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German Pages 160 Year 2002
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Die Bibliotheca Albertina in Leipzig Festschrift zum Abschluss des Wiederaufbaus im Jahre 2002
Herausgegeben von Ekkehard Henschke
K - G - S a u r München 2002
Umschlagbild: Haupteingang der Bibliotheca Albertina [Mauser] Vorsatzbild: Grundriss der Hauptnutzungsebene (2. OG) [HJW] Frontispiz: Haupttreppe der Bibliotheca Albertina [Fischer]
Die Deutsche Bibliothek - CIP-Einheitsaufnahme Die Bibliotheca Albertina in Leipzig: Festschrift zum Abschluss des Wiederaufbaus im Jahre 2002 / hrsg. von Ekkehard Henschke. - München : Säur, 2002 ISBN 3-598-11623-3
Gedruckt auf säurefreiem Papier Aller Rechte vorbehalten / All Rights Strictly Reserved K.G. Säur Verlag GmbH, München Printed in the Federal Republic of Germany Jede Art der Vervielfältigung ohne Erlaubnis des Verlages ist unzulässig Sät/.: Dr. Rainer Ostermann, München Druck/ Binden: Strauss Offsetdruck, Mörlenbach ISBN 3-598-11623-3
Inhalt Ministerpräsident Prof. Milbradt Grußwort
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Rektor Prof. Bigl Vorwort
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Ekkehard Henschke Von der Forschungsbibliothek zur modernen Universitätsbibliothek
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Peter König Zur Vorgeschichte des Bibliotheksbaus von Arwed Roßbach
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Thomas Topfstedt Der Neubau der Bibliotheca Albertina im späten 19. Jahrhundert
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Claudia-Leonore Täschner Die bauliche Entwicklung der Bibliotheca Albertina, ihre Zerstörung und ihr Wiederaufbau
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Uwe Voigtländer Der Freistaat Sachsen baut - der Wiederaufbau der Bibliotheca Albertina in Leipzig
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Rene Herwig, Michael Jaenisch, Jörg Liebscher, Ronald Börner Ästhetik und Funktionalität - Wiederaufbau und Erweiterung der Universitätsbibliothek Leipzig
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Wolfgang Engel und Peter Gutjahr-Löser Der Wiederaufbau der Bibliotheca Albertina als „Maßnahme im Rahmen des Hochschulbauförderungsgesetzes"
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Kapazitätsentwicklung der Bibliotheca Albertina (1891-2002)
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Literaturhinweise
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Verzeichnis der Abbildungen und Pläne
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Abbildungen Nr. 23-54
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Zu den Autoren Ronald Börner, Oberbauleiter in der Firma HJW + Partner, Hannover, Leipzig, Brüssel, Paris Wolfgang Engel, Leiter des Dezernats Hochschulplanung und Statistik in der Universität Leipzig Peter Gutjahr-Löser, Kanzler der Universität Leipzig Ekkehard Henschke, Dr., Direktor der Universitätsbibliothek Leipzig Rene Herwig, Inhaber der Firma HJW + Partner, Hannover, Leipzig, Brüssel, Paris Michael Jaenisch, Dr., Inhaber der Firma HJW + Partner, Hannover, Leipzig, Brüssel, Paris Peter König, Leiter des Bereichs Buchbearbeitung in der Universitätsbibliothek Leipzig Jörg Liebscher, Projektleiter in der Firma HJW + Partner, Hannover, Leipzig, Brüssel, Paris Claudia-Leonore Täschner, Leiterin des Bereichs Benutzung und Baureferentin in der Universitätsbibliothek Leipzig Thomas Topfstedt, Prof. Dr., Professor für Kunstgeschichte, Institut für Kunstgeschichte der Universität Leipzig Uwe Voigtländer, Sachbearbeiter H 3 im Staatlichen Vermögens- und Hochbauamt Leipzig
Grußwort Bibliotheken sind Gedächtnismetaphern: Mit ihren Büchern speichern sie Unmengen an Wissen -ähnlich, wie wir Menschen über lange Zeit hinweg sammeln, was uns bewegt. Wer in der Bibliothek ein Buch aus dem Regal nimmt, aktiviert einen Teil dieses Wissensbestandes. Bezogen auf das kollektive Gedächtnis von uns Menschen heißt das: Von den vielen Erfahrungen vergangener Jahrhunderte können wir uns für einen Moment einer konkreten Sache bewusst werden - wir erinnern uns. Solche Gedankenspiele sind spannend. Vielleicht lässt sich auch der eine oder andere Nutzer der Bibliotheca Albertina darauf ein. Diese Bibliothek ist ebenfalls ein riesiger Wissensspeicher mit jahrhundertealter Tradition. In den vergangenen zehn Jahren wurde das Gebäude rekonstruiert und erweitert. Nun verfügt die Leipziger Universität wieder über eine Hauptbibliothek, die zugleich Zentralbibliothek für die Geisteswissenschaften ist. Die Stadt Leipzig hat damit ein so repräsentatives wie funktionales Bibliotheksgebäude zurückgewonnen. Die folgenden Beiträge der Festschrift für die Bibliotheca Albertina stammen von unterschiedlichen Autoren. Sie zeichnen ihren Bau sowie ihre Geschichte detailliert nach. Sie machen neugierig auf das Haus, laden ein zum Studieren und Bücherstöbern im renovierten Lesesaal. Der Bibliotheca Albertina wünsche ich, dass sie ein Ort des Forschens und Lernens bleibt. Ich bin sicher, dass nicht nur Studenten und Professoren ihrem Wissen nachspüren und ihren Gedächtnisspeicher dazu bringen, Erinnerungsstücke freizugeben. Prof. Dr. Georg Milbradt Ministerpräsident des Freistaates Sachsen
Vorwort
In wenigen Jahren wird die Universität Leipzig ihr 600-jähriges Bestehen feiern. Mit der Neugestaltung ihres Zentrums am Augustusplatz und anderen Bauvorhaben will die Universität Leipzig aus diesem Anlass auch in ihren Bauten bewusst an ihre großen Traditionen anknüpfen. Während die geplanten neuen Universitätsbauten am Augustusplatz noch in der Öffentlichkeit lebhaft diskutiert werden, konnten zwei große Vorhaben im sogenannten Musikviertel bereits abgeschlossen werden: Das im Krieg zerstörte und seit 1992 wieder aufgebaute Hauptgebäude unserer Universitätsbibliothek, der Bibliotheca Albertina, und der gegenüber liegende Neubau Geisteswissenschaften stehen seit diesem Jahr den Nutzern bzw. den Wissenschaftlern und Studenten zur Verfügung. Die Geisteswissenschaften, die bis zur Zerstörung der Universitätsbauten am Augustusplatz durch die Bomben des 2. Weltkrieges und die Sprengkommandos des Jahres 1968 hier ihre Heimstatt hatten, sind damit gleichsam der Universitätsbibliothek hinterhergezogen, die 1891 hier einen prachtvollen Neubau errichtet bekommen hatte und aus dem zentralen Universitätskomplex am Augustusplatz ausgegliedert wurde. Noch 1919 beklagte Franz Studniczka in seiner „Baugeschichte der Universität" diese „Abwanderung" der Universitätsbibliothek, „die doch bei dem Bücherreichtum der naturwissenschaftlichen Institute vorwiegend den Geisteswissenschaften zu dienen hat". Die 1 1 1 Jahre der Bibliotheca Albertina in der Beethovenstraße, genannt nach dem damaligen sächsischen König Albert, spiegeln nicht nur wie das in unmittelbarer Nähe gelegene Gebäude des ehemaligen Reichsgerichts - jetzt Bundesverwaltungsgericht - deutsche Geschichte wider, sondern auch die wechselvolle Geschichte der Universität und ihrer Bauten. Als am 24. Oktober 1891 die neue Bibliothek feierlich eingeweiht wurde, vermeldete die Abend-Ausgabe der Leipziger Zeitung: „Vormittag 11 Uhr versammelte sich der akademische Lehrkörper unserer Universität, an seiner Spitze der Rector Magnificus Hr. Geh. Hofrath Professor Dr. Binding, im Erdgeschoß des Bibliotheksgebäudes, in einem prächtig decorirten Räume, der eine stattliche, hochansehnliche Corona in sich sah. In der Mitte der Versammlung erschien Se. Excellenz der Hr. Staats- und Cultusminister Dr. v. Gerber, sowie Hr. Geheimrath Petzoldt-Dresden. Außerdem wohnten dem feierlichen Acte die Spitzen der Reichs-, Staats- und Stadtbehörden, sowie eine Reihe illustrer Persönlichkeiten Leipzigs als Ehrengäste bei." Mein damaliger Vorgänger im Amt, der Professor des Straf- und Staatsrechts, Prof. Dr. Karl Binding, weihte in seiner Rede das Haus „dem Dienste der Wahrheit" und fuhr fort: „Helles Licht lebt in diesen schönen Räumen, ,mehr Licht', das werde der Wahlspruch dieses Hauses." Angesichts des in alter Pracht wieder
Vorwort
entstandenen, von Licht durchfluteten Gebäudes kann ich mich diesen Worten gut anschließen. Für mehr als ein halbes Jahrhundert aber lag das Haus, nachdem es zu zwei Dritteln zerstört worden war, eher im Schatten. Als Halbruine wurde es nur notdürftig gesichert und konnte nicht wieder aufgebaut werden. Benutzer wie Mitarbeiter arbeiteten im verbliebenen Gebäuderest unter heute kaum noch vorstellbaren Bedingungen. Erst nach der politischen Wende 1989/1990 war den vielfältigen Bemühungen, einen Wiederaufbau zu erreichen, dank der Unterstützung der Regierung des Freistaates Sachsen und der finanziellen Beteiligung des Bundes Erfolg beschieden. Die zehn Jahre des Wiederaufbaus (1992) der Bibliotheca Albertina waren wohl für die meisten der daran Beteiligten eine zwar nicht selten mühsame, letztlich aber doch unvergessliche Erfolgsgeschichte. Neben dem Bund und dem Freistaat Sachsen bleibt allen Mitwirkenden zu danken, den Architekten, den Bauleuten, den Mitarbeitern des Leipziger Staatshochbauamtes und der Universitätsverwaltung. Nicht zuletzt ist aber vor allem den Mitarbeitern der Universitätsbibliothek selbst für ihr Engagement zu danken. Für den Freistaat Sachsen stellt die wieder erstandene Universitätsbibliothek ein weiteres Glanzlicht des Hochschulbaus dar. Für die Stadt Leipzig, die Bürger, Gäste und Besucher der Stadt entstand mit dem Wiederaufbau der „alten" Bibliotheca Albertina ein städtebaulich-architektonisches Juwel und ein Kulturdenkmal, das viele in seinen Bann ziehen wird. Für die Universität Leipzig steht die Bibliotheca Albertina als begreifbares Stück aus der Blütezeit ihrer großen Geschichte und als ein Teil ihres Selbstverständnisses. Und durch die wunderbare Kombination von alter Gebäudestruktur und modernster Bibliothekstechnik gewährt sie - endlich! - nicht nur die Funktionsfähigkeit ihrer Hauptbibliothek und wird damit wieder zum zentralen Ort wissenschaftlicher Arbeit und Kommunikation, sondern bietet auch Raum, die Buchschätze, Handschriften und Sondersammlungen der Universität als kulturelles Gedächtnis der Öffentlichkeit zugängig zu machen Den Bibliothekarinnen und Bibliothekaren danke ich dafür, dass sie in den schwierigen Zeiten der Zerstörung und des Verfalls diesem Gebäude die Treue gehalten und in den zehn Jahren des Wiederaufbaus bei laufendem Bibliotheksbetrieb mit Engagement aber auch mit Geduld und Umsicht die damit verbundenen Belastungen und Herausforderungen gemeistert haben. Prof. Dr. Volker Bigl Rektor der Universität Leipzig
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Ekkehard Henschke
Von der Forschungsbibliothek zur modernen Universitätsbibliothek /. Vorbemerkungen Nicht nur Bücher, sondern auch Gebäude haben ihre Geschichte. Dies gilt in besonderem Maße von der Bibliotheca Albertina, der Hauptbibliothek der Universitätsbibliothek Leipzig, einem Gebäude, das in den vergangenen 60 Jahren von Zerstörung, Verfall und Wiederaufbau geprägt wurde. In den folgenden Beiträgen von Peter König und Claudia-Leonore Täschner wird ein weiter zeitlicher und inhaltlicher Bogen gespannt: Von den Anfangen dieser Universitätsbibliothek, die als Kind der Reformation im Jahre 1543 gegründet wurde, über ihr Aufblühen im 19.Jahrhundert mit dem großen Neubau von 1891, dessen notwendige Kapazitätserweiterungen in den 1920er Jahren, aber auch dessen weitgehende Zerstörung im Zweiten Weltkrieg und Stagnation in der DDR-Zeit. Es ist bei der Geschichte dieses Gebäudes kein Wunder, dass auch die Beiträge von Thomas Topfstedt, Uwe Voigtländer, Rene Herwig, Wolfgang Engel und Peter Gutjahr-Löser darauf eingehen. Erst mit der politischen Wende von 1989/90 hatte die Stagnation ein Ende. Nach Bausicherungsarbeiten wurde im Jahre 1992 mit dem Wiederaufbau begonnen, der nach zehn Jahren in diesem Jahr 2002 vollendet wurde. Dieses Jahrzehnt erlebten die Bibliothekarinnen und Bibliothekare der gesamten Universitätsbibliothek Leipzig, die der Hauptbibliothek und der Zweigstellen, als eine Zeit des starken organisatorischen und technischen Wandels inmitten einer sich reformierenden alten Universität. 1 Das gleichzeitige Bauen und bibliothekarische Arbeiten in diesem Gebäude verlangte allen Beteiligten - auch den Benutzern - viel ab. Der Aufsatz von Claudia-Leonore Täschner, der Baureferentin und Benutzungschefin der Bibliotheca Albertina, legt beredtes Zeugnis darüber ab. Die Beiträge der Architekten und Verwaltungsfachleute lassen dagegen die technischen und organisatorischen Schwierigkeiten nur vermuten. Die lange Vorgeschichte dieses wieder erstandenen Gebäudes ist uns Zeitgenossen deswegen ein Trost, als in den Beiträgen von König und Täschner auch deutlich wird, mit welcher Geduld, ja Hartnäckigkeit Generationen von Bibliothe'
Henschke, Ekkehard: Die wissenschaftlichen Bibliotheken im Translbrmationspro/ess der neuen Bundesländer. In: Bibliothek als Lebcnselixicr. Festschrift für Gottfried Rost /um 65. Geburtstag. Hrsg. von Johannes Jacobi und Erika Trögcr. Leip/.ig u.a. 1996. S. 35-46.
Ekkehard Henschke
karen den ursprünglichen Bau der Bibliotheca Albertina, dann dessen Erweiterung und - nach dem Zweiten Weltkrieg leider vergeblich - dessen Wiederaufbau betrieben haben. Hier seien die Namen der Bibliotheksdirektoren Ludolf Krehl (l 8741892), Otto Glauning (1921-1937) und Dietmar Debes (1990-1992) genannt.
2. Die ursprüngliche bibliothekarische Konzeption der Bibliotheca Albertina nach der Planung und den Beschreibungen von 1891 In den dreieinhalb Jahrhunderten nach der Gründung von 1543 war die Universitätsbibliothek mit ihren Beständen im säkularisierten Dominikanerkloster von St. Pauli zu Leipzig (Bibliotheca Paulina) untergebracht.2 Die ersten Räume der Universitätsbibliothek Leipzig lagen also in einem ehemaligen Kloster und entsprachen am ehesten einer kleinen Saalbibliothek, wie sie Jahrhunderte lang in Europa seit dem Bau der Bibliothek des Escorial bei Madrid (1567 gebaut und 1593 eingerichtet mit einer Länge von 54 m und Breite von 10 m) üblich war." „Die Aufstellung der Bücher nahm äußerlich den Weg von den im Saale querstehenden Pulten - hier bis gegen 1700 - über die Wandschränke zu den Holzregalen und dazu schließlich Eisengestellen, innerlich den der sachlichen Bestimmtheit, wo der Inhalt der Werke die Richtschnur abgab und es vom Vier-Fakultäten Schema zu großen fachlichen Gruppen und zur systematischen Aufgliederung ging, abhängig von den Realkatalogen, - bis nach Ablauf des Jahres 1939 aus ökonomischen Gründen die laufende Nummerierung (mit Beibehaltung der Formattrennung) zum Maßstabe wurde."4 In den 1830er und 1840er Jahren mussten und konnten weitere Flächen, z.T. durch Aufsetzung eines zweiten Stockwerks, hinzugewonnen werden. Erst um 1711 wurde die Universitätsbibliothek auch der Öffentlichkeit zugänglich gemacht, als man sie für jeweils zwei Stunden an zwei Wochentagen öffnete. Seit 1784 durfte sie an allen Tagen der Leipziger Messen betreten werden. Erst mit der Fertigstellung des Neubaus von 1891 wurde auch die tägliche Öffnung eingeführt. Dagegen sind Ausleihen von Büchern aus der Universitätsbibliothek schon früh bezeugt. " Zur Geschichte der Universitätsbibliothek seit ihren Anfängen siehe Loh, Gerhard: Geschichte der Universitätsbibliothek Leipzig von 1543 bis 1832. Leipzig 1987 (Beiheft 96 zum Zentralblatt für Bibliothekswesen). 3 Vgl. Fuhlrott, Rolf: Geschichtliche Entwicklung der Innenausstattung von Bibliotheken. In: Bibliotheken bauen und führen. Eine internationale Festgabe für Franz Kroller zum 60. Geburtstag. Hrsg. von Sigrid Reinitzer. München u.a. 1983, S. 104. 4 Leyh, Georg: Vier Jahrhunderte Universitätsbibliothek Leipzig. In: Zentralblatt für Bibliothekswesen, 60,1943, S. 273-274. Ley, a.a.O., 1943, S.274. - Allerdings beschwerte sich lt. Benutzerbuch der Universitätsbibliothek ein Verlagsbuchhändler im Jahre 1896 - also wenige Jahre nach Bezug des Neu-
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Von der Forschungsbibliothek zur modernen Universitätsbibliothek
Dem steten Zugang an Büchern in der zweiten Hälfte des 19 Jahrhunderts war das alte Gebäude in der Stadtmitte von Leipzig nicht mehr gewachsen.6 Am Ende einer quälend langen Suche nach einem Bauplatz wurde ein Areal gefunden, auf dem etwa 2,5 km entfernt vom Stadt- und Universitätsmittelpunkt die neue Universitätsbibliothek nach den Plänen Arwed Rossbachs entstand. Die ursprüngliche Konzeption der Bibliotheca Albertina sah an erster Stelle ein repräsentatives Gebäude und erst an zweiter Stelle eine funktionale Forschungsbibliothek vor. Die bibliothekarische Konzeption mit frei stehenden Regalen, wie sie in den 1880er Jahren für diesen Bibliotheksneubau angedacht wurde, entsprach nicht ganz dem zeitgenössischen Denken. Damals war die Saalbibliothek noch die Regel, die meist mit großen Magazinen mit Bücherregalen als Konstruktionselementen ausgestattet war. Dagegen ist die architektonische Konzeption durchaus als ein Kind der damaligen Zeit zu bezeichnen. Auch die Bibliotheca Albertina erhielt den im 19. Jahrhundert weit verbreiteten Kuppellesesaal sowie zwei offene Innenhöfe. Die British Library mit ihrem kreisrunden Hauptlesesaal (1857 eröffnet o mit einer Höhe von 32,30 m und einem Durchmesser von 42,60 m) diente als Vorbild. Die Neo-Renaissance-Fassade der Bibliotheca Albertina mit Statuen in den Nischen und einem von antiken Köpfen bekrönten Portal sowie der großzügige Treppenaufgang sind durchaus als Beispiele damaliger Herrschaftsarchitektur zu betrachten. Die Attika des Portals trägt bis heute die verpflichtende Inschrift: SCIENTIARUM ET ARTIUM LIBERALIUM STUDIO LIPSIENSI SACRUM AUSPICIIS ALBERTI REGIS ANNO DOMINI MDCCCXCI.
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baus von 1891 - in den Lcip/.iger Neuesten Nachrichten heftig, class er als Externer eine Bürgschaft eines Universitätsprofcssors oder eines Hausbesit/ers oder einer sonstigen bekannten Persönlichkeit benötigte, um Bücher ausleihen xu können. Zur Bestandsgeschichte: Henschke, Ekkchard: Littera scripta manet! - Bleibt aber Geschriebenes? Zur Bestandsgeschichte der Universitätsbibliothek Leip/ig. In: Ordnung und System. Festschrift /.um 60. Geburtstag von Hermann Joseph Dörpinghaus. Hrsg. von Gisela Weber. Weinheim u.a. 1997, S. 377 IT.; ausführlich: Dcbcs, Dietmar: Leipzig 2. Universitätsbibliothek. In: Handbuch der historischen Buchbestände in Deutschland, Bd. 18 (Sachsen l-/). Hildesheim u.a. 1997, S. 36-162 (mit weiteren Literaturangaben). Fuhlrott. a.a.O., 1983. S. 107. Crass, Hanns Michael: Bibliotheksbauten des 19. Jahrhunderts in Deutschland. München 1976, S. 31 ff.
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Ekkehard Henschke
Bei der Ausführung des 1891 fertig gestellten Gebäudes, das den Namen des damaligen sächsischen Königs Albert bis heute trägt, wurde nicht mit wertvollen Materialien für die Natursteinfassade und Marmor für die Treppe und Säulen der Eingangshalle gespart. Die für damalige Verhältnisse große Bibliotheca Albertina wies eine Kapazität für rund 800.000 Bände in zumeist geschlossenen Magazinen und 167 Leseplätze auf.
3. Vom alten zum neuen Roßbach-Bau Das Problem der Entfernung vom Zentrum und das der stark wachsenden Bestände beherrschte von 1891 an die Überlegungen der Bibliothekare. Es war eine Zeit der Prosperität - trotz des Ersten Weltkrieges und der Inflationszeit. 4.895.000
1550 1700 1750 1831 1875 1900 1942 1966 1975 1988 1992 1996 2000 2001
Abbildung l: Bestandsentwicklung der Universitätsbibliothek Leip/.ig 1550-2001
Die Überlegungen führten sowohl zu einer Erweiterung in den 1920er Jahren als auch zu einem Ableger der Universitätsbibliothek am Augustusplatz, wo sich nach wie vor das Zentrum der Universität befand. Der Prosperität folgte der Niedergang der Universitätsbibliothek, zunächst als Folge der kriegsbedingten Auslagerung von Beständen (die dadurch überlebten) und dann am Ende des Zweiten Weltkrieges die Katastrophe durch die weitgehende Zerstörung des Gebäudes. Die Auslagerungen und die Notlösungen, die der Sicherung des verbliebenen Gebäudes dienten, hatten erhebliche Nebenwirkungen. Umfangreiche Bestände
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Von der Forschungsbibliothek zur modernen Universitätsbibliothek
erlitten Feuchtigkeits- und damit Schimmelschäden, die bis zum heutigen Tage behandelt werden müssen. Vor diesem Hintergrund ist die Aufgabe zu sehen, vor der sich die Architekten und Bibliothekare im Jahre 1990 sahen, als plötzlich die Planungsmittel für den Wiederaufbau dieses stark zerstörten und nur teilweise funktionsfähigen Gebäudes zur Verfügung standen. Aus den anfänglichen Planungsmitteln wurden innerhalb kurzer Zeit reale Wiederaufbaumittel, die anteilig der Bund und der Freistaat Sachsen zur Verfügung stellten. Was folgte, war ein bis zum Jahre 2002 laufender Prozess des gemeinsamen Planens und auch der Korrekturen bei der Durchführung des Wiederaufbaus. Dieser lief in drei, z.T. sich überlappenden Bauabschnitten ab. Dadurch waren Architekten und Bibliothekare in der Lage, diesem Gebäude ein - ihrer Meinung nach - Optimum an Funktionalität und Ästhetik zu geben. Und es sollte auch den Ansprüchen des 21. Jahrhunderts genügen. Dabei spielten die Auflagen, die der Wissenschaftsrat Anfang der 1990er Jahre machte ebenso eine Rolle wie die Kapazitätsberechnungen der Universität und die Erkenntnisse, die die Architekten von HJW und die Bibliothekare auf Reisen zu anderen Bibliotheken (z.B. in den Niederlanden) sowie aus dem Studium der Pläne von mehr als 40 Bibliotheksbauten gewannen. Die Empfehlungen des Wissenschaftsrates, die universitäre Planung und die Überlegungen der Bibliothekare selbst führten zu einer grundsätzlichen Veränderung der Planung Anfang der 1990er Jahre: Weg von der Forschungsbibliothek mit relativ geringen Benutzerplätzen und frei zugänglichen Buchbeständen sowie sehr großen geschlossenen Magazinen, hin zur modernen Gebrauchsbibliothek mit einer großen Zahl von Benutzerplätzen, großen Freihandbereichcn und Magazinbereichen mit Kompaktanlagen. Beide Teile, Architekten und Bibliothekare, gingen im wesentlichen von folgenden Grundüberlegungen aus: - Wiederaufbau der Bibliotheca Albertina unter Berücksichtigung der Denkmalschutzauflagen, um ein Leipziger Baudenkmal inmitten eines größeren Ensembles adäquat zu bewahren. - Demokratisierung eines Beispiels von Herrschaftsarchitektur, was durch möglichst große Transparenz, viel Licht und leichte Zugänglichkeit erreicht werden sollte.
Hcnschkc, Ekkehard: Bibliotheksbau und Bestandserhaltung: Das Beispiel der Universitätsbibliothek Leipzig. In: Geschichte, Gegenwart und Zukunft der Bibliothek. Festschrift für Konrad Marwinski /um 65. Geburtstag. Hrsg. von Dorothee Reißmann. München 2000. S. 85 ff. - Eine große Überraschung stellte der Fund von mehreren weitgehend /.erstörten Thora-Rollen dar, die im Frühjahr 1998 beim Abriss der Haupttreppe gefunden wurden: vgl. Lcip/iger Volkszeitung vom 14./15.02.1998 sowie unter Voigtländer, Uwe: Der Freistaat baut..., S. 75-92 und Abbildung 39. S. 148.
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Ekkehard Henschke
- Aufbau einer modernen Gebrauchsbibliothek inmitten eines vernetzten Bibliothekssystems, die a) sowohl den zeitgemäßen Benutzeransprüchen auf große systematisch aufgestellte Freihandbestände entsprechen als auch b) ein den Bedürfnissen einer großen Universität entsprechendes Angebot an differenzierten Benutzerplätzen bereitstellen und zugleich c) mit neuen Medien und Technologien das veränderte Informations- und Kommunikationsverhalten der Studierenden und Wissenschaftler berücksichtigen sollte. Bei dem Wiederaufbau der Bibliotheca Albertina hatte man nicht den „total flexiblen Bibliotheksbau der 60er oder 70er Jahre" im Auge. 10 Diese Flexibilität erlaubte schon die Grundstruktur des Gebäudes nicht. Gleichwohl dürften die grundsätzlichen Forderungen für den modernen Bibliotheksbau erfüllt worden sein: 1) Es wurden - über drei Geschosse verteilt mit dem zweiten Obergeschoss als Hauptbenutzungsebene - große klimatisierte Buch- und Lesebereiche mit systematisch aufgestellten Präsenz- und Ausleihbeständen (Kapazität für über 400.000 Bände) und über 750, z.T. differenziert ausgestatteten Benutzerplätzen geschaffen. Diese befinden sich sowohl in dem großen alten Lesesaal, dem Westinnenhof und z.T. in dem Ostinnenhof als den klassischen Lesesälen, aber auch in den fensternahen, von Regalen eingerahmten „heimeligen" kleinen Lesezonen. Neben einigen wenigen Carrels konnten in drei Eckgebäudeteilen halbgeschlossene Gruppenarbeitsräume geschaffen und so dem Kommunikationsbedürfnis der Lernenden Rechnung getragen werden. Für die Sondersammlungen konnten im vierten Obergeschoss großzügige Lese-, Mitarbeiter- und Magazinflächen geschaffen werden. 2) Es wurden in den geschlossenen Magazinen Buchbereiche geschaffen, die erstmals in der Geschichte dieses Gebäudes klimatisiert und - soweit es die Statik erlaubte - auch mit handbetriebenen Kompaktanlagen ausgestattet wurden. Die wertvollsten Bestände konnten in einem besonders gesicherten und klimatisierten Tresorraum untergebracht werden. 3) Für die Mitarbeiter wurden nichtklimatisierte Räume geschaffen, die das Arbeiten in kleinen Gruppen ebenso wie die Kommunikation in einem großen Beratungsraum, einem Schulungsraum mit EDV-Technik und einem großen Sozialraum gestatten. Da die Mitarbeiterräume nicht auf einer Ebene untergebracht werden konnten, wurde pro Geschoss mindestens eine Teeküche installiert. 4) Der innerbetrieblichen Kommunikation innerhalb der Bibliotheca Albertina, aber auch mit den daran hängenden 40 Zweigstellen, dienen die elektronische Post (Mails) ebenso wie die bibliotheksinternen Seiten der Homepage. Für den Transport innerhalb des Gebäudes stehen eine Kleinförderanlage mit einem „Hauptbahnhof' bei der Ortsleihe und zahlreichen kleinen „Bahnhöfen" an wichtigen 1(1
Vgl. Mittler, Elmar: Die Bibliothek der Zukunft. In: Bibliothek. Forschung und Praxis, Jg. 20, 1996, S. 259ff.
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Von der Forschiingsbibliolhek zur modernen Universitätsbibliothek
Punkten des internen Betriebes sowie drei Personen- und Lastenaufzüge zur Verfügung. 5) Der Kommunikation im frei zugänglichen Bereich dient zum einen eine Cafeteria im Erdgeschoss mit angeschlossenem Lesecafe, zum anderen der kleine, aber feine Ausstellungsraum im Kellergeschoss. Zum dritten wird die allgemeine Öffentlichkeit durch Veranstaltungen im Vortragsraum im zweiten Obergeschoss mit kleinen davor gelegenen Sitzgruppen in die Bibliothek geholt. Die gläserne Schwingtür, durch die der vor dem Gebäude Stehende das Treppenhaus" betrachten kann, lädt zum Betreten des Gebäudes ein. Anders als im ursprünglichen Gebäude wurden also im wieder errichteten Gebäude Buch und Leser bewusst zusammen geführt. Da dafür die Hauptbenutzungsebene, das zweite Obergeschoss, nicht ausreichte, um entsprechend den Auflagen des Wissenschaftsrates die Regalkapazitäten und Benutzerplätze zur Verfügung zu stellen, wurden auch Teile jener Magazinbereiche im 1. und 3. Obergeschoss geöffnet, die in der Anfangsplanung geschlossen bleiben sollten. Das 4. Obergeschoss nahm die Masse der bibliothekarischen Arbeitsräume für die Erwerbung, Erschließung, die Verwaltung, die EDV-Mannschaft sowie die Direktion auf. Die geforderten zusätzlichen Kapazitäten wurden im wesentlichen dadurch gewonnen, dass die beiden bisher offenen Innenhöfe bebaut und transparent überdacht und in die Hauptbenutzungsebene des 2. Obergeschosses einbezogen wurden.
4. Die Bibliotheca Albertina im Bibliothekssystem der Universität Leipzig Die Universitätsbibliothek Leipzig ist als einschichtiges Bibliothekssystem konzipiert und besteht derzeit aus der Bibliotheca Albertina, 40 Zweigstellen mit einer Reihe Nebenstandorten und zwei Außenmagazinen. 12 Sie weist einen Gesamtbestand von rund 5 Millionen Bänden auf und bedient ihre rund 40.000 aktiven Benutzer mit konventionellen Medien und einer wachsenden Zahl elektronischer Medien und Dienstleistungen. Die Klientel setzt sich sowohl aus den Studierenden (z.Zt. rund 26.000) und Wissenschaftlern dieser Universität (gegründet 1409) als auch aus den wissenschaftlich Interessierten der Region zusammen. In dieses Bibliothekssystem sind seit 1990 die Bibliotheksbestände ehemals selbständiger Hochschulen eingeflossen: der Deutschen Hochschule für Körperkultur, der Handelshochschule, der Pädagogischen Hochschule mit der ComeniusBücherei, der Theater-Hochschule sowie - als Dauerleihgabe - der Kirchlichen Hochschule Leipzig. 1
' Die mächtige metallbewehrte Außentür ist nur nachts und bei großer Kälte geschlossen. Zum Treppenhaus mit der Verwendung von Marmor siehe Lachmann. Harald: Marmorpracht um alte Bücher. In: Naturstein, Ausg. K), 2000. S. 26-29. 12 Näheres auf der Homepage: www.ub.uni-leip/ig.de
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Zahlreiche Gelehrtenbibliotheken konnten per Geschenk oder Kauf gewonnen werden. Umfangreiche finanzielle Mittel standen bis einschließlich 2002 für die Schließung der großen Bestandslücken zur Verfügung, die in der DDR-Zeit entstanden waren. Der Mittelpunkt dieses stark dezentralisierten Bibliothekssystems ist die Bibliotheca Albertina. Sie fungiert sowohl als Hauptbibliothek als auch als geisteswissenschaftliche Zentralbibliothek und Archivbibliothek für das gesamte System. Ihre geschlossenen Magazine haben eine Kapazität für 3,2 Millionen Bände. Die Freihandbereiche und der große Lesesaal der Hauptbibliothek weisen eine Kapazität für etwa 400.000 Bände auf, die für folgende Fächer der geisteswissenschaftlichen Zentralbibliothek bestimmt sind: - Geschichtswissenschaft - Alte und neue Sprach- und Literaturwissenschaften - Philosophie und Wissenschaftstheorie - Politikwissenschaft - Soziologie - Afrikanistik - Kulturwissenschaften Entsprechend ihrem Auftrag als Hauptbibliothek mit zentralen bibliothekarischen Einrichtungen (u.a. Restaurierungswerkstatt und Fotostelle) ist sie als zentrale Referenzbibliothek tätig und stellt zusätzlich bereit: Bibliographien und allgemeine Nachschlagewerke sowie - in Absprache mit den Zweigstellen allgemeine Literatur zu den Naturwissenschaften, zur Technik und Medizin, - zu den Rechts- und Wirtschaftswissenschaften, - zur Erziehungswissenschaft, - zur Ethnologie und Völkerkunde, - zur Geographie und Länderkunde, - zur Kommunikations-, Medien- und Theaterwissenschaft. Dem Quantensprung in der Bestandsentwicklung dieses Bibliothekssystems entsprach auch ein Qualitätssprung im bibliothekarischen Dienstleistungsangebot. Dieser Qualitätssprung konnte in den vergangenen zehn Jahren mit dem gelungenen Wiederaufbau der Hauptbibliothek Bibliotheca Albertina und mehrerer großer Zweigstellen (darunter die Zweigstellen Rechtswissenschaft und Chemie) sowie mit der organisatorischen und technischen Modernisierung der Bibliotheksarbeit erzielt werden.
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Zur Vorgeschichte des Bibliotheksbaus von Arwed Roßbach /. Aufstieg der Universitätsbibliothek im 19. Jahrhundert Keine andere Universitätsbibliothek in Deutschland konnte mit der Entwicklung der ÜB Leipzig im 19. Jahrhundert Schritt halten. War sie zu Beginn des Jahrhunderts eine in ihrer Bestandsentwicklung stagnierende Gelehrtenbibliothek, die von viel später gegründeten Bibliotheken weit überflügelt worden war, so wuchs sie von damals bescheidenen 25.000 Bänden bis zu ersten Planungen eines Bibliotheksneubaues Ende der 70er Jahre des 19. Jahrhunderts auf fast 400.000 Bände an. Bei Bezug des Neubaus im Jahre 1891 hatte sie bereits den Umfang von einer halben Million Druckschriften erreicht und stand damit an der Spitze der deutschen Universitätsbibliotheken. Georg Leyh konstatierte in seinem Beitrag für das Handbuch der Bibliothekswissenschaft: „Jedenfalls sind die Kräfte noch nicht aufgedeckt, die es Leipzig ermöglichten, in den neunziger Jahren sich an die Spitze der deutschen Universitätsbibliotheken zu setzen."1 Besonders deutlich wird das im Vergleich der Bestandszuwächse in den Perioden von 1822 bis 1853 und von 1853 bis 1875. Im ersten Zeitraum stand Göttingen mit einem Mittelwert von 4.880 Bänden an der Spitze. Erst an siebenter Stelle kommt die ÜB Leipzig mit 2.260 Bänden, also weit weniger als der Hälfte. Ein vollkommen verändertes Bild bietet sich nach 1853. Leipzig ist mit einem Mittelwert von 10.460 Bänden an die erste Stelle gerückt. Erst danach folgen die Bibliotheken von Heidelberg, Göttingen, München, Tübingen und Bonn. Das steigerte sich noch nach Bezug des Neubaues. Betrug der Durchschnittsetat der deutschen Universitätsbibliotheken 1893 21.500 Mark und erhöhte sich bis zum Jahre 1908 auf 32.300 Mark, so verfügte die ÜB Leipzig 1891 über knapp 40.000 Mark und im Jahre 1908 über 60.000 Mark. 2 Faktoren, die die rasante Entwicklung beeinflussten und die Bibliotheken vor ganz neue Herausforderungen stellten, waren die seit Mitte des Jahrhunderts sprunghaft ansteigende Buchproduktion infolge neuer Technologien im Druckwesen und die Entfaltung der Natur- und Geisteswissenschaften, die zum Entstehen neuer Spezialwissenschaften und einer zunehmenden Differenzierung in den Wissenschaften führte. Die Bibliotheken waren mit einem bis dahin nicht gekannten ' "
Handbuch der Bibliothekswissenschaften. 2. verbcss. Aufl., Wiesbaden 1961. Bd. 2,2, S. 407. Die Zahlen sind entnommen aus: Handbuch der Bibliothekswissenschaften. 2. verbess. Aufl., Wiesbaden 1961. Bd. 2,2.
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Ausbau des wissenschaftlichen Zeitschriftenwesens und mit einer Unmenge wissenschaftlicher Abhandlungen und Serien konfrontiert. Das drückt sich auch in den oben angeführten Mittelwerten beim Bestandszuwachs in der ersten und zweiten Jahrhunderthälfte aus, wodurch das Bibliothekswesen vor völlig veränderte Bedingungen gestellt wurde. Der überwiegende Teil der deutschen Universitätsbibliotheken erhielt in dieser Phase neue Gebäude. Ein weiterer Faktor für das Aufblühen der Leipziger Universitätsbibliothek war der Ausbau der Leipziger Universität zur Sächsischen Landesuniversität sowie die Entwicklung der Stadt Leipzig zu einem Zentrum des deutschen Buchhandels und Verlagswesens. Grundlage für die Entwicklung waren die Reformen der bis 1830 an mittelalterlichen Formen festhaltenden Universität. Sie orientierten sich am Vorbild der 1810 gegründeten Berliner Universität und bewirkten eine Abkehr von der bisher gängigen Praxis, die Universität als reine Lehranstalt anzusehen. Künftig sollten nach den Forderungen Wilhelm von Humboldts Lehre und Forschung eine Einheit bilden. 1831 erfolgte die Unterstellung der Universität unter das neugeschaffene Ministerium des Kultus und öffentlichen Unterrichts. Direkte Auswirkungen hatte diese Verwaltungsreform auch auf die Universitätsbibliothek. An ihre Spitze wurde mit Ernst Gotthelf Gersdorf (1804-1874) als Oberbibliothekar ein hauptamtlicher Leiter berufen, der dem Ministerium in Dresden direkt unterstellt wurde. Übrigens war er der erste Leiter an einer deutschen Universitätsbibliothek, der nicht zugleich Universitätsprofessor war. Durch seine direkte Unterstellung unter das Ministerium des Kultus und öffentlichen Unterrichts gewann die Bibliothek eine größere Handlungsfreiheit gegenüber den Belangen der Universität. Als Bindeglied zu den Interessen der Universität wurde eine Bibliothekskommission ins Leben gerufen, die aus Vertretern der vier Fakultäten bestand und dem Oberbibliothekar Gersdorf beratend zur Seite stand. Durch die Erhöhung der kontinuierlichen staatlichen Mittelzuweisung (1821: 400 Taler; 1834: 2500 Taler) war die Möglichkeit gegeben, einen systematischeren Bestandsaufbau zu betreiben. Längst überfällige organisatorische Maßnahmen sollten die wissenschaftliche Leistungsfähigkeit der Bibliothek erhöhen. Gersdorfs Hauptverdienst lag in seinem Bestreben, den Gesamtbestand neu zu katalogisieren. 1833 begann er mit der Arbeit am systematischen Bandkatalog, der den Gesamtbestand umfassen sollte, 1857/1858 entstand ein alphabetischer Blattkatalog. Allerdings verzögerten die katastrophale Raumsituation, fehlendes Personal und der erhebliche Bestandszuwachs seine diesbezüglichen Bemühungen. Das Dresdener Ministerium sah sich nach mehrfachen Überprüfungen aus diesem Grunde veranlasst, 1848 den amtierenden Rektor Gustav Hartenstein als Ephorus an seine Seite zu setzen, verstärkt durch zwei Kustoden und zwei Bibliotheksdiener als Hilfskräfte. 1858 konnten die Katalogarbeiten endlich abgeschlossen werden. Der erstaunliche Bestandszuwachs ist im 19. Jahrhundert vor allem auf die Erwerbung zahlreicher bedeutender Privatbibliotheken zurückzuführen. Sowohl durch Geschenk als auch Ankauf erhielt die Universitätsbibliothek eine kaum zu
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bewältigende Menge von Büchern. Auch durch Tausch, besonders durch die Verbindungen mit der Königlich Sächsischen Gesellschaft der Wissenschaften und der Fürstlich Jablonowskischen Gesellschaft der Wissenschaft, kamen zahlreiche wissenschaftliche Serien in den Besitz der Bibliothek. Die bei Geschenk und Tausch anfallenden Dubletten wurden in regelmäßigen Auktionen versteigert. Allein im Jahre 1854 betrug der Dublettenerlös 6560 Taler. Heimstatt der Bibliothek war seit ihrem Gründungsjahr 1543 ein Gebäude des Dominikanerklosters St. Pauli, das sogenannte Mittelpaulinum. Diese Klosteranlage, das größte Kloster Sachsens, wurde der Universität 1544 von Herzog Moritz von Sachsen auf Betreiben des rührigen und dem Geist des Humanismus verpflichteten Rektors Caspar Borner gegen den Willen der Stadt zugesprochen und in den Folgejahren bis 1546 für Universitätszwecke umgebaut. In der „Bibliothecana" des Klosters, dem Mittelpaulinum, befand sich im Erdgeschoss das Sommerrefektorium und im Obergeschoss der große Bibliothekssaal, der im nördlichen Flügel zweischiffig und im westlichen Flügel dreischiffig, eine imposante Halle bildete. Aufnahme fanden damals in dem mit einem spätgotischen Hallengewölbe versehenen Raum die als Grundstock der Leipziger Universitätsbibliothek zu betrachtenden Buchbestände aus neun säkularisierten Klöstern des Albertinischen Sachsens. Caspar Borner hinterließ ihr 1547 nach seinem überraschenden Tod seine eigene, ca. 260 Bände umfassende Büchersammlung, so dass die junge Bibliothek 1550 bereits ca. 5.000 Druckschriften und ca. 750 Handschriften umfasste und somit zur größten sächsischen Bibliothek angewachsen war.3 Die Räumlichkeiten der Bibliothek blieben in den nächsten fast drei Jahrhunderten nahezu unverändert. Einen Eindruck von dem Zustande und der finanziellen Misere der Leipziger Universitätsbibliothek gibt eine Schilderung von Leonardi zu Beginn des 19. Jahrhunderts: „Der eigentliche Vermehrungsfond dieser Bibliothek ist äußerst gering; denn er besteht nur aus einem kleinen Capitale von 900 Thalern, außerdem erhält die Bibliothek jährlich eine kleine Abgabe 1. von den Auctionsgeldern der vom Universitätsproclamator gehaltenen Auctionen 2. von den Inscriptionsgeldern der Studenten und 3. von den Promotionsgeldern der Baccolaureorum und Magistrorum. Endlich ist auch die Einrichtung getroffen worden, dass jeder Professor der alten Stiftung ein wichtiges Buch in die Universitätsbibliothek schenken muß. Sie wird auf zwei Sälen des Bibliotheksgebäudes im Paulino theils in zellenmässigen Verhältnissen, die mit Gatterthüren verschlossen sind, theils in grün angestrichenen, mit Drahtgittern und Schlössern verwahrten Schränken aufbewahrt. Außer den Büchern findet man hier auch noch eine zum Theil sehr gut gearbeitete Sammlung von Gemälden ehemaliger Professoren, einige Erd- und Himmelskugeln usw. ... Sie wird Feiertage und Ferien ausgenommen, das ganze Jahr hindurch 3
Angaben aus: Loh, Gerhard: Geschichte der Universitätsbibliothek Leip/.ig von 1543 bis 1832. Leip/.ig 1987,5.57-64.
