Die Beschlagnahme anwaltlicher Unterlagen und ihre Bedeutung für die Compliance-Organisation von Unternehmen [1 ed.] 9783428547715, 9783428147717

Die Arbeit beschäftigt sich mit Grundfragen des Beschlagnahmeschutzes für anwaltliche Unterlagen. So haben eine Reihe la

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Die Beschlagnahme anwaltlicher Unterlagen und ihre Bedeutung für die Compliance-Organisation von Unternehmen [1 ed.]
 9783428547715, 9783428147717

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Strafrechtliche Abhandlungen Neue Folge · Band 266

Die Beschlagnahme anwaltlicher Unterlagen und ihre Bedeutung für die Compliance-Organisation von Unternehmen Von

Jörg Oesterle

Duncker & Humblot · Berlin

JÖRG OESTERLE

Die Beschlagnahme anwaltlicher Unterlagen und ihre Bedeutung für die Compliance-Organisation von Unternehmen

Strafrechtliche Abhandlungen · Neue Folge Begründet von Dr. Eberhard Schmidhäuser (†) em. ord. Prof. der Rechte an der Universität Hamburg

Herausgegeben von Dr. Dres. h. c. Friedrich-Christian Schroeder em. ord. Prof. der Rechte an der Universität Regensburg

und Dr. Andreas Hoyer ord. Prof. der Rechte an der Universität Kiel

in Zusammenarbeit mit den Strafrechtslehrern der deutschen Universitäten

Band 266

Die Beschlagnahme anwaltlicher Unterlagen und ihre Bedeutung für die Compliance-Organisation von Unternehmen

Von

Jörg Oesterle

Duncker & Humblot · Berlin

Gedruckt mit Unterstützung des Förderungsund Beihilfefonds Wissenschaft der VG WORT. Zur Aufnahme in die Reihe empfohlen von Professor Dr. Matthias Jahn, Frankfurt am Main Die Juristische Fakultät der Goethe-Universität Frankfurt am Main hat diese Arbeit im Jahre 2015 als Dissertation angenommen.

Bibliografische Information der Deutschen Nationalbibliothek Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über http://dnb.d-nb.de abrufbar.

D 30 Alle Rechte vorbehalten © 2016 Duncker & Humblot GmbH, Berlin Fremddatenübernahme: L101 Mediengestaltung, Berlin Druck: buchbücher.de gmbh, Birkach Printed in Germany ISSN 0720-7271 ISBN 978-3-428-14771-7 (Print) ISBN 978-3-428-54771-5 (E-Book) ISBN 978-3-428-84771-6 (Print & E-Book) Gedruckt auf alterungsbeständigem (säurefreiem) Papier entsprechend ISO 9706

Internet: http://www.duncker-humblot.de

Vorwort Die vorliegende Arbeit ist in den Jahren 2012 bis 2014 in Köln, Berlin und Berkeley entstanden und wurde im Wintersemester 2014 / 2015 von der Rechtswissenschaftlichen Fakultät der Goethe-Universität Frankfurt am Main als Dissertation angenommen. Herrn Prof. Dr. Matthias Jahn danke ich für die freundliche Übernahme der Betreuung und die Gewährung eines idealen Verhältnisses von Unterstützung und wissenschaftlicher Freiheit. Ihm und dem Zweitgutachter, Herrn PD Dr. Jens Dallmeyer, gilt insbesondere auch für die äußerst zügige Erstellung der beiden Gutachten mein Dank. Meinen guten Freunden Simon Lindow und ganz besonders Dr. Ilja Giber­ mann danke ich für den intensiven und immer fruchtbaren fachlichen Austausch, der meine Promotionszeit ebenso wie den Inhalt dieser Arbeit maßgeblich bereichert hat. Nicht zuletzt möchte ich mich auch bei meinen Eltern, Eleonore und Werner Oesterle, ganz herzlich bedanken. Nicht nur für die bedingungslose und großartige Unterstützung während meines gesamten Ausbildungs- und Lebenswegs, sondern insbesondere auch für das sorgfältige Korrekturlesen des gesamten Manuskripts. Dem Arbeitskreis Wirtschaft und Recht im Stifterverband für die Deutsche Wissenschaft danke ich für die Gewährung eines Promotionsstipendiums. Berlin, im November 2015 

Jörg Oesterle

Inhaltsübersicht A. Einführung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 21 I. Allgemeines zur Thematikund dem Gegenstand der Untersuchung . . 21 II. Übersicht zu gesetzlichen und tatsächlichen Rahmenbedingungender Beschlagnahme anwaltlicher Unterlagen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 24 III. Übersicht über die schwerpunktmäßig zu behandelnden Problembereiche . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 31 IV. Methodik und Gang der Untersuchung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 41 B. Mögliche verfassungsrechtliche Begründungsansätze für einen Beschlagnahmeschutz. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 44 I. Allgemeines. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 44 II. Geheimnisschutz . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 45 III. Ableitung aus dem nemo-tenetur-Prinzip. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 51 IV. Art. 12 GG – Berufsfreiheit des Rechtsanwalts. . . . . . . . . . . . . . . . . . . 62 V. Rechtsstaatsprinzip . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 66 VI. Zusammenfassung der verfassungsrechtlichen Grundlagen. . . . . . . . . . 84 C. Untersuchung der Abschreckungsthese. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 86 I. Zur Notwendigkeit der Untersuchung des Abschreckungseffekts . . . . 86 II. Vorgehensweise: Rational Choice vs. Empirie?. . . . . . . . . . . . . . . . . . . 88 III. Zur Struktur der Rational-Choice-Betrachtung. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 89 IV. Die einzelnen Einflussfaktoren. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 92 V. Zur These von der reduzierten Gründlichkeit bei Internal Investigations als Folge einer Beschlagnahmemöglichkeit . . . . . . . . . . . . . . . . . 146 VI. Bewertung der verschiedenen Einflussfaktoren im Hinblick auf die Abschreckungsthese. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 148 VII. Empirische Untersuchungen zum Abschreckungseffekt. . . . . . . . . . . . . 151 VIII. Das ambivalente und differenzierte Gesamtergebnis zur Abschreckungsthese . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 156 D. Schlussfolgerungen für mögliche verfassungsrechtliche Beschlagnahmeverbote. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 158 I. Kein verfassungsrechtliches Beschlagnahmeverbot auf Grundlage des Bestimmtheitsgebots . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 158 II. Zur Begründung eines Beschlagnahmeverbots auf Grundlage des allgemeinen Rechtsstaatsprinzips . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 159 III. Die rechtspolitische Dimension der Beschlagnahmeproblematik . . . . . 166

8 Inhaltsübersicht IV. Die These von der Manipulierbarkeit von Strafverfahren durch Unternehmen. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 174 V. Gesamtergebnis zur Begründung eines verfassungsrechtlichen Beschlagnahmeverbots. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 181 E. Einfachgesetzliche Lösung der Beschlagnahmeproblematik. . . . . . . . . . . 183 I. Einleitung und Übersicht. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 183 II. § 160a StPO . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 183 III. § 148 StPO. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 194 IV. § 97 StPO. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 243 F. Endergebnis und Zusammenfassung. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 325 I. Überblick. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 325 II. Verfassungsrechtliche Vorgaben . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 326 III. Einfachgesetzliche Lösung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 329 IV. Zusammenfassung der wichtigsten Thesen. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 332 Literaturverzeichnis. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 335

Inhaltsverzeichnis A. Einführung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 21 I. Allgemeines zur Thematikund dem Gegenstand der Untersuchung . . 21 II. Übersicht zu gesetzlichen und tatsächlichen Rahmenbedingungender Beschlagnahme anwaltlicher Unterlagen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 24 1. Grundlagen zum Beschlagnahmeschutz nach der StPO. . . . . . . . . . 24 2. Die Beschränkung auf den Gewahrsam des Zeugnisverweigerungsberechtigten. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 25 3. Die Erweiterung durch § 148 StPO. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 25 4. § 160a StPO. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 26 5. Unternehmen im System der StPO als Gegenstand der Untersuchung. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 27 a) Unternehmen als selbst von Straf- und Ordnungswidrigkeitsverfahren Betroffene. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 27 b) Unternehmen als Einflussfaktoren im Strafverfahren gegen natürliche Personen. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 28 c) Einordnung in das System der Criminal Compliance. . . . . . . . . 29 III. Übersicht über die schwerpunktmäßig zu behandelnden Problembereiche . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 31 1. Schutz anwaltlicher Unterlagen im Gewahrsam des Betroffenen. . . 31 a) Zur Notwendigkeit schriftlicher Anwaltsunterlagen im Gewahrsam des Mandanten. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 32 aa) Beratung von Unternehmen. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 32 (1) Notwendigkeit von Schriftlichkeit . . . . . . . . . . . . . . . . . 32 (2) Notwendigkeit von Gewahrsam des Mandanten . . . . . . 34 (3) Ergebnis: kein Verzicht auf schriftliche Unterlagen im Gewahrsam des Mandanten möglich . . . . . . . . . . . . . . . 36 bb) Andere Konstellationen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 37 b) Normative Anknüpfungspunkte für die Lösung des Problems. . 37 2. Der allgemeine prozessuale Schutz von Unternehmen. . . . . . . . . . . 38 3. Der Schutz von Gegenständen aus Mandatsverhältnissen mit Dritten, die nicht selbst Betroffene sind . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 39 IV. Methodik und Gang der Untersuchung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 41 B. Mögliche verfassungsrechtliche Begründungsansätze für einen Beschlagnahmeschutz. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 44 I. Allgemeines. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 44 II. Geheimnisschutz . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 45

10 Inhaltsverzeichnis 1. Ansätze eines inhaltlichen Geheimnisschutzes in Literatur und Rechtsprechung. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 45 2. Notwendigkeit einer Einzelfallabwägung. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 46 3. Der unantastbare Bereich privater Lebensführung . . . . . . . . . . . . . . 47 4. Inhaltlicher Geheimnisschutz für Unternehmen?. . . . . . . . . . . . . . . . 49 5. Ergebnis: Inhaltlicher Geheimnisschutz kann kein allgemeines Beschlagnahmeverbot begründen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 50 III. Ableitung aus dem nemo-tenetur-Prinzip. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 51 1. Allgemein . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 51 a) Möglicher Ansatz für ein allgemeines Beschlagnahmeverbot. . . 52 b) Ablehnung eines allgemeinen Beschlagnahmeverbots aufgrund des nemo-tenetur-Prinzips. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 53 2. Compliance-Pflichten als Anknüpfungspunkt für ein Beschlagnahmeverbot? . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 55 a) Das nemo-tenetur-Prinzip als Grundlage eines unternehmerischen Selbstevaluations-Privilegs? . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 56 aa) Kein Zwang, Internal Investigations gerade durch Anwälte durchführen zu lassen. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 56 bb) Die verwandte Diskussion im Umweltstrafrecht und das selfevaluative privilege. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 57 cc) Ablehnung eines allgemeinen Selbstevaluationsprivilegs. . . 58 b) Weitere allgemeine Zweifel. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 59 aa) Keine Geltung des nemo-tenetur-Prinzips für Unternehmen. 59 bb) Sachlicher Gehalt des nemo-tenetur-Prinzips . . . . . . . . . . . . 60 c) Kein Beschlagnahmeschutz aufgrund einer Selbstbelastung durch Entscheidungsträger. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 61 3. Ergebnis: Beschlagnahmeschutz nicht aus dem nemo-tenetur-Prinzip ableitbar. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 62 IV. Art. 12 GG – Berufsfreiheit des Rechtsanwalts. . . . . . . . . . . . . . . . . . . 62 1. Bisherige Ansätze. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 62 2. Verfassungsrechtliche Prüfung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 63 3. Die Abwesenheit einer eigenständigen Wertung in Art. 12 GG. . . . 65 4. Ergebnis: kein eigenständiger Beschlagnahmeschutz aus Art. 12 GG. 66 V. Rechtsstaatsprinzip. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 66 1. Zur generellen Struktur des rechtsstaatlichen Arguments. . . . . . . . . 67 2. Rechtsanwälte als notwendige Voraussetzung für die „effektive Verteidigung“?. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 69 a) Zwei grundverschiedene Konzepte von „effektiver Verteidigung“. 69 b) Das in der Rechtsprechung anerkannte Konzept der effektiven Verteidigung. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 70 c) Keine Erweiterung des Konzepts „Verteidigung“ durch den Zusatz der „Effektivität“. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 73 d) Keine Erhöhung des Schutzniveaus durch Art. 6 EMRK. . . . . . 74 3. Rechtliches Gehör. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 74

Inhaltsverzeichnis11 4. Bestimmtheit. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 77 5. Das allgemeine Rechtsstaatsprinzip. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 79 a) Formale Rechtsstaatlichkeit. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 80 b) Materielle Rechtsstaatlichkeit. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 81 c) Die Verallgemeinerung der rechtsstaatlichen Argumentation . . . 82 d) Anwendung auf Internal Investigations . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 83 VI. Zusammenfassung der verfassungsrechtlichen Grundlagen. . . . . . . . . . 84 C. Untersuchung der Abschreckungsthese. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 86 I. Zur Notwendigkeit der Untersuchung des Abschreckungseffekts. . . . . 86 II. Vorgehensweise: Rational Choice vs. Empirie?. . . . . . . . . . . . . . . . . . . 88 III. Zur Struktur der Rational-Choice-Betrachtung. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 89 1. Verschiebung der Entscheidungsparameter?. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 89 2. Eigene Ordnung der Rational-Choice-Betrachtung. . . . . . . . . . . . . . 90 IV. Die einzelnen Einflussfaktoren. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 92 1. Unabhängig von der Beschlagnahmemöglichkeit bestehende Abschreckungseffekte . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 92 a) Das Problem fehlender persönlicher Kontrolle im Mandat eines Unternehmensanwalts . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 92 b) Die Problematik der Entbindungsbefugnis. . . . . . . . . . . . . . . . . . 93 c) Ablehnung einer persönlichen Entbindungsbefugnis für Organwalter. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 95 d) Sonstige Zugriffsmöglichkeiten auf anwaltliche Unterlagen. . . . 96 e) Ergebnis: Fehlende persönliche Kontrolle über Kommunika­ tionsvorgänge begründet einen von der Beschlagnahmemöglichkeit unabhängigen Abschreckungseffekt. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 99 2. Zusätzliche Abschreckungseffekte durch Versagen eines Beschlagnahmeschutzes. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 99 a) Vorbemerkung zur Bedeutung persönlichen Risikos für die Abschreckungsthese. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 100 b) Rein zukunftsbezogene Rechtsberatung. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 101 aa) Die Argumentation in der Literatur. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 101 bb) Kein Abschreckungseffekt bei rein zukunftsbezogener Rechtsberatung. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 102 (1) Allgemeines. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 102 (2) Bewusst rechtswidriges Verhalten auf Grundlage anwaltlicher Beratung. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 104 (3) Ergebnis: kein Abschreckungseffekt im Hinblick auf rein zukunftsbezogene Beratung. . . . . . . . . . . . . . . . . . . 104 c) Anwaltliche Tätigkeit mit Vergangenheitsbezug . . . . . . . . . . . . . 105 d) Zum Beschlagnahmeschutz zugunsten von Nichtbeschuldigten . 106 aa) Strafrechtliche Konsequenzen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 107 (1) Keine Schlechterstellung im Vergleich zur Aussagepflicht?. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 107

12 Inhaltsverzeichnis (2) Kein rechtlicher Nachteil durch Beschlagnahme aufgrund eines Verwertungsverbots. . . . . . . . . . . . . . . . . . . 107 bb) Zivilrechtliche Nachteile . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 110 cc) Ergebnis: kein Abschreckungseffekt bei der Beschlagnahme von Unterlagen nichtbeschuldigter Dritter. . . . . . . . . . . . . . . 111 e) Beratung von Unternehmen. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 111 aa) Staatliche Sanktionen für Organwalter . . . . . . . . . . . . . . . . . 111 bb) Zivilrechtliche Ansprüche. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 112 f) Sonderfall des Abschreckungseffekts – beschränkte Möglichkeit von Vertraulichkeitszusagen und Amnestievereinbarungen. . . . . 114 aa) Die These von der durch die Beschlagnahmemöglichkeit geminderten Aussagebereitschaft von Mitarbeitern im Rahmen von Internal Investigations. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 114 bb) Hintergrund der Argumentation. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 115 cc) Widerlegen der These. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 116 dd) Ergebnis: Beschlagnahmemöglichkeit hemmt die Bereitschaft zur Aussage im Rahmen von Internal Investigations nicht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 120 3. Den Abschreckungseffekt neutralisierende Faktoren. . . . . . . . . . . . . 120 a) Unternehmen und Rechtsanwälte als „unvermeidbare Bettgefährten“?. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 120 b) Zivilrechtliche Pflichten zur Inanspruchnahme rechtlicher Beratung. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 122 aa) Allgemeine Pflichten zur Beratung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 122 (1) Allgemeine Sorgfaltspflichten und die „Grundlage ange­ messener Information“ als Ansatzpunkt für eine Pflicht zur Inanspruchnahme rechtlicher Beratung . . . . . . . . . . 122 (2) Die Legalitätspflicht / Compliance-Pflicht. . . . . . . . . . . . 123 bb) Speziell zu Reaktionspflichten auf Verdachtsfälle im eigenen Unternehmen. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 126 (1) Zur Herleitung der Pflicht zum (repressiven) Vorgehen aus der Schadensabwendungspflicht. . . . . . . . . . . . . . . . 127 (2) Zur Herleitung der Pflicht zum (repressiven) Vorgehen aus der Legalitätspflicht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 128 c) Die Auswirkungen einer Beschlagnahmemöglichkeit auf die zivilrechtliche Pflicht zur Inanspruchnahme rechtlicher Beratung und der Sachverhaltsaufklärung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 129 aa) Allgemeine Grundsätze zum gebotenen Maß an rechtlicher Beratung. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 129 bb) Auswirkungen auf allgemeine Rechtsberatung mit Vergangenheitsbezug. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 131 (1) Auswirkungen auf die Begründung über die Schadensabwendungspflicht. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 131 (2) Auswirkungen auf die Begründung über die Legalitätspflicht. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 133

Inhaltsverzeichnis13 (3) Ergebnis: Möglichkeit der Beschlagnahme schränkt Compliance-Pflichten nicht ein. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 134 cc) Auswirkungen auf interne Sachverhaltsaufklärung. . . . . . . . 135 dd) Der Einfluss von Treue- und Verschwiegenheitspflicht . . . . 136 d) Pflicht zur Inanspruchnahme von Rechtsanwälten nach dem OWIG / Strafrecht. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 137 aa) Rechtsvergewisserungspflicht. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 137 bb) Sachverhaltsaufklärung. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 138 e) Einschränkung der Pflichten aufgrund möglicher Selbstbelastung durch Geschäftsleiter?. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 138 aa) Der strukturelle Konflikt zwischen Compliance-Pflichten und Selbstbezichtigungsfreiheit. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 139 bb) Die Parallele zur allgemein zivilrechtlichen und insbesondere arbeitsrechtlichen Diskussion. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 140 cc) Keine Beschränkung der Pflichten auf das Verhältnis zwischen Privaten. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 141 dd) Ablehnung eines relevanten „Zwangs“ . . . . . . . . . . . . . . . . . 142 ee) Einschränkung der Primärpflichten aufgrund allgemeiner Zumutbarkeitserwägungen? . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 144 ff) Folgeproblem – ein zivilrechtliches Verwertungsverbot?. . . 145 gg) Ergebnis: keine Einschränkung von Compliance-Pflichten durch Selbstbelastungsfreiheit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 146 f) Ergebnis: teilweise Neutralisierung des Abschreckungseffekts durch Rechtspflichten zur Hinzuziehung von Rechtsanwälten. . 146 V. Zur These von der reduzierten Gründlichkeit bei Internal Investigations als Folge einer Beschlagnahmemöglichkeit . . . . . . . . . . . . . . . . . 146 VI. Bewertung der verschiedenen Einflussfaktoren im Hinblick auf die Abschreckungsthese. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 148 1. „Haftungsmühle“ als Ergebnis divergierender Haftungsfaktoren. . . 148 2. Der Einfluss von D&O Versicherungen. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 149 VII. Empirische Untersuchungen zum Abschreckungseffekt. . . . . . . . . . . . . 151 1. Übersicht über die bestehenden empirischen Untersuchungen. . . . . 151 2. Generelle Zweifel an der Aussagekraft der Studien. . . . . . . . . . . . . 151 3. Die ambivalenten Ergebnisse der empirischen Studien. . . . . . . . . . . 153 4. Ergebnis: Vorhandene empirische Untersuchungen treffen keine verlässlichen Aussagen. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 156 VIII. Das ambivalente und differenzierte Gesamtergebnis zur Abschreckungsthese . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 156 D. Schlussfolgerungen für mögliche verfassungsrechtliche Beschlagnahmeverbote. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 158 I. Kein verfassungsrechtliches Beschlagnahmeverbot auf Grundlage des Bestimmtheitsgebots . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 158 II. Zur Begründung eines Beschlagnahmeverbots auf Grundlage des allgemeinen Rechtsstaatsprinzips . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 159

14 Inhaltsverzeichnis 1. Natürliche Personen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 160 a) Weitgehende Bestätigung der Abschreckungsthese . . . . . . . . . . . 160 b) Keine gegenläufigen verfassungsrechtlichen Prinzipien . . . . . . . 160 c) Kein Beschlagnahmeverbot zugunsten von Nichtbeschuldigten. 162 d) Ergebnis: eingeschränktes verfassungsrechtliches Beschlagnahmeverbot zugunsten von natürlichen Personen . . . . . . . . . . . . . . 162 2. Unternehmen. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 163 a) Die Ambivalenz des Abschreckungseffekts . . . . . . . . . . . . . . . . . 163 b) Die Konkretisierungsbedürftigkeit des Rechtsstaatsprinzips. . . . 163 c) Normgeprägtheit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 164 d) Ergebnis: Ablehnung eines verfassungsrechtlichen Beschlagnahmeschutzes zugunsten von Unternehmen. . . . . . . . . . . . . . . . . . . 165 III. Die rechtspolitische Dimension der Beschlagnahmeproblematik . . . . . 166 1. Bedeutung der Frage für die Untersuchung. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 166 2. Zum Bestehen eines Konflikts zwischen Aufdeckung und Bestrafung. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 167 a) Beeinträchtigung interner Aufklärung. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 167 b) Beeinträchtigung staatlicher Strafverfolgung. . . . . . . . . . . . . . . . 168 aa) Trübung von Beweisquellen. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 168 bb) Faktischer Rückzug des Staates aus der Ermittlungstätigkeit. 168 c) Ausgleich der Beeinträchtigung staatlicher Ermittlungstätigkeit durch „freiwillige Kooperation“?. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 170 d) Ergebnis: struktureller Konflikt zwischen staatlicher Strafverfolgung und rein internen Compliance-Bemühungen. . . . . . . . . . . . 171 3. Die Rolle der Beschlagnahme . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 171 4. Abwägungskriterien einer rechtspolitischen Entscheidung. . . . . . . . 172 5. Ergebnis: eine im Hinblick auf verfassungsrechtliche Postulate noch unzureichend geklärte rechtspolitische Frage . . . . . . . . . . . . . . . . . . 173 IV. Die These von der Manipulierbarkeit von Strafverfahren durch Unternehmen. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 174 1. Formulierung der These in Rechtsprechung und Literatur. . . . . . . . 174 2. Ablehnung der Manipulations-These. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 175 a) Die Grundannahme in Literatur und Rechtsprechung: völlige Gestaltungsfreiheit bei der Offenbarung von Informationen aus der anwaltlichen Geheimsphäre . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 176 b) Die konkludente Entbindung von der anwaltlichen Schweigepflicht. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 177 c) Die Berücksichtigung des Fairness-Gedankens bei der Bestimmung der sachlichen Reichweite einer konkludenten Entbindungserklärung. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 178 d) Auswirkungen auf die Manipulations-These . . . . . . . . . . . . . . . . 180 3. Ergebnis: Ablehnung der Manipulations-These. . . . . . . . . . . . . . . . . 180 V. Gesamtergebnis zur Begründung eines verfassungsrechtlichen Beschlagnahmeverbots. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 181

Inhaltsverzeichnis

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E. Einfachgesetzliche Lösung der Beschlagnahmeproblematik. . . . . . . . . . . 183 I. Einleitung und Übersicht. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 183 II. § 160a StPO. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 183 1. Einschränkung durch die innere Struktur des § 160a?. . . . . . . . . . . 184 a) Eingeschränkte Reichweite von § 160a I 1 StPO . . . . . . . . . . . . 184 b) Bloßes Verwertungsverbot nach § 160a I 5 StPO?. . . . . . . . . . . 185 c) Ergebnis: Innere Struktur des § 160a I StPO steht einem Beschlagnahmeverbot nicht entgegen. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 187 2. Verhältnis zwischen § 160a StPO und § 97 StPO. . . . . . . . . . . . . . . 187 a) Meinungsstand. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 187 b) Grammatikalische Auslegung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 188 c) Systematische Auslegung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 189 d) Historische Auslegung. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 192 3. Ergebnis zu 160a: keine Entscheidung der Beschlagnahmefrage. . . 194 III. § 148 StPO. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 194 1. Allgemeines zum Stand der Diskussion . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 194 2. Meinungsstand zum zeitlich-sachlichen Anwendungsbereich von § 148 StPO . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 195 a) Übersicht über die bisherigen Ansätze in Literatur und Rechtsprechung. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 195 aa) Das traditionelle Verständnis eines „Verteidigungsverhältnisses“ i. S. v. § 148 I StPO. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 195 (1) Der Beschuldigtenbegriff im Allgemeinen. . . . . . . . . . . 196 (2) Kein Beschuldigter ohne staatliches Untersuchungsverfahren. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 197 (3) Kein Beschuldigter im Verwaltungsverfahren . . . . . . . . 198 bb) Die restriktive Ansicht. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 199 (1) Die Ansicht des LG Bonn. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 199 (2) Die restriktive Ansicht in der übrigen Rechtsprechung. 201 (3) Die restriktive Ansicht in der Literatur . . . . . . . . . . . . . 202 (4) Kritische Beurteilung der inhaltlichen Argumentation der restriktiven Ansicht. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 203 (5) Speziell zur eng verstandenen Zweckbindung des LG Bonn. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 205 cc) Die erweiternde Ansicht. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 207 (1) Übersicht über die vertretenen Erweiterungen. . . . . . . . 207 (2) Kritische Beurteilung der inhaltlichen Argumentation. . 208 dd) Höchstrichterliche Rechtsprechung? . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 211 (1) BGHSt 29, 99 – Zulässiges Verteidigerhandeln bei Terroristenverteidigung. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 212 (2) BVerfGE 38, 105 – Recht auf Zeugenbeistand. . . . . . . 214 (3) Erstreckung von § 148 StPO auf das Anbahnungsverhältnis. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 214

16 Inhaltsverzeichnis (4) BVerfG, NJW 2010, 1740 – Sachliche Begrenzung des freien Verteidigerverkehrs. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 215 (5) Der Schutz von Unterlagen des sich selbst verteidigenden Beschuldigten. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 217 (6) Ergebnis: keine tragfähigen Anhaltspunkte in der höchstrichterlichen Rechtsprechung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 218 3. Eigene Auffassung und Einordnung. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 219 a) Der Wortlaut des § 148 StPO. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 219 aa) Der Begriff des „Verteidigers“. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 219 bb) Der Begriff des „Beschuldigten“ in § 148 StPO. . . . . . . . . . 219 (1) § 137 StPO als rein deklaratorische Mindestgehaltsnorm?. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 220 (2) Die Beschuldigung als rein persönliches, nicht aber zeitliches Abgrenzungskriterium?. . . . . . . . . . . . . . . . . . 220 (3) Unterschiedliche Beschuldigtenbegriffe innerhalb der StPO?. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 221 (4) Eigene Auslegung des Beschuldigtenbegriffs in § 148 StPO. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 224 b) Systematik . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 225 aa) Der systematische Zusammenhang der §§ 137 ff. StPO . . . . 225 (1) Schutz „in jeder Lage des Verfahrens“ unvereinbar mit dem Erfordernis von Kenntnis auf Seiten des Beschuldigten. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 225 (2) Der Verfahrensbegriff der §§ 137 ff. StPO. . . . . . . . . . . 226 (3) Überlegungen zu einem erweiterten Verfahrensbegriff . 227 (4) Begrenzung des Verfahrensbegriffs. . . . . . . . . . . . . . . . . 228 bb) Systematische Zusammenschau mit anderen normierten Rechten der Verteidigung. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 229 cc) Bestimmung der Reichweite von § 148 StPO anhand allgemeiner Aussagen über Funktion und Aufgaben des Verteidigers. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 230 c) Teleologische Auslegung. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 231 d) Zur Frage eines Schutzes von Unterlagen aus „anderen Verfahren“. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 233 aa) Einem Ermittlungsverfahren vorgelagerte Unterlagen aus nicht strafrechtlichen Verfahren. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 233 bb) Parallel zu einem Ermittlungsverfahren laufende „andere Verfahren“. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 234 cc) „Andere“ strafrechtliche Ermittlungsverfahren. . . . . . . . . . . 234 4. Ergebnis zu § 148 StPO: Schutz nur innerhalb eines laufenden Ermittlungsverfahrens. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 237 5. Übertragung der gefundenen Grundsätze auf Unternehmen und sonstige Nebenbetroffene . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 237 a) Parallele zur Bestimmung der Beschuldigteneigenschaft?. . . . . . 238

Inhaltsverzeichnis17 b) Eigenständige Bestimmung im Rahmen der § 431 ff. StPO . . . . 239 c) Konkretisierung der Reichweite des § 148 StPO im Anwendungsbereich der §§ 431 ff. StPO. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 241 IV. § 97 StPO. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 243 1. Der persönliche Anwendungsbereich von § 97 StPO. . . . . . . . . . . . 244 a) § 97 I Nr. 3 StPO – natürliche Personen in ihrer Eigenschaft als Nichtbeschuldigte. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 245 aa) Ambivalenz von Wortlaut, Systematik und Historie. . . . . . . 245 bb) Teleologische Auslegung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 246 (1) Kein vollständiger Umgehungsschutz. . . . . . . . . . . . . . . 246 (2) Schutz des Vertrauensverhältnisses. . . . . . . . . . . . . . . . . 248 (3) Das nemo-tenetur-Prinzip . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 249 (a) Zum Meinungsstand in der Literatur. . . . . . . . . . . . 249 (b) Eigene Bewertung. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 250 (4) Schutz des Zeugnisverweigerungsberechtigten vor Konflikten. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 251 (5) Materieller Geheimnisschutz. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 254 (6) Der freie Zugang zum durch Rechtsanwälte vermittelten Rechtsstaat. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 255 cc) Ergebnis: Funktionsfähigkeit des Rechtsstaats als Schutzzweck des § 97 StPO / kein Beschlagnahmeschutz zugunsten von Nichtbeschuldigten . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 257 b) Anwendbarkeit von § 97 StPO auf Unternehmen. . . . . . . . . . . . 258 aa) Die bisherige Diskussion um die Anwendbarkeit von § 97 StPO auf Unternehmen. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 258 (1) Die Verortung des Problems ausschließlich in der Auslegung von § 97 I Nr. 3 StPO. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 259 (2) Die selbstverständliche Anwendung des § 97 StPO . . . 260 bb) Eigene Einordnung der Diskussion . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 261 cc) Bedenken gegen die Anwendbarkeit aufgrund der Systematik der §§ 431 ff. StPO. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 262 (1) Die Einordnung in die Systematik der §§ 431 ff. StPO. . 263 (2) Die Berücksichtigung der §§ 431 ff. in der bisherigen Literatur. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 264 (3) Die mögliche Nichanwendbarkeit von § 97 StPO aufgrund der Systematik der §§ 431 ff. StPO. . . . . . . . . . . 265 (4) Überwindung der systematischen Bedenken . . . . . . . . . 268 (a) Das (ursprüngliche) Regelungskonzept der §§ 431 ff. StPO – ein „Weniger“ gegenüber dem echten strafrechtlichen Vorwurf. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 269 (b) Konkretisierung des Unterschieds zwischen echten Strafen und bloßen Nebenfolgen nach der ursprünglichen Vorstellung des Gesetzgebers . . . . . . . . . . . . 270 (c) Die zweifelhafte Rechtsnatur der Verbandsgeldbuße 272

18 Inhaltsverzeichnis (d) Aufgabe der Nebenfolgekonstruktion. . . . . . . . . . . . 273 (e) Einführung des Bruttoprinzips im Rahmen des Verfalls . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 273 (5) Ergebnis: Systematik der §§ 431 ff. StPO steht der Anwendbarkeit des § 97 StPO auf Unternehmen nicht entgegen. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 274 dd) Konkretisierung des Schutzzwecks von § 97 StPO auf Unternehmen. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 275 ee) Normative Bestätigung des Abschreckungseffekts . . . . . . . . 276 (1) § 145 AktG. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 276 (a) Entwicklung einer möglichen Wertungsübertragung. 276 (b) Ablehnung einer Wertungsübertragung . . . . . . . . . . 277 (2) Wertung aus §§ 444 I 2, 434 I 2, 148 StPO. . . . . . . . . 278 (3) Wertung des § 160a StPO. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 280 (4) Ergebnis: ausreichender Abschreckungseffekt aufgrund der normativen Wertung der §§ 444 II 2, 434 I 2, 148 StPO. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 282 ff) Zur Frage des richtigen gesetzlichen Anknüpfungspunktes: § 97 I StPO oder § 97 I Nr. 3 StPO?. . . . . . . . . . . . . . . . . . . 282 gg) Ergebnis: § 97 StPO auch auf Unternehmen anwendbar . . . 283 c) Gesamtergebnis zum persönlichen Anwendungsbereich des § 97 StPO: Beschlagnahmeschutz zugunsten von (quasi-)beschuldigten natürlichen Personen und Unternehmen. . . . . . . . . . . . . . . . . 285 2. Sachliche Reichweite von § 97 StPO: die Gewahrsamsfrage. . . . . . 285 a) Übersicht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 285 b) Grammatikalische Auslegung: Kein zwingender Wortlaut . . . . . 286 aa) Schweigerecht vs. Zeugnisverweigerung?. . . . . . . . . . . . . . . 286 bb) Zeugnisverweigerungsrecht nicht allein dem Zeugen vorbehalten. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 287 c) Systematische Auslegung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 289 d) Genetische Auslegung: widersprüchliche Anhaltspunkte in den Gesetzesmaterialien. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 291 e) Teleologische Auslegung: keine eindeutigen Hinweise auf den subjektiv verfolgten Zweck des Gewahrsamserfordernisses. . . . 293 f) Teleologische Auslegung: Objektive Bestimmung des Zwecks des Gewahrsamserfordernisses . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 294 aa) Versuche einer Zweckbestimmung in der Literatur. . . . . . . . 295 (1) Klarheit des Beschlagnahmeverbots und Parallelen zum Zwangsvollstreckungsrecht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 295 (a) Die Zweiteilung des Verfahrens der Zwangsvollstreckung. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 296 (b) Die Notwendigkeit einer materiellen Prüfung durch die Ermittlungsbehörden. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 296

Inhaltsverzeichnis19 (c) Die Vermutung materieller Richtigkeit im Rahmen der Zwangsvollstreckung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 297 (d) Der fehlende materielle Anknüpfungspunkt des Gewahrsamserfordernisses im Zusammenhang mit der Beschlagnahme. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 298 (e) Ergebnis: Klarheit des Beschlagnahmeverbots kann das Gewahrsamserfordernis nicht erklären . . . . . . . 299 (2) Fehlende Notwendigkeit eines weitergehenden Schutzes. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 300 (3) Geringere Schutzbedürftigkeit wegen faktisch erleichterter Kenntnisnahme durch Dritte. . . . . . . . . . . . . . . . . 300 bb) Andere denkbare Erklärungsansätze für das Gewahrsamserfordernis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 302 (1) Das Gewahrsamserfordernis als Korrektiv zur Vermeidung eines zu umfassenden Asyls von Beweisgegenständen. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 302 (2) Informationsfluss nur in eine Richtung geschützt. . . . . 305 (a) Entwicklung eines möglichen Erklärungsansatzes. . 305 (b) Ablehnung des Erklärungsansatzes . . . . . . . . . . . . . 305 (3) Der Rechtsanwalt als quasi außerrechtliches Korrektiv. 306 (a) Entwicklung eines möglichen Erklärungsansatzes. . 306 (b) Das anwaltliche Berufsethos als Hintergrund der Argumentation. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 307 (c) Ablehnung des Erklärungsansatzes . . . . . . . . . . . . . 311 (4) Gewahrsam als Instrument zur Harmonisierung der äußeren Grenzen von materiellem und gegenständlichem Geheimnisschutz . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 313 (a) Erläuterung eines möglichen Erklärungsansatzes . . 313 (b) Die Konsequenz für die Beschlagnahme im Gewahrsam des Beschuldigten. . . . . . . . . . . . . . . . . . . 314 cc) Ergebnis: keine plausible Erklärung für ein Versagen des Beschlagnahmeschutzes im Gewahrsam des Mandanten. . . . . . 315 g) Sonstige Argumente gegen eine restriktive Auslegung des Gewahrsamserfordernisses. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 316 aa) Schutzzweck von § 97 StPO . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 316 bb) Praktische Erwägungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 316 h) Ergebnis zur grundsätzlichen sachlichen Reichweite des Gewahrsamserfordernisses: Schutz auch im Gewahrsam des Mandanten. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 317 i) Speziell zum Beschlagnahmeschutz für Unterlagen im Gewahrsam von Unternehmen. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 317 j) Alternative Begründungen für die Beschlagnahmefreiheit im Gewahrsam des Mandanten. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 318 aa) Teleologische Reduktion des Gewahrsamserfordernisses. . . 319

20 Inhaltsverzeichnis bb) Verstoß des Gewahrsamserfordernisses gegen Art. 3 I GG. . 320 (1) Feststellen einer Ungleichbehandlung. . . . . . . . . . . . . . . 320 (2) Verfassungsrechtliche Rechtfertigung. . . . . . . . . . . . . . . 321 (a) Kein sachlicher Grund für eine Ungleichbehandlung erkennbar. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 321 (b) Rechtfertigung jenseits der bloßen Willkürkontrolle. 322 (3) Ergebnis: herkömmliches Verständnis des Gewahrsams­ erfordernisses verstößt gegen das Gleichheitsgebot. . . . 323 k) Gesamtergebnis zur sachlichen Reichweite von § 97 StPO: Beschlagnahmeschutz auch im Gewahrsam des Mandanten. . . . . . 324 F. Endergebnis und Zusammenfassung. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 325 I. Überblick. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 325 II. Verfassungsrechtliche Vorgaben . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 326 III. Einfachgesetzliche Lösung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 329 IV. Zusammenfassung der wichtigsten Thesen. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 332 Literaturverzeichnis. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 335

A. Einführung I. Allgemeines zur Thematikund dem Gegenstand der Untersuchung Die grundsätzliche Notwendigkeit, die anwaltliche Vertrauensbeziehung vor dem Zugriff Dritter und insbesondere der Strafverfolgungsbehörden zu schützen, ist in der heutigen Zeit wohl in allen entwickelten Rechtsordnungen anerkannt. Das Bewusstsein um diesen Schutz hat im Lauf der Jahre dabei derart prägenden Einfluss auf das Selbstverständnis der Anwaltschaft gewonnen, dass das Hinterfragen eines entsprechenden Beschlagnahmeschutzes mitunter als geradezu ketzerischer Akt wahrgenommen werden mag. In den letzten Jahren hat gleichwohl eine Reihe landgerichtlicher Entscheidungen1 eindrücklich gezeigt, dass die gesetzlich normierten Beschlagnahmeverbote nicht annähernd so umfassend und klar sind wie vormals gedacht. Die dabei aufgeworfenen und Gegenstand dieser Arbeit bildenden Fragen betreffen im Wesentlichen drei, teilweise miteinander zusammenhängende, Problemkreise. Dies ist einmal die Frage, ob und unter welchen Umständen ein Beschlagnahmeschutz auch für Unterlagen im Gewahrsam des Mandanten besteht. Auch stellt sich die grundsätzliche Frage, inwieweit Unterlagen aus einer Mandatsbeziehung zu einem Unternehmen2 überhaupt vor staatlichem Zugriff geschützt sind, insbesondere ob dies ein sogenanntes „Verteidigungsverhältnis“ als Reaktion auf ein bereits laufendes Ermittlungsverfahren voraussetzt oder ob ein Schutz schon für zeitlich davor entstandene Unterlagen besteht. Eng damit verbunden ist ferner die auch für natürliche Personen relevante Frage, ob auch anwaltliche Unterlagen von außerhalb des jeweiligen Verfahrens stehenden Dritten geschützt sind. 1  Vgl. insbesondere LG Hamburg, NJW 2011, 942; LG Mannheim, NStZ 2012, 713; LG Bonn, WuW 2006, 1037; LG Bonn, Beschl. v. 10.09.2010, 27 Qs 21/10, Rn. 24; LG Bonn, WuW 2012, 972. 2  In Abgrenzung zur natürlichen Person wird die vorliegende Arbeit den Begriff des „Unternehmens“ als Synonym für alle sanktionsfähigen juristischen Personen und Personenvereinigungen verwenden.

