez y Carlos Fontán Balestra.
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anerkannter Professoren an der Theorie Hans Welzels, die von Prof. Carlos Fontán Balestra ins Spanische übersetzt worden war. Diese Kritik belief sich hauptsächlich auf die Aussage, dass es unmöglich sei, die Ergebnisse der finalen Handlungslehre mit dem Wortlaut des argentinischen „Código Penal“ zu vereinbaren. Im Fall der Tatherrschaftslehre vertraten zudem einige die Meinung, dass diese mit dem Legalitätsprinzip7 unvereinbar sei. Ähnliche Kritik an der finalen Handlungslehre übte man auch in Spanien.8 Im Zeitraum von 1962–1966, unter der Regierung des Präsidenten Arturo Illia, war ich juristischer Berater sowohl des Justiz- als auch des Handelsministeriums. Insbesondere durch meine Tätigkeit in letzterem bot sich mir die Gelegenheit, mich mit Fragestellungen des strafrechtlichen Schutzes des freien Wettbewerbs und des in wirtschaftlichen Angelegenheiten strafenden Verwaltungsrechts zu befassen.
V. 1968 erhielt ich ein Stipendium der Alexander v. Humboldt-Stiftung, um an der Universität Bonn zu forschen. Im Wintersemester des gleichen Jahres kam ich nach Bonn und besuchte Vorlesungen und Seminare von Hans Welzel und Armin Kaufmann zur Rechtsphilosophie und zum Strafrecht. Mit der Universität Bonn sollte ich einige Jahre in engem Kontakt stehen. Die Seminare bleiben mir aufgrund ihres starken Einflusses auf meinen Werdegang bis heute in positiver Erinnerung. Dort lernte ich unter anderem Hans-Ludwig Schreiber, Günther Jakobs, Dietmar Zielinsky, Fritz Loos, Eberhard Struensee, Erich Samson und Wolfgang Schöne kennen. Außerdem widmete ich mich in dieser Zeit dem Studium der klassischen Werke des Strafrechts und der Rechtsphilosophie. Im Juni 1969 kehrte ich nach Buenos Aires zurück. Während meines ersten Aufenthalts in Bonn schrieb ich fast mein komplettes Werk „Delitos impropios de omisión“ (Unechte Unterlassungsdelikte, Buenos Aires, 1970), in welchem ich unter anderem die Theorie der finalen Handlungslehre anwendete. In der Auseinandersetzung mit diesem Thema war mir die deutsche Literatur von großem Nutzen, zumal kaum spanischsprachige Werke über das Unterlassungsdelikt existierten und wenn, dann behandelten diese bereits überholte Problematiken. Das Buch war gleichzeitig meine Doktorarbeit an der Universität Buenos Aires. Ich erhielt dafür den „Florencio Varela“-Preis für die beste Doktorarbeit im Strafrecht (1969) und den „Enrique V. Galli“-Preis für natio7 8
Vgl. R. Núñez, Manual de Derecho Penal, 1973. Vgl. J. A. Rodríguez Muñoz, La doctrina de la acción finalista, 1953.
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nales juristisches Schaffen (1970), verliehen vom Colegio de Abogados de la Ciudad de La Plata (Anwaltsschule der Stadt La Plata). Die Arbeit wurde 1970 in Buenos Aires veröffentlicht und 1983 in Bogotá, 2006 in Madrid und 2012 in Buenos Aires neu aufgelegt. Gleichzeitig übersetzte ich damals Artikel von Armin Kaufmann, Claus Roxin, Ulrich Klug und Jürgen Baumann ins Spanische, welche 1970 in der Festschrift für Prof. Jiménenz de Asúa in Buenos Aires veröffentlicht wurden.9 1971/72 kehrte ich nach Bonn zurück. Im Februar 1972 besuchte ich die letzte Vorlesung Hans Welzels als ordentlicher Professor an der Universität Bonn und hielt meinen ersten Vortrag an einer deutschen Universität, der Universität Gießen, zu dem ich von Herrn Prof. Klaus Tiedemann eingeladen worden war.10 Meine ersten drei, in Argentinien veröffentlichten Bücher („La noción de autor en el Código Penal“, 1965; „Delitos impropios de omisión“, 1970 und „Tipo y error“, 1972) wurden kürzlich in einem Band mit dem Titel „La renovación de la dogmática penal“ („Die Erneuerung der Strafrechtsdogmatik“, Argentinien) von den Professoren Esteban Righi und Egardo Donna11 der Universität Buenos Aires neu aufgelegt. Beide verfassten jeweils eine einleitende Studie für das Werk.
VI. Am 16. November 1970 verstarb Prof. Jiménez de Asúa und das Militärregime räumte der Universität Freiheiten ein, die es mir erleichterten, als ordentlicher Professor an die Juristische Fakultät der Universität Buenos Aires zurückzukehren. Im Vorlesungsjahr 1972 konnte ich dort in meinen Lehrveranstaltungen zum ersten Mal an einer argentinischen Universität den Allgemeinen Teil des argentinischen Strafrechts basierend auf der finalen Handlungslehre ausführlich erläutern. Meine Vorlesungen zum Allgemeinen Teil wurden schriftlich zusammengefasst und 1973 in „Lineamientos de la Teoría del Delito“ (Grundzüge der Deliktstheorie) publiziert. Das Buch wurde 1985 auch 9
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Problemas actuales de las ciencias penales y la filosofía del derecho [Aktuelle Probleme der Strafrechtswissenschaft und der Rechtsphilosophie], in Festschrift Professsor Luis Jiménez de Asúa, herausgegeben von M. Jiménez Huerta, E. Bacigalupo, M. Barbero Santos, R. Bergalli, G. Romero, C. Tozzini und A. Aguirre, Buenos Aires 1970. Der Vortrag wurde in der ZStW 85 (1973), S. 203 ff. veröffentlicht. Vgl. E. Righi / E. Donna (Herausgeber), La renovación de la dogmática penal, Bs. As. 2011.
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vom Institut der Vereinten Nationen in Costa Rica veröffentlicht. 1986 erschien eine zweite Auflage in Buenos Aires. Nach dem Tod von Jiménez de Asúa entschieden wir, seine Studenten und andere junge Kollegen, das letzte Vorhaben unseres Professors in die Tat umzusetzen: Die Veröffentlichung der rechtswissenschaftlichen Zeitschrift „Nuevo Pensamiento Penal“ („Neues strafrechtliches Denken“), die von internationalen Ratgebern profitierte. Dazu zählten europäische Professoren wie Armin Kaufmann, Hans-Heinrich Jescheck, Hans Joachim Hirsch, Claus Roxin, Jürgen Baumann, Hilde Kaufmann, Giuliano Vassalli, Giuseppe Bettiol, Angelo Rafaele Latagliata, Dario Santamaria und Allessandro Baratta, Franco Ferracutti, Enrique Gimbernat Ordeig, Marino Barbero Santos, José Cerezo Mir und amerikanische Kollegen wie Luis Bramont Arias, Marshall Clinard, Mariano Jiménez Huerta, Eduardo Novoa Monreal, Alfonso Quiróa Cuarón und Marvin Wolfgang. Die Zeitschrift erschien erstmals 1971, doch der Druck wurde bereits im Jahr 1977 eingestellt, als die Militärregierung uns dazu nötigte, einige der Redaktionsmitglieder aus dem Kreis auszuschließen. „Nuevo Pensamiento Penal“ war die strafrechtlich-juristische Zeitschrift einer neuen Generation an Strafrechtswissenschaftlern, welche die Erneuerung der traditionellen Dogmatik anregte und eine moderne Kriminalpolitik forderte. Dabei wurden wir wesentlich durch den „Alternativentwurf“ von 1966 beeinflusst. Ich selbst verfasste zwei umfassende Monografien für die „Nuevo Pensamiento Penal“, welche später in einem eigenen Band mit dem Titel „Tipo y Error“ („Tatbestand und Irrtum“, Buenos Aires, 1972) veröffentlicht wurden. Die zweite Ausgabe erschien 2002 in Buenos Aires. Inspiriert durch Ernst Beling kritisierte ich in diesen langen Aufsätzen die Wahrnehmung der Tatbestandslehre in der spanischsprachigen Dogmatik. Ich versuchte deren Bedeutung für die Irrtumslehre, welche bis zu dieser Zeit in Argentinien und Spanien praktisch ignoriert worden war, hervorzuheben. Außerdem sprach ich mich dafür aus, die Figur des Verbotsirrtums, basierend auf der strengen Schuldtheorie in den argentinischen „Código Penal“, zu integrieren. Dieser enthielt bislang noch keine ausdrückliche Regelung zum Verbotsirrtum und sowohl in der Theorie als auch in der Praxis war die Bedeutung dieser Figur noch nicht ganz durchgedrungen.
VII. Am 11. März 1973 fanden in Argentinien Wahlen statt, die dem seit 1966 existierenden Militärregime ein Ende setzten. Dr. Hector Cámpora wurde zum Präsidenten der Republik gewählt und stellte den Kopf einer justizpolitischen,
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volks-konservativen und christlich-demokratischen Koalition dar. Obwohl ich keiner der Koalitionsparteien angehörte, ernannte mich Präsident Cámpora zum Staatssekretär im staatlichen Schatzamt. Der staatliche Schatzmeister ist in Argentinien juristischer Berater der Regierung. Er vertritt diese vor den Gerichten und ist gleichzeitig Direktor der staatlichen Anwaltskammer. Während der kurzen Regierungszeit dieser Koalition hielt ich meinen Posten und veröffentlichte zwei Rechtsgutachten von gewisser Bedeutung über die Verfassungswidrigkeit der Gesetzgebung der Militärregierungen.12 Ich blieb weiterhin akademisch tätig, bis die peronistische Regierung (unter Juan Perón und später María Estela Martínez de Perón) im August 1974 die Autonomie der Universitäten abschaffte und die akademische und administrative Leitung der Universität Buenos Aires übernahm. Eine neu eingesetzte Führungsspitze entschied sich für die Ausweisung einiger wichtiger Professoren aus der Universität, zu denen auch ich gehörte. Sämtliche spanische Professoren protestierten öffentlich gegen meine Ausweisung sowie die von Prof. Enrique Ramos Mejía und Prof. Eduardo Aguirre Obarrio. Im gleichen Jahr wurde in Deutschland mein Beitrag zur Festschrift für Hans Welzel veröffentlicht. Damals hatte in Argentinien das Vorspiel des Staatsterrors begonnen, der im Jahr 1976 bereits zur Tagesordnung zählte und bis 1982 mehr als 30.000 Opfer forderte. Die Übergriffe der paramilitärischen Kräfte, die verdeckt im Auftrag der Regierung María Estela Martínez de Perón agierten, richteten sich speziell gegen Mitglieder der ehemaligen Regierung von Präsident Cámpora und umfassten dabei auch selektive politische Morde.
VIII. Aufgrund der Gefahren, welche die Umstände in Argentinien mit sich brachten, nahm ich eine Einladung des DAAD an und kehrte 1974 nach Deutschland zurück. Ich ließ mich nochmals in Bonn nieder, wo ich im Sommersemester 1975 einen Lehrauftrag an der Universität erhielt, den ich bis zum Sommersemester 1978 ausübte. Von November 1977 bis Ende 1978 arbeitete ich zudem am Max-Planck-Institut für ausländisches und internationales Strafrecht, das damals unter der Leitung von Prof. Hans-Heinrich Jescheck stand. Dort lernte ich zahlreiche deutsche und ausländische Kollegen kennen. 1975 erhielt ich ein
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Vgl. Dictámenes de la Procuración del Tesoro de la Nación, 973, N° 3, S. 192 und N° 4, S. 152 sowie in E. Righi, in E. Bacigalupo, La Facultad de Derecho en los años de oro de la Universidad de Buenos Aires 2012.
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Stipendium der John Simon Guggenheim-Foundation, USA und 1976 ein Stipendium der Heinrich-Hertz-Stiftung.
IX. Anfang 1979 zog ich mit meiner Familie von Bonn nach Madrid, wo ich eine Anstellung als Professor am „Instituto de Criminología de Complutense“ der Universität Madrid erhalten hatte. Am Institut betrieb ich weiterhin meine dogmatische Forschung, wobei ich mich speziell methodologischen Problemen widmete. Nur gelegentlich beschäftigte ich mich mit kriminologischen Themen, die grundsätzlich etwas mit dem Verhältnis von Strafrecht und Kriminologie zu tun hatten. Im Jahr 1982 musste ich die spanische Staatsbürgerschaft und – zum zweiten Mal – einen Doktortitel einer spanischen Universität erwerben. Beides war Voraussetzung, um einen Lehrstuhl leiten zu können, da das spanische Ministerium für Bildung ausländische Doktortitel nicht anerkannte. Meine spanische Doktorarbeit mit dem Titel „Delito y punibilidad“13 („Straftat und Strafbarkeit“) verteidigte ich an der Complutense Universität. Sie wurde mit der Bestnote bewertet und 1983 durch den Civitas-Verlag veröffentlicht. In diesem Werk befasste ich mich speziell mit den dogmatischen und methodologischen Problemen der Kategorie „Tatbestandslehre“ im Verhältnis zur Kategorie „Strafbarkeit“ und „Irrtum über die Strafbarkeit“. Einen Teil dieser Doktorarbeit schrieb ich während des Sommersemesters 1981 an der Freien Universität Berlin, wo ich als Gastprofessor der Juristischen Fakultät, eingeladen vom Lehrstuhl Prof. Hans Lüttger, tätig war. Während meines Aufenthaltes in Berlin übersetzte ich auch das Werk „Rechtstheorie für Studenten“ von Prof. Klaus Adomeit ins Spanische, das im Folgejahr vom Civitas Verlag in Madrid herausgebracht wurde.
X. 1983 wurde ich zum „Professor titular“ für Strafrecht14 an der Juristischen Fakultät der Complutense Universität Madrid ernannt und fast gleichzeitig zum wissenschaftlichen Mitarbeiter am Verfassungsgericht. 1986 erhielt ich ein Ordinariat für Strafrecht an der Universität Lérida, blieb aufgrund meiner 13
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Das Einführungskapitel von „Delito y punibilidad“ erschien auf Italienisch in dem Werk „Dei delitti e delle pene“, I/2, S. 245 ff. unter dem Titel „Sui dogmi della dogmatica penale“. In Deutschland entspricht dies der Kategorie des Wissenschaftlichen Rats und Professors.
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Anstellung am Verfassungsgericht jedoch weiterhin in Madrid wohnen. So konnte ich auch meine Dozenten- und Forschungstätigkeit am Colegio Universitario San Pablo (CEU) ausbauen. Als dieses 1993 zur Universität wurde, übergab man mir einen Lehrstuhl an der Neuen Universität San Pablo (CEU) Madrid, wo ich bis September 1998 blieb. In den Jahren an der CEU führte ich meine Forschungsseminare, die ich seit 1982 abhielt, fort. Des Weiteren richtete ich eine Bibliothek juristischer Werke aus Deutschland, Italien und Europa im Allgemeinen ein und konnte mich dabei auf die unschätzbare Hilfe der Alexander v. Humboldt-Stiftung verlassen, die mich mit deutscher Literatur unterstützte. Das Seminar wurde von zahlreichen deutschen Kollegen besucht, die darin verschiedene Vorträge hielten, unter anderem Hans-Heinrich Jescheck, Albin Eser, Hans-Joachim Hirsch, Bernd Schünemann, Wolfgang Frisch, Hans-Joachim Schneider, Wolfgang Schöne, Klaus Adomeit, Alessandro Baratta – damals Professor an der Universität Saarbrücken – Günther Jakobs und Gerhard Dannecker. Ab 1985 nahm ich nach der Rückkehr Argentiniens zum konstitutionellen Regime Kontakte, welche die Diktatur gezwungenermaßen abgebrochen hatte, wieder auf. Ich dachte in keinem Moment daran, nach Argentinien zurückzukehren. Trotzdem habe ich seitdem jährlich Einladungen der Universidad Austral (Buenos Aires), der Katholischen Pontificia Universität Argentinien und der Universität Buenos Aires, sowie Auszeichnungen verschiedener argentinischer Universitäten erhalten. 2012 ernannte mich die Universität Buenos Aires zum Professor honoris causa.
XI. Meine akademische Laufbahn nahm am 20. November 1987 eine radikale Wendung, als ich zum Richter des Strafsenats am Tribunal Supremo del Reino de España (Oberster Gerichtshof des spanischen Königreichs) ernannt wurde. Dort war ich bis zum 16. März 2011 tätig. Am spanischen Tribunal Supremo muss einer von fünf Richtern unter „Juristen mit anerkannter Reputation“ ausgewählt werden. Der Posten eines Richters am Tribunal Supremo war zudem bis 1999 gut vereinbar mit dem des ordentlichen Professors. So konnte ich bis dahin meine Dozenten- und Forschungstätigkeit an der Universität San Pablo beibehalten. Im Vorlesungsjahr 1997/98 wurde ich an das Forschungsinstitut „Ortega y Gasset“ der Complutense Universität berufen, um ein Forschungsseminar zum Strafrecht, zur Strafrechtsphilosophie und zur Strafrechtsvergleichung zu leiten. Dort bin ich bis heute tätig, unter anderem als Mitglied des Kuratori-
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ums. Mein Forschungsseminar am Instituto „Ortega y Gasset“ wurde von deutschen und italienischen Kollegen wie Bernd Schünemann (München), Günther Jakobs (Bonn), Michael Pawlik (Regensburg), Kai Ambos (Göttingen), Barbara Huber (Freiburg i. Br.), Lorenzo Picotti (Verona), Giovanni Grasso (Catania) und Vincenzo Militello (Palermo) besucht. Seit 2009 bin ich Verantwortlicher des „Diálogo Hispano-Alemán“ (DeutschSpanischer Dialog), der jährlich vom Instituto „Ortega y Gasset“ in Zusammenarbeit mit dem Goethe-Institut Madrid und der Unterstützung der Deutschen Botschaft in Madrid sowie der Friedrich-Ebert-Stiftung organisiert wird.
XII. Im Zeitraum von 1989–2002 machte ich eine sehr interessante Erfahrung in Europa. Ich war Mitglied des Redaktionskomitees des „Corpus Iuris zum Schutz der finanziellen Interessen der Europäischen Union“15 in seinen beiden Versionen: 1997 und 2000. Dies ermöglichte es mir, die Rechte und Traditionen im Strafrecht der Mitgliedstaaten der Union kennenzulernen. Die Erfahrung, die ich in diesen Jahren der Zusammenarbeit mit Kollegen aus anderen Rechtssystemen (Mireille Delmas-Marty, Klaus Tiedemann, Giovanni Grasso, Christine van den Wingaert, John Vervaele, John Spencer, Nils Jareborg und Dionysius Spinellis) sammelte, ging Hand in Hand mit meiner Leidenschaft für die Rechtsvergleichung im Strafrecht, die ich von Jiménez de Asúa geerbt hatte. Die Ausarbeitung des Corpus Iurius basierte auf Studien des Rechts der Mitgliedstaaten der EU und in dem Vergleich und der Synthese derselben.16 Später war ich zudem Mitglied einer Kommission zur Überprüfung der Kompatibilität der Strafrechtsordnungen der Beitrittskandidaten der EU mit denen der Mitgliedstaaten. Meine Verbindung zur Rechtsvergleichung führte mitunter dazu, dass ich vier Jahre lang (1998–2001) als Gastprofessor an der Universität Catania (Italien) eine Sondervorlesung zur Rechtsvergleichung des Strafrechts auf europäischer Ebene abhielt. Außerdem war ich mehrere Jahre lang Mitglied des Kuratoriums der Europäischen Rechtsakademie (Trier), wo ich mich an zahlreichen Aktivitäten beteiligte. Eine neue Erfahrung im Bereich Rechtsvergleichung brachte mir die Teilnahme an einem Forschungsprojekt unter Bernd Schüne15
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Die Mitglieder des Komitees wurden nicht als offizielle Repräsentanten in Vertretung eines Mitgliedstaates, sondern unter allen Strafrechtsprofessoren von der Kommission ausgewählt. In Studi in ommagio di G. Marinucci, nehme ich in Fußnote 4 Bezug darauf.
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mann zur Ausarbeitung eines Gesamtkonzeptes für die europäische Strafrechtspflege zwischen 2004 und 2006.17
XIII. Meine Zeit am Tribunal Supremo in Spanien (1987–2011) erwies sich als äußerst gewinnbringend für meine wissenschaftliche Arbeit. Das Tribunal Supremo ist ein Kassationsgericht, welches unter anderem für Verfahren gegen Regierungsmitglieder, Abgeordnete, Senatoren, Mitglieder des Tribunal Supremo und des Tribunal Constitucional (Oberstes Verfassungsgericht) zuständig ist. Für mich stellte dies eine unerschöpfliche Quelle der Inspiration dar, durch die ich auf dogmatische und prozessuale Probleme im Strafrecht stieß. Damals veröffentlichte ich zahlreiche dogmatische Arbeiten und hielt eine Reihe von Vorträgen in verschiedenen spanischen, europäischen und lateinamerikanischen Einrichtungen. Ich erhielt Ehrendoktortitel von der Universidad Nacional de San Miguel, Arequipa, Peru; der Universidad de la Escuela Libre de Derecho, Costa Rica; der Universidad del Aconcagua, Argentinien; der Universidad Nacional de Cuyo, Argentinien; der Universidad de la Cuenca del Plata, Argentinien und der Universidad de Chile, Chile. Die kolumbianische Regierung verlieh mir den „Orden de la Democracia del Libertador Simón Bolivar“ (Orden der Demokratie des Befreiers Simón Bolivar) und von der Bundesrepublik Deutschland erhielt ich das Bundesverdienstkreuz 1. Klasse.
XIV. Im März 2011 beschloss ich als emeritierter Richter des Tribunal Supremo dieses hinter mir zu lassen und als Anwalt tätig zu werden. Ich begann für die internationale Kanzlei DLA Piper zu arbeiten und habe seitdem an einigen der großen Wirtschaftsstrafprozesse Spaniens als Strafverteidiger teilgenommen. 2011 veröffentlichte ich das Werk „Compliance y Derecho Penal“ („Compliance und Strafrecht“, Hrsg. Aranzadi). Im Jahr 2012 erschien außerdem „El concurso entre el delito fiscal y el blanqueo de dinero” („Die Verbindung zwischen Fiskaldelikt und Geldwäsche“, Hrsg. Aranzadi). Meine akademische Arbeit am Forschungsinstitut „Ortega y Gasset” übe ich bis heute aus.
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Vgl. B. Schünemann (Hrsg.), Ein Gesamtkonzept für die Strafrechtspflege / A Programme for European Criminal Justice, 2006.
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XV. An meinen Forschungsseminaren nahmen junge Wissenschaftler teil, deren Doktorarbeiten ich schließlich auch beaufsichtigte. Viele von ihnen traten in meine Fußstapfen und sind heute als Strafrechtsprofessoren an spanischen Universitäten tätig oder haben wichtige Posten in der Justizverwaltung inne. Unter anderem zählen dazu Prof. Dr. José Miguel Zugaldía Espinar (Universität Granada), Prof. Dr. Jacobo López Barja de Quiroga (Chefrichter des Fachkabinetts am Tribunal Supremo), Prof. Dr. Carlos Pérez del Valle (Rektor der Abad Oliba Universität, Barcelona), Prof. Dra. María Luisa Silva Castaño (Richterin, wissenschaftliche Mitarbeiterin des Fachkabinetts des Tribunal Supremo del Reino), Prof. Dr. Manuel Jaén Vallejo (Richter, Justizministerium), Prof Dr. Javier Sánchez Vera (Doktor an der Universität Bonn, Complutense Universität Madrid), Dra. Pilar González Rivero (Doktorin an der Universität Bonn), Dra. Teresa Manso (Doktorin an der Universität Bonn, Referentin am Max-Planck-Institut für Strafrecht), Dr. Emilio Moreno (Richter, Teneriffa), Prof. Dra. Patricia Laurenzo (Universität Málaga).
Schriftenverzeichnis (in Auswahl) Aufsätze in Zeitschriften und Sammelwerken La legislación argentina en materia penal económica [Die Argentinische Gesetzgebung im Wirtschaftsstrafrecht], in: ZStW 1973, S. 201 ff. Reflexiones en torno a la teoría de la culpabilidad en el Derecho Penal [Bemerkungen zur Schuldlehre im Strafrecht], in: Stratenwerth / Kaufmann / Geilen / Hirsch / Schreiber / Jakobs / Loos (Hrsg.), Festschrift für Hans Welzel, Berlin 1974, S. 477 ff. Culpabilidad y prevención en la fundamentación del derecho penal español y latinoamericano [Schuld und Prävention in der Begründung des spanischen und lateinamerikanischen Strafrechts], in: ZStW 1980, S. 747 ff. Die Strafzumessung in der Strafrechtsreform, in: Hirsch / Kaiser / Marquardt (Hrsg.), Gedächtnisschrift für Hilde Kaufmann, Berlin 1986, S. 557 ff. Probleme der Täter- und Teilnahmelehre in der Spanischen Strafrechtsreform, in: Hirsch (Hrsg.), Deutsch-Spanisches Kolloquium, Baden-Baden 1987, S. 96 ff. Unrechtsminderung und Tatverantwortung, in: Dornseifer / Horn / Schilling / Schöne / Struensee / Zielinski (Hrsg.), Gedächtnisschrift für Armin Kaufmann, Köln 1989, S. 459 ff.
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Die Einwilligung des Verletzten im spanischen Strafrecht, in: Eser / Perron (Hrsg.), Rechtfertigung und Entschuldigung, Freiburg 1991, S. 147 ff. Politische Korruption und Strafverfahren, in: ZStW 1999, S. 717 ff. Die Bedeutung der Menschenrechte für die modernen Strafprozessordnungen, in: Häberle (Hrsg.), Jahrbuch des Öffentlichen Rechts, Tübingen 2001, S. 49 ff. Die Europäisierung der Strafrechtswissenschaft, in: Schünemann / Achenbach / Bottke / Haffke / Rudolphi (Hrsg.), Festschrift für Claus Roxin, Berlin 2001, S. 1361 ff. Welches Gewicht hat die heutige strafrechtsdogmatische Diskussion in der Praxis, in: Hirsch (Hrsg.), Krise des Strafrecht und der Kriminalwissenschaften, Berlin 2001, S. 208 ff. Über die Beziehungen zwischen Theorie und Praxis im Strafrecht, in: Kourakis (Hrsg.), Festschrift für Dionysios Spinellis, Athen 2001, S. 93 ff. Über die Rechtsbeugung, in: Rogall / Puppe / Stein / Wolter (Hrsg.), Festschrift für Hans-Joachim Rudolphi, München 2004, S. 381 ff. Bemerkungen zu strafrechtlichen Fragen des Verfassungsentwurfs, in: ZStW 2004, S. 326 ff. Die Diskussion über die finale Handlungslehre, in: Arnold / Burkhardt / Gropp / Heine / Koch / Lagodny / Perron / Walther (Hrsg.), Festschrift für Albin Eser, München 2005, S. 61 ff. Die strafrechtlichen Strategien der EU, in: Schünemann (Hrsg.), Ein Gesamtkonzept für die europäische Strafrechtspflege, Köln 2006, S. 81 ff. Rechtsgutsbegriff und Grenzen des Strafrechts, in: Pawlik / Zaczyk (Hrsg.) Festschrift für Günther Jakobs, Köln 2007, S. 1 ff. Die Rolle der Ehre im Strafrecht (Landesbericht Spanien, in Zusammenarbeit mit T. Manso Porto), in: Tellenbach (Hrsg.), Die Rolle der Ehre im Strafrecht, Berlin 2008, S. 589 ff. Strafrecht und Compliance in Spanien, in: Rotsch (Hrsg.), Wissenschaftliche und praktische Aspekte der nationalen und internationalen ComplianceDiskussion, Baden-Baden 2012, S. 135 ff. Über die Gerechtigkeit und Rechtssicherheit im Strafrecht, in: Kudlich / Montiel / Schuhr (Hrsg.), Gesetzlichkeit und Strafrecht, Berlin 2012, S. 379 ff.
Manuel Cancio Meliá
https://doi.org/10.1515/9783110277708-003
Manuel Cancio Meliá I. Ich wurde am 13. Februar 1967 als Sohn des Elektroingenieurs Modesto Manuel Cancio Morales und der Stenotypistin Lydia Meliá Torija in der Stadt México geboren. Mein Vater arbeitete damals für den Schweizer Konzern BBC und leitete den Aufbau eines Werks einer mexikanischen Tochtergesellschaft. Meine Mutter, die bei den Vereinten Nationen in Genf eine Stelle innehatte, gab ihre Berufstätigkeit (wie damals in Spanien üblich) mit der Heirat auf. 1972 kamen wir – das heißt, meine Eltern, mein in Madrid geborener Bruder Germán und ich – nach Fislisbach im Kanton Aargau, da mein Vater nun am Hauptsitz der BBC in der nahe gelegenen Stadt Baden tätig war. Zwei Jahre später kam dort mein jüngster Bruder Jorge auf die Welt. In meinem Dorf – wo ich Ortsbürger bin, wie es auf eidgenössisch heißt, da sich unsere Eltern einige Jahre später auf Drängen einiger Freunde aus dem Dorf einbürgern ließen – besuchte ich die Grundschule, um dann in Baden die Bezirksschule und die erste Klasse der aargauischen Kantonsschule zu durchlaufen. Vielleicht ist es im Hinblick auf meine spätere strafrechtswissenschaftliche Tätigkeit von Belang zu unterstreichen, wie zwiespältig das Verhältnis zu Deutschland für viele Schweizer aus den deutschsprachigen Kantonen ist: Zwar beinhalten nahezu alle Bücher und sonstige Medien die deutsche Sprache oder werden gar direkt auf Deutsch verlegt, so dass Deutschland nicht nur durch den höheren Schulunterricht, der auf Hochdeutsch stattfindet, permanent präsent ist. Doch Deutsch ist in der Schweiz nichtsdestotrotz eindeutig eine Fremdsprache: Absolut alles andere, außer der Kontakt zu Ausländern, vollzieht sich in Mundart – und Deutschland ist auch sonst sehr weit weg; obwohl die Grenze keine 30 km von meinem Dorf entfernt ist, bin ich kein einziges Mal während meiner Schweizer Zeit „is dütsche use gange“ – Schweizer blicken viel eher nach Westen oder Süden als über den Rhein, glaube ich. 1984 zogen wir (erneut lag der Grund dafür in der beruflichen Laufbahn meines Vaters) nach Madrid. Dort absolvierte ich die elfte und zwölfte Klasse des Gymnasiums an der Deutschen Schule und machte 1986 Abitur. Diesen Jahren verdanke ich nicht nur den Verlust meines ursprünglichen Akzents, sie brachten auch den ersten Kontakt zu Deutschen und eine umfassende Verwendung des Deutschen im persönlichen Leben mit sich. Nach der spanischen Universitätsreifeprüfung begann ich im Jahr 1986 das Studium der Rechtswissenschaften an der Universidad Autónoma de Madrid, das ich 1991 abschloss. Während des Studiums arbeitete ich zunächst als
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Deutschlehrer und dann als amtlich beglaubigter Übersetzer und Dolmetscher. Für das Strafrecht empfand ich ein sehr großes Interesse, bevor ich noch die erste Zeile eines Lehrbuches oder einer Entscheidung gelesen hatte: Der Übergang aus der betont egalitär-republikanischen, ländlichen und eher unpolitischen Schweizer Umgebung eines wirklich existierenden Sozialstaates in das vergleichsweise von enormen Klassengegensätzen und noch von der politischen Hyperaktivität der nicht lange zurückliegenden Übergangszeit aus der Diktatur geprägte Spanien, hatte bei mir ein plötzliches politisches Erwachen hervorgerufen. Hinzu kam, dass die Integrierung in die Schülerschaft der Deutschen Schule, die neben der deutschen Hälfte (Diplomaten- und Managerkinder) auch aus Vertretern der Madrider „besseren“ Kreise bestand, diesen Kontrast noch verstärkte. Mir schwebte vor, nicht im (in meinen Kreisen auch skeptisch betrachteten) Verfassungsrecht aus dem Jahre 1978, sondern im Strafrecht sehen zu können, wo und wie der rechtliche Hammer der Klassenherrschaft des Kapitalismus hängt. Fasziniert war ich aber dann von etwas ganz Anderem: vom subtilen Zusammenspiel der einzelnen Elemente und der ästhetischen Anziehungskraft der Systementwürfe der Dogmatik der Verbrechenslehre. Ich hörte den Allgemeinen Teil gleichzeitig gewissermaßen auf Finalistisch und auf Neoklassisch: Einerseits konnte ich mich dazu überwinden, als Gasthörer an den Vorlesungen Enrique Bacigalupos (den ich als Vater eines Schulfreundes kannte und der damals Richter am Obersten Gerichtshof war) in einer kleinen, erzkonservativen katholischen Privatuniversität teilzunehmen, andererseits hörte ich die Materie an der Autónoma bei meinem späteren Hochschullehrer Agustín Jorge Barreiro und bei meinem heutigen Kollegen Julio Díaz Maroto und nahm an den überaus spannend gestalteten Arbeitsgemeinschaften des damaligen Assistenten Carlos Suárez González teil. Überdies gehörte es unter den politisch aktiven Studenten meiner Fakultät zum damaligen Komment, das Studium ernst zu nehmen und verschiedenste Veranstaltungen, die nicht zum Pensum gehörten, sowie die Kriminalpolitik und politisch brisante Aspekte des Besonderen Teils betrafen, regelmäßig zu besuchen. Schon in den ersten Semestern gehörte ich einer politischen Hochschulgruppe an und verbrachte meine Zeit – mehr als bei der Arbeit, bei Lehrveranstaltungen oder mit Lernen – in endlosen Versammlungen, Politseminaren und Gremiensitzungen, bei denen in verrauchten Zimmern über Abstimmungsmodalitäten abgestimmt und ähnlich weltbewegende Dinge besprochen bzw. zerredet wurden. Jedenfalls war mir bereits zu Beginn meines Studiums völlig klar, dass ich durch die Beherrschung der deutschen Sprache im Strafrecht einen großen
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Startvorteil hatte: Mindestens drei Viertel der zitierten Lehrmeinungen stammten von deutschen Professoren, die ich dann direkt in Wessels Studienbuch nachlesen konnte. Ich nahm an verschiedenen von Bacigalupo veranstalteten Seminaren teil und an der Autónoma wurde ich in das strafrechtliche „Forschungsseminar“ aufgenommen, wo sich unter dem Vorsitz des Leiters der Abteilung für Strafrecht, Gonzalo Rodríguez Mourullo, alle Dozenten des Strafrechts anhand der studentischen Referate kontrovers vor allem zu grundlegenden Fragen der Verbrechenslehre äußerten. Obwohl es aus heutiger Sicht vielleicht unverständlich erscheint, rissen wir uns damals um die Teilnahme an diesem studienplanmäßig irrelevanten Seminar, für das man den AT mindestens mit „gut“ bestanden haben und zudem eine Aufnahmeprüfung absolvieren musste. Spätestens damals wurde mir klar, dass ich diese mich so faszinierende Tätigkeit zu meinem Beruf machen wollte. In diesem Zusammenhang ging ich auch langsam dazu über, statt für gutes Geld Scheidungsurteile und ähnliches, gratis et amore strafrechtswissenschaftliche Aufsätze aus dem Deutschen und ins Deutsche zu übersetzen und bei Seminaren mit deutschen Gästen zu dolmetschen. Ich hörte dann den BT bei meinem heutigen Kollegen und damaligen Assistenten Enrique Peñaranda Ramos, der es verstand, auf ungeheuer anschauliche und attraktive Art und Weise alle konkreten Probleme einzelner Tatbestände auf die großen Kategorien der Straftatlehre zu beziehen und mich mit seiner Lehrtätigkeit in meiner Entscheidung, eine Universitätslaufbahn im Strafrecht anzustreben, definitiv bestärkte. Es war auch Peñaranda, der mir nach Abschluss des Studiums und dem Erhalt eines Promotionsstipendiums der Landesregierung Madrid nahelegte, von der unter spanischen Strafrechtlern damals und heute üblichen Laufbahn abzuweichen: Für gewöhnlich arbeitet man an der Heimatuniversität einige Jahre an der Dissertation (und lernt nebenbei Deutsch, bis heute ein Muss!), um dann in der Endphase ein Jahr in Deutschland zu verbringen – nicht nur um Zugang zur Literatur zu haben, sondern auch, um sonstigen dienstlichen Verpflichtungen zu entgehen (an manchen Fakultäten bestreiten Assistenten ein unverhältnismäßig großes Lehrpensum qua „Vertretung“), um auf diese Weise Zeit zum Schreiben zu finden. Die Teilnahme am deutschen Wissenschaftsbetrieb ist somit nicht der wesentlichste Beweggrund. In meinem Fall, meinte Peñaranda, sei das wegen der schon vorhandenen Deutschkenntnisse nicht geboten. Er empfahl mir schließlich auch das Institut, bei dem ich mich um eine Aufnahme bewerben sollte: das Rechtsphilosophische Seminar der Universität Bonn, an dem der Autor eines seiner Ansicht nach sensationellen Lehrwerks seit kurzem arbeitete.
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So zog ich Anfang 1992 nach Bonn, mit einer sehr ungenauen Vorstellung davon, mich in meiner Dissertation – auf welche Weise auch immer – mit dem Modethema der objektiven Zurechnung auseinanderzusetzen. Mein Hochschullehrer Jorge Barreiro hatte mir von Anfang an völlig freie Hand gelassen. Im Rechtsphilosophischen Seminar in Bonn war ich sofort von der Persönlichkeit Günther Jakobs (innerhalb und außerhalb des Hörsaales) gefesselt: Abgesehen von seiner passioniert-mitreißenden Art, in seinen Lehrveranstaltungen (ich besuchte alle seine Vorlesungen!) zu argumentieren, zog mich sein grundlegender Ansatz, ein eigenes System strafrechtlicher Zurechnung zu entwickeln, dessen Kategorien sozialtheoretisch abzusichern und schließlich an der Wirklichkeit der gesellschaftlich praktizierten Zurechnung festzumachen, bereits nach wenigen Tagen völlig in den Bann. Ich erinnere mich insbesondere an die fieberhafte Erstlektüre seiner Aufsätze zu Tätervorstellung und objektiver Zurechnung, zum Handlungsbegriff, zur Kriminalisierung im Vorfeld einer Rechtsgutsverletzung und natürlich seines Lehrbuches! An seinem Lehrstuhl fand eine permanente Diskussion statt: Jakobs veranstaltete jedes Semester zwei Seminare (eines mit strafrechtsdogmatischen Themen, eines zur Rechtsphilosophie), an denen er mit den Studierenden und seinen damaligen Assistenten Alfred Göbel, Karl-Heinz Vehling, Michael Pawlik, Heiko Lesch und Bernd Müssig auf eine für spanische Verhältnisse unvorstellbar horizontale und kontroverse Art und Weise diskutierte; aber auch sonst wurde der Alltag an seinem Institut von ständigen strafrechtlichen Gesprächen, sei es beim gemeinsamen Essen in der Mensa, beim Nachmittagskaffee oder auch sonstigen Gelegenheiten, ohne konkreten Anlass, bestimmt. Damals konnte ich es nicht ermessen, aber seine Gesprächsbereitschaft selbst gegenüber dem letzten Stipendiaten (ich war in der glücklichen Lage, ein vom DAAD großzügig erteiltes Stipendium zu beziehen) war unglaublich. Ohne Voranmeldung konnte ich bei Bedarf in sein Zimmer marschieren und ihm meine letzten Einfälle vorstellen, worauf Jakobs mir nach kurzem Nachdenken eine ganze Batterie von Fällen mitgab, welche die unterbreitete Skizze in Frage stellten und somit sogleich die Arbeit für die nächsten Tage mit sich brachten. Im Übrigen war er stets darauf bedacht, unsere Identifizierung mit seinen Thesen nicht in ein Sektierertum ausarten zu lassen: Ich erinnere mich lebhaft, wie er mir nach einem überpapistisch kritischen Beitrag zur systematischen Ausgestaltung der Lehre von der objektiven Zurechnung bei Roxin bedeutete, er sehe in diesem Punkt alle wesentlichen Fragen „genauso wie Herr Roxin“.
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Auch andere Mitglieder und Gäste des Rechtsphilosophischen Seminars betreuten mich auf das Zuvorkommendste; ich war damals der einzige Doktorand (ein Jahr später kamen die heutigen Madrider Kollegen und Freunde Javier Sánchez Vera und Bernardo Feijoo Sánchez dazu), und fungierte wohl in gewisser Weise auch als eine Art Institutsmaskotte. Insbesondere Marcelo Sancinetti (als Radikalsubjektivist Armin-Kaufmannscher Prägung quasi unser Hausketzer) aus Buenos Aires und Yesid Reyes Alvarado aus Bogotá, die als Stipendiaten der Humboldt-Stiftung am Lehrstuhl tätig waren, hatten immer Zeit für Gespräche und brachten mir verschiedene Aspekte des Dogmatikhandwerks bei. Besonders intensiv war dieser fachliche Gedankenaustausch mit Bernd Müssig, mit dem ich schnell eine enge, bis heute währende Freundschaft schloss, da sich unsere Diskussionen auch außerhalb des Seminars fortsetzten. Mehrere vermeintlich entscheidende Durchbrüche der Strafrechtswissenschaft, die in mit vielen Pfeilen und Ausrufezeichen versehenen Kritzeleien auf Bierdeckeln dokumentiert wurden, waren leider am nächsten Morgen nicht mehr zu rekonstruieren oder erwiesen sich als abstrus-trivial. Summa summarum war es eine Freude in Bonn zu arbeiten: Die Nachmittage oder Abende im Juristischen Seminar oder in der Bibliothek des Instituts mit Binding, Engisch, Roxin oder eben Jakobs (zudem: auf Stühlen, auf denen Welzel in Person gesessen hatte und unter Benutzung von Aschenbechern Armin Kaufmanns) sind mir unvergesslich. Auch sonst war ich in der deutschen Gesellschaft und Universität angekommen: Ich wohnte in einer WG (zusammen mit dem heutigen Berliner Strafverteidiger Marcel Kelz), nahm an den Aktivitäten einer studentischen Hochschulgruppe – der „Neuen JuristInnen Welle“ – der Fakultät teil und hatte auch Kontakt zu den anderen Bonner Strafrechtlern Ingeborg Puppe, Hans-Joachim Rudolphi und Gerald Grünwald und ihren Studenten. Als ich fast zwei Jahre später nach Madrid zurückkehrte, nahm ich einen Grundstock an strafrechtsdogmatischem Wissen, eine im Wesentlichen auf den Weg gebrachte Dissertation (Jakobs hatte glücklicherweise mein ursprüngliches, überspanntes Thema auf die Frage des Verantwortungsbereiches des „Opfers“ hin konkretisiert), Liebe zu Deutschland und zum Rheinland und das Gefühl, zu einer strafrechtswissenschaftlichen Schule zu gehören, mit. Dass ich nach der Promotion das Angebot meines Hochschullehrers, eine Habilitation bei ihm zu versuchen, nicht annehmen konnte, beruhte allein auf der Unverträglichkeit mit der beruflichen Laufbahn meiner Frau (ich hatte im Jahr 1992 meine ehemalige Kommilitonin und später erfolgreiche Rechtsanwältin María Victoria Fernández Álvarez geheiratet). Ich wurde 1997 promoviert und zu Beginn des Jahres 2000 als Titularprofessor (eine verbeamtete Stelle, die etwa der alten C-3-Professur entspricht) an die
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Autónoma berufen – Hausberufungen sind in Spanien leider nicht die Ausnahme, sondern die Regel. In den Jahren 1999 und 2001 wurden unsere Söhne Jaime und Andrés geboren. Neben meiner eigenen Arbeit übersetzte ich seitdem auch weiter strafrechtswissenschaftliche Texte in beide Richtungen – unter anderem von Jakobs, Roxin, Hirsch, Naucke, Frisch, Schünemann, Tiedemann, Hassemer und Kindhäuser sowie von Silva Sánchez, Rodríguez Mourullo, Sancinetti, Reyes Alvarado und Gimbernat Ordeig. Insbesondere die Veröffentlichungen deutscher Arbeiten in Lateinamerika, wo im Unterschied zu Spanien Deutschkenntnisse unter den Kollegen nicht sehr weit verbreitet sind, stießen auf großes Interesse. Ab 1994 begann ich, zuerst auf Einladung des ebenfalls in Bonn arbeitenden kolumbianischen Kollegen Eduardo Montealegre Lynett, ausgedehnte Dienstreisen in die meisten lateinamerikanischen Länder zu unternehmen – zunächst als Dolmetscher Jakobs, dann versehen mit der Visitenkarte als sein Assistent. Auch zu Deutschland pflegte ich weiterhin einen engen akademischen Kontakt: 1997 nahm mich Klaus Tiedemann großzügigerweise in den von ihm geleiteten Arbeitskreis zur Europäisierung des Strafrechts auf. 1998 kehrte ich mit einem Postgraduiertenstipendium des DAAD nach Bonn zurück. Seitdem boten sich mir glücklicherweise immer wieder verschiedene dienstliche Anlässe, um kurzzeitig nach Deutschland zurückzukehren – insbesondere auch durch mehrere von Urs Kindhäuser dankenswerterweise organisierten deutschportugiesisch-spanischen Veranstaltungen. 2002 absolvierte ich nach Erhalt des Stipendiums der Alexander von Humboldt-Stiftung einen intensiven und mir viele Impulse gebenden Forschungsaufenthalt, der neben einem Semester in Bonn auch einen kürzeren Aufenthalt bei Bernd Schünemann in München umfasste. 2009 verbrachte ich, ebenfalls mit Hilfe der Humboldt-Stiftung, einige Monate bei Wolfgang Frisch in Freiburg. Sowohl Bernd Schünemann als auch Wolfgang Frisch zeigten großes Interesse an meinen Projekten und beiden fühle ich mich bis heute sehr verbunden. 2007 durchlief ich die Habilitation zum Ordinariat – diesen Erfolg verdanke ich vor allem der hochschulpolitisch unerklärlichen, selbstlosen Unterstützung des Vorsitzenden der entsprechenden Kommission, Enrique Gimbernat Ordeig. Im Jahr 2008 wurde mir schließlich das große Glück zuteil, als damals jüngster ordentlicher Professor an meine Fakultät berufen zu werden.
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II. Will ich versuchen, etwas Ordnung in das bislang von mea parvitas Veröffentlichte zu bringen, kann die Rede von drei großen Arbeitsbereichen sein: erstens die Verbrechenslehre, insbesondere die Lehre vom Tatbestand; zweitens verschiedene Bereiche des Besonderen Teils und drittens Überlegungen, die zwischen Kriminalpolitik, Rechtsvergleichung und Strafrechtstheorie changieren.
1. Zunächst befasste ich mich anlässlich eines Referats in Jakobs Seminar im Rahmen der Untersuchungen zur Tatbestandslehre mit der Doktrin der Sozialadäquanz im dogmatischen System Hans Welzels. Betrachtet man in diesem Zusammenhang seine Ausführungen in den „Studien zum System des Strafrechts“, stellt man fest, dass – wie Roxin schon 1962 unterstrichen hatte – die von Welzel gegen mehrere der Grundsäulen eines kausal-mechanizistischen Verständnisses der Verbrechenslehre gerichtete Fundamentalkritik noch keinen ontologisierenden Einschlag, noch keine „sachlogische“ Obedienz aufwies. Im Gegenteil: Seine Kritik an der Sinnlosigkeit, an der „Blindheit“ der Kausalität als begriffsdiktatorischem Dogma in der Verbrechenslehre bezog sich nicht nur auf das Fehlen individuellen Sinnes (Kausalität ist blind, Finalität sehend), sondern schloss auch das Fehlen gesellschaftlichen Sinnes, d.h. einer kommunikativen Dimension, ein. Eine Dogmatik, die eine Scheinwelt unberührter körperlicher Güter verabsolutiert, deren Schutz dem Strafrecht obliegen soll, verwechselt das Leben mit einem Museum, oder anders, mit den berühmten Worten Welzels formuliert, Rechtsgüter bestehen nur so weit, wie sie im sozialen Leben „in Funktion“ sind. Vor diesem Hintergrund ist die ursprüngliche Lehre von der sozialen Adäquanz ein normativer Filter für einen jeden Straftatbestand vor der Betrachtung der Verhaltenssteuerung, weist also offensichtliche Berührungspunkte zu der heutigen objektiven Zurechnung auf. Allgemeiner gesehen ist auch festzustellen, dass ein solchermaßen im objektiven Tatbestand bestückter Unrechtsbegriff eine offensichtliche Dimension der gesellschaftlichen Kommunikation impliziert, also über das rein Faktische – sei es äußerlich oder internindividuell – hinausweist. Keine Arbeit am objektiven Tatbestand kann heute ohne eine Lehre von der objektiven Zurechnung auskommen – deshalb musste auch meine Dissertation hier ansetzen. Betrachtet man die Entwicklungsphasen dieser Doktrin, ausgehend von Larenz’ Monographie, um natürlich bei Roxins Arbeiten anzukom-
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men, aber auch unter Berücksichtigung von Beiträgen wie denjenigen des frühen Welzel, den in Engischs Werk vorzufindenden Impulsen, sowie der Texte Gimbernat Ordeigs (Anfang 1960er Jahre) und der Konstruktionen Jakobs’ und Frischs, kommt man zu dem Schluss, dass über eine topische Betrachtung dieser Lehre als Sammelsurium irregulärer Kausalverläufe hinaus eine Vergewisserung über die systematischen Grundlagen eines neuen Tatbestandsverständnisses notwendig ist: Nur auf diese Weise wird man vermeiden können, dass der alte Kasuismus und der verhüllte Rekurs auf bloßes Gerechtigkeitsempfinden der individualisierenden Kausaltheorien unter dem neuen Begriff fortbesteht. Vielmehr ist ein integriertes Verständnis der Funktion des objektiven Tatbestands als Auslegungsmuster für die vom Gesetzgeber intendierten allgemeinen („objektiven“) Verhaltensbedeutungen zu entwickeln, als Zurechnungsfilter, der die strafrechtlichen Grenzen der Handlungsfreiheit bezeichnet. Auf der Grundlage dieser – wie bekannt vor allem von Frisch und Jakobs entwickelten – Konzeption wird die Erfolgszurechnung zu einem Appendix, und die verschiedenen Institute der Verhaltenszurechnung bedürfen einer systematischen Neuordnung. Diese kann parallel zur allgemeinen Struktur der Verbrechenslehre – die ja primär ein Zurechnungssystem ist – vom Allgemeinen hin zum Spezifischen gehen: Zunächst ist allgemein, ohne weitere Kontextualisierung des Sachverhalts, festzustellen, ob ein erlaubtes Risiko vorliegt, d.h., ob die Verhaltensmodalität generell erlaubt ist. Aus meiner Perspektive ist hier auch der Zurechnungsfilter des sog. Vertrauensgrundsatzes zu integrieren, da es dabei – wie auch bei anderen Fällen des erlaubten Risikos – um die Notwendigkeit der Adaption des allgemeinen erlaubten Risikos durch den Normadressaten an den spezifischen Kontext (wie z.B. Witterungsverhältnisse auf abstrakte Geschwindigkeitserlaubnisse einwirken) der – in Frischs Formulierung – „Koordinationsschemata“ zu anderen Teilnehmern an risikobeladenen Aktivitäten geht. Ein zweites, differenziertes und kontextreicheres dogmatisches Institut ist für die Abgrenzung von Verantwortungsbereichen als Kehrseite der Teilnahme zu reservieren, wobei es natürlich sekundär ist, ob wir es mit Jakobs „Regressverbot“ bezeichnen oder anders nennen – hier geht es um den neuen Faktor der objektiven Deutungsmuster für die Verhaltensbeiträge verschiedener Akteure bei fehlenden Koordinierungsregeln. Schließlich geht es in einem letzten Schritt bei Delikten mit einem Individualrechtsgut um ein drittes normatives Element: die Selbstverantwortung des durch Interaktion geschädigten Rechtsgutsinhabers, wie im Anschluss eingehender ausgeführt werden wird.
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Wie bereits angesprochen, erscheint aus der eben umrissenen Perspektive die objektive Zurechnung des Erfolgs als Sekundärproblem. Es handelt sich um eine spezifische Frage einer im positiven Recht im Rückzug begriffenen Deliktskategorie, der Erfolgsdelikte, nicht um den Protagonisten der objektiven Zurechnung. Trotzdem bleibt anzumerken, dass ihr angestammter Raum zu respektieren ist: Wenn das Gesetz bei der Erfolgszurechnung einen – in Jakobs Terminologie – „Mindestnaturalismus“ vorschreibt, darf er nicht eskamotiert werden, wie es die Risikoerhöhungslehre versucht. Schon durch dieses Schema wird klar, dass der „objektive“ Charakter der Lehre jedenfalls nicht im alten, in der Anfangszeit moderner Dogmatik wurzelnden Verständnis des Begriffs gesehen werden darf. Vielmehr geht es – in der vorhin angesprochenen Sicht Welzels – um einen objektiv-allgemeinen, gesellschaftlichen – wie Mir Puig es formuliert hat: intersubjektiven – Sinn, der auch dem Status der Stufe der Tatbestandsmäßigkeit, einer entpersonalisierten, rollenorientierten Zurechnung, entspricht. Nach der Promotion habe ich mich in verschiedenen Publikationen mit diesen allgemeinen Fragen der Lehre der objektiven Zurechnung beschäftigt. Im Rahmen der deutschen und spanischsprachigen Lehre und Rechtsprechung hat unter den verschiedenen Bereichen der Lehre von der objektiven Zurechnung vor allem die Frage der Stellung des „Opfers“ im Zurechnungssystem Diskussion und Polemik hervorgerufen. Die spezifische Behandlung dieser Frage war meine Aufgabe im Rahmen meiner Dissertation (überdies mit einem für mich äußerst günstigen Timing – dank Jakobs Anregung, hierzu zu arbeiten, kam meine Arbeit als erste von vier spanischen Monographien zu diesem Thema heraus). In diesem Bereich habe ich versucht, das spezifische Subinstitut der Verhaltenszurechnung umfassend zu entwickeln – in Spanien sind die Erwartungen an eine Dissertation, was den Umfang der Darlegung angeht, beträchtlich höher als in Deutschland. Die Analyse beginnt statt mit einer dogmengeschichtlichen Aufarbeitung der Lehrmeinungen mit der Identifizierung von vier Grundparadigmen, die in Lehre und Rechtsprechung verwendet worden sind, um die Figur des Opfers in das System strafrechtlicher Zurechnung zu integrieren. Der erste dieser Ansätze besteht in der Negierung der Spezifizität des Problems: Der Rekurs auf eine unterschwellige Verantwortungsverteilung unter dem Deckmantel verschiedener Kausaltopoi (Kausalkonkurrenz, Unterbrechung des Kausalzusammenhanges). Dieses Herangehen an die Problematik, das in der Rechtsprechung des spanischen Obersten Gerichtshofes bis zu Beginn der neunziger Jahre vorherrschend war, erlaubt es unter dem Deckmantel unklarer Begrifflichkeit, reine Intuitionslösungen zu kaschieren. In diesem Sinne ist es bezeichnend, dass es
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große Parallelen zu heute noch praktizierten Lösungen im angelsächsischen Rechtskreis (contributive negligence, comparative fault) aufweist. Dort wie hier wird die Flexibilität im konkreten Fall mit dem Fehlen eines allgemeinen Maßstabs, also in der Währung Rechtssicherheit, erkauft. Der zweite Ansatz, der sich aus verschiedenen Konstruktionen in Lehre und Rechtsprechung herausschälen lässt, besteht in dem Versuch, die spezifische Institution der Einwilligung auf die gesamte Problematik des Opferverhaltens auszudehnen. Auf dieser Linie haben für den Bereich des riskanten Zusammenwirkens beispielsweise Mir Puig von der „Risikoeinwilligung“ oder Jakobs von der „unfinalen Einwilligung“ gesprochen. Dieser Ansatz bedeutet aber eine Deformierung des Einwilligungsbegriffes – eine Einwilligungsfiktion – und bringt zudem eine unangemessene Vorrangstellung für die Perspektive des „Opfers“, somit also eine ungebührliche Verabsolutierung seiner Besonderheiten, mit sich. Das dritte identifizierte Paradigma ist die Grundlage der heute herrschenden Ansicht: die Differenzierung zwischen Selbst- und Fremdverletzung. Diese Konstruktion, die wie bekannt auf die Arbeiten Roxins zurückgeht und im spanischen Sprachraum insbesondere von Gimbernat Ordeig und Luzón Peña vertreten wird, wird auch vom BGH und vom spanischen Tribunal Supremo sowie von obersten Gerichten in Lateinamerika verwandt. Abgesehen vom spezifisch deutschen Rekurs auf § 216 StGB wird dabei materiell auf Strukturen aus der Lehre von der Täterschaft und Teilnahme zurückgegriffen. Auch hier ist festzustellen, dass die intendierte Anpassung einer allgemeinen Lehre auf das konkrete Zurechnungsproblem fehlschlägt: Während es nämlich bei der Abgrenzung von Verantwortungsbereichen zwischen Täter und Teilnehmer um ein unbezweifelt tatbestandsmäßiges Verhalten geht, führt bei der Problematik des Opferverhaltens die durch den Selbstverantwortungsgrundsatz normativ bestimmte, spezifische Position des Rechtsgutinhabers zu einer völlig anderen Ausgangslage, bei der es eben erst um die Feststellung einer tatbestandsmäßigen Handlung durch den Dritten geht – von den enormen phänomenologischen Abgrenzungsproblemen und der von Roxin propagierten Gleichstellungsmöglichkeit beider Kategorien ganz abgesehen. Schließlich liegt ein vierter Fundamentalansatz in dem Bezug auf die „Schutzwürdigkeit“ des Opfers, der sog. „Viktimodogmatik“ oder dem sog. „viktimologischen Prinzip“, das vor allem von Schünemann erarbeitet worden ist. Aber auch diese Herangehensweise schlägt nicht den richtigen Weg ein: Einerseits eröffnet sie die Möglichkeit kriminalpolitischer Unstimmigkeiten, da sie einer Schuldabwälzung auf das Opfer, einem blaming the victim, Vor-
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schub leisten kann; andererseits kann der hierzu postulierten normativen Fundierung im Subsidiaritätsgrundsatz nicht gefolgt werden – aus der faktischen Möglichkeit des Selbstschutzes folgt keine normative Aussage. Mit der Rekonstruktion der Hauptansätze in diesem Bereich ist nach hiesiger Perspektive eine Art negative Abgrenzung des dogmatischen Feldes erfolgt: Die Lösung darf weder das Problem eskamotieren, noch einseitig auf den Horizont des Opfers abstellen, noch von einer Gewichtung der äußeren Tatbeiträge ausgehen oder faktische Selbstschutzmöglichkeiten zum normativen Angelpunkt erheben. Vielmehr ist das Opferverhalten als eigenständiger Faktor – normativ bestimmt vom Selbstverantwortungsgrundsatz, nach dem Organisationsfreiheit und primäre Kompetenz für eigene Güter Haftung anderer im Prinzip auszuschließen hat – in die Verhaltenszurechnung einzugliedern. Von diesem Ansatzpunkt erschließen sich auch die Einzelfragen der Zurechnung zum Verantwortungsbereich des „Opfers“, wie die Bestimmung der relevanten Risikokenntnisse, der angemessene Verantwortungsmaßstab und die Grenzen für die primäre Zuständigkeit des Rechtsgutinhabers, die sich aus paternalistisch orientierten Garantenstellungen ergeben können.
2. Nach 1996 habe ich mich in einer Reihe von Untersuchungen und Darstellungen in Werken allgemeiner Art mit verschiedenen Bereichen des (spanischen) Besonderen Teils befasst. Eine Vielzahl von Neuregelungen im neuen Strafgesetzbuch aus dem Jahr 1995 führte in Spanien zu einer regelrechten Explosion von Publikationen zu einzelnen Delikten. Die bearbeiteten Gebiete umfassten Straftaten gegen die Umwelt und gegen die Rechtspflege, Sexual-, Körperverletzungs- und Terrorismusdelikte.
3. Die Arbeit im Besonderen Teil führte mich auch zum dritten meiner bisherigen Tätigkeitsfelder: der kriminalpolitischen Hinterfragung und kritisch-dogmatischen Untersuchung der gesetzgeberischen Produkte der strafrechtlichen Expansion der letzten Jahrzehnte. In diesen Rahmen gehören auch rechtsvergleichende Untersuchungen und Studien zu diversen Aspekten der Strafrechtsangleichung im Rahmen der Europäischen Union sowie Versuche, insbesondere im angelsächsischen Rechtskreis Informationen über „unsere“, d.h. der von der deutschen Diskussion geprägten kontinentaleuropäischen Straftheorie und -praxis zu verbreiten, da die offensichtliche Tatsache der gegenwärtigen mannigfaltigen Globalisierung der Strafgesetzgebung eine nur auf eine Rechtsordnung fokussierte Arbeit – wie bei uns insbesondere der
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ständige, fadenscheinige Vorwand der Politik, eine neue Regelung werde von der Europäischen Union „gefordert“, aufzeigt – sinnlos erscheinen lässt. Abgesehen von den Publikationen habe ich mich bemüht, auch auf entsprechenden akademischen Foren durch Vorträge präsent zu sein, sowohl in Spanien und Deutschland als auch in Lateinamerika, und in den letzten Jahren auch auf verschiedenen Veranstaltungen in Europa und auch – auf die enthusiastische Initiative von Muñoz Conde hin – in China. Dass hier die Grenzen zwischen AT und BT, zwischen Dogmatik und Kriminalpolitik verschwimmen, ist klar. Ich habe in den letzten Jahren in diesem Zusammenhang auch versucht, durch Wortmeldungen in der spanischen und lateinamerikanischen Presse einige unserer theoretischen und rechtsstaatlichen Grundüberzeugungen zu aktuellen Strafgesetzgebungsfragen einem breiteren Publikum zu übermitteln. Der kriminalpolitische Druck einer „autoritär-dilettantischen“ Gesetzgebung (Schünemann) ist in Spanien besonders groß. Schon der lang erwartete Wurf des neuen Strafgesetzbuches aus dem Jahr 1995, den die Sozialdemokraten zu verantworten haben, war, gelinde gesagt, ein kriminalpolitischer Reinfall. Über die technische oder theoretische Güte dieses Strafgesetzbuches wird natürlich gestritten; dass es viele dogmatische Missstände behoben hat, soll nicht bezweifelt werden. Doch das Einzige, worüber nicht gestritten werden kann, ist, dass dieses Strafgesetzbuch viel repressiver als das (ab 1977 novellierte bzw. notdürftig geflickte) Strafgesetzbuch der Endphase der nationalkatholischen Diktatur aus dem Jahr 1973 orientiert ist. Es ist ein Gesetzbuch, das nach Gimbernat Ordeig „von der Renaissance der Ideologie von ‘Gesetz und Ordnung’ in den letzten Jahren beeinflusst“ ist und sich durch eine „unkontrollierte Vermehrung der neuen Straftatbestände und eine unerträgliche Schärfe der Strafen“ auszeichnet, zu dem Rodríguez Mourullo schreibt, es „folg[e] keiner kohärenten kriminalpolitischen Linie“. Ein Strafgesetzbuch, das Spanien den ersten Platz in Sachen Gefangenenraten in Westeuropa eingebracht hat, obwohl die Deliktsraten unbestrittenermaßen eher niedrig sind. Dieses Gesetzbuch hat seit 1995 an die 30 (!) Reformen erlitten, und zwar auf vielen verschiedenen Gebieten (vor allem den medienwirksamen: u.a. Sexualstrafrecht, insbesondere sexuelle Belästigung und Delikte gegen Minderjährige; Terrorismus, aus auf der Hand liegenden spanischen Gründen; Gewalt von Männern gegen Frauen; Tierquälerei; Einwanderungsstrafrecht), die insgesamt eine Art Generalrevision des ursprünglichen Strafgesetzbuches darstellen und durch Strafrahmenerhöhungen und neue Tatbestände das spanische Strafrecht an immer neue Grenzen der sinnlosesten Repression bringen. Dies ist mit weitestgehendem Einverständnis oder zumindest Desinteresse beinahe aller politischen Kräfte geschehen, insbesondere bei allen Fragen, die auch nur
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entfernt mit Terrorismus etwas zu tun haben könnten; sobald das Wort auftauchte, spurteten fast alle politischen Akteure augenblicklich los, um als erste an der (Medien-)Front der „entschiedenen Bekämpfung“ zu stehen. Neben weiterer Beschäftigung mit verschiedenen rein „dogmatischen“ Themen habe ich mit dieser kritischen, kriminalpolitisch gefärbten Perspektive verschiedene Bereiche, sei es de lege lata oder de lege ferenda, behandelt: neben dem spanischen Einwanderungsstrafrecht (wir haben seit einigen Jahren eine Straftat der Förderung illegaler Einwanderung und eine Ausweisungsstrafe) auch verschiedene ideologisierte Äußerungsdelikte, Gesetzesvorhaben zur Einführung der Todesstrafe in Peru oder die in Spanien 2010 eingeführte Verbandshaftung. Besonders intensiv war hierbei die Arbeit an den Organisationsdelikten. Die Organisationsdelikte sind unzweifelhaft Protagonisten moderner expansiver Kriminalpolitik. Das „organisierte Verbrechen“ ist ein zentraler Punkt eines jeden kriminalpolitischen Programms und es scheint nicht übertrieben, wenn man ihm gegenwärtig – wie Arzt und Jakobs schon früh herausgestrichen haben – eine Funktion als Ersatzfeindbild nach der Implosion der UdSSR zuschreibt. Dieser kriminalpolitische Impetus kommt auf die traditionelle Vertatbestandlichung der „kriminellen Vereinigung“ zu. Es wird allgemein – sowohl aus kritischer als auch aus affirmativer Perspektive – postuliert, die Straftaten gegen kollektive Akteure seien besonders wichtig im Kampfe gegen „das Verbrechen“; das heißt, bei der faktisch-polizeilichen Prävention von verschiedenen Erscheinungsformen einer neuartigen Kriminalität. In diesem Zusammenhang ist festzustellen, dass die (potentielle: vor dogmatischer Durchdringung) Weite der Tatbestandsfassung sowohl in Deutschland als auch in Spanien und in Lateinamerika jeden noch so weiten Begriff der organisierten Kriminalität zu absorbieren in der Lage wäre. Die alten, beinahe nie angewandten Normen könnten somit (wie dies in Spanien bereits ansatzweise geschieht, wo neben einer ausgedehnten Praxis der Organisationsdelikte bei terroristischen Organisationen nun auch einige Fälle der Anwendung auf (Latino-)Jugendbanden zu konstatieren sind) durchaus auf der neuen kriminalpolitischen Welle reiten. Im Vergleich zu dieser bewegten kriminalpolitischen Lage ist die einschlägige dogmatische Diskussion in Deutschland und Spanien, so scheint es, etwas eingeschlafen. Langsam ebben die Wortmeldungen, die eine Abschaffung der Organisationsdelikte propagieren, fast vollständig ab, und auch die Bemühungen um die Bestimmung des Unrechts der Organisationsdelikte allgemein haben an Intensität und Frequenz abgenommen. Dies ist nicht nur erstaunlich, weil die wachsende kriminalpolitische Brisanz der Kriminalität mit kollektivem Bezug offensichtlich ist, sondern auch, weil den Organisationsdelikten in
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der Strafrechtswissenschaft eine herausragende Bedeutung auch bezüglich der Frage der Wahrung eines rechtsstaatlichen Strafrechts beigemessen wird: In der Tat liegt der einzige (fast) vollständige theoretische Konsens in der Ausgangsfeststellung, dass hier ein „erhöhter Legitimationsdruck“ (Müssig) besteht. In diesem Sinne hat Schroeder aufgezeigt, dass es sich hier um eine materiell zum Allgemeinen Teil gehörende Frage der Strafbarkeitsschaffung geht. Um diesen (wissenschaftlichen) Druck schert sich die Gesetzgebungs- und Anwendungspraxis natürlich, wie bekannt, recht wenig: Es handelt sich hier denn auch um ein Gebiet, auf dem das sogenannte „Feindstrafrecht“ gesetzlich und in der gerichtlichen Praxis existiert, das heißt, eine Kriminalisierung betrieben wird, die – weit vor jeder konkreten individuellen Schädigung – durch unverhältnismäßig hohe Strafandrohungen und den Verlust grundlegender prozessrechtlicher Rechtspositionen gekennzeichnet ist und politisch zur Verfolgung bzw. zur Konstruktion einer Kategorie von dämonisierten und dadurch exkludierten Feind-Straftätern eingesetzt wird. Auf dem Gebiet des Terrorismus ist dieser Trend wohl am Klarsten zu beobachten. Dies ist auch der Bereich, bei dem die Gefahr der Kontaminierung des herkömmlichen Strafrechts durch neue Sondernormen am intensivsten ist; bezeichnend ist die inflationäre Verwendung des Begriffs. Nachfolgende Beispiele stammen aus Wortmeldungen politischer Verantwortungsträger in Spanien während der letzten Jahre: vom „normalen“ Terrorismus (Begehung massiver Straftaten zur Erreichung politischer Zwecke plus eine umfassende Einbeziehung auch reiner Apologie) über die „Hausterroristen“ (ihre Frauen misshandelnde Männer) und „Umweltterroristen“ bis hin zum „Forstterrorismus“ (Legen von Waldbränden). Dazu muss nur die geläufige politische These „alle Terrorismen sind gleich“ (mit der Intention: und wer doch irgendwelche Unterschiede gleich welcher Art, beispielsweise zwischen Attentätern gegen Besatzungstruppen in Afghanistan und RAF, zu sehen glaubt, zeigt doch offensichtlich Verständnis!) summiert werden, und man braucht kein Strafgesetzbuch mehr, sondern nur noch ein Terrorismusbekämpfungsbuch. Angesichts der leider so reichhaltigen spanischen Rechtsprechung auf diesem Gebiet habe ich in den letzten Jahren eine systematische Behandlung aller terroristischen Straftaten, ihrer Anwendung und ihrer permanenten Reform in verschiedenen Arbeiten in Angriff genommen. Rund um den Terminus „Feindstrafrecht“ findet wie bekannt seit einigen Jahren in der (internationalen) Strafrechtswissenschaft eine bewegte Diskussion statt. Ausgelöst wurde die Debatte, als Jakobs im Jahre 1999 den von ihm in seiner – auch in vielen anderen strafrechtstheoretischen Fragen – fruchtbaren, im Wortsinne wegweisenden Abhandlung zur „Kriminalisierung im
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Vorfeld einer Rechtsgutsverletzung“ (1985) geschaffenen Begriff in die aktuelle Diskussion (wieder)einführte. Die Behandlung dieses „Feindstrafrechts“, die vor allem in Deutschland und Spanien begann, erreicht mittlerweile eine bemerkenswerte Breite, sowohl aus der Perspektive der Themenpalette (auf einer allgemeinbegrifflichen Ebene und auch bezüglich konkreter Strafbestimmungen), die damit angegangen wird, als auch der geographischen und theoretischen Provenienz der Autoren, die daran teilnehmen. Meines Erachtens wird sie eindrucksvoll durch ein zweibändiges, über zweitausend Seiten starkes Sammelwerk dokumentiert, an dem über siebzig Autoren aus vielen verschiedenen westlichen Ländern teilnahmen, das Carlos Gómez-Jara Díez und ich im Jahr 2006 herausgaben. Es ist also festzustellen, dass Jakobs Konstruktion eine bemerkenswerte Aktivität in der Strafrechtstheorie hervorgerufen hat. Die Frage ist sogar – was ja heute für strafrechtswissenschaftliche Debatten sehr selten ist – zuweilen in der öffentlichen Diskussion angekommen. Was das wesentliche Problem des Begriffs eines Feindstrafrechts angeht, das heißt, die Frage, ob es hierbei um legitime oder aber illegitime, verfassungswidrige Normen geht, so scheint es offensichtlich, dass sich eine breite Mehrheit der sich an der Diskussion beteiligten Autoren gegen die Legitimität solcher Strafrechtsregelungen ausgesprochen hat. Dies ändert nichts an der Tatsache, dass sich die tatsächliche Kriminalpolitik (in Spanien und anderen Ländern) wenig um solche Wortmeldungen schert und stets auf einer populistisch-maximalistischen, eben feindstrafrechtlichen Linie – und dies immer mit großem politischen Konsens – ihren tagespolitischen Kurs findet. Aus meiner Perspektive ist gerade in einer von der positiven Generalprävention ausgehenden Strafrechtstheorie der Begriff eines Feindstrafrechts ein Unding, ein interner Widerspruch, da damit ein Einbruch des Polizeilich-Faktischen in das Rechtssystem abgesegnet werden soll. Es spricht meines Erachtens Bände über die wissenschaftliche Haltung meines deutschen Hochschullehrers, dass er vorschlug, unseren hier auch nach längeren Diskussionen unüberbrückbaren Dissens durch eine gemeinsame Publikation zu dokumentieren.
III. Meine Betätigung in diesen zwei Jahrzehnten strafrechtswissenschaftlicher Arbeit spiegelt meines Erachtens die Grundströmungen auf Spanisch betriebener Strafrechtstheorie wider. Zunächst ging es noch um den Aufbau einer rechtsstaatlichen, Rechtssicherheit bringenden Dogmatik – Diktaturen brauchen ja bekanntermaßen nichts Derartiges –, und die Zeichen der Zeit standen
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vor allem auf Import und Verarbeitung der reichen deutschen Tradition. Danach richtete sich die Aufmerksamkeit spanischsprachiger Strafrechtler vor allem (übrigens auch in Lateinamerika) auf die einsetzende Welle der Modernisierung und Erweiterung des BT. Schließlich stehen wir vor der Gefahr, dass jede strafrechtstheoretische Arbeit von einer – in Spanien besonders schlimmen – technisch desaströsen und politisch unsäglichen populistisch-reaktionären Gesetzgebung definitiv marginalisiert wird. Ein Lichtblick für einen Spanier liegt darin, dass man – bei allen gesellschaftlichen Spannungen, die durch die abgrundtiefen wirtschaftlichen Ungerechtigkeiten geschaffen werden – in vielen lateinamerikanischen Bruderländern ein anderes Bild zeichnen kann: Der Rechtsstaat und eine entsprechende Dogmatik sind im Aufbau begriffen, das Wort eines Gelehrten gilt noch etwas, und auch der Wert eines funktionsfähigen (strafjuristischen) Hochschulsystems wird noch von Studierenden und allgemein in der Gesellschaft hochgehalten – im Unterschied zu Spanien, wo die gegenwärtige konservative Regierung die Krise als Vorwand nutzt, um eine Generalattacke gegen das öffentliche, kritische Hochschulwesen zu reiten und es auf diese Weise zu sabotieren. Die deutsche Universität, die deutschen Kollegen, die deutschen Publikationen, spielen eine große Rolle in der Aktivität von Generationen von Strafrechtlern im spanischen Sprachraum. Abgesehen von meiner persönlichen Geschichte – die über drei Jahre in Deutschland (von denen ein Gutteil von der Bundesrepublik finanziert wurde) haben mich für immer mit dem Land und den Menschen verbunden – ist festzustellen, dass dieser Einfluss lange ungeschmälert bleiben wird. Doch auch hier sind die Strukturänderungen schon abzusehen: Die Globalisierung (zumindest innerhalb der westlichen Welt auch im Strafrecht) wird uns zwingen, über verdienstvolle Bemühungen hinaus, deutsche Publikationen (wie insbesondere von Wolter in Goltdammer’s Archiv bezüglich spanischer Strafrechtler praktiziert) auch für ausländische Wissenschaftler zu öffnen und unsere Tradition in eine neue, breitere Diskussionsebene einzubringen, auf der wir vielleicht in Zukunft auf Englisch kommunizieren werden müssen. Dabei ist es aus meiner Perspektive unerlässlich, dass sich das deutsche Strafrecht des Wertes seiner eigenen historischen Leistungen stärker bewusst wird. Es ist kein Zufall, dass die im internationalen Vergleich breiteste und beste Strafrechtswissenschaft in Deutschland produziert wurde und wird, und besonderen Widerhall in Ländern wie z.B. Spanien, Italien, Griechenland oder den lateinamerikanischen Republiken findet – allesamt Gesellschaften, die ihre jüngsten Diktaturen noch gut im Gedächtnis haben. Dogmatik ist nämlich ein Stoff, aus dem (auch) Rechtssicherheit und ein Rechtsstaat gemacht sind – in der Zeit der Drohnen, der umfassenden Ausspionierung der Bürger und des
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internationalen Strafrechtspopulismus ein lebenswichtiges Elixier, soll nicht Luhmann mit seiner Vermutung Recht behalten, es könne durchaus sein, der Rechtsstaat sei „[…] nichts weiter als eine europäische Anomalie, die sich in der Evolution einer Weltgesellschaft abschwächen wird“.
Schriftenverzeichnis (in Auswahl) 1. Selbstständiges Schrifttum / Monographien Conducta de la víctima e imputación objetiva en Derecho penal. Estudio sobre los ámbitos de responsabilidad de víctima y autor en actividades arriesgadas [Opferverhalten und objektive Zurechnung im Strafrecht. Studie zu den Verantwortungsbereichen von Opfer und Täter bei riskantem Zusammenwirken], 2. Aufl., Bogotá / Barcelona 2001. Líneas básicas de la teoría de la imputación objetiva [Grundlinien der Lehre von der objektiven Zurechnung], Mendoza 2001. Los delitos de terrorismo: estructura típica e injusto [Die Terrorismusdelikte: Tatbestandsstruktur und Unrecht], Madrid 2010. Estudios de Derecho penal [Studien zum Strafrecht (Aufsatzsammlung)], Lima 2010.
2. Kommentierungen Kommentierungen zu den Delikten gegen die sexuelle Selbstbestimmung, gegen die Rechtspflege, gegen die Verfassung, Straftaten des unerlaubten Waffenbesitzes und zu den Terrorismusdelikten, S. 335–341, 514–552, 1174–1232, 1272–1337, 1364–1395, 1448–1450, 1463–1473, in: Rodríguez Mourullo / Jorge Barreiro (Hrsg.), Comentarios al Código penal, Madrid 1997. Kommentierungen zu den Körperverletzungsstraftaten, zu den Delikten gegen die sexuelle Selbstbestimmung, gegen die Rechtspflege und zu den Terrorismusdelikten, S. 663–685, 803–838, 1463–1495, 1663–1685, in: Molina Fernández (Hrsg.), Memento de Derecho penal, 2. Aufl., Madrid 2014.
3. Lehrbücher und Fallsammlungen Abschnitt zu den Körperverletzungsstraftaten, in: Bajo Fernández / Cancio Meliá / Peñ aranda Ramos / Feijóo Sánchez / Pérez Manzano (Hrsg.), Compendio de Derecho penal (Parte Especial) [Studienbuch Strafrecht Besonderer Teil], Madrid 2003, S. 397–433.
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Abschnitte zum Tatgrundsatz, zum Rechtsgüterschutzprinzip und zur Kriminalpolitik, in: Lascurain Sánchez (Hrsg.), Introducción al Derecho penal [Strafrecht. Eine Einführung], Madrid 2011, S. 81–103 und 137–147.
4. Aufsätze in Zeitschriften und Sammelwerken Finale Handlungslehre und objektive Zurechnung. Dogmengeschichtliche Betrachtungen zur Lehre von der Sozialadäquanz, in: GA 1995, S. 179 ff. Opferverhalten und objektive Zurechnung, in: ZStW 1999, S. 357 ff. Feindstrafrecht?, in: ZStW 2005, S. 267 ff.; ebenfalls veröffentlicht in: Bingsong (Hrsg.), Proceedings of the International Conference on Comparative Study of Sino-Russian and German-Japanese Theoretical Systems of Crime, Beijing 2008, S. 399 ff. Zum Unrecht der kriminellen Vereinigung: Gefahr und Bedeutung, in: Pawlik / Zaczyk (Hrsg.), Festschrift für Günther Jakobs, Köln 2007, S. 27 ff.; ebenfalls veröffentlicht auf Englisch in: New Criminal Law Review vol. 11 n. 4, 2008, S. 563 ff. Victims and Self-liability in Criminal Law: Beyond Contributive Negligence and Foreseebility (Whithout Blaming the Victim), in: Pace Law Review vol. 28 nr. 4 (2008), S. 739 ff.; ebenfalls veröffentlicht in: Bingsong (Hrsg.), Proceedings of the International Conference on Comparative Study of Sino-Russian and German-Japanese Theoretical Systems of Crime, Beijing 2008, S. 356 ff. Terrorism and Criminal Law: the Dream of Prevention, the Nightmare of the Rule of Law, in: New Criminal Law Review vol. 14 n. 1, 2011, S. 108 ff. Autonomie und Einwilligung bei ärztlicher Heilbehandlung. Eine Skizze aus spanischer Perspektive, in: Heinrich / Jäger / Schünemann (Hrsg.), Festschrift für Claus Roxin, Berlin 2011, S. 507 ff. Zum strafrechtlichen Begriff des Terrorismus, in: GA 2012, S. 1 ff. Bürgerpartizipation und Anklageparteien im spanischen Strafverfahren, in: ZIS 2012, S. 246 ff.; ebenfalls veröffentlicht in: Sözüer (Hrsg.), Dünyada ve Türkiye’de Ceza Hukuku Reformlari Kongresi / Congress on the Criminal Law Reforms in the World and Turkey, Istanbul 2013, S. 99 ff. Psychopathie und Strafrecht: einige Prolegomena, in: Freund / Murmann / Bloy / Perron (Hrsg.), Festschrift für Wolfgang Frisch, 2013, S. 575 ff.; auch veröffentlicht auf Englisch in: EDILEX 2014 [20.3.2014, Helsinki], http://edilex.fi/artikkelit/12637.pdf.
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Terrorism as a Criminal Offence, mit A. Petzsche, in: Masferrer / Walker (Hrsg.), Counter-Terrorism, Human Rights and the Rule of Law. Crossing Legal Boundaries in Defence of the State, Cheltenham 2013, S. 87 ff. The Spanish Perspective on Traffic Offences: Tough on Danger, Soft on Harm, and Penal Populism, mit M. Llobet Anglí, in: Wolswijk / van Dijk (Hrsg.), Criminal Liability for Serious Traffic Offenses. Essays on Causing Death, Injury and Danger in Traffic, Utrecht 2015, S. 107 ff.
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https://doi.org/10.1515/9783110277708-004
Byung-Sun Cho Vorwort Am 28. April 1959 wurde ich in Seoul (Südkorea) als Sohn eines nordkoreanischen Flüchtlings geboren, zu einer Zeit, als die Teilung des Landes (1945) und der Koreakrieg (1950–53) noch nicht lange zurücklagen. Durch den Einfluss meines Vaters wurde schließlich Yeonbaeck, ein südlicher Teil Nordkoreas, zu meiner eigentlichen Heimat. Vor dem Hintergrund der Teilung des Landes und der Kriegserfahrungen, die meine Familie geprägt hatten, wurde ich zu einer Persönlichkeit erzogen, die stets eine komplexe Wechselbeziehung zwischen dem individuellen Schicksal und dem historischen Kontext zu ergründen versuchte. Hierzu bietet sich nicht zuletzt auch diese Autobiografie an, in der ich meine akademische Laufbahn als Strafrechtswissenschaftler nachzeichnen möchte und die mir vor allem im Rückblick auf meine Zeit in Deutschland regelrecht heilsame Erfahrungen im Rahmen meiner wissenschaftlichen Praxis beschert hat. Im Großen und Ganzen lässt sich mein Leben aus meiner Sicht am besten anhand von vier Phasen darstellen. Der erste Zeitabschnitt (1959–1985) umfasst meine Kindheit, Jugend und das Studium. Hierauf folgte als zweite wichtige Lebensphase von März 1986 bis August 1989 die Zeit meiner Promotion. Der dritte wesentliche Lebensabschnitt (1990–1995) umfasst die Zeit meines Berufseinstiegs als Professor für Strafrecht. Daran anschließend forschte ich für ein Jahr (1995–1996) als Humboldtianer in Deutschland. Seit dem Jahr 1997 habe ich meine Forschungstätigkeiten auf dem Gebiet der Rechtsvergleichung wesentlich ausgebaut, weshalb ich diese Phase, die bis heute anhält, als vierten wesentlichen Abschnitt meines Lebens aufzeigen möchte.
I. Die Zeit meiner Kindheit, Jugend und die Studienzeit (1959–1985) 1. Hintergründe Von den 1960er bis einschließlich der 1980er Jahre wurde Korea vor allem durch zwei Entwicklungstendenzen geprägt: den Kampf um Demokratisierung und den Aufstieg zur Wirtschaftsmacht. Mit dem 1960 durch Studentenproteste initiierten Kampf um Demokratie zog ein neues Bewusstsein in der Gesellschaft ein, dass Geschichte in erster Linie als Menschenwerk verstand und nicht vorrangig auf Naturmacht zurückführte. Als Folge dieses Kampfes konnte sich in den achtziger Jahren ein liberaler demokratischer Geist etablieren, während sich Korea zur gleichen Zeit von einem armen Agrarland zu einer
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Industrienation entwickelte. Diese Entwicklung brachte weitreichende gesellschaftliche Veränderungen mit sich, was schließlich zu neuen Konflikten und Problemen führte. Gerade zu der Zeit, als ich mich selbst noch im Magisterstudium (1978–1984) befand, erreichten jene Studentenproteste ihren Höhepunkt. Meine Alma Mater, die Sung-Kyun-Kwan Universität in Seoul, war darüber hinaus ein Herzstück der Protestaktionen in Korea. Die Universität hat ihren Ursprung in der einstigen königlichen Akademie „Sung-Kyun-Kwan“ der Chosun-Dynastie (1392–1910), die im Zuge von Querelen zwischen Konfuzianern und Buddhisten schließlich die buddhistischen Herrscher der vorherigen Koryo-Dynastie durch konfuzianische Hofbeamte als neue Machtelite hervorbrachte. Vor diesem Hintergrund bot diese Hochschule stets viele Vorlesungsveranstaltungen zum Konfuzianismus an. Ich hatte somit ausreichend Gelegenheit, mich während meines Studiums intensiv mit dem Konfuzianismus auseinander zu setzen. Da in Zeiten des Notstands und nach Einsätzen von Tränengas bei studentischen Demonstrationen viele Lehrveranstaltungen nicht stattfinden konnten, führten die politischen Umstände letzten Endes dazu, dass der Universitätscampus geschlossen wurde. Leider trug im damaligen Korea selbst das Gesetz kaum dazu bei, Humanität in der Gesellschaft wieder aufleben zu lassen. Als koreanischer Student fühlte ich mich mit der Machtlosigkeit und Verletzlichkeit des Einzelnen gegenüber einem scheinbar unaufhaltbaren Geschichtsverlauf konfrontiert. Angesichts wachsender Proteste gegen Menschenrechtsverletzungen und die Beschränkung der Presse- und Koalitionsfreiheit – unabhängige Gewerkschaften waren gesetzlich verboten – bediente sich der damalige Präsident Chung-Hee Park zunehmend härterer Gesetze und Maßnahmen, um seine Macht zu erhalten. 1972 rief er schließlich den Notstand aus und löste die Nationalversammlung auf – angeblich um die Durchsetzung der bereits in Angriff genommenen Yushin-Verfassung zu sichern. Er behauptete, die im Rahmen der amerikanischen „Nixon-Doktrin“ erfolgte Reduzierung der amerikanischen Truppenstärke könne den Norden zu einem Angriff verleiten. Mit diesem Argument begründete er ein Notstandsrecht, das es ihm gestattete, ein Drittel der Nationalversammlung ohne Wahl mit handverlesenen Abgeordneten zu besetzen. Er änderte zudem die Verfassung, so dass ihm eine unbegrenzte Zahl von Amtsperioden möglich wurde. Darüber hinaus schaffte er die Direktwahl des Präsidenten ab und übertrug diese Aufgabe einer Versammlung ausgewählter Abgeordneter. Die neue sogenannte „Yushin-Verfassung“ verbot sogar jede Forderung in Wort oder Schrift nach einer Direktwahl des Staatsoberhauptes. Im Jahr 1978, in dem ich mich noch in meinem Studium befand, wurde
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schließlich der Gipfel dieser Willkürherrschaft erreicht. Mittlerweile hatte ich auf meinem Weg zum Vorlesungssaal täglich mit Tränengas zu kämpfen, das auf dem Campus bei Maßnahmen gegen Studentenproteste eingesetzt worden war. Ich geriet in Verzweiflung und sehnte mich danach, aus all dem fliehen zu können. Die Soziologie und die Kriminologie sowie klassische Musik waren mir Trostspender in dieser dunklen Zeit.
2. Die Kriminologie als Teil der Soziologie Bei der Kriminologie handelt es sich genau genommen um einen Teil der Soziologie. An koreanischen Universitäten haben Jurastudenten Gelegenheit, über eine kriminalpolitische Vorlesung Einblicke in die Kriminologie zu gewinnen. Da ich als Student die Grenze positiven Rechts bereits körperlich erlebt hatte, entwickelte ich ein besonderes Interesse für diese Teildisziplin, die mir im Vergleich zum positiven Recht thematisch sehr vielfältiger und offener erschien und meiner Einschätzung nach auch dazu beitrug, über die Aufgabe der Wissenschaft in einer komplexen Gesellschaft zu reflektieren. Im Jahr 1982 schloss ich mein Studium mit einer Diplomarbeit zum Thema Jugendkriminalität ab. Zur Zeit als ich meine Abschlussarbeit verfasste, waren vor allem die Theorien von Vertretern der Frankfurter Schule – wie etwa von Max Horkheimer, Theodor Adorno, Herbert Marcuse und Jürgen Habermas – sehr einflussreich. Da die Kritische Theorie der Frankfurter Schule an die Theorien von Hegel, Marx und Freud anknüpft, kam bei mir schließlich der Wunsch auf, die Werke in ihrer Originalversion lesen zu können. Wie vorher bereits erwähnt, bestand in Korea jedoch zu jener Zeit aufgrund der sogenannten „Yushin-Verfassung“ eine Einschränkung der Presse- und Meinungsfreiheit, was es mit sich brachte, dass alle marxistisch orientierten Bücher und Zeitschriften strengstens verboten waren. Daher kam bei mir damals zum ersten Mal der Gedanke auf, mein Studium im Ausland fortzusetzen – in Freiheit. Dabei spielte es für mich keine Rolle, ob ich in den USA oder in Europa weiterstudieren würde. Nichtsdestotrotz hatte ich durch die Frankfurter Schule an Deutschland besonderes Interesse entwickelt.
3. Richtungsänderung zum Strafrecht und Umweltstrafrecht Während meines Studiums hatte ich eine regelrechte Aversion gegen das Strafrecht und keinerlei Interesse an diesem Rechtsgebiet. Ich erinnere mich, dass damals viele Studenten, die sich an Demonstrationen beteiligt hatten, aufgrund der „Yushin-Verfassung“ ohne richterlichen Haftbefehl festgenommen, sehr schnell verurteilt und schließlich exmatrikuliert wurden. Wie bereits angesprochen, zog ich es schließlich gegen Ende meines Studiums in Erwä-
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gung, im Ausland weiter zu studieren. Da ich jedoch keine Kontakte zu ausländischen Professoren und folglich auch keine Information zur Organisation eines Auslandsstudiums hatte, erschien mir zunächst ein Studium an einer der in Korea bekanntesten amerikanischen Universitäten, wie etwa Harvard oder Yale, naheliegend. Da ich sehr gute Englischkenntnisse hatte, gelang es mir schließlich, die Auswahlprüfung der Korea Student Aid Foundation (KSAF) zu bestehen. Die KSAF gewährleistete eine ganzjährige finanzielle Unterstützung für ein Studium an der University of Chicago, da die Stiftung zu dieser Hochschule im Bereich der Sozialwissenschaften eine Kooperation aufgebaut hatte. Da ich nach der Beendigung meines Studiums verpflichtet war, einen dreijährigen Militärdienst abzuleisten, stellte es sich jedoch als besondere Herausforderung heraus, das Land direkt nach meinem Studienabschluss zu verlassen. Zu meinem Glück führte die Regierung damals gerade zur richtigen Zeit eine Ausnahmeregelung für Nachwuchswissenschaftler ein. Magisterabsolventen konnten fortan eine Verkürzung des Wehrdienstes beantragen. So kam es dazu, dass ich in Korea weiterstudierte – dieses Mal im Rahmen eines Magisterstudiums. Im Gegensatz zu meinem Erststudium bot mir das Magisterstudium viele Gelegenheiten, persönliche Kontakte zu Professoren herzustellen. Als Assistent konnte ich schließlich viele Informationen über den weiteren Verlauf einer wissenschaftlichen Laufbahn erhalten. Darüber hinaus erfuhr ich dabei auch von dem Umstand, dass sich in der koreanischen Justiz ein bedeutender Systemwandel vollzog, durch den das jahrhundertealte, traditionelle Rechtssystem sukzessiv durch ein westliches Modell ersetzt wurde. Bei der Entstehung des neuen koreanischen Strafgesetzbuches von 1953 gab es erheblichen deutschen Einfluss. Im Verlauf meines Studiums war mir immer wieder von Möglichkeiten berichtet worden, in Deutschland zu studieren. Auch in meinem Magisterstudium hatten die Professoren hin und wieder hierauf verwiesen. Ich schlussfolgerte hieraus, dass was in Deutschland gelehrt wurde, höchst wichtig zu sein schien. In meiner gesamten Studienzeit in Korea (1978–1985) – einschließlich meines Magisterstudiums – erschien es mir ungemein wichtig, die deutsche Rechtswissenschaft aus einer rechtsvergleichenden Perspektive kennenzulernen. In der Zeit zwischen meiner Geburt 1959 und meinem Magisterabschluss im Jahr 1985 hatte sich Korea spürbar von einem Agrarland zu einer Industrienation entwickelt, was zunehmend zu Umweltverschmutzung im Land führte, die wiederum neue Probleme mit sich brachte. Vor diesem Hintergrund entwickelte ich zunehmend Interesse an dem koreanischen Rechtssystem in seiner Gesamtheit.
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Da vor allem die Kriminologie zu einem meiner größten Interessensgebiete zählte, wählte ich für mein Magisterstudium schließlich das Strafrecht als Hauptfach. Im Februar 1985 schloss ich mein Studium mit einer Magisterarbeit zum Thema „Umweltstrafrecht in Korea, Japan und Deutschland“ ab. Danach bestand ich die Auswahlprüfung für einen sechsmonatigen Militärdienst als Offizier. In der Zwischenzeit hatten sich die Fördermöglichkeiten bei der KSAF-Stiftung, die ich bereits vor der Aufnahme meines Magisterstudiums als Stipendiengeber für mein Auslandsstudium ins Auge gefasst hatte, geändert. Darüber hinaus beabsichtigte ich nicht länger für meine Promotion an die University von Chicago zu wechseln, sondern hatte mich fest entschlossen, hierfür nach Deutschland zu gehen. Unter diesen Gesichtspunkten schied die KSAF-Stiftung schließlich komplett aus, so dass ich mich nach neuen Fördermöglichkeiten für eine Promotion in Deutschland umsehen musste. Damals bestanden in Korea genau genommen nur drei Alternativen, um ein Promotionsstipendium für Deutschland zu erhalten: Der Deutsche Akademische Austauschdienst (DAAD), die Konrad-Adenauer-Stiftung und die Friedrich-Ebert-Stiftung. Ich besuchte schließlich die Büros dieser drei deutschen Stiftungen und erhielt dort nähere Informationen. Beim DAAD und der Friedrich-Ebert-Stiftung fand die Auswahlprüfung schriftlich und mündlich einmal pro Jahr statt. Bei der Konrad-Adenauer-Stiftung hingegen mussten Bewerber aus Korea einen direkten Kontakt zu dem Büro in Deutschland herstellen, was sehr langwierig war. Da ich wie an vorheriger Stelle bereits erwähnt ein besonderes Interesse an der Frankfurter Schule hatte, legte ich die Auswahlprüfung der Friedrich-Ebert-Stiftung ab und bestand sie auf dem Gebiet der Rechtswissenschaft glücklicherweise als einziger unter allen Bewerbern. In dem Antragsformular der Friedrich-Ebert-Stiftung hatte ich unter anderem einen Professor in Deutschland als meinen zukünftigen Betreuer für die Promotionszeit zu nennen. Ich begann schließlich meine Suche nach einem geeigneten Doktorvater. Dabei ergab sich für mich ein äußerst glücklicher Zufall: Professor Albin Eser, der an der Universität Freiburg lehrte und Direktor des Max-Planck-Instituts für ausländisches und internationales Strafrecht war, wurde gerade zu dieser Zeit von dem koreanischen Justizministerium zu einem Kolloquium nach Korea eingeladen. Bei diesem Kolloquium stellte mich mein Hochschullehrer Professor Young Whan Kim, der damals Präsident der koreanischen Gesellschaft für Strafrecht war, gute Beziehungen zu deutschen Kollegen pflegte und bereits bei einem Aufenthalt in Freiburg einen guten Kontakt zu Herrn Prof. Eser hergestellt hatte, meinem potenziellen Doktorvater persönlich als seinen besten Schüler vor. Ich nutzte schließlich
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eine der Pausen des Kolloquiums, um Herrn Prof. Eser mit meinen noch eher dürftigen Deutschkenntnissen mein Vorhaben eines Rechtsvergleichs auf dem Gebiet des Umweltrechts darzulegen. Er fand Gefallen an meinem Projekt und sagte mir seine Unterstützung als Doktorvater zu, so dass ich bei der FriedrichEbert-Stiftung nun auch den Namen meines Betreuers und ein Gutachten einreichen konnte. Alles war nun für mein Promotionsstudium in Deutschland vorbereitet! Übrig blieb nur ein Sprachproblem, das ich zu meistern hatte.
4. Sprache Bevor ich nach Deutschland kam, hatte ich lediglich Grundkenntnisse in der deutschen Sprache. Während des Magisterstudiums hatte ich zwei Jahre lang am Goethe-Institut in Seoul meine ersten Deutschkurse besucht. Ich erinnere mich, dass ich damals große Angst hatte, später in Deutschland den Lehrveranstaltungen nicht folgen zu können. In dem Bewusstsein, dass meine Deutschkenntnisse noch sehr eingeschränkt waren, verunsicherte es mich jedes Mal, wenn man mich fragte, ob es meine Absicht sei, in Deutschland ein Promotionsstudium aufzunehmen. Trotz all dieser Zweifel glaubte ich tief in meinem Inneren daran, dass ich es schaffen würde, diese Herausforderung zu meistern. Auch mein Hochschullehrer sprach mir in dieser Zeit viel Mut zu. Darüber hinaus wollte ich es auch meinem Vaterland zuliebe schaffen. Obwohl ich während meiner Schulzeit stets gute Noten in Englisch und Deutsch erzielt hatte, waren damals meine Leistungen im Fach Koreanisch, in dem ich meistens ausgezeichnet abschnitt, noch um ein Vielfaches besser. Meine Schwäche war die Mathematik. Mein Schullehrer empfahl mir schließlich, Schriftsteller zu werden. Seit meiner Schulzeit erfüllten mich die Errungenschaften meines Heimatlandes Korea, das erstaunlich viel einzigartiges Kulturgut geschaffen hat, stets mit großem Stolz. Ganz besonders fasziniert mich die koreanische Hangul-Schrift, bei der es sich um das einzige Alphabet handelt, das auf ostasiatischem Boden entwickelt wurde. Ihr Ursprung geht auf das Jahr 1446 zurück, in dem König Sejong seinem Volk feierlich verkündete, dass man ein Alphabet für die koreanische Sprache entwickelt habe. In der Tat war die Schrift leicht erlernbar für das des Lesens und Schreibens unkundige Volk, das dem König sehr am Herzen lag. Vor diesem Hintergrund entwickelte ich eine Liebe zu Sprache an sich, die mir später beim Deutschlernen immer wieder half, Schwierigkeiten zu meistern. Am Max-Planck-Institut für ausländisches und internationales Strafrecht in Freiburg lernte ich schließlich auch die Verwaltungssekretärin Ilse Kirsch kennen, die mich später als Sprachlehrerin unterstützte. Bei der Feier zu meinem Promotionsabschluss schenkte sie mir Berthold Brechts Roman
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„Brennendes Geheimnis“, den ich auch heute noch gerne lese und mit vielen schönen Erinnerungen verbinde. Abgesehen von Brechts Werk und strafrechtswissenschaftlicher Literatur lese ich jedoch auch andere deutsche Bücher sehr gerne, darunter vor allem Werke wie „Verbrechen“ und „Schuld“ von meinem Lieblingsschriftsteller Ferdinand von Schirach.
5. Musik Ich bin außerdem nach wie vor ein großer Musikliebhaber. Den Ursprung meiner Liebe zur Musik kann ich nicht mit Sicherheit verorten. Mit großer Wahrscheinlichkeit waren es jedoch meine Kindergartenbetreuer – eine österreichische Nonne und ein spanischer Pater – die in dieser Hinsicht einen positiven Einfluss auf mich ausübten. Beide lehrten uns verschiedene europäische Weihnachtslieder und einfache Klavierstücke von Mozart. Auf diese Weise wurde die klassische Musik des Westens ganz allmählich ein Teil meines Alltags. Ich machte es mir schließlich zur Gewohnheit, Musik zu hören, wenn ich arbeite, und Konzerte zu besuchen, wann immer ich etwas Entspannung brauchte. Irgendwann war meine Leidenschaft für Musik so groß geworden, dass ich sogar begann, ernsthaft darüber nachzudenken, Musik zu studieren. Wie bereits vorher erwähnt, erreichten die Studentenproteste in Korea im Kampf um Demokratisierung im Jahr 1980 – und somit in der Zeit meines Studiums (1978–85) – ihren Höhepunkt. Als Student begegnete ich dieser dunklen Zeit auf zweierlei Weise: Ich beteiligte mich aktiv an den Protesten und hörte außerdem Musik, die mir dabei half, aus der Wirklichkeit zu fliehen. Damals assoziierte ich Musik mit den Erlebnissen in meinem Alltag. Ich hatte darüber hinaus einen Freundeskreis, mit dem ich mich über Musik austauschen konnte und je mehr sich meine Kenntnisse über Musik erweiterten, desto mehr Zusammenhänge entdeckte ich schließlich auch zwischen ihr und dem Recht. In Korea wurde die klassische Musik des Westens bedauerlicherweise auf eine Weise rezipiert, dass die ursprünglichen Bezüge zu anderen Lebensbereichen verloren gingen. Musik gilt dabei nicht länger als notwendiger Aspekt der geistigen Entwicklung. Wie die Medizin ist die musikalische Welt zu einer Gesellschaft von Spezialisten geworden, die zunehmend mehr über immer weniger wissen. Als ein Musikfreund glaubte ich, dass Logik untrennbar sei von Intuition, rationalem Denken und von Emotion. Wie im Fall der Rechtswissenschaft ist es aus meiner Sicht auch in der Musik unmöglich, auf Logik gänzlich zu verzichten, um einem emotionalen Bedürfnis nachzugeben, da sie weder ausschließlich mit Vernunft, noch mit dem Gefühl allein betrieben werden kann.
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In diesem Sinne hat Musik meine strafrechtswissenschaftliche Forschung stets sehr unterstützt. Man könnte sagen, dass ich meine musikalischen Erfahrungen und Kenntnisse zur Grundlage meiner moralischen und rechtswissenschaftlichen Überzeugungen gemacht habe. Während meiner Promotionszeit in Freiburg studierte ich schließlich heimlich neben der Strafrechtswissenschaft auch Musikwissenschaft, obwohl ich bedauerlicherweise nicht genügend Zeit hatte, mich dieser Leidenschaft angemessen zu widmen. Hätte ich diesen Umstand damals der Stiftung, die mich förderte, mitgeteilt, hätte dies wohl zu ernsthaften Schwierigkeiten geführt. Womöglich hätte ich das Studium der Musikwissenschaften umgehend beenden müssen. Es gelang mir jedoch, das Geheimnis zu hüten – eingeweiht war damals nur die Institutssekretärin Ilse Kirsch, mit der ich gelegentlich Konzerte besuchte. Im Rückblick bin ich mir sicher, dass sich mein Studium der Musikwissenschaften in vielen Hinsichten positiv auf meine Promotion in der Rechtswissenschaft auswirkte.
II. Mein Promotionsstudium (März 1986 – August 1989) 1. Vorwort Obwohl ich 1986 als Doktorand an der Universität Freiburg immatrikuliert wurde, hatte man mir einen Arbeitsplatz bei Prof. Eser am Max-Planck-Institut in Freiburg reserviert. Nachdem ich Ende Februar 1986 aus dem Militärdienst in Korea entlassen worden war, erreichte ich Deutschland schließlich an einem kalten Frühlingsmorgen im März 1986. Auch nach meinem zweijährigen Sprachkurs am Goethe-Institut in Seoul hatte ich, wie sich bald herausstellte, noch nicht alle Sprachprobleme meistern können. Darüber hinaus befremdete mich gelegentlich die eine oder andere Gewohnheit, mit der ich in Deutschland konfrontiert wurde. Dazu zählte etwa das akademische Viertel, das für mich gleich bei meiner ersten Vorlesung für eine Überraschung sorgte. Ich erinnere mich auch, dass ich, als ich zum ersten Mal einen Kurs besuchte, auf einen Witz, den mein Professor erzählt hatte, nicht reagieren konnte, weshalb mich meine Kommilitonen auslachten. Ich fühlte mich einsam und fragte mich, ob es nicht vielleicht in erster Linie Angst war, die mich plagte. Meine Enttäuschung nahm über die Zeit hinweg weiter zu. Dennoch gelang es mir hin und wieder, über meinen Schatten zu springen und die Dinge besser zu meistern. Oft hatte ich dabei einen Aphorismus von Konfuzius im Sinn: „Wer sich befreunden will, muss sich befremden lassen.“ Gegen Enttäuschung gab es kein Mittel. Im Seminar oder Vorlesungssaal war ich still geworden und zog mich eher zurück. Konfuzius sagte einst in
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diesem Zusammenhang: „Wenn ich Fehler mache, dann wird das von den Leuten ganz sicher bemerkt. Das ist mein Glück.“ Gelegentlich hörte ich westliche klassische Musik, etwa von Beethoven, Schumann, Mozart oder Bach, die aus meiner Sicht Vieles treffender zum Ausdruck bringen konnte als Worte. Auf meine Liebe zur Musik möchte ich jedoch später noch einmal zurückkommen. Nach einer Weile war es mir gelungen, meine Deutschkenntnisse deutlich zu verbessern. Im Doktorandenseminar war es mir mittlerweile möglich, auf Deutsch Argumente anzubringen. Die Stadt Freiburg im Breisgau wurde für mich nach und nach zu einer zweiten Heimat. Nachdem ich im Sommer 1989 wieder nach Korea zurückgekehrt war, freute ich mich im Rückblick auf meine Zeit in Freiburg stets über die Feststellung, dass ich letzten Endes nicht nur die deutsche Strafrechtswissenschaft besser kennen gelernt, sondern auch viel Neues über Deutschland und die klassische Musik gelernt hatte.
2. Aufenthalt am Max-Planck-Institut für ausländisches und internationales Strafrecht in Freiburg (1986–89) Wenn man in der Ferne ist, sehnt man sich oft nach seiner Heimat. Während meiner Zeit in Deutschland fühlte ich mich oft einsam. Als ich damals nach Freiburg kam, war ich noch ledig – was sich jedoch schließlich gegen Ende meines Aufenthaltes änderte. Ich lernte eine koreanische Mathematikerin kennen, die ich nach meiner Rückkehr nach Korea heiratete. Am Freiburger Max-Planck-Institut war ich als koreanischer Doktorand ein wenig dem Patriotismus verfallen. Koreas Geschichte entspricht einer bitteren Saga aus Kriegen und Invasionen. Ein wirkliches Bewusstsein für meine jahrtausendealte Kultur, einschließlich ihrer vielschichtigen Tradition der alt-koreanischen Strafrechtswissenschaft, entwickelte ich genau genommen erst fern von meinem Heimatland. Darüber hinaus stellte ich fest, dass es sich aus rechtsvergleichender Sicht noch um ein zu erschließendes Feld handelte. Ich trug den Wunsch in mir, durch meine Forschungsarbeit in Deutschland wesentlich dazu beitragen zu können, diese verschüttete Tradition der alt-koreanischen Strafrechtswissenschaft wieder „auszugraben“. Vielleicht war dieser Gedanke schlichtweg naiv. Was mir bei meinen Recherchen zur koreanischen Rechtspraxis jedoch immer wieder auffiel, war das Fehlen klarer Spuren der Vergangenheit. Täglich sinnierte ich über die Frage, ob Korea im Begriff war, sich durch die Übernahme von deutscher Dogmatik gleichzeitig auch endgültig von der alt-
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koreanischen Strafrechtswissenschaft zu verabschieden. Jedenfalls war ich sicher, am Max-Planck-Institut diesbezüglich am richtigen Ort zu forschen. Das Max-Planck-Institut führte damals ein rechtsvergleichendes Großprojekt zum Umweltstrafecht durch. Günter Heine war Koordinator dieses Projekts. Da ich über das Thema „Umweltstrafrecht in der Republik Korea, Japan und der Bundesrepublik Deutschland“ promovierte, war ich selbst als Landesberichterstatter daran beteiligt. Im Verlauf des Projekts entwickelte sich zwischen Günter Heine und mir über unsere wissenschaftliche Zusammenarbeit hinaus eine schöne Freundschaft. Er war mir stets ein guter Gesprächspartner und unterstützte die methodischen Ansätze, die ich zu der bewertenden Rechtsvergleichung meines Promotionsprojektes entwickelte. Im Juni 2011 verstarb er leider völlig unerwartet. Ich erinnere mich, welch großer Schock mich damals überkam, so dass mir das Gesicht ganz bleich wurde, als mir sein Kollege Professor Karl-Ludwig Kunz, mit dem ich damals bereits längere Zeit bekannt gewesen war, die Nachricht von seinem Tod überbrachte. Auf die Initiative von Walter Gropp hin wurde schließlich eine Gedächtnisfeier für ihn veranstaltet. An der Gedächtnisschrift für meinen guten Freund und Kollegen Günter Heine beteiligte ich mich mit einem Beitrag zum Thema „Kollektivschuld“. Unter den Landesberichterstattern für das Großprojekt „Umweltstrafecht“ baute ich vor allem zu Professor Stephen Thaman (St. Louis Law School, USA), der für den Landesbericht über das Umweltstrafrecht in den Vereinigten Staaten zuständig war, eine besonders gute Beziehung auf. Da sich das koreanische Umweltverwaltungsrecht teilweise sehr stark an den USA orientierte, war er mir stets ein wertvoller Ansprechpartner bei Fragen zur amerikanischen Gerichtpraxis im Umweltrecht. Sein Sprachniveau im Deutschen glich dem eines Muttersprachlers, dennoch unterhielt ich mich mit ihm stets gerne in seiner eigenen Muttersprache, um meine Englischkenntnisse auffrischen zu können. Später lud er mich im Rahmen eines Lehrauftrags für zwei Vorlesungen an seine Heimatuniversität, die St. Louis Law School, ein. Am Max-Planck-Institut hatte ich außerdem Gelegenheit, Professor Adem Sözüer, einen türkischen Kollegen, kennenzulernen. Da er im Sommer gelegentlich kurzfristig nach Freiburg kam, ergaben sich hin und wieder auch kurze Gespräche zwischen uns, in denen wir unter anderem Gemeinsamkeiten zwischen der Türkei und Südkorea in Bezug auf den Rechtsimport feststellen konnten. Später beschlossen wir, gemeinsam regelmäßig ein koreanischtürkisches Strafrechtssymposium zu veranstalten. Bis heute konnte es ohne Ausfälle dauerhaft stattfinden. Darüber hinaus lernte ich auch viele japanische Kollegen kennen, die sich am Max-Planck-Institut in Freiburg oder an der Universität Freiburg zum Forschen aufhielten: Professor Kyoko Yamana,
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Professor Hirokazu Kawaguchi, der ebenfalls bei Professor Albin Eser promovierte, Professor Rikizo Kuzuhara, der durch Professor Wolfgang Frisch betreut wurde, Professor Atsushi Fukui, Professor Norio Takahashi, Professor Toshihiro Kawaide, Professor Keiichi Yamanaka sowie Professor Kazushige Asada. Eigentlich besteht zwischen Japanern und Koreanern aus historischen Gründen eine Reihe von Ressentiments. Es heißt jedoch, dass sich diese mittlerweile in den jüngeren Generationen der beiden Länder auflösen. Auch die früher vom Staat über lange Zeit verbotene populäre Kultur Japans kehrt in Form von Mode, Popmusik und Kino nach Korea zurück. Umgekehrt gilt dies auch für das heutige Japan. Interessanterweise konnte die deutsche Sprache im Gespräch unter ausländischen Wissenschaftlern, die jeweils der deutschen Strafrechtsdogmatik kundig waren, nicht nur zu Theorie-Entwicklungen beitragen, sondern auch zur Versöhnung zwischen verfeindeten Nationen. Am Max-Planck-Institut in Freiburg arbeiteten damals viele wissenschaftliche Mitarbeiter. Neben Günter Heine freundete ich mich auch mit anderen Nachwuchswissenschaftlern an: Walter Gropp, Walter Perron, Hans-Jörg Albrecht und Kai Ambos. Während meines gesamten Aufenthaltes am Max-PlanckInstitut sind es dabei vor allem Walter Gropp und Walter Perron gewesen, die mir stets viel Unterstützung entgegenbrachten. Jedes Jahr arbeitete am MaxPlanck-Institut außerdem auch ein vom koreanischen Justizministerium entsandter Jurist, meistens ein Staatsanwalt, der für die koreanische Regierung Gesetzesmaterialien, sowie hilfreiche Information für die Gesetzgebung in Korea sammelte. Auf diese Weise baute ich auch einen guten Kontakt zu dem koreanischen Staatsanwalt Han-Chul Park auf, der später Vorsitzender des koreanischen Verfassungsgerichtshofes wurde. Damals waren auch einige koreanische Professoren und Doktoranden als Gastwissenschaftler am MaxPlanck-Institut tätig. Von der Zeit an, die ich in Freiburg verbrachte, pflegte ich schließlich auch zu einer Reihe koreanischer Mitarbeiter, die später Teil meines Kollegenkreises in Korea wurden, gute Kontakte. Hierzu zählen: YongSik Lee, Gyu-Won Chang und Hyun-Mi Chung. Mein Doktorvater Professor Albin Eser, den ich vor meinem Aufenthalt in Freiburg bereits in Korea kennengelernt hatte, war mein wichtigster wissenschaftlicher Mentor. Während meiner Promotion kümmerte er sich mit väterlicher Fürsorge um mich und erkundigte sich regelmäßig nach den Fortschritten meiner Dissertation, obwohl er als Direktor des Max-Planck-Institutes sehr beschäftigt war. Da ich in konfuzianischer Tradition erzogen worden war, kam für mich dem Vorbild eines Lehrmeisters große Bedeutung zu. Hierzu gehört auch das Ideal eines Betreuungsverhältnisses, in dem sich Schüler und Lehrer wie Sohn und Vater begegnen. Unter der väterlichen Betreuung von Professor
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Albin Eser und mit der Unterstützung meines deutschen Freundeskreises, zu dem auch Günter Heine, Walter Gropp und Walter Perron gehörten, konnte ich im Juni 1986 meine Promotion mit der Dissertation „Umweltstrafrecht in der Republik Korea, Japan und der Bundesrepublik Deutschland“ abschließen. Ganz bewusst hatte ich dabei auch das japanische Umweltstrafrecht miteinbezogen, da es mir ein großes Anliegen war, den koreanischen Rezeptionsprozess in seiner Gesamtheit betrachten zu können. Methodisch folgte ich der Idee der Gesamtstrafrechtswissenschaft nach Franz von Liszt. Da mein Vorhaben für die Dissertation anfangs sehr umfangreich gewesen war, hatten Günter Heine und mein Doktorvater Albin Eser ihre Bedenken zum Ausdruck gebracht. Gerade weil ich mir meiner Wissbegier bewusst war, sah ich die Gefahr, die damit verbunden war. Doch nichts und niemand konnten mich schließlich aufhalten. Ich wollte während meines Aufenthaltes in Deutschland schlichtweg alles an Kenntnissen mitnehmen, was mir dabei helfen könnte, einen Blick über den Tellerrand zu werfen und die Dinge in ihrer Gesamtheit zu erfassen. Meine Dissertation umfasste letzten Endes unter anderem die Synthese der Rechtsprechungen, Dogmatik sowie Theorien des Strafrechts und des Strafverfahrensrechts, Kriminologie, Soziologie und alte Rechtsgeschichte. Noch heute danke ich vor allem meinem Doktorvater Albin Eser für sein Verständnis gegenüber den von mir in Hülle und Fülle akkumulierten Materialien. Obwohl mir meine Dissertation unter dem Gesichtspunkt ihres großen Umfangs eher dürftig erschien, war ich überzeugt, sie konsequent mit einem der Sache angemessenen Geschichts- und Problembewusstsein verfasst zu haben. Am Max-Planck-Institut war auch der ehemalige MPI-Direktor Professor Hans Heinrich Jescheck tätig, den ich gelegentlich zufällig am Institut traf. Eines Tages lud er mich freundlicherweise auf eine Tasse Tee in sein Büro ein. In unserem Gespräch zeigte er Interesse an der politischen Lage in meinem Heimatland und an dem traurigen Schicksal, das Korea durch seine Teilung erfahren hatte. Ich erläuterte ihm schließlich, welche Schwerpunkte ich künftig meinen Forschungen zugrunde legen würde. Da er damals bereits emeritiert war, ergaben sich neben diesem Gespräch auch viele andere Gelegenheiten, bei denen wir uns austauschen konnten. Später nach meiner Heimkehr nach Korea erzählte man mir, dass Herr Prof. Jescheck nach einem Vortrag, den er an der koreanischen Universität Yonsei gehalten hatte, beim Abendessen von seinen dortigen Kollegen gefragt worden war, wer seiner Meinung in Deutschland der begabteste koreanische Doktorand sei – da hatte er, wie man mir berichtete, meinen Namen genannt. Genau genommen war er nur mit sehr
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wenigen koreanischen Doktoranden bekannt. Das änderte jedoch nichts an der Tatsache, dass ich mich sehr über seine besondere Anerkennung freute.
III. Mein Berufseinstieg (1990–1995) 1. Nebenstrafrecht Im März 1990, ein halbes Jahr nach meiner Heimkehr nach Korea, erhielt ich einen Ruf an die Chongju Universität – die zweitälteste Universität Koreas, die im Jahr 1924 gegründet worden war. Der Name der Universität geht auf die Stadt Chongju-shi, die dortige Bezirkshauptstadt, zurück. Als neu berufener Professor stellte ich zunächst meine Forschungsergebnisse zum Umweltrecht vor, die ich im Rahmen meiner Magisterarbeit und meiner Dissertation gewonnen hatte. Das Nebenstrafrecht, das damals in Korea noch nicht gut aufgestellt war, entwickelte sich auf diese Weise zu einem meiner Hauptforschungsgebiete. Darüber hinaus begann ich Überlegungen zum koreanischen Strafrecht anzustellen. Zunächst legte ich den Fokus meiner Analysen auf die Form der Strafandrohung als Annex zu verwaltungsrechtlichen Umweltschutzvorschriften in verstreuten Umweltverwaltungsgesetzen. Diese Form der Strafbewehrung schien im Wesentlichen auf eine Sicherung des Verwaltungsvollzugs abzuzielen. Die koreanische wie auch die japanische Literatur bezeichnen diesen strafbewehrten Verwaltungszwang als „Indirektstrafe“. Dagegen entspricht die unmittelbare Bestrafung des Überschreitens von Emissionsgrenzwerten einer „Direktstrafe“. Diese Unterscheidung von Indirektstrafe und Direktstrafe, die nicht im Bereich der Strafrechtswissenschaft, sondern bis dahin nur im Bereich der Verwaltungsrechtswissenschaft diskutiert und verwendet worden war, beruhte meiner Auffassung nach auf keiner brauchbaren formalen Logik. Darüber hinaus hatte ich den Eindruck gewonnen, dass der Begriff des Verwaltungsstrafrechts im Sinne Goldschmidts in Korea (wie auch in Japan) teilweise absichtlich oder unbewusst missverständlich rezipiert wurde. Meine Argumentation zum Verwaltungsstrafrecht wurde allmählich im Bereich der Verwaltungsrechtswissenschaft anerkannt, sodass meine Position zum Annexstrafrecht als eine Form des Nebenstrafrechts schließlich auch in einigen einschlägigen Lehrbüchern berücksichtigt wurde. Ganz allmählich entstand daraufhin in der Strafrechtswissenschaft auch ein vermehrtes Forschungsinteresse am Nebenstrafrecht.
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2. Rezeptionsvorgang und Konfuzianismus Um die tieferen Hintergründe der Kulturgebundenheit des koreanischen Strafrechts zu erläutern, sollte ich zunächst einige Worte über den Konfuzianismus verlieren, durch den die meisten Unterschiede zu fremdem Strafrecht gegeben sind. Diesbezüglich spielt vor allem die Grundwertediskussion eine wichtige Rolle, da die konfuzianische Perspektive auf Verbrechen und Strafe im koreanischen Alltagsleben auch heute noch vorherrschend ist. Das koreanische Volk lebte damals wie heute in einer doppelten Rechtskultur koreanischer und deutscher Prägung. Vor diesem Hintergrund konnte ich feststellen, dass einige deutsche Konzeptionen in der Strafrechtsdogmatik in Korea in anderer Form konkretisiert wurden. Ein Fixpunkt des Disputs ist daher die Frage, ob die Bewahrung der tradierten konfuzianischen Wertemuster ein Hemmnis der weiteren Entwicklung Koreas nach sich zieht. Erst im Zuge der Öffnung Koreas zur Außenwelt im späten 19. Jahrhundert und der damit verbundenen Modernisierungswelle, die das Land damals ergriff, gab es über die Strafrechtswissenschaft hinaus eine heftige wissenschaftliche Kontroverse. Im Ergebnis wurde eine Streitschrift mit dem Titel „Konfuzius muss sterben, damit Korea überleben kann“ veröffentlicht. In dieser wird die Auffassung vertreten, dass die der konfuzianischen Kultur immanenten Widersprüche die Ursache verheerender inländischer Ereignisse der letzten hundert Jahre (japanische Annexion, Koreakrieg, IMFWirtschaftsdesaster) seien. Die konfuzianischen Wertemuster implizierten demnach Verlogenheit und Heuchelei, Zerstörung von Vitalität sowie Priorisierung männlicher Überlegenheit. Darüber hinaus sei die konfuzianische Moral keine Moral für die Menschen, sondern vielmehr für die Politik, eine Moral für die Alten und Etablierten. Sie konterkariere Transparenz, Gleichheit und Kreativität. Dagegen wandte sich die Streitschrift „Konfuzius muss leben, wenn Korea überleben will“, in der man argumentierte, dass es sich bei diesen Positionen um reine Fantasiegespinste handele, die auf eine Unkenntnis der Wesenskerne des Konfuzianismus zurückzuführen seien. Außerdem propagiere man hierdurch eine neue Form von Liberalismus, die Zerstörung traditioneller Grundwerte und die bedingungslose Akzeptanz von Entwicklungsfetischismus und Globalisierung. Die letztere Position beinhaltet die Auffassung, dass Denkstrukturen dieser Art die Menschheit nicht zum Guten führen können und stattdessen vielmehr eine Gefährdung der kulturellen Identität darstellen. Die konfuzianische Weltsicht einer organischen Harmonie in der Gesellschaft und der Harmonie von Kultur und Natur sei eine überzeugende Erwiderung auf das Globalisierungsparadigma. Erforderlich sei deswegen eine neue umfassende
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Ethik, die auf einer die natürlichen Grundlagen des Kosmos einschließenden Moral aufbaue. Die rationalistische Weiterentwicklung der Technikkultur bedeute hingegen den Ruin der Menschheit und die Zerstörung der Welt, wenn keine neue Ethik entwickelt und zur Geltung gebracht werde. Erstrebenswert sei die Harmonisierung westlicher wissenschaftlich-technologischer Rationalität und konfuzianischer moralischer Rationalität, eine ethische Modifikation westlichen Fortschrittsdenkens.
IV. Mein zweiter Deutschlandaufenthalt als Humboldtianer (1995–1996) 1. Eine ungelöste Problemstellung in Bezug auf eine doppelte Rechtskultur in Korea – neue Aufgaben der Strafrechtsdogmatik nach der Demokratisierungsphase Seit meiner Rückkehr nach Korea war inzwischen viel Zeit vergangen. Eines Tages kam mir ein zündender Gedanke für ein neues Forschungsprojekt in den Sinn. Nach meinem ersten Forschungsaufenthalt als Doktorand in Deutschland hatte ich den Rezeptionsprozess des deutschen Strafrechts in Korea stets als sinnvoll erachtet. Seit der Kodifikation des StGB im Jahr 1953 hatte sich die koreanische Strafrechtswissenschaft im Kriegszustand mit Menschenrechtsverletzungen unter einer diktatorischen Militärregierung befunden, was die Konzentration auf eine innere, selbständige Entwicklung einer folgerichtigen Strafrechtsdogmatik erschwert hatte. Die rezipierte deutsche Strafrechtsdogmatik stellte dabei lediglich ein technokratisches Kontrollmittel dar. Erst nach der Demokratisierung (ab 1980) entstand in Korea sukzessive eine folgerichtige Strafrechtsdogmatik, die auch neue gesellschaftliche Probleme für die Anwendung erschließen konnte. Dabei sollte als wichtigste Aufgabe dieser Strafrechtsdogmatik die Schaffung einer folgerichtigen Grammatik der strafrechtlichen Zurechnung angesehen werden, die sich von „unrichtigem“ Recht westlichen Verständnisses löst und auf der konfuzianischen Tugend „li“ (Sittlichkeit) beruht. In Korea existieren somit unter der Oberfläche westlichen Denkens (wie Schuldprinzip oder Gesetzlichkeitsprinzip) nach wie vor konfuzianische Traditionen, die auf Naturrechtsgedanken wie etwa die besagte traditionelle Tugend „li“ zurückzuführen sind. Diese Traditionen bewegen sich über die Grenzen des positiven Rechts und Naturrechts hinaus und verdeutlichen hierdurch die Einheit dieser Bereiche. Im gegenwärtigen Zeitalter von Globali-
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sierung und Strafrechtsangleichung finden in Korea nach wie vor fortwährend Rezeptionsvorgänge deutschen Strafrechts statt. Vor diesem Hintergrund fasste ich schließlich den Entschluss, der koreanischen „Schicksalsfrage“, die sich für mich aus einer doppelten Rechtskultur koreanischer und deutscher Prägung ergab, im Rahmen eines neuen Forschungsprojektes endlich auf den Grund zu gehen. Aus meiner Sicht kam diesem Gebiet seit der Demokratisierungsphase in Korea (ab 1980) eine besondere Relevanz zu. Um die Problemstellung, die sich für mich hieraus ergeben hatte, zu klären, wollte ich nach Möglichkeit für einen zweiten Forschungsaufenthalt nach Deutschland reisen. Nachdem ich bereits im Jahr 1991 aus verschiedenen Gründen ein Förderangebot für einen Forschungsaufenthalt in Deutschland nicht hatte annehmen können, bewarb ich mich im Jahr 1994 um eine finanzielle Unterstützung der Korea Research Foundation (KRF) und gleichzeitig auch um ein Forschungsstipendium der Alexander-von-HumboldtStiftung. Glücklicherweise erhielt ich im darauffolgenden Jahr von beiden Stiftungen eine Zusage. Da es für mich eine große Ehre war, als Humboldtianer ausgewählt zu werden, teilte ich der KRF die Zusage der Alexander-vonHumboldt-Stiftung mit. In einem Sonderausschuss der KRF wurde daraufhin entschieden, dass man mich für die Dauer eines Jahres finanziell unterstützen würde. Alles verlief bestens. Gemeinsam mit meiner Frau, unserem einjährigen Sohn und unserer vierjährigen Tochter kam ich schließlich erneut zum Forschen an das Max-Planck-Institut nach Freiburg.
2. Vergangenheitsbewältigung Kurz nach meiner Heimkehr im Jahr 1990 war es zur deutschen Wiedervereinigung gekommen. Am Max-Planck-Institut waren inzwischen einige Mitarbeiter tätig, mit denen ich noch nicht persönlich bekannt war: Einer von ihnen war Jörg Arnold, der zur damaligen Zeit bei mir anfragte, ob ich interessiert sei, an einem großen Rechtsvergleichungsprojekt des Max-Planck-Institutes mitzuwirken. Da ich die koreanische Demokratisierung von Anfang an selbst miterlebt hatte, nahm ich sein Angebot gerne an. Für meinen Beitrag daran schlug er mir schließlich eine Landesberichtserstattung in Bezug auf eine Vergangenheitsaufarbeitung vor. Mit dem Begriff „Vergangenheitsaufarbeitung“ (Koreanisch: „Kwago-Chongsan“) war man in Korea vertraut. Innerhalb eines halben Jahrhunderts fanden drei Versuche statt, die Vergangenheit durch das Strafrecht aufzuarbeiten: Der erste Versuch betraf die Kollaborateure der japanischen Kolonialzeit (1910–1945), der zweite die Wahlbetrügereien sowie die Korruption unter dem autoritären Regime Rhee Syungmans (1948–1960) und der dritte das hochverräterische
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Massaker sowie die Korruption während der Amtszeiten der Präsidenten Chun Doo-Hwan und Roh Tae-Woo (1980–1993). Das Bewusstsein darüber, dass dem Recht in der Gesellschaft sehr große Bedeutung zukommt, brachte mich auf einen Gedanken, wie sich Juristen diesbezüglich engagieren könnten. In meinem Landesbericht kam ich letzten Endes zu dem Schluss, dass die Argumentation des koreanischen Verfassungsgerichtshofes genau genommen eine Erweiterung des traditionellen Rechtsgedankens „Regeln der Sittlichkeit“ bzw. der Radbruchschen Formel auf verfassungskonforme Weise zum Ausdruck brachte. Darüber hinaus betonte ich, dass die jüngere koreanische Geschichte Anlass zu einer Vergangenheitsaufarbeitung biete, in der man die alte Frage nach dem Verhältnis vom Gesetz und Regeln der Sittlichkeit im altkoreanischen Rechtsgedanken – vergleichbar mit dem Verhältnis von Gesetz und Recht in Deutschland – neu aufgreifen könne. In diesem Zusammenhang unternahm ich damals eine Vortragsreise nach Ostdeutschland, zu der mich Prof. Hans Joachim Hirsch eingeladen hatte. Noch im Jahr zuvor war ihm an meiner Alma mater, der Sung-Kyun-Kwan Universität, die Ehrendoktorwürde verliehen worden, wobei ich selbst für seinen Vortrag als Übersetzer tätig gewesen war. Als ich schließlich auf seine Initiative hin zurück nach Deutschland kam, erwarteten mich im Audimax der Universität Halle nahezu tausend Studenten als Zuhörer. Mein dortiger Vortrag zur Vergangenheitsbewältigung in Korea ist für mich unvergesslich. Prof. Koichi Miyazawa und Prof. Klaus Marxen veranstalteten 1999 an der Humboldt-Universität Berlin ein Symposium zur Vergangenheitsbewältigung in Japan und in Deutschland nach dem Zweiten Weltkrieg. Daran nahm ich als Sondergast aus dem Opferland Korea mit dem Thema „Trostfrauen“ teil. Im Zweiten Weltkrieg hatte man für japanische Militärbordelle Frauen aus ganz Asien rekrutiert. 200.000 Frauen, darunter viele Koreanerinnen, mussten damals als Zwangsprostituierte und Sexsklavinnen arbeiten. Nach dem Krieg wurde dieses Verbrechen lange Zeit tabuisiert. Erst in den 1990er Jahren meldeten sich die Betroffenen zu Wort. Damals hatte ich hierzu sehr gute Einblicke von japanischen Kollegen erhalten, zu denen u.a. auch Prof. Miyazawa und Prof. Makoto Ida gehörten, die diesbezüglich als Wissenschaftler eine neutrale Position vertraten. Obwohl das Schicksal der Trostfrauen relativiert wurde, was zu Spannungen zwischen Japan und Korea führte, akzeptierten japanische Kollegen damals meine kritische Argumentation, die auf den internationalen Menschenrechten basierte. Seit ich im Jahr 1999 bei einem Symposium in Berlin mit meinem sehr tüchtigen Kollegen Makoto Ida Bekanntschaft machte, arbeiteten wir häufig zusammen. Ich erinnere mich, dass ich vor dieser Veranstaltung Prof. Marxen für einige Tage einen Besuch abgestattet hatte. Nach
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meinem Gastvortrag in Berlin führte ich mit ihm ein unvergessliches Gespräch über Hegel und den Konfuzianismus, während wir gemeinsam durch Berlin spazierten.
3. Musik Als Humboldtianer stand ich bei meinem zweiten Deutschlandaufenthalt keinesfalls unter Zeitstress. Hierdurch bot sich mir erneut eine gute Gelegenheit, neben meiner strafrechtswissenschaftlichen Forschung musikwissenschaftliche Lehrveranstaltungen zu besuchen. Die erste Hälfte meines Forschungsaufenthaltes verlief auf diese Weise sehr unbeschwert. Später litt jedoch meine Frau unter gesundheitlichen Problemen und war gezwungen, mit unseren beiden Kindern frühzeitig nach Korea zurück zu reisen. Mein Alltag geriet infolgedessen aus dem Gleichgewicht, weshalb ich mich nach dem ersten Semester letzten Endes dazu entschloss, den Besuch musikwissenschaftlicher Lehrveranstaltungen aufzugeben. Dennoch sammelte ich in der Universitätsbibliothek weiterhin fast täglich viele interessante musikwissenschaftliche Aufsätze. Darüber hinaus besuchte ich regelmäßig Konzerte und Musikfestivals. Mit anderen Musikfans führte ich nach Konzerten viele lebhafte Diskussionen über Musik fern vom Universitätsalltag – für mich war es eine weitere Bestätigung, dass Musik nicht von anderen Lebensbereichen isoliert werden sollte. Obwohl ich meinen ursprünglichen Plan, in der Musikwissenschaft zu promovieren, aufgegeben hatte, trug ich noch immer den großen Wunsch in mir, später in meinem Heimatland auf der Bühne als Musikkritiker tätig werden zu können – was mir glücklicherweise schließlich auch gelang. Nach meiner Rückkehr nach Korea wurde ich sowohl als Strafrechtler als auch als Musikkritiker tätig. Da meine von mir als Musikwissenschaftler publizierten Aufsätze in Korea anerkannt wurden, hielt ich später Vorlesungen zur westlichen Musikgeschichte. Im Jahr 2014 wurde im koreanischen Fernsehen über KBS (Korea Broadcasting System) wöchentlich die Sendung „Klassische Musik und Recht“ ausgestrahlt. Das Programm wurde schließlich über ein Jahr lang gesendet. Mein Buch „Die klassische Musik und das Recht“, das meine im Rahmen der Sendung geführten Gespräche zusammenfasst und ergänzt, erschien im Jahr 2015. Es stand in Korea acht Wochen lang auf der Bestsellerliste.
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V. Erweiterung der Rechtsvergleichung (von 1997 bis heute) 1. Begegnung mit Amerika Genau genommen hat das koreanische Strafrecht rechtshistorisch gesehen keinerlei direkten Bezug zum anglo-amerikanischen Rechtskreis. Dennoch kann man es in der heutigen Zeit nicht gänzlich ausschließen, dass sich dieser Umstand im Laufe der Zeit ändern könnte. Nach der Befreiung Koreas von der japanischen Kolonialmacht im Jahr 1945 war es zur Teilung des Landes gekommen, die schließlich zum Koreakrieg (1950–53) geführt hatte. Die ideologische Aufspaltung legte daraufhin den Grundstein für eine Spaltung zwischen dem kapitalistischen, von den USA unterstützten Südkorea und dem kommunistischen, von der Sowjetunion unterstützten Nordkorea. Die Teilung Koreas verlief dabei ähnlich wie die Teilung Deutschlands nach dem Zweiten Weltkrieg. Wie bereits vorher erwähnt, hatte ich damals mein Vorhaben, über ein Stipendium an der University of Chicago zu studieren, aufgegeben – da das koreanische Strafrecht dem kontinental-europäischen Rechtskreis zugehörig ist. Seit 1990 haben sich diese Umstände gewandelt. Bei meinem ersten Vortrag auf Englisch handelte es sich um einen Konferenz-Beitrag zu einer UNO-Sitzung zum Umweltstrafrecht (international und inländisch), die 1994 in Portland (USA) stattfand. Mein nächster englischsprachiger Vortrag, zu dem es im Jahr 1998 kam, war ein Konferenz-Beitrag zum World Model Penal Code an der Columbia University Law School. Hierdurch wurde das Referieren auf Englisch für mich allmählich zur Routine, so dass ich begann, auch in den Niederlanden, China und Spanien Gastvorträge zu halten. Wie vorher bereits erwähnt, lud mich Professor Stephen Thaman, der mit mir am MPI-Großprojekt zum Umweltstrafrecht mitgewirkt hatte, für das Sommersemester 2000 dazu ein, als Lehrbeauftragter an der St. Louis University Law School tätig zu werden. Da ich auch eine reguläre Vorlesung abzuhalten und Noten zu vergeben hatte, stellte diese Aufgabe eine große Herausforderung für mich dar. Seitdem biete ich in den USA alle drei Jahre eine Vorlesung über das ostasiatische Rechtssystem (Korea, Japan und China) an. Hierdurch nahm schließlich auch die Anzahl meiner Aufsätze in englischsprachigen Fachzeitschriften rasch zu, was gleichzeitig dazu führte, dass ich mein Forschungsspektrum erweiterte.
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2. Umweltrecht, internationales Menschenrecht und Todesstrafe Durch Einladungen von Kollegen aus dem anglo-amerikanischen Kreis, die teilweise von Haus aus keine Juristen, sondern meistens Soziologen und Philosophen waren, boten sich mir Gelegenheiten zum interdisziplinären Forschen. In Bezug auf das Vollzugsproblem im Umweltrecht kooperierte ich mit Prof. Joseph DiMento von der University of California (Irvine), der Jurist und Soziologe ist. Aus dem Forschungsgebiet der Todesstrafe lernte ich viele weltberühmte Kriminologen und Soziologen bei verschiedenen Symposien kennen, hierzu zählen u.a. Prof. Peter Hodgkinson, Prof. Roger Hood, Prof. David Johnson und Prof. William Schabas. Da sie weltweit als renommierte Experten zum Thema Todesstrafe gelten, traf ich sie, wann immer ein diesbezügliches Symposium im asiatischen Raum stattfand. Da ich in Bezug auf die Todesstrafe mit den philosophischen Hintergründen des Bewusstseins im asiatischen Kulturkreis vertraut bin, wurde ich selbst ebenfalls als Experte hierzu eingeladen. Im Jahr 2002 hatte ich Gelegenheit, gemeinsam mit diesen Kollegen in Changxia (China) über das bis dahin in China noch tabuisierte Thema der Todesstrafe zu diskutieren. Später ergaben sich weitere Anlässe hierfür. Auf diese Weise konnte ich dazu beitragen, die ersten Schritte auf dem Weg zur Abschaffung der Todesstrafe zu realisieren. Da die Todesstrafe in einem engen Zusammenhang mit dem Strafverfahrensrecht und den Menschenrechten steht, hatte ich außerdem Gelegenheit, gemeinsam mit Prof. Jerome Cohen, einem amerikanischen Experten für chinesisches Recht von der New York University Law School, bei einem Symposium der Renmin Universität in Peking einen Vortrag zur Todesstrafe und dem Strafverfahrensrecht zu halten. Darüber hinaus wurden Prof. Schabas und ich im Jahr 2011 als Experten zu einem Symposium eingeladen, das von japanischen Vertretern von Amnesty International veranstaltet wurde. Im Anschluss an dieses Symposium ergab es sich, dass Prof. Shabas und ich, neben einigen NGO-Aktivisten, mit japanischen Abgeordneten ins Gespräch kamen.
3. Beratungstätigkeiten für die vietnamesische Regierung und Beziehungen zu anderen asiatischen Ländern Im Jahr 2010 führte die UNO ein spezielles Förderungsprogramm für die vietnamesische Regierung durch. Zielsetzung hierbei war die Sichtung von Rechtssystemen anderer Nationen, welche die vietnamesische Regierung als Vorbild für die neue Gesetzgebung und Justizorganisation berücksichtigen könnte, um das alte kommunistische Rechtssystem zu ersetzen. Neben Korea
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wurden hierfür auch die USA, Russland, China und Japan berücksichtigt. Da Korea jedoch sehr rasch und erfolgreich ein Wirtschaftsaufschwung gelungen war und im dortigen Rechtssystem noch Elemente der alt-koreanischen Tradition verankert sind, zeigte sich die vietnamesische Regierung besonders interessiert daran, das koreanische Rechtssystem näher kennenzulernen. Als Stellvertreter meines Heimatlandes Koreas führte ich die vietnamesischen Regierungsbeamten im Rahmen einer Beratung in die Grundzüge des koreanischen Rechtssystems ein. Ein ähnliches Programm wurde im Jahr 2011 durch den British Council der Europäischen Union initiiert. Während sich das UNDP-Programm allgemein auf das gesamte Rechtssystem bezog, zielte das EU-Programm des British Council lediglich auf das System der Strafjustiz ab. Zu Letzterem leistete ich einen Beitrag, indem ich in Hanoi einen Überblick zur koreanischen Strafjustiz vorstellte. In Hanoi hielt ich mich schließlich sogar für ein knappes halbes Jahr auf, um der vietnamesischen Regierung als Berater weiterhin Unterstützung leisten zu können. Mein erwähnter Beitrag zum UNDP-Programm aus dem Jahr 2010 hatte letzten Endes neben Vietnam auch einen Einfluss auf Hong Kong, Singapur und Thailand. Da sich die asiatischen Länder durch viele Gemeinsamkeiten bezüglich der Mentalität und des Lebensstils auszeichnen, baute ich im Verlauf der Jahre meine Kontakte zu anderen asiatischen Nationen weiter aus.
4. Einführung des Ordnungswidrigkeitsrechts in Korea Wie bereits erwähnt, konzentrierte ich mich nach meiner Rückkehr nach Korea vor allem auf das Gebiet des Nebenstrafrechts, das zu dieser Zeit in Korea noch nicht gut aufgestellt war. In meinen Veröffentlichungen kritisierte ich die Form von Annex-Strafgesetzen, die einfach einige Paragraphen der Verwaltungsgesetze strafbewehrte. Die Anzahl an Annex-Strafgesetzen nahm dennoch weiter zu. Als Dogmatiker verwies ich vor allem auf die mangelnde Leistungsfähigkeit der punitiven Annex-Strafgesetze hin. Im Jahr 2003 gründete das Justizministerium eine ad-hoc Kommission für die Gesetzgebung des Ordnungswidrigkeitsrechts, deren Vorsitz ich übernahm. Drei Jahre später bereitete ich gemeinsam mit den anderen Kommissionsmitgliedern einen entsprechenden Gesetzesentwurf vor. Nachdem das Justizministerium den Entwurf zunächst abgelehnt hatte, trat ich persönlich vor das Parlament und konnte die Abgeordneten schließlich davon überzeugen. Das Gesetz trat im Jahr 2007 in Kraft.
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5. Transkultureller Austausch unter Strafrechtlern durch das Medium der deutschen Sprache und Rechtsdogmatik Wie ich bereits an vorheriger Stelle aufgezeigt habe, hat die Rezeption des deutschen Strafrechts in ostasiatischen Ländern sehr wesentliche Veränderungen mit sich gebracht. Dank der deutschen Dogmatik können sich heute Strafrechtswissenschaftler verschiedener Länder Ostasiens – wie etwa aus Korea, Japan oder Taiwan – mühelos mittels der deutschen Sprache über aktuelle Fragestellungen im Recht austauschen. Das gilt jedoch nicht nur für den Kulturraum Ostasien, sondern ebenso für einige europäische Länder wie Österreich, die Schweiz, Spanien, Polen und die Türkei, was ich stets bei meinen Vorträgen im Ausland persönlich erfahren konnte. Die deutsche Sprache und Dogmatik stellt somit für Strafrechtswissenschaftler unterschiedlichster Herkunft eine gemeinsame Verständnisbasis dar. Auf diese Weise konnte ich beispielsweise ohne Schwierigkeiten mit meinen Schweizer Kollegen Prof. Kurt Seelmann und Prof. Karl-Ludwig Kunz zur Organtransplantation und kriminologischen Komplexität zusammenarbeiten. Hierbei stellte sich heraus, dass Seelmanns Rechtsphilosophie und Kunzs Kriminologie für meine Forschungszwecke durchaus einen Gewinn darstellten.
6. Nordkorea Eingangs hatte ich erwähnt, dass mein Vater ursprünglich aus Nordkorea stammt. Die Entwicklung politischer Vielfalt in Südkorea stellt für Nordkorea eine neue Herausforderung dar, die darin besteht, die stalinistische Isolation aufzugeben und die Wirtschaft zu reformieren. Der weltweite Zusammenbruch des Sozialismus und die Auflösung der Sowjetunion 1991 verstärkte die bereits tiefgreifende ökonomische Krise. Nordkoreas oberster Führer Kim Jong Un spielt mit Washington und Seoul ein gefährliches Spiel mit Atomwaffen, das sich hart am Abgrund bewegt. Südkoreanische Experten und das Einheitsministerium sehen für die Zukunft Nordkoreas einige mögliche Szenarien, wie beispielsweise das Folgende: Das Regime bricht zusammen. Die Endphase dieses Szenarios hängt vom Ausmaß der inneren Gewalt ab, was im Extremfall zu einer Situation führen kann, in der verschiedene politische Gruppen gegeneinander kämpfen, während das Land in Chaos und Gewalt versinkt. Andere Szenarien sind natürlich ebenfalls denkbar. Speziell hierzu konzipierte ich im Auftrag des südkoreanischen Einheitsministeriums eine Art Notfall-Programm, in dem ich skizzierte, wie das südkoreanische Rechtssystem auf chaotische Zustände in Nordkorea reagieren könnte. Hierfür zog ich die deutsche Wiedervereinigung als Vorbild heran. Mein Programm wurde als Staatsgeheimnis eingestuft und deshalb nicht veröffentlicht. Es erfüllt mich mit großem Stolz,
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dass ich als Experte für Strafrecht für mein Heimatland diesen besonderen Auftrag ausführen durfte.
VI. Deutschland als Vorbild und Inspirationsquelle Obwohl ich meine wissenschaftlichen Tätigkeiten nach meiner Rückkehr nach Korea auch in die USA und andere asiatische Länder ausdehnte, stellte Deutschland für mich immer eine Besonderheit und ein Vorbild dar. Deutschland gleicht für mich einer nährenden Inspirationsquelle, die mich im wissenschaftlichen Sinne nährt wie das Blut unsere Körper. Im Jahr 2009 wurde ich von der Korea Research Foundation als einziger Professor der Rechtswissenschaft zum „Most Distinguished Scholar“ ernannt. Als Anerkennung meiner wissenschaftlichen Leistungen erhielt ich für die Dauer von fünf Jahren eine finanzielle Förderung für meine Forschungen. Mein diesbezügliches Forschungsthema lautet „Kollektivschuld“. Da dieser Begriff genau genommen in Deutschland geprägt wurde, wird auch hierdurch noch einmal der Einfluss deutlich, den Deutschland auf meine wissenschaftliche Arbeit ausübt. In diesem Sinne sehe ich mich selbst als Vermittler. Auch wenn sich das Spektrum meiner Forschungsgebiete künftig sicherlich noch erweitern wird, werde ich diesen Weg der Vermittlung zwischen dem Osten und Westen auch weiterhin gehen.
Schriftenverzeichnis (in Auswahl) 1. Selbstständiges Schrifttum / Monographien Umweltstrafrecht in Korea und Japan, Freiburg i.Br. 1993. 환경형법 [Umweltstrafrecht], Cheongju, 1998. Übersetzt ins Chinesische und veröffentlicht in China von: Zhang Xia, 环境刑法学 [Theorie des Umweltstrafrechts], Changchun 2008. Teilband 10: Landesbericht Südkorea, mit C. Holzapfl und T. Richter, als Teil von Eser / Sieber / Arnold (Hrsg.), Strafrecht in Reaktion auf Systemunrecht. Vergleichende Einblicke in Transitionsprozesse., Berlin 2006. 클래식 법정 [Die klassische Musik und das Gericht], Seoul 2015.
2. Aufsätze in Zeitschriften und Sammelwerken Die Entwicklung des Umweltstrafrechts in Korea, in: ZStW 1994, S. 235 ff.
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Vergangenheitsbewältigung in Südkorea aus strafrechtlicher Perspektive, in: Internationales Asienforum 1998, S. 239 ff. Die Vergangenheitsaufarbeitung und die koreanische Justiz – anläßlich des Prozesses gegen zwei ehemalige Präsidenten, in: Eser (Hrsg.), Festschrift für Haruo Nishihara, Baden-Baden 1998, S. 339 ff. Die Rezeption des Europäischen Strafrechts in Korea: Kontinuitäten und Diskontinuitäten im koreanischen Strafrecht, in: Orsi / Seelmann / Smid / Steinvorth (Hrsg.), Rechtsphilosophische Hefte: Recht und Kulturen, Frankfurt a.M. 2000, S. 69 ff. „Comfort Women“ und Völkerstrafrecht. Die ausgebliebene Wiedergutmachung von japanischen Kriegs- und Besatzungsverbrechen, insbesondere aus der Sicht der Opferstaaten, in: Marxen / Miyazawa / Werle (Hrsg.), Der Umgang mit Kriegs- und Besatzungsunrecht in Japan und Deutschland, Berliner Juristische Universitätsschriften Strafrecht Bd. 13, Berlin 2001, S. 69 ff. Emergence of an International Environmental Criminal Law?, in: UCLA Journal of Environmental Law & Policy, Vol. 19 (2000/2001), S. 11 ff. Private Commercial Bribery in Korea: National Report of the Republic of Korea to OECD, in: Heine / Huber / Rose (Hrsg.), Private Commercial Bribery. A Comparison of National and Supranational Legal Structures, Freiburg 2003, S. 231 ff. Einsturz des Mythos der Sicherheit in Ostasien?, in: Kunz / Besozzi (Hrsg.), Soziale Reflexität und qualitative Methodik. Zum Selbstverständnis der Kriminologie in der Spätmoderne, Bern / Stuttgart / Wien 2003, S. 143 ff. Death Penalty in South Korea and in the Far East, in: Hodgkinson (Hrsg.), Capital Punishment: Strategies for Abolition, Cambridge 2004, S. 253 ff. Die Organtransplantation im Spannungsfeld von Medizin, Ethik und Strafrecht in Korea, in: Arnold / Burkhardt / Gropp / Heine / Koch / Lagodny / Perron / Walther (Hrsg.), Festschrift für Albin Eser, München 2005, S. 1071 ff. Reform Trends of Criminal Procedure in South Korea: Transition to Consitutional Guarantee of Human Rights, in: Journal of Study on the American Constitution, Vol. 16 No. 2, 2005, S. 41 ff. South Korea’s Changing Capital Punishment Policy: The Road From De Facto to Formal Abolition, in: Punishment & Society, Vol. 10 No. 2, 2008, S. 171 ff. Konkretisierungen der deutschen Strafrechtsdogmatik in Korea – Grenzen und Fortentwicklungen der Rezeption, in: Streng / Kett-Straub (Hrsg.), Strafrechtsvergleichung als Kulturvergleich, Tübingen 2012, S. 75 ff.
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Capital Punishment in South Korea: Progress and Prospects for Abolition De Jure, in: City University of Hong Kong Law Review Vol. 4, 2013, S. 45 ff. Sinn und Grenzen der Strafrechtsvergleichung – Täterschaftsprobleme in den hierarchischen Organisationen im koreanischen Strafrecht, in: Zeitschrift für Japanisches Recht, Vol. 7, 2013, S. 343 ff. Täterschaftsprobleme in den hierarchischen Organisationen in dem koreanischen Strafrecht aus der rechtsvergleichender Sicht, in: Annales de la Faculte de Droit dʼIstanbul, Vol. 44 No. 61, 2013, S. 3 ff.
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https://doi.org/10.1515/9783110277708-005
Miguel Díaz y García Conlledo I. Eine kurze Zusammenfassung meines Lebens, insbesondere aus akademischer Sicht 1. Persönlicher Werdegang und Studienzeit Ich wurde am 6. März 1960 in Madrid geboren. Mein Vater war ein sogenannter „gato puro“1 [ein echter Kater], einst beruflich als Bauingenieur für öffentliche Gebäude tätig. Er hatte zu seinen Lebzeiten (er verstarb im Jahr 2010) stets den Wunsch gehegt, auf einem hohen Posten im Bereich des Ingenieurwesens arbeiten zu können, was ihm jedoch aufgrund der fehlenden finanziellen Mittel von Seiten seiner Eltern schließlich nicht möglich war. Das, was er in seinem Leben erreichte, ist dennoch nicht von der Hand zu weisen, angesichts der Tatsache, dass bereits die Absolvierung eines Studiums zu seiner Zeit mit großen Schwierigkeiten verbunden war. Meine Mutter war eine junge Hausfrau, geboren in Alcázar de San Juan, in der Provinz Ciudad Real, inmitten der Unruhen des spanischen Bürgerkriegs. Ihre Eltern waren zu dieser Zeit auf der Flucht von Andalusien nach Madrid, wo sie sich dauerhaft niederließen. Meine Mutter ist somit quasi ebenfalls Madrilenin, wenn auch mit klaren andalusischen Wurzeln. Noch heute wohnt sie als „junggebliebene Seniorin“, wie der Großteil unserer Familie, in der Hauptstadt. Meinen Eltern habe ich alles zu verdanken, insbesondere ihr unermüdliches Bestreben, mir die bestmögliche Ausbildung zu ermöglichen, das Beharren auf der Wichtigkeit, eine integre Person zu sein und andere fundamentale Dinge in meinem Leben, wie die Leidenschaft für das Lesen, welche ich wohl hauptsächlich von meiner Mutter geerbt habe. Des Weiteren habe ich eine jüngere Schwester, zu der ich eine hervorragende Beziehung habe. Im Jahr 1983 habe ich jung geheiratet, was, wie ich später genauer erläutern werde, auch meiner akademischen Laufbahn und auch Deutschland geschuldet war. Meine Frau lernte ich in meinem letzten Schuljahr 1976 kennen, was insoweit höchst außergewöhnlich war, da an unserer Schule sowohl Mädchen als auch Jungen unterrichtet wurden. Noch im selben Jahr wurden wir, beide im Alter von 16 Jahren, ein Paar. Das Bemerkenswerteste an unserer Ehe ist wohl – da es in Spanien heutzutage immer mehr zur Seltenheit wird – dass unsere Partnerschaft noch immer andauert. Meine Frau hat einen Doktor in 1
Ein „gato puro“ [echter Kater] zu sein – wie man die Leute bezeichnete, die in Madrid von madrilenischen Eltern geboren wurden – war im Madrid der 1960er Jahre eine große Besonderheit.
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Psychologie und arbeitet als Professorin an der Universität von León. 1991 bekamen wir Zwillingstöchter, die an der Universität Salamanca Psychologie bzw. Anglistik und Hispanistik und danach verschiedene Masterstudien in Sevilla, Madrid und Santiago de Compostela abgeschlossen haben. An diesem Umstand wird deutlich, dass es mir nicht gelungen ist, meine Begeisterung für die Rechtswissenschaft zu übertragen. Vom Kindergarten bis zum Abitur besuchte ich das San Agustín Colegio in Madrid, das sich in der Nähe meines Elternhauses und direkt neben dem Stadion Santiago Bernabéu befand – damals war das Stadion noch wesentlich kleiner als heute; jedenfalls hat die direkte Nähe nie dazu beigetragen, mich in einen Anhänger von Real Madrid zu verwandeln, sondern wohl eher das Gegenteil, und das obwohl ich selbst einmal für den Verein gespielt habe, allerdings im Tischtennis. Meine Schule war katholisch geprägt und wurde von Augustinern geleitet, zu einer Zeit, in der in Spanien der sich zum Katholizismus bekennende Diktator Franco herrschte. Jene Diktatur wurde schließlich gegen Ende der 1950er Jahre durch die wirtschaftliche Öffnung Spaniens geschwächt. In erster Linie hatten wir diesen Umstand einerseits dem Tourismus zu verdanken, einer damals wie heute bedeutenden Einnahmequelle meines Landes, und andererseits der (mit gewissen Grenzen ausgestatteten und auf strategischen Gründen beruhenden) Allianz bestimmter westlicher Länder mit dem antikommunistischen spanischen Regime während des Kalten Krieges. Nichtsdestotrotz muss ich hinzufügen, dass an meiner Schule, anders als an anderen Lehranstalten und als es einige meiner Zeitgenossen erlebt hatten, weder eine religiöse noch eine politische Indoktrinierung stattfand. Und das, obwohl man Wert auf eine religiöse Erziehung legte und es genügend Lehrer gab, die Anhänger des Regimes waren. Kein einziges Mal waren patriotische Akte der Verherrlichung des diktatorischen Systems, wie das Hissen der Flagge oder das Singen der (faschistischen) falangistischen Hymne mit vorgestrecktem Arm in fast militärischer Formation, wie es an anderen Schulen üblich war, Teil des Tagesgeschehens an meiner Schule. Definitiv habe ich meine Schule in sehr guter Erinnerung, auch wenn ich mich sehr früh dem Agnostizismus zugewandt und von der religiösen Erziehung distanziert und auch nie und in keiner Weise auch nur die geringste Sympathie, sondern vielmehr das genaue Gegenteil, für das franquistische Regime empfunden habe. Nach einer langen Entwicklung innerhalb der sogenannten Linken, würde ich mich heute als einen Liberalen bezeichnen, was einerseits die Gewohnheiten anbelangt, sowie andererseits den Respekt und die Toleranz gegenüber der Lebensweise und den Entscheidungen eines jeden Einzelnen. Des Weiteren sehe ich mich als Sozialdemokrat im sozio-ökonomischen Sinne, obwohl ich
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meine Vorstellung von Sozialdemokratie, die ich mir sehr stark und vor allem für den Bereich der sozialen Gerechtigkeit gewünscht habe, mit keiner der derzeit in Spanien aktiven politischen Parteien vereinbaren kann. Somit halte ich mich von ihnen allen fern und trauere den großen Persönlichkeiten und Erfolgen der Sozialdemokratie vergangener Zeiten, vor allem im Zentrum und Norden Europas, nach. Im Übrigen kann ich sagen, dass ich eine glückliche Kindheit und Jugend ohne große Schicksalsschläge oder Kummer hatte – und zwar in allen Bereichen, ob Familie, Freundschaften, Beziehungen oder unerwiderten Schwärmereien. Obwohl ich von Beginn an mein Abitur auf dem sprachlichen Zweig absolvieren wollte, beharrte mein Vater auf der Bedeutung einer mathematischen Ausbildung – und das mit Recht, wie mir später klar wurde. Dies ging sogar soweit, dass er, zum Erstaunen meiner Freunde, einen Stundenplan mit mehreren Mathematikstunden pro Woche einführte, in denen er mich als mein Lehrer unterrichtete. Als Ergänzung zu meiner Ausbildung legten meine Eltern stets Wert auf das Erlernen von Fremdsprachen. Obwohl darauf in Spanien traditionell wenig Wert gelegt wurde, waren sie sich der immensen Bedeutung bewusst. Neben dem Englischunterricht in der Schule lernte und perfektionierte ich diese Sprache in verschiedenen Sprachzentren und auf Sprachreisen nach Irland und den USA während der Sommerferien, die meine Eltern mit großer Anstrengung finanzierten. Außerdem lernte ich Französisch am Institut für französische Sprache in Madrid und besuchte einen weiteren Sommerferiensprachkurs in Frankreich, ebenfalls finanziert von meinen Eltern. Schon etwas fortgeschritten im Studium, begann ich auf den Rat meines zukünftigen Spanisch-Lehrers den Deutschunterricht am damaligen Institut für deutsche Kultur in Madrid, dem späteren Goethe-Institut, zu besuchen. Dort konnte ich am eigenen Leib erfahren, was „deutsche Sprache, schwere Sprache“ tatsächlich heißt. Ich führte mein Sprachstudium in meinem ersten Jahr in León an der offiziellen Sprachschule der Stadt, welche ich diesmal aus eigener Tasche finanzierte, im Rahmen eines Stipendiums des DAAD am GoetheInstitut in Prien am Chiemsee und natürlich während meiner späteren Forschungsaufenthalte in Deutschland fort. Ich raufe mich heute noch mit der wundervollen deutschen Sprache bei meinen täglichen Tätigkeiten als Professor und während meiner Besuche in Deutschland, einem Land, das so viel für mich bedeutet, allen voran die Stadt München. Ohne die Sprachen studiert zu haben, lese ich ab und an Werke in den mit dem Spanischen verwandten Sprachen Portugiesisch oder Italienisch. Des Weiteren habe ich ein Russischstudium an der Universität von León begonnen, welches ich allerdings mit der Geburt meiner beiden Töchter aufgeben musste (es fordert einem Vater von
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Zwillingskindern besondere Kräfte ab, wenn man keine Verwandtschaft in der gleichen Stadt hat). Nachdem ich mein Abitur mit einer überragend guten Leistung abgelegt und auch den Eingangstest für die Universität mit sehr guter Note bestanden hatte, war es zunächst mein Wunsch, ein humanistisches Studium anzutreten, etwas Geisteswissenschaftliches, wie beispielsweise eine Philologie und Literaturwissenschaft. Mein Vater hatte sich gewünscht, ich würde Tiefbauingenieurwesen oder dergleichen studieren, auf jeden Fall jedoch einen technischen Studiengang oder aber Medizin. In einer Mischung aus Konsensbemühen und Pragmatismus entschieden wir, dass ich Jura studieren würde, eine Geisteswissenschaft, aber mit vielversprechenden beruflichen Perspektiven, zu welcher ich, wie ich zugeben muss, also nicht durch reine Berufung gelangt bin. So schrieb ich mich für das Studium der Rechtswissenschaften an der Universidad Autónoma de Madrid ein. Es handelt sich um eine noch recht junge staatliche Universität, die damals wie heute zu einer der besten im Bereich der Rechtswissenschaften zählt und zudem in der Region der Schule lag, die ich besucht hatte. Mein Studium absolvierte ich mit hervorragenden Leistungen, wobei ich das Abschlussexamen für den Titel des Volljuristen mit der maximal zu erreichenden Punktzahl bestand. Ich verbrachte fünf intensive Jahre an der Universität, zu einer Zeit in der das Land sozusagen noch in den Kinderschuhen der Demokratie steckte und vor Tatendrang bebte – allein um beim Referendum zur spanischen Verfassung abstimmen zu dürfen, wurden wir per Gesetz für volljährig erklärt; diese Zeit brachte auch einige Schreckensmomente mit sich, wie etwa den versuchten Staatsstreich, der sich am 23. Februar 1981 ereignete. Man hatte uns an einem Spätnachmittag während der Vorlesung zum Handelsrecht darüber unterrichtet, die auch sofort unterbrochen wurde. Als wir die Universität verließen, sahen wir Militärfahrzeuge einer in der Nähe der Universität gelegenen Einheit, die auf dem Weg nach Madrid waren – doch hierauf möchte ich gerne im folgenden Abschnitt näher eingehen.
2. Akademisches Schaffen Während meines Studiums habe ich hervorragende Professoren verschiedener Fachbereiche kennengelernt, die ich an dieser Stelle jedoch namentlich nicht nennen möchte, um niemanden ungerechtfertigterweise unerwähnt zu lassen. Im zweiten Jahr2 besuchte ich neben anderen Vorlesungen auch die zum 2
Damals war der Studiengang in Spanien nicht in Semester, sondern in Jahre aufgeteilt; wenn man hier von Semestern ausgehen will, wäre dies im dritten oder vierten Semester gewesen.
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Allgemeinen Teil des Strafrechts. Diese Vorlesung wurde von einem jungen „Profesor Adjunto“3 namens Diego-Manuel Luzón Peña, der später mein Doktorvater und Lehrmeister wurde, gehalten. Er ist ein Strafrechtler, den ich aufgrund seiner guten Reputation weder in Spanien noch in anderen Ländern, Deutschland natürlich eingeschlossen, vorstellen muss. Der leidenschaftliche Forscher und Dozent Diego Luzón erweckte in mir durch seine Vorlesungen und auch durch Gespräche außerhalb der Vorlesungen eine Begeisterung – vielleicht sogar eine Berufung – in zweierlei Hinsichten: Einerseits für das Strafrecht an sich, das mir damals und auch später noch als der interessanteste Zweig der Rechtswissenschaft erschien. Andererseits jedoch auch für die Tätigkeit als Professor an der Universität. Seine Erklärungen zeugten von Tiefe. Er zeigte stets mehrere kritische Lösungsmöglichkeiten für ein Problem auf und regte uns hierdurch zum Nachdenken an, wobei er seinen eigenen Standpunkt auf überzeugende Art und Weise darlegte. Der Enthusiasmus, den er für strafrechtliche Themen aufbrachte, die er sehr gut beherrschte – insbesondere für jene, in denen er geforscht und Publikationen veröffentlicht hatte – war enorm und zugleich ansteckend. Durch Diego Luzón lernte ich die großen Meister des Strafrechts und ihre Werke kennen, auch und vor allem die deutschen. Große Autoren wie etwa Hans Welzel oder auch Claus Roxin waren höchst bewundernswert und uns zur damaligen Zeit im Studium gleichzeitig so sehr vertraut, als ob sie mit uns im Hörsaal präsent gewesen wären. Roxin, der ehemalige Professor von Luzón, kannten einige von uns aus Gesprächen außerhalb des Unterrichts, bis hin zu seiner äußerlichen Erscheinung und seinen Gewohnheiten. Damals konnte ich noch nicht ahnen, dass ich einmal das große Privileg besitzen würde, ihn persönlich kennenzulernen und unter seiner Aufsicht zu studieren und zu forschen – kurz, dass er auch einmal mein deutscher Lehrmeister werden würde. Diego Luzón war jedoch nicht der einzige Professor, bei dem ich an der Universität Autónoma de Madrid Lehrveranstaltungen im Strafrecht hörte. Im dritten Semester besuchte ich die Vorlesung des mittlerweile bereits verstorbenen Antonio González Cuéllar zum Besonderen Teil des Strafrechts. Ich verkehrte regelmäßig am Lehrstuhl des großen Strafrechtlers Gonzalo Rodriguez Mourullo, wo ich verschiedene angesehene Dozenten und Forscher kennenlernte, die sich unter dessen Aufsicht dort trafen, auch wenn sie nicht alle seine Schüler waren. Bei meinen Besuchen am Lehrstuhl lernte ich vor allem junge 3
Nach dem heute in Spanien geltenden System würde man von einem außerordentlichen Professor, der den Rang nach dem den Lehrstuhl leitenden Professor einnimmt, sprechen.
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Strafrechtler kennen, die gerade erst die universitäre Laufbahn angetreten hatten und später gute Freunde und Wegbegleiter wurden. Allen voran muss ich eine Person erwähnen, mit der ich mich besonders häufig austauschte – nicht nur, aber doch größtenteils über das Strafrecht, das zu diesem Zeitpunkt ein für mich überraschend hohes Interesse in mir geweckt hatte. Es handelt sich um den damals jungen Assistenten Enrique Peñaranda Ramos, der heute erfolgreich einen Lehrstuhl an eben dieser Universität in Madrid innehat. Auf ihn traf ich später während meines Aufenthaltes in Deutschland und bei zahlreichen weiteren Gelegenheiten und Veranstaltungen im Laufe unseres akademischen Lebens immer wieder. Bei einem Rückblick auf meine Studienzeit denke ich heute mit besonderer Wehmut und Wertschätzung vor allem an die Seminare zum Strafrecht zurück, welche regelmäßig unter der Leitung von R. Mourullo stattfanden. Manche von uns Studenten lud man ein, daran teilzunehmen, ja sogar Referate zu halten. Gebannt verfolgten wir die Vorträge und Debatten zwischen den großen Strafrechtlern diverser Generationen, Mitgliedern des Lehrstuhls, Gästen und besonders bekannten Professoren anderer Fachgebiete. Wie viel habe ich dort gelernt! Gleichermaßen konnte ich durch Empfehlungen von Luzón Peña und anderer Professoren an verschiedenen Veranstaltungen mit strafrechtlichem Inhalt, die in Madrid abgehalten wurden, teilnehmen. Eine Veranstaltung im damaligen Institut für deutsche Kultur habe ich in besonders guter Erinnerung an der viele bekannte Strafrechtler aus Spanien und Deutschland teilnahmen – leider erinnere ich mich nicht mehr, ob auch Kolleginnen und Kollegen aus weiteren Ländern dabei waren. Diese Veranstaltung verstärkte meine Berufung für das Strafrecht und die Forschung und machte mir erneut klar, dass die Strafrechtswissenschaft und Deutschland untrennbar miteinander verbunden waren. Trotz meiner Liebe zum Strafrecht und den Vorzügen, die der Beruf des Professors meiner Ansicht nach mit sich brachte, hätte ich mich in den letzten Jahren meiner Ausbildung vor allem aufgrund meiner sehr guten Noten beinahe für eine lukrativere berufliche Laufbahn entschieden. Auch wenn ich hierfür weitere harte Auswahlprüfungen hätte bestehen müssen sagte ich mir, dass, wenn sich eines im Verlauf meines Studiums gezeigt hätte, dann dass ich ausdauernd und diszipliniert arbeiten konnte, um gute Ergebnisse zu erzielen. Mir schwebten die Auswahlprüfungen zum Notar, Grundbuchführer, Staatsanwalt oder Steuerfahnder vor Augen. Auch das Angebot, in einer Anwaltskanzlei zu arbeiten, wurde mir unterbreitet. In meinem letzten Studienjahr setzte sich jedoch Diego Luzón mit mir in Verbindung, der nach der erfolgreichen Absolvierung der damals sehr schwie-
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rigen Auswahlprüfungen zunächst eine Stelle als außerordentlicher Professor4 an der Universität von Salamanca bekommen hatte. 1981 wechselte er dann als Lehrstuhlinhaber an die damals noch sehr junge Universität von León. Noch im gleichen Jahr verabredeten wir uns zu einem informellen Treffen in Madrid, zu dem auch die Ehefrau von Luzón und außerdem meine damalige Freundin (bzw. heutige Ehefrau) kamen, da auch sie bald darauf ihr Psychologiestudium abschloss und nach einer geeigneten Tätigkeit für sich Ausschau hielt. So kam es, dass mir mein damaliger Mentor auf seine enthusiastische Art anbot, mich seinem kleinen Team in León anzuschließen. Neben ihm arbeitete zum damaligen Zeitpunkt am Lehrstuhl nur noch mein geschätzter Kollege Javier de Vicente Remesal, mit dem mich eine lebenslange Freundschaft verbindet. Auch er war gerade erst aus Salamanca an den Lehrstuhl gekommen. In Bezug auf meine weitere Laufbahn entstand schließlich der Plan, dass ich weiterhin Deutsch lernen würde und mich um ein Stipendium des Deutschen Akademischen Austauschdienstes (DAAD) für einen zweijährigen Forschungsaufenthalt bewerben würde, um mit der Arbeit an meiner Dissertation beginnen bzw. daran arbeiten zu können. Darüber hinaus schlug er mir bei unserem Treffen bereits ein Thema vor: „Die Täterschaft im Strafrecht“. Diese Empfehlung sprach er aus, da zur damaligen Zeit seiner Auffassung nach die üblichen Abgrenzungskriterien zwischen Täter und Teilnehmer nicht zufriedenstellend waren. Er trug mir auf, zunächst die spanischen und die aus dem Deutschen übersetzten Abhandlungen zum Strafrecht Allgemeiner Teil, u.a. von Maurach, Mezger, Welzel und Jescheck zu lesen, um mit meiner Forschungsarbeit beginnen zu können. Und was mich damals am meisten begeisterte, war die Aussicht darauf, dass mein Forschungsaufenthalt in Deutschland unter der Leitung von Claus Roxin in München stattfinden würde! Der berühmte Strafrechtler war ja schon der deutsche Hochschullehrer von Luzón und der weltweit angesehenste Experte in der Materie der Täterschaft. In diesem Augenblick vergaß ich all die lukrativen Optionen für meine unmittelbar bevorstehende berufliche Zukunft und sagte nach kurzer Unterredung mit meiner Frau, die sich dazu entschloss, mich nach Deutschland zu begleiten und den eigenen Einstieg ins Berufsleben aufzuschieben, mit vollem Enthusiasmus zu. Ich würde Professor an der Universität werden, Strafrechtler und Stipendiat in Deutschland! Ich besuchte schließlich die Universität von León, während ich parallel dazu noch an der Universidad Autónoma von Madrid immatrikuliert war. Parallel 4
Profesor Agregado, ein Titel, den es heutzutage nicht mehr gibt, der in der Praxis aber dem eines Lehrstuhlinhabers entspricht.
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hierzu leistete ich im letzten Jahr zwei Abschnitte meines damals noch obligatorischen Wehrdienstes in einer eigens für Studierende angebotenen Modalität in Cáceres und Toledo. Nach Abschluss meines Studiums wurde ich im Oktober 1982 „Encargado de curso, Nivel C“ („Kurszuständiger, Niveau C“ an der Universität von León. Die etwas merkwürdige Bezeichnung meiner Stelle, die einer solchen eines Hilfsprofessors mit weniger Gehalt entsprach, ist mir heute noch in Erinnerung. Gleichzeitig musste ich jedoch noch meinen Wehrdienst mit einem sechswöchigen Praxisteil als Reserveleutnant beenden. Auf Antrag bekam ich eine Stelle in einer Kaserne in der Nähe von León, wo ich von Juli bis Dezember 1982 tätig war. Von den drei Monaten, in welchen ich gleichzeitig in der Kaserne und an der Universität arbeitete, erinnere ich mich vor allem daran, dass mein Gehalt in ersterer, ohne allzu hoch zu sein, höher war als das, was ich an letzterer verdiente. Meinen ersten praktischen Unterricht an der Universität hielt ich im Semester 1982/83, wobei ich gleichzeitig mein Studium fortsetzte, wie es mir mein Professor empfohlen hatte. Ich beantragte und erhielt das Stipendium des DAAD, das zusätzlich zwei Intensivkurse in Deutsch umfasste, was unbedingt nötig war, da ich nicht mehr als das, wovon ich bereits berichtet habe, an Deutsch in Spanien hatte lernen können. Ende Mai 1983 kam ich schließlich in das damals bedauerlicherweise geteilte Deutschland, um die beiden Intensivkurse in Deutsch, die von Juni bis September am Goethe-Institut in Prien am Chiemsee stattfanden, anzutreten. Beide absolvierte ich mit Erfolg. Dort lernte ich Deutschland – zudem gleichzeitig einen besonders schönen Teil – zum ersten Mal kennen. Ich freundete mich mit einigen Deutschen, aber auch mit vielen anderen jungen Menschen aus der ganzen Welt an, die wie ich Deutsch am Institut lernten. Über den großen Fortschritt hinaus, den ich damals in der deutschen Sprache dank exzellenter Professoren und Lernmethoden, sowie durch viel Lernen im Selbststudium machte, war der Aufenthalt auch eine menschlich unglaublich bereichernde Erfahrung. Ich konnte klar erkennen, dass Unterschiede zwischen Kulturen als Bereicherung dienen können, nicht zwangsläufig zur Trennung dienen müssen und dass ein harmonisches Zusammenleben möglich und erstrebenswert ist. Darüber hinaus wurde mir zum damaligen Zeitpunkt bewusst, dass somit Nationalismen auch keinen Wert haben und letzten Endes zu einer Form der Verarmung führen. Auch während der restlichen Zeit meines Aufenthaltes in Deutschland pflegte ich weiterhin Kontakte zu Menschen aus anderen Nationen, wenn auch nicht mehr so intensiv. Ende September 1983 absolvierte ich erfolgreich die Sprachprüfung für ausländische Studierende, die sich (wie vom DAAD empfohlen) als ordentliche
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Studierende an der LMU München immatrikulieren wollten und schrieb mich für verschiedene Vorlesungen ein. Außerdem hatte ich Gelegenheit, zum ersten Mal das Oktoberfest zu besuchen! Im Oktober flog ich schließlich, auch anlässlich meiner Hochzeit, nach Spanien. Meine Frau und ich kehrten fast unmittelbar danach gemeinsam nach München zurück, wo wir uns im Colegio Español in der Dachauerstraße einrichteten. Die Stadt beeindruckte uns (und beeindruckt uns noch immer!), auch wenn damals die Unterschiede zwischen Deutschland und Spanien (zumindest die äußerlich sichtbaren) noch viel größer waren. Aus der Perspektive eines dreimonatigen Aufenthaltes 1989 hatten sich die Unterschiede stark nivelliert, was meiner Meinung nach in erster Linie dem Beitritt Spaniens 1986 zur Europäischen Union zu verdanken ist. Ich lernte die Universität von München kennen, ich lernte Roxin kennen, dessen Freundlichkeit und Weisheit bereits bei unserer allerersten Begegnung offensichtlich wurden. Ich richtete mir meinen Arbeitsplatz in der Bibliothek des Instituts für die Gesamten Strafrechtswissenschaften ein, wo es einen Saal speziell für ausländische Gastwissenschaftler gab; darüber hinaus lernte ich die Mitarbeiter Roxins kennen, allen voran den uns gegenüber überaus aufgeschlossenen und hilfsbereiten Manuel Cortés Rosa aus Portugal, und auch das Sekretariatspersonal (wie könnte ich Frau Gassman vergessen, die das komplette Institut um Prof. Roxin herum wenigstens einmal im Jahr zu sich nach Hause einlud, wo sie uns mit ihrem Mann empfing!). Ich begann damit, die außergewöhnlichen Vorlesungen meines deutschen Vorbildes Roxin zu besuchen, in denen uns die hochkomplexen Inhalte klar strukturiert mithilfe hervorragender pädagogischer Fähigkeiten vermittelt wurden, die bewirkten, dass wir Studenten in einen solchen Bann gezogen waren, als ob wir spannende Theaterstücke verfolgt hätten. Diese besondere Qualität versuchte ich mir durch Roxin anzueignen, wenngleich es nicht leicht ist, sein Niveau in dieser Kunst zu erreichen. In den Jahren meines Aufenthaltes in Deutschland lernte ich Vieles. Allem voran erweiterte ich selbstverständlich meine Kenntnisse über das Strafrecht, wenn ich auch anfangs enorme Schwierigkeiten damit hatte, juristische Texte auf Deutsch zu lesen. Dabei las ich sehr viel nicht nur zum Thema meiner Doktorarbeit, sondern auch alle Arten von weiteren wissenschaftlichen Arbeiten, von denen ich schließlich Kopien erstellte, um sie unter anderem nach meiner Rückkehr nach Spanien noch lesen zu können. Außerdem profitierte ich von den Empfehlungen Roxins und anderer Dozenten, Wissenschaftler und Teilnehmer der unvergesslichen Seminare und nahm an wissenschaftlichen Veranstaltungen von höchstem Rang auch außerhalb Münchens, beispielsweise in Frankfurt, teil.
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Zur damaligen Zeit gewann ich zudem ein Bewusstsein von den Problemen in Deutschland und dem gesellschaftlichen Umgang damit, etwa in Bezug auf das Thema der Immigration, das für viele Spanier damals in weiter Ferne lag. Bis in die 1980er Jahre hinein emigrierten viele Menschen noch aus Spanien, wie es beispielsweise durch die Kolonien der spanischen Arbeiter in München deutlich wurde. Einige wenige von uns erkannten Spaniens Entwicklung hin zu einem Einwandererstaat, wie es in der Folge schließlich auch geschah – und genau genommen bin ich mir tatsächlich nicht sicher, ob man dieser Entwicklung in meinem Land adäquat begegnet ist. Unglücklicherweise hat die Wirtschaftskrise dazu geführt, dass nicht nur die Zahl der Einwanderer nach Spanien zurückging, sondern auch eine neue Welle der erzwungenen Emigration aufkam, dieses Mal jedoch in Form einer Emigration qualifizierter Arbeitskräfte. Darüber hinaus konnte ich, insbesondere während eines vom DAAD organisierten Besuchs der Stadt Berlin, die gravierenden Auswirkungen der Teilung eines Landes in zwei Teile kennenlernen und den Wunsch der Deutschen – (zumindest der Westdeutschen, mit denen ich Kontakt pflegte und deren Werke ich las) – nach Wiedervereinigung. Etwas, das ihnen einige Jahre später mit großer Anstrengung schließlich gelang. Ich lernte zudem viele Menschen unterschiedlicher Länder und unterschiedlichster sozialer Schichten kennen, die mit ihrem Leben in Deutschland und in der Zukunft verschiedene Ziele erreichen wollten, auch außerhalb des akademischen Umfeldes. Vor diesem Hintergrund wurde ich auch Teil einer im Grunde spanischen Theatergruppe, die recht erfolgreich Stücke wie Yerma von Federico García Lorca oder Los cuernos de Don Friolera von Ramón del Valle Inclán in der Black Box am Gasteig, aber auch außerhalb Münchens aufführte. Ich genoss Bier, deutsches und ganz besonders bayerisches Essen (natürlich auch das aus der Mensa) und erlebte kalte Winter, wunderschöne Landschaften, Reisen, Feste, Musik, sogar Geburten von Kindern von Freunden, Lehren, aber vor allem Gespräche, Träumereien, Debatten und Wohlwollen. Ohne Zweifel war diese Zeit neben dem Glück, das ich empfand, auch einer der Abschnitte meines Lebens, die mich als Mensch am meisten bereicherten. Doch natürlich waren nicht alle Momente glückliche – ich müsste lügen, wenn ich behaupten würde, dass ich großes Heimweh nach Spanien oder nach den Menschen dort gehabt hätte. Um soziale Kontakte in meinem Heimatland ausgiebig zu pflegen hatte mir schlichtweg die Zeit gefehlt und so kehrte ich schließlich in diesen zwei Jahren nur selten in mein Land zurück. An Weihnachten feierten wir zu viert oder zu fünft im Colegio Español und hatten eine sehr gute Zeit. Meine Frau und ich hatten zwischenzeitlich auch mit ein paar gesundheitlichen Beschwerden zu kämpfen, wie z.B. mit meiner Blinddarm-
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operation. Ich erinnere mich auch an ein Schockerlebnis an meinem Arbeitsplatz: An einem Tag kam es dazu, dass ein Teil meines Schreibtisches am Institut in Flammen stand (inklusive eines alten ZStW Bandes!) – ausgerechnet an einem Tag, an dem ich nicht vor Ort war. Vermutlich musste Prof. Roxin infolgedessen gedacht haben, dass ich mich aus dem Staub gemacht hatte. Die Ursache für den Brand war jedenfalls ein Aschenbecher gewesen, der im Papierkorb entleert worden war, bevor die Asche völlig abgekühlt war – ja, zu jener Zeit war es uns noch erlaubt, in der Bibliothek zu rauchen! Stets war ich fasziniert von den Unmengen von Büchern und Zeitschriften, die den Nutzern der Bibliothek zur Verfügung standen. Zu jener Zeit erkannte ich auch, dass sich die deutschen Studenten nicht bloß damit begnügten, Notizen in der Vorlesung anzufertigen und diese dann auswendig zu lernen (wie es in Spanien üblich war und leider auch heute noch ist!) – stattdessen arbeiteten sie mit Fachbüchern und Aufsätzen und schreckten auch vor schwierigen Themengebieten, in welche sie sich für ein Referat oder Seminar einarbeiten sollten, nicht zurück. Bei diesen Treffen der Studenten wurde dann auch heftig diskutiert und debattiert. Ich lernte die aus der Forschungstätigkeit bestehende zusätzliche Arbeit eines Professors und seiner Assistenten kennen und erfuhr in diesem Zusammenhang, dass sich ein Professor nicht vorrangig mit Verwaltungs- und Führungsaufgaben beschäftigen sollte, und dass tatsächlich nur ein intensives und reflektiertes Befassen mit einer Thematik über längere Zeiträume hinweg (oftmals zuhause, wie es Roxin machte) wirklich wertvolle Ergebnisse hervorbringen konnte. In Spanien erlebte ich indes eine immer stärkere Bürokratisierung des Professorenberufes, die es den Professoren schwer machte, sich auf die eigentlichen Kernaufgaben zu konzentrieren. Diese Bürokratisierung wuchs über die Zeit hinweg exponentiell weiter – meiner Meinung nach sogar bis hin zur Belastungsgrenze der Professoren. Doch von einer ähnlichen Entwicklung haben mir mittlerweile auch einige deutsche Kollegen berichtet. Anders als zu meiner Zeit in München sind ausländische Werke, die man zur Durchführung einer Forschungsarbeit benötigt, heutzutage leicht vom Heimatland aus zugänglich, wobei abzuwarten bleibt, ob die Wirtschaftskrise, die auch die Universitäten hart getroffen hat, dies weiterhin erlaubt. Man könnte sich fragen, ob längere Forschungsaufenthalte im Ausland, wie der meinige, heute noch sinnvoll sind. Die Aspekte, welche ich bereits erwähnte, sowie die Ruhe, mit der man sich seiner Aufgabe ohne eine ständige Ablenkung durch alltägliche Dinge an der Universität widmen kann, zeigen jedoch, dass solche Aufenthalte, sofern man davon profitieren möchte, weiterhin in vielerlei Hinsicht äußerst sinnvoll sind. Eine andere Sache ist es, wenn man sich ins
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Ausland begibt, allein damit dies später im Lebenslauf erscheint und unabhängig davon, ob der Aufenthalt einen wissenschaftlichen Hintergrund hat oder ob man im Ergebnis persönlich davon profitiert. Nichtsdestotrotz sehen sich viele, vor allem junge spanische Wissenschaftler, dazu gezwungen, einen Auslandsaufenthalt zu absolvieren. Es scheint, als wäre es der Aufenthalt an sich und nicht die Fähigkeiten, die eine Person dadurch erwirbt, worauf die vielen für Evaluation und Akkreditierung zuständigen Agenturen und Behörden in Spanien Wert legen – zumindest formal. Zum Leidwesen vieler und zur Erquickung einiger weniger (schlechter!) Pädagogen und ähnlicher Leute breiten sich eben jene Agenturen in Spanien immer weiter aus. Aber auch von Seiten der Professoren anderer Studienrichtungen, welche Einteilungen in „gut“ und „schlecht“ je nach Zusatzqualifikation vornehmen, sehen wir uns bedrängt. Ich möchte an dieser Stelle auch einige mir sehr wichtige Kolleginnen und Kollegen aus meiner Studienzeit am Institut erwähnen, auch wenn ich nicht zu allen regelmäßigen Kontakt gehalten habe. Damit meine ich nicht nur diejenigen, mit denen ich mich immer mal wieder durch gemeinsame Sorgen verbunden fühlte, sondern vor allem jene, mit denen ich regelmäßig in einer Verbindung und einem persönlichen Austausch stand – was selbstverständlich nicht bedeuten soll, dass ich Kolleginnen und Kollegen, die ich nur flüchtig kennenlernte, weil sie beispielsweise bei meiner Ankunft bereits kurz vor ihrer Abreise standen, nicht ebenfalls in guter Erinnerung behalten habe. Erwähnen möchte ich, wenn auch mit der Befürchtung, einige von ihnen hier namentlich nicht zu nennen, die Portugiesinnen Fernanda Palma Pereira und Conceiçao Santana Valdàgua nennen, den Japaner Kazugishe Asada, den Italiener Lucio Monaco und aus der Reihe der Spanier vor allem Mercedes Pérez Manzano und – obwohl wir uns nicht allzu häufig, aber immerhin über einen langen Zeitraum hinweg sahen – Javier de Vicente Remesal und Enrique Peñaranda Ramos. Einen weiteren spanischen Kollegen kann ich hier nicht unerwähnt lassen, der genau genommen von Haus aus kein Strafrechtler ist, sondern Rechtsphilosoph an der Universität Oviedo. Er promovierte zur damaligen Zeit ebenfalls an der Ludwig-Maximilians Universität München, wenn auch nicht am gleichen Institut. Von ihm lernte ich (und lerne ich auch heute noch) das Fach Jura tatsächlich als Wissenschaft zu verstehen. Unsere innige Freundschaft hat selbst Jahre und Umstände weitester Entfernung überdauert. Vor einigen Jahren führte uns schließlich die Wechselhaftigkeit des akademischen Lebens glücklicherweise an dieselbe Universität. Wir führen nun schon einige Zeit
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unsere beiden Lehrstühle an der Universität von León, wo wir oft auch zusammenarbeiten. Die Rede ist von Juan Antonio García Amado. Ich habe Deutschland und München im Grunde nie ganz verlassen und habe auch danach noch kürzere und längere Besuche dorthin unternommen, immer wieder mit großer Freude und Bereicherung. Im August 1985 kehrte ich nach Spanien zurück. Ab September übernahm ich abermals meine Stelle an der Universität von León, wo ich unter der aufmerksamen Aufsicht von Prof. Luzón Peña an der Ausarbeitung meiner Dissertation weiterarbeitete. Dessen Unterrichtungen und auch die Diskussionen mit ihm zum Thema Täterschaft, aber auch zu vielen weiteren Themen waren (und sind auch heute noch) für mich fundamental. Ich erledigte außerdem weitere eigene Aufgaben als wissenschaftlicher Mitarbeiter. Luzón gab seinen Lehrstuhl in León im Jahr 1988 auf, um einen Lehrstuhl an der Universität Alcalá de Henares in Madrid zu übernehmen, den er heute noch leitet. Nichtsdestotrotz betreute er meine Doktorarbeit sowie meine Ausbildung zum Strafrechtler und Universitätsprofessor trotz der physischen Entfernung weiterhin intensiv. So verteidigte ich meine Dissertation im Juli 1989 – dem guten Ratschlag meines Professors folgend, sie jetzt zu präsentieren und nicht, wie ich es ursprünglich vorhatte, weitere Recherchen anzustellen – an der Universität von León zum Thema „Die Täterschaft und ihre Formen im Strafrecht“ vor einem Komitee, bestehend aus dem Vorsitzenden Prof Dr. Gonzalo Rodriguez Mourullo und den Beisitzern Profs. Dres. José Cerezo Mir, Santiago Mir Puig, Antonio Cuerda Riezu und Javier de Vicente Remesal. Die Arbeit wurde mit der höchsten Bewertung summa cum laude angenommen. Sie bezieht sich auf eines meiner wichtigsten Forschungsgebiete, mit denen ich mich bis heute beschäftige. Bald nach meiner Promotion nahm ich aushilfsweise eine Stelle als außerordentlicher Professor an der Universität von León an, die ich im April 1990 schließlich ganz übernahm. Teil der Auswahlprüfung war eine selbstständige Forschungsarbeit, in meinem Fall zum Thema des strafrechtlichen Schutzes der Urheberrechte des Täters, die zu einigen späteren Veröffentlichungen führte. In dieser Zeit übernahm ich auch zum ersten Mal selbst die Betreuung einer Doktorarbeit. Früher als zu dieser Zeit erwartet, erhielt ich 1994 den Lehrstuhl für Strafrecht an der sehr jungen staatlichen Universität von Navarra (Universidad Pública de Navarra) mit Sitz in Pamplona. Im Forschungsteil dieser Auswahlprüfung befasste ich mich mit dem Irrtum über normative Tatbestandsmerkmale. Damit erschloss sich mir ein weiteres meiner wichtigsten Forschungsgebiete, nämlich
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die Irrtumsproblematik im Strafrecht, auch wenn letzten Endes verschiedene Umstände dazu führten, dass ich die daraus entstandene Monografie aus der Auswahlprüfung erst Jahre später, nämlich im Jahr 2008, veröffentlichen konnte. Andere Beiträge mit geringerem Umfang und Tiefgang hingegen veröffentlichte ich bereits vorab. Mir fällt die Ehre zu, die Bibliothek für Strafrecht der Universität von Navarra gegründet zu haben, genauso wie die Ehre, dort eine Reihe von exzellenten Studenten ausgebildet zu haben, zu denen ich bis heute eine enge Beziehung auf wissenschaftlicher und auf persönlicher Ebene pflege. Trotz einiger schwieriger Momente, habe ich die Zeit in Pamplona in sehr guter Erinnerung behalten. Sehr gerne hätte ich mich in dieser Stadt niedergelassen und wäre einige Zeit an der Universität verblieben, aber leider konnte meine Frau keine ihren Qualifikationen entsprechende Stelle in Pamplona und Umgebung finden. Darüber hinaus kam für uns nicht in Frage, dass sie ein weiteres Mal in ihrer beruflichen Laufbahn Zugeständnisse hätte machen müssen. Obwohl wir die Bürde auf uns genommen hätten, wollten meine Frau und ich keine Wochenendbeziehung führen und auch das Heranwachsen unserer Töchter nicht nur am Wochenende miterleben. So kehrte ich von der günstigen Konjunkturlage profitierend nach León zurück. An der Universität war ein Lehrstuhl für Strafrecht zu besetzen, für den man sich nur bewerben konnte, wenn man zuvor bereits einen Lehrstuhl geleitet hatte. Es kam schließlich dazu, dass ich ihn im Dezember 1997 übernahm und bis heute noch führe. Seit meiner Rückkehr nach León war mein akademisches Leben in den Bereichen der Lehre, der Forschung, der Konsolidierung und Erweiterung einer Schule, der Besuche in Lateinamerika und vielen anderen sehr ereignisreich. Auf all dies möchte ich jedoch im Folgenden in einem Resümee meines akademischen Schaffens eingehen.
II. Akademisches Schaffen 1. Universitäre Lehrtätigkeit Seit 1982 und bis heute durfte ich alle Vorlesungen im Bereich des Strafrechts, die ein Jurastudent im Laufe seiner universitären Ausbildung besucht, sowie Rechtsvorlesungen in anderen Studiengängen, abhalten. Davon war der Allgemeine Teil des Strafrechts wohl die Vorlesung, die ich am häufigsten gehalten habe. Des Weiteren lehrte ich in besonderen Veranstaltungen für Doktoranden, Masterstudierende und in Spezialisierungen, ebenso wie in einer Reihe von Seminaren, Kursen, Tagungen und Ausstellungen spanischer und ausländischer Universitäten.