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Mittwoch und Sonnabends von 10 - 12 Vormittags geöffnet, und jeder Gelehrte und Studiosus erhält dann die verlangten Bücher zur Einsicht. Zu diesem Behufe sind mehrere Tische und Sitze auf den beiden Sälen angebracht, wo jeder ungestört Auszüge machen kann. Will hingegen Jemand ein Buch aus dieser Bibliothek mit nach hause nehmen, so muß derselbe, wenn er ein Professor ist, einen mit dem Titel des Buches und mit seiner Namensunterschrift bezeichneten Schein an die Custodes abliefern, den er bei der Wiederbringung des Buches alsdann zurückerhält; hingegen andere Personen müssen ihre ausgestellten Scheine erst von einem Professor Ordinarius unterschreiben lassen und dieselben alsdann dem Bibliothekar zur Einsicht übergeben, ehe sie das verlangte Buch erhalten."4
2. Raumprobleme Als 1835 die Zustände immer unhaltbarer geworden waren, verlegte man die Bibliothek in das neuerbaute Augusteum, das als Universitätshauptgebäude mit seiner auf den Augustusplatz weisenden langgestreckten Fassade von Universitätsbaumeister Adolf Geutebrück an Stelle eines alten Klostergebäudes ab 1831 errichtet wurde. In drei Sälen brachte man die ca. 100.000 Bände der Universitätsbibliothek sowie ihre wertvollen Handschriften unter. Doch der Umzug brachte keine Lösung des Platzproblems. Im Gegenteil, jeder Winkel der zur Verfügung stehenden Räume war ausgefüllt und die Bücher mussten doppelreihig aufgestellt werden, was eine ordnungsgemäße Katalogisierung sehr erschwerte. Dieser unhaltbare Zustand erforderte eine neue Lösung. Man glaubte das Problem lösen zu können, zumal man die Räumlichkeiten im Augusteum anderweitig nutzen wollte, in dem man Geutebrück beauftragte, das Mittelpaulinum aufzustocken. 1845 erfolgte die Rückführung in die alte Heimstatt. Doch bei der stürmischen Bestandsentwicklung war absehbar, dass das nur eine Lösung auf Zeit sein konnte. Der Umfang der Bestände erforderte einen Neubau, bei dem auch die neuesten Entwicklungen des Bibliothekswesens Berücksichtigung finden konnten. Auch die Räumlichkeiten der alten Anatomie, neben dem spätgotischen Bibliothekssaal befindlich, die im Jahr 1876 der Bibliothek überwiesen worden waren, brachten nur eine kurzfristige Entspannung. So wurden Ende der 70er Jahre die Forderungen nach einem Neubau immer lauter. Am 27. April 1882 schrieb der leitende Oberbibliothekar der Universität Leipzig, Ludolf Krehl, ein Gesuch an das Ministerium des Kultus und öffentlichen Unterrichts, welches die alarmierende Situation verdeutlicht. Nach einer Darstellung der gedrängten Bücheraufstellung, „der Raum ist schon jetzt in einer Weise ausgenutzt, dass an eine Vermehrung der Bücherrepositorien nicht weiter gedacht werden kann, theils weil die Plätze an Wänden besetzt sind, in der Mitte der Säle aber kaum noch weitere Regale angebracht werden können, theils wegen der Zitiert aus: Kneschke, Emil: Lcip/ig seit 100 Jahren. Leipzig 1887. S. 131f.
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Lichtverhältnisse, welche dadurch sehr bedeutend beeinträchtigt werden würden, theils wegen der doch ohnehin ziemlich zweifelhaften Tragfähigkeit der Gebäude", fährt er fort: „ Die Beschränktheit des Raumes macht sich allenthalben sehr empfindlich fühlbar. Die Arbeitsplätze der Beamten sind auf ein allzu geringes Minimum reduziert, es fehlt Raum für die Einrichtung eines von Vielen gewünschten Journalzimmers, ferner die Einrichtung eines ordentlichen Kartenzimmers (die Bibliothek besitzt eine sehr schöne Kartensammlung), eines Doublettenzimmers, eine Localität für Schreiber- und Buchbinderarbeiten, kurz die Möglichkeit, die Bibliothek auf die gleiche Höhe mit den anderen Universitätsinstituten zu bringen, was doch als wünschenswerth bezeichnet werden mag, ist so lange erschwert bez. ausgeschlossen, als sie auf die bisherigen Räumlichkeiten beschränkt ist." Er schreibt weiter:„Unter diesen Umständen und in Berücksichtigung der in dem Vorstehenden auseinandergesetzten Verhältnissen erlaubt sich der gehorsamst Unterzeichnete an das Hohe Ministerium das ergebenste Gesuch zu richten: Hoch dasselbe wolle sobald als nur möglich dafür Sorge zu tragen die Gnade haben, dass für die naturgemäß von Jahr zu Jahr sich vermehrende Bibliothek der hiesigen Universität Localitäten zugewiesen werden, welche genügenden Raum bieten, was nicht nur den bereits vorhandenen großen und sehr werthvollen Bücherschatz in einer seiner Benutzung allenthalben förderlichen Weise aufstellen zu können, sondern auch für die Zukunft über hoffen lassen, dass die Bibliothek bei stetiger Vermehrung noch für lange Zeit in denselben untergebracht werden kann." 5 Dieses Gesuch wurde auf Anforderung des Ministeriums des Kultus und öffentlichen Unterrichts geschrieben, um als Vorlage für die Stände zu dienen. Zugleich beauftragte der Kultusminister Sachsens Carl von Gerber, auch den Universitätsbaumeister, Baurath Müller, dem Ministerium Kostenvoranschläge und erste Überlegungen über die bauliche Gestaltung und die in Frage kommenden Bauplätze zu liefern. Das Gesuch erfolgte zu einem für die Bildungs- und Wissenschaftspolitik in Sachsen günstigen Zeitpunkt. Sachsen hatte sich in der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts zu einem der wirtschaftlichfortgeschrittenstenTeile Deutschlands - mit einer großen Bevölkerungsdichte und einer starken Konzentration der Industrie entwickelt. Leipzig konnte man in den Jahrzehnten nach 1871 als die wirtschaftliche Hauptstadt Sachsens bezeichnen, was sich auch in der Bevölkerungszunahme ausdrückte. Von 1870 bis 1900 vergrößerte sich Leipzig um mehr als das Viereinhalbfache. 1900 betrug seine Einwohnerzahl 456.156 Personen. Förderlich für die Universitätsentwicklung war auch Leipzigs Rolle als Zentrum des Buchdrucks, Buchhandels und Verlagswesens. 1900 war die Zahl der Leipziger Druckereien auf 144 angewachsen, von denen 20 Großbetriebe mit mehr als 100 MitUBL-Archiv, handschriltl. Entwurf von Prof. Krehl für das Schreiben an das Ministerium des Kultus und öffentlichen Unterrichts.
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arbeitern waren. Die vielen wissenschaftlichen Verlage und Druckereien, der ausgebaute leistungsfähige Buchhandel mit mehreren international renommierten wissenschaftlichen Großantiquariaten stimulierte das wissenschaftliche Leben der Universität. Publikationen der Angehörigen der Universität konnten problemlos und in kürzester Zeit erscheinen. Die Beschaffung von Büchern - auch den seltensten - war wie kaum an einem anderen Ort möglich. Alle diese Faktoren führten dazu, dass in Leipzig ein für die Entwicklung der Wissenschaften außerordentlich befruchtendes Klima herrschte. Unter diesen günstigen Voraussetzungen nahm die Universität einen beeindruckenden Aufschwung. Nach 1871 stand sie mit den höchsten Immatrikulationsziffern aller deutschen Universitäten zeitweise an der Spitze der deutschen Hochschulen. Der sächsische Staat förderte seine Landesuniversität großzügig und war bestrebt, sie zur überregional wirkenden Institution auszubauen. Besonderen Anteil daran hatte der seit 1871 an der Spitze des Ministeriums des Kultus und öffentlichen Unterrichts stehende Carl von Gerber. Vor seiner Berufung in dieses Amt hatte er eine Professur für Staats- und Verfassungsrecht an der Universität Leipzig inne. Ähnlich wie Friedrich Althoff in Preußen war er bestrebt, in Sachsen das Bildungs- und Hochschulwesen so zu reformieren, dass es den neuen Herausforderungen von Naturwissenschaft und Technik entsprach. Seiner Auffassung nach war es erforderlich, „an den einzelnen Stellen tunlichst die hervorragendsten geistigen Kräfte von Deutschland zusammenzubringen". 6 Das gelang ihm auch in vielen Bereichen.
3. Suche nach dem Bauplatz Diese ministerielle Förderung aus Dresden verband sich mit einer außerordentlich günstigen Finanzsituation der Leipziger Universität. Ihr Vermögen machte sie im 19. Jahrhundert zu einer der reichsten Hochschulen im Deutschen Reich. Nach der Reichsgründung erhielt die Universität so viele Neu- und Umbauten wie nie zuvor in ihrer Geschichte. Darunter nahm der Neubau der Universitätsbibliothek einen wichtigen Platz ein, was auch von ministerieller Seite in Dresden so gesehen wurde, wie die Universitätsakten beweisen. Aus ihnen lässt sich erkennen, dass der Minister Carl von Gerber dieses Projekt zur „Chefsache" machte. Bereits 1882 wies das Kultusministerium das Universitätsrentamt an, Lösungen für die bestehenden Probleme zu suchen und Um- oder Erweiterungsbauten für die Bibliothek in die Wege zu leiten bzw. einen geeigneten Standort für einen Neubau festzulegen. Die Lösung der Standortfrage gestaltete sich kompliziert, so dass sich die Vorbereitungen des Baues noch über Jahre hinzogen. Vom ersten Gesuch im April 1882 bis zu Ausschreibung des Neubaues im Juli 1885 vergingen mehr als drei Jahre; Baubeginn war erst 1887. Hauptproblem war dabei die Zitiert aus: Alma Mater Lipsicnsis. Leip/ig 1984, S. 194.
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Forderung des Direktors der UBL, Ludolf Krehl, ein genügend großes Gelände in der Nähe der Universität zu finden, das sowohl den Brandschutzanforderungen entsprach als auch genügend Tageslicht für die Arbeit im Lesesaal bzw. in den Magazinen erhielt. Die Forderungen, dass das Gebäude in der Nähe der Universität stehen müsste, weil der Sitz der Theologen, Historiker, Juristen und Philologen sich eben dort befand und diese naturgemäß den größten Teil der Leser bildeten, ließ sich nur schwer realisieren. Bevorzugter Standort von Seiten der Bibliothek war der Platz der Ersten Bürgerschule auf den Mauern der Moritzbastei. Dieser Platz stand seit Beginn der Diskussion an erster Stelle und es wurde jahrelang versucht, von Seiten der Universität die Stadt zu überzeugen, das Gebäude an sie zu verkaufen. Noch 1884 veröffentlichte Krehl, Vorstand der Universitätsbibliothek, im Einvernehmen mit dem Ministerium eine als Manuskript gedruckte Eingabe, in der nochmals ausführlich begründet wurde, warum dieser Standort für die Bibliothek so wichtig war.7 Außerdem standen verschiedene andere Standorte zur Diskussion. Universitätsbaurat Gustav Müller arbeitete die Projekte aus und überprüfte sie auf ihre Durchführbarkeit. Darunter befanden sich zwei der Universität gehörende Grundstücke: - Das zwischen Königlichem Palais (heutiges Rektorat) und dem Grundstück Ritterstr. 14 (Kleines Fürstenkollegium) einerseits und den Grundstücken Goethestr. 2 und Ritterstr. 4 liegende Areal mit ca. 6700 qm - Die Fläche zwischen dem Mittelpaulinum (altes Bibliotheksgebäude) und dem Vorderpaulinum, welches 1.254 qm umfasste. Außerdem standen noch drei andere Grundstücke zur Diskussion, die von der Stadt der Universität angeboten wurden und die, obwohl sie von ihrem Standort her den Forderungen der Universität entsprachen, weil sie sich ganz in deren Nähe befanden, aus unterschiedlichen Gründen nicht in Frage kamen, nämlich: - Das sogenannte Beckersche Grundstück an der Ecke Augustusplatz/Johannisstraße (heutige Hauptpost) mit ca. 3100 qm Grundfläche - Das Gewandhausgrundstück mit Nebengebäuden am Neumarkt und im Kupfergässchen mit ca. 3600 qm - Das Gelände des sogenannten Trierschen Instituts, eines Entbindungsinstituts. All diese zur Verfügung stehenden Grundstücke entsprachen nicht den Vorstellungen von Baurat Müller und des Vorstandes der Universitätsbibliothek. Entweder war das Areal vom Umfang her zu klein oder es entsprach nicht den anderen Anforderungen für die Wahl eines Bauplatzes, die darin bestanden, einmal wegen der Feuersicherheit einen gebührenden Abstand zu umliegenden Gebäuden zu schaffen, zum anderen sowohl für den Lesesaal als auch für die Büchermagazine 7
Krehl. Ludolf: Eingabe an das Ministerium des Cultus und öffentlichen Unterrichts betreffend den Ankauf des Plat/.es der ersten Bürgerschule für die Universität /ur Errichtung eines neuen Gebäudes für die Universitätsbibliothek. Leip/.ig 1884.
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einen ausreichenden Lichteinfall zu gewährleisten und das Gebäude vor dem Straßenlärm zu schützen. Das Beharren der Universität auf dem von ihr favorisierten Bauplatz am Standort der ersten Bürgerschule führte zu einem jahrelangen gegenseitigen Austausch von Argumenten zwischen Universität und Stadt. Vor allem der Universitätsbaumeister Müller und der städtische Baudirektor Hugo Licht unterbreiteten ihre Vorstellungen in Form von Gutachten unter Einbeziehung der neuesten Entwicklungen des Bibliotheksbaus auf der Basis internationaler Vergleiche. Grundlage für die Ablehnung der Stadt, das Areal der ersten Bürgerschule als Bauplatz zur Verfügung zu stellen, war das Gutachten von Hugo Licht vom 28.4.1884. In ihm versuchte er die Universität von ihrem Beharren abzubringen und ihr Interesse für die anderen Angebote zu wecken. Es enthält aber wichtige Gedanken zum zeitgenössischen Bibliotheksbau, die sicher bei der späteren konkreten Planung Berücksichtigung fanden. Die Verzögerung führte auch dazu, dass sich in der Zusammenarbeit zwischen Oberbibliothekar Krehl und Universitätsbaumeister Müller die Vorstellungen über die künftige bauliche Gestaltung des Neubaus konkretisierten. Die entgültige Ablehnung des Wunschbauplatzes durch die Stadt Leipzig am 10. Mai 18849 ließ im Senat der Universität Überlegungen aufkommen, die Bibliothek doch durch Ausbau am jetzigen Standort zu belassen, um sie nicht an der Peripherie der Stadt zu platzieren. In einem Brief vom 23. Juli 1884 übermittelt der Rektor, Max Heinze, an das Ministerium in Dresden einen Vorschlag, dass durch Überweisung des Augusteums, des Hauptgebäudes der Universität, und später zusätzlich noch durch das Senatsgebäude (Gerichtsgebäude) die im Mittelpaulinum untergebrachte Bibliothek erweitert werden könnte. 10 Die Verbindung zur alten Bibliothek sollte durch Gänge gewährleistet werden und „ein glasbedachter Raum für einen großen Lesesaal und die Expeditionszimmer würde, ... , auf dem Hofe des Augusteums als Mittelpunkt des Ganzen hergestellt werden können." Der Hintergedanke, der damit verbunden war, war der Wunsch der Universität, das vollkommen veraltete und nicht mehr funktionsfähige Augusteum zugunsten eines neuen repräsentativen Hauptgebäudes für die Erweiterung der Bibliothek zu opfern. Allerdings zu Lasten eines modernen Anforderungen entsprechenden Bibliotheksneubaus! Zu diesem Vorschlag nahm der Universitätsbaudirektor Müller Stellung. Er verdeutlichte in seinem Gutachten vom 21. September 1884, dass aus bautechnischer Sicht die Unterbringung der Bücher in den viel zu hohen Räumen bei mangelhafter Beleuchtung unzureichend wäre. Außerdem bei einem geschätzten Zugang von 5000 Bänden pro Jahr höchstens Platzreserven für 40 bis 50 Jahre vorhanden wären. Weiterhin seien Um- und Neubauten in größerem Umfang nötig, um die Funktionsfähigkeit der Bibliothek zu gewährleisten, er schätzte o
x 9 10
UAL-Rentamt, RA 986, I, Bl. 71 -78 (UAL=Archiv der Universität Leip/ig). UAL-Rentamt, RA 986, I. Bl. 68 -70. UAL-Rentamt, RA 986. I, Bl. 105 -113.
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die dabei entstehenden Gesamtkosten auf ca. 1.500.000 bis 1.600.000 Mark. Auch vom Vorsteher der Universitätsbibliothek, Prof. Krehl, gibt es dazu eine kritische Stellungnahme, die damit schließt, „dass den gegenwärtigen Uebelständen in den Bibliotheksverhältnissen nur durch einen neuen Bibliotheksbau und zwar auf dem Platz der l . Bürgerschule Abhülfe geschafft werden kann"." Man war bis zu diesem Zeitpunkt also kein Stück weitergekommen. Ende des Jahres tauchte im Zusammenhang mit der Notwendigkeit, sowohl eine Lösung für die Bibliotheksprobleme zu finden als auch die veraltete Bausubstanz der übrigen Gebäude den modernen Gegebenheiten anzupassen, der Vorschlag von Seiten der Universität auf, sämtliche Universitätsbaulichkeiten, einschließlich der Bibliothek und der Kirche mit den bestehenden Universitäts-instituten auf dem Boden des Johannistales zu vereinigen. Der Minister Carl von Gerber hat diesen Antrag des Rektors Windscheid mit einem Schreiben vom 26. Februar abschlägig beschieden. 12 Am 4. April 188513 teilte dann überraschend das Ministerium dem akademischen Senat der Universität Leipzig mit, dass am 30. März die Verhandlungen zwischen der Staatsregierung und dem Rat der Stadt Leipzig über den Verkauf eines Teiles vom alten botanischen Garten für Staats- und Universitätszwecke durch einen Vertrag 14 erfolgreich abgeschlossen worden wären. Bereits am 13. April wurde eine Verordnung erlassen, dass der Oberbibliothekar Krehl zusammen mit Baurat Müller bei der Aufstellung eines Bibliotheksprogramms mitzuwirken haben. Durch den Vertrag wurde das Areal zwischen Seyfferth-, Beethoven-, Wächter-, und Grassi-Strasse vom sächsischem Staat erworben. Der eine Teil des Grundstücks war für die Kunstgewerbeschule bestimmt, der Teil längs der Beethovenstrasse in einer Tiefe von 75 Metern und einer Gesamtfläche von ca. 9040 Quadratmetern stellte der Sächsische Staat der Universität für den Neubau der Universitätsbibliothek zur Verfügung. Somit war durch das Ministerium in Dresden ein Bauplatz festgelegt worden, der in keiner Weise den Interessen der Universität entsprach, noch weniger mit den Vorstellungen der Bibliothek übereinstimmte. Bis in die Gegenwart ist die so geschaffene Lösung der Standortfrage ein Hauptkritikpunkt. Das neue Gebäude lag zu abgelegen von den anderen Standorten der Universität. Aus diesem Grunde schlug 1927 Otto Glauning, der damalige Direktor der ÜB Leipzig, in einer Sitzung der Akademischen Verwaltungsdeputation im Rektorat der Universität vor, die Universitätsbibliothek in den Universitätsbereich am Augustusplatz rückzuverlegen. Die Errichtung der Bibliothek an ihrem jetzigen Standort wurde von ihm als „schwerer Fehler" bezeichnet.1"5 1
' UAL- Rentamt, R A 986. I, Bl. 119 -121. UAL-Rentamt. RA 986, I, Bl. 128 - 129. 13 UAL-Rentamt, RA 986, I. Bl. 169-171. 14 UAL- Rentamt, R A 986. I, Bl. 163 -166. 15 Glauning, Otto in: Zentralblatt für Bibliothekswesen 59 (1942). S. 252. 12
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4. Bauprogramm und Ausschreibung 1885 Der Vertrag von Ende März zwischen der Staatsregierung und der Stadt Leipzig legte fest, dass „das darauf zu errichten beabsichtigte Bibliotheksgebäude in einem der Lage des Platzes entsprechenden Baustile zu halten" sei. Baurat Müller und Krehl arbeiteten ein Bauprogramm aus, welches am 12. Mai in der Bibliothekskommission beraten wurde und zu einem Beschluss führte, in einem Schreiben an das Dresdner Ministerium darum zu ersuchen, den Bibliotheksneubau in einer öffentlichen Konkurrenz auszuschreiben.16 Das Kultusministerium stimmte dieser Bitte zu und am 4. Juli 1885 erschienen in verschiedenen Tagesund Fachzeitungen Aufforderungen, sich am Konkurrenzausscheid zu beteiligen. Auf Anfrage wurde jedem interessierten Architekten ein Bauprogramm nebst den Konkurrenzbedingungen zugeschickt. Termin der Abgabe war der 7. Oktober 1885. Es gingen Anfragen nicht nur aus Deutschland sondern auch aus Österreich und der Schweiz ein. Insgesamt gab man 328 Bauprogramme aus, abgegeben wurden schließlich 34 Entwürfe. Das der Ausschreibung zugrunde liegende Bauprogramm lässt in der bibliothekarischen Ausformung die Handschrift von Krehl erkennen. Baurat Müller stellte ihm im Zuge der Ausarbeitung des Bauprogramms am 23. April 12 Fragen.17 Umgehend antwortete darauf Krehl am 27. April 1885 und lieferte darin Vorgaben für das zu erstellende Bauprogramm aus bibliothekarischer Sicht. Das Fassungsvermögen des Neubaus legte er mit ca. 800.000 Bänden fest, mit einer Möglichkeit, Reserven bis zu einer Millionen Bände zu schaffen. Zwei Lesesäle sollte die künftige Bibliothek haben. Einen großen für ca. 250 Benutzer, ausgestattet mit einer Handbibliothek von ungefähr 3000 Bänden und einen Sonderlesesaal für Professoren und Dozenten mit ca. 50 Plätzen, möglichst neben dem Hauptlesesaal. Weiterhin sollte der Zugang zu den „Bücherräumen", entsprechend der bisher gepflogenen Traditionen für die Professoren und Dozenten ermöglicht werden. Dazu sollten in den Magazinen in nicht allzu großen Abständen Arbeitstische aufgestellt werden. Die Arbeitsräume für die Bibliotheksmitarbeiter sollten auf jedem Fall in den ersten Stock verlegt werden. Das Erdgeschoss sollte Räume für die Handschriften, die Münzsammlung, das Archiv sowie Ausstellungsräume enthalten. Ausleihe, Katalograum (mit Arbeitsmöglichkeiten für 10 Bibliotheksbeamte, Direktorenzimmer und ein zusätzlicher Raum für 4 Beamte sowie Karten- und Journalzimmer sollten so angeordnet werden, dass sie direkt miteinander verbunden sind. Der Wunsch nach brandschutzsicherer, das heißt, elektrischer Beleuchtung, wird geäußert. Auch sollte in dem zu erstellenden Bauprogramm Platz für eine geräumige Kastellanwohnung vorhanden sein. Baurat Müller erstellte auf Grund 16
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UBL-Archiv, Acta der Bibliothek-Commission 1867-1897, Bl 77f. (UBL-Archiv= Archiv der Universitätsbibliothek). UAL-Rentamt, RA 986, l, Bl. 189- 196.
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dieser Vorgaben eine Skizze zum Bauprogramm, 18 zu dem Krehl in einem Brief vom 3. Juni an das Dresdner Ministerium seine Zustimmung gibt. „Die von dem Baurath Müller aufgestellten Gesichtspunkte sind im Wesentlichen diejenigen, welche der ergebenst Unterzeichnete in den wiederholt mit ihm gepflogenen Berathungen aufstellen zu müssen geglaubt hat." Trotz seiner „subjektiven Abneigung" gegen das von Baurat Müller favorisierte Aufstellungssystem der Bücher in einem sogenannten Magazinsystem, stimmt er schließlich zu, weil es „ja auch sonst allerdings mannigfaltige Vortheile bietet (Einsparung von Leitern z.B.)". Doch setzte sich Krehl mit seinen Vorbehalten gegen ein sich selbsttragendes Magazinsystem durch, wie es zum Beispiel in der Universitätsbibliothek Halle eingebaut wurde, weil nach seiner Meinung die durchlässigen Fußböden keinen ausreichenden Brandschutz boten, außerdem die erhöhte Staubdurchlässigkeit für die Bücher schädlich sei. Seine Vorstellungen über die Unterbringung der Bücher waren ein Kompromiss zwischen den alten Büchersälen und dem neuen Magazinsystem, das eine klare Trennung von Büchern und Benutzern bedeutete und stellten eine Sonderlösung innerhalb der Entwicklung des Bibliotheksbaus dar. Er wollte die Bücher in gegeneinander abschließbaren, feuersicheren Sälen unterbringen, die zwischen den Regalen Arbeitsmöglichkeiten für die Wissenschaftler boten, aber nur so hoch sein sollten, dass die Bücher in den Regalen ohne Hilfsmittel benutzt werden konnten. Die endgültige Fassung des „Programms für den Entwurf zu einem neuen Bibliotheksgebäude der Universität Leipzig" 19 , wie es der Ausschreibung zugrunde lag, setzte den beteiligten Architekten enge Grenzen. Es waren nach den Intentionen von Krehl drei Funktionsebenen festgelegt worden: das Kellergeschoss mit Räumen für Vorräte, Gerätschaften, Heizung und Heizungsmaterial, das Erdgeschoss mit geräumigem Vestibül, Garderobenraum, Ausstellungsraum, Säle für die Handschriften- und Münzsammlung, Räume für Schreiber, Buchbinderei und einer kleinen Druckerei, Packräume sowie zwei Castellanwohnungen. Interessanterweise waren hier zum ersten Mal in einer Bibliothekskonzeption Räumlichkeiten für Buchbinder und Drucker eingeplant. Schließlich das erste Obergeschoss mit einem Lesesaal für ca. 150 Personen und einer Handbibliothek von 4.000 Bänden, einen Lesesaal für ca. 30 Professoren und Dozenten, einen Journalsaal, einen Kartensaal, ein Katalogzimmer mit Arbeitsplätzen für K) Beamte und zur Aufstellung von ca. 1000 Katalogbänden, zwei Zimmer für den Bibliotheksdirektor, 4 Arbeitszimmer für Einbandstelle u.a., ein Expeditionszimmer mit drei festen Arbeitsplätzen. Auch sollten in diesem Geschoß Magazinräume eingeplant werden. Das zweite Obergeschoß war ausschließlich für Magazinräume vorgesehen. „Bei der Anordnung und Vertheilung der Repositorien ist darauf zu achten, dass weder Leitern noch Tritte angewendet werden dürfen und dass in nicht zu großen Ent18 19
UBL-Archiv, Acta der Bibliolhek-Commission 1867-1897, Bl. 79 - 86. UAL-Rentamt. RA 986. I, Bl. 265 - 266.
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fernungen erweiterte Zwischenräume mit schmalen Tischen zum Nachschlagen angeordnet werden müssen". Für alle vorgegebenen Räume wurde die Größe in Quadratmetern vorgeben. Im Vergleich zu den ersten Überlegungen sind die Lesesaalplätze deutlich reduziert worden. Zur katastrophalen Unterbringung im Mittelpaulinum waren die geplanten Arbeitsplätze für die Bibliotheksbeamten ein beträchtlicher Fortschritt. Wie aber auch bei anderen in dieser Zeit entstehenden Bibliotheksbauten unterschätzte man die zukünftige Entwicklung des Bibliothekswesens sowohl hinsichtlich der Zunahme der Benutzerzahl, der Bestandsvermehrung als auch der dadurch immer komplizierter werdenden Bibliotheksverwaltung, die immer mehr Mitarbeiter erforderlich machte. So ist es erklärlich, dass wenige Jahrzehnte nach Fertigstellung die Funktionalität der Bibliothek nur durch beträchtliche Umbauten gewahrt werden konnte. Am 15. Oktober fand die erste Sitzung der Preisrichter im Lesesaal der Universitätsbibliothek statt. Die Kommission setzte sich aus Krehl als Vorsitzendem und den vier Architekten Oberlandbaumeister Canzler aus Dresden, den Professoren Heyn und Weissbach vom Königlichen Polytechnikum in Dresden und Universitätsbaumeister Müller zusammen. Nachdem man von den 34 eingereichten Projekten 24 von der Konkurrenz ausgeschlossen hatte, beschäftigte man sich am nächsten Tag mit den zehn übriggebliebenen und gelangte schließlich zum Beschluss, den ersten Preis in der Höhe von 4.000 Mark den unter dem Motto „Philadelphos" von Arwed Roßbach eingereichten Entwurf zuzusprechen. Zwei weitere Entwürfe und zwar der vom Berliner Architekten Heinrich Seeling („St. Genevieve") und der des Leipzigers Franz Hannemann („Ideal und Praxis") erhielten die weiteren Preise. Am 20. Oktober teilt der Minister dem Rentamt der Universität die Entscheidung des Preisgerichtes mit. Zu den preisgekrönten Arbeiten gibt es Gutachten. Am 27. Oktober schreibt Baurat Müller zum Roi3bach'sehen Entwurf: „Eine ausgedehnte Neubearbeitung verschiedener Projckttheile muß nach den vorstehend erörterten als unerlässlich erscheinen". 20 Die drei Dresdner Juroren haben in ihrem Gutachten vom 25. November zu der sehr kritischen Betrachtungsweise von Baurat Müller Stellung genommen. Sie schreiben: „Wir unsererseits erblicken nach wie vor in dem Roßbach'sehen preisgekrönten Projekt den Kern einer ebenso schönen als zweckentsprechenden Lösung der hochinteressanten Aufgabe ...".2I Das negative Gutachten von Baurat Müller scheint aus nicht ganz uneigennützigen Gründen so ausgefallen zu sein, denn interessanterweise liegt vom Rentmeister der Leipziger Universität ein ausführlicher Brief vom 11. November 1885 an das Ministerium des Kultus 20
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UBL-Archiv, Zusammenstellung der Eigenthümlichkeiten in den preisgekrönten Concurrcn/projekten /.um Neubau der Universitätsbibliothek. Leip/.ig 1885. UBL-Archiv, Gutachten der Bauräthe Can/ler, Heyn und Weißbach über die Pläne /.ur Universitätsbibliothek in Leip/ig. Leipzig 1885.
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und öffentlichen Unterrichts vor, in dem er zu den prämierten Entwürfen Stellung nimmt."" Daraus lässt sich entnehmen, dass Krehl, sein Stellvertreter Förstemann, aber auch andere maßgebliche Kreise der Universität „sich dahin geäußert haben, dass man dem Müllerschen Plan von den prämierten Plänen den Vorzug geben müsse und dass das Rentamt sich dem nur anschließen kann." Müller hatte nämlich bei der Ausarbeitung des Programms auch detaillierte Pläne mitgeliefert, die den Intentionen von Krehl weitgehend entsprachen. Diese Vorstöße führten zu keinem Erfolg. Die prämierten Entwürfe wurden vom Universitätsrentamt nochmals analysiert und die Kosten berechnet. Da sich der Roßbach'sehe Entwurf als der preisgünstigste herausstellte, gab man Roßbach am 2. Dezember seine Entwürfe zur Überarbeitung zusammen mit einer Auflistung der Beanstandungen „Bedingungen für die Umarbeitung des Roßbach'sehen Concurrenzprojectes zu der Universitätsbibliothek in Leipzig" zurück." Die Änderungswünsche waren nicht mehr grundsätzlicher Natur. Besondere Kritikpunkte waren die Gestaltung der Magazine wie deren Anordnung, Beleuchtung, Geschosshöhe und die Stellung und Höhe der Repositorien, die Lichtzuführung beim Lesesaal und weitere Details in der architektonischen Gestaltung. Am 20. März teilt Minister von Gerber dem Universitätsrentamt mit, dass der Neubau der Universitätsbibliothek von den Ständen genehmigt wurde und das Rentamt unverzüglich der Verwaltungsdeputation der Universität und dem Rat der Stadt die Baupläne zu Einsichtnahme vorzulegen hat. Danach beauftragte man Roßbach mit der Ausarbeitung der speziellen Baupläne und Kostenvoranschläge. Man einigte sich auch darauf, dass Roßbach keinen Einfluss auf die Bauausführung haben sollte. Aus einer Protokollnotiz der Bibliothekskommission vom 1. August 1886 lässt sich folgendes entnehmen: „da erst in der neuesten Zeit von dem K. Ministerium die Verordnung erfolgt ist, nach welcher die Oberaufsicht über den Bau der Landbaumeister Nauck hierselbst und die Unteraufsicht einem Bauführer übertragen werden soll, und da vor Beginn des Baues erst sämtliche Kostenanschläge fertiggestellt werden müssen, wird vor Anfang Januar des nächsten Jahres wohl kaum mit dem Bau begonnen werden."24 Tatsächlich erfolgte am 15. Juli 1887 die offizielle Genehmigung für den Neubau der Universitätsbibliothek durch das Kultusministerium. Mit den Tiefbauarbciten begann man im Sommer 1887. Mit seiner Baukonzeption stand die Universitätsbibliothek außerhalb der Entwicklungslinie des modernen Bibliotheksbaus. Die Bücherregale galten nicht als Konstruktionsteile eines Magazintraktes, sondern waren wieder als Einrichtungs- UAL-Rentamt. RA 986. I, B1.303 - 309. 23 UBL-Archiv, Bedingungen für die Umarbeitung des Roßbach'sehen Concurrcn/.projektes /.u der Universitätsbibliothek in Lcip/ig. 24 UBL-Archiv, Acta der Bibliothek-Coinmission 1867-1897. Bl. 88.
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gegenstände vorgesehen, indem man in die drei Meter hohen Magazinsäle im Abstand von 4 Metern 2,20 m hohe Doppelrepositorien aus Holz hineingestellte. In die Zwischenräume wurden die von Krehl gewünschten halbhohen Zwischenregale gestellt, auf denen man in Büchern blättern konnte. Erst durch die Umbauten in den zwanziger Jahren beseitigte man diese mehr als großzügige Lösung, um zusätzliche Stellfläche zu gewinnen. Auch für die Verwaltung der Bibliothek war viel zu wenig Platz vorgesehen, so dass die Bibliothek kurz nach ihrer Eröffnung über Raumnot bei den Geschäftsgangsabläufen klagte. Alle Kritikpunkte können nicht dem Architekten Arwed Roßbach angelastet werden, vielmehr gehen sie auf die konservativen Vorstellungen der Leitung der Bibliothek und die nur in den Ansätzen vorhandenen Überlegungen über die weitere Entwicklung des wissenschaftlichen Bibliothekswesens zurück, die im Programm zum Ausdruck kommen und so den an der Ausschreibung beteiligten Architekten nur geringe Spielräume ließen. Für den Wiederaufbau der Bibliothek allerdings, mit dem Ziel, große Flächen für die Freihandaufstellung zu schaffen, hatte diese von Roßbach auf Grundlage der Vorstellungen von Krehl geschaffene Raumgestaltung große Vorteile."5
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Eine verdienstvolle Vorarbeit /ur Baugeschichte lieferte Ulrike König in ihrer Semesterarbeit „Die Universitätsbibliothek in Leipzig. Baugeschichte und Architektur." Leip/.ig 1987. Auf ihre Erkenntnisse wurde in diesem Beitrag dankbar zurückgegriffen.
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Der Neubau der Bibliotheca Albertina im späten 19. Jahrhundert /. Der Wettbewerb Seit den 1870er Jahren wurden analog zum fortschreitenden Ausbau der Leipziger Universität die Forderungen nach einem repräsentativen Gebäude für die Universitätsbibliothek immer dringlicher. Ein Neubau sollte errichtet werden, der in absehbarer Zukunft genügend Raum für die immer schneller anschwellenden Bücherbestände bot. der allen funktionellen Ansprüchen des modernen Bibliothekswesens entsprach und der in seiner Baugestalt und Ausstattung die hervorragende Stellung der Alma mater Lipsiensis als eine der führenden Universitäten Deutschlands zum Ausdruck bringen sollte. In Abstimmung mit dem Leipziger Universitätsrentamt hatte das sächsische Kultusministerium 1882 das Bauvorhaben eines auf ein Fassungsvermögen von 800 000 Bänden ausgelegten Bibliotheksbaus bekannt gegeben, für dessen Realisierung so bald wie möglich die Voraussetzung zu schaffen waren.
Abbildung 2: Luftbild des Musikvicrlels mit Reichsgerichtsgebäude. Neuem Gewandhaus und Universitätsbibliothek (um 1930) [Stadtarchiv Leip/ig].
Thomas Topfstedt
Bei der Wahl eines geeigneten Bauplatzes wurden verschiedene Standorte erwogen, bis 1885 die definitive Entscheidung fiel, den Bibliotheksneubau südwestlich der Innenstadt im Musikviertel zu errichten. Das angekaufte Grundstück zwischen Beethovenstraße, Grassistraße, Wächterstraße und Wilhelm-Seyfferth-Straße lag zwar in einiger Entfernung vom Universitätshauptgebäudekomplex am Augustusplatz, bot aber dafür ausreichend Platz für einen großzügigen Neubau in einem zentrumsnahen Stadtquartier mit bedeutenden Entwicklungsmöglichkeiten. Der Bebauungsplan des Musikviertels, das durch den Bau des Reichsgerichts und seine Lage am Johannapark rasch zu einer der vornehmsten Wohngegenden Leipzigs avancierte, war erst 1880 aufgestellt worden. Zur prominenten Stellung des Viertels trug auch wesentlich die konzentrierte Ansiedlung weiterer bedeutender Kultur- und Hochschulbauten bei. Als erster, gleichsam namensgebender Bau entstand 1882-1884 das „Neue Concerthaus" (Neues Gewandhaus) nach Plänen der Berliner Architekten Martin Gropius und Heino Schmieden. Es folgten 1885-1887 das Königliche Konservatorium der Musik (Architekt: Hugo Licht), 1888-1895 das Reichsgerichtsgebäude mit seiner monumentalen Kuppel (Architekten: Ludwig Hoffmann und Peter Dybwad), 1887-1890 die Königliche Kunstgewerbeschule und Baugewerkenschule (Architekt: Otto Wankel) und 1889-1896 die Städtische Gewerbeschule als das letzte Glied in dieser bemerkenswerten Kette von Bildungsbauten. Das 1887-1891 errichtete Gebäude der Leipziger Universitätsbibliothek wandte sich mit seiner Hauptfront dem Neuen Gewandhaus zu. Es ist städtebaulich hervorragend in seine Umgebung eingebunden und nimmt nicht nur wegen seiner beeindruckenden Dimensionen, sondern auch wegen der würdevollen Sprache seiner Architektur einen herausragenden Platz im Ensemble der großen öffentlichen Bauten des Musikviertels ein. Zur Erlangung von Entwürfen für den Bibliotheksbau wurde im Juli 1885 ein Wettbewerb ausgeschrieben. Die Grundlage der Ausschreibung bildete ein von der Bibliothekskommission und dem Universitätsbaumeister Baurat Müller ausgearbeitetes Bauprogramm. Als Konkurrenten zugelassen waren ausschließlich Architekten aus dem deutschen Sprachraum. Insgesamt gingen vierunddreißig Entwürfe ein, über die das Preisgericht im Oktober 1885 zu befinden hatte. Der l . Preis wurde dem Entwurf „Philadelphos", zuerkannt, einer Arbeit des damals einundvierzigjährigen Leipziger Privatarchitekten Arwed Roßbach.1 Sein Entwurf 1
Max Arwed Roßbach wurde am 24. November 1844 in Flauen /Vogtland geboren. 18621868 studierte er Architektur an der Bauschule der Dresdner Kunstakademie, wo ihm durch Hermann Nicolai die Grundlagen der Semperschen Baulehre und Architekturästhetik vermittelt wurden. Danach arbeitete er im Atelier des Berliner Architekten Carl Ferdinand Langhans d J. und wirkte u. a. als /weiter Bauführer am Bau des Neuen Theaters in Leipzig mit, das 1864-1869 nach Langhans' Plänen errichtet wurde. 1870 begann er seine Tätigkeit als freier Architekt in Leip/ig und profilierte sich im Verlauf der folgenden drei Jahr/.ehnte neben Stadtbaurat Hugo Licht /.um bedeutendsten Leipziger Architekten des späten 19. Jahrhunderts. Sein (Euvre. das über Leipzig hinausgreift, umfasst verschiedenste Bauaufgaben.
