Die Conversos. Christliche Gegner und Verteidiger der iberischen Neuchristen in den Jahren vor 1492 [1. ed.] 9783956509650, 9783956509667


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1 Einleitung
1.1 Bisherige Forschung und Theoriebildung
1.1.1 Grundlagen- und Überblickswerke
1.1.2 Hypothesen zur Apologetik der Conversos
1.1.3 Weitere Studien zu einzelnen relevanten Quellen
1.2 Fragestellung, Methodik und Terminologie
1.2.1 Eine Theologie von oder für Neuchristen?
1.2.2 Methodische Überlegungen
1.2.3 Terminologische Anmerkungen
1.3 Auswahl der Quellen
1.3.1 Quellen am Rande des Diskurses
1.3.2 Begrenzung und (fehlende) Gegenseite des Diskurses
1.3.3 Erhaltene und verlorene Quellen
1.3.4 Zeitliche und räumliche Abgrenzung
2 Quellenkorpus und historischer Hintergrund
2.1 Die Rebellion von Toledo
2.1.1 Der Prediger von Valladolid
2.1.2 Fernán Díaz de Toledo
2.1.3 Alonso Díaz de Montalvo
2.1.4 Juan de Torquemada
2.1.5 Alonso de Cartagena
2.2 Weitere Unruhen, weitere Traktate
2.2.1 Diego de Valera
2.2.2 Lope de Barrientos
2.2.3 Alonso de Oropesa
2.2.4 Gutierre de Palma
2.3 Statuten, Inquisition und Vertreibungen
2.3.1 Fernando de Pulgar
2.3.2 Hernando de Talavera
2.3.3 Antonio de Ferrariis
3 Diskurs, Aussagen und zentrale Begriffe
3.1 Vorüberlegungen: Allgemeine Charakteristika
3.1.1 Persönliche Beziehungen und gesellschaftliche Bruchlinien
3.1.2 Autorität und Ambiguität der Heiligen Schrift
3.1.3 Die Gegenseite: eine Irrlehre ohne Namen
3.1.4 Leerstellen als Konturen: Was nicht gesagt wird
3.2 Schuld: Die Sünden der Väter
3.2.1 Ein Sohn soll nicht die Sünde des Vaters tragen (Ez 18)
3.2.2 Die Passion Christi (Mt 26-27 par)
3.2.3 Vergebung – im Himmel wie auf Erden?
3.3 Geburt: Leibliches und geistliches Erbe
3.3.1 Der Stammbaum Jesu (Mt 1, Lk 3)
3.3.2 Kinder der Verheißung (Gal 4, Röm 9)
3.3.3 Geburt als Argument und Allegorie
3.4 Nation: Das eine Volk und die vielen Völker
3.4.1 Jude oder Grieche: kein Ansehen der Person (Röm 2)
3.4.2 Die kanaanäische Frau (Mt 15)
3.4.3 Die Rettung ganz Israels (Röm 11)
3.5 Einheit: Das Band des Friedens
3.5.1 Alle sollen eins sein (Joh 17, Eph 2)
3.5.2 Getauft zu einem Leib (1Kor 12)
3.5.3 Einheit versus Reinheit
4 Zusammenfassung
4.1 Eine diskursive Strategie?
4.2 Erfolg und Misserfolg
4.3 Inhärenter Antijudaismus
Anhänge
A1 Verzeichnis der zitierten Editionen mittelalterlicher Quellen
A2 Verzeichnis der Quellen ohne moderne Edition
A3 Verzeichnis der verwendeten Literatur
A4 Index wichtiger Personen
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Die Conversos. Christliche Gegner und Verteidiger der iberischen Neuchristen in den Jahren vor 1492 [1. ed.]
 9783956509650, 9783956509667

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Gesellschaften und Kulturen des sephardischen Judentums Sephardic Societies and Cultures

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Bernhard Holl

Die Conversos Christliche Gegner und Verteidiger der iberischen Neuchristen in den Jahren vor 1492

Bernhard Holl

Die Conversos Christliche Gegner und Verteidiger der iberischen Neuchristen in den Jahren vor 1492

GESELLSCHAFTEN UND KULTUREN DES SEPHARDISCHEN JUDENTUMS SEPHARDIC SOCIETIES AND CULTURE herausgegeben von Sina Rauschenbach, Carsten Schapkow, Jan Jonathan Hirsch

Band 2

ERGON VERLAG

Bernhard Holl

Die Conversos

Christliche Gegner und Verteidiger der iberischen Neuchristen in den Jahren vor 1492

ERGON VERLAG

Die vorliegende Forschungsarbeit wurde als Dissertation mit dem Titel »Die Verteidigung der iberischen Neuchristen im 15. Jahrhundert« am 28. Januar 2022 an der Philosophischen Fakultät der Universität Potsdam verteidigt. Erstgutachterin: Prof. Dr. Sina Rauschenbach, Professorin für Religionswissenschaft mit dem Schwerpunkt Jüdisches Denken der Universität Potsdam Zweitgutachter: Prof. Dr. Günther Wassilowsky, Professor für Historische Theologie an der Humboldt-Universität zu Berlin

Umschlagabbildung: © Archivo Fotográfico Museo Nacional del Prado

Bibliografische Information der Deutschen Nationalbibliothek: Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über http://dnb.d-nb.de abrufbar.

© Ergon – ein Verlag in der Nomos Verlagsgesellschaft, Baden-Baden 2022 Das Werk einschließlich aller seiner Teile ist urheberrechtlich geschützt. Jede Verwertung außerhalb des Urheberrechtsgesetzes bedarf der Zustimmung des Verlages. Das gilt insbesondere für Vervielfältigungen jeder Art, Übersetzungen, Mikroverfilmungen und für Einspeicherungen in elektronische Systeme. Gedruckt auf alterungsbeständigem Papier. Gesamtverantwortung für Druck und Herstellung bei der Nomos Verlagsgesellschaft mbH & Co. KG. Umschlaggestaltung: Jan von Hugo

www.ergon-verlag.de

ISBN 978-3-95650-965-0 (Print) ISBN 978-3-95650-966-7 (ePDF)

Vorwort Die Konversion von einer Glaubensgemeinschaft zur anderen war und ist gera­ de in monotheistischen Religionen schon auf individueller Ebene eine sensible Angelegenheit, die durch den Übertritt größerer Gruppen fast unweigerlich auch zum gesellschaftlichen Thema wird. Angesichts der engen historischen und theologischen Verwandtschaft von Judentum und Christentum lassen sich Entscheidungen zum Glaubenswechsel kaum trennen von Fragen nach dem Verhältnis der beiden biblischen Traditionen zueinander – Fragen, die bis heute in und zwischen den verschiedenen Religionsgemeinschaften diskutiert werden. Auch mit dem großen zeitlichen Abstand zur Epoche des Spätmittelalters ist es daher kaum möglich, Entwicklungen und Diskurse, die eben solche Fragen aufwerfen, gänzlich wertfrei zu betrachten. Anders als manche anderen Phänomene, die auf ihren eigenen historischen Kontext begrenzt waren oder mit der zeitlichen Entfernung zumindest die Unmittelbarkeit ihrer leidvollen Seiten verloren haben, lassen sich Zeugnisse selbst lange vergangener Konflikte zwischen Juden, Christen und Konvertiten nicht einfach losgelöst von der Gegenwart untersuchen. Die Schoah und der Antisemitismus, der sich auch heute noch in den westlichen Gesellschaften immer wieder mit erschreckender Vehemenz manifestiert, werfen ihre Schatten unvermeidbar zurück auf unsere Sichtweise früherer Jahrhunderte. Auf der anderen Seite haben Schritte der Annäherung zwischen jüdischen und christlichen Gemeinschaften seit der Nachkriegszeit einen Horizont des Dialogs eröffnet, der in den vergangenen Jahrhunderten praktisch undenkbar war. Öffentliche Lehraussagen wie die Erklärung Nostra aetate (1965) des Zwei­ ten Vatikanischen Konzils, die Distanzierungen des Lutherischen Weltbundes von den antijüdischen Schriften Martin Luthers 1969 und 1984, das haupt­ sächlich aus dem Reformjudentum heraus formulierte Dokument Dabru Emet (2000) und die Orthodoxe rabbinische Erklärung zum Christentum To Do the Will of Our Father in Heaven (2015) machen Hoffnung für die Zukunft der jüdisch-christlichen Beziehungen1 und werfen dabei zugleich erneut die Frage

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Vgl. zu den genannten Dokumenten und ihrer Rezeption u.a. Jehoschua Ahrens: Ein Dialog auf Augenhöhe – Die orthodoxen jüdischen Erklärungen zum Christentum. In: Theologi­ sche Quartalsschrift 199 (2019), S. 321‑334; Michael P. Maier: Ein nie gekündigter Bund: Historische Fakten und Prophetische Visionen. In: Freiburger Rundbrief: Zeitschrift für christ­ lich-jüdische Begegnung 23 (2016), S. 177‑184; Ernst L. Ehrlich: »Dabru emet« – Redet Wahrheit. In: Andreas Laun (Hg.): Unterwegs nach Jerusalem: die Kirche auf der Suche nach ihren jüdischen Wurzeln, Eichstätt 2004, S. 164‑172; Christian M. Rutishauser: Der nie gekündigte Bund. Benedikt XVI./Joseph Ratzinger irritiert den jüdisch-christlichen Dialog. In: Stimmen der Zeit 236 (2018), S. 673-682.

auf, warum die in ihnen ausgedrückte gegenseitige Achtung und Anerkennung über lange Strecken der Geschichte so fernlag. Das erkenntnisleitende Interesse dieser Untersuchung, die 2021/2022 von der Universität Potsdam als Doktorarbeit angenommen wurde, war es nicht zuletzt, dieser historisch ungemein wirkmächtigen Intransigenz auf christlicher Seite ein Stück weit auf die Spur zu kommen. Zugleich sollten aber auch die Ansätze christlicher Zugewandtheit gegenüber dem Judentum anhand der Zeugnisse, die in der Kontroverse um die Massenkonversionen im spanischen Spätmittelalter entstanden, in den Blick genommen werden. Dabei geht es nicht darum, die Autoren des 15. Jahrhunderts am Maßstab moderner Ideale von Pluralismus und Toleranz zu messen oder solche auf sie zu projizieren. Es ist jedoch durchaus ein Anliegen, das religiös Versöhnende, Aufgeschlossene, Respektvolle und Wohlwollende zu würdigen, das in den Quellen zu finden ist und lehramtlich erst Jahrhunderte später eingeholt wurde; auch wenn und gerade weil diese wertschätzenden Tendenzen gegenüber dem Judentum in den Texten immer wieder mit der ebenfalls stark präsenten antijudaistischen Tradition des Christentums kontrastieren.

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Inhaltsverzeichnis 1 Einleitung ........................................................................................

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1.1 Bisherige Forschung und Theoriebildung .................................... 1.1.1 Grundlagen- und Überblickswerke .................................... 1.1.2 Hypothesen zur Apologetik der Conversos ......................... 1.1.3 Weitere Studien zu einzelnen relevanten Quellen ...............

13 13 17 25

1.2 Fragestellung, Methodik und Terminologie ................................. 1.2.1 Eine Theologie von oder für Neuchristen? .......................... 1.2.2 Methodische Überlegungen ............................................... 1.2.3 Terminologische Anmerkungen ........................................

32 32 37 42

1.3 Auswahl der Quellen ................................................................. 1.3.1 Quellen am Rande des Diskurses ....................................... 1.3.2 Begrenzung und (fehlende) Gegenseite des Diskurses .......... 1.3.3 Erhaltene und verlorene Quellen ....................................... 1.3.4 Zeitliche und räumliche Abgrenzung .................................

48 49 55 61 64

2 Quellenkorpus und historischer Hintergrund .....................................

71

2.1 Die Rebellion von Toledo .......................................................... 2.1.1 Der Prediger von Valladolid .............................................. 2.1.2 Fernán Díaz de Toledo ...................................................... 2.1.3 Alonso Díaz de Montalvo .................................................. 2.1.4 Juan de Torquemada ......................................................... 2.1.5 Alonso de Cartagena .........................................................

75 79 80 82 83 86

2.2 Weitere Unruhen, weitere Traktate ............................................. 2.2.1 Diego de Valera ................................................................ 2.2.2 Lope de Barrientos ............................................................ 2.2.3 Alonso de Oropesa ............................................................ 2.2.4 Gutierre de Palma .............................................................

90 90 92 95 97

2.3 Statuten, Inquisition und Vertreibungen ..................................... 2.3.1 Fernando de Pulgar .......................................................... 2.3.2 Hernando de Talavera ....................................................... 2.3.3 Antonio de Ferrariis ..........................................................

101 107 113 119

3 Diskurs, Aussagen und zentrale Begriffe ............................................. 123 3.1 Vorüberlegungen: Allgemeine Charakteristika ............................ 126 3.1.1 Persönliche Beziehungen und gesellschaftliche Bruchlinien ...................................................................... 126 7

3.1.2 Autorität und Ambiguität der Heiligen Schrift ................... 132 3.1.3 Die Gegenseite: eine Irrlehre ohne Namen ......................... 141 3.1.4 Leerstellen als Konturen: Was nicht gesagt wird .................. 151 3.2 Schuld: Die Sünden der Väter ..................................................... 3.2.1 Ein Sohn soll nicht die Sünde des Vaters tragen (Ez 18) ....... 3.2.2 Die Passion Christi (Mt 26-27 par) ..................................... 3.2.3 Vergebung – im Himmel wie auf Erden? ............................

157 160 168 178

3.3 Geburt: Leibliches und geistliches Erbe ....................................... 3.3.1 Der Stammbaum Jesu (Mt 1, Lk 3) ..................................... 3.3.2 Kinder der Verheißung (Gal 4, Röm 9) ............................... 3.3.3 Geburt als Argument und Allegorie ...................................

182 188 201 210

3.4 Nation: Das eine Volk und die vielen Völker ............................... 3.4.1 Jude oder Grieche: kein Ansehen der Person (Röm 2) ......... 3.4.2 Die kanaanäische Frau (Mt 15) .......................................... 3.4.3 Die Rettung ganz Israels (Röm 11) .....................................

213 217 227 233

3.5 Einheit: Das Band des Friedens ................................................... 3.5.1 Alle sollen eins sein (Joh 17, Eph 2) ................................... 3.5.2 Getauft zu einem Leib (1Kor 12) ........................................ 3.5.3 Einheit versus Reinheit .....................................................

240 245 253 264

4 Zusammenfassung ............................................................................ 271 4.1 Eine diskursive Strategie? ............................................................ 271 4.2 Erfolg und Misserfolg ................................................................ 275 4.3 Inhärenter Antijudaismus .......................................................... 276 Anhänge .............................................................................................. 279 A1 Verzeichnis der zitierten Editionen mittelalterlicher Quellen ........ 279 A2 Verzeichnis der Quellen ohne moderne Edition ........................... 281 A3 Verzeichnis der verwendeten Literatur ........................................ 281 A4 Index wichtiger Personen ........................................................... 340

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1 Einleitung Gegen Ende des Mittelalters führte die große Anzahl von neuen (freiwillig, unter Druck oder gewaltsam) Getauften aus dem Judentum in den christlichen Reichen der Iberischen Halbinsel zu einer einzigartigen gesellschaftlich-religiö­ sen Krise. In dem Maße, wie Konversionen innerhalb eines relativ kurzen Zeit­ raums zum Massenphänomen wurden, stellten sie etablierte soziale Grenzen infrage und erschütterten lange gewachsene Gruppenidentitäten – sowohl auf Seiten der christlichen Mehrheitsgesellschaft als auch der jüdischen Gemein­ den.1 Unter denjenigen, die sich in Abgrenzung zu den Konvertiten als Alt­ christen (cristianos viejos) verstanden, verstärkte sich in der Folge zunehmend die Tendenz, ehemalige Juden und deren Nachkommen nicht als vollwertige Glaubensgenossen zu akzeptieren. Entgegen dem Charakter des Christentums als missionarischer Religion und entgegen dem traditionell entscheidenden Stellenwert von Taufe und Bekennt­ nis wurde mehr und mehr die Abstammung von ausschließlich christlichen Vorfahren als Bedingung der Zugehörigkeit angesehen. Diese Verschiebung einer ursprünglich konfessionell definierten Grenzziehung in einen genealogi­ schen Kontext sollte im Spanien des sogenannten Goldenen Zeitalters unter dem Postulat der Blutreinheit (limpieza de sangre) zur weithin akzeptierten Denk- und Sprechweise werden und prägte noch bis weit in die Neuzeit hinein nicht nur Spanien und Portugal, sondern auch deren Expansion in die Über­ seegebiete. Ob dieser im Spätmittelalter zunächst religiös begründete soziale Ausschlussmechanismus aufgrund einer behaupteten Erblichkeit individueller moralischer Eigenschaften sich analytisch als frühmoderner Rassismus oder gar Antisemitismus einordnen lässt, hängt dabei letztlich davon ab, wie weit diese Begriffe überhaupt über ihren eigenen historischen Kontext hinaus aufschluss­ reich sind.2 1

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Vgl. David Nirenberg: Anti-Judaismus. Eine andere Geschichte des westlichen Denkens, Mün­ chen 2015, S. 226‑236; Renée Levine Melammed: Identities in Flux: Iberian Conversos at Ho­ me and Abroad. In: Carmen Cavallero-Navas und Esperanza Alfonso (Hgg.): Late Medieval Jewish Identities. Iberia and Beyond, New York 2010, S. 43‑53; Henriette-Rika Benveniste: Crossing the Frontier: Jewish Converts to Catholicism in European History. In: Diogo Ramada Curto (Hg.): From Florence to the Mediterranean and beyond. Essays in honour of Anthony Molho, Florenz 2009, S. 447‑474; Moisés Orfali: La cuestión de la identidad judía en el Ma’amar ha-anusim (Tratado sobre los conversos forzados) de RaShBaSh. In: José María Soto Rábanos (Hg.): Pensamiento medieval hispano. Homenaje a Horacio Santiago-Otero, Bd. 2, Madrid 1998, S. 1267‑1287. Vgl. u.a. François Soyer: Medieval Antisemitism?, Leeds 2019, S. 5-22; Rainer Walz: Die Entwicklung eines religiösen Rassismus in der Frühen Neuzeit. Die Exklusion der Conversos. In: Klaus Herbers, Nikolas Jaspert (Hgg.): Integration – Segregation – Vertreibung. Reli­ giöse Minderheiten und Randgruppen auf der Iberischen Halbinsel (7.-17. Jahrhundert), Berlin 2011, S. 337-362; ders.: Der vormoderne Antisemitismus: religiöser Fanatismus oder Ras­ senwahn? In: Historische Zeitschrift 260 (1995), S. 719-748; Eveline Kenig: De la »Limpieza

Die spanischsprachige Historiographie begann im Grunde erst Ende des 19. Jahrhunderts, der Geschichte der iberischen Juden, der sephardischen Dia­ spora und der jüdischstämmigen Neuchristen Aufmerksamkeit zu widmen und einen eigenen Stellenwert zuzuerkennen,3 und noch bis weit ins 20. Jahrhun­ dert hinein ignorierten manche patriotischen Geschichtsentwürfe weitgehend das jüdische Erbe Spaniens.4 Unterschiedliche Deutungen sind dabei bis heute ein fester Bestandteil nationaler Identitätskonstruktionen – sei es im eher stati­ schen Bild eines christlich geeinten Reiches, das nach 1492 in konfessioneller Geschlossenheit zu imperialer Größe aufsteigt, sei es in der dynamischeren Vision einer erblühenden Kulturnation, die ihre wesentlichen Impulse und Leistungen gerade einem ethnisch und religiös diversen Erbe verdankt.5 Aus dem Blick gerät bei solchen großen Entwürfen leicht, dass die Entwick­ lung, die im 15. Jahrhundert zu Entstehung und Ausgrenzung der sogenannten Conversos als sozialer Gruppe führte, weder politisch noch geistesgeschichtlich determiniert war oder auch nur gleichmäßig verlief. Denn Theologen, Kano­ nisten und Juristen wendeten sich mehrheitlich zunächst gegen das diskursi­ ve Konstrukt einer gesellschaftlichen Minderheit, dem zufolge eine jüdische Abstammung den Verdacht der Häresie, einen rechtlich prekären Status und ultimativ die Gefahr der existenziellen Vernichtung bedingte. Den Argumenten der Gelehrten zum Trotz setzte sich die zugeschriebene Identität des marrano, confeso und tornadizo (so die gängigen abwertenden Bezeichnungen für jüdisch­ stämmige Christen) in der Vorstellung der Mehrheit dennoch durch und betraf bald nicht nur Konvertiten im eigentlichen Sinn, sondern auch deren von

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de sangre« espagnole au nazisme. Continuités et ruptures. In: Revista de história 129/131 (1994), S. 67-80; David Nirenberg: El concepto de la raza en el estudio del antijudísmo ibérico medieval. In: Edad Media: Revista de Historia 3 (2000), S. 39-60. Vgl. José L. Lacave: Los estudios hebraicos y judaicos en España, desde Amador de los Ríos hasta nuestros días. In: Ricardo Izquierdo Benito u.a. (Hgg.): Los judíos en la España contemporánea: historia y visiones, 1898-1998, Ciudad Real 2000, S. 115-120; José Amador de los Ríos: Historia social, política y religiosa de los judíos en España y Portugal. 3 Bd., Madrid 1960 (Original: 1875). Exemplarisch für diese Tendenz ist etwa Ramón Menéndez Pidal: Los españoles en la histo­ ria, Buenos Aires 1959 (Original: 1947) und in etwas geringerem Maß Claudio Sánchez-Al­ bornoz: España. Un enigma histórico. 2 Bd., Buenos Aires 1956; vgl. dazu auch Gonzalo Pasamar: Las »historias de España« a lo largo del siglo XX. In: Ricardo García Cárcel (Hg.): La construcción de las Historias de España, Madrid 2004, S. 319 f. Vgl. u.a. Anna L. Menny: Spanien und Sepharad. Über den offiziellen Umgang mit dem Judentum im Franquismus und in der Demokratie, Göttingen 2013 und dies.: Zwischen Natio­ nalkatholizismus und Philosefardismus. Der Umgang mit dem jüdischen Erbe im franquistischen Spanien. In: Münchner Beiträge zur jüdischen Geschichte und Kultur 5 (2011), S. 65-79; Kevin Ingram: Historiography, Historicity and the Conversos. In: ders. (Hg.): The Conversos and Moriscos in Late Medieval Spain and Beyond, Bd. 1: Departures and Change, Leiden 2009, S. 335-356; Fabian Sevilla: Die »Drei Kulturen« und die spanische Identität. Ein Konflikt bei Américo Castro und in der spanischsprachigen Narrativik der Moderne, Tübingen 2014; David Nirenberg: Die moderne Vorbildfunktion des mittelalterlichen Spanien. In: Münchner Beiträge zur jüdischen Geschichte und Kultur 5 (2011), S. 7-29.

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Geburt an im christlichen Glauben getauften und aufgewachsenen Kinder und Kindeskinder. In diesem Konflikt, dessen Ausgang Mitte des 15. Jahrhunderts durchaus noch nicht feststand, war der Diskurs, wie Michel Foucault (1926‑1984) es ausdrückte, »dasjenige, worum und womit man kämpft; er ist die Macht, deren man sich zu bemächtigen sucht«.6 Zunächst dominierten die Verteidiger der Conversos, deren Schriften die Quellenbasis der vorliegenden Untersuchung bilden, noch sowohl den gelehrten Diskurs als auch (in geringerem Maße) die institutionelle Machtausübung der Könige und Päpste. Gleichwohl erwiesen sich die populären Ressentiments gegen die Neuchristen und die altchristlichen Standesinteressen vor allem des städtischen Patriziats zusehends als wirkmächti­ ger. Die unmittelbaren Folgen wiederum, namentlich die Errichtung der Spani­ schen Inquisition und die Vertreibung der Juden von der Iberischen Halbinsel, verstärkten noch einmal die Dynamik, die der Stigmatisierung der Neuchristen durch die Ideologie der Blutreinheit endgültig zum Durchbruch verhalf. Während die sozialen und politischen Entwicklungen in diesem Zeitraum heute bereits relativ gut erforscht sind und die meisten der einschlägigen Quel­ len zumindest grundsätzlich erschlossen wurden, fehlt bislang eine vertiefte inhaltliche Untersuchung der gelehrten Apologetik zugunsten der Neuchristen insgesamt, die über die Würdigung der einzelnen Texte hinaus Aufschluss über deren gemeinsames theologisches Profil geben würde. Dabei ist das entspre­ chende historische Archiv, das noch vor Ende des 15. Jahrhunderts entstand, ge­ rade für die Diskursanalyse im Sinne einer Aufmerksamkeit für Phänomene der Diskontinuität wie Schwelle, Bruch, Einschnitt, Wechsel und Transformation von besonderem Interesse.7 Denn als diskursive Strategie stellen die Aussagen zugunsten eines inklusiven und egalitären Verständnisses von Konversion im weiteren Verlauf der iberischen Geschichte in Theologie, Kanonistik, Jurispru­ denz, Philosophie und Historiographie zunehmend die Ausnahme dar. Es ist die Option, die bis ins 19. Jahrhundert nicht effektiv realisiert wurde, auch wenn sie im Bereich des Möglichen lag und aus einer reichen Tradition schöpf­ te. Diese Beobachtung entspricht damit auf der einen Seite im Grundsatz dem, was die historisch forschende Diskursanalyse immer wieder postuliert hat:8 Wahrheit und Macht bringen einander gegenseitig hervor. Verleiht das Sakra­ ment der Taufe Neubekehrten und Christen jüdischer Abstammung denselben Status wie anderen Christen? Die Antwort auf diese zunächst rein theologische Frage definiert nachhaltig die hierarchischen Beziehungen zwischen Altchris­ ten und Neuchristen. Umgekehrt bestimmt das Kräfteverhältnis beider Grup­ pen wesentlich über die Beantwortung der Frage. Auf der anderen Seite lässt 6 7 8

Michel Foucault: Die Ordnung des Diskurses, Frankfurt 122012 (Original Paris 1972), S. 11. Vgl. Michel Foucault: Archäologie des Wissens, Frankfurt 1981, S. 13. Vgl. u.a. Gilles Deleuze: Foucault, Frankfurt am Main 72013 (Original: Paris 1986), S. 90 f.

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sich durchaus auch zeigen, dass der gelehrte Diskurs zugunsten der Neuchris­ ten geraume Zeit parallel zu einer realen gesellschaftlichen Entwicklung verlief, die ihm entgegengesetzt war und die trotz der neuen Qualität ihres genealogi­ schen Ressentiments aus einer langen Tradition schöpfte. Das zu Beginn noch wenig konkrete Konzept – eher die diffuse Vorstellung – einer vermeintlichen »Reinheit des Blutes« (limpieza de sangre) lässt mindes­ tens assoziative Verbindungen zu vormodernen Vorstellungen von Zeugung und Vererbung erkennen, zur historiographischen Fiktion des spanischen Goti­ cismus, zu den Adelsspiegeln des Spätmittelalters und zur Etablierung einer neuen adligen Führungsschicht im Gefolge der Usurpation Heinrichs von Trastámara. Der Vorwurf des »Judaisierens«, der den Neuchristen gemacht wurde, beruht in Teilen auf der Rezeption jahrhundertealter Texte von den paulinischen Briefen des Neuen Testaments über die antijüdische Apologetik der Kirchenväter bis zu den judenfeindlichen Erlassen im iberischen Westgo­ tenreich. Die diskursiven Aussagen zugunsten der Neuchristen wiederum stehen in Beziehung nicht nur zu exegetischen und soteriologischen Reflexionen über die Bedeutung des Auserwählten Volkes in der christlich gedeuteten Heilsgeschich­ te. Auch die scholastische und humanistische Aristoteles-Rezeption, die großen kastilischen Gesetzeswerke vor allem des 13. Jahrhunderts, das Konzept des Tugendadels unabhängig von der Geburt und die relativ aktuellen Erfahrungen des Großen Abendländischen Schismas und des Konziliarismus sind Teil eines Netzes von Referenzen, die den Diskurs umgeben. Als Quellenkorpus lassen sich die überlieferten Äußerungen noch vergleichs­ weise einfach der Textsorte und der Intention nach zusammenfassen: Es geht den in erster Linie theologisch und kanonistisch argumentierenden Autoren um die rechtliche Gleichstellung aller Christen unabhängig von ihrer Abstam­ mung. Ihre literarische Ebene ist die der gelehrten Traktate, Responsa, Kom­ mentare und Briefe. Auch der zeitliche Horizont von der Rebellion Toledos (1449) bis zur Vertreibung der Juden, die in der Ausweisung aus Navarra (1498) ihren Abschluss fand, lässt sich plausibel von früheren und späteren Phasen abgrenzen. Erheblich komplexer ist jedoch die Frage, inwieweit aus diesen Quellen tatsächlich eine übergreifende diskursive Strategie spricht, die womöglich sogar als eigene theologische Schule beschrieben werden kann. Viele Ansätze werden von einigen der Autoren übereinstimmend verfolgt, aber nur wenige finden sich ausnahmslos in allen Texten. Dennoch ist gerade im Hinblick auf die biblische Herleitung zentraler Argumentationslinien eine Gruppe von gemein­ samen Aussagen gegeben, die den Diskurs insgesamt durchziehen und formen. Die vorliegende Studie untersucht daher im Hinblick auf diese Gemeinsamkei­ ten in den vorliegenden Quellen, inwieweit sinnvollerweise von einer kohären­ ten Apologetik der iberischen Neuchristen gesprochen werden kann oder wo

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umgekehrt eher von disparaten theologischen Argumenten innerhalb derselben (kirchen-)politischen Pragmatik die Rede sein müsste.

1.1 Bisherige Forschung und Theoriebildung Die meisten relevanten Quellen im Diskurs des 15. Jahrhunderts über die iberischen Neuchristen liegen (zum Teil mehrfach) in modernen Editionen vor, und einige von ihnen sind bereits Gegenstand geschichtswissenschaftli­ cher, philologischer und theologischer Kommentare. Der politische Verlauf der Kontroverse um den Status der Neuchristen wurde ausführlich beschrieben. Eine vertiefte, übergreifende und vergleichende Betrachtung aller verfügbaren Texte aus dem Zeitraum vor 1492, die den gelehrten Diskurs zugunsten der Conversos konstituieren, wurde jedoch bisher nicht unternommen und soll Gegenstand dieser Untersuchung sein. Der folgende Abschnitt bietet einen Überblick über die wichtigste bislang erschiene Forschungsliteratur sowie eine kritische Würdigung der Thesen, die bislang hinsichtlich möglicher gemeinsa­ mer Charakteristika der Schriften zugunsten der Conversos gebildet wurden. 1.1.1 Grundlagen- und Überblickswerke Da die Geschichte der spanischen Conversos allgemein als »eines der am besten erforschten Phänomene des spanischen Spätmittelalters«9 gelten kann, sollen im Folgenden lediglich die wichtigsten Arbeiten kurz gewürdigt werden, die sich im engeren Sinne mit den Texten zur Verteidigung der Neuchristen bis zur Vertreibung der spanischen Juden befassen. Dazu ist zunächst festzuhalten, dass die zahlreich vorhandenen Überblicksdarstellungen, die zumindest einige der relevanten Quellen nennen und historisch einordnen, in der Regel keine in die Tiefe gehende Analyse der Texte hinsichtlich ihrer inhaltlichen und argumentativen Übereinstimmungen bieten. Wo in der Forschung bereits Thesen zu übergreifenden diskursiven Merkma­ len gebildet wurden, zielen diese meist weniger auf die Beschreibung einer akademischen Schule oder geistlichen Bewegung anhand textueller Kriterien als auf die Charakterisierung eines spezifisch neuchristlichen intellektuellen Milieus von Autoren vor dem Hintergrund ihrer jüdischen Abstammung und ihrer prekären gesellschaftlichen Situation. Dies liegt womöglich in gewissem Maße auch an den etablierten Schwerpunkten und Grenzen der verschiedenen Fachdisziplinen: Während in der Geschichtswissenschaft eher das Interesse an sozialhistorischen Fragestellungen vorherrscht, widmet die Theologie ihre Auf­ 9

»[...] one of the best-studied phenomena of late medieval Spanish history« – Rosa Vidal Doval: Misera Hispania. Jews and Conversos in Alonso de Espina’s Fortalitium fidei, Oxford 2013, S. 10.

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merksamkeit im Blick auf das Spätmittelalter oft mehr europaweiten Phänome­ nen wie dem Konziliarismus, der Mystik oder den Vorläufern der Reformation. Die erste bedeutende Arbeit über die umstrittene Einführung der Statuten der Blutreinheit und den Widerstand, den sie in theologischen Kreisen hervor­ riefen, legte Albert Sicroff (1918-2013) vor.10 In den ersten zwei Kapiteln seiner Darstellung widmet er sich dem Zeitraum vor 1492, wobei er als Textbasis vor allem den Traktat des Bischofs Alonso de Cartagena heranzieht und die Schriften von Alonso Díaz de Montalvo, Fernán Díaz de Toledo und Alonso de Oropesa eher kursorisch behandelt. Für Sicroff stellte die Mentalität der Blut­ reinheit vor allem ein soziales Phänomen dar, das die Missgunst und das Gel­ tungsbedürfnis einer ungebildeten Unter- und Mittelschicht gegenüber einer kosmopolitischen Elite in der Form eines rassistischen Ausschlussmechanismus kanalisierte. Entsprechend nimmt die Analyse der genuin theologischen diskur­ siven Aussagen und Strukturen in seiner Darstellung einen geringeren Stellen­ wert ein und konzentriert sich vor allem auf die charakteristischen Eigenheiten der einzelnen Autoren. Auch über diesen sozialhistorischen Aspekt hinaus fin­ den sich bei Sicroff bereits Thesen, die in der Forschung zu den iberischen Neuchristen eine lange Nachwirkung haben sollten. Dazu zählt vor allem die Vermutung, dass die Entwicklung des spanischen Humanismus im Raum der Gelehrsamkeit und die Entstehung der frühneuzeitlichen Mystik im Bereich der Frömmigkeit wesentlich von Conversos getragen wurden, deren ganz eige­ ne Gedankenwelt als jüdischstämmige Christen für diese geistesgeschichtlichen Innovationen maßgeblich war. In der spanischsprachigen Forschung, die im Grunde erst seit Américo Castro (1885-1972) wirklich begonnen hatte, sich mit der Geschichte der ibe­ rischen Neuchristen zu beschäftigen,11 leistete vor allem Eloy Benito Ruano (1921-2014) mit einer Reihe von Quellenstudien wichtige Grundlagenarbeit.12 Seine Untersuchungen über die im Zuge der Rebellion von Toledo entstande­ nen legislativen und apologetischen Texte, die neben nur wenigen anderen direkten schriftlichen Zeugnissen die Entstehung der Mentalität der Blutrein­ heit dokumentieren, werden zu Recht bis heute in der Forschung zitiert. Im Gegensatz zu diesen eng am politischen und theologischen Diskurs orientierten Arbeiten schreiben seine Beiträge über die spätere Entwicklung von weiteren 10 11

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Vgl. Albert A. Sicroff: Los estatutos de limpieza de sangre. Controversias entre los siglos XV y XVII, Madrid 1985 (Original: Paris 1960). Vgl. Antonio Domínguez Ortiz: Historical research on Spanish conversos in the last 15 years. In: Marcel P. Hornik (Hg.): Collected Studies in Honour of Américo Castro’s Eightieth Year, Oxford 1965, S. 63‑82. Vgl. Eloy Benito Ruano: Los orígines del problemo converso, Madrid 22001, S. 15‑38 (1. Auf­ lage Barcelona 1976) sowie ders.: Reinserción temprana de judíos expulsos en la sociedad española. In: Soto Rábanos (Hg.): Pensamiento medieval hispano. Bd. 2, S. 1625‑1636 und ders.: Toledo y Jerusalén: hitos, mitos y utopías. In: Manuel Casado Velarde u.a. (Hgg.): Jerusalén y Toledo. Historias de dos ciudades, Frankfurt 2012, S. 33‑40.

Unruhen in Toledo bis hin zur Vertreibung der spanischen Juden jedoch eher klassische Ereignisgeschichte. Verschiedene vergleichbare Gesamtüberblicke, die seither zur Geschichte der iberischen Neuchristen im 15. Jahrhundert erschienen sind, besprechen typischerweise ebenfalls mehrere der einschlägigen theologischen Traktate zur Verteidigung der Conversos, ohne dabei jedoch systematisch nach Gemeinsam­ keiten zu fragen. Aus der großen Zahl der Publikationen sollen hier nur die einflussreichsten genannt werden. Benzion Netanyahus umfangreiche Studie, die das Jahrhundert von den ersten Massenkonversionen bis zur Gründung der Spanischen Inquisition in den Blick nimmt, folgt einer sehr klaren Grundthe­ se.13 Im Gegensatz zur Mehrheit der Historiker vor ihm geht Netanyahu davon aus, dass die iberischen Conversos ganz überwiegend überzeugte Christen wa­ ren, und versteht die vielfachen Vorwürfe des Kryptojudaismus als rassistisch motivierte Verleumdungen. Die Schriften zur Verteidigung der Neuchristen zieht er daher besonders zum Zeugnis für die Aufrichtigkeit der Masse der Conversos heran, die ja in der Tat von vielen Autoren emphatisch bestätigt wird. Zusätzlich zu den schon von Sicroff kommentierten Texten geht er dabei auch auf die Werke von Lope de Barrientos, Juan de Torquemada und Diego de Valera ein. Die im Vergleich zwar weniger ausführliche, aber mindestens ebenso kon­ zise und bis heute in großen Teilen unübertroffene Monographie von Nor­ man Roth behandelt den Zeitraum von den Konversionen des ausgehenden 13. Jahrhunderts bis zur Vertreibung der Juden aus Kastilien und Aragon.14 Im Blick auf die gelehrten Verteidiger der Conversos legt Roth mehr Wert auf Biographien und sozialgeschichtliche Zusammenhänge als auf die inhaltlichen Einzelheiten ihrer Schriften, diskutiert dafür jedoch summarisch verschiedene Probleme und Ansätze der historischen Forschung und bezieht unter den ein­ schlägigen Autoren auch Fernando de Pulgar sowie Hernando de Talavera als »besonderen Fall« (special case) mit ein. In jeweils ausgewogener Darstellung und differenziertem Urteil geht Roth unter anderem auf Fragen nach dem Beitrag von Conversos zum spanischen Humanismus und nach der Evidenz einer spezifisch neuchristlichen Religiosität ein. Mit einer Reihe von Beiträgen hat schließlich David Nirenberg der For­ schung zu religiöser Konversion und Intoleranz im vormodernen Spanien die derzeit womöglich einflussreichsten Ergebnisse und Impulse geliefert. Seine Untersuchungen zu verschiedenen sozial-kommunikativen Aspekten wie der antijüdischen Polemik in Kunst und Poesie, der Bedeutung von Sexualität für die Dynamik von Gruppenidentitäten und der Entwicklung »genealogischer 13 14

Vgl. Benzion Netanyahu: The Origins of the Inquisition in Fifteenth-Century Spain, New York 22001 (1. Auflage 1995). Vgl. Norman Roth: Conversos, Inquisition and the Expulsion of the Jews from Spain, Madison (Wisconsin) 22002 (1. Auflage 1995).

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Mentalitäten« (genealogical mentalities) bilden eine wichtige Grundlage nicht nur für dieses Buch, sondern auch für jegliche diskursanalytischen Studien zum iberischen Spätmittelalter.15 Auch unabhängig von solchen innovativen Ansätzen lässt sich konstatieren, dass die Forschung bislang vor allem solchen Themen Aufmerksamkeit ge­ schenkt hat, die mit der gelehrten Verteidigung der Conversos nur indirekt zusammenhängen: in erster Linie die Frage nach der Faktizität und Prävalenz kryptojüdischer Phänomene,16 nach den Ursachen für das Ende der Konvivenz und das Aufkommen der Mentalität der Blutreinheit sowie nach deren Bewer­ tung im Vergleich und Kontrast zu modernen Formen des Rassismus und Anti­ semitismus.17 Selbst speziellere Fragen wie die nach dem spezifischen Beitrag der Conversos zur spanischen Kultur des siglo de oro, nach den Reaktionen und Entscheidungen des Heiligen Stuhls und nach den Auswirkungen auf die sephardischen (Exil-)Gemeinden vor und nach der Vertreibung haben bislang mehr Aufmerksamkeit erfahren als das Thema der gelehrten Apologien zuguns­ ten der Neuchristen. Auch die seither erschienenen Zusammenfassungen des Forschungsstandes etwa von Rica Amran, Max S. Hering Torres und Juan Hernández Franco äußern aufgrund ihrer unterschiedlichen Schwerpunktset­ zungen allenfalls Vermutungen, was übergreifende theologische Motive und Argumentationen angeht.18

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Vgl. Nirenberg: Anti-Judaismus; ders.: El concepto de la raza; ders.: Discourses of Judaizing and Judaism in Medieval Spain. In: La Corónica 41 (2012), S. 207‑233; ders.: Poetics and Politics in an Age of Mass Conversion. In: Jan N. Bremmer u.a. (Hgg.): Cultures of Con­ versions, Leuven 2006, S. 31‑51; ders.: Figures of Thought and Figures of Flesh: »Jews« and »Judaism« in Late-Medieval Spanish Poetry and Politics. In: Speculum 81 (2006), S. 398‑426; ders.: Conversion, Sex and Segregation: Jews and Christians in Medieval Spain. In: American Historical Review 107 (2002), S. 1065‑1093 und ders.: Mass Conversion and Genealogical Mentalities: Jews and Christians in Fifteenth-Century Spain. In: Past and Present 174 (2002), S. 3‑41 sowie die anderen im Folgenden zitierten Titel und weitere Texte. Vgl. dazu auch Norman Simms: Masks in the Mirror. Marranism in Jewish Experience, New York 2006, S. 3‑8; Vidal Doval: Misera Hispania, S. 11‑12; Eloy Benito Ruano: La »otroidad« de los conversos. In: ders.: Los orígines del problemo converso, Madrid 22001, S. 197‑216 (Original: De la alteridad en la Historia. Antrittsvorlesung an der Real Acade­ mia de la Historia, Madrid 1988); José Faur: Four Classes of Conversos: A Typological Study. In: Revue des Etudes Juives 149 (1990), S. 113‑124. Vgl. Anm. 3. Vgl. Rica Amran: Judíos y conversos en el reino de Castilla. Propaganda y mensajes políticos, sociales y religiosos (siglos XIV-XVI), Valladolid 2009; Max S. Hering Torres: Rassismus in der Vormoderne. Die »Reinheit des Blutes« im Spanien der Frühen Neuzeit, Frankfurt 2006; Juan Hernández Franco: Sangre limpia, sangre española. El debate de los estatutos de limpieza (siglos XV‑XVII), Madrid 2011.

1.1.2 Hypothesen zur Apologetik der Conversos Die geringe Anzahl von Studien zum übergreifenden argumentativen Zusam­ menhang des gesamten Diskurses ist kein reines Versäumnis der Forschung. Einige Historiker sind nach der Betrachtung verschiedener Quellen und Au­ toren sogar zu dem ausdrücklichen Schluss gelangt, dass diese gerade keine einheitlich beschreibbare akademische Schule oder geistliche Bewegung reprä­ sentieren – sei es als Ausdruck einer Mentalität der Conversos selbst oder als eine ihnen gewogene theologische Denkrichtung. So erklärt etwa Norman Roth: »Nicht nur gibt es in der Literatur des [15.] Jahrhunderts keine ›Conver­ so-Mentalität‹, anscheinend gab es [auch] keinerlei einheitliche Gruppenidenti­ tät als Conversos unter den Intellektuellen.«19 Und Rosa Vidal Doval befindet hinsichtlich der Gemeinsamkeiten in den Traktaten von Alonso de Cartagena, Juan de Torquemada und Alonso de Oropesa: »Trotz solcher Ähnlichkeiten wä­ re es falsch, von einer einzelnen, kohärenten Position zugunsten der Conversos zu sprechen.«20 Letzterem Punkt wird die hier vorliegende Studie tendenziell widersprechen, denn auch, wenn die Stellungnahmen zugunsten der Neuchris­ ten sich in der Tat in einigen Punkten unterscheiden, lässt sich sehr wohl ein theologischer Kern beschreiben, der ihnen gemeinsam ist. Die relativ wenigen Arbeiten, die bisher versucht haben, auf der Grundlage mehrerer Quellen die Entwicklung einer Theologie zugunsten der iberischen Neuchristen zu beschreiben, sind praktisch ausschließlich im Rahmen von Auf­ sätzen und wenigen kurzen Monographien erschienen. Selbst die wichtigsten dieser Beiträge, die im Folgenden kurz gewürdigt werden sollen, beschränken sich allerdings jeweils auf nur einen Teil der verfügbaren Quellen vor der Wende zum 16. Jahrhundert und kommen auch deswegen teils zu Ergebnissen, die sich nicht ohne Weiteres auf die Gesamtheit des Diskurses übertragen lassen. Gleichwohl liefern sie jeweils durchaus bedenkenswerte Thesen und Perspektiven im Blick auf die einschlägigen Autoren und Texte. In einem kurzen Aufsatz, der im Ansatz einem ähnlichen Thema nachgeht wie dieses Buch, vergleicht Moisés Orfali die Schriften von Alonso de Carta­ gena, Juan de Torquemada, Fernán Díaz de Toledo und Lope de Barrientos hinsichtlich ihrer Argumentation zugunsten der Conversos.21 Ohne eine aus­ führlichere Analyse der diskursiven Aussagen im Einzelnen zu bieten, nennt er als wichtigste Gemeinsamkeiten der genannten Autoren so unterschiedliche 19

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Not only is there no »converso mentality« in the literature of the century, there appears not to have been any uniform converso group identity among the intellectuals. – Roth: Conversos, S. 188. Despite such similarities, it would be wrong to speak of a single, coherent pro-converso position. – Vidal Doval: Misera Hispania, S. 65. Vgl. Moisés Orfali: Jews and Conversos in Fifteenth-Century Spain: Christian Apologia and Polemic. In: Jeremy Cohen (Hg.): From Witness to Witchcraft. Jews and Judaism in Medieval Christian Thought, Wiesbaden 1996, 337‑360.

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Motive wie das »göttliche Gesetz« (besonders hinsichtlich der Vereinigung von Juden und Heiden in Christus), den Anstoß, der durch die Diskriminierung bei vielen Gläubigen erregt wird, die Einheit der Kirche generell, die paulinische Lehre, wie sie vor allem im Römerbrief und Ersten Korintherbrief dargelegt wird, und die Gefahr der Verurteilung Unschuldiger. Alonso de Oropesa be­ trachtet Orfali getrennt davon in erster Linie unter dem Aspekt, wie dieser in seinem Traktat die Verteidigung der Conversos immer wieder mit heftigen Attacken gegen das Judentum verbindet. Zugleich differenziert er dessen Aussa­ gen sorgfältig im Vergleich zur Polemik des Franziskaners Alonso de Espina, die sich nicht nur gegen das Judentum als religiöse Lehre richtet, sondern auch gegen eine vermeintliche Unterwanderung der christlichen Gemeinschaft durch jüdischstämmige Konvertiten. Während der Beitrag Orfalis noch einem wissenschaftlichen Erkenntnisinter­ esse verpflichtet ist, das gerade nicht zuerst nach der (vermuteten) ConversoIdentität der betrachteten Autoren fragt, bevorzugt eine Reihe weiterer Studien und Theoriebildungen bewusst Texte solcher Autoren, die sie in einem mehr oder weniger essenziellen Sinn als Conversos betrachten. So untersucht Bruce Rosenstock in erster Linie die Traktate von Alonso de Cartagena und Juan de Torquemada und verweist eher beiläufig auf Diego de Valera und das anony­ me Pamphlet, das der Apologie des Bischofs Hernando de Talavera zugrunde liegt.22 Er teilt zwar dezidiert nicht die Bewertung Benzion Netanyahus, diese Texte würden einen unterbewussten Stolz der Autoren auf ihre jüdische Her­ kunft ausdrücken, übernimmt aber dennoch dessen Prämisse: die Annahme, eine bestimmte Gruppe jüdischstämmiger christlicher Theologen habe geprägt vom religiösen Erbe ihrer Vorfahren ein theologisches Programm entworfen, das vom übrigen Spektrum der kirchlichen Lehre ihrer Zeit eindeutig zu unter­ scheiden wäre. Insbesondere glaubt Rosenstock, bei den von ihm untersuchten Autoren eine »Bundestheologie der Kontinuität« (theology of covenantal continui­ ty) erkennen zu können, die sich von einer entgegengesetzten traditionellen christlichen Schriftexegese der Opposition von Altem und Neuem Testament unterscheide. Diese These von einer Theologie der Kontinuität im Bezug auf den Mosai­ schen und den Jesuanischen Bund wurde seitdem mehrfach aufgegriffen. So geht Dayle Seidenspinner-Nuñez, die den Aufstand Toledos 1449 als Beginn der Entwicklung Spaniens zu einer Verfolgungsgesellschaft nach Robert Moore versteht,23 in ihrer Darstellung der frühen Schriften zugunsten der Conversos 22

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Vgl. Bruce Rosenstock: New Men: Conversos, Christian Theology and Society in FifteenthCentury Castile, London 2002 sowie ergänzend dazu ders.: Against the Pagans: Alonso de Cartagena, Francisco de Vitoria, and Converso Political Theology. In: Amy Aronson-Fried­ man, Gregory B. Kaplan (Hgg.): Marginal Voices. Studies in Converso Literature of Medieval and Golden Age Spain, Leiden 2012, S. 117‑139. Vgl. Robert I. Moore: The Formation of a Persecuting Society. Power and Deviance in Western Europe, 950-1250, Oxford 1987.

auch kurz auf deren Gemeinsamkeiten und Unterschiede ein.24 Als übergreifen­ des theologisches Merkmal bei Fernán Díaz de Toledo, Alonso de Cartagena und Juan de Torquemada nennt sie ebendieses Motiv der Kontinuität zwischen Altem und Neuem Bund in den heilsgeschichtlichen Betrachtungen der Vertei­ diger der Neuchristen. Auch John Edwards bestätigt mit Verweis auf die gleichen Quellen weit­ gehend die Auffassung, die Rosenstock und Seidenspinner-Nuñez zu einer mutmaßlich von Conversos initiierten jüdisch-christlichen Theologie gebildet haben und die er summarisch als »radikeles und doch wenig beachtetes Werk über das Verhältnis von […] Judentum und Christentum« (radical, yet little-stu­ died work on the relationship between […] Judaism and Christianity) bewertet.25 Zugleich ist es ihm wichtig, zwischen einer von Conversos geprägten Theolo­ gie als Diskurs einer akademischen Elite und einer möglichen neuchristlichen Volksfrömmigkeit mit traditionellen jüdischen Zügen zu unterscheiden, wie sie etwa David M. Gitlitz zu rekonstruieren versucht hat.26 Dass eine Theologie der Kontinuität der alt- und neutestamentlichen Bun­ desschlüsse nicht schlechthin als Innovation iberischer Neuchristen oder auch nur als erstmalige Errungenschaft des 15. Jahrhunderts gelten kann, hat indes Jennifer Harris an den Beispielen von Beda Venerabilis, Aelred von Rievaulx und Thomas von Aquin gezeigt.27 Zwar bezieht sie sich ausdrücklich auf die Thesen Rosenstocks, ohne diesen direkt zu widersprechen, doch zeigen ihre Ausführungen letztlich, dass der von beiden angeführte Alonso de Cartagena und die mit ihm vergleichbaren Verteidiger der Neuchristen viel eher in einer langen scholastischen Tradition stehen, als dass sie mit den theologischen Kon­ ventionen ihrer Zeit radikal gebrochen hätten. So aufschlussreich die Analyse der Apologien der Conversos unter dem Ge­ sichtspunkt ihrer Theologie der biblischen Bundesschlüsse auch ist, so wenig lassen sich jedoch die Ergebnisse gerade in dieser Frage (im Gegensatz zu anderen Themen) in Form von Gemeinsamkeiten beschreiben. Zunächst ist 24

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Vgl. Dayle Seidenspinner-Nuñez: Prelude to the Inquisition: The Discourse of Persecution, the Toledan Rebellion of 1449, and the Contest for Orthodoxy. In: Wout J. van Bekkum, Paul M. Cobb (Hgg.): Strategies of Medieval Communal Identity: Judaism, Christianity and Islam, Paris 2004, S. 47‑74. Vgl.John Edwards: New Light on the Converso Debate? The Jewish Christianity of Alonso de Cartagena and Juan de Torquemada. In: Simon Barton und Peter Linehan (Hgg.): Cross, Crescent and Conversion. Studies on Medieval Spain and Christendom in Memory of Richard Fletcher, Leiden 2008, S. 311‑326, Zitat auf S. 311‑312; vgl. außerdem ders.: La prehistoria de los estatutos de »limpieza de sangre«. In: Carlos Barros (Hg.): Xudeus e Conver­ sos na Historia. Bd. 1: Mentalidades e Cultura, Santiago de Compostela 1994, S. 351‑357 und ders.: The Conversos: A Theological Approach. In: Bulletin of Hispanic Studies 62 (1985), S. 39‑49. Vgl. David M. Gitlitz: Secrecy and Deceit. The Religion of the Crypto-Jews, Albuquerque 2002. Vgl. Jennifer Harris: Enduring Covenant in the Christian Middle Ages. In: Journal of Ecume­ nical Studies 44 (2009), S. 563‑586.

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es überhaupt nur die Hälfte der Texte, nämlich die längeren Traktate, die sich unter anderem auf das Feld der Heilsgeschichte begeben, um die Gesetz­ mäßigkeiten der göttlichen Erlösung vor und nach der Menschwerdung Jesu Christi systematisch zu erörtern. In der Breite des Diskurses tritt diese geradezu fundamentaltheologische Fragestellung eher zurück hinter das pragmatische Interesse, gleiche Rechte für alle Getauften zu fordern. Im Bezug auf dieses Grundanliegen sind alle Ausführungen über die Bedeutung des »Alten Bundes« für die Kirche letztlich nur Hilfsargumente, um den jüdischstämmigen Konver­ titen allen Anfeindungen zum Trotz eine positive Grunddisposition für die Annahme des christlichen Glaubens zuzuerkennen. Doch selbst innerhalb dieser grundsätzlichen Pragmatik fallen die resultie­ renden theologischen Modelle sehr unterschiedlich aus, sowohl was ihre Impli­ kationen hinsichtlich des Judentums als auch ihre Verwendung biblischer Be­ legstellen und rhetorischer Bildsprache angeht (siehe dazu auch Kapitel 3. 3. 3). Während zwar stets irgendeine Art von Relation oder Komplementarität zwi­ schen dem in der Tora niedergelegten Bund Gottes mit dem Volk Israel und der Stiftung eines neuen und universalen Bundes durch Jesus Christus voraus­ gesetzt wird, sind die Aussagen zu deren Wesen auch bei den Verteidigern der Conversos höchst unterschiedlich. Aussagen im Sinne von Kontinuität und Vervollkommnung, aber auch von Übertreffung und Substitution finden sich nicht nur bei verschiedenen Autoren, sondern zum Teil innerhalb desselben Textes. Dass den einschlägigen Schriften dennoch eine übergreifende diskursive Strategie zugrunde liegt, lässt sich zwar anhand anderer Aussagen schlüssig belegen, nicht jedoch im Bezug auf eine gemeinsame Theologie des Bundes. Eng verbunden mit der These einer solchen neuchristlichen Bundestheologie der Kontinuität ist auch die Annahme, die Apologien der Conversos seien von einer besonderen Wertschätzung und einem spezifischen exegetischen Ge­ brauch der Schriften des Apostels Paulus gekennzeichnet. So stellt etwa Maria L. Giordano große Teile ihrer Studie über die intellektuelle Elite der spani­ schen Conversos und deren apologetische Schriften im 15. und 16. Jahrhundert unter das Thema eines vermuteten »paulinischen Christentums« (cristianismo paulino) neuchristlicher Provenienz.28 Da Giordano unterschiedliche Schriften als »Verteidigung der Conversos« (apología de los conversos) heranzieht, die oft einen allenfalls assoziativen oder biographischen Bezug zur Neuchristenfrage aufweisen, und dabei kaum mit direkten Zitaten arbeitet, jedoch zugleich zen­ trale thematisch relevante Werke unberücksichtigt lässt, sind die resultierenden Schlussfolgerungen (insgesamt wie hinsichtlich des sogenannten Paulinismus) allerdings nur wenig belastbar.

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Vgl. Maria L. Giordano: Apologetas de la fe. Élites conversas entre Inquisición y patronazgo en España (siglos XV y XVI), Madrid 2004.

Auch Claude B. Stuczynski sieht ein paulinisch profiliertes theologisches Muster in den Werken (vermuteter) neuchristlicher Autoren.29 Während er allgemein davon ausgeht, dass nicht ein jüdischer Familienhintergrund als solcher, sondern erst die Ausgrenzung durch die altchristliche Mehrheit die spanischen Neuchristen in eine eigene geistliche Nische drängte, zeichnet er gleichwohl eine Traditionslinie von Pablo de Santa María über Alonso de Cartagena, Juan de Torquemada und Alonso de Oropesa bis hin zu Hernando de Talavera. Zwar räumt er dabei auch Unterschiede zwischen den genannten Autoren ein, was ihre Bewertung des Volkes Israels und ihre allgemeinen her­ meneutischen Präferenzen bei der Bibelexegese angeht, postuliert aber zugleich einen übergreifenden »textuellen Paulinismus« (textual Paulinism), der ihre Ar­ gumentation informierte und stützte. Als zentrales Merkmal, das bereits in der früheren Forschung gelegentlich diskutiert wurde,30 nennt er unter anderem die auf mehreren Briefen des Apostels beruhende Lehre vom mystischen Leib Christi (corpus Christi mysticum), der gemeinsam von allen Gläubigen gebildet wird. Während die Beobachtung der großen Bedeutung des paulinischen Briefkor­ pus in den Schriften zur Verteidigung der Neuchristen zweifellos zutreffend ist,31 bedarf sie doch einer differenzierten Einordnung, die wiederum nicht alle bislang angestellten Vermutungen bestätigt. Es ist gewiss nicht unplausibel anzunehmen, dass allein die Gestalt des Paulus von Tarsus eine besondere Anziehungskraft gerade für die tiefgläubigen unter den Conversos besaß: die Gestalt eines Heiligen, in dessen paradigmatischer Bekehrung vom Gegner zum Verkünder des Christentums sie ihre eigene (Familien-)Geschichte wiederfin­ den konnten und dessen radikale Weltverachtung und Beharrlichkeit im Ange­ sicht von Rückschlägen und Verfolgung ihnen als Vorbild und Trost in der eigenen oft prekären Situation dienen mochten. Dennoch ist in jedem Fall das mögliche Missverständnis zu vermeiden, einem »paulinischen Christentum« der Conversos (und ihrer Apologeten) hätte ein anderes Christentum unter 29

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Vgl. Claude B. Stuczynski: Pro-Converso Apologetics and Biblical Exegesis. In: Jonathan Decter und Arturo Prats (Hgg.): The Hebrew Bible in Fifteenth-Century Spain. Exegesis, Literature, Philosophy, and the Arts, Leiden 2012, S. 151‑176 sowie ders.: Converso Pauli­ nism and Residual Jewishness: Conversion from Judaism to Christianity as a Theologico-political Problem. In: Theodor Dunkelgrün und Paweł Maciejko (Hgg.): Bastards and Believers: Jewish Converts and Conversion from the Bible to the Present, Philadelphia 2020, S. 112‑133 und ders.: From Polemics and Apologetics to Theology and Politics: Alonso de Carta­ gena and the Conversos within the »Mystical Body«. In: Israel Yuval and Ram Ben-Shalom (Hgg.): Conflict and Religious Conversation in Latin Christendom: Studies in Honour of Ora Limor, Turnhout 2014, S. 253-275. Vgl. u.a. Roth: Conversos, S. 198‑201; Sicroff: Anticipaciones del erasmismo español en el Lu­ men ad revelationem gentium de Alonso de Oropesa. In: Nueva revista de filología hispánica 30 (1981), S. 318‑319. Vgl. dazu u.a. auch José L. Villacañas Berlanga: La ratio teológico-paulina de Alonso de Cartagena. In: Cirilio Flórez Miguel u.a. (Hgg.): La primera escuela de Salamanca (1406-1516), Salamanca 2012, S. 75‑94.

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Absehung der unter dem Namen des Apostels Paulus überlieferten biblischen Schriften gegenübergestanden. Tatsächlich ist die Bedeutung der paulinischen Episteln im Neuen Testament seit der Antike so fundamental für Lehramt und Verkündigung nicht nur der lateinischen Kirche, dass keine theologische Schu­ le oder geistliche Bewegung auf ihre Rezeption und Interpretation verzichten konnte. Was nun die Kontroverse um den Status der iberischen Neuchristen seit dem 15. Jahrhundert angeht, so lag der Rekurs auf die Gemeinde- und Pastoralbrie­ fe des Paulus thematisch nicht bloß nahe, sondern war praktisch zwingend. Gewiss ließen sich viele Passagen der Heiligen Schrift nach dem Prinzip des mehrfachen Schriftsinns so lesen, dass sie das Anliegen der Gleichstellung der Conversos stützten, doch Paulus schrieb in seinen Briefen ganz unmittelbar und eindeutig über das Verhältnis von Juden und Nichtjuden, über die Stel­ lung von Neugetauften in der Gemeinde und über die Bedeutung des vetus testamentum (2Kor 3, 14) für die christliche Kirche. Dass die Paulusbriefe gerade keine exklusive Quelle für eine Theologie zugunsten der Conversos waren, zeigt sich nicht zuletzt daran, dass sich auch die Gegner der Neuchristen, wenn sie überhaupt theologisch argumentierten, auf den Apostel beriefen, selbst wenn dessen Schriften sich tendenziell weniger zur Unterstützung ihrer Position herliehen.32 Die grundsätzliche Vermutung eines besonderen Paulinismus innerhalb der literarischen Produktion der iberischen Conversos beziehungsweise ihrer Unterstützer stammt ihrerseits aus der gleichen Strömung der modernen For­ schung, die das iberische Neuchristentum auch als wichtigste Wurzel des spani­ schen Humanismus ansieht. Die entsprechenden Arbeiten über die Bedeutung neuchristlicher Autoren für die iberische Geistesgeschichte, die in der Regel einen Zeitraum weit über das 15. Jahrhundert hinaus im Blick haben, neigen in dieser Hinsicht allerdings dazu, Beobachtungen aus der Frühen Neuzeit pauschal und manchmal zu selbstverständlich auch auf die Zeit vor der Einrich­ tung der Spanischen Inquisition und der Vertreibung der Juden zu übertragen. So betont etwa Gregory B. Kaplan in seinen Aufsätzen zwar die Verschieden­ heit der literarischen Stile und philosophischen Programme; gleichzeitig ist er aber auch der Auffassung, einen darunterliegenden »Converso Code« ausma­ chen zu können, der nicht nur die gemeinsame Erfahrung von Ausgrenzung 32

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Vgl. u.a. Vidal Doval: Misera Hispania, S. 62‑64; Erika Tritle: Anti-Judaism and a Her­ meneutic of the Flesh. In: Church History and Religious Culture 95 (2015), S. 187ff.; Eloy Benito Ruano: El memorial del bachiller »Marquillos de Mazarambroz«. In: ders.: Los orígines del problemo converso, Barcelona 1976, S. 93‑132 (zuerst erschienen in: Sefarad 17 (1957), S. 314‑351); Núria Gómez Llauger: Radicalism and Pauline Thought in Pedro de la Cavallería’s Zelus Christi contra Iudaeos, Sarracenos et infideles. In: Cándida Ferrero Hernández und Linda G. Jones (Hgg.): Propaganda and (un)covered Identities in Treatises and Sermons: Christians, Jews, and Muslims in the Premodern Mediterranean, Barcelona 2020, S. 71‑82.

und Anfeindung widerspiegelt, sondern auch eng verbunden ist mit dem spani­ schen Humanismus.33 Die Assoziation von Conversos, Humanismus und Mys­ tizismus kann dabei auf eine lange Geschichte in der historischen Forschung zurückblicken, deren Beginn meist in Marcel Bataillons’ einflussreichem Werk zur Geschichte der spanischen Erasmus-Rezeption gesehen wird und die in jüngerer Zeit unter anderem von Stefania Pastore konsequent weiterverfolgt wurde.34 Sie blickt auf die Conversos und ihre Fürsprecher im 15. Jahrhundert vor allem aus dem Blickwinkel der späteren religiösen Konflikte um verschiede­ ne geistliche Bewegungen im siglo de oro. Autoren wie Alonso de Cartagena, Alonso de Oropesa, Hernando de Talavera, Fernando de Pulgar und Juan de Lucena interpretiert sie so in erster Linie als Keimzelle einer geistlichen Gegenströmung in Opposition zur immer mächtiger werdenden Spanischen Inquisition. Ähnlich beschreibt Kevin Ingram eine kontinuierliche Geschichte der He­ terodoxie in den Werken von Künstlern wie Diego Velázquez und Gelehrten wie Pedro de Valencia, die er im späten Mittelalter begründet sieht.35 Auch diese These steht letztlich in einer langen und umfangreichen Tradition der Ge­ schichts- und Literaturwissenschaft, die in der kulturellen Produktion des siglo de oro nahezu jegliche kulturelle Innovation oder Devianz mit dem (krypto-)jü­ dischen Erbe Spaniens in Verbindung bringt.36 Kritisch äußerten sich dazu zum einen Autoren, die ethnisch begründete Erklärungskonzepte für die Geistesge­ schichte insgesamt skeptisch sehen, zum anderen solche, die den Stellenwert

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Vgl. Gregory B. Kaplan: The Inception of Limpieza de Sangre (Purity of Blood) and its Impact in Medieval and Golden Age Spain. In: ders. und Amy Aronson-Friedman (Hgg.): Marginal Voices. Studies in Converso Literature of Medieval and Golden Age Spain, Leiden 2012, S. 19‑41 und ders.: The Evolution of Converso Literature. The Writings of the Converted Jews of Medieval Spain, Gainesville 2002. Vgl. Marcel Bataillon: Erasmo y España. Estudios sobre la historia espiritual del siglo XVI, Buenos Aires 21966 (Original: Paris 1937); Stefania Pastore: Doubt in Fifteenth-Century Iberia. In: Mercedes Garcia-Arenal (Hg.): After Conversion. Iberia and the Emergence of Modernity, Leiden 2016, S. 283‑303; dies.: Un’eresia spagnola. Spiritualità conversa, alumbradismo e inquisizione (1449-1559), Florenz 2004 und dies.: Il Vangelo e la spada. L’Inquisizione di Castiglia e i suoi critici (1460-1598), Rom 2003. Vgl. v.a. Kevin Ingram: Converso Non-Conformism in Early Modern Spain, Bad Blood and Faith from Alonso de Cartagena to Diego Velazquez, Basingstoke 2018. Vgl. exemplarisch etwa Americo Castro: España en su historia: Cristianos, moros y judíos, Barcelona 31984 (1. Auflage Buenos Aires 1948); vgl. dazu auch Miriam Bodian: Américo Castro’s Conversos and the Question of Subjectivity. In: Culture & History Digital Journal 6 (2017), S. 1‑14; Augustin Redondo: Revisitando el concepto de literatura de conversos. El caso del Lazarillo, progenitor de los libros de picaros. In: Ruth Fine u.a. (Hgg.): Lo converso: orden imaginario y realidad en la cultura española (siglos XIV‑XVII), Madrid 2013, S. 141‑166; Ruth Fine: Cervantes y la tradición judía. In: Vittoria Borsò und Santiago Navarro Pastor (Hgg.): Cervantes y las tradiciones judías, Buenos Aires 2013, S. 17‑58; Angel Alcalá: Los judeoconversos en la cultura y sociedad españolas, Madrid 2011, S. 303‑326.

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des neuchristlichen Einflusses auf die geistesgeschichtliche Entwicklung Spani­ ens lediglich für überbewertet halten.37 Eher ungeeignet für die hier angestrebte Untersuchung ist diese Perspektive zum einen, weil sie den Fokus auf einen vermuteten Zusammenhang von jüdischer Abstammung und intellektuellem Profil legt und so die Möglichkeit einer diskursiven Gemeinsamkeit von Autoren mit unterschiedlichem genealo­ gischen Hintergrund tendenziell ausblendet. Zum anderen ist gerade die Ver­ bindung von Humanismus und Neuchristentum zwar nicht dadurch problema­ tisch, dass sie die Wurzeln bestimmter kultureller Phänomene der Neuzeit in der Epoche der spätmittelalterlichen Massenkonversionen verortet, wohl aber, insofern sie bestimmte Charakteristika ex post auf das 14. und 15. Jahrhundert zurückprojiziert oder dies zumindest andeutet. Den Verteidigern der Conversos oder auch nur einigen von ihnen eine Nähe oder Vorläuferschaft zum spanischen Humanismus zuzuschreiben, erfordert zumindest eine gewisse Abgrenzung dessen, was damit gemeint sein soll. Im Bezug auf Autoren, die sämtlich mit größter Wahrscheinlichkeit keine vertief­ ten Kenntnisse des Altgriechischen oder Hebräischen besaßen, die in Mittella­ tein oder der Volkssprache schrieben, die historisch das iberische Westgoten­ reich idealisierten und deren wichtigste Autoritäten neben der Lateinischen Bibel das Decretum Gratiani und die Glossa Ordinaria waren, kann von Huma­ nismus letztlich nur in einem analogen Sinn die Rede sein.38 Ein immerhin erkennbares Interesse an aristotelischer Ethik und Logik, am Römischen Recht und an lateinischen Klassikern wie Cicero oder Seneca, die in den fraglichen Texten oft mehr ornamentalen als argumentativen Charakter ha­ ben, mag in einem gewissen »humanismo vernáculo«39 begründet liegen, kann jedoch je nach Blickrichtung ebenso auf die Scholastik des Hochmittelalters zu­ 37

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Vgl. etwa David Nirenberg:Wie jüdisch war das Spanien des Mittelalters? Die Perspektive der Literatur, Trier 2005, S. 40-41; Ronald E. Surtz: Características principales de la literatura escrita por conversos. Algunos problemas de definición. In: Ángel Alcalá (Hg.): Judíos, sefardi­ tas, conversos, Valladolid 1995, S. 547-556 sowie Eugenio Asensio: La España imaginada de Américo Castro, Barcelona 1992. Vgl. Luis Gil Fernández: Panorama social del humanismo español (1500-1800), Madrid 1997, S. 201‑234; Jeremy N. H. Lawrance: Humanism in the Iberian Peninsula. In: Anthony Goodman, Angus MacKay (Hgg.): The Impact of Humanism on Western Europe, Lon­ don und New York ²1993 (1. Auflage 1990), S. 220‑258; Karl A. Blüher: Seneca in Spanien: Untersuchungen zur Geschichte der Seneca-Rezeption in Spanien vom 13. bis 17. Jahrhundert, München 1969, S. 85‑88; Luis Rojas Donat: Alfonso de Cartagena, jurista y diplomático del humanismo español. In: Revista de estudios histórico-jurídicos 22 (2000), S. 78f.; zum besonderen Fall des Antonio de Ferrariis s.u. unter 2.3.4. Jeremy N. H. Lawrance: Alfonso de Cartagena y los conversos. In: Alan Deyermond and Ralph Penny (Hgg.): Actas del primer congreso anglo-hispano. Bd. 2: Literatura, Madrid 1993, S. 114; Ottavio di Camillo: Humanism in Spain. in: Albert Rabil (Hg.): Renaissance Humanism. Foundations, Forms, and Legacy, Bd. 2: Humanism beyond Italy, Philadel­ phia 1988, S. 75; vgl. auch Isabella Iannuzzi: El poder de la palabra en el siglo XV: Fray Hernando de Talavera, Valladolid 2009, S. 53‑58.

rück- wie auf den neuzeitlichen Humanismus vorausweisen. Zumindest was die Verteidigung der Rechte der Conversos und die dahinterstehende theologische Ausrichtung angeht, wirft die Verbindung mit der späteren humanistischen Bewegung letztlich mehr Fragen auf, als sie beantwortet. Ähnliches gilt im Übrigen für andere geistige Bewegungen im weitesten Sinn wie die Spanische Mystik, die Schule von Salamanca oder auch die pikareske Literatur, die erst im Laufe des 16. Jahrhunderts wirklich historisch greifbar werden.40 Als eine der aktuellsten und zugleich kenntnisreichsten Darstellungen, die sich mit dem Diskurs um die iberischen Neuchristen im 15. Jahrhundert be­ schäftigen, muss schließlich die bereits zitierte Studie von Rosa Vidal Doval über das Fortalitium fidei des Franziskaners Alonso de Espina genannt werden. Die einleitende Darstellung über Ursprünge und Konturen der Kontroverse um die spanischen Conversos, die nahezu die Hälfte der Monographie in Anspruch nimmt,41 skizziert auch die wichtigsten Traktate zugunsten der Neuchristen hinsichtlich ihrer thematischen Schwerpunkte und argumentativen Strukturen. Im Gegensatz etwa zu Rosenstock oder Stuczynski betont Vidal Doval die theo­ logischen Unterschiede vor allem zwischen den Werken von Alonso de Carta­ gena, Juan de Torquemada und Alonso de Oropesa. Gemeinsamkeiten sieht sie in erster Linie auf der pragmatischen Ebene in der Zielsetzung der Traktate und der starken rhetorischen Emphase, mit der sie den Wert der christlichen Einheit hervorheben. Allerdings bemerkt sie auch den großen Stellenwert, den genealogische Argumentationsmuster bei den von ihr betrachteten Vertei­ digern der Conversos spielen, und die damit verbundene Ambivalenz innerhalb einer Apologetik, die sich gerade gegen die Bedeutung von Herkunft und Abstammung in Glaubensfragen richtet. Der Nachweis, dass es angesichts der von Vidal Doval zutreffend beschriebenen Disparitäten im Converso-Diskurs dennoch möglich und sinnvoll ist, Grundzüge einer übergreifenden diskursi­ ven Strategie zugunsten der Neuchristen zu beschreiben, ist eines der zentralen Anliegen der vorliegenden Untersuchung. 1.1.3 Weitere Studien zu einzelnen relevanten Quellen Von Interesse für die hier angestrebte Untersuchung sind schließlich auch einige Arbeiten, die sich im Wesentlichen mit nur einer der relevanten Quellen 40

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Vgl. u.a.: Angel Alcalá: El mundo converso en la literatura y la mística del Siglo de Oro. In: Manuscrits: Revista d’història moderna 10 (1992), S. 91-118; José C. Gómez-Menor Fuentes: Linaje judío de escritores religiosos y místicos españoles del siglo XVI. In: Alcalá (Hg.): Judíos. Sefarditas. Conversos, S. 587-600; Vidal Abril Castelló: Los derechos humanos en el tránsito del medievo a la modernidad: la escuela de Salamanca. In: Soto Rábanos (Hg.): Pen­ samiento medieval hispano. Bd. 1, S. 513-562; Redondo: Revisitando; Hans Gerd Rötzer: Subversive Affirmation. Das Los der jüdischen Konvertiten (conversos) als zentrales Thema der novela picaresca. In: ders.: Der europäische Schelmenroman, Stuttgart 2009, S. 32‑53. Vgl. Vidal Doval: Misera Hispania, S. 1‑65.

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oder nur einem der einschlägigen Autoren befassen. Die jeweiligen Editoren haben die Texte meist lediglich mit einem knappen Kommentar herausgege­ ben, der in der Regel auf die materiellen Fakten der Überlieferung, die Umstän­ de der Entstehung und die gesellschaftliche Kontroverse um den Status der Conversos im allgemeinen eingeht. Die Forschungsliteratur zu Lope de Barrientos spiegelt in Menge und Breite dessen beachtliche literarische Produktivität wider, die verschiedenste theologi­ sche und philosophische Themenbereiche umfasste. Unter den Arbeiten im engeren Zusammenhang mit dem Diskurs um die iberischen Neuchristen wid­ men sich Rosa Vidal Doval und Ángel Martínez Casado vor allem den kano­ nistischen Aspekten, die der Bischof von Cuenca in seiner rechtskundlichen Responsio entfaltet.42 Im Blick auf seinen Traktat Contra algunos çiçañadores analysiert Rica Amran insbesondere den Gebrauch der Vokabeln nación, pueblo und linaje im Bezug auf das Judentum und die Gruppe der Conversos.43 Enri­ que Cantera Montenegro hebt in seinem Beitrag die Zuarbeit hervor, mit der Fernán Díaz und Francisco de Toledo den Bischof von Cuenca unterstützten, und charakterisiert dessen Stellungnahmen zutreffend als im Einklang mit der herrschenden kirchlichen Lehre und als Ausdruck seiner Loyalität gegenüber dem König.44 Constanza Cavallero schließlich kommt das Verdienst zu, auch die Schriften des Bischofs über Wahrsagerei und Traumdeutung vor dem Hin­ tergrund der Kontroverse um die iberischen Neuchristen neu interpretiert und in den weiteren Zusammenhang seiner Schriften zugunsten der Conversos eingeordnet zu haben.45 Über die Intervention des Relators Fernán Díaz im Konflikt zwischen der Krone und der Stadt Toledo hat der Hispanist Nicholas G. Round als einer der ersten Forscher eine noch heute aufschlussreiche Studie vorgelegt.46 Darin hebt er vor allem den juristischen Hintergrund, aber auch die pragmatische 42

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Vgl. Rosa Vidal Doval: »Qui ex Iudeis sunt«: Visigothic Law and the Discrimination against Conversos in Late Medieval Spain. In: Mercedes García-Arenal und Yonatan Glazer-Eytan (Hgg.): Forced Conversion in Christianity, Judaism and Islam. Coercion and Faith in Premodern Iberia and Beyond, Leiden 2019, S. 60‑85; Ángel Martínez Casado: La situ­ ación jurídica de los conversos según Lope de Barrientos. In: Archivo Dominicano 17 (1996), S. 25‑64. Vgl. Rica Amran: La nación conversa según Lope de Barrientos y la proyección de sus ideas en el siglo XV. In: José Ignacio Ruiz Rodríguez und Igor Sosa Mayor (Hgg.): Construyendo identidades: del protonacionalismo a la nación, Madrid 2013, S. 225‑242. Vgl. Enrique Cantera Montenegro: El obispo Lope de Barrientos y la sociedad judeoconversa: su intervención en el debate doctrinal en torno a la »Sentencia-Estatuto« de Pero Sarmiento. In: Espacio, Tiempo y Forma 10 (1997), S. 11‑29. Vgl. Constanza Cavallero: Los demonios interiores de España. El obispo Lope de Barrientos en los albores de la demonología moderna: Castilla, Siglo XV, Buenos Aries 2011; dies.: Supersticiosos y marranos. El discurso anti-mágico de Lope de Barrientos a la luz de la »cuestión conversa«. Cuadernos de Historia de España 84 (2010), S. 61‑90. Vgl. Nicholas G. Round: Politics, Style and Group Attitudes in the Instrucción del Relator. In: Bulletin of Hispanic Studies 46 (1969), S. 289‑319.

Ausrichtung der Schrift hervor, die durch ihren schlichten und präzisen Stil eher als manche vergleichbare Traktate dazu geeignet war, auch ein weniger gebildetes Publikum zu erreichen und zu überzeugen. Während Round zwar einige stilistische, rhetorische und exegetische Eigenheiten beschreibt, die er mit dem Converso-Hintergrund des Relators in Verbindung bringt, lehnt er es dennoch entschieden ab, Fernán Díaz als Exponent eines neuchristlichen Milieus im Sinne einer theologisch heterodoxen oder ethnisch distinguierten Sondergruppe zu charakterisieren. Eleazer Gutwirth dagegen kommt aufgrund ergänzender Handschriften zu dem Schluss, dass der Relator womöglich engere Verbindungen zur jüdischen Gemeinde seiner Heimatstadt hatte, als er in der Instrucción erkennen lässt, und keineswegs so distanziert vom Judentum seiner Vorfahren war, wie er sich selbst präsentierte.47 Zu Alonso Díaz de Montalvo existieren zwar einige Studien, die sich mit sei­ ner Bedeutung als Jurist und Kommentator allgemein befassen, seine Haltung in der Converso-Frage wurde jedoch bislang noch kaum näher untersucht. Ebendiese Verbindung zwischen dem juristischen Gesamtwerk Alonsos und seiner Stellungnahme zugunsten der Neuchristen versucht Rica Amran herzu­ stellen.48 Außerdem zeigt sie in ihrer kurzen Studie einige Parallelen auf, die Alonsos Text zu denen anderer Verteidiger der Conversos (Juan de Torquema­ da, Diego de Valera und Fernán Díaz de Toledo) aufweist, insbesondere was den Vorwurf des Schismas und der Häresie sowie die Betrachtung der heilsge­ schichtlichen Rolle des Auserwählten Volkes Israel angeht. Unter den Arbeiten, die sich mit den zahlreichen und vielfältigen Schriften des Kardinals Juan de Torquemada befassen, bilden die Studien zu seiner streit­ baren Haltung in der Converso-Frage nur einen kleinen Teil. Thomas Izbicki kommt in seiner knappen Zusammenfassung des Inhalts und des historischen Hintergrunds des Traktats Contra Madianitas zu dem Schluss, dass die wesentli­ chen Argumente, die der Kardinal ins Feld führt, damals wie heute als »ohne jede Zurückhaltung rechtgläubig« (relentlessly orthodox) gelten können – also gerade kein Beispiel eines neuchristlichen theologischen Sonderweges darstel­ len.49 Eine Motivation des schon zu Lebzeiten als Defensor fidei bekannten Theologen aufgrund seiner (unbewiesenen) jüdischen Herkunft hält er auch deshalb für sehr unwahrscheinlich. Eine Einordnung in den größeren Zusam­ menhang der Geschichte des dominikanischen Ordens im Verhältnis zu den

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Vgl. Eleazar Gutwirth: Dyl’twr o ryl’twr: Fernán Díaz de Toledo y los judíos. In: Sefarad 46 (1986), S. 229‑234. Vgl. Rica Amran: El Fuero real de Alonso Díaz de Montalvo y la problemática conversa a finales del siglo XV: ¿puntos de vista e influencias de una minoría? In: dies. und Antonio Cortijo Ocaña (Hgg.): Minorías en la España medieval y moderna (ss. XV-XVII), Santa Barbara 2016, S. 24-38. Vgl. Thomas M. Izbicki: Juan de Torquemada’s Defense of the »Conversos«. In: The Catholic Historical Review 85 (1999), S. 195-207.

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spanischen Neuchristen und zum Judentum bietet Ulrich Horst.50 Hier wird besonders deutlich, dass die Theologie des Traktats Contra Madianitas wie auch die Intervention des Kardinals am Heiligen Stuhl durchaus keine Ausnahmen innerhalb des Predigerordens waren, andererseits aber auch unter den Domini­ kanern selbst nicht unwidersprochen blieben. Susana M. Likerman de Portnoy schließlich, die Juan de Torquemada als einen der bedeutendsten Theologen des Spätmittelalters würdigt, sieht in seiner Behandlung der Converso-Frage nicht weniger als eine Vorwegnahme der katholischen Israel-Theologie, die erst das Zweite Vatikanische Konzil über fünfhundert Jahre später entfaltete.51 Alonso de Cartagena gehört mittlerweile zweifellos zu den am meisten stu­ dierten Persönlichkeiten des spanischen Spätmittelalters, und das bei weitem nicht nur als Converso, der mit der Autorität eines Bischofs und Doktors iuris utriusque die Sache der Neuchristen verteidigte. Auch seine diplomatischen Missionen, sein Verhältnis zum Humanismus und seine politische Philosophie sind Gegenstand zahlreicher Darstellungen.52 Luis Fernández Gallardo, der sich in seiner Biographie Alonsos vor allem seinem politischen Denken und Wirken widmet, versteht das Defensorium in erster Linie als das Werk eines umfänglich geschulten Juristen, dessen Verständnis des zivilen und kanonischen Rechts auch seine Theologie und Bibelexegese bestimmt.53 Guillermo Verdín Díaz interpretiert das Defensorium im Rekurs auf Ottavio di Camillo als Zeugnis eines humanistisch inspirierten Gelehrten, dessen Hochachtung vor dem Al­ tertum sich in seinem Gebrauch der aristotelischen Ethik ebenso ausdrückt wie in seiner positiven Zeichnung des vorchristlichen Judentums.54 Maria L. Giordano schließlich widmet sich in einem jüngeren Beitrag insbesondere den Einwänden, die Alonso de Cartagena auf begrifflicher Ebene gegen zentrale Konzepte der altchristlichen Polemik vorbringt, und beschreibt seine ausführli­

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Vgl. Ulrich Horst: Kardinal Juan de Torquemada und sein Traktat zur Verteidigung der Neuchristen. In: Elias H. Füllenbach und Gianfranco Miletto (Hgg.): Dominikaner und Juden. Personen, Konflikte und Perspektiven vom 13. bis zum 20. Jahrhundert, Berlin 2015, S. 251‑272; ders.: Die spanischen Dominikaner und das Problem der Judenchristen (»conversos«). In: Füllenbach/Miletto (Hgg.): Dominikaner und Juden, S. 273‑298. Vgl. Susana M. Likerman de Portnoy: El cardenal Juan de Torquemada y los judíos conversos. In: Fundación 12 (2015), S. 355-362. Vgl. zur vorliegenden Frage v.a. Javier Cárdenas Díaz, Enver Torregroza Lara: La filosofía política de Alonso de Cartagena en su Defensorium Unitatis Christianae. In: Revista de Hispa­ nismo Filosófico 16 (2011), S. 7‑23. Vgl. Luis Fernández Gallardo: Teología y derecho en el »Defensorium« de Alonso de Cartage­ na. In: José Manuel Nieto Soria und Oscar Villarroel González (Hgg.): Comunicación y conflicto en la cultura política peninsular, Madrid 2018, S. 559-588.; ders.: Alonso de Cartagena (1385-1456): Una biografía política en la Castilla del siglo XV, Valladolid 2002. Vgl. Guillermo Verdín Díaz: Alonso de Cartagena y el Defensorium Unitatis Christianae. Introducción, traducción y notas, Oviedo 1992; di Camillo: Humanism in Spain, S. 55‑108 und ders.: El humanismo castellano del siglo XV, Valencia 1976.

che Stellungnahme zugunsten der Conversos so im Wesentlichen als eine Form der Sprachkritik.55 Der Espejo de verdadera nobleza von Diego de Valera ist Gegenstand zahlrei­ cher Studien, von denen sich jedoch nur wenige näher mit seiner Thematisie­ rung der Converso-Frage auseinandersetzen. E. Michael Gerli dagegen sieht das Werk sogar in allererster Linie als Ausdruck der Converso-Identität sei­ nes Verfassers; diese habe ihn dazu motiviert, ein Modell von zivilem Adel zu entwerfen, das einer wesentlich mehr performativen als genealogischen Logik folgt.56 Fraglich bleibt bei dieser Einschätzung allerdings, ob Diego de Valera als erfolgreicher sozialer Aufsteiger in seinem Denken nicht vielmehr dadurch geprägt war, keinen Adel der Geburt vorweisen zu können, als durch eine (mögliche) teilweise jüdische Abstammung. Federica Accorsi vergleicht in ihren Forschungsarbeiten ausführlich Gemeinsamkeiten und Unterschiede zur Argumentation über den möglichen Adelsstand von Konvertiten bei Alonso de Cartagena.57 Entsprechend ihrer Frühdatierung des Espejo rechnet sie Diego de Valera die Originalität der Beweisführung auf Basis der Autorität von Bartolus de Saxoferrato zum Thema Adel an. Die bisherige Forschung zu Gutierre de Palma ist noch sehr begrenzt, was zum großen Teil daran liegt, dass allein seine Person historisch nur schwer fassbar ist. Dank Ramón Gonzálvez Ruiz (1928-2019) ist die Existenz des Breve reprehensorium überhaupt bekannt, auch wenn der Archivar und Historiker zu Lebzeiten nicht mehr die angekündigte Edition des Werkes umsetzen konnte. Seine grundlegenden Arbeiten zu der von ihm entdeckten Schrift sind dennoch von großem Wert für die Forschung, was etwa die überzeugenden und zugleich vorsichtigen Schlussfolgerungen zur Entstehungszeit und zur Identität des Au­ tors angeht.58 Maria L. Giordano zählt Gutierre de Palma als Verfasser der Diuina rretribuçion, einer patriotischen und monarchistischen Schrift vom Ende

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Vgl. Maria L. Giordano: The Virus in the Language: Alonso De Cartagena’s Deconstruction of the »Limpieza De Sangre« in Defensorium Unitatis Christianae (1450). In: Medieval Encoun­ ters 24 (2018), S. 226‑251. Vgl. E. Michael Gerli: Performing Nobility. Mosén Diego de Valera and the Poetics of »Conver­ so« Identity. In: La corónica 25 (1996), S. 19-36. Vgl. Federica Accorsi: El Espejo de verdadera nobleza y la cuestión de los conversos. In: Cristina Moya García (Hg.): Mosén Diego de Valera. Entre las armas y las letras, Roches­ ter 2014, S. 21‑52; dies.: Estudio del »Espejo de verdadera nobleza« de Diego de Valera con edición crítica de la obra, Pisa 2011 und dies.: La influencia de Alonso de Cartagena en la »Defensa de virtuosas mujeres« de Diego de Valera. In: Francisco Bautista Pérez, Jimena Gamba Corradine (Hgg.): Estudios sobre la Edad Media, el Renacimiento y la temprana Modernidad, San Millán de la Cogolla 2010, S. 15-23. Vgl. Ramón Gonzálvez: El Bachiller Palma y su obra de polémica proconversa. In: Jeanne Battesti Pelegrin (Hg.): »Qu’un sang impur...«. Les Conversos et le pouvoir en Espagne à la fin du moyen âge, Aix-en-Provence 1997, S. 47‑59 und ders.: El bachiller Palma, autor de una obra desconocida en favor de los conversos. In: Simposio »Toledo Judaico«, Bd. 2, Toledo 1973, S. 31‑48.

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des Jahrhunderts, zum Kreis der neuchristlichen Bildungselite, die ihre Stellung durch eine bedingungslose Loyalität zum Königshaus sicherzustellen suchte.59 Als einer der wenigen Autoren im Diskurs um die iberischen Neuchristen, die sich nicht durch eine allgemein hohe literarische Produktivität auszeichnen, hat auch Alonso de Oropesa auch vergleichsweise wenig Aufmerksamkeit in der modernen Forschung auf sich gezogen. Die existierenden Studien beschäfti­ gen sich dafür fast exklusiv mit seinem Beitrag zur Neuchristen-Frage.60 Albert Sicroff, dessen grundlegendes Werk zu den Statuten der Blutreinheit bereits auf das Traktat Lumen ad revelationem gentium Bezug nahm, untersuchte dieselbe Schrift auch noch einmal besonders auf ihre Beziehung zum spanischen PräHumanismus hin.61 Dabei kommt Sicroff allerdings zu dem Schluss, dass der Autor, den er (wahrscheinlich fälschlich) für einen Converso hält, darin eher eine jüdisch geprägte Theologie kollektiver Erlösung erkennen lasse als eine philologische Bibel-Hermeneutik, die in Richtung Humanismus weisen würde. Sophie Coussemacker und Maurice Kriegel betrachten in ihren Beiträgen das Werk Alonsos vor allem im Rahmen der Geschichte der Hieronymiten, deren Orden besonders schwer mit Anschuldigungen des Kryptojudaismus zu kämp­ fen hatte und zu denen auch Hernando de Talavera gehörte. Beide Forscher weisen zurecht auch auf die große Rolle hin, die antijüdische Motive in der Argumentation des Lumen spielen.62 Francisco Márquez Villanueva (1931-2013) hat mit seinen Studien zu Her­ nando de Talavera als Erster versucht, dessen Católica impugnación als Vertei­ digung der Conversos zu verstehen – eine Interpretation, die nicht auf der Hand liegt, da sich diese Schrift vordergründig gegen Thesen richtet, die sie als vermeintlich jüdische Irrlehren verurteilt. Wie im Blick auf die einzelnen Quel­ len noch zu zeigen sein wird, ist dieser Befund zwar hinsichtlich Thema und Intention schlüssig, bedarf jedoch einer genaueren historischen Einordnung.63 Isabella Iannuzzi ist ihm in dieser Einschätzung gefolgt, betont allerdings in ihrer Diskussion des Traktats vor allem seine katechetische Funktion, die das 59

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Vgl. Maria L. Giordano: Apologetas, S. 75‑77; J. M. Escudero de la Peña: Diuina rretri­ buçion sobre la caida de España en tiempo del noble rey Don Juan el primero. Compuesta por el Bachiller Palma, Madrid 1879. Vgl. Luis A. Díaz y Díaz: Alonso de Oropesa y su obra. In: Pedro Sainz Rodríguez (Hg.): Studia Hieronymiana, Bd. 1, Madrid 1973, S. 253‑313. Vgl. Albert Sicroff: Anticipaciones. Vgl. Sophie Coussemacker: Fray Alonso de Oropesa et Fray Hernando de Talavera, deux hieronymites du XVème siècle au service de l’État, Paris 1982; Maurice Kriegel: Alonso de Oropesa devant la question des Conversos, une stratégie d’intégration hiéronymite? In: Battesti Pelegrin (Hg.): »Qu’un sang impur...«, S. 9‑18. Vgl. Francisco Márquez Villanueva: Ideas de la »Católica Impugnación« de fray Hernan­ do de Talavera. In: ders.: De la España judeoconversa. Doce Estudios, Barcelona 2006, S. 229‑244 (zuerst erschienen in: J. A. González Alcantud und M. Barrios Aguilera (Hgg.): Las tomas. Tropología histórica de la ocupación territorial del reino de Granada, Granada 2000) und ders.: Estudio preliminar a la Católica Impugnación. In: Luis Flors (Hg.): Fray Hernando de Talavera, O.S.H., Católica impugnación, Barcelona 1961, S. 5‑53.

pädagogische Prinzip der Berichtigung (correctio) über die gewaltsame Bestra­ fung als letztes Mittel stellt.64 Die Arbeiten von Carolyn Salomons und Stefania Pastore haben weiter dazu beigetragen, die Haltung Hernandos zur Frage der Neuchristen zu rekonstruieren und zu bewerten, und so eine noch differenzier­ tere Sicht auf seine einschlägigen Schriften ermöglicht.65 Davide Scotto geht in seinen Beiträgen zur Católica impugnación besonders der Bundestheologie nach, die Hernando de Talavera darin entfaltet, und zieht zum Vergleich auch einige seiner früheren Predigten heran.66 Obwohl er Hernandos Bemühungen anerkennt, der Einrichtung der Inquisitionstribunale entgegenzuwirken, deutet er dessen Traktat eher im Zusammenhang mit der Kontroverse um Kryptojuda­ ismus und Blutreinheit innerhalb des Hieronymitenordens. Auch zu dieser ordensinternen Auseinandersetzung existieren mehrere Studi­ en. Über den Verlauf des Kampfes um das Statut, der in den 1480er Jahren begann, jedoch inhaltlich erst aus späteren Quellen rekonstruiert werden kann, informieren Carlos Carrete Parrondo und Tarsicio de Azcona.67 Den histori­ schen Hintergrund, insbesondere was den Vorwurf der heimlichen Rückkehr zum jüdischen Glauben in Teilen des Ordens angeht, legen in ihren Monogra­ phien und Aufsätzen Sophie Coussemacker und Gretchen Starr-LeBeau dar.68 Zu Fernando de Pulgar und seinem Werk, das im 20. Jahrhundert teilwei­ se mehrfach in modernen Editionen herausgegeben worden ist, existiert eine recht reichhaltige Literatur. Auch seine Bedeutung für die Verteidigung der Conversos wird dabei schon seit längerem diskutiert. Eine frühe richtungswei­ sende Studie legte Francisco Cantera Burgos (1901‑1978) auf Basis vor allem der Werkausgaben von Jesús Domínguez Bordona und Juan de Mata Carria­ zo vor.69 Darin analysiert Cantera Burgos ausführlich den brieflichen Streit 64 65

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Iannuzzi: El poder de la palabra, S. 337‑351. Vgl. Carolyn Salomons: A Church United in Itself: Hernando de Talavera and the Reli­ gious Culture of Fifteenth-Century Castile. In: The Catholic Historical Review 103 (2017), S. 639‑662; Stefania Pastore: Presentación. In: dies. (Hg.): Católica impugnación, Córdoba 2018, S. XIX‑XLVIII. Vgl. Davide Scotto: »Neither through Habits, nor Solely through Will, but through Infused Faith«: Hernando de Talavera’s Understanding of Conversion. In: García-Arenal/Glazer-Eytan (Hgg.): Forced Conversion, S. 291‑327 und ders.: Theology of the Laws and Anti-Judaizing Polemics in Hernando de Talavera’s Católica impugnación. In: Mercedes García-Arenal und Gerard Wiegers (Hgg.): Polemical Encounters. Christians, Jews, and Muslims in Iberia and Beyond, Pennsylvania 2018, S. 117‑153. Vgl. Carlos Carrete Parrondo: Los conversos jerónimos ante el estatuto de limpieza de sangre. In: Helmantica 26 (1975), S. 97‑116; Tarsicio de Azcona: Dictamen en defensa de los judíos conversos de la Orden de San Jerónimo a principios del siglo XVI. In: Sainz Rodríguez (Hg.): Studia Hieronymiana, Bd. 2, S. 347‑380. Vgl. Sophie Coussemacker: Convertis et judaïsants dans l’ordre de Saint-Jérôme. Un état de la question. In: Mélanges de la casa de Velázquez 27 (1991), S. 5‑27; dies.: L’Ordre de Saint Jérôme en Espagne: 1373-1516, Paris 1994. Gretchen D. Starr-LeBeau: In the Shadow of the Virgin: Inquisitors, Friars, and Conversos in Guadalupe, Spain, Princeton 2003. Vgl. Francisco Cantera Burgos: Fernando de Pulgar y los conversos. In: Sefarad 4 (1944), S. 295‑348; Juan de Mata Carriazo: Crónica de los Reyes Católicos, 2 Bd., Madrid 1943; Jesús

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zwischen Fernando und einem anonymen Gegner der Conversos über die Be­ wertung der Inquisitionstribunale von Sevilla, aber auch relevante Passagen in seinen historiographischen Schriften. Diesem Forschungsstand blieb auch Jahr­ zehnte später bis auf einzelne ergänzende Aspekte im Grunde nur wenig hinzu­ zufügen.70

1.2 Fragestellung, Methodik und Terminologie Die weiter oben diskutierten Ansätze der Forschung, die jeweils einige gemein­ same Merkmale mehrerer Schriften zur Verteidigung der Conversos beschrei­ ben, lassen bislang noch verschiedene wichtige Fragen offen. Zum einen gibt es bislang praktisch keine Untersuchungen aller verfügbaren Texte über die Breite des Diskurses hinweg. Dies mag teilweise daran liegen, dass sich die Cha­ rakteristika, auf die sich die zitierten Studien jeweils konzentrieren, nicht ohne Weiteres anhand aller oder zumindest der meisten Schriften verifizieren lassen. Zum anderen setzt die Suche nach einer genuinen Stimme der Neuchristen ebenso wie das Postulat einer originären Converso-Theologie einen eindeutigen Zusammenhang zwischen der jüdischen Abstammung der Autoren und ihren diskursiven Aussagen voraus. Nun ist die Frage nach einer Converso Voice, die den spezifischen Erfahrungs­ horizont der iberischen Neuchristen repräsentiert, zweifellos ein wichtiges und legitimes Forschungsanliegen auch und gerade im Bezug auf die Textproduk­ tion der Theologen und Rechtsgelehrten. Sie bedarf jedoch der Ergänzung durch die bislang kaum gestellte Frage nach einer diskursiven Strategie unab­ hängig der persönlichen Betroffenheit der Autoren. Der folgende Abschnitt soll daher ebendiese Frage nach den diskursiven Gemeinsamkeiten der Schriften zugunsten der Neuchristen insgesamt genauer umreißen und in Bezug auf die Diskurstheorie auch methodisch präzisieren. 1.2.1 Eine Theologie von oder für Neuchristen? Die bisherigen Theorien der historischen Forschung, die auf die Identifizierung einer bestimmten Denkrichtung mit dem Converso-Status ihrer mutmaßlichen

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Domínguez Bordona: Fernando del Pulgar. Letras, Madrid 1929 und ders.: Fernando del Pulgar. Claros varones de Castilla, Madrid 1923. Vgl. Norman Roth: Anti-Converso Riots of the Fifteenth Century, Pulgar, and the Inquisition. In: En la España Medieval 15 (1992), S. 367‑394; Michael Agnew: The Silences of Fernando de Pulgar in his Crónica de los Reyes Católicos. In: Revista de Estudios Hispánicos 36 (2002), S. 477‑499; Miguel Jiménez Monteserín: »Quemar todos estos sería cosa crudelíssima«. La carta de Hernando del Pulgar al cardenal de España. In: Rosa María Alabrús Iglesias u.a. (Hgg.): Pasados y presente. Estudios para el profesor Ricardo García Cárcel, Barcelona 2020, S. 733‑772.

Vertreter hinauslaufen, sind zwar alles in allem nicht unplausibel, beruhen jedoch auf Annahmen, die nicht unbedingt selbstverständlich sind. An erster Stelle ist die familiäre Herkunft der fraglichen mittelalterlichen Autoren auf­ grund der Quellenlage keineswegs so klar, wie die modernen Historiker sie teilweise darstellen oder einfach voraussetzen. Unzweifelhaft jüdischer Abstam­ mung waren unter den infrage kommenden Verfassern lediglich Alonso de Cartagena, dessen Vater vor seinem Übertritt zum Christentum ein angesehe­ ner Rabbiner gewesen war,71 sowie Fernando de Pulgar und Fernán Díaz de To­ ledo,72 die sich in ihren jeweiligen Stellungnahmen zugunsten der Neuchristen offen mit diesen identifizierten. Zwei der Manuskripte, die den Text der Instruc­ ción del relator überliefern, nennen als Verfasser »el Doctor Mose Hamomo«.73 Gleichwohl ist Vorsicht geboten, diese Zuschreibung unbesehen als Hinweis auf Fernáns jüdischen Namen vor seiner Taufe zu lesen und damit als Beweis dafür, dass er in der Tat Konvertit der ersten Generation war. Möglicherweise geht die Benennung lediglich auf eine Erfindung seines Gegners Marcos García zurück, der ihn damit als Kryptojuden diffamieren wollte.74 Gutierre de Palma gehörte möglicherweise zu einer Familie mit neuchristli­ chem Hintergrund in Toledo, doch lassen die spärlichen Zeugnisse im Grunde keine sicheren Schlussfolgerungen über seine verwandtschaftlichen Verbindun­ gen und noch nicht einmal über seine eigene Person zu. Selbst die Einordnung der fraglichen Familie beruht vor allem auf den Inquisitionsakten einiger vermuteter Nachkommen aus dem 16. Jahrhundert.75 Einzelne jüdische Vor­ fahren hatten möglicherweise Diego de Valera,76 Juan de Torquemada77 und

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Vgl. Fernández Gallardo: Una biografía política, S. 13‑23. Vgl. Roth: Conversos, S. 108‑114 bzw. S. 94 und 123; Luis Suárez Fernández: Enrique IV de Castilla. La difamación como arma política, Barcelona 2001, S. 96‑97. Vgl. Tomás González Rolán und Pilar Saquero Suárez-Somonte: De la sentencia-estatuto de Pero Sarmiento a la instrucción del relator. Estudio introductorio, edición crítica y notas de los textos contrarios y favorables a los judeoconversos a raíz de la rebelión de Toledo de 1449, Madrid 2012, S. 95. Vgl. Alan Deyermond: Poética figural. Usos de la Biblia en la literatura medieval española, Salamanca 2015, S. 121‑122. Vgl. die Mutmaßungen bei Gonzálvez: Obra desconocida, S. 44-47 sowie ders.: Obra de polémica, S. 48 und José Gómez-Menor Fuentes: Sobre la familia toledana de Palma. In: Anales Toledanos XI (1976), S. 207‑222. Vgl. Mario Penna: Prosistas castellanos del siglo XV. Bd. 1, Madrid 1959, S. CII; Rosenstock: New Men, S. 49; Enrique Toral y Fernández de Peñaranda: La ejecutoria de nobleza de Lope Chirino y Mosén Diego de Valera. In: Boletín del Instituto de Estudios Giennenses 27 (1981), S. 9‑91; Ausführliche Diskussion bei Marcelino V. Amasuno Sárraga: Alfonso Chirino, un médico de monarcas castellanos, Salamanca 1993, S. 13‑24. Vgl. Diskussion bei Vidal Doval: Misera Hispania, S. 37‑38; Joseph A. Levi: Hernando del Pulgar. Los Claros Varones de España (ca. 1483). A Semi-Paleographic Edition, New York 1996, S. 91; zu seinen mutmaßlichen jüdischen Vorfahren vgl. u.a. Rosenstock: New Men, S. 14; Netanyahu: Origins, S. 432‑444.

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Hernando de Talavera,78 jedoch sind die Hinweise quellenkritisch betrachtet alles andere als zwingend. Typischerweise stützen sich entsprechende Vermu­ tungen der heutigen Forschung auf das eher vage Indiz einer ihrerseits nicht belegten zeitgenössischen Meinung von interessierter Seite. Diese mochte auf einer Diffamierung durch politische Gegner beruhen oder aber auch auf dem grundsätzlich wohlmeinenden Bemühen (pro-)neuchristlicher Biographen und Chronisten, möglichst viele hochrangige Persönlichkeiten ihrer Zeit in die Gruppe der Conversos einzubeziehen. Zum Teil dienen dem Aufweis eines neuchristlichen Familienhintergrunds sogar lediglich Lücken in der Überliefe­ rung, die bei objektiver Wertung jedoch auf eine niedere Herkunft, eine unehe­ liche Geburt oder verlorene Informationen ebenso hinweisen können wie auf einen vermeintlich getilgten jüdischen Stammbaum. Lope de Barrientos zählte einige Verwandte mit gemischter Herkunft, jedoch keine eigenen jüdischen Vorfahren zu seinen Familienangehörigen, sah sich selbst ausdrücklich nicht als Converso und galt, nach allem was bekannt ist, auch bei seinen Zeitgenossen nicht als solcher.79 Keinerlei Hinweise in den Quellen deuten darauf hin, dass Alonso Díaz de Montalvo oder Alonso de Oropesa jüdische Vorfahren gehabt hätten, was einige Historiker jedoch nicht von gegenteiligen Vermutungen abgehalten hat.80 Allein die Selbstauskunft An­ tonio Galateos, keiner seiner Vorfahren stamme von Juden ab (nullus meorum ex Iudaeis progenitus est),81 wurde bislang nicht infrage gestellt. Die oft herangezogene, aber nicht unproblematische Schlussfolgerung von der Parteinahme eines Autors für die Sache der Neuchristen auf eine persönli­ che biographische Betroffenheit berücksichtigt nicht hinreichend, dass in der Tat auch solche Autoren der Ideologie der Blutreinheit widersprachen, die selbst nicht direkt unter ihr zu leiden hatten. Dies führt mitunter zu einer Einordnung der Verfasser, die in sich zwar nicht inkonsistent ist, aber mindes­ tens das Risiko eines argumentativen Zirkelschlusses beinhaltet: nämlich dann, 78

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Vgl. Miguel Angel Ladero Quesada: Fray Hernando de Talavera en 1492: De la corte a la misión. In: Chronica Nova 34 (2008), S. 253‑254; Michèle Guillement: El Tractado muy provechoso contra el común e muy continuo pecado que es detraher o murmurar y decir mal de alguno en su absencia de Hernando de Talavera (Granada, 1496): ¿el texto de un »converso«? In: Fine u.a. (Hgg.): Lo converso, S. 119‑141; Angus MacKay: Talavera, Hernando de. Archbishop of Granada. In: Edmondo M. Gerli (Hg.): Medieval Iberia. An Encyclopedia, New York 2003, S. 770 und Joseph Pérez: Ferdinand und Isabella. Spanien zur Zeit der Katholischen Könige, München 21996 (Original: Paris 1988), S. 177‑179. Vgl. Netanyahu: Origins, S. 610‑611; dagegen Ángel Martínez Casado: Lope de Barrientos. Un intelectual de la corte de Juan II, Salamanca 1994, S. 50‑51, unkommentiert übernom­ men von Vidal Doval: Misera Hispania, S. 4; sowie Juan Hernández Franco: El pecado de los padres: Construcción de la identidad conversa en Castilla a partir de los discursos sobre simpieza de sangre. In: Hispania 64 (2004), S. 526. Vgl. Matilde Conde Salazar u.a.: Alonso Díaz de Montalvo, La causa conversa, Madrid 2008, S. 69; dagegen z.B. Ingram: Converso Non-Conformism, S. 43; Norman Roth: Oropesa, Alonso de. In: Gerli (Hg.): Medieval Iberia, S. 623; Sicroff: Anticipaciones, S. 317. Antonio de Ferrariis: De neophytis, ed. Altamura, S. 222.

wenn bestimmte intellektuelle Paradigmen (Bundestheologie, Paulinismus, Humanismus) deshalb als typisch für Conversos verstanden werden, weil sie bei (mutmaßlich) neuchristlichen Autoren zu beobachten sind, die betreffenden Verfasser aber wiederum als Conversos identifiziert werden, weil ihre Schriften Merkmale aufweisen, die als für Neuchristen charakteristisch angenommen werden. Ähnliches gilt auch für die Deutungsweise, mit der die Beteuerungen einer nicht-jüdischen Abstammung von einigen modernen Historikern als Aufweis des Gegenteils gelesen werden.82 Es ist nicht gänzlich ausgeschlossen, dass diese Logik des qui s’excuse s’accuse im Einzelfall zutreffen kann, allerdings lässt sie genau genommen nicht direkt auf eine tatsächliche jüdische Aszendenz des Betreffenden schließen, sondern lediglich darauf, dass er sich bereits zu seiner Zeit ebendiesem Verdacht ausgesetzt sah; einem Verdacht freilich, der offenbar vage genug war, um ein Dementi immer noch aussichtsreich erscheinen zu lassen. Allein schon angesichts dieser Unsicherheiten in den vorliegenden Daten ist eine essenzialistische Herangehensweise an die Frage, welche Autoren selbst als Conversos gelten können, äußerst heikel. Zudem stand auch das allgemeine ge­ sellschaftliche Urteil darüber, welcher Verwandtschaftsgrad eine neuchristliche Aszendenz konstituierte, im ausgehenden Mittelalter noch keineswegs fest. Erst im Laufe des 16. Jahrhunderts setzte sich die Auffassung durch, dass bereits ein Stammbaum mit einem einzigen jüdischen Vorfahren nicht mehr als »makel­ los« gelten konnte.83 Persönliche Feinde konnten davon unabhängig jederzeit Gerüchte in Umlauf bringen oder sogar öffentlich behaupten, dieser oder jener stamme von Juden ab, um so seine Glaubwürdigkeit und sein Ansehen als Christ zu beschädigen. Wie David Nirenberg in zahlreichen Arbeiten zeigen konnte, war der Vorwurf des Jüdischseins als Schmähung oftmals gänzlich losgelöst von tatsächlichen verwandtschaftlichen und sogar von religiösen Zu­ sammenhängen.84 Zugleich galten ganz offensichtlich eigene Regeln für illustre Persönlichkeiten wie König Ferdinand, Großinquisitor Tomás de Torquemada oder Pablo de Santa Maria, dessen Nachfahren die limpieza de sangre per könig­ lichem Federstrich verliehen wurde.85 82 83

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Vgl. Sicroff: Anticipaciones, S. 317; Márquez Villanueva: Estudio preliminar, S. 27. Vgl. Juan Hernández Franco: Construcción y deconstrucción del converso a través de los memoriales de limpieza de sangre durante el reinado de Felipe III. In: Sefarad 72 (2012), S. 325‑350; ders.: Sangre limpia, S. 144‑154. Vgl. Nirenberg: Anti-Judaismus, S. 236-244; ders.: Poetics and Politics, S. 31‑51; ders.:Wie jüdisch war das Spanien des Mittelalters, S. 22‑30 und ders.: Figures of Thought and Figures of Flesh. Vgl. Roth: Conversos, S. 150-152; William T. Walsh: Personajes de la Inquisición, Madrid 21953, S. 160‑161; Rafael Sabatini: Torquemada and the Spanish Inquisition, London 1913, S. 104; Francisco Cantera Burgos: Álvar García de Santa María y su familia de conversos: Historia de la judería de Burgos y de sus conversos más egregios, Madrid 1952, S. 280‑284.

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Sinnvoller erscheint es daher, die Konzepte der »Blutreinheit« und der »Neu­ christen« insgesamt als die sozialen Konstrukte zu behandeln, die sie seit jeher waren. Auch »Converso« wurde man – mindestens dem Ansehen nach – qua Assoziation, Leumund, Parteinahme und Geisteshaltung nicht weniger als durch eine faktische Abstammung von jüdischen Eltern oder Vorfahren.86 Über das Selbstverständnis der Autoren wiederum lassen sich vor diesem Hinter­ grund zwar begründete Vermutungen anstellen, jedoch keine apodiktischen Aussagen treffen. In Anbetracht dieser Einschränkungen ist es daher zwar nicht ausgeschlossen, die diskursiven Äußerungen, die dieser Studie zugrunde liegen, als Zeugnisse einer neuchristlichen Identität zu begreifen, dann allerdings in dem weiten Sinne, den Elaine Wertheimer mit den Worten umreißt: »Das Werk eines bekannten Konvertiten mit seinem spezifischen Blickwinkel, oder […] das eines Fürsprechers der Conversos, der für ihre Gleichbehandlung ein­ tritt, […] ein Autor mutmaßlich jüdischer Herkunft, dessen Werk die Anliegen der Conversos widerspiegelt – […] sie alle können als Converso-Stimme gel­ ten.«87 Vor diesem Hintergrund dienen die Abhandlungen der Gelehrten über den Status der iberischen Neuchristen der vorliegenden Untersuchung nicht zur Beschreibung einer genealogisch oder sozial definierbaren Sondergruppe von Theologen (mutmaßlich) jüdischer Abstammung. Stattdessen soll weitest­ gehend auf der Textebene selbst die Frage beantwortet werden, inwiefern das zeitlich und thematisch definierbare Korpus an Quellen auch ein gemeinsames argumentatives Programm im Sinne einer kohärenten Theologie der jüdischen Konversion zum Christentum und der Gleichrangigkeit aller Getauften enthält. Die These ist, dass die fragliche diskursive Strategie zwar eindeutig beschreib­ bare Charakteristika aufweist, dabei jedoch zugleich unzweifelhaft zum Haupt­ strom der spätmittelalterlichen lateinisch-christlichen Theologie und Rechts­ kunde gehört.

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Vgl. dazu auch Jean Pierre Dedieu: ¿Pecado original o pecado social? Reflexiones en torno a la constitución y a la definición del grupo judeo-converso en Castilla. In: Manuscrits: Revista d’història moderna 10 (1992), S. 61-76; Wout J. van Bekkum und Paul M. Cobb: Introduction: Strategies of Medieval Communal Identity. In: dies. (Hgg.): Strategies of Medieval Communal Identity, S. 5; Alain Milhou: Die Iberische Halbinsel. In: Norbert Brox u.a. (Hg.): Die Geschichte des Christentums. Bd. 7: Von der Reform zur Reformation (1450-1530), Freiburg 1995, S. 390. […] The work of a known convert with a specific point of view, or […] that of of a spokesperson for Conversos, who advocates equal treatment for them, […] a writer of suspected Jewish origin, whose work reflects Converso concerns – […] all of the above are valid Converso voices. – Elaine Wertheimer: Converso »Voices« in Fifteenth- and Sixteenth-Century Spanish Literature. In: Kevin Ingram (Hg.): The Conversos and Moriscos in Late Medieval Spain and Beyond. Bd. 1: Departures and Change, Leiden 2009, S. 97.

1.2.2 Methodische Überlegungen Wie jede historische Forschung erfordert eine Studie über die Verteidigung der iberischen Neuchristen im 15. Jahrhundert einige bewusste methodische Ent­ scheidungen, die den Erkenntnishorizont notwendig eingrenzen und dadurch andere mögliche Gesichtspunkte außen vor lassen. Das spezielle Interesse an einer religiösen Kontroverse, die auf dem höchsten akademischen Niveau der damaligen Zeit ausgetragen wurde und sich heute in einer relativ klar über­ schaubaren Anzahl schriftlicher Quellen darbietet, legt es nahe, den allgemeine­ ren Betrachtungsfokus der Kultur-, Mentalitäts-, Wissens- und Ideengeschichte noch weiter im Sinne einer Diskursanalyse zu präzisieren. Zwar kennt auch die Diskurstheorie wiederum verschiedene Arbeitsweisen und Schwerpunkte, aller­ dings entspricht die Untersuchung eines Archivs, das in allererster Linie den Blick auf die Gedankenwelt einer intellektuellen Elite zulässt, im Besonderen den methodischen Ansätzen, die Michel Foucault in zahlreichen theoretischen Arbeiten und beispielhaften Studien verfolgt hat. Gemessen an Foucaults »ar­ chäologischem« Zugang, der die Kategorien des Werkes und des Autors eher ausblendet, legt die hier vorgelegte Studie allerdings tendenziell mehr Wert auf die untersuchten Verfasser und ihre einzelnen Schriften. Dass dies für eine Untersuchung über das 15. Jahrhundert zu einem gewissen Grad erforderlich wäre, räumte Foucault selbst implizit ein, indem er feststellte: »Im Mittelalter war die Zuschreibung an einen Autor im Bereich des wissenschaftlichen Dis­ kurses unerlässlich, denn sie war ein Index der Wahrheit.«88 Doch auch wenn ein mittelalterlicher gelehrter Diskurs nur unter Berück­ sichtigung der Personen seiner Teilnehmer sinnvoll zu analysieren ist, steht im Mittelpunkt dennoch die Frage nach dem Diskurs selbst und den Regeln, die ihm zugrunde liegen. Diese Konzentration auf die Ebene des Textes, die für sich selbst steht, bedeutet zugleich, von einer hypothetisch dahinter, darunter, oder in ihr verborgenen historischen Wirklichkeit weitgehend abzusehen. Als »Monument« in diesem Sinne ist der Diskurs gerade kein »Dokument« für die nicht mehr zugängliche Erfahrungswelt der Autoren,89 und erst recht nicht für die alltäglichen familiären, nachbarschaftlichen und kommunalen Bezie­ hungen gewöhnlicher Conversos und Altchristen, Juden, Morisken und Mude­ jaren, für ihre Sorgen und Hoffnungen, Überzeugungen, Ängste, Konflikte und Übereinkünfte, die ja für die historische Forschung grundsätzlich nicht weniger interessant wären.90 Man kann dies im Sinne von Carlo Ginzburg bedauern, der kritisch anmerkte: »An diesem Punkt wird Foucaults ehrgeiziges Projekt 88 89 90

Foucault: Ordnung des Diskurses, S. 20. Foucault: Archäologie, S. 198‑200. Vgl. u.a. Eleazer Gutwirth: Gender, History and the Judeo-Christian Polemic. In: Ora Limor und Guy G. Stroumsa (Hgg.): Contra Iudaeos. Ancient and Medieval Polemics between Christians and Jews, Tübingen 1996, S. 257‑278.

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[…] in einfaches und reines Schweigen verwandelt – allenfalls begleitet von einer stummen, ästhetisierenden Betrachtungsweise.«91 Sinnvoller erscheint es jedoch, mit dieser Beschränkung konstruktiv umzugehen und in den verfügba­ ren Zeugnissen jene Diskurse zu untersuchen, »die über ihr Ausgesprochenwer­ den hinaus gesagt sind, gesagt bleiben, und noch zu sagen sind.«92 Ein gangbarer methodischer Ansatz, um die Quellen zur Kontroverse um die iberischen Neuchristen im 15. Jahrhundert als Bestandteile einer gemeinsamen Denkrichtung oder Schule zu untersuchen, ist mit der Diskurstheorie daher zwar gegeben, aber noch nicht im Einzelnen expliziert. Für die Epoche des Mittelalters und insbesondere die Sphäre des Religiösen kann die historisch forschende Diskursanalyse im Grundsatz bereits als erprobt gelten, aber noch nicht unbedingt als fest etabliert.93 Ein wirklich einheitlicher und allgemein akzeptierter Begriffsapparat, auf den sich einfach zurückgreifen ließe, fehlt jedenfalls bislang noch. Bereits Michel Foucault legte über die Dauer seines Schaffens hinweg eher eine Sammlung verschiedener Ideen und methodischer Ansätze als ein geschlossenes theoretisches System vor.94 Entsprechend vielfältig sind auch die methodologischen Überlegungen, die an seine Schriften anknüp­ fen oder von ihnen inspiriert wurden. Für die folgende Untersuchung ist es daher notwendig, zumindest kurz auf die wichtigsten Konzepte einzugehen, die hier als erkenntnisleitend angesehen werden. Ein gesonderter Abschnitt wird daran anschließend auf solche thematisch und inhaltlich relevanten Be­ griffe eingehen, die in den historischen Quellen oder in der späteren Forschung aufgrund ihrer Mehrdeutigkeit nicht ohne weiteres für sich selbst sprechen. Die Methodologie im Werk Michel Foucaults entspricht in erster Linie den Erfordernissen seiner Forschung über die Gesellschaften der Neuzeit, sie ist nicht widerspruchsfrei und erreicht zum Teil einen womöglich unnötig hohen Grad an Komplexität. Dennoch lassen sich ihr einige hilfreiche Konzepte ent­ lehnen, um auch die Schriften zugunsten der Conversos hinsichtlich ihrer Ei­ genschaften als Teile eines übergreifenden Diskurses zu untersuchen. So nahe­ liegend wie treffend ist etwa die Beschreibung der Verteidigung der Conversos als »diskursive Strategie« (stratégie discursive). So wie nach Foucault in der Wis­ sensgeschichte der Neuzeit unter anderem von den Physiokraten im Bereich der Ökonomie, den Evolutionisten in der Wissenschaft von den Lebewesen oder den Strukturalisten innerhalb der Grammatik gesagt werden kann, dass 91 92 93

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Carlo Ginzburg: Der Käse und die Würmer. Die Welt eines Müllers um 1600, Berlin 62007 (Original: Turin 1976), S. 14. Foucault: Ordnung des Diskurses, S. 18. Vgl. Achim Landwehr: Historische Diskursanalyse, Frankfurt 2008 (erstmals: Tübingen 2001), S. 143‑162; Philipp Sarasin: Geschichtswissenschaft und Diskursanalyse, Frankfurt 2003, S. 28‑32; George Duby: Die drei Ordnungen. Das Weltbild des Feudalismus, Frankfurt 1981 (Original: Paris 1978). Vgl. Jörg Baberowski: Der Sinn der Geschichte. Geschichtstheorien von Hegel bis Foucault, München 2005, S. 190‑203.

sie eine bestimmte diskursive Strategie verfolgten, so ist dies potenziell auch im Blick auf die Verteidiger der Neuchristen innerhalb der spätmittelalterlichen Theologie möglich. Inwieweit dies tatsächlich auch sinnvoll und zutreffend ist, hängt dabei vom »Grad an Kohärenz, Strenge und Stabilität« ab,95 mit der sie ihre Begriffe, Themen und Theorien bilden. Es geht also nicht allein um die übereinstimmende Intention, für die gleichberechtigte Teilhabe der Conversos am christlichen Gemeinwesen einzutreten, sondern auch um die Art und Weise der Argumentation zu ihren Gunsten und die theologische Anschauung von jüdischer Konversion zum Christentum, die dahinter steht. Einer wichtigen terminologischen Unterscheidung nach gilt die Aufmerk­ samkeit dabei weniger den einzelnen Äußerungen (énonciations) als den in ihnen artikulierten Aussagen (enoncés).96 Diese für sich zunächst eher abstrakte Differenzierung bildet sich im Diskurs um die iberischen Neuchristen sehr anschaulich unter anderem im Gebrauch biblischer Schriftstellen in der Form von Autoritätsargumenten ab. Nicht überraschend ziehen die Autoren zur Be­ gründung ein und derselben Proposition eine Reihe von verschiedenen Bibel­ zitaten heran. So ließ sich zum Beispiel die Forderung nach Einigkeit und Friede unter den Christen ebenso mit einem Verweis auf die Bitte Jesu an den Vater in den johanneischen Abschiedsreden (Joh 17, 21) begründen wie durch den Lobpreis der Versöhnungstat Christi im Epheserbrief (Eph 2, 14) oder mit zahlreichen anderen Stellen. Umgekehrt kann aber auch eine wortgleiche Perikope je nach Kontext jeweils etwas ganz anderes belegen, selbst wenn ihr Gebrauch einer grundsätzlich ähnlichen exegetischen Präferenz folgt. Zahlrei­ che Passagen aus den Büchern der Propheten etwa, die in der christlichen Tradition seit frühester Zeit auf Jesus von Nazareth gedeutet wurden, dienten in den antiken und mittelalterlichen Apologien adversus Iudaeos dazu, seinen Anspruch als Messias zu untermauern. In der Auseinandersetzung mit der Ideo­ logie der Blutreinheit hingegen wird derselbe intertextuelle Bezug zum Erweis dafür, dass Konvertiten aus dem Judentum solchen aus dem Heidentum nicht nur in nichts nachstehen, sondern vielmehr besonders positiv dafür disponiert sind, den christlichen Glauben anzunehmen.97 Die Aussagetypen und Aussagegruppen wiederum sind in diskursanalyti­ scher Perspektive besonders hinsichtlich ihrer Seltenheit (rareté) und Häufung (cumul) und der damit verbundenen Wiederholung, Ähnlichkeit und Gleich­ mäßigkeit von Interesse:98 In einer theologischen Argumentationsfigur, die von mehreren Autoren gebraucht wird, gewinnt die zugrundeliegende Aussage eine konstitutive Bedeutung für die Formation des Diskurses.99 Es stellt sich also 95 96 97 98 99

Vgl. Foucault: Archäologie, S. 94. Ebd., S. 116‑151. Vgl. u.a. Harris: Enduring Covenant, S. 563‑586; Round: Politic, Style, S. 301‑304. Vgl. Foucault: Archäologie, S. 172‑181. Vgl. ebd., S. 201‑211.