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A. Einführung

Die objektive Zweifelbehaftetheit all dieser Fragen mag zwar in früheren Zeiten kein Grund zur Besorgnis gewesen sein, was wohl teilweise auch in der traditionellen, mittlerweile aber weitgehend aufgegebenen Zurückhaltung der Ermittlungsbehörden in Bezug auf anwaltliche Unterlagen begründet war.3 Insbesondere für Unternehmen begründen neuere Entwicklungen in diversen Teilbereichen des Wirtschaftsrechts mittlerweile jedoch das Potential zu durchaus drastischen Konsequenzen. Dies betrifft in besonderem Maße die in den letzten Jahren zunehmend eingesetzten sogenannten „Internal Investigations“.4 Den für diese Zwecke beauftragten Rechtsanwälten wird dabei notwendigerweise in einem weit größeren Umfang Einblick in interne Informationen des Unternehmens gewährt als dies bei staatlichen Ermittlungspersonen der Fall wäre. Bedingt dadurch würde ein Zugriff auf die Ergebnisse interner Erhebungen faktisch zu einer enormen Ausweitung von Ermittlungsbefugnissen und gleichzeitiger Einschränkung von Verteidigungsmöglichkeiten führen. Dabei ist dies nur ein besonders relevanter Aspekt der Beschlagnahmefrage. Die einfache wie grundsätzliche Frage, ob ein Mandant sicher sein kann, dass Informationen, welche er seinem Rechtsanwalt anvertraut, ihren Weg nicht in die Hände staatlicher Ermittlungsbehörden finden können, betrifft letztlich jeden, der rechtlichen Rat sucht und berührt damit Kernaspekte rechtsstaatlicher Verfahrensorganisation. Im Kontext von Unternehmen muss sie darüber hinaus auch in den weiteren Kontext der allgemeinen Compliance-Diskussion eingeordnet werden. Denn an den hier diskutierten Problemkreisen entscheidet sich letztlich, inwieweit einem Unternehmen ein geschützter Raum zur kritischen Selbstevaluation zusteht. Ob und inwieweit ein solcher Schutz aber das übergeordnete Ziel größerer Rechtskonformität fördert oder diesem sogar entgegenläuft ist eine Frage, die bislang noch kaum beachtet, geschweige denn zufriedenstellend beantwortet wurde. Mit der Entscheidung über die Beschlagnahmefähigkeit geht insbesondere auch eine Entscheidung darüber einher, welcher Stellenwert unternehmerischer Selbststeuerung im Verhältnis zu repressiver staatlicher Verhaltenssteuerung zukommt oder zukommen sollte.5 3  Siehe zur Aufgabe dieser Zurückhaltung durch die Behörden Beulke/Lüdke / Swoboda, Unternehmen im Fadenkreuz, S. 124. 4  Vgl. zum Begriff etwa Nestler, in: Knierim/Rübenstahl/Tsambikakis, Kap. 1, Rn.  19 ff.; Rödiger, Strafverfolgung von Unternehmen, S. 23 ff.; Reeb, Internal Investigations, S. 3 f.; siehe im Einzelnen unten A.II.5.b). 5  Vgl. zur Herausarbeitung der rechtspolitischen Wertungsfragen und zur Unzulänglichkeit der bisherigen Diskussion unten D.III.



I. Allgemeines zur Thematik23

Vor dem Hintergrund der Bedeutung der Frage muss geradezu erstaunen, mit wie wenig Klarheit der Schutz anwaltlicher Unterlagen seinen Ausdruck in der StPO gefunden hat. Angesichts der undurchsichtigen, teilweise an über hundertfünfzig Jahre alte Formulierungen angelehnten Regelung des § 97 StPO und dessen ebenso zweifelbehafteten Zusammenspiels mit den §§ 148 und 160a StPO erscheint das Verdikt Robert von Hippels aus dem Jahr 1927 heute aktueller denn je: „Ein unklar redigiertes Gesetz mit teilweise unklarer Entstehungsgeschichte“ wie es „kein Gesetzgeber, der seinen Stoff in geistigem Zusammenhang klar beherrscht“ entwerfen würde.6 Ziel der nachfolgenden Untersuchung wird es dementsprechend sein, diese Unklarheit soweit wie möglich zu überwinden. Denn unabhängig von dem konkreten Ergebnis gilt: Ein unsicherer Geheimnisschutz ist nur wenig mehr wert als gar kein Schutz.7 Naturgemäß wird zwar auch die hier vertretene Meinung keine letztverbindliche Sicherheit bringen können. Wie noch zu zeigen wird, ist ein hinreichend klares und überzeugendes Ergebnis im Sinne eines sehr umfassenden Schutzes aber durchaus möglich. Dies kann auch bereits durch einfachgesetzliche Auslegung der bestehenden Normen der StPO erreicht werden; weitreichende verfassungsrechtliche Postulate sind hierfür ebenso unnötig wie angesichts der zugrunde liegenden politischen Wertentscheidungen unangemessen. Über den Vorschlag einer konkreten, auf dem Gesetz basierenden, Lösung hinaus ist ein weiteres, wenn nicht das wichtigste, Anliegen dieser Untersuchung die genaue Herausarbeitung der zugrunde liegenden Wertungsfragen. Denn weder ist der Schutz der anwaltlichen Vertrauensbeziehung leichtfertig preiszugeben, noch stellt er eine Art unantastbares Heiligtum dar. Wie jede andere Regelung erfordert auch er eine rationale Begründung und eine vollständige Abwägung der verschiedenen konfligierenden Rechtsgüter. Auf der Grundlage der bestehenden gesetzlichen Wertung wird die vorliegende Untersuchung zwar zum Ergebnis eines sehr weitgehenden Schutzes anwaltlicher Unterlagen – einschließlich solcher von Unternehmen – gelangen. Dabei werden jedoch auch die neuralgischen Punkte deutlich werden, an welchen der Gesetzgeber durchaus eine andere Wertung treffen könnte. 6  Hippel,

ZStW 47 (1927), 523, 525. bereits die Leitentscheidung des U.S. Supreme Court zur Frage des Attorney-Client Privilege für Unternehmen, Upjohn Co. v. United States, U.S. 449, (1981), 383, 393 („An uncertain privilege, or one which purports to be certain but results in wildly varying applications by the courts, is little better than no privilege at all.“). 7  So

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A. Einführung

Nicht zuletzt vor dem Hintergrund der in jüngster Zeit wieder aktuellen Diskussion um die Schaffung eines echten Unternehmensstrafrechts versteht sich die hier vorzunehmende Untersuchung somit auch als Beitrag dazu, einen möglichen zukünftigen Gesetzgeber in die Position zu versetzen, diese Wertentscheidungen auf möglichst umfassender Grundlage treffen zu können.

II. Übersicht zu gesetzlichen und tatsächlichen Rahmenbedingungender Beschlagnahme anwaltlicher Unterlagen 1. Grundlagen zum Beschlagnahmeschutz nach der StPO Das Gesetz geht zunächst von dem in § 94 I, II StPO niedergelegten Grundsatz aus, dass alle beweiserheblichen Gegenstände beschlagnahmt werden können, soweit sie auf Verlangen nicht freiwillig herausgegeben werden. Die zentrale Norm für eine punktuelle Durchbrechung dieses Grundsatzes stellt § 97 StPO dar. Der dadurch vermittelte Beschlagnahmeschutz erscheint zunächst recht umfassend. So sind schriftliche Mitteilungen zwischen dem Zeugnisverweigerungsberechtigten und dem Beschuldigten (§ 97 I Nr. 1 StPO) ebenso vor Beschlagnahme geschützt wie Aufzeichnungen, welche sich der Zeugnisverweigerungsberechtigte über ihm vom Beschuldigten anvertraute Informationen macht (§ 97 I Nr. 2 StPO). Hinzu kommt der Auffangtatbestand des § 97 I Nr. 3 StPO, der den Beschlagnahmeschutz auch auf „andere Gegenstände“ erstreckt. Allen drei Varianten des § 97 I StPO ist dabei die Regelungstechnik gemein, dass jeweils auf die Zeugnisverweigerungsrechte des § 53 I Nr. 1 bis 3b StPO Bezug genommen wird8 um den auf der einen Seite relevanten Personenkreis der von § 97 I StPO geschützten Vertrauensverhältnisse zu bestimmen. Grundsätzlich wird somit sowohl das Verhältnis zwischen Beschuldigtem und Verteidiger (§ 97 I StPO i. V. m. § 53 I 1 Nr. 2 StPO) als auch das Verhältnis zwischen Beschuldigtem und einem Rechtsanwalt (§ 97  I StPO i. V. m. § 53 I 1 Nr. 3 StPO) geschützt. Der Beschuldigte wird dabei nur in § 97 I Nr. 1, 2 StPO ausdrücklich genannt, nicht aber in § 97 I Nr. 3 StPO. Unklar ist deshalb, ob Gegenstän8  § 97 I Nr. 1 StPO nimmt ferner auch Bezug auf den hier nicht weiter interessierenden § 52 StPO.



II. Übersicht zu gesetzlichen und tatsächlichen Rahmenbedingungen

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de nur dann geschützt sind, wenn sich das jeweilige Ermittlungsverfahren gegen den Mandanten selbst richtet oder ob § 97 I Nr. 3 StPO als Anknüpfungspunkt für einen Beschlagnahmeschutz auch im Verfahren gegen Dritte dienen kann.9 2. Die Beschränkung auf den Gewahrsam des Zeugnisverweigerungsberechtigten Eine Einschränkung des Schutzes enthält § 97 II 1 StPO. Hiernach sollen die Beschlagnahmeverbote aus § 97 I StPO nur für solche Gegenstände gelten, welche sich im Gewahrsam eines Zeugnisverweigerungsberechtigten befinden. Nach allgemeiner Meinung ergibt sich hieraus, dass Gegenstände im Gewahrsam des Mandanten grundsätzlich auch dann beschlagnahmt werden dürfen, wenn es sich dabei um Mitteilungen zwischen ihm und einem Rechtsanwalt handelt.10 Bei isolierter Betrachtung der §§ 53, 97 StPO gälte diese Einschränkung nicht nur für das Verhältnis des Beschuldigten zu einem Rechtsanwalt und den übrigen Zeugnisverweigerungsberechtigten, sondern auch für das Verhältnis zu seinem Verteidiger. 3. Die Erweiterung durch § 148 StPO Die im Zusammenhang mit der Beschlagnahme anwaltlicher Unterlagen wichtigste anerkannte Ausnahme von dem Gewahrsamserfordernis des § 97 II 1 StPO ergibt sich nicht aus § 97 StPO selbst, sondern wird von Rechtsprechung und Literatur über § 148 I StPO konstruiert.11 Dieser ist nach heute allgemeiner Ansicht als ergänzende und in seinem Anwendungsbereich im Verhältnis zu § 97 StPO vorrangige Regelung heranzuziehen.12 § 148 I StPO gebietet nicht nur die Ermöglichung schriftlichen und mündlichen Verkehrs zwischen Beschuldigtem und Verteidiger, sondern verbietet auch die inhaltliche Kenntnisnahme der Kommunikation in diesem 9  Vgl.

dazu die Diskussion unter E.IV.1.a). Kritik und Widerlegen dieser allgemeinen Meinung siehe unten E.IV.2. 11  Vgl. nur Meyer-Goßner-Schmitt, §  97, Rn.  37 m. w. N. 12  LR-StPO-Lüderssen/Jahn, § 148, Rn. 20a; LR-StPO-Menges, § 97, Rn. 9, 27, 85, 105; SK-StPO-Wohlers, § 97, Rn. 87, § 148, Rn. 27 ff.; Meyer-Goßner-Schmitt, § 97, Rn. 37; HK-StPO-Gercke, § 97, Rn. 40; Welp, FS Gallas, S. 409 ff.; Niese, Doppelfunktionale Prozeßhandlungen, S. 142; BVerfG NJW 2002, 1410; BGHSt 44, 46, 51 (= NJW 1998, 1963, 1964). 10  Zu

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A. Einführung

Verhältnis und sichert somit umfassend das Recht des Beschuldigten auf freie Kommunikation mit seinem Verteidiger.13 Soweit der Anwendungsbereich des § 148 I StPO als lex posterior reicht, wird somit grundsätzlich auch das Gewahrsamserfordernis des § 97 II 1 StPO überlagert und jedenfalls für den Bereich der „Verteidigungsunterlagen“ außer Kraft gesetzt.14 Jedenfalls solche Unterlagen, die aus der Kommunikation zwischen einem Beschuldigten und einem Verteidiger hervorgehen, können somit nicht beschlagnahmt werden, unabhängig davon, ob sich diese im Gewahrsam des Beschuldigten oder des Verteidigers befinden.15 Dies gilt auch für solche Unterlagen, welche noch nicht zwischen Beschuldigtem und Verteidiger ausgetauscht wurden, sondern lediglich zum Austausch vorgesehen sind. § 148 I StPO verbietet somit auch die Beschlagnahme von Unterlagen im Gewahrsam des Beschuldigten, welche dieser selbst erstellt hat und lediglich noch nicht abgesandt oder übergeben hat.16 Wesentliche, im Laufe der Untersuchung noch näher zu behandelnde, Frage zu § 148 StPO ist, ob die geschützten Verteidigungsunterlagen nur solche sind, die im Hinblick auf ein bereits laufendes staatliches Ermittlungsverfahren entstanden sind, oder ob dies auch vorprozessual entstandene Unterlagen sein können. 4. § 160a StPO Seit 2008 existiert noch eine zusätzliche Vorschrift, welche potentiell Auswirkungen auf die Beschlagnahme hat.17 Zwar ordnet § 160a StPO ein absolutes Erhebungs- und Verwendungsverbot für nicht näher eingeschränkte „Ermittlungsmaßnahmen“ an, welche Erkenntnisse einbringen würden, über die Rechtsanwälte und Verteidiger gem. § 53 I 1 Nr. 2, 3 StPO das Zeugnis verweigern können. Völlig ungeklärt ist derzeit aber, wie es sich auswirkt, dass § 160a V StPO bestimmt, dass § 97 StPO „unberührt“ bleiben soll. Hierzu wird teilweise vertreten, dass sowohl § 97 StPO als auch § 160a StPO nebeneinander ergänzend zur Anwendung kommen sollen.18 13  Welp, FS Gallas, S. 391, 417; KK-StPO-Laufhütte, § 148, Rn. 4; SK-StPOWohlers, § 148, Rn. 1; Meyer-Goßner-Schmitt, § 148, Rn. 2. 14  SK-StPO-Wohlers, § 148, Rn. 27 ff.; LR-StPO-Menges, Rn. 9; BGHSt 44, 46, 48 ff. (= NJW 1998, 1963, 1964); Welp, FS Gallas, S. 417; Dahs, GS Meyer, S. 61, 63. 15  SK-StPO-Wohlers, § 148, Rn. 27 ff.; LR-StPO-Menges, Rn. 9; Meyer-GoßnerSchmitt, § 148, Rn. 8; BGHSt 44, 46, 50 f. (= NJW 1998, 1963, 1964); Welp, FS Gallas, S. 417; Dahs, GS Meyer, S. 61, 63. 16  Meyer-Goßner-Schmitt, § 97, Rn. 37. 17  Vgl. zur ausführlichen Diskussion der Auswirkungen von § 160a StPO unten unter E.II. 18  Statt aller hier nur Ballo, NZWiSt 2013, 46.



II. Übersicht zu gesetzlichen und tatsächlichen Rahmenbedingungen27

Teilweise wird aber auch vertreten, dass der Schutz vor Beschlagnahme von § 160a StPO überhaupt nicht verändert wird und in diesem Bereich nach wie vor allein die §§ 97, 148 StPO maßgeblich sind.19 Nach letzterer Ansicht hätte § 160a StPO keinerlei Auswirkung auf die Beschlagnahme anwaltlicher Unterlagen und dessen Anwendungsbereich wäre im Wesentlichen auf die ausdrücklich formulierten gesetzgeberischen Ziele im Zusammenhang mit der Telekommunikationsüberwachung beschränkt. 5. Unternehmen im System der StPO als Gegenstand der Untersuchung Wenngleich in Deutschland nach wie vor ein wirkliches Unternehmensstrafrecht nicht existiert,20 spielen Unternehmen in den hier diskutierten Problembereichen eine durchaus zentrale, gleichsam duale Rolle: zum einen als Betroffene staatlicher Ermittlungsverfahren und Sanktionen, zum anderen als Einflussfaktoren in Bezug auf Strafverfahren gegen natürliche Personen. a) Unternehmen als selbst von Straf- und Ordnungswidrigkeitsverfahren Betroffene Bereits nach geltendem Recht können Unternehmen in vielfältiger Weise selbst Betroffene von staatlichen Ermittlungsverfahren sein. Zu nennen sind dabei insbesondere die Verbandsgeldbuße nach § 30 OWiG sowie die Abschöpfungsinstrumente Verfall (vgl. § 73 III StGB, § 29a II OWiG) und Einziehung (vgl. §§ 74 ff. StGB, §§ 22 ff. OWiG). Da Unternehmen zwar einerseits Normadressaten von Bußgeld- und Strafvorschriften sein können, andererseits aber nicht selbst, sondern nur durch ihre Organe und Vertreter handeln können,21 ist für jede Art von Unternehmenssanktion immer eine Anknüpfungstat einer für das Unternehmen handelnden Leitungsperson notwendig. Wichtigstes Beispiel für eine solche Anknüpfungstat ist § 130 OWiG, der in allgemeiner Form ein Bußaller hier nur Jahn/Kirsch, NStZ 2012, 718; 718 f. aktuellen Diskussion dahingehend siehe etwa Dannecker/Bülte, in: Wabnitz/Janovsky, Kap. 1, Rn. 123 ff.; Ransiek, NZWiSt 2012, 45; Wessing, ZWH 2012, 301; Schünemann, FS Tiedemann, S. 429; Hoven/Wimmer/Schwarz/Schumann, NZWiSt 2014, 161; Hoven/Wimmer/Schwarz/Schumann, NZWiSt 2014, 201; Hoven/Wimmer/ Schwarz/Schumann, NZWiSt 2014, 241; Zieschang, GA 2014, 91; vgl. zu dem Alternativvorschlag zur Reform der §§ 30, 130 OWiG durch den Bundesverband der Unternehmensjuristen Beulke/Moosmayer, CCZ 2014, 146. 21  Többens, NStZ 1999, 1, 2. 19  Statt 20  Zur

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A. Einführung

geld für das Unterlassen notwendiger Aufsichtsmaßnahmen hinsichtlich unternehmensbezogener Rechtsverstöße vorsieht. Daneben können Ermittlungen wegen Rechtsverstößen Unternehmensangehöriger auch zu zahlreichen anderen rechtlichen Nachteilen führen, etwa vergaberechtlicher oder steuerrechtlicher Natur, und überdies negative Auswirkungen auf Betriebsabläufe und Reputation zeitigen.22 Auch bereits ohne originäres Unternehmensstrafrecht stellt sich deshalb ganz konkret die Frage, welche eigenen prozessualen Rechte und Möglichkeiten Unternehmen in strafrechtlichen Verfahren zustehen. b) Unternehmen als Einflussfaktoren im Strafverfahren gegen natürliche Personen Darüber hinaus spielen Unternehmen auch eine mitunter bedeutende Rolle als Einflussfaktor in Bezug auf Strafverfahren gegen natürliche Personen. Angesprochen ist damit insbesondere die Situation, in der das Unternehmen potentiell als Quelle von Beweismitteln im Strafverfahren gegen (ehemalige) Mitarbeiter dienen kann, sei es im Rahmen einer Beschlagnahme oder einer freiwilligen Mitwirkung durch das Unternehmen. In der hier anzustellenden Untersuchung von Interesse sind insbesondere Unterlagen, welche aus der Tätigkeit eines durch das Unternehmen mandatierten Rechtsanwalts hervorgehen. Dabei kann es sich zunächst um herkömmliche Beratungsdokumente, also etwa Gesprächsnotizen, Gutachten und sonstige Korrespondenz handeln. Vor allem aber auch um die Ergebnisse sogenannter Internal Investigations. Diese lassen sich allgemein als Ermittlungsmaßnahmen zur Aufklärung von Rechtsverstößen durch Unternehmensangehörige beschreiben, welche zwar durch ein Unternehmen selbst initiiert, aber durch unabhängige, externe Berater, insbesondere Rechtsanwälte, durchgeführt werden.23 Einen wesentlichen Teil solcher Internal Investigations machen insbesondere sogenannte „Mitarbeiter-Interviews“ aus.24 22  Siehe für eine umfassende Übersicht über mögliche Nachteile und Sanktionsmechanismen etwa Bock, Criminal Compliance, S. 262 ff.; Bock, ZIS 2009, 68, 68 ff.; Britz, in: Volk, MAH-WirtschaftsstrafR, § 5; Di Bianco/Wessing/Taschke, in: Wessing/Dann, Korruptionsverfahren, § 12; Rödiger, Strafverfolgung von Unternehmen, S.  47 ff. 23  Vgl. für entsprechende Begriffsbestimmungen etwa Nestler, in: Knierim/Rübenstahl/Tsambikakis, Kap. 1, Rn. 19 ff.; Rödiger, Strafverfolgung von Unternehmen, S.  23 ff.; Reeb, Internal Investigations, S. 3 f. 24  Vgl. ausführlich zur Durchführung solcher Personenbefragungen Knierim, in: Knierim/Rübenstahl/Tsambikakis, Kap. 7.



II. Übersicht zu gesetzlichen und tatsächlichen Rahmenbedingungen29

Relevant ist dies insbesondere deshalb, weil dadurch mitunter Erkenntnisse erzielt werden können, die durch rein staatliche Ermittlungstätigkeit nicht, nur zeitverzögert oder nur mit deutlich höherem Aufwand möglich gewesen wären.25 Denn nicht nur erhalten die beauftragten Rechtsanwälte in diesem Zusammenhang vollen Zugang zu den Ressourcen und Informationen des Unternehmens. Mehr noch unterliegen diese Maßnahmen auch keiner – jedenfalls keiner direkten – Bindung an die durch die StPO gezogenen Grenzen von Ermittlungstätigkeit.26 Entsprechend besteht bei Eingang der auf diese Weise gewonnen Beweismittel in ein Strafverfahren das Potential zu einer wesentlichen Beeinflussung des Ausgangs desselben. c) Einordnung in das System der Criminal Compliance Als gemeinsames Band dieser dualen Rolle des Unternehmens im Strafund Ordnungswidrigkeitenverfahren kann schließlich das System der sogenannten „Criminal Compliance“ angesehen werden. Criminal Compliance selbst soll hier als die Gesamtheit organisatorischer Maßnahmen verstanden werden, die der Vermeidung von straf- und ordnungswidrigkeitenrechtlicher Haftung im Zusammenhang mit unternehmensbezogenem Verhalten dienen.27 Steuerungstheoretisch kann dies insgesamt als eine Art „regulierte Selbst­ regulierung“28 beschrieben werden, welche die Aktivierung von Elementen 25  Ein Grund hierfür ist insbesondere die grundsätzliche Auskunftspflicht eines Arbeitnehmers gegenüber dem Arbeitgeber, die jedenfalls nach herrschender Meinung auch nicht durch das nemo-tenetur-Prinzip eingeschränkt wird, vgl. dazu etwa Kruse, Compliance und Rechtsstaat, S. 142 ff.; Rödiger, Strafverfolgung von Unternehmen, Kap. 3; Kottek, Kooperation mit SEC, S. 113 ff.; Greeve/Tsambikakis, in: Knierim/Rübenstahl/Tsambikakis, Kap. 17, Rn. 16 ff.; vgl. für weitere Beispiele für nicht ohne Weiteres zugängliche Beweise Bittmann, in: Rotsch, Hdb. Criminal Compliance, § 34 B, Rn. 136. 26  Vgl. allgemein zur Problematik der Anwendbarkeit der StPO auf private Ermittlungstätigkeit und der insoweit ablehnenden herrschenden Meinung Salvenmoser/Schreier, in: Achenbach/Ransiek, 15. Teil, Rn. 4; Reeb, Internal Investigations, S.  121 f.; Götting, Beweisverwertungsverbote, S. 294 f.; Mende, Grenzen privater Ermittlungen, S. 201; speziell in Bezug auf § 136a StPO: BGHSt 17, 14, 19 (= NJW 1962, 598, 598); BGHSt 44, 129, 134 (= NJW 1998, 3506, 3507); KK-StPO-Diemer, § 136a, Rn. 3; Meyer-Goßner-Schmitt, § 136a, Rn. 3; Krey, Private Ermittlungen, S. 75, Schlüchter, Strafverfahren, Rn. 100; zu gleichwohl diskutierten Grenzen privater Ermittlungstätigkeit im Unternehmen siehe etwa Momsen, in: Rotsch, Hdb. Criminal Compliance, § 34 B, Rn. 11. 27  Vgl. zum Begriff der Criminal Compliance Rotsch, in: Rotsch, Hdb. Criminal Compliance, § 1, Rn. 1 ff. 28  Sieber, FS Tiedemann, S. 476; zur noch deutlich größeren Relevanz des Opportunitätsgedankens und der Kooperation mit den Behörden in den USA siehe etwa Wybitul, BB 2009, 606.

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der Selbststeuerung durch indirekte Fremdsteuerung anstrebt.29 Indem die Verletzung von Aufsichtspflichten pönalisiert wird, wird die Vermeidung von Rechtsverstößen Unternehmensangehöriger dabei letztlich zum durch Eigeninteresse geleiteten Anliegen des Unternehmens. Der Anlass für „Selbststeuerungsmaßnahmen“30 im Rahmen der Criminal Compliance ist somit im Wesentlichen die beschriebene staatliche Sank­ tionsdrohung.31 Eine ihrer Folgen ist indessen die genannte Einwirkung auf das Verhalten32 und die strafverfahrensrechtliche Position von natürlichen Personen. Von Bedeutung für Letzteres sind dabei insbesondere verschiedene rechtliche Anreize zur Kooperation mit den Ermittlungsbehörden, insbesondere zur Übermittlung eigener Ermittlungsergebnisse.33 Denn diese können ganz konkret dazu führen, dass selbst ermittelte, belastende Beweise gegen natürliche Personen Eingang in ein Strafverfahren finden,34 mitunter also auch solche, welche bei rein staatlicher Ermittlungstätigkeit verborgen geblieben wären. Derartige Anreize werden im deutschen Recht etwa durch das kartellrechtliche Bonusprogramm35 oder die Möglichkeit der steuerrechtlichen

29  Vgl. allgemein dazu Kölbel, ZStW 125 (2013), 499, 506 ff.; Theile, ZIS 2008, 406, 411 ff.; Bock, S.  222 ff.; Engelhart, Sanktionierung von Unternehmen, S. 649 ff.; Pies/Sass/Schwabedissen, Korruptionsbekämpfung, S. 180 ff.; Reeb, Internal Investigations, S.  41 ff.; Sieber, FS Tiedemann, S. 449, 475 f.; Wessing, FS Volk, S. 867, 880 ff.; Theile, in: Rotsch, Hdb. Criminal Compliance, § 34 B., Rn. 53 ff. 30  Vgl. zur Kritik am Begriff der Selbststeuerung in diesem Zusammenhang Bock, Criminal Compliance, S. 227 ff. 31  Vgl. etwa Taschke/Schoop, in: Rotsch, Hdb. Criminal Compliance, § 34 B, Rn. 87 ff.; ausführlich Bock, Criminal Compliance, 2. Teil, insbesondere S. 227 ff. 32  Vgl. zur präventiven Wirkung von Compliance-Maßnahmen etwa Knauer, ZWH 2012, 41, 47; Reichert/Ott, ZIP 2009, 2173, 2176 f. 33  Vgl. allgemein zu Nutzen und Motiven einer Kooperation mit den Behörden Bittmann, in: Rotsch, Hdb. Criminal Compliance, § 34 B, Rn. 131 ff.; Potinecke / Block, in: Knierim/Rübenstahl/Tsambikakis, Kap. 2, Rn. 186; Knierim, in: Knierim / Rübenstahl/Tsambikakis, Kap. 15, Rn. 185 ff.; Klahold/Berndt, in: Momsen/Grützner, Kap. 3 A, Rn. 92 ff.; Grützner, in: Momsen/Grützner, Kap. 4, Rn. 65 ff.; Kempf/ Schilling, in: Volk, MAH-WirtschaftsstrafR, § 10, Rn. 85 ff.; Wewerka, Internal Investigations, S.  29 ff.; Knauer, ZWH 2012, 41, 44 ff.; Behrens, RIW 2009, 22, 30 ff. 34  Vgl. zur strukturellen Tendenz, die Ergebnisse von Internal Investigations im Rahmen von Kooperationsbemühungen an die Behörden weiterzuleiten Leisner, in: Knierim/Rübenstahl/Tsambikakis, Kap. 9, Rn. 81. 35  Bekanntmachung des Bundeskartellamtes Nr. 9/2006; vgl. dazu allgemein Dannecker/N. Müller, in: Wabnitz/Janovsky, Kap. 18, Rn. 157 ff.; Immenga/Mestmäcker-GWB-Dannecker/Biermann, § 81, Rn. 416 ff.; vgl. zum europäischen Kronzeugenprogramm im Kartellrecht etwa Loewenheim/Meessen/Riesenkampff-Nowak, VO 1/2003, Art. 23, Rn. 37.



III. Übersicht über schwerpunktmäßig zu behandelnde Problembereiche31

Selbstanzeige36 gesetzt. Vor allem aber gilt ganz allgemein im Ordnungswidrigkeitenrecht das Opportunitätsprinzip, so dass sich nachtatliche Kooperationsbereitschaft auch auf die Höhe einer Verbandsgeldbuße37 positiv auswirken auswirken kann.38

III. Übersicht über die schwerpunktmäßig zu behandelnden Problembereiche Im Wesentlichen können drei große, bisher ungeklärte Problemfelder festgestellt werden, welche Gegenstand der vorliegenden Arbeit sein sollen. Es handelt sich dabei um den Schutz von Unterlagen im Gewahrsam des Betroffenen, den allgemeinen prozessualen Schutz von Unternehmen und den Schutz von Gegenständen aus Mandatsverhältnissen mit Dritten. 1. Schutz anwaltlicher Unterlagen im Gewahrsam des Betroffenen Ein erstes Problem ergibt sich aus der Normierung eines Gewahrsamserfordernisses in § 97 II 1 StPO. So muss nach heutigem Stand der Diskussion davon ausgegangen werden, dass aus einer Mandatsbeziehung mit einem Rechtsanwalt39 stammende Gegenstände keinerlei Beschlagnahmeschutz nach § 97 StPO genießen, solange sie sich im Gewahrsam des Mandanten selbst befinden.