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Ich war stets darum bemüht, dass meine Vorlesungen keine reinen Diktate einiger mehr oder weniger ausgearbeiteten Aufzeichnungen darstellten, sondern vielmehr einer Weitergabe von Wissen und Anregung zur kritischen Auseinandersetzung entsprachen und somit den Weg zu reflektierenden Auseinandersetzungen mit der Materie und einem vertieften Selbststudium bereiteten. Zweifelsohne war ich dabei neben dem, was ich von meinem spanischen Professor und anderen prominenten Juristen gelernt hatte, auch von meinen Erfahrungen in Deutschland beeinflusst worden. Wie bereits erwähnt, lernte ich dort vor vielen Jahren, dass der Lernprozess nicht im Hörsaal aufhört, sondern genau genommen dort erst beginnt; ich sah Bibliotheken voller Studenten, die Bücher konsultierten, ich erlebte Seminare, in denen aktiv diskutiert wurde, und interessierte Studenten voller eigener Ideen und Fragen. Ich lernte von Roxin eine expressive, fast schon theatralische Art und Weise zu unterrichten, die Übertragung seines kritischen Geistes auf die Studenten und die Wertschätzung ihrer Bemühungen, vor allem in seinen strafrechtlichen Seminaren. In Spanien habe ich als Professor in Bezug auf meine Lehre, gerade bei der Arbeit mit Studenten höherer Semester, vielfältige Empfindungen und Erlebnisse gehabt (wenn auch immer positive Evaluierungen), manche außerordentlich, mit in unterschiedlichen Berufsfeldern erfolgreichen Studenten und Alumni, die mich über ihre Fortschritte unterrichten und zu Rate zogen, was für mich eine große Befriedigung darstellte. Nichtsdestotrotz nehme ich in letzter Zeit, abgesehen von einigen Ausnahmen, eine stetige Verschlechterung der Lehre und Juristenausbildung wahr. Dies ist aus meiner Sicht nicht nur, aber doch zu einem großen Teil der Übernahme (sui generis, natürlich) der Bologna-Strukturen zuzuschreiben, die auch Spanien in einen einheitlichen europäischen Hochschulraum eingliedern sollen. Dies ist sicher nicht der richtige Rahmen, um in umfassender Form Vor- oder Nachteile dieser Reform zu erörtern, deren positive Aspekte (wie etwa die Einführung von Arbeitsleistungen der Studenten außerhalb der Vorlesungen, Seminare etc.) ich viele Jahre zuvor in Deutschland kennengelernt hatte. Dennoch möchte ich darauf hinweisen, dass man in Spanien (ich wiederhole: mit nennenswerten Ausnahmen), wie es mir scheint, den Ursprungsgedanken von Bologna falsch aufgefasst hat, worauf ich kurz eingehen möchte. Zunächst einmal ist es eine große Schwierigkeit, ein einheitliches europäisches Studiensystem in Studiengängen wie den Rechtswissenschaften herzustellen, in denen die Curricula hinsichtlich ihrer Inhalte keine gemeinsamen Kriterien aufweisen, nicht einmal beim Vergleich spanischer Universitäten. Des Weiteren ist die Einführung des neuen Systems in Spanien ohne jegliche finanzielle
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Bezuschussung erfolgt, was bedeuten soll, dass es keinerlei (finanzielle) Unterstützung der Lehranstalten für eine individualisiertere Lehre und auch keine Unterstützung der Bibliotheken gab, damit diese Orte sein können, wo Studenten Literatur und andere Lernmittel finden, mit denen sie ihre aus Vorlesungen gewonnen Kenntnisse erweitern und die Fähigkeit zur kritischen Auseinandersetzung entwickeln können. Man verwechselt die Innovationskraft eines Dozenten mit der Nutzung medialer Plattformen, von Power PointPräsentationen oder Filmvorführungen mit strafrechtlichem Inhalt. All diese Möglichkeiten sind, abhängig von der Art und Weise wie man sie nutzt, nicht schlecht, können jedoch nicht das ersetzen, was unser „spanisches Bologna“ dauerhaft ausblendet: die Lehr- bzw. Lerninhalte. Hinter Schlagwörtern wie „Zusatzkompetenzen“, „Fähigkeiten“, „kontinuierliche Evaluation“, „Verhinderung des universitären Scheiterns“ (indem man den Dozenten aufträgt, die Studenten, wie nur irgendwie möglich, die Prüfung bestehen zu lassen), „Beschäftigungsfähigkeit“ (ein schlechter Scherz angesichts der aktuellen Arbeitslosenquote in Spanien), „pädagogische Bildung“ (teilweise anhand von Kursen, die jeden auch nur einigermaßen gewissenhaft studierenden und erfahrenen Studenten beschämen), etc. versteckt sich meiner Auffassung nach eine kontinuierlich aufrechterhaltene große Lüge, welche die Inkompetenz mancher Dozenten durch scheinbar moderne pädagogische Mittel überspielen soll und zudem die Unselbständigkeit der Studenten fördert, ebenso wie den Irrglauben, ein Studium bestünde im Wesentlichen daraus, täglich einen kleinen Themenbereich auf Folie zu kommentieren oder in der Zeitung Artikel mit Bezug zum Strafrecht zu suchen. Auch diesbezüglich war Deutschland, wo die sinnvollen Anteile der BolognaReform meiner Meinung nach im Grunde schon immer praktiziert wurden, vorbildlich, indem es jenes System (eines, das von Anfang an besser war als das in Spanien eingeführte) für das Studium der Rechtswissenschaften ablehnte.
2. Forschungstätigkeit Im Bereich der universitären Arbeit muss man die Bedeutung der Forschungstätigkeit im Vergleich zu anderen Bildungseinrichtungen hervorheben. Weil hierin aus meiner Sicht eben die tatsächliche Pflicht von Professorinnen und Professoren gegeben ist, habe ich den größten Teil meines beruflichen Schaffens darauf ausgerichtet. Die wichtigsten Produkte einer Forschungstätigkeit sind die Veröffentlichungen. Ich habe unzählige strafrechtliche Themen behandelt, wobei ich hier keine Auflistung meiner Veröffentlichungen anstellen möchte. Meine Verbin-
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dung zu Deutschland ist jedoch in allen Werken zu erkennen. Dies ist nicht allein darauf zurück zu führen, dass ich einige davon in Deutschland angefertigt habe, sondern auch darauf, dass ich mich in sehr vielen Arbeiten, speziell in jenen zur Verbrechenslehre, ebenso ausführlich mit der deutschen als auch mit der spanischen Strafrechtslehre beschäftige. Besonders deutlich kommt diese Verbindung in meinen beiden Hauptforschungsgebieten zum Ausdruck: auf dem Gebiet von Täterschaft und Teilnahme und in der Irrtumslehre. Wie vorher bereits angesprochen habe ich zum Thema der Täterschaft und Teilnahme meine Dissertation verfasst, die später Anlass zur Veröffentlichung meines Buches im Jahr 1991 gab. Dieses Buch ist in Spanien mittlerweile zu einem Referenzwerk geworden und wird auch außerhalb Spaniens, vor allem in Lateinamerika, wo sogar eine kolumbianische und eine chilenische Version existieren (in Kürze wird eine peruanische Version erscheinen), gelesen. Auch in Deutschland können meine Ausführungen zu den Streitfragen im Bereich Täterschaft und Teilnahme nachgelesen werden, dank keines Geringeren als Herrn Prof. Roxin selbst, der sich mit ihnen und meinen in späteren Auflagen vertretenen Ansichten in seinem kolossalen Werk Täterschaft und Tatherrschaft auseinandersetzte. Im Laufe der Jahre habe ich noch zahlreiche weitere Arbeiten zu verschiedensten Aspekten der Täterschaft und Teilnahme veröffentlicht. Mein Ausgangspunkt für die Bestimmung der Täterschaft ist die Verteidigung der Analyse der Tat von einer objektiven, positiven Betrachtungsweise her, wie sie Luzón Peña vorgeschlagen hat. Gemeinsam haben wir zahlreiche unserer Standpunkte in diesem Bereich erarbeitet und dank einer Vielzahl an Beiträgen, die wir zu diesem Thema veröffentlichten, gelang es uns schließlich, Anhänger zu gewinnen und zu neuen Entwicklungen in Spanien und anderen Ländern beizutragen. An dieser Stelle möchte ich, getreu der Art einer solchen autobiographischen Darstellung, die zahlreichen Debatten und Dialoge, welche ich mit der deutschen Strafrechtslehre an sich und konkret mit Roxin seit vielen Jahren führe, ansprechen. Obwohl ich den unglaublichen Wert der Beiträge Roxins zur Lehre von der Täterschaft und Teilnahme anerkenne, bin ich der Meinung, dass die von der herrschenden Lehre vertretene Tatherrschaftslehre gewisse Unzulänglichkeiten aufweist und insbesondere an zwei Mängeln leidet: Einerseits macht das, was man als subjektives Element bezeichnet, die Unterscheidung zwischen Täterschaft und Teilnahme bei fahrlässigem Handeln unmöglich – eine Unterscheidung, die ich (bei einer rein objektiven Bestimmung der Tat) für möglich und angebracht (um auch die fahrlässige Teilnahme als straflos zu erachten) halte. Andererseits glaube ich, dass man speziell im Bereich der Mittäterschaft, selbst in ihrer reinsten und
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restriktivsten Form, wie sie meiner Ansicht nach Roxin vertritt (funktionale Tatherrschaft), zu einem zu weiten Konzept von (Mit-)Täterschaft gelangt, wenn man jene Tatbeiträge, die das ausmachen, was ich als eine bloße negative Herrschaft bezeichne, mit denen gleichstellt, die eine Tat positiv ausmachen. Letztere sind meiner Meinung nach die einzig richtigen Kriterien, die auf eine Mittäterschaft schließen lassen, wenn man die so oft erwähnten Vorteile eines restriktiven Konzepts von Täterschaft aufrecht erhalten möchte. In diesem zweiten Punkt führte ich die intensivsten Debatten mit Roxin, auch wenn ich denke, dass unsere Ansichten gar nicht so weit auseinanderliegen: Das letzte Kapitel unseres wissenschaftlichen Dialogs endet zumindest für den Moment mit dem Eingeständnis Roxins im zweiten Band seiner Abhandlung über das Strafrecht, Allgemeiner Teil, dass die von Luzón Peña und mir vertretene Auffassung, die er durchaus kritisiert, den Vorteil hat, dass sie die Nähe zum Straftatbestand nicht verliert, jedoch nicht auf das deutsche Recht übertragbar sei, da dies bedeuten würde, dass man Personen, welche eine Strafbarkeit nach den Grundsätzen der Täterschaft verdienen würden, nach der verminderten Strafe eines Teilnehmers verurteilen müsste. Auf der anderen Seite schlage ich in einem 2011 im GA veröffentlichten Aufsatz zu Ehren Roxins vor, dass man im deutschen Recht die Figur der „notwendigen Beihilfe bzw. Kooperation“, eine im spanischen Recht existierende (wenn auch meiner Meinung nach ihre positive Festschreibung besser erfolgen könnte, als es hier der Fall ist) Art der Teilnahme, welche im Bereich der Strafe der Täterschaft angeglichen wurde, einführt, um eben jene von Roxin kritisierte Ungerechtigkeit bei der Bestrafung zu vermeiden. Mein zweiter großer Forschungsbereich im Rahmen der Verbrechenslehre, auch was den wissenschaftlichen Dialog mit der deutschen Strafrechtslehre betrifft, ist der der Irrtümer. Ich habe diverse Arbeiten veröffentlicht, allen voran ein im Jahr 2008 erschienenes Buch zu den Irrtümern im Bereich der normativen Tatbestandsmerkmale, das später auch in einer kolumbianischen Version erschien. Zu den von mir im Bereich der Irrtümer aufgestellten Thesen, die recht große doktrinäre Aufmerksamkeit auf sich lenkten, gehören unter anderem: –
Die Verteidigung der Aufrechterhaltung der Unterscheidung zwischen dem Tatbestandsirrtum (trotz der Verwechslungen, die diese Terminologie in ihrer spanischen Übersetzung erzeugt) und dem Verbotsirrtum in allen Bereichen
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des Strafrechts5, sowie der Aufrechterhaltung der eingeschränkten Schuldtheorie in abgeschwächter bzw. flexiblerer Form, wie es Roxin vorschlägt. –
Die Anerkennung der Bedeutung des Irrtums über das strafrechtliche Verbot oder den deliktischen Charakter einer Handlung (irrführenderweise – zumindest in der spanischen Übersetzung – „Irrtum über die Strafbarkeit“ genannt), wenn auch nicht als reinen Verbotsirrtum (so nehme ich eine Zwischenposition ein zwischen denen, für die Gegenstand des Bewusstseins der Rechtswidrigkeit die allgemeine Rechtswidrigkeit des Verhaltens ist – herrschende Meinung – und denen, für welche es das strafrechtlich Verbotensein ist – Mindermeinung).
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Die Verteidigung einer weitgehenden Normierung der Kriterien, wann ein Verbotsirrtum vermeidbar ist, unter Erweiterung der Annahme der Unvermeidbarkeit, nach der Vorgehensweise der deutschen Autoren Rudolphi und Roxin.
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Die Idee, dass im Bereich der Kenntnis der normativen Tatbestandsmerkmale (mit all ihren Differenzierungen, die diese Kategorie verdient, auch was den Irrtum betrifft) das, was der Vorsatz erfordert, das Wissen auf Seiten des Subjekts ist, dass in der Handlung die Tatbestandsmerkmale (ohne dass das Subjekt sie als solche identifizieren muss) in ihrem echten oder authentischen Sinne (ohne dass das Subjekt dies zu erkennen braucht) zusammenlaufen, eine Ansicht, die einige als die Neuformulierung der traditionellen Figur der Parallelwertung in der Laiensphäre betrachtet haben, besser ausgedrückt als Kenntnis über die soziale Bedeutung der Tat, die jedoch auch Ideen anderer deutscher Strafrechtsautoren wie Ingeborg Puppe oder Wolfgang Frisch übernimmt.
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Die Akzeptanz der Kategorie der gesamtbewertenden Merkmale der Tat und ihrer Konsequenzen im Bereich des Irrtums, wie sie von Roxin vertreten wird, etc.
Um abzukürzen, möchte ich kurz anreißen, dass meine Veröffentlichungen viele weitere Themen umfassen, wie etwa (ohne Anspruch auf Vollständigkeit): Die Bedeutung des Opferverhaltens für die strafrechtliche Verantwortlichkeit des Täters, die strafrechtliche Bedeutung des elterlichen Züchtigungsrechts, das Unterlassen, die Wiedergutmachung des Schadens als Alternative zur Strafe und einige weitere Themen, welche die juristische Konsequenz der Straftat betreffen, die Tötung auf Verlangen, die Teilnahme am Suizid und an der Euthanasie, die Straftaten gegen die sexuelle Selbstbestimmung, die Geldwäsche, die Straftaten gegen das geistige Eigentum, der strafrechtliche 5
Vor einigen Jahren hatte ich noch den Eindruck gewonnen, dass der große Theorienstreit bereits abgeklungen wäre, wobei ich mich diesbezüglich sehr wahrscheinlich geirrt habe, wenn man die plötzlich wieder aufgetauchte Qualifizierung des Vorsatzes als dolus malus durch eine von Günther Jakobs angeführte Meinungsrichtung in Deutschland oder die jüngsten und wichtigen Beiträge von Yamila Fakhouri Gómez, die eine Theorie aufstellt, welche der reinen Vorsatzlehre sehr ähnlich kommt, überprüft.
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Schutz von Minderheiten (insbesondere ausländischen, sowie ihre Abschiebung), Straftaten gegen die Rechte von Arbeitern, die strafrechtliche Relevanz des Dopings im Sport, die Urkundenfälschung, die Straftaten gegen die öffentliche Verwaltung und die Korruption, die Straftaten gegen die öffentliche Ordnung, die sogenannte strafrechtliche Verantwortlichkeit juristischer Personen etc. Auch die Beschäftigung mit manchen strafrechtlichen Problemen (Sinn und Grenzen des Strafrechts, Ziele der Strafe, der Freiheitsstrafe, organisiertes Verbrechen und Folter) wie sie im Film vorkommen oder auch die Beziehung zwischen Film und Strafrecht in meinen nicht rein akademischen Veröffentlichungen erwiesen sich als recht unterhaltsam. Auch wenn sie keine eigene Forschungsarbeit darstellt, glaube ich, dass die Arbeit an Übersetzungen bedeutender wissenschaftlicher Beiträge für die Verbreitung der Forschung sehr wichtig ist. Ich habe zahlreiche deutsche Werke ins Spanische übersetzt und bin besonders stolz auf die in Zusammenarbeit mit Diego-Manuel Luzón Peña und Javier de Vicente Remesal angefertigte Übersetzung der zweiten Auflage des ersten Bandes zum Strafrecht Allgemeiner Teil von Claus Roxin und (mit denselben sowie José Manuel Paredes Castañón und anderen Mitgliedern unserer wissenschaftlichen Schule) des zweiten Bandes dieses Werkes, die bislang sehr großen Erfolg in den spanischsprachigen Ländern (und auch in einigen Nachbarländern) gehabt haben. Zurzeit arbeiten wir an der Übersetzung des zweiten Bandes dieses weltbedeutenden Werkes, welche wir in Kürze zu beenden hoffen – eine Aufgabe, der sich auch José Manuel Paredes Castañon und andere Mitglieder unserer wissenschaftlichen Schule angeschlossen haben. Ich habe acht Doktorarbeiten mit unterschiedlichsten Themen betreut, die alle mit Bestnote verteidigt wurden. Zurzeit betreue ich viele weitere Arbeiten, von denen einige in Kürze verteidigt werden. Darüber hinaus habe ich an zahlreichen Kongressen und anderen wissenschaftlichen Veranstaltungen, in meinem Land und außerhalb, mit sehr verschiedenen, oftmals, aber nicht immer in Bezug zu meinen Veröffentlichungen stehenden Beiträgen, teilgenommen. Ich selbst habe auch einige wissenschaftliche Treffen organisiert. Wie bereits an vorheriger Stelle erwähnt, habe ich verschiedene Forschungsaufenthalte, vor allem in Deutschland, absolviert. Besonders stolz bin ich auf das mittlerweile internationale, jährlich an der Universität von León stattfindende Seminar zur Rechtsphilosophie und zum Strafrecht, das ich seit 1999 mit meinem Kollegen der Rechtsphilosophie, Juan Antonio García Amado, organisiere. An dieser Stelle möchte ich außerdem meine Freude darüber ausdrücken, dass meine Initiative, die auf verschiedene
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Universitäten verstreute wissenschaftliche Schule, welcher ich angehöre, bei einem jährlichen Seminar mit auswärtigen Gästen zu vereinen, Früchte trägt. Organisiert habe ich dieses inter-universitäre, mittlerweile internationale Seminar nur im ersten Jahr 1998. Danach hat der Leiter der Schule, DiegoManuel Luzón Peña, die Aufgabe der Organisation und des Vorsitzes des Seminars passenderweise übernommen, das er seitdem mit großem Erfolg an seiner Universität in Alcalá abhält. Darüber hinaus bin ich Herausgeber der Zeitschrift Libertas der „Fundación Internacional de Ciencias Penales“ [Internationale Stiftung für die Strafrechtswissenschaft]. Zudem gehöre ich dem Wissenschafts- bzw. Herausgeberkomitee verschiedener Verlage und juristischer Zeitschriften an und assistierte im Rahmen dessen u.a. verschiedenen Instanzen bei der Evaluation der Forschung. Besonders stolz bin ich auf meine Position als ständiger Mitarbeiter der GA, welche ich der Großzügigkeit von Jürgen Wolter zu verdanken habe. Ich möchte diesen Abschnitt nicht beenden, ohne – wenn auch nur kurz – meine Enttäuschung über die geringe Wertschätzung dieses entscheidenden Teils der universitären Arbeit in den letzten Jahren in Spanien zum Ausdruck zu bringen. Es hat sich eingebürgert, dass dem Doktortitel (dessen Organisation und bürokratischer Aufwand ohne positiven Gegeneffekt enorm gestiegen sind) außerhalb der akademischen Laufbahn kaum noch Anerkennung entgegengebracht wird. Die Evaluation der Forschungsarbeit hat sich in letzter Zeit vervielfacht, was ich im Grunde gutheiße. Andererseits kommt es immer häufiger vor, dass unter dem Stichwort einer – falsch verstandenen – Objektivität rein förmliche Evaluationen anhand absurder Kriterien6 und nicht bezüglich des Inhalts stattfinden, was häufig dazu führt, dass die Zahl der Veröffentlichungen ihrer Qualität voransteht. Und dies ist keine persönliche Beschwerde, zumal die Bewertungen, die ich erhalten habe, immer zufriedenstellend ausgefallen sind. An vielen spanischen Universitäten wird die Forschungsarbeit ihrer Mitglieder sehr wenig wertgeschätzt. Ich persönlich habe schon zwei Rektoren meiner Universität sehr verfehlt sagen hören, dass die Forschungsarbeit im Gegensatz zur Lehre keine Pflicht, sondern das Belieben eines jeden Einzelnen sei – obwohl sie, wie ich bereits erwähnt habe, eindeutig das ist, was eine Universität von anderen Bildungseinrichtungen unterscheidet. Hinzu kommt, dass die für die Forschung bestimmten Mittel trotz einiger Bemühungen in den letzten 6
So erscheinen zum Beispiel wichtige Strafrechtszeitschriften wie die ZStW oder die GA nicht einmal im Index bzw. Schlagwortverzeichnis, weshalb sie von den für die Evaluation zuständigen Organen nicht wahrgenommen werden können.
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Jahren nie auf das Niveau der Länder, die sich darin auszeichnen, gelangt sind und auch ihre Verteilung sicherlich nicht immer angemessen war. Die Wirtschaftskrise hat diesen Defekt sehr deutlich gemacht. Das größte Übel dieser Umstände liegt aus meiner Sicht darin, dass jenseits der guten und freiwilligen Arbeit vieler spanischer Wissenschaftler keine Anzeichen dafür gegeben sind, dass sich diese Situation in naher Zukunft verbessern wird.
3. Internationale akademische Tätigkeit Dass die Arbeit an der Universität eine internationale Komponente beinhalten muss, ist etwas, das mir von Anfang an bewusst war. Nach dem, was ich bei meinen Professoren und anderen verehrten Kollegen erlebt hatte, konnte es gar nicht anders sein. Das heißt natürlich keinesfalls, dass ich die Beziehungen zu Kollegen und Forschungsgruppen aus meinem eigenen Land nicht oder weniger wertschätzen würde; ganz im Gegenteil versuche ich, sie dort, wo es möglich ist, zu unterstützen und vermeide eine namentliche Nennung, da es den Rahmen meiner Darstellung sprengen und ich sicherlich einige Kollegen unverzeihlicherweise vergessen würde. Auch werde ich aus den gleichen Gründen im Fall der anderen Länder keine Namen zitieren, mit Ausnahme von Deutschland. Meine erste fundamentale internationale Erfahrung, der in dieser Kurzbiographie besondere Bedeutung zukommt, ist jene, die mich mit Deutschland verbindet und von der ich schon zur Genüge berichtet habe. Es reicht hier zu erwähnen, dass meine Verbindung zur deutschen Strafrechtswissenschaft heute wie damals weiterbesteht. Die Lektüre deutscher Werke und ihre Verwendung und Zitierung in meinen akademischen Arbeiten ist konstant geblieben. Auch der Kontakt zu verschiedenen deutschen Kollegen ist weiterhin intakt. Im Wissen, dass ich einige davon unerwähnt lassen werde, möchte ich vier deutsche Akademiker nennen, die mir, aufgrund dessen, was sie mir beigebracht haben, aufgrund der vielen Male, die sie mich sowohl bei meinen eigenen als auch bei den Forschungsarbeiten meiner Schüler (die sie an ihren Universitäten aufgenommen und beaufsichtigt haben) unterstützt haben, aufgrund der vielen Gelegenheiten des akademischen Austauschs und der Verbreitung meiner eigenen Thesen und last but not least aufgrund der Freundschaft und persönlichen Verbindung zu ihnen, besonders wichtig sind. Es handelt sich um Claus Roxin, Bernd Schünemann, Jürgen Wolter und den leider bereits verstorbenen Wilfried Bottke. In den letzten Jahren pflege ich eine enge wissenschaftliche und persönliche Verbindung zu dem jüngeren Kollegen Luis Greco, die auch eine wichtige Brücke zwischen europäischer und lateinameri-
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kanischer Strafrechtswissenschaft darstellt. Mit einigen Schülern der Genannten stehe ich ebenfalls in Kontakt, den ich gerade auszubauen versuche. Natürlich sind meine Kontakte nach Europa nicht auf Deutschland beschränkt, sondern finden sich, wenn auch nicht ganz so vertieft, doch zahlreich auch in anderen Ländern, allen voran zu portugiesischen und italienischen Kollegen (manche seit meiner ersten Zeit in Deutschland). Als Spanier spreche ich eine der weitverbreitetsten Sprache der Welt, weshalb mir auch der Kontakt nach Lateinamerika sehr wichtig ist. Meine Kontakte zu lateinamerikanischen Ländern intensivierten sich Anfang des 21. Jahrhunderts und haben bis heute angehalten. Ich habe Kurse, Vorträge, Seminare, Spezialisierungen, Masterbetreuungen und Lehrveranstaltungen für Examenskandidaten abgehalten und habe an Kongressen in Argentinien, Brasilien, Chile, Kolumbien, Mexiko, Nicaragua, Panama und Peru teilgenommen. Darüber hinaus habe ich dort einige Arbeiten veröffentlicht und auch einige Schüler aus anderen Ländern gewonnen. Verschiedene Universitäten haben mir den Ehrentitel eines Gastprofessors verliehen und Kolumbien verlieh mir die höchste Auszeichnung, das Ritterkreuz, ein Orden des Kongresses von Kolumbien als Anerkennung der verdienstvollen Arbeit zugunsten der kolumbianischen Jurisprudenz. Tatsächlich ist Kolumbien auch das Land, zu welchem ich die engste Verbindung und den konstantesten akademischen Kontakt hege. Zusätzlich wird mir die Ehre zuteil, einige Schüler in diesem Land zu haben. Drei meiner kolumbianischen Schüler haben ihre Doktorarbeit in Spanien verteidigt. Aktuell betreue ich weitere kolumbianische, ecuadorianische und peruanische Doktoranden, von denen zwei mit einem Forschungsstipendium an meiner Seite in León arbeiten (in Kürze werden es vier sein) und der Rest regelmäßige Forschungsaufenthalte an meiner Universität absolviert. In Peru habe ich in jüngster Zeit zwei Ehrendoktortitel erhalten. All dies stellt mich unglaublich zufrieden und erfüllt mich mit Stolz. Selbstverständlich bin ich immer offen für neue Beziehungen, weshalb ich mich in letzter Zeit auch besonders intensiv mit dem angelsächsischen Rechtsverständnis auseinandersetze.
4. Die Schule und meine Schüler Ich habe dem Konzept einer wissenschaftlichen Schule immer großen Respekt gezollt, zumindest in ihrer reinen Form, vollkommen losgelöst von dem, wie sie sich leider immer öfter, zumindest in Spanien, gibt, und zwar als Gruppe von Zwang, fast immer mit undurchschaubaren Zielen.
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Ich gehöre zu der mittlerweile weitverbreiteten Schule Diego-Manuel Luzón Peñas, den ich bereits an anderer Stelle erwähnt habe. Er hat damals meine Berufung für die universitäre Laufbahn geweckt und ihm schulde ich fast alles, was ich in meinem akademischen Leben erreicht habe, sowie grenzenlose Dankbarkeit. Ich halte ständigen und hervorragenden Kontakt zu den Kollegen aller Altersstufen meiner Schule, was besonders einmal im Jahr beim internationalen und inter-universitären Seminar zum Strafrecht deutlich wird, zu welchem uns Diego Luzón, zusammen mit Gästen außerhalb der Schule, an seine Universität von Alcalá zusammenruft. Auch fühle ich mich als Teil der immens großen internationalen Schule Claus Roxins, die ich hier wohl nicht mehr vorstellen muss. Von meinen Lehrmeistern habe ich den Wert der Anstrengung, den eines kritischen Geistes, aber gleichzeitig auch den der Toleranz gegenüber anderen Meinungen, die Milde gegenüber meinen Studenten, die ausgewogene Debatte und Vieles mehr gelernt, was ich versuche in meine universitäre Arbeit einfließen zu lassen. Über die Zeit hinweg habe ich auch einige junge Akademiker ausgebildet. Ich habe viele Schüler, mehrheitlich Frauen, was mit der erfreulichen Entwicklung in der Ausbildung und im Doktorandenstudium in den letzten Jahrzehnten zusammenhängt. So bilde ich nach und nach eine eigene Schule heran, die in der meines deutschen und der meines spanischen Lehrmeisters vollkommen aufgeht und mit den Schulen, die ihre anderen Schüler gegründet haben, in Verbindung steht. Auch meine Schüler kann ich hier nicht alle erwähnen, so dass ich sozusagen als Repräsentant der Übrigen die beiden erwähnen möchte, welche mittlerweile (fast) die Spitze ihrer akademischen Karriereleiter erreicht haben: Inés Olaizola Nogales, ordentliche Professorin und Lehrstuhlinhaberin an der staatlichen Universität von Navarra (Universidad Pública de Navarra), und María A. Trapero Barreales, außerordentliche Professorin, habilitiert als ordentliche Professorin und Anwärterin auf die Stelle einer Lehrstuhlinhaberin an der Universität von León. Meine Lehrmeister, Kollegen und Schüler stellen für mich einen sehr großen Ansporn dar, meine akademische Tätigkeit mit Motivation und mit ein wenig Vertrauen in die Zukunft fortzuführen, insbesondere in Momenten, in denen die Aussichten an der spanischen Universität (sicherlich mit Ausnahmen) eher demotivierend sind.
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5. Verwaltung und andere Tätigkeiten Die Übernahme von Verwaltungs- bzw. Führungsaufgaben an der Universität, die in Spanien größtenteils den Akademikern selbst zufällt, habe ich immer als eine Verpflichtung angesehen, die man hin und wieder aus Solidarität zu seiner Einrichtung übernehmen sollte, jedoch niemals als etwas Essentielles im akademischen Leben eines Professors. Aus diesem Grund bin ich der Übernahme von Verwaltungsaufgaben auch nie aus dem Weg gegangen, ebenso wenig wie Führungsämtern. Unter denen, die ich bekleidet habe, möchte ich das Amt des Dekans der Juristischen Fakultät der Universität von León (von 2004 bis 2008) und das Amt des Direktors der Abteilung für Öffentliches Recht derselben Universität hervorheben, das ich seit Anfang 2012 innehabe. Des Weiteren habe und übe ich diverse Verwaltungs- und Evaluationstätigkeiten auf nationaler und internationaler Ebene aus, oftmals in Vorgängen, die mich nicht sehr überzeugen, denen ich mich jedoch aus einem Gefühl der Notwendigkeit von Kompromissen und einer Verbesserung der Situation der akademischen Welt habe zuteilen lassen. In jedem Fall habe ich von verschiedenen deutschen und einigen spanischen Kollegen gelernt, dass es gut ist, wenn solche Posten zeitlich begrenzt sind, einer Rotation unterliegen und ihr Zweck nicht allein darin besteht, dass es sie gibt. Diese Philosophie habe ich im Rahmen meiner Führungstätigkeiten zu berücksichtigen versucht. Nichtsdestotrotz muss ich zugeben, dass Spanien auch diesbezüglich auf einem schlechten Weg ist. Zu der stetig anwachsenden, beinahe erstickenden universitären Bürokratisierung, die ich bereits erwähnt habe, kommt bei vielen Ämtern in meinem Land hinzu, dass gerade sie als Selbstzweck besetzt werden. Und was noch schlimmer ist: immer häufiger hat die Übernahme von Verwaltungstätigkeiten großen Einfluss auf die akademische Karriere. So erreicht beispielsweise ein exzellenter Dozent und Wissenschaftler bei der Bewerbung (speziell für die Stelle eines Hilfsprofessors oder Lehrstuhlinhabers) nicht die volle Bewertung allein aufgrund der Tatsache, dass er nicht genügend Führungsämter übernommen hat. Dieser Unsinn führt dazu, dass zahlreiche junge (und nicht mehr ganz so junge) Dozenten und Wissenschaftler verzweifelt nach Führungsämtern suchen, welche ihnen bei der Akkreditierung helfen und dabei ihre wertvolle und unersetzbare Zeit für das Studium und die Forschung verschenken.
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III. Abschließende Zusammenfassung Im Rückblick ist mein akademisches Leben, das hoffentlich noch lange Zeit andauert, aus meiner Sicht erfolgreich verlaufen. Ich habe hart gearbeitet, habe aber auch Glück gehabt und konnte auch in jungen Jahren berufliche Erfolge verzeichnen. Einen guten Teil des Erfolges habe ich meinen Lehrern zu verdanken, die im weiten Sinne sehr viele sind, allen voran jedoch Diego-Manuel Luzón Peña und Claus Roxin, sowie selbstverständlich meinen Verbindungen zu Deutschland, die ich hier noch einmal besonders hervorheben möchte. Meine Zufriedenheit habe ich auch meinen Schülern und geschätzten Kollegen zu verdanken. Nichtsdestotrotz produziert die Mediokrität, welche die Verwaltung (im weitesten Sinne) der spanischen Universitäten (immer mit Ausnahmen) regiert, ein bittersüßes Gefühl in mir, mit wenig Hoffnung auf Besserung der Situation.
Schriftenverzeichnis (in Auswahl) 1. Selbständiges Schrifttum / Monographien La autoría en Derecho penal [Die Täterschaft im Strafrecht], Barcelona 1991; Bogotá 2009; Santiago de Chile 2011 (mit Anhang über Täterschaft und Teilnahme im chilenischen StGB); in Kürze neue Aufl. Lima (Peru). Protección y expulsión de extranjeros en Derecho Penal [Schutz und Ausweisung von Ausländern im Strafrecht], mit I. Olaizola Nogales, M. A. Trapero Barreales, S. Barber Burusco, I. Durán Seco und L. Jericó Ojer, Las Rozas (Madrid) 2007. El error sobre elementos normativos del tipo penal [Der Irrtum über normative Tatbestandsmerkmale], Las Rozas (Madrid) 2008 (kolumbianische Aufl., Bogotá 2012).
2. Kommentierungen Capítulo II. De las falsedades documentales [Kapitel II. Urkundenfälschung] und – Artikel 390, in: Cobo del Rosal (Hrsg.), Comentarios al Código Penal, Band 12, Madrid 2011, S. 153–190, 191–209.
3. Lehrbücher und Fallsammlungen Casos prácticos de Derecho penal. 1. Introducción y consecuencias jurídicas del delito [Praktische Fälle des Strafrechts. 1. Einführung und juristische
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Folgen der Tat], mit M. A. Trapero Barreales, I. Durán Seco und S. Escobar Vélez, 2. Aufl., León 2015.
4. Aufsätze in Zeitschriften und Sammelwerken Los derechos de autor y conexos. Su protección penal: Cuestiones generales y naturaleza patrimonial, personal o mixta del bien jurídico protegido [Urheberrechte und damit verbundene Rechte. Ihr strafrechtlicher Schutz: Allgemeine Fragen und Vermögens-, persönlicher oder gemischter Charakter des geschützten Rechtsguts], in: Anuario de Derecho Penal y Ciencias Penales (ADPCP) 1990, S. 803 ff. „Coautoría“ alternativa y „coautoría“ aditiva: ¿autoría o participación? Observaciones sobre el concepto de coautoría [Alternative „Mittäterschaft“ und additive „Mittäterschaft“: Täterschaft oder Teilnahme? Erläuterungen über das Konzept der Mittäterschaft], in: Bosch (Hrsg.), Política criminal y nuevo Derecho Penal. Libro Homenaje a Claus Roxin, Barcelona 1997, S. 295 ff. El error de prohibición: pasado, presente y futuro [Der Verbotsirrtum: Vergangenheit, Gegenwart und Zukunft], in: Cerezo Mir (Hrsg.), El nuevo Código Penal. Presupuestos y fundamentos. Libro Homenaje al Prof. Dr. D. Angel Torío López, Granada 1999, S. 335 ff. ¿Error de tipo o error de hecho? [Tatbestandsirrtum oder Tatsachenirrtum?], in: Morales Prats / Quintero Olivares (Hrsg.), El Nuevo Derecho Penal Español. Estudios Penales en Memoria del Profesor José Manuel Valle Muñiz, Pamplona 2001, S. 207 ff. Objektive positive Tatbestimmung und Tatbestandsverwirklichung als Täterschaftsmerkmale, mit D.-M. Luzón Peña, in: Schünemann / Achenbach / Bottke / Haffke / Rudolphi (Hrsg.), Festschrift für Claus Roxin, Berlin 2001, S. 575 ff. ¿Es necesaria la cooperación necesaria? [Ist die notwendige Beteiligung notwendig?], in: Díez Ripollés (Hrsg.), La ciencia del derecho penal ante el nuevo siglo: Libro-Homenaje al Prof. Dr. D. José Cerezo Mir, Granada 2002, S. 645 ff. El delito contra la seguridad en el trabajo: algunos problemas del dolo y la imprudencia, concursales y relativos al art. 318 del Código Penal [Das Delikt gegen die Sicherheit bei der Arbeit: Einige Probleme des Vorsatzes und der Fahrlässigkeit, der Konkurrenzen und hinsichtlich des Art. 318 des Código Penal], in: Revista del Poder Judicial 80 (3. Vierteljahr 2005, veröffentl. 2007), S. 11 ff.
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Delitos contra la libertad sexual: ¿libertad sexual o moral sexual? Con un apéndice sobre el Proyecto de reforma del Código Penal de 2007 [Delikte gegen die sexuelle Freiheit: sexuelle Freiheit oder sexuelle Moral? Mit einem Anhang über das Reformprojekt des Còdigo Penal von 2007], in: Mir Puig / Corcoy Bidasolo / Gómez Martín (Hrsg.), Política criminal y reforma penal, Montevideo 2007, S. 335 ff. Omisión de socorro a la propia víctima [Unterlassen der Hilfeleistung für das eigene Opfer], in: De Vicente Martínez (Hrsg.): Derecho penal y seguridad vial. Estudios de Derecho Judicial 114–2007, 2007, S. 11 ff. Prostitución: la eventual responsabilidad penal de los clientes [Prostitution: Die mögliche strafrechtliche Verantwortung der Klienten], in: Muñoz Conde (Hrsg.), Problemas actuales del Derecho penal y de la Criminología. Estudios penales en memoria de la Profesora Dra. María del Mar Díaz Pita, Valencia 2008, S. 791 ff. La corrección de los padres a los hijos: consecuencias jurídico-penales de la reforma del art. 154 del Código Civil [Das elterliche Züchtigungsrecht: strafrechtliche Konsequenzen der Reform des Art. 154 Código Civil], in: Luzón Peña (Hrsg.), Derecho Penal del Estado Social y Democrático de Derecho. Libro-Homenaje al Prof. Dr. Santiago Mir Puig, por su Doctorado honoris causa en la Universidad de Alcalá, Las Rozas (Madrid) 2010, S. 475 ff., sowie in: Revista Penal 28, 2010, S. 101 ff. Der Einfluss der Roxinschen Täterschaftstheorie (insbesondere betreffend die Mittäterschaft) auf die spanische Rechtslehre und Rechtsprechung: Kritische Betrachtungen, in: GA 2011, S. 259 ff. Dopaje y Derecho penal (otra vez). Reflexiones generales y valoración del delito de dopaje del art. 61 bis del Código Penal [Doping und Strafrecht (noch einmal). Allgemeine Überlegungen und Bewertung des Delikts des Dopings des Art. 61 Código Penal], in: Álvarez García / Cobos Gómez de Linares / Gómez Pavón / Manjón-Cabeza Olmeda / Martínez Guerra (Hrsg.) Libro Homenaje al Profesor Luis Rodríguez Ramos, Valencia 2013, S. 491 ff. Zum elterlichen Züchtigungsrecht, in: Hefendehl / Hörnle / Greco (Hrsg.), Streitbare Strafrechtswissenschaft. Festschrift für Bernd Schünemann, Berlin 2014, S. 325 ff. Erweiterte spanische Version: En España, como en Alemania, no existe ya un derecho de corrección paterna violenta. Pero no cualquier corrección violenta es punible, in: Dogmática del Derecho penal material y procesal y política criminal contemporáneas. Homenaje a Bernd Schünemann por su 70 aniversario, Peru, 2014, S. 207 ff.
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Strafrechtliche Verantwortlichkeit juristischer Personen? Einige Thesen, in: GA 2016, S. 238 ff. Spanische Version: ¿Responsabilidad penal de las personas jurídicas? Algunas tesis. Libertas 5 (2016), S. 31 ff. Das Handeln im Rahmen eines organisatorischen Machtapparates, Täterschaft oder Teilnahme, in: GA 2017, S. 711 ff. Erweiterte spanische Version: Actuación en el marco de un aparato organizado de poder: ¿Autoría y participación?, en: Libro Homenaje a Santiago Mir Puig, 2017.
5. Übersetzungen Claus Roxin, Derecho Penal. Parte General. Tomo I. Fundamentos. La Estructura de la Teoría del Delito, Madrid, 1997, mit D.-M. Luzón Peña und J. de Vicente Remesal. Übersetzung von: Claus Roxin, Strafrecht. Allgemeiner Teil. Band I. Grundlagen. Der Aufbau der Verbrechenslehre, 2. Aufl., München 1994. Claus Roxin, Derecho Penal. Parte General. Tomo II. Especiales formas de aparición del delito, Cizur Menor –Navarra-, 2014, mit D.-M. Luzón Peña und Mitarbeitern, J. M. Paredes Castañón und J. de Vicente Remesal. Übersetzung von: Claus Roxin, Strafrecht. Allgemeiner Teil. Band II. Besondere Erscheinungsformen der Straftat, München 2003.
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https://doi.org/10.1515/9783110277708-006
Taira Fukuda I. Ich wurde als zweites von drei Geschwistern am 4. November 1923 in Tokio geboren. Mein Vater (1946 verstorben) war Anwalt, meine Mutter (1972 verstorben) Ärztin. Mein älterer Bruder studierte an der Universität in Tokio Geschichtswissenschaften und lehrte später an der Universität Nihon, ebenfalls in Tokio, japanische Geschichte. Er verstarb im Jahr 1975. Meine jüngere Schwester studierte ebenfalls dort, genau wie unsere Mutter, an der Medizinischen Akademie für Frauen und blieb schließlich nach ihrem Abschluss für zehn Jahre als Internistin an der Universitätsklinik der Akademie. Später arbeitete sie als Ärztin in der Praxis meiner Mutter, die sie nach deren Tod übernahm und aus der sie sich erst 2011 aufgrund ihres Alters von der Arbeit zurückzog. 1951 heiratete ich Sadako Yamana. Wir haben eine Tochter und mittlerweile zwei Enkel. Ich habe meine gesamte Ausbildung, von der Grundschule bis hin zur Universität, in Tokio genossen. Doch befand sich unser Land während meiner Ausbildungszeit im Krieg. Zur Zeit des Mukden-Zwischenfalls im Jahr 1931, der als Vorzeichen des Weltkrieges gesehen werden kann, war ich gerade einmal sieben Jahre alt und besuchte die zweite Klasse der Grundschule. Beim Ausbruch des Zweiten Japanisch-Chinesischen Krieges im Sommer 1937 war ich 13 Jahre alt (zweite Klasse, Mittelschule) und im Dezember 1941, als der Pazifikkrieg begann, wurde ich volljährig (zweite Klasse, Oberschule). Im Dezember 1943 spitzte sich die Lage zu, sodass die Rückstellung von der Wehrpflicht für Studenten aufgehoben wurde und ich in meinem zweiten Universitätsjahr im Alter von 20 Jahren in die Armee eingezogen wurde. Von diesem Zeitpunkt an, bis zum Kriegsende im August 1945, war meine akademische Ausbildung auf Eis gelegt. Wie Sie sehen, wurde meine Schulzeit somit durch den Krieg geprägt. Sowohl die Politik als auch die Wirtschaft und die gesamte Gesellschaft befanden sich unter der Herrschaft des Militärs und dem starken Einfluss des Militarismus. Es handelte sich um eine Zeit, in der das gesellschaftliche Leben, aber auch das Gedankengut, kontrolliert wurde und in der man sehr eingeengt war. Ich für meinen Teil genoss sowohl zu Hause, als auch in der Schule einen relativ großen Freiraum und spürte den Einfluss des Militarismus daher nur sehr wenig, sodass ich, abgesehen von den zwei Jahren beim Militär, auch während des Krieges eine relativ ruhige Schulzeit ohne Einengung verbringen konnte.
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Ich kam während meiner Mittelschulzeit mit Übersetzungen deutscher Literatur (hauptsächlich Romane) in Berührung und begann, mich für diese zu interessieren. Ich wünschte mir, mein Wissen über die deutsche Kultur zu vertiefen und so wählte ich in der Oberschule Deutsch als meine erste Fremdsprache und fing an, mich intensiv unter der Leitung von ausgezeichneten Deutschlehrern mit der deutschen Sprache zu beschäftigen. Nach Abschluss der Oberschule war ich in der Lage, deutsche Literatur und philosophische Werke in den Originalversionen zu lesen. Als ich mich im Oktober 1942 an der Juristischen Fakultät der Universität Tokio einschrieb, wählte ich den Schwerpunkt „Deutsches Recht“. Im Dezember 1943, als ich gerade ein Jahr lang die Grundlagenfächer besucht hatte und in die Rechtswissenschaft eingeführt worden war, wurde ich vom Militär eingezogen und musste meine Studien unterbrechen. Währenddessen verfolgte ich aufmerksam die Strafrechtsvorlesungen von Professor Seiichiro Ono und begann mich sehr für die historische Entwicklung der Strafrechtslehre und die ihr zugrunde liegende Philosophie zu interessieren. Im Oktober 1945, nach dem verlorenen Krieg, nahm ich meine Studien an der Juristischen Fakultät der Universität Tokio wieder auf. Aufgrund der Niederlage befanden wir uns in einer Besatzungszone und somit in einer sehr schweren Lage. Das öffentliche Leben war das reinste Chaos. Es mangelte sowohl an Kleidung und Nahrung als auch an Wohnraum. Doch ich war erfüllt von dem Wunsch, die durch die Kriegsjahre entstandene Leere zu füllen und stürzte mich in meine Studien. Zufällig nahm ich zu dieser Zeit an der Strafrechtsübung von Professor Shigemitsu Dando teil. Diese Übung basierte auf dem Bestreben des Professors, die japanische, deutsche, französische und englische Übersetzung des Werkes „Dei delitti e delle pene“ (1764) von Cesare Beccaria vergleichend zu lesen und daraus strafrechtliche Fragestellungen zu entwickeln. Ich übernahm hierbei vorwiegend die Bearbeitung der deutschen Übersetzung von Karl Esselborn, „Über Verbrechen und Strafen“ (von Cesare Beccaria, Leipzig, 1905). Durch diese Übung erhielt ich durch Prof. Dando nicht nur eine wertvolle Unterweisung über das Wesen von Verbrechen und Strafe, sondern kam auch über Beccaria erstmals in Berührung mit dem strafrechtlichen Gedankengut der Aufklärung, wodurch mein Interesse für die strafrechtliche Denkweise und Historie weiter wuchs. Gerade durch diese Übung und den überragenden Intellekt und die menschliche Warmherzigkeit von Prof. Dando keimte in mir der Wunsch, mich im Strafrecht zu spezialisieren. Im April 1947, gleich nachdem ich mein rechtswissenschaftliches Studium an der Universität Tokio
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abgeschlossen hatte, durfte ich als wissenschaftlicher Mitarbeiter unter Leitung von Prof. Dando meine strafrechtlichen Studien beginnen. Hiermit begann mein Weg als Strafrechtswissenschaftler. Meine wissenschaftliche Laufbahn verlief wie nachstehend dargelegt: 1950–1958
Lehrbeauftragter an der Juristischen Fakultät der Universität Kobe (Strafrecht)
1958–1965
Professor an der Juristischen Fakultät der Universität Kobe (Strafrecht)
1965–1970
Professor an der Geisteswissenschaftlichen Fakultät der Universität Tokio für Erziehungswissenschaften (Strafrecht)
1970–1987
Professor an der Juristischen Fakultät der Universität Hitotsubashi (Strafrecht)
1978–1980
Leiter der Juristischen Fakultät der Universität Hitotsubashi
1987–1997
Professor an der Juristischen Fakultät der Universität Tokai
1992–1996
Vorsitzender des Forschungsausschusses der Juristischen Fakultät der Universität Tokai
1997–1999
Gastdozent des Forschungsausschusses der Juristischen Fakultät der Universität Surugadai
Gleichzeitig hielt ich Strafrechtsvorlesungen an den juristischen Fakultäten namhafter Universitäten, wie an der Universität Ōsaka City (1952), der Universität Nagoya (1956), der Universität Teikyō (1967–1971), der Universität Komazawa (1969–1976), der Universität Gakushūin (1970) und an der Universität Keiō (1971–1978, 1980–1994).
II. Das erste Thema, mit dem ich mich als wissenschaftlicher Mitarbeiter beschäftigte, war die neuere Ideengeschichte des deutschen Strafrechts, für das ich mich bereits während meiner Studienzeit interessiert hatte. Im Rahmen meiner Forschungsarbeiten zog ich als Anregung und zur Entwicklung von Lösungsansätzen Literatur von Anselm von Feuerbach heran. Zunächst arbeitete ich mich vertieft in Feuerbachs Werke „Lehrbuch des gemeinen in Deutschland gültigen peinlichen Rechts“ (1801) und „Revision der Grundsätze und Grundbegriffe des positiven peinlichen Rechts“ (2 Bände, 1799, 1800) ein. Daran
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anschließend las ich jegliche Sekundärliteratur zu Feuerbach und begann neben der wiederholten Lektüre von Feuerbachs Lehrbüchern und Reflektionen, seinen Theorien Erörterungen hinzuzufügen, sodass ich nach etwa einem Jahr Professor Dando meinen Forschungsbericht mit dem Titel „Die Strafrechtstheorie Feuerbachs“ präsentieren konnte. Nachdem ich mir über die neuzeitliche Ideengeschichte des deutschen Strafrechts einen gewissen Kenntnisstand angeeignet hatte, ging ich in die Vorbereitungsphase für meine Habilitationsschrift über und entschied mich nach reiflicher Überlegung, über das Thema „Das Unrechtsbewusstsein“ bzw. „Irrtümer der Rechtswidrigkeit“ zu schreiben. Dieses Thema war damals bereits von zahlreichen Wissenschaftlern abgehandelt worden. Der Diskussionsstand war entsprechend vielfältig verzweigt, sodass es sich um ein hochkomplexes strafrechtliches Themengebiet handelte, das noch zu keiner eindeutigen Lösung gelangt war. Ich ging dieses Thema von einer wissenschaftlich-historischen Position aus an und war der Auffassung, dass der Schlüssel zum Erfolg darin lag, die jeweiligen Theorien im Zusammenhang mit der historischen Entwicklung zu betrachten, um so die Richtigkeit meiner Thesen festzustellen. Ich ging davon aus, dass der Ursprung der Theorien zum „Unrechtsbewusstsein“ bzw. zu den „Irrtümern bezüglich der Rechtswidrigkeit“ in der deutschen Strafrechtslehre des frühen 19. Jahrhunderts zu finden sei und setzte somit den Schwerpunkt meiner Forschung auf die historische Entwicklung dieses theoretischen Konzeptes. Voraussetzung für meinen Entschluss, diesen Weg zu wählen, war mein Bewusstsein über die im Folgenden erläuterte enge Beziehung der deutschen und japanischen Strafrechtslehre. Das im Jahr 1907 erlassene, auch derzeit noch geltende, japanische Strafgesetzbuch basiert sowohl auf dem deutschen Strafgesetzbuch von 1871 als auch auf dem neuen strafrechtlichen Gedankengut, das durch modernere Wissenschaftler, allen voran Franz von Liszt, vertreten wurde. Es lässt sich somit feststellen, dass der Einfluss der deutschen Strafrechtswissenschaft in Japan durchaus sehr groß war. Auch die damals stattfindenden Debatten zwischen der alten und neuen Schule erreichten Japan damals, sodass die Beziehung zwischen der deutschen und japanischen Strafrechtswissenschaft immer enger wurde. Somit verfolgte die japanische Strafrechtswissenschaft die Entwicklungen in der deutschen Strafrechtswissenschaft bereits seit Beginn des 20. Jahrhunderts stets aufmerksam und entwickelte folglich eigenständige Theorien, indem sie Ergebnisse dieser Entwicklung aufgriff. Im Großen und Ganzen wurde es im Rahmen der japanischen Strafrechtswissenschaft zur Norm, die deutschen Lehren grundlegend zu erforschen und daraus schließlich durch
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kritische Erörterungen eigenständige Lehren zu entwickeln. Ein erfreuliches Nebenprodukt dieser Forschung war die ausführliche Einführung in das Schrifttum der deutschen Strafrechtswissenschaft. Vor dem Hintergrund dieser Verbindungen entstand eine enge Beziehung zwischen der deutschen und japanischen Strafrechtslehre und es wäre wohl nicht abwegig zu behaupten, dass beide Lehren eine parallele Entwicklung durchlaufen haben (vgl. Taira Fukuda, „Die Beziehungen zwischen der deutschen und der japanischen Strafrechtswissenschaft“, in: Gedächtnisschrift für Armin Kaufmann, 1989, S. 71–77). Im Bewusstsein der oben geschilderten Umstände habe ich aus der Sicht der historischen Entwicklung der Theoriensysteme die deutsche Wissenschaft bezüglich des Unrechtsbewusstseins ab Feuerbach untersucht und erörtert. Hierbei wurde mir bewusst, dass jene Auffassung eine relativ neue Entwicklung darstellt, die das Unrechtsbewusstsein im Zusammenhang mit der Schuld an sich sieht. Ich kam zu dem Ergebnis, dass die normative Vertiefung der Schuld – also diejenige Theorienstruktur, die grundlegend ist – in Verbindung mit der Entwicklung der normativen Schuldtheorie steht und somit einen angemessenen Lösungsansatz bildet. Mein Fazit auf Basis der Erörterung der Entwicklung der normativen Schuldlehre und der Untersuchung der Theorienstruktur war, dass das Unrechtsbewusstsein bzw. deren Möglichkeit, unabhängig vom Vorsatz, als ein selbständiges Schuldelement aufgefasst werden muss. Kurz darauf, im Jahre 1950, wurden die Handelsbeziehungen zu Deutschland, die während des Weltkrieges zum Erliegen gekommen waren, wieder aufgenommen und die Einfuhr von deutschen Schriften war wieder möglich geworden. Ich erwarb die neueste importierte Literatur zum Strafrecht, beschäftigte mich eingehend mit dieser und bemühte mich, die aktuelle strafrechtswissenschaftliche Situation nach dem Krieg zu erfassen. Ich las unter anderem Strafrechtslehrbücher von Hellmuth von Weber, Hans Welzel und Reinhart Maurach. Darüber hinaus beschäftigte ich mich eingehend mit den folgenden Werken: Welzel, „Über die finale Handlungslehre“, 1949; Maurach, „Schuld und Verantwortung im Strafrecht“, 1948; Busch, „Moderne Wandlungen der Verbrechenslehre“, 1949. In diesem Zusammenhang befasste ich mich mit der Entwicklung der finalen Handlungslehre und entdeckte hierbei, dass die Schuldtheorie, die ein Ergebnis der finalen Handlungslehre ist, zum selben Ergebnis kommt, wie ich es bereits eingangs skizziert habe. Dies weckte schließlich mein Interesse für diese Theorie. Im Jahre 1953 veröffentlichte ich den Aufsatz „Zur finalen Handlungslehre“. Eben dieser Aufsatz sollte in einer Zeit, in der die finale Handlungslehre in Japan noch nicht allzu bekannt war, den grundlegenden Inhalt dieser Theorie vorstellen. Ferner erörterte ich den
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Sinn und den Wert dieser Theorie recht detailliert und bekundete meine Zustimmung für den grundsätzlichen Standpunkt der finalen Handlungslehre. Für diesen Aufsatz erhielt ich von dem Verband der japanischen Strafrechtswissenschaftler den Kusano-Preis, der an herausragende junge Wissenschaftler vergeben wird. Durch die neueren deutschen Schriften wurde mir bewusst, dass das Problem des Unrechtsbewusstseins (bzw. des Irrtums) bezüglich der Rechtswidrigkeit in den Nachkriegsjahren von vielen deutschen Wissenschaftlern behandelt worden war und im Zentrum des Diskurses um dieses Problem im Grunde Meinungsverschiedenheiten über die Vorsatz- und Schuldtheorie standen. Es war auffällig, dass sich eine große Anzahl an Aufsätzen eben gerade diesem Thema widmete. Daher fuhr ich mit meinen Untersuchungen dahingehend fort, dass ich die jeweiligen Aussagen dieser beiden Theorien ordnete und die jeweiligen Hauptaussagen kritisch begutachtete. Ich kam hierdurch zu dem Ergebnis, dass die Schuldtheorie grundsätzlich zu bejahen ist.
III. Im Jahre 1956 erhielt ich die Möglichkeit, mit einem Forschungsstipendium der Alexander von Humboldt-Stiftung nach Deutschland zu kommen. Ich nutzte diese Gelegenheit, um ab Oktober 1956 unter der Leitung von Prof. Hans Welzel, dessen Schriften ich ausgiebig studiert hatte, für zwei Jahre an der Universität Bonn zu forschen. Während meines Aufenthaltes erlebte ich, wie sich Prof. Welzel, der ein starker Verfechter der finalen Handlungslehre war, entschlossen für die Akzeptanz und Weiterentwicklung dieser Theorie einsetzte und dabei auch gegen starke Kritik anderer Wissenschaftler vorging. Ich verbrachte schließlich vom Wintersemester 1956 bis zum Sommersemester 1958, insgesamt somit vier Semester, an der Universität Bonn. Während dieser Zeit waren für mich insbesondere die Strafrechtsseminare von Prof. Welzel, die ich über alle vier Semester hinweg besuchte, besonders wertvoll. Die Kursgruppen seiner Seminare setzten sich hauptsächlich aus Doktoranden und einigen Studenten älterer Semester zusammen – neben mir nahmen an internationalen Studenten noch der Spanier José Cerezo Mir und der Grieche Christos Dedes teil. Darüber hinaus waren auch Prof. Günter Stratenwerth und Prof. Armin Kaufmann vertreten. Hierdurch lernte ich letzten Endes jedoch nicht nur Dr. Stratenwerth und Dr. Kaufmann, sondern auch den Doktoranden Hans Joachim Hirsch und den Studenten Hans-Ludwig Schreiber kennen. Diese Bekanntschaften von damals
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bildeten das Fundament für meine weiteren Beziehungen zur deutschen Strafrechtswissenschaft. Inhalt eines jener Seminare bei Prof. Welzel war die Behandlung wesentlicher allgemeiner Probleme der Strafrechtstheorie, wobei die Überprüfung der Anwendung der finalen Handlungslehre bezüglich dieser Probleme im Vordergrund stand. Vor allem beeindruckte es mich, dass das „Problem der Fahrlässigkeit“ in zwei aufeinander folgenden Semestern (WS 1957, SS 1958) als Vorstufe zur finalen Handlungslehre behandelt wurde. Die Seminare von Prof. Welzel waren stets sehr dynamisch und intensiv, doch in Diskussionen wurden zu keinem Zeitpunkt die Positionen der Professoren oktroyiert – vielmehr wurden insbesondere auch die Meinungen der jungen Teilnehmer aufmerksam aufgenommen, wiederholt diskutiert, erörtert und es wurde stets versucht, akzeptable Lösungen für die jeweiligen Probleme zu finden. Das Seminar fand wöchentlich abends von 20–22 Uhr in den Räumen der Universität statt. Nach 22 Uhr wurde die Diskussion oft in das Restaurant eines Hotels nahe des Bahnhofes verlegt, wo die Debatte schließlich mit Bier in einer gemütlicheren Atmosphäre – oft bis nach Mitternacht – fortgeführt wurde. Ich erinnere mich sehr gut, wie Prof. Welzel bei einer solchen Debatte im Hotel zu mir sagte: „Im Falle, dass man eine Theorie eines anderen Wissenschaftlers kritisieren möchte – gerade, wenn es sich dabei um eine neue Theorie handelt – ist hierbei die wichtigste Voraussetzung, zunächst den Inhalt dieser Theorie richtig erfasst zu haben. Falls man diese Voraussetzung nicht erfüllt, entspricht die Kritik allein den Vorstellungen des Kritikers und hat somit keinerlei wissenschaftlichen Wert. Vielmehr ähnelt dies dem Kampf gegen die Windmühlen Don Quijotes“. Diese Worte haben sich, gerade da sie von einem Wissenschaftler kamen, der zu dieser Zeit damit befasst war, eine neue Theorie zu etablieren und dabei geradezu mit Kritik überhäuft wurde, fest in mein Gedächtnis eingebrannt. Ich schrieb während meiner Zeit in Bonn zwei Aufsätze: „Das Problem des Irrtums über Rechtfertigungsgründe“ und „Vorsatz und Fahrlässigkeit als Unrechtselemente – Eine Studie zum personalen Unrecht“.1 Ursprünglich waren diese beiden Abhandlungen als Bericht für Prof. Welzel vorgesehen, doch er ermöglichte mir schließlich deren Veröffentlichung. Grundlage für diese Aufsätze bildeten zahlreiche Gespräche mit Prof. Welzel – doch auch hier versuchte er niemals, mir seine eigene Ansicht aufzuzwingen. So habe ich 1
Der erste Aufsatz wurde in der JZ, 1958, S. 143 und der zweite in der ZStW 1959, S. 38–50 veröffentlicht.
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beispielsweise im zuletzt genannten Aufsatz den Standpunkt vertreten, dass es sich bei der Fahrlässigkeit i.S.d. Verletzung der objektiv gebotenen Sorgfalt um ein Unrechtstatbestandsmerkmal handelt, wohingegen Prof. Welzel damals noch die Meinung vertrat, dass die Fahrlässigkeit kein Tatbestandsmerkmal darstellt. Da ich ihm in diesem Punkt nicht zustimmen konnte, beschlossen wir, meine Position im Aufsatz beizubehalten. Im Verlauf meiner zwei Studienjahre in Bonn konnte ich durch die freundliche Unterstützung Prof. Welzels und einen engen wissenschaftlichen Austausch mit Armin Kaufmann und Hans Joachim Hirsch in großem Umfang meine wissenschaftliche Expertise ausbauen. In erster Linie haben mich jedoch die Worte von Prof. Welzel geprägt und mich zur weiteren strafrechtswissenschaftlichen Forschung motiviert. Er sagte einst zu mir, dass bezüglich der Strafrechtsdogmatik zwar eine systematische Denkweise von Bedeutung sei, doch gleichzeitig auch eine scharfsinnige Erfassung neuer Entwicklungen im System des Verbrechenslehreaufbaus.
IV. In den Jahren nach meiner Rückkehr aus Deutschland war ich vor allem mit dem Sortieren und Fortentwickeln meines dort erworbenen Fachwissens beschäftigt. Hierzu zog ich einige strafrechtlich wesentliche Problemstellungen heran, fügte Untersuchungen hinzu und bemühte mich, ein eigenes System des Verbrechenslehreaufbaus zu entwickeln. Meine Vorgehensweise zur Ausarbeitung eines neuen Systems der Verbrechenslehre bestand darin, die strafrechtlichen Lehren der Professoren Ono und Dando als Fundament heranzuziehen und Theorien des Finalismus, zu dem sich auch Prof. Welzel bekannte, aufzugreifen und kritisch zu beleuchten. Im Jahre 1965 veröffentlichte ich schließlich das Lehrbuch „Strafrecht AT“, das die grundlegenden Gedanken der finalen Handlungslehre bekräftigt und sich auf den Standpunkt des Finalismus stellt. 2011 erschien dieses Lehrbuch in seiner 6. vollständig neubearbeiteten Auflage. Bis heute sind meine Grundauffassungen diesbezüglich unverändert. Das Grundgerüst des von mir entwickelten Systems der Verbrechenslehre basiert auf dem Folgenden: Genau genommen existieren zahlreiche divergierende Positionen bezüglich des Aufbaus des Systems der Verbrechenslehre. Dabei lassen sich jedoch im Großen und Ganzen zwei Ansichten unterscheiden, nämlich diejenige, die die Handlung zum Ausgangspunkt nimmt und diejenige, die sich auf die Tatbestandsmäßigkeit als Basis beruft. In diesem Punkt habe ich – unter der Prämisse, dass die Verbrechenslehre eine allgemeine Lehre zur Darstellung eines Ver-
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brechens ist – hinsichtlich des Systems der Verbrechenslehre noch vor der Tatbestandsmäßigkeit die „Handlungslehre“ an sich behandelt und vertrete hierbei die Ansicht, dass die Erörterung der Handlungsart (Tun oder Unterlassen) und der Kausalität keinen Sinn macht. Denn als Voraussetzung zur Verbrechensentstehung wird nur diejenige Handlung problematisch, die einem Straftatbestand entspricht. Die Handlung (bzw. das Unterlassen) und die Kausalität, die im Rahmen der Handlungslehre problematisiert werden, sind meiner Meinung nach nichts weiter als Probleme der Tatbestandsmäßigkeit. Somit sollte das System der Verbrechenslehre die Tatbestandsmäßigkeit als ihren Ausgangspunkt nehmen. Dies zugrunde legend, bin ich der Ansicht, dass die in unserem Land vorherrschende Lehre, also der dreistufige Verbrechensaufbau, vergleichsweise das Optimum darstellt. Mit anderen Worten handelt es sich bei dem Tatbestand um eine Typisierung strafbaren Verhaltens. Somit muss ein Verbrechen zunächst einem Tatbestand entsprechen. Da jedoch die Beurteilung der Tatbestandsmäßigkeit danach fragt, ob das Verbrechen dem Typ entspricht, besteht hierin genau genommen eine formalistische und abstrakte Beurteilung, die mit Rücksicht auf die strafrechtliche Gesetzmäßigkeit niemals gesetzüberschreitend sein kann. Im Gegensatz hierzu ist die Beurteilung der Rechtswidrigkeit eine nicht typisierte, vielmehr konkrete Beurteilung, da sie einschätzt, ob die Handlung tatsächlich gegen die gesamte Rechtsordnung verstößt. Ferner gibt es auch Fälle, in denen bezüglich der Beurteilung der Rechtswidrigkeit eine Erörterung von einem übergesetzlichen Standpunkt vorgenommen wird (z.B. bei der Überprüfung von übergesetzlichen Rechtfertigungsgründen). Wie man sieht, weicht die Beurteilung der Tatbestandsmäßigkeit von derjenigen der Rechtswidrigkeit ab und beide müssen folglich systematisch unterschieden werden. Nun zu dem Punkt, dass die Beurteilung der Tatbestandsmäßigkeit (bzw. der Rechtswidrigkeit) im Grunde eine Untersuchung der Handlung darstellt. Die Beurteilung der Schuld muss meiner Auffassung nach von diesen beiden theoretisch unterschieden werden, da die Schuld hinsichtlich der Tatsache, dass die Handlung rechtswidrig ist – zumal sie einem Tatbestand entspricht – einen zusätzlichen Tadel bezüglich der Persönlichkeit des Täters beinhaltet. Ausgehend von diesen Feststellungen muss das System der Verbrechenslehre, das die drei Stufen der Tatbestandsmäßigkeit, Rechtswidrigkeit und Schuld unterscheidet, befürwortet werden. Wenn man nun diesem System der Verbrechenslehre folgt, wird durch die Tatbestandsmäßigkeit ein einheitliches System der Verbrechenslehre garantiert. Daher behaupten manche, es sei nicht notwendig, eine Handlung bzw. einen ähnlichen Begriff (z.B. Verhalten) zu umschreiben, der die Funktion
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besitzt, alle strafbaren Verhaltensweisen zu subsumieren. In diesem Punkt habe ich auf Basis des dreistufigen Verbrechensaufbaus die Struktur der Umstände herausgearbeitet, die sozusagen das Fundament des Verbrechensbegriffes bildet und Gegenstand der strafrechtlichen Bewertung der Tatbestandsmäßigkeit, Rechtswidrigkeit und Schuld ist. Diesbezüglich bin ich der Auffassung, dass die Bildung eines einheitlichen realitätsnahen Begriffes notwendig ist. Denn durch die Bildung eines einheitlichen realitätsnahen Begriffes kann für den Verbrechensbegriff, der sich aus dem System des dreistufigen Verbrechensaufbaues ergibt, eine realitätsnahe Grundlage geschaffen werden. Darüber hinaus können durch einen solchen einheitlichen Begriff unter den zahlreichen Alltagssituationen, die in unserem gesellschaftlichen Leben existieren, diejenigen herausgefiltert werden, die Gegenstand einer strafrechtlichen Beurteilung sein sollen, wodurch wiederum der Bereich der strafrechtlichen Beurteilung eingegrenzt werden kann. Weiter bin ich der Meinung, dass Gegenstand einer solchen strafrechtlichen Beurteilung das menschliche Verhalten ist, das sich aus der Gesamtheit des Subjektiven und Objektiven zusammensetzt und durch einen bestimmten Willen den Kausalverlauf beherrscht bzw. kontrolliert. Mein Weg in der Strafrechtswissenschaft bestand somit darin, auf Grundlage der obigen Konzeption des Systems der Verbrechenslehre, einige relevante Probleme der Strafrechtsdogmatik (wie z.B. Irrtümer im Rahmen der Rechtswidrigkeit, unechte Unterlassungsdelikte, den Aufbau der Fahrlässigkeitsdelikte, den Tatvorsatz, die soziale Adäquanz, die Täterschaft im Rahmen der Mittäterschaft usw.) aus der Sicht der japanischen Strafrechtswissenschaft kritisch zu begutachten und daraus meine eigenen Theorien zu entwickeln. Neben meiner wissenschaftlichen Arbeit übersetzte ich 1962 das Werk „Das neue Bild des Strafrechtssystems – Eine Einführung in die finale Handlungslehre –, 4. erweiterte Auflage, 1961“ von Prof. Welzel gemeinsam mit Prof. Hitoshi Ohtsuka ins Japanische und ersetzte den Titel und Untertitel durch „Die finale Handlungslehre – die neue Gestalt des Strafrechtssystems“. Wir übersetzten das Buch auf Wunsch von Prof. Welzel, dem es ein besonderes Anliegen war, dass seine Positionen nicht über Umwege, sondern auf direktem Wege nach Japan gelangen würden. Da diese Schrift die Überlegungen zur finalen Handlungslehre sehr verständlich und übersichtlich erläutert, erschien im Jahr 1979 – was im Falle übersetzter, wissenschaftlicher Bücher tatsächlich äußerst selten vorkommt – eine neue erweiterte Auflage. Viele Leser begeisterten sich für diese Abhandlung und sie förderte die allgemeine Akzeptanz der finalen Handlungslehre in Japan. Ferner kam Prof. Welzel im Frühjahr 1966 auf Einladung der japanischen Strafrechtsvereinigung nach Japan und hielt wäh-
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rend seinem einmonatigen Aufenthalt strafrechtliche und rechtsphilosophische Vorträge an diversen namhaften Universitäten, wie z.B. der Universität Tokio. Mit Hilfe der Professoren Fumio Kanazawa und Heikichi Ohno veröffentlichte ich im Jahre 1967 Übersetzungen von den in Japan gehaltenen Vorträgen von Prof. Welzel zusammen mit einer Literaturübersicht2 und einer Übersicht zu den relevantesten japanischen Aufsätzen mit Bezug zur finalen Handlungslehre unter dem Titel „Die Grundlagen der finalen Handlungslehre“. Zu Beginn der 1950er Jahre bis in die 1960er Jahre hinein zeigte die japanische Strafrechtswissenschaft ein großes Interesse an der finalen Handlungslehre und zahlreiche Wissenschaftler nahmen an dem Diskurs um diese Lehre teil. Dennoch verblieb die finale Handlungslehre die Position einer Minorität und die Gegenposition setzte sich als herrschende Lehre schließlich durch. In den 1970er Jahren wurde die finale Handlungslehre kaum mehr erwähnt. Als deutsche Lehre ist sie aus meiner Sicht jedoch einzigartig, da im Rahmen der langen historischen Entwicklung und der engen Beziehungen zwischen der deutschen und japanischen Strafrechtslehre keine andere deutsche Lehre derart ausgiebig in Japan diskutiert wurde.
V. In den ersten zehn Jahren nach meiner Rückkehr aus Deutschland hatte ich keine Gelegenheit, das Land erneut zu besuchen. Während dieser Zeit pflegte ich jedoch einen persönlichen und auch wissenschaftlichen Briefkontakt mit Prof. Welzel, Armin Kaufmann und dem Kollegen Hirsch. Ferner hatte ich die Möglichkeit, mich mit deutschen Kollegen aus dem Strafrecht auszutauschen, die für Vorträge nach Japan kamen, wodurch ich meine Kenntnisse und mein Verständnis für die deutsche Strafrechtslehre weiter vertiefen konnte. Vor allem verband mich unter jenen Professoren eine enge Freundschaft zu Prof. Arthur Kaufmann, über dessen erste Monographie „Das Unrechtsbewusstsein in der Schuldlehre des Strafrechts“ (1949) ich in der japanischen Zeitschrift für Strafrecht3 eine recht detaillierte Kritik verfasste und diese somit der japanischen Strafrechtswissenschaft vorstellte. So trafen wir uns öfter in Japan oder Deutschland und vertieften unseren wissenschaftlichen Austausch durch zahlreiche Gespräche und Briefwechsel. Nachdem ich 1971 Deutschland besucht hatte, folgten weitere vier Besuche in den Jahren 1973, 1981, 1985 und 1988, bis ich schließlich im Jahr 2000 aus gesundheitlichen Gründen beschloss, keine Reisen ins Ausland mehr zu unternehmen. Im Rahmen dieser 2 3
Die wichtigsten Schriften und Aufsätze wurden mit Kommentaren versehen. Vgl. Band 3, 1953, S. 391–400.
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Besuche konnte ich meine Verbindungen zur deutschen Strafrechtslehre stärken, indem ich die wichtigsten Universitäten, Justizbehörden und Strafvollzugsanstalten Deutschlands besuchte. Vor allem durch meine drei Forschungsaufenthalte4 in Deutschland ist mit meinen Kollegen Armin Kaufmann und Hans Joachim Hirsch eine lebenslange Freundschaft entstanden. Während dieser Zeit durfte ich auch viele andere Wissenschaftler kennenlernen und erhielt Gelegenheiten, mich mit ihnen auszutauschen. Während meines ersten Aufenthaltes ermöglichte mir Armin Kaufmann die Arbeit an seinem Lehrstuhl an der Universität Bonn, wo ich nicht nur unter Verwendung seiner Bibliothek forschen konnte, sondern auch an seinen Seminaren teilnahm. Dadurch lernte ich seine wissenschaftlichen Mitarbeiter Fritz Loos, Georg Schilling, Wolfgang Schöne und Eberhard Struensee kennen, mit denen ich mich über die neueste Entwicklung des deutschen Strafrechts austauschen konnte. Während meines Aufenthaltes in Bonn nahm ich an einem Symposium der Alexander von Humboldt-Stiftung zum Thema „Strafrecht und Strafrechtsreform“ in Ludwigsburg teil. Hierbei hielt ich den Vortrag „Über die Beziehungen der deutschen und japanischen Strafrechtsdogmatik“ und kommentierte weiter den Entwurf eines Strafgesetzbuches (StGB) E1962 aus dem Jahre 1962 von einem kritischen Standpunkt aus. 1966 veröffentlichte ich in Zusammenarbeit mit anderen Wissenschaftlern einen „Alternativ-Entwurf eines Strafgesetzbuches, Allgemeiner Teil“. Ferner nahm ich an einem Symposium in Bad Homburg teil, bei dem sich eine Gruppe von Wissenschaftlern zusammenfand, zu der auch Armin Kaufmann gehörte. Sie legten einen Alternativentwurf zum neuen Strafgesetzbuch vor, über den schließlich während des Symposiums vehement diskutiert wurde. Ich durfte mich an dieser damaligen Debatte beteiligen und erlebte auf diese Weise hautnah, welche Passion die Professoren für die Reformierung des Strafgesetzbuches hegten. Während meines zweiten und dritten Besuches in Deutschland durfte ich am Kriminalwissenschaftlichen Institut der Universität Köln bei Prof. Hans Joachim Hirsch ein Zimmer belegen und in Ruhe meinen Forschungen nachgehen. Auch hier war es mein Bestreben, an so vielen Seminaren wie nur möglich teilzunehmen. So konnte ich mich weiter mit jungen Kollegen wissenschaftlich austauschen. 4
(1). von September bis Dezember 1973 in Bonn, (2). von Ende Mai bis Ende Juni 1981 in Köln, (3). von Mitte März bis Ende Juni 1985 in Köln.
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Bei meinem dritten Aufenthalt, der auf April 1985 zurückgeht, erhielt ich „für hervorragende Verdienste um die wissenschaftliche Entwicklung des Strafrechts, insbesondere die vergleichende Erforschung des deutschen und japanischen Strafrechts sowie für die langjährige Förderung der fachlichen Beziehungen zwischen der deutschen und japanischen Strafrechtswissenschaft“ den Doktor honoris causa an der Universität Köln. In meiner Festaktrede richtete ich meinen Dank nicht nur an die Juristische Fakultät der Universität Köln, sondern versprach auch, die engen Beziehungen zwischen der deutschen und japanischen Strafrechtswissenschaft mit aller Kraft weiterhin zu vertiefen. Während meiner Besuche in Köln nahm ich an den Strafrechtslehrertagungen in Bielefeld (Mai 1981) und Frankfurt a.M. (Mai 1985) teil, wo ich Vorträge hielt und anhörte, was hilfreich war, um den Status Quo der deutschen Strafrechtslehre weiterverfolgen zu können. Außerdem gelang es mir auf diese Weise, alte Bekanntschaften zu vertiefen und neue Freundschaften mit Professoren zu schließen.
VI. Nachdem ich im Mai 1950 einen Lehrauftrag an der Juristischen Fakultät der Universität Kobe erhielt, lehrte ich nicht nur bis zu meiner Emeritierung im März 1987 an der Universität Hitotsubashi, sondern setzte mich auch stark für die Forschung und Ausbildung im Strafrecht ein. Auch nach meiner Tätigkeit an der Universität Hitotsubashi lehrte ich etwa zehn Jahre lang sowohl an der Universität Tokai als auch an der Universität Surugadai, wo ich jeweils Seminare und Vorlesungen hielt. Insgesamt habe ich mehr als 50 Jahre lang an Universitäten gelehrt. Neben meinen Forschungen und meinen Lehraufträgen an den Universitäten arbeitete ich auch von Zeit zu Zeit in verschiedenen Regierungsausschüssen. Besonders in Erinnerung geblieben ist mir die Mitarbeit am Gesetzesentwurf für die Generalreform des Strafgesetzes, die ein vertieftes Fachwissen erforderte. Die Arbeit an einem Gesetzesentwurf für die Generalreform des Strafgesetzes begann in unserem Land nach dem 2. Weltkrieg auf Gesuch des Justizministers hin und durch die Bildung eines speziellen Gesetzesausschusses zur Untersuchung sowie Beratung dieses Reformvorhabens im Mai 1963. Dieser Gesetzesausschuss bestand wiederum aus fünf Unterausschüssen, denen jeweils ein Gesetzesbereich übertragen wurde. Jeder Unterausschuss war verpflichtet, innerhalb seines Gebietes zu forschen und sich zu beratschlagen, um den übrigen Unterausschüssen daraufhin in regelmäßigen Abständen seine
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Ergebnisse vorzustellen. Nach mehr als acht Jahren Arbeit entstand der Gesetzesentwurf zur Generalreform des Strafrechts, auf dessen Grundlage die Notwendigkeit zur grundlegenden Reform beschlossen wurde, was im März 1972 schließlich der Vollversammlung des Legislativrates mitgeteilt werden konnte. Während dieser Zeit nahm ich als Mitglied dieses speziellen Gesetzesausschusses an der Forschung und Beratung, sowie an nahezu allen 30 Hauptausschusssitzungen und 170 Unterausschusssitzungen des 5. Ausschusses teil. Da während dieser Forschungs- und Beratungstätigkeit insbesondere auch deutsche Materialien zur Strafrechtsreform aus der Nachkriegszeit, Niederschriften der Großen Strafrechtskommission, der Entwurf eines Strafgesetzbuches (StGB) E1962 mit Begründung, sowie zum Ende hin auch der Alternativ-Entwurf eines Strafgesetzbuches, Allgemeiner Teil, 1. Aufl. 1966, 2. Aufl. 1969 vergleichend hinzugezogen wurden, konnte ich durch mein Hintergrundwissen zum damaligen Strafrechtsreformvorhaben in Westdeutschland einen Beitrag leisten. Nach etwa zweijähriger Arbeit wurde dieser Gesetzesentwurf des Gesetzesausschusses fast unverändert durch den Legislativrat übernommen. Im Mai 1974 beschloss dieser den „Entwurf zur Reform des Strafgesetzbuches“, woraufhin dem Justizminister die Notwendigkeit zur grundlegenden Reform des Strafgesetzes verkündet wurde. Dieser Gesetzesentwurf wurde jedoch dahingehend stark kritisiert, dass er nationalistische, moralistische Ansätze und eine zu starke Ausrichtung auf die öffentliche Sicherheit und Ordnung aufweisen würde, was schließlich zur Folge hatte, dass er nicht die nötige Unterstützung der Allgemeinheit erhielt. Somit wurde in Japan bis heute das Reformvorhaben des Strafgesetzbuches nicht in die Tat umgesetzt. Es ist wohl schwierig, vor dem Hintergrund einer sich wandelnden Gesellschaft und der daraus entstehenden Probleme, ganz abgesehen von den zahlreichen Positionen, die in Fachkreisen hierzu bestehen, ein neues Strafgesetz zu entwickeln. Zwar wurde das Strafgesetzbuch durch anteilige Reformen an die jetzigen gesellschaftlichen Umstände angepasst, doch ich bin dennoch der Meinung, dass die grundlegende Reformierung des über 105 Jahre geltenden Strafgesetzbuches (1907 in Kraft getreten) entsprechend der Bedürfnisse der jetzigen Gesellschaft in Japan eine der wichtigsten Bestrebungen der heutigen Strafrechtswissenschaft sein sollte.
VII. Seitdem ich im Jahr 1999 meine Tätigkeit als Universitätsprofessor aufgegeben habe, lebe ich in der Stadt Kunitachi, einem Vorort von Tokio. Ich habe mein Haus in der Zeit, als ich an die Universität Hitotsubashi wechselte, in unmittelbarer Nähe der Hochschule gebaut. Der Mittelpunkt meines Lebens war somit nicht länger das Zentrum Tokios. Nachdem meine Tochter 1979 heiratete
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und schließlich unser Haus verließ, verbrachte ich hier seitdem mit meiner Frau zusammen ein sehr ruhiges Dasein. Nach meiner Emeritierung bin ich kaum noch ins Stadtzentrum Tokios gefahren. So verbringe ich die meiste Zeit zu Hause. Dennoch nehme ich gelegentlich, je nach Tagesform, ein Fachbuch aus dem Regal und verbringe meine Zeit mit der Lektüre und der Reflexion allgemeiner Probleme des Strafrechts. Somit führe ich mein bisheriges Leben als Wissenschaftler im Grunde ein Stück weit fort. Bei Bedarf laufe ich etwa zehn Minuten zur Universität Hitotsubashi, um dort ein wenig in der juristischen Bibliothek zu stöbern und zu verweilen. Für die Freundlichkeit des Universitätspersonals möchte ich mich an dieser Stelle nochmals ganz herzlich bedanken. Eine weitere Freude ist es für mich, wenn sich von Zeit zu Zeit junge Wissenschaftler in meinem Haus versammeln und sich mit mir über alle möglichen Problemstellungen des Strafrechts unterhalten und austauschen. Dieses wissenschaftliche Zusammensein findet seit 1996 fast ohne Unterbrechungen regelmäßig einmal im Monat statt. Gerade durch solche Zusammenkünfte, zu denen immer wieder neue, inspirierende Beiträge geleistet werden und in deren Rahmen ein ungehemmter Gedankenaustausch möglich ist, erhalte ich mir auch im hohen Alter noch die Neugierde für die Wissenschaft und bleibe motiviert meine Forschungsarbeit fortzusetzen. Dies führte dazu, dass ich bereits zwei Mal (2004 und 2011) mein Lehrbuch für Strafrecht AT grundlegend überarbeiten und neue Auflagen veröffentlichen konnte. Auch hierfür möchte ich mich hiermit ganz herzlich bei den oben genannten jungen Wissenschaftlern und Freunden bedanken, die mich stets bei meiner Arbeit unterstützt und angespornt haben.
Schriftenverzeichnis (in Auswahl) 1. Selbständiges Schrifttum / Monographien 違法性の錯誤 [Irrtum der Rechtswidrigkeit], Tokyo 1960. 目的的行為論と犯罪理論 [Die finale Handlungslehre und die Verbrechenslehre], Tokyo 1964. 刑法解釈学の基本問題 [Grundlegende Probleme der strafrechtlichen Interpretation], Tokyo 1975. 行政刑法 [Verwaltungsstrafrecht], Tokyo 1978. 刑法解釈学の主要問題 [Die Hauptprobleme der strafrechtlichen Interpretation], Tokyo 1990.
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刑法解釈学の諸問題 [Allgemeine Probleme der strafrechtlichen Interpretation], Tokyo 2007.
2. Lehrbücher 刑法各論 [Strafrechtslehre], Tokyo 1954. 刑法総論 [Strafrecht AT], Tokyo 1965. 刑法各論[新版] [Strafrechtslehre], neue Aufl., Tokyo 1972. 刑法総論[新版] [Strafrecht AT], neue Auflage, Tokyo 1976. 全訂刑法各論[第3版] [Revidierte Strafrechtslehre], 3. Aufl., Tokyo 1996. 全訂刑法総論[第5版] [Revidiertes Strafrecht AT], 5. Aufl., Tokyo 2011.
3. Aufsätze in Zeitschriften und Sammelwerken Das Problem des Irrtums über Rechtfertigungsgründe, in: JZ 1958, S. 143 ff. Vorsatz und Fahrlässigkeit als Unrechtselemente. Eine Studie zum personalen Unrecht, in: ZStW 1959, S. 38 ff. Die finale Handlungslehre Welzels und die japanische Strafrechtsdogmatik, in: Stratenwerth / Kaufmann / Geilen / Hirsch / Schreiber / Jakobs / Loos (Hrsg.), Festschrift für Hans Welzel, Berlin 1974, S. 251 ff. Über die Beziehungen zwischen der deutschen und japanischen Strafrechtsdogmatik, insbesondere über die finale Handlungslehre, in: Madlener / Papenfuss / Schöne (Hrsg.), Strafrecht und Strafrechtsreform, Köln / Berlin 1974, S. 175 ff. Die Beziehungen zwischen der deutschen und der japanischen Strafrechtswissenschaft – Eine historische Studie, in: Dornseifer / Horn / Schilling / Schöne / Struensee / Zielinski (Hrsg.), Gedächtnisschrift für Armin Kaufmann, Köln / Berlin 1989, S. 71 ff. Die Beziehungen zwischen der deutschen und japanischen Strafrechtswissenschaft – Eine historische Studie, in: Hirsch / Weigend (Hrsg.), Strafrecht und Kriminalpolitik in Japan und Deutschland, Berlin 1989, S. 57 ff. Bedeutungskenntnis und Vorsatz, in: Weigend / Küpper (Hrsg.), Festschrift für Hans Joachim Hirsch, Berlin 1999, S. 175 ff.
Otar Gamkrelidze
https://doi.org/10.1515/9783110277708-007
Otar Gamkrelidze Ich wurde am 14. Februar 1932 geboren. Mein Interesse sowohl an der russischen als auch an der deutschen Strafrechtswissenschaft entdeckte ich, als ich 1963 meine Arbeit am Tinatin-Tsereteli-Institut für Staat und Recht aufnahm. Damals leitete Frau Prof. Dr. Tinatin Tsereteli die dortige Abteilung für Strafrecht persönlich. Durch sie kam ich erstmalig mit dem deutschen Strafrecht in Kontakt. Neben den Aufsätzen des russischen Wissenschaftlers Nikolai Taganzew befasste ich mich im Rahmen meiner Arbeit zunächst mit den Veröffentlichungen des deutschen Strafrechtlers Franz von Liszt. Später setzte ich mich bei der Suche nach dem Unterschied zwischen einer Straftat und einem Verwaltungsvergehen in meinem gleichnamigen Aufsatz (1968) mit den Lehren weiterer deutscher Wissenschaftler, wie etwa von A. Feuerbach, A. Merkel, K. Binding, R. Frank und A. I. Meyer auseinander. Ebenso wie Binding vertrete ich die Ansicht, dass verwaltungsrechtliches Handeln strafrechtlich nur sanktioniert werden kann, wenn es einen im Strafrecht normierten Tatbestand erfüllt. Das Strafrecht kann keine zusätzlichen Verhaltensregeln im Bereich Verwaltung aufstellen. Im Verwaltungsrecht ist es hingegen möglich, Sachverhalte, die über das strafrechtlich Normierte hinausgehen, durch eigene Vorschriften des Gesetzgebers zu regulieren. Im Jahr 1972 entstand mein Buch „Die mittelbare Täterschaft und Mittäterschaft“, welches schließlich 1974 veröffentlicht wurde. Darin widme ich der Theorie der akzessorischen Natur der Teilnahme, welche damals noch von einigen Rechtswissenschaftlern kritisch hinterfragt wurde, besondere Aufmerksamkeit. Neben dem akzessorischen Charakter der Beteiligung an einer Straftat erörtere ich darin, weshalb der Begriff der mittelbaren Täterschaft eben gerade hierauf basiert. Noch im selben Jahr wurde mir hierfür der Titel des „Kandidaten der Rechtswissenschaften“1 verliehen. In den Jahren 1975–1976 verfasste ich ein weiteres Buch zum Thema „Ausübung der beruflichen Befugnisse als Ausschließungs- und Rechtfertigungsgrund im Rahmen der Rechtswidrigkeit“. Das Buch besteht aus drei Kapiteln. Das erste Kapitel widmet sich dem Problem der Rechtswidrigkeit und dessen Beurteilung in der deutschen Rechtswissenschaft. Die Wahrnehmung beruflicher Befugnisse, Haftungsausschlüsse und ähnliche Handlungen sind nach der von mir vertretenen Ansicht rechtmäßig. Natürlich muss man diskutieren, auf welcher Grundlage solche Handlungen noch rechtmäßig sind und durch 1
Alte sowjetische Bezeichnung, welche dem heutigen Doktortitel entspricht.
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welche Merkmale sie sich auszeichnen. Ausgangspunkt für die Rechtfertigung der jeweiligen Handlungen sollte immer der gesellschaftliche Nutzen sein. Des Weiteren muss man, um die Rechtmäßigkeit einer Handlung bestimmen zu können, zu allererst einmal die Rechtswidrigkeit einer Tat definieren. Insbesondere die deutsche Strafrechtswissenschaft hält dazu eine entsprechend umfangreiche Literatur bereit, welche für diese Überlegungen hilfreich ist. Meiner Ansicht nach sind Recht und Unrecht zwei Seiten einer Medaille. Anfang des 20. Jahrhunderts galt das strafrechtliche Unrecht immer noch als eine rein objektive Kategorie. Während die objektiven Merkmale damals die Straftatbestände bestimmten, begründeten die subjektiven Merkmale den Schuldbegriff einer Tat. Nach diesem klassischen Modell hatten alle Merkmale einen eigenen Platz. In den 20er Jahren des 20. Jahrhunderts führte der deutsche Wissenschaftler Edmund Mezger die Theorie ein, dass bei Vorsatz- und Versuchsstraftaten subjektiven Elementen (z.B. die Zueignungsabsicht einer fremden Sache beim Diebstahl, Vorsatz bezüglich der Verwirklichung von Mordmerkmalen auch bei Versuchen etc.) eine objektive Bedeutung bei der Ausführung der Tat zukommt. Ist eine Tat, etwa ein Mord, vollendet, verliert der Vorsatz nach Mezger seine Bedeutung für die objektiven Tatbestandsmerkmale und verwandelt sich in ein Schuldelement. Etwas später entwickelte Hans Welzel seine finale Handlungslehre. Diese überträgt die subjektiven Elemente einer Tat von der Schuldebene vollständig auf den Unrechtsbegriff einer Tat. In dem erwähnten Werk nehme ich zu beiden Theorien äußerst kritisch Stellung und entwickle darauf aufbauend meinen eigenen Standpunkt. Meines Erachtens nach schmälert Mezger künstlich die Bedeutung der subjektiven Elemente, um das Unrecht objektiv begründen zu können. Hans Welzel dagegen misst den subjektiven Elementen eine übertriebene Bedeutung beim Aufbau eines einheitlichen lückenlosen Prüfungssystems zu. Nach Welzel werden die subjektiven Elemente für die objektive Unrechtsbegründung herangezogen, was für mich eine völlig inakzeptable Vorgehensweise darstellt. Meiner Ansicht nach muss einerseits der Bereich der subjektiven Unrechtselemente im Strafrecht – anders als Mezger dies vertritt – erweitert werden. Andererseits darf diese Erweiterung nicht so weit gehen, dass sie auch den Bereich der Fahrlässigkeit berührt, wie man es bei Welzel antreffen mag. Ich glaube, der Fehler von Mezgers Ansatz besteht darin, dass er dem Vorsatz auch beim Versuch rein objektive Bedeutung zuschreibt. Meiner Meinung nach ist der Vorsatz Teil des subjektiven Unrechts. Ein Versuch kann schließlich nicht fahrlässig begangen werden.
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Auch der Ansicht, dass sich der Vorsatz nach der Vollendung der Straftat in ein Schuldelement verwandle, weil z.B. ein vollendeter Mord sowohl vorsätzlich, als auch fahrlässig begangen werden kann, ist nicht zu folgen. Für eine derartige Wahrnehmung des Vorsatzes existieren meiner Auffassung nach keine überzeugenden Argumente. Ich glaube, dass der Vorsatz eine Straftat zu begehen, genauso zur Tatbestandsebene gehört, wie die objektiven Tatbestandsmerkmale – ungeachtet dessen, um welches Stadium einer Straftat es sich handelt, ob also ein Versuch vorliegt oder eine vollendete Straftat. Wenn dem Vorsatz tatbestandliche Bedeutung zukommt, so kann er nicht durch die Vollendung der Straftat verschwinden. Eine klassische Begründung dafür ist die Theorie der subjektiven Rechtfertigungselemente. Selbst wenn objektiv Umstände vorliegen, welche die Tat nach dem Strafgesetzbuch rechtfertigen würden, ist dies ohne subjektives Rechtfertigungselement nicht möglich, d.h. umgekehrt beinhaltet die Rechtswidrigkeit immer auch ein subjektives Element. Bei der Notwehr bedarf es beispielsweise eines Verteidigungswillens, damit die Handlung rechtmäßig ist. Angenommen der in Notwehr Handelnde begeht einen vollendeten Totschlag: Wenn sich der Vorsatz bei der Abwehr auf einen vollendeten Totschlag bezieht und die Rechtswidrigkeit der Abwehr dennoch entfällt, wieso soll der Vorsatz nicht auch bei vollendeten Straftaten tatbestandlich relevant sein? Zusammengefasst besteht mein Ansatz darin, den subjektiven Elementen eine objektive Bedeutung zukommen zu lassen. Danach entscheiden sie bei vorsätzlich begangenen Taten ausschließlich über die Rechtswidrigkeit oder Rechtmäßigkeit der Handlung. 1977 veröffentlichte ich eine weitere wissenschaftliche Arbeit zum Thema „Strafbarkeitsgründe einer Beteiligung“, in der ich die schweizerische Lehre der Teilnehmerstrafbarkeit erörtere. Diese beruht auf der schuldhaften Beteiligung an der Tat. Dort setze ich mich unter anderem kritisch mit dem Werk „Der Strafgrund der Teilnahme“ des schweizerischen Wissenschaftlers Stefan Trechsel auseinander, um schließlich meine Vorstellung von Anstiftung vorzustellen. Meiner Meinung nach verwirklichen der Anstifter und der Angestiftete unterschiedliche Arten von Unrecht. Dieses Verständnis fußt wiederum auf dem subjektiven Unrechtselement, welches ich in meinem Buch „Ausübung der beruflichen Befugnisse als Ausschlussgrund der Rechtswidrigkeit“ erarbeitet habe. Das Ziel des Anstifters besteht darin, den Angestifteten ins Gefängnis zu bringen. Der Angestiftete hingegen wird dahingehend beeinflusst, die vom Anstifter geplante Tat begehen zu wollen. Ein solches Verständnis des Anstiftungstatbestandes wird auch von der herrschenden Meinung der georgischen Strafrechtslehre vertreten, die sich dafür auf Artikel 145 des georgischen StGB vom 22. Juli 1999 beruft. Dieser normiert den Tatbestand der Anstiftung
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folgendermaßen: „Die Anstiftung, d.h. das Bestimmen einer anderen Person zur Begehung einer Straftat, um diese Person strafrechtlich verantwortlich zu machen, […]“. In dieser Norm erkennt man eindeutig eine Unterscheidung zwischen der Anstiftung zur Begehung einer Straftat und andererseits der Teilnahme an deren Verwirklichung. Eines der wichtigsten Ereignisse für die georgische Strafrechtswissenschaft im vergangenen Jahrhundert war der 1982 abgehaltene sowjetisch-westdeutsche Kongress zum Strafrecht. Nach dem Willen Moskaus wurde er in Tbilissi abgehalten. Dies war keine Zufallsentscheidung. Das dortige, von den Professoren Tinatin Tsereteli und Vladimir Makashvili geleitete, georgische Strafrechtsinstitut war in der gesamten Sowjetunion bekannt. Die westdeutsche Delegation wurde von dem bekannten deutschen Juristen Prof. Dr. HansHeinrich Jescheck angeführt, welcher sich sehr positiv über die Beiträge der georgischen Wissenschaftler äußerte. Inspiriert von der deutschen Rechtsliteratur hielt ich auf dem Kongress einen Vortrag zum Thema „Zu den subjektiven Unrechtsmerkmalen“ – ein Problem, das der damaligen sowjetischen Strafrechtswissenschaft völlig fremd war. Zwischen 1978 und 1979 verfasste ich eine Forschungsarbeit zum Thema „Die strafrechtlichen Aspekte im Naturschutz“. In der Arbeit untersuche ich den Straftatbestand des kriminellen Angriffs auf diverse Naturgüter in der georgischen Strafgesetzgebung. 1982 veröffentlichte ich einen Beitrag zum Thema: „Die verwaltungsrechtlichen Fragen im Naturschutz“ und in den Jahren 1986 und 1987 schrieb ich ein Buch zu dem Thema „Das strafrechtliche Unrechtsproblem und der Strafgrund der Teilnahme“. Es wurde 1989 veröffentlicht. 1994 erhielt ich dafür den wissenschaftlichen Grad „Doktor der Rechtswissenschaft“.2 In meinem Werk setze ich die Analyse des Problems der subjektiven Unrechtselemente fort und bestimme den Strafgrund der Teilnahme zum ersten Mal anhand subjektiver Unrechtselemente. Meiner Meinung nach beruht die Teilnahme auf dem gemeinsamen einheitlichen Handeln mehrerer Personen, die eine bestimmte Straftat begehen wollen. Deshalb darf man meiner Auffassung nach den Unrechtsgehalt des Handelns nicht auf rein objektive Kriterien reduzieren, sondern muss auch die subjektiven Elemente der Tat beachten. Es ist allgemein anerkannt, dass sich eine Straftat aus drei Merkmalen zusammensetzt: Tatbestand, Rechtswidrigkeit und Schuld. Eine Straftat kann man sich aber auch zweistufig vorstellen, bestehend aus Strafunrecht und Schuld. Das Unrecht beinhaltet den Tatbestand und die Rechtswidrigkeit. Bei der Analyse der Teilnahme gehe ich von diesem Ansatz aus und vermeide dadurch 2
Im heutigen Sinne als Habilitation zu verstehen.
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den Begriff der „persönlichen“ Verantwortung, der für die finale Handlungslehre kennzeichnend ist. Ein persönliches Merkmal ist meiner Ansicht nach ausschließlich in der Schuld zu finden. Trotz des einheitlichen Unrechtgehalts der Tat behalten alle Mittäter so ihre eigene persönliche Schuld. Damit soll das Unrecht auf keinen Fall auf unpersönliche Merkmale bzw. rein objektive Merkmale reduziert werden (z.B. die Handlung). Vielmehr teile ich den in der deutschen Fachliteratur vertretenen Gesichtspunkt, das Unrecht lasse sich durch subjektive Merkmale begründen. Im Unterschied zur Theorie Mezgers ist mir in meinem Werk, wie ich hoffe, eine überzeugendere Darstellung des Strafgrunds der Teilnahme gelungen. Meiner Meinung nach ist das subjektive Element, also der Vorsatz, im Tatversuch und bei der Vollendung gleich relevant. Das bedeutet, die an einer Straftat beteiligten Personen begehen das gleiche Unrecht und zwar ungeachtet dessen, ob eine Straftat im Versuchsstadium endet oder vollendet wird. Folgt man der Theorie Mezgers, so verliert der Vorsatz bei der Vollendung einer Straftat seine objektive Bedeutung und ein einheitliches Unrecht, welches für die gemeinsame Begehung einer Straftat kennzeichnend ist, fällt weg. In meinem Buch führe ich dazu folgendes Beispiel an: Ein Mann wird verletzt. Wie ist dies zu verstehen? Wie schwer wiegt das Unrecht? Liegt ein versuchter vorsätzlicher Mord vor und eine vorsätzliche Körperverletzung? Allein durch die Feststellung objektiver Umstände kann man diese Fragen nicht klären. Man muss auch die subjektiven Elemente der Tat beachten. Wenn der Schädiger den Vorsatz hatte, den Mann zu ermorden, dann liegt ein versuchter Mord vor, wenn aber der Vorsatz des Täters darin bestand, den Mann körperlich zu verletzen, dann würde genau genommen eine andere Unrechtsart vorliegen, nämlich eine vollendete Körperverletzung. Wenn man also davon ausgeht, dass im ersten Fall der Vorsatz das Versuchsunrecht bestimmt, so verlangt die Logik, dies auch im zweiten Fall zu tun. Gestützt auf diese Sichtweise liegt mein Fokus hierbei im Unterschied zur Theorie Mezgers auf dem Strafgrund der an der Straftat Beteiligten also auf der Frage nach einem einheitlichen Unrechtsgehalt der Tat. Nach dem Zusammenbruch der Sowjetunion hatte ich Gelegenheit, eine Forschungsreise nach Deutschland zu unternehmen und mich mit der unmittelbaren Situation vor Ort auseinanderzusetzen. Meine erste Dienstreise führte mich 1994 an das Max-Planck-Institut für ausländisches und internationales Strafrecht in Freiburg. Zu jener Zeit arbeitete ein in Tbilissi zustande gekommener Regierungsausschuss an einem StGB-Gesetzentwurf für das unabhängig gewordene Georgien. Ich wurde zum Co-Vorsitzenden dieses Ausschusses gewählt. Deshalb
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entschied ich mich dazu, die Zeit in Freiburg zu nutzen, um einen, von dem der Kommission abweichenden, „Alternativ-“Gesetzentwurf auszuarbeiten. Eine derartige Praxis ist in Deutschland und weiteren europäischen Staaten, wie ich erfuhr, gang und gäbe. Die Wissenschaftler formulieren einen „alternativen“ Gesetzentwurf parallel zum Regierungsentwurf. Mein „alternativer“ Gesetzentwurf, der die Vorschriften des Allgemeinen Teils des georgischen Strafgesetzbuches bis auf den Bereich der Strafen umfasste, wurde ebenfalls veröffentlicht. 1997 stellte ich ihn in den Niederlanden in einem georgischeuropäischen Juristenforum vor. Er hatte gewisse Auswirkungen auf den vom Regierungsausschuss ausgearbeiteten Gesetzesentwurf und wurde letzten Endes zur Grundlage des georgischen StGB. Eine sehr wichtige Novellierung, die ich in meinem Alternativentwurf vorgeschlagen hatte, war die Einführung eines zweispurigen Systems der strafrechtlichen Verantwortungsausschlussgründe. Sie basiert auf dem sich aus drei Merkmalen zusammensetzenden Schuldbegriff. Eine tatbestandliche Handlung ist nur dann rechtmäßig, wenn Ausschlussgründe für die Rechtswidrigkeit existieren. Es gibt jedoch auch Fälle, in denen die Tat rechtswidrig, aber dennoch unverschuldet begangen wird. Hier spricht man von Schuldausschlussgründen. Dieses zweispurige System hatte ich aus dem deutschen Strafrecht aufgegriffen. Es wurde schließlich mit dem georgischen StGB vom 22. Juli 1999 in Georgien eingeführt. 2002 veröffentlichte ich einen wissenschaftlichen Beitrag zum Thema „Das Zurechnungsproblem im Strafrecht und der Begründungsversuch des normativen Schuldbegriffs“. Darin erörtere ich ausführlich die infolge der Einführung des normativen Schuldbegriffs auftretenden Probleme. Insbesondere zu beachten sind dabei die durch die Struktur des Schuldbegriffs auftretenden Schwierigkeiten. Wie bereits erwähnt, überträgt Welzel den Vorsatz von der Schuldebene auf die Tat und umgekehrt. Auf der Schuldebene erfolgt dabei lediglich eine diesbezügliche Bewertung. Ist ein Straftäter schuld, so ist sein Vorsatz negativ zu bewerten (dolus malus). Daraus ergeben sich für mich jedoch einige Fragen: Ist der Vorsatz ein Tatbestandsmerkmal? Welche Folgen hat es, wenn eine solche Bewertung des gleichen Vorsatzes auf der Schuldebene vorgenommen wird? Worauf stützt sich in diesem Fall die Fahrlässigkeit auf der Tatbestandsebene? Welches Merkmal, das eine Bewertung auf der Schuldebene verlangt, ließe sich zur Beantwortung der Frage, ob ein Mensch fahrlässig gehandelt hat, heranziehen? Ich denke, es ist die Vorsatzlosigkeit. Letzten Endes muss meiner Meinung nach auf der Tatbestandsebene festgestellt werden, ob ein Mensch mit oder ohne Vorsatz gehandelt hat. In letzterem Fall ist auf der Schuldebene zu erörtern, ob die Vorsatzlosigkeit eine Fahrlässigkeit darstellt. Eine Straftat
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kann somit sowohl mit, als auch ohne Vorsatz begangen werden. Erst im Anschluss daran lässt sich feststellen, ob eine Rechtsvorschrift verletzt und ob eine Tat rechtswidrig begangen wurde. Nach der Feststellung dieser beiden Merkmale kann man untersuchen, ob der Straftäter mit einem bösen Vorsatz oder nur fahrlässig gehandelt haben soll. 2006 veröffentlichte ich einen Aufsatz zum Thema „Vollendete und unvollendete Versuche“. Darin wende ich mich bewusst gegen die Begriffe des vollendeten und unvollendeten Versuchs und vertrete die Ansicht, dass der Rücktritt in jedem Stadium der Straftatsverwirklichung möglich ist. Wie bereits erwähnt, bin ich wissenschaftlicher Mitarbeiter des Instituts für Staat und Recht, Abteilungsleiter für Strafrecht und Kriminologie, sowie Vorsitzender des wissenschaftlichen Rats im Tinatin-Tsereteli-Institut für Strafrecht. Außerdem war ich vierzehn Jahre lang, parallel zu meiner wissenschaftlichen Tätigkeit, wissenschaftlicher Berater des Obersten Gerichtshofs Georgiens. Ich war Mitglied der georgischen Rechtsanwaltskammer, hielt Vorlesungen und führte meine Lehrtätigkeit an der staatlichen Ivane-Javakhishvili-Universität Tbilissi fort. 1973 bis 1990 hielt ich zudem Vorlesungen bei Fort- und Weiterbildungskursen für Mitarbeiter des georgischen Justizministeriums. Zwischen 1966 und 1986 beteiligte ich mich an der Veröffentlichung einer 20-bändigen Ausgabe der georgisch-sowjetischen Enzyklopädie. Insgesamt habe ich etwa 300 wissenschaftliche und nichtwissenschaftliche Werke, u.a. in Deutschland, veröffentlicht und an verschiedenen internationalen Konferenzen teilgenommen. Meine an die deutsche wissenschaftliche Lehre angelehnten Beiträge und Aufsätze konnten einen großen Beitrag zur Europäisierung des georgischen Strafrechts leisten. 1993 erstellte ich im Auftrag des georgischen Justizministeriums ein Gutachten zum russischen StGB-Gesetzentwurf. Bis heute bin ich sowohl in der Forschung, als auch in der Lehre noch aktiv.
Schriftenverzeichnis (in Auswahl) 1. Selbständiges Schrifttum / Monographien დანაშაულის შუალობითი ამსრულებლობა და თანამსრულებლობა [Mittelbare Täterschaft und Mittäterschaft], Tiflis 1974. სისხლისსამართლებრივი უმართლობის პრობლემა და თანამონაწილეობის დასჯადობის საფუძვლები [Das strafrechtliche Unrechtsproblem und der Strafgrund der Teilnahme], Tiflis 1989.
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დანაშაული და ადმინისტრაციული გადაცდომა, სისხლის სამართლის პრობლემები, I ტომი [Strafrechtsprobleme, Band I, Verbrechen und Vergehen], Tiflis 2011. პროფესიული ფუნქციის შესრულება, როგორც მართლწინააღმდეგობის გამომრიცხველი გარემოება, სისხლის სამართლის პრობლემები, II ტომი [Strafrechtsprobleme, Band II, Berufliche Zuständigkeitsdurchsetzung und Rechtsverteidigungsgründe], Tiflis 2013. სისხლის სამართლის შესავალი, სისხლის სამართლის პრობლემები, III ტომი [Strafrechtsprobleme, Band III. Einführung in das Strafrecht], Tiflis 2013.
2. Kommentierungen სისხლის სამართლის სასამართლო პრაქტიკის კომენტარი, დანაშაული ადამიანის წინააღმდეგ [Kommentar der Rechtsprechung im Strafrecht. Verbrechen gegen Menschen], mit G. Tkesheliadze, L. Surguladze, M. Turava, T. Ebralidze, Tiflis 2002, S. 57–73; 191–192; 112–114. საქართველოს სისხლის სამართლის კოდექსის განმარტება, პირველი წიგნი [Kommentar für das Georgische Strafgesetzbuch. Allgemeiner Teil. Erstes Buch], Tiflis 2008. სისხლის სამართლის პრაქტიკის კომენტარი, დანაშაული ადამიანის წინააღმდეგ (საქართველოს სისხლის სამართლის კოდექსის XXII–XXIV თავები) [Kommentar der Rechtsprechung im Strafrecht. Verbrechen gegen Menschen (Kapitel XXII–XXIV des Strafgesetzbuches Georgiens)], mit M. Turava, T. Ebralidze, G. Mamulashvili, E. Futkaradze, R. Bakanidze, Tiflis 2008, S. 5–67; 243–260; 293–299. სისხლის სამართლის სასამართლო პრაქტიკის კომენტარი. ეკონომიკური დანაშაული [Kommentar der Rechtsprechung im Strafrecht. Wirtschaftsverbrechen.], mit M. Turava, G. Mamaulashvili, T. Ebralidze, N. Todua, R. Bakanidze, Tiflis 2004, S. 4–30.
3. Aufsätze in Zeitschriften und Sammelwerken შერაცხადობის პრობლემა სისხლის სამართალში და ბრალის ნორმატიული ცნების დასაბუთების ცდა [Strafrechtliches Zurechnungs-
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problem und Versuch zur Begründung eines normativen Schuldbegriffes], in: ადამიანი და კონსტიტუცია [Mensch und Verfassung] 2002, S. 66 ff. დამთავრებული და დაუმთავრებელი მცდელობის საკითხისთვის [Zum Begriff des vollendeten und unvollendeten Versuchs], in: Gamkrelidze (Hrsg.), თ. წერეთლის დაბადების ასი წლისთავიადმი მიძღვნილ სხდომაზე წაკითხული მოხსენების კრებული [Festschrift für Prof. Tinatin Tsereteli], Tiflis 2006, S. 15 ff. მართლწინააღმდეგობა და სისხლის სამართლის კანონი [Rechtswidrigkeit und Strafrechtliche Gesetze], in: ცხოვრება და კანონი [Leben und Gesetz] 2013, S. 3 ff.
4. Übersetzungen ხელისუფლება და სამართალი [Gewalt und Recht], neu erschienen und übersetzt, Tiflis 2002. Übersetzung von: I. Surguladze, Gewalt und Recht (Monografie), Tiflis 1925.
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https://doi.org/10.1515/9783110277708-008
Andreas von Hirsch I. Meine Familiengeschichte Ich wurde 1934 als Kind deutscher Eltern in Zürich geboren. Wir lebten zunächst in der Schweiz und in Südtirol. Deutsch war meine Muttersprache. Als ich vier Jahre alt war, zogen meine Eltern mit mir nach London, wo ich Englisch lernte. 1940 zog meine Mutter mit mir weiter nach New York. Dort lebte ich bis Anfang der 1990er Jahre. Die Familie meines Vaters stammt aus Bayern. Einer meiner Vorfahren, Jakob Hirsch, gründete vor ca. 200 Jahren in Würzburg eine Privatbank. Er wurde Hofbankier für das bayerische Herrscherhaus und im Jahr 1818 geadelt. Der Erwerb von Schloss Planegg bei München erfolgte zu dieser Zeit. Der Besitz ist seitdem in unserer Familie erhalten geblieben und wird jetzt von meinem Vetter bewohnt. Unsere Familie ist zum Teil jüdischer Abstammung, trat aber in den 1870ern zum Katholizismus über. So kam es dazu, dass ich als Kind katholisch erzogen wurde. Mein Vater arbeitete bis 1933 im deutschen Auswärtigen Dienst. Nach dem Krieg entschloss er sich, seine diplomatische Karriere wieder aufzunehmen. Er wurde erster Direktor des Goethe-Instituts in London und ging dieser Tätigkeit schließlich von Mitte der 1950er bis zu seiner Pensionierung im Jahr 1970 nach. Anschließend kehrte er nach München zurück. Für seine Leistungen als gründender Direktor des Instituts wurde er mit dem Großen Verdienstkreuz ausgezeichnet. Meine Mutter, Katharina Bachert, ist in Frankfurt aufgewachsen. In erster Ehe war sie mit Felix Weil, dem Stifter und Gründer des Frankfurter Instituts für Sozialforschung, verheiratet. In den frühen dreißiger Jahren heiratete sie meinen Vater. Im Verlauf ihrer Karriere befasste sie sich mit der Erforschung von Lernbehinderung und Dyslexie. Ab 1940 blieb sie für den Rest ihres Lebens in New York. Erst als Teenager begann ich, meinen Vater in London und meine anderen Verwandten in München zu besuchen. Über die Jahre verstärkte sich die Beziehung zu meiner deutschen Familie. Mein Sohn Alexander wurde schließlich 1984 in München geboren, ist dort aufgewachsen und lebt noch heute dort.
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II. Beginn meines Interesses für Rechtsphilosophie und Strafrechtstheorie Wie kam es zu meinem Interesse für rechtsphilosophische Themen? Seit ich als junger Mann begann, intellektuelle Interessen zu entwickeln, haben mich moralphilosophische Fragestellungen stets fasziniert. Ich begann philosophische Texte – zunächst von Hume und Russell – zu lesen und studierte schließlich an den Universitäten Harvard und Oxford Philosophie. Mein Aufenthalt in Oxford war in den späten 1950er Jahren, eine Zeit, in der sich die analytische Philosophie an jener Universität in ihrem Zenit befand. Ich besuchte Vorlesungen und Seminare von John Austin, Peter Strawson und Stuart Hampshire. Es war eine besonders stimulierende Zeit und die Kenntnisse im philosophischen Argumentieren, die ich dort erwarb, haben auch heute noch viel Einfluss auf mein Denken. Nach meiner Zeit in Oxford entschied ich mich, Rechtswissenschaft an der Harvard Law School zu studieren. Ich hoffte auf eine Karriere, die Rechtswissenschaft und Philosophie kombinieren würde. Nachdem ich das Jura-Studium abgeschlossen hatte, nahm ich verschiedenste juristische Tätigkeiten auf, wie etwa als Junioranwalt in einer Kanzlei an der Wall Street, als Mitarbeiter der staatlichen Bankaufsicht des Staates New York und schließlich als Forschungsmitarbeiter für einen US-Senator in Washington. Als dieser Senator im Jahr 1970 nicht wiedergewählt wurde, war ich im Alter von 36 Jahren arbeitslos und unentschlossen, wie ich meine weitere Karriere am besten ausrichten sollte. Dann wendete sich schließlich mein Glück. Mein früherer Arbeitgeber, inzwischen Ex-Senator, wurde zum Vorsitzenden eines gestifteten Forschungskomitees ernannt, das sich mit kriminalpolitischen Themen befassen sollte. Er verschaffte mir die Stelle des Forschungsdirektors jenes Projektes. Zu Beginn war eine Untersuchung der Lebensumstände in Gefängnissen geplant. Ich überredete jedoch den Stifter des Projekts, den Fokus stattdessen auf die Grundprinzipien der Strafzumessung zu legen. Zu dieser Zeit wurde Spezialprävention unter Strafrechtsreformern besonders betont als Basis der Strafzumessung. Ich war jedoch von Anbeginn skeptisch gegenüber einer solch primär utilitaristischen Zielsetzung. Unsere Studie sollte meines Erachtens versuchen, die Grundprinzipien der Strafzumessung zu überprüfen. Dieses Vorhaben brachte eine Vielfalt normativer Fragen bezüglich Gerechtigkeit und Strafe zutage. Ich wurde dabei – wenn auch z.T. durch Zufall – mit Themen konfrontiert, für die ich bereits seit langer Zeit ein besonderes Interesse gehegt hatte. Dazu zählten vor allem philosophische Fragen über Gerechtigkeit und
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kriminalpolitische Fragen über die Grenzen der Macht des Staates dem Einzelnen gegenüber. Ich verbrachte die darauffolgenden fünf Jahre damit, die Hauptthemen für das Projekt zu entwickeln und einen entsprechenden Bericht auszuarbeiten. Das Ergebnis war die Skizze eines schuldbasierten (tatproportionalistischen) Modells der Strafzumessung – ein scharfer Kontrast zu dem spezialpräventiven Modell, das die Strafzumessungstheorie im vorausgehenden Jahrzehnt dominiert hatte. Das Buch wurde 1976 unter meinem Namen mit dem Titel Doing Justice: The Choice of Punishments veröffentlicht.1 Es erschien zum rechten Zeitpunkt. Liberale Juristen und Kriminologen im anglo-amerikanischen Raum wurden zunehmend skeptisch gegenüber einer instrumentellen Herangehensweise an Strafe und Konzeptionen mit einer deutlichen Betonung auf Fairness gewannen an Plausibilität. Der Band stieß auf großes Interesse bei nordamerikanischen, englischen und, wie ich später erfuhr, kontinentaleuropäischen Strafrechtskollegen. Beim Abschluss des Forschungsprojekts war ich 42 Jahre alt und damit nicht gerade jung für den Beginn einer wissenschaftlichen Laufbahn. Doing Justice hatte jedoch hinreichende Aufmerksamkeit in der strafrechtswissenschaftlichen Gemeinschaft auf sich gezogen, so dass es mir dennoch gelang, eine akademische Karriere zu beginnen. Meine erste Festanstellung erhielt ich 1975 an der kriminologischen Fakultät der Rutgers University in der Nähe von New York. Hier fanden meine Forschungen, Veröffentlichungen und Lehre während der darauffolgenden zwei Jahrzehnte statt. Während dieser Zeit veröffentlichte ich weitere Monographien zum Thema Strafzumessungstheorie.2 Meine intellektuellen Beziehungen verschoben sich in dieser Zeit zunehmend auf die britische und kontinentaleuropäische Strafrechtsdiskussion. Es gab jedoch auch persönliche Gründe, um zurück nach Europa zu ziehen; insbesondere der Umstand, dass mein Sohn und der Großteil meiner Verwandtschaft in München lebten. 1994 wurde mir angeboten, für eine Professur am Institute of Criminology der University of Cambridge nach England zu ziehen, wo ich schließlich für weitere 15 Jahre Lehre und Forschung betrieb.3 Kurz nach meiner Ankunft in 1 2
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Die vollständigen Angaben sind im Schriftenverzeichnis am Ende dieses Beitrages zu finden. von Hirsch, Past or Future Crimes: Deservedness and Dangerousness in the Sentencing of Criminals (1985); von Hirsch / Jareborg, Strafmaß und Strafgerechtigkeit: Die deutsche Strafzumessungslehre und das Prinzip der Tatproportionalität (1991); und von Hirsch, Censure and Sanctions (1993). Dort wurde mir auf der Basis meiner Monographien und weiteren akademischen Veröffentlichungen der Doctorate of Laws (LL.D.) der University of Cambridge erteilt.
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Cambridge begann ich andere Themen der Strafrechtsphilosophie zu untersuchen; vor allem das Gebiet der Kriminalisierung (d.h. des Umfangs und der Grenzen des Strafrechts). Zu diesem Thema verfasste ich im Jahr 2011 zusammen mit meinem englischen Kollegen Andrew Simester eine Monographie über die normativen Grundlagen der Kriminalisierung.4 Ich gründete am Institute of Criminology das „Centre for Penal Theory and Penal Ethics“. Diese Forschungsstelle veranstaltete eine Reihe von Tagungen und veröffentlichte unter anderem Sammelbände zu den Themen „restorative justice“ und Kriminalisierung von belästigendem Verhalten. Die Zeit in Cambridge erlaubte mir auch, engere wissenschaftliche Kontakte zu kontinentaleuropäischen Kollegen zu knüpfen (ich hatte bereits einige Zeit als Gastprofessor an der Universität Uppsala in Schweden verbracht). Ich begann, meine Arbeiten auch auf Deutsch zu veröffentlichen; meine Beziehungen zu deutschen Kollegen wurden intensiver. Meine zunehmende akademische Tätigkeit in Deutschland, sowie mein persönlicher Wunsch, mehr Zeit mit meinem Sohn und anderen deutschen Verwandten, Freunden und Kollegen zu verbringen, führten mich schließlich zu dem Entschluss, nach Deutschland zu ziehen. Dank der Unterstützung Frankfurter Kollegen wurde ich zum Honorarprofessor im Fachbereich Rechtswissenschaft der Johann Wolfgang GoetheUniversität in Frankfurt am Main ernannt. So zog ich 2010 nach Frankfurt, wo ich seitdem meinen Hauptwohnsitz habe. Dort gründete ich eine zweite Forschungsstelle, die „Forschungsstelle für Strafrechtstheorie und Strafrechtsethik“. Diese hat kürzlich drei Sammelbände in deutscher Sprache veröffentlicht, die sich auf Paternalismus im Strafrecht, die Begründung der Institution Strafe und die Rolle von Solidarität im Strafrecht beziehen. Trotz meines Umzugs nach Frankfurt beteilige ich mich noch aktiv an englischen strafrechtstheoretischen Diskussionen.
III. Wissenschaftliches Werk Die Strafrechtstheorie umfasst vier thematische Kernbereiche: (1) Die Frage „Warum Strafe?“ Dabei geht es um die Begründung der Existenz der Institution Strafe; (2) Kriminalisierung – d.h. die normative Legitimation verschiedener Hauptkategorien strafrechtlicher Verbote; (3) das materielle Strafrecht und seine normative Basis; (4) die Kriterien der Strafzumessung und ihrer Begrün4
Simester / von Hirsch, Crimes, Harms and Wrongs: On the Principles of Criminalisation (2011).
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dung. In der Strafrechtstheorie wurde dem dritten dieser Themen (d.h. den Kriterien des materiellen Strafrechts) die meiste Aufmerksamkeit gewidmet. In meiner Arbeit habe ich mich jedoch in erster Linie den anderen drei Kernbereichen zugewandt, nämlich weshalb Strafe überhaupt existieren soll, der Kriminalisierung beziehungsweise der Reichweite des Strafrechts und der Theorie der Strafzumessung.
1. Begründung der Strafzumessung. Die Tatproportionalitätstheorie Als ich in den 1970er Jahren begann, mich mit der konzeptuellen Basis der Strafzumessung zu beschäftigen, hatte die Strafrechtswissenschaft bis dahin wenig Interesse für diesen Bereich gezeigt. Ich widmete mich diesem Thema bis Anfang der 1990er Jahre und veröffentlichte während dieser Zeit drei Monographien.5 Ein viertes Buch über Strafzumessungstheorie, das ich gemeinsam mit meinem Kollegen Andrew Ashworth aus Oxford verfasst habe, erschien später, im Jahr 2005.6 Bis in die 1970er Jahre hinein ging man im kriminologischen Diskurs davon aus, dass die Frage nach dem Strafmaß hauptsächlich unter Beachtung von präventiven Zielen entschieden werden sollte. Dabei ging es insbesondere um Spezialprävention. Schuldbasierte Erwägungen, sofern sie überhaupt in Betracht gezogen wurden, sollten dabei lediglich eine eingeschränkte Rolle spielen. Diese Haltung und Herangehensweise erschien mir fehlerhaft. In unserem alltäglichen Denken gehen wir davon aus, dass eine faire Bestrafung die Verwerflichkeit der Tat berücksichtigen sollte. Der Fokus des Strafausmaßes müsste nach dieser Sichtweise auf der begangenen Straftat liegen. Es sollte darum gehen, ob und in welchem Umfang diese verwerflich ist und nicht primär darum, in welchem Umfang die Bestrafung des Täters ihn (oder andere) davon abhalten könnte, in Zukunft Straftaten zu begehen. Diese Argumentation führt zu einem schuldorientierten Modell bei der Festlegung des Strafmaßes, in dem der Schweregrad der Straftat maßgeblich für die Schärfe der Strafe sein soll. Die Aufgabe, welche sich mir stellte, bestand darin, diese Überlegungen in einer Form konzeptuell so auszuarbeiten, dass sie auf liberalen Prinzipien basierten und mit gemäßigten Strafmaßen vereinbar sein würden. So kam ich dazu, mich mit den folgenden Themen auseinanderzusetzen.
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Siehe Anm. 2 oben. von Hirsch / Ashworth, Proportionate Sentencing: Exploring the Principles (2005); siehe auch von Hirsch, Deserved Criminal Sentences (2017).
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Umkonzipierung der Schuldstrafe - Tadel und Proportionalität. Obwohl Philosophen jahrhundertelang über Vergeltung in der Strafe debattierten, hatten sich die meisten Strafrechtler in der Nachkriegszeit maßgeblich davon abgewandt. Es gab vor allem zwei Haupteinwände gegen retributive Theorien. Zum einen galt der Begriff der vergeltenden Bestrafung als grundsätzlich unverständlich: Er scheint auf obskuren Vorstellungen (z.B. der Erwiderung von Übel mit Übel) zu basieren. Ich vertrete jedoch eine alternative Erklärung. In einem bedeutenden Aufsatz argumentiert der amerikanische Strafrechtsphilosoph Joel Feinberg im Jahr 1970, dass die Strafe eine tadelnde Institution sei. Durch sie würde dem Täter gegenüber bezüglich seines Handelns Missbilligung ausgedrückt.7 Mögliche Folgerungen aus Feinbergs These („punishmentas-censure“) für die Straftheorie allgemein und die Kriterien der Strafzumessung im Besonderen sind bis dahin wenig diskutiert worden. Eine solche Untersuchung habe ich unternommen. Wenn die Strafe eine Missbilligung des Täters für sein verwerfliches Verhalten enthält, so argumentierte ich, dann sollte sich die Strafe an dem Maß des verdienten Tadels orientieren. Hier liegt die Grundlage für das Prinzip der Tatproportionalität: Die Härte der Strafe (und damit das Ausmaß des implizierten Tadels) sollte den Grad der Verwerflichkeit der Straftat reflektieren. Unverhältnismäßige Strafen sind ungerecht – nicht weil die Strafe exzessiv (bzw. ungenügend) dem Täter seine Missetat „heimzahlt“, sondern weil dann ein Maß von Tadel vermittelt wird, welches nicht die Verwerflichkeit des Verhaltens widerspiegelt. Eine andere Kritik an dem traditionellen Vergeltungsmodell bezog sich auf dessen Härte bzw. auf seinen scheinbar talionischen Charakter. Eine auf Tadel basierende Strafbegründung enthält jedoch kein talionisches Element: Der Tadel muss dem Täter keineswegs so viel Leid zufügen wie seine Opfer erlitten haben. Eine Skala von proportionalen Strafen kann somit ohne eine Verschärfung ihrer Schwere erfasst werden. Die Strafschwere dürfte sogar bedeutend gemildert werden, solange Strafen nach der Verwerflichkeit der verschiedenen Deliktkategorien geordnet werden. Dabei sollte es sich bei dem strafrechtlichen Tadel um kein schlichtes Anprangern von Straftat und Täter handeln. Der durch das Strafmaß verkündete Tadel sollte eher als normative Kommunikation verstanden werden, durch welche der Täter als ein zu moralischen Überlegungen fähiges Wesen angesprochen wird. Allzu scharfe Strafen, wie sie mit dem Talionsprinzip einhergehen, wären somit inakzeptabel, da 7
Feinberg, The Expressive Function of Punishment, in: ders. Doing and Deserving, Princeton 1970.
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solche Strafen in terrorem wirken und somit den Tätern ihre moralische Handlungsfähigkeit absprechen würden. Aus dieser Sichtweise soll das Tatproportionalitätsprinzip das zentrale Prinzip der Strafzumessung sein. Damit geht vor allem einher, dass Entscheidungen über das Strafmaß primär retrospektiv wären: Der Fokus soll auf der Schwere der Tat liegen, für die der Täter bestraft wird. Freiheitsstrafen sollen somit wegen ihrer Strenge nur in Fällen angewandt werden, in denen die Straftat in erheblichem Maße gravierend ist. Für weniger verwerfliche Straftaten sollten nicht-freiheitsentziehende Strafsanktionen eingesetzt werden, die aber ebenfalls der Tatschwere angepasst sein sollten.8 Präventionsziele dürften auch weiterhin zu gewissem Grad in Betracht gezogen werden, sollten dabei aber nicht so sehr ins Gewicht fallen, dass die Strafe sich nicht mehr proportional zum Tadel verhält. Diese Position fand die Unterstützung einer Reihe einflussreicher Strafrechtstheoretiker. Dazu zählen Andrew Ashworth und Anthony Bottoms in England, Bernd Schünemann und Tatjana Hörnle in Deutschland, sowie Nils Jareborg und Magnus Ulväng in Schweden und Thomas Elholm in Dänemark. In manchen Rechtssystemen wurde sie sogar auch systematisch umgesetzt, darunter vor allem in Finnland, Schweden und zuletzt Israel, sowie in einigen liberaleren Bundesstaaten der USA. Das Modell der Tatproportionalität führte dabei in der Regel nicht zu strengeren Strafen, auch wenn manche seiner Kritiker das Gegenteil behaupten. Die schwedischen und finnischen Strafgesetze zählen nach wie vor zu den gemäßigtsten in Europa. Harte Strafen werden eher mit Behauptungen begründet, welche sich auf Abschreckung oder Sicherheit beziehen. Durch solche Maßnahmen werden öfters politische Ziele verfolgt, wie etwa das Ausnutzen öffentlichen Grolls gegen den Straftäter. Ein notorisches Beispiel hierfür ist das „Three Strikes“-Gesetz in Kalifornien. Kriterien für Tatproportionalität. Das tatproportionalistische Strafmaßmodell erforderte Kriterien für die Bestimmung der Tat- und Strafschwere. Aus diesem Grund versuchte ich, eine „micro-jurisprudence“ für die tatproportionale Strafzumessung zu skizzieren. Dabei wurden unter anderem die folgenden Themen angesprochen: Ordinale vs. kardinale Proportionalität. Sollte die Tatproportionalität als „bestimmendes“ oder lediglich als „begrenzendes“ Prinzip verstanden werden? 8
Für eine systematische Analyse der Tatproportionalität und ihrer Begründung, siehe von Hirsch / Ashworth (Anm. 6), Kap. 9; von Hirsch, Fairness, Verbrechen und Strafe (2005), Kap. 7; von Hirsch, Deserved Criminal Sentences (2017); Hörnle, Tatproportionale Strafzumessung, Berlin 1999.
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Während der Gedanke der Proportionalität es erfordert, dass Strafen je nach der Schwere der begangenen Straftat bemessen werden, scheinen dabei noch keine spezifischen Quanten an Strenge vorgegeben zu sein. So hat ein Täter beispielsweise durch einen bewaffneten Überfall eine schwere Straftat begangen und verdient eine erhebliche Strafe; es gibt jedoch kein besonderes Strafquantum, das sich als angemessen anbieten würde. Traditionell versucht man, diese Schwierigkeit zu umgehen, indem die Tatschuld lediglich als begrenzendes Prinzip betrachtet wird. So wurde die Tatproportionalität wegen ihrer angeblichen Ungenauigkeit nur als äußere Grenze der Strafe für verschiedene Deliktkategorien angesehen.9 Innerhalb solcher breiten Schranken sollte die konkrete Strafe in einzelnen Fällen primär anhand von spezialpräventiven Gründen festgelegt werden – womit die Spezialprävention weiterhin der maßgeblichste Faktor der Strafzumessung bleibt. Die Spielraumtheorie der deutschen Strafrechtsdogmatik verfolgt diesen Ansatz.10 Meine Lösung dieses Problems unterscheidet zwischen „ordinaler“ und „kardinaler“ Tatproportionalität. Ein tatproportionalistisches Modell enthält nicht eine, sondern zwei Arten von Voraussetzungen. Die erste, ordinale Proportionalität bezieht sich auf die vergleichende Schwere von Strafen; hier ergibt sich aus dem Prinzip der Proportionalität eine erhebliche Orientierungshilfe für die Festlegung von Strafen. Täter sollen demnach, wenn sie für schwere Straftaten bestraft werden, Strafen vergleichbarer Härte erleben (es sei denn, dass spezielle Umstände die Schädlichkeit der Tat oder die persönliche Schuldhaftigkeit des Täters verändern, wodurch sich aber auch die Verwerflichkeit der Tat verschiebt). Unterschiedlich schwere Straftaten sollten hiernach mit unterschiedlicher und nach der Tatschwere abgestufter Strafhärte behandelt werden. Dieser Forderung nach ordinaler Proportionalität kann also mit einer bloßen Begrenzung des Strafmaßes nicht genüge getan werden. Die Forderungen würden etwa auch dann verletzt, wenn Täter von vergleichbar schweren Straftaten zu erheblich unterschiedlichen Strafen verurteilt werden würden – etwa aus präventiven Gründen, sogar innerhalb der breiten Schranken der Spielraumtheorie.11 Die andere Voraussetzung, d.h. die der kardinalen Proportionalität, befasst sich mit dem Umfang und den Ankerpunkten der Strafskala. Wenn die Strafen für diverse Taten (z.B. Diebstahl und Raub) einmal festgelegt wären, könnten, 9 10
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Zur kritischen Analyse s. von Hirsch / Ashworth (Anm. 6), S. 137–143. Zur Darstellung der deutschen Spielraumtheorie, s. Streng, Strafrechtliche Sanktionen, 3. Aufl., Stuttgart 2012. Zur Kritik der Spielraumtheorie vom Standpunkt des Tatproportionalitätsansatzes, s. von Hirsch / Jareborg (Anm. 2); Hörnle (Anm. 8). von Hirsch / Ashworth (Anm. 6), S. 137–143.
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proportionierte Strafen für andere Straftaten (z.B. Hausfriedensbruch) durch einen Vergleich bestimmt werden. Solche vergleichenden Entscheidungen erfordern jedoch entsprechende Ausgangspunkte und es scheint bislang keine eindeutigen Strafquanten zu geben, die als solche Ausgangspunkte angewandt werden könnten. Ein Grund hierfür ist, dass der Tadel, welcher durch das jeweilige Strafmaß ausgedrückt wird, in gewissem Maße auf Konventionen basiert. Daher kann die kardinale, anders als die ordinale Proportionalität, nur gewisse Schranken liefern. Die Skala der Strafen sollte nicht so hoch festgelegt werden, dass erhebliche Übelzufügungen einschließlich des in ihnen implizierten schweren Tadels minder schweren und somit weniger verwerflichen Straftaten zugeordnet werden.12 Aus dieser Flexibilität bei der Festlegung der Ankerpunkte erklärt sich, warum es nicht möglich ist, eine einzigartig „passende“ Strafe für eine gegebene Straftat zu erkennen. Wenn jedoch (innerhalb der breiteren Schranken der kardinalen Proportionalität) erst einmal Ankerpunkte der Strafskala festgelegt sind, können die spezifischeren Anforderungen der ordinalen Proportionalität greifen. Hierin liegt auch der Grund, weshalb es unfair wäre, manche Einbrecher zu einer kurzen Freiheitsstrafe zu verurteilen, während andere, etwa aus Gründen der Spezialprävention, zu einer erheblich längeren Haftstrafe verurteilt würden, ohne dass dieser Umstand Unterschiede im Grad der jeweiligen Schuld oder in der Schädlichkeit ihres Verhaltens widerspiegelt. Beurteilung der Tatschwere. Da ein tatproportionalistisches Modell von der Tatschwere abhängt, müssen Kriterien zu ihrer Bewertung entwickelt werden. Die Schwere einer Straftat hängt grundsätzlich mit dem Grad der Schädlichkeit oder der potentiellen Schädlichkeit des Verhaltens, sowie mit der persönlichen Schuld des Täters zusammen. Die Schuld kann anhand von Prinzipien eingeschätzt werden, welche das materielle Strafrecht liefert. Ein Beispiel hierfür ist die Unterscheidung zwischen vorsätzlichen, leichtfertigen und fahrlässigen Taten. Die Dimension der Schädlichkeit scheint jedoch problematischer, weil die materielle Strafrechtslehre keine systematische Klassifizierung der Schädlichkeitsgrade anbietet. Die Intensität des subjektiven Leidens der Opfer scheint hier auch nicht hilfreich zu sein, da diese sehr unterschiedlich empfunden werden kann. Wie kann also die Schädlichkeit von Verhalten beurteilt werden? Gemeinsam mit meinem Kollegen Nils Jareborg (Uppsala Universität, Schweden) entwickelte ich eine auf Amartya Sens Konzept des Lebensstandards 12
Zur weiteren Erläuterung dieses Ansatzes siehe von Hirsch, Censure and Sanctions (1993), Kap. 5.
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(„standard of living“) basierende Theorie für die Einschätzung der Schädlichkeit von Straftaten.13 Sens Konzept befasst sich nicht mit persönlichem Glück und Wohlergehen, sondern mit den Mitteln und Ressourcen, die typischerweise für das Erreichen einer gewissen Lebensqualität nötig sind. Trotz der bedeutenden Unterschiede in der Art und Weise, wie eine bestimmte Straftat einzelne Opfer betrifft, erlaubt dieser Ansatz, den Schädlichkeitsgrad von verschiedenen Straftaten auf der Basis von solchen standardisierten Lebensinteressen zu beurteilen. Rezeption der Tatproportionalitätstheorie. In der anglo-amerikanischen Strafrechtstheorie hat der tatproportionalistische Ansatz bereits einen erheblichen Einfluss. Eine Reihe von liberalen Strafrechtstheoretikern hat ihn inzwischen befürwortet – darunter Andrew Ashworth, Douglas Husak, A. E. Bottoms und Julian Roberts. Auch das führende englische Lehrbuch der Strafzumessungslehre von Andrew Ashworth stützt sich weitgehend auf die Tatproportionalitätstheorie. Gleiches gilt für das führende schwedische Lehrbuch von Nils Jareborg. Von traditionellen Vergeltungskonzeptionen ging für moderne Straftheoretiker wenig Attraktivität aus, weil sie eine Rückkehr zu voraufklärerischen Konzeptionen zu sein schienen – z.B. derjenigen der talionischen Schaden-fürSchaden Auffassung. Die Tatproportionalitätstheorie bietet jedoch ein anderes Konzept der Schuldstrafe: Sie gründet auf Verhältnismäßigkeit statt auf Äquivalenz zum zugefügten Schaden. Dies erlaubt Strafreformern tatproportionierte, aber dennoch gemäßigte Strafen zu vertreten. Ein weiterer positiver Aspekt der Tatproportionalitätstheorie besteht darin, dass sie eine bessere Orientierung bei der Bestimmung des Strafmaßes anbietet. Sie ermöglicht eine Abstufung von Strafen. Obwohl solche Skalen notwendigerweise auf Wertungen basieren, scheint (zumindest innerhalb der jeweiligen Rechtskultur) ein gewisses Maß an Konsens darüber möglich zu sein, welche Straftaten schwerwiegender und welche hingegen als weniger schwerwiegend einzuordnen sind. Außerdem wird es hierdurch auch möglich, wie ich in meinen eigenen (oben grob skizzierten) Überlegungen aufgezeigt habe, Argumente bezüglich solcher „Ranglisten“ zu erfassen. In Deutschland hat die Tatproportionalitätstheorie inzwischen auch die Unterstützung von einigen führenden Strafrechtstheoretikern erlangt. Zu diesem Kreis zählen Bernd Schünemann, Ulfrid Neumann,
13
von Hirsch / Jareborg, Gauging Criminal Harm: A Living Standard Analysis, Oxford Journal of Legal Studies 11 (1991), S. 1 ff. Für eine Darstellung von Sens Konzept des Lebensstandards vgl. Sen, The Standard of Living, Cambridge 1987.
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Wolfgang Frisch und Hans-Jörg Albrecht.14 Die Theorie bleibt jedoch umstritten. Andere Autoren, die sich für die Strafzumessung interessieren, vertreten weiter die Spielraumtheorie – z.B. Franz Streng in seinem einflussreichen Lehrbuch zu Strafsanktionen.15
2. Begründung der Existenz staatlicher Strafe Mein Interesse an der Strafzumessungstheorie führte mich zu der grundlegenderen Frage, weshalb ein Strafrechtssystem – als System von staatlichen Tatverboten und Strafen – überhaupt existieren soll. Nach einer Reihe wenig befriedigender Ansätze kam ich zu der folgenden Vorstellung bezüglich der Existenz der Strafsanktion.16 In der deutschen Strafrechtstheorie ist die Diskussion über die Existenzberechtigung des Strafrechtssystems lange durch die Annahme erschwert worden, dass eine solche Begründung entweder rein instrumenteller (bzw. präventiver) oder rein deontologischer Natur sein müsse. Keine solch „reiner“ Konzeptionen allein scheint mir jedoch plausibel. Ausschließlich instrumentelle Erklärungen, in denen die Strafsanktion bloß als Mittel zur Prävention angesehen wird, behandeln den Täter, der ja als ein zu moralischen Überlegungen fähiges Wesen betrachtet werden sollte, mit mangelndem Respekt. Ferner bieten sie keine adäquate Unterstützung für das Schuldprinzip des materiellen Strafrechts und für die tatproportionalistischen Ansprüche der Strafzumessung. Rein tadelsorientierte Konzeptionen bieten jedoch nur unzureichend Erklärungen, weshalb eine Sanktion auch Übelzufügung beinhalten sollte und nicht aus einer rein symbolischen Tadelsreaktion bestehen kann. Ich kam schließlich zu der Schlussfolgerung, dass die Existenzberechtigung der Institution Strafe sowohl deontologische als auch präventive Elemente beinhalten soll. Ihr tadelndes Element, durch das der Täter Missbilligung für seine Handlung erfährt, enthält einen normativen Appell, der nicht bloß auf die präventive Wirkung angedrohter negativer Folgen reduziert werden kann. Das Element von Übelzufügung zielt offensichtlich jedoch auch darauf ab, Menschen von bestimmten schädlichen Handlungen abzubringen. Insofern ist eine 14 15 16
Eine ausführliche Diskussion der Tatproportionalitätstheorie im Kontext der deutschen Strafrechtslehre wurde von Hörnle (Anm. 8) dargeboten. Streng, Strafrechtliche Sanktionen, 3. Aufl., Stuttgart 2012. von Hirsch / Ashworth (Anm. 6), Kap. 2; von Hirsch, Warum soll die Strafsanktion existieren? – Tadel und Prävention als Element einer Rechtfertigung, in: von Hirsch / Seelmann / Neumann (Hrsg.), Strafe – Warum? Gegenwärtige Strafbegründungen im Lichte von Hegels Straftheorie, Baden-Baden 2011, S. 43 ff.
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systematische Begründung der Institution Strafe dann am plausibelsten, wenn sie sowohl deontologische als auch präventive Elemente umfasst. Das tadelnde Element der Strafe hat aus dieser Sicht vorrangig deontologischen Charakter. Es ist ein an Täter und potentielle Täter gerichteter Appell, der diese als zu moralischem Denken und Handeln fähige Personen betrachtet. Das Element der Übelzufügung ist aber auch ein essentielles Element der Strafe. Es ist sowohl das Mittel, durch welches der Tadel ausgedrückt wird, als auch selbst ein Mittel der Prävention. Die Existenz einer solchen Androhung – im Gegensatz zu einer rein symbolischen tadelnden Reaktion – hilft dem Menschen (als moralisches aber doch fehlbares Wesen), der Versuchung von Straftaten zu widerstehen. Da jedoch die Strafe ein starkes Element des Tadels beinhaltet, muss dieses Element als Schranke für die Verhängung und das Ausmaß der Strafe fungieren. Die raison d’etre der Strafsanktion muss dieser Wechselbeziehung von normativen und instrumentellen Überlegungen Rechnung tragen. Die Begründung der Institution Strafe fordert dabei eine normativ-moralische Legitimation. Aber sie muss auch die Funktion der Strafe als gesellschaftliche Institution mit einbeziehen, die pragmatische Ziele des Gemeinwohls in der Ausübung staatlicher Macht enthält.17
3. Kriminalisierung Harm Principle und Offence Principle. Mein Interesse an der Frage nach einer Existenzbegründung von Strafe führte mich weiter zum Thema der Kriminalisierung, also zu der Frage danach, welche Grundtypen von Handlungen strafrechtlich verboten werden sollten. Dieser Aufgabe bin ich zunächst in einer Reihe von Beiträgen des vergangenen Jahrzehnts und schließlich in der mit Andrew Simester gemeinsam verfassten Monographie Crimes, Harms and Wrongs18 nachgegangen. Das Thema der Kriminalisierung hat seinen aktuellen Impetus den Untersuchungen von Joel Feinberg aus den achtziger Jahren zu verdanken.19 Er unterscheidet zwei Gründe, aus denen bestimmte Handlungen strafrechtlich verboten werden dürfen. Beide beziehen sich auf die negativen Auswirkungen der Handlung für andere Personen: Das sogenannte Harm 17
18 19
Zu einem solchen Konzept der Existenzberechtigung von Strafe s. Roxin, Strafrecht AT, 4. Aufl., München 2006, S. 85 ff., 95 f. Roxins Überlegungen, unter Berufung auf Ausführungen von Feinberg und den meinigen, stellt fest, dass die Begründung der Institution Strafe sowohl tadelnde als auch präventive Elemente beinhalten sollte. von Hirsch / Simester (Anm. 4). Feinberg, Harm to Others, Oxford 1984; ders., Offence to Others, Oxford 1985. Ein weiteres Buch Feinbergs behandelt paternalistische Begründungen für den strafrechtlichen Eingriff: Ders., Harm to Self, Oxford 1986.
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Principle (bezüglich der Schädlichkeit einer Handlung) und das Offense Principle (bezüglich des belästigenden Charakters einer Handlung). Sein Begriff von Schaden betont die Folgen von Handlungen. Er analysiert dabei den Schaden in Bezug auf sein Potential, die Interessen anderer Menschen zu beeinträchtigen, und die Belästigung in Bezug auf ihr Potential, anderer Menschen Gefühle und Empfindungen zu verletzen. Diese Perspektiven müssen jedoch durch eine Erklärung vervollständigt werden, weshalb das jeweilige Verhalten verwerflich ist. Im Fall schädlicher Handlungen offenbart sich dieses Problem insbesondere bei „indirekten“ Schäden (oder Risiken), die maßgeblich von den Handlungen zusätzlicher Akteure abhängen. Ein Beispiel dafür sind Verhaltensweisen, die selbst unschädlich sind, jedoch verboten werden, weil sie angeblich dritte Personen dazu verführen, schädliche Handlungen zu begehen. So wurde z. B. in England das Betteln kriminalisiert, weil dieses Verhalten mutmaßlich zum Verfall von Nachbarschaften und somit zu einem höheren Maß an Kriminalität beitragen würde. Somit stellt sich die Frage, ob eine Handlung des Individuums A kriminalisiert werden dürfte, bloß weil sie tendenziell andere Menschen, B und C, zu Straftaten verleiten könnte. Feinberg behauptete, dies sei prinzipiell akzeptabel. Die Bedingung wäre, dass A’s Handeln ein Mindestmaß an Vorsatz oder Fahrlässigkeit in Bezug auf solche Folgen enthielte und die Wahrscheinlichkeit einer so zustande gekommenen Schädigung ausreichend erheblich wäre. Eine solche Haftung von A scheint jedoch aus normativer Sicht problematisch. Sie birgt die Kriminalisierung von Handlungen aufgrund von später erfolgenden schädlichen Entscheidungen von anderen Personen, über die der ursprüngliche Täter möglicherweise wenig Kontrolle hat. Eine solche Strafbarkeit, die allein auf einem vermuteten kausalen Zusammenhang zu schädlichen Handlungen Dritter basiert, würde die Eigenverantwortlichkeit der Personen als individuelle, autonome Akteure missachten. Damit eine solche Verantwortung begründet werden kann, argumentieren Simester und ich, muss der ursprüngliche Täter ein gewisses Maß an „normativer Beteiligung“ an den Entscheidungen der Folgetäter haben. Seine eigene Handlung muss also in erweitertem Sinne die darauf folgenden schädlichen Entscheidungen anderer bestätigen, unterstützen oder fördern. Wir skizzierten einige der Kriterien für die Feststellung einer solchen normativen Beteiligung.20 In dem oben genannten englischen Beispiel wäre es kaum 20
von Hirsch / Simester (Anm. 4), Kap. 4 und 5. Siehe weiter dazu Wohlers / von Hirsch, Rechtsguttheorie und Deliktstruktur – zu den Kriterien fairer Zurechnung, in: von Hirsch (Hrsg.), Fairneß, Verbrechen und Strafe, Berlin 2005, Kap. 4.
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gerechtfertigt, einen Bettler nur wegen seines friedfertigen öffentlichen Bittens um Almosen als verantwortlich für eventuell schädliche kollaterale Konsequenzen solchen Verhaltens, etwa die Verschlechterung von Nachbarschaften, zu betrachten. Im Fall von belästigendem Verhalten besteht das Problem ebenfalls darin, zu erklären, weshalb dieses überhaupt als verwerflich zu bezeichnen ist. Das von Feinberg vorgeschlagene Kriterium, nachdem eine ausreichende Anzahl von Personen hinreichend empört sein muss, ist dafür unzulänglich. Friedliches Betteln wird z.B. nicht zu einer verwerflichen Handlung, nur weil es mehrere andere Menschen in demselben öffentlichen Raum verärgert. Simester und ich plädieren deshalb für folgende Verwerflichkeitsvoraussetzung: Belästigendes Verhalten dürfte nur dann untersagt werden, wenn jemand dabei grob respektlos oder rücksichtslos behandelt wird. Folglich muss eine Kriminalisierung von belästigendem Verhalten dadurch begründet werden, dass die Handlung ein Unrecht im Sinne einer groben Respektlosigkeit oder Rücksichtslosigkeit ist. Auf dieser Grundlage untersuchten Simester und ich die Legitimität verschiedener Strafverbote, die sich auf belästigendes Verhalten berufen.21 Wir haben auch supplementäre Prinzipien vorgeschlagen, die den Umfang der Kriminalisierung weiter schmälern sollen; zum Beispiel ein Toleranzprinzip bezüglich des Anspruchs des Täters auf persönliche Selbstdarstellung in einer pluralistischen Gesellschaft. Harm Principle und Rechtsgutstheorie. In einem im Jahr 2002 veröffentlichten Beitrag22 befasste ich mich mit dem deutschen Konzept des Rechtsguts. Dabei stellte ich die Frage, ob und in welchem Umfang das anglo-amerikanische Harm Principle23 eine Bereicherung dieses Konzepts darstellen könnte. Feinberg hatte behauptet, dass „harm“ als eine Beeinträchtigung eines „Interesses“ zu verstehen sei. Ein Interesse, habe ich anschließend behauptet, kann als eine Ressource einer Person, auf die sie einen normativen Anspruch hat, beschrieben werden. Dieser Anspruch kann jedoch nicht gänzlich auf dem Strafrecht beruhen, ohne das ein Zirkelschluss entsteht. So kann der Anspruch z.B. zivilrechtlich begründet sein, wie z.B. im Fall von Diebstahl, bei dem das Eigentumsrecht verletzt wird. Da das Harm Principle jedoch ein normatives Kriminalisierungsprinzip ist, kann es nicht rein auf positivrechtlichen Ansprüchen (z.B. Eigentum) begründet werden. Die Analyse muss über Fragen des 21
22 23
Unserer Meinung nach wäre z.B. aggressives Betteln belästigend, weil es das Recht anderer Personen auf Anonymität in der Öffentlichkeit von Dritten verletzt; friedliches Betteln führt jedoch nicht dazu; siehe Simester / von Hirsch (Anm. 4), S. 98–99. von Hirsch, Das Rechtsgutsbegriff und das „Harm Principle“, GA 149 (2002), S. 2 ff. Siehe dazu Diskussion im Text bei Anm. 19–20 oben.
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positiven Rechts hinausgehen und dem Anspruch eine moralischphilosophische Untermauerung bieten.24 Daraus folgt, dass die Begründung eines bestimmten Rechtsguts sowohl auf die Art des Interesses hindeuten sollte, das es schützt, als auch auf die Art normativer Gründe, die den Anspruch stützen.
*** Dieser Text ist eine Zusammenfassung meiner Beiträge zu den Themen, die mich im Laufe meiner wissenschaftlichen Tätigkeit beschäftigt haben. Auch heute arbeite ich weiterhin an Themen dieser Art, wie etwa der normativen Begründung des Völkerstrafrechts.
Schriftenverzeichnis (in Auswahl) 1. Selbständiges Schrifttum / Monographien Doing Justice: The Choice of Punishments, New York 1976. Past or Future Crimes: Deservedness and Dangerousness in the Sentencing of Criminals, New Brunswick NJ 1985; Manchester 1986. Strafmaß und Strafgerechtigkeit: Die deutsche Strafzumessungslehre und das Prinzip der Tatproportionalität, mit N. Jareborg, Bonn 1991. Censure and Sanctions, Oxford 1993. Fairness, Verbrechen und Strafe: Strafrechtstheoretische Abhandlungen, Berlin 2005. Proportionate Sentencing: Exploring the Principles, mit A. Ashworth, Oxford 2005. Crimes, Harms and Wrongs: On the Principles of Criminalisation, mit A. P. Simester, Oxford 2011. Deserved Criminal Sentences: An Overview, Oxford 2017.
2. Herausgeberschaften Positive Generalprävention: Kritische Analysen im deutsch-englischen Dialog, mit B. Schünemann und N. Jareborg, Heidelberg 1998.
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In diesem Sinne siehe die philosophische Literatur über das Recht auf Eigentum, z.B. Waldron, The Right to Private Property, Oxford 1988.
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Ethical and Social Perspectives on Situational Crime Prevention, mit D. Garland und A. Wakefield, Oxford 2000. Tatproportionalität: Normative und empirische Aspekte einer tatproportionalen Strafzumessung, mit W. Frisch und H. J. Albrecht, Heidelberg 2003. Die Rechtsgutstheorie: Legitimationsbasis des Strafrechts oder dogmatisches Glasperlenspiel?, mit R. Hefendehl und W. Wohlers, Baden-Baden 2003. Restorative Justice and Criminal Justice: Competing or Reconcilable Paradigms?, mit J. Roberts, A. E. Bottoms et al., Oxford 2003. Incivilities: Regulating Offensive Behaviour, mit A. P. Simester, Oxford 2006. Paternalismus im Strafrecht: Die Kriminalisierung von selbstschädigendem Verhalten, mit U. Neumann und K. Seelmann, Baden-Baden 2010. Previous Convictions at Sentencing: Theoretical and Applied Perspectives, mit J. Roberts, Oxford 2010. Strafe - Warum? Gegenwärtige Strafbegründungen im Lichte von Hegels Straftheorie, mit U. Neumann und K.Seelmann, Baden-Baden 2011. Solidarität im Strafrecht, mit U. Neumann und K. Seelmann, Baden-Baden 2013.
3. Aufsätze in Zeitschriften und Sammelwerken Prediction of Criminal Conduct and Preventive Confinement of Convicted Persons, Buffalo Law Review 21 (1972), S. 717 ff. Non-Custodial Penalties and the Principles of Desert, mit M. Wasik, Criminal Law Review 1988, S. 555 ff. Provocation and Culpability, mit N. Jareborg, in: Schoeman (Hrsg.), Responsibility, Character and the Emotions: New Essays in Moral Psychology, Cambridge 1987, S. 241 ff. Gauging Criminal Harm: A Living Standard Analysis, mit N. Jareborg, Oxford Journal of Legal Studies 11 (1991), S. 1 ff. Positive Generalprävention und Tadel, mit T. Hörnle, GA 1995, S. 261 ff. Three Conceptions of Provocation, mit U. Narayan, Criminal Justice Ethics 15 (1996), S. 15 ff. Extending the Harm Principle: “Remote” Harms and Fair Imputation, in: Simester / Smith (Hrsg.), Harm and Culpability, Oxford 1996, S. 259 ff.
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Proportionate Punishment and Social Deprivation, in: Asp et al. (Hrsg.) Flores Juris et Legum: Festskrift till Nils Jareborg, Uppsala 2000, S. 319 ff. Proportionale Strafen für Jugendliche – Welche Unterschiede gibt es im Vergleich zu Strafen für Erwachsene?, in: Schünemann / Achenbach / Bottke / Haffke / Rudolphi (Hrsg.), Festschrift für Claus Roxin, Berlin 2001, S. 1077 ff. Rethinking the Offense Principle, mit A. P. Simester, Legal Theory 8 (2002), S. 269 ff. Specifying Aims and Limits for Restorative Justice: A “Making Amends” Model?, mit A. Ashworth und C. Shearing, in: von Hirsch et al. (Hrsg.), Restorative Justice and Criminal Justice: Competing or Reconcilable Paradigms?, Oxford 2003, S. 21 ff. Begründung und Bestimmung tatproportionaler Strafen, in: Frisch / von Hirsch / Albrecht (Hrsg.), Tatproportionalität: Normative und empirische Aspekte einer tatproportionalen Strafzumessung, Heidelberg 2003, S. 47 ff. Rechtsgutstheorie und Deliktsstruktur – zu den Kriterien fairer Zurechnung, mit W. Wohlers, in: Hefendehl / von Hirsch / Wohlers (Hrsg.), Die Rechtsgutstheorie: Legitimationsbasis des Strafrechts oder dogmatisches Glasperlenspiel?, Baden-Baden 2003, S. 196 ff. Der Rechtsgutsbegriff und das „Harm Principle“, in: Hefendehl / von Hirsch / Wohlers (Hrsg.), Die Rechtsgutstheorie: Legitimationsbasis des Strafrechts oder dogmatisches Glasperlenspiel?, Baden-Baden 2003, S. 13 ff. (Neudruck von GA 2002, S. 2 ff.). Tatproportionalität und Sanktionshärte: Führt ein tatproportionalistisches Strafzumessungsmodell zu strengeren Sanktionen?, in: Grafl / Medigovic (Hrsg.), Festschrift für Manfred Burgstaller, Wien 2004, S. 59 ff. Belästigendes Verhalten: Gibt es ein strafrechtliches Belästigungsprinzip?, in: Arnold / Burkhardt / Gropp / Heine / Koch / Lagodny / Perron / Walther (Hrsg.), Festschrift für Albin Eser, München 2005, S. 189 ff. Direkter Paternalismus: Sollten Selbstschädigungen bestraft werden?, in: Anderheiden / Heinig / Bürkli (Hrsg.), Paternalismus und Recht, Tübingen, 2006, S. 235 ff. (Neudruck in: von Hirsch / Neumann / Seelmann [Hrsg.], Paternalismus im Strafrecht: Die Kriminalisierung von selbstbeschädigendem Verhalten, Baden-Baden 2010, S. 57 ff.). Penalising Offensive Behaviour: Constitutive and Mediating Principles, mit A. Simester, in: von Hirsch / Simester (Hrsg.), Incivilities: Regulating Offensive Behaviour, Oxford 2006, S. 115 ff.
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Harm and Offence: Schädigungsprinzip und Belästigungsprinzip als Kriterien für die Kriminalisierung von Verhalten, in: Putzke / Hardtung / Hörnle / Merkel / Scheinfeld / Schlehofer / Seie (Hrsg.), Festschrift für Rolf Dietrich Herzberg, Tübingen 2008, S. 915 ff. „Indirekter“ Paternalismus im Strafrecht am Beispiel der Tötung auf Verlangen (§ 216 StGB), mit U. Neumann, in: von Hirsch / Neumann / Seelmann (Hrsg.), Paternalismus im Strafrecht: Die Kriminalisierung von selbstschädigendem Verhalten, Baden-Baden 2010, S. 71 ff. (Neudruck von GA 2007, S. 671 ff.). Indirekter Paternalismus und § 216 StGB: Weitere Bemerkungen zur Bedeutung und Reichweite des Paternalismus-Begriffs, mit U. Neumann, in: von Hirsch / Neumann / Seelmann (Hrsg.), Paternalismus im Strafrecht: Die Kriminalisierung von selbstschädigendem Verhalten, Baden-Baden 2010, S. 99 ff. The Crime-Preventive Impact of Penal Sanctions, mit A. E. Bottoms in: Cane / Kritzer (Hrsg.), The Oxford Handbook of Empirical Legal Studies, Oxford 2010, S. 96 ff. Proportionality and the Progressive Loss of Mitigation: Some Further Reflections, in: von Hirsch / J. Roberts (Hrsg.), Previous Convictions at Sentencing: Theoretical and Applied Perspectives, Oxford 2010, S. 1 ff. Warum soll die Strafsanktion existieren? Tadel und Prävention als Elemente einer Rechtfertigung, in: von Hirsch / Neumann / Seelmann (Hrsg.), Strafe – Warum? Gegenwärtige Strafbegründung im Lichte von Hegels Straftheorie, Baden-Baden 2011, S. 43 ff. A System of International Criminal Justice for Human Right Violations: What ist he General Justification for its Existence?, mit V. Schorscher, in: J. Roberts / Zedner (Hrsg.), Principles and Values in Criminal Law and Criminal Justice: Essays in Honour of Andrew Ashworth, Oxford 2012, S. 209 ff. Punishment Futures. The Desert-Model Debate and the Importance of the Criminal Law Context, in: Tonry (Hrsg.), Retributivism Has a Past. Has it a Future?, Oxford 2012, S. 256 ff.
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https://doi.org/10.1515/9783110277708-009
Makoto Ida I. Vorwort Es ist sicherlich nicht zu früh, wenn ein Strafrechtler im Alter von knapp 60 Jahren auf sein bisheriges Leben zurückblickt und über die Bedeutung seines wissenschaftlichen Schaffens nachsinnt. Ich lebe schon länger als der von mir sehr verehrte Anselm von Feuerbach, der nur 57 Jahre alt werden durfte. Mein Leben als Wissenschaftler ist fast abgeschlossen und es bleibt nur noch, so hoffe ich jedenfalls, während der nächsten zehn Jahre einige Früchte meiner bisherigen Forschung zu ernten. Andererseits stehe ich an einem neuen Anfang: Ich habe meine Professur an der Keio-Universität niedergelegt und bin ab April 2016 als Ordinarius an der Chuo University Law School tätig. In Japan ist ein solcher beruflicher Wechsel in einem fortgeschrittenen Alter nicht unüblich. Der Abschied von der Keio fällt mir selbstverständlich nicht leicht; ich habe ihr seit meiner Assistentenzeit immerhin über 30 Jahre gedient, zumal ich ab dem Alter von zwölf Jahren – zunächst als Schüler der Keio-Mittelschule – durchgehend an der Keio studiert bzw. gearbeitet habe. Ich habe mich aber deshalb für diesen Stellenwechsel entschieden, weil ich mir gegen Ende meines Berufslebens einmal ein ganz anderes Arbeitsumfeld wünsche. Das hat hauptsächlich mit meiner Neugier zu tun. Ich möchte auch einmal über den Tellerrand meiner behüteten Keio-Existenz hinausblicken.
II. Studium (1974–1978) Ich begann im Jahre 1974 mein Studium der Rechtswissenschaft an der KeioUniversität in Tokyo, einer privaten Universität1; die ihr zugehörige Mittelund Oberschule hatte ich zuvor besucht. Mein ursprünglicher Wunsch, Medizin zu studieren, ging nicht in Erfüllung, da meine Noten in der KeioOberschule dafür nicht ausreichten: Ich war zwar sehr gut in Japanisch und den Fremdsprachen, aber sehr schlecht in Mathematik. Offenbar war ich für diese Disziplin unbegabt. Ich hatte auch frühzeitig das Interesse für die Mathematik verloren, insbesondere deshalb, weil es dort immer nur eine einzige richtige Lösung gibt, entweder findet man die richtige Antwort oder eben nicht. Zwischen Siegern und Verlierern wird klar unterschieden. Dieser AllesOder-Nichts-Charakter der Mathematik, die „Kaltblütigkeit“ dieser Disziplin, gefiel mir nicht. Meine frühzeitige Aversion gegen die Mathematik blieb auch 1
Vgl. zu ihr Makoto Ida, Wissenschaftstransfer zwischen Deutschland und Japan, in: FS Hans-Heiner Kühne, 2013, S. 761, 764 f.
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nicht ohne Nachwirkungen: Mir war und ist eine juristische Argumentation, die nur logisch verfährt und ihre Lösung als einzig aus dem Gesetzestext ableitbar präsentieren will, immer verdächtig. So zog ich es nach meinem Schulabschluss ernsthaft in Erwägung, Literaturwissenschaft zu studieren und später Schriftsteller zu werden. Mein Vater riet mir jedoch energisch davon ab: Die Schriftstellerei sei „kein seriöser Beruf“, obwohl er selbst einen noch unseriöseren Beruf ergriffen hatte, nämlich den des Filmregisseurs. Dass ich mich schließlich für die Rechtswissenschaft entschied, war somit gewissermaßen eine Art Kompromiss: Die Rechtswissenschaft ist kein so „objektives“ Fach wie die Mathematik und keine so „subjektive“ Disziplin wie die Literaturwissenschaft. Ich beschloss also, Rechtsanwalt zu werden. Bereits in den ersten Semestern verlor ich allerdings die Lust daran, mir weiterhin die juristische Methodik anzueignen und mich brav auf das Staatsexamen vorzubereiten. Das lag einerseits daran, dass ich Angst vor dem schwierigen Staatsexamen hatte, welches mir mehr oder weniger wie ein Lotteriespiel mit geringen Gewinnchancen erschien. Damals bestanden nur zwei bis drei Prozent aller Kandidaten das Staatsexamen. Gleich nach Studienbeginn stellte ich zudem fest, dass sich mein Interesse nicht auf die schematische Fallbearbeitung und die regelgerechte Argumentation, sondern auf die Grundlagen und die methodischen Fragen der Rechtswissenschaft richtete. Da ich bereits als Oberschüler mit viel Begeisterung einige philosophische Werke von Karl Marx und Friedrich Engels sowie von den damals stark in das öffentliche Interesse getretenen marxistischen Autoren aus Japan gelesen hatte, war ich einigermaßen mit sozialwissenschaftlichen Grundbegriffen vertraut. Sie haben meine Aufmerksamkeit auf die in den Vorlesungen behandelten juristischen Grundlagen gelenkt und es mir ermöglicht, die sich dort stellenden fundamentalen Fragen besser zu verstehen. So lernte ich die Strafrechtswissenschaft als ein philosophisch angehauchtes Fach kennen. Das Strafrecht reizte und fesselte mich von Anfang an. So nahm ich schließlich am strafrechtlichen Seminar von Frau Professor Kinko Nakatani, meiner späteren akademischen Lehrerin, teil. Sie riet mir bei einem privaten Gespräch nachdrücklich dazu, Deutsch zu lernen. Sie sagte sinngemäß, dass man die deutsche Sprache und das deutsche Recht studieren müsse, um unser eigenes Recht, das sich unter denkbar starkem Einfluss des deutschen Rechts entwickelte, besser und gründlicher verstehen zu lernen. Insbesondere sei die Strafrechtsdogmatik ohne Deutschkenntnisse nur schwer zu erforschen. Sie organisierte nach einiger Zeit sogar ein kleines privates Seminar: Dort durften
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wir, ein ausgewählter Kreis von Schülern, mit ihr das Strafrechtslehrbuch von Eberhard Schmidhäuser lesen, mit dem sie auch persönlich bekannt war. In der zweiten Hälfte meiner Studienzeit als ein „Undergraduate“ konzentrierte ich mich deshalb voll und ganz auf zwei Dinge: Strafrecht und Deutsch. Es gelang mir dennoch, mein Studium im Jahr 1978 mit den zweitbesten Noten abzuschließen. Damals wie heute erhalten an der Keio die zwei besten Absolventen jeder Fakultät zu ihrem Abschluss eine Seiko-Armbanduhr, die auch als „Goldene Uhr“ bezeichnet wird, als Anerkennung ihrer Leistungen. Diese Uhr hat nicht nur mein Selbstvertrauen gestärkt, sondern auch später ihre Wirkung entfaltet. Besitzer einer „Goldenen Uhr“ zu sein, bedeutet den KeioProfessoren sehr viel. Im Hinblick auf meine Anstellung als Assistent war diese Errungenschaft für mich nicht ohne Bedeutung.
III. Entscheidung für die Strafrechtsforschung Bei der Entscheidung für die Forschung als Beruf war in meinem Fall der Rat meiner Dozentin Frau Prof. Nakatani ganz entscheidend gewesen. Im dritten Semester belegte ich ihre Vorlesung über den BT, nachdem ich zuvor ihre Einführungsvorlesung gehört hatte. Ich erinnere mich, dass an jenem entscheidenden Tag im großen Hörsaal noch viele Studenten anwesend waren, da es Semesteranfang war. Frau Prof. Nakatani stellte uns eine schwierige Frage: Ob auch beim Vorbereitungsdelikt2 Mittäterschaft, Anstiftung und Beihilfe möglich seien. Zu meinem Erstaunen rief sie mich namentlich auf und gab mir ihr Mikrofon. Ich war verwirrt, konnte selbstverständlich nichts sagen, da ich damals noch keine Ahnung von der Materie hatte. Ich schämte mich nur. Sie verriet mir bei nächster Gelegenheit, dass sie deshalb meinen Namen in Erinnerung gehabt hatte, weil ich bei der Klausur der Einführungsvorlesung im vorherigen Semester sehr gute Ergebnisse erzielt hatte. Sie fügte hinzu: „So eine brillante Klausur lag mir in meinem Leben bislang noch nicht vor. Sie sind ein viel versprechendes Talent.“ Nichtsdestotrotz war ich nicht so gutgläubig, dass ich durch diese Worte sogleich von meinem Potenzial überzeugt 2
Nach dem japanischen StGB sind auch bloße Vorbereitungshandlungen zu bestimmten schweren Delikten, wie z.B. der vorsätzlichen Brandstiftung, der Geldfälschung, dem unberechtigten Herstellen einer Kreditkarte, der vorsätzlichen Tötung und dem Raub, strafbar. Der Begriff der „Vorbereitung“ wird von Lehre und Judikatur weit gefasst. Vorbereitungshandlungen schließen sämtliche zur Ausführung dienenden Handlungen – ausgenommen von rein psychischen Vorgängen – in sich ein. Es handelt sich um einen typischen Fall des Absichtsdelikts. Es können auch an sich neutrale, sozialübliche Handlungen sein, etwa bei der Vorbereitung der vorsätzlichen Tötung, die mit Zuchthausstrafe bis zu zwei Jahren belegt ist (§ 201 jap. StGB). Auch Handlungen wie das Anschaffen eines Küchenmessers oder der Kauf von Pestiziden zählen hierzu.
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gewesen wäre. Doch die Worte einer Professorin entfalteten bei einem Studienanfänger, der ständig unter starker Unsicherheit litt und gar nicht wusste, was er überhaupt konnte, dennoch eine gewaltige Wirkung. So kam es schließlich dazu, dass in mir die Sehnsucht nach einem wissenschaftlichen Beruf geweckt wurde. Nach meinem Studienabschluss im Jahr 1978 wurde ich direkt an die Graduate School (Magisterkurs) der Keio-Universität übernommen. Damit entschied ich mich quasi dazu, die akademische Laufbahn einzuschlagen. Meine Eltern hatten ebenfalls keine Einwände, obwohl mein Vater damals arbeitslos war. Dank meiner „Goldenen Uhr“ hatte ich keine Schwierigkeiten, (teilweise sehr großzügige) Stipendien zu erhalten. Unter der Leitung von Frau Prof. Nakatani stellte ich 1980 meine Magisterarbeit über das „Schuldprinzip im Strafrecht“ fertig und erlangte im Anschluss daran den Magistertitel (Master of Law). Im Magisterkurs durfte ich den berühmten Kriminologen und Strafrechtler Koichi Miyazawa näher kennenlernen, vor dem ich große Ehrfurcht hatte. Er wusste bereits, dass ich Besitzer einer „Goldenen Uhr“ war und behandelte mich vielleicht deshalb von Anfang an sehr freundlich. Er hatte damals mit einem in Heidelberg promovierten Hegel-Spezialisten eine gemeinsame Lehrveranstaltung, in der das berühmte Buch von Karl Larenz über die „Methodenlehre der Rechtswissenschaft“ gelesen wurde. In der ersten Stunde verteilte er unter den Kursteilnehmern eine Fotokopie der ersten Seiten des Buches und fragte sogleich „Kann jemand direkt übersetzen?“. Daraufhin bemerkte der Hegel-Spezialist: „Du verlangst von den Studenten zu viel. Sie haben den Text ja gerade eben zum ersten Mal gelesen.“ Ich meldete mich jedoch sofort, las den ersten Absatz vor und übersetzte ihn ins Japanische. Aus heutiger Sicht ist es klar, dass Miyazawa mich prüfen wollte – und ich bestand seine Prüfung. Dies war schließlich der Anfang einer über 25 Jahre andauernden engen persönlichen Verbindung zwischen Miyazawa und mir. Damals durfte ich auch die beiden berühmtesten Persönlichkeiten der japanischen Strafrechtswissenschaft, Taira Fukuda und Haruo Nishihara, die zu der Zeit als Lehrbeauftragte an der Keio tätig gewesen waren, näher kennenlernen. Sie hielten jeweils ein kleines Seminar für die Magisterkursstudenten. Dort bekam ich von ihnen wertvolle Anleitungen zur Strafrechtsdogmatik. Die jüngeren Kollegen von heute werden sich bestimmt wundern, wie glücklich meine juristischen Lehrjahre waren! Insbesondere bin ich Fukuda sehr dankbar dafür, dass er mir schon damals die Grundlagen des „Finalismus“ beibrachte und mich auch auf – auch in Japan weit verbreitete – „unausrottbare Un- und Missverständnisse“ der Lehre seines Lehrers Hans Welzel eindringlich hinwies. Bis heute stehen wir in einem guten Kontakt zueinander und er bestärkt
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mich ständig in meinem Selbstvertrauen und in meiner Überzeugung, auf dem richtigen Weg zu sein.
IV. Kinko Nakatani und Koichi Miyazawa Mein wissenschaftlicher Werdegang wäre ohne die Förderung und Unterstützung meiner beiden Dozenten gar nicht denkbar gewesen. Sie waren für mich Wegweiser, -führer und -begleiter. Bis zur Emeritierung von Frau Nakatani im Jahr 1987 und derjenigen von Herrn Miyazawa im Jahr 1996 ergaben sich glücklicherweise sehr viele Gelegenheiten, sich zu treffen und auszutauschen. Insbesondere während der ersten zehn Jahre meiner Hochschultätigkeit erhielt ich von ihnen in unzähligen persönlichen Gesprächen viele Anregungen verschiedenster Art. Darüber hinaus erzählten sie mir von ihren neuesten Forschungsarbeiten und wollten wissen, was ich davon hielt. Jedes Treffen mit ihr oder mit ihm bedeutete für mich eine Herausforderung: Ich musste sehr darauf achten, mich ihnen gegenüber respektvoll zu verhalten. Doch ich bemühte mich auch stets sehr darum, ihren wissenschaftlichen Ansichten meine konstruktive Kritik entgegenzusetzen. Dies war aus meiner Sicht das Mindeste, was ich für die beiden im Gegenzug tun konnte. Meine ehemalige Hochschullehrerin Frau Kinko Nakatani (1922–2004) möchte ich an allererster Stelle hier noch einmal näher vorstellen. In Japan durften Frauen erst ab der Nachkriegszeit studieren. Sie gehörte somit der ersten Generation von Studentinnen an. Im Jahr 1962 wurde sie die erste ordentliche Professorin an der Juristischen Fakultät der Keio-Universität. Anfänglich widmete sie sich der strafrechtsdogmatischen Forschung, insbesondere hinsichtlich der unechten Unterlassungsdelikte, der Lehre der Zumutbarkeit und Problemen im Zusammenhang mit der Hehlerei. Später rückten dann kriminologische Probleme der Frauenkriminalität und vor allem medizinrechtliche und bioethische Fragen in den Mittelpunkt ihres Interesses. Es schien mir, dass Frau Nakatani in späteren Jahren unter dem Eindruck litt, sie habe im strafrechtsdogmatischen Bereich zu wenig geleistet. Sie verlor niemals den Respekt vor und die Sehnsucht nach der Strafrechtsdogmatik. Wohl gerade deshalb versuchte sie mich stets davon zu überzeugen, dass man sich ganz auf die Dogmatik konzentrieren müsse. Frau Nakatani hatte zahlreiche Schülerinnen und Schüler, sowohl in der Wissenschaft als auch in der Praxis. Ich ahnte nicht, was ich für sie bedeutete. Deshalb überraschte und berührte mich das Vorwort zu ihrem im Krankenbett vorbereiteten und erst nach ihrem Tod erschienenen Essayband zutiefst. Sie nannte dort als „Wegweiser in meinem Leben“ vier Personen und drückte
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ihnen ihren Dank aus: Drei davon waren ihre Lehrer einschließlich ihres deutschen Mentors Hans Göppinger – die vierte Person war ich. Der zweite Hochschullehrer, dem ich sehr viel zu verdanken habe, war Koichi Miyazawa (1930–2010). Seine Forschungsarbeit und Persönlichkeit habe ich bereits ausführlich in deutscher Sprache beschrieben und gewürdigt.3 Darauf möchte ich hier nur verweisen. Er unterstützte mich mit Rat und Tat und förderte mich mit väterlicher Güte. Im Jahr 1982 bewarb ich mich um die ausgeschriebene Assistentenstelle an der Juristischen Fakultät der KeioUniversität. Die Stelle wurde finanziell außergewöhnlich großzügig gefördert, d.h., wenn man sie erst einmal angenommen hatte, war damals eine Karriere bis hin zur Beschäftigung als Professor an der Keio gesichert. Hierfür musste ich aber auch eine schriftliche Prüfung ablegen. Das Thema, das Herr Miyazawa stellte und über das ich innerhalb von 60 Minuten einen Aufsatz verfassen sollte, war das „Schuldprinzip im Strafrecht“. Glücklicherweise handelte es sich genau um das Thema meiner Magisterarbeit! Von Frau Nakatani erfuhr ich hinterher, dass Herr Miyazawa mir bei der Benotung fast die volle Punktzahl gegeben hatte. Die Zeit, in der ich Frau Nakatani und Herr Miyazawa auf dem Campus der Keio-Universität beim Mittagstisch, in der Kaffeepause oder beim Abendessen Gesellschaft leisten durfte, war im Rückblick die schönste in meiner akademischen Laufbahn. Damals kam es mir so vor, als würde diese Zeit nie vergehen. Ich wagte es nicht, mir das Leben an der Universität ohne sie vorzustellen. Als zuerst Frau Nakatani und dann schließlich auch Miyazawa die Universität verließen, fühlte ich mich abgründig einsam. Sogar heute noch empfinde ich große Wehmut, wenn ich abends im Forschungszimmer an der Universität sitze, auf die Bilder meiner beiden Lehrer schaue und denke, dass ich so fruchtbare, erhellende und ermunternde Gespräche wie damals wohl nie mehr erfahren werde.
V. Der erste Deutschlandaufenthalt (1980–1982) Von ganz entscheidender Bedeutung für mein wissenschaftliches Leben waren zwei längere Aufenthalte in Deutschland. Zunächst hielt ich mich als Stipendiat des Deutschen Akademischen Austauschdienstes (DAAD) in den Jahren von 1980–1982 an der Universität Erlangen-Nürnberg auf. Nein, richtiger ausgedrückt, schickte Miyazawa mich damals nach Erlangen. Er war fest davon 3
Makoto Ida, Der Kriminologe und Strafrechtler Koichi Miyazawa – Sein Beitrag zur Entwicklung der japanischen Kriminalwissenschaften, Zeitschrift für Japanisches Recht, Nr. 32, 2011, S. 9 ff.
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überzeugt, dass man für das Sprachenlernen möglichst nicht mit Landsleuten zusammen sein sollte und deshalb nicht an Universitäten gehen sollte, wo sich zahlreiche japanische Kollegen und Stipendiaten aufhielten, wie z.B. in Freiburg, Bonn oder München. Es war ein weiteres Glück in meinem Leben, dass ich bei Karl Heinz Gössel, der mich freundlicherweise an seinem Institut aufnahm, wirklich viel und etwas ganz Entscheidendes lernen durfte. Dank seiner Belehrung bin ich bis heute sowohl von der Notwendigkeit und der Ergiebigkeit einer normentheoretischen Fundierung der Strafrechtsdogmatik überzeugt als auch von der Unerlässlichkeit der Verbindung der ontologischen Grundkonzeption mit den normativen und zweckrationalen Überlegungen. Ich halte auch seine Anwendung des „Satzes vom Grunde“ auf die Frage der Strafe4 für einen großen Beitrag zur Klärung der Probleme um die Strafe. Gössel lehrte mir nicht nur Strafrecht. Er lud mich oft zu sich nach Hause in München ein und nahm mich mit seiner Frau Annemarie quasi als dritten Sohn in die Familie auf. Er führte mich auch in die deutsche Kultur, u.a. die klassische Musik von Bach, ein. Dass ich heute gemeinsam mit meiner Frau dem Verein des Bach Kollegiums Japan angehöre und mich an seiner Musik erfreuen kann, habe ich Gössel zu verdanken. Er ist auch insofern ein Vorbild für mich, da er – mittlerweile weit über 80 Jahre alt – noch aktiv am wissenschaftlichen Diskurs beteiligt ist. Damals lehrte auch Gunther Arzt in Erlangen. Ich bin in meinem Leben einem so klugen Menschen wie ihm selten begegnet. Seine AT-Vorlesung im Audimax war für mich ein einmaliges Erlebnis. Sein zum Denken anregender und humorvoll-provokativer Stil fesselte und begeisterte mich. Seitdem mir Vorlesungen an der Keio anvertraut worden sind, versuche ich stets seinen Lehrstil nachzuahmen. Das ist mir aus meiner Sicht allerdings selten gut gelungen. Auch nachdem Arzt nach Bern gewechselt war, besuchte ich ihn dort mehrmals. Seine BT-Lehrhefte5 waren für mich eine Schatztruhe voll kostbaren Wissens. Dass später der BT zu meinem Lieblingsforschungsgebiet wurde, habe ich insbesondere ihm zu verdanken. Auch seine kleine aber feine „Einführung“6 ist für mich ein sehr bedeutendes Buch geworden. Es ist sehr schade, dass ich mich heute aufgrund meines immensen Arbeitspensums nicht in
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Karl Heinz Gössel, Über die Bedeutung des Irrtums im Strafrecht, 1974; Ders., Wesen und Begründung der strafrechtlichen Sanktionen, FS Pfeiffer, 1988, S. 3 ff. Zuletzt: Gunther Arzt / Ulrich Weber / Bernd Heinrich / Eric Hilgendorf, Strafrecht, Besonderer Teil, 3. Aufl. 2015. Gunther Arzt, Einführung in die Rechtswissenschaft: Grundfragen mit Beispielen aus dem deutschen Recht, 1996.
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der Lage sehe, deren bereits begonnene und größtenteils fertiggestellte Übersetzung ins Japanische wieder aufzunehmen. In Erlangen beabsichtigte ich zunächst, mich in meiner Dissertation auf die Strafzumessungslehre zu beziehen. Damals interessierte ich mich für die Umsetzung straftheoretischer Prinzipien in die Strafzumessung. Ich wollte die auf abstrakter Ebene geführte straftheoretische Diskussion über das Verhältnis der retrospektiven und prospektiven Seite der Strafe sowie um den Schuldbegriff in der Dogmatik der Strafzumessung konkretisieren. Dabei war ich schon damals davon überzeugt, dass man die Strafzumessung als einen Anwendungsfall der Verbrechenslehre betrachten sollte, nicht als einen von ihr weitgehend unabhängigen Bereich. Im Mittelpunkt meines Interesses standen die Fragen um die Strafzumessungstatsachen: Ihre Grenzen, Bewertungsrichtungen und jeweiligen Gewichtungen. Die einmal begonnene deutsche Doktorarbeit brach ich allerdings auf Rat von Frau Nakatanis und Miyazawas ab, da ich nach Japan zurückkehren musste, um mich für die oben erwähnte Assistentenstelle zu bewerben. Ich übersetzte meinen Text schließlich zügig ins Japanische und veröffentlichte 1982 einen längeren Aufsatz über die „verschuldeten Auswirkungen der Tat als Strafzumessungstatsachen“. Diese Untersuchung fand anfänglich keine Resonanz, wird jedoch, seitdem in Japan die Strafzumessung ab Ende der 1990er Jahre zum zentralen Thema der Strafrechtswissenschaft wurde, immer wieder, auch von denjenigen, die in der Praxis tätig sind, gelesen und zitiert. Nicht unerwähnt soll bleiben, dass ich damals in Erlangen meine spätere Frau Gabriele in einer Vorlesung kennenlernte. Sie stammt aus Ansbach. Bei unserem ersten Treffen brachte ich ihr gegenüber sogleich meinen Wunsch zum Ausdruck, die Stadt Ansbach, in der Anselm von Feuerbach gelebt und das Gericht, wo er gearbeitet hatte, zu besichtigen. Man könnte deshalb sagen, dass Feuerbach zwischen uns beiden das Eis gebrochen und uns einander näher gebracht hatte. Nach meiner Heimkehr wurde ich 1983 Assistent an der Juristischen Fakultät der Keio-Universität. Ich war dankbar, dass ich ein Forschungszimmer direkt an der Universität erhielt und ein stattliches monatliches Gehalt beziehen durfte. Miyazawa schenkte mir damals als Einstandsgeschenk ein brandneues Exemplar des „Schönke-Schröder“. Ich wollte während der Assistentenzeit meine Untersuchung der Strafzumessungslehre fortsetzen. Dieses Vorhaben gefiel Frau Nakatani allerdings überhaupt nicht: Die Strafzumessung sei „kein Thema für einen richtigen Strafrechtsdogmatiker“. Ein Nachwuchswissenschaftler solle „die zentralen Streitpunkte nicht scheuen“. Ich wendete mich
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deshalb einem zur damaligen Zeit besonders heiß diskutierten, äußerst strafrechtsdogmatischen Thema zu: Der Problematik der aberratio ictus und des Kausalitätsirrtums. Ich befasste mich schließlich mit der gesamten japanischen und auch deutschen Literatur zu diesem Thema und veröffentlichte zwei Jahre später einen längeren Aufsatz über die „Probleme der Beachtlichkeit der Objektindividualisierung bei der Erfolgszurechnung zum Vorsatz“ (1985). Dort entwickelte ich eine „modifizierte (oder erweiterte) Konkretisierungstheorie“, die den Gegensatz zwischen der in Japan bisher herrschenden und in ständiger Rechtsprechung befürworteten Gleichwertigkeitstheorie und der auch bei uns im Vordringen begriffenen Konkretisierungstheorie zu schlichten versuchte. Mein sich darauf beziehender Aufsatz fand sofort breite Resonanz und meine Ansicht über den Kausalitätsirrtum wurde sogar direkt von einem namhaften Professor in dessen Lehrbuch übernommen. Frau Nakatani hat somit Recht behalten: Ich konnte auf diese Weise erfolgreich in der japanischen Strafrechtswissenschaft debütieren.
VI. Der zweite Deutschlandaufenthalt (1987–1989) Im Jahre 1987 bewilligte mir die Keio-Universität ein großzügiges Forschungsstipendium für einen Aufenthalt im Ausland. Ich beschloss dieses Mal nach Köln zu gehen. Zuvor hatte ich Hans Joachim Hirsch kennengelernt. Er erklärte sich mir gegenüber bereit, mich in sein Kriminalwissenschaftliches Institut (KWI) als Doktoranden aufzunehmen. Der Gedanke, in Deutschland eventuell ein Buch veröffentlichen zu können, begeisterte mich. Hirsch schlug mir vor, eine japanische Version der Göttinger Dissertation über „Die finale Handlungslehre Welzels im Spiegel der italienischen Strafrechtsdogmatik“ von Gerhard Dannert (1963) zu verfassen, den ich übrigens einige Jahre später kennenlernen durfte, da er Mitglied der Deutsch-Japanischen Juristenvereinigung war. Es war jedoch meine Absicht, ein umfassenderes Bild der gegenwärtigen japanischen Strafrechtsdogmatik zu zeichnen, um es deutschen Kolleginnen und Kollegen ermöglichen zu können, den status quo nachzuvollziehen. Es überstieg jedoch bei weitem mein damaliges Wissen und auch meine Fähigkeiten, zu jedem grundlegenden Problem Stellung zu nehmen und darüber eine eigene Auffassung zu entwickeln. Zwei Jahre später entstand eine Arbeit, die schließlich mit der Note „summa cum laude“ bewertet wurde.7 Ich 7
Makoto Ida, Die heutige japanische Diskussion über das Straftatsystem. Eine kritische Untersuchung unter besonderer Berücksichtigung der Entwicklung der deutschen Strafrechtswissenschaft, Duncker & Humblot, 1991, 178 S. Eine große Freude bereitete mir damals eine sehr freundliche Rezension über dieses Buch durch Michael Hettinger in der Juristischen Schulung.
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selbst war mit dem Text allerdings unzufrieden; dennoch blieb mir damals nichts anderes übrig, als das Manuskript so zu belassen wie es war und mich auf das Rigorosum vorzubereiten. Hirsch war für mich ein weiterer wichtiger Mentor, der während und nach meiner Promotion in väterlicher Güte für mich sorgte und immer auf mich bedacht war. Ich besuchte ihn auch nach seiner Emeritierung im Jahre 1994 öfters in Köln. Er schrieb mir regelmäßig Briefe und rief mich sogar hin und wieder zu Hause in Tokyo an. Es schien mir, dass er seine Schüler stets in die von ihm gewünschte Richtung lenken wollte. Gelegentlich war ich jedoch anderer Auffassung: Ich war und bin Befürworter der Lehre von negativen Tatbestandsmerkmalen und damit der eingeschränkten Schuldtheorie. Darüber hinaus hielt und halte ich auch noch heute die Konzeption der Strafrechtswidrigkeit (bzw. des strafwürdigen Unrechts) für prinzipiell richtig. Dafür, dass er diese Meinungsverschiedenheiten hinnahm und mir immer Vertrauen schenkte, bin ich ihm zu tiefstem Dank verpflichtet. Ich durfte selbstverständlich von ihm denkbar viel lernen. Seine Aufsätze, die in seinem magnum opus8 versammelt sind, waren und sind aufgrund ihrer stets überzeugenden Begründungen und bemerkenswert klaren Gedankenführung ein großes Vorbild für mich. Ich war sehr froh darüber, dass mir 2014 die Gelegenheit gegeben wurde, bei einem Symposium die gesamte Verbrechenslehre Hans Welzels aus japanischer Sicht zu würdigen.9 Hoffentlich ist ersichtlich, in wie vielen Hinsichten mich mein Doktorvater positiv beeinflusste. Ich erinnere mich noch genau: Nach dem Rigorosum im Oktober 1988 ließ Hirsch in seinem Institut Kaffee und Kuchen vorbereiten und feierte mit uns Mitarbeitern und Doktoranden den erfolgreichen Abschluss meiner Promotion. Hinterher lud er mich allein in sein Arbeitszimmer ein. Er sagte zu mir in allem Ernst, dass ich auf einen etwaigen Wunsch, in Deutschland zu habilitieren, verzichten solle. Ich hatte jedoch daran – auch nicht in entferntester Weise – gedacht. Für mich war bereits eine Promotion im Ausland ein sehr hochgestecktes Ziel. Die Tatsache, dass Hirsch dies überhaupt als ein diskussionswürdiges Thema betrachtet hatte, zeigte seine Wertschätzung für einen ausländischen Schüler und erfüllte mich mit Zufriedenheit.
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Hans Joachim Hirsch, Strafrechtliche Probleme, 1999; Ders., Strafrechtliche Probleme, Band II, 2009. Makoto Ida, Welzels Einfluss auf die japanische Strafrechtsdogmatik, in: Wolfgang Frisch u.a. (Hrsg.), Lebendiges und Totes in der Verbrechenslehre Hans Welzels, 2015, S. 203 ff.
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VII. Forschung auf dem Gebiet der allgemeinen Lehren des Strafrechts Im Jahr 1995 wurde ich ordentlicher Professor an der Juristischen Fakultät der Keio-Universität. Damals befasste ich mich vornehmlich mit den allgemeinen Lehren des Strafrechts. Es ging mir dabei vor allem um die Weiterführung und Konkretisierung der Gedanken, die Bestandteil meiner Dissertation waren. Insbesondere versuchte ich die personale Unrechtslehre, die in Japan wegen ihrer Moralisierungstendenzen starker Kritik ausgesetzt war, zu „säkularisieren“ und zu verteidigen, indem ich den Sinn und Zweck der Verhaltensnormen nur im verfassungsrechtlich legitimierbaren Rechtsgüterschutz suchte und sie in ihrem Gehalt immer rechtsgutsbezogen – und sich an der ex-anteGefährlichkeit der Tathandlung orientierend – verstand, anstatt mich auf die Sozialethik oder -moral zu berufen. Um eine vorläufige Bilanz zu ziehen, sammelte ich meine bisherigen Aufsätze zu den grundlegenden Problemen der Strafrechtsdogmatik und veröffentlichte sie im Jahr 1995 als Buch unter dem Titel „Der gegenwärtige Stand der Strafrechtsdogmatik und die finale Handlungslehre“. Darin behandelte ich Themen wie etwa die dogmengeschichtliche Bedeutung der finalen Handlungslehre, die „Krise“ der damals bei uns herrschenden Lehre vom adäquaten Kausalzusammenhang, das Verhältnis vom Verhaltens- und Erfolgsunwert in der Unrechtslehre, die Behandlung eines fehlenden subjektiven Rechtfertigungselements, die Notwendigkeit der Vorsatzakzessorietät bei der Teilnahme, die sog. Organisations- und Überwachungsfahrlässigkeit beim Brandfall usw. Außerdem verfasste ich u.a. die folgenden Aufsätze: „Überlegungen zur Begrenzung der Erfolgszurechnung beim erfolgsqualifizierten Delikt“ (1987), „Die Auswirkung des error in objecto des Angestifteten auf den Vorsatz des Anstifters“ (1992), „Rückblick auf die letzten 50 Jahre der japanischen Strafrechtswissenschaft“ (1995), „Über das Wesen des Notstandes“ (2000), „Infizierung mit dem HIV-Virus und fahrlässige Strafbarkeit“ (2001), „Kriterium der Sorgfalt beim Fahrlässigkeitsdelikt“(2003), „Theorie und Praxis der Strafzumessung“ (2004), „Eine Bilanz der Diskussion um das fahrlässige Delikt“ (2005). Die essentiellen Ergebnisse meiner diesbezüglichen Forschungen erschienen schließlich im Jahr 2005 in Form des Buches „Struktur und theoretische Grundlagen der Strafrechtsdogmatik“ (472 Seiten). Es enthält eine eingehende Analyse der 30 grundlegenden Probleme des AT des Strafrechts. Das Buch wurde 2009 durch Shin Yang-Gyun ins Koreanische übersetzt, sodass es auch in Korea veröffentlicht wurde. Eine chinesische Übersetzung wird derzeit durch die Unterstützung von Yihe Quin realisiert.