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weniger die Frage nach dem jeweils Individuellen, Besonderen, Einzigartigen oder Originellen in jedem Werk, sondern nach den Regelmäßigkeiten und ge­ meinsamen Mustern, die den Diskurs insgesamt durchziehen und charakterisie­ ren. Beobachtungen, die für eine Einzelstudie der jeweiligen Werke womöglich von hohem Interesse wären – etwa dass Alonso de Cartagena das Bild von Mond und Sonne für das vorchristliche natürliche Vernunftgesetz im Vergleich zur christlichen Offenbarung verwendet, dass Alonso de Montalvo als einziger Autor aus dem Buch des Propheten Jona zitiert oder dass Gutierre de Palma in seinen Traktat den gesamten Lentulus-Brief über das Äußere Jesu von Nazareth einfügt – sind daher für die Analyse des Diskurses weniger bedeutend als der Umstand, dass kaum ein Autor darauf verzichtet, mit dem Propheten Ezechiels zu postulieren: »Ein Sohn soll nicht die Sünde des Vaters tragen« (Ez 18, 20), oder mit dem Apostel Paulus zu versichern: »Bei Gott gibt es kein Ansehen der Person« (Röm 2, 11). Die Seltenheit beziehungsweise Einzigartigkeit einer solchen Aussage schließlich hängt mit ihrer Bedeutung innerhalb des zeitlich und räumlich begrenzten Diskurses zusammen, die zu einer anderen Zeit, unter anderen Bedingungen oder für eine andere Gruppe von Teilnehmern nicht dieselbe wäre. Auch die gleiche Argumentation zugunsten der jüdischstämmigen Chris­ ten stellt in diesem Sinne potenziell jeweils eine andere Aussage dar, wenn sie unter den westgotischen Herrschern angeführt wurde, unter der Trastáma­ ra-Dynastie oder während der Karlisten-Kriege; ob am königlichen Hof von Kastilien, an der Universität von Paris oder an der päpstlichen Kurie. Trotz der vorrangigen Aufmerksamkeit für Übereinstimmungen will die Dis­ kursanalyse keineswegs zu einer konstruierten Kohärenz im Ergebnis führen, sondern gerade auch Disparitäten und Widersprüche aufdecken. So kommt es durchaus vor, dass Autoren zwar dasselbe biblische Motiv verwenden, das sie offenbar übereinstimmend für relevant hielten, jedoch für seine Auslegung unterschiedliche Aspekte heranziehen. So bilden etwa, wie noch zu zeigen sein wird, die Begegnung Jesu mit einer Kanaanäerin nach Matthäus (Mt 15, 21‑28) oder die paulinische Wendung von den »Kindern der Verheißung« (Röm 9, 8; Gal 4, 28) jeweils den Ausgangspunkt für eine Vielzahl von Überlegungen, die auf verschiedenen Wegen den Status der jüdischstämmigen Getauften schützen wollen. Selbst wo sie so zu ähnlichen Schlussfolgerungen gelangen, verdienen diese Unterschiede besondere Aufmerksamkeit, um die Frage zu beantworten, in welchem Maße eine gemeinsame diskursive Strategie zur Verteidigung der Conversos tatsächlich evident ist. Aus diesem theoretischen Ansatz ergibt sich für diese Studie eine Vorge­ hensweise, bei der die relevanten Texte darauf geprüft werden, welche theo­ logischen Begriffe und biblischen Motive von ihnen gemeinsam oder wenig­ stens besonders häufig verwendet werden. Auch wenn das gesamte Archiv (archive) des Diskurses eine enorme Weite an theologischen, moralischen, recht­

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lichen, historischen, philosophischen, genealogischen und politischen Themen beinhaltet,100 lassen sich die meisten der zentralen und oft wiederholten Aus­ sagen doch im Wesentlichen unter vier diskursive Begriffe fassen: Schuld (als Frage vor allem nach der mutmaßlichen Kollektivschuld der Juden am Tod Christi), Geburt (als Merkmal der individuellen Abstammung), Nation (als Kate­ gorie einer kollektiven genealogischen Konstruktion) und Einheit (als ebenso politischer wie theologischer Wert einer dem Selbstverständnis nach göttlich gestifteten Gemeinschaft). Der Stellenwert dieser Aussagegruppen lässt sich auch im Hinblick auf den quantitativen Gebrauch biblischer Schriftstellen über die Breite des Diskurses hinweg belegen: Von den 1.353 Kapiteln der lateinischen Bibel werden zwar an die sechshundert in mindestens einem der Texte zugunsten der Neuchristen referenziert (die genaue Anzahl der zitierten Stellen hängt davon ab, welche gegebenenfalls nicht gekennzeichneten Paraphrasen man noch hinzuzählt und welchen zum Teil gleich oder sehr ähnlich lautenden Bibelstellen man sie zurechnet); Es sind jedoch lediglich ein knappes Dutzend Abschnitte, die tat­ sächlich von der Mehrheit der Autoren herangezogen werden, und nicht jede Kongruenz im Verweis auf eine bestimmte Perikope entspricht auch einer Übereinstimmung in der Argumentation und Thematik. Zu diesen direkten Belegstellen, auf die nahezu sämtliche historische Beispiele, kanonische Verwei­ se, theologische Lehrsätze und andere sekundäre Begründungsfiguren aufbau­ en,101 kommen noch einige wenige weitere biblische Motive, die den meisten untersuchten Werken gemeinsam sind, die aber nicht unmittelbar an einer ein­ zigen Schriftstelle festgemacht werden können. So wird etwa die Abstammung Jesu von David und Abraham sowohl im Matthäusevangelium (Mt 1, 1‑17) als auch im Lukasevangelium (Lk 3, 23‑38) berichtet, und den Grundsatz, dass es in Christus »weder Juden noch Griechen« gibt, vertreten mehrere paulinische Briefe (Gal 3, 28; Kol 3, 11). Das Zueinander von Argument und Schriftstelle, das in etwa dem Verhält­ nis von Aussage und Äußerung bei Foucault entspricht, unterliegt gleichwohl einer eigenen Logik. Während die Vielfalt denkbarer Äußerungen allgemein nahezu unbegrenzt ist, lag den Autoren in der lateinischen Bibel ein zwar reichhaltiges, aber dennoch von vornherein endliches Repertoire an autoritati­ ven Sätzen vor. Die exegetische und kanonistische Kommentarliteratur, das 100 101

Vgl. Sarasin: Geschichtswissenschaft und Diskursanalyse, S. 35; Foucault: Archäologie, S. 183‑190. Vgl. Dietrich Pirson: Die Heilige Schrift und das kanonische Recht. Zwei Elemente der Kontinuitätsvermittlung im Mittelalter. In: Gerhard Rau u.a. (Hgg.): Das Recht der Kirche. Bd. 2. Zur Geschichte des Kirchenrechts, Gütersloh 1995, S. 96‑114; Thomas Prügl: Die Bibel als Lehrbuch. Zum »Plan« der Theologie nach mittelalterlichen Kanon-Auslegungen. In: Archa verbi 1 (2004), S. 42-66; Gerald Bray: The Bible and Canon Law. In: Richard Marsden (Hg.): The New Cambridge History of the Bible, Bd. 2: From 600 to 1450, Cambridge 2012, S. 722‑734.

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Prinzip des mehrfachen Schriftsinns und eine nicht unerhebliche Tradition der Ambiguitätstoleranz vervielfachten die Möglichkeiten der Auslegung, nicht jedoch deren textuelle Basis.102 Neben der grundsätzlichen Frage, welchen Deutungsmustern die Verteidiger der Conversos folgten, ist daher auch von Interesse, nach welchen Kriterien sie bestimmte Schriftstellen bevorzugten oder außer Acht ließen. Erst auf dieser Basis wird schließlich zu klären sein, in wie weit sich aus ihren diskursiven Aussagen eine kohärente Apologie der Rechte der iberischen Neuchristen im Sinne einer gemeinsamen diskursiven Strategie ergibt. 1.2.3 Terminologische Anmerkungen Die umfangreiche Forschungs- und Publikationsgeschichte zum Thema der iberischen Neuchristen hat zu einer Fülle und gelegentlich auch zu einer Ver­ mischung von häufig gebrauchten Quellen- und Forschungsbegriffen geführt. Gerade in einer diskursanalytischen Betrachtung ist es jedoch unerlässlich, durch Quellen belegte zeitgenössische Begriffe und moderne wissenschaftliche Konzepte, so weit es geht, zu unterscheiden und in der verwendeten Termino­ logie möglichst exakt zu sein. In diesem Zusammenhang muss vorausgeschickt werden, dass die Analyse des historischen Diskurses notwendig bestimmte Bezeichnungen einschließt, die aus heutiger Sicht nur im Sinne eines sozialen Konstrukts verstanden wer­ den können, die in ihrem geschichtlichen Kontext jedoch unter Umständen als essenziell begriffen wurden. Dies wird besonders deutlich, wo es um genea­ logisches Vokabular wie Abstammung (spanisch: línea, linaje, filiación, raza; lateinisch: genus, generatio), Volkszugehörigkeit (spanisch: nación, tribu, pueblo; lateinisch: natio, tribus, gens, populus) und Geblüt (spanisch: sangre; lateinisch: sanguis) geht. Aus der Sicht der historisch forschenden Diskursanalyse können die Gegenstände, die ein solches Vokabular bezeichnet, objektiv nur als Be­ standteile einer symbolischen Interaktion beschrieben werden, wenngleich sie im Bewusstsein vieler damaliger Verfasser und Sprecher, Leser und Hörer eine Gegebenheit darstellten. Eine weitere Problematik der meisten Quellenbegriffe für die wissenschaftli­ che Arbeit besteht darin, dass es sich um Kampfbegriffe in einer laufenden Auseinandersetzung handelt. Selbst wo sie nicht direkte Anschuldigungen oder Schmähungen darstellen, beinhalten sie jeweils eine Reihe von Annahmen, die 102

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Vgl. Christoph Dohmen: Vom vielfachen Schriftsinn. Möglichkeiten und Grenzen neuerer Zugänge zu biblischen Texten. In: Thomes Sternberg (Hg.): Neue Formen der Schriftaus­ legung?, Freiburg i. Br. 1992, S. 13–74; Christel Meier: Unusquisque in suo sensu abun­ det (Rom 14,5). Ambiguitätstoleranz in der Texthermeneutik des lateinischen Westens? In: Johannes Heil u.a. (Hgg.): Abrahams Erbe. Konkurrenz, Konflikt und Koexistenz der Religionen im europäischen Mittelalter, S. 3-33.

von der Gegenseite unter Umständen heftig bestritten wurden. Die Übernahme einiger dieser Begriffe mangels besserer Alternativen auch in diesem Buch (wie allgemein in der historischen Forschung) bedeutet daher ausdrücklich keine Parteinahme für das mit ihnen jeweils verbundene Verständnis der sozialen Wirklichkeit. In diesem Sinne ist etwa der in der aktuellen Literatur gebräuchliche Termi­ nus »Conversos« schon deswegen nicht unproblematisch, weil er das Ergebnis eines religiösen Bekenntniswechsels semantisch einseitig aus der Perspektive der Beitrittsgemeinschaft, in diesem Fall der katholischen Kirche beschreibt. So spricht das Sentencia-Estatuto der Stadt Toledo vom 5. Juni 1449 von »Konverti­ ten, die aus dem gottlosen Geschlecht der Juden stammen« (conversos descen­ dientes del perverso linaje de los judíos).103 Die sephardischen Rabbiner hingegen bezeichneten dieselben Personen typischerweise entweder als Anusim (‫אנוסים‬, deutsch etwa: Gezwungene) oder Meshumadim (‫משומדים‬, wörtlich: Vernichtete, sinngemäß: Häretiker), manchmal auch als Mumarim (‫מומרים‬, etwa: Gewandel­ te). Welche dieser verschiedenen Kategorien aus der talmudischen Überliefe­ rung im Einzelfall am wahrscheinlichsten zutraf, war dabei durchaus Gegen­ stand der Auseinandersetzung innerhalb der jüdischen Gemeinden.104 Ein zweites Problem ist die Verschiebung und Erweiterung, die der Begriff »Converso« entgegen seinem lexikalischen Sinn erfuhr. Als Konvertiten wurden nämlich nicht nur die unmittelbar zum Christentum übergetretenen Juden selbst angesehen, sondern zunehmend auch Christen, unter deren Eltern, Groß­ eltern oder noch entfernteren Vorfahren (mutmaßlich) Juden oder Muslime gewesen waren. Alonso de Oropesa, der seinen umfangreichen Traktat erst fünfzehn Jahre nach dem Aufstand von Toledo fertigstellte, verwendet den Be­ griff daher konsequenterweise sehr selten und ausschließlich im exakten Sinn. Er legt großen Wert darauf, sich auf Konvertiten gleich welcher Herkunft zu beziehen, und nennt so in aller Ausführlichkeit

103 104

Vgl. Eloy Benito Ruano: La Sentencia-Estatuto de Pero Sarmiento. In: ders.: Los orígines del problemo converso, S. 89. Vgl. Netanyahu: The Marranos of Spain. From the Late 14th to the Early 16th Century, According to Contemporary Hebrew Sources, Ithaca und London 31999 (1. Auflage 1966), S. 57‑60; Ram Ben-Shalom: The Typology of the Converso in Isaac Abravanel’s Biblical Ex­ egesis. In: Jewish History 23 (2009), S. 281-292 und ders.: The Development of a New Lan­ guage of Conversion in Fifteenth-Century Sephardic Jewry. In: García-Arenal/Glazer-Eytan (Hgg.): Forced Conversion, S. 205‑234; Jeremy Cohen: A Historian in Exile. Solomon ibn Verga, Shevet Jehuda, and the Jewish-Christian Encounter, Philadelphia 2017, S. 135‑144; zur entsprechenden Kontroverse in der modernen Forschung vgl. David Graizbord: Religion and Ethnicity Among »Men of the Nation«. Toward a Realistic Interpretation. In: Jewish Social Studies: History, Culture, Society 15 (2008), S. 32‑65.

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»[…] die zum christlichen Glauben Bekehrten oder sich in Zukunft Bekehrenden, seien sie aus dem Heidentum gekommen oder aus dem Judentum oder aus sonst einer Sekte […].«105

Ebenso geläufig und nahezu ein Synonym war der Begriff »Neuchristen« (cristi­ anos nuevos), der jedoch ebenfalls wegen seiner theologischen Implikationen nicht widerstandslos akzeptiert wurde. So kritisiert etwa der Bischof von Bur­ gos Alonso de Cartagena: »Daher sind jene nicht zu ertragen, welche die einen als neue, die anderen als alte [Christen] bezeichnen. Denn es gibt keinen Katholiken, der nicht neu zum Glauben gekommen wäre. Und auch die Tugend des Taufwassers geht nicht vom einen auf den anderen über, so dass durch die Taufe des Vaters ein christlicher Sohn geboren würde.«106

Der Begriff »Marranen« (marranos) schließlich, der seit dem 14. Jahrhundert als strafbare Beleidigung belegt ist, trägt geradezu eine Überfülle von Bedeutungen und Konnotationen. Die zahlreichen Hypothesen hinsichtlich seiner genauen Etymologie legen die Vermutung nahe, dass er bereits im Sprachverständnis des Spätmittelalters von einer Vielzahl von Assoziationen und Paronomasien umgeben war.107 In der heutigen Historiographie wiederum dient er gelegent­ lich trotz seines eindeutig abwertenden Charakters als nahezu wertneutrale Bezeichnung für jüdischstämmige iberische Christen sowie deren Nachfahren außerhalb Spaniens.108 Auch eine eher typologische Verwendung ohne direkten Bezug zum historischen Entstehungskontext ist mittlerweile verbreitet.109 Im 105

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[…] ad christianam fidem conversos, aut in futurum convertendos, sive ex gentilitate vel iudaismo, aut ex quavis secta venerint […] – Lumen ad revelationem, 53; Text unter http://www.cervantesvirtual.com/obra-visor-din/luz-para-conocimiento-de-los-gentiles--0/ html/. Non igitur ferendi sunt illi qui alios novos, alios antiquos evocant. Cum nullus catholi­ cus sit, qui noviter ad fidem non venerit. Neque enim baptismalis gurgutis virtus de uno a alium transsit, ut ex baptismate patris filius christianus nascatur. – Defensorium, 2, 3, 5; ed. Alonso S. 146. Zu Gebrauch, Variationen und Etymologie der Begriffe converso und marrano vgl. u.a. Eloy Benito Ruano: »Otros cristianos«. Conversos en España, siglo XV. In: ders.: Los orígines, S. 177‑196; David Gonzalo Maeso: Sobre la etimología de la voz »marrano« (criptojudío). In: Sefarad 15 (1955), S. 373‑385; Christopher F. Laferl: Machtpolitik und Theologie. Die Päpste und die Frage der Conversos in Spanien. In: Römische Historische Mitteilungen 44 (2002), S. 321f.; Netanyahu: The Marranos, S. 59; Roth: Conversos, S. 3f.; Pancracio Celdrán Gomariz: El gran libro de los insultos. Tesoro crítico, etimológico e histórico de los insultos españoles, Madrid 2008, S. 632‑633; Joan Corominas: Diccionario crítico etimológica Castellano e Hispánico, Bd. 3, Madrid 1980, S. 858‑861. Vgl. z.B. Daniel Lindenberg: Destins marranes. L’identité juive en question, Paris 22004; Netanyahu: The Marranos; Yirmiyahu Yovel: The Other Within. The Marranos: Split Identi­ ty and Emerging Modernity, Princeton 2009; René Pariente: L’inquisition espagnole et l’exil des Marranes, Paris 2012. Vgl. Anna-Dorothea Ludewig, Hannah Lotte Lund, Paola Ferruta: Einleitung. In: dies. (Hgg.): Versteckter Glaube oder doppelte Identität? Das Bild des Marranentums im 19. und 20. Jahrhundert, Hildesheim 2011, S. 10.

literarischen Diskurs des 15. Jahrhunderts fehlt er dagegen weitgehend, wo die Autoren auf einen gehobenen sprachlichen Ausdruck Wert legen. Weder in den Erklärungen der Rebellen von Toledo ist von Marranen die Rede noch in den zahlreichen kritischen Repliken, die sie hervorrufen, noch etwa in den ersten conversofeindlichen Statuten Ende des Jahrhunderts. Juan de Lucena und Hernando de Talavera zitieren die Schmähung, indem sie sich klar von ihrem Gebrauch distanzieren.110 Ein Text, der dagegen ohne jegliche Scheu und wohl bewusst in polemischer Absicht von Marranen spricht, ist die anonyme conversofeindliche Satire Carta de privilegio que el rey Don Juan II dio a un hijo dalgo.111 Im Bewusstsein, dass es sich um soziale Konstruktionen jener Zeit handelt, spricht auch die vorliegende Untersuchung von Conversos und Neuchristen und meint damit diejenigen, die in der Wahrnehmung ihrer Zeitgenossen un­ ter diese Begriffe fielen. Umgekehrt werden Texte und Akteure als »conversof­ eindlich« bezeichnet in dem Sinne, dass sie diese Konstruktion in der Absicht von Abwertung und sozialem Ausschluss reproduzieren. Der Verdacht gegen die Christen jüdischer Abstammung lautete generell, nicht fest im rechten Glauben zu stehen, und ultimativ, dass sie im Geheimen aus tiefster Überzeugung dem Judentum anhingen. Der Vorwurf des »Judaisie­ rens« (spanisch: judaizar, lateinisch: iudaizare, vom altgriechischen ιουδαιζειν), der ursprünglich den paulinischen Gemeindebriefen entlehnt ist, konnte in seiner langen Geschichte recht Unterschiedliches bezeichnen. Im Neuen Testament meinte er noch in erster Linie das überflüssige Nachahmen jüdischer Gesetzes­ vorschriften durch christliche Konvertiten aus dem Heidentum.112 Im Kontext mittelalterlicher akademischer Disputationen wiederum zielte er darauf, die Argumentation des Gegners zu disqualifizieren, wo diese eine Ähnlichkeit mit der jüdischen Apologetik aufzuweisen schien.113 Dagegen ist in der Kontroverse um die iberischen Conversos in erster Linie gemeint, dass jemand sich in seiner religiösen Praxis wie ein Jude verhielt, also etwa die Sabbatruhe einhielt oder den Verzehr von Schweinefleisch vermied. Aus christlicher Perspektive begrün­ dete dies den Tatbestand der Häresie, sofern unterstellt wurde, dass derjenige sein Seelenheil von der Erfüllung des jüdischen Gesetzes erwartete und nicht 110 111 112

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Juan de Lucena: Diálogo sobre la vida feliz. ed. Jerónimo Miguel, S. 49; Hernando de Talavera: Católica impugnación, 8, ed. Martín Hernández, S. 26. Text bei González Rolán, Saquero Suárez-Somonte: De la Sentencia-Estatuto, S. 79‑91. Vgl. Dieter Sänger: Ιουδαϊσμός – ιουδαΐζειν – ιουδαϊκώς. Sprachliche und semantische Überlegungen im Blick auf Gal 1,13 f. und 2,14. In: Zeitschrift für die neutestamentliche Wissenschaft 108 (2017), S. 150‑185; Nirenberg: Anti-Judaismus, S. 70. Vgl. Dorothea Weltecke: »Quod lex christiana impedit addiscere«. Gelehrte zwischen religiö­ ser Verdächtigung und religionskritischer Heroik. In: Frank Rexroth (Hg.): Beiträge zur Kul­ turgeschichte der Gelehrten im Späten Mittelalter, Ostfildern 2010, S. 177‑178; Averil Cameron: Jews and Heretics – A Category Error? In: Adam H. Becker und Annette Yoshiko Reed: The Ways that Never Partet. Jews and Christians in Late Antiquity and the Early Middle Ages, Tübingen 2003, S. 345‑360.

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von den Sakramenten der Kirche.114 Inwieweit für die Betroffenen selbst die überlieferte Gestaltung ihre Alltags einen Bekenntnischarakter besaß, mochte von Familie zu Familie und von Person zu Person durchaus verschieden sein. Fest steht, dass nach der Gründung der Spanischen Inquisition bereits relativ schlichte und belanglose Verhaltensweisen ohne klaren Bezug zum Judentum als verdächtig galten.115 Immer wieder begegnet in diesem Zusammenhang in den Quellen auch der Begriff des getauften Juden (judío bautizado), dessen zwar unsachgemäße, aber dennoch höchst einflussreiche Entlehnung aus dem Corpus iuris canonici die ganze Ambivalenz zwischen ethnischer Abstammung, kultu­ reller Prägung und religiöser Identität widerspiegelt.116 Erst in der späteren Forschung wurden die (vermeintlichen oder tatsächlichen) klandestinen An­ hänger jüdischer religiöser Bräuche und Vorschriften dann als »Kryptojuden« zusammengefasst und teilweise synonym als »Marranen« bezeichnet. Die vor­ liegende Studie verwendet den Begriff des »Judaisierens« daher ausschließlich als wertfreies Zitat eines historischen theologischen Konzepts beziehungsweise Vorwurfs, während vom Phänomen des »Kryptojudaismus« die Rede ist, wo eine tatsächlich im Geheimen praktizierte Form jüdischen Glaubens gemeint ist.117 Die Ideologie des sozialen, rechtlichen und religiösen Ausschlusses, die mit dem Vorwurf des Judaisierens verbunden war und diesen nach genealogischen Kriterien ausweitete, ist unter dem Namen der »Blutreinheit« (limpieza de sang­ re, auch: pureza de sangre) in die Geschichte eingegangen. Im Blick auf das 15. Jahrhundert bezeichnet dies freilich noch weitgehend das Phänomen avant la lettre.118 Zwar ist der Grundgedanke gewiss älter als die ersten Gutachten (probanzas), die ab der Mitte des 16. Jahrhunderts buchstäblich von limpieza de sangre sprechen,119 doch kommt die Wendung selbst genau genommen weder in den Dokumenten der Rebellen von Toledo vor, noch in den Traktaten der Gelehrten, die ihnen widersprechen, noch in den Statuten, die seit den 1480er Jahren Neuchristen aus diversen öffentlichen Körperschaften ausschlossen. Wo 114

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Vgl. Francisco Márquez Villanueva: Sobre el concepto del judaizante. In: ders.: De la España judeoconversa, S. 95‑114 (zuerst erschienen in: C. Carrete Parrondo u.a. (Hgg.): Encuentros y desencuentros. Spanish-Jewish Cultural Interaction Throughout History, Tel Aviv 2000, S. 519‑542); David Nirenberg: Discourses of Judaizing; David Graizbord: Who and what was a Jew? Some Considerations for the Historical Study of the New Christians. In: Anais de História de Além-Mar 14 (2013), S. 15‑43. Vgl. Yonatan Glazer-Eytan: Incriminating the Judaizer: Inquisitors, Intentionality, and the Problem of Religious Ambiguity after Forced Conversion. In: ders. und García-Arenal (Hgg.): Forced Conversion, S. 60‑85; Juan Gil: Berenjeneros: The Aubergine Eaters. In: Ingram (Hg.): The Conversos and Moriscos. Bd. 1: Departures and Change, S. 121‑142. Vgl. Vidal Doval: »Qui ex Iudeis sunt«, S. 70. Vgl. dazu auch Ana Benito: Inquisition and the Creation of the Other. In: Aronson-Fried­ man/Kaplan (Hgg.): Marginal Voices, S. 49. Vgl. Sicroff: Los estatutos, S. 117‑118 sowie Roth: Conversos, S. 326‑327. Vgl. María E. Martínez: Genealogical Fictions. Limpieza de Sangre, Religion, and Gender in Colonial Mexico, Stanford 2008, S. 62‑77.

Fernando de Mexía gegen Ende des 15. Jahrhunderts in seinem Nobiliario vero von »lynpia e […] pura sangre« spricht, bezieht er sich auf den Unterschied zwi­ schen Adligen und Gemeinen.120 Die Bedeutung von »de linpia sangre« an zwei Stellen in Fernando de Pulgars Sammelbiographie Claros varones de Castilla ist zumindest nicht eindeutig.121 Ein seltener Anklang an den Begriff der Blut­ reinheit mit Bezug zur jüdischen Abstammung findet sich in der satirischen Carta de privilegio, die dem fiktiven Empfänger vorgeblich das Recht verleiht, als Marrane zu gelten und die gleichen angeblichen Vorteile zu genießen, »[…] so wie alle aus dem besagten Geschlecht der Marranen daran arbeiten und dafür sorgen, die Altchristen umzubringen und zu erniedrigen, aus Hass und Feindschaft ihnen gegenüber ebenso, wie um die Frauen der Altchristen, die sie umbringen, zu heiraten, um ihr Hab und Gut zu verschlingen und das reine Blut zu beschmutzen und zu beflecken.«122

Allgemein ist die Rede von Blut oder Geblüt in der Kontroverse um die Rechte der Neuchristen im 15. Jahrhundert allerdings noch wenig in Gebrauch und wird je nach Kontext weitgehend synonym mit Begriffen der Abstammung oder der Volkszugehörigkeit (s.o.) verwendet. Der Begriff der Reinheit (limpie­ za) in Verbindung mit der erst im 16. Jahrhundert nachweisbaren Vorstellung, die bereits einen einzigen jüdischen Vorfahren gleich welchen Grades als Makel für den gesamten Stammbaum ansieht, ist in diesem Zeitraum noch keines­ wegs so geschärft oder auch nur gebräuchlich, dass er ein eindeutiges Konzept beschreiben würde. Dieser begriffsgeschichtliche Befund ist nicht zuletzt auch zu beachten, um nicht vorschnell assoziative Verbindungen zu anderen zeit­ genössischen Diskursen wie dem Disput um die immaculata conceptio oder der Blut-Christi-Verehrung aufgrund einer vermeintlichen topischen oder auch bloß semantischen Nähe herzustellen.123 Diejenigen, die – zunächst dem Gedanken, später auch dem Namen nach – die Ideologie der Blutreinheit vertraten, bezeichneten sich spätestens seit dem Aufstand der Stadt Toledo 1449 selbst als rechtmäßige Altchristen (cristia­ 120

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Vgl. Adeline Rucquoi: Mancilla y limpieza: La obsesión por el pecado en Castilla a fines del siglo XV. In: Os »últimos fins« na cultura ibérica dos séculos XV‑XVIII, Porto 1997, S. 132. Vgl. Fernando de Pulgar: Claros varones, ed. Tate, S. 39; 62. […] como trabajan e procuran todos los de la dicha generación de los marranos de matar e apocar a los christianos viejos, así por el odio y enemistad que les tienen como por casar con las mugeres de aquellos Christianos viejos que matan, por tragar sus bienes e faziendas y ensuziar y manzillar la sangre limpia.« – Carta de privilegio, ed. González Rolán, S. 86. Vgl. etwa Felipe Pereda: Vox Populi: Carnal Blood, Spiritual Milk, and the Debate Surroun­ ding the Immaculate Conception, ca. 1600. In: Medieval Encounters 24 (2018), S. 286‑334; Estrella Ruiz-Galvez Priego: Mácula y Pureza. Maculistas, Inmaculistas y Maculados. In: Battesti Pelegrin (Hg.): »Qu’un sang impur...«, S. 139‑161; Gil Anidjar: Lines of Blood: Limpieza de Sangre as Political Theology. In: Mariacarla Gadebusch Bondio (Hg.): Blood in History and Blood Histories, Florenz 2005, S. 119‑136.

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nos viejos lindos),124 wobei das Adjektiv lindo hier im Vergleich zum heutigen Gebrauch weitgehend die Bedeutung seiner Herkunft vom Lateinischen legi­ timus behält – also rechtmäßig, vor allem auch im ehe- und erbrechtlichen Sinne meint.125 Auch diese Selbstbezeichnung ist für die Forschung nicht un­ problematisch, insofern sie bereits eine ideologische Position beinhaltet, die im historischen Diskurs zum Teil heftig bestritten wird, wie bereits am komple­ mentären Gegenbegriff der Neuchristen deutlich wurde. Diese Untersuchung verwendet daher den Begriff Altchristen ausschließlich im Sinne einer subjekti­ ven Gruppenidentität derjenigen, die ihn bewusst und aktiv als Statusmerkmal für sich in Anspruch nahmen. In einem Text, die einen Zeitraum vor der Moderne behandelt, sind schließ­ lich auch die Bezeichnungen »Spanien« und »spanisch« potenziell missver­ ständlich, insofern sie an heutige territoriale und politische Gegebenheiten denken lassen. Um Unklarheiten möglichst zu vermeiden, wird hier daher häufiger etwa von den »iberischen« Neuchristen, Königreichen und so weiter die Rede sein, um Entitäten im entsprechenden Kulturraum zu benennen. Gleichwohl ist auch der Begriff »Spanien« historisch durchaus berechtigt und geboten, zumal als Teil von (kirchen-)politisch geprägten Namen wie dem der Spanischen Konzils-Nation oder der Spanischen Inquisition.

1.3 Auswahl der Quellen Sorgen, Forderungen, Hoffnungen und Ansichten über den Status der Neu­ christen spiegeln sich in unzähligen Texten des iberischen Spätmittelalters. Für die vorliegende Untersuchung, die sich mit der diskursiven Strategie zur Verteidigung der Conversos befasst, ist jedoch nur eine kleinere Auswahl von Quellen von unmittelbarem Interesse. Als im engeren Sinne Teil des gelehr­ ten Diskurses um die iberischen Neuchristen werden im Folgenden solche Schriften angesehen, die sich ausdrücklich mit der Frage nach dem rechtlichen und religiösen Status der Conversos beschäftigen und die ihr Urteil mit einer akademischen (in der Regel theologischen, juristischen, kanonistischen, philo­ sophischen und historischen) Beweisführung begründen, um ihren Leser argu­ mentativ zu überzeugen. Dies sind im Besonderen die Traktate, Responsa und Briefe, die in der Forschungsdiskussion (1.1) bereits kurz erwähnt worden sind.

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Vgl. Sentencia-Estatuto, ed. González Rolán S. 24; Privilegio a un hijodalgo, ed. González Rolán S. 82. Vgl. Corominas: Diccionario, Bd. 3, Madrid 1980, S. 659‑661; Martín Alonso: Diccionario medieval Español. Desde las Glosas Emilianenses y Silenses (s. X) hasta el siglo XV. Bd. 2, Salamanca 1986, S. 1314; Ángela Muñoz Fernández: El linaje de Cristo a la luz del »giro genealógico« del siglo XV. La respuesta de Juana de la Cruz (1481-1534). In: Anuario de Estudios Medievales 44 (2014), S. 439.

1.3.1 Quellen am Rande des Diskurses Die Quellen im Zentrum dieser Untersuchung werden umgeben von einer Vielzahl von Texten, in denen die entscheidenden Fragen um Abstammung, Rechtgläubigkeit und Teilhabe anklingen, ohne jedoch direkt angesprochen zu werden, wie etwa in der erbaulichen Literatur der monastischen Frömmigkeit oder der höfischen und frühhumanistischen Dichtung der cancioneros (Lieder­ sammlungen).126 Normative Dokumente wie die Erlasse von Königen, Päpsten, Konzilien, Synoden, Domkapiteln und Stadträten thematisieren die ConversoFrage unter Umständen zwar direkt, jedoch bleibt die argumentative Auseinan­ dersetzung ebenso im Hintergrund wie in den vor allem deskriptiven Berichten historiographischen Charakters. Chroniken, Biographien, Gedichte, königliche Gesetze, päpstliche Bullen, Konzilsdekrete und andere Texte stehen daher zwar in einer direkten Verbindung mit dem Diskurs der Gelehrten, sind jedoch ihres Genres und ihrer Pragmatik nach selbst kein Teil davon. Chronisten wie Álvar García de Santa María, Diego Enríquez del Castillo, Alonso de Palencia, Andrés Bernáldez und Rui de Pina konnten kaum umhin, in ihren Werken die politischen und religiösen Konflikte zu erwähnen, die sich aus der Anfeindung der Conversos entwickelten; gleichwohl ist von den Neuchristen als Gruppe überraschend selten ausdrücklich die Rede.127 Ihrem Genre gemäß sind die Chroniken in der Regel eher zurückhaltend im Kom­ mentar und gehen auch auf die dogmatischen Grundlagen der Kontroverse nicht näher ein.128 Lediglich Fernán Pérez de Guzmán (ca. 1377‑1460), der um das Jahr 1450 seine Sammelbiographie Generaciones y semblanzas abschloss, ge­ stattete sich eine grundsätzliche Einschätzung der Gefahr, die vermeintlich von 126

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Vgl. Julio Rodríguez Puértolas: Poesía crítica y satírica del siglo XV, Madrid 1989: Jews and Conversos in Fifteenth-Century Castilian Cancioneros: Texts and Contexts. In: E. Michael Gerli und Julian Weiss (Hgg.): Poetry at Court in Trastamaran Spain: From the Can­ cionero de Baena to the Cancionero General, Tempe 1998, S. 187‑197. Lothar Knapp: Herbst des Mittelalters und Frühe Neuzeit. Die spanische Literatur im Übergang zur Moderne, Oberhausen 2013, S. 60‑66; Angus MacKay: Frontier Religion and Culture. In: ders. und Ian Macpherson: Love, Religion and Politics in Fifteenth Century Spain, Leiden 1998, S. 157‑178; Nirenberg: Anti-Judaism, S. 236‑244 und ders.: Poetics and Politics; Óscar Perea Rodríguez: »Quebrantar la jura de mis abuelos«. Los conversos en los cancioneros castellanos del tardío medievo (1454-1504). In: La Corónica 40 (2011), S. 183‑225 und ders.: La época del Cancionero de Baena: los Trastámara y sus poetas, Baena 2009. Vgl. Rica Amran: Judíos y conversos en las crónicas de los Reyes de Castilla (desde finales del siglo xiv hasta la expulsión). In: Espacio, Tiempo y Forma 9 (1996), S. 257‑275 und dies: Judíos y conversos en el reino de Castilla, S. 87; Roth: Conversos, S. 161‑162. Vgl. María Isabel del Val Valdivieso: Los conversos en la obra historiográfica de Alonso de Palencia. In: eHumanista / Conversos 1 (2013), S. 32‑46; Yanai Israeli: Between Tyranny and the Commonwealth. Political Discourses and the Framing of Violence Against Conversos in the Gesta Hispaniensia of Alfonso de Palencia. In: Yosi Yisraeli und Yaniv Fox (Hgg.): Con­ testing Inter-Religious Conversion in the Medieval World, London 2016, S. 227‑244; Rica Amran: La imagen de judíos y conversos en la Historia de los hechos de Rodrigo Ponce de León, primer marqués de Cádiz. In: eHumanista 20 (2012), S. 17‑36.

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judaisierenden Neuchristen ausging.129 In seinem sehr wertschätzenden Eintrag über Pablo de Santa María, den wohl berühmtesten Konvertiten seiner Zeit, äußert er auch seine Meinung zur Glaubenstreue der Conversos allgemein und kommt zu dem Schluss, dass Vorwürfe gegenüber Einzelnen zwar gelegentlich zutreffen mögen, ein Generalverdacht jedoch keinesfalls gerechtfertigt sei: »Es würde mich nicht wundern, wenn es einige gäbe, besonders Frauen und grobe, dumme Männer, die sich im Gesetz nicht auskennen, die keine katholischen Christen sind. […] Ich jedoch glaube das so nicht von allen allgemein; vielmehr glaube ich, dass es einige ergebene und gute Personen unter ihnen gibt […]. Und daher ist es meiner Ansicht nach nicht richtig und verbietet sich vollkommen, ein ganzes Volk zu verurteilen […].«130

Über diese persönliche Einschätzung hinaus bietet allerdings auch er keine theologischen oder rechtlichen Erwägungen grundsätzlicher Art. Andere his­ toriographisch tätige Autoren wie Lope de Barrientos, Diego de Valera und Fernando de Pulgar äußerten sich dafür umso deutlicher und ausführlicher – allerdings in Schriften außerhalb ihrer Geschichtswerke. Auch in der Poesie und Philosophie des spanischen Spätmittelalters finden sich immer wieder Echos der Kontroverse um die Neuchristen.131 So lässt der Diplomat und Humanist Juan de Lucena (1430-1506) in seinem fiktionalen philosophischen Diálogo sobre la vida feliz (Dialog über das glückliche Leben) von 1483 den damals bereits verstorbenen Bischof Alonso de Cartagena als eine der drei Hauptpersonen auftreten.132 In dessen literarischer Person kom­ mentiert er unter anderem die ungerechte Herabsetzung der Conversos, indem er mit Stolz seine jüdische Herkunft verteidigt: »Glaube nicht, dass du mich ärgern kannst, indem du die Hebräer meine Eltern nennst! Sie sind es, gewiss, und ich schätze es. Denn wenn Adel im Alter besteht – wer ginge so weit zurück? Wenn in der Tugend, wer wäre so nahe daran? Oder wenn nach der Art Spaniens Reichtum Adel bedeutet – wer wäre dermaßen reich 129

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Vgl. Fernán Pérez de Guzmán: Generaciones y semblanzas – Text u.a. bei José Antonio Barrio Sánchez: Fernán Pérez de Guzmán. Generaciones y semblanzas, Madrid 1998; Robert B. Tate: Fernán Pérez de Guzmán. Generaciones y Semblanzas, London 1965. […] non me maravillaría que aya algunos, espeçialmente mugeres e omnes groseros e torpes que non son sabios en la ley, que no sean católicos christianos. […] Pero yo esto non lo creo de todas ansí generalmente; antes creo aver algunas devotas e buenas personas entre ellos […]. Por ende, a mi ver, non así preçisa e absolutamente se deve condenar toda una naçión […]. – Generaciones y semblanzas, ed. Barrio, S. 144‑145. Vgl. Cristina Arbós Ayuso: Judíos y conversos. Un tema tópico en la poesía medieval. In: Francisco Ruiz Gómez und Manuel Espadas Burgos (Hgg.): Encuentros en Sefarad: Actas del Congreso Internacional »Los Judios en la Historia de España«, Ciudad Real 1987, S. 137‑152. Vgl. Jerónimo Miguel: Juan de Lucena. Diálogo sobre la vida feliz. Epístola exhortatoria a las letras. Edición, estudio y notas, Madrid 2014; Giordano: Apologetas, S. 77‑80: Rica Amran: Los conversos Juan Ramírez de Lucena y Alfonso de Santa Cruz: puntos de encuentro y desencuentro con otros cristianos nuevos (siglos XV als XVI). In: Fine u.a. (Hgg.): Lo converso, S. 93‑117.

gewesen zu seiner Zeit? Gott war ihr Freund, ihr Herr, ihr Gesetzgeber, ihr Konsul, ihr Hauptmann, ihr Vater, ihr Sohn und schließlich ihr Erlöser.«133

In einem ähnlichen poetisch-philosophischen Rahmen lässt Pedro Díaz de To­ ledo (1410-1466) den Staatsmann und Dichter Íñigo López de Mendoza auf dem Totenbett mit zwei Freunden über Sinn und Vergeblichkeit des menschli­ chen Lebens räsonieren.134 Die in diesem Diálogo y razonamiento en la muerte del marqués de Santillana (Dialog und Überlegung im Tod des Markgrafen von Santillana) enthaltene Betrachtung über das Schicksal der wahrhaft Gläubigen, die zu unrecht verfolgt und bedrängt werden, spielt offenbar auf die Situation vieler Neuchristen an. Auf die Frage des sterbenden Markgrafen, »[…] ob jenen, die gut und tugendhaft sind, irgendetwas an Verfolgung oder Be­ schwernis zustoßen oder geschehen kann, das sie dazu bringt, etwas von ihrer Tugend und Güte zu verlieren, oder ob alles, was ihnen zustößt, sich zu ihrem Wohl wan­ delt?«135

antwortet Pedro Díaz: »Der heilige Apostel Paulus entscheidet diese Frage, wo er sagt: Wir wissen, dass bei denen, die Gott lieben, alle Dinge zu ihrem Wohl gewandelt werden [Röm 8, 28]; das soll heißen, wenn Übel und Verfolgungen solche Menschen heimsuchen, dann loben sie Gott für das Elend und die Beschwernisse, die sie erleiden, und bitten ihn, er möge Erbarmen mit ihnen haben, und so werden sie in ihrer Tugend erprobt wie Gold im Feuer [1Petr 1, 7] […].«136

Ebenso weisen die Werke zahlreicher Dichter der Epoche Bezüge zur Conver­ so-Thematik auf. Besonders die höfische Dichtung unter der Patronage der Trastámara-Dynastie und der literarische Zirkel um Erzbischof Alonso Carril­ lo sind hier zu nennen.137 Die Verse eines Poeten wie Antón de Montoro 133

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No pienses correrme por llamar los hebreos mis padres: sonlo, por cierto, y quierolo. Ca si antigüedad es nobleza, ¿quién tan lejos?; si virtud, ¿quién tan cerca?; o si, al modo de España, la riqueza es hidalgía, ¿quién tan rico en su tiempo? Fue Dios su amigo, su señor, su legislador, su cónsul, su capitán, su padre, su hijo y, al fin, su redentor. – Diálogo sobre la vida feliz; ed. Miguel, S. 48. Pedro Díaz de Toledo: Diálogo y razonamiento en la muerte del marqués de Santillana – Text bei Antonio Paz y Melia: Opúsculos literarios de las siglos XIV á XVI, Madrid 1892, S. 245‑360. [...] sy puede avenir é acaescer cosa alguna de persecucion é trabajo á los que son buenos é virtuosos que les faga perder algo de su virtud é bondad, ó todo lo que acaece se conuierta en su bien. – Diálogo y razonamiento, ed. Paz y Melia, S. 262. El apóstol Sant Pablo determina aquesta quistion donde dize: Nos sabemos que á los que aman á Dios todas las cosas son conuertidas en su bien; quiere dezir, que si males é persecuciones vienen á estos tales, loan á Dios por las miserias é trabajos que padecen, é suplícanle que aya misericordia dellos, é así son prouados en su virtud, como oro en el fuego […] – ebd. Vgl. Francisco Cantera Burgos: El cancionero de Baena: Judíos y conversos en él. In: Sefarad 27 (1967), S. 71‑111; Bienvenido Valverde: Sobre »El cancionero« de Baena: contribución al estudio literario de la convivencia en la España prerrenacentista. In: Verdad y vida 25 (1967), S. 555‑568; Kaplan: Evolution of Converso Literature, S. 64‑73; Ingram: Converso

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(ca. 1404‑1480) konnten dabei nicht nur rhetorisch treffend, sondern auch im hohen Maße provokant ausfallen.138 Wenn der Verfasser etwa im Streit mit einem hochrangigen Beamten seine jüdische Abstammung verteidigte, scheute er sich nicht vor dem gewagten Vergleich: »Denn die Abstammung, die hier vorliegt Von großer Kraft und Tapferkeit, Die mit Jesus Christus fertig werden konnte, Die wird es auch mit einem Amtmann können.«139

Wie an diesem kurzen Beispiel leicht zu sehen ist, klingen auch in poetischen Texten theologische Aussagen an, die im Diskurs der Gelehrten eine wichtige Rolle spielen. Gleichwohl lässt sich die spielerische, oft ironisch gebrochene, stark situativ und persönlich geprägte und ästhetischen Maßstäben folgende Textproduktion der Dichter eindeutig und sinnvoll von den akademisch infor­ mierten, systematisch-deduktiven Abhandlungen der Gelehrten abgrenzen, die den Fokus dieser Forschungsarbeit bilden. Wollte man den Kreis der Selbstzeugnisse von Conversos über ihre spezi­ fische Situation noch weiter ziehen, kämen schließlich auch noch geistliche Betrachtungen wie die der Nonne und Mystikerin Teresa de Cartagena in Betracht.140 Doch auch wenn hier durch die Nähe zur Theologie eine Textsorte vorliegt, die an den Diskurs der Gelehrten womöglich grundsätzlich anschluss­ fähig wäre, besteht doch durch erklärtes Thema und Intention kein expliziter Bezug zur Kontroverse um die iberischen Neuchristen. Selbst wenn man vor­ aussetzt, dass die Klage über das eigene Leiden und der Trost in der Kontem­ plation der Größe Gottes über die reine Textebene als allgemeine spirituelle Meditation hinausweist, ist noch keineswegs sicher, ob sie als Ausdruck der prekären Situation einer Neuchristin zu lesen ist, als seelische Verarbeitung der Beschwernisse einer von Krankheit und Behinderung gezeichneten Mystikerin

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Non-Conformism, S. 13‑14; Carlos Moreno Hernández: Pero Guillén de Segovia y el círculo de Alfonso Carrillo. In: Revista de Literatura 47 (1985), S. 17‑49; Iannuzzi: El poder de la palabra, S. 58‑60. Vgl. Wertheimer: Converso »Voices«, S. 98‑103; Marithelma Costa: Antón de Montoro. Poesía completa, Cleveland 1990; Rodríguez Puértolas: Poesía crítica y satírica, S. 297‑319. Porque el linaje que es visto / de grand fuerza y de valor, / que pudo con Jesucristo, / podríe con corregidor. – Antón de Montoro: A Gómez Dávila, corregidor, por un puñal que le fizo tomar fingido, ed. Marithelma Costa, S. 252. Vgl. Rica Amran: Acerca de Teresa de Cartagena y La arboleda de los enfermos: algunas puntualizaciones, preguntas e hipótesis. In: Rosa M. Alabrús u.a. (Hgg.): Pasados y presen­ te. Estudios para el profesor Ricardo García Cárcel, Barcelona 2020, S. 569‑582.; Dayle Seidenspinner-Nuñez: The writings of Teresa de Cartagena, Cambridge 1998; Lewis J. Hutton: Teresa de Cartagena. Arboleda de los enfermos y Admiración operum Dey, Madrid 1967.

oder als Kommentar über die Rolle einer gebildeten Frau in einer von Män­ nern dominierten Welt.141 Eine ganz eigene Stellung nehmen schließlich die zeitgenössischen legislati­ ven Äußerungen der Könige, Päpste und kirchlichen Synoden ein.142 Allein dadurch, dass sie neben älteren autoritativen Quellen etwa aus der Zeit der Westgoten in den Traktaten der Gelehrten vielfach zitiert werden, sind sie eng mit deren Diskurs verbunden. So verweist etwa Alonso de Montalvo auf den Beschluss König Johanns I. auf dem Hoftag von Soria, in dem es heißt: »Wir bestimmen, dass jeder, der diejenigen, die sich zum katholischen Glauben bekeh­ ren, Marrano oder Verräter nennt oder mit anderen Schimpfwörtern ruft, mit einer Strafe von dreihundert Maravedi belegt werden soll für jede Beleidigung, und wenn es sich um jemanden handelt, der keinen Besitz hat, um die Strafe zu bezahlen, soll er fünfzehn Tage im Kerker liegen.«143

In anderen Fällen sind Gesetzestexte und Dekrete zweifellos von der Traktatli­ teratur oder sogar deren Verfassern persönlich beeinflusst, ohne dass diese Ver­ bindung explizit würde. So kann man mit gewisser Sicherheit davon ausgehen, dass Kardinal Juan de Torquemada seinem Dienstherrn Papst Nikolaus V. nicht nur den Anstoß zu dessen Bulle Humani generis inimicus gab, sondern ihn auch hinsichtlich der Formulierung beriet, wenn es dort unter anderem heißt: »Wir befehlen allen und jedem, gleich welchen Standes, Ranges oder Berufs sie seien, geistlich wie auch weltlich, unter Strafe der Exkommunikation, dass sie alle und jeden, die sich zum christlichen Glauben bekehrt haben oder in Zukunft bekehren, ob sie aus dem Heidentum oder aus dem Judentum oder aus gleich welcher Sekte kommen mögen […] zu allen Würden, Ehren, öffentlichen Ämtern, Zeugenaussagen und zu 141

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Vgl. Rita Ríos de la Llave: Mujeres conversas e identidad en la Castilla medieval (1449-1534): Del orgullo por el linaje judío al disimulo de los orígenes. In: Anuario de estudios medievales 42 (2012), S. 823-836; Montserrat Piera: Women Readers and Writers in Medieval Iberia. Spinning the Text, Boston 2019; Nicole Reibe: The Convent of the Infirmed: Teresa de Cartagena’s Religious Model of Disability. In: Journal of Disability & Religion 22 (2018), S. 130-145; James Hussar: The Jewish Roots of Teresa de Cartagena’s Arboleda de los enfermos. In: La Corónica 35 (2006), S. 151‑169. Vgl. u.a. Emilio Mitre Fernández: Los judíos de Castilla en tiempo de Enrique III: el pogrom de 1391, Valladolid 1994; Luis Suárez Fernández: El máximo religioso. In: Manuel Fernández Alvarez (Hg.): Historia de España Menéndez Pidal. Tomo XVII-II. La España de los Reyes Católicos (1474-1516), Madrid 61999, S. 47‑60; Laferl: Machtpolitik und Theologie; Vicente Betrán de Heredia: Las bulas de Nicolás V acerca de los conversos de Castilla. In: Sefarad 21 (1961), S. 22‑47; Edward A. Synan: The Popes and the Jews in the Middle Ages, New York und London 1965; Max Simonsohn: Die kirchliche Judengesetzge­ bung im Zeitalter der Reformkonzilien von Konstanz und Basel, Breslau 1912; José Sánchez Herrero: Concilios Provinciales y Sínodos Toledanos de los siglos XIV y XV. La religiosidad cristiana del clero y pueblo, La Laguna 1976, S. 117‑118. […] ordenamos que qual quier que llamare marrano o tornadizo o otras palabras inju­ riosas alos que se tornaren ala fe catolica, quele peche trezientos mr. cada vez que gelo llamare e sy fuere tal persona que non aya bienes deque gelos pagar, que yaga quinze días enla presión. – Cortes de los antiguos reinos de León y Castilla publicadas por la Real Academia de la Historia, Bd. 2, Madrid 1863, S. 309.

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allem anderen zuzulassen, wozu man die übrigen Christen, wie alt sie auch sein mögen, zuzulassen pflegt.«144

Trotz allem handelt es sich um eine fundamental andere Textsorte als die Schriften der Gelehrten, und zwar nicht nur aus der analytischen Sicht der Geschichtswissenschaft, sondern auch im Kontext der zeitgenössischen Verfas­ ser und Adressaten. Ihr normativer Charakter beinhaltet, dass sie Zustimmung nicht allein aufgrund von Einsicht fordern, sondern kraft der ihnen eigenen Autorität. Gemäß der funktionalen Knappheit und Nüchternheit der allermeis­ ten Dekrete, Reskripten, Beschlüsse und ähnlicher Texte sind theologische oder andere Reflexionen und Begründungen sehr selten. Die genannten Quellengattungen, die den gelehrten Diskurs umgeben – legislative, poetische und historiographische Texte –, bieten der vorliegenden Untersuchung daher wichtige Referenz- und Vergleichspunkte, gehören jedoch nicht zum Kern des Quellenkorpus. Wo sich ein Vergleich anbietet oder eine direkte Beziehung offenkundig ist, werden sie beispielhaft zu nennen und zu zitieren sein, auch wenn eine lückenlose Berücksichtigung aller denkbaren intertextuellen Bezüge nicht möglich ist. Gleiches gilt für Quellen über die schriftliche Überlieferung hinaus: Zeugnisse sakraler und profaner Bildkunst und Architektur, Epitaphe, Plastiken und Buchillustrationen mit Bezügen zum Diskurs um die iberischen Neuchristen.145 Auf die ergänzenden Informationen, die sie bieten, wird so weit wie möglich einzugehen sein, jedoch werden sie im Weiteren nicht als Teil des Diskurses im engeren Sinne betrachtet.146 144

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[…] omnibus et singulis cuiuscunque status, gradus aut conditionis fuerint, ecclesiasticis vel saecularibus, sub excomunicationis pena mandamus, ut omnes et singulos ad Chris­ tianam fidem conversos, aut in futurum convertendos, seu ex gentilitate vel ex Iudais­ mo, aut ex quavis secta venerint […] ad omnes dignitates, honores, officia tabellionatus, testium depositiones et ad omnia alia ad quae alii Christiani quantumcunque antiqui admicti solent, admictant […]. – Humani generis inimicus, ed. Simonsohn: Apostolic See 1394-1464, S. 936. Zur Bedeutung von Bildern für die Diskursanalyse allgemein vgl. Sabine Maasen u.a.: Bild-Diskurs-Analyse. In: dies. (Hgg.): Bilder als Diskurse. Bilddiskurse, Weilerswist 2006, S. 7‑26; zu Kunst im Converso-Diskus vgl. Manuel Parada López de Corselas und Jesús R. Folgado García: »Siguese la contemplación y oración«: Alonso de Cartagena y el programa iconográfico de la Fuente de la Gracia. In: José J. Pérez Preciado (Hg.): La Fuente de la Gracia. Una tabla del entorno de Jan van Eyck, Madrid 2018, S. 39‑55; Luc Dequeker: Het Mysterie van het Lam Gods. Filips de Goede en de Rechtvaardige Rechters van Van Eyck, Leuven 2011, S. 212-220; Anthony Bale: Feeling Persecuted: Christians, Jews and Images of Violence in the Middle Ages, London 2010, S. 65‑89. Viele der infrage kommenden Zeugnisse sind nicht zu trennen von der allgemeineren antijüdischen Tradition der christlichen Kunst, vgl. u.a. Paulino Rodríguez Barral: La imagen del judío en la España medieval. El conflicto entre cristianismo y judaísmo en las artes visuales góticas, Barcelona 2008; Sara Lipton: The Jew’s Face: Vision, Knowledge, and Identi­ ty in Medieval Anti-Jewish Caricature. In: Cavallero-Navas/Alfonso (Hgg.): Late Medieval Jewish Identities, S. 259‑287 und dies.: Dark mirror. The Medieval Origins of Anti-Jewish Iconography, New York 2014; Tom Nickson: The First Murder: Picturing Polemic c. 1391. In: Decter/Prats (Hgg.): The Hebrew Bible in Fifteenth-Century Spain, S. 41‑59; María C. Rebollo Gutiérrez: Entre el rechazo y la veneración. La imagen de los judíos en la pintura

1.3.2 Begrenzung und (fehlende) Gegenseite des Diskurses An diesem Diskurs der Gelehrten nahm aktiv lediglich eine sehr kleine Gruppe von Personen teil. Zwar verbreitete sich im 15. Jahrhundert die allgemeine Lesefähigkeit auch unter wohlhabenden Männern und Frauen ohne akademi­ sche Bildung,147 doch bereits die Kenntnis der lateinischen Sprache zog eine eindeutige Grenze zwischen potenziellen Diskursteilnehmern und dem großen Rest der Bevölkerung. Denn selbst wenn das Lateinische im 15. Jahrhundert nicht mehr unbedingt zum schriftlichen Ausdruck erforderlich war,148 so doch mindestens zur Gewinnung der notwendigen Autoritätsargumente aus der Bibel, die auch in volkssprachlichen Texten meist in der quasi kanonischen Version des Hieronymus zitiert wurde,149 aus den ins Lateinische übersetzen Schriften des Aristoteles und anderer klassischer Philosophen, die erst allmäh­ lich in volkssprachliche Versionen übertragen wurden,150 aus dem Corpus iuris canonici,151 dem Corpus iuris civilis152 und anderen einschlägigen Quellen. Zwar konnten hinreichend begüterte Leser spätestens seit dem 13. Jahrhundert auch

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de Nicolás Francés. In: Jorge Sánchez-Lafuente Pérez und José Luis Avello Álvarez (Hgg.): El mundo judío en la Península Ibérica: sociedad y economía, Cuenca 2012, S. 203‑213. Vgl. Jeremy N. H. Lawrance.: The Spread of Lay Literacy in Late Medieval Castile. In: Bulletin of Hispanic Studies 62 (1985), S. 79‑94; Isabel Beceiro Pita: Entre el ámbito privado y las competencias públicas: la educación en el reino de Castilla (siglos XIII-XV). In: Soto Rábanos (Hg.): Pensamiento medieval Hispano. Bd. 1, S. 861‑885. Vgl. Pilar Ostos-Salcedo: Cancillería castellana y lengua vernácula. Su proceso de consolida­ ción. In: Espacio, tiempo y forma. Serie III, Historia medieval 17 (2004), S. 471‑484; Kurt Flasch: Das philosophische Denken im Mittelalter. Von Augustinus zu Machiavelli, Stuttgart 22000 (Original 1986), S. 149‑151. Vgl. Roger Gryson u.a. (Hgg.): Biblia sacra. Iuxta Vulgatam versionem, Stuttgart 52007; Karl Lehmann: Die Heilige Schrift als lebendiges Buch der Kirche. Zur Bedeutung und Rolle der lateinischen Bibel. In: Vetus Latina 33 (1989), S. 11‑36. Zu den wichtigsten Schriften des Aristoteles in lateinischer Übersetzung vgl. die Über­ sicht bei Peter Schulthess und Ruedi Imbach: Die Philosophie im lateinischen Mittelalter, Zürich 1996, S. 297‑300; zur Bedeutung klassischer Autoren allgemein vgl. u.a. Hugo O. Bizzarri: Grecia y sus filósofos en la Edad Media castellana. Cuatro retratos de sabios griegos: Apolonio, Aristóteles, Bías y Esopo. In: Studi Ispanici 34 (2009), S. 11‑31; David T. Runia: Ancient philosophy and the New Testament. »Exemplar« as example. In: Andrew B. McGowan (Hg.): Method and Meaning. Essays on New Testament Interpretation in Honor of Harold W. Attridge, Atlanta 2011, S. 347‑361. Vgl. Emil Friedberg (Hg.): Decretum Magistri Gratiani, Leipzig 1879. Zur Bedeutung vgl. u.a. Stephan Haering: Gratian und das Kirchenrecht in der mittelalterlichen Theologie. In: Münchener theologische Zeitschrift 57 (2006), S. 21‑34 und Herbert Kalb: Die Autorität von Kirchenrechtsquellen im »theologischen« und »kanonistischen« Diskurs. Die Perspektive der frühen Dekretistik (Rufinus – Stephan von Tournai – Johannes Faventius) – einige Anmerkun­ gen. In: Zeitschrift der Savigny-Stiftung für Rechtsgeschichte. Kanonistische Abteilung 115 (1998), S. 307‑329. Vgl. u.a. Rafael Sánchez Domingo: El Derecho Común en Castilla. Comentario a la Lex Gallus de Alonso de Cartagena, Burgos 2002, S. 230‑233; Juan M. Blanch Nougués: La fili­ ación en el pensamiento jurídico Romano. In: Juan José Ayán Calvo u.a. (Hgg.): Filiación. Cultura pagana, religión de Israel, orígines del cristianismo, Madrid 2005, S. 21‑54.

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auf kastilische und katalanische Übersetzungen der lateinischen und sogar der hebräischen Bibel zurückgreifen, doch waren diese den kirchlichen Autoritäten seit jeher suspekt.153 Dagegen spielten faktisch weder Kenntnisse des Altgriechischen als Sprache des Neuen Testaments und der deuterokanonischen Bücher noch des Hebräi­ schen als Sprache des Tanach und des Talmud im Diskurs um die jüdisch­ stämmigen Konvertiten eine Rolle. Das christliche Studium der hebräischen Sprache hatten zwar die Dominikaner als Teil ihrer missionarischen Bemühun­ gen auf der Iberischen Halbinsel bereits im 13. Jahrhundert begründet,154 und zahlreiche gebildete Konvertiten aus dem Judentum hatten noch im 14. und 15. Jahrhundert ihre Kenntnis der hebräischen Bibel und der rabbinischen Tradition in den christlichen Wissenshorizont eingebracht,155 doch in den Schriften zur Verteidigung der Conversos scheinen solche Kompetenzen prak­ tisch nirgends auf. Dies liegt zum einen sicher daran, dass die Beherrschung beider Schriftspra­ chen auch im 15. Jahrhundert noch ein äußerstes Spezialwissen darstellte, über das selbst die hochgebildeten Verteidiger der Neuchristen nicht in hinrei­ chendem Maß verfügten. Sogar Alonso de Cartagena, immerhin Sohn eines ehemaligen Rabbiners, lässt in seinem gesamten Werk keinerlei Vertrautheit mit der hebräischen Überlieferung erkennen.156 Zum anderen schien ein Re­ kurs selbst auf eine christlich verstandene hebraica veritas wohl schlicht nicht geboten,157 wenn es darum ging, die Rechte der Conversos dezidiert innerhalb des Referenzrahmens der lateinischen Christenheit plausibel zu machen. Da hebräische Bibeln gerade in den Händen von Neuchristen als Gefahr galten, die Neigung zu einer jüdischen und mithin häretischen Schriftauslegung zu

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Vgl. Klaus Reinhardt: Hebräische und spanische Bibeln auf dem Scheiterhaufen der Inquisiti­ on. Texte zur Geschichte der Bibelzensur in Valencia um 1450. In: Historisches Jahrbuch 101 (1981), S. 1‑37; Fernando Rodríguez Mediano: Biblical Translations and Literalness in Early Modern Spain. In: Garcia-Arenal (Hg.): After Conversion, S. 66‑94; Gilbert Dahan: Les intellectuels chrétiens et les juifs au moyen âge, Paris 1990, S. 239‑270. Vgl. Ramón Hernández Martín: Aportación del tomismo español al pensamiento medi­ eval hispano. In: Soto Rábanos (Hg.): Pensamiento medieval hispano. Bd. 2, S. 1119f.; Charles Burnett: Encounters with Razi the Philosopher: Constantine the African, Petrus Alfonsi and Ramón Martí. In: Soto Rábanos (Hg.): Pensamiento medieval Hispano. Bd. 2, Madrid 1998, S. 973‑992. Vgl. Norman Roth: La lengua hebrea entre los cristianos españoles medievales: Voces hebreas en español. In: Revista de Filología Española 71 (1991), S. 137‑143. Vgl. Fernández Gallardo: Alonso de Cartagena, S. 42‑43; Fernando Díaz Esteban: Alfonso de Cartagena, literato y política (siglo XV). In: Barros (Hg.): Xudeus e Conversos na Historia. Bd. 1: Mentalidades e Cultura, S. 277. Vgl. Ursula Ragacs: »Mit Zaum und Zügel muss man ihr Ungestüm bändigen« Ps 32,9; ein Beitrag zur christlichen Hebraistik und antijüdischen Polemik im Mittelalter, Frankfurt 1997; Magne Sæbø: The early Humanist concern for the Hebraica veritas. In: ders. (Hg.): Hebrew Bible / Old Testament, Bd. I/2, Göttingen 2008, S. 154‑189.

fördern,158 war es für die Autoren zweifellos sicherer, sich bei ihrer ohnehin heiklen Materie auf die unverdächtige lateinische Textbasis zu beschränken. Gleichwohl verfügten sämtliche Autoren, deren Zeugnisse uns erhalten sind, über einen meist hohen akademischen Grad, und das in einer Zeit, als es in den iberischen Reichen neben einigen Kathedral- und Ordensschulen lediglich eine Handvoll Universitäten gab und es nur wenigen Privilegierten möglich war, ein Studium in Paris oder Bologna aufzunehmen; einer Zeit, in der außerdem nur die wenigsten Studenten überhaupt graduierten.159 Dazu kam als Voraussetzung für die Teilnahme am Diskurs der Gelehrten noch der Zugang zu einer hinreichend ausgestatteten Bibliothek. In einer Epo­ che, deren Ende gerade erst die frühen Inkunabel-Drucke sah, so dass der priva­ te Besitz einer größeren Zahl von handgeschriebenen Büchern praktisch nur entsprechend interessierten Adligen und wenigen hinreichend vermögenden Gelehrten (letrados) vorbehalten blieb, war dies meist der Bestand eines Dom­ kapitels oder einer Abtei.160 Freilich mussten einem Autor nicht unbedingt alle Primärquellen, auf die er sich berief, tatsächlich vorliegen. Belegstellen konnten auch einfach aus Sammlungen entnommen werden, während Konkor­ danzen dabei halfen, thematisch relevante Bibelverse zu finden, die sich bei Bedarf auch aus dem Gedächtnis wiedergeben ließen.161 Die Begrenzung des gelehrten Diskurses durch diese hohen Anforderungen an Status und Kompetenz erklärt mindestens teilweise, warum der diskursiven Strategie zugunsten der Neuchristen kein symmetrisches Gegenüber entspricht. Zwar reagieren die hochrangigen Theologen, Juristen und Kanonisten auf die im Laufe des 15. Jahrhunderts aufkommende Ablehnung der Conversos in Tei­ len der altchristlichen Bevölkerung, jedoch manifestiert sich diese ablehnende Haltung zunächst nicht in gleicher Weise in einem diskursiven Archiv. Nur punktuell gewinnen conversofeindliche Aussagen überhaupt eine literarische Form wie im Sentencia-Estatuto von Toledo und dem bald darauf als Apologie dieses Statuts verfassten Memorial des Marcos García. Ausführliche Traktate 158 159

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Vgl. Reinhardt: Hebräische und spanische Bibeln, S. 8‑11. Vgl. Robert Gramsch-Stehfest: Bildung, Schule und Universität im Mittelalter, Berlin 2019, S. 182‑187; Susana Guijarro González: Las escuelas catedralicias castellanas y su aportación a la historia del pensamiento medieval (1200-1500). In: Soto Rábanos (Hg.): Pensamiento medieval Hispano. Bd. 1, S. 703‑735 und dies.: La universidad en la España medieval (ss. XIII-XV). In: Pedro Reques Velasco (Hg.): Universidad, sociedad y territorio, Santander 2009, S. 23‑50; Ulrich Nonn: Mönche, Schreiber und Gelehrte. Bildung und Wissenschaft im Mittelalter, Darmstadt 2012, S. 98‑105. Vgl. Charles B. Faulhaber: Las bibliotecas españolas medievales. In: Soto Rábanos (Hg.): Pensamiento medieval Hispano. Bd. 1, S. 785‑800. Vgl. u.a. Deyermond: Poética figural, S. 113; Michel Albaric: Hugues de Saint-Cher et les concordances bibliques latines (XIIIe-XVIIIe siècles). In: Louis-Jacques Bataillon u.a. (Hgg.): Hugues de Saint-Cher († 1263), bibliste et théologien: Etudes réunies, Turnhout 2004, S. 467‑479; William J. Courtenay: The Bible in Medieval Universities. In: Marsden (Hg.): The New Cambridge History of the Bible, Bd. 2: From 600 to 1450, S. 562f.

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über Nutzen, Sinn und Berechtigung der Statuten der Blutreinheit wurden frühestens im 16. und vor allem im 17. Jahrhundert verfasst.162 Die ersten polemischen Schriften, die sich direkt und pauschal gegen die spanischen Conversos als vermeintliche Kryptojuden richten, erreichen dage­ gen längst nicht die akademische Ebene, auf der sich die Apologeten der Neuchristen bewegen, und streben diese oft auch gar nicht an.163 Anonyme Schmähschriften wie das Libro del Alborayque und die Carta de privilegio del rey Juan II a un hijodalgo haben eher den Charakter fiktionaler Satiren, die sich an ein weniger gebildetes Publikum richten.164 Wenn auch dedizierte literarische Angriffe, zumal solche mit einem gelehr­ ten theologischen Anspruch, vor dem 16. Jahrhundert noch kaum existent waren, hatten dafür manche Schriften vorrangig antijüdischen Charakters, die vornehmlich in der zweiten Hälfte des 15. Jahrhunderts entstanden, eine ähnli­ che Wirkung. Am deutlichsten wird diese Tendenz in der Schrift Fortalitium fidei (ca. 1459) des Franziskaners Alonso de Espina,165 doch auch andere Pole­ miken wie der Tratado contra los judíos (ca. 1484) trugen gerade dadurch zum Misstrauen gegenüber den Neugetauften und ihren Nachkommen bei, indem sie dazu neigten, wenig Unterschied zwischen getauften und nicht getauften Juden zu machen und den Konvertiten pauschal Verstellung und Ungläubig­ keit zu unterstellen.166 So räumt der noch vergleichsweise moderate Apologet 162

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Vgl. Max S. Hering Torres: Limpieza de sangre en España. Un modelo de interpretación. In: Nikolaus Böttcher u.a. (Hgg.): El peso de la sangre. Limpios, mestizos y nobles en el mundo hispánico, Mexiko 2011, S. 29‑62; Hernández Franco: Sangre limpia, S. 15 u.a. Vgl. Michel Jonin: Le converso ou »l’effacement de l’altérité«: Sur une represéntation littéraire du judéo-convers. In: Battesti Pelegrin (Hg.): »Qu’un sang impur...«, S. 123‑137. Vgl. Dwayne E. Carpenter: Alborayque. Estudio preliminar, edición y notas, Mérida 2005 und ders.: Polémicos privilegios dos versiones de la primera sátira conocida en contra de los conversos. In: Sefarad 72 (2012), S. 295‑324; Pilar Bravo Lledó und Miguel Fernando Gómez Vozmediano: El Alborayque: un impreso panfletario contra los conversos fingidos de la Castilla tardomedieval. In: Historia. Instituciones. Documentos 26 (1999), S. 57‑84; Da­ vid M. Gitlitz: Hybrid Conversos in the »Libro llamado el Alboraique«. In: Hispanic Review 60 (1992), S. 1-17; González Rolán, Saquero Suárez-Somonte: De la sentencia-estatuto, S. 79‑91; Amran: Judíos y conversos en el reino de Castilla, S. 95‑107. Alonso de Espina: Fortalitium fidei. Hg. von Anton Koberger, Nürnberg 1485; vgl. dazu u.a. Vidal Doval: Misera Hispania, S. 67‑149; François Soyer: »All one in Christ Jesus«? Spiritual Closeness, Genealogical Determinism and the Conversion of Jews in Alonso de Espina’s Fortalitium Fidei. In: Journal of Spanish Cultural Studies 17 (2016), S. 239‑254; Alisa Meyuhas Ginio: The Fortress of Faith – At the End of the West: Alonso de Espina and his Fortalitium Fidei. In: Limor/Stroumsa (Hgg.): Contra Iudaeos, S. 215‑237; José M. Monsalvo Antón: Algunas consideraciones sobre el ideario antijudío contenido en el Liber III del Fortalitium fidei de Alonso de Espina. In: Aragón en la Edad Media 14-15, 2 (1999), S. 1061‑1088. Jaime Pérez de Valencia: Tratado contra los judíos. Hg. von Justo Formentín Ibáñez und María José Villegas Sanz, Madrid 1998; vgl. dazu auch Rica Amran: El Tratado contra los Judíos de Jaime Pérez de Valencia. In: Revista de historia medieval 15 (2008), S. 57‑74; Mi­ guel Peinado Muñoz: Jaime Pérez de Valencia (1408-1490) y la Sagrada Escritura, Granada 1992; Sicroff: Los estatutos, S. 49‑50.

Jaime Pérez de Valencia zwar die Möglichkeit einer aufrichtigen Bekehrung grundsätzlich ein, sieht die Chancen dafür jedoch als äußerst gering an: »Die einen lassen sich unter Zwang taufen, um dem Tod zu entgehen, da sie ja häufig in Volksaufständen angegriffen werden aufgrund ihrer Verbrechen. Diese werden fast niemals gute [Christen] bis zur dritten Generation, weil sie ihren Kindern heimlich die jüdischen Riten beibringen. Die anderen täuschen vor, die Taufe zu empfangen, um mit den Christen in Beziehung treten zu können und zu ihren Geschäften zu­ gelassen zu werden […]. Diese sind aus demselben Grund in seltenen Fällen gute [Christen].«167

Die rhetorische Taktik solcher Polemiken bestand weniger darin, sich argumen­ tativ gegen eine formale Gleichstellung der Conversos zu positionieren, als vielmehr darin, sie wie selbstverständlich in eine lange Tradition christlicher Feindschaft gegenüber dem Judentum einzubeziehen.168 So enthielt auch der Tractatus zelus Christi contra iudaeos, sarracenos et infideles (1450) von Pedro de la Cavallería an sich kaum mehr als altbekanntes apologetisches Material gegen den jüdischen Glauben.169 Indem er jedoch in erschöpfender Länge die Hin­ fälligkeit bestimmter Mosaischer Gebote diskutierte, untermauerte er indirekt auch den Vorwurf, der den Neuchristen oft pauschal zur Last gelegt wurde, sie würden mit deren Einhaltung zugleich den christlichen Glauben ablehnen. Dass dies für den Verfasser kein rein theoretisches Problem darstellte, lässt sich unter anderem daraus schließen, dass er vom Papst die Auflösung seiner Ehe erbat, denn seine Frau Blanca sei durch die Observanz von »Riten und Zeremo­ nien der Juden eine Häretikerin« (Iudeorum ritibus et ceremonialibus heretica).170 In der Censura et confutatio libri Talmud (1488) von Antonio de Ávila hat die Zurückweisung des jüdischen Glaubens bereits einen eindeutig conversofeind­ lichen Charakter.171 Intention der Schrift ist es, jüdische religiöse Schriften als 167

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Unos se bautizan coaccionados, con el fin de evitar la muerte, ya que con frecuencia son asaltados en revueltas populares, debido a sus crímines. Éstos casi nunca llegan a ser buenos hasta la tercera generación, porque ocultamente enseñan a sus hijos los ritos judaicos. Otros reciben el bautismo simuladamente para poder relacionarse con los cristianos y ser admitidos en sus negocios […]. Éstos, por el mismo motivo, en raras ocasiones son buenos […]. – Tratado contra los judíos., ed. Formentín Ibáñez/Villegas Sanz, S. 313. Vgl. u.a. Jaime Contreras: Judíos, judaizantes y judeoconversos en la península ibérica en los tiempos de la expulsión. In: Alcalá (Hg.): Judíos, sefarditas, conversos, S. 462. Pedro de la Cavallería: Tractatus zelus Christi contra iudaeos, sarracenos et infideles. Hg. von Martin Alfonso Vivaldo, Venedig 1592; vgl. dazu auch Núria Gómez Llauger: Auctor et auctoritas en el tratado Zelus Christi contra iudaeos, sarracenos et infideles de Pedro de la Cavallería. In: Edoardo D’Angelo und Jan M. Ziolkowski (Hgg.): Auctor et auctoritas in Latinis Medii Aevi litteris, Florenz 2014, S. 423‑434. Vgl. Simonsohn: Apostolic See 1394-1464, S. 1051. Vgl. Moshe Lazar: Anti-Jewish and Anti-Converso Propaganda. Confutatio libri Talmud and Alboraique. In: ders. und Stephen Haliczer (Hgg.): The Jews of Spain and the Expuslion of 1492, Sancaster 1997, S. 153-236; Glazer-Eytan: Incriminating the Judaizer, S. 246‑251: Isidore Loeb: Polémistes chrétiens et juifs en France et en Espagne. In: Revue des études juives 18 (1889) S. 219-242.

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Gefahr für die Neuchristen zu denunzieren, die durch ihre Lektüre zur Häresie des Judaisierens verleitet werden könnten. Auch andere apologetische Traktate wie De mysteriis fidei und Ensis Pauli von Pablo de Heredia (1405‑1486) iterier­ ten im Wesentlichen überkommene Argumente etwa zugunsten der Trinität und der Messianität Jesu von Nazareth.172 Gelesen vor dem Hintergrund der Kontroverse um die Aufrichtigkeit der jüdischstämmigen Konvertiten, erschei­ nen die umfangreiche Abhandlungen allerdings zugleich wie ein Manifest der enormen Hürden, die der wahrhaftigen Bekehrung der in ihrem Irrglauben verhafteten Juden entgegenstehen – sogar wenn der Autor selbst jüdischer Herkunft war. Dabei ist zu beachten, dass die spezifisch conversofeindliche Tendenz in der älteren Apologetik der spätmittelalterlichen adversus-Iudaeos-Traktate noch keineswegs als solche angelegt war. Seit dem 14. Jahrhundert hatten es gerade in Kastilien und Aragon viele zum Christentum konvertierte jüdische Gelehrte und Rabbiner unternommen, ihren Glaubenswechsel argumentativ zu rechtfer­ tigen und in einen offensiven Proselytismus zu überführen.173 Autoren wie Alfonso de Valladolid, Jerónimo de Santa Fé, Pablo de Santa María und Juan el Viejo hatte die iberischen Juden noch als potenzielle Konvertiten zum Chris­ tentum gesehen,174 wohingegen die Polemiken seit Mitte des 15. Jahrhunderts sie mehr und mehr als unbelehrbare Feinde des wahren Glaubens zeichneten. Während jene ältere Generation von Apologeten den jüdischen Glauben als Irrtum verurteilt hatte, baute das spätere antijüdische Schrifttum zunehmend auf einem Misstrauen auch gegenüber der jüdischen Abstammung auf. Das bewusste oder unbewusste Bestreben dahinter, die Grenze zwischen zwei unterschiedlichen religiösen Bekenntnissen neu anhand genealogischer Kriteri­ en zu ziehen, war im historischen Kontext dieser Schriften letztlich durchaus erfolgreich. Gleichwohl ist rückblickend nicht eindeutig zu entscheiden, ob einzelne besonders rigorose und entschlossene Autoren tatsächlich die Volks­ meinung in stärkerem Maße prägen konnten, oder ob sie nicht lediglich eine 172

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Vgl. François Secret: L’Ensis Pauli de Paulus de Heredia. In: Sefarad 26 (1966), S. 79‑102; Pedro Santonja Hernández: Sobre judíos y judeoconversos en la baja Edad Media. Textos de controversia. In: Helmantica 60 (2009), 190. Vgl. Shalom Sadik: The political difference of the ideological conversos from Judaism. In: Judaica 72 (2016), S. 185‑202; Ryan Szpiech: From Convert to Convert: Two Opposed Trends in Late Medieval and Early Modern Anti-Jewish Polemic. In: Jonathan Adams und Cordelia Heß (Hgg.): Revealing the Secrets of the Jews, Berlin 2017, S. 219‑244. Vgl. u.a. Ryan Szpiech: Polemical Strategy and the Rhetoric of Authority in Abner of Burgos/Alfonso of Valladolid. In: Cavallero-Navas/Alfonso (Hgg.): Late Medieval Jewish Identities, S. 55‑76 und ders.: Conversion and Narrative. Reading and Religious Authority in Medieval Polemic, Philadelphia 2013, S. 1‑17; Robert Chazan: Undermining the Jewish Sense of Future: Alfonso de Valladolid and the New Christian Missionizing. In: Mark D. Meyerson und Edward D. English (Hgg.): Christians, Muslims, and Jews in Medieval and Early Modern Spain, Notre Dame 1999, S. 179‑194; Moisés Orfali: Tratado que fez mestre Jerónimo, médico do papa Bento XIII, contra os Judeus, em que prova o Messias da lei ser vindo, Lissabon 2014.

populäre Mentalität ins Wort hoben, die sich außerhalb von Bibliotheken und Schreibstuben längst etabliert hatte. In jedem Fall ist das Gesamtbild, das die Dokumente der Rebellion von Toledo, zwei anonyme Satiren und die conver­ sofeindlichen Tendenzen diverser antijüdischer Schriften ergeben, weit weniger kohärent als das Korpus der Texte zugunsten der Neuchristen. Dass auch diese bei allen Gemeinsamkeiten in Sprache, Stil und Inhalt kein gänzlich einheitliches Genre bilden, entspricht zum Teil der Dynamik der Aus­ einandersetzung. Einige der Texte sind im Verlauf der Kontroverse innerhalb kurzer Zeit entstanden und reagieren auf jeweils spezielle Anforderungen und Umstände. Es handelt sich sowohl um kurze Stellungnahmen, darunter eine Predigt, ein Abschnitt eines Adelsspiegels und mehrere knappe Gutachten, als auch um ausführliche Abhandlungen, deren Fertigstellung zum Teil Jahre in Anspruch nahm. Etwa die Hälfte davon ist in scholastisch geprägtem Mittella­ tein verfasst, der Rest in der Volkssprache geschrieben; einige Texte sind paral­ lel in beiden Sprachen überliefert. Einige Werke können ohne Frage als Haupt­ werk des jeweiligen Autors gelten, während andere lediglich einen kleinen Aus­ schnitt des literarischen Schaffens ihres Verfassers darstellen. Ihr Schwerpunkt ist zumeist theologisch, dabei mal eher exegetisch und mal eher kanonistisch orientiert, im Einzelfall aber auch spirituell, juristisch, staatskundlich oder phi­ losophisch, ohne dass diese vorwissenschaftlichen Genres der Gelehrsamkeit immer eindeutig voneinander zu trennen wären. In der Tat bewegt sich der Diskurs um die spanischen Neuchristen an der Schwelle zur Disziplin:175 Er zieht zwar keine dezidierte Grenze zu anderen Äußerungen, begrenzt aber sehr wohl implizit die Zahl der Sprecher als auch die der möglichen Sätze. 1.3.3 Erhaltene und verlorene Quellen Dazu kommt, dass auch die Dokumente des fraglichen gelehrten Diskurses mit Sicherheit nicht vollständig erhalten sind. Bekannte verlorene Quellen sind etwa die Schrift in kastilischer Sprache, die Alonso de Cartagena laut eigener Aussage noch vor der Abfassung des Defensorium an König Johann II. richte­ te,176 die Homilie des Anonymus von Valladolid, die seinem Sermo in die beati Augustini vorausging,177 die Kritik am Sentencia-Estatuto des Domkapitulars und späteren Bischofs von Coria Francisco de Toledo,178 die Zurückweisung des hie­ 175 176 177 178

Vgl. Foucault: Ordnung des Diskurses, S. 22‑25. Vgl. Alonso de Cartagena: Defensorium, Prolog, ed. Alonso, S. 61; Fernández Gallardo: Teología, S. 563‑564. Vgl. Anonymus: Sermo in die beati Augustini, ed. González Rolán, S. 35. Vgl. Benito Ruano: La Sentencia-Estatuto, S. 53‑54; Laura Canabal: Conversos toledanos en un espacio de poder, la catedral Primada. Don Francisco Álvarez de Toledo canónigo y mecenas (ss. XV-XVI). In: Espacio, tiempo y forma 24 (2011), S. 21‑22; Pedro Santonja Hernández: Defensores y adversarios de los judeoconversos durante la Edad Media. La Santa Inquisición. In: Cuadernos para investigación de la literatura hispánica 39 (2014), S. 403.

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ronymitischen Statuts durch García de Madrid179 und eine Kritik des Prälaten Juan de Lucena an der Inquisition.180 Andere heute verlorene Texte zugunsten der Conversos sind womöglich nicht einmal durch eine entsprechende Erwähnung, geschweige denn dem Namen nach bekannt. Zwar dürften neben umfangreichen Traktaten wie dem Defensorium unitatis christianae und dem Lumen ad revelationem gentium keine größere Anzahl ähnlicher Werke entstanden und verloren gegangen sein, mit höchster Wahrscheinlichkeit wurden jedoch zur Frage der Conversos wesent­ lich mehr Predigten, Briefe, Gutachten und Rechtskommentare verfasst als jene, die heute noch bekannt sind. Beispiele für Autoren mit der Kompetenz, Position und Motivation, sich entsprechend zu äußern, wären unter anderem akademisch gebildete Dichter und Philosophen wie Juan de Mena oder Alfon­ so de la Torre,181 Theologen wie Juan de Segovia oder Alonso Fernández de Madrigal, die sich nicht nur mit Grundfragen der Ekklesiologie beschäftigten, sondern auch mit dem christlichen Verhältnis zu den anderen abrahamitischen Religionen,182 Historiographen mit neuchristlichen Gönnern wie Alonso de Palencia und Rodrigo Sánchez de Arévalo,183 Bischöfe (oder deren Mitarbeiter) wie Kardinal Pedro González de Mendoza und Pedro Fernández de Solís, die vergeblich versuchten, die ersten andalusischen Inquisitionstribunale zu verhindern,184 oder auch andere einflussreiche Geistliche mit neuchristlichem 179 180 181

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Vgl. Antonio Domínguez Ortiz: La clase social de los conversos en Castilla en la Edad Moderna, Granada 1991, S. 66‑68; Giordano: Apologetas, S. 91‑93. Vgl. Amran: Judíos y conversos en el reino de Castilla, S. 121‑123; Pastore: Un’eresia spagno­ la, S. 48‑58. Vgl. Concepción Lopez Rodriguez: Retórica aristotélica y argumentación lógica en »La Vision Deleytable« de Alfonso de la Torre. In: Humanitas 63 (2011), S. 387‑405; Rodríguez Puértolas: Poesía crítica y satírica, S. 169‑173; Roth: Conversos, S. 186‑188. Vgl. Victor Sanz Santacruz: Juan de Segovia y Nicolás de Cusa frente al Islam: su compren­ sión intelectualista de la fe cristiana. In: Anuario de historia de la iglesia 16 (2007), S. 181‑194; Anne M. Wolf: Juan de Segovia and the Fight for Peace. Christians and Muslims in the Fifteenth Century, Notre Dame 2014; Jesús S. Madrigal Terrazas: Judíos, moros y cristianos. La visión teológica de Juan de Segovia (1393-1458) acerca de las tres culturas ibéricas. In: Matthias M. Tischler, Alexander Fidora (Hgg.): Christlicher Norden – Mus­ limischer Süden. Ansprüche und Wirklichkeiten von Christen, Juden und Muslimen auf der Iberischen Halbinsel im Hoch- und Spätmittelalter, Münster 2011, S. 81‑92; Ana Echevarría: Better Muslim or Jew? The Controversy around Conversion across Minorities in Fifteenth-Century Castile. In: Medieval Encounters 24 (2018), S. 62‑78. Vgl. Robert B. Tate: Poles Apart – Two Official Historians of the Catholic Monarchs – Alfon­ so de Palencia and Fernando del Pulgar. In: Soto Rábanos (Hg.): Pensamiento medieval hispano. Bd. 1, S. 439‑463; ders.: Rodrigo Sánchez de Arévalo (1404-1470) y la Compendiosa Historia Hispanica. In: ders.: Ensayos sobre la historiografía peninsular del siglo XV, Madrid 1970, S. 74‑104; Guillermo Alvar Nuño: La influencia de Alfonso de Cartagena en la »Compendiosa historia Hispanica« de Rodrigo Sánchez de Arévalo. In: Revista de Poética Medieval 32 (2018), S. 19‑48; Antonio López Fonseca, José Manuel Ruiz Vila: Rodrigo Sánchez de Arévalo, un humanista al servicio de la corona y el papado. In: Anuario de historia de la Iglesia 23 (2014), S. 323‑332. Ingram: Converso Non-Conformism, S. 19‑22.

Hintergrund wie Alonso de Burgos,185 der vor Hernando de Talavera Beichtva­ ter Königin Isabellas I. war und als Bischof den Diözesen Córdoba, Cuenca und Palencia vorstand. Auch die frühesten Versuche, Ende des 15. Jahrhunderts an Universitäten und in religiösen und militärischen Orden Statuten gegen den Beitritt von Conversos zu erlassen, dürften aufgrund der umstrittenen Rechtslage entsprechende Gegenreden innerhalb der jeweiligen Körperschaft hervorgebracht haben, die jedoch nach der Etablierung dieser Statuten nicht weiter überliefert wurden. Für die Vermutung, dass heute nur noch ein Teil des damals produzierten Diskurses vorliegt, spricht auch die sporadische Tradierung der erhaltenen Tex­ te: Von den hier vorrangig behandelten Werken sind nach heutigem Stand drei durch nur eine einzige Abschrift auf uns gekommen und somit praktisch Zufallsüberlieferungen: Sermo in die beati Augustini, Responsio ad quaesitum, und Breve reprehensorium.186 Zwei zentrale Schriften sind jeweils durch zwei Textzeugen belegt: Defensorium unitatis christianae sowie Contra algunos zizaña­ dores.187 Das Lumen ad revelationem existiert heute immerhin noch in drei im weitesten Sinne zeitgenössischen Abschriften.188 Sehr sprechend ist auch der Umstand, dass die Texte zur Verteidigung der Conversos – im Gegensatz zu anderen, populäreren Schriften des ausgehenden Mittelalters – vor dem 20. Jahrhundert in keiner gedruckten Ausgabe vorlagen. Lediglich der Traktat des Juristen Alonso Díaz de Montalvo ist gewissermaßen verborgen als Teil seines Rechtskommentars zum Fuero real in glossierten Dru­ cken der königlichen Rechtssammlung späterer Jahrhunderte enthalten. Die einzige gedruckte Auflage der Católica impugnación Hernandos de Talavera wurde nach ihrer Indizierung durch die Spanische Inquisition offenbar bis auf ein einziges außerhalb der Iberischen Halbinsel erhaltenes Exemplar vollstän­ dig vernichtet. Beide Schriften wären heute unter ungünstigeren Umständen wohl gänzlich unbekannt. Antijüdische und conversofeindliche Texte wie das Fortalitium fidei fanden im Vergleich dazu spätestens mit Beginn des Inkunabel­ drucks enorme Verbreitung, und selbst das von Papst und König geächtete Memorial des Marcos García ist unter verschiedenen Titeln in Kopien aus dem 16. und 17. Jahrhundert vielfach überliefert.189

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Vgl. Roth: Conversos, S. 135. Vgl. González Rolán: De la Sentencia-Estatuto, S. 33‑34 bzw. S. 143; Francisco J. Lobera Serrano: Los conversos sevillanos y la Inquisición: el Libello perdido de 1480. In: Cultura Neolatina 49 (1989), S. 24‑31; Gonzálvez: Obra desconocida, S. 36. Vgl. Verdín Díaz: Defensorium S. 95; González Rolán: De la Sentencia-Estatuto, S. 121‑122. Vgl. Díaz y Díaz: Luz para conocimiento, S. 48‑55. Vgl. Steven J. McMichael: Was Jesus of Nazareth the Messiah? Alphonso de Espina’s Argu­ ment against the Jews in the Fortalitium Fidei (c. 1464), Atlanta 1994, S. 7; Benito Ruano: El Memorial, S. 99-101.

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So muss für das Korpus der verfügbaren Texte zugunsten der iberischen Neu­ christen zusammenfassend eingeräumt werden, dass es zum einen formal unter­ schiedliche Textsorten umfasst und zum anderen vermutlich nur einen Teil des damals produzierten Diskurses abdeckt. Gleichwohl kann die Quellenlage hin­ sichtlich ihres Umfangs durchaus als ausreichend gelten, um auch allgemeine Rückschlüsse auf den gelehrten Diskurs zur Converso-Frage zuzulassen. 1.3.4 Zeitliche und räumliche Abgrenzung Neben Thema, Intention und Textsorte der hier herangezogenen Quellen be­ dürfen auch der ausgewählte Abschnitt ihrer Entstehungszeit und der regionale Fokus einer näheren Begründung. In der Forschung wird die spätmittelalterli­ che und frühneuzeitliche Kontroverse um den Status jüdischer Konvertiten und ihrer Nachfahren in aller Regel als praktisch exklusives Phänomen der iberischen Gesellschaften dargestellt. Dies ist auch weitgehend berechtigt; die massenhaften Konversionen von Juden zum Christentum seit dem 14. Jahrhun­ dert und ihre wachsende Ablehnung und Ausgrenzung durch große Teile der Altchristen, die Spanische Inquisition mit ihrem rigorosen Vorgehen gegen mutmaßliche kryptojüdische Häretiker sowie die Einforderung von Nachwei­ sen einer rein christlichen Abstammung seit dem ausgehenden 15. Jahrhundert sind qualitativ und quantitativ letztlich ohne Parallele außerhalb der spani­ schen Reiche.190 Deren räumliche Dimension lässt sich in der Vormoderne freilich nicht nach den heutigen Maßstäben messen, die von der politischen Geographie flächendeckender Nationalstaaten bestimmt sind.191 In der ständi­ schen Ordnung feudaler und ekklesialer Hierarchien waren beispielsweise das Kolleg San Clemente an der Universität von Bologna oder das katalanische Konsulat in Konstantinopel in gewissem Sinne »spanischer« als das muslimisch regierte Granada.192 Im Königreich Neapel (das im Spätmittelalter dynastisch eng mit Aragon verbunden war), entwickelte sich die Situation konvertierter 190

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Vgl. Marta Canessa de Sanguinetti: El bien nacer. Limpieza de oficios y limpieza de sangre: raíces ibéricas de un mal latinoamericano. Del Siglo XIII al Último Tercio del Siglo XIX, Montevideo 2000, S. 106; Sicroff: Los estatutos, S. 23; Sabine Schmolinsky: Judas und Hermann: Konversion vom Judentum zum Christentum im Mittelalter. In: Bärbel Kracke u.a. (Hgg.): Die Religion des Individuums, Münster 2013, S. 97‑108; vgl. zu strukturell ähnlichen Situationen Nikolaus Jaspert: Religiöse Minderheiten auf der Iberischen Halbinsel und Mittelmeerraum. Eine Skizze. In: Herbers/Jaspert (Hgg.): Integration – Segregation – Vertreibung, S. 28‑44; Max S. Hering Torres: Purity of Blood. Problems of Interpretation. In: ders. u.a. (Hgg.): Race and Blood in the Iberian World, Wien 2012, S. 15f. Vgl. u.a. Nils Zurawski: Raum – Weltbild – Kontrolle. Raumvorstellungen als Grundlage gesellschaftlicher Ordnung und ihrer Überwachung, Opladen 2014, S. 55f. Vgl. María Cristina Pascerini: El Real Colegio Mayor de San Clemente de los Españoles de Bolonia y la monarquía hispánica. In: Libros de la Corte 17 (2018), S. 190-210; Daniel Durán i Duelt: La fi del sistema consular mallorquí i les seves repercussions en el català. El cas dels consolats de Pera i Constantinoble. In: Quaderns d’història 4 (2001), S. 155-164.

Juden sogar annähernd ähnlich wie auf der Iberischen Halbinsel; wenngleich hier von einer »fast völligen Abwesenheit von Quellen« auszugehen ist, »in denen die Zugehörigkeit der Konvertiten und ihrer Nachkommen gleichsam diskursiviert worden wäre«.193 Mit der sephardischen Diaspora und der spani­ schen und portugiesischen Expansion in die Neue Welt wird die Frage nach der räumlichen Verortung des Diskurses um die Conversos noch einmal komple­ xer, doch betrifft dies nicht mehr den hier betrachteten Zeitraum (mehr dazu weiter unten).194 Zugleich kann ein Diskurs, dessen Aussagen und Begriffe so wesentlich von den Grundüberzeugungen und Deutungsmöglichkeiten des katholischen Christentums als kulturellem System abhingen, nicht völlig isoliert vom größe­ ren Rahmen der religiösen und akademischen Tradition des lateinischen Wes­ tens insgesamt betrachtet werden. Allein der übergroße Teil der autoritativen Quellen, auf die man sich berief – Bibel, Kirchenväter, kanonisches Recht bis hin zu Exkursen in die antike Philosophie –, machen diesen weiteren Horizont ebenso deutlich wie das Mittellatein als Sprache der Gelehrsamkeit, der akade­ mische und klerikale Status (etwa eines Lizentiats oder Doktors, Priors oder Bischofs), der den Aussagen der Autoren Gewicht verlieh, und die Scholastik und Kanonistik als Systeme der Wissensorganisation. Darüber hinaus setzten auch die direkten Interventionen der Päpste den iberischen Binnendiskurs im­ mer wieder in Beziehung zur gesamten katholischen Kirche.195 Dies alles bedeutet nicht mehr und nicht weniger, als dass der Diskurs um die Neuchristen sich zum einen anhand einer spezifisch iberischen Situati­ on und durch die Äußerungen vorwiegend der dortigen Akteure formierte, zum anderen mittels des geistigen und kommunikativen Repertoires der latei­ nischen Christenheit. Er kann daher durchaus als spezifisches und singuläres

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Vgl. Benjamin Scheller: Die Stadt der Neuchristen. Konvertierte Juden und ihre Nachkom­ men im Trani des Spätmittelalters zwischen Inklusion und Exklusion, Berlin 2013, Zitat auf S. 25. Vgl. zu späteren ähnlichen Phänomenen in Italien auch Nadia Zeldes: »The Former Jews of this Kingdom«. Sicilian Converts after the Expulsion 1492‑1516, Leiden 2003; Gretchen Starr-LeBeau: Iberians before the Venetian Inquisition. In: Kevin Ingram und Juan Ignacio Pulido Serrano (Hgg.): The Conversos and Moriscos in late Medieval Spain and Beyond, Bd. 3, Displaced Persons, Leiden 2016, S. 29‑44. Vgl. zu Conversos in der Neuen Welt u.a. Jonathan Israel: Jews and crypto-Jews in the Atlantic world systems, 1500-1800. In: Richard L. Kagan und Philip D. Morgan (Hgg.): At­ lantic diasporas. Jews, conversos, and crypto-Jews in the age of mercantilism, 1500-1800, Baltimore 2009, S. 3‑17; Ricardo Escobar Quevedo: Inquisición y judaizantes en América española (siglos XVI-XVII), Bogotá 2008; Jonathan Schorsch: Swimming the Christian Atlantic. Judeoconversos, Afroiberians and Amerindians in the seventeenth century, Leiden 2009. Vgl. Klaus Herbers: Peripherie oder Zentrum? Spanien zwischen Europa und Afrika. In: Rainer C. Schwinges u.a. (Hgg.): Europa im späten Mittelalter. Politik – Gesellschaft – Kultur, München 2006, S. 99‑124; Robert Chazan: The Jews of Medieval Western Christen­ dom, 1000-1500, Cambridge 2006, S. 43‑76.

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Phänomen des hispanischen Raums gelten und zugleich als Teil der spätmittel­ alterlichen Kultur Europas. Was nun eine mögliche Differenzierung innerhalb der Iberischen Halbinsel angeht, kann der Diskurs um die Neuchristen auf den ersten Blick wie eine vor allem kastilische Angelegenheit wirken. Die Autoren, die in der zweiten Hälfte des 15. Jahrhunderts für die Gleichberechtigung der Conversos eintra­ ten, stammten fast sämtlich aus Kastilien und meist aus den alten Städten des zentralen Hochlands (Meseta Central). Doch auch das Gebiet der Krone von Aragon war in den Kampf um die Rechte der Conversos von Anfang an stark involviert. Mit der Disputation von Tortosa und den Missionspredigten Vicente Ferrers sowie als langjähriges Refugium des Gegenpapstes Benedikt XIII. (eines ausgesprochenen Förderers der Judenmission) hatte Aragon einen erheblichen Anteil an der Entstehung der neuchristlichen Bevölkerungsgruppe.196 Auch zahlreiche antijüdische Schriftsteller wie Pedro de la Cavallería, Jaime Pérez de Valencia, Martín Trilles und Pablo de Heredia, die im späteren Verlauf des 15. Jahrhunderts das Klima religiöser Intoleranz verstärkten, stammten von dort, und die Bedrohung der Neuchristen durch die Inquisitionstribunale war ebenso unmittelbar wie in Kastilien.197 Die Reiche von Portugal und Navarra erreichte der gesellschaftliche Konflikt um den Status der Neuchristen zwar tendenziell später, dafür aber umso schlag­ artiger in den 1480er Jahren, als Conversos in großer Zahl vor allem aus Anda­ lusien auswanderten und in den benachbarten Territorien Zuflucht suchten.198 Der Umstand, dass sich dort die Frage der Rechtgläubigkeit der Conversos erst relativ spät und dann vor allem hinsichtlich der kastilischen Immigranten stellte, erklärt dabei zumindest teilweise, warum uns aus dem 15. Jahrhundert keine portugiesischen Schriften zur Verteidigung der Neuchristen überliefert 196

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Vgl. im Überblick Flocel Sabaté: Die Juden in der Krone Aragón: Der Zusammenbruch der Koexistenz. In: Herbers/Jaspert (Hgg.): Integration – Segregation – Vertreibung, S. 301‑335; Kristine T. Utterback: Jewish Resistance to Conversion in the Late-Medieval Crown of Aragon. In: dies. und Merral Llewelyn Price (Hgg.): Jews in Medieval Christen­ dom. »Slay them Not«, S. 163‑176; Jaume Riera Sanz: Judíos y conversos en los reinos de la corona de Aragón durante el siglo XV. In: Ricardo Izquierdo Benito (Hg.): La expulsión de los judíos de España, Toledo 1993, S. 55‑70 und ders.: Los tumultos contra las juderías de la Corona de Aragón en 1391. In: Cuadernos de historia 8 (1977), S. 213‑225. Vgl. Patricia Banères: Inquisiton et »pureté de sang« dans la royaume de Valence (1478-1516): aux origines d’une nouvelle forme d’exclusion. In: Raphaël Carrasco u.a. (Hgg.): La pureté de sang en Espagne. Du linage à la »race«, Paris 2011, S. 133‑161. Vgl. Esteban Orta Rubio: Los Cristianos Nuevos de Navarra. Algunas consideraciones. In: Francisco Javier Caspistegui Gorasurreta (Hg.): Mito y realidad en la historia de Navarra. Actas del IV Congreso de Historia de Navarra, Bd. 2, Pamplona 1998, S. 107-110; Juan I. Pulido Serrano: Los conversos en España y Portugal, Madrid 2003, S. 40‑45; Maria José P. Ferro Tavares: Judeus e conversos castelhanos en Portugal. In: Anales de la Universidad de Alicante: Historia medieval 6 (1987), S. 341-368; François Soyer: King João II of Portugal »O Príncipe Perfeito« and the Jews (1481-1495). In: Sefarad 69 (2009), S. 75‑99; Renée Levi­ ne Melammed: A Question of Identity. Iberian Conversos in Historical Perspective, Oxford 2004, S. 51‑67.

sind. Betroffene und Gegenstand sowohl des akademischen wie auch des allge­ meinen gesellschaftlichen Diskurses waren jedenfalls alle Neuchristen im hier skizzierten iberischen Zusammenhang, auch wenn insbesondere kastilische Ge­ lehrte den Großteil der hier analysierten Quellen verfassten. Den zeitlichen Horizont für eine historische Betrachtung zu bestimmen, mithin Grenzen im kontinuierlichen Strom der Geschichte zu ziehen, stellt immer einen artifiziellen Eingriff dar. Für die Wahl des hier betrachteten Zeit­ raums sprechen gleichwohl verschiedene Gesichtspunkte, die mit den Quellen als Materialgegenstand ebenso wie mit dem untersuchten Diskurs als Formal­ gegenstand eng zusammenhängen. Vor der treffend so bezeichneten »Großen Debatte«199 (great debate) der Jahre 1449 und 1450 sind praktisch keine theolo­ gischen oder kanonistischen Abhandlungen über den Status jüdischstämmiger Getaufter überliefert (es sei denn in einem gänzlich anderen historischen oder räumlichen Kontext), wiewohl die Frage bereits 1434 auf dem Basler Konzil erörtert worden war.200 Im weitesten Sinne könnten noch die Schriften des Konvertiten und Bischofs Pablo de Santa María (ca. 1351-1435) in Betracht kommen,201 zumal er immer wieder ein starkes Bewusstsein der Bedeutung seines jüdischen Erbes erkennen lässt.202 Allerdings schreibt der ehemalige Rabbiner, wo er sich thematisch der jüdischen Konversion zum Christentum widmet, selbst noch in starker Anleh­ nung an die Tradition des christlichen Traktats adversus Iudaeos und richtet sich in erster Linie gerade nicht gegen etwaige altchristliche Gegner.203 199 200

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Netanyahu: Origins, S. 351ff. Vgl. Carlos Gilly: The Council of Basel’s »De Neophytis« Decree as Immediate Cause of and Permanent Antidote to the Racial Purity Statutes. In: Kevin Ingram (Hg.): The Conversos and Moriscos in Late Medieval Spain and Beyond. Bd. 4: Resistance and Reform, Leiden 2021, S. 13‑44; ders.: Spanien und der Basler Buchdruck bis 1600: Ein Querschnitt durch die spanische Geistesgeschichte aus der Sicht einer europäischen Buchdruckerstadt, Basel 1985, S. 41‑43; Simonsohn: Die kirchliche Judengesetzgebung, S. 39‑41. Vgl. M. Jean Sconza: History and literature in fifteenth-century Spain: An edition and study of Pablo de Santa María’s Siete edades del mundo, Madison 1991; Javier Martínez de Bedoya: La segunda parte del »Scrutinium scripturarum« de Pablo de Santa María: »El diálogo catequético«, Rom 2002. Vgl. u.a. Yosi Yisraeli: From Christian Polemic to a Jewish-Converso Dialogue. Jewish Skepti­ cism and Rabbinic-Christian Traditions in the Scrutinium Scripturarum. In: García-Arenal u.a. (Hgg.): Interreligious Encounters, S. 160‑196 und ders.: A Christianized Sephardic Critique of Rashi’s Peshaṭ in Pablo de Santa María’s Additiones ad Postillam Nicolai de Lyra. In: Ryan Szpiech (Hg.): Medieval Exegesis and Religious Difference. Commentary, Con­ flict, and Community in the Premodern Mediterranean, New York 2015, S. 128‑141; Ryan Szpiech: A Father’s Bequest: Augustinian Typology and Personal Testimony in the Conversion Narrative of Solomon Halevi/Pablo de Santa María. In: Decter/Prats (Hgg.): The Hebrew Bible in Fifteenth-Century Spain, S. 177‑198; Maurice Kriegel: Autour de Pablo de Santa María et d’Alonso de Cartagena: alignement culturel et originalité converse. In: Revue d’Histoire Moderne et Contemporaine 41 (1994), S. 197-205. Vgl. Gareth Lloyd Jones: Paul of Burgos and the »Adversus Judaeos« Tradition. In: Henoch 21 (1999), S. 313‑329; Heinz Schreckenberg: Die christlichen Adversos-Judaeos-Texte und ihr literarisches und historisches Umfeld (13.-20. Jh.), Frankfurt a. M. 1994, S. 498‑501; Klaus

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Die Beurteilung der Toledanischen Rebellion von 1449 als »tiefe Bruchlinie, die das spanische 15. Jahrhundert teilt«204 und »Wendepunkt im Wandel Spa­ niens hin zu einer Verfolgungsgesellschaft, der die Imperative der rassischen Reinheit und der kulturellen und religiösen Orthodoxie abbildet, die in der Folge durch die Statuten der Blutreinheit und die Inquisition institutionalisiert wurden«,205 kann heute im Wesentlichen als Forschungskonsens gelten. Auch wenn der beschriebene Wandel an der gesellschaftlichen Basis sicher früher begann und womöglich erst im 16. Jahrhundert vollendet war, fallen die maß­ geblichen Entscheidungen, die zu der genannten Institutionalisierung führten, doch sämtlich vor Ende des 15. Jahrhunderts. So änderte sich mit dem Erschei­ nen der chronologisch letzten hier einbezogenen Quellen die Gesamtlage für Juden und Konvertiten auf der Iberischen Halbinsel sehr bald und sehr dras­ tisch durch den Beginn der Inquisitionstribunale 1481 und schließlich die Aus­ weisungsdekrete von 1492 und den Folgejahren – Höhepunkt und vorläufiges Ende der massenhaften Zwangsbekehrung spanischer Juden zum Christentum und ultimatives Manifest ihrer gescheiterten Integration. Der gelehrte Diskurs um Stellung und Rechte der Neuchristen wiederum veränderte sich dadurch zwar nicht schlagartig, passte sich aber nach und nach den neuen gesellschaftlichen Realitäten an. Auch in den folgenden Jahrhunder­ ten gab es immer wieder zumindest sporadische Kritik an der Ideologie der Blutreinheit,206 sie wurde jedoch nuancierter, vorsichtiger und defensiver geäu­ ßert. Die Apologeten der Neuchristen vor der Jahrhundertwende von Fernán Díaz de Toledo bis Hernando de Talavera schrieben noch ganz im Bewusstsein, lediglich die reine Lehre und die althergebrachte Tradition der Kirche in Fra­ gen der Konversion gegen eine aufkommende schismatische Irrlehre zu vertei­ digen. Wer dagegen im Spanien des 16. Jahrhunderts und danach die Stimme

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Reinhardt: Das Werk des Nicolaus von Lyra im mittelalterlichen Spanien. In: Traditio 43 (1987), S. 346-351. Una linea di frattura profonda divide il Quattrocento spagnolo. – Pastore: Un’eresia spagnola, S. 1. […] a watershed event in the transformation of Spain into a persecuting society that delineates the imperatives of racial purity and cultural and religious orthodoxy subse­ quently institutionalized in the statutes of limpieza de sangre and the Inquisition – Seidenspinner-Nuñez: Prelude, S. 47. Vgl. die Übersicht bei Hernández Franco: Sangre limpia, S. 24 sowie Sicroff: Los estatutos, S. 125‑305; Elvira Pérez Ferreiro: El tratado de Torquemada y la controversia estatutaria en la decimoquinta centuria. In: Carlos del Valle Rodríguez (Hg.): Tratado contra los madianitas e ismaelitas de Juan de Torquemada (contra la discriminación conversa), Madrid 2002, S. 84-85; María Jesús Fernández Cordero: Juan de Ávila en la tradición de defensa de los conversos. La pertenencia al »linaje espiritual de Jesucristo«. In: Miscelánea Comillas 76 (2018), S. 113-133; Henry Kamen: A Crisis of Conscience in Golden Age Spain: The Inquisition Against »Limpieza de Sangre«. In: ders. (Hg.): Crisis and Change in Early Modern Spain, Aldershot 1993 (Original: Bulletin Hispanique 88 (1986), S. 321‑356); Nicolás López Martínez: El estatuto de limpieza de sangre en la catedral de Burgos. In: Hispania: Revista Española de Historia 74 (1959), S. 52‑81.

zugunsten der Gleichberechtigung aller Getauften erhob, wandte sich gegen eine zusehends stärker etablierte Praxis der Gesellschaftsmehrheit und riskierte unter Umständen, als potenzieller Abweichler und Judaisierer denunziert zu werden.207 Entsprechend selten sind nach dem Edikt von Granada klare und entschie­ dene Stellungnahmen zugunsten der Conversos wie die Apologia cerca de los linajes (1556) des Dominikaners Domingo de Valtanás, neben der sich ansons­ ten eher abwägende und zurückhaltende Texte wie der Discurso (1599) seines Ordensbruders Agustín Salucio finden.208 In einer regelrechten Umkehrung der vorherigen Verhältnisse waren es nun die Kritiker der Statuten, die es oft bevorzugten, ihre Stellungnahmen anonym zu veröffentlichen.209 Daneben behandelten nur noch die Denkschriften der sogenannten Arbitristas die Frage nach der Berechtigung und Sinnhaftigkeit von Abstammungsnachweisen; aller­ dings verbleibt die Argumentation dieser vorrangig ökonomisch interessierten Denker weitgehend im Pragmatischen und bildet dadurch eher eine gesonderte diskursive Strategie innerhalb der Staatskunde als in der Theologie oder im Kirchenrecht.210 Der für die hier angestrebte Studie relevante Untersuchungs­ zeitraum im engeren Sinne der einzubeziehenden Quellen erstreckt sich daher über das halbe Jahrhundert von 1449 bis 1498.

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Vgl. Sicroff: Los estatutos, S. 173‑178. Vgl. Álvaro Huerga und Pedro Sáinz Rodríguez: Fray Domingo de Valtanás, O. P., Apo­ logía sobre ciertas materias morales en que hay opinión y Apología de la comunión frecuente. Estudio preliminar y edición, Barcelona 1963; Vincent Parello: Entre honra y deshonra: el discurso de fray Agustín Salucio acerca de los estatutos de limpieza de sangre (1599). In: Criticón 80 (2000), S. 139‑153; Horst: Die spanischen Dominikaner, S. 293f.; Ingram: Historiography, S. 335‑337; Rachel L. Burk: Purity and Impurity of Blood in Early Modern Iberia. In: Javier Muñoz‑Basols u.a. (Hgg.): The Routledge Companion to Iberian Studies, London 2017, S. 178f. Vgl. Manuel Perez Garcia: El pensamiento europeo sobre la revisión y moderación en los esta­ tutos de limpieza de sangre através de la razón de estado cristiana en tiempos de Felipe IV. In: Bulletin for Spanish and Portuguese Historical Studies 38 (2013), S. 39‑60; Sicroff: Los estatutos, S. 182‑190; Domínguez Ortiz: La clase social, S. 225‑247; de Azcona: Dictamen, S. 354. Vgl. Sina Rauschenbach: The Castilian »arbitristas«, the »conversos«, and the Jews. In: dies. und Christian Windler (Hgg.): Reforming Early Modern Monarchies. The Castilian »Arbitristas« in Comparative European Perspectives, Wiesbaden 2016, S. 177‑198.

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2 Quellenkorpus und historischer Hintergrund Die in dieser Studie untersuchten apologetischen Schriften über Status und Rechte der Conversos haben als solche keine direkten zeitlichen Vorläufer. Gleichwohl setzten die gesellschaftlichen Entwicklungen, auf die sie insgesamt reagieren, um einiges früher ein als die ersten Ereignisse, die den unmittelbaren Anstoß zu ihrer Abfassung gaben. Mindestens bis ins frühe 13. Jahrhundert, in dem insbesondere die Bettelorden in eine Phase verstärkter missionarischer Anstrengung gegenüber den jüdischen Gemeinden und anderen Nichtchristen eintraten, lassen sich die Ursachen der Kontroverse um die iberischen Conver­ sos zurückverfolgen.1 Zu dieser Zeit konnten die muslimischen Reiche der Iberischen Halbinsel, aber auch Kastilien, Aragon, Portugal, Navarra noch auf eine lange Tradition der Konvivenz (convivencia), des relativ friedlichen Nebeneinanders der drei abrahamitischen Religionen, zurückblicken.2 Es wäre zwar anachronistisch, die­ sen Zustand als Idealbild einer toleranten, multikulturellen Gesellschaft zu ver­ stehen, denn die christlichen Könige führten immer wieder Krieg im Namen des Glaubens, und für das Gemeinwesen galt das katholische Bekenntnis als konstitutiv, doch auch die jüdischen und muslimischen Minderheiten genossen einen basalen Rechtsschutz und konnten ihre eigenen Angelegenheiten zum Teil autonom regeln. Vor allem aber wurde ihr Daseinsrecht als Andersgläubi­ ge (anders als im Fall christlicher Häretiker) nicht grundsätzlich infrage gestellt. Das fremde Bekenntnis galt den Christen als Irrglaube, schloss ihre Träger in der christlichen Vorstellung vom ewigen Heil aus, war Ziel von Polemik und Bekehrungsversuchen und begründete soziale und rechtliche Schranken, aber es wurde unter diesen Bedingungen hingenommen. Dieses wenn auch oft angespannte, so doch lange stabile und funktionale Verhältnis der Duldung wurde schließlich aus der christlichen Mehrheit heraus 1

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Vgl. Jeremy Cohen: The Friars and the Jews: The Evolution of Medieval Anti-Judaism, Ithaca 1982; Ursula Ragacs: Ein Leben im Dienst der Mission: Raimund Martini OP. In: Füllen­ bach/Miletto (Hgg.): Dominikaner und Juden, S. 87‑114; Paola Tartakoff: Testing Bounda­ ries: Jewish Conversion and Cultural Fluidity in Medieval Europe, c. 1200‑1391. In: Speculum 90 (2015), S. 728‑762. Zu Kommentaren und Kritik des Begriffs der Konvivenz in der spanischen Geschichte vgl. u.a. Maya Soifer: Beyond convivencia: Critical Reflections on the Historiography of Interfaith Relations in Christian Spain. In: Journal of Medieval Iberian Studies 1 (2009), S. 19‑35; Alex J. Novikoff: Between Tolerance and Intolerance in Medieval Spain: An Historiographic Enigma. In: Medieval Encounters 11 (2005), S. 7‑36; Christian Windler: Religiöse Minderheiten im christlichen Spanien. In: Peer Schmidt (Hg.): Kleine Geschichte Spaniens, Stuttgart 2002, S. 105‑106; Javier Castaño: »Flüchtige Chimären der Convivencia«: die Juden in Kastilien und ihre Eliten (1418-1454). In: Herbers/Jaspert (Hgg.): Integration – Segregation – Vertrei­ bung, S. 179‑212; Carlos Carrete Parrondo: Convivencia judeo-cristiana en Castilla antes de 1492. In: El Olivo 2 (1977), S. 29‑34.

zunehmend aus dem Gleichgewicht geworfen. Die in ihren Grundzügen bis auf die Zeit der Westgoten zurückgehende Gesetzgebung der sozialen Isolation und fiskalischen Ausbeutung der jüdischen Gemeinden wurde im Spätmittelal­ ter auf allen Ebenen verschärft und auch durch päpstliche Anordnungen bestä­ tigt.3 Allerdings spricht die Häufigkeit, mit der vor allem die soziale Trennung von Juden und Christen verordnet wurde, nicht unbedingt für den praktischen Erfolg solcher Maßnahmen.4 Umgekehrt wurde der lange Zeit durch königli­ ches Recht geschützte Status der Juden in der Realität immer prekärer.5 Vor allem in Aragon nahmen bereits Ende des 13. Jahrhunderts Predigten christlicher Missionare zu, die teils sogar in Synagogen abgehalten wurden und zu deren Besuch die örtliche jüdische Gemeinde gezwungen wurde. Die Predi­ ger, von denen manche selbst jüdische Konvertiten waren, gehörten meist den Bettelorden der Franziskaner oder Dominikaner an. Bereits bei diesen Zwangs­ predigten kam es immer wieder zu Ausschreitungen gegen die anwesenden Juden, so dass königliche und städtische Beamte eingreifen mussten. Selbst ein christlicher Theologe wie Alonso de Cartagena, der großen Wert auf die Würde seiner eignen jüdischen Abstammung legte, äußerte sich durchaus positiv zur Praxis der erzwungenen Teilnahme an Missionspredigten, ohne allerdings die damit verbundenen gewaltsamen Übergriffe zu billigen: »[Die Juden] brauchen daher jemanden als Leiter, der sie auf den Weg des ewigen Heils führt. Weil es ihnen so sehr an Verstand fehlt, ist es folgerichtig, dass sie freiwil­ lig oder unfreiwillig den katholischen Predigern zuhören müssen. Diese sollen sie, wie der Vormund von Schülern oder der Pfleger von Schwachsinnigen, überzeugen und zur Annahme des katholischen Glaubens drängen.«6 3

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Zu Berufs- und Heiratsverboten, Bekleidungs- und Wohnungszwang für Juden vgl. u.a. Yitzhak Baer: Historia de los judíos en la España cristiana, Barcelona 1998 (Original: Berlin 1936), S. 4‑64; Jan Keupp: Die Wahl des Gewandes. Mode, Macht und Möglichkeitssinn in Gesellschaft und Politik des Mittelalters, Ostfildern 2010, S. 70‑71; Simonsohn: Die kirchliche Judengesetzgebung, S. 39-40; Julio Valdeón Baruque: Los judíos de Castilla y la revolución Trastámara, Valladolid 1968, S. 19‑23; zur päpstlichen Judengesetzgebung vgl. u.a. Laferl: Machtpolitik; Beltrán de Heredia: Las bulas de Nicolás V; Synan: The Popes and the Jews; zur Westgotenzeit vgl. José L. Lacave: La legislación antijudía de los visigodos. In: Simposio »To­ ledo Judaico«, Bd. 1, Toledo 1973, S. 31‑42; Alexander P. Bronisch: Die Judengesetzgebung im katholischen Westgotenreich von Toledo, Hannover 2005. Vgl. Jacqueline Guiral-Hadziiossif: Christen und Nichtchristen im Schoß der römischen Chris­ tenheit: Araber und Juden. In: Norbert Brox u.a. (Hg.): Die Geschichte des Christentums. Bd. 6: Die Zeit der Zerreißproben (1274-1449), Freiburg 1991, S. 842; Roth: Conversos, S. 48‑50. Vgl. David Nirenberg: Une société face à l’altérité. Juifs et chrétiens dans la péninsule Ibérique 1391-1449. In: Annales, Histoire, Sciences Sociales 62 (2007), S. 755‑790 und ders.:Warum der König die Juden beschützen mußte, und warum er sie verfolgen mußte. In: Bernhard Jussen (Hg.): Die Macht des Königs. Herrschaft in Europa vom Frühmittelalter bis in die Neuzeit, München 2005, S. 225‑240. Indingent ergo aliquo directore, qui eos dirigat in viam salutis eterne. Idcirco tamquam intellectu deficientes congruum est, ut velint nolint predicatores catholicos audiant. Qui veluti pupillorum tutores aut dementium curatores persuadeant, hortenturque illos ad fidei receptionem [...] – Defensorium 2, 4, 7, ed. Alonso, S. 176.

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Warum die relative Toleranz der christlichen Mehrheit in diesem Zeitraum so rapide abnahm und was insbesondere die Welle missionarischen Eifers gegen­ über der eigenen jüdischen Bevölkerung ausgelöst hat, lässt sich nicht abschlie­ ßend beantworten. In der Forschung werden sowohl allgemeine wirtschaftliche und soziale Krisenfaktoren als Treiber gesellschaftlicher Konflikte diskutiert7 als auch politische, kulturelle und im engeren Sinne religiöse Faktoren erwogen.8 Denkbar ist unter anderem auch ein gewisser Einfluss der gescheiterten Kreuz­ zugsbemühungen in Palästina wie auch an der iberischen Front des Krieges gegen den Islam, die seit 1260 vor Granada praktisch zum Stillstand gekommen war und womöglich eine Konzentration des missionarischen Eifers auf das Innere der christlichen Reiche bedingte.9 Höhepunkte dieser Anstrengungen, die jeweils zu Wellen massenhaften Be­ kenntniswechsels führten, waren Anfang des 15. Jahrhunderts das Auftreten des bald nach seinem Tod heiliggesprochenen Dominikaners Vicente Ferrer (1357-1419) und die von Benedikt XIII. (Gegenpapst 1394-1417/1423) initiier­ te Disputation von Tortosa.10 Beide, Papst und Bußprediger, waren für ihre feindliche Haltung gegenüber dem Judentum bekannt und genossen die Un­ terstützung des kastilischen Regenten und späteren Königs Ferdinand I. von Aragon.11 7

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Vgl. Peter Schuster: Die Krise des Spätmittelalters. Zur Evidenz eines sozial- und wirtschafts­ geschichtlichen Paradigmas in der Geschichtsschreibung des 20. Jahrhunderts. In: Historische Zeitschrift 269 (2001), S. 19‑55; Jacqueline Guiral-Hadziiossif: Krise und Anpassung der iberischen Kirchen vom 13. bis zum 15. Jahrhundert. In: Brox u.a. (Hg.): Die Geschichte des Christentums. Bd. 6: Die Zeit der Zerreißproben (1274-1449), S. 750‑764; Julio Valdeón Baruque: Motivaciones socioeconómicas de las fricciones entre viejocristianos, judíos y conversos. In: Alcalá (Hg.): Judíos, sefarditas, conversos, S. 69‑88. Vgl. Philippe Wolff: The 1391 Pogrom in Spain. Social Crisis or not? In: Past and Present 50 (1971), S. 4‑18; Angus MacKay: Popular Movements and Pogroms in Fifteenth Century Castile. In: Past and Present 55 (1972), S. 33‑67; Julio Veldeón Baruque: Sociedad y anti­ judaismo en la Castilla del siglo XIV. In: Barros (Hg.): Xudeus e Conversos na Historia. Bd. 2: Sociedade e Inquisición, S. 27‑46; José M. Monsalvo Antón: Teoría y evolución de un conflicto social. El antisemitismo en la corona de Castilla en la Baja Edad Media, Madrid 1985. Vgl. Roth: Conversos, S. 20; Michael North: Europa expandiert. 1250-1500, Stuttgart 2007, S. 75‑76; Joseph F. O’Callaghan: The Last Crusade in the West. Castille and the Conquest of Granada, Philadelphia 2014, S. 1‑12; Maria J. P. Ferro Tavares: Os Judeus em Portugal no século XV, Lissabon 1982, S. 499f. Vgl. u.a. Pedro Santonja Hernández: La disputa de Tortosa. Jerónimo de Santa Fe y san Vicente Ferrer. In: Helmántica 63 (2012), S. 133-152; Sina Rauschenbach: Josef Albo (um 1380-1444). Jüdische Philosophie und christliche Kontroverstheologie in der frühen Neuzeit, Leiden 2002, S. 11‑65; Pedro Cátedra: Fray Vicente Ferrer y la predicación antijudía en la campaña castellana (1411‑1412). In: Battesti Pelegrin (Hg.): »Qu’un sang impur...«, S. 19‑46; Ram Ben-Shalom: Between Official and Private Dispute. The Case of Christian Spain and Provence in the Late Middle Ages. In: AJS Review 27 (2003), S. 23‑71; Ursula Ragacs: Reconstructing Medieval Jewish-Christian Disputations. In: Szpiech (Hg.): Medieval Exegesis and Religious Difference, S. 101‑112. Vgl. Roth: Conversos, S. 49; Luis Suárez Fernández: Castilla, el cisma y la crisis conciliar (1378-1440), Madrid 1960, S. 43‑46.