36  Leisner, in: Knierim/Rübenstahl/Tsambikakis, Kap. 9, Rn. 56 f.; Potinecke / Block, in: Knierim/Rübenstahl/Tsambikakis, Kap. 2, Rn. 184. 37  Daneben kann sich die Kooperationsbereitschaft auch auf das Ausmaß einer möglichen Gewinnabschöpfung positiv auswirken und überdies staatliche Ermittlungsmaßnahmen mit der damit verbundenen Störung von Betriebsabläufen vermeiden, siehe Knauer, ZWH 2012, 41, 44 f.; Behrens, RIW 2009, 22, 31; Roxin, StV 2012, 116, 118. 38  Dies obwohl das allgemeine deutsche Ordnungswidrigkeitenrecht hierzu keine konkrete Regeln enthält, siehe dazu Knauer, ZWH 2012, 41, 44 f.; Behrens, RIW 2009, 22, 31; Roxin, StV 2012, 116, 118. 39  Solange dieser nicht zugleich auch als Verteidiger im Sinne des § 148 StPO qualifiziert werden kann.

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A. Einführung

a) Zur Notwendigkeit schriftlicher Anwaltsunterlagen im Gewahrsam des Mandanten Zunächst mag die Beschränkung des Schutzes auf den anwaltlichen Gewahrsam in früheren Zeiten und im Zusammenhang mit klassischen Straftaten von Individualtätern kein Anlass zur Sorge gewesen sein.40 aa) Beratung von Unternehmen Jedenfalls im Bereich des modernen Wirtschaftsstrafrecht und insbesondere im Zusammenhang mit Straftaten in und aus Unternehmen heraus ist dies jedoch nicht mehr der Fall.41 In diesem Bereich diktieren sowohl rechtliche als auch praktische Notwendigkeiten eine weitgehende Aufbewahrung auch sensibler anwaltlicher Unterlagen im Gewahrsam des Mandanten, im Zweifel also eines Unternehmens. (1) Notwendigkeit von Schriftlichkeit Zunächst kommt hier eine Beschränkung der anwaltlichen Tätigkeit auf mündliche Beratung und ein entsprechender Verzicht auf schriftliche Niederlegung des anwaltlichen Wissens realistischerweise nicht in Betracht. Dies ist zum einen schlicht der praktischen Notwendigkeit innerhalb größerer Verfahren geschuldet.42 Deren Komplexität und arbeitsteilige anwaltliche Bearbeitung machen eine Beschränkung auf Mündlichkeit ebenso unpraktikabel wie der Umstand, dass der Mandant in der Regel keine einzelne Person ist, sondern eine Personenmehrheit, innerhalb derer Beratungsergebnisse verteilt und verarbeitet werden müssen.43 Kapp/Roth, ZRP 2003, 404, 405 f. Kapp/Roth, ZRP 2003, 404, 405 f. 42  Vgl. Wessing, in: Volk, MAH-WirtschaftsstrafR, § 12, Rn. 139; Kapp/Roth, ZRP 2003, 404, 407 („da andernfalls dem Unternehmen ein rationales und auf Kontinuität beruhendes Handeln nicht möglich ist“); Buntscheck, WuW 2007, 229, 234 („In komplexen Fällen sind schriftliche Stellungnahmen geradezu unverzichtbar. Häufig wird der anwaltlichen Stellungnahme auch eine mehr oder weniger umfangreiche Korrespondenz vorausgehen, die der Aufklärung des Sachverhalts dient. Eine ausschließlich mündliche Beratung würde hier schnell an ihre Grenzen stoßen.“); Fritz, CCZ 2011, 156, 160; Erb, FS Kühne, S. 171, 179; Polley/Kuhn/Wegmann, KSzW 2012, 206, 210 f. 43  Vgl. Waits, Wis. L. Rev. 1985 (1985), 305, 333 ff. („In large law firms and corporations, the statement taker and the decision maker will not be the same person, so the information cannot merely be kept in one person’s head.“). 40  Vgl. 41  Vgl.



III. Übersicht über schwerpunktmäßig zu behandelnde Problembereiche33

Eine Beschränkung auf Mündlichkeit würde also in diesem Bereich die Qualität und Nützlichkeit der anwaltlichen Beratung ganz erheblich einschränken.44 Hinzu kommen aber auch konkrete rechtliche Gründe. Insbesondere wird gerade im Zusammenhang mit Internal Investigations der Beweiswert eines Interviews maßgeblich von seiner schriftlichen Fixierung abhängen.45 Entsprechend sehen auch die Thesen der Bundesrechtsanwaltskammer zum Unternehmensanwalt im Strafrecht hierfür eine schriftliche und von der Auskunftsperson zu genehmigende Dokumentation vor.46 Teilweise bestehen auch unmittelbare Dokumentationspflichten.47 Nichts anderes gilt außerhalb von Internal Investigations, also im Zusammenhang mit laufender rechtlicher Beratung durch einen Unternehmensanwalt. Denn nach allgemeiner Meinung ist es Teil der gesellschaftsrechtlichen Sorgfalts- und Legalitätspflicht eines Geschäftsleiters, sich bei rechtlicher Unsicherheit nicht nur anwaltlich beraten zu lassen, sondern im Grundsatz auch, das Beratungsergebnis auf seine Plausibilität zu überprüfen.48 Zwar wird dies teilweise eingeschränkt,49 gleichwohl entspricht es herrschender Meinung, dass eine solche haftungsentlastende Beratung und 44  Erb, FS Kühne, S. 171, 179; vgl. dazu schon In re Grand Jury Investigation, F.2d 599 (1979), 1224, 1237 („Were such materials open to opposing counsel on mere demand, much of what is now put down in writing would remain unwritten. […| Inefficiency, unfairness and sharp practices would inevitably develop in the giving of legal advice and in the preparation of cases for trial. […] And the interests of the clients and the cause of justice would be poorly served.“). 45  Vgl. Leisner, in: Knierim/Rübenstahl/Tsambikakis, Kap. 9, Rn. 81 ff.; Wewerka, Internal Investigations, S. 102 ff.; Wisskirchen/Glaser, DB 2011, 1392, 1395; Waits, Wis. L. Rev. 1985 (1985), 305, 334 („This is especially true for the hostile witness. Without documentary evidence ascribed to by the witness, any change of story evolves into a credibility contest between the witness and the investigator.“). 46  BRAK-Stellungnahme 35/2010, These 3.4; kritisch dazu Momsen/Grützner, DB 2011, 1792, 1797. 47  Vgl. etwa Erb, FS Kühne, S. 171, 179; Salvenmoser/Schreier, in: Achenbach/ Ransiek, 15.Teil, Rn. 179 (Hinweis auf § 32 I 2 BDSG, der „zu dokumentierende Anhaltspunkte“ für Straftaten fordert, wenn zur Aufdeckung derselben personenbezogene Daten, etwa im Rahmen einer Internal Investigation, erhoben werden). 48  MüKo-AktG-Spindler, § 93, Rn. 77 ff.; Sander/Schneider, ZGR 2013, 725, 752 ff.; Hahn/Naumann, CCZ 2013, 156, 162 f.; BGH, NJW-RR 2011, 1670, 1672 („Erforderlich ist vielmehr, dass sich das Vertretungsorgan, das selbst nicht über die erforderliche Sachkunde verfügt, unter umfassender Darstellung der Verhältnisse der Gesellschaft und Offenlegung der erforderlichen Unterlagen von einem unabhängigen, für die zu klärende Frage fachlich qualifizierten Berufsträger beraten lässt und die erteilte Rechtsauskunft einer sorgfältigen Plausibilitätskontrolle unterzieht.“). 49  Vgl. Krieger, ZGR 2012, 496, 501 ff. für vergleichsweise großzügige Anforderungen an die Plausibilitätsprüfung und Kritik an zu weitgehenden Forderungen nach schriftlichen Gutachten.

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A. Einführung

Plausibilitätsprüfung in der Regel ein schriftliches Gutachten des Rechtsanwalts erfordert.50 Gleiches gilt auch für die Unvermeidbarkeit eines strafrechtlichen Verbotsirrtums.51 (2) Notwendigkeit von Gewahrsam des Mandanten Wenn also der Verzicht auf schriftliche Aufzeichnungen keine gangbare Alternative darstellt, so werden in der Literatur doch teilweise Vorschläge gemacht, aus Unternehmenssicht wenigstens das Problem des Gewahrsams zu lösen. So entspricht es mittlerweile durchaus gängiger Praxis, sensible anwaltliche Unterlagen nicht mehr im Gewahrsam des Unternehmens zu belassen, sondern ausschließlich in Räumlichkeiten einer Rechtsanwaltskanzlei aufzubewahren.52 Um die daraus entstehenden praktischen Probleme zu mindern, wird diese Praxis teilweise noch ergänzt durch die Schaffung einer „künstlichen“ anwaltlichen Gewahrsamssphäre innerhalb eines Gebäudes des Mandanten. Vorgeschlagen wird etwa die Anmietung eines beim Mandanten liegenden Raumes, dessen Schlüssel allein der Rechtsanwalt hat,53 oder auch ein Online-Datenraum in einem von der Kanzlei eingerichteten Extranet, auf 50  Weitgehend etwa Strohn, ZHR 176 (2012), 137, 142; mit unterschiedliche starker Betonung wird dabei aber jeweils auch darauf hingewiesen, dass bei sehr einfachen Sachverhalten oder großem, unverschuldeten Zeitdruck ausnahmsweise auch eine nur mündliche Beratung ausreichen könne: BGH, NJW-RR 2011, 1670, 1672 (Mündliche Beratung wurde als unzureichend angesehen, da der Sachverhalt „erkennbar weder einfach gelagert noch besonders eilbedürftig“ war.); Fleischer, FS Hüffer, S. 187, 196 f.; Sander/Schneider, ZGR 2013, 725, 752; Hahn/Naumann, CCZ 2013, 156, 162; Binder, AG 2012, 885, 893. 51  Vgl. BGH, NStZ 2013, 461 („Insbesondere bei komplexen Sachverhalten und erkennbar schwierigen Rechtsfragen ist regelmäßig ein detailliertes, schriftliches Gutachten erforderlich, um einen unvermeidbaren Verbotsirrtum zu begründen.“); ebenso schon BGH, NStZ-RR 2009, 13. 52  So lautet jeweils eine gängige Handlungsempfehlung aus der anwaltlich geprägten Literatur: Haefcke, CCZ 2014, 39, 42; Wessing, in: Volk, MAH-WirtschaftsstrafR, § 12, Rn. 139; Wessing, FS Mehle, S. 665, 685; Ballo, NZWiSt 2013, 46, 52; Hart-Hönig, FS Schiller, S. 281, 294; Schwintowski, NZG 2005, 200, 202; Hehn/ Hartung, DB 2006, 1909, 1914, Fn. 43; vgl. auch Schlussanträge des Generalanwalts (AM&S), Slg. 1982, 1642, 1655 („[Die Beschränkung des Beschlagnahmeschutzes auf die anwaltliche Gewahrssamssphäre] würde wahrscheinlich dazu verleiten, […] Schriftstücke zu vernichten oder in der Anwaltskanzlei zu hinterlegen.“). 53  Wessing, in: Volk, MAH-WirtschaftsstrafR, § 12, Rn. 139; Wessing, FS Mehle, S. 665, 685.



III. Übersicht über schwerpunktmäßig zu behandelnde Problembereiche

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welches neben den Anwälten dann auch ausgewählte Mitarbeiter des Mandanten Zugriff haben sollen.54 Abgesehen davon, dass selbst derart weitgehende Vorschläge noch unnötig kostspielig und aufwendig sind, sind es letztlich konkrete rechtliche Bedenken, die dafür sprechen, dass auch auf diese Weise das Gewahrsamsproblem nicht beseitigt werden kann. So ist zunächst die Grundannahme, dass § 97 StPO auch auf Mandatsbeziehungen zu Unternehmen anwendbar ist, nach der gesetzlichen Systematik weit weniger selbstverständlich als bisher angenommen. Im Verlauf dieser Arbeit wird die Anwendbarkeit zwar im Grundsatz bejaht werden, dabei wird jedoch auch deutlich werden, dass das Gesetz durchaus auch eine andere Interpretation zuließe.55 Auch der angenommene Schutz von Unterlagen in Anwaltskanzleien ist somit jedenfalls mit einer gewissen Unsicherheit behaftet. Wichtiger aber noch ist, dass selbst bei unterstellter Anwendbarkeit des § 97 StPO die verschiedenen kreativen Lösungen aus der Anwaltschaft wenig verlässlich erscheinen. Dies gilt in besonderem Maße für die genannten „künstlichen Gewahrsamsenklaven“ innerhalb des Unternehmens.56 Denn im Grundsatz ist anerkannt, dass im Wege einer Missbrauchsausnahme ein Beschlagnahmeschutz dann nicht greifen kann, wenn Unterlagen einem Rechtsanwalt oder Verteidiger lediglich zu dem Zweck des „Versteckens“ übergeben werden, wenn es sich also um sogenannte „Überführungsstücke“ handelt, für die kein „Asyl“ gewährt werden könne.57 Gemeint sind damit wohl zumeist nur Gegenstände, die nicht der anwaltlichen Vertrauenssphäre entstammen, sondern in diese erst eingeführt werden. Für die Wertung der Missbräuchlichkeit dürfte es jedoch höchstens von untergeordneter Bedeutung sein, ob Unterlagen dem Rechtsanwalt zum Verstecken übergeben werden oder ob dieser sie zum Verstecken behält. 54  Kübler/Pautke,

BB 2007, 390, 395; Haefcke, CCZ 2014, 39, 42. zu dieser Problematik unten unter E.IV.1.b). 56  Zweifelnd speziell dazu schon Jahn/Kirsch, in: Rotsch, Hdb. Criminal Compliance, Rn. 109; LG Mannheim, NStZ 2012, 713, 716. 57  Bringewat, NJW 1974, 1740, 1742  f.; Meyer-Goßner-Schmitt, § 97, Rn. 39 („Missbraucht er seine Stellung, um Akten, Schriftstücke oder andere Gegenstände dem Zugriff der Strafverfolgungsbehörden zu entziehen, so ist § 97 ebenfalls nicht anwendbar“); KK-StPO-Greven, § 97, Rn. 20; LR-StPO-Menges, § 97, Rn. 92 f.; LG Köln, BB 1974, 1548, 1549; LG Koblenz, StV 1985, 8, 9 („Ausgenommen von § 97 Abs. 1 Nr. 3 StPO sind lediglich Beweismittel, die einer der in § 53 StPO genannten Personen nicht für berufliche Zwecke, sondern zum Verstecken übergeben worden sind“); AStBV (St), Nr. 58 (1) („Sind Gegenstände lediglich zum Zwecke der Aufbewahrung übergeben worden, sind sie stets beschlagnahmefähig.“); kritisch dazu Haffke, NJW 1975, 808. 55  Siehe

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A. Einführung

Entsprechend hat auch das LG Mannheim kürzlich explizit im Zusammenhang mit Internal Investigations die Schaffung anwaltlicher Gewahrsamsenklaven in Unternehmen als Beispiel für eine solche Missbrauchsausnahme genannt.58 Auch wenn man diese ungeschriebene Missbrauchsausnahme ablehnen wollte,59 so wird in derartigen Fällen der planvollen Verlagerung von Unterlagen in die anwaltliche Gewahrsamssphäre mitunter auch bereits die Anwendung der Verstrickungsregel des §§ 97 II 3, 160a IV StPO in Betracht gezogen.60 Teilweise, insbesondere im Zusammenhang mit der genannten „ExtranetLösung“, drängen sich darüber hinaus Zweifel auf, ob dadurch überhaupt der Gewahrsam des Mandanten aufgehoben wird, zielen diese Maßnahmen doch gerade darauf ab, möglichst ungehinderten Zugriff darauf zu gewährleisten.61 (3) E  rgebnis: kein Verzicht auf schriftliche Unterlagen im Gewahrsam des Mandanten möglich Auch wenn die damit zusammenhängenden Fragen hier sinnvollerweise nicht abschließend beantwortet werden können, so wird aus den genannten Problemen doch jedenfalls deutlich, dass eine Beschränkung des Beschlagnahmeschutzes auf die anwaltliche Gewahrsamssphäre nicht ohne Weiteres verlässlich umgangen werden kann und somit entscheidenden Einfluss auf das tatsächliche Schutzniveau hinsichtlich anwaltlicher Unterlagen hat. Im Verlauf der Untersuchung wird deshalb gezeigt werden, dass das Problem letztlich auch nicht durch kreative Umgehungsmaßnahmen bewältigt werden muss, sondern bereits über die richtige, stark einschränkende Auslegung des Gewahrsamserfordernisses selbst gelöst werden kann und sollte.62 58  LG Mannheim, NStZ 2012, 713, 716 („insoweit denkbar z. B.: Abtrennung ganzer Teile des betrieblichen Areals mit dort gelagerten Dokumenten und Verlagerung – z. B. durch Untermietverhältnisse – in den Gewahrsamsbereich des Rechtsanwaltes; Übergabe sehr großer, den üblichen Umfang weit übersteigender Mengen an Originaldokumenten – ohne Zurückbehalt von Kopien – an den Rechtsanwalt; etc.“). 59  Mit Hinweis auf die gesetzlich normierte Verstrickungsklausel kritisch bezüglich der Missbrauchsausnahme des LG Mannheim Jahn/Kirsch, NZtZ 2012, 718, 720; ähnlich auch schon Haffke, NJW 1975, 808; Gülzow, NJW 1981, 265, 266. 60  Schuster, NZWiSt 2012, 431, 433; Erb, FS Kühne, S. 171, 183 (die Ausführungen beziehen sich explizit nur auf die Verbringung von Dokumenten ins Ausland, um sie „dem Zugriff der deutschen Strafjustiz entziehen zu lassen“. In diesem Fall komme allerdings zusätzlich auch eine Strafbarkeit nach §§ 258, 274 StGB in Betracht). 61  Ähnlich auch bereits Jahn/Kirsch, in: Rotsch, Hdb. Criminal Compliance, Rn. 109. 62  Vgl. unten unter E.IV.2.



III. Übersicht über schwerpunktmäßig zu behandelnde Problembereiche37

bb) Andere Konstellationen Auch wenn die Gewahrsamsproblematik bei der Beratung von Unternehmen besonders drängend ist, so kann sie sich auch in anderen Konstellationen zeigen und zulasten von natürlichen Personen wirken. Hervorzuheben ist dabei der Fall, dass innerhalb eines zivilrechtlichen Verfahrens, etwa eines Schadensersatzprozess, auch strafrechtlich relevante Handlungen zu Tage treten. Zu denken ist etwa an das Beispiel eines ehemaligen Geschäftsführers, dem von seinem alten Arbeitgeber schadensersatzrelevante Pflichtverletzungen vorgeworfen werden.63 Ein Verteidigungsmandat im klassischen Sinne des § 148 StPO liegt dann in Abwesenheit eines gleichzeitig laufenden Strafverfahrens nicht vor, so dass allein § 97 StPO in Frage käme. Ginge man hier mit der klassischen Auffassung davon aus, dass ein Verteidigungsmandat im Sinne des § 148 StPO noch nicht begründet wurde, so könnte nach allgemeiner Meinung der gesamte schriftlich niedergelegte Mandatsinhalt im Gewahrsam des Mandanten in einem nachfolgenden Strafverfahren beschlagnahmt werden. Nicht zuletzt die Aussicht auf eine Zugriffsmöglichkeit im Wege der Akteneinsicht nach § 406e StPO64 würde dann auch mit hoher Wahrscheinlichkeit dazu führen, dass von Seiten des Prozessgegners eine Strafanzeige erstattet wird. b) Normative Anknüpfungspunkte für die Lösung des Problems Neben einem, im Ergebnis abzulehnenden, originär verfassungsrechtlichen Beschlagnahmeverbot kommen in normativer Hinsicht zwei Anknüpfungspunkte für die Lösung des Problems in Betracht. Zum einen kann mit Teilen der Literatur und Rechtsprechung eine Lösung über die (gegebenenfalls erweiternde) Auslegung von § 148 StPO gesucht werden.65 Ein anderer, bisher nicht ernsthaft angedachter Anknüpfungspunkt ergibt sich aus dem Gewahrsamserfordernis selbst. Zwar wird bisher einhellig 63  Zu dieser Konstellation siehe Sahan, in: Criminal Compliance vor den Aufgaben der Zukunft, S. 133, 134 f. 64  Ob sich das Akteneinsichtsrecht des Verletzten einer Straftat allerdings tatsächlich auch auf anwaltliche Unterlagen erstreckt, ist umstritten; dafür: LG Mühlhausen, wistra 2006, 76; Lüderssen, NStZ 1987, 249, 252 ff.; dagegen: OLG Koblenz, NStZ 1985, 426; Herrmann, NStZ 1985, 565. 65  Vgl. für solche Ansätze unten E.III.2.a)cc).

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A. Einführung

angenommen, dass der Wortlaut ein Beschlagnahmeverbot für Gegenstände im Gewahrsam des Mandanten verbiete. Letztlich sind wohl auch die obigen Versuche einer Erweiterung der Reichweite des § 148 StPO dieser Auffassung geschuldet. Im Verlauf der Arbeit wird diese restriktive Sichtweise aber bereits einfachgesetzlich widerlegt und alternativ auch als unvereinbar mit höherrangigem Verfassungsrecht qualifiziert werden. Im Ergebnis wird somit herausgearbeitet werden, warum richtigerweise auch bereits nach gegenwärtiger Gesetzeslage die Beschlagnahme anwaltlicher Unterlagen im Gewahrsam des Betroffenen nicht zulässig ist. Aufgrund der Struktur des Gesetzes erhält die Frage nach einem Beschlagnahmeschutz im Gewahrsam des Mandanten also letztlich zwei Problemdimensionen: eine örtliche und eine zeitliche. Eine kohärente Systematik müsste also entweder einen örtlich und zeitlich unabhängigen Schutz materieller Inhalte gewähren oder alternativ die Frage beantworten, warum sich ein unterschiedliches Schutzniveau aus der örtlichen Belegenheit und aus dem zeitlichen Entstehungszeitpunkt eines Gegenstandes ergeben sollte. Im Verlauf der Untersuchung wird gezeigt werden, dass Letzteres nicht möglich ist und entsprechend ein einheitlicher und damit erweiterter Schutz sowohl angezeigt als auch nach der gegenwärtigen Gesetzeslage möglich ist. 2. Der allgemeine prozessuale Schutz von Unternehmen Noch grundsätzlicher stellt sich auch die Frage, inwieweit Schutznormen des Strafprozessrechts überhaupt auf Unternehmen anwendbar sind. Insbesondere ergeben sich aus der Systematik des Gesetzes Zweifel an der Anwendbarkeit des § 97 StPO auf Mandatsbeziehungen zu Unternehmen. Während etwa in der dem Common Law nahestehenden Literatur nicht selten ganz grundsätzlich die Frage nach der Anwendbarkeit des Anwaltsprivileg auf Unternehmen gestellt wird,66 wurde dies in Deutschland bisher praktisch gar nicht thematisiert bzw. es wurde ohne nähere Problematisierung davon ausgegangen, dass Unternehmen nach gegenwärtiger Rechtslage den gleichen Schutz genießen sollten wie natürliche Personen. Auch verwandte Untersuchungen zur prozessualen Gestaltung eines für die Zukunft angedachten, wirklichen Unternehmensstrafrechts67 vernachlässigen, dass ein solches in Deutschland in Gestalt der §§ 14 StGB, 9, 30, 130 OWiG bereits faktisch besteht,68 und behandeln die Frage nach der An66  Vgl. beispielhaft: Higgins, Modern L. Rev. 73 (2010); S. 371; Toepke, AnwBl 1980, 315. 67  Drope, Verbandsstrafe; Schlüter, Strafbarkeit von Unternehmen. 68  Wessing, WiJ 2012, 1, 3.



III. Übersicht über schwerpunktmäßig zu behandelnde Problembereiche39

wendbarkeit der hier in Frage kommenden Beschlagnahmeverbote allenfalls am Rande.69 Vor dem Hintergrund, dass ein solcher Schutz in Deutschland grundsätzlich nicht durch das richterrechtlich geprägte Common Law, sondern durch die unterschiedslos geltenden Regeln der StPO vermittelt wird, mag dies nicht überraschen. Die Notwendigkeit einer näheren Betrachtung ergibt sich aber daraus, dass die dieser Arbeit zugrundeliegende Problematik in besonderem Maße Unternehmen betrifft, auf deren prozessuale Stellung das deutsche Strafprozessrecht zumindest nicht originär zugeschnitten ist. Wie im Verlauf der Untersuchung noch gezeigt werden wird, ist die umfassende Anwendung prozessualer Schutznormen auf Unternehmen auch keinesfalls so selbstverständlich wie dies teilweise angenommen wird.70 Sie hängt vielmehr von der Auslegung der wenigen, explizit auf Unternehmen Bezug nehmenden Vorschriften (insbesondere §§ 444, 434 I 2 StPO) ab. Im Ergebnis wird zwar eine Anwendung auch des § 97 StPO auf Unternehmen zu bejahen sein. Gleichzeitig wird jedoch klar werden, dass dies lediglich das Resultat einer umfassenden Auslegung ist. Insbesondere wird im Folgenden auch noch zu zeigen sein, dass der Gesetzgeber diesbezüglich keiner verfassungsrechtlichen Beschränkung unterliegt und in der Zukunft, etwa im Rahmen eines künftigen Unternehmensstrafrechts, durchaus anders entscheiden könnte. 3. Der Schutz von Gegenständen aus Mandatsverhältnissen mit Dritten, die nicht selbst Betroffene sind Das wohl prominenteste Problemfeld im Zusammenhang mit ComplianceBemühungen von Unternehmen betrifft den Schutz von anwaltlichen Unterlagen aus Mandatsverhältnissen mit Dritten, also solchen die nicht selbst Betroffene eines Verfahrens sind. Die Diskussion hierüber ist zwar alles andere als neu, hat aber im Zusammenhang mit Internal Investigations eine neue Dimension erreicht. Denn hier ist die Konstellation, dass Informationen über den Beschuldigten in anwaltlichen Unterlagen aus Mandatsverhältnissen mit Dritten enthalten sind, nicht mehr die Ausnahme, sondern – jedenfalls nach einer in der LiDrope, Verbandsstrafe, S. 257 f. zur Diskussion um die Frage, ob § 97 StPO auch anwaltliche Mandatsbeziehungen zu Unternehmen schützt unten unter E.IV.1.b). 69  Vgl. 70  Vgl.

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A. Einführung

teratur vorherrschenden Lesart71 – die Regel. Dies geschieht immer dann, wenn im Auftrag des Unternehmens Mitarbeiter-Interviews durch den Rechtsanwalt geführt werden und diese später in einem allein gegen den Mitarbeiter gerichteten Strafverfahren beschlagnahmt werden sollen. Auch wenn damit zunächst der Anwendungsfall beschrieben ist, der bisher die meiste Aufmerksamkeit generiert hat, ist die Problematik durchaus auch für andere Sachverhalte relevant. Eine andere Drei-Personen-Konstellation mit ähnlichen Auswirkungen kann etwa auch im Zusammenhang mit einer Adhäsionsklage entstehen.72 Werden dort Unterlagen aus dem Mandatsverhältnis zwischen Adhäsionskläger und seinem Rechtsanwalt beschlagnahmt, so stellt sich im Ergebnis die gleiche Rechtsfrage, da der Mandant, auf dessen Kommunikation mit seinem Rechtsanwalt zugegriffen werden soll, nicht zugleich Beschuldigter des Verfahrens ist. Normativer Anknüpfungspunkt für das Problem ist vornehmlich § 97 I Nr. 3 StPO, dessen persönlicher Anwendungsbereich entweder weit ausgelegt werden kann, so dass auch Mandatsverhältnisse mit Dritten geschützt sind, oder es kann die enge Auslegung herangezogen werden, die den Schutz auf das Mandatsverhältnis mit dem Beschuldigten beschränkt. Darüber hinaus bietet auch hier § 148 StPO einen möglichen Ansatzpunkt, um das Schutzdefizit in Folge einer engen Auslegung des § 97 I Nr. 3 StPO in weiten Teilen zu kompensieren. In der Literatur werden hierzu sehr weitgehende Vorschläge gemacht, welche den Anwendungsbereich von § 148 StPO auch unabhängig von der Existenz eines bereits laufenden Ermittlungsverfahren eröffnet sehen.73

71  Vgl. unten E.IV.1.b)aa)(1). Angesprochen ist damit der Ansatz der Literatur, der die fehlende „Strafbarkeit“ von Unternehmen zum Anlass nimmt, diesen die Möglichkeit der Beschuldigteneigenschaft abzusprechen. Entsprechend werden Unternehmen hiernach auch dann als „Dritte“ eingeordnet, wenn in dem betreffenden Verfahren eine gegen das Unternehmen gerichtete Sanktion (Verbandsgeldbuße, Verfall oder Einziehung) in Betracht kommt. Wie unten noch ausführlich dargelegt wird, sind Unternehmen jedoch nur dann als außerhalb des Verfahrens stehende Dritte zu behandeln, wenn eine solche Sanktion ausgeschlossen ist. Andernfalls ­besteht die Möglichkeit, diese als Quasi-Beschuldigte in den Schutz des gesamten § 97 I StPO mit einzubeziehen. 72  Vgl. zu dieser Konstellation Jahn, ZIS 2001, 453. 73  Zur Frage nach der zeitlichen Ausdehnungsmöglichkeit von § 148 StPO siehe unten E.III.



IV. Methodik und Gang der Untersuchung41

IV. Methodik und Gang der Untersuchung Die folgende Untersuchung wird sich grundsätzlich allein mit der Beschlagnahmefrage nach deutschem Recht befassen. An geeigneten Stellen wird dabei aber immer wieder auch auf Literatur und Rechtsprechung aus den USA zurückgegriffen. Ein ernsthafter Rechtsvergleich würde zwar nicht nur den sinnvollen Umfang dieser Arbeit übersteigen, sondern wäre letztlich auch nur begrenzt ertragreich. Gleichwohl haben viele der Entwicklungen, welche die Beschlagnahmeproblematik vor allem für Unternehmen in den Fokus gerückt haben, ihren Ursprung in den USA, allen voran die Verbreitung von Internal Investigations.74 Dementsprechend wird die Problematik eines Beschlagnahmeschutzes zugunsten von Unternehmen dort bereits seit Langem und vergleichsweise ausführlich und kontrovers diskutiert.75 Da außerdem die grundlegenden Wertungsfragen in der Beschlagnahmefrage im Wesentlichen die gleichen sind, hat es sich als äußerst fruchtbar erwiesen, jedenfalls manche der in den USA entwickelten Argumentationslinien auch für das deutsche Recht nutzbar zu machen. In inhaltlicher Hinsicht wird sich die folgende Untersuchung auf die Frage nach der Beschlagnahme von Unterlagen unabhängiger, externer Rechtsanwälte76 beschränken. Im Hinblick auf die zusätzlichen speziellen Probleme im Zusammenhang mit Syndikusanwälten kann hier nur auf die einschlägige Literatur verwiesen werden.77 Die Arbeit wird zunächst mit einer Überprüfung beginnen, ob und inwieweit sich ein zwingender Beschlagnahmeschutz für anwaltliche Unterlagen bereits aus der Verfassung ableiten lässt. Zu diesem Zweck werden zunächst eine Reihe prinzipiell denkbarer verfassungsrechtlicher Anknüpfungspunkte analysiert. Als zentrale Determinante sowohl der verfassungsrechtlichen Beurteilung als auch der später vorzunehmenden einfachgesetzlichen Auslegung wird 74  Hart-Hönig,

DAV-FS, S. 537, 548. etwa das umfangreiche Handbuch von Gergacz, Attorney-Corporate ­Client Privilege; für eine sehr frühe explizite Befassung mit der Thematik siehe Simon, Yale L. J. 7 (1956), 953. 76  Sofern diese im Folgenden als „Unternehmensanwälte“ bezeichnet werden, so meint dies lediglich externe Rechtsanwälte, welche von einem und für ein Unternehmen mandatiert wurden und in dieser Funktion tätig werden. Abgegrenzt werden damit Rechtsanwälte in ihrer Funktion als Vertreter und Berater einer individuellen natürlichen Person ebenso wie die Syndikusanwälte. Vgl. zum Begriff des Unternehmensanwalts auch Jahn, ZWH 2012, 477; Jahn, ZWH 2013, 1. 77  Vgl. etwa Hermanns, AnwBl 1980, 326; Roxin, NJW 1995, 17; Redeker, NJW 2004, 889; Moosmayer, NJW 2010, 3548; Mann, DB 2011, 978; LG Bonn, WuW 2006, 1037. 75  Vgl.

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A. Einführung

dabei die hier sogenannte „Abschreckungsthese“ herausgearbeitet werden. Gemeint ist damit die These, wonach die Möglichkeit der Beschlagnahme eine geringere Offenheit gegenüber Rechtsanwälten oder das gänzliche Absehen von rechtlicher Beratung zur Folge hätte. Es ist letztlich auch diese These, welche den inhaltlichen Kern der einen erweiterten Beschlagnahmeschutz fordernden Literaturmeinungen ausmacht, welche dabei aber im Wesentlichen nur behauptet, nie aber wirklich überprüft wird. Diese These wird sodann einer eingehenden Prüfung unterzogen. Methodisch soll dies vornehmlich im Wege einer Analyse der rechtlichen und tatsächlichen Rahmenbedingungen geschehen, welche objektiv das Verhalten gegenüber einem Rechtsanwalt beeinflussen können. Ergänzt wird dies durch empirische Erkenntnisse aus den USA. Bedingt durch dieses Vorgehen werden bereits in der verfassungsrechtlichen Erörterung eine Reihe einfachgesetzlicher Problembereiche aufzuarbeiten sein. Dies betrifft insbesondere die persönlich wirkenden CompliancePflichten von Unternehmensleitern und wird ferner auch zur Entwicklung einer teilweise neuen Argumentation führen, welche auf der Möglichkeit konkludenter und wertungsabhängiger Schweigepflichtentbindung basiert. Die Erörterung der verfassungsrechtlichen Vorgaben des Beschlagnahmeschutzes wird schließlich vervollständigt durch eine nähere Darstellung der politischen Wertentscheidungen, welche der Problematik zugrunde liegen oder zumindest liegen sollten. Nach der hier vertretenen Meinung sind diese jedenfalls im Zusammenhang mit Unternehmen nicht durch die Verfassung vorgegeben, sondern stehen prinzipiell dem gesetzgeberischen Diskurs offen. Ausgehend von diesem Ergebnis wird sodann das einfachgesetzliche Normengeflecht der StPO untersucht werden. Dabei wird zunächst die Bedeutung des § 160a StPO für die Beschlagnahmefrage verneint werden. Weiter wird der kontrovers diskutierten Frage nach dem zeitlichen Anwendungsbereich des § 148 StPO nachgegangen. Dies betrifft insbesondere die Problematik, ob die von § 148 StPO allein erfassten und geschützten „Verteidigungsunterlagen“ nur solche sein können, welche bereits nach Einleitung eines Ermittlungsverfahrens entstanden sind oder ob hierzu auch vorprozessuale Dokumente zählen können. Das hierzu gefundene differenzierende Ergebnis wird schließlich noch für die besondere Situation von Unternehmen als mögliche Betroffene einer Sanktion konkretisiert. Als entscheidend für die Beschlagnahmeproblematik wird sich letztlich die richtige Auslegung des § 97 StPO erweisen.