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Der Neubau der Bibliotheca Albertina im späten 19. Jahrhundert
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Abbildung 3: Wettbewerb /.ur Leip/.iger Universitätsbibliothek (1885): Siegerentwurf „Philadclphos" von Arwed Roßbach. Vogelschaubild |UBL|
Abbildung 4: Wettbewerb /ur Leip/.iger Universitätsbibliothek (1885): Siegerentwurf ..Philadelphos" von Arwed Roßbach. Aufriss der Hauptfassade (UBL| Als ein versierter Baukünstler des spaten Historismus wusste er das Formenrepertoire der abendländischen Baukunst von der griechischen Antike bis /.um Barock souverän /u handhaben. Ausschlaggebend bei der Wahl der künstlerischen Mittel waren für ihn der Charakter der jeweiligen Bauaufgabe und die Ansprüche des Bauherrn. Zu seinen bekanntesten Leip/.iger Werken gehören u.a. die Universitätsbibliothek (1888-1891), der Um- und Ausbau des Universitätshauptgebäuclekomplexcs am Augustusplat/ (1891-1897). die neugotische Restaurierung der Paulincrkirche (1897-1899). der Bau der Deutschen Bank am Martin-LutherRing (1898-1901) und die neuromanische Taborkirche in Klcin/schocher (1902-1904). Roßbach wurde 1891 /um Königlich Sächsischen Baurat ernannt und von der Stadt Leip/ig mit dem Titel eines Stadtrals geehrt. 1897 verlieh ihm die Philosophische Fakultät der Universität Leip/ig die Ehrendoktorwürde. Fr starb am 31. De/ember 1902 in Leip/ig.
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war im Stil der italienischen Hochrenaissance gehalten, jedoch im Vergleich mit dem zwei Jahre später bestätigten Ausführungsentwurf noch nicht so opulent in den Detail formen." Im Funktionsschema, das die Jury besonders überzeugte, entsprach der Roßbach'sehe Siegerentwurf bereits weitgehend dem ausgeführten Bau. In der Öffentlichkeit wurde die Entscheidung des Preisgerichts günstig aufgenommen. Trotzdem gab es Gegner, die durchsetzten, dass die weitere Bearbeitung des Bibliotheksprojektes zunächst nicht an den Wettbewerbssieger, sondern an den Leipziger Universitätsbaumeister Müller vergeben wurde. Roßbach setzte sich gegen diese sachlich nicht zu rechtfertigende Entscheidung zur Wehr und wandte sich im November 1885 an den Staatsminister Carl von Gerber mit der Bitte um Unterstützung. Seine Intervention hatte Erfolg, so dass er im März 1886 den Auftrag erhielt. Die Landesregierung und das Universitätsrentamt betrauten Roßbach mit der künstlerischen Leitung, stellten ihm aber den Leipziger Landbaumeister Nauck als Oberbauleiter an die Seite. Durch diese arbeitsteilige Regelung konnte sich Roßbach intensiver mit den baukünstlerischen Aspekten der Entwurfs- und Projektierungsarbeit befassen, was dem durchaus nachvollziehbaren Interesse des Bauherrn entsprach, die Gesamtverantwortung für ein solches großes staatliches Bauvorhaben nicht einem privaten Baubüro, sondern einem erfahrenen Baubeamten zu übertragen.3 Als ein wichtiger Mitarbeiter Roßbachs sei der Leipziger Architekt Theodor Kösser genannt, der später auch am Umbau des Augusteums mitwirkte und dessen bekanntestes Werk die 1912-1914 erbaute Mädlerpassage ist.
Die Architektur des Roßbach'schen Siegerentwurfs „Philadelphos" war strenger als der Ausführungsentwurf im Stil der italienischen Hochrenaissance gehalten, was insbesondere bei der Gliederung der Hauptfassade deutlich wird. So war das Obergeschoss des Mittelrisalits in drei römischen Pfeiler-Bogen-Arkaden geöffnet, welche bündig mit der Fassade schlössen. Die Hauptfassade war nur dreigeschossig geplant (ein Souterrain-Geschoss und /.wei Vollgeschosse). Sie besaß keine die beiden Vollgeschosse /.usammenfassenden Pilastergliederung. Statt dessen sollten die Fenster des Obergeschosses durch Ädikulen gerahmt werden. Statt Eckrisalite auszubilden, ließ Roßbach die hohen fünfgeschossigen Maga/inflügel mit ihren Stirnseiten direkt an die Hauptfassade anbinden, wodurch der gesamte Rhythmus der Hauptfront gestört und die auf Dominanx. angelegte Wirkung des Mittelrisalits empfindlich beeinträchtigt worden wäre. Diese baukünstlerischen Mängel wurden bei der weiteren Entwurfsbearbeitung behoben. „Die einheitliche Obcrbauleitung durch den Landbaumeister, unterstüt/.t durch den unter ihm wirkenden Bauführer, soll verhüten, dass der meist seiner künstlerischen Anschauung Rechnung tragende unabhängige Architekt nicht über dem Bestreben, die äußere und innere Ausstattung möglichst reich und effektvoll /.u gestalten, die Rücksichten auf die vorhandenen Mittel hintan set/.en möchte." (Universitätsarchiv Leip/ig, Rentamt 986, II, Blatt 46/47, zitiert bei König, Ulrike: Das Wirken des Architekten Arwed Roßbach in Leip/ig im letzten Drittel des 19. Jahrhunderts. Diplomarbeit Karl-Marx-Universität Leip/.ig 1988, S. 71).
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Bei der Entwicklung seines Wettbewerbsentwurfs zum Ausführungsprojekt 4 gab Roßbach der imposanten Hauptfassade des Bibliotheksgebäudes mit dem kräftigen Dreiklang von dominierendem Mittelrisalit und zwei Eckrisaliten sowie einem erhöhten Aufwand an skulpturalem und ornamentalem Bauschmuck eine festliche Steigerung ins Neobarocke. Diese Haltung entsprach dem gewachsenen Repräsentationsbedürfnis der Zeit. Als eine insbesondere von der späten Semperschule getragene Stilströmung trat sie in Deutschland zeitlich parallel zur sogenannten Deutschen Neorenaissance auf und prägte die Architektur zahlreicher anderer Bildungsbauten im Wilhelminischen Kaiserreich." Im Sommer 1887 begannen die Bauarbeiten, die nach nur vier Jahren im Sommer 1891 abgeschlossen wurden. Insgesamt beliefen sich die Baukosten einschließlich des Mobiliars und der Bauleitung auf 2.330.000 Mark 6 , was in Anbetracht der Größe des Gebäudes und der gediegenen Pracht seiner Ausstattung eine wirtschaftlich vertretbare Ausgabe war. Zum Vergleich sei die 1886 für den Bau des benachbarten Reichsgerichtsgebäudes bestätigte Gesamtbausumme von 5.902.000 Mark (ohne Ausstattungskosten) angeführt. 7 Die Zufriedenheit der Aufraggeber war jedenfalls groß, und noch im August 1891 wurde Arwed Roßbach mit dem Titel eines Königlich-Sächsischen Baurates ausgezeichnet. Die feierliche Einweihung des Baues erfolgte am 24. Oktober 1891. Leider hat man damals versäumt, zur Eröffnung des Baues eine Festschrift herauszugeben, wie es überhaupt mit dem Einzug des Bibliotheksalltages bald recht still um Roßbachs Meisterwerk wurde. y
Ein anschaulicher Beleg für die weitere Bearbeitung des Roßbach'sehen Sicgerentwurfs ist das prachtvolle, minutiös durchgearbeitete Modell des Bauwerkes. Es wurde vermutlich als Arbeitsmodell angefertigt. Es ist last identisch mit dem ausgeführten Bau. Lange Zeit stand es vergessen und völlig durchfeuchtet in einem der Kellerräume der Universitätsbibliothek. 1993 wurde es mit großem Aufwand restauriert und befindet sich heute im Treppenhaus der Bibliotheca Albertina. Nägelke. Hans-Dieter: Hochschulbau im Kaiserreich, Historistische Architektur im Prozess bürgerlicher Konsensbildung. Kiel 2000. Leip/.ig und seine Bauten. Hrsg. vom Verein Leip/.iger Architekten und Ingenieure. Leip/.ig 1892,5.214. Topfstedt, Thomas: Der Bau und sein Umfeld. In: Das Reichsgericht. Hrsg. Stadtgeschichtliches Museum Leip/.ig. Leip/ig 1995, S. 57. Einen noch heute lesenswerten Pressebeitrag schrieb Müller, Volkmar: Das Gebäude der neuen Universitätsbibliothek in Leipzig. In: Leip/iger Zeitung (1891). Nr. 242. S. 3857 f.: siehe auch: Leip/ig und seine Bauten, a.a.O.. 1892, S. 207-214. und den Beitrag von Roßbach, Arwed: Die Universitätsbibliothek in Leipzig. In: Zeitschrift für Bauwesen 45 (1895), Sp. 341 f.
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2. Gebäudestruktur und Fassade Das Gebäude der Bibliotheca Albertina ist ein in seiner Gesamtfigur symmetrisch angelegter Vierflügelbau mit zwei (heute in Lesesäle umgewandelten) Innenhöfen. Es besitzt eine zweckmäßige, aus den vielfältigen Anforderungen des universitären Bibliotheksbetriebes entwickelte Struktur. Im Vordergebäude, das sich mit seiner nach Süden ausgerichteten Hauptfassade der Beethovenstraße zuwendet, sind im Erdgeschoss die Diensträume der Verwaltung und im Hauptgeschoss die wichtigsten Benutzerräume untergebracht. Die von Süden nach Norden durch die gesamte Gebäudetiefe geführte mittlere Raumgruppe enthält die repräsentative Raumfolge von Vestibül, Treppenhaus und großem Lesesaal. An das Treppenhaus angelagert waren in der Hauptgeschossebene weitere, überwiegend öffentlich zugängliche Einrichtungen wie die Expedition, der Zeitschriftenlesesaal und der Professorenlesesaal. Die mittlere Raumgruppe wird nach Norden vom großen Lesesaal abgeschlossen. In den westlichen und östlichen Seitenflügeln sowie im Nordflügel sind die Magazine untergebracht, die auch um den halbrund aus der Gebäudefront hervortretenden Lesesaal in Gestalt eines viergeschossigen Umgangs geführt sind und ein räumlich in sich geschlossenes System bilden. Die Magazine wurden auf ausdrücklichen Wunsch des Oberbibliothekars Ludolf Krehl nicht im üblichen Galeriesystem, d. h. als in die Gebäudeflügel eingestellte Eisenkonstruktionen mit Oberlicht und Gitterrosten ausgeführt, sondern in feuersicher voneinander abgetrennten Räumen mit quer zur Längsachse aufgestellten Holzregalen untergebracht. Auf diese Weise war es möglich, die Magazinräume von zwei Seiten durch große Fenster mit Tageslicht zu versorgen. Dank der relativ geringen Raumhöhe von drei Metern waren die Regale nicht übermäßig hoch, so dass die Bücher ohne den Gebrauch von Leitern entnommen und einsortiert werden konnten. Ein großer Vorzug des Raumschemas der Bibliotheca Albertina ist die strikte Trennung der bibliotheksinternen Arbeitsbereiche von den für den Publikumsverkehr bestimmten Einrichtungen, was von Volkmar Müller anlässlich der Einweihung des Hauses 1891 lobend hervorgehoben wurde: „Die Gruppirung der Magazine, Verwaltungs- und öffentliche Räume ist (...) so getroffen, dass die ersteren nur von Bibliotheksbeamten, die letzteren dagegen auch von Fremden betreten werden können, und dass kein Buch auf seinem Wege von Standort zur Ausgabe oder zum Lesesaal einen öffentliche Raum zu passiren hat; das letztere ist durch die den Rundbau des Lesesaals umziehenden Magazinräume erzielt worden."9 So lange die geplante Aufnahmekapazität der Magazine von ca. 800.000 Bänden noch nicht ausgeschöpft war, erfüllte das sehr großzügig dimensionierte Bibliotheksgebäude alle funktionellen Anforderungen. Als die Bücher- und Samm9
Müller, Volkmar: Das Gebäude der neuen Universitätsbibliothek in Leipzig. In: Leipziger Zeitung (1891), Nr. 242, S. 3858.
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Abbildung 5: Grundriss des Erdgeschosses (Zeichnung von A. Roßbach) [UBL]
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Ahbildung 6: Grundriss des Hauptgcschosscs (Zeichnung von A. Roßbach) [ U B L j
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lungsbestände weiter anwuehsen, wäre eine bauliche Erweiterung der Bibliothek möglich gewesen, doch wurden entsprechende Anbauten durch Verlängerung der Seitenflügel nicht vorgenommen. Zur technischen Ausstattung und zur Konstruktion des Gebäudes sei angemerkt, dass die Verwaltungsräume, der große Lesesaal, das Treppenhaus und die Korridore Gasbeleuchtung erhielten, die Fußböden in Zementguss und die Decken in Stampfbeton zwischen Eisenträgern ausgeführt wurden.
Abbildung 7: Auiriss der Hauptfassade (Ausführungsplanung; Zeichnung von Arwcd Roßbach) [UBL]
Bei der Gestaltung der 107 Meter langen, mit Sandstein verblendeten Hauptfassade griff Roßbach auf das Formenrepertoire der italienischen Spätrenaissance-Archilektur zurück und steigerte ihre Wirkung durch maßvollen Einsatz von Gliedcrungselemcntcn der barocken französischen Schlossbaukunsl im Style Louis XIV. Die breit gelagerte Fassade besitzt insgesamt 25 Achsen. Aus der Fassadenflucht treten ein fünfachsiger Mittelrisalit sowie zwei dreiachsige Eckrisalite hervor. Gebändigt wird die plastische Bewegtheit der Baumasse durch die großen Horizontalen geschossteilender Gesimse, Balustraden und Attiken. Gemäß den Grundregeln der klassischen Baukunst bilden das Fassadcnrelief und die Gliederungen der Geschosse ein klar differenziertes Gefüge. Die Wandflächen des Souterrains und des von hohen rundbogigen Fenstern charakterisierten Erdgeschosses sind durch eine grobe Rustikaquadcrung und ein umlaufendes Gesims zu einer kräftigen Sockelzone zusammengcfasst. Darüber erheben sich das als piano nobilc ausgebildete Hauptgcschoss und ein Mez/.aningeschoss, die durch eine Kolossalgliederung aus korinthischen Pilastern und Säulen zusammengefasst werden. Wirkungsvoll wird dieser repräsentative Glicdcrungsapparat zur Fassadenmitte hin gesteigert. So sind die Eckrisalite und die äußeren Achsen des von einer mächtigen Attika bekrönten Mittelrisalits durch Drciviertelsäulcn akzentuiert, während die drei inneren Achsen des Mittelrisalits durch die Ausbildung einer rechteckigen Loggia
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mit zwei frei eingestellten kolossalen Vollsäulen das beherrschende Zentrum der gesamten Fassade bilden. Bezeichnend für den hohen ideellen Anspruch des Bauwerks ist das Darstellungsprogramm der Hauptfassade, in dem sich die Leipziger Universität mit ihrer damals fast fünfhundertjährigen Geschichte ein Denkmal besonderer Art gesetzt hat. Sein Inhalt soll im folgenden kurz erläutert werden, wobei weder auf die Schöpfer der einzelnen Bildwerke 10 noch auf Kriegsverluste und den heutigen reduzierten Zustand näher eingegangen werden kann. Wenn sich der Besucher der Bibliothek dem Mittelrisalit nähert, nimmt er an den Schlusssteinen über den drei hohen rundbogigen Eingängen die massigen Köpfe einer Juno (links), einer Minerva (Mitte) und eines Jünglings (rechts) wahr. Diese Bildwerke symbolisieren die Schönheit, die Weisheit und die Stärke. Sie orientieren auf Werte, die den Studierenden wie auch den Gelehrten als Nutzer des Hauses stets gegenwärtig sein sollten. Für die institutionelle Würdigung der Leipziger Universitätsbibliothek durch eine Weiheinschrift und ein entsprechendes Bildprogramm wurde die über die Dachlinie des Gebäudes emporragende Attika ausgewählt. Auf ihrem breiten Mittelfeld sind unter Einbeziehung des Hauptgebälks die folgenden Worte in vergoldeten Lettern zu lesen: „SCIENTIARUM ET ARTIUM LIBERALIUM STUDIO LIPSIENSI / SACRUM / AUSPICIIS ALBERTI REGIS / ANNO DOMINI MDCCCXCI / BIBLIOTHECA ALBERTINA". Zu beiden Seiten dieser Inschrift stehen vor der Wandfläche der Attika je zwei weibliche, drei Meter hohe Gewandfiguren. Es sind die Allegorien der vier traditionsreichen Fakultäten Medizin, Rechtswissenschaft, Philosophie und Theologie, die auf die historisch fest gegründete Verbindung der Universitätsbibliothek mit den Lehr- und Forschungseinrichtungen der Universität hinweisen. Die beiden Reliefs zwischen den Figuren der Fakultäten schildern in bewegten Szenen die Gründung der Bibliothek 1543 und die Planung des Bibliotheksneubaus 1885. Bekrönt wird die Attika durch eine neobarocke Kartusche mit dem Universitätswappen, über der sich als das höchstplatzierte Herrschaftszeichen die sächsische Kurfürstenkrone erhebt. Die Wappenkartusche wird von zwei Genien mit Lorbeerzweig und Spiegel - Attribute der Ehre und der Wahrheit - flankiert. Das aufwändige, einst aus insgesamt 16 überlebensgroßen Statuen und 16 Bildnismedaillons bestehende Bildprogramm der Eckrisalite ist bedeutenden historischen Persönlichkeiten gewidmet, die in der Regel in einem direkten Bezug zur Geschichte der Leipziger Universität stehen und sich um die Entwicklung der Universitätsbibliothek besondere Verdienste erworben haben. Darüber hinaus wurden in den Zyklus einige bildende Künstler und Dichter einbezogen, die auch 10
Josef Kaffsack (die Köpfe über den Eingangsportalen, die Wappenkartusche und die /wei Genien an der Attika), Arthur Trebst (die allegorischen Figuren der vier Fakultäten an der Attika), Adolf Lehnert (die beiden Reliefs an der Attika und die acht Portraitmedaillons an den Eckrisaliten), Melchior /.ur Strassen und Werner Stein (die acht Statuen in den Nischen der Eckrisalite).
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bei anderen Kulturbauten des 19. Jahrhunderts - z. B. Gemäldegalerien, Kunstgewerbemuseen und Kunstakademien - zum kanonischen Bestand der Bildprogramme gehörten. Die Bildwerke wurde durch beigefügte Namensinschriften gekennzeichnet. Diese Inschriften sind auch an jenen Rundbogen- und Kreisnischen sorgsam erneuert worden, die heute leer stehen. Vollständig wiederhergestellt wurde nur eine Gruppe von Medaillons und Standbildern. Es sind die vier Bildwerke an der zur Beethovenstraße weisenden Seite des westlichen Eckrisalits. In den hier angebrachten Bildnismedaillons von Johann Otto aus Münsterberg (Gründungsrektor 1409) und von Caspar Borner (Rektor und Begründer der Bibliotheca Paulina 1543) sowie mit den Statuen von Markgraf Friedrich dem Streitbaren (Stifter der Leipziger Universität) und von Kurfürst Moritz von Sachsen (übereignete 1543 das Paulinerkloster an die Universität) wird die Universitätsgeschichte des 15. und 16. Jahrhunderts personalisiert. Auf der zur Grassistraße gewandten Seite des westlichen Eckrisalits wird mit den Bildnismedaillons von Michelangelo und Albrecht Dürer und mit den Standbildern von Gotthold Ephraim Lessing und Johann Wolfgang von Goethe an überragende Geistesgrößen aus der Zeit der Renaissance und der Aufklärung erinnert, überdies auch daran, dass Lessing und Goethe in Leipzig studiert haben. Das spiegelbildlich arrangierte Bildprogramm des östlichen Eckrisalits, der nach schweren Kriegszerstörungen völlig neu und ohne die Plastiken wiederaufgebaut worden ist, zeigte einst an der Seite zur Beethovenstraße die Medaillons von Joachim Camerarius und Christian Fürchtegott Geliert und die Standbilder der Könige Johann von Sachsen und Albert von Sachsen. An der Seitenfront zur Wilhelm-Seyfferth-Straße befanden sich die Medaillons von Dante und Shakespeare, des weiteren die Statuen von Gottfried Wilhelm Leibniz und Christian Thomasius. Wie der bauplastische Aufwand, so wurde auch die architektonische Gestaltung des Bibliotheksbaus an den Seitenflügeln vereinfacht. Zwar führte Roßbach die übergreifenden Horizontalgliederungen der Hauptfassade weiter und behielt den Sandstein als Verblendmaterial der Straßenfronten bei, doch veränderten sich, bedingt durch die niedrigeren und gleichartig ausgebildeten Magazinräume, die Proportionen dieser Seitenfassaden. Um die Seitenflügel nicht ins Leere auslauten zu lassen und die Hierarchie der Formsysteme nicht allzu abrupt zu stören, erhielten ihre nach Norden weisenden Stirnseiten ebenfalls eine Werksteinverblendung und große, mit Akroterien besetzte antike Dreiecksgiebel. Entschieden und kompromisslos tritt der gestalterische Kontrast zur opulenten Architektur des Vorderflügels nur an den Rückfronten der Magazinflügel, am Nordflügel, am voluminösen Außenbau des großen Lesesaals und an den Wänden der beiden Innenhöfe zutage. Insbesondere der Nordflügel zeigt in ganzer Höhe die Abfolge von Souterrain und den fünf bis zum Dachgesims aufsteigenden Magazingeschossen. Aus Kostengründen wie auch aus praktischen Erwägungen wurden die Wandflächen dieser Gebäudeteile mit gelben Klinkerziegeln verblendet und die Werksteinrahmungen in schlichtester Ausführung auf die Wandöffnungen beschränkt.
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3. Vom Treppenhaus zum Lesesaal: Glanz, und Funktionalität Nicht minder prächtig wie die in hellem Sandstein erstrahlende Hauptfassade gestaltete Roßbach die in der Mittelachse des Bauwerkes angeordnete Raumfolge von Vestibül, Treppenhaus und großem Lesesaal. In der Inszenierung dieser Raumgruppe ist die strukturelle Anlehnung an Vorbilder des süddeutschen und österreichischen barocken Schlossbaus unverkennbar, man denke z. B. an die Hauptraumgruppe des Schlosses Weißenstein bei Pommersfelden, nur dass an die Stelle des Festsaales und der Sala terrena gemäß dem Funktionsprogramm einer Bibliothek der große Lesesaal mit einer darunter liegenden Erdgeschosshalle tritt. Auch die auf bildhafte Wirkung berechnete Abfolge unterschiedlicher Räume ist ein in der barocken Raumkunst zu höchster künstlerischer Vollendung geführtes Kompositionsprinzip, das Roßbach souverän zu handhaben wusste. Bei der Wahl der einzelnen Bau- und Dekorationsformen aber hat er vorzugsweise aus dem Formenrepertoire der italienischen Spätrenaissancearchitektur geschöpft. Nachdem der Besucher den Haupteingang der Bibliothek passiert hat, empfängt ihn das relativ niedrig, kühl und verschattet wirkende Vestibül. Er steigt über eine die volle Breite des Raumes einnehmende Treppe zum Korridor des Hauptgebäudes empor und gewinnt im Blick durch die massigen toskanischen Säulen" zu beiden Seiten des Korridors eine Vorahnung von der Lichtfülle und räumlichen Weite des Treppenhauses. Im Zentrum des Bibliotheksgebäudes gelegen, ist dieses Treppenhaus wie ein festlicher Binnenhof konzipiert. Eine zweiarmige, dreiläufige Marmortreppe mit bequem ansteigenden Stufen und Balustergeländern verbindet das Erdgeschoss mit dem Hauptgeschoss der Bibliothek. Sie führt zu einer vierseitig umlaufenden, mit Pendentifkuppeln gewölbten Galerie empor, über welche die Lesesäle des Hauptgeschosses unmittelbar erreichbar sind. 12 Zum 1
' Diese acht Säulen aus schwarzem westfälischem Marmor sind noch im Original erhalten, während die Marmorsäulen des Treppenhauses neu angefertigt werden mussten. Zur Polychromie und /u den kostbaren Materialien, die beim Wiederaufbau des Treppenhauses und des großen Lesesaals eingesel/.t wurden, siehe den Beitrag von Liebscher. Jörg: Universitätsbibliothek auf dem Weg /u altem Glan/.. In: Universität Leipzig 6 (November 2000), S. 51-53, und Lachmann, Harald: Marmorpracht und alte Bücher. In: Naturstein, Ausg. 10, 2000, S. 2629. i2 Dem Vorkriegs/ustand /ufoige waren dies: der große Lesesaal, der Zeitschriftenlesesaal, der Profcssorcnlesesaal und die Expedition. Im langgestreckten Hauptgeschoss des Hauptflügels wurden des weiteren die über den Professorenlesesaal b/.w. über lange Korridore zugänglichen Katalog- und Handschriftensäle, das Inkunabel/immer (im östlichen Eckrisalit) und das Arbeitszimmer des Oberbibliothekars (im westlichen Eckrisalit) eingerichtet. Der Raum für die Mün/sammlung und zwei Ausstellungsräume wurden im Erdgeschoss des Hauptflügels untergebracht. Offenbar hatte man in den Anfangsjahren noch ausreichend Platz, da der gesamte Erdgeschossraum des westlichen Seitenflügels nicht als Magazin genutzt wurde, sondern zunächst nur als „disponibel" ausgewiesen wurde (siehe den Grundriss des Erdgeschosses in: Leipzig und seine Bauten, a.a.O., 1892, S. 211).
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Abbildung 8: Querschnitt durch den Mittoltnikt mit Haupttreppenhalle und Lesesaal (Zeichnung von A. Roßbach) |UBL|
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Treppenhaus hin öffnet sich die Galerie in hohen Rundbogenarkaden, deren zwölf schlanke ionische Säulenpaare aus weißem Carrara-Marmor gearbeitet sind. Ein reiches Kranzgesims schließt die historisierende Architektur des Treppenhauses gegen die transparente Glashaut des großen, in weitgehender Annäherung an den alten Zustand rekonstruierten Oberlichtes ab. Im Gegensatz zu seinem heutigen Erscheinungsbild wirkte das Treppenhaus ursprünglich nicht so luzid, sondern war im Gesamteindruck von feierlichem Ernst, was in hohem Maße der flächendeckend polychromen Ausmalung der Galerie zu verdanken war. Kuppelfelder, Lünetten und Wandflächen waren nach Roßbachs Konzept von dem Leipziger Maler Richard Hesse im Stil der Dekorationsmalereien des Giulio Romano gestaltet worden und bildeten einen intensiv farbigen Fond, vor dem sich die Marmorarkaden der Galerie in einem sorgsam kalkulierten Materialkontrast strahlend hell abhoben.13 Von erheblichem Belang für das originale Raumbild sind in diesem Zusammenhang auch die großen Kandelaber, die wie Skulpturen auf den Podesten der Freitreppe standen. Sie sind nach historischen Fotos rekonstruiert und im Jahre 2002 an ihrem alten Platz aufgestellt worden. In der heutigen kunsthistorischen Bewertung kommt dem Treppenhaus der Leipziger Bibliotheca Albertina eine herausragende Position zu. Es ist neben den Treppenhäusern in Gottfried Sempers zweitem Dresdner Opernhaus die bedeutendste derartige Raumschöpfung des späten 19. Jahrhunderts in Sachsen.14 Der in der Längsachse des Treppenhauses gelegene große Lesesaal wurde ebenfalls in den 1990er Jahren wiederaufgebaut. In der Gesamtbreite des Treppenhauses ansetzend, schließt er nach Norden hin mit einer mächtigen, durch neun hohe Rundbogenfenster durchbrochenen Halbkreisapsis ab. Der Saal enthielt 123 Leseplätze. Trotz seiner beachtlichen Weite war er nicht durch Stützen unterteilt, sondern schloss in seiner südlichen Hälfte mit einem Tonnengewölbe und im Bereich der Apsis mit einer Halbkuppel über Stichkappen ab. Ein in das Tonnengewölbe eingelassenes großes Oberlicht sorgte neben dem Kranz der Apsisfester für eine ausreichende Versorgung der Arbeitsplätze mit Tageslicht. Durch den äußeren Umgang waren die Magazine direkt mit dem Lesesaal verbunden, so dass die Bücher schnell und unkompliziert an die Nutzer gelangten. Zum Charakter des Saales als Ort des ungestörten wissenschaftlichen Arbeitens trug die gemessene, aber durchaus repräsentative Gestaltung der Wände mit eichenen Vertäfelungen, 13
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Das im Zweiten Weltkrieg völlig zerstörte Treppenhaus ist im Zuge des zweiten Bauabschnittes 1998-2000 wiederaufgebaut worden und stellt eine herausragende Rekonstruktionsleistung dar. Da es aus Zeitgründen und aus finanziellen Gründen nicht opportun war, die gesamte polychrome Ausmalung der Galerie in einem einzigen Arbeitsgang neu zu erschaffen, wurde zumindest eine Probeachse (das Gewölbejoch mit dem ehemaligen Eingang zum großen Lesesaal) wiederhergestellt. Leipzig, Dekorative Wandmalerei in Bürgerhäusern. Hrsg. vom Landesamt für Denkmalpflege Sachsen und Stadt Leip/ig, Leipzig 2000, S. 97.
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Der Neubau der Bihliotheca Albertina im späten 19. Jahrhundert
Pilastern, Halbsäulen und Stuckarbeiten bei. Besonders hervorgehoben wurden die Zugänge zu den Magazinen, die mit marmornen Ädikulen gerahmt sind. Auch die übrigen Benutzerräume - und nicht zuletzt die Diensträume - erhielten eine praktikable und für eine lange Nutzungsdauer berechnete Ausstattung, auf deren Entwurf Roßbach große Sorgfalt verwendete. So unternahm er gemeinsam mit dem Oberbibliothekar und anderen Beamten Reisen nach München, Karlsruhe und Stuttgart, um sich über die Möblierung der dortigen Bibliotheken eingehend zu informieren. Einen authentischen Eindruck von der gediegenen Erstausstattung der Leipziger Universitätsbibliothek vermittelt heute noch der Katalogsaal, dessen über 100 Jahre alte Regale und Pulte mit viel Liebe und Aufwand restauriert worden sind. Im Jahr 1891 stellte sich das Gebäude der Leipziger Bibliotheca Albertina mit seiner stilgerecht auf die Architektur abgestimmten Ausstattung als ein Gesamtkunstwerk dar. Obwohl in der Folgezeit die Bücherbestände und Sammlungen so rasch vermehrt wurden, dass umfangreiche Veränderungen innerhalb des Hauses unumgänglich waren 15 , ist Roßbachs großartiger Bau samt seiner Innenarchitektur nicht durch allzu unsensible bauliche Eingriffe beeinträchtigt worden. Er hat erst durch die Zerstörungen im Zweiten Weltkrieg schwersten Schaden genommen, wurde danach notdürftig wieder betriebsfähig gemacht und fristete zu DDRZeiten eine traurige Existenz als Halbruine. Mit dem 1992 begonnenen und 2002 abgeschlossenen Wiederaufbau, der mit einer durchgreifenden Modernisierung einherging, hat das Gebäude viel von seinem alten Glanz zurück erhalten und bezeugt zugleich die künstlerischen Potenzen heutiger Architektur. In diesem Sinne ist die Bibliotheca Albertina nicht nur der bedeutendste unter den wenigen erhaltenen Leipziger Universitätsbauten des 19. Jahrhunderts, sondern verkörpert anschaulich wie kein anderes Gebäude die Tradition und die Zukunft dieser Universität, die im Jahre 2009 ihr sechshundertjähriges Jubiläum begehen wird.
Siehe unten den Beitrag von Täschner, Claudia-Leonore: Die bauliche Entwicklung der Bibliotheca Albertina, ihre Zerstörung und ihr Wiederaufbau, S. 5.1-73.
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Thomas Topf s tedt
Abbildung 9: Südwest-Ansicht der Universitätsbibliothek kür/ vor ihrer Inbetriebnahme 1891 [Stadtgeschichtliches Museum Leip/ig)
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Der Neubau der Bibliolheca Alherlina im spülen 19. Jahrhundert
A b b i l d u n g K): Außentüren tier Bibliothek / u m /eitpunkl ihrer Inbetriebnahme 1891. flankiert von /\vei izeschmiedelcn Kandelabern, ursprünglich mit (ias beleuchlel |Stacltiieschiclitliches Museum I . c i p / i ü )
Thomas Topfstedt
Abbildung l l : Haupllreppcnhalle /.um Zeitpunkt der Inbetriebnahme [Stadtgeschichtliches Museum Leip/.ig|
Abbildung 12: Historischer Lesesaal /um Zeitpunkt der Inbetriebnahme. Beleuchtung mit Gas. Türeintassung durch späteren Cialerieeinbau entfernt |Stadtgeschichtliches Museum l,eip/ig|
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Der Neubau der Bibliotheca Albertiiui im späten 19. Jahrhundert
Abbildung 13: Originalmöblierung der Maga/ine 1X91: in Feiistennitte jeweils ein Pult und /wischen Pfeiler und Säule ein Regal ( U B L |
A b b i l d u n g 14: /.usiand des Katalogsaales bei I n b e t n e b n a h n i e 1891: das O r i g i n a l m o b i l i a r konnte erhalten, wieder aufgearbeitet und eingebaut werden [L B l - l
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Thomas Topfstedt
Abbildung 15: Durch Luftangriffe/erstörter Ostflügel 1945; hier fanden bis 1991 nur der Abtransport und notdürftige Sicherungen statt |UBL]
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Claudia-Leonore Täschner
Die bauliche Entwicklung der Bibliotheca Albertina, ihre Zerstörung und ihr Wiederaufbau
1.0 Die Entwicklung von 1891 bis 1991 1.1 Ursprüngliche Kapazität und Funktionalität des Gebäudes Der von Arwed Roßbach errichtete Neubau der Universitätsbibliothek Leipzig hatte eine Kapazität von 800.000 Bänden und 123 Leseplätzen im Hauptlesesaal, 14 im Journalsaal und 30 im Professorenlesesaal, eine für damalige Verhältnisse sehr große Bibliothek, die der wachsenden Bedeutung der Leipziger Bibliothek Rechnung trug. Bei Bezug des Hauses verfügte die UBL über knapp 500.000 Bände Bestand. Trotz des relativ großen Platzangebots wurde beim Bau der Bibliothek großer - Kritiker meinen zu großer - Wert auf Repräsentation gelegt, während die Verwaltungsräume zahlenmäßig zu wenige und wegen ihrer Größe nicht voll nutzbar waren. So ist die Treppenhalle architektonisch ein Meisterwerk, verschlingt aber viel Raum. Sie dient der Erschließung der Hauptnutzungsebene, die sich im 2. Obergeschoss befindet. Nach heuligem Maßstab eine unpraktische Lösung. In der Hauptnutzungsebenc waren der große Lesesaal, der Katalogsaal, wo zu damaliger Zeit die Beamten die Katalogisierung der Bestände vorzunehmen hatten, die Expedition (Ausleihe) ein Journalsaal, ein Professorenlesesaal, ein Handschriftensaal und die Direktion untergebracht. Schon bald wurde deutlich, dass die Verbindung von der Südseite des Gebäudes in die Magazinbereiche an den Seiten und im hinteren Gebäudeteil - sehr störend nur durch Mitarbciterzimmer führte. Das war Anlass, schon 1892 Übergänge in den Hofbercichen einzubauen, die bis in die neunziger Jahre des 20. Jahrhunderts von den Mitarbeitern als „Schwalbennester" bezeichneten Durchgänge. 1929 wurde ' c. c? der im Osthof befindliche Übergang bis in das Magazin 4. OG aufgestockt (vgl. Abbildung 7, nach S. 40). Praktisch wurde im Gebäude schon kurz nach Bezug im Jahr 1891 immer etwas aus- oder umgebaut: Einbau von Fahrslühlcn für den Büchcrtransport, Umbau bzw. Renovierung verschiedener Arbeitszimmer, Einrichtung eines größeren Zeitschriftenz.immers, eines Raumes für die Disscrtationsbcarbcitung und Aufstellung des Dissertationskataloges, sowie einer Dunkelkammer. 1912 erhielten die beiden unteren Magazingeschosse und die Treppen elektrisches Licht. Die für 1913 geplante
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weitere Elektroinstallation in den oberen Magazinen wurde jedoch verschoben - durch den Ausbruch des Ersten Weltkrieges ungewollt bis in die 20-er Jahre. Zur Verschönerung der Treppenhalle trug 1907 die Einbringung der aus dem Römischen Haus geborgenen Prellerfresken bei, die leider im 2. Weltkrieg völlig zerstört wurden. Die Bestandsentwicklung der UBL führte bereits seit 1910 zu ständig fortschreitendem Raummangel im Gebäude, insbesondere konnte der Neuzugang kaum noch ordnungsgemäß aufgestellt werden. 1914 war die Kapazität von 800.000 Bänden mit ca. 20.000 überschritten. Der akute Platzmangel in den Magazinen wurde kurzzeitig durch Aufstellen von Aufsätzen auf den Arbeitspulten in den Magazinen behoben. Als langfristige Lösung des Platzproblems wurde bereits 1912 ein Ausbau der Dachböden als Magazine bzw. ein Anbau in Verlängerung des Westflügels angedacht. Die finanziellen Mittel sollten für 1916/17 eingeplant werden. Die Anbaupläne, die auf eine Zeichnung Roßbachs zurückgingen, wurden jedoch noch 1914 nach Besichtigung durch die Ministerialbaukommission abgelehnt. Der Katalogsaal, in dem alle wissenschaftlichen Beamten die Katalogisierungsarbeit leisten mussten und zugleich die Benutzer die Kataloge einsahen und Auskünfte erhielten, war zu klein geworden. Ausreichende und den Anforderungen entsprechende Arbeitsräume für die Beamten fehlten, übrigens ein Umstand, der von Anfang an bis heute das Gebäude prägt. Auch Otto Glauning, Direktor der UBL von 1921 bis 1937, spricht diesen Fakt in seiner Rede zur Wiedereröffnung des umgebauten Lesesaals 1926 an.1
1.2 Modernisierung und Umbau in den 20-/30-er Jahren des 20. Jahrhunderts Dass nach mehr als zwanzigjährigem Betrieb des Gebäudes auch technische Anlagen wie beispielsweise die Dampfkessel einer Erneuerung bedurften, versteht sich von selbst. Alle Erweiterungsplanungen wurden durch den Ersten Weltkrieg und die Nachkriegszeit bis zum Frühjahr 1924 unterbrochen. Die Räumlichkeiten und ihre strukturelle Zuordnung innerhalb des Hauses entsprachen keineswegs mehr den zeitgemäßen Anforderungen an eine moderne Bibliothek. Vom Landbauamt wurde in Zusammenarbeit mit der Bibliotheksleitung eine umfassende Umbauplanung aufgestellt, die in 4 Bauabschnitten zwischen 1925 und 1928 für rund 750.000 Mark realisiert werden sollte. Diese Bausumme konnte in der damaligen wirtschaftlichen Situation vom Land nicht aufgebracht werden. Eine überarbeitete Planung mit einer Ausgabenhöhe von 400.000 RM wurde grundsätzUBL-Altregistratur: IV Nr. l Bd.l: Manuskript der Festrede /.ur Einweihung des Lesesaales.