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Eine andere bedrohliche Seite des religiösen Eifers zeigte sich in den Aus­ brüchen offener Gewalt, die sich gegen die städtischen Judenviertel (aljamas) richteten. Nach dem frühen Tod Johanns I. von Kastilien und der Krönung des erst elfjährigen Heinrichs III. »des Kränklichen« (el doliente) war die königliche Zentralgewalt und mithin die wichtigste Schutzmacht der kastilischen Juden auf einem Tiefpunkt angelangt. Während der größten Welle von Ausschrei­ tungen, die im Sommer 1391 ihren Ausgang in Sevilla nahm, kamen wahr­ scheinlich Tausende ums Leben oder wurden zur Taufe gezwungen. Auch das benachbarte Aragon wurde von den Pogromen erfasst, die über ein Jahr hin­ weg immer wieder aufflammten.12 Berichte von Wundern, die unter anderem in Valencia während der Gewalttaten beobachtet wurden, sprechen für den religiösen Fanatismus, von dem die Übergriffe mancherorts getragen wurden.13 In vielen Fällen waren Geistliche und Mendikanten direkt an den Unruhen beteiligt, indem sie die Menge aufwiegelten.14 Unter diesem Druck von Missionskampagnen, repressiver Legislation und gewaltsamen Übergriffen konvertierten immer mehr spanische Juden zum Christentum. Der Glaubenswechsel vieler Rabbinen und Gelehrter verstärkte diese Dynamik zusätzlich, da er die jüdischen Gemeinden nicht nur der spiritu­ ellen Führung beraubte, sondern manche von ihnen darüber hinaus aktiv die Bekehrung ihrer ehemaligen Glaubensgenossen betrieben. In diesem Zusam­ menhang wird in der Forschung auch die Evidenz einer allgemeinen kulturel­ len und religiösen Krise des spanischen Judentums im 14. und 15. Jahrhundert diskutiert.15 In der ersten Hälfte des 15. Jahrhunderts nach den großen Massenkonversio­ nen sind Zeugnisse einer Auseinandersetzung über den Status der Neuchristen noch bemerkenswert selten. Einen relativ frühen Hinweis auf die Notwendig­ keit einer ausdrücklichen Regelung zur Gleichstellung von Konvertiten und Altchristen geben immerhin die Akten des Basler Konzils. So bezieht sich das Dekret über die Juden und die Neugetauften wohl in erster Linie auf die 12

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Vgl. Ram Ben-Shalom: Conflict between Jews and Converts in Aragon Following the Persecuti­ on of 1391 New Testimonies from the Formulary of Yom Tov Ben Hannah of Montalbán. In: Sefarad 73 (2013), S. 99‑101. Wolff: The 1391 Pogrom, S. 9f. und S. 16. Ben-Shalom: Conflict, S. 99, Wollf: The 1391 Pogrom, S. 8 Sadik: The political difference, S. 186‑196; Eleazer Gutwirth: Hacia la expulsión: 1391-1492. In: Elie Kedourie (Hg.): Los judíos de España. La diáspora sefardí desde 1492, Barcelona 1992; S. 47-72; Marc Saperstein: The Quality of Rabbinic Leadership in the Generation of Expulsion. In: Anuario de estudios medievales 42 (2012), S. 95‑118; Contreras: Judíos, judaizantes, S. 458‑460; Javier Castaño: Von der Grenze zu Sepharad bis zur Vertreibung. Die Juden unter der kastilischen Krone vom 11. bis zum 15. Jahrhundert. In: Alfred Haverkamp u.a. (Hgg.): Europas Juden im Mittelalter, Speyer 2004, S. 50‑55; Eleazer Gutwirth: Con­ versions to Christianity Amongst Fifteenth-Century Spanish Jews: An Alternative Explanation. In: Daniel Carpi (Hg.): Shlomo Simonsohn Jubilee Volume: Studies on the History of the Jews in the Middle Ages and Renaissance Period, Tel Aviv 1993, S. 97-121; Mark D. Meyerson: A Jewish Renaissance in Fifteenth-Century Spain, Princeton 2004. S. 22‑63.

Situation in den iberischen Reichen und ist vermutlich teilweise einer Bulle des zuvor lange von Kastilien und Aragon gestützten Gegenpapstes Benedikt XIII. nachgebildet,16 wenn es bezüglich der Konvertiten festhält: »Weil sie durch die Gnade der Taufe Mitbürger der Heiligen und Hausgenossen Gottes werden und es bei weitem würdiger ist, im Geist wiedergeboren als im Fleisch geboren zu werden, beschließen wir mit diesem Gesetzeserlass: Sie genießen die Privilegien, Freiheiten und Immunitäten der Städte und Orte, wo sie durch die heilige Taufe wie­ dergeboren werden, die den anderen nur durch Geburt und Herkunft zukommen.«17

Ein entsprechender Regelungsbedarf dürfte jedenfalls zu diesem Zeitpunkt in den übrigen Konzilsnationen in eher geringerem Maße geherrscht haben; Zu­ mindest hatten Ausweisungen und Verfolgungen wie in England (1290), Frank­ reich (1394) und Österreich (1421) nirgends sonst zu einer größeren Zahl von Konversionen geführt.18 Allenfalls im Königreich Neapel lässt sich im Spätmit­ telalter eine der Iberischen Halbinsel vergleichbare Problemlage erkennen.19 Trotz des Basler Dekrets waren Conversos in Kastilien und Aragon offenbar immer wieder vereinzelter Diskriminierung auf lokaler Ebene ausgesetzt, so dass sich Papst Eugen IV. 1437 veranlasst sah, erneut eine Bulle zu ihrem Schutz zu erlassen.20

2.1 Die Rebellion von Toledo Die wichtigste zeitliche Zäsur in der Kontroverse um die iberischen Neuchris­ ten war jedoch der Aufstand in der Stadt Toledo im Jahr 1449. Lassen sich im Zeitraum davor bereits allmählich wachsende Ressentiments vor allem gegen­ über den sozial bessergestellten Conversos beobachten, so trat diese Feindschaft

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Vgl. Gilly: Spanien, S. 42‑44. Et quoniam per gratiam baptismi cives sanctorum et domestici die efficiuntur, longeque dignius sit regenerari spiritu, quam nasci carne, hac edictali lege statuimus, ut civitatum et locorum, in quibus sacro baptismate regenerantur, privilegiis, libertatibus et immu­ nitatibus gaudeant, quae ratione duntaxat nativitatis et originis alii consequuntur. – Decretum de Iudaeis et neophytis, ed. Josef Wohlmuth: Dekrete der ökumenischen Konzilien, Paderborn 2000, S. 484. Vgl. Gerd Mentgen: Die Vertreibungen der Juden aus England und Frankreich im Mittelalter. In: Aschkenas. Zeitschrift für Geschichte und Kultur der Juden 7 (1997), S. 11‑54; Robin R. Mundill: The King’s Jews. Money, Massacre and Exodus in Medieval England, London 2010, S. 145‑166; Béatrice Leroy: Les Édits d’Expulsion des Juifs. 1394 – 1492 – 1496 – 1501, Biarritz 1998, S. 11‑26; Kurt Schubert: Die Wiener Gesera und der Freitod der Wiener Juden zu »Heiligung Gottes«. In: Birgit E. Klein und Christiane E. Müller (Hgg.): Memoria – Wege jüdischen Erinnerns: Festschrift für Michael Brocke zum 65. Geburtstag, Berlin 2005, S. 541‑552. Vgl. Scheller: Stadt der Neuchristen, S. 11-30. Vgl. Shlomo Simonsohn: The Apostolic See and the Jews: Documents, 1394-1464, Toronto 1989, S. 845‑847; Erika Tritle: Anti-Judaism, S. 183‑184; Henry Kamen: The Spanish Inquisi­ tion. An Historical Revision, London 31997 (1. Auflage 1965), S. 231‑232.

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nun unverhohlen zutage und entzündete in der Folge auch auf literarischer Ebene eine heftige Auseinandersetzung. Der Hergang der Ereignisse ist durch einige zeitgenössische Quellen doku­ mentiert, darunter mehrere Chroniken, die aus leicht verschiedenen Perspekti­ ven, jedoch relativ übereinstimmend über die Rebellion in Toledo und die nachfolgenden Entwicklungen berichten.21 So herrscht auch in der Forschung über den Ablauf der Ereignisse bislang weitgehende Einigkeit.22 Am 27. Januar 1449 fiel in Toledo eine bewaffnete Menge, aufgewiegelt von zwei Mitgliedern des Domkapitels, über den obersten königlichen Steuereinnehmer Alonso Cota und andere wohlhabende Conversos her. Obwohl es einigen der Angegriffenen gelang, eine bewaffnete Verteidigung zu organisieren, wurden viele erschlagen und ihre Leichen auf dem Marktplatz aufgehängt. Eine Junta unter der Füh­ rung des Festungskommandanten (alcaide del alcázar) Pero Sarmiento erklärte sich in offener Rebellion gegen Álvaro de Luna, den königlichen Marschall (condestable) und obersten Minister. Unmittelbarer Auslöser der Empörung war eine Sonderabgabe, die dieser der Stadt abverlangt hatte, um die anhaltenden Kriege gegen rebellische Adelige, gegen das benachbarte Aragon und gegen das maurische Granada finanzieren zu können. Da unter den königlichen Beamten und Steuerpächtern viele Neu­ christen waren, wurde eine ursprünglich gegen die Sondersteuer gerichtete Em­ pörung zum Anlass oder Vorwand allgemeiner Ausschreitungen gegen Chris­ ten jüdischer Abstammung. Die Tatsache, dass theologisch geschulte Agitato­ ren bereitstanden, um den Volkszorn in die entsprechende Richtung zu lenken, spricht jedenfalls dafür, dass hier nicht zufällig ein seit Längerem schwelender Konflikt ausbrach. Unter diesen Predigern war womöglich auch bereits jener Bakkalaureus Marcos García de Mora, der im späteren Verlauf des Konflikts die Position der Aufständischen in einer apologetischen Schrift vertrat.23 Sehr wahrscheinlich erhoben sich bereits in dieser unübersichtlichen Situation erste Stimmen zugunsten der Conversos und versuchten, ihren Einfluss beim König geltend zu machen. Eine frühe Intervention des Bischofs von Burgos etwa ist in dessen späterem Traktat Defensorium unitatis christianae erwähnt: »Kürzlich hatte ich Eurer königlichen Hoheit, o mächtigster Fürst, einige Dinge in Eurer spanischen Sprache geschrieben, die sich mir damals aufdrängten, um jene zu ermahnen und auf den rechten Weg zurückzuführen, […] die irgendein Leiden des

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Vgl. Netanyahu: Origins, S. 628‑660; Amran: Judíos y conversos en las crónicas, S. 261‑266. Vgl. u.a. Roth: Conversos, S. 89‑92; Cantera Burgos: Álvar García S. 423-427; Netanyahu: Origins, S. 296‑384. Marcos de Mora erscheint in den Quellen auch als Marcos García de Mazarambroz oder als Marquillos. Kommentar und Edition des Memorial bei Benito Ruano: El memorial, sowie unter dem Titel »Apelaçion y suplicaçion« bei González Rolán und Saquero SuárezSomonte: De la sentencia-estatuto, S. 193‑241.

Geistes […] zu der Meinung veranlasste, […] die Einheit der katholischen Kirche […] angreifen zu können.«24

Johann II. stand zunächst fest auf der Seite seines Marschalls Álvaro de Luna und rief die Toledaner persönlich zum Gehorsam auf. Diese jedoch verschlos­ sen nicht nur die Tore vor ihrem König, sondern nahmen auch sein Feldlager unter Beschuss. Zu seiner Rechtfertigung ließ Pero Sarmiento dem König im Namen der Bürger von Toledo und anderer Städte des Reiches eine Petition (suplicación y requerimiento) übermitteln.25 Das heute nur noch indirekt aus historiographischen Quellen bekannte Schreiben richtete sich in erster Linie ge­ gen den Einfluss Álvaros und verlangte von Johann II., die Belagerung der Stadt aufzuheben und sich von seinem Favoriten loszusagen. Doch auch die Frage der Neuchristen ziehen die Rebellen ganz bewusst in die Auseinandersetzung hinein, indem sie eine angebliche Verschwörung zwischen ihnen und Álvaro de Luna zum Schaden des Königreichs und besonders der Altchristen behaup­ ten; Das Schreiben, wie Lope de Barrientos es in seiner Chronik wiedergibt, versichert darüber hinaus: »[…] Es ist bekannt, dass der besagte Herr Álvaro de Luna, Euer Marschall, die Conver­ sos jüdischer Abstammung in Euren Gütern und Reichen öffentlich verteidigt und willkommen geheißen hat und sie noch verteidigt und willkommen heißt, die zum größten Teil dafür befunden werden, dass sie Ungläubige und Häretiker sind, und dass sie judaisiert haben und noch judaisieren, und dass die meisten von ihnen die Riten und Bräuche der Juden eingehalten haben und noch einhalten […].«26

Anfang Juni 1449 stellte die regierende Junta den Konflikt abermals bewusst und öffentlich in Zusammenhang mit den Neuchristen. Einige Mitglieder des Domkapitels inszenierten offenbar ohne Zustimmung des Erzbischofs ein pseu­ do-inquisitorisches Verfahren (pesquisa), in dem mehrere ansässige Conversos als Judaisierer angeklagt und verurteilt wurden. Die Verurteilungen wiederum lieferten den vorgeblichen Grund dafür, nun per Gesetz alle Christen mit jüdischen Vorfahren von städtischen Ämtern und Rechten auszuschließen.27 In der als Sentencia-Estatuto bekannten Proklamation heißt es: 24

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Scripseram pridie vestre regie magestati, potentissime princeps, paucula quedam sub vestro yspano ydiomate que michi tunc occurrebant ad exortationem reductionemque illorum [...] quos animi passio [...] in eam prorumpere fecit [...] oppinionem [...] que unitatem ecclesie catholice [...] offendere posset. – Defensorium, Prolog, ed. Alonso, S. 61. Vgl. Suplicación y requerimiento – Text bei González Rolan/Saquero Suárez-Somonte: De la Sentencia-Estatuto, S. 2‑12. […] es notorio que el dicho don Álvaro de Luna, vuestro condestable, públicamente á defendido e rreçebtado e defiende e rreçebta a los conversos de linaje de los judíos de vuestros señoríos e rreynos, los quales por la mayor parte son fallados ser ynfieles e herejes, e han judayzado e judayzan, e han guardado e guardan los más dellos los rritos e ceremonias de los judíos […]. – Crónica del halconero, 376, ed. de Mata Carriazo, S. 523. Sentencia-estatuto de Toledo – Text in Alonso: Defensorium (Anhang III), S. 357‑370; Text und Kommentar bei Benito Ruano: Sentencia-Estatuto, S. 39‑82 sowie bei Gonzalez Rolán/ Saquero Suárez-Somonte: De la Sentencia-Estatuto, S. 13‑31.

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»Da dies aufgrund des kanonischen wie des zivilen Rechtes offenkundig ist, verkün­ den und erklären wir: Da sie verdächtig im Glauben an unseren Herrn und Erlöser Jesus Christus sind, den sie häufig und leichtfertig ausspeien, indem sie judaisieren, dürfen die Konvertiten jüdischer Abstammung keine öffentlichen oder privaten Ämter oder Privilegien haben, durch die sie den rechtmäßigen Altchristen Beleidigungen, Beschwernisse oder Misshandlungen zufügen könnten, und können auch nicht gegen sie als Zeugen aufgerufen werden.«28

Trotz seiner Kürze ist das Sentencia-Estatuto ein Dokument, das den Diskurs um die spanischen Neuchristen nicht nur angestoßen, sondern auch langfristig beeinflusst hat. Zum einen bot es den Verteidigern der Neuchristen einen der wenigen direkten Angriffspunkte gerade angesichts der relativen Seltenheit von Texten des 15. Jahrhunderts, die eine Diskriminierung von Konvertiten begrün­ den; zum anderen wirkte es weiter als historisches Vorbild für die erst viele Jahrzehnte später in ganz Spanien verbreiteten »Statuten der Blutreinheit«. Von tiefer gehenden theologischen Betrachtungen kann zu diesem Zeit­ punkt allerdings noch keine Rede sein. Stattdessen berufen sich die Aufstän­ dischen allerdings auf ein königliches Privileg, das der Stadt Toledo gewährt worden sei und genau den geforderten Vorbehalt gegenüber Neuchristen be­ inhalte. Möglicherweise ist hier das von Alfons VII. 1118 gewährte Stadtrecht (fuero) gemeint, das allerdings nur von Neubekehrten spricht, nicht von de­ ren Nachfahren. Da das Statut von 1449 nicht präzisiert, welcher Herrscher gemeint ist, und auch sonst keine Hinweise auf ein gesondertes Privileg existie­ ren, ist es allerdings auch möglich, dass es sich um eine reine Erfindung des altchristlichen Patriziats handelt.29 Als weiteren Grund für ihren Beschluss führen die Aufständischen an, Juden hätten einst bei der Einnahme der Stadt durch die muslimischen Eroberer (mo­ ros) Verrat begangen. Die Neuchristen als deren Nachfahren seien daher eben­ falls potenziell des Verrats verdächtig und arbeiteten gemeinsam mit Álvaro de Luna am Untergang der Stadt. Darüber hinaus erhebt das Sentencia-estatuto recht unspezifische Anklagen wirtschaftlicher und finanzieller Art gegen »[…] die besagten Konvertiten, die von den Juden abstammen, die durch große Listig­ keit und Betrügerei dem König, unserem Herren, von seinen Einkommen, Steuern und Zöllen unzählbar große Mengen an Münzen und Silber genommen, fortgetragen

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[...] pronunciamos y declaramos que por quanto es notorio por derecho así canonico como civil, que los conversos del linage de los judios, por ser sospechosos en la fe de nuestro Señor y Salvador Jesuchristo, en la cual frecuentemente bomitan de ligero judaizando, no pueden haber oficios ni beneficios publicos ni privados tales por donde puedan facer injurias, agravios e malos tratamientos a los christianos viejos lindos, ni pueden valer por testigos contra ellos […]. – Sentencia-estatuto, ed. Alonso, S. 359‑360. Ausführliche Diskussion bei Benzion Netanyahu: Did the Toledans in 1449 Rely on a Real Royal Privilege? In: ders.: Toward the Inquisition. Essays on Jewish and Converso History in Late Medieval Spain, Ithaca 1997, S. 76‑98; sowie u.a. bei Benito Ruano: Sentencia-Estatuto, S. 44‑45 und Roth: Conversos, S. 90‑91.

und geraubt haben, und viele edle Damen, Ritter und Edelmänner zugrunde gerichtet oder zu verderben gesucht haben […]«30

Um sich politisch nicht völlig zu isolieren, stellten Pero Sarmiento und seine Verbündeten Toledo unter den Schutz des Kronprinzen Heinrich. Doch noch bevor dieser sich im November des Jahres mit seinem Vater verständigte und Toledo dem königlichen Gericht auslieferte, verfassten mehrere Gelehrte be­ reits die ersten Schriften, die den Anfang des literarischen Diskurs um die iberi­ schen Neuchristen bildeten. Angesichts der kurzen Zeit, in der sie theologisch und juristisch zum Teil sehr profunde Stellungnahmen verfassten, lässt sich vermuten, dass sie die zugrundeliegenden Fragen schon längere Zeit erwogen und womöglich sogar untereinander diskutiert hatten. Die Rebellion Toledos und die darin offen dokumentierte Feindschaft gegenüber den Neuchristen war bei aller Dramatik doch letzten Endes lediglich der Auslöser für eine seit Langem fällige argumentative Auseinandersetzung. 2.1.1 Der Prediger von Valladolid Die vermutlich früheste heute noch erhaltene Entgegnung auf die Entrechtung der Conversos in Toledo ist die in einer einzigen Handschrift überlieferte Pre­ digt Sermo in die beati Augustini aus dem Umfeld des königlichen Hofes.31 Die Datierung auf den Gedenktag des Kirchenvaters Augustinus von Hippo lässt auf den 28. August schließen. Theoretisch denkbar ist zwar, dass der Gedenktag der Bekehrung des Kirchenvaters gemeint ist, der je nach lokalem Brauch am 24. April, 5. Mai oder 17. Mai gefeiert werden konnte. Die explizite Nennung des Marquillos als Urheber mehrerer häretischer Lehren legt jedoch einen relativ begrenzten Zeitraum nahe. Da dieser frühestens als Mitarbeiter am Sen­ tencia-Estatuto in Erscheinung trat und im November 1449 bereits auf Befehl Prinz Heinrichs hingerichtet wurde, wurde die Predigt höchstwahrscheinlich im August 1449 verfasst. Anonym ist die Predigt nicht in dem Sinne, dass ihre Urheberschaft zu ihrer Zeit verborgen geblieben wäre, sondern lediglich dadurch, dass sie heute nicht mehr zugeordnet werden kann. Als Autor wurden in der Forschung sowohl Juan de Torquemada als auch Francisco de Toledo, der spätere Bischof von

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[...] los dichos conversos descendientes de los judios, los quales por las grandes astucias e engaños han tomado, e llevado e robado grandes e innumerables quantias de maravedis e plata del rey nuestro señor e de sus rentas e pechos e derechos, e han destruido e echado a perder muchas nobles dueñas, caballeros e hijos dalgo […] – Sentencia contra los conversos, ed. Alonso, S. 361. »Predigt am Tag des heiligen Augustinus« – Edition und Kommentar bei Joaquín Bláquez Hernández: Sermón anónimo pro judíos conversos (siglo XV). In: Revista Española de Teología 34 (1974), S. 259‑273 sowie bei González Rolán: De la Sentencia-Estatuto, S. 35‑56.

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Coria, vermutet.32 Dass die überlieferte Handschrift den Namen des Verfassers nicht vermerkt, deutet allerdings eher darauf hin, dass es sich um keinen ausge­ sprochen berühmten Kirchenmann handelte. Der Text selbst lässt kaum Rück­ schlüsse auf die Identität des Autors zu, und auch eine besondere Nähe zu einem der im folgenden betrachteten Werke lässt sich nicht feststellen. Thematisch stellt die Predigt die »Einheit des Geistes« und das »Band des Friedens« ins Zentrum, das im neutestamentlichen Brief an die Epheser (Eph 4, 3) angerufen wird. Auch wenn der Text tendenziell eher moralische und seelsorgerische Appelle an das Gewissen des Einzelnen richtet, ist hier bereits das Thema der Einheit des Reiches und der Christenheit stark im Vordergrund. Die damit verbundene Klassifizierung der Rebellen als Schismatiker und Häre­ tiker sollte auch im weiteren Verlauf des Diskurses eine der vorherrschenden diskursiven Aussagen bleiben. 2.1.2 Fernán Díaz de Toledo Eines der ersten überlieferten Zeugnisse, das den Namen seines Verfassers nennt, stammt von Fernán Díaz de Toledo (?-1457), der König Johann II. als persönlicher Mitarbeiter (secretario) und führendes Mitglied des Königlichen Rates (relator del consejo real) diente.33 Über seinen biographischen Hintergrund vor dieser Tätigkeit ist wenig bekannt. Anscheinend stammte er aus eher ein­ fachen Verhältnissen und gehörte zu einer Familie, der in seiner Generation unter Johann II. von Kastilien ein erheblicher sozialer Aufstieg gelang. Er selbst erwarb 1424 den Doktorgrad des Kanonischen Rechts nach dem Studium in Valladolid und Lérida, während sein Cousin gleichen Namens Fernando Díaz de Toledo (1380-1452) in Salamanca Medizin studierte und zum Arzt am kö­ niglichen Hof aufstieg.34 Seine Familienverhältnisse sind insgesamt nicht ganz einfach zu rekonstruieren, doch spricht einiges dafür, dass er der Onkel des bereits erwähnten Humanisten Pedro Díaz de Toledo war, sowie der Vater des späteren Bischofs von Malaga Pedro Díaz de Toledo y Ovalle.35 Aus den

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Vgl. Carlos del Valle Rodríguez: Tratado contra los madianitas e ismaelitas de Juan de Tor­ quemada (contra la discriminación conversa), Madrid 2002, S. 67‑68 bzw. González Rolán/ Saquero Suárez-Somonte: De la sentencia-estatuto, S. 33. Vgl. José L. Bermejo Cabrero: Los primeros secretarios de los reyes. In: Anuario de historia del derecho español 49 (1979), S. 190‑198. Zur Funktion des relator im Königlichen Rat Kastiliens in dieser Epoche vgl. außerdem Salustiano de Dios: El consejo real de Castilla (1385-1522), Madrid 1982 v.a. S. 327‑331 und Santiago González Sánchez: El Consejo Real de Castilla durante la minoría de Juan II. In: En la España Medieval 34 (2011), S. 181‑214. Vgl. Bermejo: Secretarios, S. 190; Vicente Beltrán de Heredia: Cartulario de la universidad de Salamanca (1218-1600), Salamanca 1970, S. 529‑537. Vgl. María J. Sanz Fuentes: El testamento de Fernán Díaz de Toledo, El Relator (1455). In: Historia, Instituciones, Documentos 41 (2014), S. 381‑406; José L. Herrero Prado: Pero Díaz de Toledo, señor de Olmedilla. In: Revista de literatura medieval 10 (1998), S. 101-116.

Chroniken der Regierungszeit vor allem Johanns II. geht immer wieder hervor, dass er von Seiten des Königs hohes Ansehen und großes Vertrauen genoss.36 Vermutlich im direkten Auftrag König Johanns II. verfasste Fernán Díaz eine Art Denkschrift – von späteren Kopisten als Instrucción del relator bezeichnet – für Lope Barrientos, den Bischof von Cuenca, der Prinz Heinrich nach Toledo begleitete.37 Es liegt nahe, dass der Inhalt des Textes auch für den Kronprinzen bestimmt war, der sich nach seiner vorübergehenden Allianz mit den Rebellen dann auch tatsächlich wieder von ihnen distanzierte. Ob beabsichtigt oder nicht, erfuhr der Text wohl auch eine weitere Verbreitung, so dass sich Mar­ cos García, der Apologet der Rebellen, in seiner Gegenschrift mehrfach auf seinen Inhalt beziehen konnte. Mit ihm verband Fernán wohl eine ganz eigene Rivalität, die schon vor dem Konflikt von 1449 bestand – beide attackieren ein­ ander in ihren jeweiligen Streitschriften namentlich mit diversen persönlichen Schmähungen. Da er selbst aus Toledo stammte, hatte Fernán wahrscheinlich nicht nur gute Verbindungen in die aufständische Stadt, sondern war womög­ lich auch einigen der Leidtragenden des Aufstandes persönlich verbunden. So mahnt er am Ende seiner Schrift auch ausdrücklich, dass eine Versöhnung mit den Rebellen erst nach der Erstattung der geraubten Vermögen möglich sei. Das Hauptthema der Instruccíon ist die Entrechtung der Conversos durch die Junta von Toledo, die der Autor als Häresie und Auflehnung gegen das geltende Recht denunziert. Neben theologischen Argumenten macht er dabei auch geltend, dass viele der vornehmen Häuser des Königreiches jüdische Vor­ fahren aufwiesen. Dies zusammen mit der Beobachtung, dass bereits unter den westgotischen Königen zahlreiche Juden getauft wurden, deren genealogische Spuren längst verwischt seien, führt den Relator zu der Schlussfolgerung, dass ohnehin niemand mit letzter Sicherheit behaupten könne, wer genau zu seinen Vorfahren zähle: »Und ganz abgesehen von den lange vergangenen Zeiten, in denen man nicht mehr weiß, woher jeder Einzelne stammt – wenn man einmal nachforschte, würde man fest­ stellen, dass alle Stände, beim einen weiter entfernt, beim anderen näher, miteinander in dieser Linie vermischt sind.«38

Gerade diese Ausführungen samt der namentlichen Nennung einer ganzen Reihe von angesehenen Familien illustrieren rückblickend den drastischen Wandel, den die iberischen Gesellschaften innerhalb eines halben Jahrhunderts 36 37

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Vgl. Bermejo: Secretarios, S. 192. Fernán Díaz de Toledo: Instrucción del relator. Text in González Rolán/Saquero SuárezSomonte: De la sentencia-estatuto, S. 93‑120 sowie in Alonso: Defensorium (Anhang II), S. 343-356; Vgl. außerdem Round: Politics, Style and Group Attitudes; Suárez Fernández: La difamación, S. 96‑97. E aún dexando la antigüedad, que no se sabe de dónde desçiende cada uno; mas si bien se escrudiñara, se fallarse-ía que todos los estados, quier de más lueñe, quier los otros de más çerca, todos estan rebueltos unos con otros en este linage. – Instrucción, ed. González Rolán/Saquero Suárez-Somonte, S. 118.

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durchmachen würde. Während ein Autor wie Fernán Díaz Mitte des 15. Jahr­ hunderts noch relativ unbefangen und wie selbstverständlich auf die (entfern­ ten) jüdischen Vorfahren vornehmer Familien verweisen konnte, wäre eine sol­ che Äußerung bereits Anfang des 16. Jahrhunderts nicht mehr möglich gewe­ sen, ohne einen Skandal provozieren.39 Auf der Basis dieser Instrucción verfasste Lope de Barrientos wiederum eine eigene Schrift, auf die weiter unten noch einzugehen sein wird. 2.1.3 Alonso Díaz de Montalvo Ein vorrangig rechtswissenschaftliches Gutachten über das Sentencia-Estatuto erstellte Alonso Díaz de Montalvo (1405-1499). Ebenso wie sein Vater, der aus dem niederen Adel (hidalguía) stammte, war Alonso Díaz Jurist, zählte als Gelehrter des kanonischen und zivilen Rechts (in denen er im Laufe seiner Kar­ riere jeweils den Doktorgrad erwarb) zu den hervorragenden Rechtskundigen seiner Zeit und hatte unter Johann II. und Heinrich IV. verschiedene hochran­ gige Ämter inne. Als Herausgeber und Kommentator zahlreicher Rechtssamm­ lungen Kastiliens und als Verfasser je eines Wörterbuchs zum kanonischen und zum zivilen Recht hielt sein Einfluss noch weit über das 15. Jahrhundert hinaus an.40 Den ursprünglichen Text des Tractatus quidam levis, quem de mandato Illus­ trissimi Domini nostri Regis Ioannis II. super factis Toleti contingentibus invalide compilavi fertigte Alonso Díaz dem Incipit nach im Auftrag König Johanns II. anlässlich der Ereignisse in Toledo an.41 Zwar lässt diese zeitliche Einordnung nicht über jeden Zweifel hinaus auf den Aufstand und das Sentencia-Estatuto von 1449 schließen, doch erscheint dieser Bezug bei weitem am plausibels­ ten, zumal die alternativ vorgeschlagenen Unruhen von 1473 bereits in die Regierungszeit Heinrichs IV. fallen.42 Da der Text (im Folgenden: Tractatus quidam levis) unter den diversen Verweisen auf die königliche und kirchliche Rechtsprechung die Bullen Nikolaus’ V. an keiner Stelle nennt, dürfte er wohl entstanden sein, während die Belagerung Toledos noch im Gange war und 39

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Vgl. u.a. François Soyer: Antisemitic Conspiracy Theories in the Early Modern Iberian World. Narratives of Fear and Hatred, Leiden 2019, S. 74‑75; Kaplan: The Inception, S. 38‑40; Monique Combescure Thiry und Miguel Ángel Motis Dolader: El libro verde de Aragón, Saragossa 2003. Vgl. Antonio Pérez Martín: El aparato de Glosas a las Siete Partidas de Alonso Díaz de Montalvo. In: Carthaginensia 31 (2015), S. 591-662; Roth: Conversos, S. 98; Robert A. MacDonald: Díaz de Montalvo, Alfonso. In: Gerli (Hg.): Medieval Iberia, S. 279‑280. »Gewisse unbedeutende Abhandlung, die ich auf Befehl unseres Herrn, des erlauchten Königs Johann II. über die betreffenden Ereignisse von Toledo unvermögend zusammen­ gestellt habe.« Auch: Glosa a la palabra tornadizo; oder: De la unidad de todos los fieles. Text bei Matilde Conde Salazar, Antonio Pérez Martín, Carlos del Valle Rodríguez: La causa conversa, Madrid 2008, S. 103‑145. Vgl. Conde Salazar: Causa conversa, S. 148; 191‑192.

bevor der Papst schließlich intervenierte. Womöglich lag dem Autor neben der Suplicación y requerimiento ein weiteres, heute verlorenes Memorandum der Re­ bellen vor, auf das sich Teile seiner eigenen Argumentation beziehen.43 Überliefert ist Alonsos Stellungnahme zur Converso-Frage als Glosse zu einer späteren kommentierten Ausgabe der Rechtssammlung Alfons’ X. (fuero real). Hier dient ihm die Aufführung der strafbaren Beleidigung tornadizo (etwa: Wendehals, Verräter, Abtrünniger) dazu, seinen Traktat über die Frage der rechtlichen Stellung der Neuchristen einzufügen.44 Auch wenn seine Ausfüh­ rungen der Form nach einen juristischen Charakter haben, erwägt Alonso doch recht ausführlich die theologische Dimension der Kontroverse und führt eine Reihe von Argumenten an, die er aus geistlichen und exegetischen Überlegun­ gen gewinnt. 2.1.4 Juan de Torquemada Der Fall der Rebellen von Toledo ging auf Nachsuchen König Johanns II. bis vor den Papst als oberste Instanz der Christenheit in Glaubensfragen. Eine Delegation des aufständischen Stadtrates von Toledo dagegen wurde gar nicht erst angehört – dafür hatte möglicherweise Juan de Torquemada (1388-1468) gesorgt.45 Als Kurienkardinal und päpstlicher Hoftheologe (magister sacri palatii apostolici) war er seit dem Pontifikat Eugens IV. (1431‑1447) der wohl einfluss­ reichste Spanier am Heiligen Stuhl.46 Aus Valladolid stammend, war Juan wahrscheinlich bereits in jungen Jahren in den Dominikanerorden eingetreten und hatte Theologie an der Universität von Salamanca studiert.47 Als Sekretär seines Priors Luis de Valladolid, dessen Nachfolger er später werden sollte, besuchte er das Konzil von Konstanz. Nach Lizenziat und Doktorat an der Universität von Paris nahm er auch am Konzil von Basel und später am Konzil von Ferrara und Florenz teil. Als herausragen­ der Theologe seiner Zeit war er dabei ebenso ein Verteidiger des Päpstlichen Primats in der ekklesiologischen Auseinandersetzung mit dem Konziliarismus wie Protagonist in den Unionsverhandlungen mit Griechen, Kopten und Ar­ meniern.48 Aufgrund seiner theologischen und kirchenpolitischen Verdienste 43 44 45 46 47

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Vgl. González Rolán: De la Sentencia-Estatuto, S. XXXVII. Vgl. Amran: El fuero real, S. 28; Conde Salazar: Causa conversa, S. 87‑88 und 147. Vgl. Benito Ruano: Sentencia-Estatuto, S. 53. Vgl. Vicente Beltrán de Heredia: Bulario de la universidad de Salamanca (1219-1549), Salamanca 1966, S. 130‑142. Vgl. ebd. sowie Juan J. Llamedo González: Juan de Torquemada: Apuntes sobre su vida, su obra y su pensamiento. In: del Valle Rodríguez: Tratado contra los madianitas e ismaelitas, S. 88. Vgl. ebd., S. 93‑97 sowie Ernst C. Suttner: Das Konzil von Ferrara/Florenz (1438/39) im Dienst der Kircheneinheit. In: Ostkirchliche Studien 68 (2019), S. 327-341; Ulrich Horst: Juan de Torquemada und Thomas de Vio Cajetan. Zwei Protagonisten der päpstlichen Gewal­

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ernannte Eugen IV. ihn zum Kardinal, so dass er auch am Konklave teilnahm, das dessen Nachfolger Nikolaus V. (1447-1455) wählte. Zweifellos spricht nicht zuletzt sein persönlicher Einfluss aus der Reaktion des Heiligen Stuhls auf die Krise in Toledo. Mit der Bulle Humani generis inimicus vom 24. September 1449 bestätigte Nikolaus V. die geltende Rechtslage und bekräftigte den Grundsatz, allen recht­ gläubigen Getauften ohne Ansehen ihrer Herkunft gleiches Recht und gleiche Würde zuzuerkennen.49 Pero Sarmiento und seine Anhänger verurteilte er in einem weiteren Schreiben Si ad reprimendas sowohl aufgrund ihrer Irrlehre in Bezug auf die jüdischstämmigen Christen, als auch wegen des Ungehorsams gegenüber ihrem rechtmäßigen König und verhängte über sie die Strafe der Exkommunikation. Eine dritte Bulle Nuper siquidem ad aures erklärte Urteile und Rechtssetzungen der mit den Rebellen verbündeten Kleriker von Toledo für nichtig. Auch wenn diese päpstliche Intervention stark dem politischen Moment geschuldet war, setzte sie einen wichtigen Präzedenzfall für die Ver­ teidigung der Conversos in den kommenden Jahrzehnten, auf den sich noch Alonso de Oropesa und García de Madrid Ende des Jahrhunderts im Streit um das conversofeindliche Statut des Hieronymitenordens beriefen.50 Im Gegenzug verfasste Marcos García eine programmatische Rechtfertigung (Memorial) der mutmaßlich von ihm selbst mitinitiierten Schauprozesse und diskriminierenden Legislation.51 Obwohl darin auch einige theoretische Erwä­ gungen enthalten sind, was den Status jüdischstämmiger Konvertiten im christ­ lichen Gemeinwesen generell angeht, handelt es ich doch größtenteils um eine eher kleinteilige und kasuistische Verteidigung angesichts der Vorwürfe, die gegen den Stadtrat von Toledo und gegen Marcos selbst erhoben wurden. So weist der Bakkalaureus auch den päpstlichen Urteilsspruch unter anderem aus formalen Gründen zurück, weil nur die Argumente der Gegenseite gehört wurden, nicht aber die der toledanischen Abordnung: »[…] wegen der Listigkeit des Kardinals von Sankt Sixtus [Juan de Torquemada] und wegen der Macht des starrköpfigen Don Álvaro de Luna verweigerte der Heilige Vater Nikolaus [V.] jede Audienz, verschloss die Ohren und wollte die heiligen Taten und

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tenfülle, Berlin 2012; Thomas M. Izbicki: Papalist reaction to the Council of Constance: Juan de Torquemada to the present. In: ders.: Friars and jurists. Selected Studies, Goldbach 1997, S. 81-94; Karl Binder: Konzilsgedanken bei Kardinal Juan de Torquemada O. P., Wien 1976. Papst Nikolaus V.: Humani generis inimicus. Auch z.T. zitiert als Percepimus quosdam – Text u.a. bei Simonsohn: Apostolic See 1394-1464, S. 935‑937. Vgl. Giordano: Apologetas, S. 93; Roth: Conversos, S. 233. »Denkschrift des Bakkalaureus Marcos García de Mora« – auch: »Berufungs- und Bitt­ schrift« (Apelación y suplicación). Text und Kommentar bei González Rolán/Saquero Suárez-Somonte: De la sentencia-estatuto, S. 193‑242 und bei Benito Ruano: El memorial del bachiller »Marquillos de Mazarambroz«. In: ders.: Los orígines, S. 93‑132.

Maßnahmen der besagten heiligen Stadt Toledo nicht hören und auch nicht ihren gerechten Beweggrund und Vorschlag […]«52

Die politische Pragmatik des Textes besteht unzweideutig darin, eine Aussöh­ nung mit Johann II. zu erreichen, indem er Álvaro de Luna und den Neuchris­ ten die Schuld für das Zerwürfnis zwischen König und Stadt gibt. In der Folge gewinnt diese zunächst wenig erfolgreiche Apologie des Bakkalaureus vor allem dadurch an Bedeutung, dass sie Marcos García noch mehr als ideolo­ gischen Kopf der Aufständischen ausweist. So legte auch der erwähnte Kardinal von Sankt Sixtus großen Wert darauf, in seinem Tractatus contra Madianitas et Ismaelitas adversarios et detractores filiorum qui de populo israelitico traxerunt Marcos García persönlich als Häresiarchen zu identifizieren, zu widerlegen und zu verurteilen.53 Bei der Erarbeitung des Traktats (im Folgenden: Contra Madianitas) stand ihm wahrscheinlich Francis­ co de Toledo zur Seite, der zuvor Dekan der Kathedrale von Toledo gewesen war und möglicherweise im Zuge der Ereignisse von dort hatte fliehen müssen. Es gibt Hinweise darauf, dass auch Francisco eine Schrift zur Verteidigung der Conversos verfasst hat, die womöglich Einfluss auf den Traktat des Kardinals zum selben Thema hatte – Dabei kann es sich um den bereits erwähnten Sermo in die beati Augustini handeln oder um einen weiteren Text, der nicht überliefert ist.54 Die Schrift Contra Madianitas ist von Anfang bis Ende eine scharfe Verur­ teilung der Rebellen von Toledo, und sämtliche theologischen Ausführungen haben im Wesentlichen das Ziel, ihre Position als im höchsten Maße häretisch zu denunzieren. Auf kanonistischer Ebene wiederum lässt Juan keinen Zweifel daran, dass die versuchten Rechtsakte der Aufständischen jeglicher Grundlage entbehrten. So seien insbesondere die Schauprozesse gegen die Conversos, selbst wenn sie unter einer legitimen Autorität geführt worden wären, allein aufgrund des mangelhaften Verfahrens nichtig: »Da keiner von ihnen überführt wurde, oder von sich aus geständig war, oder sich als hartnäckig in einem Irrtum erwiesen hat, können sie in Wahrheit nicht sagen, dass sie Häretiker wären. Nach Meinung weiser Theologen und Kanonisten ist es eine Sache, etwas anzunehmen, das ein Irrtum im Glauben ist, und eine andere Sache, ein 52

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[...] por la astuçia del Cardenal de San Sixto [...] e por la potençia del obstinado don Aluaro de Luna, el Santo Padre Nicolao, denegada toda abdiençia, çerro los oydos e no quiso oyr los santos echos y mouimientos de la dicha santa ciudad Toledo e su justo motiuo e propósito [...] – Memorial, ed. Benito Ruano, S. 107. »Abhandlung gegen die Midianiter und Ismaeliter, die Gegner und Verleumder der Söhne, die aus dem israelitischen Volk kommen« – Text bei Carlos del Valle Rodríguez: Tratado contra los madianitas e ismaelitas de Juan de Torquemada (contra la discriminación conversa), Madrid 2002, S. 125‑239 und bei Nicolás López Martínez, Vicente Proaño Gil: Juan de Torquemada, O.P., Tractatus contra madianitas et ismaelitas (Defensa de los judíos conversos), Burgos 1957, S. 41‑136. Vgl. Canabal: Conversos toledanos, S. 21‑22; Roth: Conversos, S. 92; González Rolán: De la Sentencia-Estatuto, S. XXXI‑XXXII.

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Häretiker zu sein […] Eine Häresie nennt man nämlich nicht einen bloßen Irrtum im Verstehen, sondern eine Verstocktheit im Willen.«55

Im Gegensatz zu anderen theologischen Schriften des Kardinals, die das Ergeb­ nis jahrelanger gelehrter Arbeit darstellen, musste er seine Stellungnahme zur Converso-Frage unter dem Druck der Ereignisse wohl relativ schnell fertigstel­ len.56 Die kategorische und verbal scharfe Verurteilung der Rebellen gehört jedenfalls zum rhetorischen Repertoire, das der ansonsten besonnene und di­ plomatische Dominikaner den seiner Ansicht nach ausgewiesenen Feinden des christlichen Glaubens vorbehält.57 Gelegenheit zu einer erneuten Erwiderung hatte Bakkalaureus Marcos García nicht mehr, denn die Allianz des Kronprinzen von Kastilien mit den Aufstän­ dischen hielt nicht an. Als Heinrich im November 1449 erfolglos versuchte, erneute Ausschreitungen gegen einige unter seinem Schutz zurückgekehrte Conversos zu verhindern, und überdies erfuhr, dass Marcos García und andere Kleriker planten, sich wieder dem König anzunähern, entledigte er sich der ehemaligen Verbündeten. Die aufsässigen Geistlichen ließ er aus der Kathedrale holen und einkerkern, Marcos wurde hingerichtet. Pero Sarmiento hingegen konnte aus der Stadt fliehen und überlebte so den Niedergang des Aufstandes. 2.1.5 Alonso de Cartagena Der an Umfang sowie an argumentativer Tiefe und Kohärenz stärkste Text in unmittelbarem Zusammenhang mit dem Aufstand Toledos stammt von Alonso de Cartagena (1385-1456). Sein Vater Pablo de Santa María war vor seiner Konversion zum Christentum um das Jahr 1390 als Salomon ha-Levi bekannt gewesen und stieg nach dem Theologiestudium in Paris unter der Protektion

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[...] cum nullus eorum convictus fuerit, aut sponte confessus, aut pertinax in aliquo errore repertus, non poterant dicere cum veritate quod essent heretici. Apud sapientes enim theologos et canonistas aliud est asserere aliquid quod sit error in fide, et aliud esse hereticum. [...] Heresis non solum dicit errorem in intellectu sed etiam in voluntate pertinatiam. – Contra Madianitas, 1, ed. López, S. 50. Vgl. Heribert Smolinsky: Successio apostolica im späten Mittelalter und im 16. Jahrhundert. In: Theodor Schneider und Gunther Wenz (Hgg.): Das kirchliche Amt in apostolischer Nachfolge, Freiburg 2004, S. 357‑375; Horst: Juan de Torquemada und Thomas de Vio Cajetan, S. 51‑110. Vgl. Llamedo González: Torquemada, S. 106-107; Reinhold F. Glei: Mit zweierlei Maß: Me­ thodische Grundzüge der Islampolemik bei Juan de Torquemada OP (1388–1468). in: Thomas Honegger u.a. (Hgg.): Gottes Werk und Adams Beitrag. Formen der Interaktion zwischen Mensch und Gott im Mittelalter, Berlin 2014; Ulli Roth: Die Bedeutung der Rationalität in der mittelalterlich-christlichen Auseinandersetzung mit dem Islam. In: Richard Heinzmann und Mualla Selcuk (Hgg.): Glaube und Vernunft in Christentum und Islam, Stuttgart 2017, S. 157‑227; Ildefonso Adeva: Juan de Torquemada y su »Tractatus contra principales errores perfidi Machometi et turcorum sive saracenorum(1459). In: Anuario de historia de la iglesia 16 (2007), S. 195‑208.

Benedikts XIII. zum Bischof erst von Cartagena und dann von Burgos auf.58 Zur selben Zeit gewann er Einfluss am königlichen Hof, wo er als Berater König Heinrichs III. diente, als Erzieher des späteren Johann II. sowie als kö­ niglicher Schatzmeister und Nachlassverwalter. Andere Verwandte Pablos, die zusammen mit ihm konvertierten, gelangten als Chronisten, Bischöfe, Dichter und königliche Beamte zu Ansehen und Einfluss.59 Alonso de Cartagena selbst studierte von 1399 bis etwa 1412 an der Univer­ sität von Salamanca kanonisches und ziviles Recht und wurde 1415 von Bene­ dikt XIII. zum Dekan der bedeutenden Diözese Compostela ernannt. Martin V. (1417-1431) ernannte ihn zum Dekan von Segovia, Nuntius der Kurie und Ge­ neralkollektor der Apostolischen Kammer für die Einkünfte aus zwölf Diöze­ sen. Bei Hof stieg er zum Mitglied des königlichen Gerichts (audiencia) und des Rates (consejo real) auf.60 Diplomatische Missionen im Auftrag der kastilischen Krone führten ihn unter anderem an den portugiesischen Hof, zu oppositionel­ len kastilischen Adligen und schließlich zum Konzil von Basel. Hier trat er zunächst im Rangstreit mit den Gesandten des Königs von England hervor.61 Vermutlich wirkte er auch maßgeblich am Dekret des Konzils über die Juden und Neugetauften mit, das später im Diskurs um die iberischen Neuchristen immer wieder zitiert werden sollte.62 1435 schließlich folgte Alonso seinem Va­ ter im Amt des Bischofs von Burgos nach.63 Sein umfangreiches Werk umfasst Schriften theologischen und kirchenrechtlichen Charakters, Übersetzungen an­ tiker lateinischer Klassiker, Predigten, eine Zusammenstellung von Gesetzen über die Ritterschaft, einen geschichtlichen Traktat, der die Abstammung der spanischen Könige von den Westgoten zum Thema hat, sowie Schriften zur Frömmigkeit.64 58

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Vgl. Luciano Serrano: Los conversos Don Pablo de Santa María y Don Alfonso de Cartagena, Obispos de Burgos, gobernantes, diplomáticos y escritores, Madrid 1942., S. 11‑26; Roth: Con­ versos, S. 136‑144; Fernández Gallardo: Alonso de Cartagena, S. 16‑23 und 29‑57; Mitre Fernández: Los judíos de Castilla, S. 86. Vgl. Cantera Burgos: Álvar García, S. 289-292; Roth: Conversos S. 148. Vgl. Fernández Gallardo: Alonso de Cartagena, S. 87; 109‑111. Vgl. Maria V. Echeverría Gaztelumendi: Edición crítica del discurso de Alfonso de Cartagena. Propositio super altercatione preminentia sedium inter oratores regum castellae et angliae incon­ cilio basiliense: versiones en latin y castellano, Madrid 1991; Fernández Gallardo: Alonso de Cartagena, S. 133‑160; Luis Parra García: Propositio super altercatione praeminentiae sedium inter oratores regum castellae et angliae in Concilio Basilensi o los argumentos de Alfonso de Cartagena por la preeminencia de España. In: Cuadernos de filología clásica: Estudios latinos 22 (2002), S. 463-478. Vgl. Wohlmuth: Dekrete, S. 484: Simonsohn: Judengesetzgebung, S. 39-40. Vgl. Fernández Gallardo: Alonso de Cartagena, S. 170f.; Serrano: Don Pablo, S. 106. Vgl. die Übersicht bei María Morrás: Repertorio de obras, MSS y documentos de Alfonso de Cartagena. In: Boletín Bibliográfico de la Asociación Hispánica de Literatura medieval 5 (1991), S. 213-248; Zusammenfassungen und Kommentare bei Cantera Burgos: Álvar García, S. 447‑464 und Serrano: Don Pablo, S. 237‑260; vgl. zum Rittertum Michael J. Skadden: The Doctrinal de caballeros of Alonso de Cartagena, Austin 1984 sowie Noel Fallows: Alonso de Cartagena and Chivalry, Ann Arbor 1991 und ders.: The Chivalric

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Einige Autoren Anfang des 20. Jahrhunderts sahen in Alonso de Cartagena einen antijüdischen Fanatiker.65 Diese Einschätzung kann sich jedoch allenfalls auf einzelne Passagen seines Werkes stützen, die zudem in ihrer Polemik nicht annähernd an die Tiraden eines Alonso de Espina heranreichen, und lässt das Gesamtbild seines komplexen und differenzierten Verhältnisses zum Juden­ tum außer acht. Gerade die Kontroverse um die iberischen Neuchristen gab Alonso den Anlass, den Glauben und die Tradition seiner Vorfahren durchaus positiv zu würdigen; wenn nicht als gleichwertigen Weg zum Heil, so doch als günstige Voraussetzung zur Annahme des Christentums – das vielleicht wohlwollendste Urteil, das ein vormoderner christlicher Theologe über eine andere Religion fällen konnte. An welchem Punkt der Auseinandersetzung mit den Aufständischen von Toledo Alonso de Cartagena sein Defensorium unitatis christianae vorlegte,66 lässt sich nicht eindeutig erschließen. Dem Text (im Folgenden: Defensorium) nach sind ihm die Verbrechen gegen die Neuchristen ebenso bekannt wie die Rebellion gegen den König sowie einige Argumente des Bakkalaureus Marcos García. Dagegen berücksichtigt er anscheinend nicht dessen Tod und fordert nachdrücklich den Papst auf, in der Sache zu intervenieren, was dieser dann ja auch tatsächlich tat; gleichwohl ist der Traktat auf das Jahr 1450, mithin nach diesen Ereignissen, datiert. Es liegt daher nahe, dass Alonso seine umfangreiche Abhandlung über mehrere Monate hinweg verfasste, während derer sich die Lage in Toledo immer wieder veränderte, und die Schlussredaktion erst Anfang 1450 vornahm. Dabei ordnete er die verschiedenen Teile des Defensorium wohl nicht in der Reihenfolge, in der sie ursprünglich entstanden waren, so dass sie jeweils einen etwas anderen Stand der Ereignisse widerspiegeln. Zwar wurde die Rebellion in Toledo schließlich beendet, die Lage der Neuchristen blieb jedoch trotzdem prekär, so dass der Bischof von Burgos keinen Grund hatte, seine Mahnungen zurückzunehmen oder abzumildern. Inhaltlich schlägt das Defensorium einen weiten Bogen, indem es buchstäb­ lich bei Adam und Eva (als Symbol der ursprünglichen Einheit des Menschen­ geschlechts) beginnt und mit einem ausführlichen Kommentar zur Krise in Toledo endet. Die einleitende Darstellung der Heilsgeschichte, an deren Höhe­ punkt Christus die getrennten Völker der Menschheit zum neuen Gottesvolk vereint, die nachfolgenden vier Erörterungen (theoremata), in denen die theolo­

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Vision of Alfonso de Cartagena: Study and Edition of the Doctrinal de los caualleros, Newark 1995; zum geschichtlichen Werk vgl. Yolanda Espinosa Fernández: La Anacephaleosis de Alonso de Cartagena, Madrid 1989 und Tate: Anacephaleosis; Schriften zur Frömmigkeit vgl. González-Quevedo: El »Oracional« de Alonso de Cartagena, Valencia 1983. Vgl. Valeriu Marcu: Die Vertreibung der Juden aus Spanien, München 1991 (Original: Amsterdam 1934), S. 42‑44; Simonsohn: Judengesetzgebung, S. 19 u. 49. »Verteidigung der christlichen Einheit« – Text bei Manuel Alonso: Don Alfonso de Car­ tagena, Defensorium Unitatis Christianae. Tratado en favor de los judíos conversos. Edición, prólogo y notas, Madrid 1943.

gisch zentralen Punkte der Converso-Frage systematisch abgehandelt werden, sowie die Schlussrede, die drastische Konsequenzen für jene fordert, die es wagen, die christliche Einheit zu gefährden, sind jeweils reich unterlegt mit biblischen Belegstellen und Verweisen auf das Kirchenrecht. Trotz der ausführlichen gelehrten Stellungnahme des Bischofs von Burgos und der verschiedenen prominenten Interventionen, die ihr vorausgegangen waren, hatten die Rebellen von Toledo (und die Feinde der Conversos allge­ mein) wenig zu fürchten. Bereits im Oktober 1450 suspendierte der Papst auf Bitten des Königs ihre Exkommunikation und auch Johann II. selbst amnestier­ te die Aufständischen einschließlich Pero Sarmiento, der wieder in sein Amt gesetzt wurde.67 Nur ein Jahr später erließ Nikolaus V. allerdings abermals eine Bulle, in der er das Prinzip der Gleichberechtigung der Konvertiten wie­ derholte sowie die christliche Pflicht, alle mit Liebe aufzunehmen, die sich zum wahren Glauben bekehrten. Das päpstliche Schreiben Considerantes ab intimis verweist auf die frühere Gesetzgebung der Könige von Kastilien und bestätigt: »Die neu zum Glauben an Christus Bekehrten, gleich aus welcher Sekte sie stammen, ob jüdischen oder sarazenischen oder heidnischen Ursprungs, sollen von den alten Christen mit viel Liebe aufgenommen und geehrt werden, so dass zwischen diesen neuen [Christen] oder neu zum Glauben an Christus Bekehrten und den alten Chris­ ten keine Spaltung entsteht hinsichtlich der Übernahme und Bekleidung von Ehren, Würden und kirchlichen oder weltlichen Ämtern, und damit darin kein Unterschied herrscht.«68

Trotz dieser kategorischen Bestimmungen mangelte es der Bulle in zwei subti­ len Punkten zu einer eindeutigen Stellungnahme in der Converso-Frage. Wenn sie von alten Christen spricht, lässt sich die Formulierung des Papstes so lesen, dass sie die Vorstellung eines ererbten Christentums im Kern anzuerkennen scheint – ein Fundament der altchristlichen Polemik und ein Konzept, das etwa Alonso de Cartagena ausdrücklich kritisierte. Zudem beschränkte Nikolaus V. seine Anweisungen auf Konvertiten im ursprünglichen Wortsinn. Über die Frage der Rechtgläubigkeit und Rechte der Kinder und Kindeskinder von Neu­ getauften, die Kastilien aktuell so bewegte, herrscht dagegen ein Schweigen, das rund vierzig bis sechzig Jahre nach den letzten massenhaften (Zwangs-)Bekeh­ rungen bemerkenswert unzeitgemäß wirkt.

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Vgl. Ricardo García Cárcel, Doris Moreno Martínez: Inquisición. Historia crítica, Madrid 2000, S. 29; Conde Salazar u.a.: La causa conversa, S. 90. […] de novo ad fidem Christi conversi de quacumque secta, sive Iudaeorum vel Sarra­ cenorum aut gentilium, originem duxissent, ab antiquis Christianis multa cum caritate susciperentur et honorarentur, quodque inter ipsos novos seu noviter ad fidem Christi conversos et antiquos christianos nulla in honoribus, dignitatibus et officiis ecclesiasticis vel saecularibus suscipiendis et habendis divisio fieret nullaque differentia haberetur […] – Considerantes ab intimis, ed. Simonsohn: Apostolic See 1394-1464, S. 979.

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2.2 Weitere Unruhen, weitere Traktate Die volatile Haltung des Papstes wie auch des kastilischen Königs, die mal den Beschwerden der Conversos recht gaben, mal den Unmut der Altchristen zu beschwichtigen suchten, trug dazu bei, die Position der Neuchristen nicht nur in Toledo weiter zu gefährden. Nur einen Monat nach seinem Schreiben zugunsten der Conversos ermächtigte Nikolaus V. mit der Bulle Inter curas multiplices die Diözesen Osma und Salamanca dazu, kraft päpstlicher Autorität Inquisitoren mit weitgehenden Befugnissen zu ernennen. Er erkannte damit den Argwohn der Altchristen als berechtigt an, dass es unter den Christen jüdischer und muslimischer Herkunft eine große Zahl heimlicher Apostaten gebe, und setzte ein deutliches Zeichen, dass Papst und König keineswegs uneingeschränkt auf der Seite der Conversos standen: »Es ist uns durch den Bericht unseres viel geliebten Sohnes in Christus Johann [II.], des erlauchten Königs von Kastilien und Leon, zu Ohren gekommen, dass es in den Reichen und Gebieten dieses Königs viele Laien und geistliche Personen gibt, sowohl Weltkleriker als auch Ordensleute verschiedener Regeln beiderlei Geschlechts, die sich zwar mit dem Mund als Christen bekennen, tatsächlich aber solches nur vorgeben und es wagen, die jüdischen und sarazenischen Bräuche einzuhalten.«69

Nach dieser Phase vergleichsweise hoher Aktivität mischte sich die römische Kurie für einige Jahrzehnte nur noch selten in die Frage nach der Behandlung der iberischen Neuchristen ein. Sowohl Calixt III. (1455‑1458), der immerhin selbst aus der Gegend von Valencia stammte, als auch Pius II. (1458‑1464) und Paul II. (1464‑1471) interessierten sich offenbar nicht übermäßig für das Thema der jüdischstämmigen Konvertiten oder gingen davon aus, dass von Seiten des Heiligen Stuhls hierzu bereits alles Erforderliche gesagt worden war. Einige weitere Traktate kastilischer Geistlicher und Gelehrter zeugen jedoch davon, dass die Kontroverse in den spanischen Reichen zu keinem Ende kam. Auch wenn die aufständische Junta von Toledo gescheitert war, so mussten die Neuchristen von Kastilien und Aragon doch weiter um ihren rechtlichen Status und selbst um ihre persönliche Sicherheit fürchten. 2.2.1 Diego de Valera Der Höfling, Diplomat und Chronist Diego de Valera (ca. 1412-1488) war der Sohn des angesehenen königlichen Leibarztes Alonso Chirino de Guadala­ 69

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[…] ad nostrum ex carissimi in Christo filii nostri Iohannis Castellae et Legionis regis illustris relatione peruenit auditum in regnis ac dominiis eiusdem regis sint plures laicae et ecclesiasticae tam saeculares quam diuersorum ordinum regulares utriusque sexus per­ sonae, quae licet ore se christianos profiteantur, operibus tamen se tales fore mentientes iudaeorum et sarracenorum ceremonias observare […] praesumpserunt […] – Inter curas multiplices, ed. Golzález Rolán/Saquero Suárez-Somonte: De la sentencia-estatuto, S. 294.

jara und seiner Frau Maria de Valera. Schon in jungen Jahren wurde er am königlichen Hof eingeführt und diente unter Johann II. dem Kronprinzen Heinrich als Page (doncel). Als eine Art fahrender Ritter bereiste er jahrelang die Schlachtfelder und Fürstenhöfe ganz Europas. Seine einflussreiche Stellung am königlichen Hof Kastiliens konnte er letztlich nicht behaupten, diente jedoch nach seiner Rückkehr verschiedenen Adelshäusern des Königreiches.70 Er verfasste neben zahlreichen anderen Schriften auch das Memorial de diversas hazañas, eine Chronik der Regierungszeit Heinrichs IV.,71 sowie den Espejo de verdadera nobleza, eine moralisch-philosophische Abhandlung über Ursprung und Bedeutung des Ritter- und Adelsstandes.72 Darin widmet er einen län­ geren Abschnitt der Frage, ob Konvertiten, die in ihrer vorigen Religionsge­ meinschaft als Adlige galten, diesen Stand auch als Christen behalten. Der Textsorte entsprechend sind Diegos Überlegungen vor allem rechtlicher und philosophischer Art. Gleichwohl stellt er auch zahlreiche biblische Bezüge her, die vielfach mit den Schriftargumenten anderer Apologeten der Conversos übereinstimmen. Mario Penna datierte den Espejo auf das Jahr 1441, in dem Diego sich am Hof Johanns II. von Kastilien aufhielt.73 Es wäre damit die früheste gelehrte Schrift zugunsten der Neuchristen, die zudem noch vor der Rebellion Toledos eine recht anspruchsvolle Argumentation vorwegnähme, die Alonso de Carta­ gena in seinem Defensorium ausführlich darlegte. Auch Federica Accorsi neigt mit Verweis auf biographische Daten und parallel überlieferte Handschriften dieser Frühdatierung zu.74 Angesichts dessen, dass die Situation der konvertier­ ten Juden bereits 1434 Thema auf dem Basler Konzil war und dass die ersten Versuche in den iberischen Reichen, ihnen systematisch Rechte zu entziehen, sich spätestens 1437 nachweisen lassen, erscheint diese frühe Stellungnahme gewiss nicht unmöglich.75 Mit Sicherheit lässt die vordergründig anlasslose Schrift jedoch lediglich anhand der Widmung an Johann II. auf die Fertigstel­ lung vor dessen Tod im Jahr 1454 schließen. Der Espejo kann also ebenso in den letzten Jahren vor der Thronbesteigung Heinrichs IV. verfasst worden sein. Tatsächlich mag die Einlassung zugunsten der Conversos daher eher eine Reaktion auf die Ereignisse von 1449 sein. Mehrere Forscher stellen diesen Zusammenhang her und nennen den Espejo in einer Reihe mit den Werken,

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Vgl. Angus MacKay: Valera, Diego de. In: Gerli (Hg.): Medieval Iberia, S. 832. »Gedenkbuch verschiedener Großtaten« – Text bei Juan de Mata Carriazo: Memorial de diversas hazañas. Crónica de Enrique IV. Mosén Diego de Valera. Edición y estudio, Madrid 1941. »Spiegel des wahren Adels« – Text bei Federica Accorsi: Estudio, S. 289‑351 und zuvor bei Penna: Prosistas castellanos, S. 89‑116. Vgl. Penna: Prosistas, S. CX. Vgl. Accorsi: Estudio, S. 226‑228. Vgl. Roth: Conversos, S. 52‑53; Simonsohn: Apostolic See 1394-1464, S. 845‑847.

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die in der Folge der Rebellion Toledos entstanden,76 während einige ihn sogar noch genauer auf das Jahr 1451 datieren wollen.77 2.2.2 Lope de Barrientos Lope de Barrientos (1382-1469) stammte aus einer adligen Familie in Medina del Campo. Nach dem Studium an der Universität von Salamanca trat er dem Dominikanerorden bei und lehrte selbst einige Jahre lang Theologie. Johann II., dem er unter anderem als Beichtvater diente, ernannte ihn zum Erzieher des damals neunjährigen Kronprinzen Heinrich und seines jüngeren Bruders Alfons. In den folgenden Jahren übernahm er das Amt des Bischofs in den Diözesen Segovia (1438), Avila (1441) und schließlich Cuenca (1445).78 Er verfasste zahlreiche geistliche Werke sowie den abschließenden Teil der Crónica del Halconero de Juan II und eine überarbeitete Version (Refundición) derselben Chronik.79 Auch dem erwachsenen Prinzen Heinrich stand Lope de Barrientos als Seel­ sorger und Berater offenbar noch nahe. So lässt sich mit Recht vermuten, dass Fernán Díaz seine Instrucción dem Bischof von Cuenca widmete, damit dieser im Sinne des Königs und zugunsten der Neuchristen auf den Kronprinzen ein­ wirkte. Auf der Basis dieser Instrucción verfasste Lope de Barrientos wiederum die Schrift Contra algunos çiçañadores de la nación de convertidos del pueblo de Isra­ el, in der er sich weitgehend die Argumente des Relators zu eigen macht.80 Als unmittelbare Adressaten sind sowohl Prinz Heinrich als auch König Johann II. sowie ein Verwandter Lopes vermutet worden, doch erscheint es durchaus möglich, dass der Text ohnehin zur weiteren Verbreitung gedacht war.81 Seine einflussreiche Stellung behielt Lope auch nach der Krönung seines vor­ maligen Zöglings zum König. Für Kastilien und besonders für die Neuchristen bedeutete die Regierung Heinrichs IV. allerdings abermals eine konfliktreiche Zeit. In der klassischen spanischen Geschichtsschreibung gilt Heinrich »der Unfähige« (el impotente) als Paradebeispiel des schwachen Herrschers, dessen 76 77 78

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Vgl. Kaplan: Evolution, S. 62‑63; Cavallero: Los demonios interiores, S. 102. Vgl. Netanyahu: Origins, S. 578; Ingram: Converso Non-Conformism, S. 12. Vgl. u.a. Luis G. A. Getino: Vida y obras de fray Lope de Barrientos, Salamanca 1927, S. Xvii-lxxiii; Martínez Casado: Un intelectual, S. 17‑54; E. Michael Gerli: Barrientos, Lope de. In: ders. (Hg.): Medieval Iberia, S. 149‑150. Vgl. Juan de Mata Carriazo: Crónica del Halconero de Juan II (hasta ahora inédita). Pedro Carrillo de Huete. Edición y estudio, Madrid 1946 und ders.: Refundición de la crónica del halconero por el obispo Don Lope Barrientos (hasta ahora inédita). Edición y estudio, Madrid 1946. »Gegen einige, die Zwietracht säen in der Nation der Konvertiten aus dem Volk Israel« – Text bei González Rolán/Saquero Suárez-Somonte: De la sentencia-estatuto, S. 122‑141 und bei Getino: Vida y obras, S. 180‑204. Vgl. Netanyahu: Origins, S. 610f.; Roth: Conversos, S. 92f.; Benito Ruano: La Sentencia-Esta­ tuto, S. 258‑60.

charakterliche und moralische Unzulänglichkeit sich in einer desaströsen Amts­ führung widerspiegelt. Diese Einschätzung, in der sich politische Kritik mit skandalisierenden Gemeinplätzen wie dem Vorwurf sexueller Perversion, Blas­ phemie und Judenfreundschaft mischt, beginnt ganz offen bereits in seiner eigenen Regierungszeit, verstärkt sich unter seiner Nachfolgerin Isabella I. und setzt sich zum Teil bis in heutige Darstellungen fort.82 Auch ohne ein solches geschichtswissenschaftlich problematisches Wertur­ teil zu fällen, lässt sich Heinrich IV. wohl objektiv als Monarch beschreiben, der Positionen wie Allianzen häufig wechselte. Für Juden wie Neuchristen, die deshalb um den bis dahin relativ verlässlichen Schutz der Krone fürchten mussten, war das unzuverlässige Taktieren des Königs auf der einen Seite eine Zumutung. Auf der anderen Seite kann man es durchaus als das geringere Übel ansehen im Vergleich zur wesentlich konsequenteren Politik seiner Nachfolger, die mit der Verfolgung der Conversos durch die Spanische Inquisition und der Vertreibung der Juden aus ihren Reichen die Frage der religiösen und kulturellen Vielfalt Spaniens mit destruktiver Einseitigkeit beendeten.83 Wohl in den frühen Regierungsjahren Heinrichs IV. verfasste Lope de Barri­ entos eine weitere Stellungnahme zugunsten der Neuchristen, die als Antwort auf das Gesuch eines Verwandten in einer kirchenrechtlichen Frage gerahmt ist – auf das knappe Quaesitum a domino Lupo de Barriento, espicopo Conchensi, illus­ trissimi domini nostri domini Enrici Castellae Legionisque confessore, cancellarioque maiore ac eiusdem regiae maiestatis consiliario, per quendam bacalarium eiusdem paternitatis familiarem et devotum folgt die ausführliche Responsio praedicti domi­ ni episcopi.84 Eine volkssprachliche Übersetzung identifiziert den Fragenden als Bakkalaureus Alonso González de Toledo, einen Familienangehörigen und Mit­ arbeiter Lopes. Beide Versionen sind in jeweils einer Handschrift überliefert.85 82

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Vgl. u.a. Julio Valdeón Baruque: Los Trastámaras. El triunfo de una dinastía bastarda, Ma­ drid 32002 (1. Auflage 2001), S. 191‑194; Klaus Herbers: Geschichte Spaniens im Mittelalter. Vom Westgotenreich bis zum Ende des 15. Jahrhunderts, Stuttgart 2006, S. 261‑263; Manuel González Herrero: Consideración de don Enrique IV de Castilla. In: Estudios Segovianos 65-66 (1970), S. 235‑255; Robert B. Tate: Políticas sexuales. De Enrique el impotente a Isabel maestra de engaños (magistra dissimulationum). In: Ralph Penny (Hg.): Actas del primer congreso anglo-hispano, Madrid 1993, S. 165-176; Óscar Villarroel González: Juana la Beltraneja. La construcción de una ilegitimidad, Madrid 2014, S. 33‑45. Dass dennoch viele Neuchristen unter den Bewunderern Isabellas und Ferdinands waren, zeigt u.a. Maria Giordano: Apologetas, S. 71‑88; vgl. auch Gregory B. Kaplan: In Search of Salvation. The Deification of Isabel la Católica in Converso Poetry. In: Hispanic review 66 (1998), S. 289-308. »Frage an den Herrn Lope de Barrientos, Bischof von Cuenca, Beichtvater unseres erlauchten Herrn Heinrich von Kastilien und Leon, Großkanzler und Ratgeber seiner königlichen Majestät, gestellt von einem gewissen Bakkalaureus, einem seiner ergebe­ nen Verwandten väterlicherseits – Antwort des zuvor genannten Bischofs« – Text bei González Rolán/Saquero Suárez-Somonte: De la sentencia-estatuto, S. 144‑165 und bei Alonso: Defensorium, S. 323‑342. Vgl. González Rolán/Saquero Suárez-Somonte: De la sentencia-estatuto, S. 143 und S. 167.

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Santiago García-Jalón de la Lama datiert die Abhandlung (im Folgenden: Re­ sponsio ad quaesitum) bereits in die Regierungszeit Heinrichs III. von Kastilien (1390-1406).86 Der Text selbst, so wie er überliefert ist, verweist jedoch auf eine wesentlich spätere Abfassungszeit, da er nicht nur die Dekrete des Konzils von Basel (1434) zitiert, sondern auch den Autor als Bischof und Kanzler von Kasti­ lien vorstellt. Letztere Position hatte er erst nach dem Tod Johanns II. inne. Ángel Martínez Casado ordnet die Schrift daher wesentlich schlüssiger unter die 1454-1458 verfassten Spätwerke des Bischofs ein.87 Während also nicht ausgeschlossen ist, dass Lope sich bereits in jungen Jahren mit der Stellung der Neuchristen in den iberischen Reichen beschäftigt hat, spricht in diesem Fall doch alles für die spätere Datierung. Die Schrift ist der Frage gewidmet, wie der Ausdruck ex Iudaeis in den Akten des IV. Konzils von Toledo zu verstehen sei. Mit dieser Wendung kennzeichne­ te das Konzilsdekret eine Personengruppe, die ebenso wie Juden selbst von öf­ fentlichen Ämtern ausgeschlossen sein sollte.88 Dass es sich bei dem behandel­ ten Thema nicht um eine beliebige Detailfrage handelt, zeigt ein Vergleich mit anderen Äußerungen im Diskurs. Die Festlegung des IV. Toletanum galt als wichtiger Autoritätsbeweis gegen die jüdischstämmigen Neuchristen und wur­ de daher auch von den Verteidigern der Conversos ausführlich kommentiert.89 Als Rechtsquelle waren die Dekrete der frühmittelalterlichen Konzilien von Toledo für die spanische Kirche nicht nur die Beschlüsse irgendeiner beliebigen Lokalsynode. Das Erzbistum von Toledo nahm in den christlichen iberischen Reichen den Vorrang des Primats in Anspruch und war zudem als Hauptstadt des spanischen Westgotenreiches eng mit der staatstragenden Erinnerung an eine frühere Heldenzeit verbunden. Auch dass Toledo im 15. Jahrhundert im­ mer wieder Brennpunkt der Auseinandersetzung um die Neuchristen war, mag die Relevanz der jahrhundertealten Dekrete im Bewusstsein der Akteure noch einmal verstärkt haben. In der gestellten Frage kommt Lope de Barrientos nach ausführlicher Er­ wägung zu dem Schluss, dass unter der Wendung ex Iudaeis keineswegs jü­ dischstämmige Konvertiten schlechthin zu verstehen seien, sondern lediglich schlechte Christen, die jüdischen Irrtümern anhingen. Zum Beweis zieht er zahlreiche Bibelstellen und andere Autoritäten heran, die seine Responsio auch über die Eingangsfrage hinaus zu einer fundierten Verteidigungsschrift zuguns­ ten der Conversos machen. 86 87 88 89

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Vgl. Santiago García-Jalón de la Lama: Un dictamen de don Lope de Barrientos sobre la fórmula »ex iudaeis« del Cuarto Concilio de Toledo. In: El Olivo X/23 (1986), S. 39‑71. Vgl. Martínez Casado: Un intelectual, S. 52‑54. Vgl. Vidal Doval: »Qui ex Iudeis sunt«, S. 60‑85. Alonso de Cartagena behandelt den Passus in den Abschnitten II, 3, 23-28 des Defensori­ um, Juan de Torquemada im 16. Kapitel in Contra Madianitas, Alonso Díaz de Montalvo im 41. Kapitel seines Tractatus quidam levis, Alonso de Oropesa im XLV. Kapitel des Lumen ad revelationem.

2.2.3 Alonso de Oropesa Über die Herkunft des Ordensmannes Alonso de Oropesa (?-1468) ist nicht viel bekannt. Das Studium der Freien Künste und der Theologie absolvierte er wohl in Salamanca, bevor er im Kloster Nuestra Senora de Guadalupe in den Orden des Heiligen Hieronymus eintrat. Zwischen 1451 und 1452 wurde er zum Prior von Santa Catalina de Talavera berufen und 1457 zum Generalprior des Ordens. 1460 gründete er im Auftrag seiner Gemeinschaft das Kloster Santa María del Paso in Madrid und wurde 1463 erneut zum Generalprior gewählt.90 Möglicherweise begann Alonso die Arbeit an seinem Traktat Lumen ad revelationem gentium et gloria plebis Dei Israel, de unitate fidei et de concordi et pacifica equalitate fidelium bereits kurz nach dem Aufstand von Toledo und unterbrach seine Arbeit, bevor er den Text 1465 in die endgültige Fassung brachte.91 Es ist denkbar, dass er mit seiner dem Erzbischof von Toledo Alonso Carrillo gewidmeten Schrift (im Folgenden: Lumen ad revelationem) auch auf die antijüdischen und conversofeindlichen Polemiken von Autoren wie Alonso de Espina und Pedro de la Cavallería reagierte, die zu diesem Zeitpunkt bereits in Umlauf waren, auch wenn er nicht ausdrücklich auf sie Bezug nimmt.92 Ein weiterer Anlass für ihn, das Thema nach der vorerst beigelegten Krise von 1449 wieder aufzunehmen, mag eine Auseinandersetzung mit dem Fran­ ziskanerorden 1461 über das Vorgehen gegen mutmaßliche kryptojüdische Hä­ retiker den Reihen der Ordensleute gewesen sein. Während die Franziskaner eine rigorose Ermittlung und Bestrafung der Schuldigen nach dem Vorbild der Päpstlichen Inquisition des 13. und 14. Jahrhunderts forderten, befürwortete Alonso de Oropesa Maßnahmen im Rahmen der bischöflichen Autorität, die ihm zur Korrektur und Versöhnung eventuell fehlgeleiteter Mitbrüder geeignet schienen. Er selbst war 1461-1462 im Auftrag Alonso Carrillos als Inquisitor im Erzbistum Toledo tätig. Auch diese Tätigkeit nutzte er, um gegenüber König Heinrich IV. die Notwendigkeit zu betonen, die Glaubenstreue aller Christen unabhängig ihrer Herkunft zu prüfen.93 Zu diesem Zeitpunkt konnte sich Alonso mit seinen Vorbehalten gegen eine vom Episkopat unabhängige 90 91

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Vgl. Díaz y Díaz: Alonso de Oropesa y su obra, S. 255‑258; Norman Roth: Oropesa, Alonso de. In: Gerli (Hg.): Medieval Iberia, S. 622‑623; Kriegel: Alonso de Oropesa, S. 9‑18. »Licht zur Offenbarung der Heidenvölker und Herrlichkeit des Volkes Gottes Israel [Lk 2,32], über die Einheit des Glaubens und über die einträchtige und friedliche Gleichheit der Gläubigen« – spanische Übersetzung bei Luis A. Díaz y Díaz: Luz para conocimiento de los gentiles. Alonso de Oropesa. Estudio, traducción y edición, Salamanca 1979; Transkript des lateinischen Textes unter http://www.cervantesvirtual.com/obra-visor-din/luz-para-conoci miento-de-los-gentiles--0/html. Vgl. Sicroff: Anticipaciones, S. 318. Vgl. Pablo L. Crespo Vargas: La inquisición Española y las supersticiones en el caribe Hispano a principios de siglo XVII: Un recuento de creencias según las relaciones de fe del tribunal de Cartagena de Indias, Bloomington 2011, S. 63; Díaz y Díaz: Alonso de Oropesa, S. 256‑257; Santonja Hernández: Defensores y adversarios, S. 395.

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Inquisition zunächst noch durchsetzen, so dass Heinrich IV. zwar erfolgreich das Privileg zur Einsetzung von Inquisitoren von Papst Pius II. erbat, aber fak­ tisch nie davon Gebrauch machte.94 Bemerkenswert ist außerdem, dass in der päpstlichen Bulle gerade nicht ausdrücklich von Konvertiten oder Judaisierern die Rede ist, sondern in allgemeinen Begriffen von Irrlehrern und Ketzern. »Wir haben daher vor kurzem durch die Erzählung gewisser vertrauenswürdiger Perso­ nen vernommen, dass es einige Kinder des Frevels gibt, die wie die Füchslein nicht aufhören, den Weinberg des Herrn zu schädigen; […] sie schämen sich nicht, in den Reichen Kastiliens und Leons und anderen angrenzenden Teilen Spaniens verschiede­ ne Häresien und Aberglauben und Täuschungen zu säen, und fürchten sich nicht, ebenso Vieles wie Falsches gegen die Wahrheit des katholischen Glaubens hartnäckig zu lehren, predigen, behaupten und zu glauben und verteidigen.«95

Vor allem der Vorwurf, Häresien zu predigen und zu verteidigen, lässt kaum an judaisierende Conversos denken, die ihren früheren Glauben ja mutmaßlich im Geheimen praktizierten. Das biblische Bild der Füchse im Weinberg des Herrn wiederum verwendet Alonso de Oropesa selbst in der Vorrede zu seinem Traktat Lumen ad revelationem in Anspielung auf diejenigen, die den jüdisch­ stämmigen Christen ihren rechtmäßigen Platz in der Kirche Gottes nehmen wollen. Seine äußerst umfangreiche Abhandlung enthält neben der eindeutigen Stel­ lungnahme zugunsten der Conversos auch heftige polemische Äußerungen ge­ gen das Judentum. Zwar erkennt Alonso die Bedeutung des Alten Testaments und der Geschichte des Auserwählten Volkes für den Heilsplan Gottes an, jedoch sieht er die lex mosaica durch die Einsetzung des Neuen Bundes durch Jesus Christus als hinfällig an. Unter der Annahme einer weltgeschichtlichen Zäsur der Heilsordnung durch das Christusereignis hält er den jüdischen Glau­ ben und Kultus zwar in biblischer Zeit für einen Weg zum Heil, verurteilt ihn jedoch in seiner eigenen Zeit als Irrweg. Diese starke antijudaistische Schlagseite seines Traktats wird ansatzweise da­ durch ausgewogen, dass er auch das vorchristliche Heidentum – auf das die Altchristen ihren genealogischen Stolz gründeten – immer wieder mit großer rhetorischer Emphase als gottlos und verloren verwirft. Entsprechend äußerte Alonso de Oropesa auch bei anderen Gelegenheiten auf der einen Seite immer 94

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Vgl. Kriegel: Alonso de Oropesa, S. 10‑11; Martínez: Genealogical Fictions, S. 33; Starr-Le­ Beau: Shadow of the Virgin, S. 112‑116; José M. Nieto Soria: Enrique IV de Castilla y el Pontificado (1454-1474). In: En la España Medieval 19 (1996), S. 214‑219. Nuper itaque quarumdam fidedignarum personarum relatione accepimus nonnullos ini­ quitatis filios esse qui velut vulpeculae non cessant demoliri vineam domini, […] diversas haereses ac superstitiones et fallacias in regnis Castellae et Legionis et aliis Hispaniarum adjacentibus partibus seminare non erubescunt, et plura quam falsa contra catholicam fidei veritatem pertinaciter dogmatizare, praedicare, asserere et tenere atque defendere non formidant […] – Dum fidei catholice, Text bei Vicente Beltrán de Heredia: Bulario de la universidad de Salamanca (1219-1549). Bd. 3, Salamanca 1967, doc. 1204.

wieder starke Vorbehalte gegen die Vergabe öffentlicher Ämter an Juden, for­ derte jedoch ebenso kategorisch die Zulassung der Conversos zu jeglichen Äm­ tern und Würden: 1465 verhandelte er an der Spitze einer Delegation des Adels mit Heinrich IV. einen Friedensschluss, in dem sich der König zu verschiede­ nen Zugeständnissen verpflichtete. Einer der Artikel – vermutlich ausgearbeitet von Alonso selbst – betraf den Ausschluss der Juden von öffentlichen Ämtern.96 2.2.4 Gutierre de Palma Über den Autor des Traktats Breve reprehensorium ad quosdam fratres religiosos,97 das im Umfeld der Kathedrale von Toledo entstand, ist nur wenig bekannt.98 Lediglich eine Anspielung in der Vorrede der Streitschrift (im Folgenden: Breve reprehensorium) lässt auf Palma als Familiennamen des Verfassers schlie­ ßen, möglicherweise auch auf die ursprüngliche Herkunft der Familie von den Balearischen Inseln oder aus Andalusien.99 Die Identifikation mit dem Bakkalaureus Gutierre de Palma, dessen Wirken an der Kathedrale von Toledo durch weitere Dokumente belegt ist, erscheint insgesamt durchaus plausibel, wenn auch nicht zweifelsfrei gesichert. Er wäre dann vermutlich zugleich der Autor des monarchistischen Geschichtstraktats Diuina rretribuçion sobre la cayda d’Espanna en tienpo del noble rrey don Iohan el primero, que fue rrestaurada por manos de los muy excelentes rreyes don Fernando e donna Ysabel ssus bisnietos, nuestros ssennores, que Dios mantenga,100 in dem man einen zumindest tangen­ tialen Bezug zum Diskurs um die Conversos sehen kann, insofern gerade viele neuchristliche Autoren als ausgesprochene Anhänger Isabellas I. darum bemüht waren, sich mit einer entsprechend gefälligen Textproduktion einen Platz unter der Herrschaft der Katholischen Könige zu sichern.101 Gleichwohl bleibt der Zusammenhang der Schrift (im Folgenden: Diuina rretribuçion) mit dem Diskus um die Neuchristen letztlich rein assoziativ, wenn der Verfasser die Freiheit und Einigkeit des Reiches nach dem Ende des Erbfolgekrieges preist. 96 97 98 99 100

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Vgl. Roth: Oropesa, S. 622; Kriegel: Alonso de Oropesa, S. 17‑18. »Kurze Zurechtweisung gewisser Ordensbrüder« – Biblioteca Capitular de Toledo, Ms. 23-7. Vgl. Gonzálvez: Obra desconocida, S. 31‑48 sowie ders.: Obra de polémica, S. 47‑59. Vgl. Gonzálvez: Obra desconocida, S. 40. »Göttliche Vergeltung für den Niedergang Spaniens zur Zeit des edlen Königs Don Jo­ hann I., das wiederhergestellt wurde durch die Hände der sehr ausgezeichneten Könige Don Ferdinand und Doña Isabella, seiner Urenkeln, unserer Herren, die Gott erhalten möge.« – Text bei J. M. Escudero de la Peña: Diuina rretribuçion. Sobre la caida de España en tiempo del noble rey Don Juan el Primero, compuesto por el Bachiller Palma, Madrid 1879, S. 1‑91. Vgl. Giordano: Apologetas de la fe, S. 75‑76; Fernando Gómez Redondo: La Divina retri­ buçión: discurso político y texto histórico. In: Juan Salvador Paredes Núñez (Hg.): Medioevo y literatura. Actas del V Congreso de la Asociacion Hispánica de Literatura Medieval, Bd. 2, Granada 1995, S. 413-432.

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Gutierre, der vermutlich zwischen 1430 und 1435 geboren wurde, erwarb das Bakkalaureat an der Universität von Salamanca.102 Es gibt keine direkten Hinweise darauf, ob er dem klerikalen Stand angehörte; dass er anhand von weiteren Schriftstücken jedoch mit zwei legitimen Söhnen in Verbindung ge­ bracht werden kann, macht es eher unwahrscheinlich, dass er die höheren Wei­ hen empfing. Auch legen seine mehrfachen Kommentare und Appelle an den geistlichen Stand im Breve reprehensorium eher nahe, dass er selbst kein Priester oder Ordensangehöriger war. Gleichwohl war er wohl als Rechtsgelehrter an der Kathedrale von Toledo beschäftigt, da er sich in seinem Traktat an den Erzbischof als seinen Dienstgeber wendet. Ebenfalls überlieferte geschäftliche Dokumente, in denen er firmiert, sowie das Testament einer gewissen Leonora Díaz de Palma, die vermutlich seine Schwester war, lassen darauf schließen, dass die Familie deutlich zum wohlha­ benderen Teil des Stadtbürgertums zählte.103 Jenem Testament zufolge erwarb er in seinen späteren Lebensjahren auch noch den akademischen Grad des Li­ zenziats.104 Sofern es sich in der Tat um den Autor der um 1479 verfassten Diui­ na rretribuçion handelt, war er ein entschiedener Parteigänger des Königshauses und besonders Isabellas von Kastilien und ihres Ehemannes Ferdinand von Aragon. Seine politische Position während der Regierungszeit Heinrichs IV. ist dagegen ungewiss, allerdings lässt sich vermuten, dass er in diesem Punkt der wechselnden Loyalität seines Dienstherren Alonso Carrillo, des Erzbischofs von Toledo, folgte. Dieser unterstützte 1465 gemeinsam mit anderen mächtigen Ad­ ligen und Prälaten den jugendlichen Alfons von Kastilien als Gegenkönig.105 In die Zeit derselben dynastischen Krise fällt höchstwahrscheinlich die Stellung­ nahme des Bakkalaureus Palma in der Converso-Frage, die heute lediglich in einer einzigen Handschrift an der Kathedrale von Toledo vorliegt. Die Ermahnung, die an die Dominikaner von San Pedro Mártir in Toledo gerichtet ist, bezieht sich dem Anlass nach auf ein Altarbild in deren Konvents­ kapelle, dessen Beschriftung wortwörtlich auf die Fertigstellung 1449 »im Jahr, als man in Toledo die Confessos beraubte« (el anno que se robaron los confessos en toledo) verweist. Gutierre kritisiert diese Datierung als Provokation gegenüber den Leidtragenden und offene Verherrlichung der verbrecherischen Taten. Die­ ses Ärgernis nimmt er zum Anlass einer grundsätzlichen Abhandlung über die Würde und die Rechte der christlichen Konvertiten aus dem Judentum. Da das Manuskript darüber hinaus nur wenige Hinweise auf das genaue Jahr 102 103 104 105

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Vgl. Gonzalves: Obra desconocida, S. 42‑43. Vgl. Gómez-Menor: Sobre la familia toledana de Palma, S. 209‑214. Vgl. ebd. sowie Gonzalves: Obra desconocida, S. 43‑48. Vgl. Jorge Díaz Ibañez: El Arzobispo Alfonso Carrillo de Acuña (1412-1482). Una revisión historiográfica. In: Medievalismo 25 (2015), S. 147‑152; Angus MacKay: Ritual and propa­ ganda in fifteenth-Century Castile. In: Past and Present 107 (1985), S. 12f.; Nicolás López Martínez: El Arzobispo Carrillo y la política de su tiempo. In: Miscelánea José Zunzunegui, Bd. 1, Vitoria 1975, S. 247-267.

seiner Entstehung bietet, kommt theoretisch die gesamte Dekade zwischen 1455 und 1465 infrage; wahrscheinlich ist aufgrund von späteren Zusätzen im Manuskript jedoch ein Datum der Fertigstellung, das nicht vor 1465 liegt.106 Ebenso wie das Breve reprehensorium selbst zeigen auch die Ereignisse im letzten Drittel des 15. Jahrhunderts, dass die Kontroverse um den Status der Neuchristen nicht zur Ruhe kam. Gewaltsame Unruhen gegen Conversos bra­ chen in Toledo bereits 1467 erneut aus.107 An der Ähnlichkeit der Situation zeigt sich deutlich, dass die Konflikte des Jahres 1449 allenfalls vertagt, aber nie gelöst worden waren. Toledo befand sich wiederum in Opposition zum herrschenden Monarchen – mittlerweile Heinrich IV. – und in der Gefolgschaft des Thronprätendenten Alfons, eines Halbbruders des Königs.108 Wiederum eskalierte ein Streit um bestimmte Einkünfte und Abgaben zu einem bewaff­ neten Aufstand, und wiederum schürten Kleriker des Domkapitels den Hass zunächst gegen einzelne Conversos, deren Vermögen und Stellung besonders herausragten. Straßenkämpfe zwischen gegnerischen Milizen entfachten einen verheerenden Stadtbrand am Vorabend des Gedenktages der heiligen Maria Magdalena (22. Juli), der dem ganzen Vorfall den Namen Fuego de la Magdale­ na gab. Wiederum wurden führende Conversos öffentlich gelyncht und zahlrei­ che Häuser geplündert, und wiederum versuchten die siegreichen Altchristen, im Nachhinein die königliche Billigung ihres Vorgehens zu erlangen. Dass Alfons von Kastilien offenbar weder bereit war, die Rechtsbrüche offen zu billi­ gen, noch ihnen wirksam entgegenzutreten, berichtet Diego de Valera, indem er ihm die Worte in den Mund legt: »Mögen sie tun, was sie in ihrer Bosheit wollen, solange es nicht meine Angelegenheit ist. Und da ich gedenke, Böse zu strafen, ist es nicht mein Wille, den Übeltätern Wohltaten zu erweisen. Es muss ihnen reichlich genügen, dass die von ihnen so böse begangenen Taten durch die Nöte der Zeit verdeckt werden. Doch dass ich diese schändlichen und abscheulichen Dinge bestätigen sollte, wäre ehrlos und töricht.«109

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Vgl. Gonzálvez: Obra desconocida, S. 39-40. Vgl. zu den im Folgenden referierten Ereignissen v.a. Eloy Benito Ruano: »El fuego de la Magdalena«. Un pogrom contra los conversos de Toledo en 1467. In: ders.: Los orígines, S. 141‑158; Ricardo Izquierdo Benito: Edad media. In: Julio de la Cruz Moñoz (Hg.): Historia de Toledo, Toledo 1997, S. 199‑200; Carmen C. Gil Ortega: Alfonso Carrillo de Acuña. Un arzobispo proconverso en el siglo XV castellano. In: eHumanista/Conversos 3 (2015), S. 139‑141. Vgl. María Isabel del Val Valdivieso: La Farsa de Ávila en las crónicas de la época. In: Gre­ gorio del Ser Quijano und Iñaki Martín Viso (Hgg.): Espacios de poder y formas sociales en la Edad Media. Estudios dedicados a Ángel Barrios, Salamanca 2007, S. 355‑367; Díaz Ibáñez: El Arzobispo Alfonso Carrillo, S. 248‑250; María D.-C. Morales Muñiz: Alfonso de Ávila, rey de Castilla, Ávila 1988, S. 110‑118. Fagan lo que quisieren, según su maldad, tanto que no sea cargo mío. E yo como a ma­ los los entiendo de castigar, que no es mi voluntad de fazer merçedes a los malfechores. Asaz les debe bastar que las cosas tan mal fechas por ellos pasen so disimulaçión, por la tribulaçion del tienpo; mas que las cosas nefandas e aborreçidas yo haya de confirmar,

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Nach dem Tod des Gegenkönigs Alfons kehrte Toledo 1468 in die Gefolgschaft Heinrichs IV. zurück, der im Gegenzug wiederum die städtischen Statuten bestätigte, die den Conversos wichtige Rechte versagten und den Zugang zu öffentlich Ämtern verwehrten. Auch wenn viele von ihnen Toledo nun endgül­ tig verließen, spielten einige Familien mit neuchristlichem Hintergrund auch später noch eine wichtige Rolle im politischen, sozialen und wirtschaftlichen Leben der Stadt.110 Dass der König drei Jahre später erneut die rechtliche Un­ terscheidung zwischen Altchristen und Neuchristen untersagte, änderte wenig daran, dass die Ideologie der Blutreinheit sich mehr und mehr etablierte. Bereits 1473 wurden auch Cordoba, Jaén und zahlreiche kleinere benachbar­ te Städte von ähnlichen Ausschreitungen gegen Neuchristen erschüttert, im Jahr darauf Segovia, Valladolid und Ciudad Real.111 Dabei handelte es sich wahrscheinlich nicht nur um spontane und unkoordinierte Ausbrüche von Ge­ walt. Dass vielmehr der lange angewachsene Neid auf die privilegierte Stellung einiger Conversos Grund zur Vorbereitung der Übergriffe von langer Hand gewesen war, deutet wiederum Diego de Valera in seiner Chronik an: »[…] so sehr, wie [die Neuchristen] von Herrn Alonso [de Aguilar, dem Stadtkomman­ danten (alcaide)] bevorzugt wurden, und bei aller Feindschaft und Missgunst, die man ihnen entgegenbrachte, und weil es immer solche gibt, die zwischen diesen Gruppen Zwietracht stiften, so kam es aus diesem Grund dazu, dass eine Verschwörung unter dem Anschein der Frömmigkeit in der Stadt [Cordoba] gegründet wurde, an der die Mehrheit [der Altchristen] teilnahm, und sie nannten sie die Bruderschaft der Stadt.«112

Der Chronist beschreibt anschließend, wie eine religiöse Prozession ebendie­ ser frommen Bruderschaft zum Ausgangspunkt für tagelanges Morden und Brandschatzen wurde. Hier wie in anderen Landesteilen richteten sich die judenfeindlichen Ressentiments in weiten Teilen der Bevölkerung, die schon früher gerade in Zeiten einer schwachen königlichen Zentralgewalt immer

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desonesta e torpe cosa sería. – Memorial de diversas hazañas, 38, ed. de Mata Carriazo, S. 135. Vgl. Linda Martz: A Network of Converso Families in Early Modern Toledo. Assimilating a Minority, Ann Arbor 42006 und dies.: Relations between Conversos and Old Christians in Early Modern Toledo: Some Different Perspectives. In: Meyerson/English (Hgg.): Christians, Muslims, and Jews, S. 220‑240. Vgl. Valdeón Baruque: Los Trastámaras, S. 227‑228; John Edwards: The »Massacre« of Jewish Christians in Córdoba, 1473-1474. In: Mark Levene und Penny Roberts (Hgg.): The Massacre in History, New York 1999, S. 55-68; Luis Coronas-Tejada: El motín antijudío de 1473 en Jaén. In: Proceedings of the Seventh World Congress of Jewish Studies, Bd 4, History of the Jews in Europe, Jerusalem 1981, S. 141‑177; José L. Lacave: Sefarad. Culturas de convivencia, Barcelona 32002, S. 46; Pastore: Il Vangelo, S. 57‑8. […] tanto heran de don Alonso favorecidos, con la enemistad y enbidia que dellos tenían, y aviendo quien sienpre añadiese discordia entre estas gentes, de tal forma que esta causa se ovo de hazer vna conjuraçión en la çibdad, so color de devoçión, en que entró la mayor parte della, a la qual llamaron Hermandad de la çibdad. – Memorial de diversas hazañas, 83, ed. de Mata Carriazo, S. 240.

wieder in offene Gewalt ausgebrochen waren, nun immer eindeutiger gegen die Neuchristen.113

2.3 Statuten, Inquisition und Vertreibungen Gegen Ende des Jahrhunderts und zumal unter der Herrschaft Isabellas und Ferdinands sind Äußerungen zugunsten der Conversos kaum noch in der Form dedizierter Traktate oder anderer formaler Stellungnahmen zu finden. Dennoch lohnt ein Blick in die höfische und geistliche Literatur auch der letzten zwei Jahrzehnte vor der Eroberung Granadas und der Vertreibung der Juden. Zumal in eher privaten und halb-öffentlichen Schreiben, die von verschiedenen Autoren an einflussreiche Personen gerichtet wurden, lässt sich weiterhin eine Opposition gegen diskriminierende Statuten und parteiische Inquisitionsverfahren nachweisen, die in dieser Zeit die Hauptsorgen der neu­ christlichen Bevölkerung Kastiliens und Aragons darstellten. Obwohl päpstliche und königliche Anordnungen immer wieder die Gleich­ behandlung aller Gläubigen ohne Ansehen der Abstammung gefordert hatten, manifestierte sich die zuvor latente Ausgrenzung der Conversos zusehends auf lokaler und institutioneller Ebene. Die heutige Forschung verwendet in diesem Zusammenhang meist den Begriff der »Statuten der Blutreinheit« (estatutos de limpieza de sangre), der die verschiedenen legislativen Phänomene allerdings zumindest im Horizont des 15. Jahrhunderts nur näherungsweise beschreibt.114 Zum einen sprechen die einschlägigen Bestimmungen im Wortlaut in aller Regel weder von Reinheit noch von Blut. Zum anderen handelt es sich nicht in allen Fällen um Statuten im Sinne der Satzung einer verfassten Körperschaft. Auch Gesetze und Erlasse lokaler Autoritäten wie Ausweisungen, Ansiedlungsund Berufsverbote, die eher in den Bereich der allgemeinen Rechtsschöpfung und öffentlichen Verwaltung gehören, sind hier von Belang. Sogar Papst Six­ tus IV., der 1477 noch zum Schutz der Conversos von Ciudad Real mit Ex­ kommunikation und Interdikt gegen ihre altchristlichen Feinde vorgegangen war,115 schien wenige Jahre später deren Misstrauen gegen die Neuchristen zu teilen oder wenigstens äußerste Rücksicht auf verbreitete Vorurteile zu neh­ men. In seiner Anweisung an den Erzbischof von Santiago de Compostela be­

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Vgl. dazu auch Sicroff: Los estatutos, S. 85; Luis Suárez Fernández: Monarquía hispana y revolución Trastámara, Madrid 1994, S. 108‑109; Eloy Benito Ruano: Del problema judío al problema converso. In: ders.: Los orígines, S. 15‑38; Conde Salazar: La causa conversa, S. 87‑88. Vgl. u.a. José Martínez Millán: Nobleza hispana, nobleza cristiana: los estatutos de limpieza de sangre. In: Manuel Rivero Rodríguez (Hg.): Nobleza Hispana, nobleza cristiana, Bd. 1, Madrid 2009, S. 677-757. Vgl. Simonsohn: Apostolic See 1464-1521, S. 1237‑1240.

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stand er 1483 darauf, dass es unter den Inquisitoren, die mit den Ermittlungen gegen mutmaßliche Judaisierer befasst waren, »[…] keinen Mann geben soll, der seine Herkunft auch nur teilweise von besagtem [jü­ dischen] Geschlecht herleitet, sei es auch von alters her, der mit irgendeinem anderen jenes Geschlechts verwandt oder verschwägert ist, oder der anderer Dinge verdächtig ist […].«116

Spätestens mit einem solchen päpstlichen Zugeständnis an den genealogisch begründeten Argwohn der Altchristen war auch der Weg bereitet für weitere ausgrenzende und stigmatisierende Maßnahmen gegen die Conversos. Eine große Wirkung besaßen dabei in der Tat die neu gefassten Statuten vieler religiöser und militärischer Orden, Universitäten und Domkapitel, die nun einen altchristlichen Stammbaum zur Zugangsbedingung machten. Noch vor Ende des Jahrhunderts wurden entsprechende Beschlüsse unter anderem an der Kathedrale von Córdoba (1466) gefasst, für die Spanische Inquisition (1484), am Domkapitel von Barcelona (1486), an mehreren Kollegien (colegios mayores) der Universitäten von Salamanca (1482), Valladolid (1488) und Sigüenza (1497) sowie am spanischen Kolleg der Universität Bologna (1488), von den Ritteror­ den von Calatrava und Alcántara (1483) sowie den Hieronymiten (1486) und einigen Klöstern der Dominikaner (1489).117 Vergleichbares zu diesen promi­ nenten Beispielen aus Kastilien und Aragon ist in Portugal erst gut zwei bis drei Generationen später zu beobachten. Unter anderem wohl wegen der erfolgrei­ cheren Integration der Konvertiten in das christliche Gemeinwesen gewannen Statuten der Blutreinheit hier langsamer und insgesamt weniger Einfluss.118 Die genannten datierbaren Statuten waren dabei in manchen Körperschaft wohl vor allem sichtbare Manifestationen einer längeren Geschichte altchristli­ chen Standesdenkens. So spricht die päpstliche Intervention zugunsten eines Angehörigen der Familie de la Cavallería dafür, dass der Calatrava-Orden 116

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[…] hominem qui de dicto genere, etiam ab antiquo, nulla ex parte originem trahat, et aliquibus de eo genere consanguinitate vel affinitate coniunctus, aut alias suspectus, non existat […] – Request to Alfonso de Fonseca, ed. Simonsohn: Apostolic See 1464-1521, S. 1309. Vgl. v.a. John Edwards: The Beginnings of a Scientific Theory of Race? Spain, 1450-1600. In: Yedida K. Stillman und Norman A. Stillman (Hgg.): From Iberia to Diaspora. Studies in Sephardic History and Culture, Köln 1999, S. 180‑183 und ders.: La prehistoria, S. 351; Pérez Ferreiro: El tratado, S. 83; Juan Hernández Franco: Cultura y limpieza de sangre en la España moderna. Puritate sanguinis, Murcia 1996, S. 38-39; Pariente: L’inquisition, S. 80; Baltasar Cuart Moner: Colegiales mayores y limpieza de sangre durante la edad moderna. El estatuto de S. Clemenete de Bolonia (ss. XV‑XIX), Salamanca 1991; Martínez: Genealogical Fictions, S. 42‑46; Sicroff: Los estatutos, S. 116‑122; Browe: Die kirchenrechtliche Stellung der getauften Juden und ihrer Nachkommen. In: Archiv für katholisches Kirchenrecht 121 (1941), S. 16‑22. Vgl. Fernanda Olival: Rigor e interesses: os estatutos de limpeza de sangue em Portugal. In: Cadernos de Estudos Sefarditas 4 (2004), S. 151‑182; Antonio J. Díaz Rodríguez: Purity of Blood and the Curial Market in Iberian Cathedrals. In: eHumanista/Conversos 4 (2016), S. 38.

bereits vor dem Erlass entsprechender Statuten damit begonnen hatte, die Aufnahme von Neuchristen einzuschränken.119 Am Colegio de San Bartolomé in Salamanca wiederum wurde im Nachhinein sogar behauptet, entsprechen­ de Klauseln würden bereits kraft der päpstlichen Gründungsbullen von 1414 und 1418 gelten, jedoch ergibt ein Vergleich mit den vatikanischen Archiven, dass es sich bei den fraglichen Passagen um spätere Einfügungen handelt.120 Nicht immer konnten sich die Bestimmungen von Anfang an behaupten, und manche Körperschaften wehrten sich beharrlich gegen ihre Einführung.121 In vielen Fällen waren sich die jeweils verantwortlichen Gremien nicht einig, die neuen Statuten wurden zum Teil erst einmal suspendiert oder sogar vor­ übergehend zurückgenommen, es kam zu Kompetenzstreitigkeiten etwa zwi­ schen der Leitung und einzelnen Niederlassungen der religiösen Orden, und manchmal mischten sich auch hier die Krone oder der Heilige Stuhl ein.122 Ausgeschlossen wurden dem Wortlaut nach in manchen Fällen die Nachkom­ men von Juden, in anderen auch die von Muslimen oder auch lediglich die von verurteilten Häretikern; manche Statuten richteten sich nur gegen solche Neu­ christen, die in dritter oder vierter Generation noch nichtchristliche Vorfahren hatten, andere machten keinerlei Einschränkung.123 Darüber hinaus ist es fraglich, wie konsequent die Regelungen in der Pra­ xis umgesetzt wurden.124 Zum einen blieb Anwärtern mit hinreichendem Ver­ mögen und Beziehungen immer noch die Möglichkeit, eine Ernennung von der Römischen Kurie zu erlangen, der sich ein Domkapitel nicht widersetzen konnte.125 Zum anderen war die Bereitschaft, entsprechend den Statuten über den Stammbaum anderer Personen Auskunft zu geben, offenbar gerade in den Ritterorden auffällig gering.126 Da die Forderung von Abstammungsnachwei­ sen Sache der einzelnen, juristisch selbstständigen Einrichtungen war, die ihre eigenen Statuten in der Praxis relativ unabhängig handhabten, aber oft nur mit­ tels eines Privilegs von einer höheren Autorität ändern konnten, herrschte bei 119 120 121 122

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Vgl. Simonsohn: Apostolic See 1464-1521, S. 1254-1256. Vgl. Netanyahu: Origins, S. 1103‑1105. Vgl. u.a. Nicolás López Martínez: El estatuto de limpieza de sangre en la catedral de Burgos. In: Hispania: Revista Española de Historia 74 (1959), S. 52‑81. Vgl. u.a. Giordano: Apologetas, S. 90‑96; de Azcona: Dictamen, S. 350‑352; Cuart Moner: Colegiales mayores, S. 15‑20; Linda Martz: Implementations of Pure-Blood Statutes in Six­ teenth-Century Toledo. In: Bernard Dov Cooperman (Hg.): In Iberia and beyond. Jews between Cultures, Newark 1998, S. 245‑272; Rica Amran: Juan de Vergara y el estatuto de limpieza de sangre de la catedral de Toledo. In: eHumanista: Journal of Iberian Studies 33 (2016), S. 402‑424 und dies.: De Pedro Sarmiento a Martínez Siliceo: la »génesis« de los estatutos de limpieza de sangre. In: dies. (Hg.): Autour de l’Inquisition. Etudes sur le Saint-Office, Paris 2002, S. 33‑56. Vgl. Martínez: Genealogical Fictions, S. 50‑52. Vgl. u.a. Max S. Hering Torres: Judenhass, Konversion und genealogisches Denken im Spa­ nien der Frühen Neuzeit. In: Historische Anthropologie 15 (2007), S. 42‑64. Vgl. Díaz Rodríguez: Purity of Blood, S. 46‑49. Vgl. Sicroff: Los estatutos, S. 171.

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ihrer Etablierung notwendigerweise eine erhebliche Ungleichzeitigkeit. Gerade dies trug allerdings auch zur Akzeptanz der frühen Statuten bei, die sich jeweils als außerordentliche, im Einzelfall notwendige Maßnahme rechtfertigen ließen, bis sie schließlich von der Ausnahme zur Regel wurden.127 Dass der kategorische Ausschluss von Neuchristen qua institutioneller Sat­ zung für die einzelnen Körperschaften dennoch eine existenzielle Frage dar­ stellen konnte, illustriert das recht gut dokumentierte Beispiel des Hieronymi­ tenordens.128 Wohl aufgrund des Skandals, den die Verurteilung mehrerer Or­ densbrüder durch die Inquisition hervorrief, kam in Teilen der Gemeinschaft die Bestrebung auf, Conversos zukünftig den Eintritt in den Orden zu verwei­ gern und bestehenden Mitgliedern keine höheren Ämter mehr anzuvertrauen. Nachdem ein untergeordnetes Kapitel (capitulo privado) einen entsprechenden Beschluss gefasst hatte, wurde dieser jedoch aufgrund des Widerstandes in der Gemeinschaft selbst zunächst nicht umgesetzt. Insbesondere ein Ordensmann namens García de Madrid, über dessen Leben ansonsten kaum etwas bekannt ist, setzte sich an die Spitze derer, die das Statut mit allen Mitteln bekämpften. Offenbar konnte er nicht nur den damaligen Or­ densgeneral Rodrigo de Orense von der Widerrechtlichkeit der geplanten Maß­ nahme überzeugen, sondern fand auch prominente Unterstützung außerhalb des Ordens, darunter Kardinal Pedro González de Mendoza und dessen Bruder Diego Hurtado, den Herzog von El Infantado.129 Zwar ist die theologische Be­ gründung seiner Ablehnung des Statuts nicht im Wortlaut überliefert, jedoch lässt sich aus späteren Dokumenten des Hieronymitenordens in etwa schlussfol­ gern, welche Argumentation ihr zugrunde lag.130 Nach der Abwahl Rodrigos allerdings fasste die neue Ordensleitung 1486 allen internen Widerständen zum Trotz den formalen Beschluss, von Papst Innozenz VIII. (1484‑1492) die Bestätigung der geänderten Statuten zu erbitten. Gleichwohl war es erst der Valencianer Roderic de Borja, der als Papst Alexander VI. dem Orden im Jahr 1495 gestattete, das Statut entgegen früherer päpstlicher Anordnungen anzu­ wenden. García de Madrid wiederum wurde möglicherweise bereits um 1487 in einem Inquisitionsverfahren in Toledo verurteilt und hingerichtet; allerdings

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Vgl. Hering Torres: Rassismus, S. 64‑81; Sicroff: Los estatutos, S. 204; de Azcona: Dicta­ men, S. 363. Vgl. Starr-LeBeau: Shadow of the Virgin, S. 231‑236; Coussemacker: Convertis et judaïsants, S. 5‑27; Beltrán de Heredia: Las bulas, S. 45‑47; Giordano: Apologetas, S. 89‑96; Albert Sicroff: Clandestine Judaism in the Hieronymite Monastery of Nuestra Señora de Guadalupe. In: Izaak Langnas und Barton Sholod (Hgg.): Studies in Honor of Mair J. Benardete, New York 1965, S. 89‑125. Vgl. Stefania Pastore: False Trials and Jews with Old-Fashioned Names: Converso Memory in Toledo. In: La Corónica 41 (2012), S. 242‑243. Vgl. Juan C. García López: José de Sigüenza. Historia de la Orden de San Jerónimo, Bd. 2, Madrid 1909, S. 33‑38; de Azcona: Dictamen, S. 356‑380.

sind die Quellen hierfür nicht eindeutig, so dass es sich auch um einen anderen Ordensbruder ähnlichen Namens gehandelt haben kann.131 Die neu erlassenen Statuten selbst, die auch von diversen anderen religiösen, akademischen und zivilen Körperschaften verabschiedet wurden, enthalten ty­ pischerweise kaum Begründungen auf theologischer Ebene. Gleichwohl gibt ihre Ausbreitung einigen Aufschluss darüber, wie die Vorstellung eines gewis­ sermaßen erblichen Christentums sich auch in frommen und gebildeten Krei­ sen immer mehr etablierte. Ein Artikel der allerdings erst von Papst Julius II. (1503‑1513) offiziell bestätigten Verfassung des Kollegs San Bartolomé der Uni­ versität Salamanca erklärt um 1482 mitten zwischen eher profanen Regelungen zur Anwesenheitspflicht und zur Unterbringung der Kollegialen schlicht: »Indem wir dem Willen unseres Herrn Erzbischofs entsprechen, soweit er uns vorliegt und wir ihn durch die Angehörigen des Kollegs kennen, die seinen Brief gesehen haben, bestätigen wir das Statut, das besagt, dass niemand ›aus dem Geschlecht der Juden oder Sarazenen‹ Angehöriger des Kollegs sein kann.«132

Ein weiterer Artikel führt ebenfalls recht knapp und zudem etwas vage aus, wie diese Anforderung umzusetzen ist: »Wir bestimmen, dass, bevor man die Personen des Kollegs wählt, zumindest bei den eigenen Kollegialen und Kaplänen erst eine Untersuchung ihrer Abstammung durchzuführen ist, und dass niemand gewählt wird, ohne dass man zuvor sicher geht, ob es wenigstens unter Vater und Mutter und den vier Großeltern und den übrigen Vorfahren keine Erinnerung an jemanden oder das Gerücht gibt, es seien Juden oder Mauren gewesen.«133

Soweit sich die teilweise hoch kontroverse Aufstellung solcher Statuten nach­ vollziehen lässt, reagierten viele Institutionen ähnlich wie der Hieronymitenor­ den wohl eher defensiv auf äußeren Druck, als dass sie aus eigenem Antrieb die Initiative ergriffen. Aufgrund der allgemeinen öffentlichen Diffamierung der Neuchristen vor allem nach den ersten Inquisitionsprozessen ging es vielen Einrichtungen offenbar darum, ihr eigenes öffentliches Ansehen zu schützen, indem sie sich zumindest laut ihrer Satzung demonstrativ von den der Häresie verdächtigen Neuchristen abgrenzten. Umso stärker war diese Motivation bei 131

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Vgl. Pastore: False Trials, S. 247‑248; Carrete Parrondo: Los conversos jerónimos, S. 108‑109; Francisco Márquez Villanueva: Investigaciones sobre Juan Álvarez Gato. Contri­ bucción al conocimiento de la literatura castellana del siglo XV, Madrid 1960, S. 99‑100. […] conformándonos con la voluntad del arzobispo nuestro señor, según nos consta y sabemos por los colegiales que vieron su carta, confirmamos el estatuto que dice que ninguno que descendiere »de genere judaeorum vel saracenorum« pueda ser colegial. – Text bei Luis Sala Balust: Constituciones, estatutos, y ceremonías de los antiguos colegios seculares de la universidad de Salamanca, Bd. 3, Salamanca 1964, S. 100‑101. […] ordenamos que, antes que se haga la elección de las personas del Colegio, a lo menos de los colegiales y capellanes de dentro, que se haga pesquisa de su linaje, y que ninguno sea elegido sin que primero sean ciertos a lo menos del padre y madre, y de los cuatro abuelos, y de los otros ascendientes no haya memoria de hombres ni fama que fuesen judíos ni moros. – ebd., S. 101.

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Körperschaften, die wie die Hieronymiten bereits stark mit den Conversos assoziiert wurden oder sich wie das spanische Kolleg zu Bologna als Zufluchts­ ort für andalusische Neuchristen anboten, um den Inquisitionstribunalen aus­ zuweichen.134 So schreiben die neu geschaffenen Statuten des Kollegs San Cle­ mente 1488 den Beschluss fest, den sein bischöflicher Visitator bereits sechs Jahre zuvor erlassen hatte: »Mit dem Wunsch, für die Ehre seines guten Namens und Rufes und den seines zuvor genannten Kollegs zu sorgen und ihn zu festigen, bestimmte der Visitator eben dieses Kollegs also, bei Strafe der Exkommunikation festzusetzen, dass keiner aus den Königreichen Spaniens, da es in dieser Gegend heute viele Neuchristen und deren Nachkommen gibt, die sogar noch in dritter Generation als Häretiker verdächtigt werden, zu diesem Kolleg […] zugelassen wird, wenn er nicht Glauben und Zeugnis beibringt, dass er nicht aus dem Geschlecht der Verdammten ist […].«135

Damit beugten sich die Vertreter bedeutender und zum Teil altehrwürdiger Institutionen – womöglich wider besseren Wissens – dem Druck populärer Vorurteile und trugen ihrerseits dazu bei, den Diskurs gegen die Conversos fortzuschreiben. In manchen Fällen mag ein Statut lediglich als symbolischer Ausweis der eigenen Rechtgläubigkeit und Wohlanständigkeit gedient haben, ohne dass den Anforderungen in der Praxis zunächst allzu viel Beachtung ge­ schenkt worden wäre – halbwegs geregelte Verfahren zum Nachweis (probanza) eines tadellosen Stammbaums wurden ohnehin erst Mitte des 16. Jahrhunderts etabliert.136 In anderen Fällen sahen Befürworter der Statuten aber womöglich auch eine willkommene Gelegenheit, interne Konkurrenten loswerden oder unter Druck setzen zu können und damit die eigene Karriere zu fördern. Wieder andere mochten in der Annahme eines Statuts vorrangig einen Prestige­ gewinn für ihre Korporation sehen, die sich selbst und ihre Mitglieder dadurch als im doppelten Sinne besonders exklusiv auszeichnete. Wenn auch die bereits ernannten Mitglieder eines Kollegs, Ordens oder Kapitels in der Regel wohl eine Art Bestandsschutz genossen, signalisierte doch jedes neu gefasste Statut den Christen, die zu ihren vielleicht bloß entfernten Vorfahren auch Juden zählten, dass sie in den tragenden Institutionen der ka­ tholischen Kirche nicht willkommen waren. Selbst wo nur ein kleiner Teil aller 134 135

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Vgl. Starr-LeBeau: Shadow of the Virgin, S. 50‑51; Carrete Parrondo: Los conversos jeróni­ mos, S. 97‑116; Cuart Moner: Colegiales mayores, S. 8. […] suis et prefati collegii honori bonis nomini et fame prouidere et consulere cupien­ tium, visitator ipsius collegii proinde duxit alias sub excommunicationis pena statuen­ dum ut nullus de regnis Hispanie cum hodie multi noui christiani et descendentes ab eis etiam in tertiam generationem in prouintia illa de heresi suspecti existant, ad collegium […] admitteretur, nisi fidem et testimonium afferret quod de genere non existit damnatorum [...] – Text in: Baltasar Cuart Moner: Colegiales mayores y limpieza de sangre durante la edad moderna. El estatuto de San Clemenete de Bolo, Salamanca 1991, S. 21‑22. Vgl. Martínez: Genealogical Fictions, S. 62‑63; Hering Torres: Judenhass, Konversion, S. 52‑53.

spanischen Neuchristen direkt von solchen Statuten betroffen war – gemessen an der Gesamtbevölkerung dürften nur die Wenigsten potenzielle Kandidaten eines Universitätskollegs oder Domkapitels gewesen sein –, kann ihre symboli­ sche Wirkung kaum überschätzt werden. Jedes Statut setzte einen weiteren Prä­ zedenzfall, so dass in den kommenden Jahrzehnten und Jahrhunderten nicht mehr die Gegner der Conversos gegen den Status quo argumentieren mussten, sondern ihre Verteidiger. Hatten in den bisherigen Schriften zugunsten der Neuchristen noch illustre Zeitgenossen wie Pablo de Santa María als Beweis dafür gedient, dass auch Juden zu einem heiligmäßigen Leben berufen waren, so waren vergleichbare Karrieren und damit lebende Beispiele von über jeden Zweifel erhabenen Christen jüdischer Abstammung geradezu unmöglich geworden. Ohne Vorbil­ der und spirituelle Führung wiederum fiel es auch den weniger gut situierten und gebildeten Conversos nur noch schwerer, sich in einer von Altchristen dominierten Kirche zu beheimaten. Vierzig Jahre zuvor hatten Fernán Díaz de Toledo, Lope de Barrientos, Alonso de Cartagena und andere immer wieder davor gewarnt, dass gerade die Diskriminierung und Stigmatisierung der Con­ versos dazu beitragen könnte, dass einzelne sich von ihrem neuen Glauben abwandten. Ungeachtet solcher Mahnungen trug jedes neue Statut weiter dazu bei, die religiöse Integration zu verhindern und die Neuchristen aus der christ­ lichen Gemeinschaft hinauszudrängen. 2.3.1 Fernando de Pulgar Der grimmige Spott, mit dem Fernando de Pulgar (ca. 1436‑1492) sich in einem Brief über ein seiner Meinung nach besonders selbstgefälliges und prä­ tentiöses Statut lustig macht, kann dabei kaum über seine echte Sorge hinweg­ täuschen: »Euer Gnaden werden von jenem neuen in Gipuzkoa gefassten Statut gehört haben, in dem man uns verbietet, dorthin zu gehen, um zu heiraten, uns niederzulassen und so weiter. […] Ein wenig ähnelt es der Verordnung der Steinbrecher von Toledo, ihren Beruf keinem Confeso beizubringen. So wahr mir Gott helfe, mein Herr, habe ich recht betrachtet noch nie etwas gesehen, das so zum Lachen gewesen wäre für denjenigen, der die Güte des Landes und den Zustand der Leute kennt.«137

Auch darf bezweifelt werden, dass wirklich alle Neuchristen, zumal solche geringeren Standes, so erhaben über Ansiedlungs-, Heirats- und Berufsverbote 137

Sabido avrá V.S. aquel nuevo estatuto fecho en Guipuzcoa, en que ordenaron que no fuesemos allá á casar ni morar etc. […] Un poco paresce á la ordenanza que ficieron los pedreros de Toledo de no amostrar su oficio á confeso ninguno. Así me vala Dios, Señor, bien considerado no ví cosa mas de reir para el que conosce la qualidad de la tierra, é la condicion de la gente. – Fernando de Pulgar: Para el Cardenal de España. ed. Domínguez Bordona: Letras, S. 149.