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Bei der Lösung der jeweils zur Erörterung stehenden Fragen wendete ich die Methode und die Vorgehensweise, die ich in Deutschland gelernt hatte, an. Ich folgte also getreu der Spur, welche die deutschen Strafrechtswissenschaftler vorgezeichnet hatten. Vor diesem Hintergrund hätte ich deshalb volles Verständnis, wenn deutsche Kolleginnen und Kollegen mich – einen sich stark an die deutsche Jurisprudenz anlehnenden japanischen Juristen – wegen Nachahmung tadeln oder gar wegen Diebstahl ihres Gedankenguts anzeigen würden. Eines ist doch inzwischen klar geworden: Was mich an der Strafrechtswissenschaft am meisten begeistert und fasziniert ist ihre interdisziplinäre Natur. Wann immer man in eine Problematik nur ein wenig tiefer eintaucht, ist es meiner Ansicht nach unumgänglich, die Grenzen der Juristerei zu überschreiten und etwa die Philosophie, die Psychologie oder andere Disziplinen miteinzubeziehen. Beabsichtigt man etwa, eine genauere Kenntnis der Sozialschädlichkeit einer Straftat zu haben, sollte man ebenso Einblicke in die Soziologie, Gesellschaftstheorie oder Wirtschaftswissenschaft vornehmen. Die Entwicklung der strafrechtlichen Theorie vom Vorsatz wäre wohl ohne die Hinzuziehung von Kenntnissen aus der Psychologie gar nicht denkbar gewesen. Macht man sich über die Schuld eines Straftäters Gedanken, dann muss man die Diskussion über die Willensfreiheit auch aus dem Blickwinkel der Philosophie oder der Naturwissenschaften berücksichtigen. Die Strafrechtswissenschaft besteht zwar aus einer Reihe komplexer Puzzlespiele, die nur durch hohe geistige Anstrengungen gelöst werden können, doch darin erschöpft sie sich keineswegs. Sie ist eine Wissenschaft, die sich mit dem Menschen und der Gesellschaft befasst, begleitet von vielfältigen Bezügen zu unterschiedlichen Disziplinen. Meiner Auffassung nach ist dieser interdisziplinäre Charakter nirgendwo so ausgeprägt wie in der deutschen Strafrechtswissenschaft. Diese Wissenschaftskultur ist für mich – und wird auch in Zukunft für mich – unentbehrlich bleiben. Japanische Kollegen, Praktiker und Studenten von der Ergiebigkeit und Attraktivität einer interdisziplinären Rechtswissenschaft, wie ich sie verstehe, zu überzeugen, ist etwas, was mir immer am Herzen lag und liegt. Das ist jetzt meine Strafrechtswissenschaft, auch wenn ihr Herkunftsland Deutschland ist.10 Ab März 1996 hielt ich mich wieder für ein Jahr als Stipendiat der Alexander von Humboldt-Stiftung bei Gössel an der Universität Erlangen-Nürnberg auf. Während dieses Aufenthalts lernte ich Franz Streng, der dort seit 1991 Ordinarius war, kennen und schätzen. Ich sah in ihm eine optimale Kombination der 10
Hierzu vgl. auch Makoto Ida, Über die „Entphilosophierung“ der japanischen Strafrechtsdogmatik und ihre Folgen, FS Rudolf Wendt, 2015, S. 1195 ff.
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juristischen mit den empirischen Wissenschaften, die mir gänzlich fehlte. Er schien mir nicht nur in der juristischen Begriffswelt, sondern auch in der realen Welt, die nur mittels empirischer Wissenschaften zu erschließen ist, zu Hause zu sein. Die Ausführungen in seinem Hauptwerk „Strafrechtliche Sanktionen“11 hatten mich sehr fasziniert. Glücklicherweise konnte ich ihn zu späterer Zeit mehrmals nach Japan für Gastvorträge einladen. Ich selbst durfte mich von 2007–2008 fünf Monate an seinem Institut aufhalten und unter denkbar optimalen Bedingungen das Manuskript meines Lehrbuchs zum AT fertigstellen. Inzwischen kennen wir uns seit 20 Jahren. Bis heute sind wir in enger Freundschaft verbunden. Mit ihm kann ich stets ein erhellendes und ermunterndes Gespräch führen.
VIII. Sonstige Forschungsarbeiten und Tätigkeiten bis heute Mein wissenschaftliches Interesse richtet sich auch auf die Berührungspunkte des Strafrechts mit der Medizin: Die Hirntodproblematik, Sterbehilfe, Behandlungsabbrüche, der Fahrlässigkeitsbegriff beim ärztlichen Eingriff und Organtransplantation sind Themen, die mich seit Jahren beschäftigen. Ich betrachte die Behandlung dieser Rechtsmaterien als Pflicht eines Schülers von Frau Nakatani. Diesen und ähnlichen Problemen möchte ich mich auch weiterhin widmen. Ich bemühe mich dabei in dem oftmals stark emotionsgeladenen Diskurs in Japan um eine nüchterne und rationale Argumentation, die ich unter besonderer Berücksichtigung der in Deutschland gewonnenen wissenschaftlichen Erkenntnisse entwickelt habe. Darüber hinaus war ich häufig als Mitglied der Ethikkommission tätig. Seit 2015 bin ich Vorstandsmitglied des Japan Organ Transplant Network, das als einzige Organisation in Japan für die Vermittlung und die Verteilung von Organen aus (hirn-)toten Personen zuständig ist. Seit der Jahrtausendwende bin ich immer wieder zum Mitglied der Gesetzgebungskommission des Justizministeriums berufen worden. Hierdurch ist zugleich auch die Strafgesetzgebung ein wichtiges Forschungsthema für mich geworden. Einige Streitpunkte, mit denen ich mich dabei befasste, habe ich auch in deutscher Sprache artikuliert und zu ihnen Stellung genommen.12 Ich 11 12
Zuletzt: Franz Streng, Strafrechtliche Sanktionen: die Strafzumessung und ihre Grundlagen, 3. Aufl. 2012. So z.B.: Makoto Ida, Was bringt die sog. Internationalisierung des Strafrechts? – Eine Problembetrachtung aus japanischer Perspektive in: Jun’ichi Murakami u.a. (Hrsg.), Globalisierung und Recht, 2007, S. 219 ff.; Ders., Der Ruf nach einem schärferen Strafrecht und die Strafrechtswissenschaft in Japan, FS Heinz Stöckel, 2010, S. 361 ff.; Ders., Neuere Entwicklungen im japanischen Strafrecht im Lichte gesellschaftlicher
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war u.a. beteiligt an der Verschärfung des Verkehrsstrafrechts (2001, 2007 und 2013), der Kriminalisierung des unberechtigten Herstellens und der Verwendung von Kredit- und anderen Zahlungskarten sowie deren Vorbereitung (2001), der (Wieder-)Einführung des sog. negativen Personalitätsprinzips in unser Strafanwendungsrecht (2003), der generellen Anhebung der Obergrenze der zeitigen Freiheitsstrafe von bisher 15 auf 20 Jahre (2004), der Einführung des neuen Straftatbestandes des Menschenhandels (2005), der Abschaffung der Verfolgungsverjährung bei der vorsätzlichen Tötung (2010), der Kriminalisierung des Herstellens und der Verbreitung von Computerviren sowie deren Erstellung (2011) und zuletzt der Reform des Sexualstrafrechts (2017). Es ging ausnahmslos um eine Neupönalisierung insbesondere mit einer Vorverlagerung der Strafbarkeit und eine Strafverschärfung. Aus diesem Grund war ich nicht immer glücklich mit den Ergebnissen. Andererseits hielt ich es nicht für richtig, wenn die Strafrechtler gegenüber dem verstärkten Einsatz der staatlichen Strafe von Anfang an ablehnend eingestellt waren. Politische Forderungen danach schienen mir oft – wenn auch nicht immer – einen berechtigten Kern zu treffen. Ich bemühte mich deshalb stets darum, ins neue Gesetz so viel Rationalität wie möglich einfließen zu lassen. Inzwischen habe ich eingesehen, dass man heute bei der Einschätzung der Gefahr und der Prüfung der Schädlichkeit eines zu regulierenden Verhaltens und der Effizienz von staatlicher Strafe oft in Bereiche gerät, in denen ein wissenschaftlicher Beweis im engen Sinne nicht mehr möglich und deshalb auch die Rede von der Beweislast verfehlt ist, wie es mir damals Gunther Arzt gelehrt hat: Wenn die Gefahr- und Schadensprognose und die Effizienz einer Strafe empirisch ungesichert sind und wir dann mangels einer robusten Beweisführung die Einmischung durch das Strafrecht zurückstellen, gehen wir notgedrungen ein Risiko für die Bürger, d.h. die potentiellen Opfer, ein. In der Zwischenzeit haben sich bei mir vielfältige Kontakte zu tüchtigen Praktikern entwickelt. Ich werde oft beauftragt, für einen anhängigen Prozess Fachgutachten über Rechtsfragen zu erstellen, wobei ich auch einige Erfolge zu verzeichnen habe. Ich werde auch häufig zu Vorlesungen für die Karrierepolizisten in der Polizeiakademie oder bei der Richterausbildung und -weiterbildung eingeladen. Ich gehöre seit Jahren einer Kommission des Obersten Gerichtshofs an, wo über Fragen der Referendarausbildung diskutiert wird, obwohl ich selbst nie Rechtsreferendar gewesen bin. Veränderungen, FS Claus Roxin zum 80. Geburtstag, 2011, S. 1609 ff.; Ders., Sicherheit versus Freiheit in der heutigen staats- und strafrechtlichen Diskussion Japans, FS Imme Roxin, 2012, S. 739 ff.
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Besonders interessant war die Zusammenarbeit mit Richtern bei den Strafzumessungsfragen. Japan hat im Jahre 2009 die Verhandlung schwerer Straftaten durch die Einführung einer Laienbeteiligung völlig umgestaltet. Dieses System der Laienbeteiligung hat sich in verschiedenen Hinsichten das deutsche Schöffensystem zum Vorbild genommen: Auch in Japan bilden Berufsrichter und Laien zusammen den Spruchkörper. Das neue System weist jedoch auch gewisse Elemente des amerikanischen Geschworenensystems auf. Hier haben wir wieder einmal ein Beispiel für ein deutsch-amerikanisches Mischrechtssystem. Diese große Reform wurde genau zu der Zeit vorgeschlagen und zur öffentlichen Diskussion gestellt, als in Japan eine stark ausgeprägte Neigung zu immer härterer Bestrafung deutlich zutage getreten war. Unsere Sorge lag deshalb darin, dass die Strafzumessung unter Beteiligung von Laien ihre bisherige Gleichmäßigkeit, auf welche die japanischen Richter sehr stolz waren, verlieren und sich die Tendenzen zur Verschärfung der Strafe nicht nur fortsetzen, sondern auf die Spitze getrieben würden. Im Jahre 2009 beauftragte mich der Oberste Gerichtshof, gemeinsam mit drei Richtern eine Untersuchung über das Wesen und die Struktur der Strafzumessung, die Funktion des gesetzlichen Strafrahmens, Grenzen und Gewichtung von Strafzumessungstatsachen, Quantifizierungsprobleme und praktische Vorgehensweise usw. durchzuführen. Die Ergebnisse unserer Untersuchung haben wir 2012 in Form eines Buchs veröffentlicht,13 das nicht nur von Richtern sehr stark beachtet und berücksichtigt wurde. Es freut mich sehr, dass man nach sechsjährigen Erfahrungen mit dem neuen System der Laienbeteiligung mittlerweile durchaus von einer relativ stabilen Praxis auch im Hinblick auf die Strafzumessung sprechen kann. Unser Buch scheint erfreulicherweise einiges dazu beigetragen zu haben. Noch bevor ich ordentlicher Professor wurde, beauftragte mich der renommierteste juristische Verlag Japans, Yuhikaku, für seine neue Lehrbuchserie eine Einführung ins Strafrecht zu schreiben. Einerseits fühlte ich mich sehr geehrt; andererseits machte es meiner Ansicht nach wenig Sinn, den bereits zahlreich vorhandenen Einführungen eine neue hinzuzufügen. Aus diesem Grund entschloss ich mich ein Lehrbuch zu schreiben, das die studentischen Leser in die gesamten Kriminalwissenschaften einführen würde und das somit nicht nur das Straf- und Strafprozessrecht, sondern ebenso die Kriminologie, das Jugendrecht, den Strafvollzug und auch die Strafrechtsvergleichung in ihren jeweilig wesentlichen Inhalten enthalten würde. Die Einführungsvorlesung an der Juristischen Fakultät der Keio, die den Studenten im ersten und 13
Makoto Ida u.a., Strafzumessung unter Laienbeteiligung, Tokyo 2012.
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zweiten Semester angeboten wurde, war ohnehin so konzipiert, dass die gesamten Strafrechtswissenschaften berücksichtigt wurden. Ich selbst hatte diese Vorlesung bis zum damaligen Zeitpunkt bereits mehrmals gehalten. So war mir bekannt, dass ein Buch mit solchem Inhalt bislang noch nicht veröffentlicht worden war. Meine „Einführung“ erschien schließlich im Jahr 1995 und hatte außergewöhnlichen Erfolg. Auch heute noch werden viele Neuauflagen verlegt. Bisher wurde das Lehrbuch bereits viermal völlig neu überarbeitet. In Japan ist es mittlerweile die meist verbreitete Einführung. Ich erinnere mich noch mit tiefem Dankesgefühl daran, dass Miyazawa die Druckfahnen der ersten Auflage dieses Buchs gründlich las und mir unzählige Anmerkungen und Korrekturvorschläge zukommen ließ. Selbstverständlich bin ich glücklich darüber, dass auch die anderen Lehrbücher, die ich alleine oder mit Kollegen verfasst habe, ähnlich gute Erfolge zu verzeichnen haben – obwohl ich im Nachhinein denke, dass ich vielleicht hin und wieder zu viel Zeit und Mühe für die Beschäftigung mit solchen Büchern investiert habe. Als der Yuhikaku-Verlag dann mit der Bitte an mich herantrat, ein umfangreicheres Lehrbuch zum Strafrecht zu verfassen, nahm ich dies sogleich an. Hirsch empfahl mir stets, rechtzeitig ein Lehrbuch zum AT zu schreiben: Er bereute es, dass er selbst keines geschrieben hatte.14 Im Jahr 2008 konnte ich schließlich meinen AT mit nahezu 600 Seiten Umfang erscheinen lassen, den man als mein bisheriges Hauptwerk bezeichnen kann. Das Buch wurde nach seinem Erscheinen bis heute achtmal nachgedruckt. Der Verlag begrüßte es schließlich, von mir ein entsprechend umfangreiches Werk zum BT zur Veröffentlichung vorgelegt zu bekommen. Bis es zur Fertigstellung des Manuskripts hierzu kam, verging zwar viel Zeit, doch konnte das Werk im Jahr 2016 veröffentlicht werden.
IX. Beziehungen zu Deutschland Mittlerweile ist Deutschland für mich und meine Familie kein Ausland mehr, sondern vielmehr eine zweite Heimat. Eine Zurückbesinnung auf mein bisheriges Leben ist Anlass genug, mir die Frage zu stellen, ob ich zur Förderung und Vertiefung des deutsch-japanischen Wissenschaftsdiskurses überhaupt etwas beigetragen habe. Meine wissenschaftliche Tätigkeit habe ich bislang stets deshalb ausgeübt, weil sie mir Freude bereitet und nicht etwa aus altruis14
Vgl. auch seine Autobiographie, in: Eric Hilgendorf, Die deutschsprachige Strafrechtswissenschaft in Selbstdarstellungen, 2010, S. 125 ff.
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tischen Motiven heraus. Dabei bin ich mir darüber bewusst, dass die Kenntnisse, die ich mir auf dem Gebiet des deutschen Rechts und der deutschen Rechtswissenschaft angeeignet habe, mein akademisches Leben auf eine zuvor nie geahnte Weise bereichert und befruchtet haben. Ich möchte mich hier nur auf ein einziges Beispiel, einen winzigen Teilaspekt, beschränken: Es ist erwähnenswert, dass die Rezeption des deutschen Rechts und der deutschen Rechtswissenschaft in ostasiatischen Ländern, insbesondere in Korea, Taiwan und Japan, in Teilbereichen des Rechts eine Art gemeinsames Recht entwickelt hat: Dank der von der deutschen Dogmatik übernommenen Begriffsapparate und Argumentationsmuster können wir uns mit den koreanischen und den taiwanesischen Kollegen mühelos mittels der deutschen Sprache über verschiedene Rechtsfragen verständigen und – auch wenn die Lösungen der jeweiligen Rechtsordnungen voneinander abweichen – sie jedenfalls innerhalb des gesamten dogmatischen Systems verorten. Wir veranstalten häufig koreanisch-japanische oder taiwanesisch-japanische Rechtssymposien und können dabei mittels der deutschen Sprache sofort in ein aktuelles dogmatisches Problem einsteigen. Das sind aus meiner Sicht erstaunlich große Errungenschaften. Es war dabei ein großes Glück für mich, dass ich auf diese Weise sehr tüchtige Kollegen wie Cho Byung-Sun (Korea), Heng-da Hsu (Taiwan), Jiuan-Yih oder Chen-Chung Ku (Taiwan) kennen- und schätzen gelernt habe und sie auch als Freunde gewinnen konnte. Wenn man berücksichtigt, dass wir ähnliche Kontakte beispielsweise zu Spaniern, Polen, Türken, und Griechen pflegen, so haben wir, jedenfalls solange es sich um Teilbereiche wie z.B. die Strafrechtsdogmatik handelt, ein der Rezeption des Römischen Rechts vergleichbares Phänomen vor uns. Unter diesen Umständen sind für mich enge freundschaftliche Beziehungen entstanden, die mein Leben als Wissenschaftler entscheidend bereichert haben: So etwa insbesondere mit polnischen Kollegen wie Andrzej J. Szwarc (Posen) und Emil W. Plywaczewski (Bialystok) und mit Kollegen aus der Schweiz wie Christian Schwarzenegger (Zürich). Insgesamt ist mein Bild der Rechtswissenschaft stark durch das deutsche Verständnis von ihr geprägt. Sie ist für mich eine systematische und interdisziplinäre Wissenschaft, die sich darum bemüht, die kodifizierten und nicht kodifizierten Rechtsregeln in ihren Zusammenhängen richtig zu lokalisieren, ihre Leitungsprinzipien in unterschiedlichem Abstraktionsniveau aufzuklären und damit der Transparenz des Rechtsinhalts zu dienen. Ich bin allerdings weit davon entfernt, zu behaupten, dass dies das einzig richtige Wissenschaftsverständnis sei. Weshalb dann Deutschland? – Sollte man den jungen Juristinnen und Juristen empfehlen, das deutsche Recht zu studieren? Kann man noch
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behaupten, dass ein Studium sich lohnt? Ich möchte diese Fragen mit einem entschiedenen Ja beantworten. Auch heute müssen wir deshalb das deutsche Recht studieren, weil wir damit unser eigenes Recht besser und tiefgründiger verstehen können, wie es Frau Nakatani mich damals bereits gelehrt hat. Ohne Kenntnisse des deutschen Rechts und der deutschen Rechtswissenschaft würden wir nicht wissen, weshalb unser Recht und unsere Rechtswissenschaft heute so und nicht anders aussehen. Und etwas Entscheidendes kommt noch hinzu: Wir können unser heutiges japanisches Recht dadurch besser verorten, dass wir es mit dem deutschen Recht vergleichen, d.h. indem man das deutsche Recht, das die kontinentaleuropäischen Rechtsideen wie kaum ein anderes Recht verkörpert, als Maß anlegt. Ich habe stets den Segen der hohen Vergeistigung der deutschen Kultur genossen und mir zunutze gemacht. Dabei stand und stehe ich auf der Seite des Empfängers und Nutznießers. Ich habe mich jedoch auch in umgekehrter Richtung bemüht, das japanische Recht und die japanische Rechtswissenschaft dem deutschen juristischen Fachpublikum nahezubringen. In dieser Beziehung habe ich sehr viel der Deutsch-Japanischen Juristenvereinigung (DJJV), insbesondere ihrem Präsidenten Jan Grotheer, zu verdanken. Grotheer – bis 2010 Präsident des Finanzgerichts Hamburg – hatte in seiner richterlichen Praxis mit dem Strafrecht nur wenig zu tun gehabt. Trotzdem vernachlässigte er bei der Themenwahl der Symposien der DJJV nie das Strafrecht und lud mich immer als Referenten ein. Ich habe es somit ihm zu verdanken, dass ich sehr oft am Rednerpult stehen durfte. Das waren für mich denkbar ideale Gelegenheiten zu üben, einen Vortrag auf Deutsch zu halten. Es war auch deshalb ideal, weil sich die anwesenden Teilnehmer für Japan und das japanische Recht interessierten und sehr aufmerksam zuhörten. Dabei habe ich u.a. gelernt, dass es sich hier gar nicht um eine bloße Übersetzungs-, sondern vielmehr um eine Vermittlungsarbeit handelt: Um die wissenschaftlichen Erkenntnisse eines Landes in einem anderen Land auf fruchtbare Weise nutzen zu können, braucht man eine Brücke zwischen den beiden Kulturen.15 Die reine Übersetzung in eine andere Sprache – selbst wenn es einem mühelos gelingt – macht meiner Meinung nach nur wenig Sinn. Es ist mein Ziel für die Zukunft, das wissenschaftliche Niveau dieser Vermittlung so zu erhöhen, dass hierdurch auch der deutsche Diskurs beeinflusst und bereichert werden wird. 15
Ein Versuch in diese Richtung war: Makoto Ida, Strafrechtsvergleichung als Kulturvergleich? − dargestellt am Beispiel der Versuchsstrafbarkeit, in: Franz Streng / Gabriele Kett-Straub (Hrsg.), Strafrechtsvergleichung als Kulturvergleich, 2012, S. 23 ff.
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Ich kann mich noch sehr gut erinnern: Im April 1995 durfte ich auf einem von der DJJV organisierten Symposium in Dresden einen Vortrag von 30 Minuten über die „Strafrechtliche Haftung von Leitungsorganen in Japan“ halten. Grotheer lobte danach meine sprachlich wie inhaltlich sicherlich ungenügenden Ausführungen mit freundlichen Worten und gab mir als Anerkennung meiner Leistung eine kleine silberne Münze. Hinterher machte ich allein einen Spaziergang durch die Stadt und sagte mir dabei: Sei dir sicher, dass sich die Mühe lohnt. Auch jemand ohne jegliche Begabung wie du könnte auf einem internationalen Kongress einen fremdsprachigen Vortrag halten und würde wahrscheinlich dafür gelobt werden. Mit der silbernen Münze in der Hand hatte ich es nicht verbergen können, wie gerührt ich war. Das war nicht das einzige Mal, dass Grotheer mich zu immer weiterer „Vermittlungsarbeit“ anspornte. Dafür bin ich ihm zu ganz herzlichem Dank verpflichtet. In diesem Kontext möchte ich erwähnen, dass es mir in den vergangenen Jahren große Ehre und Freude bereitet hat, an ausländischen Universitäten als Gastprofessor für japanisches (Straf-)Recht tätig zu sein und Teile der Lehrveranstaltungen übernehmen zu dürfen. So z.B. in Zürich (2013) und in Passau (2014). Mein besonderer Dank gilt Christian Schwarzenegger und Robert Esser, die sich für mich einsetzten und mich auch während des Aufenthaltes betreuten. Von deutscher Seite sind mir inzwischen vielfältige Auszeichnungen zuteil geworden. Im Jahr 2006 erhielt ich von der Alexander von Humboldt-Stiftung den Philipp-Franz-von-Siebold-Preis, der mir direkt von dem damaligen Bundespräsidenten Horst Köhler im Schloss Bellevue überreicht wurde. Im Jahre 2009 wurde mir der Eugen-und-Ilse-Seibold-Preis der Deutschen Forschungsgemeinschaft (DFG) verliehen. Im selben Jahr wurden meine Leistungen durch die Ehrendoktorwürde der Juristischen Fakultät der Universität des Saarlandes anerkannt. Mit ihr steht die Juristische Fakultät der KeioUniversität mittlerweile in einer langjährigen wissenschaftlichen Kooperation, deren allererster Anfang im Forschungsaufenthalt Miyazawas (WS 1964) liegt. Ich habe mich seit 2003 als ein Verantwortlicher von Seiten der KeioUniversität um die Fortentwicklung und Vertiefung dieser Beziehung bemüht. Die saarländischen Kollegen veranlassten es darüber hinaus, dass ich 2010 zum ersten ausländischen „Saarlandbotschafter“ ernannt wurde. Eine ganz besondere Freude bereitete es mir, dass mir am 9. Februar 2012 (zu meinem 56. Geburtstag!) die Ehrendoktorwürde meiner Alma Mater, der Rechtswissenschaftlichen Fakultät der Universität Erlangen-Nürnberg, verliehen wurde. Die Laudatio hielt mein Freund Franz Streng. Dies war definitiv einer der Höhepunkte meines bisherigen akademischen Lebens!
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Zu guter Letzt ist mir im März 2015 das Bundesverdienstkreuz am Bande verliehen worden. Ich möchte auch hinzufügen, dass ich 2015 in den Kreis der ständigen Mitarbeiter des Goltdammers Archivs für Strafrecht – vielleicht als der erste japanische Strafrechtler – aufgenommen wurde. Dafür möchte ich mich bei Wilfried Küper, Jürgen Wolter und Michael Hettinger ganz herzlich bedanken. Mir ist trotz allem bewusst, dass mir diese Ehrungen nicht nur für das zuerkannt wurden, was ich bisher geleistet habe, sondern auch für das, was ich in Zukunft leisten werde. Leider habe ich weder politische noch finanzielle Macht, noch die Tatkraft, eine entsprechende „Manpower“ zu mobilisieren. Was ich jedoch wohl tun kann, ist und bleibt nach wie vor dieselbe Sache: Ich werde mich weiterhin darum bemühen, in Schrift und Rede die wissenschaftlichen und menschlichen Beziehungen zwischen beiden Ländern zu vertiefen, bis ich mir eines Tages – vielleicht in fünfzehn Jahren – getrost sagen kann: „Jetzt habe ich diese Ehrungen verdient“.
X. Lehrtätigkeiten und Schüler Es bereitet mir stets große Freude, Vorlesungen und Seminare zu halten. Meiner Einschätzung nach habe ich darin bislang auch Erfolg gehabt. Ich bin mir sicher, dass im Hörsaal begeisterte Zuhörer die Ohren spitzen. Meine Überzeugung besteht darin, dass Lehrveranstaltungen auch immer ein wenig durch Entertainment gelingen, d.h. nicht nur wissenschaftlich fundiert und interessant sein sollten, sondern auch verständlich und unterhaltsam sein müssen, um die Studenten für das jeweilige Thema zu interessieren. Ich habe vielleicht von meinem Vater Motomu Ida (1922–2012), der zeitweilig erfolgreicher Filmregisseur war, ein bisschen Talent dafür geerbt. Er war vor allem immer darauf bedacht, dass seine Filme für die Zuschauer eingängig und unterhaltsam waren. Dabei nahm er eine gewisse Oberflächlichkeit in Kauf. Diese Charakteristika seiner Filme sind auch ein Anspruch, den ich an mich für meine Vorlesungen stelle, obwohl sie vermutlich im Laufe der Zeit wohl präziser und umfassender, aber damit auch weniger amüsant geworden sind. Eine entscheidende Veränderung im Rahmen meiner Lehrtätigkeit ergab sich dadurch, dass ich im Jahr 2004 von der Juristischen Fakultät zur neu gegründeten Law School wechselte. In diesem Jahr wurde in Japan eine gründliche Reform der Juristenausbildung realisiert, die darin bestand, dass wir die alten Juristischen Fakultäten deutscher Art beibehielten und zusätzlich die Law Schools als Graduate Schools US-amerikanischer Art einführten, in denen die praxisbezogene Rechtswissenschaft intensiv erlernt werden kann. Um zum
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juristischen Staatsexamen zugelassen zu werden, ist nunmehr prinzipiell der Abschluss einer Law School notwendig. Die meisten Kollegen, die aktiv in Forschung und Ausbildung tätig sind, wechselten schließlich wie ich von der Juristischen Fakultät zur Law School. Für mich ist es interessant und auch ertragreich, in Zusammenarbeit mit tüchtigen Praktikern die praxisorientierten Lehrveranstaltungen übernehmen zu können. Darüber hinaus halte ich weiterhin Vorlesungen und Seminare für die „Undergraduates“ an der Juristischen Fakultät der Keio-Universität. Im Übrigen hat sich durch die Einführung des Law-School-Systems das Verhältnis zwischen Lehre und Praxis im Allgemeinen ganz wesentlich verbessert.16 Ich bin auch sehr glücklich darüber, dass zahlreiche Schüler von mir, die früher bei mir erste Anleitungen zur Strafrechtsdogmatik erhielten, mittlerweile feste Stellen an verschiedenen Universitäten – einschließlich der KeioUniversität – haben. Teilweise sind sie bereits ordentliche Professoren an anerkannten Universitäten. Mein Prinzip für die Schüler war und ist das Imitierungsverbot. Danach galt: Wenn sie über ein Thema gleicher Auffassung wie ich waren, bräuchten sie darüber auch nicht zu forschen. Dieses Prinzip hat sich bewährt: In ihren jeweiligen Forschungsbereichen sind sie oft anderer Auffassung wie ich und kritisieren mich somit auch. Hierdurch sind sie bei ihren Forschungen allerdings viel weiter gekommen als ich. Ich pflege außerdem zu ihnen ein viel distanzierteres Verhältnis als meine Lehrer es einst mir gegenüber getan hatten. Nicht etwa deshalb, weil ich unter der engen Beziehung zu meinen Lehrern gelitten hätte – doch meine Schüler gehören einer anderen Generation an als ich. Das Lehrer-Schülerverhältnis, wie es in früheren Zeiten bestand, ist endgültig passé.
XI. Bescheidener Beitrag zur Universitätsführung (2009–2013) Was die Universitätsverwaltung betrifft, hat sie mich von Anfang an nicht besonders gereizt. Meine Maxime ihr gegenüber bestand darin, nicht mehr, aber auch nicht weniger als den Durchschnitt unter den Fakultätskollegen zu 16
Diese grundlegende Justizreform ist allerdings schon jetzt – nach erst zehn Jahren – vom Scheitern bedroht. Die Rechtsanwälte und die Rechtsanwaltskammer, die von vornherein gegen einen Anstieg der Anzahl von Juristen waren, sich aber damals dem „Zeitgeist“ nicht widersetzen konnten, haben sich inzwischen durchgesetzt, die Zahl der erfolgreichen Kandidaten der jährlichen Referendarprüfung auf 2.000 zu begrenzen. Damit ist die Erfolgsquote des Staatsexamens wieder auf 20 Prozent gesunken – mit der Folge, dass das durch die Reform de facto wesentlich verlängerte Jura-Studium seine Attraktivität völlig verloren hat. Eine weitere Folge davon ist, dass manche Law Schools, die erst 2004 gegründet worden sind, sich entschieden haben (oder sich entscheiden mussten), zu schließen.
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leisten. Als jedoch Atsushi Seike, unser berühmter Wirtschaftswissenschaftler, im April 2009 zum neuen Präsidenten der Keio-Universität gewählt wurde, wollte er mich zum u.a. für die Rechtsfragen zuständigen Vize-Präsidenten im seinem „Kabinett“ ernennen. Auf seine Bitte hin sagte ich deshalb zu, weil ich Seike als einen sehr tüchtigen und bezüglich der Universität gleichgesinnten Kollegen kannte und ihn gern bei seiner anspruchsvollen Arbeit unterstützen wollte. Meine Neugier, einmal etwas ganz anderes zu machen, spielte dabei jedoch auch eine Rolle. Meine Amtszeit von vier Jahren war reich an (meist positiven) Erlebnissen. Ich durfte viele interessante Menschen kennenlernen, die ich sonst nie hätte kennenlernen können. Überhaupt war es ein schönes Gefühl, an der Spitze einer großen Organisation zu stehen, die eine Universität mit zehn Fakultäten und 14 Graduate Schools, sowie ein Universitätskrankenhaus, fünf Ober-, drei Mittel- und zwei Grundschulen umfasst. Aber irgendwann merkte ich, dass mir die Universitätsführung und die Beschränkung auf Verwaltungsaufgaben nicht lagen. Ich bin hedonistisch veranlagt und wollte forschen. Es erwies sich auch als fatal, dass ich keine Idee von einer idealen Universität hatte, die ich hätte realisieren wollen. In dieser Beziehung war und bin ich sehr konservativ: Ich glaube immer noch an die Humboldt’sche Idee der Universität und halte an ihr fest, obwohl ich weiß, dass sie längst als überholt gilt und sich in der Tat unter den Gegebenheiten der heutigen Gesellschaft allenfalls nur in schmalen exzeptionellen Bereichen verwirklichen lässt.17 Als Seike 2013 wiedergewählt wurde, wollte er mich unbedingt für weitere vier Jahre als Vizepräsidenten. Ich lehnte schließlich ab, da ich wieder zur Wissenschaft zurückkehren wollte.
XII. Rückschau und Ausblick Wenn ich jetzt auf die vergangenen (fast) sechs Jahrzehnte zurückblicke, so wird mir bewusst, dass sie aus einer Kette von Glücksfällen bestanden haben; mich erfüllt deshalb ein tiefes Dankesgefühl für die Menschen, die mich auf meinem bisherigen Weg begleitet und unterstützt haben. Ich leide nur unter dem ausgesprochenen Missverhältnis zwischen dem, was ich bisher von anderen Leuten bekommen habe, und dem, was ich ihnen zurückgegeben konnte. Es soll deshalb das Ziel des nächsten Jahrzehnts meines Lebens sein, dieses Missverhältnis möglichst auszugleichen. Im Rückblick fehlt mir außerdem insbesondere ein dickes Buch, das man als mein Lebenswerk bezeichnen könnte. Ich wünsche mir deshalb in den nächsten Jahren, ein umfangreiches Buch über die Methoden und philosophischen Grundlagen der Strafrechtswis17
Vgl. Makoto Ida (Fn. 1), S. 763 ff.
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senschaft zu schreiben, das unter Beweis stellen soll, dass die gegenseitige Einflussnahme von Deutschland und Japan auf dem Gebiet der Rechtswissenschaft eine lohnende Aufgabe ist und bleibt.
Schriftenverzeichnis (in Auswahl) 1. Selbständiges Schrifttum / Monographien Die heutige japanische Diskussion über das Straftatsystem. Eine kritische Untersuchung unter besonderer Berücksichtigung der Entwicklung der deutschen Strafrechtswissenschaft, Berlin 1991. Hanzairon no Genzai to Mokutekiteki Kôiron [Der gegenwärtige Stand der Strafrechtsdogmatik und die finale Handlungslehre], Tokyo 1995. Keihô Sôron no Riron Kôzô [Struktur und theoretische Grundlagen der Strafrechtsdogmatik], Tokyo 2005. Koreanische Übersetzung durch Shin YangGyun 2009; chinesische Übersetzung in Vorbereitung. Henkaku no Jidai ni okeru Riron Keihôgaku [Strafrechtsdogmatik in Zeiten des sozialen Wandels], Tokyo 2007.
2. Lehrbücher Kiso kara manabu Keijihô [Einführung in die Kriminalwissenschaften], 5. Aufl., Tokyo 2013. Kôgi Keihôgaku Sôron [Strafrecht, Allgemeiner Teil], Tokyo 2008. Chinesische Übersetzung in Vorbereitung.
3. Aufsätze in Zeitschriften und Sammelwerken Strafrechtliche Produkthaftung in Japan, in: Schweizerische Zeitschrift für Strafrecht, Band 116, 1998, S. 252 ff. Inhalt und Funktion der Norm beim fahrlässigen Erfolgsdelikt, in: Weigend / Küpper (Hrsg.), Festschrift für Hans Joachim Hirsch, Berlin 1999, S. 225 ff. Welche neuen praxisrelevanten Ergebnisse bringen die gegenwärtig zum materiellen Strafrecht diskutierten neuen systematischen Konzepte?, in: Hirsch (Hrsg.), Krise des Strafrechts und der Kriminalwissenschaften?, Berlin 2001, S. 137 ff. Was bringt die sog. Internationalisierung des Strafrechts? – Eine Problembetrachtung aus japanischer Perspektive, in: Murakami / Marutschke / Riesenhuber (Hrsg.), Globalisierung und Recht, Berlin 2007, S. 219 ff.
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Methodik der Rechtsfindung – insbesondere im japanischen Strafrecht, in: Joerden / Scheffler / Sinn / Wolf (Hrsg.), Vergleichende Strafrechtswissenschaft, Frankfurter Festschrift für Andrzej J. Szwarc, Berlin 2009, S. 3 ff. Der Ruf nach einem schärferen Strafrecht und die Strafrechtswissenschaft in Japan, in: Jahn / Kudlich / Streng (Hrsg.), Strafrechtspraxis und Reform, Festschrift für Heinz Stöckel, Berlin 2010, S. 361 ff. Wirtschaftsstrafrecht, in: Baum / Bälz (Hrsg.), Handbuch Japanisches Handelsund Wirtschaftsrecht, Köln 2011, S. 1461 ff. Neuere Entwicklungen im japanischen Strafrecht im Lichte gesellschaftlicher Veränderungen, in: Heinrich / Jäger / Achenbach / Amelung / Bottke / Haffke / Schünemann / Wolter (Hrsg.), Festschrift für Claus Roxin, Berlin 2011, S. 1609 ff. Sicherheit versus Freiheit in der heutigen staats- und strafrechtlichen Diskussion Japans, in: Schulz / Reinhart / Sahan (Hrsg.), Festschrift für Imme Roxin, Heidelberg (C. F. Müller) 2012, S. 739–747. Strafrechtsvergleichung als Kulturvergleich? − Dargestellt am Beispiel der Versuchsstrafbarkeit, in: Streng / Kett-Straub (Hrsg.), Strafrechtsvergleichung als Kulturvergleich, Tübingen 2012, S. 23 ff. Über den strafrechtlichen Schutz des Lebens in Japan, in: Heger / Kelker / Schramm (Hrsg.), Festschrift für Kristian Kühl, München 2014, S. 763 ff. Über die „Entphilosophierung“ der japanischen Strafrechtsdogmatik und ihre Folgen, in: Jochum / Elicker / Lampert / Bartone (Hrsg.), Festschrift für Rudolf Wendt zum 70. Geburtstag, Berlin 2015, S. 1195 ff. Welzels Einfluss auf die ostasiatische Strafrechtsdogmatik, in: Frisch / Jakobs / Kubiciel / Pawlik / Stuckenberg (Hrsg.), Lebendiges und Totes in der Verbrechenslehre Hans Welzels, Tübingen 2015, S. 203 ff. Vorverlagerung der Strafbarkeit am Beispiel der Verfolgung von Cybercrime in Japan, in: Sinn (Hrsg.), Cybercrime im Rechtsvergleich, Osnabrück 2015, S. 189 ff.
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https://doi.org/10.1515/9783110277708-010
Il-Su Kim Meine dreißig Jahre mit der Strafrechtswissenschaft auf dem Weg des Lernens und Lehrens I. Prolog An erster Stelle bedanke ich mich herzlich bei Herrn Prof. Hilgendorf, dass er mir die kostbare Gelegenheit für eine Selbstdarstellung gegeben hat. Aus meiner Sicht der Dinge nehmen das Lernen und Lehren im Leben kein Ende. Sicher ist nur, dass unser Leben nach wie vor durch Zeit und Raum bedingt ist. Was meinen persönlichen Werdegang betrifft, ereignete sich dieser folgendermaßen: Als junger Mann studierte ich Strafrechtswissenschaft und Rechtsphilosophie und lehrte in späteren Jahren während meiner Amtszeit an der KoreaUniversität hauptsächlich Strafrechtswissenschaft. In diesem Bereich forschte ich schließlich auch. Mein Hauptforschungsgebiet ist unter anderem die Straftheorie; so lautete der Titel meiner Dissertation an der Universität München: „Die Bedeutung der Menschenwürde im Strafrecht, insbes. für Rechtfertigung und Begrenzung der staatlichen Strafe“ (1983). Ein Strafrechtswissenschaftler zu werden, war – um ehrlich zu sein – nichts, was ich in jungen Jahren bewusst geplant oder angestrebt hätte. So war es weder mein Kindheits- oder Jugendtraum, noch hätte ich damals tatsächlich gewusst, welchen Weg ich hierfür hätte einschlagen müssen. Genau genommen war es viel mehr meine damalige Lebenslage, die mich dazu veranlasste, ein Strafrechtwissenschaftler zu werden. Mein Leben als Jurastudent nahm damals seinen Lauf und am 26. August 1970 bestand ich schließlich das koreanische Juristische Staatsexamen. Nach dem Abschluss meiner Referendarausbildung am „Judicial Research and Training Institute“ im Jahr 1973 in Korea fasste ich den Entschluss, mich um das Amt des Staatsanwalts zu bewerben – eine Position, die mir damals im Grunde als ein unerreichbarer Traum erschien und es auch war, und zwar nicht etwa aufgrund einer selbstverschuldeten mangelnden Eignung, sondern aufgrund einer Sippenhaftung, von der ich betroffen war. So blieb mir nur die Option, als Anwalt tätig zu sein. Als Anfänger in der Anwaltspraxis musste ich oft viel Zeit im Wartezimmer des Gerichts verbringen. Um die Wartezeit totzuschlagen, nahm ich bei diesen Gelegenheiten häufig interessante Lektüre zur Hand. Ganz unerwartet und unbeabsichtigt entstand durch diese Gewohnheit in mir der Wunsch, meine Expertise in den Rechtswissenschaften zu erweitern. Letzten Endes war es somit nicht irgendeine besondere Berufung, sondern
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meine Lebensumstände, die mich dazu bewogen, in die Graduate School zu gehen. Dort wählte ich als Hauptfach das Handelsrecht, das mir von vielen Bekannten in erster Linie aus praktischen Gründen empfohlen worden war – unter anderem deshalb, weil es ein zukunftsträchtiges Forschungsgebiet darstellte. Darüber hinaus versicherte man mir, dass die Jurisprudenz eine Wissenschaft sei, mit der man tatsächlich auch sein tägliches Brot verdiene könne. Nachdem ich mein erstes Semester an der Graduate School abgeschlossen hatte, kehrte Prof. Zai-Woo Shim, von dem mir bereits Prof. Hyung-Bae Kim mehrmals berichtet hatte, nach seiner Promotion in Deutschland nach Korea zurück. Durch den Besuch seiner Vorlesung „Die Geschichte der Rechtsidee“ steckte er mich in seiner Leidenschaft und Hingabe für die Rechtswissenschaften schließlich an. Ich hatte Feuer gefangen und entschloss mich, ohne lange darüber nachzusinnen, mich von der Materie des Handelsrechts abzuwenden und mich fortan stattdessen – wie Prof. Shim – der Rechtsphilosophie zu widmen. Prof. Shim, der aus meiner Heimat, Hoesan in Gangneung, stammte, betreute mich zu Anfang meiner wissenschaftlichen Laufbahn überaus freundlich. Aufgrund meiner Tätigkeit als Anwalt war es mir damals leider oftmals nicht möglich, die Vorlesungen von Prof. Shim regelmäßig zu besuchen. Er unterstützte mich sehr, indem er sich außerhalb der Lehrveranstaltungen besonders viel Zeit für mich nahm. Selbst an Wochenenden und bis tief in die Nacht lehrte er mich mit deutschen Büchern in seinen Händen – ganz so, wie ein Meister seinen Lehrling ausbildet oder eine Amme ein Kind stillt. Auf diese Weise (ent-)führte er mich in die Welt der Wissenschaft. Als ich meinen Magisterstudiengang absolviert und schließlich auch das zweite Semester im Promotionsgang abgeschlossen hatte, ermutigten mich Prof. Kim und Prof. Shim dazu, in Deutschland zu promovieren. Rückblickend war es somit vor allem die Langeweile im Rahmen meiner Anwaltstätigkeit, die mich dazu bewog, mich in meinem Leben der Wissenschaft zu widmen. Zur damaligen Zeit wählte die Konrad-Adenauer-Stiftung, die 1976 ein Auslandsbüro in Seoul eröffnet hatte, fünf koreanische Stipendiaten aus, die an deutschen Universitäten promovieren wollten. Glücklicherweise wurde ich als einer dieser fünf Stipendiaten ausgewählt, was mir den Weg zur Promotion in Deutschland eröffnete. Ende November 1977 kam ich nach einer langen Flugreise zum ersten Mal in meinem Leben in München an, wo ich einige Tage später Prof. Roxin treffen konnte. Bei ihm reichte ich zunächst das Gutachten ein, das Prof. Shim für mich erstellt hatte und dessen Bitte an
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Prof. Roxin enthielt, meine Doktorarbeit zu betreuen. Prof. Roxin erkundigte sich daraufhin bei mir, zu welchem Thema ich meine Doktorarbeit denn schreiben wolle. Daraufhin eröffnete ich ihm, dass ich großes Interesse daran hätte, die Bedeutung der Menschenwürde im Bereich der Straftheorie zu untersuchen. Auf einem kleinen Notizzettel hielt er schließlich den Arbeitstitel meiner Dissertation fest: „Die Bedeutung der Menschenwürde im Strafrecht, insbes. für Rechtfertigung und Begrenzung der staatlichen Strafe“, den ich sogleich im Sekretariat anmeldete. Bald darauf begann ich mit meiner Forschungsarbeit und ging in meinen Untersuchungen drei Jahre lang intensiv der Frage nach, welche substanzielle Bedeutung der Menschenwürde, welche die höchste Norm und den höchsten Wert in der Verfassungsordnung darstellt, für die Strafrechtsordnung zukommt. Nach dieser Zeit widmete ich mich außerdem zwei Jahre lang der Frage, welche Funktion die Menschenwürde bei der Rechtfertigung und Begrenzung von Strafe hat. Zwischenzeitlich fragte mich Prof. Roxin, ob ich mir vorstellen könne, die Menschenwürde als Argumentationsmittel statt auf die Straftheorie auf ein konkretes Problem, wie beispielsweise Abtreibung, anzuwenden – dies war ein Rat, den er mir aus der Sorge heraus gab, dass meine Forschungszeit in Deutschland letzten Endes zu lange andauern könnte. Er erzählte mir, dass er bisher einige ausländische Doktoranden kennengelernt hatte, die ihre Doktorarbeiten deswegen nicht erfolgreich abgeschlossen hatten, weil sie sehr umfangreiche Fragen als ihre Arbeitsthemen gewählt hatten – daraufhin ließ ich ihn wissen, was mir meine Forschungsarbeit tatsächlich bedeutete: „Das Hauptziel, das ich als ein ausländischer Doktorand in Deutschland verfolge, liegt gar nicht darin, nur den Doktortitel zu erlangen, sondern darin, die Wissenschaft tiefgreifend zu untersuchen.“
Seit diesem Tag gab mir Prof. Roxin kein weiteres Mal einen solchen Rat. Erst im Dezember 1982 reichte ich die endgültige Fassung meiner Doktorarbeit ein, die zum Zeitpunkt ihrer Fertigstellung einen Umfang von 485 Seiten angenommen hatte. Prof. Roxin begutachtete meine Dissertation – obwohl er sehr beschäftigt war – innerhalb von nur zwei Wochen und zeigte mir seine Zufriedenheit damit. Er wies mich an, möglichst zeitig im Dekanat einen Antrag auf Zulassung zur mündlichen Prüfung zu stellen. Auch der Korreferent, Prof. Arthur Kaufmann, erstellte während der Weihnachtsferien das Zweitgutachten zu meiner Dissertation. Mit dem Abschluss der mündlichen Prüfung Ende Februar 1983 konnte ich schließlich meinen einsamen Weg des Lernens in Deutschland beenden. Auf diesem harten Weg hatte ich niemals meine Gewohnheit abgelegt, vor Beginn und nach Beendigung meiner täglichen Arbeit am Institut der Universität zu Gott zu beten.
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Auf der ersten Seite meiner Dissertation stand geschrieben: „Gewidmet Herrn Jesum Christum, der mein Leben erneuert hat, führt und vervollkommnen wird“ – um meinen Dank an Gott auszudrücken, der mir geholfen hatte. Prof. Roxin äußerte, dieser Satz sei anachronistisch und empfahl mir, ihn etwa durch einen Satz wie „Meiner Frau und meinen Kindern“ zu ersetzen. Darauf erwiderte ich jedoch ernsthaft: „Als ich hier meine Doktorarbeit begann, glich ich fast einem Taubstummen. Dennoch gelang es mir schließlich dank der Gnade und Hilfe Gottes, meine Promotion abzuschließen. Aus diesem Grund möchte ich meinen herzlichsten Dank an Gott, dem ich lebenslang dienen werde, auf diese Weise Ausdruck verleihen“. Nach einem nachdenklichen Moment erhielt ich die Erlaubnis von Prof. Roxin, die Widmung zu belassen, wie ich sie verfasst hatte, da er erkannt hatte, dass es mir mit meinem Glauben ernst war. Ich halte es für ein großes Glück in meinem Leben, dass ich fünf Jahre und fünf Monate lang am Institut für Strafrechtswissenschaften von Prof. Roxin arbeiten konnte und die Möglichkeit hatte, durch ihn hochinteressante, ausgiebige Diskussionen zu unterschiedlichsten Aspekten meiner Disziplin mitzuerleben. Darüber hinaus konnte ich durch den Besuch der Seminare von Prof. Kaufmann zur Rechtsphilosophie mein Verständnis für Recht – vor allem das Strafrecht – vertiefen. Anfang März 1983 kehrte ich schließlich nach einer erfolgreichen Promotion in Deutschland nach Korea zurück. Inzwischen hatte sich die Juristische Fakultät der Korea-Universität zu einer regelrechten Mammut-Fakultät mit Hunderten von Studenten entwickelt. Dementsprechend bestand zu dieser Zeit ein erhöhter Bedarf an Lehrkörpern. Unter diesen günstigen Umständen und vor allem mit der Unterstützung von Prof. Shim konnte ich beginnen, an der Fakultät Vorlesungen zum Strafrecht, Strafprozessrecht und zur Kriminologie zu halten. Das war der Beginn meiner 28-jährigen Lehrtätigkeit als Professor an der Juristischen Fakultät der Korea-Universität. Mein wissenschaftliches Interesse war besonders auf die folgenden Fragen ausgerichtet gewesen: Was ist Verbrechen und Strafe? Weshalb muss man Verbrechern eine Strafe auferlegen? Wo liegen der Rechtfertigungsgrund und die Grenze der Strafe? Im Zuge der Befassung mit diesen Fragen wurde mir erstmals bewusst, dass das Stehlen von Weizenähren und Kartoffeln auf dem Feld, dem ich als Kind zum Zeitvertreib nachgegangen war, genau genommen keine einfache Episode, sondern ein soziales Unrecht darstellte. Damit kam ich zu der Erkenntnis, dass der Bildung meiner moralischen Persönlichkeit die Erziehung zugrunde lag, die ich in den unterschiedlichsten Lebensverhältnissen genossen hatte. Vor diesem Hintergrund drängte es mich danach, die Grundlage zu finden, welche Strafe internalisieren, personalisieren und soziali-
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sieren kann. Ich ging dabei davon aus, dass die Beantwortung der Frage nach Verbrechen und Strafe vor allem das Verständnis des Menschen voraussetzt und dass jenes Menschenverständnis nicht etwa auf Hass, sondern vielmehr auf der Liebe zu Menschen beruhen sollte. So entstand mein Wunsch, anstatt am traditionellen Vergeltungsstrafrecht weiter festzuhalten, die Basis für ein „Liebesstrafrecht“ für die Neuzeit zu legen. Dieses besondere Anliegen ließ sich im Vorwort meines Buches „Koreanisches Strafrecht III“ gut zusammenfassen: „Ich habe die Grundnorm des Strafrechts in dem Gebot gefunden: ‘Du sollst deinen Nächsten lieben wie dich selbst’. Die Ordnung eines friedlichen Zusammenlebens, nach der das Strafrecht strebt, kann aus meiner Sicht nur dann etabliert werden, wenn das Strafrecht auf der Nächstenliebe basiert und die daraus folgenden Verhaltensnormen im realen Sozialleben verankert. Das Strafrecht appelliert an unser inneres Rechtsbewusstsein, nicht nur heteronome Gebote und Verbote passiv zu befolgen, sondern mit der ursprünglichen, aktiven Liebe und dem autonomen Dienst die Rechtsgüter anderer zu beachten. Die Generalprävention, die anhand des sozialpädagogischen Lerneffekts durch Strafrecht die Gesellschaft integrieren soll, zielt keineswegs darauf, die Gesellschaft in den Gebots- und Verbotsnormen „einzufrieren“, sondern vielmehr darauf, eine friedliche Gesellschaft zu fördern und aufzubauen, die in Vertrauen, Hoffnung und Liebe voller Leben ist. Aus diesem Grund bin ich von Folgendem überzeugt: Wenn jemand unabhängig von den zahlreichen strafrechtlichen Gebots- und Verbotsnormen das Gebot ‘Du sollst deinen Nächsten lieben wie sich selbst’ im Herzen trägt und in Gehorsam gegenüber diesem Gebot lebt, dann ist er schon auf der höchsten Ebene des Strafrechtsverständnisses.“
Dort, wo ich im Geiste diese Gedanken entfalte, ist zugleich die Schnittstelle zwischen meinem Glauben und meiner Tätigkeit als Wissenschaftler zu verorten. In der heutigen Wissenschaft stellt die Interdisziplinarität (bzw. „Consilience“) einen Trend dar. Wenn man bedenkt, dass die Wissenschaften und Ideen für die Menschen existieren und nicht umgekehrt, wird deutlich, dass die „Consilience“, welche das Reflexionsvermögen über die Grenzen der einzelnen Disziplinen hinweg erweitert, eher eine natürliche Strömung ist.
II. Von der Vergeltungsgerechtigkeit über das Resozialisierungsstrafrecht zur restaurativen Gerechtigkeit Auch die Verknüpfung von Strafrechtswissenschaft und Liebestheologie war ursprünglich – ebenso wie mein Werdegang – nicht meine Absicht, sondern der einzige Ausweg aus einer Sackgasse, in die ich geraten war. Eines Tages im September 1985 hielt ich im kleinen Hörsaalgebäude der Korea-Universität eine Vorlesung über das Strafrecht; ich erläuterte den Studenten Probleme, die mit Verbrechen und Strafe einhergehen. Gerade in dem Moment, als ich
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energisch argumentierte, dass die Sünde der Menschen ausschließlich durch das Blut Jesu Christi völlig gereinigt werden könne, erhob ein Student mit gelbem Hemd, der in der vorderen Reihe saß, seine Hand. Mit Freude erwartete ich, dass er verstand, was ich sagte. Wider Erwarten klagte er: „Wir sind hier, um eine Vorlesung über das Strafrecht zu hören, und nicht, um religiösen Dogmen zuzuhören.“ Seine Klage war zwar tatsächlich berechtigt, schockierte mich doch völlig; ich war bestürzt. Nachdem ich dem Studenten kaum erwidert und mich beruhigt hatte, kehrte ich eilig in mein Zimmer zurück; ich fühlte mich dennoch immer noch so, als hätte man mir mit dem Hammer auf den Kopf geschlagen. Seitdem rang ich innerlich immer wieder mit existentiellen Fragen: Sollte ich die Juristische Fakultät verlassen und mich stattdessen der Graduate School für Theologie anschließen? Sollte ich etwa anstatt mit Gesetzbüchern mit der Bibel in den Händen in die Universität zurückkehren – also nicht als ein Professor der Rechtswissenschaft, sondern als einer der Theologie? – Diese Fragen stellte ich Gott in jenen langen Herbstnächten und selbst später in den winterlichen Morgenstunden immerzu aufs Neue. An einem Morgen im Februar 1986 – nur zwei Monate vor Beginn des Sommersemesters – passierte es schließlich: Der bis dahin schweigende Gott kehrte in den leeren Raum meiner Seele ein und ich vernahm Worte aus dem Evangelium nach Johannes (Joh 1, 4): „In ihm war das Leben, und das Leben war das Licht der Menschheit.“ In diesem Moment erkannte ich durch den Lebensbaum, wie sich die wertvollen Rechtsgüter im Strafrecht mit dem ewigen Leben organisch harmonisieren ließen. Dieses besondere Erlebnis überzeugte mich, dass die Wahrheit des Strafrechts vor allem in der Liebe zum Leben Jesu Christi liegt. Dieses besondere Ereignis gab mir den Anlass, inmitten von Verbrechen und Strafe das Kreuz der Liebe Jesu Christi aufzustellen, um eine Strafrechtswissenschaft der Liebe ins Leben zu rufen. Während meines Jurastudiums und auch später in der Zeit meines Referendariats am „Judicial Research and Training Institute“ hatte ich eine Strafrechtstheorie kennengelernt, die auf einem traditionellen Verständnis von Verbrechen und Strafe und somit auf der Vorstellung einer repressiven und vergeltenden Gerechtigkeit beruht. Auf Basis dieser Vergeltungsmetaphysik, die ich mir im Zuge meiner Juristenausbildung eingeprägt hatte, skizzierte ich schließlich meinen ersten Strafrechtsentwurf, an dem ich mich orientierte, als ich als Anwalt viele Verdächtige und Angeklagte verteidigte. Durch die Idee der Menschenwürde, der ich mich sowohl in meiner Zeit an der Graduate School in Korea, als auch während meiner Promotionszeit in Deutschland ausgiebig gewidmet hatte, konnte ich schließlich den Vergeltungsgedanken überwinden und einen neuen Horizont des Resozialisierungsstrafrechts erreichen. Der
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Gedanke der Vergeltungsgerechtigkeit und die Idee der Resozialisierung stimmen dabei insofern überein, indem sie einerseits Normen und den Staat als Opfer und andererseits Verbrechen und Verbrecher als Täter einander gegenüberstellen und durch Strafsanktionen Verbrechen unterdrücken und Täter verbessern wollen. Vor diesem Hintergrund stehen sie im Verhältnis einer dialektischen Vereinigung zueinander. Seitdem ich jedoch zur Einsicht gelangt war, dass das Strafrecht mit den Augen der Liebe gesehen werden sollte, rückte zunächst die Sicht der konkreten Verbrechensopfer sehr deutlich in mein Blickfeld. Hierdurch kam ich zu der Erkenntnis, dass Verbrechen keinen Normverstoß darstellen, sondern vielmehr in erster Linie einer Konfliktsituation zwischen Täter und Opfer entsprechen und dass Strafe daher keinen Prozess der Verbrechensrepression durch den Staat, sondern einen der Versöhnung und der Restaurierung des Verhältnisses zwischen Täter und Opfer gleichkommt, um eine restitutive Gerechtigkeit zu verwirklichen. Dieser Gedankenansatz wurde ausführlich in meinem Aufsatz „Eine Studie zur kriminalpolitischen Funktion und Wirksamkeit der strafrechtlichen Wiedergutmachung“ (1990) erläutert.
III. Begegnung mit dem Risikostrafrecht Später konzentrierte ich mich auf die strafrechtliche Diskussion um das Problem des Risikostrafrechts. Im Zentrum dieses Diskurses stand die Frage, ob man das Strafrecht als prima ratio begreifen und damit ins Vorfeld verlegen kann, um neuen Risiken der spätindustriellen Gesellschaft entgegenzuwirken. Das Risikostrafrecht entspricht einer Konzeption, welche die Erweiterung und den früheren Einsatz des Strafrechts als positiv bewertet. Ich habe sie teilweise als gerechtfertigt beurteilt, da sie wesentliche Veränderungen der Gesellschaft und die existentielle Krise der spätmodernen Gesellschaft erfasst, die das moderne Strafrecht im 18. Jahrhundert nicht erwartet hatte. Unter der Berücksichtigung, dass das Risikostrafrecht recht unkompliziert angewendet werden kann, hegte ich trotz dieser grundsätzlich positiven Bewertung jedoch auch Vorbehalte und kam zu der Auffassung, dass es strikt auf die Bereiche beschränkt werden sollte, in denen zur Gewährleistung sozialer Sicherheit entsprechende Vorkehrungen getroffen werden müssen – wie etwa in den Bereichen der Nukleartechnik, Chemie, Biotechnologie, Wirtschaft usw. Diese neuen Risikobereiche bezeichnete ich als Delta, und zwar in dem Sinne, dass sie sich von den traditionellen Bereichen des Strafrechts in gewissem Maße abgrenzen lassen, aber die Grenze zwischen beiden dennoch fließend ist. Ich versuchte schließlich, diese dynamische Relation zwischen beiden Bereichen als Deltamodell zu erfassen. Konkreter gesagt: Ich betrachtete Delta als
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einen Lebensbereich, in dem Menschen, die sich aufgrund der Vielzahl an schwierigen Problemen der spätindustriellen Moderne voneinander entfremden, sich in eine neue „Nachbarschaft“ begeben; dabei verstand ich unter der „Nachbarschaft“ eine Relation, die dann gebildet werden kann, wenn wir, wie „der barmherzige Samariter“ in der Bibel, auf die existentielle Not anderer antworten, die in Gefahr geraten sind. In jenem Denkmodell bleibt allerdings die Herausforderung bestehen, die Grenzen des Deltas festzulegen. Denn das Delta existiert zwar ganz offensichtlich als ein Phänomen, seine Grenze zur Umgebung ist jedoch aufgrund der fortdauernden Sedimentation und Erosion stets fließend und flexibel. Klar ist aus meiner Sicht der Dinge jedoch, dass die postmoderne Deltazone sowohl ein Sediment darstellt, das der Strom des modernen Strafrechts über einen langen Zeitraum unberücksichtigt gelassen hat, als auch einem Hindernis entspricht, das diesen Strom in dessen Mitte verhindert. Obwohl dieses Delta nicht von der traditionellen Rechtsstaatsidee beherrscht oder untermauert wird, entspricht es meiner Auffassung nach einer Tatsache, dass das Delta den Strom der Rechtsstaatsidee verteilt, umlenkt, dessen Geschwindigkeit steuert und ihn auf diese Weise in das „Meer“ der neuen Lebenswelt als Ziel einfließen lässt. Insofern lässt sich sagen, dass das Deltamodell einen Versuch darstellt, den Ansatz des Risikostrafrechts an die Bereiche des traditionellen, rechtsstaatlichen Strafrechts anzuknüpfen und dabei eine dialektische Integration in diese zu realisieren (vgl. Il-Su Kim, „Die Entwicklung der Wissenschaft und Technik und das Strafrecht“, 1994).
IV. Zusammentreffen mit dem Feindstrafrecht Nachdem ich mich mit dem Risikostrafrecht vertraut gemacht hatte, stieß ich auf den Punitivismus und das Feindstrafrecht. Der Punitivismus bezeichnet die Verfahrensweisen (bzw. Einstellungen), mit denen auf Verbrechen mit möglichst strenger und schwerer Strafe reagiert wird. In der Straftheorie wird der Begriff der strengen Bestrafung als die Tendenz bezeichnet, retributive Sanktionen vor den milden zu bevorzugen. Wenn das Motiv des aus der Antike überlieferten Talions-Gesetzes die rationalisierten Sanktionsweisen wie Wiedergutmachung oder Täter-Opfer-Ausgleich überwältigt, neigt man demnach impulsiv dazu, harte Strafen anzusetzen. Es ist jedoch theoretisch fragwürdig, in der heutigen Spätmoderne als Resultat des mehrere Jahrhunderte anhaltenden Modernisierungsprozesses, der den Fortschritt der Zivilisation und die Entwicklung der Vernunft hervorgebracht hat, den Grund der Forderung des Punitivismus in einem impulsiven Gefühl zu
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finden. Nach der Zivilisationstheorie von Elias ist der Impuls zur kompromisslosen Aggression durch die Moderne hindurch geschwächt und dann in die Machtwirkung und das gesetzmäßige Verfahren des Staats absorbiert worden. Demzufolge, so Elias, ist der Racheimpuls der Opfer geschwächt, und auch die Strafsanktionen sind durch den Gesellschaftsvertrag in der Machtwirkung des Staats systematisiert worden. Die westliche moderne Gesellschaft scheint somit von der Modernisierung, Rationalisierung und Zivilisierung tief geprägt zu sein. Dennoch wird auch eine andere Auffassung vertreten, wonach die Modernisierung und die rationale Vernunft seit dem Jahr 1939, in dem der Erste Weltkrieg ausbrach, ihren Sinn verloren haben – denn Ereignisse wie ein Weltkrieg, Massenvernichtung, der Holocaust in Ausschwitz, Massenausweisungen usw., die sich aus der Entstehung des Militarismus und Totalitarismus ergaben, bedeuten eine Unterbrechung und Zerstörung der Zivilisation. Nach diesen Misshandlungen der Menschen und der Zerstörung von Menschlichkeit wurde in der Sozialwissenschaft kontinuierlich versucht, diese schrecklichen Ereignisse zu erklären. Jene Brutalität wurde trotzdem allein durch den Hinweis darauf nicht völlig überwunden. Die Bemühungen um die Überwindung dieser Brutalität waren nur ansatzweise in den Werken „Dialektik der Aufklärung“ (Horkheimer / Adorno), „Dialektik der Ordnung“ (Bauman) und „homo sacer“ (Agamben) erfolgt. Immerhin: Bereits wenige Jahrzehnte nach diesen brutalen Ereignissen war ein neuer Punitivismus erkennbar – dieses Mal gestützt durch wissenschaftliche und technische Errungenschaften und effektive Organisationen. Christie, Vertreter der kritischen Kriminologie, hatte diesen Trend bereits wahrgenommen und zum Ausdruck gebracht, dass die Rechts- und Ordnungssysteme sich endlich der Logik der Zweckrationalität des modernen bürokratischen Staats untergeordnet hätten und somit nach Totalitarismus regelrecht „stinken“ würden. Auch Garland, der das Werk „criminology of the other“ vorlegte, hat darauf aufmerksam gemacht, dass der neue Punitivismus von dem Weg der Aufklärung und des Rationalismus abweicht und somit eine schon überwundene Vorstellung wieder aufleben lässt, welche die Täter als Teufel ansieht. In seinem Werk „culture of control“ stellte er fest, dass sich das Modell des Wohlfahrtsstaats (etwa von 1890–1970) zum Modell des Strafstaats in der „high crime society“ verändert hat. Er hatte in der Straf- und Vollzugspraxis im anglo-amerikanischen Recht einige Maßnahmen gefunden, die als Zeichen eines „punitive turn“ gedeutet werden können (Il-Su Kim, „Punitivistische Grundtendenzen der gegenwärtigen Kriminalpolitik“, 2010).
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Wir können somit sagen, dass auch das Feindstrafrecht, das von Jakobs zum Gegenstand der heikelsten Diskussion in der Strafrechtstheorie erhoben wurde, einer Idee entspricht, die mit der Strömung des Punitivismus einhergeht. Jakobs geht davon aus, dass das traditionelle, rechtsstaatliche Strafrecht kaum hilfreich ist, um bestimmte Tätergruppen wie Terroristen und organisierte Straftäter zu bekämpfen. Diese Tätergruppen werden nach dem rechtstaatlichen Strafrecht als von Strafrechtsnormen abweichende Mitbürger angesehen; daher kann hier das Hauptziel der ihnen auferlegten Strafe in der Inklusion und Resozialisierung liegen. Demgegenüber behauptet Jakobs, dass wir diese Tätergruppe nicht als Mitbürger, sondern als Feinde der Gesellschaft betrachten und aus der Gesellschaft ausschließen sollten (Exklusion), weil sie den Bestand der Gesellschaft selbst gefährden würden. Das rechtsstaatliche Strafrecht und die Maßnahmen zur Freiheitssicherung im Strafverfahrensrecht seien nicht geeignet, um diese Feinde der Gesellschaft effektiv zu unterdrücken und auszuschließen, sodass Ausnahmen von der Rechtsstaatlichkeit in großem Maße erlaubt werden sollten; denn diese Täter würden nicht für Bürger, sondern für Feinde gehalten, also nicht für Menschen, sondern für Unmenschen wie wilde Tiere. Nach Ansicht Jakobs muss sich der gewöhnliche Normenstaat dann ausnahmsweise auf den Maßnahmenstaat umstellen, wenn er sich mit Feinden der Rechtsordnung konfrontiert sieht und damit in einen Notfall geraten ist. Zum Beispiel müsse sich das gesetzmäßige Verfahren im Strafverfahrensrecht eben dann auf die Formen von Notfallmaßnahmen im Kriegszustand umstellen, wenn die Gesellschaft durch den weltweiten Terrorismus bedroht werde oder die Terroristen ihre Taten begonnen hätten. In einem jüngeren Aufsatz geht Jakobs sogar so weit zu behaupten, dass wenn § 14 Abs. 3 des deutschen Luftsicherheitsgesetzes von den Umständen ausgeht, in denen die Tötung unschuldiger Menschen hingenommen werden muss, um ein größeres Unglück zu vermeiden, das durch das von Terroristen gesteuerte Luftfahrzeug verursacht werden könnte, dass dann auch die Folter oder Tötung von Terroristen erlaubt werden müsse, wenn sie das einzige Mittel darstelle, um das Leben einer größeren Zahl von Menschen zu retten. Dieser Gedanke des Feindstrafrechts birgt die Gefahr in sich, eine Orientierung des Strafrechts an Ideen der Aufklärung und Humanität zu verhindern; insofern ist er aus meiner Sicht eine der problematischsten und gefährlichsten Umlenkungen der modernen Straflehre. Denn dabei geraten das Strafrecht als ultima ratio, sein fragmentarischer und subsidiärer Charakter und das Bild einer bescheidenen und begrenzenden Strafrechtsordnung in den Hintergrund – und schließlich bleiben nur die Täter als Vernichtungsobjekte und Feinde,
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denen kein Verzeihen entgegengebracht wird (Il-Su Kim, „Das Liebesstrafrecht hinter dem Berge des Feindstrafrechts“, 2007). Dies wird meiner Einschätzung nach unausweichlich dazu führen, dass die rechtsstaatlichen Maßnahmen zur Sicherung der Menschenrechte von Verdächtigten und Angeklagten begrenzt und die für alle Gesetze notwendigen, präzisen Konditionalprogramme durch offene Zweckprogramme ersetzt werden. Dann könnte das Strafrecht z.B. nicht mehr als Minimum an Moral verstanden, sondern als ein nützliches Instrument benutzt werden, um die Bürger aufzuklären und die Volksbildung zu unterstützen. Der Punitivismus beeinträchtigt einerseits die Harmonie zwischen dem Verständnis des Strafrechts als Mittel zum Bürgerschutz vor willkürlichen Strafwünschen und andererseits als Mittel zum Rechtsgüterschutz und konfrontiert uns dadurch mit der Gefahr, dass die Grenzen des Strafrechts verwischt werden können. Die endlose Wiederkehr des Punitivismus kann meines Erachtens nach als eine emotionale Reaktion auf die Ängste der jeweiligen Zeit und Gesellschaft interpretiert werden. Dabei lassen sich die Ursachen dieser Ängste in den atomaren und chemischen Risiken finden, die sich aus den Errungenschaften der Wissenschaft bzw. Technik ergeben haben oder auch in dem erschütternden Bewusstsein davon, dass es der Biotechnologie mittlerweile möglich ist, Menschen zu klonen. Auch schwere Erdbeben, Flutwellen, Naturkatastrophen als Folge der globalen Erderwärmung, religiöse Eschatologie usw. tragen, wie ich denke, dazu bei, dass die psychologischen Ängste auf alle Bereiche der modernen Lebenswelt übergreifen. Zu diesen Angstfaktoren gehören offensichtlich auch die Kriminalitätsrisiken. Inzwischen ist unsere Gesellschaft regelmäßig mit grausamen Verbrechen wie Gewalttätigkeit, Tötung, Körperverletzung, Sexualverbrechen, Menschenhandel usw. konfrontiert. In den vergangenen 30 Jahren hat die Kriminalitätsrate in Korea ständig zugenommen. Immer wenn die Bürger über schockierende Verbrechen laut klagen, versucht die Regierung, die verärgerten Bürger mit dem Versprechen zu beruhigen, Spezialgesetze mit härteren Strafen zu erlassen oder Gesetze entsprechend zu reformieren. Dabei hat die Regierung relativ häufig angekündet, die betreffenden Gesetze zu ändern und das Prinzip der Nulltoleranz umzusetzen – und zwar mit der Begründung, dass hierdurch organisierte Kriminalität, Menschenhandel, Prostitution, Korruption usw. ausgerottet werden könnten. Es bleibt jedoch zweifelhaft, ob und inwieweit solche mehrfachen Gesetzgebungen und die dadurch eingerichteten Sonderkommissionen Verbrechen tatsächlich verhinderten, Verbrecher abschreckten und den Frieden der Bürgergesellschaft wiederherstellen konnten.
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Eine friedliche Ordnung der Gesellschaft hängt meiner Ansicht nach in erster Linie von einer stabilen Sozial- und Kulturpolitik, Wirtschafts- und Politikordnung ab, sodass die Kriminalpolitik grundsätzlich das letzte Mittel der Sozialpolitik sein sollte und das Strafrecht dementsprechend das letzte Mittel der Kriminalpolitik. Das Strafrechtsbild, das ich dem Punitivismus bzw. Feindstrafrecht gegenüberstellte, war das Liebes- und Hoffnungsstrafrecht.
V. Warum sollte es im Recht Liebe geben? Auch bei der Behandlung von Menschen, die in Bestechung und Korruption verwickelt sind, spalten sich die Meinungen: Einige fordern eine strikte Bestrafung, dagegen wenden andere ein, dass ein großzügiges Maß an Toleranz genügt. In den meisten Fällen wird allerdings eine starke Maßnahme befürwortet. Immer wenn ich solche Konflikte erlebe, nehme ich dies zum Anlass für Selbstreflexion; so frage ich mich, ob ich, obwohl ich fast 30 Jahre lang das Recht, insbesondere das Strafrecht erforscht und gelehrt habe, etwas Wesentliches übersehen habe, das unserer Rechtswissenschaft, und besonders unserer Juristenausbildung, fehlt. Das Recht ist für die Menschen da – genauer: für die Grundsituation der Menschen. Gemeint ist damit in erster Linie ein Verhältnis der friedlichen Koexistenz zwischen Menschen, darüber hinaus bedeutet es jedoch auch ein harmonisches Verhältnis zwischen Menschen und der Natur als Lebensgrundlage der Menschen, aber auch zwischen den Menschen und Gott. Diese Grundsituation ist aufgrund von Verfallsprozessen und der Torheit der Menschen zerbrechlich. Als Grenzsituation bezeichnet wird ein Zustand, in dem der Frieden der Grundsituation so erheblich gestört ist, dass sich die Menschen mit Feindseligkeit begegnen, die Natur irreparabel zerstört ist und Gott die Stimme des Menschen nicht mehr beachtet und sich schließlich von ihm abwendet. In der Grenzsituation ist es den Menschen kaum möglich, sich selbst zu erhalten oder weiterzuentwickeln, denn in ihr herrscht das Gesetz des Dschungels. In einem sozialen Chaos oder Kriegszustand, in dem der Krieg eines jeden gegen jeden stattfindet, liegt die Möglichkeit einer moralischen Weiterentwicklung des Menschen mehr oder weniger bei Null. Dem Recht kommt deshalb die Aufgabe zu, die Grundsituation der Menschheit zu erhalten, zu schützen und zu entwickeln, damit sie nicht in die Grenzsituation verfällt. Auch in einem Zustand, in dem die Grundsituation gestört und somit in die Grenzsituation verfallen ist, muss das Recht eine bedeutende Rolle spielen, die darin liegt, die Grenzsituation zu beenden und die Menschen wieder in Richtung der Grundsituation zu lenken. Ideologisch gesehen kann
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man sagen, dass der Gerechtigkeit im Recht die Aufgabe zukommt, Aufmerksamkeit auf die Grenzsituation der Menschen zu lenken und die Grundsituation zu erhalten, weiterzuentwickeln bzw. wiederherzustellen. Somit lässt sich feststellen, dass die Grundsituation, nach der das Recht strebt, mit einem Wort einem menschlichen Verhältnis entspricht, in dem der Einzelne ein sinnvolles Leben führen kann. Dieses Verhältnis meint dabei ein Verhältnis, in dem der Einzelne mit anderen Menschen in seiner Umgebung friedlich koexistiert, und darüber hinaus auch mit der Umwelt und mit seiner eigenen Innenwelt im Einklang sein kann. Kurzum: Die Grundsituation, in der das menschliche Verhältnis stabil fortbesteht, stellt eine Situation dar, in der Vertrauen und Liebe voller Leben sind. Freilich ist die Dichte der Liebe dabei etwa in der Ehebeziehung, Glaubensgemeinschaft, Dorfgemeinschaft und dem Kollegenverhältnis, in der Schule oder am Arbeitsplatz usw. unterschiedlich – doch letzten Endes besteht die Liebe in allen Menschenverhältnissen, in denen Menschen Hand in Hand gehen, stets mit unterschiedlicher Intensität. Auch wenn wir uns das berühmte Gedicht von Auden „Law Like Love“ nicht ins Gedächtnis rufen, ist deutlich erkennbar, dass die Idee der Gerechtigkeit im Recht nicht einem Fluss gleich richtig fließen kann, solange sie sich nicht mit dem Wert der Liebe vereinigt. Der Aphorismus von Thomas von Aquin „Gerechtigkeit ohne Barmherzigkeit ist Grausamkeit; Barmherzigkeit ohne Gerechtigkeit ist die Mutter der Auflösung“ ist daher gleichzeitig auch eine Rechtsmaxime, über welche Rechtsexperten meiner Auffassung nach gründlich nachdenken sollen. Die Frage ist aber, wie Strafrecht und Liebe zusammenpassen können.
VI. Warum sollte es vor allem im Strafrecht Liebe geben? In der postmodernen Gesellschaft lässt sich die Aufgabe des Strafrechts darin finden, mit alten Vorurteilen im Strafrecht zu brechen und ein Strafrecht mit menschlichem Gesicht zu realisieren, das dem menschlichen Leben tatsächlich dienen kann. Schon Hegel sagte, dass das Verbrechen die Negation des Rechts ist und die Strafe die Negation der Negation des Rechts. Allerdings entspricht sein Strafbild kaum dem Geist unserer Zeit, da es auf der Vergeltungstheorie beruht; trotzdem gilt nach wie vor seine Dialektik von der Korrelation zwischen Verbrechen und Strafe. Wenn wir seine Dialektik auf unser neues Strafrechtsverständnis anwenden, dann folgt daraus, dass das Verbrechen die Negation der Grundsituation, also die Negation der Liebe ist und die Strafe die Negation der Negation der Liebe, nämlich die Wiederherstellung der Liebe bedeutet.
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Insofern kann man sagen: Das Strafrecht ist seinem Wesen nach ein Strafrecht der Liebe. Das Verbrechen ist hingegen ein tragisches und aggressives Missbrauchen oder Ablehnen der Liebe. Der Mensch ist ein Wesen, das dazu geboren wurde, geliebt zu werden. Gott schuf die Menschen aus dem heiligen Zweck heraus, dass sie einander lieben und auch Gott lieben würden. Vor diesem Hintergrund darf man nicht vergessen, dass ein Verbrechen, so hässlich und dreckig es auch sein mag, letzten Endes immer ein Werk und Geschick des Menschen ist. Das Subjekt des Verbrechens ist eben gerade der Mensch; das Verbrechen ist ein Menschenwerk bzw. ein Ausdruck der Persönlichkeit desjenigen Menschen – und ebenso wie ein Werk nicht alle Aspekte seines Künstlers oder Autors vertreten kann, kann auch ein Verbrechen die Persönlichkeit eines Täters nie vollständig repräsentieren. Ich bin davon überzeugt, dass selbst bei brutalen Tätern noch ein Teil des Herzens für Liebe empfänglich ist und gleichzeitig den Wunsch in sich trägt, geliebt zu werden. Wir sollten nicht unberücksichtigt lassen, dass im Herzen eines jeden Täters noch die Möglichkeit bestehen könnte, das Gute zu lieben und mit den Mitmenschen friedlich zusammenleben zu können. Wenn wir diese Möglichkeit dennoch vernachlässigen, können wir meines Erachtens den Fehler nicht vermeiden, nur das Verbrechen zu sehen, aber den Menschen, der es begangen hat, dabei zu übersehen. Seit langem ist das Strafrecht daran gewöhnt, nur die Taten der Machtlosen zu kriminalisieren, die der Mächtigen hingegen zu rechtfertigen. Dies zeigte sich schon in der Bemerkung von Machiavelli, dass wer ein Handtuch eines anderen gestohlen hat, ins Gefängnis gebracht wird, während wer ein Dorf beraubt hat, zu einem Fürsten ernannt wird. Wenn man trotz dieser Relativität der Verbrechen die Verdächtigen foltert und ihre Persönlichkeit beleidigt, ist dies genau genommen ein anderes Verbrechen, das man aufgrund eines verfehlten Verständnisses von Menschen und Verbrechen begeht. Darüber hinaus darf man nicht vergessen, dass auch das Empfangssubjekt der Strafe, unabhängig von ihrer Härte, letzten Endes der Mensch ist. Zwar bringt die Strafe die Wut auf die sündige Natur der Menschen zum Ausdruck, aber die Wut selbst kann kein Zweck der Strafe sein. Vielmehr spielt die Strafe die Rolle, die Rückstände der sündigen Natur der Menschen zu beseitigen, das verborgene Potenzial zur Liebe zu ermutigen und Scham für das Verbrechen zu erwecken. Wir müssen nicht auf das Vertrauen verzichten, dass der Mensch durch die Strafe wiedergeboren werden kann. Deswegen müssen wir das Strafrecht des Zwangs und der Furcht in ein Strafrecht der Liebe und Hoffnung umwandeln – dies ist, und davon bin ich überzeugt, die „Zukunftsmusik“ des Strafrechts.
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Statt der Peitsche des Hasses eine Rute der Liebe zu verwenden und statt der Handschelle des Eisens diejenige der Liebe anzulegen – dies ist die Strafe. Als eine Rute der Liebe bringt auch die Strafe das Leiden mit sich. Eine Strafe, die nicht einen gewissen Verlust mit sich bringt, kann in der Tat überhaupt nicht existieren. Dennoch hat dieses Leiden, wie der Neurologe Paul Tournier sagte und der Pfarrer John Stott zitierte, die Bedeutung eines kreativen Leidens: Ein gewisser Verlust rege die Kreativität an und verursache damit eine Veränderung. Das Leiden ist also eine Chance des Wachstums. In der frühen Phase des Leidens zeigen Gefangene Hass, Wut und Verzweiflung, doch im Laufe des Strafvollzugs als des Leidensprozesses entdecken sie allmählich sich selbst und den Schöpfer Gott, der in ihrem Inneren ist. Die Todesstrafe im Alten Testament wurde nicht als eine extreme Vergeltungsmethode im heutigen Sinne durchgeführt, sondern als ein sozialhygienisches Ritual, das darauf zielte, Verbrecher und Gott in Einklang zu bringen, die durch Verbrechen beschmutze Gesellschaft zu erlösen und zwischen den Verbrechern und der Gesellschaft zu versöhnen. Das hebräische Wort „schalam“, das Vergeltung für Tötung bedeutet, hat die gleiche Herkunft wie das Wort „shalom“, das den Frieden bedeutet. Dass die Vergeltung Gottes für Verbrechen weder das Abbrechen noch die Zerstörung der Beziehung, sondern vielmehr den Aufbau oder die Wiederherstellung der Beziehung bedeutet, wurde durch die Kreuzigung Jesu noch verdeutlicht. Ein Verbrechen muss man nicht durch ein gleichrangiges Verbrechen vergelten. Man muss einen Mörder nicht durch institutionelle Tötung seines Lebens berauben. Das ist die schlimmste Verzweiflung und der höchste Verlust. Genau hierin können wir die Antwort auf eine populäre Frage finden: Warum können einige durch die Strafe reifen, aber andere nicht? Dieser Unterschied hängt meiner Ansicht nach eher von Dritten ab als von einer vererbten kriminellen Tendenz des Menschen. Während eine Strafe ohne Liebe zur Ursache des Rückfalls wird, macht die Strafe mit Liebe Fehler, Scham und Leiden in der Vergangenheit zum Samen der Veränderung und Reife. Hier liegt der Grund, warum wir neue Institutionen des Justizvollzugs dringend benötigen, die von den sehr alten, auf der Vergeltungsgerechtigkeit beruhenden Gefängnis- und Strafanstaltssystemen wesentlich abweichen, stattdessen von der restaurativen Gerechtigkeit ausgehen und damit mit der qualitativ guten Strafe die Hoffnung auf die Wiedergeburt erwecken. Nur die Liebe ermöglicht die grundlegende Veränderung der menschlichen Natur und den Neuanfang eines Lebens. Das Strafrecht darf somit nicht als ein Mittel verstanden werden, das auf die Schultern des Menschen die schwere Last von Verbrechen und Strafe legt,
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sondern als ein Mittel, das diese Last von der Schulter nimmt. Auch im Strafrecht müssen wir einen neuen Horizont entdecken, an dem wir die Menschen befreien und menschlich machen. Dies entspricht letzten Endes auch dem Geist des Humanismus, den die Menschheit bis heute noch nicht vervollständigt besitzt.
VII. Warum sollte es im Strafvollzug Hoffnung geben? Das Alte und Neue Testament schildern Gott durchwegs als Richter. Gott hält alle Arten von Verbrechen, also sogar den Hass im Herzen und einen leichten Versprecher für eine schwere Ungerechtigkeit und erzürnt sich über diese. Jeder Mensch wird eines Tages vor dem Gericht Gottes stehen und nicht vermeiden können, für das, was er sagte und tat, als Sünder verurteilt zu werden. Der Lohn der Sünde, also die Strafe, ist der Tod (Röm 6, 23). Das ist die gerichtliche Gerechtigkeit, auf der die Gebote Gottes basieren, nämlich Mishpat. Die unveränderliche Gerechtigkeit Gottes wurde durch die Kreuzigung Christi erfüllt und Gott bestätigte den Sündern seine heilige Liebe. Das Evangelium ließ den Zorn und die Gerechtigkeitsforderung Gottes statt von den Sündern von seinem unschuldigen Sohn Jesus Christus einlösen. Gott ließ die Gerechtigkeit nicht gegen die Sünder, sondern für die Sünder ausführen. Darin kann man die exzellente Konsonanz und Harmonie zwischen der Gerechtigkeit Gottes und Liebe Gottes sehen. Die Gerechtigkeit Gottes, die Gott uns durch die Kreuzigung Jesu zeigte, ist eine Gerechtigkeit der Liebe, und die Liebe Gottes ist die Liebe in der Gerechtigkeit. Das ist die ultimative, vollständige Gerechtigkeit und Liebe. Diese barmherzige Gerechtigkeit und gerechte Liebe Gottes sind nicht voneinander zu trennen, sondern bilden ihrem Wesen nach eine Einheit. Diese inhärente Gerechtigkeit Gottes nennt man Zedeka. Die irdische Justizgerechtigkeit kann, auch wenn sie vollständig ist, diese perfekte Gerechtigkeit Gottes nicht ersetzen. Freilich können die gerechte Liebe und die barmherzige Gerechtigkeit Gottes, die durch die Kreuzigung Jesu gezeigt wurden, durch eine indirekte Analogie in der Justizgerechtigkeit widergespiegelt werden. Gott erwartet, dass die irdische Justizgerechtigkeit durch Hingabe und Dienst von den Menschen, die an Gott glauben, seiner barmherzigen Gerechtigkeit immer mehr gleichen wird. Daraus folgt die Aufgabe, die Abweichungen und die schlechte Praxis in der irdischen Justizgerechtigkeit reflexiv zu kritisieren und zu verbessern, damit die Justizgerechtigkeit im Licht der barmherzigen Gerechtigkeit Gottes neu aufgebaut wird. Das ist also das Kulturgebot, das Gott den Gläubigen überträgt, die sich mit der
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irdischen Justizgerechtigkeit beschäftigen. In dieser Welt sind die Gläubigen von Gott nicht nur als ein königliches Priestertum, sondern auch als ein kulturelles Priestertum aufgerufen. Um auf diesen Aufruf zu antworten, müssen die Gläubigen eher mit der Inspiration von „the law above the law“, „the higher law“ erfüllt sein als mit der Idee der irdischen Gesetze und Gerechtigkeit. Sie müssen sich das Bild von der apostolischen Mitarbeit ins Herz prägen, die mit dem auf der Bibel beruhenden, gesunden Rechtswissen und Gerechtigkeitsgedanken einen Rahmen des Friedens errichtet, die Menschen miteinander versöhnt und deren Wunden heilt. Ein reales Beispiel dafür ist die restaurative Justiz-Bewegung der Mennoniten, die über die ganze Welt verteilt leben. Die geltenden Institutionen des Strafvollzugs umgeben sich selbst mit der hohen Mauer, dem schweren Eisentor und dem Gitter der Vergeltung. Wir können sehen, dass diese Institutionen, welche die brutalen Täter unterbringen, nicht die Gesellschaft sichern, sondern den Justiz- und Strafvollzug schwächen. Diese Institutionen durchdringt eine raffiniert wohlgeordnete Gepflogenheit, welche die Gefangenen mehr als notwendig entmutigt, beschämt, beleidigt, verzweifeln lässt und damit im Gefängnis eine dunkle Atmosphäre herrschen lässt. Die Gefangenen sind Menschen, die hinter Gittern mehr als notwendig Unterdrückung schmecken. Damit ist der Weg versperrt, der zu Mitleid, Sympathie und Vertrauen führt. Hier scheint zwar zuweilen die Sonne, aber ihre Wärme dringt nicht durch. Die kulturellen Priester erhielten das oberste Gebot, „den unterdrückten Menschen die Freiheit zu schenken“. Dafür müssen sie sich darum bemühen, die geltenden Strafvollzugsinstitutionen, die durch die Entziehung der Freiheit die Sicherheit maximieren wollen, offener zu machen und damit die Freiheit der Gefangenen zu erhöhen – dies verwirklicht sich durch Diversion bzw. ambulante Maßnahmen. Und um das Gebot „Gedenkt der Gefangenen als Mitgefangene“ zu befolgen, müssen wir den Dienst vollziehen, die Gefangenen und ihre Familien mit dem Gefühl des Mitleids zu behandeln – dies verwirklicht sich durch die Umwandlung des bisherigen Gefängnisses in eine Justizanstalt mit menschlichem Gesicht. Schließlich: Um das große Gebot „Arbeite für den Frieden“ auszuführen, müssen wir uns ständig damit beschäftigen, den Weg zu finden, der es ermöglicht, dass sich die Täter und ihre Familien einerseits und die Opfer und ihre Familien andererseits versöhnlich die Hände schütteln – dies verwirklicht sich durch die Erweiterung des Horizonts der Wiedergutmachung und der restaurativen Justiz.
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Der Hauptzweck der Strafjustizinstitutionen liegt nicht in der Bestrafung selbst, sondern darin, die Herzen der Gefangenen zu heilen, damit sie das Leiden der Verbrechen kreativ überwinden und eine neue, gereifte Persönlichkeit gewinnen. So müssen wir für die Gefangenen eine Brücke der Hoffnung bauen, die zu einem besseren Morgen führt. Wenn wir uns an Dantes Bemerkung erinnern, dass die Verzweiflung eine Hölle ist, dann können wir erkennen, dass der Kern des Justizvollzugs darin besteht, die höllische Atmosphäre im Gefängnis zu verbessern und es mit einer himmlischen Hoffnung zu erfüllen. Der Justizvollzug ist es, der den Einzelnen dazu verhelfen kann, ihr verzerrtes Selbst zu heilen, ihr authentisches Selbst wieder zu erkennen und darüber hinaus wieder der Mensch zu werden, der die Gesellschaft und den unsichtbaren Gott liebt. So liegt die Aufgabe des Strafvollzugs darin, die Gefangenen zu resozialisieren, also in der Gesellschaft mit anderen Menschen selbstständig und verantwortlich leben zu lassen.
VIII. Epilog Während ich mit dem Liebes- und Hoffnungsstrafrecht im Herzen bei einem Vortrag mein Auditorium bereits einmal überrascht habe und ein anderes Mal belächelt worden bin, haben die Mennoniten nach mehreren Experimentierphasen die praktische Aufgabe der restaurativen Justiz und Gerechtigkeit formuliert und diese in der Welt verbreitet (Retributive Justice, 1985); Bianchi, ein niederländischer Kriminalpolitiker, hat als Alternative zur traditionellen Strafjustiz den Täter-Opfer-Ausgleich geboten, der auf der biblischen Gerechtigkeit basiert (A Biblical Vision of Justice, 1984; Alternativen zur Strafjustiz, 1988); außerdem hat Braithwaite aus Australien ein justiztheoretisches Buch veröffentlicht, in dem die Wiedergutmachung als eine Sanktion beschrieben wird, die sich darum bemüht, „reintegrative schaming“ zu verursachen (Crime, Shame, and Reintegration, 1989). Mittlerweile steht die Idee des Liebes- und Hoffnungsstrafrechts bereits nicht mehr so einsam da wie früher. Ich erwarte, dass der Strom einer weniger punitiven und mehr humanitären Kriminalpolitik sich mit der Idee der restaurativen Gerechtigkeit und therapeutischen Justiz vereinigen wird. Mit der Hoffnung, dass dies die Zukunftsmusik des Strafrechts sein wird, schließe ich meinen Text ab. Dass ich im Zuge meiner etwa 30-jährigen Forschungstätigkeit in der Strafrechtwissenschaft meinen wissenschaftlichen Weg mit Freude begehen konnte, verdanke ich größtenteils meinen Lehrern und einem aktiven wissenschaftlichen Austausch mit meinen Kollegen. Besonders Prof. Shim wünschte sich
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von mir, dass ich durch die Promotion in Deutschland mein kritisches Denkvermögen erweitern würde, um dem finalen Verbrechenssystem von Hans Welzel durch gut durchdachte Argumente begegnen zu können, das damals in Korea besondere Aufmerksamkeit erhielt. Dass er mich Prof. Roxin anvertraute, war ebenfalls mit diesem Wunsch verbunden gewesen. Prof. Shim, der bei Prof. Maihofer promoviert hatte, war besonders von dessen sozialer Handlungslehre fasziniert und bezeichnete sie als aussichtsreich und vielversprechend. Doch zu der Zeit, als ich mich für meinen Forschungsaufenthalt in Deutschland befand, begann in der deutschen Strafrechtswissenschaft der Diskurs um die Handlungslehre bereits zu verkümmern. Ich stellte fest, dass der Einfluss der Handlungslehre auf das Verbrechenssystem nach der Entstehung des finalen Verbrechenssystems nicht sonderlich groß war und dass auch der Einfluss der sozialen Handlungslehre wie der von Maihofer nicht so bedeutend war, wie ich es in Korea erwartet hatte. Vielmehr hatte ich mich mit dem Verbrechenssystem von Roxin vertraut gemacht, das Kriminalpolitik und Strafrechtssystem umfasst. Danach erweiterte ich als Humboldt-Stipendiat an mehreren Orten in Deutschland den Austausch mit den deutschen Strafrechtswissenschaftlern wie Prof. Hirsch in Köln, Prof. Jakobs in Bonn und Prof. Eser in Freiburg. Dadurch konnte ich die große Veränderung in der deutschen Strafrechtswissenschaft überblicken, die sich nach dem Abflauen der Debatte um das finale Verbrechenssystem vollzogen hatte. Indem ich neue Diskussionen und Entwicklungen von Theorien in der deutschen Strafrechtswissenschaft aktiv in die koreanische Strafrechtswissenschaft aufnahm, verloren die spekulativen Dispute zwischen den klassischen und neoklassischen Verbrechenssystemen einerseits und zwischen den kausalen, finalen und sozialen Handlungslehren andererseits, die damals in der koreanischen Strafrechtswissenschaft tief verwurzelt waren, allmählich ihren Einfluss. Außerdem verlor auch die japanische Strafrechtsdogmatik, die nach dem Zweiten Weltkrieg die zweite Generation der koreanischen Strafrechtswissenschaft ständig beeinflusst hatte, an Boden, indem sie von den neuen Forschungsergebnissen der dritten und vierten Generationen überwältigt wurde, die nach der Promotion in Deutschland zurückgekehrt waren. Als Strafrechtswissenschaftler, der zur dritten Generation der koreanischen Strafrechtswissenschaft gehört, habe ich in der deutschen, schweizerischen und österreichischen Strafrechtsdogmatik viele Hinweise gefunden, diese bei Bedarf in die koreanische Strafrechtsdogmatik eingeführt und daran angeknüpft. Insbesondere das schweizerische StGB, da es ähnliche Bestimmungen wie das koreanische StGB erhielt, schien mir für die Auslegung und Anwendung des koreanischen StGB viel nützlicher zu sein als die japanische Dogma-
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tik, welche die japanischen Strafrechtswissenschaftler auf ihre eigene Weise entwickelten. Unter dem Einfluss der Informationsgesellschaft und Globalisierung neigt auch die Welt der Strafrechtswissenschaft heute dazu, die regionalen Grenzen zu überschreiten und sich zu globalisieren. Dass ich den Austausch mit den deutschen Strafrechtswissenschaftlern wie Prof. Schünemann, Prof. Sieber, Prof. Hilgendorf usw. fortsetze und meine Aufmerksamkeit weiter auf die Entwicklung des deutschen Strafrechts lenke, liegt nicht nur daran, dass ich in Deutschland promoviert habe, sondern vor allem daran, dass Strafrecht und Strafrechtswissenschaft in Korea schon von Beginn an mit dem Strafrecht und der Strafrechtswissenschaft in Deutschland eng zusammenhingen, sodass beide Länder insgesamt gesehen – trotz der einzelnen Unterschiede von heute – im Hinblick auf Struktur, System und Dogmatik noch viele Ähnlichkeiten aufweisen. Ich hoffe, dass die koreanischen und deutschen Strafrechtswissenschaftler ihren Austausch so weit vertiefen, dass sie sich in Zukunft auch über ihre Forschungsergebnisse miteinander austauschen können.
Schriftenverzeichnis (in Auswahl) 1. Selbstständiges Schrifttum / Monographien 공정사회로 가는 길 [Wege zu einer fairen Gesellschaft], Seoul 2010. 법, 인간. 인권 [Recht. Mensch. Menschenrecht], 3. Aufl., Seoul 1999. 수사체계와 검찰문화의 새 지평 [Ermittlungssystem und Kultur der Staatsanwaltschaft], Seoul 2010. 범죄피해자론과 형법정책 [Viktimologie und Strafrechtspolitik], Seoul 2010. 바람직한 양형조사제도 [Die optimale Ermittlung vor Verurteilung], Seoul 2010. 전환기의 형사정책 [Kriminalpolitik in Transition], Seoul 2012. 형법질서에서 사랑의 의미 [Die Bedeutung der Barmherzigkeit in der Strafrechtsordnung], Seoul 2013.
2. Lehrbücher 한국형법 Ⅰ~ Ⅳ [Das Koreanische Strafrecht AT I, II / BT III, IV], 2. Aufl., Seoul 1997. 새로쓴 형법총론 [Das neue Strafrecht AT], 12. Aufl., Seoul 2014.
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새로쓴 형법각론 [Das neue Strafrecht BT], 8. Aufl., Seoul 2016.
3. Aufsätze in Zeitschriften und Sammelwerken Strafrechtsform in Korea, in: ZStW 1994, S. 405 ff. Rechtfertigung und Entschuldigung bei Befreiung aus besonderen Notlagen (Notwehr, Notstand, Pflichtenkollision), in: Eser / Nishihara (Hrsg.), Rechtfertigung und Entschuldigung IV, Freiburg 1995, S. 113 ff. Der Gesetzlichkeitsgrundsatz im Lichte der Rechtsidee, in: Schünemann / Achenbach / Bottke / Haffke / Rudolphi (Hrsg.), Festschrift für Claus Roxin, Berlin 2001, S. 119 ff. Global Economic Crisis and Criminology: An Emerging Challenge in Crime and Justice and Its Paradox, in: International Annals of Criminology 2011, S. 43 ff. Der Schutz des embryonalen Lebens in der pränidativen Phase, in: Schünemann / Kim (Hrsg.), Lebensschutz im Strafrecht, Seoul 2013, S. 19 ff. Punitivistische Grundtendenzen der gegenwärtigen Kriminalpolitik? in: Stern (Hrsg.), Medien und Recht, Köln 2014, S. 257 ff. Lebensschutz und Biopolitik im Koreanischen Strafrecht, in: Hefendehl / Hörnle / Greco (Hrsg.), Festschrift für Schünemann, Berlin 2014, S. 761 ff.
4. Übersetzungen Claus Roxin, 형사정책과 형법체계, 2. Aufl., Seoul, 1996. Übersetzung von Claus Roxin, Kriminalpolitik und Strafrechtssystem, 2. Aufl., Berlin 1973. Norbert Brieskorn, 법철학 Seoul, 1996. Übersetzung von Norbert Brieskorn, Rechtsphilosophie, Stuttgart 1990. Günther Jakobs, 규범, 인격, 사회, Seoul, 2013 (übersetzt mit Prof. Dr. Jong-Pil Byun). Übersetzung von Günther Jakobs, Norm, Person, Gesellschaft, 3. Aufl., Berlin 2008.
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https://doi.org/10.1515/9783110277708-011
Young Whan Kim I. Geboren wurde ich am 26. Juli 1953 als fünftes Kind (bzw. dritter Sohn) meiner Eltern in Seoul. Da mein Vater Inhaber einer kleinen Baufirma war, gehört meine Familie dem oberen Mittelstand an. Der Umstand, dass mein Großvater (väterlicherseits) sehr früh verstorben war und zudem der Familie eine beachtliche Summe an Schulden hinterlassen hatte, führte dazu, dass mein Vater bereits seit seiner Kindheit große Verantwortung und Last zu tragen hatte. Sein unermüdlicher Fleiß und viel Ausdauer führten schließlich dazu, dass er später im Beruf beachtlichen Erfolg hatte. Meine Mutter hatte keine weitreichende Ausbildung genießen können, war jedoch eine tüchtige Hausfrau und widmete all ihre Zeit der Familie. Als ich sechs Jahre alt war, bemühten sich meine Eltern darum, dass ich für meine weitere Schulausbildung an einer privaten Volksschule aufgenommen werden würde. Da ich jedoch die Aufnahmeprüfung jener Schule nicht bestand, musste ich eine öffentliche Volksschule besuchen, die immerhin ganz in der Nähe unseres Hauses gelegen war. Ich absolvierte meine Schulzeit dort mit großem Erfolg, sowohl in den klassischen Schulfächern als auch im künstlerischen Bereich und im Sport. So gewann ich beispielsweise viele Preise bei Zeichenwettbewerben. Gemäß dem Wunsch meiner Eltern gelang es mir, die Aufnahmeprüfung der Kyunggi Highschool zu bestehen, die als anspruchsvollste Sekundärschule Koreas galt. Die stark wettbewerbsorientierte Haltung unter den Schülern dort, die scheinbar nur nach guten Noten strebten und Freundschaft nicht viel Bedeutung beimaßen, führte dazu, dass mir die Lust am Lernen verging. Mir war danach, mich anderen Dingen des Lebens zu widmen. Ich schloss mich schließlich dem Eishockeyteam der Kyunggi Highschool an, was es mir ermöglichte, regelmäßig im Eisstadion Schlittschuh zu laufen. Im Winter unterzogen wir uns zur Wettbewerbsvorbereitung besonders intensiven Übungen, die wir auf einem gefrorenen Reisfeld durchführten. Im dritten Jahr meiner Gymnasialzeit erzielte unser Team bei der Meisterschaft den ersten Platz, wobei ich als Mittelstürmer mitspielte. Über meine sportlichen Betätigungen hinaus widmete ich mich ab dem vierten Jahr an diesem Gymnasium auch künstlerisch-kreativen Aktivitäten, wofür ich mich einer Kunst-Arbeitsgemeinschaft anschloss. Dort hatte ich unter anderem Gelegenheit zu lernen Ölbilder anzufertigen. Viele Schüler kamen hierfür nach
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dem Unterricht in der kleinen Kunsthalle zusammen, die auf einem Hügel hinter dem Schulgebäude lag, um sich dort freiwillig ganz nach ihren eigenen Vorlieben mit der Malerei zu befassen. Dabei gewann ich schließlich viele neue Freunde, von denen sich mittlerweile auch einige als angesehene Künstler in Korea etablieren konnten. Aufgrund all dieser Aktivitäten konzentrierte ich mich nicht sonderlich auf den jeweils aktuellen Schulstoff. Mein Notenschnitt entwickelte sich hierdurch nicht gerade zum Besten, was zur Folge hatte, dass mein Lehrer meinen Eltern anlässlich meines Schulabschlusses mitteilen musste, dass meine Leistungen nicht ausreichten, um ein Jura-Studium an der besten Universität des Landes – der Seoul National University – absolvieren zu können. Die juristische Fakultät der Seoul National University gilt in Korea bis heute im Hinblick auf ein Jura-Studium als anspruchsvollste Hochschule. Genau genommen war es allerdings vielmehr mein Wunsch, dort ein Studium der Malerei oder Ästhetik aufzunehmen. Diese Wunschvorstellung konnte ich meinen Eltern gegenüber leider nicht durchsetzen. So kam es dazu, dass ich schließlich die Aufnahmeprüfung an der juristischen Fakultät der Korea University – der zweitbesten Hochschule des Landes – absolvierte. Hierbei hatte ich Erfolg und wurde für das Jura-Studium zugelassen, was ich zwar später nicht bedauerte, aber andererseits manchmal auch Probleme aufwarf. Zu der Zeit als ich mein Studium an der Universität begann, war die politische Lage in Korea sehr labil. Es verging kein Semester, in dem unsere Hochschule nicht aufgrund von Unruhen – wenn auch nur von kurzer Dauer – geschlossen werden musste. Damals wurde Korea unter einer Diktatur durch den Präsidenten Park Chung-hee regiert, dessen Leben im Jahr 1979 ein Ende bereitet wurde, indem ihn eine seiner Vertrauenspersonen mit einer Schusswaffe ermordete. Selbst in jener miserablen Lage, in der sich mein Land damals befand, verliefen die Vorlesungen an der Universität dennoch recht friedlich. Eine schöne Erinnerung bezieht sich auf mein viertes Studiensemester, in dem wir Jura-Studenten einen Fall des „Streaking“ im Rahmen eines Moot Courts bearbeiteten. Bei dieser Gelegenheit habe ich zum ersten Mal meinen verehrten Hochschullehrer Herrn Prof. Zai Woo Shim getroffen, der erst kurz vor dieser Veranstaltung aus Deutschland nach Korea zurückgekehrt war und uns dabei unterstützte, diese Simulation zu realisieren. In seiner Vorlesung zeigte er sich überaus charismatisch und bezog sich schwerpunktmäßig auf die sog. soziale Handlungslehre mit dem Gedanken des „Als-seins“, den er von seinem Doktorvater Prof. Maihofer aufgegriffen hatte. Aufgrund dessen, dass mein Vater den großen Wunsch hegte, dass sein Sohn einmal Jurist werden würde, begann ich bereits im Grundstudium mit der Examensvorbereitung. Während
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der sommerlichen Semesterferien setzte ich das Lernen für die Examensprüfungen sogar intensiv in einem buddhistischen Tempel fort. Irgendwann wurde mir diese Art des Lernens allerdings zu stupide, da im Studium stets das Auswendiglernen im Vordergrund stand. Ich bedauerte es sehr, dass mir keine Zeit verblieb, um beispielsweise eine Fremdsprache wie Deutsch lernen zu können. Nach gründlichen Überlegungen entschloss ich mich dazu, nach meinem Studienabschluss nach Deutschland zu gehen, um dort eine wissenschaftliche Laufbahn einzuschlagen, die es mir erlauben würde, später in Korea als Hochschullehrer tätig zu sein. Glücklicherweise erfuhr ich damals genau zu jener Zeit, dass der ehemalige Ministerpräsident Prof. Seung-Jong Hyun nach wissenschaftlichem Nachwuchs Ausschau hielt, der sich für das Gebiet des Zivilrechts interessierte. Ich stattete ihm schließlich einen Besuch ab, um mich über Fördermöglichkeiten für eine akademische Laufbahn in Deutschland zu informieren. Meine Liebe zur Kunst ging während des Studiums nicht verloren. In meinem 8. Fachsemester erfüllte sich für mich der besonderer Wunsch, meine eigene Bilderausstellung zu realisieren. Hierfür hatte ich im Verlauf meines bisherigen Studiums bereits eine ausreichende Anzahl an Ölbildern fertigstellen können. Zu meiner Überraschung besuchte auch Prof. Shim meine Ausstellung und erkundigte sich bei mir, ob ich interessiert sei, meine weitere wissenschaftliche Ausbildung an der Graduate School fortzusetzen und mich dabei schwerpunktmäßig mit dem Rechtsphilosophen Radbruch zu beschäftigen, der – wie er betonte – Goethe-Experte und somit auch in der Kultur kundig war. Für die Aufnahmeprüfung an der Graduate School war ich gezwungen, mich neben der Rechtsphilosophie für ein weiteres Fach zu entscheiden: Strafrecht oder Zivilrecht? Meine Wahl fiel auf das Strafrecht, da es meinem Eindruck nach mit meinen persönlichen Interessensgebieten – wie etwa der Rechtsphilosophie – näher verwandt war als das Zivilrecht. Darüber hinaus hatte seine Materie etwas Anregendes. Nach meinem Eintritt in die Graduate School besuchte ich schließlich auch einen Sprachkurs am Goethe-Institut. Nebenbei musste ich zu dieser Zeit auch meinen Militärdienst ableisten, der insgesamt ein Jahr andauerte. Um meiner Vorliebe für die Kunst weiter Raum zu verleihen, eröffnete ich damals gemeinsam mit zwei engen Schulfreunden aus unserer ehemaligen Kunst-AG ein eigenes Atelier. Zum Ende meines Militärdienstes stand ich erneut vor der Entscheidung, ob ich künftig intensiv meine Arbeit als Wissenschaftler oder als Künstler betreiben sollte. Da ich in der Kunst vergleichsweise ein nur bedingt wirksames Mittel sah, um sozialen Ungerechtigkeiten in der Gesellschaft entgegenzuwirken, entschloss ich mich dazu, ihr endgültig den Rücken
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zuzukehren – auch wenn sie mir stets große Freude bereitet hatte. Ich besann mich fortan somit voll und ganz auf meine Tätigkeit an der Universität, wo ich die Rechtsphilosophie als mein Fach und Prof. Shim als meinen wissenschaftlichen Betreuer auserwählt hatte. Aus dieser Zeit ist mir die Lektüre eines kleinen Bandes von Julius Kirchmann, „Die Wertlosigkeit der Jurisprudenz als Wissenschaft“, die durch Prof. Shim eingeleitet wurde, sehr gut in Erinnerung geblieben. Gemeinsam mit Prof. Il Su Kim hatte ich hierzu auf den alten Sesseln in seinem kleinen Büro gesessen. Bei diesen Gelegenheiten konnte ich von Prof. Shim Vieles lernen – vor allem aber, worum es in der Rechtswissenschaft eigentlich genau ging. Bei unseren Treffen vermittelte er uns nicht nur philosophische Grundlagen des Naturrechts, sondern berichte uns hin und wieder auch von Erlebnissen während seines Studiums in Deutschland. Erwähnen möchte ich an dieser Stelle außerdem auch eine Vorlesung im Zivilrecht von Prof. Hyung Bae Kim, die mir vor allem durch seine klare und anschauliche Art, die Dinge zu vermitteln, besonders gut in Erinnerung geblieben ist. Prof. Kim und Prof. Shim waren einst gemeinsam nach Deutschland gegangen, um dort zu promovieren. Für meine Magisterarbeit wies mir mein Betreuer Prof. Shim als Thema das Verhältnis zwischen Recht und dem Gesetz zu, das auch in Art. 20 III des deutschen Grundgesetzes verankert war – und zwar mit der Auflage, dieses Problem anhand von drei rechtsphilosophischen Positionen (Arthur Kaufmann, Hans Welzel und Werner Maihofer) zu untersuchen. Dabei war es stets mein Anliegen, gegenwärtige Tendenzen darzulegen, d.h. statt der Alternative „Naturrecht oder Rechtspositivismus?“ die beiden Momente des Rechts – die Wertbezogenheit und die Wirklichkeitsbezogenheit – in den Begriff des Rechts zu integrieren. Der Rechtspositivismus ist diesbezüglich in der Tat unzutreffend, da er die Positivität als einziges Merkmal des Rechts auszeichnet und hierdurch das Recht mit dem Gesetz gleichsetzt. Vor diesem Hintergrund ist auch die traditionelle Naturrechtslehre defizitär, weil sie den Wertgehalt als entscheidendes Merkmal des Rechts ansieht. Darüber hinaus widmete ich mich in meiner Magisterarbeit auch drei verschiedenen Positionen der Rechtsontologie: Zum einen der Lehre der ontologischen Struktur nach Arthur Kaufmann, an zweiter Stelle der sachlogischen Struktur der Handlung bei Welzel und an dritter Stelle schließlich auch ausgiebig der existenziellen Rechtsontologie nach Werner Maihofer. Besonders berücksichtigt wurde die Lehre vom Als-sein bei Maihofer, vor allem in Bezug auf konkrete Inhalte des Rechts in Seinsmodi des Daseienden, d.h. in denjenigen Lebensverhältnissen, in denen sich das Dasein des Menschen in der alltäglichen Lebenswelt vollzieht.
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Außerdem untersuchte ich im Rahmen meiner Magisterarbeit anhand der Bindung des Richters an das Gesetz auch die funktionale Beziehung zwischen Recht und Gesetz. Im Gegensatz zum Fall der lex corrupta, den gleich drei Rechtsphilosophen einstimmig mit „Nein“ beantworteten, fiel die Antwort im Fall des trivialen Unrechts, dessen Anwendung auf den konkreten Fall genau genommen in das Unrecht kippen könnte, völlig unterschiedlich aus. Während sich Arthur Kaufmann und Hans Welzel ihre Meinung einigermaßen vorbehalten, will Maihofer dem Richter die Befugnis gewähren, sein persönliches Gewissen über das Gesetz zu stellen. Dieser rechtsontologischen Auffassung von W. Maihofer schloss ich mich in meiner Arbeit an. Wenn ich heute einen Blick auf meine Magisterarbeit werfe, wird mir bewusst, wie sehr mich Prof. Shim geprägt hat, der wie Maihofer ein starker Anhänger der Naturrechtslehre ist. Zu erwähnen sei noch, dass der methodologische Aspekt des Problems im Rahmen meiner Arbeit nicht voll berücksichtigt wurde. Vor der Fertigstellung meiner Magisterarbeit kam es noch zu zwei Ereignissen, die ich hier nicht unerwähnt lassen möchte: Bei dem ersten wichtigen Ereignis handelte es sich um meine Hochzeit. Meine heutige Frau hatte ich am GoetheInstitut kennengelernt. Da sie damals beabsichtigte, in Deutschland in Sozialgeographie zu promovieren, besuchte sie dort Sprachkurse, um ihre Deutschkenntnisse zu verbessern. Etwa vier Jahre nach unserer ersten Begegnung dort beschlossen wir, zu heiraten und wurden schließlich am 1. Dezember 1979 vermählt. Das andere wichtige Ereignis war meine Beantragung eines DAADStipendiums. Prof. Shim hatte mir vorgeschlagen, in Deutschland bei Prof. Arthur Kaufmann an der Universität München über die „Natur der Sache“ zu promovieren. Durch die Ausarbeitung meines Stipendienantrages setzte ich seine Empfehlung schließlich in die Tat um. Glücklicherweise durchliefen meine Frau und ich das Bewerbungsverfahren mit Erfolg. Aus den Rechtswissenschaften wurde neben mir auch Prof. Dong Eun Shim für ein Forschungsstipendium ausgewählt. Trotz unserer anfänglichen Sorge, dass wir als Ehepaar womöglich nicht beide gleichzeitig ein Stipendium erhalten würden, nahmen die Dinge einen glücklichen Lauf. Wir erhielten unsere Stipendien und flogen im Sommer 1980 gemeinsam nach Deutschland.
II. Auf unserer Reise nach Deutschland begleiteten uns drei weitere DAADStipendiaten aus Korea – ein Staatsanwalt und zwei Richter – die in Deutschland die dortige Rechtspraxis kennenlernen wollten, um ihre Einblicke und Erkenntnisse später für unser Heimatland fruchtbar machen zu können. Ich erinnere mich, dass unsere Anreise nach Deutschland einer kleinen Odyssee
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glich: Im Jahr 1980 gab es leider noch keine Direktflüge von Korea nach Deutschland – zudem war eine Route über Russland und China für den Flugverkehr damals nicht erlaubt. Aus diesem Grund waren wir gezwungen, zunächst einen Zwischenstopp in Japan einzulegen, wo wir in Tokyo schließlich neun Stunden Aufenthalt hatten. Danach flogen wir mit Lufthansa bis Alaska weiter, wo ein weiterer Zwischenstopp erfolgte, bis wir endlich Kurs auf Frankfurt nahmen. Insgesamt waren wir 26 Stunden unterwegs – darunter konnten wir jedoch nur 17 Stunden als Flugzeit verzeichnen. Nach der Ankunft am Frankfurter Flughafen stand uns außerdem noch eine Zugreise bevor. Unser erstes Ziel war Freiburg, wo wir zwei Monate lang einen Sprachkurs absolvierten. Über das Goethe-Institut hatten wir für diese Zeit Unterkünfte im Wohnheim der Pädagogischen Hochschule erhalten, das in einem schönen Gebiet am Stadtrand gelegen war. Freiburg ist eine Stadt, die auf eine lange Geschichte zurückblicken kann. Direkt in ihrer Mitte befindet sich die Universität. Für die Zeit unseres Sprachkurses mussten wir täglich mit der Straßenbahn zur Uni fahren, wo jeden Vormittag der Deutschunterricht stattfand. Mein erster Eindruck von Deutschland (bzw. Freiburg) war, dass alles in Reih und Glied geordnet ist und die Bürger sich strikt an bestehende Regeln halten. Mir fiel vor allem auf, dass sämtliche Kleinwagen – wie etwa von der Marke VW oder Citroen – alle nacheinander wie Lego-Steine schön am Straßenrand geparkt waren. Nachdem wir unseren zweimonatigen Sprachkurs abgeschlossen hatten, reisten meine Frau und ich schließlich nach München weiter, wo wir promovieren sollten. Auch wenn uns vor unserer Ankunft bereits bekannt gewesen war, dass sich die Wohnungssuche in München als eine große Herausforderung herausstellen kann, wurde uns dieser Umstand erst richtig bewusst, als wir uns dort selbst auf die Wohnungssuche begaben. Anfang Oktober 1980 besuchte ich das erste Mal die Sprechstunde bei meinem Doktorvater Prof. Arthur Kaufmann, in der wir uns über den Ablauf meines Promotionsstudiums und das Thema meiner Dissertation austauschten. Hierbei vereinbarten wir, dass ich mich zunächst schwerpunktmäßig mit der „Natur der Sache“ beschäftigen würde und zwar unter dem Vorbehalt, dass das Thema jederzeit neu festgelegt werden könnte. Nach unserem Gespräch stellte er mir ein kleines Büro an seinem Institut zur Verfügung. Sein eigenes Arbeitszimmer befand sich im ersten Stock des Instituts für Rechtsphilosophie, das auch die Abteilung der Rechtsinformatik umfasste. Direkt neben dem Büro von Prof. Kaufmann befand sich eine relativ große Bibliothek, in der vor allem die rechtsphilosophischen Seminare regelmäßig stattfanden. Das Institut umfasste außerdem noch sieben weitere Zimmer und eine kleine Küche. Wie bereits sein Lehrer Gustav Radbruch kümmerte sich auch Prof. Kaufmann mit großem Einsatz um seine Schüler. An
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seinem Institut waren auch sehr viele ausländische Gäste zu Gast. In der Zeit meines eigenen Aufenthaltes waren besonders viele Kollegen aus Japan am Institut tätig, zu denen ich enge Freundschaften aufbaute, die bis heute andauern. Viel Freude bereiteten uns die Feste, die das Institut jährlich veranstaltete: Ein gemeinsamer Ausflug im Frühling, Geburtstagsfeiern für die Mitglieder des Instituts und ein Weihnachtsfest am Nikolaustag – das uns besonders gefiel, weil Prof. Kaufmann uns allen zu diesem Anlass einen persönlichen Buchwunsch erfüllte. Erwähnt sei noch der Skiurlaub mit den Schülern von Prof. Kaufmann in den Dolomiten, wo ich die Möglichkeit hatte, Prof. Hassemer noch näher kennenzulernen. Da unsere Skifähigkeiten zur schnellen Mitfahrt nicht ausreichten, legten wir öfters Pausen auf der Skipiste ein, wobei wir über Vieles geplaudert haben. Besonders bin ich ihm zum Dank verpflichtet, weil er damals vorschlug, meine Arbeit zu korrigieren. Im März 1984 besuchte Prof. Kaufmann anlässlich einer Einladung durch Prof. Hyun Sup Shim mein Heimatland. Meine Frau und ich hielten uns zu dieser Zeit ebenfalls in Korea auf. Während seines Aufenthaltes hielt Prof. Kaufmann insgesamt gleich drei Vorträge. In seinem ersten Vortrag zu „Schuld und Prävention“ an der Korea University ging es darum, die damalige Diskussion um das Schuldprinzip im Strafrecht zu beleuchten. Der zweite Vortrag „Recht und Sprache“, der an der Seoul National University stattfand, bezog sich auf die Rechtstheorie als Sprachtheorie des Rechts – hierin wurden die Fachsprache und die Umgangssprache behandelt und deren besonderes Verhältnis dargelegt. Sein letzter Vortrag bezog sich auf „Die Parallelwertung in der Laiensphäre“ vor der koreanischen Gesellschaft des Strafrechts, wobei er die These vertrat, dass sich diese Wertung im Richter vollzieht, indem er zwei Rollen, nämlich die Rolle des Gesetzes und die Rolle des Angeklagten übernimmt. Seine Vorträge in Korea trafen auf eine große Resonanz, da sie sowohl informativ als auch lehrreich für die koreanischen Professoren waren. Der wichtige Grund dafür besteht in der rechtsphilosophischen Grundlage, auf der einzelne rechtliche Probleme erörtert wurden. An dieser Stelle sei es mir erlaubt, eine kleine Anekdote anzubringen: Nach seinen Vortragsveranstaltungen begleitete ich Prof. Kaufmann und seine Frau nach Kyungju, das einst Hauptstadt der alten Sylla-Dynastie war. Selbst auf diese Reise hatte Prof. Kaufmann wie gewohnt seine große schwarze Tasche mitgenommen. Als mir dies aufgefallen war, frage ich ihn, ob er beabsichtige, während der Reise zu arbeiten. Daraufhin antwortete er mir, dass er ohne seine Tasche direkt nach Deutschland zurückgehen könne – denn sie enthielt nicht nur einige sehr bedeutende
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Bücher, sondern auch seine Medikamente. Es beeindruckte mich damals nachhaltig, dass er trotz Krankheit stets ambitioniert seine Ziele verfolgte. Nach unserer Rückkehr nach Deutschland kam schließlich unsere erste Tochter im Starnberger Krankenhaus zur Welt. Genau genommen hatten wir beabsichtigt, erst nach der Fertigstellung unserer Dissertationen Nachwuchs zu bekommen – doch dann hatte sich ganz unerwartet doch zu einem früheren Zeitpunkt eine Schwangerschaft ergeben. Unter diesen neuen Umständen zogen wir nach Starnberg in ein großes Miethaus. Um unsere Promotionsprojekte neben unserer Elternrolle fortführen zu können, stellten wir nach der Geburt eine koreanische Tagesmutter ein, bei der es sich um die Ehefrau eines Lehrers des Starnberger Gymnasiums handelte. Im Verlauf eines halben Jahres stellte sich jedoch heraus, dass es trotz der Unterstützung der Tagesmutter nicht ohne weiteres möglich war, unsere Projekte weiter voranzubringen. Aus dieser Not heraus habe ich meine Eltern darum gebeten, unsere Tochter mit nach Korea zu nehmen. Unser Kind sahen wir somit erst nach der Beendigung unserer Promotionsprojekte wieder. Während der Endphase unseres Forschungsaufenthaltes (1985–1986) pendelten meine Frau und ich weiterhin zwischen Starnberg und München hin und her. Ich opferte meine gesamte Zeit der Fertigstellung der Dissertation, die ich schließlich im Mai 1986 Prof. Kaufmann vorlegen konnte. Mitte Juni konnte meine mündliche Prüfung stattfinden. Meine Frau beendete ihr Promotionsverfahren bereits fünf Monate vor mir. Während meines Promotionsstudiums bei Prof. Kaufmann legte ich neben meiner Dissertation insgesamt drei Arbeiten vor, die alle am rechtsphilosophischen Seminar vorgetragen wurden. Wie bereits vorher erwähnt, war ursprünglich angedacht, dass ich mich in meiner Dissertation mit der sogenannten „Natur der Sache“ auseinandersetzen würde. Später entschloss ich mich jedoch letzten Endes dazu, mich dem Thema „Schuld und Prävention“ zu widmen – das damals im Strafrecht sehr aktuell war – und zwar aus zwei Gründen: Zunächst ist der Begriff „Natur der Sache“ vielmehr ein Sammelbegriff für verschiedenste Ansätze, die sich weitestgehend voneinander unterscheiden, so dass es problematisch ist, all diese unterschiedlichen Lehren unter einem gemeinsamen Begriff zu subsumieren. Zweitens – was noch viel wichtiger erschien – war der Umstand offensichtlich, dass die Diskussion um die „Natur der Sache“ inzwischen obsolet geworden war. Tatsächlich ließ sich kaum mehr eine aktuelle Arbeit hierzu finden. Vor diesem Hintergrund ließ ich das Thema „Natur der Sache“ nach meinem ersten diesbezüglichen Vortrag im Jahr 1981, bei dem es um die Lehre der sachlogischen Strukturen bei Welzel ging, fallen. Von der philosophischen Genese der Sinnintentionalität ausgehend war ich
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hierbei der Frage nachgegangen, wie sich diese von der sachlogischen Struktur unterscheidet. Im Rahmen des Doktorandenseminars hielt ich im Wintersemester 1982 einen Vortrag über Schuld und Prävention und stellte darüber hinaus im Wintersemester 1984 eine Arbeit über verschiedene Zurechnungsmodelle vor. Beides konnte zum größten Teil auch in meine Dissertation miteinfließen. Um etwas näher auf meine Doktorarbeit einzugehen, die sich auf die Rekonstruktion der damaligen Diskussion um Schuld und Prävention bezieht: Mein Ausgangspunkt war die Darstellung der beiden Haupttendenzen, einerseits derjenigen Strömung, die das Schuldprinzip unter dem Aspekt von Zweckrationalität betrachtet, und andererseits die Tendenz zur Funktionalisierung, die auf der dogmatischen Ebene oder in Bezug auf den Strafzweck geschieht. Daran anknüpfend legte ich drei kritische Ansichten zum strafrechtlichen Schuldprinzip näher dar, genauer gesagt die These der Verantwortlichkeit von Roxin, die Ansicht nach Jakobs von der Schuld als Derivat der Generalprävention, sowie den Ansatz von Ellschied und Hassemer, das Schuldprinzip durch den Grundsatz der Verhältnismäßigkeit zu ersetzen. Im Anschluss an die Unterscheidung von Input und Output nach Luhmann stellte ich schließlich vier Zurechnungsmodelle vor, die einen wichtigen Stellenwert im Diskurs der Diskussion um Schuld und Prävention darstellten. Nach dem positiven Inputmodell, das sich auf die Strafrechtsdogmatik bezieht, verfährt die Zurechnung nach dem Prinzip: Keine Strafe ohne Schuld. Im Gegensatz dazu zeichnet sich das positive Outputmodell durch einen empirischen Charakter aus. Demnach soll sich die Strafe nach den präventiven Strafzielen ausrichten. Da das positive Outputmodell die empirische Unklarheit des Strafmaßes jedoch nicht beheben kann, zielt das negative Outputmodell darauf ab, dieses Problem durch einen Bezug auf die Kriminalpolitik zu lösen. Auf diese Weise stellt sich die Dogmatik als eine begriffliche Form dar, in der kriminalpolitische Zielsetzungen transformiert werden. Nach dem Abschluss meiner Promotion, die insgesamt sechs Jahre in Anspruch nahm, kehrte ich mit meiner Frau Mitte Juli 1986 nach Korea zurück.
III. Die Zeit nach unserer Rückkehr war für mich sehr belastend, da ich vor dem Problem stand, an der Universität keine geeignete Stelle zu finden. In Deutschland war ich irrtümlich und wie selbstverständlich davon ausgegangen, nach meiner Promotion ohne weiteres an der Korea University als Professor angestellt zu werden. Diese Vorstellung stellte sich leider als Illusion heraus. Über
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drei Semester hinweg musste ich schließlich ohne eine feste Anstellung an verschiedensten Universitäten Vorlesungen auf den Gebieten der Rechtsphilosophie, des Strafrechts und der Kriminalpolitik halten. Nebenbei bemühte ich mich um eine Stelle an der Ewha University oder der Hanguk University of Foreign Studies. Eines Tages stieß ich in der Tageszeitung auf eine Anzeige, die sich auf eine Professorenstelle an der Hallym University bezog. Da Prof. Seong Jong Hyun, der damals die Empfehlung ausgesprochen hatte, meine Promotion in Deutschland zu absolvieren, zu dieser Zeit Rektor an jener Universität war, stimmte mich diese neue Chance außerordentlich glücklich. Bei der Hallym University handelte es sich um eine recht kleine Universität, die in Chunchon lag und damals viele renommierte bereits emeritierte Professoren berufen hatte. Es stellte sich heraus, dass diese Universität gerade zu der Zeit, als ich mich noch auf Stellensuche befand, die Gründung drei neuer Fakultäten (Rechtswissenschaft, Soziologie, Philosophie) in Angriff nahm. Im Februar 1988 wurde ich schließlich genau an diese Universität berufen – und zwar mit der Aufgabe, dort die juristische Fakultät aufzubauen. Auch wenn die Zahl der Studierenden in der Anfangszeit nur etwa bei vierzig lag, konnte ich diese Aufgabe nicht ganz ohne Unterstützung meistern. Daher bemühte ich mich zunächst um die Berufung von Prof. Sung Bang Hong und Prof. Kwang Suk Cheon. Als ich die Universität im Jahr 1993 verließ, zählte diese junge Fakultät bereits insgesamt sieben Professoren. Hier hatte ich gemeinsam mit Prof. Sung Bang Hong und Prof. Kwang Suk Chun ein Übersetzungsprojekt des Werkes „Theorie der Rechtsgewinnung“ durchgeführt, das durch die Daewoo Foundation finanziell unterstützt worden war. Die Manuskripte hierzu wurden in erster Linie von Prof. Hong zusammengestellt und konnten schließlich im Jahr 1995 publiziert werden. Im Oktober 1990 übernahm ich zusätzlich zu meiner Professorenstelle die Leitung der Abteilung für Strafrecht des Korean Institute of Criminology. Bei diesem Institut handelt es sich um eine staatliche Institution, deren Hauptziel darin lag, in Korea die vor allem im Zuge der Industrialisierung neu aufgekommenen Probleme der Kriminalität in den Griff zu bekommen. Da es zur damaligen Zeit nur wenige Experten auf diesem Gebiet gab, war das Institut auf die Hilfe der Universitäten angewiesen. Darüber hinaus bemühte es sich um Kooperationen mit anderen Instituten und mit Wissenschaftlern aus dem Ausland. So wurden schließlich auch viele Strafrechtler aus Deutschland nach Korea eingeladen, worauf ich kurz näher eingehen möchte. Zu der Zeit als ich für das Institut tätig war, übersetzte ich gemeinsam mit Prof. Sang Gi Park und Prof. Il Tae Huh das Werk „Kriminalpolitik“ von Heinz Zipf, das im Jahr 1993 erschien. Da Prof. Zipf leider früh verstarb, musste das Vorwort dieser Über-
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setzung von seiner Frau verfasst werden. Anfang 1992 hatte ich Prof. Jae Sang Lee, der damals Vizepräsident des Instituts war, vorgeschlagen, eine Forschungsgruppe für strafrechtliche Fallstudien zu gründen, in der man wichtige aktuelle Rechtsprechungen kommentieren könnte. Nur zwei Monate später wurde das Vorhaben realisiert. Es freut mich dabei außerordentlich, dass diese Forschungsgruppe auch heute noch mit großem Erfolg fortgeführt wird. Sehr bedauerlich finde ich es, dass ich mein Versprechen an Prof. Günter Blau, gemeinsam mit meinen Kollegen das Werk „Strafvollzug in der Praxis (Blau / Schwind, 2. Aufl.) ins Koreanische zu übersetzen und zu publizieren, nicht einhalten konnte – obwohl das Manuskript hierzu fast fertiggestellt war. Im Sommer 1991 unternahm ich zusammen mit Prof. Jae Sang Lee und Herrn Young Sunwoo eine Europa-Reise, in deren Verlauf wir insbesondere auch das Max-Planck-Institut für Strafrecht in Freiburg besuchten, um persönlich in Erfahrung zu bringen, wie es um die Zusammenarbeit stand. Für das Institut war ich bis Ende 1991 tätig, auch wenn ich später öfter als Diskussionsleiter oder Dolmetscher in Anspruch genommen wurde. Im April 1991 besuchte Prof. Scholler, mit dem ich bereits durch meinen Aufenthalt in München bekannt war, die Hallym University, um dort einen Vortrag zur Rechtsgeltung zu halten. Da der Vortragstext nicht sehr umfangreich war, erklärte ich mich dazu bereit, ihn simultan zu übersetzen – ein Wagnis, das sich schließlich als tollkühn herausstellte! Jedenfalls habe ich bis heute keinen weiteren Versuch dieser Art unternommen. Trotz alledem wurde ich dank seiner Unterstützung zur Tagung für Rechtsvergleichung eingeladen, die im September 1991 in Saarbrücken durchgeführt wurde. Dort hielt ich in der Fachgruppe für Rechtsgeschichte und Rechtsethnologie einen Vortrag über die Rezeption des deutschen Strafrechts in Korea, der gleichzeitig auch einen wichtigen Ansatzpunkt für einen Beitrag in der Festschrift zum 70. Geburtstag von Arthur Kaufmann bot. Beim Frühstück im Hotel, in dem neben mir viele weitere Tagungsteilnehmer übernachteten, lernte ich auch Prof. Luhmann kennen. Im Rahmen der Plenarsitzung dieser Tagung hielt er einen Vortrag über die Argumentation im Recht, der im Gegensatz zu seinem fast unverständlichen Schreibstil so klar und präzise formuliert war, dass er mir schwer imponierte. Gleich nach meiner Rückkehr besuchte mich Prof. Neumann in Korea, um dort insgesamt drei Vorträge zu halten, deren Übersetzung ich mich jeweils annahm. Sein erster Vortrag über ethische und strafrechtliche Probleme der Sterbehilfe, in dem bezüglich der Argumentation der Widerspruch zwischen der deontologischen Normierung und der konsequentialistischen Regelung deutlich hervorgehoben wurde, fand an der Hallym University statt. Da ich zu
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dieser Zeit nebenberuflich auch am Korean Institute of Criminology tätig war, lud ich Herrn Prof. Neumann schließlich sogleich auch dazu ein, dort einen Vortrag über die Viktimodogmatik zu halten, in dem er die Position vertrat, dass die Berücksichtigung der Viktimodogmatik im Strafrecht erst durch den Bezug auf die Lehre von der positiven Generalprävention vollends bewerkstelligt werden könnte. Darüber hinaus hielt er einen weiteren Vortrag vor der Korean Association of Legal Philosophy über das Autoritätsargument und Sachargument in der juristischen Entscheidungsbegründung, auf den eine sehr lebendige Diskussion entstand. Im Oktober 1991 besuchte Prof. Hassemer anlässlich einer Einladung der Korea University die Hallym University, um dort vor der Korean Association of Legal Philosophy einen Vortrag über die Tradition der deutschen Rechtsphilosophie und das Strafrecht zu halten. Hierbei verwies er nach einem Überblick zur philosophischen Entwicklung seit der Aufklärung auf insgesamt vier wichtige Aspekte: 1. Das Gesetzlichkeitsprinzip, 2. die Folgenorientierung, 3. das Rechtsgutsprinzip und 4. die Formalisierung. Vor diesem Hintergrund machte er Vorschläge zur gegenwärtigen Tendenz des Strafrechts in Deutschland. Genau ein Jahr später kam Prof. Jakobs nach Korea. Vermutlich ging sein Besuch vor allem auf eine Einladung seines koreanischen Schülers Sang Jae Cho zurück. In der Association of Korean Criminal Law referierte er über das Schuldprinzip, wobei seine kritischen Argumente gegen dieses Prinzip ausführlich dargelegt wurden. Im Anschluss an den Vortrag gelang es mir, ein Treffen mit ihm zu vereinbaren, bei dem viele meiner Kollegen Gelegenheit hatten, sich näher mit seiner funktionalistischen Position auseinander zu setzen. Nach seiner Rückkehr ließ er mir einen Brief zukommen, in dem er mir nochmals für meine Übersetzung des Diskussionsbeitrages dankte. Da mein Doktorvater Arthur Kaufmann im Jahr 1993 seinen 70. Geburtstag feierte, wurde ich eingeladen, einen Beitrag zu seiner Festschrift zu liefern. Wie bereits erwähnt, konnte ich hierfür das Material meines Vortrages, den ich bei der Tagung für Rechtsvergleichung gehalten hatte, wieder aufgreifen und weiter verarbeiten. Später wurde mein Beitrag oft berücksichtigt, wenn es um die Rezeption des deutschen Strafrechts in Korea ging. Im Frühjahr 1993 schlug ich Prof. Ji Su Kim, dem damaligen Präsidenten der Korean Association of Legal Philosophy, der in Freiburg bei Erik Wolf über Radbruch promoviert hatte, vor, ein monatliches Treffen der Rechtsphilosophen zu veranstalten, um sich gemeinsam zu modernen Tendenzen der Rechtsphilosophie austauschen zu können. Glücklicherweise gelang es uns tatsächlich, dieses Vorhaben umzusetzen. Die Ergebnisse der in dieser Gruppe vorgetragenen Vorträge wurden später in zwei Bänden veröffentlicht. Der erste Band (1996) bezieht
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sich auf gegenwärtige Strömungen in der Rechtsphilosophie, wohingegen der zweite Band (2006) seinen Schwerpunkt auf der angewandten Rechtsphilosophie hat.
IV. Nach meinem vergeblichen Bemühen um eine Stelle an der Universität in Seoul gelang es mir schließlich, als Professor für Strafrecht einen Ruf an die Hanyang University zu erhalten. Da das Pendeln zwischen Chunchon und Seoul besonders im Hinblick auf mein Familienleben sehr von Nachteil war, hatte ich es bereits seit längerer Zeit im Sinn gehabt, an eine andere Universität zu wechseln. Gleich nach meiner Berufung an die Hanyang University im September 1993 musste ich nach Japan fliegen, um dort in Tokyo an einem rechtsvergleichenden Kolloquium über Rechtfertigung und Entschuldigung teilzunehmen, das Prof. Eser gemeinsam mit Prof. Nishihara organisiert hatte und zu dem sich viele Strafrechtler aus China, Taiwan, Korea, Japan und Deutschland versammelten. Am zweiten Tag trat ich hierbei als Kommentator zum Referat von Prof. Perron auf, um eine kritische Stellung zu seiner Position bezüglich der allgemeinen Struktur von Rechtfertigung und Entschuldigung zu beziehen. Insgesamt gesehen zeigte sich bei diesem Kolloquium, dass die Kategorien der Rechtfertigung und Entschuldigung geeignet waren, einen Zugang zur wesentlichen Strafbarkeitsvoraussetzung zu finden – auch bei solchen Rechtssystemen, denen die damit korrespondierende Wertungsebene von Unrecht und Schuld nicht wie in Deutschland geläufig war. Im Oktober 1993 lud das Korean Institute of Criminology Prof. Christian Schroeder ein, der zwei Vorträge hielt, die ich ebenfalls übersetzte. Beim ersten Vortrag der Tagung, die von diesem Institut veranstaltet wurde, ging es um die Debatte über die strafrechtliche Vorschrift der Abtreibung in Deutschland. Der zweite Vortrag, der an der Association of Korean Criminal Law gehalten wurde, bezog sich auf „Tendenz und Hintergrund der deutschen Strafgesetzgebung nach der Reform von 1975“. Hierbei legte er die Tendenz der gegenwärtigen Strafrechtsgebung im Wirtschaftsrecht, Umweltstrafrecht, sowie bezüglich der Bekämpfung von Terrorismus, der organisierten Kriminalität und des Drogenstrafrechts ausgiebig dar und kam zu dem Ergebnis, dass sich im Gegensatz zur Entkriminalisierung vor 1975 eine Neigung zur Verschärfung des Strafrechts nach 1975 feststellen lässt. Im Mai 1994 wurde Prof. Klaus Adomeit von der Hanyang University eingeladen, einen Vortrag über juristische Fragen der deutschen Wiedervereinigung zu halten, bei dem ich als Diskussionsleiter die Moderation übernahm. Prof. Adomeit erläuterte hierbei vor allem die nach der Wiedervereinigung aufgetretenen Probleme wie
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das Recht des Eigentums und die Strafbarkeit von DDR-Unrecht. Auch in den darauffolgenden Jahren übersetzte ich am Korean Institute of Criminology eine Reihe von Vorträgen deutscher Strafrechtler. Hierzu zählte Prof. Franz Streng (November 1994), der am Korean Institute of Criminology über straftheoretische Grundlagen der Strafzumessung und an der Hanyang University über psychowissenschaftliche und Strafjuristen bei der Schuldfähigkeitsentscheidung referierte. Darüber hinaus aber auch Prof. Lampe (Dezember 1994), der sich in seinem Vortrag der Bekämpfung der Geldwäsche in Deutschland widmete, sowie Prof. Wolfgang Heinz (November 1995), der sowohl am Korean Institute of Criminology, als auch an der Hanyang University zum Wirtschaftsstrafrecht referierte. Im Juni 1996 erhielt ich ein 3-monatiges DAAD-Stipendium, das es mir ermöglichte, mich am Lehrstuhl von Prof. Ulfrid Neumann ausgiebig mit der rechtlichen Bewältigung von DDR-Unrecht auseinander zu setzen. Im sogenannten Frankfurter Dienstagsseminar hielt ich außerdem einen Gastvortrag über die Vergangenheitsbewältigung durch das Strafrecht, den ich später als Aufsatz in der Fachzeitschrift „Archiv für Rechts- und Sozialphilosophie“ (ARSP 84, 1998) publizierte. Dieser Beitrag wurde zudem auch in der FAZ veröffentlicht (19.5.1999, S. 6, Nr. 114). Letzten Endes liegt die Quintessenz meiner Arbeit hierzu in der Feststellung, dass eine Bestrafung zum Zweck von Vergangenheitsbewältigung im Fall der DDR eine Verfassungsänderung voraussetzt und dass der Preis, der ohne Verfassungsänderung für eine Vergangenheitsbewältigung gezahlt wird, einen enormen Verlust an Rechtsstaatlichkeit bedeutet. Aus diesem DAAD-Forschungsaufenthalt konnte ich sehr viel Positives ziehen. So lernte ich beispielsweise in dieser Zeit an der Universität Frankfurt Prof. Naucke kennen, dessen liberalistische Einstellung ich sehr schätze. Darüber hinaus konnte ich mich mit Prof. Yamanaka, den ich während meines Studiums in München kennengelernt hatte, zu einem Partnerschaftsvertrag zwischen der Hanyang University und der Kansai University austauschen. Diese Partnerschaft konnte im April 1997 an der Kansai University besiegelt werden, wo ich schließlich auch einen Vortrag über „Begriffsjurisprudenz und die Flucht in die Generalklausel“ hielt. Dabei kommt es mir vor allem darauf an, zwiespältige Haltungen beim Umgang mit dem Recht zu kritisieren – nämlich einerseits die gängige Auslegungspraxis, am Wortlaut des Gesetzes anzuhaften, wenn die positive Rechtsgrundlage zur Entscheidung ausreicht und andererseits die Hinwendung zur Generalklausel, falls kein gesetzlicher Anhaltspunkt auffindbar ist. Die akademische Partnerschaft zwischen den beiden Universitäten wurde erfolgreich fortgesetzt. Abgesehen von den Jahren 2003
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und 2005, in denen an den beiden Hochschulen eine Law School eingeführt wurde, wurde jährlich ein gemeinsames Symposium veranstaltet, dessen wissenschaftliche Beiträge in den Zeitschriften der beiden Universitäten publiziert wurden. Neben einem Vortrag über die Verantwortungsstruktur in der Risikogesellschaft im Rahmen des 8. Symposiums an der Hanyang University (2006), referierte ich auch bei dem 10. Symposium, das 2008 an der Kansai University stattfand, und bezog mich hierbei mit meinem Beitrag auf das Verhältnis zwischen Recht und Moral im koreanischen Strafrecht. Über eine Förderung der Korea Foundation kam im Oktober 1997 Prof. Seelmann nach Korea, um eine Reihe von Vorträgen zu halten, von denen ich schließlich auch zwei übersetzte. Bei seinem ersten Vortrag über das „Risikostrafrecht“, der an der Hanyang University veranstaltet wurde, ging es darum, die beiden Tendenzen des Strafrechts in Deutschland, nämlich die Vorverlegung der Strafbarkeit und abstrakte Gefährdungsdelikte, deutlich hervorzuheben. Der zweite Vortrag zu „Hegels Strafrecht“, der über die Korean Association of Legal Philosophy realisiert werden konnte, wurde die wechselseitige Anerkennung in Hegels Philosophie ausführlich analysiert. Im Jahr 1998 stellte ich bei der Korean Research Foundation einen Forschungsantrag für ein Projekt, das sich auf die Verantwortungsstruktur von Recht und Moral beziehen sollte. Neben mir beteiligten sich auch Prof. Neumann und zwei weitere koreanische Wissenschaftler, Prof. Young Min Chang und Prof. Hak Tae Kim, an der Durchführung der diesbezüglichen Forschungen. Das wichtigste Ergebnis unserer gemeinsamen Forschung lag in der Unterscheidung des modernen Zurechnungsmodells und dem klassischen Verantwortungsmodell, dem deontologische Moralsysteme zugrunde liegen. Während das erste prospektiv verfährt, geht das zweite Modell retrospektiv vor. Im Gegensatz zu einer normbezogenen Verantwortung beim klassischen Modell, zeichnet sich das moderne Modell durch eine folgenorientierte Verantwortung aus. Das Projekt wurde schließlich mit einer Publikation von Prof. Neumann zur Veränderung der Verantwortungsstrukturen unter den Bedingungen des wissenschaftlich-technischen Fortschritts (Rechtstheorie 2005) abgeschlossen. Im selben Jahr nahm ich auch an einer Tagung der deutschen Internationalen Vereinigung für Rechts- und Sozialphilosophie teil, die an der Universität Frankfurt stattfand. Im Anschluss daran fuhr ich nach Konstanz, um dort Prof. Hilgendorf zu treffen. Von Konstanz aus fuhr ich außerdem nach Basel, wo ich dank einer Einladung von Prof. Seelmann über das Thema „Begriffsjurisprudenz und die Flucht in die Generalklausel“ referierte, wozu ich zu einem früheren Zeitpunkt bereits an der Kansai University einen Vortrag gehalten hatte. Auch hierzu verfasste ich einen
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Aufsatz, den ich schließlich in der Fachzeitschrift „Rechtsphilsophische Hefte“ im Band „Recht und Kulturen“ (2000) veröffentlichte. Kurz nach meiner Rückkehr nach Korea wurde ich Opfer eines schweren Verkehrsunfalls. Ich hatte gemeinsam mit meiner Tochter in der Fußgängerzone, die in einer großen Anlage nahe unserer Wohnung liegt, einen Spaziergang unternommen, als plötzlich ein betrunkener Fahrer mit seinem Auto auf den Platz raste und eine Wand rammte, die wiederum auf meinen Kopf stürzte. Aufgrund einer Gehirnerschütterung musste ich schließlich insgesamt drei Monate im Krankenhaus verbringen.
V. Auch wenn es eine Weile in Anspruch nahm, bis ich mich von dem Unfall wieder einigermaßen erholt hatte, ist es mir gelungen, den Vorfall hinter mir zu lassen und einigermaßen zu erreichen, was ich mir gewünscht habe: nach dem Unfall habe ich viele Projekte gemeinsam mit ausländischen Kollegen durchgeführt, von denen im Folgenden die Rede sein wird.
1. Im März 2000 lud ich mit der finanziellen Unterstützung der Korea Research Foundation, die mir bereits für meine Forschung über die Verantwortung von Recht und Moral Fördermittel zur Verfügung gestellt hatte, Prof. Ulfrid Neumann nach Korea ein. Er besuchte schließlich die Hanyang University, wo er einen Vortrag über das Problem der Rechtsgeltung am Beispiel von Taten der DDR-Grenzsoldaten hielt. Dabei zeigte er drei Gesichtspunkte der Geltung des Rechts auf – Rechtspositivismus, Rechtsmoralismus und Rechtsrealismus – und illustrierte dementsprechend die Positivität, die Moralität, und die Faktizität als Geltungsmerkmale. Bezüglich der Strafbarkeit der Mauerschützen kam er zu dem Schluss, dass selbst wenn Rechtsmoralismus und Rechtsrealismus als Korrektiv des reinen Rechtspositivismus ihre Berechtigung haben mögen, sie auf das Problem der Mauerschützen nicht anwendbar sind. Er referierte außerdem auch an der Korean Association of Legal Philosophy über die Verantwortungsstruktur in der modernen Gesellschaft. Im Jahr 2001 initiierte meine Universität einen wissenschaftlichen Austausch mit der Universität Konstanz. Der Beginn dieser Kooperation war eigentlich auf einen Besuch von Prof. Heinz im Jahr 1995 am Korean Institue of Criminology in Korea zurückzuführen. Der entscheidende Anstoß für die akademische Partnerschaft ergab sich allerdings erst fünf Jahre später – also im Jahr 2000 – als er gemeinsam mit Prof. Hilgendorf, der inzwischen von der Univer-
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sität Konstanz an die Universität Würzburg gewechselt war, erneut zu uns nach Korea kam, um Vorträge über das Computerstrafrecht und die Internetkriminalität zu halten. Anlässlich der Gründung der Partnerschaft zwischen der Hanyang University und der Universität Konstanz, reiste ich im Sommer 2001 zusammen mit einigen Kollegen nach Konstanz, um dort gemeinsam mit deutschen Kollegen eine Tagung zu veranstalten. Ich selbst referierte bei dieser Gelegenheit vor allem über den recht diffusen § 20 des koreanischen Strafgesetzbuches. Nach dem Abschluss des Seminars schlossen wir den Partnerschaftsvertrag ab. Nach dieser ersten Tagung besuchten drei Kollegen der Universität Konstanz – Prof. Rengier, Prof. Heinrich und Prof. Hailbronner – im April 2003 die Hanyang University anlässlich einer zweiten Tagung, bei der es überwiegend um strafrechtliche Probleme (Menschenhandel, Geldwäsche) ging. Im Sommer 2005 führte die Hanyang University dann schließlich zusammen mit der Universität Konstanz und der Kansai University eine Tagung zum Thema „Globalisierung und neue rechtliche Tendenzen in einzelnen Staaten“ durch, an der erstmals alle drei Universitäten beteiligt waren. Hier ist also der Beginn dieser besonderen Partnerschaft zwischen den drei Universitäten zu verorten. Aufgrund dieser ersten gemeinsamen Kooperation besiegelte im Sommer 2006 sowohl die Hanyang University, als auch die Kansai University mit der Universität Konstanz ihre Partnerschaft. Die zweite gemeinsame Kooperationsveranstaltung fand dann schließlich in Konstanz statt. Das Thema lautete hierbei „Risiko und Prognose“, wobei ich über die Veränderung der Verantwortungsstruktur in der modernen Risikogesellschaft referierte und mein Vortrag wiederum in einen Beitrag zur Festschrift für Winfrid Hassemer mündete. Die dritte gemeinschaftlich veranstaltete Tagung widmete sich dem Thema: „Aktuelle Rechtsprobleme in Japan, Deutschland und Korea“ und fand in einem relativ großen Rahmen statt. Auf die große Initiative von Prof. Yamanaka hin realisierten wir im Jahr 2010 schließlich die vierte Tagung dieser Art – dieses Mal in Osaka – an der ich jedoch selbst leider nicht teilnehmen konnte. Zur fünften Tagung über „Die Rolle des Rechts bei der Bewältigung von Katastrophen“, die von Prof. Rengier organisiert worden war und einen großen Erfolg darstellte, leiste ich wieder einen Beitrag – dieses Mal über „Die Rolle des Rechts unter dem Aspekt des Verantwortungsdiskurses in der Risikogesellschaft“. Dabei ging es mir vor allem darum, drei wesentliche Merkmale des Zurechnungsmodells – nämlich den Konsequentialismus mit seiner Folgenorientierung, die Globalisierung und die Ontologisierung – hervorzuheben. Im Jahr 2014 veranstalteten wir die sechste Tagung (Thema: „Die Erträge und
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die Defizite der rechtsvergleichenden Forschungen“) an der Hanyang University, in deren Verlauf ich viele Vorträge moderierte. An dieser Stelle sei noch erwähnt, dass alle Beiträge zu dieser Tagung auch über das Konstanzer Online-Publikations-Systems (KOPS) aufgerufen werden können. Im Mai 2003 fand ein Symposium zum Gedächtnis Artur Kaufmanns in München statt. Auf eine Einladung von Prof. Neumann hin beteiligte ich mich daran in Form eines Vortrags mit dem Titel: „Unzeitgemäße Betrachtung zum Schuldprinzip im Strafrecht?“. Der daraus hervorgegangene Aufsatz erschien in der Fachzeitschrift „Archiv für Rechts- und Sozialphilosophie“ (ARSP-Beiheft 100, 2005). Ausgehend von der personalen Schuldlehre Arthur Kaufmanns setzte ich mich schließlich intensiv mit den drei kritischen Ansichten zum Schuldprinzip von Roxin, Jakobs, Hassemer und Ellscheid auseinander.
2. Im September 2003 reiste ich gemeinsam mit meiner zweiten Tochter nach Basel in die Schweiz, um dort bei Prof. Kurt Seelmann mein erstes Forschungsjahr zu verbringen. Während meine Tochter dort die International School besuchte, befasste ich mich überwiegend mit der Übersetzung des Buches „Rechtsphilosophie“ von Arthur Kaufmann. Glücklicherweise hatte ich hierfür von der Korean Research Foundation Drittmittel erhalten. Nach unserer Rückkehr nach Korea konnte meine Übersetzung schließlich im Jahr 2007 veröffentlicht werden. Während des Aufenthaltes in der Schweiz konnte ich durch die Vermittlung Prof. Seelmannn das Schweizer Bundesgericht in Lausanne besichtigen und außerdem den Bundesrichter Herrn Wiprächtiger kennenlernen. Ich erinnere mich, dass uns Prof. Hilgendorf nur drei Monate nach meiner Rückkehr nach Korea (Juli 2004) einen Besuch abstattete, um an der Ewah University einen Vortrag über „Richtiges Recht“ zu halten. Dabei ging es ihm vor allem darum, menschliche Interessen wie etwa den Wunsch nach Leben, Freiheit und das Wohl der Nachkommen als anthropologische Konstanten hervorzuheben, da sie seiner Ansicht nach einer Rechts- und Moralbegründung zugrunde gelegt werden können. Seiner These nach ist hierin tatsächlich ein Maßstab für „Richtiges Recht“ gegeben. Im Oktober 2006 besuchten Prof. Seelmann und der Schweizer Bundesrichter Herr Wiprächtiger die Hanyang University. Herr Wiprächtiger hielt einen Vortrag über „Recht und Richter“, wobei die Unabhängigkeit von Richtern mittels ihrer Bindung an das Gesetz im Vordergrund stand. Daran anschließend referierte Prof. Seelmann über Recht und Moral, wobei er deren ambivalentes Verhältnis eingehend darstellte. Im Februar 2007 fand ein internationales Symposium an
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der Korea University statt, das über die Thyssen-Stiftung finanziert wurde. Zentrales Thema war hierbei die Globalisierung, die im Rahmen von drei Rechtsgebieten – öffentliches Recht, Strafrecht und Wettbewerbsrecht – analysiert wurde. An dieser Tagung nahmen Professoren aus fünf Ländern (Korea, Japan, China, Taiwan und Deutschland) teil. Ich leistete hierbei einen Beitrag zum Themenfeld des Strafrechts, indem ich über die Veränderung der Verantwortungsstruktur referierte, worauf ich mich bereits an vorheriger Stelle bezogen habe. Im Oktober 2008 fand ein Symposium zum ostasiatischen Recht statt, das von Prof. Hilgendorf organisiert wurde. Unter den Teilnehmern wurde dabei nicht nur über das chinesische Strafrecht diskutiert, sondern auch auf das koreanische und das japanische Strafrecht Bezug genommen. Ich selbst hielt dabei einen Vortrag über „Die Rezeption des deutschen Strafrechts in Korea“, dessen dazugehöriger Aufsatz später in dem von Prof. Hilgendorf herausgegebenen Werk „Ostasiatisches Strafrecht“ (2010) aufgenommen wurde. In meinem Vortrag ging ich vor allem ausführlich auf den historischen Vorgang der Rezeption des deutschen Strafrechts in Korea ein. Im März 2012 lud mich Prof. Franz Streng nach Erlangen ein, um über ein ähnliches Thema zu referieren. Von einem rechtsvergleichenden Ansatzpunkt aus, die Anpassungsprozedur bei der Übernahme des deutschen Strafrechts in verschiedenen Ländern näher zu beleuchten, wurde verschiedentlich versucht, den jeweiligen Vorgang der Rezeption des deutschen Strafrechts darzustellen. Hierbei verwies ich vor allem auf Besonderheiten bei der Rezeption des deutschen Strafrechts in Korea. Dieses Manuskript wurde in dem von Prof. Franz Streng herausgegebenen Buch „Strafrechtsvergleichung als Kulturvergleich“ (2012) publiziert. Im Mai 2009 wurde ein Symposium in Taiwan veranstaltet, das von Prof. Shin I Lieu organisiert wurde, mit dem ich sehr gut bekannt bin, da er in den 1980er Jahren bei Arthur Kaufmann über die chinesische Rechtsphilosophie promoviert hatte. Das Thema der Tagung lautete „Gerechtigkeit-Theorie und Praxis“. Als erster Referent widmete ich mich dem Thema „Die persönliche Schuldlehre von Arthur Kaufmann“, wobei der Schwerpunkt vor allem darauf lag, die umfassende Kritik Kaufmanns an der Diskurstheorie ausführlich darzulegen. Auch wenn der Diskurs unabdingbar ist, muss es etwas geben, worüber man sich tatsächlich austauschen kann. Kaufmann sah den Gegenstand dieses Diskurses in der Person des Menschen. 2011 wurde mein Vortrag in einem von Shin I Lieu und Neumann herausgegebenen Buch publiziert.
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3. Im März 2011 reiste ich nach Frankfurt, nachdem ich von der Korean Research Foundation Fördermittel für Forschungen im Ausland erhalten hatte. Ich verweilte schließlich am Lehrstuhl von Prof. Ulfrid Neumann, um dort mein zweites Forschungsjahr zu verbringen. Während dieses Aufenthaltes konnte ich viel erreichen. Zu nennen ist zunächst ein Vortrag über die Verhaltensnorm bei Stratenwerth im Doktorandenseminar, der wiederum unter dem Titel „Verhaltensdelikte versus Rechtsgutsverletzungen – Zur aktuellen Diskussion um einen materiellen Verbrechensbegriff“ in der „Zeitschrift für die gesamte Strafrechtswissenschaft“ (ZStW 2012, Band 124, Heft 3) veröffentlicht wurde. Um dies zusammenzufassen: Nach einem Überblick zu der Entwicklung der Position Stratenwerths über den Rechtsgutsbegriff (bzw. die Verhaltensnorm) analysierte ich die methodische Frage mittels des Begriffspaares der internenexternen Perspektive dahingehend, welche Perspektive sie einnimmt. Hierdurch kam ich zu dem Schluss, dass Stratenwerths These von der Verhaltensnorm nur ein Deutungsmuster darstellt, das dazu dient, den eigentlichen Grund des betreffenden Straftatbestandes zu erklären, jedoch keineswegs, um ihn zu begründen. Ich leistete auch einen Beitrag zur Festschrift für Wolfgang Heinz, in dem das ambivalente Verhältnis von Recht und Moral (bzw. die Moralisierung des Strafrechts) anhand von Beispielen des koreanischen Strafrechts – wie etwa dem Tatbestand des Ehebruchs, der Verschärfung der Strafe gegen den Nachkommen bei der Elterntötung und der generalklauselartigen Vorschrift im Paragraphen 20 – untersucht wird. Über dieses Problem habe ich schließlich auch Anfang November 2011 an der Universität Würzburg referiert. Erwähnen möchte ich außerdem noch meine Teilnahme am Weltkongress der Rechtsphilosophie, welcher im Sommer 2011 an der Universität Frankfurt veranstaltet wurde. Hier referierte ich über die Euthanasie in Korea. Dank einer Einladung von Prof. Neumann habe ich außerdem auch die Stadt Wetzlar besucht, um das alte Gericht zu besichtigen. Nach meiner Rückkehr nach Korea im Jahr 2012 musste ich insgesamt noch dreimal nach Deutschland reisen – zweimal wegen Tagungen in Erlangen und Konstanz und einem Besuch einer Oper von Wagner in Bayreuth. Im Oktober dieses Jahres kamen vier Göttinger Strafrechtler – Prof. Ambos, Prof. Duttge, Prof. Murmsann und Prof. Jehle – nach Korea, um an einer internationalen Konferenz über den Reformentwurf des koreanischen Strafrechts aus dem Jahr 2011 teilzunehmen. Hier moderierte ich den zweiten Veranstaltungsabschnitt zum Allgemeinen Teil (Vorsatz, Fahrlässigkeit, Rechtfertigung, Schuld und Konkurrenz). Prof. Duttge verwies dabei auf die Unklarheit bestimmter Begrif-
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fe, z.B. der gesellschaftlichen Sitte und des zureichenden Grundes, bei den Vorschriften zur Rechtfertigung. Im April 2013 stattete uns Prof. Neumann auf seiner Durchreise nach China einen Besuch ab und hielt bei dieser Gelegenheit drei Vorträge. Da ich mich 2011 an seinem Lehrstuhl mit dem Thema „Rechtsgut im Strafrecht“ beschäftigt hatte, bat ich ihn darum, an der Hanyang University zu diesem Thema zu referieren. Bei dem hierdurch zustande gekommenen Vortrag über „Aktuelle Probleme in der Diskussion zum strafrechtlichen Rechtsgut“, den ich moderierte, ging es vor allem darum, Begriff und Funktion des Rechtsgutsbegriff in der personalen Rechtsgutslehre klarzustellen und dann gegen die gegenwärtige Kritik zu verteidigen, dass er entweder zu eng bzw. zu weit gefasst ist. Bei einem der weiteren Vorträge, der über die Korean Association of Legal Philosophy veranstaltet wurde und sich dem Thema „Wahrheit und Autorität im Recht“ widmete, ging er darauf ein, dass die Denkform der Wahrheit im Recht als eine regulative Idee fungiert, die der Entscheidungsperspektive des Richters entspricht und die eine kritische Auseinandersetzung mit staatlichen Entscheidungen ermöglicht. Dabei fügte er hinzu: „Wenn Wahrheit eine kritische Funktion haben soll, muss jeder Wahrheitsanspruch als vorläufig, als revidierbar gesehen werden.“ Im August 2013 sprachen wir über das Korean Institute of Criminology an Herrn Prof. Hilgendorf erneut eine Einladung zu einem Vortragsbesuch in Korea aus. Er besuchte schließlich zunächst die Hanyang University, wo er über „Die deutsche Strafrechtswissenschaft der Gegenwart“ referierte. Dabei zeigte er insbesondere die Vorteile einer systematischen Strafrechtstheorie auf, aber auch ihre Schwächen, wie beispielsweise eine übertriebene Detailanalyse. Zum Schluss seines Vortrages betonte er, dass sich die deutsche Strafrechtswissenschaft aus seiner Sicht in Zukunft stärker mit der strafrechtswissenschaftlichen Arbeit außerhalb Deutschlands auseinandersetzen müsse, beispielsweise mit derjenigen, die in Ostasien geleistet wird. Ein weiterer Vortrag von Prof. Hilgendorf, den ich wiederum selbst moderierte, wurde über das Korean Institute of Criminology realisiert. Hierbei ging es in erster Linie um moderne Ermittlungsmethoden und rechtliche Probleme auf dem Gebiet der Medizin, vor allem bei der Verwendung von Robotik. Gegen Ende des Jahres 2014 erhielt ich von Frau Prof. Bu von der Universität Freiburg das Angebot, an einem Sammelband zur Methodenlehre in Ostasien mitzuwirken, das ich auch gerne annahm. Zu diesem Projekt steuerte ich schließlich einen Aufsatz über „Theorie und Praxis in der juristischen Methodenlehre in Korea“ bei, der bereits veröffentlicht wurde.
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VI. Unter Berücksichtigung meiner akademischen Laufbahn könnte nun bei Ihnen, verehrte Leserinnen und Leser, eventuell die Frage aufkommen, aus welchen Gründen ich in Deutschland promovierte und mich auch darüber hinaus stets um eine Zusammenarbeit mit Deutschland bemühte. Hierzu ist zunächst zu sagen, dass Korea einst deutsches Recht mittelbar über Japan übernahm, so dass es mir unabdingbar erschien hat, mein weiteres Studium im ursprünglichen Land dieser Rechtstradition fortzusetzen. Zum Zweiten habe ich persönlich die Rechtswissenschaft in Deutschland stets hoch geschätzt und zwar vor allem aufgrund ihrer begrifflichen Klarheit und der Systematik in der Dogmatik, die bei der Rechtsanwendung vollends Rechtssicherheit gewährleistet. Da all dies meines Erachtens mit der Beziehung zwischen dem deutschen und koreanischen Recht zu tun hat, möchte ich zum Schluss kurz auf den Hergang dieser Rezeption in der koreanischen Rechtswissenschaft, vor allem im Strafrecht sowie in der Rechtsphilosophie eingehen. Korea gehörte bis zum Ende des 19. Jahrhunderts dem traditionellen chinesischen Rechtskreis an. In dieser Zeit befand sich das Land – angesichts eines ungleichen Vertrages mit Japan und anderen westlichen Ländern – in einer außenpolitischen Lage, die es erforderte ein anderes Rechtssystem zu rezipieren. Im Jahr 1894 kam es jedoch schließlich zur Kabo-Reform, die es vorsah, dass Korea selbständig eine moderne Kodifikation hervorbringen würde. Aufgrund dieser Reform wurde im Jahr 1905 das einheitliche Strafgesetzbuch „Hyungpop Taejon“ erlassen, das sich inhaltlich noch am traditionellen Recht orientierte. Nach der Annexion Koreas durch Japan 1909 fand das japanische Strafgesetzbuch fortan auch unmittelbar in Korea Anwendung, das jedoch wiederum unter deutschem Einfluss stand. Auf diese Weise wurde das deutsche Recht – vermittelt durch das japanische Strafrecht – in Korea rezipiert. In eine unmittelbare Berührung mit dem deutschen Strafrecht kam das koreanische Strafrecht allerdings erst nach dem Zweiten Weltkrieg. Nach der Unabhängigkeit Koreas von Japan bildete die Regierung eine Kodifikationskommission, um das Strafgesetz zu entwerfen. Der hierdurch entstandene Entwurf, der dem geltenden Strafgesetzbuch zugrunde lag, wurde durch Heranziehung sowohl des geltenden deutschen Strafgesetzes als auch der deutschen Entwürfe von 1925, 1927 und 1930 und des vorläufigen Entwurfs des japanischen Strafgesetzbuches von 1940 verfasst. Das geltende koreanische Strafgesetzbuch, bestehend aus einem Allgemeinen und Besonderen Teil und 372 Paragraphen, basiert deshalb grundsätzlich auf dem deutschen Strafrecht.
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Auch auf dem Gebiet der Strafrechtswissenschaft steht die koreanische Strafrechtswissenschaft mit der deutschen in enger Verbindung. Das zeigt sich vor allem in der Deliktslehre, die bezüglich Tatbestand, Rechtswidrigkeit und Schuld nach dem deutschen Grundmuster aufgebaut ist. Auch die Debatte um die finale Handlungslehre wurde in Korea fortgeführt – und da viele Koreaner in Deutschland promoviert haben, wurden viele neue Theorien des Strafrechts (wie zum Beispiel zur objektiven Zurechnung, zu Handlungsunwert und Erfolgsunwert, Schuld und Prävention, der Funktionalisierung des Strafrechts mit dem Feindstrafrecht) aus Deutschland in Korea eingeführt. Der Anteil von Koreanern, die im Strafrecht promovieren, hat seit den 1980er Jahren deutlich zugenommen. Die gegenwärtige Lage zeichnet sich dennoch durch eine kritische Einstellung gegenüber der sog. Import-Jurisprudenz aus Deutschland aus. Da die Rechtsphilosophie nicht an ein bestimmtes Rechtssystem gebunden ist, vollzieht sich die Rezeption der deutschsprachigen Rechtsphilosophie unmittelbar über das Herkunftsland. Sie datiert aus der Mitte der 1920er Jahre während der japanischen Herrschaft in Korea, in der Domo Otaka (1899–1956) die erste rechtsphilosophische Vorlesung veranstalte. Die erste Generation der Rechtsphilosophie in Korea rekrutierte sich schließlich aus dem Schülerkreis von Otaka, zu dem u.a. Jin Oh Yu, San Duk Hwang und Hang Nyung Lee gehörten. Die Zuneigung zur reinen Rechtslehre von Hans Kelsen in dieser Zeit ist darauf zurückzuführen, dass Otaka stark von Hans Kelsen beeinflusst wurde. Mit der sukzessiven Etablierung der koreanischen Rechtswissenschaft nach der Befreiung von Japan sind drei Arten rechtsphilosophischer Strömungen verbunden: Zum einen ist die Rezeption der Rechtsphilosophie von Gustav Radbruch zu nennen, die durch drei Koreaner erfolgte: Yungback Kwun bei Arthur Kaufmann, Zong Uk Tjong bei Hans Welzel und Jisu Kim bei Erik Wolf. Zum zweiten gehört hierzu auch die unmittelbare Rezeption der abendländischen Naturrechtslehre von Zai-woo Shim, die sich bei Maihofer mit dem Problem des Widerstandrechts befasste. Zum dritten ist außerdem eine Rezeption des klassischen Rechtspositivismus von Hun Seop Shim zu erwähnen, die von Kelsen bis Weinberger reichte. All diese Rechtsphilosophen lassen sich als die zweite Generation klassifizieren. Zur dritten Generation gehören Byung Sun Oh und Un Zong Pak. Während Byung Sun Oh in England durch MacCormick betreut worden war und sich nach seiner Rückkehr in Korea darum bemühte, dort die Rechtsphilosophie im Rahmen englischsprachiger Lehrveranstaltungen zu etablieren, promovierte Un Zong Pak hingegen bei Alexander Hollerbach in Freiburg zur Rechtsonto-
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logie. Hieraus ergab sich für ihre Lehre schließlich eine naturrechtliche Ausrichtung. Zu dieser Generation zählen außerdem auch Young Min Chang und meine Wenigkeit. Young Min Chang wurde nach seiner Promotion bei Hun Seop Shim vor allem über die Übersetzung des Werks „The Empire of Law“ von Ronald Dworkin bekannt. Wie im Rahmen meiner vorliegenden Autobiografie dargestellt, lag mein persönlicher Schwerpunkt nach der Promotion bei Arthur Kaufmann vorwiegend auf der juristischen Hermeneutik, wobei ich mich jedoch mittlerweile auch sehr stark der juristischen Methodenlehre zugewandt habe. Darüber hinaus ist gegenwärtig in Korea eine recht große „amerikanische Fraktion“ vertreten, in der bislang vor allem Jeong Oh Kim und Bong Chul Choi eine bedeutende Rolle einnahmen. Hier lässt sich auch die Rechtsphilosophie von Sang Don Yi einordnen, in deren Mittelpunkt die Diskurstheorie von Habermas steht. Darüber hinaus sollte Do Kyun Kim, der bei Alexy promovierte, an dieser Stelle nicht unerwähnt bleiben. Zu den jungen koreanischen Rechtsphilosophen, die ich persönlich einer vierten Generation zuschreiben würde, zählen Kye Il Lee, der in Düsseldorf über die Argumentationstheorie promovierte, sowie Zai Wang Yoon, der sich in seiner Dissertation bei Neumann ausgiebig der Anerkennungstheorie nach Bierling widmete und dabei insbesondere auch die Systemtheorie Luhmanns rezipierte. Neben diesen durch Deutschland und die USA geprägten Nachwuchswissenschaftlern besteht in Korea außerdem auch eine Gruppe, die sich an der alten chinesischen Philosophie orientiert.
Schriftenverzeichnis (in Auswahl) 1. Selbständiges Schrifttum / Monographien Zur Fragwürdigkeit und Notwendigkeit des strafrechtlichen Schuldprinzips: Ein Versuch zur Rekonstruktion der jüngsten Diskussion zu ‘Schuld und Prävention’, Ebelsbach 1987. Über die gegenwärtigen Strömungen in der Rechtsphilosophie (Hrsg.), Seoul 1996. Grenzen der Auslegung (Hrsg.), Seoul 2000. Angewandte Rechtsphilosophie (Hrsg.), Seoul 2002. Grundprobleme der Rechtsphilosophie, 3. Aufl., Seoul 2012. Rechtsphilosophie und Strafrecht in Deutschland und Korea, Baden-Baden 2017.
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2. Aufsätze in Zeitschriften und Sammelwerken Die Lehre von der ‘sachlogischen Struktur’ bei Hans Welzel, in: Gedächtnisschrift für Prof. San-Duk Hwang, Seoul 1989, S. 263 ff. Eine kritische Betrachtung zur rechtmäßigen Handlung in § 20 des Koreanischen Strafgesetzbuches, in: Festschrift für Zong Won Kim, Seoul 1991, S. 129 ff. Über die ärztliche Heilbehandlung in strafrechtlicher Hinsicht, in: Festschrift für Si Tak Sung, Seoul 1993, S. 269 ff. Zur Problematik des sog. „Irrtums der (Tatausführungs)Methode“, in: Strafrechtliche Fallstudie Bd. 1, Seoul 1993, S. 13 ff. Die Stellung von Rechtfertigung und Entschuldigung im System der Strafbarkeitsvoraussetzungen – Ein Kommentar aus koreanischer Sicht, in: Eser / Nishihara (Hrsg.), Rechtfertigung und Entschuldigung IV. OstasiatischDeutsches Strafrechtskolloquium Tokio 1993, Freiburg i. B. 1996, S. 99 ff. Die juristische Argumentationslehre und ihre praktische Bedeutung, Hanyang Law Review Bd. 12, Seoul 1995, S. 231 ff. Zur Grenze der strafrechtlichen Auslegung: das Verhältnis zwischen der erlaubten Auslegung und der verbotenen Analogie, Strafrechtliche Fallstudie Bd. 4, Seoul 1996, S. 3 ff. Strafverfolgungsverjährung und der Grundsatz des Strafrückwirkungsverbots, in: Festschrift für Myung Koo Lee, Bd. 3, Seoul 1996, S. 767 ff. Der Begriff der Rechtsdogmatik und seine praktischen Bedeutungen, in: Festschrift für Sung Keun Jeong, Seoul 1997, S. 1165 ff. Vergangenheitsbewältigung durch das Strafrecht? Einige rechtsphilosophische Reflexionen über die Frage nach der Rechtsgeltung, in: ARSP Bd. 84, Stuttgart 1998, S. 505 ff. Zur Folgeerscheinung der Rezeption in Korea: Begriffsjurisprudenz und die Flucht in die Generalklausel, in: Recht und Kultur, Rechtsphilosophische Hefte 9, 2000, S. 59 ff. Gesetzeslücke und teleologische Reduktion, Festschrift für Jae Sang Lee, Bd. 1, Seoul 2002, S. 69 ff. Zum systematischen Stellenwert der Auslegung und der Lückenfüllung in methodologischer Hinsicht, in: Festschrift für Ji Su Kim, Seoul 2003, S. 54 ff. Zur fehlenden Unrechtseinsicht im Strafrecht, in: Strafrechtliche Vereinigung, Zeitsschrift für das Strafrecht, Bd. 21, Seoul 2004, S. 185 ff.
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Unzeitgemäße Betrachtung zum Schuldgrundsatz im Strafrecht?, in: Neumann / Hassemer / Schroth (Hrsg.), Verantwortetes Recht, ARSP Beiheft 1000, Stuttgart 2005, S. 157 ff. Über die koreanische Rechtsphilosophie in den 60er und 70er Jahren, in: Zeitschrift für Rechtsphilosophie, Bd. 11, Heft 2, Seoul 2008, S. 113 ff. Analogie und teleologische Reduktion unter dem Aspekt der juristischen Methodenlehre, in: Zeitschrift für Rechtsphilosophie Bd. 12, Seoul 2009, S. 7 ff. Rezeption des deutschen Strafrechts in Korea, in: Hilgendorf (Hrsg.), Ostasiatisches Strafrecht, Tübingen 2010, S. 43 ff. Über die Verantwortungsstruktur in der Risikogesellschaft, in: Herzog / Neumann (Hrsg.), Festschrift für Winfried Hassemer, Heidelberg 2010, S. 85 ff. Die personale Rechtslehre von Arthur Kaufmann, in: Liu / Neumann (Hrsg.), Gerechtigkeit – Theorie und Praxis, Baden-Baden 2011, S. 95 ff. Die gegenwärtige Diskussion um die Sterbehilfe in Korea, in: 25th IVR World Congress: Law, Science and Technology, Frankfurt am Main 15.–20. August 2011, Paper Series, Paper Nr. 079. Abrufbar unter http://publikationen.ub.unifrankfurt.de/files/24937/IVR_World_Congress_2011_No_079.pdf. Das Verhältnis von Recht und Moral am Beispiel des koreanischen Strafrechts, in: Rengier / Hilgendorf (Hrsg.), Festschrift für Wolfgang Heinz, Baden-Baden 2012, S. 753 ff. Rezeption des deutschen Strafrechts in Korea, in: Streng / Kett-Straub (Hrsg.), Strafrechtsvergleichung als Kulturvergleich, Tübingen 2012, S. 59 ff. Verhaltensdelikte versus Rechtsverletzung - Zur aktuellen Diskussion um einen materiellen Verbrechensbegriff, in: ZStW 2012, S. 591 ff. Die Rolle des Rechts unter dem Aspekt des Verantwortungsdiskurses in der Risikogesellschaft, in: Rengier (Hrsg.), Konstanzer-Online-PublikationsSystem (KOPS), Bd. 5, 2013. Theorie und Praxis der juristischen Methodenlehre in Korea, in: Yuanshi Bu (Hrsg.), Juristische Methodenlehre in China und Ostasien, Tübingen 2016, S. 279 ff. Strafrecht für Roboter?, in: Zeitschrift für Rechtsphilosophie, Bd. 19, Heft 3, Seoul 2016, S. 143 ff.
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§ 20 Koreanisches Strafgesetzbuch als Beispiel für eine Generalklausel – Eine Folgeerscheinung der Rezeption des deutschen Strafrechts, in: Safering / KettStraub / Jäger / Kudlich (Hrsg.), Festschrift für Streng, Heidelberg 2017, S. 49 ff.
3. Übersetzungen Heinz Zipf, 형사정책, Korean Institute of Criminology, Seoul 1993, mit Sang Ki Park und Il Tae Huh. Übersetzung von Heinz Zipf, Kriminalpolitik, 2. Aufl., Heidelberg 1980. Kausalität und Objektive Zurechnung, Seoul 1995, mit Jae Sang Lee und Young Min Chang. Arthur Kaufmann, 법철학, Nanam, Seoul 2007. Übersetzung von Arthur Kaufmann, Rechtsphilosophie, 2. Aufl., München 1997. Irrtum im Strafrecht, Seoul 1998, mit Jae Sang Lee und Young Min Chang. .
Diego-Manuel Luzón Peña
https://doi.org/10.1515/9783110277708-012
Diego-Manuel Luzón Peña I. Ausbildung und akademische Laufbahn 1. Übersicht Ich wurde am 3. November 1949 in Murcia, Spanien geboren, bin verheiratet und habe zwei Kinder. Derzeit leite ich einen Lehrstuhl für Strafrecht an der Universität Alcalá in Madrid. Nachdem ich meine schulische Grundausbildung am Colegio La Merced de Murcia abgeschlossen hatte, erhielt ich im Juni 1963 den Premio Extraordinario [außergewöhnliche Auszeichnung für Schulabgänger mit speziellen Qualifikationen] des Instituto Nacional de Enseñanza Media Alfonso X el Sabio von Murcia. In den Jahren von 1963–1966 absolvierte ich meine sekundäre Schulausbildung des Bachiller Superior und besuchte einen studienvorbereitenden Kurs am Colegio Chamberi von Madrid. Im Juni 1965 erhielt ich die Bestnote in der Abschlussprüfung des Bachiller Superior [vergleichbar mit dem Abitur] und schließlich ein weiteres Mal den Premio Extraordinario am Instituto Nacional de Enseñanza Media San Isidro von Madrid. Von Oktober 1966 bis Juni 1971 studierte ich Rechtswissenschaften an der Juristischen Fakultät der Universität von Madrid, die seit dem Jahr 1970 den Namen „Universidad Complutense de Madrid“ (UCM) trägt. In den Abschlussprüfungen erhielt ich als Jahrgangsbester den Premio Extraordinario número 1 de la Licenciatura de Derecho de la Univ. Complutense de Madrid (Außerordentlicher Erster Preis der Jura-Lizenziatur der Univ. Complutense von Madrid). Der heutige Name „Universidad Complutense“ ist auf die ehemalige Bezeichnung Universitas Complutensis zurückzuführen, d.h. auf den lateinischen Namen der damaligen Universität von Alcalá, die ursprünglich im Jahr 1499 gegründet wurde. Das Adjektiv rührt vom Völkernamen der „Complutenser“ her, also von den Bewohnern der ehemals romanischen Stadt Complutum, welche in der Zeit der arabischen Herrschaft in Alcalá umbenannt wurde – es handelt sich somit um das heutige Alcalá de Henares (in Madrid). Die Universität Alcalá wurde auf Beschluss der spanischen Regierung von 1836–1839 zugunsten der Katholischen Kirche enteignet und geschlossen. Ihr Sitz wurde schließlich in die nahe gelegene Hauptstadt Madrid verlegt, wobei sie von Universidad de Alcalá / Universitas Complutensis zunächst in Universidad Literaria und später (1951–1954), in Universidad Central de Madrid umbenannt wurde. In den Jahren von 1954–1971 hieß sie dann schließlich schlichtweg Universidad de Madrid. Unter diesem Namen lernte ich sie wäh-
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rend meiner ersten Jahre an der Juristischen Fakultät auch kennen. Nachdem jedoch 1968 eine zweite Universität in Madrid gegründet wurde, die Universidad Autónoma de Madrid, besann sich die Universidad de Madrid 1970 des alten Namens (bzw. Adjektivs „Complutense“) der längst nicht mehr bestehenden Universität Alcalá, von der sie eigentlich abstammte. Die Universität Alcalá wurde 1975/76 unter ihrem alten Namen neu gegründet. Aus diesem Grund feierten 1999 sowohl die Universität Alcalá, als auch die Universidad Complutense de Madrid gemeinsam das 500-jährige Bestehen der Universidad de Alcalá / Universitas Complutensis. In der Zeit von Oktober 1971 bis September 1977 arbeitete ich als wissenschaftlicher Assistent an der Juristischen Fakultät der UCM, wo ich schließlich im Februar 1975 zum Doktor des Rechts promoviert wurde. Prädoktorale Forschungsstipendien am Max-Planck-Institut in Freiburg hatte ich für die Jahre von 1971–73 erhalten und ein postdoktorales von-Homboldt-Stipendium hatte ich für einen Forschungsaufenthalt an der Universität München (1976/77) bezogen. In der Zeit von 1977–78 war ich angestellt als außerordentlicher Professor an der Universität Salamanca. 1977 wurde ich schließlich habilitiert und erhielt einen Ruf für eine Hilfsprofessur an der Universidad Autónoma von Madrid für die Jahre von 1978–1980. Von März 1980 bis Mai 1981 war ich nach dem entsprechenden Ruf als außerordentlicher Professor an der Universität Salamanca tätig. Von Mai 1981 bis September 1988 war ich Lehrstuhlinhaber an der Universität von León, wo ich auch Prorektor an der Universität war. Seit September 1988 bin ich nun ordentlicher Professor an der Universität Alcalá, Madrid, wo ich auch von 2000 bis 2006 Dekan der juristischen Fakultät gewesen bin.
2. Akademischer Werdegang Als ich mein Studium an der Universität Madrid 1966 begann, war es genau genommen mein eigener Vater, Dr. Manuel Luzón Domingo, der mich bei der Auswahl meiner ersten Studienbücher zur Theorie, Philosophie und Geschichte des Rechts sowie zum römischen Recht unterstützte. Er arbeitete als Staatsanwalt, hatte zahlreiche Abhandlungen zum Strafrecht veröffentlicht1 und hatte 1
Vgl. Luzón Domingo, Tratado de la culpabilidad y de la culpa penal. Con especial referencia a los delitos de imprudencia, [Abhandlung über die Schuld und die strafrechtliche Fahrlässigkeit. Mit Schwerpunkt auf den Fahrlässigkeitsdelikten] I–II, Barcelona, 1960; sowie Derecho Penal del Tribunal Supremo, [Strafrecht des Obersten Gerichts] Bd. I–II, Barcelona, 1964. Des Weiteren verfasste er hunderte von Kommentaren zur Rechtsprechung in der Zeitschrift Revista de Derecho de la Circulación (RDCir), von 1964 bis zu seinem Tod 1973.
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Jahre zuvor als Lehrstuhlbeauftragter für Strafrecht an der Universität Murcia gearbeitet. Er war es auch, der mein Interesse für das Strafrecht geweckt hatte, indem er mich – noch bevor ich überhaupt das zweite Studienjahr mit dem Allgemeinen Teil des Strafrechts begonnen hatte – sukzessive dazu aufforderte, als Einführungslektüre „La Ley y el delito“ von Jiménez de Asúa2 und in der Folge die spanischen Übersetzungen der Lehrbücher von Mezger3 und Maurach4 zu lesen. Er nahm sich schließlich auch die Zeit, um all meine Fragen zu diesen Werken gemeinsam zu besprechen. Prof. Jiménez de Asúa (1889–1970) war der wichtigste spanische Strafrechtler des frühen 20. Jahrhunderts. Nachdem er 1913 promoviert und seine Kenntnisse in Deutschland und der Schweiz erweitert hatte, führte er als Erster die deutsche Strafrechtsdogmatik in Spanien ein, indem er das Lehrbuch von von Liszt übersetzte,5 mit welchem er während seines Forschungsaufenthaltes in Berlin zusammengearbeitet hatte, darüber hinaus jedoch auch durch seine eigene, umfangreiche wissenschaftliche Arbeit einen wesentlichen Beitrag hierzu leistete. So kannte ich mich bereits sehr gut in der Entwicklung der deutschen Strafrechtsdogmatik von der kausalen bis zur finalen Systematik aus, als ich 1967/68 die Vorlesung zum Strafrecht (Allgemeiner Teil) bei Prof. Cerezo Mir6 besuchte, dem bedeutendsten Vertreter des Finalismus der spanischen Strafrechtswissenschaft. Er war Schüler Welzels. Über ihn lernte ich schließlich auch seinen Lehrmeister Welzel auf einem für mich unvergesslichen Vortrag kennen, den er 1968 in Madrid hielt. Cerezo hatte dessen Werk
2 3
4
5
6
Jiménez de Asúa, Luis, La Ley y el delito. Principios de Derecho Penal [Das Gesetz und die Straftat. Prinzipien des Strafrechts], 2. Aufl., México / Buenos Aires 1954. Mezger, Tratado de Derecho Penal (DP), Bd. I–II, übersetzt und kommentiert zum spanischen Strafrecht nach der 2. deutschen Aufl. von Strafrecht. Ein Lehrbuch, durch J. A. Rodríguez Muñoz, 2. Aufl., Madrid 1946. Maurach, Tratado de Derecho Penal, Bd. I–II, übersetzt (anhand der 1. deutschen Aufl. von Deutsches Strafrecht, AT) und kommentiert zum spanischen Strafrecht durch J. Córdoba Roda, Barcelona 1962. von Liszt, Tratado de Derecho Penal, Bände II und III, übersetzt von Jiménez de Asúa anhand der 20. Auflage. Band I wurde übersetzt durch Saldaña, Madrid, Reus, 2. Auflage 1926 und 1927. J. Cerezo Mir, Lehrstuhlinhaber an der Univ. von Zaragoza und später an der Universidad Nacional de Educación a Distancia (UNED) von Madrid, ab Okt. 2002 emeritiert und im Juli 2017 gestorben. Handbuch: Curso de Derecho Penal español, Parte General (PG), Bd. I, 6. Aufl., Madrid 2004; Bd. II, 6.Aufl., 1998; Bd. III: 2001; Derecho Penal, PG, Montevideo-Buenos Aires 2008. Zu einer Todesanzeige inklusive seiner Kurzbiographie vgl. Luzón, Prof. Dr. Dr. h.c. mult. D. José Cerezo Mir in memoriam. Semblanza personal, in Foro FICP 2017-2 [www.ficp.es], 9 ff.
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„Das neue Bild des Strafrechtssystems“7 übersetzt. Anhand dieser Übersetzung und später auch anderer Bücher vertiefte ich mein Wissen zum finalistischen Standpunkt und der Verbrechenslehre allgemein. In den folgenden Semestern besuchte ich die Vorlesung zum Strafrecht (Besonderer Teil) bei Prof. Rodriguez Devesa8 und nahm an den Seminaren von Prof. Gimbernat teil. Von 1969–1971 belegte ich den Grund- und Mittelstufenkurs für deutsche Sprache am Deutschen Kulturinstitut (Goethe-Institut) von Madrid mit dem Ziel, später selbst einmal Forschungsaufenthalte in Deutschland absolvieren zu können. Nach fünf Jahren Studium legte ich schließlich im Juni 1971 mein Examen der Rechtswissenschaften mit der Bestnote ab. Dadurch konnte ich mich für die besondere Prüfung des Premio Extraordinario de la Licenciatura de Derecho [außergewöhnlicher Studienabschluss im Bereich der Rechtswissenschaften] der Universidad Complutense qualifizieren, welchen ich glücklicherweise auch absolvieren konnte. Die Juristische Fakultät der ersten spanischen Universität zeichnete in diesem Jahr schließlich eine auserwählte Gruppe von vier Studenten, welche die maximale Punktzahl erreicht hatten, mit dem Titel für „außergewöhnlich gute Studienabschlüsse“ aus. Mir wurde der erste Platz gewährt, ex aequo – gemeinsam mit meiner Kollegin María Emilia Casas, die später einen Lehrstuhl für Arbeitsrecht leitete und Präsidentin des spanischen Verfassungsgerichtes wurde. Nach dem Abschluss meines Examens bot mir der Deutsche Akademische Austauschdienst (DAAD) ein Stipendium für einen prädoktoralen Forschungsaufenthalt in Freiburg i.Br. an, um meine Ausbildung dort zu vertiefen. Von Oktober 1971–1977 hatte ich einen Vertrag als wissenschaftlicher Assistent an der Juristischen Fakultät der Universidad Complutense Madrid und unmittelbar im Anschluss daran ging ich schließlich für zwei Jahre (von Oktober 1971 bis Ende September 1973) nach Freiburg an das Max-Planck-Institut für Strafrecht, welches zu dieser Zeit von Prof. Jescheck geleitet wurde. In diesem Zeitraum konnte ich zusätzlich an den Vorlesungen der Professoren Jescheck, Würtenberger und Kaiser an der Albert-Ludwig Universität Freiburg teilnehmen. 7
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Welzel, Das neue Bild des Strafrechtssystems. Eine Einführung in die finale Handlungslehre, 4. Aufl., 1961; spanische Übersetzung: El nuevo sistema del Derecho Penal. Una introducción a la doctrina de la acción finalista (übersetzt durch Cerezo Mir), Barcelona 1964. Das Handbuch, das ich in diesem Semester las, war: Rodríguez Devesa, Derecho Penal español, Parte Especial (PE), 2. Aufl., Valladolid, 1966. Später erreichte das Werk die 18. Aufl. als Rodríguez Devesa / Serrano, Derecho Penal español, PE, 18. Aufl., Madrid 1995.