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Die bauliche Entwicklung der Bibliotheca Albertina
lieh vom Ministerium für Volksbildung genehmigt. Die Ausführung war in 2 Bauabschnitten für 1925/26 vorgesehen, jedoch wurden für den ersten Abschnitt nur 100.000 RM bewilligt. Da einige notwendige für den 2. Bauabschnitt geplante Maßnahmen zwingend im ersten BA erfolgen mussten, wurde die Summe auf 140.000 RM erhöht. 1926 wurden aber nur 40.000 RM in den Haushalt eingestellt. Bezeichnenderweise wurden bei den Umbaumaßnahmen die für die Benutzer relevanten Bereiche bevorzugt, so z.B. der Große Lesesaal, die Ausleihe, der Vertrags- und Sitzungssaal, Arbeitsraum für das Papyrusinstitut, Kleiderablage und Frühstücksraum, Beleuchtung und Heizung in den genannten Räumen. Soweit die Geldmittel reichten, wurden Heizungs-, Beleuchtungs- und Wasseranlagen auch in den anderen zum Mitteltrakt gehörenden Räumen verbessert und das Dachgeschoss mit einer automatischen Feuersignalanlage ausgestattet. Für die Magazine und Personalräume sind keine wesentlichen Verbesserungen im Rahmen des ersten Bauabschnitts nachweisbar. Allein der Umbau des Großen Lesesaals kostete 90.000 RM. Durch den Einbau einer 44 Meter langen Galerie wurden 400 Meter Stellfläche für ca. 10.000 Bände Handbibliothek geschaffen. Die Bücherausgabe im Lesesaal wurde erneuert und mit einem feuer- und einbruchssicheren Tresor ausgestattet. In einer von Regierungsbaudirektor Baer am 5.5.1926 verfassten Mitteilung ist in Bezug auf die fehlenden Mittel zu lesen: „Die Durchführung des gesamten Umbaus wird sich daher weiter hinausziehen, wenn es nicht gelingt, die Einstellung größerer Beträge in den Haushaltsplan in den nächsten Jahren zu erreichen." Diese Befürchtung Baers sollte sich als Vorahnung erweisen. Die weiteren notwendigen Baumassnahmen wurden in immer kleinere Abschnitte - insgesamt 7 (Bauabschnitt 7 nochmals in 3 Teile untergliedert) - aufgeteilt und zogen sich bis 1933/34 hin. Die Gesamtbausumme belief sich letztlich doch auf rund 640.000 Mark, wobei die Kosten für die einzelnen Bauabschnitte zwischen 40.000 und 140.000 Mark schwanken. Nach dem Umbau des Großen Lesesaales im ersten Bauabschnitt war die Einrichtung eines neuen Zeitschriftenlesesaales mit 112 Plätzen im Erdgeschoss und angrenzender Zeitschriftenverwaltung mit Lager im 4. Bauabschnitt 1928 eine wesentliche Verbesserung der Situation. Es konnten dort 2.100 Zeitschriften und 200 Tageszeitungen ausgelegt werden. Erwähnenswert ist die Einrichtung eines neuen Kanzleiraumes und des Direktorzimmers im Südostflügel des 2. Obergeschosses im 5. Bauabschnitt 1929. Erst in den Jahren 1930/31 (6. und 7. Bauabschnitt) wurden aus einem Magazintrakt des Westflügels im 2. OG Arbeitsräume für die Fernleihe, Schlussstelle, UBL-Altregistratur: IV Nr. l Bd.l: für die Presse bestimmte Mitteilung über den Umbau der Universitäts-Bibliothek durch das Landbauamt, Regierungsbauamtsdirektor Baer (Kopie für ÜB).
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Titelaufnahme, Einbandstelle, Standortkatalog, Papyrussammlung, Akademie der Wissenschaften und Schreibmaschinenzimmer geschaffen. Diese Räume haben die Mitarbeiter der UBL bis zur Räumung des Westflügels Ende 1999 im Wesentlichen so genutzt. In späteren Jahren wurden einige Räume noch durch Zwischenwände geteilt. Da dort hauptsächlich das wissenschaftliche Personal saß, hat sich der Name „Wissenschaftlergang" eingebürgert. Im Erdgeschoss wurde ein Erfrischungsraum - später als Speise- und Kulturraum bezeichnet - eingerichtet. Die Dissertationsstelle wurde im 2. OG untergebracht, der Raum erhielt eine kleine Galerie zur Aufstellung einer Handbibliothek. Nach dem Zweiten Weltkrieg beherbergte dieser Raum den Zentralkatalog und während der Bauarbeiten ab 1991 die Ausleihe (wie schon 1891). Die anderen Baumaßnahmen befassten sich wesentlich mit Erneuerung und Verbesserung der alten Heizungsanlage, der Erweiterung der elektrischen Beleuchtung im Hause und Malerarbeiten. Außerhalb der geschilderten Baumassnahmen konnten durch die Bauabteilung des Universitätsrentamtes ab 1929 Instandsetzungsarbeiten an der Sandsteinfassade, Zinkabdeckung an den Simsen und Dachreparaturen sowie Erneuerung der Blitzschutzanlage durchgeführt werden. Die dringend erforderlichen Baumassnahmen konnten nur durch einen unermüdlichen Kampf des Direktors, Otto Glauning, und des Landbauamtes in kleinen Schritten realisiert werden. Jährlich finden sich seitenweise Begründungsschreiben für das Volksbildungs- und das Finanzministerium in den Akten. Jeder einzelne Posten - oft nur ein par hundert Mark - wird beantragt, abgelehnt, neu begründet, auf kommende Jahre verschoben. Ein Dauerbrenner ist die Finanzierung und Beschaffung von Regalen, um die Bücher nicht stapeln zu müssen, was zeitweilig offenbar unumgänglich war. Baulich fertiggestellte Räume konnten nicht genutzt werden, weil die Regale fehlten, so z.B. in der neuen Dissertationsstelle. Die Aufstellung des Bestandes nach Numerus currens wird erst möglich sein, wenn entsprechender Magazinraum vorhanden ist, so 1933 eingeschätzt. 1935 werden erneut die Mittel abgelehnt. 1932 waren immer noch einige Magazine ohne Heizung und elektrisches Licht, was besonders in den Wintermonaten zu Nutzungseinschränkungen führte. Am 29.11.1933 schreibt Glauning an das Ministerium; „Ich bin mir bewusst, class es recht erhebliche Wünsche sind, die ich zu äußern habe, besonders in gegenwärtiger Zeit. Aber ich halte mich für verpflichtet, das Ministerium immer wieder um das zu bitten, was ich für die mir anvertraute Bibliothek als notwendig erkannt habe. Die Aufgabe, die mir bei meiner Berufung gestellt wurde, das Institut zu entwikkeln, kann ich nur dann lösen, wenn das Gebäude, das Personal und die Mittel den Anforderungen entsprechen. Dies ist aber, wie die Dinge jetzt liegen, nicht der Fall. " UBL-Altregistratur: IV Nr. 4 Bd.3: Schreiben von Prof. Glauning an das Ministerium für Volksbildung, Dresden vom 29. l l .1933.
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Die bauliche Entwicklung der ßibliotheca Albertina
Als langjährige Mitarbeiterin der UBL fühlte ich mich beim Lesen dieser Zeilen stark an DDR-Zeiten erinnert. Was Mittel und Personal angehen, trifft Glaunings Beschreibung auch im Jahre 2002 noch zu. 1935 bezeichnete Regierungsbaudirektor Baer den Umbau der UBL als vorerst beendet, obgleich die erforderliche Errichtung neuer Bücherspeicher und Beschaffung weiterer Regale noch ausstanden. Dennoch konnte die Kapazität des Hauses auf ca. 1,4 Mio. Bände erweitert werden. Die ursprüngliche Regalanordnung mit großen Achsabständen und dazwischen stehenden Arbeitspulten, ermöglichte die Aufstellung von ein bis zwei Doppelregalen anstelle der Pulte. Erschwert wurde die Bibliothekssituation noch durch Wünsche auch der Universitätsleitung, bibliotheksfremde Einrichtungen (u.a. das Zeitungswisscnschaftliche Institut oder das Buch- und Schriftmuseum) in der UBL unterzubringen. Die fehlende Deckenlast in den Dachgeschossen (nur max. 175 kg/m2) brachte die Bibliothek schon ohne das Institut in Schwierigkeilen, die eigenen Zeitungsbestände ordnungsgemäß zu lagern. Die auf alten Fotos der UBL zu sehenden großen Standbilder in den Figurennischen in Höhe des 2. OG wurden bei der Umgestaltung der Eckräume herabgenommcn, um in den Zimmern jeweils 2 zusätzliche Fenster einbauen zu können. Die Statuen von Thomasius und Leibniz wurden 1929 im Vorgarten der Scyfferthstrasse und die von Goethe und Lessing 1933 auf der Grassistrassenseite aufgestellt. Ihr Verbleib während des 2. Weltkrieges konnte nicht ermittelt werden, offensichtlich sind sie zerstört (vgl. Beitrag Thomas Topfstcdt).
1.3 Zerstörungen im 2. Weltkrieg 1937 tauchen in den Akten erste Hinweise auf Luftschutzmaßnahmen auf, Einlagerung von entsprechenden Geräten im Keller, Anweisungen zum Beräumen des Lesesaals bei Alarm. 1938 werden ein Papyrusschrank mit allen Tafeln des Papyrus Ebers und ein Stahlschrank im Handschriftensaal zur Aufbewahrung der Gutenbergbibeln, des Codex Sinaiticus u.a. besonders wertvoller Handschriften gesondert - geschützt vor Splittern - aufgestellt. 4 1940 wird ein Kcllerraum als Luftschutzraum für die vorübergehende Unterbringung von Zimelicn eingerichtet, der jedoch wegen fehlender Lüftung für eine dauernde Lagerung ungeeignet ist. Einige wertvolle Stücke befinden sich im Tresor der Deutschen Bank. Nach dem Verlust von Bibliotheken in Berlin, Kiel und Münster soll der gesamte Handschriften- und Sondcrbesland einschließlich Münzsammlung vor Bomben und Splittern oder Brandgefährdung gesichert werden. Nach längerem kontroversem Disput mit dem Ministerium wird am 4.11.1941 der von der Bibliothek geforderten Herstellung von splittersicheren Räumen im Erdgeschoss (mit Einbau von LüfUBL-Altregistralur: IV Nr. l Bd.4: Aktennoti/ über Unisel/ung der Schränke vom 30.9. 1938.
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tungsklappen) zugestimmt. 5 Der vom Ministerium vorgeschlagenen Auslagerung der Handschriftenbestände in Keller der Albrechtsburg Meissen und anderen Schlössern verweigert sich die Bibliothek wegen der dort ebenfalls herrschenden Feuchtigkeit und wegen des Transportrisikos oder mangelnder Möglichkeit der Sicherung - sehr zu Recht, wie sich später erweisen sollte. Geradezu grotesk mutet die Meinung des Landbauamtes an, man solle doch die wertvollsten Münzen der Sammlung entnehmen und in plombierten Säcken in Banktresoren unterbringen, das spare Baukosten. Von Sachverstand kann hier keine Rede sein. Erst mehrfacher schriftlicher Protest von UBL und Leiter der Münzsammlung unter Hinweis auf die zu erhaltene Ordnung der Sammlung befördert den Beschluss, die Erdgeschossfenster der UBL baulich zu sichern. 1943 werden die für die Ausleihe wichtigsten Bestände und der Hauptkatalog im Keller der UBL untergebracht. Der systematische Hauptkatalog wird zur Sicherheit verfilmt. Nach dem Großangriff auf Leipzig am 4.12.1943, bei dem das Gebäude der UBL nur relativ geringe Schäden erleidet, werden rund l Million Bände in die Gewölbe des Völkerschlachtdenkmals bzw. in das Salzbergwerk Plömnitz ausgelagert. Handschriften und Rara sind nunmehr doch an verschiedenen Orten (Frohburg, Mügeln, Colm, Mutzschen, Rochlitz, Oberlödla, Leißnig) in Amtsgerichten und Schlössern untergebracht. Rund 100.000 Bände, darunter die Handbibliothek des Lesesaales sind im Völkerschlachtdenkmal benutzbar aufgestellt, der Rest ist gestapelt. Bis Kriegsende werden zeitweilig Privatbibliotheken von Professoren in der UBL eingelagert. Im Februar 1944 werden das Rektorat und die Quästur in der Bibliothek untergebracht, der Lesesaal fungiert auch als Hörsaal. Beim Angriff am 27.2.1945 wird zwar das UBL-Gebäude nicht direkt getroffen, jedoch durch Bomben, die in unmittelbarer Nähe fielen, erheblich beschädigt, so dass die meisten Räume unbenutzbar wurden. Am o.April 1945 wird das Gebäude durch ca. 9 bis 10 Bomben getroffen und zu etwa 60% zerstört, 80% des Hauses sind nicht nutzbar. Bedingt benutzbar geblieben sind etwa 10% der Magazinräume, der Zeitschriftenlesesaal im Erdgeschoss und rund 20% der Verwaltungsräume. Besonders betroffen sind der gesamte Mitteltrakt mit der großen Treppenhalle und dem Hauptlesesaal, der Südostflügel und weite Teile des Ostflügels und die nördlichen Magazine einschließlich der Rundgänge. Am 18. Juni 1945 gibt der Direktorder UBL, Fritz Prinzhorn, einen ersten kurzen Bericht über die Schäden und mögliche Wiederinbetriebnahme der HauptbiblioUBL-Altregistratur: IV Nr. I Bd.4: Schreiben des Sächsischen Staatsministeriums für Volksbildung vom 4.11.1941.
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thek. 1 Am 22.Juni erfolgt eine Besichtigung der Schäden durch das Bauamt und Festlegung für erste Sicherungsmaßnahmen im Bereich der Eingangshalle, des Katalogsaales und der Überdachungen. Vom 17.8.1945 liegt ein ausführlicherer Bericht vor.7 Zu diesem Zeitpunkt fehlen noch alle Fenster in den bedingt nutzbaren Räumen. Man hofft, bis Sommer 1946 weitere 20% des Hauses nutzen zu können, wenn die Dächer repariert, einzelne Mauern neu hochgezogen und die Fenster eingebaut sind. 30 % werden als reparierbar eingeschätzt, die notwendigen Instandsetzungsarbeiten sind jedoch so umfangreich, dass mit deren Erledigung nicht im Jahr 1946 gerechnet wird. Die restliche Bausubstanz ist nicht reparabel. Die Buchverluste halten sich mengenmäßig durch die umfangreichen Auslagerungen in Grenzen. Etwa 2000 Bände Zeitungen sind bei dem Angriff am 6.4.1945 verbrannt, bereits am 4.12.1943 sind ca. 7000 Bände, die an Institute verliehen waren, zusammen mit einem Großteil der Institutsbibliotheken vernichtet worden. Weitere Buchverluste als unmittelbare Folge der Bombardierungen sind nicht zu verzeichnen. Folgeschäden durch die Auslagerungen - vorwiegend Feuchtigkeitsschäden sind hier nicht gerechnet, ebenso nicht die aus Mutzschen in die Sowjetunion abtransportierten besonders wertvollen Bestände, worunter 48 Kisten Inkunabeln, 39 Kisten Sinica und Mandschurica, indische Handschriften, arabische medizinische Literatur und naturwissenschaftliche Expeditionsberichte sowie die Münzsammlung waren. In Plömnitz wurden mehrere Kisten Literatur in russischer Sprache entwendet, auch im Völkerschlachtdenkmal konnte Diebstahl nicht ausgeschlossen werden. Ein Teil der dort lagernden naturwissenschaftlichen Werke des Lesesaalbestandes wurde von den amerikanischen Besatzungstruppen mitgenommen.
1.4 Wiederinbetriebnahme der Bibliothek und Teilaufbau bis Mitte der 50-er Jahre Die Benutzung sollte mit Wintersemesterbeginn 1945 im Zeitschriftenlesesaal erfolgen. Bei Reduzierung auf 60 Plätze konnte dort die Handbibliothek des Lesesaales aufgestellt werden. Dieser Zustand blieb trotz aller Bemühungen um den Wiederaufbau des Hauses bis 1999 bestehen. Die eigentliche Wiedereröffnung auch des Ausleihbetriebes erfolgte zusammen mit der Universität am 5. Februar 1946. Der Rücktransport ausgelagerter Bestände begann unmittelbar nach Kriegsende. Wenn die Magazinräume des Westflügels mit Fenstern ausgestattet werden - so
UBL-Altregistratur: IV Nr. l Bd. 5: Schreiben des Direktors an das Militäramt der Stadt betr. die Wiederinstandsetzung der Universitäts-Bibliothek. UBL-Altregistratur: IV Nr. l Bd.5: Bericht über die Situation der Universitäts-Bibliothek Direktor, 17.8.1945.
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die Einschätzung der Bibliothek -, könnte der Rücktransport weiterer Bestände während des Semesters laufen. Die Räume böten Stellflächen für ca. 150.000 bis 200.000 Bände. Damit wäre der Zustand wie im letzten Kriegsjahr wieder hergestellt. Von der Schnelligkeit des Wiederaufbaus der anderen Gebäudeteile wäre die weitere Bestandsrückführung abhängig. Die geordnete Aufstellung der gestapelten Bestände würde einen längeren Zeitraum erfordern. Ende 1946 standen ca. 600.000 Bände neu geordnet und benutzbar im Westflügel.
Die 40-er Jahre sind durch Bemühungen um die Herstellung der Arbeitsfähigkeit der Bibliothek und um einen Wiederaufbau geprägt. Wie mühsam das im Nachkriegsdeutschland ist, zeigt sich u.a. daran, dass bereits vorhandene Dachpappe zur Noteindeckung der Dächer wieder beschlagnahmt wurde und die UBL 1946 Altpapier ablieferte zur Herstellung imprägnierter Ersatzpappe. Noch 1949 sind die Fenster des Katalogsaales und angrenzender Räume nur mit Igelit „verglast", 1947 beantragt die UBL-Leitung die Überdachung des Verbindungsganges zwischen Ost- und Westflügel. Auch diese Lösung sollte bis weit in die 90-er Jahre Bestand haben. 1948 musste die Südostecke wegen Einsturzgefahr abgetragen werden, wodurch eine kaum zu sichernde Einstiegsstelle für Unbefugte geschaffen wurde. Die Steine wurden nummeriert und auf dem Fußweg der Seyfferthstraße gelagert. Die tragende Trennwand zwischen dem Lesesaal und der Treppenhalle musste ebenfalls wegen Baufälligkeit im Frühjahr 1949 abgebrochen werden. Sie wurde erst im Zuge der Bausubstanzsicherungsmaßnahmen nach 1991 neu errichtet. Was dennoch an Wiederaufbauarbeit geleistet wurde, kann hier nur kurz dargestellt werden. Der Autbau begann 1945 mit dem Westflügel und der Nutzung des Zeitschriftenlesesaales als Ersatz für den großen Lesesaal. Im Jahr darauf folgte die Neuüberdachung des Ostflügels ohne die Südoslecke, wodurch im Wesentlichen Magazinraum geschaffen wurde. 1949 konnten die Magazinbereiche im Nordwest- und Nordostflügel wieder hergestellt werden. Jedoch waren nicht alle 8 Magazine sofort nutzbar, weil die Einlegeböden für die Regale noch fehlten. Der ebenfalls geplante Wiederaufbau der Südostecke wurde aus finanziellen Gründen auch aus dem Investitionsplan 1950 gestrichen. Auch das ein Verfahren, das sich in den folgenden 40 Jahren mehrfach wiederholen sollte. Dass trotz der geschilderten baulichen Zustände und der ernormen Ordnungsarbeiten für den rückgeführten Bestand die Ausleihe von 6.817 Bänden im Jahr 1946 auf 38.942 Bände 1949 gestiegen ist, ist mehr als anerkennenswert. s Da sich die Bemühungen um den Wiederaufbau der Südostccke und der Rundgänge auch in den folgenden Jahren als vergeblich herausstellten und die notwendigen Gelder immer wieder aus dem Haushaltplan gestrichen wurden, sah sich der o
Jahresslalistiken der UBL.
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Direktor Helmut Mogk veranlasst, am 7. Dezember 1953 an das Staatssekretariat für Hochschulwesen in Berlin zu schreiben. Er hob besonders die Gefährdung für die Bücher durch die Witterungseinflüsse hervor und formulierte: „... class spätere Generationen unser Verhalten den so wertvollen Beständen gegenüber als eine Kulturschande bezeichnen werden." Darüber hinaus bat er Abgeordnete der Volkskammer um Unterstützung und informierte die Presse, was teilweise auch der Bremer Weser-Kurier übernahm. In den Jahren 1953 und 1954 durchaus mutige Aktivitäten. 9 Gleichzeitig suchte die Bibliotheksleitung nach geeigneten Räumlichkeiten in der Nähe, um die Bestände ordnungsgemäß aufstellen zu können. Aber leider konnten weder das Reichsgerichtsgebäude, noch die Hochschule für Graphik und Buchkunst oder das ehemalige polnische Konsulat - das spätere Haus des Wissenschaftlers - bzw. das Brennigmeyerhaus (später die Hochschule für Binnenhandel) gewonnen werden. Nicht nur die Bücher nahmen Schaden, auch die Bausubstanz verschlechterte sich zunehmend. Bereits 1949 hatte das Sächsische Landbauamt festgestellt, dass sich die über dem Lesesaal befindliche eiserne Dachkonstruktion gesenkt hatte. Eine Aktennotiz vom 11.3.1953 informiert über den Abtransport des Marmors aus dem Vestibül nach Berlin für die Staatsoper. Erstaunlich positiv fällt ein statisches Gutachten vom 12.4.1954 aus , in dem abschließend festgestellt wird, „... dass die zulässige Ausnutzung der Archivgeschosse noch nicht völlig erreicht ist. Zumindest können vorhandene Regale bis an die Decken voll besetzt werden." Diese Aufforderung haben ganze Generationen von Bibliothekaren sehr wörtlich genommen. Die statischen Gutachten, die Anfang der 90-er Jahre erstellt wurden, sahen in einigen Gebäudeteilen ganz anders aus! Trotzdem haben die Mauern gehalten. Vom 13.10.1954 ist ein „Voranschlag für die notwendigsten und vordringlichsten Bauvorhaben der Universitätsbibliothek der Karl-Marx-Universität" datiert." Darin sind für den Bauabschnitt 1955 der Aufbau der Rundgänge, für 1956 der der Südostecke u.a. mit Einzug einer Zwischendecke für Magazinbestand und Errichtung von Arbeitszimmern im 2. OG sowie ein Ausstellungsraum geplant. Für 1957 ist die Wiedererrichtung des großen Lesesaales und des Treppenhauses allerdings ohne Marmorsäulen und Ausmalung - vorgesehen. Abschließend argumentiert Helmut Mogk entschieden gegen Ungewisse Planungen, in denen von einem Neubau der Bibliothek im Rahmen eines neuen Universitätsgeländes die Rede ist, als Grund weshalb keine Autbaumittel für die UBL zur Verfügung gestellt werden. Wie Recht er (1954) damit hatte, zeigt, dass im Zuge der Neubcbauung am 9
UBL-Rcgistratur. Akten der Direktion. UBL-Registratur, Bauakten der Direktion: Gutachten erstellt von R. Doorent/., Baudirektor i.R. Sachverständiger für Bauwesen der Industrie- und Handelskammer Bezirk Leipzig. UBL-Registratur: Ordner Investabteilung - Gebäudeneuhau: Schreiben von Dr. Mogk an die Aufbauleitung der Karl-Marx-Universität /..Hd. Herrn Naumann.
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Augustusplatz erst 1978 eine Teilbibliothek mit einer Kapazität von lediglich 500.000 Bänden entstand. 1955 /56 gelingt es endlich, die Rundgänge aufzubauen, allerdings reicht das Geld zunächst nur für die Regale in einem Rundgang.
1.5 Scheitern aller Projekte für den Gesamtaufbau des Gebäudes 1956 lauten die Vorplanungen für ein Wiederaufbauprojekt. Die Kapazität soll von ca. 1,5 Mio. Bänden und 72 Arbeitsplätzen auf ca. 2 Mio. Bände und 150 Arbeitsplätze erweitert werden. Die seitlichen Bereiche des Treppenhauses sollen den angrenzenden Räumen zugeordnet werden, um die Nutzfläche zu erweitern und den Raumbedarf für die nächsten 20 Jahre zu sichern, was aber im endgültigen Grundprojekt wieder verworfen wurde. Außer dem zentralen Lesesaal sollen u.a. Speziallesesäle für Gesellschaftswissenschaften und Orientalistik, Dozentenlesezimmer und Einzelarbeitsräume für Benutzer entstehen. Weiter wird vorgeschlagen, Zwischendecken einzuziehen und die Dachböden auszubauen, was bereits bei den Bauplanungen der 20-er und 30-er Jahre eine Rolle spielte. Daraus entwickelt das Entwurfsbüro für Hochbau des Rates der Stadt Leipzig das Grundprojekt Wiederaufbau der Universitätsbibliothek, Objekt-Nr. 58-44. " Technische Einrichtungen wie Lastenaufzug, Buchpaternoster und Rohrpost, Modernisierung der Heizung und ein Aufzug für Gehbehinderte sind ebenfalls vorgesehen, Arbeitszimmer für die Sächsische Akademie der Wissenschaften sind geplant. Die Handschriftenabteilung soll neue Arbeits- und Magazinräume sowie einen Ausstellungsraum bekommen, die Ausleihe, Tauschstelle und Post erweitert werden. Der Prüfbericht durch die Staatliche Bauaufsicht vom 9.4.1958 zum Grundprojekt beziffert die gesamten Baukosten ohne Neubau eines Kohlebunkers auf 7,2 Mio. DM. Das überschreitet bei Weitem die von der Plankommission des Rates der Bezirkes am 1.11.1956 genehmigte Orientierungssumme von 3,8 Mio. DM. Gebaut werden sollte in drei Bauabschnitten, beginnend mit dem Mitteltrakt, danach war der Aufbau der Südostecke geplant und als drittes sollte der Umbau des Westflügels erfolgen. Am 5.11.1959 beschwert sich der UBL-Direktor, nunmehr Johannes Müller, in einem Schreiben an das Staatssekretariat für das Hoch- und Fachschulwesen Sektor Wiss. Bibliotheken, dass im zur Bestätigung anstehenden 7-Jahrplan das Wiederaufbauprojekt der ÜB aus Kostengründen (insgesamt 7,5 Mio.) nicht angemessen berücksichtigt wurde. 13 Er schreibt: „... In der Einsicht, class die Bauplanung im 7-Jahrplan nach Vordringlichkeiten aufgestellt wurde, haben wir lediglich den Eckaufbau (15 40 m) als vordringlich erklärt, ein Objekt, das nur 1,5 bis 2 Millionen erfordert." p
UBL-Registratur: Grundprqjckt Wiederaufbau Bautechnischer Teil, Kostenübersicht. UBL-Registratur: Ordner Investabteilung - Gebäudeneubau: Schreiben Dr. Joh. Müller.
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Er weist darauf hin, dass bei Nichtaufnahme dieses Teilstückes in den folgenden 10 Jahren keinerlei Aufbau möglich sein wird. Der Mitteltrakt soll im nächsten 7-Jahrplan verankert werden. „... Die Mittel hoffen wir mit Unterstützung des Staatssekretariats als Sondermittel höheren Orts erwirken zu können." - Woher nehmen ? Die Bauverwaltung des Staatssekretariats für das Hoch- und Fachschulwesen an der Karl-Marx-Universität erstellt am 6.12.1966 ein bautechnisches Gutachten. 14 Zwanzig Jahre nach der Zerstörung des Hauses erfüllen die Notdächer und Notfenster nur bedingt noch ihre Funktion. Durch die nach wie vor nicht geschlossenen Baulücken dringt zunehmend Wasser ins Mauerwerk ein. Die Elektroanlagen entsprechen nicht mehr den Bestimmungen des Brandschutzes und die Heizungsanlage ist stark überaltert. Auf dem Ostflügel droht das Schieferdach abzurutschen. Da - erneut unter Hinweis auf die Kosten - mit einem Wiederaufbau nun nicht vor 1973 gerechnet wird, schließt das Gutachten mit einem 6 Punkte umfassenden Sofortmaßnahmenkatalog mit einer Kostenschätzung in Höhe von 460.000 Mark. Auch ein im Auftrag des Methodischen Zentrums für wissenschaftliche Bibliotheken durch die Technische Universität Dresden 1967/68 bearbeitetes Forschungsprojekt zur „Rekonstruktion bestehender Bibliotheksgebäude 1 ', das sich mit den Bibliotheken Rostock, Greifswald, Leipzig, Halle und Landesbibliothek Dresden befasst, bestätigt nur die Notwendigkeit des Wiederaufbaus. - Die hier genannten Bibliotheken konnten erst nach der Wiedervereinigung Deutschlands ihre Bauvorhaben verwirklichen! Alle Bemühungen der Bibliothek um Wiederaufbau hier detailliert zu beschreiben, würde den Rahmen dieses Beitrages sprengen. Weder ein bibliothekspolitisches Gutachten über die Notwendigkeit eines Wiederaufbaus der UBL von 1971 l:> noch die Erarbeitung neuer Grobkonzeptionen zum Aufbau mit Aktualisierung des Raumprogramms auf der Basis des Projektes 58-44 in den Jahren 1974 und 1975 brachten irgendwelche Erfolge. Unzählige Beratungen mit dem Rektorat und der SED-Kreisleitung blieben ebenso ergebnislos. Im Gegenteil -je länger sich der Aufbau des Hauses verzögerte, um so gravierender wurden die Folgeschäden. Undichte Dächer gefährdeten den Buchbestand, bei Sturm drohten die Notfenster herauszubrechen, durch Frost geschädigtes Mauerwerk bröckelte, im Herbst 1964 bestand akute Einsturzgefahr für die Stahlkonstruktion über dem großen Lesesaal, ein Jahr später folgte ihr Abriss. Am 10.7.1963 musste ein Teil des Korridors im Erdgeschoss wegen Einsturzgefahr gesperrt werden. 1983 wurde das Erdgeschossmagazin im Ostflügel, der alte Handschriftensaal, gesperrt, da im Keller die Gewölbe gerissen waren. Das bedeutete. UBL-Registralur: Ordner Investabteilung - Gcbäudeneubau: Bautechnisch.es Gutachten über den derzeitigen Zustand der Universitätsbibliothek. UBL-Registratur: Ordner Bau/ustand: Bibliothekspolitisches Gutachten, Schreiben von Dr. F. Schaaf vom 5.7.1971.
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dass der dort lagernde Bestand zur sächsischen Geschichte und einige andere viel benutzte Bestandsgruppen für rund 2 Jahre nicht mehr zugänglich waren. Der Zustand der gesamten Heizungsanlage verschlechterte sich von Jahr zu Jahr. 1967 fand eine „Besprechung betreffs Fernheizanschluss der Hoch- und Fachschulen im Bereich Grassistrasse" statt, wobei gleich gesagt wurde, dass die Energieversorgung Leipzig erst in den Jahren 1972/73 in der Lage sein werde, mit dem Bau der 200 Meter Anschlussleitung bis zur Grundstücksgrenze zu beginnen. 1976 wird erneut ein Antrag auf Aufnahme in die Baubilanzierung des Rates des Bezirkes für den Fernwärmeanschluss im Zeitraum 1980 bis 1983 gestellt. Tatsächlich erfolgte der Anschluss 1992! Die Aufzüge durften nur noch mit Ausnahmengenehmigung genutzt werden, 1975 wurde der westliche stillgelegt, vorhandene Ersatzteile konnten wegen fehlender Baukapazität nicht eingebaut werden, ebenso entfiel die geplante Erweiterung dieses Aufzuges bis in den Kellerbereich. 16 Die Arbeitsgruppe Bibliotheksbauten beim Institut für Hoch- und Fachschulbau an der TU Dresden gab im Auftrag des Ministeriums für Hoch- und Fachschulwesen 1978 Empfehlungen für den Wiederaufbau der UBL. Vorausgegangen waren umfangreiche Zuarbeiten der UBL über die weitere konzeptionelle Entwicklung des gesamten Bibliothekswesens der Universität. Wieder wurde ein Raumbuch erstellt mit Angabe derzeitiger und künftiger Nutzung. Alle Unterlagen wurden 1979 auch der Investbauleitung übergeben. Ob damit tatsächlich eine Aufnahme des Wiederaufbauprojekts in den Fünfjahrplan 1981-1985 erreicht werden konnte, wurde allerdings - zu Recht — bezweifelt. Am 30.6.1985 legte das Zentralinstitut für Hochschulbildung Abt. Hoch- und Fachschulbau Dresden eine „Funktionsstudie Universitätsbibliothek Leipzig"17 vor. Vorgesehen waren für den rekonstruierten Bau 160 Leseplätze, eine Kapazität von maximal 3 Mio. Bänden in den Magazinen und 126 Mitarbeiterarbeitsplätze, sowie 20 für die Sächsische Akademie der Wissenschaften. Der Investitionsaufwand wurde auf 29,65 Mio. Mark geschätzt. Gebaut werden sollte wieder in Abschnitten, wobei mit Sofortmaßnahmen zur Sicherung vorhandener Bausubstanz zu beginnen wäre, danach der Wiederaufbau des Ostflügels und die Rekonstruktion des Mitteltraktes und abschließend Werterhaltungsmaßnahmen im Westflügel folgen sollten. Alle Bibliotheksdirektoren nach dem 2.Weltkrieg haben sich intensiv um einen kompletten Wiederaufbau bemüht. Viel Papier wurde beschrieben, aber bekanntlich ist Papier sehr geduldig. Letztlich ist diese doch traurige Geschichte ein Zeichen sozialistischer Kulturpolitik gewesen. Die Ruine der UBL war nur eine unter vielen.
UBL-Registratur: Ordner Bauziistand. UBL-Registratur: Funktionsstudie Universitätsbibliothek KMU Leip/.ig, bearbeitet vom Zcntralinstitut für Hochschulbildung, 30.6.1985
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1.6 Arbeitsbedingungen für Mitarbeiter und Leser So nüchtern sich die Fakten lesen, so sehr haben die baulichen Gegebenheiten auch die Arbeitsmöglichkeiten in der Bibliothek beeinträchtigt. Besonders belastend war der Zustand der Fahrstühle, der im Ostflügel reichte nicht ins Dachgeschoss, der im Westteil nicht bis in den Keller, alle Bemühungen dies zu ändern, waren am fehlenden Geld gescheitert. Teile des Bestandes konnten nur per Hand transportiert werden. Durch die Zerstörung des Mitteltraktes waren auch die Wege erheblich umständlicher und weiter. Eine sinnvolle Zuordnung bestimmter Dienstbereiche zueinander wurde dadurch ebenfalls erschwert. Noch problematischer wurde das Heizungsproblem. Zwar hat die Betriebstechnik der Universität in den 80-er Jahren begonnen, Leitungen und Heizkörper zu erneuern, um die Anlage auf Warmwasser umzustellen, was in Vorbereitung auf den Fernwärmeanschluss zwingend war, aber erstens konnte der marode Ostflügel nicht angeschlossen werden, und zweitens war das Arbeitstempo der Betriebstechnik so, dass sie von den politischen Ereignissen 1990 überholt wurde. Erst nach der Wende wurden die Rundgänge wieder beheizbar. Die Temperaturen im Hause lagen zuvor im Winter in einigen Bereichen bei minus 4° bis minus 7°C. Im Ostflügel war im Bereich zur Ruine der Südostecke im Winter 1986/87 Wasser in eine tragende Säule gesickert und ausgefroren, infolge dessen ein größeres Stück aus dieser ca. 8 mm starken gusseisernen Säule herausgesprengt wurde. Da hieß es wieder Bücher retten und umlagern. Durch die fehlende Heizung in den Rundgängen, dem Ostflügel und auf den Böden sowie in den Kellerräumen waren die dort lagernden Buchbestände erheblichen klimatischen Schwankungen unterworfen. Die Folge davon war Schimmelbefall. Am wärmsten wurde noch der Katalogsaal, der im o.g. Winter immerhin noch 13°C plus aufwies. In besonders strengen Wintern musste Notbetrieb gefahren werden, die UBL war nur stundenweise geöffnet, Mitarbeiter hatten täglich einige Zeit anwesend zu sein, machten nach Möglichkeit sonst Heimarbeit oder wurden in Zweigstellen eingesetzt. In den Magazinen wurde nur noch ausgehoben, Rückordnung erfolgte erst im Frühjahr, dann allerdings musste die gesamte Belegschaft der Benutzungsabteilung ran. Dass dieses Verfahren zu Einschränkungen in der Benutzung und zu Unmut bei den Lesern führte, bedarf keiner Erörterung. Die Mitarbeiter hatten alle in ihren Schränken warme Jacken und Decken parat, die mit schöner Regelmäßigkeit Winter für Winter zum Einsatz kamen. Die Notdächer wurden ebenfalls zunehmend undicht. Nach jedem stärkeren Regen mussten Kontrollen auf den Böden und unter dem alten Lesesaal gemacht werden. Plastikplanen, Kinderbadewannen, Eimer u.a. wurden genau platziert. Nur so konnten größere Schäden am Buchbestand verhindert werden. In den Ruinenteilen, die sich im Laufe der Jahre begrünt hatten, hatten Tauben ideale Lebensbedingungen gefunden. Folge davon war, dass das Haus von Tauben-
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zecken befallen wurde. Einige Mitarbeiter haben sehr unangenehme Bisse davon getragen. Experten bestätigten uns, dass nur eine grundlegende Rekonstruktion des Hauses die Lösung des Problems bringen kann. 1988 und 1989 legte der UBLDirektor, Bernd Rüdiger, selbst mit Hand an, um den Taubendreck zu beseitigen. Es grenzte schon an Wunder, dass die Mitarbeiter nicht völlig resignierten, sondern alles versucht haben, die Bibliothek zu erhalten. Beispielsweise wurde bereits beim Bau der Magazintürme für die Deutsche Bücherei 1976 verhandelt, dass ca. 500.000 Bände UB-Bestand dort eingelagert werden sollten. 1983/84 begann die Bestandumlagerung von 8.200 laufenden Metern.
2.0 Wiederaufbau und Erweiterungsbau ab 1991 bei laufendem Bibliotheksbetrieb 2.1 Planung und Umplanung gemäss den Forderungen des Wissenschaftsrates Auch wenn bislang alle Planungen umsonst gemacht worden waren, hatte die TU Dresden doch an der Funktionsstudie von 1985 weitergearbeitet und legte im Dezember 1989 eine bautechnische Konzeption zum Vorhaben „Rekonstruktion lX der Universitätsbibliothek Leipzig" mit der Projekt-Nr. 8801 vor. Geschätzte Baukosten lagen bei traditionellem Aufbau der Südostecke in Höhe von 26,2 Mio. Mark und bei Montagebauweise in Höhe von 25,6 Mio. Mark. Zu diesem Projekt erstellte das Institut für Denkmalpflege, Arbeitsstelle Dresden, im Mai 1990 eine Rahmenzielstellung zum Wiederaufbau der UBL. Die hauptsächlichsten Forderungen wurden in den folgenden Jahren auch realisiert. Die politischen Ereignisse des Herbstes 1989 brachten endlich den Stein ins Rollen. Zahlreiche Zeitungen aus ganz Deutschland berichteten über die Zustände in Bibliotheken der DDR. Erneut versuchte die UBL Aufbaumittel vom Ministerium zu bekommen. Am 18.Februar 1990 sagte die Volkskammer der DDR einen Betrag von 46 Mio. Mark für den Wiederaufbau der ÜB Leipzig zu. Gleichzeitig wandte sich die Bibliotheksleitung mit einem Spendenaufruf an die Öffentlichkeit. Resultat all dieser Bemühungen war die im April 1991 vorgelegte „Grundlagenermittlung und Vorplanung Wiederaufbau Bibliotheca Albertina" vom Architektenbüro HJW & Partner. Auf der Basis dieser Studie wurde die Haushaltunterlage Bau erarbeitet, die im November 1991 zur Genehmigung eingereicht wurde (vgl. unten den Beitrag von Herwig u.a., S. 93-122). Da einem weiteren Verfall der ruinösen Bausubstanz Einhalt geboten werden musste, begannen noch im Jahr 1991 die Bausicherungsmaßnahmen, die in ihrem 18
UBL-Registratur: Technische Universität Dresden, TU Projekt, Vorhaben: Rekonstruktion der Universitätsbibliothek Leip/ig, Projekt-Nr. 8801, Bearbeiter: Dr. Ing. T/schacksch, Dipl. Ing. Renner, Bauing. Greilich, Dezember 1989.