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von Seiten altchristlicher Bauern und Handwerker sein konnten wie der hier schreibende Hofbeamte. Er selbst gehörte zu den Gelehrten (letrados), deren Familien im Dienst von Krone, Hochadel und Kirche im 15. Jahrhundert ein beachtlicher sozialer Aufstieg gelungen war. Ausgebildet am Hof Johanns II. und seit 1458 im persönlichen Dienst Heinrichs IV., übernahm Fernando unter Isabella I. das Amt des königlichen Chronisten von Alonso de Palencia.138 Aus seiner Sicht spielten bei Anfeindungen gegen Conversos vor allem Neid und Missgunst eine Rolle, wie sie vermeintlichen Emporkömmlingen auch in anderen Zusammenhängen entgegengebracht werden. So schrieb er 1478 an einen Freund in Toledo: »In dieser edlen Stadt kann man nicht wohlwollend hinnehmen, dass einige, deren Abstammung ihr nicht anerkennt, Würden und Regierungsämter innehaben, denn Ihr findet, dass der Makel des Geblüts ihnen die Fähigkeit zum Regieren nimmt. Zudem leidet man sehr darunter, die Reichtümer derer zu sehen, die man ihrer nicht für wert hält, besonders jener, die sie erst vor kurzem erworben haben.«139

Die Briefe Fernandos gehören damit zu seinen unverblümtesten Äußerungen in der Kontroverse um die Neuchristen, während er sich in seinem Geschichts­ werk Crónica de los Reyes Católicos mit Bewertungen stark zurückhält.140 Das bedeutet nicht unbedingt, dass er als Fürsprecher der Conversos das Licht der Öffentlichkeit scheute, denn auch seine Briefsammlung wurde noch zu seinen Lebzeiten von ihm selbst publiziert; doch die auktoriale Person des königlichen Chronisten erlaubte ihm keinen allzu starken Kommentar und noch weniger eine Darstellung, die als Kritik an der Machtausübung des Herrscherhauses ver­ standen werden konnte. Gleichwohl wurde er vermutlich um das Jahr 1479 als Sympathisant judaisierender Häretiker denunziert und verlor vorübergehend seine Stellung bei Hofe.141 Auch sein biographisches Werk Claros varones de Castilla (ca. 1484), in dem Fernando in Nachahmung seines Vorbildes Fernán Pérez de Guzmán eine Sammlung von Kurzportraits bedeutender Personen seiner Zeit zusammen­ stellt, trägt teilweise Züge einer Apologie der Neuchristen – wenn auch auf recht ambivalente Weise.142 Indem er jeweils gewissenhaft die (gegebenenfalls

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Vgl. u.a. Ignacio Navarrete: Rhetorical and Narrative Paradigms in Fernando del Pulgar’s »Crónica de los Reyes Católicos«. In: Hispanic Review 72 (2004), S. 264. En esa noble cibdad no se puede buenamente sofrir que algunos que iugaiz no ser de linaje tengan honras e oficios de gouernación, porque entendeis que el defecto de la sangre les quita la habilidad del gouernar. Asimismo se sufre grauemente ver riquezas en ommes que se cree no las merecer, en especial aquellos que nueuamente las ganaraon. – Fernando de Pulgar: Para un su amigo de Toledo, ed. Domínguez Bordona: Letras, S. 69. Vgl. Agnew: The Silences. Vgl. Tate: Poles apart, S. 445; Navarrete: Paradigms, S. 265. »Berühmte Männer Kastiliens« – Text u.a. bei Tate.: Claros varones, S. 1‑77; vgl. auch Knapp: Herbst des Mittelalters, S. 174‑185; Netanyahu: Origins, S. 606‑609; Miguel Á. Pérez Priego: Caballeros y prelados biografiados por Fernando de Pulgar. In: Cristina Moya

jüdische) Abstammung seiner Protagonisten vermerkt, akzeptiert und bestätigt er damit indirekt die Relevanz dieser Kategorie, was selbst zu seiner Zeit nicht zwingend notwendig war. Eine vergleichbare Einordnung würde man jeden­ falls vergeblich Sammelbiographien wie denen der Humanisten Bartolomeo Fa­ cio oder Pere Miquel Carbonell suchen.143 Bei den drei Bischöfen, die Fernando auf diese Weise als Nachfahren von Juden identifiziert, stellt er jedoch umso nachdrücklicher ihre makellose Tugend heraus; zweifellos nicht zuletzt, um das pauschale Vorurteil gegen die Conversos anhand dieser vorbildhaften Beispiele zu widerlegen. Bei immerhin zwei Adligen mit portugiesischen Wurzeln hielt er die Versicherung für angebracht, sie seien »von reinem Geblüt« (de linpia sangre), wobei allerdings nicht klar ist, ob diese Wendung sich auf einen rein christlichen oder rein adligen Stammbaum bezieht.144 Darüber hinaus trat Fernando de Pulgar zugunsten der Conversos mehrfach als (wenn auch vorsichtiger) Kritiker der Spanischen Inquisition auf, deren Tribunale 1481 in Sevilla begannen. Innerhalb weniger Jahre weiteten die In­ quisitoren ihre Tätigkeit unter anderem nach Cordoba, Ciudad Real, Toledo, Valencia, Saragossa und somit über große Teile Kastiliens und Aragons aus und erreichten dabei schon bald eine Unabhängigkeit, die sie deutlich von ihren mittelalterlichen Vorläufern unterschied.145 Die Inquisition als kirchenrechtli­ ches Verfahren in bischöflicher Verantwortung war zwar auf der Iberischen Halbinsel schon zuvor angewendet worden, wenn auch eher selten in Kastilien, so doch angefangen vom frühen 13. Jahrhundert immer wieder in Navarra und Aragon.146 Noch 1475 hatte Papst Sixtus IV. seinen eigenen Legaten Nicolao Franco mit weitreichenden Vollmachten beauftragt, um in Kastilien und Leon gegen »vorgeblich Christen« vorzugehen, »die Riten und Bräuche der Juden nachahmen und deren Irrtümern anhängen« (pro Christiani se gerentes, qui ritus er mores imitantur Iudeorum, et illorum inherent erroribus).147 Dass jedoch Inquisi­ toren mit weitreichenden Befugnissen praktisch direkt von der Krone ernannt wurden und rasch eine reichsweite und dauerhafte Organisationsstruktur auf­

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García und Nicasio Salvador Miguel (Hgg.): La literatura en la época de los Reyes Católicos, Madrid 2008, S. 207‑227. Vgl. Manuel de Bofarull y de Sartorio: Opúsculos inéditos del cronista Catalán Pedro Miguel Carbonell, Barcelona 1865, S. 237‑245; Patrick Baker: Bartolomeo Facio. On Illustrious Men, »Poets« and »Orators«. In: ders. (Hg.): Biography, Historiography, and Modes of Philosophizing, Leiden 2017, S. 134‑169. Fernando de Pulgar: Claros varones, ed. Tate, S. 39; 62. Vgl. u.a. Haim Beinart: Los conversos ante el tribunal de la Inquisición, Barcelona 1983, S. 31‑59; Pastore: Il vangelo, S. 57‑64: Jiménez Monteserín: La carta; García Cárcel/Mo­ reno Martínez: Inquisición, S. 23‑41; Roth: Anti-Converso Riots, S. 385‑394; Francisco Márquez Villanueva: The Converso Problem. An Assessment. In: Marcel P. Hornik (Hg.): Collected Studies, S. 329f.; Teófilo F. Ruiz: The Holy Office in Medieval France and in Late Medieval Castile: Origins and Contrast. In: Angel Alcalá (Hg.): The Spanish Inquisition and the Inquisitorial Mind, New York 1987, S. 33‑51. Vgl. García Carcel/Moreno Martínez: Inquisición, S. 24‑30. Vgl. Simonsohn: Apostolic See 1464-1521, S. 1227.

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bauten, war neu und sollte den Charakter der Spanischen Inquisition bis zur ihrer Abschaffung im 19. Jahrhundert maßgeblich prägen. Die Berufung der ersten Inquisitoren für Kastilien ist zweifellos eine Konse­ quenz der sozialen und religiösen Konflikte des 14. und 15. Jahrhunderts, sollte jedoch ebenso wie die spätere Entwicklung dieser Institution nicht ex post als unausweichlich angesehen werden. Die gelehrten Verteidiger der Conversos hatten in teils umfangreichen Werken die Vorstellung einer genealogischen Disposition zur Häresie immer wieder als theologische Irrlehre bewiesen und darauf bestanden, dass allenfalls einzelne Neuchristen noch ihrem alten Glau­ ben anhingen. Sowohl an der römischen Kurie als auch auf der Iberischen Halbinsel selbst gab es erheblichen Widerstand gegen die Einsetzung einer Inquisition für ganz Kastilien oder gar ganz Spanien, so dass die Entscheidung des Papstes oder auch der Katholischen Könige durchaus anders hätte ausfallen können.148 Ebenso wenig dürfte allen Zeitgenossen von vornherein und über jeden Zweifel hinaus klar gewesen sein, welche verheerende Dynamik die Inquisiti­ on für Juden und Conversos entwickeln würde. Die breite Verfolgung von Neuchristen aufgrund eines Generalverdachts lag wohl im Interesse eines min­ destens ebenso ständisch und wirtschaftlich wie genuin religiös motivierten Teils der Altchristen, doch existierte zumindest Mitte des Jahrhunderts noch die Hoffnung, dass eine vom Papst legitimierte und von der Krone eingerich­ tete Inquisition mit differenzierten und angemessenen Urteilen genau diesen Generalverdacht ausräumen würde. Gerade die frühen Apologeten der Rechte der Neuchristen waren noch zuversichtlich, dass sich im Ernstfall allenfalls wenige tatsächliche Judaisierer finden würden, deren mutmaßlich unbeabsich­ tigte Glaubensirrtümer sich mit gutem Willen leicht korrigieren ließen.149 Der anonyme Prediger Johanns II. war sich der Sache der Conversos sogar so sicher, dass er dem König die Einsetzung eines päpstlichen Inquisitors empfahl, um nicht die Neuchristen, sondern vielmehr die Aufständischen in Toledo der Häresie zu überführen und der gerechten Strafe zu übergeben: »Entsprechend scheint es wohl heilsam, wenn es Euren Gefallen findet, vom Papst einen Inquisitor dieser häretischen Schlechtigkeit anzufordern, der ungeachtet weltli­ cher und menschlicher Furcht, Abneigung und Liebe die besagten Schismatiker und Häretiker mit dem geistlichen Schwert, das heißt, der Kirchenstrafe schlägt und dem leiblichen Schwert Eurer königlichen Hoheit zur Ausführung der Strafe übergibt.«150 148

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Gegen die Zwangsläufigkeit der Ereignisse argumentieren u.a. Stefania Pastore: Il Van­ gelo, S. 65‑106 und Vidal Doval: Misera Hispania, S. 14. Vgl. dazu auch Benito: Inquisiti­ on and the Creation of the Other, S. 48‑49. Vgl. Sicroff: Los estatutos, S. 90‑94. Conueniens sane uideretur, si serenitati uestrae placeret, inquisitorem haereticae praui­ tatis a summo Pontifice impetrare, qui, timore mundano et humano, odio et amore postpositis, praedictos schismaticos et haereticos gladio spirituali, scilicet, ecclesiastica censura feririt et gladio corporali uestrae regiae celsitudini feriendos uel puniendos

Auch Alonso de Oropesa und Hernando de Talavera gehörten zwar letztlich zu den Kritikern der Inquisition, befürworteten jedoch beide zu unterschiedlichen Zeitpunkten zumindest bischöfliche Inquisitionsverfahren. Ihr Ziel war es da­ bei womöglich, die Rechtgläubigkeit der Mehrheit der Neuchristen öffentlich zu beweisen und zugleich die Gefahr einer sich weiter verbreitenden Hetero­ doxie für die Zukunft zu bannen, indem gegebenenfalls die wenigen tatsächli­ chen Judaisierer ausgesondert würden.151 Auch mochten unvoreingenommene und gründliche Inquisitoren, wie auch Fernán Díaz de Toledo und Alonso de Cartagena andeuteten, durchaus Glaubensirrtümer und Irrlehren unter den Alt­ christen aufdecken und so den Generalverdacht gegen die Christen jüdischer Herkunft erheblich relativieren.152 Entscheidend war also nicht lediglich, ob Inquisitoren berufen würden oder nicht, sondern der Charakter, den ihre Tätig­ keit aufgrund des Umfangs ihrer Befugnisse, der königlichen oder päpstlichen Auswahl und Weisung sowie ihrer persönlicher Motivation annehmen würde – und das nicht nur, was das Schicksal der unmittelbar Betroffenen anging, sondern auch den Einfluss, den die Tribunale auf den allgemeinen und nicht zuletzt auf den gelehrten Diskurs über die iberischen Neuchristen hatten. Die Spanische Inquisition, die Isabella und Ferdinand dann letztlich kraft der Autorität errichteten, die ihnen Papst Sixtus IV. in der Bulle Exigit sincere devotionis gewährt hatte,153 diente faktisch in nahezu jeder Hinsicht den Inter­ essen der altchristlichen Feinde der Conversos.154 So vermerkt Fernando de Pulgar, indem er die Beschwerden der Betroffenen in Andalusien wiedergibt: »[…] so wie sie die Prozesse führten und Zeugen und Informationen gewannen, und in der Folter, die sie anwandten, und in der Vollstreckung der Urteile und in anderer Hinsicht verhielten sich die Inquisitoren und die weltlichen Vollstrecker grausam; und sie zeigten eine große Feindschaft […] gegen alle [Neuchristen], mit der Absicht, sie zu verleumden und jener schrecklichen Sünde [der Häresie] anzuklagen.«155

Bereits ihr erstes Tribunal in Sevilla bewirkte eine Massenflucht von Neuchris­ ten, die sich ihres Lebens und Wohlergehens nicht mehr sicher sein konnten.156

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remitteret. – Sermo in die beati Augustini; ed. González Rolán/Saquero Suárez-Somonte, S. 55. Vgl. Doris Moreno: La invención de la inquisición, Madrid 2004, S. 95‑97. Vgl. Emilio Mitre Fernández und Cristina Granda: Las grandes herejías de la Europa cristiana (380-1520), Madrid 21999, S. 194; Pastore: Il Vangelo, S. 33‑34. Vgl. Simonsohn: Apostolic See 1464‑1521, S. 1247‑1249. Vgl. Helen Rawlings: The Spanish Inquisition, Oxford 2006, S. 47‑65; Benzion Netanya­ hu: The Primary Cause of the Inquisition. In: Alcalá (Hg.): The Spanish Inquisition and the Inquisitorial Mind, S. 11‑32. […] en la manera del facer de los proçesos, e del tomar de los testigos e ynformaçiones, e en los tormentos que davan, e en la execuçión de las setençias, e en las otras çircuns­ tançias, los ynquisidores eclesyásticos e los esecutores seglares se avían cruelmente; e mostruan grand enemiga […] contra todos, con ánimos de los macular e de los disfamar de aquel pecado orrible. – Crónica de los Reyes Católicos, 120, ed. Mata Carriazo, S. 439. Vgl. u.a. Juan Gil: Los conversos y la inquisición Sevillana. Bd. 1, Sevilla 2000, S. 93‑121.

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Da die forensische Dynamik der Inquisitionsverfahren durch Denunziation und Folter eine starke Neigung aufwies, unabhängig von den konkreten Um­ ständen der Angeklagten Geständnisse und damit einhergehend Schuldsprüche zu produzieren, wurde der Argwohn gegenüber den mutmaßlich judaisieren­ den Neuchristen zur sich selbst erfüllenden Prophezeiung.157 Vorurteile gegen­ über Christen mit jüdischen Vorfahren prägten so die institutionelle Machtaus­ übung auf eine Weise, die im Ergebnis das vermeintliche Wissen um deren Disposition zur Heterodoxie immer mehr zur Gewissheit werden ließ. Mit der massenhaften Flucht kastilischer Neuchristen griff die Krise auch auf das benachbarte Portugal über. Wo es bislang noch kaum Vorbehalte gegen Konvertiten und nur vergleichsweise wenige antijüdische Übergriffe gegeben hatte,158 fanden die Conversos dennoch nur für kurze Zeit Zuflucht. Schon bald wurde ihnen und den angeblich mit ihnen verbündeten portugiesischen Juden auch hier so viel Hass entgegengebracht, dass König Johann II. drastische Maßnahmen ergriff: Der Schutz der einheimischen Juden vor gewaltsamen Angriffen ging dabei Hand in Hand mit inquisitorischen Untersuchungen (in­ quirições) gegen die zugewanderten Neuchristen und dem Verbot ihrer weiteren Ansiedlung.159 An der angeblichen Gefahr, die von den cristãos novos als poten­ ziellen Häretikern ausging, konnte dabei laut dem Chronisten Rui de Pina kein Zweifel bestehen: »[…] und viele unter ihnen wurden bestraft, sowohl mit dem Feuertod als auch mit andauernder Kerkerhaft und anderen Strafen. […] Und weil einige von ihnen über das Meer ins Gebiet der Mauren eilten, wo sie anschließend offen Juden wurden, verbot der König ihnen durch ein Gesetz bei Todesstrafe und Verlust des Vermögens, dass sie jemals wieder seine Reiche und Güter ohne seine Erlaubnis durchquerten.«160

Die Versicherungen vieler gelehrter Verteidiger der Conversos, die eine solche inhärente Neigung zur Häresie kategorisch bestritten hatten, schien mittlerwei­ le auch in Kastilien und Aragon durch die Evidenz hunderter Schuldsprüche vor den Inquisitionstribunalen faktisch widerlegt zu sein. Dies spiegelt sich un­ ter anderem auch in der Redaktionsgeschichte der Crónica de los Reyes Católicos 157

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Vgl. u.a. Benito: Inquisition, S. 54‑66; García Carcel/Moreno Martínez: Inquisición, S. 162‑193; Miriam Bodian: Men of the Nation. The shaping of converso identity in Early Modern Europe. In: Past and Present 143 (1994), S. 55. Vgl. Isabel C. Ferreira Fernandes: Die Juden in Portugal: Bilanz und Perspektiven der Forschung. In: Herbers/Jaspert (Hgg.): Integration – Segregation – Vertreibung, S. 233. Vgl. Soyer: »O Príncipe Perfeito«, S. 75‑99 und ders.:Was there an Inquisition in Portu­ gal Before 1536? In: Iacobus. Revista de estudios jacobeos y medievales 19‑20 (2005), S. 177-202. […] e nelles se fez muita puniçam, e castigo de fogo, e carceres perpetuos, e outras pendenças. […] E porque algũs destes per mar se lançaram em terra de Mouros, onde pubricamente se tornavam logo Judeus, foy defeso per ElRey, e posto per ley, que nenhũ de seus Regnos, e Senhorios, sob pena de morte, e de perdimento de fazendas d’hi em diante sem sua licença, os passasse. – Croniqua delrey dom Joham II, 29, ed. Martins de Carvalho, S. 79-80.

wieder, deren (von Fernando de Pulgar selbst oder einem späteren Herausge­ ber) überarbeitete Version das rigorose Vorgehen der Inquisitoren tendenziell als akzeptabler und notwendiger darstellt als die ursprüngliche Fassung.161 Da seine Berichterstattung 1492 eher unvermittelt abbricht, lässt sich dies auch als sein Todesjahr vermuten. 2.3.2 Hernando de Talavera Auch einige Einlassungen des Priors, königlichen Beichtvaters und späteren Bischofs Hernando de Talavera (ca. 1428‑1507) zugunsten der Conversos sind im Zusammenhang mit der Spanischen Inquisition zu sehen. Von seinen frü­ hen Lebensdaten ist wenig mehr bekannt, als dass er in Talavera de la Reina im westlichen Kastilien geboren wurde.162 Mit Unterstützung des Grafen von Oropesa, mit dem er möglicherweise entfernt verwandt war,163 studierte er Theologie in Salamanca, wo er auch selbst eine Zeit lang Moraltheologie lehr­ te.164 Im Kloster San Leandro in Alba de Tormes trat er um das Jahr 1458 dem Orden der Hieronymiten bei. 1470 wurde er Prior im Kloster El Prado bei Valladolid und 1474 Oberer des gesamten Ordens. Als enger Berater und Beichtvater Isabellas I. gewann er erhebliches Ansehen am Königshof. Sein politischer Einfluss ist nachweisbar beim Konzil von Sevilla (1478), beim Frie­ densschluss mit Portugal (1479), beim Reformprogramm, das auf dem Hoftag (cortes) von Toledo erlassen wurde (1480), bei der Finanzierung des Krieges gegen Granada und bei den Verhandlungen mit Christoph Kolumbus.165 Hernandos wichtigste Schrift zugunsten der Neuchristen ist die 1481 ver­ fasste Católica impugnación del herético libelo maldito y descomulgado, que en el año pasado del nacimiento de nuestro Señor Jesucristo de mil y cuatrocientos y ochenta años fué divulgado en la ciudad de Sevilla.166 Sie richtig einzuordnen, ist 161

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Vgl. Saskia von Hoegen: Entwicklung der spanischen Historiographie im ausgehenden Mittel­ alter am Beispiel der »Crónicas de los Reyes de Castilla Don Pedro I, Don Enrique II, Don Juan I y Don Enrique III« von Pero López de Ayala, der »Generaciones y semblanzas« von Fernán Pérez de Guzmán und der »Crónica des los Reyes Católicos« von Fernando del Pulgar, Frankfurt 2000, S. 459; Cantera Burgos: Fernando de Pulgar, S. 335-346; E. Michael Gerli: Social Crisis and Conversion: Apostasy and Inquisition in the Chronicles of Fernando del Pulgar and Andrés Bernáldez. In: Hispanic Review 70 (2002), S. 147‑167. Vgl. Martin Biersack: Mediterraner Kulturtransfer am Beginn der Neuzeit. Die Rezeption der italienischen Renaissance in Kastilien zur Zeit der Katholischen Könige, München 2010, S. 289‑293; Márquez Villanueva: Estudio preliminar, S. 8‑9 und MacKay: Talavera, S. 770. Vgl. Biersack: Kulturtransfer S. 290; Pastore: Un’eresia, S. 29. Vgl. Iannuzzi: El poder de la palabra, S. 71‑98. Vgl. Márquez Villanueva: Estudio preliminar, S. 10‑12, Biersack: Kulturtransfer S. 291‑292. »Katholische Anfechtung des häretischen, verfluchten und geächteten Pamphlets, das im vergangenen Jahr 1480 der Geburt unseres Herrn Jesus Christus in der Stadt Sevilla verbreitet wurde« – Text in der Edition von Francisco Martín Hernández bei Stefa­ nia Pastore (Hg.): Católica impugnación, Córdoba 2012, S. 3‑181; zuvor bei Francisco Márquez Villanueva (Hg.): Católica impugnación, Barcelona 1961, S. 59‑243.

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allerdings nur möglich vor dem Hintergrund seiner allgemeinen Einstellung zu Fragen der religiösen Minderheiten im christlichen Spanien. Auch wenn Hernandos Haltung in Teilen der Literatur anachronistisch und übertrieben emphatisch als Kampf für Toleranz und Religionsfreiheit dargestellt worden ist,167 kann doch letztlich kein Zweifel daran bestehen, dass er im Vergleich zu anderen führenden Kirchenmännern seiner Zeit eindeutig um den Schutz der Conversos besorgt war und immer wieder auch politisch zu ihren Gunsten in­ tervenierte. Die erbaulichen Schriften, die Hernando in den ersten Jahren ihrer Regierung für Königin Isabella verfasste, beziehen immer wieder auf diskrete Weise Stellung zugunsten der Conversos, indem sie etwa die Tugend der alttes­ tamentlichen Heiligen hervorheben, die Kontinuität von Neuem und Altem Testament herausstellen und die Einheit von Juden und Heiden in der Kirche Christi betonen.168 Als 1477 in Sevilla mutmaßliche Judaisierer am Königshof denunziert wurden, sprach sich Hernando (wenn auch erfolglos) dagegen aus, vom Papst das Privileg zur Ernennung von Inquisitoren durch die Krone zu erbitten.169 Gegen die Zeichnung Hernandos als religiös konziliant ist angeführt wor­ den, dass er als Urheber eines Erlasses gilt, der alle Christen des Erzbistums Sevilla dazu verpflichtete, ihre Häuser mit Andachtsbildern Jesu Christi und der Muttergottes auszustatten.170 Dieser Versuch eines übertrieben wirkenden Eingriffs in das häusliche Leben der Gläubigen muss dennoch als Teil einer Reihe von vergleichsweise milden Maßnahmen gewertet werden, die nicht zuletzt das Königspaar überzeugen sollten, dass dem Problem des Kryptojuda­ ismus auch mit pädagogischen Mitteln beizukommen wäre. Genau in dieser äußerst prekären Situation, in der Hernando und sein damaliger Schirmherr, der Erzbischof von Sevilla Pedro González de Mendoza, alles daransetzten, die drohende Einsetzung von Inquisitoren durch die Krone zu verhindern, wurde nun eine anonyme Streitschrift in Umlauf gebracht, die als Libelo del anónimo judaizante (Pamphlet eines anonymen Judaisierers) bekannt wurde. Es handelt sich bei dieser Polemik höchstwahrscheinlich um eine Fälschung zu dem Zweck, das Misstrauen gegen jüdische Konvertiten und ihre Nachfah­ ren zu erhöhen.171 In dieser Absicht kritisiert sie (angeblich aus neuchristlicher 167 168

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Diskussion bei Salomons: A Church United. Vgl. Carmen Parrilla: Hernando de Talavera. Dos escritos destinados a la reina Isabel. Colación muy provechosa. Tratado de loores de san Juan Evangelista, Valencia 2014; vgl dazu auch José Fradejas Lebrero: Bibliografía crítica de Fray Hernando de Talavera. In: Soto Rábanos (Hg.): Pensamiento medieval hispano. Bd. 2, S. 1347‑1357. Vgl. Marquez Villanueva: Estudio preliminar, S. 6‑7. Vgl. David Nirenberg: Aesthetic Theology and Its Enemies. Judaism in Christian Painting, Poetry, and Politics, Waltham 2015, S. 40‑42; Felipe Pereda: Las imágenes de la discordia política y poética de la imagen sagrada en la España del cuatrocientos, Madrid 2007, S. 44‑66. Vgl. Bernhard Holl: Antijüdische Polemik unter falscher Flagge. Das vorgebliche Pamphlet eines anonymen Judaisierers 1480 in Sevilla. In: Zeitschrift für Religions- und Geistesge­ schichte 72 (2020), S. 412‑424.

Sicht) mehrere Punkte der herrschenden christlichen Lehre und religiösen Praxis auf eine Weise, die von den Zeitgenossen unweigerlich als häretisch in­ terpretiert werden musste. Der Text selbst ist zwar nicht wörtlich überliefert, je­ doch kann sein Inhalt weitestgehend aus der Gegenschrift erschlossen werden, in der Hernando die Thesen des Anonymus Punkt für Punkt widerlegt.172 Das allein macht die Católica impugnación zwar primär eher zu einer Verteidigung der Rechtgläubigkeit des Autors als der Conversos, doch lässt sie keine Gelegen­ heit aus, die andalusischen Neuchristen vor Verdacht und Verfolgung in Schutz zu nehmen. Gleichwohl verurteilt auch Hernando die Einhaltung jüdischer Gebote als unvereinbar mit dem Glauben an die Erlösung durch Christus; seiner festen Meinung nach betraf diese Form der Apostasie tatsächlich aber nur die allerwenigsten Neuchristen. Zunächst scheint diese Parteinahme für die Sache der Neuchristen Hernan­ dos Karriere nicht geschadet zu haben; 1483 wurde er zum Administrator der Diözese Salamanca und zwei Jahre später zum Bischof von Avila ernannt. 1493 übernahm er als Erzbischof die Verantwortung für die religiösen Belange des jüngst eroberten Granada.173 Hier strebte er eine friedliche und allmähliche Bekehrung der muslimischen Einwohner an, konnte sich jedoch mit seiner Politik der Zurückhaltung nicht durchsetzen: Mit dem politischen Willen zur Einigung der eroberten Territorien forcierte die erstarkende Inquisition unter Francisco Jiménez de Cisneros bereits wenige Jahre später die Christianisierung der verbliebenen granadinischen Mudejaren durch Zwangsmittel von der Ver­ brennung arabischer Bücher bis hin zur Vertreibung.174 Eine spätere kleine Schrift Hernandos steht nicht ausdrücklich, aber doch in­ tentional im Zusammenhang mit der Diffamierung und Ausgrenzung jüdisch­ stämmiger Christen. Der vermutlich während seines Episkopats in Granada verfasste Traktat De murmurar ó mal decir behandelt die moralische Verwerflich­ keit des heimlichen Rufmordes.175 Auch wenn es sich dabei zweifellos um eine zeitlose Problematik handelt, scheinen sich seine Überlegungen doch we­ sentlich auf das Problem der Denunziation vermeintlicher Judaisierer und der Verleumdung der Conversos zu beziehen. Jahre später wurden Hernando de Talavera selbst sowie seine Familienangehörigen in einem Inquisitionsverfah­ ren der Häresie angeklagt. Wahrscheinlich standen auch hier eher politische und persönliche Motive im Hintergrund, da Hernando sich immer wieder 172 173 174

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Vgl. die Rekonstruktion des Textes bei Lobera Serrano: Libello perdido, S. 33‑49. Vgl. Iannuzzi: El poder de la palabra, S. 387‑448. Vgl. Joseph Pérez: Cisneros, el cardenal de España, Madrid 2014, S. 194‑198; García Cárcel, Moreno Martínez: Inquisición, S. 233‑234; Mark D. Johnston: Hernando de Tala­ vera on Conduct: Cultural Hegemony in Post-Conquest Granada. In: Confluencia. Revista Hispánica de Cultura y Literatura 30 (2015), S. 11‑22. »Gegen die Verleumdung oder die üble Nachrede« – Text bei Miguel Mir: Hernando de Talavera, Alejo Venegas, Francisco de Osuna, Alfonso de Madrid. Escritores místicos españoles, Madrid 1911, S. 46‑56.

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gegen Machtmissbrauch und Korruption innerhalb der Inquisition ausgespro­ chen hatte.176 Zwar erklärte Papst Julius II. persönlich ihn in einer eindringlich formulierten Bulle für unschuldig, doch starb Hernando noch vor seiner Reha­ bilitierung im Kerker der Spanischen Inquisition. Mit seiner Stellungnahme gegen das Pamphlet von Sevilla gehörte Hernando de Talavera zur letzten Generation von Apologeten der iberischen Neuchristen, die nach der Rebellion und dem Sentencia-Estatuto von Toledo 1449 versuchten, die endgültige Ausgrenzung der Neuchristen aus der Mehrheitsgesellschaft zu verhindern. Mochte die Angst vor einer Spaltung der Gesellschaft auch noch so berechtigt sein und sogar nach wie vor von weiten Teilen der Bevölkerung geteilt werden, war man nun jedoch mehr und mehr bereit, den Grund für die tatsächliche oder vermeintliche Apostasie der jüdischstämmigen Christen in einer erblichen Veranlagung zu sehen. Für das Scheitern der religiösen Integra­ tion wiederum wurde nicht die ablehnende christliche Mehrheitsgesellschaft verantwortlich gemacht, sondern die Conversos selbst und nicht zuletzt die verbliebenen Juden, deren andauernde Präsenz auf der Iberischen Halbinsel als zusätzlicher Risikofaktor für die Glaubenstreue der jüdischstämmigen Christen galt. Dieses Problem sollte 1492 das Edikt von Granada lösen, indem es die kasti­ lischen und aragonesischen Juden ultimativ zwang, das Christentum anzuneh­ men oder binnen vier Monaten bei Todesstrafe das Land zu verlassen.177 Bereits mit der Errichtung der Spanischen Inquisition und mit der militärischen Kam­ pagne, die sie seit 1482 im Namen des Christentums gegen das muslimische Granada führten, hatten Isabella und Ferdinand in religiösen Fragen immer wieder auf Konfrontation gesetzt. Nicht viel anders, als der rigorose Bußpredi­ ger Alonso de Espina in seinem Fortalitium fidei ausdrücklich gefordert hatte, erklärten sie damit gewissermaßen allen als solchen wahrgenommenen Feinden der Christenheit den Krieg: zuerst den Häretikern, dann den Muslimen und schließlich den Juden. Nicht zuletzt um die Macht ihres jungen Königtums gegen regionale und ständische Oppositionsgruppen zu festigen, gerierten sie sich durch diese Politik zu Vorkämpfern eines christlichen Gemeinwesens, das für heterogene Elemente keinen Platz mehr bot.178 Zwar hatte es schon zuvor lokale und regionale Ausweisungen und Verbote der Neuansiedlung jüdischer Bewohner in Andalusien und einzelnen aragone­ 176

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Vgl. Tarsicio Herrero del Collado: El proceso inquisitorial por delito de herejía contra Her­ nando de Talavera. In: Anuario de Historia del Derecho Español 39 (1969), S. 671‑702; Pérez: Ferdinand und Isabella, S. 179; Juan B. Avalle Arce: Sobre fray Hernando de Talave­ ra. In: ders.: Temas hispánicos medievales. Literatura e historia, Madrid 1974, S. 272f. Vgl. Haim Beinart: The Expulsion of the Jews from Spain, Oxford 2002, S. 33‑54; Luis Suárez Fernández: La expulsión de los judíos de España, Madrid 1991, S. 277‑324. Vgl. Martínez: Genealogical Fictions, S. 34‑36; Nirenberg: Anti-Judaismus, S. 214‑218; O’Callaghan: The Last Crusade in the West, S. 122‑167; Adriano Prosperi: Il seme dell’intol­ leranza. Ebrei, eretici, selvaggi: Granada 1492, Rom 2011, S. 5‑21.

sischen Landstrichen und Bistümern gegeben,179 doch der reichsweit geltende Beschluss bedeutete den endgültigen Bruch der spanischen Königreiche mit ihrem jüdischen Erbe. Die tatsächlichen Gründe dafür mögen vielfältig gewe­ sen sein,180 das Edikt selbst nennt allerdings als vorrangiges Ziel den Schutz der Konvertiten vor einem Rückfall ins Judentum: »In diesen unseren Reichen gab es einige schlechte Christen, die judaisierten und von unserem heiligen katholischen Glauben abfielen, wofür der Umgang der Juden mit den Christen ein vorrangiger Grund war. […] Diese [Juden] versuchen erwiesenerma­ ßen ständig und auf vielerlei Art und Weise, unseren heiligen katholischen Glauben zu untergraben und zu mindern und die gläubigen Christen von ihm abzubringen und sie zu ihrer schadhaften Überzeugung und Meinung zu verlocken und zu verfüh­ ren.«181

Das demographische Ausmaß der Vertreibung exakt zu bestimmen, ist äußerst schwierig angesichts einer Quellenbasis, die im Wesentlichen aus lückenhaften Steuerlisten sowie Chroniken und Berichten einzelner Betroffener ohne eigene Datengrundlage besteht.182 Bereits die Größe der jüdischen Bevölkerung, die nach den Massakern und Missionskampagnen der Wende zum 15. Jahrhundert in den spanischen Reichen noch übrig war, wird in der Forschung sehr un­ terschiedlich geschätzt. Weitgehend unstrittig ist jedoch, dass sich unter der Drohung der Verbannung noch einmal ein signifikanter Teil der Verbliebenen 179 180

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Vgl. Roth: Conversos, S. 282‑285. Vgl. u.a. Benjamin Scheller: Vertreibung als Disambiguierung. Die Ausweisungen der Juden aus England (1290), Frankreich (1394), Spanien (1492) und dem Königreich Neapel (1510) im Vergleich. In: ders. und Christian Hoffarth (Hgg.): Ambiguität und die Ordnungen des Sozialen im Mittelalter, Berlin 2018, S. 50‑54; Maurice Kriegel: El edicto de expulsión: motivos, fines, contexto. In: Alcalá (Hg.): Judíos, sefarditas, conversos, S. 134‑144. […] en estos nuestros reynos abia algunos malos christianos que judaiçaban e apostaban de nuestra santa fee catolica, de lo qual hera mucha causa la comunicaçion de los judios con los christianos […] los quales se pruevan que procuran siempre, por quantas vías é maneras pueden de subertir é subtraer de nuestra Santa fe católica a los fieles christianos, é los apartar della, é atraer é pervertir á su dañada creencia é opinión . – Text bei Luis Suárez Fernández: Documentos acerca de la expulsión de los judíos, Valladolid 1964, S. 391‑395; vgl. dazu auch Olivia Remie Constable: Medieval Iberia. Readings from Christian, Muslim, and Jewish Sources, Philadelphia 1997, S. 352‑356; Roth: Conversos, S. 293‑297; David Gitlitz: Las presuntas profanaciones judías del ritual cristiano en el decreto de expulsión. In: Alcalá (Hg.): Judíos, sefarditas, conversos, S. 150‑169. Zahlen und Diskussion u.a. bei Netanyahu: Marranos, S. 238-248; Roth: Conversos, S. 372-376; Jane S. Gerber: The Jews of Spain. A History of the Sephardic Experience, New York 1992, S. 140‑144; Gitlitz: Secrecy, S. 73‑76; Friedrich Battenberg: Das Europäische Zeitalter der Juden. Zur Entwicklung einer Minderheit in der nichtjüdischen Umwelt Europas, Darmstadt 1990, S. 136; García Cárcel/Moreno Martínez: Inquisición, S. 205-207; Henry Kamen: The Mediterranean and the Expulsion of Spanish Jews in 1492. In: ders. (Hg.): Crisis and Change in Early Modern Spain, Aldershot 1993 (Original: Past and Present: A Journal of Historical Studies 119 (1988), S. 30‑55) und ders.: La expulsión: finalidad y consecuencias. In: Kedourie (Hg.): Los judíos de España, S. 73‑96; Miguel Á. Ladero Quesada: El número de judíos en la España de 1492: los que se fueron. In: Alcalá (Hg.): Judíos, sefarditas, conversos, S. 170‑180.

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taufen ließ. Auch in den folgenden Jahren gab es immer wieder Rückkehrer aus dem Exil, die den Glaubenswechsel einem fortgesetzten Leben in der Fremde vorzogen.183 Je nachdem, wie groß sie diesen Anteil veranschlagen und welche Ausgangszahl sie zugrunde legen, rechnen die Schätzungen mit ebenso unter­ schiedlichen Größenordnungen von Neugetauften auf der einen Seite und auf der anderen Seite derer, die in die Verbannung nach Nordafrika, Italien oder in die Levante gingen. Trotz ihres erklärten Zieles trug die Vertreibung der Juden gerade nicht dazu bei, die Gesellschaft über die formale konfessionelle Einheit hinaus zu einen und zu befrieden. Im Gegenteil verschärfte sie effektiv sogar noch das soziale Stigma, mit dem die Conversos seit Jahrzehnten belegt waren. Wie bereits bei den forcierten Massenkonversionen hundert Jahre zuvor bedingte gerade der offensichtliche Zwang zum Bekenntniswechsel das allgemeine Miss­ trauen gegenüber der Aufrichtigkeit der Konvertiten. Erschwerend kam für die Neugetauften von 1492 hinzu, dass die christliche Gesellschaft Spaniens ihnen nach Jahrzehnten der Denunziation mutmaßlicher Judaisierer mit nur noch größeren Vorbehalten begegnete. Zwar bedeuteten die Vertreibungen in der Konsequenz auch das logisch notwendige Ende der Judenmission auf iberischem Boden – fortan würde es keine jüdischen Konvertiten im eigentlichen Sinn des Wortes mehr geben. Doch aufgrund der seit Langem gewachsenen genealogischen Empfindlichkeit in altchristlichen Kreisen ließ sich der angebliche Makel einer jüdischen Ab­ stammung auch nach noch so vielen Generationen nicht tilgen. Das christliche Spanien wiederum, das sich seiner jüdischen Bevölkerung entledigt hatte, galt bald darauf den Zeitgenossen außerhalb der Iberischen Halbinsel mehr denn je als Nation, die zutiefst vom Judentum durchdrungen war.184 Neben zahlreichen anderen historischen Auswirkungen von kaum zu über­ schätzender Tragweite bedeutete das Edikt auch eine Zäsur im gelehrten Dis­ kurs, der seit 1449 um den Status der Neuchristen geführt worden war. Nach der Einrichtung der Spanischen Inquisition markierte die Ausweisung der Ju­ den noch einmal mehr als deutlich das Scheitern der Integration jüdischer Kon­ vertiten und ihrer Nachfahren: Allein dass eine so drastische Maßnahme zum Schutz der angeblich so leicht zum Glaubensabfall tendierenden Conversos für notwendig befunden und durchgesetzt wurde, machte ihre mutmaßliche heimliche Neigung zur Religion ihrer jüdischen Vorfahren diskursiv geradezu zur unbestreitbaren Tatsache. Dass auch die Königreiche von Portugal (1496) 183

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Vgl. Benito Ruano: Reinserción temprana; Yolanda Moreno Koch: La conquista de Grana­ da y la expulsión de Sefarad, según las crónicas hispano-hebreas. In: El Olivo 3-4 (1977), S. 71‑82. Vgl. Sicroff: Los estatutos, S. 9; Julio Caro Baroja: Razas, pueblos, linajes, Murcia 21990 (Original: Madrid 1957), S. 210; Bataillon: Erasmo y España, S. 77‑78; Milhou: Die Iberi­ sche Halbinsel, S. 386f.; Jocelyn N. Hillgarth: After 1492; Spain as Seen by Non-Spaniards. In: Meyerson/English (Hgg.): Christians, Muslims, and Jews, S. 309‑322.

und Navarra (1498) dem Beispiel Kastiliens und Aragons bald folgten, ließ deren Entscheidung im Nachhinein nur noch unausweichlicher erscheinen.185 Auf den ersten Blick widersinnig erscheint dagegen die Anstrengung Manu­ els I. von Portugal, die Juden seines Reiches noch vor Ablauf der Frist zur Auswanderung zu Christen zu machen. Dazu war der König sogar bereit, Mit­ tel wie Zwangstaufen und die gewaltsame Trennung von Eltern und Kindern einzusetzen.186 Solche Maßnahmen mussten selbst ungeachtet ihrer schon von den Zeitgenossen beklagten Grausamkeit unweigerlich die prekäre Kategorie des Neuchristentums weiter ins Ungewisse rücken und das demographische Ausmaß des Problems vergrößern. Der skrupellose Versuch, alteingesessene wie zugewanderte Juden gleichermaßen als vermeintliche religiöse Fremdkörper symbolisch zu eliminieren, ohne sie als nützliche Untertanen und wertvolle Einnahmequelle faktisch zu verlieren, spricht jedenfalls dafür, dass den Herr­ schern die objektiven Nachteile der Exilierungen durchaus bewusst waren.187 2.3.3 Antonio de Ferrariis Wahrscheinlich in die Jahre zwischen den großen Vertreibungen von der Iberi­ schen Halbinsel fällt ein letztes Dokument von zumindest kursorischem Inter­ esse für diese Untersuchung. Sein Verfasser, der apulische Arzt und Gelehrte Antonio de Ferrariis (1448-1517), genannt Galateo nach seinem Geburtsort Galatone, kann als einziger der hier betrachteten Autoren als Humanist im engeren Sinn gelten. Zeitlich wie auch räumlich am Rande des Diskurses lie­ gend, zielt der Brief Ad Belisarium Aquevivum, de neophytis doch thematisch auf den Kern der Kontroverse um die jüdischstämmigen Neuchristen:188 So bestärkt Antonio seinen Freund Belisario Acquaviva darin, dessen Sohn in eine neuchristliche Familie einheiraten zu lassen und sich keine Sorgen um deren jüdische Abstammung zu machen. Seine Argumentation bekräftigt er entsprechend seiner humanistischen Orientierung mit zahlreichen Beispielen

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Vgl. Santiago López Rodríguez: Persecución y expulsión de los judíos: Fuentes históricas y literarias en la península Ibérica (siglos XIV-XV). In: Vegueta 17 (2017), S. 175-197; Benjamin R. Gampel: Los últimos judíos en suelo ibérico. Las juderías navarras 1479-1498, Pamplona 1997; Béatrice Leroy: Les Édits d’Expulsion des Juifs. 1394 – 1492 – 1496 – 1501, Biarritz 1998. Vgl. Levine Melammed: A Question of Identity, S. 54‑56. Vgl. François Soyer: King Manuel I and the expulsion of the Castilian Conversos and Muslims from Portugal in 1497. New Perspectives. In: Cadernos de Estudos Sefarditas, 8 (2008), S. 33‑62. »An Belisario Acquaviva, über die Neugetauften« – Text bei Antonio Altamura: Antonio de Farrariis Galateo. Epistole. Edizione critica, Lecce 1959, S. 220‑225 sowie bei Nadia Zeldes: Arguments for a Judeo-Christian Identity in the Writings of Antonio de Ferrariis: Pro-Converso Polemics in Southern Italy. In: Cadernos de Estudos Sefarditas, 20 (2019), S. 71‑74.

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aus der antiken griechischen und römischen Literatur, aber auch mit Verweisen auf die christliche Bibel. Während er etwa in den Briefen Ad Antonium lupiensem episcopum, de distinc­ tione humani generis et nobilitate und Ad Gelasium, de nobilitate kategorisch für den Vorrang der persönlichen Tugend vor dem Rang der Geburt plädiert, lässt er sich hier dennoch darauf ein, die Würde der jüdischen Abstammung als solcher zu erörtern.189 Ähnlich wie die Verteidiger der Neuchristen vor ihm kommt er zu dem Schluss, dass die Herkunft aus dem Judentum – eine wahr­ haftige Bekehrung zum christlichen Glauben vorausgesetzt – jeder anderen mindestens gleichgestellt, wenn nicht sogar überlegen ist. Auch wenn Antonios Brief (im Folgenden: De neophytis) ebenso wie vermut­ lich der Traktat des Kardinals Juan de Torquemada außerhalb der Iberischen Halbinsel verfasst wurde, hängt er doch mehr als nur inhaltlich mit dem dortigen Diskurs über die Conversos zusammen. Zum einen herrschte auch im Königreich Neapel, das mit Sizilien und Sardinien schon seit dem 13. Jahr­ hundert zur mediterranen Interessensphäre Aragons gehörte, ein Zweig der Trastámara-Dynastie; nach einer kurzfristigen französischen Besatzung 1495 wa­ ren es spanische Soldaten, die dessen Anspruch auf den Thron sicherten. Zum anderen veränderte die Einwanderung vieler iberischer Neuchristen auf der Flucht vor der Inquisition auch die Stellung und das Ansehen der dort bereits seit Generationen ansässigen jüdischstämmigen Christen, die als sogenannte neofiti allerdings auch schon zuvor eine gesonderte Gruppe gebildet hatten.190 Antonio selbst, der gegenüber den herrschenden Spaniern generell eher kritisch eingestellt war, bewunderte dennoch ausdrücklich die Werke solcher kastili­ scher Poeten wie Juan de Mena, Enrique de Villena und Juan de Lucena.191 Ob der Brief des Galateo eine Wirkung über sein unmittelbares Umfeld hinaus und womöglich zurück bis auf die Iberische Halbinsel hatte, ist un­ gewiss. Er ist allerdings ein deutlicher Hinweis darauf, dass die Obsession der spanischen Königreiche mit dem vermeintlichen Makel einer jüdischen Abstammung Auswirkungen bis an die äußersten Grenzen ihres politischen Einflusses hatte – und mit den Vertreibungen der verbliebenen Juden sogar darüber hinaus. Auch für den gelehrten Diskurs über die Rechte der Neuchristen bedeutete das dekretierte Ende der jüdischen Präsenz in Spanien eine Zäsur. Zwar wuchs die Zahl der Konvertiten de facto auch in den unmittelbaren Folgejahren noch 189

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Vgl. »An Antonio [Tolomei], den Bischof von Lecce, über die Unterscheidung des Menschengeschlechts und über den Adel« – Text bei Altamura: Epistole, S. 104‑116; »An Gelasio, über den Adel« – Text ebd., S. 267‑289. Vgl. Scheller: Stadt der Neuchristen, S. 31‑144; Antonietta Orrico: Antonio De Ferrariis Galateo, il duca Bellisario Acquaviva, e gli Ebrei nella Nardò quattro-cinquecentesca. In: L’Idomeneo 23 (2017), S. 125‑152. Vgl. Zeldes: Arguments, S. 65.

an, da manche der Vertriebenen eine Rückkehr um den Preis der Taufe dem fortgesetzten Exil vorzogen,192 doch stand letztlich außer Frage: Wo es keine Juden geben durfte, war auch die Judenmission hinfällig. Damit verband sich seitens der Conversos und ihrer Verteidiger wiederum eine gewisse Hoffnung, dass der Makel des »Neuen« Christentums über die Generationen hinweg ge­ wissermaßen von selbst verschwinden würde. Anlass dazu bot sogar der Wort­ laut von Regelungen wie dem von Alexander VI. bestätigten Statut: Wenn hier die Prüfung des Stammbaums auf nichtchristliche Vorfahren bis in die vierte Generation vorgesehen war, dann würden doch spätestens die Urenkel der letzten Konvertiten schließlich als Altchristen gelten.193 Die Erwartung, dass die Zeit letztlich für die Gleichberechtigung aller Christen spielen würde, unterschätzte freilich die Persistenz des genealogisch begründeten Ressentiments, das die Nachfahren von Juden niemals als wahre Christen akzeptierte. Auch führte die gewaltsame Auslöschung des jüdischen Lebens auf der Iberischen Halbinsel gerade nicht zu einem Verschwinden der Judenfeindlichkeit. Lediglich das Ziel des überkommenen Antijudaismus verwandelte sich in ein rein virtuelles Feindbild, eine negativ aufgeladene Pro­ jektion, der sich nicht einmal mehr mit realen Vorbildern abgleichen ließ. Der Argwohn, dass die rigorose Verbannung das iberische Judentum nicht ausgelöscht, sondern nur in die Verborgenheit gedrängt hatte, verfestigte so immer weiter die Vorbehalte gegen Christen mit jüdischen Vorfahren.194 Gegen Ende des 16. Jahrhunderts, also etwa zu dem Zeitpunkt, als die al­ lermeisten Konversionen mindestens vier Generationen zurücklagen, plädierte der Dominikaner Agustín Salucio noch einmal für eine zeitliche Begrenzung der geforderten Abstammungsnachweise: Nur achtzig oder höchsten hundert Jahre in die Vergangenheit sollten die Nachforschungen umfassen.195 Doch nicht einmal dieser Vorschlag, der gemessen an den Apologien der Neuchristen des vorigen Jahrhunderts den Befürwortern der limpieza de sangre sehr weit entgegen kam, ließ sich allgemein durchsetzen. Die Gründe, aus denen Diffamierung und Ausschluss der jüdischstämmigen Christen im Spanien der Frühen Neuzeit trotz der von Anfang an profunden theologischen Kritik immer weiter Raum griffen, können hier nicht umfas­ send erörtert werden. Eine wichtige Rolle spielten dabei in jedem Fall verän­ derte Prioritäten in der Machtausübung der Könige und Päpste. Für Karl I. (1516-1556), der seine Herrschaft über Spanien als erster Habsburger noch fes­ 192 193 194 195

Vgl. Zeldes: Former Jews, S. 27‑30; Levine Melammed: A Question of Identity, S. 47‑50; Jonathan S. Ray: 1492 and the Making of Sephardic Jewry, New York 2013, S. 33‑56. Vgl. u.a. Horst: Die spanischen Dominikaner, S. 277; Azcona: Dictamen, S. 351; Carrete Parrondo: Los conversos jerónimos, S. 110‑114. Vgl. Nirenberg: Anti-Judaismus, S. 225‑226; ders.: Wie jüdisch war Spanien, S. 23‑30. Vgl. Parello: Entre honra y deshonra, S. 144f.; Helen Rawlings: Agustín Salucio’s Rehabilita­ tion of the converso and the Revisionist Debate over Racial and Religious Discrimination in Early Seventeenth-Century Spain. In: Bulletin of Spanish Studies 94 (2017), S. 1649-1667.

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tigen musste, bedeutete die Unterstützung converso-feindlicher Statuten zum einen die Möglichkeit, wichtige Institutionen für ihre Loyalität zu belohnen, und zugleich eine Form des divide et impera, durch die sich neuchristliche und altchristliche Eliten gegeneinander ausspielen ließen.196 Für die Päpste des anbrechenden Konfessionellen Zeitalters wiederum waren Zugeständnisse an spanische Sonderbedürfnisse, als die sich die Befürwortung von Statuten der Blutreinheit verstehen ließen, ein wohlfeiles Mittel, sich der Treue des wohl wichtigsten Verbündeten im Kampf gegen die Reformation zu versichern. Dass Karl und seine Nachfolger als Verteidiger eines traditionellen Katholizismus und ein Papst wie Julius III. (unter dessen Pontifikat die Römi­ sche Inquisition Abschriften des Talmud als häretische Schriften verbrannte) auch von ihren Überzeugungen her der antijüdischen Polemik der Altchristen durchaus zugänglich waren, kommt zweifellos erschwerend hinzu.197 Doch vor allem als Teil von Verhandlungsmassen und taktischen Erwägungen, bei denen die Argumente von Theologen und Kanonisten nur noch eine untergeordnete und instrumentelle Rolle spielten, war das Schicksal der Neuchristen – anders als noch im 15. Jahrhundert – endgültig zu ihren Ungunsten besiegelt.

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Vgl. u.a. Heinz Schilling: Karl V. Der Kaiser, dem die Welt zerbrach, München 2020, S. 120f.; Pulido Serrano: Los conversos, S. 49‑52; Henry Kamen: Spain, 1469-1714. A Society of Conflict, New York 42014 (Original: 1983), S. 65‑69; Bruno Padín Portela: La traición en la historia de España, Madrid 2019, S. 277‑291. Vgl. Kenneth R. Stow: The Burning of the Talmud in 1553, in the Light of Sixteenth Century Catholic Attitudes toward the Talmud. In: Bibliothèque d’Humanisme et Renaissance 34 (1972), S. 435‑459; Nicolás Balutet: Felipe II y la religión. Apuntes sobre la »Monarquía Católica«. In: Iberoromania 53 (2001), S. 1‑8.

3 Diskurs, Aussagen und zentrale Begriffe Wo immer sich in der scholastischen Theologie des Mittelalters eine akademi­ sche Schule, eine geistliche Bewegung oder eine theologische Kontroverse be­ schreiben lässt, hängt diese eng mit einer bestimmten Auslegung der Heiligen Schrift zusammen;1 wobei aus der Gesamtheit der biblischen Überlieferung oft nur ein kleiner Teil im Zentrum des jeweiligen Diskurses stand. Auch wenn in den teils sehr komplexen und manchmal ausufernden Traktaten eine Fülle von Belegen und Beispielen herangezogen wurde, so konnte doch typischerweise eine Handvoll Bibelworte programmatisch für eine ganze diskursive Strategie (im Sinne einer Denkrichtung oder Lehrmeinung) stehen. Die Verteidiger der päpstlichen Machtfülle bauten über die Jahrhunderte hinweg ganze Lehrgebäude auf relativ schmale Passagen wie die von den »Zwei Schwertern« (Lk 22, 38) oder den »Schlüsseln des Himmelreichs« (Mt 16, 19). Für die konziliare Tradition wiederum bildeten die matthäische Gemeindere­ gel und die Zusage »Wo zwei oder drei« (Mt 18, 20) die Basis einer ganzen Ekklesiologie, die synodal und kollegial statt monarchisch aufgestellt war.2 Während Armutsbewegungen inner- und außerhalb der etablierten kirchlichen Strukturen sich auf zahlreiche jesuanische Gleichnisse und Weisungen berufen konnten, wurde für ihre Gegner die eher beiläufig erwähnte gemeinsame Kasse der Jünger (Joh 12, 6; 13, 29) zur erbittert gehaltenen Verteidigungslinie.3 Die Aufforderung »Nötigt sie einzutreten!« (Lk 14, 23) aus dem lukanischen Gleichnis vom Festmahl war über Jahrhunderte hinweg die Basis zur Rechtfer­ tigung jeglicher Gewalt, die im Namen des Glaubens angewendet wurde. Die Anordnung »Lasst beides wachsen bis zur Ernte« (Mt 13, 30) aus dem Gleichnis vom Unkraut unter dem Weizen bildete zur Begründung von Duldsamkeit und Nachsicht den Gegenpol dazu.4 1 2

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Vgl. Thomas Prügl: Mittelalter: Einführung. In: Oda Wischmeyer (Hg.): Handbuch der Bibelhermeneutiken. Von Origenes bis zur Gegenwart, Berlin 2016, S. 126. Vgl. Thomas Prügl: Das Schriftargument zwischen Papstmonarchie und konziliarer Idee. Bib­ lische Argumentationsmodelle im Basler Konziliarismus. In: Andreas Pečar und Kai Trampe­ dach (Hgg.): Die Bibel als politisches Argument, München 2007, S. 219‑241; Piet Leupen: The sacred authority of the pontiffs. In: Renée Nip u.a. (Hgg.): Media Latinitas. A collection of Essays to Mark the Occasion of the Retirement of L. J. Engels, Turnhout 1996, Seite 245-248; Heribert Müller: Die kirchliche Krise des Spätmittelalters: Schisma, Konziliarismus und Konzilien, München 2012, S. 68‑76; Paul Valliere: Conciliarism. A History of DecisionMaking in the Church, Cambridge 2012, S. 119-161. Vgl. Ulrich Horst: Evangelische Armut und Kirche. Thomes von Aquin und die Armutskontro­ versen des 13. und beginnenden 14. Jahrhundert, Berlin 1992, S. 160‑162; Andrea Tabarroni: Paupertas Christi et Apostolorum. L’ideale francescano in discussione (1322-1324), Rom 1990, S. 33‑35. Vgl. u.a. Hans Maier: Compelle intrare. Zur theologischen Rechtfertigung des Glaubenszwanges im abendländischen Christentum. In: Internationale katholische Zeitschrift Communio 46 (2017), S. 110‑122; Arnold Angenendt: »Lasst beides wachsen bis zur Ernte« – Toleranz in

Eine einzelne im gleichen Maße dominante Schriftstelle lässt sich im Diskurs um die iberischen Neuchristen nicht ohne Weiteres ausmachen. Dies liegt nur zum Teil daran, dass die Texte sich ihrem Umfang und den Umständen ihrer Entstehung nach zum Teil merklich unterscheiden und in etwas geringerem Maße auch hinsichtlich Genre und Sprache variieren. Die Komplexität der Materie und die Fülle an überlieferten Lehren trug weiterhin dazu bei, dass sich im relativ kurzen Zeitraum von zwei bis drei Generationen keine singu­ läre argumentative Linie herauskristallisierte. Gleichwohl teilten die Autoren aber eben doch eine signifikante Schnittmenge philosophischer, theologischer und vor allem biblischer Motive, anhand derer sie sehr ähnliche und teilweise nahezu identische Argumente entwickelten. Auf Seiten der Gegner der Con­ versos wiederum, deren Position im 15. Jahrhundert ohnehin noch kaum als theologisch reflektierte Argumentation nachweisbar ist, lassen sich allenfalls einige Schriftdeutungen nennen (s. 3. 1. 3), denen die Traktate zugunsten der Neuchristen bevorzugt ihre Entgegnungen widmeten und die ihnen teilweise als Ausgangspunkt ihrer eigenen Beweisführung dienten. So behandelt eine wichtige Gruppe von Aussagen zur Verteidigung der Con­ versos den Begriff der Schuld beziehungsweise Sünde. Besonders prominent wird hier die Prophetie des Ezechiel (Ez 18) zitiert, die bestreitet, dass die Sün­ den einer Generation der nächsten angerechnet werden. Die Auffassung, dass die Juden insgesamt auch noch nach Jahrhunderten die Schuld am Kreuzestod Jesu Christi trugen, war geradezu ein Gemeinplatz der mittelalterlichen christ­ lichen Theologie und Frömmigkeit. Dass auch die Conversos davon betroffen wären, bestritten die Verteidiger der Neuchristen vor allem mit dem Argument der sakramentalen Kraft der Taufe, aber auch, indem sie auf die parallele Schuld der heidnischen Antagonisten in der Passionsgeschichte hinwiesen. Ein zweites wichtiges diskursives Thema, das die Bedeutung der leiblichen Abstammung und die Frage nach der Erblichkeit moralischer Eigenschaften vertieft, lässt sich unter dem Begriff der Geburt zusammenfassen. Zentral für viele theologische Überlegungen war hier der Verweis auf die Person des Erlösers Jesus Christus und seine Herkunft aus dem Haus David. Während der Verweis auf den Stammbaum Jesu dazu diente, die jüdische Abstammung als solche innerhalb der christlichen Gemeinschaft zu rehabilitieren, nehmen andere Aussagen das genealogische Paradigma auf, transzendieren es jedoch auf eine geistliche Ebene. Besonders häufig wurde hier das paulinische Motiv von den »Kindern der Verheißung« verwendet, die von den »Kindern des Flei­ sches« zu unterscheiden seien (Röm 9, 8; Gal 4, 28). Diese neutestamentliche der Geschichte des Christentums, Münster 2018, S. 88‑108 und ders.: Toleranz und Gewalt. Das Christentum zwischen Bibel und Schwert, Münster 2007, S. 373‑435; Rainer Kampling: Intoleranz in der Bibel – Toleranz aus der Bibel. Zur biblischen Begründung der Toleranzpraxis – ein Versuch. In: Christoph Schwöbel und Dorothee von Tippelskirch: Die religiösen Wurzeln der Toleranz, Freiburg 2002, S. 212‑222.

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Deutung der Geschichte der Erzeltern aus dem Buch Genesis als Präfiguration der christlichen Heilsgeschichte wurde von den Autoren des 15. Jahrhunderts herangezogen, um den Vorrang der göttlichen Erwählung vor allen irdischen Beziehungen zu belegen, aber auch, um den Antagonismus zwischen Altchris­ ten und Neuchristen allegorisch zu verorten. Wo eine Dimension der leiblichen oder geistigen Verwandtschaft eher kol­ lektiv als individuell gedacht wird, rückt die Nation (im vormodernen Sinn eines Volkes oder Stammes) als weiterer zentraler diskursiver Begriff in den Mittelpunkt. Für die Bedeutungslosigkeit der Volkszugehörigkeit in der Ge­ meinschaft der christlichen Kirche sprach abermals eine Formel des Apostels Paulus, nach der die Gläubigen in Christus nicht mehr Juden oder Griechen seien (Gal 3, 28; Kol 3, 11), verbunden mit der aus dem Zweiten Buch der Chronik (2Chr 19, 7) entlehnten Wendung, dass es vor Gott kein Ansehen der Person gebe (Röm 2, 11). Eine andere Schriftstelle, die häufig als Beispiel für das Verhältnis der verschiedenen Völker im Christentum zitiert wurde, ist die Begegnung Jesu mit einer kanaanäischen Frau im Matthäusevangelium (Mt 15, 21‑28). Bei dieser Perikope fällt besonders auf, dass sie zwar offenbar übereinstimmend als relevant angesehen, aber mit recht unterschiedlichem Ergebnis ausgelegt wurde. Eine letzte zentrale Gruppe von Aussagen behandelt schließlich das The­ ma der christlichen Einheit beziehungsweise Eintracht, das angesichts der vielfachen und nicht nur kirchenpolitischen Spaltungen und Konflikte des Spätmittelalters hochaktuell war. Besonders beliebte thematische Belegstellen waren hier das Gebet Jesu in den Abschiedsreden des Johannesevangeliums (Joh 17, 11) und der Friede zwischen Juden und Heiden, den Christus selbst verkörpert (Eph 2, 14). Wenn auch die Berufung auf die christliche Eintracht an sich nicht kontrovers war, so warf sie doch die in einer feudalen Gesellschaft heikle Frage auf, inwieweit Einheit auch im Sinne von Gleichheit zu verstehen war. Die paulinische Allegorie von der Kirche als mystischem Leib Christi (1Kor 12, 27; Röm 12, 5 u.a.), in dem verschiedene Glieder harmonisch vereint sind, bot in dieser Frage eine gern zitierte Lösung, indem sie Einheit und (hierarchische oder funktionale) Verschiedenheit im selben Bild verband. Diese vier zentralen diskursiven Begriffe – Schuld, Geburt, Nation und Ein­ heit – haben alle eine lange und reiche Tradition in der Auseinandersetzung des christlichen Denkens mit dem Volk Israel und dem Judentum sowie in der Geistesgeschichte der abrahamitischen Religionen überhaupt. Ihre Präsenz im Diskurs um die iberischen Neuchristen erscheint daher womöglich mehr selbstverständlich und offensichtlich als signifikant und aussagekräftig. Aus mindestens zwei Gründen ist sie aber dennoch von Bedeutung: Zum einen ließe sich eine Reihe von anderen Themen und Motiven aus der abendländi­ schen Spiritualität und Gelehrsamkeit nennen, die theoretisch vielleicht ebenso naheliegen, aber den Diskurs eher umgeben oder indirekt informieren, als

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sich in dominanten Aussagegruppen wiederzufinden (mehr dazu unter 3.1.4). Zum anderen ist gerade für die Beschreibung der betrachteten Autoren als Ver­ treter einer bestimmten diskursiven Strategie die Frage entscheidend, auf wel­ che Weise sie zentrale Begriffe bildeten, Themen behandelten und Theorien formulierten. Hier wird die nun folgende Untersuchung im Detail zeigen, wel­ che signifikanten Gemeinsamkeiten und Übereinstimmungen den Diskurs durchziehen, aber auch, welche unterschiedlichen oder sogar gegenläufigen Tendenzen nachweisbar sind.

3.1 Vorüberlegungen: Allgemeine Charakteristika Bevor sich diese Untersuchung den einzelnen diskursiven Begriffen zuwendet, ist es erforderlich, einige grundsätzliche Bedingungen zu betrachten, die den Verlauf des Diskurses bestimmten. Dies sind zum einen (3.1.1) die Beziehun­ gen der Autoren untereinander und die Position des Diskurses um die iberi­ schen Neuchristen im Verhältnis zu anderen religiösen, akademischen und politischen Konflikten im selben Zeitraum. Weiterhin (3.1.2) spielen die in­ neren diskursiven Regeln eine bedeutende Rolle, die im Spätmittelalter eine akademische Auseinandersetzung strukturierten – hier ist insbesondere auf das Verständnis von Heiliger Schrift und Wahrheit einzugehen. Als weitere wichti­ ge Voraussetzung für die Entwicklung der diskursiven Strategie zugunsten der Conversos ist schließlich (3.1.3) die Position ihrer Gegner zu betrachten, deren Initiative durch zentrale Themensetzungen und als Ausgangspunkt der Wider­ legung das diskursive Archiv in Teilen bereits vorbereitete. Ein kurzer Blick auf die nicht realisierten Möglichkeiten im weiteren Rahmen des damaligen diskursiven Horizonts (3.1.4) gibt schließlich Aufschluss auch über die (bewuss­ te) Selbstbegrenzung der diskursiven Strategie zugunsten der Neuchristen. 3.1.1 Persönliche Beziehungen und gesellschaftliche Bruchlinien Die Texte zugunsten der iberischen Neuchristen nehmen selten explizit aufein­ ander Bezug. Eher noch werden die Thesen der Gegenseite referenziert, als dass ausdrücklich auf zeitgenössische gleichgesinnte Schriften (mit Ausnahme von Gesetzen und Dekreten) verwiesen würde. Selbst Bischof Lope de Barrientos, der in seiner Abhandlung Contra algunos çiçañadores die Instrucción des Relators Fernán Díaz annähernd vollständig und mit nur geringen Änderungen wieder­ gibt, erwähnt seine Vorlage im Text selbst mit keinem Wort. Und auch das Breve Reprehensorium von Gutierre de Palma enthält zumindest einige nahezu wortgleiche Passagen aus dem Rechtskommentar des Alonso Díaz de Montalvo,

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ohne diese als solche zu kennzeichnen.5 Solche Krypto-Zitate wie auch die schwerer nachzuweisenden sinngemäßen Übernahmen und Paraphrasen aus anderen Werken waren freilich keine Versuche einer unredlichen Aneignung fremder Ideen, sondern Ausdruck eines vormodernen Verständnisses von Au­ torschaft und Zuschreibung, Authentizität und Originalität.6 Auch wenn sich daher nur punktuell vermuten lässt, welche älteren Schrif­ ten welchem Verfasser vorlagen, sind doch einige persönliche und professionel­ le Beziehungen zwischen den Autoren evident, die sich mit hoher Wahrschein­ lichkeit auch auf die Produktion ihrer Texte auswirkten. Neben Fernán Díaz und Lope Barrientos waren auch Alonso de Cartagena, Alonso de Montalvo und mutmaßlich der anonyme Prediger von Valladolid einflussreiche Personen am Hof König Johanns II., und es liegt nahe, dass sie sich zur Converso-Frage austauschten. Ähnliches gilt in der Regierungszeit Heinrichs IV. für Lope de Barrientos, Alonso de Oropesa und für Fernando de Pulgar, der in seiner Ju­ gend von Fernán Díaz de Toledo gefördert worden war und später ebenso wie Hernando de Talavera ein Protegé des Kardinals Pedro González de Mendoza wurde.7 Neben dem Königshof war die Stadt Toledo nicht nur ein Zentrum der Kri­ se, sondern auch ein Verbindungspunkt für einige Protagonisten der Kontro­ verse. Fernán Díaz stammte selbst aus Toledo, ebenso wie Francisco Fernández de Toledo, der Dekan des Domkapitels8 und Mitarbeiter des Kardinals Juan de Torquemada, der später Bischof von Coria wurde. Der Kardinal selbst war einige Jahre Prior des toledanischen Klosters San Pedro Mártir – derselben Gemeinschaft, die Gutierre de Palma Jahre später in seiner Mahnschrift anklag­ te und die ab 1485 der Inquisition als Stützpunkt diente.9 Der Bakkalaureus Palma selbst verbrachte, sofern er nicht auch in Toledo geboren wurde, wohl jedenfalls den Großteil seines Lebens dort und stand im Dienst des Erzbischofs Alonso Carrillo, der bekanntermaßen ebenfalls kein Unterstützer der altchristli­ chen Fraktion war. Alonso Díaz de Montalvo hatte in Toledo für einige Zeit ein öffentliches Amt inne und fügte seinem späteren Rechtskommentar unter anderem eine Reverenz an den Relator Fernán Díaz als »vortrefflichen Gelehr­ 5 6

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Vgl. Breve reprehensorium, 6, Ms 23-7, 6v; Tractatus quidam levis, 14, ed. Conde Salazar, S. 112. Vgl. Alastair Minnis: Medieval Theory of Authorship: Scholastic Literary Attitudes in the Later Middle Ages. Philadelphia 2010, S. 1‑8; Gerald L. Bruns: The Originality of Texts in a Manu­ script Culture. In: Comparative Literature 32 (1980), S. 113-129; Santiago García-Jalón de la Lama: Interdependencia en el uso de »autoridad« en la obra de Lope de Barrientos, Alonso de Cartagena y Fernán Díaz de Montalvo. In: Helmantica 39 (1988), S. 383-390. Vgl. Tate: Poles apart, S. 444‑445; Scotto: Theology of the Laws, S. 122‑124. Vgl. María José Lop Otín: El cabildo catedralicio de Toledo en el siglo XV. Aspectos institucio­ nales y sociológicos, Madrid 2003, S. 269‑273 u. 800. Vgl. Llamedo González: Torquemada, S. 90; Pilar León Tello: Costumbres, fiestas y ritos de los judíos toledanos a fines del siglo XV. In: Simposio »Toledo Judaico«. Bd. 2, Toledo 1973, S. 67.

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ten« (doctor eximio) bei.10 Fernando de Pulgar stammte möglicherweise aus dem Umland von Toledo und pflegte vielfältige persönliche Beziehungen in dieser Stadt.11 Doch auch über die gemeinsame Nähe zur Monarchie und den Nexus To­ ledo hinaus waren verschiedene Autoren einander persönlich bekannt oder zumindest mit dem literarischen Schaffen ihrer Zeitgenossen nachweislich ver­ traut. Alonso de Cartagena und Juan de Torquemada etwa hatten mehrere Jah­ re lang gemeinsam am Konzil von Basel teilgenommen und dort wahrschein­ lich zur Entstehung des Dekrets über Juden und Neugetaufte beigetragen. Lope de Barrientos und Juan de Torquemada wiederum gehörten beide dem Dominikanerorden an, lehrten zeitgleich an der Universität von Salamanca und stammten beide aus der Provinz Valladolid. Diego de Valera lässt in seinem umfangreichen Werk verschiedentlich den Einfluss von Alonso de Cartagena erkennen, sei es, weil beide in persönlichem Kontakt standen oder weil ihm dessen Schriften vorlagen.12 Alonso de Oropesa und Hernando de Talavera gehörten (wie auch García de Madrid) dem Orden der Hieronymiten an, stammten ebenfalls aus der Nähe von Toledo und waren darüber hinaus möglicherweise verwandt.13 Da Hernandos persönliche Biblio­ thek ein Exemplar des Lumen ad revelationem enthielt,14 ist es naheliegend, dass einige übereinstimmende Ideen seiner eigenen Werke von seinem vormaligen Ordensoberen inspiriert sind. Neben diesen persönlichen Beziehungen, die Einfluss auf die Herausbildung einer diskursiven Strategie zur Verteidigung der Conversos hatten, stellt sich auch die Frage nach anderen sozialen und religiösen Konflikten, die möglicher­ weise mit ihr in Verbindung standen. Zweifellos war die Frage der rechtlichen, religiösen und sozialen Stellung der Neuchristen eine der größten gesellschaftli­ chen Streitfragen des spanischen Spätmittelalters. Dennoch war sie keineswegs die eine Kontroverse, die alle anderen überlagerte oder auch nur maßgeblich beeinflusste. Tatsächlich fällt bei näherer Betrachtung auf, dass andere schwere politische und kirchliche Auseinandersetzungen eher quer zur Converso-Frage verliefen und sich hier keine einheitlichen diskursiven Bruchlinien zeigen.15 Noch zu Zeiten des mächtigen königlichen Ministers und Großmeisters von Santiago Álvaro de Luna gab es zwar ein relativ klares Bündnis der Krone mit 10 11 12 13 14 15

Vgl. Amran: El fuero real, S. 24‑26. Vgl. Navarrete: Rhetorical and Narrative Paradigms, S. 264. Vgl. Federica Accorsi: La influencia; José A. De Balenchana: Epístolas de Mosén Diego de Valera enbiadas en diversos tiempos é á diversas personas, Madrid 1878, S. 308. Vgl. Coussemacker: Fray Alonso de Oropesa et Fray Hernando de Talavera; Márquez Villa­ nueva: Estudio preliminar, S. 8‑9. Vgl. Moreno: La invención, S. 96. Vgl. Rosa Vidal Doval: Bishops and the Court: The Castilian Episcopacy and Conversos, 1450‑1465. In: Anthony J. Lappin und Elena Balzamo (Hgg.): Dominus Episcopus. Medi­ eval Bishops between Diocese and Court, Stockholm 2018, S. 217-240.

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den aufstrebenden gebildeten Neuchristen, dem eine Opposition alter adliger und städtischer Eliten gegenüberstand, doch spätestens nach dem Sturz des Favoriten Johanns II. wurden die politischen Konstellationen diffuser.16 In den nachfolgenden dynastischen Kriegen und Konflikten bis zur Festi­ gung der Herrschaft der Katholischen Könige standen sowohl Conversos als auch deren erklärte Gegner und Verbündete in allen Lagern. Manche Chroni­ ken dieser Jahrzehnte neigen zwar dazu, die Verantwortung an den sich häufen­ den Übergriffen auf Conversos einseitig dem Regierungsversagen Heinrichs IV. oder den Intrigen der Adelsopposition zuzuschreiben, doch deuten solche po­ litisch motivierten Schuldzuweisungen wohl eher auf eine unübersichtliche Gemengelage hin als auf offensichtliche Bündnisse und klare Fronten.17 Wohl auch wegen der wechselhaften Politik Heinrichs IV. gegenüber dem altchristli­ chen Stadtbürgertum (und in manchen anderen Belangen) konnte das Interesse der Neuchristen in seiner Gefolgschaft ebenso wenig als eindeutig gewahrt gel­ ten wie im Lager seiner Opponenten aus dem Hochadel, die seinen Halbbruder Alfons als Gegenkönig unterstützten.18 Mit der Thronbesteigung Isabellas I. verbanden sich zwar viele Hoffnungen der neuchristlichen und humanistischen Bildungselite, doch noch im Erbstreit mit ihrer Nichte um die Nachfolge Hein­ richs IV. fanden sich genauso auf der Seite Johannas von Kastilien bewährte Verbündete der Sache der Conversos wie Alonso Carrillo und Diego Fernández Pacheco (ca. 1447-1529).19 Auch im kirchlichen und theologischen Bereich wurde der Diskurs um die Neuchristen relativ unabhängig von anderen Kontroversen geführt. Alonso de Cartagena und Alonso Carrillo de Acuña etwa waren auf ihre jeweils eigene Weise bedeutende Verfechter der Rechte der Conversos. Das hielt sie jedoch nicht davon ab, in erbittertem Kampf die traditionelle Rivalität ihrer Bistümer Burgos und Toledo um die ekklesiale Vorrangstellung in Kastilien fortzufüh­

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Vgl. Nicholas G. Round: The Greatest Man Uncrowned. A Study of the Fall of Don Alvaro de Luna, London 1986, S. 169‑210; Domínguez Ortiz: La clase social, S. 12‑17; Seidenspin­ ner-Nuñez: Prelude, S. 48‑51 und dies.: Conversion and Subversion: Converso Texts in Fif­ teenth-Century Spain. In: Meyerson/English (Hgg.): Christians, Muslims, and Jews, S. 241; Netanyahu: Origins, S. 217‑243; Jeffrey Gorsky: Exiles in Sepharad: The Jewish Millennium in Spain, Lincoln 2015, S. 201‑210. Vgl. Yanai Israeli: Between Tyranny and the Commonwealth; Valdeón Baruque: Los Trastámaras, S. 225‑228. Vgl. Óscar Perea Rodríguez: Enrique IV de Castilla y los conversos. Testimonios poéticos de una evolución histórica. In: Revista de poética medieval 19 (2007), S. 131‑175; del Val Valdivieso: Los conversos, S. 40; Amran: Judíos y conversos en el reino de Castilla, S. 72‑78. Vgl. Joseph Pérez: History of a Tragedy. The Expulsion of the Jews from Spain, Chicago 2007, S. 58‑82; Giordano: Apologetas, S. 71ff.; Cristina Moya García: La producción historiográfica de mosén Diego de Valera en la época de los Reyes Católicos. In: dies./Salvador Miguel (Hgg.): La literatura en la época de los Reyes Católicos, S. 146; Amran: Judíos y conversos en el reino de Castilla, S. 79‑93; Guillermo Mirecki: Apuntes genealógicos y biográficos de don Alfonso Carrillo de Acuña, arzobispo de Toledo. In: Anales toledanos 28 (1991), S. 71‑74.

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ren.20 Im Streit um die Verfassung der Kirche zwischen Monarchismus und Kollegialität standen einander Papalisten wie Juan de Torquemada und Konzi­ liaristen wie Alonso Fernández de Madrigal als Gegner gegenüber, nicht jedoch in ihrer Einstellung gegenüber den Neuchristen.21 Was die im Spätmittelalter stets präsenten Forderungen nach dringenden kirchlichen Reformen anging, so ist auch hier keine eindeutige Korrelation mit dem Konflikt zwischen Alt­ christen und Neuchristen zu erkennen: Wenn es gerade unter neuchristlichen Geistlichen und ihren Verbündeten eifrige Kämpfer gegen Simonie, Nepotis­ mus, Ämterhäufung, Absentismus und Konkubinat gab, so doch ebenso auch ungerührte Nutznießer solcher allgemein als missbräuchlich verurteilter Prakti­ ken.22 Die energischen Reformbemühungen der Krone wiederum konnten sich auf prominente Verteidiger der Conversos wie Kardinal Pedro González und Hernando de Talavera ebenso stützen wie auf deren ausgewiesene Gegner, un­ ter ihnen die Inquisitoren Diego de Deza und Francisco Jiménez de Cisneros.23 Auch akademische Lager wie die der Thomisten, Neuplatoniker oder No­ minalisten spielten eher keine Rolle im Diskurs um die iberischen Conver­ sos; Allenfalls lässt sich im beginnenden spanischen (Prä-)Humanismus des 15. Jahrhunderts und seiner Betonung des Vorranges persönlicher Tugenden eine Strömung der Gelehrsamkeit ausmachen, die aus sich heraus der Gleichbe­ rechtigung der Neuchristen zuneigte.24 Ebenso wenig eindeutig bildete sich die 20

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Vgl. Jorge Díaz Ibáñez: Alonso de Cartagena y la defensa de la exención del obispado burga­ lés frente al primado toledano. In: En la España Medieval 34 (2011), S. 325‑342; María Asenjo González: La aristocratización política en Castilla y el proceso de participación urbana (1252-1520). In: José Manuel Nieto Soria (Hg.): La monarquía como conflicto en la Corona castellano-leonesa (1250-1450), Madrid 2006, S. 155; Lucy K. Pick: Conflict and Coexistence. Archbishop Rodrigo and the Muslims and Jews of Medieval Spain, Ann Arbor 2004, S. ix‑x. Vgl. Horst: Torquemada und Cajetan; José M. Nieto Soria: El consenso en el pensamiento político castellano del siglo XV. In: Potestas 3 (2010), S. 108; Jesus Luis Castillo Vegas: Aristotelismo politico en la universidad de Salamanca del siglo XV: Alfonso de Madrigal y Fernado de Roa. In: La Corónica, 33 (2004), S. 40-41; Binder: Konzilsgedanken. Vgl. Nicola Jennings: Reforming the Church and Re-Framing Identity: Converso Prelates and Artistic Patronage in Fifteenth Century Castile. In: Ingram (Hg.): The Conversos and Moriscos. Bd. 4: Resistance and Reform, S. 45‑71; Alfonso Franco Silva: El arzobispo de Toledo, Alonso Carrillo. Un prelado belicoso del siglo XV apasionado por la riqueza y el poder, Cádiz 2014. Vgl. Juan A. Bonachía Hernando: La iglesia de Castilla, la reforma del clero y el Concilio de Aranda de Duero de 1473. In: Biblioteca. Estudio e investigación 25 (2010), S. 269-298; Suárez Fernández: Monarquía hispana, S. 110‑115; Jesús R. Folgado García: Fray Hernando de Talavera y la Orden Jerónima. Líneas para la renovación eclesiástica en la España de los Reyes Católicos. In: Rosa M. Cacheda Barreiro und Carla Fernández Martínez (Hgg.): Uni­ versos en orden. Bd. 1: Las órdenes religiosas y el patrimonio cultural iberoamericano, Santiago de Compostela 2016, S. 1101‑1124. Vgl. u.a. Carlos Moreno Hernández: Nuevos nobles y nuevos cristianos: sobre el humanismo castellano del siglo XV. In: Cirilo Flórez Miguel u.a. (Hgg.): La primera escuela de Sala­ manca (1406-1516), Salamanca 2012, S. 165-179; Alain Guy: La philosophie espagnole au Moyen Âge. In: Soto Rábanos (Hg.): Pensamiento medieval Hispano. Bd. 1, S. 3‑20.

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ansonsten notorische Rivalität der Bettelorden in der Converso-Frage ab – dem Dominikanerorden entstammten bedeutende Autoren wie Juan de Torquema­ da und Lope de Barrientos, die an der Seite der Conversos standen, aber auch zahlreiche Inquisitoren, die sie als judaisierende Häretiker verfolgten.25 Unter den spanischen Franziskanern finden sich vor allem zahlreiche juden- und con­ versofeindliche Autoren, Prediger und religiöse Eiferer, zugleich gab es in der franziskanisch initiierten Bewegung der Erleuchteten (alumbrados) anscheinend auch eine signifikante Anzahl von Mystikern neuchristlicher Herkunft, die womöglich sogar direkt von jüdischen messianischen Vorstellungen beeinflusst waren.26 Die Konvente der kontemplativen Hieronymiten wiederum galten eine Zeit lang geradezu als Zufluchtsort für jüdischstämmige Ordensleute, die von einflussreichen Oberen wie Alonso de Oropesa und Rodrigo de Orense in Schutz genommen wurden; gleichwohl stellte der Orden als eine der ersten religiösen Körperschaften Statuten der Blutreinheit auf.27 Die Beobachtung, dass der Diskurs um die Rechte der Conversos sich zwar situativ, aber im Grunde nie strukturell mit anderen Konflikten um Macht und Vorherrschaft verband, lässt sich zugleich in zwei verschiedene Richtungen deuten. Auf politischer Ebene spiegelt sich hier im späteren 15. Jahrhundert womöglich bereits die Erosion des zuvor beachtlichen sozialen Stellenwerts der neuchristlichen Eliten – Könige und Prätendenten, Adlige und Städte waren schlicht nicht darauf angewiesen, in ihren Allianzen konsequent auf das Wohl­ wollen und die Kooperation von Conversos Rücksicht zu nehmen. Kirchlich und akademisch wiederum zeigt die relative Unabhängigkeit der Converso-Fra­ ge von anderen zeitgenössischen Diskursen vor allem, wie fremd die ganze Kontroverse der Theologie und dem Lehramt im größeren Kontext der latei­ nischen Christenheit eigentlich war: Zumal die Position einer hierarchischen Unterscheidung von Getauften nach ihrer jüdischen oder nichtjüdischen Ab­ stammung war schlicht nicht anschlussfähig an irgendeine Tradition innerhalb der christlichen Gelehrsamkeit. Für die diskursive Strategie zur Verteidigung der Conversos bedeutete dies zweierlei. Auf der einen Seite konnte sie sich relativ frei entwickeln und mit 25 26

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Vgl. Horst: Die spanischen Dominikaner, S. 273‑298. Vgl. Matt Goldish: Patterns in Converso Messianism. In: ders. und Richard H. Popkin (Hgg.): Jewish Messianism in the Early Modern World, Dordrecht 2001, S. 50‑51; Merce­ des García-Arenal Rodríguez und Felipe Pereda Espeso: On the Alumbrados. Confessiona­ lism and Religious Dissidence in the Iberian World. In: Kimberly Lynn und Erin Kathleen Rowe (Hgg.): The Early Modern Hispanic World. Transnational and Interdiciplinary Ap­ proaches, Cambridge 2017, S. 121-152; Pastore: Un’eresia spagnola, S. 110‑118; Maud Ko­ zody: Messianic Interpretation of the Song of Songs in Late-Medieval Iberia. In: Decter/Prats (Hgg.): The Hebrew Bible in Fifteenth-Century Spain, S. 117‑147; Mark. D. Meyerson: Seeking the Messiah: Converso Messianism in Post-1453 Valencia. In: Ingram (Hg.): The Conversos and Moriscos. Bd. 1: Departures and Change, S. 51‑82. Vgl. Starr-LeBeau: Shadow of the Virgin, S. 111‑143; Carrete Parondo: Los conversos jeróni­ mos, S. 97‑116.

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breiter Zustimmung zumindest in akademischen Kreisen rechnen, da sie an keinem Punkt riskierte, von einer einzelnen geistigen Strömung vereinnahmt zu werden oder von einer anderen aus taktischen Gründen bekämpft zu wer­ den. Auf der anderen Seite fehlte ihr spätestens seit der Thronbesteigung Hein­ richs IV. zunehmend der politische Anschluss, um ihre Propositionen nicht nur glaubhaft zu machen, sondern auch in der legislativen und administrativen Pra­ xis durchzusetzen. 3.1.2 Autorität und Ambiguität der Heiligen Schrift Der Diskurs über den Status der jüdischstämmigen Neuchristen in den iberi­ schen Reichen des Spätmittelalters war wesentlich bestimmt durch die scho­ lastisch geprägte Wissenskultur, die im ganzen lateinischen Westen gerade in theologischen und rechtskundlichen Fragen vorherrschte. Die formativen Regeln, denen er unterlag, sind daher zwar nicht gänzlich unähnlich denen moderner wissenschaftlicher Diskurse, folgen jedoch einer inneren Logik, die aus heutiger Sicht nicht mehr evident ist. In gewissem Maße, wenn auch auf einer anderen Reflexionsebene, waren manche dieser diskursiven Regeln schon den Autoren selbst bewusst. Auch das Mittelalter kannte etwa in den formalen Grundsätzen der disputatio oder des dialogus schon eine Metaebene der sprachli­ chen Auseinandersetzung,28 wenngleich diese mit Sicherheit nicht erschöpfend war, was die subtileren Spielregeln des Diskurses anging.29 Ein Großteil der literarischen Auseinandersetzung in den Schriften zuguns­ ten der Conversos wird von der rhetorischen Figur des Autoritätsarguments bestimmt. In einem Diskurshorizont, in dem Autoren und Leser dieselben heiligen Texte als maßgebende Zeugen von Wahrheit und Recht ansahen, war der Verweis auf autoritative Texte ein bewährtes und legitimes Mittel gelehrter Abhandlungen.30 Als solche wurden vor allem die Bücher der lateinischen 28

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Vgl. Roger Friedlein: Geleit auf dem Weg zur Wahrheit. Dialoge im Duecento. In: Klaus W. Hempfer (Hg.): Möglichkeiten des Dialogs. Struktur und Funktion einer literarischen Gattung zwischen Mittelalter und Renaissance in Italien, Stuttgart 2002, S. 39‑74; Anita Traninger: Disputation, Deklamation, Dialog. Medien und Gattungen europäischer Wissensver­ handlungen zwischen Scholastik und Humanismus, Stuttgart 2012, S. 237‑255; John Tolan: Ne De Fide Presumant Disputare: Legal Regulations of Interreligious Debate and Disputation in the Middle Ages. In: Medieval Encounters 24 (2018), S. 14‑28 sowie Alex J. Novikoff: The Medieval Culture of Disputation. Pedagogy, Practice and Performance, Philadelphia 2013 und ders.: Toward a Cultural History of Scholastic Disputation. In: American Historical Review 117 (2012), S. 331‑364. Vgl. Gerd Althoff: Rules and Rituals in Medieval Power Games. A German Perspective, Leiden 2019, S. 16‑21; Hermann Kamp: Die Macht der Spielregeln in der mittelalterlichen Politik. Eine Einleitung. In: ders. und Claudia Garnier (Hgg.): Spielregeln der Mächtigen. Mittelalterliche Politik zwischen Gewohnheit und Konvention, Darmstadt 2010, S. 1‑18. Vgl. u.a. Andreas Pečar, Kai Trampedach: Der »Biblizismus« – eine politische Sprache der Vormoderne? In: dies. (Hgg.): Die Bibel als politisches Argument, S. 1‑18; Sita Steckel: Kulturen des Lehrens im Früh- und Hochmittelalter: Autorität, Wissenskonzepte und Netzwerke

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Bibel herangezogen, aber auch die Schriften der Kirchenväter, das Corpus iuris canonici, das Corpus iuris civilis und andere Quellen des kirchlichen und zivilen Rechts einschließlich der zugehörigen Kommentarliteratur sowie allgemein anerkannter Theologen und Kanonisten des hohen und späten Mittelalters und nicht zuletzt die (ins Lateinische übersetzten) Schriften antiker Autoren wie Aristoteles, den die Scholastik als bedeutendsten Philosophen der vorchristli­ chen Zeit ansah.31 Diese verschiedenen Quellengattungen waren hinsichtlich ihres Stellenwerts für die theologische Wahrheitsfindung nicht gleichwertig, lassen sich aber auch nicht ohne weiteres in eine eindeutige Hierarchie bringen. Zwar kam der Bibel und besonders dem Neuen Testament als heiliger Schrift des Christentums eine einzigartige Bedeutung zu, doch war die angemessene Auslegung der Jahrhunderte alten Texte im Bezug auf die aktuelle Kontroverse ja oftmals gerade Gegenstand der Auseinandersetzung und bedurfte daher weiterer Auto­ ritäten, die dafür bürgten, wie der heilige Text richtig zu verstehen war.32 Die Auslegung eines Verses durch Augustinus, Hieronymus, Johannes Chrysosto­ mos, Thomas von Aquin, die Glossa ordinaria oder ein Kirchenkonzil konnte daher ebenso wichtig sein wie der Wortlaut selbst. Auch das Decretum Gratiani spielte eine große Rolle für die Auswahl der zitierten Schriftstellen und die zu ihrer Auslegung herangezogenen theologischen Autoritäten, indem es als Rechtssammlung beide Textsorten thematisch geordnet bereitstellte. Trotz des einzigartigen Stellenwertes der Bibel als göttlicher Offenbarung ist nicht davon auszugehen, dass allen in ihr enthaltenen Sätzen das gleiche Gewicht zugemessen wurde. Obwohl die Autoren des 15. Jahrhunderts von einer historisch-kritischen Exegese im heutigen Sinne weit entfernt waren, ak­ zeptierten sie nicht ohne weiteres jeden biblischen Satz als buchstäblich wahr und verbindlich in jedem beliebigen Kontext. Die Kunst des Schriftarguments bestand vielmehr gerade auch darin, den Zusammenhang eines Verses so darzu­ stellen, dass seine Relevanz und Autorität in der jeweiligen Frage nachvollzieh­ bar wurden. Fundamental für die Formation des Diskurses über die iberischen Neuchris­ ten ist darüber hinaus das Maß an inhaltlicher Ambiguität, das sogar dem kanonischen Text der Bibel zugestanden wurde, und die damit verbundene legitime Vielfalt an Deutungen, jenseits derer erst das Anathema der Häresie galt.33 Denn selbst in der Vorstellung eines scholastischen Theologen, der

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von Gelehrten, Köln 2011, S. 863‑864; Gillian R. Evans: Authority. In: Euan Cameron (Hg.): The New Cambridge History of the Bible, Bd. 3: From 1450 to 1750, Cambridge 2016, S. 387-417. Vgl. zu den verschiedenen autoritativen Quellen die Anmerkungen zu Beginn von Ab­ schnitt 1.3.2. Vgl. Pirson: Die Heilige Schrift, S. 108ff. Vgl. Thomas Bauer: Die Vereindeutigung der Welt. Über den Verlust an Mehrdeutigkeit und Vielfalt, Stuttgart 2018, S. 17‑40; Meier: Ambiguitätstoleranz; Volker Leppin: Differenz oder

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mit einer göttlichen Inspiration des heiligen Textes rechnete, sprach niemals einfach die Bibel als solche. Unterschiedliche Textebenen wurden ebenso dif­ ferenziert wie verschiedene Verfasser. Auch wenn es kein wirklich kritisches Bewusstsein von deren Authentizität und Redaktionsgeschichte oder von Phä­ nomenen der Pseudonymität und Pseudepigraphie gab, war die spätmittelalter­ liche Bibelkunde doch weit davon entfernt, die Schrift bloß als monolithischen Block der offenbarten Wahrheit anzusehen.34 Vielmehr wurde der Stellenwert einzelner Bibelworte unter anderem an die vermutete Identität ihrer Urheber gebunden, die entweder dem expliziten Bibeltext entnommen oder aufgrund einer qua historischer Überlieferung allgemein akzeptierten Zuschreibung prä­ sumiert wurde. Nicht zuletzt diese Rückbindung an die kirchliche Tradition bedingte das Bewusstsein der Autoren des 15. Jahrhunderts, ihre eigenen Schlüsse auf der Basis einer strengen Methode der Gelehrsamkeit zu ziehen. Zwar eröffnete ihnen das hermeneutische Prinzip des mehrfachen Schriftsinns grundsätzlich eine ganze Fülle von Bedeutungen, die sie einer gegebenen Bibelstelle legiti­ merweise zuschreiben konnten, jedoch hätten sie die Vorstellung als abwegig empfunden, man könnte aus der Heiligen Schrift auf völlig beliebige Weise Argumente zum Beweis oder zur Widerlegung einer These gewinnen.35 Ein hei­ liger Text konnte auf verschiedenen Ebenen Vielfältiges (diversa) ausdrücken, er konnte aber, zumindest theoretisch, keine widersprüchlichen Aussagen (ad­ versa) machen, wie eine seit dem 12. Jahrhundert belegte scholastische Dicho­ tomie es auf den Punkt bringt.36 Wenn in der Praxis zwei Auslegungen auf der Basis derselben Bibellektüre doch zu unvereinbaren Ergebnissen kamen, musste mindestens eine auf einem methodischen Fehlschluss oder inhaltlichen Missverständnis beruhen, da die Schrift selbst sich weder irren noch widerspre­ chen konnte. Ähnliche Voraussetzungen galten auch, wo verschiedene Abschnitte der Bi­ bel einander zu widersprechen schienen. Zwar trennte die Scholastik bereits seit dem 12. Jahrhundert formal zwischen der Exegese als Auslegung der überlieferten Texte und der systematischen Theologie, die christliche Lehrsätze formuliert, doch wo immer ein Widerspruch innerhalb der biblischen Bücher

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Harmonie. Die Herausbildung der konfessionellen Unterschiede im Schriftverständnis vor spät­ mittelalterlichem Hintergrund. In: Jahrbuch für biblische Theologie 31 (2016), S. 225‑244. Vgl. u.a. Ian Ch. Levy: The Literal Sense of Scripture and the Search for Truth in the Late Middle Ages. In: Revue d’histoire ecclésiastique 104 (200), S. 783‑827; David G. Meade: Pseudonymity and Canon. An Investigation into the Relationship of Authorship and Authority in Jewish and Earliest Christian Tradition, Tübingen 1986, S. 194‑217; Harry Y. Gamble: Pseudonymity and the New Testament Canon. In: Jörg Frey u.a. (Hgg.): Pseudepigraphie und Verfasserfiktion in frühchristlichen Briefen, Tübingen 2009, S. 333-362. Vgl. Christopher Ocker: Biblical Poetics before Humanism and Reformation, Cambridge 2002, S. 31‑68; Prügl: Mittelalter: Einführung, S. 127‑129. Vgl. Meier: Ambiguitätstoleranz, S. 8‑13; 22-23; Steckel: Kulturen des Lehrens, S. 1177‑1195.

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oder zwischen diesen und anderen maßgeblichen Autoritäten aufzutreten droh­ te, bemühte sie sich in aller Regel, die Aussagen zu harmonisieren.37 Ausdrück­ lich widmet sich daher etwa Hernando de Talavera in seinen Loores de san Juan »einigen Sätzen des Alten Testamentes, die […] auf den ersten Blick nicht sehr vernünftig erscheinen« und »anderen Sätzen das Neuen Testamentes, […] die in sich gegensätzlich erscheinen«.38 Einige Beispiele solcher Harmonisierungen, etwa der unterschiedlichen Genealogien Jesu laut den Evangelien und der Billi­ gung des Betrugs Jakobs an Esau, werden weiter unten noch genauer betrachtet werden. Diese streng logische Konsistenz der Schrift- und Rechtsauslegung, die in den einzelnen Stellungnahmen zugunsten der Neuchristen eine große Stelle spielt, steht in gewissem Kontrast zu ihrer teilweise eher geringen rhetorischen Kohärenz. Die Vielzahl und Unterschiedlichkeit der Beweisführungen, die ge­ rade die umfangreicheren Werke ausmachen, erreichen zwar eine praktisch lückenlose Widerlegung der gegnerischen Position, verzichten durch ihre hohe Komplexität jedoch oft auf die Überzeugungskraft einfacher und stringenter Aussagen. Vor allem auf das Problem der doppelten Argumentation, die jüdi­ sche Herkunft theologisch gleichzeitig aufzuwerten und für irrelevant zu erklä­ ren, wird im Weiteren noch näher einzugehen sein. Das Streben nach Harmonisierung angesichts vieldeutiger und widersprüch­ licher Textbefunde war umso herausfordernder, da es nicht nur auf die Bibel als heilige Schrift und autoritative Quelle schlechthin zielte, sondern auf die ganze Tradition der Auslegung, in der die Autoren des 15. Jahrhunderts stan­ den. Nicht zufällig wurde bereits das berühmteste Grundlagenwerk des Kir­ chenrechts von seinem Kompilator Gratian als »Übereinstimmung widerspre­ chender Rechtssätze« (Concordia discordantium canonum) bezeichnet. Wie die vorderhand widersprüchlichen Verse der Bibel, so bedurfte auch die zuvor un­ geordnete Masse an Lehrsätzen, Konzilsbeschlüssen und päpstlichen Dekreten einer systematischen Harmonisierung. Die Rücksicht auf die Auslegungstradition der Kirche war für die Autoren im Diskurs um die iberischen Neuchristen gleichzeitig Einschränkung und Mittel der Argumentation. Um ihre Aussagen biblisch zu begründen, mussten sie einerseits in gewissem Maße innovativ mit den heiligen Texten umgehen; denn selbstverständlich behandelt keine Schriftstelle direkt die Frage der Inte­ gration jüdischstämmiger Getaufter in eine christliche Mehrheitsgesellschaft. Selbst die Spätschriften des Neuen Testaments setzen noch voraus, dass die Christen selbst eine sozial praktisch bedeutungslose Minderheit bilden; sowohl 37 38

Vgl. Klaus Reinhardt: Das Werk des Nicolaus von Lyra im mittelalterlichen Spanien. In: Traditio 43 (1987), S. 352; Prügl: Das Schriftargument, S. 220-221. […] algunas sentencias des Testamento Viejo que […] parecen prima facie no muy razon­ ables / otras sentencias del Testamento Nuevo […] que assimesmo parecen contrarias – Loores de san Juan, ed. Parrilla, S. 210/215.

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in Relation zum Judentum, als dessen Teil sie noch lange Zeit galten, als auch im Vorderen Orient und im Römischen Reich insgesamt. Andererseits musste eine Argumentation immer auch anschlussfähig an die bisherige lehramtliche und theologische Auslegungspraxis sein, um im innerkirchlichen Diskurs über­ zeugen zu können. Für einen geistlichen Autor des 15. Jahrhunderts stellte das freilich kein grundlegendes Problem dar. Als Wort Gottes behielt die Bibel ihren Stellen­ wert in allen denkbaren Glaubensfragen unabhängig von Zeit und Ort. Das Prinzip der Aktualisierung überlieferter Texte in neuen Zusammenhängen war seinerseits fest in der Tradition verankert. Bereits in vorchristlicher Zeit war die Hebräische Bibel Gegenstand der Übertragung und Auslegung, der Refe­ renzierung und Fortschreibung älterer Texte durch neuere. Das Christentum wiederum, und gerade die Entstehung der neutestamentlichen Schriften, ist von Anfang an durch Prozesse der Rezeption, Aneignung, Deutung und Über­ setzung der älteren biblischen Texte geprägt.39 Die zeitliche und thematische Distanz, die in den kanonischen Schriften zwischen deren Ursprüngen und dem Erkenntnisinteresse der spätmittelalterli­ chen Autoren bestand, verlangte in vielen Fällen eine Technik der allegorischen Auslegung, die einen Bezug vom lexikalischen Sinn des Textes zur aktuellen Problematik herstellte. Die Herangehensweise war dabei mindestens in einer Hinsicht nicht unähnlich dem rabbinischen Midrasch:40 So konnte ein einzel­ ner Vers oder Halbvers auch losgelöst vom unmittelbaren Zusammenhang in Beziehung zu einer ganz anderen Stelle gesetzt oder auf eine neue Thematik übertragen werden, dadurch eine veränderte Bedeutung gewinnen und in die­ ser Funktion immer noch die Autorität des heiligen Textes geltend machen. Dieser geradezu poetische Umgang mit historischen Texten ist der modernen Wissenschaft eher fremd geworden, denn »Allegorese gilt heute gewöhnlich als eine – glücklich überwundene – Form von willkürlicher Exegese, bei der die Intention der Texte und ihrer Autoren grob missachtet wird.«41 Im Verständnis 39

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Vgl. u.a. Marianne Grohmann: Rezeption und Übersetzung. Jüdische und Christliche Trans­ formationen der Hebräischen Bibel. In: dies. und Ursula Ragacs (Hgg.): Religion übersetzen. Übersetzung und Textrezeption als Transformationsphänomene von Religion, Göttingen 2012, S. 13‑30; Ulrich H. J. Körtner: Im Anfang war die Übersetzung. Kanon, Bibelüberset­ zung und konfessionelle Identität im Christentum, ebd. S. 179‑201 sowie Marius Reiser: Bibelkritik und Auslegung der Heiligen Schrift. Beiträge zur Geschichte der biblischen Exegese und Hermeneutik, Tübingen 2007, S. 100‑101. Vgl. u.a. Agnethe Siquans: Midrasch und Kirchenväter: Parallelen und Differenzen in Herme­ neutik und Methodologie. In: Constanza Cordoni und Gerhard Langer (Hgg.): Narratolo­ gy, Hermeneutics, and Midrash. Jewish, Christian, and Muslim Narratives from the Late Antique Period through to Modern Times, Göttingen 2014, S. 39‑70; Michael Fishbane: Midrash and the Meaning of Scripture. In: ders. und Joanna Weinberg (Hgg.): Midrash Unbound. Transformations and Innovations, Oxford 2013, S. 13‑24. Reiser: Bibelkritik, S. 99; vgl. dazu auch ders.: Biblische und nachbiblische Allegorese. In: Trierer theologische Zeitschrift 112 (2003), S. 169‑184.

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vieler Autoren des 15. Jahrhunderts dagegen enthüllte eine solche Lesart viel­ mehr, was über den bloß vordergründigen Sinn von Ewigkeit her in der Offen­ barung des göttlichen Wortes angelegt war. Für sie war es nicht nur möglich, sondern geradezu eine Gewissheit, dass die Worte der Bibel unabhängig von ihrem Alter und dem Kontext ihrer Entstehung auch mehr oder weniger direkt Antworten auf die Fragen der jeweiligen Gegenwart geben. Für die Richtigkeit der jeweils aktuellen Deutung und gegen den Verdacht der Willkür sprach neben der Redlichkeit des Autors eben die Rückbindung an die Tradition. Eine solche propositorische Umnutzung autoritativer Textstellen beginnt im Grunde bereits während der Entstehung des biblischen Kanons und wird von den Autoren der neutestamentlichen Schriften ebenso verwendet wie von den Theologen der christlichen Antike und des Mittelalters. Ein typisches Beispiel, auf das im Folgenden noch zurückzukommen sein wird, ist der Stammbaum Jesu Christi, den die Evangelien nach Vorlagen aus dem Tanach konstruieren, um die Figur des Erlösers mit dem kulturellen Gedächtnis des Judentums zu verbinden.42 Die später als Kirchenväter verehrten Bischöfe Hieronymus und Augustinus wiederum begründeten mit dem Stammbaum Jesu und unter Ver­ weis auf verschiedene menschliche Schwächen und Sünden seiner Vorfahren, dass die familiäre Herkunft keinen negativen Einfluss auf den gültigen Emp­ fang der Sakramente haben könne.43 Ausgehend von dieser Analogie, die Grati­ an in seine berühmte Rechtssammlung aufnahm,44 argumentierten schließlich die Verteidiger der Conversos, dass kein Makel der Geburt – also auch nicht die Abstammung aus dem jüdischen Volk – einen gläubigen Christen rechtlich beeinträchtigen könne. Nach diesem Muster erfolgten auch diverse andere propositorische Umnut­ zungen biblischer Perikopen: Ein Textfragment aus dem Tanach erhielt eine gesteigerte Bedeutung für das Christentum, indem es im Neuen Testament aktualisiert wurde.45 Eine weitere topische Verschiebung geht oft durch eine allegorische Auslegung auf einen Autor der christlichen Antike zurück, der in der Folge eine autoritative Funktion in der exegetischen Tradition der Kirche erhielt. Die Kompilations- und Kommentarliteratur der mittelalterlichen Scho­ lastik schließlich schrieb diese Tradition fort, auf deren Basis die akademisch

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Vgl. u.a. Barbara Sivertsen: New Testament Genealogies and the Families of Mary and Joseph. In: Biblical Theology Bulletin 35 (2005), S. 43-50; Simon Légasse: Les généalogies de Jésus. In: Bulletin de littérature ecclésiastique 99 (1998), S. 443-454. Vgl. u.a. Mark Vessey: Jerome and Rufinus. In: Francis Young (Hg.): The Cambridge History of Early Christian Literature, Bd. 1, Cambridge 2004, S. 318-327; Adam Ployd: The Power of Baptism: Augustine’s pro-Nicene Response to the Donatists. In: Journal of Early Christian Studies 22 (2014), S. 519‑540. Vgl. Concordia discordantium canonum, D. 56, c. 5‑9. Vgl. u.a. Jean-Noël Guinot: La frontière entre allégorie et typologie. École alexandrine, école antiochienne. In: Recherches de science religieuse 99 (2011), S. 207‑228.

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gebildeten Gelehrten in der Kontroverse um die iberischen Neuchristen sie auf die Situation ihrer Zeit hin adaptierten.46 Durch diese Verankerung in der kirchlichen Tradition und Rezeptionsge­ schichte heiliger Texte schrieben die vormodernen Theologen in dem Bewusst­ sein, dass ihre Schriftauslegung im Einklang mit einer höheren Wahrheit stand und gerade keine arbiträre Auswahl aus einer Vielzahl gleichwertiger Optionen darstellte. Genau diesen Vorwurf machte man allerdings gerne dem Gegner, der sich demnach selbst als Häretiker zu erkennen gab, indem er sich auf willkürlich ausgesuchte Schriftstellen berief und diesen einen frei erfundenen Sinn gab. Der in seinem Selbstverständnis rechtgläubige und theologisch red­ liche Gelehrte dagegen zitierte einzelne Bibelverse in dem Bewusstsein, dass sie repräsentativ nicht nur für den gesamten Schriftbefund zur vorliegenden Frage, sondern auch Ausdruck der übergeordneten Wahrheit waren. Beim Schriftargument generell ebenso wie bei der Übertragung eines Bibelwortes in einen neuen Zusammenhang garantierte also weniger ein bestimmtes methodi­ sches Verfahren für die Richtigkeit des Ergebnisses, sondern die Relevanz und Folgerichtigkeit des Schriftarguments leitete sich eher von der (präsumierten) Wahrheit der Aussage her.47 Die Ambiguität der Heiligen Schrift schließlich betraf nicht nur ihre Ausle­ gung, sondern auch die Textgrundlage selbst, insofern sowohl ihr Umfang und als auch ihr Wortlaut nicht abschließend fixiert waren. Die Liste der biblischen Bücher, die unter diesen Voraussetzungen Eingang in den Diskurs gefunden haben, ist allerdings nahezu erschöpfend. Aus dem biblischen Kanon, der in der abendländischen Kirche des 15. Jahrhunderts zwar weitgehend, aber noch nicht unumstößlich feststand,48 sind nahezu alle Schriften zumindest mit einzelnen Zitaten vertreten. Gemessen an dieser Vielfalt über die Breite des Diskurses hinweg konzentrieren sich die Belege, die von den Autoren überein­ stimmend oder zumindest mehrheitlich herangezogen werden, auf eine relativ überschaubare Anzahl von Schriftstellen. Dies überrascht vielleicht weniger, wenn man bedenkt, dass bereits die theologische Tradition, die sich seit den Anfängen des Christentums mit dem Verhältnis zum Judentum befasste, im­

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Vgl. Pedro Santonja Hernández: Sobre judíos y judeoconversos en la baja Edad Media. Textos de controversia. In: Helmantica 60 (2009), 177‑203. Vgl. auch Glei: Mit zweierlei Maß, S. 395‑400. Vgl. Corrine Patton: Canon and Tradition: The Limits of the Old Testament in Scholastic Discussion. In: Journal of the Evangelical Theological Society 43 (2000), S. 75‑95; Sandra Hübenthal und Christian Handschuh: Der Trienter Kanon als kulturelles Gedächtnis. In: Thomas Hieke (Hg.): Formen des Kanons: Studien zu Ausprägungen des biblischen Kanons von der Antike bis zum 19. Jahrhundert, Stuttgart 2013, S. 104-150.

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mer wieder um dieselben Spitzensätze aus den Evangelien, den paulinischen Briefen und den Schriftpropheten kreiste.49 Was die konkrete Auswahl der Textstellen angeht, sind schließlich auch rein technische Gegebenheiten zu berücksichtigen. Selbst ein hochgebildeter und gut situierter Autor verfügte nicht uneingeschränkt über das gesamte Quel­ lenmaterial, das für seine Arbeit infrage kam. Viele gebräuchliche Bibelhand­ schriften variierten stark in ihrem jeweiligen Umfang und enthielten unter Umständen nur einige ausgewählte Teile des Kanons.50 Noch weniger kann der Zugriff auf andere einschlägige Quellen vorausgesetzt werden. So verweist etwa Alonso de Cartagena darauf, die gesammelten Beschlüsse der Westgotischen Konzilien lediglich dank seiner Reise zum Basler Konzil und seinen Studien in den dortigen Bibliotheken zu kennen. Allgemein seien nämlich nur die ins Decretum Gratiani übernommenen Passagen bekannt. Ob dagegen eine voll­ ständige Fassung in den spanischen Landen überhaupt erhalten sei, wisse er nicht.51 Gerade bei den Schriften, die während der Rebellion von Toledo oder im Kontext der ersten Inquisitionstribunale von Sevilla unter dem zeitlichen Druck der Ereignisse entstanden, ist davon auszugehen, dass die Autoren man­ che Passagen einfach aus dem Gedächtnis zitierten.52 Dabei wird die Frage nach dem hebräischen oder griechischen Urtext, seiner Übertragung ins Lateinische und womöglich seiner Rezeption in der Volksspra­ che praktisch nicht gestellt. Der Vorgang der Übersetzung von einem Idiom ins andere ist aus heutiger Sicht zwar sprachgeschichtlich höchst spannend, stellte allerdings im Horizont des 15. Jahrhunderts kaum je eine Dimension der Betrachtung, geschweige denn der Kontroverse dar. Als Glaubenswahrheit galt, dass es drei heilige Sprachen gebe, in denen das Wort Gottes völlig adäquat wiedergegeben werden könne: Hebräisch, Griechisch und Latein, die drei Idio­ me, in denen laut dem Johannesevangelium (Joh 19, 20) die Inschrift über dem Kreuz Christi verfasst war.53 Die Gesamtübersetzungen der Bibel ins Lateinische galten ihrerseits wie schon die griechische Septuaginta als inspiriert und bezogen ihre Glaubwürdig­ keit aus der Autorität der (vermuteten) Person des Übersetzers.54 Doch auch 49

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Vgl. Vidal Doval: Misera Hispania, S. 17; Rainer Kampling: Neutestamentliche Texte als Bausteine der späten Adversus-Judaeos-Literatur. In: Matthias Blum (Hg.): Im Angesicht Israels, Stuttgart 1990, S. 123-137. Vgl. Gemma Avenoza: Biblias castellanas medievales, Cilengua 2011. Vgl. Defensorium, 2, 4, 24; ed. Alonso, S. 227‑228. Vgl. Jesús Montoya Martínez: Hernando de Talavera apologista, catequista y hagiógrafo. In: Revista del Centro de Estudios Históricos de Granada y su Reino 19 (2007), S. 50. Vgl. Jürgen Trabant: Europäisches Sprachdenken: von Platon bis Wittgenstein, München 2006, S. 77; Walter Berschin: Griechisch-lateinisches Mittelalter. Von Hieronymus zu Nikolaus von Kues, Bern 1980, S. 210-211. Vgl. u.a. Elisabeth Birnbaum: Wenn ein Heiliger übersetzt. Hieronymus und die Vulgata. In: Bibel und Kirche 69 (2014), S. 14‑19; Francis Borchardt: The LXX Myth and the Rise of Textual Fixity. In: Journal for the Study of Judaism in the Persian, Hellenistic and Roman

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wenn die Vulgata als gebräuchlichste lateinische Übersetzung beinahe selbst als kanonisch galt – »Pointiert gesagt: Die Übersetzung ist das Original«55 – war ihre genaue Textgestalt doch noch nicht fixiert und wies zahlreiche Varianten auf; daneben war vor allem im monastischen Bereich auch die Vetus Latina noch relativ verbreitet.56 Teilübersetzungen sowohl aus dem Hebräischen als auch dem Lateinischen in die Volkssprachen existierten zwar, galten jedoch als höchst fragwürdig und konnten unter Umständen sogar unter Strafen eingezo­ gen und vernichtet werden.57 Kenntnisse des Griechischen und vor allem auch des Hebräischen waren im Spätmittelalter in den iberischen Reichen gerade durch die große Präsenz jüdischer und vom Judentum konvertierter Gelehrter zwar durchaus vorhan­ den,58 prägten jedoch nicht den Diskurs, da sie zumindest im innerkirchlichen Rahmen nicht als maßgeblich galten. Die Frage nach der translatorischen Qualität einer lateinischen oder volkssprachlichen Übersetzung stellte sich im 15. Jahrhundert, wenn es um Aristoteles, Cicero oder Seneca ging,59 doch erst die Humanisten im anbrechenden 16. Jahrhundert wagten es, die bisherigen Übersetzungen der Bibel im Grundsatz (nicht nur im Hinblick auf verschiede­ ne Versionen) zu kritisieren. Indem sie gelehrte Argumente über den Vorrang der Tradition stellten, hatten sie freilich auch im Spanien des Siglo de oro immer noch keinen leichten Stand.60 Es sollte bis ins 20. Jahrhundert dauern,

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Period 43 (2012), S. 1‑21; Theo A. W. van der Louw: The Dictation of the Septuagint Version. In: Journal for the Study of Judaism 39 (2008), S. 211‑229; Colette Estin: Saint Jérôme, de la traduction inspirée à la traduction relativiste. In: Revue Biblique 88 (1981), S. 199‑215. Körtner: Im Anfang, S. 182. Vgl. Cornelia Linde: How to Correct the Sacra Scriptura? Textual Criticism of the Latin Bible between the Twelfth and Fifteenth Century, Oxford 2012, S. 27‑48; Meier: Ambiguitäts­ toleranz, S. 5‑8; Bonifatius Fischer: Zur Überlieferung altlateinischer Bibeltexte im Mittelalter. In: ders. (Hg.): Lateinische Bibelhandschriften im frühen Mittelalter, Freiburg 1985, S. 404-421; Frans van Liere: The Latin Bible, c. 900 to the Council of Trent, 1546. In: Marsden (Hg.): The New Cambridge History of the Bible, Bd. 2: From 600 to 1450, S. 93‑109. Vgl. Gemma Avenoza: The Bible in Spanish and Catalan. In: Marsden (Hg.): The New Cambridge History of the Bible, Bd. 2: From 600 to 1450, S. 288‑306. Vgl. Ursula Ragacs: Quellenkenntnis und Übersetzungsproblematik im Mittelalter und heute. In: dies. und Marianne Grohmann: Religion übersetzen, S. 75‑91. Vgl. u.a. María Morrás: El debate entre Leonardo Bruni y Alonso de Cartagena: Las razones de una polémica. In: Quaderns. Revista de traducció 7 (2002), S. 33‑57; Alexander Birken­ majer: Der Streit des Alonso von Cartagena mit Leonardo Bruni Aretino, Münster 1922; Olga Tudorica Impey: Alfonso de Cartagena, traductor de Séneca y precursor del humanismo español. In: Prohemio 3 (1972), S. 473‑494; Nicholas G. Round: »Perdóneme Séneca«: The Translational Practices of Alonso de Cartagena. In: Bulletin of Hispanic Studies 75 (1998), S. 17‑29.. Vgl. u.a. Linde: How to Correct, S. 71‑77, 175‑197; Jan Krans: Beyond What is Written. Erasmus and Beza as Conjectural Critics of the New Testament, Leiden 2006, S. 29‑52; Cecilia Asso: La teologia e la grammatica. La controversia tra Erasmo e Edward Lee, Florenz 1993; Gerhard B. Winkler: Erasmus von Rotterdam und die Einleitungsschriften zum Neuen Testa­

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bis das neue kritische Bewusstsein auch vom kirchlichen Lehramt ansatzweise übernommen wurde. 3.1.3 Die Gegenseite: eine Irrlehre ohne Namen Die Verteidiger der Rechte der Neuchristen standen in den Jahren nach dem Sentencia-Estatuto von Toledo bei dem Unternehmen, eine als hochgefährlich vermutete Irrlehre zu entkräften, zunächst vor einem nicht unerheblichen Problem: Den Unterstützern des Statuts fehlten schlicht die theologischen Ar­ gumente, auf die sich eine systematische Widerlegung hätte beziehen können. Gerade den Schriften von 1449 bis 1450 ist deutlich anzumerken, dass sie mit Mühe aus den schlichten Behauptungen der altchristlichen Agitatoren die we­ nigen Verweise auf Bibel und Rechtsquellen heraussuchen, die sich als Versuch einer Beweisführung verstehen lassen. Teilweise ist nicht einmal ganz klar, ob sich die gelehrten Widerlegungen auf Schriftargumente bezogen, die tatsäch­ lich von den Toledanischen Rebellen oder anderen Altchristen angeführt wur­ den, ob es sich um Meinungen handelte, die allgemein im Umlauf waren, oder ob die Verteidiger der Conversos diese antizipierten, um von vornherein die Deutungshoheit zu gewinnen. Wo immer möglich, versuchten sie, von den an­ ekdotischen Indizien- und Anscheinsbeweisen der Altchristen auf theologische Prinzipien zu schließen, um diese dann deduktiv in die Aporie zu führen. Die geringe theologische Dichte der conversofeindlichen Aussagen, die sich vor allem auf die angeblich offenkundige neuchristliche Neigung zum Judaisie­ ren stützten, machte sie für die gelehrten Verteidiger der Conversos schwer fass­ bar. Auch wenn sie die Unterscheidung und Herabsetzung der Neuchristen als Häresie kritisierten, gelang es ihnen doch letztlich nicht, den Charakter dieser Irrlehre übereinstimmend auf den Punkt zu bringen. Das ist auch deshalb be­ merkenswert, weil die Kirche des Mittelalters sonst selten verlegen war, abwei­ chende theologische Aussagen oder Praktiken schematisch entsprechend der aus Bibel und Kirchengeschichte bekannten devianten Personen und Lehren zu klassifizieren – der aragonesische Inquisitor Nicolau Eimeric (ca. 1316‑1399) et­ wa präsentierte in seinem Directorium inquisitorum eine umfassende Sammlung historischer Häresien und Häresiarchen von biblischen Gestalten wie Simon Magus (nach dem das Delikt des Ämterkaufes benannt ist) und frühchristlichen Gemeinschaften wie den Ebioniten über konkurrierende Religionen wie den Manichäern und umstrittenen Theologen der Alten Kirche wie Pelagius oder Origenes bis hin zu den zeitgenössischen christlichen Armutsbewegungen der Fratizellen und Beginen.61

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ment. Formale Strukturen und theologischer Sinn, Münster 1974; Bataillon: Erasmo y España., S. 37‑41, 73‑76. Vgl. Francisco Peña: Le manuel des inquisiteurs, Paris 2001, S. 84‑86; Claudia Heimann: Nicolaus Eymerich OP. Der Inquisitor und die Juden im Aragón des 14. Jahrhunderts. In: Fül­

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Paradigmatische Bezüge zwischen alten und neuen Irrlehren waren in der Regel schnell gefunden. So galten noch im Mittelalter und darüber hinaus die geistlichen Bewegungen, die Zweifel an der Gültigkeit der Sakramente aus der Hand unwürdiger Priester hegten, als Anhänger des antiken Donatismus, und Theologen, die den freien Willen des Menschen gegenüber der Verstrickung in die Erbsünde starkmachten, standen im Verdacht des bereits Jahrhunderte zu­ vor verurteilten Pelagianismus.62 Zumindest den Ansatz, auch die irrige Unter­ scheidung von Altchristen und Neuchristen nach diesem Muster einzuordnen, gibt es durchaus im gelehrten Diskurs des 15. Jahrhunderts. Fast alle relevanten Texte verurteilen die altchristlichen Eiferer als Häretiker, Schismatiker und Hochverräter, allerdings gibt es wenig Übereinstimmung darin, sie mit einer bestimmten Häresie zu identifizieren. Alonso de Cartagena spricht (in Analogie zur Denunziation der Neuchristen als angebliche Judaisierer) vom häretischen Verhalten des Paganisierens. Er markiert die Ablehnung der jüdischstämmigen Christen damit nicht nur als Irrlehre, sondern auch als Rückfall ins Heidentum.63 Zwar nicht durch die Pflege vorchristlicher Bräuche und Kultpraktiken, aber dafür durch den eifer­ süchtigen Stolz auf ihre vermeintlich rein nicht-jüdische Abstammung würden die Altchristen die Taufgnade verraten, die sie einmal empfangen hatten: »Genauso wie also von jenen, die nach der Annahme des Glaubens dazu übergehen, jüdische Riten auszuüben, gesagt wird, dass sie judaisieren, so kann von jenen, die irgendeine Spaltung wiederbeleben wollen, nachdem sie bereits vom Bad der Taufe reingewaschen und mit den übrigen zu einem Volk gemacht wurden, gesagt werden, dass sie paganisieren […].«64

Alonso de Montalvo spricht im Rekurs auf Hieronymus von der kainitischen Häresie, einer mutmaßlich gnostischen antinomischen Lehre, die lediglich aus den diversen Gegenschriften des patristischen Zeitalters bekannt ist und um Kain, Esau, Korach und andere antagonistische biblische Gestalten kreist. Alon­ so deutet diese Heraushebung bestimmter schwerer Sünder als Zweifel an der alles erlösenden Macht des Leidens Christi. Den Neuchristen ihre jüdische Herkunft als Schuld zur Last zu legen, mochte ein verbreiteter Irrtum sein – doch zu behaupten, die Größe dieser Schuld würde die göttliche Erlösung überfordern, sei ein häretischer Zweifel am Kreuz Christi:

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lenbach/Miletto (Hgg.): Dominikaner und Juden, S. 135‑154 und dies.: Nicolaus Eymerich (vor 1320-1399) praedicator veridicus, inquisitor intrepidus, doctor egregius. Leben und Werk eines Inquisitors, Münster 2001, S. 98‑105. Vgl. Jörg Oberste: Ketzerei und Inquisition im Mittelalter, Darmstadt 2007, S. 9‑10. Vgl. auch Rosenstock: Against the Pagans, S. 117‑122. Sicut ergo illi qui fide recepta ritus iudaycos exercere presumunt, iudayzare dicuntur, sic et illi qui baptismatis gurgite loti et in unum populum cum aliis effecti divisionem ali­ quam revivificare volunt, paganizare dicentur […]. – Defensorium, 3, Prolog, ed. Alonso, S. 269‑270.