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Mein Forschungsaufenthalt wurde im ersten Jahr vom DAAD, im zweiten Jahr von der spanischen Juan-March-Stiftung finanziert und ermöglichte mir die vertiefte Vorbereitung meiner Doktorarbeit über die Notwehr. Allem voran profitierte ich von dem großartigen Fundus an Literatur zum deutschen Strafrecht und zur Rechtsvergleichung am Max-Planck Institut und von den hervorragenden Arbeitsbedingungen, aber auch davon, dass es im ersten Jahr (1971/72) lediglich zwei Gastdoktoranden aus der spanischen und iberoamerikanischen Welt am Institut gab: den Argentinier Prof. Raúl Zaffaroni und mich – ein Zustand, den man sich angesichts der in späteren Jahren stetig wachsenden Zahl spanischer und lateinamerikanischer Gäste heute kaum vorstellen kann. So konnte ich über komfortable, ungestörte Arbeitsplätze verfügen. Des Weiteren hatte ich Gelegenheit, unschätzbar wichtige persönliche und wissenschaftliche Kontakte zu verschiedenen Kollegen aus aller Welt zu knüpfen, die vor allem in der Anfangsphase meiner wissenschaftlichen und akademischen Karriere von großer Bedeutung waren. Neben der Unterstützung des Direktors des Instituts, Prof. Hans-Heinrich Jescheck, und des Referenten für Lateinamerika, Dr. Kurt Madlener, hatte ich auf deutscher Seite das Glück, mit Dr. Karl Heinz Mattes viele Male äußerst bereichernde Debatten über die Notwehr, über Rechtfertigungsgründe und die Deliktslehre im Allgemeinen führen zu können. Er war damals der Beauftragte für Spanien und Gelehrter durch und durch mit einer bemerkenswerten intellektuellen Begabung. Leider war Mattes sehr selbstkritisch, was ihn daran hinderte, den Großteil seiner Forschungsarbeiten zu veröffentlichen. Wie man weiß, veröffentlichte seine Witwe Herta Mattes nach seinem Tod einen Teil seines Werkes.9 Was das Verwaltungspersonal des Instituts angeht, möchte ich Frau Ilse Kirsch besonders erwähnen. Ihr außergewöhnlicher Empfang und ihre menschliche Wärme, was auch meiner Frau nach unserer Hochzeit in meinem zweiten Aufenthaltsjahr zuteilwurde, waren überaus bereichernd für uns ausländische Gäste. Die mittlerweile über 45 Jahre anhaltende Freundschaft zu ihr erfüllt mich nicht nur mit Freude, sondern auch mit Stolz. Als persönliche Anekdote möchte ich anmerken, dass, als meine Frau Julita und ich nach unserer Hochzeit 1972 nach Freiburg zurückkehrten, mein Schweizer Freund Dick Marty, der später Generalstaatsanwalt in seinem Land werden sollte, uns sein zuvor gemietetes Appartement im oberen Teil eines Einfamilienhauses überließ. Die 9
Mattes, Heinz / Mattes, Herta, Untersuchungen zur Lehre von den Ordnungswidrigkeiten, Berlin, Bd. I, 1977; Bd. II: Geltendes Recht und Kritik, 1982; spanische Version: Heinz Mattes / Herta Mattes / Rodríguez Devesa, Problemas de Derecho penal administrativo: historia y Derecho comparado, Madrid 1979.
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wunderschöne Wohnung in der Beethovenstraße lag in unmittelbarer Nähe zum MPI. Unser Vermieter war der inzwischen verstorbene berühmte Lehrstuhlinhaber für Rechtsphilosophie und Strafrecht Alessandro Barata (italienischer Abstammung) an der Universität Saarbrücken. Obwohl wir selbstverständlich Telefon- und Briefkontakt hatten, lernte ich ihn kurioserweise leider nie persönlich kennen. In meinen beiden Jahren in Freiburg zwischen Oktober 1971–1973 knüpfte ich auch Freundschaften zu nicht-deutschen Kollegen, von denen schließlich viele einen wichtigen Einfluss auf den weiteren Verlauf meines Lebens hatten. Es ist allgemein bekannt, wie bedeutend die Freundschaften, die sich während eines Forschungsaufenthaltes an Universitäten und Einrichtungen entwickeln – vor allem in jungen Jahren – für das spätere Leben sind. So verbindet mich seit meinem ersten Jahr am Institut eine spezielle freundschaftliche Beziehung zu zwei Professoren, die ebenfalls am MPI zu Gast waren: Es handelt sich um den Italiener Enzo Musco, der später einen Lehrstuhl an der Universität Rom II erhielt10 und den Argentinier E. Raúl Zaffaroni, der das Amt eines Richters am Obersten Gerichtshof von Argentinien bekleidete, einen Lehrstuhl an der Universität von Buenos Aires leitet und heute wohl der einflussreichste Strafrechtler Lateinamerikas ist. Letzterer war damals Finalist und blieb bis Juli 1972 am MPI, um die deutschen Quellen in seinem Handbuch11 zu vervollständigen. Die Gespräche und Diskussionen über unsere jeweiligen Forschungsgebiete und das Strafrecht im Allgemeinen, oftmals bis spät in die Nacht hinein, waren endlos. Nachdem ich meine Frau im September 1972 in Spanien geheiratet und mit ihr nach Freiburg zurückgekehrt war, lernten wir schließlich Anfang Oktober eine Reihe von jungen spanischen Strafrechtlern kennen, die gerade für einen einjährigen Forschungsaufenthalt ans Institut gekommen waren: Santiago Mir Puig und seine Ehefrau Francesca Puigpelat, Agustín Jorge Barreiro, Antonio García-Pablos, Miguel Polaino und Manuel Gurdiel. Sie alle wurden erfolgreiche Lehrstuhlinhaber für Strafrecht, mit Ausnahme von Francesca Puigpelat, die einen Lehrstuhl für Rechtsphilosophie leitet, und Gurdiel, der in den letzten Jahren bis zu seinem Tode Hilfsprofessor war. Im Sommer 1973 kamen 10 11
Besonders wichtig und bekannt ist sein Handbuch: Fiandaca / Musco, Diritto penale, Parte Generale, 6. Aufl., Bologna 2009. Das Handbuch erschien kurze Zeit später in seiner 1. Auflage: Zaffaroni, Teoría del delito, Buenos Aires, 1973. Später wurde das Werk um ein Vielfaches erweitert: Tratado de Derecho Penal, Parte General, Bd. I–V, Buenos Aires, 1980–83. Heute existiert ebenfalls die zusammengefasste Version: Zaffaroni / Alagia / Slokar, Derecho Penal Parte General, 2. Aufl., Buenos Aires 2003.
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weitere Spanier für einen saisonalen Aufenthalt an das MPI: Susana Huerta, Emilio Octavio de Toledo, Gonzalo Quintero, Fernando Muñoz-Campos und Ana Isabel Silva. Den engsten Kontakt halte ich zu Santiago Mir Puig und seiner Ehefrau, sowie zu Agustín Jorge Barreiro. Neben dem ständigen Austausch über den Fortgang unserer Doktorarbeiten und anderen strafrechtlichen Themen, bauten wir eine enge, aufrichtige und brüderliche Freundschaft auf, die über die Jahre hinweg ununterbrochen angehalten hat. Mir Puig leitet heute einen Lehrstuhl an der Universität Barcelona.12 Er ist Dr. h.c. an verschiedenen Universitäten, allen voran der Universität Alcalá. Der bekannteste Schüler seiner umfangreichen Schule ist Jesús Silva Sánchez. Mir Puig ist aufgrund seiner deutschen Veröffentlichungen auch in der deutschsprachigen Lehre durchaus bekannt.13 Zusammen mit Muñoz Conde veröffentlichte er eine Übersetzung mit zahlreichen Anmerkungen der zweiten Auflage von Jeschecks „Lehrbuch des Strafrechts, Allgemeiner Teil“,14 worin er die gesamte Theorie der Verbrechenslehre berücksichtigt. Jorge Barreiro ist mittlerweile Lehrstuhlinhaber an der Universität Autónoma de Madrid und Herausgeber eines Kommentars.15 Besonders hervorragend war der enge Kontakt zum Ehepaar Mir Puig, da dieses bereits im Januar 1973 nach München umzog, damit er unter der Leitung von Maurach und später von Roxin seine Forschungsarbeiten fortführen konnte. Dennoch hielten wir stetigen Kontakt über Brief, Telefon und regelmäßige Treffen. So begleiteten meine Frau und ich sie beispielsweise auf eine schwere winterliche Reise nach Spanien Ende Februar 1973, wo Mir Puig seine Doktorarbeit verteidigte und somit an einer gerade erst angelaufenen nationalen Ausschreibung für diverse Stellen als Hilfsprofessor im Bereich des Strafrechts teilnehmen konnte – glücklicherweise erhielt er die Stelle. Darüber hinaus besuchte uns das Ehepaar Mir Puig während der restlichen Zeit unseres Aufenthaltes in Freiburg mehrere Male, ebenso wie wir ihnen einige Besuche in München abstatteten. Manche dieser Besuche in München nutzte ich, um Prof. Dr. Dr. h.c. mult. Claus Roxin persönlich kennenzulernen, mit dem ich bereits vorher in Brief12 13
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Sein wichtigstes Handbuch: Derecho Penal, Parte General, 9. Aufl., Barcelona 2011. Kürzlich ist in GA 12/2017 eine Festgabe für Santiago Mir zu seinem 70. Geburtstag erschienen. Sie stellt die erste im GA für einen Strafrechtler außerhalb des deutschsprachigen Kreises veröffentlichte Festgabe dar, und enthält Beiträge von deutschen und spanischen Autoren, von deutscher Seite Roxin, Frisch, Schünemann und Wolter. Barcelona 1981. Rodríguez Mourullo / Jorge Barreiro (Hrsg.), Comentarios al Código Penal, Madrid 1997.
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kontakt gestanden hatte. Wir kamen schließlich überein, dass ich seinen Sammelband „Strafrechtliche Grundlagenprobleme“, der 1973 gerade erschienen war, ins Spanische übersetzen würde – eine Aufgabe, die ich nach der Verteidigung meiner Doktorarbeit im Jahr 1975 fertigstellen konnte. Die spanische Version mit einigen Kommentierungen meinerseits erschien 1976 unter dem Titel: „Problemas básicos del Derecho penal“.16 Sie enthält einen Prolog von Roxin von August 1975, sowie einige zusätzliche Aufsätze. Nach der Übersetzung der knappen Abhandlung „Kriminalpolitik und Strafrechtssystem“ von Roxin aus dem Jahr 1970 durch Muñoz Conde,17 stellte das Werk die erste spanische Ausgabe eines umfangreichen Buches von Roxin dar, das sich seinen wichtigsten Forschungsgebieten widmete. Es verbreitete sich schnell und hatte großen Einfluss auf die spanischsprachigen sowie italienischen und portugiesischen Leser. Seitdem wurde der wissenschaftliche Kontakt zu Roxin, der zu meinem deutschen Lehrer wurde, immer regelmäßiger und enger. Bei unseren Besuchen in München lernten wir außerdem Francisco Muñoz Conde18 kennen, der damals bereits als Hilfsprofessor an der Universität Sevilla tätig war und einen Forschungsaufenthalt bei Roxin über ein Stipendium der Humboldt-Stiftung absolvierte. Seither verbindet auch uns beide eine dauerhafte, enge Freundschaft, wie auch die Zusammenarbeit im wissenschaftlichen Bereich. Muñoz Conde ist in Deutschland vor allem aufgrund seiner zahlreichen deutschen Publikationen sehr bekannt und ist außerdem Übersetzer von Roxin, Jescheck und Hassemer gewesen. Er war einige Jahre später Lehrstuhlinhaber an der Universität Sevilla und leitete danach bis zu seiner Emeritierung einen Lehrstuhl an der Universität Pablo Olavide in Sevilla. Vor Ende meines Aufenthaltes in Freiburg verstarb mein Vater Manuel Luzón Domingo, der mich so entschieden zur Strafrechtswissenschaft hingeführt hatte, verfrüht im Juni 1973. Gemeinsam mit ihm hatte ich die Beiträge zum Abschnitt strafrechtlicher Rechtsprechung in der Zeitschrift „Derecho de la
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Madrid, Reus 1976. Política criminal y sistema del Derecho penal, Barcelona 1973. Seine bekanntesten Werke sind: Muñoz Conde / García Arán, Derecho Penal, Parte General, 8. Aufl., Valencia 2010; Muñoz Conde, Derecho Penal, Parte Especial, 19. Aufl., Valencia 2013. Zusammen veröffentlichten wir das Werk von Roxin, Einführung in das heutige Strafrecht. Übersetzung, Einführung und Anmerkungen von D.-M. Luzón Peña und F. Muñoz Conde, Univ. Sevilla 1981.
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Circulación“ [Verkehrsrecht] verwaltet, dessen Leitung ich auf Wunsch der Herausgeber ab diesem Zeitpunkt weiterführte.19 Von Oktober 1973, als ich nach Spanien zurückkehrte, bis Oktober 1977, arbeitete ich als Assistent an der Juristischen Fakultät der Universidad Complutense von Madrid, wo ich vor allem Übungsstunden abhielt, und war gleichzeitig am damaligen Universitätszentrum CEU San Pablo, dem Vorgänger der heutigen privaten Universität CEU San Pablo von Madrid, beschäftigt. Dort unterrichtete ich sowohl den Allgemeinen als auch den Besonderen Teil des Strafrechts im Rahmen von theoretischen und praktischen Kursen. Am 27. Februar 1975 erhielt ich für meine Dissertation mit dem Titel „Fundamento, naturaleza y agresión en la legítima defensa“ [Fundament, Natur und Angriff bei der Notwehr] meinen Doktortitel mit der Auszeichnung cum laude von der Universidad Complutense.20 Klarzustellen gilt, dass im Gegensatz zu Deutschland, wo die Doktorarbeit eine erste Forschungsarbeit mit relativ kleinem Forschungsaufwand darstellt – gefolgt von der umfangreicheren und anspruchsvolleren Habilitation – die Mehrheit der Doktorarbeiten in Spanien und Portugal seit den sechziger Jahren, allen voran in den Fällen, in welchen eine akademische Karriere im Strafrecht (aber auch in anderen Gebieten) angestrebt wird, aufgrund ihres Umfangs, der Bedeutung und der Komplexität des Themas materiell authentische Habilitationsschriften ausmachen. So behandelte ich in meiner Arbeit einen grundsätzlichen Rechtfertigungsgrund wie die Notwehr auf 390 Seiten, welche ich bei der Veröffentlichung als Buch auf 576 Seiten erweiterte. Dies erklärt, warum im Hochschulsystem Spaniens in verschiedenen Auswahlver19
20
In diesem Abschnitt veröffentlichte ich Kommentare zum STS (Sentencia(s) del Tribunal Supremo [Entscheigung(en) des span. Obersten Gerichts]), die die Grundlage meines Werkes Luzón Peña, Derecho penal de la Circulación. Estudios de la jurisprudencia del Tribunal Supremo, 1. Aufl., Barcelona, Bosch 1985; 2. erweiterte Aufl., Barcelona, PPU, 1990, wurden. Das Prüfungstribunal setzte sich zusammen aus den Professoren Dres. Ferrer Sama, Rodríguez Devesa, Rodríguez Mourullo und Gimbernat y Oliva. Die Dissertation entstand unter Leitung von E. Gimbernat, obwohl dies eher formal der Fall war, da er weder Besprechungen mit mir abhielt, noch Bemerkungen zu konkreten Schwachstellen meiner Arbeit anbrachte, wie er selbst im Prolog meines auf der Doktorarbeit basierenden Buches „Aspectos esenciales de la legítima defensa“ [Essentielle Gesichtspunkte zur Notwehr] anerkennt: „Die Ratschläge, die ich meinen Schülern gebe, beschränken sich auf einige Hinweise zur Methode des wissenschaftlichen Arbeitens und darauf, ihnen zu zeigen, wie und wo man forschen muss. Alles Weitere – die Arbeit, die Intelligenz und die Ideen – müssen sie selbst beisteuern.“ Wie bereits erwähnt, waren es in erster Linie mein Vater, R. Zaffaroni, S. Mir und H. Mattes, mit denen ich im Rahmen meines Promotionsprojektes meine Ideen zur Notwehr und anderen Rechtfertigungsgründen diskutieren konnte.
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fahren, die es zur Erlangung des Professorentitels mit Lehr- und Forschungsaufgaben (in der Anfangskategorie des früheren Profesor Adjunto, heute Profesor Titular [Hilfsprofessor] und der höchsten Kategorie des Ordinarius oder Lehrstuhlinhabers [Catedrático]) gegeben hat, formell nie eine Habilitationsschrift gefordert wurde, sondern stattdessen lediglich Arbeiten zu grundlegenden und methodologischen Fragen des jeweiligen Rechtsgebiets, sowie andere Aufgaben. Nachdem ich meine Promotion abgeschlossen hatte, beendete ich das bereits erwähnte Übersetzungsprojekt zu Roxins Werk „Strafrechtliche Grundlagenprobleme“, das im Jahr 1976 erschien, veröffentlichte zahlreiche Aufsätze und vertiefte die Forschungen, die ich zu meiner Doktorarbeit angestellt hatte, durch eine Analyse der notwehrfähigen Rechtsgüter und ihren entsprechenden Einschränkungen im spanischen Recht. Mit fast 200 Seiten mehr übergab ich meine Arbeit schließlich Mitte 1977 an den Verlag zur Veröffentlichung als Buch, worauf ich im Folgenden näher eingehen möchte. In der Zeit von April 1976 bis Oktober 1977 erhielt ich ein postdoktorales Stipendium der Alexander von Humboldt-Stiftung, verbunden mit einem Forschungsaufenthalt am Institut für die gesamten Strafrechtswissenschaften der Universität München, wo ich von der Gastfreundschaft des damaligen Direktors, meinem Lehrer Roxin, profitieren konnte. Dies erlaubte es mir, ständigen Kontakt zu ihm zu halten und an seinen außergewöhnlich anregenden Seminaren teilzunehmen, wobei ich auch eine enge Verbindung zu seinen Schülern B. Schünemann und W. Bottke aufbauen konnte, mit denen mich bis heute bzw. bis zum Tod des Letzteren eine exzellente Freundschaft verbindet. Eine ebenfalls gute Beziehung konnte ich in diesen zwei Jahren zu meinen spanischen Kollegen J. M. Gómez Benítez, J. Cuello Contreras, J. Queralt und dem Italiener S. Moccia aufbauen. Darüber hinaus wurde die Universität München von dieser Zeit an die Einrichtung, an welche ich die Mehrheit meiner Schüler schickte, damit sie ihre prädoktoralen Forschungsarbeiten unter der Aufsicht von Roxin oder Schünemann durchführen konnten. Andere schickte ich an die Universitäten Augsburg oder Mannheim, wo sie von dem bereits verstorbenen W. Bottke oder von J. Wolter betreut wurden. In dieser Zeit beendete ich einerseits die Arbeit an einem neuen Teil meines Buches zur Notwehr, der nicht Bestandteil meiner Doktorarbeit gewesen war – die notwehrfähigen Rechtsgüter und die gesetzlichen Einschränkungen des rechtswidrigen Angriffs bei bestimmten, nicht wesentlichen Rechtsgütern im spanischen Recht – und aktualisierte die übrigen Kapitel.
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Am 15. Juni 1977 wurden in Spanien endlich die ersten allgemeinen freien Wahlen durchgeführt, die nach 40 Jahren unter der Diktatur des FrancoRegimes ein rein demokratisches System einläuteten. Meine Frau und ich, damals wohnhaft in München, hatten, nachdem wir per Briefwahl gewählt hatten, ein verständlicherweise großes Bedürfnis danach, diese besonderen Tage in Spanien mitzuerleben – obwohl ich zögerte, da ich kurz vor der Fertigstellung meines Werkes über die Notwehr stand. Letzten Endes lud uns das Ehepaar Mir Puig für ein bis zwei Wochen in ihr Haus nach Barcelona ein, wo ich schließlich die letzten Zeilen meines Buches verfasste und eine Woche nach den besagten Wahlen das Werk an den Verleger übergab. Mit Hilfe der Vermittlungsarbeit von S. Mir Puig schaffte ich es, dass das Buch im Bosch-Verlag (Barcelona) erschien, dem ersten juristischen Verlag Spaniens.21 Auf der anderen Seite arbeitete ich in München an der Ausarbeitung einer Reihe von Forschungsarbeiten über die Reichweite und die Funktion des Strafrechts, insbesondere über die Strafzwecke und deren Vereinbarkeit mit der Ersetzung und Aussetzung der Strafe. Meine Ergebnisse präsentierte ich später in einer nationalen Ausschreibung für die Stelle eines außerordentlichen Professors im Jahr 1980. Danach erschienen sie in zahlreichen Veröffentlichungen.22 Im Oktober 1977 kehrte ich nach Spanien zurück, allerdings nicht an die UCM, sondern als stellvertretender außerordentlicher Professor an die Universität Salamanca, wo ich meinen späteren ersten Schüler, Javier de Vicente Remesal, kennenlernte, der gerade als Stipendiat seine prädoktorale For21
22
Veröffentlicht Anfang 1978: Luzón Peña, Aspectos esenciales de la legítima defensa, Barcelona, Bosch 1978. Später wurde eine 2. Aufl, Buenos Aires / Montevideo, BdeF, 2002, veröffentlicht, deren erster Teil weitgehend mit der 1. Aufl. übereinstimmt, wenn auch mit einigen Ergänzungen über die Gesetzgebungsänderungen und einer aktualisierten Literaturliste, der jedoch ein zweiter Teil hinzugefügt wurde, bestehend aus drei Aufsätzen die erst nach der 1. Aufl. erschienen waren. Monographie: Luzón Peña, Medición de la pena y sustitutivos penales, Madrid, Instituto Criminología Univ. Complutense de Madrid (UCM). Aufsätze: Antinomias penales y medición de la pena, in: Mir (Hrsg), La reforma del Derecho Penal, Barcelona, 1980, S. 189 ff.; Prevención general, sociedad y psicoanálisis, CPC [Cuadernos de Política Criminal, Zeitschrift Madrid] 1982, S. 93 ff.; Generalprävention, Gesellschaft und Psychoanalyse, GA 1984, S. 393 ff.; La aplicación y sustitución de la pena en el futuro Código Penal, RFDUC [Rev. Fac. Derecho Univ. Complutense Madrid, Zeitschrift der Juristischen Fakultät der Complutense Universität Madrid], Monogr. Nr. 6 1983, S. 413 ff.; Die Ersetzungsformen der Freiheits- und anderer Strafen in der spanischen Strafrechtsreform, in Hassemer (Hrsg.), Strafrechtspolitik. Bedingungen der Strafrechtsreform, 1987, S. 103 ff.; Alcance y función del Derecho penal, ADPCP [Anuario de Derecho Penal y Ciencias Penales, strafrechtliche Zeitschrift, Madrid] 1989, S. 5 ff.
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schungsarbeit aufgenommen hatte. Im Dezember 1977 nahm ich an einer Auswahlprüfung für die Habilitation zum Prof. Adjunto (Hilfsprofessor) teil, eine Beamtenkategorie, die sich 1983 in die Benennung von Prof. Titular umwandelte, um eine der acht ausgeschriebenen Stellen aus dem Strafrecht zu erhalten. Ich erreichte dabei den ersten Platz. Von diesem Moment bis heute habe ich ununterbrochen Bücher und Aufsätze veröffentlicht. Einige Monate später erhielt ich den Ruf als Hilfsprofessor für Strafrecht an die Universidad Autónoma von Madrid, dem ich im Oktober 1978 folgte. Von Oktober 1978 bis März 1980 arbeitete ich somit schließlich als Hilfsprofessor für Strafrecht an der Universität Autónoma Madrid, wo ich vollkommen frei bei der Gestaltung meines Unterrichts zum Allgemeinen Teil war. Ich war der Abteilung für Strafrecht unter der Leitung von G. Rodríguez Mourullo untergeordnet und nahm an exzellenten, überaus bereichernden Seminaren von Kollegen teil, zu denen unter anderem Miguel Bajo, Agustín Jorge Barreiro oder Enrique Peñaranda zählten. Sie alle waren Schüler von Rodríguez Mourullo. Im Jahre 1979 schlossen sich uns außerdem als Prof. Adjuntos auch Susana Huerta und Antonio García-Pablos von der Univ. Complutense de Madrid (UCM) an. Im Semester 1978/1979 fiel mir der Jahrgangsbeste meines Kurses zum Allgemeinen Teil, Miguel Díaz y García Conlledo, auf, der Jahre später einer meiner Schüler an der Universität León wurde. Im Januar 1980 nahm ich an einer nationalen Ausschreibung für drei Stellen als Prof. Agregado (Außerordentlicher Professor) für Strafrecht an den Universitäten Salamanca, Alicante und Valladolid teil. Nachdem ich auch dort den ersten Platz erreichte und somit die freie Wahl hatte, entschied ich mich für die Universität Salamanca, wo ich von März 1980 bis Mai 1981 als außerordentlicher Professor tätig war. Im Rahmen dieser Ausschreibung, deren Prüfungen sich über den gesamten Januar 1980 erstreckten, erlangten die ersten drei Plätze gegenüber ca. 15 weiteren Teilnehmern: Ich selbst (Nr. 1), Javier Boix (Nr. 2), der die Universität Alicante wählte, sowie Gonzalo Quintero (Nr. 3), der die Stelle in Valladolid erhielt. Besagte Ausschreibungen für die Stellen der Profs. Agregados, die nicht nur der Habilitation dienten, sondern gleichzeitig auch die jeweiligen Stellen für die Gewinner bereit hielten, bestanden aus den gleichen sechs Prüfungen wie die Lehrstuhlausschreibungen. Dies lag daran, dass während der 1970er und Anfang der 1980er Jahre das spanische Bildungsministerium zunächst zu offenen Wettbewerben mit sechs Prüfungen aufrief, um außerordentliche Professorenstellen an den Universitäten zu verteilen. Anschließend erfolgte unter den Inhabern dieser außerordentlichen Professorenstellen eine weitere Ausschreibung, allerdings ohne Prüfungen, um die unbesetzten oder neu geschaffenen Lehrstühle zu besetzen. In Salamanca teilte
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man mir Javier de Vicente Remesal als wissenschaftlichen Assistenten zu, dessen Doktorarbeit über das positive Verhalten nach der Straftat ich von dieser Zeit an betreute. Auch er beendete seine Vorbereitung der Promotion dank eines Stipendiums des DAAD mit einem Forschungsaufenthalt an der Universität München unter der Leitung meines Lehrers C. Roxin. Im Februar 1981 sollten sechs Lehrstühle für Strafrecht gleichzeitig über eine Ausschreibung vergeben werden. Da sich von den neun der zu diesem Zeitpunkt angestellten außerordentlichen Professoren nur fünf von uns bewarben, erhielten wir die Stellen von der nationalen Kommission im März ohne weitere Auswahlprüfung gemäß unseres jeweiligen Dienstalters.23 Ich selbst wählte den Lehrstuhl an der Universität León, den ich von Mai 1981 bis September 1988 leitete. Mein Assistent Javier de Vicente folgte mir nach León und später schloss sich schließlich auch mein ehemaliger Schüler von der Universidad Autónoma Madrid, Miguel Díaz, dem Lehrstuhl an. Da die Universität León erst neu gegründet worden war, musste ich zusammen mit meinen beiden Assistenten quasi von Null an beginnen und eine Abteilung, sowie eine Bibliothek für Strafrecht einrichten. Als Vizedekan half ich zwei Jahre lang beim Aufbau der Juristischen Fakultät mit, als Vizedirektor fast vier Jahre lang beim Aufbau der Universität. Dort wurden schließlich auch die ersten, von mir betreuten Doktorarbeiten verteidigt: Zunächst die von J. de Vicente Remesal über das Nachtatverhalten verfasste Dissertation im Februar 1985 als erste Doktorarbeit der Fakultät und nach meinem späteren Wechsel an die Universität Alcalá auch die Dissertationen von M. Díaz y García Conlledo über die Täterschaft und ihre Formen (1989) und die von José-Manuel Paredes über das erlaubte Risiko (1993). Alle drei haben bereits seit vielen Jahren ihren eigenen Lehrstuhl inne. Im Juni 1988 erhielt ich nach einem zwischen acht Lehrstuhlinhabern durchgeführten Ausschreibungsverfahren den Ruf an die Universität Alcalá, wo ich seit September 1988 einen Lehrstuhl für Strafrecht leite. Hier bin ich mittler23
Die Ernennung zum außerordentlichen Professor, die von der Kommission des Bildungsministeriums vorgenommen wurde, machte uns ohne weitere Prüfungen zu Lehrstuhlanwärtern, da wir entsprechende Prüfungen ja bereits abgelegt hatten. Nach dem Ältestenprinzip wählten wir unsere Lehrstühle: 1. Santiago Mir Puig (Univ. Autónoma Barcelona), 2. Tomás Vives (Univ. Alicante), 3. ich selbst (Univ León), 4. Javier Boix (Univ. de Baleares, Palma de Mallorca), 5. Gonzalo Quintero (Univ. Málaga). Der Lehrstuhl an der Universität von Extremadura en Cáceres blieb folglich unbesetzt. Vier weitere Kandidaten wollten keinen Lehrstuhl übernehmen, da sie ihre Stellen als Profs. Agregados in Madrid, wo sie gleichzeitig als Anwalt tätig waren, bevorzugten. Es handelte sich um drei Kollegen, die ein höheres Dienstalter als wir fünf Bewerber aufwiesen: Horacio Oliva, Miguel Bajo y Luis Rodríguez Ramos sowie um Antonio GarcíaPablos.
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weile seit fast 30 Jahren – immerhin seit einem Dritteljahrhundert – dem Großteil meiner wissenschaftlichen und akademischen Tätigkeit nachgegangen und war von Dezember 1999 bis März 2006 Dekan an der Juristischen Fakultät. Von Alcalá aus hielt ich während der ersten Jahre einen intensiven und besonderen Kontakt zur Universität León. Da das Gros meiner ersten Schüler in León geblieben und dort als Dozenten tätig war, hielt ich dort Doktorandenkurse ab und organisierte Seminare. Neben anderen handelte es sich bei diesen Schülern um J. de Vicente Remesal, M. Díaz y García Conlledo, José M. Paredes und meine indirekte Schülerin María Trapero. Im Oktober 1993 erhielt de Vicente einen Lehrstuhl an der Universität Vigo und im Januar 2004 mein Schüler Díaz einen Lehrstuhl an der staatlichen Universität Navarra in Pamplona, von wo aus er vier Jahre später nach León zurückkehrte. Mit diesen drei Universitäten stehe ich bis heute in einer besonderen Verbindung. In Alcalá habe ich im Rahmen der Betreuung von Dissertationen neue spanische und hispano-amerikanische Schüler hinzugewonnen, zunächst Teresa Rodríguez Montañés (Der Vorsatz im Gefährdungsdelikt, 1993) und Raquel Roso Cañadillas (Täterschaft und Teilnahme im Fahrlässigkeitsdelikt, 1999), die mit fast 30 Jahren ununterbrochener Arbeit an meiner Seite meine wohl engste Mitarbeiterin ist, dann José-Zamyr Vega Gutiérrez (Insider-trading, 2010) und Carmen Pérez-Sauquillo (Abstrakte Gefährdungsdelikte und überindividuelle Rechtsgüter, 2017), sowie darüber hinaus auch mittelbare Schüler, also Schüler meiner eigenen Schüler, auf die ich mich in Punkt II. beziehen werde. Raquel Roso, derzeit Prof. Titular, arbeitete bereits als Studentin seit 1990 als Hilfskraft in unserer Abteilung. Neben ihrer konstanten Arbeit im Bereich des Strafrechts unterstützte sie mich über vier meiner insgesamt sechs Jahre als Dekan der Juristischen Fakultät im Amt der Vizedekanin. Vor ihr hatte 1988 T. Rodriguez Montañés, derzeitige Prof. Titular mit Zulassung zur Lehrstuhlführung, als Assistentin bei uns angefangen. In meinen ersten Jahren an der Universität Alcalá arbeiteten auch einige meiner Hilfskräfte von der Universität León zeitweise bei mir in Alcalá: 1989/90 mein Schüler J. M. Paredes, derzeit Lehrstuhlinhaber an der Universität Oviedo, dessen Doktorarbeit ich betreute, obwohl er Assistent in León war, sowie 1995/96 María Trapero, derzeit Prof. Titular mit Zulassung für einen Lehrstuhl, Schülerin von Miguel Díaz in León, die mich nach ihrem Aufenthalt in Alcalá jedoch als ihren zweiten Lehrer betrachtete. So verfasste ich auch den Prolog ihres zweiten Buches, „El error en las causas de justificación“ (Der Irrtum bei den Rechtfertigungsgründen). Umgekehrt musste eine meiner Schülerinnen, Isabel Durán Seco, derzeit Prof. Titular, an die Universität León wechseln, wo sie dank der Unterstützung von M. Diaz einen Platz als wissenschaft-
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liche Assistentin bekam (sie arbeiteten in Acalá einige Jahre zusammen), jedoch keine Lehrstelle finden konnte. In all diesen Jahren habe ich immer einen engen Kontakt zur deutschen Strafrechtswissenschaft aufrechterhalten: Neben der Veröffentlichung vieler meiner Aufsätze in Deutschland24 sind meine Übersetzungen der Bücher Roxins zum Allgemeinen Teil I und II und meine Anmerkungen hierzu,25 sowie mein späterer, durch die Humboldt-Stiftung finanzierter Forschungsaufenthalt von Juli bis September 1988 und die Organisation von spanisch-deutschen Kongressen in Spanien neben meiner Teilnahme an zahlreichen mit deutscher Beteiligung durchgeführten Tagungen und Kursen in Deutschland zu erwähnen.26 Mit Schünemann und anderen Kollegen habe ich an sog. „spanischdeutsch integrierten Maßnahmen“ teilgenommen und solche auch geleitet27 und bin mittlerweile seit 2002 ständiger Mitarbeiter des wissenschaftlichen Komitees des GA. Auch die Mitglieder meiner Schule haben ihre Forschungsarbeiten zum größten Teil im Rahmen eines Forschungsaufenthaltes in München, Augsburg oder Mannheim (bei den Professoren Roxin, Schünemann, Bottke und Wolter) vervollständigt. An den meisten dieser spanisch-deutschen Tagungen habe ich, genauso wie an manchen integrierten Maßnahmen, gemeinsam mit S. Mir mit unseren jeweiligen Schulen teilgenommen, so auch an der von mir vorgeschlagenen Ernennung von Santiago Mir Puig zum Dr. h.c. 24
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Neben den im Anhang zitierten Werken sind dies etwa: Luzón, Diskussionsbericht über: Die strafrechtliche Haftung für die Infizierung oder Gefährdung durch HIV, in Szwarc (Hrsg.), AIDS und Strafrecht, Berlin, S. 93 ff.; Dogmatische Grunderfordernisse des Allgemeinen Teils aus spanischer Sicht. Die Straftatlehre in Spanien, in: Krise des Strafrechts und der Kriminalwissenschaften? (Tagungsbeiträge eines Symposiums der Humboldt-Stiftung), Berlin 2001, S. 191 ff. Neben den bereits angeführten Übersetzungen und Anmerkungen zu seinen Büchern über die Grundprobleme des Strafrechts und der Einführung ins Strafrecht: Roxin, Derecho Penal, Parte General [Strafrecht AT], Bd. I, 2. deutsche Aufl., übersetzt und kommentiert von D.-M. Luzón, M. Díaz y García Conlledo und J. de Vicente Remesal, Madrid 1997, übersetzt und kommentiert von de D.-M. Luzón (generelle Leitung), J. M. Paredes, M. Díaz und J. de Vicente Remesal (mit der Beteiligung weiterer Schüler), Madrid 2014. Auf eine Auflistung der jeweiligen Tagungen, Kurse und Kongresse wurde aus Platzgründen verzichtet. 1990/91: Spanisch-Deutsche Zusammenarbeit organisiert vom spanischen Ministerium für Bildung und Wissenschaft (MEC) und dem DAAD. Forschung zum Thema „AIDS und Strafrecht“. Mitorganisatoren: Mir Puig / Schünemann. Teilnehmer: Luzón Peña, Silva Sánchez, Bottke. 2000/01: Deutsch-Spanische Zusammenarbeit – MEC/DAAD – Forschung zum Thema „Reform der Sexualdelikte“. Mitorganisatoren: Luzón Peña / Schünemann. Teilnehmer: Díaz y García Conlledo, Paredes Castañón, Rodríguez Montañés, Hefendehl, Hörnle, Koester.
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an der Universität Alcalá (2008) und an dem sich anschließenden Seminar und der späteren Festschrift für Mir Puig. Die Feier fand am 12. Juni 2008 an der Universität Alcalá statt, wobei ich die Rolle des Patrons übernahm und die Laudatio verlas. Vorab hatten wir vom 10.-11. Juni das elfte interuniversitäre Seminar zum Strafrecht als internationales Symposium zu Ehren von Prof. Mir Puig angesichts seines Doktortitels honoris causa abgehalten. Unsere jeweiligen Schulen und einige Ehrengäste aus Deutschland, Italien, Spanien und Iberoamerika waren dort vertreten.28 Seit den 1980er Jahren haben sich meine Beziehungen und auch die Kontakte meiner Schüler zu Iberoamerika intensiviert. Ich selbst habe regelmäßig an Kongressen, Seminaren und Tagungen in zentral- und südamerikanischen Ländern teilgenommen und sogar einige Master-Abschlüsse betreut. Unter anderem war ich 2001/02 Co-Direktor (gemeinsam mit Prof. E. Donna) des Masterstudiengangs für Strafrecht und Kriminologie an der Universität von Belgrano, Buenos Aires. In Nicaragua halte ich seit 1992 zahlreiche Kurse zur Spezialisierung im Strafrecht und der Kriminologie an der UCA (Universidad Centroamericana) ab, wo ich von 1999/2000 Leiter des Masterstudienganges Strafrecht und Strafprozessrecht war. Seit 1992 bin ich auch Koordinator des Abkommens zur Zusammenarbeit im juristischen Bereich zwischen der UCA in Nicaragua und der Universität Alcalá. Damit konnten wir zahlreichen Dozenten verschiedener juristischer Bereiche aus Nicaragua eine Weiterbildung an der Universität Alcalá ermöglichen, sowie bibliographische Bestände aus Alcalá an die UCA spenden. Des Weiteren habe ich in Nicaragua jahrelang die gesetzgebende Versammlung bei der Anfertigung eines neuen Strafgesetzbuches, das 2008 verabschiedet wurde, beraten. In den letzten Jahren habe ich zunehmend wissenschaftliche Beziehungen zu den meisten anderen iberoamerikanischen Ländern (Peru, Brasilien, Chile, Uruguay, Paraguay, Ecuador, Venezuela, Costa Rica oder Guatemala) durch deren Strafrechtler, Universitäten und andere Institutionen aufgenommen und intensiviert. Umgekehrt haben meine Schüler und ich zahlreiche Postgraduierte und Doktoranden aus Iberoamerika an unseren Universitäten aufgenommen.29 2007 haben wir schließlich mit anderen Kollegen zusammen 28
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Die Ergebnisse sind Bestandteil der Festschrift: Luzón (Hrsg.), Derecho Penal del Estado social y democrático de Derecho. Libro Homenaje a Santiago Mir Puig por su doctorado honoris causa por la Universidad de Alcalá, Madrid 2010. Unter Punkt II. finden sich bei den Ausführungen bezüglich meiner wissenschaftlichen Schule die Doktorarbeiten aus Nicaragua und Kolumbien, die wir betreut haben (ich sechs und M. Díaz drei), sowie die Namen einiger weiterer hispanoamerikanischer Doktoranden, welche aktuell an unseren Universitäten forschen.
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die Fundación Internacional de Ciencias Penales (FICP), die Internationale Stiftung für Strafrechtswissenschaften,30 gegründet. Sie dient dem internationalen Austausch zwischen Strafrechtlern verschiedener Länder, allen voran Lateinamerikas und Europas. Ihr Präsident ist mein ältester Schüler J. de Vicente Remesal und S. Mir Puig und ich sind Ehrenpräsidenten. Unsere Mitglieder setzen sich zu ungefähr gleichen Teilen aus europäischen und iberoamerikanischen Strafrechtlern zusammen. Von den zwei bisher organisierten internationalen Kongressen der FICP selbst haben der erste im Mai 2015 in Barcelona und der zweite Kongress im März 2017 in Bogotá stattgefunden. Darüber hinaus habe ich an der Ausarbeitung von Entwürfen für Strafgesetzbücher mitgewirkt: 1983 in der offiziell verfassenden Kommission des Vorentwurfes eines neuen spanischen Strafgesetzbuches,31 Vorgänger des heutigen Strafgesetzbuches von 1995, und seit 1999 als internationaler Berater der nicaraguanischen gesetzgebenden Nationalversammlung32 beim Vorschlag für das Strafgesetzbuch, der für das derzeitige Strafgesetzbuch von Nicaragua von 2008 ausschlaggebend war. Die Redaktionskommission für den Vorschlag eines Vorentwurfs des neuen spanischen Código Penal, ins Leben gerufen 1983 vom Ministerium für Justiz, bestand aus den Professoren Cobo, Gimbernat, Luzón, Muñoz Conde und Quintero, sowie dem Richter des Obersten Gerichts, Herrn García Miguel. Des Weiteren habe ich mit der Unterstützung anderer Forscher zehn auf jeweils drei bis vier Jahre angelegte Forschungsprojekte geleitet, finanziert vom spanischen Staatssekretärsamt für Forschung des Ministeriums für Wissenschaft. Seit dem 18. November 2004 bin ich Dr. h.c. an der Universidad Centroamericana von Nicaragua, Managua. Es war der erste Doktortitel honoris causa, den die UCA verliehen hatte. Die Laudatio wurde von Prof. Manuel Aráuz gehalten. Als Patronin fungierte Prof. Asunción Moreno Castillo, die mir die Abzeichen übergab. Unmittelbar zuvor hatte die Juristische Fakultät die „Internationalen Tage zum Strafrecht und zum Strafprozessrecht“ abgehalten. 30
31 32
Auf der Homepage www.ficp.es findet sich unter anderem der Zugang zu zwei strafrechtlichen Zeitschriften – Libertas (Leitung M. Díaz y García Conlledo) und Foro FICP (Leitung D.-M. Luzón) – sowie die Protokolle zu den jährlichen interuniversitären Seminaren zum Strafrecht an der Univ. Alcalá und den jährlichen Seminaren zur Rechtsphilosophie und zum Strafrecht an der Univ. León. Propuesta de Anteproyecto del Nuevo Codigo Penal, Madrid, Ministerio de Justicia, 1983 (2. Aufl. 1984). Ernannt von dem Justizausschuss der Nationalversammlung von Nicaragua, im Einverständnis mit der A.I.D. [Behörde für internationale Entwicklung].
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Thema war „Die Reform des Strafrechts in Nicaragua. Fortschritte und Perspektiven. Zu Ehren von Prof. Dr. Diego-M. Luzón Peña, Lehrstuhlinhaber der Universität Alcalá, zu seiner Einführung als Doktor honoris causa der Universidad Centroamericana“. An der Tagung nahmen neben zahlreichen zentralamerikanischen Strafrechtlern auch die spanischen Professoren Mir Puig, Jorge Barreiro, Moreno Catena, Gómez Colomer, Gracia Martín, Ganzález Cussac, de Vicente Remesal, Díaz y García Conlledo, Paredes, Trapero, García Sobrado und der Kolumbianer Alberto Suárez Sánchez teil. Im Juli und August 2017 sind drei weitere Ehrenpromotionen an den peruanischen Universitäten Nacional San Augustín von Arequipa, José Carlos Mariátegui von Moquegua und Inca Garcilaso de la Vega zu Lima verliehen worden; die amtlichen Zeremonien mit der entsprechenden Laudatio und Übergabe der Titel sowie Abzeichen haben jeweils am 10., 11. und 13. Oktober 2016 stattgefunden. Vergleichbare Titel, die ich erhalten habe, sind der des Ehrenprofessors der Juristischen Fakultät an der Universität Vigo, Orense, vom 20. Januar 2006, der des Ehren-Gastprofessors der Universidad del Rosario, Bogotá (Decreto Rectoral Nr. 1236 vom 29. Oktober) vom 6. November 2012 und der des Ehrenprofessors der Universidad San Martín de Porres, Lima, mit Verleihung im Juli und Übergabe am 5. Oktober 2016. Des Weiteren habe ich sowohl in Spanien als auch im Ausland Auszeichnungen wie beispielsweise das Ehrenkreuz von San Raimundo de Peñafort – verliehen vom spanischen Justizministerium – am 11. Februar 1984 für meine Mitgliedschaft in der Kommission zur Anfertigung des Vorentwurfs des neuen Strafgesetzbuches von 1983 und den Ritterorden des kolumbianischen Kongresses, verliehen am 18. Dezember 2003, erhalten und wurde bei allen Forschungs- und Lehrtätigkeiten bisher immer bestens durch die entsprechenden Organisationen bewertet.
II. Wissenschaftliche Schule Im Laufe der Jahre habe ich eine große wissenschaftliche Schule als erster Mentor und Lehrer von vielen spanischen und hispanoamerikanischen Strafrechtlern etabliert, indem ich zahlreiche Doktorarbeiten und die sich anschließenden ersten Forschungstätigkeiten betreute und darüber hinaus auch von Schülern meiner Schüler als Lehrer anerkannt wurde, zu denen ich ebenfalls eine enge wissenschaftliche Beziehung aufgebaut habe.33 Die Schüler stellen 33
Neben den bereits genannten Schülern Prof. Dr. Dr. h.c. J. de Vicente Remesal (Ordinarius, Univ. Vigo), Prof. Dr. Dres. h.c. M. Díaz y García Conlledo (Ordinarius, Univ. Vigo), Prof. Dr. Dres. h.c. J.-M. Paredes (Ordinarius, Univ. Oviedo), T. Rodríguez Montañés und R. Roso (Titularprof., Univ. Alcalá), habe ich folgende Personen direkt betreut (in Klammern das Jahr der Abgabe ihrer Doktorarbeit in Alcalá): María-
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meiner Ansicht nach letzten Endes den größten Schatz für einen Akademiker dar. Dies liegt daran, dass man deren Ausbildung sowie die Weitergabe der eigenen Kenntnisse auf höchstem Niveau und mit ganzer Anstrengung anstrebt. Aus diesem Grund habe ich mein Lehrbuch neben meinem großartigen Lehrmeister Roxin und meiner Familie auch meinen Schülern gewidmet.34 In Spanien sind dies vier Lehrstuhlinhaber, sechs Prof. Titulares – zwei davon bereits habilitiert und als Lehrstuhlinhaber zugelassen – und in Lateinamerika vier Lehrstuhlinhaber. Hinzu kommen zahlreiche promovierte Dozenten und Justizbeamte sowie Anwärter auf einen Doktortitel. Ein Teil meiner Schule, die sich auch in Deutschland etablieren konnte, hat mich bei der Übersetzung des Werkes Strafrecht AT, I–II von Claus Roxin35 ins
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Asunción Moreno, Manuel Aráuz (1999, 2000, beide aus Nicaragua), Isabel Durán (2002, derzeit Titularprof., Univ. Léon), Fernando de la Fuente und Juan Pavía (jeweils 2003, Richter und Staatsanwalt), Alberto Suárez Sánchez (2008, kolumbianischer Prof., mitbetreut durch R. Roso), José-Zamyr Vega (2010, aus Nicaragua, derzeit Dozent in Alcalá) und Carmen Pérez-Sauquillo (2017, mitbetreut durch R. Roso). An der Univ. León habe ich zusammen mit M. Díaz die Doktorarbeit des kolumbianischen Prof. Jaime Lombana (2013), an der Univ. Deusto, Bilbao, zusammen mit A. Asúa die Dissertation von Guadalupe Pérez Sanzberro (1996) und an der UCA Managua zusammen mit J.-Z. Vega die Dissertation von Michelle Rizo (2016) betreut. Außerdem habe ich mich an der Univ. Alcalá den Doktorarbeiten von mehreren Doktoranden, u.a. Jorge Luis Salas (Richter am Obersten Gerichtshof Peru), Beatriz Suárez und Lina Cardona (Dozentinnen in Kolumbien), Patricia Martínez Buitrago (Dozentin an der UNAN Léon, aus Nicaragua) sowie des Peruaners Sandro Montes angenommen. Schüler meiner Schüler sind die Folgenden: Prof. Dres. Inés Olaizola (Ordinaria, Univ. Pública Navarra), María Trapero (habilitiert als Lehrstuhlinhaberin, Univ. Léon), Soledad Barber und Leticia Jericó (Titularprof., Univ. Pública Navarra) als Schüler von M. Diaz sowie Marta García Mosquera und Virgilio Rodríguez Vázquez (Univ. Vigo) als Schüler von J. de Vicente. Andere Dozenten: José M. García Sobrado (Vigo, Schüler von J. de Vicente); einige Schülerinnen von M. Díaz: Dr. Silvia Martínez Cantón (früher Univ. P. Olavide in Sevilla, derzeit Richterin in Léon), Dr. Paz Francés (Univ. Pública Navarra), Dr. Geovana Vallejo und Dr. Natalia Torres (beide aus Medellín, Kolumbien, Univ. Léon und Vigo); schließlich Dr. Augusto-César Díaz (Dozent in Nicaragua, Schüler von R. Roso). Als Doktoranden zählen zunächst zahlreiche Schüler von M. Díaz an der Univ. León: aus Kolumbien Susana Escobar, Juan-Pablo Uribe, Stephania Serrano, Juan-Carlos Álvarez und Ricardo Escobar, aus Peru Alfredo Alpaca und aus Spanien Alfredo Ramos. Schließlich die Schülerin von J.M. Paredes an der Univ. Oviedo Cristina López. Vgl. Luzón Peña, Lecciones de Derecho Penal, PG, 2./3. Aufl., Valencia 2012/2016, S. VII; Derecho Penal, PG, 3. Aufl., Buenos Aires-Montevideo 2016, S. 7. Wie bereits in Fn. 27 erwähnt, haben an den nachstehenden Übersetzungen folgende Personen mitgewirkt: Roxin, Strafrecht Allgemeiner Teil, 2. Auflage, übersetzt und kommentiert von D.-M. Luzón, M. Díaz y García Conlledo und J. de Vicente Remesal, Madrid, Civitas, 1997; eine spanische Version davon, die wir gerade fertig gestellt haben: Roxin, Derecho Penal, Parte General, Bd. I, 2. Aufl. Madrid, Civitas-Thomson, 2014, übersetzt und kommentiert von D.-M. Luzón (generelle Leitung), J. M. Paredes,
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Spanische unterstützt, welches zweifelsohne weltweit das bedeutendste Lehrbuch dieser Materie ist. Die Einheit unserer Schule zeigt sich neben anderen gemeinsamen Projekten und Arbeiten in der Teilnahme der überwiegenden Mehrheit unserer Mitglieder an den internationalen und interuniversitären Seminaren zum Strafrecht, die jährlich im Juni an der Universität Alcalá stattfinden – im Jahr 2017 bereits zum 20. Mal! Doch auch zu früheren Zeitpunkten hatten wir deutsch-spanische Treffen in Alcalá und Barcelona veranstaltet. Darüber hinaus ist meine Schule durch die von mir geleitete Zusammenarbeit fast aller Mitglieder an einem Studienbuch „Strafrechtsfälle AT“36 und an einer Ausgabe des spanischen Strafgesetzbuchs und der strafrechtlichen Nebengesetze repräsentiert.37
III. Beiträge zur Strafrechtswissenschaft Von den vielen strafrechtlichen Themengebieten, die ich soweit in meinen Veröffentlichungen behandelte, habe ich freilich einen nicht kleinen Teil den Delikten des Besonderen Teils gewidmet. Aufgrund ihres allgemeineren Charakters möchte ich im Folgenden einige hervorzuhebende Beiträge zu relevanten Fragen des Allgemeinen Teils auswählen und erörtern.
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M. Díaz und J. de Vicente Remesal, in Zusammenarbeit mit weiteren Schülern (Übersetzungen kleinerer Teile, von mir überprüft): M. García Mosquera, M. Trapero, I. Olaizola, R. Roso, S. Barber, L. Jericó, I. Durán, V. Rodríguez Vázquez, S. Martínez Cantón, J. Z. Vega, S. Escobar. Luzón Peña (Leitung) / Roso (Koord.) / de Vicente Remesal / Díaz y García Conlledo / Paredes / Olaizola / Trapero / Barber / Durán / Jericó / García Mosquera / Rodríguez Vázquez / Fuente / Pavía / Vega / Francés / Luzón Campos / Escobar / PérezSauquillo / Torres / Cardona / Alpaca, Derecho penal en casos, Parte General, Estudio analítico-práctico, Valencia Tirant 2018. Luzón Peña (Leitung) / Díaz y García Conlledo (Koord.) / de Vicente Remesal / Paredes Castañón / Olaizola, Código Penal. In Zusammenarbeit mit: Trapero, Roso, Barber, Durán, Jericó, Fuente, Pavía, García Mosquera, Martínez Cantón, García Sobrado, Rodríguez Vázquez, Vega, Vicente, Francés, Escobar. Madrid, Ed. La Ley / W. Kluwers, jährliche Ausgaben 2007 bis 2012 (2013 als E-Book). Luzón Peña (Leitung) / Díaz y García Conlledo (Koord.) / de Vicente Remesal / Paredes Castañón / Olaizola. / Trapero (Überprüf.), Código Penal y legislación complementaria. In Zusammenarbeit mit: Roso, Barber, Durán, Jericó, Fuente, Pavía, García Mosquera, Martínez Cantón, García Sobrado, Rodríguez Vázquez, Vega, Vicente, Francés, Escobar, Pérez-Sauquillo, Torres, Alpaca, Uribe, Cardona, Serrano. Madrid, Ed. Reus, jährliche Ausgaben 2013 bis heute.
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1. Einleitung Ich habe die verfassungsrechtliche Basis jeder einzelnen Beschränkung der Strafgewalt oder ius puniendi umfassend analysiert.38 Andererseits bin ich der Meinung, dass die Zulässigkeit von Blankett-Strafgesetzen nur dann angenommen werden kann, wenn es schlichtweg unmöglich ist, im gesetzlichen Straftatbestand selbst den gesamten Sachverhalt mit all seinen Umständen zu regulieren (imposibilium nulla est obligatio), woraus sich einige weitere Einschränkungen ergeben.39
2. Die allgemeine Verbrechenslehre Bei der Bestimmung der Handlung als Grundlage des Delikts lehne ich alle normativen Handlungsbegriffe ab, da sie unrechtmäßigerweise Wertungen in eine rein faktische Kategorie einfließen lassen, die für jegliches menschliche Verhalten gleich, neutral und normativ indifferent ist. Ich vertrete daher einen menschlich-personalen Handlungsbegriff, allerdings nicht wie in der Formel Roxins40 in Form der Persönlichkeitsäußerung, sondern als eine in der Regel aktive und selten passive Willensäußerung.41 Insofern muss erörtert werden, ob Bewusstsein und Wille der eigenen aktiven oder passiven Handlung vorhanden waren, unabhängig von den Umständen, Konsequenzen oder ihrer Bedeutung (was bereits Teil der Tatbestandsmäßigkeit ist).42 Deshalb beinhalten „Handlungen“ einer juristischen Person auch niemals eine eigene menschliche Handlung (oder mögliche Schuld).43 Beziehung zwischen Tatbestand und Rechtswidrigkeit: Es ist freilich vorzugswürdig, das Konzept des gesamten Unrechttatbestands zu verwenden, um ein authentisches strafrechtliches Unrecht (Verbotsmaterie) und den Irrtum – über die Voraussetzungen des Verbots, was sich von dem Irrtum über das Verbot oder die Missbilligung selbst unterscheidet – eindeutig untermauern zu können. Ein strikter oder positiver Tatbestandsbegriff erfüllt aber eigene Funktio38
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Ursprünglich in Luzón, PG, 1. Aufl. (Curso de Derecho Penal, Parte General I, Madrid), 1996, 79 ff.; in: Luzón (Hrsg.); Enciclopedia Penal Básica, 2002, 857 ff.; ausführlicher in PG, 2./3. Aufl. (Lecciones de Derecho Penal, PG, 2./3. Aufl., Valencia = Derecho penal, PG, 3. Aufl., Buenos Aires/Montevideo), 2012/2016, 2/5 ff. PG, 1. Aufl. 1996, 150 ff.; PG, 2. Aufl. 2012, 5/54 ff. Roxin, AT I, 4. Aufl. 2006, 8/44 ff. Die meisten Unterlassungsdelikte beinhalten eine aktive Handlung, wenn auch eine andere als die erforderliche, nicht bloße Passivität oder Bewegungslosigkeit. Vgl. Luzón, La acción como fundamento del delito, FS-Casabó, II, 1997, (S. 143 ff.) S. 149 ff, 160 ff.; PG, 1. Aufl. 1996, S. 254 ff., 265 ff.; 3. Aufl. 2016, 10/19 ff. u. 43 ff. Luzón, PG, 1. Aufl. 1996, S. 290 ff.; PG, 3. Aufl. 2016, 11/37 ff.
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nen, wie etwa die Abgrenzung verschiedener Tatbestände oder das Regel-/ Ausnahme-Verhältnis, wobei die Regel lautet, dass der Tatbestand i.e.S. ein Indiz der (strafrechtlichen) Rechtswidrigkeit aufgrund der relevanten Betroffenheit von Rechtsgütern bereits voraussetzt.44 Ich akzeptiere, dass die volle Rechtswidrigkeit einer Tat immer Handlungsund Erfolgsunwert benötigt, dass es jedoch ohne Handlungsunwert bereits keine Rechtswidrigkeit gibt. Diesbezüglich möchte ich betonen, dass es nicht nur einen subjektiven, sondern auch einen objektiven Handlungsunwert gibt: Gefährlichkeit, Art und Umstände der Ausführung, die rettende Qualität hinsichtlich bestimmter Güter und Interessen45 sowie der Umstand, dass der Vorsatz nicht nur einen größeren subjektiven Handlungsunwert, sondern aus ex ante Sicht betrachtet auch einen größeren objektiven Handlungsunwert (Gefährlichkeit) impliziert, als er bei dem gleichen Verhalten mit Fahrlässigkeit gegeben wäre.46 Für die objektive Zurechnung als ungeschriebener Teil des objektiven Tatbestands bedarf es meiner Meinung nach:47 1.
der Eignung der Handlung und der Verursachung des tatbestandlichen Erfolgs und Schaffung eines minimal relevanten Risikos – nicht unbedingt größer als das erlaubte Risiko: dies wird erst beim Ausschluss der Rechtswidrigkeit relevant, mit oder ohne vorheriger Nichttatbestandsmäßigkeit.48
2.
der Verwirklichung des der ursprünglichen Handlung innewohnenden Risikos im Erfolg und, noch genereller, der Übereinstimmung des Verhaltens (ggf. auch der Herbeiführung des tatbestandsmäßigen Erfolgs) mit dem Zweck der Norm. Hinsichtlich des Ausschlusses des Normzwecks der die Selbstgefährdung begünsti49 genden Handlungen bin ich der Meinung, dass ihre Grundlage weder das Prinzip der Selbstverantwortlichkeit noch die viktimodogmatische Perspektive sein kann, und ebenso wenig die fehlende Tatbestandsmäßigkeit der Teilnahme am Suizid, was sich in vielen Strafgesetzen anders gestaltet. Vielmehr greifen die Prinzipien der Alterität (Andersartigkeit) bzw. der Identität (Gleichartigkeit). Die Konsequenz daraus ist: Die Gleichstellung der einverständlichen Fremdgefährdung mit der bloßen Begünstigung der Selbstgefährdung, wenn das Opfer die
44
Vgl. Luzón, PG, 1. Aufl. 1996, S. 299 ff., 440 ff., 473 ff.; PG, 3. Aufl. 2016, 12/10 ff., 17/4 ff. u. 74 ff. Luzón, PG, 1. Aufl. 1996, S. 331 ff.; 2. Aufl. 2012, 13/30 ff., 38 ff. So Mir, Función de la pena y teoría del delito en el Estado social y democrático de Derecho, 2. Aufl. 1982, S. 76; ihm folgend: Luzón, PG, 1. Aufl. 1996, S. 331, 406 f.; 3. Aufl. 2016, 13/32, 16/34. Vgl. Luzón, PG, 1. Aufl. 1996, S. 378 ff.; 3. Aufl. 2016, 15/46 ff. Luzón, PG, 1. Aufl. 1996, S. 382; 3. Aufl. 2016, 15/58 f.; über erlaubtes Risiko: 22/44 ff. Näher dazu Luzón, GA 2011 (-5: Roxin-FG), S. 295 ff; PG, 3. Aufl. 2016, 15/78 ff.
45 46
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Kontrolle über das Risiko oder die Gefahr hat – eine exakte Kenntnis der Gefahr allein reicht dafür nicht aus.
Der Vorsatz erfordert meiner Auffassung nach stets den Willen und zwar – anders als von anderen Kollegen vertreten – auch der direkte Vorsatz, nicht nur die Absicht. Infolgedessen erfordert also auch der bedingte Vorsatz (dolus eventualis) eine Annahme als Willenselement, was wiederum das größere subjektive und objektive Handlungsunrecht gegenüber der Fahrlässigkeit ausmacht,50 allerdings mit einer doppelten, objektiv-normativen Einschränkung: 1.
Um mehr als eine strafrechtlich irrelevante Vorstellung zu sein, muss sich das Wissen und Wollen zunächst auf eine geeignete Handlung, welche die Entstehung 51 einer relevanten Gefahr (als Voraussetzung für die objektive Strafbarkeit) mit sich bringt, beziehen.
2.
Im Rahmen des bedingten Vorsatzes verteidige ich eine eingeschränkte Einwilligungs- bzw. Akzeptanztheorie. Ich teile die Position, dass das Vertrauen in das Ausbleiben einer Folge zumindest minimal objektiv fundiert sein muss, damit es mehr als ein bloßer Wunsch der Nichtverwirklichung ist und ein Hinnehmen aus52 geschlossen werden kann.
Aus meinen vielzähligen Arbeiten zur Fahrlässigkeit möchte ich folgende Ergebnisse hervorheben: Die Nichtanwendung von überdurchschnittlichem Wissen impliziert Fahrlässigkeit, da dieses Wissen auf den idealen Durchschnittsmenschen übertragen werden kann, während dies nicht der Fall ist bei der Nichtanwendung von überdurchschnittlichen Fähigkeiten.53 In den meisten Strafrechtsordnungen erfordert Fahrlässigkeit eine Handlung als Täter,54 die fahrlässige Teilnahme an sich hingegen ist nicht strafbar.55
50 51 52
53 54
55
So Luzón, FS-Barbero, I, 2001, S. 1112 f. (1109 ff.); PG, 1. Aufl. 1996, S. 411 f.; 3. Aufl. 2016, 16/40 f. Luzón, FS-Barbero I, 2001, S. 1111–1113; PG, 1. Aufl. 1996, S. 380 f., 412; 3. Aufl. 2016, 15/54, 16/42. So (der Auffassung u.a. von Engisch, Untersuchungen über Vorsatz u. Fahrlässigkeit, 1930, 176 f. und Küpper, ZStW 100 (1988), S. 766, 774 f. folgend) Luzón, Poder Judicial 23, 1991, S. 94; FS-Barbero I, 2001, S. 1112 f.; PG, 1. Aufl. 1996, S. 426 f.; 3. Aufl. 2016, 16/76 ff. Vgl. näher Luzón, PG, 1. Aufl. 1996, S. 501 f.; 3. Aufl. 2016, 18/28–30. Gewöhnlich ist dazu eine objektive Tatbestimmung notwendig, d.h., dass durch diese Handlung die Tat objektiv bestimmt wird, nur in Ausnahmefällen reicht der Verstoß gegen spezielle Pflichten aus; vgl. Luzón, ADPCP 1989, S. 889 ff.; PG, 3. Aufl. 2016, 18/43ff. So Luzón, RDCir 1985, S. 275 ff.; ADPCP 1989, S. 889 ff., 902 ff.; PG, 1. Aufl. 1996, S. 507 ff.; 3. Aufl. 2016, 18/43 ff.
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Ich unterstütze weiterhin die These, dass man vor der Analyse der Rechtfertigungsgründe das Verhältnis zu verschiedenen in Frage kommenden tatbestandsauschließenden Gründen untersuchen muss, wobei man zwei Arten unterscheiden sollte: 1. Tatbestandsausschließungsgründe, bei denen schon von vornherein kein rechtlich relevantes Verhalten vorliegt, weshalb bereits kein Unrecht – auch kein außerstrafrechtliches – indiziert ist, wie es in den wenigen Fällen geschieht, in welchen das Einverständnis bereits die Rechtsgutsverletzung ausschließt, sowie in denen der sozialen und gleichzeitigen rechtlichen Adäquanz. Und 2. Tatbestandsausschließungsgründe allein bezüglich der strafrechtlichen Tatbestandsmäßigkeit, die ein außerstrafrechtliches Unrecht unberührt lassen, das beispielsweise zivil- oder verwaltungsrechtliche Verantwortlichkeit mit sich bringt. So etwa die Fälle der Geringfügigkeit oder des Bagatellunrechts, der sozialen Toleranz, der sozialen, aber nichtrechtlichen Adäquanz, der nicht vollständig wirksamen, aber gleichwohl strafrechtlich relevanten Einwilligung oder mutmaßlichen Einwilligung oder behördlichen Genehmigung, nicht-rechtfertigende Fälle der fehlenden Fahrlässigkeit und des objektiv unvermeidbaren Irrtums oder der allgemeinen strafrechtlichen Unzumutbarkeit.56 Bei den Rechtfertigungsgründen hebe ich hervor: Grundlagen. Die Grundlagen der Rechtfertigungsgründe sind zahlreich sowie verschieden und konkretisieren die Interessensabwägung in jedem Rechtfertigungsgrund. Sie gründen sich auch nicht immer in einem übergeordneten oder vorrangigen Interesse, sondern manchmal auch in dem Fehlen einer rechtlichen Präferenz im Falle der Kollision gleichwertiger Interessen.57 Arten. Neben den traditionellen Rechtfertigungsgründen, die den Erfolgsunwert ausschließen, gibt es auch einige, die allein den Handlungsunwert entfallen lassen: entweder entfällt der subjektive Handlungsunwert wie bei erlaubtem Risiko und casus fortuitus, bei der aus ex ante Sicht rational erforderlichen Notwehr, dem Recht und der Pflicht zur Festnahme aufgrund einer 56
57
Vgl. Luzón, Causas de atipicidad y causas de justificación, in: Luzón / Mir (Hrsg.), Causas de justificación y de atipicidad en DP, Pamplona 1995, S. 21 ff.; Revista General Derecho Penal (RGDP) 9, 2008, S. 1–34; RGDP 18 2012, 1-48; PG, 3. Aufl. 2016, 20/1 ff., 22/1 ff. Teilweise auch dargestellt in: Coimbra-Symposium für Roxin, 1995, 104 f.; GA 2006, 317 ff. Die Tatbestandsausschlieβungsgründe stimmen grundsätzlich mit der Kategorie der Strafunrechtsausschlieβungsgründe von Günther überein. Diese aber wird auf teilweise verschiedene Fälle angewandt und darüber hinaus behauptet der Günthersche Ansatz, dass man nicht weiß, ob die Handlung rechtswidrig ist, was nicht richtig ist, denn sie ist immer außerstrafrechtlich rechtswidrig. Vgl. Luzón, Aspectos esenciales legitima defensa, 1978, S. 58 ff., 243 ff; PG, 1. Aufl. 1996, S. 574 ff., 587 f., 621 ff.; 3. Aufl. 2016, 21/2 ff., 22/78 ff., 23/4 ff., 24/7 ff., 25/7 ff.
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rational fundierten Überzeugung des Vorliegens der rechtlichen Voraussetzungen oder dem Recht auf wahrheitsgetreue Information ex ante, oder aber es entfällt der objektive Handlungsunwert wie beim Notstand, dem geschuldeten Gehorsam gegenüber Befehlen trotz ihrer Rechtswidrigkeit oder einer mutmaßlichen Einwilligung.58 Die Konsequenzen sind unter anderem, dass es keinen Platz für den defensiven Notstand gegenüber den Rechtfertigungsgründen gibt, die den Erfolgsunwert ausschließen und auch dass die Grundsätze der mittelbaren Täterschaft mit rechtmäßig handelndem Werkzeug sowie die actio illicita in causa im Bereich der Rechtfertigung des Erfolgs nicht anwendbar sind, sondern nur bei einer Rechtfertigung, die den Handlungsunwert ausschließt, wie es bei dem zu rechtfertigenden Notstand der Fall ist.59 Notwehr. Ich selbst lege die Voraussetzungen, die an einen rechtswidrigen Angriff im Bereich der Notwehrlage gestellt werden, sehr restriktiv aus. So schließe ich beispielsweise von vornherein die harte Reaktion der Notwehr auf Gefährdungen, die eine Bewertung als rechtswidrigen Angriff nicht verdienen, aus, gegenüber welchen nur der defensive Notstand greift. Dies wiederum verbinde ich mit einer strikten Auslegung der Erforderlichkeit des Mittels in denjenigen Fällen, in welchen ein wenig wichtiger Angriff vorliegt. So werden sozialethische Einschränkungen der Verteidigungshandlung weitgehend nicht mehr benötigt.60 Bezüglich der eine „rationale Erforderlichkeit des Mittels“ der Verteidigung fordernden Regulierung bin ich seit jeher der Meinung, dass „rational“ weit ausgelegt werden sollte, weshalb auch Verteidigungsmittel, die sich ex post als nicht erforderlich herausstellen, ex ante jedoch als objektiv, also nach einer rational begründeten Überzeugung für den idealen Durchschnittsmenschen, notwendig erscheinen, zulässig sind.61 In der letzten Zeit verteidige ich jedoch auch die doppelte Funktion der „Rationalität“, also dass das Merkmal „rational“ auch eine restriktive Bedeutung hat und die rechtliche Grundlage ist, die es – ohne das Legalitätsprinzip, das auch für die im Detail gesetzlich geregelten Rechtfertigungsgründe gilt, zu verletzen – erlaubt, die Anwendung eines Mittels, das, wie im Falle des sehr erheblichen Missverhältnisses zwischen dem verursachten und dem verhinderten Schaden, rechtlich58
59 60 61
Vgl. Luzón, Aspectos esenciales legitima defensa, 1978, S. 121–125, 251 ff.; JRE 2 1994, (353 ff.) 360 ff.; PG, 1. Aufl. 1996, S. 575 f., 607 f., 622, 640 ff.; PG, 3. Aufl. 2016, S. 21/4 ff., 22/26 ff., 119 ff., 23/69 f., 24/9, 25/8 f., 19 f., 28 f., 46 f., 76 f., 104 ff., 117. Vgl. näher Luzón, Aspectos esenciales legitima defensa, 1978, S. 125 f., 250 f. So eingehend Luzón, Aspectos esenciales legitima defensa, 1978, S. 278 ff., passim; 2. Aufl. 2002, S. 114 ff., 527 ff., 561–563, 570 f., passim. So Luzón, Aspectos esenciales legitima defensa, 1978, S. 125; 2. Aufl., 2002, S. 107, 558 f.; ComLP V, 1985, S. 259 f.; PG, 1. Aufl. 1996, S. 607 f.; 3. Aufl. 2016, 23/69 f.
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sozial weder als rational noch als angemessen erachtet wird, auszuschließen, selbst wenn es im konkreten Fall unbedingt erforderlich war.62 Im Rahmen der Einschränkung „Fehlen einer ausreichenden Provokation“ als letzte gesetzliche Voraussetzung in Strafgesetzen wie dem Spanischen, vertrete ich eine Ansicht, die dem Ausgangspunkt von Roxin folgt und diesen weiterentwickelt. Meiner Meinung nach ist die einzige zum Ausschluss des Notwehrrechts führende Provokation diejenige, bei welcher die Verteidigung des Rechts durch eine dazu legitimierte Person nicht notwendig ist, weil die Reaktion der Person nur der Begleichung einer inneren Rechnung dient.63 Dies geschieht jedoch nur in den Fällen der Provokation zu oder der Annahme eines Streits oder Duells.64 Notstand. In der einheitlichen Regelung des spanischen Strafgesetzbuchs, die befreit, sofern nicht ein größeres Übel verursacht wird, kann man meiner Meinung nach die Einheitstheorie aufrechterhalten und vertreten, dass der eigene Notstand wie auch die Notstandshilfe die Rechtswidrigkeit ausschließen.65 Ein Notstand setzt die Bedrohung durch ein rechtliches Übel voraus, wie es beispielsweise bei einem Selbstmordversuch, nicht aber bei der Ablehnung ärztlicher Hilfe durch einen Kranken, der lediglich seine ihm zustehenden Rechte ausüben möchte, indem er Rettungsmaßnahmen ablehnt, vorliegt.66 Im Rahmen der Interessenabwägung spreche ich der (Nicht-)Existenz und dem Grad der vorangehenden Gefahr für die in Frage kommenden Rechtsgüter eine große Rolle zu.67 Bei dem Problem des geschuldeten Gehorsams bei rechtswidrigen Befehlen vertrat ich früher die Theorie der Nichtigkeit.68 Heute bin ich jedoch der
62 63 64
65
66 67 68
So meine neue Position in Luzón, PG, 2./3. Aufl. 2012/2016, 23/68, 71 f., 78 f. Vgl. näher Roxin, ZStW 75, 1963, S. 566 ff., 572 ff., 577 ff. Vgl. Luzón, ComLP, V, 1985, S. 263 ff., insbes. S. 266–269; LL 1989-3, (S. 487 ff.) S. 491 ff.; PG, 1. Aufl. 1996, S. 612 ff., 610 ff.; 3. Aufl. 2016, 23/86–94, 80 ff.; Aspectos esenciales legitima defensa, 2. Aufl. 2002, S. 563 ff., insbes. S. 566–569, 578 ff. So Luzón, Aspectos esenciales legitima defensa, 1978, S. 247 ff.; 2. Aufl., 2002, S. 225 ff.; Estado de necesidad e intervención médica (o funcionarial o de terceros) en casos de huelgas de hambre usw., REPe 238, 1987, (47 ff.,) 53 f.; Estado de necesidad y estado de necesidad defensivo, in: Luzón (Hrsg.), EPB, 2002, 672 ff.; PG, 1. A. 1996, 576, 621 ff.; 3. Aufl. 2016, 21/7, 24/5 ff. Luzón, REPe 238 1987, S. 50 ff.; in Luzón (Hrsg.), EPB, 2002, S. 673 f.; PG, 1. Aufl. 1996, S. 623 f.; 3. Aufl. 2016, 24/12 ff. So Luzón, in: Luzón (Hrsg.), EPB, 2002, S. 677; Parte General, 1. Aufl. 1996, S. 630 f.; 2. Aufl. 2012, S. 24/39 ff. So eingehend Luzón, Aspectos esenciales legitima defensa, 1978, S. 278 ff., 306 ff.; 2. Aufl. 2002, S. 253 ff., 280 ff.
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Ansicht, dass das spanische Recht auf der Theorie der Offensichtlichkeit basiert.69 Schuld. Ich bin früher von einer neutralen Ansicht der Schuld als der auf der Möglichkeit und Notwendigkeit generalpräventiver Abschreckung beruhenden, normalen Motivierbarkeit ausgegangen, schließlich aber zu der normativen Auffassung der Mehrheit übergegangen, nach der die Schuld die strafrechtliche Vorwerfbarkeit der Tat gegenüber dem Täter ist – und zwar auf Grundlage der (verfassungsrechtlich anerkannten und garantierten) Freiheit und der normativen Ansprechbarkeit und Bestimmbarkeit des Täters.70 Die Entschuldigungsgründe aufgrund individueller strafrechtlicher Unzumutbarkeit haben meiner Meinung nach zwei Voraussetzungen, eine tatsächliche und eine normative. In tatsächlicher Hinsicht muss die normale Möglichkeit der Bestimmung ausgeschlossen oder zumindest stark erschwert sein. In normativer Hinsicht dürfen die Beweggründe nicht oder nicht ausschließlich negativ bewertet werden.71 Unterlassungsdelikte. Im Bereich der unechten Unterlassungsdelikte habe ich neben der Garantenstellung ein weiteres Kriterium der Gleichwertigkeit (nicht einer bloßen Entsprechung) von Unterlassung und aktiver Begehung verteidigt, und zwar, dass das Unterlassen selbst vom sozial- oder rechtlich-normativen Standpunkt aus zur Schaffung oder Erhöhung der Gefahr oder des Risikos führt,72 was genau mit dem ersten Erfordernis der objektiven Zurechnung (der Handlung) bei den aktiven Begehungsdelikten übereinstimmt, nämlich der Schaffung eines relevanten Risikos. Dies setzt voraus, dass man gesellschaftlich- oder rechtlich-normativ davon ausgeht oder es als ganz sicher voraussetzt, dass die Gefahr oder das Risiko vom Täter kontrolliert wird. Das ist dann der Fall, wenn in der großen Mehrzahl von Fällen wie diesem die Garanten in 69 70
71
72
Vgl. näher Luzón, PG, 3. Aufl. 2016, 25/125 ff. Meine frühere Position in Luzón, Medición de la pena y sustitutivos penales, 1979, 21, 38 f., 44 ff.; Coimbra-Symposium für Roxin, 1995, 105. Zu meiner derzeitigen Position vgl. Luzón, Libertad, culpabilidad y neurociencias, InDret 2012-3, S. 1 ff.; RDP arg. 2012-1, S. 153 ff.; PG, 2./3. Aufl. 2012/2016, 26/15, 26/31 ff.; Schuld und Freiheit, GA 2017/12, 669 ff. Luzón, PG, 2./3. Aufl. 2012/2016, 26/40, 28/22 ff.; Handeln aus Gewissensgründen als Entschuldigungsgrund im Vergleich zur Strafbarkeit der Überzeugungstat, FS-Wolter, 2013, S. 431 ff.; InDret 2013-1, S. 1 ff.; Entschuldigung aus subjektiver strafrechtlicher Unzumutbarkeit, FS-Schünemann, 2014, 455 ff. Vgl. Luzón, RDCir 1974, S. 269 ff., 272 f.; RDCir 1980, S. 386 ff., 388; Derecho Penal de la Circulación, 1985, S. 126 ff.; Poder Judicial (PJ) 2 1986, (S. 73 ff.), S. 79 ff.; PG, 3. Aufl. 2016, 31/83 ff.; Gleichwertigkeit der Unterlassung mit der Begehung: Schaffung oder Erhöhung der Gefahr durch die Unterlassung. Eine Skizze, GA 2016, (275 ff.,) 277 ff.
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der Tat ihre Aufgabe und Pflicht der Risikokontrolle im Allgemeinen oder gegenüber Rechtsgütern einer bestimmten Person wirksam erfüllen. M.E. geschieht das bei Überwachungsgaranten nur dann, wenn sie eine wirkliche, nicht bloß potentielle Kontrolle über die Gefahr haben, und bei Schutzgaranten muss entweder völlige Hilflosigkeit oder eine sichere Abschirmung des Rechtsgutes vorliegen.73 Täterschaft und Teilnahme. Hinsichtlich der Täterschaft vertrete ich die Auffassung, dass das Kriterium, um ihr Vorliegen im Rahmen der Erfolgsdelikte bejahen zu können, das der objektiven und positiven Bestimmung der Tat (als objektive Grundlage der Tatherrschaft) ist, die auch für die Täterschaft im Bereich der Fahrlässigkeitsdelikte gilt.74
3. Strafen und andere rechtliche Konsequenzen Früher war ich der Ansicht, dass die Zwecke der Strafe allein die General- und Spezialprävention seien, wobei die Generalprävention im Kollisionsfall Vorrang vor der Spezialprävention habe, d.h. dass das, was grundsätzlich zählt, die abschreckende Generalprävention ist, begrenzt auf das für ihre Wirkung minimal Notwendige und durch die Verhältnismäßigkeit und die Schuldhaftigkeit an sich. Darüber hinaus war ich der Meinung, dass die sog. Positive Generalprävention nur innerhalb dieser Grenzen akzeptabel ist und keine höheren Anforderungen stellen darf. All dies hat Konsequenzen für die Aussetzung und Ersetzung von Strafen.75 Heute unterstütze ich darüber hinaus die These, dass ein weiteres Ziel der Strafe, wie in allen anderen Rechtszweigen 73
74
75
Vgl. näher Luzón, PG, 3.Aufl. 2016, 31/103 ff.; GA 2016, 278 ff.; und v.a. meine letzte umfassende Studie Omisión impropia o comisión por omisión. Cuestiones nucleares: imputación objetiva sin causalidad, posiciones de garante, equivalencia (concreción del criterio normativo de la creación o aumento de peligro o riesgo) y autoría o participación, in: Libertas 6, 2017 (www.ficp.es), S. 145-272, wo außer der Frage der Gleichstellung der unechten Unterlassung mit der aktiven Begehung (S. 208 ff., 235 ff.) eingehend andere Kernfragen der unechten Unterlassungsdelikte (objektive Zurechnung des Erfolges ohne Kausalität, Garantenstellungen und Täterschaft oder Teilnahme) behandelt werden. Vgl. näher Luzón, ADPCP 1989, S. 889 ff., 902 ff.; PG, 1. Aufl. 1996, S. 507 ff.; 2./3. Aufl. 2012/2016, 18/43 ff. Meine Theorie wurde in erster Linie vertreten und erweitert von meinen Schülern Díaz y García Conlledo in seinem Werk La autoría en Derecho Penal, Barcelona, 1991, sowie in verschiedenen Aufsätzen, und Roso Cañadillas in seinem Buch Autoría y participación imprudente, Granada, 2002. Eine deutsche Darstellung unserer Auffassung und die Reaktion in der Lehre findet sich in: Luzón Peña / Díaz y García Conlledo, FS-Roxin, 2001, S. 575 ff.; span. Fassung in: AFDUA (Anuario Facultad Derecho Univ. Alcalá) 1998/99, extra-Nr. 2000, S. 53 ff. Vgl. die in Fn. 22 erwähnten Veröffentlichungen.
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auch, die Herstellung von Gerechtigkeit – und nicht etwa die Vergeltung – ist, dass die Hauptfunktion der Strafe jedoch die Prävention als notwendiges Mittel zum Schutz von Rechtsgütern ist. Dies ergibt sich aus dem Vorrang der Freiheit gegenüber der Gerechtigkeit unter den höheren Werten unserer Rechtsordnung wie sie von Art. 1 CE garantiert werden.76 Keine Strafen, sondern eine besondere Form der präventiven Maßnahmen sind die strafrechtlichen Sanktionen gegenüber juristischen Personen, auch wenn einige Strafgesetze sie als Strafe bezeichnen. Die juristische Person begeht kein Delikt. Ihr eine Strafe aufzuerlegen widerspricht somit dem mit dem strafrechtlichen Legalitätsgrundsatz zusammenhängenden Prinzip der Verantwortlichkeit für die Handlung, dem Prinzip der persönlichen Verantwortlichkeit und dem Schuldgrundsatz.77
4. Abschließende Überlegungen Abgesehen von den eben dargestellten Beiträgen habe ich in meinen verschiedenen Büchern und vielzähligen Aufsätzen (über 250 Titel) weitere Beiträge, Ideen und Vorschläge zu praktisch allen Fragen des Allgemeinen Teils, sowie zu vielfältigen Themen des Besonderen Teils veröffentlicht. Jedenfalls bemühe ich mich in meinen Arbeiten darum, dass, neben den wichtigen systematischen Beiträgen und der Entwicklung neuer Theorien und Konstrukte, jeder Paragraph ein Beispiel für Genauigkeit und Kohärenz in der Darstellung und Argumentation ist und, sofern es möglich ist, einen Beitrag zu der Interpretation von konkreten Normen oder die Bewertung von und Kritik an anderen Argumentationen oder Interpretationen beinhaltet. Aber abgesehen von jenen Aufsätzen, die in deutscher Sprache veröffentlicht wurden (die in der Auswahlbibliographie aufgeführten sowie einige weitere), wurde die Mehrheit meines Werkes selbstverständlich in meiner Muttersprache Spanisch veröffentlicht (denn bekannterweise fungiert die englische Sprache in einem Großteil der Rechtswissenschaften und natürlich auch im Bereich des Strafrechts, anders als bei anderen Wissenschaften, nicht als universelle lingua franca). Dies hat zur Konsequenz, dass ein Großteil meines Werkes, wie es auch das Schicksal aller anderen spanischsprachigen Strafrechtler ist, unter deutschsprachigen Strafrechtlern nicht bekannt ist und nicht verwendet wird, mit der Ausnahme jener deutlichen Minderheit, die der
76 77
Vgl. Luzón, PG, 3. Aufl. 2016, 11/44 ff.; in diese Richtung gehend schon Prevención general y especial y retribución, in Luzón (Hrsg.) EPB, 2002, S. 1028 ff. PG, 3. Aufl. 2016, 2/12, 2/30 f., 11/39 ff.
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spanischen Sprache mächtig ist oder sich zumindest darum bemüht, die wichtigsten in spanischer Sprache veröffentlichten Werke zu kennen. Diese Feststellung wird von den spanischsprechenden Strafrechtlern immer kritischer bewertet. In der Tat: Dadurch, dass die deutsche Strafrechtswissenschaft die moderne Verbrechenslehre ins Leben gerufen hat und ihr ein hohes wissenschaftliches Niveau zukommt, hat ein Großteil der spanischen (sowie ein Bereich der spanischsprachigen) Strafrechtswissenschaft den Umgang mit Beiträgen der deutschsprachigen Lehre neben der Auseinandersetzung mit den Beiträgen der eigenen spanischen Strafrechtsdogmatik (und ebenso, wenn auch in geringerem Maße, der iberoamerikanischen, italienischen und portugiesischen) als essentiellen Bestandteil ihrer wissenschaftlichen Arbeit betrachtet. Ein solcher „Blick über den Tellerrand“ war bisher meinem Eindruck nach im Allgemeinen bei den deutschsprachigen Strafrechtlern nicht festzustellen. Es scheint, dass sie sich mehrheitlich selbst bzw. ausschließlich deutschsprachige Veröffentlichungen studieren und zitieren. In den letzten Jahrzehnten hat jedoch auch die spanische und spanischsprachige Strafrechtswissenschaft an wissenschaftlichem Niveau, Qualität und Quantität gewonnen und große Bedeutung erlangt, so dass diesbezüglich kaum noch ein Unterschied zur deutschen Strafrechtswissenschaft besteht. Ein Nachweis für die zunehmende Bedeutung des spanischen Strafrechts ist beispielsweise die Anzahl spanischer Strafrechtler, die gerade in diesem vorliegenden Autobiographienband zu finden sind. Auch die Leitung des Goltdammer’s Archiv, unter Führung von J. Wolter, legt immer größeren Wert auf den wissenschaftlichen Austausch zwischen der deutschen und der spanischen Strafrechtslehre. Zu guter Letzt ist auch der zweifellos bedeutendste Strafrechtler der Welt, Claus Roxin, allmählich dazu übergegangen, die Werke wichtiger spanischer Strafrechtler, nicht nur wenn sie auch auf Deutsch veröffentlicht wurden, in seinen Neuauflagen des Lehrbuchs AT I und II zu zitieren. Die Leserschaft spanischer Werke beschränkt sich dabei lange nicht nur auf Spanien, sondern ist gerade auch in den romanisch-europäischen Ländern, in denen Spanisch verstanden wird, sowie auf dem gesamten amerikanischen Kontinent zu finden. Selbst in Brasilien ist Spanisch die zweite Pflichtsprache in den Schulen, und auch außerhalb der Schulen versteht sie jeder. Auch in den USA wird Spanisch immer häufiger benutzt; immerhin wird es mittlerweile bereits von ungefähr 50 Millionen Einwohnern beherrscht. Darüber hinaus können sowohl Italiener als auch Portugiesen ohne Schwierigkeiten Spanisch lesen und verstehen und auch weltweit betrachtet nimmt das Erlernen des Spanischen als zweite Fremdsprache stetig zu.
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Gerade deshalb wäre es äußerst empfehlenswert, wenn die deutschsprachigen Strafrechtler, allen voran die junge Generation, eine Bereitschaft zum wechselseitigen Austausch und Kenntnisse der strafrechtlichen Doktrin spanischsprachiger Herkunft hätten. Andernfalls könnte der fehlende Austausch bzw. das fehlende Interesse der deutschen Strafrechtswissenschaft dazu führen, dass allmählich die jungen Generationen spanischsprachiger Strafrechtler wiederum das Interesse am Umgang mit und der Aufrechthaltung des Kontakts zur deutschsprachigen Strafrechtswissenschaft weiter verlieren.
Schriftenverzeichnis (in Auswahl) 1. Selbständiges Schrifttum / Monographien Aspectos esenciales de la legítima defensa [Wesentliche Aspekte der Notwehr], Barcelona 1977; 2. akt. u. erw. Aufl., Montevideo / Buenos Aires 2002. Medición de la pena y sustitutivos penales [Strafzumessung und Strafersetzungs- und -aussetzungsformen], Madrid 1979. Derecho Penal de la circulación. Estudios de la jurisprudencia del Tribunal Supremo [Straßenverkehrsstrafrecht. Studien zur Rechtsprechung des Obersten Gerichts], Sammelband, 2. erw. Aufl., Barcelona 1990. Estudios Penales [Strafrechtliche Studien], Sammelband, Barcelona 1991. Enciclopedia Penal Básica [Strafrechtliche Grundenzyklopädie] (Hrsg.), Granada, Comares 2002. Derecho Penal del Estado social y democrático de Derecho. Libro Homenaje a Santiago Mir Puig por su doctorado honoris causa por la Univ. de Alcalá [Strafrecht des sozialen demokratischen Rechtsstaats. Festschrift für S. Mir Puig anlässlich seiner Ehrenpromotion an der Univ. Alcalá] (Hrsg.), Madrid 2010. Libertad y culpabilidad. Lectio Doctoralis en el acto de investidura como Dr. honoris causa por la Univ. José Carlos Mariátegui de Moquegua [Freiheit und Schuld. Lectio doctoralis im Rahmen der Ehrenpromotion an der Univ. J.C. Mariátegui in Moquegua], Arequipa (Perú) / Pangea 2016.
2. Lehrbücher und Fallsammlungen Curso de Derecho Penal, Parte General I [Lehrbuch des Strafrechts, Allgemeiner Teil I], Madrid 1996. 2. Aufl.: Lecciones de Derecho Penal, Parte General [Vorlesungen des Strafrechts, Allgemeiner Teil], 3. überarb. und erw. Aufl., Valencia 2016.
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Diego-Manuel Luzón Peña
Derecho Penal, Parte General [Strafrecht, Allgemeiner Teil], 3. Aufl., Buenos Aires/Montevideo 2016. Derecho penal en casos, Parte General, Estudio analítico-práctico [Strafrechtsfälle AT, Analytisch-praktische Studie] (Hrsg.), in Zusammenarbeit mit Roso (Koord.) / de Vicente / Díaz y García Conlledo / Paredes / Olaizola / Trapero / Barber / Durán / Jericó / García Mosquera / Rodríguez Vázquez / Fuente / Pavía / Vega / Francés / Luzón Campos / Escobar / Pérez-Sauquillo / Torres / Cardona / Alpaca, Valencia 2018.
3. Aufsätze in Zeitschriften und Sammelwerken Generalprävention, Gesellschaft und Psychoanalyse, in: GA 1984, S. 393 ff. La participación por omisión en la jurisprudencia reciente del Tribunal Supremo [Die Teilnahme durch Unterlassung in der jüngeren Rechtsprechung des Obersten Gerichts], in: PJ 2, 1986, S. 73 ff. Die Ersetzungsformen der Freiheits- und anderer Strafen in der spanischen Strafrechtsreform, in: Hassemer (Hrsg.), Strafrechtspolitik. Bedingungen der Strafrechtsreform, Frankfurt/M. / Bern / New York 1987, S. 103 ff. Estado de necesidad e intervención médica (o funcionarial o de terceros) en casos de huelgas de hambre, intentos de suicidio y de autolesión: algunas tesis [Notstand und ärztlicher (bzw. amtlicher oder fremder) Eingriff bei Hungerstreiks, Selbsttötungs- und Selbstverletzungsversuchen: Einige Thesen], in: REPe 238, 1987, S. 47 ff.; auch in: Mir (Hrsg.), Avances de la Medicina y DP, Barcelona 1988, S. 59 ff. La „determinación objetiva del hecho“. Observaciones sobre la autoría en delitos dolosos e imprudentes de resultado [Die „objektive Tatbestimmung“. Bemerkungen zur Täterschaft bei vorsätzlichen und fahrlässigen Erfolgsdelikten], in: ADPCP 1989, S. 889 ff. Spätere veränderte dt. Fassung: Objektive positive Tatbestimmung und Tatbestandsverwirklichung als Täterschaftsmerkmale, mit M. Díaz y García Conlledo in: Schünemann / Achenbach / Bottke / Haffke / Rudolphi (Hrsg.), Festschrift für Claus Roxin, Berlin 2001, S. 575 ff. „Actio illicita in causa“ und Zurechnung zum Vorverhalten bei Provokation von Rechtfertigungsgründen, in: JRE 2, 1994, S. 353 ff. Die Beziehung von Strafwürdigkeit und Strafbedürftigkeit zum Verbrechensaufbau, in: Schünemann / de Figueiredo Dias (Hrsg.), Bausteine des europäischen Strafrechts. Coimbra-Symposium für Roxin, Köln 1995, S. 97 ff.
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Causas de atipicidad y causas de justificación [Tatbestandsausschließungs- und Rechtfertigungsgründe], in: Luzón Peña / Mir Puig (Hrsg.), Causas de justificación y de atipicidad en el Derecho penal, Pamplona 1995, S. 21 ff. Vernünftige Annahme (objektiv unvermeidbarer Irrtum) und mutmaßliche Einwilligung: Erlaubtes Risiko oder Straftatbestandsausschließungsgrund, in: GA 2006, S. 317 ff. Untreuestrafbarkeit im spanischen Strafrecht, mit R. Roso Cañadillas, in: ZStW 122, 2010, S. 354 ff. Alteritätsprinzip oder Identitätsprinzip vs. Selbstverantwortungsprinzip. Teilnahme an Selbstgefährdung, einverständliche Fremdgefährdung und Gleichstellung: das Kriterium der Risikokontrolle, in: GA 2011, S. 295 ff. Die Berufung auf das Gewissen im spanischen Recht (Recht auf Gewissenstat und Verweigerung aus Gewissensgründen als Rechtfertigungsgrund im spanischen Recht), in: Festschrift für Imme Roxin, Heidelberg 2012, S. 757 ff. Handeln aus Gewissensgründen als Entschuldigungsgrund im Vergleich zur Strafbarkeit der Überzeugungstat, in: Festschrift für Jürgen Wolter, Berlin 2013, S. 431 ff. Libertad, culpabilidad y neurociencias [Freiheit, Schuld und Neurowissenschaften], in: InDret, 2012-3, S. 1 ff. Responsabilidad penal del asesor jurídico [Strafrechtliche Haftung des Rechtsberaters], in: RP (Revista Penal) 29, 2012, S. 97 ff. El consentimiento en Derecho penal: causa de atipicidad, de justificación o de exclusión só1o de Ia tipicidad penal [Die Einwilligung im Strafrecht: Tatbestandlosigkeit, Rechtfertigung oder Ausschließung nur der Straftatbestandsmäßigkeit], in: RGDP 18, 2012, S. 1 ff. Consentimiento presunto y autorización oficial: exclusión de la antijuridicidad o de la tipicidad y requisitos respectivos [Mutmaßliche Einwilligung und behördliche Erlaubnis: Ausschluss der Rechtswidrigkit oder der Tatbestandsmäßigkeit und jeweilige Erfordernisse], in: RDP 38, 2013, S. 9 ff. Entschuldigung aus subjektiver strafrechtlicher Unzumutbarkeit, in: Hefendehl / Hörnle / Greco (Hrsg.), Festschrift für Bernd Schünemann, Berlin 2014, S. 445 ff. Administración fraudulenta y retribuciones o indemnizaciones a directivos de sociedades, [Betrügerische Verwaltung und Einkünfte oder Vergütung von Führungskräften] in: Demetrio Crespo / Maroto (Hrsg.), Crisis financiera y Derecho Penal económico [Finanzkrise und Wirtschaftsstrafrecht], Madrid / Buenos Aires-Montevideo 2014, S. 757 ff.
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Gleichwertigkeit der Unterlassung mit der Begehung: Schaffung oder Erhöhung der Gefahr durch die Unterlassung. Eine Skizze, in: GA 2016 (Freundesgabe für C. Roxin zum 85. Geburtstag), S. 275-283. Obediencia debida justificante y obediencia no debida exculpante o atenuante [Rechtfertigendes Handeln auf bindenden Befehl und Entschuldigung oder Strafmilderung bei Handeln auf nichtbindenden Befehl], in: Estudios de Derecho Penal. Homenaje al Prof. Miguel Bajo, Madrid 2016, S. 243 ff. Omisión impropia o comisión por omisión. Cuestiones nucleares: imputación objetiva sin causalidad, posiciones de garante, equivalencia (concreción del criterio normativo de la creación o aumento de peligro o riesgo) y autoría o participación [Unechte Unterlassung oder Begehung durch Unterlassung. Kernfragen: objektive Zurechnung ohne Kausalität, Garantenstellungen, Gleichwertigkeit (Konkretisierung des normativen Kriteriums der Schaffung oder Erhöhung der Gefahr oder des Risikos) und Täterschaft oder Teilnahme], in: Libertas 6, 2017 (www.ficp.es), S. 145-272. Schuld und Freiheit, in: GA 2017 (Festgabe für Santiago Mir zum 70. Geburtstag), S. 669 ff.
Santiago Mir Puig
https://doi.org/10.1515/9783110277708-013
Santiago Mir Puig1 I. Ich wurde Anfang Dezember 1947 in Barcelona als Sohn einer Kaufmannsfamilie geboren. Sowohl meine Kindheit und Jugend als auch meine Studienjahre an der Universität verbrachte ich, wie das in Spanien allgemein üblich ist, in meiner Heimatstadt Barcelona. Latein und Philosophie, gefolgt von Literatur und Geschichte waren die Fächer, die mich in der Schule am meisten interessierten. Abgesehen von einer allgemeinen Erwähnung im Rahmen der Praktischen Philosophie, kam Recht im Lehrplan der Oberstufe nicht vor. Trotzdem entschied ich mich für ein Jurastudium, vor allem deshalb, weil ich mir bessere Berufsaussichten davon versprach, als von einem Studium der „Philosophie und Literatur“, wie damals das Studium der gesamten geisteswissenschaftlichen Fächer noch hieß, obgleich mich der Inhalt gerade dieser Fächer intellektuell am meisten anzog. In der Schule lernte ich kein Deutsch und hatte auch sonst keinen kulturellen Kontakt zu Deutschland. Tatsächlich lernte man zu jener Zeit an den spanischen Schulen allgemein Französisch, eine Sprache, die mir gefiel und über die ich Zugang zu der hervorragenden französischen Kultur fand. Erst 1965, in meinem zweiten Studienjahr der Rechtswissenschaften an der Universität Barcelona, kam ich zum ersten Mal mit der deutschen Strafrechtslehre in Kontakt: Ich las das gesamte Lehrbuch Strafrecht, Allgemeiner Teil von Reinhart Maurach, und nachdem ich es gründlich durchgearbeitet hatte, verfasste ich eine minuziöse Zusammenfassung. Mir war damals nicht klar, dass dies der Grundstein für meine berufliche Zukunft sein würde. Zu jener Zeit konnte ich ja kein Deutsch, es lag jedoch von diesem Lehrbuch eine ausgezeichnete Übersetzung ins Spanische vor, die Juan Córdoba Roda angefertigt 1
Dieser Artikel wurde von Doris Ensinger ins Deutsche übersetzt. Zu meinem großen Glück lernte ich sie schon in den achtziger Jahren kennen. Seither hat sie alle meine auf Deutsch veröffentlichten Texte präzise und sprachlich ausgefeilt übersetzt – einschließlich der schwierigsten, obgleich sie nicht einmal Strafrechtlerin und keine Juristin ist. In dieser Autobiografie finde ich endlich den geeigneten Ort, um ihr meinen aufrichtigsten Dank und meine Anerkennung für ihre unschätzbare Arbeit im Laufe all dieser Jahre auszusprechen. (Und ich, die angesprochene Übersetzerin, erlaube mir, Santiago Mir für das große Vertrauen zu danken, das er all die Jahre, von der ersten Übersetzung 1982 bis zu dieser, in mich gesetzt hat. Mit unendlicher Geduld hat er mich in die komplexen Sachverhalte der spanisch-deutschen Strafrechtslehre eingeführt und dadurch mein Leben durch ein spannendes wissenschaftliches Feld bereichert. Die „präzise und sprachlich ausgefeilte“ Formulierung wurde mir durch seine Texte vorgegeben – ich wollte ihnen nicht nur inhaltlich, sondern auch sprachlich gerecht werden).
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und mit ausführlichen, hilfreichen „Anmerkungen zum spanischen Recht“ versehen hatte.2 Córdoba Roda verfuhr dabei in gleicher Weise, wie zuvor die deutsche Strafrechtswissenschaft mit zwei Übersetzungen in Spanien eingeführt worden war, nämlich mit dem von Luis Jiménez de Asúa übersetzten Lehrbuch von Franz von Liszt3 sowie mit Mezgers4 von Arturo Rodríguez Muñoz übersetztem Lehrbuch. Jiménez de Asúa kann tatsächlich der vornehmliche Verdienst zugeschrieben werden, als erster die deutsche Verbrechenslehre in Spanien und Lateinamerika eingeführt zu haben; dorthin hatte ihn der spanische Bürgerkrieg ins politische Exil getrieben und er lebte dort in verschiedenen spanischsprachigen Ländern, insbesondere in Argentinien, wo er sieben Bände seines von Mezgers Verbrechenslehre stark beeinflusstem Lehrbuch veröffentlichte. In Spanien war es ebenfalls diese Übersetzung von Mezgers Lehrbuch, die in der universitären Ausbildung der Strafrechtswissenschaftler in den Jahren 1930–1950 den größten Einfluss hatte. In den 1960er Jahren wurde dann Welzels finale Handlungslehre durch die Übersetzung seines Werks „Das neue Bild des Strafrechtssystems“ durch José Cerezo Mir5 bekannt, der dessen Gedanken in verschiedenen Arbeiten aufgriff, sowie dank Córdoba Roda, der von den historisch-dogmatischen Vorläufern6 ausgehend eine scharfsinnige Abhandlung über Welzels Finalismus verfasste und der, wie bereits erwähnt, Maurachs Lehrbuch übersetzte. Dass ich damit begann, mich in dieses „finalistische“ Lehrbuch einzulesen, hat teilweise damit zu tun, dass sein Übersetzer Juan Córdoba Roda ein Schüler meines Juraprofessors Octavio Pérez-Vitoria war. Mein Interesse für die Materie war so geweckt. Nach Maurachs Lehrbuch las ich 1966 das von Mezger, anschließend von Liszts Lehrbuch sowie Belings Werk „Die Lehre vom Tatbestand“ (alle natürlich in spanischer Übersetzung). Meine Neigung zum Strafrecht, insbesondere zu dessen deutscher Entwicklung, war schon damals klar ausgeprägt. Mich faszinierte die enge Verbindung zwischen der Entwicklung der Verbre2 3 4 5 6
Maurach, Tratado de Derecho penal, trad. de Córdoba Roda, Barcelona (Bosch Casa Editorial) 1963. von Liszt, Tratado de Derecho penal, trad. de Jiménez de Asúa, Ed. Reus, Madrid 1914–1929. Mezger, Tratado de Derecho penal, trad. y notas de Rodríguez Muñoz, 1ª ed. Madrid (Ed. Revista de Derecho privado) 1935. Welzel, El nuevo sistema del Derecho penal, trad. de Cerezo Mir, Barcelona (Ariel) 1964. Córdoba, Una nueva concepción del delito. La doctrina finalista, Barcelona (Bosch Casa Ed.) 1963.
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chenslehre und der des philosophischen und wissenschaftlichen Denkens. Auch wenn ich in den folgenden Studienjahren vollauf mit anderen Rechtsdisziplinen beschäftigt war, vergaß ich doch nie die Einzelheiten der beeindruckenden historisch-dogmatischen Entwicklung der deutschen Verbrechenslehre, vom positivistischen Kausalismus über den neukantianischen Kausalismus bis hin zum Finalismus. Nach Abschluss meines Jurastudiums 1969 bekam ich die Gelegenheit, Juan Córdoba Roda, der damals an der Universität Valencia lehrte, persönlich kennen zu lernen. Wahrscheinlich ist dies der Tatsache geschuldet, dass ich das Studium als Bester meines Jahrgangs abschloss7 und Córdoba mich deshalb ermutigte, meine akademische Laufbahn als sein Assistent in Valencia zu beginnen. Durch ihn kam ich zu der Einsicht, dass ich seinem Beispiel folgen sollte, indem ich meine strafrechtswissenschaftliche Weiterbildung in Deutschland vervollständigte. Als Übersetzer von Maurach hatte er in München mit diesem zusammengearbeitet, und er bot sich an, mich diesem vorzustellen. Selbstverständlich musste ich zuerst Deutsch lernen. Dies tat ich intensiv 1970 am Goethe-Institut in Valencia und in den Wintersemestern 1971 und 1972 in zweimonatigen Intensivkursen in Barcelona sowie in den jeweiligen Sommerkursen 1971 am Goethe-Institut in Grafing bei München und 1972 im GoetheInstitut in Kochel, für die ich ein Stipendium vom Goethe-Institut bzw. vom DAAD erhalten hatte. Ich möchte hier die ausgezeichnete Qualität des Deutschunterrichts am Goethe-Institut hervorheben, der mich in kurzer Zeit in die Lage versetzte, deutsche Rechtstexte lesen zu können. Unterdessen hatte ich bereits Reinhart Maurach anlässlich einiger Vorträge kennen gelernt, die er 1970 auf Einladung von Córdoba und Pérez-Vitoria in Valencia und Barcelona hielt. Zu jener Zeit war mein Deutsch für eine Unterhaltung noch völlig unzureichend, trotzdem konnte ich es übernehmen, Maurach zu begleiten, da wir beide gut Französisch sprachen. Ich besitze immer noch ein altes Foto, natürlich in Schwarzweiß, das von uns, wie von anderen Touristen, auf dem Tibidabo in Barcelona gemacht wurde. Dies führte zu weiteren Kontakten mit Maurach in München. Während meines Aufenthalts im Goethe-Institut in Grafing im Sommer 1971 lud er mich und meine Frau Francesca zum Abendessen ein. Dort wurde natürlich Deutsch gesprochen, und ich muss gestehen, dass wir lediglich das Elementarste verstanden. Dies tat freilich einer weiteren Einladung durch Maurach anlässlich unseres Aufenthalts in Kochel im Sommer 1972 keinen Abbruch. 7
Da ich im Laufe meines Studiums und in der Abschlussprüfung die besten Noten erhalten hatte, wurde mir der Erste Preis für außerordentliche Leistungen zugesprochen.
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Fast direkt im Anschluss daran kam ich in den letzten drei Monaten jenes Jahres dank eines DAAD-Stipendiums in den Genuss eines Forschungsaufenthaltes am Max-Planck-Institut für ausländisches und internationales Strafrecht in Freiburg. Dort lernte ich Prof. Hans-Heinrich Jescheck, den Leiter des Instituts, kennen, der kurz zuvor sein Lehrbuch veröffentlicht hatte. Wenige Jahre später würde ich es zusammen mit Muñoz Conde übersetzen8 – und dabei waren wir bestrebt, die zuvor erwähnte Tradition der Übersetzungen der bedeutendsten deutschen Lehrbücher ins Spanische fortzusetzen, indem wir sie mit ausführlichen Fußnoten aus dem spanischen Recht versahen, um so den Vergleich mit dem Stand der spanischen Lehre im jeweiligen Fall zu erleichtern. Ich schloss auch meine Doktorarbeit zum Thema Rückfallstrafverschärfung im spanischen Strafrecht ab,9 aus der die ZStW 1974 eine Zusammenfassung jenes Teils abdruckte, der sich mit der „Dogmatischen Rechtfertigung und kriminalpolitischen Kritik der Rückfallstrafverschärfung“10 befasst. Stets werde ich KarlHeinz Gössel, einem Schüler Maurachs, für die sorgfältige Korrektur des in langen gemeinsamen Arbeitssitzungen entstandenen deutschen Textes dankbar sein. Ich muss zugeben, dass es mich mit großer Zufriedenheit erfüllte, in der ZStW veröffentlichen zu können, denn wie mir ein deutscher Professor einmal sagte, stellt die erste Publizierung in dieser Zeitschrift so etwas wie die Aufnahme in den Kreis der deutschen Rechtswissenschaft dar. Von meinem Aufenthalt am Max-Planck-Institut in Freiburg möchte ich erwähnen, dass ich dort andere junge spanische Strafrechtler kennenlernte, die sich ebenso für die deutsche Strafrechtswissenschaft interessierten und die heute alle einen Lehrstuhl für Strafrecht innehaben: Diego M. Luzón Peña (Universität Alcalá), Agustín Jorge Barreiro (Autonome Universität Madrid), Antonio García-Pablos (Universität Complutense Madrid) und Miguel Polaino Navarrete (Universität Sevilla). Wir sind weiter in Kontakt geblieben und mit einigen von ihnen verbindet mich eine wahre Freundschaft. Im Januar 1973 begann ich in Begleitung meiner Frau Francesca einen einjährigen Forschungsaufenthalt in München, der durch ein spanisches Stipendium finanziert wurde. Übrigens war auch sie Rechtswissenschaftlerin, hatte ihre akademische Laufbahn in Rechtsphilosophie und Rechtstheorie begonnen, hatte Deutsch gelernt und arbeitete an ihrer Doktorarbeit über das Werk von 8
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Jescheck, Tratado de Derecho Penal, Übers. der 3. Aufl. aus dem Deutschen durch Mir Puig / Muñoz Conde, Barcelona (Bosch Casa Editorial) 1981. (Muñoz Conde hatte ich 1973 in München kennen gelernt). Die gesamte Doktorarbeit wurde auf Spanisch veröffentlicht: Mir Puig, La reincidencia en el Código Penal, Barcelona (Bosch Casa Ed.) 1974. Mir Puig, ZStW 86 (1974), S. 174 ff.
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René Marcic, einem herausragenden österreichischen Rechtsphilosophen, der kurz zuvor zusammen mit seiner Frau auf tragische Weise bei einem Flugzeugunfall ums Leben gekommen war. Francesca wurde von Arthur Kaufmann, damals Professor für Rechtsphilosophie und Strafrecht in München, zuvorkommend aufgenommen. Durch seine Vermittlung konnten wir ein modernes, völlig neu eingerichtetes Apartment finden, was unser Leben in München angenehmer gestaltete – und auch erträglicher, denn infolge der Ölkrise von 1973 büßten wir bei der Auszahlung unseres in Dollar festgesetzten Stipendiums bis zu 50% an Wert ein. Ich hatte mich wegen Reinhart Maurach, dem Lehrmeister meines Lehrers, für München entschieden, aber nach seiner Emeritierung im Januar 1973 hatte er – im Unterschied zu anderen emeritierten Professoren – jegliche akademischen Verpflichtungen aufgegeben. An seiner Stelle fand ich den Professor, der als mein wahrer deutscher Lehrer meine spätere wissenschaftliche Orientierung prägen sollte, nämlich Claus Roxin. Er, der international der bedeutendste lebende Strafrechtler werden sollte, war mit dreiundvierzig Jahren gerade an die Universität München gekommen, nachdem er seit 1963 als Ordinarius an der Universität Göttingen tätig gewesen war, und er war damals schon ein aufgehender Stern am Wissenschaftshimmel der deutschen Strafrechtslehre. Er hatte bereits die Grundlagen für ein außerordentliches Werk geschaffen, das eine neue Ära der Verbrechenslehre einleitete, zu einem Zeitpunkt, als die vorausgehende Ära, die der finalen Handlungslehre Welzels, ihren Höhepunkt erreicht hatte. Ihre theoretischen Grundlagen waren die Orientierung der Lehre an dem Fall und seinen praktischen Folgen sowie die Verknüpfung des Systems der Verbrechenslehre mit der Kriminalpolitik. Seine Habilitationsschrift, das 1963 veröffentlichte monumentale Werk, ist nach der achten Auflage in Deutschland11 immer noch ein Vorbild für den dogmatischen Aufbau. Der Grund für den enormen und ununterbrochenen Einfluss sowohl auf die Lehre als auch auf die Rechtsprechung ist unstreitig der Tatsache geschuldet, dass das Augenmerk auf die Folgen gerichtet wird. In anderen Arbeiten der sechziger Jahre hatte er, ausgehend von Fallgruppen, sein Konzept der Lehre von der objektiven Zurechnung entwickelt, ein weiterer seiner bedeutenden Beiträge zur Lehre des Unrechtstatbestands.12 Bereits 1970 hatte er in einem Vortrag sein Programm, die Kriminalpolitik in die Grundlagen des Strafrechtssystems ein11 12
Roxin, Täterschaft und Tatherrschaft, 8. Auflage, de Gruyter, Hamburg 2006. Bereits 1973 erschien eine wichtige Sammlung von Artikeln, in: Roxin, Strafrechtliche Grundlagenprobleme, De Gruyter 1973 (Übers. ins Span. von Luzón, Problemas básicos del Derecho penal, 1976).
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zubeziehen, skizziert, und daraus sollte eines seiner grundlegenden Werke entstehen.13 Zweifelsohne beeinflusste all dies stark die Orientierung meiner eigenen Arbeit, die ein Vorschlag für die Grundlagen einer auf den kriminalpolitischen Erfordernissen eines sozialen und demokratischen Rechtsstaats gegründeten Straf- und Verbrechenslehre sein sollte.14 Was weiterhin meine Auffassung des Strafrechts beeinflusste, war der politische Kontext der siebziger Jahre in Spanien. Als ich 197515 meinen ersten systematischen Aufbau des Strafrechts verfasste, lebte Franco noch (als er am 20. November 1975 starb, hatte ich mein Buch schon abgeschlossen), doch hatte man sich zu jener Zeit in der Universität endgültig vom faschistischen Staatsmodell Francos abgekehrt, und auch die abgeschwächte autoritäre Version, die das System allmählich angenommen hatte, wurde nicht mehr akzeptiert. Das Streben nach einem demokratischen politischen System hatte sich durchgesetzt. Aus dieser Sicht erschien mir das Modell des demokratischen und sozialen Rechtsstaats, der im Grundgesetz als Überwindung des nationalsozialistischen Staates festgeschrieben worden war, als ein politisches Modell, das auch zur Überwindung des franquistischen Staats Geltung haben könnte. Als mein Buch 1976, also bereits nach dem Tod des Diktators, dann erschien, war der Weg zum Übergang zur Demokratie glücklicherweise schon eingeschlagen. Und zwei Jahre später wurde die aktuell gültige demokratische Verfassung vom Volk ratifiziert, die in Art. 1 I mit der Erklärung beginnt: „Spanien konstituiert sich als demokratischer und sozialer Rechtsstaat“. Hier fand ich die solide positivrechtliche Grundlage, um die Begründung des Strafrechts im demokratischen und sozialen Rechtsstaat auf den härtesten Kern der Strafrechtslehre, die Verbrechenslehre, auszudehnen. In meinem Band „Función de la pena y teoría del delito en el Estado social y democrático de Derecho“, dessen erste Ausgabe 197916 erschien, umriss ich diesen Vorschlag. Damit legte ich die Grundlagen für ein Forschungsprogramm fest, welches ich in späteren Arbeiten weiterentwickelte und das mir als Säule für mein Lehr13
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Roxin, Kriminalpolitik und Strafrechtssystem, 1970, 2. Aufl. 1973. Es liegen verschiedene Übersetzungen vor, eine davon ins Spanische von Muñoz Conde, Barcelona, (Bosch) 1972. Gleichermaßen beeinflusste mich Calliess, Theorie der Strafe im demokratischen und sozialen Strafrecht, Frankfurt a.M. (Suhrkamp) 1974. Mir Puig, Introducción a las bases del Derecho penal, Barcelona (Bosch) 1976 (meine „Memoria de Cátedra“, was in etwa einer Habilitatiosschrift entspricht), 2. Aufl., Buenos Aires / Montevideo (BdeF) 2002. (Bosch Casa Editorial) Barcelona, 1. Aufl. 1979, 2. Aufl. 1982. Auf Deutsch: „Funktion der Strafe und Verbrechenslehre im sozialen und demokratischen Rechtsstaat“, ZStW 95 (1983), S. 413 ff.
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buch diente.17 Ich bin der Meinung, dass in diesem ganzen Forschungsprogramm der Wille grundlegend war, die adäquatesten theoretischen Formulierungen für die politischen Prinzipien des Strafrechts zu finden. Dies führte mich dazu, die zentralen Kategorien der Verbrechenslehre – Handlung, Tatbestandsmäßigkeit, Rechtswidrigkeit und Schuld – angesichts der Funktion des Strafrechts in einem demokratischen und sozialen Rechtsstaat neu zu durchleuchten. Hier kann ich die Ergebnisse dieses Ansatzes natürlich nicht im Einzelnen darlegen, ich werde jedoch später noch versuchen, die fundamentalen Linien herauszustellen. Von Herrmann, einem Schüler Jeschecks, den ich in Freiburg kennen gelernt hatte und der an der Universität Augsburg lehrte, wurde mir 1974 vertretungsweise eine Assistentenstelle angeboten. Nach meiner Rückkehr nach Spanien, im September jenes Jahres, wurde ich an der kurz zuvor gegründeten Autonomen Universität Barcelona angestellt, um Lehre und Forschung im Bereich des Strafrechts zu organisieren. Ebenfalls im Herbst 1974 erhielt ich aufgrund einer Ausschreibung die Stelle eines „Profesor adjunto“ (eine Bezeichnung, die mit dem Universitätsgesetz von 1983 abgeschafft wurde und heute einem „Profesor titular“ entspricht), und im Frühjahr 1976 nahm ich die Stelle eines „Profesor agregado“ ein – eine Kategorie, die nur kurze Zeit existierte und die kurz darauf der eines „Catedrático“ (ordentlichen Professors) gleichgestellt wurde. Zu der Zeit wurde ich auch Leiter des Fachbereichs Strafrechtswissenschaften, Prodekan und amtierender Dekan der Juristischen Fakultät. Den Kontakt mit Deutschland führte ich von der Autonomen Universität Barcelona aus weiter fort. Dank der Finanzierung durch das Goethe-Institut Barcelona (das die Förderung der deutschen Kultur in Barcelona damals maßgeblich begünstigte), organisierte ich drei deutsch-spanische Seminare, die mir unvergesslich geblieben sind. Für das erste, im Jahr 1979, konnte ich einige der repräsentativsten deutschen Strafrechtswissenschaftler, wie Roxin, Jescheck und Stratenwerth, sowie spanische wie Cerezo, Rodríguez Mourullo, Gimbernat, Muñoz Conde, Luzón Peña und García Valdés, gewinnen.18 Weitere bedeutende Strafrechtswissenschaftler beider Länder, insbesondere Armin 17
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Mir Puig, Derecho Penal, Parte General, 1. Aufl. 1984 (PPU), 9. Aufl. (Reppertor), Barcelona 2011. Auf Deutsch erschienen zwei Artikel, in denen ich meinen Ansatz entwickele: „Die ex ante Betrachtung im Strafrecht“, in Festschrift f. Jescheck, 1985, und „Das Objektive und das Subjektive im Unrecht“, in Festschrift f. Armin Kaufmann, 1989. Des Weiteren war ich an einem Buch beteiligt, in dem die Arbeiten veröffentlicht wurden, die in einem unter Leitung Hassemers in Frankfurt abgehaltenen deutschspanischen Seminar vorgestellt worden waren: Hassemer (Hrsg.), Strafrechtspolitik, 1987. Mir Puig (ed.), La reforma del Derecho penal, Barcelona (UAB) 1980.
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Kaufmannn und Hassemer von deutscher Seite, sowie weitere, bereits erwähnte spanische Kollegen waren die Teilnehmer am zweiten Seminar 1980 zum gleichen Thema, d.h. die Strafrechtsreform.19 Thema des dritten der an der Autonomen Universität Barcelona stattfindenden Seminare war „Strafrecht und Sozialwissenschaften“. Daran nahmen die drei Vertreter der so genannten Frankfurter Schule, Hassemer, Lüderssen und Naucke, teil, außerdem Baratta, einige der bereits erwähnten spanischen Strafrechtswissenschaftler und ein Rechtsphilosoph, der vom logistischen Neupositivismus ausgehend eine absolut originelle Rechtstheorie erstellt hat.20 Nicht unerwähnt bleiben sollen aus dieser Zeit an der Autonomen Universität Barcelona die Einladungen zu Vorträgen, die an die beiden Maurach-Schüler Gössel und Zipf ergingen, die das von ihm begründete Lehrbuch fortführten. Um meinen Einladungen nach Barcelona zu entsprechen, wurde ich von mehreren der deutschen Kollegen zu verschiedenen Vorträgen in Deutschland eingeladen. Aufgrund einer weiter unten erwähnten Begebenheit entsinne ich mich genau, dass meine erste „Tour“ 1981 stattfand. Ich reiste damals per PKW zu meinen Vorträgen an der Universität Bonn auf Einladung von Armin Kaufmann, am Max-Planck-Institut für ausländisches und internationales Strafrecht in Freiburg auf Einladung von Jescheck, an der Universität München, eingeladen von Roxin, an der Universität Erlangen-Nürnberg, eingeladen von Gössel und zuletzt an der Universität Salzburg, eingeladen von Zipf. Es ist mir ganz deutlich in Erinnerung geblieben, dass ich dort eines Morgens – die ganze Stadt lag unter einer dicken Schneedecke – im Autoradio die Nachricht von der Wahl Ronald Reagans zum Präsidenten der Vereinigten Staaten von Amerika hörte: Ich konnte nicht ahnen, dass seine sowie Margaret Thatchers Wahl in Großbritannien das Ende einer Epoche des Strafrechts im angelsächsischen Raum bedeuten würde, das bis dahin auf die für Straftäter garantierten Rechte und ihre Resozialisierung ausgerichtet war, und dass eine neue, diametral entgegengesetzte Periode eingeleitet würde, nämlich aufs Neue die eines konservativen Vergeltungsgedankens und einer immer höheren Strafverschärfung – eine Tendenz, die in den letzten Jahren auch die Entwicklung der Strafgesetzgebung in Kontinentaleuropa und Lateinamerika kennzeichnet.21 19 20 21
Mir Puig (ed.), La reforma del Derecho penal (II), Barcelona (UAB) 1981. Mir Puig (ed.), Derecho penal y Ciencias sociales, Barcelona (UAB) 1982. Übereinstimmend mit den Teilnehmern aus Spanien und den meisten iberoamerikanischen Ländern stellte ich diese Entwicklung bei einem Seminar fest, das in Málaga stattfand und von Díez Ripollés und García Pérez organisiert worden war, den Koordinatoren
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An der Autonomen Universität Barcelona lehrte ich acht Jahre lang. In diesen ersten Jahren meiner Lehrtätigkeit gelang es mir, vier meiner Studierenden für die akademische Laufbahn zu gewinnen. Drei von ihnen sind bereits vor mehreren Jahren auf einen Lehrstuhl berufen worden: Jesús-María Silva Sánchez (der bekannteste, der die stärkste Verbindung mit Deutschland aufrechterhält) sowie Maria Teresa Castiñeira in der 1990 gegründeten Universität Pompeu Fabra in Barcelona, und Joan J. Queralt,22 der wie ich an der Universität Barcelona lehrt. Dort habe ich seit 1982 einen Lehrstuhl für Strafrecht inne. Ich wollte an die Universität zurückkehren, an der ich in den sechziger Jahren studiert hatte und die seit ihrer Gründung im 15. Jahrhundert und bis zur Gründung der Autonomen Universität Barcelona im Jahr 1970 die einzige in Barcelona war. Seit 1982 also übe ich meine Lehr- und Forschungstätigkeit an dieser Universität aus, und dort hat sich auch die Zahl meiner Schüler vermehrt: Mirentxu Corcoy ist inzwischen „Catedrática“ und derzeit Leiterin des Fachbereichs „Strafrecht und Strafrechtswissenschaften“; Ujala Joshi, Francesc Baldó, Carolina Bolea, Sergi Cardenal, Ignacio Gallego, Victor Gómez sind alle „Profesores Titulares“ an der Universität Barcelona. Als Angehörige meiner „Schule“ erachte ich auch die Schüler meiner Schüler, die an meiner Universität tätig sind: Juan Carlos Hortal, Schüler von Mirentxu Corcoy, und Silvia Fernández, Schülerin von Joan Queralt. Schließlich möchte ich Dr. David Carpio als meinen sowie Mirentxu Corcoys Schüler erwähnen, der an unserer Universität in den letzten Jahren als Assistent aufgenommen wurde. Außerdem habe ich die Ehre, dass sich einige meiner Schüler auch außerhalb Spaniens der Forschung und Lehre widmen, so an Universitäten von Mexiko, Venezuela, Peru, Chile und Brasilien. An der Universität Barcelona setzte ich die Organisation von deutschspanischen Seminaren fort, wobei ich immer auf die großzügige Finanzierung der deutschen Kollegen und auch der wirklich ausgezeichneten Simultanübersetzung durch das Goethe-Institut Barcelona bauen konnte. Erwähnen möchte ich die Seminare, die dem Thema „Fortschritte in der Medizin und das Strafrecht“,23 „Strafrechtliche Probleme mit Aids“24 und „Computerkriminalität“25
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des Buches „La política penal iberoamericana en el cambio de siglo (2000–2006)“, Montevideo-Buenos Aires-Madrid, BdeF und Edisofer, 2008. Elena Farré war die vierte dieser Studierenden an der Autonomen Universität Barcelona. Nach einem zweijährigen Forschungsaufenthalt in Bonn bei Armin Kaufmann arbeitete sie in den achtziger Jahren als Profesora Titular mit mir an der Universität Barcelona. Seit den neunziger Jahren ist sie als Richterin in Barcelona tätig. Mir Puig (ed.), Avances de la medicina y Derecho penal, Barcelona (PPU) 1988.
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gewidmet waren. Von deutscher Seite waren dazu eingeladen: Arthur Kaufmann, Albin Eser, Heinz Zipf, Bernd Schünemann, Wilfried Bottke, Joachim Hruschka, Rolf-Dietrich Herzberg, Ulrich Sieber und Manfred Möhrenschlager. In den neunziger Jahren führte ich gemeinsam mit Diego M. Luzón, Professor für Strafrecht an der Universität Alcalá (unweit Madrid), die Organisation weiterer Treffen mit deutschen Professoren durch. Das erste, zum Thema „Gründe des Tatbestandsausschlusses und Rechtfertigungsgründe“, hielten wir 1990 an einem Tag in Barcelona ab, am nächsten in Alcalá, wohin alle Teilnehmer gemeinsam von Barcelona aus flogen. Da dies mit einigen Unannehmlichkeiten verbunden war, beschlossen wir, die Seminare fortan abwechselnd in Barcelona oder Alcalá durchzuführen.26 Die Liste der teilnehmenden deutschen Professoren wurde bei den folgenden Seminaren erweitert durch Wolfgang Frisch, Hans-Ludwig Günther, Klaus Günther, Günther Jakobs, Michael Köhler, Lothar Kuhlen, Ingeborg Puppe, Heribert Schumann, Jürgen Wolter neben einigen, die bereits früher eingeladen worden waren, wie Schünemann und Bottke. Eines der Seminare, das an der Universität Pompeu Fabra stattfand und von Jesús Silva Sánchez organisiert worden war, hatte besondere Bedeutung: Claus Roxins Teilnahme sowie die von drei weiteren der repräsentativsten Vertreter der deutschen Strafrechtstheorie (Jakobs, Schünemann und Frisch) half uns, die Verbrechenslehre auf den neuesten Stand zu bringen. Ein weiterer Teilnehmer war Köhler, der Autor eines Lehrbuchs, das streng auf Kants praktischer Philosophie begründet ist.27 Bis Ende 1991 hatte ich die Leitung des Fachbereichs Strafrecht an der Universität Barcelona inne, von 1992 bis 1994 war ich Dekan der Juristischen Fakultät. Damals nutzte ich die Gelegenheit, die Verleihung der Ehrendoktorwürde an Claus Roxin durch meine Universität vorzuschlagen, was auch angenommen wurde. Seine spanischen und deutschen Schüler hielten aus diesem Anlass eine Tagung ab, die von Jesús M. Silva Sánchez28 organisiert wurde, wie dies auch schon zuvor anlässlich der Verleihung der 24
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Mir Puig (ed.), Problemas jurídico-penales del SIDA, Barcelona (Bosch) 1993. Dieses Buch endet mit einem Vorschlag von Luzón, Silva, Schünemann, Bottke und mir selbst zur strafrechtlichen Regelung der vorsätzlichen oder fahrlässigen HIV-Übertragung, dem Ergebnis der Arbeitstreffen in Barcelona und München. Mir Puig (ed.), Delincuencia informàtica, Barcelona (PPU) 1992. Mir Puig / Luzón Peña, Causas de justificación y de atipicidad en Derecho penal, Navarra (Aranzadi) 1995. Roxin / Jakobs / Schünemann / Frisch / Köhler, Sobre el estado de la teoría del delito, Madrid (Civitas) 2000. Silva (ed.), Política criminal y nuevo Derecho penal, Libro Homenaje a Roxin, Barcelona (Bosch) 1997.
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Ehrendoktorwürde an unseren Lehrmeister aus München durch die Universität Coimbra (1991)29 und die Universität Complutense Madrid (1994) geschehen war.30 Weitere Vorträge und Kongressbeiträge, zu denen ich im Laufe der achtziger und neunziger Jahre an verschiedenen deutschen Universitäten eingeladen war, werde ich nicht im Einzelnen aufzählen. Hingegen möchte ich aus meiner Beziehung zur deutschen Strafrechtswissenschaft meine Ernennung zum Mitglied des Redaktionskomitees der namhaften Zeitschrift „Goltdammer’s Archiv für Strafrecht“ hervorheben, was zu einer fruchtbaren Zusammenarbeit und der Veröffentlichung mehrerer meiner Artikel zu fundamentalen Aspekten der Verbrechenslehre führte.31 Wie bereits zuvor erwähnt, hatte ich schon früher neben Forschungsergebnissen in der ZStW auch Aufsätze in den Festschriften für Jescheck und Armin Kaufmann veröffentlicht.32 Später war ich auch an den Festschriften für Roxin,33 Herzberg34 und Hassemer35 beteiligt. An der Tagung, die in Hamburg zu Ehren von Rolf-Peter Calliess anlässlich seiner Emeritierung stattfand, war ich neben Hassemer und Müller-Dietz einer der Hauptredner.36 Besondere Erwähnung verdient das gemeinsam von Spanien und Deutschland finanzierte Forschungsprojekt zum Thema Aids und Strafrecht, an dem von deutscher Seite Schünemann und Bottke und von spanischer Seite außer mir Luzón Peña und Silva Sánchez teilnahmen. Die Treffen fanden in Spanien und München statt und führten zu einem Gesetzesvorschlag für die spezifische Regelung der Fälle strafbarer Übertragung von HIV.37 29 30
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Silva / Schünemann / Figueiredo (ed.), Fundamentos de un sistema europeo de Derecho penal, Barcelona (Bosch) 1995. Gimbernat / Schünemann / Wolter (ed.), Omisión e imputación objetiva en Derecho penal (veröffentlicht durch Facultad de Derecho, Universidad Complutense de Madrid) 1994. S. Bibliographie am Ende dieses Textes. S. Fußnoten 16 und 17. Festschrift für Claus Roxin zum 70. Geburtstag am 15. Mai 2001, Verlag de Gruyter, München / New York, 2001. Später in einem Roxin zum 75. Geburtstag gewidmeten Band, in GA (2006) S. 334 ff. Festschrift für Rolf-Dietrich Herzberg zum 70. Geburtstag am 14. Februar 2008, Tübingen (Mohr Siebeck) 2008. Festschrift für Winfried Hassemer zum 70. Geburtstag am 17. Februar 2010, Heidelberg (Müller V) 2010. Mein Vortrag wurde in GA 153 (2006) Nr. 10, S. 667 ff. veröffentlicht. Mir Puig (ed.), Problemas jurídico-penales del SIDA, Barcelona (Bosch) 1993.
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Seit Beginn der neunziger Jahre, als das spanische Erziehungs- und Wissenschaftsministerium die Finanzierung von Forschungsprojekten unterstützte, konnte ich dank der gewährten Finanzierung als Leiter eines Forschungsteams im Bereich Strafrecht folgende Projekte an der Universität Barcelona durchführen: Strafrechtliche Haftung bei im Rahmen von Unternehmen begangenen Straftaten – individuelle Zurechnung (1993–1996); Neue Formen der Teilnahme in komplexen Organisationsstrukturen (1995–1998); Probleme von Täterschaft und Teilnahme im neuen Strafgesetzbuch (1998–2001); Neue Tendenzen der Kriminalpolitik in Europa (2001–2005);38 Strafrechtspolitik im Bereich der Sicherheit (2005–2008); Verfassung und Strafrecht (2009–2012).39 Obgleich ich schon seit Beginn der achtziger Jahre zu Vorträgen und der Teilnahme an Kongressen in Lateinamerika eingeladen wurde, mehrten sich diese Einladungen in den neunziger Jahren beträchtlich und insbesondere in der ersten Dekade des 21. Jahrhunderts. Im September 2005 ernannte mich die Universität San Marcos, Lima (Peru) zum Honorarprofessor. Im Juni 2008 wurde mir die Ehrendoktorwürde durch die Universität Alcalá (Spanien) verliehen, und diese Ehre wurde mir auch 2010 durch die Universität Trujillo (Peru) zuteil. Zum anderen möchte ich auch die Bedeutung eines Masterkurses im Strafrecht hervorheben, den ich seit 25 Jahren gebe und der seit Mitte der neunziger Jahre aufgrund eines Abkommens unserer beiden Universitäten, der Universität Barcelona und der Pompeu Fabra, von Jesús M. Silva Sánchez und mir gemeinsam geleitet wird. Dieser Masterkurs hat Anerkennung und Ansehen in Spanien und Lateinamerika erlangt und wird jährlich von Postgraduierten (einschließlich Richtern, Staatsanwälten, Rechtsanwälten sowie Beschäftigten der Justizverwaltung) aus dem ganzen spanischsprachigen Raum wie auch aus Brasilien und Italien belegt. Meine beiden letzten Teilnahmen an Veranstaltungen in Europa fanden im Herbst 2009 statt: zum einen in Andechs (bei München) anlässlich des 65. Geburtstags von Bernd Schünemann zum Thema „Finanzkrise und Strafrecht“; zum anderen im Rathaus von Rom, anlässlich des 20. Jahrestages des Mauerfalls in Berlin, wo gleichzeitig Roxin geehrt wurde. Neben italienischen 38
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Mir Puig / Corcoy (directores.), Gómez Martín (coord.), La política criminal en Europa, Barcelona, Atelier, 2004, in welchem die im Seminar von 2003 in Barcelona präsentierten Beiträge vereint sind. Teilnehmer waren die Deutschen Bernd Schünemann, Cornelius Prittwitz, Joachim Vogel und Jürgen Wolter, daneben die herausragenden italienischen Strafrechtler Donini und Seminara sowie spanische Kollegen. Mir Puig / Queralt (dir.), Constitución y Principios del Derecho penal, Valencia, Tirant lo Blanch 2010; dieser Band enthält die Beiträge zu einem Seminar, an dem u.a. Claus Roxin teilnahm.
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Kollegen unter dem Vorsitz von Stile nahmen Hassemer sowie ich als einziger spanischer Vertreter zum Thema „Evolution und Involution im Strafrecht“ teil.40 Dieses Ereignis sehe ich gern als das Symbol für den wissenschaftlichen Dialog zwischen deutschen, spanischen und italienischen Theoretikern, deren Länder den „harten Kern“ der europäischen Strafrechtslehre mit deutschem Ursprung bilden. Kurz nachdem ich zusammen mit den deutschen Kollegen Klaus Günther, Christian Jäger und Grischa Merkel an einem Seminar über Neurowissenschaften und Strafrecht an der Universität Barcelona teilgenommen hatte, wurde bei mir im Oktober 2010 ein Multiples Myelom, ein Knochenmarkkrebs, diagnostiziert, wodurch meine akademische Tätigkeit vollständig zum Erliegen kam. Der Kampf gegen die Krankheit schien in den folgenden Monaten verloren, obwohl es gerade in der Uniklinik der Universität Barcelona eines der besten internationalen, auf das Multiple Myelom spezialisierten Ärzteteams gibt. Als wir kaum noch zu hoffen wagten, zeigte im Frühjahr 2011 ein Medikament eine spektakuläre Wirkung, das Strafrechtlern eines bestimmten Alters gut bekannt ist: das Thalodimid, besser gesagt, Lenalidomid, eine Variante desselben. So konnte im September 2011 eine autologe Knochenmarkstransplantation vorgenommen werden, die bisher einen vollen Erfolg darstellt. Eine Folgeerscheinung ist allerdings der Verlust der Nierenfunktion und damit verbunden die Notwendigkeit, mich dreimal pro Woche jeweils fünf Stunden der Dialyse unterziehen zu müssen. Aber das Leben geht weiter. Nachdem ich mich von meiner Krankheit erholt habe, unterrichte ich weiterhin im Grund- und Haupt- sowie im Postgraduiertenstudium an der Universität Barcelona. Ferner leite ich auch die Seminare, die im Rahmen der von unserer offiziell anerkannten Forschungsgruppe durchgeführten Projekte stattfinden bzw. nehme an solchen Seminaren teil: nämlich über „Neurowissenschaften und Strafrecht“ – ein Gebiet, für das ich mich aktuell interessiere und zu dem ich zwei Vorträge gehalten habe, über „Globale Ordnung und internationales Strafrecht“ und „Strafrechtliche Verantwortlichkeit der juristischen Personen und der ‘compliance officer’“. Referenten dieser Seminare waren neben Kollegen aus den USA, Italien, Chile, Argentinien und Madrid die deutschen Professoren Kai Ambos und Lothar Kuhlen.
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S. die am Ende angefügte Bibliographie.
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II. Auch wenn ich natürlich auf dem mir zur Verfügung stehenden Raum nicht alle Ergebnisse meines ganz der Forschung auf dem Gebiet der Strafrechtswissenschaft gewidmeten Lebens aufführen kann, versuche ich doch, die grundlegenden Linien meines Werks zusammenfassend darzustellen. Schon zu Beginn dieses Textes habe ich hervorgehoben, wie sehr mich in meiner Studienzeit die enge Verbindung zwischen der geschichtlichen Entwicklung der Strafrechtslehre und der wichtigsten philosophischen und wissenschaftlichen Strömungen, vom aufgeklärten Rationalismus, dem Hegelianismus, Positivismus, Neukantianismus, der Phänomenologie, der Hermeneutik bis hin zur Kybernetik und dem soziologischen Funktionalismus, beeindruckte. Die besondere Neigung, die ich von Anfang an zu den hoch theoretischen Aspekten der Strafrechtslehre verspürte, zieht sich konstant durch mein gesamtes Werk. Wie jedoch bereits erwähnt, eröffneten die politischen Umstände der siebziger Jahre in Spanien eine Perspektive, ermöglichten einen Gesichtspunkt, der mich wahrnehmen ließ, wie stark der Einfluss der verschiedenen politischen Konzeptionen der letzten beiden Jahrhunderte auf die Entwicklung der Strafrechtswissenschaft gewesen war. Die Ideologien des Liberalismus, Marxismus und Faschismus, die vom liberalen, nicht-interventiven zum totalitären Staat führten, und die diese beiden Extreme überwindende Synthese, der soziale und demokratische Rechtsstaat, hatten die verschiedenen theoretischen Konstruktionen der Strafrechtswissenschaft im Laufe des 19. und 20. Jahrhunderts entscheidend konditioniert. Nach dem Zweiten Weltkrieg berief sich die Bundesrepublik mit dem Grundgesetz auf dieses Modell des demokratischen und sozialen Rechtsstaats, die spanische Verfassung von 1978 folgte diesem Beispiel, und mit beiden wurden totalitäre Regime überwunden. Dieses Modell schien sich mir zwangsläufig als politische und rechtliche Grundlage für die beiden Hauptsäulen des Strafrechts, die Lehre von der Strafe und die Verbrechenslehre, anzubieten. Von dieser Prämisse gingen meine wesentlichen Forschungen aus. Meine erste Feststellung bestand darin, dass der demokratische und soziale Rechtsstaat den Willen repräsentiert, die beiden vorhergehenden historischen Modelle, den liberalen und den sozialen Staat, in einer Synthese zu vereinen, um so die jeweils besten Aspekte zu übernehmen: einerseits die Begrenzung der staatlichen Macht in demokratischer Hinsicht und andererseits die Übernahme sozialer Aufgaben. Im Strafrecht hat dies die Aufrechterhaltung der liberalen Garantien zu bedeuten, aber auch, dass der Staat das soziale Problem
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der Delinquenz mit einer gewissen Wirksamkeit angehen muss. Die Vereinigung der beiden antithetischen Funktionen kann mit zwei Worten zusammengefasst werden: begrenzte Prävention. Prävention bedeutet wirksame Intervention bei der Vermeidung von Straftaten, aber eine derartige Wirksamkeit muss ihre Grenzen dort finden, wo diese dem demokratischen Rechtsstaat unterworfen sind. Dieser Ausgangspunkt brachte mich anfangs dazu, in der Verhaltensnorm – der Norm, die das strafbare Verhalten verbietet –, das Rechtsinstrument zu sehen, über das die Prävention in Form des Dialogs mit dem Bürger auftritt, der als gültiger Gesprächspartner in einem demokratischen Staat respektiert wird. Feuerbach hob schon hervor, dass das Gesetz in einem Rechtsstaat den Bürger darüber zu informieren habe, welche Handlungen eine Straftat darstellen und welche Strafen ihnen möglicherweise entsprechen. Seit Binding wissen wir aber, dass nicht das Strafgesetz, sondern die Verbotsnorm, die dieses voraussetzt, die Vorschrift an den Bürger richtet. Armin Kaufmann verband Bindings Normenlehre mit dem finalen Handlungsbegriff, indem er unterstrich, dass die Normen nur willentliche Handlungen verbieten können. Darin schien sich mir ein Weg aufzutun, die Straftat als Verstoß gegen eine Norm zu sehen, die die Prävention mittels des Dialogs mit dem Bürger verfolgt. Daraus folgerte ich, dass der entscheidende Moment des Normverstoßes ex ante zu sehen ist, d.h. in dem Moment, in dem der Täter den Verstoß gegen die Verbotsnorm beschließt, indem er, der Rechtswidrigkeit einer Handlung bewusst, diese begeht, und dass es nicht der Moment ex post des verursachten Erfolgs ist. Stets war ich mir bewusst, dass der Gedanke des Normverstoßes notwendigerweise mit dem Angriff auf ein Rechtsgut zu verbinden sei. In einem demokratischen Staat können Normen nicht jegliche Art von Verhalten verbieten, sondern nur diejenigen, die Rechtsgüter verletzen können. Der demokratische Staat muss die Deliktprävention in den Dienst der fundamentalen Interessen der Bürger stellen, und die Rechtsgüter sind als Ausdruck solcher Interessen aufzufassen. Deshalb habe ich bereits in meiner „Einführung in die Grundlagen des Strafrechts“ das Prinzip des ausschließlichen Rechtsgüterschutzes als eine der Grenzen des Strafrechts, die der demokratische Staat zu achten hat, mit aufgenommen. Später konkretisierte ich den für das Strafrecht ausschlaggebenden Begriff des Rechtsguts als strafrechtliches Gut und unterschied in kriminalpolitischem (de lege ferenda) und dogmatischem (de lege lata) Sinn dieses Begriffs. Und obgleich ich die Straftat als die Verletzung einer Norm durch ein Verhalten und nicht durch einen schädlichen Erfolg ansah, forderte
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ich, dass dieses Verhalten objektiv, d.h. einem Durchschnittsbürger, als übermäßig gefährlich für ein Rechtsgut erscheine. Mit diesem Verbrechensbegriff als ein eine Verbotsnorm verletzendes Verhalten konnte jedoch nicht das Erfordernis eines tatsächlichen Verletzungserfolgs eines Rechtsguts als wesentlichem Bestandteil des Tatunrechts erklärt werden, auch wenn ich insbesondere die Relevanz des Verletzungserfolgs aus kriminalpolitischen Gründen herleitete, die zu einem Großteil mit dem Rechtssicherheitserfordernis verknüpft sind. Um dem Schädlichkeitsprinzip den fundamentalen Ort zuzuweisen, der ihm in einem die Rechtsgüter schützenden Strafrecht entspricht, musste ich den Ausgangspunkt im System der Verbrechenslehre ändern. Statt die Idee des Verstoßes einer Verbotsnorm zugrunde zu legen, wie das der Finalismus weitgehend vorgegeben hatte, war von dem Gedanken einer Rechtsgutsverletzung auszugehen. In einer zweiten Phase meines Gedankengangs, den ich 1993 auszuarbeiten begann und 1996 in der 4. Auflage meines Lehrbuches abschloss, ging ich dazu über, das strafrechtliche Unrecht vor allem als eine effektive Rechtsgutsverletzung oder -gefährdung aufzufassen, d.h. als einen Erfolg ex post. Dies zwang mich jedoch zu einer Änderung des Rechtswidrigkeitsbegriffs. Statt die Rechtswidrigkeit als Verstoß einer Verbots- bzw. Gebotsnorm zu erachten, sah ich sie nun als ein Zuwiderhandeln gegen die Interessen des Rechts an, die im Strafrecht in der positiven Bewertung der verletzten Rechtsgüter ausgedrückt werden. Eine solche Bewertung ist die Voraussetzung einer Verbotsnorm, meiner Meinung nach stellt sie aber keine wirkliche Norm an sich dar. Die Bewertungen der Rechtsgüter können allerdings als Bestandteil des Rechts erachtet werden, wenn von der sich immer weiter verbreitenden These ausgegangen wird, dass sich das Recht nicht nur aus Normen im strengen Sinne, d.h. Regeln, zusammensetzt, sondern auch aus Werten und Prinzipien. Dem Verstoß gegen die Verbotsnorm gab ich in meinem neuen Ansatz einen zweitrangigen Platz: Voraussetzung ist, dass die Rechtsgutsverletzung oder -gefährdung zugerechnet werden kann. Statt sie als Grundlage des Unrechts zu betrachten, sah ich sie nun als die Grenze ihrer strafrechtlichen Zurechnung an. Dieser Perspektivwechsel enthält einen eindeutigen politischen Willen: Es wird damit unterstrichen, dass das Substantielle der Straftat nicht die Opposition zur Staatsmacht ist, sondern dass sie einen Angriff auf die Interessen der Bürger darstellt. Tatsächlich sind Gebotsnormen Äußerungen der Macht, mit denen die Freiheit eingeschränkt wird, während die Rechtsgüter, so wie ich sie
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verstehe, in den direkten und indirekten Interessen der Bürger zu bestehen haben. Dies ist einer der Hauptgründe, warum ich Jakobs radikalen normativistischen Funktionalismus ablehne, der wie Luhmann das menschliche Individuum aus dem Sozialsystem ausschließt und der dem Strafrecht als einzige Funktion den Schutz von Normen zuweist, die er als ein Gut an sich erachtet. Demgegenüber sehe ich die Verbots- und Gebotsnormen, soweit sie die Freiheit beschränken, als kleineres Übel an, das durch die Notwendigkeit des Interessenschutzes der Bürger gerechtfertigt sein muss. In einer meiner neueren Arbeiten habe ich den Versuch unternommen, zu verteidigen und zu begründen, warum nicht alles im Recht normativ zur Disposition steht – entgegen dem, was der normativistische Funktionalismus zu behaupten scheint –, sondern dass das Recht im Dienste der Menschen und ihrer präexistenten Bedürfnisse steht. Denn in einem demokratischen Staat ist das Recht nicht ein Zweck an sich, sondern es hat im Dienste der realen Bedürfnisse der Menschen zu stehen. Ich kann diese Zusammenfassung der fundamentalen Linien meines Denkens im Laufe von mehr als dreißig Jahren nicht so vertiefen, wie es notwendig wäre, um die hier dargestellten Thesen gebührend zu rechtfertigen. Meine Absicht war es einzig und allein zu unterstreichen, dass mein Ansatz seinen Ursprung im politischen Kontext hat, der in Spanien zum Übergang zur Demokratie führte, und dass es seither mein vorrangiges Ziel war, die fundamentalen dogmatischen Kategorien der Strafrechtslehre zu rekonstruieren, damit sie auf die bestmögliche Weise den Prinzipien des sozialen und demokratischen Rechtsstaats dienen.
Schriftenverzeichnis (in Auswahl) 1. Selbständiges Schrifttum / Monographien Introducción a las bases del Derecho penal [Einführung in die Grundlagen des Strafrechts], 1. Aufl., Barcelona, 1976, Neuauflage 1982, 2. Aufl., Montevideo-Buenos Aires 2002. Función de la pena y teoría del delito en el Estado social y democrático de Derecho [Funktion der Strafe und Deliktstheorie im sozialen und demokratischen Rechtstaat], 2. Aufl., Barcelona 1982. El Derecho penal en el Estado social y democrático de Derecho [Das Strafrecht im sozialen und demokratischen Rechtstaat], Barcelona 1994. Estado, pena y delito [Staat, Strafe und Delikt], Montevideo / Buenos Aires 2006.
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Bases constitucionales del Derecho penal [Verfassungsrechtliche Grundlagen des Strafrechts], Madrid 2011.
2. Kommentierungen Comentarios al Código Penal [Kommentare zum Strafgesetzbuch], Kodirektor mit B. Mirentxu Corcoy und Koautor der Kommentare zu den Art. 1–12 und 19–31, Valencia 2011.
3. Lehrbücher und Fallsammlungen Direito penal. Fundamentos e teoría do delito [Strafrecht. Grundlagen und Verbrechensaufbau], São Paulo 2007. Derecho penal, Parte general [Strafrecht, Allgemeiner Teil], 9. Aufl., Barcelona 2011.
4. Aufsätze in Zeitschriften und Sammelwerken Untauglicher Versuch und statistische Gefährlichkeit im neuen spanischen Strafgesetzbuch, in: Schünemann / Achenbach / Bottke / Haffke / Rudolphi (Hrsg.), Festschrift für Claus Roxin, Berlin 2001 S. 729 ff. Significado y alcance de la imputación objetiva en Derecho Penal [Bedeutung und Reichweite der objektiven Zurechnung im Strafrecht], in: Revista Electrónica de Ciencia Penal y Criminología, RECPC 05, 2003: http:// criminet.ugr.es/recpc/05/recpc05-05.pdf; auch veröffentlicht in: AA.VV: Modernas tendencias en la ciencia del Derecho Penal y en la Criminología, Madrid 2001, S. 389 ff. Wertungen, Normen und Strafrechtswidrigkeit, in: GA 2003, S. 863 ff. Una tercera vía en materia de responsabilidad penal de las personas jurídicas [Ein dritter Weg in der strafrechtlichen Verantwortlichkeit von juristischen Personen], in: Revista Electrónica de Ciencia Penal y Criminología, RECPC 06, 2004: http://criminet.ugr.es/recpc/06/recpc06-01.pdf; auch veröffentlicht in: Anales de Jurisprudencia, 2003, S. 313 ff. Sociedad, norma y persona en Jakobs [Gesellschaft, Norm und Person bei Jakobs], in: Derecho Penal Contemporáneo, Revista Internacional, 2003, nº 2, S. 129 ff. Grenzen des Normativismus im Strafrecht, in: Hefendehl (Hrsg.), Empirische und dogmatische Fundamente, kriminalpolitischer Impetus, Köln 2005, S. 77 ff. Über die Normen in Roxins Konzeption des Verbrechens, in: GA 2006, S. 338 ff.
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Legal Goods Protected by the Law and Legal Goods Protected by the Criminal Law as Limits to the State’s Power to Criminalize Conduct, in: New Criminal Law Review, Vol. 11, Nº 3, 2008, S. 409 ff. Norm, Bewertung und Tatbestandsunwert, in: Putze / Hardtung / Hörnle / Merkel / Scheinfeld / Schlehofer / Seier (Hrsg.), Festschrift für Rolf Dietrich Herzberg, Tübingen 2008, S. 55 ff. Neoliberalismus, Finanzkrise und Strafrecht, in: Schünemann (Hrsg.), Die sogenannte Finanzkrise – Systemversagen oder global organisierte Kriminalität?, Berlin 2010, S. 9 ff. Der Verhältnismäßigkeitsgrundsatz als Verfassungsgrundlage der materiellen Grenzen des Strafrechts, in: Herzog / Neumann (Hrsg.), Festschrift für Winfried Hassemer, Heidelberg 2010, S. 521 ff. Las nuevas ‘penas’para personas jurídicas: una clase de ‘penas’sin culpabilidad [Die neuen „Strafen“ für juristische Personen: eine Art „Strafen“ ohne Schuld], in: Mir Puig / Corcoy Bidasolo / Gómez Martín (Hrsg.), Responsabilidad penal de la empresa y Compliance, Madrid / Montevideo 2014, S. 3 ff.
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https://doi.org/10.1515/9783110277708-014
Ketewan Mtschedlischwili-Hädrich Mein Weg zum deutschen Strafrecht I. Persönlicher Werdegang Ich wurde am 4. November 1959 als dritte Tochter einer Lehrerfamilie im Dorf Anaga (Georgien) geboren. Mein Heimatdorf liegt am Kleinen Kaukasus, mitten in einem ertragreichen Weinbaugebiet. Unserem Ort gegenüber liegend erstreckt sich fast über den gesamten Horizont auch der Große Kaukasus. Oft mit Schnee bedeckt, bildet er ein beeindruckendes Bild, das, wenn man es einmal gesehen hat, für immer im Gedächtnis bleibt. Zur Zeit meiner Geburt war der Große Vaterländische Krieg (der Zweite Weltkrieg) längst beendet und dennoch allgegenwärtig. Das Regime meines Landsmannes Stalin war enthüllt (1956), der marxistisch-leninistischen Theorie der Unumgänglichkeit des bewaffneten Konflikts zwischen Kapitalismus und Sozialismus war durch Chruschtschow Einhalt geboten worden, mit China hatte man gebrochen und der Kalte Krieg tobte (Kubakrise 1962). In dem Bergdorf aber, wo ich bei den Eltern meiner Mutter die meiste Zeit meiner frühen Kindheit verbrachte, war von all diesen Ereignissen nichts zu spüren. Der kleine Bauernhof meiner Großeltern, am Rande des mit Feldern und Wäldern umrandeten, fast autofreien Dorfes war ein Kinderparadies, mit Büffeln und Schafen, die gekrault werden durften, und mit einem Hofhund, mit dem man das belegte Brot teilen konnte. Zusammen mit anderen Kindern des Dorfes durfte ich im nah gelegenen Bergbach Staudämme bauen, den kleinen Wasserfall besuchen und stundenlang in den Wald gehen. Die Großeltern konnten dem Fernseher nichts abgewinnen, also besaßen sie keinen und unsere abendliche Unterhaltung bestand aus ihren Erzählungen, aus kaukasischen Mythen, Sagen, eigenen Lebens- und witzigen Tiergeschichten – und erlebt hatten meine Großeltern in der Tat viel: Die Sowjetisierung, die Entkulakisierung, das knappe Entgehen der Zwangsumsiedlung nach Sibirien wegen ihres im Grunde kleinen Vermögens und den Aufstand gegen die Sowjets (1922–1924). Aufgrund der Tatsache, dass sie den aus ihrem Dorf stammenden Anführer der Unabhängigkeitsbewegung „Kakuza Tscholoqaschwili“ persönlich kannten, übten ihre Erzählungen eine besondere Faszination auf den Hörer aus. Über den Großen Vaterländischen Krieg dagegen hatten sie nicht viel zu berichten. Mein Großvater wurde wegen seines im Ringkampf gebrochenen und schlecht zusammengewachsenen rechten Armes nicht in den Krieg eingezogen. Obwohl meine Großeltern ihre
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jungen Brüder im Krieg verloren hatten, wurde über sie geschwiegen. Entgegen der Lesererwartung: Stalin war in diesen Erzählungen ebenfalls abwesend. Meine Großmutter, Tochter des Dorfschulzen, hatte ein Abschlusszeugnis der achten Klasse vorzuweisen. Mein Großvater aber durfte – trotz seines dringlichen Wunsches – nie zur Schule gehen, da sein Vater ihn auf dem Hof brauchte. Er brachte sich das Lesen und Schreiben selbst heimlich bei, las viel und war als passionierter Hirte geborener Pantheist. Für meine Großeltern war Bildung das höchste Gut, das man seinen Kindern mit ins Leben geben konnte. Sie waren stolz darauf, dass drei ihrer vier Töchter in der schweren Nachkriegszeit studiert hatten. An langen Winterabenden brachten sie mir beim „Schule spielen“ ganz nebenbei schon früh das Lesen bei. Obwohl ich Schwierigkeiten hatte, einige Spiegelbuchstaben des georgischen Alphabets auseinanderzuhalten, konnte ich bereits mit vier Jahren meinen Großeltern aus Märchenbüchern vorlesen, was sie mit großem Stolz erfüllte. In den Sommerferien kamen schließlich alle elf Enkelkinder zu den Großeltern, wodurch das Abenteuer ein noch spannenderes Gesicht erhielt. Unsere in der Nähe wohnende Tante, eine stellvertretende Schuldirektorin und Chemie- und Biologielehrerin, und der eingeheiratete Onkel, ein Bauingenieur, hatten auf unsere endlosen Fragen immer altersgerechte und lehrreiche Antworten und vertrösteten uns nicht mit Altwerden und Spätverstehen. Sie und ihre Kinder brachten uns viel Liebe entgegen. Die herzliche Beziehung zu diesem Familienzweig hält bis heute an. Mein Heimatdorf wies jedoch viele Vor- und Nachteile des Flachlandes auf. Die Freizeit der Flachlandkinder war auf das eigene Haus und die eng benachbarten Häuser beschränkt, da die lärmende und autoreiche Asphaltstraße, die sich in unmittelbarer Nähe befand, viele Gefahren barg. Bei meinen Eltern gab es wenig Platz für eine sechsköpfige Familie (bestehend aus Vater, Mutter, Großmutter und drei Kindern). Mein Großvater (väterlicherseits), zu Zarenzeiten Winzer und Geschäftsmann mit einem kleinen Vermögen, wurde Ende der 1920er Jahre vom Dorfsowjet enteignet. Fortan gehörte die Hälfte seines Hauses einer alleinstehenden Witwe. Die traurige, immerzu schwarz gekleidete Frau bewohnte die Haushälfte allein, umgeben von zahlreichen Bildern ihres Sohnes, der im Zweiten Weltkrieg gefallen war. Und so trat der Zweite Weltkrieg als die Trauer einer verwaisten und allein gebliebenen Mutter in mein Gedächtnis ein. Später kauften meine Eltern der Witwe die enteignete Haushälfte schließlich ab. Mein Heimatdorf hatte zwei Kindergärten, eine Schule, zwei Musikschulen, zwei Bibliotheken – die den Zusammenbruch der Sowjetunion nicht überlebten – und zwei Kinos, die mittlerweile ebenfalls nicht mehr existieren. In der nahe-
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liegenden Bezirkshauptstadt Signachi gab es eine musikalische Fachhochschule – heute aufgelöst – und ein Volkstheater. Meine Eltern, die Literatur und Pädagogik studiert hatten, besaßen eine sehr gute Bibliothek, bestellten buchstäblich alle georgischen literarischen Zeitungen und Zeitschriften – es waren ja nur vier – besaßen ein Klavier und einen Fernseher. Die Erzählabende meiner Großeltern ersetzte meine Mutter mit Vorleseabenden. Hector Malots „Heimatlos“ und Harriet Beecher Stowes „Onkel Toms Hütte“ waren für mich die beeindruckendsten Vorleseerlebnisse und wurden schließlich zu meinen Lieblingsgeschichten. Französische, englische, italienische und nicht zuletzt russische und georgische Autoren bevölkerten unsere Bibliothek. Schwere georgische Nachschlagewerke für Kinder und Erwachsene wollten hervorgeholt und gelesen werden. Von deutschen Autoren zählte unsere Bibliothek lediglich Erzählungen von Stefan Zweig zu sich. Diese stumme Ablehnung der deutschen Literatur durch meinen Vater, ohne jegliche Pathetik, war für uns nicht überraschend, da er einen Bruder und mehrere Cousins im Krieg verloren, mit 18 Jahren zum Militärdienst einberufen und im Alter von 19 Jahren bereits Kriegsinvalide geworden war – er konnte den rechten Arm nicht länger strecken. Es gab noch etwas Interessantes in meinem Elternhaus, wovon ich für das spätere Leben profitierte – den Nachhilfeunterricht meiner Mutter. Da sie in unserem Dorf bis zum Ende meiner Grundschulzeit keine Arbeit fand, gab sie für ältere Schüler einige Jahre lang in unserem Wohnzimmer Nachhilfe in Georgisch und Geschichte. Ich durfte natürlich zuhören. Es war somit nicht erstaunlich, dass ich die Schulzeit, in der meine älteren Schwestern bereits Maßstäbe für mich gesetzt hatten – eine studierte später Literaturwissenschaften, die andere Zahnmedizin – im Jahr 1976 mit guten Zeugnissen abschloss. Nebenbei erlernte ich durch den siebenjährigen Besuch einer Musikschule das Klavierspielen, was, auch wenn der viermalige Unterricht pro Woche anfangs eine endlose Plage gewesen war, letzten Endes eine besondere Freude für mich darstellte. Als strebsame Einserschülerin fiel mir die Berufswahl schwer. Ich wollte etwas mit Menschenbezug studieren und schwankte zwischen Medizin und Jura. Für das Medizinstudium waren Aufnahmeprüfungen in den Naturwissenschaften – Chemie, Biologie und Physik – abzulegen, was es für mich erforderlich gemachte hätte, mich hierfür in diese Fächer ordentlich hineinzuknien. Für Jura hatte ich lediglich Aufnahmeprüfungen in Georgisch, Geschichte und in einer Fremdsprache abzulegen. Da mir die Humanwissenschaften aufgrund meines familiären Hintergrundes sehr gut lagen, entschied ich mich letzten
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Endes für ein Jurastudium – den Weg des kleinsten Widerstandes.1 Wie sehr ich mich irrte! Meine Wahl eines staatsnahen Jurastudiums war in meiner Großfamilie angesichts ihres Entkulakisierungs-, Enteignungs- und sogar Verfolgungshintergrundes unerwünscht und für manche Familienmitglieder sogar beschämend. Schalwa Mtschedlischwili, mein Cousin, der damals Medizinstudent und Dichter war, wurde in der Stalinzeit aufgrund seiner kritischen Gedichte für mehrere Jahre nach Sibirien deportiert. Ich sah jedoch in der Stagnationszeit Breschnevs keinen Grund, wegen „uralter Geschichten“ auf den Juristenberuf zu verzichten. Die Welle politischer Verfolgungen schien längst abgeflaut und von der Anwendung der inflationär angedrohten Todesstrafe im StGB hörte man nichts. Ich sah meine Berufung darin, den Menschen zu ihren Rechten zu verhelfen. Für das Jura-Studium bestand ein Numerus clausus. Die für eine direkte Studienzulassung notwendige Abschlussnote von 1,0 hatte ich knapp verfehlt. Für die Zulassung zu den Aufnahmeprüfungen waren in solchen Fällen zwei Jahre Wartezeit und eine Arbeitstätigkeit vorgeschrieben. Ich hatte gute Chancen, eine erfolgreiche Juristenlaufbahn (Richterin, Staatsanwältin) einzuschlagen, da während der körperlichen Arbeit im Kolchos die Aufnahme in die KPdSU höchst wahrscheinlich, während des Studiums jedoch äußerst selten war. Da ich vor dem Studium eine Aufnahme in die Partei nicht angestrebt hatte, war meine Karriere genau genommen von vornherein auf den Rechtsanwaltsberuf und die Wissenschaft beschränkt. In den Jahren von 1976–1978 arbeitete ich mehrere Tage pro Monat im Kolchos, um die notwendigen Voraussetzungen zum Studieren erfüllen zu können. Die meiste Zeit verbrachte ich jedoch in der Hauptstadt Tbilissi, um mich auf die Aufnahmeprüfungen vorzubereiten – und auch in dieser Hinsicht hatte ich erneut großes Glück. Meine älteste Schwester, die Literaturwissenschaften studierte, war inzwischen verheiratet und ich wurde herzlich in ihre Familie aufgenommen. Bei ihr blieb ich schließlich zwölf Jahre lang, bis zu meiner Ausreise in die DDR im Jahr 1988, wohnen. Da mein Schwager Dr. Ivane Turaschwili am Lehrstuhl für Altgeorgische Sprachen als Dozent tätig war und im Fernsehen Grammatikvorlesungen für Abiturienten hielt, erhielt ich bei ihm den letzten Schliff in den Prüfungsfächern Georgisch und Geschichte. Bis heute ist er für mich die letzte Instanz in Sachen Geschichte, georgische Grammatik
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Ein besonderer Nachweis über die Eignung für das Jurastudium war in der SU nicht erforderlich.
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und Literatur geblieben. Für das Fach Deutsch, das ich bereits in der Schule sechs Jahre lang belegt hatte, bekam ich eine engagierte Privatlehrerin. Im Jahr 1978 bestand ich gleich beim ersten Versuch die Aufnahmeprüfungen an der Rechtswissenschaftlichen Fakultät der Staatlichen Universität Tbilissi. Mehr noch: Nachdem ich im Fach Georgisch schriftlich und mündlich neun von zehn Punkten erreicht hatte, wurde ich nach der damaligen Regel von den restlichen Prüfungen freigestellt. Ich war überwältigt vom langersehnten Glück und fasziniert von den Persönlichkeiten, die mich von nun an umgaben. Tatsächlich wehte uns, den Neulingen, allein durch die Anwesenheit unserer Professoren der Wind der großen weiten Welt um die Nase. Zu dem Lehrkörper der Universität zählten Prof. Isidore Dolidse, verantwortlicher Mitarbeiter der Botschaft der SU in England a.D. und Vorsitzender des Obersten Gerichts a.D., Prof. Levan Aleksidse, langjähriger verantwortlicher Mitarbeiter a.D. der UNO, und zahlreiche Professoren, die an anderen Universitäten der SU promoviert und habilitiert hatten. Eines der beliebtesten Fächer unseres Jahrgangs war das Strafrecht. Dr. Guram Natschkebija nahm uns mit auf eine strafrechtsphilosophische Abenteuerreise mit Kant und Hegel („Wie können Sie sonst das Strafrecht lernen …?!“). Seine Dissertation war ein Bewunderungsobjekt der gastierenden DDR-Strafrechtler, da er als Autor viele Ideen deutscher Philosophen der vormarxschen Ära in Augenschein genommen hatte. Prof. Mindia Ugrechelidse, später Vorsitzender des Obersten Gerichts Georgiens und Richter am Europäischen Gerichtshof in Straßburg, faszinierte uns nicht nur durch die vergleichende Strafrechtsdogmatik, sondern auch durch das „Fremdgehen“ in die strafrechtlich relevanten Probleme der Kunstgeschichte und Weltliteratur. Die Rechts- sowie auch die Strafrechtswissenschaft waren in Georgien jedoch bereits in den 1980er Jahren keine Männerdomäne mehr. Studentinnen, die mehr als die Hälfte unseres Jahrgangs ausmachten, fehlte es nicht an herausragenden weiblichen Vorbildern. Die schon zu Lebzeiten zur Legende gewordene Strafrechtlerin Tinatin Cereteli (1903–1980), Begründerin der in Osteuropa gut bekannten, am westdeutschen Strafrecht orientierten georgischen Strafrechtsschule, leitete zu dieser Zeit die Rechtssektion des Institutes für Wirtschaft und Recht der Akademie der Wissenschaften Georgiens. Sie lehrte zwar nicht an der Universität, aber durch ihre Monographien, die in den Vorlesungen erwähnt und empfohlen wurden, war sie stets präsent. Hautnah erleben durften wir außerdem die Dekanin Prof. Mzia Lekweischwili, die mit ihren lebendigen Vorlesungen unser Interesse für das Strafrecht BT nachhaltig entfachte.
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Die Studiensprache an der Universität war zwar Georgisch, jedoch gab es in vielen Fächern (im gesamten Zivilrecht, Strafrecht BT usw.) ausschließlich russische Literatur. Um gute Ergebnisse zu erzielen, mussten wir nicht nur unsere Vorlesungsaufzeichnungen und Skripte nacharbeiten, sondern auch russische Lehrbücher ins Georgische übersetzen und mit dem geltenden georgischen Recht vergleichen. Da die Gesetzgebungskompetenz bei der Union lag, war dieser „studentische Rechtsvergleich“ kein schwieriges Unterfangen. Die besondere Schwierigkeit des gut gelungenen georgischen Jurastudiums bestand jedoch in der selbstauferlegten Notwendigkeit einer parallelen Aneignung der russischen juristischen Fachsprache. Von diesem damaligen Selbstzwang profitiere ich auch jetzt noch, da ich hier den Zugang zur russischen Rechtsliteratur erhielt. Unser Studienjahrgang war zahlenmäßig sehr stark. Unter diesem Umstand waren erstklassige Leistungen, wie ich sie in der Vergangenheit stets erbracht hatte, keine Seltenheit oder gar Besonderheit mehr. Stolz war ich jedoch auf meinen Sieg im studentischen Wettbewerb unserer Universität zum Thema „Strafrechtlicher Umweltschutz“. Trotz dieses Erfolgs schwankte mein Interesse im Verlauf meines Studiums zwischen dem Zivil- und Strafrecht hin und her, bis mir meine Diplomarbeit im Zivilrecht über den „Kontrahierungsvertrag in der Landwirtschaft“ jegliche zivilrechtliche Leidenschaft austrieb. Vor diesem Hintergrund nahm ich nach meinem Studienabschluss im Jahre 1983 dankbar das Angebot meines Kriminologie-Professors Anzor Gabiani an, bei ihm in der ersten kriminologischen Forschungsstätte der SU im Laboratorium der Kriminalitätssoziologie zu arbeiten. Als wissenschaftliche Mitarbeiterin im Laboratorium der Kriminalitätssoziologie zählte neben der Vertiefung meines Kriminologie-Studiums auch die Ausarbeitung von Fragebögen, Befragungen von Delinquenten und die erste Auswertung von Feldforschungsergebnissen zu meinen Pflichten. In dieser Forschungsstätte wurde mein Lebensweg durch Dr. Niblia Ugrechelidse und Dr. Giorgi Leschava, dem damals ersten Humboldt-Stipendiaten aus Georgien, gekreuzt. Sie waren Kriminologen, prägende Persönlichkeiten, Freidenker, begeisterte Anhänger des deutschen Strafrechts und seit unserem Kennenlernen auch meine Mentoren und Freunde. Und so nahmen die Dinge schließlich ihren Lauf. Durch ihren Einfluss galt meine Aufmerksamkeit nicht nur der für die kriminologische Forschungsarbeit notwendigen Pflichtlektüre sowjetischer und westlicher kriminologischer und sozialpsychologischer Literatur in russischer Sprache, sondern auch dem deutschen Strafrecht auf Deutsch. Als ich drei Jahre später ihrem Rat folgte und für die Aspirantur des Institutes für
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Wirtschaft und Recht an die Akademie der Wissenschaften wechselte,2 waren dank Giorgi Leschavas unermüdlicher Hilfsbereitschaft und Niblia Ugreckelidses Zuspruch, Recherchen zur deutschen Strafrechtsliteratur bereits zur Gewohnheit geworden. Die Aspirantur des Institutes für Wirtschaft und Recht an der Akademie der Wissenschaften (gegründet im Jahre 1957) gab angehenden Strafrechtswissenschaftlern, die sich die „herrschenden Meinungen“ des sowjetischen Strafrechts an der Universität bereits angeeignet hatten, die Möglichkeit eines vertieften Studiums der von der etablierten sowjetischen Lehren abweichenden Meinungen. Sie umfasste vor allem Theorien der georgischen Strafrechtsschule von Tinatin Cereteli und somit auch der ost- und westdeutschen Strafrechtsdogmatik. Die „strafrechtsdogmatischen Weichen“ wurden in diesem Institut nicht zufällig in die deutschsprachige Richtung gestellt. Die Ausstrahlung der deutschen Strafrechtsdogmatik erreichte Georgien bereits durch den ersten Strafrechtsprofessor an der Staatlichen Universität, den Begründer der modernen georgischen Strafrechtswissenschaft Luarsab Andronikaschwili, der seine juristische und philosophische Ausbildung nicht nur in Sankt Petersburg, sondern auch in Heidelberg (1894–1897 ) und Straßburg genossen hatte. Die Vorliebe für das liberale Strafrecht hatte er an die jüngeren Generationen, vor allem an das Wissenschaftlerehepaar Tinatin Cereteli und Wladimer Makaschwili, über seine Lehre an der Universität Tbilissi (1922–1926) weitergegeben. Zusammen mit anderen humanistisch gesinnten sowjetischen Strafrechtswissenschaftlern begleiteten Tinatin Cereteli und Wladimer Makaschwili kritisch sowohl die Strafrechtsentwicklung in der Stalin-Ära, als auch die Strafrechtsreform der Sowjetunion Ende der 1950er Jahre und beriefen sich hierbei auf die philosophischen Grundlagen des Marxismus-Leninismus. Auf Basis dessen lieferten sie wissenschaftlich fundierte Vorschläge für die Humanisierung des sowjetischen Strafrechts. Ihre besondere hermeneutische Kunst bestand darin, unter Lebensgefahr der Anklage des bürgerlichen Revisionismus3 für die
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Die Aspirantur im sowjetischen Bildungssystem ist mit der Promotion in Deutschland zu vergleichen. Voraussetzung für die Aufnahme in die Aspirantur war ein abgeschlossenes Studium und das Bestehen von Aufnahmeprüfungen. Während der Aspirantur, die für alle Fachrichtungen auf drei Jahre angelegt war, mussten eine wissenschaftliche Arbeit angefertigt und erneut einige Prüfungen abgelegt werden. Von der Gefährlichkeit des Juristenberufs unter den Bolschewiki zeugt die Tatsache, dass in den Jahren 1921–1938 fünf Vorsitzende des Obersten Gerichts Georgiens dem bolschewistischen Terror zum Opfer fielen. Auch die abweichende Meinung (bürgerliches Gedankengut) in der Rechtswissenschaft barg Todesgefahr, wie die Hinrichtung
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Durchsetzung des liberalen und humanen Strafrechts den Marxschen Materialismus anzuwenden. Sie waren unter anderem Verfechter der Abschaffung der Analogie, der Anerkennung des Gesetzlichkeitsprinzips und der Einschränkung der generellen Vorbereitungsstrafbarkeit. Andronikaschwilis Vorliebe für die bis ins Detail ausgearbeitete deutsche Strafrechtsdogmatik wurde von seinen Schülern ebenfalls beibehalten und weiter verfolgt. Sie befassten sich sowohl mit Werken deutscher Autoren der 1920er Jahre, als auch mit Werken vorrevolutionärer russischer Strafrechtsdogmatiker. Im Unterschied zu der sowjetischen Lehre des Verbrechensaufbaus, nach der die Straftat aus Objekt, objektiver Seite, Subjekt und subjektiver Seite besteht, durch die Gesellschaftsgefährlichkeit charakterisiert wird und graphisch als ein Kreis dargestellt werden kann, vertraten Cereteli und Makaschwili bereits seit der Mitte der 1950er Jahre einen dreistufigen Verbrechensaufbau, der dem deutschen Modell ähnelte.4 In ihren Monographien „Strafbare Handlung und ihr Erfolg“ (1966) und „Die Lehre vom Verbrechen“ (1969) definierte Cereteli die Handlung als ein willensmäßiges und zugleich zielgerichtetes menschliches Verhalten und erhob sie zum Hauptmerkmal des Straftatbestandes, sowie zum logischen Zentrum der Straftat.5 Durch die Aufnahme der Zielgerichtetheit in die Handlungsdefinition übernahm sie jedoch nicht die in Deutschland verfochtene finale Handlungslehre, sondern verwarf sie mit gezielten Argumenten als unhaltbar, einschließlich aller mit ihr verbundenen Rechtsaussagen. Die kritischen Argumente der von der deutschen Strafrechtsliteratur abgeschotteten Wissenschaftlerin, die sich ohne weiteres in den damaligen deutschen Diskurs hätten einordnen lassen, an dieser Stelle ausgiebig darzulegen, würde zweifellos den Rahmen sprengen. Zu erwähnen ist jedoch, dass sie den Finalnexus, das „Wesenselement der Handlung“, bereits im Marxschen Kapital erkannte, nämlich als wesentlichen Unterschied zwischen tierischem und menschlichem Verhalten.6 Zustim-
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von Prof. Giorgi Naneischwili, einem der „Väter“ der georgischen Verfassung von 1921, zeigt. Cereteli / Makaschwili, Verbrechenstatbestand als die Grundlage der strafrechtlichen Verantwortlichkeit, „Sovetskoe gosudarstvo i pravo“, 1954, 5, S. 72; Das Problem des dreistufigen Verbrechensaufbaus vertiefte Cereteli in den 80er Jahren. Cereteli, Grundlage der strafrechtlichen Verantwortlichkeit, „Pravovedenije“ 1980, Nr. 2, S. 80 ff. Cereteli, Verbrecherische Handlung und ihr Erfolg (1966), nachgedruckt in: Probleme des Strafrechts, II Band, Tbilissi 2007, S. 365; Cereteli / Tkescheliadse, Die Lehre vom Verbrechen, Tbilissi 1969, S. 165. Cereteli, Verbrecherische Handlung und ihr Erfolg, ebenda, S. 383.
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mungswürdig ist auch ihre Aussage über die Zielgerichtetheit jeglicher willensmäßigen menschlichen Handlung, denn wenn der Mensch bewusst handelt, will er etwas, auch wenn ihm der eingetretene Erfolg unerwünscht ist (d.h. bei Fahrlässigkeit). Auf diese Weise können Zielgerichtetheit und Vorsätzlichkeit voneinander unterschieden und der Vorsatz als Tatbestandsmerkmal abgelehnt werden. Aus Ceretelis Monographien lernten wir auch, dass es dem Finalismus nicht gelang, die Finalität der Fahrlässigkeit und besonders der unbewussten Fahrlässigkeit zu begründen und somit den Handlungsbegriff als „genus proximum“ für alle Erscheinungsformen der Straftat zu bestimmen.7 Der nebulöse Begriff der „Gesellschaftsgefährlichkeit“, dem bis 1958 in der sowjetischen Rechtspraxis auch ohne einen im StGB vorgesehenen Straftatbestand in Verbindung mit der Analogie zuungunsten des Täters und ohne eine konkrete Handlung (die Gesellschaftsgefährlichkeit der Person) die strafbegründende Funktion zukam, machte nicht nur uns angehenden Wissenschaftlern zu schaffen. Bei Cereteli fanden wir nicht nur greifbare Konturen des Begriffs, sondern auch verschiedene strafbarkeitseinschränkende Funktionen. Als Erstes schränkte sie durch die Gesellschaftsgefährlichkeit den Bereich der Pönalisierung ein, d.h. als strafwürdig erachtete sie lediglich typisch gesellschaftsgefährliche Handlungen. Außerdem sah sie in der Gesellschaftsgefährlichkeit den materiellen Inhalt der Rechtswidrigkeit und warnte vor deren permanenter Prüfung als unzulässige Revision des Strafgesetzes durch den Rechtsanwender und beschränkte diese auf Ausnahmefälle – auf die Entkriminalisierung der Kleinkriminalität.8 Auch bei der Untersuchung der Kausalität verlieh Cereteli dem Grad der Gesellschaftsgefährlichkeit eine besondere Bedeutung. In ihrer im Jahre 1949 im Institut für Recht der Akademie der Wissenschaften der SU in Moskau vorgelegten Habilitationsschrift über das Thema der „Kausalität im Strafrecht“ entwickelte sie als erste sowjetische Habilitandin eine der Äquivalenztheorie ähnliche Kausalitätslehre (die Lehre der notwendigen Kausalität). Hierbei übernahm sie zwar die conditio sine qua non und das Verfahren der hypothetischen Elimination (Ursache im naturwissenschaftlichen Sinn), tat dies jedoch zur Einschränkung der unendlichen Kausalitätskette, der kausalen Kraft der Einflussnahme auf den Erfolg, d.h. die durch die Handlung geschaffene reale Möglichkeit der Beeinflussung der Kausalitätskette, die sie mit der Gesellschaftsgefährlichkeit der Handlung gleichsetzte und in diesem Sinne einführte. So erhielt die Gesellschaftsgefährlichkeit als Korrektiv der unendlichen „con7 8
Cereteli, Verbrecherische Handlung und ihr Erfolg, ebenda, S. 394. Cereteli / Tkescheliadse, Die Lehre vom Verbrechen, 1969, S. 104 f.
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ditio sine qua non“-Kausalkette die Funktion der Einschränkung von Strafbarkeit. Bei meiner späteren Lektüre der objektiven Zurechnung fiel mir auf, dass auch im deutschen Strafrecht sozialadäquate (d.h. nicht gesellschaftsgefährliche) Handlungen rechtlich relevantes Risiko und die objektive Zurechnung des Erfolgs ausschließen. An eine andere ihrer Monographien, „Beteiligung an einer Straftat“ (1965), erinnerte ich mich, als ich später, schon in Deutschland, die Lehre der organisatorischen Tatherrschaft und die Lehre des „Täters hinter dem Täter“ kennenlernte. In einer Zeit einer sich rasant entwickelnden Organisierten Kriminalität (sic!) prophezeite sie die Notwendigkeit einer Rechtsfigur des Organisators auch für das westliche Strafrecht und erhob die „Herrschaft über die Tat“ zum Tätermerkmal.9 Unsere Kenntnisse über Fahrlässigkeit erwarben wir mithilfe der ersten sowjetischen Monografie, die damals zu diesem Thema vorlag. Es handelte sich dabei um ein Werk von Tinatin Ceretelis Ehemann Wladimer Makaschwili aus dem Jahre 1957. Die Fahrlässigkeitshaftung verband er sowohl mit objektiven (d.h. Sorgfaltsanforderungen der Rechtsordnung), als auch mit subjektiven Maßstäben, somit also der Möglichkeit der Person, diese Anforderungen zu erfüllen. Jenseits dieser Maßstäbe lehnte er jegliche strafrechtliche Haftung ab. Zu unserer anspruchsvollen Wahlfachlektüre gehörten Abhandlungen Ceretelis und darüber hinaus auch Werke von interdisziplinär tätigen Nachwuchswissenschaftlern Makaschwilis. Um Tamaz Schawgulidses und Mindia Ugrechelidses Werke nachvollziehen zu können, war es notwendig, die „Einstellungstheorie“ nach Dimitri Usnadse (1886–1950), einem der bedeutendsten georgischen Psychologen, zu studieren. Für das Verständnis der Monographien von Giorgi Tkescheliadse war die Axiologie unabdingbar, für Othar Gamkrelidses Werke hingegen Kenntnisse aus der deutschen Philosophie und Rechtsdogmatik. An unserem Institut fand regelmäßig ein Kolloquium statt, in dem die einzelnen Aspiranten Vorträge über diese Themen hielten und dabei der gesamten Strafrechtsabteilung Rede und Antwort zu stehen hatten. Jeden Donnerstag berichteten wir unseren wissenschaftlichen Betreuern über den Stand unserer Dissertation. Am Ende des zweiten Aspiranturjahres, im Jahre 1987, legte ich drei Pflichtprüfungen (Strafrecht und Nebengebiete, Deutsch und Philosophie) mit dem Ergebnis „sehr gut“ ab und fertigte sowohl einen Teil meiner wissenschaftlichen Arbeit, als auch einen Aufsatz über die „Kindestötung im georgischen 9
Cereteli, Beteiligung in einer Straftat, nachgedruckt, in: Probleme des Strafrechts, II Band, 2007, S. 157.
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Strafrecht“ an. Daraufhin wurde mir auf Antrag des Wissenschaftlichen Rates des Institutes ein hochdotiertes Sonderstipendium, das sogenannte „Leninstipendium“ zuerkannt. Fast zur selben Zeit heiratete ich Dr. rer. nat. Thomas Hädrich aus der DDR, den ich bereits als Studentin in Georgien kennengelernt und mit dem ich über fünf Jahre eine rege Brieffreundschaft gepflegt hatte. Nach der Hochzeit stellte ich den Ausreiseantrag. So geschah es, dass ich das Sonderstipendium nie erhielt. Zur damaligen Zeit war für jede Ausreise, auch für eine Familienzusammenführung in das brüderliche sozialistische Land, das Kappen jeglicher Verbindungen zur Heimat unumgänglich – in meinem Fall somit eine Exmatrikulationsbescheinigung, die meinen Austritt aus der Aspirantur bestätigte. Anstatt dieser für die Ausreise notwendigen Exmatrikulationsbescheinigung erhielt ich von meinem couragierten Doktorvater, dem Institutsdirektor Prof. Tamaz Schawgulidse, eine Bestätigung, nach der ich nicht länger zu den ordentlichen Aspiranten des Instituts zählte. Dabei verschwieg er gegenüber den staatlichen Behörden, dass ich auf seine Anweisung zwar von der ordentlichen Aspirantur ausgeschlossen worden war, man mich jedoch zeitgleich stattdessen in die Fernaspirantur aufgenommen hatte. Wer die damaligen Verhältnisse kennt, dem ist bewusst, dass dieses besondere Engagement geradezu einer Heldentat gleichkam. Eingereist in die DDR im Mai 1988, wechselte ich im Wintersemester 1989 in Absprache mit meinem georgischen Doktorvater Prof. Schawgulidse in eine ordentliche Aspirantur an der Friedrich-Schiller-Universität Jena und begann unter Leitung von Prof. Lothar Reuter meine Dissertation zum Thema „Die Entwicklung des strafrechtlichen Denkens in Georgien“ anzufertigen. Im März 1989 kam unser erster Sohn zur Welt. In der Aspiranturzeit in Jena stieß ich zum ersten Mal in meinem Leben an meine Grenzen. Aufgrund eines Mangels an georgischer Literatur waren die Recherchen überaus langwierig. Darüber hinaus war das Thema unerschöpflich. Das Problem lag aber nicht nur in objektiven Gegebenheiten. Notwendige Literatur kann man sich beschaffen und das Thema konkretisieren. Mein Problem lag vielmehr bei meinem Schreibstil. Während es mir in all den vorherigen Jahren gelungen war, meine Gedanken in meiner Muttersprache prägnant und vielseitig zum Ausdruck zu bringen, wirkten meine deutschen Phrasen hingegen – sehr milde ausgedrückt – hilflos und ungelenk. Mein Mann unterstütze mich mit allen Kräften, übernahm die Betreuung unseres ersten Sohnes in der zweiten Hälfte des Babyjahres und las unermüdlich für meine Dissertation Korrektur. Inzwischen stand jedoch bereits die Wende bevor. Die Juristische Fakultät der Friedrich-
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Schiller-Universität Jena wurde schließlich 1990/1991 neu gegründet. In diesem Zuge verlor ich meine Aspiranturstelle. Im Frühjahr 1991 bekam ich ein zweimonatiges Stipendium über das MaxPlanck-Institut für Ausländisches und Internationales Strafrecht in Freiburg i. Breisgau. Während des Aufenthalts am MPI gewann ich nach meinem Vortrag über „Die Gesellschaftsgefährlichkeit im georgischen Strafrecht“ den Institutsdirektor Prof. Dr. Dr. h.c. mult. Albin Eser als Doktorvater und fing ein drittes Mal an zu promovieren – dieses Mal an der Albert-Ludwigs-Universität Freiburg. Das umfangreiche Promotionsthema aus meiner Zeit an der Universität Jena mit dem Arbeitstitel „Die Entwicklung des strafrechtlichen Denkens in Georgien“ wurde konkretisiert. Das Hauptaugenmerk lag fortan auf dem sozialistischen Strafrecht und wurde mit dem Grundproblem des sozialistischen Strafrechts und der Gesellschaftsgefährlichkeit auf den Punkt gebracht. Darüber hinaus erhielt ich erneut finanzielle Unterstützung über das MPI: Das Stipendium wurde verlängert und mündete später sogar in eine sechsmonatige Hilfswissenschaftlerstelle. Die Jahre der Promotion am MPI, in der wahrhaften „res publica literaria“, waren prägende Jahre voller interessanter menschlicher Begegnungen und fachlicher Diskussionen. Neben der wissenschaftlichen Betreuung durfte ich zusätzlich die herzliche Gastfreundschaft meines Doktorvaters Prof. Dr. Dr. h.c. mult. Albin Eser erleben. Meine Arbeit wurde durch weitere Mitarbeiter des Institutes, Dr. Walter Perron und Dr. habil. Jörg Arnold, begleitet. Außerdem wurde ich durch Dr. Silvia Tellenbach und nicht zuletzt auch durch Dr. Siegfried Lammich unterstützt, mit denen ich all diese Jahre über freundschaftlich verbunden blieb. Das Haus von Dr. Siegfried Lammich, der mich mit Rat und Tat unterstützte und während meiner Zeit in Freiburg eine Georgierin, Eliko Ciklauri-Lammich heiratete, wurde in den schwierigen Zeiten des Bürgerkrieges in Georgien (1992–1993) zu meiner zweiten Heimat. Eine besondere Bereicherung waren für mich auch die Kontakte zu ausländischen Kollegen des Max-Planck-Institutes. Große Unterstützung erhielt ich zudem durch meinen Mann. Er war stets der Erste, der Thesen prüfte, die ich im Rahmen meiner Arbeit aufgestellt hatte. Darüber hinaus las er unermüdlich meine Dissertation, diskutierte mit mir über die unterschiedlichsten Themenaspekte, korrigierte Sprachfehler in meiner Arbeit und half mir vor allem auch, in der Zeit meiner Promotion das Leben nicht aus den Augen zu verlieren. Er war stets für mich da. Während meiner Aufenthalte in Freiburg und Georgien betreute er unser Kind und wenn wir wieder vereint waren, unternahmen wir schöne Auslandsreisen und Wanderungen. Seine moralische wie materielle Unterstützung war nicht zuletzt
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auch für meine georgische Familie lebenswichtig, insbesondere für die Familie meiner älteren Schwester. Ihr Mann, der Literaturwissenschaftler Dr. Ivane Turaschwili, Parlamentarier unter dem freigewählten Präsidenten Gamsachurdia, war nach dem Putsch und Bürgerkrieg Verfolgung und Folter ausgesetzt. Er wurde aus der Universität vertrieben und ging daraufhin mit der gesamten Familie ins Exil nach Deutschland. Die Zeit meiner Promotion am MPI fiel mit dem Zusammenbruch der Sowjetunion, der Unabhängigkeitserklärung Georgiens, mit dem Putsch, dem Bürgerkrieg und mit der schwierigen Nachkriegszeit in Georgien zusammen. Obwohl die Bibliothek des Max-Planck-Institutes ihresgleichen sucht, weist sie einen Mangel an georgischer Literatur auf. Entsprechende Recherchen in Georgien waren somit unumgänglich. Das Leben im damaligen Tbilissi war hart und voller Gefahren. Öffentliche Verkehrsmittel waren nur sporadisch verfügbar und die Staatliche Bibliothek hatte oft mit Stromausfällen zu kämpfen. Die kriminogene Situation der Nachkriegszeit war erschreckend. Abends hörte man Scharfschüsse. Das Institut für Staat und Recht ging dennoch seinen Tätigkeiten nach. Zudem erhielt ich Unterstützung durch die freundliche Bibliothekarin Rusudan Tawartkiladse, die seit jener Zeit zu meinem Freundeskreis zählt. Für meine Recherchen durfte ich auch die Bibliotheken von Dr. Niblia Ugrechelidse und Dr. Giorgi Leschawa nutzen. Dr. Niblia Ugrechelidse bewohnte eine sehr geräumige Wohnung im Stadtzentrum und besaß eine ausgezeichnete juristische Bibliothek. So konnte ich bei ihr übernachten und Tag und Nacht in ihrer Bibliothek arbeiten, ohne mich den Gefahren auf der Straße aussetzen zu müssen. Während ich in der DDR nur mit Sprachproblemen zu kämpfen gehabt hatte, mich jedoch fachlich dort zu Hause fühlte, war das vereinte Deutschland auch beruflich Neuland für mich. Das Rechtssystem, in dem und für das ich ausgebildet worden war, war zugrunde gegangen und meine über viel Fleißarbeit erworbenen Fachkenntnisse wurden mehr oder minder wertlos. Kritische strafrechtsdogmatische Kenntnisse aus der Sowjetzeit über das bürgerliche Strafrecht reichten allein für die Promotion aus – Grundbegriffe des BGB zumindest für den Alltag. Um mehr Kenntnisse im deutschen Recht zu erlangen und mich beruflich neu zu orientieren, begann ich im Wintersemester 1994 neben meiner Promotion an der Ludwig-Maximilians-Universität Freiburg ein zweites Jurastudium an der Friedrich-Schiller-Universität Jena. Das Studium von Grund auf neu zu beginnen, kostete mich trotz allem große Überwindung. Bei einem Zweitstudium versucht man für gewöhnlich, bereits abgelegte Fächer anerkennen zu lassen. In meinem Fall war es jedoch ausgeschlossen, da die Juristerei sowohl staats- als auch systemabhängig ist. Aus Prinzip bemühte
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ich mich somit lediglich um die Anerkennung meiner georgischen Prüfung im römischen Recht, mit der Begründung, dass es kein sozialistisches und bürgerliches, sondern eben allein römisches Recht gäbe. Dieser Versuch war schließlich vergebens. Im Rückblich bin ich heute jedoch froh, dass eine Anerkennung damals nicht möglich war. Andernfalls hätte ich die wunderbaren Vorlesungen des Römischrechtlers Prof. Dietrich Simon und die Freude über meinen ersten Schein (8 Punkte!) nicht erleben können. Das deutsche Strafrecht war vergleichsweise einfach zu erschließen, da sowohl der Allgemeine, als auch der Besondere Teil des deutschen und georgischen Strafrechts starke Ähnlichkeiten aufweisen. Der Allgemeine Teil des BGB war aufgrund meiner Vorkenntnisse ebenfalls sehr gut verständlich. Völlig neu waren für mich der Besondere Teil des BGB und das Öffentliche Recht in seiner Gesamtheit. Menschenrechte, Staatsorganisationsrecht und ein Seminar bei Prof. Martin Morlok, die Rechtsgeschichte bei Prof. Gerhard Lingelbach und das Schuldrecht bei Prof. Eberhard Eichenhofer waren ebenfalls Vorlesungen, die mich besonders bereichert haben. Mit Prof. Dietrich Simon und Prof. Martin Morlok pflege ich bis heute freundschaftliche Beziehungen. Mit viel Interesse belegte ich das Strafprozessrecht, vor allem ein Seminar auf diesem Gebiet bei Prof. Heiner Alwart. Diese Lehrveranstaltung widmete sich der „Behandlung der Bagatellkriminalität im deutschen und georgischen Strafrecht“ und bekräftigte mich in meiner Vermutung, dass der Verzicht auf einen staatlichen Strafanspruch aufgrund von Geringfügigkeit sowohl im Strafprozessrecht (wie etwa in §§ 153, 153a dStPO), als auch im materiellen Strafrecht (Art. 7 II gStGB) angesiedelt werden kann. Beide Lösungen können dogmatisch angegriffen werden. Die materiellrechtliche Lösung ist mit dem unbestimmten Begriff mangelnder Gesellschaftsgefährlichkeit (Art. 8 II gStGB a.F.) und mit dem Vorwurf einer Durchbrechung der Gewaltenteilung verbunden. Das Opportunitätsprinzip des deutschen Strafprozessrechts beinhaltet ebenfalls unbestimmte Begriffe des geringen Schadens, der geringen Schuld und des öffentlichen Interesses. Bis heute bin ich überzeugt, dass es sich beim Absehen von einer materiellrechtlichen Lösung zugunsten einer prozessrechtlichen Lösung, die gelegentlich im georgischen Strafrecht angesprochen wird, lediglich um das unbegründete Austauschen eines eigenen dogmatischen Problems durch ein anderes fremdes und unbekanntes handelt. An der Friedrich-Schiller-Universität in Jena traf ich, die eingeschworene Neuklassikerin ceretelischer Prägung, den echten Finalisten, Prof. Dr. Udo Ebert. Mein bereits vorhandenes Interesse am Finalismus wurde in den ersten Strafrecht AT-Vorlesungen schließlich noch weiter entfacht. Ich belegte bei Prof. Ebert buchstäblich alle Vorlesungen, die er anbot, einschließlich des
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Strafrecht-Examensrepetitoriums. Am Ende der Studien- und Promotionszeit legten sich meine Sprachprobleme. Durch jeden neuen Schein gewann ich mehr Selbstsicherheit. Meine Ergebnisse schwankten zwischen 5 (Zivilrecht) und 13 (strafrechtliches Seminar) Punkten. Im Dezember 1996 reichte ich meine Dissertation mit dem Titel „Der Verbrechens- und Gesellschaftsgefährlichkeitsbegriff im georgischen Strafrecht. Ein Beitrag zur Entwicklung des georgischen Strafrechts“ ein, in der ich die Funktionsänderung des Begriffs historisch und dogmatisch darstellte und für die Vereinbarkeit des formellen und materiellen Verbrechensbegriffs plädierte. Dabei teilte ich die Meinung, dass nullum crimen sine periculo sociali, verbunden mit nullum crimen sine lege keine Gefahr für die Garantiefunktion des Strafrechts darstellt.10 Ich befürwortete den dreistufigen Verbrechensaufbau des deutschen Strafrechts und als vierte Stufe fügte ich das Postulat nullum crimen sine periculo sociali (der von der „Klassengebundenheit“ befreite Begriff der Gesellschaftsgefährlichkeit) für die Einschränkung der Strafbarkeit bei Bagatellfällen hinzu.11 Die Aufbruchsstimmung im postsowjetischen Georgien führte meinen Kollegen Merab Turava in seiner in Deutschland vorgelegten Dissertation zur Ablehnung des Begriffs.12 Nach der Promotion schien es mir notwendig, die Funktionsänderung des Begriffs der Gesellschaftsgefährlichkeit über eine lange Zeitspanne grenzübergreifend aufzuzeigen, um die Frage der Notwendigkeit des materiellen Verbrechensbegriffs noch einmal neu beantworten zu können. Der Begriff der Gesellschaftsgefährlichkeit erwies sich als vielseitig. Während in der Sowjetunion durch die Gesellschaftsgefährlichkeit die Staatsgewalt ausgedehnt worden war, sorgte das Postulat „Keine Strafe ohne Sozialschädlichkeit“ in Europa bereits in der zweiten Hälfte des 18. Jahrhunderts für die Einschränkung der Staatsgewalt. Auch in Deutschland trug sie in den 1970er Jahren zur Liberalisierung des Sexualstrafrechts und zur Entfernung bloßer Moralwidrigkeiten aus dem StGB bei. Die Gesellschaftsgefährlichkeit erschien mir, bildlich ausgedrückt, wie ein Skalpell, das in der Hand eines Gewalttäters Leben vernichten konnte, ohne das aber eine lebensrettende Operation nicht möglich war. So verbanden sich in meiner Vorstellung erneut zwei Postulate zum Paar eines humanen Strafrechts: Nullum crimen sine periculo sociali, als Grenze des 10
Zoll, Der Verbrechensbegriff des polnischen StGB-Entwurfs, ZStW 107 (1995), S. 423.