IV. Methodik und Gang der Untersuchung43

Die Prüfung wird hier zunächst bei der Frage nach dem persönlichen Anwendungsbereich ansetzen. Hierzu gehört die bekannte Problematik, ob sich aus § 97 I Nr. 3 StPO auch ein Schutz für Unterlagen nichtbeschuldigter Dritte ableiten lässt oder ob nur der Beschuldigte selbst zu schützen ist. Ein Schwerpunkt wird schließlich auf die systematische Anwendbarkeit des § 97 StPO auf Mandatsbeziehungen zu Unternehmen gelegt. Eine Analyse des gesetzlichen Schutzzwecks wird auch hier die entscheidende Bedeutung der genannten Abschreckungsthese belegen. Aufgrund der hierzu gefundenen, objektiv ambivalenten Ergebnisse wird sodann das Gesetz selbst auf möglicherweise getroffene Wertentscheidungen überprüft. Es wird also eine normative Antwort auf die Frage nach einem relevanten Abschreckungseffekt gesucht und letztlich in den §§ 444 II 2, 434 I 2, 148 StPO gefunden. Im letzten Teil erfolgt schließlich eine ausführliche Analyse der sach­ lichen Reichweite von § 97 StPO, namentlich des darin enthaltenen Gewahrsamserfordernisses. Hierbei wird zunächst die These eines zwingenden, eindeutigen Wortlauts widerlegt werden. Hierauf folgt dann die Überprüfung und teilweise eigene Entwicklung möglicher Zwecke eines eng verstandenen Gewahrsamserfordernisses. Im Ergebnis wird hier festzustellen sein, dass § 97 StPO bei richtiger Auslegung eine Beschlagnahme grundsätzlich auch insoweit verbietet, wie sich Unterlagen im Gewahrsam des Mandanten befinden. Dieses Ergebnis wird zuletzt noch durch eine alternative Begründung untermauert, wonach ein engeres sachliches Verständnis von § 97 StPO einen Verstoß gegen das Gleichheitsgebot des Grundgesetzes darstellen würde.

B. Mögliche verfassungsrechtliche Begründungsansätze für einen Beschlagnahmeschutz I. Allgemeines Im Grundsatz ist weitgehend unstreitig, dass sich im Einzelfall direkt aus der Verfassung, und insbesondere auch direkt aus den im Folgenden zu analysierenden Verfassungssätzen, Beschlagnahmeverbote ergeben können.1 Im folgenden Abschnitt werden nun mehrere verfassungsrechtliche Anknüpfungspunkte herausgearbeitet werden, welche prinzipiell zur Begründung eines Beschlagnahmeverbots für anwaltliche Unterlagen in Frage kommen. Teilweise wird dies jedoch dahingehend einzuschränken sein, dass bereits ein theoretisch in Frage kommendes Beschlagnahmeverbot auf solche Unterlagen – Verteidigungsunterlagen im engeren Sinn – zu beschränken wäre, welche innerhalb eines bereits laufenden Ermittlungsverfahrens entstanden sind. Jedenfalls in Gestalt des allgemeinen Rechtsstaatsprinzips wird darüber hinaus aber auch ein verfassungsrechtlicher Anknüpfungspunkt aufgezeigt werden, welcher anwaltliche Unterlagen theoretisch bereits im vorprozessualen Stadium zu schützen vermag. Da allein ein solcher Schutz über das Beschlagnahmeverbot hinausgehen würde, welches weitgehend unstreitig bereits einfachgesetzlich gemäß § 148 StPO besteht, soll auf dieses vorprozessuale Stadium ein Schwerpunkt gelegt werden. Entscheidend für die vorliegende Untersuchung wird dabei sein, dass alle prinzipiell in Frage kommenden verfassungsrechtlichen Grundlagen von dem tatsächlichen Ausmaß einer abschreckenden Wirkung auf die Inanspruchnahme von Rechtsanwälten abhängig sind. Dies gilt gleichermaßen für einen möglichen Schutz innerhalb laufender Verfahren als auch für einen Schutz vorprozessualer Unterlagen. Aufbauend hierauf wird sich in Teilbereichen tatsächlich ein zwingender Schutz ergeben, der sich auch auf das vorprozessuale Stadium erstreckt Dies betrifft allerdings ausschließlich Unterlagen aus dem Mandatsverhältnis zu natürlichen Personen. In Bezug auf solche zu Unternehmen ergeben sich für keine der hier interessierenden Streitfragen zwingende verfassungs1  Vgl. etwa BVerfG, NStZ-RR 2004, 83; Meyer-Goßner-Schmitt, § 94, Rn. 20; a. A. aber wohl Wolf, Strafverteidigung, S. 116 ff. (strikter „numerus clausus“ der verfahrensrechtlichen Rechte und Beschränkungen).



II. Geheimnisschutz

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rechtliche Antworten. Der auch für Unternehmen normierte einfachgesetz­ liche Schutz wird sich dementsprechend zwar als plausibel, nicht aber als verfassungsrechtlich zwingend erweisen. Insoweit bleibt es also vollumfänglich Aufgabe des Gesetzgebers, die entsprechenden Interessen gegen­ einander abzuwägen.

II. Geheimnisschutz 1. Ansätze eines inhaltlichen Geheimnisschutzes in Literatur und Rechtsprechung Zunächst kommt in Betracht, aus dem Verfassungsrecht einen inhaltlichen Geheimnisschutz abzuleiten, welcher letztlich im allgemeinen Persönlichkeitsrecht nach Art. 2 I i. V. m. Art. 1 I GG, insbesondere in seiner Ausprägung als Recht auf informationelle Selbstbestimmung, wurzelt. Anknüpfungspunkt für ein Beschlagnahmeverbot wäre dann die in den Unterlagen enthaltene Information selbst. Ob sich hieraus wirklich ein verfassungsrechtlich zwingender Beschlagnahmeschutz ergeben soll, geht aus den zahlreichen Äußerungen in Literatur und Rechtsprechung oftmals nicht ganz eindeutig hervor. Teilweise wird in der Tat der Eindruck erweckt, dass der verfassungsrechtliche Schutz des Persönlichkeitsrechts auch direkt einen Beschlagnahmeschutz zeitigen müsste.2 Teilweise werden Persönlichkeitsrecht und inhaltlicher Geheimnisschutz zwar formal nur als Teil einer der bei jeder Beschlagnahme notwendigen Verhältnismäßigkeitsprüfung herangezogen, dabei aber ein verallgemeinerungsfähiges Beschlagnahmeverbot zumindest nahegelegt.3 Vielfach wird ein solcher inhaltlicher, auch auf Verfassungsrecht gründender Geheimnisschutz auch zumindest als ein Teil des Schutzzweckes von 2  Vgl. AE-ZVR, S. 41  ff. (Auf dieser Grundlage wird insbesondere auch der gleichrangige Schutz bloßer „Vermögensinteressen“ abgelehnt, was konsequenterweise zu einem vollständigen, ungehinderten Zugriff der Ermittlungsbehörden auf Unterlagen eines Unternehmensanwalts führen müsste); Gurlit/Zander, BRAK-Mitt. 2012, 4, 5 f. (die explizit darauf hinweisen, dass das Recht auf informationelle Selbstbestimmung auch für Unternehmen gelte); Kapp/Roth, ZRP 2003, 404, 406 f. (die zwar das Ignorieren des Gewahrsamserfordernisses in § 97 II 1 StPO als „contra legem“ bezeichnen, gleichzeitig aber feststellen, dass sonst höherrangiges Verfassungsrecht, mit dem offenbar die informationelle Selbstbestimmung gemeint ist, „negiert“ würde. Jedenfalls diene § 53 den „Geheimhaltungsinteressen des Einzelnen“). 3  Vgl. LG Hamburg, NJW 1990, 780; Jahn, ZIS 2011, 453, 459.

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B. Mögliche Begründungsansätze für einen Beschlagnahmeschutz

Zeugnisverweigerungsrechten und Beschlagnahmeverboten genannt,4 ohne dass recht klar wird, welche Konsequenzen hieraus zu ziehen sind. Insbesondere bleibt dabei jeweils unklar, ob daraus auch konkrete Folgerungen für die (gegebenenfalls verfassungskonforme) Auslegung der gesetzlichen Vorschriften abzuleiten sind oder wie grundsätzlich zu verfahren wäre, wenn sich abzeichnet, dass das Gesetz in wesentlichen Fallgruppen keinen effektiven Schutz der Privatsphäre bietet. 2. Notwendigkeit einer Einzelfallabwägung Eine typisierte Feststellung, wonach der Mandant gegenüber seinem Anwalt „oft tiefgehende Einblicke in seine Intimsphäre gewährt“,5 ist zwar grundsätzlich ein geeigneter Ansatzpunkt für eine gesetzliche Regelung. Soll aus dem Verfassungsrecht ein über die gesetzliche Regelung hinausgehender allgemeiner Schutz begründet werden, so kann eine solche pauschalisierende Einordnung aber gerade nicht erfolgen. Entsprechend betont auch das BVerfG die grundsätzliche Notwendigkeit einer konkret fallorientierten Abwägung.6 Vielmehr müsste für jede Aussage, die über eine bloße Einzelfallbetrachtung hinausgeht, dargelegt werden, dass ein derartiger materieller Geheimnisschutz in jedem Fall oder zumindest in der ganz überwältigenden Mehrheit der Fälle ein Beschlagnahmeverbot für anwaltliche Unterlagen erfordert. Es müsste also begründet werden, warum die Beschlagnahme anwaltlicher Unterlagen in jedem Fall einen unverhältnismäßigen Eingriff in das allgemeine Persönlichkeitsrecht darstellen würde. Eine solche Feststellung in Bezug auf anwaltliche Unterlagen ist aber im Ergebnis jedenfalls in dieser Allgemeinheit nicht möglich. Auch wenn die Beschlagnahme anwaltlicher Unterlagen einen Eingriff darstellt,7 so kann doch keinesfalls davon ausgegangen, dass ein solcher auch in jedem Fall einen Verstoß gegen Grundrechte darstellt. Entsprechend besteht ein allgemeiner, absolut wirkender Geheimnisschutz selbst für Informationen aus dem Privat- oder gar Intimbereich nicht,8 was 4  AE-ZVR, S.  41 f.; Rengier, Zeugnisverweigerungsrechte, S.  14  ff.; Bandisch, NJW 1987, 2200, 2203; Kapp/Roth, ZRP 2003, 404, 406; Beulke, FS Achenbach, S. 39, 41 f.; BVerfGE 32, 373, 380 (= NJW 1972, 1123, 1124); vgl. zur Kritik an einer dahingehenden Bestimmung des Schutzzwecks unten unter E.IV.1.a)bb)(5). 5  Rengier, Zeugnisverweigerungsrechte, S. 14. 6  BVerfGE 33, 367, 375 (= NJW 1972, 2214, 2214 f.). 7  BVerfGE 113, 29, 47 (= NJW 2005, 1917, 1918); Magnus, Anwaltsprivileg und zivilprozessualer Schutz, S. 21. 8  Schmitt, Zeugnisverweigerungsrechte, S. 123; Rupp, Gutachten 46. DJT, S. 199; vgl. dazu auch Allen/Grady/Polsby/Yashko, J. of Legal Studies 19 (1990), 359, 373.



II. Geheimnisschutz47

sich schon daraus ergibt, dass viele strafbare Handlungen gerade im direkten Zusammenhang mit der Intimsphäre begangen werden.9 Die private oder intime Natur eines Sachverhalts berührt auch die allgemeine Zeugenpflicht nicht. In diesem Zusammenhang weist Weigend treffend darauf hin, dass es wenig schlüssig wäre, private Informationen um ihrer selbst willen zu schützen, soweit sie einem Rechtsanwalt mitgeteilt wurden, gleichzeitig aber den grundsätzlichen Zugriff darauf durch Zeugenaussage des Betroffenen selbst zu erlauben.10 3. Der unantastbare Bereich privater Lebensführung Absolute Grenze der Beweiserhebung- und Verwertung im Strafprozess ist letztlich nur der unantastbare Bereich privater Lebensführung.11 Zwar hat insbesondere das BVerfG auch die Kommunikation mit einem Strafverteidiger einem absoluten verfassungsrechtlichen Schutz unterstellt.12 Dabei hat es auch zumindest bei einer Gelegenheit Anlass für das Missverständnis gegeben, dass Grund hierfür die notwendige Betroffenheit des inhaltlich unantastbaren Kernbereichs privater Lebensführung sei.13 Wäre dies tatsächlich als typisierter Schutz spezifischer Inhalte dieser Kommunikation zu verstehen und zu akzeptieren, so käme durchaus in Betracht, im Anschluss daran einen allgemeinen verfassungsrechtlichen Beschlagnahmeschutz rechtsanwaltlicher Unterlagen auf das Persönlichkeitsrecht möglicher Mandanten zu stützen. Die Frage wäre dann nur, inwieweit der Typisierung durch das BVerfG auch Aussagen über die diesbezügliche Abgrenzung zwischen Verteidigern und sonstigen Rechtsanwälten entnommen werden kann. 9  Rupp,

Gutachten 46. DJT, S. 199. Gutachten 62. DJT, C 84. 11  BVerfGE 6, 32, 41 (= NJW 1957, 297, 298); BVerfGE 27, 1, 6 (= NJW 1969, 1707, 1707); BVerfGE 32, 373, 379 (= NJW 1972, 1123, 1124); BVerfGE 33, 367, 376 (= NJW 1972, 2214, 2215); LR-StPO-Menges, § 97, Rn. 13; ausführlich zur Definition des unantastbaren Bereichs privater Lebensführung: Dammann, Der Kernbereich der privaten Lebensgestaltung, S. 36 ff.; Barrot, Der Kernbereich privater Lebensgestaltung, S. 95 ff. 12  BVerfGE 109, 279, 322 (= NJW 2004, 999, 1004); BVerfGE 129, 208, 247 (=  NJW 2012, 833, 837). 13  BVerfGE 129, 208, 247 (= NJW 2012, 833, 837) („Ein ausschließlicher Kernbereichsbezug kann vor allem dann angenommen werden, wenn der Betroffene mit Personen kommuniziert, zu denen er in einem besonderen, den Kernbereich betreffenden Vertrauensverhältnis – wie zum Beispiel engsten Familienangehörigen, Geistlichen, Telefonseelsorgern, Strafverteidigern oder im Einzelfall auch Ärzten – steht (vgl. BVerfGE 109, 279 [321 ff.] = NJW 2004, 999). Soweit ein derartiges Vertrauensverhältnis für Ermittlungsbehörden erkennbar ist, dürfen Maßnahmen der Telekommunikationsüberwachung nicht durchgeführt werden.“). 10  Weigend,

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B. Mögliche Begründungsansätze für einen Beschlagnahmeschutz

Denn aus den genannten Urteilen wird jedenfalls deutlich, dass letztere einem wie auch immer zu verstehenden Kernbereich nicht zuzuordnen sein sollen.14 Hinsichtlich eines inhaltlich typisierten Beschlagnahmeschutzes kommt es auf eine solche Abgrenzung jedoch nicht an. Denn tatsächlich und zu Recht versteht das BVerfG den Kernbereichsschutz von Verteidigerkommunikation gerade nicht in inhaltlicher Weise.15 Es handelt sich vielmehr um den situativen Schutz eines Kommunikationsvorgangs. Dieser wird nicht aufgrund seines spezifischen Inhalts dem Kernbereich zugeordnet, sondern dessen Bedeutung für andere Verfassungsgüter. Diese erkennt das BVerfG in der Menschenwürde und der Verhinderung der Behandlung des Beschuldigten als bloßes Objekt im Strafverfahren.16 Teilweise wird besagter Kernbereichsschutz auch aus dem nemo-tenetur-Prinzip abgeleitet.17 Allein aus dieser funktionsbezogenen Bestimmung des Kernbereichs erklärt sich auch, warum Mandatsunterlagen in einem Strafverfahren gegen den Verteidiger selbst nicht vor Beschlagnahme geschützt werden, sondern lediglich mit einem Verwertungsverbot in einem möglichen Verfahren gegen den Mandanten versehen werden.18 Noch deutlicher wird dies bei der Frage, ob einem Mandanten nach Abschluss eines Strafverfahrens gegen ihn selbst ein Zeugnisverweigerungsrecht in einem sich anschließenden Verfahren gegen seinen Verteidiger zusteht. Dass das BVerfG ein solches Recht verneint,19 zeigt deutlich, dass jedenfalls kein typisiert inhaltlicher Schutz angestrebt wird, denn ein solcher würde unabhängig von dem Weiterlaufen eines Verfahrens fortbestehen. Dies bedeutet nicht, dass auch ein inhaltlicher Kernbereichsschutz innerhalb von Mandatsverhältnissen zu Verteidigern und Rechtsanwälten im 14  Ignor, NJW 2007, 3403, 3404; auch aus BVerfGE 129, 208 (=  NJW 2012, 833) ergibt sich nichts anderes. Hier wurde zwar für die durch den Gesetzgeber in § 160a StPO vorgenommene Gleichstellung von Rechtsanwälten und Verteidigern eine „hinreichende Rechtfertigung“ festgestellt, der dafür betriebene Begründungsaufwand legt aber nahe, dass diese Gleichstellung alles andere als verfassungsrechtlich geboten sein soll. 15  Ein solches inhaltliches Verständnis scheint allerdings Ignor, NJW 2007, 3403, 3404 zugrunde zu legen. 16  BVerfGE 109, 279, 322 (=  NJW 2004, 999, 1004); BVerfG, Beschl. v. 28. 1. 2008 – 2 BvR 112/08; BVerfGE 129, 208, 263 (=  NJW 2012, 833, 842). 17  SSW-StPO-Eschelbach, § 97, Rn. 21. 18  Zur Beschränkung auf ein Verwertungsverbot in diesen Fällen siehe BGHSt 53, 257, 261 f. (=  NJW 2009, 2690, 2691); Ruhmannseder, NJW 2009, 2647. 19  BVerfG, Beschl. v. 28. 1. 2008 – 2 BvR 112/08; ausführlich dazu Bosbach, NStZ 2009, 177.



II. Geheimnisschutz49

Einzelfall einmal relevant werden kann. Ein solcher inhaltlich definierter Kernbereich ist jedoch im Zusammenhang mit anwaltlichen Mandatsbeziehungen nur relativ selten betroffen,20 jedenfalls aber nicht in ausreichender Zahl um ein in persönlicher oder zeitlicher Hinsicht definiertes, allgemeines Beschlagnahmeverbot für anwaltliche Unterlagen zu begründen. 4. Inhaltlicher Geheimnisschutz für Unternehmen? Gänzlich fernliegend ist ein solch absoluter, inhaltlich verstandener Geheimnisschutz schließlich in Sachverhalten, in denen eine Mandatsbeziehung allein mit einem Unternehmen und nicht einer natürlichen Person besteht. Aus Sicht des Unternehmens selbst, welches schon der Natur der Sache nach keinen unantastbaren Bereich der privaten Lebensführung haben kann, kämen für einen absoluten Geheimnisschutz allein Geschäftsgeheimnisse in Betracht. Diese sind zwar zivilrechtlich in vielerlei Hinsicht geschützt, jedoch nicht allgemein gegen Kenntniserlangung staatlicher Verfolgungsbehörden21 und jedenfalls nicht im Sinne eines für natürliche Personen geltenden Kernbereichs der privaten Lebensführung.22 Aus Sicht der jeweils handelnden natürlichen Person hingegen wäre die Preisgabe von Informationen aus dem unantastbaren Bereich privater Lebensführung gegenüber einem Rechtsanwalt zwar grundsätzlich denkbar, allerdings schon rein faktisch wenig wahrscheinlich. Auch in normativer Hinsicht bleibt die Kommunikation mit einem Unternehmensanwalt im Grundsatz geschäftlicher Natur und kann somit jedenfalls negativ von einem privaten Kernbereich abgegrenzt werden.23 Hinzu kommt, dass der absolut geschützte Kernbereich nach der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts auch durch den Grad des jeweili20  Schmitt, Zeugnisverweigerungsrechte, S. 123 f.; Butenuth, Absolute oder relative Wirkung, S. 204; Ehrenberg, Verschwiegenheit, S. 236. 21  Vgl. Wolff, NJW 1997, 98, 98; Breuer, NVwZ 1986, 171; BGHSt 52, 58, 65 f. (=  NJW 2007, 3652, 3654). 22  Vgl. auch Kleine-Cosack, AnwBl. 2012, 947, 950 (Versagen des Beschlagnahmeprivilegs sei vertretbar bei für Unternehmen tätigen Rechtsanwälten, weil hier keine höchstpersönlichen Informationen wie etwa in Straf- und Familienrechtssachen ausgetauscht würden). 23  BVerfGE 34, 238, 248 (=  NJW 1973, 891, 893); Maunz/Dürig-GG-Di Fabio, Art. 2 Abs. 1, Rn. 158; vgl. dazu auch Tully/Kirch-Heim, NStZ 2012, 657, 661 (die Kommunikation zwischen Organwalter und Rechtsanwalt habe normativ keine persönlichen Angelegenheiten des Organwalters zum Gegenstand, sondern allenfalls dessen im Interesse der juristischen Person zu erbringende Tätigkeit); siehe für die Zulässigkeit einer Vermutung, dass in Betriebs- und Geschäftsräumen keine Inhalte aus dem unantastbaren Kernbereich kommuniziert werden auch BVerfGE 109, 297, 320 (=  NJW 2004, 999, 1004).

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B. Mögliche Begründungsansätze für einen Beschlagnahmeschutz

gen Geheimhaltungswillens bzw. der Möglichkeit der Kenntniserlangung durch Dritte mitbestimmt wird,24 so dass auch die berechtigte Erwartung von vertraulicher Behandlung der getätigten Äußerungen für das Vorliegen eines absoluten Schutzes relevant sein muss. Eine solche kommt aber bei Kommunikationsvorgängen von natürlichen Personen mit Rechtsanwälten nicht in Frage, soweit der Mandant ausschließlich ein Unternehmen ist. Denn dessen Herausgabe- und Einsichtrechte in die Unterlagen des Rechtsanwalts gehen grundsätzlich etwaigen Geheimhaltungsinteressen eines einzelnen Organmitglieds vor, welches für die Zwecke des Mandatsverhältnis lediglich Dritter ist.25 Dies gilt umso mehr für einfache Mitarbeiter. Auch kann sich ein Organwalter nach derzeitiger Rechtslage keinesfalls sicher sein, dass die von ihm persönlich kommunizierten Inhalte eines Mandatsverhältnisses mit einer juristischen Person nicht auch zur Kenntnis staatlicher Stellen gelangen. Denn etwa im Falle eines Wechsels von Or­ ganwaltern oder der Einsetzung eines Insolvenzverwalters ist weitgehend ungeklärt, ob die Erklärung einer Entbindung von der anwaltlichen Schweigepflicht immer auch der Zustimmung derjenigen natürlichen Person bedarf, welche persönlich an dem jeweiligen Kommunikationsverhältnis beteiligt war.26 Solange diesbezüglich kein verlässlicher Meinungsstand besteht kann aber auch rein faktisch keine Erwartung der Geheimhaltung etwaiger privater Informationen seitens eines Organwalters bestehen. 5. Ergebnis: Inhaltlicher Geheimnisschutz kann kein allgemeines Beschlagnahmeverbot begründen Ein allgemein wirkendes Beschlagnahmeverbot kann ausnahmsweise nur für solche Kommunikationsinhalte angenommen werden, die wirklich dem Kernbereich der privaten Lebensführung zuzurechnen sind. Im Zusammenhang mit Unternehmensanwälten und Internal Investigations ist ein solcher Schutz fernliegend und praktisch ausgeschlossen. Außerhalb dieses absolut geschützten Bereichs aber muss „jedermann als gemeinschaftsbezogener und gemeinschaftsgebundener Bürger staatliche 24  BVErfGE 27, 1, 8 (= NJW 1969, 1707, 1707); BVerfGE 80, 367, 374 (= NJW 1990, 563, 563 f.); Barrot, Der Kernbereich privater Lebensgestaltung, S. 106 ff., 178 f.; Dammann, Der Kernbereich der privaten Lebensgestaltung, S. 45 f.; der bloße Umstand von Kommunikation mit anderen schließt den Kernbereichsschutz jedoch nicht aus, siehe dazu: BVerfGE 80, 367, 374 (=  NJW 1990, 563, 563); Bosbach, NStZ 2009, 177, 178. 25  BGHZ 109, 260, 271 (=  NJW 1990, 510, 512); Fiala/von Walter, DStR 1998, 736, 737. 26  Vgl. zur Diskussion ausführlich unten unter C.IV.1.



III. Ableitung aus dem nemo-tenetur-Prinzip

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Maßnahmen hinnehmen, die im überwiegenden Interesse der Allgemeinheit unter strikter Wahrung des Verhältnismäßigkeitsgebots getroffen werden“.27 Im Hinblick auf einen materiellen Geheimnisschutz für jede Art von anwaltlichen Unterlagen kann aber schlicht nicht dargelegt werden, dass zumindest in einem überwältigenden Großteil der Fälle die Schwelle der Verhältnismäßigkeit überschritten wäre. Berücksichtigt werden müssten dabei alle denkbaren Umstände, insbesondere etwa die Schwere der in Rede stehenden Tat28 und das Ausmaß des Persönlichkeitsbezugs. Gerade Letzteres ist jedoch insbesondere in wirtschaftsrechtlichen Mandatsverhältnissen typischerweise eher gering ausgeprägt. Auch im Übrigen vermag eine solch typisierende Betrachtung nicht der Komplexität möglicher Fallgestaltungen gerecht werden. Eine gewisse Tendenz zur Preisgabe persönlichkeitsrelevanter Informationen innerhalb eines Mandatsverhältnisses mag für eine gesetzgeberische Regelung ausreichen, nicht jedoch für das verfassungsrechtlich begründete Postulat eines über das einfache Recht hinausgehenden Beschlagnahmeschutzes. Ein über den konkreten Einzelfall hinausgehendes verfassungsrechtliches Verbot der Beschlagnahme anwaltlicher Unterlagen kann demnach nicht mit dem Bedürfnis eines inhaltlichen Geheimnisschutzes begründet werden.29

III. Ableitung aus dem nemo-tenetur-Prinzip 1. Allgemein Ebenso erweist es sich als nicht möglich, einen generellen Beschlag­ nahmeschutz für anwaltliche Unterlagen aus dem nemo-tenetur-Prinzip abzuleiten.

27  BVerfGE

38, 312, 320 f. (=  NJW 1975, 588, 588). zu diesem Aspekts BGHSt 43, 300, 303 f. (= NJW 1998, 840, 840 – „Die Revision beanstandet zu Recht, daß das LG bei der Interessenabwägung nicht hinreichend bedacht hat, daß mit Rücksicht auf den gegen den Angekl. erhobenen Vorwurf eines vorsätzlichen Tötungsdeliktes den Belangen einer funktionsfähigen Rechtspflege […] Vorrang gebühren kann. Auch einer Beschlagnahme von Krankenunterlagen Dritter steht das Persönlichkeitsrecht des Patienten nicht von vornherein entgegen […]. Vielmehr ist auch insoweit die Schwere der Tat bei der vorzunehmenden Abwägung zu berücksichtigen.“). 29  Der Befund deckt sich insoweit auch mit dem Meinungsstand in den USA, wo sich jedenfalls im Kontext von Unternehmen eine solche „rights-based rationale“ nie etablieren konnte, siehe dazu Cummings, Tenn. L. Rev. 76 (2008), 1, 9. 28  Vgl.

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B. Mögliche Begründungsansätze für einen Beschlagnahmeschutz

a) Möglicher Ansatz für ein allgemeines Beschlagnahmeverbot Soweit ersichtlich wird in einer solch allgemeinen Form bisher auch nur insoweit ein Beschlagnahmeschutz explizit auf das nemo-tenetur-Prinzip gestützt wie es um Verteidigungstätigkeit im engeren Sinn geht, also für das Stadium, in dem bereits ein Verfahren in Gang gesetzt wurde und somit unstreitig der Schutz des § 148 StPO besteht.30 Darüber hinaus beschränken sich allgemeine Aussagen zumeist nur auf die Einordnung der Selbstbelastungsfreiheit als einen Schutzzweck der Beschlagnahmeverbote des § 97 StPO.31 Auch aus diesem Grund sollen die folgenden Ausführungen in der gebotenen Kürze erfolgen. Sie sollen gleichwohl nicht gänzlich ausbleiben. Denn mit einer ähnlichen Argumentation, mit der man über das nemotenetur-Prinzip eine Beschlagnahmefreiheit bezüglich der Verteidigungstätigkeit begründet, könnte man theoretisch ebenso gut sonstige anwaltliche Tätigkeit in der Zeit davor schützen. Auch legen Ausführungen in der Literatur zum Schutzzweck des § 97 StPO teilweise nahe, dass – wenn Unterlagen entgegen der dort vertretenen Ansicht nicht nach § 97 StPO geschützt wären – ein verfassungsrechtlicher Schutz geboten wäre.32 Dass eine originär verfassungsrechtliche Ableitung von Beschlagnahmeverboten nicht erfolgt, erscheint oftmals weniger sachlichen Bedenken als dem Umstand geschuldet zu sein, dass die entsprechenden Autoren auf Basis ihrer Schutzzweckbestimmung bereits einfachgesetzlich einen ausreichenden Schutz erreicht sehen. Auch besteht in beiden Fällen der Kern des Problems darin, dass der Beschuldigte zur Verwirklichung seiner (verfassungsrechtlich abgesicherten) Rechte auf die Hinzuziehung einer Vertrauensperson angewiesen ist. In beiden Fällen kann ihm darüber hinaus auch keine wirksame Hilfe zuteil werden, wenn er nicht rückhaltlos alles, auch straf- und ordnungswidrigkeitenrechtlich relevantes offenbart. Und egal ob Unterlagen eines Verteidigers oder eines außerprozessual mandatierten Rechtsanwalts beschlagnahmt wer30  Vgl. für ein entsprechendes Beschlagnahmeverbot von Verteidigungsunterlagen BGHSt 44, 46, 49 (=  NJW 1998, 1963, 1964); Dahs, GS Meyer, S. 61, 66; Welp, FS Gallas, S. 391, 405 (der „Druck der prozessualen Notwendigkeit“ als beweisverbotsbegründender Zwang); Beulke, FS Lüderssen, S. 693, 714; Petry, Beweisverbote, S. 45 f.; Schmidt, StV 1989, 421, 422. 31  HK-StPO-Gercke, § 97, Rn. 5; Ciolek-Krepold, Durchsuchung und Beschlagnahme, Rn. 252; Welp, JZ 1974, 423, 423; jeweils im Zusammenhang mit den Zeugnivsverweigerungsrechten: Rengier, Zeugnisverweigerungsrechte, S. 23; Petry, Beweisverbote, S. 45 ff.; Neumann, Zeugnisverweigerungsrechte, S. 124 ff., 154 f. 32  Vgl. etwa Petry, Beweisverbote, S. 45 f.



III. Ableitung aus dem nemo-tenetur-Prinzip

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den, erhalten die Verfolgungsbehörden potentiell Zugang zu inkriminierenden Informationen. Im Ergebnis kann ein Verstoß gegen das nemo-tenetur-Prinzip aber dennoch nicht festgestellt werden, weder für Verteidigungsunterlagen im engeren Sinn, welche innerhalb eines laufenden Verfahrens entstanden sind, noch für andere anwaltliche Unterlagen. b) Ablehnung eines allgemeinen Beschlagnahmeverbots aufgrund des nemo-tenetur-Prinzips Der Annahme eines allgemeinen Beschlagnahmeverbots steht letztlich entgegen, dass einerseits kein relevanter „Zwang“ vorliegt, andererseits auch keine ausreichende „Selbstbelastung“. Ansatzpunkt für ein entsprechendes Beschlagnahmeverbot könnte zunächst sein, dass die Hinzuziehung eines Rechtsanwalts und damit die Schaffung belastender Beweise auf irgendeine Weise staatlich „erzwungen“ wird. Ein solcher Zwang ist in dieser Allgemeinheit allerdings nicht erkennbar.33 Denn grundsätzlich bleibt der Beschuldigte frei, seinem Rechtsanwalt belastende Informationen anzuvertrauen oder nicht.34 Er kann sich zwar dem Strafverfahren selbst nicht entziehen, wohl aber kann er auf jegliche Einlassungen zur Sache, sei es gegenüber dem Gericht oder seinem Rechtsanwalt verzichten.35 Wird er durch staatliche Maßnahmen, oder wie hier durch die Möglichkeit der Beschlagnahme, davon abgehalten, einen Rechtsanwalt oder Verteidiger zu Rate zu ziehen, so steht dies zunächst nur in einem möglichen Konflikt mit den verfassungsrechtlichen Garantien, die dezidiert ein Recht auf Hinzuziehung solcher Vertrauenspersonen gewährleisten, nicht aber mit dem nemo-tenetur-Prinzip. Aufgrund der verbleibenden Wahlmöglichkeit wäre deshalb nur dann ein Zwang zur Selbstbezichtigung verbunden, wenn sich auch aus der Alternative, also aus dem Verzicht auf anwaltliche Beratung eine Selbstbelastung ergeben würde. 33  Diskussionswürdig ist dies allenfalls im Compliance-Kontext. Siehe dazu unten C.IV.3.c). 34  Verrel, Selbstbelastungsfreiheit, S. 85. 35  In ähnlicher Weise argumentiert auch der BGH in seiner Asylbewerber-Entscheidung (BGHSt 36, 328, 333 = NJW 1990, 1426, 1427). Die Mitwirkung am Aslyverfahren sei nicht erzwingbar und stelle sich als reine Obliegenheit dar, weshalb das nemo-tenetur-Prinzip einer Verwertung von dennoch gemachten Angaben nicht entgegenstehe.

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B. Mögliche Begründungsansätze für einen Beschlagnahmeschutz

Als relevante „Selbstbelastung“ kommt hier aber allein der Umstand in Frage, dass strafrechtliche Vorwürfe nicht so wirksam abgewehrt werden können, wie dies mit qualifiziertem rechtlichen Beistand möglich gewesen wäre. Die „Belastung“ des Beschuldigten erfolgt also einzig in dem Sinn, dass seine Chancen auf einen vorteilhaften Ausgang eines (möglichen) Verfahrens reduziert werden.36 Es findet aber keine Belastung in dem Sinn statt, dass zusätzliche nachteilige Beweise geschaffen werden. Die auf das Wissen des Beschuldigten zurückgehende Beweislage bleibt vielmehr völlig identisch, wenn er sich aufgrund der Beschlagnahmegefahr dagegen entscheidet, einen Rechtsanwalt ins Vertrauen zu ziehen. Es ginge also im Kern zunächst nicht um die Freiheit von erzwungener Selbstbelastung, sondern um die Freiheit zur sanktions- oder besser „gefahrlosen“ Selbstentlastung und -begünstigung.37 Nichts anderes kann letztlich auch gemeint sein, wenn von einem „prozessualen Zwang“ zur rückhaltlosen Information des eigenen Verteidigers gesprochen wird.38 Die abstrakte Einordnung einer solchen Freiheit als Teil des nemo-teneturPrinzips wird allerdings von der ganz herrschenden Meinung aus guten Gründen abgelehnt.39 Wollte man dies anders sehen, so befände man sich damit jedenfalls weit außerhalb von tradierten und anerkannten Grundzügen des nemo-teneturPrinzips und würde im Ergebnis einem historisch eng begrenzten prozessualen Prinzip jede Kontur und Brauchbarkeit für die Entscheidung konkreter Sachfragen nehmen.40 Jedenfalls in seiner allgemeinen Form ist mithin ein auf das nemo-teneturPrinzip gestütztes Beschlagnahmeverbot abzulehnen.