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»Gott schließt alles unter der Sünde ein, um sich aller zu erbarmen, wo die Sünde reichlich vorhanden war, da war die Gnade noch reichlicher [Röm 5, 20]. Und es folgt: Da erhebt sich die kainitische Häresie […] Diese besagt, es gäbe etwas, das Christus durch sein Blut nicht retten konnte, so wie die Neuchristen. Was besagt das anderes, als dass Christus vergeblich gestorben wäre?«65

Häufiger als eine kirchengeschichtliche oder dogmatische Einordnung nach diesem Muster verwenden die Verteidiger der Neuchristen jedoch biblische Motive, um ihre Gegner zu charakterisieren. Der Fokus des anonymen Predi­ gers von Valladolid liegt auf dem Vorwurf des Schismas und des Hochverrats. Entsprechend zieht er das Beispiel der abtrünnigen Sippen auf der Wüstenwan­ derung Israels (Num 16, 1‑33) heran. »Wenn sie doch nur wissen und verstehen wollten und das Ende vorhersehen und sich erinnern würden an das Schicksal jener Schismatiker, nämlich Korach, Datan und Abiram, denen Gott ein Ende machte, so dass die Erde ihren Mund öffnete und sie verschlang, weil die Führer ihm den Gehorsam verweigerten und eine Spaltung oder Teilung ins Volk Gottes hineinbrachten.«66

Juan de Torquemada macht mit seinem Traktat Contra Madianitas ein ganzes Panorama alttestamentlicher Bezüge auf, die an die Genealogie nach Abraham anknüpfen und im Hauptteil dieses Buches noch näher zu untersuchen sind. Eine weitere Parallele findet der Kardinal im Buch Ester, wo ihm die Figur des persischen Hofbeamten Haman als Archetyp des gottlosen antijüdischen Intriganten dient: »Siehe ihr teuflisches Vorhaben, siehe ihre bösartige Absicht, ähnlich der Gottlosigkeit, die von Haman erdacht wurde, dem heimlichen Feind des israelitischen Volkes.«67

Auch Fernán Díaz de Toledo zieht diese Parallele: So wie Haman am Hof des persischen Königs gegen das Volk der Hebräer intrigiert, so wenden sich zu seiner eigenen Zeit Intriganten und Aufrührer gegen die Christen jüdischer Abstammung in Toledo: »Ihr kennt bereits die großen Verfolgungen, die jener böse Haman gegen unser Ge­ schlecht zur Zeit des Königs Artaxerxes bewirkte, und die Strafe, die er dafür erlitt. Hoffentlich erhält dieselbe Strafe der zweite Haman, der, wie man besonders in dieser 65

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Concludit Deus omnia sub peccato, ut omnibus misereatur, ubi abundauit peccatum sperabundauit et gratia, et sequitur: Consurget canina haeresis […] Dicit enim aliqua quae Christus non potuit sanguine suo purgare, ut nouos Christianos. Quid enim aliud ait, nisi ut Christus frustra mortuus sit? – Tractatus quidam levis, 11, ed. Conde Salazar, S. 108. Utinam saperent et intellegerent et nouissima prouiderent, et memores essent sibi finium schismaticorum illorum, uidelicet, Core, Dathan et Abiron, de quibus, quia oboedienti­ am duci suo subtraxerunt et schisma uel scissuram in populo Dei introduxerunt, nouam rem fecit Dominus quod aperiens terra os suum deglutiuit eos […]. – Sermo in die beati Augustini, ed. González Rolán/Saquero Suárez-Somonte, S. 52. Ecce eorum diabolicum propositum, ecce intentio eorum maligna, similis impietati con­ ceptae per Aman, quam clam inimicum populi Israelitici […]. – Contra Madianitas, 1, ed. del Valle Rodríguez, S. 138.

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Stadt wohl weiß, den Anstoß gab und sogar einige Städte anstiftete, es ebenso zu machen.«68

Die gleiche Einordnung übernimmt auch Lope de Barrientos und scheut sich dabei nicht, Marcos García de Mora namentlich als geistigen Anstifter der conversofeindlichen Ausschreitungen zu nennen: »Viele Male habe ich gelesen, wie jener böse Haman zur Zeit des Königs Artaxerxes endlose Verfolgungen gegen jenes jüdische Volk anstiftete und beging […] und er wurde schimpflich verurteilt von dem, der ihn vorher schätzte […]. Wer aber diese Dinge empfindet, o guter Gott! Was erwartet der, als dass der Teufel ihn blendet, wie er heute Marquillos geblendet hat, einen zweiten Ankläger und neuen Haman ohne guten Rat und Vernunft?«69

Nicht gewollt ist hier mit Sicherheit die Nähe zu einer verbreiteten (kryp­ to-)jüdischen Auslegung des Buches Ester im Converso-Kontext, in der die biblische Königin zum Archetyp und Vorbild für die im verborgenen gelebte jüdische Identität wurde.70 Möglicherweise verhinderte gerade diese konkurrie­ rende Interpretation, dass die »Häresie des Haman« dauerhaft als Stigma der altchristlichen Irrlehre funktionieren konnte. Wesentlich unproblematischer ist im Vergleich das neutestamentlich inspirierte Feindbild bei Alonso de Oropesa. Er sieht in den Verfolgern der Conversos das Abbild des Königs Herodes, der zur Zeit der Geburt Jesu regierte und nach der Erzählung des Matthäusevange­ liums (Mt 2, 16‑18) aus Furcht vor einem neugeborenen König der Juden alle Säuglinge von Betlehem ermorden ließ: »So wie Herodes bei der Geburt Christi erschrak, so sind auch sie voll irdischer Leiden­ schaft verstört angesichts seiner königlichen Majestät, eifersüchtig mit falscher oder vorgetäuschter Hingabe, und so töten sie, Herodes nachahmend, die Kinder Christi, die er selbst befahl, zu sich kommen zu lassen, um selbst sein Reich an sich zu reißen.«71

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[…] ya sabe las grandes persecuçiones, que aquel malo Amán fiço contra nuestro linaje en tiempo de rey Asuero, y la pena que por ello reportó. Que esa misma espere que recivirá el segundo Amán, que, bien se sabe espeçialmente en esta çiudad, puso por obra, e aún inçitó a algunas çiudades que así lo hiçiesen […] – Instrucción, ed. González Rolán/ Saquero Suárez-Somonte, S. 96. Muchas veces é leído de aquel malo Amán, en tiempo del rey Asuero, ensayar e cometer contra aquella judaica naçión infinitas persecuçiones […] y injuriosamente fue sentencia­ do de quien primero lo amaba […]. Pues quien estas cosas siente, ¡oh Dios bueno! ¿qué espera sino al diablo que lo çiegue, como agora çegó a Marquillos, un segundo acusador, nuevo Amán, fuera de buen consejo e raçón? – Contra algunos çiçañadores, ed. González Rolán/Saquero Suárez-Somonte, S. 122‑123. Vgl. Emily C. Cairns: Esther among Crypto-Jews and Christians. Queen Esther and the Inqui­ sition Manuscripts of Isabel de Carvajal and Lope de Vega’s La hermosa Ester. In: Chasqui 42 (2013), S. 98‑109; Ram Ben-Shalom: The Converso as Subversive: Jewish Traditions or Christian Libel? In: Journal of Jewish Studies 1 (1999), S. 262. Ac per hoc de Christo nato cum Herode turbentur affectu terreno eius regie maiestati, decepta vel simulata devotione invidentes, et sic Christi parvulos, quos ipse a se permitti

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Alle diese Beispiele der bibelexegetischen Polemik sind mehr als eine Schau der Gelehrsamkeit und Eloquenz. Zwar werden die biblischen Verweise selten weiter ausgeführt, doch lässt der allgemeine Gebrauch von Schriftargumenten vermuten, dass auch hier in vielen Fällen eine tiefere Bedeutung im Sinne der Allegorese zumindest mitgedacht ist. Dass es den Verteidigern der Conversos nicht gelungen ist, ihre Kritik um ein zentrales biblisches Motiv oder auch eine historische Häresie herum zu organisieren, hat womöglich zum Überleben und letztlich zum Erfolg der von ihnen bekämpften Ideologie beigetragen. Bei aller Vagheit und intellektuellen Spärlichkeit, die der akademischen Theologie kaum eine direkte Angriffsfläche bot, diente die conversofeindliche Rhetorik der Altchristen dem gelehrten Diskurs dennoch gelegentlich als Stich­ wortgeberin und gab die Richtung der Auseinandersetzung vor. Letztlich sind es vor allem zwei Aussagen, die in der Logik der Altchristen die angebliche Disposition der Neuchristen zu Apostasie und Häresie erklären und damit die soziale Ausgrenzung der jüdischstämmigen Konvertiten begründen. Dies ist zum einen die Behauptung, Gott habe das jüdische Volk insgesamt verworfen und vom Heil ausgeschlossen, zum anderen die Unterstellung, aufgrund ihrer Abstammung würde sogar die Getauften jüdischer Herkunft dasselbe Schicksal treffen. So bezeichnet Marcos García de Mora, der ideologische Kopf der Auf­ ständischen von Toledo, das Geschlecht der Juden als »[…] enterbt von der ewigen Herrlichkeit, wegen seines störrischen Eigensinns für immer verdammt zu den Strafen der Hölle – ausgenommen jene, denen unser Gott und Erlöser Jesus Christus in seiner göttlichen Güte und Barmherzigkeit Verzeihung gewähren wollte und wird – welches Urteil unser Herr durch seinen Richterspruch fällte, der lautet [Ps 95]: Vierzig Jahre war ich diesem Geschlecht nahe und sagte: Immer irren sie mit ihrem Herzen und kennen wahrhaftig meine Wege nicht, sie, denen ich in meinem Zorn schwor, sie sollten nicht in meine Ruhestätte kommen.«72

Bei dieser kategorischen Verurteilung, die als solche kaum aus dem Rahmen der historisch lang gepflegten christlichen Polemik gegenüber dem Judentum fällt, sollte allerdings nicht übersehen werden, dass sogar Marcos García ein­ räumt, einzelne Juden könnten bei Gott aufgrund seines unbeschränkten Er­ barmens Gnade finden. Eine unausweichliche und ausnahmslose Verdammung im Sinne einer genealogisch bedingten Reprobation zu behaupten, ging selbst ihm offenbar zu weit – oder er fürchtete zumindest, eine solche Position in der

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venire mandavit, imitantes Herodem occidant, ut ipsi soli eius regnum invadant. – Lumen ad revelationem, 35. […] desheredados de la gloria eterna, condempnados por su obstinada porfía perpetu­ amente a las penas del infierno, ecepto aquéllos con quien nuestro Dios y Saluador Jesu Christo quiso y querrá dispensas por su diuina bondad e misericordia; la cual condenaçión hiço Nuestro Señor por su sentençia, cuyas palabras son: Quadraginta annis proximus fui generationi huic et dixi: semper hi errant corde ipsi vero non cognouerunt vias meas, quibus iuraui in ira mea si introibunt in requiem mean. – Memorial, ed. Benito Ruano, S. 104.

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theologischen Auseinandersetzung nur schwer halten zu können. In den Apo­ logien zur Verteidigung der Conversos wird sein Standpunkt freilich weniger differenziert dargestellt; sei es, weil er aus polemischen Gründen vereinfacht referiert wird, sei es, weil andere Altchristen ihn von sich aus radikalisierten. Die Vorstellung, die Juden insgesamt wären durch die Ablehnung des Mes­ sias Jesus von Nazareth kollektiv vom Heil ausgeschlossen worden, ist bekannt­ lich keine Erfindung der Rebellen von Toledo. Das christliche Abendland hatte zu diesem Zeitpunkt bereits eine lange Tradition antijüdischer Polemik, die in ihren Ansätzen letztlich über die Zeit der Kirchenväter bis zu den Autoren des Neuen Testaments zurückreicht.73 Auch in den spanischen Reichen des Spätmittelalters wurde diese Gattung schon lange vor 1449 von Autoren wie Ramón Martí, Pedro Pascual, Ramón Llull, Alfonso de Valladolid, Vicente Fer­ rer und anderen reproduziert.74 Auf diesen historisch gewachsenen religiösen Antijudaismus konnten die Feinde der Conversos nun leicht aufbauen, indem sie die theologische Ablehnung des Judentums mehr oder weniger subtil in einen genealogischen Kontext übertrugen.75 Hierzu herangezogene Stellen aus dem Alten Testament waren etwa das Lied des Mose im Buch Deuteronomium (Dtn 32) und die Mahnung zur Treue im Psalm 95(94). Die ausführliche Klage über das Volk, das trotz der Güte und Geduld seines Gottes immer wieder auf falsche Wege gerät, seinen gerechten Zorn provoziert und (vorübergehend) sogar von ihm verworfen wird, wurde hier apodiktisch gelesen und als finales Urteil verstanden. Diesem Schriftver­ ständnis widersprachen mehrere Verteidiger der Conversos ganz direkt und boten verschiedene alternative Interpretationen an. Gutierre de Palma wagte eine einfache, wenn auch verwegene Exegese, indem er die anklagenden Worte Gottes schlicht auf die Heidenvölker statt auf Israel bezieht: »Vor der Zeit des Erlösers war allgemeine Finsternis, denn das Volk der Heiden opferte Götzenbildern und hatte Gott nicht erkannt. Dazu der Psalm 95: Singt dem Herrn! Al­ le Götter der Heiden sind Dämonen. Und: Gieße deinen Zorn aus über die Völker, die dich nicht kennen, und die Reiche, die deinen Namen nicht angerufen haben; damit man unter den Völkern nicht laut ruft: Wo ist ihr Gott? – Am Ende des Pslams 113 und im Psalm 78 […] Im Psalm »Hört, ihr Himmel« [Dtn 32] tadelt der Herr diese, 73

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Vgl. u.a. Clark M. Williamson: Has God Rejected his People? Anti-Judaism in the Christian Church, Eugene 2017, S. 11‑88; Jeremy Cohen: The Jews as the Killers of Christ in the Latin Tradition. From Augustine to the friars. In: Traditio 39 (1983), S. 1‑27. Vgl. Schreckenberg: Die christlichen Adversos-Judaeos-Texte, S. 290ff.; Walter Mettmann: Mostrador de justicia. Alfonso de Valladolid (Abner aus Burgos), Opladen 1994 und ders.: Ofrenda de zelos. Alfonso de Valladolid (Abner aus Burgos), Opladen 1990; Cátedra: Fray Vicente Ferrer; Harvey J. Hames: Ramón Llull y su obra polémica contra los judíos. In: Carlos del Valle Rodríguez (Hg.): La Controversia judeocristiana en España (desde los orígenes hasta el siglo XIII). Homenaje a Domingo Muñoz León, Madrid 1998, S. 317‑344. Vgl. Henriette-Rika Benveniste und Giorgos Plakotos: Converting Bodies, Embodying Con­ version: The Production of Religious Identities in Late Medieval and Early Modern Europe. In: Yisraeli/Fox (Hgg.): Contesting Inter-Religious Conversion, S. 245-267.

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indem er sagt: Sie opferten Dämonen und nicht Gott; Götter, die sie nicht kennen, Neulinge, die vor Kurzem gekommen sind.«76

In aller Regel lehnen die Schriften zugunsten der Conversos die umfassend antijüdische Auslegung von Passagen wie Dtn 32 oder Ps 95(94) jedoch ab, indem sie darauf verweisen, dass die göttliche Verurteilung sich nur auf einen Teil des Volkes oder auf eine vorübergehende Zeitspanne beziehe. Beispielhaft vermerkt etwa Juan de Torquemada: »Als Antwort auf diesen Autoritätsbeweis und alle ähnlichen, die auf der Oberfläche des Buchstabens von der Verwerfung des Volkes oder Geschlechts der Juden zu spre­ chen scheinen, ist im katholischen Glauben als Regel und notwendiger Grundsatz festzuhalten, dass keine Stelle der Heiligen Schrift über den Unglauben oder die Verwerfung des Volkes der Juden allgemein oder unbedingt von allen zu verstehen ist, die ihre Herkunft von diesem Volk ableiten, sondern vielmehr im Einzelnen von einigen aus diesem Volk, an welche die Rede damals gerichtet war.«77

Unter den Büchern des Neuen Testaments wiederum bietet eine Äußerung aus dem Brief an Titus einen der am meisten diskutierten Verse unter den kontrovers interpretierten Schriftbeweisen. Die zu den sogenannten Pastoral­ briefen gezählte Epistel wird in der christlichen Bibel unter der Verfasserschaft des »Paulus, Knecht Gottes und Apostel Jesu Christi« (Tit 1, 1) überliefert. Heutigem Kenntnisstand nach handelt es sich um einen pseudepigraphischen Text, dessen Verfasser der Lehre des Paulus eng verbunden ist.78 Im 15. Jahr­ hundert dagegen wäre es keinem der Diskursteilnehmer eingefallen, die in der Schrift genannte Autorschaft anzuzweifeln, so dass dem Titusbrief zweifellos die gleiche apostolische Autorität zuerkannt wurde wie den authentischen Ge­ meindeschreiben des Paulus. Der Adressat Titus wird im Neuen Testament als enger Mitarbeiter des Paulus und Vertreter der Heidenchristen beim sogenannten Apostelkonzil er­ wähnt. Im Titusbrief wird er unter anderem ermahnt, als Leiter der Gemein­ de auf Kreta die authentische christliche Überlieferung gegen die Anhänger 76

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Universae tenebrae erant ante tempum salvatoris, quia gentium populus ydolla inmola­ bat, nec deum noverat. Juxta id, psalmo XCV: Cantate domino! Omnes dii gentium daemonia. Et: Effunde iram tuam in gentes, quae te non cognoverunt, et in regna, quae nomen tuum non invocaverunt. Ne forte dicant in gentibus: Ubi est deus eorum? – Psalmo in exitu CXIII et psalmo LXXVIII […] In psalmo »audite caeli« hos reprehendit dominus, dicens: Inmolant daemoniis et non deo; deos quos non connoscunt, novos qui de circa venerunt – Breve reprehensorium, 6, Ms. 23-7, 6r. Pro responsione ad istam auctoritatem et omnes similes, quae in superficie litterae loqui videntur de populi aut generationis Iudaeorum reprobatione, est habendum pro regula et fundamento necessario in fide catholica quod nulla auctoritas Sacrae Scripturae aut de incredulitate aut de reprobatione populi Iudaeorum capienda est universaliter, sive absolute, pro omnibus ab illo populo originem ducentibus, sed tantum particulariter pro aliquibus de populo illo, ad quos tunc sermo dirigebatur. – Contra Madianitas, 7, ed. del Valle Rodríguez, S. 171. Vgl. Michaela Engelmann: Unzertrennliche Drillinge? Motivsemantische Untersuchungen zum literarischen Verhältnis der Pastoralbriefe, Berlin 2012, S. 4‑106.

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von Irrlehren zu verteidigen, deren genaue Identität selbst in der heutigen Forschung noch umstritten ist.79 Der eher beiläufige Zusatz, es gebe viele, »die sich nicht fügen wollen, besonders die aus der Beschneidung« (maxime qui de circumcisione sunt), Tit 1, 10, richtete sich ursprünglich wahrscheinlich allein gegen jene, die in den christlichen Gemeinden die Beschneidung auch der nichtjüdischen männlichen Christen befürworteten.80 Agitatoren wie Marcos García verwendeten diese Äußerung jedoch als Beleg dafür, dass alle, die aus dem Judentum kamen, der Häresie verdächtig seien. Entgegen dieser Übergene­ ralisierung stellt unter anderem Alonso de Cartagena fest, dass die Kritik an denen »aus der Beschneidung« sich gerade nicht auf eine bestimmte Abstam­ mung, sondern auf eine falsche Lehre beziehe: »Dass dies von solchen Juden zu verstehen ist, die unter dem Namen Christi die jüdischen Bräuche zu pflegen lehrten, erklärten die heiligen Kirchenlehrer. Es gab nämlich einige, die in Christus wiedergeboren, aber keine reinen Christen waren, weil sie teils das geschriebene Gesetz und teils Christus verehren wollten; diese greift der Apostel an und befiehlt mit Recht, sie wegen ihrer besonders schweren Schuld hart zu verfolgen, weil sie versuchten, die Frage nach der Beschneidung, die vom heiligen ersten Apostelkonzil entschieden wurde, wieder aufzubringen. […] Es entspricht also der Vernunft, dass er diejenigen heftig angriff, die die katholische Freiheit unter die Pflicht zur Beschneidung, die schon aufgehört hatte, zwingen wollten. Aber nicht die Israeliten als Volk klagt er an, sondern diejenigen, die auf Kreta jüdische Bräuche lehrten.«81

Auch Alonso de Montalvo referenziert den Titusbrief, ohne ihn wörtlich zu zitieren, in einer Reihe von Schriftargumenten seiner Gegner. Seine Auslegung der Mahnung gegen »die aus der Beschneidung« begründet er mit dem Verweis darauf, dass hier lediglich ein Teil der Juden gemeint sei, und mit einem Zitat aus dem Kolosserbrief (Kol 4, 11), das dieselbe Wendung innerhalb einer positiven Beurteilung gebraucht. 79

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Vgl. Christoph Schaefer: Judentum und Gnosis? Die Gegnerpolemik im Titusbrief als Element literarischer Konstruktion. In: Hans-Ulrich Weidemann und Wilfried Eisele (Hgg.): Ein Meisterschüler. Titus und sein Brief, Stuttgart 2008, S. 55‑80; Manuel Vogel: Die Kreterpo­ lemik des Titusbriefes und die antike Ethnographie. In: Zeitschrift für die neutestamentliche Wissenschaft 2010, S. 252‑266. Vgl. James D. G. Dunn: What was the Issue between Paul and »those of the Circumcision«? In: Ulrich Heckel und Martin Hengel (Hgg.): Paulus und das antike Judentum, Tübingen 1991, S. 295-317; James R. Harrison: Why did Josephus and Paul Refuse to Circumcise? In: Pacifica 17 (2004), S. 137-158. Quod utique de iudeis qui sub nomine Christi iudaizare docebant, sancti doctores intelli­ gendum exposuerunt. Erant enim aliqui renati in Christo sed non puri christiani, quia partim legem scriptam, partim Christum venerari volebant, in quos invehit apostolus et dure increpari, tanquam pro culpa gravissima, merito iubet, cum questionem circum­ cisionis per sacrum primum concilium determinatam iterum resuscitare nitebantur. Ra­ tioni ergo conformissum fuit, ut acriter illos morderet, qui sub circumcisione que iam cessabat, libertatem catholicam submittere voluissent. Neque enim israelitas sub genere arguit, sed illos qui apud Cretam iudaizare docebant. – Defensorium, 2, 1, 6, ed. Alonso, S. 110‑111.

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»[Paulus] richtet seinen Tadel nämlich nicht gegen die Guten, sondern gegen die Bö­ sen; ebenso wie auch wir sie tadeln. An anderer Stelle dagegen lobt Paulus die Guten im Brief an die Kolosser im letzten [Kapitel], wo er sagt: Die aus der Beschneidung sind, die sind meine einzigen Helfer im Reich Gottes, die mein Trost waren.«82

Die zweite zentrale Aussage der Gegner der Neuchristen neben der angeblichen allgemeinen Reprobation des jüdischen Volkes wird im engeren Sinne kaum biblisch oder anderweitig begründet, sondern schlicht vorausgesetzt; in ihrer äußersten Konsequenz ist sie wohl auch eher eine aporetische Schlussfolgerung, die am deutlichsten von den Verteidigern der Conversos gezogen wird, um auf die Unhaltbarkeit der altchristlichen Position hinzuweisen: die Annahme, dass der Ausschluss vom göttlichen Heil sich unabänderlich von Generation zu Generation reproduzierte. Auch wenn der angedeutete Mechanismus nicht eigens erklärt wird, ist das Vokabular im Memorial doch so stark genealogisch gefärbt, dass es keinen Zweifel zulässt an der Art des Merkmals, das seiner Meinung nach die Gruppe der Neuchristen konstituiert: »[…] der verhasste, schadhafte, verachtete vierte Stamm und Stand der getauften Ju­ den und derer, die von ihrer makelhaften Linie abstammen, Ehebrecher, Kinder des Unglaubens und der Treulosigkeit, Eltern aller Habsucht, Säer aller Zwietracht und Spaltung, überfließend von aller Bosheit und Verderbtheit, immer undankbar gegen Gott, entgegen seinen Geboten, weit weg von seinen Wegen und Bahnen, gemäß dem, was der Psalmist Mose im Buch Deuteronomium bezeugt, [wo es heißt:] Hört, ihr Himmel, ich will reden [Dtn 32].«83

Auch hier profitierten die Feinde der Conversos unter anderem von lange gehegten antijüdischen Ressentiments im Christentum, die das Judentum mit sexueller Devianz und dadurch mit der Vorstellung eines geschlechtlich über­ tragenen Makels in Verbindung brachten.84 So vergleicht auch das conversof­ eindliche Libro del alborayque die zum Christentum konvertierten Juden mit einem Mischwesen, benannt nach Al-Buraq, dem Reittier Mohammeds, das aus verschiedenen Tieren zusammengesetzt ist und in dieser Satire alle denkbaren schlechten Eigenschaften in sich vereint. Von dessen Geschlecht heißt es dort: »Das Alborayque war weder männlich noch weiblich, sondern besaß die Natur des Männchens und Weibchens, [was bedeutet,] die Sodomie kommt von den Juden. Das 82

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Nec etiam suam dirigebat reprehensionem ad bonos, sed ad malos tantum, quos etiam nos reprehendimus; alibi autem commendat bonos Paulus ad Collosenses, ultimo, ubi inquit, qui sunt ex circumcisione, hi soli sunt adiutores mei in regno Dei, qui fuerunt mihi solatio […]. – Tractatus quidam levis, 39, ed. Conde Salazar, S. 132. […] el aborrecido, dañado, detestado quarto género e estado de judíos baptiçados e los procedentes de su línea dañada, adúlteros, fijos de incredulidad e infidelidad, padres de toda cobdiçia, sembradores de toda çiçaña e diuisión, abundados en toda malicia e peruersidad, ingratos siempre a Dios, contrarios a sus mandamientos, apartados de sus caminos e carreras, según desto da testimonio el psalmista Moyses en el Deuteronomio […] Audite celi, que loquar. – Memorial, ed. Benito Ruano, S. 103‑104. Vgl. u.a. Susanna Drake: Slandering the Jew: Sexuality and Difference in Early Christian Texts, Philadelphia 2013; David Nirenberg: Conversion, Sex and Segregation, S. 1075-1082.

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Buch der Richter [berichtet im] VI [20. Kapitel]: Der Stamm Benjamin sündigte durch die Sodomie und es starben an einem Tag 125.000 Männer sowie die Frauen und das Vieh. Jesaja [sagt] im ersten Kapitel: Hört das Wort des Herrn, ihr Fürsten von Sodom! Von den Juden kam [die Sodomie] zu den Mauren und von den Mauren zu den schlechten Christen wie Diego Arias und den übrigen.«85

Zum Beleg dafür, dass die allgemeine Disposition der Juden zu Glaubensirrtum und moralischer Dekadenz sich auch auf ihre getauften Nachfahren übertrü­ ge, beriefen sich die Altchristen auf die angeblich fast universale Praktik des Judaisierens und anderer Verbrechen unter den Conversos. Die vermeintlich evidente Häresie der Neuchristen sollte beweisen, was theologisch kaum zu begründen war: den kausalen Zusammenhang zwischen der Abstammung aus dem Judentum und der Determination zum Glaubensabfall. So behauptet be­ reits die Suplicación y requerimiento als angeblich allgemein bekannte Tatsache über die Neuchristen: »[…] sie haben größtenteils die Riten und Zeremonien der Juden beachtet und beach­ ten sie noch und sind dadurch vom Chrisam und von der Taufe abgefallen, die sie empfangen haben, und beweisen so in Tat und Wort, dass sie [die Sakramente] nur mit der Haut empfangen haben und nicht mit dem Herzen und mit dem Willen, damit sie unter dem Anschein und dem Namen von Christen und indem sie das Recht beugen, Seele und Leib und Gut derer zugrunde richten, die im katholischen Glauben Altchristen sind […].«86

Aus diesen zwei Propositionen – dem allgemeinen Ausschluss der Juden vom Heil und dessen Perpetuierung von Generation zu Generation – ergaben sich für die Verteidiger der Rechte der Neuchristen im wesentlichen zwei Linien der Argumentation, die sich gelegentlich kreuzten, oft aber eher lose verbunden nebeneinanderher liefen. Auf der einen Seite wendeten sie sich gegen die Auffassung, Israel im Sinne des jüdischen Volkes sei von Gott gänzlich und für immer verworfen worden, und legten in zum Teil großer Ausführlichkeit die Bedeutung und Würde des ursprünglichen Auserwählten Volkes auch in­ nerhalb der christlichen Deutung der Heilsgeschichte dar. Auf der anderen Seite geht es ihnen um die genealogische Kausalität, die entgegen den biblischen Grundlagen sowie entgegen Tradition und herrschen­ 85

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El alborayque no era macho ni hembra, mas tenia natura de macho y de fembra, la sodomia es venida de judios. Judic VI. El tribu de Benjamin peco en sodomia e morieron en un dia CXXV mill ombres e las mugeres e criaturas. Isayas primo capitulo. Audite verbum domini principes sodomorus. De los judios vino a los moros, e de los moros a los malos criptianos como Diego Arias etcetera […] – Libro del alborayque, ed. Bravo Lledó, S. 80. […] han guardado e guardan los más dellos los rritos e cerimonias de los judíos, apostan­ do la crisma e vautismo que rreçeuieron, demostrando por las obras e palabras que lo rrecebieron en el cuero e non en las coracones ni en las voluntades, a fin de so color e nonbre de cristianos, prebaricando, estroxesen las ánimas e cuerpos e faziendas de los cristianos viejos en la fee católica […]. – Crónica del halconero, 376, ed. de Mata Carriazo, S. 523.

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der Lehre der Kirche in die Ordnung der christlichen Gemeinschaft eingeführt wird. Was die Gegner der Conversos im Kern zu behaupten schienen, war ein direkter Zusammenhang zwischen leiblicher Abstammung und religiöser Iden­ tität, aus dem wiederum der soziale und legale Status der Betroffenen folgten. Hiergegen machten die Traktate zugunsten der Neuchristen auf vielfache Weise geltend, das es eine solche moralische und religiöse Determination aufgrund der Geburt nicht geben könne. Eine Folge dieser doppelten apologetischen Front ist eine gewisse rhetori­ sche Ambivalenz. Einige Aussagen richten sich klar gegen jegliche Bedeutung leiblicher Dinge in spirituellen Fragen. Andere Aussagen versuchen dagegen, die jüdische Abstammung als solche vom Gedanken des Auserwählten Volkes und der Herkunft Jesu aus dem Haus Davids her theologisch aufzuwerten. Tendenziell schwächt dabei eine Linie der Argumentation die andere: Wenn die leibliche Herkunft eines Christen für seine religiöse Identität in der Tat keine Rolle spielt, so sind auch die Ausführungen über die besondere Würde der jüdischen Abstammung zumindest überflüssig. Umgekehrt scheint das Lob ebendieser jüdischen Abstammung zumindest implizit die Logik des genealogi­ schen Kriteriums zu bestätigen. Dabei lassen sich diese zwei argumentativen Grundlinien keineswegs verschiedenen Autoren zuordnen, sondern gerade in den längeren Texten finden sich beide nebeneinander. Und auch die zentralen diskursiven Begriffe bilden jeweils diese Ambivalenz in sich ab. 3.1.4 Leerstellen als Konturen: Was nicht gesagt wird Nicht zuletzt wird jeder Diskurs, so auch der hier analysierte, von dem charak­ terisiert, was in ihm nicht gesagt wird; daher verdient auch dieses Schweigen zumindest eine kursorische Betrachtung. Auf der Basis der wenig kontroversen Beobachtung, dass es »ausgehend von der Grammatik und dem Wortschatz, über die eine gegebene Epoche verfügt, […] insgesamt nur relativ wenig Dinge, die gesagt werden«87 gibt, lässt sich dieses Nicht-Gesagte auf der einen Seite im Rahmen der diskursiven Begriffe und Aussagen suchen, wo es eine bewusste Auswahl und Schwerpunktsetzung seitens der Autoren widerspiegelt. Auf der anderen Seite bieten die den Diskurs konstituierenden Regeln aber immer auch Möglichkeiten, die von den Teilnehmern aus bestimmten Gründen kaum oder gar nicht genutzt wurden. Gerade diese nicht realisierten Potenziale können Aufschluss über mögliche Sprechverbote, taktische Rücksichtnahmen und For­ men des mehr oder weniger bewussten Vergessens und Schweigens geben, die den Diskurs auf ihre Weise strukturieren. Bei dieser Beobachtung geht es »nicht darum, ein Nicht-Gesagtes oder ein Nicht-Gedachtes endlich zu artikulieren

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Foucault: Archäologie, S. 173.

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oder zu denken«,88 doch sagt das, was außerhalb des Diskurses liegt, immer zugleich etwas über den Charakter und die Dimension seiner Begrenzung aus und dadurch über den Diskurs selbst. Vergleichsweise einfach kann die Diskursanalyse zweifellos die Leerstellen benennen, die sich angesichts der diskursiven Regelmäßigkeiten und Häufun­ gen auftun. Allein auf der Ebene der konkreten Äußerungen sind mannigfal­ tige, gleichwohl nicht realisierte Alternativen denkbar, um die gleichen oder zumindest sehr ähnliche Aussagen und Begriffe zu bilden. So ist im Rahmen der vorliegenden Untersuchung etwa im Bezug auf die bevorzugt referenzierten biblischen Passagen nicht ohne weiteres evident, warum genau diese Schriftstel­ len vorrangig als autoritative Beweise herangezogen wurden, andere thematisch verwandte Stellen aber signifikant weniger oder gar nicht. Warum wird in der Frage, ob Schuld von Generation zu Generation vererbt wird, nahezu durchgängig die Prophetie des Ezechiel zitiert, nicht aber zum Beispiel der Bericht des Johannesevangeliums über die Heilung eines Blindge­ borenen, dessen Zustand Jesus ausdrücklich weder als Folge seiner noch der Sünde seiner Eltern bezeichnet (Joh 9, 1‑3)? Warum gilt der Stammbaum Jesu als maßgeblich für das rechte geistliche Verständnis von Abstammung und Er­ wählung, nicht aber seine Zusicherung »Wer den Willen meines himmlischen Vaters tut, der ist für mich Bruder und Schwester und Mutter« (Mt 12, 50)? Warum wird das Zeugnis des Apostels Paulus gegen die Bedeutung der leibli­ chen Herkunft angeführt, nicht aber das Lob des Hebräerbriefs auf Melchise­ dek, »der vaterlos, mutterlos und ohne Stammbaum ist, ohne Anfang seiner Tage und ohne Ende seines Lebens, ähnlich geworden dem Sohn Gottes« (He­ br 7, 3)? Warum wird im Hinblick auf die Eintracht der Christen immer wieder das Gebet Jesu aus den johanneischen Abschiedsreden aufgegriffen, nicht aber das des Psalmisten, der singt »Siehe, wie gut und wie schön ist es, wenn Brüder miteinander in Eintracht wohnen« (Ps 133, 1)? Letztlich lässt sich kein singulär entscheidendes Kriterium dafür benennen, warum bestimmte Bibelstellen anderen vorgezogen wurden, die auf der reinen Textebene eine ähnliche Plausibilität zu besitzen scheinen. Bei aller Vorsicht ist es dennoch möglich, auf einige Merkmale zu schließen, die bei der Auswahl und Gewichtung mutmaßlich eine Rolle spielten: Texte, die thematisch eindeu­ tiger und unmittelbarer auf die gestellte Frage zu antworten schienen (etwa die paulinischen Aussagen über Juden und Heiden), werden tendenziell gegenüber solchen präferiert, die erst unter der Annahme eines mehrfachen Schriftsinns entsprechend gedeutet werden müssen. Eine in der Tradition durch Kirchenvä­ ter, Kanonistik oder andere Autoritäten gut bezeugte allegorische oder kontex­ tuelle Auslegung konnte dabei offenbar den direkten inhaltlichen Bezugsrah­

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Foucault: Ordnung des Diskurses, S. 34.

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men ersetzen. Dies wird im Folgenden unter anderem an der Deutung von Ez 18 zum Thema der Judenmission deutlich werden. Das Gewicht der innerkirchlichen Überlieferung kommt auch darin zum Tragen, dass Versen mit naheliegender und allgemein akzeptierter Bedeutung (wie dem Gebet Jesu um die Einheit der Jünger) eher der Vorzug gegeben wird als solchen, deren Deutung ambivalent oder umstritten war. Weiterhin weist das diskursive Archiv zwar keine nummerische Häufung in der Gesamtzahl, aber doch eine starke Konzentration in der Bevorzugung bestimmter Periko­ pen aus dem Neuen Testament auf, die meist zugleich das Hauptgewicht der Argumentation tragen. Dies entspricht zweifellos dem Grundzug der christli­ chen Bibelhermeneutik, die den Tanach als »Altes Testament« im Licht der Offenbarung des Neuen Testaments liest und nicht umgekehrt.89 Worte und Beispiele schließlich, die Jesus selbst zugeschrieben werden können, werden als besonders autoritativ gewürdigt, während Prophetensprüche zumindest gerne mit Wendungen wie »der Herr sagt durch den Propheten« (Dominus loquitur per prophetam) im Hinblick auf ihren direkten göttlichen Ursprung qualifiziert werden. Weitergehend lassen sich die zentralen Begriffe und Aussagen im Diskurs nicht nur daraufhin befragen, wie sie gebildet wurden, sondern auch noch grundsätzlicher, ob statt ihrer nicht noch ganz andere alternativ oder zusätzlich eine Rolle gespielt haben könnten. Gerade im Wissen um die Entwicklung, die der Diskurs in der Frühen Neuzeit nahm, würde es nicht überraschen, bereits im 15. Jahrhundert eine starke Thematisierung von Konzepten wie Reinheit und Befleckung zu beobachten. Doch obwohl das Spätmittelalter auf eine lange und kontinuierliche Geschichte entsprechender Vorstellungen in biblischen und liturgischen Kontexten zurückblicken konnte,90 bleibt dieser Gesichtspunkt bei den Verteidigern der Conversos im Hintergrund, insofern er zwar thematisch verwandt, aber keineswegs identisch ist mit den Aussagen rund um die diskursiven Begriffe von Schuld und Sünde. Dies liegt vermutlich daran, dass kultische (Un-)Reinheit in Antike und Mittelalter eine dem Wesen nach eher fluide und symptomatische Kategorie darstellte, die den Einzelnen nur situativ oder vorübergehend betraf und als solche relativ unproblematisch 89

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Vgl. Christoph Dohmen: Mehr als ein Kanon. Die Bibel als Grundlage unterschiedlicher Glaubensgemeinschaften. In: Karénina Kollmar-Paulenz u.a. (Hgg.): Kanon und Kanonisie­ rung. Ein Schlüsselbegriff der Kulturwissenschaften im interdisziplinären Dialog, Basel 2011, S. 239‑255; Anna S. Abulafia: The Bible in Jewish-Christian Dialogue. In: Marsden (Hg.): The New Cambridge History of the Bible, Bd. 2: From 600 to 1450, S. 616‑637. Vgl. u.a. Hubertus Lutterbach: Das Mittelalter – Ein »Pollutio-Ridden System«? Zur Prä­ gekraft des kultischen (Un-)Reinheitsparadigmas. In: Peter Burschel und Christoph Marx (Hgg.): Reinheit, Wien 2011, S. 157-176; Arnold Angenendt: Pollutio: die »kultische Rein­ heit« in Religion und Liturgie. In: Archiv für Liturgiewissenschaft 52 (2010), S. 52-93; Charles Caspers: Leviticus 12, Mary and Wax: Purification and Churching in Late Medieval Christianity. In: Marcel Poorthuis (Hg.): Purity and Holiness. The Heritage of Leviticus, Leiden 2000, S. 295‑311; Hering Torres: Rassismus, S. 133‑140.

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behoben werden konnte. Ihre analoge Übertragung auf eine unveränderliche Bedingung wie die leibliche Abstammung deutete sich in den wenigen conver­ sofeindlichen Schriften des 15. Jahrhunderts zwar an, wurde aber erst in der Neuzeit wirklich Teil des Diskurses – und auch dann überwog die rein semanti­ sche Ähnlichkeit die konzeptuelle Verwandtschaft bei weitem. Ähnlich sucht man in den Schriften zugunsten der Conversos nahezu ver­ geblich nach Bezügen zu einschlägigen theologischen Kontroversen, die der Auseinandersetzung um die Neuchristen thematisch nahe verwandt sind. So könnte man in der Zurückweisung des Gedankens einer erblichen Dispositi­ on zur Apostasie grundsätzlich auch den Bezug zur jahrhundertelangen theo­ logischen Diskussion um den freien Willen und die Vorherbestimmung des Menschen erwarten. Jedoch wird die Frage der Prädestination, die etwa im zeitgenössischen Cancionero de Baena immer wieder anklingt, im gelehrten Diskurs um die Neuchristen kaum jemals angesprochen.91 Ebenso wenig wird das Problem der Gültigkeit einer Taufe unter Zwang thematisiert, das zumin­ dest für die zahlreichen Konversionen um die Wende zum 15. Jahrhundert von erheblicher Bedeutung war und in der christlichen Theologie schon Jahr­ hunderte zuvor diskutiert wurde.92 Auch millenaristische Nah-Erwartungen im Zusammenhang mit der Judenmission mögen zwar einen indirekten Einfluss auf die Schriften zur Verteidigung der Conversos gehabt haben, gehören jedoch nicht zum diskursiven Archiv, das sie wiedergeben.93

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Vgl. Knapp: Herbst des Mittelalters, S. 36‑40; zur zugrundeliegenden Frage vgl. u.a. Peter Sammons: Reprobation: from Augustine to the Synod of Dort. The Historical Development of the Reformed Doctrine of Reprobation, Göttingen 2020; Sandra Debenedetti Stow: The Modality of Interaction between Jewish and Christian Thought in the Middle Ages: the Problem of Free Will and Divine Wisdom in Dante Alighieri and Menahem Recanati as a Case Study. In: Marcel Poorthuis u.a. (Hg.): Interaction between Judaism and Christianity in History, Religion, Art and Literature, Leiden 2009, S. 165-179. Vgl. Ryan Szpiech: On the Road to 1391? Abner of Burgos / Alfonso of Valladolid on Forced Conversion. In: García-Arenal/Glazer-Eytan (Hgg.): Forced Conversion, S. 175‑204; Ángel Alcalá: Tres cuestiones en busca de respuesta: invalidez del bautismo »forzado«, »conversión« de judíos, trato »cristiano« al converso. In: ders. (Hg.): Judíos, Sefarditas, Conversos, S. 523-544; Jennifer Hart Weed: Aquinas on the Forced Conversion of Jews: Belief, Will, and Toleration. In: Utterback/Llewelyn Price (Hgg.): Jews in Medieval Christendom, S. 129‑146; Ulrich Horst und Barbara Faes de Mottoni: Die Zwangstaufe jüdischer Kinder im Urteil scholasti­ scher Theologen. In: Münchener theologische Zeitschrift 40 (1989), S. 173‑199; Benjamin Ravid: The Forced Baptism of Jews in Christian Europe: An Introductory Overview. In: Guyda Armstrong und Ian N. Wood (Hgg.): Christianizing Peoples and Converting Individuals, Turnhout 2000, S. 157‑167. Vgl. Steven J. McMichael: The End of the World, Antichrist, and the Final Conversion of the Jews in the Fortalitium Fidei of Friar Alonso de Espina (d. 1464). In: Medieval Encounters 12 (2006), S. 224‑273; Rica Amran: Judíos y conversos, S. 112‑136; dies.: El Tratado contra los Judíos, S. 63‑65; Adeline Rucquoi: Medida y fin de los tiempos. Mesianismo y milenarismo en la Edad Media. In: Ángel Vaca Lorenzo (Hg.): En pos del tercer milenio. Apocalíptica, Mesianismo, Milenarismo e Historia, Salamanca 2000, S. 13‑41.

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Wo es um jüdisches Brauchtum innerhalb der Kirche geht, böte sich ein Vergleich mit den Liturgien, Hierarchien und Kalendarien der mit Rom unier­ ten Ostkirchen, oder gerade in Kastilien auch mit denen der mozarabischen Gemeinden an, der jedoch an keiner Stelle gezogen wird.94 Die Ablehnung eines Vorranges der Altchristen aufgrund ihrer langen christlichen Familienge­ schichte könnte theoretisch eine Abgrenzung von anderen Bereichen erfordern, in denen Prinzipien der Seniorität und Anciennität eine akzeptierte Rolle spielten; gleichwohl wird kein Bezug zur Präzedenz auf Konzilien, in Ordens­ gemeinschaften oder Universitäten hergestellt.95 Auch der ganze Bereich physischer Körperlichkeit spielt im Diskurs selbst dort keine Rolle, wo es dezidiert um Abstammung und Vererbung geht. Im Wissenshorizont des Spätmittelalters wäre hier ein Anschluss an die antike Humoralmedizin immerhin denkbar,96 die in den vorigen Jahrhunderten viel­ fach über die arabische Gelehrsamkeit wiedergewonnen worden war.97 Deren Überlieferung wurde im Bereich der Naturkunde oft ein höherer Stellenwert zugemessen als der eigenen Anschauung mittels Versuch und Beobachtung, auch wenn gegen Ende des Mittelalters die Erfahrung einen gewissen Platz in 94

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Vgl. Wolfgang Hage: Das orientalische Christentum, Stuttgart 2007, S. 379‑397; Ramón Gonzálvez Ruiz: La persistencia del rito hispánico o mozárabe en Toledo después del año 1080. in: Anales toledanos 27 (1990), S. 9-34 und ders.: Cisneros y la reforma del rito hispano-mozárabe. In: Anales toledanos 40 (2004), 165‑207; Rafael Sánchez Domingo: El rito hispano-visigótico o mozárabe. Del ordo tradicional al canon romano. In: Francisco J. Campos (Hg.): Patrimonio inmaterial de la Cultura Cristiana, Madrid 2013, S. 215-236. Vgl. vgl. Marian Füssel: Rang, Ritual und Wissen. Zur Rolle symbolischer Kommunikation für die Formierung des Gelehrtenhabitus an der spätmittelalterlichen Universität. In: Rexroth (Hg.): Beiträge zur Kulturgeschichte der Gelehrten, S. 228; Milena Svec Goetschi: Kloster­ flucht und Bittgang: Apostasie und monastische Mobilität im 15. Jahrhundert, Köln 2015, S. 79‑80; Cornel Zwierlein: Normativität und Empirie. Denkrahmen der Präzedenz zwischen Königen auf dem Basler Konzil, am päpstlichen Hof (1564) und in der entstehenden Politikwis­ senschaft (bis 1648). In: Historisches Jahrbuch 125 (2005), S. 122f.; Helmrath: Rangstreite auf Generalkonzilien des 15. Jahrhunderts als Verfahren. In: Vormoderne politische Verfah­ ren. Zeitschrift für Historische Forschung, Beiheft 25 (2001), S. 146‑147; Helmut G. Walther: Ursprungsdenken und Evolutionsgedanke im Geschichtsbild der Staatstheorien in der ersten Hälfte des 14. Jahrhunderts. In: Albert Zimmermann (Hg.): Antiqui und Moderni. Traditionsbewußtsein und Fortschrittsbewußtsein im späten Mittelalter. Miscellanea Me­ diaevalia 9, Berlin-New York 1974, S. 237‑242. Vgl. Udo Friedrich: Menschentier und Tiermensch. Diskurse der Grenzziehung und Grenz­ überschreitung im Mittelalter, Göttingen 2009, S. 62‑82; Ruth Mazo Karras: Sexualität im Mittelalter, Düsseldorf 2006 (Original: New York 2005), S. 106‑110; William D. Sharpe: Isidore of Seville: The Medical Writings. An English Translation with an Introduction and Commentary, Philadelphia 1964, S. 7‑145; Ingo W. Müller: Humoralmedizin. Physiologische, pathologische und therapeutische Grundlagen der galenistischen Heilkunst, Heidelberg 1992; Erna Lesky: Die Zeugungs- und Vererbungslehren der Antike und ihr Nachwirken, Wiesbaden 1951. Vgl. u.a. María de la Concepción Vázquez de Benito: La medicina árabe fuente de la medicina medieval castellana. In: Soto Rábanos (Hg.): Pensamiento medieval hispano. Bd. 1, S. 771‑783; Ursula Weisser: Zeugung, Vererbung und pränatale Entwicklung in der Medizin des arabisch-islamischen Mittelalters, Erlangen 1983.

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der Beschreibung der Natur einnahm und praktische Erkenntnisse etwa im Be­ reich der Pferde- und Falkenzucht gewonnen wurden.98 Belegt sind im selben Zeitraum auch Annahmen, dass die Muttermilch einen gewissen Einfluss auf die moralischen Eigenschaften des Säuglings haben könne. Diese wohl auch volkstümliche Überzeugung schlug sich mitunter in Warnungen und Verboten an christliche Mütter nieder, ihre Säuglinge jüdischen oder neuchristlichen Ammen zu überlassen,99 nicht jedoch im gelehrten Diskurs der Theologen und Kanonisten. Selbst der medizinisch gebildete und praktizierende Antonio Gala­ teo zieht an keinem Punkt seiner Argumentation physiologische Schlüsse, son­ dern betrachtet die Frage der jüdischen Abstammung ebenfalls als Gegenstand der historischen und moralischen Begutachtung, die mit den Gegebenheiten der leiblichen Natur nichts zu tun hat.100 Warum Begriffe wie Reinheit, Freiheit, Ritus, Alter oder Natur keine größere Bedeutung für die diskursive Strategie zur Verteidigung der Conversos wie für den Diskurs insgesamt gewonnen haben, ist wie bei vielen Fragen, die Kontraf­ aktisches betreffen, nicht eindeutig zu beantworten. Jedoch wird die genauere Untersuchung der tatsächlich zentralen diskursiven Begriffe zumindest zeigen, worin die besondere Relevanz der Aussagen rund um Schuld, Geburt, Nation und Einheit für die zur Diskussion stehenden Fragen und die spätmittelalterli­ chen iberischen Gesellschaften insgesamt bestand. Angesichts dieser unmittelbar drängenden Fragen liegt die Vermutung nahe, dass die Autoren keine zusätzlichen potenziell kontroversen Themen anspre­ chen wollten, um ihre Argumentation nicht ohne Not angreifbar zu machen. Gerade Bezüge zu theologischen und kirchenpolitischen Konflikten, die damals noch keineswegs entschieden waren (siehe hierzu auch Abschnitt 3.1.1), aber eine eindeutige Stellungnahme von Seiten der Autoren erfordert hätten, bargen mindestens das Risiko, die Vertreter der jeweils entgegengesetzten Interessen zu brüskieren und damit dem eigenen Anliegen unnötig zu schaden. Diese Beobachtung hängt dabei auch mit dem von Foucault so genannten »Willen zur Wahrheit« in einem spezifisch religiösen Sinn zusammen.101 Auch wenn in den scholastisch geprägten gelehrten Diskursen des Spätmittelalters, wie bereits angedeutet, ein gewisses Maß an Ambiguitätstoleranz herrschte, so 98

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Vgl. u.a. Hans-Henning Kortüm: Menschen und Mentalitäten. Einführung in Vorstellungs­ welten des Mittelalters, Berlin 1996, S. 276‑283; José Manuel Fradejas Rueda: Literatura cetrera de la Edad Media y el Renacimiento español, London 1998. Vgl. Julia Gebke: (Fremd)Körper. Die Stigmatisierung der Neuchristen im Spanien der Frü­ hen Neuzeit, Wien 2020, S. 87‑121; Edwards: Prehistoria, S. 354-355 und ders.: Beginnings of a Scientific Theory, S. 184‑188. Vgl. u.a. Laurence Moulinier-Brogi: Les médecins vus par les théologiens au bas Moyen Age. In: La medicina nel basso medioevo: tradizioni e conflitti, Spoleto 2019, S. 467‑492; Pe­ ter Walter: Universität und Theologie im Mittelalter. In: Helmut Hoping (Hg.): Universität ohne Gott? Theologie im Haus der Wissenschaften, Freiburg i.Br. 2007, S. 18-32. Vgl. Foucault: Ordnung des Diskurses, S. 16.

überwog doch (in der Theorie) ein enormer theologischer Erkenntnisoptimis­ mus: Dank der göttlichen Offenbarung vor allem in der Heiligen Schrift und dank der dialektischen Methode einer überwiegend aristotelisch begründeten Gelehrsamkeit galt die Wahrheit zumindest potenziell als eindeutig erkennbar und beweisbar. Da diese Wahrheit grundsätzlich holistisch gedacht wurde, war es oft schlicht nicht opportun, eine relativ sichere theologische Aussage durch die Korrelation mit einer eher anfechtbaren zu einem prekären Ganzen zu ver­ binden.

3.2 Schuld: Die Sünden der Väter Die existenzielle und theologische Befassung mit Fragen von Schuld und Verge­ bung ist für das Christentum, zumal in seiner lateinischen Ausprägung, seit jeher so zentral wie für kaum eine andere Religion. Zwar wirkte in dieser Hinsicht zweifellos auch das geistige Erbe des Judentums des Zweiten Tempels nach, doch gerade die von Augustinus etablierte Erbsündenlehre und der Glau­ be an das Kreuzesopfer Jesu Christi zur Erlösung der sündigen Menschheit, die Praxis des Beichtsakraments und die Sorge um das Heil der unsterblichen Seele angesichts einer drohenden ewigen Verdammnis gehen weit über das Vermächtnis des Tanach und der vorchristlichen jüdischen Tradition hinaus. In einer so geprägten Gesellschaft stellten die diskursive Zuweisung von Schuld ebenso wie ihre rituelle Vergebung unweigerlich fundamentale Formen der Machtausübung und Herrschaftssicherung dar. Sicher nicht zufällig ent­ brannte auch der zentrale theologische Konflikt am Beginn der Reformation um das päpstliche Monopol auf den Ablass der zeitlichen Sündenstrafen. Die Macht, Sünden zu vergeben oder ebendiese Vergebung mit potenziell fatalen Konsequenzen für die unsterbliche Seele im Jenseits zu verweigern, bedeutete zugleich eine enorme Macht über Menschen im Diesseits. Auch die vom IV. La­ terankonzil 1215 eingeführte Pflicht zum jährlichen Empfang des Beichtsakra­ ments diente neben dem mutmaßlichen Heil der Seelen effektiv der sozialen Kontrolle.102 Wenn auch die Dimension der individuellen Rechtfertigung vor Gott durch die neutestamentlichen Schriften und die nachfolgende christliche Theologie stark in den Vordergrund gerückt wurde, verschwand zugleich niemals die komplementäre Vorstellung vom Kollektiv als moralischem Subjekt. Mit der 102

Vgl. Martin Ohst: Pflichtbeichte: Untersuchungen zum Bußwesen im Hohen und Späten Mittelalter, Tübingen 1995, S. 212‑220; Christiane Laudage: Das Geschäft mit der Sünde: Ablass und Ablasswesen im Mittelalter, Freiburg 2016, S. 130‑138; Michael Haren: Confessi­ on, Social Ethics and Social Discipline in the Memoriale presbiterorum. In: Peter Biller und Alastair J. Minnis (Hgg.): Handling Sin: Confession in the Middle Ages, York 1998, S. 109‑122; Hellmut Zschoch: Die Christenheit im Hoch- und Spätmittelalter, Göttingen 2004, S. 160‑166.

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Deutung der jüdischen Diaspora als göttliche Strafe für die Ablehnung des Messias ging zugleich die Begründung der servitus (Knechtschaft) aller Juden einher – ein heilsgeschichtliches Paradigma, das im ganzen lateinischen Westen weit verbreitet war und, wie noch zu zeigen sein wird, in den iberischen Rei­ chen indirekt enormen Einfluss auf den Diskurs um die Neuchristen hatte.103 Vom Bewusstsein kollektiver Schuld und Bestrafung zeugte aber ebenso die gängige kirchenrechtliche Praxis, ganze Städte, Provinzen und Reiche mit der Beugestrafe des Interdikts zu belegen.104 Obwohl sich die Erbsündenlehre in erster Linie auf die grundsätzliche Ver­ fasstheit des Menschen als geborenem Sünder bezog, der notwendig durch die Taufe erlöst werden muss, und nicht auf die Erblichkeit der moralischen Schuld für konkrete Vergehen, so trugen gleichwohl etwa uneheliche Kinder ganz selbstverständlich einen sozialen Makel, den nicht sie, sondern ihre Eltern verursacht hatten, und unterlagen bestimmten kirchenrechtlichen Ein­ schränkungen.105 Die sich im Spätmittelalter steigernde Besorgnis um das Schicksal verstorbener Angehöriger angesichts des drohenden Fegefeuers und die Praxis, für sie stellvertretend Bußleistungen zu erbringen und dadurch Ablass von den zeitlichen Sündenstrafen zu erwirken, verstärkte zusätzlich die Generationen übergreifende Verantwortung für das Seelenheil der Einzelnen innerhalb von Familien, aber auch Gebetsbruderschaften und monastischen Gemeinschaften.106 Auf der Iberischen Halbinsel lässt sich im 15. Jahrhundert noch einmal eine Zunahme von Frömmigkeitsformen und religiösen Denkmustern beobachten, die eng mit dem Bewusstsein von Schuld verbunden sind und die sogar die allgemeine spätmittelalterliche Entwicklung hin zu einer mehr innerlichen

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Vgl. u.a. Heinz-Martin Döpp: Die Deutung der Zerstörung Jerusalems und des zweiten Tempels im Jahre 70 in den ersten drei Jahrhunderten n. Chr., Tübingen 1998, S. 17-238; Katharina Pultar: »Sklaven von Natur aus«? Die servitus bei Thomas von Aquin. In: Heike Grieser und Nicole Priesching (Hg.): Theologie und Sklaverei von der Antike bis in die frühe Neuzeit, Hildesheim 2016, S. 91‑144; Claudia Heimann: »Quod Iudaei a Deo non excusantur...« Nicolaus Eymerichs Kommentar zum Johannes-Evangelium. In: Revista Catalana de Teología 29 (2004), S. 397-419; Battenberg: Das Europäische Zeitalter der Juden, S. 97‑122. Vgl. Maurizio Martinelli: La pena canonica dell’interdetto. Una ricostruzione storico-sistema­ tica. In: Euntes docete 60 (2007), S. 95‑142; Peter D. Clarke: The interdict in the thirteenth century. A question of collective guilt, Oxford 2007. Vgl. Ludwig Schmugge: Kirche, Kinder, Karrieren: päpstliche Dispense von der unehelichen Geburt im Spätmittelalter, Zürich 1995, S. 181‑195; María M. Cárcel Ortí: Dispensas de ilegitimidad para ordenarse en la Diócesis de Valencia (Siglo XV). In: Marta Herrero de la Fuente u.a. (Hgg.): Alma littera: estudios dedicados al profesor José Manuel Ruiz Asencio, Valladolid 2014, S. 99-106. Vgl. u.a. Peter-Johannes Schuler: Das Anniversar. Zu Mentalität und Familienbewußtsein im Spätmittelalter. In: ders. (Hg.): Die Familie als sozialer und historischer Verband. Un­ tersuchungen zum Spätmittelalter und zur frühen Neuzeit, Sigmaringen 1987, S. 67-117.

und skrupulösen Religiosität übertreffen:107 Die christliche ars moriendi als Vorkehrung für eine gute Sterbestunde angesichts der eigenen kaum vermeid­ baren Sündhaftigkeit stand auf einem Höhepunkt, und Testamente enthielten Meditationen über die Vergebungsbedürftigkeit des Erblassers in nie zuvor gekannter Ausführlichkeit. Apokalyptische Naherwartungen sahen das baldige Ende aller Zeiten mit dem drohenden Jüngsten Gericht über Lebende und Tote. Die theologische Traktatliteratur über die Mysterien der Erbsünde und der Unbefleckten Empfängnis blühte ebenso wie das geistliche Schrifttum zum Thema Buße und Beichte. Historiographische Werke deuteten das Schicksal von Völkern und Reichen mit Vorliebe anhand der Logik göttlicher Strafen für moralisches Versagen.108 Auch die Autoren, die sich für die Rechte der Neuchristen einsetzten, waren in den genannten Diskursen um Schuld und Sünde vielfach engagiert. Juan de Torquemada beschäftigte sich in seinem Tractatus de veritate conceptionis beatissimae Virginis mit der Frage, ob die Gottesmutter von ihrer Empfängnis an von der Erbsünde ausgenommen gewesen sei (und kam zum gegenteiligen Schluss).109 Alonso de Cartagena deutete in seinem Liber genealogiae regum Hispaniae den Verlust des Westgotenreiches an die arabischen Eroberer als göttliche Strafe für die Sünden König Roderichs,110 während Gutierre de Palma in seiner Diuina rretribuçion und Fernando de Pulgar in der Crónica de los Reyes Católicos analog die jüngsten Siege der Katholischen Könige als gerechte Vergeltung der Vorsehung an den Ungläubigen feierten.111 Lope de Barrientos beschrieb in seinem Tractado de la divinança die Zauberkunst analog zur Erb­ sünde als Makel, der von den ersten biblischen Menschen an weitergegeben

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Vgl. Kaspar Elm: Die »Devotio moderna« und die neue Frömmigkeit zwischen Spätmittel­ alter und früher Neuzeit. In: Marek Derwich und Martial Staub (Hgg.): Die »Neue Frömmigkeit« in Europa im Spätmittelalter, Göttingen 2004, S. 15‑30; Volker Leppin: Infragestellung der rituellen Vollzüge der Kirche: Mystische Frömmigkeit und sakramentale Heilsvermittlung im späten Mittelalter. In: ders.: Transformationen: Studien zu den Wand­ lungsprozessen in Theologie und Frömmigkeit zwischen Spätmittelalter und Reformati­ on, S. 171‑188; Dietmar Mieth: Zu den Diskursen über Individualisierung, bezogen auf das Spätmittelalter. In: Theologische Quartalsschrift 197 (2017), S. 4‑34 und v.a. Rucquoi: Mancilla y limpieza. Vgl. u.a. Vicente Á. Álvarez Palenzuela: Una divina retribución: la batalla de Toro en la mentalidad castellana. In: Maria Helena da Cruz Coelho u.a. (Hgg.): VI Jornadas Luso-Espanholas de Estudos Medievais, Bd. 1, Coimbra 2009, S. 35‑55. Vgl. Llamedo González: Torquemada, S. 94‑95. Vgl. Bonifacio Palacios Martín: El libro de la genealogía de los reyes de España de Alfonso de Cartagena. Bd. 2: Estudio, transcripción y traducción, Valencia 1995, S. 343‑345; Robert B. Tate: The Anacephaleosis of Alfonso García de Santa María. Bishop of Burgos, 1435-1456. In: Francis William Pierce (Hg.): Hispanic Studies in Honour of J. González Llubera, Oxford 1959, S. 386‑406; Robert Folger: Generaciones y Semblanzas. Memory and Genealogy in Medieval Iberian Historiography, Tübingen 2003, S. 159. Vgl. Giordano: Apologetas, S. 75‑76; Ballesteros: Divina retribución, S. XIV-XVI.

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wurde.112 Von Hernando de Talavera stammt der knappe Beichtspiegel Breve forma de confesar mit dem pastoralen Ziel, den Leser anhand der Zehn Gebote zu einer möglichst einfachen und zugleich vollständigen Gewissenserforschung anzuleiten.113 Im Diskurs um die iberischen Neuchristen nun mischten sich die Ebenen der individuellen und der kollektiven Schuld ebenso wie die Fragen der Anre­ chenbarkeit, der Übertragbarkeit und der Erlösung von Sünde und Schuld. Im Mittelpunkt standen dabei vor allem zwei Aussagetypen, die gemeinsam die Argumentation der Verteidiger der Conversos bestimmten, zugleich jedoch in einer gewissen Spannung zueinander standen: Zum einen wurde im Hinblick besonders auf den Kreuzestod Jesu Christi die traditionell dem jüdischen Volk zugewiesene kollektive Schuld erheblich relativiert, zum anderen die Bedeu­ tung genealogischer Zusammenhänge in Fragen von Schuld und Sünde mit dem Hinweis vor allem auf ein Prophetenwort Ezechiels grundsätzlich bestrit­ ten. Die nicht unproblematische doppelte Strategie, die jüdische Abstammung zugleich theologisch aufzuwerten und für irrelevant zu erklären, durchzieht dabei, wie bereits angedeutet, letztlich den gesamten Diskurs. 3.2.1 Ein Sohn soll nicht die Sünde des Vaters tragen (Ez 18) In der Gesamtschau fällt auf, dass die breiteste Übereinstimmung der Autoren dort herrscht, wo die Relevanz der leiblichen Abstammung für die Frage der Rechtgläubigkeit klar bestritten wird. Zu den Aussagen, die klar entgegen dem genealogischen Paradigma der Altchristen gemacht werden, gehört auch die Lehre, dass die Sünden der einen Generation nicht der nächsten anzurechnen sind. Dieser allgemeine moraltheologische Grundsatz wurde spätestens seit der Rechtssammlung des Gratian besonders gerne mit der Prophetie Ezechiels begründet, deren Spitzensatz besagt: »Nur die Seele, die gesündigt hat, soll sterben; Ein Sohn soll nicht die Sünde des Vaters tragen« (Ez 18, 20). Ursprünglich kann die gesamte aus den Versen 1‑32 gebildete Sinneinheit bei Ezechiel,114 die mit einer ähnlichen Passage im selben biblischen Buch 112

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Vgl. Paloma Cuenca Muñoz: El tratado de la divinança de Fray Lope de Barrientos, edición crítica y estudio, Madrid 1992, S. 40‑41; Martínez Casado: Un intelectual, S. 141‑143; Cavallero: Supersticiosos y marranos, S. 64‑78. Text bei Mir: Hernando de Talavera, S. 3‑35; vgl. auch Miguel Angel Ladero Quesada: Innovación y tradición en la Breve forma de confesar de fray Hernando de Talavera. In: Fran­ cisco J. Hernández u.a. (Hgg.): Medieval studies in honour of Peter Linehan, Florenz 2018, S. 661‑694. Vgl. Walter Zimmerli: Ezechiel. 1. Teilband Ezechiel 1-24, Neukirchen-Vluyn 32011 (Ori­ ginal: 1969), S. 396 und Robert W. Jenson: Ezekiel, Grand Rapids 2009, S. 144. Diskus­ sion u.a. bei Gilbert N. Alaribe: Ezekiel 18 and the Ethics of Responsibility. A Study in Biblical Interpretations and Christian Ethics, St. Ottilien 2006, S. 30‑62 und Franz Sedlmei­ er: Das Buch Ezechiel. Kapitel 1-24, Stuttgart 2002, S. 237‑241.

(Ez 33, 10‑20) korrespondiert, als Disputationswort verstanden werden,115 das sich gegen ein zu Beginn zitiertes Sprichwort aus dem Volk wendet: »Die Väter essen saure Trauben, und den Söhnen werden die Zähne stumpf« (Ez 18, 2), so klagen die Verbannten im Exil. Diejenigen, denen diese Redensart zugeschrie­ ben wird, sind von ihrer eigenen Rechtschaffenheit überzeugt und folglich auch von ihrer Unschuld am Schicksal des Volkes.116 Die Gerechtigkeit Gottes steht daher in Frage, doch der Prophet widerspricht mit seiner Rede dem anscheinend verbreiteten Bewusstsein, trotz der eigenen Schuldlosigkeit für die Sünden früherer Generationen zu leiden:117 Auch diese Generation ist für die eigenen Taten verantwortlich, auch sie treffen nur die Konsequenzen der eigenen Schuld. Die Bedeutung dieser Erklärung (auch für den Diskurs um die iberischen Neuchristen) liegt unter anderem in ihrem Kontrast zu anderen biblischen Gottesreden, die sehr wohl von Vergeltung über die Generationen hinweg spre­ chen. So räumt etwa Fernando de Pulgar in einem seiner Briefe ein, Gott habe nach dem biblischen Zeugnis durchaus zuweilen die Sünden von Königen erst nach deren Lebenszeit bestraft. Mit Blick auf den scheinbar ungerechten Erfolg oder Misserfolg der Herrscher seiner Zeit erklärt er: »Und wie wir auch jeden Tag diese und ähnliche Vorkommnisse klar sehen, so sind wir doch weder Richter ihrer Ursachen, noch können wir es sein, besonders bei den Königen, deren Richter allein Gott ist, der sie bestraft, mal in ihrer eigenen Person und ihren Gütern, mal in der Nachfolge ihrer Kinder: je nach dem Maß ihrer Verfeh­ lungen.«118

Dieser offenbare Widerspruch war auch den Autoren des 15. Jahrhunderts durchaus bewusst, wie eine Passage bei Hernando de Talavera zeigt, die aus­ drücklich eine Reihe von auf den ersten Blick einander entgegenstehenden Passagen der Bibel thematisiert: »[Gott] sagt, dass er eifersüchtig ist und sich rächt und die Sünden der Eltern an den Kindern bis zur dritten und vierten Generation bestraft; und später sagt er durch Ezechiel, dass der Sohn nicht für die Sünde des Vaters bestraft werden wird, noch der Vater für den Sohn, sondern dass nur die Seele, die sündigt, sterben wird. Und obwohl das die Wahrheit ist, sündigte König David, und das Volk erhielt die Strafe.«119

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Vgl. Jenson: Ezekiel S. 144. Vgl. Steven Tuell: Ezekiel, Peabody 2009, S. 108. Vgl. Zimmerli: Ezechiel, S. 402. E como quier que vemos claros de cada día estos e semejantes efectos, ni somos ni podemos ser acá jueces de sus causas, en especial de los Reyes, cuyo juez solo es Dios que los castiga, veces en sus personas é bienes, veces en la sucesión de sus fijos: según la medida de sus yerros. – Fernando de Pulgar: Para el Rey de Portugal, ed. Domínguez Bordona: Letras, S. 45. Dize que es zeloso y que venga y castiga los pecados de los padres en los hijos hasta la tercera y quarta generación, y después dize por Ezechías que el hijo non será punido por el pecado del padre ni el padre por el hijo, mas que el alma que pecare, aquella morirá.

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Die kollektive Verantwortung des Auserwählten Volkes gegenüber seinem Gott überspannt im Verständnis vieler biblischer Texte nicht nur die Individuen im jeweiligen Moment, sondern auch die Generationen in diachroner Dimension. Es bleibt offen, ob die Prophetie Ezechiels in Beziehung dazu ein komplemen­ täres oder neues Prinzip göttlicher Gerechtigkeit formuliert, ob es sich um eine besondere, zeitgebundene Mahnung handelt oder gar um eine eschatologische Verheißung.120 In jedem Fall geht es dem biblischen Autor nicht um eine theoretische Erörterung der Gerechtigkeit Gottes, sondern die ganze Rede zielt auf die Aufforderung zur Umkehr, die an ihrem Ende steht.121 Die Gemeinde im Exil soll sich bekehren und die Zuwendung Gottes abermals zu erfahren. Von diesem ursprünglichen Kontext ist der Gebrauch der Perikope in den apologetischen Texten des 15. Jahrhunderts weitgehend abstrahiert. Sie wollen letztlich beweisen, dass die Conversos als volle Mitglieder der christlichen Glaubensgemeinschaft anzusehen sind, ohne mit dem religiösen und rechtli­ chen Status ihrer jüdischen Vorfahren identifiziert zu werden. Die Verbindung genau dieser alttestamentlichen Prophetie mit dem Thema der jüdischen Kon­ version zum Christentum fanden die Verteidiger der iberischen Neuchristen bereits in der viel zitierten Rechtssammlung Gratians vor, wenn auch in einem für ihr Anliegen eher ungünstigen Kontext. In der Wiedergabe eines Kanons des IV. Konzils von Toledo heißt es dort: »Ebenso ist aus dem IV. Toletanischen Konzil [zu entnehmen]: Wenn getaufte Juden später von Christus abfallen und zu irgendeiner Strafe verurteilt werden, ist es nicht billig, die gläubigen Kinder ihrer Güter zu enteignen, denn es steht geschrieben: Ein Sohn soll nicht die Sünde des Vaters tragen.«122

Die beispielgebende Verwendung durch Gratian und das IV. Toletanum erklärt zumindest teilweise, warum die Rede Ezechiels mit einer zentralen Aussage im Diskurs um die Neuchristen verbunden wurde, eine vergleichbare Anord­ nung im Bundesgesetz des Mose (Dtn 24, 16) aber von keinem der Autoren herangezogen wird. Auch eine entsprechende exemplarische Anwendung die­ ses Rechtsprinzip aus der Geschichte des Volkes Israel unter der Regentschaft König Amazjas von Juda (2Kön 14, 6 und 2Chron 25, 4) spielt in ihrer Re­ zeption keine Rolle. Gleichwohl erscheint der entsprechende Kanon »Iudaei« in den Schriften zur Verteidigung der Conversos eher selten wörtlich. Zum einen war sein Wortlaut wohl ihrem Grundanliegen eher abträglich, da er die

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Y aun seyendo verdad esto, pecó el rey David y dio la pena al pueblo. – Loores de San Juan, 4, 6, ed. Parrilla, S. 213‑214. Vgl. Diskussion bei Jenson: Ezekiel, S. 146‑147; Moshe Greenberg: Ezechiel 1‑20, Freiburg 2001, S. 377‑383. Vgl. Sedlmeier: Buch Ezechiel, S. 254. Item ex Concilio Tolletano IV.: Iudei baptizati, si postea preuaricantes in Christum qualibet pena dampnati extiterint, a rebus eorum fideles filios excludi non oportebit, quia scriptum est: Filius non portabit iniquitatem patris. – Decretum Gratiani, C. 1, q. 4, c. 7.

Aufmerksamkeit auf den möglichen Glaubensabfall konvertierter Juden lenkt, zum anderen ist der exegetische Gebrauch, den die Autoren von der Ezechiel­ prophetie machten, wesentlich grundsätzlicher und wird im zeitlichen Verlauf des Diskurses immer weiter entfaltet. Ein weiterer möglicher Einfluss könnte hier auch die jüdische Apologetik gewesen sein. Gelehrte wie Josua ha-Lorqi hatten dasselbe Prophetenwort an­ geführt, um die christliche Lehre über die Erbsünde grundsätzlich infrage zu stellen und mit ihr auch die Notwendigkeit der Erlösung aller Menschen durch den Mensch gewordenen Sohn Gottes gemäß des katholischen Lehramtes.123 Adams Ungehorsam sei durch die Vertreibung aus dem Paradies bereits hinrei­ chend bestraft und gegen die universelle Vererbung seiner Schuld spreche ein­ deutig die Prophetie Ezechiels. Einigen Verteidigern der iberischen Neuchris­ ten mag diese Position der jüdischen Theologie durchaus bekannt gewesen sein und als Vorlage für ihre eigene Argumentation hinsichtlich der jüdischstämmi­ gen Conversos gedient haben; freilich ohne dass sie ihre fundamentale Kritik an der Erbsündenlehre übernommen hätten. Akzeptiert man die Frühdatierung des Espejo de verdadera nobleza auf etwa 1441, so findet sich hier ein erster Anklang an die mit der Prophetie Ezechiels verbundene Lehre, dass die einmal Bekehrten nicht mehr für Sünden früherer Generationen zur Rechenschaft gezogen werden dürfen. Diego de Valera sieht darin die Grundlage dafür, dass den Nachfahren von Juden grundsätzlich alle Ämter und Würden, ja unter gewissen Voraussetzungen selbst der Adelsstand zugänglich seien, sobald sie sich zum christlichen Glauben bekehrt hätten. Wenn allein die Ablehnung des Messias die theologische und zivile Knecht­ schaft aller Juden begründe, so müsse die Bekehrung auch eines Einzelnen zum wahren Glauben ihn logischerweise vollständig rehabilitieren: »Mag es auch wahr sein, dass die Juden […] wegen der übergroßen Sünde, die sie begangen haben, nicht nur ihrer Ehren und Würden enteignet, sondern auch dem Joch der Knechtschaft unterworfen sind […] so dürfen dennoch diejenigen, die unser Herr in seinem großen Erbarmen jeden Tag ruft, nicht geringgeschätzt werden für das, was sie zur Zeit ihrer Blindheit waren, wenn sie beginnen, zu sein, was sie vorher nicht waren […]; denn unser Herr will nicht den Tod des Sünders, sondern dass er umkehrt und lebt [Ez 18, 23].«124

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Vgl. Leo Landau: Das apologetische Schreiben des Josua Lorki an den abtrünnigen Don Salomon ha-Lewi (Paulus de Santa Maria), Antwerpen 1906, S. 40; vgl. dazu auch Eleazer Gutwirth: Pablo de Santa María y Jerónimo de Santa Fe: hacia una relectura de la Epístola de Lorqui. In: Estudios de historia de España 17 (2015), S. 1‑30. Sea verdad que los judíos […] por el grandíssimo pecado por ellos cometido, no solamente ser de sus honrras e dignidades desterrados, más aun metidos en yugo de servidunbre […]. Ca non deven ser menospreciados por lo que eran en tienpo de su ceguedad, pues comiençan a ser lo que no fueron, a los quales nuestro Señor todos días, por su mucha clemencia, llama […]; ca nuestro Señor no quiere la muerte del pecador, mas que se convierta e biva. – Espejo, ed. Penna S. 103‑104.

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Mit dieser Rahmung des Prophetenzitates verweist Diego gewissermaßen auf den Ursprung der Kontroverse um die Neuchristen, indem er die Bekehrung des einzelnen Gläubigen in den Blick nimmt. Der Gedanke, dass eine Generati­ on nicht für den Irrtum der vorigen verantwortlich ist, tritt hier noch etwas zurück hinter der Gewissheit, dass sogar innerhalb eines einzigen Menschen­ lebens die vollkommene Vergebung aller früheren Sünden möglich und im Sinne Gottes ist. In den ersten Stellungnahmen anlässlich der Rebellion von Toledo wird das Zitat aus Ezechiel dann bereits in Argumentationen eingebaut, die sich eindeu­ tig gegen die altchristliche Unterstellung einer Erblichkeit von Schuld und Sünde richten. Gleichwohl appellieren diese frühen Ausführungen tendenziell noch schlicht an die Vernunft, indem sie die Unsinnigkeit einer pauschalen Verurteilung aufgrund von Familie und Herkunft darlegen. Gottlose und Irr­ lehrer habe es zu allen Zeiten und in allen Völkern gegeben, führt Fernán Díaz de Toledo anhand einiger bekannter Beispiele aus, ohne dass man deswegen ihre Verwandten und Volksgenossen für ebenso schuldig halten würde: »Und wenn in Kastilien eine Irrlehre aufkommt, dann folgt daraus nicht, dass alle Kastilier ihr anhängen; und es genügt, dass Gott sagt: Nur die Seele, die sündigt, soll sterben [Ez 18, 4]. Und wenn die Weisung Gottes und die Gesetze nicht wollen, dass der Vater für den Sohn bestraft wird, noch der Sohn für den Vater, noch die Frau für den Mann, so sollen noch viel weniger die bestraft werden, die nichts damit zu tun haben, auch wenn man sagt, dass alle von einem Volk und von einem Geschlecht abstammen.«125

Bischof Lope Barrientos folgt an dieser Stelle seiner Denkschrift Conra algunos çiçañadores noch weitgehend der Vorlage des Relators Fernán Díaz. Doch be­ reits in seiner einige Jahre später verfassten Responsio ad quaesitum zitiert er noch ausführlicher aus der Prophetie des Ezechiel: »Der Herr sagt nämlich durch den Propheten Ezechiel: Wenn ein Sünder einen Sohn zeugt, der die Sünden des Vaters sieht, die dieser begangen hat, und sich fürchtet und es nicht genauso macht und so weiter, dann wird dieser nicht wegen der Ungerechtig­ keit seines Vaters sterben, sondern am Leben bleiben und so weiter. Und es folgt: Ihr aber fragt: Warum trägt der Sohn nicht mit an der Schuld seines Vaters? Weil der Sohn nach Recht und Gerechtigkeit gehandelt hat. Und es folgt: Nur die Seele, die sündigt, soll sterben [Ez 18, 4]. Und von vielen anderen Stellen der Heiligen Schrift wird ganz offensichtlich bewiesen, dass bei einem Menschen der Glaube gewogen werden muss und nicht die Herkunft.«126 125

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E si en Castilla se levantare alguna heregía no se sigue por eso que sean en ella todos los castellanos; y basta lo que dice Dios: anima quae peccaueret, ipsa morietur. Y si la ley de Dios y los derechos no quieren que el padre sea punido por el fijo, ni el fijo por el padre, ni la mujer por el marido, mucho menos lo deben ser los otros que no tienen que façer con ello, aunque se diga que todos desçienden de un pueblo e de una gente. – Instrucción, ed. González Rolán/Saquero Suarez-Somonte, S. 111‑112. Dicit enim Dominus per Ezechielem prophetam: Si peccator genuerit filium qui uideret peccata patris, quae fecerat, et timuerit et non fecerit simile eis etc., hic non morietur

Er fährt dann fort, Belegstellen aus den Werken der Kirchenväter Johannes Chrysostomos, Augustinus und Hieronymus zu zitieren, die an gleicher Stelle im Decretum Gratiani stehen und in denen die Worte des Buches Ezechiel jeweils aktualisiert werden. Die rhetorische Stärke dieses etwas assoziativen Umgangs mit dem ursprünglichen Bibelzitat besteht darin, seine Aussagekraft thematisch zu erweitern: Wo es seinem Wortsinn nach nur um die Frage von Schuld ging, die nicht an die nächste Generation weitergegeben wird, steht es nun exemplarisch für den allgemeinen Grundsatz, dass der leiblichen Ab­ stammung in Fragen der individuellen Würde und Integrität keine Bedeutung zukommt. Alonso de Cartagena widmet dem Grundsatz, dass persönliche Rechtschaf­ fenheit und Gläubigkeit kein Verdienst der leiblichen Herkunft sind, einen längeren Abschnitt im Mittelteil seines Traktats. Das vierte und abschließende Theorem des zweiten Hauptteils im Defensorium beruft sich dabei auf die Taufe als grundlegende Bedingung für die Zugehörigkeit zur christlichen Gemein­ schaft, gleich ob jemand von jüdischer oder nichtjüdischer Abstammung ist. Die Vorstellung einer genuin christlichen Abstammung dagegen lehnt Alonso kategorisch ab, da die Teilhabe an der Kirche Christi eben nicht erblich sei, son­ dern individuell durch die Taufe erworben werden müsse. Zur Bekräftigung dafür, dass weder Schuld noch Tugend der einen Generation von selbst auf die nächste übergeht, zieht er die Worte Ezechiels – teilweise in ausführlicher Paraphrase – heran und kommentiert: »Aus diesen Worten ist klar zu folgern, dass kein Verbrechen zu finden ist, das irgend­ einen Makel vom Vorfahren auf den Gläubigen und Rechtschaffenen überträgt, da der Prophet in den vorigen Worten der Art nach nahezu alle Verbrechen aufzählt. Abschließend erklärt er, dass sie weder vom Vater auf den Sohn noch vom Sohn auf den Vater übergehen. Und schließlich verbindet er beides, indem er sagt: Ein Sohn soll nicht die Sünde des Vaters tragen und ein Vater soll nicht die Sünde des Sohnes tragen [Ez 18, 20].«127

Während bei Alonso de Cartagena die Rede Ezechiels so zu einer grundlegen­ den Betrachtung über das Sakrament der Taufe führt, steht die Lehre von der individuellen Verantwortung eines jeden Menschen vor Gott ungeachtet seiner Abstammung bei Juan de Torquemada ganz im Dienst seiner Bemühung, die

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in iniquitate patris sui, sed uita uiuet etc. Et sequitur: Dicitis quare non portat filius iniquitatem patris? Videlicet quia filius iustitiam et iudicium operatus est.; et sequitur: Anima quae pecaueret, ipsa morietur […] Et in multis aliis locis sacrae scripturae, qui­ bus apertissime probatur fidem esse ponderandam in homine et non genus. – Responsio ad quaesitum, ed. González Rolán/Saquero Suarez-Somonte, S. 150. Ex quibus verbis aperte colligitur nullum crimen reperiri, quod ad fidelem et recte viventem a predecessore aliquam transfundat rubiginem, cum omnia fere crimina sub genere propheta in premissis verbis narraverit. Et concludens neque a patre in filium neque a filio in patrem transfundi clamaverit. Denique hec et equalia coniunxit dicens: Filius non portabit iniquitatem patris et pater non portabit iniquitatem filii. – Defensori­ um, 2, 4, 11, ed. Alonso, S. 189.

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Rebellen von Toledo als Häretiker zu überführen. Im zweiten Kapitel der Schrift Contra Madianitas beginnt er damit, das argumentative Fundament sei­ ner Gegner systematisch zu untersuchen und zu widerlegen. An erster Stelle nennt er ihre mutmaßliche Annahme, ein Mensch könne trotz Glaube und Taufe aufgrund seiner Abstammung von Gott verworfen sein. Hier nun führt er neben anderen Gegenargumenten an: »Dass die besagte Grundlage der besagten gottlosen Midianiter und Ismaeliter häre­ tisch ist, das wird augenscheinlich dargelegt, da die Heilige Schrift ebenso wie die im Heiligen Geist begründeten heiligen Kirchengesetze sie missbilligen und verurteilen. So sagt Gott, um gegen diesen Irrtum zu sprechen, durch den Propheten Ezechiel: […] Nur die Seele, die sündigt, soll sterben; Ein Sohn soll nicht die Sünde des Vaters tragen und ein Vater soll nicht die Sünde des Sohnes tragen.128

Nach diesen Bibelversen schließt Juan ähnlich wie Lope de Barrientos mehrere ausführliche Zitate gleichen Sinnes aus dem Decretum Gratiani an, die ihrerseits auf Augustinus, Chrysostomos und Papst Leo I. zurückgehen. Hier zitiert er auch den Kanon des IV. Konzils von Toledo über die gläubigen Kinder von Apostaten jüdischer Herkunft. Abermals kommt Juan im 12. Kapitel seines Traktats auf die Rede Ezechiels zurück. In der zusammenfassenden Aufzählung der Irrlehren der Toledaner nennt er an fünfter Stelle die Auffassung, Sünden und deren Strafen könnten von Eltern auf ihre Kinder übergehen. Ähnlich wie bereits Diego de Valera verband Alonso de Oropesa die Prophe­ tie Ezechiels mit einer grundsätzlichen Affirmation des schuldhaften Unglau­ bens der Juden, die in seinem umfangreichen Traktat allerdings erheblich mehr Platz einnimmt. Bei aller noch so harschen Verurteilung des Judentums besteht der Hieronymit gleichwohl kategorisch darauf, dass die gegenwärtige Generati­ on der christlich gewordenen iberischen Juden keine Schuld am Irrglauben ihrer Vorfahren trifft: »Nachdem sie wahrhaft den Glauben und die Taufe empfangen haben, verschwinden die Strafen des Judentums und des Unglaubens und der Verbrechen ihrer Eltern. Sie sind nun nicht mehr durch Nachahmung deren Kinder, sondern ihre Gegner kraft der Bekehrung zum wahren Glauben, der das völlige Gegenteil der Blindheit und Verstocktheit ihrer Eltern ist. […] Und das ist es, was durch Ezechiel gesagt wurde: Nur die Seele, die sündigt, soll sterben. Ein Sohn soll nicht die Sünde des Vaters tragen und ein Vater soll nicht die Sünde des Sohnes tragen. [Ez 18, 20]«129 128

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Quod praefatum fundamentum praefatorum impiorum Madianitarum et Ismaelitarum sit haereticum ostenditur manifeste, cum tam sancta Scriptura quam sacri canones Spi­ ritu Sancto conditi illud improbent et condemnet. Unde Deus per Ezechielem prophet­ am, contra hunc errorem loquens, ita inquit: […] Anima quae peccaverit ipsa morietur; filius non portabit iniquitatem patris, et pater non portabit iniquitatem filii. – Contra madianitas, 2, ed. del Valle Rodríguez, S. 141‑142. Postquam vero fidem et baptismum recipiunt, penas iudaismi et infidelitatis et scelerum patrum suorum evadunt, quorum iam non sunt filii per imitationem, immo eorum con­ trarii per conversionem ad veram fidem, que est cecitati et obstinationi patrum suorum omnino contraria; […] et hoc est quod dicitur Ezechielis […] Anima que peccaverit ipsa

Charakteristisch für die Theologie des Lumen ad revelationem ist an dieser Stelle wie im gesamten Werk, dass es noch mehr als andere vergleichbare Schriften die bedingungslose Verteidigung der Conversos mit einer intransigenten anti­ judaistischen Polemik verbindet. Hieran wird unter anderem deutlich, dass der wichtigste Unterschied der Verteidiger der Neuchristen zu deren Feinden nicht generell in einer größeren Toleranz oder gar Wertschätzung gegenüber dem jüdischen Glauben ihrer Zeitgenossen bestand. Umstritten war zwischen beiden Gruppen nicht die Ablehnung des Judentums als solches, sondern die Berechtigung, Misstrauen, Ausschluss und Abwertung auch auf Getaufte jüdi­ scher Herkunft zu übertragen. Die gleiche Kritik am zeitgenössischen Judentum trotz aller Wertschätzung für das biblische Israel gerade im Vergleich zu den Heidenvölkern seiner Zeit zieht sich letztlich durch die gesamte diskursive Strategie zugunsten der Con­ versos bis hin zum Brief des humanistisch gebildeten Antonio de Ferrariis Ende des Jahrhunderts. Auch er bestreitet der Prophetie Ezechiels entsprechend die moralische Verantwortung einer Generation für die Fehler der anderen, kehrt dabei jedoch die zeitliche Reihenfolge um, indem er über die Generationen des jüdischen Volkes vor und bis einschließlich Jesus Christus sagt: »Wie viel wir ihnen schulden, zeigen die unlauteren Gesetze und gottlosen Kulte und Riten der Heiden. Auch wenn die heutigen Juden, ein Volk mit hartem Nacken und sturem Geist – wie auch nicht wenige Christen – nicht an Christus glauben, darf dafür nicht die Schuld dem Geschlecht und jenen Heiligen gegeben werden, die wir Väter nennen. Zu verurteilen sind also gewisse Menschen, nicht das ganze Geschlecht.«130

Antonio geht also gedanklich vom aus christlicher Sicht zu verurteilenden Irr­ glauben der Juden seiner Zeit aus und argumentiert, diese Schuld dürfe nicht den vorbildlichen Heiligen Israeliten der biblischen Zeit angerechnet werden. In der Sache ist diese Versicherung deswegen wichtig, weil der theologische und zivile Status der jüdischen Abstammung der Neuchristen infrage steht. In­ dem er diese auf ihren allgemein angenommenen alttestamentlichen Ursprung zurückführt, macht er zugleich deutlich, dass die darin liegende Würde auch nicht durch die etwaigen Verfehlungen von dazwischen liegenden Generatio­ nen kompromittiert werden könne. Im Breve reprehensorium schließlich sind die Rede Ezechiels und das abgeleite­ te theologische Prinzip, dass eine Generation nicht die Schuld der vorherigen trägt, zu einem ganzen Kapitel (von insgesamt vierzehn) ausgebaut, dessen Titel

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morietur: filius non portabit iniquitatem patris, et pater non portabit iniquitatem filii. – Lumen ad revelationem, 48. Quibus quantum debeamus ethnicorum impurae leges et nefandi sacrorum ritus ostend­ unt. At si recentiores Iudaei, durae cervicis et pertinacis ingenii gens, ut et non nulli Christiani, Christo non credunt, non id culpae dari debet generi et sanctis illis quos diximus patribus. Damnandi sunt igitur homines quidam, non genus totum. – De neophytis, ed. Altamura, S. 224.

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lautet: »Dass ein Sohn nicht für die Sünde des Vaters bestraft werden soll, noch umgekehrt«. Darin heißt es an zentraler Stelle: »Wie kommt es, dass ihr unter euch diesen Ausspruch zum Sprichwort im Land Israel macht, indem ihr sagt: Unsere Väter aßen saure Trauben und die Zähne der Kinder werden stumpf. So wahr ich lebe, spricht Gott der Herr, wenn dieser Ausspruch für euch noch weiter ein Sprichwort in Israel ist! Siehe, alle Seelen gehören mir, wie die Seele eines Vaters mein ist, so auch die Seele eines Sohnes. Nur die Seele, die sündigt, wird sterben. Ein Sohn wird nicht die Sünde des Vaters tragen, noch umgekehrt. Und es folgt: Wenn einer einen Sohn gezeugt hat, der alle Sünden des Vaters sieht, die er getan hat, und sich fürchtet und nicht auf die gleiche Weise handelt wie er, dann wird dieser nicht sterben.«131

Das ethische Paradigma, das sich auf die Prophetie Ezechiels gründet, stützt Gutierre de Palma weiter mit Verweisen auf die im Decretum Gratiani zitierten Kirchenväter und verfolgt seine Anwendung noch weiter bis zum Römischen Zivilrecht Justinians und den Rechtskommentaren des Nicolaus de Tudeschis (1368-1445). Die Argumentation, die den zentralen Schriftbeweis des Bakkalaureus um­ gibt, richtet sich dabei allgemein gegen die Bedeutung der leiblichen Herkunft in Fragen von Integrität und Ansehen. In diesem Zusammenhang verweist er auch auf den gemeinsamen Ursprung aller Menschen laut dem Schöpfungsbe­ richt im Buch Genesis und ordnet die Abstammung dem Bereich des Fleisches zu, den vor allem die Paulinische Theologie zugunsten des Geistes verwirft. Die Tendenz der Verteidiger der Neuchristen, das ursprünglich nur auf Schuld und Sünde bezogene Prophetenwort sinngemäß auf die gesamte Verfasstheit des Menschen vor Gott und der christlichen Gemeinschaft auszuweiten, hat sich hier endgültig zum leitenden Prinzip entwickelt. 3.2.2 Die Passion Christi (Mt 26-27 par) Das Insistieren darauf, dass die Schuld der einen Generation nicht auf die fol­ genden übertragbar ist, scheint die Existenz einer solchen Schuld bei den jüdi­ schen Vorfahren der iberischen Neuchristen geradezu vorauszusetzen. Grund­ sätzlich ist hier an verschiedene Motive zu denken, die im christlichen Antiju­ daismus des Mittelalters und insbesondere auch in der iberischen Geschichte eine Rolle spielten. Der grundsätzliche Vorwurf an das Auserwählte Volk, 131

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Quid est, quod inter vos vertitis parabolam in proverbium istud in terra Israel, dicentes: Patres nostri comederunt uvam acerbam, et dentes filiorum obstupescunt. Vivo ego, di­ cit dominus deus, si fuit ultra vobis parabola haec in proverbium in Israel. Ecce, omnes animae meae sunt, ut anima patris ita et anima filii mea est. Anima, quae peccaverit, ipsa morietur. Filius non portabit iniquitatem patris, nec econtra. Et sequitur, quod si genuerit filium, qui viderit omnia peccata patris sui, quae fecit, et timuerit et non fecerit simile ei, hic non morietur. – Breve reprehensorium, 4, Ms. 23-7, 4v‑5r.

den ihm verheißenen Messias nicht anerkannt und sogar der Hinrichtung ausgeliefert zu haben, ist bereits in den Schriften des Neuen Testaments prä­ sent. Changierend zwischen dem Befund schicksalhafter Blindheit (caecitas) und böswilliger Verstocktheit (obstinatio) traf die Anklage der Ungläubigkeit jahrhundertelang ebenso die jeweils zeitgenössischen Juden; nicht nur, aber gerade auch auf der Iberischen Halbinsel.132 Sogar Autoren, die selbst jüdische Vorfahren hatten, stimmten mitunter emphatisch in den Chor der traditionel­ len antijüdischen Vorwürfe mit ein. So finden sich in der Passionslyrik des Dominikaners Íñigo de Mendoza Strophe um Strophe von Anklagen, die dem jüdischen Volk die Grausamkeit des Kreuzes vorwerfen : »O frevlerische Pharisäer, o sehr missgünstiges Volk! Dies waren deine Wünsche: Mit solchem Schmuck zu kleiden Deinen König, den barmherzigen. Falsches, böswilliges Volk! Sei doch nicht so hart! Töte nicht meinen Bräutigam, meine Ruhe und meine Rast, Mein ganzes Gut und meinen Reichtum!«133

In dem Maße, wie diese vermeintliche Verstocktheit als Grundeigenschaft der Juden angenommen wurde, lag es auch nicht mehr fern, von einem erblichen, ja geradezu irreparablen Defekt auszugehen – eine Auffassung, die Autoren wie Marcos García de Mora und Alonso de Espina auf die Spitze trieben. Immerhin besaßen auch die kirchlichen Sakramente der Taufe und der Kom­ munion ihrem Wesen nach eine physisch-körperliche Dimension, so dass ein Zusammenhang zwischen leiblichen und geistlichen Eigenschaften nicht völlig abwegig wirkte.134 Zu den biblisch begründeten Schuldzuweisungen, die auch von Theologen und Bischöfen geteilt wurden, kamen im Spätmittelalter zunehmend auch ver­ schiedene lokale Legenden volkstümlicher Art über angebliche Verbrechen, die in ähnlicher Weise den Juden insgesamt angelastet wurden. Auch das Senten­ cia-estatuto reproduziert die verbreitete Erzählung, Juden hätten zur Zeit der Westgoten die Stadt Toledo an die maurischen Eroberer verraten: »Die Juden, die früher in dieser Stadt lebten, so weiß man aus den alten Chroniken, gingen einen Handel ein, als diese Stadt von unseren Feinden, den Mauren, belagert 132

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Vgl. u.a. Heimann: »Quod Iudaei a Deo non excusantur...«, S. 402‑406; Nirenberg: Une société face à l’altérité, S. 755‑756; Paulino Rodríguez Barral: Contra caecitatem iudeorum: el tópico de la ceguera de los judíos en la plástica medieval hispánica. In: Ilu. Revista de ciencias de las religiones 12 (2007), S. 181‑209; Carolina M. Losada: Ley divina y ley terrena: antijudaísmo y estrategias de conversión en la campaña castellana de San Vicente Ferrer (1411-1412). In: Hispania sacra 65 (2013), S. 619. ¡O malvados fariseos / o pueblo muy imbidioso! / estos eran tus deseos / vestir de tales arreos / a tu rey el piadoso / falso pueblo malicioso / no tengas tanta dureza / no me mates a mi esposo / mi descanso y mi reposo / mi bien todo y mi riqueza. – Íñigo de Mendoza: Coplas a la Verónica, 40, ed. Rodríguez-Puértolas: Fray Íñigo de Mendoza, Cancionero, Madrid 1968, S. 201. Vgl. Benveniste/Plakotos: Converting Bodies, Embodying Conversion, S. 251‑252.

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wurde, und verkauften die besagte Stadt und ihre Christen und gewährten den besag­ ten Mauren Einlass.«135

Ebenso wurden die in nahezu ganz Europa verbreiteten Wanderlegenden des jüdischen Ritualmordes an einem unschuldigen christlichen Kind und des Fre­ vels an geweihten Hostien in Kastilien und Aragon im Spätmittelalter vielfach aktualisiert.136 Das Fortalitium fidei des Franziskaners Alonso de Espina enthält eine Auflistung von siebzehn einzelnen solcher und anderer angeblicher Gräu­ eltaten.137 Weitere häufig wiederholte Vorwürfe, die sukzessive auch auf die Conversos übertragen wurden, betrafen die angeblich blasphemischen Aussa­ gen des Talmud, Wahrsagerei und andere magische Praktiken, aber auch so profane Delikte wie das Wirtschaften mit Wucherzins und die Hehlerei mit Diebesgut unter dem Deckmantel der Pfandleihe.138 Das bei Weitem bedeutendste christliche Narrativ jüdischer Schuld war je­ doch zweifellos das in den Evangelien geschilderte Leiden und Sterben Jesu Christi. Nicht nur war die Anklage, den Sohn Gottes verraten und ermordet zu haben, geradezu unübertrefflich. Sie verband zudem gebildete und ungebil­ dete Schichten der Bevölkerung und wurde in liturgischen Vollzügen (Kreuz­ verehrung, Karfreitagsgebet, Passionsspiele) und sakraler Kunst (Via Dolorosa, Kruzifix- und Grablegedarstellungen) ständig präsent gehalten.139 Ähnlich wie solche als Heilige verehrte Mystiker wie Franz von Assisi und Katharina von Siena das Leiden Christi auf visionäre Weise am eigenen Leib erfahren hatten, 135

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[...] los judíos que antiguamente vivieron en esta cibdad, segun se halla por las chonicas antiguas, estando esta cibdad cercada por los moros nuestros enemigos […] ficieron trato y vendieron la dicha cibdad e a los chistianos de ella e dieron entrada a los dichos moros [...] – Sentencia-estatuto, ed. Alonso, S. 361; vgl. dazu u.a. Padín Portela: La traición, S. 79‑84. Vgl. Carlos Espí Forcén: Cristianos y judios. Imágenes instigadoras de asesinatos rituales y profanación de hostias en la baja Edad Media. In: María de los Ángeles Delisau Jorge u.a. (Hgg.): La multiculturalidad en las Artes y en la Arquitectura: XVI Congreso Nacio­ nal de Historia del Arte, Bd. 1, Las Palmas de Gran Canaria 2006, S. 637-644; María Sánchez Pérez: Un libelo antijudío en la literatura popular impresa del siglo XVI. In: Revista de literatura 72 (2010), S. 531-553; Markus J. Wenninger: Die Instrumentalisierung von Ritualmordbeschuldigungen zur Rechtfertigung spätmittelalterlicher Judenvertreibungen. In: Susanna Buttaroni (Hg.): Ritualmord. Legenden in der europäischen Geschichte, Wien 2003, S. 197-211. Vgl. McMichael: Alphonso de Espina’s Argument, S. 311‑312; Vidal Doval: Misera Hispa­ nia, S. 105‑108. Vgl. Luis Suárez Fernández: Los judíos, Barcelona 2003, S. 309‑310; Alisa Meyuhas Ginio: The Conversos and the Magic Arts in Alonso de Espina’s »Fortalitium Fidei«. In: Mediterrane­ an Historical Review 5 (1990), S. 169‑182. Vgl. Laura Rodríguez Peinado: Dolor y lamento por la muerte de Cristo. La Piedad y el Planctus. In: Revista digital de iconografía medieval 7 (2015), S. 1‑17; Caroline W. Bynum: The Blood of Christ in the Later Middle Ages. in: Church History 71 (2002), S. 685‑714; Daria Dittmeyer: Gewalt und Heil. Bildliche Inszenierungen von Passion und Martyrium im späten Mittelalter, Köln 2014, S. 57‑66; Rainer Kampling: Bilder des Missver­ stehens. Dokumente der Judenfeindschaft in der europäischen Kunst. In: Hubert Frankemölle (Hg.): Christen und Juden gemeinsam ins dritte Jahrtausend, Paderborn 2001, S. 99‑129.

so projizierten auch die volkstümlichen Legenden über Ritualmorde und Hos­ tienfrevel das Geschehen der Passion mimetisch immer wieder in die jeweilige Gegenwart.140 Für die Theologen standen dabei der Vorwurf der Ungläubigkeit und die Zurechenbarkeit der Schuld am Tod Christi in untrennbarer Verbindung. Aus ihrer Sicht übertrug sich der Makel des Christusmordes nicht durch die leibli­ che Abstammung als solche, sondern dadurch, dass jede neue Generation sich diesen zusammen mit dem Irrglauben der vorigen Generation und der Ableh­ nung des Messias erneut zu eigen machte;141 oder, in den beispielhaften Worten des Theologen und Bischofs Robert Grosseteste (ca. 1170‑1253), indem das jüdische Volk weiterhin »im Unglauben verharrend Christus, den Retter der Welt, schmäht und sein Leiden verspottet« (in infidelitate permanens Christum mundi Salvatorem blasphemat, et ejus passionem subsannat).142 Insofern unterschied die christliche Schuldzuweisung auch nicht zwischen den Nachfahren der Juden des Heiligen Landes und denen der sephardischen Juden, die nach einer eigenen Überlieferung bereits zur Zeit König Nebukad­ nezars II. die Iberische Halbinsel besiedelt hatten – unabhängig davon, wie viel Glaubwürdigkeit die unter anderem von Salomon Ibn Verga und Isaac Abravanel überlieferte Ätiologie in einem christlichen Kontext beanspruchen konnte.143 Lehramtlich wurde jedenfalls nie bezweifelt, dass jeder, der durch seine Konversion zum Christentum aufhörte, im religiösen Sinne Jude zu sein, durch die Taufe auch die jüdische Schuld an der Kreuzigung ablegte. Ausdrücklich hatte etwa bereits Anselm von Canterbury (ca. 1033‑1109) festgehalten, die Schuld an seinem Tod falle mit unter die Gesamtheit der Sünden, die der Sohn Gottes durch ebendiesen Tod auf sich genommen hatte, um ihre Vergebung zu erwirken, sodass folglich selbst »die Mörder Christi die Vergebung ihrer Sünden erlangen können« (interemptores Christi ad veniam peccati sui pertinge­ re potuisse).144 Genau dies schienen die altchristlichen Feinde der Conversos jedoch nun infrage zu stellen, und sie konnten sich dabei wahrscheinlich auf 140

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Vgl. Carlos Espí Forcén: Intolerancia religiosa. Aseninos de niños y profanaciones de hostias. Acusaciones de renovación de la pasión de Cristo a judios durante la baja Edad Media. In: Arqueología, historia y viajes sobre el mundo medieval 26 (2008), S. 30-38; Jeremy Cohen: The Blood Libel in Solomon ibn Verga’s Shevet Yehuda. In: Mitchell B. Hart (Hg.): Jewish Blood. Reality and Metaphor in History, Religion, and Culture, New York 2009, S. 116‑135; Dahan: Les intellectuels chrétiens, S. 23‑28. Vgl. u.a. Dahan: Les intellectuels chrétiens, S. 562‑581. Vgl. Robert Grosseteste: Brief an Margaret de Quinci, Gräfin von Winchester, ed. Luard, S. 34. Vgl. Sina Rauschenbach: Salomo Ibn Verga. Schevet Jehuda. Ein Buch über das Leiden des jüdischen Volkes im Exil, Berlin 2006, S. 33‑34; Adam G. Beaver: Nebuchadnezzar’s Jewish Legions: Sephardic Legends’ Journey from Biblical Polemic to Humanist History. In: Garcia-Arenal (Hg.): After Conversion, S. 21‑65. Vgl. Anselm von Canterbury: Cur Deus homo, 2, 15.

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die theologisch wenig differenzierten Ressentiments der breiteren Bevölkerung stützen, die kaum zwischen Zueignung und Vererbung von Schuld unterschie­ den haben dürfte.145 So fasst Alonso de Oropesa zu Beginn seines Traktats die gegnerische Position zusammen: »Die Uneinigkeit besteht im Ganzen anscheinend darin, ob jene, die aus dem Juden­ tum bekehrt wurden, nach gerechtem Urteil den übrigen Gläubigen untergeordnet und in vielerlei Hinsicht erniedrigt und verachtet werden sollen. Um das zu beweisen und ungestraft aufrecht zu erhalten, behaupten sie, sich auf Zweifaches stützen zu können: erstens die Sünden ihrer Väter, die Christus Jesus, unseren glorreichen Erlöser töteten, indem sie ihn durch die Hand der Heiden kreuzigten, […] zweitens aber ihre [eigenen] schuldhaften Werke und Missetaten.«146

Dass der Vorwurf des Christusmordes an das gesamte jüdische Volk eine wich­ tige Voraussetzung für die altchristliche Kampagne gegen die Conversos war, belegt auch die Verteidigungsschrift der Rebellen von Toledo. Marcos García bezieht sich darin eindeutig auf die lange christliche Tradition, die jüdische Diaspora nach der Zerstörung des Zweiten Tempels als Strafe Gottes und Rache des Erlösers zu deuten.147 Er versteht den Adressaten des neutestament­ lichen Titusbriefes (ob irrtümlich oder sinnbildlich wird nicht klar) als den römischen Kaiser gleichen Namens, der als Feldherr seines Vaters Vespasian Jerusalem eroberte, und schreibt: »In der Heiligen Schrift, nämlich im Brief, den der heilige Paulus an Kaiser Titus schickte, den Rächer des Blutes Jesu Christi, schreibt er ihm, um ihn zu ermahnen, sich dagegen zu verwehren und nicht zuzulassen, dass die Konvertiten aus dem Ge­ schlecht der Juden zu Prälaten erwählt werden.«148

In diesem Punkt konnte sich der Bakkalaureus sicher sein, nicht nur Theolo­ gen und Bibelkenner anzusprechen, sondern starke populäre Ressentiments abzurufen. In Verbindung mit den Feierlichkeiten der Heiligen Woche, also 145

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Vgl. Ursula Schulze: Wan ir unhail... daz ist iwer hail. Predigten zur Judenfrage vom 12. bis 16. Jahrhundert. In: dies.: (Hg.): Juden in der deutschen Literatur des Mittelalters. Religiöse Konzepte – Feindbilder – Rechtfertigungen, Berlin 2011, S. 111‑113. Dissensio autem ista hoc continet in summa, quod, scilicet, illi, qui fuerunt ex iudaismo conversi, debent iusto iudicio a ceteris fidelibus minorari, et in pluribus quodammodo subiici et conculcari, ad que probanda et impune defendenda, duplici ex parte se putant posse fulciri: primo quidem ex peccatis suorum parentum, qui Christum Iesum nostrum gloriosissimum redemptorem occidentes crucifixerunt, per manus gentilium; […] se­ cundo vero ex eorum culpandis operibus et demeritis […] – Lumen ad revelationem, 1. Vgl. Nirenberg: Anti-Judaism, S. 191ff.; Döpp: Deutung der Zerstörung, S. 248‑275; Israel Yuval: Zwei Völker in deinem Leib. Gegenseitige Wahrnehmung von Juden und Christen in Spätantike und Mittelalter, Göttingen 2007, S. 52‑62 und ders.: God will see the Blood. Sin, Punishment, and Atonement in the Jewish-Christian Discourse. In: Hart (Hg.): Jewish Blood, S. 83‑98. Por esriptura sacra, quanto San Pablo en la epístola que enbió al Emperedor Tito, veng­ ador de la sangre de Jesuchristo le enbió a amonestar que asegundase e no consintiese eligir por Perlados los conuertidos del linaje de judíos. – Memorial, ed. Benito Ruano, S. 115.

dem Gedenken des Leidens, Sterbens und Auferstehens Jesu Christi, kam es in Dörfern und Städten der Iberischen Halbinsel häufig zu Übergriffen auf die örtlichen jüdischen Bewohner.149 Möglicherweise auch vor diesem Hinter­ grund erneuerte und verschärfte Papst Eugen IV. 1442 die Anordnung, die Juden von Kastilien und Leon hätten während der Passionszeit öffentliche Plätze zu meiden und ihre Fenster zu verschließen.150 Die enge Verbindung des feierlichen Begängnisses der Passion mit der einseitigen und pauschalen Schuldzuweisung an das Volk der Juden insgesamt und der Vergeltung an den eigenen jüdischen Nachbarn hatte ihren festen Platz im religiösen Empfinden des spanischen Spätmittelalters und darüber hinaus.151 Dass der Makel der Schuld an der Kreuzigung Jesu Christi großen Teilen der einfachen Altchristen mindestens als Vorwand diente, auch die Conversos anzufeinden, bezeugt der Dichter Antón de Montoro mit den Versen, in denen er die Ausschreitungen gegen Neuchristen in Andalusien beklagt: »Ich sage das wegen des Leidens / jenes konvertierten Volkes, die über glühende Kohlen laufen / mit weniger Schuld als Schrecken, dass jene, die wenig haben, / sie hunderttausendfach anklagen des Todes des Gerechten [Christus]. Und wenn solch Vorwurf und Argwohn / sie ihnen bezeigten ohne Liebe, um den König des Himmels zu rächen! / Doch sie tun es mit Eifer, sie [der Früchte] ihrer Mühen zu berauben.«152

Umso bemerkenswerter ist es, wie häufig die Autoren im Diskurs um die iberischen Neuchristen diese vermeintlich evidente jüdische Schuld am Tod Christi relativieren und abschwächen, wo sie nicht ohnehin die Conversos von ihr ausnehmen. Bereits Alonso de Montalvo führt eine Reihe von Gründen auf, warum sich Heiden und Juden im Licht des christlichen Glaubens nicht unterscheiden. Zum Thema der Kreuzigung Christi hält er mit Verweis auf den Tractatus de poenitentia im Decretum Gratiani fest:

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Vgl. Nirenberg: Anti-Judaismus, S. 209‑217. Vgl. Simonsohn: Apostolic See 1394-1464, S. 867; sowie Dahan: Les intellectuels chrétiens, S. 184‑186. Vgl. Jürgen Bärsch: Antijüdische Deutungen liturgischer Vollzüge und Gebräuche im Mit­ telalter: Beobachtungen zu einem Phänomen der Liturgiegeschichte. In: Heil u.a. (Hgg.): Abrahams Erbe, S. 509‑521; Florian Rommel: Ob mann jm vnrehtt thutt, so wollenn wir doch habenn sein blutt. Judenfeindliche Vorstellungen im Passionsspiel des Mittelalters. In: Schulze (Hg.): Juden in der deutschen Literatur des Mittelalters, S. 183‑210. […] dígolo por la pasión / desta gente convertida, /que sobre las ascuas andan / con me­ nos culpa que susto, / que los que muy menos mandan, / cien mil veces les demandan / aquella muerte del Justo. / ¡Y si tal tema y recelo / les mostran sin amor / por vengar al Rey del Cielo! /pero fázenlo con celo / de roballes el sudor. – Montoro al rey nuestro señor sobre el robo que se fizo en Carmona, ed. Rodríguez Puértolas: Poesía crítica y satírica, S. 311.

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»Alle aber waren schuldig. Denn die Juden klagten ihn zwar zu Unrecht an, die Heiden jedoch, unter deren Gerichtsbarkeit und Herrschaft er sich befand, verurteilten Christus fälschlich und ungerecht zum Tode.«153

Ähnlich argumentiert auch Gutierre de Palma im sechsten Kapitel seines Bre­ ve reprehensorium, das allgemein davon handelt, wie sowohl Heiden als auch Juden in vorchristlicher Zeit in Irrtum und Sünde lebten. Zum Beleg führt er zum einen Bibelstellen an, die den Götzendienst der Heidenvölker verurteilen, zum anderen solche, in denen die wiederholte Untreue Israels zu seinem Gott thematisiert wird. Die Parallelisierung der historischen Schuld beider Gruppen gipfelt annähernd wortgleich wie bei Alonso Díaz und mit dem Hinweis auf dieselbe Rechtsquelle: »Und so befanden sich diese zwei Völker, aus denen der ganze Erdkreis bestand, in verschiedenen und gegensätzlichen Irrtümern und waren beide schuld an der Passion des Erlösers, denn zwar klagten ihn Juden unrechtmäßig an, Heiden jedoch, bei denen Rechtsprechung und Herrschaft lag, verurteilten Jesus fälschlich zum Tod.«154

Dabei ist zu berücksichtigen, dass es sich genau genommen weder um ein direktes Zitat aus der kanonischen Rechtssammlung handelt noch um eine sinngemäße Paraphrase. Tatsächlich widmet sich der entsprechende Canon im Corpus iuris canonici der Frage, ob die Anstiftung zum Mord die gleiche Schwere der Schuld trage wie die begangene Tat. Im Blick auf die Rolle, die jüdische Agitatoren in den neutestamentlichen Berichten über die Hinrichtung Jesu spielen, wird diese Schuld besonders betont. Ausgerechnet aus einem Rechtstext, der im Grunde das Narrativ von den Juden als Christusmördern untermauert, gewinnen Alonso de Montalvo und Gutierre de Palma also eine Lesart der Passion, in der sich Juden und Heiden die moralische Verantwor­ tung für die Kreuzigung teilen. Noch ausführlicher geht Lope de Barrientos in seiner Responsio ad quaesitum auf das Motiv der jüdischen Schuld am Tod Christi ein und erwägt dabei systematisch verschiedene Aspekte. Zunächst stellt er die Annahme einer kol­ lektiven und sogar erblichen Schuld nicht in Abrede, besteht aber darauf, dass ein solcher überkommener Makel nur denjenigen anhaften könne, die sich willentlich nicht von ihm lossagen: »Wir sagen sogar, dass, wenn einer ein Jude wäre, der Christus mit eigener Hand ermordete, dieser, wenn er reuig, mit ehrlichem Herzen und ergeben zum Glauben

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Omnes autem fuerunt cupabiles. Nam licet Iudaei iniuste eum accusauerunt, gentiles tamen, apud quos iurisdictio et imperium residebat, Christum perpere et inique ad mortem condemnauerunt. – Tractatus quidam levis, ed. Conde Salazar, S. 106. Et sic isti duo populi, quorum totus orbis extabat, erant in diversis et adversis erroribus, et utraque culpabiles in salvatoris passione. Nam licet judaei injuste eum accusaverunt, gentes tamen, apud quos jurisdictio erat et imperium, Ihesum perpere ad mortem condenaverunt. – Breve Reprehensorium, 6, Ms. 23‑7, 6v.

käme, von keiner Schande gezeichnet wäre. Denn es ist offenbar und steht fest, dass Christus für seine Mörder betete.«155

Mit dieser hypothetischen Erwägung geht Lope recht weit auf die antijüdische Dramatisierung der Passion ein, während ja tatsächlich nicht einmal die christ­ lichen Bibeltexte behaupten, Juden hätten Jesus »mit eigener Hand ermordet«. Die Sinnspitze dieser Argumentationsfigur ist die Versicherung, dass selbst die größte überhaupt nur denkbare Schuld unter der Bedingung aufrichtiger Reue und Umkehr kein Hindernis für die Gnade Gottes darstellt – wie viel sicherer ist folglich die göttliche Vergebung den Neubekehrten, die allenfalls eine geringere Schuld trifft. Dann jedoch greift auch Lope die Grundprämisse selbst an, die dem Argument von der ererbten Schuld und der Knechtschaft aller Juden zugrunde liegt: »Und der besagte Beweis kann in keiner Weise allgemein schlagend noch im Einzel­ nen wahr sein, denn wenn aufgrund des von Juden begangenen mörderischen Verbre­ chens gegen Christus ihr ganzes Geschlecht befleckt wäre, müsste es nicht weniger, sondern mehr noch das Geschlecht der Heiden sein; denn es ist wahr, dass Juden Christus mit dem Wort kreuzigten, Heiden jedoch mit der Tat.«156

Abermals zeigt sich, dass die traditionelle Lesart von der historischen Schuld am Tod Christi keineswegs so festgeschrieben war, dass die scholastisch gebilde­ ten Autoren des spanischen Spätmittelalters sie nicht zum Argument für die Verteidigung der Conversos machen konnten – in neuem Licht gedeutet, aber doch Bezug nehmend auf die kirchliche Tradition, die über Gratian bis in die Zeit des iberischen Westgotenreiches zurückreicht.157 Einen leicht anders akzentuierten Zugang zur Frage der Schuld am Tod Christi wählte Juan de Torquemada, indem er statt der Komplementarität jüdi­ scher und römischer moralischer Verantwortung den Gegensatz von jüdischen Gegnern und Anhängern Jesu in den Vordergrund rückt. Im 7. Kapitel seines Traktats, das sich der Widerlegung der gegnerischen Schriftbeweise widmet, legt er dar, dass es zu jedem Zeitpunkt der Geschichte Gerechte und Fromme im Volk Gottes gegeben habe, auch wenn ihnen der Anzahl nach mal mehr, mal weniger Ungläubige und Verworfene gegenüberstanden. Mit Berufung 155

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Immo plus diecemus, quod si aliquis fuisset iudaeus, qui propria manu Christum occidisset, ipse si compunctus corde uere et deuote ad fidem uenisset orthodoxam nulla fuisset infamia notatus, quia apertum et manifestum est Christum pro interfecto­ ribus orasse. – Responsio ad quaesitum, ed. González Rolán/Saquero Suárez-Somonte, S. 158‑159. Et argumentum praedictum nullo modo posset uniuersaliter militare nec distincte esse verum, nam si ob delictum iudaeorum commissum contra mortem Christi totum eo­ rum genus esset maculatum, non minus, immo magis, deberet genus gentilium; nam verum est quod iudaei uerbo Christum crucifixerunt, sed gentiles actu. – Responsio ad quaesitum, ed. González Rolán/Saquero Suárez-Somonte, S. 159. Vgl. Eladio Cortés: Visigodos y judíos: el origen del antijudaísmo en España. In: Mercedes Vidal Tibbitts (Hg.): Studies in Honor of Gilberto Paolini, Newark 1996, S. 1‑9.