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Mtschedlischwili-Hädrich, Der Verbrechens- und Gesellschaftsgefährlichkeitsbegriff im georgischen Strafrecht, Aachen 2000, S. 167. Turava, Straftatsysteme in rechtsvergleichender Sicht unter besonderer Berücksichtigung des Schuldbegriffs, Mahlow bei Berlin 1998, S. 250 ff.
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Gesetzgebers, die es verbietet, reine Moralwidrigkeiten zum Straftatbestand zu erheben und nullum crimen sine lege, als Grenze des Richters, die ihm die Bestrafung einer nicht tatbestandsmäßigen Handlung untersagt. Ob die Gesellschaftsgefährlichkeit, oder anders ausgedrückt, das Postulat nullum crimen sine periculo sociali seinen Platz allein in der Verfassung findet, mit der Erklärung, dass sein Adressat der Staat sei, oder aber aufgrund dessen besonderer Wichtigkeit sowohl in der Verfassung als auch im StGB, wie im Falle des Postulats nullum crimen sine lege, ist meiner Ansicht nach allein eine Frage des „dogmatischen Geschmacks“ und keine Grundsatzfrage. Diese Erkenntnisse fasste ich in meinem Aufsatz über den „Verbrechensbegriff im georgischen Strafrecht“ zusammen.13 Im Mai 1998 wurde schließlich mein Promotionsverfahren in Freiburg abgeschlossen. Das Rigorosum war in allen Fächern sehr freundlich verlaufen. Mein Doktorvater prüfte mich über die Entwicklung des Verbrechensbegriffs in Deutschland. Hier kamen mir meine Kenntnisse auf zwei Gebieten sehr zugute: Zum einen meine neoklassische Fachkenntnisse, die ich mir über Ceretelis Monographien und Privatgespräche mit Prof. Gamkrelidse vor vielen Jahren angeeignet hatte und zum anderen meine Kenntnisse auf dem Gebiet des Finalismus, die ich mir durch die vielen Vorlesungen bei Prof. Ebert erarbeitet hatte. Es freute mich sehr, meinen Doktorvater in der Prüfung nicht enttäuschen zu müssen. So war mein langer Weg um den höchsten akademischen Grad mit der Endnote „cum laude +“ endlich zu einem Ende gekommen. Nach meinem Rigorosum veranstaltete Familie Lammich für mich ein Fest, wozu noch zwei andere am MPI gastierende georgische Wissenschaftler eingeladen wurden. Meinen privaten Abschied vom MPI und von der Stadt Freiburg feierte ich anschließend auf meine Art: Ich setzte mich in die Bibliothek des MPI – im Volksmund liebevoll „Aquarium“ genannt – danach stolperte ich ganz bewusst, wie eine „echte Freiburgerin“, in das „Bächle“ im Stadtzentrum. Als ich mich nach dem Rigorosum, wie versprochen, bei Prof. Udo Ebert meldete, erhielt ich von ihm das Angebot, meine wissenschaftliche Tätigkeit an seinem Lehrstuhl fortzusetzen. Die Entscheidung darüber, ob ich die zwei noch ausstehenden Scheine für das Erste Staatsexamen „jagen“ oder stattdessen zunächst bei Prof. Udo Ebert zwei Jahre als wissenschaftliche Mitarbeiterin tätig sein sollte, fällte ich ohne Zögern. Um meine juristischen Fachkenntnisse zu erweitern, entschloss ich mich jedoch später anstelle des 13
Mtschedlischwili-Hädrich, Der Verbrechensbegriff im georgischen Strafrecht, in: Eser / Arnold / Trappe, Strafrechtsentwicklung in Osteuropa, Max-Planck-Institut für ausländisches und internationales Strafrecht, Berlin 2005, S. 173 ff.
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Ersten Staatsexamens für einen LL.M.-Abschluss im Zivilrecht und Öffentlichen Recht an der Friedrich-Schiller Universität Jena. Von Prof. Martina Haedrich erhielt ich hierfür zum Thema „Besondere Mittel der Datenerhebung im Polizeirecht zur Bekämpfung der Organisierten Kriminalität“ das Prädikat „magna cum laude“. Ein „summa cum laude“ in der Magisterprüfung im Zivilrecht bei Prof. Olaf Werner versöhnte mich schließlich wieder mit dem Zivilrecht. Am Lehrstuhl von Prof. Udo Ebert an der FSU Jena stellte ich die Druckversion meiner Dissertation fertig. Darüber hinaus kamen mir alle Pflichten einer wissenschaftlichen Mitarbeiterin zu, u.a. auch die Vorarbeiten für die dritte Auflage seines Lehrbuches, das ich bereits in meiner Studienzeit zu schätzen gelernt hatte. Beim Schreiben meiner Dissertation war ich stets bemüht, eine präzise Ausdrucksweise, wie ich sie von Prof. Ebert gewohnt war, vorzunehmen. Einmal sagte er zu mir, dass er beim Lesen seiner von mir überarbeiteten Falllösungsskizze nicht mehr wusste, ob der Text von mir oder von ihm stammte. Das ist für mich bis heute ein unvergessliches Lob geblieben. Lehrveranstaltungen, vor denen ich mich wegen meiner fremden Sprachmelodie am meisten fürchtete, habe ich nach mehrmaliger Ermutigung durch Prof. Ebert immer gerne gehalten und tatsächlich verliefen sie schließlich auch gut. Doch hierzu sollte ich bemerken, dass ich mittlerweile seit 30 Jahren in Jena lebe. Trotz meines ausgeprägt fremdländischen Aussehens habe ich mich hier dennoch nie fremd, unerwünscht oder gar ausgegrenzt gefühlt. Nach dem ersten Jahr meiner Mitarbeit am Lehrstuhl wurde unser zweiter Sohn geboren. Ich ging schließlich für drei Jahre in den Mutterschaftsurlaub und stürzte mich in das lang ersehnte Familienleben. Meinem Mutterschaftsurlaub folgte noch ein weiteres Jahr am Lehrstuhl von Prof. Ebert, danach hielt ich als wissenschaftliche Mitarbeiterin der Fakultät Lehrveranstaltungen im Strafrecht AT für Anfänger. Meine Arbeit am Lehrstuhl von Prof. Ebert und eine erneute Lehrtätigkeit (als AG-Leiterin) an der Rechtswissenschaftlichen Fakultät der FSU verhalfen mir schließlich zu der notwendigen Selbstsicherheit, um im Jahr 2005 selbständig ein VW-Projekt zur Realisierung eines modernen Lehrbuchs zum Strafrecht AT nach dem deutschen Vorbild zu initiieren. Das Projekt wurde im Austausch mit Prof. Udo Ebert „geboren“. Nach der von mir bei der VolkswagenStiftung gestellten und positiv beschiedenen Voranfrage wurde diese durch Prof. Detlef Krauß (HU-Berlin) und Prof. Heiner Alwart (FSU-Jena) weiter vertieft. Schließlich reichte Prof. Heiner Alwart bei der Volkswagen-Stiftung die Skizze für das „Deutschgeorgische Forschungsprojekt zur Entwicklung der georgischen Strafrechtsdogmatik und zur Implementierung eines Curriculums
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für die Strafrechtsausbildung an der Juristischen Fakultät der Staatlichen Iwane-Dshawachischwili-Universität Tbilissi“ ein. In das Projektteam wurde Prof. Merab Turava als Coautor für die Erstellung des Lehrbuches einbezogen. Der Stoff des Allgemeinen Teils wurde zwischen Prof. Turava und mir aufgeteilt. Die Thematik des Aufbaus der Verbrechenslehre übernahm Prof. Turava, während ich mich dem Thema „Besondere Erscheinungsformen von Straftaten“ widmete. Das Projekt, das durch die Volkswagen-Stiftung über vier Jahre großzügig gefördert wurde, trug schließlich Früchte. Zu diesen Früchten zählten ein außerordentlich interessanter und reger wissenschaftlicher Austausch zwischen deutschen und georgischen Strafrechtlern auf Konferenzen in Jena und in Tbilissi, eine deutsch-georgische Studentenkonferenz in Jena und zwei von Prof. Merab Turava und mir verfasste unabhängige Bände – insgesamt entstanden in dieser Zeit über tausend Seiten zum Strafrecht AT nach deutschem Vorbild. Anschließend initiierte Prof. Merab Turava die erste deutsch-georgische Strafrechtslehrertagung im Jahre 2011. Die Krönung des Projektes war ein überaus interessanter Sammelband zu dieser Tagung. Das Projekt wurde jedoch durch den plötzlichen Tod von Prof. Detlef Krauß und Prof. Revaz Gogschelidse überschattet. Im Rahmen des Projektes war ich ab dem Sommersemester 2007 an der Iwane-Dshawachischwili-Universität Tbilissi als Lehrbeauftragte tätig, wo ich die erste Lehrveranstaltung zur Methodik der Fallbearbeitung im Strafrecht anbot, die in der georgischen juristischen Ausbildung damals noch unbekannt gewesen war. In Georgien gab es damals weder Falllösungsbücher, noch Fallprüfungsschemata oder Musterfalllösungen. Somit musste ich im Frühjahr 2007 alle Lehrmaterialien, erneut nach deutschem Vorbild, zunächst erarbeiten. Meine Kraft tankte ich bei meiner georgischen Familie. In dieser Zeit besuchte ich fast jedes Wochenende meine Mutter und meine Schwester. Meine Lehrveranstaltungen fanden stets abends statt und so ging ich im Anschluss an die Sitzungen gerne bei meinem Onkel, dem Psychologieprofessor Giorgi Mtschedlischwili, vorbei. Unsere abendlichen Gespräche über die Weltliteratur, Kunst und Psychologie des Menschen mit ihm als hochbetagten Wissenschaftler und seiner Frau, einer pensionierten Lehrerin, sind für mich prägende Erinnerungen jener Zeit. Aus dieser Lehrtätigkeit entstand im Jahr 2008 – als „Nebenprodukt“ des deutsch-georgischen VW-Projektes – das von mir verfasste erste georgische Buch über „Die strafrechtliche Fallbearbeitung“, welches schließlich im Jahr 2010 in der zweiten Auflage erschien. Während meiner Arbeit an den Büchern konnte ich stets mit Prof. Alwart und mit meinen georgischen Kollegen Prof. Nona Todua, Prof. Gotscha Mamulaschwili, mit meinen akademischen
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Lehrern Prof. emeritus Mzia Lekweischwili, Prof. emeritus Guram Natschkebija und Prof. emeritus Othar Gamkrelidse zu wichtigen Problemen Rücksprache halten. Schmerzlich vermisste ich in diesem Gesprächskreis meine zu früh verstorbenen Freunde, Dr. Gogi Leschawa und Dr. Niblia Ugrechelidse. Als Novum erwies sich auch mein im Jahre 2014 nach dem Vorbild der deutschen Bücherreihe „Prüfe dein Wissen“ verlegte Buch „Das Strafrecht in Fragen und Antworten, Straftat“. Diese Form der Wissensdarstellung war in Georgien noch unbekannt und wurde von meinen georgischen Kollegen mit viel Zustimmung aufgenommen.
II. Neue Herausforderungen Beim Schreiben des Lehrbuches AT II stieß ich auf verschiedene Streitstände, die im georgischen Strafrecht traditionsgemäß anders als im deutschen gelöst werden. Zu den wichtigsten Fragen zählt der Streit zwischen Neoklassizismus und Finalismus. Den deutschen Leser überrascht hier die Tatsache, dass die in Deutschland längst antiquierte Frage, ob der natürliche Vorsatz in den Unrechtstatbestand vorverlegt, oder aber systematisch sowohl auf der Tatbestands-, als auch auf der Schuldebene präsent sein muss (Doppelstellung des Vorsatzes), für das georgische Strafrecht genau genommen noch eine taufrische Angelegenheit darstellt. Hierfür sorgt der georgische Gesetzgeber, der in Art. 9 gStGB (Vorsatz) das Unrechtsbewusstsein zwar zum Vorsatzmerkmal erklärt, jedoch den Verbotsirrtum nach Art. 36 gStGB in die Entschuldigungsgründe einordnet, ohne dabei explizit beim fehlenden Unrechtsbewusstsein zuerst auf den Vorsatz- und danach auf den Schuldausschluss hinzuweisen. Beide Irrtumsarten (Tatumstandsirrtum, Verbotsirrtum) hingegen schließen den Vorsatz aus und ermöglichen die Strafbarkeit nur für den Fall der Fahrlässigkeit. In der georgischen Strafrechtsdogmatik werden drei verschiedene Lösungswege dieses Problems aufgezeigt. Unter Zuhilfenahme der systematischen Auslegung des in die Entschuldigungsgründe eingegliederten Art. 36 gStGB wird die Meinung vertreten, dass das Unrechtsbewusstsein allein ein Schuldmerkmal sei (Schuldtheorie). Diese Ansicht widerspricht dem geltenden Recht, da Art. 9 gStGB genau genommen das Unrechtsbewusstsein zum Vorsatzmerkmal erklärt. Nach einer anderen (bis zum Jahr 2013 auch von mir vertretenen) Meinung wird der Vorsatz aufgespalten. Der „natürliche“ Vorsatz wird in den Unrechtstatbestand eingegliedert; das andere Vorsatzmerkmal, das Unrechtsbewusst-
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sein, hingegen wird der Schuld zugeordnet.14 Diese Aufspaltung ist meiner Ansicht nach ein sehr gewagtes gedankliches Experiment. So ist das Ergebnis zwar eine „besondere Art der Schuldtheorie“, jedoch entsprechen die Rechtsfolgen der Art. 9 (Tatumstandsirrtum) und 36 III gStGB (Verbotsirrtum) – die Strafbarkeit nur für die Fahrlässigkeit – der Vorsatztheorie. Wird hingegen als Argument die Lehre der Doppelstellung des Vorsatzes aus der deutschen Strafrechtstheorie als ein Parallel ins Feld geführt, muss zuerst die alleinige Funktion der genannten deutschen Theorie thematisiert werden. Bei der irrtümlichen Annahme der Voraussetzungen eines Rechtfertigungsgrundes (Erlaubnistatbestandsirrtum) entfällt nach dieser Ansicht der Vorsatz als Vorsatzschuld und die Fahrlässigkeitsstrafbarkeit wird begründet. Die Lehre der Doppelstellung des Vorsatzes ist ein Notbehelf des deutschen Dogmatismus, welche die Rechtsfolge des §17 dStGB – die Vorsatzstrafbarkeit des „an sich rechtstreu handelnden Täters“ – vermeiden und zur Fahrlässigkeitshaftung kommen will. Die Rechtsfolge des Art. 36 III gStGB jedoch, d.h. die Strafbarkeit wegen Fahrlässigkeit beim unentschuldbaren Verbotsirrtum, bedarf keiner solchen Umgehungslösung. Die in der Strafrechtswissenschaft vertretene neue dogmatische Lösung, die Einführung verschiedener Bedeutungen des Unrechtsbewusstseins, somit also der Ausschluss des Unrechtsbewusstseins im engen Sinne beim Verbotsirrtum und der Ausschluss des Unrechtsbewusstseins im weiten Sinne beim Erlaubnistatbestandsirrtum, verkompliziert überflüssigerweise den vom Gesetzgeber vorgeschlagenen klaren Problemlösungsvorschlag.15 Der dritte Weg, den andere Dogmatiker beschreiten, ist die homogene Auffassung des im Art. 9 gStGB definierten Vorsatzes. Für diese Meinung spricht die Tatsache, dass der Gesetzgeber das Unrechtsbewusstsein neben den kognitiven und voluntativen Elementen zum dritten Vorsatzmerkmal erklärt, somit also den Vorsatz als dolus malus versteht. Das zweite Argument ergibt sich hingegen aus der Rechtsfolge des Verbotsirrtums, d.h. der Fahrlässigkeitsstrafbarkeit nach Art. 36 gStGB. Das spricht dafür, dass der georgische Gesetzgeber die dogmatische Auseinandersetzung zwischen der kausalen und finalen Handlungslehre, zwischen dem Neuklassizismus und dem Finalismus zuguns14
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Mtschdlischwili-Hädrich, Methodik der strafrechtlichen Fallbearbeitung, Tbilissi 2008, S. 46; Mtschdlischwili-Hädrich, Methodik der strafrechtlichen Fallbearbeitung, Tbilissi 2010, S. 187; Mtschdlischwili-Hädrich, Strafrecht, Besondere Erscheinungsformen der Straftat, Tbilissi 2011, S. 378 ff; Turava, Straftatsysteme in rechtsvergleichender Sicht unter besonderer Berücksichtigung des Schuldbegriffs, Mahlow bei Berlin 1998, S. 251; Turava, Strafrecht, 8. Aufl., Tbilissi 2010, S. 124. Turava, Die Lehre vom Verbrechen, Tbilissi 2011, S. 527 ff.
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ten der ersten längst entschieden hat. Auch wenn man die finale Handlungslehre als die „ontologische Grundlage der Unrechtslehre“ gern vertreten will, darf das geltende georgische Recht nicht contra legem ausgelegt werden. Ohne die abgeflaute Diskussion zwischen den „Kausalisten“ und „Finalisten“ neu aufwärmen zu wollen, komme ich zu dem Schluss, dass die bis 2013 auch von mir vertretene Zweiteilung des Vorsatzes lediglich einem Vorschlag nach de lege ferenda entspricht und keine Auslegung des geltenden Gesetzes darstellt. In meinem im Jahr 2014 neu verlegten Buch „Strafrecht AT, Straftat“ habe ich mich von dieser Position abgewandt, da eine auch noch so reizvolle theoretische Grundlegung des Finalismus keinen Nutzen hat, wenn sie gegen das geltende Recht verstößt.16 Einer der grundlegenden Unterschiede zwischen deutschem und georgischem Strafrecht besteht in der generellen Vorbereitungsstrafbarkeit, deren Abschaffung in der Reformperiode der 1950er und 1990er Jahre ohne Ergebnis auf der Tagesordnung stand. Die generelle Vorbereitungsstrafbarkeit, als Indikator der Verpolizeilichung des materiellen Strafrechts und dabei unvereinbar mit Rücktrittsregelungen, habe ich in meiner Studien- und Aspiranturzeit in Georgien immer scharf angegriffen, wobei ich bestrebt war, zu deren Aufhebung und zum Übergang der punktuellen Vorbereitungsstrafbarkeit nach deutschem Vorbild beizutragen. Viel später, als ich § 30 dStGB (Versuch der Beteiligung) las, verstand ich, dass die vorgezogene Vorfeldkriminalisierung des Art. 18 gStGB allein für den Alleintäter galt. Die weitere Beschäftigung mit Strafrechtskommentaren über die Versuchsstrafbarkeit im deutschsprachigen Strafrecht überraschte mich überaus. Es stellte sich heraus, dass in Georgien zwar die Vorbereitung generell strafbar ist (für besonders schwere, schwere und einige konkret genannte minderschwere Straftaten), jedoch sowohl die Vorbereitung, als auch der Versuch restriktiv ausgelegt werden. Bestraft werden nur die Vorbereitungshandlungen, die eng mit dem objektiv verstandenen Versuch (hauptsächlich der Anfang der Tatbestandsverwirklichung und eng vorverlagerte Fälle) verknüpft sind. Im deutschen und österreichischen Strafrecht mit (von mir erstrebter) punktueller Strafbarkeit der Vorbereitung aber wird der Versuchsanfang extensiv ausge-legt. Die Breite der Verlagerung ins Vorfeld der Rechtsgutsverletzung ist im georgischen und deutschsprachigen Strafrecht in einigen Delikten (Diebstahl, Totschlag) gleich. Daraufhin bin ich zum de lege ferenda Vorschlag gekommen, dass die tradierte allgemeine Vorbereitungsdefinition beibehalten, durch
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Mtschdlischwili-Hädrich, Strafrecht I, Straftat, Tbilissi 2014, Rn 549.
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die im gStGB vorgesehene Offensichtlichkeit der Vorbereitung konkretisiert und auf besonders schwere und schwere Straftaten beschränkt werden muss.17 Eine andere, für den deutsch geschulten Strafrechtsdogmatiker überraschende Streitfrage ist jene über die begriffliche Möglichkeit des Versuchs mit Eventualvorsatz. Die dogmatische Auseinandersetzung fußt unter anderem auf der Auslegung zweier gesetzlicher Bestimmungen: Art 9 III gStGB (Vorsatz) und Art. 19 I gStGB (Versuch). Nach der Legaldefinition im Art. 9 III gStGB „Die Tat ist mit Eventualvorsatz begangen, wenn sich der Täter der Rechtswidrigkeit seines Handelns (Tuns oder Unterlassens) bewusst war, die Möglichkeit des Eintretens des Erfolgs voraussah und diesen Erfolg nicht wollte, aber ihn bewusst zuließ oder sein Eintreten ihm gleichgültig war“. Nach Art. 19 I gStGB gilt als Versuch einer Straftat eine vorsätzliche Handlung, die unmittelbar auf die Begehung einer Straftat gerichtet war, wobei sie nicht beendet wurde. Verfechter des Versuchs mit Eventualvorsatz stützen sich zu Recht auf die Auslegung des Art. 19 I (Versuch), in welcher der Gesetzgeber diese Ausnahme nicht ausdrücklich vorsieht. Dem Argument der tradierten Auffassung über die Unmöglichkeit des Versuchs mit Eventualvorsatz, dass es logisch undenkbar sei, etwas nicht zu wollen und es dabei trotzdem zu versuchen (grammatikalische Auslegung der Legaldefinition des Eventualvorsatzes), begegnen sie mit der Behauptung, dass „Nicht-wollen, normativ verstanden“ das Wollen bedeute. Mich überzeugt dieser „fortgeschrittene Normativismus“ nicht, da er mit den Auslegungsregeln nichts mehr gemeinsam hat und entgegen meiner weltanschaulichen Überzeugung mit einem negativen Menschenbild verbunden ist. Wenn die schlimme Folge nicht eintrat und die Person den Erfolg auch nicht intendierte, sieht das gStGB konkrete Gefährdungsdelikte vor, die diese Handlung strafrechtlich erfassen können. Bei der Bejahung des Versuchs mit Eventualvorsatz verwandeln sich diese zahlreichen konkreten Gefährdungsdelikte des gStGB „zu toten Tatbeständen“. Die Tatsache, dass auch im deutschsprachigen Strafrecht der Versuch mit Eventualvorsatz sporadisch ganz oder teilweise abgelehnt und vorgeschlagen wird, die Bestrafung der geschaffenen Gefahr durch konkrete Gefährdungsdelikte zu erreichen, bekräftigte meine
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Mtschedlischwili-Hädrich, Strafrecht, Besondere Erscheinungsformen der Straftat, Tbilissi 2011, S. 31; Mtschedlischwili-Hädrich, Strafbarkeit der Vorbereitung im georgischen Strafrecht unter Berücksichtgung der deutschen Versuchslehre, in: Strafrechtswissenschaft in einem zusammenwachsenden Europa, Festschrift der Strafrechtslehrertagung, Tbilissi 2013; zustimmend Heinrich, Bernd, Verwirklichungsstufen der Straftat, ebenda, S. 452.
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Meinung ebenfalls.18 So geschah es, dass mein Coautor Prof. Turava im Lehrbuch „Strafrecht AT I“ die Möglichkeit des Versuchs mit Eventualvorsatz bejahte, wohingegen ich im „Strafrecht AT II“ dieselbe Frage negativ beantworte.19 Bei der Bearbeitung der Versuchsstrafbarkeit stieß ich außerdem auf ein anderes Grundsatzproblem. Das gStGB definiert im Art. 19 den Versuch objektiv als Anfang der Tatbestandsverwirklichung. Gleichzeitig folgt aus dem Umkehrschluss des Art. 20 (Befreiung von der strafrechtlichen Verantwortlichkeit wegen grob untauglichen Versuchs) die Strafbarkeit des „normalen“ untauglichen Versuchs. Die Begründung der Strafbarkeit des untauglichen Versuchs mit der subjektiv-objektiven Versuchstheorie des deutschen Strafrechts war für mich aufgrund der objektiv geprägten georgischen Versuchstheorie nicht überzeugend. Durch meine Auseinandersetzung mit der Entwicklung der Normen- und Dogmengeschichte der unvollendeten Straftat in Georgien (und in der ganzen Sowjetunion) während meiner Studienzeit wurde mir schließlich klar, dass sie durch einen Wandel vom subjektiven zum objektiven Ansatz charakterisiert ist.20 Die subjektive Versuchsdefinition – Versuch im Sinne eines vom Täter vorgestellten Ansetzens zur Tatbestandsverwirklichung – wurde in der Reformzeit der 1950er Jahre als Willensstrafrecht von der überwiegenden Mehrheit der sowjetischen Strafrechtler und daraufhin auch vom Gesetzgeber abgelehnt.21 Die in Georgien (und insgesamt in der Sowjetunion) in den 1960er Jahren bevorzugte objektive Theorie der unvollendeten Straftat war eine Antwort auf die grenzenlose Ausdehnung der Strafbarkeitszone weit in die Gesinnungsstrafbarkeit durch den bolschewistischen Staat. Aus diesem Grund übernahm ich für die Begründung der Strafbarkeit des untauglichen Versuchs die im georgischen Strafrecht unbekannte „neue objektive Theorie“ und dadurch die von Cereteli kritisierte, im Grunde subjektive, Rechtsfigur des „objektiven Beobachters“.22 Die Frage der Unvereinbarkeit des traditionellen Materialis18
19 20 21 22
Stoos, ZStW 1895 (15), S. 199–201; Kölz-Ott, Eventualvorsatz und Versuch, S. 127. Lampe, NJW 1958, S. 333; NK-Zaczyk, §22/Rn. 19; Streng, JZ 1990, S. 219; Bauer, Wistra 1991, S. 171. Mtschedlischwili-Hädrich, Strafrecht, Besondere Erscheinungsformen der Straftat, Tbilissi 2011, S. 70. Surguladse, Geschichte der Strafgesetzgebung Sowjetgeorgiens (1921–1922), S. 54, 114. Cereteli, Vorbereitung und Versuch, nachgedruckt in: Probleme des Strafrechts, B. I., S. 426. Hirsch, JZ 10, 2007, S. 496; Hirsch, in: Roxin-FS 2001, S. 710–728; Spendel, NJW 1965, S. 1888; Spendel, Stock-FS 1966, S. 89.
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mus mit der „neuen objektiven Theorie“ und Strafbarkeit des untauglichen Versuchs habe ich im Lehrbuch zwar kurz angesprochen, ließ sie jedoch offen. Hier zeigt sich ein großer Nachholbedarf im georgischen Strafrecht. In der Aufbruchsstimmung wurden und werden viele Strafrechtstheorien aus dem deutschen Strafrecht übernommen, ohne vorherige Auseinandersetzung mit den philosophischen Grundlagen, auf denen diese Theorien fußen. Ich hoffe, dass diese Lücke möglichst bald geschlossen wird. Die „neue objektive Theorie“, das im georgischen Strafrecht noch unbekannte „ex post“ und „ex ante“ Begriffspaar und die Notwendigkeit der verschiedenen Beobachtungsperspektiven habe ich dem georgischen Leser im Lehrbuch AT II und in einem Aufsatz23 zugänglich gemacht. Dieses Problem erfreut sich nicht nur der Beliebtheit der Leserschaft, sondern wurde bereits von einem jungen Wissenschaftler in seiner Dissertation über Gefährdungsdelikte vertieft. Bei der Bearbeitung des Problems der Täterschaft und der Teilnahme übernahm ich für die Abgrenzung des Täters von den Beteiligten die materiellobjektive Theorie, angelehnt an das im Jahr 1965 von Cereteli entwickelte Abgrenzungskriterium der „kausalen Kraft der Tat“, die sie mit der „Tatherrschaft“ gleichsetzte.24 Gleichzeitig verwarf ich das Täterschaftskriterium des zeitlichen und örtlichen Zusammenfallens von Handlungen (das „Schmiere Stehen“ als Mittäterschaft) als die bereits während des „Tauwetters“ „bewältigte Vergangenheit“ der unsäglichen sowjetischen Strafrechtsgeschichte.25 Die Rechtsfigur des Organisators verwarf ich nicht zugunsten des parallelen Begriffs der organisatorischen Tatherrschaft.
III. Ausblick Nach Abschluss des VW-Projektes (2010) setzte ich meine Tätigkeit als Lehrbeauftragte an der Iwane-Dshawachischwili-Universität Tbilissi fort. Gleichzeitig bin ich Professorin an einer privaten Universität, der „University of Georgia“. In Georgien halte ich abwechselnd verschiedene Kompaktveranstaltungen: Strafrecht (Vertiefung), Methodik der strafrechtlichen Fallbearbei23
24 25
Mtschedlischwili-Hädrich, Strafrecht, Besondere Erscheinungsformen der Straftat, Tbilissi 2011, S. 51; Mtschedlischwili-Hädrich, On the problem of punishability for impossible attempts: Topical problems of criminal law and criminology, Tbilissi 2010, p. 115–130. Cereteli, Beteiligung an einer Straftat, 1965, nachgedruckt in: Strafrechtsprobleme, B. II, S. 157. Cereteli, Beteiligung an einer Straftat, 1965, nachgedruckt in: Strafrechtsprobleme, B. II, S. 136; Mtschedlischwili-Hädrich, Strafrecht, Besondere Erscheinungsformen der Straftat, Tbilissi 2011, S. 152–153.
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tung, Einführung in das deutsche Strafrecht (Deutsch) und Einführung in das deutsche Recht (Deutsch). Auf Wunsch meiner „alten“ Studenten entstand schließlich die neue Lehrveranstaltung, „Klassische und neue Fälle des BGH und ihre Lösungsmöglichkeiten nach dem gStGB“, die mich ebenso bereichert wie meine Studenten. Wissenschaftlich beschäftige ich mich neben dem materiellen Recht auch mit Medien- und Jugendstrafrecht. Mein Aufsatz über den „Ort der Tat im modernen Strafrecht“, den ich im Jahr 2013 veröffentlichte,26 ist in Georgien der erste dieser Fachrichtung. 2011 nahm ich an einem Projekt zur Humanisierung des Jugendstrafrechts teil, das an der Iwane-Dshawachischwili-Universität durchgeführt und über UNICEF gefördert wurde. Seit 2014 beteilige ich mich an einem Iwane-Dshawachischwili-Universität Projekt zu „alternativen Strafen“, das von der Open Society Georgia Fundation finanziert wird. Ziel dieser Projekte ist das Aufzeigen (bzw. Ausgleichen) humaner und sozialer Defizite des georgischen Strafrechts. Da ich in meinen Projektbeiträgen aufgrund des prägenden Einflusses meiner deutschen Ausbildung die Errungenschaften der deutschen Strafrechtswissenschaft rechtsvergleichend heranziehe und die deutsche Strafrechtspolitik bei der Umgestaltung der georgischen als wünschenswert hervorhebe, übernehme ich weiterhin die Rolle einer Multiplikatorin. Die Mitarbeit bei all diesen Projekten gibt mir das Gefühl, zu den Mitgestaltern eines menschenfreundlichen und sozialen Strafrechts zu gehören, das nicht mit Gold aufzuwiegen ist. Bei meiner wissenschaftlichen Arbeit im materiellen Strafrecht scheint es mir angebracht, manche dogmatischen Streitstände, die bei einem deutschen Strafrechtsdogmatiker den Eindruck einer Zeitreise in die Vergangenheit erwecken, unter Beachtung des geltenden Rechts auszufechten. Dabei müssen sich teilweise Theorien, die im deutschen Strafrecht als vorherrschend gelten, im georgischen Strafrecht jedoch keine gesetzliche Basis haben, mit dem Niveau de lege ferenda begnügen, während manche Mindermeinungen des deutschen Strafrechts hingegen mit der de lege lata-Stellung aufwarten können. Auf diese Weise zeigt sich das georgische materielle Strafrecht als ein Teil des kontinentaleuropäischen Strafrechtskreises mit deutscher Prägung. Der völlige Bruch mit der eigenen Tradition, welche im harten wissenschaftlichen Kampf gegen den bolschewistischen Terror entstand, scheint mir nach wie vor falsch. Meine Reisen zur wissenschaftlichen Qualifikation und für meine spätere Lehrtätigkeit in Georgien wären ohne die Unterstützung meiner deutschen 26
Mtschedlischwili-Hädrich, „Ort der Tat im modernen Strafrecht“, in: FS für Labartkava, Tbilissi 2013, S. 230–242.
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Großfamilie, ohne meinen fürsorglichen Mann und meine tatkräftige und verständnisvolle Schwiegermutter nicht zustande gekommen. Mittlerweile studiert mein erster Sohn Naturwissenschaften. Unser zweiter Sohn, der derzeitig noch ins Gymnasium geht, findet ebenfalls an den exakten Wissenschaften Gefallen. Meinen Weg der „streitbaren Wissenschaft“ haben die beiden für sich nicht gewählt. In unserem Dreigenerationenhaus haben sie nicht nur den diskussionsbereiten Vater, in dessen Gegenwart sich unser Wohnzimmer zum Auditorium verwandeln kann, sondern auch eine liebevolle Großmutter, die in allen Lebenssituationen einen klugen Ausweg findet. Je mehr ich auf Reisen bin und je mehr ich mich wissenschaftlich betätige, desto mehr Spaß macht mir das Familienleben und alles, was das (Haus)Frau- und Muttersein ausmacht. So stehe ich mitten im Leben und versuche mein Mögliches zu tun, damit die „Kette des Guten“, die mich soweit mein Leben lang begleitet hat, nicht abreißt.
Schriftenverzeichnis (in Auswahl) 1. Selbstständiges Schrifttum / Monographien Der Verbrechens- und Gesellschaftsgefährlichkeitsbegriff im georgischen Strafrecht, Aachen 2000 (Doktorschrift). Methodik der strafrechtlichen Fallbearbeitung, Tiflis 2008 (erschienen in georgischer Sprache). Methodik der strafrechtlichen Fallbearbeitung, 2. Aufl., Tiflis 2010 (erschienen in georgischer Sprache). Strafrecht, Allgemeiner Teil, Besondere Erscheinungsformen der Straftat, Tiflis 2011 (erschienen in georgischer Sprache). Strafrecht, Allgemeiner Teil in Fragen und Antworten, Tiflis 2014 (erschienen in georgischer Sprache).
2. Aufsätze in Zeitschriften und Sammelwerken Zum Problem der Kindstötung, in: Sowjetisches Recht 10, 1989, S. 50 ff. (erschienen in georgischer Sprache). Noch einmal über das strafrechtliche Vakuum, in: Macne 2, 1991, S. 63 ff. (erschienen in georgischer Sprache). Weiße Flecken der georgischen Rechtsgeschichte, in: Macne 3, 1993, S. 10 ff. (erschienen in georgischer Sprache).
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Zum Problem der Gesellschaftsgefährlichkeit, in: Recht 3–4, 1994, S. 10 ff. (erschienen in georgischer Sprache). Zum Problem der Kleinkriminalität im georgischen und deutschen Strafrecht, in: Macne, Sonderausgabe 1998, S. 31 ff. (erschienen in georgischer Sprache). Der Verbrechensbegriff im neuen georgischen Strafgesetzbuch, in: Eser / Arnold / Trappe (Hrsg.), Strafrechtsentwicklung in Osteuropa, zwischen bewältigten und neuen Herausforderungen, Berlin 2005, S. 170 ff. On the problem of punishability for impossible attempts, in: Tsiskarishvili / Kvirikashvili / Sarjveladze (Hrsg.), Topical problems of criminal law and criminology, Tiflis 2010, S. 114 ff. Sanktionen im deutschen Jugendstrafrecht, in: Lekweischwili / Schalikaschwili (Hrsg.), Probleme des Jugendstrafrechts, Tiflis 2011, S. 236 ff. (erschienen in georgischer Sprache). Die Strafbarkeit des untauglichen Versuchs, in: Leben und Recht, Jubiläumsheft für Gamkrelidze 2012, S. 7 ff. (erschienen in georgischer Sprache). Zum Problem des Tatorts im Medienstrafrecht, in: Rechtsjournal 2, 2012, S. 278 ff. (erschienen in georgischer Sprache). Die Strafbarkeit der Vorbereitung im georgischen Strafrecht unter Berücksichtigung der Strafbarkeit des Versuchs im deutschen Strafrecht, in: Turava (Hrsg.), Festschrift der Strafrechtslehrertagung, Tiflis 2013, S. 83 ff. (erschienen in georgischer Sprache). Zum Problem des zeitlichen Maßstabs im Strafrecht, in: Ivanidse (Hrsg.), Festschrift für Lekweischwili, Tbilisi 2014, S. 120 ff. (erschienen in georgischer Sprache).
Franzisco Muñoz Conde
https://doi.org/10.1515/9783110277708-015
Francisco Muñoz Conde I. Ich wurde am 5. März 1945 in Fuentes de Andalucía, einem kleinen Dorf in der Nähe der Stadt Sevilla geboren, wo mein Vater als Oberarzt tätig war. Der Ausbruch des Bürgerkriegs (1936–1939) hinderte meine Mutter daran, ihr Studium in den Rechtswissenschaften anzutreten, weshalb sie 1938 heiratete und ihr Leben ganz der Fürsorge ihrer sechs Kinder, von welchen ich das Fünfte war, widmete. Für die damalige Zeit – geprägt vom politischen und religiösen Konservatismus der franquistischen Diktatur und des sog. Nationalkatholizismus – legten meine Eltern ein recht liberales und fortschrittliches Verhalten an den Tag. Aufgrund ihrer intellektuellen Neigungen trugen sie weit mehr zu meiner frühen Erziehung bei als der dürftige Unterricht erst an unserer Dorfschule und später, wie es für Kinder bürgerlicher Familien aus ländlichen Regionen ohne Einrichtung für die mittlere Reife oder den Gymnasialabschluss üblich war, in einem religiösen Internat. Mein Studium der Rechtswissenschaften absolvierte ich an der Juristischen Fakultät der Universität Sevilla. Noch bis in die 1960er Jahre hinein schloss man dort Studentinnen prinzipiell vom Studium des Eherechts des katholischen Kirchenrechts aus, weil der Professor, welcher die Materie lehrte, der Meinung war, dass diese sich darin besser nicht auskennen sollten. Ich selbst wurde einmal des Hörsaales verwiesen, als ich an einem heißen Tag Anfang Oktober ohne Krawatte erschien. Außerdem lehrte man an dieser Fakultät, dass die Ehescheidung gegen das Naturrecht verstoße und dass die Prinzipien und grundlegenden Gesetze der Diktatur von Natur aus unumstößlich und ewig während seien. Im besten Fall bekam man an dieser Fakultät beigebracht, das Recht als etwas rein auswendig Gelerntes, Trockenes, losgelöst von der harten politischen, wirtschaftlichen und sozialen Realität, die zu jener Zeit in Spanien existierte, zu verstehen. Dieser Umstand führte dazu, dass ein großer Teil der juristischen Ausbildung, die ich an besagter Fakultät erhielt, nicht den geringsten Einfluss auf mich ausübte und ich das Studium mehr schlecht als recht durchzog. Dies lag zweifelsohne aber auch an meinem damals kaum vorhandenen Interesse für die komplexe Welt der juristischen Normen und meiner umso größeren Begeisterung für die Musik. Dieser widmete ich sehr viel mehr Zeit als dem Recht, wobei ich mir autodidaktisch das Spielen der „bandurria“ – einer Art spanischen Mandoline –, sowie des alten Klaviers im Hause meiner Großmutter und einer sogar noch älteren Klarinette mit dreizahn Schlüsseln beibrachte.
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Doch ein glücklicher Zufall führte schließlich dazu, dass ich kurz nach dem Abschluss meines Studiums und dem Ableisten meines Militärdienstes am Luftwaffenstützpunkt „Área de Torrejón de Ardoz“, mit José María Navarrete Urieta, Professor für Strafrecht und Schüler des deutschen Strafrechtlers Edmund Mezger, in Kontakt kam. An ihn wandte ich mich auf der Suche nach Rat, wie ich im Bereich Strafrecht tätig werden könnte – die einzige Materie, die mich während meines Studiums wirklich interessiert hatte. Das Erste, was er mir empfahl, war das Lehrbuch des Strafrechts seines Professors, für den er immer noch tiefe Ehrfurcht und Respekt empfand, zu lesen. Wenn mir das Strafrecht tatsächlich gefiele und ich mich einer akademischen Laufbahn widmen wolle, sollte ich anschließend nach Deutschland gehen und Deutsch lernen. Ohne zwei Mal darüber nachzudenken, folgte ich spontan seinem Rat und packte Mitte 1968 meine Koffer. Mit einer spärlichen finanziellen Unterstützung meiner Familie trat ich meine erste Reise nach Deutschland und gleichzeitig meinen ersten Auslandsaufenthalt an. Damals war ich gerade einmal 23 Jahre alt. Ich gebe zu, dass sich mein Leben vollkommen veränderte, als ich am 26. Juli 1968 den Fuß in den Bahnhof der Stadt München setzte. Zum ersten Mal hatte ich die drückende politische und akademische Atmosphäre, die in Spanien herrschte, verlassen und tauchte in das Leben einer Stadt ein, die schon damals, im neugeborenen Deutschland der Nachkriegszeit, durch ihren liberalen Geist und ihr hohes kulturelles und natürlich musikalisches Niveau herausstach. Was konnte sich ein junger Akademiker aus dem damaligen Spanien, der begeisterter Liebhaber klassischer Musik war, mehr erhoffen, als in einer der schönsten Städte Europas mit derartiger musikalischer Tradition zu leben und an ihrer angesehenen Universität zu studieren, während er die täglich stattfindenden großen musikalischen Veranstaltungen genießen konnte? Wie sich bald zeigte, bereitete es mir keine großen Schwierigkeiten, die deutsche Sprache, die gemeinhin als kompliziert gilt, zu lernen. Zum einen stellte ich fest, dass mir das Erlernen von Fremdsprachen recht leicht fiel. Zum anderen achtete ich jedoch auch von Anfang an darauf, Kontakte zu deutschen Altersgenossen zu knüpfen. Es entstanden feste Freundschaften, von denen einige trotz der vielen Jahre, die seitdem vergangen sind, noch bis heute Bestand haben. Mein Interesse für das deutsche Strafrecht führte aber auch dazu, dass ich die Werke der großen Meister, deren Namen mir schon aus zahlreichen Referenzen in spanischen Lehrbüchern vertraut waren, in ihrer Originalsprache zu lesen versuchte. Dies stellte für mich eine Art Offenbarung dar und die Überwindung der einstigen Lernmethode, die ich bis dahin angewandt hatte. Diese bestand aus purem Auswendiglernen von Gesetzestexten
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und langweiligen Büchern, welche kaum fundiertes theoretisches oder intellektuelles Niveau besaßen, und von schlampigen Mitschriften, die lediglich dazu dienten, die Semesterabschlussklausuren zu bestehen bzw. den Titel des „Licenciado de Derecho“ [Abschluss des Jurastudiums an spanischen Universitäten] zu erhalten. Glücklicherweise gab es schon damals hervorragende Übersetzungen der Werke der wichtigsten deutschen Strafrechtler, allen voran das Lehrbuch des Strafrechts von Edmund Mezger – ins Spanische übersetzt von José Arturo Rodríguez Muñoz, veröffentlicht 1935 – sowie das Lehrbuch von Reinhardt Maurach – ins Spanische übersetzt von Juan Córdoba Roda und 1962 veröffentlicht. Man muss wohl kaum erwähnen, dass ich diese mit großer Begeisterung las und auch großen Nutzen daraus zog. Zusammen mit meiner sich entwickelnden Fähigkeit, manche Werke direkt auf Deutsch lesen zu können, bewirkte dies, dass bereits meine ersten Monate in München sehr produktiv verliefen. Ich lernte die wichtigsten Konstrukte der deutschen Strafrechtsdogmatik und den Meinungsstreit zwischen der kausalen und der finalen Handlungslehre, der zur damaligen Zeit das Panorama der deutschen Strafrechtsdogmatik beherrschte und auch starken Einfluss auf die spanische und lateinamerikanische Strafrechtsdogmatik ausübte, aus erster Hand und bis ins Detail kennen. Dem Rat meines Professors José María Navarrete Urieta folgend, übersetzte ich sehr bald die Monografie von Edmund Mezger, welche er nach dem Krieg als Anhang zur dritten Auflage seiner Abhandlung „Moderne Wege der Strafrechtsdogmatik“ (1950) veröffentlicht hatte, ins Spanische. Viele Jahre später veröffentlichte ich die Übersetzung im Tirant Lo Blanch Verlag von Valencia.1 Die Monografie stellte eines der ersten Werke dar, mit welchen Mezger als Repräsentant der kausalen Handlungslehre seine Polemik mit dem Hauptvertreter der finalen Handlungslehre, Hans Welzel, begann. Damals war ich weit davon entfernt zu wissen, dass der deutsche Strafrechtler, der meine frühe Ausbildung zweifelsohne am stärksten beeinflusste – direkt durch das Studium seines Lehrbuches und indirekt durch Prof. Navarrete, der ihn vielfach zitierte – einer der Haupturheber des Strafrechts des nationalsozialistischen Regimes gewesen war. Wie ich später herausfand, hatte er anhand von Aufsätzen, Theorien und Gesetzesentwürfen, die nicht zu vergleichen sind mit seinem exzellenten Lehrbuch des Strafrechts, die ihn zum Hauptvertreter der deutschen Strafrechtsdogmatik in der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts hatten aufsteigen lassen, zu dessen Legitimation beigetragen. 1
„Modernas orientaciones en la dogmática del Derecho penal“, Valencia 2001.
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Ich weiß nicht, ob in der Empfehlung meines Professors, an der damaligen Juristischen Fakultät der Universität München zu studieren, an welcher Edmund Mezger mit seinem späteren, bei den Studenten sehr beliebten Studienbuch deutliche Spuren hinterlassen hatte, ebenso wie die Autorität von Reinhardt Maurach, Karl Larenz oder Theodor Maunz, nicht eine gewisse Affinität oder Sympathie mit der Ideologie des Nationalsozialismus mitgeschwungen hatte. Denn wie ich in späteren Nachforschungen herausfand, waren auch diese einflussreichen Professoren den Ideen des Nationalsozialismus nicht abgeneigt. Nichtsdestotrotz lernte ich, von der dogmatischen Seite her gesehen, sehr viel durch das Studieren der bereits erwähnten, strafrechtlichen Abhandlungen von Edmund Mezger und Reinhardt Maurach, was mir in meiner späteren akademischen Karriere von großem Nutzen war. Die Ausbildung ermöglichte es mir, meine Doktorarbeit zu einem Thema aus dem Bereich des Wirtschafsstrafrechts mit dem Titel „El delito de alzamiento de bienes“ [Das Delikt der Vermögensverschiebung] rasch abzuschließen. Der Tatbestand ähnelt dem des § 288 des deutschen StGB „Vereiteln der Zwangsvollstreckung“. Beide besitzen die Schwierigkeit, dass Strafrecht, Insolvenzrecht und Schuldrecht im Tatbestand aufeinandertreffen, was eine Art von damals fast gänzlich unbekanntem Wirtschaftsstrafrecht bewirkte. Dieses Werk stellte zugleich meine erste veröffentlichte Monografie dar.2 Die Lehrbücher von Mezger und Maurach hatten dabei einen wesentlichen Einfluss auf die Struktur meiner Thesis. Ersterer als Vertreter einer kausalen Handlungslehre, letzterer als Vertreter einer moderaten finalen Handlungslehre. Dass ich in der Arbeit eine eher eklektische Position einnahm, lag nicht daran, dass ich mich für keine der beiden Auffassungen entscheiden konnte, sondern ist eher dem Charakter des Delikts selbst zuzurechnen. Da die Vermögensverschiebung ein klares Vorsatzdelikt ist, das außerdem ein subjektives Element von bedeutend höherem Unrechtsgehalt als der normale Vorsatz, nämlich die Absicht, die Gläubiger zu schädigen, enthält, schien es mir unvermeidlich, schon in der Tatbestandsmäßigkeit zwischen objektivem und subjektivem Tatbestand zu unterscheiden, eine Eigenart des finalen Systems, die sich perfekt in die Struktur dieses Delikts eingliedern ließ. Aber auch den Einfluss Mezgers kann man in der Bedeutung, welche ich der Bestimmung des geschützten Rechtsguts zumaß, erkennen. Das Rechtsgut stellt für mich den zwingenden Bezugspunkt dar, um das Delikt als Vermögensdelikt zu charakterisieren, welches gegen das Recht der Gläubiger, sich 2
Erschienen erstmalig 1971 in Barcelona, eine 2., im Hinblick auf den neuen „Código Penal“ von 1995 aktualisierte Auflage, erschien 1996 in Barcelona.
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aus dem Vermögen des Schuldners zu befriedigen, gerichtet ist. Es handelt sich gerade nicht um eine bloße Nichterfüllung im Schuldverhältnis. Die Differenzierung im Schuldrecht zwischen dem Recht des Gläubigers auf Erfüllung der Verpflichtung durch den Schuldner und dem sich daraus ergebenden Recht des Gläubigers, sich bei Nichterfüllung aus dem Vermögen des Schuldners befriedigen zu können, erlaubte es mir den klaren Unterschied hervorzuheben zwischen der einfachen schuldrechtlichen Nichterfüllung, die keine strafrechtliche Relevanz hat, und dem vorsätzlichen Vereiteln der Gläubigerbefriedigung durch den Schuldner, der durch juristisches und tatsächliches Vorgehen die eigene Insolvenz provoziert, was die Essenz des Deliktes ausmacht. Auf diese Weise grenzte ich das einfache zivilrechtlich verbotene Verhalten mit reinen zivilrechtlichen Konsequenzen vom strafrechtlich verbotenen Handeln ab und verhinderte gleichzeitig das Risiko, dass das Delikt zu einer bloßen „Haftstrafe wegen Schulden“ wurde. Aus jener Zeit habe ich immer gute Erinnerungen von einem eher ländlichen München vor Augen, dessen Gebäude noch vom Krieg gezeichnet waren und dessen Straßen eine ständige Baustelle darstellten, um die erste U-Bahn zu bauen und die ganze Stadt im Hinblick auf die Olympischen Spiele im August / September 1972 zu modernisieren. Auch erinnere ich mich gut an die damaligen Assistenten von Prof. Maurach: Heinz Zipf, Martin Fincke und Karl Heinz Gössel. Besonders mit Letzterem verband mich eine tiefe Freundschaft.
II. Mit der Verteidigung meiner Doktorarbeit im Juni 1970 und dem Erhalt einer Stelle im inzwischen nicht mehr bestehenden Team von Assistenzprofessoren durch einen Wettbewerb, war meine akademische Karriere bereits gesichert, auch wenn ich noch Einiges vor mir hatte. Kurze Zeit später erhielt ich ein Forschungsstipendium der Alexander von Humboldt-Stiftung, das mir erlaubte, zwei weitere Jahre an der Münchner Universität an der Seite eines der bedeutendsten Strafrechtler der Nachkriegsgeneration, Prof. Claus Roxin, zu studieren. Für mich ist er mein Lehrer und zugleich eine der Personen, die meine strafrechtliche Ausbildung am meisten beeinflusst haben. Neben vielen anderen Dingen lernte ich von ihm vor allem, das Strafrechtssystem weit weniger formal als vielmehr an die Realität angelehnt und auf kriminalpolitische Erwägungen gestützt, zu verstehen. Damit konnte ich den ontologischen Anspruch der kausalen und finalen Handlungslehren überwinden, die beide versuchten, die Tatbestandslehre derart zu beherrschen, dass diese allein auf der jeweiligen Theorie basierte.
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Zudem wurde mir die Ehre zuteil, der erste spanische Schüler Roxins zu sein und u.a. seine bedeutende Monografie „Kriminalpolitik und Strafrechtssystem“ zu übersetzen und mit einem Vorwort zu versehen.3 Später übersetzte ich zusammen mit Prof. Luzón Peña eine kurze „Einführung in das Strafrecht“4 und viele weitere seiner Artikel, von welchen ich die bedeutendsten zu einer Sammlung „Culpabilidad y Prevención en Derecho Penal“5 [„Schuld und Prävention im Strafrecht“] zusammenfasste. Im Laufe der letzten vierzig Jahre folgten viele weitere Übersetzungen, auch von Artikeln zu prozessualen Fragen. Seit damals verbindet uns eine gute Freundschaft und in den letzten dreißig Jahren haben wir zusammen an diversen akademischen Veranstaltungen, Kongressen und Vorträgen sowohl in Deutschland, als auch in Spanien, Portugal, Mexiko, Peru und Korea teilgenommen. Während meiner Münchener Zeit verfasste ich zwei Monografien: „El desistimiento voluntario de consumar el delito“6 [„Der freiwillige Rücktritt vom Versuch“] und „Introducción al Derecho penal“7 [„Einführung in das Strafrecht“]. Von beiden Werken wurden sogar einige Kapitel in Deutschland veröffentlicht. So veröffentlichte ich zum Beispiel zwei Kapitel aus „El desistimiento voluntario de consumar el delito“: „Theoretische Begründung und systematische Stellung der Straflosigkeit des Rücktritts vom Versuch“8 und „Der misslungene Rücktritt vom Versuch“.9 Von „Introducción al Derecho penal“ publizierte ich eine zusammengefasste Fassung mit dem Titel „Funktion der Strafnorm und Strafrechtsreform“ in „Strafrecht und Strafrechtsreform“.10 In meiner Monografie zum Rücktritt vom Versuch befasste ich mich hauptsächlich mit dem theoretischen Fundament der Straflosigkeit, die in fast allen Strafrechtssystemen der Welt demjenigen zu Teil wird, der freiwillig und erfolgreich auf die Deliktsvollendung verzichtet. Dabei ging ich bei meiner Ansicht von den Strafzwecktheorien aus und vertrat die Meinung, dass es weder unter spezialpräventiven noch unter generalpräventiven Gesichtspunkten einen Grund dafür gibt, denjenigen zu bestrafen, der die Tatausführung aufgibt, noch dafür, diese Straflosigkeit systematisch als Strafausschließungs3 4 5 6 7 8 9 10
Die erste Auflage erschien 1972 in Barcelona, die zweite Auflage 2002 in Buenos Aires. Erschienen 1977 in Sevilla. Erschienen 1987 in Madrid. Erschienen 1972 in Barcelona. Erschienen 1975 in Barcelona. ZStW 1972. GA 1973. Madlener / Papenfuss / Schöne (Hrsg.), Köln 1974.
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grund zu verorten, der die vorhergehenden Kategorien der Tatbestandsmäßigkeit, Rechtswidrigkeit und Schuld unberührt lässt. Des Weiteren analysierte ich in dem Werk die beiden Elemente, aus welchen sich die Straflosigkeit zusammensetzt: die Freiwilligkeit und die Verhinderung der Vollendung des Delikts. Ersteres ist ohne Zweifel weit komplexer und schwer nachzuweisen. Meines Erachtens ist die Freiwilligkeit trotz ihres Namens keine rein psychologische Kategorie, welche sich mit der allgemein verbreiteten Formel Franks „Ich kann, aber ich will nicht“ lösen lässt. Vielmehr ist sie das Ergebnis einer Abwägung aller psychologischen Aspekte, die sie voraussetzt, kombiniert mit der Endgültigkeit der Deliktsaufgabe (welche ihre Anwendbarkeit auf den fehlgeschlagenen Versuch ausschließt). Also eine Abwägung der Motive, die den Täter dazu bringen, von seinem ursprünglichen strafbaren Vorhaben abzusehen, unter Berücksichtigung der Theorien zum Sinn und Zweck der Strafe. So verdient z.B. der Rücktritt aufgrund einer konkret begründeten Angst, entdeckt zu werden, keine Straflosigkeit. Die Aufgabe aufgrund einer abstrakten Angst, welche aus einer einschüchternden Generalprävention herrührt, ebenso wie die aus ethischen Gesichtspunkten wertvollen Motive, wie bspw. die Reue, verdient eine solche Straflosigkeit hingegen schon. Ein wichtiger Punkt in diesem Bereich ist die Möglichkeit, dass der Erfolg trotz freiwilliger Aufgabe eintritt. Dieser „missglückte Rücktritt“, der nach der deutschen Strafrechtsdogmatik traditionell wie ein vollendetes Delikt zu bestrafen war, sollte meiner Meinung nach mit der gemilderten Versuchsstrafe in möglicher Konkurrenz mit dem vollendeten fahrlässigen Delikt in dem Fall, dass die ursprüngliche Schaffung einer Gefahr für das Rechtsgut nicht mehr kontrolliert werden konnte und die Vollendung trotz des Rücktritts eine Folge der mit dem Versuch geschaffenen Gefahrenlage ist, bestraft werden. Wenn aber die Vollendung der Tat durch reinen Zufall oder aufgrund des Eingreifens vom Täter unabhängiger Dritter eintritt, kann sie nicht mehr demjenigen zugerechnet werden, der sie ursprünglich herbeiführen wollte. Anderenfalls würde dies zu einer strafrechtlichen Verantwortlichkeit für den bloßen Erfolg führen. Mein bereits erwähnter Aufsatz „Funktion der Strafnorm und Strafrechtsreform“ – die Kurzzusammenfassung von „Introducción al Derecho penal“ – wurde auch als mein Beitrag auf einem von der Alexander von HumboldtStiftung organisierten Symposium für Stipendiaten im Strafrecht, das im Oktober 1973 in Ludwigsburg stattfand, vorgetragen. Dort hatte ich die Möglichkeit, neben anderen bedeutenden deutschen Strafrechtlern Hans Welzel, Armin Kaufmann und Hans Joachim Hirsch persönlich kennenzulernen, ebenso wie Kollegen aus Japan, Korea, Italien, Argentinien, Chile und natür-
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lich auch aus Spanien. Die wichtigsten in diesem Aufsatz behandelten Fragen wurden später in „Introducción al Derecho penal“11 entwickelt. In seiner Essenz stellte dies meine sog. „Memoria“ oder „Projekt über das Konzept, die Methode und die Quellen des Strafrechts“ dar, welche damals notwendig war, um an der Auswahlprüfung für eine Stelle als Assistenzprofessor und Lehrstuhlinhaber an einer Universität teilnehmen zu können. In dieser Monografie trug ich die grundlegenden Ideen zusammen, die ich über das Strafrecht und seine Aufgabe in einem demokratischen Rechtsstaat in den vorangegangenen Jahren meiner Ausbildung in Deutschland gelernt hatte. Vor allem betonte ich die Notwendigkeit, das Strafrecht im Gefüge eines Rechtsstaats zu verankern, was eine direkte und nicht ganz risikofreie Kritik am spanischen Strafrecht, das seit der Zeit Francos galt, erforderte. Nichtsdestotrotz erhielt ich im Juni 1974 eine Stelle als Professor für Strafrecht an der Universität von Sevilla – wohl ein Zeichen, dass die Zeiten sich änderten und das Ende der Diktatur nahe war. Während der Auswahlprüfungen erlebte ich hautnah die erbitternden Kämpfe, die derartige akademische Ausschreibungen damals üblicherweise entfesselten, die nicht ohne Grund die „zweite fiesta nacional“ (die erste waren die „corridas de torros“ [Stierkämpfe]) genannt wurden. Ich war gerade 29 Jahre geworden. Und so widmete ich mich mit meiner deutschen Ausbildung als wesentlichem wissenschaftlichen Trumpf und mit einem soeben eingeweihten neuen Lehrstuhl mit ganzem Eifer – und vielleicht etwas zu viel Optimismus – der neuen Etappe, die nach dem Tod des Diktators am 20. November 1975 vor Spanien im Allgemeinen und seinem Strafrecht im Besonderen lag. Leider provozierten meine Anstrengungen, die strafrechtliche Ausbildung neu aufzubauen, aufgrund der Kritik, die ich während meiner Vorlesungen an dem Strafrecht der Diktatur und seiner außergewöhnlichen Härte äußerte, nicht nur die nicht ganz unwahrscheinliche Gefahr, strafrechtlich oder polizeilich verfolgt zu werden, sondern auch die Missgunst und Unruhe einiger Kollegen an der Juristischen Fakultät von Sevilla, die in mir eine Art gefährlichen Revolutionär sahen, den es wie auch immer zu isolieren und zum Schweigen zu bringen galt. In jener Zeit existierte beispielsweise ein spezielles Gericht für Öffentliche Ordnung, um politische Oppositionelle zu schweren Strafen zu verurteilen – aufgrund von „Straftaten“, die einfach nur die Ausübung legitimer Rechte wie Meinungs-, Versammlungs- und Vereinigungsfreiheit darstellten. Auch gab es Militärgerichte, die 1975 in stark abgekürzten Verfahren ohne 11
Erstmalig erschienen in Barcelona 1975; später in Buenos Aires 2000, mit einem Prolog des uruguayischen Strafrechtlers Gonzalo Fernández.
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jegliche Garantien fünf vermeintliche Mitglieder von Terrorgruppen, welche beschuldigt wurden, mehrere Polizisten getötet zu haben, zum Tode verurteilten. Aufgrund des Verhaltens meiner Kollegen fühlte ich mich zunehmend unwohler, so dass ich 1980 fast gezwungenermaßen an die Nachbaruniversität von Cádiz wechselte. Die nächsten sechs Jahre verbrachte ich an der dazugehörigen, neu etablierten Juristischen Fakultät von Jerez de la Frontera.
III. Die 1980er Jahre, welche mit dem schlechten Omen eines versuchten Staatsstreichs (am 23. Februar 1981) durch jene, die noch immer den Übergang von der Diktatur zur Demokratie durch Waffen aufhalten wollten, eingeläutet wurden, öffneten den Weg für eine echte Demokratisierung und eine Überarbeitung der Rechtsordnung auf Grundlage der Verfassung von 1978. Nachdem die Parlamentswahlen im Oktober 1982 mit absoluter Mehrheit von der Partido Socialista Obrero Español (PSOE) [sozialistische Arbeiterpartei] gewonnen worden waren, wurde ich 1983 Teil einer vom Justizministerium aufgestellten Kommission zur Ausarbeitung eines Vorentwurfs eines neuen Strafgesetzbuches, bestehend aus fünf Strafrechtsprofessoren und einem Richter am Obersten Gericht. Der Entwurf wurde im Einklang mit dem Modell eines sozialen und demokratischen Rechtsstaats entwickelt, wie der spanische Staat in Art. 1 der Verfassung von 1978 definiert war, in dem die grundlegenden Garantien, die Werte der Verfassung, die Anerkennung der Grundrechte, die Abschaffung der Todesstrafe und die soziale Wiedereingliederung des Verurteilten die fundamentalen Prinzipien waren. In diesem Vorschlag, ebenso wie in der parallel laufenden dringenden Reform des Strafgesetzbuchs des gleichen Jahres,12 wurden auf sehr kohärente Weise eine vernünftige und stufenweise Entkriminalisierung, die Humanisierung des Strafsystems, Alternativen zu Gefängnisstrafen von geringer Dauer, die Verminderung langer Haftstrafen durch Anpassung des Höchstmaßes an menschlichere und erträglichere Maßstäbe, sowie die Humanisierung der Strafanstalten vorgeschlagen. Diese Ideen beherrschten damals unser reformatorisches Schaffen, welches sich deutlich von der heutigen Tendenz einer immer größer werdenden Kriminalisierung unterscheidet. Eine solche verstößt eindeutig gegen das Prinzip des geringsten Eingreifens und wird dem Charakter des Strafrechts als ultima ratio nicht gerecht. Begleitet wird die zunehmende 12
Vgl. dazu Francisco Muñoz Conde / Gonzalo Quintero Olivares, „La reforma penal de 1983“, Barcelona 1983.
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Kriminalisierung von einem steten Anstieg der Strafmaße, welche die Menschlichkeit und Proportionalität der Bestrafung weit übersteigen. In jener Zeit erfreuten sich jene meiner Werke, die hauptsächlich für die Lehre des Strafrechts bestimmt waren, großer Beliebtheit in ganz Spanien. Allen voran eine kurze Abhandlung zur Theorie der Straftat, ursprünglich veröffentlicht in Kolumbien und Vorlage für weitere Veröffentlichungen in Kolumbien,13 Spanien,14 Paraguay, sowie nach einer Übersetzung ins Portugiesische, 1987 auch in Brasilien (Porto Alegre). Dort stelle ich die von der deutschen Rechtswissenschaft aufgestellte Tatbestandslehre seit der Zeit Belings vor. Die Straftat definiere ich darin somit als menschliches Verhalten in Form von Handeln oder Unterlassen, welches den Tatbestand, die Rechtswidrigkeit und Schuld einer Straftat nach dem System der finalen Handlungslehre erfüllt. Vorsatz und Fahrlässigkeit verordne ich im subjektiven Tatbestand, ohne damit ein ontologisches Handlungskonzept anzunehmen, sondern unter Anlehnung an den Ansatz des spanischen Strafrechtlers und Verfassungsrichters Tomás Vives, den dieser unter Befolgung der philosophischen Forderungen Wittgensteins entwickelt und für die spanischen Strafrechtsdogmatik fruchtbar gemacht hat.15 Im Bereich der Rechtfertigungsgründe werden auch die subjektiven Elemente miteinbezogen. Die Schuld beschränkt sich auf die drei Elemente der Schuldfähigkeit, der Kenntnis der Rechtswidrigkeit und ihr negatives Pendant, den Verbotsirrtum, sowie auf die Unzumutbarkeit eines rechtskonformen Verhaltens. Die Notwendigkeit, in die Theorie der Straftat auch die objektiven Strafbarkeitsbedingungen, die Ausschlussgründe für eine Bestrafung, sowie prozessuale Voraussetzungen, wie die vorherige Strafanzeige oder die Einreichung eines Strafantrages im Rahmen der Antragsdelikte, miteinzubeziehen, erfordern die Einführung einer vierten Kategorie: die Strafbarkeit. Diese wird im Gegensatz zu den ihr vorangehenden Kategorien nur fakultativ geprüft, d.h. nur bei solchen Delikten, welche die erwähnten Aspekte im Straftatbestand enthalten. Das darauffolgende Kapitel widmet sich den Arten der Deliktsver13 14 15
Erschienen 1982, 2009. 3. Auflage, erschienen in Valencia 2005. Vgl. diesbezüglich meinen Artikel „Algunas consideraciones en torno a la teoría de la acción significativa“ [Einige Erwägungen zur Theorie der relevanten Handlung], in: Constitución, derechos fundamentales y sistema penal, Homenaje a Tomás Vives, Valencia 2009, Band II, S.1449; vgl. ebenso die englische Ausgabe in Zusammenarbeit mit Luis Chiesa, „The act requirement“, in: Cardozo Law Review, Band 28, Mai 2007, Nummer 6, S. 2461 ff.; des Weiteren existiert eine chinesische Fassung, in: Criminal Law Review, Peking Universität Press, 29, S. 168 ff.
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wirklichung. Neben der Abgrenzung der reinen Vorbereitungshandlung vom Versuchsstadium nach formal-objektiven Kriterien (soweit dies den jeweiligen Deliktstypen, insbesondere jenen des Besonderen Teils, entspricht) behandele ich dort auch den untauglichen Versuch. Bei diesem beschränke ich die Strafbarkeit allerdings auf die Fälle, in welchen aus einer ex ante Perspektive von einer Rechtsgutsgefährdung gesprochen werden kann. Im Kapitel zu den Problemen der Tatherrschaft befürworte ich eine Unterscheidung zwischen Täterschaft und Teilnahme nach der Tatherrschaftslehre. Als Täterschaft akzeptiert werden somit die direkte Täterschaft, die mittelbare Täterschaft und die Mittäterschaft. Für letztere ist ein Eingriff des Mittäters im Rahmen der Deliktsausführung nicht erforderlich, wenn dieser sich zuvor mit der Verwirklichung des Delikts einverstanden erklärt hat. Dem liegt das Verständnis zugrunde, dass die Kontrolle über das Geschehen und die Aufgabenverteilung auch eine Form der Mittäterschaft ist. Dahingegen sind Anstiftung und Beihilfe Formen der Teilnahme. Das Kapitel zu den Konkurrenzen behandelt die Gesetzeskonkurrenz und insbesondere den Unterschied zwischen Ideal- und Realkonkurrenz. Ausgangspunkt ist dabei die Frage nach der Handlungseinheit, allerdings immer unter Beachtung der Tatsache, dass in diesem Bereich stets die Ausgestaltung der Delikte im Besonderen Teil das letzte Wort hat und nicht ein festes ontologisches Konzept zur Handlungseinheit. In der gleichen Reihe, aber in einem etwas größeren Umfang, veröffentlichte ich Anfang der 1990er Jahre zusammen mit einer Kollegin vom Lehrstuhl für Strafrecht an der Universidad Autónoma de Barcelona, Mercedes García Arán, ein Handbuch für Strafrecht zum Allgemeinen Teil. Im Jahr 2015 erschien es in der 9. Auflage. Der besagte Allgemeine Teil beinhaltet Teile der oben genannten „Einführung in das Strafrecht“, die ich bereits 1975 veröffentlicht hatte. Darin vertrat ich bereits die Auffassung, das Strafrecht diene an erster Stelle dem Schutz von Rechtsgütern und verwies auf das Prinzip des geringsten Eingreifens bzw. auf das Eingreifen des Staates als ultima ratio. So darf das Strafrecht nur bei schwerwiegenden (vorsätzlichen oder grob fahrlässigen) Angriffen auf Rechtsgüter, die grundlegend sind für die Selbstverwirklichung des Individuums und für die Funktionsfähigkeit der Gesellschaft als politisch organisierte Gesamtheit, eingreifen. Nur so erreicht man, dass das menschliche Verhalten sich auf angemessene Weise selbst reguliert und zwar im Rahmen dessen, was von anderen sozialen Kontrollinstanzen vor- oder mitgegeben wird. Von diesem Standpunkt aus lassen sich auch die Theorien der Generalund der Spezialprävention ableiten, welche keineswegs im Widerspruch zur Vergeltungstheorie stehen, sondern diese vielmehr ergänzen und ihr einen Sinn geben. Die in besagtem Handbuch dargestellte Straftheorie folgt der oben
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aufgezeigten Systematik, wobei detaillierter auf das bedeutende Konzept der Handlung als Grundlage der Deliktstheorie eingegangen wird und auch die Irrtümer aufgrund falscher aber nachvollziehbarer Annahme von Rechtfertigungsgründen dem Bereich der Rechtfertigung zugeordnet werden. Im Rahmen der Schuld findet der materielle Schuldbegriff seine Grundlage in einer dialektischen Auffassung, nach der die Möglichkeit der Teilhabe an den geschützten Rechtsgütern und die notwendige Prävention, genereller und spezieller Natur, durch eine Strafe ihre Voraussetzungen ausmachen.16 Des Weiteren gibt es in diesem Werk einen Teil, der sich den rechtlichen Folgen einer Straftat widmet und hauptsächlich von Frau Prof. García Arán verfasst wurde. Dort wird, neben den verschiedenen Arten von Strafe und den Regeln zur Strafzumessung, auch auf das spanische System der Sicherheitsmaßnahmen eingegangen. Gemäß Art. 5 des Código Penal von 1995 richtet sich dieses nach dem sog. „sistema vicarial“ [System, bei welchem die Strafe durch Sicherheitsmaßnahmen ersetzt bzw. ergänzt wird], wenn Strafe und Sicherheitsmaßnahme zusammentreffen. Außerdem verbietet es bei unzurechnungsfähigen Tätern, dass die Dauer der Sicherheitsmaßnahme höher ist als die Strafe, welche der Täter im Falle der Schuldfähigkeit hätte erhalten können. Zu letzterer Thematik, welche bereits Teil des Vorentwurfs von 1983 war, äußerte ich mich in verschiedenen Artikeln, die auch in deutscher Sprache veröffentlicht wurden, wie z.B. „Monismus und Dualismus im spanischen Strafrecht“17 und „Vorschlag eines neuen Maßregelsystems“.18 Den letzten (8. und 9.) Auflagen dieses Werks, veröffentlicht 2010/2015, wurde ein Kapitel über die strafrechtliche Verantwortlichkeit juristischer Personen beigefügt, welche seit einer Reform im Jahre 2010 im spanischen Código Penal geregelt ist. Trotz einiger kritischer Anmerkungen bezüglich der spanischen Umsetzung befürworte ich in diesem Kapitel die Zuweisung strafrechtlicher Verantwortung an juristische Personen, welche sich auf bestimmte Delikte begrenzt und gewisse Voraussetzungen beinhaltet, die sie von der strafrechtlichen Verantwortung natürlicher Personen unterscheidet. Verständlicherweise muss die in Frage stehende Straftat weiterhin von einer natürlichen Person begangen worden sein, welche für bzw. in Vertretung der juristischen Person handelt oder durch jemanden, der unter deren Kontrolle steht.
16 17 18
Zu dieser Auffassung verweise ich auf meinen Artikel „Über den materiellen Schuldbegriff“, in Goldtdammers Archiv, 1978. Erschienen in Goltdammers Archiv, 1984. Erschienen in Hassemer, Strafrechtspolitik, Frankfurt a.M. 1987.
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Mein wahrscheinlich bisher erfolgreichstes pädagogisches Werk bleibt allerdings „Derecho penal, Parte Especial“ [Strafrecht Besonderer Teil], das ich schon gegen Ende der Diktaturzeit19 geschrieben hatte. 2015 erschien davon die 20. Auflage. Anhand dieses Werkes und seiner Folgeauflagen, die ständig erneuert und aktualisiert wurden, kann man die Entwicklung des spanischen Strafrechts und der spanischen Kriminalpolitik im Bereich des Besonderen Teils vom Ende der Franco-Diktatur (1., 2. und 3. Auflage, 1975–1979), über die ersten Reformen der Übergangsphase zur Demokratie (besonders die von 1983, 5. Auflage, und 1989, 9. Auflage), bis hin zum Código Penal von 1995, der eine grundlegende Neustrukturierung des Werkes erforderte, nachvollziehen. Mit dem Código Penal von 1995 mussten neue Kapitel aufgenommen werden zur Genmanipulation, zur Verletzung ungeborenen Lebens, zu Wirtschaftsdelikten, zu Straftaten gegen die Raumordnung und den Umweltschutz, zu Straftaten in Verbindung mit nuklearer Energie und zu anderen Gefährdungsdelikten und neuen Tatbeständen im Bereich der Straftaten gegen die öffentliche Verwaltung etc.20 Die extensive Erweiterung, die der Besondere Teil des Strafrechts damals erfahren hatte, setzte sich in den folgenden Reformen fort. Vor allem die Erweiterungen von 2003, 2010 und 201521 verwandelten den an sich schon sehr umfangreichen Besonderen Teil in ein monströses Ungetüm, bei welchem der kriminalpolitische Strafwille des Gesetzgebers zu Höchstformen aufgelaufen war, u.a. in den Bereichen der sexuellen Selbstbestimmung, des sexuellen Missbrauchs von Minderjährigen, der Kinderpornografie im Internet, des Mobbings im Rahmen von Mietverhältnissen [acoso immobilario = z.B. regelmäßige Belästigung des Vermieters durch Mieter oder Mietgemeinschaften], der Gewalt im Geschlechterverhältnis und der sogenannten kriminellen Vereinigungen und Banden. Es bleibt zu befürchten, dass ein weiteres Reformvorhaben des Código Penal den kriminalpolitischen Eifer der derzeitigen Regierung weiter anregt. Mit diesen Reformen nimmt der Código Penal von 1995 nach und nach Züge eines autoritären Strafrechts an. Eigentlich galt er schon damals als Model für ein „modernes“ Strafrecht im Sinne des Begriffs, den Winfried Hassemer und andere Vertreter der Frankfurter Schule verwandten, um die exzessive Ausdehnung des Strafrechts in diesem traditionell fremden Gebieten wie der Umwelt oder dem Finanzmarkt zu beschreiben. Ein solch autoritäres Strafrecht verstößt 19 20 21
Die erste Auflage erschien 1975 in Sevilla. Siehe 11. Auflage 1996. Siehe 15., 18. (und 21.) Auflage.
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jedoch gegen den Grundsatz der geringsten Einmischung und die Grenzen der staatlichen Strafgewalt in einem Rechtsstaat. Dabei nähert es sich zunehmend den kriminalpolitischen Tendenzen der „Null-Toleranz“ und des „Feindstrafrechts“ an.22 Die Erweiterungen, die das spanische Strafrecht in den letzten Jahren erfahren hat, veranlassten mich nicht nur dazu, meine Handbücher laufend zu aktualisieren, sondern auch dazu, einige Arbeiten zu den wichtigsten Themen des modernen Strafrechts anzufertigen. Vor allem im Bereich des Wirtschaftsstrafrechts veröffentlichte ich neben meiner bereits genannten Doktorarbeit mit dem Thema „El alzamiento de bienes“ [„Das Delikt der Vermögensverschiebung“] einige Werke wie „Apropiación de cantidades entregadas a cuenta para la compra de viviendas“ [„Die Unterschlagung von Anzahlungen zur Finanzierung von Wohnungskäufen“],23 oder „Cuestiones dogmáticas básicas sobre los delitos económicos“ [„Dogmatische Grundfragen zu den Wirtschaftsstraftaten“] sowie „Estafa de Crédito“, [„Kreditbetrug“]. Letztere erschienen auch in deutscher Sprache unter den Titeln „Begriff und Reform des Wirtschafsstrafrechts in Spanien“,24 sowie „Über den so genannten Kreditbetrug“.25 Des Weiteren veröffentlichte ich einige deutsche Aufsätze zu den klassischen Fragen des Besonderen Teils des Strafrechts, wie „Verleitung zum Suizid durch Täuschung“.26 „Strafrechtliche Probleme der Organtransplantation in Spanien“27 und „Heilbehandlung und Einwilligung des Patienten“.28
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Zur Entwicklung des spanischen Strafrechts vom Código Penal von 1995 bis heute, siehe: Muñoz Conde, „La reforma de la Parte especial del Código penal español: entre la tolerancia cero y el Derecho penal del enemigo“, Ommagio a Marinucci, Milan 2005; ebenso: „Heilbehandlung und Einwilligung des Patienten“, in: Roxin / Schroth, Medizinstrafrecht, 3. Auflage 2007, 4. Auflage 2010; „Das Strafgesetzbuch Spaniens und seine Reformen (1995/2010): Zwischen modernen und Feindstrafrecht“, in: Lorenz Schulz und Michael Reinhart Oliver Sahan (Hrsg.), Festschrift für Imme Roxin, 2012, S. 789 ff. Erschienen in: Festschrift für Rodríguez Devesa, Madrid 1987. Erschienen in: Madrid-Symposium für Klaus Tiedemann, 1995. Erschienen in: Sieber / Dannecker / Kindhäuser / Vogel / Walter (Hrsg.), Strafrecht und Wirtschaftsstrafrecht. Dogmatik, Rechtsvergleich, Rechtstatsachen. Festschrift für Klaus Tiedemann zum 70. Geburtstag, 2008. Erschienen in: ZStW 1994. Erschienen in: Menschengerechtes Strafrecht, Festschrift für Albin Eser, München 2005. Erschienen in: Roxin / Schroth, Medizinstrafrecht, 3. Auflage 2007; 4. Auflage, 2010.
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IV. In den 1980er Jahren nahm meine wissenschaftliche Orientierung eine entscheidende Wendung, welche ich meiner Verbindung zum damaligen Professor für Strafrecht an der Universität Frankfurt und späterem Vizepräsidenten des Bundesverfassungsgerichts Winfried Hassemer zu verdanken habe. Dessen „Einführung in die Grundlagen des Strafrechts“ übersetzte ich 1984 zusammen mit Prof. Arroyo Zapatero. Durch die Übersetzung dieses und weiterer Werke von Hassemer lernte ich das Strafrecht unter einem weit größeren Blickwinkel zu betrachten. So wurde mir bewusst, dass für die Steuerung menschlichen Verhaltens oder die Prävention von Straftaten neben dem materiellen und prozessualen Strafrecht, der Kriminologie und der Kriminalpolitik auch andere Systeme sozialer Kontrolle im Rahmen der Motivation bestimmter menschlicher Verhaltensweisen und für die Kriminalitätsprävention genauso wichtig oder sogar wichtiger waren. Gleichzeitig erkannte ich die Bedeutung, die neue soziologische und philosophische Strömungen, allen voran die Ansätze von Habermas, für das Strafrecht hatten. Dessen Betrachtungsweise trug ohne Zweifel ebenfalls sehr dazu bei, dass ich das Strafrecht nunmehr aus einem weiteren Kontext als dem rein dogmatischen betrachtete. Als unmittelbare Konsequenz dieser neuen Positionierung schrieb ich Mitte der 1980er Jahre zwei Monografien: „Derecho penal y control social“ [„Das Strafrecht und die soziale Kontrolle“]29 und „El error en Derecho penal“ [„Der Irrtum im Strafrecht“].30 Die erste Monografie ist eine Sammlung von bereits veröffentlichten Aufsätzen, in welchen ich an erster Stelle versuche, das Strafrecht in einen breit gefächerten Kontext sozialer Kontrolle zu stellen. Seine Durchsetzungskraft hängt dabei zum größten Teil von anderen Instanzen sozialer Kontrolle ab, wie z.B. der Familie, der Erziehung, der beruflichen Kontakte, der Religion und der Massenmedien. Des Weiteren beschäftige ich mich in diesem Werk mit der Thematik der Resozialisierung des Strafgefangenen und den Schwierigkeiten ihrer Umsetzung im Gefängnissystem. Deshalb plädiere ich auch für ein Strafsystem, das die „Entsozialisierung“ von Anfang an verhindern soll. Es soll vermieden werden, dass die persönlichen und sozialen Verhältnisse des Gefangenen nach seinem Aufenthalt im Gefängnis schlechter sind als vorher. In einem dritten Kapitel behandle ich die Abgrenzung zwischen Strafe und Sicherheitsmaßnahme, also das Verhältnis von Schuld und Gefährlichkeit. Für den Fall, dass beide zusammentreffen, schlage
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Erschienen 1985 in Jerez de la Frontera; Neuauflage 2000 in Bogotá, Kolumbien. Erschienen 1987 in Valencia.
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ich vor, dass die Sicherheitsmaßnahme nach einem „sistema vicarial“31 der Strafe vorgezogen werden, wobei die Dauer der Sicherheitsmaßnahme der Dauer der Strafe entsprechen muss. Ebenso darf auch im Fall der Schuldunfähigkeit die Dauer der Sicherheitsmaßnahme nicht das Strafmaß übersteigen, welches im Fall der Schuldfähigkeit angewandt worden wäre. Auf diese Weise relativiere ich die Unterscheidung zwischen Strafe und Maßregel, unter Anerkennung der Tatsache, dass es wichtiger als diese Unterscheidung ist, dass sich auch im Bereich der Sicherheitsmaßnahmen der Strafmacht des Staates Grenzen setzen lassen. In meinem Werk, „El error en Derecho penal“ befasse ich mich speziell mit dem Verbotsirrtum. Ich bin im Grunde ein Vertreter der strengen Schuldtheorie. Im Bereich der Steuerhinterziehung und ähnlicher Delikte, deren Tatbestände bereits Elemente der Rechtswidrigkeit beinhalten, bin ich jedoch der Meinung, dass man bei konsequenter Anwendung der Tatbestandslehre zu dem Ergebnis kommt, dass die Elemente, welche den Tatbestand ausmachen – egal ob tatsächlicher oder juristischer Natur – auch als Tatbestandsmerkmale behandelt werden müssen und ein Irrtum über solche dann auch als Tatbestandsirrtum behandelt werden muss, nicht als Verbotsirrtum.32 Später übersetzte ich Winfried Hassemers Monografie „Produktverantwortung im Strafrecht“ ins Spanische, wobei ich in einem zusätzlichen Kapitel auf die Beurteilung des Problems nach dem damals gültigen spanischen Strafrecht – also vor Inkrafttreten des Código Penal von 1995 – eingehe. Mein Schwerpunkt liegt dabei auf der Schwierigkeit, die Kausalität zwischen der Mangelhaftigkeit eines Produkts und den durch das Produkt hervorgerufenen Verletzungen oder Todesfällen nachzuweisen. Als Beispiel ziehe ich den „caso de la colza“ [Raps(öl)-Fall] heran. Damals wurde die Kausalität aufgrund einer – meiner Auffassung nach unzureichenden – rein epidemiologischen Untersuchung bejaht. Diese hatte herausgefunden, dass alle Verletzten oder Verstorbenen zuvor das Produkt konsumiert hatten. Welcher spezifische Bestandteil des Produktes die Vergiftungen hervorgerufen hatte, wurde nie aufgeklärt und auch die Tatsache, dass es viele Personen gab, die das Produkt konsumiert hatten und keine Verletzungen davongetragen hatten, wurde außer Acht gelassen. Des Weiteren befasse ich mich in diesem Kapitel mit der unzureichenden Anwendung der sogenannten Gefährdungsdelikte, welche in der
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Vgl. unter III. Eine zusammengefasste Darstellung meines Standpunktes findet sich in meinem Beitrag zur bereits erwähnten Festschrift für Imme Roxin, (a.a.O in Fn. 2).
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Praxis die Rolle eines rein symbolischen Strafrechts eingenommen haben und kaum effektive Geltung erlangen.33 Nachdem ich 1999 den Forschungspreis der Alexander von Humboldt-Stiftung erhalten hatte, schrieb ich Anfang des neuen Jahrhunderts während eines Aufenthalts an der Universität Frankfurt und am Bundesverfassungsgericht meine „Introducción a la Criminología“34 [„Einführung in die Kriminologie“] – wieder in Zusammenarbeit mit Winfried Hassemer. Dabei profitierte ich von einigen seiner Texte, wie etwa „Einführung in die Grundlagen des Strafrechts“ und einer vorangegangenen „Introducción al Derecho penal y la Criminología“35 [„Einführung in das Strafrecht und die Kriminologie“], sowie von verschiedenen eigenen Werken. Später wurde das Werk von Cintia Toledo aus Brasilien ins Portugiesische übersetzt.36 Ausschlaggebend für die Redaktion dieses Werkes war die zunehmende Bedeutung, welche das Studium der Kriminologie in Spanien einnahm. Während sie zunächst noch als Wahlfach im Jurastudium angeboten wurde, konnte man bald auch einen eigenständigen Abschluss in Kriminologie machen, was dazu führte, dass ich meine Abhandlung in einem neuen Werk „Introducción a la Criminología y la Política criminal“37 [„Einführung in die Kriminologie und die Kriminalpolitik“] erneut bearbeitete. Das Werk war hauptsächlich für Studenten der Anfangssemester des neuen Studiengangs „Kriminologie“ in Spanien vorgesehen. Meine akademische und persönliche Beziehung zu Winfried Hassemer hielt über die letzten Jahre hinweg bis zu seinem Tod an. Wir hatten gemeinsam Konferenzen und Seminare ausgerichtet und zusammen an internationalen Kongressen, sowohl in Deutschland als auch in Spanien, Italien, Mexiko oder Brasilien, teilgenommen. Zusammen mit anderen Kollegen und einigen seiner Studenten war ich einer der Herausgeber seiner Festschrift im Jahre 2010, anlässlich seines 70. Geburtstages. Nach seinem Tod habe ich zusammen mit Prof. Manuel Cancio Meliá sein Werk „Warum Strafe sein muss“ ins Spanische übersetzt (erschienen beim Tirant Lo Blanc Verlag, in Valencia 2016).
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Vlg. Winfried Hassemer / Francisco Muñoz Conde, „La responsabilidad por el producto en Derecho penal“ [Die Produktverantwortung im Strafrecht], Valencia 1995. Erschienen in Valencia 2001. Erschienen in Valencia 1992. Erschienen in Sao Paulo 2008. Erschienen in Valencia 2012.
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V. Im Frühjahr 1986 kehrte ich an die Universität von Sevilla zurück. Diese Rückkehr ermöglichte mir auch meine ersten Kontakte zum angelsächsischen, speziell zum US-amerikanischen Recht. Der Wechsel von der strikten deutschen Strafrechtsdogmatik, welche die Basis meiner juristischen Ausbildung war, zum weniger strukturierten und systematisierten System des Strafrechts im Common Law, verlief ohne weitere Schwierigkeiten dank der großen Hilfe von Prof. George P. Fletcher der Columbia Universität, New York. Er war mit beiden Systemen gut vertraut und wurde schließlich einer meiner besten Freunde und Lehrer. Ich hatte ihn durch die Übersetzung seines Buches über den „Fall Götz“ kennengelernt. Darin behandelte er den Fall eines New Yorkers, der in der Metro auf eine Gruppe afro-amerikanischer Jugendlicher schoss, weil er irrtümlich annahm, sie planten einen Überfall auf ihn. Einen der Jugendlichen verletzte er dabei schwer.38 Die Übersetzung dieses Werkes und spätere Gespräche mit dem Autor veranlassten mich dazu, einen Artikel über Putativnotwehr zu verfassen. Darin erörtere ich das Problem, ob ein Irrtum über das Vorliegen eines Rechtfertigungsgrundes, der bei Berücksichtigung aller Sachverhaltsumstände nachvollziehbar ist, der Rechtfertigung selbst gleichkäme. Eine deutsche Version des Aufsatzes39 wurde 1995 auf dem „Coimbra Symposium“ in München zu Ehren von Claus Roxin veröffentlicht. Sowohl der Verfasser des Vorworts, Prof. Bernd Schünemann, als auch Roxin selbst übten Kritik an dem Aufsatz. In der vierten Ausgabe seines Buches „Strafrecht Band I“ gibt Letzterer zu bedenken, dass nach dieser Ansicht derjenige, der Opfer einer Putativnotwehr wird, selbst kein Notwehrrecht ausüben könne. Nichtsdestotrotz bin ich – trotz dieser Einwände – der Meinung, dass innerhalb des Bereichs, in welchem jede vernünftig denkende Person unter den Umständen des Einzelfalls vom Vorliegen eines Angriffs ausginge, eine der Abwehr dienende, verhältnismäßige und gebotene Reaktion als legitime Verteidigung erachtet werden müsste. Das nimmt dem vermeintlichen Angreifer jedoch nicht das Recht, sich selbst auch auf den gleichen oder auf einen anderen Rechtfertigungsgrund, wie den rechtfertigenden Notstand, berufen zu können. Im Prinzip hat das Kriterium der „vernünftig denkenden Person“ Ähnlichkeiten mit anderen von der deutschen Strafrechtslehre häufig 38
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Flechter, A crime on self defense, New York 1989; von mir übersetzt ins Spanische unter dem Titel „En defensa propia“, in Zusammenarbeit mit Fernando Rodríguez Marín, Valencia 1991. „Über die Putativnotwehr“ in: Coimbra-Symposium für Claus Roxin, 1995.
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benutzten Kriterien, die dazu dienen, den Tatbestand objektiv einzugrenzen, wie zum Beispiel das „sozialadäquate Verhalten“ oder das „erlaubte Risiko“. Die Unterscheidung zwischen Rechtfertigungs- und Entschuldigungsgründen, welche auch ich als die Basis der deutschen Tatbestandslehre erachte, bleibt indessen unberührt.40 Die Kombination angelsächsischer und deutsch-juristischer (bzw. kontinentaler) Argumentationsformen bereitete mir keinerlei Schwierigkeiten, genauso wenig wie ich in musikalischer Hinsicht Probleme dabei hatte, vom Klarinettenkonzert Mozarts zum Saxofon Coltranes oder von der klassischen Musik zum Bebop zu wechseln. Denn weder ersetzt für mich das eine das andere, noch findet ein radikaler Wechsel von einer Sache zur anderen statt. Für mich stellt das Ganze eine bereichernde Ansammlung von Erfahrungen und Empfindungen dar, welche mir derzeit neben meiner Arbeit als Strafrechtsprofessor persönlich die größte Freude bereitet. Seit damals besteht meine akademische und persönliche Beziehung zu George Fletcher ununterbrochen fort. Während all dieser Jahre haben wir uns häufig an der School of Law der Columbia Universität von New York getroffen, wo ich verschiedene Vorträge hielt und mich im Wintersemester 2005 als „Senior Researcher“ aufhielt, nachdem ich mehrere seiner Bücher ins Spanische übersetzt hatte. Dazu zählen neben anderen: „Basic Concepts of Criminal Law“ und „Grammar of Criminal Law“. Darüber hinaus besuchten wir häufig gemeinsam Veranstaltungen und Kongresse in den USA, Mexiko, Spanien, Deutschland und China. Von Fletcher habe ich viele Dinge gelernt, vor allem aber, das Strafrecht nicht vor dem lokalen Hintergrund, sondern von einem universellen Blickwinkel aus zu betrachten. In Zeiten der Krise, aber auch angesichts der fortschreitenden Globalisierung erscheint mir dies nun unabdingbar.41
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Genauere Ausführungen zu meinen Ideen enthält die englische Version dieses Aufsatzes „Putative Selfdefence; A Bordeline Case between Justification and Excuse“, in New Criminal Law Review: An International and Interdisciplinary Journal, vol. 11, n°4 (Fall 2008). Die spanische Version wurde in verschiedenen spanischen, portugiesischen, argentinischen, japanischen und chilenischen Zeitschriften veröffentlicht. Des Weiteren existiert eine chinesische Übersetzung, die 2011 in der Hebei Law Science, num. 29, veröffentlicht wurde. Hierzu verweise ich auf meine Aufsätze „Universalizing Criminal Law“, in Tulsa Law Review, 2005; und „Is an Universal System of Criminal Law possible?“, in He, Bingsong (Hrsg.), Reflection and reconstruction of the Theoretical System of Criminal Law in the Age of Globalisation, Peking 2008.
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VI. Von der angelsächsischen Welt wechselte ich später zunächst in die in jeder Hinsicht noch entferntere Welt Japans dann Koreas und Chinas. Den ersten Kontakt zu Japan habe ich einerseits einem japanischen Schüler von Prof. Roxin – Prof. Seiji Saito – zu verdanken, den ich Anfang der 1970er Jahre in München kennengelernt hatte, zum anderen auch der Großzügigkeit des Japan German Centers in Berlin, das mir den ersten Aufenthalt als Gastprofessor an der Universität Tsukuba im Sommersemester 1992 finanzierte. Es folgten zwei verlängerte Japanaufenthalte: Einer an der Zentralen Universität von Tokio im Sommersemester 1995, an die Prof. Saito gewechselt war, und der andere im Sommersemester 2005 an der Universität von Kyoto bei Frau Prof. Kanako Takayama. Beide Aufenthalte habe ich der großzügigen Finanzierung der Japan Foundation zu verdanken. All diese Reisen ermöglichten es mir vertiefte Kenntnisse der japanischen Sprache, Kultur und Strafrechtsaufassung zu gewinnen. Auch wenn letztere tiefreichende Verbindungen zur deutschen Strafrechtsdogmatik aufweist, besitzt das japanische Strafrecht einige Besonderheiten, die es stark vom deutschen unterscheidet. Ähnlich ist die Situation in Südkorea, ein Land, in welchem ich, eingeladen von Prof. Chung, mehrere Vorträge halten durfte. Im September 2001 nahm ich an einem Kongress in Seoul zum Thema „Die Grenzen des strafrechtlichen Schutzes des Lebens“ teil. Der Kongress begann genau einen Tag nach dem Terroranschlag auf das World Trade Center am 11. September. Allen dort versammelten koreanischen, japanischen und deutschen Professoren – unter ihnen Prof. Roxin – war bewusst, dass sich von diesem Moment an viele Dinge auf der Welt – nicht nur im Strafrecht – verändern würden. Um diesen Zeitpunkt herum kam ich erstmals in Kontakt mit der faszinierenden Kultur der Volksrepublik China, die sich schon damals in kontinuierlicher Weiterentwicklung befand. Als ein spanischer Kollege, Prof. José Luis de la Cuesta Arzamendi, auf einem Kongress der AIDP (Asociación Internacional de Derecho Penal) im September 2004 in Peking zu deren Präsident gewählt worden war, nutzte ich die Gelegenheit, um zahlreiche Kontakte zu chinesischen Kollegen aufzubauen. Dadurch wurde ich in der Folgezeit zu mehreren Konferenzen an unterschiedliche chinesische Universitäten eingeladen. Abgesehen davon nahm ich als Referent an verschiedenen Strafrechtskongressen in Peking und weiteren chinesischen Städten teil. Dies hatte ich hauptsächlich der Vermittlung von Prof. Wang Shizhou von der Peking Universität zu verdanken, der einige meiner Werke ins Chinesische übersetzen ließ und mich mehre-
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re Male einlud, Vorträge in seinen Doktorandenseminaren zu halten. Ein derart großes Interesse und die Aufmerksamkeit und Herzlichkeit, die dort zwischen Kollegen und Studenten herrschte, habe ich nur wenige Male in meinem Leben erfahren. An dieser Stelle möchte ich noch einmal die Juristische Fakultät der Renmin Universität in Peking erwähnen, wo ich als Ehrenprofessor mehrere Vorträge abhielt und auf wichtigen Kongressen referieren durfte. Hierzu zählen unter anderem ein Kongress im August 2007 zum Thema „Wirtschaftsverbrechen“ sowie eine Veranstaltung im Juni 2012, bei der ich zusammen mit Professoren der Oxford Universität über „Probleme der Strafjustiz“ referierte. Zahlreiche Vorträge wurden im Nachhinein im Chinesischen und Englischen in der Fakultätszeitschrift veröffentlicht. Ebenfalls möchte ich die Kollegen Zhang Miao (Universität Nanjing), Yang Yangxia (Süd-Zentral-Universität von Hunan, Changsha, der mich auch zu einem von ihm organisierten Humboldt-Kolleg in Changsha und auch zu Vorträgen dort einlud), Frau Wang Yu (Zhejiang Universität Hangzhou), Frau Yu JiaJia (Jiaotong Universität Shanghai), Frau Yang Yanxia (Technische Universität Zhejiang, Hangzhou), die bei mir in Sevilla ein ganzes Jahr lang forschte, und besonders Herrn Prof. He Bingsong von der China University of Political Science and Law (CUPL) in Peking erwähnen, mit welchem ich in Kooperation mit anderen chinesischen, deutschen, russischen und französischen Strafrechtsprofessoren ein Forum über Strafrecht im Zeitalter der Globalisierung gegründet habe. Auf unseren jährlichen Versammlungen in Peking habe ich bereits zahlreiche Vorträge gehalten, die später in beiden Sprachen (Englisch und Chinesisch) als Arbeitsmaterial veröffentlicht wurden.42 Ich möchte aber auch an die vielen anderen Kollegen und Schüler erinnern, die immer bereit waren, mir zu helfen, mich bei meinen Entdeckungstouren der hintersten Winkel Pekings und anderer Städte und Orte in China begleiteten und meine Schwierigkeiten mit dem chinesischen Mandarin, dessen Erlernen zu einer der größten und doch leidenschaftlich verfolgten Herausforderungen meines Lebens wurde, duldsam ertrugen.
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Vgl. u.a. meinen Artikel in Zusammenarbeit mit Hector Olasolo, „Criminal Liability of political leaders and military commander for crimes committed by subordinates within organized structures of power: from the argentinean military juntas trial to the case against sudanese president Omar al Bashir“, in „Organized Crime and its countermeasures in the Era of Globalisation“, He Bingsong (editor in chief) and Liu Yanping (associate editor in chief), Peking 2010, zweisprachige Ausgabe, Chinesisch / Englisch.
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VII. Bei der Darstellung der wichtigsten Momente meines privaten und akademischen Lebens, möchte ich ein weiteres wichtiges Ereignis nicht unerwähnt lassen, das sich über die letzten zehn bis zwölf Jahre meines Lebens sehr positiv ausgewirkt hat und Anlass für weitere Publikationen im Bereich des (internationalen) Strafrechts und auch der neueren Geschichte des deutschen Strafrechts war. Im November 1999 verlieh mir die deutsche Alexander von Humboldt-Stiftung auf Vorschlag einiger Professoren aus Deutschland und anderen Ländern den Humboldt-Forschungspreis. Dank dieses Preises hatte ich die Möglichkeit, einige Zeit in Deutschland zu wohnen und außerdem freien Zugang zu jenen Archiven, in denen die wichtigsten Dokumente aus Deutschlands jüngster Vergangenheit aufbewahrt wurden, wie zum Beispiel zum Bundesarchiv in Berlin. So konnte ich eine Forschungsarbeit über die Vergangenheit Edmund Mezgers, einem der wichtigsten Strafrechtler der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts, durchführen. Mit Hilfe seines Lehrbuchs hatte ich, wie viele andere Strafrechtler meiner und der ihr vorangehenden Generation Spaniens und Lateinamerikas, meine Grundkenntnisse im Strafrecht erworben. Gerade deshalb erschütterte es mich zutiefst, als ich anhand von Dokumenten und eindeutigen Beweisen seine enge Verbundenheit zum nationalsozialistischen Regime entdeckte. Mit seinen Theorien zur „Lebensführungsschuld“ und zur „Rechtsblindheit“ trug er zur dogmatischen Legitimation der umstrittensten Aspekte des nationalsozialistischen Strafrechts bei. In der Folge verfasste er gemeinsam mit seinem Münchener Kollegen Franz Exner einen Gesetzesentwurf zum „Umgang“ mit den von ihm so bezeichneten „Gemeinschaftsfremden“. Dazu zählte er unter anderem – in einer für die nationalsozialistische Phantasmagorie typisch bizarren Verbindung – Bettler, Asoziale, Zigeuner, Juden und die sogenannten Querulanten, also Gegner des Regimes. Der Entwurf beinhaltete Maßnahmen wie die Einweisung in Konzentrationslager, die Kastration von Homosexuellen und die „Ausmerzung“ der betroffenen Personen aufgrund ihrer Sozialschädlichkeit. Im März 1944 beantragte Mezger bei der vierten Sektion der SS die Erlaubnis, ein Konzentrationslager, wie etwa das in Dachau, besuchen zu können, um die Behandlung der sogenannten „Gemeinschaftsfremden“ in Augenschein nehmen (wört.: „an Ort und Stelle beobachten“) zu
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können. Dies wurde ihm natürlich gestattet. Ob er die Konzentrationslager dann auch tatsächlich besuchte, kann nicht mehr nachgewiesen werden.43 Für mich war es erstaunlich festzustellen, dass die Nazi-Vergangenheit eines so bedeutenden Strafrechtlers, die praktisch sechzig Jahre lang im Dunkeln geblieben war, diesen nicht daran hinderte, nach dem Krieg Vizepräsident eben jener Kommission zu werden, welche für die Reform des deutschen Strafgesetzbuches zuständig war. Über sein Studienbuch, eine zusammengefasste Version seines Lehrbuchs, die Mezger auch nach dem Krieg nicht abgeändert hatte, übte er auch weiterhin bis in die 1950er und 1960er Jahre hinein einen großen Einfluss auf die Studenten der Rechtswissenschaft aus. Auch war er einer der wichtigsten Protagonisten der in den 1950er Jahren aktuellen Polemik zwischen den Vertretern einer finalen und den Vertretern einer kausalen Wahrnehmung des menschlichen Handelns als Basis der Tatbestandslehre. Noch viel überraschender aber war die harte, aggressive, fast beleidigende und manchmal sogar bedrohliche Reaktion einiger treuer Anhänger Mezgers – und womöglich auch seiner Ideologie – aus Spanien auf meine ersten Veröffentlichungen über den Strafrechtler. Anstatt mich einzuschüchtern, spornten mich diese Reaktionen jedoch dazu an, genauer zu untersuchen, welche Rolle das Strafrecht und diverse Strafrechtler selbst bei der Unterdrückung durch Diktaturen – egal welcher Ideologie – und in der Übergangsphase zur Demokratie Ende des 20. Jahrhunderts spielten. Und zwar nicht nur in Deutschland und Italien, sondern auch in Spanien und einigen Ländern Lateinamerikas. Ich hatte das Glück, dabei die Unterstützung des wohl bekanntesten Spezialisten der neueren Strafrechtsgeschichte, des Lehrstuhlinhabers Thomas Vormbaum von der Fernuniversität Hagen, genießen zu können. Er ließ nicht nur meine wichtigsten Arbeiten über Mezger und das nationalistisch geprägte Strafrecht ins Deutsche übersetzen, sondern auch einen juristischen und kinematographischen Kommentar über den Film „Das Urteil von Nürnberg“ von Stanley Kramer (Berlin 2006), den ich in Zusammenarbeit mit meiner Tochter, Frau Prof. Marta Muñoz Aunión, angefertigt hatte. Meine Tochter ist Spezialistin für Kinogeschichte und Leiterin der Abteilung für Spanisch und Lateinamerikanistik am Institut für Romanische Sprachen in Frankfurt am Main. Der Film 43
Vgl. auch mein Buch „Edmund Mezger y el Derecho penal de su tiempo“ [Edmund Mezger und das Strafrecht seiner Zeit], 4. Auflage, Valencia 2004. Ebenfalls existiert eine portugiesische Übersetzung von Pablo Busato, „Edmund Mezger e o Direito penal do seu tempo“, Sao Paulo 2005, und eine teilweise Übersetzung ins Deutsche von Moritz Vormbaum, „Edmund Mezger. Beiträge zu einem Juristenleben“, Berlin 2008, mit Prolog von Gerhard Werle.
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behandelt hauptsächlich den Nürnberger Prozess gegen mehrere Juristen aus dem nationalsozialistischen Regime. Vormbaum nahm mich auch in den Redaktionsbeirat der von ihm geleiteten angesehenen Zeitschriften und der Reihe „Rechtsgeschichte und Rechtsgeschehen“ des LIT Verlags auf. Später organisierten wir ein Humboldt-Kolleg zur Rolle des Strafrechts in der Übergangsphase zur Demokratie in Deutschland, Italien, Spanien, Argentinien und Chile, welches wir im Februar 2008 in Sevilla abhielten. Publikationen dazu erschienen 2009 in Valencia und 2010 in Berlin auf Deutsch. Durch die Forschungsarbeiten zur neueren Geschichte des Strafrechts wurde mir bewusst, wie wichtig es vor allem zur damaligen Zeit war, an der Garantieund Sozialfunktion des Strafrechts festzuhalten. Allein dadurch kann man verhindern, dass sich eben dieses unter irgendeinem Vorwand in ein Instrument der Unterdrückung von Freiheit, vor allem des schwächsten Teils der Gesellschaft verwandelt. Meine neuesten Arbeiten zum Feindstrafrecht und zum Strafprozessrecht bewegen sich genau in diese Richtung. In meinen Werken zum Strafprozessrecht, wie „La búsqueda de la verdad en el proceso penal“ [„Die Suche nach der Wahrheit im Strafprozess“], „Valoración de los medios audiovisuales como prueba en el proceso penal“ [„Bewertung audiovisueller Hilfsmittel als Beweis im Strafprozess“] oder „Las prohibiciones probatorias y el derecho procesal penal del enemigo“ [„Beweisverwertungsverbote und das prozessuale Feindstrafrecht“]44 betone ich immer wieder die Notwendigkeit, dass vor allem in der Beweiserhebungsphase die Grundsätze und Garantien des Rechtsstaatsprinzips sichergestellt sein müssen. Die Suche nach der materiellen Wahrheit darf nicht um jeden Preis geschehen, sondern muss bestimmte Grenzen einhalten, welche die Rechte des Beschuldigten schützen. Darunter fallen auch Grundrechte wie die Unschuldsvermutung, das Verbot der Verwertung von Beweisen, welche durch Folter oder andere nicht legitime Methoden wie die Telefonüberwachung ohne richterliche Genehmigung oder unter Verletzung des höchstpersönlichen Lebensbereichs (großer Lauschangriff) erlangt wurden. Im Oktober 1999 nahm ich als Referent an einem Kongress in Berlin zum Thema „Die deutsche Strafrechtswissenschaft in der Jahrtausendwende“ teil.45 Prof. Günter Jakobs hielt damals einen durchaus polemischen Vortrag, in 44
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Veröffentlicht als unabhängige Monografien in den Reihen „Claves del derecho penal y del derecho procesal“, die ich in Zusammenarbeit mit Prof. Raul Zaffaroni und Richterin Marcela Delange im Hammurabi Verlag, Buenos Aires, leite. Vgl. meinen Beitrag „Geglückte und folgenlose Strafrechtsdogmatik“, in „Die deutsche Strafrechtswissenschaft in der Jahrtausendwende“, München 2001.
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welchem er seine Auffassung über die Notwendigkeit, die Existenz eines „Feindstrafrechts“ anzuerkennen, welches neben dem „normalen“ Strafrecht mit all seinen Garantien und Grenzen im Rechtsstaatsprinzip bestehen solle, verteidigte. Dem Autor zufolge zeichnet sich das Feindstrafrecht neben der Möglichkeit, ein bestimmtes Verhalten, das kein einziges Rechtsgut auch nur gefährdet, bestrafen zu können, durch drakonische, vom Gedanken der Verhältnismäßigkeit weit entfernte Strafen und durch die Restriktion bestimmter Rechte und Garantien des Angeklagten im Strafverfahren, aus. In einem Interview der elektronischen Zeitschrift der Universität von Granada habe ich zu Jakobs Auffassung kritisch Stellung genommen. Unmittelbar nach der Veröffentlichung des Interviews erhielt ich einen sehr erzürnten persönlichen Brief von Jakobs, dem wohl jemand von dem Interview berichtet oder gar falsch berichtet hatte, in dem er die „Absurdität meiner Auslegung seiner Ideen“ beklagte. Angespornt dadurch veröffentlichte ich in der Folge verschiedene Beiträge zum Thema, unter anderem meine Monografie „Über das Feindstrafrecht“, welche von Moritz Vormbaum ins Deutsche übersetzt erstmals 2005 in Berlin erschien. Um keine Zweifel aufkommen zu lassen, betonte ich darin klar und deutlich, dass ein solches „Feindstrafrecht“, welches gegen Verfassungsprinzipien und internationale Menschenrechtserklärungen verstößt, mit einem Rechtsstaat unvereinbar sei und deshalb nicht verfolgt werden dürfe. An anderer Stelle46 erinnerte ich an die Erfahrungen, welche wir in Europa mit den vergleichbaren Strafrechtssystemen des nationalsozialistischen Regimes oder der Franco-Diktatur machen mussten. Es leuchtet ein, dass ein demokratischer Rechtsstaat derartige Strafrechtssysteme nicht dulden kann. Die Tatsache, dass die Behauptung von Jakobs später zahlreiche intensive Debatten in Deutschland, Spanien und vielen weiteren, hauptsächlich lateinamerikanischen Ländern, auslöste, befreite mich in gewisser Weise von weiteren Stellungnahmen zu diesem Thema. Mein Interesse im Bereich der Menschenrechtsverletzungen führte mich letzten Endes zur internationalen Strafgerichtsbarkeit. In theoretischer Hinsicht ist sie die letzte Instanz, vor welcher sich staatliche Gewalt in seiner höchsten Form – Staatsoberhäupter, Führungskräfte und Persönlichkeiten in Alleinherrschaften und Diktaturen – strafrechtlich verantworten müssen. Hier können sie für die schweren Menschenrechtsverletzungen, die während ihres diktatorischen Regimes begangen wurden, verurteilt werden. Um meine Kenntnisse in 46
Vgl. meinen Aufsatz „Politische Straftat und Feindstrafrecht“, in: Vormbaum (Hrsg.), Kritik des Feindstrafrechts, Berlin 2009.
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diesem Bereich zu erweitern, nahm ich Kontakt zu Herrn Prof. Gerhard Werle von der Humboldt Universität Berlin auf. Ich ließ das Werk „Völkerstrafrecht“ durch einige meiner Schüler ins Spanische übersetzen und arbeitete im Sommer 2009 – erneut durch Mittel, die durch den Gewinn eines Forschungspreises der Alexander von Humboldt-Stiftung erhalten werden konnten – ein Semester lang mit ihm zusammen. In dieser Zeit beschäftigte ich mich nicht nur mit dem internationalen Strafrecht, sondern auch mit der zeitgenössischen deutschen Strafrechtsgeschichte, ein weiterer Fachbereich Werles. Ich verfasste einen Aufsatz über den berühmten Strafrechtler Franz von Liszt, in dem ich neben dessen liberalen Seite47 auch seine autoritäre Auffassung gegenüber Wiederholungstätern beleuchte. Diese hält er für nicht resozialisierbar, weshalb sie durch eine Art strafrechtliche Sklavenhaltung und Zwangsarbeit bis zur Erschöpfung „unschädlich“ gemacht werden müssten. Solche Gedankengänge waren unter den Kriminologen und Strafrechtlern seiner Zeit weltweit verbreitet. Nichtsdestotrotz war der Vorschlag von Liszts zur Behandlung der sogenannten „Unverbesserlichen“ zweifelsohne richtungsweisend für die Strafrechtspolitik des einige Jahre später herrschenden nationalsozialistischen Regimes.48 Meine Arbeiten über die nationalsozialistische Vergangenheit Edmund Mezgers und an dem in Kooperation mit meiner Tochter verfassten Kommentar zu Stanley Kramers Film „Das Urteil von Nürnberg“, machten mir bewusst, dass es auch Aufgabe der Strafrechtsdogmatik war, Strategien zu erforschen, welche es ermöglichen würden, Staatsoberhäupter und Mitglieder des Machtapparats diktatorischer Regimen für die Menschenrechtsverletzungen unter ihrem Mandat strafrechtlich verantwortlich zu machen. Diese Problematik hatte sich der deutschen Justiz schon nach dem Ende des zweiten Weltkrieges nach Abschluss der Nürnberger Prozesse gestellt. Konkret ging es um die Frage, wie man mit Beamten der mittleren Führungsebene des Nazi-Regimes oder Personen, die in den Konzentrationslagern selbst brutale Gewalttaten vollzogen hatten, umgehen sollte, wenn sie sich nun darauf beriefen, aufgrund von Befehlen ihrer Vorgesetzten und nicht aus eigenem Interesse heraus gehandelt zu haben. Eine veraltete subjektive Theorie der Beteiligung, welche von der damaligen deutschen Rechtsprechung weiterhin angewandt wurde, ermöglichte es, dass die Täter in den wenigen Fällen, die überhaupt verhandelt wurden, als Gehilfen davonkamen, was praktisch einer Straflosigkeit gleich47 48
Stichwort: „Das Strafrecht als unüberwindbare Schranke für die Kriminalpolitik“. Vgl. meine Aufsätze „Das Erbe Franz von Liszts“, in: Festschrift für Winfried Hassemer, Berlin 2010; sowie „Franz von Liszt als Strafrechtsdogmatiker und Kriminalpolitiker“, in: 200-Jähriges Bestehen der Friedrich-Wilhelms-Universität Berlin, Berlin 2010.
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kam. Im Gegensatz zu dieser Theorie veröffentlichte der junge Claus Roxin, welcher kurze Zeit zuvor mit seiner Schrift zu „Täterschaft und Teilnahme“ an der Universität Hamburg habilitiert hatte, sein Werk „Mittelbare Täterschaft kraft organisatorischer Machtapparate“. Er vertrat darin die Ansicht, dass sowohl die Spitze des nationalsozialistischen Machtapparates, als auch die Beamten der mittleren Führungsebene49 aufgrund ihrer Kontrolle des Machtapparates als mittelbare Täter – „hinter“ den strafrechtlich ebenfalls verantwortlichen Befehlsausführenden – bestraft werden könnten. Obwohl die These Roxins zunächst wenig Anklang fand, wurde sie später vom Bundesgerichtshof in den Prozessen gegen die Staatsführung der ehemaligen DDR angewandt, um deren Verantwortung für die Menschenrechtsverletzungen und Tötungen der sogenannten „Republikflüchtigen“ zu begründen. Durch den Aufsatz von Roxin motiviert, befasste ich mich mit der Übertragbarkeit seiner These auf Fälle von Führungsbeamten in anderen diktatorischen Systemen – hauptsächlich Lateinamerikas – und Fällen von Anführern mafiöser oder terroristischer Gruppierungen. Sehr interessant und besonders diskussionswürdig stellt sich auch der Fall der Strafbarkeit von Führungskräften großer multinationaler Unternehmen im Bereich des Wirtschaftsstrafrechts dar. Einer meiner Arbeiten zu diesen Fragen wurde dann auch in einer Festschrift für Claus Roxin veröffentlicht.50 Ein weiterer Aufsatz, in welchem ich mich wiederum mit dem Standpunkt Roxins und seiner Anwendung als Mittel zur juristischen Aufarbeitung der Vergangenheit, befasse, ist erst kürzlich in der Festschrift für Jürgen Wolter erschienen.51 Die neueste Rechtsprechung des Internationalen Strafgerichtshofs, der bei der Verurteilung einzelner politischer Führungskräfte afrikanischer Staaten52 ebenfalls auf die These Roxins zurückgriff, führte dazu, dass 2011 eine Sonderausgabe des Journals of International Criminal Justice herausgegeben wurde. Sie enthält einen, in Zusammenarbeit mit meinem spanischen Kollegen der Universität Utrecht, Hector Olasolo, verfassten Aufsatz mit dem Titel „The Application of the Notion of Indirect Perpetration through Organized Structures of Power in Latin America and Spain“. 49 50 51
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Im konkreten Fall handelte es sich um den leider berühmten Adolf Eichmann, welcher letzten Endes in Jerusalem zum Tode verurteilt wurde. „Willensherrschaft kraft organisatorischer Machtapparate“, in: Festschrift für Claus Roxin, Berlin 2001. „Mittelbare Täterschaft kraft organisatorischer Machtapparate als Instrument der juristischen Aufarbeitung der Vergangenheit“, in: Festschrift für Jürgen Wolter, Berlin 2013. Vgl. die Fälle Kantanga und Lubanga.
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VIII. Bevor ich meine Abhandlung über die wichtigsten Ereignisse meines akademischen Lebens beende, darf ich nicht vergessen, meine weitreichenden Beziehungen zu den Strafrechtlern auf der anderen Seite des Atlantiks, von Mexiko über Brasilien bis nach Argentinien, sowie meine Kollegen aus den Bruderländern Portugal und Italien, welche eine ebenso innige Verbindung zur lateinamerikanischen Welt hegen, zu erwähnen. Während der letzten dreißig Jahre habe ich in all diesen Ländern Vorträge gegeben, Vorlesungen abgehalten und an zahlreichen Kongressen der bedeutendsten Universitäten des Landes teilgenommen. Bei diesen Anlässen wurden mir zahlreiche Ehrendoktortitel, beispielsweise der Universidad Autónoma de Asunción (Paraguay) 1999, der Universität As Lusiada de Lisboa 2008,53 der Universidad Pontificia de Porto Alegre (Brasilien) 2009, der Universidad de Castilla La Mancha in Toledo, der Universidad de Guanajuato (Mexiko) 2011 und der Universidad de Salamaca 2014 verliehen. Im Sommersemester 2013 war ich Gastprofessor an der Universidade Federal de Paraná, in Curitiba, Brasilien; und im April 2014 Gastprofessor an der Universitá de Modena, Italien. In Brasilien, wo zahlreiche meiner Bücher und Artikel auch im Portugiesischen erschienen waren, veröffentlichte man mir zu Ehren eine Festschrift.54 Aus fast allen diesen Ländern habe ich eine Vielzahl an Schülern betreut, welche teilweise auch bei mir promoviert haben, und die im Nachhinein große Laufbahnen sowohl im akademischen als auch im politischen und rechtspraktischen Bereich eingeschlagen haben.
IX. Ich will diesen Bericht über die wichtigsten akademischen Ereignisse meines Lebens nicht beenden, ohne zu erwähnen, dass ich 1999 zu der neu gegründeten Universidad Pablo de Olavide gewechselt bin. Es handelt sich um eine öffentliche Universität in der Stadt Sevilla. An dieser Universität habe ich Ruhe und Unterstützung gefunden, was es mir – zusammen mit dem hervorragenden Team von Kollegen und Mitarbeitern, auf die ich zählen kann – all diese Jahre ermöglicht hat, genug Zeit zu haben um mich fast ausschließlich der Lehre und der Forschung zu widmen, an den wichtigsten internationalen Kongressen teilzunehmen, zu denen ich als Redner eingeladen wurde, und 53 54
Zusammen mit Prof. Winfried Hassemer. „Direito penal no Terceiro Milenio“, Estudos em Homenagem ao Prof. Francisco Muñoz Conde, coordinado por Cezar Roberto Bitencourt, Rio de Janeiro 2008.
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– mittels eines großzügigen Forschungsjahres – längere Aufenthalte an den Universitäten in Peking, Kyoto, Berlin und New York (Columbia) zu genießen.
X. Dies alles ist also eine knappe Zusammenfassung dessen, was in den letzten vierzig Jahren mein Leben bestimmt hat. In all diesen Jahren bin ich auf die ein oder andere Art und Weise in direktem Kontakt mit Deutschland geblieben. Sei es dank seiner Literatur von Goethe bis Brecht, seiner Musik von Bach bis Kurt Weill oder eben seiner Strafrechtswissenschaft, deren wichtigste Vertreter ich zum Teil im Laufe dieser Abhandlung erwähnt habe. Wenn mich etwas motiviert hat während all dieser Jahre, dann war es die Suche nach der Gerechtigkeit im Bereich des Rechts und der Schönheit in dem der Kunst. Letzen Endes habe ich gelernt, dass Sieg oder Niederlage vom blinden Zufall abhängen und es in Wahrheit darum geht, stets mutig zu sein und sich niemals geschlagen zu geben – aber auch, dass alles im Leben seine Spuren und Narben auf uns hinterlässt. Und so setze ich heute, im April 2016,55 voller Nostalgie und gleichzeitig voller Erwartungen an die Zukunft, den vorläufig letzten Stein auf die Pyramide, welche ich in den Jahren meiner Jugend als Musiker zu errichten begann und die mich paradoxerweise Stufe für Stufe zur Lehre und Erforschung des Strafrechts bis in den Herbst meines Lebens hinein geführt hat. Die Aufgaben, die mir noch verbleiben, werden ein Geschenk des Schicksals sein.
Schriftenverzeichnis (in Auswahl) 1. Selbständiges Schrifttum / Monographien Das Urteil vom Nürnberg, mit M. Muñoz Aunión, Berlin 2006. Edmund Mezger, Beiträge zu einem Juristenleben, Berlin 2007. Über das Feindstrafrecht, Berlin 2007. De las prohibiciones probatorias al Derecho procesal penal del enemigo [Von den Beweisverboten im Feindstrafprozessrecht], Buenos Aires 2008.
2. Lehrbücher und Fallsammlungen Derecho penal, Parte General [Strafrecht, Allgemeiner Teil], mit M. García Arán, 9. Aufl., Valencia 2015. 55
Seit dem 30. September 2015 bin ich emeritiert.
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Derecho penal, Parte Especial [Strafrecht, Besonderer Teil], 21. Aufl., Valencia 2017.
3. Aufsätze in Zeitschriften und Sammelwerken Über den materiellen Schuldbegriff, in: GA 1978, S. 65 ff. Monismus und Dualismus im spanischen Strafrecht, in: GA 1984, S. 218 ff. Verleitung zum Suizid durch Täuschung, in: ZStW 1994, S. 547 ff. Die Putativnotwehr, in: Schünemann / de Figueiredo Dias (Hrsg.), CoimbraSymposium für Claus Roxin, Bausteine des europäischen Strafrechts, München 1995. Geglückte und folgenlose Strafrechtsdogmatik, in: Eser / Hassemer / Burkhardt (Hrsg.), Die deutsche Strafrechtswissenschaft in der Jahrtausendwende, München 2001. Willensherrschaft kraft organisatorischer Machtapparate, in: Schünemann / Achenbach / Bottke / Haffke / Rudolphi (Hrsg.), Festschrift für Claus Roxin, Berlin 2001. Universalizing Criminal Law, in: Tulsa Law Review, 2005, S. 951 ff. The Act requirement as a Basic Concept of Criminal Law, mit L. Chiesa, in: Cardoso Law Review, 2007, S. 2461 ff. Über den so genannten Kreditbetrug, in: Sieber / Dannecker / Kindhäuser / Vogel / Walter (Hrsg.), Festschrift für Klaus Tiedemann, Köln 2008, S. 677 ff. Das Erbe Franz von Liszts, in: Neumann / Herzog (Hrsg.), Festschrift für Winfried Hassemer, Berlin 2010, S. 535 ff. Abrechnen, aber wie? Die rechtliche Transformation europäischer Diktaturen nach 1945: Der Fall Spanien, in: ZRG, 2008, S. 347 ff. (auch in: Muñoz Conde / Vormbaum (Hrsg.), Transformation von Diktaturen in Demokratien und Aufarbeitung der Vergangenheit, Berlin 2010, S. 40 ff.). The Application of the Notion of Indirect Perpetration through Organized Structures of Power in Latin America and Spain, mit H. Olasolo, in: Journal of International Criminal Justice, 2011, S. 113 ff. Mittelbare Täterschaft als Instrument für die juristische Aufarbeitung der Vergangenheit, in: Zöller / Hilger / Küper / Roxin (Hrsg.), Festschrift für Jürgen Wolter, 2013, S. 1415 ff.
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Strafrechtsdogmatik und Kriminalpolitik in der modernen Strafrechtsgeschichte und dem strafrechtlichen Zeitgeschehen, in: Hefendehl / Hörnle / Greco (Hrsg.), Festschrift für Bernd Schünemann, Berlin 2014, S. 787 ff. Das Strafgesetzbuch Spaniens und seine Reformen (10995/2010): Zwischen modernen und Feindstrafrecht, in: Lorenz Schulz und Michael Reinhart Oliver Sahan (Hrsg.), Festschrift für Imme Roxin, 2012, S. 789 ff.
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https://doi.org/10.1515/9783110277708-016
Christos Mylonopoulos Ι. Einleitung Warum sollte das Leben eines griechischen Strafrechtsprofessors für einen Deutschen interessant sein? – Weil es nie langweilig sein kann! Da sich Griechenland stets zwischen einer anspruchsvollen kulturellen Tradition und einer dekadenten sozialen Wirklichkeit befindet, was zum einen ständige Ungewissheit hervorruft, zum anderen aber zu einer dauernden Anstrengung veranlasst, besteht immer ein Antagonismus zwischen Moralität und Intrigen, Kreativität und geistiger Kurzsichtigkeit, echter Schöpfung und Interessengruppen. In einer solchen Umgebung wird das Strafrecht oft nicht als Mittel der Gerechtigkeit betrachtet, sondern als Machtinstrument, entweder zur Durchsetzung praktischer Ziele, die in keiner Beziehung zu den Strafrechtszwecken stehen, oder aber zur Verfolgung politischer Zwecke. Um die Belastung der Gerichte und die Übervölkerung der Gefängnisse zu bekämpfen, ist es beispielsweise sogar vorgesehen, die fünfjährige Freiheitsstrafe durch eine Geldstrafe zu ersetzen. Um sozialen Unruhen vorzubeugen, werden fast alle fünf Jahre anhängige Vergehen per Gesetz „verjährt“, was genau genommen eine verfassungswidrige Intervention der Gesetzgebung in die Justiz darstellt. Die Tatsache allerdings, dass das griechische Strafgesetzbuch und die Strafprozessordnung durch zahlreiche Änderungen1 ihre ursprüngliche Gestalt sowie innere Kohärenz verloren haben – kombiniert mit einer oft in Erscheinung tretenden Missachtung der Strafrechtsdogmatik durch die Gerichte, die sich in den Zeiten der Wirtschaftskrise noch zugespitzt hat – zeichnet das Bild eines Strafrechtssystems in der Krise. Unter solchen Umständen Strafrechtswissenschaft in Griechenland zu betreiben, ist nicht nur eine Zumutung, sondern auch eine besondere Herausforderung.
II. Die jungen Jahre Geboren wurde ich im Jahr 1954 im griechischen Thessaloniki. Meine Eltern waren beide als Gymnasiallehrer tätig. Charilaos, mein Vater, war zu Beginn der 1920er Jahre mit nur acht Jahren als Flüchtling von den Küsten Kleinasiens nach Griechenland gekommen und wuchs schließlich in Xanthi, einer Kleinstadt in Nordgriechenland, in völligen Armutsverhältnissen auf. Da er jedoch das Gymnasium als Bester absolvierte, gelang es ihm, das in der Stadt 1
Das grStGB wurde innerhalb der vergangenen zwölf Jahre nahezu 40 mal reformiert.
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Xanthi einzig verfügbare Studienstipendium zu erhalten, was es ihm ermöglichte, Philosophie und Jura in Athen zu studieren. Er war es, der mich lehrte, Respekt vor der Kenntnis zu zeigen, Moral zu haben und auch unter schwierigen Bedingungen Ausdauer bei der Arbeit an den Tag zu legen. Eleonora, meine Mutter, hat mich vor allem Nachgiebigkeit und Beharrlichkeit gelehrt. Beiden verdanke ich die Liebe zum altgriechischen Geist und Ethos. Diesen Geist habe ich später bei den deutschen Strafrechtslehrern im Rahmen meines Postgraduierten-Studiums wiedergefunden. Sie verkörperten alte Werte, die im modernen Griechenland nicht mehr allzu leicht zu finden sind, besonders in jenen sozialen Kreisen, die den Ton angeben und die Gesellschaft charakterisieren. Jura habe ich, wie einst mein Vater, an der Universität Athen studiert, wo ich das Glück hatte, auf prominente Persönlichkeiten zu treffen, die fast ausnahmslos in Deutschland studiert hatten. Zu ihnen zählten etwa Androulakis (Strafrecht), Georgiadis (Sachenrecht) und Stathopoulos (Schuldrecht), die heute alle Mitglieder der Athener Akademie der Wissenschaften sind. Bereits in meinem ersten Studienjahr begann ich, mich mit dem Strafrecht näher zu befassen. Während meines Studiums in Athen las ich parallel zahlreiche Werke aus dem Strafrecht und der Kriminologie, darunter auch solche von Pinatel, Sutherland, Porot und Bardenat, Jescheck, Schönke-Schröder, Naucke und Stratenwerth. Die griechische Rechtsordnung ist in der Tat eng mit der deutschen verbunden. Besonders das Strafrecht weist eklatante Ähnlichkeiten auf. Als der 16-jährige Prinz Otto, Sohn des Bayerischen Königs Ludwig, als erster König Griechenlands nach dem Unabhängigkeitskrieg die Thronfolge antrat (1835), kam ihm als Minderjähriger in den ersten Jahren seiner Regentschaft die Unterstützung von drei Regenten zu. Unter ihnen befand sich Georg Ludwig von Maurer,2 ein vernunftbegabter und scharfsinniger Jurist mit ausgeprägtem Problembewusstsein, der das erste Strafgesetzbuch Griechenlands erarbeitete und damit die Grundlagen des griechischen Strafrechts legte. Diese besondere Wechselbeziehung zwischen der deutschen und der griechischen Strafrechtswissenschaft ist bis heute erhalten geblieben. Vor diesem Hintergrund ist es nicht verwunderlich, dass mir bereits nach den ersten Tagen meines Studiums an der Juristischen Fakultät der Universität Athen Namen wie Radbruch, v. Savigny, Arthur Kaufmann und Roxin ein Begriff waren. Roxin war bereits damals eine Legende, insbesondere durch sein Werk „Täter2
Bei Georg Ludwig von Maurer handelte es sich um einen Anhänger der Historischen Schule und um den Verfasser des bedeutenden Werkes „Das Griechische Volk“.
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schaft und Tatherrschaft“ und seine Theorie über die Verbrechervernunft als Freiwilligkeitskriterium beim Rücktritt vom Versuch. Als ich 1977 das Studium als Jahrgangsbester absolvierte, war die Promotion in Deutschland nach alledem eine Selbstverständlichkeit.
III. Promotion in Deutschland (1977–1980) Für meine Promotion hatte ich die Universität Saarbrücken im Saarland gewählt. Die dortige Juristische Fakultät war nicht nur für ihre Strafrechtler, sondern auch für ihren hohen Anspruch bekannt. Mangels entsprechender Kontakte hatte ich in Griechenland kein Stipendium beantragt, sondern mich direkt beim Deutschen Akademischen Austauschdienst (DAAD) beworben und dort umgehend Unterstützung erhalten, die mir ein Postgraduiertenstudium in Deutschland erst ermöglichte. Professor Gerhard Kielwein, der sich der Betreuung meiner Dissertation annahm, war ein großartiger Mensch und für mich wie ein zweiter Vater. Er war nicht nur ein außergewöhnlich kluger Strafrechtler, sondern, wie auch seine Ehefrau (eine bekannte Bildhauerin), ein Mensch mit breiter humanistischer, kultureller Bildung, ausgeprägter Empathie und Menschenliebe. Als Richter beim OLG Saarbrücken hatte er gleichzeitig auch einen direkten Bezug zur sozialen Wirklichkeit und zudem ein klares Verständnis für Probleme theoretischer Art. Neben Prof. Kielwein hatte ich auf meinem Weg auch andere bedeutende Lehrer und Mentoren an meiner Seite, wie etwa Heinz Müller-Dietz, Hans Heiner Kühne, Heike Jung, Detlef Krauss und den Akademischen Oberrat Dieter Bindzus. Darunter war Kühne, der später zu einem treuen Freund für mich wurde, derjenige, der mich am meisten beeindruckte: Er war damals nicht nur ein hervorragender Professor der Nachwuchsgeneration, sondern auch ein erstaunlich begabter Geiger und geschulter Orchesterdirigent (Schüler von v. Karayan), Freifallschirmspringer, ausgezeichneter Karateka und Japan-Experte. Kurzum: Die absolute Verkörperung des homo universalis der Renaissance! Nach anfänglichen Schwankungen bei der Themenwahl hatte mir Professor Kielwein vorgeschlagen, mich im Rahmen meiner Dissertation mit dem Problem der Beziehung zwischen Handlungs- und Erfolgsunwert zu befassen. Damals gegen Ende der 1970er Jahre war diese Thematik von großer Relevanz. Das Besondere daran war der Umstand, dass sie sowohl wichtige theoretische als auch brennende praktische Aspekte in sich vereinte. Die grundlegende Monographie darüber war diejenige von Zielinski („Handlungsund Erfolgsunwert im Unrechtsbegriff“, Berlin 1973) – eines der faszinierendsten Werke, die ich jemals gelesen hatte. Obwohl häretisch, hatte es eine
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einmalige Argumentation, welche die Struktur der jeweiligen Probleme klar hervorhob und gleichzeitig zu geistiger Disziplin drängte. Die Diskussion über die Struktur des Unrechts war kein Glasperlenspiel, wie manche griechischen Strafrechtler in der Vergangenheit gemeint hatten, die für ein „genuines“ und „autonomes“ griechisches Strafrecht plädierten – denn eine rein nationale Rechtswissenschaft kann es nicht geben. Was wäre aus Europa geworden ohne die Ausbreitung der Ideen der Französischen Revolution? Ohne die Ausbreitung der Aufklärung? Ohne die Wechselbeziehungen zwischen verschiedensten Ideen? Es gibt eine europäische Rechtskultur, die gemeinsame Werte verkörpert und vorantreibt und die vor allem in der heutigen Zeit unter dem Druck einer Internationalisierung des Strafrechts und dem Vertrag von Lissabon, der die Rechtsprinzipien praktisch in Frage stellt, verteidigt und nicht vernachlässigt werden sollte. In meiner Dissertation, die ich 1980 fertigstellte, vertrat ich die vermittelnde These, dass das Unrecht sowohl aus Handlungs- als auch aus Erfolgsunrecht besteht, also eine Konzession zu den Ideen Welzels vom personalen Unrecht.3 Die Arbeit wurde mit summa cum laude bewertet und erhielt als beste Dissertation des Jahres den Eduard-Martin Preis. Die Entwicklung der Dinge über diese Problematik hat die Irrationalität des Plädoyers für eine „nationale“ Strafrechtswissenschaft verifiziert. Einige Jahre später wurde eben genau diese Debatte (Handlungs- oder Erfolgsunwert?) in England wieder aktuell, vor allem zwischen Ashworth, Kessler und Fletcher.4 So wurden im Rahmen dieses angelsächsischen Diskurses Fragen gestellt, die fast mit derselben Phraseologie und denselben Argumenten bereits 40 Jahre früher im deutschsprachigen Raum intensiv und erschöpfend behandelt worden waren. Diese Parallelwelten verdeutlichen, wie wichtig und ergiebig die Kommunikation unter Strafrechtswissenschaftlern, ermöglicht durch eine transnationale Öffnung, sein könnte sowie umgekehrt, welche unnötige Mühe jene sich ersparen könnten und wie verlustreich eine innere Isolation der Wissenschaften innerhalb eigener Landesgrenzen sein kann.
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Nach Aristoteles ist der mittlere Weg der Tugend (die „mesotis“), kein Kompromiss, sondern das „Optimum“. Siehe etwa Fletcher, Basic Concepts of Criminal Law, 1998, S. 172; Ashworth, Belief, Intent and Criminal Liability, Oxford Essays in Jurisprudence, 1987; Kessler, The Role of Luck in Criminal Law, 1994; Herring, Criminal Law, Oxford 2006, S. 861 ff.
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IV. Der Schulenstreit (1980) Die 1980er Jahre wurden in Griechenland durch einen heftigen Schulenstreit zwischen den Strafrechtsprofessoren Androulakis (Athen) und Manoledakis (Thessaloniki) geprägt. Grund dafür war die Ansicht des Letzteren, dass das Rechtsgut eine durchaus materielle Erscheinungsform haben sollte, um (angeblich) den objektiven Charakter des strafrechtlichen Unrechts beizubehalten und das Gesinnungsstrafrecht auszuschließen. Diese Auffassung hatte jedoch zu fragwürdigen Konsequenzen geführt, wie z.B. das Papier der gerichtlichen Entscheidung beim Meineid als Rechtsgut zu betrachten, die Fälschung einer Privaturkunde nicht als Urkundenfälschung, sondern höchstens als Betrug zu qualifizieren und zur Zusammensetzung der Schöffengerichte nur die Bürgermeister bzw. Mitglieder der Gemeinderäte als Schöffen vorzuschlagen. Obwohl sich diese Auseinandersetzung im Laufe der Zeit legte, sind manche ihrer Auswirkungen durch entsprechende politische Maßnahmen sichtbar geblieben, insbesondere durch die Gründung der Griechischen Richterakademie in Thessaloniki – die die Mentalität junger Richter fortan erheblich beeinflusste – und durch die Bildung der neuen Strafrechtskommission, ebenfalls in Thessaloniki.
V. Die Habilitation Nach meiner Rückkehr nach Griechenland und dem Abschluss des Militärdienstes wurde ich Ende 1982 zum „Lecturer“ an der Juristischen Fakultät der Universität Athen gewählt. Fast zeitgleich wurde ich Mitglied einer Kommission zur Bearbeitung des neuen Militärstrafgesetzbuches. Dort erarbeitete ich einen vollständigen Gesetzesentwurf, der sich ausschließlich auf Militärstraftaten bezog und es vorsah, dass sonstige Straftaten in den Zuständigkeitsbereich der Zivilgerichte fallen würden. Letzten Endes wurde dieser Entwurf niemals angenommen. Mehrere Jahre später erfuhr ich schließlich den einfachen Grund hierfür: Ohne die nicht-militärischen Delikte wären die Militärrichter so gut wie arbeitslos geworden. Für mich war diese Angelegenheit eine gute Lektion, die verdeutlichte, dass für die Strafgesetzgebung politische Erwägungen unter Umständen viel schwerer wiegen als wissenschaftliche Erkenntnisse, die das Ergebnis jahrelanger Arbeit und Erfahrungen sind. Zur selben Zeit widmete ich mich auch meiner Habilitation („Die erfolgsqualifizierten Delikte. Dogmatische Begründung“, 1985, 500 S.). Darin war es mir ein besonderes Anliegen, manche Ungereimtheiten, welche die Anwendung dieses Begriffs belasteten, zu beseitigen, sowie der Rechtsprechung aus der
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Ausweglosigkeit in Bezug auf diese Deliktsart zu verhelfen. Der Areopag5 besteht beispielsweise darauf, dass Teilnahme auch im Falle des erfolgsqualifizierten Delikts denkbar ist, obwohl nach griechischem Recht fahrlässige Teilnahme im Grunde genommen nicht möglich ist. So meint er, den Anstifter bzw. Gehilfen zum Grunddelikt nach dem Strafrahmen des Haupttäters bestrafen zu können, falls ihm Fahrlässigkeit in Bezug auf die schwerere Folge vorzuwerfen ist. Des Weiteren habe ich versucht, die Lehre der objektiven Zurechnung zum ersten Mal in Griechenland bekanntzumachen. Ferner intendierte ich aufzuzeigen, dass es auch „unechte“ erfolgsqualifizierte Delikte geben kann, da sonst die Wertungswidersprüche, die aus der milderen Bestrafung des Vorsatzes im Vergleich zur Fahrlässigkeit entstehen, nicht zu beseitigen sind. Nach meiner Habilitation wurde ich 1985 zum Assistenzprofessor gewählt – allerdings nicht ganz ohne Schwierigkeiten: Aufgrund meines jungen Alters war der Präsident der Fakultät unter Druck gesetzt worden, meine Kandidatur erst mit Verspätung zur Abstimmung an die Fakultät zu bringen.
VI. Die Münchener Jahre Da ich über die Alexander von Humboldt-Stiftung (1985–1987) ein Forschungsstipendium erhalten hatte, machte ich mich noch im selben Jahr auf den Weg nach München, um bei Professor Roxin weiterzuarbeiten, dessen Seminare damals eine Ära geprägt haben. Roxin war (und ist) für mich ein Vorbild und zwar nicht nur wegen seiner Ideen, sondern auch und besonders wegen seiner wissenschaftlichen Aufrichtigkeit. Er zögert nicht, in medias res zu gehen und die jeweiligen Fragen bis zu ihrem wahren Kern zu behandeln, anstatt die leichte Lösung vorzuziehen, die darin bestünde, um das eigentliche Problem herum zu kreisen. Unterstützende Kraft ist in seinem Leben stets die Frau an seiner Seite, seine Ehegattin, Frau Dr. Imme Roxin, eine begabte Juristin und hervorragende Rechtanwältin. In München habe ich mich mit dem Thema „Dispositionsbegriffe“ auseinandergesetzt, genauer gesagt mit der Frage, wie man Tendenzen und Fähigkeiten im Strafrecht behandelt. Es geht um Eigenschaften, die nicht beschrieben und festgestellt werden können, sondern dem Subjekt nur anhand der Beobachtung empirischer Merkmale und dem Gebrauch von Erfahrungsregeln zugeschrieben werden. Fragen wie: „Was ist Gefährlichkeit?“, „Was ist Zurechnungsfähig5
Es handelt sich hierbei um das oberste Gericht der Zivil- und Strafgerichtsbarkeit im heutigen Griechenland.
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keit?“, usw. waren immer eine Krux für die Strafrechtler. Obwohl Androulakis mir von diesem Thema abraten wollte (mit den Worten: „Ist das nicht ein bisschen hochgegriffen?“), hatte mich Wolfgang Frisch entscheidend dazu ermutigt. Ihm bin ich hierfür dankbar – ich weiß jedoch nicht, ob auch die Leser meines Buches es sind. Bei diesem Forschungsprojekt habe ich die Unterstützung mehrerer Professoren erhalten, darunter nicht nur Juristen, wie Lothar Philipps und Klaus Volk, sondern auch Wissenschaftstheoretiker, wie Wolfgang Balzer und Andreas Kemmerling, mit denen ich lehrreiche und ausführliche Diskussionen geführt habe. Ihnen verdanke ich Vieles. Ergiebige Diskussionen habe ich auch mit wichtigen (damals jungen) Kollegen geführt, wie Aristotelis Charalambakis, Jesus Maria Silva Sanchez (ein Genie), Manfred Heinrich, Andrea Castaldo und Christian Jäger, heute alle renommierte Strafrechtsprofessoren. Mein Versuch, die Theorie über die Dispositionsbegriffe für das Strafrecht ergiebig zu machen, blieb nicht unbemerkt. In Griechenland unternahmen nicht nur bedeutende Kolleginnen und Kollegen, wie etwa Maria Kaiafa Gbandi, eine Annäherung. De facto behandelten sogar mehrere Urteile den Vorsatz explizit oder aber stillschweigend als Dispositionsbegriff. Mein Aufsatz in der Roxin-Festschrift, in dem ich dafür plädierte, die Endgültigkeit der Enteignung bei der Unterschlagung für disponibel zu erklären, wurde letzten Endes von Professor Genta Kajiwara sogar ins Japanische übersetzt. Im Jahr 1987 erschien schließlich auch mein Lehrbuch „Internationales Strafrecht“ (2. Aufl. 1993). Infolgedessen wurde in Griechenland erstmals ein entsprechender Hochschulkurs angeboten. Mein Hauptanliegen dabei bestand darin, die komplizierten theoretischen und praktischen Fragen, die mit den örtlichen Grenzen der Strafgesetze zusammenhängen, zu klären. Seit dieser Zeit wurde das Internationale Strafrecht in Athen regulär als obligatorisches Wahlfach angeboten. Bei der Darstellung der Materie sind erhebliche Ähnlichkeiten mit der deutschen Dogmatik zu finden, was besonders dem Werk Jeschecks zu verdanken ist. So wird im Rahmen der griechischen Rechtswissenschaft die Zweistufentheorie vertreten, deren praktische Auswirkungen erheblich und zahlreich sind, z.B. für die Frage der Inlandsteilnahme an einer ausländischen Haupttat.6 Darüber hinaus bekennt man sich in Griechenland dazu, dass es sich beim „Tatort“ nicht um einen natürlichen, sondern um einen rein juristischen Begriff handelt, so dass im Falle der Teilnahme der Ort der Haupttat als Tatort des 6
S. für Deutschland: Jescheck LB, 4. Aufl., S. 145, Maurach-FS, S. 580, IRuD 56, S. 75 ff., für Griechenland: Mylonopoulos, Internationales Strafrecht, 2. Aufl., S. 52.
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Anstifters oder des Komplizen oder sogar des Erfolgseintritts der Haupttat zu betrachten ist.7 Bemerkenswert ist auch, dass in beiden Ländern der Rechtsmissbrauch als Regulativ der strafrechtssetzenden Kompetenz eines Staates aufgefasst wird, in dem Sinne, dass das Missbrauchsverbot die äußerste Grenze der Strafgewalt bildet, was heute erheblich an Relevanz gewinnt.8 Zum Ende meiner Humboldt-Stipendienzeit wurde mir durch meinen Hochschullehrer Herrn Professor Roxin eine Gastprofessur in München angeboten. So kam es schließlich dazu, dass ich dort drei Jahre (1991–1994) lang Internationales und Europäisches Strafrecht im Rahmen eines Vertiefungskurses lehrte. Damals handelte es sich beim Internationalen Strafrecht genau genommen noch um einen neuen Forschungszweig, der sich im Zusammenhang mit der Entwicklung der damaligen europäischen Gemeinschaften mit völlig neuen Fragen auseinanderzusetzen hatte. Im Hinblick darauf war die deutsche Strafrechtsdogmatik womöglich der einzige Bezugspunkt, der hierbei hilfreich sein konnte. Im Rahmen dieser Problematik stellten sich gleich mehrere Fragen. Einerseits die Frage nach einem effektiven Schutz der EG-Rechtsgüter, die zum einen auf den Wunsch der Europäischen Kommission zurückzuführen war, eine führende Rolle bei der Ausgestaltung der Strafrechtsnormen im Europäischen Rechtsraum zu spielen – was ihr nunmehr mit dem Lissabon-Vertrag gelungen ist – zum anderen ging es um die Unkenntnis der Unterscheidung zwischen inländischen und nicht inländischen (gemeinsamen) Rechtsgütern. So glaubte man damals, dass sogar ein Diebstahl gegen das Eigentum der EG mangels spezifischer Regelung straflos bleiben sollte(!). Nach dem sog. „griechischen Mais-Skandal“9 wurde die PIF-Konvention in Geltung gesetzt (Convention pour la Protéction des Intérêts Financiers de la Communauté), deren Ziel darin bestand, zum Schutz der EG-Rechtsgüter ein Minimum an Strafrechtsnormen zu formulieren, die von den Mitgliedstaaten adaptiert werden sollten. Der einschlägigen Arbeitsgruppe in Brüssel, die von dem deutschen Vertreter Dr. Möhrenschlager geleitet wurde, der unsere Ansichten weitestgehend teilte, hatte ich als griechischer Vertreter ein Jahr lang angehört. Obwohl Möhrenschlager sehr klare und überzeugende Ideen zum Ausdruck brachte, 7 8 9
S. für Deutschland: Jescheck, AT 4. Aufl., S. 161, für Griechenland: Mylonopoulos, a.a.O., S. 189–190. S. für Deutschland: Jescheck AT 4. Aufl. S. 146, IRuD 1956, S. 75, Maurach-FS, S. 581, für Griechenland: Mylonopoulos, a.a.O., S. 106. Die Täter hatten in diesem Fall mit falschen Urkunden jugoslawischen Mais als griechischen ausgezeichnet und im europäischen Rechtsraum damit gehandelt, um die Bezahlung von Agrarabschöpfungen zu vermeiden.
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war die endgültige Fassung der Konvention weit von den rudimentären Strafrechtsprinzipien entfernt und erwies sich letzten Endes als äußerst unbefriedigend, da sie inländische und nicht-inländische Rechtsgüter unter einen gemeinsamen Nenner brachte und Betrug, Steuerhinterziehung und Schmuggelstraftaten auf unannehmbare Weise konfundierte.10 Eine weitere Frage bezog sich auf die unterschiedliche Erfassung des Begriffs der „strafrechtlichen Anklage“ („accusation en matière pénale“) nach Art. 6 der Europäischen Konvention für Menschenrechte, die für die Unterscheidung des kriminellen Unrechts von der Verwaltungsübertretung maßgeblich war und infolgedessen für die Unterscheidung zwischen Verwaltungssanktion und Kriminalstrafe entscheidend war. Trotz der klaren (und für den Angeklagten „günstigen“) Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofes für Menschenrechte (EGMR), hatte der damalige Europäische Gerichtshof in Luxemburg (EuGH) den entgegengesetzten Weg eingeschlagen und bewertete verschleierte, aber dennoch tatsächlich erfolgte Kriminalstrafen als Verwaltungs- bzw. Zivilsanktionen.11 Diese Frage brachte ich bei einem Zusammentreffen mit den Richtern des EuGH in Athen an. Gefragt wurde konkret danach, was geschehen sollte, wenn der EGMR eine solche Entscheidung des EuGH zu beurteilen hätte. Obwohl sich der deutsche Richter (Zuleeg) bei einer Antwort enthalten hatte, zumal die deutsche Beschwerde damals noch anhängig war, hatte der griechische Richter (Kakouris) zugegeben, dass es diesbezüglich doch ein Problem gäbe.
VII. Der Mord an Christos Bakas (1993) Ιm Jahr 1993 wurde Christos Bakas, ein hervorragender Kollege und treuer Freund von mir, damals Assistenzprofessor für Strafprozessrecht, im Gerichtssaal des Obersten Militärgerichtshofes von Athen kurz vor Beginn der Verhandlung ermordet. Der Täter, der anschließend einen anderen Rechtsanwalt tötete und sofort Selbstmord beging, war der verzweifelte Vater eines von vier Mädchen, die der Angeklagte in betrunkenem Zustand mit seinem Auto grob fahrlässig getötet hatte. Der doppelte Totschlag erschütterte die griechische Gesellschaft damals zutiefst, vor allem aber die Juristen. Der Hintergrund der Tat hängt mit der Dogmatik der Fahrlässigkeitsdelikte eng zusammen: Das 10
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Die Rezeption der Konvention in Griechenland – Gesetz Nr. 2803 von 2001 – war als noch schlimmer einzustufen und bewegte sich am Rande einer gesetzgeberischen Karikatur. So das Urteil des EUGH Rs C-240/90 vom 27.10.1992 in der Sache Bundesrepublik Deutschland vs. Kommission, in NJW 1993, 47.
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zweitinstanzliche Gericht hatte, durch Gerechtigkeitsgefühle bewegt, eine Strafe verhängt, welche die Grenzen der bei Idealkonkurrenz erlaubten Höchststrafe weit übertraf. Bakas, als Strafverteidiger des Angeklagten, hatte die Verurteilung beim Areopag für nichtig erklärt und die Sache zum Gericht zweiter Instanz zurückverweisen lassen, was den akuten Zorn des unglücklichen Vaters schürte. Anlässlich des zehnten Jahrestages seines Todes brachte ich den Vorschlag an, die grobe Fahrlässigkeit schwerer zu bestrafen. Der Vorschlag, der damals wegen eines Schiffbruches mit mehreren Opfern besonders aktuell war, wurde jedoch mit der Begründung, er führe eine dritte (!) Verschuldensart ein, abgetan. Stattdessen hatte der Gesetzgeber die in Idealkonkurrenz begangene fahrlässige Tötung mehrerer „in Ausnahmefällen“ fakultativ mit der schwereren Strafe der Realkonkurrenz bedroht. Würde die grobe Fahrlässigkeit schwerer bestraft werden, so hätte das Drama der doppelten Ermordung eventuell vermieden werden können.
VIII. Die Erfahrungen aus Albanien (1991 und 1995) Im Jahr 1991 besuchte ich erstmals Albanien als Mitglied einer Gruppe von Professoren der Juristischen Fakultät von Athen, die von albanischen Kollegen in Tirana eingeladen worden waren, um eine Reihe von Vorträgen im Rahmen der großen Modernisierungsanstrengung des Landes nach dem Fall Enver Hodjas zu halten. Das ganze Land litt damals unter den Belastungen des früheren Regimes, das es zu langer Isolierung verdammt hatte. Es war voll von Bunkern und auf den Straßen waren lediglich ein paar uralte chinesische und tschechische Autos zu sehen. Die Juristische Fakultät befand sich in einem Saal eines schönen steinernen Gebäudes aus der Zeit der italienischen Besatzung. Alle waren dort sehr freundlich, besonders der Präsident der Universität, der in der DDR Medizin studiert hatte und fließend Deutsch sprach. Alle meine Zuhörer verstanden Griechisch, so dass ich dort nie einen Dolmetscher benötigte. Noch interessanter, auch aus strafrechtlicher Sichtweise, war jedoch mein zweiter Besuch in Albanien im Februar 1995. Damals stand der fünfgliedrige Vorstand der griechischen Minderheitspartei „Omonoia“ („Eintracht“) vor dem Kassationshof von Tirana unter Anklagen, die mit ihrer politischen Tätigkeit zu tun hatten. Ich wurde beauftragt, sie zu verteidigen, und da mir das Einreisevisum erst spät in der Nacht vor dem Verhandlungstag erteilt wurde, flog ich schließlich mit einer viersitzigen Cessna um 6 Uhr morgens nach Tirana. Seit meinem ersten Besuch hatte sich die Stadt völlig verändert und große Fortschritte gemacht. Mit einem Taxi fuhr ich zum Kassationshof, wo aber niemand zu sehen war. Das Gebäude schien komplett leer zu sein. Schließlich
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hörte ich Lärm am Ende eines Flurs und als ich die Tür öffnete, sah ich eine Menge von Leuten, die eng zusammensaßen. In einer Ecke des Raums saß der einzige Richter, der Präsident des albanischen Kassationshofs (Herr Brozi) und an der anderen der Staatsanwalt, der eine heftige Auseinandersetzung mit ihm führte. Da der albanische Rechtsanwalt, der mich legitimieren sollte, verschwunden war, wurde mir jedoch nicht gestattet, teilzunehmen. Das Gericht hat letztendlich trotzdem ein Gutachten von mir über die Verletzungen der EMRK berücksichtigt, zumal Albanien damals den Beitritt in den Europarat beantragt hatte. Schließlich wurden die fünf Angeklagten der „Omonoia“ freigesprochen.
IX. Das Strafrecht durch die Lehrbücher (2005–2008) 1996 wurde ich zum Ordinarius an der Juristischen Fakultät der Universität Athen gewählt. Im Jahr 2001 erschien mein Lehrbuch „Strafrecht, Besonderer Teil, Vermögensstraftaten“ (2006, 800 S., 2. Aufl), worauf außerdem auch ein Ergänzungsband über Urkundsdelikte (2005, 220 S.) folgte. Die Resonanz von Rechtsprechung und Gesetzgeber war nicht unbefriedigend,12 da nach der Veröffentlichung mehrere veraltete Ansichten aufgegeben wurden. So übernahm der Areopag nunmehr den mittleren, wirtschaftlich-juristischen Vermögensbegriff, ebenso wie das Erfordernis der materiellen Stoffgleichheit beim Betrug, während der Gesetzgeber dem im Lehrbuch enthaltenen Vorschlag folgte, die Regelung der tätigen Reue über Diebstahl, Unterschlagung und Betrug hinaus auf sämtliche Vermögensdelikte auszudehnen. Auch von der akademischen Gesellschaft wurde das Werk positiv aufgenommen. Professor Giannidis zeichnete es in seiner Rezension als „Werk für eine Generation“ aus und Professor Charalambakis als „wertvoll für Theorie und Praxis“, während Kroustallakis, der damalige Generalstaatsanwalt beim Kassationshof, es als „originell, mit „überzeugenden und innerlich konsequenten Ansichten“ bezeichnete. Die zwei Bände über den Allgemeinen Teil des Strafrechts13 folgten in den Jahren 2007 und 2008. Darin unternahm ich den Versuch, einige Fragen und Missverständnisse, welche die griechische Theorie und Rechtsprechung seit jeher geplagt hatten, zu klären. So habe ich in diesem Werk beispielsweise das Problem der Unterscheidung zwischen verfassungswidriger Vagheit des Strafgesetzes und verfassungskonformer Dunkelheit des Sinnes einer Vorschrift, worauf ein Rechtsirrtum möglich ist, angeschnitten, sowie die Frage 12 13
Eine Bestandsaufnahme für das Jahr 2013 ergab beispielsweise insgesamt 724 Zitate in Urteilen und Aufsätzen. Bd. I, Die Grundlagen, 712 S., Bd. II, Versuch-Teilnahme-Konkurrenzen, 402 S.
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nach der strafrechtlichen Haftung des Täters, der in einer völlig andersartigen Umgebung aufgewachsen ist oder ein sog. „brainwashing“ erlitten hat. Einige zentrale Gedanken des Buches habe ich auch auf Deutsch dargelegt, wie etwa einen Vorschlag zum Kriterium der Freiwilligkeit beim Rücktritt vom Versuch14 (oder zum Versuch der Mittäterschaft (im GA 2011, S. 406 ff.). Es beinhaltet auch einen Vorschlag, der die Unterscheidung zwischen „thought crime“, untauglichem Versuch und relativ untauglichem Versuch betrifft und die Unbrauchbarkeit der Lehre vom Mangel im Tatbestand erklärt. Über solche Probleme hinaus waren jedoch im Lehrbuch auch Fragen zu lösen, die normalerweise eine Selbstverständlichkeit darstellen. Aus unterschiedlichsten Gründen bleibt die griechische Strafrechtswissenschaft und Rechtsprechung manchen Besonderheiten verhaftet. So hatte ich beispielsweise auch um die Anerkennung der objektiven Zurechnung zu kämpfen, die, obwohl fast überall anerkannt, in Griechenland auf einen umfassenden Vorbehalt stößt, der teils auf Unkenntnis, teils auf Trägheit beruht. Ferner wird von der Rechtsprechung des Areopags die durchaus sonderbare Auffassung vertreten, dass jede Fahrlässigkeitsstraftat ein (echtes) Unterlassungsdelikt sei, mit der Begründung, dass jede Fahrlässigkeit die Unterlassung des Täters beinhalte, die erforderliche Sorgfalt subjektiv aufzuzeigen. So gelingt es dem Areopag, das Problem der Unterscheidung zwischen Tun und Unterlassen beim Fahrlässigkeitsdelikt reibungslos zu umgehen. Eine weitere Ungereimtheit im Rahmen des griechischen Strafrechtssystems ist die Funktion des Vorsatzes. Obwohl Art. 30 grStGB den Vorsatz als Schuldmerkmal betrachtet, ist letzterer im Falle des Versuchs nach Art. 42 desselben ein unabdingbares Merkmal des Unrechts (und nicht erst der Schuld). Diese beiden Regelungen bilden somit also eine unüberwindbare Kontradiktion, die beweist, dass es unmöglich ist, dem Vorsatz Schuldcharakter beizumessen. Auch im Bereich der Mittäterschaft löst der Areopag das Problem der Bestimmung der Mitwirkung eines jeden Mittäters nicht als Frage des materiellen Strafrechts, sondern erst auf der Ebene der Strafprozessordnung, als Frage der Urteilsbegründung. So genügt es etwa bei einer Urkundenfälschung mit mehreren Beteiligten für eine befriedigende Begründung des Urteils, dass das Gericht lediglich die Tatsache erwähnt, dass die Tat von mehreren Angeklagten gemeinsam begangen worden sei, ohne dass die Mitwirkung eines jeden Mittäters gesondert bestimmt werden muss. Mit all diesen Fragen habe ich mich im Lehrbuch auseinandergesetzt und versucht, klare und 14
In der Imme Roxin-Festschrift, 2012; das Kriterium der Freiwilligkeit beim Rücktritt vom Versuch ist neuerdings auch vom Areopag aufgenommen worden.
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praktisch anwendbare Lösungen vorzuschlagen, nicht immer ohne Schwierigkeiten. Insbesondere in Bezug auf die Stellung des Vorsatzes wird die These, dass er auch im Rahmen des griechischen Rechts das Unrecht und nicht erst die Schuld mitbegründet, von keinem anderen unterstützt.
X. Die wechselseitigen Beziehungen zum Ausland, besonders zu Deutschland Als ordentlicher Professor in Athen habe ich versucht, die engen Beziehungen, die seit jeher mit der deutschen Strafrechtswissenschaft kultiviert wurden, weiterzuentwickeln. So habe ich die Erteilung der Ehrendoktorwürde an mehrere deutsche Strafrechtler veranlasst bzw. unterstützt, darunter Claus Roxin (mein Hochschullehrer), Hans Heiner Kühne, Ulrich Sieber, Arthur Kaufmann, Ulfrid Neumann, Kristian Kühl und Bernd Schünemann. Ebenfalls habe ich für die Einladung von Strafrechtlern aus Deutschland gesorgt, aber auch aus den USA, wie etwa Lloyd Weinreb von der Harvard University. Aber auch umgekehrt habe ich Einladungen von deutschen Kollegen stets gerne angenommen. So habe ich schließlich vielerorts Vorträge gehalten, wie etwa in Frankfurt (zweimal), Freiburg, Budapest, Bangkok, München, Salerno und Konstantinopel. Auf diese Weise kam es dazu, dass gleich mehrere meiner Arbeiten in fremde Sprachen übersetzt wurden: Chinesisch, Japanisch, Spanisch, Italienisch, Türkisch und Französisch. Im Rahmen dieser wechselseitigen Beziehungen hatte mir Professor Karl Ludwig Kunz vorgeschlagen, an der Kommission zur Verleihung des Sigrist Preises in Bern teilzunehmen (2011), was ich gerne tat. Der Ausschuss verlieh den Preis an Professorin Nicola Lacey (Oxford). Im Jahre 2012 habe ich als Mitherausgeber die Veröffentlichung der Festschrift für Hans-Heiner Kühne übernommen, die im Oktober 2013 erschien, und im Jahre 2017 die Festschrift für Ulfried Neumann.
XI. Lehrtätigkeit, Gesetzesausschüsse und Oberster Spezialgerichtshof An der Juristischen Fakultät der Universität Athen lehre ich seit 1984. Parallel zu meiner Lehrtätigkeit habe ich seitdem mehrere Doktorarbeiten betreut, deren Verfasser mittlerweile als Professoren, Richter oder Staatsanwälte Karriere machen konnten. Manche von ihnen sind bereits Mitglieder des Kassationshofs. Schon in meiner Zeit als Assistenzprofessor nahm ich an mehreren Gesetzgebungsausschüssen teil, obwohl mir bewusst war, dass diese Tätigkeit vorwiegend von der Politik bestimmt sein würde. Als Mitglied des Obersten Spezialgerichtshofs hatte ich Gelegenheit, die Spannungsverhältnisse
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zwischen dem Kassationshof und dem Conseil d’Etat persönlich zu erleben. Als Dozent der griechischen Richterakademie bemühe ich mich stets, junge Richter und Staatsanwälte von der Einseitigkeit abzuwenden und mit der gegenwärtigen Mentalität der Strafrechtsdogmatik vertraut zu machen.
XII. Der StGB-Entwurf Im Jahr 2006 wurde ein umfangreicher Ausschuss zur Erarbeitung eines neuen Strafgesetzbuchs gebildet, da das geltende Werk auf das Jahr 1950 zurückging und Auffassungen der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts widerspiegelte. Diese ursprünglich unter dem Vorsitz von Professor Androulakis geführte Kommission war insgesamt vier Jahre lang tätig und wurde schließlich nach dessen Rücktritt von mir übernommen. Unsere Anstrengungen hatten wir hierbei auf bestimmte Bereiche konzentriert, die dringend der Modernisierung bedurften. Auch wenn das griechische Strafgesetzbuch zur Zeit seiner Einführung (1950) als ein sehr fortschrittliches Werk bezeichnet werden konnte (so schon Welzel), hat es mittlerweile seinen ursprünglichen Charakter den jeweiligen temporären Zweckmäßigkeiten und Zustandsnöten geopfert. So lässt sich die griechische Strafgesetzgebung in der heutigen Zeit vor allem durch opportunistische Zustandslösungen charakterisieren, die darauf abzielen, Probleme nur temporär abzuhandeln, ohne dabei für lebenstaugliche Lösungen zu sorgen. Infolgedessen hat das StGB seinen ursprünglich soliden und stringenten Charakter verloren, mit bedauerlichen Auswirkungen auf das Systemvertrauen und das Sicherheitsempfinden der Bürger. Die in Bezug auf die Verbrechen vorgesehenen, überaus schweren Zuchthausstrafen, die in der Praxis durch Milderungsmöglichkeiten niemals völlig verbüßt werden, sowie die faktische Abschaffung der Gefängnisstrafe in Bezug auf die Vergehen – da praktisch alle dieser Sanktionen in Geldstrafe umgewandelt werden – haben zu einer Inflation von Strafen geführt. Das wiederum führte dazu, dass das griechische Strafrecht gewissermaßen einen theatralischen Charakter annahm, was seine Überzeugungskraft und Präventionsfunktion erheblich schwächte. All diese Defizite sollten behoben werden. Neben diesen Ungereimtheiten versuchten wir, bestimmte permanente Problemquellen zu beseitigen, indem wir beispielsweise die Abschaffung von Übertretungen vorschlugen, sowie die Einbeziehung von Umweltdelikten in das StGB, die Modernisierung des Vermögensstrafrechts durch Berücksichtigung der Computermissbräuche und des immateriellen Geldverkehrs. Nach dem Regierungswechsel (2010) wurde die Kommission schließlich durch eine andere ersetzt, in diesem Fall unter dem Vorsitz von Professor Manoledakis in
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Thessaloniki, der leider mittlerweile nicht mehr unter uns weilt. Diese Kommission erarbeitete einen neuen Entwurf, wurde jedoch 2012 nach dem Sturz der Regierung durch einen dritten Ausschuss abgelöst.
XIII. Die Europäische Akademie für Wissenschaften und Künste (EASA) Im Jahr 2012 wurde ich zum Mitglied der Europäischen Akademie für Wissenschaften und Künste (Salzburg) gewählt, was mir aus drei Gründen große Freude bereitete: Erstens, weil ich zu den wenigen griechischen Mitgliedern zählte, die der Akademie angehörten; zweitens, weil nunmehr das Strafrecht in der Akademie vertreten war (ich bin der einzige griechische Strafrechtler unter sehr wenigen aus anderen Ländern); last but not least, weil diese Wahl auch eine Art Antwort auf Fälle von Vetternwirtschaft, ungeahndeter akademischer Urheberrechtsverstöße und „Zitierkartelle“ war, die in Griechenland nicht selten vorkommen.
XIV. Mein wichtigstes Werk: Das Institut für Europäisches und Internationales Strafrecht Im Oktober 2014 habe ich drei Vorlesungen in Peking gehalten, genauer gesagt an der Renmin Universität, der Peking Universität und am „College for Criminal Law Science“ der Beijing Normal University. Der Kontakt und Meinungsaustausch mit den chinesischen Kollegen war rührend und aufschlussreich und ich hatte ausreichend Gelegenheit, die spektakulären Fortschritte der chinesischen Strafrechtswissenschaft, aber auch der chinesischen Universitäten festzustellen. Im Mittelpunkt unserer Diskussionen standen Fragen über internationales und europäisches Strafrecht, welche sich auf die gesamte strafrechtliche Problematik bezogen. Da mich diese Fragestellungen bereits seit langer Zeit beschäftigen, habe ich zum Anfang des Jahres 2015 mit großer wissenschaftlicher und moralischer Unterstützung von Freunden und Kollegen aus aller Welt das „Institut für Europäisches und Internationales Strafrecht“ in Athen gegründet. Der erste Kongress fand am 4. Juni 2015 in Athen statt. Es folgten zwei weitere Tagungen („Internationaler Strafrechtsschutz von Kulturgütern“ und „Der Europäische Staatsanwalt“) sowie im Juni 2016 die erste internationale Konferenz des Instituts („Internationales Strafrecht und gegenwärtige Wirklichkeit. Herausforderungen und Ausblicke“) mit prominenten Teilnehmern
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aus vielerlei Ländern, darunter etwa Claus Roxin, und unter der Schirmherrschaft des Präsidenten der Griechischen Republik.15 Im Rahmen dieser Konferenz haben wir uns mit Prof. Sieber über eine Zusammenarbeit des Instituts mit dem Max-Planck-Institut für ausländisches und internationales Strafrecht in Freiburg geeinigt, was bereits in der Organisation einer gemeinsamen Konferenz am 26. Januar 2018 in London durch die beiden Institute sowie die Queen-Mary-Universität mündete (Thema „Transitional Justice“). Zur Realisierung meiner weiteren Zukunftspläne erhalte ich nicht nur von meinen ehemaligen deutschen Dozenten große moralische Unterstützung, sondern auch von den griechischen Nachwuchswissenschaftlern, meinen Studenten, die mich mit ihrem Ethos, ihrer Originalität und ihrem hohen Niveau ermutigen und mir Kraft geben, weiterzumachen. Dieser Umstand stimmt mich sehr optimistisch, sowohl in Bezug auf die Zukunft der griechischen Strafrechtswissenschaft und Strafrechtsanwendung, als auch in Bezug auf die Zukunft Griechenlands, das bislang alle Schwierigkeiten über Jahrtausende hinweg gemeistert hat.
Schriftenverzeichnis (in Auswahl) 1. Selbstständiges Schrifttum / Monographien Über das Verhältnis von Handlungs- und Erfolgsunwert im Strafrecht, Köln 1982. Komparative und Dispositionsbegriffe im Strafrecht, Frankfurt 1998. Dogmática penal en un contexto internacional, Buenos Aires 2017.
2. Aufsätze in Zeitschriften und Sammelwerken Das Verhältnis von Vorsatz und Fahrlässigkeit und der Grundsatz in dubio pro reo. Eine strafrechtlich-rechtstheoretische Untersuchung, in: ZStW 1987, S. 685 ff. Computerrelated crimes in Greece, Substantive Law Aspects, in: Extrait de la Révue hellénique de droit international, 44ème et 39ème année (1991), S. 121 ff. Τhe Greek Criminal Procedure, in: Wyngaert (Hrsg.), Criminal procedure systems in the European Community, London 1993, S. 163 ff. Die Endgültigkeit der Enteignung als Merkmal des Unterschlagungstatbestandes. Versuch einer dispositionellen Erklärung, in: Schünemann / Achenbach
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Siehe den Bericht von Hans-Heiner Kühne in GA 2016, S. 567 ff.
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Bottke / Haffke / Rudolphi (Hrsg.), Festschrift für Claus Roxin, Berlin 2001, S. 918 ff. (auch in japanischer Übersetzung). Dogmatische Grunderfordernisse eines Allgemeinen Teils aus griechischer Sicht, in: Hirsch (Hrsg.), Krise des Strafrechts und der Kriminalwissenschaften, Berlin 2001, S. 174 ff. Internationalisierung des Strafrechts und Strafrechtsdogmatik. Legitimationsdefizit und Anarchie als Hauptcharakteristika der Strafrechtsnormen mit internationalem Einschlag, in: ZStW 2009, S. 68 ff. Telekommunikationsüberwachung nach Griechischem Strafrecht, in: Fasikül 2010, S. 13 ff. (auf Deutsch und in türkischer Übersetzung). Corporate Criminal Liability and Greek Law, in: Revue Hellénique de Droit International 2010, S. 471 ff. Criminal Protection of the Intellectual Property in Greece, in: Bingzhi (Hrsg.), Criminal Law Protection of Intellectual Property in the Context of Internationalization, Beijing 2011, S. 222 ff. (auch in chinesischer Übersetzung). Strafrechtsdogmatik in Europa nach dem Vertrag von Lissabon – Zur materiellen Legitimation des Europäischen Strafrechts, in: ZStW 2011, S. 633 ff. Versuchsbeginn und Mittäterschaft, in: GA 2011, S. 462 ff. Die „Vernunft des rechtstreuen Bürgers“ als Freiwilligkeitskriterium beim Rücktritt vom unbeendeten Versuch, in: Schulz / Reinhart / Sahan (Hrsg.), Festschrift für Imme Roxin, Heidelberg 2012, S. 165 ff. Vorsatz als Dispositionsbegriff, in: Freund / Murmann / Bloy / Perron (Hrsg.), Festschrift für Wolfgang Frisch, Berlin 2013, S. 349 ff. Zur Möglichkeit einer theoretischen Begründung des plea bargaining, in: Esser / Jäger / Günther (Hrsg.), Festschrift für Kühne, Tübingen 2013, S. 259 ff. Zur Strafbarkeit der Leugnung historischer Tatsachen, in: Heger / Kelker / Schramm (Hrsg.), Festschrift für Kristian Kühl, München 2014, S. 551 ff. Contemporary Problems in International Criminal Law, in: Peking Law Review 2015, S. 285 ff. Das Bedürfnis einer allgemeinen Strafrechtstheorie zur Ausgestaltung effektiver und gerechter internationaler Strafnormen, in: Saliger / Kim / Liu / Mylonopoulos / Yamanaka / Zheng / Tavares / Isfen (Hrsg.) Rechtsstaatliches Strafrecht. Festschrift für Ulfried Neumann zum 70. Geburtstag, Heidelberg 2017, S. 669 ff.
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3. Lehrbücher und Fallsammlungen Τα εκ του αποτελέσματος διακρινόμενα εγκλήματα [Die erfolgsqualifizierten Delikte. Dogmatische Begründung], Athen 1984. Διεθνές Ποινικό Δίκαιο [Internationales Strafrecht], 2. Aufl., Αthen 1993. Ποινικό Δίκαιο, Ειδικό μέρος: Τα εγκλήματα κατά της ιδιοκτησίας και περιουσίας [Strafrecht, Besonderer Teil: Βand I, Vermögensdelikte], 3. Aufl., Athen 2016, Τα εγκλήματα περί τα υπομνήματα [Band II, Urkundsdelikte], Athen 2005. Ποινικό Δίκαιο, Γενικό Μέρος, τ. Ι [Strafrecht, Allgemeiner Teil, Band. Ι], Athen 2007. Ποινικό Δίκαιο, Γενικό Μέρος, τ. ΙI [Strafrecht, Allgemeiner Teil, Band. ΙI], Athen 2008.
Petar Novoselec
https://doi.org/10.1515/9783110277708-017
Petar Novoselec Mein Leben und meine Zeit I. Lebensweg Ich wurde am 10. Juli 1938 in Gola, einem kroatischen Dorf nahe der ungarischen Grenze, welches zu dieser Zeit zum Königreich Jugoslawien gehörte, geboren. Mein Vater Rudolf stand dort als Gemeindeverwaltungsleiter im Dienst. Auch wenn er keinen akademischen Abschluss hatte, schätzte und mochte er doch das Recht. Meine Mutter Cecilija war Hausfrau und ging dieser Aufgabe ihr Leben lang sorgfältig nach, indem sie achtsam den Lohn des Vaters aufteilte, von dem die ganze Familie (wir waren vier Kinder) lebte. Als 1941 der Krieg ausbrach, setzte mein Vater seine Arbeit im Rahmen des Unabhängigen Staates Kroatien fort – ein Gebilde, das im Rahmen der Achsenmächte bestand und unter dem (faschistischen) Ustaša Regime errichtet wurde. Wegen der Gefahr, dass er hätte entdeckt werden können, weil er einer jüdischen Familie einen Hinweis gegeben hatte, dass ihre Familienmitglieder deportiert werden sollten, lief er 1943 zu den Partisanen über, den Zugehörigen der militärischen Truppe der antifaschistischen Bewegung. Wir übrigen Familienmitglieder lebten fortan bei meiner Großmutter auf dem Land. Nach Kriegsende bekam mein Vater eine Arbeit als Beamter in Bjelovar, einer Stadt 80 km entfernt von Zagreb. Dort verbrachte ich schließlich den größten Teil meines Lebens. Und obschon ich diesen Ort später des Öfteren verließ und die Aufenthalte in Bjelovar nur für ruhige Arbeiten nutzte, frage ich mich oft, ob das Leben in der Provinz nicht doch mein Leben bestimmt hat. In Bjelovar habe ich das Gymnasium abgeschlossen. Ich war ein sehr guter Schüler, jedoch vernachlässigte ich hin und wieder die Ausbildung, weil ich mich mit Schachspielen beschäftigte. Dieses ausgeklügelte intellektuelle Spiel hatte mich in seinen Bann gezogen, weil es nicht von der damaligen, allgegenwärtigen politischen Ideologie vereinnahmt wurde, die man später mit Recht als „Einheitsdenken“ bezeichnete. Glücklicherweise hatte ich keinen größeren Erfolg beim Schach und so beschloss ich für mich, dass man das Leben nicht nur einem Spiel widmen sollte. Also wendete ich mich anderen Bereichen zu. Es zog mich zur Belletristik und gegen Ende der Gymnasialzeit auch zur Philosophie. Ich lernte die französische Sprache lieben, die damals in Bjelovar nach Russisch als zweite Fremdsprache unterrichtet wurde. Leider waren die damaligen Möglichkeiten, eine Fremdsprache zu erlernen, sehr schlecht; es gab keine technischen Hilfsmittel, und was noch schlimmer war,
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auch keinen Kontakt zu Muttersprachlern. Deutsch zu lernen, reizte mich damals nicht besonders; zum Teil auch wegen unangenehmer Assoziationen mit dem vergangenen Krieg. Mit dem Recht kam ich zu dieser Zeit nur über Gespräche mit meinem Vater in Berührung, der in seiner Freizeit die 1951 in Belgrad übersetzte Fassung von Kelsens „Theory of Law and State“ las. Vor der Wahl meines Studiums kündigte sich ein Dilemma an: Jura oder Philosophie, die mich auch später noch begleiten sollte. Heute schätze ich am Recht vor allem die Präzision des Ausdrucks und die Deutlichkeit des Gedankenguts, welche die Philosophen in diesem Grad nur selten erreichen; andererseits erfasst erst die Philosophie den Menschen im Ganzen, im Gegensatz zum Recht, das ihn nur als Träger von Rechten und Pflichten behandelt und ihn auf diese Weise beschränkt. Der Jurist ist notwendigerweise in das gesellschaftliche Leben mit eingebunden, während dies dem Philosophen nur schwer gelingt und zumeist nur durch politisches Engagement, das ich verabscheute. Vor allem wegen des letzten Arguments beschloss ich 1957, mich an der Juristischen Fakultät in Zagreb einzuschreiben. Dort studierte ich fleißig. Und auch wenn nicht einmal die Juristische Fakultät in Zagreb der allgemeinen ideologischen Doktrin entkommen konnte, behielt sie eine gewisse Anzahl von Professoren, die nicht politisch engagiert waren. Marijan Horvat, angesehener Professor für römisches Recht – wenn auch „parteilos“ – wurde sogar Rektor der Universität in Zagreb. Besonders beeindruckt war ich von Bogdan Zlatarić, Professor für Strafrecht und französisch geschult, der auf beneidenswerte Weise auf internationalem Parkett Karriere gemacht hatte. Als ich mich in meinem vierten Studienjahr befand, wurde mir großes Glück zuteil: Dank der Liberalisierung des politischen Lebens in den sechziger Jahren trafen die Universitäten in Zagreb und Belgrad mit der Universität in Straßburg Vereinbarungen zu einem Studierendenaustausch. Durch diese Vereinbarung erhielt ich schließlich ein Stipendium über die französische Regierung, so dass ich das akademische Jahr 1960/61 als „auditeur libre“ an der Universität von Straßburg verbrachte. Diesen Aufenthalt erachte ich als einen bedeutsamen Abschnitt meines Lebens. Da meine Französischkenntnisse für den Besuch von Lehrveranstaltungen nicht ausreichten, konzentrierte ich mich auf das Erlernen der Sprache. Besonderes Interesse rief in mir der damalige französische Existentialismus (Sartre und Camus) hervor, in dem ich eine Bestätigung des Individualismus sah, an welchem es dem Marxismus so sehr mangelte. Nach der Beendigung meines Studiums und dem Ableisten des Wehrdienstes, musste ich mich als Stipendiat in der Verwaltung der Gemeinde Bjelovar anstellen lassen. Zu dieser Zeit heiratete ich auch Hajrija, ebenfalls Juristin, die
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später Richterin am Landgericht in Bjelovar wurde und schließlich zum Ende ihrer Karriere Richterin am Obersten Gerichtshof der Republik Kroatien. Meine Ehefrau zeigte später großes Verständnis für meine Beschäftigung mit der Wissenschaft, wohlwissend, dass sie in Zeiten meiner Abwesenheit mit zwei Kindern alleine sein würde. Nach der Heirat stellte sich für uns die Frage bezüglich der Wohnung, die zu jener Zeit durch die Zuteilung des sogenannten Wohnrechts geregelt wurde, über das der Arbeitgeber verfügte. Nach einem Streit mit dem Gemeindevorstand, zu dem es wegen meiner erheblichen Zweifel bezüglich der Rechtmäßigkeit der Ausschreibung der lokalen Steuergelder kam, folgte eine Repressalie, die darin bestand, dass unser Antrag auf Zuweisung einer Wohnung abgelehnt wurde. Die Wohnungsfrage konnte ich jedoch letztendlich dadurch lösen, dass ich 1966 eine neue Stelle in einer Bank in Bjelovar annahm. Mein dortiger Tätigkeitsbereich entwickelte sich für mich jedoch zu einer Quelle der Unzufriedenheit. Als Chef der allgemeinen Verwaltung war ich nicht in die Bankgeschäfte eingebunden und die mir anvertrauten Aufgaben erforderten kein besonderes juristisches Fachwissen. Diese Leere versuchte ich mit einem zeitgleichen Studium der Philosophie an der Universität in Zagreb zu füllen, wodurch ich mir zugleich einen langersehnten Wunsch erfüllen wollte. Zudem war es sehr verlockend, dass die philosophischen Veranstaltungen vor allem von Professoren abgehalten wurden, die sich zu der Zeitschrift „Praxis“ bekannten, mit dem sie sich unter dem Einfluss des westeuropäischen Neomarxismus dem Stalinismus scharf entgegenstellten, aber auch immer mehr dem damaligen „Savez Komunista Jugoslavije“ (Bund der Kommunisten Jugoslawiens). Auch wenn ich das Studium bis in die Abschlussphase absolvierte, beendete ich es letzten Endes nicht. 1969 wurde mir die Stelle als Untersuchungsrichter beim Landgericht in Bjelovar angeboten, welche ich gerne annahm. Der Problematik des Strafrechts gegenübergestellt, entschloss ich mich, das Studium der Philosophie abzubrechen und mich für ein Aufbaustudium für Graduierte1 der strafrechtlichen Wissenschaften an der Juristischen Fakultät in Zagreb einzuschreiben. Doch alsbald standen die politischen Zeichen auf Sturm. Im Verlauf des Jahres 1971 flammte in Kroatien die Bewegung zur Legitimation der kroatischen nationalen Identität auf, auch bekannt unter dem Namen „Kroatischer Frühling“. Die Führung des Bundes der Kommunisten Jugoslawiens verurteilte diese Bewegung aufs Schärfste und es folgte daraufhin schließlich eine Reihe repressiver Maßnahmen (Festnahmen, Absetzungen 1
Dieses „Postdiplomstudium“ entsprach in der damaligen Zeit dem Ausbildungsabschnitt vor dem Doktorat.
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u.Ä.). Diese „Säuberungsmaßnahme“ betraf auch die Jurisdiktion, was zur Folge hatte, dass einige Richter und Staatsanwälte ihres Amtes enthoben wurden. Aufgrund meiner Mitgliedschaft bei der literarischen und kulturellen Gesellschaft „Matica Hrvatska“, der kroatischer Nationalismus vorgeworfen wurde, stellte sich die Frage, ob ich überhaupt Richter bleiben könnte. Da mein Auftreten nicht nationalistischer Natur war, reichte bereits meine Mitgliedschaft in besagter Gesellschaft aus, um mich zu belasten. Hinzu kam ein Gerichtsurteil, bei dem ich Vorsitzender gewesen war und in welchem ein Angeklagter freigesprochen wurde, der den jugoslawischen Präsidenten im betrunkenen Zustand beleidigt hatte. Letzten Endes wurde jedoch entschieden, dass ich Richter bleiben konnte und zwar unter gewisser capitis deminutio, welche aus dem (ungeschriebenen) Verbot bestand, weder weitere öffentliche Ämter zu übernehmen, noch über wichtige politische Fälle zu urteilen. Zu dieser Zeit lehnte es Vladimir Primorac, Richter am Landgericht in Zagreb, ab, in politisch intonierten Fällen zu richten, sodass er seine Kündigung einreichte und Rechtsanwalt wurde. Hätte auch ich etwa so handeln sollen? Diese Frage stelle ich mir auch heute noch. Ich entschloss mich dazu, Richter zu bleiben. Das damalige offizielle Syntagma über die „sozialistische Gesetzlichkeit“ erleichterte die Einhaltung der Rechte und im Übrigen war ich darin nicht der Einzige. Der Rückzug aus dem öffentlichen Leben sagte mir auch deshalb zu, weil ich mich fortan parallel zu den richterlichen Aufgaben den Wissenschaften widmen konnte. Nach den damaligen Vorschriften musste nach dem Aufbaustudium als Vorbereitung auf die Erlangung des Doktortitels die Magisterarbeit verteidigt werden. Im Jahr 1976 verteidigte ich schließlich meine Arbeit mit dem Titel „Die Idee der gesellschaftlichen Verteidigung in den strafrechtlichen Wissenschaften“, für die mir Professor Zlatarić als Mentor zur Seite gestanden hatte. Daraufhin beschloss ich, dass das Thema meiner Dissertation die Schuld im Strafrecht sein würde und zwar gestützt auf deutsche Literatur, was freilich das Meistern der deutschen Sprache erforderte. Auch wenn ich damals bereits nahezu 40 Jahre alt war, entschloss ich mich, diesen Schritt zu wagen. Neben der richterlichen Arbeit und den Verpflichtungen gegenüber der Familie war dies nicht einfach. Anfangs nahm ich Deutschstunden und nutzte schließlich auch die Sommerferien des Jahres 1978, um an einem Sprachkurs am GoetheInstitut in Passau teilzunehmen. Auf diese Weise kam es schließlich auch dazu, dass ich das Land kennenlernte. Bereits im darauffolgenden Jahr gelang es mir, ein dreimonatiges DAAD-Stipendium zu erhalten, das ich für einen Aufenthalt am Max-Planck-Institut für Ausländisches und Internationales Strafrecht nutzte und zusätzlich für einen weiteren Kurs am Goethe-Institut. Damals
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begegnete ich zum ersten Mal dem Direktor des Instituts, Professor Jescheck, der mich freundlich empfing, und da meine Dissertation noch in der Anfertigung war, bot er mir ein weiteres dreimonatiges Stipendium der Max-PlanckGesellschaft an, das ich 1981 in Anspruch nahm. So begann meine Zusammenarbeit mit dem Max-Planck-Institut, welche bis zum heutigen Tage anhält. Auch später hielt ich mich noch einige Male als Deutsch-Stipendiat dort auf und beteiligte mich an zahlreichen Projekten des Max-Planck-Instituts (Schwangerschaftsabbruch im internationalen Vergleich / Vom totalitären zum rechtsstaatlichen Strafrecht / Strafrechtsentwicklung in Europa / Einzel- und Mitverantwortung im Strafrecht / Nationale Strafverfolgung völkerrechtlicher Verbrechen / Strafbare Mitwirkung von Führungspersonen in Straftätergruppen und Netzwerken). Bei jedem meiner Aufenthalte besuchte ich auch Professor Jescheck. Niemals werde ich unsere letzte Begegnung im Jahr 2007 vergessen, als er bei der Verabschiedung meine Hand lange in seiner hielt. Ich revanchierte mich bei ihm mit einem warmherzigen Nachruf im Kroatischen Jahrbuch für Strafrecht und Praxis. Ich habe mich oft gefragt, weshalb Deutschland, das damals in meinen Augen durch Professor Jescheck repräsentiert wurde, mir gegenüber, aber auch gegenüber anderen Juristen aus sozialistischen Ländern, so großzügig aufgetreten war. War sich Professor Jescheck etwa aus eigenen Erfahrungen, den Beschwerlichkeiten, mit denen es Juristen in totalitären Systemen zu tun haben, bewusst gewesen? Einmal hatte er mir gesagt, dass die Deutschen noch immer an ihrer Vergangenheit zu leiden hätten. An seinem Beispiel habe ich mich davon überzeugt, dass das moderne Deutschland diese Vergangenheit mittlerweile überwunden hat. Auch mit den Professoren Eser und Sieber, den Nachfolgern Professor Jeschecks, freundete ich mich an. Im Hause von Professor Eser in Herder verbrachte ich eine angenehme Zeit. Bei einer Versammlung in Freiburg lernte ich schließlich auch Professor Roxin kennen und teilte ihm mit, dass er einen treuen Leser in Kroatien hätte. Von da an haben wir eine Vielzahl von Briefen gewechselt und es war mir ein besonderes Vergnügen, anlässlich seines 80. Geburtstags bei der Feier in Feldafing teilnehmen zu dürfen. Außerdem konnte ich einen Beitrag zu seiner Festschrift leisten, aus dem man den Einfluss seiner Tatherrschaftslehre auf die kroatische Strafgesetzgebung ersehen kann. Heute bin ich in Kroatien nicht mehr sein einziger Leser, da sich mittlerweile auch immer mehr junge kroatische Wissenschaftler für sein Werk interessieren. Ein freundschaftliches Verhältnis baute ich auch zu Professor Hans Joachim Hirsch auf, mit dem ich lange Gespräche bei seinem Besuch in Zagreb, sowie meinem Besuch in Köln führte.