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Umfang einem Bauabschnitt 0 entsprachen. So wurden die fehlenden Geschosse auf den Bauteilen Ost-Innen (über dem Kartensaal) und West-Innen (über dem Zentralkatalog) aufgestockt und die Trennwand zwischen Treppenhalle und Lesesaal neu errichtet als Voraussetzung für eine Überdachung der Treppenhalle. Noch wichtiger für den Betrieb des Hauses war die Erneuerung und Erweiterung in alle Etagen der total überalterten Aufzüge und der Einbau eines neuen Erschließungskerns neben dem Haupteingang. Da kein ausreichend großes und geeignetes Gebäude als Interimsquartier für die Bibliothek gefunden werden konnte, war klar, dass der gesamte Wiederaufbau bei laufendem Bibliotheksbetrieb in mehreren Bauabschnitten durchzuführen sein würde. Bauabschnitt l beinhaltete den Wiederaufbau des Ostflügels, Abschnitt 2 die Rekonstruktion des Mitteltraktes und zum Abschluss in Bauabschnitt 3 die Sanierung des Westflügels, so wie schon früher angedacht. Erstmals sah das nunmehr vorgelegte Konzept nicht nur die Wiederherstellung der zerstörten Bauteile, sondern auch eine Kapazitätserweiterung und Modernisierung des gesamten Gebäudes vor. So sind die beiden Innenhöfe überbaut worden und ist im Osthof ein zusätzliches Tiefgeschoss entstanden. Alle neu errichteten Bauteile sind für die Aufstellung von Kompaktregalanlagen geeignet. Schwierig gestaltete sich bei Erarbeitung der HU-BAU die notwendige Zuarbeit durch die Bibliothek und die Universität. 1990/91 hatte die Universität nur ca. 8500 eingeschriebene Studenten - alle zogen damals erst mal gen Westen -, es war noch nicht endgültig klar, welche Institute abgewickelt oder neu gegründet werden bzw. erhalten bleiben. Ebenso diskutierte man noch über den Standort der Universität, Beibehaltung der innerstädtischen Areale oder Neubau eines Campus am Rande der Stadt. Eine Verlagerung der Universität aus dem Innenstadtbereich hätte die Bibliothek noch weiter in eine Randlage gedrängt, was unweigerlich zu einer Nutzungsbeeinträchtigung geführt hätte. Somit war es auch für die Bibliothek problematisch, die Nutzungsfrequenz für die kommenden Jahre vorzuplanen. Maßgeblichen Anteil an der Konzeption hatte dabei Dietmar Debes, Direktor ad interim von September 1990 bis April 1992. Er hatte bereits in den 70-er und 80-er Jahren entscheidend bei den damaligen Aufbauplanungen mitgewirkt. Die Haushaltunterlage Bau folgte dem ursprünglichen Konzept Roßbachs, nachdem die Hauptnutzungsebene im 2. Obergeschoss angelegt ist. Sie sah 250 Leseplätze und ca. 200.000 Bände in Freihand vor. Gegenüber den bis dahin nutzbaren 60 Leseplätzen und etwa 30.000 Bänden Freihandbestand im Lesesaal und Katalogsaal war das schon eine erhebliche Erweiterung. Dennoch entsprachen die Planzahlen eher dem Charakter einer wissenschaftlichen Forschungsbibliothek. Die Studenten nutzten damals vorwiegend die Zweigstelle am Augustusplatz. Als die HU-BAU im September 1993 genehmigt worden war, wurde sie dem Wissenschaftsrat zur Begutachtung vorgelegt. Die Arbeitsgruppe Bibliotheken hatte bereits im Februar 1992 bei einem Besuch in der UBL das Projekt mit den Bibliothekaren und Planern erörtert. Die vom Land Sachsen angemeldeten Sofort-
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maßnahmen zur Bausubstanzsicherung und die Weiterführung der Planungsarbeiten waren zur Aufnahme in Kategorie I des Rahmenplans empfohlen worden. Die Einstufung des weiteren Baus in Kategorie I war zu diesem Zeitpunkt vor allem von der noch zu klärenden Frage, welche Funktion der ÜB Leipzig künftig zukommen und welches Bibliothekssystem errichtet werden solle, abhängig gemacht worden. Der Wissenschaftsrat empfahl, die Stellung der Hauptbibliothek gegenüber den Teilbibliotheken zu stärken. Ebenso sollte der Anteil an Freihandbestand und die Zahl der Leseplätze erweitert werden, (vgl. Beitrag Ekkehard Henschke). So begann unmittelbar nach Genehmigung der HU-BAU gleich die Umplanung in Form eines Nachtrages. Durch Einbeziehung des l. Obergeschosses im Ost- und Nordostflügel und im Mitteltrakt sowie des gesamten 3. Obergeschosses in die Freihandbereiche konnte die geplante Zahl der Leseplätze auf ca. 700 und rund 50 Multimediaarbeitsplätze erhöht werden. Dies und geplante 440.000 Bände in Freihandaufstellung für die geisteswissenschaftlichen Fächer schmälerten allerdings die Kapazität für den Magazinbestand auf ca.3,2 Mio. Bände (im Jahr 2003 werden durch Rückführung der ausgelagerten Bestände ca. 2,5 Mio Bände in den neuen Magazinen stehen. Je nach Menge der jährlich neu zu erwerbenden Bücher ist spätestens 2020 mit der Auslastung der Kapazität der Magazine zu rechnen). Die Arbeitsräume für die Mitarbeiter wurden weitestgehend in die 4. Etage verlegt (allerdings reicht der Platz dort nicht für alle, so dass einige Wissenschaftler und Mitarbeiter des Geschäftsgangsbereiches im 3. OG bzw. im Erdgeschoss ihre künftigen Arbeitszimmer haben werden; wenn auch die Räume nicht ausreichen, allen Wissenschaftlern ein Einzelzimmer zu bieten — in diesen „Genuss" kommen nur die Bereichs- und Abteilungsleiter —, so haben sich die Arbeitsbedingungen mit Vollendung des Wiederaufbaus doch wesentlich verbessert). In seiner Stellungnahme 19 vom 8.7.1994 begrüßte der Wissenschaftsrat die neue Planung, bemängelte aber wieder die Vielzahl von Teilbibliotheken. Als Voraussetzung für die Wahrnehmung der Aufgabe Zentralbibliothek für Geisteswissenschaften sollten diese Fachgebiete in unmittelbarer Nähe zur Bibliothek angesiedelt werden. Mit dieser Auflage wurde der Aufnahme des Bauvorhabens ÜB Leipzig in den Rahmenplan (Kategorie I) zugestimmt. Damit war endlich die Finanzierung gesichert. Unmittelbar nach Genehmigung der HU-BAU begannen die Bauarbeiten. Die festliche Grundsteinlegung fand am 10. Februar 1994 statt. Am 16.12.1994 konnte das Richtfest für den Ostflügel gefeiert werden. Im Februar 1996 wurden das neue Untergeschoss und das Kellergeschoss zur Vorabnutzung übergeben. Die Einweihung des gesamten ersten Bauabschnitts folgte am 4.11.1998. Für die Nutzer war das 2. OG im Ostflügel schon zu Semesterbeginn freigegeben worden. Der Mittel19
UBL: Akten des Direktors, Kopie des Schreibens von Prof. K.-H. Hoffmann an den Rektor der Universität vom 16.8.1994.
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trakt mit der aufwändig restaurierten Treppenhalle und dem großen Lesesaal wurde am 9. Oktober 2000 - 55 '/2 Jahre nach seiner Zerstörung - wieder seiner Bestimmung übergeben. Mit der Erweiterung und Modernisierung des Westflügels wird der Wiederaufbau der Bibliothek am 24. Oktober 2002 beendet sein. Genau 1 1 1 Jahre nach der feierlichen Einweihung des Neubaus stellt die ÜB Leipzig wieder eine funktionsfähige Einrichtung der Universität dar.
2.2 Schaffung von Baufreiheit In die Freude über den nun endlich - nach so vielen erfolglosen Versuchen beginnenden Wiederaufbau der UBL mischte sich natürlich die Sorge, wie der Bibliotheksbetrieb weiterlaufen sollte. Bald war klar, ein Ausweichquartier für immerhin ca. 1,5 Mio. Bände, die Kataloge, die Mitarbeiter und nicht zuletzt die Leser in akzeptabler Lage zur Universität stand nicht zur Verfügung. So blieb nur Bau bei laufendem Bibliotheksbetrieb, wie auch schon in der Vergangenheit, nur war der Umfang der jetzigen Baumassnahme unvergleichlich größer. Zunächst hieß die Devise: Baufreiheit schaffen. Weil zu den Bausubstanzsicherungsmaßnahmen auch die erforderlichen Umbauten zur Erschließung des Gebäudes, wie Einbau einer neuen Treppe und eines Aufzuges in Süd-Mitte neben dem Haupteingang, Neubau von Toiletten usw. gehörten, mussten als erstes intakte Magazinbereiche geräumt werden. Die alte Eisentreppe, über die jahrzehntelang die Ausleihe und der Katalogsaal erreichbar waren, musste abgerissen werden, ebenso Teile des Ostflügels, in dem sich 1991 noch ca. 5.000 laufende Meter Zeitschriften und Dissertationen befanden. Nach erneuten Verhandlungen mit der Deutschen Bücherei wurden in deren Büchertürmen weitere Magazinflächen - leider nur befristet - für ca. 2.500 laufende Meter angemietet. (1994/95 musste dann der gesamte dort befindliche Buchbestand — ca. 11.000 laufende Meter — wegen Eigenbedarfs der Deutschen Bücherei in das LKG-Gebäude in der Prager Straße umgesetzt werden, nachdem dort die Räume mit Regalen ausgestattet worden waren.) Die Zeitschriften sollten aus verständlichen Gründen unbedingt im UBL-Gebäude verbleiben. Sie wurden auf die Rundgangmagazine und das Dachgeschoss West verteilt. Ein Teil der Zeitschriften in der Nordostecke verblieb noch am alten Standort, in den Rundgängen wurden zusätzliche Regale in die Zwischengänge gestellt, wodurch eine für die Magazinmitarbeiter fast unzumutbare Zersplitterung der Signaturgruppen entstand und die Bereitstellung erheblich erschwerte. Für die eigentlichen Transportarbeiten hatten die Mitarbeiter der Benutzungsabteilung schnell die Logistik erarbeitet. Die Bestände sollten auch während der Umzugszeiten benutzbar sein. Es wurden 24 Wagen mit einem Fassungsvermögen von 8 laufenden Metern angeschafft. Diese Wagen mussten von der Höhe zunächst noch in die alten Aufzüge passen (Nachdem die Maschinenschrauben an der Decken-
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innenverkleidung durch Senkkopfschrauben ersetzt waren, klappte das auch.) In dieser Fase waren das Organisationstalent und die Gründlichkeit des Bibliothekars Peter Böhme unersetzlich. Die Transporte wurden weistestgehend durch eigenes Personal mit Unterstützung von studentischen Hilfskräften und anfänglich durch ABM-Kräfte durchgeführt. Je ein Magazinmitarbeiter am alten bzw. am neuen Standort sorgte für die sachgerechte Befüllung der Wagen und die richtige Aufstellung. Zureichen und Fahren der Wagen erledigten meist die Hilfskräfte, bei Transporten in die Ausweichmagazine eine Spedition. Dadurch waren die Bücher auch am Transporttag benutzbar - früh am alten, bei Dienstschluss am neuen Standort - und in ganz dringenden Fällen auch vom Wagen herunter. Nachfolgende aufwändige Revisionsarbeiten erübrigten sich durch diesen Personaleinsatz. Von Anfang an war klar, alles, was im Westflügel und in den Rundgängen des Hauses stand bzw. dorthin verlagert wurde, musste ebenfalls umgesetzt werden. Das hieß für etliche Bestandsgruppen Mehrfachumlagerung. Da jedoch aus personellen Gründen aus dem Außenmagazin nur zweimal wöchentlich Bücher bereitgestellt werden konnten, war die für die Mitarbeiter sehr belastende Doppelarbeit für die Leser die bessere Lösung. Mit dem Neubezug des Ostflügels wurden umfangreiche Signaturgruppen (Zeitschriften und Monographien) aus der Zweigstelle am Augustusplatz wieder in die Hauptbibliothek zurückgeführt, teils in Freihand teils in die Magazine. Die Auswahl dieser Bestände erfolgte nach Fachgruppen, so dass im Magazin nicht nur eine einfache Umsetzung, sondern Einfügen der Bestände in die Signaturgruppen vorgenommen werden musste. Gleichzeitig wurden die an verschiedene Stellen im Hause verteilten Zeitschriften wieder zusammengeführt. Diese parallel laufenden Arbeiten konnten nur durch vorherige genaue Planung reibungslos erledigt werden. Stefan Fischer, der Leiter der Magazine in der Hauptbibliothek, hatte alle Signaturgruppen getrennt nach 2°-, 4°- und 8°-Formaten Regalmeter für Regalmeter ausgezählt. Sobald die Regalpläne vorlagen, bereitete er die Aufteilung der Bestände vor. Soweit möglich wurde das Aufstellungskonzept, neuerer Bestand in der Nähe zur Ausleihe, älterer Bestand in entfernteren Gebäudeteilen unterzubringen, beim Neubezug berücksichtigt. Um aber Baufreiheit für den Westflügel zu schaffen, mussten auch Fachsignaturenbestände im Ostflügel aufgestellt werden. Diese sollen später weitgehend in den Westflügel verlagert werden, damit der Neuzugang der kommenden Jahre in Ausleihnähe angeordnet werden kann. Ebenso wurde die Rückführung der ausgelagerten Bestände eingeplant.
2.3 Baumaßnahmen in Bibliotheksräumen Baufreiheit musste während der gesamten Bauzeit hergestellt und in den jeweiligen Bauablauf eingetaktet werden. Auch die Bauleute - Planer wie Ausführende standen immer vor dem Problem, um die Bibliothek herum zu bauen. Von einer linearen und damit zügigen Bauweise konnte nicht die Rede sein. Die Grenzen
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zwischen Baustelle und Bibliothek waren oft genug fließend, zumindest nicht immer staubdicht oder geräuscharm. Dass es trotzdem - wie die Verfasserin meint - so gut funktioniert hat, ist vor allem dem Oberbauleiter Ronald Börner zu danken, der den gesamten Bauablauf begleitet hat. Er hat Planern und Firmen immer wieder klar gemacht, dass und wie die Bibliothek noch funktionsfähig bleiben muss. Zwar galt auch hier „Baustelle Betreten verboten!", aber die Zugänglichkeit zu einzelnen Magazinen wurde der UBL immer garantiert, auch wenn dies zeitweilig nur durch Baubereiche möglich war. Nur zu Beginn der Bausubstanzsicherungsmaßnahmen war der Zeitungsboden für einige Wochen nicht erreichbar, da die Treppe komplett demontiert wurde. Bei der Erweiterung des Treppenhauses Nordost bis zum neuen Untergeschoss wurde vom EG aus ausgeschachtet. Vom Rundgang her wurde ein hölzerner Steg zum Magazin Nordost gebaut und somit der Zugang gesichert. Kompromisse mussten beide Seiten eingehen. Für den Wiederaufbau der Treppenhalle war es unumgänglich, vom Arbeitsraum der Erwerbung einen Durchgang für Benutzer als Zugang zum Katalogsaal abzutrennen. Dadurch wurde der seit dem 2.Weltkrieg bestehende Tunnel ersetzt. Zur Umlagerung der Bestände wurden die letzten Reserven im Haus erschlossen, aber für die Freiräumung des Nordostflügels war kein Platz mehr vorhanden. Es betraf wieder viel gefragte Signaturgruppen. Das Staatshochbauamt stimmte dem Antrag der UBL zu, zwei Magazingeschosse im Ostflügel vorzeitig zur Sicherung der Funktionsfähigkeit in Nutzung zu nehmen, keineswegs eine Selbstverständlichkeit. Die Buchumsetzungen begannen unmittelbar nach Übergabe der Räume im Februar 1996. Zwar war ein Teil der Klimaanlage ebenfalls vorzeitig in Betrieb gegangen, aber ab Erdgeschoss stand der Ostflügel nur als Rohbau. Das hatte zur Folge, dass die Temperaturen im Magazin im Winter kaum über 15°C stiegen (das war wesentlich mehr als zu Zeiten gänzlich ohne Heizung). Folge der Vorabinbetriebnahme war aber auch, dass nach Aufstellen der Zeitschriften und Foliobände die Horizontaltrasse für die Buchförderanlage im Kellermagazin montiert wurde. Staubfrei liefen diese Arbeiten nicht ab. Ständig standen die Magazintüren offen - ein erhebliches Sicherheitsrisiko für den Bestand. Buchverluste oder ernsthafte Schäden am Bestand sind jedoch zum Glück nicht eingetreten. Als positives Beispiel, wie auch Bauarbeiter mit einer ihnen fremden Materie sorgsam umgehen, seien hier nur die Kernbohrungen durch alle Etagen in den Bauteilen Nordost und Nordwest erwähnt. Die Bücher in den Bereichen wurden abgedeckt, um den Staub einzudämmen, wurde nass gebohrt, hinterher der Bereich wieder grob gereinigt. Pannen gab es natürlich auch, aber das ist nicht Thema einer Festschrift.
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2.4 Arbeitsbelastungen für die Mitarbeiter Um zwischen den einzelnen Bauabschnitten keine Unterbrechungen entstehen zu lassen, begann die jeweils folgende Bauphase vor Fertigstellung der vorhergehenden. Die Zeit, die den UBL-Mitarbeitern für die umfangreichen Bestandsumsetzungen zur Verfügung stand, war durch diesen Bauablauf denkbar eng begrenzt. Unterschiedlichste Ursachen führten bei einigen Firmen zu Bauverzögerungen, was zwangsläufig auch die folgenden Maßnahmen zeitlich verschob. Beispielsweise die nicht termingerechte, teils fehlerhafte oder unvollständige Lieferung von Regalen verhinderte die fristgerechte Übergabe des 2. Bauabschnitts. Die Inbetriebnahme war aber durch den Semesterbeginn festgelegt. Der Kontakt zwischen Bauleitung und Bibliothek lief über die gesamte Bauzeit sehr gut. Dennoch vor Überraschungen war man nie gefeit. So war mal diese oder jene Tür nicht geschlossen, Abdeckungen nicht richtig befestigt o.a. Am schlimmsten gestalteten sich die Sandstrahlarbeiten innerhalb des Hauses, ein Verfahren, den alten Putz von den bestehenden Wänden zu entfernen. Dieser feine Staub drang durch alle Ritzen. Vom Baulärm blieb kein Mitarbeiter verschont. Einige traf es besonders hart, wenn die Dienstzimmer an drei Seiten gleichzeitig vom Baugeschehen umzingelt waren, wie das bei der Erwerbungsabteilung oder der Poststelle der Fall war. Von den Belastungen für die Magaziner ganz zu schweigen. Der eigentliche Baulärm wurde als unvermeidbar von den meisten Kollegen hingenommen, wenn aber über alles hinweg noch Radios dröhnten, dann lagen die Nerven blank. Zeitaufwändig und den Dienstbetrieb störend waren die ständigen Quartierwechsel der Mitarbeiter, von denen nicht einmal der Direktor ausgenommen war. Zwischen 1991 und 2002 sind alle mindestens zweimal, die meisten sogar öfter umgezogen. Mit Fortschreiten des Baus standen immer weniger Zimmer zur Verfügung. Die Schwierigkeit bestand darin, den einzelnen Dienststellen einigermaßen ausreichenden Raum in einer noch halbwegs sinnvollen Zuordnung gemäß ihres Arbeitsablaufes zur Verfügung stellen zu können. Mit Beginn des 3. Bauabschnitts blieben da nur noch die Freihandbereiche im Ostflügel. Das Staatshochbauamt zeigte erneut Entgegenkommen, einige Lesetische wurden nicht montiert. So war der Geschäftsgangsbereich für knapp 4 Jahre komplett im l. OG Nord-Ost und Ost-Außen untergebracht. Die Auskunft, die EDV-Mitarbeiter und einige Wissenschaftler wurden im Freihandbereich 3. OG an den Lesetischen platziert. Der Richtlinie für Bildschirmarbeitsplätze entsprach das nicht. Andere wissenschaftliche Bibliothekare teilten sich Räume von 12 m2. Aufenthalts- oder Pausenräume wären Luxus gewesen. Als die von der Verwaltung zwischenzeitlich genutzten Räume im 4. OG West-Innen zur endgültigen baulichen Fertigstellung wieder freigeräumt werden mussten, half nur noch der Auszug in die Ritterstrasse. Nach elf Jahren Tätigkeit als Baureferentin sei der Verfasserin an dieser Stelle ein persönliches Wort gestattet. Allen Mitarbeitern, die sich seit der Zerstörung
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1945 bis zum Baubeginn 1991 um den Erhalt der Bausubstanz und um den Wiederaufbau bemüht haben, ist es zu danken, dass 1991 die Bibliothek noch aufbauenswert war. Nicht alle haben das Ergebnis erlebt. 1991 war es für die meisten Mitarbeiter kaum vorstellbar, wie der Bibliotheksbetrieb in einer solchen Großbaustelle laufen soll. Es hat besser funktioniert als angenommen. Allen in der Hauptbibliothek tätigen Mitarbeitern ist zu danken.
3. Fazit Dass nach der Fertigstellung des Baus nicht nur ein faszinierend schönes Gebäude in altem Glanz erstrahlt, sondern darin eine moderne, den Ansprüchen des 21. Jahrhunderts entsprechende, Bibliothek entstanden ist, bewundern Leser wie Besucher. Den Nutzern stehen neben ca. 400.000 Bänden Freihandbestand 758 Leseplätze (alle für Datenanschlüsse vorbereitet) zur Verfügung, davon 52 Multimedia- und 46 weitere Recherchearbeitsplätze. Ergänzt werden diese durch je einen Blindenund Sehbehindertenarbeitsplatz, 8 Carrels und OPAC-Rechercheplätze in allen Freihandbereichen. Die Lage der Ausleihe und des zentralen Informationsbereiches im 2. Obergeschoss folgt dem von Arwed Roßbach verwirklichten Konzept. Wegen der vorgegebenen Gebäudesituation war es nicht möglich, die Ausleihe in der Nähe des Eingangs unterzubringen. Die Lese- und Freihandzonen, die wesentlich von der gelungenen Synthese von Architektur und Einrichtung geprägt sind, bieten allen Nutzern eine erlesene Arbeitsatmosphäre. Dank der vorhandenen Stiftungsmittel konnten in Ergänzung zur neuen Ausstattung der Lesesäle die historischen Katalogsaalmöbel - Originalausstattung von Roßbach - restauriert werden. Dies und die ebenfalls aus jenen Mitteln finanzierte Nachfertigung der historischen Lüster in der Treppenhalle sowie die Aufarbeitung der aus dem alten Lesesaal stammenden Holztäfelung im Lesecafe ergänzen die denkmalpflegerische Rekonstruktion des Hauses." Die Ausstattung der Nutzungsbereiche mit Gemälden aus dem Kunstbesitz der Universität rundet das Gesamtbild ab und knüpft damit an alte Traditionen der Bibliothek an.
" Ausführende Firmen: - Tischlerei Ingo Meyer, Neichen - Förderverein für Handwerk und Denkmalpflege e.V., Trebsen - Malermeister Wolfgang Bosy, Leipzig - Spezialleuchten Würzen GmbH, Würzen
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Der Freistaat Sachsen baut - der Wiederaufbau der Bibliotheca Albertina in Leipzig
Der Freistaat Sachsen, Staatsministerium der Finanzen, wird vertreten durch das Staatshochbauamt Leipzig (SHBAL) und nimmt vorrangig im Bereich des Hochschulbaues die Aufgaben des Bauherren war. Mit der Gründung der Sächsischen Staatshochbauverwaltung am 01. Januar 1991 hat das Staatshochbauamt Leipzig die Verantwortung für alle Planungsschritte und die Baudurchführung des Vorhabens Wiederaufbau und Erweiterung der Universitätsbibliothek Leipzig (UBL) übernommen.
1.0 Planung Auf der Grundlage der im Auftrag der Universität Leipzig erarbeiteten Anforderungsstudie UBL vom April 1990 und der Dokumentation Grundlagenermittlung / Vorplanung vom Januar 1991 erfolgten die Festlegungen zur weiteren Planung.
1.1 Planung Gebäude und Tragwerk Zur Bewältigung der großen Aufgabe wurde der Einsatz eines geeignetes Architekturbüros und der eines Haustechnikplaners unumgänglich. Das neu gegründete Architekturbüro HJW + Partner mit Sitz in Leipzig und Hannover hatte bereits im Vorfeld an der Studie gearbeitet und sich intensiv mit den möglichen Lösungen auseinandergesetzt. Eine vertragliche Bindung durch den Bauherren war deshalb die richtige Entscheidung. Der 1991 abgeschlossene Grundlagenvertrag beinhaltete die Gebäude- und Tragwerksplanung und wurde über die Sofortmaßnahmen und alle drei Bauabschnitte fortgeschrieben. Das Büro ist bis heute der zuverlässige Partner des SHBAL und leistet eine unschätzbare Arbeit beim Wiederaufbau des Hauses.
1.2 Planung Haustechnik Das Ingenieurbüro WMP Meißen erhielt 1991 den Auftrag zur Planung der haustechnischen Anlagen zunächst in Verbindung mit den Sofortmaßnahmen und anschließend für den 1. Bauabschnitt. Das Planungsbüro KMG Berlin wurde als Nachauftragnehmer und Fachplaner für Starkstrom-, Förder- und Gebäudeleittechnik / Sicherheitstechnik durch WMP gebunden.
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Mit Abschluss des l . BA beendete das Büro seine Arbeit an der Bibliothek, und es erfolgte ein Wechsel des Fachplaners. Für den 2. und 3. Bauabschnitt wurde 1997 das Planungsbüro Ingenieurbüro Rathenow mit Sitz in Dresden mit der kompletten Planung der Haustechnik beauftragt.
1.3 Denkmalpflege Eine wesentliche Voraussetzung zur Planung war der Einbezug des Landesamtes für Denkmalpflege. Bereits im Mai 1990 wurde von Gerhard Glaser, dem Sächsischen Landeskonservator des Landesamtes für Denkmalpflege in Dresden, eine erste Rahmenzielstellung vorgegeben. Diese Zusammenarbeit wurde mit zunehmender Bautätigkeit immer intensiver und ein fester Bestandteil der weiteren Planungen
1.4 Sonstige Planung Im Verlauf der Planung wurden außerdem eine Vielzahl von Fachplanungsbüros für Gutachten, spezielle Aufgabenstellungen, Untersuchungen, fachspezifischen Abnahmen, Statikprüfung, Strömungstechnik, Bauphysik, Sicherheitstechnik sowie Unterstützungen für die Planung des Brandschutzes, beauftragt. Stellvertretend stehen dafür die Büros: - GuD Leipzig für Baugrundgutachten u.a. - Sächsische Landesstelle für Bautechnik für Statikprüfungen - MFPA Leipzig für Materialuntersuchungen - KMS Leipzig/Berlin für Sicherheits-, Brandschutz- und Fluchtwegekonzept - ROM München für Klimasimulation - Ingenieurbüro Langkau Köln für Bauphysik - Brandschutz Consult Leipzig für Brandschutz und Entrauchung u.a.
2.0 Erste Maßnahmen Der desolate Gebäudezustand erforderte umgehendes Handeln, und so war die Festlegung, zur Erhaltung und Sicherung des Gebäudes geeignete Sofortmaßnahmen einzuleiten, eine logische Folge. Bereits Ende 1991 konnten erste Sicherungsmaßnahmen für die Gebäudesubstanz in Angriff genommen werden, und es wurde der planerische Vorlauf für das Gesamtkonzept geschaffen. So wurden mit ersten Dacheindeckungen im Bauteil (BT) Südwest (SW) und BT Rundgang (RG) die als Magazine genutzten Bauteile wasserdicht und damit weiter nutzbar gemacht. Parallel konnten über die angelaufenen Maßnahmen zur Verbesserung der Energiestruktur in den neuen Bundesländern die Heizanlagen an die Fernwärme angeschlossen werden.
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Die erforderliche Errichtung einer Wärmeübertragerstation in einem baulich sanierten Kellerbereich, der bislang als Holz- und Kohlenkeller diente, wurde am 09.12.1991 abgeschlossen. Diese Maßnahmen liefen außerhalb der komplexen Maßnahme gewissermaßen als Feuerwehraktion und wurden aus Sondermitteln wie z.B. einem Fonds Energiesparmaßnahmen, der dem SHBAL zur Verfügung stand, finanziert. Die Arbeitsbedingungen der Bibliothek konnten damit sofort und spürbar verbessert werden.
3.0 Haushaltsunterlage Bau Ein wichtiger Schritt bei der Schaffung der Voraussetzungen einer geplanten „Großen Baumaßnahme" war die Erarbeitung einer Haushaltsunterlage Bau (HUBau). Unter Federführung des Staatshochbauamtes Leipzig wurde diese Dokumentation durch die Planungsbüros erarbeitet und im Dezember 1991 eingereicht. Mit dieser Dokumentation wurden folgende Schwerpunkte gesetzt: - Wiederaufbau bei laufendem Bibliotheksbetrieb - Aufgliederung in weitere Sofortmaßnahmen und darauf folgende drei Bauabschnitte - Bauliche Maßnahmen sowohl unter dem Aspekt einer Erweiterung als auch einer denkmalpflegerisch gerechten Erneuerung der im Krieg stark zerstörten und teilweise baufälligen Gebäudesubstanz - Gesamtbauzeit über die Jahrtausendwende hinaus Die Bestätigung der HU-Bau erfolgte am 06.10.1993. Bis zur Freigabe der geprüften Kosten erfolgte eine finanzielle Absicherung mittels Jahresscheiben, so das dass Vorhaben ohne Unterbrechung fortgeführt werden konnte. Genehmigt wurde zunächst ein Gesamtinvestitionsvolumen von 127.588TDM. Mit der Einbindung der Universitätsbibliothek Leipzig in das bundesweite Konzept aller Universitätsbibliotheken wurde durch den Wissenschaftsrat eine Veränderung der bisher als Forschungsbibliothek ausgewiesenen Einrichtung angeregt. In Folge wurde die Forderung nach einer deutlich größeren Anzahl an Lesesaalplätzen und Stellflächen für Freihandaufstellung der Bücher erhoben. Die Erarbeitung eines Nachtrages zur HU -Bau wurde damit notwendig. Auf der Grundlage eines neuen Bauantrages wurde am 12.09.1995 die neue Dokumentation, unter der Vorgabe die Kosten nicht zu überschreiten, erneut eingereicht. Die Bestätigung erfolgte am 18.12.1996 mit folgenden Kapazitäten:
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3.1 Kosten Gesamtbaukosten davon Sofortmaßnahmen 1. Bauabschnitt 2. Bauabschnitt 3. Bauabschnitt Kunst am Bau Nebenkosten
127.355 TDM 3.043 TDM 65.558 TDM 17.280 TDM 25.607 TDM 250 TDM 15.617 TDM
3.2 Kapazitäten Lesesaalplätze Bände in Magazinen Bände in Freihandaufstellung Mitarbeiter
726 3.540.000 447.000 130
3.3 Gebäudekenndaten Hauptnutzfläche Nebennutzfläche Verkehrsfläche Bruttogrundfläche Bruttorauminhalt Bebaute Fläche
19.886m543m 2 3.064 m2 31.252m 2 136.431 m3 5.440 m 2
4.0 Sofortmaßnahmen Im Frühjahr 1992 wurde mit der Planung und Ausschreibung der Sofortmaßnahmen zur Substanzsicherung des Gebäudes begonnen. Außer den o.g. Maßnahmen umfasste der Zeitraum von 1992 bis 1993 folgende Bauleistungen: - Einbau eines Aufzuges im BT Nord West (NW) Dazu gehörte der Rückbau eines aus den 20iger Jahren bestehenden nur noch mühsam zu betreibenden Lastenaufzuges. Zur Errichtung des Aufzugsschachtes war eine der Treppenanlagen zu demontieren und die Gründung des Gleitkernes im Grundwasser nahen Bereich zu gewährleisten. - Abbruch der im Krieg zerstörten Bereiche BT West Innen (WI) und BT Ost Innen (OI) Die über dem 2. OG erhalten gebliebenen notdürftig mit Pappe gesicherten und mit Bauschutt aufgefüllten Gebäudereste waren abzubrechen und bis zur ursprünglichen Höhe wieder aufzubauen. - Neubau der Trennwand zwischen Lesesaal und Treppenhalle - Der im Krieg völlig zerstörte Mittelbau war bis zum Zeitpunkt allen Witterungsunbilden ausgesetzt. Die verbliebenen Umfassungswände wurden zu Außen-
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wänden und über die 47 Jahre hinweg beeinflusst. Durchschlagende Feuchtigkeit mit Salzausbildung, Bewuchs und damit verbundene Zerstörung noch erhaltenswerter Substanz waren die Folge. Die Errichtung der Trennwand schaffte die Voraussetzung, diesen Gebäudeteil wieder zu überdachen. - Überdachung der Treppenhalle BT KN, BT WI und BT OI mit einer großflächigen Stahlkonstruktion. - Haustechnik: Die Maßnahmen gingen einher mit zahlreichen Interimslösungen und Neuinstallationen von Heizungs-, Wasser-, Elektro- und Fernmeldeanschlüssen zur Gewährleistung der Nutzung und ständigen Betriebsfähigkeit der Bibliothek.
5.0 Erster Bauabschnitt 5.1 Rückbau Die mit der HU -Bau festgeschriebene bautechnische Lösung beinhaltete den Rückbau der verbliebenen Ruine an der Beethovenstraße Ecke Seyfferthstraße und den weiteren Abbruch von vier Achsen des noch vorhandenen aber stark baufälligen BT Ost Außen (OA). Durch eine qualifizierte Natursteinfirma wurde beim Abbruch jeder Naturstein der Fassade auf seinen Erhaltungszustand untersucht. Das wiederverwendungsfähige Material wurde konserviert und bis zum Tag des Wiedereinbaues zwischengelagert. Diese Leistung wurde bis 12/1992 abgeschlossen.
5.2 Besonderheiten 5.2.1 Fresken Im Kellergeschoss des BT West Außen (WA) befanden sich seit der Errichtung der Bibliothek im Jahre 1891 bauliche Reste des ehemaligen Paulinerklosters, das seit 1409 mit der Universität verbunden war und in dem sich seit 1543 die Bibliothek befand. Die mit spätmittelalterlichen Wandmalereien versehenen Wandfelder in 14 Transportgestellen verspannt und mit bis zu 3 Tonnen Gewicht waren nach restauratorischen Sicherungsmaßnahmen sorgfältig umzulagern. Diese wertvollen Fresken sind z.T. heute restauriert und haben u.a. auch im Ausstellungsraum der Universitätsbibliothek einen würdigen Platz erhalten.
5.2.2 Renaissancedecke Eine weitere Besonderheit stellt eine Kassettendecke dar, die 1930 aus dem Fürstenhaus in der Leipziger Grimmaischen Straße ausgebaut und in der Universitätsbibliothek Leipzig eingebaut wurde. Diese Decke stammt nach Recherchen eines vom Staatshochbauamt mit der Restaurierung beauftragten Restaurators aus der Zeit um 1570. Das Gebäude be-
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fand sich seit 1648 im Besitz der Universität, und so wurde sie im Zusammenhang mit Umbaumaßnahmen aus offensichtlich praktischen Erwägungen in die Bibliothek umgesetzt. Aufwendige Untersuchungen und eine mit der Restaurierung einhergehende Dokumentation führten zu dem heute im Lesecafe zu bewundernden Ergebnis. Die Renaissancedecke erstrahlt im einstigen Glanz und stellt ein besonderes Kleinod dar.
5.3 Gründung Die zusätzliche Einfügung eines Kellergeschosses erforderte die Errichtung einer Trogbaugrube, da nur wenige Meter entfernt das Flussbett der Pleiße für den hohen Grundwasserspiegel verantwortlich ist. Zunächst wurden an der Süd- und Ostseite überschnittene Bohrpfahlwände gesetzt und die vorhandene Gebäudesubstanz mittels Hochdruckinjektionen unterhalb der Fundamente unterfangen. Die Bohrpfahlwände und Fundamente wurden mit Erdankern rückverankert. Der Einbau der 1,2m starken Stahlbetongründungssohle auf 103,8m über NN bei einer Geländehöhe von 110,5m, erforderte den Abtransport von ca. 7.000m" Erdreich für die Baugrube mit einer Abmessung von ca. 35 34m. Der Grundwasserspiegel bei 106m musste über technische Maßnahmen abgeschirmt werden, die durch eine Fachplanung festgelegt wurden. Dazu wurde eine Weichgelsohle von mehr als einem Meter Stärke injiziert, die eine Abdichtung gegen das aufsteigende Grundwasser erreichte. Undichte Bereiche erfasste eine Wasserhaltung, die in das vorhandene Schleusensystem einspeiste. Die Leistung wurde von 06/93 bis 10/93 realisiert.
5.4 Rohbau Der Einbau der 1,2m starken Fundamentplatte aus Stahlbeton als Normalbeton DIN 1045, B35, wasserundurchlässig, konnte 09/93 beginnen. Die Ausbildung des Untergeschosses als weiße Wanne sorgt dafür, dass kein anstehendes Wasser in das als Buchmagazin genutzte Geschoss nach innen gelangt. Das Untergeschoss steht ca. l ,5m im Grundwasser. Der neu errichtete Baukörper besteht aus einem Stahlbetonskelett mit einer selbsttragenden Außenwand, als Verbundquerschnitt Ziegel- und Natursteinfassade. Zunächst wurde aber eine feierliche Grundsteinlegung begangen. Am 10.02.1994 konnten der Staatsminister Hans-Joachim Meyer, Ministerialdirigent Reidner, Abteilungsleiter Hochbau im Sächsischen Ministerium für Finanzen, und der Rektor der Universität Leipzig Magnifizenz Weiss, den Grundstein für den Wiederaufbau legen.
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Im Januar 1994 begannen die Bauarbeiten für die monolithische Stahlbetonskelettkonstruktion, die Ende Oktober 1994 bereits abgeschlossen wurde. Im November 1994 begann die Montage des Dachstuhles die wenige Tage vor dem Richtfest am 16. Dezember 1994 beendet wurde. Der Staatssekretär im Sächsischen Staatsministerium der Finanzen Karl-Heinz Carl betonte in seiner Ansprache und einer damit verbundenen Pressemitteilung anlässlich des Richtfestes vier wesentliche Planungsziele: - Hauptziel zunächst Wiederherstellung der Außengestalt, der Raumdramaturgie, der Ornamentik und der Farbgestaltung unter Berücksichtigung denkmalpflegerischer Aspekte - Zukunftsorientierter, funktionaler Ausbau, um die Anforderungen einer Bibliothek heute und für die Zukunft zu sichern und den Fortbestand des Gebäudes mit eben dieser Nutzung zu gewährleisten. - Kapazitätserweiterung durch Ausweisen zusätzlicher Nutzflächen innerhalb des baulichen Grundrisses und Einbau von Kompaktmagazinen, um rund vier Millionen Buchbände unterzubringen. - Ausbau zum Dienstleistungszentrum für Forschung, Studium und Fortbildung auf dem Gebiet des historischen Quellenstudiums. Gleichzeitig soll damit der kulturellen Informationspflicht gegenüber einer interessierten Öffentlichkeit genügt werden. Im September 1994 begannen die Maurerarbeiten für die Außenfassade. Eine Verzahnung im Mauerwerk in Verbindung mit Edelstahlankern sorgten für die Anschlussbedingungen der Natursteine. In diesem Zeitraum wurde auch die Trafostation neu errichtet, wo nach Abbruch der alten Station der Standort beibehalten wurde und die Kapazität den veränderten Bedingungen angepaßt wurde. Die bauliche Maßnahme wurde im Zeitraum von 08/94 bis 12/94 realisiert.
5.5 Fassade Dem Wiederaufbau der originalen Fassade unter dem Aspekt der denkmalpflegerischen Zielstellung des Landesamtes für Denkmalpflege Dresden galt ein besonderes Augenmerk. Begonnen wurde 04/95 mit dem Kellergeschoss. Die komplette Fassade wurde in mehreren Losen beauftragt und bis 11/97 fertiggestellt. Der vor mehr als hundert Jahren gebrochene Cottaer Sandstein konnte dabei wieder vom gleichen Standort bezogen werden und fügte sich im Erscheinungsbild nahtlos in die verbliebene Bausubstanz ein. Die vom Abbruch eingelagerten und aufgearbeiteten Natursteine wurden an der ursprünglichen Stelle wieder eingesetzt. Die Fassade ist außerdem mit Teilen aus Terrakotta geschmückt, die durch eine gesondert beauftragte Firma beigestellt wurden.
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Die Dachverblechung als Stehfalzdeckung aus Titanzinkblech wurde bis 12/97 realisiert, die Fassadenabdeckungen wie Fensterbleche und Verblechung schützenswerter Teile, z.B. Schlußsteine, Gesimse, Balustraden usw., erfolgte parallel dazu. Die Sanierung der Figurengruppe aus Savonniere Kalkstein im Mittelrisalit erforderte die Beauftragung eines Bildhauers und Restaurators, der in intensiver Abstimmung mit dem Landesamt für Denkmalpflege Dresden auch die 4 allegorischen Frauenfiguren überarbeitete. Ein Schmuckstück besonderer Art sind die am Mittelrisalit wiedererrichteten schmiedeeisernen Prunkleuchten. Im Krieg stark zerstört, in der Nachkriegszeit nach unsachgemäßer Demontage verrottet, gelang es dem Kunstschmied, diese Leuchten unter Verwendung verbliebener Teile wieder auferstehen zu lassen. Ergänzt wurde die Fassade in ihrem Erscheinungsbild durch die kannellierten Regenfallrohre im Bereich der Front Beethovenstraße und der Eckrisalite. Nach Abschluss all dieser Maßnahmen war die äußere Bauhülle der Bibliothek im Original wiederhergestellt.
5.6 Ausbau Zur Gewährleistung der erforderlichen Baufreiheiten mussten die noch genutzten Gebäudeteile von Büchern beräumt werden, wobei zu sichern war, dass der Zugriff nur kurzzeitig unterbrochen wurde. Die Entscheidung, das Unter- und Kellergeschoss im Ausbau vorzuziehen und nutzbar zu machen, war deshalb unumgänglich. Die Inbetriebnahme erfolgte bereits am 28.02.1996, zwei Jahre vor Übergabe des l. Bauabschnittes. Die weiteren Ausbauarbeiten im Trockenbau, Türen, Fenster, Fußböden und Maler konnten bis 03/98 abgeschlossen werden. Besonderheiten: Die Fahrschienen der Rollregale mussten bereits mit dem Estrich installiert und vergossen werden. Die Montage der ca. 80.000 lfd. Meter Ablagefläche in den Regaleinheiten erfolgte nach Abschluss der Fußbodenarbeiten je nach Fertigstellung im Zeitraum von 01/96 bis 03/98. Der Aufbau des Glasdaches, das den Lichthof überdacht, stellte eine besondere Herausforderung dar. Die Fertigstellung konnte erst 08/98 abgeschlossen werden. Die Einbaumöbel zu einem wesentlichen Anteil unmittelbar darunter, realisierte der Auftragnehmer bis 10/98.
5.7 Haustechnik Die Installation der haustechnischen Anlagen erfolgte parallel mit dem Baufortschritt. Ein modernes haustechnisches Versorgungssystem gewährleistet eine angenehme Temperatur in den öffentlichen Bereichen, die sich im 2. OG und teilweise im l . bzw. 3. OG befinden.
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Dazu wird in den hallenartigen Räumen des 2. OG der installierte Doppelfußboden genutzt, über den je nach Bedarf behandelte Luft eingeblasen wird. Die Buchmagazine werden der Anforderung an eine temperatur- und feuchtigkeitskonstanten Lagerfläche gerecht und entsprechend klimatisiert. Eine Buchtransportanlage, die jedes der Geschosse anfährt, soll die Arbeit der Magaziner deutlich erleichtern. Die wertvollen Bestände der Bibliothek werden, auf der Grundlage einer Sicherheitskonzeption und der daraus entwickelten Sicherheitstechnik, vor unerwünschtem Zugriff gesichert. Ein Zentrale gibt dem Personal die Möglichkeit, die Trennung der öffentlichen und nichtöffentlichen Bereiche zu überwachen. Die Leistung wurde bis Mai 1998 abgeschlossen.
5.8 Übergabe Der ersten Teilübergabe am 28.02.1996 mit dem UG/KG folgten weitere Teilübergaben ab Mai 1998 je nach Fertigstellung einzelner Bauteile und Geschosse. Die feierliche Übergabe des gesamten 1. Bauabschnittes erfolgte durch Staatssekretär Karl-Heinz Carl am 04. November 1998 im Beisein des Sächsischen Staatsministers für Wissenschaft und Kunst Hans-Joachim Meyer.
6.0 Zweiter Bauabschnitt 6.1 Rohbau Der Rohbau des zweiten Bauabschnittes gliedert sich in zwei Abschnitte: Das historische Treppenhaus und den historischen Lesesaal.