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auf den Kirchenvater Augustinus führt er diesen Gedanken auch hinsichtlich der Passion Christi aus und fragt in Anspielung auf die Apostelgeschichte rhetorisch: »Und woher kamen all die Tausenden, die durch die Stimme des Petrus […] bekehrt wurden, so dass sie, die zuerst wütend das Blut Christi vergossen hatten, es nun [als Sakrament] gläubig zu trinken lernten? All jene Tausende aber wurden so bekehrt, dass sie ihre Habe verkauften und den Erlös ihrer Habe den Aposteln zu Füßen legten. Was der eine Reiche nicht tat, als er es aus dem Mund des Herrn hörte und traurig vom Herrn wegging [Mt 19, 22 par], das taten umgehend so viele Tausende Menschen, von deren Händen Christus gekreuzigt worden war.«158

Dem antijüdischen Motiv der kollektiven Schuld der Juden am Tod Christi setzt der Kardinal also eine – ebenfalls auf der neutestamentlichen und patristi­ schen Überlieferung basierende – Erzählung entgegen; die Protagonisten dieses Gegenbildes sind jene Juden, die sich laut der Apostelgeschichte (Apg 2, 37‑42) unmittelbar nach der Pfingstpredigt des Petrus den Jüngern anschlossen. Das Problem einer vermeintlich erblichen Schuld aller Juden löst er also nicht, in­ dem er die Heiden in diesen Zusammenhang mit einbezieht, sondern indem er diejenigen davon ausnimmt, die sich schon nach biblischem Zeugnis reumütig bekehrten und zusammen mit den Aposteln die Urgemeinde bildeten. Die Schlussfolgerung liegt dann auf der Hand, dass die jüdischstämmigen Konvertiten seiner eigenen Tage zwar durchaus mit den Jerusalemer Juden zur Zeit Jesu in einen diachronen Zusammenhang gebracht werden können, freilich aber nur mit jenen, denen aufgrund ihrer Bekehrung alle Schuld verge­ ben wurde. Diese grundsätzlich positive Sicht auf das Leiden Christi, die seine Heilsnotwendigkeit für die Erlösung der Welt betont, begründet auch den mehrfachen Vorwurf an die Rebellen von Toledo, sie würden den Opfertod des Sohnes Gottes seiner universalen Kraft zur Vergebung aller Sünden berauben wollen, indem sie einen Teil der Menschheit von seiner erlösenden Wirkung von vornherein ausnähmen.159 Der Verweis darauf, dass die Mitschuld an der Kreuzigung allenfalls einem Teil und keinesfalls allen Juden angelastet werden könne, findet sich auch gelegentlich in anderen Texten. Jedoch war es das Motiv der Parallelität jü­ discher und heidnischer Schuld, das in den umfangreicheren Traktaten mit einer Fülle von allegorischen Auslegungen und theologischen Deutungen ange­ reichert wurde. So gibt auch Alonso de Oropesa die Leidensgeschichte Jesu unter diesem Gesichtspunkt wieder und stellt jeweils den Anteil gegenüber, 158

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Unde et tot milia ad vocem Petri […] conversi sunt, ut qui primo sanguinem Christi fuderunt saevientes, bibere discerent iam credentes? Sic autem omnia conversa sunt illa milia ut res suas venderent, et pretium rerum suarum ante pedes apostolorum ponerent. Quod dives unus non fecit, quando haec ex ore Domini audivit et a Domino tristis abscessit, hoc fecerunt tot milia hominum subito, in quorum manibus Christus fuerat crucifixus. – Contra Madianitas, 7, ed. del Valle Rodríguez, S. 173. Vgl. Contra Madianitas, ed. del Valle Rodríguez, S. 144-145; 220‑221.

den Juden und Nichtjuden nach dem Bericht der Evangelisten daran hatten. Aufschlussreich für einen Autor, der sich mit Polemik gegen das Judentum an keiner Stelle zurückhält, ist zweifellos die Bereitschaft, mit den nichtjüdischen Antagonisten im Neuen Testament nicht weniger hart ins Gericht zu gehen. Nachdem er so etwa die Misshandlung vor dem Hohen Rat mit der Geißelung durch die römischen Soldaten vergleicht, kommt er zu der abschließenden Einschätzung: »In seiner allerheiligsten Kreuzigung waren alle gleichermaßen zugegen, Heiden wie Juden, und sie übten den Dienst ihrer abscheulichen Taten auf verschiedene Weise so boshaft aus, wie sie nur konnten. So wird es von allen Evangelisten zur Genüge offen berichtet. Das geschah aber, damit er, so wie er litt, um die ganze Welt (die allgemein, wie man sagt, aus diesen beiden Völkern besteht) zu erlösen und in sich zu versöhnen, all das auch von ihnen beiden gemeinsam zugleich ertrage und schließlich gekreuzigt würde […]«160

Damit verleiht das Lumen ad revelationem der Betrachtung der Passion Christi im Diskurs um die iberischen Neuchristen zusätzlich noch einen höheren Sinn. Es geht nicht mehr allein darum, das jüdische Volk von der Alleinschuld am Tod des Erlösers freizusprechen, sondern das Zusammenwirken von Juden und Heiden bei der Passion wird als geradezu heilsnotwendig gedeutet: Da das Kreuzesopfer Christi alle Menschen erlösen sollte, mussten auch Vertreter der gesamten Menschheit daran beteiligt sein, wobei diese Allgemeinheit we­ sentlich dadurch gewährleistet ist, dass Angehörige wie Nicht-Angehörige des Auserwählten Volkes präsent sind. Alonso de Cartagena vertrat den gleichen Gedanken und gab dem Passions­ bericht noch eine weitere geistliche Bedeutung. In der zeitlichen Folge, in der die beiden Gruppen, Juden und Heiden, in der Leidensgeschichte der Evangelien aktiv werden, ist demnach auch allegorisch das Nacheinander ihrer Bekehrung und Erlösung veranschaulicht. »In dieser Weise des Leidens ist seine Wirkung vorausgebildet. Denn das Leiden Chris­ ti bewirkte das Heil zuerst bei den Juden, von denen viele auf den Tod Christi hin getauft wurden. Als zweites jedoch, auf die Predigt der Juden hin, ging die Wirkung des Leidens auf die Heiden über. Daher war es angemessen, dass Christus unter den Juden mit dem Leiden begann, und nachdem er von ihnen ausgeliefert worden war, sein Leiden von Händen der Heiden vollendet wurde, damit, so wie alle an der Schuld Anteil hatten, ebenso alle an dem Verdienst [des Leidens Christi] Anteil erhalten sollten.«161 160

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In cuius sacratissima cucifixione omnes similiter astiterunt, tam gentiles quam Iudei, et utrique ministerium sue exsecrande operationis, quantum eis male licuit, diversimo­ de obtulerunt, sicut ex omnibus evangelistis satis aperte monstratur. Hoc autem ideo factum est ut, sicut pro toto mundo salvando, ac in semetipso pacificando patiebatur, qui in illis duobus populis, ut dictum est, generaliter comprehendebatur, sic ab eisdem simul iunctis, hec omnia perferret, ac ultimo crucifigeretur. – Lumen ad revelationem, 37. In ipso namque modo passionis prefiguratus est effectus ipsius. Primo namque passio Christi effectum salutis habuit in Iudeis quorum plurimi in morte Christi baptizati

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In Betrachtungen wie diesen deuteten die Verteidiger der Conversos die Passi­ on Christi bevorzugt unter den Aspekten der göttlichen Vorsehung und nähern sich dadurch gedanklich ein Stück weit der jüdischen Apologetik an. Diese hatte schon lange vor der eigentlichen Converso-Debatte auf den Widerspruch hingewiesen, der im christlichen Narrativ zwischen der Verdammung der jü­ dischen Ankläger Jesu und deren instrumenteller Rolle im Heilsgeschehen bestand. So fragte etwa Josua ha-Lorqi (der sich später selbst taufen ließ) in einem Brief an den damals jüngst zum Christentum konvertierten Pablo de Santa María: »Und wie können die Christen diesen Tod betrauern und deswegen uns hassen, ja sogar sagen, dass wir infolge dessen in dieser langwährenden Verbannung leben, und dass dieses Vergehen niemals vergeben werden wird? Haben doch diejenigen, die ihn getötet haben, [nach der erwähnten Ansicht] den Willen Gottes erfüllt, und eine grosse Hilfe der Welt geleistet!«162

Ohne sich diesen fundamentalen Zweifel an der christlichen Deutung der Passion Christi gänzlich zu eigenen zu machen, betonen auch die Apologeten der Neuchristen doch immer wieder ihre heilsgeschichtlichen Notwendigkeit, die letztlich nach dem Willen Gottes das Heil aller Menschen zum Ziel hat. Allein der Verweis auf einen göttlichen Heilsplan genügte zwar nicht, die Verantwortlichen für den Tod des Erlösers von aller Schuld freizusprechen, doch indem sie die Rolle von Juden und Heiden in diesem providenziellen historischen Geschehen eng miteinander verschränkten, machten die Autoren klar, dass Verwerfung oder aber die Aussicht auf Vergebung für beide Gruppen gleichermaßen gelten mussten. Auf diese Weise nahmen die Verteidiger der Neuchristen zugleich Motive der antijudaistischen christlichen Tradition auf und integrierten sie in ihre Argumentation zugunsten der iberischen Conver­ sos. 3.2.3 Vergebung – im Himmel wie auf Erden? In der Zusammenschau offenbart der Umgang mit dem Thema Schuld inner­ halb der diskursiven Strategie zur Verteidigung der Conversos bereits eine zen­ trale Ambivalenz, von der bereits kurz die Rede war. Auf der einen Seite steht die theologische Versicherung, dass Schuld und Sünde vor Gott sich nicht von selbst von einer Generation auf die nächste übertragen; folglich auch nicht von jüdischen Eltern auf ihre (christlichen) Kinder. Auf der anderen Seite steht die Relativierung der alleinigen Schuld an der Kreuzigung Jesu, die immer wieder

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sunt. Secundo vero, Iudeis predicantibus, effectus passionis transivit ad gentes. Ideo conveniens fuit, ut Christus in Iudaeis pati inciperet et postea illis tradentibus per manus gentilium eius passio finiretur, ut sic omnes in culpa participarent, sicut in merito participaturi erant. – Defensorium, 2, 3, 4, ed. Alonso, S. 143. Landau: Das apologetische Schreiben, S. 40‑41.

den Juden insgesamt zu Last gelegt worden war und als zentrale Begründungs­ figur für ihre soziale Ausgrenzung oder gar gewaltsame Verfolgung diente. Die Verbindung beider Aussagen ist zwar logisch nicht inkonsistent, bringt jedoch eine gewisse Redundanz und damit auch rhetorische Unschärfe mit sich: Liegt die Betonung darauf, dass Schuld und Sünde nicht erblich sind, legt dies im Bezug auf die jüdischstämmigen Conversos zumindest implizit nahe, dass wenigstens ihre Vorfahren sehr wohl eine besondere Schuld trifft. Wenn umgekehrt zur Verteidigung derselben Neuchristen die jüdische Alleinschuld am Tod Christi bestritten wird, scheint das die Relevanz ihrer Abstammung indirekt zu bestätigen. Die Notwendigkeit beider diskursiver Aussagen ergab sich nicht zuletzt aus den Positionen der Altchristen, die spätestens seit der Re­ bellion von Toledo 1449 (wie hier bereits unter 3.1.3 referiert) offen vertreten wurden. Da deren Argumentation wesentlich auf den zwei (manchmal auch nur impliziten) Annahmen beruhte, das jüdische Volk sei von Gott ein für alle mal verworfen worden und dieser Ausschluss vom Heil übertrage sich sogar auf ihre getauften Nachkommen, sahen die Verteidiger der Neuchristen es auch als notwendig an, beide Thesen zu widerlegen. Auch wenn die Autoren ganz im Bewusstsein schrieben, die reine Lehre der Kirche zu vertreten, stellte die Abwehr der von ihnen als solche denunzierten Irrlehren doch eine gewisse Herausforderung dar. Nicht nur war die theologi­ sche und moralische Abwertung der Juden als Volk wie als religiöse Gemein­ schaft in der mittelalterlichen Tradition fest verankert. Auch die Vorstellung einer von Generation zu Generation vererbten Schuld war, wie eingangs kurz beschrieben, im christlichen Denken durchaus nicht abwegig. Der Grundsatz, dass der Sohn nicht die Sünde des Vaters trägt, bedurfte daher auch im Rah­ men der etablierten kirchlichen Lehre durchaus der Erklärung und Differenzie­ rung. Ein handliches Prinzip der Unterscheidung lieferte hier (wenn auch ur­ sprünglich nicht im direkten Zusammenhang mit der Converso-Frage) der königliche Beichtvater Hernando de Talavera, indem er die ewige Höllenstrafe als individuelle Sündenfolge einerseits von den irdischen Auswirkungen der Vergehen einer Generation auf die nächste trennte. Am Beispiel der Wüsten­ wanderung des Volkes Israel, bei der dem Bericht des Pentateuch nach auch viele persönlich Unschuldige zugrunde gingen, erklärt er: »Durch jenen Tod des Leibes befreite [Gott] sie von der Strafe und dem Tod der Hölle. Er straft und züchtigt die Eltern in den Kindern und in den Enkeln und so weiter hinsichtlich der Dinge dieser Welt, aber er erteilt keinem Strafe im Fegefeuer und noch weniger in der Hölle, es sei denn, wegen seiner eigenen Sünden.«163 163

[…] por aquella muerte del cuerpo […] los libró de la pena y muerte del infierno. Castiga y pena a los padres en los hijos y en los nietos, etc., quanto a las cosas desta vida, mas no da pena a ninguno en el purgatorio, ni menos en el infierno, sino por su pecado proprio. – Loores de san Juan, ed. Parrilla, S. 228.

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Mit einer ähnlichen Logik erklärt auch Gutierre de Palma, dass Unglück und Misserfolg im irdischen Leben grundsätzlich nichts mit dem Schicksal zu tun habe, das einer Seele in der Ewigkeit bevorstehe. Zwar gebe es zuweilen auch eine göttliche Gerechtigkeit auf Erden, diese sei jedoch nicht zu verwechseln mit dem endgültigen göttlichen Gericht und seiner Zuweisung von Lohn und Strafe: »Daher soll es niemanden stören, wenn er sieht, dass die Bösen Wohlstand genießen. Denn es gibt hier [in dieser Welt] keine Vergeltung der Bosheit noch der Tugend. Und wenn es sich doch einmal trifft, dass es irgendeine Vergeltung von Bosheit und Tugend gibt, so doch nicht nach dem, was recht ist, sondern einfach wie ein gewisser Vorge­ schmack der Rechtfertigung oder des Gerichts, damit dadurch die belehrt werden, die nicht an die Auferstehung glauben.«164

Die Versicherung, dass die Härten und Ungerechtigkeiten des zeitlichen Schicksals den Menschen nicht von der ewigen Seligkeit trennen, mochte für manche angefeindeten und verfolgten Neuchristen ein Trost sein. Doch die Unterscheidung von irdischem Wohl und himmlischem Heil eröffnete auch entsprechend motivierten Altchristen eine Möglichkeit, trotz ihrer theologisch schwachen Position auf der Ausgrenzung und Herabsetzung der Conversos zu beharren. Wie auch der spätere Verlauf der Kontroverse vor allem ab der zweiten Hälfte des 16. Jahrhunderts zeigt, wurden die sogenannten Statuten der Blutreinheit im Zweifelsfall als einzelne Ausnahme von der allgemeinen lehramtlichen Regel gerechtfertigt, die dem besonderen Prestige der jeweiligen Institution geschuldet war, dem frommen Wunsch eines Stifters oder der mo­ mentanen Gefahr durch judaisierende Häretiker.165 So verteidigte ein gewisser Bruder Juan de Corrales laut der Chronik des Hieronymitenordens bereits das ursprüngliche Statut gegen die Neuchristen: »Sein Gedanke war und ist, diejenigen, die sich von den Juden bekehrt haben, nicht in unsere Gemeinschaft aufzunehmen; nicht weil sie aus diesem Volk sind, sondern aus anderen tausend schwerwiegenden und dringenden Gründen: der erste davon, wie es in dem Schreiben ausgedrückt ist, weil zu uns jene fliehen, die das Heilige Offizium der Inquisition für ihre abscheulichen Schandtaten und Verbrechen der Häresie und des Unglaubens bestrafen will […].«166

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Idcirco nemo, videns malignos prosperitate gaudere, turbetur. Non enim est hic retribu­ tio malignitatis nec virtutis. Ac si aliquando contingeret, ut aliqua sit retributio vel malitiae et virtutis, non tamen secundum quod dignum est, sed simplice veluti quidam gustus vel iustitiae vel iudicii, ut qui resurrectionem non credunt, talibus doceantur. – Breve reprehensorium, 10, Ms. 23-7, 13r. Vgl. Sicroff: Les controverses, S. 205‑207. Su pensamiento, fue y es, que no se reciban a nuestra compañia los que son de los Iudios conuertidos, no porque son de tal nacion, sino por otras mil razones graues y vrgentes. La primera, y la que se expresso en el rotulo, porque se vienen huyendo a nosotros los que el Santo Oficio de la Inquisicion quiere castigar por sus maldades y delitos atrozes de heregia y infidelidad […] – Historia de la Orden de San Jerónimo, 3, 1, 8, ed. García López, S. 36.

Da die Gleichheit aller Christen vor Gott hinsichtlich ihrer Chancen auf des ewige Seelenheil anhand einer jüdischen Abstammung nicht infrage zu stellen war, beschränkten die Gegner der Conversos sich bald darauf, die Opportuni­ tät der konkreten Gleichstellung in weltlichen Fragen von Ämtern, Rechten und Benefizien zu bestreiten. Die konkrete Gefahr, die auch nur von einzel­ nen Kryptojuden ausging, legitimierte ihrer Meinung nach den pauschalen Ausschluss aller Neuchristen von wichtigen Positionen und Würden. Zuge­ spitzt gesagt, mochten aus der Sicht jener Altchristen die Conversos nach Got­ tes Ratschluss ruhig in den Himmel kommen, solange sie nicht dem eigenen Domkapitel oder Universitätskolleg, der eigenen Laienbruderschaft oder Abtei beitraten und überhaupt davon absahen, Reichtum und Einfluss zu erwerben. Erst vor diesem Hintergrund gewann der spezielle zeitgebundene Diskurs um Schuld und Unschuld wirklich an Bedeutung, nämlich die (bis heute) sehr unterschiedlich beantwortete Frage, wie verbreitet kryptojüdische Einstel­ lungen und Praktiken unter den iberischen Neuchristen tatsächlich waren. Im Gegensatz zur denunziatorischen und skandalisierenden Taktik der Altchristen thematisierten die Verteidiger der Conversos die mutmaßliche Inzidenz des Judaisierens eher wenig. Mehrere von ihnen räumen ein, dass es unter den jüdischstämmigen Christen wohl einige gebe, die noch teilweise dem Glauben ihrer Vorfahren anhingen, dies jedoch nur in sehr wenigen Fällen und selbst dann mehr aus Mangel an profunder christlicher Unterweisung als aus bösem Willen.167 Ihre durchgehende Strategie bestand nicht darin, das Vorkommen religiöser Devianz unter den Neuchristen kategorisch abzustreiten, sondern vielmehr im Insistieren auf dem Grundsatz, dass solche bedauerlichen Ausnah­ men auf keinen Fall allen Conversos zur Last gelegt werden dürften. Dieser Unterschied in der argumentativen Taktik prägte den Diskurs auch über die Frage von Sünde und Schuld hinaus nachhaltig, insofern die Gegner der Conversos ihre Beweisführung tendenziell mehr situativ und praktisch anlegten, ihre Verteidiger dagegen generell eher theoretisch und grundsätzlich. Dieser Bevorzugung der prinzipiellen Ebene entspricht in der Bildung des diskursiven Begriffs der Schuld auch der Verweis auf das Sakrament der Taufe, das nach ältester Überzeugung der Kirche alle früheren Sünden zusammen mit dem Makel der Erbschuld tilgt und zugleich ihrem soteriologischen Ursprung nach eng mit dem Opfertod Christi verbunden war. Diesen gedanklichen Zu­ sammenhang zwischen dem heilsnotwendigen Leiden Christi und dem Taufsa­ krament (wie auch dem Altarsakrament) stellt etwa Hernando de Talavera ausdrücklich her:

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Vgl. u.a. Fernán Díaz de Toledo: Instrucción, ed. González Rolán/Saquero Suárez-Somon­ te, S. 96‑87 und S. 109; Juan de Torquemada: Contra Madianitas, 12, ed. del Valle Ro­ dríguez, S. 192; Hernando de Talavera: Católica impugnación, 8, ed. Martín Hernández, S. 26; Fernando de Pulgar: Letra inédita, ed. de Mata Carriazo, S. XLIX‑LI.

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»Doch das allerheiligste Messopfer und die anderen Opfer und Gottesdienste des heili­ gen Evangeliums, sie alle bezeichnen unmittelbar das Leiden, den Tod und die Aufer­ stehung Jesu Christi, unseres Herrn. […] Und der heilige Apostel Paulus [sagt], dass die heilige Taufe Bildnis des Todes und Begräbnisses unseres Herrn Jesus Christus ist [Röm 6, 3‑4].«168

Diese kirchliche Lehre über die Taufe und die damit verbundene Heilsgewiss­ heit war für die diskursive Strategie zugunsten der Conversos nicht nur hin­ sichtlich der Thematik von Schuld und Vergebung fundamental, sondern infor­ mierte auch maßgeblich die Aussagen rund um die weiteren zentralen diskursi­ ven Begriffe: Die Taufe war der Weg, auf dem die geistliche Kindschaft den Platz leiblicher Abstammung einnahm, das Werkzeug, mit dem der göttliche Wille aus den zuvor getrennten Völkern ein einziges Gottesvolk machte und es in ungeteilter Eintracht verband. Im Rahmen dieser Studie wird daher an vor allem zum Thema der christlichen Einheit noch einmal auf die diskursiven Aussagen zum Taufsakrament einzugehen sein.

3.3 Geburt: Leibliches und geistliches Erbe Die Frage der Erblichkeit von Schuld und Sünde verweist inhärent bereits auf eine weitere zentrale Gruppe von Aussagen rund um das Thema Abstammung. Besonders in einem Zeitalter, in dem Zusammenhänge der Herkunft und Vererbung, Identität und Status oft im Horizont von Genealogien im Sinne familiärer Verwandtschaft gedacht wurden, rückt hier der Begriff der Geburt in den Vordergrund. Dabei ist zu beachten, dass gerade solche Wendungen wie linaje im Spanischen oder generatio im Mittellateinischen eine sehr weite Bedeu­ tung hatten und sowohl eine Familie als auch eine ganze ethnische Gruppe meinen konnten. Es ist im Rahmen dieser Studie nicht möglich, einen vollstän­ digen Überblick über die Fülle von sozial und religiös relevanten Traditionen, Überzeugungen und Strukturen in diesem Zusammenhang zu geben, doch zumindest die wichtigsten Punkte für den Diskurs um die Conversos sollen hier kurz genannt werden. Wie im übrigen Europa der Vormoderne hing auch in den christlichen Reichen der Iberischen Halbinsel der soziale und rechtliche Status des Einzel­ nen maßgeblich von der Stellung der Familie ab, in die er geboren wurde. Vor allem adlige Dynastien pflegten spätestens seit dem Hochmittelalter die Erinnerung an eine Reihe illustrer Ahnen, um ihre privilegierte Position zu

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Mas el santísimo sacrificio de la misa con los otros sacrificios y ceremonias de santo Evangelio, todos significan inmediate la pasión, muerte y resurrección de Jesucristo, nuestro Señor. […] y el apóstol san Pablo: que el santo bautismo es figurado de la muerte y sepultura de nuestro Señor Jesucristo. – Católica impugnación, 12, ed. Martín Hernández, S. 34.

begründen169 – der Anspruch verbürgter Historizität konnte dabei durchaus hinter einem eher fabelhaften Narrativ zurücktreten.170 Etymologisch verwei­ sen insbesondere die Ränge des spanischen Landadels hidalgo und infanzón auf den Zusammenhang zwischen Geburt und Status: der Träger eines Adelsti­ tels war buchstäblich Sohn (hijo) oder Kind (infante) seiner adligen Eltern.171 Möglicherweise spielte hier auch der Einfluss des arabischen Sprachgebrauchs eine Rolle, der jemanden in verschiedenen Kontexten als Sohn von etwas oder jemandem qualifizierte.172 Das Distinktionsbedürfnis der alten adligen Familien, aber auch das philoso­ phische Interesse an der Legitimation der ständischen Gesellschaft nahm im spanischen Spätmittelalter auch durch das rasche Anwachsen des Adelsstandes zu. Königliche Privilegien für militärische oder administrative Verdienste, die unter anderem in der Folge der Usurpation Heinrichs II. großzügig gewährt wurden, aber auch schlichte Fälschungen und Anmaßungen vermehrten die Anzahl von Familien, die sich auf eine vornehme Herkunft beriefen, erheb­ lich.173 Gegen eine neue Schicht von geadelten königlichen Funktionsträgern setzten sich selbstbewusst die älteren führenden Adelshäuser ab, aber auch 169

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Vgl. u.a. Eduardo Pardo de Guevara y Valdéz: Presencia de la materia genealógica en la literatura histórica medieval. La conformación de un género histórico. In: Soto Rábanos (Hg.): Pensamiento medieval hispano. Bd. 1, S. 393‑403; Isabel Beceiro Pita: La concien­ cia de los antepasados y la gloria del linaje en la Castilla bajomedieval. In: Reyna Pastor (Hg.): Relaciones de poder, de producción y parentesco en la Edad Media y Moderna: aproximación a su estudio, Madrid 1990, S. 329‑349; Gabrielle M. Spiegel: Genealogy: Form and Function in Medieval Historical Narrative. In: History and Theory 22 (1983), S. 43‑53. Vgl. Beate Kellner: Ursprung und Kontinuität. Studien zum genealogischen Wissen im Mit­ telalter, München 2004, S. 412‑415; Gerd Althoff: Genealogische und andere Fiktionen in mittelalterlicher Historiographie. In: Fälschungen im Mittelalter. Internationaler Kongreß der Monumenta Germaniae Historica, Hannover 1988, S. 417‑441; Horst Fuhrmann: Die Fälschungen im Mittelalter. Überlegungen zum mittelalterlichen Wahrheitsbegriff. In: His­ torische Zeitschrift 197 (1963), S. 529‑554; Gudrun Tscherpel: The Importance of Being Noble. Genealogie im Alltag des englischen Hochadels in Spätmittelalter und Früher Neuzeit, Husum 2004, S. 15‑28. Vgl. José R. Díaz de Durana: Los difusos contornos de la hidalguía en Castilla a finales de la Edad Media. In: Arsenio F. Dacosta Martínez u.a. (Hgg.): Hidalgos e hidalguía en la península ibérica (siglos XII-XV), Madrid 2018, S. 243-265. Castro: España en su historia, S. 71‑77. Vgl. Suárez Fernández: Monarquía hispana, S. 65‑82; Marie-Claude Gerbet: Les noblesses espagnoles au Moyen Âge. XI.-XV. siècle, Paris 1994, S. 99‑120; Canessa de Sanguinetti: El bien nacer, S. 38‑52; Ludwig Vones: Geschichte der Iberischen Halbinsel im Mittelalter, Sigmaringen 1993, S. 205; Isabel Beceiro Pita: Los cambios en el discurso político de la nobleza castellana durante la baja Edad Media. In: Cahiers d’études romanes 4 (2000), S. 45‑62; Salvador de Moxó: De la nobleza vieja a la nobleza nueva. La transformación nobiliaria castellana en la baja edad media. In: Cuadernos de historia 3 (1969), S. 1‑210; María C. Quintanilla Raso: El engrandecimiento nobiliario en la Corona de Castilla. Las claves del proceso a finales de la Edad Media. In: dies. (Hg.): Títulos, grandes del reino y grandeza en la sociedad política. Fundamentos en la Castilla medieval, Madrid 2006, S. 17‑100.

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ganze baskische Landstriche, die der landläufigen Meinung nach ausschließlich von Edelleuten bewohnt wurden.174 Auch für die Trastámara-Dynastie, die seit 1369 Kastilien, seit 1412 Aragon und zwischenzeitlich auch Navarra beherrschte, blieb das Thema Geburt auf­ grund ihrer unehelichen Abstammung von Alfons XI. (1311‑1350) ein heikler Punkt. In einem Brief an den König von Portugal erklärte Fernando de Pulgar ihren Vorrang vor der gesetzlichen Erbfolge mit nichts Geringerem als dem unerfindlichen Willen Gottes: »Von Rechts wegen gehörten die Reiche Kastiliens den Söhnen König Peters, doch sehen wir, dass kraft des verborgenen Urteils Gottes heute die Nachkommen seines Bruders König Heinrich [II.] sie besitzen, obwohl dieser ein Bastard war.«175

Alonso de Cartagena wiederum widmete das umfangreiche (auch unter dem Ti­ tel Anacephaleosis bekannte) Werk Liber genealogiae regum Hispaniae der dynasti­ schen Legitimation der Herrscherfamilie.176 Die durch Aufbau und Darstellung bis hinein in die Bebilderung scheinbar bruchlose Reihe gekrönter Häupter von den westgotischen Königen Atanarich und Alarich bis zu Johann II. und Heinrich IV. von Kastilien suggeriert dabei eine ideelle Kontinuität, mit der die faktischen genealogischen und politischen Brüche überdeckt werden. Auf die gleiche Nachfrage nach literarisch aufbereiteten Stammbäumen antwortete un­ ter anderen auch Diego de Valera mit seiner Genealogia de los reyes de Francia.177 Die scholastische und humanistische Rezeption der aristotelischen Philoso­ phie betonte auf der anderen Seite mit dem Konzept des Tugendadels eine moralische Dimension des adligen Standes.178 Auch manche Teilnehmer am Diskurs um die Neuchristen trugen mit Adelsspiegeln und Traktaten über den Ritterstand zur Diskussion um die rechtlichen und ideellen Aspekte des 174

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Vgl. Jon Arrieta Alberdi: Nobles, libres e iguales, pero mercaderes, ferrones... y frailes: en torno a la historiografía sobre la hidalguía universal. In: Anuario de historia del derecho español 84 (2014), S. 799‑842; Pedro J. Chacón Delgado: La metáfora de la limpieza de sangre en el origen del nacionalismo vasco. In: Francois Godicheau und Pablo Sánchez León (Hgg.): Palabras que atan. Metáforas y conceptos del vínculo social en la história moderna y contemporánea, Madrid 2015, S. 245‑271. De derecho claro pertenescían los reynos de Castilla á los fijos del rey don Pedro; pero veemos que por virtud del juicio del Dios oculto lo poseen hoy los descendientes del rey don Enrique su hermano, aunque bastardo. – Fernando de Pulgar: Para el rey de Portugal, ed. Domínguez Bordona: Letras, S. 45. Vgl. Palacios Martín: El libro de la genealogía sowie Rober Folger:The Anacephaleosis (1456) of Alfonso de Cartagena: How to Digest Chronicles. In: Helmut Zedelmaier, Martin Mulsow (Hgg.): Die Praktiken der Gelehrsamkeit in der frühen Neuzeit, Tübingen 2001, S. 31‑49; Robert B. Tate: The Anacephaleosis of Alfonso García de Santa María. Bishop of Burgos, 1435-1456. In: Pierce (Hg.): Hispanic Studies, S. 386‑406; Fernández Gallardo: Alonso de Cartagena (1385-1456), S. 287. Vgl. Moya García: La producción historiográfica, S. 152‑153. Vgl. Béatrice Perez: Une noblesse en débat au XVe siècle: sang, honneur, vertu. In: Raphaël Carrasco u.a. (Hgg.): La pureté de sang en Espagne. Du linage à la »race«, Paris 2011, S. 95‑112.

Adelsbegriffs bei.179 Gerade in Kastilien verbanden sich die beiden Kategorien von sittlicher Integrität und hoher Geburt allerdings auf folgenreiche Weise: Als Ursache des niederen Status der Bauern wurde ihre ererbte Sündhaftigkeit gesehen, die den Landarbeiter (lateinisch: villanus) wie auch in anderen romani­ schen Sprachen etymologisch zum Schurken (spanisch: villano) machte.180 Möglicherweise auch als Teil einer (unbewussten) Reaktion darauf gewan­ nen Fragen von Abstammung und Status ebenso unter den einfachen Leuten eine immer größere Bedeutung. In der historischen Situation massenhafter jüdischer Konversionen zum Christentum hatte dieses Verlangen nach einer Aufwertung der eigenen Geburt allerdings fatale Folgen. Die Berufung auf eine wenn nicht adlige, so doch vermeintlich »rein christliche« Abstammung wurde sozusagen ersatzweise zum Merkmal der Auszeichnung.181 In dem Maße, wie die bisherige kollektive christliche Identität, die allen Ständen gemeinsam war und sich traditionell auf das Glaubensbekenntnis gründete, durch den Einschluss der früheren Außenseiter destabilisiert wurde, kam eine neue, genea­ logische Form der Identitätsbestimmung umso stärker zur Geltung.182 Auch für die jüdische religiöse und soziale Identität spielte die leibliche Geburt seit jeher eine konstitutive Rolle und begründete zuallererst die Zuge­ hörigkeit zum Judentum selbst.183 Dass die familiäre Abstammung gleichwohl nicht das allein entscheidende Kriterium war, zeigten im 15. Jahrhundert die Kontroversen, die unter den spanischen Rabbinern geführt wurden. Uneinig­ keit bestand etwa in der Frage, ob die männlichen Nachfahren der Konvertiten zum Christentum ab der dritten Generation noch als Juden gelten konnten, solange an ihnen der Ritus der Beschneidung nicht vollzogen worden war.184 Die grundsätzliche Teilhabe, aber ebenso die hierarchisch qualifizierte Stellung innerhalb der Gemeinschaft hatte auch im iberischen Judentum eine genealo­ gische Dimension, etwa was das Rabbinat anging, das oft mit bestimmten 179

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Vgl. u.a. Michael F. Peters: Virtue, Nobility, and the Public Good: »de vera nobilitate« and Spanish Humanism in Diego de Valera’s Espejo de verdadera nobleza. In: Lemir 24 (2020), S. 309‑330; Noel Fallows: Tratados militares, Madrid 2006; ders.: The Chivalric Vision; Cristina Moya García: El Doctrinal de príncipes y la Valeriana: didactismo y ejemplaridad en la obra de mosén Diego de Valera. In: Memorabilia 13 (2011), S. 231‑243; Miguel Á. Pérez Priego: El »Doctrinal de príncipes« de Diego de Valera. In: Antonio Chas Aguión, Cleofé Tato (Hgg.): »Siempre soy quien ser solía«. Estudios de literatura española medieval en homenaje a Carmen Parrilla, La Coruña 2009, S. 241‑252. Vgl. Rucquoi: Mancilla y limpieza, S. 125‑127. Vgl. Sicroff: Los estatutos, S. 36f.; Walz: Antisemitismus, S. 739; Windler: Religiöse Minder­ heiten, S. 110; Rosenstock: Against the Pagans, S. 120. Vgl. Nirenberg: Mass Conversion and Genealogical Mentalities: Jews and Christians in Fifteenth-Century Spain. In: Past and Present 174 (2002), S. 10; Benveniste: Crossing the Frontier, S. 449‑451. Vgl. u.a. Jean-Christophe Attias: Du thème du lignage dans le judaïsme en général, et dans le judaïsme sépharadeen particulier. In: Carrasco u.a. (Hgg.): La pureté de sang en Espagne, S. 37‑48. Vgl. Orfali: La cuestión de la identidad.

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Familien verbunden war.185 Die Vorstellung, die Alonso de Cartagena und Diego de Valera ausformulieren, dass solche alten Geburtsrechte beim Wechsel des religiösen Bekenntnisses in gewisser Weise erhalten blieben, findet sich bereits bei Pablo de Santa María (vormals Salomo ha-Levi), der sich auch als christlicher Priester und Bischof weiterhin in der Nachfolge des israelitischen Stammes Levi sah.186 Soziale Unterschiede in Analogie zur christlichen Feudal­ gesellschaft scheint auch der Biograph Fernán Pérez de Guzmán innerhalb der jüdischen Gemeinschaft vorauszusetzen, wenn er seine Biographie über Pablo de Santa María folgendermaßen beginnt: »Don Pablo, Bischof von Burgos, war ein großer Gelehrter und beherzter Mann der Weisheit. Er stammte aus Burgos und war Hebräer von hoher Geburt aus jener Nati­ on.«187

Bei den gelehrten Verteidigern der Conversos resultierte die große Bedeutung, die der leiblichen Geburt allgemein zuerkannt wurde, in einer ambivalenten Rhetorik. Neben den diskursiven Aussagen, die sich rundheraus gegen eine genealogische Kausalität in religiösen Dingen wenden, gibt es auch die Bemü­ hung, die jüdische Abstammung als solche positiv zu rekonstruieren. Für die Autoren stellte dies freilich nicht unbedingt einen Widerspruch dar. Aus ihrer Sicht irrten die Gegner der Neuchristen in doppelter Hinsicht, wenn sie einer­ seits einen Zusammenhang von leiblicher Abstammung und göttlicher Gnade annahmen und andererseits die jüdische Abstammung pauschal schmähten. Das potenzielle Dilemma versuchten die Autoren oft zu lösen, indem sie ihre Beweisführung zwar an das genealogische Paradigma anlehnten, dieses aber auf eine geistliche Ebene transzendierten. Der Versuch, gegenüber der immer stärkeren Relevanz des leiblichen Erbes die christliche Tradition einer Kindschaft im Geiste zu betonen, war dabei mehr als ein Zugeständnis an die wachsende genealogische Obsession der iberi­ schen Gesellschaft. Das Denkmuster der Abstammung spielte auch unabhängig davon seit jeher eine große Rolle in verschiedenen geistigen und geistlichen Zusammenhängen:188 Geistliche (und zuweilen sogar weltliche) Herren titulier­ 185

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Vgl. Nirenberg: Mass Conversion, S. 7; Linda E. Mitchell: Family Life in the Middle Ages, Westport 2007, S. 79‑92; Robert Bonfil: Men of Knowledge and Power: A Tentative Profile of Medieval Rabbis. In: Walter Homolka und Heinz-Günther Schöttler (Hgg.): Rabbi-Pas­ tor-Priest: Their Roles and Profiles Through the Ages, Berlin 2013, S. 55‑66. Vgl. Stuczynski: Apologetics, S. 157; Szpiech: A Father’s Bequest, S. 195‑196. Don Pablo, obispo de Burgos, fue un grant sabio e valiente onbre en çiençia. Fue natural de Burgos e fue ebreo, de grant linaje de aquella naçión. – Generaciones y semblanzas, ed. Barrio, S. 141. Vgl. Kilian Heck und Bernhard Jahn: Einleitung: Genealogie in Mittelalter und Früher Neu­ zeit. Leistungen und Aporien einer Denkform. In: dies. (Hgg.): Genealogie als Denkform in Mittelalter und Früher Neuzeit, Tübingen 2000, S. 1‑12; Arnold Angenendt: Der eine Adam und die vielen Stammväter. Idee und wirklichkeit der Origo gentis im Mittelalter. In: Peter Wunderli (Hg.): Herkunft und Ursprung, Sigmaringen 1993, S. 27f.; Howard Bloch: Genealogy as a Medieval Mental Structure and Textual Form. In: Hans Ulrich

ten die ihnen Untergebenen als Söhne und Töchter und beanspruchten vom einfachen Padre bis hin zum »Heiligen Vater« patriarchale Autorität.189 Wer feierlich die Verantwortung für die Glaubenserziehung eines Täuflings über­ nahm, wurde diesem zum patrinus, zum geistlichen Vater.190 Die Abteien der Zisterzienser und Prämonstratenser, teilweise auch der Benediktiner und ande­ rer Orden standen in einer Linie der filiatio (Kindschaft) entsprechend ihrer Gründung durch das jeweilige Mutterhaus.191 Die (vermeintliche) Verwandt­ schaft von Sprachen und Völkern wurde ebenso gerne anhand des Ordnungs­ prinzips eines Stammbaums illustriert wie das scholastische System logischer Deduktionen oder die Binnengliederung der Wissenschaften etwa bei dem mallorquinischen Ordensmann und Philosophen Ramón Llull.192 Die Logik der Abstammung konnte spirituelle Zusammenhänge illustrieren, wie etwa in einem Traktat über das Gebet, in dem Alonso de Cartagena die oración als junges Mädchen beschreibt, deren Wert als Braut sich an erster Stelle an ihrer familiären Herkunft (linaje) bemisst: »Was diese Abstammung angeht, ist [die Tugend des Gebets] nämlich eine Tochter der Religion und eine Enkelin der Gerechtigkeit und stammt von allen drei theologischen Tugenden [Glaube, Hoffnung und Liebe] ab. Sie ist nämlich der innere Vollzug der Religion, die die erstgeborene Tochter der Gerechtigkeit ist, gemäß dem, was Ihr über sie gehört habt.«193

Auch was die Bedeutung von Namen und Begriffen angeht, erörterten spät­ mittelalterliche Autoren gerne die vermutete Herkunft eines Wortes, die für dessen wahren Sinn bürgte. Dem Vorbild Isidors von Sevilla (ca. 560-636) und

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Gumbrecht u.a. (Hgg.): La littérature historiographique des origines à 1500, Bd. 1, Heidelberg 1986, S. 135‑156. Vgl. Verena Feldhans: Wieso heißt der Papst eigentlich »Papst«? Die Rechtspositionen des Papstes und die Sicherung der Amtskontinuität. In: Theologie der Gegenwart 48 (2005), S. 290-296; Martin Mayerhofer: Die geistliche Vaterschaft des Priesters in patristischen und mittelalterlichen Pauluskommentaren. In: Forum Katholische Theologie 36 (2020), S. 81‑100; Emilio Cela Heffel: La construcción de la imagen filial como herramienta de poder en la correspondencia entre don Juan Manuel y Jaime II de Aragón. In: Fundación para la Historia de España 12 (2015), S. 123-132; Vgl. Bernhard Jussen: Le parrainage à la fin du Moyen Age. Savoir public, attentes théologi­ ques et usages sociaux. In: Annales. Histoire, Sciences Sociales 47 (1992), S. 467‑502. Vgl. u.a. Jörg Oberste: Constitution in progress: der Zisterzienserorden und das System der »Carta caritatis«. In: Georg Mölich u.a. (Hgg.): Die Zisterzienser im Mittelalter, Köln 2017, S. 31-44; Kellner: Ursprung und Kontinuität, S. 30. Vgl. Jörg J. Berns: Baumsprache und Sprachbaum. Baumikonographie als topologischer Komplex zwischen 13. und 17. Jahrhundert. Kilian Heck und Bernhard Jahn (Hgg.): Genealogie als Denkform in Mittelalter und Früher Neuzeit, Tübingen 2000, S. 157‑161; Thomas Macho: Stammbäume, Freiheitsbäume und Geniereligion. Anmerkungen zur Ge­ schichte genealogischer Systeme. In: Sigrid Weigel (Hg.): Genealogie und Genetik. Schnitt­ stellen zwischen Biologie und Kulturgeschichte, Berlin 2002, S. 19‑25. Ca quanto al linaje es fija de la rreligion e nieta de la justiçia e desçendiente de todas tres theologales virtudes. Ca ella es acto interior de la rreligion que es primogenita fija de la justiçia segund que de suso oyestes. – ebd.

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seinem Hauptwerk mit dem bezeichnenden Titel Etymologiae folgend,194 erklär­ ten Fernando de Pulgar, Alonso de Cartagena und andere Gelehrte so zum Bei­ spiel den Namen Spaniens im Rekurs auf den heros eponymos »Hispanus« oder alternativ auf den Abendstern Hesperus, nach dem sich die griechischen Seeleu­ te orientierten, wenn sie die westlichen Gefilde ansteuerten.195 Die Beliebtheit von Herleitungen wie dieser rührt daher, dass sie den Signifikanten eines Be­ griffs niemals als arbiträr ansieht, sondern seine wahre Bedeutung in seiner Ab­ stammung sucht, die auch hier als essenziell gilt – auch und vor allem, wo es um die Herkunft von Dynastien, Völkern und Reichen ging.196 3.3.1 Der Stammbaum Jesu (Mt 1, Lk 3) Ein naheliegendes Argument, um die Gleichberechtigung der aus dem Juden­ tum konvertierten Christen zu verteidigen, war der Verweis auf zahllose bib­ lische und historische Heilige jüdischer Herkunft. Auch die Gegner der Neu­ christen würden schließlich nicht so weit gehen, der Gottesmutter Maria, dem Apostelfürsten Petrus oder auch nur einem Papst Evaristus die Heiligkeit auf­ grund ihrer Herkunft aus dem Judentum abzuerkennen. Die Schlussfolgerung lag also auf der Hand, dass ein jüdischer Stammbaum als solcher kein Kriteri­ um gegen die Integrität eines gläubigen Christen darstellen konnte. Eine besondere Rolle spielt in diesem Zusammenhang die leibliche Geburt Jesu, wie sie insbesondere in den Evangelien nach Matthäus und Lukas thema­ tisiert wird. Changierend zwischen der naheliegenden Analogie zur jüdischen Abstammung der Conversos und einem Verständnis von Kindschaft, das mehr geistlich als leiblich gedacht wurde (dazu später mehr) wurde der Stammbaum Christi zu einem zentralem locus theologicus im Diskurs um die iberischen Neuchristen. Selbstverständlich hatte sich die mittelalterliche Theologie auch schon früher und außerhalb der Iberischen Halbinsel mit der jüdischen Ab­ 194

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Hispania prius ab Ibero amne Iberia nuncupata, postea ab Hispalo Hispania cognomi­ nata est. Ipsa est et vera Hesperia, ab Hespero stella occidentali dicta. – Etymologiae, 14, 4, 28. Vgl. dazu auch Jacques Fontaine: Isidore philosophe? In: Soto Rábanos (Hg.): Pensamiento medieval hispano. Bd. 2, S. 915‑929. Vgl. Alonso de Cartagena: Liber genealogiae, 2, ed. Palacios Martín, S. 222; Fernando de Pulgar: Coplas de Mingo Revulgo, ed. Domínguez Bordona, S. 216. Vgl. Michel Foucault: Die Ordnung der Dinge, Frankfurt 1974 (Original: Paris 1966), S. 66‑67; Althoff: Genealogische und andere Fiktionen, S. 420f.; Kellner: Ursprung und Kon­ tinuität, S. 33‑42; Gert Melville: Vorfahren und Vorgänger. Spätmittelalterliche Genealogien als dynastische Legitimation zur Herrschaft. In: Peter-Johannes Schuler (Hg.): Die Familie als sozialer und historischer Verband. Untersuchungen zum Spätmittelalter und zur frühen Neuzeit, Sigmaringen 1987, S. 301f.; Bloch: Genealogy, S. 142‑143; Klaus Grub­ müller: Etymologie als Schlüssel zur Welt? Bemerkungen zur Sprachtheorie des Mittelalters. In: Hans Fromm u.a. (Hgg.): Verbum et Signum, Festschrift für Friedrich Ohly zum 60. Geburtstag, Bd. 1: Beiträge zur mediävistischen Bedeutungsforschung, München 1975, S. 209‑230.

stammung Jesu befasst. Gleichwohl konstituiert ihre Thematisierung vor dem Hintergrund der Anfeindungen gegen die Neuchristen, die es so vorher nie ge­ geben hatte, einen völlig neuen Aussagetypus. Wenn etwa Thomas von Aquin erklärte, warum die Evangelien Jesus »auf besondere Weise Sohn der zwei altertümlicher Väter« (specialiter duorum antiquorum patrum filius) Abraham und David nennen, dann ging es ihm um den Nachweis, dass sich darin die göttlichen Verheißungen an jene Vorfahren erfüllt hätten.197 Wenn laut Rupert von Deutz der Stammbaum Jesu jüdische und heidnische Vorfahren aufwies, dann nicht als Bild einer späteren Einheit, sondern, »damit sich das fleischliche Israel nicht rühmen kann« (ut non glorietur carnalis Israel), den Erlöser allein hervorgebracht zu haben.198 Dagegen hatte bereits der valencianische Prediger Vicente Ferrer, der gewiss ebenfalls nicht im Verdacht übermäßiger Freundschaft zum Judentum stand, die jüdische Abstammung Jesu Christi und der Gottesmutter Maria herangezo­ gen, um die Konvertiten seiner Zeit gegen genealogisch motivierte Vorurteile in Schutz zu nehmen.199 Eine heute verlorene Schrift des Konvertiten Pablo de Santa María mit dem Titel De generatione Iesu Christi lässt zumindest vermuten, dass die genealogische Nähe zum Erlöser auch im Denken der Conversos selbst schon früh eine gewisse Rolle spielte.200 Auf sie spielt möglicherweise Diego de Valera an, wenn er die Herkunft Christi als Beleg dafür anführt, dass es im jüdischen Volk neben dem politischen Adelsstand und dem natürlichen Tugendadel selbstverständlich auch einen Adel im theologischen Sinn gegeben habe: »Denn wenn wir den theologischen Adel betrachten – In welcher Nation ließen sich mehr Adlige finden als in der [Nation] der Juden, in der alle Propheten waren, alle Patriarchen und heiligen Väter, alle Apostel und schließlich unsere selige Herrin, die heilige Maria und ihr gepriesener Sohn, wahrer Gott und Mensch, unser Erlöser, der diese Abstammung für sich wählte als die edelste? So erscheint es im Buch des Stammbaumes Jesu Christi.«201

Auch die früheste bekannte Petition an den Heiligen Stuhl im Namen der Neuchristen von Katalonien und Valencia fasst deren Beschwerden zusammen, indem sie auf ihre Verwandtschaft mit dem Erlöser selbst verweist: 197 198 199

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Vgl. Thomas von Aquin: Summa theologiae, 3, 31, 2. Vgl. Rupert von Deutz: De divinis officiis, 3, 18. Vgl. Iannuzzi: El poder de la palabra, S. 309‑311; José María Millás Vallicrosa: San Vicen­ te Ferrer y el antisemitismo. In: Sefarad 10 (1950), S. 184; Browe: Die kirchenrechtliche Stellung, S. 13. Vgl. Barrio: Generaciones, S. 142. Pues si a la theologal nobleza avemos respecto, ¿en qual nacion mas nobles fallar se pueden que en la de los judios, en la qual fueron todos los profectas, todos los patriarcas e santos padres, todos los apostoles, e finalmente nuestra bienaventurada senora santa Maria e el su bendicto Fijo, Dios e onbre verdadero, nuestro Redentor, el qual este linaje escogio para si por el mas noble – lo qual paresce por el Libro de la generacion de Jesucristo […] ? – Espejo, 9, ed. Accorsi, S. 325.

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»Und so sehen sich die besagten Konvertiten und ihre Kinder und Nachkommen unterdrückt und getrennt vom Schoß der Gläubigen und wie weggerissen von der Einheit der Kirche und der Herde Christi Jesu, der aus ihrem eigenen Geschlecht im Mutterschoß der allerheiligsten Jungfrau zur Erlösung der ganzen Menschheit, und zu­ erst um der verlorenen Schafe des Hauses Israel willen, kostbares Fleisch annahm.«202

Der Verweis auf Jesus Christus selbst war nicht nur das erhabenste Beispiel dafür, dass ein jüdischer Stammbaum an sich keinen Makel darstellen konnte, sondern bot auch angesichts der bereits in der Alten Kirche dogmatisierten Lehre von den zwei Naturen des Menschensohnes und Gottessohnes Anlass zu weiterführenden theologischen Überlegungen. Nicht nur die übernatürlichen Umstände der Jungfrauengeburt spielten dabei eine Rolle, sondern auch die Verbindungen, die bereits die Evangelien zum Tanach herstellen, wenn sie die Geburt Jesu in einer Generationenfolge vom Stammvater Abraham (Mt 1, 1‑17) und vom ersten Menschen Adam (Lk 3, 23‑28) herleiten. Allein das literari­ sche Modell des Stammbaums beziehungsweise der Stammliste in männlicher Linie geht dabei auf alttestamentliche Vorbilder zurück. Schon im ersten Buch der hebräischen Bibel werden lückenlose Geschlechterfolgen geboten, und die Bücher der Könige und der Chronik greifen diese Darstellungsweise wieder auf.203 Charakteristisch ist die Form einer Linie, die sich nur wenig verzweigt und im Wesentlichen die Namen von Männern aufführt. Vor allem in den romanischen Kulturen Europas sollte die Bevorzugung der agnatischen vor den kognatischen Verwandtschaftsbeziehungen einen großen Einfluss auf das genealogische Bewusstsein haben, und auch die im Diskurs um die iberischen Neuchristen häufig gebrauchten Begriffe linaje und línea drücken ein ähnliches Verständnis von Kontinuität und Univozität aus.204 Der Stammbaum Jesu im Neuen Testament ist zugleich Imitation und Abwandlung des alten Paradigmas.205 Wo das Buch Genesis die Abfolge der Generationen nach einem bedeutenden Spitzenahn aufzählt, konstruieren die Evangelien nach Matthäus und Lukas jeweils eine Linie, deren thematischer 202

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Cumque dicti conversi et ipsorum filii et progenies videant se sic oppressos et separatos a gremio fidelium, et quasi scissos ab unitate Ecclesie et ovili Christi Iesu, qui ex gente ipsorum in sacratissimo Virginis utero pro totius humani generis redemptione, et primo propter oves que perierant, domus Israel, pretiosam carnem sumpsit […] – Approval of petition, ed. Simonsohn: Apostolic See 1394-1464, S. 846. Vgl. hierzu u.a. Israel Finkelstein: The Historical Reality Behind the Genealogical Lists in 1 Chronicles. In: Journal of Biblical Literature 131 (2012), S. 65-83; Pekka Särkiö: Ruth und Tamar als fremde Frauen in dem Davidischen Stammbaum. In: Anssi Voitila (Hg.): Scripture in Transition. Essays on Septuagint, Hebrew Bible, and Dead Sea Scrolls in Honour of Raija Sollamo, Leiden 2008, S. 551-574. Vgl. Kilian Heck: Das Fundament der Machtbehauptung. Die Ahnentafel als genealogische Grundstruktur der Neuzeit. In: Weigel (Hg.): Genealogie und Genetik, S. 53f.; Spiegel: Genealogy, S. 51‑52. Vgl. hierzu u.a. Sivertsen: New Testament Genealogies; Légasse: Les généalogies de Jésus; Véronique Gillet-Didier: Généalogies anciennes, généalogies nouvelles. Formes et fonctions. In: Foi et vie 100 (2001), S. 3-12; Kellner: Ursprung und Kontinuität, S. 46‑56.

Schwerpunkt nicht der Anfang ist, sondern das Ende – Jesus Christus. Das Lu­ kasevangelium geht dabei soweit, die traditionelle Chronologie umzukehren, indem es mit Jesus beginnt und seine Vorväter bis zu Adam zurückverfolgt, der seinerseits von Gott stamme. Das theologische Programm der Evangelisten geht jedoch über einen rein ge­ nealogisch-dynastischen Horizont hinaus. Dies wird schon daran deutlich, dass die Herkunft des Erlösers über Josef hergeleitet wird, dem beide Evangelien gleichzeitig absprechen, der Kindsvater Jesu zu sein. Seine Herkunft »aus dem Haus und Geschlecht Davids« (Lk 2, 4) und seine Verbindung zu den Stammvä­ tern Israels ist eine geistliche Wirklichkeit, die dem Heilsplan Gottes entspricht und nicht an die menschliche Fortpflanzung gebunden ist. In der Polemik zwischen jüdischen und christlichen Gelehrten war diese Frage nach der JesusGenealogie, die wörtlich gelesen eine Josefs-Genealogie ist, seit langem präsent. In zeitlicher Nähe zum Diskurs um die Conversos führen unter anderen Josua ha-Lorqi und Josef Albo diesen Punkt als Beleg dafür an, nicht einmal die christlichen Quellen selbst könnten die Herkunft Jesu aus dem königlichen Haus Davids, aus dem der Messias stammen müsse, schlüssig belegen.206 Die Verteidiger der Conversos wiederum thematisierten solche technischen Zweifel an der Aszendenz Jesu in der Regel nicht weiter. Grundsätzlich ge­ nügte ihrer Argumentation allein der Verweis auf Maria als seine leibliche Mutter, die ohne Zweifel selbst Jüdin gewesen war (spätestens seit Eusebius im 4. Jahrhundert wurde aus der bei Lk 1, 5‑56 berichteten Verwandtschaft Marias mit Elisabeth und Zacharias auf ihre Verbindung zum Stamm Levi geschlossen).207 So nennt Fernán Díaz de Toledo die Herkunft Jesu aus dem Judentum vergleichsweise unbefangen bereits in der einleitenden Anrede an den Empfänger seiner Instrucción, Bischof Lope de Barrientos: »Ich empfehle mich eurer Gnade, nicht nur um meinetwillen, sondern für die gesamte armselige Nation, die dem Fleisch nach aus dem Geschlecht unseres Herrn Jesus Christus stammt, der vor allen Dingen der gebenedeite Gott ist, den wir alle als Vater und als Beschützer haben.«208

Der Relator macht sich hier geschickt das Bedeutungsfeld um den spanischen Begriff linaje zunutze, der sowohl auf die Abstammungslinie im Rahmen einer 206

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Vgl. Landau: Das apologetische Schreiben, S. 28‑29; Philippe Bobichon: Yosef Albo. Sefer ha-’Iqqarim. »Livre des Principes« III, 25. Un chapitre de la controverse judéo-chrétienne en Sefarad, au XVe siècle, Madrid 2015, S. 58; Rauschenbach: Josef Albo, S. 151‑152. Vgl. u.a. William Adler: On the Priesthood of Jesus. In: Tony Burke und Brent Landau (Hgg.): New Testament Apocrypha. More Noncanonical Scriptures. Bd. 1, Grand Rapids 2016, S. 69‑108; Margot E. Fassler: The Virgin of Chartres. Making History Through Liturgy and the Arts, New Haven 2010, S. 87. […] me encomiendo a su merced, no solo por mí, mas por toda esta pobre corrida nación del linaje de nuestro señor Ihesu Christo, según la carne, el qual es sobre todas las cosas Dios bendito, que todos lo tenemos por padre y protector de ella. – Instrucción, ed. González Rolán, S. 95.

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familiären Genealogie verweisen kann als auch auf einen größeren ethnischen Zusammenhang. Vermutlich bewusst offen bleibt an dieser Stelle, ob das jüdi­ sche Volk allgemein gemeint ist, dem sowohl Jesus als auch die Conversos entstammen, oder ob der Autor die Neuchristen in eine Verwandtschaftsbezie­ hung mit dem Sohn Gottes hineinnimmt, wie es der nachgestellte Relativsatz andeutet. Die Wendung »dem Fleisch nach« ist an dieser Stelle von Fernán Díaz nicht abwertend gemeint, sondern bezieht sich auf die gleichlautenden Worte am Anfang des Römerbriefs (Röm 1, 3) und die komplementäre Vorstellung von Jesus als Gottessohn und Menschensohn. Mit der gleichen Selbstverständlichkeit kommt er im weiteren Verlauf seiner Darlegung auf die Abstammung Jesu zurück, wenn er ausführt, dass in der frühen Kirche keineswegs die Judenchristen als Konvertiten angesehen wurden, sondern vielmehr diejenigen, die vorher Heiden gewesen waren. Den Juden liege der christliche Glaube näher, da die Heilige Schrift ihnen den Erlöser bereits im Voraus angekündigt habe. Zudem sei die Kirche auf das Fundament der Apostel gegründet, die ebenso aus dem jüdischen Volk stammten wie Jesus selbst und seine Mutter. »Und ich weiß nicht, wie der Neubekehrte es anfangen soll, das zu halten, was zu unserem heiligen Glauben gehört, vor allem diejenigen aus dem israelitischen Volk und jene, die von ihnen abstammen und ebenso behandelt werden, als dass man die Feiertage unseres Herrn ehrt, der unser Haupt ist und dem Fleisch nach aus dieser Linie stammt, und die Feiertage der glorreichen Jungfrau, unserer Herrin, der heiligen Maria, seiner Mutter und die der übrigen Apostel, Heiligen und Märtyrer die aus dieser selben Linie stammen.«209

Für die jüdischstämmigen Konvertiten (und deren Nachfahren, die unberech­ tigterweise als Konvertiten angesehen werden) liegt Fernán Díaz zufolge also nichts näher, als mit besonderem Eifer die christlichen Feiertage einzuhalten, da es sich bei Herrenfesten und Marienfesten gewissermaßen um die Ehrentage von entfernten Verwandten handelt. Diese Versicherung widerspricht zugleich dem verbreiteten Vorurteil, die Conversos würden den Sonntag und andere christliche Feiertage nicht heilig halten und unter dem Vorwand der (traditio­ nell mit dem Samstag verbundenen) Marienverehrung den jüdischen Sabbat begehen210 – Fernán Díaz vertritt nun mit dem Verweis auf die genealogische Verbundenheit der jüdischstämmigen Christen mit Jesus und Maria das genaue Gegenteil. 209

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Y yo no sé cómo se aplicará a guardar lo que perteneçe a nuestra santa fee el nuevamente convertido, mayormente del pueblo israelítico, nin de los que vinieron de ellos, siendo así tratado, nin cómo honrarán las fiestas de Nuestro Señor, que es nuestra cabeza y vino de aquel linaje quanto a la carne, nin de la virgen gloriosa nuestra señora Sanca María, su madre, nin de los otros apóstoles, sanctos, y mártires, que fueron de esto mismo linage. – Instrucción, ed. González Rolán/Saquero Suárez-Somonte, S. 107. Vgl. Gitlitz: Secrecy, S. 317‑423; Charles Amiel: Los ritos judaicos en los edictos de fe ibéricos. In: Barros (Hg.): Xudeus e Conversos na Historia. Bd. 1: Mentalidades e Cultura, S. 209.

In der Adaption der Instrucción durch den Bischof von Cuenca unter dem Titel Contra algunos çiçañadores ist ein ähnlicher Gedankengang fast wörtlich wiederzufinden – mit dem Unterschied, dass Lope de Barrientos an dieser Stelle ausdrücklich von den Konvertiten aus dem Heidentum spricht: »Und ich weiß nicht, wie der Neubekehrte, vor allem aus dem Volk des Heidentums oder jene, die von ihnen abstammen, damit beginnen würde, das einzuhalten, was zu unserem heiligen Glauben gehört, wenn nicht, indem man die Feiertage unseres Herrn begeht, der unser Haupt ist, kommt doch seine heilige Menschheit von jenem Stamm, und die der Jungfrau, unserer Herrin, seiner Mutter.«211

Man mag an dieser Stelle, wie es die Herausgeber in einer Anmerkung zu dieser Passage tun, einen Übertragungsfehler entweder des Bischofs selbst oder seiner späteren Kopisten vermuten. Spannender sind allerdings die möglichen Schlussfolgerungen, wenn man davon ausgeht, dass beide Autoren ihre Worte hier mit Bedacht so gewählt haben, wie sie überliefert sind. Beide Versionen ergeben nämlich durchaus Sinn aus der Sicht ihres jeweiligen Verfassers. Aus­ gangspunkt ist in jedem Fall der Verweis auf den historischen Gebrauch des Begriffs der Konversion: Als Konvertiten wurden demnach ursprünglich nur die Neugetauften aus dem Heidentum bezeichnet, für die sich mit der Annah­ me des Christentums das ganze Leben änderte, während die zum christlichen Glauben gekommenen Juden darin lediglich die Erfüllung der Verheißung erfuhren, die sie von alters her erwartet hatten. An diesem Punkt zieht Fernán Díaz nun den direkten Vergleich mit den jüdischstämmigen Christen seiner Zeit, als deren Angehöriger er sich immer wieder zu erkennen gibt, und fragt rhetorisch: Sollten wir uns etwa nicht mit Jesus Christus identifizieren, mit dem wir der Volkszugehörigkeit nach sogar verwandt sind? Lope de Barrientos wiederum setzt den ursprünglichen Gedan­ kengang aus seiner Sicht eines Christen ohne jüdische Wurzeln fort: Wie könn­ ten wir Heidenchristen, die eigentlichen Konvertiten, anders, als zugleich mit Christus auch die Tatsache seiner jüdischen Abstammung hoch zu schätzen? Er passt also lediglich die Vorlage seines Zuarbeiters an die eigene auktoriale Per­ son an, um genau wie dieser den eigentlich entscheidenden Punkt herzuleiten: Wer wahrhaftig an Jesus Christus, den Sohn der Jungfrau Maria glaubt, wer die Feste seiner Verkündigung und Geburt feiert, der kann nicht zugleich die jüdische Abstammung als solche für theologisch minderwertig erklären. Auch Alonso Díaz de Montalvo, dessen Stellungnahme ebenfalls eine der frühesten ist, kommt auf die Abstammung Jesu aus dem Judentum relativ kurz zu sprechen, lässt aber keinen Zweifel an ihrer Bedeutsamkeit: 211

E yo no sé cómo se aplicaría a guardar lo que perteneçe a nuestra santa fe el nuebamente conuertido mayormente del pueblo de la gentilidad, nin los que d’ellos descienden; nin cómo guardarán las fiestas de nuestro Señor, que es nuestra cabeza, viniendo la su santa Humanidad de aquel linage, nin de la Virgen Nuestra Señora su madre […] – Contra algunos, ed. González Rolán, S. 132.

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»Sie können aber nicht bestreiten, dass das Volk, aus dem unsere Erlösung hervorging, die allerheiligste Jungfrau und Gebärerin des Erlösers und auch seine heiligen Apostel, Märtyrer und Bekenner, von denen die Kirche des Herrn gegründet worden ist, hervor­ ragender ist als die übrigen Völker, die der Herr zum Lob und Ruhm seines Namens geschaffen hat, und das heilige Volk des Herrn ist, [laut] Deuteronomium 26 […].«212

Wenn an Stellen wie dieser die Emphase überrascht, mit der das »heilige Volk des Herrn« gepriesen wird, ist zu beachten, dass die Autoren diese Wertschät­ zung damit keineswegs auf die Juden ihrer Zeit ausdehnten. Zwar besteht durchaus ein Unterschied zu den unzweideutig antijüdischen Schriften dersel­ ben Epoche, die auch das vorchristliche Judentum fast durchweg negativ zeich­ nen, doch geht es den Verteidigern der Conversos in keinem Moment um eine Rehabilitierung des jüdischen Glaubens an sich. Jegliche Anerkennung, die sie dem Judentum entgegenbringen, bezieht sich ausschließlich auf seine heilsgeschichtlich gedachte Funktion, Empfänger der göttlichen Offenbarung und Ursprung des Christentums zu sein. Bei der Thematisierung der Herkunft Jesu Christi aus dem Haus Davids und dem Stamm Juda wird dies besonders deutlich. Juan de Torquemada ist einer der Autoren im Diskurs, dessen Theologie die Würde und Bedeutung des Auserwählten Volkes in diesem Sinne besonders stark macht.213 In verschiedenen Kapiteln seines Traktats Contra Madianitas kommt er auf den Ruhm der Patriarchen, Propheten und Apostel zu sprechen, deren Beispiel für ihn zweifelsfrei belegt, dass mit der jüdischen Geburt kein Makel verbunden sein könne. Auch der Verweis auf Jesus Christus selbst und seine Mutter Maria fehlt hierbei nicht. Die Ausführungen des Kardinals zu diesem Thema sind so konfrontativ wie seine gesamte Abhandlung. Ziel der konzisen Argumentation ist es an jeder Stelle, die Position der Gegenseite nicht nur in die Aporie zu führen und dadurch zu entkräften, sondern sie darüber hinaus als gefährliche Blasphemie zu denunzieren. Aus dem Angriff gegen die neuchristlichen Bewohner von Toledo wird so ein unmittelbarer Angriff auf Jesus Christus selbst. Diese Anklage begründet Juan in einer knappen Beweis­ führung: »Der erste Grund ergibt sich aus der allerheiligsten Menschheit Christi, welche die genannten gottlosen Menschen augenscheinlich lästern; denn wenn es sicher und bekannt wäre, dass das Geschlecht der Juden ausgeschlossen und verdammt wäre, sowie schlecht und ungläubig und treulos, wie sie sagen, dann müssen sie notwendig

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Negare enim non possunt quod populus, a quo nostra Redemptio processit, sed Virgo Sanctissima Saluatoris Genetrix necnon et Sancti eius Apostoli, Martyres et Confessores, a quibus Ecclesia Domini est fundata, ›Est excelsior cunctis gentibus quas dominus creauit in laudem et nomen et gloriam suam, et est populus sanctus Domini‹, Deutero­ nomio, 26 […]. – Tractatus quidam levis, 19, ed. Conde Salazar, S. 119. Vgl. dazu besonders auch Rosenstock: New Men, S. 53‑67.

auch zugeben, dass der Sohn Gottes sein Fleisch annahm von einem bösen Geschlecht, einem verdammten Geschlecht, einem ungläubigen und treulosen Geschlecht.«214

Dem Zusammenhang zwischen der Abstammung Jesu und der jüdischen Her­ kunft der iberischen Neuchristen gibt Juan im Blick auf das Altarsakrament noch einen zusätzlichen Sinn, der die Anklage der Häresie weiter verschärft: »Ein zweiter Grund ergibt sich aus dem verehrungswürdigen allerheiligsten Sakrament der Eucharistie, ohne dessen Beleidigung nicht gesagt werden kann, das Geschlecht der Juden sei dem Glauben nach verdammt und ungläubig, wenn aus diesem Geschlecht das wahre Fleisch Christi angenommen ist und sein aller teuerstes Blut, das uns in diesem Sakrament als lebensspendende Nahrung unserer Seelen vorgelegt wird.«215

Der für die Argumentation an sich nicht notwendige Exkurs zum Sakrament der Eucharistie, der zudem eine etwas gewagte metaphysische Spekulation über das Wesen der eucharistischen Gestalten beinhaltet, ist im Blick auf den weiteren Diskursrahmen sicher kein Zufall. Der Vorwurf des Hostienfrevels war eng mit antijüdischen Stereotypen des Mittelalters verbunden und traf durch Assoziation auch die jüdischen Konvertiten zum Christentum.216 Juan de Torquemada wendet genau diese Anklage der Profanierung der Eucharistie, die von den Zeitgenossen unweigerlich mit dem Judentum in Verbindung gebracht wurde, gegen die antijüdisch motivierten Rebellen von Toledo. Auch Alonso de Cartagena geht an mehreren Stellen seines Defensorium auf die vielen Heiligen jüdischer Abstammung ein, denen man offensichtlich kei­ nerlei Neigung zur Häresie vorwerfen konnte. Den Stammbaum Jesu bespricht er allerdings getrennt davon, zunächst relativ ausführlich im zweiten, systema­ tischen Teil seines Werkes und dann noch einmal kürzer im Zusammenhang mit den alttestamentarischen Stammvätern im dritten, eher polemischen Teil, der den Traktat abschließt: Die Verachtung, die seine Gegner der jüdischen Abstammung entgegenbringen, bedeutet demnach nicht nur eine Geringschät­ zung der Heiligen des Alten Testaments, was an sich schon verwerflich wäre.

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Prima ratio sumitur ex parte sanctissimae humanitatis Christi, quam blasphemare viden­ tur praefati impii homines, nam si certum et notorium sit quod generatio Iudaeorum absolute fuerit et sit damnata tamquam mala et infidelis et adultera in fide, ut dicunt, necesse est illos pariter concedere quod Dei Filius carnem suam […] de generatione mala, de generatione damnata, de generatione infideli et adultera susceperit […] – Contra madianitas, 4, ed. del Valle Rodríguez, S. 156. Secunda ratio sumitur ex parte adorandi sanctissimi sacramenti eucharistiae, sine cuius contumelia dici non potest quod genus Iudaeorum damnatum fuerit in fide et incredu­ lum, cum de genere illo assumpta sit vera caro Christi et eius pretiosissimus sanguis, quae in hoc sacramento in vitalem sustentationem animarum nostram nobis proponitur […] – Contra madianitas, 4, ed. del Valle Rodríguez, S. 158. Vgl. Peter Browe: Die Eucharistie im Mittelalter. Liturgiehistorische Forschungen in kultur­ wissenschaftlicher Absicht, Berlin 62011, S. 353‑380; Christopher Ocker: Ritual Murder and the Subjectivity of Christ: A Choice in Medieval Christianity. In: The Harvard Theological Review 91 (1998), S. 153‑192.

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Wie für Juan de Torquemada steht auch Alonso zufolge die Ehre Jesu Christi selbst und die der Gottesmutter Maria auf dem Spiel: »Aber was soll ich von den Patriarchen sprechen, wenn einer unseren Herrn Jesus Christus verhöhnt, der Fürst und Herr über die Patriarchen ist, und jenes Blut, das er seiner Inkarnation für würdig hielt, mit leichtsinnigem Wagnis versucht anzuklagen und somit die Ehre seiner Gebärerin, der seligen und unversehrten Maria, wegzuneh­ men scheint – und dazu noch die der anderen Männer, die durch die Zeiten hinweg von jenen Eltern abstammten.«217

Während dieser Verweis auf die jüdische Herkunft Christi ganz darauf ange­ legt ist, die Gegner der Neuchristen als Gotteslästerer anzuklagen, dient die Betrachtung des Stammbaums Jesu im theologisch-argumentativen Teil des Defensorium wesentlich mehr einer vertieften geistlichen Erörterung des göttli­ chen Heilsplans für Juden und Heiden und ihrer Einheit in Christus. Mit dem dritten Theorem im zweiten Hauptteil seines Werkes will Alonso grundsätzlich darlegen, wie Juden und Heiden nur mehr ein einziges Gottesvolk bilden. Der Stammbaum Jesu in der Version des Matthäusevangeliums ist für ihn die Grundlage dieser Einheit. »Christus Jesus, der unser wahres und oberstes Haupt ist und dessen einzigen Körper die ganze Kirche bildet und das katholische Volk, woher es auch stammen möge, stammt zwar auf grundsätzlichere Weise von dem Einen ab, leitet seine Herkunft aber dem Fleisch nach von beiden Völkern her, so dass er auf seiner Grundlage und in seiner Einzelperson alle zu einem vereint. In seinem Geschlecht nämlich haben Rahab und Rut, die aus dem Heidentum waren, eine Mischung des Blutes ermöglicht.«218

Die Rhetorik des Bischofs von Burgos lässt an dieser Stelle ein Stück weit offen, ob er den Stammbaum Jesu als lediglich allegorisches Vorausbild der Einheit von Juden und Heiden in der Kirche sieht oder als tatsächliche Grundlage dieser Vereinigung in Christus. In jedem Fall sieht er es als providenziell an, dass bereits unter den Vorfahren Jesu Frauen aus den nichtjüdischen Völkern auftreten. In offensichtlicher Analogie zum Diskurs seiner eigenen Zeit deutet Alonso die Jebusiterin Rahab und die Moabiterin Rut als Konvertitinnen zum Got­ tesvolk. Damit wendet er nicht nur den im 15. Jahrhundert gebräuchlichen 217

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Sed quid de patriarchis illis loquar, cum christum ihesum dominum nostrum qui patriarcharum princeps et dominus est, subsanat sanguinem illum a quo secundum carnem descendere est dignatus, improperare ausu temerario temptat, denique beate ac intemerate Marie genetricis eius honori detrahere videtur: necnon aliorum virorum qui per diversa tempora ab illis parentibus descenderunt. – Defensorium, 3, 10, ed. Alonso S. 297‑298. […] christus ihesus qui est verum ac supremum caput nostrum et cuius tota ecclesia et populus catholicus, undecumque descenderit, corpus unicum, et licet principalius ab uno, tamen ab utroque populo secundum carnem originiem traxit, ut in supposito ac individuo suo omnes unum conficeret. Etenim in generatione eius Raab et Ruth que ex gentilitate erant mixturam sanguinis prebuerunt. – Defensorium, 2, 3, 1, ed. Alonso, S. 131.

Begriff des Converso um, indem er wie schon Fernán Díaz de Toledo und Lope de Barrientos darauf verweist, dass ursprünglich die Nichtjuden als diejenigen angesehen wurden, die in der Annahme des Christentums eine grundlegende Bekehrung erfuhren. Er gibt außerdem zu erkennen, dass er das Volk Israel und Gottes Bund in vorchristlicher Zeit als Empfänger der einzigen authentischen göttlichen Offenbarung ansieht, als zentrales Subjekt der Heilsgeschichte, dem sich Angehörige anderer Völker im besten Fall nur anschließen können. Diese Akzentuierung steht zwar nicht in fundamentalem Gegensatz, aber doch in mehr als graduellem Unterschied zu Autoren wie Alonso de Espina und Pedro de la Cavallería, die stets die Unvollkommenheit der vorchristlichen Offenba­ rung und die Hinfälligkeit aller Bundesschlüsse vor Jesus Christus betonen.219 Seine eigene Wertschätzung für die Tradition des Pentateuch macht Alonso auch deutlich, wenn er die Frage beantwortet, warum nur Frauen, nicht aber Männer aus dem Heidentum im Stammbaum Jesu zu finden sind: »Doch es entbehrt nicht der ergebenen Bewunderung, dass er Frauen aus dem Hei­ dentum [in seinen Stammbaum] hineinmischen wollte, einen Mann aber nicht. Was können wir anderes daraus folgern, als dass er, der nicht gekommen war, das Gesetz aufzuheben, sondern es in übervollem Maße mit aller Vollkommenheit zu erfüllen [Mt 5, 17], das Siegel der Beschneidung, das von Abraham bis Christus andauern sollte, nicht durch die Einmischung einer Vorhaut im Fleisch seines Geschlechts unter­ brechen wollte?«220

Einzelne Frauen konnten demnach dem Bund Gottes mit seinem Volk bei­ treten, da für sie das Gebot der Beschneidung nicht galt, während ein unbe­ schnittener Mann dessen Kontinuität infrage gestellt hätte. Die historisch gut dokumentierte Möglichkeit, auch als nichtjüdischer Mann zum Judentum zu konvertieren,221 erwähnt Alonso nicht. Zumindest in diesem Gedankengang scheint er untrennbar den Ritus der Beschneidung mit der Einhaltung des Bundes zu verbinden und signalisiert damit abermals die legitime Bedeutung der jüdischen Gesetze wenigstens bis zur Stiftung des Neuen Testaments. Eine weitere, eher pragmatische Implikation dieser biblischen Exempla Ra­ habs und Ruts verweist auf die konkreten gesellschaftlichen Kontroversen zur Zeit Alonsos. Im gleichen Maße, wie Neuchristen zugunsten der selbsterklär­ ten Altchristen von öffentlichen Ämtern und Würden ferngehalten werden 219 220

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Vgl. Vidal Doval: Misera Hispania, S. 90‑92; Gómez Llauger: Radicalism and Pauline Thought, S. 71‑73. Sed non caret devota admiratione quod feminas ex gentilitate inmisceri voluit, virum ta­ men nullum. Quid enim ex hoc conicere possumus, nisi quod signaculum circumcisio­ nis inter abraham et christum duraturum ipse qui legem non soluturus sed plenissime omni perfectione impleturus erat, per preputii interiectionem in carnis sue generatione interrumpi voluit […]? – Defensorium, 2, 3, 2 ed. Alonso, S. 134. Vgl. u.a. Karin B. Neutel: Circumcision Gone Wrong: Paul’s Message as a Case of Ritual Disruption. In: Neotestamentica 50 (2016), S. 373‑396; Matthew Thiessen: Contesting Conversion: Genealogy, Circumcision, and Identity in Ancient Judaism and Christianity, Oxford 2011, S. 43‑65.

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sollten, gerieten auch Ehen zwischen den Angehörigen der so konstruierten Gruppen in Verruf.222 Die Beispiele der Nichtjüdinnen, die zu den Vorfahren Jesu gehörten, deutet in diesem Zusammenhang nicht nur auf die Unsinnigkeit der Annahme eines unvermischten Stammbaums von alters her hin, sondern auch auf die Legitimität und Nützlichkeit der Ehe zwischen Angehörigen der verschiedenen Volksgruppen. Die Identifikation Jesu Christi sowohl mit dem jüdischen Volk als auch mit der Idee eines vereinten Gottesvolkes aufgrund einer gemischten Aszendenz ist zwar eine mehr als hinreichende Begründung für das Grundanliegen des Defensorium, die Würde der jüdischen Abstammung innerhalb der christlichen Gemeinschaft allgemein zu verteidigen; doch Alonso de Cartagena geht noch weiter: Bedeutungsvoll für den Stammbaum Jesu ist seiner Ansicht nach nicht nur die Integration von Israeliten und Fremdvölkern, sondern auch die königli­ che und priesterliche Würde, die sich in ihm verbindet. Unter Berufung auf die Kirchenväter Origenes und Ambrosius deutet Alonso die doppelte Herleitung der Vorfahren Jesu im Matthäus- und im Lukasevangelium als Resultat der zwei Stammeslinien, die für ihn von Bedeutung sind: »Denn durch eine Vermischung der Abstammung sind die Stämme Levi und Juda verbunden. Daher beschreibt Matthäus seine Familie vom Stamm Juda her. Und der Apostel sagt [Hebr 7, 14]: Unser Herr ist ja aus Juda entsprossen. So wird ihm aus dem Stamm Levi das Erbe des Priestertums voller Heiligkeit zugerechnet, aus dem Stamm Juda aber, aus dem David und Salomo und die übrigen Könige waren, erglänzt die Herrlichkeit der königlichen Nachfolge.«223

Dass Jesus Christus, der zur Rechten des Vaters sitzt, diese genealogische Her­ leitung seiner Würde als ewiger Hohepriester und König der Herrlichkeit gar nicht nötig hat, gibt auch Alonso zu. Ihm geht es letztlich um etwas anderes, nämlich den schlichten Befund, dass schon im vorchristlichen Volk Israel eine gottgegebene königliche und priesterliche Würde von Generation zu Genera­ tion vererbt wurde. Auch manche Conversos könnten sich daher nicht nur auf ihre eigenen Verdienste berufen, sondern unter Umständen eine adlige Abstammung von alters her in Anspruch nehmen. Bemerkenswert ist an dieser Betrachtung, die auch beim Thema der Einheit (3. 5) noch einmal eine Rolle spielen wird, dass sie die Bedeutung genealogischer Befunde in Fragen der reli­ giösen Identität grundsätzlich gerade nicht abstreitet, sondern eher bekräftigt – eine Tendenz, die sich im gesamten Diskurs um die iberischen Neuchristen 222

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Vgl. Nirenberg: Conversion, Sex and Segregation, S. 1092f. sowie ders.: Religious and Sexual Boundaries in the Medieval Crown of Aragón. In: Meyerson/English (Hgg.): Christians, Muslims, and Jews, S. 141‑160. Quia per admixitionem generis levi et Iuda tribus iuncte sunt, ideo matheus ex tribu Iu­ da descripsit eius familiam. Et apostolus ait, quoniam de Iuda ortus est dominus noster, ut ex tribu levi sacerdotalis et plena sanctitatis annumeretur hereditas. Ex tribu autem Iuda ex qua david et salomon et reliqui reges fuerunt, regalis successionis splendor effulgeat. – Defensorium, 2, 3, 1, ed. Alonso, S. 134.

immer wieder abwechselt mit der Betonung des Vorrangs individueller Tugend und der absoluten Freiheit der Gnade Gottes, die an keine leiblichen Vorausset­ zungen gebunden ist. So verweist auch Gutierre de Palma mehrmals auf den Stammbaum Jesu, lässt sich in seiner Argumentation aber gerade nicht auf das genealogische Paradigma ein. Im vierten Kapitel seiner Abhandlung, in dem er gegen die Bedeutung der leiblichen Herkunft in geistlichen Fragen plädiert, hält er im Rekurs auf den Kirchenvater Hieronymus fest: »Unser Herr Jesus wollte nicht nur von Fremden geboren werden, sondern auch aus ehebrecherischen Vermischungen – so von Tamar – und uns so das große Vertrauen geben, dass wir, gleich auf welche Weise wir geboren werden, seine Spuren nachah­ men können und nicht getrennt werden von seinem Leib, zu dessen Gliedern wir durch den Glauben geworden sind.«224

Tamar, die laut dem ersten Buch des Pentateuch von ihrem Schwiegervater Juda schwanger wurde, indem sie sich als Prostituierte ausgab (Gen 38), und als eine von wenigen Frauen im Matthäusevangelium unter den Vorfahren Jesu er­ scheint (Mt 1, 3), wird in dieser Exegese zur Zeugin dafür, dass die Würde einer Person gerade nicht von ihrer familiären Herkunft abhängt. Auch bei Hernan­ do de Talavera finden sich mehrere Interpretationen des Stammbaums Jesu, die diesen eher als Beleg dafür ansehen, dass die leibliche Geburt ausdrücklich kein entscheidendes Kriterium zur Beurteilung eines Menschen darstellt. In den Loores de san Juan geht er auf den offensichtlichen Widerspruch ein, der zwischen der Genealogie des Matthäus- und des Lukasevangeliums besteht. Diese Inkonsistenz löst er nicht nur auf, sondern wendet sie auch noch zu einem Argument für die besondere Relevanz der moralischen und spirituellen Abstammung im Geiste, die der leiblichen Herkunft mindestens ebenbürtig sei: »Der heilige Matthäus zählte die natürlichen Eltern auf; der heilige Lukas mischte einige gesetzliche, adoptive und gleichsam geistliche [Vorfahren] hinein, denn der Heilige Geist wollte […], dass wir verstehen: So wie wir mittels der natürlichen und fleischlichen Eltern auf dieser Erde geboren werden und von ihnen abstammen, so erheben wir uns durch die Verdienste, Gebete, Lehren und guten Beispiele der geistli­ chen Eltern zum Himmel.«225

In Hernandos Católica impugnación wiederum ist das Thema der jüdischen Her­ kunft Jesu stark geprägt durch das anonyme Pamphlet, das sie widerlegen soll. 224

225

Dominus noster Iesus voluit non solum de alienigenis, sed etiam de adulterinis com­ miscionibus nasci, sic de Thamar, nobis magnam fiduciam praestans, ut qualicumque modo nascamur, tamen ut eius vestigia imitemur, ab ipsius corporem non separemur, cuius per fidem membra effecti sumus. – Breve reprehensorium, Ms. 23-7, 4v. Sant Matheo recontó los padres naturales; sant Lucas mezcló algunos legales adoptivos y como spirituales, porque quiso el Spíritu Sancto […] que entendamos que así como mediantes los padres naturales y carnales avemosde ser natural y descendemos en este suelo, así, por los méritos, oraciones, doctrinas y buenos exemplos de los padres spiritua­ les, subimos al cielo. – Loores de san Juan, 4, 13, ed. Parrilla, S. 235‑236.

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Diese vermutlich fingierte Schrift charakterisiert Jesus rundheraus als Juden und ersten Converso, und auch Maria und die Apostel werden als Conversos bezeichnet, so als wollten die jüdischstämmigen Neuchristen den Sohn Got­ tes und die größten Heiligen der Christenheit exklusiv für ihre Gruppe in Anspruch nehmen – eine offensichtliche Verballhornung solcher diskursiver Aussagen, wie Alonso de Cartagena und Juan de Torquemada sie eine Generati­ on zuvor gemacht hatten. Trotz der Vorsicht, mit der Hernando sich vor potenziell missverständlichen Aussagen hütet, belässt er es nicht allein dabei, diese maliziöse Karikatur eines den Neuchristen gewogenen Schriftverständnisses als Häresie zu verdammen, sondern unternimmt noch einmal den Versuch einer Interpretation im Sinne der Versöhnung mit dem jüdischen Erbe des Christentums. Wie bereits Alonso de Cartagena erwähnt er die heidnischen Frauen im Stammbaum Jesu, sieht sie jedoch nicht als sonderlich relevant an – wichtiger ist für ihn vielmehr die göttliche Natur Christi. Diese habe sich mit der Menschennatur der Jungfrau Maria verbunden, die ihrerseits rein jüdischer Abstammung war: »Man könnte sagen, dass unser Erlöser, wahrer Gott und wahrer Mensch, der Volkszu­ gehörigkeit nach jüdisch und nicht heidnisch war; denn seine ganze Menschheit nahm er von unserer Herrin, der Jungfrau Maria, die von allen vier Seiten her Jüdin war. Es ist wahr, dass es in seinem Geschlecht und seiner Stammlinie eine Beimischung heid­ nischer Frauen gab, die sich zum Gesetz des Mose bekehrten und Jüdinnen wurden, so wie die Jerichoerin Rahab und die Moabiterin Rut. Man könnte aber auch sagen, dass unser Herr Jesus Christus weder jüdisch noch heidnisch war noch von einer anderen menschlichen Herkunft dem Fleisch nach, denn die Stammlinie leitet man gewöhnlich vom Vater her, und Jesus Christus hatte keinen menschlichen Vater.«226

Mit dieser Differenzierung von göttlicher und menschlicher Abstammung Jesu grenzt sich Hernando auf der einen Seite von der Zuspitzung des anonymen Pamphletisten ab, der Jesus offen als Juden bezeichnet, denn eine solche Ein­ ordnung musste im Kontext der mittelalterlichen kirchlichen Lehre als judaisie­ rende Häresie aufgefasst werden. Auf der anderen Seite ist er jedoch auch nicht bereit, das bewährte Argument für die Gleichstellung der jüdischstämmigen Neuchristen einfach aufzugeben. Die jüdische Abstammung der Gottesmutter und folglich der Menschennatur Jesu Christi steht für Hernando außer Frage; zumindest implizit erhält er also die Schlussfolgerung aufrecht, dass die jüdi­ sche Herkunft der Neuchristen keinen Anlass zu deren Geringschätzung oder 226

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[…] se podría decir que nuestro Redentor, Dios y Hombre verdadero, fué judío de nación y no gentil; porque toda su humanidad tomó de Nuestra Señora la Virgen María, que de todos cuatro costados fué judía. Verdad es que en su generación y linaje hubo alguna mezcla de mujeres gentiles convertidas a la ley de Moisén y tornadas judías, como fueron Raab Jericontina y Rut Moabita. También se prodría decir que Jesucristo nuestro Señor no fué judío ni gentil, ni de otro linaje humano, según la carne, porque el linaje comúnmente se trae del padre y Jesucristo no le tuvo cuanto a la humanidad […] – Católica impugnación, 11, ed. Martín Hernández, S. 28‑29.

Verdächtigung bieten dürfe. Im gleichen Sinne argumentiert auch Antonio de Ferrariis noch zur Zeit der Vertreibungen in der letzten Dekade des 15. Jahr­ hunderts: »Und wenn einer seine Herkunft vom sehr edlen und alten Geschlecht der Juden her­ leitet, dann will ich ihn – sofern er den rechten christlichen Glauben ehrlich erkennt – als edler ansehen, als wenn er von Barbaren, und sei es von Königen, geboren wäre. Ist etwa nicht unser Herr und Gott von der allerseligsten Jungfrau, mithin einer Jüdin, aus der ruhmreichen Nachkommenschaft Davids geboren? Der Apostelfürst Petrus und die übrigen Apostel und Evangelisten waren keine Trojaner, keine Griechen, keine Lateiner, keine Gallier, keine Germanen, sondern Juden.«227

Mag die Rhetorik des Galateo auch leicht hyperbolische Züge tragen, so bleibt doch seine grundlegende Beweisführung so klar wie bei den ersten Stellung­ nahmen zugunsten der Conversos schon vor der Rebellion von Toledo: Wer sich zu Jesus Christus und dem Glauben der Apostel bekennt, kann nicht zugleich die jüdische Abstammung als solche geringschätzen. 3.3.2 Kinder der Verheißung (Gal 4, Röm 9) Wo der bloße Verweis auf den jüdischen (und teilweise heidnischen) Stamm­ baum Jesu den Autoren bereits Anlass zu einzelnen allegorischen Auslegungen bot, insgesamt aber eher innerhalb einer im wahren Wortsinn genealogischen Argumentation verstanden wurde, da dienten die darin auftretenden biblischen Erzeltern als Basis einer Reihe theologischer Aussagen, die im hohen Maße vom Verständnis eines mehrfachen Schriftsinns geprägt waren. Ausgangspunkt solcher Betrachtungen ist der Sara-Abraham-Zyklus (Gen 11, 10‑25, 10), der berichtet, wie Gott dem Paar einen Sohn verheißt, obwohl beide schon in vorgerücktem Alter sind. Trotz dieses Versprechens, das schließlich in Erfüllung geht, zeugt Abraham auch einen Sohn mit Hagar, der Sklavin seiner Frau. Da Saras Sohn Isaak der alleinige Erbe der Verheißung Gottes werden soll, verstößt Abraham Hagar und ihren Sohn Ismael. Obwohl Gott verspricht, auch Ismael zu einem großen Volk zu machen (Gen 17, 20), gilt seine besondere Erwählung Isaak und dessen Nachkommen. Doch auch dieser und seine Frau Rebekka haben zwei Söhne, Esau und Jakob, von denen nur einer die auserwählte Linie weiterführen kann. In einem dramatischen Konflikt setzt Jakob sich gegen seinen älteren Bruder durch und wird unter dem Namen Israel zum Vater der Zwölf Stämme. Während die Erzählung der 227

At siquis ex Iudaeorum nobilissimo et antiquissimo genere ducat originem, dummodo cum Christianorum orthodoxa fide recte sentiat, eum nobiliorem putaverim quam si ex barbaris et iis regibus natus sit. Nonne Dominus et Deus noster ex beatissima Virgine, et tamen iudaea, ex Davidis inclyta prole natus est? Princeps apostolorum Petrus ceterique apostoli et evangelistae, non troiani, non graeci, non latini, non galli, non germani fuere, sed iudaei. – De neophytis, ed. Altamura, S. 222.

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Tora recht harmonisch mit der Versöhnung der Brüder endet, akzentuieren spätere Passagen im Dodekapropheton mehr die Feindschaft zwischen Esau (Edom) und Jakob (Israel).228 Auf Abraham und seine Nachkommenschaft beziehen sich bekanntlich Ju­ dentum, Christentum und Islam seit jeher auf ihre jeweils eigene Weise.229 Für die christliche Deutung der Erzeltern-Erzählungen war von Anfang an das Zeugnis des Apostels Paulus maßgeblich, der sie in seinen Briefen an die Gemeinden von Galatien (Gal 4, 21‑31) und Rom (Röm 9, 6‑13) aufgreift und ihnen einen neuen Sinn gibt.230 Die beiden Frauen Hagar und Sara, die Sklavin und die Freie, stehen nun prophetisch zeichenhaft für das Judentum unter dem Gesetz der Väter und den Neuen Bund in Jesus Christus.231 Diese für das Christentum autoritative allegorische Schriftdeutung des Paulus begründete eine ganze Tradition der vormodernen Theologie und sakralen Kunst, in der die von Gott geliebte ecclesia einer verworfenen synagoga gegenübersteht.232 Ein damit verbundener Topos der Soteriologie und Ekklesiologie, aber auch der an­ tijüdischen Apologetik, ist die Vorstellung der Substitution des Auserwählten Volkes durch die Kirche – »Paulus begreift die christliche Gemeinschaft als neue Inkarnation des erwählten Volkes. Demnach sind die Christen die wahren ›Kinder Abrahams‹.«233 228

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Vgl. u.a. Joachim Krause: Tradition, History, and our Story. Some Observations on Jacob and Esau in the Books of Obadiah and Malachi. In: Journal for the Study of the Old Testament 32 (2008), S. 475‑486; Malachi Hacohen: Jacob & Esau. Jewish European History Between Nation and Empire, Cambridge 2019, S. 55‑65. Vgl. im iberischen Kontext u.a. Sarah Stroumsa: The Father of Many Nations: Abraham in al-Andalus. In: Szpiech (Hg.): Medieval Exegesis and Religious Difference, S. 29‑39; John Tolan: Esgrimiendo la pluma: polémica y apologética religiosa entre judíos, cristianos y musulmanes (siglos XIII al XV). In: L’esplendor de la Mediterrània medieval (segles XIII-XV), Barcelona 2004, S. 243‑259. Vgl. zur neutestamentlichen Abrahams-Thematik allgemein Eva-Maria Kreitschmann: Abraham’s Family Network in the New Testament Writings. In: Lukas Bormann (Hg.): Abraham’s Family. A Network of Meaning in Judaism, Christianity, and Islam , Tübin­ gen 2018, S. 317‑341. Vgl. Albert Hogeterp: Hagar and Paul’s covenant thought. In: Martin Goodman u.a. (Hgg.): Abraham, the Nations, and the Hagarites, Leiden 2010, S. 345-359; Gerhard Sel­ lin: Hagar und Sara. Religionsgeschichtliche Hintergründe der Schriftallegorese Gal 4, 21-31. In: Dieter Sänger (Hg.): Studien zu Paulus und zum Epheserbrief, (2009), S. 116-137; Lu­ kas Bormann: Abraham as »Forefather« and his Family in Paul. In: ders. (Hg.): Abraham’s Family, S. 207‑233. Vgl. Monika Wolf: So tünd ich dir verbinden din ougen vnd brich dir din baner ouch en zweÿ. Ecclesia und Synagoge in fortwährendem Streit. In: Schulze (Hg.): Juden in der deut­ schen Literatur des Mittelalters, S. 35-58; Rainer Kampling: Erbstreit: Kirchenschriftsteller über das Erbe Abrahams. Ein Konflikt mit dem rabbinischen Judentum? In: Lutz Doering (Hg.): Judaistik und neutestamentliche Wissenschaft, Göttingen 2008, S. 358‑371 und ders.: Neutestamentliche Texte, S. 123-137. Slavoj Žižek: Die Puppe und der Zwerg. Das Christentum zwischen Perversion und Subver­ sion, Frankfurt 2003, S. 134; vgl. dazu auch Philippe Bobichon: Le thème du »Verus Israel«: est-il constitutif de la controverse entre christianisme et judaïsme? In: Annali di storia

Die Schriften zugunsten der Conversos griffen dieses theologisch stark aufge­ ladene Motiv von den Christen als Kindern der Verheißung auf unterschiedli­ che Weise auf. Zum einen fanden sie in den Erzählungen der Genesis exempla­ rische Beispiele dafür, dass die Erwählung Gottes alle menschlichen Begriffe von Abstammung und Vererbung übersteigt. Zum anderen dienten die Figuren Isaak und Ismael, Esau und Jakob dazu, die Beziehung von Juden und Christen (aber auch anderen Gruppen) zueinander zu illustrieren – dies freilich in einem rein allegorischen Sinn: Dem wörtlichen Sinn der Bibel nach wurden die »heid­ nischen« Völker Europas und damit auch des christlichen Spaniens hingegen als Nachfahren des Noach-Sohnes Jafet einer gänzlich anderen Stammlinie zugeordnet (dazu mehr unter 3.4).234 So zieht Alonso de Cartagena das wechselnde Geschick der alttestamentli­ chen Patriarchen für mehrere Deutungen heran, die sich auf ganze Glaubensge­ meinschaften beziehen, aber auch das individuelle Verhältnis des Menschen zu Gott in den Blick nehmen. Sein Gedankengang, der sich über mehrere Kapitel erstreckt, geht von der bereits erwähnten Auffassung aus, die den rechtlich unterprivilegierten Status der Juden als gerechte Strafe für ihre Ablehnung des Messias versteht. Dass dasselbe Urteil auch die Kinder und Kindeskinder der Juden zur Zeit Jesu treffe, sei nicht im leiblichen, sondern im geistlichen Sinne zu verstehen: »Denn Kinder heißen sie, wie gesagt, aufgrund der Nachahmung. Wie auch Tubal Va­ ter der Leierspieler heißt [Gen 4, 21], nicht durch fleischliche Fortpflanzung, sondern durch die Fortsetzung der Lehre. […] Und weil sie es ablehnten, durch den Glauben Kinder Saras zu sein, und durch den Unglauben die Kindschaft Hagars annahmen, verdienten sie die Knechtschaft. So bezeichnete der Apostel [Paulus] den Stand der zwei Söhne Abrahams auf allegorische Weise besonders tiefgründig und andachtsvoll, indem er sagte: […] Wer von der Sklavin [stammt], ist gemäß dem Fleisch geboren, wer aber von der Freien, durch die Verheißung [Gal 4, 23].«235

Die paulinische Allegorie von den Kindern Saras und Hagars dient Alonso de Cartagena auf diese Weise dazu, die genealogische Besorgnis seiner Zeit von der Ebene der leiblichen Abstammung auf die Dimension einer Verwandtschaft im Geiste zu transzendieren. Der rechte Glaube allein macht demnach alle Chris­ ten gleichermaßen zu geistlichen Kindern der freien Sara, und nur die Verwei­ gerung dieses Glaubens macht die Juden (und Nichtjuden) der Gegenwart

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dell’esegesi 22 (2005), S. 421‑444; Gilbert Dahan: The Christian polemic against the Jews in the Middle Ages, Notre Dame 1998, S. 105‑108. Vgl. Borst: Turmbau, S. 983‑1002. […] filii enim, ut super ediximus, immitatione dicuntur. Sic et tubal pater canentiun in cythara dictus est, non quidem carnali generatione sed doctrine continuatione. […] Et cum sarre filii per fidem esse renuerunt, filiationem agar per infidelitatem acquirentes servitutem meruerunt. Quam cum apostolus allegorizaret, duorum filiorum abrahe statum profundissime ac devotissime designavit, dicens […] qui de ancilla, secundum carnem natus est, qui autem der libera, per repromissionem. – Defensorium, 2, 4, 5, ed. Alonso, S. 167‑168.

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noch zu unfreien Kindern der Sklavin Hagar. Was nun die leibliche Herkunft aus dem jüdischen Volk beziehungsweise aus den heidnischen Völkern angeht, vermerkt Alonso mit Verweis auf den Propheten Jesaja: »Und weil die Anzahl derer, die aus dem Heidentum kommen, größer ist, heißt es, dass die Einsame mehr Kinder hat [Jesaja 54, 1]. Von der Verheirateten aber, das ist die israelitische Kohorte, stammen einige ab, aber weniger; von allen aber gilt: Wir aber sind Kinder der Verheißung [Gal 4, 28], Christen nämlich, nach Isaak und wie er gezeugt durch die überreiche Gnade, nicht durch den gewöhnlichen Lauf der Natur.«236

Die Andeutung, dass Christen, die aus dem jüdischen Volk stammen, in einem spirituellen Sinne eher den Charakter von ehelichen Kindern haben als solche mit heidnischen Vorfahren, ist durchaus gewagt und zweifellos direkt gegen die verbreitete antijüdische Diffamierung gerichtet, die das Judentum mit sexu­ eller Devianz in Verbindung brachte und die sogenannten Altchristen als lindos im Sinne des lateinischen legitimi, also ehelich bezeichnete.237 Dennoch bleibt auch hier die Sinnspitze der Darlegung, dass die Identität aller Christen wie beim biblischen Isaak, dem Sohn der Verheißung, auf der göttlichen Gnade beruht und nicht auf der Zeugungskraft menschlicher Eltern. In einem weiteren Versuch, genealogisches Denken anhand der biblischen Vorfahren Jesu auf eine geistliche Ebene zu überführen, zitiert Alonso den Kampf des Patriarchen Jakob mit dem Engel Gottes (Gen 32, 23-33) und verbindet ihn mit einem Fragment aus dem Buch Ezechiel (Ez 1, 7). Beim nächtlichen Kampf am Fluss Jabbok, so die Überlieferung der Tora, ringt Jakob mit einem ihm unbekannten Mann, der ihm dabei das Hüftgelenk ausrenkt. Im Rekurs auf Isidor von Sevilla deutet Alonso de Cartagena diese Verletzung als Hinweis auf die Nachkommenschaft Jakobs in einem spezifisch geistlichen Sinn: »Es ist in heller Klarheit offensichtlich, dass die Nachkommen Jakobs dem Namen nach einheitlich gezählt werden, aber dem Glauben und Unglauben nach unterschie­ den werden. […] Hinkend ist Jakob daher in seinen Nachkommen. Diejenigen, die den katholischen Glauben aufrechten Herzens annehmen, werden seinem rechten Bein zugerechnet, auf die man das Wort anwenden kann: Ihre Beine waren gerade [Ez 1, 7].«238 236

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Et quia plures numero ex gentilitate venerunt, ideo plures filii deserte dicuntur. Ex habente autem virum, idest, ex cohorte israelitica aliqui sed pauciores; de omnibus autem subdit: Nos autem promissionis filii sumus, christiani siquidem secundum ysaac et ad similitudinem eius geniti per habundantiam gratie, non per asuetum cursum nature. – Defensorium, 2, 4, 6, ed. Alonso, S. 170. Vgl. u.a. Drake: Slandering the Jew; Nirenberg: Conversion, Sex. […] luculenta claritate patebit, ex Iacob descendentes nomine uniformiter reputari sed fidelitate et infidelitate distingui. […] Claudus itaque Iacob in descendentibus est, qui alii fidem catholicam sincero corde recipientes rectam eius tibiam reputantur, quibus illud aplicari potest. Pedes eorum pedes recti [Ez 1, 7]. – Defensorium, 2, 1, 5, ed. Alonso, S. 107.

Während also alle Juden im Sinne der Volkszugehörigkeit als Israeliten gelten können, gehören nur die getauften und gläubigen Christen unter ihnen zum wahren Israel im theologischen Sinn und sind wie ihre nichtjüdischen Glau­ bensgeschwister »Kinder der Verheißung«. Mit diesen Überlegungen verlagert der Bischof von Burgos das Problem der christlichen Abstammung auf eine spirituelle Ebene und betont dabei die Bedeutung der individuellen Entschei­ dung zum Glauben. Auf diesem Weg gewinnt er aus der traditionellen Lehre des verus Israel, die stets gegen das Judentum gerichtet gewesen war,239 ein Argument zugunsten der Conversos: Wenn die leibliche Abstammung von jüdischen Eltern keine Bedingung der Zugehörigkeit zum Gottesvolk ist, weil dieses eine geistliche Wirklichkeit darstellt, so kann sie umgekehrt auch kein Ausschlusskriterium bilden. Beide geistlichen Deutungen der Erzeltern-Erzählungen – die kollektive im Sinne des Neuen und des Alten Bundes sowie die individuelle im Bezug auf die moralische Verantwortung des Einzelnen – ziehen sich auch durch die späteren Texte des Diskurses um die iberischen Neuchristen. Die Schriften, die dabei den Vorrang einer geistlich verstandenen Kindschaft im Hinblick auf den einzelnen Gläubigen thematisieren, sind meist weniger ausführlich und tendenziell entschiedener in ihrer Ablehnung jeglicher genealogischer Be­ gründung der christlichen Identität. So hält Lope de Barrientos im Blick auf den seiner Meinung nach durchaus berechtigten unterprivilegierten Status aller Juden fest: »Daraus folgt, dass jene, die dem Glauben der Juden folgen, nicht unverdient zusam­ men mit den Juden selbst von öffentlichen Ämtern und Würden ausgeschlossen werden sollen […] Doch es sei fern, jene Worte von den wahrhaftigen Christen zu verstehen oder verstehen zu können, die dem rechten Glauben folgen, selbst wenn sie aus dem Volk oder Geschlecht der Juden stammen, da der Lehrer der Völker [Paulus im Brief] an die Galater bezeugt: Wisst also, dass diejenigen Kinder Abrahams sind, die es aus dem Glauben sind. […] also seid ihr Samen Abrahams, Erben gemäß der Verheißung.«240

Nach diesen grundsätzlichen Erwägungen kommt der Bischof von Cuenca noch einmal auf das Erbe Abrahams zu sprechen, um den Vorrang nicht nur des persönlichen Glaubens, sondern des rechten Verhaltens vor dem Merkmal

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Vgl. u.a. Daniel Boyarin: Justin Martyr Invents Judaism. In: Church History 70 (2001), S. 427‑461; Peter Richardson: Israel in the Apostolic Church, London 1969, S. 9‑32. Itaque concluditur quod sequentes fidem iudaeorum non immerito ab officiis publicis et honoribus cum ipsis iudaeis excludantur […] et absit uerba illa comprehendant nec comprehendere queant ueros christianos fidem orthodoxam sequentes, etiam si ex gente uel genere descendant iudaeorum, Doctor gentium testante ad Galatas […]: Cognoscite ergo quia qui ex fide sunt, hi sunt filii Abrahae […] ergo Abrahae semen estis secundum promissionem haeredes. – Responsio ad quaesitum, ed. González Rolán/Saquero SuárezSomonte, S. 149‑150.

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der Geburt zu betonen. Mit Verweis auf die Kirchenväter Augustinus und Hieronymus kommentiert er: »Gegen Ismael sprach nicht, dass [seine] Mutter eine Sklavin war, so dass er vom Volk Gottes getrennt wurde, sondern die brüderliche Zwietracht sprach gegen ihn. […] Esau aber wurde von Rebekka und Isaak geboren, und dennoch war er borstig am Geist wie am Körper. Wie guter Weizen entartete er zu Lolch und Hafer, denn nicht in den Samen, sondern im Willen des Geborenen ist der Grund für die Laster.«241

Die moralisierende Deutung der biblischen Erzählung, die hier dem Decretum Gratiani (D. 56, c. 5‑9) entnommen ist, entfernt sich merklich von der narrati­ ven Dynamik der Tora selbst, die weder Ismael noch Esau als ethisch verwerf­ liche Charaktere zeichnet. Ging es außerdem den antiken Kirchenvätern und mittelalterlichen Rechtsgelehrten noch um eine allgemein moraltheologische und juristische Aussage, gewinnt ihre Deutung vor dem Hintergrund der Kon­ troverse um die Neuchristen eine recht spezifische Bedeutung: Nicht nur die jüdische oder nichtjüdische Abstammung an sich ist ohne Bedeutung für die Integrität eines Christen, sogar ein eventuelles Fehlverhalten der Familie wäre nicht ohne weiteres der nächsten Generation als Makel anzurechnen. Im glei­ chen Sinne und im Rekurs auf dieselbe kirchenrechtliche Quelle schreibt auch Gutierre de Palma: »Esau, [der Sohn] Rebekkas und Isaaks, borstig am Geist wie am Körper, entartete wie guter Weizen zum Lolch und Hafer, denn der Grund der Laster und der Tugenden ist nicht in den Samen, sondern im Handeln des Geborenen. […] Und welche auch immer aus dem Samen Esaus und anderer sich zum Herrn bekehren und die väterliche Bosheit verabscheuen, die erfahren nicht den Hass, sondern die Milde Gottes.«242

Das Beispiel Esaus soll hier abermals belegen, dass von der Familie und Ab­ stammung eines Menschen nicht zweifelsfrei auf sein Wesen, seine Würde, sein Ansehen vor Gott oder auch nur auf seine Schuld oder Unschuld geschlossen werden kann. Diese Präzisierung ist gerade im Hinblick auf die sich häufenden Anklagen des Judaisierens von Bedeutung, deren soziale Folgen noch Kinder und Kindeskinder der Beklagten trugen. Das biblische Beispiel steht so ganz im Einklang mit den Aussagen über die Schuld, die nicht vom Vater auf den Sohn übergeht (3. 2. 1), und mit der generellen Ablehnung genealogischer Begründungen bei Fragen von Identität und Status. 241

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Ismaeli, ut separetur a populo Dei, non obfuit mater ancilla, sed obfuit fraterna discor­ dia. […] Esau vero de Rebeca et Isaac est natus, attamen hispidus tam mente quam corde, quasi bonum triticum in lolium auenasque degenerat, quia non in seminibus, sed in uoluntate nascentis causa uitiorum est. – Responsio ad quaesitum, ed. González Rolán/Saquero Suárez-Somonte, S. 151‑152. Esau de Rebecca et Isaac, ispidus tam mente quam corpore, quasi bonum triticum in lolium avenasque degenerat, quia non in seminibus, sed in operatione nascentis causa vitiorum est atque virtutum. [...] Quicumque enim de semine Esau et ceterorum ad dominum conversi paternam maliciam detestati sunt, non odium, sed clementiam Dei experti sunt. – Breve reprehensorium, 4, Ms. 23-7, 4v.

Was die Deutung der Erzeltern-Erzählungen und des paulinischen Wortes von den Kindern der Verheißung in einer kollektiven Dimension angeht, konnten die Verteidiger der Conversos aus einer langen und reichhaltigen Tradition schöpfen. Die Söhne Hagars und Saras als Sinnbilder für den Gegen­ satz zwischen jenen unter dem Gesetz und jenen unter der Gnade spielte im christlichen Selbstverständnis seit der Antike eine ungebrochene Rolle.243 Die Auslegung des Dramas um das Bruderpaar Jakob und Esau wiederum war für die gesamte Geistesgeschichte des Judentums und des Christentums von enormer Bedeutung, wobei jede Glaubensgemeinschaften sich selbst in der Nachfolge des von Gott erwählten Jakob sah.244 In der jüdischen Schriftausle­ gung der nachbiblischen Zeitalter konnten sowohl das heidnische als auch das christliche Rom beziehungsweise – wie auch in der sephardischen Literatur des Spätmittelalters häufig belegt – die Christenheit allgemein die Rolle Edoms einnehmen.245 Die christliche Theologie hingegen deutete Esau tendenziell eher in sittlich-moralischer Allegorie auf die Sünder und Feinde der eccelsia militans schlechthin; teilweise auch, wie im Diskurs um die Conversos, auf den Gegensatz zwischen Juden und Nichtjuden vor der Gründung des neuen Gottesvolkes durch Jesus Christus. Erst der Konvertit Pablo de Santa María ging so weit, die gläubigen Juden seiner Zeit gewissermaßen exegetisch auszubürgern, indem er sie mit Esau identifizierte, der sein Vorrecht als älterer Bruder durch eigene Schuld verspielt hat.246 Den intentional genau umgekehrten Gebrauch derselben Schriftstellen machten nun die Verteidiger der Conversos, um diese mit dem Bild der Nach­ kommen Abrahams wieder als Mitglieder einer allegorischen christlichen Fa­ miliengeschichte zu adoptieren. So formuliert Alonso Díaz de Montalvo mit Verweis auf die universale Versöhnung in Christus: »Zwar gab es vor der Ankunft Christi große Feindschaft und schwere Zwietracht zwi­ schen dem israelitischen und dem heidnischen Volk, angefangen im Schoß Rebekkas, […] [doch] jener vergangene Unterschied kann nicht zwischen denen stehen, die aus dem heidnischen und dem israelitischen Volk zum Glauben an Christus bekehrt sind. 243

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Vgl. Marianne Grohmann: Sara und Hagar: Anfragen an die Exegese von Gal 4,21-31 von der Wirkungsgeschichte her. In: Protokolle zur Bibel 7 (1998), S. 53-74; Sellin: Hagar und Sara. Vgl. Hacohen: Jacob & Esau, S. 55‑136; Gerhard Langer: Esau, Rom und die Geschichte der Welt. In: ders. (Hg.): Esau – Bruder und Feind, Göttingen 2009, S. 95‑101; Anni M. Laato: Diveded by a Common Ground. The Prophecy of Jacob and Esau (Gen 25:19‑26) in Patristic Texts up to Augustine with Respect to Modern Inter-Faith Dialogue. In: Bormann (Hg.): Abraham’s Family, S. 361‑376. Vgl. u.a. Cedric Cohen Skalli: Don Isaac Abravanel and the Conversos: Wealth, Politics, and Messianism. In: Journal of Levantine Studies 6 (2016,), S. 44; Mariano Gómez Aranda: The Conflict between Jacob and Esau in Medieval Jewish Exegesis. Reinterpreting Narratives. In: Bormann (Hg.): Abraham’s Family, S. 421‑446; Eleazer Gutwirth: History and Inter­ textuality in Late Medieval Spain. In: Meyerson/English (Hgg.): Christians, Muslims, and Jews, S. 167; Yuval: Zwei Völker in deinem Leib, S. 24‑33. Vgl. Hacohen: Jacob & Esau, S. 131‑133.

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Sie unterscheiden sich nämlich nicht der väterlichen Abstammung nach, weil alle Kinder Abrahams genannt werden, sei es von Ismael, von der Sklavin, sei es von Esau, der auch Edom genannt wird, sei es von seinem Bruder Jakob, der auch Israel genannt wird.«247

Der zweifache gemeinsame Ursprung aller Gläubigen in Abraham und in Christus macht in dieser Deutung die Trennung nach Juden und Heiden zu einer glücklich überwundenen Episode. Ähnlich zeichnet auch Alonso de Oropesa anhand der Kinder Abrahams das Bild eines vorübergehenden makel­ haften Zustandes, der durch das Erscheinen Christi behoben wurde, rechnet diesen Defekt allerdings wesentlich stärker der Unzulänglichkeit des sogenann­ ten Alten Bundes an. Wie die meisten mittelalterlichen christlichen Theologen unterschied er dabei kaum die diversen Bundesschlüsse, von denen die Tora berichtet, neigt jedoch dazu, den Bundesschluss am Sinai und das Gesetz des Mose als maßgeblich für die Zeit vor Christus anzusehen. Diesen betrachtet er in der Logik der mittelalterlichen Theologie der Substitution als abgelöst durch den Neuen Bund in Christus: »Nachdem [Paulus] den Unterschied zwischen diesen beiden Zuständen aufgewiesen hat, indem er zeigt, dass der eine die alte Synagoge war, die als Sklavin unter der Knechtschaft begründet ist, und der andere die heilige Mutter Kirche, die durch den Herrn Jesus Christus befreit und vollendet ist, schließt er unmittelbar, dass diese Knechtschaft mit all ihrer Unvollkommenheit nun beendet ist und die evangelische Freiheit wahrhaft zu all ihren gläubigen Kindern der Gnade gekommen ist, indem er sagt: Daraus folgt also, meine Brüder, dass wir nicht Kinder der Sklavin sind, sondern Kinder der Freien [Gal 4, 31], denn zur Freiheit hat uns Christus befreit [Gal 5, 1].«248

Der entscheidende Punkt für die Verteidigung der Rechte der Conversos be­ steht freilich nicht so sehr in der Polemik gegen das angeblich obsolete Juden­ tum, sondern in der Gewissheit, dass alle, die an Christus glauben, gleicherma­ ßen »Kinder der Freien« sind. So wie Juden (unter der Tora) und Heiden (unter dem Naturrecht) vor ihrer Bekehrung zu Christus gleichermaßen unfrei sind, so sind sie auf gleich Weise (aequaliter) befreit unter dem Gesetz der Gnade. Juan de Torquemada schließlich, der mit dem paulinischen Gebrauch des Buches Genesis und seiner patristischen Fortschreibungen im Sinne einer 247

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[…] licet ante Christi aduentum magna erat inimicitia discordiaque grauis inter Israeli­ ticum populum et gentilem in uentre initiata Rebecae […] praeterea differentia illa non potest stare inter hos, qui a populo gentili et Israelitico ad fidem Christi sunt conuersi. Non enim differunt quo ad patrum originem, quia omnes filii Abrahae aut Ismaelis ancillae aut Esau, qui alias uocabatur Ebdon, aut Iacob fratris sui, qui alias Israel nominatur. – Tractatus quidam levis, 6‑7, ed. Conde Salazar, S. 105‑106. […] postquam assignavit differentiam horum duorum statuum, ostendendo veterem illam synagogam fuisse velut ancillam sub servitute constitutam, et sanctam matrem Ec­ clesiam, velut dominam per Christum liberam et perfectam, statim conclusit servitutem illam iam cessasse cum omni sua imperfectione; libertatem vero evangellicam advenisse in omnibus suis fidelibus filiis gratie, dicens: Itaque, fratres, iam non sumus ancille filii, sed libere, qua libertate Christus nos liberavit. – Lumen ad revelationem, 21.

Theologie der Substitution ebenfalls ganz zweifellos vertraut war, deutet die Nachkommenschaft Abrahams und Isaaks dennoch in einem anderen Sinn und kombiniert dabei auf eigene Weise die moralische mit einer kollektiven Deutung. Wie bereits aus dem Titel seines Traktats hervorgeht, identifiziert er die Gegner der Neuchristen mit den biblischen Feinden des Gottesvolkes; und zwar nicht etwa mit Ägyptern, Philistern, Assyrern, Babyloniern oder Seleukiden, sondern mit jenen Nachbarvölkern, die der Überlieferung nach in einer genealogischen Beziehung zu Israel stehen: »Unter diesen Feinden des israelitischen Volkes […] waren, so liest man, besonders die Idumäer, von denen es heißt, dass sie von Esau abstammten, der mit einem ande­ ren Namen Edom heißt, und auf die gleiche Weise, wie dieser seinen Bruder Jakob hasste und ihn töten wollte, so hegten auch die Idumäer, die von ihm abstammen, einen vollkommenen Hass gegen die Kinder Israels, die von Jakob stammen. Andere [Feinde] waren die Ismaeliter. Diese stammten laut Genesis 16 von Ismael, dem Sohn Abrahams, ab und hatten einen Hass gegen die Kinder Israels, die von Isaak abstamm­ ten, so wie auch Ismael Isaak, den Sohn Abrahams, verfolgte, wie der Apostel [im Brief an die] Galater [im] 4. [Kapitel] bezeugt.«249

Die Gleichsetzung dieser biblischen Völker mit den altchristlichen Rebellen von Toledo versteht der Kardinal nun nicht als seine eigene poetische Schöp­ fung, sondern als göttliches Urteil, das im verborgenen Sinn der Heiligen Schrift begründet liegt: »Mit diesen alten Feinden des israelitischen Volkes werden auf geheimnisvolle Weise zutreffend solche schlechten Christen und verkehrten Menschen bezeichnet, die ohne jegliche Gottesfurcht und von boshaftem Geist aufgeblasen die gläubigen Christen, die vom israelitischen Volk abstammen, […] bedrängen und verfolgen […].«250

Mit der Qualifizierung »auf geheimnisvolle Weise« (mystice) gibt er zu verste­ hen, dass er die Parallelisierung früherer und aktueller Feinde des israelitischen Volkes nicht für einen geschichtlichen Zufall hält, sondern sich zu seiner Zeit eine Voraussage erfüllt, die bereits im Alten Testament gemacht wurde. Gerade im Licht der von Paulus und den Kirchenvätern begründeten Theologie der Substitution des vorchristlichen Bundes durch den Neuen Bund in Christus ist dieser ausführliche Bezug auf die Söhne Abrahams und Isaaks sicher kein Zu­ fall. Zumindest der theologisch gebildete Leser versteht ohne Weiteres: Nicht 249

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Inter quos Israelitici populi hostes […] praecipui leguntur fuisse Idumaei, qui ab Esau descendisse leguntur, qui alio nomine dictus est Edom, et quemadmodum iste odiebat Iacob fratrem suum, quaerens eum occidere, ut habetur Gen. 27, sic Idumaei descentes ab eo, exosos habebant filios Israel descendentes ex Jacob. Alii fuerunt Ismaelitae. Isti descenderunt ab Ismaele filio Abrahae, Gen. 16, et odio habebant filios Israel descenden­ tes de Isaac, sicut et Ismael Isaac filium Abrahae persequebatur, ut testatur Apostolus ad Galatas 4. – Contra Madianitas, Prolog, ed. del Valle Rodríguez, S. 125‑126. Per istos autem antiquos hostes populi israelitici recte mistice designatur quidam mali xpiani et perversi homines, qui omni Dei timore posposito, malicie spiritu inflati, fideles Xpi de populo ysraelitico descendentes […] molestant et persequuntur […]. – Contra Madianitas, Prolog, ed. del Valle Rodríguez, S. 126.

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etwa verstockte Juden, die den Messias Jesus ablehnen, sind die geistlichen Nachfahren Ismaels und Esaus, die von der Verheißung ausgeschlossen sind, sondern vielmehr die vermeintlich rechtgläubigen Altchristen, die ihre christli­ chen Geschwister aufgrund von Missgunst und Neid bekämpfen. Durch die Zusammenstellung von Midian und Ismael in der Überschrift des Traktats schließt Juan de Torquemada zusätzlich noch einen weiteren Bezug zu den biblischen Erzeltern ein. Obwohl beide an verschiedenen Stellen der Bibel erwähnt werden, ist ihre gemeinsame Nennung doch einzigartig für die Josefsgeschichte (Gen 37. 39-50). Hier wird der von Jakob bevorzugte Sohn Josef von seinen Brüdern an reisende Händler verkauft, die abwechselnd als Midianiter und Ismaeliter bezeichnet werden. Der ursprüngliche Grund für die unterschiedliche Benennung im Buch Genesis ist dabei womöglich eine doppelte Überlieferung, die in einer späteren Redaktion zusammengefügt wur­ de, ohne alle entstehenden Widersprüche zu glätten.251 In einer typologischen Allegorese deutet der Kardinal also Häretiker wie Marcos García als Antagonis­ ten, die den Verrat von Brüdern an ihrem Jüngsten instrumentell ermöglichen – eine offensichtliche Parallele zur Gewalt der Rebellen von Toledo gegen ihre neuchristlichen Mitbürger und zur Ausgrenzung von Konvertiten allgemein. 3.3.3 Geburt als Argument und Allegorie Wie kaum anders zu erwarten in einem Diskurs, der ganz wesentlich um Fra­ gen der Genealogie geführt wurde, ist der Begriff der Geburt in den Texten zu­ gunsten der Conversos sehr vielfältig gefüllt; auch wenn sich im Stammbaum Jesu und dem paulinischen Theologumenon von den Kindern der Verheißung eine relativ eindeutige exegetische Mitte der diskursiven Aussagen erkennen lässt. Ähnlich wie beim diskursiven Begriff der Schuld lassen sich verschiedene Aussagegruppen unterscheiden, die in einer gewissen Ambivalenz zueinander stehen. Während die Hervorhebung der jüdischen Herkunft Jesu Christi (und vieler Heiliger) zugunsten der Neuchristen notwendig die Relevanz genealogi­ scher Kriterien zumindest implizit bestätigte, wendete sich die theologische Ar­ gumentation für den Vorrang der göttlichen Erwählung und der persönlichen Integrität vor der leiblichen Herkunft entschieden gegen sie. Ohne dem Diskurs auf dem Weg der Analyse mehr Kohärenz verleihen zu wollen, als in den Quellen zu finden ist, lässt sich darin dennoch der Kern einer konsistenten diskursiven Strategie finden. Wo die Geburt Jesu Christi nicht ohnehin in einem allegorischen Sinn ausgedeutet wurde, diente das Argument ihrer Verwurzelung im Judentum im Wesentlichen dazu, die Grundannahmen 251

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Vgl. Ernest J. Revell: Midian and Ishmael in Genesis 37: Synonyms in the Joseph Story. In: John W. Wevers u.a. (Hgg.): The world of the Aramaeans. Biblical studies in honour of Paul-Eugène Dion, Bd. 1, Sheffield 2001, S. 70-91.

der Altchristen ad absurdum zu führen: Wenn denn tatsächlich die Abstam­ mung darüber entschiede, wer als wahrhaftiger Christ anzusehen sei, dann dürften gerade diejenigen aus dem Volk Jesu Christi selbst ja eher bevorzugt als ausgeschlossen sein. Positiv kommt die theologische Position der Schriften zu­ gunsten der Conversos dagegen in der Rede von den Kindern der Verheißung zum Ausdruck: Da nun aber die geistliche Wirklichkeit des Glaubens und der Sakramente entscheidend ist, sind Christen wesentlich als Kinder gemäß der Verheißung Gottes anzusehen, nicht als Kinder nur bestimmter leiblicher Eltern, oder paulinisch: als Kinder gemäß dem Fleisch. Diese geistlich-allegorische Wendung des Begriffes der Kindschaft konnte auf Personen und Familien bezogen die allgemeinere ethische Position stützen, nach der Tugend, Adel im philosophischen Sinn und folglich auch der berech­ tigte Zugang zu öffentlichen Würden und Ämtern nicht von der Geburt abhin­ gen, sondern vom freien Willen und der Bewährung im Guten, wie Fernando de Pulgar formuliert: »[…] Gott hat Menschen geschaffen und keine Abstammungslinien, in denen sie sich finden; denn alle erschuf er edel bei der Geburt. Die Gemeinheit des Geblüts und die Dunkelheit der Abstammung ergreifen jene mit ihren Händen, die den Pfad der hellen Tugend verlassen und sich den Lastern und Makeln des Irrweges zuwenden. Und da man niemandem die Wahl seiner Abstammung bei der Geburt gab, aber alle die Wahl ihrer Sitten haben, während sie leben, wäre es der Vernunft nach unmöglich, dass ein Guter der Ehre beraubt wird, oder ein Böser sie behält […].«252

Zugleich eröffnete das Konzept der geistigen Kindschaft aber auch einen kon­ zeptuellen Rahmen, in den sich ganze Großgruppen von Völkerschaften bis zu Glaubensgemeinschaften einordnen ließen. Hier wiederum unterschieden sich die Autoren merklich voneinander. Unter den theologisch verstandenen Nachfahren Ismaels und Esaus ließen sich ebenso die ungetauften Juden und Heiden verstehen wie auch die altchristlichen Feinde der Neuchristen. Gutierre de Palma führt, wie im Zusammenhang mit dem Begriff der Nation noch zu sehen sein wird, außerdem die traditionelle Assoziation Ismaels mit den arabischen Völkern und dem Islam an, den er als wahre Bedrohung der Chris­ tenheit darstellt. Hier wie auch an anderen Stellen vermischt sich eine rein geistliche Deutung der Kinder der Verheißung teilweise mit einem vormoder­ nen Verständnis ethnischer Gruppierungen. So überrascht es womöglich auch nicht, dass die Verteidiger der Conversos trotz der allgemein akzeptierten paulinischen Deutung der beiden Mütter Ha­ 252

[…] Dios fizo hombres, é no fizo linages en que escogiesen, é á todos fizo nobles en su nascimiento: la vileza de la sangre é obscuridad de linage ellos con sus manos lo toman aquellos que dexado el camino de la clara virtud se inclinan á los vicios é máculas del camino errado. Y pues á ninguno dieron eleccion de linage quando nasció, é todos tienen eleccion de costumbres quando viven, imposible sería segun razon ser el bueno privado de honra, ni el malo tenerla […]. – Fernando de Pulgar: Para un su amigo de Toledo, ed. Domínguez Bordona: Letras, S. 73.