36  Schneider,

Jura 1999, 411, 415. Jura 1999, 411, 415; Verrel, Selbstbelastungsfreiheit, S. 85. 38  Siehe dazu Welp, JZ 1974, 423, 423; Konrad, Verteidigungsunterlagen, S. 61. 39  Schneider, Selbstbegünstigung, S. 140, 244; Schneider, Jura 1999, 411, 415; SK-StPO-Rogall, Vor. § 133 ff., Rn. 142; BVerfGE 16, 191, 194 (=  NJW 1963, 1195). Gleichwohl – und insoweit inkonsequent – wird die Begründung der Beschlagnahmefreiheit von Verteidigungsunterlagen im engeren Sinn über das nemotenetur-Prinzip weitgehend anerkannt, vgl. nur BGHSt 44, 46, 49 (=  NJW 1998, 1963, 1964). 40  Zur Kritik an einer Überdehnung des nemo-tenetur-Prinzips siehe auch Verrel, Selbstbelastungsfreiheit, S. 85 f.; Schmitt, Zeugnisverweigerungsrechte, S. 53. 37  Schneider,



III. Ableitung aus dem nemo-tenetur-Prinzip

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2. Compliance-Pflichten als Anknüpfungspunkt für ein Beschlagnahmeverbot? Wenngleich somit festgestellt ist, dass sich ein allgemeines Beschlagnahmeverbot nicht auf das nemo-tenetur-Prinzip stützen lässt, so bleibt dennoch eine weitere, höchst praxisrelevante Sonderkonstellation, welche eine nähere Analyse notwendig macht: die Beschlagnahme von schriftlichen Ergebnissen einer unternehmerischen Selbstevaluation, insbesondere also auch von Ergebnissen einer Internal Investigation. Der relevante Unterschied zu den oben angestellten allgemeinen Erwägungen besteht darin, dass in diesem Zusammenhang durchaus ein echter „Zwang“ zur Hinzuziehung von Rechtsanwälten in Erwägung gezogen werden könnte.41 Ein möglicher Ansatzpunkt für eine solche Pflicht liegt in der allgemeinen Aufsichtspflicht des § 130 OWiG, teilweise auch in verschiedenen spezialgesetzlich normierten Organisations- bzw. Compliance-Pflichten.42 Es handelt sich dabei also um Pflichten, welche den Unternehmensträger selbst43 treffen und welche durch die Möglichkeit der Verhängung einer Verbandsgeldbuße nach § 30 OWiG auch grundsätzlich einen echte Zwangswirkung entfalten.44 Unstreitig können sich diese Pflichten mitunter auch darauf verdichten, in der Vergangenheit liegende Rechtsverstöße im Unternehmen aufzuklären und gegebenenfalls zu sanktionieren.45 In vielen Fällen wird dies bedeuten, 41  Hart-Hönig,

FS Schiller, S. 281, 294 ebenfalls mit Verweis auf § 130 OWiG. für eine Übersicht Wessing/Dann, in: Volk, MAH-WirtschaftsstrafR, § 4, Rn.  30 ff.; Schneider, ZIP 2003, 645, 648 f. 43  Allein dieser ist in der Regel auch der Mandant eines mit einer Internal Investigation betrauten Rechtsanwalts: BGHZ 109, 260, 271 (=  NJW 1990, 510, 512); Fiala/von Walter, DStR 1998, 736, 737; Tully/Kirch-Heim, NStZ 2012, 657, 661. 44  Zur Geltung des nemo-tenetur-Prinzips im Ordnungswidrigkeitenverfahren siehe BVerfGE 56, 37, 43 (=  NJW 1981, 1431, 1431 – „Gemeinschuldner“) („Ein solches Schweigerecht besteht entsprechend in anderen Verfahren, in denen dem Betroffenen ähnliche Sanktionen wegen seines Verhaltens drohen, etwa im Disziplinarverfahren sowie in berufsgerichtlichen Verfahren.“); BVerfGE 55, 144, 150 (=  NJW 1981, 1087, 1087); SK-StPO-Rogall, Vor §§ 133 ff., Rn. 133, 154; Schäfer, FS Dünnebier, S. 11, 48 f.; Dingeldey, NStZ 1984, 529, 531; a. A. Stürner, NJW 1981, 1757, 1759 („Wo es um solche Bagatellverfahren geht, ist die Verfassung ein zu schweres Geschütz; man kann sie allenfalls mit dem Argument ‚Wehret den Anfängen‘ bemühen. Überhaupt wäre generell zu überlegen, ob auf verfassungsrechtlicher Ebene die entkriminalisierte Ordnungswidrigkeit genau den gleichen Regeln folgen muß wie die Kriminalstrafe.“). 45  KK-OWiG-Rogall, § 30, Rn. 40; Göhler-OWiG-Gürtler, § 30, Rn. 11; Potin­ ecke/Block in: Knierim/Rübenstahl/Tsambikakis, Kap. 2, Rn. 13; Wessing/Dann, in: Volk, MAH-WirtschaftsstrafR, § 4, Rn. 52. 42  Vgl.

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B. Mögliche Begründungsansätze für einen Beschlagnahmeschutz

eine Internal Investigation durchzuführen. Insoweit wie hieraus notwendigerweise Unterlagen entstehen, welche potentiell als Beweismittel auch für eine Verbandsgeldbuße für ebendiese in der Vergangenheit liegenden Verstöße taugen, besteht hier also jedenfalls eine gewisse strukturelle Tendenz zur Selbstbelastung des initiierenden Unternehmens. Auch unter diesem Gesichtspunkt kann auf das nemo-tenetur-Prinzip im Ergebnis gleichwohl kein Beschlagnahmeverbot anwaltlicher Unterlagen gegründet werden. a) Das nemo-tenetur-Prinzip als Grundlage eines unternehmerischen Selbstevaluations-Privilegs? aa) Kein Zwang, Internal Investigations gerade durch Anwälte durchführen zu lassen Zunächst ist anzumerken, dass jedenfalls in Bezug auf Internal Investigations sicherlich kein Zwang besteht, sich hierfür gerade eines Rechtsanwalts zu bedienen. Zwar ist dies die Regel und hat auch diverse praktische Gründe für sich.46 Der dominierende Grund hierfür dürfte aber letztlich doch die vermutete größere Gewähr der Vertraulichkeit sein,47 letztlich also gerade die Frage, welche hier untersucht werden soll. Ein rechtlich relevanter Zwang besteht aber jedenfalls nicht. Wollte man auf dieser Grundlage also das nemo-tenetur-Prinzip zur Begründung eines Beschlagnahmeverbots heranziehen, so könnte ein Beschlagnahmeverbot konsequenterweise nicht auf anwaltliche Unterlagen beschränkt bleiben. Es müsste dann vielmehr für alle schriftlichen Ergebnisse von staatlich erzwungener Selbstevaluation gelten, gleichgültig ob diese durch externe Rechtsanwälte, eigene Mitarbeiter oder sonstige Personen durchgeführt würden. Zu Recht wurde eine solche Forderung, soweit ersichtlich, in der Literatur bislang nicht erhoben. Die dahinterstehende Wertungsfrage wäre dabei keineswegs neu. Die Frage, welche beweisrechtlichen Konsequenzen aus einer einem Unternehmen auferlegten staatlichen Pflicht zur Eigenüberwachung gezogen werden sollten, wurde vielmehr in anderem Kontext, auch unter dem Gesichtspunkt der Selbstbelastung, bereits in den 90er Jahren lebhaft diskutiert.48 46  Vgl. Klengel/Mückenberger, CCZ 2009, 81, 87; Hehn/Hartung, DB 2006, 1909, 1913; Knauer, ZWH 2013, 81, 83; Potinecke/Block, in: Knierim/Rübenstahl/ Tsambikakis, § 2, Rn. 145 ff. 47  Vgl. Klengel/Mückenberger, CCZ 2009, 81, 87. 48  Jedenfalls im Grundsatz erkennt dies bereits Michalke, FS Schiller, S. 493.



III. Ableitung aus dem nemo-tenetur-Prinzip

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bb) Die verwandte Diskussion im Umweltstrafrecht und das self-evaluative privilege So wurde im Nachgang zu dem Gemeinschuldner-Beschluss des BVerfG49 in der umweltstrafrechtlichen Literatur problematisiert, dass diverse zur Gefahrenabwehr konzipierten verwaltungsrechtlichen Verpflichtungen zur Eigenüberwachung zu einer nachteiligen Beweissituation in möglicherweise nachfolgenden Ordnungswidrigkeits- oder Strafverfahren führen könnten. Das Problem in diesem Bereich entsteht dadurch, dass zwar zumeist eine Aussagefreiheit spezialgesetzlich gewährleistet wird, gleichzeitig aber in der Wirkung vergleichbare Dokumentations- und Vorlagepflichten bestehen.50 Teilweise wurde dabei in der Literatur ein auf das nemo-tenetur-Prinzip gegründetes Beweisverwertungsverbot befürwortet.51 Auch in den USA wird vereinzelt ein von Rechtsanwälten unabhängiges, sogenanntes „self-evaluative privilege“ diskutiert,52 welches sich allerdings bislang nicht verlässlich durchsetzen konnte und insbesondere auf gericht­ liche Auseinandersetzungen zwischen Privaten beschränkt wird.53 49  BVerfGE

56, 37 (=  NJW 1981, 1431, 1431 – Gemeinschuldner). NJW 1990, 417, 419; Franzheim, NJW 1990, 2049, 2049; Bärlein/ Pananis/Rehmsmeier, NJW 2002, 1825, 1828. 51  Michalke, NJW 1990, 417, 418 ff.; Günther, ZfW 1996, 290, 292; ablehnend: Franzheim, NJW 1990, 2049. 52  Das self-evaluative privilege geht auf Bredice v. Doctors Hospital, F.R.D. 50 (1970), 249 zurück; allgemein zu entsprechenden Ansätzen aus der Literatur: Note, Harvard L. Rev. 96 (1983), 1083; Murphy, Journal of Corporation Law 7 (1982), 489; Bush, Northwestern U. L. Rev. 87 (1993), 597; Conway, Southern Cal. L. Rev. 68 (1995), 621; Jones, Washington & Lee L. Rev. 60 (2003), 1609; Lotchin, William and Mary L. Rev. 46 (2004), 1137. 53  Vgl. Reich v. Hercules, F.Supp. 857 (1994), 367, 371 m. w. N. zu ablehnenden Entscheidungen („While the privilege has been recognized in the context of private litigation, it has regularly been rejected in cases where documents are sought by a governmental agency.“); die Diskussion knüpft gerade erst an die Problematik an, die sich aus einer vorangehenden vollständigen Offenlegung gegenüber staatlichen Stellen ergibt. Das diskutierte self-evaluative oder self-critical privilege soll in dieser Situation dann Zugriff von Dritten, insbesondere also möglichen privaten Klägern, entgegenwirken. Das privilege zielt also letztlich nicht darauf ab, das Wissen innerhalb des Unternehmens zu halten, sondern Anreize zu schaffen, dieses gerade den spezialisierten Verfolgungsbehörden zugänglich zu machen. Die zugrundeliegenden Wertungsfragen sind also letztlich die gleichen wie bei der Frage nach Zulässigkeit eines „limited waiver“ oder „selective waiver“. Im Übrigen und insoweit folgerichtig wurde hier auch nie erwogen, ein solches privilege auf das nemo-tenetur-Prinzip oder andere Verfassungsgrundsätze zu stützen. Die Diskussion kreist vielmehr um die gesamtgesellschaftlichen Vor- und Nachteile der dadurch geförderten Selbst­ evaluation. 50  Michalke,

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B. Mögliche Begründungsansätze für einen Beschlagnahmeschutz

cc) Ablehnung eines allgemeinen Selbstevaluationsprivilegs Aus guten Gründen haben sich derart weitreichende Ansätze bisher aber nicht durchsetzen bzw. überhaupt Anerkennung in der (deutschen) Rechtsprechung finden können.54 Eine vollständige Erörterung dieser Gründe kann an dieser Stelle sinnvollerweise nicht stattfinden, würde sie doch eine den Rahmen dieser Untersuchung sprengende detaillierte Auseinandersetzung mit der noch immer nicht abschließend geklärten Dogmatik und verfassungsrechtlichen Verortung des nemo-tenetur-Prinzips erfordern. Aus dem Folgenden wird aber dennoch bereits hinreichend deutlich werden, dass sich ein auf das nemo-tenetur-Prinzip gestütztes Beschlagnahmeverbot jedenfalls im außerprozessualen Bereich weit außerhalb dessen befindet, was als anerkannt und sinnvoll erachtet werden kann. Zunächst würde ein solches Verständnis des nemo-tenetur-Prinzips hier den Weg zu einer völligen Uferlosigkeit von verfassungsrechtlichen Beweisverboten weisen, sei es in Gestalt von Beschlagnahme- oder Verwertungsverboten.55 Denn konsequenterweise müssten dann alle solche Unterlagen beschlagnahme- oder zumindest verwertungsfrei sein, welche (auch) aufgrund staatlichen Zwangs angelegt oder auch nur aufbewahrt werden. Hierzu würden etwa auch sämtliche Buchhaltungsunterlagen eines Kaufmanns gehören, deren Verwertbarkeit bislang zu Recht von niemandem bezweifelt wurde.56 Die Gefahr der Uferlosigkeit muss umso mehr bestehen, je geringer die Anforderungen sind, die an den jeweiligen „Zwang“ gestellt werden. So wäre es bereits eine nicht unwesentliche Ausweitung des traditionellen Verständnisses des nemo-tenetur-Prinzips, wenn eine inhaltlich weitgehend unbestimmte „Compliance-Pflicht“ schon einen ausreichenden Zwang darstellen würde. Denn auch wenn sich diese in bestimmten Konstellationen derart konkretisieren kann, dass tatsächlich eine Art von Zwang zur Schaffung selbstbelastender Materialien besteht, so verbliebe eine Vielzahl anderer Konstellationen ohne vergleichbaren Zwang, deren Abgrenzung im Einzelfall schwierig wäre und mit einiger Wahrscheinlichkeit zu einer weiteren Ausweitung der Reichweite des nemo-tenetur-Prinzips führen würde. Im hier interessierenden Kontext kommt hinzu, dass Auftraggeber einer Internal Investigation oder sonstigen Selbstevaluation in der Regel ein Un54  Zur Abwesenheit von Rechtsprechung, welche ein Verwertungsverbot für Selbstevaluations-Dokumente befürworten, vgl. Michalke, FS Wolf Schiller, S. 493, 496. 55  Für entsprechende Bedenken siehe auch z. B. Lorenz, JZ 1992, 1000, 1006. 56  Franzheim, NJW 1990, 2049, 2049.



III. Ableitung aus dem nemo-tenetur-Prinzip

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ternehmen ist, der relevante Zwang also im Wesentlichen durch die Verbandsgeldbuße nach § 30 OWiG vermittelt wird. Wenn deren dogmatische Grundlage auch wenig eindeutig ist, so ist doch jedenfalls zu bedenken, dass das BVerfG sie lediglich als Maßnahme begreift, die „weder einen Schuldvorwurf noch eine ethische Mißbilligung enthält, sondern einen Ausgleich für die aus der Tat gezogenen Vorteile schaffen soll.“57 Würde man auf dieser Grundlage nun dennoch das nemo-tenetur-Prinzip tangiert sehen, so wäre eine überzeugende Abgrenzung zu bloß wirtschaftlichen Zwängen aus zivilrechtlichen Verpflichtungen kaum mehr zu leisten. Auch der dahingehende Konsens, wonach das nemo-tenetur-Prinzip nicht im Konflikt mit zivilrechtlichen Obliegenheiten steht58 wäre dann in Frage gestellt. b) Weitere allgemeine Zweifel aa) Keine Geltung des nemo-tenetur-Prinzips für Unternehmen In engem Zusammenhang mit der Frage der dogmatischen Einordnung der Verbandsgeldbuße steht nicht zuletzt auch die noch allgemeinere Frage, ob das nemo-tenetur-Prinzip überhaupt auf Unternehmen und damit auf das Rechtssubjekt anwendbar ist, das in der Regel als Mandant der mit einer Internal Investigation betrauten Rechtsanwälte anzusehen ist.59 Die wohl herrschende Meinung und insbesondere das BVerfG lehnen die Anwendung des nemo-tenetur-Prinzips auf Unternehmen unter anderem mit dem Hinweis auf dessen Menschenwürdegehalt ab.60 Auch dort, wo die Anwendbarkeit im Grundsatz bejaht wird,61 geschieht dies mitunter nur in Verbindung mit einer sehr engen sachlichen Reichweitebestimmung, welche jedenfalls die Ableitung eines Beschlagnahmeverbots unmöglich machen würde.62 57  BVerfGE

95, 220, 242 (=  NJW 1997, 1841, 1844). § 97, Rn. 15; Dingeldey, NStZ 1984, 529, 533; Reiß, NJW 1982, 2540, 2541; KG, NStZ 1995, 146.; OLG Celle, NJW 1985, 640, 641. 59  Vgl. zur Diskussion etwa Kempf, in: Kempf/Lüderssen/Volk, Unternehmensstrafrecht, S. 347, 352 ff. 60  BVerfGE 95, 220, 242 (=  NJW 1997, 1841, 1843 f.); Arzt, JZ 2003, 456; Mäder, Betriebliche Offenbarungspflichten, S. 303. 61  Weiß, JZ 1998, 289; Schlüter, Strafbarkeit von Unternehmen, S. 86 ff., 158 f.; Drope, Verbandsstrafe, S. 155 ff., 202; Queck, Nemo-tenetur zugunsten von Unternehmen, S.  231 f. 62  Insbesondere ist dies die Linie einer Dissertation, welche sich in Gänze der Frage nach der Anwendbarkeit auf Unternehmen widmet (Queck, Nemo-tenetur zugunsten von Unternehmen). Sie kommt auf Grundlage einer prozessgrundrechtlichen 58  LR-StPO-Menges,

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B. Mögliche Begründungsansätze für einen Beschlagnahmeschutz

Wenn diese Frage hier auch nicht abschließend geklärt werden kann und soll, so ist aus diesem Meinungsstand doch ersichtlich, dass jedenfalls im außerprozessualen Bereich ein erheblicher argumentativer Aufwand notwendig wäre, um aus dem nemo-tenetur-Prinzip tatsächlich ein Beschlagnahmeverbot abzuleiten. Dass ein solcher bereits unternommen worden wäre, ist aber nicht ersichtlich. bb) Sachlicher Gehalt des nemo-tenetur-Prinzips Weitere Bedenken gegen ein derart begründetes Beschlagnahmeverbot ergeben sich aus der allgemeinen sachlichen Reichweite des nemo-teneturPrinzips. Zwar sind teilweise durchaus Tendenzen zur Verwandlung des Prinzips in eine sehr umfassende Art von „Prozeßgrundrecht“63 festzustellen.64 Sein Kern ist jedoch nach wie vor ein bloßes „Aussageverweigerungsrecht“, das keinen Schutz etwa vor Vorlage- und Dokumentationspflichten gewährt. Es ist auch allein dieses Verständnis, welches in der Rechtsprechung als gesichert gelten kann. Insbesondere in der Rechtsprechung von BVerfG und BVerwG wurde eine Erstreckung auf über bloße Aussagen hinausgehende andere Erkenntnismöglichkeiten ausdrücklich abgelehnt.65 Auch in der Literatur findet diese Auffassung verbreitet Zuspruch.66 Verortung (vgl. S. 167 ff.; ebenso schon Böse, GA 2002, 98, 127; Lesch, GA 2000, 355, 363) zwar zu dem Ergebnis einer grundsätzlichen Anwendbarkeit auf juristische Personen (S. 231 f.). Gleichzeitig geht damit aber auch konsequenterweise eine sehr enge Bestimmung der sachlichen Reichweite einher (S. 204 ff.). Insbesondere soll der Schutz durch das nemo-tenetur-Prinzip nur bei erzwungenen verbalen Mitwirkungsakten (S. 205 ff.) eingreifen, so dass folgerichtig auch nach diesem Ansatz ein Beschlagnahmeverbot von Unterlagen nicht zu begründen wäre. 63  Verrel, NStZ 1997, 361, 361. 64  Vgl. hierzu ausführlich und kritisch Verrel, NStZ 1997, 361; Verrel, NStZ 1997, 415. 65  BVerfGE 55, 144, 150 f. (=  NJW 1981, 1087, 1087 f.) („Der zur Erteilung einer Auskunft Verpflichtete kann die Auskunft auf solche Fragen verweigern, deren Beantwortung ihn selbst oder einen seiner Angehörigen der Gefahr strafgerichtlicher Verfolgung oder eines Verfahrens nach dem Ordnungswidrigkeitengesetz aussetzen würde. Daraus folgt indes nicht, daß auch andere Erkenntnismöglichkeiten, die den Bereich der Aussagefreiheit nicht berühren, von den Betroffenen unter Hinweis auf diese Freiheit eingeschränkt und behindert werden dürfen.“); BVerfGE 81, 70, 97 (=  NJW 1990, 1349, 1352); BVerwG, DÖV 1984, 73 („Wie es nach dieser Rechtsprechung verfassungsrechtlich unbedenklich ist, daß sich der Betroffene einer Vorlagepflicht in den Räumen seines Unternehmens als einer Form der aktiven Mitwirkungspflicht auch unter den Voraussetzungen des Auskunftsverweigerungsrechts nicht entziehen kann, so ist es auch mit dem Verfassungsrecht vereinbar, wenn das einfache Gesetz es ihm verwehrt, die Einsendung erbetener Un-



III. Ableitung aus dem nemo-tenetur-Prinzip61

c) Kein Beschlagnahmeschutz aufgrund einer Selbstbelastung durch Entscheidungsträger Auch kann ein Beschlagnahmeschutz der Unterlagen von Unternehmensanwälten nicht aufgrund einer möglichen Selbstbelastung der jeweiligen Entscheidungsträger im Unternehmen begründet werden.67 66

Denn selbst wenn eine hierfür ausreichende zwingende Selbstbelastung bestünde,68 so wäre ein Verwertungsverbot bereits ausreichend, wenn nicht sogar wirksamer, da dieses auch bei „freiwilliger“ Weitergabe von Unterlagen durch das Unternehmen – gegen den Willen der persönlich involvierten natürlichen Person69 – eingreifen könnte. Auch eine entsprechende, bereits die Beschlagnahme hindernde, Vorwirkung70 eines solchen Verwertungsverbots, welches bereits ein Beschlagnahmeverbot nach sich ziehen würde, wäre in jedem Fall abzulehnen. Denn ein Beschlagnahmeverbot würde unter dem Gesichtspunkt des nemo-teneturPrinzips dann ohne Not eine größere Beeinträchtigung der staatlichen Beweisführung als notwendig mit sich bringen. Würden die Auswirkungen hingegen strikt auf die Verwertung gegen die zu schützenden natürlichen Personen begrenzt, so wäre in diesen Fällen dennoch eine Sanktion des Unternehmens selbst im Rahmen eines selbständigen Verfahrens möglich. Ein solches kann schließlich sogar dann geführt werden, wenn nicht klar ist, welches von mehreren Organen schuldhaft gehandelt hat, solange nur feststeht, dass eines davon dies getan hat.71 Es muss also erst recht möglich sein, wenn sogar die Schuld eines bestimmten Organs feststeht und nur dessen Verurteilung aufgrund eines Beweisverwertungsverbots nicht möglich ist. terlagen zu verweigern.“); vgl. zur Einordnung dieser Rechtsprechung auch Verrel, NStZ 1997, 361, 363. 66  Im Ergebnis wie hier: Winkler, Vertrauensverhältnis, S.  67 f.; Queck, Nemotenetur zugunsten von Unternehmen S. 205; Böse, GA 2002, 98, 128; Lorenz, JZ 1992, 1000, 1006; Verrel, NStZ 1997, 415, 417 ff.; für die (implizite) Gegenansicht siehe etwa Michalke, NJW 1990, 417, 418 ff.; Günther, ZfW 1996, 290, 292. 67  So aber wohl Hart-Hönig, FS Schiller, S. 281, 293 f. 68  Auch dies ist im Ergebnis ohnehin nicht der Fall, vgl. dazu ausführlich C.IV.3.c). 69  Zur hierdurch begründeten Gefahr für die jeweils handelnden natürlichen Personen siehe C.IV.3.c). 70  Vgl. dazu LR-StPO-Gössel, Einl. L. Rn. 125; LR-StPO-Menges, § 97, Rn. 4; vgl. einschränkend aber SK-StPO-Wohlers, § 97, Rn. 50 (Unverhältnismäßigkeit der Beschlagnahme nur bei umfassendem Verwendungsverbot, nicht schon automatisch bei bloßen Verwertungsverboten). 71  BGH, NStZ 1994, 346; Bohnert, OWiG, § 30, Rn. 62; KK-OWiG-Rogall, § 30, Rn. 145, 165.

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B. Mögliche Begründungsansätze für einen Beschlagnahmeschutz

3. Ergebnis: Beschlagnahmeschutz nicht aus dem nemo-tenetur-Prinzip ableitbar Im Ergebnis kann also festgestellt werden, dass die Beschlagnahme anwaltlicher Unterlagen im Allgemeinen ebenso wenig wie im ComplianceKontext einen Verstoß gegen das nemo-tenetur-Prinzip darstellt.

IV. Art. 12 GG – Berufsfreiheit des Rechtsanwalts 1. Bisherige Ansätze Welche Rolle Art. 12 GG bei der Begründung eines verfassungsrecht­ lichen Beschlagnahmeverbots genau spielen kann oder sollte, wird bislang nur unzureichend diskutiert. Im Ergebnis ist auch ein hierauf gestütztes Beschlagnahmeverbot abzulehnen. Zwar erwähnen zahlreiche Veröffentlichungen, die sich mit dem Beschlagnahmeschutz oder sonst der anwaltlichen Geheimsphäre befassen, die Berufsfreiheit des Rechtsanwalts. Die spezifischen Auswirkungen von Art. 12 GG auf die jeweils zu entscheidenden Sachfragen bleiben dabei jedoch vielfach im Dunkeln.72 Dies gilt insbesondere für eine auf das BVerfG73 zurückgehende, dogmatisch fragwürdige Konstruktion,74 auf welche in der Literatur vielfach zurückgegriffen wird. Hiernach sollen, selbst wenn kein Eingriff in Art. 12 GG vorliegt, die Besonderheiten der anwaltlichen Tätigkeit bei der verfassungsrechtlichen Beurteilung von Beschlagnahmemaßnahmen „zu berück­ sichtigen“75 sein.76 72  Vgl. etwa Krämer, BB 1975, 1225, 1229 (hier wird der Eindruck erweckt, schon eine beschlagnahmefreundliche Auslegung von § 97 StPO würde gegen Art. 12 GG verstoßen: „Art. 12 Abs. 1 Satz 2 GG erlaubt aber als strikter Regelungsvorbehalt weder eine tatbestandserweiternde Interpretation der Schranken der Beschlagnahmefreiheit im Sinne von § 97 Abs. 2 StPO noch […]“); Brangsch, FS Oppenhoff, S. 37, 39, 41 (einerseits Feststellung, dass jeder Einbruch in die Vertrauenssphäre zwischen Rechtsanwalt und Mandant „die Berufsausübung des Anwalts verletzt“, andererseits aber Anerkennung einer gesetzgeberischen Möglichkeit, diese Berufsausübung, wenn auch in engen Grenzen, einzuschränken). 73  BVerfGE 113, 29, 48 (=  NJW 2005, 1917, 1919); BVerfG, NJW 2008, 2422, 2423. 74  Auf die Unklarheit dieser dogmatischen Konstruktion weist bereits Jahn, ZIS 2011, 453, 458 hin. 75  BVerfGE 113, 29, 48 (=  NJW 2005, 1917, 1919). 76  Dem folgend aber Jahn, ZIS 2011, 453, 458 f.; de Lind van Wijngaarden/ Egler, NJW 2013, 3549, 3554 („Die Besonderheiten der beruflichen Tätigkeit als



IV. Art. 12 GG – Berufsfreiheit des Rechtsanwalts63

Unabhängig von der methodischen Tragfähigkeit verstellt eine solche Konstruktion aber jedenfalls eher den Blick auf die relevanten materiellen Wertungsfragen als zur Klarheit beizutragen. Teilweise drängt sich auch der Eindruck auf, dass Hauptzweck der Erwähnung von Art. 12 GG in diesem Zusammenhang eine eher „formale“ Verstärkung der jeweils vertretenen Position ist. 2. Verfassungsrechtliche Prüfung Wendet man hingegen gängige verfassungsrechtliche Methoden an, so bereitet schon die Feststellung eines Eingriffs in Art. 12 GG durch Beschlagnahme anwaltlicher Unterlagen Schwierigkeiten. Überwiegend wird wohl angenommen, dass Beeinträchtigungen der anwaltlichen Geheimsphäre, und die Beschlagnahme entsprechender Unterlagen im Speziellen,77 einen Eingriff in die Berufsfreiheit nach Art. 12 GG darstellen.78 Entsprechende Stellungnahmen finden sich insbesondere auch mehrfach in der Rechtsprechung des BVerfG.79 Explizit für die Beschlagnahme von Datenträgern in einer Anwaltskanzlei hat das BVerfG einen solchen Eingriff hingegen verneint.80 Klar dürfte noch sein, dass jedenfalls unterschiedslos anwendbare strafprozessuale Normen keinen unmittelbaren Eingriff in die Berufsfreiheit des Anwalts darstellen. Rechtsanwalt (Art. 12 GG) sind bei der verfassungsrechtlichen Beurteilung der Beschlagnahme zu berücksichtigen“); Huber-Lotterschmid, Verschwiegenheitspflichten, S. 28 („Auch wenn der Schutzbereich von Art. 12 Abs. 1 GG nicht unmittelbar berührt ist, haben die Strafverfolgungsbehörden […] das Ausmaß mittelbarer Beeinträchtigungen der beruflichen Tätigkeit des Berufsgeheimnisträgers jedenfalls mitzuberücksichtigen.“); Winterhoff, AnwBl. 2011, 789, 794  f. (trotz Verneinen eines Eingriffs in Art. 12 GG: „Nicht zuletzt mit Blick auf die mittelbare Beeinträchtigung der Berufsfreiheit des Rechtsanwalts (Art. 12 Abs. 1 GG) unterliegen entsprechende Eingriffsmaßnahmen strengen einzelfallbezogenen Verhältnismäßigkeitsanforderungen.“). 77  Jahn, ZIS 2011, 453, 458; Krekeler, NJW 1977, 1417, 1421; OLG Koblenz, NJW 1985, 2038, 2039. 78  Schmitt, Zeugnisverweigerungsrechte, S. 132; Rengier, Zeugnisverweigerungsrechte, S. 14; Henssler, NJW 1994, 1817, 1819; Rick, Verfassungsrechtliche Stellung des Rechtsanwalts, S. 128 f.; Brangsch, FS Oppenhoff, S. 25, 39; Ignor, NJW 2007, 3403, 3405. 79  BVerfGE 110, 226, 254 (= NJW 2004, 1305, 1307); BVerfG, NJW 2007, 2752; BVerfG, NJW 2010, 1740, 1740. 80  BVerfGE 113, 29, 48 (=  NJW 2005, 1917, 1919); vgl. auch BVerfG, NJW 2008, 2422, 2423; Winterhoff, AnwBl. 2011, 789, 793.

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B. Mögliche Begründungsansätze für einen Beschlagnahmeschutz

Ebenso kann aber kaum bestritten werden, dass die berufliche Tätigkeit eines Rechtsanwalts bei Beeinträchtigung der anwaltlichen Geheimsphäre zumindest mittelbar tangiert wird. Für die Frage eines Eingriffs kommt es vorliegend somit darauf an, ob diese mittelbare Betroffenheit bei wertender Betrachtung eine ausreichende Intensität aufweist. Mit anderen Worten also: ob die Beschlagnahme „objektiv berufsregelnde Tendenz“ aufweist.81 Die Beeinträchtigung der Berufstätigkeit wird im Grundsatz nachvollziehbar jeweils damit begründet, dass die Beschlagnahme von Unterlagen das Entstehen eines Vertrauensverhältnisses hemme und so dazu führe, dass Mandanten dem Rechtsanwalt gegenüber mandatsrelevante Informationen verschweigen oder ganz von der Hinzuziehung eines Anwalts absehen.82 Eine andere Begründung wird jeweils nicht genannt und ist auch nicht erkennbar. Die Frage nach der Intensität der Beeinträchtigung und somit die Frage nach dem Vorliegen eines Eingriffs ist folglich gleichzusetzen mit der Frage, inwieweit eine solche abschreckende Wirkung auf Mandanten tatsächlich besteht. Gleichzeitig hängt vom Ausmaß eines solchen Abschreckungseffekts aber auch ab, mit welchen Gründen ein eventueller Eingriff gerechtfertigt werden könnte. Besteht ein solcher Effekt nur in begrenztem Maß, so wäre eine Beschlagnahmemöglichkeit als bloße Berufsausübungsvorschrift zu qualifizieren und eine Rechtfertigung wäre bereits durch vernünftige Gründe des Allgemeinwohls möglich.83 Nimmt man allerdings diverse Stimmen in Literatur und Rechtsprechung ernst und geht davon aus, dass ohne das anwaltliche Vertrauensverhältnis die Berufsausübung „schlechterdings unmöglich“84 wäre,85 so würde es sich 81  Ständige Rechtsprechung: BVerfGE 97, 228, 254 (=  NJW 1998, 1627, 1628); BVerfGE 95, 267, 302 (=  NJW 1997, 1975, 1975); BVerfG, NVwZ 1986, 113, 117. 82  Zur ausführlichen Überprüfung dieser These vgl. unten unter C. 83  Vgl. Schneider, in: Merten/Papier, HGR V, § 113, Rn. 148. 84  Rick, Verfassungsrechtliche Stellung des Rechtsanwalts, S. 128 f. („da anderenfalls eine anwaltliche Berufsausübung schlechterdings unmöglich erscheint, wird dem Vertrauensverhältnis verfassungsrechtlicher Schutz durch Art. 12 Abs. 1 GG zuteil.“). 85  Ähnlich auch BVErfGE 110, 226, 252 (=  NJW 2004, 1305, 1307) („Die Verschwiegenheitspflicht rechnet daher von jeher zu den anwaltlichen Grundpflichten […]. Als unverzichtbarer Teil der anwaltlichen Berufsausübung hat sie teil am Schutz des Art. 12 I 1 GG.“); OLG Koblenz, NJW 1985, 2038, 2039 („die Ausübung des Berufs hat ihrer Natur nach zur Voraussetzung, daß die Klientel von der Verschwiegenheit ihrer Vertreter überzeugt sein kann, denen gegenüber sie zumeist gehalten ist, sich frei, offen und rückhaltlos zu offenbaren.“); Butenuth, Absolute



IV. Art. 12 GG – Berufsfreiheit des Rechtsanwalts

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um eine objektive Zulassungsbeschränkung handeln, die nur zur Abwehr schwerer Gefahren für ein überragend wichtiges Gemeinschaftsgut möglich wäre.86 Aus diesem Grund kann zunächst festgehalten werden, dass jedenfalls ohne eine detaillierte Verifizierung der genannten Abschreckungsthese keine sinnvolle Aussage über einen möglicherweise auf Art. 12 GG zu gründenden Beschlagnahmeschutz getroffen werden kann, ein solcher vielmehr ganz entscheidend hiervon abhängt. 3. Die Abwesenheit einer eigenständigen Wertung in Art. 12 GG Insbesondere im Hinblick auf die oben genannte Argumentation des BVerfG, wonach Art. 12 GG als Abwägungsgesichtspunkt berücksichtigt werden müsste, ist darüber hinaus eine entscheidende Klarstellung von Nöten: Die Erörterung von Art. 12 GG führt letztlich keine neuen, eigenen Wertungsgesichtspunkte in die Diskussion um die verfassungsrechtliche Begründung von Beschlagnahmeverboten ein.87 Alle wesentlichen Wertungen, die in die Prüfung von Art. 12 GG einfließen müssen, leiten sich nicht aus der Berufstätigkeit an sich ab, sondern sind schlichte Derivate der eigentlichen Verfassungsgüter, um deren Willen die anwaltliche Berufstätigkeit geschützt werden soll. Der Beruf des Rechtsanwalts in seiner besonders geschützten Form ist kein Selbstzweck, sondern hat letztlich dienende Funktion. Seine herausgehobene Stellung rechtfertigt sich nicht etwa aus Tradition, sondern ist ratio­ nal aus seiner Notwendigkeit für noch näher zu benennende88 Verfassungsgüter zu begründen.89 Aus Art. 12 GG sind somit keine eigenständigen Leitlinien für das grundgesetzlich notwendige Niveau eines Beschlagnahmeschutzes zu entnehmen.90 oder relative Wirkung, S. 201 („weitgehende Existenzgrundlage des jeweiligen Berufsstandes“). 86  Vgl. Schneider, in: Merten/Papier, HGR V, § 113, Rn. 150. 87  So auch schon Krämer, NJW 1995, 2313, 2317. 88  Siehe unten B.V. 89  Ähnlich auch schon im Zusammenhang mit Zeugnisverweigerungsrechten Weigend, Gutachten 62. DJT, C 82. Die Orientierung an traditionellen Berufsbildern und „Privilegierung berufständischer Interessen“ sei zu Recht aufgegeben worden. Ein Schweigerecht lasse sich ausschließlich mit der sozialen Bedeutung der beruf­ lichen Funktion begründen. 90  Krämer, NJW 1995, 2313, 2317; vgl. auch Rick, Verfassungsrechtliche Stellung des Rechtsanwalts, S. 74 (Ablehnung einer objektiv-institutionellen Gewährleistung der Rechtsanwaltschaft aus Art. 12 GG).