6. l. l Historischer Lesesaal Die Leistung wurde parallel mit der Fertigstellung des 1. BA im Dezember 1997 begonnen. Zunächst war der Abbruch des Bauteiles Rundkern, der bis zu diesem Zeitpunkt noch den Grad der Kriegszerstörung sehr nachhaltig dokumentierte, erforderlich. Die Umfassungswände oberhalb des 2. Obergeschosses fehlten und damit auch das Dach. Die provisorisch genutzten Magazine unterhalb einer Dachpappenabdichtung im Kernbereich waren inzwischen von den Büchern beräumt. Der sensible Rückbau mit dem Ziel, den neuen Baukörper in die verbliebene Hülle zu stellen und neu zu gründen, brachte eine Überraschung ganz besonderer Art. In einer Zwischendecke unterhalb des ehemaligen alten Lesesaales wurden zwölf Thora-Rollen gefunden. Unbekannte versteckten in der Zeit des Dritten Reiches diese jüdischen Kultgegenstände vor den Nazis. 1 Die Rollen wurden nach der Übergabe an den Vorsitzenden der Israelischen Religionsgemeinde in Leipzig feierlich bestattet. Die am besten erhaltene Rolle Siehe unten Abbildung 39, S. 148, vom Fund im Februar 1998.
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wurde im Juni 2000 an eine Gruppe früherer jüdischer Messestädter übergeben, die sie in Jerusalem im neuen Museum Yad Vashem ausstellen werden.
6.1.1.1 Gründung Die Gründung erfolgte auf der Grundlage eines Nebenangebotes des Bieters mit HDI - Säulen. Die 28 Gründungskörper unter den Stützen des KG führte bei 14 Gründungskörpern durch alte Fundamentbereiche. Die Bodenplatte konnte damit auf eine Stärke von 40cm reduziert werden und war die kostengünstigste Lösung. Das monolithische Stahlbetonskelett wurde bis in das 2. OG gezogen. Bis zur Glasdecke und der darüber befindlichen Dachausbildung mit Laterne befindet sich der beeindruckende Freiraum.
6. l .2 Historisches Treppenhaus Wie im Lesesaal war zunächst der Abbruch notwendig. Die Reste der Treppe und die zerwitterten Seitenwände waren bis auf die Gewölbekellerdecke abzutragen. Nach der Stabilisierung der Decke begann der Neuaufbau mit den Umfassungswänden und der Treppenunterkonstruktion. Damit waren die Voraussetzungen für den Beginn der umfassenden Natursteinarbeiten geschaffen. Die Rohbauarbeiten wurden 09/1999 abgeschlossen
6.2 Natursteinarbeiten 6.2.1 Fassade Die Natursteinarbeiten bezogen sich auf die Wiederherstellung der Fassade am Bauteil Rundgang (RG) ab dem 2. OG, der gemeinsam mit dem Aufbau der Außenwände einherging. Eine besondere Herausforderung waren dabei die wieder zu errichtenden historischen Fenster mit den Rundbögen aus Cottaer Sandstein. Das aus Neuteilen bestehende Traufgesims wurde zusätzlich mittels Ringanker stabilisiert.
6.2.2 Rekonstruktion des historischen Treppenhauses Die im Vorfeld durch umfangreiche Maßnahmen getroffenen Festlegungen zum Material zwangen den Auftragnehmer, die Auswahl im Steinbruch zu treffen, so dass er mehrfach nach Carrara fahren musste. Zum Einsatz kam der Marmor „Carrara-Bianco-Vineto". Sämtliche Marmorteile wurden maschinell vorgesägt und die profilierten Bereiche vorgefräst, von Hand nachgearbeitet und von Hand mit Stahlwolle und Poliermittel poliert. Das Versetzen der Marmorsäulen konnte mit dem Kran über die eigens dafür geschaffene Dachluke erfolgen. Das Einsetzen der Balustradenabdeckung musste im Gleichlauf mit dem Versetzen der Säulen erfolgen, hier war großes handwerkliches Geschick gefragt.
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Die Treppenstufen aus ungarischen „Tardos-Rot Marmor" wurden alternativ zu dem nicht mehr zur Verfügung stehenden „Adneter Kalk" eingesetzt. Die Trittflächen wurden wegen der Trittsicherheit und in Anlehnung an das Original gestockt. Das Verlegen der Bodenplatten erfolgte an Hand alter Pläne. Im Treppenpodest wurde eine Inkrustation eingefügt. Die Rekonstruktion des Sockelstreifens im Umgang des 2. Obergeschosses konnte, nach umfangreichen Nachforschungen zum Material und schwieriger Beschaffung des nicht mehr betriebenen Steinbruches, mit dem Originalmaterial „Lahnmarmor" vorgenommen werden. Die Füllungen der Supraporten über den Türen wurden in einem grünen Marmor „Verde Guatemala" ergänzt. Das dazugehörige Vestibül wurde mit der Aufarbeitung der glücklicherweise erhalten gebliebenen schwarzen Marmorsäulen aus „Nero Marquina" Marmor und Aufarbeitung der Wände mit Stuckverzierungen wieder in seinen ursprünglichen Zustand versetzt. Die Natursteinarbeiten wurden im Zeitraum von 09/1998 bis 06/2000 ausgeführt.
6.3 Ausbau 6.3.1 Putz- und Stuckarbeiten im Treppenhaus Auf der Grundlage einer bereits 1993 angelegten Stucksammlung wurden die umfangreichen Arbeiten getreu dem Original aufgenommen. Nach Herstellung der über dem Umgang liegenden 16 Stück Hängekuppeln und Gurtbögen, die keine Stuckausstattung aufweisen, wurden die umfangreichen Stuckverzierungen der äuiSeren Begrenzungswände des Umganges ausgebildet. Hier wurden die Pilaster mit Sockeln, ionischen Kapitellen und Architraven versehen, die historischen Holztüren mit reich verzierten Stuckgewänden und Supraporten mit Voluten. Im Bereich der Glasdecke bildet ein reich profiliertes Kranzgesims den Abschluss.
6.3.1.1 Ausmalung - Probeachse In Vorbereitung zur Wiederherstellung der umfangreichen Wand- und Deckenmalerei wurden Untersuchungen in mehreren Schritten vorgenommen. Restauratorische Befunduntersuchungen und Bestandserfassungen im Treppenhaus führten zu einer Dokumentation der bildkünstlerischen Ausstattung. Die Kartonagen, Entwürfe und Farbabwicklungen wurden in Abstimmung mit dem Landesamt für Denkmalpflege erarbeitet und dienten dem Denkmalpflegebetrieb als Vorlage. Gemäß einer Festlegung des Sächsischen Staatsministerium der Finanzen wurden die als Kunst am Bau eingestellten Kosten zur Finanzierung einer Probeachse eingesetzt.
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Einer späteren Entscheidung bleibt es vorbehalten, die Ausmalung an Hand der eingelagerten Dokumentationen fortzusetzen.
6.3.2 Putz- und Stuckarbeiten im Lesesaal Der Wiederaufbau wurde aus Kostengründen mit einer denkmalpflegerisch reduzierten Variante vorgenommen. Die Planung ging dabei von einer räumlichen Wiederherstellung des Lesesaales aus und schafft die Option einer späteren Komplettierung. An Ost-, West- und Südwand befinden sich kannelierte Pilaster mit Basen und Kapitellen mit einem darüber liegenden profilierten Kranzgesims. Im Bereich der Spiegelgewölbe wird die Wandgliederung durch breite kassettierte Stuckstreifen fortgesetzt. Im halbrunden Teil des Lesesaales befinden sich neun Rundbogenfenster mit umlaufenden Stuckgewänden. Dazwischen sind tragende, runde konisch zulaufende Säulen angeordnet. Die Leistung wurde von 01/1999 bis 03/2000 ausgeführt. Der Einbau der Glasdecken im Treppenhaus und dem Lesesaal erfolgte im Zeitraum von 09/1999 bis 10/1999. Die weiteren Ausbauarbeiten im Trockenbau, Fenster, Türen, Fußboden (Doppelfußboden im Lesesaal) und Malerarbeiten wurden parallel ausgeführt. Die Einbaumöbel mit zum Teil dem Baukörper angepassten halbrunden Lesetischen im Lesesaal realisierte der Auftragnehmer von 06/1999 bis 04/2000.
6.4 Haustechnik Die Installation der haustechnischen Anlagen schloss sich an die vorhandenen Anlagen des l. BA an und wurde um die notwendigen Bausteine erweitert. Die bewährte Form der Belüftung über einen Doppelfußboden wurde im Lesesaal fortgesetzt, im Treppenhaus sorgt eine Fußbodenheizung für ein angenehmes Befinden. Erweitert wurde auch die Buchtransportanlage, die im KG einen Anschluss an die Poststelle erhielt. Die Sicherheitstechnik wurde weiter vervollkommnet und durch die Installation eines Tresens im Treppenhaus komplettiert. Hier laufen alle zentralen Informationen zusammen und ermöglichen die sofortige Reaktion bei allen Ereignissen. Die Ausbauleistungen wurden bis 09/2000 abgeschlossen.
6.5 Besonderheit Brandschutz Die brandschutztechnischen Belange wurden wie folgt gelöst: Im Treppenhaus sorgt eine Zwangsentlüftung im Brandfall für die Abführung von Rauchgasen über Seitenschlitze in der Zwischendecke, wobei als Zuluftöffnung die Oberlichter der Eingangstüren schwenken bzw. gedreht werden. Im Lesesaal erfolgt eine natürliche Entrauchung ebenfalls über die seitlichen Schlitze der Zwischendecke durch die um 90 Grad gedrehten Seitenfenster in der
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Dachlaterne. Die Zuluft wird dabei durch Öffnen der Fenster im BT RG gewährleistet.
6.6 Übergabe Lt. Festlegung des Sächsischen Staatsministeriums der Finanzen erfolgte keine separate Übergabe des 2. Bauabschnittes. Die Universität Leipzig lud deshalb am 03.November 2000 gemeinsam mit dem Staatshochbauamt Leipzig anlässlich der Inbetriebnahme zu einer Pressekonferenz ein.
7.0 Dritter Bauabschnitt 7. l Rohbau Die Leistung begann 11/1999 mit den Gründungsarbeiten im Hof West zur Überbauung des Lichthofes analog dem l. BA, aber ohne zusätzliches Untergeschoss. Der Sondervorschlag des Bieters, eine Flachgründung auf Ortbeton Einzelfundamenten vorzunehmen, wurde nach eingehender Prüfung angenommen. Die Decke des ersten Obergeschosses und damit die Hauptnutzungsebene 2. OG wurde im September 2000 fertiggestellt. Anschließend begannen die Rohbauarbeiten im Dachgeschoss BT Nord West (NW) und der Deckenaustausch im 4. OG/DG BT Süd West (SW). Nach Freilegungsarbeiten an Deckenträgern im BT SW Eckrisalit zur Überprüfung der Standfestigkeit wurden kriegsbedingte Schäden an der Decke über dem EG/l.OG festgestellt. In Folge wurde auch der Austausch dieser Decke vorgenommen. Gleichzeitig wurde das Fluchttreppenhaus im BT West Aui3en (WA) eingebaut. Schrittweise konnten auch die alten Dachkonstruktionen demontiert werden, ein Bauzeitendach sorgte für durchgängige Baubedingungen im Winterhalbjahr, um sofort die neue Dachkonstruktion auf den vorher eingebauten Ringanker zu setzen. Mit der Erneuerung der Dachkonstruktionen setzte sich die Leistung fort mit der MaiSgabe, die Voraussetzungen zum Aufbau des Glasdaches im Hof West zu schaffen. Dazu wurde ein Ringanker umlaufend im Hof West als Autlage eingebaut.
7.2 Fassade Der dritte Bauabschnitt erforderte im Gegensatz zu den vorangegangenen Bauabschnitten im wesentlichen eine Überarbeitung und Sanierung der Fassade. Hier waren die Kriegsschäden vergleichsweise gering, erforderten aber viel Fingerspitzengefühl bei der Sicherung und Erneuerung verwitterter oder auch gelockerter
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Natursteinbereiche. Die Traufgesimse BT WA und SW mußten komplett ausgetauscht werden. Die Dachbalustrade wurde demontiert und vor Ort überarbeitet. Nach Abschluss der Überarbeitung und erneuter Montage wurden die Schmuckelemente aus Terrakotta analog dem l. B A aufgesetzt. Im 2. OG wurden die ursprünglich vorhandenen Figurennischen im Eckrisalit wiederhergestellt, sie waren in der Vergangenheit durch Fenstereinbauten verändert wurden. Die alten Figuren konnten mangels Vorbildern leider nicht nachgefertigt werden. Im zu überdachenden Innenhofbereich Hof West wurden größere Klinkerflächen ersetzt. Auch die Fläche der abgebrochenen „Schwalbennester", die nachträglich in den Bau eingefügt wurden und nicht mehr erforderlich waren, galt es wieder zu verblenden. Die zum Innenhof liegenden Fenstergewände mußten zum größten Teil ausgetauscht bzw. wieder in Naturstein neu ausgeführt werden, verbleibende wurden nach der Überarbeitung neu gerichtet. Parallel erfolgte die Fassaden- und Dachverblechung. Teilweise kam dabei Walzblei zum Einsatz, um der Verwitterung, die teilweise durch Antragungen beseitigt wurde, keine Angriffsfläche mehr zu geben. Abschließend wurde der Granitsockel der Fassade neu gestockt und die Gartenmauern Grassistraße und Seyfferthstraße zwischen der Hochschule Grafik und Buchkunst und der UBL restauriert. Die Leistung wurde von 05/2000 bis 03/2002 realisiert.
7.3 Glasdach Analog zur Ausführung des l. Bauabschnittes wurde der Lichthof wieder mit einer Glasdachkonstruktion überspannt. Nach Montage des Dachtragwerkes aus feuerverzinktem Stahl teilweise auch aus Edelstahl wurde die Wärmeschutzverglasung eingebaut. Eine witterungsabhängige Steuerung der Verschattung sorgt für die Vermeidung direkter Sonneneinstrahlung. Eine Befahranlage ermöglicht die Wartung und Reinigung des Glasdaches. Die Ausführung dieser Leistung erfolgte von 03 bis 06/2001.
7.4 Ausbau Im Mai 2001 begannen die Ausbauarbeiten. Das Setzen von Brandwänden und der Beginn der Putzarbeiten im DG steht für die ersten Aktivitäten. Es folgten alle weiteren Geschosse mit Trockenbau, Putz, Estrich, Fußbodenbelag und Malerarbeiten. Wie im 1. und auch 2. BA wurde im 2. OG ein Doppelfußboden als Installationsboden im Bereich des überbauten Lichthofes montiert. Die Einbaumöbel analog I . und 2. BA komplettierten den Bedarf an Lesesaalplätzen ebenso wie die Ausstattung der verwaltungstechnischen Bereiche.
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7.5 Haustechnik Mit der Überarbeitung und Ergänzung der kältetechnischen Anlagen begann die letzte Etappe der haustechnischen Installation. Es erfolgte eine Erweiterung der Rückkühlanlage auf dem Dach, der Einbau eines Eisspeichers und einer dritten Kältemaschine. Parallel mit dieser Leistung erfolgte die Erweiterung der Installation der lüftungstechnischen Anlagen im Dachgeschoss. Die Kanalführung zur Frischluftansaugung und Abluftführung im Gartenhof West erforderte neben aufwendigen Bauleistungen auch einen Eingriff in die Lüftungsanlage im Erdgeschoss Bauteil West - Innen. Die Durchlüftung des 2. OG erfolgt analog dem l. und 2. BA durch den Installationsfußboden, die Magazinräume werden durch Zu- und Abluftstränge zwischen den Unterzügen versorgt. Parallel zum Baufortschritt wurden die Starkstrom-, Schwachstrom- und EDVKabel verlegt. Zentrale Steigeschächte im Treppenhaus Nord West und dem neuen Fluchttreppenhaus im BT West Außen sorgen für eine gleichmäßige Verteilung der Leitungstrassen. Die Installation der Buchtransportanlage komplettierte die inzwischen seit 1998 im 1. B A und seit 2000 im 2. B A arbeitende Kleinförderanlage.
8.0 Außenanlagen Parallel zum Wiederaufbau der Universitätsbibliothek wurde die an der Nordseite angrenzende Hochschule für Grafik und Buchkunst saniert. Die Gestaltung der aneinander grenzenden Außenanlagen für eine gemeinsame Nutzung auszulegen, bot sich an und wurde nach umfangreichen Abstimmungen auch realisiert. Die Gestaltung um das Gebäude herum wurde so beibehalten wie vor 1 1 1 Jahren, nur im Bereich des Haupteinganges in der Beethovenstraße wurden zusätzliche „Leipziger Bügel" zur Abstellung von Fahrrädern installiert. Eine im Kleinpflaster der Beethovenstraße integrierte Fassadenbeleuchtung sorgt in Verbindung mit den schmiedeeisernen Kandelabern für eine eindrucksvolle Abendbeleuchtung.
9.0 Übergabe Gesamtvorhaben Die feierliche Übergabe des Gesamtvorhabens Wiederaufbau und Erweiterung der Universitätsbibliothek Leipzig wurde, nach zehnjähriger Bauzeit, für den 24.10. 2002, dem 1 1 1 . Jahrestag der Übergabe der Bibliothek, vorgesehen.
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Uwe Voigtländer
10.0 Firmenliste wesentlicher Auftragnehmer Gewerk
Bauabschnitt Firma l.BA Bau Wiemer & Trachte, NL Leipzig Ingenieurbau Bohlen, Bohlen Spezialbau und Sanierung, F. C. Trapp AG, NL Leipzig F. X. Rauch KG, NL Leip/ig Keramikwerkstatt, Bad Liebenwerda Markus Gläser, Leipzig Arnhold, Leipzig-Hol/hausen Panholz GmbH + Co. KG Eilit/., Leip/ig Ornamentklempnerei, Redekin Tollert, Leip/.ig Antikhaus GmbH, Eppendorf/Sa Trümmer, Zeit/ Wagner, Burgstädt Bauzentrum Leip/ig GmbH, Leip/ig Weiss GmbH, NL Leip/.ig Mauser Office GmbH, Leipzig-Schkeuditz Nitsche, GbR, Meerane
Baustelleneinrichtung Abbruch NordhausenGründung Rohbau Natursteinarbeiten Terrakotta Figurengruppe Mittelrisalit Prunkleuchten Glasdach Dachverblechung Regenfallrohre Fenster Fenster Stahltüren Hol/türen Ausbau Doppelboden Fahrregalanlagen Einbaumöbel
Schindler GmbH, Leipzig Hebe Fördertcchnik, Leipzig Swisslog Telelift GmbH, Puchheim Gebäudetechnik Leip/ig GmbH, Leipzig GRP Sanitär GmbH, Reichenbach Wolf GmbH, Naunhof WAL & Partner GmbH, Leipzig MBB Meyenburg GmbH, Meyenburg Danzmann, Eilenburg Eltron Elektro GmbH, Schmölln Gesellschaft für Lufttechnik, Leipzig Hesse GmbH, Neuhaus Elpro Gebäudetechnik GmbH, Leip/.ig Heisat GmbH, Grimma Landis & Staefa, Leip/ig Wachau Cerberus Ristow GmbH, Merseburg Total Walther GmbH, Dresden BFE Nachrichtentechnik, Chemnit/
Auf/ug Aufzug Kleinförderanlage Sanitär l . TBA Sanitär 2. TBA Wärmeversorgung l. TBA Wärmeversorgung 2. TBA Trafostation Starkstromanlagen l. TBA Starkstromanlagen 2. TBA Raumlufttechnik l.TBA Raumlufttechnik 2. TBA Kältetechnik l. TBA Kältetechnik 2. TBA Gebäudeleittechnik Sicherheitstechnik Gasfeuerlöschanlage Telecom, Date
Haustechnik
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Der Freistaat Sachsen baut - der Wiederaufbau der Bibliotheca Albertina
2.BA Bau F. C. Trapp AG, NL Leip/.ig Späte + Schubert ARGE, Meuselwit/ Alu-System-Bau GmbH, Pirna Glasdach, Koch Deckensysteme GmbH, Velbert Schneller + Ausbau, Gotha Diet/e GmbH, Ottendorf Trümmer. Zeit/ Walther, Langenleuba-Niedcrhain Stollberg Maschinenfabrik, Stollberg Leonhard Moll GmbH, NL Leip/ig Keilberg & Hübner GmbH, Waldheim Mahle Raumtechnik GmbH, Berlin Schmalhofer Denkmalpfiegebetrieb, Dresden Arbitec-Forster GmbH, Neuss Neubert Innenausbau, Geithain
Rohbau Natursteinarbeiten Histor. Fenster Glasdecke Dachverblechung Fenster Stahltüren Hol/türen Stahlbauarbeiten Ausbau Put/ und Stuck Installationsboden Probeachsc Fahrregalanlagen Einbaumöbel
Haustechnik Swisslog Telelift GmbH, Puchheim Kleinförderanlage Anders & Wiescnbach, Zedtlitz Sanitär WAL & Partner GmbH, Leip/ig Hei/ung Elektro-Ramm, Flöha Starkstromanlagen Bes. Beleuchtung Elektro-Kreiser, Leip/ig Warme - und Klimatechnik GmbH, Dresden Raumlufttechnik Gebäudeleittechnik Landis & Staeta, Leip/ig Wachau Cerberus Ristow GmbH, Merseburg Sicherheitstechnik Telecomm, Daten Licht und Kraft, Leip/ig
3. BA Bau F. C. Trapp AG, NL Leip/ig Sachs. Bau- u. Restaur.-werkstatt., Grimma Mero Systeme GmbH, Wür/.burg Ornamentklempnerei, Redekin Chemnit/er Fenster & Rolladen GmbH Trümmer, Zeit/ Walther, Langenleuba-Niederhain Richter & Schul/e, Ottendorf/Lichtenau F.C. Trapp Ballgesellschaft Leip/ig mbH Weiss. Hönow Ronniger, Hamm Grzywat/, Irxleben
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Rohbau Natursteinarbeitcn Glasdach Dachverblechung Hol/fenster Stahltüren Hol/türen Stahlbauarbeiten Ausbau Doppelboden Fahrregalanlagen Einbaumöbel
Uwe Voigtländer
Haustechnik Swisslog Telelift GmbH, Puchheim Goldammer, Schöna Wärme + Wasser GmbH & Co, KG, Torgau Elektro-Ramm, Flöha Kessler + Luch GmbH & Co. KG, Leipzig Climatech AG, Cunnersdorf Landis & Staefa GmbH, Leipzig Siemens GmbH & Co. OHG, Leipzig DBS Datentechnik, Zwickau
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Kleinförderanlage Sanitär Heizung Starkstromanlagen Raumlufttechnik Kältetechnik Gebäudeleittechnik Sicherheitstechnik Telecomm, Daten
Rene Herwig, Michael Jaenisch, Jörg Liebscher, Ronald Börner
Ästhetik und Funktionalität - Wiederaufbau und Erweiterung der Universitätsbibliothek Leipzig /. A us gang s s itua t ion Der Zweite Weltkrieg blieb, wie auch für viele andere bedeutende Bauten, für die Leipziger Universitätsbibliothek nicht ohne Folgen. Am ()4.Dezember 1943 und nochmals am 06.April 1945 wurde die Universitätsbibliothek, d.h. die Hauptbibliothek Bibliotheca Albertina, zu etwa 70 % durch Bomben zerstört. Wertvolle Originaldetails dieser Epoche gingen der Nachwelt für immer verloren. Die Buchverluste waren glücklicherweise gering, da in den beiden Jahren zuvor etwa l ,4 Millionen Bände ausgelagert worden waren. Das äußere Erscheinungsbild sowie fast die gesamte Haupterschließungsachse im Inneren einschließlich des Ostflügels befanden sich in einem katastrophalem Zustand. Die schwer geschädigten Gebäudeteile standen fast 50 Jahre ungeschützt unter freiem Himmel. Besonders betroffen waren der gesamte Mitteltrakt mit dem großen Lesesaal und der Treppenhalle sowie die Südostecke und die Ostmagazine. Trotz 1946 erfolgter Notreparaturen (Dächer und Fenster) sowie nach Durchführung begrenzter Wiederaufbaumaßnahmen zur Nutzung von fehlenden Magazingeschossen in Teilen des Ostflügels und der Nordost- und Nordwestbereiche in den Jahren 1949/ 1950 konnten im Laufe der Zeit weitere Bauschäden nicht verhindert werden. Das im folgenden beschriebene Projekt für den Wiederaufbau der Universitätsbibliothek in Leipzig zeigt exemplarisch Chancen und Risiken auf, die durch den radikalen Umbruch der politischen und gesellschaftlichen Strukturen Ostdeutschlands im Herbst 1989 für wissenschaftliche Bibliotheken bestanden. Das Beispiel der Leipziger Bibliothek machte Furore, als im Jahre 1990 die Medien von katastrophalen Lagerbedingungen für die wertvolle historische Buchsubstanz berichteten. Wenn diese Berichte in den meisten Fällen auch durchaus übertrieben waren, so wiesen sie doch auf unhaltbare substanzielle Missstände in einer Bibliothek hin, die eine „Gutenberg-Bibel" in ihren Beständen mit Abstand nicht als wertvollsten Teil ihres gegenwärtig ca. 4,9 Millionen Bände umfassenden Bücherschatzes bezeichnete. Seit mehr als 100 Jahren wurden hinter den imposanten Bibliotheksmauern die literarischen Zeugen kulturellen Erbes gesammelt und aufbewahrt. Darunter Sondersammlungen u.a. von Papyri, Ostraka, alten Handschriften, Inkunabeln sowie Sammlungen auf den Gebieten Orientalistik, Slawistik und Naturwissenschaften. Der Ostflügel des Gebäudes war weitgehend zerstört, Haupttreppenhalle und historischer Lesesaal waren nicht mehr überdacht. Durch ständige Bewitterung
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verfiel die umgebende Bausubstanz zusehends. Verwaltung und Buchbestände waren in zum Teil ruinösen, undichten Räumlichkeiten untergebracht. Die Schäden für Buchbestände und die Minimierung der Arbeitsmöglichkeiten für Personal und Benutzer waren unübersehbar. Sämtliche haustechnischen Anlagen befanden sich in einem den sicherheits- und versorgungstechnischen Minimalanforderungen kaum gerecht werdenden Zustand. Nach Durchführung begrenzter Wiederaufbaumaßnahmen konnte die kontinuierliche Bibliotheksarbeit ab 1950 wieder aufgenommen werden. Die Universitätsbibliothek wurde im Folgenden zur Fachbibliothek für historische Buchbestände. Da begonnene Wiederaufbauarbeiten nicht weitergeführt wurden, verfielen die ruinösen Gebäudeteile in den letzten Jahrzehnten zusehends. Trotz mehrfachen Ansatzes gelang es nicht, Konzepte für den Wiederaufbau des Gebäudes umzusetzen. Dem unermüdlichen Einsatz und hohen Anpassungsvermögen des Bibliothekspersonals ist es zu verdanken, dass der Betrieb der Universitätsbibliothek über die Region hinaus als wissenschaftliche Universalbibliothek trotz der großen funktionalen Einschränkungen, die sich aus dem Gebäudezustand ergaben, aufrechterhalten werden konnte.
2. Herangehensweise Nach den politischen Umwälzungen des Herbstes 1989 setzte eine offensivere Öffentlichkeitsarbeit durch die Universitätsbibliothek ein. Mit Hilfe von Spendengeldern konnte die Wiederaufbauplanung beginnen. Infolge des Einigungsvertrages vom Oktober 1990 wurden die verwaltungstechnischen Strukturen der neuen Bundesländer an die der alten Bundesrepublik angeglichen. Im Falle der Universitätsbibliothek bedeutete dies den Wechsel des Bauherrn. War bis dahin die Universität selbst, vertreten durch ihre Bauabteilung, als Bauherr aufgetreten, so ging diese Verantwortung nun direkt auf den Freistaat Sachsen, vertreten durch das Staatshochbauamt Leipzig II, über. Dem persönlichen Einsatz der Mitarbeiter von Universität, Staatshochbauamt und Oberfinanzdirektion ist es zu verdanken, dass das Projekt auch in der Zeit großer gesellschaftlicher Umwälzungen weiterentwickelt und schließlich realisiert werden konnte. 2. / Grundlagenermittlung Am 29.06.1990 wurde das Planungsbüro HJW + PARTNER ARCHITEKTEN + INGENIEURE, Dipl.-Ing. Architekt Rene Herwig, Dr.-Ing. Michael Jaenisch und Prof. Dr.-Ing.habil Wolfgang Wittig, mit der Planung zum substantiellen Wiederaufbau der Universitätsbibliothek betraut. Die Komplexität der Aufgabe, gepaart mit dem rapide fortschreitenden Substanzverfall erforderte eine duale Vorgehensweise bei der Bearbeitung des Projektes. Einerseits sollte für das Gebäude ein langfristiges Nutzungs- und Baukonzept entwickelt werden, andererseits galt es,
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DACH
DACHQESCHOSS
4.0BERGESCHOSS
3.08ERQESCHOSS
2.0BERGESCHOSS
1. OBERGESCHOSS
ERDGESCHOSS
KELLERGESCHOSS
L^^Xy NUTZERBEREICHE
NICHT NUTZBARE FLACHEN
Abbildung 16: Nutzbarkeit der Geschossflächen bei Baubeginn 1991/92 |HJW|
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den weiteren Verfall des Gebäudes möglichst kurzfristig stoppen. Da seitens des Bauherrn eine eindeutig formulierte Aufgabenstellung einschließlich eines Raumprogramms nicht vorlag, kam der ersten Phase der Projektbearbeitung eine entscheidende Bedeutung zu. Ziel dieser Planungsphase war also nicht die übliche Einarbeitung in eine vorformulierte Aufgabenstellung, sondern darüber hinaus die Verdeutlichung und Festlegung des qualitativen und quantitativen Bedarfs der Bauaufgabe gegenüber dem Bauherrn, Nutzern und Politikern als Entscheidungsträgern herauszuarbeiten. Das angemessene Mittel zur Darstellung und Klärung dieser Grundfragen war die Erarbeitung einer Studie, in der qualitative und quantitative Zustandsanalysen verglichen, Zielvorstellungen dargestellt und zu einem Realisierungskonzept als Vorentwurfsstudie verschmolzen wurden. Im Vorfeld der Grundlagenermittlung wurden die Funktionsstudie Universitätsbibliothek der Karl-Marx-Universität (KMU) Leipzig vom Zentralinstitut für Hochschulbildung, Abteilung Hoch- und Fachschulbau Dresden von 1985 und die Anforderungsstudie der Arbeitsgruppe „Stiftung ÜB" im Auftrage der KMU Leipzig von 1990 als bisherige Planungskonzepte betrachtet und ausgewertet. Im Rahmen einer Ziel- und Entwicklungsplanung wurden wesentliche Projektparameter, wie Nutzerprofil, Organisationskonzept, Raumkonzept, Tragwerk, Haustechnik, Denkmalpflege und Kosten auf unterschiedlichen Bearbeitungsebenen in einer vergleichenden Analyse mit weiteren 45 Bibliotheken der Bundesrepublik Deutschland untersucht. Da einer der wesentlichsten Projektparameter der Erhalt der Funktionsfähigkeit der Bibliothek während der ganzen Bauzeit war, differenzierte das Realisierungskonzept die Projektausführung in die Substanzsicherung und drei folgende Bauabschnitte. Jeder dieser Bauabschnitte stellte einen in sich geschlossenen Schritt auf dem Weg zu einer voll funktionsfähigen, zeitgemäß ausgestatteten modernen Bibliothek in einer rekonstruierten bzw. sanierten historischen Hülle dar. Die Einzelabschnitte waren so in sich strukturiert, dass bei laufenden Baumaßnahmen die Bibliothek ohne allzu große Einschränkungen betrieben werden konnte. 2.2 Entwurf Der Entwurf reflektiert neben der Wiederherstellung der äußeren Gebäudegeometrie auf die Raumsystematik, die dem Entwurf Arwed Roßbachs zugrunde lag. Mit gestalterischer Zurückhaltung und ohne modische Effekte wird an die vorhandene Grundstruktur des Hauses angeknüpft und diese mit funktional heute notwendigen Ergänzungen gefüllt. Als oberste Priorität galt es hier die unmittelbare Synthese von Mensch. Medien, Buch und Gütern architektonisch-ästhetisch sowie funktional-technisch umzusetzen, so dass die Lösung höchsten Ansprüchen der baulichen sowie der nutzerspezifischen Struktur entsprach. Die räumliche Konzeption Arwed Rossbachs für die Bibliotheca Albertina sah bisher eine klare Trennung öffentlicher, eingeschränkt zugänglicher und kontrollier-
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ter Bereiche vor, die unabhängig von der Architektur und Raumhülle dem damaligen Zeitgeist entsprechend Magazinbereiche und Lesesäle funktional strikt trennte. Ziel der Planungen für den Wiederaufbau und Umbau des Bibliotheksgebäudes sollte daher der Auftau eines eindeutig gegliederten, nutzungsbezogenen Raumkonzeptes sein, welches nach heutigen Maßstäben für den reibungslosen Funktionsablaufes einer modernen Freihandbibliothek unerläßlich ist. Voraussetzung für ein solches Konzept war die Integration völlig neuer Zielvorstellungen, die die Organisation innerhalb des Gebäudes betraf. Es galt, entgegen alten Strukturen die Chance zu nutzen, eine bessere Zusammenführung von Leser und Buch durch eine klare Ausrichtung auf Anforderungen der Benutzer in Buchbestand und Buchaufstellung zu erreichen. Das heißt, durch Öffnen von Teilen geschlossener Magazine konnten damit großzügig Freihandbereiche erschlossen werden, die durch ihre Flexibilität eine Erweiterung des Leseplatzangebotes für die Forschenden direkt am Buch ermöglichten. Durch den direkten Zugriff kann sich nun der Leser in „kontrollierter Selbstbedienung" bei weitestgehender Entlastung des Bibliothekspersonals wesentlich effektiver mit Literatur versorgen. Die Anordnung der Leseplätze konnte nun auf der Basis dieses neuen Organisationskonzeptes, entgegen alten Gepflogenheiten für die Benutzer hierfür nur Lesesäle mit mächtigen Ausmaßen und weitläufig angelegten Magazinbereichen einzurichten, in die Nähe des Buches und damit dezentral in die ruhigen Zonen, natürlich belichteter Randbereiche der jeweiligen Frcihandbereiche erfolgen. Die funktionale Zuordnung der einzelnen Ebenen wurde in idealer Weise bereits durch die Architektur und horizontale Gliederung der Hauptfassade Roßbachs in drei Zonen, den geschlossenen Sockelbcreich (KG - 1. OG), den großzügig verglasten Mittelteil (2. + 3. OG) und die darüber liegenden geschlossenen Bereiche (4. OG + DG), vorweggenommen (vgl. Abb. 17, S. 98). Folgerichtig wurden in den geschlossen wirkenden Bereichen, dem Untergeschoss bis 1. Obergeschoss, geschlossene Magazinräume und dem 4. Obergeschoss bzw. Dachgeschoss interne Funktionen von Buchlagerung, Erwerbung, Bearbeitung und internen Verwaltungsbereichen zugeordnet (vgl. Abb. 18, S. 99). Das 2. Obergeschoss - und z.T. das 3. Obergeschoss - wurde wieder als Hauptgeschoss mit den Hauptnutzungsbereichen Lesesaal, Katalog, Ausleihe, Information in einer der Logistik des Bibliotheksbetriebes entsprechenden Zuordnung definiert. Durch die Überbauung der ehemaligen Innenhöfe des Ost- und Westflügels erhält diese Ebene zusätzlich räumliche und inhaltliche Erweiterungen, die den gesamten strukturellen Aufbau und Zusammenhang des Gebäudes weiterentwickeln, ohne inhaltliche Zusammenhänge des historischen Bestandes zu verwischen. Dadurch erhält die Hauptebene ein dem Bibliotheksbetrieb unterstützendes Raumkontinium, welches durch seine Transparenz zur zentralen Treppenhalle eine eindeutige Orientierbarkeit gewährleistet.
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BISS:
Abbildung 17: Grundlagenermittlung durch HJW+Partner (April 1991): Entwurf" der inneren Erweiterung und Flächennutzung als isometrischer Schnitt |HJW|
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NW WA
NO Wl
HW
SW
LEGENDE WA NW HW SW Wl RG RK
KN
01
HO
SM
West Nord Hof Süd West Rund
Aussen West West West Innen Gang
Rund
Kern
OA
SO
KN SM 01 NO HO OA SO
Kern Süd Ost Nord Hof Ost Süd
Mitte Innen Ost Ost Aussen Ost
Abbildung 18: Bautciliibersicht der Bibliothcca Albertina [HJW|
Mit einer gezielten funktionalen Einteilung wird für den Bibliotheksbetrieb die notwendige Abstufung von Geräusch und damit geistiger Konzentration erreicht, die in idealer Weise die dem Haus innewohnende ästhetische Ruhe und Würde verleiht. Um den veränderten und zukünftig wandelbaren Raumansprüchen der Universitätsbibliothek auch in Zukunft gerecht werden zu können, wurde das von Arwed Roßbach vorgesehene Erschließungssystem des Hauses weiterentwickelt und konzentriert: Mit der Rekonstruktion der zentralen Treppenhalle als Hauptverteiler konnte die Haupterschließung für das Bibliothekspublikum wieder zurückgeführt werden. Zusätzlich wurde hinter dem Mittelrisalit im Bauteil Süd-Mitte (SM) ein Publikumserschließungskern mit Fluchttreppenhaus und behindertengerechtem Aufzug eingebaut. Damit wurde der extra überwachte Lesebereich der Sondersammlungen und der Direktionsbereich ohne Benutzung bibliotheksinterner Erschließungs-
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Systeme zugänglich gehalten und im Zusammenhang mit dem Treppenlift am Haupteingang das Gebäude für Behinderte ohne Umwege erschließbar gemacht. Der ebenfalls im Bauteil Süd-Mitte (SM) untergebrachte Sanitärkern mit Behinderten-WC ist ebenso zur Benutzung durch das Publikum vorgesehen. Die bisher bereits in den Bauteilen Nord-West (NW) und Nord-Ost (NO) angeordneten internen Treppenhäuser wurden zu bibliotheksinternen vertikalen Erschließungskernen mit kombinierten Personen- und Lastenaufzügen, Buchfördersystemen, Sanitärbereichen, vertikalen Medientrassen und Etagenverteilerräumen für Starkstrom, Nachrichten-, Brandmelde- und Sicherheitstechnik umgebaut. Der im Bauteil Nord-Ost (NO) eingebaute Treppenkern wurde des Weiteren im Rahmen des l. Bauabschnittes zur Erschließung des Kompaktmagazins im Untergeschoss um ein Geschoss vertieft. Zusammen mit den aus bauordnungsrechtlichen Gründen (Fluchtweglängen) neugeschaffenen Fluchttreppenhäusern in den Bauteilen Ost-Außen (OA) und West-Außen (WA) entstand ein kompaktes Erschließungssystem für das gesamte Gebäude, welches weitgehend nutzungsneutrale Flächen schuf und somit das Gebäude für zukünftige Nutzungsumlagerungen offen hielt. Der laufende Betrieb der Bibliothek sollte durch die Bauarbeiten so wenig wie möglich beeinträchtigt werden, wodurch nur eine abschnittweise Durchführung der Arbeiten nötig war. Konzipiert wurden, nach einer Phase der Bausubstanzsicherung, drei selbständige Bauabschnitte. Während und vor allem auch zu den Zeiten der Überlappung der Bauabschnitte wurde auf der Basis detaillierter Ablaufpläne ein komplett funktionsfähiger Bibliotheksbetrieb ermöglicht. 2.3 H U-Bau Auf der Grundlage dieser Vorplanung fanden im Sommer 1991 weiter intensive Analysen der Einzelbereiche der Bibliothek statt. In Diskussionen mit dem Nutzer wurden dabei Raumprogramme und deren inhaltliche und technische Umsetzung für Magazine, Publikumsdienste, Verwaltung, Werkstätten, EDV und Sondersammlungen ausgewertet. Flankiert von weiteren Bibliothekseinrichtungen entstand eine konkretisierte Entwurfsplanung, die analog der durch die RB-Bau (Richtlinien für die Durchführung von Bauaufgaben des Bundes) vorgegebenen Schritte die Basis zur Erstellung einer Haushaltsunterlage-Bau (HU-BAU) bildete und deren Eckdaten u.a. eine Gesamtkapazität von ca. 4,5 Mio Bänden, davon 200.000 in Freihandaufstellung und ca 250 Leseplätze forderten. Im Dezember 1991 wurde die HU-Bau als umfassendes Werk bei der zuständigen Oberfinanzdirektion Chemnitz vorgelegt und als verbindliche programmatische Grundlage für die Ausführungsplanung im vorgesehenen Realisierungszeitraum, einschließlich ihrer detaillierten Kostenberechnungen im Gesamtumfang bestätigt.
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Abbildung 19: Grundriss der Hauptnut/ungsebene (2. OG) mit endgültiger Möblierung |HJW|
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2.4 HU- Bau-Nachtrag Das durch den Wissenschaftsrat im Rahmen der Neustrukturierung der Bildungseinrichtungen in den neuen Bundesländern geforderte zukunftweisende bibliothekarische Universitätskonzept (einschichtiges Bibliothekssystem) als künftige Geisteswissenschaftliche Zentralbibliothek beinhaltete die Überarbeitung des Konzeptes der Universitätsbibliothek. Diese Überarbeitung sah planerisch eine Kapazitätserhöhung auf mindestens 726 Leseplätze sowie die Maximierung des integrierten Freihandbestandes auf 450.000 Bänden vor. Es fand seitens der Planer hierauf eine Überprüfung der Realisierbarkeit der sich daraus entwickelnden Funktionsänderungen statt. Es wurde festgestellt, dass sich der zugrunde liegende Entwurf mit seiner angestrebten Flexibilität der Grundstruktur, hinsichtlich Veränderbarkeit von Nutzungsstrukturen innerhalb des Gebäudes problemlos anpassen ließ. Der Nachtrag zum Bauantrag wurde durch die Planungsbeteiligten eingereicht und durch das Sächsische Staatministerium der Finanzen (SMF) genehmigt und der HU-Bau-Nachtrag unter Beachtung der Kostenneutralität gegenüber der bestätigten HU-Bau festgeschrieben.