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gar und Sara als Sinnbilder für Synagoge und Kirche letztlich keine wirklich gemeinsame theologische Sicht auf das Verhältnis von Altem und Neuem Bund entwickelten. Zwar teilten sie das Prinzip der christlichen Tradition seit den Kirchenvätern, das Alte Testament als Vorausbild (figura, simulacrum) der Evangelien auszulegen, doch mündete dieses Grundverständnis nicht in ein eindeutiges Gesamtkonzept. Auf der einen Seite stehen Betrachtungen wie die im Defensorium, die den Bund in Jesus Christus lediglich als Ausweitung und Vervollkommnung des Bundes Gottes mit dem Volk Israel beschreiben: »Auf die eine Weise ist das Neue Gesetz kein anderes als das Alte, denn beide haben ein einziges Ziel: und zwar, dass die Menschen sich Gott unterwerfen. […] Auf eine zweite Weise jedoch ist das Neue Gesetz anders als das Alte. Denn das Alte ist [wie] ein Lehrmeister für Kinder, […] um sie zu beschützen und auf die zukünftige Vollendung vorzubereiten. Das Neue aber ist das Gesetz der Liebe, das nach dem Apostel das Band der Vollkommenheit ist.«253

Am anderen Ende des Spektrums finden sich aber ebenso Aussagen wie die im Lumen ad revelationem, die ausführlich darlegen, warum die Offenbarung, die an Israel ergangen war, von Anfang an defizitär und seit der Menschwerdung obsolet geworden sei: »Jene alte Synagoge aber musste dann zurückgelassen werden, um es mit Jesaja zu sagen, wie eine Plane im Weinberg, wie eine Hütte im Gurkenfeld [Jes 1, 8]; […] so ist auch all jene schattenhafte und bildliche Gesetzestreue nun vergeblich und überflüssig und zu nicht nütze, nachdem Christus alles vollbracht hat, zu dessen Versinnbildlichung sie eingerichtet wurde, und folglich erlischt alle Knechtschaft und Unvollkommenheit mit ihr […].«254

Solche Passagen, die ähnlich bei mehreren Verteidigern der Conversos zu finden sind, unterscheiden sich in manchen Passagen nur noch subtil von dediziert antijudaistischen Schriften, wie etwa dem Zelus Christi, in dem Pedro de la Cavallería e silentio schlussfolgert, das Gesetz des Mose habe nicht einmal in vorchristlicher Zeit das ewige Heil der Seelen bewirken können: »[…] dass das Gesetz des Mose den Seelen nach dem Tod keine Herrlichkeit gab, das erweist sich zur Genüge aus seinem [eigenen] Inhalt. Denn nirgendwo im ganzen

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Secundum primum modum lex nova non est alia a vetere, quia utriusque est unus finis. Ille quippe ut homines subdantur deo. […] Secundo autem modo lex nova alia est a veteri. Quia vetus est pedagogus puerorum […] ut custodiret eos, et ad futuram perfectionem prepararet. Nova autem est lex caritatis que iuxta apostolum est vinculum perfectionis. – Defensorium, 1, 5, ed. Alonso, S. 77. Illa autem vetus synagoga erat deinceps relinquenda, ut ita dixerim cum Isaia, velut umbraculum in vinea, et sicut tugurium in cucumerario; […] sic tota illa legalis obser­ vantia, umbratilis et figurativa, est iam inutilis et supervacua, et in nullo proficua, postquam per Christum consummata sunt omnia, ad que figuranda fuerunt instituta, et per consequens tota illa servitus et imperfectio cessavit cum ea […] – Lumen ad revelationem, 21.

Pentateuch ist zu finden, dass Gott im Gegenzug für die Einhaltung oder die Werke des Gesetzes jenen, die das tun, Herrlichkeit oder ewiges Leben verspräche.«255

Gerade im Vergleich zu anderen übergreifenden Argumentationslinien, die sich entlang sehr ähnlich ausgelegter Bibelstellen und theologischer Motive entwickeln, überwiegt in der Betrachtung der Bundesschlüsse auch in den Schriften zugunsten der Neuchristen eine begriffliche Disparität, aufgrund de­ rer letztlich nicht von gemeinsamen diskursiven Aussagen zum Thema des Bunde Gottes mit seinem Volk gesprochen werden kann.

3.4 Nation: Das eine Volk und die vielen Völker Während die Thematisierung des Alten und Neuen Bundes in den Schriften zugunsten der Conversos also alles andere als einheitlich geschah, konstituiert der Begriff der Nation (im Sinne von Volksgruppe) eine eigene Gruppe von Aussagen. Diese lässt sich vom in erster Linie auf Verwandtschaft und Fami­ lie bezogenen Begriff der Geburt zwar nicht gänzlich trennen, besitzt jedoch durch ihre politischen Implikationen und in ihren biblischen Bezugspunkten eindeutig einen eigenen Schwerpunkt. Auch in einem Zeitalter, das weder Nationen noch Nationalismus im mo­ dernen Sinne kannte, war die Kategorie der Völkerschaft (natio) eine wichtige Größenordnung der kollektiven Identität.256 Wie sich auch im Diskurs um die iberischen Neuchristen zeigt, war das damit verbundene gedankliche Konzept allerdings noch wenig festgelegt, konnte auf verschiedene Ebenen der Zusam­ mengehörigkeit verweisen und wurde in vielen Kontexten nahezu synonym mit anderen Begriffen (populus, tribus, gens, generatio) verwendet.257 So formu­ liert bereits die Vulgata, deren semantischer und lexikalischer Einfluss auf das Mittellatein kaum überschätzt werden kann, etwa die Verheißung an Jakob: »Gentes et populi nationum ex te erunt« (Gen 35, 11 – Einheitsübersetzung 255

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[…] quod lex Moysi non dabat Gloriam animabus post mortem […] satis patet in eius discursu. Nullibi enim, in toto Pentateuco, inuenitur, quod in retributionem obserua­ tionis, seu actionis Legis, Deus promiserit facientibus eam, Gloriam aut vitam aeternam. – Tractatus zelus Christi, 1, 4, ed. Vivaldo, 20v. Vgl. Miguel Ángel Ladero Quesada: Patria, nación y Estado en la Edad Media. In: Re­ vista de historia militar 49 (2005), S. 33-58; Herbers: Geschichte Spaniens, S. 230‑237; Klaus Roth: Genealogie des Staates. Prämissen des neuzeitlichen Politikdenkens, Berlin 2003, S. 523‑579; Helmut Beumann: Zur Nationenbildung im Mittelalter. In: Otto Dann (Hg.): Nationalismus in vorindustrieller Zeit, München 1986, S. 21‑33; Jacques Le Goff: Die Geburt Europas im Mittelalter, München 22004 (Original: Paris 2003), S. 237‑240; Fran­ tišek Graus: Nationale Deutungsmuster der Vergangenheit in spätmittelalterlichen Chroniken. In: Dann (Hg.): Nationalismus, S. 35‑53. Vgl. Adeline Rucquoi: Les Juifs dans les écrits castillans. Peuple, genre ou nation? In: Revue de l’histoire des religions 234 (2017), S. 359‑384; Juliette Sibon und Claire Soussen: Les Juifs et la nation au Moyen Âge. Jalons pour une étude. In: Revue de l’histoire des religions 234 (2017), S. 219‑235.

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2016: »Ein Volk, eine Schar von Völkern soll aus dir werden«). Entsprechend vieldeutig ist daher auch die Bezeichnung der iberischen Neuchristen als natio bei Autoren wie Lope de Barrientos und Fernán Pérez de Guzmán.258 Nicht nur lexikalisch, sondern auch inhaltlich war die Bibel die wichtigste Quelle, wann immer scholastisch gebildete Gelehrte sich Gedanken über Ur­ sprung, Anzahl und Namen der Völker der Erde machten. Als einschlägig galt der Bericht des Pentateuch über den babylonischen Turmbau (Gen 11, 1‑9) als Ursache der göttlich verhängten Sprachverwirrung, die überhaupt erst zur Entstehung verschiedener Völker führte. Im Gegensatz zur allegorischen Rede von den Nachfahren Saras und Hagars, die als Repräsentanten der ver­ schiedenen Bundesschlüsse eine geistliche Wirklichkeit bezeichneten, wurde diese Erzählung als historische Tatsache angesehen, und da im vormodernen Denken die gesamte Menschheit zu diesem Zeitpunkt nach der Sintflut von Noach abstammte, ließen sich auch alle seither existierenden Völker von seinen Nachfahren ableiten. Andere einflussreiche Ursprungslegenden etwa aus der griechisch-römischen Antike wurden in der Regel in das biblische Schema integriert,259 so auch in der Abhandlung Origen de Troya y Roma von Diego de Valera und dem Liber genealogiae regum Hispaniae von Alonso de Cartagena.260 Selbst der Islam, eine Offenbarungs- und Bekenntnisreligion wie das Chris­ tentum selbst, wurde oft mit den Völkern in eins gesetzt, die man mit ihm assoziierte: Mauren, Sarazenen oder auch Agarener, allesamt griechisch-lateini­ sche Fremdbezeichnungen aus vorislamischer Zeit für die Völker Nordafrikas beziehungsweise der Arabischen Halbinsel, standen metonymisch für die Ange­ hörigen der gegnerischen Religionsgemeinschaft. Der Identifikation mit der Stammlinie Ismaels und Hagars gemäß Tora und Koran folgten dabei nicht nur christliche, sondern oft auch jüdische Gelehrte ebenso wie die muslimische Tradition selbst.261 So vermerkt auch das Breve reprehensorium des Bakkalaureus

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Vgl. u.a. Amran: La nación conversa, S. 225‑226. Vgl. Vgl. Borst: Turmbau, S. 617‑730; Angenendt: Der eine Adam, S. 39‑42; Elias J. Bicker­ mann: Origines Gentium. In: Classical Philology 47 (1952), S. 65‑81; Kellner: Ursprung und Kontinuität, S. 131‑135; Susan Reynolds: Medieval ›Origines gentium‹ and the Com­ munity of the Realm. In: History. The Journal of the Historical Association 68 (1983), S. 375‑377. Diego de Valera: Origen de Troya y Roma. Text bei Mario Penna (Hg.): Prosistas castel­ lanos del siglo XV. Bd. 1, Madrid 1959, S. 155‑159; vgl. dazu auch: Fernando Gómez Redondo: Diego de Valera, »hablistán y parabolano«. In: Moya García (Hg.): Mosén Diego de Valera, S. 134f.; Alonso de Cartagena: Liber genealogiae regum hispaniae. Text bei Palacios Martín: El libro de la genealogía, S. 217‑303. Vgl. John Tolan: Sons of Ishmael: Muslims through European Eyes in the Middle Ages, Gainesville 2008; Borst: Turmbau, S. 173f., 255 u. 435; Reuven Firestone: Hagar and Ismael in Literature and Tradition as a Foreshadow of their Islamic Personas. In: Bormann (Hg.): Abraham’s Family, S. 397‑420 und Angela Standhartinger: Member of Abraham’s Family? Hagar’s Gender, Status, Ethnos, and Religion in Early Jewish and Christian Texts. Ebd., S. 235‑259; Hacohen: Jacob & Esau, S. 92.

Palma in einem Exkurs über den Kampf der Christen gegen die Anhänger der Lehre Mohammeds: »So kommt es, dass die frechen Sarazenen in diesem Zeitalter stark gedeihen, jedoch zum Schaden ihrer Häupter. Gegen sie ist es erlaubt zu kämpfen, weil sie das heilige, durch das Blut Jesu Christi geweihte Land besetzt halten, das uns gehört. […] Und weil diese Agarener Kinder einer Magd sind, dürfen sie das heilige Land nicht erben. Dazu Genesis, 21. [Kapitel]: Verstoße Hagar, die Sklavin, von der, wie wir lesen, die Agarener abstammen, und ihren Sohn Ismael, von dem sie ebenfalls abstammen, denn dieser Sohn der Sklavin wird nicht Erbe sein mit meinem Sohn Isaak, von dem wir Christen abstammen.«262

Bei Aussagen wie dieser, die eine vormodern-völkerkundlichen Interpretation der Tora mit einer geistlich-moralischen Deutung und einem Anklang an das Motiv von den Kindern der Verheißung vermischen, wird besonders deut­ lich: Die Grenzen zwischen historisch-ethnischen und religiös-konfessionellen Beschreibungen von Kollektiven, die zudem beide in genealogische Begriffe gefasst wurden, waren oft genug alles andere als trennscharf. Auch für das Selbstverständnis der christlichen Spanier im Spätmittelalter spielte die Vorstellung von Völkern eine Rolle, die nicht einfach mit der feudalen Zugehörigkeit zum Königreich Kastilien, Aragon, Navarra oder Portu­ gal deckungsgleich war. Als Kulturkreis und geographische Einheit wiederum war Hispania durchaus eine relevante Größe,263 und auf den spätmittelalterli­ chen Universalkonzilen waren die Abgesandten von der Iberischen Halbinsel in der Spanischen Nation (natio hispanica) zusammengefasst. Der berüchtigte Rangstreit auf dem Konzil von Basel um den Ehrenvorrang vor den Gesandten des englischen Königs wiederum war eine vornehmlich kastilische Angelegen­ heit.264 Zum Lobpreis des eigenen Reiches führte Alonso de Cartagena dabei

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Hinc est, quod improbi sarraceni in hoc saeculo valde prosperantur, sed malo suorum capitorum [sic]. Contra quos licitum est pugnare, quia detinent terram sanctam conse­ cratam sanguine Iesu Christi, quae ad nos pertinet. […] Et cum isti Agareni sint filii ancillae, non debent hereditare terram sanctam. Iuxta id Genesis XXIo [capitulo]: Eiice Agar, ancilla, a qua Agarenos descendisse legimus, et filium eius Ismael, a quo etiam descendunt, quia non erit heres ipse filius ancillae cum filio meo Ysaac, a quo christiani descendimus. – Breve reprehensorium, 10, Ms. 23‑7, 13r. Vgl. José A. Maravall: El concepto de España en la Edad Media, Madrid 41997 (Original: 1954), S. 17‑31; Beumann: Nationenbildung, S. 21; Suárez Fernández: Monarquía hispa­ na, S. 83‑94; Horst Pietschmann: Zum Problem eines frühneuzeitlichen Nationalismus in Spanien. Der Widerstand Kastiliens gegen Kaiser Karl V. In: Dann (Hg.): Nationalismus, S. 60; Peter Linehan: At the Spanisch Frontier. In: ders. und Janet L. Nelson (Hgg.): The Medieval World, London 22007, S. 38; Francisco Vivar: Primeras señas de identidad colectiva. Las alabanzas de España medievales. In: Castilla: Estudios de literatura 27 (2002), S. 141-158; Matthias Maser: »Hispania« und al-Andalus. Historiographische Selbstpositionie­ rung im Spannungsfeld von Identität und Alterität. In: Tischler/Fidora (Hgg.): Christlicher Norden – Muslimischer Süden, S. 363‑388. Vgl. Helmrath: Rangstreite, S. 163‑166; Silvia González-Quevedo: Alfonso de Cartagena, una expresión de su tiempo. In: Crítica Hispánica 4 (1982), S. 7f.

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unter anderem die Vielzahl der naciones an, die in ihm vereint seien, darunter neben Kastiliern auch Galizier und Basken.265 Als bedeutendste geschichtliche Referenz galt ihm und anderen Zeitgenos­ sen jedoch eindeutig die landsmannschaftliche Herleitung von den Westgoten, die nach dem Niedergang des Römischen Kaiserreiches erst das südliche Galli­ en und dann die Iberische Halbinsel beherrschten, bis sie ihrerseits von den expandierenden Umayyaden unterworfen wurden. Spätestens seit dem Hoch­ mittelalter dominierte dieser spanische »Goticismus« zunehmend die Chronis­ tik ebenso wie die Selbstinszenierung der Herrscherhäuser.266 Dabei diente die Berufung auf das gotische Erbe vor allem der kastilischen Monarchie nicht nur als symbolisches Kapital, sondern legitimierte auch (mit Verweis auf das germanische Wahlkönigtum) die Usurpation Heinreichs II. und den Anspruch auf die Kanarischen Inseln und andere Gebiete als angebliche Teile des alten Toledanischen Reiches.267 Die Erinnerung daran, dass an der Besiedlung der Iberischen Halbinsel über Jahrtausende ganz verschiedene Volksgruppen von Iberern und Kelten über Phönizier, Römer und Juden bis hin zu Arabern, Berbern und Franken beteiligt waren,268 war zwar auch im 15. Jahrhundert nicht gänzlich vergessen, doch gerade die spätmittelalterliche und frühneuzeitliche Gelehrsamkeit beton­ te mehr denn je die gotischen Wurzeln des christlichen Spanien.269 Mit dem Erbe der Westgoten, die einst die Fremdherrschaft der römischen Invasoren beendet hatten – so das freilich recht artifizielle Narrativ – verband sich der his­ torische Auftrag, Spanien abermals zu befreien, nun jedoch von der Besatzung durch die muslimischen Herrscher.270 Gemäß der biblischen Tradition, nach der die Völker der Welt grundsätzlich auf ihre noachidischen Stammväter zu­ rückzuführen waren, galten die Goten oft als Nachfahren Magogs, des Sohnes

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Vgl. Echeverría Gaztelumendi: Edición crítica del discurso, S. 110. Vgl. Norbert Kersken: Geschichtsschreibung im Europa der »nationes«. Nationalgeschichtliche Gesamtdarstellungen im Mittelalter, Weimar 1995, S. 13‑77; Hans Messmer: Hispania-Idee und Gotenmythos. Zu den Voraussetzungen des traditionellen vaterländischen Geschichtsbildes im spanischen Mittelalter, Zürich 1960; Josef Svennung: Zur Geschichte des Goticismus, Uppsala 1967, S. 21‑43. Vgl. Joseph F. O’Callaghan: Reconquest and Crusade in Medieval Spain, Philadelphia 2003, S. 2‑7. Vgl. u.a. Klaus Herbers: Die Vielfalt der Minderheiten und Randgruppen auf der Iberischen Halbinsel. In: Herbers/Jaspert (Hgg.): Integration – Segregation – Vertreibung, S. 45‑63. Vgl. Josué Villa Prieto: La ideología goticista en los prehumanistas castellanos: Alonso de Cartagena y Rodrigo Sánchez de Arévalo. Sus consideraciones sobre la unidad hispano-visigoda y el reino astur-leonés. In: Territorio, Sociedad y Poder 5 (2010), 123-145; Carlos Clavería: Reflejos del »goticismo« espanol en la fraseología del siglo de oro. In: Studia Philologica. Homenaje ofrecido a Dámaso Alonso, , Madrid 1960, S. 357‑372; Edward A. Thompson: The Goths in Spain, Oxford 1969, S. 15‑18. Vgl. Thomas Devaney: Virtue, Virility, and History in Fifteenth-Century Castile. In: Specu­ lum 88 (2013), S. 721‑749.

Jafets und Enkels Noachs (Gen 10, 2).271 Lediglich solche Autoren, die wie der katalanische Kardinal Joan Margarit i Pau oder der aus Apulien stammende Arzt und Literat Antonio de Ferrariis stärker vom italienischen Humanismus beeinflusst waren, boten alternative Interpretationen, die das romanische Erbe der iberischen Halbinsel hervorhoben.272 Bei aller Glorifizierung des gotischen Erbes stand für die christlichen Auto­ ren doch außer Frage, dass dem auserwählten Israel eine einzigartige Rolle im Heilsplan Gottes zukam. In der Komplementarität von Juden und den übrigen Völkern, die auch als Heiden (gentiles) zusammengefasst wurden, war daher die gesamte Menschheit inbegriffen. Diese letztlich alttestamentlich begründete Di­ chotomie ergänzte die christlichen Theologie zusätzlich durch die paulinische Vorstellung, dass die von Jesus Christus gestiftete Gemeinschaft jegliche Volks­ zugehörigkeit transzendiert – eine frühe und anhaltende Überzeugung, die im ersten Jahrhundert mit zur Trennung vom Judentum beitrug und im 15. Jahr­ hundert abermalige Aktualität erlangte als Plädoyer für die gleichberechtigte Integration jüdischstämmiger Konvertiten in die christliche Gemeinschaft. 3.4.1 Jude oder Grieche: kein Ansehen der Person (Röm 2) Dass die biblischen Schriften, die von Paulus verfasst oder unter seinem Namen tradiert wurden, für den Diskurs um die iberischen Conversos eine wichtige Rolle spielten, hat bereits der Blick auf seine Warnung vor »denen aus der Beschneidung« im Titusbrief und auf seine Lehre von den »Kindern der Ver­ heißung« gezeigt. Allerdings konnten solche Passagen auch den Gegnern der Neuchristen nützen, da sie sich leicht gegen das Judentum und im weiteren Sinn gegen jüdischstämmige Konvertiten wenden ließen. Anders verhält es sich mit den Aussagen der paulinischen Gemeindebriefe, die sich klar gegen eine Unterscheidung der Getauften nach ihrer jüdischen oder heidnischen Herkunft wenden.273 Die entsprechenden Passagen unter an­ derem in den Schreiben an die Christen von Galatien (Gal 3) und Kolossä (Kol 3) ließen sich leicht auf die Situation der iberischen Conversos übertragen 271 272

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Vgl. Borst: Turmbau, S. 985‑987. Vgl. Robert B. Tate: El Manuscrit i les fonts del Paralipomenon Hispaniae. In: Estudis romànics 4 (1954), S. 107-136; vgl. dazu auch František Graus: Lebendige Vergangenheit: Überlieferung im Mittelalter und in den Vorstellungen vom Mittelalter, Köln 1975, S. 24‑28; Zeldes: Arguments, S. 62; Jocelyn N. Hillgarth: The Visigoths in History and Legend, Toron­ to 2009, S. 138. Vgl. u.a. Klaus Wengst: »Freut euch, ihr Völker, mit Gottes Volk!«. Israel und die Völker als Thema des Paulus – ein Gang durch den Römerbrief, Stuttgart 2008, S. 163‑180; Paula Fredriksen: How Jewish Is God? Divine Ethnicity in Paul’s Theology. In: Journal of Bibli­ cal literature 137 (2018), S. 193‑212; Michael Bachmann: Paul, Israel and the Gentiles: Hermeneutical and Exegetical Notes. In: Reimund Bieringer und Didier Pollefeyt (Hgg.): Paul and Judaism. Crosscurrents in Pauline Exegesis and the Study of Jewish-Christian Relations, London 2012, S. 72‑105.

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und sprachen relativ naheliegend für ihre Gleichberechtigung. Besonders der bereits mehrfach erwähnte Brief an die Gemeinde in Rom spielte für den Diskurs um die iberischen Neuchristen auf verschiedene Weise eine wichtige Rolle. Auch in diesem Text beschäftigt den beharrlichen Befürworter der Hei­ denmission die Fortschreibung des Bundes Gottes mit seinem Auserwählten Volk auf eine Weise, die die vormals Fremden mit einschließen kann – »Das, was in seiner ersten Inkarnation eine separate ethnische Gruppe war, ist jetzt eine Gemeinschaft freier Glaubender, die sämtliche ethnischen Unterschiede außer Kraft setzt.«274 In einer Zeit, in der noch ein überwiegender Teil der Gläubigen im Erwach­ senenalter aufgrund der persönlichen Bekehrung getauft wurde, rang der phari­ säisch geschulte Theologe Paulus damit, die Notwendigkeit der Erlösung beider Gruppen zu begründen, von der die eine dem jüdischen Gesetz verpflichtet gewesen war (und es in Teilen weiter praktizierte) und die andere damit oft erst durch die christliche Taufe persönlich in Berührung gekommen war. Die damalige Frage war also mindestens ebenso die nach der Erforderlichkeit wie nach der Möglichkeit für Juden und Nichtjuden, dem Neuen Bund beizutre­ ten.275 Die damit verbundenen theologisch hochkomplexen Gedankengänge des Paulus, der »zwar ein kohärenter, aber kein systematischer Denker«276 war, sind bis heute Gegenstand der akademischen Forschung, und es gibt Grund zu der Annahme, dass sie zu seinen Lebzeiten nur von einem sehr kleinen Leserkreis unmittelbar rezipiert wurden. In den spanischen Reichen des 15. Jahrhunderts ist die Situation freilich eine völlig andere. Die Notwendigkeit, zur christlichen Heilsgemeinschaft zu gehören, um nach dem Tod im göttlichen Gericht bestehen zu können, galt jedenfalls unter Christen als evident. Seit Jahrhunderten war das lateinische Christentum als staatstragende Religion etabliert, und die ganz überwiegende Mehrzahl der Christen war von frühester Kindheit an getauft und im christli­ chen Glauben aufgewachsen. Selbst der weitaus größte Teil derer, die von ihren Gegnern als Marranen stigmatisiert wurden, stammte Mitte des Jahrhunderts (womöglich auch nur teilweise) von jüdischen Eltern oder Großeltern ab, war aber nicht selbst konvertiert. Von buchstäblichen Konvertiten aus den heidnischen (im sinne von nichtjü­ dischen) Völkern wiederum konnte allenfalls hinsichtlich der Morisken (moris­ cos), der zum Christentum übergetretenen Muslime, die Rede sein, möglicher­ 274 275

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Žižek: Die Puppe und der Zwerg, S. 134; vgl. dazu auch Bobichon: Le thème du »Verus Israel«; Dahan: The Christian polemic, S. 105‑108. Vgl. J. William Johnston: Which »All« Sinned? Rom 3:23-24 Reconsidered. In: Novum Testamentum 53 (2011), S. 153-164; Bryan Blazosky: The Role the Law does or does not play in the Condemnation of Gentiles in Rom 2:12-15. In: Journal of the Evangelical Theological Society 59 (2016), S. 83-97. Stefan Eckhard: Kanon und Geschichte. Trends in der neutestamentlichen Forschung. In: Theologische Quartalsschrift 200 (2020), S. 45.

weise noch in Bezug auf die Sklaven, die von den Kanaren, aus Westafrika, Osteuropa oder Zentralasien nach Spanien gebracht worden waren.277 Gleich­ wohl legten die sogenannten Altchristen darauf wert, nicht nur seit Generatio­ nen im christlichen Glauben verwurzelt zu sein, sondern vor allem auch eine vermeintlich zweifelsfrei nichtjüdische Volkszugehörigkeit zu besitzen. Alonso de Cartagena merkte dazu kritisch an, dass eine heidnische Abstammung allzu leicht mit einer besonders edlen verwechselt würde: »So groß ist die Menge und Vielzahl jener [berühmten Heiden], und so groß war der Glanz der Vorfahren in den Heidenvölkern, dass wir in der Umgangssprache Edelmän­ ner als ›gentile‹ Menschen zu bezeichnen pflegen und dabei sogar den nicht adeligen Gemeinen von der Bezeichnung ›gentil‹ ausschließen, selbst wenn er aus demselben Heidentum stammt, damit er nicht durch die Teilhabe an diesem Namen so erscheint, als würde ihm Adel zugemessen.«278

Die Autoren des 15. Jahrhunderts setzten sich nun im Diskurs um die Conver­ sos nur bedingt mit der hochkomplexen Soteriologie des Paulus auseinander, wenn sie seine Äußerungen zu Juden und Heiden zitierten; auch versuchten sie höchstens ansatzweise, seine Vision des Verhältnisses zwischen Gott und Israel aus den besonderen Umständen der apostolischen Zeit heraus zu verste­ hen. Eher ging es ihnen darum, anhand einiger zentraler Textauszüge den Grundgedanken zu belegen, dass die Zugehörigkeit zu Christus jede ethnische Zugehörigkeit tilgt, oder zumindest transzendiert und irrelevant macht. Die größte Beachtung erlangte hierbei der Spitzensatz »Herrlichkeit, Ehre und Friede werden jedem zuteil, der das Gute tut, zuerst einem Juden, und ebenso einem Griechen; denn es gibt bei Gott kein Ansehen der Person« (Röm 2, 10‑11). Komplementär oder alternativ dazu wurden auch der Brief des Paulus an die Gemeinde in Galatien und der (wahrscheinlich pseudo-paulinische) Brief an die Gemeinde von Kolossä jeweils mit einem Kernsatz zitiert, der den gleichen Grundgedanken rhetorisch kraftvoll ausdrückt: »Es gibt nicht mehr Juden und Griechen, nicht Sklaven und Freie, nicht männlich und weiblich; denn ihr alle seid einer in Christus Jesus« (Gal 3, 28), und: »Da gibt es dann nicht mehr Griechen und Juden, Beschnittene und Unbeschnittene, Barbaren, Skythen, Sklaven, Freie, sondern Christus ist alles und in allen« (Kol 3, 11).

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Vgl. Jeffrey Fynn-Paul: Tartars in Spain: Renaissance Slavery in the Catalan City of Manre­ sa, c. 1408. In: Journal of Medieval History 34 (2008), S. 347‑359; William D. Phillips: La historia de la esclavitud y la historia medieval de la Península Ibérica. In: Espacio, Tiempo y Forma 23 (2010), S. 149‑165; Alfonso Franco Silva: La esclavitud en Andalucía a fines de la Edad Media. Problemas metodológicos y perspectivas de investigación. In: Studia 47(1989), S. 147-167. Tantaque copia illorum ac numerositas est tantusque splendor aviorum in gentibus fuit, ut in communi sermone nobiles viros gentiles homines soleamus vocare; innobilem, vulgum, licet ab ipsa gentilitate descenderint et gentilitatis nomine excludendo, ne sub huius nominis participatione nobilitatis sibi atribui videatur. – Defensorium, 2, 4, 1, ed. Alonso, S. 156.

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Die Interpretation, die vor allem den »Griechen« als Synekdoche für die An­ gehörigen aller nichtjüdischen Völker deutet, ist dabei in der Tat im Sinne des biblischen Autors und wird von den Verteidigern der Conversos entsprechend verwendet. So formuliert bereits zu Beginn der Krise 1449 in Toledo der anony­ me Prediger von Valladolid im Bewusstsein der umfänglichen Bedeutung der paulinischen Kurzformel, die er als Paraphrase aus dem Kolosserbrief ausweist: »Deshalb werden die, die an Jesus Christus glauben, nicht Chaldäer, Perser oder Grie­ chen genannt, Römer oder Spanier, Juden oder Heiden, sondern mit einem allgemei­ nen Namen, nämlich Christen, nach Christus, dem Erlöser aller, […] in dem es, wie der Apostel sagt, nicht Mann und Frau gibt, Heiden und Juden, Beschneidung und Vorhaut, Barbaren und Skythen, Sklaven und Freien, sondern Christus ist alles in allen. Kolosserbrief, Kapitel 3.«279

Im Mittelteil seiner vermutlich nur wenig später verfassten Stellungnahme schließt Alonso de Montalvo bereits alle drei einschlägigen Verse ein. Seinem eher eklektischen und weniger strukturierten Stil entsprechend, reiht er ver­ schiedene Argumente und Verse aneinander und hält fest: »Galaterbrief, 3. [Kapitel]: Wer auch immer ihr nämlich in Christus getauft seid: Ihr habt Christus angezogen, [und] es gibt keinen Juden noch Griechen noch Heiden, es gibt keinen Sklaven noch Freien, es gibt nicht männlich noch weiblich […] Denn bei Gott gibt es kein Ansehen der Personen, sondern Herrlichkeit, Ehre und Friede gehören allen, die Gutes tun, zuerst einem Juden und auch einem Griechen, [so steht es im Brief] an die Römer [im] 2[. Kapitel und] an die Kolosser [im] 3[. Kapitel]. Es gibt keine Unterscheidung von Juden und Griechen, denn alle sündigten und haben die Herrlichkeit Gottes nötig.«280

In recht freier Paraphrase ergänzt Alonso hier die Gruppe der Griechen erklä­ rend um die zusätzliche Bezeichnung als Heiden (gentiles), mutmaßlich zu dem Zweck, den Zusammenhang mit der Frage der Conversos noch deutlicher zu machen. Im Vergleich zu diesen eher knappen Referenzen legen bereits einige andere der frühen Schriften zugunsten der Conversos großen Wert darauf zu zeigen, dass ihre Verwendung der paulinischen Formeln fest in der exegetischen und 279

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Idcirco tenentes fidem Iesu Christi […] non enim uocantur chaldaei, persae uel graeci, romani nec hispani, iudaei uel gentilis, sed quodam generali nomine, scilicet, christiani a Christo omnium redemptore […] in quo, ut ait Apostolus, non est masculus et femi­ na, gentilis et iudaeus, circumcisio et praeputium, barbarus et scytha, seruus et liber, sed omnia in omnibus Christus, ad. Col. Cap. 3.« – Sermo, ed. González Rolán/Saquero Suárez-Somonte, S. 47. […] ad Galatas 3: Quicunque enim in Christo baptizati estis, Christum induistis, non est Iudaeus nec Graecus nec Gentilis, non est seruus nec liber, non est masculus nec femina, omnes enim uos unum corpus estis in Christo Iesu […] Nulla namque apud Deum est acceptio personarum, gloria autem, honor et pax omni operanti bonum Iudaeo primum et Graeco, ad Romanos 2, ad Colossenses 3. Nulla est distinctio Iudaei et Graeci, omnes enim peccauerunt, et egent gloriam Dei, ad Romanos 3. – Tractatus quidam levis, 14, ed. Conde Salazar, S. 111‑112.

rechtlichen Tradition der Kirche verankert war. So beruft sich Juan de Tor­ quemada zur Bekräftigung der Relevanz der zitierten Aussagen in der aktuellen Frage und zur Bestätigung seiner Interpretation auf die Autorität der Glossa or­ dinara, die als Standardwerk der römisch-katholischen Schriftauslegung nahezu kanonischen Status besaß. Diese kommentierte die fragliche Stelle im Römer­ brief bereits über zweihundert Jahre zuvor in dem Sinne, dass Gott nicht nach Herkunft und Geburt richte, sondern nach dem Verdienst jedes Einzelnen.281 Der Kardinal zieht damit im vorletzten Kapitel seines Traktats das Fazit seiner einleitenden Betrachtungen und der vorangehenden Widerlegungen der geg­ nerischen Argumente. Die umfassende Schlussfolgerung, dass es keinen Unter­ schied zwischen sogenannten Conversos und anderen Christen geben könne, beginnt mit den Verweisen auf den Galaterbrief und den Römerbrief: »Zunächst ist es sicherlich deswegen verdammenswert, einen solchen Unterschied zwischen den Gläubigen zu machen, weil die Heilige Schrift dem an vielen Stellen widerspricht. Denn der Apostel [Paulus] sagt im Brief an die Galater: Es gibt keinen Juden noch Griechen, es gibt keinen Sklaven noch Freien, es gibt nicht männlich noch weiblich. Alle seid ihr nämlich eins in Christus. […] Außerdem widerspricht der genannte Unterschied der Heiligen Schrift, wo der Apostel [Paulus im Brief] an die Römer sagt: Herrlichkeit und Ehre und Frieden gehören jedem, der Gutes tut, zuerst einem Juden und auch einem Griechen, das bedeutet, einem Heiden; denn es gibt kein Ansehen der Person bei Gott. [Dazu sagt] die Glosse, er erklärt gewissermaßen: Juden und Heiden sind gleich hinsichtlich Strafe und Herrlichkeit.«282

Möglicherweise geht es mit auf den Einfluss Juans zurück, wenn auch das päpstliche Schreiben Humani generis inimicus die paulinische Formel zur Be­ gründung der eigenen Anordnungen aufgreift: »Wir nehmen gewisse neue Säer von Zwietracht wahr, die danach streben, den heil­ bringenden Grund der Einheit und des Friedens unseres Glaubens zu verderben […], dass dies den Weisungen unseres Erlösers fremd ist, bezeugt der Apostel Paulus, wenn er sagt: Herrlichkeit und Ehre und Frieden gehören jedem, der Gutes tut, einem Juden und einem Griechen, denn es gibt kein Ansehen der Person vor Gott.«283

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283

Vgl. Glossa ordinaria, ed. Jacques-Paul Migne: Patrologia Latina, Bd. 114, S. 475. Primo quidem ponere talem differentiam inter fideles damnabile est, ex eo quod con­ tradicit divinae Scripturae in multis locis. Inquit enim Apostolus, ad Gal. 4: Non est Iudaeus, nec Graecus, non est servus, nec liber, non est masculus, nec femina. Omnes enim unum estis in Christo. […] Item differentia prefata contradicit Scripturae divinae, ad Rom. 2 (10-11), ubi ita loquitur Apostolus: Gloria et honor et pax omni operanti bonum, Iudaeo primo et greco, id est, gentili; non enim est personarum acceptio apud Deum. Glossa: Quasi dicat: ideo coaequo Iudaeum et gentilem in pena et in glora. – Contra Madianitas, 15, ed. del Valle Rodríguez, S. 216‑218. Percepimus quosdam novos seminatores zizanie, affectantes huius unitatis et pacis nostre fidei salutare fundamentum corrumpere […], que, cum a Redemptoris nostri institutis aliena sint, eodem apostolo Paulo testante, cum dicit: gloria et honor et pax omni operanti bonum, Iudeo et Greco, non enim est acceptio personarum apud Deum. – Humani generis inimicus, ed. Simonsohn, S. 935‑936.

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Denselben Grundsatz bekräftigte auch das zwei Jahre später verfasste päpstliche Schreiben Considerantes ab intimis, das abermals jegliche rechtliche Differenzie­ rung zwischen Altchristen und Neuchristen verurteilte.284 Auch Fernán Díaz de Toledo stellt seinen Verweis auf den Römerbrief in den Kontext der kirchlichen Tradition und zieht dazu zunächst einen Passus aus den Dekretalen Gregors IX. (ca. 1167‑1241) heran, der ihm als gedankliche Brücke zu den Worten des Römerbriefs dient. Nachdem er in kurzen Worten die Position der Rebellen von Toledo vorgestellt hat, geht er dazu über, sie aufgrund derselben Rechtsquelle (X 1. 3. 7) als Häresie zu denunzieren: »Dieses Kapitel besagt ausdrücklich, dass niemand verachtet oder zurückgewiesen wer­ den darf, Ehre und Würde zu haben, weil er Jude war. Und über diese Textstelle sagen die Lehrer, dass sie nicht nur nicht verachtet werden dürfen, sondern dass sie bevorzugt werden müssen, was gut mit den Worten des Apostels übereinstimmt – war er auch unser Verwandter –, wo er sagt: Einem Juden zuerst und auch einem Griechen [Röm 2, 10].«285

Die Bereitschaft, die sich hier andeutet, in den Konvertiten aus dem Judentum aufgrund ihrer Herkunft nicht nur gleichberechtigte, sondern sogar privilegier­ te Empfänger der christlichen Wahrheit zu sehen, übernahm Lope Barrientos in einer etwas abgeschwächten Variante: »Niemand darf verachtet noch zurückgewiesen werden, Ehre und Würde zu haben, weil er Jude oder Maure war. Und über diese Textstelle sagen alle Lehrer, dass sie nicht nur nicht verachtet werden dürfen, sondern bevorzugt werden müssen; was mit dem Wort des Apostels übereinstimmt, wo er sagt: Einem Juden zuerst und auch einem Griechen [Röm 2, 10].«286

Durch die zusätzliche Nennung von Mauren im selben Satz verschiebt sich der Akzent der Bedeutung, so dass die gebührende Bevorzugung nun weniger qua Volkszugehörigkeit den jüdischstämmigen Christen zu gelten scheint, sondern allgemein den Konvertiten im Vergleich zu denen, die im christlichen Glauben aufgewachsen sind. Diese exegetische Präferenz setzt der Bischof von Cuenca auch in seiner Responsio ad quaesitum fort, wo er im Rekurs auf die Summa decretorum des Kanonisten Huguccio (gestorben 1210) auf die Worte des Gala­ terbriefs verweist. Um zu beweisen, dass keine gläubigen Christen jüdischer 284 285

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Vgl. Simonsohn: Apostolic See 1394-1464, S. 979-980. […] el qual capítulo diçe expresamente que ninguno debe ser desdeñado ni repulso para aver honra y dignidad por aver sido judío. Y sobre aquel paso diçen los doctores que no solo no deben ser desdeñados, mas que deben ser favoresçidos, lo cual concuerda bien con las palabras del Apóstol, aunque era nuestro pariente, donde diçe: iudaeo primum et graeco. – Instrucción, ed. González Rolán/Saquero Suárez-Somonte, S. 99. […] ninguno non deve ser desdeñado, nin repulso para aver honra nin dignidad por aver sido judío ni moro. E sobre aquel paso diçen los doctores todos que no solamente no deven ser desdeñados, mas que deven ser favorecidos; lo qual concuerda con la palabra del Apóstol donde dice: iudeo primum et graeco. – Contra algunos çiçañadores, ed. González Rolán/Saquero Suárez-Somonte, S. 127.

Abstammung gemeint sein können, wo von einem Ausschluss derer »von den Juden« (ex Iudaeis) die Rede ist, erklärt er: »Anders ist es nämlich mit den wahrhaft Bekehrten, weil diese offensichtlich nicht als Juden bezeichnet werden können nach dem oben genannten Zeugnis des Apostels [im Brief] an die Galater [im] 3[. Kapitel], wo er sagt: Wer auch immer ihr in Christus getauft seid: Ihr habt Christus [wie ein Gewand] angezogen. Und es folgt: Es gibt keinen Juden. Und folglich kann, wer in Christus getauft ist, auf keine Weise jüdisch genannt werden.«287

Alonso de Cartagena wiederum stellt das Zeugnis des Galaterbriefs ans Ende des ersten von drei Teilen seines Traktats. In diesem ersten Teil bietet er einen heilsgeschichtlichen Überblick von der Erschaffung der Welt bis zur apostoli­ schen Zeit, um darzulegen, wie Gott die Einheit aller Menschen schon von Anfang an grundgelegt und schließlich in der christlichen Kirche vollendet hat. Entsprechend zieht er in der Zusammenfassung dieser Betrachtung zunächst die Passage des Römerbriefs heran, die den ersten Menschen Adam dem Erlöser Jesus Christus gegenüberstellt – eine Schriftstelle, auf die im Diskurs um die iberischen Neuchristen sonst kaum verwiesen wird. Daran jedoch schließt er die viel zitierten Worte aus dem Galaterbrief an, um die Wirkung der Erlö­ sungstat Christi noch einmal auf den Punkt zu bringen: »Auch an anderer Stelle bestätigt [Paulus] die Lehre mit apostolischer Autorität, indem er mit anderen Worten überliefert: Es gibt nicht Juden noch Griechen, es gibt keinen Sklaven noch Freien, es gibt nicht männlich noch weiblich. Ihr seid nämlich alle eins in Christus Jesus. Denn gemäß der Erklärung der heiligen Lehrer ist durch keine von diesen [Eigenschaften] irgendeiner würdiger [als ein anderer] in Christus.«288

Der Lehrsatz, nach dem die Auflösung aller Unterschiede nach Paulus sich auf die gleiche Würde der Gläubigen bezieht, ist dabei wahrscheinlich einem Bibelkommentar des Petrus Lombardus (ca. 1095‑1160) entnommen. 289 Alonso de Cartagena wiederum zieht aus dieser Schlussfolgerung die konkrete Gewiss­ heit, dass auch die sogenannten Altchristen seiner Tage für sich keinen Vorrang geltend machen können. Während die genannten Autoren sich in der Bildung eines paulinisch infor­ mierten Begriffs von Volk und Nation bewusst eng an die autoritativen Quellen 287

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Secus enim de uere conuersis, quia isti non possunt dici iudaei, testante Apostolo ubi supra, uidelicet ad Galatas 3, ubi dicit: Quicumque in Christo baptizati estis, Christum induistis. Et sequitur: Non est iudaeus. Et per consequens, qui baptizatur in Christo, nullo modo potest dici iudaeus. – Responsio ad quaesitum, ed. González Rolán/Saquero Suárez-Somonte, S. 157. Etiam apostolice auctoritatis doctrina alio in loco per alia verba specialius tradens ait: […] Non est iudaeus neque gentilis, non est servus neque liber, non est masculus neque femina. Omnes enim vos unum estis in Christo ihesu. Quia iuxta expositionem sanc­ torum doctorum nichil horum est per quod aliquis dignior sit in Christo. – Defensorium, 1, 10, ed. Alonso, S. 90. Vgl. Petrus Lombardus: In espistolam ad Galatas, ed. Jacques-Paul Migne: Patrologia Latina, Bd. 192, S. 133.

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der kirchlichen Tradition anlehnen, wo sie jeden Unterschied anhand der eth­ nischen Herkunft bestreiten, werden die diskursiven Aussagen selbstständiger und vielfältiger, wo sie die besondere Rolle Israels im göttlichen Heilsplan betrachten. So geht auch der Bischof von Burgos im theologisch argumentati­ ven Hauptteil seines Defensorium über die einfache Gleichsetzung von Juden und Heiden im christlichen Glauben hinaus und verwendet die entsprechende Passage des Römerbriefs, um die besondere Situation des jüdischen Volkes zu differenzieren. »Herrlichkeit aber und Ehre und Frieden gehören allen, die Gutes tun. Einem Juden zuerst und auch einem Griechen, denn es gibt kein Ansehen der Personen bei Gott. Und so legt [Paulus] ausdrücklich dar, dass die Abtrünnigen und die Leugner der Wahrheit des katholischen Glaubens, die von Israel abstammen, schwerer zu bestrafen sind, die Gläubigen aber freundlicher und gemäß ihrer Besonderheit zu behandeln sind.«290

Im Gegensatz zu den meisten Verteidigern der Neuchristen, die das Wort des Apostels Paulus vor allem gemäß dem Nachsatz »Es gibt bei Gott kein Ansehen der Person« (Non enim est acceptio personarum apud Deum) verstehen und damit die prinzipielle Gleichrangigkeit von Christen jüdischer und nichtjüdischer Herkunft ableiten, verlegt sich Alonso de Cartagena hier an erster Stelle auf die Differenzierung, die in der schwer zu deutenden Formulierung »zuerst einem Juden und auch einem Griechen« (Iudaeo primum, et Graeco) zu liegen scheint. Die Betrachtungen Alonsos über die besondere Rolle des jüdischen Volkes im Heilsplan Gottes sind zu umfangreich und speziell, um sie in dieser Untersu­ chung vor allem der gemeinsamen Merkmale der Texte zugunsten der Conver­ sos ausführlich zu behandeln. Wichtig ist jedoch zumindest die Beobachtung, dass eine christliche Israel-Theologie, die dem Auserwählten Volk auch über das Erscheinen des Erlösers hinaus einen privilegierten Status zuwies, innerhalb des Diskurses um die iberischen Conversos erdenklich und formulierbar war. Auch Alonso de Oropesa macht in seiner Abhandlung vielfachen Gebrauch von Passagen aus dem Römerbrief. Die paulinischen Aussagen zu Juden und Griechen verwendet er dabei vor allem, um die prinzipielle Gleichheit aller Menschen vor Gott zu belegen, geht jedoch auch auf den Gesichtspunkt einer Differenzierung der besonderen Voraussetzung des jüdischen Volkes ein. Dabei räumt er ihm zwar einen gewissen Ehrenvorrang ein, deutet diesen jedoch ausschließlich historisch – Jesus Christus habe die Frohe Botschaft zuerst in der Synagoge, der Versammlung des Alten Bundes, verkündet, um das Versprechen einzulösen, das Gott seinem Volk gegeben hatte: 290

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Gloria autem et honor et pax omni operanti bonum. Iudeo primum et greco, non enim personarum acceptio est apud deum. Ac si expresse insinuet, prevaricantes ac fidei catholice veritatem negantes qui ex israel descendunt, gravius puniendos, fideles autem benignius et quadam peculiaritate tractandos. – Defensorium, 2, 1, 8, ed. Alonso, S. 118‑119.

»Auf diese Weise spricht also der Apostel zu den Römern, erstens, indem er an das Evangelium Christi erinnert und sagt, dass die Kraft Gottes im Heil aller Gläubigen ist, zuerst für einen Juden und auch für einen Griechen. Auf diese Weise ist nämlich der Ratschluss des [Papstes] Clemens aus der Kirchengeschichte zu verstehen, wo es heißt, dass die Juden, die gut sind und so weiter, in der Kirche den ersten Platz haben sollen: Das bezieht sich, wie ich erklärt habe, auf jene ursprüngliche Verbreitung [des Evangeliums].«291

Zugleich gehört dieses Privileg für den Autor des Lumen ad revelationem jedoch zu den Merkmalen der Unvollkommenheit, die das vorchristliche Zeitalter kennzeichnen. Im 32. Kapitel, einem der zentralen Abschnitte, argumentiert er daher mit dem seiner Ansicht nach entscheidenden Unterschied zwischen Altem und Neuem Testament. Während unter dem Gesetz des Mose »jene al­ ten, unvollkommenen und fleischlichen rituellen Verpflichtungen« (illas veteres imperfectas et carnales ceremoniarum observantias) nur für das Volk Israel gültig waren und somit in der Tat einen Unterschied zwischen Juden und Heiden hinsichtlich ihrer Verbindlichkeit machten, sei das Besondere des Neuen Bun­ des in Christus gerade, dass er alle Menschen gleichermaßen einschließe. Dazu zitiert er aus der Glossa Ordinaria und dem Kolosserbrief: »Daher muss man wohl zu diesem ganzen Thema mit dem verdienstvollen Apostel schließen, [was im] Kolosserbrief [im] dritten [Kapitel steht]: Es gibt nicht Mann und Frau, Heiden und Juden, Beschneidung und Vorhaut, Barbaren und Skythen, Sklaven und Freie, sondern Christus ist alles und in allen. An dieser Stelle sagt die Glosse zu unserem Vorsatz: Es gibt keinen Heiden und Juden, das heißt, es gibt keine Ausnahme oder Annahme des Heiden oder Juden; niemand ist als unwürdig ausgeschlossen, und es hindert und hilft nichts bei Gott, dass sie von diesen oder jenen geboren sind.«292

Weniger ausführlich, aber doch eindeutig in der Aussage argumentiert Gutierre de Palma anhand des paulinischen Zitats aus dem Römerbrief, das er mit ähn­ lich lautenden Stellen aus dem Alten und Neuen Testament zusammenstellt. Allerdings deutet er dabei die Innovation des Neuen Bundes anders als Alonso de Oropesa nicht als Überwindung eines speziell Mosaischen Gesetzes. Stattdes­ sen spielt er auf die Figur des Noach an, der als gemeinsamer Stammvater der verschiedenen Völker galt und dessen Arche traditionell als Symbol der Kirche gedeutet wurde: 291

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Hoc ergo modo loquitur Apostolus ad Romanos, primo, commemorans Christi evange­ lium et dicens quod virtus Dei est in salutem omni credenti, Iudeo primum et Greco. Hoc etiam modo est intelligenda Clementis auctoritas ex ecclesiastica historia, ubi dici­ tur quod Iudei qui boni sunt, et cetera, debent in Ecclesia primum locum tenere: hoc est quantum ad illam primam divulgationem, ut declaravi. – Lumen ad revelationem, 27. Bene ergo pro hoc totali proposito est cum Apostolo non immerito concludendum (Ad Colossenses, tertio): Non est masculus et femina, gentilis et Iudeus, circumcisio et preputium, barbarus et scita, servus et liber, sed omnia et in omnibus Christus. Ubi ad nostrum propositum sic dicit Glossa: Non est gentilis et Iudeus, id est, non est exceptio vel acceptio gentilis vel Iudei; nullus enim ut indignus excipitur, nec aliquibus officit vel proficit apud Deum quod de his vel illis nati sunt. – Lumen ad revelationem, 32.

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»Hier ruft der Prophet [David]: Befreie mich, Herr, von vielen Wassern! Das bedeutet: Bewahre mich in der Arche der Kirche und der Einheit des Glaubens an Christus, der durch Noach abgebildet ist. Denn indem er die alte Lehre der Völker aufhob, erklärte Paulus, das auserwählte Gefäß [Apg 9, 15], im Römerbrief, 2. Kapitel, dass Herrlichkeit, Ehre und Frieden dem gehören, der gut handelt, und Zorn, Kummer und Ungnade dem, der böse handelt, sei er nun aus Judäa oder aus Griechenland. Denn bei Gott gibt es kein Ansehen der Person.«293

Mit ähnlich allgemeiner Verbindlichkeit und Kritik auch an den Konventionen der nichtjüdischen Völker, jedoch argumentativ mehr in eine humanistische Schau der Gelehrsamkeit eingebettet, führte auch Antonio de Ferrariis aus, wie alle Kulturen von alters her dazu neigen, Auswärtige und Fremde herabzuset­ zen. Der Apostel Paulus hingegen bezeuge ein Prinzip universeller Wahrheit und Gerechtigkeit, wenn er solche Unterscheidungen im christlichen Glauben nicht gelten lasse: »Alle Nationen haben ihren eigenen Begriff, mit dem sie Fremde bezeichnen: die Lateiner ›Auswärtige‹, die Griechen ›Barbaren‹, die Juden ›Heiden‹, die Türken nennen sie mit einem schrecklichen Wort ›Gauros‹, das ich für jüdischen Ursprungs halte; diese rufen nämlich die Heiden ›Goyim‹. […] Diejenigen, die der Wahrheit dienen, beurteilen alles der Sache selbst, und nicht dem Namen nach. Daher sagt der Apostel Paulus: Es gibt keinen Unterschied zwischen Juden und Griechen.«294

Diese von Paulus bezeugte Gewissheit einer Gnade Gottes, die jede Volkszuge­ hörigkeit überschreitet und hinfällig macht, spielte wohl ebenso eine Rolle in der Kontroverse, die im Hieronymitenorden geführt wurde. Der spätere Chronist José de Sigüenza summiert die Argumentation gegen das Statut: »Doch auch wenn ich von den Heiden stamme, ein anderer von den Mauren, ein anderer von den Juden, ein anderer ein Barbar ist, ein anderer ein Skythe: Alle sind wir von uns aus nichts und in Christus viel; da sind wir eins und da sind wir ohne Vorzug Erben und Teilhaber seines Reiches.«295

Darüber hinaus findet sich der paulinische Grundsatz des universalen Heils bis zum Ende des Jahrhunderts auch in Schriften mit weniger öffentlichem 293

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Hinc propheta clamavit: Libera me, Domine, ab aquis multis! Id est: Conserva me in archa ecclesiae et unitate fidei Christi, qui figuratus est per Noe. Tollendo namque antiquam populorum doctrinam, Paulus, vas electionis, Ad Romanos IIo [capitulo], ait, esse gloriam, honorem, pacem bene operanti et odium, tribulationem, indignationem male operanti, modo sit de Iudaea modo de Graecia. Quia apud deum non est acceptio personarum. – Breve reprehensorium, 7, Ms. 23-7, 8v‑9r. Nationes omnes sua habent vocabula, quibus alienigenas notant: Latini ›externos‹, Gra­ eci ›barbaros‹, Iudaei ›gentes‹, Turcae horrido quodam verbo ›gauros‹ nuncupant, quod a Iudaeis ortum puto: illi enim gentes ›goim‹ appellant. […] Qui veritati serviunt, re ipsa, non nomine, iudicant omnia. Ideo apostolus Paulus dixit: ›Inter Iudaeos et Graecos non est distinctio‹. – De neophytis, ed. Altamura, S. 221. […] mas de ser yo de los Gentiles, el otro de los Moros, el otro de los Iudios, el otro Barbaro, el otro Scita: todos somos de nuestra parte nada, y en Christo mucho, y alli unos, y alli herederos sin ventaja, y participantes de su Reyno. – Historia de la Orden de San Jerónimo, 3, 1, 8, ed. García López, S. 36.

Charakter. Hernando de Talavera etwa nutzt eine fromme Betrachtung da­ rüber, welche Eigenschaften an den Heiligen mit Recht gelobt werden und wel­ che weltlichen Auszeichnungen dagegen keine Beachtung verdienen, um die Frage der Volkszugehörigkeit zu thematisieren. Neben solchen Merkmalen wie Schönheit, Stärke und weltlichem Ruhm, die im geistlichen Sinne nicht lo­ benswert seien, führt er mit Verweis auf die Worte des Apostels Paulus auch aus: »Damit einer gerettet wird […] hindert es ihn weder, noch hilft es ihm, Jude oder Heide gewesen zu sein […]. Und an anderer Stelle sagt [Paulus], dass es weder schadet noch nützt, Jude oder Grieche zu sein; frei oder Knecht, männlich oder weiblich, sondern getauft zu sein und Jesus Christus [wie ein Gewand] anzuziehen und seinem Beispiel zu folgen, der unser hochheiliges Haupt ist.«296

Die diskursive Aussage, dass es vor Gott – zumal im Hinblick auf Abstammung und ethnische Herkunft – kein Ansehen der Person gebe, findet sich schließlich auch in den Briefen des Chronisten Fernando de Pulgar. An seine Tochter, die als Nonne in einem Konvent lebte, schrieb er: »Und wie es dem Psalm nach vor Gott kein Ansehen der Person gibt, so darf es umso weniger vor den Regierenden der Fall sein; Denn wo man auf Abstammung oder Zuneigung schaut und nicht auf Tugenden und Fähigkeit, da ist die Vernunft des Regierenden beeinträchtigt. In einem Prolog an die Römer und an die Juden, die sich ihrer Abstammung rühmen, weist sie der heilige Hieronymus zurecht und sagt: Auf solche Weise rühmt ihr euch eurer Abstammung, als machten euch nicht die guten Sitten viel mehr zu Kindern der Heiligen als die leibliche Geburt.«297

Zwar zitiert er hier nicht ausdrücklich den Römerbrief, doch die etwas vage Referenz auf einen Psalm scheint auf eine Parallelstelle im Alten Testament (Dtn 1, 17 oder 2Chr 19, 7) zu verweisen, die wiederum dem Apostel Paulus und anderen neutestamentlichen Autoren als Vorlage diente. 3.4.2 Die kanaanäische Frau (Mt 15) Neben den paulinischen Gemeindebriefen diente auch insbesondere das Mat­ thäusevangelium den Verteidigern der Conversos dazu, den Begriff der Nation 296

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Para que alguno sea salvo […] ni le estorva ni le ayuda aver seído judío o pagano […]. Y en otro lugar dize que ni daña ni aprovecha ser judío o griego; libre o siervo; macho o henbra, mas ser baptizado y vestir y seguir las costunbres de Ihesuchristo, nuestra muy sancta cabeza. – Loores de san Juan, 2, 1, ed. Parrilla, S. 165. E así como el salmo dice que acerca de Dios no hay acebción de personas, menos la deue auer cerca de los gobernadores; porque allí cosquea la razón del gouernador, do se mira linaje, o afectión, y no virtudes e abilidad. Sant Jerónimo en un prólogo a los romanos y a los judíos que se gloriauan de linaje, les reprehende diciéndoles: En tal manera os gloriais de linaje como si las buenas costumbres no os ficiesen fijos de los santos, mejor que el nacimiento carnal. – Fernando de Pulgar: Para su fija monja, ed. Domínguez Bordona: Letras, S. 119.

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zu thematisieren und das Verhältnis von Juden und Nichtjuden in der christli­ chen Gemeinschaft darzulegen. Die am häufigsten herangezogene matthäische Passage erzählt von einer kanaanäischen Frau, die Jesus darum bittet, ihre Tochter von einem Dämon zu befreien (Mt 15, 21‑28). Nach anfänglicher Weigerung und der Erklärung an die Jünger, er sei »nur zu den verlorenen Schafen des Hauses Israel gesandt«, erfüllt Jesus schließlich auf ihr beharrliches Bitten den Wunsch der Frau und lobt ihren Glauben.298 Im Vergleich zu den tendenziell stärker übereinstimmenden Auslegungen der Paulusbriefe gehen die Deutungen der Perikope um die Bitte der kanaanäi­ schen Frau etwas weiter auseinander. Gemeinsam ist den Autoren zunächst, dass sie den Bericht des Matthäusevangeliums der Parallelstelle aus dem Mar­ kusevangelium (Mk 7, 24‑30) vorziehen, das im Wesentlichen die gleiche Bege­ benheit berichtet, die Frau jedoch als Syrophönizierin bezeichnet und keinen Wortwechsel mit den Jüngern erwähnt.299 Die einzelnen Texte zugunsten der Conversos übergreifend ist auch das Verständnis der neutestamentlichen Erzäh­ lung als paradigmatisch für das Verhältnis des Messias zum Auserwählten Volk einerseits und zu den Heiden andererseits – die Bittstellerin aus Kanaan wird übereinstimmend als Repräsentantin der nichtjüdischen Völker gedeutet, wie an anderen Stellen auch die vereinzelt erwähnten neutestamentlichen Gestalten der Weisen aus dem Osten (Mt 2, 1‑12) oder des Hauptmanns von Kafarnaum (Mt 8, 5‑13). Ohne die gänzlich verschiedene Situation zur Entstehungszeit des Neuen Testaments außer Acht zu lassen, kann man doch annehmen, dass bereits die Redaktion des Matthäusevangeliums selbst eine vergleichbare Versinnbild­ lichung beabsichtigte, um die Entstehung der multiethnischen christlichen Gemeinden aus einer zunächst rein jüdischen Messias-Bewegung narrativ nach­ zuvollziehen.300 Die Exegeten der Alten Kirche und Mittelalters hatten dagegen bereits eine ganze Fülle verschiedener Deutungen hervorgebracht,301 bei denen die Frage nach der Volkszugehörigkeit der Bittstellerin oftmals kaum von Inter­ esse war. So sieht etwa die Glossa ordinaria (12. Jahrhundert) ein allegorisches Lob auf »Glaube, Geduld und Demut der Kirche in der Person der Frau«

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Vgl. dazu u.a. Craig A. Evans: Matthew, Cambridge 2012, S. 302‑304; Matthias Konradt: Das Evangelium nach Matthäus, Göttingen 2015, S. 247‑250. Alonso Tostado löst diese Unstimmigkeit in seinem Matthäuskommentar auf, indem er erklärt, es handle sich um dieselbe Frau, die kanaanäischer Abstammung war und zu­ gleich Bewohnerin des Gebiets phönizischen Teils von Syrien; vgl. Alonso de Madrigal: Commentaria in quartam partem Matthaei, 15, 59, ed. Sessa, f. 140v. Vgl. Élian Cuvillier: Particularisme et universalisme chez Matthieu: quelques hypothèses à l’épreuve du texte. In: Biblica 78 (1997), S. 481‑502; Veronica Koperski: The many Faces of the Canaanite Woman in Matthew 15,21-28. In: Donald Senior (Hg.): The Gospel of Matthew at the Crossroads of Early Christianity, Leuven 2011, S. 525‑535. Vgl. Nancy Klancher: The Taming of the Canaanite Woman: Constructions of Christian Identity in the Afterlife of Matthew 15:21-28, Berlin 2013.

(sub persona mulieris, mira fides Ecclesiae, et patientia et humilitas),302 während Bernhard von Clairvaux die gleiche Perikope als beispielhaft für die Begegnung der sündigen Seele mit ihrem Gott deutet.303 Im Mittelpunkt des Diskurses um die iberischen Neuchristen steht nun zum einen das Jesuswort, er sei nur zu den verlorenen Schafen des Hauses Israel gesandt, zum anderen sein scheinbarer Sinneswandel und die Erfüllung der Bitte der Frau. Die Bildrede von den verlorenen Schafen aufgreifend, verbinden die Autoren die Rede Jesu gelegentlich mit thematisch ähnlichen Gleichnissen und Selbstaussagen aus anderen Evangelien. Besonders die Rede vom Guten Hirten im Johannesevangelium mit dem Verweis auf »andere Schafe, die nicht aus diesem Stall sind« (Joh 10, 16) spielt hier eine Rolle. Lope de Barrientos zieht die Stelle als Beleg dafür heran, dass für die Gnade Gottes nicht die Herkunft entscheidend ist, sondern Glaube und Vertrauen, und schließt damit logisch an die Argumentation an, die auch dem verbreiteten Gebrauch der paulinischen Aussagen zu Juden und Heiden zugrunde lag. Es spricht dabei wohl für sich und verweist die Prätentionen der Altchristen auf ihren Platz, dass es gerade die nichtjüdische Herkunft der Frau ist, die vorder­ gründig der Erfüllung ihrer Bitte im Wege steht und allein durch die größere Barmherzigkeit Jesu überwunden wird: »Ferner lehrt uns der Herr, unser Erlöser und Vorbild, den Glauben und nicht das Geschlecht zu erwägen, denn in der Kanaanäerin, die seine Gnade erflehte, beachtete er nicht das Geschlecht – auch wenn es abscheulich genug war – sondern einzig den Glauben, der aufgrund seiner Größe von ihm erlangte, was er inständig erbat. Matthäus, 15. [Kapitel].«304

Indem Lope hier von Jesus als vorbildlichem Lehrer spricht, macht er klar, dass er die zitierte Schriftstelle auch in einem moralischen Sinn interpretiert wissen will. Wort und Tat Jesu sind zum einen Ausdruck und Beweis dafür, dass vor Gott nicht Volkszugehörigkeit, sondern Glaube entscheidend ist, und zugleich ein Beispiel vorbildlichen Handelns, das die Christen des 15. Jahrhun­ derts nachahmen sollen, indem sie einander nicht nach ihrer Abstammung beurteilen. Alonso de Montalvo zitiert die gleiche Stelle im Zusammenhang mit der Prophetie Jesajas über die Errettung Israels auf ewig. Er argumentiert, dass der Zeitpunkt der Bekehrung nicht entscheidend sein kann, da das Heilsangebot Gottes immer gelte. Wollte man eine Unterscheidung einführen, würde das 302 303 304

Vgl. Glossa ordinaria, ed. Jacques-Paul Migne: Patrologia Latina, Bd. 114, S. 139. Vgl. Bernhard von Clairvaux: Sermones super cantica canticorum, 22. Praeterea Dominus Saluator et etiam exemplar nostrum fidem et non genus ponderare nos docent, nam in Chananea ab eo gratiam implorante non attendit genus, licet satis erat detestabile, sed fidem solam, quae quia magna erat, impetrauit ab eo quod instanter petiuit. Matth. 15. – Responsio ad quaesitum, ed. González Rolán/Saquero Suárez-Somon­ te, S. 150.

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auch die Erlösung der Heidenvölker infrage stellen, deren Berufung chronolo­ gisch später erfolgte als die der Juden. »Das ist durch die Vorherbestimmung des Herrn geschehen und geschieht täglich; jene Ungelehrten aber strengen sich an, die bereits Versammelten wieder zu zerstreuen. Das wird auch vom evangelischen Gesetz bewiesen, [wo es bei] Matthäus [im] 15. [Ka­ pitel heißt]: Ich bin nur gesandt zu den Schafen des Hauses Israel, die verloren sind. Gleichermaßen sind nämlich neue wie alte [Christen] ohne irgendeinen Unterschied erlöst.«305

In aller Knappheit seiner Argumentation verbindet Alonso dadurch die Frage der zwei unterschiedlichen Völkerschaften mit der Frage nach dem Zeitpunkt der Bekehrung. Anstatt die verbreitete diffuse Gleichsetzung von Neugetauf­ ten, Konvertiten und jüdischstämmigen Christen zu kritisieren, stellt er sie vielmehr in den Dienst seiner Beweisführung: Wer die spanischen Conversos aufgrund ihrer Abstammung als Neubekehrte geringschätzt, müsste eigentlich umso mehr die Christen nichtjüdischer Herkunft verachten, da diese nach dem Zeugnis der Bibel ja ganz insgesamt nach den Juden berufen worden waren. Einzig sinnvoll sei es dagegen, alle Getauften gleichermaßen wertzuschätzen. In einem ähnlichen Sinn zitiert auch Gutierre de Palma den Dialog Jesu mit der heidnischen Frau im siebten Artikel seines Traktats, der nachweisen soll, dass Christus die eine Kirche aus Juden und Heiden gebildet hat. Dazu stellt das Breve reprehensorium die Aussage Jesu über seinen Auftrag allein innerhalb Israels gezielt in Kontrast zum Taufbefehl des Auferstandenen, um zu illustrie­ ren, wie sich die Sendung Christi heilsgeschichtlich entwickelt und nach der Auferstehung auf alle Völker ausgeweitet hat. »Jesus, der Erlöser schrieb vor: Geht nicht auf den Weg zu den Heiden und betretet nicht die Städte der Samariter! Markusevangelium [sic], 10. Kapitel. [Causa] 17, Quaes­ tio 1, Canon [9] »Denique«. Und: Ich bin nur zu den verlorenen Schafen des Hauses Israel gesandt. Matthäusevangelium, 15. Kapitel. [Causa] 2, Quaestio 7, [Canon 39] § [1] »Ecce ostensum«. Später schickte er die Apostel, aller Kreatur das Evangelium zu predigen. Markusevangelium, letztes Kapitel.«306

Erneut dient das Beispiel der Kanaanäerin so dazu, auf das zeitliche Nachein­ ander der Bekehrung von Juden und Nichtjuden in biblischer Zeit aufmerk­ sam zu machen, um in der Konsequenz nachzuweisen: Heilsgeschichtlich 305

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Quod Domini praeordinatione factum est et fit quotidie; indocti autem isti iam congre­ gatos dispergere contendunt. Hoc etiam euangelica lege probatur, Matthaeus, 15[,24]: Non sum missus nisi ad oues qui perierant domus Israel. Aequaliter namque saluantur noui sicut antiqui sine aliquia differentia. – Tractatus quidam levis, 16, ed. Conde Salazar, S. 114. Et Iesus salvator praedixerat: In viam gentium ne abieritis, et in civitates Samaritanorum ne intraveritis! Marcus [sic] Xo, [causa] XVII, quaestione I, [capite] »Denique«. Et: Non sum missus nisi ad oves, quae perierunt domus Israel. Matthaeus XI [sic] capitulo, [cau­ sa] II, quaestione VII, § »Ecce ostensum«. Postmodum misit apostolos ad praedicandum evangelium omni creaturae. Marcus ultimo [capitulo]. – Breve reprehensorium, 7, Ms 23-7, 7r.

betrachtet gehören auch die jüdischstämmigen Neuchristen des 15. Jahrhun­ derts im Grunde nicht zu einer später dazugekommen Gruppe, sondern zu den ursprünglich Berufenen. Einen noch weiter gehenden Gebrauch derselben Schriftstelle macht Juan de Torquemada. Im sechsten Kapitel seines Traktats behandelt er die besondere Weise, in der sich nicht nur Gott, sondern auch Jesus Christus in seiner Sendung dem Volk Israel zugewandt hat. »Als unser Erlöser die Volljährigkeit erreichte, wählte er am Beginn seines Predigtam­ tes das Volk der Juden bevorzugt aus, dem er das Licht seiner Weisheit und das Wort der Erlösung persönlich erteilte und es mit Wundern seiner Macht ehrte, wie er [im Evangelium nach] Matthäus [im] 15. [Kapitel] sagt: Ich bin nur zu den verlorenen Schafen des Hauses Israel gesandt. Dazu sagt Hieronymus: Das sagt er nicht, weil er zu den Heiden nicht gesandt wäre, sondern weil er zu Israel zuerst gesandt ist.«307

Der Schlussfolgerung des Kardinals nach entspricht das bevorzugte Wirken Jesu unter seinen Volks- und Glaubensgenossen nicht (nur) der zeitlichen Rei­ henfolge, in der Juden und Heiden von Gott zum Glauben berufen worden sind, sondern vielmehr einer überzeitlichen Privilegierung. Wie es schon in seiner Betonung der jüdischen Herkunft Jesu und in seiner Auslegung des Römerbriefs anklang, sieht er die göttliche Erwählung des jüdischen Volkes nicht nur als historisch abgeschlossenes Kapitel der Heilsgeschichte, sondern tendenziell als bleibende theologische Wirklichkeit. Auch Alonso de Cartagena zitiert den Verweis auf die kanaanäische Frau in erster Linie im Hinblick auf die Rettung Israels und stellt ihn in eine Reihe von Schriftbelegen aus dem Alten und Neuen Testament, die vom Auserwählten Volk sprechen, um zunächst über jeden Zweifel hinaus darzulegen, dass die Erlösung der Juden durch Jesus Christus in jeder Hinsicht vollkommen ist. »Nachdem aber das Evangelium aufgeschienen war und die Zeit der Erlösung kurz bevorstand, sagte die Wahrheit selbst: Ich bin nur zu den verlorenen Schafen des Hauses Israel gesandt; Nicht um die anderen Schafe aus dem anderen Schafstall auszu­ schließen, sondern damit er, der zu ihnen geschickt und ihnen versprochen ist, so eintrete, dass ihn die israelitischen Schafe mit noch heißerem Eifer als ihren Hirten empfangen.«308

Auch wenn diese Hervorhebung der Erwählung Israels bei Alonso de Carta­ gena wie bei Juan de Torquemada zunächst der Abwehr des antijüdischen 307

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Salvator noster perfectae iam factus aetatis, cum misterium praedicationis inchoaret, po­ pulum Iudaeorum potissime elegit, cui et sapientiae suae lumen et verbum personaliter salutis ministraret, et potestatis suae miraculis honoraret in tantum ut Matthaei 15 dicat: Non sum missus nisi ad oves quae perierunt domus Israel. Ubi dicit Hieronimus: Non hoc dicit quoniam ad gentes missus non sit, sed quod primum ad Israel missus sit. – Contra Madianitas, 6, ed. del Valle Rodríguez, S. 169. Post vero iam rutilante evvangelio et tempore redemptionis instante ipsa veritas ait: Non sum missus nisi ad oves que perierunt domus israel. Non quod alias oves de alio ovili excludat sed quod ad israeliticas missum et etiam promissum insinuet ut ardentiori zelo israelitice oves [eum] in suum pastorem susciperent. – Defensorium, 2, 1, 1, ed. Alonso, S. 96‑97.

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Ressentiments dient, das die Altchristen auch gegenüber den Conversos hegten, spricht sie doch eine Wertschätzung für die jüdische Aszendenz aus, die im spätmittelalterlichen Spanien (und darüber hinaus) alles andere als selbstver­ ständlich war. Alonso de Oropesa dagegen wollte genau diese Bevorzugung des jüdischen Volkes durch Jesus nicht als Präzedenzfall einer zeitlosen göttlichen Vorliebe sehen. Seiner Argumentation zufolge unterschieden sich die Juden vor allem darin von den übrigen Völkern, dass ihnen der Erlöser von Gott im Voraus versprochen wurde – allerdings erschöpft sich diese Bevorzugung seiner Ansicht nach weitgehend in dieser historischen Dimension und stellt gerade kein bleibendes Merkmal dar. Auch die Wundertaten Jesu unter den Juden seien also im Wesentlichen die Einlösung dieses Versprechens an die Väter, während den Heiden nur von Fall zu Fall und unter besonderen Umständen solche Wunder zuteil geworden seien: »Und manchmal tat er dies wegen des übergroßen Glaubens derjenigen, die darum baten, geheilt zu werden, und heftig im Bitten aushielten, für die sogar die Juden selbst Christus baten, wie es von der kanaanäischen Frau bekannt ist, die lange nach Christus ausharrte und auch nicht nachließ, als sie zurückgewiesen wurde, für die sogar die Jünger selbst, wenn auch gedrängt durch ihre Lästigkeit, baten und sagten: Entlasse sie doch, denn sie schreit hinter uns her. Und aus alldem schloss er selbst endlich: Frau, dein Glaube ist groß. Es soll für dich so geschehen, wie du es willst.«309

Vermutlich in der Absicht, die Versöhnung von Juden und Heiden in der christlichen Gemeinschaft zu betonen, versteht Alonso hier die Intervention der Jünger in auffällig harmonisierender Weise. Ihre Aufforderung laut dem matthäischen Bericht ist auch in der lateinischen Fassung wohl eher so zu verstehen, das Anliegen der Frau ausdrücklich zu verweigern und sie wegzu­ schicken (dimitte eam). Diese Lesart diskutiert etwa Alonso Tostado ausführlich in seinem Matthäuskommentar: »Auf eine Weise kann gesagt werden, dass [die Jünger] nicht für sie baten, sondern ihrer Aufdringlichkeit müde waren, und dass sie Christus aufforderten, sie wegzuschi­ cken, damit sie sie nicht mit Geschrei ermüde. Und das ist offenbar, weil sie nicht sagten: Herr, erhöre sie! Oder: Gewähre ihr das! Sondern: Entlasse sie! Das heißt: Schick sie weg! Oder: Mach sie los von uns, damit sie uns nicht folgt!«310

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[…] et aliquando hoc fecit propter maximam fidem illorum qui sanari petebant, et fervi­ de in petitione durabant, pro quibus etiam ipsi Iudei Christum exorabant, sicut patet de muliere Cananea, que multum post Christum perseveravit, et repulsa non cessavit, pro que etiam ipsi discipuli, velut molestia compulsi, rogaverunt dicentes: Dimitte eam, quia clamat post nos. Unde ipse post omnia conclusit dicens: O mulier, magna est fides tua; fiat tibi sicut vis. – Lumen ad revelationem, 27. Dici potest vno modo, quod non rogauerunt pro illa, sed fatigari sunt importunitate eius, & petiuerunt a Christo quod expideret eam faciens ne fatigaret eos clamoribus. Et hoc patet, quia non dixerunt Domine exaudi illam vel praesta hoc illi, sed dimitte illam idest abijce eam vel expedi a nobis, vt non sequatur nos. – Alonso de Madrigal: Commentaria in quartam partem Matthaei, 15, 68, ed. Sessa, f. 142r-142v.

Auch Alonso de Madrigal neigt nach seiner Diskussion verschiedener Lesarten zwar schließlich dazu, den Aposteln Jesu ein edleres Motiv zuzuerkennen, als nur den Willen, in Ruhe gelassen zu werden, das Lumen ad revelationem jedoch deutet ihr Gesuch von vornherein unzweideutig in dem Sinne, sich der Bittstel­ lerin anzunehmen, um sich im Frieden von ihr trennen zu können. Besonders behutsam und diplomatisch legt schließlich Hernando de Talavera die Worte Jesu an die Kanaanäerin aus. In Auseinandersetzung mit dem an­ onymen Pamphlet, das den jüdischstämmigen Christen unterstellt, sie wollten aufgrund solcher Bibelstellen eine alleinige Vorrangstellung in der Kirche be­ haupten, bemüht er sich um eine ausgewogene Interpretation, die den Auftrag Jesu in den großen Rahmen der menschlichen Heilsgeschichte einordnet: »Unser Erlöser sagte nicht: Ich bin ausschließlich dazu gekommen, um die verlorenen Schafe des Hauses Israel zu retten, sondern er sagte zu der Kanaanäerin, er sei nur ge­ sandt zu den verlorenen Schafen, und so weiter. Und es ist wahr, dass die Verheißung seines Kommens an die Juden und von den Juden erging, nicht an die Heiden und auch nicht von den Heiden, wie es aus der Handlung des Alten Testaments und durch die Propheten erscheint und wie es der Apostel Paulus im Brief an die Römer sagt.«311

Während also die primäre Sendung Jesu zum Volk Israel mit der Verheißung korrespondiert, die Gott speziell seinem Auserwählten Volk gemacht hat, ist die von ihm bewirkte Erlösung seither allen Völkern zuteil geworden, wie Her­ nando weiter ausführt. Seine vorsichtige Differenzierung zeigt sehr deutlich, als wie sensibel die Passage Ende des Jahrhunderts im Kontext des Diskurses um die Conversos aufgefasst wurde und wie leicht der Verdacht der Häresie auf eine Lesart fallen mochte, die zu stark den Vorrang des jüdischen Volkes im göttlichen Heilsplan hervorhob. Mit Rücksicht darauf fügte Hernando wohl auch die Erklärung an, dass es insbesondere der jüdische Unglaube gewesen sei, der die Apostel zur Verkündigung unter den Heiden bewegt habe. 3.4.3 Die Rettung ganz Israels (Röm 11) Die Frage nach dem Status der Conversos war immer auch eine Frage ihrer Einordnung als Angehörige des (landsmannschaftlich verstandenen) jüdischen Volkes. Die Bibel bot hier zum einen die Grundlage einer vorwissenschaftli­ chen völkerkundlichen Sichtweise, nach der die Juden über Abraham, Isaak und Jakob letztlich mit dem Noach-Sohn Sem (Gen 10‑11) als Stammvater identifiziert wurden. Dieser Herleitung entsprachen verschiedene analoge Ge­ 311

[…] no dijo nuestro Redentor: no vine yo a salvar, salvo las ovejas que perecieron de la casa de Israel […] mas dijo a la cananea: que no fue enviado sino a las ovejas, que perecieron, etc. Y es verdad, que la promesa de su venida a los judíos y de los judíos, no a los gentiles ni de los gentiles era hecha, como parace por el discurso del Testamento viejo y por los profetas y como lo dice el apóstol san Pablo en la epístola a los Romanos. – Católica impugnación, 48, ed. Martín Hernández, S. 118.

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genüber, indem etwa die Araber als Nachfahren Hagars oder die Goten als Nachkommen Magogs eingeordnet wurden. Auf der anderen Seite galt Israel theologisch als das eine Volk, das unter allen Völkern von Gott auserwählt wor­ den war; im christlichen Verständnis, um den Erlöser der Welt Jesus Christus hervorzubringen. Seit der allmählichen und schwer zu datierenden Trennung vom Judentum in der Spätantike hatte es zu dieser Frage zwar nie eine wirklich abschließende lehramtliche Aussage gegeben, doch ging die christliche Traditi­ on im Wesentlichen davon aus, dass die Rolle des Auserwählten Volkes nach Christus vollständig auf die Glaubensgemeinschaft der Kirche als verus Israel übergegangen war.312 In den Texten zugunsten der Conversos überschneiden und mischen sich diese beiden Ebenen immer wieder, wenn es um den diskursiven Begriff der Nation geht, zumal im Bezug auf Israel. Dies hängt womöglich zum Teil mit dem jüdischen Selbstverständnis als Abstammungs- und Glaubensgemeinschaft gleichermaßen zusammen, das immer auch die nichtjüdische Perspektive be­ einflusst hat.313 Letztlich war es jedoch vor allem die christliche Tradition selbst, die mit ihrer theologischen Aneignung des Volk-Gottes-Begriffs eine nur noch schwer differenzierbare semantische Ambivalenz geschaffen hatte. Zudem konnte sie zwar von Völkern in einem allgemeinen Sinne sprechen, verfügte jedoch (in der Vormoderne und in gewissem Sinne bis zum Zweiten Vatika­ nischen Konzil) im Grunde über keinen wertneutralen generischen Begriff von Religion: Die wahrhafte religio, also Verehrung Gottes, war ausschließlich in der Gemeinschaft der Kirche gegeben, außerhalb derer es nur Abspaltung (secta), Irrtum (error) und Götzendienst (idolatria) geben konnte.314 Auch die Unterscheidung mehrerer Zeitabschnitte in der Heilsgeschichte vereinfachte die mit dem christlichen Begriff des Volkes Israel verbundene Am­ biguität nur bedingt. Während aus christlicher Sicht im alttestamentarischen Auserwählten Volk der ethnographische und der theologische Signifikat Israels noch identisch waren, fielen diese mit dem Beginn der christlichen Zeit ausein­ 312

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Vgl. Anmerkungen unter 3. 3. 2 sowie u.a. Rainer Riesner: Judenchristen in Jerusalem: noch bis zum 4. Jahrhundert? In: Theologische Beiträge 50 (2019), S. 389‑406; Tobias Nicklas: Parting of the ways? Probleme eines Konzepts. In: Stefan Alkier und Hartmut Lep­ pin (Hgg.): Juden, Christen, Heiden?, Tübingen 2018, S. 21-41; Peter Schäfer: Anziehung und Abstoßung: Juden und Christen in den ersten Jahrhunderten ihrer Begegnung, Tübingen 2015; Daniel Boyarin: Border Lines. The Partition of Judaeo-Christianity, Philadelphia 2004. Vgl. Vgl. José V. Niclós Albarracín: La idea de elección y pueblo eligido en el judaísmo de la edad media (Judá ha-Levi y S. T. ben Šaprut). In: Soto Rábanos (Hg.): Pensamiento medieval hispano. Bd. 1, S. 203‑220. Vgl. Hans-Werner Goetz: Die Wahrnehmung anderer Religionen und christlich-abendländi­ sches Selbstverständnis im frühen und hohen Mittelalter (5.-12. Jahrhundert), Berlin 2013, S. 773‑832; Loe-Joo Tan: The Catholic Theology of Religions. A Survey of pre-Vatican II and Conciliar Attitudes towards other Religions. In: Scottish Journal of Theology 67 (2014), S. 285‑303; Christoph Markschies: Extra ecclesiam nulla salus? Oder: Wer wird gerettet? In: Dorothea Sattler und Volker Leppin (Hgg.): Heil für alle?, Freiburg 2012, S. 295‑314.

ander. Doch während die christlichen Theologen die Identität des geistlichen und wahren Israel praktisch einhellig auf die Kirche übertrugen, herrschte über den Status des verbliebenen jüdischen Volkes im christlichen Denken niemals vollständiger Konsens.315 Unabhängig von der geistlichen Einheit in Christus, für die laut der paulini­ schen Theologie die Volkszugehörigkeit keine Rolle spielte, und ungeachtet der realen Möglichkeit einer gemischten Aszendenz war es gerade im Kontext der religiösen Konversion durchaus denkbar, dem Bekenntnis nach Christ zu wer­ den und dabei im ethnischen Sinne Jude zu bleiben. Aus diesem Bewusstsein spricht unter anderem recht anschaulich die Betrachtung der Ordensfrau Teresa de Cartagena über das Psalmenwort »Höre Tochter, sieh her und neige dein Ohr, vergiss dein Volk und dein Vaterhaus« (Ps 45(44), 11), dessen Lesart, das jüdische Erbe ihrer Familie aufzugeben, sie sich entschieden widersetzt.316 Diese Offenheit für verschiedene Deutungen zeigte sich sehr deutlich auch im Diskurs um die iberischen Conversos. Deren Feinde sahen alle Juden und deren Nachfahren, ob getauft oder nicht, als Angehörige eines »gottlo­ sen Geschlechts« (perverso linaje), einer »geisteskranken Abstammung« (vesana progenies) an, deren Ausschluss von der göttlichen Gnade nahezu irreparabel war.317 Diese Essenzialisierung in der literarischen Polemik spiegelt dabei unter anderem auch eine lange Tradition der christlichen sakralen Kunst, die jüdi­ sche Identität bestimmter biblischer Figuren bis in die Physiognomie hinein zu signalisieren.318 Die Schriften zugunsten der Neuchristen bestanden dem entgegen auf der grundsätzlichen Unversehrtheit der jüdischen Berufung und Erwählung zum Heil, dessen volle Realisierung lediglich die individuelle Be­ kehrung zum Christentum voraussetzte. Dazu stützten sie sich abermals stark auf die Autorität des Apostels Paulus, der im Römerbrief nach einer ausführlichen Betrachtung der jüdischen Ableh­ nung gegenüber dem Messias Jesus die Frage »Hat Gott etwa sein Volk versto­ ßen?« mit einem emphatischen »Das sei fern!« (Röm 11, 1) beantwortet und zuversichtlich erklärt: »Ganz Israel wird gerettet werden« (Röm 11, 26). Da die entsprechende Passage bereits in ihrem biblischen Kontext recht vieldeu­ 315

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Vgl. u.a. Goetz: Die Wahrnehmung anderer Religionen, S. 411–572; Stephen Benin: Jews and Christian History. Hugh of St. Victor, Anselm of Havelberg and William of Auvergn. In: Cohen (Hg.): From Witness to Witchcraft, S. 203‑220; Rainer Berndt: Die Beziehungen zwischen Juden und Christen im Mittelalter: Theologische Deutungen einiger Aspekte. In: Theologie und Philosophie 68 (1993), S. 530‑552. Vgl. Rita Ríos de la Llave: »Forget Your People and Your Father’s House« – Teresa de Cartagena and the Converso Idenitity. In: Bojan Borstner (Hg.): Historicizing Religion. Critical Approaches to Contemporary Concerns, Pisa 2010, S. 41-54. Zitate s. Sentencia-Estatuto de Pero Sarmiento, ed. Benito Ruano, S. 89; Alonso de Espina: Fortalitium fidei, ed. Koberger, f. 77r. Vgl. u.a. Danièle Sansy: Jalons pour une iconographie médiéval de juif. In: Barros (Hg.): Xudeus e Conversos na Historia. Bd. 1: Mentalidades e Cultura, S. 135‑169; Barral: La imagen del judío; Lipton: The Jew’s Face; dies.: Dark mirror.

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tig ist,319 bot sich hier leicht die Möglichkeit einer Interpretation zugunsten der Conversos, wo die exegetische Tradition noch ganz andere Schwerpunkte gesetzt hatte. In der mittelalterlichen Auslegung war mit der paulinischen An­ kündigung der letztendlichen Errettung oft eher begründet worden, warum der aus christlicher Sicht fragwürdige Fortbestand des Judentums bis zum Ende der Zeiten im Sinne der Vorsehung sei. Wenn etwa der italienische Jurist Oldradus de Ponte (gestorben 1335) im Anschluss an Augustinus forderte, das jüdische Volk dürfe aufgrund dieser Verheißung nicht vernichtet, sondern müsse gedul­ det werden (ne occidatur, imo toleretur),320 war eine zeitgenössische Bekehrung gerade nicht vorgesehen. Dagegen zog bereits Pablo de Santa María, dessen apologetische Schriften noch hauptsächlich gegen den jüdischen Glauben und die rabbinische Ausle­ gung der Bibel gerichtet waren, das Zeugnis des Römerbriefs zur Rechtferti­ gung der unmittelbaren Konversion heran. Möglicherweise begegnete er damit schon Anfang der 1430er-Jahre altchristlichen Vorbehalten, es könne Juden aufgrund ihrer vermeintlich notorischen Verstocktheit unmöglich sein, sich wahrhaftig zum Christentum zu bekehren. In seinem als Dialog zwischen einem Schüler und einem Lehrer angelegten Spätwerk Scrutinium scripturarum heißt es daher auf die entsprechende Frage: »Gemäß der Lehre des Erlösers ist das, was bei Menschen unmöglich ist, bei Gott nicht unmöglich – Matthäusevangelium, 19. Kapitel. Und daher ist es durch die Ankunft der göttlichen Gnade, durch die ein Mensch sich zu Gott bekehrt, nicht unmöglich, dass ein Mensch erleuchtet wird und Gott anhängt kraft der Gnade des Gnadenspenders. Doch um es gemäß deiner Verwunderung noch tiefer zu fassen, höre den Apostel [Paulus] im 11. Kapitel des Römerbriefs, der über diese Frage erhaben und tief spricht und darüber die wahrhaftigsten Zeugnisse bringt, wenn er über die Juden sagt: Haben sie etwa so sehr gefehlt, dass sie gefallen wären? Das sei fern!«321

In der Kontroverse um die Neuchristen angesichts der Rebellion von Toledo greift Alonso Díaz de Montalvo diesen Schriftbeweis der bleibenden Berufung Israels auf und ergänzt ihn um weitere Zitate, um die Bereitschaft Gottes zu Langmut und Vergebung zu betonen: 319

320 321

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Vgl. Jeremy Cohen: The Mystery of Israel’s Salvation: Romans 11:25-26 in Patristic and Medieval Exegesis. In: Harvard Theological Review 98 (2005), S. 247‑281; Peter von der Osten-Sacken: Römer 9-11 als Schibbolet christlicher Theologie. In: ders.: Evangelium und Tora. Aufsätze zu Paulus, München 1987, S. 294‑314. Vgl. Oldradus de Ponte: Consilia seu responsa et quaestiones aureae, 87, Venedig 1570, f. 32v. Iuxta doctrinam salvatoris quod apud homines est impossibile, non est impossibile apud Deum – Matthaeo XIXo capitulo. Et ideo perveniente gratia divina qua homo convertit ad Deum non est impossibile quod homo illuminetur et Deo adhaereat per gratia grati­ ficantem; sed ad tollendam penitus tuam secundam admirationem, audi apostolum ad Romanos XIo [capitulo], qui de hac materia alte loquitur et profunde, et circa hoc tradit verissima documenta ut cum dicit de Iudaeis: Numquid sic offenderunt ut caderent? Absit. – Scrutinium scripturarum, 2, 6, 12, Pal. lat. 134, 162v.

»Und selbst wenn Gott dem Volk Israel sagte: Den ganzen Tag habe ich meine Hände nach einem Volk ausgestreckt, das nicht glaubt [Jes 65, 2 / Röm 10, 21]; so sage ich also: Hat Gott etwa sein Volk verstoßen? Das sei fern! – Römerbrief, 10 [sic]. Denn er wird nicht für immer zürnen und nicht auf ewig drohen. Er hat uns nicht gemäß unserer Schuld behandelt und uns nicht gemäß unseren Sünden vergolten [Ps 103(102), 9‑10] […].«322

Unbestritten bleibt bei ihm wie bei den Verteidigern der Conversos insgesamt, dass die einzige mögliche Rettung der Angehörigen des jüdischen Volkes in ihrer Bekehrung zum Christentum besteht – jede Heilsgewissheit aufgrund des jüdischen Glaubens dagegen wird als vergeblich und illusorisch vorausge­ setzt und erscheint in Alonsos Darstellung angesichts der notwendigen Versöh­ nungsbereitschaft Gottes geradezu als Hindernis auf dem Weg zur Erkenntnis der christlichen Wahrheit. In ähnlichem Sinn, jedoch etwas anders akzentuiert baute Juan de Torquemada seine ausführliche Erörterung der paulinischen Isra­ el-Theologie im Römerbrief auf, der er das gesamte 13. Kapitel seines Traktats widmet. Hier will er nachweisen, dass die Conversos gerade als Nachfahren des Auserwählten Volkes für die Erlösung bestimmt sind: »Diese Begründung gibt der Apostel [Paulus] den Heiden, indem er sagt: Ich will, Brü­ der, dass ihr das Geheimnis nicht verkennt – das ist der Glosse zufolge das verborgene Urteil Gottes – damit ihr euch nicht selbst für weise haltet. Denn Blindheit liegt auf einem Teil Israels, bis die Vollzahl der Heidenvölker eintreten wird. Und so – das bedeutet: nachdem sie eingetreten sein wird – wird ganz Israel gerettet werden, wie es geschrieben steht.«323

Zwar thematisiert der Kardinal durchaus die Blindheit, die laut Paulus einen Teil der Juden daran hindert, die christliche Wahrheit zu erkennen, er verweist jedoch umgehend anhand von weiteren Schriftstellen darauf, dass auch den heidnischen Völkern vor ihrer Bekehrung eine solche Blindheit vorgeworfen werden musste. Außerdem gibt er zu bedenken, dass der vorübergehende Un­ glaube des jüdischen Volkes für die Heiden großen Nutzen (magnam utilitatem) gebracht habe, indem er mittelbar zu ihrer rascheren Missionierung geführt habe. Auch Alonso de Cartagena zitiert mehrfach und zum Teil sehr ausführlich aus den Ausführungen des Römerbriefs über die Rettung Israels. Nachdem er zu Anfang des argumentativen Hauptteils seines Defensorium eine Reihe von 322

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Et licet Deus dixit ad populum Israel: ›Tota die expandi manus meas ad populum non credentem‹. ›Dico ergo nunquid repulit Dominus populum suum? absit‹, Ad Romanos 10; ›Non enim in perpetuum irascetur nec in aeternum comminabitur, non secundum peccata nostra fecit nobis nec secundum iniquitates nostras retribuit nobis‹ […] – Tracta­ tus quidam levis, 35, ed. Conde Salazar, S. 129. Hanc rationem ponit Apostolus ipsis gentilibus ita dicens: Nollem vos ignorare, fratres, mysterium, id est, »occultum Dei iudicium«, secundum Glossam, ut non sitis vobis ipsis sapientes, quia caecitas ex parte contingit in Israel, donec plenitudo gentium intraret, et sic, id est, postquam intraverit, omnis Israel salvus fieret, sicut scriptum est. – Contra Madianitas, 13, ed. del Valle Rodríguez, S. 204.

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biblischen Stellen verglichen hat, die einerseits von der Verwerfung, anderer­ seits von der Erwählung und Errettung Israels durch Gott sprechen, kommt er zu dem Schluss: »Wie aber sollte über dasselbe Israel so Gegensätzliches im selben Zusammenhang durch die Worte desselben Propheten gesagt worden sein, es sei denn, das Schlechte war auf die Schlechten bezogen [und] das Gute auf die Guten? […] Dies wollte der Apostel [Paulus] weiter zeigen, dass die Israeliten, sofern sie wegen des Unglaubens verstoßen waren, als Gläubige aufgenommen und geliebt sind, als er zu den gläubig gewordenen Heiden sprach und sagte: […] Blindheit liegt auf einem Teil Israels bis die Vollzahl der Heidenvölker eintreten wird. Und so wird ganz Israel gerettet werden.«324

Diese Auslegung des Römerbriefs, die deutlich der Abwehr der conversofeindli­ chen Polemik verpflichtet ist, nach der das ganze jüdische Volk ein für alle mal von Gott verworfen wäre, ergänzt Alonso im darauf folgenden Theorem um eine positive Vision der jüdischen Konversion zum christlichen Glauben: »Was kann man also anderes folgern, als dass die Vollzahl der Völker in naher Zeit zum Glauben kommen musste, die vollständige Rückkehr des gesamten israelitischen Volkes jedoch in fernen Zeiten zu erwarten ist. […] umso umfassender die Bekehrun­ gen der ungläubigen Israeliten von einem zum anderen Mal werden, desto mehr sieht man jene Zeit herannahen, von der der Apostel [Paulus] sagte: Ganz Israel wird gerettet werden.«325

Wie bei den zuvor zitierten Texten bleibt die zeitliche Verortung dieser endgül­ tigen Rettung Israels zwar tendenziell im Unbestimmten, scheint sich jedoch innerhalb der Weltzeit abzuspielen und in der Gegenwart des Autors zumin­ dest anzubahnen. Ähnlich kommt auch Alonso de Oropesa in seinem umfang­ reichen Traktat immer wieder auf die Rettung ganz Israels laut den Worten des Römerbriefs zurück und setzt dabei in etwa die gleichen Schwerpunkte wie Alonso de Cartagena: Die Betonung, dass immer nur von einem Teil Israels gesagt werden könne, im Unglauben zu verharren, sowie die Erwartung, dass auch dieser zumindest teilweise verhängnisvolle Zustand von Gott zukünftig behoben werde: »[Paulus] zeigt, dass Gott Israel nicht verstoßen hat, sondern ein Rest von ihm immer gerettet werden wird, gemäß der Erwählung und so weiter, und dass Gott es vermag, sie wieder in den Glauben einzufügen […]. Daher sagt er im 11. Kapitel unter ande­ 324

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Quo modo autem de eodem israel tam contraria eodem contextu eiusdem prophete verbis dicerentur, nisi mala ad malos, bona ad bonos aplicarentur. […] Quod latius ostendere volens, israelitas si quidem propter infidelitatem repulsos, eosque, cum fideles sunt, admissos et dilectos idem apostolus cum ad gentes que fidem receperant, loquere­ tur ait […] cecitas ex parte contingit in israel donec plenitudo gentium intraret. Et si omnis israel salvus fieret. – Defensorium, 2, 1, 4, ed. Alonso, S. 104‑105. Quid enim aliud ex hoc coniectari potest, nisi quod in propinquo tempore plenitudo gentium ad fidem ingressura erat, reductio tamen plena totius israelitice gentis longissi­ mis temporibus expectanda. […] quanto conversiones infidelium israelitarum de tempo­ re in tempus generaliores fiunt, tanto magis tempus illus appropinquare videtur de quo apostolus dixit Omnis israel salvus fiet. – Defensorium, 2, 2, 3, ed. Alonso, S. 126.

rem: Ich will, dass ihr, Brüder, das Geheimnis kennt, damit ihr euch nicht selbst für weise haltet. Denn Blindheit liegt auf einem Teil Israels, bis die Vollzahl der Heidenvölker eintreten wird, und so wird ganz Israel gerettet werden, und so weiter. Die Blindheit Israels ist also in Teilen, und nicht im Ganzen, denn es gab immer einige, die zum Glauben erleuchtet worden sind und es noch werden.«326

Die Frage, wann genau die Rettung ganz Israels zu erwarten ist, beantwortet auch das Lumen ad revelationem nicht genau, deutet aber mit der Verwendung stark apokalyptischer Motive einen eindeutig endzeitlichen Rahmen an: »Und sie werden den Herrn fürchten [Hos 3, 5], das heißt: um ihn zu verehren und zu bekennen; und das in den letzten Tagen, das heißt: Nahe dem Ende der Welt wird sich das erfüllen. Denn so steht es geschrieben [im Brief] an die Römer im 11. Kapitel: Wenn die Vollzahl der Heidenvölker eingetreten sein wird, so wird ganz Israel gerettet werden, das heißt: Am Ende der Welt, wenn die Falschheit des Antichristen aufgedeckt ist, weil dann die Blindheit der Juden gänzlich endet und sie einmütig mit uns zusam­ men den Glauben an Christus bekennen werden.«327

Den gleichen Zeithorizont macht auch Diego de Valera unter Berufung auf den weithin als autoritativ angesehenen Bibelkommentar des Nikolaus von Lyra auf: »Die Heiden lebten vor der Ankunft unseres Herrn unter der Sünde des Götzendiens­ tes, und so verbleiben einige Juden unter der Sünde des Unglaubens, bis in den letzten Tagen der Antichrist kommt, nach dem, was Nikolaus von Lyra im elften Kapitel seiner Apostille über den Römerbrief sagt. […] Doch die Juden, die jetzt noch verbleiben, werden schließlich von Gott gerufen werden, nach dem, was Nikolaus von Lyra in dem eben angeführten Kapitel sagt.«328

Ähnlich wie Juan de Torquemada parallelisiert Diego so den vormaligen Un­ glauben der Heiden mit der Ablehnung Jesu Christi im jüdischen Volk. Wenn jener der Bekehrung der Völker nicht grundsätzlich entgegenstand, so die Lo­ gik, kann auch diese kein unüberwindbares Hindernis für die Erlösung sein, 326

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[…] ostendit quod non repulit Deus Israel, sed quod reliquie eius semper salve fient, secundum electionem, et cetera, et quod potens est Deus iterum reinserere eos in fidem […]. Unde capitulo undecimo inter alia dicit: Nolo vos ignorare fratres mysterium hoc ut non sitis vobismetipsis sapientes, quia cecitas ex parte contigit in Israel donec plenitudo gentium intraret, et sic omnis Israel salvus fieret, et cetera. Ex parte est ergo cecitas in Israel, et non ex toto, quia semper aliqui fuerunt ad fidem illuminati et illuminabuntur. – Lumen ad revelationem, 48. Et pavebunt ad Dominum, scilicet, ipsum reverendo et confitendo; et hoc in novissimo dierum, scilicet, circa finem mundi implebitur istud, quia sic scribitur ad Romanos, ca­ pitulo undecimo: Cum intraverit plenitudo gentium, sic omnis Israel salvus fiet, scilicet, in fine mundi, detecta antichristi falsitate, quia tunc cecitas Iudeorum omnino cessabit, et fidem Christi nobiscum confitebuntur unanimes […]. – Lumen ad revelationem, 26. […] los gentiles ante del avenimiento de nuestro Senor bivieron debajo del pecado de la idolatria, e así algunos de los judios son dexados so el pecado de la infielidat fasta que venga el Antecristo en los postrimeros dias, segund dize Niculao de Lira en el honzeno capitulo de su Apostila sobre la Epistola a los romanos. […] Ca los judios agora dexados finalmente seran por Dios llamados, segund dize Niculao de Lira en el capitulo cerca alegado. – Espejo, 9, ed. Accorsi, S. 327.

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zumal der endgültigen Rettung Israels laut dem Espejo nur noch einige – also keineswegs eine größere oder bedeutendere Menge – verbleibende Ungläubige entgegenstehen. Erst Hernando de Talavera situiert diesen Zeitpunkt endgültig am Ende aller Zeiten: »Sehr gerechter Weise werden [dann] die Kinder Israels und Judas zur Herrlichkeit des Himmels geführt und erhoben, das heißt, alle, die fest glauben und glauben werden und ihn wahrhaft liebten, lieben und lieben werden […]. Die Bösen [jedoch] sind aufgrund ihrer Verfehlungen und Sünden für immer zu den Qualen und Strafen der Hölle verdammt […] bis am Ende der Welt unser Herr die von ihnen bekehrt, die dann leben, und sich erfüllt, was der heilige Apostel [Paulus] sagt: dass ganz Israel gerettet werden wird.«329

Auch wenn die Vision ewiger Höllenqualen zur Bestrafung derer, die ihre Hoffnung nicht auf Jesus Christus gesetzt haben, vordergründig nicht sehr versöhnlich wirkt, ist der Blick auf das Ende aller Zeiten dennoch ganz im Sinne der Rechtfertigung der Conversos: Wenn die Bekehrung und Rettung aller Angehörigen des jüdischen Volkes noch am Ende der Welt möglich ist, dann kann sie auch in der Zwischenzeit nicht ausgeschlossen sein. Die Kon­ versionen des 15. Jahrhunderts nahmen also lediglich vorweg, was nach dem Heilsplan Gottes ohnehin vorgesehen war und entsprachen damit eindeutig dem göttlichen Willen.

3.5 Einheit: Das Band des Friedens Die Einheit der Christen war im 15. Jahrhundert ein sensibles und hoch poli­ tisches Thema. 1417 war nach fast vierzig Jahren das Große Abendländische Schisma weitestgehend beigelegt worden, während Aragon als Rückzugsort Be­ nedikts XIII. noch bis 1430 vom Winkelschisma der freilich nur noch nominel­ len Prätendenten auf die Petrusnachfolge (Clemens VIII. und Benedikt XIV.) berührt war. Der vom Basler Rumpfkonzil gewählte Gegenpapst Felix V. be­ endete sein zehnjähriges Pontifikat sogar erst im April 1449, dem Jahr der Rebellion und des Sentencia-estatuto von Toledo.330 329

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[…] muy justamente son introducidos y levados a la gloria del cielo los hijos de Israel y de Judá, esto es, todos lo que firmemente creen y creerán y le amaron, aman y amarán verdaderamente […] por sus deméritos y pecados son los malos para siempre condenados a los tormentos y penas del infierno […] hasta que en el fin del mundo nuestro Señor convierta a los que entonces fueren vivos de ellos y se cumpla lo que dice el santo Apóstol: que todo Israel será salvo. – Católica impugnación, 71, ed. Martín Hernández, S. 168. Vgl. u.a. Óscar Villarroel González: Formas de comunicación en Castilla durante el Gran Cisma de Occidente. In: Harald Müller und Brigitte Hotz (Hgg.): Gegenpäpste. Ein unerwünschtes mittelalterliches Phänomen, Wien 2012, S. 315‑336; Federico Tavelli: El concilio de Constanza y el fin del cisma. El rol del reino de Castilla en el camino hacia la unidad. In: Teología. Revista de la Facultad de Teología de la Pontificia Universidad Católica Argentina 112 (2013), S. 73-102; Suárez Fernández: Castilla, el cisma, S. 43‑112;

Im gleichen Zeitraum weckten die Unionsverhandlungen mit mehreren christlichen Kirchen des Ostens auf dem Konzil von Ferrara und Florenz ver­ gebliche Hoffnungen auf die Überwindung der älteren Schismen der Kirchen­ geschichte, während der Vormarsch des Osmanischen Reiches und die Erobe­ rung Konstantinopels 1453 die Beziehungen zur Byzantinischen Kirche erheb­ lich erschwerten.331 Sogar die relativ weit entfernte und regionale hussitische Bewegung und der aus ihrer Unterdrückung entstandene Konflikt zwischen römischer Papstkirche und böhmischer Krone war den Autoren in Kastilien durchaus bewusst, wie mehrere Verweise in den Traktaten belegen.332 Autoren mit diplomatischer Erfahrung in den großen Angelegenheiten der Christenheit kannten diese Kontroversen sehr genau. Juan de Torquemada et­ wa hatte als führender päpstlicher Theologe die Auseinandersetzung zwischen Papsttum und Konziliarismus unmittelbar erlebt und die Unionsverhandlun­ gen mit der griechischen, armenischen und koptischen Kirche geleitet.333 Alon­ so de Cartagena hatte am Basler Konzil teilgenommen und nach dem Ende der Hussitenkriege das Übereinkommen zwischen der österreichischen und der polnischen Krone vermittelt.334 Wer von den Diskursteilnehmern jemals eine einflussreiche Position bei Hof innehatte – und das hatte die Mehrheit der Verteidiger der Conversos –, wusste aus erster Hand, welche Bedeutung das Postulat der christlichen Einheit und Eintracht gerade für die kastilischen Herrscher besaß, die von Johann II. über Heinrich IV. bis zu Isabella I. mit kriegerischen Nachbarn, dynastischen Kon­ kurrenten, oppositionellen Adligen und aufständischen Städten zu kämpfen hatten.335 So verurteilt etwa Fernando de Pulgar jegliche Bereitschaft zu Rebel­ lion und Spaltung als nicht nur schädlich für das Gemeinwohl aufgrund der

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Johannes Helmrath: Das Basler Konzil 1431-1449. Forschungsstand und Probleme, Köln 1987, S. 239‑245; Ursula Giessmann: Felix V, the Last Antipope. In: Michiel Decaluwe u.a. (Hgg.): A Companion to the Council of Basel, Leiden 2016, S. 443‑467. Vgl. Suttner: Das Konzil von Ferrara/Florenz; Klaus Herbers: Geschichte des Papsttums im Mittelalter, Darmstadt 2012, S. 267‑272. Vgl. André Vauchez: Der Kirchenbegriff im lateinischen Abendland. In: Brox u.a. (Hgg.): Die Geschichte des Christentums. Bd. 6: Die Zeit der Zerreißproben (1274-1449), S. 282‑284; Manuel Parada López de Corselas und Jesús R. Folgado García: Jan van Eyck, Alonso de Cartagena y la »Fuente de la Gracia«. In: Boletín del Museo del Prado 35 (2017), S. 16-31; Lucas de Torres y Franco-Romero: Mosén Diego de Valera: Su vida y obras. Ensayo biográfico. In: Boletín de la Real Academia de la Historia 64 (1914), S. 61. Vgl. Llamedo González: Torquemada, S. 93‑97. Vgl. Fernández Gallardo: Alonso de Cartagena, S. 223‑225. Vgl. u.a. Carlos R. Melo: La dinastía de los Trastámara y el estado español. In: Investigacio­ nes y Ensayos 19 (1975), S. 133‑159; Luis Suárez Fernández: The Kingdom of Castile in the Fifteenth Century. In: Roger Highfield (Hg.): Spain in the Fifteenth Century 1369-1516. Essays and Extracts y Historians of Spain, London 1972, S. 89‑90; Juan Torres Fontes: The Regency of Don Ferdinand of Antequera. In: Highfield (Hg.): Spain in the Fifteenth Century, S. 114‑170.

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resultierenden Verheerungen, sondern auch als im höchsten Maße verwerflich und gegen den Willen Gottes gerichtet: »Und sicherlich nicht ohne Grund verbietet uns die Heilige Schrift an vielen Stellen streng die Spaltung der Reiche. Und sie mahnt uns durch den heiligen Petrus in seinem kanonischen Brief [1Petr 2, 13], lieber den Königen und Fürsten zu gehorchen, auch wenn sie ungelehrt und nachlässig sind, als in den Reichen Spaltung zu verursa­ chen; denn die Übel, die von der schlechten [Amtsführung] des Königs herrühren, können nicht so groß sein, als dass die aus der Spaltung hervorgehenden nicht größer und gewaltiger wären. «336

Auf der anderen Seite war die politische Einheit in jeder Hinsicht und um jeden Preis keineswegs ein unwidersprochener Wert an sich. Wo sich etwa die Vereinigung zweier Kronen in Personalunion aufgrund von Heirat und Erbfol­ ge anbahnte, gab es stets auch heftigen Widerstand von Seiten der Adligen oder Stadtbürger, die ihre eigenen Interessen in Gefahr sahen – Herrscher wie Blanka von Navarra (1387‑1441), Johann II. von Aragon (1397‑1479), Johanna von Kastilien (1462‑1530) und Ferdinand der Katholische (1452‑1516), die mit unterschiedlichem Erfolg die Herrschaft über mehrere Reiche beanspruchten, wurden nicht unbedingt als Vorkämpfer einer wünschenswerten politischen Einheit gefeiert.337 Als Status quo war die Unterscheidung von getrennten Entitäten hinnehmbar oder sogar wünschenswert; die Teilung und Spaltung innerhalb einer bestehenden Einheit dagegen war stets negativ konnotiert. Da­ her war auch die Verbindung des Anliegens der christlichen Einheit (im Sinne der Unterschiedslosigkeit von Altchristen und Neuchristen) mit dem Ideal der politischen Einheit (als Geschlossenheit unter der königlichen Herrschaft) eines der wichtigsten Elemente der diskursiven Strategie zur Verteidigung der Rechte der Conversos. Der Begriff der Eintracht war für die feudalen mittelalterlichen Gesellschaf­ ten aber auch deshalb so elementar, weil er die Härten einer stark hierarchisch gegliederten Ordnung affektiv harmonisierte – selbst eine auf Christen be­ schränkte Einheit bedeutete in einer ständischen und patriarchalen Gesellschaft

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Y ciertamente no sin causa la Sagrada Escritura defiéndenos estrechamente en muchos lugares la división de los reinos. Y nos manda por San Pedro en su canónica epístola que obedezcamos a los reyes y príncipes, y aunque sean indoctos y negligentes, antes que hacer división en los reinos; porque no pueden ser los males que vienen del mal del rey tan grandes que no sean mayores y más grandes los que proceden de la división – Glosa a las Coplas de Mingo Revulgo, ed. Domínguez Bordona: Letras, S. 165‑166. Vgl. José Á. Sesma Muñoz: La reina doña Blanca y Aragón. In: Príncipe de Viana 60 (1999), S. 35‑48; ders.: El matrimonio de Fernando e Isabel y la unión de las coronas de Castilla y Aragón. In: En los umbrales de España. La incorporación del Reino de Navarra a la monarquía hispana, Pamplona 2012, S. 27-56; Nuria Corral Sánchez: Dios salve a las reinas. Propaganda y legitimación en la Guerra de Sucesión castellana (1475-1479). in: Ammentu: Bollettino Storico e Archivistico del Mediterraneo e delle Americhe 12 (2018), S. 35‑48.

bekanntlich keineswegs soziale Gleichheit.338 Auch bei dem im Spätmittelalter in ganz Europa aufkommenden Genre des Totentanzes, das in Literatur und bildender Kunst hohe und niedere Stände im Angesicht des unausweichlichen Endes auf dieselbe Stufe stellte, war ja gerade die Pointe, dass die Gleichheit im Tod die extreme Ungleichheit zu Lebzeiten konterkarierte.339 Von den Vertei­ digern der Conversos verlangte dies eine gewisse soziopolitische Rücksichtnah­ me. Im Modus erbaulicher Prosa ließ sich ohne Weiteres von der Gleichheit aller Gläubigen vor Gott, der kein Ansehen der Person kennt, sprechen. Ging es aber um die konkreteren Fragen von Ämtern, Würden und Privilegien, musste diese fromme Idealsicht hinsichtlich ihrer praktischen Konsequenzen differenziert werden. Dass es nach Paulus in Christus weder Juden noch Griechen gibt, ließ sich im Rahmen der kirchlichen Tradition (zumindest bis zur Kontroverse um die iberischen Neuchristen) relativ umstandslos vertreten. Dass es, ebenfalls nach Paulus, weder Mann noch Frau, weder Sklaven noch Freie gibt, erforderte ein weit höheres Maß an exegetischer Interpretation, da die Einebnung aller Unterschiede nach Stand und Geschlecht leicht den Vorwurf der Häresie auf sich ziehen konnte und davon abgesehen auch gar nicht im Interesse der Vertei­ diger der Conversos lag. Beispielhaft für das hohe Bewusstsein der Bedeutung und Berechtigung von Standesunterschieden ist etwa die Bemerkung des könig­ lichen Beichtvaters Hernando de Talavera, der sich geradezu dafür entschuldigt, seiner Herrscherin eine Sammlung adventlicher Meditationen zu widmen, die ursprünglich für seine Mitbrüder bestimmt war: »Was an die Ordensleute gerichtet ist, um ihren heiligen Umgang noch mehr zu läutern und zu reinigen, entspricht nicht dem, was die Weltlichen hören müssen, denn die Predigten müssen der Verschiedenheit und der unterschiedlichen Berufung und Fähigkeit der Hörer angepasst werden. […] Jedoch sehe ich, da ich die Vortrefflichkeit Eures erleuchteten Geistes und die Vollkommenheit Eures ergebenen und geordneten Wunsches kenne, keine Schwierigkeit darin, es Eurer Majestät mitzuteilen.«340

Auch andere Autoren im Diskurs um die iberischen Neuchristen traten in diesem und in anderen Zusammenhängen als entschiedene Unterstützer der ständisch gegliederten Struktur des Gemeinwesens auf, die in der Realität spätestens seit dem 14. Jahrhundert immer stärker von den fortschreitenden Entwicklungen unter anderem in Geldwirtschaft und Kriegstechnik unterlau­ 338 339 340

Vgl. Duby: Die drei Ordnungen, S. 108‑111. Vgl. Victor de Lama: Poesía medieval, Madrid 2002., S. 241‑244; Rodríguez Puértolas: Poesía crítica, S. 39‑42; Le Goff: Die Geburt Europas, S. 219‑220. Lo que a los religiosos se dirige para más cendrar y purificar su sancta conversación no es conforme a lo que los seglares deven oír, ca segund la diversidad y diversa professión y capacidad de los oidores deven ser proporcionados los sermones. […] Pero yo, que sé la exelencia de vuestro alunbrado ingenio y la perfectión de vuestro devoto y ordenado desseo, no pongo dificultad en lo comunicar a vuestra real magestad. – Colación muy provechosa, ed. Parrilla, S. 103.

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fen wurde.341 Ähnlich war auch die sich allmählich manifestierende Ideologie der Blutreinheit im Kern keineswegs konservativ, sondern barg vielmehr eine enorme Sprengkraft für die überkommene soziale Ordnung: Wo nach altem Recht selbst bei Ehen zwischen Adligen und Gemeinen oder auch zwischen Freien und Unfreien schlicht der Status des männlichen Gatten für die ganze Familie als ausschlaggebend gegolten und für Klarheit gesorgt hatte,342 drohte nun die Frage nach etwaigen jüdischen Vorfahren gleich auf welcher Seite, einen nahezu unkontrollierbaren konkurrierenden Mechanismus sozialer Äch­ tung quer zum System der Stände zu etablieren. Auch wenn dies in den Texten zugunsten der Conversos eher indirekt zum Ausdruck kommt, mag die Sorge um den Verfall der als gottgegeben verstande­ nen Ordnung durchaus zur Motivation der Autoren beigetragen haben, wie ein Vergleich mit ihren anderen Schriften zeigt. Ebenso wie Diego de Valera im Espejo de verdadera nobleza und im Doctrinal de príncipes vertrat auch Alonso de Cartagena in seinem Doctrinal de caualleros das theologisch und juristisch reflektierte, aber dennoch eindeutig in alten Hierarchien gedachte Idealbild eines in drei Ständen verfassten Gemeinwesens.343 Alonso Díaz de Montalvo legte in seiner umfangreichen Rechtssammlung Ordenamiento de leyes die recht­ lichen Grundlagen einer solchen feudalen Gesellschaft dar.344 Hernando de Talavera betonte in Anleitungen wie dem Tratado sobre la demasía en el vestir, calzar y comer ihren hohen moralischen Wert, der darin lag, dass der Einzelne ohne falschen Ehrgeiz seinen gottgegebenen Platz im harmonischen Ganzen einnahm.345 Was die hierarchische Verfasstheit der Kirche anging, war vor allem Juan de Torquemada als ausgesprochener Befürworter der päpstlichen Machtfülle gegenüber dem Konzil von Basel bekannt geworden.346 An eine Gleichheit aller Christen schlechthin und in jeglicher Hinsicht war also nie­ mals gedacht.

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Vgl. Victor M. Gibello Bravo: La imagen de la nobleza castellana en la baja edad media. Cáceres 1999, S. 79‑81; José A. Maravall: Estudios de historia del pensamiento español. Bd. 2: La época del renacimiento, Madrid 1999, S. 22‑30. Vgl. Hans-Werner Goetz: Leben im Mittelalter, München 72002, S. 39‑54. Vgl. Fallows: Tratados militares; ders.: Chivalric Vision; Moya García: Doctrinal de prínci­ pes; Pérez Priego: Doctrinal de príncipes; Luis Fernández Gallardo: Alonso de Cartagena y el debate sobre la caballería en la Castilla del Siglo XV. In: Espacio, Tiempo y Forma 26 (2013), S. 77-118. Vgl. Benito Rial Costas: Las Ordenanzas reales de Alfonso Díaz de Montalvo (1484/85). La imprenta de Huete y la política editorial de los Reyes Católicos. In: Gutenberg-Jahrbuch 87 (2012), S. 135-146; Antonio Pérez Martín: El aparato de Glosas, S. 593‑594; Kamen: Spain, 1469-1714, S. 32; Conde Salazar: La causa conversa, S. 72‑75. »Traktat vom Übermaß bei Kleidung, Schuhwerk und Speise« – Text bei Teresa de Castro: El tratado sobre el vestir, calzar y comer del arzobispo Hernando de Talavera. In: Espacio, Tiempo y Forma 14 (2001), S. 11‑92; Vgl. dazu auch Iannuzzi: El poder de la palabra, S. 166‑174. Vgl. Horst: Juan de Torquemada und Thomas de Vio Cajetan, S. 51‑110.

Wohl auch deswegen ist in den Schriften zugunsten der Conversos bevor­ zugt von Einheit, Eintracht und Einmütigkeit die Rede, wo das Anliegen im Kern oft treffender als die Forderung nach Gleichheit beschrieben werden könnte – den Kampf für die Rechte der Neuchristen als eine Frage der Einheit und Geschlossenheit der Kirche zu rahmen, war in mancher Hinsicht einfach opportuner. Die biblischen Verweise, auf die sich die Autoren dazu stützten, schöpften insgesamt aus der ganzen Fülle der lateinischen Bibel, konzentrierten sich jedoch besonders auf zwei Passagen des Neuen Testaments. 3.5.1 Alle sollen eins sein (Joh 17, Eph 2) Bereits das früheste bekannte Dokument gegen die conversofeindliche Rebelli­ on von Toledo, die anonyme Predigt am Gedenktag des heiligen Augustinus, stellt das Thema der Einheit in den Mittelpunkt, indem der Verfasser den Vers »Bemüht euch, die Einheit des Geistes zu bewahren im Band des Friedens« (Eph 4, 3) als Thema wählt. Als noch einflussreicher im späteren Diskurs sollte sich jedoch ein zweites Zitat aus demselben neutestamentlichen Brief erweisen, das insbesondere den diskursiven Begriff der Nation noch einmal aufnimmt und das Thema der Einheit hinsichtlich der zwei Volksgruppen Juden und Heiden expliziert. Der anonyme Prediger von Valladolid zieht es heran, um die Position der Rebellen von Toledo scharf zu kritisieren: »Um noch mehr Verurteilung auf sich zu häufen, wagten sie es, sich in solchen Wahn zu stürzen, dass sie sich nicht scheuten, die Einheit der heiligen katholischen Kirche so weit sie können zu zerteilen. Zwischen Juden und Heiden, die sich zum Glauben an Christus bekehrt haben, machen sie einen Unterschied und erneuern mit Waffengewalt und Pöbelherrschaft die alte Feindschaft, die Christus, unser Friede, der aus beiden Teilen eins gemacht hat [Eph 2, 14], aufzuheben gekommen ist.«347

Die apologetische Funktion des Schriftzitats wird hier besonders deutlich. Wer meint, Christen ihrer jüdischer und heidnischer Herkunft nach voneinander trennen zu können, der stellt sich gegen die Erlösungstat Christi und gegen den göttlichen Heilsplan. Dies bekräftigt der Prediger mit weiteren Schriftstel­ len und legt großen Wert darauf, dass es nicht nur um die Einheit einer menschlichen Organisation geht: Die Kirche sei vielmehr nach Gottes Willen das himmlische Jerusalem, das alle irdischen Gemeinwesen in jeder Hinsicht übertreffe. Folglich greifen die Rebellen von Toledo nichts Geringeres an als

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[…] ad maiorem cumulum suae damnationis in tantam uesaniam prorrumpere ausi sunt quod Ecclesiae sanctae et catholicae unitatem quantum in eis est diuidere non uere­ antur; Inter iudaeum et gentilem ad fidem Christi conuersos distinctionem facientes, antiquas inimicitias, quas Christus pax nostra, qui fecit utraque unum, uenit tollere, armorum uiolentia et plebeia tyrannide renouantes […]. – Sermo in die beati Augustini, 7, ed. González Rolán/Saquero Suárez-Somonte, S. 51.