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B. Mögliche Begründungsansätze für einen Beschlagnahmeschutz

Die Bedeutung der Diskussion um die Einschlägigkeit von Art. 12 GG beschränkt sich damit darauf, abstrakte verfassungsrechtliche Wertentscheidungen durch eine zusätzliche Dimension des Individualschutzes zu ergänzen.91 Eine solche Individualisierung kann aber im Grundsatz ebenso durch Art. 2 I GG vermittelt werden.92 4. Ergebnis: kein eigenständiger Beschlagnahmeschutz aus Art. 12 GG Im Ergebnis ergibt sich somit auch aus Art. 12 GG jedenfalls nicht in eigenständiger Weise ein Beschlagnahmeverbot. Abhängig von dem unten93 noch genauer zu analysierenden Abschreckungseffekt kommt allenfalls eine zusätzliche Verstärkung eines materiell aus anderen Verfassungsgrundsätzen abzuleitenden Beschlagnahmeverbots in Betracht.

V. Rechtsstaatsprinzip Eine im Grundsatz anerkannte verfassungsrechtliche Quelle eines Beschlagnahmeverbots anwaltlicher Unterlagen stellt das Rechtsstaatsprinzip94 dar. Inwieweit genau ein solches Verbot hieraus abgeleitet werden kann, wurde bislang jedoch noch nicht systematisch untersucht. Dabei begründet gerade hier die Kombination aus Unbestimmtheit und Konkretisierungsbedürftigkeit des Rechtsstaatsprinzips auf der einen Seite und dessen grundsätzlicher, höchstrichterlicher95 Anerkennung als verfassungsrechtliche Grundlage eines Beschlagnahmeverbots auf der anderen Seite die besondere Gefahr von beliebigen und offensichtlich interessengeleiteten Ergebnissen. Eine genaue Analyse von einzelnen Wertungen und Bestandteilen ist deshalb unerlässlich. 91  Vgl. Dierlamm, DAV-FS, S. 428, 438 („Dieser Individualschutz ist gewissermaßen die Kehrseite des institutionell ausgerichteten Schutzes der Funktionsfähigkeit der Rechtspflege.“); allgemein zur Ergänzung von objektivem Verfassungsrecht durch einzelne Grundrechte Dreier-GG-Schulze-Fielitz, Art. 20 (Rechtsstaat), Rn. 223; Spaniol, Verteidigerbeistand, S.  7 f. 92  Ausführlich zur Überleitung des Rechtsstaatsprinzips in einen Individualanspruch gemäß Art. 2 I GG Spaniol, Verteidigerbeistand, S.  199 ff. 93  Vgl. unten unter C. 94  Zur hier nicht näher zu thematisierenden Verortung des Rechtsstaatsprinzips im Grundgesetz siehe Jarass/Pieroth-GG-Jarass, Art. 20, Rn. 30; Sachs-GG-Sachs, Art. 20, Rn. 75; vertiefend: Kunig, Rechtsstaatsprinzip, S. 63 ff. 95  BGHSt 44, 46, 49 (=  NJW 1998, 1963, 1964).



V. Rechtsstaatsprinzip67

1. Zur generellen Struktur des rechtsstaatlichen Arguments Wie im Folgenden noch detailliert darzulegen ist, bietet das Rechtsstaatsgebot in seinen unterschiedlichen Ausprägungen in der Tat gleich mehrere potentielle Ansatzpunkte für einen verfassungsrechtlich begründeten Mindestschutz von anwaltlichen Unterlagen. Keiner davon jedoch streitet unmittelbar für ein Beschlagnahmeverbot. Auch nach vorsichtiger Abwägung kann sich als direkte Folge des Rechtsstaatsprinzips überhaupt nur die verfassungsrechtliche Forderung nach der Gewährleistung der Tätigkeit von Anwälten und Verteidigern ergeben. Diese ist es, die im Einzelnen zu benennenden rechtsstaatlichen Elementen zur Wirksamkeit verhilft. Gleichzeitig sind es aber auch erst diese Elemente, welcher der spezifischen Tätigkeit des Rechtsanwalts in materieller Hinsicht verfassungsrechtliche Relevanz geben. Ein eventuelles Beschlagnahmeverbot leitet sich also nicht direkt aus dem Rechtsstaatsgebot ab, sondern höchstens indirekt über eine Einordnung als Funktionsvoraussetzung der anwaltlichen Tätigkeit. Eine verfassungsrechtliche Begründung eines Beschlagnahmeverbots ist somit unter einen zweifachen Vorbehalt zu stellen. Zum einen muss die jeweilige anwaltliche Tätigkeit selbst verfassungsrechtlich zwingend geschützt sein. Es muss also herausgearbeitet werden, welche verfassungsrechtlichen Güter bei einer Beeinträchtigung der anwaltlichen Tätigkeit in Gefahr wären. Welche Tätigkeit genau und in welchem Stadium eines möglichen Verfahrens ist dabei keineswegs egal, sondern ist genau zu bestimmen. Denn als Derivat der anwaltlichen Tätigkeit kann ein Beschlagnahmeverbot nur dann und insoweit verfassungsrechtlich gesichert sein, wie es auch die jeweilige Tätigkeit ist.96 Wenn es also etwa einen verfassungsrechtlichen Hintergrund der anwaltlichen Tätigkeit gäbe, der überhaupt nur innerhalb eines laufenden Verfahrens tangiert sein kann, so müsste auch ein Beschlagnahmeverbot so beschränkt werden, dass es nur genau diese Tätigkeit schützt. Zum anderen muss die These vom Beschlagnahmeverbot als Funktionsvoraussetzung der anwaltlichen Tätigkeit verifiziert werden. 96  Vgl. auch Westinghouse v. Philippines, F.2d (1991), 951, 1414, 1423 f. („Full and frank communication is not an end in itself, however, but merely a means to achieve the ultimate purpose of the privilege: ‚promot[ing] broader public interests in the observance of law and administration of justice.‘“ – das in Westinghouse verwendete Zitat stammt aus Upjohn Co. v. United States, U.S. 449, (1981), 383, 389).

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B. Mögliche Begründungsansätze für einen Beschlagnahmeschutz

Literatur und Rechtsprechung unterlassen dies bislang und verwischen so die Differenzierung zwischen beiden Teilen des Arguments. Stattdessen wird jeweils ohne nähere Problematisierung feststellt, dass die Beschlagnahmemöglichkeit in der ein oder anderen Form einen hemmenden Effekt auf die anwaltliche Tätigkeit habe.97 Wie noch zu zeigen sein wird, ist das tatsächliche Vorliegen dieses Abschreckungseffekts jedoch keinesfalls so unproblematisch zu bejahen. Ein solcher Effekt kann vielmehr nur in bestimmten Konstellationen bestätigt werden, teilweise bleibt er unklar, teilweise lässt er sich gar klar verneinen. Bevor in einem weiteren Schritt dann die These von der Abschreckungsgefahr kritisch hinterfragt werden wird, soll im Folgenden zunächst der erste Teil eines möglichen verfassungsrechtlichen Arguments analysiert werden: Die verfassungsrechtliche Absicherung der anwaltlichen Tätigkeit und ihre jeweils grundsätzliche Tauglichkeit zur Ableitung eines Beschlagnahmeverbots. Jedenfalls bezüglich der rechtsstaatlichen Verankerung der anwaltlichen Tätigkeit an sich bestehen auch bereits zahlreiche Ansätze in der Literatur.98 Neben dem sogleich zu analysierenden „Gebot der effektiven Verteidigung“ kommen als bevorzugter Ansatzpunkt hierfür insbesondere die speziell im Grundgesetz normierten Gewährleistungen in Frage. Denn unabhängig davon, ob man ein summatives oder integrales Verständnis des Rechtsstaatsprinzips99 zugrunde legen möchte, sind diese jedenfalls vorrangig zu untersuchen.100

97  Anders in den USA, wo dies durchaus infrage gestellt wird, vgl. etwa Note, Harv. L. Rev. 84 (1970), 424, 431; Note, Harv. L. Rev. 91 (1977), 464, 474; Note, Harvard L. Rev. 95 (1981), 91, 276 f.; Alexander, St. John’s L. Rev. 63 (1989), 191, 225; Nath, Buff. L. Rev. 30 (1981), 11, 44; Brown, Hofstra L. Rev. 34 (2006), 897, 903. 98  Vgl. Krämer, NJW 1975, 849, 853; Rick, Verfassungsrechtliche Stellung des Rechtsanwalts, S.  79 f.; Gaier, BRAK-Mitt. 2006, 2, 2 f.; Schneider, NJW 1977, 873. 99  Vgl. allgemein und zum integralen Verständnis der herrschenden Meinung: Schmidt-Aßmann, in: Isensee/Kirchhof, HStR II, § 26, Rn. 8 f.; Dreier-GG-SchulzeFielitz, Art. 20 (Rechtsstaat), Rn. 45; Sobota, Prinzip Rechtsstaat, S. 399 ff.; zum summativen Rechtsstaatsverzeichnis vgl. Kunig, Rechtsstaatsprinzip, S. 457 ff. 100  Jarass/Pieroth-GG-Jarass, Art. 20, Rn. 30a; vgl. auch Schmidt-Aßmann, in: Isensee/Kirchhof, HStR II, § 26, Rn. 7 (Gebrauch des Rechtsstaatsprinzips dann nur als Kurzformel zulässig, die in ausführlicher Argumentation aufzuschlüsseln ist).



V. Rechtsstaatsprinzip69

2. Rechtsanwälte als notwendige Voraussetzung für die „effektive Verteidigung“? Hinsichtlich der verfassungsrechtlichen Ableitung der anwaltlichen Tätigkeit aus dem Rechtsstaatsprinzip kommt zunächst das anerkannte „Gebot der effektiven Verteidigung“101 als Ausprägung des rechtsstaatlichen Anspruchs auf ein faires Verfahren in Betracht. Diese in Art. 2 I, 20 III GG i. V. m. Art. 6 I, III EMRK verortete Konstruktion wird in Literatur und Rechtsprechung überdies auch – im Unterschied zu den übrigen Ansätzen im Zusammenhang mit dem Rechtsstaatsprinzip – ganz konkret als Grundlage eines verfassungsrechtlichen Beschlagnahmeschutzes für sogenannte „Verteidigungsunterlagen“ herangezogen.102 Inhaltlich handelt es sich dabei letztlich um eine typisierte Konkretisierung des allgemeinen Rechtsstaatsprinzips. a) Zwei grundverschiedene Konzepte von „effektiver Verteidigung“ Grundsätzlich können und müssen hierbei allerdings zwei unterschied­ liche Gruppen in Literatur und Rechtsprechung unterschieden werden. Zunächst wurde die rechtsstaatlich begründete „effektive Verteidigung“ lediglich dazu herangezogen, Verteidigungsmaterial entgegen § 97 II 1 StPO auch im Gewahrsam des Beschuldigten und auch, wenn dieser sich selbst verteidigt, beschlagnahmefrei zu stellen.103 Insbesondere unter Hinweis auf das in diesem Zuge ergangene Urteil des BGH aus dem Jahr 1998 stützte sich dann eine zweite Gruppe auf das verfassungsrechtliche Gebot der „effektiven Verteidigung“ um anwaltliche Unterlagen aus der Zeit vor Einleitung eines Ermittlungsverfahrens und insbesondere die Ergebnisse von Internal Investigations vor Beschlagnahme zu schützen.104 101  Siehe

zuletzt BVerfG, NStZ 2002, 377, 377. 44, 46, 49 (=  NJW 1998, 1963, 1964) (Beschlagnahmefreiheit von eigenen Verteidigungsaufzeichnungen des inhaftierten Angeklagten); Dahs, GS Meyer, S. 61, 67, 70; Schäfer, FS Hanack, S. 77, 80, 83 f.; Schneider, Jura 1999, 411, 418; Wessing, FS Mehle, S. 665, 679; Wessing, ZWH 2012, 6, 9  f.; Taschke, FS Hamm, S. 751, 761; Polley/Kuhn/Wegmann, ZStW 2012, 206, 216; Mehle/Mehle, NJW 2012, 1639, 1641; Buntscheck, WuW 2007, 229, 241; Beulke/Lüdke/Swoboda, Unternehmen im Fadenkreuz, S. 47 ff.; LG Gießen, wistra 2012, 409. 103  BGHSt 44, 46, 49 (=  NJW 1998, 1963, 1964); Dahs, GS Meyer, S. 61, 67, 70; Schäfer, FS Hanack, S. 77, 80, 83 f.; Schneider, Jura 1999, 411, 418. 104  Vgl. Wessing, FS Mehle, S. 665, 679; Wessing, ZWH 2012, 6, 9 f.; Taschke, FS Hamm, S. 751, 761; Polley/Kuhn/Wegmann, ZStW 2012, 206, 216; Mehle/Mehle, 102  BGHSt

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B. Mögliche Begründungsansätze für einen Beschlagnahmeschutz

Bei näherer Hinsicht zeigt sich aber, dass die Bezugnahme der zweiten auf die erste Gruppe nur unter Verkennung von deren verfassungsrecht­ lichem Kern möglich ist. Letztlich stehen hinter beiden Gruppen völlig verschiedene Konzepte, deren Unterschiede durch die Übernahme der Terminologie „Effektivität der Verteidigung“ – je nach Standpunkt auf geschickte oder unglückliche Weise – verdeckt werden. Ausgangspunkt einer Analyse dieses Rechts auf effektive Verteidigung muss zunächst eine Klarstellung sein, was „Effektivität“ in diesem Zusammenhang nur heißen kann. Sinnvollerweise kann dies nur die wenig spektakuläre Einsicht umfassen, dass das jeweils in Bezug genommene Recht nicht nur auf dem Papier bestehen darf, sondern auch in der Realität wirksam sein muss.105 Der Zusatz der Effektivität sagt also nichts darüber aus, was „Verteidigung“ eigentlich ist. Soll die „effektive Verteidigung“ also als verfassungsrechtliches Prinzip gelten, so muss der verfassungsrechtlich zwingende Mindestgehalt von „Verteidigung“ bestimmt werden. Allein diesem Mindestgehalt ist dann zur praktischen Wirksamkeit zu verhelfen. Mit dem bloßen Hinweis auf die „effektive Verteidigung“ kann also insbesondere nicht eine Erweiterung dessen, was noch Verteidigung ist, vorgenommen werden. Er entbindet nicht von der Verantwortung, genau zu begründen, welcher Form von Verteidigung zur praktischen Wirksamkeit verholfen werden muss. b) Das in der Rechtsprechung anerkannte Konzept der effektiven Verteidigung Der Inhalt des „ursprünglichen“ Konzepts der effektiven Verteidigung nun, wie es etwa durch den BGH artikuliert wurde,106 erschließt sich erst bei näherer Analyse der Gründe für eine Rückführung desselben auf das Rechtsstaatsgebot. Diese ergeben sich allerdings nur unzureichend aus der Urteilsbegründung des BGH selbst, was auch der Grund für die häufig fehlgehende Inbezugnahme durch spätere Literaturstimmen sein mag. Insbesondere aus den vom BGH herangezogenen Fundstellen und der umfangreiNJW 2012, 1639, 1641; Buntscheck, WuW 2007, 229, 241; Beulke/Lüdke/Swoboda, Unternehmen im Fadenkreuz, S. 47 ff.; LG Gießen, wistra 2012, 409. 105  Vgl. Konrad, Verteidigungsunterlagen, S. 58; Gaede, StV 2004, 46, 50. 106  BGHSt 44, 46, 49 (=  NJW 1998, 1963, 1964).



V. Rechtsstaatsprinzip71

chen Argumentation aus der Literatur107 lässt sich aber dennoch ein hinreichend klares Bild gewinnen. So wurde das Recht auf wirksamen Beistand durch einen Verteidiger innerhalb eines Strafprozesses lange vor Nutzbarmachung der „effektiven Verteidigung“ für die Begründung von Beschlagnahmeverboten in ständiger Rechtsprechung im Rechtsstaatsprinzip verankert und mit jeweils fast identischen Formulierungen begründet:108 „Das Rechtsstaatsprinzip gewährleistet i. V. mit dem allgemeinen Freiheitsrecht (Art. 2 I GG) dem Beschuldigten das Recht auf ein faires, rechtsstaatliches Strafverfahren […]. Der Beschuldigte darf nicht nur Objekt des Verfahrens sein; ihm muß die Möglichkeit gegeben werden, zur Wahrung seiner Rechte auf den Gang und das Ergebnis des Verfahrens Einfluß zu nehmen […]; er ist berechtigt, sich von einem gewählten Verteidiger seines Vertrauens verteidigen zu lassen […].“109

Hiernach ist Verteidigung also jedenfalls strikt verfahrensimmanent zu verstehen. Erst wenn es überhaupt ein Verfahren gibt, besteht die Gefahr für das Individuum, zum Objekt eines Verfahrens zu werden. Erst innerhalb eines Verfahrens erwächst nach dieser Argumentation also die rechtsstaat­ liche Notwendigkeit, dem Beschuldigten einen Verteidiger an die Seite zu stellen, der ihn bei der Wahrnehmung seiner prozessualen Rechte unterstützt und so dessen Einfluss und Subjektstellung gewährleistet. Zu dieser Ratio passt auch, dass das Gebot der effektiven Verteidigung in seiner ursprünglichen Form ausschließlich in Sachverhaltskonstellationen angeführt wurde, welche klar innerhalb eines laufenden Strafverfahrens angesiedelt waren. Wenn alternative Ausprägungen des Rechtsstaatsprinzips nicht als Begründung herangezogen werden, sondern stattdessen nur auf diese Rechtsprechung verwiesen wird, so ist davon auszugehen, dass im Ergebnis auch dieser Begründungsweg aufrechterhalten werden sollte, als dazu übergegangen wurde, die effektive Verteidigung für die Begründung eines Beschlagnahmeverbotes nutzbar zu machen. Im Ergebnis ist diese verfassungsrechtliche Mindestabsicherung einer Verteidigersphäre heute auch nicht mehr streitig. Aus den höchstrichterlich anerkannten dogmatischen Grundlagen ergeben sich für die vorliegende Untersuchung jedoch drei wesentliche Einschränkungen. 107  Vgl. grundlegend insbesondere Dahs, GS Meyer, S. 61, 67, 70; Schneider, Jura 1999, 411, 418. 108  Vgl. zum „Grundrecht auf Verteidigerbeistand“ auch ausführlich Spaniol, Verteidigerbeistand, S.  33 ff. 109  BVerfGE 63, 380, 390 f. (=  NJW 1983, 1599, 1599); ähnlich: BVerfGE 65, 171, 174 f. (=  NJW 1984, 113, 113); BVerfGE 66, 313, 318 (=  NJW 1984, 2403, 2403); BVerfGE 46, 202, 210 (=  NJW 1978, 151, 151); BVerfGE 70, 297, 323 (=  NJW 1986, 767, 771).

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B. Mögliche Begründungsansätze für einen Beschlagnahmeschutz

Zunächst ist auch hier festzustellen, dass ein auf die „effektive Verteidigung“ gestütztes Beschlagnahmeverbot nur dann verfassungsrechtlich zwingend wäre, wenn andernfalls in relevantem Maß der genannte Abschreckungseffekt wirken würde. Jedenfalls in Bezug auf natürliche Personen geht die Rechtsprechung implizit – allerdings ohne nähere Problematisierung – davon aus, dass ohne ein Beschlagnahmeverbot ein solcher Effekt bestünde. Dies wird im weiteren Verlauf der Arbeit auch bestätigt werden können.110 Die Anwendbarkeit des so verstandenen Gebots der effektiven Verteidigung auf Unternehmen hingegen ist weit weniger eindeutig. Dies liegt nicht nur daran, dass unten ein diesbezüglicher Abschreckungseffekt allenfalls sehr eingeschränkt festgestellt werden wird.111 Vielmehr noch würde die offensichtliche Nähe der genannten dogmatischen Grundlage zur Menschenwürde Probleme bereiten. Denn diese kommt einem Unternehmen an sich nicht zu, sie verbietet nicht schlechthin, das Unternehmen zu einem „Objekt des Verfahrens“ zu machen. Vor diesem Hintergrund könnte auch relevant werden,112 dass Teile der Literatur das Recht auf Hinzuziehung eines Verteidigers nicht – wie das BVerfG – im allgemeinen Rechtsstaatsprinzip verorten, sondern in dem Recht auf rechtliches Gehör.113 Denn jedenfalls letzteres Recht steht auch juristischen Personen zu.114 Gleichwohl ist dies für die vorliegende Untersuchung letztlich nur von sekundärer Bedeutung, da im weiteren Verlauf auch für Unternehmen noch andere prinzipiell für ein Beschlagnahmeverbot taugliche verfassungsrechtliche Begründungswege bejaht werden und ein Beschlagnahmeverbot aufgrund der nur eingeschränkten Verifizierbarkeit der Abschreckungsthese letztlich ohnehin verneint wird. Von größerer Bedeutung ist, dass das durch das BVerfG anerkannte „Gebot der effektiven Verteidigung“ nur innerhalb eines Verfahrens zur Anwendung kommen kann.

110  Siehe

unten unter C.VIII. unten unter C.VIII. 112  Anders aber Rissel, Verfassungsrechtliche Stellung des Rechtsanwalts, S. 76 ff., der zu dem Ergebnis kommt, dass sich aus den unterschiedlichen dogmatischen Verortung des Rechts auf einen Verteidiger kein praktischer Unterschied ergibt. Auch das BVerfG hat soweit ersichtlich nie ausgeführt, welche praktischen Konsequenzen sich hieraus ergeben sollen. 113  Vgl. dazu unten unter B.V.3. 114  Maunz/Dürig-GG-Schmidt-Aßmann, Art. 103, Rn. 31. 111  Siehe



V. Rechtsstaatsprinzip73

c) Keine Erweiterung des Konzepts „Verteidigung“ durch den Zusatz der „Effektivität“ Muss der rechtsstaatlich zwingende Bereich der Verteidigung derart begrenzt verstanden werden, so hat dies auch Rückwirkung darauf, was mit „Effektivität“ der Verteidigung gemeint sein kann, sofern es sich um ein verfassungsrechtlich zwingendes Erfordernis handeln soll. Effektiv muss hiernach nur das Recht des Beschuldigten auf Wahrung seiner Subjektqualität im Verfahren durch rechtlichen Beistand eines Verteidigers sein. Hieraus ergibt sich, dass sich aus dem etablierten Grundsatz der effektiven Verteidigung in verfassungsrechtlicher Hinsicht kein Beschlagnahmeverbot für außerprozessuale anwaltliche Unterlagen begründen lässt. Denn deren Beschlagnahme kann denknotwendig keine Auswirkungen auf die Wahrnehmung von verfahrensimmanenten Rechten haben. Sie kann zwar sehr wohl Auswirkungen auf die Chance eines im Licht der „wahren“ Tatsachenlage günstigen Ausgangs des Verfahrens haben. Die Subjektqualität eines Beschuldigten wird aber jedenfalls noch nicht durch Überführung einer Straftat in Frage gestellt. Auch wenn die Beweislage ein größtmögliches Maß an Eindeutigkeit aufweist und man einem Beschuldigten bei Beginn des Verfahrens keinerlei Chancen auf Reduzierung des in der Anklage geforderten Strafmaßes zubilligen würde, ist dies kein Angriff auf seine Subjektqualität. Das Recht „auf den Gang und das Ergebnis des Verfahrens Einfluß zu nehmen“ kann in einem Rechtsstaat nicht umfassen, die Tatsachenlage zu eigenen Gunsten zu manipulieren. Nach alledem schreibt die oben genannte erweiternde Meinung zum Beschlagnahmeschutz dem Grundsatz der effektiven Verteidigung einen Inhalt zu, der weder von ihr selbst noch anderweitig jemals abstrakt verfassungsrechtlich begründet wurde. Sie trägt so eher zur Verschleierung der relevanten Wertungen bei als zur Aufklärung und erweist sich bei näherer Hinsicht als wenig mehr als der interessengeleitete Wunsch, die Grenzen der verfassungsrechtlich geschützten Verteidigung möglichst weit zu ziehen. „Recht auf effektive Verteidigung“ verwandelt sich hier in ein künstlich verfassungsrechtlich aufgeladenes „Recht auf erfolgreiche Abwehr strafrechtlicher Vorwürfe“. Jedenfalls solange das Konzept der „Verteidigung“ an sich nicht auf ein breiteres verfassungsrechtliches Fundament gestellt werden kann, ergibt sich auch durch den Zusatz der Effektivität folglich kein Beschlagnahmeverbot, welches wesentlich über das bereits anerkannte Schutzniveau von § 148 StPO hinausgeht.

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B. Mögliche Begründungsansätze für einen Beschlagnahmeschutz

d) Keine Erhöhung des Schutzniveaus durch Art. 6 EMRK Nichts anderes ergibt sich bei Hinzunahme115 des Schutzgehaltes von Art. 6 EMRK. Denn grundsätzlich ist auch Art. 6 EMRK schon ausweislich seines Wortlauts116 in zeitlicher Hinsicht auf ein laufendes Verfahren beschränkt.117 Ganz herrschende Meinung ist darüber hinaus noch dazu, die dort enthaltenen Verfahrensgarantien erst bei Kenntnis des Verfahrens durch den Betroffenen eingreifen zu lassen.118 Insofern mag man sogar zu dem Schluss kommen, dass das Schutzniveau hinter dem deutschen (Verfassungs-)Recht zurückbleibt. Jedenfalls aber ergibt sich auch aus dem zusätzlichen Verweis auf Art. 6 EMRK keine größere Reichweite des Gebots der „effektiven Verteidigung“ als oben dargelegt. 3. Rechtliches Gehör Im Ergebnis bietet auch das in Art. 103 I GG normierte Recht auf rechtliches Gehör zwar eine verfassungsrechtliche Grundlage für die Tätigkeit von Rechtsanwälten in einem laufenden Verfahren, nicht aber für die außerprozessuale Tätigkeit von Rechtsanwälten. Insbesondere diverse Stimmen in der Literatur sehen – entgegen der Ansicht des BVerfG119 – das rechtliche Gehör als verfassungsrechtliche Grundlage für das Recht auf anwaltlichen Beistand an.120 Teilweise wird darüber 115  Vgl. allgemein zur Auslegung des Grundgesetzes im Lichte der EMRK etwa Möstl, in: Isensee/Kirchhof, HStR VIII, § 179, Rn. 13. 116  Art. 6 I 1 EMRK: „[…] eine gegen sie erhobene Anklage […]“; Art. 6 III EMRK: „Jede angeklagte Person hat mindestens folgende Rechte […]“. 117  Der Wortlaut wurde früher sogar zum Anlass genommen, die Anwendung von Art. 6 EMRK auf das Ermittlungsverfahren abzulehnen, vgl. Gaede, Fairness als Teilhabe, S. 191 m. w. N. zur veralteten Meinung in dieser Richtung. 118  EGMR, NJW 2002, 2856 (No. 37591/97 – Metzger v Deutschland); Grabenwarter/Pabel, in: Dörr/Grote/Marauhn, EMRK/GG, Kap. 14, Rn. 28; Frowein/Peukert-EMRK-Peukert, Art. 6, Rn. 41; Gaede, Fairness als Teilhabe, S. 192 f. (m. w. N.); kritisch dazu aber Esser, StV 2004, 221, 224. 119  Das BVerfG lehnt dies in ständiger Rechtsprechung ohne ersichtliche Begründung ab, vgl. BVerfGE 9, 124, 132 (= NJW 1959, 715, 716); BVerfGE 31, 297, 301 (=  NJW 1971, 2301, 2301); BVerfGE 38, 105, 118 (=  NJW 1975, 103, 105); BVerfGE 39, 156, 168 (=  NJW 1975, 1013). 120  Maunz/Dürig-GG-Schmidt-Aßmann, Art. 103, Rn. 103; Jarass/Pieroth-GGPieroth, Art. 103, Rn. 34; Henssler/Prütting-Busse, § 3 BRAO, Rn. 22; Schneider, Der Rechtsanwalt, S. 46 f.; Rissel, Verfassungsrechtliche Stellung des Rechtsanwalts, S. 74; Rick, Verfassungsrechtliche Stellung des Rechtsanwalts, S. 87; Barton, Mindeststandards der Verteidigung, S. 55 f.; Arndt, NJW 1959, 6, 8; Gusy, AnwBl. 1984,



V. Rechtsstaatsprinzip

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hinaus noch die Verzahnung mit Art. 19 IV GG betont,121 allerdings ohne dass sich daraus für die vorliegende Untersuchung Unterschiede ergäben. Grundsätzlich ist dem auch zuzustimmen. Wenn – wie auch das BVerfG122 anerkennt – Art. 103 I GG das Recht umfasst, sich nicht nicht nur zu Tatsachen, sondern auch zur Rechtslage zu äußern,123 so würde das rechtliche Gehör leerlaufen, wenn es nicht durch die Möglichkeit der Hinzuziehung eines Rechtsanwaltes ergänzt würde.124 Insoweit wie die Beschlagnahme von anwaltlichen Unterlagen nun tatsächlich dazu führen würde, dass dieses Recht in der Realität nicht mehr ausgeübt werden könnte, so stünde sie also in der Tat in Konflikt mit Art. 103 I GG. Insoweit stünde einem Beschlagnahmeverbot auch nicht der Umstand entgegen, dass die Garantie des rechtlichen Gehörs jedenfalls auch im Hinblick auf materielle Wahrheit und Sachgerechtigkeit besteht.125 Denn die Beschlagnahme von Unterlagen, die aufgrund abschreckender Effekte nie entstehen, können auch keinen Beitrag zur prozessualen Wahrheitsfindung leisten.126 Im hier zu untersuchenden Zusammenhang ist jedoch insbesondere eine Einschränkung relevant: Art. 103 I GG garantiert das rechtliche Gehör ausdrücklich nur „vor Gericht“.127 Im Unterschied zu der durch das BVerfG vorgenommenen und oben dargestellten Ableitung von Verteidigungsrechten aus dem allgemeinen Rechtsstaatsprinzip ist Art. 103 I GG zwar nicht auf das Strafverfahren beschränkt, sondern gilt für sämtliche gerichtliche Verfahren.128 Ein möglicher Be225, 225; Schneider, NJW 1977, 873, 874; Gaier, BRAK-Mitt. 2006, 2, 3; Krämer, NJW 1995, 2313, 2316 f.; vgl. auch BVerwG, NVwZ 1989, 857, 858; BVerwG, NJW 1995, 1231. 121  Rick, Verfassungsrechtliche Stellung des Rechtsanwalts, S.  98; Schneider, NJW 1977, 873, 873 f. 122  BVerfGE 60, 175, 210 (=  NJW 1982, 1579, 1582); BVerfGE 86, 133, 144 (=  DtZ 1992, 327, 328); BVerfGE 98, 218, 263 (=  NJW 1998, 2515, 2523). 123  Arndt, NJW 1959, 6, 6 f.; Dreier-GG-Schulze-Fielitz, Art. 103 I, Rn. 37; Musielak-ZPO-Musielak, Einl., Rn. 28; BVerwG, NVwZ 1989, 857, 858; BVerwG, NJW 1995, 1231. 124  Vgl. näher zu dieser Argumentation nur Maunz/Dürig-GG-Schmidt-Aßmann, Art. 103, Rn. 103; Schneider, NJW 1977, 873, 874. 125  Dreier-GG-Schulze-Fielitz, Art. 103 I, Rn. 12; BVerfGE 55, 72, 93 (=  NJW 1981, 271, 273); Rüping, Der Grundsatz des rechtlichen Gehörs, S. 117 ff. 126  Siehe zu dieser Argumentationslinie auch unten D.II.1.b). 127  Dreier-GG-Schulze-Fielitz, Art. 103 I, Rn. 16; Jarass/Pieroth-GG-Pieroth, Art. 103, Rn. 5; Maunz/Dürig-GG-Schmidt-Aßmann, Art. 103, Rn. 49 ff.; für eine Erstreckung auch auf andere rechtlich geregelte Verfahren vgl. AK-GG-Wassermann, Art. 103, Rn. 23. 128  Siehe nur Dreier-GG-Schulze-Fielitz, Art. 103 I, Rn. 17.

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B. Mögliche Begründungsansätze für einen Beschlagnahmeschutz

schlagnahmeschutz müsste also für alle Unterlagen eingreifen, die im Rahmen eines solchen entstanden sind, also auch solche aus zivil- oder verwaltungsrechtlichen Gerichtsverfahren. Auch gilt Art. 103 I GG unstreitig auch für Unternehmen,129 so dass die Gewährung von daraus abzuleitenden Schutzmechanismen jedenfalls nicht den oben genannten Bedenken hinsichtlich einer menschenwürdenahen Argumentation unterliegen würde. Im Übrigen gilt für Art. 103 I GG aber im Wesentlichen das oben zu dem Recht auf „effektive Verteidigung“ gesagte: Ein Schutz für vorprozessuale Unterlagen, welche außerhalb eines gerichtlichen Verfahrens entstanden sind, lässt sich aus Art. 103 I GG nicht ableiten. Dies wäre einzig dann möglich, wenn man das rechtliche Gehör als Anspruch auf sich selbst genehme und gegebenenfalls wahrheitswidrige Selbstdarstellung verstehen würde. Zu Recht wird dies aber, soweit ersichtlich, an keiner Stelle in der Literatur vertreten. Auch insoweit wie aus Art. 103 I GG ausdrücklich eine Institutsgarantie auch für die außergerichtliche Tätigkeit von Rechtsanwälten entnommen wird,130 ändert sich an dem Befund hinsichtlich der theoretisch denkbaren Möglichkeit eines Beschlagnahmeverbots nichts. Denn das Institut der Rechtsanwaltschaft wäre hiermit nicht angetastet, betroffen wäre lediglich ein Teilausschnitt der Tätigkeit. Insbesondere folgt aus der Begrenzung auf das gerichtliche Verfahren auch, dass ein Beschlagnahmeverbot aufgrund von Art. 103 I GG nicht mit Hinweis auf die Notwendigkeit von Internal Investigations begründet werden kann. Auch wenn dies, soweit ersichtlich, bisher nicht versucht wurde, so wäre doch theoretisch möglich, auch die ungestörte eigene Ermittlung des Sachverhalts als Wirksamkeitsvoraussetzung eines wirkungsvollen rechtlichen Gehörs zu begreifen. Die Begrenzung des Anwendungsbereichs von Art. 103 I GG auf das gerichtliche Verfahren bewirkt jedoch, dass ein solch weites Verständnis, wenn überhaupt, nur für eigene Ermittlungen im Verlauf des Verfahrens gelten könnte. Entsprechend ist auch in ständiger Rechtsprechung anerkannt, dass Gerichte bei der Setzung von Fristen darauf achten müssen, den Parteien innerhalb des Verfahrens ausreichend Zeit zur Bearbeitung von Rechts- und Tatsachenfragen zu geben.131 Unter dem Ge129  Dreier-GG-Schulze-Fielitz, Art. 103 I, Rn. 21; Maunz/Dürig-GG-Schmidt-Aßmann, Art. 103, Rn. 31. 130  Ausdrücklich für eine aus Art. 103 I GG folgende außergerichtliche, verfassungsrechtliche Institutsgarantie für Rechtsanwälte: Rick, Verfassungsrechtliche Stellung des Rechtsanwalts, S. 88. 131  BVerfGE 4, 190, 192 (=  NJW 1955, 1145); BVerfGE 65, 227, 234 f. (=  NJW 1984, 719); BVerfG, NvWZ 2003, 859; Dreier-GG-Schulze-Fielitz, Art. 103 I, Rn. 71; Jarass/Pieroth-GG-Pieroth, Art. 103, Rn. 39.