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Meine Dissertation mit dem Titel „Aktuelle Grundprobleme der Schuld im Strafrecht“ verteidigte ich im Jahr 1985 an der Juristischen Fakultät der Universität in Zagreb gegenüber einer Prüfungskommission, der die Professoren Franjo Bačić (Mentor), Zvonimir Šeparović und Ljubo Bavcon (Professor an der Juristischen Fakultät Ljubljana), angehörten. Im Jahr 1986 ergab sich für mich eine Chance, als Richter für den Obersten Gerichtshof Kroatiens ausgewählt zu werden. Der damalige Präsident dieses Gerichtshofes forderte mich höchstpersönlich dazu auf, mich auf die Ausschreibung zu melden, die sich auf insgesamt fünf richterliche Sitze im Bereich des Strafrechts bezog. Die Allgemeine Sitzung (Zusammenkunft aller Richter) des Obersten Gerichtshofes schlug mich zwar als Kandidaten vor, doch das kroatische Parlament traf eine andere Wahl. Die Gründe dafür waren selbstverständlich politischer Natur. Meine politische Ungeeignetheit war weiterhin im Gespräch. Bald darauf ergab sich eine weitere interessante Gelegenheit für mich. An der damals neu gegründeten Juristischen Fakultät in Osijek war eine Stelle für einen Professor im Strafrecht zu vergeben. In diesem Fall war das Glück auf meiner Seite, sodass ich 1988 dort zunächst als Dozent und später auch als Professor angestellt wurde. So gelang es mir schließlich, als ein Jurist aus der Praxis in der sonst so verschlossenen Mitte der Universität Fuß zu fassen. Endlich war es mir möglich, mich gänzlich der Wissenschaft zu widmen. Die bisherige richterliche Praxis hatte sicherlich ihre guten Seiten gehabt. Das Strafrecht war für mich mittlerweile nicht nur bloße Theorie, sondern etwas, was ich erlebt hatte. Dennoch war ich, wie es schien, bereits etwas zu lange Richter gewesen und das schadete meiner wissenschaftlichen Produktivität. Das ruhige Leben in Osijek währte jedoch nicht lange. Alsbald brodelte es auf der politischen Ebene. Gegen Ende des Jahres 1989 herrschten unter Führung des Kommunistischen Verbandes Kroatiens reformatorische Strömungen, was zu den ersten mehrparteiischen Wahlen führte, in denen die Kroatische Demokratische Union (HDZ) unter Führung Franjo Tuđmans gewann. Als Präsident des Obersten Gerichtshofs wurde Vjekoslav Vidović, ehemaliger Präsident des Landesgerichts in Zagreb eingesetzt, der zur Zeit der kommunistischen Säuberungen im Jahr 1972 abgesetzt worden war. Er forderte mich schließlich auf, als Richter für den Obersten Gerichtshof zu kandidieren und zwar mit der Begründung, dass auf diese Weise das Unrecht, das mir 1986 widerfahren war, wieder ausgeglichen werden könnte. Als er mir anbot, dass ich zudem auch Professor in Osijek bleiben könne, nahm ich das Angebot an. Dieses Mal wurde ich ohne Beanstandung vom Parlament gewählt. Neben mir wurde auch Vladimir Primorac ausgewählt, dem ebenfalls auf diese Weise Satisfaktion für
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ein früheres Unrecht gegeben wurde. Darüber hinaus wurde die Vereinigung kroatischer Richter gegründet, für die ich den Vorsitz übernahm. Zumal in Kroatien jedoch bereits der Krieg gegen serbische Aufständische, die von der Nationalen Volksarmee Jugoslawiens (JNA) unterstützt wurden, ausgebrochen war, waren auch die Richter immer mehr politischem Druck ausgesetzt. Der Präsident des Obersten Gerichtshofes geriet in einen Streit mit dem Präsidenten der Republik, Franjo Tuđman, weil er nicht akzeptieren konnte, dass man inhaftierte Aufständische, gegen die man einen Strafprozess führte, ohne jegliche gerichtliche Entscheidung gegen inhaftierte kroatische Verteidiger austauschte. Er wurde schließlich kurzerhand abgewählt. Einige Zeit später nahm Milan Vuković, ein beinharter Nationalist, der die „Heimatliebe“ noch vor das Recht setzte, seinen Platz ein. Es wurde zunehmend schwieriger, die richterliche Arbeit zu leisten, auch wenn die strafrechtliche Abteilung des Obersten Gerichtshofes gegenüber dem politischen Druck standhaft blieb. Für eine strenge Einhaltung der rechtlichen Normen setzte sich auch die Vereinigung kroatischer Richter ein. Dieser Zustand hielt bis 1995 an, als eine massive Säuberung einsetzte, welche in ihrem Ausmaß jene von 1972 noch überstieg. Die rechtliche Basis war die Verordnung der neuen Verfassung, nach der das richterliche Amt auf unbestimmte Zeit festgesetzt war – im Gegensatz zu den bis dahin geltenden Bestimmungen, nach denen das richterliche Mandat acht Jahre gedauert hatte. Die Regierung hatte angeordnet, dass die neue Verordnung lediglich auf diejenigen Richter angewandt werden würde, die der neu gegründete und ihrer Kontrolle unterstehende Staatliche Richterliche Rat auswählte. Es kam schließlich dazu, dass dieser besagte Rat seine Tätigkeit 1995 damit begann, dass er am Obersten Gerichtshof von insgesamt etwa dreißig Richtern dreizehn nicht nominierte. Unter diesen befanden sich auch Vladimir Primorac und ich. Mir wurde u.a. vorgeworfen, dass ich durch meine Tätigkeit als Professor von der Arbeit abwesend war, obwohl ich hierfür eine schriftliche Erlaubnis vom ehemaligen Gerichtspräsident erhalten hatte und meine richterlichen Normen erfüllte. Die eingereichte Verfassungsklage von uns Abgesetzten wurde vom Gericht zur Kenntnis genommen, änderte jedoch nichts an dem Beschluss des Staatlichen Richterlichen Rates. Diese Prozedur wurde auch bei Richtern, die an niedrigeren Gerichten praktizierten, angewandt. Die Wiederernennung hing ausschließlich von der Loyalität gegenüber der neuen Regierung ab, sodass nicht selten auch Richter nominiert wurden, die auch dem vorherigen Regime gedient hatten. Einige Richter traten jedoch auch von sich aus von ihrem Amt zurück, ohne den sie betreffenden Beschluss des Rates abzuwarten. Diese Personalpolitik war letzten Endes einer der
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Gründe, der die kroatische Jurisdiktion in eine Krise stürzte, deren Auswirkungen auch heute noch zu spüren sind. Der Verlust meiner richterlichen Funktion hatte keinen Einfluss auf meinen Status als Professor an der Juristischen Fakultät in Osijek. Als ich ab 1992 als Gastprofessor an der Juristischen Fakultät in Maribor (Slowenien) tätig wurde, fuhr ich auch dort bis 1997 damit fort, Vorlesungen abzuhalten. In jenem Jahr hielt ich auch einen Monat lang Vorlesungen an der Juristischen Fakultät der Universität in Graz. Zudem fing ich zu dieser Zeit mit der Arbeit am Allgemeinen Teil meines Lehrbuches an. Da nach der Emeritierung von Professor Zvonimir Šeparović dessen Stelle an der Juristischen Fakultät in Zagreb frei wurde, kam es schließlich dazu, dass ich 1999 an dieser Fakultät Professor wurde. Neben den Aufgaben des regulären („Diplom“) Studienganges übernahm ich auch die Vorlesungen des Aufbaustudiums im Strafrecht. Im Jahr 2003 dozierte ich auch einen Monat lang an der Universität Paris II Assas. Als Professor in Zagreb vollendete ich mein Lehrbuch für Allgemeines Strafrecht, dessen erste überarbeitete Auflage 2004 veröffentlicht wurde und dem vier weitere Auflagen folgten. Im Jahr 2008 ging ich in den Ruhestand. Kroatien brachte 1997 sein erstes vollständiges Strafgesetz heraus, welches im Grunde genommen eine etwas überarbeitete Fassung des jugoslawischen Rechtes war. In die Vorbereitungen zur Ausarbeitung dieses Gesetzes war ich nicht involviert gewesen, wurde jedoch später zum Leiter der Arbeitsgruppe ernannt, die auf Anordnung der neuen Koalitionsregierung eine Überarbeitung des Gesetzes vornehmen sollte. Ein umfangreicher neuer Gesetzesentwurf kam schließlich auch im Jahr 2003 heraus, trat jedoch nicht in Kraft, da er vom Verfassungsgericht als sog. „organisches Gesetz“ nicht durch die absolute Mehrheit verabschiedet worden war. Die 2004 als regierende Partei zurückgekehrte Kroatische Demokratische Union ignorierte diesen besagten Gesetzesentwurf über lange Zeit. Der Stand der Dinge änderte sich schließlich dennoch, als sich die Regierung 2009 entschloss, ein ganz und gar neues Strafgesetz vorzuschlagen. Zu diesem Zweck wurde unter der Leitung von Frau Prof. Ksenija Turkovićs, damals Inhaberin des Lehrstuhls für Strafrecht an der Juristischen Fakultät in Zagreb, eine Arbeitsgruppe gegründet. Auch ich selbst gehörte zu den Mitgliedern. Diese Arbeitsgruppe fertigte über zwei Jahre einen neuen Gesetzesentwurf an, der schließlich 2011 in Kraft trat. Der Einfluss des deutschen Rechts darin lässt sich durchaus feststellen – vor allem im Allgemeinen Teil bezüglich der Voraussetzungen für eine Strafbarkeit. Im Jahr 2012 übernahm ich die Leitung der Arbeitsgruppe. Seitdem wurde das Strafgesetz bereits drei mal novelliert.
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Im Jahr 2013 wurde mir der Preis der Stiftung „Jadranko Crnić“ für außergewöhnliche Leistungen im Rechtsfach und einen hervorragenden Beitrag zur Rechtsstaatlichkeit zuerkannt.
II. Die Wissenschaft und weitere Stellungnahmen Meine Grundeinstellung äußerte ich in meiner zuvor genannten Magisterarbeit, die einer radikalen Kritik der „Défense sociale nouvelle“ entsprach – eine Bewegung, die auch schon in den strafrechtlichen Wissenschaften des damaligen Jugoslawiens Anklang fand. Den Ausgangspunkt von Marc Ancel sah ich als einen Szientismus, als Höhepunkt des philosophischen Positivismus, an. Dies schloss ich aus Ancels Ablehnung des moralischen Tadels, seinen Einsatz für die Integration von Strafen und Sicherheitsmaßnahmen, die übermäßige Betonung spezieller Präventionen und die Annahme des therapeutischen Strafrechts, in welchem nicht-juristische Experten wortführend sind. Meiner Meinung nach steht so ein Ansatz im Gegensatz zum Freiheitsgedanken des menschlichen Individuums und damit auch im Gegensatz zu dessen Verantwortung. Meine Kritik wurde auf der einen Seite durch mein Studium an der Philosophischen Fakultät in Zagreb beeinflusst, wo der klassische deutsche Idealismus einen hohen Stand hatte, auf der anderen Seite durch Sartres Konzeption der absoluten Freiheit des Individuums. Später habe ich, wie im Übrigen auch Sartre selbst, solch ein Konzept abgeschwächt und der „Kraft der Dinge“ (la force des choses) zugeschrieben. Für inakzeptabel befand ich auch Ancels Einsatz für die sogenannte „déjuridisation“, die in die Vernachlässigung und auch in die Geringschätzung der strafrechtlichen Dogmatik führte, was unvermeidbar zum Ausdruck kam, als Ancel „die Exzesse der deutschen Dogmatik“ dem „lateinischen Sinn für den Menschen“ gegenüberstellte. An dieser Ansicht zweifelte ich jedoch nicht. Eben diese „Exzesse“ haben meinen weiteren wissenschaftlichen Weg bereitet. Mehr und mehr interessierte ich mich schließlich für die deutsche Dogmatik und immer weniger für die flatterige französische Strafpolitik. Mich reizte der Reichtum an Begrifflichkeiten der deutschen Doktrin und die feinen distinktiven Unterschiede zwischen ihnen, die Theorie und Praxis dienten. Der häufige Einwand, dass die deutsche Dogmatik fruchtlose Haarspalterei sei, erschien mir immer weniger zutreffend; dafür befand ich, dass eben genau diese betonte „Kleinlichkeit“ ein Garant dafür ist, dass das Recht nicht unter politischem oder irgendeinem anderem Druck nachgibt – denn demjenigen, dem die Finessen wichtig sind, der wird nur schwer eine grobe Missachtung des Rechts zulassen.
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In meiner Dissertation begriff ich die Schuld im Strafrecht als sozial-ethische Vorwerfbarkeit, sodass ich mich darauf einließ, diejenigen Autoren zu kritisieren, die versucht hatten, die Schuld durch verschiedene Formen der sozialen Verantwortung zu ersetzen und auch diejenigen, die sie zwar annahmen, sie aber eher als eine objektivierte Verantwortung interpretierten. Meine Aufmerksamkeit schenkte ich dem Konflikt zwischen der psychologischen und der normativen Theorie der Schuld, was damals häufig ein Gegenstand der Debatte in der jugoslawischen Literatur gewesen war, wobei ich allerdings die normative Theorie vertrat. Besonders kritisierte ich die Regelung des damaligen Strafrechts, wonach der Verbotsirrtum eine Schuldzuweisung nicht ausschloss, sondern nur ein Grund für die Befreiung von der Strafe war. Mit der Problematik der Schuld beschäftigte ich mich auch später noch. Ich betonte, dass die Übernahme der deutschen Bestimmungen über den Verbotsirrtum in das kroatische Strafrecht im Jahr 1997 – was auch als ausschlaggebender Beweis diente, dass der psychologische Schuldbegriff zu Gunsten des normativen verlassen wurde – nicht ausreichend sein würde, da man von einem normativen Verständnis der Schuld erst dann sprechen könne, wenn man die Entschuldigungsgründe annähme. Dies wurde schließlich im neuen Strafrecht von 2011 bewerkstelligt, in dem es heißt (Art. 23), dass die Bestandteile der Schuld die Zurechnungsfähigkeit, der Vorsatz oder die Fahrlässigkeit, das aktuelle oder potentielle Bewusstsein der Rechtswidrigkeit und das Nichtvorhandensein von Entschuldigungsgründen sind. Im Gesetz werden zwei Entschuldigungsgründe vorgesehen: Die Notwehrüberschreitung wegen entschuldigendem starken Erschrecken, bedingt durch den Angriff (Art. 21 Abs. 4) und der entschuldigende Notstand (Art. 22 Abs. 2). Das deutsche Modell wurde jedoch nicht vollständig übernommen, denn der Vorsatz und die Fahrlässigkeit wurden nicht in den Tatbestand mit aufgenommen, sondern weiterhin als Schuldformen behandelt. In meinen Arbeiten kritisierte ich auch die Bestimmungen nach Art. 4 des Strafgesetzes von 1997, nach welchen „niemand bestraft werden kann, noch kann gegen ihn eine andere strafrechtliche Sanktion angewandt werden, wenn er nicht im Hinblick auf die begangene Straftat schuldig ist“. Eine solche ungebräuchliche Definition des Schuldprinzips sollte den Standpunkt des Gesetzes rechtfertigen, nach dem ein Täter, für den in einem Strafverfahren bewiesen wurde, dass er die Tat in einer unzurechnungsfähigen Verfassung begangen hat, sich dem Strafrecht entzieht und ihm folglich in einem gesonderten nichtstreitigen zivilen Verfahren eine Behandlung auferlegt wird, die nicht als strafrechtliche Sanktion angesehen wird. Eine so definierte Schuld war nicht nur die Legitimation von Strafe, sondern genau genommen auch von
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Sicherheitsmaßnamen, was bedeutet, dass ein monistisches System der Sanktionen suggeriert wurde, welches aber nicht im Gesetz angewandt wurde. Die Bestimmung hatte auch die Schwäche, dass sie die Verhängung anderer Sicherheitsmaßnahmen gegenüber unzurechnungsfähigen Tätern behinderte. Deswegen kehrte man im neuen Strafgesetz zur klassischen Definition nulla poena sine culpa zurück, auch wenn die (fragwürdige) Regelung nicht angetastet wurde, bei der die obligatorische psychiatrische Behandlung unzurechnungsfähiger Täter außerhalb des Strafrechts angesiedelt ist. Meine Kritik galt auch der Regelung der Teilnahme im Strafgesetz aus dem Jahr 1997, nach der jede Beteiligung mehrerer Personen bei der Begehung einer Straftat als Teilnahme aufgefasst wurde und somit der Täterschaft entgegengesetzt ist, die auf die Alleintäterschaft eingeschränkt wurde. Wie im DDR-Recht wurde die Mittäterschaft als Teilnahme behandelt. Darüber hinaus war diese Lösung mit der deutschen Theorie der Tatherrschaft inkompatibel, nach der sich das Gesetz ausdrücklich ausrichtete (argumentum a contrario aus der Bestimmung des Art. 34 Abs. 4 des damaligen Strafgesetzes, nach welchem Anstifter und Helfer nicht über die Tat herrschten). Seltsamerweise ging der kroatische Gesetzgeber einen Schritt weiter als der deutsche, der hinsichtlich dieser Lehre zurückhaltend blieb. Im Grunde genommen war solch eine Rezeption übereilt, da man sich nicht dessen bewusst war, dass sich die Theorie der Tatherrschaft nicht auf Pflichtdelikte anwenden lässt. Bei der Vorbereitung des neuen Strafgesetzes trug man den erwähnten Kritiken Rechnung. Die Mittäterschaft wurde eine Art der Täterschaft und die Teilnahme wurde auf die Anstiftung und Beihilfe eingeschränkt. Diesmal wurde die Tatherrschaft im Gesetzestext ausgelassen, was allerdings die Doktrin und Gerichtspraxis nicht davon abhält, ihre Errungenschaften zu nutzen. In jüngster Zeit habe ich mich auch mit der Problematik des Versuches beschäftigt, wofür ich die reiche deutsche Literatur und Judikatur genutzt habe. Mich hatte die Formulierung des Art. 33 Abs. 1 des Strafgesetzes von 1997 gestört, wonach einen Versuch begeht, „wer vorsätzlich die Verwirklichung einer Straftat beginnt, diese aber nicht vollendet“. Ich erachtete dies als Tautologie. Die gerichtliche Praxis hatte sich dabei beharrlich auf die formale objektive Theorie berufen, wodurch sie den Versuch de facto auf Handlungen ausweitete, welche nicht unter den Tatbestand fallen, aber mit den im Tatbestand beschriebenen Handlungen eine natürliche Einheit bilden. Ich schlug eine Bestimmung vor, nach welcher einen Versuch begeht, „wer mit dem Vorsatz eine Straftat zu begehen, eine Handlung aufnimmt, die räumlich und zeitlich der Verwirklichung eines Tatbestandes vorausgeht“. Trotz zahlreicher und auch heftiger Kritik, dass sich auf diese Weise das Stadium des Versuchs
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unrechtmäßig auf Vorbereitungshandlungen ausweite, ging der Vorschlag in den Gesetzestext ein. Was den Besonderen Teil anbelangt, so habe ich mich in den letzten Jahren hauptsächlich mit Wirtschaftsdelikten beschäftigt. Ich gehöre zu der Generation, die zur Zeit der sozialistischen Wirtschaft ausgebildet wurde. Obwohl die jugoslawische Wirtschaft einige marktwirtschaftliche Elemente enthielt, wurde damals die Verteidigung des „gesellschaftlichen Eigentums“ als primäre Aufgabe vor das Recht gestellt. Angesichts der neuen Entwicklungen musste sich auch das Strafrecht der Betätigung der Handelsgesellschaften anpassen, welche auf anderen Verhältnissen beruhen als zuvor die „selbstverwaltenden“ Unternehmen. Allerdings hielt der Gesetzgeber beharrlich am wirtschaftlichen Teil des Strafgesetzes aus der sozialistischen Epoche fest und blieb somit hinter dem zeitgemäßen Gesetz über die Handelsgesellschaften von 1993 zurück. Aus diesen Gründen nahm ich das Studium des deutschen Wirtschaftsrechts auf. Das Resultat war die Veröffentlichung mehrerer Arbeiten, aber auch der erste (fehlgeschlagene) Versuch einer Revision des wirtschaftsrechtlichen Teiles im nicht in Kraft getretenen Strafgesetz von 2003. Später wurde dennoch festgestellt, dass gerade dieser Teil des Strafrechts eine grundsätzliche Erneuerung verlangte und so war auch dies einer der Gründe, warum man sich zu einem ganz neuen Strafgesetz entschied. Dieses Gesetz beinhaltet nun ein Kapitel (XXIV) mit dem Titel „Straftaten gegen die Wirtschaft“. Dieser Begriff ist im weitesten Sinne so gedacht, dass er auch innerhalb der Handelsgesellschaften begangene Eigentumsdelikte miteinschließt. Für die Ausarbeitung dieses Kapitels wurde im großen Umfang das deutsche Strafrecht herangezogen, was verständlich ist, da auch das Gesetz über die Handelsgesellschaften nach dem Vorbild deutscher Gesetze gemacht wurde. Vertrauensbruch in einer Handelsgesellschaft, als wirtschaftliche Hauptstraftat, wird im neuen Gesetz durch eine Rezeption der deutschen und österreichischen „Untreue“ vertreten. Auf diese Weise harmonierte Kroatien, als es noch kein Mitglied der Europäischen Union war, mit den europäischen Gesetzen. Eine große Aufgabe, die ich mir sowohl als Wissenschaftler als auch als Richter stellte, war die Beseitigung der bestehenden Kluft zwischen Theorie und Praxis. Dafür sind beide Seiten gleichermaßen verantwortlich. Die Mehrheit der kroatischen Theoretiker zeigte kein Interesse für die Praxis bei Gericht; wenn in der Theorie ein Beispiel beschrieben wurde, so handelte es sich ausschließlich um „Lehrbuchkriminalität“, d.h. um ausgedachte Fälle. In manchen Lehrbüchern wird nicht eine einzige richterliche Entscheidung erwähnt, wobei sich in den Kommentaren die Praxis einschliff, dass nach dem
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theoretischen Teil nur Auszüge aus aufs Geratewohl zusammengesammelter Entscheidungen zitiert wurden und dass man sich auf keinen Fall auf deren theoretische Relevanz verlassen könne. Eine glänzende Ausnahme war Zlatarićs „Strafgesetz anhand praktischer Beispiele“ (zwei Bände von 1956 und 1958), welches eine kritische Analyse ausgewählter Entscheidungen beinhaltet. Richter nutzen es sogar heute noch, selbst wenn der größte Teil der gesetzlichen Bestimmungen schon vor langer Zeit reformiert wurde. Die Ansichtsweise mancher Autoren ist sogar von der Art, dass die Erwähnung einer gerichtlichen Entscheidung eine Degradierung der Theorie wäre. Aber der Grund liegt auch in gänzlich praktischen Schwierigkeiten, Entscheidungen, die für die Theorie wichtig wären, zu beschaffen. Das Problem hierbei besteht auch darin, dass die gerichtliche Praxis nicht einmal in den Lehrveranstaltungen angewandt wird, bestenfalls nur in Übungen, die von Juristen aus der Praxis angeleitet werden. Nicht selten sind die Lehrveranstaltungen derart mit übertriebenem Historizismus, also mit der Überbetonung des Geschichtlichen beladen, sodass die Studenten manchmal mehr über rechtliche Akte aus der Vergangenheit wissen, als über derzeitige Gesetze und ihre Anwendung in der Praxis. Auf der anderen Seite zeigen die Richter und andere Personen aus der Praxis kein großes Interesse an der Theorie. Sie beachten zwar den Gesetzestext, legen ihn aber nach ihrem eigenen rechtlichen Gefühl aus und verbleiben dabei zumeist in den Grenzen der Interpretation nach dem Wortlaut. Die theoretischen Arbeiten werden nur selten genutzt – vielleicht auch, weil man in diesen vergeblich nach Lösungen sucht. Die Möglichkeit, dass Professoren gleichzeitig Richter sind, wird in der Regel abgelehnt. Die Richter berufen sich bei der Urteilsbegründung niemals auf die Literatur, was mit der Aussage gerechtfertigt wird, dass nicht die Professoren, sondern die Richter richten. Eine unzureichende theoretische Begründung der Entscheidungen hat eine Uneinigkeit der richterlichen Praxis zur Folge, was der Aussage ihre Berechtigung verschafft, dass jeder Fall ein „Fall für sich“ ist, der sein Spezifikum hat. Allerdings werden heute richterliche Entscheidungen in Fachzeitschriften veröffentlicht, was sich in den letzten Jahren noch verstärkt hat, da der Oberste Gerichtshof der Republik Kroatien alle seine Entscheidungen im Internet veröffentlicht. In den Gerichten jedoch gibt es nicht genügend Richter, die die theoretische Bedeutung der Entscheidungen ans Licht bringen könnten. Als Richter fing ich schließlich damit an, meine eigenen Aufzeichnungen über Entscheidungen in wichtigen Fällen anzufertigen. Diese waren mir dann bei meiner wissenschaftlichen und pädagogischen Arbeit von großem Nutzen. In meinem Lehrbuch „Der Allgemeine Teil des Strafrechts“ zitierte ich um die
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500 Entscheidungen kroatischer Gerichte, um den Studenten ein bestimmtes Institut oder das ein oder andere theoretische Problem verdeutlichen zu können. Als Mentor bei Magister-, oder Doktorarbeiten verlangte ich stets die Bearbeitung der gerichtlichen Praxis, die dem jeweiligen Thema entsprach. Seit 1994 führe ich im Kroatischen Jahrbuch für Strafrecht und Praxis eine ständige Rubrik mit Kommentaren aus der gerichtlichen Praxis, was nun auch meine jüngeren Kollegen fortführen.
III. Fazit Obwohl ich während meiner Jugend lange nach meinem Weg gesucht hatte, fand ich ihn schließlich in der Strafrechtswissenschaft. Der Kampf um das Recht war stets meine Konstante, sowohl in Zeiten des „Einheitsdenkens“, als auch in der nicht weniger turbulenten Epoche der Transition. Deutschland hat mir mit seiner faszinierenden strafrechtlichen Wissenschaft, aber auch mit seiner Gastfreundschaft, sehr viel auf diesem Weg geholfen. Und falls es mir gelungen sein sollte, die Werte, für die ich mich eingesetzt habe, auf die jungen kroatischen Wissenschaftler, die das Strafrecht gewählt haben, zu übertragen, so kann ich zufrieden sein.
Schriftenverzeichnis (in Auswahl) 1. Selbstständiges Schrifttum / Monographien Sloboda, krivnja i krivično pravo [Freiheit, Schuld und Strafrecht], Zagreb 1987 (mit deutscher Zusammenfassung). Uvod u gospodarsko kazneno pravo [Einleitung in das Wirtschaftsstrafrecht], Zagreb 2009.
2. Kommentierungen „Kriegsschiff-Fall“ (Urteil des Obersten Gerichtshofs der Republik Kroatien vom 7.9.1994), in: Eser / Huber / Cornils (Hrsg.), Einzelverantwortung und Mitverantwortung im Strafrecht, Freiburg i.B. 1998, S. 415 ff.
3. Lehrbücher und Fallsammlungen Opći dio kaznenog prava [Der Allgemeine Teil des Strafrechts], 5. Aufl., Osijek 2016.
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4. Aufsätze in Zeitschriften und Sammelwerken Der Verbotsirrtum im jugoslawischen Strafrecht, in: Jahrbuch für Ostrecht, l. Halbband 1983, S. 89 ff. Détermination d’une peine unique [Die Bestimmung einer einzigartigen Strafe], in: Yugoslaw Law 1987, S. 195 ff. Schwangerschaftsabbruch im internationalen Vergleich – Landesbericht Jugoslawien, in: Eser / Koch (Hrsg.), Schwangerschaftsabbruch im internationalen Vergleich, Teil 1: Europa, Baden-Baden 1988, S. 891 ff. Wesentliche Strafbarkeitsvoraussetzungen einer modernen Strafgesetzgebung aus kroatischer Sicht, in: Eser / Kaiser / Weigend (Hrsg.), Von totalitärem zu rechtsstaatlichem Strafrecht, Freiburg i.B. 1993, S. 165 ff. Notwehr gegen Erpressung i.e.S. und Chantage, in: NStZ 1997, S. 218 ff. Das neue kroatische Strafgesetz von 1998, in: ZStW 1999, S. 521 ff. Materielles Völkerstrafrecht in der Novelle des kroatischen Strafgesetzes vom 9. Juli 2003, in: Roggemann / Kurtović / Novoselec (Hrsg.), Rechtsfragen der Zusammenarbeit mit der Internationalen Strafgerichtsbarkeit in Kroatien und Deutschland, Berlin 2004, S. 67 ff. Kroatien (Landesbericht), in: Eser / Sieber / Kreicker (Hrsg.), Nationale Strafverfolgung völkerrechtlicher Verbrechen, Berlin 2004, Teilband 3, S. 19 ff. Substantive international Criminal law in the Amendments of the Croatian Criminal Code of 15 July 2004, in: Josipović (Hrsg.), Responsibility for war crimes, Croatian perspective – selected issues, 2005, S. 255 ff. Grundelemente subjektiver Verantwortlichkeit im neuen kroatischen Strafrecht, in: Eser / Arnold / Trappe (Hrsg.), Strafrechtsentwicklung in Osteuropa. Zwischen Bewältigung und neuer Herausforderungen, Berlin 2005, S. 200 ff. Der „EU-Betrug“ und das kroatische Strafrecht, in: Đurđević (Hrsg.), Current Issues in European Criminal Law and the Protection of EU financial Interests, Zagreb 2006, S. 17 ff. Razgraničenje pripremnih radnji i pokušaja [Abgrenzung zwischen Vorbereitungshandlungen und Versuch], in: Zbornik Pravnog fakulteta Sveučilišta u Rijeci [Sammlung der Juristischen Fakultät der Universität Rijeka], 2008, S. 721 ff. (mit deutscher Zusammenfassung). In memoriam: Hans Heinrich Jescheck, in: Hrvatski ljetopis za kazneno pravo i praksu [Kroatische Jahreszeitschrift für Strafrecht und Praxis] 2009, S. 1019 ff.
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Conception de la peine dans la philosophie et le droit pénal d'ex Yougoslavie [Konzeption der Strafe in der Philosophie und dem Strafrecht des ehemaligen Jugoslawien], in: Delpla / Bessone (Hrsg.), Peines de guerre, Paris 2010, S. 85 ff. Die Rezeption der Tatherrschaftslehre im kroatischen Strafrecht, in: Heinrich / Jäger / Achenbach / Amelung / Bottke / Haffke / Schünemann / Wolter (Hrsg.) Festschrift für Claus Roxin, Band 2, Berlin 2011, S. 1643 ff.
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https://doi.org/10.1515/9783110277708-018
Jesús-María Silva Sánchez I. Meine Entdeckung des Strafrechts Am 11. Juni 1959 erblickte ich in dem kastilischen Hochland von Avila das Licht der Welt. Dort lebte ich fast zehn Jahre. Danach habe ich den größten Teil meines Lebens in der Umgebung von Barcelona verbracht. Als erstgeborenes Kind eines Gymnasiallehrers für Latein und einer Beamtin in der Justizverwaltung habe ich von meinen Eltern und meinem Bruder den katholischen Glauben sowie die Ethik der Anstrengung und der Pflichterfüllung erfahren. Die Bewunderung für die griechisch-lateinische Kultur, den spanischen Patriotismus sowie das Zugehörigkeitsgefühl zu einer iberoamerikanischen Gemeinschaft von Ländern auf beiden Seiten des Atlantiks haben meine persönliche Identität von früher Jugend an geprägt. Auf dem Gymnasium hatte das Lesen der lateinischen Klassiker (Julius Caesar, Cicero, Vergil), aber auch der spanischen Autoren des Goldenen Zeitalters (Cervantes, Lope de Vega, Calderón de la Barca, Quevedo) sowie anderer Schriftsteller des 20. Jahrhunderts (insbesondere Unamuno sowie Ortega y Gasset) das Interesse an den sprachwissenschaftlichen Fragen sowie eine an der Bewältigung des hundertjährigen Niedergangs Spaniens orientierte politische Berufung in mir geweckt. Dieser Berufung lag bereits der Gedanke zugrunde, dass das Recht ein wesentliches Instrument in dem noch offenen Auftrag des nationalen Wiederaufbaus sein musste, der von der Anomie und den Bruderzwistigkeiten stets bedroht war. An der Schwelle zu der Universität war das berufliche Interesse an – jedoch nicht die Vorliebe zu – der Sprachwissenschaft bereits von meinem Vater liebevoll gedämpft worden: „Ein Sprachwissenschaftler in der Familie ist schon genug“. Hingegen blieb die juristisch-politische Berufung bestehen und ich traf die Entscheidung, Rechtswissenschaft zu studieren. Inmitten der Konvulsionen des Übergangs von der Diktatur Francos zur Demokratie kam ich im Jahr 1976 an die Universidad Autónoma de Barcelona (UAB). Damals war die Juristische Fakultät der UAB lebendiger Spiegel der Politisierung einer vom Marxismus dominierten Universität. Neben Streiks und Demonstrationen hat man zu jener Zeit einige Paradoxien erlebt. Ein Beispiel: In dem Fach „Naturrecht“ stammten die Lernmaterialen, auf welche die Dozenten hinwiesen, von Marx (Das Kapital), Engels (Der Ursprung der Familie, des Privateigentums und des Staats), Paschukanis (Allgemeine Rechtslehre und Marxismus) und ähnlichen Autoren. Es lässt sich noch ein
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weiteres Beispiel anführen: In dem Fach „Staatsrecht“ (die Spanische Verfassung ist erst Ende 1978 erlassen worden) wurden als mögliche Vorbilder die deutschen, französischen und nordamerikanischen Verfassungen analysiert, aber auch die Verfassung Chinas sowie die Verfassung der Sowjetunion von 1977. Im Jahr 1977, dem zweiten Jahr meines Studiums, war es an der Zeit, den Allgemeinen Teil des Strafrechts zu lernen. Der Dozent war ein junger Professor, der noch keine dreißig war: Santiago Mir Puig. Ich werde niemals den Eindruck vergessen, den Mir Puig seit dem ersten Tag hinterlassen hat: Modernität, Genauigkeit, Klarheit, Argumentationsvermögen, Abwesenheit sektiererischer ideologischer Ansätze und die Leidenschaft für das Strafrecht. Es war schwierig, sich von seiner Leidenschaft nicht anstecken zu lassen: Sie ging so weit, dass es dem interessierten Studenten schien, Mir Puig und das Strafrecht seien nahezu ein und dasselbe. Das erste Trimester wurde der Analyse seiner gerade veröffentlichten „Einführung in die Grundlagen des Strafrechts“ (Introducción a las bases del Derecho penal, 1976) gewidmet, die ein kriminalpolitisches sowie methodologisches, aus dem Begriff des sozialen und demokratischen Rechtsstaats abgeleitetes Programm beinhaltete. Nach den Weihnachtsferien begannen wir mit dem Lernen der Straftatlehre. So hörte ich von Welzels Werk – seiner Frühabhandlung „Naturalismus und Wertphilosophie im Strafrecht“ bis hin zu seinen moderneren Texten – sowie von Roxins Schriften. Mir Puig hat die Straftatlehre von der systematischen Konzeption der personalen Unrechtslehre heraus erklärt. Dabei hat er sie aber auch weiterentwickelt, insbesondere was die „ex ante Perspektive“ angeht; er hat die kritischen Bemerkungen Roxins zu dem finalen Handlungsbegriff übernommen sowie eine Reihe von Ideen ausgearbeitet, die – in einem Rahmen, der im allgemeinen, wenn auch nicht immer ziemlich Roxinisch war – sein eigenes Denken allmählich gestaltet haben. Kaum hatten wir die Analyse des strafrechtlichen Handlungsbegriffs abgeschlossen, hatte mich die Strafrechtsdogmatik bereits derart überwältigt, dass ich die Entscheidung traf, akademischer Strafrechtler zu werden. Ich eröffnete dies Mir Puig, der mich nach dem erfolglosen Versuch, mir das Vorhaben auszureden, als Schüler akzeptierte. Bereits 1978 habe ich mir zwei kleine Bücher gekauft, in denen die spanische Übersetzung des Beitrags von Gallas „Zum gegenwärtigen Stand der Lehre vom Verbrechen“, sowie vor allem die Übersetzung von „Kriminalpolitik und Strafrechtssystem“ von Roxin zu finden waren. In den folgenden Jahren habe ich mich abseits der gewöhnlichen Lehrveranstaltungen an der Universität im Strafrecht weitergebildet. Ich habe Seminare besucht, in denen ich die Gelegenheit hatte, Armin Kaufmann, Roxin, Stratenwerth, Hassemer, Lüderssen sowie Naucke und
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andere ehrwürdige deutsche Strafrechtswissenschaftler kennenzulernen. 1981 habe ich nach dem Abschluss meiner Magisterarbeit über den „Notstand im spanischen Strafrecht“ eine Stelle als Assistent des Lehrstuhls von Mir Puig an der Universidad Autónoma de Barcelona, sowie später an der Universidad – damals sog. Central – de Barcelona angetreten. Zu diesem Zeitpunkt gab ich meine frühere Tätigkeit in der Politik schließlich endgültig auf.
II. Dissertation und Habilitation Bereits im Jahr 1977 hatte ich festgestellt, dass ein Strafrechtler die deutsche Sprache beherrschen musste. In Spanien wurden die höchstqualifizierten Strafrechtler seit dem Anfang des 20. Jahrhunderts in Deutschland ausgebildet und in ihren Schriften spiegelte sich der deutsche Einfluss. Die meist zitierten (und teilweise übersetzten) Texte waren die von von Liszt, Mezger, Welzel, Maurach und Roxin. Wenn man, wie es mein Fall war, das Bestreben hatte, aus der Straftatlehre das zentrale Objekt der Forschungslaufbahn zu machen, war die deutsche Sprache eine condicio sine qua non; meine Englisch- und Französischkenntnisse dürften in diesem Bereich nicht von großem Nutzen sein. Ich begann also 1978 Deutsch zu lernen, wenn auch mit Unterbrechungen. Nun wurde im Jahr 1981 das Bedürfnis zur Dringlichkeit. Denn ich hatte mich dazu entschieden, meine Dissertation über die Unterlassungsdelikte zu schreiben, die ein Thema darstellten, worüber kaum drei oder vier Monographien sowie nicht mehr als ein Dutzend Aufsätze in spanischer Sprache erschienen waren. Daher habe ich mich in den Jahren 1981 und 1982 intensiv damit beschäftigt, Deutsch in dem Goethe-Institut Barcelona zu lernen, sowie (in hohem Maße italienische) Literatur und Rechtsprechung über mein Forschungsthema zu lesen. Ende 1982 war ich bereits in der Lage, die erste Monographie auf Deutsch zu lesen. Es handelte sich hierbei zufällig um das Buch von Bärwinkel „Zur Struktur der Garantieverhältnisse bei den unechten Unterlassungsdelikten“ (1968). Im Anschluss an diese Zeit leistete ich den Wehrdienst. Damals hatten die spanischen Studenten die Möglichkeit, nach Bestehen bestimmter physischer sowie psychologischer Tests den Wehrdienst als Offiziere abzuleisten. Dies hatte u.a. den Vorteil, dass die regelmäßige Wehrdienstzeit auf etwa zehn Monate reduziert wurde und darüber hinaus in drei Zeitabschnitten abgeleistet werden konnte. Dies war für einen jungen Assistenten ideal, da der Arbeitsrythmus an der Dissertation dadurch nicht übermäßig unterbrochen wurde. In den Jahren 1982, 1983 und 1984 übernahm ich also während einiger Monate meine Rolle als Doktorand im Strafrecht und während
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der übrigen Zeit die Rolle eines Artillerieoffiziers der spanischen Armee (was im Übrigen ziemlich viel Freizeit für das Lernen ließ). 1981 hatte Mir Puig mit Muñoz Conde die Übersetzung des „Lehrbuchs des Strafrechts“ von Hans-Heinrich Jescheck ins Spanische abgeschlossen. Mir Puig gab mir zwei Ratschläge: Erstens sollte ich mich dem tiefen und kritischen Lernen dieses Lehrbuchs widmen, das in einer ziemlich genauen, wenn auch nicht allzu neuartigen Weise den Zustand der herrschenden Literatur in Deutschland wiedergab; zweitens sollte ich an das Max-Planck-Institut in Freiburg i.Br. reisen, um erste Kontakte mit einem Forschungszentrum in Deutschland zu knüpfen. An einem Tag im Herbst 1983 fand ich mich nach einer langen Bahnreise in der Günterstalstraße 73 wieder. Nach diesem ersten – von dem DAAD geförderten – Aufenthalt folgten viele weitere Aufenthalte in Freiburg, aber jener erster Aufenthalt – in dem ich darüber hinaus die Gelegenheit hatte, eine Wohnung in der damals neu eingeweihten Studentensiedlung in der Sundgauallee zu genießen – war für mich besonders beeindruckend. Heute noch träume ich davon, die Zeit zu haben, um mich Monate lang in der Bibliothek des Instituts einzusperren und in der Freizeit über den Münsterplatz oder die Pfade des Schauinsland zu spazieren. In Freude und Dankbarkeit erinnere ich mich an die Gespräche mit Jescheck, an die Freundlichkeit des Institutspersonals sowie an das Zusammenleben mit Akademikern aus aller Welt und insbesondere mit italienischen Kollegen, deren Freundschaft mich bis heute immer noch ehrt. Jedoch gab es Gründe dafür, dass das Max-Planck-Institut nicht zu meinem strafrechtlichen Arkadien wurde: In der Tat lag der Schwerpunkt des Instituts in der Strafrechtsvergleichung und meine Annäherung an das Strafrecht war damals und ist heute nicht rechtsvergleichend, sondern strikt dogmatisch. Wie ich Jahre später ausführlicher geschrieben habe,1 hat meines Erachtens die Straftatdogmatik kein gegebenes positives Recht zum Gegenstand und es handelt sich deshalb um keine „nationale“ Lehre. Im Gegenteil ist sie als eine Disziplin zu betrachten, die mit der Konstruktion, Rekonstruktion und Systematisierung von Regeln hinsichtlich einer rechtsstaatlichen, sicheren und gleichen strafrechtlichen Zurechnung zu tun hat. Eine bestimmte nationale, positive Strafrechtsordnung stellt somit nicht den Gegenstand der Straftatdogmatik, sondern nur die Grenze deren Konstruktion de lege lata dar. Von diesem Standpunkt aus ist die Straftatdogmatik deutscher Herkunft nicht als eine nationale Besonderheit, sondern als ein wissenschaftliches Produkt gesehen worden, das, wie jedes andere, eine grundsätzlich supranationale 1
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Dimension aufweist. Das gilt zunächst für die von einigen sogenannte „Protodogmatik“, d.h. für denjenigen Teil der Strafrechtsdogmatik, der sich mit der axiologisch neutralen Analyse der Zurechnungsstrukturen befasst. Es ist allgemein anerkannt, dass es nicht wenige dogmatische Sätze gibt, die einen quasilogischen, mindestens wertneutralen Charakter aufweisen. Um dies aufzuzeigen, ist es weder nötig, auf die alte Lehre des Naturalismus zu verweisen, noch auf diejenige des Finalismus (mit ihrem Grundaxiom der Existenz sachlogischer Strukturen). Auch moderne Denklinien erheben den Anspruch, eine Dogmatik „more geometrico“ aufzubauen, wobei die Strukturen der Zurechnung analysiert und beschrieben werden. Solchen dogmatischen Sätzen dürften jedenfalls keine „kulturelle Ausnahmen“ entgegengesetzt werden. Es trifft jedoch auch zu, dass die Straftatdogmatik sich nicht auf logischstrukturelle Aspekte begrenzen lässt, sondern dass sie auch mit nicht unverfügbaren inhaltlichen Fragen zu tun hat: Sie ist eine normative Lehre. Der Inhalt der Begriffe der Straftatdogmatik als Zurechnungslehre stellt daher kein Produkt einer neutralen Feststellung dar, sondern ist von einer Reihe ethischnormativer und strafrechtspolitischer Entscheidungen abhängig. Die Grundfrage der Straftatlehre ist auch diejenige nach dem Sinn eines Verhaltens hinsichtlich der richtigen Zurechnung und strafrechtlichen Verantwortung. Und dazu gibt es keine ethisch bzw. rechtspolitisch unabhängige, keine wert- oder zweckneutrale dogmatische Antwort. Das ist aber nicht mit irgendeinem Nationalismus bzw. Provinzialismus gleichzusetzen: Deshalb sind auch die Inhalte der Zurechnungsregeln der Straftatsystematik grenzübergreifend, wenn auch nicht universal, zu betrachten. Die Aufnahme der Strukturen sowie der Inhalte der Straftatsystematik deutschen Ursprungs in so vielen Ländern liefert einen schlagenden Beweis dafür. Deswegen bin ich entschieden dagegen, von einer „deutschen“ Straftatsystematik zu sprechen: Die Straftatsystematik deutschen Ursprungs ist heutzutage keine nationaldeutsche Sache mehr, und auch kein Beispiel eines vermeintlichen deutschen wissenschaftlichen Imperialismus. Im Bereich der Strafrechtslehre stellt sie vielmehr ein prominentes Beispiel für die Supranationalität jeder Wissenschaft dar, die dieses Namens würdig ist. Fraglich ist aber dagegen, ob deutsche Strafrechtslehrer dessen wirklich stets eingedenk sind und entsprechend handeln. Im Einklang mit diesen Gedanken, die seit dreißig Jahren das Leitmotiv meiner dem Strafrecht gewidmeten Zeit sind, habe ich an meiner Dissertation über den Unterlassungsbegriff und die Systematik der Unterlassungsdelikte gearbeitet. Im September 1985 habe ich an der Universidad de Barcelona den Doktortitel in Jura mit einem Werk erlangt, das 1986 unter dem Titel „Das Unterlassungs-
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delikt. Begriff und System“ (El delito de omisión. Concepto y sistema) veröffentlicht wurde und in dem der Einfluss von Herzberg und vor allem von Schünemann wahrzunehmen war. Meine Annäherung an den Unterlassungsbegriff war in der Tat normativistisch und hat mir ermöglicht, ein hoch restriktives System der unechten Unterlassungsdelikte aufzubauen, das ich später in verschiedenen Beiträgen weiter präzisiert habe. Der Hauptgedanke ist, dass nicht jede von einem Garanten begangene Unterlassung, der ein Verletzungserfolg zugerechnet werden kann, ein Begehen durch Unterlassen darstellt. Dazu ist es darüber hinaus erforderlich, dass eine solche Unterlassung des Garanten (aus einer normativen Perspektive) mit der aktiven Begehung strukturell und materiell identisch ist. Aus diesem Kriterium folgte der Vorschlag einer Dreiteilung der Unterlassungsdelikte: von einem quivis ex populo begangene Unterlassungsdelikte; von einem Garanten begangene Unterlassungdelikte; und unechte Unterlassungsdelikte i.e.S. (d.h. echte begehungsgleiche Unterlassungsdelikte). Dieser Vorschlag einer Dreiteilung der Unterlassungsdelikte ist von der spanischsprachigen Literatur weitgehend angenommen worden. Damals war ohne Zweifel München die Stadt, die mir am attraktivsten für die Fortführung meiner Forschung erschien. Natürlich übten die Schönheit der Stadt sowie ihr Kosmopolitismus ihren Einfluss aus. Aber vor allem waren dort Roxin – den ich für meinen deutschen Lehrer avant la lettre hielt – sowie Arthur Kaufmann, dessen Schriften ich bereits gelesen hatte und dessen rechtsphilosophischer Werdegang mich besonders interessierte. Im Oktober 1985 reiste ich – mit der Förderung des DAAD – nach München, um bei Roxin arbeiten zu dürfen, während ich in dem gastfreundlichen Spanischen Kolleg der Dachauer Straße gewohnt habe. An Roxin interessierte mich sowohl seine unablässige dogmatische Kreativität als auch der Versuch, Dogmatik und Kriminalpolitik miteinander in Einklang zu bringen; ein Versuch, der in seinem programmatischen Werk von 1970 bereits veröffentlicht worden war. Es interessierte mich, mit ihm über die Behandlung dessen zu sprechen, was er „Grundlagen eines systematischen teleologisch-kriminalpolitischen Projekts“ nannte und noch nennt, und insbesondere über die Art und Weise, sein „wertorientiertes System“ aufzubauen, das sich sowohl von dem Rechtspositivismus als auch von den ausschließlich konsequentialistischen philosophischen Modellen entfernte. Ich wollte mit ihm über die Beziehung zwischen Normativismus und seinen ontologischen Grenzen sowie über seine Meinung über den Funktionalismus Jakobs diskutieren, dessen Lehrbuch 1983 veröffentlicht worden war. Ich blieb bis zum Sommer 1986 in München: In dieser Zeit habe ich alle Seminare besucht, die ich besuchen konnte (auch die Seminare von Arthur Kaufmann, in denen ich u.a.
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Philipps, Schroth und Frommel kennenlernte); darüber hinaus habe ich mich grundsätzlich mit methodologischen und mit anderen auf die Lehre der objektiven und subjektiven Zurechnung sowie auf die Schuld bezogenen Fragen beschäftigt. Einige Veröffentlichungen auf Deutsch gegen Ende der Achtzigerund Anfang der Neunzigerjahre dokumentieren diese Arbeitsrichtung. Ab September 1986 hatte ich bereits eine feste Beamtenstelle als Dozent (in der spanischen Terminologie „Profesor Titular“) an der Universidad de Barcelona und widmete meine Arbeit der Vorbereitung meiner Habilitationsschrift über die methodologischen und kriminalpolitischen Grundlagen des Strafrechts. Ich führte meine jährlichen Besuche nach Deutschland – Freiburg i.Br. und München – fort; jedoch fanden sie wegen meiner Dozenten- und Familienverpflichtungen in begrenzten Zeiträumen (hauptsächlich im Sommer) statt. Im Jahr 1987 erkrankte meine liebe Mutter und ich half, sie bis zu ihrem Tod im Januar 1989 zu pflegen. Im Juli 1988 heiratete ich meine liebe Frau Ana, eine Ehe, aus der vier Kinder hervorgegangen sind: Natalia (1989), Ignacio (1991), Francisco de Borja (1993) und Blanca (1996). Nichtsdestotrotz hatte ich Anfang 1990 meine Habilitationsschrift abgeschlossen. Diese bestand aus drei Teilen. In dem ersten Teil wurde die Kritik der kritischen Kriminologie und des Abolitionismus sowie die Begründung der Legitimität eines Strafrechts garantistischer Prägung thematisiert. Darüber hinaus wurde das Ziel verfolgt, auf dieser kriminalpolitischen Basis die Legitimität der Dogmatik als Wissenschaft zu begründen und dabei auf die Kritiken von Idealismus, von axiologischer Neutralität, von Konzeptualismus und Entfernung von den wirklichen Problemen und der Sozialwissenschaften oder auf die Kritik von Unwissenschaftlichkeit u.a. Kritiken zu antworten, die sich an die dogmatische Methode richteten. In dem zweiten Teil ging es darum, die Tragweite meiner Entscheidung für den Garantismus und damit für ein Strafrecht zu bestimmen, das sowohl die Delikte und die informale soziale Gewalt als auch die Gewalttätigkeit des Staats selbst reduziert. Schließlich habe ich, auf der Basis der Normtheorie, einen Umbau der Straftatlehre vorgeschlagen, deren System sowie Kategorieninhalt die vorherigen kriminalpolitischen Entscheidungen widerspiegelten. Unmittelbar nach der Vorstellung meiner Habilitationsschrift Ende 1990 habe ich den Lehrstuhl für Strafrecht an der Universidad del País Vasco (San Sebastián) erhalten, und im Jahr 1991 den Ruf an den Lehrstuhl für Strafrecht an der Universität Pompeu Fabra sowie die Stelle als Direktor des dortigen Instituts für Strafrecht. 1992 wurde der Inhalt der Habilitationsschrift in einem Buch mit dem Titel „Annäherung an das zeitgenössische Strafrecht“ (Aproximación al Derecho penal contemporáneo) veröffentlicht, das eine große
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Verbreitung in Spanien sowie im gesamten spanischsprachlichen Bereich erfuhr. Nach fast zwei Jahrzenten an Nachdrucken erfolgte 2010 die Veröffentlichung einer zweiten Auflage des Werks (auf Portugiesisch in Brasilien im Jahr 2011), das noch immer in der Gunst der Leser steht.
III. Die ersten Zeiten an der Universidad Pompeu Fabra und die Beziehung zu Iberoamerika Ende 1991 hatte ich mich an der Universidad Pompeu Fabra gänzlich eingerichtet, einer öffentlichen, neu gegründeten, ausnahmsweise mit reichlich Mitteln ausgestatteten Exzellenzuniversität. Mein Auftrag bestand, neben den selbstverständlichen Dozenten- und Forschungstätigkeiten, in der Ausbildung von jungen akademischen Strafrechtlern, die eine Forschungsgruppe nationaler und internationaler Exzellenz bilden sollen. Zugleich hatte ich eine persönliche Beziehung der Zusammenarbeit zu der Universidad de Navarra, an der ich mich um die Ausbildung junger Doktoranden kümmerte. Die Tätigkeit in der Ausbildung junger Dozenten hat mich also in einer sehr intensiven Weise während der zweiten Hälfte der Neunzigerjahre beschäftigt und wird bis heute weitergeführt. Einige dieser jungen Menschen sind heute angesehene Professoren (Pablo Sánchez-Ostiz, Ramon Ragués, Ricardo Robles) oder anerkannte Forscher (Nuria Pastor) mit zahlreichen Veröffentlichungen auf Deutsch. Zudem hatten wir das Glück, dass sowohl die Universidad Pompeu Fabra als auch in geringerem Ausmaß die Universidad de Navarra nach und nach zu einem Anziehungspunkt für iberoamerikanische Studenten wurden, die Magisterlehrgänge abschließen und ihre Dissertation in Spanien schreiben wollten. Viele von ihnen haben inzwischen den Doktortitel erlangt und sind heute wichtige Dozenten in ihrem Herkunftsland (insbesondere Chile, Argentinien, Uruguay, Peru und Kolumbien). Wie in der Vergangenheit, gebe ich allen auch heute noch denselben Leitgedanken auf den Weg: Die Dogmatik des Allgemeinen Teils und auch die auf die Tatbestände des Besonderen Teils angewandte Dogmatik stellen unseren Schwerpunkt dar, ohne dass damit die Möglichkeit kriminalpolitischer Arbeiten verweigert werden soll. Die Forschungsarbeiten mussten sich hieran orientieren. Das Durchgehen der Themen der Dissertationen jenes Jahrzehnts hebt dies hervor: Vorsatz, Verbotsirrtum, Rücktritt vom Versuch, Teilnahme an der Straftat, Verantwortlichkeit des faktischen Geschäftsführers des Unternehmens, tatbestandsmäßige Täuschung beim Betrug, Rolle und Zurechnungssystem, usw.
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Der Kontakt zu den deutschen Kollegen blieb sehr intensiv, immer durch das gemeinsame Interesse an der Dogmatik des Allgemeinen Teils motiviert. So ist die Zusammenarbeit mit Roxin, Schünemann, Hassemer, Bottke, Wolter, Frisch, Jakobs, Kindhäuser, Puppe, Neumann oder Hruschka im Rahmen von sowohl in Spanien als auch in Deutschland stattgefundenen Seminaren, sowie durch die Übersetzung ihrer Schriften für den spanischsprechenden Leser sehr intensiv gewesen. Etwas später entstanden die Beziehungen zu Lüderssen, Naucke, Prittwitz oder Kuhlen, mit denen wir – von nicht immer übereinstimmenden Ausgangspunkten aus – dazu gekommen sind, eine enge geistige Beziehung aufzubauen. Gelegentlich bahnt die akademische Beziehung den Weg zu einer persönlichen Freundschaft, wie es in meinem Fall mit der Beziehung zu Urs Kindhäuser und Cornelius Prittwitz u.a. lieben Kollegen geschah. Es schlossen sich hieran weitere Beziehungen zu anderen jüngeren deutschen Kollegen wie z.B. Hans Kudlich an. Mit der Zeit wurde ich ständiger Mitarbeiter des Goltdammer’s Archiv für Strafrecht, was ich als ein Zeichen der Anerkennung der gegenwärtigen Supranationalität der Dogmatik deutschen Ursprungs verstehe. Die Anstrengungen von Wolter (und den weiteren Herausgebern), aus dem GA ein Forum dogmatischer supranationaler Diskussion unter Gleichheitsbedingungen zu formen, sind meines Erachtens für die gesamte deutsche Strafrechtswissenschaft vorbildlich. Was mich angeht, möchte ich den Einfluss betonen, den das Denken von Jakobs seit der zweiten Hälfte der Neunzigerjahre ausgeübt hat. Ich muss darauf hinweisen, dass ich die Philosophie der Person und der Gesellschaft, sowie die kriminalpolitischen Vorschläge des emeritierten Kollegen aus Bonn kategorisch ablehne. Jedoch bin ich der Meinung, dass die gewaltige Kraft des begrifflichen dogmatischen Aufbaus anerkannt werden muss, den sein Werk denjenigen zur Verfügung gestellt hat, die wie wir immer noch hauptsächlich an der Straftatlehre interessiert sind. Sein Einfluss in Spanien und vor allem in Iberoamerika ist sehr bemerkenswert; und das meines Erachtens zu Recht. Meine Forschungstätigkeit während der Neunzigerjahre war insbesondere auf Grund des Inkrafttretens des – technisch recht fehlerhaften – spanischen StGB von 1995 darauf gerichtet, verschiedene Fragen der Straftatlehre zu behandeln. Bei ihnen ging es erneut darum, (vor dem Hintergrund der Bestimmungen über das Begehen durch Unterlassen, das Handeln für einen anderen, den Versuch, die Fahrlässigkeit, usw.) die Autonomie der Dogmatik als Wissenschaft zu betonen, die nur an den Gesetzestext gebunden ist, und zwar in dem Maße, als dass dieser wegen der von dem Gesetzlichkeitsprinzip abgeleiteten Gründe eine unüberwindbare Grenze darstellt. Aber es ging ferner auch darum, die Rolle der Dogmatik in dem neuen Rahmen der Globalisierung, der Multikultu-
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ralität sowie der supranationalen Integration zu rechtfertigen. In diesem Zusammenhang – und beinahe zufällig – habe ich ein kleines Buch geschrieben, das bis heute einen großen Eindruck (nicht nur) auf die spanischsprachige Welt gemacht hat. Das Buch, das im Jahr 1999 erschien, heißt „Die Expansion des Strafrechts. Kriminalpolitik in postindustriellen Gesellschaften“ (La Expansión del Derecho penal. Aspectos de la Política criminal en las sociedades postindustriales) und hat bis heute drei Auflagen: 1999, 2001 sowie 2011. Es wurde 2002 und 2011 in Brasilien in das Portugiesische, 2003 in das Deutsche sowie im Jahr 2004 in das Italienische übersetzt. Eine besondere Freude haben mir damals die Rezensionen dieses Werks von Jakobs im Goltdammer’s Archiv für Strafrecht 2004 und Vormbaum in dem Journal der juristischen Zeitgeschichte 2007 bereitet. Die zentrale These der „Expansion des Strafrechts“ ist, dass das Strafrecht expandiert hat und noch expandieren wird. Die Einführung neuer Straftatbestände und die Verschärfung der bereits bestehenden, die Schaffung neuer Rechtsgüter und Ausweitung der strafrechtlich relevanten Risiken, die Flexibilisierung der Zurechnungsregeln und Relativierung der kriminalpolitischen Garantieprinzipien sowohl des Straf- als auch des Strafprozessrechts sind einige zentrale Aspekte der allgemeinen Tendenz, die ich mit dem Begriff „Expansion“ bezeichnet habe. Die Ursachen der Expansion des Strafrechts sind nicht ausschließlich bei einer Art populistischen Perversion des staatlichen Gesetzgebers zu suchen. Wir haben es hier vielmehr mit tieferreichenden Ursachen zu tun, die in dem in den letzten dreißig Jahren gewandelten Gesellschaftsmodell wurzeln, und dem damit verbundenen Wandel der Rolle, die das Strafrecht nach einer weit verbreiteten Ansicht übernehmen soll. Die Schlussfolgerung daraus ist eine sehr grundsätzliche Feststellung. Einerseits wird es angesichts der Gestalt und der Ansprüche der heutigen Gesellschaften schwierig sein, eine gewisse Expansion des Strafrechts zu bremsen. Andererseits hat es wahrscheinlich keinen Sinn, dieselbe Dogmatik sowie dieselben kriminalpolitischen Anforderungen für ein Kernstrafrecht der Freiheitsstrafe und für ein modernes Strafrecht interventionistischer und „regulierender“ Prägung, das beispielsweise auf Geldstrafen und dem Entzug von wirtschaftlichen Rechten basiert, sowie für ein mögliches Strafrecht der Wiedergutmachung beizubehalten. Dies alles kann durch einen dualistischen Aufbau des Strafrechtssystems bewältigt werden, mit Zurechnungsregeln und Garantieprinzipien auf zwei Stufen (ein Strafrecht der zwei Geschwindigkeiten). Die Tragweite dieses Vorschlags ist nur zu erkennen, wenn man folgendes berücksichtigt: Die meisten Straftaten, insbesondere die Wirtschaftsstraftaten, in denen die aktuelle Expansion des Strafrechts zu Tage tritt, sind weiterhin
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Delikte, die mit Freiheitsentzug, manchmal von bedeutender Länge, geahndet werden. Dennoch werden bei ihrer Ausarbeitung durch den Gesetzgeber, ebenso wie bei ihrer Anwendung durch die Gerichte kriminalpolitische Garantien und dogmatische Strukturen oft unberücksichtigt gelassen. Der Vorschlag besagt also konkret: Entweder werden solche Straftaten in das Kernstrafrecht mit maximalen Garantien und strengsten Zurechnungsregeln tatsächlich integriert oder man verzichtet bei ihnen auf die Freiheitstrafe. Der vorgetragene Vorschlag geht von einer Realität aus, die nicht umkehrbar ist. Diese Realität ist die Expansion des Strafrechts. In dieser Situation ist die Koexistenz von „zwei unterschiedlichen Strafrechten“ mit unterschiedlichem tatbestandlichem Aufbau, mit unterschiedlichen Zurechnungsregeln, kriminalpolitischen Prinzipien und Sanktionen, die vorzugswürdige Alternative gegenüber derjenigen eines einzigen Strafrechts, zwar mit schwindenden Garantien und abnehmender Strenge der Zurechnungsregeln, aber, nach wie vor, mit Freiheitstrafen. Der dualistische Aufbau sichert vor allem eines: Die rechtsstaatliche und dogmatische Strenge der klassischen Zurechnungsregeln und der kriminalpolitischen Garantien werden dort aufrechterhalten, wo Freiheitsstrafen verhängt werden, insbesondere bei einem langem Freiheitsentzug.
IV. Das letzte Jahrzehnt In den letzten Jahren hat sich meine Forschungstätigkeit in dieselbe Richtung weiterentwickelt. Grundsätzlich habe ich mich stets im Kontakt mit deutschen Kollegen damit befasst, an Problemen der Dogmatik der Straftatlehre (Handlungsbegriff, Normentheorie, Notstand, Strafzumessung, personale Identität als Verantwortlichkeitsvoraussetzung, usw.) zu arbeiten. In diesem Zeitraum habe ich recht viel Zeit aufgewendet, um die angelsächsischen analytischen Philosophen zu lesen, die sich mit den mit dem Strafrecht verbundenen Fragen beschäftigen. Ich räume ein, dass es sich um interessante Beiträge handelt, die der Beachtung in dem Maße wert sind, als dass auch sie danach streben, allgemein gültige Antworten auf die Fragen gerechter Zurechnung zu formulieren. Jedoch konnte dies nicht dazu führen, meine allgemeine Orientierung an der systematischen Methode deutscher Prägung aufzugeben. Insbesondere habe ich in diesem letzten Jahrzehnt parallel eine Forschungsrichtung über die Probleme entwickelt, die die Beteiligung in dem wirtschaftlichen Bereich zu der Straftatlehre aufwirft. Eines der bedeutendsten Probleme in diesem Bereich ist die strafrechtliche Verantwortlichkeit der juristischen Personen, die 2010 in Spanien in das StGB eingefügt worden ist, und zur Eröffnung einer Diskussion über die Beziehung zwischen dem Strafrecht und
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den Problemen der sog. Compliance geführt hat. In den letzten Jahren habe ich an mehreren deutsch-spanischen Seminaren teilgenommen, deren Gegenstand die Verantwortlichkeit der juristischen Personen und ihrer Führungskräfte war. Im Übrigen hat sich meine Dozententätigkeit auf die Ausbildung von Studenten des Magisterlehrgangs in Strafrecht sowie von größtenteils aus Iberoamerika stammenden Doktoranden konzentriert. Zu den vorherigen Dissertationen sind neue hinzugekommen, die sich überwiegend mit dogmatischen Themen (der normativistischen Revision der Notwehr oder der Zurechnungsfähigkeit; der Zurechnung von Verantwortlichkeit innerhalb von unternehmerischen Strukturen; der Zurechnung von Spätschäden; der Beziehung zwischen Dogmatik und Gesetzlichkeit; der Analogie in bonam partem, usw.) befassen. Bis dato haben einunddreißig Doktoren den Doktortitel unter meiner Betreuung erlangt und mehrere Doktoranden sind gegenwärtig dabei, unter meiner Betreuung an ihrer Dissertation zu arbeiten. Ein weiterer wesentlicher Aspekt meiner Tätigkeit ist mein Einsatz bei Zeitschriften und in Herausgeberkomitees. Ich leite den strafrechtlichen Teil der elektronischen Zeitschrift InDret. Revista para el análisis del Derecho (www.indret.com), die wahrscheinlich als die weitestverbreitete spanischsprachige juristische Zeitschrift gelten kann. Zudem bin ich Mitglied des Verlagskomitees des barcelonesischen Verlags Atelier sowie des Verlags La Ley (Gruppe Wolters-Kluwer). Schließlich leite ich die Reihe „Estudios y debates en Derecho penal“ des argentinisch-uruguayischen Verlags BdF und bin Mitglied in Herausgeberkomitees zahlreicher iberoamerikanischer Zeitschriften. Ich bereise häufig die Länder Iberoamerikas, um meine Schüler zu besuchen, die bereits Professoren an vielen Universitäten jenes Kontinents sind, sowie um Kurse und Vorträge zu halten. Mir sind mehrere Titel eines Doctor honoris causa von iberoamerikanischen Universitäten, namentlich von der Universidad Inca Garcilaso de la Vega (Lima, Perú) im Jahr 2007, von der Universidad San Pedro (Chimbote, Perú) im Mai 2012, sowie von der Universidad Austral (Buenos Aires, Argentina) im Dezember 2012 verliehen worden. Im Jahre 2013 ist mir die Würde des Doctor honoris causa durch die Universidad Nacional Mayor de San Marcos aus Lima, die älteste Universität Amerikas, verliehen worden. 2015 habe ich den Titel einer europäischen Universität, der National and Kapodistrian University of Athens, erhalten. Bei meinen öffentlichen Auftritten wie auch in meinen Veröffentlichungen versuche ich, die fundamentale methodologische Entscheidung zu verteidigen, die ich in den vorherigen Ausführungen dargelegt habe. Es ist mir nicht unbe-
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kannt, dass ein Teil der deutschen Literatur2 dahin tendiert, sich von der systematisch konzipierten Dogmatik zu entfernen und um der Internationalisierung und Europäisierung des Strafrechts willens einen mehr oder weniger nuancierten Verzicht auf die Dogmatik zu fördern. Hiernach soll die vergleichende Analyse der Gesetze das Erbe der Dogmatik in einer globalisierten Welt antreten. Von dieser Tendenz nehme ich voll und ganz Abstand. Ich bin immer noch der Meinung, dass das strenge Systemdenken der Straftatdogmatik deutschen Ursprungs derjenige Faktor ist, der ihre theoretische Überlegenheit gegenüber anderen Modellen der normativen Straftatanalyse (z.B. der angelsächsischen) begründet. Die Straftatsystematik deutscher Herkunft stellt damit meiner Meinung nach den wissenschaftlich entwickeltesten Ausdruck einer Sprache der Zurechnung und deswegen den vorzugswürdigen Vorschlag einer „internationalen Grammatik“ der Zurechnung dar. Es wäre deshalb ein krasser Irrtum, sie gerade auf dem Weg des Aufbaus einer solchen Grammatik zu verlassen. Tatsächlich geht es nicht nur um theoretische Überlegenheit. Die Systematik erhöht auch die Gleichmäßigkeit und Vernünftigkeit der Strafrechtsanwendung. Zweck des Straftatsystems ist also die Ordnung verstreuten positiven Rechts und die Vorbereitung und Kontrolle vernünftiger Rechtsanwendung durch klärende Einordnung von strafrechtlichen Begriffen und Institutionen. Sowohl Dogmatik als auch Systemdenken sind keine Formen der Gesetzeshermeneutik, sondern eher die Prämissen einer strafrechtlichen Hermeneutik: sie stellen die Vorverständnisse dar, mit denen jeder Strafrechtler die hermeneutische Aufgabe übernimmt. Die internationale Strafrechtsdogmatik hat sich sowohl bei der sog. Proto-Dogmatik – das heißt, dem Kern an wertneutralen Aussagen der Dogmatik – als auch bei der wertgeladenen Systematik der Zurechnungsregeln am besten entwickelt. Es trifft zu, dass in der Straftatdogmatik ontologisch-strukturelle Elemente vorhanden sind, denen ein quasi logischer bzw. zumindest ein wertneutraler Status zukommt. Derartigen Elementen dürfen keine „kulturellen Ausnahmen“ entgegengesetzt werden. Es trifft jedoch auch zu, dass die Straftatdogmatik sich nicht auf logischstrukturelle (syntaktische) Aspekte eingrenzen lässt, sondern mit semantischen und pragmatischen Fragen zu tun hat. Die Antworten auf diese Fragen sind ihrerseits von einer Reihe ethisch-normativer und strafrechtspolitischer Prämissen abhängig. Es handelt sich daher um die Sinnzuschreibung eines Verhaltens hinsichtlich seiner gerechten Zurechnung zu einer verantwortlichen Person. Die Inhalte der Zurechnungsregeln der Straftatsystematik sind zwar 2
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nicht interkulturell – wegen der semantischen und pragmatischen Differenzen zwischen den verschiedenen Kulturen –, aber sie stellen ganz klar ein supranationales Corpus dar. Ein Corpus, das zur praktischen Philosophie gehört und dessen Supranationalität die Wissenschaftlichkeit der Strafrechtsdogmatik für heute und für die Zukunft gewährt.
V. Ergebnis Unter diesen Prämissen setze ich meine Arbeit fort. Ich bin der Meinung, dass eine Strafrechtslehre, die sich als Wissenschaft versteht, sich nicht von den Zufälligkeiten positiver Gesetzgebung abhängig fühlen, sondern einen in der Geschichte gewachsenen, überlieferten Corpus von Begriffen untersuchen sollte. Dieser überlieferte Corpus von Begriffen, der einem ständigen Prozess der Suche und „Ent-Deckung“ unterworfen ist und unser echtes ius commune darstellt, heiβt Strafrechtsdogmatik und prägt unsere Strafrechtskultur. Es folgt daraus, dass die Gesetzestexte, ebenso wie eine umgangssprachliche Herangehensweise hinsichtlich ihres Wortlauts, in unserer juristischen Tradition weiterhin auch eine wichtige Rolle spielen werden. Entscheidend sollte letztendlich aber die strafrechtliche (d.h. strafrechtsdogmatische) Tradition sein.3
Schriftenverzeichnis (in Auswahl) 1. Selbstständiges Schrifttum / Monographien El delito de omisión. Concepto y sistema [Das Unterlassungsdelikt. Konzept und System], 2. Aufl., Buenos Aires 2003. Aproximación al Derecho penal Contemporáneo [Annährung an das kontemporäre Strafrecht], 2. Aufl., Buenos Aires 2010. Die Expansion des Strafrechts, Frankfurt 2003, auch veröffentlicht auf Spanisch als: La expansión del Derecho penal, 3. Aufl., Buenos Aires 2011; und auf Portugiesisch als: A Expansâo do Direito penal, 2. Aufl., Sâo Paulo 2011; und auf Italienisch als: L’espansione del Diritto penale, Milano 2004.
2. Aufsätze in Zeitschriften und Sammelwerken Aberratio ictus und objektive Zurechnung, in: ZStW 1989, S. 352 ff.
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Für die geleistete Hilfe bei der Übersetzungsarbeit möchte ich meiner lieben Schülerin Frau Dr. Nuria Pastor (Bonn / Barcelona) sehr herzlich danken.
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Zur strafrechtlichen Relevanz der Nicht-Unmittelbarkeit des Erfolgseintritts, in: GA 1990, S. 207 ff. Probleme der Zurechnung bei impulsivem Handeln, in: Jahrbuch für Recht und Ethik Bd. 2, Berlin 1994, S. 505 ff. Blankettstrafgesetze und die Rückwirkung der lex mitior, in: Schünemann / Suárez González (Hrsg.), Bausteine des europäischen Wirtschaftsstrafrechts. Madrid-Symposium für Klaus Tiedemann, Köln 1995, S. 135 ff. Zur Dreiteilung der Unterlassungsdelikte, in: Schünemann / Achenbach / Bottke / Haffke / Rudolphi (Hrsg.), Festschrift für Claus Roxin, Berlin 2001, S. 641 ff. Straftatsystematik deutscher Prägung: Unzeitgemäß?, in: GA 2004, S. 679 ff. Zur Verhältnismäßigkeitsproblematik im entschuldigenden Notstand, in: Byrd / Joerden (Hrsg.), Festschrift für Joachim Hruschka, Berlin 2005, S. 681 ff. Die Unerwünschten als Feinde: Die Exklusion von Menschen aus dem status personae, in: ZStW 2006, S. 547 ff. Zur sogenannten teleologischen Auslegung, in: Pawlik / Zaczyk (Hrsg.), Festschrift für Günther Jakobs, Köln 2007, S. 645 ff. Doctrines Regarding „The Fight Against Impunity“ and „The Victim’s Right for the Perpetrator to be Punished“, in: Pace Law Review, vol. 28, Summer 2008, Number 4, S. 865 ff. Rationale Strafzumessung durch Straftatdogmatik, in: Neumann / Herzog (Hrsg.), Festschrift für Winfried Hassemer, Heidelberg 2010, S. 625 ff. Identität und strafrechtliche Verantwortlichkeit, in: Paeffgen / Böse / Kindhäuser (Hrsg.), Festschrift für Ingeborg Puppe, Berlin 2011, S. 989 ff. Gesetzesauslegung und strafrechtliche Interpretationskultur, in: Kudlich / Montiel / Schuhr (Hrsg.), Gesetzlichkeit und Strafrecht, Berlin 2012, S. 55 ff. Aufsichtspflichten und Compliance in Unternehmen, in: Kuhlen / Kudlich / Ortiz de Urbina (Hrsg.), Compliance und Strafrecht, Heidelberg 2013, S. 71 ff. Abschied von einem einheitlichen Unrechtsbegriff innerhalb des Strafrechtssystems?, in: GA 2013, S. 611 ff. Abbruch eines fremden rettenden Kausalverlaufs im eigenen Organisationsbereich: ein Rechtfertigungsproblem, in: Freund / Murmann / Bloy / Perron (Hrsg.), Festschrift für Wolfgang Frisch, Berlin 2013, S. 299 ff.
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Objektive Zurechnung und Rechtfertigungsgründe. Versuch einer Differenzierung, in: Hefendehl / Hörnle / Greco (Hrsg.), Festschrift für Bernd Schünemann, Berlin 2014, S. 533 ff.
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https://doi.org/10.1515/9783110277708-019
Marcelo Alberto Sancinetti I. Ich wurde am 27. November 1950 in Buenos Aires als dritter Sohn in bescheidenen Verhältnissen geboren. Die Eltern meiner Mutter María Luisa Liñayo (1924) stammten aus Galicien in Spanien und waren 1924 nach Buenos Aires ausgewandert. Die Mutter meines Vaters Marcelo Aurelio Sancinetti (1914) war spanisch-baskischer Herkunft und sein Vater gebürtiger Italiener aus der Stadt Castrovillari in der Provinz Cosenza, Kalabrien. Ende des 19. Jahrhunderts waren sie nach Buenos Aires übergesiedelt. Während meine beiden älteren Schwestern Nélida Nilda (1944) und Mirta Aída (1947) die staatliche Grundschule besuchten, spielte ich noch in meiner eigenen Welt versunken den ganzen Tag mit meinem Lieblingsspielzeug, einem Steckenpferd, das sogar einen Namen („El Tonny“) hatte. Als ich vier Jahre alt war, kündigte mir meine Mutter an, dass ich nun in den Kindergarten gehen müsse und zwar in der gleichen Einrichtung, in welcher meine Schwestern die Grundschule besuchten. In diesem Moment wurde mir klar, dass es mit dem Spielen ein Ende hatte und dass auch für mich die Zeit des Hausaufgabenmachens gekommen war. Bis dahin hatte ich wahrscheinlich die Hoffnung gepflegt, dass dies ausschließlich eine Verpflichtung, die meinen Schwestern zukam, bleiben würde. Diese Hoffnung wurde jedoch schnell zunichte gemacht – und obwohl ich noch immer Zeit zum Spielen und Sport treiben fand, war das meiste, was ich tat, eben doch eine Aufgabe, die erledigt werden musste. Bis zur vierten Klasse blieb ich in dieser Einrichtung; dann mussten wir Jungs auf eine ausschließlich für Knaben vorgesehene Schule wechseln. Diese weiterführende Schule, welche heutzutage nicht mehr existiert, war wie die vorherige in staatlicher Hand, aber etwas schlichter. Bei einer nur kleinen Anzahl von Schülern war es keine allzu große Leistung, diese als Jahrgangsstufenbester abzuschließen. Worüber ich mich allerdings freute, war die Tatsache, diese „Ehre“ mit einem meiner besten Kindheitsfreunde, Eduardo Besprosvan (Nachfahre jüdischer Immigranten aus Österreich, die dem Nationalsozialismus entkommen waren) teilen zu können. Ein anderer sehr guter Kindheitsfreund war Jorge Astolfi, mit welchem ich meine Leidenschaft für den Sport teilte. Diesen Schulwechsel führte ich kurze Zeit nach dem frühzeitigen und traumatischen Verlust meines Vaters durch, der im Alter von 46 Jahren (1960) an
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einem Herzinfarkt starb. Meine Mutter hingegen lebt mit 93 noch bei guter Gesundheit. Bis fünf Jahre vor seinem Tod war mein Vater Unteroffizier beim Militär gewesen; danach hatte er Klaviere verkauft, wobei er sich das Klavierspiel selbst beigebracht hatte. Er hatte eine natürliche Begabung dafür, Konzepte zu erklären. Ich erinnere mich daran, wie er mir mit neun Jahren eine Lektion über Dreiecke gab und die Informationen dazu einer Enzyklopädie entnahm; an Einiges, was ich an diesem Abend lernte – Dinge, die mir in meinen späteren Geometrieklassen nie erklärt wurden – erinnere ich mich noch heute. Einige Jahre zuvor hatte mein Vater einem seiner Brüder, Amadeo Ricardo, der etwas jünger war als er und gleichzeitig auch mein Patenonkel, angeboten, in unserem Haus zu wohnen. Mein Onkel, der später zu einer Art Stiefvater wurde, war ebenfalls ehemaliger Unteroffizier und Inhaber eines kleinen Nagelstudios. Auch er starb ziemlich jung, mit 58 Jahren (1976) an einer Herzkrankheit. Meine beiden Schwestern waren zu diesem Zeitpunkt schon verheiratet und hatten Kinder: meine vier Neffen und Nichten Nadine, Ana Paula, Alex und Martín. Schon bevor mein Vater verstarb, hatte meine Mutter verschiedene Berufe ausgeübt, um zum Unterhalt der Familie beizutragen. Mit der Zeit übernahm sie das Geschäft meines Onkels, welches sie dann 20 Jahre lang leitete. Als ich klein war, brachte sie mir bei, wie man verständliche Vorträge hält. Sie legte großen Wert darauf, dass ich das korrekte Vorlesen in der Öffentlichkeit beherrschte. Dies beinhaltete, den Blick am Ende eines jeden Paragrafen zu heben – wozu ich den Wortlaut des Satzendes im Kopf haben musste – und lange Gedichte mit gebührender Betonung vorzutragen. Sie kontrollierte unsere Hefte mit größter Sorgfalt und sehr kritisch: Die Großbuchstaben mussten dabei stets „alle auf einer Höhe“ sein, auch wenn ich Jahre später herausfand, dass nicht alle Konsonanten unter den Druckbuchstaben die gleiche Höhe hatten. Da in meinem Familienumfeld die schulische Leistung so etwas wie den kategorischen Imperativ darstellte, nahm ich meine Aufgaben sicher zu mancher Zeit ein wenig zu ernst. Ein weiterer, streng einzuhaltender Grundsatz bestand darin, nie zu lügen, sondern stets die Wahrheit zu sagen. In den letzten zwei Jahren meiner Grundschulzeit versuchte einer meiner Lehrer, Rodolfo Melero, meine Mutter mit aller Kraft davon zu überzeugen, dass ich mich dem Lehrerberuf widmen solle. Tatsächlich hatten sich bei mir im Kindesalter natürliche Fähigkeiten zum Unterrichten gezeigt. Mir fiel es nicht leicht, etwas zu lernen, aber wenn ich es einmal gelernt hatte, konnte ich es den anderen erstaunlich gut erklären. Es war eine Ehre, dass mein Lehrer den Wunsch hatte, dass ich wie er selbst auch Lehrer würde. Ich selbst wollte
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damals tatsächlich auch Lehrer werden, da ich mir keinen edleren Beruf als diesen hatte vorstellen können. Doch meine Mutter hatte beschlossen, dass ich das Gymnasium im „Liceo Militar General San Martín“ [Militärgymnasium San Martín] absolvieren würde, wo ich schließlich als Militärschüler in den Jahren von 1964–1968 studierte. Gegen Ende jener Zeit stieg ich zum „dragoneante“ und „dragoneante principal“ [gemeiner Soldat, der die Aufgaben eines Unteroffiziers übernimmt] auf und graduierte schließlich als Leutnant der Reserve. Die Schule war ein Internat, in welchem wir von Sonntagnacht bis Freitagnachmittag lebten. So fiel der Kontakt zu meiner Familie während der letzten Jahre meiner Kindheit und meiner frühen Jugend sehr spärlich aus. An jenem Gymnasium konnte man sich fast unbegrenzt in Selbstdisziplin üben, was auch daran lag, dass bereits die Anforderungen an die gesamte Gruppe extrem hoch waren: Von der Weckstunde um 6 Uhr früh1 bis zur nächtlichen Bettruhe um 22 Uhr mussten wir auf Körperpflege, saubere Kleidung und Ordnung im Kleiderschrank achten und mit minuziöser Genauigkeit das Bett machen, bevor wir den Schlafsaal verließen. Diesen teilten wir mit 150 Kameraden – unter anderem mit den Schülern der höheren Jahrgänge, denen wir vor allem in den ersten drei Jahren untergeordnet waren. Die Nachtruhe wurde regelmäßig von einer zweistündigen Aufsicht des Schlafsaals unterbrochen, die „Nachtwache“ genannt wurde. Abgesehen davon war ich einer von vielen, der nachts aufstand, um zwei oder drei Stunden lang die Themen, welche man während der Abendstunden nicht vollständig hatte vorbereiten können, aufzuarbeiten. Außerdem mussten wir unseren Stuhl, in dessen Innerem sich Schuhputzwerk befand, aufgeräumt halten, „marschieren“ wie ein ordentlicher Soldat – egal wie weit –, Höchstleistungen im Unterricht erbringen und vor allem auch unsere Wehrdiensttauglichkeit unter Beweis stellen. Dies waren wahrscheinlich die anspruchsvollsten Jahre meines Lebens, die es mir – wie möglicherweise von meiner Mutter geplant – zur Gewohnheit machten, das Bestmöglichste im Studium und in jedem anderen Aspekt des Lebens erreichen zu wollen, auch wenn das manchmal bedeutet, dadurch von seinen Idealen abzukommen.
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Meine erste Weckstunde bleibt mir noch bis heute in traumatischer Erinnerung. Zu genannter Uhrzeit kamen die Militärschüler des vierten und fünften Jahrgangs (deren Weckstunde um 5.30 Uhr war) mit Trillerpfeifen und schreiend in den Schlafsaal, um uns zu wecken und im Nu zum Aufstehen zu bringen. Dies hinterließ einen derartig tiefen Eindruck auf mich, dass ich mit der Zeit schon vorher aufwachte, um diesen Schreckensmoment nicht erleben zu müssen. Das ist wahrscheinlich auch einer der Gründe dafür, weshalb ich seit meiner Jugend während der Nacht lerne oder arbeite und – wenn möglich – bis Mittag schlafe.
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In einem Aspekt war das Leben im Militärgymnasium erheblich gerechter als jenes, das ich anschließend in Argentinien erlebte. Unser Lohn war von unserem Verdienst abhängig, nicht von fehlgeleiteten Interessen; ein Grundsatz, der fast à outrance beachtet wurde. Paradoxerweise sollte ich ein solches Maß an Gerechtigkeit später selbst im Umgang mit den sogenannten „des Rechts kundigen Menschen“ nicht mehr erleben. Nachdem ich das Gymnasium abgeschlossen hatte, hatte ich die Wahl zwischen einem Leben, das dem Militär gewidmet war und einem Universitätsabschluss. Obwohl ich mich als Kind stets sehr für Mathematik interessiert hatte – das abstrakte Denken war mir immer sehr leicht gefallen – waren schon vor dem Eintritt ins Gymnasium religiöse Gefühle in mir erwacht, die gegen Ende der Gymnasialzeit spürbar zunahmen. Die Spannung zwischen meinen Neigungen zur Mathematik und Philosophie einerseits und meiner Faszination am Religiösen andererseits ging nicht effektlos an mir vorbei. Der Kaplan des Gymnasiums, Pater Atilio C. Fortini, s.j. – unser geistlicher Vorstand – war Experte darin, uns auf strengste und orthodoxe Art und Weise in der katholischen Moral zu schulen. Fast alles, was man tat, konnte seiner Ansicht nach in den Augen Gottes falsch, unmoralisch oder gar eine Sünde sein. Diese Einstellung ließ sich gerade noch mit der Philosophie verbinden, nicht aber mit der Mathematik. Jedes kritische Denken erstickte er im Ansatz, indem er uns zu sagen pflegte: „Ich diskutiere nicht, ich lehre.“ Womöglich beeinflusste die Beschäftigung mit dem „Richtigen und dem Falschen“, dem „Guten und dem Bösen“ mein späteres Interesse für das Strafrecht. Auch die Frage, ob ich mich dem religiösen Leben komplett widmen sollte, beschäftigte mich zeitweise. Allerdings wurde mir ziemlich schnell klar, dass ich das nicht wollte. Bevor ich mich für das Jurastudium einschrieb, fragte ich mich, ob es nicht einfacher und zeitsparender wäre, gleich einen Beruf auszuüben, indem ich der militärischen Laufbahn folgte. Wahrscheinlich wollte ich mich damals einfach nicht mit dem Alltagsleben der Zivilgesellschaft auseinandersetzen müssen. So machte ich Ende 1968 in einer plötzlichen und alle überraschenden Entscheidung die Aufnahmeprüfungen für die Militärhochschule der Nation, wo ich nach nur drei Jahren – also mit einundzwanzig – den Offizierstitel hätte erreichen können. Schließlich konnte ich einen guten Gymnasialabschluss, als dreizehnter in einem Jahrgang von 148 Kameraden, vorweisen. Der Eintritt in die Militärhochschule war relativ einfach, aber ab dem zweiten Tag in einer weiteren militärischen Einrichtung befiel mich das sichere Gefühl, dass diese Art von Weltanschauung nicht mein ganzes Leben zeichnen könnte. Für freies Denken gab es kurz gesagt wenig Raum. Tatsächlich wurde mir aber erst Jahre später bewusst, welche Auswirkungen dieses Defizit wirklich gehabt
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hätte, wäre ich der Militärlaufbahn gefolgt. Ich war dem militärischen Leben schließlich völlig überdrüssig geworden. Die Militärhochschule empfand ich als weitaus unerträglicher als das Gymnasium, so dass ich bereits etwa 50 Tage nach dem Eintritt meine Entlassung beantragte und diesem Weg für immer den Rücken kehrte. Dies war das erste Mal, dass ich im Bereich meiner Ausbildung, in der ich von Kindheit an immer nur Erfolge vorzuweisen gehabt hatte, das Gefühl in mir trug, gescheitert zu sein. Trotz alledem war es auch eine sehr kluge Entscheidung, die sich aufgrund des mehr oder weniger zufälligen Zusammentreffens bestimmter verhängnisvoller Ereignisse als viel besser getroffen erwies, als ich es mir je hätte denken können. Diejenigen, die damals der Militärlaufbahn weiter gefolgt waren, gehören der Generation jener an, welche während der Militärdiktatur von 1967–1983 an Grundrechtsverletzungen beteiligt waren. Nicht alle Militärs von damals waren in die Ereignisse verwickelt, aber sicherlich ein großer Teil. Häufig frage ich mich, ob ich mich den Befehlen, Handlungen dieser Art durchzuführen, hätte widersetzen können, wenn ich mit einer derartigen Situation konfrontiert worden wäre. Dann frage ich mich, ob ich die moralische Standhaftigkeit und genug Mut gehabt hätte, mich auf Kosten jeglichen persönlichen Risikos zu verweigern. Das schließt dann wiederum die Frage ein, ob einem selbst dieses Handeln als gerechtfertigt erschienen wäre, um es sich zum Beispiel leichter zu machen, einem Befehl zu gehorchen. Es ist eine Qual, nicht zu wissen, wie man sich selbst am Geschehen einer hypothetischen Welt beteiligt hätte, vor allem wenn man die grausamen Taten betrachtet, welche während der Diktatur begangen wurden. Ein besonders schlimmes Beispiel sind die heimlichen Gefangenenlager, in welchen um die 8.000 Menschen getötet wurden, die man heute jedoch schlichtweg als „verschollen“ deklariert.2 Möglicherweise hat diese schwierige Frage nach dem Verhalten in einer hypothetischen Welt zu zwei meiner im 2
In dem Werk Sancinetti / Ferrante, auf welches ich mich später in Fußnote 4 noch beziehe (dort S. 136 ff.), schätzte ich die Zahl der Vermissten auf 10.000. Frau Graciela Fernández Meijide, die Mutter eines verschwundenen Sohnes, untersuchte speziell die Statistiken über jene unauffindlichen Personen. In ihrem Buch „Die geheime Geschichte der Menschenrechte in Argentinien (Für Pablo)“, Buenos Aires 2009, kommt die Autorin auf eine Zahl von ca. 8.000 Vermissten, auch wenn diese Angaben nicht mit Gewähr gemacht werden können. Fragt man auf der Straße nach, bekommt man vor allem von solchen, die sich selbst als fortschrittlich bezeichnen, eine Zahl von 30.000 vermissten Menschen zu hören. Für solch eine Zahl gibt es jedoch keinerlei Anhaltspunkte. Dessen ungeachtet sprechen auch die demagogischen Politiker von 30.000 Verschollenen und „nicht demagogische“ Politiker gibt es nur wenige. Fernández Meijide war politisch tätig und ist zugleich eine „Mutter des Platzes der Mairevolution“ – deshalb versucht sie die tatsächliche Anzahl der Verschwundenen herauszufinden.
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Ausland bekanntesten Werke geführt, welche in den Jahren von 19883–19994 veröffentlicht wurden. Das zweite Werk, das ich gemeinsam mit Marcelo Ferrante verfasste, war ein Projekt des Max-Planck-Instituts für ausländisches und internationales Strafrecht und wurde einige Zeit später auch auf Deutsch veröffentlicht.5 Im Wesentlichen vertrat ich die Meinung, dass sowohl die sogenannten „Gesetze zur Straffreiheit“, welche während der Regierung von Präsident Raúl Alfonsin Ende der 1980er Jahre verabschiedet worden waren, als auch die Straferlasse von Präsident Carlos Menem Anfang der 1990er Jahre verfassungswidrig waren. Eigentlich könnte man alle Beschlüsse für ungültig erklären und erneut gegen die Verantwortlichen vorgehen. Erstaunlicherweise geriet genau dies viel später wieder in die Debatte, nachdem sich die politischen Umstände geändert und Präsident Néstor Kirchner 2003 an die Regierung gekommen war. Er ließ ein Gesetz verabschieden, durch welches die Gerichtsverfahren von vor zwanzig Jahren neu verhandelt wurden. Dafür schien es mir zu diesem Zeitpunkt schon viel zu spät zu sein, zumal Gesetzesvorlagen dieser Art schon Ende der 1990er Jahre vom Kongress abgelehnt worden waren.6 Bis wann konnte man ein ums andere Mal Verfahren überprüfen? Ein Anspruch darauf, dass solche Taten nicht verjähren, reicht als Anhaltspunkt nicht aus. Wenn ein Prozess innerhalb eines angemessenen Zeitraums abgeschlossen sein sollte, ist es nicht möglich, dass der Staat es sich vorbehält, ein strafrechtliches Verfahren sine die zu eröffnen, zu unterbrechen, zu schließen und wieder zu eröffnen. Kurz gesagt: Auch die Strafverfolgung muss innerhalb eines angemessenen 3
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Sancinetti, Derechos humanos en la Argentina postdictatorial, Buenos Aires 1988 (kommentiert von Franz-B. Marré in der deutschen „Zeitschrift für ausländisches öffentliches Recht und Völkerrecht“, 1988, S. 801–803). Eine Zusammenfassung des Werks stellt mein Artikel „Entwicklung der Menschenrechte in Argentinien nach der Diktatur“ in der „Lateinamerika“, 1989, S. 47–57, deutsche Version von Franz-B. Marré und Ernesto Garzón Villada, dar. Sancinetti / Ferrante, El derecho penal en la protección de los derechos humanos. La protección de los derechos humanos mediante el derecho penal en las transiciones democráticas [Der Schutz der Menschenrechte durch das Strafrecht während der Übergangszeit zur Demokratie], Argentinien, Buenos Aires 1999. Deutsche Version von Norbert Lösing, in: Eser / Arnold (Hrsg.), Strafrecht in Reaktion auf Systemunrecht. Vergleichende Einblicke in Transitionsprozesse, Band 3 Argentinien, Max-Planck-Institut für ausländisches und internationales Strafrecht, Freiburg i.Br. 2002, S 82. Eine dieser Vorlagen, die vom Abgeordneten Bernardo P. Quinzio – dessen „Berater“ ich damals war – mit der Unterstützung von Oraldo Britos vorgelegt wurde, hatte ich Anfang 1998 verfasst.
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Zeitraums durchgeführt werden. Ungeachtet dessen verwandelten sich die Gerichtsverfahren für mich in etwas Verschrobenes. Heutzutage scheint es auszureichen, dass der Beschuldigte zur Zeit der Diktatur dem Militär angehörte und dass irgendjemand seine Stimme wiederzuerkennen glaubt oder ähnlich vage Hinweise existieren, damit ein Ex-Militär in Untersuchungshaft kommt – selbst dann, wenn es schwer zu sagen ist, ob dieser zur Zeit der Gerichtsverhandlung noch am Leben sein wird. Dieser Trend erstreckt sich auch auf zahlreiche Zivilisten, die man der Kollaboration beschuldigt, sei es auch allein deswegen, um ihr Handeln als „neutral“ einstufen zu können. Alles in allem bin ich der Meinung, dass sich bis heute in Argentinien keine Mentalität entwickeln konnte, welche die Rechte des Einzelnen, der einer Gruppe mit völlig ungewisser Zukunft angehört, qua individuo unterstützt. Ich möchte allerdings nicht komplett abstreiten, dass dieser Standpunkt auch daher rührt, dass ich mich zunehmend wohler dabei fühlte, gegen den Strom zu schwimmen. Bereits die Jahre vor der Diktatur, welche durch den Terrorismus linksextremistischer Gruppen, die teilweise auch für den Militärputsch von 1976 verantwortlich sind, gezeichnet waren, hatten meine Jugend als eine Zeit voller Gewalt und geistlicher Frustration überschattet. Abgesehen von der innerlichen Verurteilung dieser Taten blieb ich – wie der Großteil meiner friedfertigen Landsleute – komplett abseits jenes Geschehens. In diesem entmutigenden Ambiente verlief mein Universitätsstudium.
II. Da ich meine Militärausbildung unmittelbar nach Beginn wieder aufgegeben hatte, konnte ich mich noch im selben Jahr, 1969, für ein Studium der Rechtswissenschaften an der Universität von Buenos Aires einschreiben. Zur gleichen Zeit begann ich als Tutor in der Sekundärstufe (was mich an die Beschäftigung Aristoteles erinnerte) zu arbeiten. Fast alle Jura-Studenten hatten nebenbei wenigstens einen kleinen Nebenjob. Mein Einstiegsjahr verlief zufriedenstellend, ohne dass sich Spuren meines anfänglichen Schwankens bemerkbar machten. Und dennoch waren sie geblieben; immer noch zweifelte ich daran, ob die Entscheidung, das Militär für immer hinter mir zu lassen, gut gewesen war und ob ich mit dem Jura-Studium die richtige Wahl getroffen hatte. Die Antwort auf die Frage nach dem wirklichen Beweggrund für meine zuletzt getroffene Entscheidung war noch lange nicht gefunden. Vielleicht fand sie sich in dem Umstand, dass sich das Gros derjenigen Studenten, die ihre Berufung noch nicht gefunden hatten, für das Rechtsstudium einschrieb.
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Es könnte aber auch daran gelegen haben, dass ich mich aufgrund von Fragen der praktischen Philosophie, die ich mir bei Auseinandersetzungen mit dem Religiösen während meiner Jugendzeit gestellt hatte, übereifrig auf die Suche nach dem Gerechten und dem Ungerechten, den Normen und ihrer Nichteinhaltung machte. Wäre es etwa möglich, dass ein Dogmatiker des Strafrechts eine Art „weltlicher Priester“ sei? Aus eigener Erfahrung bezweifle ich dies. Schon in meiner Kindheit gehörten moralische Fragen, Normen im Allgemeinen und die „Philosophie der Vernunft“ zum groben Bestandteil meiner Gedankenwelt und meines Gerechtigkeitssinnes – bevor ich überhaupt „religiöse Empfindungen“ entwickelte. Das Gebot, dass man „immer die Wahrheit“ sagen müsse, erzeugte in mir den Grundstock einer wissenschaftlichen Denkweise und gleichzeitig auch die Angst, etwas falsch zu machen. Aus diesem Grund wurden meine Aussagen bereits im Kindesalter gewöhnlich von Zusätzen wie „mir erscheint es so“ oder „ich glaube, dass es so ist“ begleitet. Mein Studium der Rechtswissenschaften war – zumindest teilweise – zum Scheitern verurteilt. Damals musste man während seines sogenannten „Anwaltsstudiums“ 28 Fächer bestehen. Bis heute kennt man in Argentinien nichts Vergleichbares zum deutschen Staatsexamen. Zum Volljuristen wird man schrittweise, ja fast durch „Ersitzung“, indem man in jedem Semester die Klausuren der belegten Fächer besteht. Die Klausuren werden im Normalfall von demjenigen Professor, der die Vorlesung gehalten hat, gestellt – im härtesten Fall wird man von einem Prüfungskomitee getestet, das aus anderen Professoren besteht. Während selbst ein mittelmäßiger Student im Jahr zwischen vier und sechs Fächer belegen konnte (das Studium war für fünf Jahre zuzüglich Aufnahmeprüfung vorgesehen) kam ich selbst nicht über einen Durchschnitt von zwei Fächern pro Jahr. Drei Fächer in einem Jahr waren die Ausnahme und in manchem Jahr widmete ich mich sogar nur einem einzigen Fach allein. Der Umstand, dass ich damals als Torwart in einem Team der ersten Liga im Feldhockey mitspielte, war jedoch nicht ausschlaggebend für diesen zähen Verlauf meines Studiums. Das Team genannt Hurling Club war ein irischer Verein mit großer Tradition. Der erste Torwart – mein Freund Ovidio Sodor, den ich während meiner Arbeit als Tutor kennengelernt hatte – musste fast das ganze Jahr über im Nationalkader spielen und es gab niemanden, der seinen Platz hätte übernehmen können. Weil ich als Kind im Fußball häufig in der gleichen Position – sogar bis zum fehlgeschlagenen Versuch, in den professionellen Fußball einzusteigen – gespielt hatte, hatte ich zumindest eine gewisse Vorstellung, worum es bei der Sache ging. Außerdem profitierte ich auch von meinem Sportsgeist, der in mir von Kindheit an herangewachsen war: mens
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sana in corpore sano [ein gesunder Geist in einem gesunden Körper]. Aber als die Rechtswissenschaft zu meinem Hauptinteresse wurde, ließ ich den professionellen Sport sein,7 was zwar nicht zu einem schnelleren, wohl aber zu einem intensiveren Studium führte. Vor dem Hintergrund, dass ich stets daran zweifelte, ob ich mein Studium jemals beenden würde, suchte ich mir eine gewichtigere Arbeit als die eines Sekundarstufentutors. So kam es, dass ich drei Jahre lang als Angestellter der Zentralbank arbeitete. Der zähe Verlauf meines Studiums, das ich exakt einen Tag vor meinem 32. Geburtstag beendete, brachte mich bald in einen psychologischen Konflikt, gezeichnet von für die Jugend normalen, moralischen Gewissensbissen und der Frage, ob es möglich sei, dass Gott nicht existiere. Mein „Ich“ und mein „Über-Ich“ waren erschüttert. Bei meinen Mitstudenten konnte ich kein großes Interesse am Rechtsstudium an sich erkennen. Wenn ich nach dem Sinn einer Erläuterung im Lehrbuch fragte, bekam ich meistens zu hören, dass es ganz und gar nicht wichtig war, den Sinn zu hinterfragen, sondern dass ich schlichtweg das, was im Buch geschrieben stand, auswendig lernen müsse. Bald wurde mir klar, dass zwischen den Studenten und den Professoren eine gewisse Ähnlichkeit bestand – auch wenn sie gegensätzlichen „Zünften“ angehören zu schienen, arbeiteten sie im Hintergrund doch zusammen. Es gab nur geringes Interesse daran, juristische Probleme auszudiskutieren und viel öfter ging es darum, die Stellung von Professoren zu Studenten klarzustellen und das alles im seriösen Rahmen des Universitätslebens.8 Um auf gute Professoren zu treffen, musste man umständlich suchen und am besten einen auswählen, der nicht von der Studienberatung empfohlen worden war. So bekam man zumindest keinen Professor mit einem Kurs, den die Mehrheit belegte. Ich brauchte eine Weile um zu begreifen, dass ich genau das Gegenteil dessen, was die Masse der Studenten tat, tun musste, um Jura richtig zu studieren. So konnte ich in der Tat einige „Meister“ jener Disziplin kennenlernen, die zwar nicht reichlich vorhanden waren, aber dennoch existierten.
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Heutzutage spiele ich nur noch Tennis in Form von regelmäßigem Unterricht bei Gabriela A. Mosca, einer ehemaligen W.T.A. Spielerin (1985–1991; 1994–1995), die zugleich auch Anwältin ist. Jüngst haben mir meine Ärzte jedoch empfohlen, meine sportliche Betätigung unter Vermeidung jeglichen „Impact-Sports“ auf das Fitnessstudio und das Schwimmen zu beschränken, um so meine geschwächte Wirbelsäule zu schützen. Höchstwahrscheinlich hat sich dieses Problem heutzutage – vierzig Jahre später – sogar noch verschärft.
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Auch wenn es tatsächliche „Experten“ gab, waren diese nicht leicht ausfindig zu machen. Im zweiten Semester 1972, in welchem ich schon beträchtlich mit dem vorgesehenen Stoff hinterherhinkte, nahm mich meine Kommilitonin Alicia Miguel fast gezwungenermaßen mit in die Vorlesungen von Enrique Bacigalupo, der später eine Art „Lehrmeister“ für mich werden sollte. Dieser war zu diesem Zeitpunkt noch sehr jung und arbeitete mit 34 Jahren als Assistenzprofessor am Lehrstuhl von Prof. Dr. Enrique Ramos Mejía. Dennoch war er bereits damals ein herausragender Hochschullehrer. Er hatte mit dem spanischen Professor Don Luis Jiménez de Asúa, der in Buenos Aires im Exil lebte, studiert. Dank eines Stipendiums der Alexander von Humboldt-Stiftung besuchte er die Seminare von Welzel und Armin Kaufmann und schloss daraufhin seine Doktorarbeit zum Thema „Los delitos improprios de omisión“ [Die untauglichen Unterlassungsdelikte] ab. Er war es auch, der mir eines Tages sagte: „Sie haben gute Voraussetzungen, um in die Forschung des Rechts einzusteigen, aber sie müssten hierfür zunächst Deutsch lernen.“ Dies war eine harte Voraussetzung für jemanden, dessen Englisch in der Sekundarstufe gerade ausgereicht hatte, um „That is a pencil“ sagen zu können. Des Weiteren gab er mir den Tipp, dass ich in egal welchem Fach mit einem europäischen Lehrbuch arbeiten sollte: „Schlagen Sie die einfachsten Dinge, die man von Ihnen zu wissen verlangt, nach und lesen diese am besten zusätzlich auch in europäischen Lehrwerken noch einmal nach.“ Dieser Rat führte dazu, dass ich das angelsächsische Rechtssystem unklugerweise fürs Erste außen vor ließ, angefangen mit der nordamerikanischen Literatur dazu. Trotzdem machte es Sinn, da sich unser Rechtssystem (mit Ausnahme des Verfassungsrechts, das wir aus Nordamerika übernommen haben) am kontinental-europäischen Recht orientiert. Aus diesem Grund folgte ich auch dem Rat eines anderen Lehrers, Leopoldo Schiffrin, den ich über Bacigalupo kannte, und las „El Federalista“ von Hamilton et al. Im darauffolgenden Jahr arbeitete ich als studentische Hilfskraft am Lehrstuhl, den Bacigalupo vorübergehend als „außerordentlicher Professor“ leitete. Obwohl ich noch drei Viertel meines Studiums vor mir hatte, entstand hierdurch für mich eine bleibende Verbindung zum Strafrecht. Bacigalupo lud mich zu seinen Seminaren ein, in denen oftmals nur Professoren miteinander diskutierten. Ausnahmsweise wurde mir erlaubt, an diesen Diskussionen teilzunehmen. Dennoch war der beste Hinweis, den mir mein Professor in dieser Zeit gab, das Lehrbuch von Hans Welzel zu lesen, dessen Allgemeiner Teil der 11. Ausgabe
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von den chilenischen Juristen Juan Bustos Ramírez und Sergio Yáñez Pérez ins Spanische übersetzt worden war. Die Lektüre von Welzel stellte sich als packendes Erlebnis dar. Erst als ich dessen Werk und insbesondere die Ausführungen zur finalen Handlungslehre und der Gegenüberstellung von Handlungs- und Erfolgsunwert gelesen hatte, wurde mir bewusst, dass die Rechtswissenschaften tatsächlich mein Weg sein könnten und ich fragte mich, ob ich womöglich sogar jemand wie Welzel werden könnte, was allerdings durchaus ein hochgestecktes Ziel darstellte. Gleichzeitig erwachte mein Interesse für die Rechtsphilosophie, was zumindest teilweise auch auf die Lektüre des Werks „Naturrecht und materiale Gerechtigkeit“ – wiederum von Welzel geschrieben – zurückgeführt werden kann. Das Werk war im Spanischen unter dem verlagstechnisch günstigeren Titel „Introducción a la Filosofía del Derecho“ (Einführung in die Rechtsphilosophie) veröffentlicht worden. Außerdem las ich eine Sammlung von Artikeln Welzels, welche unter dem Titel „Über das Naturrecht und den juristischen Positivismus hinaus“ zusammengefasst worden waren. Es war die Nachkriegszeit, in welcher die „logischobjektiven Strukturen“ (Welzel) und die „Natur der Sache“ (in der Ausdrucksweise von Radbruch) im Gespräch waren. In Argentinien gab es schon immer eine Reihe exzellenter Rechtsphilosophen, die unter anderem Werke von Hans Kelsen und H. L. A. Hart ins Spanische übersetzten und zahlreiche Diskussionen auslösten. Zu diesen Rechtsphilosophen zählen mitunter Genaro Carrió, Carlos Alchourrón, Eugenio Bulygin und Roberto Vernengo. Sie legten sowohl auf die analytische Philosophie als auch auf den Rechtspositivismus besonderen Wert. Eine Welle von „modernem Rechtsnaturalismus“ kam ins Rollen, die ganz besonders von Carlos Ninos, der die bestehende Diskussion tiefgehend veränderte, ausgelöst wurde. Die philosophische Tradition Argentiniens hält bis heute an, hat jedoch größeren Einfluss auf den angelsächsischen Raum als auf den deutschsprachigen. Zu Beginn meiner Arbeit hatte mein Professor eine Gruppe von Assistenten darauf hingewiesen, dass wir eine Fallsammlung schreiben würden. In Buenos Aires waren zu dieser Zeit die Übersetzungen der Fallsammlungen von Kern (Allgemeiner und Besonderer Teil) und von Baumann bekannt. Ich nahm das Engagement meines Professors sehr ernst und nahm die Aufgabe in Angriff, obwohl ich dadurch in meinem Studium weiter zurückblieb. In wenigen Monaten fertigte ich 1974 ein Taschenbuch an: Die erste Ausgabe meines Buchs „Casos“,9 das ich auf der Grundlage der in den Handbüchern von 9
Sancinetti, Casos de derecho penal, Buenos Aires, 1975 (220 Seiten); 3. Ausgabe, Buenos Aires 2005–2006 (1.002 Seiten); genauso wie in der ersten Ausgabe werden hier Lösungsvorschläge des Autors aufgezeigt, außerdem enthält es die Lösung eines
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Welzel, Maurach und Mezger diskutierten Sachverhalte anfertigte. Als ich ein Jahr später der deutschen Professorin Hilde Kaufmann ein Exemplar schenkte, tat sie daraufhin vor allen argentinischen Professoren ihre Meinung kund: „In Deutschland gibt es so etwas nicht, dass Studenten Bücher schreiben!“ – Zweifelsohne handelte es sich hierbei um Kritik, aber niemand konnte mir den Stolz nehmen, dass ich eine der ersten juristischen Fallsammlungen, welche direkt in spanischer Sprache geschrieben worden war, verfasst hatte. Ende 1975 fing ich auf Gesuch meines Verfassungsrechtsprofessors Schiffrin hin an, als Angestellter bei der Staatsanwaltschaft zu arbeiten, wie es auch schon Reynaldo Vanossi getan hatte. Das Ziel war, mich zu einer Art Berichterstatter für Schiffrin zu machen. Kurz vor dem Militärputsch 1976 wanderte dieser jedoch nach Deutschland aus, wo viele weitere Juristen, die zu dieser Zeit in großer Gefahr waren, aufgenommen worden waren. Das Gleiche hatte auch schon mein Professor Bacigalupo gemacht. 1976 wurde mir erlaubt, an einigen Strafrechtstagungen teilzunehmen, welche für Professoren und graduierte Studenten gedacht waren. Unter Vorbehalten und Einwendungen Vieler durfte ich außerdem einen Vortrag über „Die Irrtumslehre“ halten, welcher gleichzeitig zu meinem ersten wissenschaftlichen Artikel in der Materie führte.10 Von diesem Moment an stellte sich mein Studium als immer schwieriger dar. Ich versuchte jeglichen Kurs in ein eigenes „Forschungsseminar“ umzuwandeln und konnte keine Klausur ablegen, ohne eine eigene Theorie zu den Kernpunkten jedes Fachs aufzustellen: Sicherlich war es absurder und von Eitel getragener Ehrgeiz, aber wenigstens veranlasste mich dieser dazu, meine Nächte in einem Status von geistlicher Erregung studierend zu verbringen. In der Zwischenzeit hatte ich meinen Arbeitsplatz gewechselt. Nach der Arbeit bei der Staatsanwaltschaft hatte ich Anfang 1978 angefangen, als Gerichtsschreiber bei einem Richter der staatlichen Zivil- und Handelskammer zu arbeiten. Der Richter, Oscar Freire Romero, machte mir ganz schnell klar, dass mein Schreibstil verworren und meine Art, etwas zu begründen „viel zu ausschweifend“ wäre, so dass man beim Lesen den Zusammenhang verlöre. Mit ihm verband mich bald eine tiefe Freundschaft, die bis zu seinem Versterben Anfang 2016 fortbestand. Auslöser dafür war sicherlich meine Bewunde-
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Falls für Studenten, angefertigt von Günter Stratenwerth und ein Schriftstück von Patricia Ziffer. „Error, dolo y culpabilidad: ¿un problema de lege lata?“ [„Irrtum, Vorsatz und Strafbarkeit: ein Problem de lege lata?“], in Nuevo Pensamiento Penal, 1976, S. 267–293 (jetzt auch in: Sancinetti, Sistema de la teoría del error en el Código Penal argentino, Buenos Aires 1990, S. 27–55).
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rung für seinen gesunden Richterverstand, seinen starken Charakter und seine Fähigkeit, sachlich und knapp zu formulieren. Die väterliche Art, die er mir gegenüber an den Tag legte, führte dazu, dass er viele Jahre später mein Trauzeuge wurde. Die Tätigkeit als Gerichtsschreiber in der Zivil- und Handelskammer übte ich schließlich um die vier Jahre lang aus. Obwohl ich immer noch Student war, bot mir eine Kanzlei (Ernesto Galante – Abogados) Ende 1981 an, juristische Schreibarbeiten für sie anzufertigen, vor allem Gutachten in den verschiedensten Fachgebieten. Zu dieser Zeit fehlten mir nur noch zwei Fächer, um mein Studium abzuschließen, wofür ich allerdings ein ganzes weiteres Jahr benötigte. Durch die gelegentliche Veröffentlichung weiterer Artikel beteiligte ich mich während meines Studiums weiterhin an der wissenschaftlichen Diskussion des Strafrechts. Dabei begegnete ich auch den Problemen des internationalen Bankrotts, und zwar in Form einer unsachlichen Regulierung im argentinischen Gesetz, die bestimmte, dass eher argentinische Gläubiger zahlen müssen, als dass Kredite, die international fällig waren, eingetrieben wurden.11 Diese Artikel wurden als Produkt meiner Arbeit in jener Kanzlei im letzten Abschnitt meines Studiums veröffentlicht. Unter anderem intervenierte ich dort in einem „Präventivkonkurs“ einer Gesellschaft, die beträchtliche Passiva – ein Großteil davon fällige Kredite im Ausland – zu verzeichnen hatte. Ich kann nicht leugnen, dass mein beruflicher Standpunkt, den ich in den Gutachten vertrat, einen Einfluss auf die Gestaltung dieser Publikationen hatte. Ich selbst neigte dazu, alle Gläubiger gleich zu behandeln, aber das Gesetz sagte etwas anderes. Mit der Zeit erkannte die Fachdoktrin diese Arbeiten als kritisches Material an, das es wert war, mit in die Diskussion einbezogen zu werden. Am 26. November 1982 schloss ich schließlich mein Studium mit einem Gesamtdurchschnitt von 9,50–10 Punkten ab – mit der besten aller Arbeiten im Internationalen Privatrecht. Mein Professor in diesem Fach war Antonio Boggiano, der viele Jahre später Richter am argentinischen Obersten Gerichtshof wurde (1994–2003). Als Präsident Kirchner 2003 an die Macht kam, bestand dieser mit Erfolg darauf, dass zwei Richter des Gerichtshofs ihren Rücktritt beantragten; ein weiterer starb, nachdem ihm der politische Prozess gemacht worden war. Im Falle zweier Richter des höchsten Gerichts, Eduardo Moliné O´Connor und Antonio Boggiano, konnte Präsident Kirchner aller11
„Art. 4 des Konkursgesetzes: Verfassungsmäßigkeit und Willkür des eigenen Gerichts“, in La Ley, 1983-D, S. 402–421. „Art. 4 des Konkursgesetzes: Geschichte und Hysterie einer Reform“, in Revista del Derecho Comercial y de las Obligaciones, 1984, S. 139–166.
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dings keinen Rücktritt erwirken, weshalb er erst 2004, dann 2005 gegen beide politische Verfahren vor dem Senat der Nation einläuten ließ. Der Großteil der Senatoren – unter ihnen natürlich auch seine Ehefrau Fernández de Kirchner, Präsidentin bis Ende 2015 – waren mit dem Präsidenten einer Meinung. Die Verfahren waren gezeichnet von Grundrechtsverletzungen und Verstößen gegen die Rechte der Angeklagten, gegen die Prinzipien eines demokratischen Staats und der Gewaltenteilung. Eine der in meiner beruflichen Laufbahn ehrenvollsten Aufgaben war es, im Verfahren meines Professors Boggiano Verteidiger gewesen zu sein, auch wenn seine Amtsenthebung politisch unvermeidbar und letzten Endes auch der Fall war.12 Später wurden jene Fälle von den ehemaligen Richtern als Antragsteller vor der Interamerikanischen Kommission für Menschenrechte gebracht. Dieser hat dem Antrag stattgegeben, aber bis heute noch keine Entscheidung gefällt.
III. Im Gegensatz zum langwierigen Verlauf meines Studiums verging meine Zeit als Dozent an der Universität wie im Fluge. Drei Jahre, nachdem ich meinen akademischen Abschluss erreicht hatte, bewarb ich mich – noch ohne promoviert zu haben – auf eine Professorenstelle, die nach dem Untergang der Militärdiktatur ins Leben gerufen worden war. 1985 vergab die Universität Buenos Aires per Ausschreibung zwölf Stellen als „außerordentlicher Professor“ oder „Teilhaber eines Lehrstuhls“ im Straf- und Strafprozessrecht. Schon im Jahr zuvor war ich zum „Hilfsprofessor auf Zeit“ im Strafrecht und parallel dazu im Internationalen Privatrecht berufen worden (Boggiano hatte versucht, dass ich mich für immer dieser Materie verschreiben würde, indem er mir Savigny und Story näherbrachte).
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Vgl. Sancinetti, „Juicios políticos a jueces de la Corte Suprema de Justicia en Argentina“ / „Politische Verfahren gegen Richter des Argentinischen Obersten Gerichtshofes“ (deutsche Version von Thomas Kliegel), in beiden Sprachen veröffentlicht im: „El dial – Biblioteca Jurídica online“ (www.eldial.com–elDial-DC82F–elDial-DC82E), 13/3/2006; auch in der schweizerischen elektronischen Zeitung: www.unifr.ch/ddp1/dere chopenal/artículos/a_20080527_03. Siehe auch: Gelli / Sancinetti: Juicio político. Garantías del acusado y garantías del Poder Judicial frente al poder político. La defensa del juez Antonio Boggiano, Hammurabi, Buenos Aires 2005. Es ist wenig verständlich, dass zahlreiche Politiker der Opposition und die gegen die Regierung ausgerichteten privaten Medien erst jetzt ihre Kritik an der – tatsächlich bestehenden – starken Intervention der Exekutivgewalt gegenüber der Judikative äußern, obwohl diese Einmischung der Exekutive schon vor Jahren mit dem Sturz eines großen Teils des obersten Gerichts begann, was jedoch mit Jubel von jenen unterstützt wurde, die sich später – zu spät – über die Einmischung in die Judikative beschwerten.
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Ich war der jüngste der Bewerber. Zwei Stellen wurden nicht vergeben und ich erhielt als Zehnter kurzfristig eine Stelle als „Hilfsprofessor“. Eigentlich gab es keinen wesentlichen Unterschied in der Führung eines Lehrstuhls als „außerordentlicher Professor“ und der eines „Hilfsprofessors“. Überwiegend wurde denjenigen, die noch keinen Doktortitel innehatten, letztere Bezeichnung zuteil. Auf diese Art und Weise wurde ich zum wahrscheinlich jüngsten Lehrstuhlinhaber, den die Universität Buenos Aires je gehabt hatte, und ohne Zweifel auch der Einzige, der diesen akademischen Grad nur drei Jahre nach seinem Abschluss erreicht hatte. Dies war letzten Endes vor allem eine Folge meines zähen Studienverlaufs. Gleichzeitig war ich weiterhin als Rechtsanwalt tätig und beschäftigte mich hauptsächlich mit der Anfertigung von Gutachten. Der Grund dafür, dass ein Professor in Argentinien noch einer zweiten Tätigkeit nachgehen muss, ist das sehr bescheidene Gehalt, das man an den staatlichen Universitäten und auch an vielen privaten Universitäten erhält. In eben dieser Zeit hatte mich mein ehemaliger Professor Bacigalupo, der sich mit Hilfe der Humboldt-Stiftung zunächst einige Zeit nach Bonn und wenig später dauerhaft nach Madrid ins Exil geflüchtet hatte, dazu gedrängt, mich für ein Stipendium des Instituto de Cooperación Iberoamericana vorschlagen zu dürfen. Dank dieses Stipendiums konnte ich im Vorlesungssemester 1985/86 einen Forschungsaufenthalt an der Complutense Universität in Madrid verbringen, während dessen ich unter der Anleitung von Bacigalupo die Beziehung zwischen „dem Versuch und der Theorie der Normen“ untersuchte. Er zeigte nicht die geringste Begeisterung für das Thema, welches ich für die Vorbereitung meiner Doktorarbeit ausgesucht hatte. Ich war trotzdem fest entschlossen, meinen Standpunkt, welcher der Ansicht der sogenannten „Bonner Schule“ von Armin Kaufmann und seinen Schülern nahe kam, zu verteidigen. Die zentrale Idee lautete: Das Unerlaubte und Schuldhafte an jeglichem strafbaren Akt kann nur darin bestehen, von sich selbst aus einen Tatentschluss, zu handeln, aufzugeben; dass sich möglicherweise zudem ein äußerlicher Erfolg ergibt, ist zumindest teilweise eine Frage des Zufalls. In Madrid nahm ich auch mein Deutschstudium wieder auf und fing mit spärlichen Kenntnissen an, nach und nach die Dissertation von Diethart Zielinski zu übersetzen.13 Einige Jahre später erschien die Übersetzung, nachdem ich sie zurück in Buenos Aires mit der Hilfe meiner Deutschlehrerin Margarida Aner überprüfen und fertigstellen konnte, schließlich auf Spanisch. Bacigalupo hatte sich von den Ideen Armin Kaufmanns, der in der Zwischenzeit verstorben war, 13
Zielinski, Disvalor de acción y disvalor de restultado en el concepto del ilícito, Buenos Aires 1990 (Handlungs-und Erfolgsunwert im Unrechtsbegriff, Berlin 1973).
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ziemlich weit entfernt. Trotzdem erinnere ich mich noch sehr gut an den Eindruck, den mein Professor etwa zwölf Jahre zuvor bei mir hinterlassen hatte, als er in Buenos Aires die Ansicht vertrat, dass der Erfolg eines Fahrlässigkeitsdelikts nichts anderes als eine objektive Bedingung der Strafbarkeit sein könne und sich in keiner Weise auf die Verletzung der Sorgfaltspflicht auswirke – doch weshalb sollte das bei Vorsatztaten anders sein? Genauso wie der Kleine Prinz hörte ich nicht auf, einer Frage, die ich mir einmal gestellt hatte, nachzugehen. Während dem Semester 1985/86 hatte ich an der Complutense Universität Promotionskurse besucht, die man in nur einem Jahr abschließen konnte und durch welche man befähigt war, eine Doktorarbeit einzureichen. Bacigalupo hatte mich auf die Idee gebracht, bei meiner Forschungsarbeit zur Versuchstheorie auch rechtsphilosophische Werke – vor allem diejenigen von Popper und Kuhn – zu lesen, was zu einem nicht enden wollenden Ausflug in die Welt diverser Rechtsphilosophen wurde. Mit spöttischem Ton sagte er mir eines Tages: „Wenn Sie jetzt noch die Vorsokratiker mit in ihre Forschung einbeziehen, werden Sie Ihre Doktorarbeit nie abschließen.“ Nach einem Jahr Studium als Stipendiat musste ich nach Buenos Aires zurückkehren. Obwohl mein Stipendium um ein Jahr verlängert worden war, hatte ich mich an einen Lebensstandard gewöhnt, den ich mit dem nicht sehr umfangreichen Stipendium nicht mehr finanzieren konnte. So kehrte ich nach einem Forschungsjahr in Madrid hoch verschuldet nach Buenos Aires zurück. Nach meiner Rückkehr nach Buenos Aires im November 1986 übernahm ich wieder meinen Lehrstuhl als Hilfsprofessor, dessen Leitung man mir Anfang des Jahres mit der Erlaubnis, gleichzeitig Forschungsarbeit betreiben zu können, überlassen hatte. Mit der praktischen Ausübung meiner Lehrstuhltätigkeit begann ich im Vorlesungsjahr 1987. In der Zwischenzeit hatte ich versucht, zusammen mit zwei Kollegen, meine eigene Kanzlei zu gründen. Da ich jedoch immer noch einen Berg von Schulden hatte, nahm ich meine alte Arbeit in der Kanzlei, in welcher ich seit 1981 gearbeitet hatte, wieder auf. Während ich 1987 einen Einführungskurs für das Anfangssemester abhielt, in welchem mir die Handbücher von Jescheck und Stratenwerth als Grundlage dienten, konnte ich mit meiner Übersetzung des Werks von Zielinski fortfahren und gleichzeitig meine Doktorarbeit weiter voranbringen. Bereits Ende 1986 hatte ich in der Kanzlei von Professor Julio B. J. Maier die damalige Assistentin Patricia Susana Ziffer kennengelernt, die dort an der Übersetzung eines Artikels von Hans-Joachim Hirsch arbeitete. Sie beherrschte die deutsche Sprache perfekt und war (wie auch heute noch) eine wunderba-
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re Frau. Ich heiratete Patricia Ziffer am „Tag des heiligen Patricius“ im Jahr 1989. Während ich bereits 38 Jahre alt war, glänzte sie noch mit ihrer Jugend von 26 Jahren.14 Aus dieser Verbindung heraus wurden unsere drei Kinder Sofia María (Bonn, 1992), Marcelo Agustín (Buenos Aires, 1997) und María Lucía (Buenos Aires, 1998) geboren. Es war fast schon vorbestimmt, dass sie ihre Grund- und Sekundarschulzeit – neben dem Jahr, in dem sie vom Herbst 2006 an die Anne Frank-Schule und das Goethe-Gymnasium in Freiburg i.Br. besuchten – in einer deutschen Schule im Belgrano Viertel in Buenos Aires, verbringen würden. Seit 1998 wohnten wir nur einen halben Block von der besagten Pestalozzi-Schule entfernt. In meinem ersten Ehejahr hatte ich den Mut gefasst, meine Doktorarbeit an der Universität Buenos Aires abzuschließen: „Handlungsunwert und die Unrechtslehre (der Vorsatz als Charakteristik des Unrechts)“. 1990 wurde die Arbeit mit der höchsten Bewertung benotet und für den „Fakultätspreis“15 vorgeschlagen. Mein Doktorvater war der Prozessrechtler Julio B. J. Maier, einer meiner Professoren, der am meisten darauf bestanden hatte, dass ich mein Deutschstudium nicht aufgeben würde. Mein Doktortitel ermöglichte es mir, mich für ein Stipendium der Alexander von Humboldt Stiftung zu bewerben. Damit konnte ich eine Forschungsarbeit über die „Straffreiheit beim Rücktritt vom Versuch“ im Rechtsphilosophischen Seminar der Universität Bonn, damals von Günter Jakobs geleitet, anfertigen. Von Juni 1991 bis Juli 1993 wurde mir dieses angesehene deutsche Stipendium zuteil. Da ich meine Arbeit jedoch noch nicht abgeschlossen hatte, musste ich meinen Aufenthalt in Deutschland auf eigene Kosten bis Dezember 1993 verlängern. In dieser Zeit kam unsere erste Tochter im Evangelischen Krankenhaus von Bad Godesberg (Bonn) zu Welt. Die weiteren selbst finanzierten sechs Monate in Bonn kosteten uns ein Vermögen, aber waren es allemal wert. Zweieinhalb Jahre unter der Leitung von Jakobs zu arbeiten, war für mich eine der intellektuell angenehmsten und fruchtbarsten Erfahrungen meines Lebens. Bald besuchte ich das Seminar, welches Welzel und Armin Kaufmann ins Leben 14
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Weil sie sich gerade zufällig in Buenos Aires aufhielten, nahmen an der Hochzeit Wolfgang Schöne, der erste deutsche Jurist, den ich 1973 kennengelernt hatte, und Eberhard und Eva Struensee, deren Bekanntschaft wir zwei Tage zuvor gemacht hatten, teil. Eva Struensee erntete viel Lob für ihr Ave Maria, das sie auf Wunsch meiner Frau hin auf Deutsch vorgesungen hatte. Veröffentlicht wurde sie unter dem Titel: Teoría del delito y disvalor de acción. Un análisis de las consecuencias prácticas de un concepto personal de ilícito circunscpripto al disvalor de acción [Verbrechenslehre und Handlungsunwert. Eine Untersuchung der praktischen Folgen eines personalen, auf den Handlungsunwert beschränkten Unrechtsbegriffs], Buenos Aires 1991 (Neuauflage 2001).
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gerufen hatten und arbeitete unter der Leitung einer der Schüler Welzels, dem Autor, der mir den Impuls und die Begeisterung am Studium der Rechtswissenschaften gegeben hatte – was wollte ich mehr? Für mich stand fest: Es gab kein besseres Omen als den Besuch des Seminars von Jakobs. Zu dieser Zeit neigte sich das Sommersemester gerade seinem Ende zu und – wie es der Zufall wollte – war es so vorgesehen, dass in dem letzten Teil des Seminars jemand eben genau über das Werk von Zielinski referieren sollte. Jakobs stellte mich folgendermaßen vor: „Heute besucht uns der argentinische Professor, der dieses Buch ins Spanische übersetzt hat und von seiner Ehefrau begleitet wird.“ Es war klar, dass die Ansichten Jakobs sehr von all dem abwichen. Uns standen zwei Jahre harter Arbeit bevor, gezeichnet von lebhaften Diskussionen. Bei einer meiner ersten Begegnungen mit Jakobs erzählte er mir folgende Anekdote: „Eines Tages verteidigte Armin Kaufmann im Seminar von Welzel seine Ansicht, dass allein das Handlungsunrecht von Bedeutung wäre. Nach einem großartigen Vortrag dazu, äußerte sich Welzel: ‘Das war sehr gut, Herr Kaufmann, aber sagen sie mir bitte, wer ist dann für die Leiche verantwortlich?’“. Ich war versucht ihm zu antworten: „Eine Leiche ist res nullius!“, aber das wäre sehr unverschämt gewesen und so entschied ich mich dafür, nichts zu sagen. Ich nehme an, dass diese Zeit sehr wichtig für Jakobs gewesen sein muss. Selbst 16 Jahre später (2007) ergriff er während des Abendessens anlässlich der Verleihung seiner Festschrift das Wort, um eine außergewöhnliche Zusammenschau seines akademischen Lebens voller Witz und eleganter Wortwahl zu halten und erzählte unter anderem wieder einmal eben jene Anekdote. Einige Tischnachbarn pflichteten ihm mit leichtem Kopfnicken bei, so als ob die Frage Welzels tatsächlich ein Argument gewesen wäre. Bei diesem unvergesslichen Abendessen sollte ich die Runde mit ein paar Worten abschließen. Ich hatte die große Möglichkeit, wenigstens einmal zu sagen, dass eine Leiche „res nullius“ sei, aber ich hatte bereits eine kurze, sowohl ernsthafte als auch von Herzen kommende Rede vorbereitet, deren Vortrag ich mit der Sorgfalt, die Jakobs gebührte, einstudiert hatte. Ich änderte meine Rede nur geringfügig ab, um zugunsten der Relevanz des hypothetischen Kausalverlaufs basierend auf der zunehmenden Bedeutung der Differenzhypothese zu argumentieren, da Jakobs zuvor in seiner Rede den Zivilrechtler Heinrich Lehman erwähnt hatte, der dies in der Neufassung seines Werkes „Enneccerus / Lehmann: Recht der Schulverhältnisse“ erläutert hatte. Unter seiner Leitung schrieb ich mein Buch „Fundamentación subjetiva del ilícito y desistimiento de la tentativa“ (Subjektive Unrechtsbegründung und
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Rücktritt vom Versuch).16 In diesem Werk stellte ich die These auf, dass die Ansätze Jakobs ihn auch dazu bringen müssten, die Figur des Erfolgsunrechts abzulehnen. Meiner Meinung nach zeigte dies seine neue, restriktive Einstellung zur Straffreiheit beim Rücktritt vom Versuch, nach welcher es nicht möglich sei, eine Dogmatik zu pflegen, die von der Maxime „Ende gut, alles gut“ getragen wurde. Eine Reihe von Juristen, zu der auch Manuel Cancio Meliá und meine Frau gehörten, erstellten gleichzeitig in Zusammenarbeit mit Nichtjuristen eine deutsche Version, für welche ich das Manuskript auf Spanisch geschrieben hatte und dessen Übersetzung ich noch einmal überprüfte. Zum Ende meines Aufenthalts waren beide Versionen vollendet. Auch wenn Jakobs meinem Werk genau genommen nicht zugestimmt hatte, boten mir die Juristen Wolfgang Schöne und Eberhard Struensee an, mich bei der Veröffentlichung zu unterstützen und die Arbeit noch einmal komplett Korrektur zu lesen. Die Version, die hieraus entstand, wurde 1995 im Carl Heymanns-Verlag veröffentlicht.17 Im Institut Jakobs wurde mein Buch sogleich von allen als „Anti-Jakobs“ bezeichnet. Das Manuskript der spanischen Version, dessen ursprünglicher Titel etwas anders lautete („Fundamentación objetiva del ilícito en Jakobs?“ – „Objektive Unrechtsbegründung bei Jakobs?“) wurde 1994 als Doktorarbeit an der Complutense Universität Madrid unter der Leitung des spanischen Juristen Enrique Gimbernat eingereicht. Damit erreichte ich meinen zweiten Doktortitel. Auch diese Arbeit erhielt die Bestnote der Universität: „apto cum laude“. In diesen beiden Werken, meiner ersten und zweiten Doktorarbeit, erarbeitete ich ein Konzept zur Unrechtsbegründung frei von „kausaler Magie“ des Erfolgsunwerts. Meiner Ansicht nach hätte dies – obwohl es tatsächlich nicht der Fall war – auch das Ergebnis von Welzel sein müssen. „Wie kann man von Unrechtsteigerung oder Schuld sprechen, wenn das Opfer einige Monate nach der Tat im Krankenhaus stirbt?“, lautet die passende Frage Armin Kaufmanns dazu. In meiner ersten Doktorarbeit vertrat ich weiterhin die Meinung, dass der Täter beim Rücktritt sowohl vom unbeendeten als auch – parallel zur herrschenden Meinung in Deutschland – beim beendeten Versuch, Straffreiheit erlangen kann, wenn er die Möglichkeit der Tatvollendung erkannt hat, der sichere Ausgang der Tat aber nicht mehr in seinen Händen liegt (beendeter Versuch) und er durch ernsthaftes Bemühen die Tatvollendung verhindert. Dagegen arbeitete ich in meiner zweiten Doktorarbeit, die auf einer Arbeit 16 17
Erstmals veröffentlicht in Bogotá 1995, und später in Buenos Aires 2005. Subjektive Unrechtsbegründung und Rücktritt vom Versuch. Zugleich eine Untersuchung der Unrechtslehre von Günther Jakobs, Carl Heymanns Verlag, Köln / Berlin / Bonn / München 1995.
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Jakobs18 basiert, an der Theorie, dass, sobald der Täter auch nur für einen kleinen Moment annimmt, die Tat sei vollendet, sein weiteres Verhalten zur „Handlung nach der Tat“ und die Tat an sich somit zum „beendeten Versuch“ wird. Ein Rücktritt ist dadurch ausgeschlossen, d.h. die Tat ist beendet bzw. es liegt ein fehlgeschlagener Versuch (Delit manqué) vor. Der beendete Versuch stellt somit kein „Minus“ zum vollendeten Delikt dar, nicht mit Bezug auf die Unrechtsbegründung und nicht mit Bezug auf die Möglichkeit eines strafbefreienden Rücktritts. Diese gibt es nur im Bereich des beendeten Versuchs. Es erwies sich mir als unmöglich, Jakobs davon zu überzeugen, dass zwischen seiner (aktuellen) restriktiven Ansicht zum Rücktritt vom Versuch und seiner „erfolgstreuen“ Unrechtslehre ein Widerspruch bestand.19 Die Ausarbeitung dieses Gesichtspunktes in meinen zwei Hauptarbeiten zur Unrechtslehre geht wahrscheinlich auf meine ersten Gedankengänge in Kindheit und Jugend zurück, auch wenn ein Groβteil der Ideen „Gemeingut“ der Schule Armin Kaufmanns und seiner Schüler war. Warum reagiert ein Vater meist viel strenger, wenn ein Kind gegen eine Verhaltensregel wie zum Beispiel „Du sollst im Haus nicht mit dem Ball spielen“ verstößt und eine Scheibe zerschlägt als wenn das Kind genau das Gleiche tut, dabei aber nichts kaputt macht? Stecken dahinter nicht vielleicht atavistische Wut und Rachegedanken, die einem System rationaler Bestrafung fremd sein sollten?20
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„Rücktritt als Tatänderung versus allgemeines Nachtatverhalten“, in: ZStW 104 (1992), S. 82. Siehe seine aktuelle Kritik meines Standpunktes in Jakobs, System der strafrechtlichen Zurechnung, Frankfurt a.M. 2012, S. 69. Nach Jakobs widerspricht die Aussage, dass die Schuld aufgrund des freien Willens nichts mit äuβeren Einflüssen zu tun habe, dem Konzept einer liberalen Gesellschaft. Es wäre gewiss nicht nur für ihn überraschend, dass m.E. nach jeglicher äuβerer Faktor ein liberales Denken zusätzlich verstärkt, wenn es nichts Liberaleres gibt als die Willensfreiheit. Das Konzept einer liberalen Gesellschaft stellt somit keinen Widerspruch dazu dar. Auβerdem gleicht die Situation, in der der Täter schon am Anfang der Tat körperlich nicht in der Lage ist, die Tat durchzuführen – vorausgesetzt diese Handlung wäre gefährlich gewesen, wenn er dazu in der Lage gewesen wäre – der Situation, in der sich der Täter fälschlicherweise aufgrund äuβerer Umstände in der Verantwortung (z.B. in einer Garantenstellung) glaubt und das Geschehen demzufolge kontrollieren würde, wenn sie bestünde. Jakobs sieht diesen letzten Fall als Unterlassungsversuch und strafbar an. Wenn er aber zu Recht keinen wesentlichen Unterschied zwischen Begehung und Unterlassung sieht, kann er auch keine Einwände dagegen haben, dass es sozial relevante Handlungen „ohne äuβere Einflüsse“ gibt. Dies mit dem Hintergrund, dass das Vertrauen der Gesellschaft in die Gesetze als Richtschnur sozialen Verhaltens, welche ein Bild des Täters vor Augen hat, der sein Tun und sein Unterlassen steuert, erschüttert würde. Vgl. Sancinetti (wie unten in Fußnote 30).
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Für die Ansicht, dass der Erfolgseintritt weder das Unrecht noch die Schuld einer Tat steigern kann, findet man heute noch wichtige Repräsentanten in der Ethik des englischsprachigen Raums.21 Ein namhafter Gegner dieser Thesis, Michael S. Moore, nennt diese Ansicht gar „die aufgeklärte StandardMeinung“.22 Vielleicht handelt es sich aber auch um ein philosophisches Problem, das man nur offen beantworten kann.
IV. Nach der Rückkehr aus meinem Forschungsaufenthalt in Deutschland 1994, nahm ich meine Professorentätigkeit an der Universität von Buenos Aires wieder auf und erhielt 1996 den Titel des ordentlichen Professors, den ich bis heute innehabe,23 dieses Mal hatte ich den ersten Platz bei der Ausschreibung gewonnen. Fast gleichzeitig wurde meiner Frau die venia legendi in Straf- und Strafprozessrecht anerkannt und sie wurde, nachdem sie den ersten Platz einer Stellenausschreibung gemeinsam mit meinem Schüler und unserem Freund Gustavo Bruzzone gewonnen hatte, Assistenzprofessorin. Während der Jahre meiner Lehrtätigkeit war ich von 1996 bis 1997 auch ordentlicher Professor an der Universität von Torcuato Di Tella, bis ich diesen Posten meinem damals vielversprechenden Schüler Marcelo Ferrante überließ, der dort eine makellose Karriere machte. Gleichzeitig erledigte ich weiterhin einzelne Tätigkeiten als Anwalt, wie die Ausarbeitung von Gutachten oder die Beratung von Kollegen. Seit 2003 bin ich Partner in einer Kanzlei für Strafrecht zusammen mit meinem Freund und 21
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Derzeit vor allem bei L. Alexander / K. Kessler Ferzan, Crime and Culpability. A Theory of Criminal Law, Cambridge University Press, 2009 („Results don´t matter“) zu finden; vgl. auch Joel Feinberg, Criminal Attempts: Equal Punishments for Failed Attempts, in: ders., Problems at the Roots of Law. Essays in Legal and Political Theory, Oxford University Press 2003, S. 77 ff. Vorher schon bei H. A. L. Hart, Intention and Punishment, jetzt in Punishment and Responsability, Clarendon Press, Oxford 1998, S. 131. M. S. Moore, Placing Blame. A Theory of Criminal Law, Oxford 1997, insbes. S. 191 ff. An der Universität von Buenos Aires ist der Posten eines Professors fast bis zum Ende seiner Laufbahn ungewiss. Es ist üblich, dass man alle sieben Jahre an einem Wettbewerb zur Erneuerung seiner Professur teilnimmt. In diesem Wettbewerb kann der Lehrstuhlinhaber auch scheitern und durch einen anderen Bewerber ersetzt werden. Zuletzt musste ich am 25.11.2014 an einem solchen Wettbewerb teilnehmen, nach dem ich meinen Lehrstuhl behalten konnte. Dies tat ich mit Ausführungen zum untauglichen Versuch. Schon aus Altersgründen habe ich nun jedoch meinen Lehrstuhl definitiv inne, da man sich spätestens mit 70 Jahren aus dem aktiven akademischen Leben zurückziehen muss, was in meinem Fall Ende 2020 geschehen würde, wenn denn nicht mein Leben vorher enden sollte.
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Kollegen der Universität Buenos Aires, Prof. Dr. Daniel R. Pastor – auch ExHumboldt-Stipendiat –, dem Vertreter meines Lehrstuhls auf Zeit, Ex-Schüler meiner ersten Kurse und hochgeschätztem Freund Gustavo F. Trovato und meiner brillanten Lehrstuhlassistentin und Ex-Schülerin sowohl meiner Frau als auch von mir selbst, María Soledad Accetta.24 Seit einigen Jahren betätige ich mich außerdem als Professor für Straf- und Ordnungswidrigkeitenrecht am „Instituto Superior de Seguridad Pública de la Ciudad Autónoma de Buenos Aires“, an welchem Kadetten zu Beamten der Großstadtpolizei ausgebildet werden. Während ich dort unterrichte, erinnere ich mich oft an meine Jahre als Kadett am Liceo Militar – und von Zeit zu Zeit messe ich mich mit den jungen Kameraden, um zu sehen, wer besser „marschieren“ oder patriotische Lieder mit hocherhobener Stimme singen kann. Seit meiner Zeit in Bonn habe ich meine Frau bei zwei Forschungsaufenthalten in Deutschland begleiten dürfen. Zuerst war sie 1995 für kurze Zeit (als Albin Eser Direktor war) Stipendiatin am Max-Planck Institut (Freiburg i.Br.). Dort schrieb sie ihr Werk über die Grundzüge der Strafbestimmung [„Lineamientos de la determinación de la pena“].25 Viele Jahre später erhielt sie – nachdem sie 2005 mit einer Arbeit über das Delikt „Rechtswidrige Vereinigung“26 [„El delito de asociación ilícita“] promoviert hatte – zudem ein Humboldtstipendium, um ebenfalls in Freiburg über die „Sicherungsverwahrung“27 zu forschen (2006–2007). Dies tat sie am Institut für Strafrecht und Rechtstheorie unter der Betreuung von dessen Direktor Wolfgang Frisch. Während dieser Zeit erlitt ich einen Herzinfarkt und wurde vom Deutschen Roten Kreuz in die Notaufnahme des St. Josefskrankenhauses in Freiburg gebracht, in welchem ich erfolgreich behandelt wurde. Es folgte die Rehabilitation in der Klinik Baden in Bad Krozingen, welche von der Continental Versicherung28 getragen wurde. Danach bot mir die Humboldt-Stiftung an, zum Thema 24 25 26 27 28
Von 2003 bis 2005 gehörte auch die Kanzlei Andrea Casaux dazu; von 2006 bis heute heißt die Kanzlei: Sancinetti / Pastor / Trovato & Accetta – Abogados. Ziffer, Lineamientos de la determinación de la pena, Buenos Aires 1999; 2. Auflage, 1999. Ziffer, El delito de asociación ilícita, Buenos Aires 2006. Dort entstand ihr Werk: Ziffer, Medidas de seguridad. Pronósticos de peligrosidad en Derecho Penal, Buenos Aires 2008. Abgesehen von all diesen Institutionen, dankt der Autor Dr. Med. J. Ziupa (Hausarzt), Dr. Med. R. Gansser, Dr. med. K. Goetz, Dr. med. R. Safaie, Prof. Dr. Med. J. Zähringer und seinem Assistenten E. Hatzfeld (St. Josefskrankenhaus); Dr. med. I. Müller, Dr. psic. Welsch (Klinik Baden); Hr. Richter (Continental Versicherung) für die großartige und effektive Unterstützung; außerdem dankt er den argentinischen Ärzten, die zu seiner Genesung nach dem Aufenthalt beigetragen haben: E. Meiller und R. García
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der Relevanz hypothetischer Kausalverläufe zu forschen. Meine Arbeit „Hypothetische Kausalverläufe und die Differenztheorie“29 wurde von Prof. Dr. Frisch betreut. Die zentrale Idee ist der von Samson und anderen Autoren, die den hypothetischen Kausalverläufen große Relevanz zusprechen, sehr ähnlich; die Neuheit besteht jedoch darin, dass ich von der deutschen, auf Friedrich Mommsen basierenden Schuldrechtstheorie ausgehend argumentiere, die die sogenannte „Differenzhypothese“ verteidigt. Zusätzlich zur Hilfsbereitschaft des Herrn Frisch konnte ich mich auf große Unterstützung durch das Max-Planck Institut, welches zu diesem Zeitpunkt schon von Ulrich Sieber geleitet wurde, verlassen. Im Jahre 2010 wurde mir der Ehrendoktortitel [doctor honoris causa] von der Universität Cuenca del Plata (Corrientes, Argentinien, Laudatio von Prof. Daniel Domínguey Henaín) verliehen. Meine vor Kurzem auch in Deutsch veröffentlichte lectio doctoralis trägt den Titel: „El pensamiento de la Ilustración y el llamado ‘principio de lesividad’“.30 Die Gruppe der Juristen aus dem Nordosten Argentiniens, der ich diesen Titel verdanke, hatte mich bereits 2005 geehrt, als sie mich der Universidad Nacional del Nordeste (Corrientes), einer öffentlichen Universität, die großen Einfluss auf die Regionen Corrientes, Chaco, Formosa und Misiones hat, als Honorarprofessor vorschlugen. Andere, auf Deutsch veröffentlichte Beiträge finden sich in den Festschriften für Roxin (2001), Jakobs (2007) und Frisch (2013). Die erste dieser Arbeiten handelt von der „Verteidigung der Versuchslösung im Falle des dolus generalis“; die zweite beinhaltet den Versuch einer Argumentation gegen die Bedeutung des Erfolgsunwerts, ausgehend von der Theorie der Tatbestandslosigkeit durch Risikoverringerung und in der dritten wird die These verteidigt, dass das Geständnis eines Einzelnen nie ausreichen kann, um eine eigene Überzeugung zu bilden, die gleichzeitig rational tragbar ist. Der Schwerpunkt meiner Forschungstätigkeit zwischen 2010 und 2013 lag in der Erstellung eines ausführlichen Gutachtens für die Argentinische Bischofskonferenz, welche mir durch deren damaligen Präsidenten, Seine Hochwürdige Eminenz, Kardinal Jorge Mario Bergoglio (heute Seine Heiligkeit, Papst Franziskus) aufgetragen wurde, zu einem Gerichtsfall der Gerichte der Provinz
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Eleisequi. 2008 wurde der Autor an der Halsschlagader im Deutschen Krankenhaus in Buenos Aires operiert, dafür dankt er besonders den Ärzten A. Ceciliano, Guzmán Lopardo, F. Dekétèle und dem Chirurgen B. Mancini. ZStW 120 (2008), S. 661/703, deutsche Fassung von Thomas Kliegel. Das Denken der Aufklärung und das sogenannte „Verletzungsprinzip“, Vormbaum (Hrsg.), Jahrbuch der Juristischen Zeitgeschichte, Band 12, Hagen 2012, pp. 267/299, deutsche Version von Thomas Kliegel.
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Buenos Aires. Darin geht es um einen Priester, der von drei Jugendlichen des Missbrauchs beschuldigt, in zwei Fällen freigesprochen und in einem verurteilt wurde (sog. „Kontrast- und Kompromisseffekte“ und der „Schulterschlusseffekt“). Der Fall kam durch eine Fernsehsendung an die Öffentlichkeit; die angeblichen Missbrauchsopfer hätten niemals jemandem von dem erzählt, was sie als vor vielen Jahren geschehen darstellten. Zu diesem Fall verfasste ich schließlich fünf Bände, insgesamt um die 3.200 Seiten.31 Diese Arbeit veranlasste mich dazu, mich mit dem „psychologischen Aspekt der Aussage vor Gericht“ auseinanderzusetzen und mich ausgiebiger als in allen Gutachten zuvor mit der Rationalisierung der Beweisstandards zu befassen, welche zwar eine komplexe Sachlage aufwiesen, in denen aber die „Haupttat“ klar war und nur die Täterschaft im Dunkeln lag, insbesondere die mutmaßliche Verantwortung von Anstiftern.32 Die Liste meiner Veröffentlichungen ist nicht sehr lang, verglichen mit derjenigen, die ein erfolgreicher deutscher Kollege in einem Alter von über 60 Jahren erreichen könnte. So habe ich lediglich etwas mehr als zehn Bücher, ein wenig mehr als 50 Artikel und einige bibliographische Kommentare verfasst. 31
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Sancinetti, Estudios sobre el „Caso Grassi“, Band I (2010), II/A (2011), II/B-1 y II/B-2 (2012), III (2013); bis zum jetzigen Zeitpunkt sind diese Werke der Argentinischen Bischofskonferenz vorbehalten. Öffentlich bekannt ist hingegen, dass es dem Autor anvertraut wurde, eine Meinung zu dem Fall nach bestem Wissen und Gewissen abzugeben. Nach der Fertigstellung des Gutachtens und der Übergabe des letzten Bandes an die Argentinische Bischofskonferenz wurde der Autor am 31.8.2013 in einer Privataudienz von S. H. Franziskus empfangen (Domus Sanctae Marthae, Vatikan), wo er seine Zufriedenheit zum Ausdruck bringen konnte, dass ihm eine Arbeit aufgetragen wurde, die wesenseins ist mit den höchsten Werten der humanistischen Kultur, der Reinheit, der Ehre, der Wahrheit, welche sowohl die Gläubigen aller Glaubensrichtungen als auch die Agnostiker und Atheisten als moralisch verbindlich anerkennen. Für meine eigene Erinnerung behalte ich die Inhalte der Gespräche mit jenem, der damals Erzbischof Bergoglio war und heute Papst Franziskus ist. Ich kann meinem Nächsten jedoch einen allgemeinen Eindruck davon geben, wie es ist, sich mit ihm zu unterhalten. Man kann „von hier nach dort“ gehen, sowohl hinsichtlich der Kernfragen über die Existenz Gottes, darüber, ob die Präsenz Gottes „dort ist“, nahe der Seele, als auch persönlichen Kummer, konkrete Probleme besprechen, oder hin zu den emotionalen Erlebnissen des Sportes wechseln, wie bspw. „über Fußball reden“ (der Papst und der Autor sind Sympathisanten desselben argentinischen Fußballclubs San Lorenzo de Almagro). Mein Gutachten zum Fall „Cabezas“ war weit verbreitet und wurde oft von offiziellen Verteidigern zur Hand genommen: Sancinetti, Análisis crítico del caso „Cabezas“, Band I: La instrucción (Buenos Aires 2000), Band II: El juicio (Buenos Aires 2002). Ebenso wie eine weitere Arbeit: La nulidad de la acusación por interdeterminación del hecho y el concepto de instigación – Diálogos de seminario a propósito del caso „Cabezas“, Buenos Aires 2001.
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Es ist seit jeher üblich, dass spanischsprachige Rechtswissenschaftler nicht nur durch persönliche Forschungsarbeit, sondern auch durch Übersetzungen eine Brücke zur deutschen Kultur schlagen. Dies geschieht im Bewusstsein, dass der dadurch ermöglichte Zugang zu wenigstens einem Teil der deutschen Strafrechtsforschung für die spanischsprachigen Kreise einen weitaus wichtigeren Beitrag darstellt, als den, den unsere eigenen Werke leisten könnten. In diesem Sinne habe ich – in einigen Fällen allein, in anderen gemeinsam oder zumindest in Zusammenarbeit mit anderen Kollegen wie María de las Mercedes Galli, Patricia Ziffer, Marcelo Lerman, José Béguelin, Leandro Dias und Manuel Cancio Meliá, wichtige Werke der deutschen Strafrechtswissenschaft in Form von Monographien, Handbüchern und Artikeln, von denen manche in Büchern zusammengestellt sind, übersetzt. Die letzten Bande, die ein in der deutschen Rechtskultur ausgebildeter Jurist nachträglich knüpfen kann, um die Tradition einer argentinischen Strafrechtsdogmatik, die mit der deutschen Strafrechtswissenschaft verknüpft ist, aufrecht zu erhalten, ist, seinen Schülern ein Stipendium zu ermöglichen. Insbesondere empfehle ich die Programme des Deutschen Akademischen Austauschdienstes (DAAD), um Doktorarbeiten in Deutschland anzufertigen und sich anschließend für ein Humboldt-Stipendium zu bewerben. Daher habe ich die letztendlich erfolgreiche Bewerbung herausragender Schüler wie Fernando J. Córdoba, Marco Cerletti und Guillermo Orce (in Bonn, bei Herrn Jakobs), Marcelo D. Lerman und Andrea Paola Dropuliche (in Regensburg bei Herrn Pawlik), und José Béguelin und María de las Mercedes Gallí (bei Herrn Frister in Düsseldorf) um Stipendien des DAAD unterstützt. Alle meine Schüler wurden stets sehr großzügig von meinen deutschen Kollegen und Gastgebern empfangen, so wie es meine Frau und ich ebenfalls mehrmals erlebt hatten. Dabei ist uns beiden kein einziger Fall bekannt, bei dem diese Gastfreundschaft nicht spürbar gewesen wäre. Orce, Lerman und Dropulich wurde in Deutschland der Magister verliehen. Córdoba33 und Lerman34 reichten ihre Dissertationen in Buenos Aires ein und erhielten schließlich dort ihren Doktortitel. Darüber hinaus warte ich gespannt auf die künftigen wissenschaftlichen Beiträge meiner weiteren Schüler.
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Córdoba, La evitabilidad del error de prohibición, Madrid 2012. Lerman, La omisión por comisión, Buenos Aires 2013. Marcelo Lerman war später auch Humboldt-Stipendiat während eines sechsmonatigen Aufenthalts an der Universität Freiburg bei Herrn Pawlik.
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Doch an dieser Stelle sollte ich auch meine zahlreichen anderen guten Schüler, die nicht den Aufwand betreiben konnten, Deutsch zu lernen oder sich für ein Stipendium zu bewerben, um für Forschungsarbeiten nach Deutschland zu gehen, nicht unerwähnt lassen. Auch sie haben etwas von der deutschen Strafrechtslehre aufgenommen – wenn auch bereits ins Spanische übersetzt – und heben sich durch kritische Beiträge großen Ausmaßes hervor. Leider kann ich sie hier nicht alle namentlich auflisten. Weitere Schüler, die ursprünglich meine Seminare besuchten, eröffneten sich ihre eigenen Wege und ich möchte einige ihrer Erfolge hier erwähnen. Folgende Juristen haben im Ausland promoviert: Marcelo Ferrante35 (Ph.D. in Law, Yale University), Mariana Sacher36 (Dr. iur. Universität München), Alejandro Kiss37 (Dr. iur. Universität Münster), Letizia G. Seminara38 (Dottore di Ricerca in Ordine Internazionale e Diritti Umani), Universidad de Roma La Sapienza, y Docteur en Droitcomparé, Universität Straßbourg Robert Schuman und Alejandro Chehtman39 (Ph.D. in Law, London School of Economics). Ferrante und Chehtman sind inzwischen Professoren an der Universidad Torcuato Di Tella (Buenos Aires); Mariana Sacher schreibt an ihrer Habilitation, betreut von Prof. Dr. Bernd Schünemann; Letizia Seminara ist wissenschaftliche Mitarbeiterin für Internationales Recht und Recht der europäischen Union an der Universität „Kore“ in Enna (Italien) und Alejandro Kiss ist als Mitarbeiter (Legal Officer) am Internationalen Strafgerichtshof beschäftigt. Meine Verbindungen zu Deutschland hatten auch zur Folge, dass meine Vorlesungen an der Universität von Buenos Aires hin und wieder von deutschen Studenten besucht wurden. Ich erinnere mich insbesondere an Sophia Lenhardt (aus Berlin, 2001), Thomas Kliegel (aus Münster, 2003 später Mitarbeiter bei Prof. Dr. Frister in Düsseldorf, wo er promovierte), Lars Hamsen40 35
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Ferrante, Punishment for Restults. The Quest for a Justification, Yale Law School: New Haven, Connecticut 2005. Die beiden Hauptthesen wurden veröffentlicht in: Ferrante, „Deterrence and Crime Results“, New Criminal Law Review vol 10.1 (2007), S. 1–77; Ders., „Recasting the Problem of Resultant Luck“, Legal Theory, vol. 15.4 (2009), S. 267–300. Sacher, Sonderwissen und Sonderfähigkeiten in der Lehre vom Straftatbestand, Berlin 2006. Kiss, El delito de peligro abstracto, Buenos Aires 2011 (Manuskript: Das abstrakte Gefährdungsdelikt, Universität Münster 2006). Seminara, Les effets des arrêst de la Cour interaméricaine des droits de l`homme, Bruxelles 2009. Chehtman, The Philosophical Foundations of Extraterritorial Punishment, Oxford 2010. Leider verstarb er sehr jung und auf tragische Weise in einem Verkehrsunfall in Argentinien 2007.
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und Sven Schiffner (aus Münster, 2007), Cora Heider (aus Passau, 2010), David Bieger (aus Bonn, 2011) und Nicola Klee (aus Mannheim, 2015). Zudem besuchte Sabine Flacker (aus Köln), Schülerin an einer Dolmetscherschule, meine Vorlesungen im Jahr 2001. Außerdem verbrachten Thomas Kliegel (2009), Verena Mertens (2009), María Alica Köppen (2012) und Laura Eckes (2014) eine Wahlstation ihres Referendariats in unserer Kanzlei. Mit Herrn Kliegel verbindet mich eine tiefe Freundschaft; ihm verdanke ich wichtige Übersetzungen meiner Artikel und andere gemeinsame Arbeiten; auch Thomas Wostry (aus Düsseldorf) fühle ich mich verbunden, denn auch ihm verdanke ich einige Übersetzungen. Beide übernahmen Aufgaben, die vorher der damalige Doktorand und heutige Professor an der Universidad Autónoma de Madrid Manuel Cancio Melía für mich übernommen hatte. Heute wären meine Sprachkenntnisse im Deutschen leider nicht mehr ausreichend, um selbst zu schreiben. Meine letzte Austauscherfahrung mit der akademischen Welt in Deutschland entsprang einer Einladung von Prof. Dr. Andreas Hoyer (Kiel), am 23. Juni 2015 im Rahmen der „Kieler Woche“ in seinem Übungskurs für Studierende einen Vortrag mit dem Thema „Der Handlungsunwert als Grundlage einer rationalen Strafrechtsdogmatik“ zu halten, der mit Wohlwollen von den Studierenden angenommen und auch durch den Kollegen Manfred Heinrich diskutiert wurde. Auch die Kollegen Helmut Frister und Eric Hilgendorf hatten mich eingeladen, diesen Vortrag nach der „Kieler Woche“ an ihren Instituten in Düsseldorf und Würzburg zu wiederholen. Es waren insgesamt fünfzehn wunderbare Tage, auch wenn die Diskussionen stets sehr komplex ausfielen. Ich würde mir nicht die Gelegenheit entgehen lassen, mich erneut – mit einem vollkommen neuen Text – für die „Zentralität“ des Handlungsunwerts in der strafrechtlichen Zurechnung einzusetzen.41 Der letzten Schülergruppe, die Deutschland besucht hat, wurde die Großzügigkeit meines Kollegen Eric Hilgendorf zuteil, der im Jahr 2015 vier meiner Anhänger die Teilnahme an einer internationalen Summer School zum Thema „German Criminal Law and Compliance“ (13.-17.07.15) ermöglichte. Die Förderung erfolgte durch die Juristen Alumni Würzburg, denen ebenfalls besonderer Dank gilt. Zu dem multikulturellen Teilnehmerkreis an Nachwuchswissenschaftlern dieser Summer School zählten meine Studenten María Fernanda Prack, Antonella Donnes, Leandro Dias und Juan Nascimbene, die begeistert von der Gastfreundschaft berichteten, mit der sie empfangen worden 41
Die deutsche Version verdanke ich erneut Thomas Kliegel; für die sprachliche Unterstützung bei der Diskussion bin ich Thomas Wostry (Düsseldorf) und Tilmann Gauß (Würzburg) dankbar.
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waren und sich glücklich schätzten, an der Universität Würzburg ihre juristische Expertise erweitert zu haben. Dank meiner Forschungsaufenthalte in Deutschland und aufgrund meiner bescheidenen Publikationen konnte ich Kontakte zu zahlreichen ausländischen Juristen aus Brasilien, Chile, Kolumbien, Spanien, Italien, Mexiko, Paraguay, Peru, Uruguay und weiteren Ländern knüpfen. Während einer kurztägigen Konferenz des Max-Planck-Instituts zur subjektiven Unrechtsbegründung hatte ich das Glück, die junge italienische Juristin Kolis Summerer (damals an der Universität von Bologna tätig, heute Assistenzprofessorin an der Universität von Bolzano) kennenzulernen. Aufgrund ihrer guten Deutsch- und Spanischkenntnisse war ihr ein Großteil meiner Veröffentlichungen bereits vorher bekannt gewesen. Abgesehen von der italienischen Version meines Beitrags zur Festschrift Jakobs42 habe ich ihr einen der ergreifendsten Sätze, die ich während meiner Professorenlaufbahn gehört habe, zu verdanken. Wissend, dass Welzel für mich sehr viel bedeutet hatte, schrieb sie mir einmal per E-Mail: „Sie sind mein Welzel“. Ein weiterer, mir schmeichelnder Satz stammt von Ulrike Jakobs. Während eines Symposiums von Ex-Stipendiaten der HumboldtStiftung, welches 1997 in Mar del Plata abgehalten wurde, sagte sie noch vor Beginn eines von mir gehaltenen Kurzreferats: „Mein Mann ist sehr stolz auf Sie“.
Schriftenverzeichnis (in Auswahl) 1. Selbstständiges Schrifttum / Monographien Derechos humanos en la Argentina postdictatorial [Menschenrechte in Argentinien nach der Diktatur], Buenos Aires 1988. Teoría del delito y disvalor de acción. Una investigación sobre las consecuencias prácticas de un concepto personal de ilícito circunscripto al disvalor de acción [Verbrechenslehre und Handlungsunwert. Eine Untersuchung der praktischen Folgen eines personalen, auf den Handlungsunwert beschränkten Unrechtsbegriffs], Buenos Aires 1991. Fundamentación subjetiva del ilícito y desistimiento de la tentativa, Bogotá, 1995; Buenos Aires 2005. Deutsche Fassung: Subjektive Unrechtsbegründung und Rücktritt vom Versuch, übersetzt von M. Cancio und anderen, Köln 1995.
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Principio della diminuzione del rischio versus rilevanza del disvalore d’evento nella teoria del l’illecito, in „L’IndicePenale“, 2008, Nr. 1, S. 377-395.
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El derecho penal en la protección de los derechos humanos. La protección de los derechos humanos mediante el derecho penal en las transiciones democráticas: Argentina, mit M. Ferrante, Buenos Aires 1999. Deutsche Fassung von N. Lösing: Strafrecht in Reaktion auf Systemunrecht. Vergleichende Einblicke in Transitionsprozesse: Argentinien, Freiburg i. Br. 2002. La violación a la garantía de la imparcialidad del tribunal [Die Verletzung der Garantie der Unparteilichkeit des Gerichts], Buenos Aires 2001. Dogmática del hecho punible y ley penal / Dogmatik der Straftat und Strafgesetz (zweisprachige Ausgabe), Buenos Aires 2003. Casos de derecho penal [Strafrechtsfälle], 3. Aufl., Buenos Aires 2005–2006. Causalidad, riesgo e imputación [Kausalität, Risiko und Zurechnung] (Auswahl / Übersetzer / Autor), Buenos Aires 2009.
2. Aufsätze in Zeitschriften und Sammelwerken Entwicklung der Menschenrechte in Argentinien nach der Diktatur, in: Lateinamerika, Nr. 11/12, 1989, S. 47 ff., deutsche Fassung von F.-B. Marré und E. Garzón Villada. „Dolus generalis“ und „strafrechtliches Glück“, in: Schünemann / Achenbach / Bottke / Haffke / Rudolphi (Hrsg.), Festschrift für Claus Roxin, Berlin / New York 2001, S. 349 ff., deutsche Fassung von M. Cancio Meliá. Politische Verfahren gegen Richter des Argentinischen Obersten Gerichthofes / Juicios políticos a jueces de la Corte Suprema de Justicia en Argentina (deutsche Fassung von T. Kliegel), in: El dial – Biblioteca Jurídica online (www. eldial.com-elDial-DC82F-elDial-DC82E), 13/3/2006; und unter: www.unifr. ch/ddp1/derechopenal/articulos/a_20080527_03. Risikoverringerungsprinzip versus Relevanz des Erfolgsunwertes in der Unrechtslehre, in: Pawlik / Zaczyk (Hrsg.), Festschrift für Günther Jakobs, Köln u.a. 2007, S. 583 ff., deutsche Fassung von M. Cancio Meliá. Hypothetische Kausalverläufe und die Differenztheorie, in: ZStW 2008, S. 661 ff., deutsche Fassung von T. Kliegel. Das Denken der Aufklärung und das sogenannte „Verletzungsprinzip“, in: Vormbaum (Hrsg.), Jahrbuch der Juristischen Zeitgeschichte, Band 12, Hagen 2012, S. 267 ff., deutsche Fassung von T. Kliegel.
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Die einzelne Zeugenaussage und das Zweifelsprinzip, in Murmann / Freund / Bloy / Perron (Hrsg.), Festschrift für Wolfgang Frisch, Berlin 2013, S. 1233 ff., deutsche Fassung von T. Wostry. Der Handlungsunwert als Grundlage einer rationalen Strafrechtsdogmatik, in: GA 2016, S. 411-426, deutsche Fassung von T. Kliegel.
3. Übersetzungen Diethart Zielinski, Disvalor de acción y disvalor de resultado en el concepto de ilícito, Buenos Aires, 1990. Übersetzung von Diethart Zielinski, Handlungsund Erfolgsunwert im Unrechtsbegriff, Berlin 1973. Erich Samson, Cursos causales hipotéticos en el derecho penal. Una contribución sobre la causalidad de la complicidad, Buenos Aires 2003, zusammen mit P. Ziffer. Übersetzung von Erich Samson, Hypothetische Kausalverläufe im Strafrecht. Zugleich ein Beitrag zur Kausalität der Beihilfe, Frankfurt a.M. 1972. Günter Stratenwerth, Derecho Penal. El hecho punible. I, Buenos Aires 2005, Madrid 2005, zusammen mit M. Cancio Meliá. Übersetzung von Günter Stratenwerth, Strafrecht. Die Straftat. I, 4. Aufl., München 2000. Karl Engisch, La causalidad como elemento de los tipos penales, Buenos Aires 2008. Übersetzung von Karl Engisch, Die Kausalität als Merkmal der strafrechtlichen Tatbestände, Tübingen 1931. Helmut Frister, Derecho penal – Parte general, Buenos Aires 2011. Übersetzung überprüft durch M. de las Mercedes Galli. Übersetzung von Helmut Frister, Strafrecht – Allgemeiner Teil, 4. Aufl., München 2009. Eric Hilgendorf / Brian Valerius, Derecho penal – Parte general, Buenos Aires, 2017, zusammen mit L. Dias. Übersetzung von Eric Hilgendorf / Brian Valerius, Strafrecht – Allgemeiner Teil, 2. Aufl., München 2015.
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https://doi.org/10.1515/9783110277708-020
Sergio Seminara I. Eine kleine Vorbemerkung sei erlaubt, bevor ich mich dem eigentlichen Thema zuwende. Es ist das erste Mal, dass ich versuche, etwas Autobiographisches zu schreiben und ich bin mir schon jetzt sicher, dass es nicht von besonderem Interesse sein kann, denn ich gehöre (glücklicherweise) einer Generation an, die von Kriegen verschont geblieben ist. Ich habe auch keine politische Militanz zu verzeichnen und werde mich hüten, hier über meine privaten Interessen oder über meine sportlichen Aktivitäten zu berichten. Ich beschränke mich daher im Folgenden darauf, über mein Leben als Wissenschaftler zu sprechen – wobei dem Leser versichert sein mag, dass mein Leben bislang (und hoffentlich auch in der Zukunft) reichhaltiger und intensiver war, als es aus den kommenden Seiten hervorgeht – denn die wissenschaftliche Arbeit ist viel, aber nicht alles […].
II. Ich wurde am 17. Dezember 1956 in Catania auf Sizilien geboren. Nach dem Abitur erschien es mir fast natürlich, mich an der Juristischen Fakultät von Catania einzuschreiben: Mein Vater war Rechtsanwalt und mein größerer Bruder studierte bereits an dieser Fakultät. Selbst meine jüngste Schwester schlug später denselben Weg ein, wohingegen sich meine ältere Schwester jedoch für ein sprachwissenschaftliches Studium entschied. Meine beiden Brüder sind heute als Rechtsanwälte tätig, während meine jüngste Schwester Richterin am Jugendgericht ist. Das rechtswissenschaftliche Studium gefiel mir, wobei das Strafrecht eine ganz besondere Faszination auf mich ausübte. Inwieweit dabei die Tatsache entscheidend war, dass mein Vater Strafverteidiger war und ich mir eine zukünftige Tätigkeit in seiner Kanzlei vorstellen konnte, ist schwer zu sagen. Im Rückblick lässt sich jedoch sagen, dass meine Vorliebe für das Strafrecht nie nachgelassen hat – auch wenn ich schon seit langer Zeit nicht mehr als Strafverteidiger tätig bin. Das Thema meiner Doktorarbeit war die lebenslange Freiheitsstrafe. Im Juni 1978 schloss ich das Studium der Rechtswissenschaften mit dieser Dissertation, die mit der Höchstpunktzahl bewertet wurde, ab. Das junge Alter erklärt sich mit meiner Einschulung noch vor Vollendung des fünften Lebensjahrs. Vor mir lag eine berufliche Zukunft in der Kanzlei meines Vaters, doch mein Doktorvater,
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Professor Enzo Musco, bot mir schließlich zu jener Zeit an, am strafrechtlichen Institut der Universität mitzuarbeiten (was damals nicht mit einem Assistentenvertrag oder einer irgendwie gearteten Bezahlung verbunden war). Mein beruflicher Werdegang entwickelte sich somit in zwei unterschiedliche Richtungen: auf der einen Seite absolvierte ich ein Anwaltspraktikum und die Ausbildung zum Strafverteidiger, und auf der anderen Seite stieg ich in die wissenschaftliche Forschung ein. Dass ich eines Tages den Anwaltsberuf aufgeben würde, um mich voll und ganz der wissenschaftlichen Tätigkeit zu widmen, war für mich damals nicht voraussehbar. Die grundlegende Reform des italienischen Universitätssystems durch das Präsidialdekret Nr. 382 vom 11. Juli 1980 hatte schwerwiegende Folgen für die Karriere junger Wissenschaftlicher. Es wurde die Figur des „ricercatore“ (übersetzt: Forscher) eingeführt, der an die Stelle des „assistente“ (wissenschaftlicher Assistent) trat, und all denjenigen Personen die Migration in diese neu geschaffene Position ermöglichte, die mindestens zwei Jahre lang (nicht notwendigerweise durchgehend) eine Forschungsbeihilfe oder ein Stipendium erhalten hatten bzw. einen sogenannten Forschungsvertrag vorweisen konnten. Die Konsequenz war, dass alle ricercatore-Stellen (die unbefristet waren) sofort besetzt wurden. Es gab daher für mich – ebenso wie für viele andere meiner Generation – für lange Zeit keine Möglichkeit, eine Stelle an der Universität zu erhalten. Im Jahr 1987 wurde endlich eine ricercatore-Stelle an der Juristischen Fakultät von Catanzaro ausgeschrieben, und ich gewann den dafür ausgeschriebenen Wettbewerb. Catanzaro, wo sich eine Außenstelle der Universität Reggio Calabria befand, liegt zwar nur etwas mehr als 250 Kilometer von Catania, wo ich weiterhin wohnhaft blieb, entfernt, doch die Fahrt dorthin war mit einem hohen Zeitaufwand verbunden: Von Sizilien nach Kalabrien war die Meeresenge von Messina zu überqueren, mit der Fähre des Schifffahrtunternehmens „Caronte“. Trotz dieser Umstände nahm ich die Stelle an. In den Jahren 1978–1987 arbeitete und forschte ich schließlich als assistente volontario, d.h. freiwillig und ohne Vergütung, an der Universität Catania, was mir finanziell durch meine gleichzeitige Tätigkeit als Anwalt möglich war. Es liegt mir daran, bezüglich des folgenden Punkts präzise zu sein. Das im Jahr 1978 aufgenommene Anwaltspraktikum (ein in Italien zwingender Teil der Anwaltsausbildung) und meine sich daran, nach Bestehen der Anwaltsprüfung im Jahr 1981, anschließende Tätigkeit als Strafverteidiger haben mich in vielerlei Hinsicht bereichert: nicht nur wegen der erworbenen rechtstechnischen Kenntnisse, sondern auch wegen der Eigenschaften der Demut und Bescheidenheit, über die vor allem ein junger Anwalt zu verfügen hat, wegen
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des direkten Kontakts zur Welt der Justiz – zu denen, die sie verwalten, zu denen, die sie erleiden, sowie zu den Anwaltskollegen – und nicht zuletzt wegen der aus der anwaltlichen Tätigkeit herrührenden Gewohnheit, rechtliche Probleme kontradiktorisch anzugehen, sich mit der von der Gegenseite vertretenen Meinung zu konfrontieren und auseinanderzusetzen. Nichtsdestotrotz entschloss ich mich im Jahr 1994 dazu, die Anwaltstätigkeit aufzugeben (in Italien kann man zwischen einer Vollzeitprofessur und einer Teilzeitprofessur, die eine gleichzeitige anwaltliche Tätigkeit ermöglicht, wählen). Diesen Schritt habe ich nie bereut, auch wenn es mir selbstverständlich leid tat, die Kanzlei meines Vaters zu verlassen. Mein Vater hat mir sein Bedauern über meine Entscheidung nie gezeigt – auch wenn mir bewusst war, dass mein Ausscheiden aus der Kanzlei für ihn schmerzhaft gewesen sein muss. Nach diesem kurzen Exkurs komme ich auf meine wissenschaftliche Laufbahn zurück: Ein Jahr nach Ernennung zum ricercatore an der Juristischen Fakultät von Catanzaro wurde mir im Rahmen einer nationalen Ausschreibung der Titel des PhD verliehen. Im Jahr 1990 wurde ich schließlich, ebenfalls durch einen nationalen Wettbewerb, zum ordentlichen Professor für Strafrecht ernannt. Meinen ersten Lehrstuhl hatte ich an der Juristischen Fakultät von Catanzaro inne, wo ich neben Strafrecht auch Verwaltungsstrafrecht lehrte. Von der Wirtschaftswissenschaftlichen Fakultät der Universität von Catania wurde mir parallel dazu ein Lehrauftrag in Vertretung, supplenza l'insegnamento, auf dem Gebiet des Wirtschaftsstrafrechts, erteilt. Die Jahre, in denen ich in Catanzaro unterrichtete, sind mir in guter Erinnerung. Die dortige Juristische Fakultät war jung und alle Dozenten kamen von auswärts. Es machte große Freude, sich abends nach den Vorlesungen mit den Kollegen zu treffen und mit ihnen unter anderem über juristische Probleme aller Art zu diskutieren. Als ich 1995 einen Ruf an die Juristische Fakultät der Universität Pavia erhielt, auf den Lehrstuhl für Wirtschaftsstrafrecht, nahm ich ihn dennoch sofort und ohne Zögern an: Pavia ist eine der ältesten Universitäten Europas und verfügt über eine große Tradition auf dem Gebiet der Rechtswissenschaft. Ich wechselte somit von der Universität Catanzaro – und von Catania als Wohnsitz – nach Pavia. Hier begann ein neuer Lebensabschnitt, in dem ich mich fortan vollständig der wissenschaftlichen Arbeit und der Universität widmete. Zwei Jahre später wurde mir neben dem Lehrstuhl für Wirtschaftsstrafrecht auch der Lehrstuhl für Strafrecht übertragen, und in den Jahren von 2002–2008 war ich zudem auch als Dekan der Juristischen Fakultät tätig.
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Auch heute lehre ich noch die beiden genannten Lehrfächer und bin im Übrigen seit 2013 Mitglied des Vorstandgremiums der Universität.
III. In meiner wissenschaftlichen Ausbildung war es vor allem das Freiburger Max-Planck-Institut für internationales und ausländisches Strafrecht, das eine entscheidende Rolle spielte. Der Vorschlag im Rahmen meiner Forschungstätigkeit nach Freiburg zu gehen, kam damals von meinem Hochschullehrer Prof. Dr. Enzo Musco, der das Institut bei seinen persönlichen Forschungsaufenthalten kennen- und schätzen gelernt hatte. So hielt ich mich von Mai bis November 1982 zum ersten Mal am Freiburger Max-Planck-Institut auf, unter der Leitung seines unvergesslichen Direktors Professor Hans-Heinrich Jescheck. Dort kam ich in den Genuss einer sehr fürsorglichen Unterstützung, die Johanna Bosch und Ilse Kirsch den jungen ausländischen Gästen zuteilwerden ließen. Diese Zeit in Freiburg war schließlich ausschlaggebend für meine gesamte künftige wissenschaftliche Tätigkeit. Mein erstes Forschungsvorhaben – dessen Bearbeitung ich schon in Italien begonnen hatte – war der „Teilnahme am Verbrechen“ gewidmet. Die Wahl des Themas ging auf meinen Hochschullehrer zurück, der sich dabei von einer Überzeugung seines eigenen Mentors (Federico Stella) leiten ließ, wonach die erste monographische Forschungsarbeit eine besonders schwierige, aus dem Allgemeinen Teil des Strafrechts stammende Problematik zum Gegenstand haben müsse, um die Fähigkeiten des jungen Wissenschaftlers auf den Prüfstand zu stellen. Zweifellos kann das Thema der Teilnahme am Verbrechen auf verschiedene Art und Weise untersucht werden, von den dogmatischen Profilen bis hin zu den Anwendungskriterien. Der Umstand, dass ich das Privileg genoss, die am besten ausgestattete strafrechtliche Bibliothek der Welt konsultieren zu können, bewog mich zu einer historischen und rechtsvergleichenden Herangehensweise. Auch wenn dies für die italienische Lehre keine absolute Neuheit darstellte, so war es doch das erste Mal, dass die rechtsvergleichende und historische Methode auf ein so komplexes Thema wie die Teilnahme am Verbrechen angewandt wurde. Die historische, rechtsvergleichende Forschung stellte schließlich eine Konstante meiner künftigen Arbeiten dar – worauf ich später noch zurückkommen werde. Kehren wir zum Jahr 1982 zurück: Die sechs Monate in Freiburg waren für mich eine außerordentlich wertvolle Erfahrung (einschließlich der beiden Monate, die ich am Goethe-Institut in einem Deutschkurs der Mittelstufe II verbrachte, um meine Sprachkenntnisse zu verbessern, wobei es mich damals
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beeindruckte, dass die Kursgebühr so hoch war, dass sie vier Monaten des mir gewährten Stipendiums entsprach). Zu dieser Zeit legte ich die Basis, um die Gliederung meiner Forschungsarbeit ausarbeiten und das Programm der zu untersuchenden Themenkomplexe festlegen zu können. Von Juni 1984 bis September 1985 war ich (über ein weiteres Stipendium des Consiglio Nazionale delle Ricerche) erneut am Freiburger Max-Planck-Institut zu Gast, wo in der Zwischenzeit Professor Albin Eser zum Direktor ernannt worden war. Während ich mir bei meinem ersten Freiburg-Aufenthalt über die Richtung, in die meine wissenschaftliche Untersuchung gehen sollte, Klarheit verschafft hatte, konnte ich nun mein Vorhaben umsetzen und realisieren. Dank der dem wissenschaftlichen Arbeiten zuträglichen Atmosphäre, die das Institut auszeichnet (hierzu haben unter anderen Silvia Tellenbach, Barbara Huber und Karin Cornils beigetragen), begann meine wissenschaftliche Monographie, Form und Inhalt anzunehmen. In den darauffolgenden Jahren hielt ich mich nur sporadisch in Freiburg auf, soweit meine akademischen und meine beruflichen Verpflichtungen als Anwalt es mir erlaubten. Das änderte sich im Jahr 1994: Ich erhielt ein 18-monatiges Stipendium von der Alexander von Humboldt-Stiftung und ging selbstverständlich wieder ans Freiburger Max-Planck-Institut. Der Gedanke, mich für eine so lange Zeit in Deutschland aufzuhalten, war damals naheliegend, da ich mich zu einem breit angelegten historisch-rechtsvergleichenden Forschungsprojekt über den „Versuch“ entschlossen hatte (auf das ich im Folgenden noch zurückkommen werde). Dafür waren noch weitere Forschungsaufenthalte in Deutschland notwendig, zuletzt vier Monate im Jahr 2010 – das Institut stand damals schon seit Längerem unter der Leitung seines neuen Direktors, Professor Ulrich Sieber. Wie zu erkennen ist, ist mein „wissenschaftliches Leben“ untrennbar mit dem Freiburger Max-Planck-Institut verbunden, das bei meinen wichtigsten Forschungsarbeiten als Orientierungs- und Bezugspunkt fungierte. Auch wenn heutzutage eine immer stärker werdende Tendenz zur Internationalisierung oder zumindest zur regionalen Vereinheitlichung (Europäische Union) des Strafrechts vorhanden ist, wird die Rechtsvergleichung dabei teilweise nur als bloße Gegenüberstellung der in den verschiedenen Staaten vorhandenen Gesetzesvorschriften verstanden. Die kulturellen Grundlagen, die sich in der Regel auch auf die Auslegung der Normen durch Rechtsprechung und Lehre auswirken, werden dabei völlig vernachlässigt. Das Freiburger Max-Planck-Institut mit seiner über die Jahrzehnte hinweg durch seine Direktoren Hans-Heinrich Jescheck, Albin Eser und Ulrich Sieber geschaffenen
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effizienten Organisation und mit seiner außerordentlichen Bibliothek ist wohl die einzige Forschungseinrichtung, die eine rechtsvergleichende Grundlagenforschung tatsächlich ermöglicht. Abschließend noch zwei persönliche Informationen, die mich aus unterschiedlichen Gründen mit Freude erfüllen. Das Max-Planck-Institut hat mir nicht nur in wissenschaftlicher Hinsicht viel gegeben, sondern ich habe dort auch Susanne Hein, die damalige Italien-Referentin, kennengelernt, deren glücklicher Ehemann ich heute bin. Die zweite Information betrifft meine im Jahr 2015 erfolgte Ernennung zum Mitglied des Fachbeirats des Instituts – ich hoffe, durch die Beiratstätigkeit ein Teil dessen zurückgeben zu können, was ich selbst vom Institut erhalten habe.
IV. Bevor ich auf meine wissenschaftliche Arbeit eingehe, sei noch eine weitere Tätigkeit auf einem anderen Gebiet erwähnt. Es handelt sich um die Mitarbeit in zwei vom Justizministerium berufenen Kommissionen zur Reform des Strafgesetzbuchs. Die erste Kommission stand unter dem Vorsitz von Professor Carlo Federico Grosso und war von Oktober 1998 bis Mai 2001 tätig, die zweite wurde durch den Rechtsanwalt Giuliano Pisapia geleitet und war von Juli 2006 bis März 2008 im Amt. Der Eintritt in das „Labor“ des Gesetzgebers zwingt den Wissenschaftler anders als bei seiner üblichen Tätigkeit vorzugehen: Bei Abfassung eines Strafgesetzbuchs ist eine besondere Methode anzuwenden, bei der die dogmatischen Prinzipien nur dann zur Anwendung kommen, wenn sie nützlich sind und den Bedürfnissen der Praxis entsprechen, wobei die so ermittelten Regeln wiederum den Erfordernissen der Klarheit, Vollständigkeit und Bestimmtheit gerecht werden müssen. Doch damit allein ist es noch nicht getan: Der Inhalt des Gesetzbuchs hat dem sozialen und institutionellen Kontext Rechnung zu tragen, und die Vorschriften sind vorab auf die Wirkungen, die ihre Einführung haben werden, zu prüfen. Es ist ferner zu verifizieren, ob die beabsichtigten Vorschriften effektiv umgesetzt werden können, d.h. ob die bei den staatlichen Einrichtungen vorhandene personelle und sonstige Ausstattung ausreicht, um die übertragenen Aufgaben tatsächlich ausführen zu können (so zum Beispiel die Eintreibung der verhängten Geldstrafen durch die Justizbehörden, die Behandlung schuldunfähiger Täter durch das staatliche Gesundheitswesen). Die Verantwortung, die man bei einer solchen Tätigkeit hat, ist eine völlig andere als die, die normalerweise einem Wissenschaftler zukommt: Während bei rein theoretischen Arbeiten vor allem die wissenschaftlich-
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intellektuelle Rechtschaffenheit maßgebend ist, hat man bei dem Entwurf eines Strafgesetzbuchs alle eventuellen Folgen und Konsequenzen, die mit den getroffenen Entscheidungen verbunden sein können, zu bedenken und auf sich zu nehmen. Hintergrund der ministeriellen Reformbestrebungen ist, dass in Italien heute nach wie vor das im Jahr 1930 verabschiedete Strafgesetzbuch gilt. Es wurde zwar zahlreichen Reformen unterzogen, sowohl im Allgemeinen als auch im Besonderen Teil (die Änderungen gehen teils auf den Gesetzgeber, teils auf das Verfassungsgericht zurück), seine Grundstruktur ist jedoch unverändert geblieben. Das Gesetzbuch zeichnet sich durch die absolut zentrale Rolle der Freiheitsstrafe aus, ein dualistisches Rechtsfolgensystem (Strafsanktionen auf der einen Seite und Sicherheitsmaßnahmen auf der anderen Seite), sowie dadurch, dass das Schuldprinzip darin nur in begrenztem Maß Aufnahme gefunden hat. Im geltenden Strafgesetzbuch ist ferner die Hand des faschistischen Gesetzgebers, der die generalpräventive Wirkung der Strafe betonte, zu erkennen. Dies wird vor allem im Besonderen Teil deutlich. Hinzukommt das nachfolgende Wirken des republikanischen Gesetzgebers, der in das Strafgesetzbuch und die Strafvollzugsgesetze eine Myriade von alternativen oder ersetzenden Maßnahmen zur Freiheitsstrafe einführte. Das Resultat ist ein Strafrecht, das sich durch besonders strenge, harte Strafen auszeichnet, wobei gleichzeitig eine substanzielle Unsicherheit hinsichtlich des Quantums der Strafe besteht, verbunden mit einem weiten Ermessensspielraum des Richters. Ein neues Strafgesetzbuch hätte zweifellos die Aufgabe, das Schuldprinzip wieder in den Mittelpunkt zu rücken und der Strafsanktion ihre präventive Funktion zurückzugeben, unter Beachtung des Verhältnismäßigkeits- und des Angemessenheitsgrundsatzes. Es wären daher vor allem die unnötig hohen Freiheitsstrafen des geltenden Strafgesetzbuchs herabzusetzen und alternative Sanktionen zur traditionellen Gefängnisstrafe vorzusehen. Die Durchführung einer so einschneidenden Reform ist allerdings äußerst schwierig in einer Gesellschaft, die ihre von allen geteilten Grundwerte verloren hat und deren Bevölkerung an einer tiefgehenden Verunsicherung zu leiden scheint und populistischen Einflüssen ausgesetzt ist, die sich durch die stets wiederkehrende Forderung nach repressiven Maßnahmen auszeichnen. Dies erklärt, warum bis heute jedes Projekt einer grundlegenden Reform des Strafgesetzbuchs zum Scheitern verurteilt war. Die Arbeiten in den beiden Reformkommissionen sind daher auch nur bis zur Ausarbeitung eines Entwurfs für den Allgemeinen Teil des Strafrechts gekommen und haben infolge der abgelaufenen Amtszeiten der Kommissionen keine Fortsetzung gefunden. Davon abgesehen stellte die Tätigkeit in den
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Reformkommissionen für mich eine wertvolle Erfahrung dar, insbesondere was die Diskussion jeder einzelnen, in den Entwurf aufzunehmenden Gesetzesvorschrift, die Prüfung der in diesem Zusammenhang zu berücksichtigenden Rechtsprechung und Lehre sowie die Abwägung der verschiedenen Formulierungsalternativen angeht.
V. Die wesentlichen Bereiche meiner Forschungstätigkeit betreffen den Allgemeinen Teil des Strafrechts (mit monographischen Arbeiten zur „Teilnahme am Verbrechen“ und zum „Versuch“), den Besonderen Teil (Mitarbeit an einem Kommentar zum Strafgesetzbuch und Verfassen von Artikeln und Urteilsanmerkungen), das Wirtschaftsstrafrecht (Mitautorenschaft an einem Lehrbuch und Verfasser von Kommentarliteratur, einer monographischen Arbeit zum Insider Trading und zahlreichen Artikel und Urteilsanmerkungen), die strafrechtlichen Probleme in Bezug auf das Internet (in zahlreichen Artikeln), strafrechtliche Probleme im Bereich von Medizin und Ethik, insbesondere Euthanasie und Sterbehilfe (Publikation einiger Artikel) sowie die Strafrechtsgeschichte (in einigen Artikeln). Zum gegenwärtigen Zeitpunkt handelt es sich insgesamt um über 120 Veröffentlichungen, wobei mir beim Anblick des Verzeichnisses zwei Gedanken in den Sinn kommen. Der erste betrifft die Weite des Strafrechts: Ich habe mich recht oder schlecht darauf beschränkt, einige Themen zu vertiefen, auch wenn noch viele andere Bereiche Aufmerksamkeit verdienen würden. Der zweite Gedanke bezieht sich auf meine Veröffentlichungen auf dem Gebiet des Wirtschaftsrechts, von denen viele aufgrund der zwischenzeitlich erfolgten Gesetzesänderungen überholt sind. Ich hatte zwar nie die Illusion, die geleistete wissenschaftliche Tätigkeit sei für die Ewigkeit bestimmt, dennoch ruft die zeitlich extrem kurze Geltungsdauer vieler meiner Arbeiten einen gewissen Frustrationseffekt hervor.
VI. Die monographische Arbeit mit dem Titel „Tecniche normative e concorso di persone nel reato“ (frei übersetzt: Normative Gesetzestechnik und Teilnahme am Verbrechen), die 1987 in Mailand beim Verlag Giuffrè erschienen ist (446 Seiten), nimmt ihren Ausgang bei der Kritik an der Gesetzesformulierung des Artikels 110 (Ital. StGB) und sieht keine Unterscheidung zwischen den verschiedenen Arten der Teilnahme vor. Die Gesetzvorschrift lautet übersetzt wie
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folgt: „Nehmen mehrere Personen an derselben Straftat teil, unterliegt jede von ihnen der für die Tat vorgesehenen Strafe […].“ Wie bekannt ist, interpretiert ein Teil der deutschen Lehre den Wortlaut des Art. 110 (Ital. StGB) als Einheitstäterlösung. Dies ist jedoch falsch und beruht auf einem Missverständnis. Der italienische Gesetzgeber bezweckte mit der Gesetzesbestimmung keineswegs, die Tatbestandsmäßigkeit durch das Erfordernis der Kausalität der zu prüfenden Verhaltensweise zu ersetzen. Es sollte damit lediglich das früher geltende Regelungssystem (das in das zuvor geltende italienische Strafgesetzbuch von 1889 aufgenommen wurde) abgeschafft werden, das differenzierte Strafen für die verschiedenen Arten von Teilnahmebeiträgen vorsah. Dies bedeutet, dass mit Art. 110 die verschiedenen Formen der Teilnahme am Verbrechen in sanktionsmäßiger Hinsicht gleichgestellt werden sollten. Die normalen Regeln, nach der die Tathandlung demjenigen zuzurechnen ist, der sie begangen hat, werden davon ebenso wenig beeinflusst wie das Prinzip der „logischen“ Akzessorietät der Teilnahmehandlungen, das unverändert Gültigkeit hat. Nichtsdestotrotz ist festzuhalten, dass der Teilnahmetatbestand infolge der gesetzgeberischen Entscheidung, von einer Definition des „Anstifters“ und des „Beihilfe Leistenden“ abzusehen, an Bestimmtheit verliert. Der Ermessensspielraum des Richters bei der Entscheidung, worin eine strafbare Handlung zu sehen ist und worin nicht, wird dadurch erheblich erweitert. Die grundlegende Idee meiner Arbeit war, die Teilnahmeproblematik aus einer doppelten Perspektive heraus anzugehen: Untersuchungsgegenstand war zum einen die normative Festlegung der rechtlich relevanten Teilnahmehandlungen und die Charakterisierung der verschiedenen Tatbeitragsformen (als Täter, Mittäter, Anstifter oder Gehilfe) in Konformität mit dem Bestimmtheitsgrundsatz; zum anderen ging es um das Vorsehen eines ermäßigten Strafrahmens für den Teilnehmer, der jedoch nicht an die typmäßige Qualifizierung des Tatbeitrags anknüpft, sondern an seine geringere, sekundäre Bedeutung für die Ausführung der unter Beteiligung mehrerer begangenen Straftat. Bei der durchgeführten rechtsgeschichtlichen Rekonstruktion von Rechtsprechung und Lehre – ab dem 19. Jahrhundert bis heute, bezogen auf das deutsche, französische, spanische und selbstverständlich auch das italienische Rechtssystem – sind die tiefgreifenden Probleme zum Vorschein gekommen, die in denjenigen Rechtsordnungen vorhanden sind, die sowohl über eine gesetzliche Definition der Teilnahmehandlungen als auch über einen ermäßigten Strafrahmen für den Teilnehmer verfügen.