2.5 Erfüllung des Raumbedarfs Die Erfassung des Raumbedarfs und seine Einarbeitung in den Entwurf fand in enger Abstimmung mit dem Nutzer und dem Staatshochbauamt Leipzig auf der Basis der Ergebnisse aus der Grundlagenermittlung statt. Die Bestätigung des Raumprogramms durch das zuständige Ministerium ist über den Nutzer eingeleitet worden. Mit Fertigstellung aller drei Bauabschnitte weist das Gebäude eine Nettogrundfläche von circa 25.000 qm auf. Die Standflächenkapazität wurde von ursprünglich 800.000 auf 3.600.000 Bände erweitert, davon statt 4.000 Bände jetzt 400.000 in Freihandaufstellung. Die Anzahl der Leseplätze konnte von ursprünglich 123 im großen Lesesaal und zwischenzeitlich 60 von 1945-1997, auf insgesamt 758 erhöht werden. Davon runden 8 Carrels und 98 Mediabenutzer- und PC-Arbeitsplätze das erweiterte Benutzerprofil ab. Nach Abschluss der Baumaßnahme wurde damit die Funktionsfähigkeit der Bibliothek besonders für die Geistes- und Sozialwissenschaften entsprechend der Zielplanung der Universität abgesichert. Kapazitätserhöhungen hinsichtlich der Leseplätze wurden grundsätzlich durch die Nutzflächenerweiterung durch die gläsernen Überdachungen der Innenhöfe West und Ost im 2. OG und im 3. OG Bauteil Rundkern (RK) durch Einziehen einer umlaufenden Empore erreicht, die, in Anlehnung der im Bestand von 1926 schon einmal vorhandenen und nach dem 2. Weltkrieg zerstörten Galerie, die Gestaltung des Lesesaales aufwertet. Im 3. OG Bauteil West-Außen (WA) und Bauteil Ost-Außen (OA) wurde eine zusätzliche Erweiterung des Freihandbereiches durch den Einbau jeweils einer
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Wendeltreppe als Erschließung vom 2. OG Bauteil Süd-West-Eckrisalit (SW-ER) und Bauteil Süd-Ost-Eckrisalit (SO-ER) möglich. Kapazitätserhöhungen waren ebenfalls durch das zusätzliche Einstellen von Stahlgalerien mit analoger Erschließung über Wendeltreppen vom 2. OG in den Bauteilen Ost-Innen (OI) und West-Innen (WI) möglich. Mit der Unterbringung des Cafeteriabereiches in der Nord-West-Ecke der Haupttreppenhalle EG konnte der Konzeption eines offenen, einladenden Hauses, sowie der Entwicklungsmöglichkeit zu einem Kommunikationszentrums Rechnung getragen werden. Dem Wunsch des Nutzers, Wechselausstellungen der Universität in einem extra gesicherten, klimatisierten Bereich zu präsentieren, kam man durch den Umbau des ehemaligen Kohlenkeller im KG nach. In idealer Weise erreicht man diese Ausstellungsräume völlig ungestört über eine Wendeltreppe direkt vom Foyer unterhalb der repräsentativen Haupttreppe des Erdgeschosses, von wo auch die erweiterte Garderobe sowie der Publikumssanitärbereich erschlossen wird. Der Bereich des Direktorates wurde in das 4. OG in den Bauteilen Süd-Mitte (SM) und der der Verwaltung in das 4. OG nach Süd-West (SW), West-Außen (WA) und Nord-West (NW) verlegt. Die Feinplanung der Mitarbeiterarbeitsplätze sowie ihre temporäre interimistische Unterbringung in Räumen des 1. BA erfolgte jeweils im Rahmen der jeweiligen Bauabschnitte. Im 4. OG Bauteil Nord-Ost (NO) befindet sich das Münzkabinett und im Bauteil Ost-Außen (OA) das RARA-Magazin. Dabei wurden die Flächen im Bauteil Ost-Innen (OI) zum Freihandmagazin und Bauteil Süd-Ost (SO) zum RARASonderlesesaal umgestaltet. Erfahrungen in anderen Bibliotheken zeigen, dass Fotokopierer, Reader-PrinterEinheiten und ähnlich geräuschintensive Einrichtungen in den Publikumsbereichen in geschlossenen, belüfteten Raumeinheiten untergebracht werden können. Durch die Hinzunahme der Randbereiche (Bauteile Nord-West / Nord-Ost (NW/NO) und West-Außen / Ost-Außen (WA/OA) als Publikumsarbeitsflächen war die Installation dieser Einrichtungen an den Außenwandflächen möglich. Als Erweiterung des Systems aus Koppelung des Online-Benutzerkatalogs OPAC mit der Ausleihe wurde das Prinzip der Selbstausleihe von Freihandbeständen durch den Benutzer mittels Strichcode-Lesegeräten und Computerterminals vorausschauend vorgesehen. Anzahl und Anordnung der Selbstausleiheinrichtungen auf der Hauptnutzungsebene entsprechen der Ausstattungsplanung der einzelnen Bauabschnitte. Auf der Hauptnutzungsebene sind neben dem Ausleihbereich Flächen für die zentrale Auskunft/Informationsvermittlung vorgesehen; alle weiteren Flächen dieser Ebene konnten durch Publikumsnutzung (Katalogrecherche, CD-ROM- Stationen, Lesesaal und Freihandflächen mit Nutzerarbeitsplätzen) belegt werden. Der Ausbau von Computerarbeitsplätzen konnte auf der Hauptnutzungsebene durch das vorgesehene DV-Netz im Doppelboden der hallenartigen Bereiche, wie
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- Lesesaal Hof-West (HW) mit angrenzenden Räumen Süd-West-Eckrisalit (SW-ER) und West-Innen (WI), - historischer Lesesaal Rund-Kern (RK) und - Lesesaal Hof-Ost (HO), mit den angrenzenden Räumen Ost-Außen (OA) SüdOst (SO) und Ost-Innen (OI) sowie mit Brüstungskanälen an den Außenwänden der übrigen Räume gewährleistet werden. In den Obergeschossen wurde in den Bereichen mit Büronutzung zusätzlich zu den Brüstungskanälen im Außenwandbereich die DV-Erschließung aus der unter der Decke geführten Medientrasse zur Versorgung der innenliegenden Raumbereiche realisiert. Die EDV-Zentrale wurde bereits während der ersten Sofortmaßnahmen im Bauteil West Innen (WI), 4. OG an ihrem endgültigen Standort installiert.
2.6 Historisches Tragwerk Dem damaligen Stand der Technik entsprechend prägen Mauerwerk und Stahl die Tragwerksstrukturen. Auf Stampfbetonfundamenten gründen sich massive Mauerwerkswände, die zu den umgebenden Straßen stark gegliederte Natursteinfassaden aufnehmen und in den Höfen und den abgewandten Fassaden durch Klinkermauerwerk bekleidet sind. Öffnungen in den Wänden sowie Vor- und Rücksprünge werden durch Stahlträger überbrückt. In den Wänden wurden Schächte und Kanäle zur Aufnahme des Hypokausten-Heizsystems und für sonstige Leitungsführungen vorgesehen. Die Kellerdecke wurde, wie auch bei Bauwerken in den Jahrhunderten zuvor, durch Gewölbekonstruktionen ausgebildet. Ein zweites unterhalb der tragenden Decke angeordnetes Gewölbe diente der Schaffung von Kanälen für die Heizung. Für die Überspannung größerer Räume, wie der Säle im EG und 2. OG, kamen genietete Blechträger zur Anwendung. Alle anderen Geschossdecken bildeten ein System von gusseisernen Stützen, Hauptunterzügen aus Walzprofi l und Mauerwerkskappen. Im Gegensatz zu den reichlich dimensionierten Wänden wurden die Stahl- und Deckenkonstruktionen exakt den zu erwartenden Lasten dimensioniert, respektabel erfolgte die Anordnung der Regale und Pulte in Übereinklang mit dem gewählten Tragsystem. Das Dachgeschoss war ursprünglich nicht für eine Nutzung vorgesehen, so dass die Dimensionierung der obersten Decke geringer gewählt wurde als in den darunter liegenden Geschossen. Fachwerkbinder aus Stahlprofilen mit genieteten Anschlüssen bilden das Primärtragwerk der Dächer. Über dem Haupttreppenhaus und dem großen Lesesaal entstanden somit imposante Tragwerke, welche zur Aufnahme von Glaselementen zur Belichtung über die Dächer dienten. Die beiden Innenhöfe waren nicht überdacht. Das Tragwerk des Bauwerkes folgt in seinem Aufbau der strengen Fassadengliederung und war mit Ausnahme der repräsentativen größeren Räume sichtbar,
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teilweise auch mit Schmuckwerk verziert. Die mächtigen Natursteinsäulen des Mittelrisalits sind an der Primärkonstruktion nicht beteiligt und dienten nur der architektonischen Gestaltung des Bauwerkes. Die Baukonstruktion ist charakteristisch für die Bauweisen des ausgehenden 19. Jahrhunderts und somit auch bei mehreren großen Bauwerken in Leipzig wiederzufinden. Der Stahl als Baustoff muss sich in den sichtbaren Bereichen - z.B. Fassaden, Treppenhäusern, Lesesälen - den anderen Baustoffen unterordnen und wird oft aufwendig verkleidet. Gusseiserne Stützen und Stahlträger sind als Primärtragelemente nicht mehr erkennbar. In den aus damaliger Sicht untergeordneten Teilen des Gebäudes - Magazine, hintere Treppenhäuser, Magazinräume - werden die Slahltragwerke sichtbar und teilweise mit Ornamentik versehen. Die großen Stahltüren und die Stützen-Unterzugsysteme zeigen den Willen, diesen modernen Baustoff hier konsequent einzusetzen und mit ihm auch gestalterisch zu experimentieren. Dicke Wände und massiv erscheinende Pfeilerkonstruktionen in den repräsentativen Gebäudetrakten täuschen aber über das tatsächliche Tragverhalten hinweg. Die Haupttragelemente sind eher leichte Konstruktionen aus Stahl und „Preußischen Kappen" bzw. „scheitrechten Kappen" aus Bimsbeton. Des Weiteren werden in den Sälen des EG und 2. OG die Lasten der darüber liegenden Geschosse über weitgespannte genietete Stahlträger abgeleitet. Bezüglich der Buchmagazine waren somit nur Büroräumen vergleichbare Lasten vorgesehen und Kapazitätserweiterungen theoretisch ausgeschlossen. Dennoch wurden die Magazinflächen stetig höher ausgelastet, und die daraus resultierende Überbeanspruchung von Tragelementen und ganzen Tragsystemen hat zu einer erheblichen Reduzierung des Sicherheitsniveaus der Konstruktion geführt. Unzulässige Verformungen konnten in verschiedenen Bereichen nachgewiesen werden bzw. waren offensichtlich.
2.7 Neue Tragkonstruktionen — effiziente Einbauten Für die Lagerung des zum Teil historisch wertvollen Buchbestandes mussten bei der Konzeption für die Bibliothek des 3.Jahrtausends mit Entwicklungsmöglichkeiten für die nächsten 50 Jahre grundlegende strukturelle Änderungen bzw. Ergänzungen erfolgen. Den architektonischen Grundzügen des Modernisierungsentwurfes folgend, galt es, eine Synthese zwischen der Wiederherstellung der historisch wertvollen Bausubstanz (mit weitest gehender Wahrung der vorhandenen Konstruktionselemente) und einer hohen Funktionalität und Flexibilität des Tragwerkes zu finden. Eine Erhöhung der Flächenlasten von den ursprünglich 2,0 kN/m 2 auf die für Kompaktmagazine mindestens erforderlichen 12,0 kN/m 2 war mit dem vorhandenen Tragsystem nicht realisierbar, so dass die Lösung nur in einer Einheit mit neuen effektiven Tragstrukturcn zu finden war. Diese Möglichkeit hochbelastbarer neuer Konstruktionen wurde im Bereich ruinöser Gebäudeteile gefunden.
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\ \ 4.4 U , J J
4 4 -I -I Abbildung 20: Längsschnitt im End/ustand mit den äußeren Fluchttreppenhäusern, den beiden überbauten und überglasten Höfen, Haupttreppenhalle; in der Mitte rechts unten das neue Untergeschoss und daneben eine Mikrobohrpfahlgründung mit /wei Geschosstischen |HJW]
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Im Ostflügel (BT SO, OA und HO) wurde unter der Prämisse der Wiederherstellung der historischen Fassaden ein Stahlbetonskelettbau konzipiert. Die Fassade wurde nunmehr nur noch als selbsttragende aber originalgetreue Verbundkonstruktion aus Sandstein und Ziegelmauerwerk (im Sockel teilweise bis 2,5 m dick) wiedererrichtet. Zur Realisierung zusätzlicher Magazinflächen wurde nach Variantenuntersuchung ein weiteres Untergeschoss (ca. 1000 m2) unterhalb der ursprünglichen Kellerebene geplant. Auf Grund der Lage im gespannten Grundwasserspiegel erfolgte die Ausführung als weiße Wanne. Des Weiteren wurde der Hof-Ost (HO) mit 3 Magazingeschossen (ca. je 400 m 2 ) überbaut und in angrenzenden Bauteilen (Ost-Innen, OA-Nordteil), im Rahmen von erforderlichen Deckenaustauschen zusätzliche Zwischengeschosse für Magazinzwecke eingeführt. Die Überdachung der Innenhöfe Ost und West (HO und HW) schufen die Voraussetzung für erheblichen Flächenerweiterungen des Leseplatz.angebotes. Für die Realisierung weiterer öffentlicher Geschossflächen wurden im 3. OG (BT OI und WI) zusätzliche Bühneneinbauten (Stahlgalerien mit Trapezbl echtrag schale) ausgeführt. Konzipiert wurden diese in der Form, dass bei einer späteren Umnutzung die Option einer Demontage ohne Eingriff in die übrige Tragstruktur gegeben ist. Die Gewinnung zusätzlicher, für Kompaktregalanlagen geeigneter Magazingeschosse wurde analog im BT Hof-West (Hofüberbauung mit 3 Magazingeschossen und Glasdach) und im BT Rund-Kern (RK) (durch Abbruch überhoher und ruinöser Kellergewölbe) realisiert. Die Kriegsfolgen mit teilweise erheblichen Einwirkungen auf das Tragwerk (Schiefstellung, Risse, beschädigte Bauteile) wurden beseitigt und durch neue Bauwerksteile mit entsprechender Tragfähigkeit ergänzt. Wesentliche Bedeutung kam der Gestaltung der Anschlussbereiche zu. Die neuen Bauteile galt es setzungssicher zu gründen, da schon geringe gegenseitige Verformungen die Nutzung erheblich einschränken würden. Die funktionale Gestaltung weiter offener Bereiche (Freihand-Leseplätze) gestattete kaum nachträgliche Anpassungen von Höhendifferenzen. Um Mitnahmeverformungen und möglicherweise daraus resultierende Rissbildungen weitestgehend auszuschließen, wurden Bauwerksteile, welche in die alte Bausubstanz integriert werden mussten (z.B. neue Aufzugsschächte, Fluchttreppenhäuser), gesondert, im Regelfall mittels Kleinbohrpfählen, gegründet. Hohe Anpassungsfähigkeit erforderte die Berücksichtigung von tragwerksrelevanten Öffnungen (sowohl vertikal als auch horizontal) für den Einbau der Installationstechnik. Vorhandene Schächte des Hypokaussystems konnten nur im 3. Bauabschnitt (Westflügel) in größerem Umfange für neue Installationen genutzt werden, da ansonsten die Anordnung selten mit den Anforderungen übereinstimmte. Besondere Freiräume für eine ungehinderte Strangführung erforderten die Klimatechnik und die Buchtransportanlage. Im Gegensatz zum sonst üblichen iterativen Planungsprozeß zur Übereinstimmung der Anforderung der Ausrüstungs-
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technik und der Tragstruktur musste hier die Optimierung des Tragwerkes an der gegebenen Geometrie (Geschosshöhe, Achssystem), Anordnung der Buchregalanlagen (Kompaktmagazine) und der einzuordnenden technischen Installation erfolgen. Aufgrund verschiedener Randbedingungen wurde die Konzeption mehrerer Abfangkonstruktionen erforderlich. U.a. musste für die Erschließung des neuen Untergeschosses im Ostflügel das vorhanden Treppenhaus Nord-Ost (NO) tiefer geführt werden. Bei unbedingter Beibehaltung der Benutzbarkeit von EG bis 5. OG (DG) für den Bibliotheksbetrieb wurde für den erforderlichen Abbruch des KG im EG ein Sprengwerk entwickelt. Da die darüber befindliche fünfgeschossige gusseiserne Stützenkonstruktion keine Verformungen zuließ, wurde vor Abbruchbeginn das Sprengwerk mittels Druckluft vorgespannt und dann festgelegt. Nach Fertigstellung des UG und KG erfolgte die Entlastung der Futterbleche wiederum mittels Druckluft. Ebenfalls nur geringe Setzungen durften beim Auswechseln von Trommeln einer Sandsteinsäule über dem Eingang im Mittelrisalit entstehen. Auch hier wurde eine individuelle Stahlkonstruktion zur Abfangung entwickelt, die jedoch in diesem Fall hydraulisch vorgespannt wurde. Der Ersatz nicht tragfähiger Deckenbereiche erfolgte jeweils unter Beachtung der Standsicherheit der Wandkonstruktionen bzw. kompletter Bauwerksteile. Im Bauteil OA-Nordteil z.B., in dem alle Decken ausgewechselt wurden, erfolgte dies durch geschossweisen Einbau von Unterzugrahmen von oben nach unten zur Halterung der 20 m hohen Wandkonstruktion. Nach Einbau der neuen Gründung und Betonage der Stützen und Decken von unten nach oben wurden diese Unterzüge dann geschossweise mittels Seilsäge von den Wänden getrennt, um die neuen Lasten auf eigener Gründung abtragen zu können. Im Bauteil Süd-Mitte (SM) über dem Haupteingang wurde vor dem Abbruch der Decken über 3. OG, 4. OG und DG ein temporäres Raumfachwerk zur Halterung der Außenwände und der Figurengruppe eingebaut. Vor allem in den Dachgeschossen gab es (die ursprüngliche Konstruktion war ohne Ringanker) durch die stark auskragenden Traufgesimse und Kriegseinwirkungen Abrisse und Außerlotstellungen von bis zu 12 cm. Ein ganze Reihe von Bauteilen (z.B. Mittelrisalit, Eckrisalite) mußten deshalb mit bis zu 4 m langen im Mauerwerk bzw. Sandstein verpressten Edelstahlankern im DG und 4. OG gesichert werden. Neue Decken wurden generell zum Einbau von Edelstahl-Flachstahlankern für die Außenwandverankerung genutzt. Alle Bauteile wurden zur Stabilisierung und zur Eintragung der neuen Dachlasten abschnittsweise mit Ringankern versehen. Generell konnten für alle diese Sicherungsmaßnahmen Lösungen gefunden werden, die kein aufwendiges äußeres Stützsystem erforderten. Die weitgespannten Dachkonstruktionen wurden infolge Kriegseinwirkung ausnahmslos zerstört und danach komplett entfernt. Für die Überdachung des
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Haupttreppenhauses (Bauteil Kern) und des historischen Lesesaales (Bauteil Rundkern) wurden der ursprünglichen Geometrie angepasste Tragsysteme (Spannweite ca. 20 m) gewählt. In der Haupttreppenhalle sind u.a. die Lasten der außenliegenden Verglasung und der Nachbildung der historischen Glasdecke aufzunehmen, während über dem Lesesaal neben der hufeisenförmigen Glasdecke noch eine äußere Glasrotunde und die eingewölbte historische Stuckdecke hinzukommen. Für die Überdachung der neugeschaffenen Lesesäle in den ehemaligen Lichthöfen (HO, HW) galt es, ein filigranes Tragwerk mit hohem architektonischen Anspruch auch der Anschlusselemente zu entwerfen. Als effektivste Lösung macht ein unterspanntes räumliches Knotenfachwerk die Glasflächen als zweidimensional gekrümmte Schale erlebbar und erzeugt im Zusammenwirken mit dem Beleuchtungskonzept interessante Lichteffekte.
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Abbildung 21: Querschnitt im End/ustand mit Glasdach über Haupttreppenhalle und Spindeltreppe /.um Ausstellungsraum im Keller sowie neu errichtetem historischem Lesesaal mit Glasrotunde über Dachtragwerk und darunter drei neue Maga/.ingeschosse [HJW]
2.8 Technisches Konzept Einen besonderen Schwerpunkt stellte sowohl die Konzipierung der technischen Ausstattung der Lese- und Arbeitsplätze unter den heutigen und zu erwartenden Bedingungen einer modernen Kommunikation und Organisation als auch die Installation moderner haustechnischer Systeme zur energiesparenden und weitgehend automatisierten Betreibung des Hauses dar.
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Ausgehend von einem Anschluss aller Lese- und Arbeitsplätze an ein Datennetz und der Voll- bzw. Teilklimatisierung von Magazinen bzw. Lese- und Arbeitsräumen waren sowohl die veralteten Systeme der Starkstromtechnik/Beleuchtung, Telefon, Heizung, Wasser- und Abwasser, Aufzüge abschnittsweise zu ersetzen als auch völlig neue Anlagentechnik, wie ein weitgehend automatisierter Buchtransport, zentrale Brandmelde- und Einbruchsmeldeanlage und automatisierte Entrauchungsanlagen, Klima- und Kältetechnik einzubinden. In den 11 Jahren Bauzeit fand aber auch eine rasante technische Entwicklung statt, die eine ständige Überprüfung des Planungskonzeptes erforderte, aber auch Kompatibilitätsprobleme zwischen den Anlageteilen der verschiedenen Bauabschnitte erzeugte. Nicht zuletzt stellte die räumlich-geometrische Einordnung der jeweiligen Technikzentralen, -anlagen und -trassen die Planbeteiligten vor besondere Hausforderungen und erforderte auch unkonventionelle Lösungen. Nach Festlegung vertikaler Techniktrassen in den Bauteilen Nord-Ost (NO), Nord-West (NW) und Süd-Mitte (SM) und der Aufsplittung der Wand zwischen BT Rundkern (RK) und Kern (KN) vom Keller bis zum Dach in 2 Wände mit dazwischen liegenden Klimatrassen und der (auf Grund der Raumhöhen) nur in KG und DG möglichen Horizontalverteilung wurden die Technikzentralen und -anlagen so weit wie möglich im Keller- und Dachgeschoss angeordnet. Trotzdem kam es aufgrund der räumlichen und konstruktiven Begrenzungen, die sich aus der vorhandenen Bausubstanz ergaben, in Teilbereichen zu Überschneidungen und problematischen Kreuzungs- und Konzentrationspunkten.
2.9 Brandschutz/Personenschutz Auf Grund der mit dem Buchbestand und dem Mobiliar verbundenen hohen Brandlasten, der Einmaligkeit und enormen Wertigkeit des Buch-, Kunst- und Archivbestandes und nicht zuletzt wegen der großen Anzahl der im Haus zu erwartenden Personen (Mitarbeiter und Leser) standen schon in den frühen Planungsphasen diese Probleme an zentraler Stelle. Aufbauend auf einem Brandschutzgutachten von Prof. Hildebrandt wurden spezielle Brandversuche mit originalem (zur Vernichtung vorgesehenem doppelten) Buchbestand der UBL in Stahlregalen durchgeführt und ein erfahrenes Fachplanungsbüro mit einem Sicherheits-, Brandschutz- und Fluchtwegekonzept beauftragt. Durch besondere Würdigung des Sachverhaltes, dass die Buchbestände wenig Entzündungsgefahren bergen und bei äußerer Brandeinwirkung vorzugsweise Rauch entwickeln, wurde das Gebäude vertikal in 3 Brandabschnitte und horizontal geschossweise in Brandabschnitte eingeteilt. Des Weiteren wurden diese Brandabschnitte soweit als möglich in Rauchsektionen unterteilt, so dass sowohl Brandausbreitung als auch Rauchausbreitung stark eingeschränkt wurden. Alle betreffenden Bauteile, wie Türen, Brand- und Rauchklappen, Fluchttreppenhäuser, Schächte und Einhausungen von Kanälen, Leitungstrassen wurden mit entsprechender Qualität, Zulassung und Funktionserhalt ausgeführt. Alle Magazine, aber auch die Büro- und öffentlichen Lesebereiche wurden
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mit 2 getrennten Rauch- bzw. Brandmeldesystemen ausgestattet. Dadurch und durch die Einrichtung einer rund um die Uhr besetzten Brandmelde- und Sicherheitszentrale, bei der alle Meldungen permanent auflaufen und auf Bildschirmen in entsprechenden Geschossgrundrissen sofort sichtbar gemacht werden, gelang es, auf die für eine Bibliothek sehr problematischen automatischen Löschanlagen zu verzichten. Wesentlichen Anteil daran hatte im Brandschutzamt Leipzig Herr Wesskamp durch seine sehr zielorientierte unkomplizierten Zusammenarbeit, die dem historischen Gebäude gerecht wurden und trotzdem die Belange des Brand- und Personenschutzes gewährleistet. Bei speziellen Problemen, wie z.B. Entrauchung, brandschutztechnische Wirksamkeit historisch gewachsener Bauzustände, die von heutigen Vorschriften abweichen, wurden spezielle Fachplanungsbüros zusätzlich gutachterlich eingebunden. Auf dieser Basis konnte für alle Probleme eine tragfähige Lösung gefunden werden, historische Substanz wurde weitestgehend erhalten (wie das gusseiserne StützenTragsystem, originale Türen) oder durch äußerlich nicht erkennbare Nachbauten (hier vor allem im Türbereich) mit eingeschränkter Zulassung ergänzt. Unabdingbar war die bauliche Einfügung zweier neuer Fluchttrcppenhäuser in den BT OA und WA und die moderne Brandmeldetechnik. So wurden über 100 neue Brand- und Rauchschutztüren (häufig mit den für die Büchertransporte unentbehrlichen Feststellanlagen) eingebaut, incl. 23 Steuerungen für Fluchttüren. In der automatischen Buchförderanlage wurden ca. 50 Brandschieber und Brandklappen angeordnet, alle Zu- und Abluftkanäle der Klimanlagen werden überwacht (mit der Raumüberwachung sind somit ca. 270 Mcldegruppen mit 1022 Meldern installiert). Weiter sind über 40 außenliegende automatische Entrauchungsklappcn (vorzugsweise als Glaspyramiden, in Glasdächern oder versteckt in der Stehfalzdeckung) angeordnet und ca. 10 Brandgasventilatoren installiert, so dass insgesamt 60 Motore der RWA anzusteuern sind.
2.10 Sicherheit Mit der o.g. Unterlage des Büros KMS Berlin wurde, aufbauend auf eine Stellungnahme des Landcskriminalamtes, eine Gefährdungsanalyse und eine Sicherungskonzept erarbeitet. Auf Grund der eingestellten wertvollen Sammlungen, unikalcn Dokumenten und häufig einmaliger Buchbestände werden alle Magazine auf Einbruch überwacht. Dazu wurden 26 Blockschlossbereiche gebildet, die u.a beinhalten: 1.216 Mcldegruppen, 83 Tür- und Fcnstersicherungen, 125 Bcwegungsmelder, 32 Körperschall- und 23 Bildermelder, 12 Vitrinensicherungen. Dazu kommen 10 Videokameras und eine Buchsicherungsanlagc. Die Detektoren der Buchsicherungsanlage wurden im Haupttreppenhaus auf der Hauptnutzungscbene vor Zugängen, Haupttreppe und Aufzug unter detaillierter Abstimmung mit den Belangen der Denkmalpflege positioniert.
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Als System kam ein Gefahrenmeldemanager zum Einsatz, der (mit denen der Brandmeldeanlage) ca. 4500 verschiedene Meldungen zu verarbeiten hat.
2.11 Buchförderung Frühzeitig wurde deutlich, dass ein wesentlicher Faktor für den effektiven und stabilen Betrieb der Bibliothek ein effizientes Buchfördersystem darstellt. Durch die vorgegebene Bausubstanz verfügt das Haus im Endzustand über ca. 30 Magazinräume, die räumlich (horizontal und vertikal) weit auseinanderliegen. Nicht nur der Transport zu und von Ausleihe, Fernleihe und den Lesesälen, auch die Anbindung von Poststelle, Zeitschriftenverwaltung, Fotostelle, Buchbinderei, Erwerbung/Titelaufnahme, Schlussstelle, Sondersammlungen und Auskunft an ein weitestgehend automatisiertes Transportsystem, stellten eine große Herausforderung an Fördertechnikplaner, Statiker und Architekt dar. Die Hochrechnungen ergaben, dass im Endzustand täglich ca. l .360 Bände zu transportieren sind, wobei zeitliche Hochdruckzeiten im Tagesverlauf und die Maßgabe, dass jedes bestellte Buch nach einer halben Stunde dem Leser bereitgestellt werden soll, die Aufgabe nicht vereinfachte. Gelöst wurde dies durch die Konzipierung einer schienengebundenen Förderanlage, deren Fahrwerke in der Lage sind, die Buchbehälter an den Stationen über Rollenbänder automatisch aufzunehmen bzw. auszugeben. Dieses Prinzip hat den wesentlichen Effekt, dass die Behälter nach dem Füllen mit Büchern vom Personal nur noch über 2 Schieberegler adressiert (wegen des Einsatzes auch von Hilfspersonal mit Klarnamen des Zielpunktes) und auf dem Rollenband abgestellt werden. Da die Anlage die Behälter automatisch aufnimmt und am Zielpunkt absetzt, entfallen Wartezeiten für das Personal bzw. die Notwendigkeit, bei Ankunft von Behältern anwesend zu sein. Die Stationen puffern (der erforderliche Umfang wurde mit dem Nutzer abgestimmt) zwischen 5 und 85 Behälter. Als schwierig erwies sich vor allem die Einordnung der Trassen und die Sicherung der gewünschten Stationsstandorte. Diese konnten nicht in jedem Fall erfüllt werden. Auf Grund der Regelgeschosshöhen von 3 m waren Horizontaltrassen nur im KG und DG möglich und Vertikaltrassen über alle Etagen konnten nur in den Bauteilen NO, NW und über 2 - 3 Etagen in den BT SW und SO angeordnet werden. Im Endzustand verfügt die Anlage über 27 Stationen. Bei der Festlegung der Behältergrößen (und damit der zu befördernden Buchgrößen) hatten vor allem bauliche Gegebenheiten das Primat (die Bimsbetonkappendecken ließen keine größeren Öffnungen als 460 mm zu), so dass größere Formate nach wie vor mit Bücherwagen über die Aufzüge zu transportieren sind.
2.72 Raumklima Alle Magazine sind vollklimatisiert, wobei sich die Toleranzgrenzen nach der Wertigkeit des Buch- und Kunstgutes richten und zur Reduzierung der Kühllast eine langsame Sollwertangleichung im Jahresverlauf erfolgt. In den normalen
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Magazinen sind das 18 ± 3°C (Sommer 24 + 3°C) und 50 ± 7,5% rel. Feuchte. In Magazinen mit höchster Anforderung werden 17 + 1°C (Sommer 18 + 1°C) und 53 + 4% rel. Feuchte angestrebt. In Freihand- und Lesebereichen, in denen eine Fensterlüftung möglich ist, erfolgt keine Klimatisierung. Für innenliegende Räume ist eine stützende Lüftung mit Teilkühlung vorgesehen. Die Bereitstellung der Wärme erfolgt über einen Fernwärmeanschluss (130/80 gleitend) mit 2 Wärmetauschern mit einer Gesamtkapazität von l MW. In der Fernwärmestation (KG BT WI) befindet sich der Hauptverteiler (sekundär 95/50) an denen weitere Unterverteiler in den BT NO, NW, SM, OI vorzugsweise im KG und DG anschließen. Die Verbraucher sind die Raumlufttechnik (80/45), Raumheizungen in Form von örtlichen Heizflächen und Unterflurkonvektoren (75/50) und Fußbodenheizungen (50/40). Die Kälteerzeugung erfolgt durch 3 Kältemaschinen im KG BT SM (unter der Eingangstreppe) mit einer Gesamtleistung von 395 kW. Die Verbraucherleistung (nach Lastgangkurve) beträgt 482 kW, die durch einen Eisspeicher mit einer Entladeleistung von ca. 100 kW gesichert wird. Die ca. 25 Verbraucher werden über ein Kühlwassernetz versorgt. Die Rückkühlung erfolgt über Rückkühler auf dem Dach mit jeweils einem Kältemittelkreislauf je Kältemaschine, wobei im Sommerund Winterbetrieb über die DDC unterschiedliche Regelregime gefahren werden. Die Raumlufttechnik gliedert sich (mit Entrauchung) in 33 zentrale und dezentrale Anlagen, die (außer Entrauchung) vorzugsweise im DG (BT OI, WI, SM, KN) und Kellergeschoss (BT WI) je nach Lage der Verbraucher untergebracht sind. Der gesamte mögliche Volumenstrom beträgt 182.340 m3/h. Die Heizleistung 264 kW (dazu 164 kW dezentrale Geräte), die Kühlleistung 435 kW (+ 142 kW dezentral) und die Befeuchtung 99 kg/h. Die Wärmerückgewinnung erfolgt in der Fortluft. Die Luftaufbereitung erfolgt entsprechend den unterschiedlichen Zonen der raumklimatischen Bedingungen.
2.13 Medienversorgung Zur Absicherung des Gesamtbedarfes der Elektroenergie, auch der 3 angrenzenden Hochschulen (HGB, HS f. Musik, HTWK), wurde eine 3x360 kVA-Trafostation im westlichen Gartenhof der Bibliothek errichtet. Im Gebäude der Bibliothek (KG BT KN) wurde für den Bedarf der Bibliothek eine NSHV errichtet mit 2 Einspeisefeldern je 800 A, 4 Abgangsfeldern mit Sicherungsschaltleisten mit Sprungantrieb (Größen NHOO bis NH2), l Feld mit Kompensationsanlage 200 kVA ar. Für die Versorgung der mechanischen Entrauchung existiert eine 2.Einspeisung mit einer leistungsschaltergesteuerten Umschalteinrichtung. Die Sicherheitsbeleuchtung wird über eine entsprechende Anlage mit Zentralbatterie und adressierter Einzelleuchtenüberwachung gesichert. Die Weiterführung erfolgt über 24 Unterverteiler als Bereichsverteiler und ca. 242.000 m Kabel und Leitungen (incl. Sicherheits- und Fernmeldekabel). 2960
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Leuchten, incl. Sicherheitsbeleuchtung, sichern in Form von funktioneller Beleuchtung (Magazin- und Lagerbereiche) bis zu Spezial-Effektleuchten (z.B. Ausstellungsraum) und detailgetreuen Nachbauten historischer Leuchten (z.B. Haupttreppenhalle und Eingang) die Benutzbarkeit und Ausstrahlung des Gebäudes. In den öffentlichen Bereichen erfolgt die Steuerung über spezielle Lichtsteuertableaus. Das hausinterne Telefonnetz umfasst 320 Anschlüsse, das Datennetz 560 Datendosen (RJ45) sowie 160 LWL-Datenanschlussdosen, so dass jeder Arbeitsplatz und jeder Leseplatz mit Datenanschluss (sowie eigener Stromversorgung und autarker Arbeitsplatzbeleuchtung) ausgestattet werden konnte. Die Trinkwasserversorgung erfolgt über einen Anschluss am öffentlichen Trinkwassernetz mit Zähler und nachgeschalteter Filteranlage. Für die Buchrestaurierung und Klimaanlage wurden weitere autarke Wasseraufbereitungsstationen eingerichtet. Ausgewählten Verbrauchern ist eine Druckerhöhungsanlage vorgeschaltet. Die Abwasserleitungen wurden im Gebäude und auf dem Grundstück als Trennsystem ausgeführt. Für die nachträgliche Überglasung der Innenhöfe wurde die Regenwasserableitung im DG auf die außenliegenden Fallrohre geführt. Exponierte Rinnen- und Fallrohrabschnitte sind mit Rinnenheizung versehen. Für Sanitäranlagen im KG (unter der Rückstauebene) wurde im BT SW ein Schmutzwasserhebeanlage installiert. Gleichermaßen sind an den ehemaligen Einfahrten zu den Innenhöfen, da ebenfalls unter Rückstauebene, für das in den ACO-Drain-Rinnen anfallende Regenwasser 2 Hebeanlagen installiert. Die Zusammenführung als Mischwasser erfolgt in 3 Übergabeschächten an den Grundstücksgrenzen, die zur Umrüstung auf Trennung vorbereitet sind, falls in Leipzig eine Umstellung erfolgt.
3. Denkmalpflege Das Gebäude der Universitätsbibliothek steht unter Denkmalschutz. In enger Abstimmung mit dem Referat Denkmalschutz des Regierungspräsidiums Leipzig und dem Landesamt für Denkmalpflege (LFD) des Landes Sachsen wurde daher Art und Umfang der denkmalpflegerischen Zielsetzung für das Gebäude festgelegt. Als Ergebnis dieser Abstimmung erarbeitete 1991 das Referat Denkmalschutz des Regierungspräsidium Leipzig auf der Grundlage einer vom Landesamt für Denkmalpflege am 29.05.1990 verfassten denkmalpflegerischen Rahmenzielstellung eine gutachterliche Stellungnahme zum Wiederaufbau der Universitätsbibliothek. Grundlage für die Wiederherstellung des Gesamtgebäudes waren neben der bestätigten denkmalpflegerischen Rahmenzielstellung die in den Jahren 1991-1993 zur Vorplanung durchgeführten umfangreichen restauratorischen Befunduntersuchungen, verbunden mit der Sicherstellung von originalen Ausbaudetails durch die Firmen Hasselmann (Dipl.-Restaurator) und G. Volkmer (Stuckrestaurator). Mit Vorlage der HU-Bau bei der Oberfinanzdirektion (OFD) wurde gleichzeitig im Rahmen des Zustimmungsverfahrens nach Abschnitt E und G der RL-Bau
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die denkmalschutzrechtliche Genehmigung durch den Rat der Stadt Leipzig, Referat Denkmalschutz, am 15.07.1992 erteilt. Präzisierend aus den inzwischen gewonnenen Erkenntnissen weiterer Befunde übergab das Landesamt für Denkmalpflege am 04.11.1994 die Stellungnahme zur denkmalpflegerischen Wiederherstellung vom Vestibül, Haustreppenhaus und Lesesaal als Grundlage für die weitere Planung und Erarbeitung des Nachtrages zur HU-Bau. In Auswertung der Befundunterschungen wurden durch das Landesamt für Denkmalpflege die formulierten Aussagen zur Haupterlebnisachse des Gebäudes in allen Details 1994 präzisiert und von 1995-1998 durch ein ergänzendes denkmalpflegerisches Aufmaß, Fotodokumentation und Kartierung vorhandener Bauund Schmuckdetails, einschließlich Material- und Technologieangaben sowie Färb-, Pigment- und Bindemitteluntersuchung fortgesetzt. Die vom LFD erstellten Unterlagen zeigten stark abweichende Inhalte der denkmalpflegerischen Zielstellung des Lesesaales gegenüber der bestätigten HUBau und gingen weit über den Rahmen der einmal festgelegten Zielstellung hinaus. Damit befand sich das Staatshochbauamt Leipzig in Diskrepanz zur Genehmigungsfähigkeit des 2. BA durch das LFD und teilte dies der OFD am 16.05.1995 mit. Vorab eingegangene unverbindliche Informationen zu diesem Thema ließen den Schluss zu, dass die Aufwendungen für Maßnahmen der zusätzlich geforderten denkmalpflegerischen Rekonstruktion Dimensionen annehmen könnten, die zum damaligen Zeitpunkt noch nicht exakt abschätzbar waren und deshalb dringend der Abstimmung zwischen OFD/SMF und LFD bedurften. Das SMF, Ref. 54, vertrat die Auffassung, dass mit der Erfüllung der denkmalpflegerischen Zielstellung gemäß bestätigter HU-Bau die Möglichkeit der denkmalpflegerischen Komplettierung zu einem späteren Zeitpunkt offengehalten werden könnte, was bauaufsichtlich, denkmalpflegerisch wie auch finanziell einen vernüftigen Kompromiss darstellte. Bei der Realisierung dieser bedeutenden Maßnahme wurden dann in Folge mit dem LFD Prioritäten gesetzt. Auf der Grundlage o. g. Zielstellung und Teilgutachten sowie exakter Aufgabenstellung und schriftlichen Bestätigungen durch das LFD für die Wiederherstellung vom Vestibül und Haupttreppenhaus erfolgte die ergänzende denkmalpflegerischc Befunduntcrsuchung, Fotodokumcntation und Kartierung vorhandener Bau- und Schmuckdetails einschließlich Material- und Technologieangaben durch das Fachplanungsbüro Keil, Leipzig. Mit photogrammetrischer Messtechnik wurden durch die Messbildstelle GmbH, Dresden historische Aufnahmen verwendet, digital entzerrt und als maßstabsgerechte Grundlage für die Bearbeitung von künstlerische Entwürfen und deren Farbfassung einschließlich ihrer Übertragung am Bau zur Wiederherstellung der bildkünstlerischen Ausstattung der Wand- und Deckenmalerei genutzt. Weitere Gutachten zur Restaurierung der in großen Teilen zerstörten und geschädigten Natursteinfassaden, insbesondere der Wiederverwendung von kar-
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tierten Natursteinblöcken aus dem Abbruch der Bauteile OA und SO sowie vorbereitende Maßnahmen für die Rekonstruktion von Fassaden Schmuckelementen aus Terrakotta, der Wiederinstandsetzung der Attikafiguren auf dem Mttelrisalit und der geplanten Sanierung der ehemals vergoldeten Schriftzüge aus Metall wurden erarbeitet.