V. Rechtsstaatsprinzip77

sichtspunkt des rechtlichen Gehörs besteht somit kein Raum mehr für einen besonderen Schutz eigener Sachverhaltsermittlungen noch vor Beginn des Verfahrens. Auch aus Art. 103 I GG kann somit zwar theoretisch das Recht auf die Tätigkeit eines Rechtsanwalts bzw. Verteidigers abgeleitet werden. Ein hierauf aufbauendes Beschlagnahmeverbot wäre aber wiederum von den Ergebnissen der unten vorgenommenen Überprüfung der Abschreckungsthese abhängig und würde in jedem Fall auf innerhalb eines gerichtlichen – gleichwohl aber auch nichtstrafrechtlichen -Verfahrens entstandene Unterlagen beschränkt bleiben. 4. Bestimmtheit Bisher fast gänzlich unbeachtet geblieben ist schließlich das Potential des Bestimmtheitsgebots aus Art. 20 III, 103 II GG zur Gewinnung verfassungsrechtlicher Leitlinien eines Beschlagnahmeschutzes für anwaltliche Unterlagen. Lediglich vereinzelt und eher beiläufig klingt der Gedanke der Bestimmtheit bzw. der Bestimmbarkeit von Normen im Zusammenhang mit der anwaltlichen Geheimsphäre einmal an.132 Dass oftmals erst die qualifizierte rechtliche Beratung die Kenntnis von Rechten und Pflichten erlaubt und eine Beschlagnahmemöglichkeit die Inanspruchnahme solcher Beratung hemmt, wird zwar von diversen Literaturstimmen als Argument für einen erweiterten Beschlagnahmeschutz ange­ führt,133 allerdings jeweils ohne direkten Bezug zu dem allgemeinen rechtsstaatlichen Bestimmtheitsgebot aus Art. 20 III GG oder gar dem speziellen Bestimmtheitsgebot aus Art. 103 II GG. Dabei wäre genau für diese Erwägung das Bestimmtheitsgebot die treffendste verfassungsrechtliche Vorgabe, genauer jedenfalls als etwa unbestimmte Hinweise auf die „effektive Verteidigung“. 132  Vgl. etwa Rengier, Zeugnisverweigerungsrechte, S. 23 („Das öffentliche Interesse an der unbeschränkten Inanspruchnahme der rechtsberatenden Berufe liegt darin, dass sie unentbehrliche Garanten für eine ordnungsgemäße Rechtspflege sind, Garanten der Rechtstreue und Rechtssicherheit, die im Dienste der ‚Gerechtigkeit‘ schlechthin stehen.“); Thornburg, Notre Dame L. Rev. 69 (1993), 157, 161 („In modern America, citizens must use lawyers to determine the legality of their conduct and resolve disputes, and the lawyers must be able to represent clients effectively.“). 133  Kapp/Roth, ZRP 2003, 404, 406; Kapp/Schröder, WuW 2002, 555, 565; Polley/Kuhn/Wegmann, KSzW 2012, 206, 211; Gergacz, Attorney-Corporate Client Privilege, § 1:21; Upjohn Co. v. United States, U.S. 449, (1981), 383, 392.

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B. Mögliche Begründungsansätze für einen Beschlagnahmeschutz

Ausgangspunkt ist dabei der Grundgedanke des Bestimmtheitsgebots, wonach Gesetze hinreichend präzise sein müssen um dem Normadressaten die Kenntnis der für ihn geltenden Folgen der jeweiligen Regelung zu ermöglichen.134 Gleichzeitig ist allgemein anerkannt, dass das Bestimmtheitsgebot nicht erfordert, dass ein jeder Laie durch bloße Gesetzeslektüre zur Rechtserkenntnis gelangen kann. Vielmehr reicht zur Wahrung des Bestimmtheitsgebots grundsätzlich eine hinreichende Bestimmbarkeit durch qualifizierte juristische Auslegung aus.135 Hieraus aber wird die herausragende Bedeutung von Rechtsanwälten für das Bestimmtheitsgebot deutlich. Nicht erst seit der vielfach festgestellten Verrechtlichung und zunehmenden Komplexität gesetzlicher Regelungsgefüge136 kann das subjektiv auf den Normadressaten bezogene137 Versprechen des Bestimmtheitsgebot schlichtweg nicht eingehalten werden ohne die Verfügbarkeit von Rechtsanwälten, welche durch Auslegung das Gesetz für den Laien „übersetzen“ und erst so handhabbar machen.138 Würden Mandanten nun durch die Möglichkeit der Beschlagnahme in ausreichendem Maß von der Inanspruchnahme dieser Übersetzungstätigkeit abgehalten werden, so würde gleichsam auch die in der Realität erreichbare Bestimmbarkeit komplexer Normengefüge strukturell beeinträchtigt werden. Das Bestimmtheitsgebot könnte in diesem Fall als verfassungsrechtliche Begründung für ein grundsätzliches Beschlagnahmeverbot anwaltlicher Unterlagen herangezogen werden. Auch das BVerfG hat in diesem Sinn aner134  Dreier-GG-Schulze-Fielitz, Art. 20 (Rechtsstaat), Rn. 129; Mangoldt/Klein/ Starck-Sommermann, Art. 20 Abs. 3, Rn. 289; Maunz/Dürig-GG-Schmidt-Aßmann, Art. 103, Rn. 178; BVerfGE 31, 255, 264 (=  NJW 1971, 2167, 2167); BVerfGE 87, 234, 263 (= NJW 1993, 643, 645); BVerfGE 108, 52, 75 (= NJW 2003, 2733, 2735). 135  Maunz/Dürig-GG-Grzeszick, Art. 20, VII., Rn. 62; Dreier-GG-Schulze-Fielitz, Art. 20 (Rechtsstaat), Rn. 133; BVerfGE 8, 274, 326 (=  NJW 1959, 475, 475 f.); BVerfGE 110, 370, 396 f. (=  NvWZ 2004, 1477, 1482). 136  Vgl. hierzu etwa Maunz/Dürig-GG-Schmidt-Aßmann, Art. 103, Rn. 103; Mangoldt/Klein/Starck-Sommermann, Art. 20 Abs. 3, Rn. 303. 137  Für die Ablehnung eines solchen Verständnisses siehe Ransiek, Gesetz und Lebenswirklichkeit, S. 19 ff., nach dem entscheidende Grundlage für das Bestimmtheitsgebot vielmehr allein das Gewaltenteilungs- und Demokratieprinzip sei (S. 40 ff). Eine nähere Auseinandersetzung mit den Einzelheiten erscheint hier entbehrlich, da auch dieser Ansatz zu dem hier vertretenen Ergebnis führt, wonach das Bestimmtheitsgebot letztlich keinen Beschlagnahmeschutz begründen kann. 138  Der alternative Vorschlag von Mangoldt/Klein/Starck-Sommermann, Art. 20 Abs. 3, Rn. 303 hingegen überzeugt nicht. Hiernach soll die Unüberschaubarkeit des geschriebenen Rechts für den Bürger „durch Auskünfte der Behörden“ gemindert werden. Dies ist schon im öffentlichen Recht wenig praktikabel und versagt jedenfalls in allen anderen Rechtsgebieten gänzlich.



V. Rechtsstaatsprinzip79

kannt, dass die Voraussehbarkeit der Ergebnisse einer Normanwendung gerade auch im Hinblick auf das Zusammenwirken von Normen aus verschiedenen Regelungsbereichen gewährleistet sein muss.139 Zwar befasste sich die Entscheidung nur mit verschiedenen materiellen Normen im Zusammenhang mit dem Kindergeld. Die Argumentation gilt jedoch umso mehr und die Schlussfolgerung erscheint umso dringender, wenn es um das Zusammenspiel von prozessualen und materiellen Normen geht, da hier nicht nur ein einziger materieller Regelungsbereich, sondern potentiell alle Bereiche betroffen sind. Eine solche verfassungsrechtliche Begründung hängt allerdings wesentlich davon ab, inwieweit die oben genannte „Abschreckungsthese“ tatsächlich verifiziert werden kann, ob und inwieweit also Mandanten durch die Möglichkeit der Beschlagnahme tatsächlich von zukunftsgerichtetem rechtlichen Rat abgehalten würden. Insbesondere im Zusammenhang mit der Bestimmtheit von Gesetzen wird dabei die Notwendigkeit einer möglichst genauen Bestimmung des Ausmaßes dieses Abschreckungseffekts deutlich. Denn wie noch zu zeigen sein wird, kann ein solcher Effekt ebenso nur graduell beschrieben werden wie auch nur graduelle Anforderungen an das Bestimmtheitsgebot gestellt werden können.140 5. Das allgemeine Rechtsstaatsprinzip Darüber hinaus bietet das Rechtsstaatsprinzip auch in seiner allgemeinen Ausprägung noch einen möglichen Anknüpfungspunkt für eine verfassungsrechtliche Absicherung der anwaltlichen Tätigkeit141 und ein möglicherweise darauf aufbauendes Beschlagnahmeverbot. Diese verfassungsrechtliche Verankerung der rechtsanwaltlichen Tätigkeit ist im Grundsatz auch nicht umstritten und etwa in § 1 II BORA142 explizit anerkannt. Trotz der notwendigen Abstraktheit des Rechtsstaatsprinzips lassen sich dabei im Grundsatz zwei übergreifende Aspekte herausdestillieren, anhand 139  BVerfGE

108, 52, 75 (=  NJW 2003, 2733, 2735). Art. 20 (Rechtsstaat), Rn. 130 (Absolute Bestimmtheit für Gesetze ist unmöglich, das Bestimmtheitsgebot muss deshalb lediglich auf eine „Optimierung“ abzielen). 141  Vgl. Rick, Verfassungsrechtliche Stellung des Rechtsanwalts, S. 79 f.; Rissel, Verfassungsrechtliche Stellung des Rechtsanwalts, S. 61 ff.; Krämer, NJW 1975, 849, 853; Krämer, NJW 1995, 2313, 2316 f.; Gaier, BRAK-Mitt. 2006, 2, 2 f.; Henss­ ler/Prütting-Busse, § 3 BRAO, Rn. 22; Kleine-Cosack, BRAO, Einl., Rn. 49. 142  § 1 II BORA lautet: „Die Freiheitsrechte des Rechtsanwalts gewährleisten die Teilhabe des Bürgers am Recht. Seine Tätigkeit dient der Verwirklichung des Rechtsstaats“. 140  Dreier-GG-Schulze-Fielitz,

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B. Mögliche Begründungsansätze für einen Beschlagnahmeschutz

derer die Tätigkeit des Rechtsanwalts als notwendige Voraussetzung der Funktionsfähigkeit des Rechtsstaats selbst systematisiert werden kann. a) Formale Rechtsstaatlichkeit Zunächst ist in einem eher formalen Sinn anerkannt, dass dem Rechtsanwalt eine tragende Rolle bei der Rechtsfindung durch die Gerichte und vor allem dem Zugang zu diesen zukommt.143 Entsprechende Ansätze in der Literatur verweisen dabei ergänzend zu dem allgemeinen Rechtsstaatsprinzip auf die Justizgrundrechte der Art. 19 IV, 103 I GG,144 die Institutsgarantie der Rechtsprechung in Art. 92 ff. GG145 oder auch die allgemeine Justizgewährungspflicht des Staates.146 Mindestfunktion des Rechtsanwalts ist hiernach, die für den jeweiligen Sachverhalt in Frage kommenden Rechtsschutzmöglichkeiten aufzuzeigen und diese in Abstimmung mit dem Mandanten wahrzunehmen. Konkret bewirkt der Rechtsanwalt auch etwa innerhalb laufender Verfahren eine Effektuierung und Rationalisierung der Rechtsfindung, indem er sowohl Sachverhalt als auch wertende Argumente auf professionelle Weise juristisch aufbereitet und dem Gericht so erspart, erst durch eigene Befragung der Parteien zum jeweils relevanten Kern des Vorbringens zu gelangen.147 Auch erfüllt er eine gewisse „Filterfunktion“148, indem er durch frühzeitige rechtliche Beratung oder Streitbeilegung149 die unnötige Inanspruchnahme der Justiz, etwa wegen unbegründeter oder aussichtsloser Forderungen, minimiert und so Teil an der Aufrechterhaltung ihrer Funktionsfähigkeit hat.150 143  Gaier, BRAK-Mitt. 2006, 2, 2  f.; Hartung-Hartung, § 1 BORA, Rn. 68; BVerfGE 108, 150, 162 (=  NJW 2003, 2520, 2521). 144  Rick, Verfassungsrechtliche Stellung des Rechtsanwalts, S. 79; Krämer, NJW 1995, 2313, 2317. 145  Vgl. Krämer, NJW 1995, 2313, 2317. 146  Gaier, BRAK-Mitt. 2006, 2, 2 f.; vgl. dazu allgemein: Papier, in: Isensee/ Kirchhof, HStR VIII, § 176; Uhle, in: Merten/Papier, HGR V, § 129, Rn. 26 ff.; Dreier-GG-Schulze-Fielitz, Art. 20 (Rechtsstaat), Rn. 211 ff.; Maunz/Dürig-GGSchmidt-Aßmann, Art. 19 Abs. 4, Rn. 16 ff.; Landau, NStZ 2007, 121; Sobota, Prinzip Rechtsstaat, S. 188 ff. 147  Gaier, BRAK-Mitt. 2006, 2, 3. 148  Rick, Verfassungsrechtliche Stellung des Rechtsanwalts, S. 80. 149  Henssler/Prütting-Busse, § 3 BRAO, Rn. 5. 150  Rick, Verfassungsrechtliche Stellung des Rechtsanwalts, S. 80; Gaier, BRAKMitt. 2006, 2, 3.



V. Rechtsstaatsprinzip81

Jedenfalls letzterer Aspekt wird auch nicht erst innerhalb laufender Verfahren relevant, sondern weist gerade auf die Notwendigkeit der anwalt­ lichen Tätigkeit im Vorfeld derselben hin. b) Materielle Rechtsstaatlichkeit Neben diesen eher formalen Aspekten kommt dem Rechtsanwalt darüber hinaus aber auch eine tragende Rolle bei der Verwirklichung des Rechtsstaates im materialen Sinn zu. So ist insbesondere das „Prinzip der Rechtsschutzgleichheit“151 als Teil des Rechtsstaatsgebots (i. V. m. Art. 3 I GG)152 allgemein anerkannt.153 Indem der Rechtsanwalt unterschiedliche Fähigkeiten, Kenntnisse und wirtschaftliche Kapazitäten der jeweiligen Mandanten einebnet, hat er entscheidenden Anteil daran, dieses Prinzip erst Realität werden zu lassen.154 Darüber hinaus wird die Verankerung des Rechtsanwalts im Rechtsstaatsprinzip richtigerweise dadurch begründet, dass dieser einen wichtigen Anteil an der Findung von sachgerechten Entscheidungen hat, indem er jedenfalls falsche Entscheidungen zulasten des eigenen Mandanten verhindert.155 Auch das BVerfG spricht dem Rechtsanwalt entsprechend eine „eigenständige und unabhängige Funktion in der Durchsetzung des Rechts“156 zu.157 Für die vorliegende Untersuchung wichtig ist dabei, dass sich diese Funktionen nicht auf gerichtliche Auseinandersetzungen beschränken, sondern sich ebenso auf den außergerichtlichen Bereich erstrecken.158 Denn auch 151  BVerfGE 81, 347, 356 f.); (=  NJW 1991, 413, 413); BVerfG, NJW 2003, 2668, 2668. 152  Für abweichende Herleitungen aus dem Anspruch auf faire Verfahrensgestaltung oder ausschließlich aus Art. 3 I GG vgl. die Nachweise bei Uhle, in: Merten/ Papier, HGR V, § 129, Rn. 50, Fn. 245 f. 153  BVerfGE 9, 124, 130 ff.) (=  NJW 1959, 715, 716); BVerfGE 122, 39, 48 f. (=  NJW 2009, 209, 209 f.); Sobota, Prinzip Rechtsstaat, S. 59, Uhle, in: Merten/ Papier, HGR V, § 129, Rn. 50 ff.; Stern, Staatsrecht, § 20, IV 2, S. 790. 154  Gaier, BRAK-Mitt. 2006, 2, 3; Henssler/Prütting-Busse, Einl. BRAO, Rn. 54; Kleine-Cosack, BRAO, Einl., Rn. 49; Wolf, FS Schlosser, S. 1121, 1131; Zuck, JZ 1989, 353, 354. 155  Gaier, BRAK-Mitt. 2006, 2, 3.; BVerfGE 76, 171, 192 (=  NJW 1988, 191, 193); BVerfGE 108, 150, 161 (=  NJW 2003, 2520, 2521); so auch schon die Materialien zur RStPO, vgl. Hahn, Band 3, Abt. 2, S. 1555; vgl. zur Einordnung dieses Aspekts unter den Oberbegriff des „fairen Verfahrens“ Grabenwarter/Pabel, in: Dörr/Grote/Marauhn, EMRK/GG, Kap. 14, Rn. 96. 156  BVerfGE 108, 150, 158 (=  NJW 2003, 2520, 2520). 157  Henssler/Prütting-Busse, § 1 BORA, Rn. 12. 158  Henssler/Prütting-Busse, § 1 BRAO, Rn. 23 f.

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B. Mögliche Begründungsansätze für einen Beschlagnahmeschutz

hier, sei es in Vertragsverhandlungen oder in Fällen außergerichtlicher Streitbeilegung, besteht die Notwendigkeit, gleiche Voraussetzungen für die jeweils beteiligten Parteien auf dem Boden des bestehenden Rechts zu schaffen. Mit anderen Worten ließe sich sagen, dass – unabhängig von der Einbindung von Gerichten – „[…]der Rechtsstaat will, dass für den Bürger das richtige Recht gefunden wird […].“159 c) Die Verallgemeinerung der rechtsstaatlichen Argumentation Insbesondere die genannten materialen Anknüpfungspunkte an das Rechtsstaatsgebot weisen darüber hinaus aber auch den Weg zu einem noch allgemeineren rechtsstaatlichen Grundsatz, dem erst der Rechtsanwalt zur praktischen Geltung verhilft. Dieser scheint teilweise so selbstverständlich zu sein, dass ihm mitunter in seiner Allgemeinheit gar keine bzw. nur geringe Aufmerksamkeit zuteil wird oder er mit anderen Problembereichen vermischt wird.160 Es handelt sich dabei um die eigentlich schlichte Feststellung, dass es elementare Mindestaufgabe eines Rechtsstaates ist, jedenfalls die Einhaltung der eigenen Gesetze zu gewährleisten. Ein Rechtsstaat, der den Namen verdient, kann sich nicht damit zufrieden geben, Regeln aufzustellen, ohne sich auch um deren praktische Umsetzung zu kümmern. Dass dem Rechtsstaat eine derartige Verpflichtung des Staates innewohnt, kann durch zwei Erwägungen begründet werden. Erstens ist unstreitiger und zentraler Bestandteil des Rechtsstaats ein positiv gewendeter Auftrag an den Staat zur Verwirklichung von Gerechtigkeit.161 Wenn nun innerhalb des demokratischen Rechtsstaats aber die Gerechtigkeit vorrangig durch Gesetze konkretisiert wird,162 so muss sich dieser Auftrag notwendigerweise auch und gerade auf die „Verwirklichung“ dieser Gesetze beziehen. Zweitens ist heute anerkannt, dass die Grundrechte nicht allein als Abwehrrechte zu verstehen sind, sondern im Grundsatz auch an den Staat 159  Henssler/Prütting-Busse,

§ 2 BRAO, Rn. 39. für entsprechende Überlegungen bereits Wessing, FS Volk, S. 867, 877 f. (der diese aber nicht auf die Beschlagnahmeproblematik bezieht, sondern im Zusammenhang mit grundlegender Kritik an einem Rückzug des Staates aus der Kriminalprävention anstellt). 161  BVerfGE 52, 131, 144 f.). (=  NJW 1979, 1925, 1925); Kloepfer, Verfassungsrecht I, § 10, Rn. 271; Stern, Staatsrecht, § 20, IV 4, S. 797. 162  Stern, Staatsrecht, § 20, IV 4, S. 797, 799. 160  Vgl.



V. Rechtsstaatsprinzip83

gerichtete Schutzpflichten zeitigen können.163 Da die Grundrechte ihrerseits wesentliche, wenn nicht die wichtigsten,164 Kernelemente des Rechtsstaats sind,165 muss diese Erkenntnis als „begleitende Dogmatik“166 ebenfalls auf das Rechtsstaatsgebot übertragen werden.167 d) Anwendung auf Internal Investigations Für den Gegenstand dieser Arbeit ist diese Verallgemeinerung deshalb relevant, weil sich erst aus ihr ein im Prinzip tragfähiger verfassungsrechtlicher Kern der Argumentation ergibt, welche in der Literatur gängigerweise zur Begründung eines erweiterten Beschlagnahmeschutzes für Ergebnisse von Internal Investigations herangezogen wird.168 Der materielle Gehalt der Argumentation besteht aus der Hypothese, dass die Beschlagnahmemöglichkeit anwaltlicher Unterlagen einen hemmenden Effekt auf die Compliance-Bemühungen von Unternehmen ausüben würde. Damit würde der Aufklärung und Verhinderung von Rechtsverstößen aus einem Unternehmen heraus entgegengewirkt werden und im Ergebnis Rechtskonformität verringert werden.169 Verfassungsrechtliche Relevanz erlangt diese „Compliance-These“ nun durch die Möglichkeit der Einordnung in das Gesamtsystem der rechtsstaatlich begründeten Rechtsdurchsetzung: Wenn es Aufgabe des Rechtsstaates ist, für Rechtskonformität im Allgemeinen zu sorgen, und diese durch ein Beschlagnahmeverbot gefördert wird, 163  Jarass/Pieroth-GG-Jarass, Vorb. vor Art. 1, Rn. 7; BVerfGE 125, 39, 78 (=  NVwZ 2010, 570, 572); Isensee, in: Isensee/Kirchhof, HStR IX, § 191, Rn. 3; ausführlich zu grundrechtlichen Schutzpflichten Calliess, in: Merten/Papier, HGR II, § 44; Isensee, in: Isensee/Kirchhof, HStR IX, § 191. 164  Maurer, Staatsrecht I, § 8 Rn. 11. 165  Schmidt-Aßmann, in: Isensee/Kirchhof, HStR II, § 26, Rn. 4 f.; Dreier-GGSchulze-Fielitz, Art. 20 (Rechtsstaat), Rn. 39; Stern, Staatsrecht, § 20, IV 2, S. 791; Maunz/Dürig-GG-Grzeszick, Art. 20, VII., Rn. 24; Kloepfer, Verfassungsrecht I, § 10, Rn. 25; einschränkend zur Auffassung des BVerfG: Sobota, Prinzip Rechtsstaat, S. 65. 166  Sobota, Prinzip Rechtsstaat, S. 66. 167  Vgl. Maunz/Dürig-GG-Grzeszick, Art. 20, II., Rn. 251 („[…] dass das Rechtsstaatsprinzip auch staatliche Handlungsgebote aufstellen kann, wie sie z. B. die grundrechtlichen Schutzpflichten enthalten.“). 168  Ein inhaltlich dem entsprechender Ansatz findet sich auch bereits bei Jahn/ Kirsch, in: Rotsch, Hdb. Criminal Compliance, Rn. 99 f. Dieser wird jedoch nicht explizit verfassungsrechtlich begründet, sondern stützt sich auf eine dogmatisch nicht näher spezifizierte „überindividuell-verfahrensstrukturelle“ Argumentation. 169  Vgl. zu dieser Ansicht unten E.III.2.a)cc), insbesondere Polley/Kuhn/Wegmann, ZStW 2012, 206, 211; Jahn/Kirsch, NZWiSt 2013, 28, 31.

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B. Mögliche Begründungsansätze für einen Beschlagnahmeschutz

so wäre ein solches Verbot auch zunächst einmal, in Abwesenheit gegenläufiger Wertungen, verfassungsrechtlich geboten. Jedenfalls aber wären prozessuale Regelungen zu vermeiden, die der allgemeinen Rechtskonformität entgegenwirken. Da, wie noch zu zeigen sein wird, solche gegenläufigen Wertungen durchaus bestehen und ein verfassungsrechtliches Beschlagnahmeverbot gerade für die Ergebnisse von Internal Investigations im Ergebnis abzulehnen ist, soll es an dieser Stelle bei der Darstellung dieses Aspektes in der gebotenen Kürze bleiben. Festzuhalten ist aber jedenfalls, dass ein Beschlagnahmeverbot für die Ergebnisse von Internal Investigations grundsätzlich verfassungsrechtlich relevant ist. Für seine letztendliche Bejahung wären allerdings zwei weitere Begründungsschritte zu vollziehen: Es müsste erstens die zugrundeliegende Abschreckungsthese verifiziert werden, also geprüft werden, ob die Beschlagnahmemöglichkeit tatsächlich die Durchführung von Internal Investigations hemmt. Und zweitens müsste speziell in Bezug auf das Rechtskonformitäts-Argument dargelegt werden, dass solcherlei Untersuchungen auch tatsächlich der Rechtskonformität dienen. Es müsste also letztlich die den Rahmen dieser Arbeit deutlich übersteigende Frage nach dem bestmöglichen Verhältnis zwischen Fremd- und Selbstregulierung gefunden werden. Das Ergebnis zu beiden Fragestellungen wird nach der hier vertretenen Meinung letztlich dazu führen, dass die verfassungsrechtliche Begründung eines Beschlagnahmeschutzes abzulehnen ist.

VI. Zusammenfassung der verfassungsrechtlichen Grundlagen In der Untersuchung von verfassungsrechtlichen Grundlagen eines Beschlagnahmeverbots anwaltlicher Unterlagen hat sich gezeigt, dass vielfach verschiedene Verfassungsgrundsätze durcheinander gebracht werden und entscheidende Wertungen eher verschleiert als konkretisiert werden. Ein verallgemeinerungsfähiger Beschlagnahmeschutz wurde zunächst insoweit abgelehnt, wie sich dieser auf einen inhaltlichen Geheimhaltungs­ anspruch oder das nemo-tenetur-Prinzip stützen soll. Grundsätzlich als taugliche Anknüpfungspunkte für ein Beschlagnahmeverbot konnten zwar Art. 103 I GG und das durch das BVerfG aus dem allgemeinen Rechtsstaatsprinzip abgeleitete Gebot der „effektiven Verteidigung“ anerkannt



VI. Zusammenfassung der verfassungsrechtlichen Grundlagen

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werden. Beides musste aber jedenfalls mit der Einschränkung versehen werden, dass außerprozessual entstandene Unterlagen hierdurch nicht geschützt werden könnten. Dennoch hat sich das Rechtsstaatsprinzip als prinzipiell taugliche Grundlage auch für ein Beschlagnahmeverbot von derlei außerprozessualen Unterlagen erwiesen. Zum einen in seiner speziellen Form als Bestimmtheitsgebot, zum anderen in seiner denkbar allgemeinsten Form im Sinne einer Funktionsfähigkeit der Rechtspflege sowie einer umfassenden Gewährleistung des materiellen Rechts. Sowohl über die allgemeine Handlungsfreiheit als auch über die Berufsfreiheit könnten grundsätzlich auch Individualansprüche hieraus hergeleitet werden, ohne dass sich hierdurch allerdings die relevanten Wertungsfragen ändern. Gleichzeitig ist festzustellen, dass alle prinzipiell bejahten verfassungsrechtlichen Begründungswege in jedem Fall von der Richtigkeit der Grundthese abhängen, wonach anwaltliche Tätigkeit durch die Beschlagnahmemöglichkeit beeinträchtigt oder sogar ganz unterbunden wird. Dies gilt gleichermaßen für die Begründungsansätze, welche auf innerprozessuale anwaltliche Tätigkeit beschränkt wären wie für solche, die einer solchen Einschränkung nicht unterliegen. Im Folgenden wird nun gezeigt werden, dass diese These lediglich in Teilbereichen verifiziert werden kann, in anderen hingegen das Gegenteil der Fall ist.

C. Untersuchung der Abschreckungsthese I. Zur Notwendigkeit der Untersuchung des Abschreckungseffekts Wie beschrieben konnten in der bisherigen Untersuchung keine verfassungsrechtlichen Begründungsansätze als mögliche Grundlage für ein Beschlagnahmeverbot bejaht werden, welche nicht davon abhingen, inwieweit eine Beschlagnahmemöglichkeit tatsächlich zu geringerer Offenheit gegenüber Rechtsanwälten bzw. zum völligen Verzicht auf deren Beratung oder Unterstützung bei der Durchführung interner Erhebungen führt. Gleichzeitig ist die Behauptung eines solchen „Abschreckungseffekts“ auch unabhängig von der jeweils vorgenommenen dogmatischen Verortung das zentrale, wenn auch unterschiedlich deutlich artikulierte, inhaltliche Argument der Stimmen, die heute einen erweiterten Beschlagnahmeschutz für anwaltliche Unterlagen fordern.1 Zwar wurden oben auch mögliche Ansätze diskutiert, welche unabhängig von einem solchen „Abschreckungseffekt“ zu einem Beschlagnahmeverbot führen könnten. Hierzu gehören ein möglicher materieller Geheimnisschutz und das nemo-tenetur-Prinzip. Beides ist jedoch aus den genannten Gründen abzulehnen.2 Soweit hier also von der zentralen Bedeutung der „Abschreckungsthese“ ausgegangen werden soll, steht dies auch im Einklang mit dem ganz überwiegenden3 Teil des rechtswissenschaftlichen Diskurses in den USA. So ist das dortige Attorney-Client Privilege eine richterrechtliche Schöpfung des Common Law, deren moderne Rechtfertigung im Wesentlichen auf besagter, auch als „instrumental rationale“4 bezeichneten These beruht, wonach an1  Vgl. etwa Jahn/Kirsch, in: Rotsch, Hdb. Criminal Compliance, Rn. 100; Jahn/ Kirsch, NZWiSt, 2013, 28, 31; Polley/Kuhn/Wegmann, KSzW 2012, 206, 211; Kapp/ Schröder, WuW 2002, 555, 565. 2  Vgl. B.II. und B.III. 3  Lediglich vereinzelt werden in der dortigen Literatur auch alternative, von der Abschreckungsthese unabhängige, Begründungsmodelle vorgeschlagen, vgl. hierzu die Übersichten bei Allen/Grady/Polsby/Yashko, Journal of Legal Studies 19 (1990), 359, 373 f.; Note, Harvard L. Rev. 98 (1985), 1450, 1502 ff.; Imwinkelried, The New Wigmore, § 5.1.2. 4  Vgl. etwa Imwinkelried, The New Wigmore, § 5.1.1; Alexander, St. John’s L. Rev. 63 (1989), 191, 213; teilweise wird dies auch als „utilitaristische“ Begründung



I. Zur Notwendigkeit der Untersuchung des Abschreckungseffekts87

dernfalls die Offenheit gegenüber Rechtsanwälten und damit deren gesamtgesellschaftlicher Nutzen gemindert würde.5 Verfassungsrechtliche Erwägungen werden diesbezüglich zumeist gar nicht oder allenfalls am Rande angestellt.6 Auch insoweit wie vereinzelt zumindest eine gewisse verfassungsrechtliche Dimension des privilege festgestellt wird, geschieht dies, soweit ersichtlich, ausschließlich im Rahmen einer Ableitung aus dem verfassungsrechtlichen Anspruch auf Unterstützung durch einen Rechtsanwalt bzw. Verteidiger, welche – wie hier – ebenfalls zur Frage nach dem Ausmaß eines möglichen Abschreckungseffekts führt.7 Ist somit die zentrale Bedeutung der Abschreckungsthese für die Beschlagnahmefrage festgestellt, so ergibt sich schließlich die zwingende Folgefrage, inwieweit diese These der Realität entspricht. Soweit ersichtlich wurde diese in der deutschen Rechtsprechung und Literatur jedoch bislang nie wirklich überprüft oder näher begründet.8 Soweit die These von der Abschreckungsgefahr überhaupt klar ausgesprochen wird, so wird sie jeweils einfach behauptet, mehr aus schlichter In­ bezeichnet, vgl. Louisell, Tul. L. Rev. 31 (1956), 101, 111; Note, Harvard L. Rev. 98 (1985), 1450, 1502. 5  Vgl. grundlegend zur Begründung des Attorney-Client Privilege durch die instrumental rationale Wigmore, Treatise on Evidence, § 2285; aus der neueren Literatur: Gergacz, Attorney-Corporate Client Privilege, § 1:7 ff.; Note, Harvard L. Rev. 98 (1985), 1450, 1502 ff.; Alexander, St. John’s L. Rev. 63 (1989), 191, 212 ff.; Imwinkelried, Boston U. Law Rev. 83 (2003), 315, 317 ff.; Imwinkelried, The New Wigmore, § 5.1.1.; aus der Rechtsprechung: Upjohn Co. v. United States, U.S. 449 (1981), 383, 389 („Its purpose is to encourage full and frank communication be­ tween attorneys and their clients and thereby promote broader public interests in the observance of law and administration of justice.“); Westinghouse v. Philippines, F.2d (1991), 951, 1414, 1423; Fisher v. U.S., U.S. 425 (1976), 391, 403 („Accordingly it protects only those disclosures necessary to obtain informed legal advice which might not have been made absent the privilege.“); vereinzelt scheint ein Schutz sogar mit dem Argument versagt zu werden, dass im konkreten Fall die betreffenden Unterlagen auch ohne das privilege entstanden wären, siehe Reich v. Hercules, F.Supp. 857 (1994), 367, 372. 6  Vgl. Gergacz, Attorney-Corporate Client Privilege, § 1:9 m. w. N. auch zu den Ausnahmen. 7  Vgl. etwa In re Nackson, A.2d 534 (1987), 65, 68 f. („Although the privilege, rooted in the common law, is now embodied in statute and rule […] it has constitutional dimension when the client is a criminal defendant in light of his right to counsel. Thus, in a criminal case, the need for confidentiality and full and candid communication between attorney and client is even greater than in any other proceeding. It is directly related to the constitutional requirement of effective assistance of counsel.“); Alexander, St. John’s L. Rev. 63 (1989), 191, 219, Fn. 89. 8  Anders in den USA; vgl. für eine ausführliche Kritik an der Abschreckungsthese etwa Imwinkelried, U. Pitt. L. Rev 65 (2004), 145.

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C. Untersuchung der Abschreckungsthese

tuition heraus als aus tiefer gehender Überlegung oder gar empirischer Untersuchung.9 Der zentralen Bedeutung der Frage Rechnung tragend soll im Folgenden deshalb eingehend untersucht werden, inwieweit diese Intuition auch in rationale Argumentation übersetzt werden kann. Die Verifikation der Abschreckungsthese wird dabei zum Teil gelingen, zum Teil wird aber auch das Gegenteil der Fall sein.

II. Vorgehensweise: Rational Choice vs. Empirie? Will man die Abschreckungsthese nun substantiieren, so ist letztlich eine Vorhersage über das Verhalten der relevanten Rechtssubjekte unter Einfluss der alternativ möglichen rechtlichen Regelungen notwendig. Die folgende Untersuchung wird zunächst versuchen, sich einer solchen Vorhersage durch eine Analyse der rechtlichen und tatsächlichen Rahmenbedingen anzunähern, welche sinnvollerweise das Verhalten gegenüber einem Rechtsanwalt beeinflussen können. Im Ausgangspunkt soll damit von dem in der ökonomischen Theorie entwickelten Rational-Choice-Modell ausgegangen werden, welchem jedenfalls im Grundsatz und stark vereinfacht ausgedrückt die Annahme von rational nutzenmaximierenden Akteuren zugrunde liegt.10 Im Bewusstsein der Limitationen11 und des notwendigerweise heuristischen Charakters des neoklassischen Verhaltensmodells12 soll darüber hinaus versucht werden, die auf diese Weise gefundenen Ergebnisse so weit wie möglich auch durch Rückgriff auf bestehende empirische Untersuchungen zu verifizieren. Gleichwohl wird der Schwerpunkt hier nicht auf einem solchen „Behavioral Law and Economics“-Ansatz, sondern auf der rationalen Betrachtung 9  Für eine ähnliche Feststellung auch in Bezug auf die Diskussion in den USA vgl. Swidler & Berlin, U.S. 524 (1998), 399, 410; Louisell, Tul. L. Rev. 31 (1956), 101, 111; Alexander, St. John’s L. Rev. 63 (1989), 191, 233; Broun, in: Lempert, Evidence Stories, S. 127, 146. 10  Vgl. Posner, Economic Analysis of Law, S. 3 ff.; van Aaken, Rational Choice, insb. S.  71 ff.; Schäfer/Ott, Lehrbuch der ökonomischen Analyse, Kap. 4.1 (S. 95 ff.); Eidenmüller, JZ 2005, 216, 217 f.; Englerth, Behavioral Law and Economics, S. 4; Simon, Q. J. of Econ. 69 (1955), 99, 100 ff. 11  Vgl. van Aaken, Rational Choice, S. 82 ff.; Schäfer/Ott, Lehrbuch der ökonomischen Analyse, Kap. 4.2.1; Posner, Economic Analysis of Law, § 1.4; Eidenmüller, JZ 2005, 216, 218 ff.; Korobkin/Ulen, Cal. L. Rev. 88 (2000), 1051, 1066 ff.; Jolls/Sunstein/Thaler, Stanford L. Rev. 50 (1998), 1471, 1476 ff. 12  van Aaken, Rational Choice, S. 72.