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Bei den Rechtsordnungen, die über eine Definition der verschiedenen Teilnahmeformen verfügen, ist eine Vermischung der deskriptiven und der axiologischen Ebene festzustellen. Unter den Begriff des „Täters“ kann daher sowohl die Person fallen, die die tatbestandsmäßige Handlung ausgeführt hat, als auch der „Tatherr“, d.h. der dux sceleris oder dominus der Straftat, bis hin zu dem Tatbeteiligten, der mit dem Täter deshalb gleichgestellt wird, weil er keine mildere Strafe verdient. Das gleiche Durcheinander ist hinsichtlich der Figuren des „Anstifters“ und des „Mittäters“ festzustellen: Grundsätzlich wird zwar auf die die Haupttat begünstigende Natur des geleisteten Beitrags abgestellt, in einigen Rechtsordnungen – so z.B. im spanischen Strafgesetzbuch (Art. 28) und im italienischen Strafgesetzbuch von 1889 (Art. 63 f.) – werden jedoch darüber hinaus bestimmte, sehr schwerwiegende Handlungen der Teilnehmer denen des Haupttäters gleichgesetzt, da man die ansonsten vorgesehene mildere Strafe für unangemessen hielt. Die deutsche Rechtsprechung, die im Namen der „Tatherrschaft“ entschieden hat, dass die die Tathandlung ausführende Person nicht zwingend Täter sein muss (Badewannenfall und StaschynskijFall), kann vorliegend nicht näher vertieft werden. Ich belasse es daher beim Hinweis, dass die Vermischung zwischen der Zurechnungsebene und der konkreten Strafzumessung dazu führt, dass der Richter als Erstes entscheidet, welches Strafmaß auf die an der Tat beteiligten Person zur Anwendung kommen soll und erst dann festlegt, ob er als Täter oder Teilnehmer zu qualifizieren ist. Genau betrachtet mangelt es auch den Figuren des „notwendigen Teilnehmers“ und des „determinatore“ (des zur Tat Bestimmenden), die aus dem alten italienischen und dem spanischen Recht stammen und diese Personen hinsichtlich der Strafe dem Täter gleichsetzen, an einer klaren Grundlage. Bei der Frage, ob die jeweilige Verhaltensweise im Konkreten oder im Abstrakten zu beurteilen ist, wird hin- und hergeschwankt – auch wenn die Kausalität der Handlung außer Zweifel steht und es lediglich um die Bewertung ihres Schweregrads geht. Was hingegen die aus Deutschland stammende Figur des „mittelbaren Täters“ angeht, handelt es sich dabei um eine komplexe rechtliche Konstruktion, die sich negativ auf die gesamte Teilnahmeproblematik auswirkt. Denn es ist unbestreitbar, dass die Rechtsfigur der mittelbaren Täterschaft auf einem axiologischen Fundament beruht, im Gegensatz zum deskriptiven Fundament des Täterbegriffs, bei dem die tatbestandsmäßige Handlung Bezugspunkt ist. Dies kann im Extremfall dazu führen, dass der „Tatherr“ als Täter und derjenige, der die tatbestandsmäßige Handlung ausgeführt hat, als bloßer Teilnehmer anzusehen ist.
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Im ersten Teil meines Werkes komme ich zum Ergebnis, dass das Vorsehen milderer Strafen für den Gehilfen die Einführung gesetzlicher Definitionen zur Folge hat, die zwar eine rein sanktionsmäßige Grundlage haben, aber dessen ungeachtet schwere dogmatische und definitorische Probleme mit sich bringen. Im Gegensatz dazu ist es dann, wenn keine sanktionsmäßige Differenzierung zwischen Täterschaft und Teilnahme vorhanden ist, möglich, sich bei der Definition der Teilnahmehandlungen nur vom Bestimmtheitsgrundsatz leiten zu lassen. Dies wird am Beispiel der französischen Rechtsordnung deutlich. Der zweite Teil der Arbeit ist der Frage gewidmet, auf welcher Grundlage der mildere Strafrahmen für die Teilnahme beruht. Maßgebend sind dabei vor allem der restriktive Täterbegriff und das Wechselverhältnis zwischen dem gesetzlich festgelegten Strafrahmen und dem Unwertgehalt der tatbestandsmäßigen Handlung. Diese Kriterien schließen es aus, die Möglichkeit für angemessen zu halten, denselben Strafrahmen für nicht tatbestandsmäßige Verhaltensweisen vorzusehen. Das gilt jedoch nur dann, wenn die Tatbeiträge der Teilnehmer eine geringere Bedeutung für die Tatausführung haben. Das bedeutet mit anderen Worten, dass die Herabsetzung der Strafe nicht auf einer typologischen Qualifizierung und Einordnung des geleisteten Tatbeitrags beruht, sondern auf einer Bewertung der Relevanz dieser nicht tatbestandsmäßigen Handlung. Die Untersuchung wendet sich sodann der normativen Umschreibung der Teilnahmehandlungen zu. Es wird dabei insbesondere vertieft, welche Lösungen in den verschiedenen untersuchten Rechtsordnungen zur Anwendung kommen und ob sie dem Bestimmtheitsgebot genügen und somit geeignet sind, dem Richter Grenzen zu setzen und seinen Ermessensspielraum einzuschränken. Sodann wird der Täterbegriff geprüft, im Hinblick auf Erfolgsdelikte, Absichtsdelikte, eigenhändige Delikte und Sonderdelikte. Die Arbeit schließt mit folgendem Formulierungsvorschlag: „Concorre nel reato chiunque, dolosamente, abbia partecipato alla sua esecuzione o abbia istigato ovvero rafforzato il proposito dell’autore o abbia agevolato l’esecuzione fornendo aiuto o assistenza o abbia comunque esplicato attività che siano servite per la realizzazione del reato. La pena è diminuita per le condotte di minore importanza.“ (Übersetzung: An der Straftat nimmt derjenige teil, der vorsätzlich an ihrer Ausführung beteiligt war, dazu angestiftet hat oder den Tatentschluss des Täters verstärkt bzw. die Tatausführung erleichtert hat, indem er Hilfe oder Unterstützung geleistet bzw. solche Handlungen vorgenommen hat, die der Begehung der Straftat von Nutzen waren. Die Strafe wird bei Handlungen von geringerer Bedeutung herabgesetzt.)
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Festzuhalten ist, dass in den drei Reformprojekten für ein neues Strafgesetzbuch, die in Italien in den letzten 20 Jahren ausgearbeitet wurden, in Bezug auf die „Teilnahme“ für die soeben beschriebene Lösung optiert wurde.
VII. Das Buch „Insider Trading e diritto penale“ (übersetzt: Insider Trading und Strafrecht), das 1989 in Mailand beim Verlag Giuffrè erschien (392 Seiten), ist die erste monographische Arbeit, die sich in Italien mit diesem Problem beschäftigte. Das Thema wird aus einer Perspektive „de jure condendo“ angegangen. Denn zu der Zeit, als ich die Arbeit aufnahm, war die Frage, ob das Ausnutzen privilegierter Börseninformationen unter Strafe zu stellen ist, noch offen. Erst als die Arbeit kurz vor ihrem Abschluss stand, wurde die Richtlinie Nr. 89/592/EWG vom 13. November 1989 verabschiedet. Die Neuheit des Themas und das Fehlen gesetzlicher Regelungen haben mir bei der Durchführung des Forschungsvorhabens einen großen Freiraum gelassen. Als Erstes untersuchte ich, welche Rechtsgüter durch das Insider Trading verletzt werden können und wandte mich sodann den in Frage kommenden Tatbestandsmodellen sowie den präventiven Maßnahmen, die zur Bekämpfung des Phänomens eingesetzt werden könnten, zu. Der letzte Teil der Arbeit ist dogmatischen Profilen gewidmet, mit einem Schwerpunkt auf der Gesetzestechnik. Begonnen wird dabei mit allgemeinen Überlegungen zur strafrechtlichen Schutzwürdigkeit und zum Rechtsgüterschutz – im Allgemeinen und auf dem Gebiet des Wirtschaftsstrafrechts im Besonderen –, unter Berücksichtigung des strafrechtlichen Subsidiaritätsprinzips. Diese Argumente werden anschließend vertieft, und zwar im Hinblick auf das Vertrauen der Kapitalanleger in das korrekte Funktionieren des Finanzmarkts – dem Interesse, das durch Insider Trading-Handlungen verletzt wird. Die Arbeit schließt mit einer Studie über die fehlenden alternativen Schutzmechanismen auf zivilrechtlichem Gebiet und über die Möglichkeiten, Insider Trading effektiv strafrechtlich zu ahnden und das Risiko einer Strafnorm rein symbolischen Charakters mit einer rein absatzfördernden Wirkung für die Finanzmärkte zu verhindern. Wie bereits oben erwähnt, war in Italien kein nationales Recht vorhanden, und es fehlte auch an Monografien auf diesem Gebiet. Um meine Forschung auf eine solide Grundlage zu stellen, habe ich mich daher mit den ökonomischen und wirtschaftswissenschaftlichen Studien beschäftigt, die damals größtenteils US-amerikanischer Herkunft waren und unter anderem die Schädlichkeit bzw.
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die vereinzelt behauptete Nützlichkeit des Insider Trading (so einige Vertreter der Chicago School) zum Gegenstand hatten. Die Einarbeitung in diese technisch-wirtschaftswissenschaftlichen Argumente war in der Anfangsphase sehr mühsam. Richtig schwierig wurde es jedoch erst, als grundlegende Probleme konzeptueller Natur in Bezug auf die Legitimation eines strafrechtlichen Eingriffs zum Vorschein traten. Der Hintergrund dafür ist der Folgende: Dass die Meinung abzulehnen war, Insider Trading sei wegen der „Nützlichkeit“ derartiger Verhaltensweisen rechtmäßig, liegt angesichts der schwachen Argumente, die dafür angeführt wurden, nahe. Bei näherem Hinsehen überzeugte jedoch auch die These, das Insider Trading verletze Vermögensinteressen, nicht. Denn Börsengeschäfte, die über die vollelektronische Börse durch den Insider abgewickelt werden, stoßen auf eine entsprechende An- oder Verkaufsorder eines ebenfalls an der Börse agierenden, dem Insider unbekannten Handelsteilnehmers, der seine Order unabhängig von der Operation des Insiders in den Umlauf gebracht hat. Das bedeutet, dass der wirtschaftliche Schaden, den die Gegenseite durch das Insider Trading erleidet, auf jeden Fall zu demselben Zeitpunkt und in der gleichen Form entstanden wäre, unabhängig davon, ob der An- oder Verkauf der Wertpapiere durch einen Insider oder durch irgendeinen anderen Investor ausgeführt worden wäre. Die Prüfung, welche Interessen durch Insider Trading verletzt werden, hat sich an den Voraussetzungen, die für ein ordnungsgemäßes Funktionieren des Finanzmarkts vorzuliegen haben, auszurichten. Dem Vertrauen der Anleger in das ordnungsgemäße Funktionieren der Preisbildungsmechanismen der Finanzinstrumente kommt dabei eine große Bedeutung zu (was in der Richtlinie Nr. 89/592/EWG und erneut in der Marktmissbrauchsrichtlinie Nr. 2003/6/EU mehrfach betont wird). Es ist in diesem Zusammenhang interessant, dass die US-amerikanische Lehre und Rechtsprechung auch in rein strafrechtlicher Perspektive die Strafbarkeit des Insider Trading aus der Unfairness des fraglichen Verhaltens ableitet und darin einen ausreichenden Grund sieht. Aufgrund der unterschiedlichen kulturellen Herangehensweisen stößt die Rechtsvergleichung hier klar an ihre Grenzen. Es handelt sich dabei um Grenzen, die von der Europäische Union (mit Ausnahme von Frankreich, das schon seit 1970 über ein strafrechtliches Regelungssystem zur Bekämpfung des Insider Trading verfügte) bei ihren Bemühungen, sich den nordamerikanischen Rechtsvorschriften anzupassen, ignoriert wurden. Der Einwand, das Vertrauen der Anleger in die Integrität des Finanzmarkts sei kein Rechtsgut, das einen strafrechtlichen Schutz verdiene, kann zwar mit dem Hinweis auf die beiden folgenden Notwendigkeiten zweifellos überwunden werden: Zum einen ist es erforderlich, die Voraussetzungen für das Funktionieren des Finanz-
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markts (wozu unstreitig das Vertrauen der Öffentlichkeit gehört) zu festigen und zu stärken, und zum anderen sind Phänomene wie das des Forum Shopping zu verhindern. Diese Argumentation macht jedoch deutlich, dass kriminalpolitische Beweggründe im Strafrecht die Oberhand gewonnen haben. Ich habe mich im Rahmen meiner Forschungsarbeit bemüht, durch das Studium der US-amerikanischen Rechtsprechung und Lehre sowie der anderen Rechtsordnungen, in denen Gesetze zur Bekämpfung des Insider Trading vorhanden waren bzw. zumindest Reformprojekte dazu vorlagen (so etwa in Frankreich, England, Deutschland und der Schweiz) Überlegungen hinsichtlich der konstitutiven Elemente über die ein zu schaffender Straftatbestand zu verfügen hat, anzustellen. Das Kernproblem lag damals – wie auch heute noch – vor allem im Verhältnis, das zwischen den aktiv handelnden Personen und der Definition der Insider-Information besteht. Das Verhältnis ist umgekehrt proportional, d.h. die Ausdehnung des in Frage kommenden Personenkreises muss mit einer restriktiven Auslegung der „Insider-Information“ einhergehen und umgekehrt. Die von mir vertretene Lösung besteht darin, einen Straftatbestand vorzusehen, der nur auf „Insider ersten Grades“ zur Anwendung kommt, d.h. auf diejenigen, die kraft ihres Amts, ihrer Dienst- oder Arbeitstätigkeit oder infolge der Position, die sie im Unternehmen ausüben, von vertraulichen Informationen Kenntnis erlangen. Nur so kommt der strafrechtlich sanktionierten Verhaltensweise ein Unwertgehalt zu. Er liegt in der Verletzung des Verbots Informationen auszunutzen, über die der Insider aufgrund seiner Funktion oder seines Berufs o.ä. Kenntnis erlangt hat. Bei „Insidern zweiten Grades“ ist hingegen eine Sanktionierung von Zuwiderhandlungen als Verwaltungsunrecht ausreichend, sofern dafür hohe Geldbußen, verbunden mit der Konfiskation des aus der Zuwiderhandlung erlangten Produkts oder Ertrags, vorgesehen werden. Der italienische Gesetzgeber hat sich für diese Lösung entschieden (Art. 184 gesetzesvertretendes Dekret vom 24.02.1998, Nr. 58). Während ich diese Zeilen schreibe, habe ich jedoch den Text der Richtlinie 2014/57/EU vom 16. April 2014 vor Augen. Diese sogenannte „Marktmissbrauchsrichtlinie“ schreibt – wieder einmal zur Stärkung des Vertrauens der Anleger in die Finanzmärkte (Art. 1) – vor, dass bei schwerwiegenden Formen des vorsätzlichen Missbrauchs privilegierter Informationen jede Person, die vorsätzlich gehandelt hat, unter Strafe zu stellen ist – wobei die nationalen Gesetzgeber dafür eine Freiheitsstrafe von mindestens vier Jahren im Höchstmaß vorzusehen haben (Art. 7).
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Es ist bestürzend, dass der EU-Gesetzgeber auf einem so sensiblen Gebiet wie dem des Strafrechts wie mit der Planierraupe vorgeht und im Namen der „Gleichheit“ (vermutlich stellt sich der Gesetzgeber eine solche Gleichheit auch bei der Auslegung und Anwendung des Rechts vor, was die Richter zu bloßen „bouche de la loi“ degradieren würde) die Einführung einheitlicher Strafnormen für alle Mitgliedsstaaten der Europäischen Union verlangt. Vergleicht man das mit den Zeiten des Mittelalters, in denen das ius commune und das lex mercatoria galten, die ihre Basis in einer gemeinsamen Kondivision der ihnen zugrundeliegenden Prinzipien hatten, wohnen wir heute der zwangsweisen Einführung von Vorschriften und Regeln bei, denen es an einer adäquaten Grundlage fehlt und die inhaltlich stark zu kritisieren sind. In einer solchen Blanko-Delegierung der nationalen Souveränität auf strafrechtlichem Gebiet liegen schwere Risiken für die Zukunft.
VIII. Bevor ich zu meiner dritten monographischen Arbeit komme, sei mir eine Anmerkung persönlichen Charakters erlaubt. In der Zeit zwischen 1982 und 1989 habe ich monographischen Forschungsarbeiten den Vorrang gegeben und die beiden Werke über die „Teilnahme an der Straftat“ und über das „Insider Trading“ veröffentlicht. Hintergrund dafür war, dass die Universitätskarriere damals nur über landesweite nationale Ausschreibungen möglich war und die Kommissionsmitglieder bei Beurteilung und Auswahl der Kandidaten nahezu ausschließlich die von ihnen eingereichten monografischen Arbeiten berücksichtigten. In Fachzeitschriften veröffentlichte Artikel und Urteilsanmerkungen wurden dabei vernachlässigt. Dies ist meines Erachtens falsch: Nicht selten liest man Artikel, die von hervorragender juristischer Qualität sind und ihre Verfasser viel Zeit und Energie gekostet haben – sie sind zweifellos mehr wert als schlechte monografische Arbeiten, denen jegliche Originalität fehlt. Nachdem ich 1990 im Rahmen der nationalen Ausschreibung zum ordentlichen Professor bestellt worden war, fiel der Zwang weg, mich auf monographische Arbeiten zu konzentrieren. Das erlaubte es mir, den Kreis meiner Forschungsthemen auszuweiten. Ich habe mich daher in den darauffolgenden Jahren mit den Straftaten gegen die öffentliche Verwaltung beschäftigt, verschiedene Themen aus dem Unternehmens- und Finanzstrafrecht bearbeitet und mich ferner dem Bereich der Sterbehilfe sowie dem Informationsstrafrecht gewidmet.
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Einer der größten Vorzüge der wissenschaftlichen Tätigkeit liegt darin, dass die zu vertiefenden Argumente frei gewählt und so die persönliche Wissbegierde und die intellektuelle Neugier befriedigt werden können. Dass ich diese Freiheit nicht immer im vollen Umfang in Anspruch nehmen konnte, hat einen präzisen Grund. Ich unterrichte als Lehrfach unter anderem Wirtschaftsstrafrecht und habe mich daher auf diesem Gebiet stets über die gesetzgeberischen Neuigkeiten und Reformen auf dem Laufenden zu halten. Da das Gesellschafts-, Finanz- und Wirtschaftsstrafrecht in Italien im vergangenen Jahrzehnt zahlreiche tiefgreifenden Gesetzesänderungen unterzogen wurde und kontinuierliche Reformvorhaben vorhanden sind, hat mich die Notwendigkeit, diese zu studieren, dazu gebracht, sie auch zu kommentieren und Artikel darüber zu verfassen. Die Konfrontation mit dem sich in ständiger Evolution befindlichen Normengefüge hat in mir jedoch den Wunsch verstärkt, Themen zu vertiefen, die beständiger und dauerhafter sind, d.h. Grundfragen dogmatischer Natur, die Strafrechtsgeschichte und die Strafrechtsphilosophie betreffen. Die problematische Beziehung zur normativen Gegenwart war somit meinem Interesse an der Vergangenheit zuträglich. Dieses Wechselspiel zwischen Gegenwart und Vergangenheit hilft meines Erachtens, den Sinn meiner letzten monografischen Arbeit zu verstehen: Sie trägt den Titel „Il delitto tentato“ (übersetzt: Die versuchte Straftat) und ist 2012 in Mailand beim Verlag Giuffrè (1107 Seiten) erschienen. Das Thema des Versuchs hat schon immer eine besondere Faszination auf mich ausgeübt. Denn es hat das Potenzial, die höchsten Gipfel der strafrechtlichen Gedankenführung zu erreichen, wird jedoch zugleich auch in praktischen Fällen relevant, wo klar und eindeutig zu entscheiden ist, ob eine Verhaltensweise als rechtmäßig oder als rechtswidrig einzustufen ist. Als ich mit der Sammlung des bibliographischen Materials begann, ging ich noch davon aus, dass ich den Versuch in geschichtlicher und rechtsvergleichender Hinsicht untersuchen würde – ähnlich, wie ich bei meiner Forschungsarbeit über die Teilnahme am Verbrechen vorgegangen war. Mit dem Fortschreiten der Arbeit wurde mir jedoch immer klarer, dass die Untersuchung auf diese Weise an der Oberfläche bleiben würde. Ich hielt es daher für notwendig, eine Verbindung zur allgemeinen Verbrechenslehre herzustellen und auch den geschichtlichen Kontext und die philosophischen Strömungen zu berücksichtigen, in denen die verschiedenen Versuchstheorien begründet und ausgebaut wurden. Die Aussage von Würtenberger, „ohne Strafrechtsgeschichte kann es keine Strafrechtswissenschaft geben“, ist zutreffend. Ebenfalls zutreffend ist die Feststellung von Sbriccoli, nach dem eine Rekonstruktion der
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Geschichte des Rechtsdenkens keinen Sinn macht, wenn dabei nur das Rechtsdenken selbst, als einzige Quelle, berücksichtigt wird. Glücklicherweise war ich bei Durchführung der Forschungsarbeit schon ordentlicher Professor und benötigte die Monographie nicht mehr für meine universitäre Karriere. Ich konnte die Arbeit daher in Ruhe, ohne Zeitdruck, angehen. Als Ausgangspunkt nahm ich das ausgehende 18. Jahrhundert, da zu dieser Zeit in Europa die ersten Erfahrungen mit der Abfassung von Gesetzbüchern gesammelt wurden. Von dort aus ging ich weiter und untersuchte die Entwicklung der Versuchslehre in der Geschichte des Strafrechts bis hin zur Gegenwart. Das Werk ist in drei Teile gegliedert, die drei historische Epochen zum Gegenstand haben. Der erste Teil betrifft das 19. Jahrhundert, untersucht jedoch auch noch die Situation des ausgehenden 18. Jahrhunderts. Im zweiten Teil geht es um die Zeit bis zur Mitte des 20. Jahrhunderts. Der dritte Teil enthält eine Analyse der Entwicklung der Versuchslehre nach dem Zweiten Weltkrieg und eine Bestandsaufnahme der heutigen Situation. Diese Monographie hat vor allem eine geschichtliche Rekonstruktion der Versuchsproblematik und eine bewertende Beurteilung der verschiedenen Lösungsvarianten zum Gegenstand. Es geht darin nicht um die Entdeckung neuer, endgültig „richtiger“ Lösungen für die Frage der Strafbarkeit des Versuchs, sondern es wird im kontinentaleuropäischen Zusammenhang herausgearbeitet und aufgezeigt, dass hinsichtlich der Versuchsproblematik schon alles gedacht und ergründet worden ist, so dass es uns „Erben“ obliegt, die Ideen zu ordnen und im Lichte der Erfahrung zu sichten. Dies ist jedoch sicherlich nicht der richtige Rahmen, um detailliert über das Vorgehen bei der Forschungsarbeit oder über ihren Inhalt zu berichten.1 Ich halte es jedoch für sinnvoll, im Folgenden die verschiedenen Strafrechtssysteme, die von mir untersucht wurden, einander gegenüberzustellen. Aus dem ersten Teil des Buchs geht hervor, dass in Italien (in den Strafrechtsschulen der Lombardei, der Toskana und Neapels) der von Beccaria aufgestellte Grundsatz unangefochten Geltung hatte, nach dem der Schaden, der aus der Tat für die Gesellschaft herrührt, der wahre Maßstab für die Straftaten sein muss. Diese These charakterisiert die gesamte italienische Versuchslehre. Sie führt zur obligatorischen Strafmilderung der Versuchstat sowie zur Straflosig1
Es liegt dazu eine wunderbare Rezension von Professor Klaus Maiwald vor, die in der ZStW Band 126 (2), S. 552 ff. veröffentlicht wurde und auf die verwiesen werden kann.
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keit eines solchen Versuchs, der seiner Natur nach zur Herbeiführung des Erfolgs untauglich war. Auch bei der Frage, wann ein Beginn des Versuchs vorliegt, ist der gleiche objektive Ansatz zu erkennen. Infolge der von Carmignani und Carrara angestellten Überlegungen wird er mit dem Konzept der „Eindeutigkeit“ verbunden. Es wird dabei auf das Wesen der Tathandlungen abgestellt, das so sein muss, dass darin selbst der kriminelle Zweck der Handlungen zum Ausdruck kommt. Carrara, der größte Strafrechtswissenschaftler Italiens des 19. Jahrhunderts, hat später jedoch selbst eingeräumt, dass das Eindeutigkeitskriterium letztendlich auf Beweisebene, in Bezug auf die kriminellen Absichten, eine Rolle spielt (und somit der Sache nach zu einem subjektiven Kriterium wird). Er wandte sich deshalb vom Eindeutigkeitskriterium ab und entwickelte eine andere Theorie, die jedoch keine Anhänger gefunden hat. In Frankreich war hingegen – im Gegensatz zu Italien – eine Kombination von objektiven und subjektiven Elementen vorhanden. Dies rechtfertigte die sanktionsmäßige Gleichstellung der versuchten und der vollendeten Tat und wirkte sich ferner auf die Unterscheidung zwischen relativer und absoluter Ungeeignetheit aus, wobei nur Letztere von der Strafbarkeit ausgeschlossen wird. Was den Beginn des Versuchs angeht, so wurde in Lehre und Rechtsprechung im ersten Jahrzehnt nach dem Inkrafttreten des Code Pénal (1810) eine formal-objektive Theorie vertreten, welche die Strafbarkeit an die Vornahme eines Teilakts der Tatbestandshandlung anknüpft. Die spätere Rechtsprechung verwendet jedoch weitreichendere Kriterien, die an materiellen Theorien ausgerichtet sind. In Spanien war wiederum eine ganz andere Lage vorzufinden, mit einer Art von ethischem und religiösem Ansatz, der das Land deutlich vom Rest Europas, mit seiner aufklärerischen Herangehensweise, distanzierte. In Spanien wurde einzig und allein die Manifestation des verbrecherischen Willens für entscheidend gehalten – die Frage, ob der Versuch tauglich oder untauglich war, spielte keinerlei Rolle. Mit Österreich kehren wir hingegen wieder voll zur Aufklärung zurück, wenn auch in einer Form, die sich deutlich von der französischen Variante unterscheidet. Während die Aufklärung in Frankreich stark durch revolutionäre Elemente geprägt war, war in Österreich das Gegenteil der Fall. Die aufklärerische Bewegung stellte sich dort in den Dienst des Kaisers: Mit der Theresiana (1768), sodann mit der Josephina (1787) und schließlich mit der Franziskana (1803) werden Alternativmodelle zum französischen Strafgesetzbuch geschaffen, die eine autokratische Staatlichkeit und zugleich jedoch auch Garantien für das Individuum vorsehen. Die Versuchstheorie ist dabei anfänglich durch das Vorwiegen des subjektiven Elements, in der Folge durch eine Konzentrati-
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on auf die objektive Seite und sodann durch eine Kombination objektiver und subjektiver Elemente gekennzeichnet. Was schließlich das deutsche Rechtssystem betrifft, tritt klar zutage, dass es als einziges in Europa über eine solide philosophische Basis verfügt: Der Strafrechtswissenschaftler hat sich mit der Theorie von Kant über die Funktion der Strafe, dem Dreh- und Angelpunkt des gesamten Strafrechts, auseinanderzusetzen. In einer ersten Phase werden in Deutschland general- und spezialpräventive Straftheorien vertreten, bei denen die Strafbarkeit des untauglichen Versuchs aus dem Vorsatz des Handelnden abgeleitet wird (Grolman, Tittmann, Kleinschrod, Klein). Sodann beherrscht Feuerbach mit seiner objektiven Ausrichtung die Szene. Das Werk Feuerbachs wird von Mittermaier fortgeführt, der sich jedoch von der dogmatischen Herangehensweise lossagt und die Versuchsproblematik aus prozessualer Sicht, mit Blick auf den Tatbestand, angeht. Die Debatte wird sodann durch den Hegelschen Idealismus bereichert. Es ist vorliegend unmöglich, auf die außerordentliche Vielfalt der objektiven und subjektiven Ansätze näher einzugehen, die das 19. Jahrhundert gekennzeichnet haben. Das Reichsgericht hat dem mit zwei Urteilen aus dem Jahr 1880 ein Ende bereitet, in denen es den untauglichen Versuch definitiv für strafbar erklärt hat. Betrachtet man die dargestellten Rechtssysteme insgesamt, zeigen sich bei der Herangehensweise an die Versuchsproblematik klare Unterschiede zwischen der italienischen, französischen und österreichischen Strafrechtsschule auf der einen Seite und der deutschen und spanischen Schule auf der anderen Seite. Mit Ausnahme von Deutschland und teilweise auch von Spanien war in der untersuchten Zeitperiode ein vernunftrechtlicher Ansatz vorherrschend. Das Problem des Versuchs wurde dabei weder mit der Funktion der Strafe oder mit der Theorie vom Rechtsgut in Beziehung gesetzt, noch erfolgte eine dogmatische Würdigung und Bewertung des Verhältnisses zwischen Tathandlung und Schuld. Das auf das Strafrecht angewandte Vernunftprinzip kann jedoch zu Lösungen führen, die – besonders was die Tauglichkeit des Versuchs angeht – zwar in einem objektiven Ansatz ihren Ausgang nehmen, dann jedoch bei der subjektiven Theorie landen. Die von Jenull in Österreich, von Mittermaier in Deutschland, von Ortolan und von Haus in Frankreich und von Carrara in Italien angestellten Überlegungen zeigen in der Tat, dass die Kontraposition zwischen objektiven und subjektiven Versuchstheorien verschwommen und unklar ist. Was hingegen die Festlegung des Versuchsbeginns angeht, war die formalobjektive Theorie nur von äußerst kurzer Lebensdauer. Sie war nahezu aus-
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schließlich in Frankreich vertreten worden und stellte eine direkte Folge der Ecole de l'exégèse dar. Sie wurde schon durch Pellegrino Rossi und sodann durch Ortolan ins Wanken gebracht, und ihre Anhänger öffneten sich daraufhin den materiell-objektiven Theorien – d.h. denen, die in Deutschland durch Mittermaier, in Österreich durch Pratobevera und Kitka sowie in Spanien durch Pacheco Verbreitung fanden. Der zweite Teil des Buchs reicht vom auslaufenden 19. Jahrhundert bis in die Vierzigerjahre des 20. Jahrhundert – ein Zeitraum, der als „neue Jahreszeit des Strafrechts“ bezeichnet werden kann. Die vorangehende Geschichtsperiode war zwar durch Revolutionen und internationale Konflikte, durch Freiheitskriege und nachfolgende Restaurationszeiten geprägt. Diese fanden jedoch in den Strafrechtstheorien nur in geringem Umfang Widerklang. Sieht man einmal von der Tatsache der Existenz der Gesetzbücher selbst ab – die ein Produkt der Aufklärung waren, d.h. von Ideen, die abgesehen von Deutschland und Österreich auch revolutionären Charakter hatten –, zeigte sich das Strafrecht fast bis zum Ende des 19. Jahrhunderts tendenziell immun gegen politische Einflüsse. Die Funktion der Strafe und des Strafrechts, als reine Vernunftprinzipien verstanden, wirkten auf eine gewisse Weise wie „sterilisiert“ und „entkeimt“. Ein Grund dafür mag darin liegen, dass zu dieser Zeit die sozialen und wirtschaftlichen Probleme, die Ende des 19. Jahrhunderts auftreten sollten, noch völlig unbekannt waren. In der geschichtlichen Periode, die Gegenstand des zweiten Teils des Buchs ist, gewinnt das Strafrecht an politischer Bedeutung. Die positivistische oder kriminologische Schule entdeckt das Thema der „individuellen Gefährlichkeit“ des Täters: Im Zentrum steht nicht mehr die Tat, sondern die Person des Täters, und die Funktion der Strafe wird aus spezialpräventiver Sicht gesehen. Sie erhält dadurch eine antiformalistische Schlagkraft, die die abstrakte Legalität, die bis dahin den Grundpfeiler und das Fundament des Strafrechts darstellte, erfasst und fortreißt. Die politische Konnotation führt wiederum zu einer „Nationalisierung“ der Strafrechtskulturen: Während die vorangegangenen Zeiten sich durch eine gemeinsame Kultur und ein transnationales, länderübergreifendes Zirkulieren der strafrechtsphilosophischen Ideen auszeichneten, ist nun jede Rechtsordnung nur mit sich selbst beschäftigt, wobei dem Strafrecht die Aufgabe zugewiesen wird, die landeseigenen internen Probleme zu lösen. Dies ist allerdings nicht der Ort, um im Detail die Entwicklung der italienischen, französischen, spanischen und deutschen Strafrechtssysteme darzustellen; das österreichische Recht erwähne ich deshalb nicht getrennt neben dem deutschen, da es zu einer Durchmischung der in den beiden Ländern vorhandenen Lehren gekommen war und in der deutschen Lehre der Österreicher von
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Liszt, aber auch andere österreichische Strafrechtswissenschaftler, zum Beispiel Finger und Lammasch, eine grundlegende Rolle gespielt haben. Ich komme bei der Untersuchung des fraglichen geschichtlichen Zeitraums zum Ergebnis, dass die Vorrangstellung, die die Theorie von der Gefährlichkeit gegenüber der Schuldtheorie einnimmt, sich sowohl die Abgrenzung zwischen vorbereitenden und ausführenden Handlungen als auch auf das Erfordernis der Tauglichkeit der Handlung auswirkt und diese Kriterien bildlich gesprochen überrollt. Dies wird am Beispiel von Frankreich und Spanien besonders deutlich: Die Idee von der Sozialverteidigung – in der spanischen Lehre mit der Variante der korrigierenden Emendation – hat eine rasche Konversion zu einer Versuchstheorie zur Folge, bei der die Ausführungshandlungen an die externe Manifestation des verbrecherischen Willens abgeknüpft wird und eine Geeignetheit der Handlungen nicht für erforderlich gehalten werden. Weniger deutlich ist die Situation in Italien. Denn das faschistische Strafgesetzbuch von 1930 hat die Versuchsdefinition neu an der Tauglichkeit und Eindeutigkeit der Handlungen ausgerichtet und die untaugliche Handlung und den Versuch an einem inexistenten Objekt für straflos erklärt. Es ist somit paradoxerweise festzuhalten, dass gerade in dem Land, in dem die Positive Schule der Kriminologie – mit Lombroso, Garofalo und Ferri – ihren Anfang genommen hat, die von ihr aufgestellten Thesen auf wissenschaftlicher Ebene auf starken Widerstand gestoßen sind und nur in begrenztem Umfang Anerkennung durch den Gesetzgeber gefunden haben. In Deutschland hingegen benötigten Rechtsprechung und Lehre keine neue dogmatische Unterstützung für den subjektiven Ansatz. Denn er war hier schon seit Langem rezipiert worden, wenn auch aus einem anderen Blickwinkel, dem der Schuld. Dessen ungeachtet sei hier an die Theorien vom Gefährdungsstrafrecht, vom Willensstrafrecht und schließlich auch die vom Täterstrafrecht erinnert. Denn sie dienen auch heute noch als Warnung und makabres Mahnmal, zeigen sie doch die extremen Grenzen einer Theorie auf, die das gesamte Strafrechtssystem auf dem Rechtsinstitut des Versuchs aufbaut, mit einer nahezu spasmodischen Suche nach einem subjektiven Unwertgehalt, der an die Stelle des Erfolgsunwerts treten soll. Der dritte Teil meines Buchs ist den geltenden Normmodellen sowie dem Stand der gegenwärtigen Diskussion über die Rechtsfigur des Versuchs gewidmet. Es werden hier nur die wesentlichen Ergebnisse zusammengefasst. Die materiell-objektive Theorie, die auf typischen Handlungen und auf solchen, die unmittelbar der Tatausführung vorangehen, basiert, hat überall Oberhand gewonnen: „Das Gesetz verlangt, dass der Täter nicht mit der Tat
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selbst, aber mit der Ausführung der Tat, was nicht immer dasselbe ist, begonnen hat“ (Garraud, Traité théorique et pratique de droit pénal français, 1888, Band I, S. 286 f.). Was hingegen das Problem der „Tauglichkeit“ der Handlungen und insbesondere den untauglichen Versuch angeht, ist die Lage komplexer. In Deutschland steht die Strafbarkeit des untauglichen Versuchs außer Frage. Dessen ungeachtet ist bei § 23 Absatz 3 StGB umstritten, ob derjenige, der in abergläubischer Weise einen „Versuch“ begangen hat, strafwürdig ist – auch wenn die Unschädlichkeit der Handlung ein Zeichen für die mangelnde Gefährlichkeit des Täters ist. Während in Spanien Art. 52 des Strafgesetzbuchs von 1944 die Versuchsstrafbarkeit auch auf die „Fälle der Unmöglichkeit der Ausführung oder Realisierung der Straftat“ ausdehnte, sieht das Strafgesetzbuch von 1996 nichts dazu vor. Es legt in Art. 62 lediglich eine Strafmilderung für den Versuch fest, „in einem angemessenem Maß, unter Berücksichtigung der Gefahr, die mit der Intention und dem Grad der Ausführung verbunden ist“. Die spanische Rechtsprechung neigt dazu, den untauglichen Versuch nur dann für straflos zu halten, wenn die Handlung absolut untauglich ist – ohne ein Kriterium dafür festzulegen, wie das zu ermitteln sei. Die herrschende Lehre stellt auf eine nachträgliche Prognose, durch einen hypothetischen Beobachter, ab, der an Stelle des Täters tritt und über einen durchschnittlichen Wissensund Kompetenzstand verfügt, wobei eventuell vorhandene besondere Fähigkeiten oder Kenntnisse des Täters Berücksichtigung finden. In Frankreich fehlt es hingegen an einer gesetzlichen Regelung des untauglichen Versuchs, und die Lücke wurde durch Richterrecht geschlossen. Das Oberste Strafgericht Frankreichs hat mit Urteil vom 16. Januar 1986 entschieden, ein strafbarer Versuch könne auch dann vorliegen, wenn eine schon tote Person vom Täter fälschlicherweise noch am Leben geglaubt wird. Das Französische Kassationsgericht führt in seiner Entscheidung aus, der Tod des Opfers sei ein „vom Willen des Täters unabhängiger Umstand, und die vom Täter verübten Gewalthandlungen stellen daher einen Beginn der Ausführung dar“. Diese Auffassung wird von der herrschenden Lehre geteilt. In Österreich schließt § 15 Abs. 3 des Strafgesetzbuchs die Strafbarkeit des Versuchs ausdrücklich dann aus, wenn „wegen Fehlen von persönlichen Eigenschaften oder Umständen, die kraft Gesetz beim Täter vorzuliegen haben, oder wegen der Art der Handlung oder des Gegenstands, an dem sie verübt wurde, die Vollendung der Tat absolut unmöglich ist“. In Rechtsprechung und Lehre sind in Österreich heutzutage starke Auseinandersetzungen über die Anwendung von objektiven oder subjektiven Beurteilungskriterien vorhanden. Was schließlich Italien betrifft, setzt die in Art. 56 des Strafgesetzbuchs enthaltene
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Definition des Versuchs die „Tauglichkeit“ der Handlungen voraus. Darüber hinaus erklärt Art. 49 Italienisches Strafgesetzbuch ausdrücklich denjenigen für straflos, „der eine Handlung begeht, die keine Straftat darstellt, in der irrtümlichen Annahme, dass sie eine Straftat darstelle“ (Absatz 1), und sieht Straflosigkeit auch in den Fällen vor, in denen „wegen Untauglichkeit der Handlung oder Nichtvorhandensein des Tatobjekts das Eintreten des schädlichen oder gefährlichen Ereignisses unmöglich ist“ (Absatz 2). Im letztgenannten Fall steht dem Richter die Befugnis zu, die sichernde Maßnahme der „Freiheit unter Polizeiaufsicht“ anzuordnen. Die italienische Rechtsprechung legt die Gesetzesvorschriften eng aus. Sie interpretiert den Begriff der „Untauglichkeit“ im absoluten Sinn und bejaht eine Inexistenz des Tatobjekts nur im Fall seines völligen Fehlens, in rerum natura. Ein Teil der Lehre vertritt ähnliche Thesen wie die der Rechtsprechung, nach anderer Auffassung ist hingegen eine nachträgliche Prognose erforderlich, während wiederum andere Vertreter der Lehre auf eine Beurteilung abstellen, die auf einer Diagnose über die Effektivität der Gefahr beruht. Das Buch schließt mit dem Vorschlag, wie der Versuch im Strafgesetzbuch geregelt und formuliert werden sollte. Ich gebe ihn hier nicht im Wortlaut wieder, sondern fasse die drei wesentlichen Elemente zusammen, die meines Erachtens maßgebend sind: 1) Bei der Definition ist auf die Vornahme von Ausführungshandlungen und von Handlungen, die der Ausführung unmittelbar vorausgehen, abzustellen. 2) Was die Bestrafung angeht, ist der Versuch in einem Tatstrafrecht geringer als die vollendete Tat zu bestrafen. 3) Der Versuch sollte bei offensichtlicher Untauglichkeit der Versuchshandlungen zur Erfolgsherbeiführung und bei einem nicht vorhandenen Handlungsobjekt straflos sein.
IX. Nach Veröffentlichung des Buchs über den „Versuch“ habe ich mich mit verschiedenen Themen beschäftigt, so unter anderem mit der Reform der Strafvorschriften über die Bestechung und den Amtsmissbrauch, den Unternehmensstraftaten und dem auf diesem Gebiet vorhandenen dringenden Reformbedarf sowie dem Internetstrafrecht. Die wissenschaftlichen Arbeiten, die mir jedoch am meisten Freude bereitet haben – im Sinne eines wahren Vergnügens, die Problematiken zu studieren und zu vertiefen, über sie nachzudenken und darüber zu schreiben – sind diejenigen geschichtlich-rechtsphilosophischer
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Natur. Dazu gehören ein Publikationsbeitrag über den Entwurf von Enrico Ferri für ein neues italienisches Strafgesetzbuch von 1921, das ein ideologisches Manifest der Positiven Kriminalistischen Schule darstellt, ein Aufsatz zu „Dei delitti e delle pene“ von Cesare Beccaria und ein Beitrag zur Aufarbeitung der faschistischen Vergangenheit in Italien aus strafrechtlicher Sicht. Die Möglichkeit der freien Wahl der Forschungsthemen stellt für mich eine der schönsten Seiten der wissenschaftlichen Arbeit dar. Ich sehe es daher als ein Privileg an, als Strafrechtswissenschaftler tätig zu sein.
Schriftenverzeichnis (in Auswahl) 1. Selbständiges Schrifttum / Monographien Tecniche normative e concorso di persone nel reato [Normative Gesetzestechnik und Teilnahme am Verbrechen], Mailand 1987. Insider trading e diritto penale [Insider Trading und Strafrecht], Mailand 1989. Zur strafrechtlichen Versuchslehre im 19. und 20. Jahrhundert, mit Hirsch, Berlin 2008. Il delitto tentato [Die versuchte Straftat], Mailand 2012.
2. Lehrbücher Manuale di diritto penale dell’impresa [Lehrbuch des Unternehmensstrafrechts], mit Pedrazzi, Alessandri, Foffani und Spagnolo, Bologna 1998, 2. Aufl. 1999.
3. Aufsätze und Beiträge in Zeitschriften und Sammelwerken Die europäische Entwicklung des Strafrechts im Finanzmarktbereich aus italienischer Sicht, in: Arnold / Burkhardt / Gropp / Heine / Koch / Lagodny / Perron / Walther (Hrsg.) Festschrift für Albin Eser, München 2005, S. 847 ff. (veröffentlicht auch als: L’evoluzione europea del diritto penale del mercato finanziario nella prospettiva italiana, in: Canestrari / Foffani (Hrsg.), Il diritto penale nella prospettiva europea [Das Strafrecht aus europäischer Perspektive], Mailand 2005, S. 219 ff.). La corrupción en la Administración pública [Korruptionsstraftaten in der öffentlichen Verwaltung], in: Arroyo Zapatero / Nieto Martín (Hrsg.), Fraude y Corrupción en el Derecho penal económico europeo. Eurodelitos de corrupción y fraude [Betrug und Korruption im europäischen Wirtschaftsstrafrecht. Eurodelikte der Korruption und des Betrugs], Cuenca 2006, S. 139 ff.
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Kapitalmarktinformationen und Strafrecht in rechtsvergleichender Sicht, in: Sieber (Hrsg.), Festschrift für Klaus Tiedemann, Köln 2008, S. 1085 ff. Criminal Law Protection of the Euro and Financial Markets [Strafrechtlicher Schutz des Euro und der Finanzmärkte], in: Cherif Bassiouni / Militello / Satzger (Hrsg.), European Cooperation in Penal Matters: Issues and Perspectives, Padua 2008, S. 189 ff. La dimensione del corpo nel diritto penale [Die Bedeutung des menschlichen Körpers im Strafrecht], in: Rodotà / Zatti (Hrsg.), Il governo del corpo. Trattato di biodiritto [Die Herrschaft über den Körper. Abhandlung über das Biorecht.], Mailand 2011, I, S. 189 ff. Sul metodo tecnico-giuridico e sull’evoluzione della penalistica italiana nella prima metà del XX secolo, in: Studi in onore di Mario Romano [Studien zu Ehren von Mario Romano], 2011, I, S. 575 ff. [veröffentlicht auch als: Die rechtstechnische Methode und die Entwicklung der italienischen Strafrechtswissenschaft in der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts, in: Vormbaum (Hrsg.), Arturo Rocco und der Rechtstechnizismus im italienischen Strafrecht, Berlin 2013, S. 1 ff.]. Compliance y derecho penal: la experiencia italiana [Compliance und Strafrecht: die Erfahrung Italiens], in: Mir Puig / Corcoy Bidasolo / Gómez Martín (Hrsg.), Responsabilidad de la empresa y compliance. Programas de prevención, detección y reacción penal, Madrid 2014, S. 127 ff. Internet (diritto penale) [Internet (Strafrecht)], in: Enciclopedia del Diritto [Enzyklopädie des Rechts], Annali VII, Mailand 2014, S. 567 ff. Il Progetto preliminare di codice penale italiano del 1921 [Der Vorentwurf des italienischen Strafgesetzbuchs von 1921], in: Rivista italiana di diritto e procedura penale [Italienische Zeitschrift für Straf- und Strafprozessrecht], 2013, S. 1411 ff. [veröffentlicht auch als: Einführung: Der Vorentwurf eines italienischen Strafgesetzbuches von 1921, in: Vormbaum (Hrsg.), Vorentwurf zu einem italienischen Strafgesetzbuch über Verbrechen von 1921 („Progetto Ferri“), Berlin 2014, S. VII ff.]. Das Werk „Von den Verbrechen und von den Strafen“ von Cesare Beccaria zwischen Philosophie, Strafrecht und Kriminalpolitik, in: JZ 2014, S. 1121 ff. Die Aufarbeitung der faschistischen Vergangenheit in Italien. Strafrechtliche Probleme, in: Jahrbuch der Juristischen Zeitgeschichte 2014 (15), S. 3 ff.
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Reati societari (profili generali) [Gesellschaftsrechtliche Straftaten (Allgemeine Profile)], in: Enciclopedia del Diritto [Enzyklopädie des Rechts], Annali VIII, Mailand 2015, S. 703 ff.
4. Herausgeberschaft I nuovi reati societari: diritto e processo [Die neuen gesellschaftsrechtlichen Straftaten: Strafrecht und Strafprozess], herausgegeben mit A. Giarda, Padua 2002. Moderne italienische Strafrechtsdenker, herausgegeben mit E. Dezza und T. Vormbaum, Berlin-Heidelberg 2012. Commentario breve al codice penale [Kurzkommentar zum Strafgesetzbuch], herausgegeben mit G. Forti und G. Zuccalà, Padua 2015.
Jaan Sootak
https://doi.org/10.1515/9783110277708-021
Jaan Sootak I. Persönliches Ich wurde am 16. Juli 1948 in Tallinn geboren. Nachdem ich 1966 dort mein Abitur abgeschlossen hatte, absolvierte ich mein Studium in den Jahren 1966–1971 an der juristischen Fakultät der Universität Tartu. Im Anschluss daran arbeitete ich drei Jahre lang in der Abteilung des Kriminalgerichts der Staatsanwaltschaft der Estnischen Republik. Im Jahre 1974 wurde ich zum Oberlehrer des Instituts für Strafrecht und Strafprozessrecht an meiner Heimfakultät in Tartu gewählt. Im Jahre 1980 verteidigte ich schließlich am Moskauer Institut für Rechtswissenschaftliche Fernstudien meine Dissertation mit dem Titel „Die Verbrechen aufgrund von Streitigkeiten zwischen Ehegatten“. Während des darauf folgenden Jahrzehnts war ich als Dozent am Institut für Strafrecht und Strafprozessrecht an meiner Heimuniversität in Tartu tätig und lehre dort Strafrecht (Besonderer Teil) und Strafvollzugsrecht, aber als Wahlfächer auch die Delikte gegen die Person und Vermögensdelikte. Seit 1992 bekleide ich die Professur für Strafrecht und bin Leiter des Lehrstuhls für Strafrecht. Mit meinen Lehrveranstaltungen richte ich mich an Studenten im Grund-, Magister- und Doktorstudium; als Wahlfächer können Kurse aus den Bereichen „Sanktionenrecht“ und „Ausgewählte Probleme des Strafrechts“ belegt werden. In den früheren Jahren meiner Lehrtätigkeit lehrte ich auch eine Reihe anderer Wahlfächer, wie etwa zu den Fachgebieten „Persönlichkeitsdelikte“, „Kriminalpolitik“, „Vermögensdelikte“, „Medizinrecht“, „Strafvollzugsrecht“ und „Strafrechtsgeschichte“. Meine Forschungsarbeiten haben ihren Schwerpunkt im Bereich theoretischer und rechtspolitischer Fragen der estnischen Strafrechtsentwicklung und -reform, beziehen sich aber auch auf den strafrechtlichen Schutz des Lebens. Zugleich arbeite ich als Gutachter im Staatsgericht (dem obersten Gerichtshof) Estlands. Ich bin Mitglied des bei der Regierung der Estnischen Republik gebildeten Ausschusses für Kriminalitätsvorbeugung, der Estnischen Akademischen Gesellschaft der Rechtswissenschaft (seit November 2012 als Vorsitzender), des Ausschusses für die Bekämpfung der Jugendkriminalität, der Internationalen Vereinigung der Rechtsphilosophie (Estnische Landesgruppe) und der Gesellschaft der Rechtsvergleichung (Freiburg). Als wissenschaftlicher Stipendiat habe ich an der Berliner HumboldtUniversität (1988), im Max-Planck-Institut für Strafrecht in Freiburg (1991, 1993, 1997, 1999, 2006), an der Universität Kiel (1994), an der Universität
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Stockholm (1992, 1994, 1995 und 1996), an der Universität Münster (1995), an der Universität zu Köln (1996 und 1998), der Universität Greifswald (1998, 1999, 2000, 2001 und 2002) und an der Universität Basel (2004) gearbeitet. Unser ältester Sohn Indrek (geb. 1970) arbeitete zunächst im Außenministerium der Estnischen Republik und ist jetzt als freiberuflicher Schriftsteller tätig; unsere älteste Tochter Astri (geb. 1972) arbeitet im Estnischen Staatsarchiv; die jüngste Tochter Maria (geb. 1990) ist Studentin an der historischen Fakultät der Universität Tartu. Im Jahr 2003 wurde schließlich unser jüngster Sohn Jaak geboren. Meine Frau Marju Luts-Sootak ist Professorin für Rechtsgeschichte an der Universität Tartu.
II. Kurzer Einblick in die Rechtslage in Estland In der zweiten Hälfte der 1980er Jahren war es offensichtlich geworden, dass man ein neues Strafgesetzbuch brauchen würde, obwohl zum damaligen Zeitpunkt noch keine offizielle Reform in Aussicht stand. Vorrangig wurde allgemein über rechtspolitische Probleme diskutiert, darunter auch über die Weiterentwicklung des Rechtssystems an sich. Unsere wissenschaftlichen Kontakte beschränkten sich damals auf Kollegen in der Sowjetunion, sodass Publikationen neben der Muttersprache Estnisch im Russischen erschienen sind. Nach der Wiederherstellung der staatlichen Unabhängigkeit Estlands im Jahre 1991 wurde die reformierte Fassung des bisher gültigen Kriminalkodex verabschiedet, die jedoch zunächst nur die notwendigsten Änderungen beinhaltete. Die Arbeiten an dem Entwurf des neuen StGB wurden schließlich fortgesetzt und im Jahr 1994 dem Justizministerium vorgelegt. Der Entwurf wurde – vor allem von Seiten der Rechtswissenschaftler – als dem früheren StGB zu ähnlich und zu stark nach dem Muster des sowjetischen Strafrechts zusammengestellt bewertet. Mitte der 1990er Jahren entschied das Justizministerium, das neue StGB grundsätzlich nach dem Vorbild des deutschen Strafrechts auszuarbeiten, wobei auch Lösungen aus anderen Rechtssystemen (z.B. aus Finnland oder Frankreich) nicht völlig ausgeschlossen worden waren. Aus Sicht der Rechtsvergleichung kann man feststellen, dass es nicht nur um das reine Interesse ging, sondern vielmehr um die Notwendigkeit, sich von dem sowjetischen Strafrecht abzuwenden und ein rechtsstaatliches Strafrecht aufzubauen. Diesbezüglich wurde das deutsche Strafrecht damals (und auch heute noch) als das am stärksten rechtstheoretisch begründete und rechtsdogmatisch durchgearbeitete Strafrecht angesehen.1 1
Näheres zur Reform findet sich in den folgenden Publikationen des Verfassers: „Stand und Tendenzen der Strafrechtsreform in Estland“, in: Eser / Kaiser / Weigend (Hrsg.),
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Zu Anfang der Vollreform in der Mitte der 1990er Jahre knüpften wir enge Kontakte zu europäischen Rechtswissenschaftlern (vor allem in Deutschland, Finnland und Schweden), die in erster Linie durch wechselseitige Besuche, gemeinsame Tagungen und über Forschungsaufenthalte gestärkt wurden.
III. Tagungen außerhalb Estlands und Beziehungen zu deutschen Kollegen Bei meinem ersten wissenschaftlichen Aufenthalt außerhalb der ehemaligen Sowjetunion handelte es sich um einen Forschungsaufenthalt im Oktober / November 1988 an der Humboldt-Universität zu Berlin zur Zeit der damaligen DDR. Ich erfuhr dort eine sehr freundliche Betreuung durch den Dozenten L. Welzel. Da in meinem Arbeitsplan keine konkreten Aufgaben festgelegt waren, hatte ich ausreichend Gelegenheit, mich in der Bibliothek der Stadt Berlin, die sich direkt neben dem Universitätsgebäude befand, umzusehen und dort „ausländische“ bzw. westdeutsche Literatur zu lesen, welche zu meiner angenehmen Überraschung in großer Menge vorhanden war. Darüber hinaus arbeitete ich damals auch für einige Wochen in der Deutschen Bücherei zu Leipzig. Zur damaligen Zeit bestanden im technischen Bereich noch ganz andere Verhältnisse: Keine Computer, keine Kopiergeräte – alle Notizen und Exzerpte wurden per Hand angefertigt! Zu den konkreten Reformfragen und auch zum Entwurf war man in Estland in dieser Zeit noch nicht gekommen, weswegen ich schließlich hauptsächlich Materialien für mein Wahlfach über die Persönlichkeitsdelikte sammelte. Diese Forschungsarbeiten führten dann zu einem Aufsatz über den Schutz des Menschenlebens,2 sowie zu einem populären Schreiben über die Rolle der Frauenhäuser im Zusammenhang mit der Familienkriminalität.3 Meine erste Tagung außerhalb der Sowjetunion war die dem 100-jährigen Jubiläum des finnischen StGB (Rikoslaki) gewidmete, sehr
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Von totalitärem zu rechtsstaatlichem Strafrecht. Freiburg, 1993, S. 75 ff.; „Strafgesetz als Mittel zur Überwindung der Rechtsirritation“, mit M. Luts, in: Rechtstheorie 2007, S. 355 ff.; „Estnische Republik. – Strafrechtsentwicklung in Europa“. Landesberichte 1989/1992. Bd. 4.1. Freiburg: Max-Planck-Institut für Strafrecht 1993, S. 411–424; „Estnische Strafrechtsreform: Quellen und Perspektiven“. Tartu: Juristide Täienduskeskus 1996. „Kain, kus on su vend Abel? Kes kuidas kaitseb ja ründab inimelu“. („Kain, wo ist dein Bruder Abel? Wer und wie schützt und bedroht [man] das Menschenleben“) – Akadeemia 1989/3, S. 451–471. „Armastuse geto“ („Ghetto der Liebe“). – Eesti Naine 1989/7, S. 22–23.
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ansehnliche Veranstaltung in Helsinki vom 24.–27. September 1990.4 Unsere Teilnahme mit dem späteren Präsidenten des Estnischen Staatsgerichts R. Maruste war dank der Einladung vonseiten der finnischen Kollegen Professoren R. Lahti und P. Koskinen möglich, die kurz zuvor unsere Fakultät besucht hatten. Die Tagung bot mir damals eine einmalige Gelegenheit, viele herausragende deutsche Strafrechtswissenschaftler persönlich kennenzulernen, darunter z.B.: A. Eser, W. Hassemer, F. Herzog, H.-H. Jescheck und C. Roxin.5 Mithilfe des an der Tagung teilnehmenden Prof. A. Nelson der Universität Uppsala, der ebenfalls bereits vorher unsere Fakultät besucht hatte, und Herrn Dr. K. Cornils (MPI) gelang es R. Maruste und mir im Jahr 1991, ein wissenschaftliches Stipendium an dem Freiburger Max-Planck-Institut zu erhalten (Näheres hierzu in Kap. V.). Die folgende Liste entspricht einer – wenn auch nicht ganz vollständigen – Aufzählung jener Tagungen und Vorträge (teils kommentiert) und enthält Hinweise zu den daraus hervorgegangenen Veröffentlichungen: 1. „Stand und Tendenzen der Strafrechtsreform in Estland“. Vortrag6 beim internationalen Symposium „Von totalitärem zu rechtsstaatlichem Strafrecht“, Freiburg 27.–31. Mai 1992. Diese Veranstaltung erwies sich als gute Gelegenheit, Fragen der bevorstehenden Strafrechtsreform mit Vertretern vieler osteuropäischer Länder rechtsvergleichend zu diskutieren. 2. „Strafrechtliche Überwindung des staatlichen Unrechts der stalinistischen Massenrepressionen“. Vortrag beim internationalen Seminar „Strafrechtliche Überwindung des staatlichen Unrechts“ in Berlin, April 1994. Bei diesem Seminar kam es zu dem Kennenlernen mit Professor H. J. Hirsch (Universität Köln), auf das schließlich eine weitere enge und produktive Zusammenarbeit folgte (Näheres dazu in Kap. V.). 3. Die von Prof F. Dünkel veranstalteten Blockseminare an der Universität Greifswald (Insel Hiddensee) wie: a) „Probleme des Jugendstrafrechts und des Strafvollzugs im internationalen Vergleich: Estland“. Ein internationa4
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Vortragstext des Verfassers zu dieser Tagung: „Ein eigenes Strafrecht für Estland. – (Über die estnische und sowjetische Strafrechtsreform). – Kriminalpolitik und Strafzumessung im Umbruch“. Helsinki: Universität Helsinki 1992, S. 111–115. Für Einblicke in die vollständige Teilnehmerliste siehe: „Ein eigenes Strafrecht für Estland. – (Über die estnische und sowjetische Strafrechtsreform). – Kriminalpolitik und Strafzumessung im Umbruch“. Helsinki: Universität Helsinki 1992, S. 303. Der Vortrag wurde publiziert unter: „Stand und Tendenzen der Strafrechtsreform in Estland. – Von totalitärem zu rechtsstaatlichem Strafrecht“. Freiburg: Max-PlanckInstitut für Strafrecht 1993, S. 75–85.
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les Seminar zu „Problemen des Jugendstrafrechts und des Strafvollzugs im internationalen Vergleich“, 25.–28. Juni 1998; b) „Reform des estnischen Strafvollzugs“. Ein weiteres internationales Seminar „Strafvollzug und Jugendstrafrecht. Rechtsvergleichende Aspekte“. 1.–4. Juli 1999; c) „Strafvollzug und Jugendstrafrecht. Stand und Tendenzen in Estland – rechtsvergleichende Aspekte“. Das internationale Seminar „Strafvollzug, Jugendstrafrecht, Kriminologie“, 30. Juni–2. Juli 2000; „Strafrechts- und Strafvollzugsreform in Estland“. 13.–16. Juni 2002. Die Seminare boten viele nützliche Informationen und beinhalteten gute Materialien aus dem Bereich des Strafvollzugsrechts, was für mich in Bezug auf die Kommentierung des Estnischen StVollZG sehr wertvoll war.7 4. „Strafrecht in Reaktion auf Systemunrecht. Landesbericht Estland“. Internationales Seminar „Strafrecht in Reaktion auf Systemunrecht.8 Freiburg, 2.–6. Juni 1999 (mit J. Saar). 5. „Die rechtspolitischen und -dogmatischen Grundlagen der Estnischen Strafrechtsreform“. Internationales Seminar „Penal Legislation: Current Situation and Future Perspectives“. Vilnius, 30. September–1. Oktober 1999. Am Seminar nahmen Rechtswissenschaftler aus allen drei baltischen Ländern teil, ebenso Kollegen aus Deutschland (Prof. W. Hassemer), Polen (Prof. A. Wasek), Finnland (T. Lappi-Seppälä). Somit bestand eine gute Voraussetzung um die Entwicklung des Strafrechts vergleichend zu betrachten. 6. „Rechtsreform in Estland als Rezeptions- und Bildungsaufgabe“. Internationales Seminar „Prozessrecht in Europa – Reform und Rezeption in Deutschland und Estland. Münster, 14.–16. Februar 2002;9 „Grundelemente 7
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Veröffentlichung auf Estnisch: „Mootorsõiduki konfiskeerimine karistusseadustiku §-s 424 sätestatud teo korral“. („Einziehung des Fahrzeugs wegen des Verkehrsdelikts nach § 424 StGB“). – Juridica 2007/X, S. 687–694 (mit A. Parmas). Über das Jugendstrafrecht siehe: „Juvenile Justice System. Estonia. – Juvenile Justice Systems in Europe“. – F. Dünkel u.a. (Hrsg.). Mönchengladbach (Forum Verlag) Godesberg 2010, S. 399–421 (mit J. Ginter); „Alaealiste õiguserikkumised. Kriminaalõiguslik, menetluslik ja kriminoloogiline aspekt“. Valminud ETF grant nr 1882 raames (Jugendkriminalität. Die strafrechtlichen, verfahrensrechtlichen und kriminologischen Probleme. Forschungsstipendium des ETF). Tallinn: Juura 2000 (mit J. Ginter und H. Saarsoo). Veröffentlichung hierzu: „Strafrecht in Reaktion auf Systemunrecht. Vergleichende Einblicke in Transitionsprozesse“. Estland, S. 105–111; Criminal Law in Reaction to State Crime. Comparative Insights into Transitional Processes. Estonia, S. 111–117. Freiburg: Max-Planck-Institut für Strafrecht 2000 (mit J. Saar). Der Vortrag beruht gewissermaßen auf der folgenden Publikation: Rechtsreform in Estland als Rezeptions- und Bildungsaufgabe. Juristenzeitung 1998/8, S. 401–403 (mit M. Luts).
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subjektiver Verantwortlichkeit im estnischen Strafrecht“. Internationales Seminar „Strafrechtsentwicklung in Osteuropa: Zwischen bewältigten und neuen Herausforderungen“.10 Tegernsee (München), 26.–29. Juni 2002. 7. „Estnisches Gesetz über die Humangenforschung: Die rechtliche Regelung und Probleme“.11 Ein Vortrag für die Doktoranden der Konrad-AdenauerStiftung. Ethik-Zentrum der Universität Tartu, 31. August 2003. 8. „Estnisches Strafrecht – ein eigenes oder nach dem deutschen Vorbild geprägt?“ Ein Vortrag im Regionalen Fortbildungszentrum beim Deutschen Kulturinstitut, Tartu, 17. September 2003. 9. „Kriminalitätsentwicklung, gesellschaftliche Veränderungen, Massenmedien, strafrechtliche Sanktionspraxis und ihre Auswirkungen auf unterschiedliche Gefangenenraten“. Landesbericht Estland. Internationale Konferenz „Mare Balticum – Strafvollzug und Menschenrechte in den Ländern des Ostseeraums“.12 Greifswald, 16.–19. September 2004. 10. „Estnische Strafrechtsreform – Sanktionensystem und Strafvollzug“. Vortrag in der Juristischen Fakultät der Universität Basel, 24. September 2004. 11. „Organisierte Kriminalität und kriminelle Organisationen. Präventive und repressive Maßnahmen vor dem Hintergrund des 11. September 2001“.13 Landesbericht Estland. Internationale Konferenz „Organisierte Kriminalität und kriminelle Organisationen. Präventive und repressive Maßnahmen vor dem Hintergrund des 11. September 2001“. Gießen, 26. September–2. Oktober 2004.
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Veröffentlichung hierzu: „Grundelemente der subjektiven Verantwortlichkeit im estnischen Strafrecht. – A. Eser, J. Arnold, J. Trappe (Hrsg.). „Strafrechtsentwicklung in Europa zwischen bewältigten und neuen Herausforderungen“. Berlin (Duncker& Humblot) 2005, S. 224–233. Veröffentlichung hierzu: „Estland und Island – Wegweiser in der Kodifizierung des Genbankenrechts. – Strafrecht, Biorecht, Rechtsphilosophie“. Festschrift für HansLudwig Schreiber. Heidelberg (Müller) 2003, S. 869–879 (mit A. Nõmper). Veröffentlichung hierzu: „Kriminalität, Kriminalpolitik, strafrechtliche Sanktionspraxis und Gefangenenraten. Landesbericht Estland. – F. Dünkel u.a (Hrsg.). Kriminalität, Kriminalpolitik, strafrechtliche Sanktionspraxis und Gefangenenraten im europäischen Vergleich“. Mönchengladbach (Forum Verlag) Godesberg 2010, S. 263–298 (mit A. Markina). Veröffentlichung hierzu: „Landesbericht Estland. – W. Gropp / A. Sinn (Hrsg.). Organisierte Kriminalität und kriminelle Organisationen. Präventive und repressive Maßnahmen vor dem Hintergrund des 11. September 2001“. Baden-Baden (Nomos) 2007, S. 173–195 (mit E. Kergandberg).
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12. „Genozid als Tatbestand im Völkerrecht und in der nationalen Rechtsordnung“.14 Internationale Konferenz „Criminal Law Theorie in Transitition / Strafrechtstheorie im Umbruch“. Helsinki 1.–2. Juni 2006. 13. „Landesbericht und Stellungnahme zu den Modellen: Estland“. Internationale Konferenz „Jurisdiktionskonflikte bei grenzüberschreitender organisierter Kriminalität – ein Rechtsvergleich zum Internationalen Strafrecht“.15 Osnabrück, 2.–5. August 2010, 4.–6. August 2011 (mit A. Parmas). Anmerkung: In der folgenden, nicht erschöpfenden Liste fehlen Hinweise zu den jeweiligen Teilnehmern der Tagungen, da ich selbst nicht als Referent beteiligt gewesen war. Ueckermünde (1993), Tagung zum Themenbereich des Jugendstrafrechts16 im deutschen und osteuropäischen Vergleich. Die Tagung wurde von Professor F. Dünkel der Universität Greifswald veranstaltet, mit dem ich bereits 1991 während seiner Zeit als wissenschaftlicher Mitarbeiter im Freiburger MPI Bekanntschaft gemacht hatte. Unsere bis heute andauernde Zusammenarbeit kann man als freundlich, eng und produktiv bezeichnen (siehe auch Kap. V). Die Tagung „Corpus Juris als Grundlage des Europäischen Strafrechts“.17 Trier, 2.–6. März 1999. Die vom Estnischen Innenministerium und Polizeiamt Berlin veranstaltete Tagung über den Verfall und die Einziehung im Strafverfahren (Tallinn, Januar 2009). Dieser Tagung kam vor allem im Hinblick auf die Rechtspraxis große Relevanz zu. Obwohl daraus keine Publikationen hervorgingen, leistete die verhandelte Problematik einen erheblichen Beitrag zu unserem Strafrecht und der Gerichtspraxis.18 Die Tagung zum Gedenken an Professor 14
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Veröffentlichung hierzu: „Developing the Definition of the Crime of Genocide through National Criminal Laws“. – Festschrift. In Honour of Raimo Lahti. Helsinki (University of Helsinki) 2007, S. 61–73 (mit A. Parmas). Veröffentlichung hierzu: „Estland. Landesbericht. – A. Sinn (Hrsg.). Jurisdiktionskonflikte bei grenzüberschreitender Kriminalität. Ein Rechtsvergleich zum Internationalen Strafrecht“. Osnabrück (V&R unipress) 2012, S. 279–289 (mit A. Parmas). Zum Jugendstrafrecht siehe auch: „Juvenile Criminal Law“. – Juridica International (Tartu), 1997/II, S. 71–73; „Juvenile Justice System. Estonia. – Juvenile Justice Systems in Europe“. – F. Dünkel u.a. (Hrsg.). Mönchengladbach (Forum Verlag) Godesberg 2010, S. 399–421 (mit J. Ginter). Veröffentlichung hierzu: Corpus Juris ja Eesti kriminaalõigus (Corpus Juris und estnisches Strafrecht). – Juridica 1999/IV, S. 176–184. Näheres zum diesbezüglichen Hintergrund: „Vangistusseadus. Komm vlj“. (Kommentar zum StVollzG). Tallinn: Juura 2009 (mit L. Madise und P. Pikamäe); W. Gropp, „Konfiskeerimine: mõjutusvahendist karistuseks?“ (Verfall: von der Maßnahme zur Strafe) – Juridica 2008/VIII, S. 547–553.
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H.-H. Jescheck im Januar 2010 in Freiburg, bei der wir beschlossen, unsere schon früher begonnene Zusammenarbeit mit Prof. Dr. Dr. E. Hilgendorf (Universität Würzburg) neu aufzugreifen und zu intensivieren. Prof. Hilgendorf hielt im Oktober 2012 im Rahmen der Deutsch-Estnischen Academica-Woche in Tartu einen Vortrag über den Stand der deutschen Strafrechtswissenschaft. Im September 2018 schließlich referierte er im Rahmen des für mich ausgerichteten Festakts an unserer Universtät über den aktuellen Stand der internationalen Strafrechtswissenschaft. Die guten Beziehungen zwischen den juristischen Fakultäten der Universitäten Würzburg und Tartu sollen bald durch einen Partnerschaftsvertrag besiegelt werden.
IV. Tagungen in Estland und ausländische Forschungsgäste (v.a. aus Deutschland) Mitte der 1990er Jahre fanden in Tartu zwei internationale Tagungen statt: „Wirkungen des europäischen Strafrechts auf das estnische Strafrecht“ (24.-26. Oktober 1994) und „Estnische Strafrechtsreform: Internationale Erfahrungen und weitere Entwicklungswege“ (23.–26. November 1995); beide nahmen einen besonderen Einfluss auf die estnische Strafrechtsreform, v.a. im Hinblick auf die Berücksichtigung des deutschen Vorbildes. Als ausländische Teilnehmer sind Prof. H. J. Hirsch und Dr. S. Lammich aus Deutschland, Professoren R. Lahti, P. Koskinen und K. Nuotio aus Finnland, B. Garder aus Norwegen und A. Matiośius aus Litauen zu erwähnen. Auf diesen Tagungen basiert ein Sammelband, in dem sich neben Beiträgen der oben genannten Verfasser auch ein Aufsatz von Doz. J.-O. Sundell (Universität Stockholm) über den schwedischen Strafrechtsprofessor Andreas Bjerre (ehemals Universität Tartu) befindet.19 Etwa in diese Zeit fällt auch eine Tagung über die organisierte Kriminalität, an der Professor W. Gropp (Universität Gießen) teilnahm und aus der gute Beziehungen hervorgingen. Am 6.–7. Dezember 1996 fand in Tartu ein Seminar über das Medizinrecht statt, an dem sich Prof E. Samson als Hauptreferent beteiligte.20 Nach der Verabschiedung des neuen StGB am 6. Juni 2001 (in Kraft getreten am 1. September 2002) wurde in Tartu eine ansehnliche Tagung mit mehr als 19 20
Siehe: „Estnische Strafrechtsreform: Quellen und Perspektiven“. Tartu (Juristide Täienduskeskus) 1996. Siehe: E. Samson, Meditsiiniõiguse traditsioonilised ja uued probleemid (Die traditionelle und neue Probleme des Medizinrechts). – Juridica 1997/II, S. 60–66.
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200 Teilnehmern durchgeführt. Unter den ausländischen Rechtswissenschaftlern, die daran teilnahmen, sind H.-J. Albrecht (Freiburg), J. Arnold (Freiburg), Ch. Flügge (Berlin), W. Gropp (Gießen), H. J. Hirsch (Köln), C. Kestermann (Greifswald), U. Krastinš (Riga), P. Koskinen, R Lahti (Helsinki), J. Pradel (Poitiers), T. Weigend (Köln), J. Zila (Stockholm), M. Weckeling (Bonn) zu nennen. Auf die Tagung folgten mehrere Publikationen21 auf Estnisch. Jene Tagung und die damit verbundenen Publikationen hatten schließlich einen großen Einfluss auf die weitere Ausgestaltung des neuen estnischen Strafrechts und der Strafrechtsdogmatik. Am 25. Januar 2007 wurde in Tallinn eine Tagung über die juristischen und ethischen Lösungswege zu Krisen der Gefängnisabteilung des Estnischen Justizministeriums durchgeführt, bei der Prof. W. Gropp einen Vortrag hielt.22 Im Oktober 2008 wurde in Tartu zum Anlass meines 60. Geburtstages eine Tagung zum Thema „Schuld und Gefährlichkeit als Gegenstand der staatlichen strafrechtlichen Intervention“ durchgeführt, an der die ausländischen Gäste Professoren R. Lahti und K. Nuotio aus Helsinki und W. Gropp aus Gießen teilnahmen. Die Festschrift „Nullum ius sine scientia“ (Tallinn, Verlag Jura 2008) enthält Aufsätze von F. Dünkel (Greifswald), W. Frisch (Freiburg), W. Gropp (Gießen), E. Hilgendorf (Würzburg), B. Huber (Freiburg), G. Jakobs (Bonn), R. Lahti (Helsinki), U. Neumann (Frankfurt/M), E. Samson (Kiel) und T. Weigend (Köln).
V. Wissenschaftliche Stipendien im Ausland Die zahlreichen wissenschaftlichen Forschungsaufenthalte (1991, 1993, 1997, 1999, 2004, 2005, 2006), die Zeiträume zwischen einer Woche und zwei Monaten umfassten, verbrachte ich überwiegend am Freiburger Max-PlanckInstitut in Deutschland. In dieser Zeit entstanden zwei meiner Werke;23 21
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C. Flügge, „Vanglakaristus ja vanglasüsteem Saksamaal“ (Gefängnisstrafe und Gefängnissystem in Deutschland). Juridica 2004/III, S. 189–101.; W. Gropp, „Subjektiivne koosseis, süü ja vastutuse subjektiivsed alused“ (Subjektiver Tatbestand, Schuld und subjektive Grundlagen der Verantwortlichkeit). – Juridica 2004/III, S. 176–182.; E. Hilgendorf, „Biokaristusõigus – uus distsipliin?“ (Biostrafrecht als neue Disziplin?) – Akadeemia 2006/X, S. 2242–2264. W. Gropp, Füüsilise jõu kasutamise õiguslikud alused (Die rechtlichen Grundlagen der Zwangsanwendung). – Juridica 2007/II, S. 75–81.; Kriisi lahendamise karistusõiguslikud lähtekohad Eesti õigussüsteemis (Die strafrechtlichen Ausgangspunkte zur Lösung der Krise im Estnischen Rechtssystem). – Juridica 2007/II, S. 82–86. „Karistusõiguse alused“ (Grundlagen des Strafrechts). Tallinn: Juura 2003; „Sanktsiooniõigus. Karistusõiguslikud sanktsioonid ja nende kohaldamine“ (Sanktionenrecht. Die strafrechtlichen Sanktionen und ihre Anwendung). Tallinn: Juura 2007.
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darüber hinaus konnte ich während dieser Aufenthalte im Ausland viele weitere Aufsätze verfassen und zahlreiche Kontakte zu den wissenschaftlichen Mitarbeitern des Max-Planck-Instituts und ausländischen Gästen aus der ganzen Welt knüpfen. Als Landesreferenten waren Dr. S. Lammich und Dr. E. Weigend auf sehr freundliche Art und Weise tätig; stets sehr hilfsbereit waren außerdem Dr. B. Huber und die Landesreferentin für Skandinavien, Dr. C. Cornils. Direktoren des Instituts waren zu dieser Zeit die Professoren A. Eser, G. Kaiser, H.-J. Albrecht und U. Sieber; die Emeritidirektoren Professoren H.-H. Jescheck, später G. Kaiser und A. Eser. An der Universität Kiel (1994) lernte ich Prof. E. Samson (siehe auch Kap VI), sowie an der Universität Münster (1995) die Professoren F. Dencker und U. Nelles kennen; darüber hinaus machte ich 2004 an der Universität Basel Bekanntschaft mit Prof. K. Seelmann. Für Näheres über die Aufenthalte in Greifswald siehe III. 3. Die Aufenthalte an der Universität Stockholm führten zu den Kontakten und der weiteren Zusammenarbeit mit Prof. M. Löfmarck und Doz. J. Zila. Dort arbeitete ich an einem Entwurf des Jugendstrafgesetzes, der sich gewissermaßen am deutschen JGG anlehnte. Leider mündete dieser Entwurf nicht in ein entsprechendes Gesetz, doch während der Auseinandersetzung mit diesem Stoff entstanden einige weitere Publikationen.24 Sehr produktiv waren auch die Aufenthalte in Köln (1996, 1998), wie überhaupt die Zusammenarbeit mit Prof. H. J. Hirsch (siehe auch Kap III. 3; IV). Mit H. J. Hirsch haben wir in Köln viel an dem Entwurf des estnischen StGB gearbeitet. Gute Kontakte habe ich auch zu dem Institut für Ost-Europa Recht (B. Meissner, G. Brunner, C. Schmidt) herstellen können, was zu einigen Veröffentlichungen25 führte. Darüber hinaus verfasste ich ein Kompendium26 über das Wirtschaftsstrafrecht. 24
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„Juvenile Criminal Law“ – Juridica International (Tartu), 1997/II, S. 71–73; „Juvenile Justice System. Estonia. – Juvenile Justice Systems in Europe“. – F. Dünkel u.a. (Hrsg.). Mönchengladbach (Forum Verlag) Godesberg 2010, S. 399–421 (mit J. Ginter); „Alaealiste õiguserikkumised. Kriminaalõiguslik, menetluslik ja kriminoloogiline aspekt. Valminud ETF grant nr 1882 raames“ (Jugendkriminalität. Die strafrechtlichen, verfahrensrechtlichen und kriminologischen Probleme. Forschungsstipendium des ETF). Tallinn: Juura 2000 (mit J. Ginter und H. Saarsoo). „Verbrechensbegriff und Tatbestand: Erfahrungen der russisch-sowjetischen Strafrechtswissenschaft und deren Ausstrahlungen in Estland“. – Ost-Europa Recht, 1998/1, S. 57–67; „Internationales Strafrecht – Integration des estnischen Strafrechts in das europäische Rechtssystem“ – Ost-Europa Recht 2001/3, S. 188–196 (mit M. Laatsit und P. Pikamäe). „Majanduskriminaalõigus. Õppevahend juristide põhi- ja täiendõppeks“ (Wirtschaftsstrafrecht. Lehrmittel zum Grundunterricht und Schulung). Tartu: Eesti Õiguskeskus 1998.
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Der wissenschaftliche Aufenthalt in Göttingen (2005) zeichnete sich vor allem durch die weitere Zusammenarbeit mit Prof. H.-L. Schreiber im Bereich des Medizinrechts aus, der ebenfalls am 14. September 1999 in Tartu über die Bioethik eine Aulavorlesung hielt.27 Die wissenschaftlichen Beziehungen zwischen den Fakultäten beruhen auf einem Partnerschaftsvertrag, der auf der deutschen Seite von Prof. A. Hasselblatt koordiniert wurde und heute durch Prof. E. Winkler koordiniert wird.28
VI. Reform; Entwurf des StGB und Schulung Alle erwähnten Tagungen, Publikationen und persönlichen Kontakte hatten bis zur Verabschiedung des estnischen StGB im Jahr 2001 eine direkte oder indirekte Wirkung auf die Ausgestaltung des Gesetzbuches. Nach der Verabschiedung des Gesetzes hatten sie darüber hinaus einen Einfluss auf die weitere Entwicklung des geltenden Rechts und die Ausgestaltung der Gerichtspraxis. Beim Verfassen des Textentwurfes war E. Samson aktiv tätig; auf ihn geht zudem die überwiegende Anzahl der Kommentierungen zur Begründung des Entwurfes zurück.29 Wir verdanken ihm die wichtigsten Züge des Verbrechensaufbaus im Allgemeinen Teil des StGB. In der Tagespresse und Fachliteratur hatte er für die estnische Strafrechtsreform plädiert.30 Zum Erfolg der Reform – und insbesondere bei der Ausgestaltung der Gerichtspraxis – hat eine besonders gut gelungene Schulung der Richter und Staatsanwälte beigetragen (sog. Twinning-Programm), welche im Rahmen einer Zusammenarbeit des Justizministeriums Estland mit dem Bundesland Mecklenburg-Vorpommern realisiert werden konnte. Im Bereich des Allgemeinen Teil des Strafrechts (Verbrechenslehre) und teilweise auch im Besonderen Teil wurde die Schulung durch E. Samson, im Sanktionenrecht über Prof. H. Ostendorf und im Besonderen Teil durch Prof. W. Joecks durchge-
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H.-L. Schreiber, „Euroopa bioeetika-alaste inimõiguste konventsioon“. Aulaloeng 14. septembril 1999. a. (Das europäische Menschenrechtsübereinkommen zur Bioethik. Aulavorlesung am 14. September 1999). Tartu: TÜ kirjastus 2000. Über das Medizinrecht siehe auch: E. Hilgendorf, Biokaristusõigus – uus distsipliin? (Biostrafrecht als neue Disziplin?) – Akadeemia 2006/X, S. 2242–2264. M. Ernits, P. Pikamäe, E. Samson, J. Sootak, Karistusseadustiku üldosa eelnõu. Lähtealused ja põhjendus (Entwurf des Allgemeinen Teils des Strafgesetzbuchs. Begründung). Tallinn: Juura 1999. E. Samson, Eesti karistusseadustiku üldosa eelnõust (Über den Entwurf des Allgemeinen Teils des estnischen Strafgesetzbuchs). – Juridica 1998/II, S. 58–62.
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führt. E. Samson hatte speziell hierfür zwei Lehrbücher31 vorbereitet, die ins Estnische übersetzt wurden und teilweise noch heute in Estland in Gebrauch sind. In diese Zeit fällt auch die Übersetzung des Lehrbuchs32 von K. Kühl. Aufgrund seines herausragenden Beitrages zur Ausgestaltung des estnischen Strafrechts verlieh der Präsident der Estnischen Republik E. Samson am 1. Februar 2012 einen staatlichen Orden (Kreuz des Marienlandes IV. Klasse).
Schriftenverzeichnis (in Auswahl) 1. Selbständiges Schrifttum / Monographien Karistusõiguse alused [Grundlagen des Strafrechts], Tallinn 2003.
2. Kommentierungen Karistusseadustiku üldosa eelnõu. Lähtealused ja põhjendus [Entwurf des Allgemeinen Teils des Strafgesetzbuches. Ausganspunkte und Begründungen], mit M. Ernits, P. Pikamäe und E. Samson, Tallinn 1999. Karistusseadustik. Kommenteeritud väljaanne [Strafgesetzbuch. Kommentierte Ausgabe], herausgegeben mit P. Pikamäe, 4. Aufl., Tallinn 2015.
3. Lehrbücher und Fallsammlungen Karistusõigus. Üldosa [Strafrecht. Allgemeiner Teil], (Hrsg.) Tallinn 2010.
4. Aufsätze in Zeitschriften und Sammelwerken Stand und Tendenzen der Strafrechtsreform in Estland, in: Eser / Kaiser / Weigend (Hrsg.), Von totalitärem zu rechtsstaatlichem Strafrecht. Freiburg 1993, S. 75 ff. Rechtsreform in Estland als Rezeptions- und Bildungsaufgabe, mit M. Luts, in: JZ 1998, S. 401 ff. Verbrechensbegriff und Tatbestand: Erfahrungen der russisch-sowjetischen Strafrechtswissenschaft und deren Ausstrahlungen in Estland, in: Ost-Europa Recht 1998, S. 57 ff.
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E. Samson, Kriminaalõiguse üldosa (Allgemeiner Teil des Strafrechts). Tallinn: Justiitsministeerium 2001.; E. Samson, Kriminaalõiguse eriosa (Besonderer Teil des Strafrechts). Tartu: Eesti Õiguskeskus 2005. K. Kühl, Karistusõigus. Üldosa (Strafrecht. Allgemeiner Teil). Tallinn: Juura 2002.
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Estland, mit J. Saar, in: Eser / Arnold / Kreicker (Hrsg.), Strafrecht in Reaktion auf Systemunrecht. Vergleichende Einblicke in Transitionsprozesse, S. 105 ff.; Criminal Law in Reaction to State Crime. Comparative Insights into Transitional Processes. Estonia, S. 111 ff., Freiburg 2000. Internationales Strafrecht – Integration des estnischen Strafrechts in das europäische Rechtssystem, mit M. Laatsit und P. Pikamäe, in: Ost-Europa Recht 2001, S. 188 ff. Fahrlässigkeit im estnischen Strafrecht – eine dogmatische Figur in der Erneuerung, in: Juridica International 2003/VIII, S. 73 ff. Estland und Island – Wegweiser in der Kodifizierung des Genbankenrechts, mit A. Nõmper, in: Amelung / Beulke / Rosenau / Lilie / Rüping / Wolfslast (Hrsg.), Festschrift für Hans-Ludwig Schreiber, Heidelberg 2003, S. 869 ff. Das estnische Strafgesetzbuch von 2002 – Ende oder Beginn der Strafrechtsreform?, mit M. Luts, in: ZStW 2005, S. 651 ff. Grundelemente der subjektiven Verantwortlichkeit im estnischen Strafrecht, in: Eser / Arnold / Trappe (Hrsg.), Strafrechtsentwicklung in Europa zwischen bewältigten und neuen Herausforderungen, Berlin 2005, S. 224 ff. Landesbericht Estland, mit E. Kergandberg, in: Gropp / Sinn (Hrsg.). Organisierte Kriminalität und kriminelle Organisationen. Präventive und repressive Maßnahmen vor dem Hintergrund des 11. September 2001. Baden-Baden 2007, S. 173 ff. Strafgesetz als Mittel zur Überwindung der Rechtsirritation, mit M. Luts, in: Rechtstheorie 2007, S. 355 ff. Landesbericht Estland, mit A. Markina, in: Dünkel / Lappi-Seppälä / Morgenstern (Hrsg.), Kriminalität, Kriminalpolitik, strafrechtliche Sanktionspraxis und Gefangenenraten im europäischen Vergleich. Mönchengladbach 2010, S. 263 ff. Estonia. Country Report, mit J. Ginter, in: Dünkel / Grzywa / Horsfield, (Hrsg.), Juvenile Justice Systems in Europe, Mönchengladbach 2010, S. 399 ff. Rechtsreform und Fortentwicklung des Strafrechts – die Rolle des Gesetzgebers und der höchstrichterlichen Rechtsprechung, in: Joecks / Ostendorf / Rönnau / Rotsch / Schmitz (Hrsg.), Festschrift für Erich Samson, Heidelberg 2010, S. 803 ff. Estland. Landesbericht, mit A. Parmas, in: Sinn (Hrsg.), Jurisdiktionskonflikte bei grenzüberschreitender Kriminalität. Ein Rechtsvergleich zum Internationa-
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len Strafrecht. A comparative law study on international criminal law, Osnabrück 2012, S. 279 ff.
5. Übersetzungen Wolfgang Joecks, Varalise kahju mõiste, in: Juridica 2011/IV, S. 257–270. Übersetzung von Wolfgang Joecks, Der Begriff des Vermögensschadens.
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https://doi.org/10.1515/9783110277708-022
Zoran Stojanović I. Ich wurde am 20. Dezember 1947 in Belgrad geboren. Dort verbrachte ich schließlich auch meine frühe Kindheit, meistens bei meinen Großeltern mütterlicherseits, weil sowohl mein Vater als auch meine Mutter nach 1948 Opfer der politischen Verfolgung geworden waren und mehrmals von dem damaligen Regime inhaftiert wurden. Anlass war der Konflikt mit der Sowjetunion bzw. der Konflikt zwischen Josip Broz und Stalin, jedoch waren auch andere Regimekritiker Opfer der politischen Verfolgung geworden. Meine Eltern hegten keine besonderen Sympathien für die Sowjetunion. Mein Vater hatte gute Beziehungen zu einigen Vertretern der italienischen Linken, da er den größten Teil des Zweiten Weltkrieges in Italien verbracht hatte1 und später in Rom lebte, wo er als Journalist und Korrespondent der Tageszeitung „Borba“ arbeitete. Die Vorwürfe gegen meine Mutter bestanden darin, dass sie Verwandte hatte, die tatsächlich gegen Broz und für Stalin waren. Andererseits jedoch war ihr Onkel Oberkommandierender in der Tschetnik-Armee in Montenegro und fiel schließlich auch als Oberst der jugoslawischen royalistischen Armee im Kampf gegen die Kommunisten. Am meisten litt sie im Arbeitslager, wo sie fast ein ganzes Jahr unter unerträglichen Bedingungen zur „Umerziehung“ verbrachte, sodass ich sie nach ihrer Rückkehr nicht mehr erkannte und behauptete, sie sei nicht meine Mutter, indem ich auf ein früheres Foto von ihr zeigend versicherte: „Das ist meine Mutter“. Neben der Kündigung und der Unmöglichkeit einer neuen Anstellung, der Vertreibung aus der Wohnung und der ständigen Beobachtung seitens der UDBA (Geheimdienst), erlitten meine Eltern zahlreiche weitere Unannehmlichkeiten, die meine frühe Kindheit beeinflussten. Somit entschied mein Vater, nach Podgorica (seiner Heimstadt) überzusiedeln, wo er dieser Repression nicht in einem solchen Maß ausgesetzt war, obwohl er auch dort weiter unter Beobachtung der Geheimpolizei stand. Weil er keine Anstellung finden konnte, eröffnete er als Jurist eine private Anwaltskanzlei. Nach einigen Jahren siedelte auch ich mit meiner Mutter und meinem jüngeren Bruder nach Podgorica über. Dort hatten wir einigermaßen gute und normale Lebensbedingungen. In Podgorica wurde die Fakultät für Rechtswissenschaften gegründet, wo mein Vater schließlich zum Professor ernannt wurde. Er schrieb 1
Zunächst war er dort in Gefangenschaft. Später hielt er sich dort auf, weil er sich der italienischen Widerstandsbewegung angeschlossen hatte.
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am meisten über Themen im Bereich der montenegrinischen Rechtsgeschichte, obwohl er Familien- und Erbrecht lehrte. Nach der Grundschule und der begonnenen Ausbildung am Gymnasium kam ich nach Belgrad zurück, wo ich meine restliche Schulzeit verbrachte. Obwohl am Gymnasium mein Interesse für Philosophie geweckt wurde und meine Abschlussarbeit aus diesem Fach stammte („Freiheitsproblem bei Jean-Paul Sartre“), hatte ich mich für meinen weiteren Weg zweifelsfrei für die Rechtswissenschaften anstatt der Philosophie entschieden. Mein Vater und sein Rechtsanwaltsberuf, sowie insbesondere seine wissenschaftliche Arbeit, hatten mich mittelbar beeinflusst, 1966 das Studium an der Fakultät für Rechtswissenschaften in Belgrad aufzunehmen und 1970 erfolgreich abzuschließen. Die erste Anstellung bekam ich in der Anwaltskanzlei meines Vaters, die sich überwiegend auf den Bereich des Strafrechts konzentrierte. Es handelte sich um eine angesehene Anwaltskanzlei und mein Vater galt als bester Rechtsanwalt in Montenegro, der Beschuldigte verteidigte, denen besonders schwere Straftaten vorgeworfen wurden. Als die Rechtsanwaltskammer in Montenegro gegründet wurde (früher war sie ein Teil der serbischen Rechtsanwaltskammer), wurde er zum ersten Präsidenten gewählt. Ich arbeitete angestrengt, weil er mich bei der Arbeit nicht schonte, aus Überzeugung, ich würde dadurch mehr lernen. Ansonsten war er überzeugt, dass eine spartanische Erziehung zu den besten Ergebnissen führt. Im Unterschied zu meiner Mutter, die mir gegen seinen Willen vor meiner ersten Anstellung alle Wünsche erfüllte (so kaufte sie mir noch zu meiner Gymnasialzeit ein Motorrad und später mein erstes Auto), wollte er mir nie Geld für etwas geben, was er als Luxus empfand oder was nach seiner Meinung meine weitere Ausbildung und Entwicklung negativ beeinflussen könnte. Als negatives Beispiel nannte er die Kinder der damaligen hohen politischen Amtsträger, die mit dem Dienstauto zur Schule gefahren wurden und meistens erfolglos in der Ausbildung waren. Die Wahl meines Berufes habe ich hauptsächlich spontan und wie selbstverständlich getroffen. Denn gewiss war die Juristerei eine Art Familienberuf (auch einer meiner Onkel war Jurist). Sogar mein Bruder entschied sich für diesen Beruf und ist heute ein renommierter Belgrader Rechtsanwalt. Eine meiner beiden Töchter entschied sich ebenfalls für die Rechtswissenschaften und arbeitet heute an einem wissenschaftlichen Institut in Belgrad (die andere Tochter ist Künstlerin), jedoch liegen ihre Interessen im Bereich des internationalen Rechts. Mein Interesse am Strafrecht wurde bei mir genau genommen nicht an der Juristischen Fakultät, sondern in der Anwaltskanzlei meines Vaters geweckt, wo ich als Anwaltsreferendar arbeitete. Seinem Rat nach sollte ich die Ausbil-
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dung fortsetzen, ein Nachdiplomstudium aufnehmen und später bei gegebener Gelegenheit Wissenschaft betreiben. Während des Studiums und unmittelbar danach hatte ich keine derartigen Ambitionen. Meine Studienleistungen variierten stark: Beginnend mit sehr guten Noten aus Fächern, die mich interessierten, bis hin zu befriedigenden Noten aus den Fächern, die ich nur als eine Verpflichtung wahrnahm, wie etwa Wirtschaft oder Politische Ökonomie.2 Mein Vater schlug mir aus zwei Gründen vor, die Nachdiplomstudien in Zagreb und nicht in Belgrad aufzunehmen: Erstens sollte ich eine andere rechtliche und kulturelle Tradition kennenlernen, und zweitens glaubte er, ich würde fleißiger in einer Stadt studieren, in der ich niemanden kannte. Bereits Ende 1971 kam ich nach Zagreb, wo ich anderthalb Jahre verbrachte, intensiv Vorlesungen besuchte und Prüfungen ablegte. Erst dann betrat ich die Welt des Strafrechts sowie der Rechtsvergleichung. Den größten Einfluss übte in dieser Hinsicht mein Professor Bogdan Zlatarić aus, der mir später auch als Mentor beim Verfassen meiner Magisterarbeit zur Seite stand. Ende 1973 erwarb ich den Titel „Magister in Rechtswissenschaften“. Meine Abschlussarbeit zum Thema „Schwere Verletzung der sexuellen Moral als ausschließliche Grundlage bestimmter Inkriminierungen“ wurde mit der Note „sehr gut“ bewertet. Im Jahr darauf schrieb die Juristische Fakultät in Belgrad eine Stelle für einen Assistenten im Strafrecht aus und zumal ich bereits den Magistergrad erworben und einige Arbeiten veröffentlicht hatte, reichte ich meine Bewerbung ein. Im Auswahlverfahren wurde schließlich jedoch einer Kollegin der Vorzug gegeben, die ich 1998 bei meinem Wechsel von der Fakultät in Novi Sad an die Fakultät in Belgrad als Dozentin kennenlernte und zu der ich ein gutes Verhältnis entwickelte. Obwohl sie damals zum Zeitpunkt ihrer Bewerbung ihr Studium gerade erst abgeschlossen hatte und ich bereits meinen Magistergrad erworben hatte, war ein anderes Kriterium bei dieser Angelegenheit genau genommen von größerer Relevanz: Damals wurde nämlich bei Stellenvergaben die „politische Eignung“, nicht nur des Bewerbers, sondern auch dessen Familie, stark berücksichtigt. Dass meine Familie in politischer Hinsicht deviant war, schien ein wichtiger Umstand bei der Wahl gewesen zu sein. Im Rückblick erwies es sich für mich jedoch in gewissem Sinne als Vorteil, dass ich die Stelle nicht erhalten hatte. Im Jahr 1976 ergab sich für mich an der Juristischen Fakultät in Novi Sad eine weitere gute Gelegenheit, um mich um eine Assistentenstelle zu bewerben. Ich nutzte die Chance, die sich mir hier bot, erhielt die Stelle und blieb dort schließlich über einen Zeitraum von 2
Auch heute noch werden an Juristischen Fakultäten in Serbien viele außerrechtliche Fächer unterrichtet.
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22 Jahren. Insbesondere für Assistenten (und später auch für junge Professor/ -innen) wies die Fakultät in Novi Sad weitaus bessere Bedingungen auf als die Belgrader Fakultät. Ich begann mit dem Reisen und verbrachte viel Zeit im Ausland, beginnend mit einem Aufenthalt als Stipendiat in Oxford im Jahr 1978 bis zu meinem anderthalbjährigen Aufenthalt als Humboldt-Stipendiat in Freiburg. Die Universität in Novi Sad befand sich in ständiger Kooperation mit mehreren europäischen Universitäten. So ergab es sich, dass ich sehr oft als Gast des Professors F.-Ch. Schroeder Regensburg besuchte und in der Zeit der damaligen DDR auch mehrfach nach Halle reiste. Meine Doktorarbeit mit dem Titel „Kriterien für die Bestimmung der Inkriminierungen“ meldete ich bei Professor Ljubo Bavcon an der Juristischen Fakultät in Laibach an. Ich wählte ihn zum Mentor, da mein Interesse vor allem kriminalpolitischen Themen galt und seine Ansichten meinen nahe lagen. Das vorrangige Anliegen meiner Dissertation lag in der Bestimmung materieller Kriterien, deren Berücksichtigung sich der Gesetzgeber bei der Beurteilung, ob ein bestimmtes Verhalten als Straftat zu bewerten sei oder nicht, zu verpflichten hätte. Dies beinhaltete die Frage, wie der Gesetzgeber bei Beurteilungen in seiner Arbitrarität eingeschränkt werden könnte bzw. wie Grenzen gesetzt werden könnten, bei deren Missachtung der Gesetzgeber in die Illegitimität geraten würde. Letzten Endes fand ich – wie viele andere Kollegen aus dem Strafrecht auch – weder damals noch später, als ich mich mit dieser Thematik weiter befasste, eine zufriedenstellende Antwort auf jene Frage. Dennoch verhalf mir die Bearbeitung dieser und ähnlicher Fragen zur Entwicklung einer kritischen Position gegenüber dem Gesetzgeber und der Bestimmung von Kriterien zur Beurteilung seiner Arbeit. Als ich später öfter selbst bei Gesetzesprojekten mitwirkte, sah ich ein, dass der Anspruch, dem Gesetzgeber stets die höchsten Standards aufzuerlegen und ihn daran zu binden, sich bei der Gestaltung des Strafrechts immerzu auch an wissenschaftlichen Erkenntnissen zu orientieren, schlichtweg nicht realistisch ist. Nach meiner Promotion 1981 wurde ich als Dozent für Strafrecht an der Juristischen Fakultät in Novi Sad tätig. In dem ehemaligen Jugoslawien (sowie derzeit in Serbien) war eine Habilitationsschrift nicht vorgesehen, jedoch liegen die Standards für eine Doktorarbeit höher als für Dissertationen in Deutschland, gleichzeitig aber auch niedriger als für eine Habilitationsschrift.
II. Bei meiner wissenschaftlichen Arbeit habe ich mich lange an kriminalpolitischen Themen orientiert, was sich auch durch meinen Aufenthalt von anderthalb
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Jahren am Max-Planck-Institut in Freiburg nicht änderte. Obwohl ich damals die deutsche Strafrechtsliteratur lesen und benutzen konnte, hielt ich die rechtspolitischen, rechtstheoretischen und rechtsphilosophischen Themen im Strafrecht für bedeutender als rechtsdogmatische Themen. Zeitweilig hatte ich auch eine gewisse Affinität zu einigen strafrechtlich und kriminalpolitisch angrenzenden Themen aus dem Bereich der kriminologischen Theorie. Einen Wandel in Richtung der rechtsdogmatischen Themen brachte schließlich mein Wechsel an die Juristische Fakultät in Belgrad im Jahr 1998 mit sich. Dort wird das Strafrecht traditionsgemäß als Dogmatik verstanden – diese war jedoch in ganz Serbien und primär im ehemaligen Jugoslawien im Vergleich zu Deutschland veraltet und überholt. Im Grunde verharrte sie auf dem Stand derjenigen in Deutschland zu Zeiten Bindings und Liszts. Einen wichtigen Einfluss darauf übte einst vor allem auch ein serbischer Professor für Strafrecht aus, der in der Zeit zwischen den Weltkriegen eine besonders starke Stellung hatte und im jugoslawischen Königreich eine absolute Autorität im Bereich des Strafrechts darstellte. Es handelte sich um Toma Živanović, der ein rein objektives Verständnis des Straftatbegriffes vertrat, sowie die Aussonderung des Verbrechers (des Schuldigen) in einen besonderen strafrechtlichen Begriff, den er auf derselben allgemeinen Ebene ansiedelte wie den Straftatbegriff, forderte.3 Für mich bot sich hierdurch eine Gelegenheit, viele neue Ansätze in die strafrechtliche Theorie in Serbien einzubringen. Dabei haben mich meine deutschen Strafrechtslehrer und deren Werke beeinflusst. Das Lehrbuch für Strafrecht – Besonderer Teil hatte ich bereits gemeinsam mit Professor Obrad Perić, meinem jahrzehntelangen Freund und Hochschullehrer, an der Juristischen Fakultät in Novi Sad verfasst, so dass ich nach dem Wechsel an die Juristische Fakultät in Belgrad sogleich damit begann, den Allgemeinen Teil des Lehrbuchs für Strafrecht zu schreiben. Zu diesem Zeitpunkt hatte ich bereits mehrere Auflagen der Kommentare zum damals gültigen Strafrecht veröffentlicht, was die Arbeit teilweise erleichterte. Das einzig seriöse Lehrbuch für Strafrecht (Srzentić / Stajić) war, zumal seine erste Auflage bereits fünfzig Jahre zurücklag, überholt, obwohl es von Professor Lazarević hinsichtlich des positiven Rechts aktualisiert worden war. Da das spätere veröffentlichte Lehrbuch (Bačić) damals (nach der kroatischen Unabhängigkeitserklärung) zur ausländischen Literatur zählte, hatte ich die 3
S. Z. Stojanović, Verbrechenslehre aus der Sicht des Serbischen Strafrechts. In: Festschrift für Claus Roxin zum 80. Geburtstag, (Hrsg. Christian Jäger et al) Carl Heymanns, Köln 2011, S. 1594–1595.
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einmalige Gelegenheit und den Freiraum zur Modernisierung der serbischen Lehrbücher. So führte ich in Serbien schließlich unter Heranziehung der deutschen Strafrechtsliteratur (teilweise auch der italienischen) zahlreiche Ansätze ein, die, wenn auch nicht weltweit, so jedoch im serbischen Strafrecht eine absolute Neuheit darstellten. Hinsichtlich des allgemeinen Verbrechensbegriffs brachte ich unter Einfluss der deutschen Theorie und teilweise der serbischen Tradition vier Elemente ein und betonte ihre Reihenfolge und Bedeutung. Im Unterschied zu den herrschenden deutschen Auffassungen führte ich den Aspekt der Handlung ein – nicht nur weil dies der allgemein angenommenen Auffassung in Serbien entspricht, sondern auch, weil der Handlung meiner Ansicht nach bei der Bestimmung des Verbrechenbegriffes eine große Bedeutung zukommt. Darüber hinaus ließ ich die gesellschaftliche Gefahr aus, die unter Einfluss des sowjetischen Strafrechts in unser Strafrecht gelangt war. Obwohl das jugoslawische Strafrecht längst vom Einfluss des sowjetischen Strafrechts befreit wurde und ein Vorbild im westeuropäischen Strafrecht suchte, blieben die gesellschaftliche Gefahr und der materielle (im Unterschied zu dem formalen) Verbrechensbegriff in der Theorie und in der Gesetzgebung bis zur Verabschiedung des derzeit gültigen und am 1. Januar 2006 in Kraft getretenen serbischen StGB erhalten. Dennoch behielt ich die gesellschaftliche Gefahr im Allgemeinen Teil als materielle Seite der Tatbestandsmäßigkeit (und nicht der Rechtswidrigkeit, wie durch Liszt vertreten) als sogenanntes Gesetzgebungsmotiv der Inkriminierung bei, indem ich sie mit dem Schutzobjekt (bzw. dem Rechtsgut) als kritisches Kriterium zur Eingrenzung des Strafrechts in Relation bringe. Ferner entschied ich mich bei der Schuld für einen gemischten psychologisch-normativen Ansatz. Dies entspricht mittlerweile der vorherrschenden Auffassung in Serbien, obwohl ein ausgeprägter Widerstand gegen die normative Schuldkomponente in der früheren serbischen strafrechtlichen Literatur festzustellen ist, wo die Schuld ausschließlich psychologisch verstanden wurde.4 Die Beschränkung der Schuld würde nichtsdestotrotz auf einer ausschließlich normativen Ebene für die serbische Theorie und Rechtsprechung inakzeptabel werden, sowie meiner Meinung nach auch den Begriff „entleeren“ und verarmen, kurzum: zu unbestimmt werden lassen. Insofern nehme ich die Kompro4
Das war keine Folge eines mangelnden Informationsstandes oder ausbleibender Berücksichtigung der ausländischen und vorab deutschen Theorie. Im Gegenteil, Ž. Topalović hat bereits 1911 unter Berücksichtigung der Auffassung von R. Frank die gemischte psychologisch-normative Theorie vertreten. Vgl. Ž. Topalović, Granične međe umišljaja i nehata (Grenzlinie zwischen Vorsatz und Fahrlässigkeit), Beograd 1911.
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misstheorie – die in der deutschen Fachliteratur kaum vertreten wird – über die zweifache Funktion des Vorsatzes und der Fahrlässigkeit an, die in ihrer abstrakten Form als Tatmerkmale vorkommen und gleichzeitig auch Schuldformen darstellen. Bezüglich des Verbotsirrtums vertrete ich (im Unterschied zu der derzeit nicht bezweifelten Auffassung des ignorantia iuris nocet) die in der europäischen Literatur vorherrschende Position, dass der unvermeidbare Verbotsirrtum die Schuld und damit das Verbrechen ausschließt. Meine Ansichten unterschieden sich auch bei zahlreichen weiteren Fragen von den früheren Positionen in der serbischen und jugoslawischen Theorie. So ist es beispielsweise nicht einfach, eine Erklärung dafür anzubringen, weshalb die Aufteilung in Erfolgsdelikte und Tätigkeitsdelikte in der serbischen und jugoslawischen strafrechtlichen Literatur schon lange als überholt gilt und folglich aufgegeben wurde. Obwohl auch in der deutschen Literatur ausnahmsweise Positionen vertreten werden, nach denen jedem Verbrechen ein Erfolg zugeschrieben wird,5 stellte dies in der serbischen Literatur lange ein Dogma dar, das schwer zu verändern war. Die Gesetzgebungsarbeit war für mich stets eine Herausforderung. Die Gestaltung und Schaffung einer strafrechtlichen Norm fordert neben dem theoretischen Wissen auch besondere Fähigkeiten. Oft ist es nicht leicht, durch eine Norm etwas zu definieren, was ansonsten vollkommen verständlich ist, wenn es in der Theorie oder in einer wissenschaftlichen Arbeit vertreten wird. Besonders betonen möchte ich meinen Einsatz bei dem Verfassen eines Entwurfs für das montenegrinische Strafgesetzbuch 2003 und später 2004 bei der Verfassung des serbischen StGB – wobei ich auch bereits vorher und auch noch danach an Gesetzesprojekten beteiligt war. In jenen Fällen war ich jedoch mit der selbstständigen Vorbereitung des Entwurfs beider Strafgesetzbücher beauftragt. Danach entschied darüber eine dafür gegründete Kommission, die nach kleineren Änderungen den vollständigen Entwurf annahm. Die Zeit war allerdings ein beschränkender Faktor. Das Gesetzesprojekt sollte binnen weniger Monate vorbereitet werden. Es wäre nahezu unmöglich gewesen und ich hätte wahrscheinlich den Auftrag des zuerst montenegrinischen und danach serbischen Justizministeriums nicht annehmen können, wenn ich nicht bereits einen fertigen Entwurf des Strafgesetzbuches gehabt hätte, an dem wir vorher bereits jahrelang gearbeitet hatten. Eben jener Entwurf sollte in der ehemaligen Bundesrepublik Jugoslawien ein gemeinsames Strafgesetzbuch für Serbien und Montenegro werden. Aus politischen Gründen kam es hierzu letzten Endes zwar nicht, doch der Entwurf erfüllte trotzdem seinen Zweck, da ich ihn als 5
G. Freund, Münchener Kommentar zum Strafgesetzbuch, 2. Aufl., 2011, S. 564–565.
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Grundlage für beide Strafgesetzbücher heranziehen konnte. Darüber hinaus konnte ich besonders im Allgemeinen Teil einige persönliche und von mir bereits vorab im eigenen Lehrbuch vertretene Positionen mitaufnehmen. Beide Strafgesetzbücher wurden verabschiedet, wobei das montenegrinische StGB im Jahre 2004 und das serbische StGB am 1. Januar 2006 in Kraft traten. Schließlich beendete die Kommission zur Vorbereitung des Gesetzes, deren Vorsitzender ich war, bezüglich der Änderungen des serbischen StGB ihre Arbeit, durch die Zustellung des Gesetzesentwurfes (mit Begründung) an das Justizministerium, wo er nach der Genehmigung vonseiten der Regierung in das Parlament eingebracht wurde. Im Verlauf meiner wissenschaftlichen Karriere nahm ich an zahlreichen internationalen Veranstaltungen teil. Eine der ersten war der V. Europäische Kongress der sozialen Verteidigung Anfang 1984, auf dem ich einen Vortrag mit dem Thema: „Im Vorfeld einer Entkriminalisierungspolitik“ hielt. Bei dieser Gelegenheit lernte ich, neben anderen, auch Herrn L. Hulsman kennen, dessen abolitionistische Ideen mir gewissermaßen nahe lagen, jedoch nicht vollkommen annehmbar waren. Damals wie heute fand ich, obwohl ich immer an der Linie des strafrechtlichen Minimalismus lag, dass die Umsetzung des Abolitionismus (abgesehen davon, dass kein Staat sie akzeptieren würde) sehr riskant wäre und es neben der nützlichen Kritik des Strafrechts auch eine Gefahr verkörpert, das Strafrecht durch etwas noch Schlimmeres zu substituieren. Im Rahmen meiner persönlichen Erfahrung habe ich den Eindruck gewonnen, dass das Abhalten von Tagungen und Kongressen, sei es im In- oder Ausland, keinen wesentlichen Beitrag zu wissenschaftlichen Fortschritten leistet. Diese Veranstaltungen sind aus meiner Sicht dennoch sehr sinnvoll und bieten eine gute Gelegenheit, Kollegen zu treffen, sich mit ihnen zu aktuellen Themen auszutauschen und in diesem Zuge auch neue Anregungen zu erhalten. Was ich zudem mit Sicherheit sagen kann, ist, dass meine einstigen und heutigen Kontakte zu meinen Kollegen im In- und Ausland meine wissenschaftliche Arbeit bislang stets bereicherten. In meiner Zusammenarbeit mit ausländischen Kollegen überwiegen die Kontakte zu deutschen Strafrechtsprofessoren. Besonders unterstreichen möchte ich die bereits jahrzehntelange Zusammenarbeit mit dem Ehepaar Roxin. Jede unserer Begegnungen stellte für mich ein sehr angenehmes Erlebnis dar. Unsere Gesprächsthemen waren dabei stets nicht nur auf das Strafrecht beschränkt, sondern bezogen sich auf zahlreiche weitere Gebiete, ausgenommen von politischen. An dieser Stelle erwähnenswert ist außerdem ein Ereignis, das zwar auch in einem politischen Kontext zu verorten ist, jedoch für die wissenschaftliche Zusammenarbeit von viel größerer Bedeutung war. Es handelte sich um eine Stellungnahme des
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Ehepaars Roxin bei einem Besuch in Serbien anlässlich unserer Jahrestagung in den 1990er Jahren, zu einer Zeit, als die Wirtschaftssanktionen gegen die Bundesrepublik Jugoslawien in Kraft waren. Ich berichtete, wie mich Professor G. Heine zur Teilnahme an einem unter seiner Leitung stehenden MPI Forschungsprojekt eingeladen hatte. Nachdem ich sein Angebot angenommen hatte, erhielt ich einen Brief von ihm, in dem er mir mitteilte, dass ich an dem Projekt leider nicht teilnehmen könne, da einer Entscheidung des Senats der Max-Planck-Gesellschaft zufolge mit Wissenschaftlern aus der Bundesrepublik Jugoslawien nicht kooperiert werden solle. Er entschuldigte sich in seinem Namen hierfür bei mir und bewertete es als große Torheit – dennoch müsse der Entscheidung des Senats Folge geleistet werden. Die Reaktion des Ehepaars Roxin auf diese Information fiel sehr vehement aus: Professor Roxin brachte klar zum Ausdruck, dass seiner Überzeugung nach in der Wissenschaft keinerlei Sanktionen eingeführt werden dürfen, da sie grenzenlos sei. Er ließ mich wissen, dass er sich nach seiner Rückkehr in Deutschland persönlich dafür einsetzen würde, dass solche Sachen nicht mehr vorkämen. Auch zu anderen deutschen Professoren hatte ich gute und nützliche Kontakte. So empfing mich beispielsweise gleich bei meiner Ankunft am Max-PlanckInstitut Professor Jescheck, der eigentlich mein wissenschaftlicher Betreuer hätte sein sollen. Aufgrund seiner Emeritierung übernahm jedoch schließlich Professor Eser die Betreuung. Mit beiden Professoren führte ich herzliche und interessante Gespräche. Eine besonders gute Zusammenarbeit bestand mit dem mittlerweile verstorbenen Professor G. Heine, mit dem ich während meines Aufenthaltes gemeinsam an einem MPI-Forschungsprojekt arbeitete und bei dem ich später zwei Monate zu Gast in Gießen war. Auch zu Professor K. Kühl aus Tübingen habe ich herzliche Beziehungen aufgebaut, sowie zu dem heutigen MPI-Direktor Prof. U. Sieber und zahlreichen weiteren deutschen Strafrechtsprofessoren.
III. Funktionen politischen Charakters nahm ich ebenfalls wahr – sofern sie in irgendeiner Form mit dem Strafrecht verbunden waren. Obwohl mich die Politik an sich nicht sonderlich interessierte, war ich damals überzeugt gewesen, dass auch auf diesem Wege etwas Sinnvolles für das Strafrecht und die Rechtspflege geleistet werden konnte. Obwohl ich noch heute einige Ämter innehabe (Mitglied des Hohen Justizrats, serbischer Vertreter in der ICC Versammlung, Präsident des Ehrengerichts in der Serbischen Wirtschaftskammer), war das bislang bedeutendste Amt, das ich bekleidete, das des Bundesjustizministers, in dem ich jedoch weniger als die Hälfte meiner Amts-
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zeit verbrachte. Entgegen meiner Erwartungen stellte sich heraus, dass sich die politische Arena eben doch nur sehr eingeschränkt dazu eignet, um dem Wohl des Strafrechts und der allgemeinen Rechtspflege zu dienen. So hatte ich als Bundesjustizminister, unter anderem auch wegen der engen Zuständigkeit auf der Bundesebene (die einer Konföderation ähnelte), keine großen Möglichkeiten, viel für das Rechtssystem zu leisten – und noch weniger für das Strafrecht. Immerhin habe ich im Gesetz über die Änderungen des jugoslawischen Strafgesetzes von 1993, an dessen Vorbereitung ich selbst beteiligt war (auch wenn das genau genommen nicht die Aufgabe eines Ministers ist), die Abschaffung der Todesstrafe vorgeschlagen, was im Parlament schließlich auch beschlossen wurde. All das hatte jedoch nur eine sehr beschränkte Reichweite, da die Gesetzgebung im Strafrecht im Zuständigkeitsbereich der Republiken (bzw. Serbien und Montenegro) lag, welche die Todesstrafe für Mord und schwere Fälle des Raubes und des räuberischen Diebstahls, die als selbstständige Verbrechen ihrem Wesen nach auch eine Form des Mordes darstellen, beibehalten haben. Eine der wichtigen Aufgaben, die ich als Minister wahrnehmen musste, war die Frage der Gründung und der Arbeit des ad hoc Tribunals für das ehemalige Jugoslawien. Meine kritische Einstellung gegenüber dem Tribunal vom Standpunkt eines Strafrechtlers mit langjähriger kritischer Stellung gegenüber den Bestrafungsmöglichkeiten des Strafrechts (auch wenn sie nach den im Strafrecht gültigen hohen Standards ergehen, was bei dem Tribunal meiner Meinung nach nicht der Fall war), entsprachen scheinbar der damaligen regierenden politischen Elite. Nach so vielen Jahren habe ich immer noch den Eindruck, dass S. Milošević die Bedeutung des Tribunals und die Möglichkeit, selbst vor dem Tribunal zu stehen, unterschätzte. Da ich Minister auf Bundesebene war, erhielt ich keine Gelegenheit, mich mit ihm zu treffen. Einige Male hatte ich jedoch zu dem Präsidenten der Bundesrepublik Jugoslawien D. Ćosić dienstlichen Kontakt gehabt, vorrangig in Verbindung mit Begnadigungen. Als Minister war ich der Vorschlagende und er als Staatschef der Entscheidungsträger, jedoch sagte er mir, er kenne sich in diesem Bereich nicht sonderlich gut aus und werde alles von mir Vorgeschlagene annehmen. Das Tribunal und internationales Strafrecht waren allerdings nie unsere Gesprächsthemen, so dass er zumindest aus meiner Wahrnehmung heraus das Tribunal nicht besonders ernst nahm. Abgesehen von meinen gewöhnlichen Tätigkeiten eines Ministers (v.a. Verwaltungsaufgaben) schlug ich über die Regierung einige Gesetze vor, obwohl ich im Grunde genommen bereits im Voraus wusste, dass der politische Wille bei den regierenden Parteien nicht vorhanden war – etwa das vorgeschlagene Gesetz über Rehabilitierung politisch Verurteilter und Sträflinge, erstellt seitens der Kommission unter meiner Leitung in der Zeit vor
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meinem Ministeramt oder das Gesetz über Denationalisierung bzw. eine Rückgabe des entzogenen Vermögens. Ich war einer der wenigen Minister der damaligen Regierung, der Kontakt zu Vertretern ausländischer Staaten und internationaler Organisationen hatte. Diese Kontakte reduzierten sich dennoch infolge der eingeführten Sanktionen gegen Jugoslawien auf ein Minimum. Einige dieser Kontakte waren ziemlich unangenehm und fast unschicklich. So kam der Botschafter (formal Geschäftsträger, da einige Staaten aufgrund der Sanktionen dieses Amt auf die Geschäftsführung eingeschränkt hatten) eines einflussreichen Staates mehrmals zu mir und verlangte, ich solle als Minister konkrete Gerichtsverfahren und außerdem die Behörden der Republika Srpska in Bezug auf die Festnahmen einiger Armeeangehörigen dieses Staates beeinflussen – was ich schließlich allerdings nur über die Medien erfuhr. Auf mein Entsetzen und meine Frage hin, wie ich, selbst wenn es mein Wille wäre, auf die Behörden (und noch dazu im Militär) der Republika Srpska Einfluss ausüben könne, ohne mit diesen formal oder informal in Kontakt zu stehen, entgegnete er, er sei sich dessen bewusst, doch andererseits habe man in diesem Fall alles zu versuchen, da es sich schließlich um Bürger seines Landes handele. Auf der anderen Seite war ich von dem Besuch des deutschen Botschafters (Geschäftsträgers) angenehm überrascht. In Erwartung erneuter unangenehmer Fragen und Anforderungen, für die ich nicht zuständig war und die zudem nicht im Einklang mit dem nationalen Rechtssystem standen, teilte mir der damalige Geschäftsträger mit, er sei gekommen, um die Bundesrepublik Jugoslawien (bzw. Serbien) zur Teilnahme an einem internationalen Treffen in Bremen einzuladen. Diese Einladung nahm ich natürlich unter der Bedingung an, dass unser Vertreter mit seiner Funktion (Richter am Obersten Gerichtshof) und seinem Heimatland vorgestellt werde. Oft hatte dieses Problem bestanden, da einige Länder die Sanktionen gegen Jugoslawien zu weitläufig aufgefasst hatten. Wenn auch unsere Vertreter an einigen Veranstaltungen teilnehmen durften, geschah das unter der Bedingung, ohne offizielle Angabe ihres Amtes und des Staates, aus dem sie kamen, aufzutreten. Der Geschäftsträger sah in meinem Wunsch kein Problem und versicherte, dass der die Bundesrepublik Jugoslawien vertretende Richter vor sich ein Schild mit Angabe seiner Funktion und des Staates haben werde. Hinsichtlich der Kontakte mit internationalen Organisationen möchte ich zwei Treffen mit Professor Ch. Bassiouni, dem Vorsitzenden der UN-Expertenkommission, nennen, die Informationen über die Verbrechen im Gebiet des ehemaligen Jugoslawien einholen sollten. Diese Treffen fanden zwar de facto statt, jedoch stellte sich später heraus, dass er die Berichtigung eines Fehlers (die für
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mich von großer Bedeutung gewesen wäre) in seinem bekannten Buch über das internationale Strafrecht für unnötig hielt. Er zitierte darin, wie ich feststellen musste, einen längeren Brief an das Tribunal vom 20. Dezember 1994 und behauptete, ich hätte diesen in meiner Funktion als Bundesjustizminister verfasst. Mit dem Brief sollte gezeigt werden, dass die damalige Bundesrepublik Jugoslawien und die Republika Srpska mit dem Tribunal nicht zusammenarbeiteten und das Tribunal aus diesem Grund in den ersten Jahren ineffizient gearbeitet hätte.6 Jener Brief war jedoch nicht von mir verfasst worden – zu dieser Zeit war ich zudem nicht länger Bundesjustizminister – und insofern bat ich ihn bei einem Symposium in Syrakus, diesen Fehler zu berichtigen, da dies Teil seines einleitenden Referats war. In diesem Referat stand schließlich, dass ich den Brief als Vizepremier der Bundesregierung verfasst hätte. Prof. Bassiuoni hatte somit lediglich die Berichtigung der Funktion und nicht diejenige des Autors vorgenommen.7 Man sollte auch das Jahr 1999 erwähnen. Es waren für uns schwere Zeiten gewesen. Während der Bombenangriffe wurde entschieden, dass in Deutschland, und zwar in Bonn, eine Konferenz gegen die Luftangriffe auf Serbien veranstaltet werden sollte. Entschieden wurde außerdem, dass ich zu dieser Konferenz reisen sollte, was eine interessante Erfahrung war, beginnend mit der Reise selbst, wo bis zur Staatsgrenze die Detonationen hörbar waren (geflogen bin ich aus Budapest), bis zur Ankunft bei der Veranstaltung in Deutschland, die eigentlich vollkommen problemlos verlief. Ich verstand es als meine Pflicht gegenüber meinem eigenen Land, trotz geringer Aussichten, die öffentliche Meinung im Ausland durch eine Veranstaltung zu verändern bzw. es wenigstens zu versuchen. Nach den Luftangriffen nahm ich später an einem Prozess vor dem alternativen Tribunal in Organisation einiger Friedensbewegungen und Einzelpersonen in Deutschland (Berlin) teil. Diese Veranstaltung war aus meiner Sicht sehr erfolgreich und das Verfahren selbst glich einem Verfahren vor einem echten Gericht. Obwohl viele Deutsche anwesend waren, hat dieses Ereignis interessanterweise keine Medien angezogen. Aus meiner Sicht, die ich in einigen meiner Arbeiten darlegte, handelte es sich damals um eine Aggression gegen die Bundesrepublik Jugoslawien, bei der mehrere Kriegsverbrechen begangen wurden, und nicht um eine humanitäre Interventi6 7
Vgl. M. Ch. Bassiouni, Introduction to International Criminal Law, New York 2003, S. 429. Den Brief verfasste und unterzeichnete der damalige Bundesvizepremier U. Klikovac. Das führte mich zu dem Gedanken, dass auch weitere Tatsachenangaben in einigen Arbeiten des Professors Bassiouni, den ich ansonsten im Bereich des internationalen Strafrechts sehr schätze, falsch sein könnten.
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on, die dieses schwere internationale Verbrechen ausschließen würde. Obwohl wir uns heute über die rechtliche Qualifizierung dieser Handlung nicht einigen können, war es jedenfalls ein Akt gegen das gültige internationale Recht, was meistens auch von denen anerkannt wird, die diesen zu rechtfertigen versuchten.
IV. Für meine Arbeiten in der Strafrechtswissenschaft sowie bei der Vorbereitung der Gesetzesprojekte hatte die Rechtsvergleichung für mich eine besondere Bedeutung. Und zwar nicht nur im engeren Sinne, als Vergleichung der strafrechtlichen Gesetzgebung einiger Länder, sondern auch als Berücksichtigung der Ergebnisse ausländischer Strafrechtswissenschaft, vorrangig derjenigen in Deutschland. So hatte mich bei meinen wissenschaftlichen Arbeiten und bei der Vorbereitung der Gesetzesprojekte die deutsche Strafrechtswissenschaft mehr inspiriert als die deutsche strafrechtliche Gesetzgebung an sich. Die Rechtsvergleichung ist nämlich aus meiner Sicht eine Inspiration und ein Anlass zum Überlegen, vor allem in dem Sinne, dass eine Frage auf unterschiedliche Arten gelöst werden kann (manchmal mit gleichem Erfolg). Die Rechtsvergleichung, richtig verstanden, trägt auch dazu bei, die Ausschließlichkeit zu vermeiden, die in der Wissenschaft nicht willkommen ist. Ansonsten sollte die Rechtsvergleichung als Methode bei der Vorbereitung der Gesetzesprojekte nicht im Sinne der direkten Übernahme ausländischer Lösungen verstanden werden. Serbien hat eine lange Tradition einer ausgeprägten Achtung dieser Methode, und zwar in dem Sinne, wie es normalerweise praktiziert werden soll. Niemals wurden die Lösungen aus ausländischen Gesetzen abgeschrieben bzw. direkt in das nationale Strafrecht übernommen. Man kann nur darüber diskutieren, ob diese oder jene Lösung aus der ausländischen Gesetzgebung einen großen Einfluss bei der Einfügung bestimmter Lösungen in das serbische (bzw. jugoslawische) Strafrecht hatte. In diesem Sinne hat Serbien eine gute Tradition. Als Beispiel kann ein umfangreiches Buch, herausgegeben vom serbischen Justizministerium im Jahr 1910, genannt werden, in dem das Projekt des neuen serbischen Strafgesetzes mit Motiven bzw. Erklärungen und Erläuterungen veröffentlicht wurde.8 Dabei wurden Lösungen aus dem damaligen Strafrecht der europäischen Staaten dargestellt, die berücksichtigt wurden, und zwar mit ihren Vorteilen und Nachteilen. Die Anwendung einer rechtsvergleichenden Methode ließ in einigen Fällen den Schluss zu, dass die bestehenden Lösungen 8
Projekat i motivi Kaznenog zakonika za Kraljevinu Srbiju, službeno izdanje Ministarstva pravde, Beograd 1910.
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im nationalen Recht besser waren, als die im ausländischen Recht und infolge dessen beizubehalten waren. Dementsprechend waren ein kritischer Ansatz und die Bewertung des ausländischen Rechts immer mehr oder weniger präsent. In der neueren Zeit scheint sich das aus vielen Gründen geändert zu haben, und zwar, aus meiner Sicht, im negativen Sinne. Es kommt vor, dass bestimmte Lösungen aus dem ausländischen Recht unkritisch übernommen werden, und zwar gerade aus den Rechtssystemen, die Serbien fremd sind (anglosaxonisches Recht). Besonders ausgeprägt ist das in der letzten Zeit im Bereich des Strafverfahrensrechts, wo viele unmodifizierte Lösungen aus dem amerikanischen Recht übernommen wurden. Dazu trägt wahrscheinlich noch die weitere negative Erscheinung bei, dass die Zeit für die Vorbereitung der Gesetzesprojekte immer kürzer wird. Anstelle einer langjährigen Arbeit wird diese heutzutage bestenfalls auf einen mehrmonatigen Zeitraum beschränkt und oft entscheidet man sich in diesem Fall für die komplette Übernahme der Lösungen aus einem ausländischen Recht. Ein weiterer Faktor hat dazu geführt, dass die Rechtvergleichung simplifiziert und auf eine direkte Annahme des Instituts und der Lösung aus einem ausländischen Recht ausgerichtet ist. Es scheint der Einfluss einiger bei der Gesetzesvorbereitung teilnehmenden ausländischen Experten zu sein. Obwohl es ein kleines Land ist, hat Serbien genügend eigene fähige Experten für die Vorbereitung geeigneter Gesetzesvorschläge. Dennoch kann in der letzten Zeit beobachtet werden, dass viele ausländische Experten eingesetzt werden, die oft auch ohne Einladung bestrebt sind, an der Vorbereitung des materiellen und prozessualen Strafrechts in Serbien mitzuwirken. Ihre Meinung kann natürlich hilfreich sein, aber nicht selten sind diesen Experten das Rechtssystem und das Strafrecht in Serbien unbekannt und manchmal kann auch ihr Fachwissen angezweifelt werden. Es lässt sich weiter feststellen, dass es sich bei den Experten im strafrechtlichen materiellen und prozessualen Recht sehr selten um Deutsche handelt, was angesichts der entwickelten Theorie und Rechtsprechung im Bereich des Strafrechts sowie der traditionellen serbischen Orientierung an der deutschen Theorie des Strafrechts von großem Nutzen wäre und in der Fachöffentlichkeit in Serbien gut aufgenommen würde. Neben der wissenschaftlichen Arbeit und der Arbeit an Gesetzesprojekten im Bereich des Strafrechts ist für mich als Professor die Lehre sehr wichtig. Im Unterschied zur Juristischen Fakultät in Novi Sad hat die Belgrader Fakultät für Rechtswissenschaften sehr viele Studierende (in den letzten Jahren hat sich diese Zahl reduziert) und viele (meistens) mündliche Prüfungen. Ich war Doktorvater bei der Anfertigung von 19 Doktorarbeiten (sieben Doktoranden
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sind mittlerweile zu Professoren an rechtswissenschaftlichen Fakultäten und an der Kriminalpolizei-Akademie in Serbien benannt worden) sowie bei vielen Magister- und Masterarbeiten. Auch an der Vorbereitung der Dienstordnung für die juristische Staatsprüfung war ich beteiligt und war schließlich an der Fakultät mehrere Jahre lang Leiter des Seminars zur Vorbereitung auf die juristische Staatsprüfung. Drei weitere jüngere Kollegen sowie drei Assistenten lehren in diesem Fach und der Lehrstuhl für Strafrecht (eingerichtet nach dem Prinzip der verwandten Fächer), ist personell ausgebaut worden. Darüber hinaus leite ich auch die Doktorstudien (in allen Bereichen), die bereits mehrere Jahre nach dem Bologna-Prinzip organisiert sind. Gelehrt und beteiligt habe ich mich auch in anderen Formen (Kommission für die Verteidigung der Magister- und Doktorthesen an mehreren Fakultäten in Serbien, Montenegro und Bosnien und Herzegowina (Republika Srpska)). Heute noch unterrichte ich neben meiner Heimatfakultät in Grund- und Nachdiplomstudien in Montenegro (Podgorica) und Republika Srpska. Veröffentlicht habe ich insgesamt über 200 Arbeiten. Unter ihnen sind auch Lehrbücher für Strafrecht, und zwar zum Allgemeinen Teil, in der 24. Auflage und zum Besonderen Teil mit 18 Auflagen. Der Kommentar des serbischen Strafgesetzbuches wurde kürzlich wesentlich geändert, ergänzt und als sechste Auflage veröffentlicht. Ich hoffe, dass ich mich noch einige Jahre der wissenschaftlichen Arbeit und dem Schreiben widmen kann. Obwohl mir das Schreiben nicht leicht fällt, bereitet mir die fertige Arbeit eine große Freude. Wenn ich mich von zwei Aufgaben eines Universitätsprofessors für eine entscheiden müsste, würde ich mich wohl für das Schreiben entscheiden, auch wenn mir die Arbeit mit den Studierenden ebenfalls große Freude bereitet. Gute Vorlesungen sind leider schnell vergessen, dagegen bleibt eine gute Arbeit als ein dauerhafter Beitrag zur Strafrechtswissenschaft erhalten.
Schriftenverzeichnis (in Auswahl) 1. Selbständiges Schrifttum / Monographien Granice, mogućnosti i legitimnost krivičnopravne zaštite [Grenzen, Möglichkeiten und Legitimität des Strafrechtsschutzes], Belgrad 1987. Politika suzbijanja kriminaliteta [Politik der Kriminalitätsbekämpfung], Novi Sad 1991. International Encyclopedia of Laws, Criminal Law, Yugoslavia, The Hague – London – Boston 1999.
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2. Kommentierungen Komentar Krivičnog zakona SR Jugoslavije [Kommentar des StGB Jugoslawiens], 6. Aufl., Belgrad 2003. Komentar Krivičnog zakonika [Kommentar des StGB Montenegro], Podgorica 2010. Komentar Krivičnog zakonika [Kommentar des StGB Serbiens], 6. Aufl., Belgrad 2017.
3. Lehrbücher Krivično pravo [Strafrecht AT und BT], Podgorica 2008. Krivično pravo – Opšti deo [Strafrecht Allgemeiner Teil], 24. Aufl., Belgrad 2017. Krivično pravo – Posebni deo [Strafrecht Besonderer Teil], 14. Aufl., Belgrad 2012; 4. Aufl. (mit N. Delić), Belgrad 2017. Međunarodno krivično pravo [Internationales Strafrecht], 10. Aufl., Belgrad 2017.
4. Aufsätze in Zeitschriften und Sammelwerken Uslovni otpust: problemi i perspektive [Bedingte Entlassung: Probleme und Perspektiven], in: Zbornik radova Pravnog fakulteta u Zagrebu [Sammlung der Fakultät für Rechtswissenschaften Zagreb] (in: Festschrift für V. Bayer), 1–2/1984, S. 185 ff. Im Vorfeld einer Entkriminalisierungspolitik, in: Cahiers de defense sociale [Zeitschrift für soziale Verteidigung], 1986, S. 89 ff. Organizovani kriminalitet i pitanja zaštite i ostvarivanja ljudskih prava [Organisierte Kriminalität und Fragen des Schutzes und der Verwirklichung der Menschenrechte], in: Vasilijević (Hrsg.), Prava čoveka i savremena kretanja u kriminalnoj politici [Die Rechte des Menschen und die modernen Trends in der Kriminalpolitik], Belgrad 1989, S. 121 ff. Prirodno pravo na život i krivično pravo [Naturrecht auf Leben und Strafrecht], in: Jugoslovenska revija za kriminologiju i krivično pravo [Jugoslawischen Zeitschrift für Kriminologie und Strafrecht] 1/1998, S. 3 ff. Ustav Republike Srbije i materijalno krivično zakonodavstvo [Die Verfassung der Republik Serbien und materielles Strafgesetzgebung], in: Revija za krimi-
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nologiju i krivično pravo [Zeitschrift für Kriminologie und Strafrecht], 2/2007, S. 3 ff. Criminal Legislation and Penal Policies: 2001–2008, in: Survey 4/2008, S. 43 ff. Odnos krajnje nužde sa nužnom odbranom [Verhältnis zwischen Notstand und Notwehr], in: Revija za kriminologiju i krivično pravo [Zeitschrift für Kriminologie und Strafrecht], 2–3, 2011, S. 13 ff. Verbrechenslehre aus der Sicht des Serbischen Strafrechts, in: Heinrich / Jäger / Schünemann (Hrsg.), Festschrift für Claus Roxin, Berlin 2011, S. 1593 ff. Die Auslegung der Strafrechtswissenschaft in der praktischen Rechtsanwendung, in: Schulz / Reinhart / Sahan (Hrsg.), Festschrift für Imme Roxin, Heidelberg 2012, S. 103 ff. Das präventiv orientierte Strafrecht: Möglichkeiten und Grenzen, in: Heger / Kelker / Schramm (Hrsg.), Festschrift für Kristian Kühl, München 2014, S. 473 ff.
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https://doi.org/10.1515/9783110277708-023
Wang Shizou I. Persönlicher Lebenslauf Mein Name ist Wang Shizou1 und ich lehrte bis 2017 als Professor (LL.D. Supervisor) für Strafrecht an der Juristischen Fakultät der Peking Universität. Geboren wurde ich am 20. Juni 1953 in der Stadt Quanzhou der Provinz Fujian – ein Ort, der aufgrund seiner Geschichte und Kultur sehr bekannt geworden ist. Er stellt in China landesweit den einzigen Startpunkt der „Maritime Silk Road“ dar, welcher von der UNESCO festgelegt wurde. Viele große Persönlichkeiten kamen in Quanzhou zur Welt. So stammen beispielsweise im historischen Rückblick viele Examensbeamte, die erfolgreich die kaiserliche Prüfung2 absolviert hatten, aus Quanzhou. Darüber hinaus wurden dort viele historische Prominente geboren, wie etwa Li Zhi (1527–1602), der in der Ming-Dynastie individuelle Freiheit und die Gleichberechtigung der Meinungen befürwortete, sowie auch Zheng Chenggong (1624–1662), der aufgrund der Wiedereinnahme der Insel Taiwan als chinesischer Nationalheld gefeiert wurde. Die Wurzeln meiner Eltern liegen in Jiaodong der Provinz Shandong. Beide kamen direkt nach der Gründung der Volksrepublik China nach Quanzhou und wurden schließlich in der städtischen Wirtschaftsabteilung tätig. Obwohl ihr Bildungsgrad nicht hoch war, lag ihnen die Bildung ihrer Kinder stets sehr am Herzen. Wenn eines der eigenen Kinder zur damaligen Zeit einen Studienplatz erhielt, galt dies als großer Glückfall, der mit Bewunderung zur Kenntnis genommen wurde. In meinem Geschwisterkreis gelang es schließlich sogar fünf von uns Kindern, für die Universität zugelassen zu werden. Ich selbst wuchs in Quanzhou auf. Durch die Prägung in meiner Familie und der lokalen Gesellschaft war ich von Kindheit an sehr wissbegierig. In der Mittelstufe war es vor allem der Unterricht in Geografie, den Naturwissenschaften und Fremdsprachen, an dem ich große Freude hatte. Bei den von der Mittelschule organisierten Wettbewerben in Englisch und Kalligraphie wurde ich mit dem Hauptpreis ausgezeichnet. Leider umfasste meine Mittelschulzeit nur ein Jahr, 1
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Der Name des Autors, sowie die Namen von weiteren genannten chinesischen Persönlichkeiten, werden im Folgenden stets nach chinesischem Standard aufgeführt, wonach es üblich ist, zunächst den Familiennamen und daran anschließend den Vornamen der jeweiligen Person zu nennen. Anmerkung der Übersetzer: Die kaiserliche Prüfung diente in der Feudalgesellschaft des Alten China dazu, geeignetes Personal für die Tätigkeiten am kaiserlichen Hof auszuwählen.
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weil schließlich die Kulturrevolution um sich griff. In den Jahren von 1967–1969 konnte ich mich jedoch nicht an der Organisation der „Roten Garden“ beteiligen, da ich zum damaligen Zeitpunkt noch sehr jung war. Stattdessen widmete ich mich zu Hause den unterschiedlichsten Büchern und entwickelte dabei auch autodidaktische Fähigkeiten. Nebenbei traf ich mich mit den Nachbarskindern oft spontan zum Winterschwimmen, Gewichtheben und Basketballspielen, was meinen Körper gut in Form brachte. Im Jahr 1969 wurden mein älterer Bruder und ich im Zuge des sogenannten Down to the Countryside Movement von Quanzhou in das ländliche Gebiet der Provinz Fujian Ningyuan herabgesandt. Dort arbeitete ich schließlich als Jugendlicher im Trupp der Familie Ma der Volkskommune Anle. Der Alltag dort war sehr beschwerlich. So waren wir nicht nur von früh bis spät bei der Arbeit zugange, sondern mussten uns auch die lokalen Arbeits- und Lebensgepflogenheiten zu eigen machen, wie etwa Reismahlen, Reissetzlinge pflanzen, Feuerholz machen und Hirsekorn trocknen. Diese Phase meines Lebens härtete mich ab und bewirkte zudem, dass ich über den Sinn des Lebens nachdachte. Anfangs dachte ich nur über mögliche Auswege nach, dieser Art des Lebens zu entgehen. Zum Ende des Jahres 1972 ging ich schließlich zum Militär. Zum damaligen Zeitpunkt war es für mich die schnellste Art und Weise, um das ländliche Gebiet zu verlassen. Ich wurde daraufhin in die Küstenwehr eingegliedert – doch meine Hauptaufgabe während meiner Zeit in der Armee war es, auf dem Bauernhof Schnaps herzustellen. Später wurde man auf meine außergewöhnliche Körpergröße (1,90 m) aufmerksam und ich wurde für das Basketballteam der Division ausgewählt. Da ich vorher bereits für einige Zeit in dem Profi-Basketballteam der Provinz Fujian trainiert hatte, wurde ich schnell ein Spieler der Startaufstellung. Unser Team gewann schließlich die Basketballmeisterschaft des Sportfestes unseres Korps. Während meines Wehrdienstes (1973–1978) spielte ich letzten Endes fünf Jahre lang Basketball. Obwohl das Basketballtraining für mich sehr anstrengend war, nahm ich mir weiterhin viel Zeit zum Lesen und Sinnieren über das Leben. Um unter den damaligen Umständen in China eine Schicksalswendung herbeizuführen, war es meiner Meinung nach am besten, sich das Recht auf einen Studienplatz zu erstreiten. Im Jahr 1976 wurde mein Bruder, der zu dieser Zeit in einem ländlichen Gebiet arbeitete, von einer Universität zum Studium zugelassen. Ich erinnere mich, dass ich hellauf begeistert war von diesem großartigen Ereignis. Nachdem die chinesische Regierung 1977 das System der Hochschulaufnahmeprüfung wieder eingeführt hatte, entschied ich mich für eine Demobilisierung. Im Frühling 1978 kehrte ich schließlich in die Heimat zurück und begann sogleich, mich auf die Hochschulaufnahmeprüfung vorzu-
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bereiten. Durch das zehnjährige Leben fern von der Heimat war das Lesen für mich mittlerweile zur festen Gewohnheit geworden. Das umfangreiche Literaturstudium und der reiche Erfahrungsschatz der vergangenen Jahre wirkten sich sehr positiv bei meinen Vorbereitungsarbeiten aus. Zwar konnte ich keine vollständige Ausbildung an der Mittelschule und dem Gymnasium nachweisen, doch im Jahr 1978 wurde ich bei der regionalen Hochschulaufnahmeprüfung auf dem ersten Rang aufgeführt und von der Peking Universität, der besten Hochschule des Landes, zum Studium zugelassen. Als für mich die Entscheidung für ein geeignetes Studienfach bevorstand, schlug mir mein Schwager, der damals als Hochschuldozent für Chemie tätig war, die Disziplin der Rechtswissenschaft vor. Die Rechtswissenschaft war damals ein allgemein eher unbekanntes Studienfach. Trotzdem faszinierte mich ihre klare Gerechtigkeitsordnung sehr. Das Ideal einer sozialen Gerechtigkeit, nach dem ich von Kindheit an gestrebt hatte, konnte schließlich durch mein Studienfach verwirklicht werden. Bis heute bin ich sehr froh, mich für die Rechtswissenschaft entschieden zu haben, da sich die chinesische Rechtsstaatlichkeit permanent weiterentwickelt. Während meines vierjährigen Bachelor-Studiums an der Peking Universität erbrachte ich hervorragende Leistungen. Man hatte innerhalb von vier Jahren 40 Vorlesungen zu belegen und 80 Klausuren zu bestehen. Auf einer 100-PunkteSkala lagen meine Noten fast alle über 90 Punkten. Darüber hinaus nahm ich an der Peking Universität das Basketballspielen wieder auf und unser Team erhielt bei der Basketballmeisterschaft der Universitäten in Peking eine Bronzemedaille. Ich wurde als einer der besten Studenten der Peking Universität ausgewählt, was für mich eine große Ehre darstellte. Während meines Bachelor-Studiums widmete ich mich vor allem wieder dem Lesen und lernte Englisch. Weil das chinesische Recht damals auf der sowjetischen Rechtstheorie beruhte und sich der Aufbau der modernen, chinesischen Rechtsstaatlichkeit in der Anfangsphase befand, war zur damaligen Zeit die Menge rechtswissenschaftlicher Literatur in der Bibliothek der Peking Universität sehr begrenzt. Ich las schließlich alle Bücher der Rechtswissenschaft, die für mich verfügbar waren. Außerdem habe ich in dieser Bibliothek – der größten Bibliothek Asiens – auch so viele Lehrbücher, wie nur möglich, aus anderen Disziplinen gelesen. Das stillte meinen großen Durst nach Wissen. Während meines BachelorStudiums bemühte ich mich sehr beim Fremdsprachenlernen, so dass ich oft scherzhaft bemerkte, dass mein Studienfach eigentlich Rechtsenglisch hätte sein müssen. Meine Leistungen beim Sprachenlernen wurden später mit großem Lob gewürdigt und meine Fremdsprachenkenntnisse ermöglichten es
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mir schließlich, mich dem Gebiet des internationalen Strafrechts zu widmen. Seitdem waren sie mir immer sehr nützlich. Mein besonderes Interesse am Strafrecht kam erst zum Ende meines BachelorStudiums auf. Obwohl man damals als Jurist mit einem Bachelorabschluss eine gute Stelle finden konnte, entschied ich mich dafür, weiter zu studieren und die Prüfung zum Masterstudium abzulegen. Die Juristische Fakultät der Peking Universität machte mir schließlich das Angebot, nach meinem BachelorStudium als Dozent für die neu gegründete Disziplin des Wirtschaftsrechts weiterhin an der Universität zu bleiben. Auch wenn ich mich zur damaligen Zeit sehr für Wirtschaftsrecht, dem sich auch meine Bachelorarbeit gewidmet hatte, interessierte, schwärmte ich damals für das Strafrecht, da es einen sehr stringenten Systemaufbau aufweist und nach Gerechtigkeit strebt. Mit der Fakultät traf ich daraufhin die Vereinbarung, dass ich im Fall einer bestandenen Zulassungsprüfung das Masterstudium beginnen würde – anderenfalls hingegen würde ich meine Arbeit als Dozent für Wirtschaftsrecht aufnehmen. Die Leitung der Fakultät brachte mir bei dieser Entscheidung freundlicherweise Unterstützung entgegen und erklärte sich einverstanden. Die Prüfung zum Masterstudium für Strafrecht bestand ich schließlich. Fortan wurde ich von Prof. Mi Zhou betreut, einem bekannten Professor für chinesische Strafrechtsgeschichte. Seine Veröffentlichung „Chinesische Strafrechtsgeschichte“ stellt in China bis heute ein herausragendes Werk auf jenem Rechtsgebiet dar. So sehr ich mich auch für Strafrechtsgeschichte interessierte, galt mein stärkstes Interesse jedoch immer noch der Strafrechtstheorie. Indem ich ihr all meine Aufmerksamkeit und Zuwendung schenkte, war es mir nicht länger möglich, mich gleichzeitig tiefgehend mit anderen Rechtsgebieten auseinanderzusetzen. Prof. Zhou gehörte zu den Strafrechtslehrern der älteren Generation. Dennoch hatte er innerhalb seiner Fachdisziplin ein breites Wissensspektrum, sowie weitreichende Kontakte ins Ausland. Er ermutigte mich dazu, mir sehr gute Fremdsprachenkenntnisse anzueignen und bot mir viele Forschungsmöglichkeiten. Ich erinnere mich, dass er mir große Unterstützung entgegenbrachte, als es darum ging, meine erste Übersetzung in einer anerkannten juristischen Zeitschrift zu veröffentlichen. Prof. Zhou war lange Zeit als Vorsitzender eines regionalen Gerichts tätig gewesen und war vor allem ein Experte für den Schnittstellenbereich zwischen der Strafrechtstheorie und Strafrechtspraxis. Unter seinem Einfluss widmete ich mich schließlich vor allem solchen Rechtsfragen, denen praktische Relevanz zukam. Hierdurch erklärt sich heute der starke Bezug meiner Artikel und Forschungsprogramme zur chinesischen Strafrechtspraxis. Im Rückblick haben das Forschungsinteresse, sowie auch
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die Forschungsresultate Prof. Zhous meine akademische Entwicklung nachhaltig und wesentlich geprägt. Mein Masterstudium in Strafrecht umfasste insgesamt drei Jahre (1982–1985). Das Thema meiner Masterarbeit lautete schließlich: „Subjektiver Tatbestand im chinesischen Strafrecht“. Der subjektive Tatbestand meinte im Sinne der damaligen chinesischen Strafrechtstheorie die subjektive Seite einer Straftat bzw. den subjektiven, psychologischen Zustand beim Begehen einer Straftat. Damals waren die Untersuchungen zu jenem Thema im wissenschaftlichen Kreis chinesischer Strafrechtstheoretiker noch weitestgehend unbekannt. Meine Vorbereitung auf die Masterarbeit fundierte grundsätzlich auf der Auseinandersetzung mit den Positionen sowjetischer Strafrechtslehrer zum Anfang der 1940er Jahre. Nachdem jene Ansichten in den 1950er Jahren ins Chinesische übersetzt und in China eingeführt wurden, verblieben sie unentwickelt im chinesischen Strafrecht – fast 30 Jahre lang! Zum damaligen Zeitpunkt konnte ich nur sehr wenig Literatur ausfindig machen, über die ich schließlich mittels Methoden der Psychologie und Philosophie versuchte, mich mit dem Thema zu befassen. Für meine Arbeit analysierte ich eine Auswahl typischer Fälle der damaligen chinesischen Strafrechtspraxis, die sich für die Auseinandersetzung mit der Theorie des subjektiven psychologischen Zustandes besonders eigneten. Im Verlauf der Anfertigung meiner Masterarbeit erhielt ich viele gute und bedeutungsvolle Ratschläge und konnte schließlich einige wichtige Schlussfolgerungen ziehen: Der Täter kann unter bedingtem Vorsatz (dolus eventualis) nur die Möglichkeit des Erfolgseintrittes voraussehen, jedoch keine Unvermeidlichkeit des Erfolgseintrittes. Der dolus eventualis kann nur beim Streben nach einem anderen rechtswidrigen oder unrechtswidrigen Zweck „begleitet“ erscheinen, d.h. er kann unmöglich unabhängig von einem anderen Zweck verfolgt werden. Der Unterschied zwischen bedingtem Vorsatz und bewusster Fahrlässigkeit liegt hinsichtlich des Willens darin, ob der Täter ernsthaft auf den Nichteintritt eines tatbestandlichen Erfolges vertraut und hinsichtlich des Wissens ist maßgeblich, ob er die Bedingungen der Erfolgsvermeidung erkannt und auf diese vertraut hat. Jene Thesen, die ich damals aufstellte, werden mittlerweile in der modernen chinesischen Strafrechtstheorie von der überwiegenden Meinung vertreten. Das Bachelor- und Masterstudium an der Peking Universität hatte mir vor Augen geführt, welche Bedeutung der fachlichen Theorie zukam und andererseits ebenso die Tatsache, dass die chinesische Rechtstheorie im Zuge der rechtsstaatlichen Entwicklung in China noch Schwachstellen aufwies. Ich interessierte mich fortan stark für die internationale Entwicklung des Straf-
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rechts und begann damit, mich voll und ganz dem Strafrechtsvergleich zu widmen. Nach dem Abschluss meines Masterstudiums blieb ich an der Juristischen Fakultät, wo ich als Dozent arbeitete. Dabei sah es die Fakultät vor, dass ich zunächst für ein Praktikum an das Volksgericht (mittleren Ranges) der Stadt Peking ging. Später widmete ich mich einigen Korruptionsprozessen, die von dem damaligen Vorsitzenden Herrn Ji Shuhan verhandelt wurden. Durch dieses Praktikum begann ich, wirtschaftlicher Kriminalität mehr Beachtung zu schenken. Da die Juristische Fakultät der Peking Universität damals keinen Promotionsstudiengang im Strafrecht anbot, lotete ich schließlich andere Optionen für meine Weiterbildung aus und erhielt nach einem bestandenen TOEFL-Test (Test of English as a Foreign Language) ein Stipendium vom Committee of Legal Education Exchange with China (CLEEC). Im Jahr 1987 begann ich schließlich mit einem LL.M. – Programm an der Juristischen Fakultät der University of California-Berkeley. Meine Masterarbeit widmete sich dieses Mal der Wirtschaftskriminalität im Rahmen eines Rechtsvergleiches der USA und China. Für meine Masterarbeit setzte ich mich mit allen bedeutenden Werken und Arbeiten über Wirtschaftskriminalität in den USA auseinander und ebenso mit Inhalten, die für einen Rechtsvergleich mit China im Grunde nicht nötig gewesen wären, wie etwa das Thema illegaler Geldmittel von Parteien, das in China keinerlei Beachtung fand. Hierdurch wurde mir die grundsätzliche Lage der Wirtschaftskriminalität in den USA bewusst. Der Betreuer meiner Masterarbeit hierzu war Prof. Robert C. Berring. Über meine Nachforschungen zeigte er sich sehr zufrieden und würdigte diese schließlich mit der Bestnote „High Honor“ (H.H.). Nachdem mir die Juristische Fakultät der UC Berkeley den „Degree of Master“ verliehen hatte, kehrte ich nach China zurück. Die chinesische Regierung war auf meine Masterarbeit in den USA aufmerksam geworden und lud mich zu einer legislativen Sitzung ein. Hierbei stellte ich dem chinesischen Gesetzgeber die zentralen Forschungsergebnisse meiner Masterarbeit vor, was ebenso Vorschläge zum Vorgehen gegen die zunehmende Wirtschaftskriminalität in China beinhaltete. Obwohl ich nun berechtigt war, an der Juristischen Fakultät der Peking Universität Doktoranden zu betreuen, war ich zutiefst enttäuscht, nach dem LL.M. in den USA nicht selbst promoviert worden zu sein und keinen Doktortitel zu tragen. Genau genommen hatte mir die Juristische Fakultät der UC Berkeley Anfang der 1990er Jahre eine Zulassung zum SJD (Doctor of Juridical Science) erteilt – doch aufgrund der damaligen Entwicklung der chinesischen Gesellschaft (bzw. der chinesischen Rechtswissenschaft) wäre es mir damals leider nicht möglich gewesen, innerhalb von drei oder vier Jahren zu promo-
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vieren, da der chinesische Gesetzgeber es zu dieser Zeit in Erwägung zog, das chStGB-1979 zu reformieren. Anstelle dessen trat ich einer Expertengruppe zu gesetzgeberischen Vorschlägen bei, die vom Komitee für Gesetzesvorlagen des Ständigen Ausschusses des Nationalen Volkskongresses organisiert wurde. Ich gab daher mein Promotionsprojekt auf, damals vorläufig und mittlerweile vollständig. Als ich mich schließlich dazu entschied, weiterhin an der Juristischen Fakultät der Peking Universität zu arbeiten, stand für mich fest, dass ich mich der Entwicklung und dem Fortschritt der chinesischen Strafrechtstheorie widmen würde.
II. Arbeit in der Lehre und Forschung 1. Meine Entwicklung als Wissenschaftler und akademischer Lehrer China befand sich in den 1990er Jahren in einer Phase des Wirtschaftsaufschwunges. Die Gesellschaft gierte nach Wohlstand und Vermögen. Jeder fürchtete sich davor, einen Statusverlust oder finanzielle Nöte erleiden zu können. Die chinesische Staatsregierung kündigte an, die Schranken für eine freie Marktwirtschaft zu öffnen. „In die freie Wirtschaft gehen“ – den Schutz, aber gleichzeitig auch die Beschränkung des staatlichen Systems hinter sich zu lassen, um sich selbstständig zu machen – wurde ein Trend. Dieser Trend beeinflusste schließlich auch mich in meinem weiteren Leben. So hatte ich einerseits meine Stelle als Dozent an der Universität und andererseits hatte ich in Peking eine Nebentätigkeit in der Rechtsanwaltskanzlei „Pünder, Volhard, Weber & Axster“. Ich arbeitete eine Woche pro Monat und blieb dort schließlich für einige Jahre als Mitarbeiter. Später kam es zu einer Fusion mit der Rechtsanwaltskanzlei „Clifford Chance“. Als Resultat ging hieraus die größte Rechtsanwaltskanzlei der Welt hervor. Während meines Studiums an der Juristischen Fakultät der UC Berkeley hatte ich in der Rechtsanwaltskanzlei „Topel & Goodman“ in San Francisco ein kurzes Praktikum absolviert. Bei einem USA Besuch im Jahr 2013 erfuhr ich, dass diese Rechtsanwaltskanzlei dort mittlerweile zu der Größten ihrer Art für strafrechtliche Verteidigung avanciert war. Meine Erlebnisse in ausländischen Rechtsanwaltkanzleien kamen mir nicht nur bei meinen Forschungsarbeiten zugute, sondern halfen mir auch sehr, ausländische Rechtssysteme besser zu verstehen. In meinem Berufsleben lag der Schwerpunkt dennoch stets auf der wissenschaftlichen Forschung. Wenn ich heute meine Autobiographie verfasse und auf meine Jahre als Wissenschaftler zurückblicke, lässt sich feststellen, dass ich mich bislang vor allem der Lehre und Forschung gewidmet habe. Für Verwaltungsarbeiten an
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der Universität hingegen konnte ich stets wenig Interesse aufbringen und war lediglich während meines Bachelor- und Masterstudiums für unseren Jahrgang in diesem Bereich tätig. Nachdem ich jedoch meine Lehrtätigkeit an der Juristischen Fakultät begonnen hatte, vermied ich es aus mehreren Gründen, mich an der Verwaltungsarbeit zu beteiligen: Einerseits fehlten den chinesischen Universitäten vollständige Verwaltungsordnungen. Spontan getroffene Entscheidungen waren selten von langer Dauer – ein Umstand, der die administrativen Tätigkeiten extrem erschwerte. Darüber hinaus war ich zur damaligen Zeit der jüngste Dozent an der Fakultät. Nachdem ich zehn Jahre an der Fakultät tätig gewesen war, wurden wieder neue Dozenten für Strafrecht eingestellt. Ich befürchtete, in einer Verwaltungsposition gegenüber meinen damaligen Dozenten und Kommilitonen nicht neutral auftreten bzw. meine Arbeit nicht unvoreingenommen und effektiv erledigen zu können. Hinzu kam der Druck, den ich verspürte, wenn es darum ging, die wissenschaftliche Forschung voranzutreiben. Der rechtsstaatliche Aufbau in China benötigte dringend den Rückhalt wissenschaftlicher Forschung – vor allem auch Erfahrungswerte ausländischer Rechtssysteme. Es fiel mir schwer, die eigentlich für die wissenschaftliche Forschung vorgesehene Zeit für komplizierte und eintönige Verwaltungstätigkeiten aufzuwenden. Meine Zurückhaltung bei Verwaltungsarbeiten der Fakultät führte dazu, dass ich erst im Jahr 1993 Assistenzprofessor wurde und dann schließlich im Jahr 2001 vollwertiger Professor der Peking Universität. Doch auch in der Zeit, in der ich noch keine Anstellung als Professor hatte, war ich stets in der wissenschaftlichen Forschung sehr aktiv und hatte bereits ein Netzwerk zu Wissenschaftlern im Ausland. Wichtige Entscheidungsfindungsprozesse der Fakultät, die im Jahr 1999 zur Law School umbenannt wurde, begleitete und unterstützte ich stets. So wurde ich mehrmals von der Universität und der Fakultät ausgezeichnet. In Folge meiner persönlichen Bemühungen entschloss sich der Fachbereich für Strafrechtswissenschaft der Universität Peking dazu, im Sinne Prof. Gan Yupeis die Forschung zu ausländischem Strafrecht verstärkt aufzunehmen. Diese Disziplin erlangte schließlich aufgrund herausragender Forschungen auf den Gebieten des ausländischen, des rechtsvergleichenden und des internationalen Strafrechts in wissenschaftlichen Kreisen große Bedeutung. In China sind Verwaltungspositionen stets eine politische Angelegenheit, dennoch konnte ich mich hierfür einfach nicht erwärmen und widmete mich schließlich vollkommen der wissenschaftlichen Forschung. An der Universität arbeiten zu können, ist wirklich eine große Freude für mich. Besonders glücklich schätze ich mich, dass es zudem die renommierteste Universität meines
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Landes ist, an der ich lehre und forsche. Eine Bildungsinstitution wie die Universität Peking gestattet es mir sogar, mich den mir lästigen Verwaltungsarbeiten erfolgreich zu entziehen und all meine Energien in die Forschung und Lehre zu investieren – zwei Tätigkeiten, die mir tatsächlich am Herzen liegen. Dennoch bedeutet dieser Umstand nicht, dass ich kein Interesse für politische Angelegenheiten hätte. Die Rechtswissenschaft ist in meinen Augen ein Fach, das in der Tat eine starke politische Natur aufweist. Sofern es mir möglich ist, versuche ich stets meine fachlichen (Er-)Kenntnisse auch in politische Aktivitäten einzubringen. Anfang der 1990er Jahre wurde ich als Experte des Sachverständigenausschusses zur Gesetzgebung, der insgesamt sieben Mitglieder umfasst, in das Komitee für Rechtssysteme des ständigen Ausschusses des Nationalen Volkskongresses aufgenommen. In diesem Rahmen beteiligte ich mich an der gesetzgeberischen Vorbereitung auf das chStGB-1997. Darüber hinaus war ich auch Experte der Verwaltungskommission für Wertpapieraufsicht, in der ich behilflich war, vorläufige Maßnahmen zum Verbot des Wertpapierbetruges auszuarbeiten. Seit dem neuen Millennium beteiligte ich mich vorrangig an gesetzgeberischen Aktivitäten, die sich auf den Menschenrechtsschutz bezogen, vor allem den Schutz sozioökonomisch schwacher Bevölkerungsschichten in China. Zum einen war ich Ratsmitglied der Vereinigung für das Sportgesetz Chinas und nahm diesbezüglich an vielen gesetzgeberischen Sitzungen teil, die vom Staatsamt für Körperkultur und Sport organisiert wurden. Darüber hinaus wurde ich von der Regierung der Stadt Peking als Experte des Sachverständigenausschusses für gesetzgeberische Maßnahmen zur Gewährleistung der Durchsetzung von Interessen von Frauen eingestellt. Zusätzlich hierzu ernannte mich die Regierung der Stadt Peking als Mitglied des Stadtausschusses, der sich der Gleichstellung von Frauen und Männern widmete. An der Peking Universität selbst habe ich gemeinsam mit einigen Kollegen, die in Deutschland bzw. Europa studiert hatten, ein deutsches Forschungszentrum aufgebaut. In der Gründungsphase war ich hierfür als stellvertretender Direktor tätig. Nachdem die Aktivitäten des Forschungszentrums in die richtigen Bahnen gelenkt waren, trat ich schließlich von der Position des stellvertretenden Direktors zurück und war fortan nur noch unterstützend tätig. Nebenbei bin ich auch Mitglied vieler wissenschaftlicher Vereinigungen. So bin ich beispielsweise ständiges Mitglied des Vereins chinesischer Strafrechtslehrer und Mitglied einer bedeutenden Alumni-Organisation. Der zuerst erwähnte Verein stellt für mich eine wichtige Plattform dar, auf der ich mich mit meinen Kollegen zu wissenschaftlichen Fragestellungen und Problemen austauschen kann. Bei dem zweiten Verein handelt es sich eher um eine symbolische
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Vereinigung, die sich aus renommierten chinesischen Wissenschaftlern zusammensetzt, die ihre Studienabschlüsse im Ausland erworben haben. Es ist auch der einzige Verein, der von dem Sekretariat des Zentralkomitees der KP Chinas geleitet wird. Was meine Lehrtätigkeit betrifft, wende ich mich mit meinen Veranstaltungen zum Strafrecht genau genommen an Studierende unterschiedlicher Studienprogramme unserer Fakultät. So sind es einerseits Studierende aus dem BachelorStudienprogramm, aber andererseits auch Master-Studierende, Doktoranden und Studierende aus dem „Juris Master“-Studiengang, die während ihres Bachelor-Studiums ein anderes Fach als Rechtswissenschaft studiert haben. Dieser Studiengang öffnet seine Lehrveranstaltungen auch für Rechtsanwälte und Beamte aus politischen und rechtlichen Behörden. Unter den Teilnehmern sind hierbei jedoch auch solche, die bereits während ihres Bachelor-Studiums Rechtswissenschaft studiert haben. Nebenbei bietet die Fakultät internationalen Studierenden den Studiengang „LL.M. of Chinese Law“ an und veranstaltet Schulungen für ausländische Beamte, einschließlich solche der Sonderverwaltungszone Hongkong. Die Kurse für internationale Studierende und ausländische Beamte werden auf Englisch gehalten. Darüber hinaus habe ich von der Stanford University einen Lehrauftrag als Gastprofessor für das sogenannte „Peking-Projekt“ erhalten. Für amerikanische Studierende biete ich den Kurs „Essentials in the Chinese Criminal Justice System“ an. Studierende, die keine akademische Ausbildung zum Volljuristen durchlaufen, aber Interesse an den Rechtswissenschaften entwickelt haben, konnten meinen allgemeinen Wahlpflichtkurs zum Strafrecht besuchen. China ist ein Entwicklungsland, sowohl in der Wirtschaft als auch in Bezug auf den Aufbau von Rechtsstaatlichkeit. Aus diesem Grund ist es mein besonderer Wunsch, möglichst viel wissenschaftlichen Nachwuchs zu fördern, da nachrückende Generationen an Wissenschaftlern dazu beitragen können, die soziale, aber auch wissenschaftliche Grundlage chinesischer Rechtsstaatlichkeit zu erweitern. Hierbei kommt vor allem der Peking Universität als der renommiertesten Hochschule Chinas eine besondere Rolle zu, deren Absolventen sich innerhalb von zehn Jahren zu Experten in jedem beliebigen Fachgebiet entwickeln können. Wenn die junge Generation angehender Juristen in Zukunft im Studium an rechtsstaatliche Konzepte herangeführt wird, ist anzunehmen, dass allein hierdurch ein großer Schritt auf diesem Entwicklungsweg geleistet werden kann. Außer Vorlesungen im Allgemeinen Strafrecht bot ich den Studierenden auch eine Vorlesung zum Völkerstrafrecht an. Nachdem ich im Jahr 2008 die vom Justizministerium in Auftrag gegebene Forschung zur modernen internationa-
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len Strafrechtstheorie durchgeführt hatte, habe ich auf Basis jener Untersuchungen mein Werk „Moderne internationale Strafrechtstheorie“ herausgegeben. Im Rahmen der gleichnamigen Lehrveranstaltung erläutere ich den Studierenden systematisch die moderne internationale Strafrechtstheorie. Meine außerordentlichen Bemühungen in der Lehre wurden vonseiten der Peking Universität anerkannt, indem ich mehrmals von der Fakultät und der Universität prämiert wurde. Zusammen mit meinen Kollegen Prof. Guo Zili und Prof. Wang Xin erhielt ich den Hauptpreis für Lehre an der Peking Universität. Mein Werk „Moderne internationale Strafrechtstheorie“ wurde von der Ausbildungskommission der Stadt Peking als gutes Lehrbuch ausgezeichnet. Darüber hinaus ist auch mein Buch „Moderne Strafrechtswissenschaft – Allgemeiner Teil“ zu einem Standardwerk geworden, das bei uns an der Fakultät vor allem Bachelor-Studierenden empfohlen wird. Was die Hochschullehre betrifft, ist es mir nicht nur ein großes Anliegen, auf dem Gebiet des Strafrechts auch neueste Erkenntnisse ausländischer Universitäten einzubeziehen, sondern auch die Fachdidaktik und -methodik immer wieder neu zu hinterfragen und zu verbessern. Im Zeitalter des Internets ist die weltweite Vernetzung zu einem wesentlichen Bestandteil der Ausbildung geworden. Im Jahr 2013 war ich als erster Professor unserer Fakultät daran beteiligt, an der Peking Universität einen rechtswissenschaftlichen MOOC (Massive Open Online Course) zu realisieren. Meine zwei Vorlesungen „Strafrecht“ und „Völkerstrafrecht“ sind mittlerweile als Online-Kurse im Internet verfügbar.3 Diese beiden Online-Kurse waren die ersten ihrer Art, die in China als Teil der juristischen Ausbildung angeboten wurden. Der strafrechtliche Kurs hat nun eine Auszeichnung als beste Lehrveranstaltung von der Peking Universität bekommen. Ich bin davon überzeugt, dass es gerade auch die Lehre ist, die meine Forschungen maßgeblich vorantreibt. An unserer Fakultät kommen die besten Jura-Studenten Chinas zusammen. Sich ihren kritischen Fragen zu stellen und treffende Antworten zu finden, ist immer wieder auf das Neue eine Herausforderung. Die traditionelle chinesische Kultur stellt an Lehrer und Dozenten eine Reihe von Ansprüchen, wonach es gilt, als Lehrperson nicht nur fachliches Wissen zu vermitteln und kritische Fragen zu beantworten, sondern auch moralische Ideale unserer Gesellschaft zu stützen und zu bewahren. Dabei ist es nicht immer einfach, die Gedankengänge der Studenten und ihre individuel3
Der erste Kurs ist über die Webseite https://www.coursera.org/course/criminallaw abrufbar. Der zweite Kurs kann über den folgenden Link aufgerufen werden: https://www.edx. org/course/guo-ji-xing-fa-xue-international-pekingx-02930106x#.VKNuINKUer8.
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len Verständnisprobleme genau nachzuvollziehen. Darüber hinaus ist es oftmals auch schwierig, die Studenten im jeweiligen Problemlösungsprozess zu unterstützen, wenn mir ihre eigenen Verständnis- und Kenntnislücken nur bedingt bewusst sind. Eine besondere Herausforderung ist es für mich, mit Studierenden aus dem Ausland über strafrechtliche Fragen zu diskutieren, zumal sie aus unterschiedlichen Ländern stammen, die wiederum verschiedene Rechtssysteme und Sozialsysteme aufweisen. Dies kann zu Missverständnissen aufgrund unterschiedlicher Weltanschauungen, fachlicher Hintergründe und Wortverwendungen führen. Alles in allem betrachtet, wirkten sich die Erfahrungen, die ich über meine jahrelange Lehrpraxis erwerben konnte, jedoch stets inspirierend auf meine Forschungsarbeiten aus und halfen mir dabei, nah an der Praxis zu arbeiten. Mein Interesse an der Strafrechtswissenschaft umfasst all ihre modernen Gebiete, was sich auch in meinen Veröffentlichungen widerspiegelt. Bis Ende des Jahres 2017 habe ich insgesamt fünf Monographien bzw. Lehrbücher verfasst und publiziert, diverse Werke übersetzt und herausgegeben, sowie als Chefredakteur, stellvertretender Chefredakteur und Chefübersetzer acht Monographien, Übersetzungswerke und eine Reihe an Lehrmaterialien veröffentlicht. Gemeinsam mit meinen Kollegen habe ich sechszehn Bücher verfasst und übersetzt. Darüber hinaus habe ich in Festland-China, Taiwan und in weiteren Ländern mehr als hundert Aufsätze und Übersetzungen publiziert. Davon wurden zwanzig Aufsätze direkt im Englischen oder Deutschen verfasst und in den USA, Deutschland, Italien, Ungarn, der Türkei usw. publiziert. Meine Monographien wurden durch die chinesische Regierung ausgezeichnet. Was meine Tätigkeit als Wissenschaftler angeht, knüpfen meine Forschungsarbeiten eng an den Aufbau chinesischer Rechtsstaatlichkeit an. Kurz nach Abschluss meines Masterstudiums hatte ich mich unter der Anleitung von Prof. Mi Zhou mit Jugendkriminalität in China auseinandergesetzt. Nebenbei beteiligte ich mich beim Verfassen des ersten Lehrbuches „Chinesische Kriminologie“. Nach dieser Zeit habe ich meine Forschungsthemen, die ich im Folgenden gerne vorstellen möchte, grundsätzlich selbstständig gewählt und bearbeitet.
2. Wirtschaftskriminalität im modernen China Zu Beginn meiner Laufbahn beschäftigte ich mich intensiv mit Wirtschaftskriminalität und Wirtschaftsstrafrecht. Mit der wirtschaftlichen Öffnung Chinas zu Beginn der 1980er Jahre (und der damit verbundenen, steigenden Wirtschaftskriminalität) brachten das Aufkommen von Wertpapieren, neuen Unternehmen und andere gesellschaftliche Veränderungen viele neue Straftat-
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typen mit sich, wie etwa Wertpapierkriminalität, Gesellschaftskriminalität, Kreditkartenkriminalität, Versicherungsbetrug, Handelskorruption, Umweltkriminalität oder auch Kriminalität wegen der Lebensmittelsicherheit oder des Arbeitsschutzes. Die chinesische Regierung war vor diesem Hintergrund zur Entwicklung einer sozialistischen Marktwirtschaft unumgänglich auf ein wirtschaftsrechtliches System angewiesen. Im Folgeschluss benötigten die Gerichte entsprechende rechtliche Normen als Verhandlungsgrundlage. Es zeigte sich außerdem, dass bisherige Methoden der Kriminalitätsbekämpfung unter den neuen Umständen nicht länger sinnvoll waren und dem neuesten Stand der Wirtschafts- und Rechtsstaatsentwicklung nicht gerecht werden konnten. Die bedeutendste Frage, mit der sich die chinesische Strafrechtswissenschaft zur damaligen Zeit auseinandersetzte, war die nach einer neuen Strategie, die sich dazu eignen könnte, Diebstahl, Betrug und weiteren Vergehen unter den Voraussetzungen des neuen Wirtschaftssystems zu begegnen. Diese Frage löste natürlich auch bei mir großes Interesse aus. Bereits vor meinem Masterstudium an der UC-Berkeley hatte ich den Entschluss gefasst, das System des amerikanischen Wirtschaftsstrafrechts genau zu untersuchen – doch was ich im Rahmen meines LL.M.-Studiums lernte, reichte letzten Endes nicht aus, um den Aufbau eines Rechtssystems detailliert zu analysieren. Nachdem ich an die Juristische Fakultät der Peking Universität zurückgekehrt war, erhielt ich schließlich mit der Unterstützung von Prof. Zhou Mi ein Stipendium der Ford-Stiftung in den USA. Diese Fördermittel nutzte ich dazu, um Strafrechtsexperten der chinesischen Legislative und Wissenschaftlern der Peking Universität Forschungsaufenthalte in den USA, Deutschland und anderen Ländern zu finanzieren, mit dem Ziel, dort Nachforschungen zu den lokalen Wirtschaftsrechtssystemen anzustellen. Ich selbst war zuständig, den Bericht „Untersuchung zur Wirtschaftskriminalität und Wirtschaftsstrafrecht in den USA“ herauszugeben. Darüber hinaus organisierte ich es, dass einige Kollegen das Buch „American Sentencing Guidelines“ ins Chinesische übersetzten. Bei der Durchführung dieser Forschungen nahm ich Kontakt mit einigen deutschen Strafrechtslehrern auf – insbesondere mit Prof. Günther Kaiser des Max-Planck-Institutes für ausländisches und internationales Strafrecht und Prof. Joachim Herrmann der Universität Augsburg. Aus historischen Gründen war es vor allem das deutsche Recht mit dem ihm zugrunde liegenden „civil law“-System, das in der Vergangenheit stets einen Einfluss auf das chinesische Rechtssystem ausgeübt hatte. Erfahrungswerte aus Europa waren aus diesem Grund für China, das sich auch heute noch am Anfang des Aufbaus eines rechtsstaatlichen Systems befindet, sehr wertvoll. Mit der Unterstützung von Prof. Kaiser und Prof. Herrmann erhielt ich nachei-
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nander ein DAAD-Stipendium sowie ein Stipendium der Humboldt-Stiftung. Im Alter von 40 Jahren ging ich für meine Forschungen nach Deutschland und fing an, wieder Deutsch zu lernen, da ich die Sprache bereits während meines Masterstudiums mit gutem Erfolg gelernt hatte. Meine Fortschritte beim Deutschlernen verliefen gut. Schon bald begann ich radebrechend mit meinen deutschen Freunden in ihrer Muttersprache einige Fragen zu diskutieren. Mitte der 1990er Jahre publizierte ich schließlich in der bekannten juristischen Zeitschrift „ZStW“ einen Aufsatz über die Kriminalität juristischer Personen in China. Auf Basis dieses Aufsatzes gab ich später selbständig ein Buch heraus. Es handelte sich um eine „Untersuchung zur Wirtschaftskriminalität und zum Wirtschaftsstrafrecht in Deutschland“. Als ich die Rohfassung des Buches meinen Freunden aus dem Gesetzgebungsorgan weitergeleitet hatte, verwendeten sie die darin aufgeführten Erkenntnisse 1997 für die Modifikation des chStGB. Die beiden Werke zur Wirtschaftskriminalität und dem Wirtschaftsstrafrecht in den USA und in Deutschland wurden Erfolge. Sie wurden schließlich in den Jahren 1995 und 2000 als hervorragende Arbeiten durch die chinesische Regierung und die Stadt Peking ausgezeichnet. Weitaus wichtiger war für mich jedoch, dass ich im Rahmen der beiden Publikationen die Umstände der Wirtschaftskriminalität und des Wirtschaftsstrafrechts in den USA und Deutschland detailliert und systematisch erläutert hatte. Diese Berichte boten der chinesischen strafrechtlichen Gesetzgebung Anfang der 1990er Jahre wichtige, wissenschaftlich fundierte Anhaltspunkte. In der darauf folgenden Zeit beschäftigte ich mich umfassend mit Computerkriminalität, Umweltkriminalität, grenzüberschreitender Wirtschaftskriminalität und Wirtschaftspolitik. Kollegen aus Europa und Macao wurden vor allem auf meine Forschungen zur Umweltkriminalität und grenzüberschreitender Wirtschaftskriminalität aufmerksam. Um in China einen Beitrag zur Lösung des Problems der Verfolgung von Verletzungen geistigen Eigentums leisten zu können, begann ich im Jahr 2008, mich mit dem Thema „Urheberrechtskriminalität“ zu beschäftigen. Hierfür stellte ich sämtliche urheberstrafrechtlichen Regelungen aus dem TRIPS-Abkommen,4 der Europäischen Union, den USA, Deutschland, Indien, Brasilien, Ägypten und anderen Ländern zusammen und gab schließlich das Buch „Report on Copyright Criminal Law in the World“ heraus. Durch diese Nachforschungen wurde mir bewusst, dass es sich bei den Ländern und Regionen der Welt mit dem strengsten urheberrechtlichen 4
Anmerkung der Übersetzer: Die Abkürzung TRIPS steht für das sogenannte Agreement on Trade-Related Aspects of Intellectual Property Rights.
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Schutz nicht etwa um Europa und Nordamerika handelt, sondern vielmehr um Australien und Hongkong. Meiner Auffassung nach war es nun an der Zeit, auch das chinesische Urheberstrafrecht nach jenen führenden Weltstandards zu gestalten. In Form meines Buches hatte ich bereits eine sehr gute wissenschaftliche Basis zur Verbesserung des chinesischen Urheberstrafrechts realisieren können. Im Jahr 2012 wurde mein Werk von der chinesischen Regierung mit dem juristischen Forschungspreis im Namen Qian Duanshengs ausgezeichnet.
3. Europäisches Strafrecht Ich war der erste chinesische Rechtswissenschaftler, der das Europäische Strafrecht in seine Forschungen einbezog. Während meiner Untersuchungen zur Wirtschaftskriminalität und dem Wirtschaftsstrafrecht stellte sich heraus, dass sich das Rechtssystem in Europa im Grunde völlig vom Rechtssystem der USA unterscheidet. Aufgrund seiner Systemverwandtheit war das europäische Rechtssystem in Bezug auf China somit für mich von größerer Bedeutung. Während meines Forschungsaufenthaltes in Deutschland erfuhr ich über deutsche Kollegen mehr über das Europäische Strafrecht. Durch jene Gespräche begann ich großes Interesse am Thema zu entwickeln. Zum Ende des 20. Jahrhunderts bot die Europäische Union schließlich vor allem chinesischen Wissenschaftlern Anreize, Forschungsarbeiten über die EU-Länder vorzunehmen, mit der Intention, die sino-europäischen Beziehungen zu stärken. Zu dieser Zeit erhielt ich ein Stipendium der Stiftung Europäischer Hochschulbildung und Forschung. Mein Forschungsziel bestand anfänglich darin, das Europäische Strafrecht (bzw. das Strafrecht der EU) ausgiebig zu analysieren und seine wesentlichen Züge darzulegen. Durch diese Nachforschungen erhoffte ich mir, ein neues Forschungsgebiet der chinesischen Strafrechtswissenschaft zu etablieren und die Relevanz des europäischen Strafrechtsmodells für die Vereinigung Chinas hervorzuheben. Zumal die Übergabe der Staatshoheit Hongkongs und Macaos an China zum Ende des 20. Jahrhunderts gerade aktuell war und die Vereinigungsproblematik in Bezug auf Taiwan weiterhin bestand, war es mir ein besonderes Anliegen zu eruieren, inwieweit das europäische Modell im Hinblick auf die Vereinigung Chinas Anregungen bieten könnte. Letzten Endes ergab sich aus meinen diesbezüglichen Hoffnungen eine Enttäuschung. Durch Nachforschungen in Großbritannien, den Niederlanden, Deutschland und weiteren Ländern zeigte sich, dass sich das sogenannte „Europäische Strafrecht“ zur Jahrtausendwende noch in einer theoretischen Entwicklungsphase befand. Die entsprechenden Debatten und Entwicklungsansätze beschränkten sich mehr oder weniger auf das Thema Finanz- und
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Subventionsbetrug. Darüber hinaus basiert das europäische Modell auf staatlicher Souveränität, was sich wiederum mit dem Aufbau chinesischer Rechtsstaatlichkeit nicht vereinbaren ließ. Dennoch führte mir diese umfangreiche Analyse des EU-Rechtssystems den komplexen Rechtsrahmen des europäischen Staatenverbundes vor Augen. Darüber hinaus hatte ich auf diesem Gebiet eine Forschungsbasis geschaffen, die weiteren chinesischen Wissenschaftlern dazu diente, sich näher mit der Europäischen Union auseinanderzusetzen. Die Ergebnisse stellte ich in meinem Buch „Legislation and Enforcement of EC Law“ vor, das bis heute als gutes Einführungswerk zum Europäischen Recht gilt. Hierin habe ich umfassend und systematisch die Struktur und Durchsetzung des Europäischen Rechts dargelegt. Auch dieses Werk wurde im Jahr 2008 von der chinesischen Regierung mit dem Qian Duansheng-Forschungspreis ausgezeichnet. Mein Interesse an der Entwicklung des Europäischen Rechts (bzw. des Europäischen Strafrechts) habe ich bis heute nicht verloren. Im Rahmen des Völkerstrafrechts möchte ich mich auch weiterhin mit der Entwicklung des Europäischen Strafrechts beschäftigen.
4. Moderne deutsche Strafrechtstheorien Durch meine Forschungsarbeiten in Deutschland wurde mir bewusst, welche umfassenden Kenntnisse und tiefgründigen Ansätze die deutsche Strafrechtswissenschaft aufweist. Aufgrund ihrer historischen Tradition habe ich zur deutschen Strafrechtswissenschaft ein sehr aufgeschlossenes und vertrautes Verhältnis. Aus meiner Sicht basiert die moderne deutsche Strafrechtswissenschaft auf einem nahezu vollkommenen System, einschließlich seiner Theorien und Definitionen. Kurzum, ich bewunderte diese wissenschaftliche Tradition sehr und bemühte mich im Rahmen meiner langfristigen theoretischen Forschung, der Beteiligung an Gesetzgebungsvorschlägen und der justiziellen Praxis in China, die deutsche Strafrechtswissenschaft weiter zu ergründen. Nichtsdestotrotz stellte es für mich damals eine große Herausforderung dar, die mit der deutschen Strafrechtswissenschaft verbundenen Definitionen, Fragestellungen und systemtypischen Zusammenhänge nachvollziehen zu können, da die chinesische Strafrechtswissenschaft bei der Verbrechenslehre noch auf dem sowjetischen Modell mit seinen vier Strafbarkeitsvoraussetzungen basierte. Heute ist mir grundsätzlich klar, dass das sowjetische Strafrechtssystem auf der Verbrechenslehre von Feuerbach beruht. Die historische Entwicklung der deutschen Strafrechtswissenschaft umfasst die Verbrechenslehre nach Feuerbach, die Tatbestandslehre Karl Bindings, die finale Handlungslehre von Hans Welzel, die soziale Handlungslehre nach Hans-Heinrich Jescheck und die persönliche Handlungslehre Claus Roxins. Diese Entwicklung wurde bereits in
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einigen anglosächsischen Publikationen nachgezeichnet. Die besondere Mentalität zu durchdringen, die der deutschen Strafrechtsliteratur zugrunde liegt, bereitet chinesischen Rechtswissenschaftlern allgemein Verständnisprobleme. Es sind nicht nur Sprachbarrieren, die ausländische Wissenschaftler bei der Lektüre deutscher Werke vor Herausforderungen stellen, sondern auch die jeweiligen kulturellen Mentalitätsunterschiede, die es zu verstehen gilt. Um diesem generellen Problem Abhilfe zu schaffen, wäre es wohl am besten, ein Buch im Chinesischen zu verfassen, das sich ausgiebig denjenigen Denktraditionen widmet, aus denen die moderne deutsche Strafrechtswissenschaft hervorging – doch in den 1990er Jahren war China dringend auf neue, theoretische Systemansätze angewiesen. Unter diesen Umständen verblieb mir keine Zeit, mich einem derart umfassenden Projekt zu widmen, das verschiedenste Traditionen der modernen deutschen Strafrechtswissenschaft analysierte und ein entsprechendes Buch möglich machen würde. Bei meinen weiteren Nachforschungen fiel mir auf, dass die deutsche Strafrechtstheorie genau genommen ein breites Spektrum unterschiedlicher Positionen umfasst. Dabei waren es im Besonderen die Strafrechtslehrbücher von Jescheck, Roxin und Jakob, die den größten Einfluss auf chinesische Strafrechtswissenschaftler hatten. Einen umfangreichen Beitrag hatte vor allem Prof. Roxin in Form seines Lehrbuches AT geleistet – zwei Bände mit jeweils 2.000 Seiten. Nachdem meine Kollegen mit der Übersetzung der Lehrbücher von Jescheck und Jakobs ins Chinesische begonnen hatten, war es mein Wunsch gewesen, durch eine Übersetzung des Lehrbuches von Prof. Roxin zur Weiterentwicklung der chinesischen Strafrechtswissenschaft beitragen zu können. Es hatte mich außerordentlich gefreut, Prof. Roxin im Jahr 2001 in Seoul bei einer Tagung zum Thema „Lebensschutz im Strafrecht“ einmal persönlich kennenlernen zu können. Nach dem Erhalt seiner Zustimmung begann ich schließlich mit der Übersetzung seines Lehrbuches. Der Rechtsverlag in Peking brachte mir hierbei große Unterstützung entgegen. Den ersten Band des Lehrbuches, der im Jahr 2005 in China publiziert wurde, habe ich komplett selbstständig übersetzt. Dem zweiten Band, der im Jahr 2013 veröffentlicht wurde, widmete sich schließlich mein Übersetzungsteam. Die Übersetzung der zwei Bände hatte zwar viel Zeit in Anspruch genommen, doch ich bin davon überzeugt, dass die entstandenen Werke sehr dazu beitragen können, bei chinesischen Strafrechtswissenschaftlern das Verständnis der modernen Strafrechtswissenschaft (für die nächsten hundert Jahre) voranzutreiben. So wird vor allem die junge Generation chinesischer Strafrechtslehrer nicht länger maßgeblich von Strafrechtstheorien des Zeitalters kausaler Handlungslehre
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geprägt werden, sondern sich vielmehr direkt mit der persönlichen Handlungslehre und objektiver Zurechnung auseinandersetzen. Durch die Übersetzung des Lehrbuches Prof. Roxins habe ich sehr hohe wissenschaftliche Anerkennung erfahren. Dabei ist es sehr schade, dass die chinesische Regierung der Übersetzung keine Aufmerksamkeit schenkte. Motor des Projekts waren allein die Ausdauer und Einsatzbereitschaft des Übersetzungsteams gewesen. Mir selbst hatten die Übersetzungsarbeiten große Freude bereitet, da ich sicher war und bereits die ersten Anzeichen dafür erkannt hatte, dass die Übersetzung ausländischer strafrechtlicher Literatur zumindest in China auf dem Gebiet der Rechtswissenschaft die Weiterentwicklung von Strafrechtstheorien erheblich zu fördern vermag. Indem ich Schritt für Schritt ein Verständnis für die modernen deutschen Strafrechtstheorien entwickelte, wurden meine Dialoge mit deutschen und amerikanischen Kollegen, sowie solchen anderer Nationen, zunehmend einfacher und effektiver. Diese Austauschprozesse führten bei mir letzten Endes zu einem vertieften Verständnis der chinesischen Strafrechtstheorie. So wurde mir etwa bewusst, dass der Verbrechensbegriff der chinesischen Strafrechtstheorie, der auf Sozialschädlichkeit beruht, im Grunde ein Verbundsbegriff ist. Tatsächlich weist dieser eine Doppelstruktur auf: Einerseits handelt es sich um einen gesetzgeberischen Begriff, der sich an der Sozialschädlichkeit orientiert. Durch ihn wird zum Ausdruck gebracht, weshalb eine Handlung als Straftat anzusehen ist. Andererseits ist es ein juristischer Begriff, der sich am Unrecht orientiert und in der Rechtsanwendungsphase von Bedeutung ist. Durch diesen zweiten Bedeutungsaspekt wird erklärt, was eine im Gesetz als Straftat bezeichnete Handlung eigentlich ist. Meiner Auffassung nach stellt der Verbrechensbegriff der chinesischen Strafrechtstheorie einen Schlüssel dar, um die Struktur sowjetischer Strafrechtstheorie zu analysieren. Darüber hinaus liefert er auch einen guten Ansatz, die chinesische Strafrechtstheorie voranzubringen. Meine Position hierzu habe ich ausgiebig in einem Aufsatz dargelegt, der zunächst im Chinesischen und später in der englischen Version der Zeitschrift „Chinesische Sozialwissenschaft“ publiziert wurde. Später wurden meine Thesen hierzu auch in die Jahrbücher für chinesisches und russisches Recht aufgenommen. Durch meine Forschungen zur modernen deutschen Strafrechtswissenschaft widmete ich mich vor allem der weiteren Entwicklung der chinesischen Strafrechtstheorien. Hierzu habe ich zunächst eine Untersuchung zur Festlegung und Wahl des im chinesischen Strafrecht geltenden Strafzweckes durchgeführt. Die Strafzwecktheorien umfassen dabei die traditionellen und modernen Formen des Strafzweckes. Meiner Meinung nach sollte man im
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chinesischen Strafrecht einen kombinierten Strafzweck i.S.d. Vereinigungstheorien einführen. Eine entsprechende kombinierte Strafzwecktheorie würde sich an den verschiedenen Strafarten orientieren, den unterschiedlichen Phasen der Rechtsschaffung und -anwendung, sowie an dem Grundsatz der Prävention. Zunächst schafft die Formulierung einer solchen kombinierten Theorie, die den Grundsatz der Prävention als Fundament hat, einen ganzheitlichen präventiven Ansatz. Weiterhin sollte die Kombination der Theorie der gerechten Vergeltung, welche ganz grundlegend in der Todesstrafe ihren Ausdruck findet,5 und der Theorie der Prävention, welche sich grundlegend in anderen strafrechtlichen Sanktionen widerspiegelt, ihrerseits wieder verbunden werden mit einer weiteren Kombination des Gedankens der Generalprävention, wie er sich hauptsächlich in der Phase der Gesetzgebung manifestiert, den Konzepten der Spezialprävention und der Vergeltung, wie sie in der gerichtlichen Rechtsanwendung verkörpert sind, und dem Prinzip der Spezialprävention, wie es in der Phase des Vollzuges strafrechtlicher Sanktionen erforderlich ist. Auf diesem Weg könnten die positiven Aspekte der verschiedenen Vergeltungs- und Präventionstheorien gut und rational extrahiert und neu organisiert werden. Die chinesische Strafzwecktheorie könnte diese zwei kombinierten Theorien nutzen, um die Arten der strafrechtlichen Sanktionen festzulegen, ebenso wie in den unterschiedlichen Phasen der Rechtsschaffung und -anwendung, und dadurch die verschiedenen theoretischen Elemente jeweils den entsprechenden Stufen und Schwerpunkten zuordnen. Diese von mir aufgestellten Thesen zur Auswahl des Strafzweckes könnten bei der weiteren Entwicklung der chinesischen Strafrechtstheorie im neuen Zeitalter von Nutzen sein. Meine Forschungsergebnisse wurden im Jahr 2006 von der chinesischen Regierung anerkannt und mit dem Preis für juristische Lehrmaterialien und Forschung ausgezeichnet. Darüber hinaus habe ich ausgiebige Untersuchungen zur systematischen Abgrenzung von Strafbarkeit und Nichtstrafbarkeit, sowie den Voraussetzungen der Notwehr vorgenommen. Außerdem beschäftigte ich mich mit dem Widerstand gegen Polizeibeamte und Fragestellungen zu Forschungsmethoden der Strafrechtswissenschaft. Nach mehreren Jahren der Vorbereitung konnte ich im Jahr 2011 schließlich mein eigenes Strafrechtslehrbuch fertigstellen. Es steht nun unseren Studenten 5
Leider existiert noch immer eine Vielzahl an Artikeln im chinesischen Strafrecht, welche die Verhängung der Todesstrafe vorsieht, und es ist nach wie vor ein weitverbreiteter Glaube in der chinesischen Gesellschaft, dass der Grundsatz „Leben für Leben“ ein Rechtsprinzip ist.