3.1 Haupttreppenhalle Der architektonische Grundgedanke, das Innere durch das Durchschreiten eines Vestibüls hinter dem Mittelrisalit durch ein mit plastischer und gemalter Dekoration besonders repräsentativ ausgestaltetes, durch Oberlicht erhelltes Treppenhaus zu erschließen, war nach der Zerstörung nur noch in wenigen Teilen erhalten geblieben. Von einer bis auf die Umfassungswände abgetragenen, mit Bäumen bewachsenen, kaum noch wiederzuerkennenden Ruine schaute man in den Himmel. Nur historische Fotos und die historischen Baupläne ließen erahnen, welches architektonisches Gesamtwerk hier vernichtet wurde. Heute, nach Abschluss aller Arbeiten wird die zentrale Bedeutung dieser Bewegungsachse Haupteingang-TreppenhalleLesesaal für die Wiedergabe der Entwurfsintentionen des Architekten Arwed Roßbach wieder deutlich. Vom Vestibül zur Haupttreppenhalle gelangt man heute wieder über die bestehende Granit-Treppenanlage durch einen offenen Durchgang, flankiert von zwei eingestellten toskanischen Säulenpaaren aus schwarzem polierten westfälischem Marmor, Basis und Kapitel aus weißem Carrara-Marmor. Das Innenraumkunstwerk Haupttreppenhalle gestaltet sich aus räumlicher Komposition, architektonisch plastischem Detail und farbiger Fassung. Die Verwendung überwiegend edler Natursteinmaterialien waren mit der Polychromie des Gesamtraumes sorgsam aufeinander abgestimmt. Aufgrund noch vorgefundener Originalteile konnten sämtliche Steinmaterialien und ihre Herkunft zweifelsfrei festgestellt werden. Die Treppenwangen, Geländer, Balustraden, Postamente und zwölf Doppelsäulen wurden daher entsprechend dem historischen Vorbild wieder aus massivem polierten italienischen, weiß-grau-geaderten CARRARA-MARMOR „BIANCOVENATO-BC" gefertigt (ursprünglich Qualität B, jedoch war ein Bruch mit dieser Qualität nicht mehr vorhanden). Die profilierten Blockstufen der Haupttreppe sowie Boden- und Wandbeläge des Erd- und Obergeschosses kontrastierten ursprünglich in rotbraun-poliertem „ADNETER KALK (MARMOR)". Hier konnte ein identisch aussehendes Steinmaterial aus Ungarn „TARDOS-ROT " beschafft werden. Die umlaufenden Sockel in den Umgängen, ursprünglich aus poliertem „GRAUSCHNÖLL", wurden heute mit „BALDUINSTEIN-GRAU" ergänzt. In beiden Fällen war das Originalmaterial nicht mehr ausreichend vorhanden. Inkrustationen im Treppenpodest wurden aus grünem „Verde-Spluga" und „Untersperger Marmor" (beige mit roten Einschlüssen) nach Originalvorlagen
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und -befunden ausgeführt, während die Supraporten über den Türen zu den Lesesälen mit grünem Marmor „Verde Guatemala" gefüllt wurden. Die zwölf ionischen Doppelsäulen mit gemeinsamen Architraven tragen zusammen mit den jeweils an den Umfassungswänden gegenüberliegenden Pilastern über ein Quadrat laufende Gurtbögen. Darüber bilden sogenannte „Byzantinische Hängekuppeln", als untergehängte Stuck-Deckenkonstruktion, den oberen Abschluss in den Umgangsarkaden. Korinthische Kapitelle an den oberen Säulenenden, Kranz- und Gurtgesimse sowie Liinettenumrahmungen konnten in Stuck nach teilweise vorhandenen Originalresten nachgeformt werden. Eine Steigerung erlebt man mit der über dem Gesamtraum schwebenden rekonstruierten Glasdecke, die eingerahmt durch ein reich verziertes, kassettiertes Stuck-Kranzgesims mit einer Vielzahl von Konsolen, das Tageslicht transluzent direkt von oben in den Raum fluten läßt. Umlaufend an den Umfassungswänden vollenden insgesamt zwölf rekonstruierte, überhohe historische Doppeltüren, in sehr aufwendiger Holzlasurtechnik mit reich profilierten Stuckgewänden einschließlich weißgrauer Giebelbekrönung und den o.g. grünen Marmortafeln in den Supraporten, das Raumgefüge. Schließlich muss noch auf eine genau dem Haupteingang gegenüber liegende Probeachse hingewiesen werden, die in der Mittelachse dem Betrachter exemplarisch die weitgehend authentische Wiederholung der ursprünglich den gesamten Raum beherrschenden Ausmalung im Stile „Raffaels" und „Giulio Romanos" nach dem Vorbild der „Villa Farnesina" zeigen soll. Die Umfang der Ausmalung geht von plastischen Früchtefriesen über die figürliche Darstellung, Ornament- und Stricheinfassung sowie Wandfries-Masken bis zu einer Kuppelausmalung mit Profilen, Vorhang- und Blütengehängen und acht Bildnissen einschließlich umfangreicher Marmorimitation.
3.2 Lesesaal Tn direkter Anbindung an das Haupttreppenhaus erschließt sich nördlich der historische Lesesaal. Auch hier hatte die Kriegzerstörung ganze Arbeit geleistet. Von der eigentlichen Pracht des Raumes war nichts mehr erhalten geblieben. Der Zerstörungsgrad entsprach dem der Haupttreppenhalle. Ohne Dach ragten auch hier die Umfassungswände bizarr in den Himmel. Die schrittweise Enttrümmerung, die Notabdichtungen auf den noch vorhandenen unteren Decken, Stuckreste, notausgebessertes Mauerwerk sowie die nachträglich bis in Brüstungshöhe abgetragene, halbkreisförmige Außenwand bestimmten das Bild. Nur mit Mühe und mit größter Fantasie konnte man sich eine mögliche Rekonstruktion vorstellen. Aufgrund der allgemeinen finanziellen Situation konnten hier schon bei den gestalterischen Vorentscheidungen, anders als bei den vorangegangenen Festlegungen zum Haupttreppenhaus, die denkmalpflegerischen Forderungen, die über das tragbare Maß hinaus gingen, nicht in vollem Urnfang berücksichtigt und die Möglichkeit der denkmalpflegerischen Komplettierung zu einem späteren Zeitpunkt offen gehalten
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werden. Gemäß gemeinsamer Festlegungen war in jedem Fall die Wiederherstellung der äußeren Hülle festgeschrieben. Das heutige Erscheinungsbild des Lesesaales zeigt trotz dieses vorgenannten finanziellen Einschnittes die gut erkennbare breite Palette des ursprünglichen Formenreichtumes. Mit dem eingegrenzten gestalterischen Handlungsspielraum wurden unter Verzicht von ursprünglichen profilierten Wand- und Deckengliederungen die wesentlichen raumbestimmenden Proportionen sowie die notwendigen Tekturen herausgearbeitet. Bei der Detaillierung einzelner Baukonstruktionen wurden zusätzlich sämtliche optionale additive Ergänzungen für die Zukunft berücksichtigt. Beeindruckend für den Betrachter ist auch heute wieder die überwältigende Erhabenheit und Größe dieses Lesesaales. Rekonstruierte Rundbogenfenster in der kreisförmigen Außenwand über dem 3. Obergeschoß mit dazwischen stehenden stuckierten Halbsäulen mit Kaneluren und ionischen Kapitellen finden im Deckenbereich als absisbildendes Teilgewölbe ihren Abschluss. Darunter liegende kassettierte Brüstungsfelder schmücken hier zusätzlich den sonst sehr schlichten Wandbereich. In direkter Beziehung zum Deckengewölbe des Lesesaales unterbrechen Pilaster mit Stuck-Kaneluren die übergroßen Wandflächen in gestalterisch, angenehmen Rhythmus. Der Deckenbereich steigert sich auftauend auf einem Kranzgesims, über eine umlaufend großformatige Gewölbekehle mit einem Radius von drei Metern, zu einer hufeisenförmigen transluzenten Glasdecke. Das Tageslicht fällt hier zusätzlich über die rekonstruierte Dachlaterne in die Mitte des Raumes. Mit der Einordnung einer zusätzlichen Empore an der Südseite des Lesesaales wurde einerseits die Leseplatzkapazität sinnvoll erhöht und andererseits ein bekannter historisch nachgewiesener Einbauzustand wiederholt. Die Erschließung dieser zusätzlichen Nutzerebene erfolgt über zwei Spindeltreppen aus dem Hauptgeschoss sowie aus dem direkt anschließendem Lesebereich des anliegenden Bauteiles Rundgang. Transparente Glastüren und eine nutzerfreundliche Ausstattung mit Ausgabetresen, Leseplätzen und Bücherregalen komplettieren neben umfangreichen haustechnischen Erneuerungen und Klimatisierung den Freihandbereich des wiederhergestellten Lesesaals.
4. Inneneinrichtung Gestalterisch hat die gesamte Inneneinrichtung des Hauses ein einheitliches Grundkonzept. Der konstruktive Aufbau, Proportionen, Materialstärken, Materialauswahl wie kanadischer Kirschbaum und neutrale seidenmatte, anthrazitgraue Farben der Metallteile sind für alle Einbauten einheitlich, so dass die Gestaltungsabsicht klar erkennbar und nicht aufdringlich wirkt und somit dem ästhetischen Anspruch des Hauses und der vorgegebenen Raumhülle nicht konträr sondern zurückhaltend, unterstützend begegnet wird.
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4. l Regale Einer der wichtigsten Bestandteile einer Bibliothek sind selbstverständlich die geordneten Lagerstätten und Magazine der Bücher. Hier galt es, entsprechend der vorhandenen Raumstrukturen effektive Lagermöglichkeiten zu erreichen, die einerseits größtmögliche Kapazitäten sichern, dem vorauszusehenden Tempo des ständigen Anwachsens der Buchbestände entsprechen und andererseits schnellstmöglichen Zugriff erlauben. Das bedeutete, bei Gewährleistung optimaler Raumausnutzung eine möglichst hohe Anzahl Bände übersichtlich und leicht zugänglich aufbewahren zu können. Aus diesem Grund entschied man sich in der Universitätsbibliothek Leipzig für ein Kompakt-Rollregal-System, das sich bereits in zahlreichen großen Bibliotheken bewährt hatte. Im Vergleich zu statischen Regalanlagen bieten Rollregale nahezu die doppelte Lagerfläche. Die einzelnen Regale stehen dicht an dicht. Ein Gang entsteht statt platzraubender Zwischenräume nur dort, wo er auch gebraucht wird. Über einen Sterngriff lassen sich die Regaleinheiten mühelos verfahren. Für großformatige Bücher wurden die Magazine in den Untergeschossen mit stationären Kastenregalen an den Randbereichen ausgestattet. Insgesamt beträgt die Ablagefläche allein nur im östlichen Bauabschnitt rund 72.605 lfd. Meter. Im Freihandbereich sorgen stationäre Bibliotheksregale für schnellen Zugriff und Übersicht. Die sichtbaren Seitenwände, Klapptablare und Auszugsböden der Regale sind mit kanadischem Kirschbaum furniert, was dem gesamten Raum eine warme, geradezu vornehme Atmosphäre verleiht. Die Ablagefläche allein im Freihandbereich des Bauteiles Ost beträgt hier 6.500 lfd. Meter.
4.2 Orts- und Fernleihe Die Ausleihtheke ist ein fester Bestandteil des Freihandbereiches im glasüberdachten Innenhof Ost. Mit seiner geschwungenen Form stellt er bewusst einen Kontrast zur quadratischen Grundfläche des Raumes her. Die Thekenarbeitshöhe beträgt 90 cm, die nicht durchgehenden Thekenaufsätze mit der Funktion der Abschottung 120 cm. Im rechten Winkel sind kammartig die jeweiligen Arbeitsplätze der Bibliotheksangestellten aufgereiht, in deren Schenkelschnittpunkt zu Theke und Beistelltisch die Monitore aufgenommen werden. Auf den Beistellplätzen sind Drucker, Kasse und Telefon integriert, die Beleuchtung erfolgt über ein Lichtrohr direkt über dem Arbeitsplätzen. Transportkörbe, und dazu passende Rollcontainer in dafür vorgesehenen Platzhaltern am Tresen übernehmen den manuellen Horizontaltransport zur in der Nähe liegenden zentralen Buchförderanlage. Im benutzerorientierten Außenbereich der Ausleihtheke wurden Institutsabholfächer/Schließfächer eingerichtet. Im rückwärtigen Raum stehen Ausleihregale.
4.3 Benutzerarbeitsplätze Die Benutzerarbeitsplätze wurden - so weit es möglich war - den ruhigen Randzonen der Freihandbereiche zugeordnet und durch Standregale funktional von
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Rene Herwig, Michael Jaenisch, Jörg Liebscher, Ronald Bonier
einander getrennt. Ergänzend stehen in den Lesesälen additiv angeordnete Lesetische mit größeren Sitzkapazitäten. Die Benutzerarbeitsplätze haben die Abmessungen 72 90 70 cm (H T). Bei gegenüberliegenden Arbeitsplätzen wurde eine optische Abschirmung durch ein eingespanntes vertikales Lochblech erreicht, über dem in circa 30 cm Höhe ein Lichtrohr als integrierte Arbeitsplatzbeleuchtung verläuft, dessen Schwenkreflektor einzeln, den jeweiligen Bedürfnissen entsprechend, verstellt und bedient werden kann. In der Arbeitsplatte befindet sich ein Installationskanal, in dem Steckdosen für Laptop, eine DV-Anschlussdose und der Lichtschalter für die jeweilige Arbeitsplatzleuchte untergebracht ist. OPAC-Arbeitsplätze für die Online-Katalogrecherche wurden störungsfrei an die Stirnseiten einiger Benutzerarbeitsplätze integriert. Mittels Paravent aus Lochblech wurde der Monitor rückwärtig abgeschirmt und ergonomisch dem Blickwinkel des Nutzers angepasst, in einem runden Ausschnitt der Arbeitsplatte versenkt. Der Rechner (CPU) konnte im Mittelfuß unterhalb der Arbeitsplatte belüftet und verschließbar untergebracht werden. 4.4 Lese stuhl Als Vorbild und Musterstuhl für die Formgestaltung der neuen Lesestühle wurde nach intensiver Bemusterung aller z.Zt. auf dem Markt angebotenen Produkte durch Nutzer und Architekten einstimmig der Originalstuhl der Universitätsbibliothek von 1930 ausgewählt. Die Ergonomie des Originals stimmte bis auf wenige Korrekturen. So wurde die Rückenlehne in nach oben abgeschrägter Form auslaufend in die Armlehne verändert und auf die ursprünglichen Zwischenstäbe darin verzichtet. Weiterhin wurden die Armlehnen um 10 cm von der vorderen Sitzkante zurückgesetzt, um näher an die Arbeitsplatte zu kommen. Die Sitzfläche musste, um Ermüdungserscheinungen vorzubeugen, waagerecht ausgebildet werden und erhielt zusätzlich noch eine Sitzmulde. Schließlich verbesserte man noch durch das Einziehen von Querstreben zwischen vorderen und hinterem Stuhlbein die Stabilität des sehr solide gebauten Stuhles. Nach erfolgreich bestandener Sitzprobe wurde der realisierte Prototyp freigegeben und als Serienstuhl in Buche, Kirschbaum bebeizt, für alle Benutzerbereiche gebaut.
5. Außenanlagen Überlegungen zu einer gemeinsamen Innenhofgestaltung mit der im Norden angrenzenden Hochschule für Grafik und Buchkunst führten zur Aufhebung der durch Zäune abgegrenzten Nachbargrundstücke. Abstimmungen mit beiden Nutzern, dem Staatshochbauamt und Planern eröffneten damit Möglichkeiten, den jeweiligen Bedürfnissen der Institutionen entsprechend, die unterschiedlichen Funktionen beider zusammen zu legen. Damit entstanden im Wesentlichen neben gemeinsamen Ein- und Ausfahrten zum Grundstück ein westlicher „gepflasterter Wirtschaftshof' mit ausreichend hausinternen Parkplätzen und Anlieferzonen
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Abbildung 22: Neuer Lesestuhl: Modil'i/icrung des Originals von 1891 [HJ\V]
sowie ein östlicher ..grüner Wohnhol", der durch die Zusammenlegung beider Grundstücke eine in der Auswahl der Bepflan/.ung an einen Botanischen Garten angelehnte Gestaltung größeren Ausmaßes /uließ. Eine Freilichtbühne für studentische Aufführungen im Rasengrün und eine angren/ende Freifläche mit Terrassenplät/.en vor einer Cafeteria sowie Möglichkeiten. Plastiken und Kunstobjekte der Studenten auf/uslellen, runden hier das Bild ab. Generell konnten die Außenanlagen nur entsprechend der jeweiligen Bauabschnitte um die Fassaden der Gebäude fertiggestellt werden. Vor allem bei den zum öffentlichen Straßenraum gelegenen Außenflächen galt es. im Zusammenwirken mit der Denkmalpflege und dem Grünflächenamt Leipzig dem historischen Zustand im Gesamteindruck, aber auch in der Materialwahl tierecht /u werden. Auf der Grundlage von Materialbefunden und historischen
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Fotos wurden die Außenflächen mit Bepflanzungen, Rasenborden und Pflaster gestaltet. Die erforderlichen modernen Zutaten, wie Fassadenbeleuchtung, über 100 Fahrradstellplätze, Behindertenlift, Geländer etc. wurden sehr zurückhaltend in die historischen Strukturen eingeordnet. Nicht zuletzt die Wiedererrichtung des historischen Kniegitterzaunes auf der äußeren Grundstücksgrenze, der Nachbau kannelierter und verzierter Fallrohre und die Wiederherstellung der beiden Gartenmauern mit Ziergittern und Pergola vervollständigten den äußeren Gesamteindruck in nachhaltiger Weise. Als Monumentalbau im Stil der italienischen Hochrenaissance reiht sich die „BIBLiOTHECA ALBERTINA" nun wieder in das gründerzeitliche großartige Gebäudeensemble des sogenannten „Musikviertels" mit den repräsentativen Nachbarbauten des Reichsgerichtes, der Musikhochschule und der Hochschule für Grafik und Buchkunst ein.
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Der Wiederaufbau der Bibliotheca Albertina als „Maßnahme im Rahmen des Hochschulbauförderungsgesetzes" 7. Von der politischen Wende bis zur Anwendung des bundesdeutschen Rechts Von den zahlreichen Problemen, die an der Universität Leipzig nach dem Fall der Mauer gelöst werden mussten, war die Frage der Literaturversorgung besonders dringlich. Die Wissenschaftler der DDR waren nicht nur wegen der allgegenwärtigen Zensur, die ideologisch unerwünschte Druckschriften von den Wissenschaftlern fernzuhalten bemüht war, sondern auch wegen des Mangels an Devisen von der Diskussion der westlichen Welt auch in den naturwissenschaftlichtechnischen Fächern weitgehend abgeschnitten. Die mit der Einräumung der Rei^sefreiheit verbundene faktische Aufhebung der Zensur im November 1989 und die mit der Einführung der westdeutschen Währung am 1. Juli 1990 verbundene Beendigung der Devisenbewirtschaftung führte sehr schnell zu einem geradezu unbeschreiblichen Boom an neuer Literatur, der durch großzügige Geschenke, Spendenaktionen und Sonderprogramme der die Wissenschaft fördernden Institutionen - von der Deutschen Forschungsgemeinschaft über die Fachministerien bis hin zu den großen Stiftungen und vielen privaten Geldgebern - möglich wurde. Für die wissenschaftlichen Bibliotheken ergab sich daraus eine erhebliche Arbeitslast, auf die sie weder personell noch von ihrer Infrastruktur her vorbereitet waren. Diese Situation wurde dadurch verschärft, dass Geldgeber und Bedachte verständlicherweise schnellen Zugang zu den neu erworbenen Büchern und Zeitschriften erwarteten. Die ordnungsgemäße Inventarisierung und Katalogisierung erschien damals den Nutzern der Bibliotheken als Vorbote eines neuen bürokratischen Systems, das man in dieser Form aus dem Westen nicht erwartet hatte, das aber bald auf vielen Gebieten große Enttäuschung bereitete. Das Paradoxe dieser Situation bestand darin, dass es endlich keine politische Behinderung zur Verwendung westlicher Literatur mehr gab und auch die für die Beschaffung erforderlichen Mittel bereitstanden, aber der Zugang wegen der Überlastung der Bibliothekare und der ihnen fehlenden Hilfsmittel oft unerträglich lange verzögert wurde. Das traf in besonderem Maße für die zentrale Bibliothek der Universität Leipzig 1 , die „Bibliotheca Albertina", zu. Seit der grauenhaften Nacht vom 4. Dezember 1
Die Universität Leipzig, die seit ihrer Gründung im Jahr 1409 immer diesen schmucklosen Namen geführt hatte, wurde im Jahr 1953 in „Karl-Marx-Universität" umbenannt. Im Januar
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1943, in der große Teile Leipzigs in Schutt und Asche versanken und in der auch das prachtvolle Gebäude erste Treffer erhielt, war es immer wieder Ziel von Brandbomben geworden und deshalb bei Kriegsende zu rund sechzig Prozent zerstört. Es musste aber wegen des Fehlens jeder Alternative weiter genutzt werden. Bis auf die allernotwendigsten Abdichtungen und technischen Instandsetzungen unmittelbar nach dem Krieg war keine Reparatur erfolgt. Zwar kehrten große Teile der zur Sicherheit ausgelagerten Bestände wieder zurück, aber das führte nun dazu, dass die neue Literaturflut auch räumlich kaum noch bewältigt werden konnte. Das wäre allein Anlass genug gewesen, um den Wiederaufbau der zerstörten Gebäudeteile und die Sanierung der übrigen Räume mit Nachdruck zu betreiben. Dazu kam aber als besonderer Motor der Enthusiasmus derjenigen Mitarbeiter, die das Gesamtensemble noch im unzerstörten Zustand gekannt hatten und die - seit das in ähnlicher Weise beschädigte Hauptgebäude der Universität am Augustusplatz im Jahr 1968 beseitigt worden war - fürchteten, auch die „Bibliotheca Albertina" könne ein vergleichbares Schicksal ereilen. Damit aber würde der zweite Universitäts-Großbau des Leipziger Architekten Arwed Roßbach verschwinden, was unbedingt verhindert werden sollte. Namentlich zu erwähnen ist in diesem Zusammenhang der seit dem l . Oktober 1990 amtierende kommissarische Direktor der Universitätsbibliothek, Dietmar Debes , der mit großer Energie und Umsicht daran gegangen war, die Erhaltung des Bauwerks und seine Erneuerung so schnell wie möglich in die Wege zu leiten, als sich die DDR ihrem Ende zuneigte. In den Akten der Universitätsverwaltung findet sich dazu eine „Anforderungsstudie für den Wiederaufbau und die Modernisierung der Bibliotheca Albertina an der Alma Mater Lipsiensis" - eine Bezeichnung, die ganz offensichtlich darauf abzielte, den damaligen offiziellen Namen „Karl-Marx-Universität" zu vermeiden. Bezeichnend für den neuen Geist ist es zweifellos auch, dass diese Studie dem Rektor im April 1990 nicht im Namen einen „Kollektivs", sondern von einer „Arbeitsgruppe" vorgelegt wurde. Das Papier lässt Wort für Wort den Autor Debes erkennen. Der Rektor - damals Horst Hennig - machte die Schrift zur Grundlage einer „Leistungsbeschreibung" für eine mögliche Bauplanung. Dazu hatte Debes „Rahmenbedingungen" u. a. mit folgendem Inhalt formuliert: - Wiederaufbau in weitestgehender Anlehnung an den originalen Zustand der Fassade und damit Wiederherstellung des architektonischen Gesamtanliegens; 1991 beschloss das erste seit 1933 frei gewählte Kon/.il mit Zweidrittel-Mehrheit, /.um angestammten Namen /.urück/ukehren. Zu Beginn des hier in Rede stehenden Berichtszeitraumes galt noch die Be/eichnung aus der DDR-Zeit. Sie wird aber im Text nicht verwendet, um keine Missverständnisse aufkommen /u lassen. Dr. Dietmar Debes, * 24. September 1925, t 6. Januar 1999; früherer Leiter der Abteilung Sondersammlungcn; vom 1. Oktober 1990 bis 30. April 1992 kommissarischer Direktor der Universitätsbibliothek Leip/ig. Am 4. November 1992 verlieh ihm die Philologische Fakultät für seine Verdienste um die Universitätsbibliothek den Ehrendoktortitel.
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- Gestaltung des Gebäudeinneren nach einer bautechnischen Lösung, „die schlüssig zwischen der vorhandenen Bausubstanz und den wiederaufzubauenden Gebäudeteilen harmoniert"; - Minimale Einschränkung des lautenden Bibliotheksbetriebes. Debes und seine Mitstreiter hatten die Schwierigkeiten durchaus gesehen, die einen Wiederaufbau behindern mussten. Sie bestanden vor allem darin, dass keine eindeutige Trennung von zu rekonstruierenden und wiederaufzubauenden Gebäudeteilen möglich erschien, dass genutzte und ruinöse Bereiche dicht beieinander lagen und dass es keine Möglichkeiten zur Verlagerung der Bestände in Ausweichräume gab. Da auch außerhalb des Gebäudekomplexes keine Flächen für eine Zwischenunterbringung der Bücherbestände zur Verfügung standen, zeichneten sich weitere Schwierigkeiten ab. Dennoch war die überwiegende Mehrzahl der Mitarbeiter der Bibliothek bereit, sich den Mühen und besonderen Belastungen, die sich aus dieser Situation ergaben, zu unterziehen. Wie sehr man das Wiedererstehen des alten Gebäudes herbeisehnte, zeigt die in der zitierten Denkschrift vom April 1990 abschließend formulierte „Rahmenbedingung": „Das im Jahr 1993 bevorstehende 450-jährige Jubiläum der Universitätsbibliothek sollte bei der Terminplanung berücksichtigt werden." Diese Hoffnung war nun aber doch zu ehrgeizig. Bei allem Druck, den Debes gegenüber Mitarbeitern, dem Rektorat und den Dresdener Ministerien erzeugte, war eine so große und komplizierte Aufgabe innerhalb von zwei bis drei Jahren nicht zu schaffen. Ihr 450. Gründungsfest feierte die Universitätsbibliothek daher nicht in dem damals noch als Kriegsruine den Witterungsverhältnissen ausgesetzten einst prächtigen Treppenhaus der „Albertina", sondern - und das war für die Universität insgesamt durchaus eine symbolische Situation - in dem provisorisch zum Auditorium umgestalteten Erdgeschoßfoyer und im Treppenhaus des Hörsaalgebäudes an der Universitätsstraße in der Innenstadt. Die Studie, die von der Universitätsleitung als Arbeitskonzept bestätigt wurde, war daraufhin Grundlage für betriebstechnische Untersuchungen der Universität im Jahr 1990. Bereits im August wurde das Architektenbüro HJW + Partner damit beauftragt, vor dem zuständigen Ausschuss einen Abriss für die zunächst erforderlichen Arbeitsschritte - also über die „Grundlagenermittlung und Vorplanung" zu geben. Das Büro war erst kurz zuvor durch den Zusammenschluss von zwei Architekten aus Hannover (R. Herwig, J. Wisch) mit Leipziger Kollegen (Wittig und Jaenisch) entstanden und verfügte über Erfahrungen auf dem Gebiet der Sanierung historischer Gebäude und ihrer Neuausrichtung auf moderne Nutzeranforderungen. Es war seither nicht nur für die Gesamtplanung, sondern auch für die Bauüberwachung zuständig. Die Gesamtbauaufsicht für das komplizierte Vorhaben lag nach seiner Einrichtung im Jahr 1991 in der Verantwortung des Staatshochbauamtes Leipzig.
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2. Von der Wiedervereinigung bis zum Beschluss über den Wiederaufbau Bereits im April 1991 legte das Büro HJW + Partner eine umfassende Projektstudie zur möglichen Neugestaltung des Gebäudes vor. 43 Bibliotheken der alten Bundesrepublik waren dazu analysiert worden, um Entscheidungshilfen zu gewinnen. Diese Untersuchung und die Kenntnis der spezifischen Probleme der Leipziger Situation machten allerdings schnell klar, dass es generalisier- und übertragbare Lösungen für die Wiederherstellung des Gebäudes in der Leipziger Beethovenstraße nicht gab. Neben dem Plan, die äußere Form, das einst prachtvolle Treppenhaus und den ebenfalls dem Bombenkrieg zum Opfer gefallenen Lesesaal wiederaufzubauen, bestand die wichtigste Veränderung bei den Planungen darin, den wieder zu errichtenden Ostflügel um ein weiteres Kellergeschoss zu vertiefen, diesen ganzen Bereich als Magazinfläche auszugestalten und durch Glasdächer über den bis in das zweite Obergeschoss ebenfalls zu Magazinen ausgebauten Innenhöfen zwei weitere große Lesesaalbereiche zu schaffen. Begeistert schrieb die Zeitschrift der Universität in ihrer ersten Ausgabe im Oktober 1991: „Mit dem Wiederaufbau der Bibliothek erhält die Universität Leipzig eines der wenigen noch vorhandenen alten Gebäude zurück, einen Ort, der wie kein zweiter dazu geeignet ist, die wechselvolle Geschichte der Alma mater lipsiensis erlebbar zu machen." So schnell ging es aber nicht. Seit dem 3. Oktober 1990 - dem Tag der Wiedervereinigung - galten die Gesetze der Bundesrepublik Deutschland auch für den wiedererstandenen Freistaat Sachsen. Die Finanzierung von Hochschulbauten richtet sich seit diesem Tag nach den Regeln des Hochschulbauförderungsgesetzes, wonach sich Bund und Land in die (anerkannten) Baukosten teilen. Voraussetzung dafür ist die Befürwortung durch den Wissenschaftsrat - ein Gremium, in dessen „Wissenschaftliche Kommission" Bund und Länder hochrangige Forscher und Universitätslehrer berufen und in dessen „Verwaltungskommission" nicht nur die Wissenschafts-, sondern auch die Finanzminister vertreten sind. Wegen dieser Zusammensetzung und wegen der Vorschrift, dass Beschlüsse nur mit Zweidrittelmehrheit gefasst werden können, haben die schlicht als „Empfehlungen" bezeichneten Entscheidungen des Wissenschaftsrates faktisch Gesetzeskraft. In seinen Empfehlungen, die in jeweils für drei Jahre verabschiedeten, aber jährlich fortgeschriebenen „Rahmenplänen" zusammengefasst werden, beschäftigte sich der Wissenschaftsrat vom 21. Rahmenplan (1992 bis 1995) bis einschließlich zum 27. Rahmenplan (1998 bis 2001) mit dem Fortgang des Wiederaufbaus der Leipziger Universitätsbibliothek und fasste dazu die erforderlichen Beschlüsse, die sicherstellten, dass der Bund seinen Anteil von 50 % zu den anerkannten Baukosten beisteuerte. Die Bibliothekskommission des Wissenschaftsrates war von der Notwendigkeit eines Wiederaufbaus der „Bibliotheca Albertina" keineswegs spontan zu über-
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zeugen. Sie tagte zwei Mal im noch benutzbaren Sitzungssaal des Gebäudes und bemängelte zunächst, dass die Planung nicht genügend Lesesaal-Arbeitsplätze vorsah. Der Haupteinwand bestand aber darin, dass die Bibliothek nicht in der Nähe der „buchwissenschaftlichen Institute" liege. Immerhin wurden aber im 21. Rahmenplan für das Jahr 1992 Planungsmittel in Höhe von 1,5 Millionen DM bereitgestellt, weil der Wiederaufbau der Bibliothek ein „dringendes Erfordernis für Forschung und Lehre an der Universität Leipzig" darstelle. Dies war auch der Grund dafür, dass im 22. Rahmenplan für das darauffolgende Jahr 10 Millionen DM für Sofortmaßnahmen und die Weiterführung der Planung bereitgestellt wurden. Begründet wurde dies folgendermaßen: „Die Arbeitsgruppe Bibliotheken ist trotz aller Unwägbarkeiten und Unsicherheiten bezüglich der Strukturentwicklung der Universität Leipzig der Auffassung, dass das Vorhaben zum Wiederaufbau der Universitätsbibliothek von zentraler Bedeutung für die Hochschule ist und mit den Baumaßnahmen nicht gewartet werden kann, bis alle Strukturentscheidungen gefallen sind. Es ist daher notwendig und angesichts des fortschreitenden Verfallsprozesses des Gebäudes dringlich, dass die substanzsichernden Maßnahmen so bald wie möglich eingeleitet werden.'" Die Arbeitsgruppe schätzte seinerzeit die Gesamtkosten der drei vorgesehenen Bauabschnitte auf 141.6 Millionen DM. Im 23. Rahmenplan schien der Durchbruch zur endgültigen Bestätigung der Baumaßnahme gelungen zu sein: 1994 wurden 20 Millionen DM in die „Kategorie I" eingestellt, das heißt, das Vorhaben konnte in vollem Umfang weitergeführt werden. Für die weiteren Aufwendungen (in der „Kategorie II") bezifferte der Wissenschaftsrat zwar die erforderlichen Aufwendungen mit 102,9 Millionen DM, er verlangte aber vor Freigabe dieser Mittel von der Universität ein schlüssiges Bibliothekskonzept, in dem die unterzubringenden Bestände dargestellt und insbesondere die Zahl der zur Freihandbenutzung aufgestellten Bände und die Zahl der Lesesaalplätze gegenüber der ursprünglichen Planung deutlich ausgeweitet werden sollten. Erneut wurde die Frage der Unterbringung der „buchwissenschaftlichen", d. h. also vor allem der geistes- und sozialwissenschaftlichen Fächer in der näheren Umgebung der Bibliothek verlangt. Die naheliegende Lösung, auf dem Grundstück des im Krieg vernichteten Gewandhauses, das direkt auf der gegenüberliegenden Seite der Beethovenstraße gestanden hatte, einen Neubau für die geisteswissenschaftlichen Fakultäten zu errichten, wagte man damals kaum zu träumen. Dazu müsste ja die Stadt dazu gewonnen werden, dieses wertvolle Grundstück in prominenter Lage im Musikcrviertcl und direkt am ehemaligen Reichsgericht dem Freistaat Sachsen zu Gunsten der Universität zu überlassen. Da dies nicht erreichbar zu sein schien, versuchte die Universitätsvcrwaltung zusammen mit dem sächsischen Staatsministcrium für Wissenschaft und Kunst zu Empfehlungen /um 22. Rahmenplan für den Hochschulbau 1993-1996. Hrsg. vom Wissenschaftsrat. Köln 1992. Bd. 3 SN, S. 94.
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erreichen, ein ehemaliges Messehaus in der nahe gelegenen Härtelstraße für die Unterbringung der geforderten geistes- und sozialwissenschaftlichen Fächer zu sanieren. Dieses Gebäude diente seit dem Jahr 1947 Zwecken des Universitätsklinikums. Da das Klinikum aber nach der Zielplanung, die der Wissenschaftsrat im Jahr 1993 bestätigt hatte, auf dem Campus um die Liebigstraße konzentriert werden sollte, die dafür erforderlichen Baumaßnahmen aber wegen ihrer finanziellen Dimension nicht so bald anlaufen konnten, wurde entschieden, das Gebäude in der Härtelstraße zunächst weiter für medizinische Zwecke zu nutzen, allerdings nur die allernotwendigsten Mittel für eine „nutzerneutrale" Sanierung bereitzustellen. So vernünftig es war, dieses Gebäude nicht mit hochwertiger neuer Haustechnik für klinische Zwecke auszurüsten, wenn es später durch geisteswissenschaftliche Fächer genutzt werden sollte, deren Anforderungen sich in der wesentlich weniger aufwendigen Ausstattung für Büroräume erschöpften, so nachteilig wirkte sich dieses Vorhaben insgesamt aus: Die Baumaßnahme verzögerte sich unendlich und die klinische Tätigkeit, die während der Bauarbeiten fortgesetzt werden musste, litt darunter empfindlich, ohne dass die fertiggestellten Bauabschnitte hinterher die ärztliche Tätigkeit erleichtert hätten. Zur großen Erleichterung der Universität ließ sich dann aber doch im Rahmen eines großen Grundstückstausch- und Bereinigungsverfahrens zwischen der Stadt Leipzig und dem Freistaat Sachsen eine Lösung finden, in deren Rahmen des Gewandhausgrundstück zu Gunsten des Universitätsneubaus „Geisteswissenschaften" in das Eigentum des Freistaats Sachsen überging. Zugleich mit dem Abschluss der Bauarbeiten an der Bibliotheca Albertina geht nun dieses große Institutsgebäude der Vollendung entgegen, so dass im Herbst des Jahres 2002 die Forderung des Wissenschaftsrates in die Tat umgesetzt ist. Bevor es dazu kommen konnte, waren viele weitere Hürden zu nehmen. Mit dem Ausscheiden von Dietmar Debes am 30. April 1992, der entgegen seinen eigenen Wünschen weit über die Altersgrenze hinaus das Amt des kommissarischen Bibliotheksdirektors verwaltet und mit Umsicht und Energie die Planungen zum Wiederaufbau der Bibliothek eingeleitet hatte, befürchteten viele Universitätsangehörige, das Projekt könne damit an Schwung verlieren. Dem neuen Direktor, Ekkehard Henschke, der - von der Württembergischen Landesbibliothek Stuttgart kommend - am 1. Mai 1992 sein Amt antrat, gelang es aber schnell, solche Sorgen zu zerstreuen. Nach dem Sächsischen Hochschulgesetz ist die Universitätsbibliothek als „einschichtiges" System organisiert, das die Büchersammlungen aller Einrichtungen umfasst. Die „Universitätsbibliothek Leipzig" bestand daher damals neben der Hauptbibliothek aus 48 Zweigstellen, die neu strukturiert und deren Beschaffungstätigkeit und Organisation koordiniert werden musste. Trotz der großen Aufgaben, die allein zur Erledigung dieser Tagesaufgaben bewältigt werden mussten, blieb das Engagement der Bibliotheksleitung für den Wiederaufbau ungebrochen. Es ist um so bewunderungswürdiger, als parallel mit dem Baugeschehen im
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laufenden Betrieb und trotz eines empfindlichen Stellenabbaus die Leistungskraft der Bibliothek kontiniuierlich verbessert werden konnte. Zu den vom Wissenschaftsrat geforderten, den Wiederaufbau begründenden Unterlagen steuerte der neue Direktor ein Jahr nach seinem Amtsantritt ein „Bibliotheksprofil" bei, aus dem sich nicht nur die Geschichte und der Bestand der Bibliothek ergaben, sondern das auch die ehrgeizigen Projekte auflistete, die die Bibliothek sich vorgenommen hatte und die zum großen Teil inzwischen „abgearbeitet" sind. Dazu gehören vor allem die Konversion der Kataloge über den Altbestand (von 1501 bis 1850), die Mitarbeit am Verzeichnis der Drucke des 16. Jahrhunderts und die Erfassung der gesamten Zeitschriftenbestände für die Zeitschriftendatenbank. Nachdem es der Wissenschaftsrat zwar schon am 13. April 1992 für notwendig und sinnvoll erklärt hatte, das historische Gebäude in der Beethovenstraße wieder aufzubauen, so dass im gleichen Jahr mit vorbereitenden Arbeiten - insbesondere durch Konservierungs- und Beräumungsmaßnahmen - begonnen werden konnte, bedeutete erst die Stellungnahme des Wissenschaftsrates vom 8. Juli 1994 das endgültige grüne Licht für das Vorhaben. Sie schließt mit den in dem Dokument selbst unterstrichenen Sätzen: „Der Wissenschaftsrat befürwortet die Errichtung der Zentralbibliothek als zentraler wissenschaftlicher Allgemeinbibliothek, sowie als Archiv- und Arbeitsbibliothek mit besonderer Literaturversorgung für die Geisteswissenschaften. ... Notwendige Voraussetzung ist jedoch, dass die geisteswissenschaftlichen Fächer in der Nähe der Bibliotheca Albertina angesiedelt werden." Da es unmittelbar nach dieser „Empfehlung" zum Erwerb des Gewandhausgrundstückes kam und die Universität den Bauantrag für den „Neubau Geisteswissenschaften" auf diesem Grundstück einreichte, konnte der wichtigsten Forderung des Wissenschaftsrates entsprochen werden. Auch die weitere Forderung, nämlich rund 450.000 Bände für die Freihandbenutzung vorzusehen und rund 700 Lesesaalplätze zu planen, konnte erfüllt werden, so dass der Wissenschaftsrat mit der Verabschiedung des 24. Rahmenplan (1995 bis 1998) und der Bewilligung von 102,9 Millionen DM für den 1. Bauabschnitt in der „Kategorie I" (und das heißt: zur Baudurchführung) endgültig grünes Licht gab.
3. Von der Grundsteinlegung bis zur Fertigstellung Für die Dresdener Ministerien hatte es allerdings an der Notwendigkeit des Wiederaufbaus der „Bibliotheca Albertina" niemals einen Zweifel gegeben. Für den Wissenschaftsminister war sie ein greifbares und großartiges Zeugnis der sächsischer Wissenschaftsgeschichte und daher nach dem Wiedererstehen Sachsens ein wichtiges Symbol für die Identität des Landes. Daher kam es auch bereits vor dem endgültigen Ja des Wissenschaftsrates am 10. Februar 1994 zur feierlichen „Grundsteinlegung" in der Baugrube des Westflügels, in der sich der Staats-
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Wolfgang Engel/Peter Gutjahr-Löser Sekretär des Sächsischen Finanzministeriums, Karl-Heinz Carl, nachdrücklich zu dem Wiederaufbau bekannte. Bereits in den 25. Rahmenplan (1996 bis 1999) wurde das Vorhaben „Neubau Geisteswissenschaften" aufgenommen. Im 26. (1997 bis 2000) und im 27. Rahmenplan (1998 bis 2001) finden sich zwar erneut Beschlüsse zur „Bibliotheca Albertina". Hierbei ging es aber nur noch um die endgültige Festlegung der anerkannten Kosten, für die zunächst 125 Millionen DM für den Bau und 3 Millionen DM für die Ersteinrichtung festgelegt wurden. Im 27. Rahmenplan wurde dieser Beschluss schließlich mit der Festsetzung von Gesamtkosten in Höhe von 128 Millionen DM bestätigt. Am 4. November 1998 wurde der erste Bauabschnitt der Universität zur Nutzung übergeben. Der zweite Bauabschnitt ging vom 3. November 2000 an „fließend" in die Benutzung über. Mit der Fertigstellung des letzten Bauabschnitte im Spätherbst des Jahres 2002 erfüllt sich für die Universität ein sehnlicher Wunsch, auf dessen Verwirklichung sie ungeduldig gedrängt hatte. Verständnis für die Dauer der Planungs- und Bauarbeiten stellen sich aber schnell ein, wenn man das großartige Treppenhaus, die lichten Lesesäle und die hervorragenden Arbeitsbedingungen an Ort und Stelle erlebt.
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