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das Fundament dieser von Gott gegründeten heiligen Stadt, für deren Einheit Christus selbst gebetet hat: »Für die Einheit dieser christlichen Bürgerschaft betete der Sohn Gottes, während er in dieser Welt sichtbar im Fleisch erschienen war, zum Vater und sagte: Heiliger Vater, bewahre sie, die du mir gegeben hast, in deinem Namen, damit sie eins sind wie auch wir, Johannesevangelium, 17[. Kapitel].«348

Die Verbindung des Lobes der christlichen Einheit mit dem Vorwurf der Spal­ tung ist auch für die nachfolgenden Texte zur Verteidigung der Conversos charakteristisch. So nutzte Juan de Torquemada die gleichen Perikopen, um die Rebellen von Toledo als Häretiker und Feinde Jesu Christi zu denunzieren. Im vorletzten Kapitel seines Traktats, in dem er gleichsam als Höhepunkt und Schlussfolgerung der vorangehenden Betrachtung die Argumente aufzählt, war­ um der Standpunkt seiner Gegner nicht bloß falsch oder schlecht begründet, sondern vielmehr theologisch gefährlich und moralisch verwerflich ist, führt er an dritter Stelle an: »Dass es verdammenswert ist, den genannten Unterschied zwischen den Gläubigen zu machen, zeigt sich drittens daraus, dass er die Tugend und die Wirksamkeit des Lei­ dens unseres Erlösers aufzuheben scheint, indem er den Frieden zerstört, den Christus durch seinen Tod zwischen den beiden Völkern gestiftet hat, nämlich den Konvertiten aus dem Heidentum und aus dem israelitischen Volk, und die Feindschaft zurückruft, die er durch seinen Tod aufgelöst hat; worüber der Apostel [im Brief] an die Epheser sagt: Er selbst ist unser Friede, der aus beiden eines gemacht hat […].«349

Er zitiert dabei nicht allein die Passage aus dem Epheserbrief, sondern noch ausführlicher die Anmerkungen der Glossa ordinaria und den Kommentar des Nikolaus von Lyra, um die Basis seiner Auslegung in der traditionellen Exege­ se zu untermauern. Auch das Zitat aus dem Johannesevangelium nutzt der Kardinal, um noch einmal auf die Gefahr des Schismas hinzuweisen, die von der toledanischen Rebellion ausgeht. Im 14. Kapitel seines Traktats, das zwölf Gründe nennt, warum Konvertiten insbesondere aus dem Judentum nicht ge­ ringgeschätzt werden dürfen, heißt es: »Der elfte Grund oder Beweis dafür ist, dass eine solche Geringschätzung der zuvor Genannten sehr gefährlich für die Kirche Gottes ist, weil sie die Harmonie der Kirche stört, die Einheit trennt, Zwietracht hervorbringt [und] Streitigkeiten nährt, durch die 348

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Pro huius christianae ciuitatis unitate Filius Dei dum in hoc mundo uisibilis in carne appareret, orauit ad Patrem dicens: Pater sancte, serua eos in nomine tuo, quos dedisti mihi, ut sint unum sicut et nos, Ioh. 17. – Sermo in die beati Augustini, 5, ed. González Rolán/Saquero Suárez-Somonte, S. 48‑49. Tertio facere prefatam differentiam inter fideles dampnabile esse ostenditur ex eo quod evacuare videtur virtutem et efficatiam passionis nostri Salvatoris, dissolvendo pacem quam Xpus. sua morte posuit inter hos duos populos, scilicet de gentilitate et de populo israëlitico conversos, et revocando inimicitias, quas ipse sua morte dissolvit. De quo dicit Apostolus ad Ephe. 2: Ipse est enim pax nostra, qui fecit utraque unum […] – Contra Madianitas, 15, ed. del Valle Rodríguez, S. 220‑221.

die Einheit der Kirche beschädigt und die christliche Gemeinschaft verletzt wird. Doch viele Male ist zu lesen, wie unser Erlöser gebetet hat, um die allgemeine Einheit zu bewahren, indem er zum Vater sagte: Heilige Vater, bewahre sie, die du mir gegeben hast: damit sie eins sind wie auch wir.«350

Ähnlich argumentiert auch Alonso de Montalvo, spannt jedoch den erzähle­ rischen Bogen noch weiter. An erster Stelle von acht Gründen, warum die generelle Herabsetzung von Konvertiten aus dem Judentum falsch ist, führt er an, dass Christus die frühere Feindschaft zwischen Israel und den Völkern ein für alle Mal beendet habe. Als Urbild dieser Feindschaft führt er, wie bereits zum diskursiven Begriff der Geburt gezeigt wurde, die Rivalität Esaus und Jakobs schon im Mutterleib an, und verweist daran anschließend auf die friedensstiftende Erlösungstat Christi: »Jene Feindschaft nämlich hob er auf durch sein Kommen und sein Leiden, durch das er uns gerettet hat, wie der Epheserbrief im 2. Kapitel eröffnet: Dieser Christus nämlich ist unser Friede, der aus beiden eines gemacht und die trennende Wand der Abgrenzung niedergerissen hat, die Feindschaft, und in seinem Fleisch das Gesetz mit den Verordnungen und Befehlen abgeschafft hat und so in sich selbst die zwei zu einem neuen Menschen machte und Frieden schuf.«351

Dass alle Christen ungeachtet ihrer Herkunft aus dem Judentum oder dem Heidentum von Anfang an eine Einheit bildeten, die seither durch das Sakra­ ment der Taufe fortgeschrieben und gewährleistet wird, sieht Alonso im Gebet Christi bewiesen: »Christus sprach nämlich: Vater, bewahre die, die du mir gegeben hast, dass sie eins sind wie wir. Nicht für sie bitte ich, sondern für jene, die durch ihr Wort zum Glauben an mich kommen sollen, damit sie durch uns eins sind und die Welt glaubt, dass du mich gesandt hast. […] Und wer mit gottloser und tollkühner Verwegenheit das Gegenteil behauptet, der bestreitet, dass das Wort des Herrn gültig und stark ist.«352

Gerade die längeren Traktate zugunsten der Conversos bauen diese heilsge­ schichtliche Darstellung des Zustandes der Welt vor und nach Christus gerne 350

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Undecima causa sive ratio ad idem est quia talis vilipensio praefatorum periculosa valde sit Ecclesiae Dei, cum Ecclesiae consonantium perturbet, unitatem dirimat, dissensiones pariat, iurgia nutriat, quibus Ecclesiae unitas rumpitur et societas Christiana violatur. Pro communi tamen unitate servanda saepe numero Salvator noster orasse legitur ad Patrem dicens: Pater sancte, serva eos quod dedisti mihi: ut sint unum, sicut et nos. – Contra Madianitas, 14, ed. del Valle Rodríguez, S. 214. Per adventum tamen eius et passionem, qua redemit nos, inimicitias illas tollit, ut patet ad Ephesios 2: Ipse enim Christus est pax nostra, qui fecit utraque unum, et medium parietem macerie soluens inimicitias in carne sua legem mandatorum decretis euacuans, ut duos condat in semetipsum in unum nouum hominem faciens pacem […] – Tractatus quidam levis, 6, ed. Conde Salazar, S. 105. Nam Christus inquit: ›Pater serua eos quos dedisti mihi, ut sint unum, sicut et nos, non pro his rogo tantum, sed pro his qui credituri sunt per uerbum eorum in me, ut ipsi nobis unum sint, et mundus credat, quia tu me misisti.‹ […] Hi enim qui sacrilego et temerario ausu contrarium asserunt negant Domini uerbum ualidum et firmum. – Tractatus quidam levis, 17, ed. Conde Salazar, S. 115.

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noch weiter aus. Alonso de Cartagena etwa verwendet den gesamten ersten Teil seines Werks darauf, die Geschichte der Menschheit von Adam und Eva an hinsichtlich ihrer Einheit und Zertrennung zu referieren. Im dritten Theorem des Hauptteils seines Traktats legt er dann anhand verschiedener Schriftstellen dar, wie die Christen aus dem Judentum und aus dem Heidentum durch die Taufe gemeinsam ein einziges Gottesvolk bilden. Im vierten Kapitel steht der Verweis auf das Gebet Jesu: »Denn er befahl nicht, zwei Völker zu leiten, oder zwei Schafställe zu gründen, son­ dern die verstreuten Völker und auf verschiedene Wege verirrte Schafe zu einem Volk und einem Schafstall zu sammeln. Deshalb betete er zum Vater und sagte: Dass sie eins sind wie auch wir. Das Gebet Christi aber konnte nicht vergeblich sein.«353

Das anschließende fünfte Kapitel desselben Theorems beginnt mit den Worten des Epheserbriefs und der Versicherung, dass Christus der einzige Weg für alle Menschen zu Gott dem Vater ist: »Das sagt der Apostel, indem er erklärt: Er selbst ist nämlich unser Friede, der beide zu einem gemacht hat und die trennende Wand der Abgrenzung niedergerissen hat, die Feindschaft […] denn durch ihn haben wir beide in dem einen Geist Zugang zum Vater.«354

Noch einmal kommt Alonso de Cartagena im vierten Theorem, das den sys­ tematisch-theologischen Teil seines Traktats abschließt, auf das Gebet Jesu zu­ rück: »[Die Christen] sollen sich eins fühlen, da alle Unterschiede der alten Herkunft inner­ lich erstickt sind, wenn wir den nachahmen wollen, dessen Gebet nicht vergeblich sein konnte und der betend sprach: Heiliger Vater, bewahre sie, die du mir gegeben hast, in deinem Namen, damit sie eins sind wie auch wir. Und dass dieses allergütigste Gebet nicht nur für einige wenige ausfloss, sondern für alle Gläubigen, wie viele auch da waren und danach in Zukunft da sein werden – wer wollte es bezweifeln?«355

Abermals rückt damit die zeitliche Dimension in den Mittelpunkt der Betrach­ tung und zugleich der Anspruch der Verteidiger der Conversos, eine seit apos­ tolischer Zeit für immer gültige Wahrheit zu vertreten. Für die Position der 353

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Non enim duabus gentibus imperare, aut duo ovillia constituere decrevit, sed dispersos populos et oves in diversas vias declinantes in unum populum et unum oville congre­ gare. Unde ad patrem oravit dicens: Ut sint unum sicut et nos. Oratio autem christi frustrari non potuit […]. – Defensorium, 2, 3, 4, ed. Alonso, S. 142. Quod apostolus declarans ait, ipse est enim pax nostra qui fecit utraque unum et medi­ um parietem macerie solvens inimicicias […] quoniam per ipsum habemus accessum ambo in uno spiritu ad patrem. – Defensorium, 2, 3, 5, ed. Alonso, S. 145. […] unum se esse sentiant omnibus differentiis vetusti originis penitus suffocatis, si il­ lum imitari voluerimus, cuius oratio frustrari non potuit, qui orans aiebat: Pater sancte, serva eos in nomine tuo quos dedisti michi, ut sint unum, sicut et nos, que utique be­ nignissima oratio non pro aliquibus paucis solum, sed pro omnibus fidelibus quotquot tunc erant et in posterum forent futuri, fussam esse, quis dubitat. – Defensorium, 2, 4, 14, ed. Alonso, S. 197.

Rebellen von Toledo und ihrer Gleichgesinnten kamen in dieser Sicht nur zwei zeitliche Bezugspunkte infrage: entweder die heilsgeschichtlich obsolete Trennung von Juden und Heiden vor dem Erscheinen Christi oder aber das zer­ störerische Bemühen falscher Propheten, das wahre Evangelium zu verfälschen, vor dem schon im Neuen Testament selbst gewarnt wird (Mt 7, 15; Gal 1, 7). Auch Gutierre de Palma kommt in der Mitte des 7. Kapitels seines Breve reprehensorium, das ausführlich davon handelt, wie Christus aus zwei zuvor getrennten Teilen der Menschheit eine einzige Kirche gebildet habe, auf den Epheserbrief zu sprechen. Der Bakkalaureus aus Toledo versäumt es hierbei ebenfalls nicht, die Verwerflichkeit derer zu betonen, die trotz der göttlichen Erlösungstat an der Feindschaft zwischen den Völkern festhalten wollen: »Daher [schreibt] Paulus [im] Epheserbrief: Christus selbst ist nämlich unser Friede, der aus beiden eins machte, und er vernichtete die abgrenzende Wand dazwischen, die Feindschaften, in seinem Fleisch. […] Und durch sein Kommen brachte er die Frohe Botschaft des Friedens, euch – das heißt den Heiden – die ihr fern wart, und denen, die nahe waren – so den Juden. […] Da also durch unseren Erlöser Friede entstanden, die Feindschaft aber völlig aufgelöst ist und wir in einem Geist Zugang zu Gott haben, ist jene Zwietracht folglich gründlich zu verurteilen.«356

Im Gleichen Kapitel führt er innerhalb einer Katene zum Thema der Einheit aller Gläubigen auch das Zitat aus dem Johannesevangelium an: »Und für diese heilige Einheit betete die Menschennatur des Erlösers zum Vater und sprach: Heiliger Vater, bewahre diese, die du mir gegeben hast, damit sie eins sind wie auch wir. Und: nicht nur für diese bitte ich, sondern auch für die, die durch ihr Wort an mich glauben werden, dass auch sie in uns eins sind, damit auch die Welt glaubt, dass du mich gesandt hast. […] Ebenso sagt der Erlöser: Ich will, dass sie eins sind in uns, so wie auch wir eins sind, damit sie vollkommen eins sind. Johannesevangelium, 17. Kapitel.«357

Während die meisten Texte auf diese oder ähnliche Weise dazwischen changie­ ren, dem Gegner einerseits eine häretische Neuerung vorzuwerfen, andererseits die versuchte Rückkehr zur vorchristlichen Weltordnung, gewinnt bei Alonso de Oropesa die letztere Anklage das weitaus größere Gewicht. Im 32. Kapitel, das den Abschluss der sogenannten Einleitung – eigentlich eher des ersten 356

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Unde Paulus, Ad Ephesios IIo: Ipse enim Christus est pax nostra, qui fecit utrumque unum, et medium parietem maceriae solvens, inimicitias in carne sua legem. […] Et ve­ niens, evangelizavit et vobis – scilicet: gentibus – pacem, qui longe fuistis, et pacem his, qui prope, ut Iudaeis. […] Cum ergo per redemptorem nostrum pax orta est, inimicitia autem totaliter dissoluta, et in uno spiritu accessum habemus ad Deum, discordia ergo illa penitus est dampnata. – Breve Reprehensorium, 7, Ms. 23-7, 8r. Et pro hac unione sancta orabat humanitas salvatoris ad patrem inquiens: Pater sancte, serva eos, quos dedisti mihi, ut sint unum sicut et nos. Et non pro his rogo tantum, sed pro his etiam qui credituri sunt per verbum eorum in me, ut et ipsi in nobis unum sint, ut et mundus creat quod tu me misisti. [...] Ad idem salvator: Volo, ut sint unum in nobis, sicut et nos unum sumus, ut sint consummati in unum. Johannes XVIIo – Breve reprehensorium, 7, Ms. 23-7, 8r‑8v.

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Hauptteils – bildet und für die gesamte Argumentation zentral ist, nimmt er sich die Zeit, den gesamten rhetorischen Bogen über die Versöhnung von Ju­ den und Heiden in Christus (Eph 2, 11‑22) zu zitieren. Dabei hebt er besonders die Größe und Erhabenheit des Erlösungswerkes hervor, das diese Vereinigung ermöglicht hat: »In hellerem Licht erklärt der Apostel [Paulus im Brief] an die Epheser im zweiten [Kapitel], dass aber die wunderbare Vereinigung beider Völker und der Friede und die gleichgesinnte Einmütigkeit zwischen ihnen durch Christus bewirkt wurde in einem solchen neuen Bau, indem er zu den Heiden redet, wo er nach anderen Dingen folgendes sagt: Seid daher eingedenk, dass ihr einmal dem Fleisch nach Heiden wart, die als [solche mit] Vorhaut bezeichnet wurden gemäß dem, was dem Fleisch nach Beschneidung genannt wird. […]. [Christus] selbst ist nämlich unser Friede, der beide zu einem gemacht hat […].«358

Charakteristisch für Alonso de Oropesa ist dabei, dass er die vorchristliche Feindschaft zwischen Juden und Heiden nicht bloß erwähnt, sondern aus­ drücklich als Mangel der lex mosaica darstellt. »In diesen Worten, wenn einer sie beachtet, bemerkt der Apostel zur Genüge jene alte Unvollkommenheit des Mosaischen Gesetzes hinsichtlich der Annahme der Heiden bei ihrer Ankunft, wie ich weiter oben angemerkt habe, denn es behandelte sie wie Besucher und Fremde und empfing sie nicht als in allem Gleiche mit der Gnade und Liebe, mit der es die Juden bei sich behielt.«359

Auch das Gebet Jesu um die Einheit seiner Jünger deutet das Lumen ad revela­ tionem im gleichen Sinn, indem es von der universellen Eintracht in Christus auf die Unvollkommenheit der gleichwohl göttlich gestifteten Gemeinschaft im Volk Gottes schließt. Zunächst erwähnt Alonso de Oropesa es lediglich in einer vorbildhaften Darstellung der Einheit des Apostelkollegiums und der Jerusalemer Urgemeinde: »Denn Christus betete nicht nur für die Apostel selbst, sondern auch für alle und jegli­ che Gläubige, die durch sie zum Glauben kommen sollten, nämlich dass auch sie eins seien in diesem Schafstall, ohne irgendeine Trennung, wie es im Johannesevangelium heißt: Nicht nur für sie bitte ich, sondern für jene, die durch ihr Wort zum Glauben an

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Hanc autem mirabilem utriusque populi unionem et eorum pacem ac concordiam unanimem factam per Christum in unam quamdam novam edificationem declarat Apostolus, luce clarius, ad Ephesios, secundo, gentilibus loquens, ubi post alia sic dicit: Propter quod memores estote quia aliquando vos gentes eratis in carne qui dicebamini preputium, ab ea que dicitur circuncisio, […] ipse enim est pax nostra, qui fecit utraque unum, […]. – Lumen ad revelationem, 32. In quibus verbis, si quis advertat, satis notat Apostolus illam antiquam imperfectionem legis mosaice, quantum ad receptionem gentilium ad eam advenientium, quam superius annotavi, quia habebat eos tamquam hospites et adventitios, nec recipiebat eos per omnia equali gratia et amore, sicut intra semetipsam retinebat Iudeos. – Lumen ad revelationem, 32.

mich kommen werden, dass alle eins sind, wie auch du, Vater, in mir, und ich in dir, dass auch sie in uns eins sind.«360

Gegen Ende seines Traktats kommt er jedoch noch einmal in einem deutlich polemischer gefärbten Kapitel auf dieselbe biblische Passage zurück und betont dabei besonders die moralische Verpflichtung der Gläubigen, die Einheit, die das Gebet Christi gestiftet hat, auch selbst durch Brüderlichkeit und Friedfertig­ keit zu bewahren: »Wie es im Johannesevangelium, Kapitel 17, steht: Nicht nur für sie bitte ich, sondern für jene, die durch ihr Wort zum Glauben an mich kommen sollen, dass alle eins sind, so wie du, Vater, in mir bist und ich in dir […]. Die Einheit des Sohnes Gottes und des Vaters aber ist eine Wesenseinheit. Die Einheit der anderen gläubigen Menschen mit Gott ist dagegen eine Einheit der Liebe und des Friedens, des guten Willens und der innigen Brüderlichkeit der Kirche in allem Guten. Darin besteht die Vollkommenheit der ganzen christlichen Religion.«361

Anlass ist an dieser Stelle die Widerlegung eines Einwandes gegen die Gleich­ berechtigung der Conversos, der sich darauf beruft, dass bereits dem Alten Testament nach Proselyten nicht den gleichen Stellenwert gehabt hätten wie die gebürtigen Angehörigen des Auserwählten Volkes. Es ist nicht klar, woher dieses Gegenargument stammt und ob es überhaupt öffentlich vertreten wurde, oder lediglich von Alonso de Oropesa ersonnen wurde, um seinen eigenen Ge­ dankengang weiterzuführen: Die Vorbehalte des biblischen Israel gegen Kon­ vertiten und Fremde seien lediglich Ausweis dafür, dass der Bund Gottes mit seinem Volk vor der Menschwerdung noch nicht in jeder Hinsicht vollendet war, da erst mit Christus die ganze Wahrheit offenbart und die vollkommene Einheit gegeben sei. Abermals wird so die Position der Altchristen zeitlich mit dem Zustand der Welt vor dem Erscheinen Christi identifiziert. Da nun auch ihre Forderungen der Unvollkommenheit des vorchristlichen jüdischen Gesetzes entsprechen, sind in dieser Logik keineswegs die Neuchristen die wahren Judaisierer, son­ dern ihre Feinde, denn: Der gleichberechtigte Zugang zur Gemeinschaft der Gläubigen entspricht dem Evangelium, jedoch »das Gegenteil zu tun, hieße,

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Non enim solum Christus rogavit pro apostolis ipsis, sed etiam pro omnibus et quibus­ cumque fidelibus qui credere debebant per ipsos, ut scilicet ipsi etiam essent unum in hoc ovili, absque aliquo schismate, sicut habetur Ioannis, decimo septimo capitulo: Non pro his autem rogo tantum, sed et pro eis qui credituri sunt per verbum eorum in me, ut omnes unum sint, sicut et tu Pater in me, et ego in te, ut et ipsi in nobis unum sint. – Lumen ad revelationem, 38. […] sicut habetur Ioannis, capitulo decimo septimo: Non pro eis tantum rogo, sed pro his qui credituri sunt per verbum eorum in me, ut omnes unum sint, sicut tu Pater es in me, et ego in te […] unitas vero Filii Dei et Patris, est unitas essentie. Aliorum autem hominum fidelium ad Deum, est unitas caritatis et pacis, bone voluntatis et eiusdem in omnibus bonis Ecclesie intime cuiusdam fraternitatis, in qua consistit perfectio totius christiane religionis. – Lumen ad revelationem, 49.

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gemäß jenem alten Zustand zu judaisieren« (contrarium facere esset secundum il­ lum veterem statum iudaizare).362 Für sich gelesen wirken Stellen wie diese, die im Lumen ad revelationem sehr zahlreich sind, wie eine stereotypische Reproduktion judenfeindlicher Mo­ tive aus der apologetischen Tradition. Allerdings ist die Polemik gegen das vorchristliche Judentum bei Alonso de Oropesa nicht Teil einer einseitigen antijüdischen Programmatik. Vielmehr gehört zu seiner Sicht der Begrenztheit des Mosaischen Bundes wie ein Gegenbild immer auch die Betrachtung der heillosen und prekären Situation der nichtjüdischen Völker ohne die christli­ che Offenbarung der Gnade Gottes. Im Gegensatz etwa zu einem ausgeprägt antijüdischen Autor wie Alonso de Espina rechnet er keineswegs mit einem komfortablen Zustand des vorchristlichen Heidentums, das vom Licht der na­ türlichen Vernunft erleuchtet und geleitet worden wäre.363 Vielmehr legt er bei seiner Verwendung des zweiten Kapitels des Epheserbriefs besonderen Wert auf die Ermahnung des Apostels, die direkt an die Heidenchristen gerichtet ist und dem Wort von der Einheit in Christus unmittelbar vorangestellt ist, und ergänzt seine Tiraden gegen das Judentum seiner Zeit zuverlässig durch die Verurteilung etwa der maurischen und türkischen Feinde der Christenheit, die er im paulinischen Sinne als Repräsentanten des Heidentums versteht. Doch auch wenn solche Aussagen den spezifisch antijüdischen Einschlag des Traktats teilweise ausgleichen, ist doch nicht zu übersehen, dass sich gerade die diskursi­ ven Aussagen zum Thema der Einheit stark auf eine Abwertung des Judentums stützen. So konnte der vordergründig relativ einfache diskursive Begriff der christli­ chen Einheit, der in den Texten zugunsten der Conversos vor allem anhand der beiden genannten Bibelstellen (Eph 2 und Joh 17) gebildet wird, tatsächlich verschiedene Funktionen erfüllen. Dieselben Schriftstellen konnten je nach Aufbau des Traktats dazu dienen, das übergreifende Thema der Einheit zu illus­ trieren oder ein entsprechendes Verhalten moralisch einzufordern, Argumente der Gegner zu widerlegen oder den Vorwurf der Häresie gegen sie zu verschär­ fen. Die Gemeinsamkeiten und Unterschiede zwischen den einzelnen Autoren deuten dabei darauf hin, dass sie einerseits nicht isoliert arbeiteten, sondern Texte anderer Verfasser rezipierten, deren Aussagen und argumentative Strate­ gien teilweise übernahmen und sich zu eigen machten; andererseits diese aber in den seltensten Fällen einfach reproduzierten, sondern sie dem Aufbau der eigenen Argumentation anpassten.

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Lumen ad revelationem, 27. Vgl. dazu auch Vidal Doval: Misera Hispania, S. 46‑52; Kriegel: Alonso de Oropesa, S. 14; Stuczynski: Converso Paulinism, S. 127‑128. Vgl. Vidal Doval: Misera Hispania, S. 92.

3.5.2 Getauft zu einem Leib (1Kor 12) Die Frage, ob die Einheit aller Gläubigen auch ihre Gleichheit, zumal in ziviler Hinsicht, bedeutete, ließ sich nicht ohne weiteres anhand biblischer Zeugnisse klären. Zwar thematisiert die neutestamentliche Briefliteratur das Gemeindele­ ben der frühen Christen, doch waren für den hellenistischen Juden und römi­ schen Bürger Paulus die Implikationen im Verhältnis zur weltlichen Macht noch ganz andere gewesen. Die Gleichheit, die vor Gott und in der christlichen Gemeinschaft galt, mochte die eigentlich entscheidende Realität darstellen, mit der sozialen Ordnung der heidnisch dominierten griechischen Polis und des römischen Kaiserreiches hatte sie jedoch nicht viel zu tun. Deshalb war es für Paulus auch kein Widerspruch, den Christen zu raten, jeder solle »vor Gott in dem Stand bleiben, in dem ihn der Ruf Gottes getroffen hat« (1Kor 7, 24) – die Gleichheit von Sklaven und Freien, Männern und Frauen, Einheimischen und Fremden war eine geistliche Wirklichkeit, die bereits auf die kommende Welt verwies, kein sozialreformerischer Aktionsplan für die Gegenwart.364 Ganz anders lagen die Dinge im spätmittelalterlichen Kastilien und seinen christlichen Nachbarreichen. In dem Maße, in dem das Christentum als staats­ tragende Glaubenslehre angesehen wurde, musste auch die gesellschaftliche Ordnung die religiöse Doktrin abbilden und mithin ihren hierarchischen Auf­ bau anhand von biblischen Grundsätzen rechtfertigen. Ein bewährtes Motiv dazu war die Rede vom mystischen Leib Christi, den alle Gläubigen gemein­ sam mit Christus selbst als Haupt bilden. Die auf das paulinische Briefkorpus zurückgehende Analogie von den unterschiedlichen Gliedern desselben Leibes bot sowohl ein Bild der unbedingten Zusammengehörigkeit als auch der funk­ tionalen und hierarchischen Verschiedenheit. In der Forschung über die Traktate zur Converso-Frage ist vielfach auf die Bedeutung der paulinischen Leibesmetapher hingewiesen worden, deren Ge­ brauch durch neuchristliche Gelehrte bereits Marcel Bataillon thematisierte.365 Die weitergehende Vermutung allerdings, diese Vorliebe wäre ein alleiniges Proprium jüdischstämmiger Autoren, das sich aus ihrer besonderen religiösen Prägung erklären ließe, ist nur schwer zu halten. Dafür war die Lehre vom corpus mysticum in Theologie und Staatskunde des lateinischen Mittelalters seit

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Vgl. u.a. Heike Omerzu: Paulus als Politiker? Das paulinische Evangelium zwischen Ekklesia und Imperium Romanum. In: Eve-Marie Becker u.a. (Hgg.): Logos – Logik – Lyrik, Leipzig 2007, S. 267‑287; John Byron: Paul and the Background of Slavery. The status quaestionis in New Testament Scholarship. In: Currents in Biblical Research 3 (2004), S. 116-139. Vgl. Bataillon: Erasmo y España, S. 205‑208; Roth: Conversos, S. 200; Rosenstock: New Men, S. 16‑27; Stuczynski: From Polemics, S. 253‑254.

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langem zu präsent und wirkmächtig.366 In der Scholastik wurde ihre Promi­ nenz noch verstärkt durch die Rezeption der antiken Staatsphilosophie, die politische Verbände ebenfalls gerne als organisch angelegte Entitäten auffasste, sowie durch ihre ausführliche Ausarbeitung im Rahmen der Ekklesiologie des Konziliarismus.367 Auch für den iberischen Raum im Besonderen lässt sich die Idee vom kollektiven Leib sowohl in ihrer geistlichen als auch in ihrer säkula­ ren Ausprägung bereits deutlich vor dem Zeitalter der Massenkonversionen nachweisen.368 Im 15. Jahrhundert schließlich kann man sie ohne weiteres als Gemeinplatz der gelehrten Rhetorik ansehen. So heißt es etwa in einer Rede­ komposition, die Fernando de Pulgar dem späteren Kardinal Pedro González de Mendoza in den Mund legt, um rebellische Adlige von der rechtmäßigen Herrschaft Heinrichs IV. zu überzeugen: »Es ist bekannt, ihr Herren, dass jedes Reich als ein Leib angesehen wird, als dessen Haupt wir den König betrachten. Wenn dieses unter irgendeiner Schwäche leidet, erscheint es ein besserer Ratschluss, Arzneien zu verabreichen, was die Vernunft ver­ langt, als das Haupt abzutrennen, was die Natur verbietet.«369

Und auch die Verbindung des aus der theologischen Tradition der christlichen Bibelexegese stammenden Motivs von der Kirche als mystischem Leib Christi mit der philosophischen Rezeption der antiken Staatslehre ist im 15. Jahrhun­ dert nicht ungewöhnlich. So heißt es in der um 1455 verfassten Suma de la política des Rechtsgelehrten und späteren Bischofs Rodrigo Sánchez de Arévalo: »[…] Jeder gute Staatsmann muss die widerstrebenden Bürger und Mächtigen in Einklang bringen, so dass alle mit dem Gemeinwohl übereinstimmen, indem sie sich ein Beispiel am menschlichen Leib nehmen, an dem die Glieder zwar verschieden sind, jedoch alle dem Wohl des Leibes entsprechen und einander helfen und dienen und sehr eifrig sind, sich zu schützen, und sogar mit großer Sorgfalt die Fehler und

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Vgl. u.a. Henri de Lubac: Corpus mysticum: l’eucharistie et l’église au Moyen Age, Paris 32010 (Original: 1944); Ernst H. Kantorowicz: The King’s Two Bodies: A Study in Medieval Political Theology, Princeton 42016 (Original: 1957), S. 193‑206. Vgl. Jesse D. Mann: Alfonso De Madrigal and Juan De Segovia: Some Conciliar Common (and Contested) Places. In: Renaissance and Reformation 42 (2019), S. 45-72; Werner Krämer: Konsens und Rezeption. Verfassungsprinzipien der Kirche im Basler Konziliarismus, Münster 1980, S. 212‑234; Thomas Prügl: Herbst des Konziliarismus? Die Spätschriften des Johannes von Segovia. In: Heribert Müller (Hg.): Das Ende des konziliaren Zeitalters (1440-1450). Versuch einer Bilanz, München 2012, S. 157f. Vgl. José A. Maravall: La idea del cuerpo místico en España antes de Erasmo. In: ders.: Estu­ dios de historia del pensamiento español. Bd. 1: Edad Media, Madrid 1999, S. 169‑189 (zuerst erschienen in: Boletín de la Cátedra de Derecho Político de la Universidad de Salamanca 10-12 (1956)). Notorio es Señores, que todo Reyno es habido por un cuerpo, del qual tenemos el Rey ser la cabeza; la qual si por alguna inhabilidad es enferma, pareceria mejor consejo poner las medecinas que la razon quiere, que quitar la cabeza, que la natura defiende. – Crónica de los Reyes Católicos, 1, ed. de Mata Carriazo, S. 7‑8.

Makel der anderen Glieder jeder Stadt und jedes Reiches verdecken; denn es ist ein mystischer Leib.«370

Dass auch jüdische (und muslimische) Gelehrte mit dem Bild vom Staatskörper vertraut waren, spricht in diesem Fall weniger für einen jüdischen Einfluss auf den Diskurs um die Neuchristen, als vielmehr für die gemeinsame Wurzel in der mittelalterlichen Aristoteles-Rezeption.371 Entsprechend schreibt unter anderem auch Isaac Abravanel in seinem Kondolenzbrief an den Grafen von Faro: »Der Philosoph [Aristoteles] sagte, das Gemeinwesen sei wie ein lebendiger Leib. Und so wie Schmerz und Leid eines Gliedes vom ganzen Körper gefühlt werden und er darunter leidet (und umso größer sind Schmerz und Gefahr, die aus seinem Schaden entstehen, je edler das Glied ist), so ist es auch mit dem Tod von Adligen, welche die wahren Glieder des Landes sind: Alle fühlen die Trauer um sie […].«372

Im Neuen Testament klingt das Motiv von der Gesamtheit der Gläubigen als Leib Christi zwar vielfach an (Röm 12,4-5; Eph 4,16; Kol 1,18), doch besonders die Passage des Ersten Korintherbriefs (1Kor 12,12-27) ließ sich leicht in Bezie­ hung zum Diskurs um die Conversos setzen, da Paulus hier abermals ausdrück­ lich von Juden (Ιουδαιοι/Iudaei) und Nichtjuden (Έλληνες/gentiles) spricht. So griff auch die kirchliche Legislation und Jurisdiktion diese Schriftstelle gerne auf, wie etwa Papst Nikolaus V., der in seiner Bulle Humani generis inimicus anlässlich der Rebellion von Toledo 1449 schreibt: »[…] Wir sind gezwungen, uns Mühe zu geben, dem, was unter den Gläubigen eine Spaltung hervorrufen könnte, mit der Vollmacht unseres päpstlichen Amtes entgegen­ zutreten, damit unter den Gläubigen Fürsorge, Liebe und Einigkeit blühen; Denn es gibt nichts, was sich unter Gläubigen so sehr gehört, wie der Wunsch, in allem eins zu 370

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[…] todo buen político deue concordar a los cibdadanos e a los poderosos discordantes, de guisa que todos sean conformes al bien común, tomando enxemplo en el cuerpo vmano, en el qual, avnque son diuersos mjembros, pero todos son conformes para el bien del cuerpo, e ayudan se e siruen vnos a otros e son muy solícitos a defender se e avn con gran diligencia encubren los uicios e fealdades de los otros mjembros de toda cibdad e de todo reyno, pues es vn cuerpo místico. – Suma de la política, ed. Beneyto Pérez, S. 112. Vgl. Jazmín Ferreiro: La emergencia de la vida y el lugar del cuerpo en la teoría política tardomedieval. In: Tópicos: revista de Filosofía 57 (2019), S. 287-306; Francisco Bertelloni: La resemantización de la natura aristotélica en la argumentación de la teoría política medi­ eval. In: José Luis Fuertes Herreros und Ángel Poncela González (Hgg.): De natura: la naturaleza en la Edad Media, Bd. 1, Ribeirão 2015, S. 17‑38; Christoph Flüeler: Rezeption und Interpretation der Aristotelischen »Politica« im späten Mittelalter, Amsterdam 1992. Disse o filosofo q a rrepublica era como hũ corpo animado: e bem assi como a dor ou p.d.imento [padecimento] de hum membro se sente por todo o corpo, e padece por causa delle, e quanto o membro he mais nobre, he mayor a dor ou periguo, que se de seu dano segue: assim os falcim.tos [falecimentos] dos nobres que são os verdad.ros [verdadeiros] membros da terra, a todos pertence sua dor […] – Isaac Abravanel: Carta que o Barbanel mandou ao Conde de Faro sobre a morte do Conde de Odemira seu sogro, ed. Cedric Cohen Skalli: Isaac Abravanel: Letters. Edition, Translation and Introduction, Berlin 2007, S. 89.

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sein, da der Apostel [Paulus] sagt: […] in dem einen Geist sind wir alle zu einem Leib getauft, ob Juden, ob Heiden, ob Sklaven, ob Freie […].«373

Den gleichen Schriftverweis zieht auch das zwei Jahre später ausgefertigte päpstliche Schreiben Considerantes ab intimis heran, in dem Nikolaus V. erneut die rechtliche Gleichstellung der Neuchristen einforderte.374 Und abermals heißt es 1481 in einem Dekret der Synode von Alcalá, die unter dem Vorsitz des Erzbischofs Alonso Carrillo tagte: »Diejenigen, die in seiner Kirche Teilung und Spaltung betreiben, geben großen An­ stoß und bewirken ein Schisma und zerteilen das nahtlose Gewand Christi, der uns als guter Hirte das Gebot gab, einander zu lieben, denn wir stehen in Einheit und Gehorsam zur heiligen Mutter Kirche unter dem einen Pontifex und unmittelbaren Statthalter Christi, unter einer Taufe, unter einem Gesetz; und das macht uns zu einem Leib, egal ob Jude, Grieche oder Heide, und durch die Taufe neugeschaffen, sind wir zu neuen Menschen geworden, woraus folgt, wie schuldig diejenigen sind, die Spal­ tung unter die Gläubigen tragen, indem sie das reine Gesetz für die Völker vergessen und die einen sich Altchristen nennen, die anderen Neuchristen oder Conversos.«375

Für die gelehrten Verteidiger der Conversos bot die paulinische Leibesmeta­ pher zudem eine Möglichkeit, die Forderung nach Einheit und Gleichheit der Gläubigen mit der realen ständischen Binnendifferenzierung in Einklang zu bringen. Die strukturelle Schwäche dieser Argumentation liegt jedoch auf der Hand: Wenn im »Leib Christi« die funktional diversen Glieder harmonisch vereint sind, dann lässt sich die darin implizierte hierarchische Verschiedenheit theoretisch ebenso auf den Unterschied zwischen Alt- und Neuchristen bezie­ hen wie auf die Differenz zwischen Mann und Frau, Geweihten und Laien, Adligen und Gemeinen. So überrascht es nicht, dass auch die Gegner der Conversos, wenn auch erst in den kommenden Jahrhunderten, ihrerseits die paulinische Leibesmetapher aufgriffen und zu ihren Gunsten auslegten.376

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[…] compellimur operam dare, ut hiis que inter fideles possent aliquam divisionem parere nostri pontificalis officii auctoritate occurramus, ut inter fideles caritas, amor ac unitas vigeat; nil enim est quod tam inter fideles conveniat, quam quod in omnibus sit velle unum, inquiente apostolo: […] in uno Spiritu omnes nos in unum corpus baptizati sumus, sive Iudei, sive gentiles, sive servi, sive liberi […] – Humani generis inimicus, ed. Simonsohn: Apostolic See 1394-1464, S. 935. Vgl. Simonsohn: Apostolic See 1394-1464, S. 979‑980. [...] los que en su iglesia procuran apartamiento o división inducen grand escandalo e cisma e dividen la tunica inconsubtile de Christo, el qual como buen Pastor nos dio mandamiento que unos a otros nos amasemos, e estando en unidad e obediencia de la Santa Madre Iglesia, so un Pontífice e Vicario inmediato de Christo, so un bautismo, so una ley, faciendonos un cuerpo, agora oviese seydo judío, griego o gentil, e por el bautismo regenerados, somos fechos nuevos homes, de que se sigue quanto son culpables los que olvidada la limpieza de la ley de gentes, unos llamandose christianos viejos e otros llamandose christianos nuevos o conversos, induciendo cisma entre los fieles […] – Sínodo de Alcalá, ed. José Sánchez Herrero, S. 335‑336. Vgl. Stuczynski: Converso Paulinism, S. 123; Sicroff: Los estatutos, S. 166.

Im 15. Jahrhundert jedoch verwenden die Verteidiger der Neuchristen das Motiv von der Gemeinschaft der Gläubigen als ungeteiltem Leib noch mit großer Zuversicht und dabei gelegentlich mit einer Selbstverständlichkeit, die nicht unbedingt eine ausführliche Erörterung verlangte. Bereits der anonyme Prediger von Valladolid zieht das Bild vom Leib Christi heran, um die Unge­ heuerlichkeit der Rebellion von Toledo und der dortigen Gewalttaten gegen die Neuchristen zu bekräftigen: »Diejenigen also, die eine Spaltung in die Heilige Kirche bringen oder Zwietracht in ihr säen – was wollen die anderes, als den mystischen Leib Christi, der aus verschiede­ nen Gliedern zusammengesetzt und aneinandergefügt ist, von seinem Haupt Christus zu trennen, die Braut dem Bräutigam zu entreißen oder die Glieder abzureißen?«377

Alonso de Montalvo spricht das Motiv des mystischen Leibes ebenfalls im bereits zitierten 14. Abschnitt seines Rechtskommentars an, in dem auch der Verweis auf die Aufhebung aller ethnischen Unterschiede laut dem Galaterbrief steht. Es handelt sich hier in einer Reihe von unterstützenden Zitaten im Wesentlichen um einen weiteren Schriftbeweis, der die Kenntnis seiner tieferen Bedeutung und der mit ihm assoziierten Staats- und Kirchenlehre beim Leser weitgehend voraussetzt: »Diese Einheit predigt der Apostel [Paulus im Ersten Brief] an die Korinther [im] 12[. Kapitel]: Alle, sagte er, sind wir zu einem Leib getauft, ob Juden oder Griechen, ob Sklaven oder Freie, und alle sind wir mit dem einen Geist getränkt, und so weiter.«378

Auch bei Gutierre de Palma bildet der Verweis auf die Kirche als kollektiven Leib Christi vordergründig wenig mehr als ein Versatzstück unter mehreren im zentralen 7. Kapitel seines Werkes. Dort beschreibt er die Taufe als das ent­ scheidende Mittel göttlichen Handelns, das aus den zuvor getrennten Völkern, Juden und Heiden, ein einziges neues Gottesvolk macht und führt im Rekurs auf den Ersten Korintherbrief sowie weitere Schriftstellen und die Dekretalen aus: »Und nach dem Apostel [Paulus] werden alle Gläubigen zum Leib Christi gemacht. Erster Korintherbrief, 11. [sic] Kapitel und das Kapitel ›Si quis hominem‹, [Causa] 12 [sic], Quaestio 3. Und: Sein Haupt ist ebendieser Erlöser. Kolosserbrief, 1. Kapitel und Johannesevangelium, 9. Kapitel und das Kapitel [10] ›Vergentis‹, [Titel 7] ›De haereticis‹.«379

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Qui ergo diuisionem in sancta Ecclesia faciunt uel discordias in ea seminant, quid aliud uolunt nisi corpus Christi mysticum, ex diuersis membris compositum et compagina­ tum, a capite suo Christo separare, sponsam a sponso tollere uel membra decerpere […] – Sermo in die beati Augustini, ed. González Rolán/Saquero Suárez-Somonte, S. 50. Hanc unitatem Apostolus praedicat ad Corinthios 12: ›Omnes, inquit, nos in unum corpus baptizati sumus, siue Iudaei, siue Gentiles, siue serui, siue liberi, et omnes in uno spiritu potati sumus‹ et ceterea. – Tractatus quidam levis, 14, ed. Conde Salazar, S. 111. Et secundum apostolum omnes credentes christi corpus efficiuntur. Ia Corinthios XIo [sic: Xo] [capitulo] et capite Si quis hominem, [causa] XII [sic: XI], quaestione III. Et:

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In vergleichbar selbstverständlicher und manchmal geradezu beiläufiger Weise rekurriert auch Hernando de Talavera in seinen Andachtstexten für Königin Isabella immer wieder auf das Bild vom mystischen Leib Christi und nutzt es, wie an folgender Stelle in den Loores de san Juan, um die Einheit von Juden und Heiden zur Sprache zu bringen: »[Jesus Christus ist] der hohe Schlussstein, glänzend vor Vortrefflichkeit und Vollkom­ menheit aller Tugend, Gnade und Heiligkeit, an den Scheitelpunkt gesetzt, um die verschiedenen Völker zu verbinden, zu vereinen und zusammenzuhalten, das heidni­ sche und das jüdische Volk, die seinen mystischen Leib, der die Kirche ist, bilden und ausmachen.«380

Hier wie in ähnlichen Passagen verbindet Hernando besonders gerne die orga­ nische mit der architektonischen Metapher, die von Christus als dem verbin­ denden Schlussstein seiner Kirche spricht. Diesem Bild wiederum liegt das Schriftwort aus dem 4. Kapitel des Epheserbriefs zugrunde, dessen Bedeutung für den Diskurs um die iberischen Neuchristen hier bereits aufgezeigt wurde. Analog heißt es in der Colación muy provechosa über die Funktion Christi als Haupt seiner Kirche: »Er war würdig, an den Scheitelpunkt gesetzt zu werden und Haupt der ganzen Kirche zu sein, von dem alle Gläubigen Kraft und Gnade und Einfluss zum guten Leben empfangen, wie die Glieder eines Körpers sie vom Haupt empfangen. Und er vereinte zu einem Bau und Tempel und zu einer Kirche die zwei verschiedenen Wände, die zwei sehr gegensätzliche und verschiedene Völker waren: das heidnische, so ist zu verstehen, und das jüdische.«381

Es mag sein, dass Hernando de Talavera, der im Horizont der hier betrachteten Texte relativ spät schreibt, bereits bewusst zwei der gängigsten und einfluss­ reichsten biblischen Motive kombiniert, um die Königin mit einer knappen aber wohlformulierten Betrachtung der Sache der Conversos gewogen zu stim­ men. Bei den Texten, die das Thema der Eintracht im corpus mysticum ausführli­ cher behandeln, steht das Bild stets im Zusammenhang einer theologischen Betrachtung der Taufe als sakramentaler Voraussetzung dieser Einheit. So zieht Juan de Torquemada aus dem Verhalten der Rebellen von Toledo den Schluss,

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Caput eius est idem salvator. Ad Colossenses Io [capitulo] et Iohannes IXo et in capitulo Vergentis, De haereticis. – Breve reprehensorium, 7, Ms. 23-7, 9v. Piedra muy alte y clave esmerada por excelentia y perfection de toda virtud, gracia y sanctidad, assentada en la cabeça del rencón, travando, ayuntando y reteniendo los pueblos diversos, gentil y judiego, que hazen y componen su cuerpo místico, que es la Iglesia. – Loores de san Juan, 8, ed. Parrilla, S. 152‑153. […] meresció ser puesta en la cabeça del rincón y ser cabeça de toda Iglesia, de quien todos los fieles reciben virtud y gracia e influencia para bien bevir, como los miembros del cuerpo la reciben de la cabeça. Y ayuntó en un edificio, tenplo e iglesia, las dos pare­ des diversas que eran los dos pueblos muy contrarios y muy diversos: gentil, conviene a saber, y judiego. – Colación muy provechosa, 6, ed. Parrilla, S. 117‑118.

dass diese die Wirksamkeit der Taufe infrage stellen, indem sie die Getauften aus dem Judentum nicht als vollwertige Glaubensgenossen ansehen. Der Häre­ sievorwurf, den diese Zuspitzung begründet, wog durchaus schwer: Von den Donatisten des Altertums bis zu den zeitgenössischen Hussiten hatte das kirch­ liche Lehramt eben solche Zweifel an der Wirksamkeit des Taufsakraments als wesentlichen Bestandteil der jeweiligen Irrlehre verurteilt. Nicht zuletzt lautete auch ein häufiger Vorwurf an mutmaßliche Judaisierer, dass sie die kirchlichen Sakramente und die darin vermittelte Gnade ablehnten – ein Vorwurf, der eben deshalb die Feinde und Ankläger der Conversos umso schwerer treffen musste. Den Gedanken von den Gläubigen als Leib Christi führt der Kardinal weiter­ hin im 14. Kapitel seines Traktats als zusätzlichen moralischen Appell ein und als Grund, warum ein Gläubiger den anderen lieben und ehren müsse, folglich also auch ein Altchrist seine neuchristlichen Glaubensgeschwister: »Der vierte Grund für die Wertschätzung ist das Band, durch das man mit den übrigen Gläubigen verbunden ist gleichsam wie in einem Leib Christi, der die Kirche ist, nach dem [Wort] des Apostels im Galaterbrief, 3[. Kapitel]: Wer auch immer ihr getauft seid, ihr habt Christus angezogen; und im Römerbrief, 12[. Kapitel]: Wir viele sind ein Leib, einer des anderen Glied. Es gibt aber eine natürliche Liebe unter den Gliedern eines Körpers.«382

Und auch im folgenden Kapitel, das sich direkt gegen jede Unterscheidung unter Christen anhand ihrer Herkunft richtet, fehlt der Hinweis auf den mys­ tischen Leib Christi nicht. Nach der Berufung auf die grundsätzlichen paulini­ schen Aussagen zu Juden und Heiden (die in dieser Studie bereits unter dem diskursiven Begriff der Nation untersucht wurden) folgt als weiterer Schriftbe­ weis die Passage aus dem Ersten Korintherbrief einschließlich der erläuternden Glosse: »Denn durch den einen Geist sind wir alle getauft zu einem Leib, ob Juden oder Heiden, ob Sklaven oder Freie; und alle sind wir mit dem einen Geist getränkt [1Kor 12, 13]. […] Gegen dieses klare apostolische Urteil handeln jene, die es einfüh­ ren wollen, unter den Gläubigen, den Gliedern des einen Leibes, die von dem einen Geist belebt werden, nicht aufgrund von Tugenden, nicht aufgrund der Gnadengabe, die der Heilige Geist in ihnen bewirkt, sondern aufgrund der fleischlichen Herkunft die einen den anderen bei den Ehrungen vorzuziehen.«383

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Quarta causa dilectionis est vinculum quo cum ceteris fidelibus conectuntur tamquam membra in uno corpore Christi, quod est ecclesia, secundum illud Apostoli ad Gal. 3: Quicumque baptizati estis, Christum induistis; et ad Rom. 12: Multi unum corpus sumus, alter alterius membra. Est autem naturalis amor inter membra unius corporis. – Contra Madianitas, 14, ed. del Valle Rodríguez, S. 209. Etenim in uno Spiritu omnes nos in unum corpus baptizati sumus, sive Iudaei, sive gentilis, sive servi, sive liberi; et omnes in uno Spirito potati sumus. […] Contra hanc plane apostolicam sententiam faciunt qui inter fideles unius corporis membra et uno spiritu vivificatos, non ex virtutibus, non ex dono gratiae quam in eis operatur Spiritus

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Die Rhetorik des Kardinals ist an dieser Stelle insofern paradigmatisch für die Verteidigung der Conversos, als sie die von ihm geforderte Gleichberechtigung aller Gläubigen als den gottgegebenen Urzustand darstellt, dem entgegen seine Gegner eine häretische Neuerung einführen wollen (inducunt), indem sie die nichtjüdische (gentilis) Abstammung der jüdischen vorziehen. Diese Bevorzu­ gung als ein Kriterium des Fleisches (carnis) zu beschreiben, ist dabei nicht einfach ein neutrales Attribut, weil es um die leibliche Abstammung geht, sondern eine klare Disqualifizierung gemäß des theologischen Gegensatzes von Geist und Fleisch, der vor allem die johanneischen und paulinischen Schriften des Neuen Testamentes charakterisiert.384 Wiederum rückt diese Kritik just die Gegner der Neuchristen in die Nähe judaisierender Irrtümer, insofern für die christliche Theologie feststand, dass eine Lesart der Bibel dem »toten Buchsta­ ben« und dem »Fleisch« nach ein Hauptfehler der jüdischen Exegese sei.385 Mit der Erwähnung der Geistesgaben, die durch die Taufe verliehen werden, deutet Juan zugleich auch die praktische Konsequenz an, die das Gleichnis vom einen Leib und den vielen Gliedern für den Aufbau des christlichen Gemeinwesens und für die Stellung der Conversos darin hat: Gemäß dieser Gaben, so ist zu verstehen, und nicht aufgrund vermeintlicher Geburtsrechte kommen den Getauften, ob Altchristen oder Neuchristen, Aufgaben, Dienste, Ämter und Würden zu. Noch ausdrücklicher wird dieser Zusammenhang bei Alonso de Oropesa, der in seinem umfangreichen Traktat an zahlreichen Stellen auf die Bedeutung des Taufsakraments zu sprechen kommt und dazu im letzten und abschließen­ den Teil seiner Schrift noch einmal ausdrücklich die Lehre vom mystischen Leib Christi heranzieht: »[…] Dies zeigt, dass alle anderen Gaben, Ämter und Privilegien der streitenden Kir­ che, die aus dieser Gnade des Heiligen Geistes gleichsam aus dem Quell und dem ursprünglichen Einfluss herabsteigen und den Gläubigen der Kirche zum allgemeinen Nutzen beim Aufbau des mystischen Leibes Christi, der die Kirche ist, geschenkt werden, wie der Apostel [Paulus] ausführlich im Ersten Korintherbrief, 12. [Kapitel] und im Epheserbrief, 4. Kapitel, schreibt, allen und jedem Gläubigen beider Völker gemein sein müssen, dem Können und Verdienst gemäß und zur Genüge eines jeden von ihnen, nach einer rechten und gerechten Verteilung, ohne Ansehen der Person […]«386

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Sanctus, sed ex origine carnis alios aliis inducunt in honoribus praeferendos. – Contra Madianitas, 15, ed. del Valle Rodríguez, S. 219. Vgl. Oliver O’Donovan: Flesh and Spirit. In: Mark W. Elliott (Hg.): Galatians and Chris­ tian Theology. Justification, the Gospel, and Ethics in Paul’s Letter, Grand Rapids 2014, S. 271-284; Hans-Georg Gradl: Johanneisch lernen und verstehen: Licht und Leben, Fleisch und Geist, Stunde und Herrlichkeit. In: Zur Debatte 45 (2015), S. 2-4. Vgl. Nirenberg: Anti-Judaismus, S. 219‑221. […] demonstratur omnia alia dona, officia et beneficia Ecclesie militantis, que ex hac gratia Spiritus Sancti, tamquam ex fonte et principali influxu descendunt et dantur Ecclesie fidelibus ad utilitatem communem in edificationem corporis mystici Christi,

Einen Einwand seiner Gegner aufnehmend oder bereits vorab antizipierend, geht er im Zusammenhang mit der Wirksamkeit der Taufe auch auf die Frage der rechten Disposition ein: »Wenn einer die Taufe vor der Kirche rechtmäßig gültig empfängt und wegen des Hin­ dernisses seiner Indisposition die Gnade nicht empfängt, wird er deswegen dennoch Glied Christi und der Kirche gemäß der Anzahl, und wird formalrechtlich zu allen und jeden kirchlichen Ämtern und Privilegien zugelassen; und so wird er Glied Christi und der Kirche der Zahl, wenn auch nicht dem Verdienst nach.«387

Dem sonst vor allem pastoral und spirituell argumentierenden Ordensmann ist es an dieser Stelle offenbar wichtig, bis in die feineren Differenzierungen des Kirchenrechts hinein klarzustellen, dass allein der Verdacht einer unaufrichti­ gen Bekehrung es in keinem Fall erlaubt, gültig Getauften die Rechte eines Christen abzusprechen. Auch Alonso de Cartagena kommt an mehreren Stellen seines Traktats auf die Bedeutung der Taufe zu sprechen. Bereits im zweiten Theorem des Haupt­ teils seiner Schrift meditiert er die Taufe Jesu im Jordan nach den Evangelien als Grundlage für das Taufsakrament, das die Kirche spendet. Das dritte Theo­ rem handelt in Gänze davon, wie insbesondere die Taufe als Sakrament der Initiation aus den zuvor verschiedenen Völkern der Juden und Heiden ein einziges Gottesvolk macht. Im Abschließenden 6. Kapitel heißt es: »Dass aber alle, wo immer sie auch herkommen, zu einem Leib gemacht worden sind, sagt der Apostel Paulus: Wir viele sind ein Leib in Christus, jeder Einzelne aber ist ein Glied am anderen [Röm 12,5] […]. Nun haben wir zwar viele Glieder, und eines achtet das andere höher [als sich selbst] entsprechend der Verschiedenheit der Ämter, die sich bemühen, dem Ganzen zu dienen, doch was auch immer einem Glied Schaden zufügt, das schadet umso mehr allen anderen.«388

Der Gedanke, der in diesem Fall wohl dem Ersten Korintherbrief (1Kor 12, 26) entnommen ist, dass der ganze Körper mitleidet, wenn ein einziges Glied Scha­ den nimmt, wird hier zum unmissverständlichen Appell der Solidarität mit den Conversos: Wer es zulässt, dass ein Teil der Getauften ausgeschlossen und

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quod est Ecclesia, sicut scribit Apostolus largius prima ad Corinthios, duodecimo, et ad Ephesios, quarto capitulo, debere esse communia omnibus et singulis utriusque populi fidelibus, pro capacitate et merito ac sufficientia cuiuslibet eorum; secundum rectam et iustam distributionem, absque personarum acceptione […] – Lumen ad revelationem, 50. Si baptismum in facie Ecclesie rite et recte suscipiat, et propter obicem sue indispositio­ nis gratiam non recipiat, erit tamen propter hoc membrum Christi et Ecclesie, quantum ad numerum, et admittetur omnino ad quecunque ecclesiastica officia et beneficia in foro contentioso […] et sic erit membrum Christi et Ecclesie quantum ad numerum, licet non quantum ad meritum. – Lumen ad revelationem, c. 39. […] omnibus undecumque venientibus aut in unum corpus redactis, dicente apostolo, Multi unum corpus sumus in christo, singuli autem alter alterius membrum. […] Nam, licet multa membra habeamus et alterum altero honorabilius sit propter diversitatem officiorum, que ut toti deserviant, eis incumbunt, tamen quicquid novicum uni mem­ brorum infertur, in alia membra redundat. – Defensorium, 2, 3, 6, ed. Alonso, S. 150.

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diffamiert wird, der nimmt damit eine Beschädigung der ganzen Kirche und letztlich eine Gefahr für sich selbst in Kauf. Seine konkreteren Gedanken zum Zusammenhang von Taufgnade und so­ zialer Stellung entfaltet Alonso jedoch im vierten Theorem, das die rechtlichen Schlussfolgerungen und praktischen Konsequenzen der zuvor erörterten theo­ logischen Grundlagen behandelt. Hier legt er zunächst ausführlich dar, dass mit dem Eintritt in die Kirche nicht nur die Erbsünde und alle früheren Ver­ fehlungen getilgt werden, sondern in der Folge insbesondere auch die jüdische Knechtschaft (servitus) vollständig erlischt.389 Davon ausgehend wendet er sich der Frage zu, welchen Platz Konvertiten aus dem Judentum innerhalb der christlichen Standesgesellschaft einnehmen, und kommt gemäß der Lehre von den verschiedenen Gliedern innerhalb des einen Leibes zu dem Schluss: »Daher darf nicht daran gezweifelt werden, dass jeder Israelit, der durch das Wasser der Taufe vom Schmutz des Unglaubens gereinigt ist, wie auch die übrigen, nach der ihm entsprechenden Weise an weltlicher wie geistlicher Ehre teilhat, so dass ein Bauer gleichberechtigt unter die Bauern gezählt wird, ein Gemeiner unter die Gemeinen, ein Landsmann unter die Landsleute, ein Kaufmann unter die Kaufleute, ein Soldat unter die Soldaten, ein Adliger unter die Adligen, ein Priester unter die Priester und so durch alle Stufen der kirchlichen und staatlichen Ordnung hindurch.«390

In gewissem Sinne hält Alonso somit an der Determiniertheit des sozialen Status durch die Geburt fest, indem er annimmt, auch in der jüdischen Diaspo­ ra seien Standesunterschiede analog zur christlichen Feudalgesellschaft quasi latent tradiert worden. In der gleichen Intention, den sozialen Aufstieg von Neuchristen (wie ihm selbst) gegen den Vorwurf des ungerechtfertigten Ehrgei­ zes zu verteidigen, argumentiert auch Fernando de Pulgar in seinem Brief an einen nicht genannten Freund in Toledo mit den zuvor womöglich verborge­ nen, jedoch von Natur aus inhärenten guten Anlagen, die darin zum Ausdruck kommen: »Wir sehen aus Erfahrung, wie einige der Männer, die wir als von niederem Geblüt ansehen, ihre natürliche Neigung stark machen, um die niederen Dienste ihrer Eltern zu verlassen und Wissenschaften zu lernen und große Gelehrte zu werden. Ebenso sehen wir andere, die eine natürliche Neigung zu den Waffen oder zur Landwirtschaft

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Vgl. Mark R. Cohen: Anti-Jewish Violence and the Place of the Jews in Christendom and in Islam: a Paradigm. In: Anna Abulafia (Hg.): Religious Violence between Christians and Jews. Medieval Roots, Modern Perspectives, London 2002, S. 126f. Non ergo ambigere licet, quemcumque israelitam, sicut et ceteros, per baptismi aquam ab infidelitatis sorde mundatum suo correspondenti modo tam ecclesiastici quam secu­ laris honoris fore participem, ut rusticus com rusticis, plebeyus cum plebeyis, popula­ ris cum popularibus, mercator cum mercatoribus, miles cum militibus, nobilis cum nobilibus, sacerdos cum sacerdotibus et sic deinceps per omnes ecclesiastice et politice gubernationis gradus discurrendo pariter numeretur. – Defensorium, 2, 4, 16. ed. Alonso, S. 203.

haben; andere dazu, gut und wohlgeordnet zu reden, andere zum Verwalten und Regieren.«391

Ähnlich wie Alonso de Cartagena und Fernando de Pulgar sah auch Diego de Valera durch die Taufe das entscheidende Hindernis beseitigt, das Juden (und Muslime) von der Wahrnehmung ihrer Privilegien innerhalb der christlichen Stände abhielt. Dem Thema seines Espejo de verdadera nobleza entsprechend, hält er insbesondere fest, dass der zivile Adel, den ein Neuchrist vor seiner Bekehrung gegebenenfalls in Anspruch nehmen konnte, durch die Taufe auf keinen Fall erlischt: »Denn unser wahrer Messias kam nicht in die Welt, um irgendwem bisherige Güter zu mindern, sondern um alle Sünde hinwegzunehmen; und so reinigt die heilige Taufe, die als Zeichen seines heiligen Leidens gegeben ist, und tilgt alle bisherigen Sünden, als wären sie nie begangen, nicht nur der Schuld, sondern auch der Strafe nach (wie der Apostel im 7. Kapitel des Römerbriefes schreibt), aber sie nimmt und mindert niemandem die bisherigen Güter.«392

Sowohl Diego de Valera als auch Alonso de Cartagena waren sich zweifellos bewusst, dass die für ihre Argumentation notwendige Vorannahme eines Adels­ standes analog zum christlichen ordo nobilitatis im Judentum nicht selbstver­ ständlich war.393 Gleichwohl entsprach ihr Ansatz grundsätzlich durchaus der Logik des abendländischen Rechtsdenkens seit dem Hochmittelalter, indem er die theologische Knechtschaft (servitus) der Juden unter christlicher Herrschaft mit der zivilen Unfreiheit parallelisierte: Auch das Verbot der Versklavung von Christen führte mitunter dazu, dass versklavte Nichtchristen freigelassen wurden, sobald sie die Taufe empfingen. In der Praxis, die nur spärlich durch Quellen belegt ist, dürften allerdings auch die allermeisten solcher Freigelasse­ nen viel eher eine extrem unterprivilegierte Gruppe gebildet haben, als dass sie im Adel, Klerus oder auch nur im Stadtbürgertum zu finden gewesen wären.394 391

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Vemos por experiencia algunos hombres destos que juzgamos nascidos de baxa sangre forzarles su natural inclinacion á dexar los oficios baxos de los padres, é aprender scien­ cias, é ser grandes letrados: vemos asimismo otros que tienen inclinacion natural á las armas é á la agricultura; otros en bien é compuestamente fablar; otros en administrar y en regir […] – Fernando de Pulgar: Para un su amigo de Toledo, ed. Domínguez Bordona: Letras, S. 71. Ca nuestro verdadero Mexias no vino en el mundo por amenguar ninguno de los bienes pasados, mas por quitar todo pecado; e asi el santo bautismo, dado en significacion de la santa pasion suya, lava e quita todos los pecados pasados, asi como si fechos no fuesen, no solamente de la culpa mas aun de la pena (segund es escrito por el apostol en el seteno capitulo A los romanos), mas no quita nin amengua ninguno de los bienes pasados. – Espejo, ed. Accorsi, S. 324. Vgl. dazu auch Benzion Netanyahu: The Racial Attack on the Conversos. In: (ders.) Toward the Inquisition, S. 8‑9; Adeline Rucqoi: Noblesse de Conversos? In: Battesti Pele­ grin (Hg.): »Qu’un sang impur...«, S. 89‑108. Vgl. Phillips: La historia de la esclavitud, S. 149‑165 und ders.: Slavery in Medieval and Early Modern Iberia, Philadelphia 2014, S. 122‑145; Alfonso Franco Silva: La esclavitud en Sevilla y su tierra a fines de la Edad Media, Sevilla 1979, S. 231‑239; Michelle Herder:

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Die weiteren Ausführungen, die das Defensorium und der Espejo de verdadera nobleza diesem Thema widmen, sind als solche zwar zu speziell, um als reprä­ sentativ für den gesamten Diskurs gelten zu können, machen jedoch exempla­ risch deutlich, welche Vorstellung hinsichtlich der Conversos letztlich hinter dem Rekurs auf die paulinische Leibesmetapher stand: nicht dass sie als solche einen differenzierten Teil der christlichen Gemeinschaft bildeten, sondern dass sie grundsätzlich zu ihr gehörten und in ihr jede denkbare Position einnehmen konnten. 3.5.3 Einheit versus Reinheit Die Berufung auf die christliche Einheit war insgesamt ein naheliegender Teil der diskursiven Strategie zur Verteidigung der Neuchristen, aber nicht unbedingt ein Ideal, das ausschließlich zu ihren Gunsten wirksam wurde. Ein Projekt der Einheit, Univozität und Geschlossenheit verfolgten auf ihre Wei­ se schließlich auch die altchristlichen Agitatoren und Feinde der Conversos. Auch sie lehnten im Grunde ein Christentum ab, in dem zwei aus ihrer Sicht heterogene Gruppen zugleich und nebeneinander existierten. Da sie jedoch deren Einheit durch Vermischung als Kontamination empfanden, blieb nur die Einheit auf dem Weg der Exklusion.395 Der Name der allerdings erst später all­ gemein so benannten Ideologie der Reinheit des Blutes (limpieza/pureza de sang­ re) bezeichnet daher sehr treffend das Unbehagen gegenüber einer religiösen Identität, die sich der genealogischen Eindeutigkeit entzieht, und das Streben nach der Beseitigung der damit verbundenen Zweifel. Diese Ablehnung jeglicher Ambiguität in Fragen der Abstammung spricht unter anderem sehr deutlich aus dem satirischen Libro del alborayque, in dem die Neuchristen als widernatürliche Mischlinge diffamiert werden. Das Fabel­ wesen mit dem Maul eines Wolfes, dem Kopf eines Pferdes, den Augen eines Menschen und weiteren insgesamt zwanzig Bestandteilen symbolisiert die ne­ gativ verstandene hybride Natur der Conversos: »Doch weil sie die Beschneidung haben wie die Mauren und den Sabbat wie die Juden und allein den Namen der Christen, obwohl sie dem Willen nach Juden sind, aber den Talmud nicht beachten und auch nicht alle Riten der Juden und noch weniger das

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Serving in the Cloister: Slaves, Servants, and Discipline in Late Medieval Nunneries. In: Thomas W. Barton u.a. (Hgg.): Boundaries in the Medieval and Wider World. Essays in Honour of Paul Freedman, Turnhout 2017, S. 137‑151; Peter Blickle: Leibeigenschaft am Ende des Mittelalters. Ein Referenzsystem für den Umgang mit der Sklaverei? In: Matthias Kaufmann und Robert Schnepf (Hgg.): Politische Metaphysik. Die Entstehung moder­ ner Rechtskonzeptionen in der Spanischen Scholastik, Frankfurt 2007, S. 287‑302. Vgl. Vidal Doval: Misera Hispania, S. 85; Scheller: Vertreibung, S. 40‑45; Maurice Kriegel: Entre »question« des Nouveaux-Chrétiens et expulsion des Juifs: la double modernité des procés d’exclusion dans l’Espagne du XVe siècle. In: Barros (Hg.): Xudeus e Conversos na Historia. Bd. 1: Mentalidades e Cultura, S. 171‑194.

christliche Gesetz; daher wurde ihnen dieser Beiname zum größeren Tadel gegeben, nämlich: Alboraices.«396

Dass den Neuchristen hier zu Last gelegt wird, sie würden nicht einmal die Vorschriften des jüdischen Gesetzes vollständig halten, wirkt zunächst paradox, da das sogenannte Judaisieren ja ansonsten stets einer der wichtigsten Anklage­ punkte war. Es erklärt sich jedoch tatsächlich aus der überwältigenden Abnei­ gung gegen die (von der altchristlichen Phantasie erschaffene) Chimärengestalt der Conversos: Selbst die bekennenden Juden, die man traditionell verachtete, waren wenigstens eindeutig definierbar in ihrer religiösen Zugehörigkeit. Dass die Neuchristen nicht nur als Mischlinge herabgesetzt, sondern darüber hinaus auch als bedrohliche Fremdkörper innerhalb der christlichen Gemein­ schaft wahrgenommen wurden, äußert sich unter anderem in Dichtungen wie denen des Grafen Rodrigo Manrique. Anlässlich einer öffentlichen Buß- und Ablassfeier in Valencia schildern seine gehässigen Verse, wie sich durch die Teilnahme von Conversos an der Zeremonie christliche Symbole in jüdische verwandeln: »Die Bulle des Heiligen Vaters / gegeben zu unserem Heil, in euren Mantel gesteckt, / verwandelte mit großem Krach sich in die Schrift des Talmud. Und die tief fromme Kirche / allein durch euren Eintritt war nachher verseucht und / an diesem Punkte verwandelt in ein Gotteshaus des Alten Gesetzes. Und der Leib des Erlösers, / den ihr mit Eisen verwundet, aus reiner Furcht vor euch / schwitzend Blut und Wasser, wandelte sich dann in ein Kalb.«397

Sicher nicht zufällig sind es solche satirischen Schriften, Lieder und Gedich­ te, die im 15. Jahrhundert ausdrücken, was theologisch eigentlich unhaltbar war:398 die Auffassung, dass Juden auch durch die Taufe niemals zu wahren Christen werden und folglich die Reinheit und Eintracht der Kirche nur gefährden konnten. Während die Verfechter einer solchen imaginierten Makel­ 396

397

398

Empero porque ellos tienen la circuncision como moros, y el sabado como judios, e el nombre solo de criptianos, aun por voluntad judios, pero no guardan el Talmud, ni las ceremonias todas de judios, ni menos la ley criptiana. E por esto les fue puesto el sobrenombre por mayor vitup(er)io, conviene a saber, Alboraicos […] – Libro del alborayque, ed. Bravo Lledó, S. 72. La bula del Padre Santo, / dada por nuestra salud, / metida so vuestro manto / se tornó con gran quebranto / escritura del Talmud. / Y la muy devota iglesia / sólo por vuestra entrada / fue luego contaminada, / en ese punto tornada / casa santa de ley vieja, / y el cuerpo del Redentor, / que llagastes vos con hierro, / del vuestro puro temor / sudando sangre y sudor / se tornó luego bezerro. – Coplas del conde de Paredes a Juan Poeta, ed. Rodríguez Puértolas: Poesía crítica y satírica, S. 290‑291. Vgl. Monique de Lope: Métaphores de l’identité conversa dans la poésie espagnole de XVe siècle. In: Battesti Pelegrin (Hg.): »Qu’un sang impur...«, S. 109f.; Michel Jonin: Transfor­ mations discursives et stratégies indentitaires: le cas des Nouveaux Chrétiens (Espagne XVe siècle). In: Cahiers d’études romanes 4 (2000), S. 101‑102.

265

losigkeit die christliche Identität dadurch vereinheitlichen und den ambivalen­ ten Status der Neuchristen aufheben wollten, indem sie jenen das Christsein pauschal (oder zumindest in ganz entscheidendem Grad) absprachen, traten die Verteidiger der Conversos für eine Einheit ein, die einen Unterschied der leiblichen Abstammung von vornherein nicht gelten ließ. Doch auch, wenn es um die Einheit in kirchlicher und politischer Hinsicht ging, nahmen die Altchristen deren Verteidigung gerne selbst in Anspruch. Das »Säen von Zwietracht« (sembrando zizañas) warf bereits Marcos de Mora 1449 dem königlichen Marschall Álvaro de Luna und den Neuchristen ebenso vor, wie es ihm selbst zur Last gelegt wurde.399 Und auch noch in der Kontroverse im Hieronymitenorden Ende des Jahrhunderts, in der rein genealogische Ar­ gumente theologisch offenbar bereits weitgehend diskreditiert waren, stellten die Befürworter eines Statuts gegen die Neuchristen den Wert der Einheit keineswegs infrage – im Gegenteil: Diese Einheit galt es ihrer Ansicht nach mit allen Mitteln gegen die Gefahr einer häretischen Unterwanderung zu ver­ teidigen, und zwar eben mit dem vorsorglichen Ausschluss der angeblich zum Judaisieren neigenden Conversos jüdischer Abstammung. Entsprechend erfüllt von einer rhetorischen Emphase der Einigkeit und Harmonie ist die in der Ordenschronik überlieferte Rede des Bruders Juan de Corrales zugunsten des Statuts: »Gebietet uns [Paulus] nicht auch, uns vor denen zu hüten, die mit ihren Worten und Verhalten wie schlechter Sauerteig unsere Sitten verderben? Und mahnt uns nicht der Herr selbst dazu? […] das besagte Statut wurde aufgestellt für den Dienst und zur Ehre Gottes und zur Verherrlichung und Verteidigung unseres heiligen katholischen Glaubens und für die Reinheit unserer heiligen Religion und damit wir in größerem Frieden, Einheit und Liebe leben, und für das Gemeinwohl […].« 400

Abermals tritt hier eine Rhetorik hervor, die mit dem Wort vom Sauerteig (Mt 16, 6; Mk 8, 15) eine Logik der Kontamination propagiert, bei der bereits das geringste Ausmaß einer mutmaßlich schädlichen Präsenz fatale Auswirkungen für das Ganze haben kann. Dieser angeblichen Gefahr für die geistliche und moralische Integrität der eigenen Gemeinschaft wird alternativlos das Mittel der Ausgrenzung nach genealogischen Kriterien im Dienst von Einigkeit und Harmonie gegenübergestellt. Bis zum Tod Ferdinands II. verweigerte die spanische Krone stets die Aner­ kennung eines solchen Formalprinzips der Vereinheitlichung auf dem Weg des Ausschlusses, das nun immer mehr einzelne Körperschaften anstrebten. 399 400

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Marcos de Mora: Memorial, ed. Benito Ruano, S. 105. No nos manda también, que nos guardemos de los que con sus palabras y trato corrom­ pen como mala leuadura nuestra costumbres? y el mismo Señor no nos lo amonesta? […] el dicho estatuto se hizo para seruicio y gloria de Dios, y para ensalzamiento, y defendimiento de nuestra santa fe Católica, é para limpieza de nuestra santa religión, é para que viuiessemos en mayor paz, é vnidad, y caridad, é por el bien común. – Historia de la Orden de San Jerónimo, Bd. 2, S. 36‑38.

Gleichwohl fiel ihr Widerstand gegen die Etablierung neuer Statuten in der Praxis mal mehr, mal weniger entschieden aus. Geradezu ermutigend mussten auf die Altchristen dagegen andere königliche Entscheidungen wirken, die sich im ausgehenden 15. Jahrhundert immer stärker zum Nachteil der religiösen Minderheit einschließlich der Neuchristen auswirkten. Ein Verlangen nach reli­ giöser Einheit und Geschlossenheit stand hinter der Gründung der Inquisition, die jegliche Heterodoxie innerhalb des christlichen Gemeinwesens beseitigen sollte, hinter dem Krieg gegen Granada, das letzte nicht christlich beherrschte Territorium der Iberischen Halbinsel, hinter der Vertreibung der Juden und schließlich auch hinter der Zwangsbekehrung der verbliebenen Muslime und die Vertreibung der Morisken.401 Diese intransigente Politik gegenüber jeglichen tatsächlich oder vermeintlich Andersgläubigen war allenfalls theoretisch noch vereinbar mit dem Werben der Verteidiger der Conversos für eine christliche Einheit im Glauben unabhängig von Herkunft und Familie. Praktisch förderte die forcierte Geschlossenheit im Bekenntnis vielmehr den Argwohn gegenüber jeder Art von auch nur vermuteter religiöser Heterogenität, selbst wenn diese lediglich in der Familien­ geschichte der Verdächtigten begründet lag.402 Unter den Nachfolgern der Ka­ tholischen Könige verstärkte sich diese Tendenz noch aufgrund verschiedener Faktoren, die allerdings auch über den iberischen Kontext hinaus zu suchen sind. Zum einen sah sich bereits Karl I. von der Glaubensspaltung Europas und den Territorialgewinnen des Osmanischen Reiches unter Druck gesetzt und in der Position eines Verteidigers des Glaubens bestärkt. Auch Philipp II., Se­ bastian I. von Portugal und andere Monarchen gefielen sich nicht bloß in die­ ser Rolle, sondern konnten auf diesen integralen Bestandteil ihrer politischen Kommunikation im Grunde gar nicht mehr verzichten. Doch ohne eine harte Hand auch gegen jegliche religiöse Devianz der eigenen Untertanen und gegen alles, was mit dem Judentum in Verbindung zu stehen schien, war eine solche Selbstinszenierung kaum denkbar.403 Zum anderen erforderte die koloniale Expansion auch eine diskursive Be­ hauptung der eigenen inhärenten moralischen Überlegenheit als ideologischen Überbau, um die oftmals brutale Herrschaft über die unterworfenen Völker zu rechtfertigen. Die Eroberung der Kanaren und der Goldküste, das Engagement im mediterranen und atlantischen Sklavenhandel und die Ausbeutung von 401

402 403

Vgl. u.a. Antonio L. Cortés Peña: Sobre el absolutismo confesional de Felipe II. In: José Luis Betrán Moya u.a. (Hgg.): Religión y poder en la Edad Moderna, Granada 2005, S. 109-130; Padín Portela: La traición, S. 255‑276. Vgl. dazu auch Cavallero: Supersticiosos y marranos, S. 84. Vgl. Cristina Vallaro: The Literary Side of the Armada, Newcastle 2021, S. 38‑48; Julian Katz: Kriegslegitimation in der Frühen Neuzeit. Intervention und Sicherheit während des anglo-spanischen Krieges (1585-1604), Berlin 2021, S. 340ff.; Eliane de Alcântara-Teixeira: D. Sebastião: um Rei e um Mito. In: Razón y Palabra 20 (2016), S. 1202‑1209; Nirenberg: Warum der König, S. 239‑240.

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Land und Leuten der Neuen Welt verlangten nach einer Legitimation, die sich angesichts der teilweise sehr raschen Missionserfolge nicht einfach aufgrund der bloßen Zugehörigkeit zum Christentum konstruieren ließ. Der Rückgriff auf genealogische Unterscheidungen und das Postulat der besonderen Reinheit einer bestimmten Abstammung kamen hier wiederum gelegen.404 Auf die gesellschaftliche Stellung der Neuchristen in Theorie und Praxis hatte all dies unterschiedliche Auswirkungen. Was den Diskurs der Gelehrten anging, so änderte sich die theologische Kritik an der Unterscheidung von Altund Neuchristen im Kern kaum. Die Autoren, die im 16. und 17. Jahrhundert noch vereinzelt zugunsten der Neuchristen und ihrer Nachfahren Stellung bezogen, wiederholten im Wesentlichen die Argumente, die bereits in den ers­ ten Jahrzehnten der Kontroverse (wie in dieser Studie beschrieben) entwickelt worden waren.405 Doch auch wenn ihre Beweisführung von der Gegenseite nie wirklich widerlegt wurde, was die theoretischen Prinzipien anging, so wurde doch deren Anwendung in praktischen Belangen systematisch infrage gestellt und unterlaufen. Vor Gott mochte es gemäß Schrift und Tradition »kein An­ sehen der Person« (Röm 2, 11) nach genealogischen Kriterien geben – aus Sicht der tragenden Säulen des christlichen Gemeinwesens vom altehrwürdigen Ritterorden bis zur örtlichen Gebetsbruderschaft gab es ein solches sehr wohl und war auch erlaubt, da es schließlich nicht die ewige Seligkeit infrage stellte, sondern lediglich zeitliche Würden. Die lange Tradition der hierarchischen Verschiedenheit innerhalb der christ­ lichen Standesordnung, in der Alter, Geburt, Geschlecht und andere Merkmale eine selbstverständliche Rolle spielten, ließ eine solche Praxis zumindest der Form nach keineswegs abwegig erscheinen. Fast ebenso leicht, wie es den Gegnern der Conversos fiel, den seit Jahrhunderten im Christentum etablierten Antijudaismus auf die jüdischstämmigen Getauften zu übertragen, so gelang es ihnen schließlich auch, die Herabsetzung der Neuchristen als Teil der in vielerlei Hinsicht bereits akzeptierten sozialen Ungleichheit innerhalb der christlichen Gemeinschaft zu plausibilisieren. Angesichts der theologisch und juristisch damals selbstverständlichen Verschiedenheit etwa von Frauen und 404

405

268

Vgl. Luise Schorn-Schütte: Konfessionskriege und europäische Expansion. Europa 1500-1648, München 2010, S. 97‑100; Schilling: Karl V., S. 123‑135; Jonas Schirrmacher: Die Politik der Sklaverei. Praxis und Konflikt in Kastilien und Spanisch-Amerika im 16. Jahrhundert, Paderborn 2018, S. 20‑25; Hering Torres: Purity of Blood, S. 23‑30; Javier Sanchiz: La limpieza de sangre en Nueva España, entre la rutina y la formalidad. In: Nikolaus Böttcher u.a. (Hgg.): El peso de la sangre. Limpios, mestizos y nobles en el mundo hispánico, Mexiko 2011, S. 119‑123. Vgl. u.a. Amrán: Juan de Vergara, S. 405‑414; dies.: El tratado de Uceda, año 1586, y su oposición a los estatutos de limpieza de sangre. In: Erasmo. Revista de historia Bajomedieval y Moderna 2 (2015), S. 21‑32; Huerga/Sáinz Rodríguez: Fray Domingo de Valtanás; de Azcona: Dictamen, S. 365‑380; Fernández Cordero: Juan de Ávila, S. 124‑131; Henry Kamen: Toleration and Dissent in Sixteenth-Century Spain. The Alternative Tradition. In: The Sixteenth Century Journal 19 (1988), S. 3‑23.

Männern, Geweihten und Laien, Adligen und Gemeinen, Freien und Unfreien, Einheimischen und Fremden konnte das dogmatisch bis dahin unstrittige Pos­ tulat der Einheit und Gleichheit von Alt- und Neuchristen leicht infrage gestellt und (zumindest in den iberischen Monarchien) für mehrere Jahrhunderte zu­ rückgedrängt werden.

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4 Zusammenfassung Der Diskurs um die iberischen Neuchristen gehört zu den zahlreichen Kontro­ versen des Spätmittelalters, in denen Machtfragen theologisch verhandelt wur­ den und theologische Aussagen unweigerlich mit konkreten Machtinteressen verbunden waren. Ähnlich wie etwa die Auseinandersetzung um den Konzilia­ rismus oder der Armutsstreit brachte er eine hoch entwickelte Traktat-, Kom­ mentar- und Briefliteratur hervor, die zwar hauptsächlich auf den spanischen Raum begrenzt blieb, sich jedoch in Relation zum Papsttum und im Bezug auf allgemein anerkannte Autoritäten zugleich im größeren Referenzrahmen der lateinisch-christlichen Tradition bewegte. Während die bisherige Forschung die gesellschaftliche und politische Dimension des Konflikts bereits relativ umfangreich beschrieben hat, war es das Ziel dieser Untersuchung, anhand der diskursiven Regelmäßigkeiten in den Texten zugunsten der Conversos der Frage nach Inhalt und Struktur ihres theologischen Programms nachzugehen. Dabei kann der gelehrte Diskurs um die Neuchristen zumindest im Zeit­ raum bis zur Vertreibung der Juden von der iberischen Halbinsel kaum als Kontroverse mit einem ausgewogenem Verhältnis von Äußerungen pro und contra aufgefasst werden; denn auf der einen Seite standen – allein was die überlieferten Quellen angeht – Autoren des höchsten akademischen Grades und gesellschaftlichen Ranges, darunter Bischöfe, königliche Beamte, Ordens­ obere und ein Kardinal, die sich in ihren zum Teil äußerst umfangreichen Schriften auf die Beschlüsse des letzten Universalkonzils der Kirche berufen konnten und zumindest im Rückgriff auf die früheren Erlasse von Päpsten und Königen ausschließlich Unterstützung vorfanden. Die Gegenseite wiederum war zumindest in der schriftlich geführten Aus­ einandersetzung vor Ende des Jahrhunderts noch kaum substanziell vertreten. Lediglich die Dokumente des gescheiterten Aufstandes von Toledo, einige an­ onyme Pamphlete und manche Werke der antijudaistischen Apologetik lassen sich ansatzweise mit den Schriften zugunsten der Conversos kontrastieren und erreichen dabei kaum jemals deren akademisches Niveau.

4.1 Eine diskursive Strategie? Aufbauend auf die grundlegende Forschung zu Gegnern und Verteidigern der Conversos war es das Anliegen der vorliegenden Studie, die Schriften zuguns­ ten der Neuchristen nicht nur ihrer Pragmatik nach historisch einzuordnen und ihre jeweiligen Besonderheiten zu würdigen, sondern vor allem auch ihren gemeinsamen theologischen Kern herauszuarbeiten; die verbindenden Elemente und übergreifenden argumentativen Muster, die diskursanalytisch als »diskursive Strategie« verstanden werden können. Anders als bei zahlreichen

anderen neueren Forschungsarbeiten stand dabei nicht die Suche nach einer authentischen Converso-Stimme als Ausdruck einer genuin jüdisch-neuchrist­ lich geprägten Identität im Vordergrund, sondern die Annahme, dass sich die Herausbildung dieser diskursiven Strategie samt ihrer bevorzugten Autoritätsar­ gumente aus Bibel, Kirchenrecht und Tradition unabhängig von der persönli­ chen Betroffenheit der Autoren beobachten und beschreiben lässt. Dass die Verteidigung der Conversos im Gegensatz zu vielen anderen geisti­ gen Strömungen, Schulen und Bewegungen des christlichen Mittelalters – man denke neben den oben genannten Beispielen etwa an die gut beschriebenen Fraktionen in der scholastischen Universalienfrage oder in der Makulistenkon­ troverse – bislang noch kaum als solche benannt, geschweige denn inhaltlich näher bestimmt wurde, hat verschiedene Ursachen. Eine davon ist ihre erwähn­ te feste Verankerung in der zeitgenössischen etablierten akademischen und kirchlichen Elite. Die Autoren verfassten ihre Texte vornehmlich im Bewusst­ sein, theologisch gerade keine innovativen Aussagen zu machen oder neue Er­ kenntnisse zu gewinnen, sondern zu wiederholen und zu bewahren, was schon immer Lehre der Kirche gewesen war. Schon zu ihrer eigenen Zeit wurden sie daher womöglich eher nicht als theologisch sonderlich profiliert wahrgenom­ men, obwohl einige ihrer diskursiven Aussagen bei genauerer Betrachtung auf einem durchaus kreativen Umgang mit der Tradition basierten. Die an sich günstigen Voraussetzungen der diskursiven Strategie zugunsten der Conversos kontrastieren in gewisser Weise mit dem Befund, dass sie auf Dauer nicht mehr Einfluss auf die Entwicklung der iberischen Gesellschaften nahm. Mochten die Theologen und Rechtsgelehrten mit ihrem Plädoyer für die christliche Einheit auch ihren eigenen akademischen Elitendiskurs dominieren, so setzten sich ihre Ansichten doch weder bei der breiten Masse noch letztlich in der hohen Politik durch.1 Diese kommunikative Lücke zwischen dem realen politischen Geschehen und der theoretischen Reflexion, eine besondere Vari­ ante der »Disjunktion zwischen dem Sichtbaren und dem Sagbaren«,2 stellt zugleich einen weiteren Grund dar, warum die diskursive Strategie zugunsten der Conversos im vormodernen Spanien nicht klarer als solche in Erscheinung trat. Zwar schlossen auch in späteren Jahrhunderten vereinzelte Theologen an die Aussagen der ersten Verteidiger der Conversos an, doch wurden sie insge­ samt so sehr in den Hintergrund gedrängt, dass sie kaum formal schulbildend wirksam werden konnten. Ein dritter Grund für die mangelnde Wahrnehmung der Apologeten der Conversos als Vertreter einer kohärenten diskursiven Strategie und zugleich eine mögliche Ursache für ihre relative Erfolglosigkeit auf längere Sicht liegt womöglich in der Komplexität ihrer Aussagen. Wie in dieser Studie an ver­ 1 2

Vgl. Canessa de Sanguinetti: El bien nacer, S. 126f.; Hering Torres: Judenhass, Konversion, S. 43‑47. Deleuze: Foucault, S. 58.

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schiedenen Beispielen deutlich wurde, war die Argumentation zugunsten der Neuchristen von einem hohen Maß an rhetorischer Ambivalenz geprägt: Die jüdische Abstammung wurde gleichzeitig über den Verweis auf das biblische Israel und den Stammbaum Jesu aufgewertet und unter Berufung auf die rein geistliche Wirklichkeit der göttlichen Gnade für irrelevant erklärt; die histo­ rische Schuld an der Kreuzigung Jesu wurde Heiden und Juden gleichermaßen zugeschrieben und zugleich im Hinblick auf die Prophetie Ezechiels und das Sakrament der Taufe als getilgt betrachtet. Die Einheit aller Getauften bedeute­ te nach dem Urteil der Gelehrten zwar die Gleichheit der Nachkommen von Juden und Heiden, aber nicht die Aufhebung anderer sozialer Unterschiede. Man könnte in dem geringen Grad an programmatischer Kohärenz nun einfach einen Hinweis auf das Fehlen einer zugrundeliegenden diskursiven Strategie sehen – das hieße jedoch, die hohe Komplexität und Vielfältigkeit der kirchlichen Lehren und Traditionen nicht hinreichend zu berücksichti­ gen, denen die Verteidiger der Conversos in ihren Schriften gerecht werden mussten. Angesichts der langen und eben auch wechselhaften Geschichte des Christentums in seiner Haltung zum Judentum und den eigenen jüdischen Wurzeln mussten die Apologien der Neuchristen eine Vielzahl von theologi­ schen Ansätzen verfolgen, um lehramtlich, akademisch und kirchenrechtlich anschlussfähig zu sein. Zwar war bei der propositorischen Umnutzung der au­ toritativen Schriftstellen und ihrer Auslegungstradition auch ein gewisses Maß an individueller Kreativität notwendig, doch ist in den zentralen diskursiven Begriffen von Schuld, Geburt, Nation und Einheit ein hohes Maß an Überein­ stimmung erkennbar, das mit hinreichender Sicherheit auf eine gemeinsame zugrundeliegende Hermeneutik schließen lässt. Die diskursanalytische Heran­ gehensweise an die Texte offenbart hier, was die bisherigen ereignishistorischen und selbst ideengeschichtlichen Darstellungen nicht in dieser Klarheit zeigen konnten: dass sich im spanischen Spätmittelalter nicht nur einzelne Stimmen zugunsten der Conversos erhoben, sondern sich eine systematische Theologie der jüdischen Konversion zum Christentum entwickelte. Grundlage für die signifikanten thematischen und argumentativen Gemein­ samkeiten, die diese Theologie zusammenhielten, war dabei zweifellos, aber nicht ausschließlich die Kommunikation zwischen den Autoren und die suk­ zessive Rezeption der früheren Schriften in späteren Werken. Auch die (wenn auch nur in Ansätzen bereits textuell greifbare) Gegenposition der Unterschei­ dung zwischen Altchristen und Neuchristen, die es zu widerlegen galt, sowie die Verankerung in der exegetischen und kanonistischen Tradition der Kirche legten eine bestimmte Auswahl und Deutung autoritativer Schriftstellen nahe. So manifestiert sich die gemeinsame diskursive Strategie der Texte zugunsten der Conversos auch am deutlichsten in der weitgehend übereinstimmenden Deutung einiger zentraler biblischer Passagen, die in der lateinisch-christlichen

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Tradition seit jeher als maßgeblich für die theologische Verortung des jüdi­ schen Volkes und der jüdischen Konversion zum Christentum galten. Die Prophetie des Ezechiel »Ein Sohn soll nicht die Sünde des Vaters tra­ gen« (Ez 18, 20) wurde zur Kurzformel für den Grundsatz, Konvertiten und ihre Nachfahren generell nicht mit ihrer gegebenenfalls jüdischen Herkunft zu identifizieren. Gleichzeitig dekonstruierten die Autoren im Rekurs auf ka­ nonische und patristische Autoritäten den Vorwurf der alleinigen Schuld der Juden an der Kreuzigung Christi, um die Gleichwertigkeit der verschiedenen Abstammungen auch heilsgeschichtlich zu plausibilisieren. Dem Entwurf von individueller Kindschaft und Genealogie, demnach das Entscheidende nicht die leibliche Abstammung sei, sondern die geistliche Identität als »Kinder der Ver­ heißung« (Gal 4, 28), entsprach auf kollektiver Ebene das paulinische Prinzip, dass es in Christus »nicht Juden noch Griechen« (Gal 3, 28) und »vor Gott kein Ansehen der Person« (Röm 2, 11) gebe. Die Forderung schließlich, die Einheit der Kirche zu wahren, da Christus zwischen Juden und Heiden »die trennende Wand der Feindschaft niedergerissen« (Eph 2, 14) habe, wurde mit dem Verweis auf das Sakrament der Taufe begründet, das alle Gläubigen zu einem einzigen mystischen Leib vereine. Wo sich die Aussagen der Apologeten der Conversos eindeutig auf einen Punkt bringen lassen, sind sie somit negativer Art: Es gibt keine Sünde, die vom Vater auf den Sohn übergeht oder die nicht von der Taufe getilgt wird, kein Ansehen der Person vor Gott, keine trennende Feindschaft zwischen Juden und Heiden in Christus. Der defensive Charakter, der aus diesen apodiktischen Beteuerungen spricht, deutet bereits darauf hin, dass die Autoren in dem Bewusstsein schrieben, die überlieferte Wahrheit des katholischen Glaubens gegen schädliche Neuerungen zu verteidigen. Den Kern dieser häretischen Abkehr von Schrift und Tradition der Kirche sa­ hen sie in der eigenmächtigen Einführung einer Unterscheidung (distinctio), die es nach Gottes Willen nicht (mehr) gab und die daher keinerlei Berechtigung hatte: zwischen Juden und Heiden, die durch die Taufe unterschiedslos (indis­ tincte) die Vergebung der Sünden empfangen haben und Glieder des einen Leibes Christi geworden sind. In dieser Hinsicht lässt sich der Standpunkt, den die Schriften zugunsten der Conversos vertreten, entsprechend ihrer Abwehr falscher Unterscheidungen auch als indistinktionistisch bezeichnen. Geistesgeschichtlich betrachtet war die Verteidigung der Neuchristen somit in fast jeder Hinsicht ein konservatives Projekt: Von der Hermeneutik der auto­ ritativen Quellen und der formalen Gestaltung der Texte über die Berufung auf die lehramtliche Tradition und die vielfachen Bezüge zum vormodernen Ideal einer ständisch gegliederten Gesellschaft bis hin zu den zahlreichen antijudais­ tischen Motiven, die in seinen Dienst gestellt werden, stützt sich der Diskurs nicht nur auf althergebrachte Modelle des Weltverstehens und Werturteils, sondern bekräftigt sie zugleich.

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4.2 Erfolg und Misserfolg Über die Frage hinaus, ob und wie sich die diskursive Strategie zur Verteidi­ gung der Neuchristen anhand ihrer zentralen Begriffe und Aussagen beschrei­ ben lässt, ist neben ihren Implikationen für das jüdisch-christliche Verhältnis auch ein genauerer Blick auf ihren gesellschaftlichen und politischen Einfluss jenseits des gelehrten Diskurses aufschlussreich. Aus Sicht der heutigen For­ schung wird mit gewissem Recht vorrangig auf das Scheitern der Verteidiger der Conversos geblickt, denen es letztlich nicht gelang, die iberischen Neu­ christen vor der Verfolgung durch die Spanische Inquisition und der Ausgren­ zung durch die sich immer weiter ausbreitenden Statuten der Blutreinheit zu schützen. Doch dieser Befund ex post muss gleichwohl mit der Beobachtung kontrastiert werden, dass der Indistinktionismus bis ins 16. Jahrhundert hinein die Ebene des gelehrten Diskurses dominierte und im Grundsatz nie widerlegt wurde. So duldeten Könige und Päpste die Unterscheidung von Altchristen und Neuchristen zwar immer wieder in einzelnen und praktischen Belangen, wiesen sie in ihrer eigenen Administration, Jurisdiktion und Legislation jedoch in aller Regel kategorisch zurück. Den Gegnern der Conversos blieb daher zunächst nichts anderes übrig, als ihre Agenda stückweise und unter Berufung auf alle denkbaren Ausnahmen von dieser Grundregel voranzutreiben. Gleichwohl erfuhren die Conversos bereits seit den Dreißigerjahren des 15. Jahrhunderts zunehmend Anfeindung und Ausgrenzung durch die alt­ christliche Mehrheit und fanden gleichzeitig immer weniger belastbaren Rück­ halt bei den Autoritäten. In dieser Diskrepanz zwischen ideeller Geltung der christlichen Einheit und realer Diskriminierung zeigt sich somit eine bemer­ kenswerte Ausnahme oder zumindest eine Abwandlung der Grundannahme der Diskursanalyse, dass Wahrheit und Macht einander wechselseitig hervor­ bringen. Weder vermochte es das zunächst praktisch einhellige Votum der Theologen und Kanonisten als berufene Interpreten der christlichen Wahrheit, die Gleichstellung der Neuchristen in der Praxis durchzusetzen, noch führte deren faktische Herabsetzung zu einer Anpassung der theoretischen Lehre – zumindest nicht unmittelbar und bei weitem nicht universell. Erst in späteren Jahrhunderten zog die andauernde kollektive Obsession mit der »Reinheit des Blutes« eine gewisse diskursive Plausibilisierung nach sich, bevor sie ihrerseits wenn nicht in Vergessenheit geriet, so doch weitestgehend außer Gebrauch kam. Mindestens die ersten fünfzig bis hundert Jahre der Kontroverse waren dage­ gen von einer Situation der Ambiguität geprägt, in der ein abstrakter theologi­ scher Anspruch des Indistinktionismus und eine konkrete soziale Wirklichkeit, die sogar im kirchlichen Bereich immer stärker zur Diskriminierung tendierte, nebeneinander und gegeneinander standen. Auch in einem sich als christlich verstehenden Gemeinwesen konnte lange Zeit sinngemäß gelten, was George

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Orwell in seiner berühmten Fabel ironisch so ausdrückte: dass zwar alle gleich, manche jedoch gleicher als andere sind. Eine solche Diskrepanz zwischen kommunizierten und realisierten Werten kann für ein System zwar theoretisch in einem gewissen Maße funktional sein, wie nicht zuletzt diverse Beispiele aus der Kirchengeschichte belegen;3 die diskursive Strategie zugunsten der Conversos war jedoch eher dazu geeignet, die Praxis der Marginalisierung und Entrechtung der Neuchristen zu konfron­ tieren und zu delegitimieren. Ihr Erfolg bestand vor diesem Hintergrund darin, zumindest das Ideal einer versöhnten und gleichberechtigten Glaubensgemein­ schaft gegen alle Widerstände aufrechtzuerhalten, was jedenfalls bis zur Jahr­ hundertwende weitestgehend gelang. Ihr Misserfolg lag umgekehrt in der regel­ mäßigen Abweichung von diesem Ideal, so dass die sogenannten Neuchristen von vielen Rechten und Chancen ausgeschlossen und in besonderem Ausmaß von der Verfolgung durch die Inquisition bedroht waren.

4.3 Inhärenter Antijudaismus Die Analyse der diskursiven Begriffe und Aussagen offenbart auch, wie stark die diskursive Strategie zur Verteidigung der Conversos auf den erheblich älte­ ren Diskurs der christlichen adversus-Iudaeos-Tradition bezogen war. Biblische Motive und exegetische Gemeinplätze wie die Passionsberichte, die allegorische Deutung der Figuren Hagars und Saras, der christliche Anspruch, verus Israel zu sein, oder auch die Erfüllung alttestamentlicher Prophezeiungen durch Jesus Christus, die zum Standardrepertoire der antijudaistischen Apologetik gehörten, dienten nun dazu, die jüdischstämmigen Neuchristen in Schutz zu nehmen. In einigen wenigen Fällen bedeutete dies eine tatsächliche Umwer­ tung der alten antijüdischen Motive, die nicht nur das alttestamentliche Israel, sondern auch das zeitgenössische Judentum in ein günstigeres Licht rückte. Auch diese Sichtweise war freilich nicht neu, sondern konnte sich durchaus auf ältere Traditionen der Kirche beziehen, die ihren Antijudaismus erst im 12. und 13. Jahrhundert entscheidend radikalisiert hatte.4 In den meisten Fällen ging die Verteidigung der Neuchristen jedoch mit einer ungebrochenen und manchmal rückhaltlosen Polemik gegen das Juden­ 3

4

Vgl. u.a. Bauer: Die Vereindeutigung der Welt, S. 17‑40; Pierre Bourdieu: Das Lachen der Bischöfe. In: Franz Schultheis und Stephan Egger (Hgg.): Religion. Schriften zur Kulturso­ ziologie 5, Berlin 2011, S. 231‑242. Vgl. Soyer: Medieval Antisemitism?, S. 45-66; Cohen: The Friars and the Jews; und ders.: Living Letters of the Law: Ideas of the Jew in Medieval Christianity, Berkeley 1999, S. 313-363; Robert Chazan: Fashioning Jewish Identity in Medieval Western Christendom, Cambridge 2004, S. 67f.; Santonja Hernández: Sobre judíos y judeoconversos, S. 182f.; José M. Monsalvo Antón: Mentalidad antijudía en la Castilla medieval (ss. XII-XV). In: Barros (Hg.): Xudeus e Conversos na Historia. Bd. 1: Mentalidades e Cultura, S. 21‑84; Zschoch: Christenheit, S. 223‑227.

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tum einher. Bei aller Solidarität mit ihren jüdischstämmigen Mitchristen und Wertschätzung für das biblische Volk Israel brachten die Apologeten der Con­ versos doch kaum Toleranz für den jüdischen Glauben ihrer Zeitgenossen auf.5 Faktisch verwendeten sie parallel zwei verschiedene, aber zugleich homonyme diskursive Begriffe, wenn sie vom Judentum sprachen: auf der einen Seite stand das Judentum der biblischen Patriarchen, Propheten und Apostel, das für seine Gottesnähe und als Vorausbild der christlichen Kirche gepriesen wurde und auch in der Gegenwart noch die jüdischen Konvertiten positiv für den christlichen Glauben disponierte, auf der anderen Seite das Judentum der zeit­ genössischen Synagoge, das für Blindheit, Verstocktheit und Irrglaube stand, manchmal sogar für Gottesfeindschaft und moralische Degeneration.6 Sei es aus taktischen Erwägungen oder wirklicher Überzeugung, klagten sie auf diese Weise ihre jüdischen Nachbarn vorbehaltlos ebenjener Verworfenheit an, von der sie die getauften Konvertiten kategorisch freisprachen. Auch indem die Verteidiger der Neuchristen ihren altchristlichen Gegnern immer wieder Irrtümer und Delikte vorwarfen, die sie mit dem Judentum assoziierten – dar­ unter die Geringschätzung der Sakramente, ein irregeleitetes Verständnis der Schrift und das falsche Vertrauen auf eine vermeintlich privilegierte Abstam­ mung –, so bezogen sie sich damit nicht nur auf antijüdische Ressentiments, sondern reproduzierten diese zugleich.7 Der Befund dieses durchgängigen inhärenten Antijudaismus in den Schrif­ ten zur Verteidigung der Conversos ist für deren Gesamtverständnis unerläss­ lich. Dies muss nicht zuletzt auch deswegen klar benannt werden, um in die Texte nicht unterschwellig Pluralismus oder auch nur Toleranz im modernen Sinne hineinzudeuten. Solche Werte lagen den Autoren in religiösen Fragen letztlich ebenso fern wie ihren Gegnern. Ohne damit ein allzu starkes Wertur­ teil zu verbinden, lässt sich der Diskurs zugunsten der Conversos im 15. Jahr­ hundert daher vielleicht am besten als ein mehrere Generationen andauerndes Ringen um theologische Gewissheit und religiöse Identität beschreiben. Den Autoren ist dabei mindestens die Leistung zuzugestehen, aus der jahrhunderte­ langen Lehrtradition ihres Glaubens eine Antwort auf ein komplexes und in Teilen neuartiges gesellschaftliches Problem ihrer Tage gefunden und auf dem höchsten literarischen Niveau ihrer Zeit formuliert zu haben. Dies taten sie vor allem, so ein Ergebnis dieser Diskursanalyse, auch unabhängig von ihrer etwai­ gen persönlichen Betroffenheit, indem sie auf der Basis von religiöser Überzeu­ gung und akademischer Redlichkeit eine diskursive Strategie entwickelten, die 5 6 7

Vgl. dazu auch Orfali: Jews and Conversos, 353-356. Vgl. dazu auch Robert Chazan: From Anti-Judaism to Anti-Semitism Ancient and Medieval Christian Constructions of Jewish History, Cambridge 2016, S. 239‑245. Vgl. Rosa Vidal Doval: La matriz medieval de la disidencia en Castilla en el siglo XVI: La herejía judaizante y la controversia sobre los conversos. In: Ignacio J. García Pinilla (Hg.): Disidencia religiosa en Castilla la Nueva en el siglo XVI, Ciudad Real 2013, S. 24f.

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aus der historischen Überlieferung schöpfte und zumindest in einigen Elemen­ ten lehramtlich erst Jahrhunderte später eingeholt wurde.

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Anhänge A1 Verzeichnis der zitierten Editionen mittelalterlicher Quellen Alonso de Cartagena: Defensorium unitatis christianae [ca. 1449-1450]. Hg. von Manuel Alonso, Madrid 1943, S. 61‑370. Alonso de Oropesa: Lumen ad revelationem gentium [1465]. Übersetzt ins Spani­ sche von Luis A. Díaz y Díaz, Salamanca 1979 (Transkript des Lateinischen Originaltextes: https://www.cervantesvirtual.com/obra-visor/luz-para-conoci miento-de-los-gentiles--0/html/). Alonso Díaz de Montalvo: Tractatus quidam levis, quem de mandato Illustrissimi Domini nostri Regis Ioannis II. super factis Toleti contingentibus invalide compila­ vi (auch: Glosa a la palabra tornadizo) [1449]. Hg. von Matilde Conde Salazar, Antonio Pérez Martín, Carlos del Valle Rodríguez. In: La causa conversa, Madrid 2008, S. 103‑145. Anonym: Sermo in die beati Augustini [1449]. Hg. von Tomás González Rolán und Pilar Saquero Suárez-Somonte. In: De la sentencia-estatuto de Pero Sarmiento a la Instrucción del Relator, Madrid 2012, S. 33‑56. Antonio Galateo de Ferrariis: Ad Belisarium Aquevivum, de neophytis [ca. 1496]. Hg. von Antonio Altamura. In: Antonio de Ferrariis Galateo. Epistole. Edi­ zione critica, Lecce 1959, S. 220‑225. Diego de Valera: Espejo de verdadera nobleza [ca. 1451]. Hg. von Federica Accor­ si. In: Estudio del »Espejo de verdadera nobleza« de Diego de Valera con edición crítica de la obra, Pisa 2011, S. 289‑351. ders.: Memorial de diversas hazañas. Hg. von Juan de Mata Carriazo, Madrid 1941, S. 3‑295. Fernán Díaz de Toledo: Instrucción del relator para Don Lope de Barrientos, obispo de Cuenca, sobre la çiçaña de Toledo contra Pero Sarmiento y el bachiller Macos Garçia de Mora [1449]. Hg. von Tomás González Rolán und Pilar Saquero Suárez-Somonte. In: De la sentencia-estatuto de Pero Sarmiento a la Instruc­ ción del Relator, Madrid 2012, S. 95‑120. Fernán Pérez de Guzmán: Generaciones y semblanzas [1450]. Hg. von Robert B. Tate, London 1965. Fernando de Pulgar: Claros varones de Castilla [ca. 1484]. Hg. von Robert B. Tate, Oxford 1971, S. 1‑77. ders.: Letras [1486]. Hg. von Jesús Domínguez Bordona, Madrid 1929. ders.: Crónica de los Reyes Católicos [1492]. Hg. von Juan de Mata Carriazo, Madrid 1943. Gutierre de Palma: Divina retribución sobre la caida de España en tiempo del noble rey Don Juan el primero. Compuesta por el Bachiller Palma, Hg. von J. M. Escudero de la Peña, Madrid 1879.

Hernando de Talavera: Católica impugnación del herético libelo maldito y desco­ mulgado que en el año pasado del nacimiento de nuestro Señor Jesucristo de mil cuatrocientos y ochenta años fue divulgado en la ciudad de Sevilla [ca. 1481]. Ed. von Francisco Martín Hernández. Hg. von Stefania Pastore, Córdoba 2012, S. 3‑181. ders.: Colación muy provechosa de cómo se deven renovar en las ánimas todos los fieles cristianos en el sancto tienpo del Adviento [ca. 1476]. Hg. von Carmen Parrilla. In: Hernando de Talavera. Dos escritos destinados a la reina Isabel, Valencia 2014, S. 101‑132. ders.: Breve tractado, mas devoto y sotil, de loores del bienaventurado Sant Juan Evangelista [ca. 1476]. Hg. von Carmen Parrilla. In: Hernando de Talavera. Dos escritos destinados a la reina Isabel, Valencia 2014, S. 135‑244. Isaac Abravanel: Carta que o Barbanel mandou ao Conde de Faro sobre a morte do Conde de Odemira seu sogro, [1470]. Hg. von Cedric Cohen Skalli. In: Isaac Abravanel: Letters. Edition, Translation and Introduction, Berlin 2007, S. 81‑98. Jaime Pérez de Valencia: Tratado contra los judíos [1484]. Hg. von Justo For­ mantín Ibáñez und María José Villegas Sanz, Madrid 1998, S. 3‑313. José de Sigüenza: Historia de la Orden de San Jerónimo [ca. 1605], Bd. 2. Hg. von Juan C. García López, Madrid 1909. Juan de Lucena: Diálogo sobre la vida feliz [1483]. Hg. von Jerónimo Miguel, Madrid 2014. Juan de Torquemada: Tractatus contra Madianitas et Ismaelitas adversarios et de­ tractores fidelium qui de populo Israelitico originem traxerunt [1449]. Hg. von Carlos del Valle Rodríguez, Madrid 2002, S. 125‑239. Lope de Barrientos: Quaesitum a domino Lupo de Barriento, espicopo Conchensi, illustrissimi domini nostri domini Enrici Castellae Legionisque confessore, cancella­ rioque maiore ac eiusdem regiae maiestatis consiliario, per quendam bacalarium eiusdem paternitatis familiarem et devotum – Responsio praedicti domini episcopi [ca. 1454-1458]. Hg. von Tomás González Rolán und Pilar Saquero SuárezSomonte. In: De la sentencia-estatuto de Pero Sarmiento a la Instrucción del Relator, Madrid 2012, S. 144‑165. ders.: Contra algunos Çiçañadores de la nación de convertidos del pueblo de Israel [1449] Hg. von Tomás González Rolán und Pilar Saquero Suárez-Somonte. In: De la sentencia-estatuto de Pero Sarmiento a la Instrucción del Relator, Madrid 2012, S. 122‑141. ders: Refundición de la crónica del halconero. Hg. von Juan de Mata Carriazo, Madrid 1946, S. 1‑228. Marcos García de Mora: Memorial [1449]. Hg. von Eloy Benito Ruano, Barcelona 1976. Pero Sarmiento: Sentencia-Estatuto [1449]. Hg. von Eloy Benito Ruano, Madrid 2001. 280

Rodrigo Sánchez de Arévalo: Suma de la política [ca. 1455]. Hg. von Juan Beneyto Pérez, Madrid 1944. Rui de Pina: Croniqua delrey dom Joham II [ca. 1504]. Hg. von Alberto Martins de Carvalho, Coimbra 1950, S. 1‑306.

A2 Verzeichnis der Quellen ohne moderne Edition Alonso de Espina: Fortalitium fidei [ca. 1459]. Hg. von Anton Koberger, Nürn­ berg 1485. Alonso Fernández de Madrigal: Commentaria in quartam partem Matthaei [vor 1455]. Hg. von Giovanni Battista und Giovanni Bernardo Sessa, Venedig 1595. Gutierre de Palma: Breve reprehensorium [ca. 1465]. Manuskript 23-7, Archivo Capitular de Toledo. Pablo de Santa María: Scrutinium scripturarum [ca. 1432]. Manuskript Pal. lat. 134, Bibliotheca Palatina. Pedro de la Cavallería: Tractatus zelus Christi contra iudaeos, sarracenos et infideles [1450]. Hg. von Martin Alfonso Vivaldo, Venedig 1592.

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A4 Index wichtiger Personen Abiram (AT) 143 Abner de Burgos → Alfonso de Valladolid Abraham (AT) 41, 143, 189-190, 197, 201-203, 205, 207-209, 233 Adam (AT) 88, 163, 190-191, 223, 248 Aelred von Rievaulx 19 Agustín Salucio 69, 121 Alarich 184 Alexander VI. (Papst) 104, 121 Alfons VII. von Kastilien 78 Alfons X. von Kastilien 83 Alfons XI. von Kastilien 184 Alfons XII. von Kastilien (Gegenkönig) 92, 98-100, 129 Alfonso de la Torre 62 Alfonso de Valladolid 60, 146 Alonso Carrillo de Acuña 51, 95, 98, 127, 129, 258 Alonso Chirino de Guadalajara 90-91 Alonso Cota 76 Alonso de Aguilar 100 Alonso de Burgos 63 Alonso de Cartagena 14, 17-19, 21, 23, 25, 28-29, 33, 40, 44, 50, 56, 61, 72, 76-77, 86-89, 91, 107, 111, 127-129, 139, 142, 148, 159, 165, 177, 184, 186-188, 195-198, 200, 203-204, 214-215, 219, 223-224, 231, 237-238, 241, 244, 248, 261-263 Alonso de Espina 18, 25, 58, 88, 95, 116, 169-170, 197, 252 Alonso de Oropesa 14, 17-18, 21, 23, 25, 30, 34, 43, 84, 95-97, 111, 127-128, 131, 144, 166, 172, 176, 208, 224-225, 232, 238, 249-252, 260 Alonso de Palencia 49, 62, 108 Alonso Díaz de Montalvo 14, 27, 34, 40, 53, 63, 82-83, 126-127, 142, 148, 173-174, 193, 207, 220, 229-230, 236-237, 244, 247, 257 Alonso (Tostado) Fernández de Madrigal 62, 130, 228, 232-233 Alonso González de Toledo 93 Álvar García de Santa María 49

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Álvaro de Luna 76-78, 84-85, 128, 266 Amazja (AT) 162 Ambrosius von Mailand 198 Andrés Bernáldez 49 Anselm von Canterbury 171 Antón de Montoro 51-52, 173 Antonio de Ávila 59 Antonio de Ferrariis (Galateo) 34, 119-120, 156, 167, 201, 217, 226 Aristoteles 12, 24, 28, 55, 133, 140, 157, 184, 255 Artaxerxes 143-144 Atanarich 184 Augustinus von Hippo 79, 133, 137, 157, 165-166, 176, 206, 236, 245 Bartolomeo Facio 109 Bartolus de Saxoferrato 29 Beda Venerabilis 19 Belisario Acquaviva 119 Benedikt XIII. (Gegenpapst) 66, 73, 75, 87 Benedikt XIV. (Gegenpapst) 240 Benjamin (AT) 150 Bernhard von Clairvaux 229 Blanka von Navarra 242 Calixt III. (Papst) 90 Christoph Kolumbus 113 Cicero, Marcus Tullius 24, 140 Cisneros → Francisco Jiménez de Cisneros Clemens I. (Papst) 225 Clemens VIII. (Gegenpapst) 240 David (AT) 41, 124, 151, 161, 189, 191, 194, 198, 201, 226 Datan (AT) 143 Diego Arias 150 Diego de Deza 130 Diego de Valera 15, 18, 27, 29, 33, 50, 90-91, 99-100, 128, 163-164, 166, 184, 186, 189, 214, 239, 244, 263 Diego Enríquez del Castillo 49 Diego Fernández Pacheco 129

Diego Hurtado de Mendoza 104 Diego Velázquez 23 Domingo de Valtanás 69

Hieronymus 55, 133, 137, 142, 165, 199, 206, 227, 231 Huguccio von Pisa 222

Edom (AT) → Esau (AT) Elisabeth (NT) 191 Enrique de Villena 120 Erasmus von Rotterdam 23 Esau (AT) 135, 142, 201-203, 206-211, 247 Ester (AT) 143-144 Eugen IV. (Papst) 173 Eusebius von Caesarea 191 Eva (AT) 88, 248 Evaristus (Papst) 188 Ezechiel (AT) 40, 124, 152, 160-168, 204, 273-274

Íñigo de Mendoza 159 Íñigo López de Mendoza 51 Innozenz VIII. (Papst) 104 Isaac Abravanel 171, 255 Isaak (AT) 201, 203-204, 206, 209, 215, 233 Isabella I. von Kastilien 63, 93, 97-98, 101, 108, 111, 113-114, 116, 129, 241, 258 Isidor von Sevilla 187, 204 Ismael (AT) 201, 203, 206, 208-211, 214-215

Felix V. (Gegenpapst) 240 Ferdinand I. von Aragon 73 Ferdinand II. von Aragon (Ferdinand V. von Kastilien) 35, 97-98, 111, 116, 242 Fernán Díaz de Toledo 14, 17, 19, 26-27, 33, 68, 80-82, 92, 107, 111, 126-127, 143, 164, 191-193, 197, 222 Fernán Pérez de Guzmán 49, 108, 186, 214 Fernando de Mexía 47 Fernando de Pulgar 15, 23, 31-33, 47, 50, 107-109, 111, 113, 127-128, 159, 161, 184, 188, 211, 227, 241, 254, 262-263 Francisco Fernández de Toledo 26, 61, 79, 85, 127 Francisco Jiménez de Cisneros 115, 130 Franz von Assisi 170 García de Madrid 62, 84, 104, 128 Gratianus 24, 133, 135, 137, 139, 160, 162, 165-166, 168, 173, 175, 206 Gregor IX. (Papst) 222 Gutierre de Palma 29, 33, 40, 97-98, 126-127, 146, 159, 168, 174, 180, 199, 206, 211, 215, 225, 230, 249, 257 Hagar (AT) 201-204, 207, 214-215, 234, 276 Haman (AT) 143-144 Heinrich II. von Kastilien 12, 183-184 Heinrich III. von Kastilien 74, 87, 94 Heinrich IV. von Kastilien 79, 81-82, 86, 91-93, 95-100, 108, 127, 129, 132, 184, 241, 254 Hernando de Talavera 15, 18, 21, 23, 30-31, 34, 45, 63, 68, 111, 113-116, 127-128, 130, 135, 160-161, 179, 181, 199-200, 227, 233, 240, 243-244, 258 Herodes (NT) 144

Jafet (AT) 203, 217 Jaime Pérez de Valencia 59, 66 Jakob (AT) 135, 201-204, 207-210, 213, 233, 247 Jerónimo de Santa Fé (Josua ha-Lorqi) 60, 163, 178, 191 Jesaja (AT) 150, 204, 212, 229 Jesus von Nazareth (Jesus Christus) 18, 20, 39-41, 52, 60, 78, 88-90, 96, 113-115, 123-125, 135, 137, 143-148, 151-153, 157, 160, 162, 167, 170-178, 182, 188-204, 207-212, 215, 217, 219-221, 223-235, 239-241, 243, 245- 253, 257-259, 261, 273-274, 276 Joan Margarit i Pau 217 Johann I. von Kastilien 97 Johann II. von Aragon 242 Johann II. von Kastilien 45, 58, 61, 77, 80, 82, 85, 87, 89-92, 184, 241 Johann II. von Portugal 112 Johanna von Kastilien 129, 242 Johannes (Evangelist) 39, 125, 139, 152, 229, 246, 249-251, 257, 260 Johannes Chrysostomos 133, 165-166 José de Sigüenza 226 Josef (AT) 210 Josef (NT) 191 Josef Albo 191 Josua ha-Lorqi → Jerónimo de Santa Fé Juan de Corrales 180, 266 Juan de Lucena 23, 45, 50, 62, 120 Juan de Mena 62, 120 Juan de Segovia 62 Juan de Torquemada 15, 17-19, 21, 25, 27-28, 33, 53, 79, 83-86, 120, 127-128, 130-131, 143, 147, 159, 165-166, 175, 194-196, 200, 208, 210, 221, 231, 237, 239, 241, 244, 246, 258-261 Juan el Viejo 60 Juda (AT) 194, 198-199, 240

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Julius II. (Papst) 105, 116 Julius III. (Papst) 122 Justinian (Kaiser) 168 Kain (AT) 142 Karl I. von Spanien (Karl V.) 121-122, 267 Katharina von Siena 170 Korach (AT) 142-143 Lentulus 40 Leo I. (Papst) 166 Leonora Díaz de Palma 98 Levi (AT) 186, 191, 198 Lope de Barrientos 15, 17, 26, 34, 50, 77, 81-82, 92-94, 107, 126-128, 131, 144, 159, 164, 166, 174-175, 191, 193, 197, 205, 214, 222, 229 Luis de Valladolid 83 Lukas (Evangelist) 41, 188, 190-191, 198-199 Magog (AT) 216, 234 Manuel I. von Portugal 119 Marcos García de Mora (de Mazarambroz) 33, 57, 63, 76, 81, 84-86, 88, 144-145, 148, 169, 172, 210, 266 Maria (NT) 188-189, 191-194, 196, 200-201 Maria de Valera 91 Maria Magdalena (NT) 99 Markus (Evangelist) 228, 230 Martin Luther 5 Martín Trilles 66 Martin V. (Papst) 87 Matthäus (Evangelist) 40-41, 123, 125, 144, 188, 190, 196, 198-199, 227-232, 236 Melchisedek 152 Mohammed 149, 215 Mose (AT) 18, 59, 146, 149, 162, 200, 208, 212, 225, 250, 252 Nebukadnezar II. 171 Nicolao Franco 109 Nicolau Eimeric 141 Nicolaus de Tudeschis 168 Nikolaus V. (Papst) 53, 82, 84-85, 89-90, 255-256 Nikolaus von Lyra 239, 246 Noach (AT) 203, 214, 216-217, 225-226, 233 Oldradus de Ponte 236 Origenes 141, 198

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Pablo de Heredia 60, 66 Pablo de Santa María (Salomon ha-Levi) 21, 35, 50, 60, 67, 86-87, 107, 178, 186, 189, 207, 236 Paul II. (Papst) 90 Paulus (NT) 12, 18, 20-22, 40-41, 45, 51, 124-125, 139, 147, 149, 152, 168, 172, 182, 202-203, 205, 207-211, 217-221, 223-229, 233, 235-238, 240, 243, 249-250, 252-253, 255-257, 259-261, 264, 266, 274 Pedro de la Cavallería 59, 66, 95, 197, 212 Pedro de Valencia 23 Pedro Díaz de Toledo 51, 80 Pedro Díaz de Toledo y Ovalle 80 Pedro Fernández de Solís 62 Pedro González de Mendoza 62, 104, 114, 127, 130, 254 Pedro Pascual 146 Pelagius 141 Pere Miquel Carbonell 109 Pero Sarmiento 76-77, 79, 84, 86, 89 Peter von Kastilien 184 Petrus (NT) 176, 188, 201, 242 Petrus Lombardus 223 Philipp II. von Spanien 267 Pius II. (Papst) 90, 96 Rahab (AT) 196-197, 200 Ramón Llull 146, 187 Ramón Martí 146 Rebekka (AT) 201, 206-207 Robert Grosseteste 171 Roderic de Borja → Alexander IV. (Papst) Roderich 159 Rodrigo de Orense 104, 131 Rodrigo Manrique 265 Rodrigo Sánchez de Arévalo 62, 254-255 Rui de Pina 49, 112 Rupert von Deutz 189 Rut (AT) 196-197, 200 Salomo (AT) 198 Salomon ha-Levi → Pablo de Santa María Salomon Ibn Verga 171 Sara (AT) 201-203, 207, 212, 214, 276 Sebastian I. von Portugal 267 Sem (AT) 233 Seneca, Lucius Annaeus 24, 140 Simon Magus (NT) 141 Sixtus IV. (Papst) 101, 109, 111 Tamar (AT) 199 Teresa de Cartagena 52-53. 235 Titus 147-148, 172, 217 Thomas von Aquin 19, 133, 189

Tomás de Torquemada 35 Tubal (AT) 203

Zacharias (NT) 191

Vicente Ferrer 66, 73, 146, 189 Vespasian 172

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