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aus dem Bachelor-Studiengang zur Verfügung. In diesem Lehrbuch habe ich umfassend mein Verständnis zu unterschiedlichen Fragestellungen dargelegt, die das Strafrecht (AT) betreffen. Der wissenschaftliche Kreis des chinesischen Strafrechts stand damals vor einem Umbruch und Meinungsstreiten in der Strafrechtstheorie. In meinem Lehrbuch ging ich jedoch keinesfalls radikal vor und berücksichtigte auch die älteren Theorien. Nach einer einführenden Darstellung der historischen Entwicklung der chinesischen Strafrechtswissenschaft ging ich darin schrittweise zu modernen Denk- und Forschungsansätzen über. Das Buch enthält vor allem die Ergebnisse meiner mehrjährigen Forschung auf dem Gebiet der Rechtsvergleichung. Moderne deutsche Strafrechtstheorien finden dabei besondere Berücksichtigung. Außerdem werden Strafrechtstheorien aus den USA, Russland, Frankreich, Kanada, Japan und anderen Ländern vorgestellt, wobei u.a. auf die Einordnung von Rechtsgütern, die Strafbarkeit juristischer Personen, sowie auf Kausalität und Teilnahme eingegangen wird. Meiner Auffassung nach ist es nötig, in solchen Bereichen eine Rechtsvergleichung vorzunehmen. China befindet sich momentan in jeder Hinsicht in einem Öffnungsprozess nach außen. Aus diesem Grund erscheint es sinnvoll, durch die Rechtsvergleichung ausländische Strafrechtstheorien zu überprüfen und das Beste hieraus zu übernehmen. Es freut mich sehr, dass mein Lehrbuch, welches bereits in der zweiten Auflage veröffentlicht wurde, in China und im Ausland gleichermaßen positiv bewertet und verwendet wird.
5. Menschenrechtsschutz Durch die Auseinandersetzung mit deutschen Strafrechtstheorien wurde mir zunehmend die große Relevanz von Menschenrechten bewusst. Ich interessierte mich schließlich nach und nach immer mehr für den Zusammenhang zwischen Strafrecht und Menschenrechtsschutz. Im Rahmen der Menschenrechtsprobleme habe ich mich zunächst mit der Todesstrafe auseinandergesetzt. Hierzu las ich ausführlich die „International Bill of Human Rights“ und legte allgemeine, international anerkannte Kriterien zur Abschaffung der Todesstrafe dar. Dann nahm ich mir eine von „Amnesty International“ herausgegebene Liste vor, in der diejenigen Länder registriert waren, welche die Todesstrafe abgeschafft hatten, und solche, die sie bis dato noch beibehalten hatten. Im Anschluss daran verfasste ich eine Erörterung, die den wissenschaftlichen Diskurs bezüglich des Für und Wider zur Todesstrafe, einschließlich eines diesbezüglichen historischen Rückblicks, abbildete. Sodann führte ich eine langfristige, umfangreiche Umfrage in der Gesellschaft durch, um die Einstellung chinesischer Bevölkerungsgruppen zur Todesstrafe zu ermitteln. Es stellte sich heraus, dass
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nur dann die Todesstrafe befürwortet wurde, wenn eine vorsätzliche Tötung vorlag. In Bezug auf andere Straftaten bestanden starke Zweifel, ob die Todesstrafe tatsächlich angebracht sei. Ich bin der Auffassung, dass zwar die rechtlichen Bestimmungen zur Todesstrafe eine mächtige Staatsgewalt repräsentieren, der Staat im Hinblick auf die Anwendung der Todesstrafe jedoch mehr oder weniger machtlos ist. Meiner Meinung nach sollte bei der Abschaffung der Todesstrafe nicht nur Rücksicht auf den Schutz der Menschenrechte zum Tode verurteilter Personen genommen werden, sondern es sollte auch darum gehen, die Menschenrechte gesetzestreuer Bürger zu schützen. Nach einer Abschaffung der Todesstrafe wäre der Staat dazu verpflichtet, durch eine umfassende Kontrolle der sozialen Sicherheit die Straf- und Präventivfunktionen des Strafrechts weiterhin zu gewährleisten. Die Menschenrechte gewissenhafter Bürger sollten bei einer Abschaffung der Todesstrafe nicht vermehrt von Straftätern bedroht werden, stattdessen sollten sie noch umfassender und wirksamer geschützt werden. Eine solche Position würde sicherlich dazu beitragen, eine umfangreichere Befürwortung der Abschaffung der Todesstrafe innerhalb der Gesellschaft zu bewirken. Es ist davon auszugehen, dass die Abschaffung der Todesstrafe den Aufbau chinesischer Rechtsstaatlichkeit erheblich beschleunigen könnte. Meine Forschungsarbeiten zur Todesstrafe wurden von der chinesischen Regierung anerkannt und auch von anderen ostasiatischen Ländern zur Kenntnis genommen. Meinem auf Grundlage dieser Forschung entstandenen Aufsatz wird in chinesischen Fachkreisen des Strafrechts große Bedeutung beigemessen. Darüber hinaus wurde der Aufsatz auch in Japan in einer juristischen Fachzeitschrift publiziert. Diese Nachforschungen zur Todesstrafe bewogen mich dazu, mich weiteren Fragestellungen bezüglich der Menschenrechte zu widmen. In einem von einem Beauftragten des Gesetzgebungsorgans geleiteten, wissenschaftlichen Projekt war ich zuständig für Untersuchungen zum Zustand des strafrechtlichen Schutzes des Persönlichkeitsrechts. Wie bereits bei meinen Forschungsarbeiten zur Todesstrafe war mein Ausgangspunkt erneut die „International Bill of Human Rights“. Im Rahmen dieses Projekts formulierte ich noch eingehender international anerkannte Kriterien zum strafrechtlichen Schutz des Persönlichkeitsrechts. Daran anschließend untersuchte ich den Zustand des strafrechtlichen Schutzes des Persönlichkeitsrechtes in China u.a. im Hinblick auf das Recht auf Leben, das Recht auf Gesundheit, das Recht auf Freiheit und das Recht auf Ehre (z.B. bezüglich Freizügigkeit, des Rechtes auf Korrespondenz, des Rechtes auf Familie und Ehe etc.). Durch meine Forschungsarbeiten entwickelte sich das chinesische Strafrecht auf diesem Gebiet positiv weiter.
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Dennoch scheute ich mich nicht davor, bestehende Probleme und deren Ursachen zu benennen und zu analysieren. Meine Nachforschungen ergaben, dass eine Verbesserung des strafrechtlichen Schutzes des Persönlichkeitsrechts im gegenwärtigen China unter der Voraussetzung einer strengen Durchsetzung des Gesetzlichkeitsprinzips durch den Aufbau eines stringenten Systems strafrechtlichen Schutzes verwirklicht werden könnte. Dies würde die Abschaffung aller Vorschriften, die gegen international anerkannte Kriterien verstoßen, beinhalten. Mein auf dieser Forschung beruhender Aufsatz ist der längste seiner Art, der bislang aus dem wissenschaftlichen Kreis chinesischer Strafrechtswissenschaftler hervorging. Meine Thesen hierzu wurden in den vergangenen Jahren mit der Absicht einer Optimierung der chinesischen Rechtsstaatlichkeit zunehmend berücksichtigt. Es lässt sich feststellen, dass die chinesische Regierung dem Menschenrechtsschutz im Laufe der Zeit zunehmend mehr Bedeutung beimisst. Nachdem die Gewährleistung der Menschenrechte Bestandteil der chinesischen Verfassung geworden war, nahm der wissenschaftliche Kreis der chinesischen Rechtswissenschaft umfassende Forschungen zum Menschenrechtsschutz auf. Auf diesem Hintergrund begann ich mit der Forschung zum Rechtsschutz besonderer Randgruppen der chinesischen Gesellschaft. Als die Regierung der Stadt Peking hierauf aufmerksam wurde, bot man mir an, bei der Gesetzgebung zur Gewährleistung der Interessen von Frauen mitzuwirken. Zuvor war ich bereits mehrfach als Berater für die Stadtregierung tätig gewesen. Dies war für mich jedoch nun der erste Anlass, der es mir erlaubte, die Ausarbeitung eines lokalen Gesetzes von A-Z zu begleiten. Meine Arbeit umfasste entsprechende Untersuchungen, die Koordination zwischen verschiedenen Abteilungen, sowie den Gesetzesentwurf selbst. Nach dem Erlass des Gesetzes beteiligte ich mich auch an der Überprüfung seiner tatsächlichen Durchsetzung. Darüber hinaus beschäftigte ich mich auch weiterhin intensiv mit häuslicher Gewalt und dem Kinderschutz. In diesem Gesetzgebungsprozess war es stark umstritten, ob spezifische Gesetze zur Prävention von Gewalt in der Familie überhaupt notwendig seien. Für eine Befürwortung dessen brachte ich politische, historische und auch rechtstheoretische Argumente an. Nachdem diese in der Großen Halle des Volkes verlesen worden waren, wurden sie schließlich in einer sehr renommierten chinesischen Frauenzeitschrift publiziert. Darüber hinaus habe ich die modernen europäischen Kriterien zum Kinderschutz zusammengefasst, um die chinesische Regierung auf die Thematik aufmerksam machen zu können. Dies gelang mir schließlich auch. Die Regierung der Stadt Peking ernannte mich außerdem
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zum Mitglied eines Stadtausschusses, der sich Gesetzen zur Gleichstellung von Frauen und Männern widmete. Diese Arbeit habe ich als sehr sinnvoll erachtet und sicherlich konnte sie dazu beitragen, das Niveau des Menschenrechtsschutzes zumindest der Stadt Peking ein Stück weit zu erhöhen.
6. Staatssicherheit Im Rückblick gehöre ich zu den ersten Strafrechtslehrern, die sich im Rahmen ihrer Forschungsarbeiten theoretisch und systematisch mit Verbrechen gegen die Staatssicherheit auseinandergesetzt haben. Jene Straftaten wurden in China bereits sehr früh als „Verbrechen gegen die Revolution“ bezeichnet. In westlichen Ländern spricht man von „Landesverrat“. Dieses Verbrechen hat eine sehr stark politische Prägung und stellt ein Phänomen dar, das in Zeiten des Friedens nicht häufig auftritt. Aus diesem Grund misst der wissenschaftliche Kreis chinesischer Strafrechtswissenschaftler diesem Thema wenig Relevanz bei. Meiner Auffassung nach handelt es sich jedoch um ein Forschungsgebiet, dem in einem Rechtsstaat Berücksichtigung zukommen sollte. In den USA wurden vom Gesetzgeber während der Staatsgründungsphase zunächst in der Verfassung Gesetze zum Landesverrat festgehalten. Zu Beginn des neuen Millenniums bat mich die Regierung der Sonderverwaltungszone Hongkong um eine fachliche Beratung zu jenem Thema. Dies war schließlich ein Anlass, mich mit dem Thema näher auseinander zu setzen. Durch meine Forschungsarbeiten hierzu wurde mir bewusst, dass das Verständnis von Verbrechen gegen die Staatssicherheit sehr eng mit dem Aufbau des Rechtsstaates und des jeweiligen Strafrechtsystems zusammenhängt. Nachdem ich auf einer Ausschreibungsliste der National Social Science Foundation das Thema des Landesverrates gefunden hatte, stellte ich mit meinen Kollegen Prof. Guo Zili und Prof. Zhang Meiying einen Antrag auf finanzielle Förderung. Es gelang uns schließlich, Fördermittel für jene Forschungsarbeiten einzuholen und ich übernahm im Folgenden die Hauptverantwortung in diesem Projekt. Mein Forschungsteam beauftragte ich damit, die einschlägigen Definitionen, theoretischen Grundlagen und Rechtsprechungen zu Fällen des Landesverrats ab Oktober 1949 zusammen zu stellen. Darüber hinaus untersuchten wir aber auch entsprechende Fälle des altertümlichen China und solche aus dem Ausland, wie etwa aus Russland, Deutschland und den USA. Dabei nahmen wir stets einen Vergleich zwischen den darin gegebenen Rechtsvorschriften und den aktuellen Gesetzen des chinesischen Strafgesetzbuches vor. In einer späteren Forschungsphase führten wir schließlich eine Rechtsvergleichung der besonderen Art durch. Hierbei verglichen wir das sogenannte „Verbrechen der
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Spaltung“, aus dem die Unabhängigkeit Taiwans resultierte, das Terrorverbrechen um die Unabhängigkeitsbewegung von Uighuristan, das Verbrechen der Spaltung durch die Unabhängigkeitserklärung Tibets und das Verbrechen der Häresie. Die Ergebnisse unserer Untersuchungen legen es nahe, zur Verwirklichung von Staatssicherheit von grausamen Strafen, Klageerhebungen und Bejahungen der Strafbarkeit, die nicht auf Rechtsstaatlichkeit beruhen, oder Methoden, die nicht auf Rechtstheorien zurückgehen, Abstand zu nehmen. Die von mir gezogene Schlussfolgerung lautet: Staatliche Sicherheit basiert auf rechtsstaatlicher Sicherheit. Die chinesische Regierung wurde auf unsere Forschungsergebnisse aufmerksam und bald darauf wurde ich von der Kommission für Staatssicherheit in Zhongnanhai als Berater eingeladen. Es zeigte sich, dass die Pläne der Kommission bereits mit meinen Empfehlungen übereinstimmten. Ein halbes Jahr später beschloss die Zentralkommission beim 18. Parteitag der Kommunistischen Partei, künftig alle Verwaltungsorgane im Land noch strenger an die Gesetzesvorschriften zu binden. Auf Basis meines Forschungsmaterials verfasste ich zwei englischsprachige Aufsätze. Bei dem ersten Aufsatz handelte es sich um: „Safety of Law as the Fundamental Guaranty of Safety of State“. Vorher hatte ich zu diesem Thema bei einer Humboldt Kolleg-Tagung in Ungarn bereits einen Vortrag gehalten. Der Aufsatz wurde schließlich in dem Sammelwerk „Freiheit – Sicherheit – (Straf) Recht: Beiträge eines Humboldt-Kollegs“ veröffentlicht. Der Titel des zweiten Aufsatzes lautet „A Reflection on Crimes against National Security in Chinese Criminal Law“. Zu dieser Thematik hatte ich zuvor bei einem Seminar des Ono Academic College in Israel referiert. Dieser Aufsatz wurde in den USA in der juristischen Zeitschrift „UMKC Law Review“ veröffentlicht. Infolge dieser beiden Veröffentlichungen wurden meine Thesen und Forschungsergebnisse zum Thema der Staatssicherheit international anerkannt.
7. Moderne Völkerstrafrechtstheorie Anfang der 1990er Jahre spielte ich mit dem Gedanken, Forschungen auf dem Gebiet des Völkerstrafrechtes vorzunehmen, da es nach Ansicht meiner älteren Kollegen innerhalb der Disziplin des Strafrechts bislang kaum Berücksichtigung gefunden hatte. Nach einem Forschungsaufenthalt widmete ich mich schließlich voll und ganz meinen Recherchearbeiten hierzu. In den Bibliotheken verschiedenster Juristischer Fakultäten, die ich besuchte, stieß ich auf eine Vielzahl an Werken zur modernen Völkerstrafrechtswissenschaft. Einst hatte ich die Völkerstrafrechtswissenschaft für eine erweiterte Disziplin der Strafrechtswissenschaft gehalten, doch im Zuge meiner Forschungsarbeiten wurde mir schließlich schnell bewusst, dass der Völkerstrafrechtswissenschaft eine
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gänzlich eigene Manier zukommt. Nach Anbruch des neuen Millenniums wurde deutlich, dass die chinesische Regierung angesichts der Gründung des Internationalen Strafgerichtshofes und des Inkrafttretens des Römischen Statuts entsprechenden Forschungsarbeiten künftig mehr Relevanz beimessen würde. Im Rahmen eines Forschungsprojekts zum Aufbau des Rechtsstaates und zu Rechtstheorie erhielt ich schließlich Unterstützung durch das Justizministerium und begann damit, mich umfassend mit dem Thema auseinanderzusetzen. Es ist aus meiner Sicht sehr bedauerlich, dass China das Römische Statut des Internationalen Strafgerichtshofs bislang nicht unterzeichnet hat. Zu Beginn meiner Untersuchungen war in China eine sehr überschaubare Forschungsbasis zur Völkerstrafrechtswissenschaft vorhanden gewesen. Aus diesem Grund setze ich es mir zum Ziel, die einschlägigen Theorien der einflussreichsten Rechtslehrer der damaligen Zeit zusammen zu stellen und zu analysieren. Dabei stellte ich auch Überlegungen an, welche Position China am Internationalen Strafgerichtshof einnehmen sollte und wie man die Völkerstrafrechtstheorie in China erfolgreich weiterentwickeln könnte. Als Teil dessen nahm ich mir bei meinen Recherchen die Monografien der jeweiligen Rechtslehrer aus den USA, Großbritannien, Deutschland und Schweden vor, wie etwa die Forschungsarbeiten von Prof. M. Cherif Bassiouni, Prof. Antonio Cassese und Prof. Dr. Kai Ambos, aber auch das Werk „The Concept of Islamic International Criminal Law“ von Dr. Farhad Malekian. Insbesondere das Buch „Principles of International Criminal Law“ von Prof. Dr. Gerhard Werle (Humboldt-Universität zu Berlin), das zu jener Zeit nur in Englisch vorlag, erwies sich als sehr wertvoll. Darin wird die Völkerstrafrechtswissenschaft aus der Perspektive deutscher Rechtslehrer dargestellt. Dabei bringt Prof. Werle in diesem Buch auch umfassend seine eigenen Ansichten zur Völkerstrafrechtswissenschaft zum Ausdruck. Ich habe für dieses Werk schließlich eine Übersetzung ins Chinesische vorgenommen, die durch den Verlag Commerce Press in China verlegt wurde. Auf Grundlage meiner Untersuchungen formulierte ich die wichtigsten aktuellen Fragestellungen und zwanzig zentrale Aspekte dieses Forschungsgebietes in meinem Werk „Moderne Völkerstrafrechtstheorie“, das als Lehrbuch ausgezeichnet wurde und heute u.a. an der Juristischen Fakultät der Peking Universität Verwendung findet. Es war mir dabei ein besonderes Anliegen, dass mein Buch die Theorien und Errungenschaften der Völkerstrafrechtswissenschaft übersichtlich und verständlich darlegen und hierdurch einen guten Zugang zum Thema schaffen würde. Bestandteil dieses Werkes ist eine Gegenüberstellung von Pro- und KontraArgumenten bezüglich der Frage, ob China das Römische Statut des Internati-
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onalen Strafgerichtshofs unterzeichnen sollte. An dieser Stelle zeige ich auf, dass die Vorteile genau genommen überwiegen und eine Unterzeichnung somit angebracht wäre. Meine Publikation leitete ich schließlich an das Gesetzgebungsorgan und das Außenministerium weiter. Nachdem sie von den Herren Professoren Gerhard Werle und Florian Jeßberger der Universität zu Hamburg überarbeitet wurde, erschien sie 2017 als Buch in der zweiten Auflage. Es würde mich aufrichtig freuen, wenn ich durch meine wissenschaftlichen Arbeiten auf diesem Gebiet ein Stück weit dazu beitragen könnte, dass die Position unseres Landes in dieser Angelegenheit überdacht wird. Meine Forschungen im Bereich des Völkerstrafrechts waren stets wissenschaftlicher Natur und meine diesbezüglichen Publikationen dienen den Lehrveranstaltungen an der Juristischen Fakultät der Peking Universität. Meine Forschung wurde von der Regierung anerkannt und zudem wurde mein Lehrbuch „Moderne internationale Strafrechtstheorie“ von der Ausbildungskommission der Stadt Peking ausgezeichnet.
III. Schluss Ich schätze mich sehr glücklich, der Lehre und Forschung auf dem Gebiet der Strafrechtswissenschaft als meiner Lebensaufgabe nachgehen zu können. Einerseits habe ich es damals selbst und ganz bewusst als mein besonderes Interessengebiet gewählt. Darüber hinaus ist es ein Fachgebiet, das sich mit der Entwicklung der chinesischen Rechtsstaatlichkeit stetig weiterentwickelt und dadurch spannend bleibt. Meine Begeisterung für Lehre und Forschung bleibt hierdurch erhalten – was jedoch nicht bedeuten soll, dass ich nicht auch schwierige Zeiten zu meistern hatte. Dennoch macht es mir immer wieder Freude, mich an neue Forschungsthemen heranzuwagen. Meine umfassenden Kenntnisse in verschiedenen Fremdsprachen erlauben es mir dabei, mich einer sehr großen Bandbreite an Forschungsthemen zu widmen. Wenn ich auf meine Arbeit als Wissenschaftler zurückblicke, lässt sich festhalten, dass ich die Werke und Aufsätze vieler amerikanischer und deutscher Rechtslehrer mit mittlerweile einigen Millionen Zeichen übersetzt habe. Darüber hinaus habe ich in Europa, Nordamerika, Asien und Lateinamerika in den Sprachen Englisch, Deutsch, Japanisch, Koreanisch, Russisch, Spanisch, Türkisch und Ukrainisch publiziert. Einige dieser Werke habe ich selbst im Englischen und Deutschen verfasst. Teilweise wurden die Übersetzungen jedoch auch von meinen ausländischen Freunden übernommen. Meine Fachgebiete umfassen alle Gebiete der modernen chinesischen Strafrechtswissenschaft – den Allgemeinen und Besonderen Teil, aber auch die Völkerstrafrechtswissenschaft, die Kriminologie und das Strafprozessrecht, denen bei der Weiter-
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entwicklung der chinesischen Strafrechtswissenschaft eine wesentliche und praxisrelevante Bedeutung zukommt. Mein Hauptinteresse gilt dennoch denjenigen Forschungsgebieten, die das Potential haben, die chinesische Rechtsstaatlichkeit voranzutreiben. Neben den genannten Fachgebieten habe ich mich zeitweise auch immer wieder gänzlich anderen Rechtsbereichen gewidmet, wie zum Beispiel dem chinesischen Sportgesetz und Migrationsgesetz. Meine Forschungsergebnisse zum Sportgesetz wurden vom Forschungsverband des chinesischen Sportgesetzes mit dem Prädikat „hervorragend“ ausgezeichnet. Die Forschungsergebnisse zum Migrationsgesetz wurden bislang noch nicht veröffentlicht, dennoch fließen sie bereits in die chinesische Migrationspolitik mit ein. Alles in allem bin ich wirklich sehr froh, durch meine Arbeit als Wissenschaftler zur Entwicklung der chinesischen Rechtsstaatlichkeit beitragen zu können. Neben der Strafrechtswissenschaft habe ich auch Forschungen im Bereich des Zivilprozessrechts und Medizinrechts vorgenommen. Mein Interesse am Zivilprozessrecht entwickelte sich durch den fachlichen Austausch mit meiner Frau Yao Hong. Meine Frau und ich haben zusammen an der Peking Universität studiert. Ihr Fachgebiet war Zivilprozessrecht. Sie war längere Zeit als Direktorin der zivilrechtlichen Abteilung eines Komitees des Ständigen Ausschusses des Nationalen Volkskongresses tätig und war dort für die zivilrechtliche Gesetzgebung zuständig. Im Bereich des Medizinrechts habe ich zu den Grenzen des strafrechtlichen Schutzes geforscht. Zu diesen zwei Rechtsgebieten habe ich einige Aufsätze im Kluwer Law International Journal veröffentlicht sowie auch in der „International Encyclopaedia of Laws“. Aufgrund meiner Forschungen zu zivilrechtlicher Praxis und Theorie wurde ich von der China International Economic and Trade Arbitration Commission (CIETAC) als Schiedsrichter eingestellt. Diese Aufgabe macht mir viel Freude, doch sie bleibt eine Nebentätigkeit. Um mich umfassend Forschungen zur Theorie des Schiedsverfahrens zu widmen, hat mir bislang leider die notwendige Zeit gefehlt. Die Würdigung meiner Forschungsarbeiten im Ausland bedeutet mir stets sehr viel. Im Jahr 2009 erhielt ich den jährlich vergebenen Forschungspreis der Alexander von Humboldt-Stiftung, der weltweit in wissenschaftlichen Kreisen auch als kleiner Nobelpreis angesehen wird. Ich fühlte mich sehr geehrt, dass ich als erster chinesischer Strafrechtslehrer den Preis erhielt. Gleichzeitig stellte dieser Forschungspreis auch eine große Ehre für den wissenschaftlichen Kreis der chinesischen Strafrechtswissenschaft dar, da er zum Ausdruck brachte, dass seine Forschungsarbeiten international anerkannt und geschätzt werden. Seit 2011 bin ich Mitglied der internationalen Jury zur Auswahl von
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Umweltschutz-Stipendiaten und wirke seit 2014 zudem auch an der Auswahl der Bundeskanzler-Stipendiaten mit. Die Alexander von Humboldt-Stiftung hat mir auf meinem bisherigen Lebensweg und im Laufe meiner wissenschaftlichen Karriere sehr geholfen. Ich schätze mich sehr glücklich, über Jahrzehnte hinweg die ständige Unterstützung dieser außergewöhnlichen Stiftung erhalten zu haben. Das Netzwerk der Humboldt-Wissenschaftler hat mein wissenschaftliches Blickfeld erheblich erweitert und für mich neue Möglichkeiten zum weltweiten Austausch mit Wissenschaftlern geschaffen, was enorm zur Qualität meiner Forschungsarbeiten beiträgt. Den wissenschaftlichen Geist der Humboldt-Stiftung versuche ich als „Vertrauenserweckender Wissenschaftler der AvH China“ in meinem eigenen Land weiter zu tragen und dabei junge chinesische Wissenschaftler für die Humboldt-Förderprogramme zu begeistern. Nachdem ich die PKU Law School 2017 ruhestandsbedingt verlassen habe, wurde ich Konrektor der Konfuzius-Stiftung der Hebrew University in Jerusalem, Israel. Meine ausländischen Freunde, die mit mir in ständigem Kontakt stehen, bewundern die Fortschritte und Weiterentwicklungen der Gesellschaft und Rechtsstaatlichkeit, die sich im Verlauf der vergangenen 30 Jahre in China ereignet haben. Es erfüllt mich wirklich mit großem Stolz und Freude, zu diesen Entwicklungen beitragen zu können. Gegenwärtig ist China nicht nur im Hinblick auf den Aufbau seines Wirtschaftssystems, sondern auch in Bezug auf seine Rechtsstaatlichkeit noch ein Entwicklungsland. Viele seiner Rechtsgebiete weisen noch unerforschtes Land auf. Es gilt somit, für eine Vielzahl an Rechtsproblemen noch überzeugende und tragfähige Lösungsansätze zu entwickeln. Ich bin sehr glücklich, mein Leben dieser großartigen Aufgabe widmen zu können.
Schriftenverzeichnis (in Auswahl) 1. Selbstständiges Schrifttum / Monographien 德国经济犯罪和经济刑法研究 [Wirtschaftskriminalität und Wirtschaftsstrafrecht in Deutschland], Peking 1998. 欧洲共同体法律的制定与执行 [Gesetzgebung und Durchsetzung der EGGesetze] (Hrsg.), Peking 2000. Criminal Law, Supplement 21 People’s Republic of China, International Encyclopaedia of Laws (Co-Autor), Den Haag 2001.
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关于著作权刑法的世界报告 [Bericht über das Urheberstrafrecht in der Welt] (Hrsg.), Peking 2008. 现代国际刑法学原理 [Kontemporäre Grundlagen des Internationalen Strafrechts] (Hrsg.), Peking 2009.
2. Lehrbücher und Fallsammlungen 现代刑法学(总论) [Modernes Strafrecht (Allgemeiner Teil)], Peking 2011.
3. Aufsätze in Zeitschriften und Sammelwerken Strafbarkeit juristischer Personen im chinesischen Strafrecht – Entwicklung und Ausblick, in: ZStW 1995, S. 1019 ff. The Judicial Explanation in Chinese Criminal Law, in: The American Journal of Comparative Law, Nr. 4, 1995, S. 569 ff. The Concept of Crime in Theory of Chinese Criminal Law: Its Dual Structure and Functions, in: China Social Science, Nr. 2, 2000, S. 89 ff. Modern Theories on Purposes of Criminal Punishment and the Chinese Choice, in: CASS Journal of Law, Nr. 3 (All Nr. 146), 2003, S. 107 ff. Environmental Crime and Environmental Criminal Law in the People’s Republic of China, in: European Journal of Crime, Criminal Law and Criminal Justice, Vol. 12, Nr. 2, 2004, S. 150 ff. New Developments of Environmental Policy and Environmental Criminal Law in the People’s Republic of China, in: ZIS 2010, S. 476 ff. Certain Basic Concepts and Their Positions in the Doctrine of Criminal Law, in: Forum of Political Science and Law, Nr. 1, 2011, S. 27 ff. Safety of Law as the Fundamental Guaranty of Safety of State, in: Karsai / Nagy / Szomora (Hrsg.), Freiheit – Sicherheit – (Straf) Recht, Göttingen 2011, S. 223 ff. Entwicklung und Probleme der chinesischen Straftheorie, in: Heinrich / Jäger / Achenbach / Amelung / Bottke / Haffke / Schünemann / Wolter (Hrsg.), Festschrift für Claus Roxin, Berlin 2011, S. 1583 ff. China auf dem Weg zur Abschaffung der Todesstrafe, in: Schulz / Reinhard / Sahan (Hrsg.), Festschrift für Imme Roxin, Heidelberg 2012, S. 855 ff.
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Beibehaltung und Beschränkung der Todesstrafe in China und ihre Anwendung auf Mord, in: Kim / Schünemann (Hrsg.), Lebensschutz im Strafrecht, Seoul 2013, S. 57 ff. A Reflection on Crimes Against National Security in Chinese Criminal Law, in: UMKC Law Review, Vol. 82, Nr 4, 2014, S. 1029 ff.
4. Übersetzungen Gerhard Werle, 国际刑法学原理, Peking 2002. Übersetzung von Gerhard Werle, Grundsätze des Völkerstrafrechts, Tübingen 2002. Claus Roxin, 德国刑法学 总论, 2005 (Band I), 2013 (Band II). Übersetzung von Claus Roxin, Strafrecht Allgemeiner Teil, München.
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https://doi.org/10.1515/9783110277708-024
Feridun Yenisey I. Einführung Im Jahr 1944 wurde ich in der kleinen südtürkischen Stadt Muğla geboren – was man wohl als einen reinen Zufall bezeichnen könnte, da meine Familie eigentlich keine Beziehungen zu dieser Region hatte. Mein Vater stammte aus der Gegend von Saloniki. Seine Familie war nach dem Ersten Weltkrieg nach Izmir umgesiedelt worden. Wenige Jahre später verstarben meine Großeltern beide in einem jungen Alter. Ein Onkel, der schon früher nach Istanbul gegangen war und dort Fuß gefasst hatte, nahm die drei Waisenkinder zu sich und zog sie auf. Es gelang ihm, meinen Vater in einem Militärgymnasium unterzubringen. Damit war er materiell versorgt, denn das Militär übernahm seine weiteren Ausbildungskosten. Nach dem Abitur studierte er Medizin. Als Gegenleistung für die Förderung musste er viele Jahre als Militärarzt arbeiten und war zur Zeit meiner Geburt in Muğla stationiert. Meine Mutter stammte aus Istanbul. Die Großmutter mütterlicherseits war die Tochter eines Offiziers im Sultanspalast. Ihre Familie hatte es ihr nie verziehen, dass sie keinen Türken, sondern einen tscherkessischen Offizier geheiratet hatte. Als mein Großvater in den Wirren des Zusammenbruchs des Osmanischen Reichs vermisst blieb, musste meine Großmutter sich mit vier kleinen Kindern mühsam und ohne Familiensolidarität durchschlagen. Es war ein Glück, dass ihre ältere Tochter einen wohlsituierten Witwer heiratete, unseren Onkel Ahmet. Mein Vater warf bald darauf ein Auge auf die kleine Schwester seiner neuen Tante, die er dann als 16-Jährige heiratete. Als junge Familie lebten wir in verschiedenen Städten in der Türkei, bevor wir später nach Istanbul zogen, wo ich kurz nach unserer Niederlassung in die Schule kam. In unserer Familie wurde eine gute Ausbildung für die Kinder als sehr wichtig erachtet. Mein Vater, der Deutsch gelernt und sogar die Medizinische Wochenschrift abonniert hatte und regelmäßig las, drang darauf, dass meine beiden Schwestern und ich im österreichischen Sankt-Georgs-Kolleg in Istanbul aufgenommen wurden. Das Schulgeld war für die damaligen Verhältnisse sehr hoch, so gab es Zeiten, in denen unsere Familie hungern musste, damit wir Kinder auf diese Schule gehen konnten. Mein Vater lehnte schließlich sogar eine vorteilhafte Versetzung in eine andere Stadt ab, weil es dort keine deutschsprachige Schule gab. Diese Ablehnung hatte überdies zur Folge, dass er aus der Militärarztlaufbahn ausscheiden und sich in höherem Alter beruflich noch eine andere Position suchen musste.
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Als das Abitur und meine Studienwahl näher rückten, dachte ich daran, Physik zu studieren, weil mir dieses Fach in der Schule immer besonderen Spaß gemacht hatte. Ich begann jedoch auch Interesse für Jura zu entwickeln, was wohl daran lag, dass nach dem Staatsstreich von 1960 viele Freunde meines Vaters aus dem Militär und der Universität bei Besuchen in unserem Hause angeregte Diskussionen über diverse mit dem Staatstreich zusammenhängende juristische Fragen führten. Meine Entscheidung fiel schließlich auf Jura.
II. Universität Istanbul Während meines Studiums an der Universität Istanbul hätte ich wohl nicht gerade als ein Student mit Spitzenleistungen bezeichnet werden können – dazu gingen mir schlichtweg zu viele andere Dinge durch den Kopf. Vor allem war ich ein leidenschaftlicher Judokämpfer und schaffte es in einem Jahr sogar zum türkischen Judomeister in der Kategorie der Jugendlichen ausgezeichnet zu werden. Mein erster Besuch in Deutschland war ein Besuch als Judoka, nicht als Wissenschaftler. Einigen Professoren, die sich für deutsches Recht interessierten, fiel jedoch bald auf, dass ich der einzige unter den Studenten war, der gute Deutschkenntnisse hatte, was dazu führte, dass sie mich zunehmend mit Übersetzungen aus dem Deutschen beauftragten. Dadurch hatte ich trotz des Massenbetriebs, der an unserer Fakultät herrschte, Gelegenheit, einige dieser Professoren persönlich besser kennenzulernen. Als mir nach dem Examen der Strafprozessrechtler Professor Nurullah Kunter vorschlug, mich an einem Bewerbungsverfahren zur Besetzung einer Assistentenstelle zu beteiligen, folgte ich dieser Aufforderung. In der schriftlichen Prüfung wurde das Verbot der reformatio in peius als Thema gestellt. Zufällig handelte es sich hierbei um ein Thema, das mich schon früher besonders interessiert hatte und in dem ich mich auskannte. So bestand ich die Prüfung als Bester und erhielt die Assistentenstelle. Kunter wurde nicht nur mein Doktorvater, sondern 1981 auch mein Trauzeuge bei der Vermählung mit meiner Frau Dilek. In der Zeit meiner Assistententätigkeit schrieb ich meine Doktorarbeit über die Berufung, die bis 2016 im türkischen Strafprozess nicht existierte1 und plädierte hierin für ihre Einführung. Ich erhielt schließlich zum ersten Mal in meiner Juristenausbildung die Bestnote.
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Die Berufung wurde zwar im Gesetz Nr. 5235 vom 26.9.2004 wieder vorgesehen, tatsächlich jedoch erst 2016 verwirklicht.
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Während meiner Assistentenzeit hatte ich Kontakt mit dem einige Jahre älteren Ergun Özsunay, der später zu einem bekannten Zivilrechtler wurde. Mir imponierte, wie gut er Deutsch und Englisch beherrschte und damit schon zahlreiche internationale Beziehungen aufgebaut hatte. Zu dieser Zeit wurde mir zum ersten Mal bewusst, wie reizvoll der Beruf des Hochschulprofessors unter diesen Bedingungen sein konnte. In diesen Jahren hatte man die Reformbedürftigkeit des türkischen Strafrechts bereits erkannt. Vor dem Hintergrund dieser Notwendigkeit organisierte Professor Sulhi Dönmezer 1972 eine Tagung über die Grundsätze der Strafrechtsreform. Dabei sollten die wichtigsten Prinzipien rechtsvergleichend untersucht werden. Derartige Tagungen wurden zur damaligen Zeit nur selten veranstaltet, was wohl daran lag, dass sie mit einem großen Vorbereitungsaufwand verbunden waren. Hierfür hatte ich für einige der Professoren Material zu sammeln, Übersetzungen vorzunehmen und Ausarbeitungen zu bestimmten Fragestellungen zu verfassen. Bei der Konferenz erlebte ich zum ersten Mal, wie rechtliche Probleme rechtsvergleichend diskutiert wurden und war schließlich zutiefst beeindruckt davon. Ein wichtiges Ereignis während meiner Assistentenzeit war ein Besuch von Professor Klaus Tiedemann in Istanbul. Seit der Zeit der deutschen Emigrantenprofessoren war es üblich, in der Universität fremdsprachige Vorlesungen und Vorträge zu hören. Die Assistenten wurden darauf trainiert, dabei zu übersetzen. So wurde auch ich zur Übersetzung von Tiedemanns Vortrag eingeteilt und lernte ihn bei dieser Gelegenheit persönlich kennen. Er vermittelte mir den Kontakt zu Professor Hans-Heinrich Jescheck und dem MaxPlanck-Institut für ausländisches und internationales Strafrecht in Freiburg, wohin ich 1979 zum ersten Mal für einen zweimonatigen Forschungsaufenthalt reiste. Mein Lehrer Kunter war türkischer Repräsentant im Europarat und war in verschiedenen Kommissionen tätig, die das Straf- und Strafprozessrecht betrafen. So kam es, dass er mir vorschlug, mich im Rahmen meiner Habilitationsschrift dem Thema „Internationale Geltung von Strafurteilen“ zu widmen. Darin befasste ich mich schließlich vor allem mit der Überstellung von Strafgefangenen. Einen Teil der Arbeiten für meine Habilitationsschrift konnte ich im Ausland durchführen. Ich hatte ein österreichisches Stipendium erhalten, das es mir erlaubte, fast ein Jahr lang bei Professor Manfred Burgstaller in Wien zu arbeiten. Mit Professor Burgstaller konnte ich viele Gespräche führen, die für den Fortschritt meiner Arbeit sehr wertvoll waren. In späteren Jahren kam er auch wiederholt zu Vorträgen nach Istanbul und nahm schließlich sogar junge türkische Wissenschaftler an seinem Institut auf. In Wien konnte ich
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auch langfristige Kontakte zum Justizministerium knüpfen – insbesondere zu Helmut Epp, der später Generalsekretär der AIDP wurde. In den folgenden Jahren hielt ich mich mehrmals am Max-Planck-Institut in Freiburg auf und sammelte dort Material für meine Habilitationsschrift. Professor Hans-Heinrich Jescheck, der sich für die Türkei interessierte und schon früher türkische Schüler2 gehabt hatte, war auch mir gegenüber sehr freundlich, so dass es zu vielen guten Gesprächen mit ihm kam. Am Max-PlanckInstitut richtete er ein spezielles Referat für die Türkei ein und es gelang ihm, Frau Dr. Silvia Tellenbach dafür zu gewinnen, sich des damit verbundenen Aufgabenbereichs anzunehmen. Dadurch wurden neben mir auch viele andere türkische Kollegen, die sich nach mir dort aufhielten, über die vergangenen Jahre hinweg stets mit großer Aufgeschlossenheit und kompetenten Gesprächspartnern empfangen. Darüber hinaus konnte man seine Recherchearbeiten in einer großartigen Bibliothek durchführen. Professor Jescheck kam schließlich 1982 mit seiner Frau im Zuge einer Vortragsreise nach Istanbul und Izmir. Dieser Besuch fand bei den türkischen Wissenschaftlern große Beachtung und sein damaliger Vortrag wurde in der Zeitschrift der Universität Istanbul veröffentlicht. Auf dieser Reise, bei der ich ihn begleiten konnte, ergaben sich zwischen uns viele weitere wichtige Gespräche. Kurz nach dieser Reise stellte Professor Jescheck den Kontakt zu Professor Hans-Joachim Hirsch in Köln her. Auch er kam einige Jahre später wiederholt zu Vorträgen in die Türkei. Zum damaligen Zeitpunkt drehte sich die Diskussion gerade um die Strafbarkeit der juristischen Personen. Der führende Istanbuler Strafrechtsprofessor Dönmezer vertrat die französische Lösung der Strafbarkeit. Mit Hirsch hatte ich viele Gespräche zu diesem Thema und er überzeugte mich von der deutschen Lösung, die die Strafbarkeit ablehnt. Über das Thema wurde in der Türkei schließlich noch lange diskutiert. Letzten Endes setzte sich jedoch die deutsche Lösung durch, welche die Basis für das heutige Gesetz lieferte.
III. Marmara-Universität Ende der 1980er Jahre plante ich eine Aktenuntersuchung zum türkischen Strafverfahren durchzuführen, nach einer Vorgehensweise, wie ich sie zuvor in der kriminologischen Abteilung des Max-Planck-Instituts kennengelernt hatte. Der Schwerpunkt sollte hierbei auf der Verfahrensdauer liegen. Bei diesem Projekt handelte es sich in der Türkei um etwas völlig Neues. Der Direktor der 2
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kriminologischen Abteilung, Professor Günther Kaiser, sagte mir seine Hilfe zu und unterstützte mich großzügig bei diesem Vorhaben. Nachdem die Akten in der Türkei geprüft worden waren, beauftragte ich drei meiner Assistentinnen damit, zwei Monate am Max-Planck-Institut zu arbeiten. Sie wurden darin unterwiesen, wie Ergebnisse zu dokumentieren und Daten entsprechend auszuwerten waren. Anhand der Ergebnisse dieser Untersuchung ließ sich erstmals anhand nachprüfbarer Daten der jeweiligen Akten belegen, dass Ermittlungsverfahren in der Türkei zwar relativ kurz waren, jedoch Mängel aufwiesen und deswegen in sehr lange Hauptverfahren mündeten. Viele Jahre später wurde in der neuen Strafprozessordnung 2005 schließlich ein Zwischenverfahren eingeführt, das es ermöglichte, Anklageschriften mit mangelhaften Ermittlungen an die Staatsanwaltschaft zurückzugeben. Diese Aktenuntersuchung führte jedoch zu einem weiteren Ereignis. Als ich dem damaligen Leiter des Strafrechtsinstituts der Universität Istanbul von meinem Vorhaben berichtet hatte, verbot er mir dessen Durchführung. Wenige Tage später traf ich den Dekan der juristischen Fakultät der Marmara-Universität, die sich damals gerade in ihrem Aufbau befand, bei einem Empfang des deutschen Generalkonsulates. Sein Glas in der Hand haltend fragte er mich, ob ich interessiert sei, an die Marmara-Universität zu wechseln. Da mir bekannt war, dass bereits Dönmezer und weitere Kollegen von der Universität Istanbul dorthin gewechselt waren, gefiel mir dieser Gedanke außerordentlich gut. Ich erkundigte mich, ob ich als Dozent an der Marmara-Universität die geplante Aktenuntersuchung durchführen könnte. Als er mir das zusagte, nahm ich sein Angebot an und ging im Jahr 1990 an die Marmara-Universität. In der Türkei wurde in jenen Jahren eine Reform des Strafprozesses, insbesondere im Hinblick auf ein menschenrechtlich einwandfreies Verfahren, diskutiert. Dabei wurde nicht nur die Rechtsprechung des Europäischen Menschenrechtsgerichtshofes verstärkt zur Kenntnis genommen, sondern auch einzelne Entscheidungen aus den Vereinigten Staaten. Das weckte mein Interesse. Während meiner Schulzeit hatte ich Englisch gelernt, was damals in der Türkei durchaus selten war. Darüber hinaus war eine meiner Schwestern nach ihrer Hochzeit nach Amerika ausgewandert, sodass sich hieraus für unsere Familie ein besonderer Bezug zu den USA ergab. So beschloss ich, ein Jahr nach Amerika zu gehen und verbrachte dort einen Forschungsaufenthalt am Syracuse University College of Law. Dieser erste Aufenthalt in Amerika führte für mich schließlich zum Aufbau eines neuen wissenschaftlichen Netzwerkes, über das ich seitdem viele weitere Male im Rahmen von Gastaufenthalten in die USA zurückkehrte. So besuchte ich beispielsweise die University of Kansas School of Law, das South Texas College of Law, das Willam Mitchell College of Law sowie die Atlan-
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taʼs John Marshall Law School und die Kennedy School of Governance, die eine Einrichtung der Harvard Law School ist. Ich hielt dort Vorlesungen zur Rechtsvergleichung im europäischen Recht und informierte mich meinerseits über das Prozessrecht in den USA, um es zu einem Bestandteil der türkischen Diskussion zu machen. Das betraf beispielsweise die ausführlichen Belehrungsgebote bei der Festnahme eines Beschuldigten oder auch das Erfordernis, eine Durchsuchung nur dann durchführen zu können, wenn ein probable cause (makul şüphe) gegeben war. Beides ist heute gesetzlich normiert. Während meiner Zeit an der Marmara-Universität übernahm ich die Weiterführung des großen Lehrbuchs zum Strafprozessrecht, das mein Lehrer Kunter bis einschließlich zur 9. Auflage alleine bearbeitet hatte. Ich selbst übernahm die weiteren Überarbeitungen des Lehrbuches zunächst bis zur 15. Auflage. Ab der 16. Auflage nahm ich die Aktualisierungsarbeiten dann gemeinsam mit Frau Professor Ayşe Nuhoğlu vor. An der Marmara-Universität führte ich Fortbildungsseminare für Richter und Staatsanwälte ein, die bis zu meinem Fortgang insgesamt 18 Mal stattfinden konnten. Das Seminar, das immer auch rechtsvergleichende Aspekte beinhaltete, wurde in der Regel von etwa 150–200 Personen besucht, unter denen sich mehrfach auch Referenten aus Deutschland befanden. Einen besonderen Höhepunkt stellte der Vortrag des ehemaligen Generalbundesanwalts Kurt Rebmann dar, der über die Terrorismusbekämpfung in Deutschland referierte. Darüber hinaus organisierte ich gemeinsam mit der University of Kansas School of Law und dem South Texas College of Law erste „Study Abroad Summer Schools“. Amerikanische Studenten kamen hierzu nach Istanbul und hörten dort Kurse im amerikanischen Recht, an denen aber auch türkische Studenten teilnahmen. In meinen eigenen Vorlesungen verglich ich türkisches, europäisches und amerikanisches Recht Einen weiteren Arbeitsschwerpunkt verdanke ich meinen damals acht und zehn Jahre alten Söhnen Mehmet und Ahmet. In der Zeit, in der in der Türkei über die Unterzeichnung der UN-Kinderrechtskonvention diskutiert wurde, entstand damals an den türkischen Schulen eine Bewegung, in deren Rahmen mit den Kindern über das Thema diskutiert wurde. Einige Vertreter dieser landesweiten Initiative für Kinder wurden eines Tages sogar im Parlament empfangen. Meine beiden Söhne waren bei dieser Sache damals mit vollem Engagement dabei gewesen und steckten mich mit ihrer Begeisterung an. Über Publikationen und Gesetzgebungskommissionen setzte ich mich dafür ein, von einem strafenden Jugendstrafrecht stärker zu einem schützenden und erziehenden Jugendrecht überzugehen, wie es dann im Jugendschutzgesetz von 2005
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gesetzlich festgelegt wurde. Auch in dieser Hinsicht war ein Austausch mit deutschen Kollegen sehr wertvoll für mich. Während dieser Jahre wurde das Prinzip des Fair Trial in der Türkei Gegenstand besonderen Interesses. Eine Zusammenarbeit mit Wolfgang Peukert und Professor Friedrich-Christian Schroeder führte schließlich zu einem Buch über Fair Trial, das in drei Auflagen erschien.
IV. Bahçeşehir-Universität Im Jahr 2001 wechselte ich an die Bahçeşehir-Universität, die mir sehr gute Arbeitsbedingungen bot. Hier stellte ich die 2.–4. Auflage des Werkes über türkisches Strafrecht, Strafprozessrecht und Strafvollzugsrecht für die Serie International Encyclopaedia of Laws des Kluwer Verlags fertig, nachdem ich die erste Auflage noch in meiner Zeit an der Marmara-Universität verfasst hatte. Im Jahr 2009 veröffentlichte ich mein Buch über das Polizeirecht. Da ich zu diesem Zeitpunkt bereits seit etwa zwanzig Jahren an Polizeischulen gelehrt hatte, war mir dieses Werk ein wichtiges Anliegen. Für die Arbeit an diesem Buch verbrachte ich weitere zwei Monate in Deutschland am Lehrstuhl von Professor Thomas Würtenberger in Freiburg und verarbeitete in diesem Werk viel aus deutschen Polizeigesetzen. In den Jahren darauf arbeitete ich gemeinsam mit meiner Kollegin Frau Professor Ayşe Nuhoğlu an einem neuen Kommentar zur Strafprozessordnung, der weitestgehend auch rechtsvergleichend deutsches, amerikanisches Recht und weitere wichtige Rechtssysteme einbezieht. Der erste Band ist 2013 erschienen und der zweite wird in Kürze abgeschlossen sein. Ferner haben wir gemeinsam ein neues Lehrbuch zum Strafprozessrecht verfasst, das 2017 in der 5. Auflage erschienen ist. Auf Anregung von Professor Ulrich Sieber wurde 2009 eine gemeinsame Research Group zwischen dem Max-Planck-Institut für ausländisches und internationales Strafrecht und der Bahçeşehir-Universität gegründet. Im Rahmen dieser Zusammenarbeit und mit der Beratung durch Professor HansJörg Albrecht konnten wir die Aktenuntersuchung zum türkischen Strafverfahren mit demselben Fragebogen wiederholen, soweit dieser nach der neuen Rechtslage noch verwendbar war. Auf diese Weise können wir anhand der entsprechenden Akten Änderungen in der türkischen Gerichtspraxis feststellen, die sich innerhalb der letzten anderthalb Jahrzehnte ergeben hatten. Ein weiteres Projekt, das wir mit dem Max-Planck-Institut und der Harvard Kennedy School durchführen, betrifft die Untersuchungshaft. Eine wichtige Frage dabei ist, wann ein Staatsanwalt Untersuchungshaft beantragt und unter welchen
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Umständen ein Richter Untersuchungshaft verhängt. Die Untersuchungshaft umfasst einen Gegenstandsbereich, anhand dessen viele kulturelle Unterschiede zwischen der Türkei und Deutschland deutlich werden. Die gesetzliche Regelung ist zwar in den wesentlichen Zügen gleich gestaltet, doch in der Rechtsanwendung bestehen große Unterschiede. Die Bevölkerung erwartet bei schweren Delikten, dass Verdächtige in Untersuchungshaft genommen werden. Auch wenn kein gesetzlicher Haftgrund vorliegen sollte, ordnen Richter deswegen gelegentlich eine Untersuchungshaft an, damit Beschuldigte nicht angegriffen werden. Weitere geplante Projekte sollen beispielsweise Fragen des europäischen Strafrechts oder der Telefonüberwachung betreffen. Darüber hinaus wurde in der juristischen Fakultät der Bahçeşehir-Universität eine Zweigbibliothek des Max-Planck-Instituts eingerichtet, die von vielen Studenten, Dozenten und Angehörigen der Justiz für deren Recherchearbeiten besucht wird. In der Türkei werden Gesetze vorbereitet, indem im Vorlauf Forschungsprogramme durchgeführt werden, bei denen Gesetzgebungsvorhaben, die anfangs nur in ihren Grundzügen festliegen, zu detaillierten Regelungen ausgearbeitet werden. Dabei wird vor allem auch rechtsvergleichend vorgegangen. Zurzeit bin ich in vier Kommissionen tätig, die für die Reform der Militärgerichtsbarkeit, des Sicherheitssektors, des Jugendstrafrechts und für die Effizienz der ordentlichen Gerichtsbarkeit arbeiten. Da mir jedoch auch die Lehre sehr wichtig ist, habe ich an der BahçeşehirUniversität das Institute for Global Understanding of Rule of Law (IGUL) gegründet. In dessen Rahmen werden Fortbildungsseminare für Richter, Staatsanwälte und Rechtsanwälte angeboten, an denen stets auch ausländische Referenten beteiligt sind, die rechtsvergleichende Aspekte anbringen. So reisten hierfür beispielsweise aus den USA Herr Antonin Scalia und Frau Ruth Bader Ginsburg an, beide Richter am U.S. Supreme Court. Damit unsere Studenten bereits in frühen Semestern ausreichend Gelegenheit haben, andere Länder und Rechtskulturen kennenzulernen, haben wir an der Bahçeşehir-Universität viele Möglichkeiten geschaffen, um Studienreisen ins Ausland unternehmen zu können. Ich selbst bin beispielsweise mit Studentengruppen am ICC, sowie am Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte und an verschiedenen Universitäten in Deutschland zu Besuch gewesen; darunter an der Humboldt Universität in Berlin und an den Universitäten Freiburg und Regensburg. Gemeinsam mit Herrn Professor Eric Hilgendorf von der Universität Würzburg haben wir die sogenannten „Würzburger Wochen“ eingeführt. Hierzu kommen deutsche Dozenten, Assistenten, aber auch Studenten an die
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Bahçeşehir-Universität und unterrichten dort deutsches Recht. Entsprechende Gegenbesuche der Bahçeşehir-Universität sind in Planung.
V. Schluss Eigentlich bin ich schon ein Emeritus, aber ich arbeite weiter als Wissenschaftler und als Lehrer. Meine Arbeit an der Universität bereitet mir viel Freude – insbesondere im Rahmen internationaler Bezüge. 2014 wurde mir eine fast 3.000 Seiten umfassende Festschrift überreicht, zu der zahlreiche ausländische und türkische Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler beigetragen hatten.3 Das war mir eine große Freude und ein Ansporn, auch weiter im Rahmen meiner Kräfte tätig zu sein. In den vergangenen Jahrzehnten konnte ich die Weiterentwicklung der Türkei mitverfolgen und feststellen, dass die Menschenrechte im Strafverfahren immer mehr den Europäischen Standards folgen. Ich hoffe sehr, dass auch der internationale Terrorismus der letzten Jahre diese Entwicklung nicht auf Dauer beeinträchtigt.
Schriftenverzeichnis (in Auswahl) 1. Selbständiges Schrifttum / Monographien Muhakemesi Hukukunda Istinaf ve Tekrar Kabulü Sorunu [Die Berufung im Strafprozessrecht und das Problem ihrer Wiedereinführung], İstanbul 1979. Milletlerarası Ceza Hukuku, Ceza Yargılarının Milletlerarası Değeri ve Mevzuatı [Das Internationale Strafrecht, die internationale Geltung von Strafurteilen und entsprechende Vorschriften], İstanbul 1988. Uygulanan ve Olması Gereken Ceza Muhakemesi Hukuku: Duruşma ve Kanunyolları [Strafprozessrecht in der Anwendung und wie es sein sollte: Hauptverhandlung und Rechtswege], 2. Aufl., İstanbul 1990. Uygulanan ve Olması Gereken Ceza Muhakemesi Hukuku: Hazırlık Soruşturması ve Polis [Strafprozessrecht in der Anwendung und wie es sein sollte: Ermittlungsverfahren und Polizei], 2. Aufl., İstanbul 1991. İnsan Hakları Açısından Arama, Elkoyma, Yakalama ve İfade Alma [Durchsuchung, Beschlagnahme, Festnahme, polizeiliche und staatsanwaltschaftliche Vernehmung aus der Sicht der Menschenrechte], AÜSBF İnsan Hakları Merkezi Yayını No. 12, Ankara 1995.
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Prof. Dr. Feridun Yenisey’e Armağan, İstanbul 2014.
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Dürüst Yargılanma Hakkı [Fair Trial], mit F.-C. Schroeder und W. Peukert, İstanbul 1999. Criminal Law in the Global Risk Society, Series of the Max-Planck Institute for Foreign and international Criminal Law and Bahcesehir University Joint Research Group, Volume T-1, herausgegeben zusammen mit U. Sieber, Istanbul 2011. Kolluk Hukuku [Polizeirecht], 2. Aufl., Istanbul 2015. Criminal Law in Turkey, Monograph for International Encyclopaedia of Laws, 5. Aufl., Boston 2016.
2. Lehrbücher und Fallsammlungen Ceza Muhakemesi Hukuku [Strafprozessrecht], gemeinsam mit E. Cihan, 2. Aufl., İstanbul 1997. Muhakeme Hukuku Dalı Olarak Ceza Muhakemesi Hukuku [Das Strafprozessrecht als Zweig des Prozessrechts], mit N. Kunter und A. Nuhoğlu, 18. Aufl., Istanbul 2010. Açıklamalı Ceza Muhakemesi Kanunu [Die Strafprozessordnung mit Erläuterungen], Vol. 1, mit A. Nuhoğlu, İstanbul 2013. Ceza Muhakemesi Hukuku Ders Kitabı [Strafprozessrecht. Ein Lehrbuch], mit A. Nuhoğlu, 5. Aufl., Istanbul 2017.
3. Aufsätze in Zeitschriften und Sammelwerken Die Entwicklungen im türkischen Strafrecht von 1960 bis 1983, in: ZStW 1984, S. 212 ff. Die rechtliche Stellung des im Ausland straffällig gewordenen Türken in der Türkei, in: Informationsbrief Ausländerrecht 10, 1988, S. 125 ff. Vorläufige Festnahme und Untersuchungshaft im türkischen Strafrecht, in: Dünkel / Vagg (Hrsg.), Untersuchungshaft und Untersuchungshaftvollzug – Waiting for Trial, Freiburg i. Br. 1994, S. 729 ff. Zum türkischen Straf- und Strafprozess: Entwicklungen zwischen 1983 und 1995, in: ZStW 1997, S. 243 ff. Efficiency of the Turkish Criminal Justice System Before 1991, in: Ceza Hukuku Reformu, İstanbul 2001, S. 807–836.
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Der Begriff des Fair Trial im türkischen Strafverfahren unter Berücksichtigung der höchstrichterlichen Rechtsprechung, in: Hoyer / Müller / Pawlik / Wolter (Hrsg.), Festschrift für Friedrich-Christian Schroeder, Heidelberg 2006, S. 809 ff. Zur Bekämpfung der Geldwäsche nach neuem türkischen Recht, in: Sieber / Dannecker / Kindhäuser / Vogel / Walter (Hrsg.), Festschrift für Klaus Tiedemann, Köln / München 2008, S. 1191 ff. Yargılamanın Yenilenmesi Muhakemesi [Das Wiederaufnahmeverfahren], mit A. Nuhoğlu, in: Bahçeşehir Üniversitesi Hukuk Fakültesi Dergisi 123/124, 2015, S. 1 ff. Tutuklama Kurumunun Uygulanması Hakkında Görüşler [Meinungen zu den Inhaftierungspraktiken], mit A. Nuhoğlu, in: Bahçeşehir Üniversitesi Hukuk Fakültesi Dergisi 125/126, 2015, S. 7 ff.
4. Übersetzungen Translation of the Turkish Criminal Procedure Code, 3. Aufl., Istanbul 2015. Übersetzung der Türkischen Strafprozessordnung. Strafgesetzbuch: Alman Ceza Kanunu (Almanca Metin, Türkçe Çeviri, Açıklamalar ve Sözlük), mit G. Plagemann, 2. Aufl., Istanbul 2015. Übersetzung des Deutschen Strafgesetzbuchs mit Erläuterungen und Glossar. Alman Ceza Muhakemesi Kanunu (Almanca Metin – Türkçe Çeviri), mit S. Oktar, 2. Aufl., İstanbul 2015. Übersetzung der Deutschen Strafprozessordnung.
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https://doi.org/10.1515/9783110277708-025
Patricia Ziffer I. Für jemanden, der sich dem Studium des Rechts gewidmet hat, ist das Vorhaben, den eigenen Werdegang anstelle eines schlichten Curriculum Vitae in einer autobiographischen Darstellung nachzuzeichnen – in der sich auch Erlebnisse des kulturellen Austausches mit Deutschland widerspiegeln – mit einem interessanten Perspektivenwechsel und beinahe mit einer Einladung, in die Schriftstellerei einzutauchen, verbunden. Ich wurde im Jahre 1962 geboren, mitten im Stadtzentrum von Buenos Aires und nur wenige Meter entfernt vom Palacio de Justicia [Justizpalast], in welchem ich Jahre später arbeiten sollte. Mein Vater war Arzt und meine Mutter war als Journalistin tätig. Wie es in Argentinien häufig vorkommt, waren sie beide Kinder europäischer Immigranten, die auf der Suche nach einem besseren Leben nach Amerika gekommen waren. Meine Großeltern mütterlicherseits waren spanischen und italienischen Ursprungs. Meine Großmutter väterlicherseits stammte aus einer irischen Familie und ihr Ehemann, Adolfo Ziffer, wurde in der Stadt Doubrava, im heutigen Tschechien, geboren. Während meiner Kindheit gehörte es zu meinem Alltag, dass sich verschiedene Sprachen auf konfuse Art und Weise mit dem für Buenos Aires eigenen Spanisch vermischten. Meine ersten Schuljahre verstrichen während der unruhigen 1970er Jahre in einer Privatschule, in der ich meine ersten formalen Kontakte mit der deutschen Sprache hatte. Nicht einmal die Schulkinder konnten den Auswirkungen einer durch Gewalt gezeichneten Epoche entfliehen; Terroranschläge oder die Nachricht über eine Bombenexplosion hier und dort überraschten uns selten. Nach dem Abschluss der Mittelstufe im März 1976 trat ich mit dem Ziel, das Abitur zu erreichen, in eine öffentliche Schule ein; fast im selben Moment in dem ein Militärputsch die konstitutionelle Regierung stürzte und die Militärdiktatur in Argentinien einläutete. Dies war nicht das erste Mal, dass die demokratische Regierung durch einen Militärputsch unterbrochen wurde; schon vorher schien der Wechsel zwischen de jure und de facto Regimen einem „natürlichen“ Wesenszug des politischen Lebens in Argentinien zu entsprechen. So schien niemand weder übertrieben besorgt noch in der Lage zu sein, das Ausmaß der staatlichen Gewaltherrschaft, die sich zwischen 1976 und 1981 entfesseln würde, vorherzusehen.
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Meine Jugend verstrich schließlich in einer düsteren, von Furcht gezeichneten Atmosphäre mit wenig Raum für offene Diskussionen. Dessen ungeachtet, beschloss ich (da meine neue Schule keinen Deutschunterricht anbot), meine Deutschstunden im Goethe-Institut von Buenos Aires fortzusetzen, um das, was ich bereits gelernt hatte, nicht zu vergessen. Das „Goethe“ glich in jenen Jahren einer Insel, auf der sich niemand zu sehr über die Konsequenzen dessen, was er sagte, zu sorgen schien. In einem die Persönlichkeit prägenden Alter hatte ich dort die Möglichkeit, nicht nur mit dem „Für“ und „Wider“ eines Argumentes in Kontakt zu geraten, sondern auch mit Inhalten, die mir auf andere Weise völlig fremd erschienen wären. Unter anderem waren die Humanisierung der Arbeit, das aufkommende Interesse für den Umweltschutz und die Diskussion rund um die Emanzipation der Frau Teil der „Lektionen“ und machten die argentinischen Schüler auf eine Welt voller sozialer und politischer Probleme aufmerksam, über die man kritisch und offen diskutieren konnte. Der Kontrast zu der Art und Weise, wie der Unterricht in meiner Schule ablief, war gravierend. Nachdem ich 1981 meine Schulzeit mit dem Abitur abschloss, für das ich einen geisteswissenschaftlichen Schwerpunkt gewählt hatte, trat ich in die Juristische Fakultät der Universität von Buenos Aires ein – zu einem Zeitpunkt, als sich die Rückkehr zur Demokratie bereits erahnen ließ. Meine Entscheidung, Jura zu studieren, fällte ich mehr oder weniger willkürlich, da ich in jenem Moment nur das Ziel vor Augen hatte, einen Universitätsabschluss zu erreichen, der es mir erlauben würde, in den Auswärtigen Dienst einzutreten und eine diplomatische Laufbahn einzuschlagen. Die ersten mit dem Privatrecht verknüpften Vorlesungen festigten diese Entscheidung. Kaum hatte ich jedoch mit dem Strafrechtsstudium begonnen, hatte ich keine Zweifel daran, dass sich mein Kurs auf dieser „Reise“ ändern würde. Abgesehen davon, dass mir die Materie außergewöhnlich interessant erschien, beinhaltete das Strafrechtsstudium die Lektüre zahlreicher Werke deutscher Autoren. In diesem Zusammenhang stellte die Tatsache, die deutsche Sprache zu beherrschen, einen entscheidenden Vorteil für meine spätere berufliche Entwicklung dar und ich entschied mich, endgültig diesen Weg zu gehen. Dabei handelte es sich sicher nicht um einen Fehler. Schon als Studentin begann ich, Artikel aus der „ZStW“ für die „Doctrina Penal“ [wörtl. Strafrechtslehre] zusammenzufassen, die damals wahrscheinlich renommierteste Fachzeitschrift Argentiniens im Bereich des Strafrechts. So kam es dazu, dass mich jene einfachen Zusammenfassungen dazu verleiteten, mich frühzeitig einer akademischen Laufbahn zu widmen.
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II. Mein Universitätsstudium verlief relativ ruhig. Weiter fortgeschritten im Studium und mit der Entscheidung, mich auf das Strafrecht zu spezialisieren, fing ich Ende des Jahres 1983 an, als Angestellte am Juzgado de Instrucción [Amtsgericht] zu arbeiten, während ich allmählich zum Abschluss meines Studiums kam. Parallel dazu arbeitete ich als studentische Hilfskraft am Lehrstuhl für Strafrecht, den Herr Prof. David Baigún, einer der Direktoren der Zeitschrift „Doctrina Penal“, innehatte. Bereits während der letzten Jahre meines Studiums wusste ich, dass ich die Universität auch nach Erlangen des Anwaltstitels (mit welchem man das Studium der Rechtswissenschaften in Argentinien abschließt) nicht verlassen würde. Dieses Vorhaben erforderte es jedoch, sowohl damals als auch heute, das akademische Amt mit einer anderen juristischen Tätigkeit zu verbinden. In Argentinien ist es nämlich grundsätzlich finanziell gar nicht möglich, ausschließlich von der Professorentätigkeit zu leben. Aus diesem Grund wird man dort keine Hochschullehrer antreffen, die es sich leisten könnten, lediglich von dem Gehalt zu leben, das sie über ihre Tätigkeit an der Universität beziehen. Von neu gegründeten Privatuniversitäten einmal abgesehen, haben Professoren in Argentinien kein eigenes Büro im Fakultätsgebäude, sondern unterbrechen ein oder zwei Mal wöchentlich ihre Arbeit als Richter oder Anwalt, um Vorlesungen zu halten. Jegliche Forschungsarbeit erledigt man somit auf Kosten von Freizeit, die gewöhnlich sehr knapp ausfällt. So kam es, dass ich nach dem Abschluss meiner Studienzeit im Jahr 1987 eine Tätigkeit als Fachsekretärin in einer Berufungskammer der Bundesjustiz annahm. Dort hatte ich die Aufgabe, den Richtern bei der Besprechung der in den Akten enthaltenen juristischen Probleme zuzuarbeiten. Dies ermöglichte es mir, eine gewisse Praxis in der Wahrnehmung theoretischer Probleme aufrechtzuhalten, und gleichzeitig hatte ich ausreichend Zeit, meine Tätigkeiten als Hilfskraft an der Universität fortzuführen. In diesem Jahr legte ich außerdem auch mein Examen ab, fing damit an, als graduierte Hilfskraft zu arbeiten und nahm meine erste Übersetzung ins Spanische vor. Im Auftrag von Herrn Prof. Julio Maier übersetzte ich das Werk „Strafrecht und rechtsfreier Raum“ von Hans-Joachim Hirsch, veröffentlicht in der Festschrift für Bockelmann. Die spanische Version wurde schließlich in der „Doctrina Penal“ veröffentlicht. Darüber hinaus sammelte ich dort meine ersten Erfahrungen im Übersetzen einer juristischen Arbeit ins Spanische und lernte damit eine Tätigkeit kennen, die ich in meiner wissenschaftlichen Laufbahn noch häufig erledigen würde und die mich auch heute noch fasziniert. Für meine Zukunft hielt diese Aufgabe sogar noch viel mehr bereit. Während der Korrekturarbeiten der
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ersten Übersetzungsversionen in der Kanzlei, in welcher Herr Prof. Maier arbeitete, hatte ich Gelegenheit, Herrn Prof. Marcelo Sancinetti kennenzulernen, der bald darauf mein Ehemann und Begleiter in den wichtigsten Vorhaben meines Lebens wurde.
III. Kurz nach unserer Hochzeit 1989 schloss mein Mann seine Doktorarbeit ab. Diese ermöglichte ihm ein Stipendium der Alexander von Humboldt-Stiftung für die Durchführung einer Forschungsarbeit zusammen mit Herrn Prof. Günter Jakobs im Rechtsphilosophischen Seminar der Universität Bonn. So zogen wir Mitte 1991 in das Gästehaus der Stiftung, das im vornehmen Stadtviertel Bad Godesberg lag, und eine der glücklichsten Phasen sowohl unseres beruflichen als auch unseres privaten Lebens nahm ihren Anfang. Die Anbindung an eine Universität, in der man mit Eifer seinen Aufgaben nachgeht, und die Warmherzigkeit, mit welcher ich als Begleiterin meines Mannes von Herrn Prof. Jakobs und all seinen Mitarbeitern empfangen wurde, sind mir in unvergesslicher Erinnerung geblieben. Um von dem Aufenthalt in jeder Hinsicht zu profitieren, begann ich mit dem Studium für einen Magister iuris und legte die entsprechenden Klausuren aus den Vorlesungen der Herren Prof. Kindhäuser (Strafrecht AT), Marquardt (Kriminologie) und Pietzcker (Staatsrecht I) ab. Zur gleichen Zeit wurde mir freundlicherweise erlaubt, die Seminare von Herrn Prof. Jakobs zu besuchen, in denen intensive und wertvolle theoretische Diskussionen ein fester Bestandteil waren. Die Diskussionen beschränkten sich im Übrigen nicht allein auf das Seminar. Jeden Tag lud Herr Prof. Jakobs freundlicherweise alle ausländischen Stipendiaten, die mit ihm Forschungsarbeit betrieben, ein, ihn in die Mensa zu begleiten, wo die pittoreske Gruppe schließlich ihre Debatten fortführte. So geschah es, dass ich während meines Aufenthaltes in Bonn nicht nur die deutsche Rechtskultur, sondern auch kompetente Kollegen anderer Nationalitäten kennenlernte, unter anderem Manuel Cancio aus Spanien, Yung Shiomi aus Japan und die kolumbianischen Kollegen Yesid Reyes Alvarado, Eduardo Montealegre-Lynett und Claudia López Díaz. Der regelmäßige Besuch der Universität wurde durch meine Schwangerschaft und der damit verbundenen ärztlichen Anweisung, eine Auszeit zu nehmen, unterbrochen und legte die Fertigstellung meiner Magisterarbeit vorerst auf Eis – doch die Freude über die Geburt meiner ersten Tochter, Sofía Maria, am 28. August 1992 im evangelischen Krankenhaus in Bonn, beseitigte jedes erdenkliche Trübsal.
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Nach den ersten mühsamen Monaten der Stillzeit nahm ich nach und nach meine akademischen Projekte wieder auf. Einem Rat von Herrn Prof. Jakobs folgend, fing ich mit einer Forschungsarbeit zur Dogmatik der Strafzumessung an; ein Thema, zu welchem in Argentinien so gut wie keine doktrinäre Ausarbeitung existierte. Mit der unschätzbaren Unterstützung meines Mannes, der die Pflege unserer Tochter mitübernahm, ging ich regelmäßig in die Universitätsbibliothek, um damit zu beginnen, bibliografisches Material zu sammeln, das ich später zu Hause lesen und verarbeiten konnte.
IV. Aber so wie alles Schöne auch ein Ende hat, neigte sich auch unser Aufenthalt in Bonn zu Weihnachten 1993 seinem Ende zu. Nach zweieinhalb Jahren in Deutschland konnten wir die Rückkehr nach Argentinien nun nicht weiter hinauszögern. Das Stipendium war sechs Monate zuvor ausgelaufen und die Ersparnisse, mit denen wir unseren Aufenthalt verlängert hatten, damit mein Mann seine Forschungen abschließen konnte, waren erschöpft. Wir mussten die Rückreise antreten und wussten, dass es nicht leicht sein würde, ein Leben, das ausschließlich der Forschung gewidmet war, aufzugeben. Kurz bevor wir Argentinien verlassen hatten, hatte die Kanzlei, in welcher mein Mann gearbeitet hatte, geschlossen und ich hatte mein Amt bei der Justiz aufgegeben, so dass wir uns gezwungen sahen, praktisch wieder bei Null anzufangen. Es folgten schwierige Wochen für uns. Nachdem die anfängliche Freude über das Wiedersehen mit Familie und Freunden verstrichen war, sahen wir uns in einer recht verzwickten finanziellen und beruflichen Lage. Uns waren lediglich unsere Stellen an der Universität erhalten geblieben, was nicht ausreichte, um das Familienleben zu finanzieren. Auch wenn man es nicht vermuten mag, öffnete uns der wissenschaftliche Aufenthalt in Deutschland keine Türen, sondern schien vielmehr einen gewissen Argwohn unter den argentinischen Kollegen zu schüren. Nichtsdestotrotz verbesserte sich die Lage nach einer Weile. Nachdem ich einige Zeit lang als Rechtsanwältin gearbeitet hatte, erlangte ich meine ehemalige Stelle in der Bundesjustiz wieder. Gleichzeitig nahm ich das Vorhaben, eine Forschungsarbeit zur Strafzumessung anzufertigen, wieder auf. Obwohl ich einen Großteil des bibliographischen Materials per Schiff aus Bonn hatte kommen lassen, war es nicht einfach, die Arbeit abzuschließen, weil ich gleichzeitig noch versuchte, meine Tätigkeit an der Universität und am Gericht unter einen Hut zu bringen. Aus diesem Grund bewarb ich mich schließlich um ein Kurzzeitstipendium des Max-PlanckInstituts für Ausländisches und Internationales Strafrecht in Freiburg im Breisgau.
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Zwischen März und Juni 1995 richtete sich unsere Familie in einer kleinen Wohnung in der malerischen Studentensiedlung, der „Stusie“ im Seepark von Freiburg, ein. Meine Tochter Sofía Maria verbrachte einen Großteil des Tages in einer Krabbelstube im Stadtteil Zähringen, wo sie ein zweites Mal Kontakt mit der deutschen Sprache hatte. Unterdessen sammelten mein Mann und ich Material und arbeiteten, neben Stipendiaten aus allen Ecken der Welt, in der unvergleichlichen Bibliothek des Instituts. Dieser Aufenthalt erlaubte es mir, meine Literatur zu aktualisieren und die Arbeit abzuschließen, die schließlich 1996 in Buenos Aires veröffentlicht wurde. Das Werk mit dem Titel „Lineamientos de la determinación de la pena“ [Grundzüge der Strafzumessung] zeigte die aktuellen Standpunkte zur Diskussion über dieses Thema maßgeblich unter der Berücksichtigung der deutschen Fachliteratur. Die Struktur der Normen zur Strafzumessung im StGB und im argentinischen „Código Penal“ [Strafgesetzbuch] enthielt signifikante Parallelen, was mir die problemlose Übertragung der doktrinären Ausarbeitungen aus Deutschland auf das argentinische System ermöglichte. Bis zu dieser Zeit wurde die Entscheidung zur Art und Höhe der Strafe in den Gerichtsurteilen mit der einfachen Referenz „Das Gericht hat die strafverschärfenden und mildernden Umstände des Falles berücksichtigt.“ abgehandelt. In meiner Arbeit vertrat ich die Auffassung, dass es in einem Rechtsstaat unzulässig sei, den für den Angeklagten wahrscheinlich bedeutendsten Punkt auf eine einfache Floskel zu reduzieren und, dass die Unmöglichkeit, eine syllogistische Begründung zu finden, nicht davon befreit, die Gründe des Urteils aufzuzeigen, sondern gerade das genaue Gegenteil verlangt. Das Werk verbreitete sich schneller als erwartet, was wahrscheinlich am Interesse an einem Thema, das bislang kaum theoretisch ausgearbeitet worden war, lag. Bereits im Jahr 1999 wurde die zweite Auflage veröffentlicht.
V. Meine Forschungsarbeit über die für das argentinische Rechtssystem typischen Probleme der Strafzumessung untersuchte unter anderem die Tatsache der gleichzeitigen Anwendung der Strafverschärfung bei Wiederholungstaten eines Wiederholungstäters und dessen Unmöglichkeit, unter dem Gesichtspunkt des Doppelverwertungsverbots während des Vollzuges der Freiheitsstrafe Zugang zu einer Restaussetzung zur Bewährung zu erhalten. Dieses Konzept stellte den Schwerpunkt eines Vortrags dar, mit welchem ich gemeinsam mit einem Kollegen den ersten Platz bei einer Ausschreibung gewann, aufgrund derer ich schließlich im Mai 1996 zur Assistenzprofessorin an der Juristischen Fakultät der Universität von Buenos Aires ernannt wurde. Damals
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übernahm ich den jährlich stattfindenden Kurs zu „Elementen des Straf- und Strafprozessrechts“ am Lehrstuhl Prof. Maier, den ich heute noch abhalte und dessen Ziel es ist, die Studenten mit der Theorie des Strafrechts und Strafprozessrechtes vertraut zu machen und sie gleichzeitig in der Lösung strafrechtlicher Fälle zu schulen. Zu dieser Zeit musste ich zudem, obwohl ich bereits ordentliche Professorin war, noch meine Doktorarbeit anfertigen – was in Argentinien nicht unüblich ist. Ein geeignetes Thema zu finden, schien nicht einfach. Meine vorherigen Forschungsarbeiten bezüglich der Strafzumessung hätten als Basis für eine Doktorarbeit dienen können, aber ein Großteil der Ansätze, die ich in einer Untersuchung weiter hätte ausarbeiten können, waren schon veröffentlicht worden und deshalb vom Verordnungswege her vom Thema ausgeschlossen. Hinzu kam die Erledigung alltäglicher Aufgaben – die Vereinbarung meiner Arbeit an der Universität und bei der Justiz mit dem Familienleben. Im Mai 1997 wurde mein zweites Kind, Marcelo Augustín, geboren und im Dezember 1998 die Kleinste, María Lucía. In der Zwischenzeit hatte ich angefangen, als „secretaria letrada“ [Fachsekretärin] am Corte Suprema de Justicia de la Nación [Oberster Gerichtshof] zu arbeiten – eine Tätigkeit, die ich auch heute noch ausübe. Dieses Gericht ist einerseits, so wie der amerikanische „Supreme Court“, für Fälle zuständig, die mit dem Bundesrecht verbunden sind, andererseits aber auch für Fälle, in welchen Verletzungen von Grundrechten und von Verfassungsgarantien zur Debatte stehen. Ähnlich wie bei meinen vorherigen juristischen Tätigkeiten, bestand meine Arbeit auch hier darin, Akten zu bearbeiten, die problematischen Gesichtspunkte ausfindig zu machen und einen Urteilsvorschlag zum Fall vorzulegen. Damals, Ende der neunziger Jahre, beherrschten diverse Skandale politischer Korruption die öffentliche Diskussion. In zahlreichen Fällen mit starker medialer Resonanz fing man deshalb an, das Fehlen einer klaren, auf spezifischen Tatsachen basierenden Anklage durch die vage Zuschreibung der Eigenschaft als „Mitglied – oder gegebenenfalls Chef – einer kriminellen Vereinigung“ zu ersetzen. In der Praxis bedeutete dies, dass der Verdächtigte in vielen Fällen in Untersuchungshaft gehalten wurde und man weder genau über bestehende Fluchtgefahr noch über die Tatsache, was diesem genau als Straftat vorgeworfen wurde, Bescheid wusste. So ermöglichte es die Instrumentalisierung des Straftatbestandes „kriminelle Vereinigung“ die charakteristischen Schwierigkeiten bei Ermittlungen von Anklagen wegen politischer Korruption zu meiden und gleichzeitig das Bild einer aktiven und effizienten Justizverwaltung in der öffentlichen Meinung – ohne Kenntnis juristischer
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Termini – zu erwecken. Gegen eine solch zweifelhafte Rechtspraxis erhoben sich bald Stimmen, welche ganz direkt die Verfassungswidrigkeit der Straftat der „kriminellen Vereinigung“ forderten. Dies weckte mein Interesse für die diversen theoretischen Probleme, die das Delikt „kriminelle Vereinigung“ darstellte, was schließlich auch Thema meiner Doktorarbeit wurde. Unter der Leitung von Herrn Prof. Maier setzte ich das Projekt schließlich in die Tat um. 2005 wurde die Arbeit angenommen und anschließend als Buch veröffentlicht. Im Rahmen seiner Arbeit hatte mein Mann mehr oder weniger zufällig bereits einiges an deutscher Rechtslehre zu diesem Thema gesammelt. Das Material erwies sich als unschätzbare Hilfe, um die strittigsten Punkte dieser Art von Straftaten, von denen viele in der argentinischen Rechtslehre noch gar nicht behandelt worden waren, kennenzulernen. Mein Werk war eine kritische Analyse der Tatbestandsmerkmale der Straftat „kriminelle Vereinigung“ im argentinischen „Código Penal“, mit dem Hauptziel, Auslegungsgrundsätze aufzustellen, um nicht mittels dieser Figur die Grundprinzipien des handlungsorientierten Strafrechts anzugreifen. Im Wesentlichen verfechte ich darin – im Gegensatz zur herrschenden Rechtslehre in Argentinien – den konkret bestimmbaren Charakter des Tatbeitrags, den der Täter erbringen muss, um als „Mitglied“ einer solchen Vereinigung qualifiziert werden zu können. Der aktuellste und zugleich umstrittenste Punkt betraf die Diskussion über die Konkurrenz der Delikte der Eigenschaft als Mitglied einer kriminellen Vereinigung einerseits und der konkreten, durch die Mitglieder dieser Vereinigung begangenen Taten andererseits. Bis zu diesem Moment vertrat die argentinische Rechtslehre fast unstrittig den Lösungsansatz der Realkonkurrenz, und die Figur der sogenannten Klammerwirkung war wenig verbreitet. Der Lösungsvorschlag der Doktorarbeit für derartige Fälle folgte der Auffassung von Jakobs. Diese Ansicht, wenn sie auch nicht allzu viel Anklang fand, half mir dabei, das Bewusstsein über die implizierten komplexen theoretischen Aspekte zu erweitern, sowohl in Bezug auf das materielle Strafrecht als auch auf die prozessualen Konsequenzen der unterschiedlichen Lösungswege und ganz besonders was die Problematik des Strafklageverbrauchs bei Organisationsdelikten angeht.
VI. Der erfolgreiche Abschluss meiner Doktorarbeit war ohne Zweifel ein wichtiger Schritt in meiner akademischen Laufbahn. Unter anderem eröffnete er mir den Zugriff auf die Stipendien der Alexander von Humboldt-Stiftung und ich
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hatte die Möglichkeit, das unvergessliche Erlebnis in Bonn zu wiederholen. Nichtsdestotrotz hatten sich die Umstände im Vergleich zum vorherigen Auslandsaufenthalt deutlich geändert. Allem voran hatte ich die Altersbeschränkung von 40 Jahren für die Humboldt-Stipendien bereits überschritten und dies glich einem unüberwindbaren Hindernis. Des Weiteren ging es jetzt nicht mehr nur um meinen Mann und mich; ein Stipendienaufenthalt in Deutschland bedeutete, eine ganze Familie nach Deutschland überzusiedeln, eingeschlossen dreier Kinder im Schulalter. Dann erfuhr ich aber vom Georg Forster-Stipendium der Humboldt-Stiftung, das eine höhere Altersgrenze hatte, so dass ich das Vorhaben erneut überdachte. Ich hatte enorme Zweifel; die praktischen Schwierigkeiten, die ein Umzug der ganzen Familie mit sich bringen würde, schienen mir fast unmöglich zu lösen. Außerdem wäre ich dieses Mal die Stipendiatin, was bedeuten würde, dass mein Mann dazu gezwungen sein würde, nicht nur seine Beschäftigungen in Argentinien aufzugeben, sondern vielmehr auch das Schulleben der Kinder zu organisieren. Obwohl das Vorhaben eine Menge Einschränkungen für ihn mit sich bringen würde, war es gerade mein Mann, der selbstlos und mit unglaublichem Optimismus darauf beharrte, das Projekt in die Tat umzusetzen. Er machte alle meine Einwände gegen dessen Durchführung zunichte. Davon abgesehen würde mir ein Forschungsaufenthalt in Deutschland die Möglichkeit bieten, mehr Kenntnisse über ein Thema zu erlangen, das eng mit dem Recht der Sanktionen verbunden ist und in jenem Moment sowohl im argentinischen als auch im deutschen Recht groß debattiert wurde: die Sicherungsverwahrung. Unter den argentinischen Strafrechtlern wird der Gedanke, Freiheitsstrafen von der „Gefährlichkeit“ des Täters abhängig zu machen – wie generell in Lateinamerika – mit großem Argwohn betrachtet. Die zahlreichen historischen Erfahrungen mit diktatorischen Regierungen, für die die bloße Tatsache, als „gefährlich“ eingestuft zu werden, für eine Freiheitsberaubung oder gar den Tod ausreichend war, bilden den Hintergrund jener Stimmen, welche jegliche Art von Täterstrafrecht ablehnen und den Ausbau des Tatstrafrechts bis ins Extreme fordern. In diesem Zusammenhang sprach sich der Interamerikanische Gerichtshof für Menschenrechte in einer im Jahr 2005 gefällten Entscheidung im Fall „Fermín Ramírez c. Guatemala“ (20. Juni 2005) deutlich gegen Erwägungen, die Strafe aufgrund der Gefährlichkeit des Täters zu verschärfen, aus. Diese Entscheidung entfachte die argentinische Debatte über die Regulierung der Sicherheitsverwahrung im argentinischen „Código Penal“ erneut. Letzten Endes wurde diese aber vom Obersten Gerichtshof für verfassungswidrig erklärt, weil sie – entgegen ihrem nomen iuris – keine Sicherheitsmaß-
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nahme sei, sondern eine Strafe, die gegen das Schuldprinzip verstößt (Urteil vom 5. September 2006). Nichtsdestotrotz bin ich der Meinung, dass die Argumentation, sowohl in besagten Urteilen als auch in der zum Thema existierenden Debatte, darauf basiert, auf die Zukunft gerichtete Entscheidungen, welche einen allzu großen Einschnitt mit sich brächten und deshalb weder theoretisch noch praktisch zu halten wären, abzulehnen. Die Freiheitsstrafen im interamerikanischen System der Menschenrechte sollen sich an der Resozialisierung des Verurteilten orientieren, was nicht ohne Einschätzungen zu seinem Rückfallpotenzial möglich ist. Die Unzertrennlichkeit der Konzepte von Gefährlichkeit und Resozialisierung, die in Deutschland keiner größeren Erklärung bedarf, kann in Argentinien heftige Diskussionen auslösen. Aus diesem Grund orientierte sich mein Forschungsplan an der Vertiefung dieser Fragen. Einem Rat von Herrn Prof. Jakobs folgend, entschied ich mich dafür, einmal mehr in Freiburg zu diesem Thema zu recherchieren; dieses Mal jedoch an der Universität und unter der Leitung von Herrn Prof. Frisch, der die wichtigste Monografie zur Problematik des Prognoseurteils im Strafrecht geschrieben hatte. So zog also die ganze Familie im Juli 2006 nach Freiburg. Wir richteten uns erneut in der Studentensiedlung ein und wurden herzlich von Herrn Prof. Frisch und seinen Mitarbeitern empfangen. Nach und nach gewöhnten sich die Kinder an die Unterschiede ihres neuen Lebens im Ausland und nach gewissen Höhen und Tiefen fand die Familie zu ihren alten Gewohnheiten zurück. Allerdings traf uns nach kaum einem Monat in Freiburg ein harter Schlag. Mein Mann erlitt einen Herzinfarkt und musste als Notfall im St. Josefkrankenhaus behandelt werden. Unter diesen Umständen schien es nicht mehr möglich, mit dem Projekt fortzufahren und am sinnvollsten, nach Buenos Aires zurückzukehren. Allerdings war eine sofortige Rückreise ebenfalls nicht möglich. Mein Mann, der außergewöhnlich gut von den Ärzten und Pflegern betreut worden war, musste zur vollständigen Genesung in eine Rehabilitationsklinik in Bad Krozingen, wenige Kilometer von Freiburg entfernt. So blieb uns nichts anderes übrig, als uns für eine weitere Zeit in Freiburg zu arrangieren. Die zwei Kleinsten gingen in die Anne-Frank-Schule, wo wir nachmittags auf die unschätzbare Unterstützung der außerunterrichtlichen Betreuung zählen konnten. Die Große besuchte ihrerseits das Goethe-Gymnasium im Zentrum von Freiburg. Die Verkehrsruhe in Freiburg, die so anders war als der rasende Straßenverkehr in Buenos Aires, ermöglichte es den Kindern alleine mit dem Fahrrad zur Schule zu fahren. Auf diese Art und Weise kehrte das Leben nach und nach zu einem mehr oder weniger normalen Rhythmus zurück und ich konnte mich wieder meiner
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Forschung widmen. Kurze Zeit später verbesserte sich der Gesundheitszustand meines Mannes. Dank einer erneuten Einladung der Humboldt-Stiftung fing auch er wieder an, zusammen mit Herrn Prof. Frisch in der Universität zu arbeiten und sein Forschungsprojekt über die Bedeutung des hypothetischen Kausalverlaufs für die Äquivalenztheorie zu konkretisieren. Zweifelsohne war diese Zeit geprägt von schwierigen Momenten, gleichzeitig aber auch extrem bereichernd für alle. Und sogar heute antworten meine Kinder noch auf die Frage, was ihnen am meisten an Deutschland gefallen hat: „Die Freiheit, mit welcher wir uns bewegen konnten.“
VII. Nach Beendigung unseres Aufenthaltes in Freiburg kehrten wir Anfang November 2007 wieder nach Buenos Aires zurück und ich nahm meine alte Arbeit am Gericht und an der Universität wieder auf. Nach einem Aufenthalt in Deutschland ist die Rückkehr nach Argentinien immer schwierig; der Versuch, sich an eine Realität zu gewöhnen, in welcher die politischen und sozialen Begebenheiten üblicherweise konfliktbehaftet sind und in der die Normen oftmals ohne Vorwarnung im Wesenskern verändert werden, fällt ganz und gar nicht leicht. Wenigstens konnten wir dieses Mal aber auf unsere alten Berufe zählen. Im Jahr darauf wurden die Ergebnisse meiner Forschungsarbeit über Sicherheitsmaßnahmen und Gefährlichkeitsprognosen im Strafrecht veröffentlicht. Unter anderem versuchte ich darin, das Bewusstsein zu schaffen, dass es unmöglich ist, progressive Systeme des Strafvollzugs zu befürworten und gleichzeitig abzulehnen, dass die Entscheidungen auf diesem Gebiet unter bestimmten Umständen das Rückfallrisiko des Täters berücksichtigen müssen. Des Weiteren hob ich die Widersprüche und Grenzen eines Systems hervor, das sich vorgeblich an dem Tatstrafrecht orientiert, in welchem Freiheitsstrafen aber nicht nur die Norm darstellen, sondern auch ausreichend hoch sind, um die Möglichkeit einer Aussetzung auf Bewährung erst nach vielen Jahren im Gefängnis denkbar zu machen. In Argentinien ist es sehr einfach, ein Tabu, das die Einschätzung des Gefährlichkeitspotentials des Verurteilten verbietet, aufrechtzuerhalten: Die „der Schuld angemessenen“ Strafen sind so hoch, dass die Rückfallmöglichkeit in den Fällen, in denen sie von Bedeutung ist, irrelevant wird. Nachdem ich mich fast ausschließlich den dem Strafsystem eigenen Problemen gewidmet hatte, startete ich den Versuch, die Lehre des Strafprozessrechts an der Universität auf gewisse Weise zu verbessern. Ich fertigte eine Fallsamm-
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lung zur Materie an, mit dem Ziel, das Werk meines Mannes zu vervollständigen, das schon zum Grundbestand der Lehre des Allgemeinen Teils des Strafrechts gehörte. Die Sammlung von Übungsfällen für Studenten erschien schließlich Anfang 2011. Ansonsten hatte ich mich im Jahr 2009 neben der Arbeit an der Universität mit Verlagstätigkeiten beschäftigt. Seit September 2009 leite ich eine im Hammurabi Verlag von Buenos Aires veröffentlichte Sammlung, in welcher wissenschaftliche Arbeiten über Entscheidungen der nationalen Strafberufungskammer zusammengestellt werden. Gleichzeitig leite ich gemeinsam mit einem Kollegen die „Revista de Derecho penal y Procesal“ [Zeitschrift für Straf- und Strafprozessrecht], welche im Abeledo Perrot-Verlag erscheint. Dies empfinde ich als sehr interessante Aufgabe im Hinblick auf die Möglichkeit, juristische Debatten und neue Ansätze zu verbreiten, die leider sehr häufig durch Probleme der wirtschaftlichen und sozialen Instabilität des Landes überschattet wird. Während des Jahres 2011 veröffentlichte ich, fast schon als Zeitvertreib, eine kurze Arbeit über die strafrechtliche Verfolgung der Hexerei. Ohne Zweifel erweisen sich die Betrachtungen historischer Aspekte des Strafrechts und Strafprozessrechts immer als sehr interessant. Dennoch hinterlassen die unvermeidlichen Parallelen zur Gegenwart oftmals einen bitteren Geschmack. Es vergehen Jahrhunderte und die gleichen düsteren Phänomene pflegen in neuer Form wieder aufzutauchen. Im Bereich des Strafrechts scheinen die Gesellschaften hartnäckig immer wieder die gleichen Fehler zu begehen und die juristischen Fortschritte, welche man mit großer Anstrengung erreicht hat, über Bord zu werfen. Der Strafrechtsgelehrte verwandelt sich in dieser Hinsicht in eine Art Sisyphos, dessen Hauptaufgabe es ist, das juristische Erbe nach jedem dieser Rückschritte wieder aufzurichten. Bei der Erfüllung dieser Aufgabe ist der Ausbau der juristischen Kultur durch Kenntnisse verschiedener juristischer Praxen ohne Zweifel ein zentrales Werkzeug.
Schriftenverzeichnis (in Auswahl) 1. Selbständiges Schrifttum / Monographien Lineamientos de la determinación de la pena [Richtlinien zur Bestimmung der Strafe], Buenos Aires 1996. El delito de asociación ilícita [Der Tatbestand der kriminellen Vereinigung], Buenos Aires 2005. Medidas de seguridad [Maßregel der Sicherung], Buenos Aires 2008.
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2. Kommentierungen Comentario a los artículos 40 y 41 del Código Penal [Kommentierung der Artikel 40 und 41 des Strafgesetzbuchs], in: Baigún / Zaffaroni (Hrsg.), Código Penal y normas complementarias. Análisis doctrinario y jurisprudencial, t. II, Buenos Aires 2002, S. 53 ff.
3. Lehrbücher und Fallsammlungen Casos de derecho procesal penal [Fälle des Strafprozessrechts], Buenos Aires 2011.
4. Aufsätze in Zeitschriften und Sammelwerken La discusión en torno al concepto de culpabilidad [Die Diskussion über das Konzept der Schuldhaftigkeit], in: Derecho Penal y Criminología Nº 53 (1995), S. 111 ff.; auch veröffentlicht in Revista Peruana de Ciencias Penales Nº 3 (1994), S. 259 ff. El concurso entre la tenencia de arma de guerra y el robo con arma [Die Konkurrenzen zwischen dem Besitz einer Kriegswaffe und dem Raub mit Waffen], in: Cuadernos de Conferencias y Artículos, Nº 5, 1996; auch veröffentlicht in Revista Peruana de Ciencias Penales, año II (1994), S. 713 ff. El deber de fundamentación de las decisiones judiciales y la determinación de la pena [Die Pflicht der Begründung von gerichtlichen Entscheidungen und die Bestimmung der Strafe], in: Contribuciones 1996, S. 133 ff.; auch veröffentlicht in Revista Peruana de Ciencias Penales, año III (1997), S. 831 ff. Acerca de la invalidez del pronóstico de pena como fundamento del encarcelamiento preventivo [Über die Unzulässigkeit der Prognose der Strafe als Grundlage der Untersuchungshaft], in: La Ley, T. 2000 – C, S. 611 ff. Acerca de los delitos cometidos por los miembros de una asociación ilícita como reflejo del ‘cuerpo del delito’ [Über die von den Mitgliedern einer kriminellen Vereinigung begangenen Delikte als Spiegelung des ‘Corpus Delicti’], Lexis Nexis (Jurisprudencia Argentina), T. 2003-IV, S. 298 ff. El principio de legalidad y la imprescriptibilidad de los delitos de lesa humanidad [Das Legalitätsprinzip und die Unverjährbarkeit der Verbrechen gegen die Menschheit], in: Baigún (Hrsg.), Homenaje al Prof. Julio B. J. Maier, Buenos Aires 2005, S. 745 ff.
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El derecho al recurso y los límites del „juicio de reenvío“ [Das Recht auf eine Berufung und die Grenzen des ‘Verfahrens der Rückverweisung’], in: Bertolino / Bruzzone (Hrsg.), Homenaje al Prof. Francisco D’Albora, 2005, S. 501 ff. Sistema de sanciones: reclusión por tiempo indeterminado para el reincidente. „De una vez y para siempre“ [Das Sanktionssystem: Haft auf unbestimmte Zeit für den Wiederholungstäter. „Ein für alle Mal“], in: Sancinetti, Casos de derecho penal, 3. Aufl., Buenos Aires 2005, S. 315 ff. La idea de „peligrosidad“ como factor de la prevención especial. A propósito del fallo de la Corte Interamericana de Derechos Humanos en el caso „Fermín Ramírez“ [Die Idee der „Gefährlichkeit“ als Faktor der Spezialprävention. Zu der Entscheidung des Interamerikanischen Gerichts für Menschenrechte im Fall „Fermín Ramírez“], in: Suplemento La Ley de Derecho Constitucional, 19/12/2006, S. 45 ff. Der hohe Preis der Sicherheit, in: Humboldt Kosmos, n° 90/2007 (auf Englisch und Deutsch). El delito de asociación ilícita frente al „derecho penal en expansión“ [Der Tatbestand der kriminellen Vereinigung gegenüber dem „Strafrecht in Expansion“], in: Cancio Meliá / Pozuelo Pérez (Hrsg.), Política criminal en vanguardia, Madrid 2008, S. 495 ff. El sentido de la libertad condicional y la „observancia de los reglamentos carcelarios“ [Der Sinn der Bewährungsstrafe und die „Einhaltung der Gefängnisregeln“], in: Jurisprudencia de Casación Penal, n° 1, 2009, S. 157 ff. Concepto de pena, irretroactividad de la ley penal y medidas de seguridad: el caso „M. v. Alemania“ del Tribunal Europeo de Derechos Humanos [Konzept der Strafe, Nichtrückwirkung der strafrechtlichen Gesetze und Maßregel der Sicherung: der Fall „M. v. Deutschland“ des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte], in: Revista de Derecho Penal y Procesal Penal 2011, S. 1340 ff. La cuestión del concurso entre delitos permanentes e instantáneos. Un análisis a partir de la relación del tipo de asociación ilícita con los delitos objeto de la asociación [Die Frage der Konkurrenzen zwischen Dauerstraftaten und sofortigen Straftaten. Eine Analyse anhand des Verhältnisses zwischen dem Tatbestand der kriminellen Vereinigung und den Tatbeständen die Zweck der Vereinigung sind], in: Maier / Sancinetti / Schöne (Hrsg.): Dogmática penal entre naturalismo y normativismo. Libro en homenaje a Eberhard Struensee, Buenos Aires 2011, S. 743 ff.
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La persecución judicial de la brujería y otros „crímenes excepcionales“ [Die gerichtliche Verfolgung der Hexerei und anderer ‘außergewöhnlichen Straftaten’], in: Revista de Derecho Penal y Procesal Penal, n° 12, 2011, S. 2041 ff. Begriff der Strafe und Sicherungsverwahrung, in: Freund / Murmann / Bloy / Perron (Hrsg.), Festschrift für Wolfgang Frisch, Berlin 2013, S. 1077 ff.
ANHANG
Personenregister ADOMEIT, Klaus: 11 f., 213
BAČIĆ, Franjo: 378, 489
ADORNO, Theodor: 43, 185
BACIGALUPO, Enrique: 20, 418, 420, 423 f.
AGAMBEN, Giorgio: 185 AGUIRRE OBARRIO, Eduardo: 10 ALBRECHT, Hans-Jörg: 51, 141, 477 f., 543
BACIGALUPO, Mariano: 3 BACIGALUPO, Silvina: 3 BADER GINSBURG, Ruth: 544
ALCHOURRÓN, Carlos: 4, 419
BAIGÚN, David: 553
ALEKSIDSE, Levan: 293
BAJO, Miguel: 242 f.
ALEXY, Robert: 224
BAKAS, Christos: 361 f.
ALFONSIN, Raúl: 414
BALDÓ, Fransesc: 275
ALPACA, Alfredo: 249
BALZER, Wolfgang: 359
ÁLVAREZ, Juan-Carlos: 249
BARATTA, Alessandro: 9, 12, 236, 274
ALWART, Heiner: 302, 305 f.
BARBER, Soledad: 249
AMBOS, Kai: 13, 51, 220, 279, 529
BARBERO SANTOS, Marino: 9
ANCEL, Marc: 381
BARDENAT, Charles: 354
ANDRONIKASCHWILI, Luarsab: 295 f.
BARREIRO, Augustín Jorge: 20, 22, 236 f., 242, 248, 270
ANDROULAKIS, Nikolaos: 354, 357, 359, 366
BASSIOUNI, Mahmoud Cherif: 495 f., 529
AQUIN, Thomas von: 189
BAUMAN, Zygmunt: 185
ARAÚZ, Manuel: 247, 249
BAUMANN, Jürgen: 8 f., 419
ARISTOTELES: 356, 415
BAVCON, Ljubo: 378, 488
ARNOLD, Jörg: 56, 300, 477
BECCARIA, Cesare: 102, 457, 464
ARZT, Gunther: 31, 157, 164
BEECHER STOWE, Harriet: 291
ASADA, Kazushige: 51, 80
BEERING, Robert Charles: 510
ASHWORTH, Andrew: 135, 140, 356
BEETHOVEN, Ludwig van: 49
AUDEN, Wystan Hugh: 189
BÉGUELIN, José: 433
AUSTIN, John: 132
BELING, Ernst: 9, 268 BERGOGLIO, Jorge Mario: 431 f.
BACH, Johann Sebastian: 49, 347
BETTIOL, Giuseppe: 9
BACHERT, Katharina: 131
BIANCHI, Herman Thomas: 194
https://doi.org/10.1515/9783110277708-026
570 BIDART CAMPOS, Germán: 4 BIEGER, David: 435 BIERLING, Ernst Rudolf: 224 BINDING, Karl: 23, 119, 281, 489, 520 BINDZUS, Dieter: 355 BJERRE, Andreas: 476 BLAU, Günter: 211 BOGGIANO, Antonio: 421 f. BOIX, Javier: 242 f. BOLEA, Carolina: 275 BOSCH, Johanna: 444 BOTTKE, Wilfried: 90, 240, 245, 276 f., 399 BOTTOMS, Anthony: 137, 140 BRAITHWAITE, John: 194 BRAMONT ARIAS, Luis: 9 BRECHT, Berthold: 46, 347 BRESCHNEV, Leonid: 292 BRITOS, Oraldo: 414 BROZ, Josip: 485 BROZI, Zef: 363 BRUNNER, Georg: 478 BRUZZONE, Gustavo: 429 BU, Yuanshi: 221 BULIGYN, Eugenio: 4, 419 BURGSTALLER, Manfred: 539 BUSTOS RAMÍREZ, Juan: 419 BYUNG-SUN, Cho: 167
Anhang CANCIO MORALES, Modesto Manuel: 19, 554 CARDENAL, Sergi: 275 CARDONA, Lina: 249 CARMIGNANI, Giovanni: 458 CARPIO, David: 275 CARRARA, Francesco: 458 f. CARRIÓ, Genaro: 419 CÄSAR, Gaius Julius: 391 CASAS BAAMONDE, María Emilia: 234 CASSESE, Antonio: 529 CASTALDO, Andrea: 359 CASTIÑEIRA, Maria Teresa: 275 CERETELI, Tinatin: 119, 122, 293, 295 ff., 304, 311, 312 CEREZO MIR, José: 9, 81, 106, 233, 268, 273 CERLETTI, Marco: 433 CERVANTES SAAVEDRA, Miguel de: 391 CHANG, Gyu-Won: 51 CHANG, Young Min: 215, 224 CHARALAMBAKIS, Aristotelis: 359, 363 CHEHTMAN, Alejandro: 434 CHEN-CHUNG, Ku: 167 CHENGGONG, Zheng: 505 CHEON, Kwang Suk: 210 CHO, Sang Jae: 212 CHOI, Bong Chul: 224 CHRUSCHTSCHOW, Nikita Sergejewitsch: 289
CALDERÓN DE LA BARCA, Pedro: 391
CHUN, Doo-Hwan: 57
CALLIESS, Rolf-Peter: 277
CHUNG, Hyun-Mi: 51, 338
CÁMPORA, Hector: 9 f.
CICERO, Marcus Tullius: 391
CANCIO MELÍA, Manuel: 335, 427, 433, 435
CIKLAURI-LAMMICH, Eliko: 300
Personenregister CLINARD, Marshall: 9
571
DROPULICHE, Andrea Paola: 433
COBO DEL ROSAL, Manuel: 247
DÜNKEL, Frieder: 472, 475, 477
COHEN, Jerome: 60
DURÁN SECO, Isabel: 244, 249
CONCEIÇAO SANTANA VALDÀGUA, Maria da: 80
DUTTGE, Gunnar: 220 DWORKIN, Ronald: 224
CORCOY, Mirentxu: 275 CÓRDOBA RODA, Juan: 267 ff., 321 CÓRDOBA, Fernando: 433 CORNILS, Karin: 445, 478 CORTÉS ROSA, Manuel: 77 ĆOSIĆ, Dobrica: 494 CUELLO CONTRERAS, Joaquín: 240 CUERDA RIEZU, Antonio: 81 CUESTA ARZAMENDI, José Luis de la: 338 DANDO, Shigemitsu: 102 ff., 108 DANNECKER, Gerhard: 12 DANNERT, Gerhard: 159 DEDES, Christos: 106 DELMAS-MARTY, Mireille: 13 DENCKER, Friedrich: 478 DIAS, Leandro: 433, 435
EBERT, Udo: 302, 304 f. ECKES, Laura: 435 EICHENHOFER, Eberhard: 302 EICHMANN, Adolf: 345 ELHOLM, Thomas: 137 ELIAS, Norbert Leo: 185 ELLSCHEID, Günther: 209, 218 ENGELS, Friedrich: 152, 391 ENGISCH, Karl: 23 EPP, Helmut: 540 ESCOBAR, Ricardo: 249 ESCOBAR, Susana: 249 ESER, Albin: 12, 45, 48, 51 f., 195, 213, 276, 300, 377, 430, 445, 472, 478, 493 ESSELBORN, Karl: 102 ESSER, Robert: 169 EXNER, Franz: 340
DÍAZ MAROTO, Julio: 20 DÍAZ Y GARCÍA CONLLEDO, Miguel: 242 ff., 258 DÍAZ, Augusto-César: 249 DIMENTO, Joseph: 60 DOĞANAY, Ümit: 540 DOLIDSE, Isidore: 293
FAKHOURI GÓMEZ, Yamila: 87 FEIJOO SÁNCHEZ, Bernardo: 23 FEINBERG, Joel: 136, 142 ff. FERNÁNDEZ ÁLVAREZ, María Victoria: 23
DOMÍNGUEY HENAÍN, Daniel: 431
FERNÁNDEZ 422
DÖNMEZER, Sulhi: 539 ff.
FERNÁNDEZ MEIJIDE, Graciela: 413
DONNA, Egardo: 8
FERNÁNDEZ, Silvia: 275
DONNES, Antonella: 435
FERRACUTI, Franco: 9
DE
KIRCHNER, Cristina:
572 FERRANTE, Marcelo: 414, 429, 434
Anhang GARCÍA LORCA, Federico: 78
FERRER SAMA, Antonio: 238
GARCÍA MARTÍN, Julio: 248
FERRI, Enrico: 461
GARCÍA MOSQUERA, Marta: 249
FEUERBACH, Anselm von: 103 ff., 119, 151, 158, 281, 459, 520
GARCÍA SAN MIGUEL, Luis: 247
FINCKE, Martin: 323 FINGER, August: 461 FLACKER, Sabine: 435
GARCÍA SOBRADO, José Manuel: 248 f. GARCÍA VALDÉS, Carlos: 273 GARCÍA, Rolando: 5
FLETCHER, George: 336 f., 356
GARCÍA-PABLOS, Antonio: 236, 242 f., 270
FLÜGGE, Christoph: 477
GARLAND, David: 185
FONSECA, Mario: 5
GAROFALO, Raffaele: 461
FONTÁ BALESTRA, Carlos: 7
GAUß, Tilmann: 435
FORTINI, Atilio: 412
GEORGIADIS, Apostolos: 354
FRANCÉS, Paz: 249
GIANNIDIS, Ioannis: 363
FRANCO, Francisco: 70, 272, 391
GIMBERNAT ORDEIG, Enrique: 9, 24, 26, 28, 30, 234, 238, 247, 273, 427
FRANK, Reinhard: 119, 325 FREIRE ROMERO, Oscar: 420 FREUD, Sigmund: 43 FRISCH, Wolfgang: 12, 24, 26, 51, 87, 141, 237, 276, 359, 399, 430 f., 477, 560, 561 FRISTER, Helmut: 433 ff. FROMMEL, Monika: 397 FUENTE, Fernando de la: 249 FUKUDA, Taira: 154 FUKUI, Atsushi: 51
GIOJA, Ambrosio: 6 GÖBEL, Alfred: 22 GOETHE, Johann Wolfang von: 347 GOGSCHELIDSE, Revaz: 306 GÓMEZ BENÍTEZ, José Manuel: 240 GÓMEZ COLOMER, Juan-Luis: 248 GÓMEZ, Victor: 275 GÓMEZ-JARA DÍEZ, Carlos: 33 GONZÁLEZ CUÉLLAR, Antonio: 73 GONZÁLEZ CUSSAC, José Luis: 248 GONZÁLEZ RIVERO, Pilar: 15
GABIANI, Anzor: 294 GALLAS, Wilhelm: 392 GALLEGO, Ignacio: 275
GÖPPINGER, Hans: 156 GÖSSEL, Annemarie: 157
GAMKRELIDSE, Othar: 298, 304, 307
GÖSSEL, Karl Heinz: 157, 162, 270, 274, 323
GAMSACHURDIA, Swiad: 301
GRASSO, Giovanni: 13
GARCÍA AMADO, Juan Antonio: 81, 88
GRECO, Luis: 90
GARCÍA ARÁN, Mercedes: 329 f.
Personenregister GROLMAN, Karl Ludwig Wilhelm von: 459 GROPP, Walter: 50 ff., 476 f. GROSSO, Carlo Federico: 446
573
HERZBERG, Rolf-Dietrich: 276 f., 396 HERZOG, Fred: 472 HETTINGER, Michael: 170
GROTHEER, Jan: 168 f.
HILGENDORF, Eric: 177, 196, 215 f., 218 f., 221, 435, 476 f., 544
GRÜNWALD, Gerald: 23
HIRSCH, Alexander von: 131
GÜNTHER, Hans-Ludwig: 276
HIRSCH, Günter Erhard: 195
GÜNTHER, Klaus: 254, 276, 279
HIRSCH, Hans Joachim: 9, 12, 24, 57, 106, 108, 111 f., 159 f., 166, 325, 377, 424, 472, 476 ff., 553
GURDIEL, Manuel: 236
HIRSCH, Jakob: 131 HABERMAS, Jürgen: 43, 224, 333 HÄDRICH, Thomas: 299 HAEDRICH, Martina: 305 HAILBRONNER, Kay: 217 HAMILTON, Alexander: 418 HAMPSHIRE, Stuart: 132 HAMSEN, Lars: 434 HART, Herbert Lionel Adolphus: 419 HASSELBLATT, Arnold: 479
HODGKINSON, Peter: 60 HODJAS, Enver: 362 HOLLERBACH, Alexander: 223 HONG, Sung Bang: 210 HONG, Yao: 531 HOOD, Roger: 60 HORKHEIMER, Max: 43, 185 HÖRNLE, Tatjana: 137, 245 HORTAL, Juan Carlos: 275
HASSEMER, Winfried: 24, 207, 209, 212, 217 f., 238, 274, 277, 279, 331, 333 ff., 346, 392, 399, 472 f.
HOYER, Andreas: 435
HAUS, Jacques Joseph: 459
HRUSCHKA, Joachim: 276, 399
HE, Bingsong: 339
HSU, Heng-da: 167
HEFENDEHL, Roland: 245
HUBER, Barbara: 13, 445, 477 f.
HEGEL, Georg Wilhelm Friedrich: 43, 58, 189, 215, 293
HUERTA, Susana: 237, 242
HEIDER, Cora: 435 HEIN, Susanne: 446 HEINE, Günter: 50 ff., 493 HEINRICH, Bernd: 217 HEINRICH, Manfred: 359, 435 HEINZ, Wolfgang: 214, 216, 220 HERRMANN, Joachim: 273, 517
HORVAT, Marijan: 374
HUH, Il Tae: 210 HULSMAN, Louk: 492 HUME, David: 132 HUSAK, Douglas: 140 HUSSERL, Edmund: 4 HWANG, San Duk: 223 HYUN, Seung-Jong: 203, 210
574 IDA, Gabriele: 158
Anhang KAKOURIS, Constantinos: 361
IDA, Makoto: 57
KANAZAWA, Fumio: 111
IDA, Motomu: 170
KANT, Immanuel: 276, 293, 459
ILLIA, Arturo: 7
KARAYAN, Herbert von: 355
JAÉN VALLEJO, Manuel: 15 JÄGER, Christian: 279, 359 JAKOBS, Günther: 7, 12 f., 22 ff., 31 ff., 87, 186, 195, 209, 212, 218, 276, 283, 342 f., 396, 399 f., 425 ff., 433, 477, 521, 554 f., 559 f. JAKOBS, Ulrike: 436 JAREBORG, Nils: 13, 137, 139 f. JEHLE, Jörg-Martin: 220 JENULL, Sebastian: 459 JERICÓ, Leticia: 249 JESCHECK, Hans-Heinrich: 9 ff., 52, 75, 122, 234 f., 238, 270, 273 f., 277, 354, 359, 377, 394, 424, 444 f., 472, 476, 478, 493, 520 f., 539 f. JEßBERGER, Florian: 530 JIMÉNEZ DE ASÚA, Luis: 3 ff., 8 f., 13, 233, 268, 418
KAUFMANN, Armin: 7 ff., 23, 106, 108, 111 f., 274 f. 277, 281, 325, 392, 418, 423, 425 ff. KAUFMANN, Arthur: 111, 179 f., 204 ff., 211 f., 218 f., 223 f., 271, 276, 354, 365, 396 KAUFMANN, Hilde: 9, 420 KAWAGUCHI, Hirokazu: 51 KAWAIDE, Toshihiro: 51 KELSEN, Hans: 4, 223, 374, 419 KELZ, Marcel: 23 KEMMERLING, Andreas: 359 KERN, Eduard: 419 KESSLER, Kimberly: 356 KESTERMANN, Claudia: 477 KIELWEIN, Gerhard: 355 KIM, Do Kyun: 224 KIM, Hak Tae: 215
JIMÉNEZ HUERTA, Mariano: 9
KIM, Hyung Bae: 178, 204
JIMÉNEZ QUERALT, Joan: 275
KIM, Il Su: 204
JIUAN-YIH, Wu: 167
KIM, Jeong Oh: 224
JOECKS, Wolfgang: 479
KIM, Ji Su: 212, 223
JOHNSON, David: 60
KIM, Jong Un: 62
JOSHI, Ujala: 275
KIM, Young Whan: 45
JUNG, Heike: 355
KINDHÄUSER, Urs: 24, 399, 554 KIRCHNER, Néstor: 414, 421
KAIAFA GBANDI, Maria: 359
KIRSCH, Ilse: 46, 48, 235, 444
KAISER, Günther: 478, 517, 541
KISS, Alejandro: 434
KAISER, Wolfgang: 234
KITKA, Joseph: 460
KAJIWARA, Genta: 359
KLEE, Nicola: 435
Personenregister KLEIN, Friedrich: 459 KLEINSCHROD, Karl Josef Freiherr von: 459 KLIEGEL, Thomas: 434 f. KLUG, Ulrich: 8 KÖHLER, Horst: 169 KÖHLER, Michael: 276 KONFUZIUS: 48, 54 KÖPPEN, María Alica: 435 KOSKINEN, Pekka: 472, 476 f. KRAMER, Stanley: 341, 344 KRASTINŠ, Uldis: 477 KRAUß, Detlef: 305 f., 355 KROUSTALAKIS, Evangelos: 363
575
LAZAREVIĆ, Ljubiša: 489 LEE, Hang Nyung: 223 LEE, Jae Sang: 211 LEE, Kye Il: 224 LEE, Yong-Sik: 51 LEHMANN, Heinrich: 426 LEKWEISCHWILI, Mzia: 293, 307 LENHART, Sophia: 434 LERMAN, Marcelo: 433 LESCH, Heiko: 22 LESCHAVA, Giorgi: 294 f., 301, 307 LIÑAYO, María Luisa: 409 LINGELBACH, Gerhard: 302
KUDLICH, Hans: 399
LISZT, Franz von: 4 f., 52, 104, 119, 233, 268, 344, 393, 461, 489 f.
KÜHL, Kristian: 365, 480, 493
LÖFMARCK, Madeleine: 478
KUHLEN, Lothar: 276, 279, 399
LOMBANA VILLALBA, Jaime: 249
KUHN, Thomas: 424
LOMBROSO, Cesare: 461
KÜHNE, Hans Heiner: 355, 365, 368
LOOS, Fritz: 7, 112
KUNTER, Nurullah: 538 f., 542
LOPE DE VEGA CARPIO, Félix: 391
KUNZ, Karl-Ludwig: 50, 62, 365
LÓPEZ BARJA DE QUIROGA, Jacobo: 15
KÜPER, Wilfried: 170
LÓPEZ DÍAZ, Claudia: 554
KUZUHARA, Rikizo: 51
LÓPEZ, Cristina: 249 LÜDERSSEN, Klaus: 274, 392, 399
LACEY, Nicola: 365
LUHMANN, Niklas: 209, 211, 224, 283
LAHTI, Raimo: 472, 476 f.
LUTS-SOOTAK, Marju: 470
LAMMASCH, Heinrich: 461
LÜTTGER, Hans: 11
LAMMICH, Siegfried: 300, 476, 478
LUZÓN DOMINGO, Manuel: 232, 238
LAMPE, Ernst-Joachim: 214
LUZÓN PEÑA, Diego M.: 28, 73 ff., 81, 85 f., 88 f., 92, 94, 270, 273, 276 f., 324
LAPPI-SEPPÄLÄ, Tapio: 473 LARENZ, Karl: 25, 154, 322 LATAGLIATA, Angelo Raffaele: 9 LAURENZO, Patricia: 15
MACCORMICK, Neil: 223 MACHIAVELLI, Niccolò: 190 MADLENER, Kurt: 235
576
Anhang
MAIER, Julio: 424 f., 553 f., 557 f.
MIGUEL, Alicia: 418
MAIHOFER, Werner: 195, 202, 204 f., 223
MILITELLO, Vincenzo: 13
MAKASCHWILI, Wladimer: 122, 295 f., 298
MILOŠEVIĆ, Slobodan: 494
MALEKIAN, Farhad: 529
MIR PUIG, Francesca: 269 f.
MALOT, Hector: 291
MIR PUIG, Santiago: 27 f., 81, 236 ff., 241, 243 ff., 392 ff.
MAMULASCHWILI, Gotscha: 306 MANOLEDAKIS, Ioannis: 357, 366 MANSO, Teresa: 15
MITTERMAIER, Carl Joseph Anton: 459 f.
MARCIC, René: 271
MIYAZAWA, Koichi: 57, 154 ff., 158, 166, 169
MARCUSE, Herbert: 43
MOCCIA, Sergio: 240
MARO, Publius Vergilius: 391
MÖHRENSCHLAGER, Manfred: 276, 360
MARQUARDT, Helmut: 554
MOLINÉ O´CONNOR, Eduardo: 421
MARTÍNEZ BUITRAGO, Patricia: 249
MOMMSEN, Friedrich: 431
MARTÍNEZ CANTÓN, Silvia: 249
MONACO, Lucio: 80
MARTÍNEZ DE PERÓN, María Estela: 10
MONTEALEGRE-LYNETT, Eduardo: 554
MARTY, Dick: 235
MONTES, Sandro: 249
MARUSTE, Rait: 472
MOORE, Michael: 429
MARX, Karl: 43, 152, 391
MORENO CASTILLO, María Asunción: 247 ff.
MARXEN, Klaus: 57 MATTES, Herta: 235 MATTES, Karl Heinz: 235, 238 MAUNZ, Theodor: 322
MORENO CATENA, Víctor: 248 MORENO, Emilio: 15 MORLOK, Martin: 302 MOSCA, Gabriela: 417
MAURACH, Reinhart: 75, 105, 233, 237, 267 ff., 321 ff., 393, 420
MOZART, Wolfgang Amadeus: 47, 49
MAURER, Georg Ludwig von: 354
MTSCHEDLISCHWILI, Giorgi: 306
MEISSNER, Boris: 478
MTSCHEDLISCHWILI, Schalwan: 292
MELIÁ TORIJA, Lydia: 19
MÜLLER-DIETZ, Heinz: 277, 355
MENEM, Carlos: 414
MUÑOZ AUNIÓN, Marta: 341
MERCEDES GALLI, María de las: 433
MUÑOZ CONDE, Francisco: 30, 237 f., 247, 270, 273, 394
MERKEL, Adolf: 119 MERKEL, Grischa: 279 MERTENS, Verena: 435 MEZGER, Edmund: 75, 120, 123, 233, 268, 320 ff., 340 f., 344, 393, 420
MUÑOZ-CAMPOS, Fernando: 237 MURMANN, Uwe: 220 MUSCO, Enzo: 236, 442, 444 MÜSSIG, Bernd: 22 f., 32
Personenregister MYLONOPOULOS, Charilaos: 354
ORTOLAN, Eugène: 459 f.
MYLONOPOULOU, Eleonora: 354
OSTENDORF, Heribert: 479
577
OTAKA, Domo: 223 NAKATANI, Kinko: 152 ff., 158 f., 163, 168 NANEISCHWILI, Giorgi: 296 NASCIMBENE, Juan: 435 NATSCHKEBIJA, Guram: 293, 307 NAUCKE, Wolfgang: 24, 214, 274, 354, 392, 399 NAVARRETE URIETA, José María: 320 f. NELLES, Ursula: 478 NEUMANN, Ulfried: 140, 211 f., 214 ff., 218 ff., 224, 365, 399, 477 NINOS, Carlos: 419 NISHIHARA, Haruo: 154, 213 NOVOA MONREAL, Eduardo: 9 NOVOSELEC, Cecilija: 373 NOVOSELEC, Hajrija: 374 NOVOSELEC, Rudolf: 373 NUHOĞLU, Ayşe: 542 f. NUOTIO, Kimmo: 476 f.
ÖZSUNAY, Ergun: 539 PACHECO, Joaquín Francisco: 460 PAK, Un Zong: 223 PALMA PEREIRA, Fernanda: 80 PAREDES CASTAÑÓN, José-Manuel: 88, 243 ff., 248 f. PARK, Chung-Hee: 42, 202 PARK, Han-Chul: 51 PARK, Sang Gi: 210 PASCHUKANIS, Jewgeni Bronislawowitsch: 391 PASTOR, Daniel: 430 PASTOR, Nuria: 398 PAVÍA, Juan: 249 PAWLIK, Michael: 13, 22, 433 PEÑARANDA RAMOS, Enrique: 21, 74, 80, 242 PÉREZ DEL VALLE, Carlos: 15 PÉREZ MANZANO, Mercedes: 80
OCTAVIO DE TOLDEDO, Emilio: 237
PÉREZ SANZBERRO, Guadalupe: 249
OH, Byung Sun: 223
PÉREZ-SAUQUILLO, Carmen: 244, 249
OHNO, Heikichi: 111
PÉREZ-VITORIA, Octavio: 268 f.
OHTSUKA, Hitoshi: 110
PERIĆ, Obrad: 489
OLAIZOLA NOGALES, Inés: 92, 249
PERÓN, Juan: 10
OLASOLO, Hector: 345
PERRON, Walter: 51 f., 213, 300
OLIVA ALDAMIZ, Horacio: 239, 243
PEUKERT, Wolfgang: 543
ONGANÍA, Juan Carlos: 5
PHILIPPS, Lothar: 359, 397
ONO, Seiichiro: 102, 108
PICOTTI, Lorenzo: 13
ORCE, Guillermo: 433
PIETZCKER, Jost: 554
ORTEGA Y GASSET, José: 391
PINATEL, Jean-Bernard: 354
578 PISAPIA, Giuliano: 446
Anhang ROBERTS, Julian: 140
PLYWACZEWSKI, Emil: 167
ROBLES, Ricardo: 398
POLAINO NAVARRETE, Miguel: 236, 270
RODRIGUEZ DEVESA, José María: 234, 238
POPPER, Karl: 424 POROT, Antoine: 354 PRACK, María Fernanda: 435 PRADEL, Jean: 477 PRATOBEVERA, Carl Joseph: 460 PRIMORAC, Vladimir: 376, 378 f. PRITTWITZ, Cornelius: 399 PUIGPELAT, Francesca: 236 PUPPE, Ingeborg: 23, 87, 276, 399 QUERALT, Joan: 240 QUEVEDO, Francisco de: 391 QUIN, Yihe: 161 QUINTERO, Gonzalo: 237, 242 f., 247 QUINZIO, Bernardo: 414 QUIRÓA CUARÓN, Alfonso: 9 RADBRUCH, Gustav: 203, 206, 212, 223, 354, 419 RAGUÉS, Ramon: 398
RODRÍGUEZ MONTAÑÉS, Teresa: 244 f., 248 RODRÍGUEZ MOURULLO, Gonzalo: 21, 24, 30, 73 f., 81, 238, 242, 273 RODRÍGUEZ MUÑOZ, José Arturo: 268, 321 RODRÍGUEZ RAMOS, Luis: 243 RODRÍGUEZ VÁZQUEZ, Virgilio: 249 ROH, Tae-Woo: 57 ROSO CAÑADILLAS, Raquel: 244, 248 f., 258 ROSSI, Pellegrino: 460 ROXIN, Claus: 8 f., 22 ff., 28, 73, 75, 77, 79, 83, 85 ff., 90, 92, 94, 142, 178 ff., 195, 209, 218, 237 f., 240, 243, 245, 249, 251, 256, 260, 271, 273 f., 276 ff., 323 f., 336, 338, 345, 354, 358, 360, 365, 368, 377, 392 f., 396, 399, 472, 492 f., 520 ff. ROXIN, Imme: 358 RUDOLPHI, Hans-Joachim: 23, 87 RUSSEL, Bertrand: 132
RAMOS MEJÍA, Enrique: 10, 418 RAMOS, Alfredo: 249
SACHER DE KÖSTER, Mariana: 245, 434
RAÚL ZAFFARONI, Eugenio: 235 f., 238
SAGGESE, Marta: 3
REAGAN, Ronald: 274
SAITO, Seiji: 338
REBMANN, Kurt: 542
SALAS, Jorge Luis: 249
RENGIER, Rudolf: 217
SAMSON, Erich: 7, 431, 476 ff.
REUTER, Lothar: 299
SÁNCHEZ VERA, Javier: 15, 23
REYES ALVARADO, Yesid: 23 f., 554
SÁNCHEZ-OSTIZ, Pablo: 398
RIGHI, Esteban: 8
SANCINETTI, Amadeo Ricardo: 410
RIZO, Michelle: 249
SANCINETTI, Marcelo Augustín: 425 SANCINETTI, Marcelo Aurelio: 409
Personenregister SANCINETTI, Marcelo: 23 f., 245, 554
579
SEMINARA, Letizia: 434
SANCINETTI, María Lucía: 425
SEN, Amartya: 139 f.
SANCINETTI, Sofia María: 425
ŠEPAROVIĆ, Zvonimir: 378, 380
SANGUINETTI, Florentino: 6
SERRANO, Stephania: 249
SANTAMARIA, Dario: 9
SHIM, Dong Eun: 205
SARTRE, Jean-Paul: 486
SHIM, Hun Seop: 223 f.
SAVIGNY, Friedrich Carl von: 354, 422
SHIM, Hyun Sup: 207
SBRICCOLI, Mario: 456
SHIM, Zai Woo: 178, 180, 194 f., 202 ff., 223
SCALIA, Antonin: 544 SCHABAS, William: 60 SCHAWGULIDSE, Tamaz: 298 f. SCHIFFNER, Sven: 435 SCHIFFRIN, Leopold: 418, 420 SCHILLING, Georg: 112 SCHIRACH, Ferdinand von: 47 SCHMIDHÄUSER, Eberhard: 153
SHIN, I Lieu: 219 SHIN, Yang-Gyun: 161 SHIOMI, Yung: 554 SHUHAN, Ji: 510 SIEBER, Ulrich: 196, 276, 365, 368, 377, 431, 445, 478, 493, 543 SILVA CASTAÑO, María Luisa: 15
SCHMIDT, Carmen: 478
SILVA SÁNCHEZ, Jesús Maria: 24, 237, 245, 275 ff., 359
SCHNEIDER, Hans-Joachim: 12
SILVA, Ana Isabel: 237
SCHOLLER, Heinrich: 211
SIMESTER, Andrew: 134, 142, 144
SCHÖNE, Wolfgang: 7, 12, 112, 425, 427
SIMON, Dietrich: 302
SCHÖNKE, Adolf: 354
SIMÓN, Julio: 5
SCHREIBER, Hans-Ludwig: 7, 106, 479
SODOR, Ovidio: 416
SCHRÖDER, Horst: 354
SOLDAD ACCETA, María: 430
SCHROEDER, Friedrich-Christian: 32, 213, 488, 543
SÖZÜER, Adem: 50
SCHROTH,Ulrich: 397 SCHUMANN, Heribert: 276 SCHUMANN, Robert: 49
SPENCER, John: 13 SPINELLIS, Dionysius: 13 SRZENTIĆ, Nikola: 489 STAJIĆ, Ljubomir: 489
SCHÜNEMANN, Bernd: 12 f., 24, 28, 30, 90, 137, 140, 196, 237, 240, 245, 276 ff., 336, 365, 396, 399, 434
STATHOPOULOS, Michael: 354
SCHWARZENEGGER, Christian: 167, 169
STELLA, Federico: 444
SEELMANN, Kurt: 62, 215, 218, 478
STORY, Joseph: 422
SEIKE, Atsushi: 172
STOTT, John: 191
STALIN, Josef: 289 f., 485
580 STRATENWERTH, Günter: 106, 220, 273, 354, 392, 420, 424 STRAWSON, Peter: 132 STRENG, Franz: 141, 162, 169, 214, 219 STRUENSEE, Eberhard: 7, 112, 425, 427 STRUENSEE, Eva: 425 SUÁREZ GONZÁLEZ, Carlos: 20
Anhang TRECHSEL, Stefan: 121 TROVATO, Gustavo: 430 TSCHOLOQASCHWILI, Kakuza: 289 TUDMAN, Franjo: 378 f. TURASCHWILI, Ivane: 292, 301 TURAVA, Merab: 303, 306, 311 TURKOVIĆ, Ksenija: 380
SUÁREZ SÁNCHEZ, Alberto: 248 f. SUÁREZ, Beatriz: 249 SUMMERER, Kolis: 436 SUNDELL, Jan-Olof: 476 SUNWOO, Young: 211 SUTHERLAND, Edwin: 354 SYUNGMAN, Rhee: 56
UGRECHELIDSE, Mindia: 293, 298 UGRECHELIDSE, Niblia: 294 f., 301, 307 ULVÄNG, Magnus: 137 UNAMUNO, Miguel de: 391 URIBE, Juan-Pablo: 249 USNADSE, Dimitri: 298
SZWARC, Andrzej: 167 VALLE-INCLÁN, Ramón del: 78 TAGANZEW, Nikolai: 119 TAKAHASHI, Norio: 51 TAKAYAMA, Kanako: 338 TAWARTKILADSE, Rusudan: 301
VALLEJO, Geovana: 249 VANOSSI, Reynaldo: 420 VASSALLI, Giuliano: 9
TELLENBACH, Silvia: 300, 445, 540
VEGA GUTIÉRREZ, José-Zamyr: 244, 249
THAMAN, Stephen: 50, 59
VEHLING, Karl-Heinz: 22
THATCHER, Margaret: 274
VERNENGO, Roberto: 419
TIEDEMANN, Klaus: 8, 13, 24, 539
VERVAELE, John: 13
TITTMANN, Karl August: 459
VICENTE REMESAL, Javier de: 75, 80 f., 88, 241, 243 f., 247 ff.
TJONG, Zong Uk: 223 TKESCHELIADSE, Giorgi: 298 TODUA, Nona: 306 TOLDEO, Cintia: 335 TORRES, Natalia: 249 TOURNIER, Paul: 191 TRAPERO BARREALES, María: 92
VIDOVIĆ, Vjekoslav: 378 VIVES, Tomás: 243 VOLK, Klaus: 359 VORMBAUM, Moritz: 343 VORMBAUM, Thomas: 341 f., 400 VUKOVIĆ, Milan: 379
TRAPERO, María: 244, 248 f. WAGNER, Richard: 220
Personenregister WANG, Shizhou: 338
YAMANA, Kyoko: 50
WANG, Xin: 515
YAMANA, Sadako: 101
WANG, Yu: 339
YAMANAKA, Keiichi: 51, 214, 217
WASEK, Andrzej: 473
YÁÑEZ PÉREZ, Sergio: 419
WEBER, Helmuth von: 105
YANG, Yangxia: 339
WEIGEND, Thomas: 477 f.
YENISEY, Dilek: 538
WEIL, Felix: 131
YI, Sang Don: 224
WEILL, Kurt: 347
YOON, Zai Wang: 224
WEINBERGER, Ota: 223
YU, JiaJia: 339
WEINREB, Lloyd: 365
YU, Jin Oh: 223
WELZEL, Hans: 7 f., 10, 23, 25, 27, 73, 75, 105 ff., 110 f., 120, 124, 154, 159 f., 195, 204 f., 208, 223, 233, 268, 271, 321, 325, 356, 366, 393, 418 ff., 425 ff., 436, 520
YÜCE, Turhan Tufan: 540
581
YUNGBACK, Kwun: 223 YUPEIS, Gan: 512 ZAPATERO, Arroyo: 333
WERLE, Gerhard: 344, 529 f. WERNER, Olaf: 305 WESSELS, Johannes: 21 WINGAERT, Christine van den: 13 WINKLER, Eberhard: 479 WIPRÄCHTIGER, Hans: 218 WITTELSBACH, Ludwig Karl August von: 354
ZHANG, Meiying: 527 ZHANG, Miao: 339 ZHI, Li: 505 ZHOU, Mi: 508 f., 516 ZIELINSKY, Dieter: 7, 355, 423 f., 426 ZIFFER, Patricia: 420, 424 f., 433 ZILA, Josef: 477 f.
WITTELSBACH, Otto Friedrich Ludwig von: 354
ZILI, Guo: 515, 527
WOLF, Erik: 212, 223
ZIPF, Heinz: 210, 274, 276, 323
WOLFGANG, Marvin: 9
ŽIVANOVIĆ, Toma: 489
WOLTER, Jürgen: 34, 89 f., 170, 237, 240, 245, 260, 276, 345, 399
ZUGALDÍA ESPINAR, José Migue: l15
WOSTRY, Thomas: 435
ZWEIG, Stefan: 291
WÜRTENBERGER, Thomas: 234, 543
ZULEEG, Manfred: 361
Stichwortverzeichnis Aberratio ictus: 159
Bibel: 182, 184, 193
Abwägung: 254, 256, 325
Bibliothek: 12, 58, 79, 82 ff., 112, 243, 291, 301, 444, 446, 471, 507, 544
Akzessorietät: 120, 161, 449 Allgemeiner Teil: 8, 32, 75, 82, 86, 88, 97, 112, 114, 124, 220, 222, 233, 239, 242, 245, 250, 259, 306, 329, 363, 380, 385, 398 f., 447 f., 479, 489 ff., 499, 514 f., 530, 562 Alternativ-Entwurf: 112, 114 Alumni: 435, 513 Anerkennungstheorie: 224 anglo-amerikanischer Rechtskreis: 59, 60, 133, 140, 185 Anstiftung: 121 f., 383 Anwaltstätigkeit: 14, 125, 132, 177 f., 376, 421, 423, 429, 442 f., 486, 511, 555
Bildung: 3 ff., 19 ff., 41 ff., 69 ff., 101 ff., 132 ff., 151 ff., 177 ff., 201 ff., 231 ff., 267 ff., 290 ff., 319 ff., 353 ff., 373 ff., 391 ff., 409 ff., 441 f., 469 f., 486 ff., 505 ff., 538 ff., 551 ff. Bologna: 83 f., 499 Bonn: 7 f., 10 f., 21 ff., 106 ff., 112, 274, 399, 423, 425, 496, 554 f. Brasilien: 91, 335, 346, 518 Chile: 14, 91, 342 China: 30, 59 ff., 337 ff., 505 ff. Computerkriminalität: 275, 518 Conditio sine qua non: 297
Archiv für Rechts- und Sozialphilosophie: 214, 218 Argentinien: 3 ff., 236, 409, 412 ff., 419, 423, 431, 551 ff. Aufklärung: 102, 185 f., 212, 356, 458 Auslegung: 4, 26, 195, 214, 255, 307, 310, 343, 445, 454 f., 558
de lege ferenda: 31, 281, 309, 313 de lege lata: 31, 281, 313, 394 Demokratie: 14, 41, 71 f., 241, 272 f., 280 ff., 326 f., 331, 341 ff., 391 f., 422, 551 f. Demokratisierung: 41, 47, 55 f., 327
Bagatellunrecht: 254 Begriffsjurisprudenz: 214 f. Beihilfe: 86, 329, 383, 449 Beleidigung: 190, 376 Berlin: 11, 57 f., 78, 233, 278, 340, 342, 344, 469, 471 f., 496, 544 Beweis: 164, 342, 432, 458 Beweislast: 164
https://doi.org/10.1515/9783110277708-027
deontologisch: 141 f., 211, 215 Deutsche Demokratische Republik (DDR): 214, 216, 292 f., 299, 301, 345, 383, 471, 488 deutsche Dogmatik: 3 f., 6, 49, 138, 233, 295, 321, 325, 359, 381 Deutscher Akademischer Austauschdienst: 10, 22, 24, 45, 71, 75 f., 156, 205, 214, 234 f., 243, 269 f., 355, 376, 394, 396, 433, 518
584 Diebstahl: 120, 144, 309, 360, 363, 494, 517 Diktatur: 30, 33 f., 55, 70, 202, 241, 272, 319, 326 f., 331, 341, 343 ff., 392, 413 ff., 551, 559 Diskurstheorie: 219, 224 Dispositionsbegriff: 358 f. Dogmatik: 3 f., 5 f., 9, 23, 25, 33 f., 49, 52, 55, 61 f., 110, 138, 157 ff., 161, 167, 195 f., 209, 222, 233, 260, 295 ff., 307 ff., 321, 325, 338, 344, 361, 381, 392, 394 ff., 401, 489, 555 dolus eventualis: 253, 509 dolus malus: 87, 124, 308 Doping: 88 Doppelstellung des Vorsatzes: 307 f.
Anhang Erlaubnistatbestandsirrtum: 308 erlaubtes Risiko: 26, 252, 254, 337 error in objecto: 161 europäisches Strafrecht: 14, 133, 279, 313, 360, 367, 476, 490, 519 f., 544 Eventualvorsatz: 310 f. Existentialismus: 374 Fahrlässigkeit: 107 f., 120, 124, 161, 252 ff., 258, 297 f., 307 f., 328, 358, 361 f., 364, 382, 424, 491, 509 Faschismus: 70, 272, 280, 374, 447, 461, 464 Feindstrafrecht: 32 f., 184 ff., 332, 342 f. Feind-Straftäter: 32
Ecuador: 91, 246 Ehrendoktor: 14, 57, 91, 169, 276 f., 278, 346, 365, 431 Ehrendoktor – s.a. doctor honoris causa: 402, 431
Festschrift: 8, 10, 211, 212, 217, 220, 246, 277, 335, 345, 346, 359, 365, 377, 431, 436, 477, 545, 553 finale Handlungslehre: siehe Handlungslehre, final
Eigentum: 144, 214, 360, 384
Finalismus: 108, 154, 233 f., 236, 268, 282, 297, 302, 307 ff.
Eigentum, geistiges: 87, 518
Finanzkrise: 278
Einwilligung: 28, 253 ff., 332
Folter: 88, 186, 190, 301, 342
Emotion: 47, 187
Frankfurt: 113, 134, 214 f., 220, 333, 335, 365
Empirie: 163 f., 209, 358 England: 133, 137, 143, 356, 454 Entkriminalisierung: 213, 297, 327, 492 Entschuldigungsgrund/-gründe: 257, 307, 337, 382 Entsozialisierung: 333 Erfolgsunwert: 161, 223, 252, 254 f., 355 f., 419, 427, 431, 461 Erfolgszurechnung: 26 f., 159, 161 Erlangen: 156 ff., 162, 169, 219 f., 274
Frankfurter Schule: 43, 45, 247, 331 Französische Revolution: 356, 458 Freiburg: 24, 46, 48 ff., 123 f., 206, 211, 232, 234 ff., 270, 300 ff., 377, 394, 430, 444 ff., 469, 477 f., 488 f., 539 f., 543 f., 555 f., 560 f. Freiheitsstrafe: 137, 139, 164, 354, 400 f., 441, 447, 454, 556, 559 ff. Friedrich-Ebert-Stiftung: 13, 45 Funktionalismus: 280, 283, 396
Stichwortverzeichnis
585
Garantenstellung: 29, 257 f., 396, 428
Handlungslehre, sozial: 195, 202, 520
Gefahr (juristisch): 164, 253, 256 ff., 282, 325, 463
Handlungsunwert: 223, 252, 254 f., 425, 435
Gefährdung: 252, 282, 329, 343, 461
Harmonie: 54 f., 182, 187 f., 192
Gefährdungsdelikte: 215, 244, 310, 312, 331, 334
Harm Principle: 142 ff.
Gefährlichkeit: 161, 252, 333, 358, 460 ff., 477, 559 ff. Geldstrafe: 353, 366, 400, 446 Geldwäsche: 14, 87, 214, 217 Generalklausel: 214 f. Georgien: 123 ff., 289 ff. Gesellschaftsgefährlichkeit: 296 ff., 300, 303 f.
Hehlerei: 155 Heidelberg, Universität: 154, 295 Heilbehandlung: 332 Hermeneutik: 224, 280, 403 Hexerei: 562 Hochschulsystem: 34, 239, 442 Human Rights: 524 f. Humanisierung: 295, 313, 327, 552
Gesellschaftsvertrag: 185
Humanismus: 192
Gesetzgebung: 10, 30 ff., 51, 60 f., 122, 163, 187, 213, 274, 353, 357, 365 f., 377, 490 f., 494, 497, 513, 518, 526, 542, 544
Humanität: 42, 186
Gewaltenteilung: 302, 422 Gießen: 8, 476 f., 493 Globalisierung: 29, 34, 54, 196, 217, 219, 337, 339, 399 Goethe-Institut: 13, 46, 48, 71, 74, 76, 131, 203, 206, 234, 269, 273, 376, 393, 444, 552
Humboldt-Stiftung: 7, 24, 41, 55 f., 58, 106, 112, 162, 169, 195, 240, 245, 294, 323, 325, 335, 340, 344, 358, 418, 425, 430, 433, 436, 445, 488, 518, 531 f., 554, 558 f. Iberoamerika: 235, 246 f., 260, 398 f., 402 Identität, kulturelle: 54, 252, 375, 392, 401
Goltdammerʼs Archiv: 34, 170, 260, 277, 399 f.
Ideologie: 30 f., 59, 188, 280, 322, 341, 373 f., 464
Griechenland: 34, 353 ff.
Imperativ: 410
Großbritannien: 274, 519, 529
Insider Trading: 448, 452 ff.
Hamburg: 277, 345, 530
Institut für deutsche Kultur: siehe Goethe-Institut
Handlungslehre: 109, 195, 520 ff.
Interdisziplinarität: 60, 162, 167, 181, 298
Handlungslehre, finale: 6 ff., 105 ff., 110 f., 120, 123, 159, 161, 195, 223, 268, 271, 296, 308 f., 321 ff., 328, 392, 520
International Encyclopaedia of Law: 531, 543
Handlungslehre, kausale: 195, 308, 321 ff., 521
internationales Strafrecht: 35, 279, 344, 359 f., 367, 476, 494, 508, 512
586
Anhang
Internet: 217, 331, 448, 463, 515
konsequentialistisch: 211, 396
Intuition: 27, 47
Korea: 41 ff., 167, 177, 180, 187, 195 f., 201 ff., 324, 338
Israel: 137, 528, 532 Italien: 4, 12 f., 159, 279, 335, 341 f., 346, 393, 436, 441 ff.
Korea Research Foundation: 56, 63, 215 f., 218, 220 Körperverletzung: 29, 123
Japan: 45, 51 ff., 101 ff., 110 ff., 151 ff., 213, 217, 222 f., 338, 525 Jüdisch: 132, 373 Jugendkriminalität: 43, 469, 516 Jugendstrafrecht: 313, 472 f., 475, 542, 544 Juristenausbildung: 83, 170, 188 Justiz: 7, 44, 61, 113, 125, 163, 194, 247 f., 327, 339, 344, 446, 470, 491, 493 f., 496, 553, 555, 557
Korruption: 56 f., 88, 187, 510, 517, 557 Kriminalisierung: 32, 134 f., 142 ff., 164, 327 f. Kriminalität: 31, 43, 143, 187, 210, 213, 294, 297, 333, 469, 471, 474 ff., 517 f. Kriminalität, organisierte: 31, 187, 298, 474 Kriminalpolitik: 9, 31, 33, 188, 194 f., 209 f., 271, 331
Justizgerechtigkeit: 192 f.
Kriminalwissenschaften: 112, 159, 165
Justizvollzug: siehe Strafvollzug
Kriminologie: 43, 52, 125, 165, 185, 246, 294, 335, 397, 461, 516
Kapitalismus: 20, 59, 290 Kasuismus: 26 katholisch: 12, 20, 30, 70, 131, 319, 391, 412 Katholizismus: 70, 320 kausale Handlungslehre: siehe Handlungslehre, kausal Kausalität: 4, 25, 109, 159, 297, 334, 449, 524
kulturelle Identität: 54 Kultur: 46, 49, 54 ff., 62, 76, 140, 168, 192, 219, 338, 356, 395, 403 f., 453, 460, 506, 515, 521, 544 Kunst: 201 ff., 293, 347, 367 Lateinamerika: 4, 24, 28, 30 f., 34, 85, 91, 247, 268, 274, 278, 343, 345, 530, 559
klassisch, neo-: 20, 195, 304
Law School: 50, 59, 132, 152, 170 f., 512, 532, 542
Kodifikation: 55, 222
Lebensführungsschuld: 340
Kollektivschuld: 50, 63
Leninismus: 290, 295
Kolumbien: 91, 328
lex corrupta: 205
kommunistisch: 59 f., 375, 378, 485, 528
Liberalismus: 54, 280
konfuzianisch: 42, 51, 54 f. Konfuzianismus: 42, 54 f.
Liebesstrafrecht: 181, 187 Logik: 47, 53, 185
Stichwortverzeichnis Mathematik: 46, 71, 151, 412
neukantianisch: 269
Max-Planck-Institut für ausländisches und internationales Strafrecht: 10, 46, 49 ff., 123, 211, 232, 234, 270, 274, 368, 376 f., 394, 414, 430 f., 444 ff., 469, 472, 477, 489, 493, 540 f., 543 f., 555
Neukantianismus: 280
Medizinrecht: 155, 469, 476, 479, 531 Menschenhandel: 164, 187, 217 Menschenrechte: 57, 60, 187, 361, 422, 474, 524 ff., 545, 560 Menschenrechtsverletzung: 42, 55, 343 ff. Menschenwürde: 177, 179, 182 Metaphysik: 182 methodologisch: 11, 205, 240, 392, 397, 402 Mexiko: 91, 324, 335, 337, 436 Mittäterschaft: 85 f., 96, 110, 119, 123, 153, 312, 329, 364, 383, 449 f.
Neupositivismus: 274 Neurowissenschaft: 279 Nicaragua: 91, 246 ff. Nordkorea: 41, 59, 62 Normativismus: 283, 310, 396, 402 Notstand: 42, 161, 255 f., 336, 382, 393, 401 Notwehr: 121, 235, 239 ff., 254 ff., 336, 382, 402, 523 nulla poena sine culpa: 383 nullum crimen sine lege: 303 f. Oktoberfest: 77 ontologisch: 157, 204 f., 309, 323, 328 f., 396, 403 ontologisierend: 25
Moral: 48, 54 f., 114, 136 f., 141 f., 161, 180, 187, 215 f., 218, 220, 303 f., 381, 412, 487
Ontologisierung: 217
Mord: 10, 120 f., 123, 191, 202, 256, 361 f., 494
Opferverhalten: 28 f., 87
München: 24, 75, 77 f., 131, 177 ff., 205 ff., 218, 232, 237 f., 240 f., 269 ff., 320 ff., 358 ff., 396
Ostasien: 62, 221
Musik: 43, 47 ff., 58, 157, 291, 320, 337, 347 Nationalsozialismus: 272, 321 f., 340, 342 ff. Natur der Sache: 205 f., 208, 419 Naturalismus: 27, 395, 419 Naturrecht: 55, 204 f., 223 f., 319, 391, 419 Naturwissenschaft/-en: 162, 291, 297, 505
587
Opfer: 23, 27 ff., 136, 139 f., 183 ff., 193 f., 252, 336, 427, 462, 485 ostasiatisch: 46, 59, 62, 167, 219, 525 Oxford: 132, 339, 488 Panama: 91 Parallelwertung in der Laiensphäre: 87, 207 Peking: 60, 338 f., 347, 367, 505, 507 ff., 517 f., 521, 526 f., 530 f. Person, juristische: 251, 259, 279, 330, 401 f., 540 Peru: 31, 91, 275, 278, 324, 402 Phänomenologie: 280
588
Anhang
Philosophie: 4, 93, 102, 132, 162, 215, 224, 267, 354, 373 ff., 399, 404, 416, 509
Rechtsgut: 25, 144 f., 181 f., 221, 240, 252, 256, 258 f., 281 f., 322, 325, 329 f., 343, 357, 360 f., 400, 452 f., 459
positives Recht: 27, 43, 55, 103, 145, 214, 394, 403, 489
Rechtsgut, Individual-: 26
Positivismus: 280, 381
Rechtsgutinhaber: 26, 28 f.
Positivismus, juristischer: 6, 419
Rechtsgutverletzung: 22, 33, 220, 254, 282, 309
Postmoderne: 184, 189
Rechtskreis: 28 f., 59, 222, 313
Prävention: 31, 137, 141 f., 209, 259, 281, 324, 330, 333, 366, 381, 523, 526
Rechtskultur: 54 ff., 140, 356, 404, 433, 460
Prävention, General-: 33, 181, 209, 212, 258, 325, 523
Rechtsontologie: 204
Prävention, Spezial-: 132, 135, 138 f., 258, 329, 523 Praxis: 4, 9, 29, 32, 41, 49 f., 124, 158, 165, 170 f., 185, 192, 205, 211, 214, 221, 297, 335, 366, 375, 378, 381, 383 ff., 446, 475, 479, 508 f., 531, 543, 557 f. Promotion: 6, 21, 41, 45 f., 48, 50 ff., 160, 178, 195, 206, 208 ff., 248, 295, 300 f., 355, 424, 510 f. Proportionalität: 135 ff., 328 Prostitution: 187 Psychologie: 70, 162, 306, 509 punitiv: 61, 194 punitive turn: 185 Punitivismus: 184 ff. Putativnotwehr: 336 Rache: 185, 428 Radbruchsche Formel: 57 Recht, römisches: 167, 302 Rechtfertigungsgrund: 107, 119, 180, 235, 239, 254 f., 176, 308, 328, 330, 336 Rechtsblindheit: 340 Rechtsgeschichte: 52, 211, 312, 342, 344, 448, 456, 469, 486, 508
Rechtsphilosophie: 4, 12, 62, 88, 132, 134, 177 f., 203 f., 212 f., 218 ff., 223 f., 270, 419, 456, 469 Rechtspositivismus: 204, 216, 223, 396, 419 Rechtspraxis: 49, 205, 297, 475, 508 f., 558 Rechtssicherheit: 28, 33 f., 222, 282 Rechtsstaat: 34 f., 184, 186, 214, 272 f., 280 f., 283, 326 f., 332, 342 f., 381, 507, 514, 516 f., 520, 525 ff., 556 Rechtssystem: 13, 33, 44, 59 ff., 110, 137, 141, 165, 185, 195, 213, 222 f., 234, 301, 323 f., 343, 357, 364, 392, 400, 418, 449, 459 ff., 470, 494 f., 498, 511 ff., 519 f., 543, 556 Rechtstheorie: 11, 207, 274, 507, 509, 528 f. Rechtsvergleichung: 3, 5 f., 12 f., 25, 41, 50, 56, 59, 211 f., 219, 235, 394, 445, 453, 469 f., 487, 497, 524, 527, 542 Rechtswidrigkeit: 87, 104, 109 f., 119 ff., 160, 223, 251 f., 255 f., 281 f., 297, 310, 328, 334, 382 Reform: 30, 32, 83 f., 112 ff., 140, 164 f., 170 f., 213, 220, 222, 309, 327, 330 ff., 341, 442, 446 ff., 452, 456, 463, 470 f., 473 f., 479, 541, 544 Regressverbot: 26
Stichwortverzeichnis Religion, religiös: 70, 333, 412, 416
Serbien: 487 ff., 493 ff.
Repression: 30, 183, 472, 485
Sexualstrafrecht: 30, 164, 303
Resozialisierung: 181 f., 186, 274, 333, 560
Sitte: 221
Rezeption: 6, 52, 54 ff., 62, 140, 167, 211 f., 219, 222 f., 383 f., 473 Risikoerhöhung: 27 Risikogesellschaft: 215, 217 Römisches Statut: 529 Rückfallrisiko: 561
589
Sittlichkeit: 55, 57 Sorgfalt, gebotene: 108 Sowjetunion: 59, 62, 122 f., 290, 295, 301, 303, 311, 392, 470 f., 485 Sozialadäquanz: 25 soziale Handlungslehre: 195, 202, 520 Sozialismus: 62, 289 Sozialstaat: 20
sachlogische Struktur/-en: 204, 208 f. Schädlichkeitsprinzip: 282 Schönke-Schröder-(Kommentar): 158, 354 Schuld: 47, 105, 109 f., 122 f., 135 f., 139, 162, 207 ff., 213, 220, 223, 257, 273, 302, 308, 324 f., 328, 330, 333, 364 f., 376, 378, 382, 397, 427 ff., 459, 461, 477, 490 f., 561 Schuldbegriff: 120, 124, 158, 330, 382 Schuldelement: 105, 120 f. Schuldlehre: 105, 111, 218 f. Schuldprinzip: 55, 141, 154, 156, 207, 209, 212, 218, 382, 447, 560 Schuldtheorie: 105 f., 307 f., 461 Schuldtheorie, eingeschränkte: 87, 160 Schuldtheorie, strenge: 9, 334 Schule: 23, 43, 82, 88 f., 91 f., 104, 237, 245 f., 248 ff., 274 f., 290, 331, 423, 428, 459 ff., 464 Schule, strafrechtswissenschaftliche: 23 Schulenstreit: 357 Selbstbestimmung: 87, 331 Selbstbestimmung, sexuelle: 87, 331 Selbstverantwortung: 26, 28 f., 252
Sozialwissenschaft: 44, 152, 185, 274, 397, 522 Soziologie: 43, 52, 162, 294 Spanien: 3 f., 6 f., 9, 14, 24, 29 ff., 59, 70 ff., 78 ff., 83 ff., 231, 233, 239, 241, 245 ff., 267 f., 272 f., 277 f., 283, 319 f., 326, 335, 341 ff., 393, 398 f., 401, 409, 458 ff. Staatsorganisationsrecht: 302 Stalinismus: 62, 375, 472 Strafgesetzbuch: 29 f., 44, 55, 104, 112, 114, 121, 123 ff., 195, 217, 222, 246 ff., 256, 292, 297, 303 f., 327, 341, 353 f., 366, 399, 401, 446 ff., 452, 458, 461 ff., 470, 479, 490 ff., 511, 527, 556 Strafprozessordnung: 353, 364, 541, 543 Strafprozessrecht: 165, 180, 246 f., 302, 342, 400, 429, 469, 530, 542 f., 557, 561 f. Strafrecht, argentinisches: 6, 8, 433, 559 Strafrecht, deutsches: 6, 34, 55 f., 62, 103 f., 112, 119, 124, 196, 211 f., 219, 222, 289, 293 f., 298, 302 f., 311 ff., 320 f., 340, 384, 470 Strafrecht, europäisches: 360, 367, 476, 490, 519 f., 544
590 strafrechtliche Dogmatik: 381 Strafrechtsdogmatik: 6, 54 f., 108, 110, 112, 152, 154 f., 157, 159, 161, 195, 209, 260, 293, 296, 305, 307, 321, 328, 344, 353, 366, 392, 395, 403 f., 433, 477 Strafrechtsdogmatik, deutsche: 3 f., 6, 51, 55, 112, 138, 233, 295 f., 321, 325, 336, 338, 360 Strafrechtslehrertagung: 113, 306 Strafrechtsreform: 112, 114, 248, 274, 295, 324 f., 469, 472 ff., 476, 479, 539 Strafrechtssystem: 110, 141, 195, 234, 238, 268, 271, 323 f., 343, 353, 364, 400, 457, 460 f., 520 Strafrechtstheorie: 4, 25, 33, 104, 107, 132, 134 f., 140 f., 182, 186, 221, 308, 312, 460, 475, 508 f., 515, 520 ff., 528 ff. Strafrechtsvergleichung: 12, 165, 219, 394 Straftatsystematik: 395, 403 Straftheorie: 29, 136, 177, 179, 184, 329, 459 Strafverteidiger: 14, 23, 362, 441 ff. Strafvollzug: 112, 165, 191 ff., 211, 447, 469, 472 ff., 543, 561
Anhang Taiwan: 62, 167, 213, 219, 505, 516, 519, 528 Talion: 136 talionisch: 136, 140 Talionsprinzip: 136 Tatbestandsirrtum: 86, 334 Tatbestandslehre: 9, 11, 25, 323, 328, 334, 337, 341, 520 Täterschaft: 28, 75, 81, 85 f., 119, 243 f., 255, 258, 278, 312, 329, 345, 383, 432, 450 f. Täterstrafrecht: 461, 559 Tatherrschaftslehre: 7, 85, 329, 377 Tatstrafrecht: 463, 559, 561 Technik: 184, 187 Teilnahme: 6, 26, 28, 85 ff., 119, 121 ff., 161, 244, 252 f., 258, 278, 312, 329, 345, 358 f., 383, 444, 448 ff., 455 f., 524 Telefonüberwachung: 342, 544 Terrorismus: 29 ff., 186, 213, 415, 542, 545 Theologie: 181 f. Tierquälerei: 30
Strafzumessung: 132 ff., 140 f., 158, 165, 214, 330, 401, 450, 555 ff.
Todesstrafe: 31, 60, 191, 292, 327, 494, 523 ff.
Strafzweck: 209, 241, 324, 522 f.
Toleranz: 70, 92, 188, 254, 332
Südkorea: 41, 50, 59, 62, 338
Totalitarismus: 185
Suizid: 87, 252, 332
totalitär: 280, 377, 472
System: 3, 6, 20, 22, 25 ff., 61, 70, 83 f., 108 ff., 124, 141, 165, 167, 171, 196, 222, 224, 233, 241, 271 f., 282, 322, 328, 330, 333, 336, 345, 377, 383, 395 ff., 403, 428, 506, 511, 517, 520, 526, 556, 560 f.
Totschlag: 121, 309, 361
Systemdenken: 403 Systemtheorie: 224
Tötung: 186, 191, 345, 362, 525 Tötung auf Verlangen: 87 Türkei: 50, 62, 537, 540 ff. ultima ratio: 186, 327, 329 Umweltkriminalität: 517 f.
Stichwortverzeichnis
591
Umweltrecht: 46, 50, 53, 60
Verhaltensnorm: 161, 181, 220, 281
Umweltstrafrecht: 45, 50, 52, 59, 213
Verhältnismäßigkeit: 140, 258, 447
University: 3, 44 f., 59 f., 133, 151, 202, 207, 209 ff., 312, 339, 365, 402, 510, 514, 532, 541 f.
Vermögensdelikte: 363, 469
Unrecht: 35, 107, 120 ff., 144, 160 f., 205, 213 f., 251, 254, 282, 356 f., 361, 364 f., 425 ff., 454, 522 Unrecht, personales: 107, 356 Unrechtsbewusstsein: 104 ff., 111, 307 f. Unrechtslehre, personale: 161, 392 Unschuldsvermutung: 342 Unterlassen: 109, 257, 310, 328, 364, 396 Unterlassungsdelikte: 7, 257, 393, 395 f., 418 Urkundenfälschung: 357, 364 Uruguay: 398, 402 USA: 43, 50, 59, 71, 137, 224, 365, 510 f., 517 ff., 527 ff., 541 f. Verantwortung: 26 ff., 123 f., 143, 215 ff., 330, 345, 381 f., 395, 432 Verbotsirrtum: 9, 86 f., 307 f., 328, 334, 382, 491 Verbrechen: 31, 54, 57, 102, 109, 180 ff., 187, 189 ff., 296, 303, 366, 444, 448 f., 469, 491, 494 ff., 527 Verbrechen, organisiertes: 31 Verbrechensaufbau: 109 f., 296, 303, 479 Verbrechenslehre: 20 f., 25 f., 85 f., 108 ff., 158, 251, 260, 268 ff., 276 ff., 456, 520 Verfassung: 4, 42 f., 72, 272, 280, 304, 327, 379, 526 f. Verfassungsgericht: 11 f., 14, 57, 380 Vergeltungsstrafrecht: 181
Vernunft: 47, 184, 336, 403, 459 f. Versuch: 120 f., 123, 125, 256, 309 ff., 324 f., 329, 355, 364, 383, 423 ff., 427 f., 456 ff. Vertrauensgrundsatz: 26 Verwaltungsrechtswissenschaft: 53 Viktimodogmatik: 28, 212, 252 Viktimologie: 196 viktimologisches Prinzip: 28 Völkerstrafrecht: 145, 344, 528 ff. Volkswagenstiftung: 305 f. Vorfeldkriminalisierung: 309 Vorsatztheorie: 308 Vorverlagerung der Strafbarkeit: 164 Weltanschauung: 416, 516 Werte: 54, 259, 282, 354, 356, 386, 447 Wille, frei: 428 Willensfreiheit: 162, 428 Willensstrafrecht: 311, 461 Wirtschaft: 34, 41, 62, 70, 78 f., 90, 293 ff., 353, 384, 400 f., 452 f., 505, 511, 517 Wirtschaftskriminalität: 510, 516 ff. Wirtschaftsstrafrecht: 214, 322, 332, 345, 443, 456, 478, 516 ff. Würzburg: 135, 217, 220, 435 f., 476, 544 Zeitschrift für die gesamte Strafrechtswissenschaft (ZStW): 220, 270, 518, 552
592
Anhang
Zivilprozessrecht: 531
zweckrational: 157
Zurechnung, objektive: 22, 25 ff., 223, 252, 257, 271, 298, 358, 364, 522
Zweckrationalität: 185, 209
Juristische Zeitgeschichte
Herausgeber: Prof. Dr. Dr. Thomas Vormbaum, FernUniversität in Hagen
Abteilung 1: Allgemeine Reihe
1 Thomas Vormbaum (Hrsg.): Die Sozialdemokratie und die Entstehung des Bürgerlichen Gesetzbuchs. Quellen aus der sozialdemokratischen Partei und Presse (1997) 2 Heiko Ahlbrecht: Geschichte der völkerrechtlichen Strafgerichtsbarkeit im 20. Jahrhundert (1999) 3 Dominik Westerkamp: Pressefreiheit und Zensur im Sachsen des Vormärz (1999) 4 Wolfgang Naucke: Über die Zerbrechlichkeit des rechtsstaatlichen Strafrechts. Gesammelte Aufsätze zur Strafrechtsgeschichte (2000) 5 Jörg Ernst August Waldow: Der strafrechtliche Ehrenschutz in der NS-Zeit (2000) 6 Bernhard Diestelkamp: Rechtsgeschichte als Zeitgeschichte. Beiträge zur Rechtsgeschichte des 20. Jahrhunderts (2001) 7 Michael Damnitz: Bürgerliches Recht zwischen Staat und Kirche. Mitwirkung der Zentrumspartei am Bürgerlichen Gesetzbuch (2001) 8 Massimo Nobili: Die freie richterliche Überzeugungsbildung. Reformdiskussion und Gesetzgebung in Italien, Frankreich und Deutschland seit dem Ausgang des 18. Jahrhunderts (2001) 9 Diemut Majer: Nationalsozialismus im Lichte der Juristischen Zeitgeschichte (2002) 10 Bianca Vieregge: Die Gerichtsbarkeit einer „Elite“. Nationalsozialistische Rechtsprechung am Beispiel der SS- und Polizeigerichtsbarkeit (2002) 11 Norbert Berthold Wagner: Die deutschen Schutzgebiete (2002) 12 Milosˇ Vec: Die Spur des Täters. Methoden der Identifikation in der Kriminalistik (1879–1933), (2002) 13 Christian Amann: Ordentliche Jugendgerichtsbarkeit und Justizalltag im OLGBezirk Hamm von 1939 bis 1945 (2003) 14 Günter Gribbohm: Das Reichskriegsgericht (2004) 15 Martin M. Arnold: Pressefreiheit und Zensur im Baden des Vormärz. Im Spannungsfeld zwischen Bundestreue und Liberalismus (2003) 16 Ettore Dezza: Beiträge zur Geschichte des modernen italienischen Strafrechts (2004) 17 Thomas Vormbaum (Hrsg.): „Euthanasie“ vor Gericht. Die Anklageschrift des Generalstaatsanwalts beim OLG Frankfurt/M. gegen Werner Heyde u. a. vom 22. Mai 1962 (2005) 18 Kai Cornelius: Vom spurlosen Verschwindenlassen zur Benachrichtigungspflicht bei Festnahmen (2006) 19 Kristina Brümmer-Pauly: Desertion im Recht des Nationalsozialismus (2006) 20 Hanns-Jürgen Wiegand: Direktdemokratische Elemente in der deutschen Verfassungsgeschichte (2006) 21 Hans-Peter Marutschke (Hrsg.): Beiträge zur modernen japanischen Rechtsgeschichte (2006) 22 Katrin Stoll: Die Herstellung der Wahrheit (2011)
23 Thorsten Kurtz: Das Oberste Rückerstattungsgericht in Herford (2014) 24 Sebastian Schermaul: Die Umsetzung der Karlsbader Beschlüsse an der Universität Leipzig 1819–1848 (2013)
Abteilung 2: Forum Juristische Zeitgeschichte 1 Franz-Josef Düwell / Thomas Vormbaum (Hrsg.): Themen juristischer Zeit geschichte (1) – Schwerpunktthema: Recht und Nationalsozialismus (1998) 2 Karl-Heinz Keldungs: Das Sondergericht Duisburg 1943–1945 (1998) 3 Franz-Josef Düwell / Thomas Vormbaum (Hrsg.): Themen juristischer Zeit geschichte (2) – Schwerpunktthema: Recht und Juristen in der Revolution von 1848/49 (1998) 4 Thomas Vormbaum: Beiträge zur juristischen Zeitgeschichte (1999) 5 Franz-Josef Düwell / Thomas Vormbaum: Themen juristischer Zeitgeschichte (3), (1999) 6 Thomas Vormbaum (Hrsg.): Themen juristischer Zeitgeschichte (4), (2000) 7 Frank Roeser: Das Sondergericht Essen 1942–1945 (2000) 8 Heinz Müller-Dietz: Recht und Nationalsozialismus – Gesammelte Beiträge (2000) 9 Franz-Josef Düwell (Hrsg.): Licht und Schatten. Der 9. November in der deutschichte – Symposium der Arnold-Frey muthschen Geschichte und Rechtsge Gesellschaft, Hamm (2000) 10 Bernd-Rüdiger Kern / Klaus-Peter Schroeder (Hrsg.): Eduard von Simson (1810– 1899). „Chorführer der Deutschen“ und erster Präsident des Reichsgerichts (2001) 11 Norbert Haase / Bert Pampel (Hrsg.): Die Waldheimer „Prozesse“ – fünfzig Jahre danach. Dokumentation der Tagung der Stiftung Sächsische Gedenkstätten am 28. und 29. September in Waldheim (2001) 12 Wolfgang Form (Hrsg.): Literatur- und Urteilsverzeichnis zum politischen NSStrafrecht (2001) Sabine Hain: Die Individualverfassungsbeschwerde nach Bundesrecht (2002) 13 14 Gerhard Pauli / Thomas Vormbaum (Hrsg.): Justiz und Nationalsozialismus – Kontinuität und Diskontinuität. Fachtagung in der Justizakademie des Landes NRW, Recklinghausen, am 19. und 20. November 2001 (2003) 15 Mario Da Passano (Hrsg.): Europäische Strafkolonien im 19. Jahrhundert. Internationaler Kongreß des Dipartimento di Storia der Universität Sassari und des Parco nazionale di Asinara, Porto Torres, 25. Mai 2001 (2006) 16 Sylvia Kesper-Biermann / Petra Overath (Hrsg.): Die Internationalisierung von Strafrechtswissenschaft und Kriminalpolitik (1870–1930). Deutschland im Vergleich (2007) 17 Hermann Weber (Hrsg.): Literatur, Recht und Musik. Tagung im Nordkolleg Rendsburg vom 16. bis 18. September 2005 (2007) 18 Hermann Weber (Hrsg.): Literatur, Recht und (bildende) Kunst. Tagung im Nordkolleg Rendsburg vom 21. bis 23. September 2007 (2008) 19 Francisco Muñoz Conde / Thomas Vormbaum (Hrsg.): Transformation von Diktaturen in Demokratien und Aufarbeitung der Vergangenheit (2010) 20 Kirsten Scheiwe / Johanna Krawietz (Hrsg.): (K)Eine Arbeit wie jede andere? Die Regulierung von Arbeit im Privathaushalt (2014) 21 Helmut Irmen: Das Sondergericht Aachen 1941–1945 (2018)
Abteilung 3: Beiträge zur modernen deutschen Strafgesetzgebung. Materialien zu einem historischen Kommentar 1 Thomas Vormbaum / Jürgen Welp (Hrsg.): Das Strafgesetzbuch seit 1870. Sammlung der Änderungen und Neubekanntmachungen; Vier Textbände (1999–2002) und drei Supplementbände (2005, 2006) 2 Christian Müller: Das Gewohnheitsverbrechergesetz vom 24. November 1933. Kriminalpolitik als Rassenpolitik (1998) 3 Maria Meyer-Höger: Der Jugendarrest. Entstehung und Weiterentwicklung einer Sanktion (1998) 4 Kirsten Gieseler: Unterlassene Hilfeleistung – § 323c StGB. Reformdiskussion und Gesetzgebung seit 1870. (1999) 5 Robert Weber: Die Entwicklung des Nebenstrafrechts 1871–1914 (1999) 6 Frank Nobis: Die Strafprozeßgesetzgebung der späten Weimarer Republik (2000) 7 Karsten Felske: Kriminelle und terroristische Vereinigungen – §§ 129, 129a StGB (2002) 8 Ralf Baumgarten: Zweikampf – §§ 201–210 a.F. StGB (2003) 9 Felix Prinz: Diebstahl – §§ 242 ff. StGB (2003) 10 Werner Schubert / Thomas Vormbaum (Hrsg.): Entstehung des Strafgesetzbuchs. Kommissionsprotokolle und Entwürfe. Band 1: 1869 (2002); Band 2: 1870 (2004) 11 Lars Bernhard: Falsche Verdächtigung (§§ 164, 165 StGB) und Vortäuschen einer Straftat (§ 145d StGB), (2003) 12 Frank Korn: Körperverletzungsdelikte – §§ 223 ff., 340 StGB. Reformdiskussion und Gesetzgebung von 1870 bis 1933 (2003) 13 Christian Gröning: Körperverletzungsdelikte – §§ 223 ff., 340 StGB. Reformdiskussion und Gesetzgebung seit 1933 (2004) 14 Sabine Putzke: Die Strafbarkeit der Abtreibung in der Kaiserzeit und in der Weimarer Zeit. Eine Analyse der Reformdiskussion und der Straftatbestände in den Reformentwürfen (1908–1931), (2003) 15 Eckard Voßiek: Strafbare Veröffentlichung amtlicher Schriftstücke (§ 353d Nr. 3 StGB). Gesetzgebung und Rechtsanwendung seit 1851 (2004) 16 Stefan Lindenberg: Brandstiftungsdelikte – §§ 306 ff. StGB. Reformdiskussion und Gesetzgebung seit 1870 (2004) 17 Ninette Barreneche†: Materialien zu einer Strafrechtsgeschichte der Münchener Räterepublik 1918/1919 (2004) 18 Carsten Thiel: Rechtsbeugung – § 339 StGB. Reformdiskussion und Gesetz gebung seit 1870 (2005) 19 Vera Große-Vehne: Tötung auf Verlangen (§ 216 StGB), „Euthanasie“ und Sterbehilfe. Reformdiskussion und Gesetzgebung seit 1870 (2005) 20 Thomas Vormbaum / Kathrin Rentrop (Hrsg.): Reform des Strafgesetzbuchs. Sammlung der Reformentwürfe. Band 1: 1909 bis 1919. Band 2: 1922 bis 1939. Band 3: 1959 bis 1996 (2008) 21 Dietmar Prechtel: Urkundendelikte (§§ 267 ff. StGB). Reformdiskussion und Gesetzgebung seit 1870 (2005) 22 Ilya Hartmann: Prostitution, Kuppelei, Zuhälterei. Reformdiskussion und Gesetzgebung seit 1870 (2006)
23 Ralf Seemann: Strafbare Vereitelung von Gläubigerrechten (§§ 283 ff., 288 StGB). Reformdiskussion und Gesetzgebung seit 1870 (2006) 24 Andrea Hartmann: Majestätsbeleidigung (§§ 94 ff. StGB a.F.) und Verunglimpfung des Staatsoberhauptes (§ 90 StGB). Reformdiskussion und Gesetzgebung seit dem 19. Jahrhundert (2006) 25 Christina Rampf: Hausfriedensbruch (§ 123 StGB). Reformdiskussion und Gesetzgebung seit 1870 (2006) 26 Christian Schäfer: „Widernatürliche Unzucht“ (§§ 175, 175a, 175b, 182, a.F. StGB). Reformdiskussion und Gesetzgebung seit 1945 (2006) 27 Kathrin Rentrop: Untreue und Unterschlagung (§§ 266 und 246 StGB). Reformdiskussion und Gesetzgebung seit dem 19. Jahrhundert (2007) 28 Martin Asholt: Straßenverkehrsstrafrecht. Reformdiskussion und Gesetzgebung seit dem Ausgang des 19. Jahrhunderts (2007) 29 Katharina Linka: Mord und Totschlag (§§ 211–213 StGB). Reformdiskussion und Gesetzgebung seit 1870 (2008) 30 Juliane Sophia Dettmar: Legalität und Opportunität im Strafprozess. Reformdiskussion und Gesetzgebung von 1877 bis 1933 (2008) 31 Jürgen Durynek: Korruptionsdelikte (§§ 331 ff. StGB). Reformdiskussion und Gesetzgebung seit dem 19. Jahrhundert (2008) 32 Judith Weber: Das sächsische Strafrecht im 19. Jahrhundert bis zum Reichsstrafgesetzbuch (2009) 33 Denis Matthies: Exemplifikationen und Regelbeispiele. Eine Untersuchung zum 100-jährigen Beitrag von Adolf Wach zur „Legislativen Technik“ (2009) 34 Benedikt Rohrßen: Von der „Anreizung zum Klassenkampf“ zur „Volksverhetzung“ (§ 130 StGB). Reformdiskussion und Gesetzgebung seit dem 19. Jahrhundert (2009) 35 Friederike Goltsche: Der Entwurf eines Allgemeinen Deutschen Strafgesetzbuches von 1922 (Entwurf Radbruch) (2010) 36 Tarig Elobied: Die Entwicklung des Strafbefehlsverfahrens von 1846 bis in die Gegenwart (2010) 37 Christina Müting: Sexuelle Nötigung; Vergewaltigung (§ 177 StGB) (2010) 38 Nadeschda Wilkitzki: Entstehung des Gesetzes über Internationale Rechtshilfe in Strafsachen (IRG) (2010) 39 André Brambring: Kindestötung (§ 217 a.F. StGB). Reformdiskussion und Gesetzgebung seit 1870 (2010) 40 Wilhelm Rettler: Der strafrechtliche Schutz des sozialistischen Eigentums in der DDR (2010) 41 Yvonne Hötzel: Debatten um die Todesstrafe in der Bundesrepublik Deutschland von 1949 bis 1990 (2010) 42 Dagmar Kolbe: Strafbarkeit im Vorfeld und im Umfeld der Teilnahme (§§ 88a, 110, 111, 130a und 140 StGB). Reformdiskussion und Gesetzgebung seit dem 19. Jahrhundert (2011) 43 Sami Bdeiwi: Beischlaf zwischen Verwandten (§ 173 StGB). Reform und Gesetzgebung seit 1870 (2014) 44 Michaela Arnold: Verfall, Einziehung und Unbrauchbarmachung (§§ 73 bis 76a StGB). Reformdiskussion und Gesetzgebung seit dem 19. Jahrhundert (2015)
45 Andrea Schurig: „Republikflucht“ (§§ 213, 214 StGB/DDR). Gesetzgeberische Entwicklung, Einfluss des MfS und Gerichtspraxis am Beispiel von Sachsen (2016) 46 Sandra Knaudt: Das Strafrecht im Großherzogtum Hessen im 19. Jahrhundert bis zum Reichsstrafgesetzbuch (2017) 47 Michael Rudlof: Das Gesetz zur Strafbarkeit der geschäftsmäßigen Förderung der Selbsttötung (§ 217 StGB nF.) (2018) 48 Karl Müller: Steuerhinterziehung (§§ 370, 371 AO). Gesetzgebung und Reformdiskussion seit dem 19. Jahrhundert (2018) 49 Katharina Kühne: Die Entwicklung des Internetstrafrechts unter besonderer Berücksichtigung der §§ 202a–202c StGB sowie § 303a und § 303b StGB (2018)
Abteilung 4: Leben und Werk. Biographien und Werkanalysen 1 Mario A. Cattaneo: Karl Grolmans strafrechtlicher Humanismus (1998) 2 Gerit Thulfaut: Kriminalpolitik und Strafrechtstheorie bei Edmund Mezger (2000) 3 Adolf Laufs: Persönlichkeit und Recht. Gesammelte Aufsätze (2001) 4 Hanno Durth: Der Kampf gegen das Unrecht. Gustav Radbruchs Theorie eines Kulturverfassungsrechts (2001) 5 Volker Tausch: Max Güde (1902–1984). Generalbundesanwalt und Rechtspolitiker (2002) 6 Bernd Schmalhausen: Josef Neuberger (1902–1977). Ein Leben für eine menschliche Justiz (2002) 7 Wolf Christian von Arnswald: Savigny als Strafrechtspraktiker. Ministerium für die Gesetzesrevision (1842–1848), (2003) 8 Thilo Ramm: Ferdinand Lassalle. Der Revolutionär und das Recht (2004) 9 Martin D. Klein: Demokratisches Denken bei Gustav Radbruch (2007) 10 Francisco Muñoz Conde: Edmund Mezger – Beiträge zu einem Juristenleben (2007) 11 Whitney R. Harris: Tyrannen vor Gericht. Das Verfahren gegen die deutschen Hauptkriegsverbrecher nach dem Zweiten Weltkrieg in Nürnberg 1945–1946 (2008) 12 Eric Hilgendorf (Hrsg.): Die deutschsprachige Strafrechtswissenschaft in Selbstdarstellungen (2010) 13 Tamara Cipolla: Friedrich Karl von Strombeck. Leben und Werk – Unter besonderer Berücksichtigung des Entwurfes eines Strafgesetzbuches für ein Norddeutsches Staatsgebiet (2010) 14 Karoline Peters: J.D.H. Temme und das preußische Strafverfahren in der Mitte des 19. Jahrhunderts (2010) 15 Eric Hilgendorf (Hrsg.): Die ausländische Strafrechtswissenschaft in Selbstdarstellungen. Die internationale Rezeption des deutschen Strafrechts (2019) 16 Hannes Ludyga: Otto Kahn-Freund (1900–1979). Ein Arbeitsrechtler in der Weimarer Zeit (2016)
Abteilung 5: Juristisches Zeitgeschehen. Rechtspolitik und Justiz aus zeitgenössischer Perspektive Mitherausgegeben von Gisela Friedrichsen („Der Spiegel“) und RA Prof. Dr. Franz Salditt 1 Diether Posser: Anwalt im Kalten Krieg. Ein Stück deutscher Geschichte in politischen Prozessen 1951–1968. 3. Auflage (1999) 2 Jörg Arnold (Hrsg.): Strafrechtliche Auseinandersetzung mit Systemvergangenheit am Beispiel der DDR (2000) 3 Thomas Vormbaum (Hrsg.): Vichy vor Gericht: Der Papon-Prozeß (2000) 4 Heiko Ahlbrecht / Kai Ambos (Hrsg.): Der Fall Pinochet(s). Auslieferung wegen staatsverstärkter Kriminalität? (1999) 5 Oliver Franz: Ausgehverbot für Jugendliche („Juvenile Curfew“) in den USA. Reformdiskussion und Gesetzgebung seit dem 19. Jahrhundert (2000) 6 Gabriele Zwiehoff (Hrsg.): „Großer Lauschangriff“. Die Entstehung des Gesetzes zur Änderung des Grundgesetzes vom 26. März 1998 und des Gesetzes zur Änderung der Strafprozeßordnung vom 4. Mai 1998 in der Presseberichterstattung 1997/98 (2000) 7 Mario A. Cattaneo: Strafrechtstotalitarismus. Terrorismus und Willkür (2001) 8 Gisela Friedrichsen / Gerhard Mauz: Er oder sie? Der Strafprozeß Böttcher/ Weimar. Prozeßberichte 1987 bis 1999 (2001) 9 Heribert Prantl / Thomas Vormbaum (Hrsg.): Juristisches Zeitgeschehen 2000 in der Süddeutschen Zeitung (2001) 10 Helmut Kreicker: Art. 7 EMRK und die Gewalttaten an der deutsch-deutschen Grenze (2002) 11 Heribert Prantl / Thomas Vormbaum (Hrsg.): Juristisches Zeitgeschehen 2001 in der Süddeutschen Zeitung (2002) 12 Henning Floto: Der Rechtsstatus des Johanniterordens. Eine rechtsgeschichtliche und rechtsdogmatische Untersuchung zum Rechtsstatus der Balley Brandenburg des ritterlichen Ordens St. Johannis vom Spital zu Jerusalem (2003) 13 Heribert Prantl / Thomas Vormbaum (Hrsg.): Juristisches Zeitgeschehen 2002 in der Süddeutschen Zeitung (2003) 14 Kai Ambos / Jörg Arnold (Hrsg.): Der Irak-Krieg und das Völkerrecht (2004) 15 Heribert Prantl / Thomas Vormbaum (Hrsg.): Juristisches Zeitgeschehen 2003 in der Süddeutschen Zeitung (2004) 16 Sascha Rolf Lüder: Völkerrechtliche Verantwortlichkeit bei Teilnahme an „Peacekeeping“-Missionen der Vereinten Nationen (2004) 17 Heribert Prantl / Thomas Vormbaum (Hrsg.): Juristisches Zeitgeschehen 2004 in der Süddeutschen Zeitung (2005) 18 Christian Haumann: Die „gewichtende Arbeitsweise“ der Finanzverwaltung. Eine Untersuchung über die Aufgabenerfüllung der Finanzverwaltung bei der Festsetzung der Veranlagungssteuern (2008) 19 Asmerom Ogbamichael: Das neue deutsche Geldwäscherecht (2011) 20 Lars Chr. Barnewitz: Die Entschädigung der Freimaurerlogen nach 1945 und nach 1989 (2011)
21 Ralf Gnüchtel: Jugendschutztatbestände im 13. Abschnitt des StGB (2013) 22 Helmut Irmen: Stasi und DDR-Militärjustiz. Der Einfluss des MfS auf Militärjustiz und Militärstrafvollzug in der DDR (2014) 24 Zekai Dag˘as¸an: Das Ansehen des Staates im türkischen und deutschen Strafrecht (2015) 25 Camilla Bertheau: Politisch unwürdig? Entschädigung von Kommunisten für nationalsozialistische Gewaltmaßnahmen. Bundesdeutsche Gesetzgebung und Rechtsprechung der 50er Jahre (2016)
Abteilung 6: Recht in der Kunst Mitherausgegeben von Prof. Dr. Gunter Reiß 1 Heinz Müller-Dietz: Recht und Kriminalität im literarischen Widerschein. Gesammelte Aufsätze (1999) 2 Klaus Lüderssen (Hrsg.): »Die wahre Liberalität ist Anerkennung«. Goethe und die Juris prudenz (1999) 3 Bertolt Brecht: Die Dreigroschenoper (1928) / Dreigroschenroman (1934). Mit Kommentaren von Iring Fetscher und Bodo Plachta (2001) 4 Annette von Droste-Hülshoff: Die Judenbuche (1842) / Die Vergeltung (1841). Mit Kommentaren von Heinz Holzhauer und Winfried Woesler (2000) 5 Theodor Fontane: Unterm Birnbaum (1885). Mit Kommentaren von Hugo Aust und Klaus Lüderssen (2001) 6 Heinrich von Kleist: Michael Kohlhaas (1810). Mit Kommentaren von Wolfgang Naucke und Joachim Linder (2000) 7 Anja Sya: Literatur und juristisches Erkenntnisinteresse. Joachim Maass’ Roman „Der Fall Gouffé“ und sein Verhältnis zu der historischen Vorlage (2001) 8 Heiner Mückenberger: Theodor Storm – Dichter und Richter. Eine rechts geschichtliche Lebensbeschreibung (2001) 9 Hermann Weber (Hrsg.): Annäherung an das Thema „Recht und Literatur“. Recht, Literatur und Kunst in der NJW (1), (2002) 10 Hermann Weber (Hrsg.): Juristen als Dichter. Recht, Literatur und Kunst in der NJW (2), (2002) 11 Hermann Weber (Hrsg.): Prozesse und Rechtsstreitigkeiten um Recht, Literatur und Kunst. Recht, Literatur und Kunst in der NJW (3), (2002) 12 Klaus Lüderssen: Produktive Spiegelungen. 2., erweiterte Auflage (2002) 13 Lion Feuchtwanger: Erfolg. Drei Jahre Geschichte einer Provinz. Roman (1929). Mit Kommentaren von Theo Rasehorn und Ernst Ribbat (2002) 14 Jakob Wassermann: Der Fall Maurizius. Roman (1928). Mit Kommentaren von Thomas Vormbaum und Regina Schäfer (2003) 15 Hermann Weber (Hrsg.): Recht, Staat und Politik im Bild der Dichtung. Recht, Literatur und Kunst in der Neuen Juristischen Wochenschrift (4), (2003) 16 Hermann Weber (Hrsg.): Reale und fiktive Kriminalfälle als Gegenstand der Literatur. Recht, Literatur und Kunst in der Neuen Juristischen Wochenschrift (5), (2003) 17 Karl Kraus: Sittlichkeit und Kriminalität. (1908). Mit Kommentaren von Helmut Arntzen und Heinz Müller-Dietz (2004)
18 Hermann Weber (Hrsg.): Dichter als Juristen. Recht, Literatur und Kunst in der Neuen Juristischen Wochenschrift (6), (2004) 19 Hermann Weber (Hrsg.): Recht und Juristen im Bild der Literatur. Recht, Literatur und Kunst in der Neuen Juristischen Wochenschrift (7), (2005) 20 Heinrich von Kleist: Der zerbrochne Krug. Ein Lustspiel (1811). Mit Kommentaren von Michael Walter und Regina Schäfer (2005) 21 Francisco Muñoz Conde / Marta Muñoz Aunión: „Das Urteil von Nürnberg“. Juristischer und filmwissenschaftlicher Kommentar zum Film von Stanley Kramer (1961), (2006) 22 Fjodor Dostojewski: Aufzeichnungen aus einem Totenhaus (1860). Mit Kommentaren von Heinz Müller-Dietz und Dunja Brötz (2005) 23 Thomas Vormbaum (Hrsg.): Anton Matthias Sprickmann. Dichter und Jurist. Mit Kommentaren von Walter Gödden, Jörg Löffler und Thomas Vormbaum (2006) 24 Friedrich Schiller: Verbrecher aus Infamie (1786). Mit Kommentaren von Heinz Müller-Dietz und Martin Huber (2006) 25 Franz Kafka: Der Proceß. Roman (1925). Mit Kommentaren von Detlef Kremer und Jörg Tenckhoff (2006) 26 Heinrich Heine: Deutschland. Ein Wintermährchen. Geschrieben im Januar 1844. Mit Kommentaren von Winfried Woesler und Thomas Vormbaum (2006) 27 Thomas Vormbaum (Hrsg.): Recht, Rechtswissenschaft und Juristen im Werk Heinrich Heines (2006) Heinz Müller-Dietz: Recht und Kriminalität in literarischen Spiegelungen 28 (2007) 29 Alexander Puschkin: Pique Dame (1834). Mit Kommentaren von Barbara Aufschnaiter/Dunja Brötz und Friedrich-Christian Schroeder (2007) 30 Georg Büchner: Danton’s Tod. Dramatische Bilder aus Frankreichs Schre ckensherrschaft. Mit Kommentaren von Sven Kramer und Bodo Pieroth (2007) 31 Daniel Halft: Die Szene wird zum Tribunal! Eine Studie zu den Beziehungen von Recht und Literatur am Beispiel des Schauspiels „Cyankali“ von Friedrich Wolf (2007) 32 Erich Wulffen: Kriminalpsychologie und Psychopathologie in Schillers Räubern (1907). Herausgegeben von Jürgen Seul (2007) 33 Klaus Lüderssen: Produktive Spiegelungen: Recht in Literatur, Theater und Film. Band II (2007) 34 Albert Camus: Der Fall. Roman (1956). Mit Kommentaren von Brigitte Sändig und Sven Grotendiek (2008) 35 Thomas Vormbaum (Hrsg.): Pest, Folter und Schandsäule. Der Mailänder Prozess wegen „Pestschmierereien“ in Rechtskritik und Literatur. Mit Kommentaren von Ezequiel Malarino und Helmut C. Jacobs (2008) 36 E.T.A. Hoffmann: Das Fräulein von Scuderi – Erzählung aus dem Zeitalter Ludwigs des Vierzehnten (1819). Mit Kommentaren von Heinz Müller-Dietz und Marion Bönnighausen (2010) 37 Leonardo Sciascia: Der Tag der Eule. Mit Kommentaren von Gisela Schlüter und Daniele Negri (2010) 38 Franz Werfel: Eine blaßblaue Frauenschrift. Novelle (1941). Mit Kommentaren von Matthias Pape und Wilhelm Brauneder (2011)
39 Thomas Mann: Das Gesetz. Novelle (1944). Mit Kommentaren von Volker Ladenthin und Thomas Vormbaum (2013) 40 Theodor Storm: Ein Doppelgänger. Novelle (1886) (2013) 41 Dorothea Peters: Der Kriminalrechtsfall ,Kaspar Hauser‘ und seine Rezeption in Jakob Wassermanns Caspar-Hauser-Roman (2014) 42 Jörg Schönert: Kriminalität erzählen (2015) 43 Klaus Lüderssen: Produktive Spiegelungen. Recht im künstlerischen Kontext. Band 3 (2014) 44 Franz Kafka: In der Strafkolonie. Erzählung (1919) (2015) 45 Heinz Müller-Dietz: Recht und Kriminalität in literarischen Brechungen (2016) 46 Hermann Weber (Hrsg.): Das Recht als Rahmen für Literatur und Kunst. Tagung im Nordkolleg Rendsburg vom 4. bis 6. September 2015 (2017) 47 Walter Müller-Seidel: Rechtsdenken im literarischen Text. Deutsche Literatur von der Weimarer Klassik zur Weimarer Republik (2017) 48 Honoré de Balzac: Eine dunkle Geschichte. Roman (1841). Mit Kommentaren von Luigi Lacchè und Christian von Tschilschke (2018) 49 Anja Schiemann: Der Kriminalfall Woyzeck. Der historische Fall und Büchners Drama (2018) 50 E.T.A. Hoffmann: Meister Floh. Ein Mährchen in sieben Abentheuern zweier Freunde (1822). Mit Kommentaren von Michael Niehaus und Thomas Vormbaum (2018) 51 Bodo Pieroth: Deutsche Schriftsteller als angehende Juristen (2018) 52 Theodor Fontane: Grete Minde. Nach einer altmärkischen Chronik (1880). Mit Kommentaren von Anja Schiemann und Walter Zimorski (2018) 53 Britta Lange / Martin Roeber / Christoph Schmitz-Scholemann (Hrsg.): Grenzüberschreitungen: Recht, Normen, Literatur und Musik. Tagung im Nordkolleg Rendsburg vom 8. bis 10. September 2017 (2019)
Abteilung 7: Beiträge zur Anwaltsgeschichte Mitherausgegeben von Gerhard Jungfer, Dr. Tilmann Krach und Prof. Dr. Hinrich Rüping 1 Babette Tondorf: Strafverteidigung in der Frühphase des reformierten Strafprozesses. Das Hochverratsverfahren gegen die badischen Aufständischen Gustav Struve und Karl Blind (1848/49), (2006) 2 Hinrich Rüping: Rechtsanwälte im Bezirk Celle während des Nationalsozialismus (2007) 3 Dieter Finzel: Geschichte der Rechtsanwaltskammer Hamm (2018)
Abteilung 8: Judaica 1 Hannes Ludyga: Philipp Auerbach (1906–1952). „Staatskommissar für rassisch, religiös und politisch Verfolgte“ (2005) 2 Thomas Vormbaum: Der Judeneid im 19. Jahrhundert, vornehmlich in Preußen. Ein Beitrag zur juristischen Zeitgeschichte (2006) 3 Hannes Ludyga: Die Rechtsstellung der Juden in Bayern von 1819 bis 1918. Studie im Spiegel der Verhandlungen der Kammer der Abgeordneten des bayerischen Landtags (2007)
4 Michele Sarfatti: Die Juden im faschistischen Italien. Geschichte, Identität, Verfolgung (2014)