III. Zur Struktur der Rational-Choice-Betrachtung89

bestehender rechtlicher Steuerungseinflüsse liegen.13 Der Grund hierfür liegt schlicht in der im Übrigen wenig eindeutigen Erkenntnislage. Zwar wurde in den USA vereinzelt der Versuch einer empirischen Verifikation der Abschreckungsthese unternommen. Ein hinreichend klares Bild, welches zur Formulierung tragfähiger Grundsätze im Zusammenhang mit der Beschlagnahme anwaltlicher Unterlagen taugen würde, ergab sich jedoch auch hieraus nicht.14 Nicht ganz unberechtigt wird teilweise auch vermutet, dass die spezifische Natur und Komplexität der Frage einen solchen empirischen Nachweis ohnehin weitgehend unmöglich machen.15 In diesem Sinn stellt die Rational-Choice-Betrachtung auf Basis der rechtlichen Rahmenbedingungen zwar keine perfekte Methode zur Überprüfung der Abschreckungsthese dar. Sie markiert aber jedenfalls bis zur empirischen Widerlegung ihrer Ergebnisse einen deutlichen Fortschritt gegenüber der bislang weitgehend unsubstantiierten Vermutung eines abschreckenden Effekts.

III. Zur Struktur der Rational-Choice-Betrachtung 1. Verschiebung der Entscheidungsparameter? Auf den ersten Blick erscheint zunächst möglich, die Frage recht einfach zu beantworten. Jede Einschränkung des Beschlagnahmeschutzes beeinflusst in gewissem Maße die rationale Abwägungsentscheidung des Mandanten und verschiebt das Gewicht durch Erhöhung des aus dem Anvertrauen von Informationen resultierenden Risikos in Richtung größerer Zurückhaltung.16 Unabhängig von einer genaueren Betrachtung wird deshalb geltend gemacht, dass jede solche Einschränkung jedenfalls einen gewissen, wenn auch eventuell nur sehr geringen und in wenigen Fällen feststellbaren, Abschreckungseffekt erzeuge.17 In Abwesenheit näherer Erläuterungen zur Funktionsweise des behaupteten Abschreckungseffekts muss wohl auch angenommen werden, dass den einen solchen Effekt heranziehenden deutschen Literaturstimmen eine solche Sichtweise zugrunde liegt. Bei näherer Hinsicht erweist sich diese Betrachtung jedoch aus mehreren Gründen als unzureichend. Selbst wenn die Entscheidungsfindung in Bezug 13  Letztlich geht auch das Recht selbst teilweise denknotwendig von rationalen Akteuren aus, wenn es Anspruch auf einen gewissen Grad an Verhaltenssteuerung erhebt, so Eidenmüller, JZ 2005, 216, 218. 14  Vgl. dazu ausführlich unten unter C.VII. 15  Note, Harvard L. Rev. 98 (1985), 1450, 1474 f. („In short, legal decisionmakers face a perhaps unavoidable empirical indeterminancy.“). 16  Gergacz, Attorney-Corporate Client Privilege, § 1:10. 17  Gergacz, Attorney-Corporate Client Privilege, § 1:10.

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C. Untersuchung der Abschreckungsthese

auf die Hinzuziehung eines Rechtsanwalts beeinflusst wird, so ist damit noch lange nicht festgestellt, dass dieser Einfluss auch relevant in dem Sinn ist, dass damit auch nur in wenigen Fällen tatsächlich ein Zurückhalten von Informationen hervorgerufen wird. Selbst wenn die Abwägungsgesichtspunkte in eine bestimmte Richtung verändert werden, so ist rein abstrakt immer noch möglich, dass diese Abwägung in allen Fällen einer bestimmten Gruppe zu dem Ergebnis kommt, dass allein die volle Offenlegung aller Informationen vorzugswürdig ist. Hierfür spricht auch, dass selbst das weitest mögliche Beschlagnahmeverbot nie ganz verhindern kann, dass sich manche Mandanten einem Rechtsanwalt nicht oder nicht vollständig anvertrauen.18 Insofern kann wohl bereits ein thematisch bedingter Grundabschreckungseffekt festgestellt werden, der weitgehend unabhängig von der genauen Ausgestaltung des rechtlichen Vertraulichkeitsschutzes besteht. Letztlich geht die These von der Verschiebung der Abwägungsparameter also am Kern des Problems vorbei. Dieser lautet nicht isoliert, ob eine rechtliche Regelung einen Abschreckungseffekt entfaltet oder nicht, sondern besteht vielmehr aus zwei Teilfragen. Zum einen, ob ein solcher Effekt in relevanter Größe bestehen kann, zum anderen wie häufig und wie groß ein solcher Effekt im Verhältnis zur Erschwerung der prozessualen Wahrheitsfindung ist. Erst auf dieser Basis wird dann der Weg frei für eine normative Aussage über das angemessene Verhältnis zwischen Förderung der rückhaltlosen Kommunikation und beweisrechtlicher Ausbeutung der auch ohne solche Förderung entstehenden Kommunikationsinhalte. 2. Eigene Ordnung der Rational-Choice-Betrachtung Die Untersuchung eines solchen Effekts muss im Grundsatz drei wesentliche Aspekte berücksichtigen: • unabhängig von der Beschlagnahmemöglichkeit bestehende Abschreckungseffekte, • zusätzliche, auf eine angenommene Beschlagnahmemöglichkeit zurückführbare, Abschreckungseffekte, • andere Faktoren, die solche Effekte neutralisieren. 18  Vgl. Zacharias, Iowa L. Rev. (1989), 351, 386 (11,3% der befragten Laien gaben an, auch unter dem zum Zeitpunkt der Befragung vergleichsweise sehr weiten Vertraulichkeitsschutz in New York Informationen gegenüber einem Rechtsanwalt zurückhalten zu wollen oder dies in der Vergangenheit getan zu haben).



III. Zur Struktur der Rational-Choice-Betrachtung91

Zunächst müssen in einem ersten Schritt solche Faktoren abgeschichtet werden, welche gänzlich unabhängig von einer etwaigen Beschlagnahmemöglichkeit die Offenheit gegenüber Rechtsanwälten hemmen.19 Denn insoweit wie auf rückhaltlose Kommunikation ohnehin bereits aus anderen Gründen verzichtet wird, so sind auch zusätzlich hemmende Effekte weitgehend irrelevant. Die Beschlagnahmefreiheit als Mittel zur Vermeidung eines Abschreckungseffekts ginge dann ins Leere. Jedenfalls könnte der Schutz von ohnehin nicht stattfindenden Kommunikationsvorgängen nicht mehr als Begründung für eine Einschränkung der rechtsstaatlich gebotenen strafprozessualen Wahrheitsfindung dienen. Allein die zusätzlichen Faktoren werden dann in einem zweiten Schritt genau zu benennen sein und deren Potential für eine hemmende Wirkung auf die Mandatsbeziehung zu analysieren sein.20 Zumindest in Deutschland bislang weitgehend ignoriert21 wurde schließlich ein dritter wesentlicher Aspekt. So kann es nicht ausreichen, diverse hemmende Faktoren zu benennen und daraus sogleich auf einen rechtlich relevanten Abschreckungseffekt zu schließen. Vielmehr ist die vollständige Motivationslage eines Mandanten in den Blick zu nehmen. Diese könnte insbesondere im Kontext von Unternehmen auch von einer Reihe von Faktoren beeinflusst werden, die selbst bei angenommener Beschlagnahmemöglichkeit eine vollständige Offenheit gegenüber dem Rechtsanwalt nahelegen, wenn nicht gar erzwingen und somit möglicherweise bestehende Abschreckungseffekte aus anderen Gründen neutralisieren.22 Erst auf dieser Grundlage kann dann schließlich eine verlässliche Substantiierung des behaupteten Abschreckungseffekts erfolgen.

19  Vgl.

dazu unten unter C.IV.1. C.IV.2. 21  In einem neueren Beitrag weist mittlerweile aber auch Erb, FS Kühne, S. 171, 183, als, soweit ersichtlich, einziger in der deutschen Literatur, auf diesen Aspekt hin („Dabei bedeutet die Möglichkeit einer Beschlagnahme überlassener Unterlagen bei Rechtsanwälten mit Sicherheit nicht das Ende interner Untersuchungen: Gerade dann, wenn der rechtliche oder wirtschaftliche Zwang zu solchen Untersuchungen so stark ist, wie die einschlägigen Veröffentlichungen im jüngeren Schrifttum annahmen lassen [mit Verweis auf Jahn/Kirsch, StV 2011, 151 u. a. in Fn. 39], werden sich die Unternehmen durch die Aussicht, dass die Staatsanwaltschaft früher oder später Zugriff auf die beweisrelevanten Unterlagen erlangen wird, nicht davon abhalten lassen, sie (notgedrungen unter Inkaufnahme dieser Aussicht) in Auftrag zu geben.“); in den USA wird bereits seit Längerem auf diese Problematik hingewiesen, sie wird jedoch ebenfalls nie ausführlich anaylsiert, vgl. dazu die Literaturhinweise unten, C.IV.3.a). 22  Vgl. C.IV.3. 20  Vgl.

92

C. Untersuchung der Abschreckungsthese

IV. Die einzelnen Einflussfaktoren 1. Unabhängig von der Beschlagnahmemöglichkeit bestehende Abschreckungseffekte Soweit es um Mandatsbeziehungen allein mit natürlichen Personen geht, sind unabhängig von einer Beschlagnahmemöglichkeit bestehende Abschreckungseffekte nicht erkennbar. Allein eine ganz grundsätzliche, rein emo­ tional begründete Hemmung, gegenüber einer anderen Person persönliches Fehlverhalten zu offenbaren, mag hier angeführt werden. a) Das Problem fehlender persönlicher Kontrolle im Mandat eines Unternehmensanwalts Bei Mandatsbeziehungen zu einem Unternehmen hingegen ergibt sich ein wesentlicher Unterschied mit diversen Folgeproblemen dadurch, dass der Mandant grundsätzlich allein das Unternehmen ist,23 die Vertrauen benötigenden Kommunikationsvorgänge aber mit den für dieses handelnden natürlichen Personen erfolgen. Für die Zwecke des Mandatsverhältnisses sind diese allerdings im Grundsatz lediglich „Dritte“.24 Eine natürliche Person, die für ein Unternehmen einen Rechtsanwalt konsultiert, kann deshalb keineswegs sicher sein, dass dabei mitgeteilte Informationen allein dem Rechtsanwalt zugänglich sind.25 Vielmehr kommen nach gegenwärtiger Rechtslage mehrere Konstellationen in Betracht, in denen eine solche natürliche Person ernsthaft mit der Möglichkeit rechnen muss, dass das Wissen des Rechtsanwalts in der einen oder anderen Form gegen sie verwendet wird.26 23  BGHZ

109, 260, 271 (=  NJW 1990, 510, 512). 109, 260, 271 (=  NJW 1990, 510, 512); Fiala/von Walter, DStR 1998, 736, 737; Tully/Kirch-Heim, NStZ 2012, 657, 661; lediglich in Ausnahmefällen soll es möglich sein, zusätzlich auch ein persönliches Vertrauensverhältnis zu begründen. Dabei bleibt aber unklar, was genau die Folge davon wäre. Einiges spricht dafür, dass selbst dann keine Geheimhaltung jedenfalls gegenüber der Gesellschaft verlangt werden kann, vgl. dazu Nassall, NJW 1990, 496, 496 f. 25  So im Ergebnis auch schon für die Rechtslage in den USA: Sexton, NYU L. Rev. 57 (1982), 443, 466 f.; Thornburg, Notre Dame L.Rev. 69 (1993), 157, 173 f.; Leslie, Ind. L.J. 77 (2002), 469, 489; Brown, Hofstra L. Rev. 34 (2006), 897, 923. 26  Vgl. dazu auch bereits BGHZ 109, 260, 271 (=  NJW 1990, 510, 512 – „Insoweit war vielmehr für die Organmitglieder von vorneherein erkennbar, daß im Konfliktfall die Interessen des Auftraggebers und die diesem gegenüber bestehende Treuepflicht des Anwalts den Vorrang haben mußten.“). 24  BGHZ



IV. Die einzelnen Einflussfaktoren93

Zum einen handelt es sich dabei um zivilrechtliche Auseinandersetzungen zwischen einem Unternehmen und dessen (ehemaligen) Organwaltern. Hat einer der Letzteren gegenüber dem Unternehmensanwalt Informationen offenbart, welche etwa eine Schadensersatzhaftung gegenüber dem Unternehmen beweisen oder eine Kündigung bzw. Abberufung begründen können, so wird das Unternehmen mitunter daran interessiert sein, diese Informationen gegen ihn zu verwenden. Dies kann zum einen über Zeugenaussagen des Rechtsanwalts im Prozess geschehen, zum anderen über die Verwendung von entsprechenden Dokumenten, die im Rahmen der Mandatsbearbeitung entstanden sind. In ähnlicher Weise kann das Unternehmen oder dessen Insolvenzverwalter an der strafrechtlichen Verfolgung ehemaliger Organwalter und Mitarbeiter interessiert sein und deshalb bereit sein, das dem Unternehmensanwalt mitgeteilte Wissen auch den Strafverfolgungsbehörden zugänglich zu machen.27 Die zugrundeliegende Problematik liegt darin, wer genau die Kontrolle über die Inhalte von einmal getätigten Kommunikationsvorgängen innerhalb des Mandats eines Unternehmensanwalts hat. b) Die Problematik der Entbindungsbefugnis Vornehmlich entscheidet sich diese Frage an der Befugnis, den Rechtsanwalt von seiner Schweigepflicht zu entbinden. Im hier interessierenden Zusammenhang kommt auf der einen Seite in Betracht, diese Entbindungsbefugnis allein dem durch seine aktuellen Organe vertretenen Unternehmen selbst zuzusprechen. Auf der anderen Seite könnte eine wirksame Entbindung aber auch (exklusiv oder kumulativ) von der Zustimmung derjenigen natürlichen Person abhängig sein, welche konkret an dem jeweiligen Kommunikationsvorgang beteiligt war. Die Problematik wird in Literatur und Rechtsprechung bereits ausführlichst diskutiert,28 ohne bislang allerdings eine klare und verlässliche Lösung hervorgebracht zu haben.29 27  Insbesondere im Rahmen von Kooperationsbemühungen mit den Behörden, vgl. dazu allgemein Potinecke/Block, in: Knierim/Rübenstahl/Tsambikakis, Kap. 2, Rn. 186; Knierim, in: Knierim/Rübenstahl/Tsambikakis, Kap. 15, Rn. 185 ff.; Klahold/ Berndt, in: Momsen/Grützner, Kap. 3 A, Rn. 92 ff.; Grützner, in: Momsen/Grützner, Kap. 4, Rn. 65 ff.; Kempf/Schilling, in: Volk, MAH-WirtschaftsstrafR, § 10, Rn. 85 ff.; Wewerka, Internal Investigations, S. 29 ff.; Knauer, ZWH 2012, 41, 44 ff.; Behrens, RIW 2009, 22, 30 ff. 28  Sie ist insbesondere auch Gegenstand einer Dissertation (Städler, Die Auswirkungen eines Personenwechsels bei Vertretungsorganen); vgl. für eine Übersicht zum Streitstand aus der neueren Literatur etwa Feigen/Livonius, FS Wolter, S. 891, 892 ff.

94

C. Untersuchung der Abschreckungsthese

Während die überwiegende Meinung in zivilprozessualer Hinsicht dazu neigt, einem früheren Organwalter keinerlei Kontrolle zuzubilligen,30 geht die Tendenz im strafprozessualen Diskurs in die entgegengesetzte Richtung,31 wonach die Entbindung zumindest auch eine entsprechende Erklärung der persönlich beteiligten natürlichen Person erfordert.32 29

Schon die Uneindeutigkeit des Meinungsstands für sich genommen reicht letztlich aus, um einen unabhängig von der Beschlagnahmeproblematik vorliegenden Abschreckungseffekt zu konstatieren. Denn entscheidend ist vornehmlich die Frage, inwieweit sich ein Geschäftsleiter hinreichend zuverlässig darauf verlassen kann, dass Informationen, die er in seiner Eigenschaft als solcher einem Unternehmensanwalt mitteilt, nicht zu seinem Nachteil verwendet werden. Solange aber nicht zumindest eine klar überwiegende Meinung feststellbar ist, die einem Geschäftsleiter durch eine persönliche Entbindungsbefugnis die Kontrolle über die von ihm ausgehenden Kommunikationsinhalte ermöglicht, besteht eine solche Sicherheit gerade nicht. 29  Tully/Kirch-Heim, NStZ 2012, 657; 663 („Die derzeitige Rechtslage ist angesichts der divergierenden Rechtsprechung mehrerer OLG-Senate unübersichtlich und unklar“); LR-StPO-Ignor-Bertheau, § 53, Rn. 78 („unübersichtlich“); in den USA hingegen hat der Supreme Court entschieden, dass frühere Geschäftsleiter keinen Einfluss mehr auf die Entbindungsentscheidung haben, siehe Commodity Futures Trading Commission v. Weintraub, U.S. 471 (1985), 343, 348; a. A. etwa Saltzburg, Hofstra L. Rev. 12 (1984), 279, 306 ff. 30  BGHZ 109, 260, 270 ff. (=  NJW 1990, 510, 512); OLG Nürnberg, OLGZ 1977, 370; OLG Düsseldorf, NJW-RR 1994, 958; Musielak-ZPO-Huber, § 385, Rn. 7; Stein/Jonas-ZPO-Berger, § 385, Rn. 18; a. A.: Schmitt, wistra 1993, 9, 13; Dierlamm, DAV-FS, S. 428, 446 f. 31  Für eine Entscheidungsbefugnis der konkret beteiligten natürlichen Person: Feigen/Livonius, FS Wolter, S. 891, 905; Dahs, FS Kleinknecht, S. 63, 73 ff.; Dierlamm, DAV-FS, S. 428, 436 ff.; Beulke, FS Achenbach, S. 39, 51 ff.; Krause, FS Dahs, S.  349, 366 ff.; Krause, NStZ 2012, 663; Schmitt, wistra 1993, 9, 10 ff.; KK-StPOSenge, § 53, Rn. 47; BeckOK-StPO-Huber, § 53, Rn. 40; OLG Koblenz, NStZ 1985, 426, 427 f.; OLG Düsseldorf, wistra 1993, 120; OLG Schleswig, NJW 1981, 294; für die Gegenansicht: Winkler, Vertrauensverhältnis, S.  214 ff.; Tully/Kirch-Heim, NStZ 2012, 657; Passarge, BB 2010, 591, 592 f.; Schäfer, wistra 1985, 209, 211; Meyer-Goßner-Schmitt, § 53, Rn. 46a (entgegen der noch in der Vorauflage vertretenen Meinung); SK-StPO-Wohlers, § 97, Rn. 30; KK-StPO-Greven, § 97, Rn. 6; LG Bonn, NStZ 2012, 712; OLG Nürnberg, NJW 2010, 690; OLG Oldenburg, NJW 2004, 2176; LG Hamburg, NStZ-RR 2002, 12; LG Lübeck, NJW 1978, 1014; differenzierend: Gülzow, NJW 1981, 265, 267 f.; Huber-Lotterschmid, Verschwiegenheitspflichten, S. 97 ff.; SK-StPO-Rogall, § 53, Rn. 205 f.; Städler, Die Auswirkungen eines Personenwechsels bei Vertretungsorganen, S. 273 ff. 32  Vgl. zu einer entsprechenden Einordnung des Streitstands auch Dierlamm, DAV-FS, S. 428, 432, 446; Tully/Kirch-Heim, NStZ 2012, 657, 658, 662; Krause, FS Dahs, S. 349, 363.



IV. Die einzelnen Einflussfaktoren

95

Selbst wenn man mit der überwiegenden Meinung eine persönliche Entbindungsbefugnis der natürlichen Person im Strafprozess bejahen wollte, so bestünde dennoch die Gefahr, dass dieser Schutz über den Umweg des Zivilprozesses sogleich wieder ausgehebelt würde. Denn wenn mit der überwiegenden Meinung dort ohne das Einverständnis des ehemaligen Organwalters Informationen aus dem Mandatsverhältnis verwendet werden können, wäre die Möglichkeit eröffnet, diese etwa über den Umweg der Verlesung des entsprechenden Vernehmungsprotokoll doch wieder auch in den Strafprozess einzuführen.33 Auch die strafrechtlichen Risiken einmal ausgeblendet stünde ferner zu vermuten, dass bereits die Gefahr der zivilrechtlichen Inanspruchnahme ausreichen würde, die Offenheit gegenüber einem Unternehmensanwalt einzuschränken.34 c) Ablehnung einer persönlichen Entbindungsbefugnis für Organwalter Eine Entscheidung der Streitfrage erscheint hier aufgrund des nach dem objektiven Meinungsstand ohnehin gegebenen Abschreckungseffekts zwar zunächst nicht zwingend erforderlich. Aufgrund ihrer engen Verbindung zur Beschlagnahmefrage ist sie gleichwohl sinnvoll. Insbesondere vor dem Hintergrund, dass das wesentliche Argument innerhalb beider Problemfelder die Abschreckungsthese ist, läge – wie auch verschiedentlich gefordert wird – eigentlich nahe, beide einheitlich zu beantworten.35 Im Ergebnis ist eine solche einheitliche Antwort allerdings nicht möglich. Trotz der hier noch zu entwickelnden Ansicht eines sehr weiten Beschlagnahmeverbots für anwaltliche Unterlagen eines Unternehmens sprechen die deutlich besseren Argumente gegen eine persönliche Entbindungsbefugnis von Organwaltern. Zwar ist zunächst richtig, dass die mangelnde Einflussmöglichkeit der persönlich involvierten Organwalter eine hemmende Wirkung auf die Mandatsbeziehung zu einem Unternehmensanwalt haben kann.36 Der Unterschied zur Beschlagnahmefrage aber ist, dass dem nicht allein staatliche Verfolgungs- und Allgemeininteressen gegenüberstehen, sondern ganz konkrete Interessen des Unternehmens und damit des Mandanten selbst. 33  Dierlamm,

DAV-FS, S. 428, 446 f. Tully/Kirch-Heim, NStZ 2012, 657, 662. 35  Für die Forderung nach einer solchen Einheitlichkeit siehe Schmitt, wistra 1993, 9, 12; Huber-Lotterschmid, Verschwiegenheitspflichten, S. 109, Fn. 474. 36  Dies ist letztlich das zentrale Argument aller genannten Forderungen nach einer persönlichen Entbindungsbefugnis ehemaliger Organwalter. 34  Vgl.

96

C. Untersuchung der Abschreckungsthese

Denn eine Entbindungsbefugnis für ehemalige Organwalter – insbesondere eine solche, die auch bei gegen das Unternehmen gerichteten Straftaten gilt37 – würde die Mandatsbeziehung nicht nur in die Gefahr einer unzulässigen Vertretung widerstreitender Interessen bringen.38 Vielmehr würde grundsätzlich in Frage gestellt werden, inwieweit ein Rechtsanwalt unter diesen Bedingungen überhaupt noch die Interessen eines Unternehmens vertreten könnte. Zwar würde er dies faktisch noch solange tun wie sich die Interessen von Unternehmen und Organwalter decken. Er würde dies aber immer nur unter dem Vorbehalt sich auseinanderentwickelnden Interessen tun.39 Die umfassende rechtliche Vertretung des eigentlichen Mandanten würde damit durch eine quasi zufällige, mehr inzidente und eingeschränkte denn zielgerichteten Vertretung ersetzt werden. Vielmehr noch wäre es ihm verwehrt, auch nur auf den Umstand solcher nunmehr divergierender Interessen hinzuweisen. Ein Interessenvertreter des Mandanten aber, der jederzeit verdeckt aufhören kann, ein solcher zu sein, taugt auch von Anfang an nicht als vertrauenswürdiger Beistand in rechtlichen Fragen. Die Entbindungsbefugnis für ehemalige Organwalter würde damit in deutlich schwerwiegenderer und fundamentalerer Art das notwendige abstrakte Vertrauen des Mandanten in den Rechtsanwalt untergaben als dies durch eine hemmende Wirkung auf einzelne Kommunikationsinhalte möglich wäre. Man wird deshalb zu dem Schluss kommen müssen, dass eine begrenzt hemmende Wirkung auf ein Mandatsverhältnis immer noch besser ist als dessen faktische Usurpation durch „Dritte“40 in Gestalt der Organwalter. d) Sonstige Zugriffsmöglichkeiten auf anwaltliche Unterlagen Dies muss umso mehr gelten, als dass die Problematik nicht allein auf die Entbindungsbefugnis innerhalb eines Gerichtsprozesses beschränkt ist, sondern sich vielmehr auch auf das in dieser Hinsicht wenig geklärte vorprozessuale Stadium erstreckt.41 37  So

439.

ausdrücklich etwa Schmitt, wistra 1993, 9, 12; Dierlamm, DAV-FS, S. 428,

38  Tully/Kirsch-Heim,

NStZ 2012, 657, 662. das teilweise vorgebrachte Argument, wonach ein Beschlagnahmeschutz im Falle des kollusiven Zusammenwirkens zwischen Anwalt und Organwalter ohnehin gem. § 97 II 3 StPO entfalle, greift nicht durch (vgl. zu diesem Argument Schmitt, wistra 1993, 9, 12); denn das im Regelfall gegebene bloße Wissen des Rechtsanwalts um rechtswidrige Taten des Organwalters reicht hierfür nicht aus. Es bedürfte vielmehr konkreter Teilnahmehandlungen durch den Rechtsanwalt. 40  BGHZ 109, 260, 271 (=  NJW 1990, 510, 512). 41  Hierauf weisen richtigerweise auch Feigen/Livonius, FS Wolter, S. 891, 896 hin. 39  Auch



IV. Die einzelnen Einflussfaktoren97

Denn im Grundsatz bestehen auch unabhängig von jeglichen Gerichtsverfahren umfassende Herausgabe- und Auskunftsansprüche des Mandanten gegen einen von ihm mandatierten Rechtsanwalt (vgl. §§ 666, 667 BGB, § 50 III 1 BRAO).42 Die daraus gewonnen Unterlagen wären demnach rechtmäßig erlangte Beweisstücke, deren Verwertung auch jedenfalls in einem späteren zivilrechtlichen Prozess grundsätzlich nichts entgegenstehen würde. Zwar fordert – soweit ersichtlich als einziger – Dierlamm, auch die Erfüllung dieser „außerprozessualen“ Pflichten von der Zustimmung der konkret beteiligten natürlichen Person abhängig zu machen.43 Dies allerdings stünde in Widerspruch zur Rechtsprechung des BGH.44 Auch im Übrigen geht die Literatur richtigerweise davon aus, dass eine Offenbarung von Informationen eines Rechtsanwalts an den eigenen Mandanten, also jedenfalls an die entsprechenden aktuellen Leitungsorgane, schon im Ausgangspunkt keine Verletzung der Schweigepflicht darstellt,45 so dass es folgerichtig auch nicht auf die streitige Frage nach der Entbindungsbefugnis ankommen dürfte. Alles andere wäre auch schwer zu begründen. So würde sich bei Folgen der Ansicht von Dierlamm etwa die kontraintuitive Folgefrage stellen, ob 42  Vgl. BGHZ 109, 260, 263 ff. (=  NJW 1990, 510, 510 f.); MüKo-BGB-Seiler, § 667, Rn. 16; Fiala/von Walter, DStR 1998, 694; 696; Dohle, DStR 2000, 1265, 1266. 43  Dierlamm, DAV-FS, S. 428, 448 (Als Alternative hierzu komme lediglich in Frage, den ehemaligen Organwalter über ein Verwertungsverbot zu schützen. Die Bezugnahme auf § 97 I 3 InsO legt dabei nahe, dass damit ein lediglich strafprozessuales Verwertungsverbot gemeint wäre. Unbeantwortet bleibt somit die Frage, wie dann in einem Zivilverfahren vorgegangen werden müsste). 44  BGHZ 109, 260, 271 f. (=  NJW 1990, 510, 512). Gegenstand des Verfahrens war zwar der Herausgabeanspruch des Konkursverwalters. Es ist jedoch nicht einsichtig, warum der Konkursverwalter mehr Rechte aus der Mandatsbeziehung zu einem Rechtsanwalt haben sollte als der Mandant selbst. Auch die Entscheidungsgründe weisen in die gleiche Richtung, vgl. etwa BGHZ 109, 260, 271 (=  NJW 1990, 510, 512 – „die einzelnen Organmitglieder waren außerhalb des Mandatsverhältnisses stehende Dritte. Daher konnte das Mandatsverhältnis ihnen gegenüber zumindest nicht unmittelbar Schutzwirkung entfalten, soweit es um eine mögliche Kollision ihrer Interessen und derjenigen der Gemeinschuldnerin ging.“). 45  Vgl. Fleischer/Schmolke, WM 2012, 1013, 1019; Knöfel/Mock, AnwBl 2010, 230, 232 („Damit erstreckt sich die Verschwiegenheitspflicht des (Gesellschaftsrechts-)Anwalts also auf alle Personen außer der Gesellschaft selbst, die durch die Geschäftsleiter vertreten wird“); Sänger, Whistleblowing, S. 200 („Die Verschwiegenheitspflicht gilt für ein Unternehmen beratende deutsche Rechtsanwälte grundsätzlich gegenüber allen Dritten mit Ausnahme des beratenden Unternehmens selbst und dessen Vertretern.“); Mann, Anwaltliche Verschwiegenheit und Corporate Governance, S. 197 (Nach Feststellung, dass Mitteilung an Entscheidungsträger innerhalb der Kapitalgesellschaft kein Verstoß gegen die Verschwiegenheitspflicht darstellt: „Einzelne Organmitglieder oder Arbeitnehmer haben kein berechtigtes Geheimhaltungsinteresse.“).

98

C. Untersuchung der Abschreckungsthese

sich ein Rechtsanwalt nach § 203 I Nr. 3 StGB strafbar machen könnte, wenn er einem ihn mandatierenden Unternehmen Informationen aus ebendiesem Mandatsverhältnis zugänglich macht.46 Auch würde damit in Frage gestellt, inwieweit eine kontinuierliche, auch einen personellen Wechsel überdauernde, anwaltliche Mandatsbeziehung zu einem Unternehmen überhaupt möglich wäre. Wenn der Unternehmensanwalt Kenntnis von Straftaten eines Organwalters hat, welche Risiken oder Schadensersatzansprüche für das Unternehmen begründen, so wäre schwer einzusehen, wie sich ein Verschweigen dieser Kenntnisse mit der anwalt­ lichen Grundpflicht zur Beratung und „umfassenden und erschöpfenden Belehrung seines Auftraggebers“47 vertragen würde. Entsprechend kann auch im Übrigen eher eine Tendenz zu geringerem Schutz der konkret mit einem Unternehmensanwalt kommunizierenden Personen festgestellt werden. So wird teilweise angenommen, dass der Rechtsanwalt auch ohne explizites Auskunftsverlangen einer Pflicht zum sogenannten „reporting up“ unterliegt und somit Hinweise über Rechtsverstöße von Unternehmensangehörigen oder einzelnen Organmitgliedern etwa an den Gesamtvorstand oder den Aufsichtsrat weiterleiten muss.48 Teilweise werden entsprechende Verpflichtungen auch bereits explizit in sogenannten „Outside Counsel Guidelines“ festgelegt.49 Vereinzelt wird überdies sogar eine eigenständige ge46  Bejahend aber Feigen/Livonius, FS Wolter, S. 891, 905. Man könnte auch noch weitergehend problematisieren, inwieweit sich dies mit den Grundsätzen der organschaftlichen Wissenszurechnung vertragen würde (vgl. allgemein zur Wissenszurechnung etwa Buck-Heeb, in: Hauschka, Corporate Compliance, § 2, Rn. 6 ff.). Denn ein strafbarer Geheimnnisverrat an jemanden, der das Geheimnis bereits kennt, kann es eigentlich nicht geben, vgl. dazu etwa Schönke/Schröder-StGB-Lenckner/ Eisele, § 203, Rn. 19a; Lackner/Kühl-StGB-Kühl, § 203, Rn. 17. 47  BGH, NJW 1993, 1320, 1322. 48  Fleischer/Schmolke, WM 2012, 1013, 1019; Dombek, Stellungnahme für die SEC („Thirdly, in Germany a similar principle to the ‚reporting up the ladder‘ is already existing. The lawyers’ client is the company itself not a single official to whom the lawyer may have frequent correspondence. As a result the lawyer is required to give the client the best and safest possible advice including reporting any malfeasances ‚up the ladder‘ arising from contractual and ethical obligations.“); eingeschränkt in diese Richtung auch Mann, Anwaltliche Verschwiegenheit und Corporate Governance, S. 208; siehe ferner Mann, Anwaltliche Verschwiegenheit und Corporate Governance, S. 193 ff. zu einer solchen Verpflichtung für deutsche Rechtsanwälte in Bezug auf kapitalmarktrechtlicher Verstöße im Anwendungsbereich des Sarbanes-Oxley Acts (17 CFR § 205.3). 49  Whelan/Ziv, Fordham L. Rev. 80 (2012), 2577, 2594; Fleischer/Schmolke, WM 2012, 1013, 1019.



IV. Die einzelnen Einflussfaktoren99

sellschaftsrechtliche Pflicht des Vorstands erwogen, eigenes Fehlverhalten gegenüber der Gesellschaft aktiv offenzulegen.50 e) Ergebnis: Fehlende persönliche Kontrolle über Kommunikationsvorgänge begründet einen von der Beschlagnahmemöglichkeit unabhängigen Abschreckungseffekt Trotz einiger Zweifelsfragen im Detail ist mithin also festzustellen, dass ein Geschäftsleiter objektiv nicht mit hinreichender Sicherheit davon ausgehen kann, die persönliche und von seiner Organstellung losgelöste Kontrolle über von ihm ausgehende Kommunikationsinhalte auszuüben. Vielmehr muss er – völlig unabhängig von der Möglichkeit der Beschlagnahme – die Entscheidung über den Grad seiner Offenheit gegenüber einem Unternehmensanwalt vor dem Hintergrund eines erheblichen Risikos treffen, dass diese in der ein oder anderen Form später gegen ihn verwendet wird. Jedenfalls bei rationaler Betrachtung ist dabei davon auszugehen, dass bereits dieser Umstand der fehlenden persönlichen Kontrolle geeignet ist, in vielen Fällen eine völlige Offenheit gegenüber einem Rechtsanwalt zu verhindern.51 Auf der anderen Seite existieren empirische Hinweise darauf, dass dieser Mangel an persönlicher Kontrolle keine wesentliche Rolle gerade bei den Entscheidungen von höherrangigen Unternehmensangehörigen spielt und von deren Seite ein subjektives Sicherheitsgefühl besteht.52 Nach gegenwärtiger Rechtslage ist dieses Gefühl aber wenig mehr als bloße „Illusion“.53 2. Zusätzliche Abschreckungseffekte durch Versagen eines Beschlagnahmeschutzes Darüber hinaus gibt es gleichwohl diverse, die Offenheit gegenüber Rechtsanwalten mindernde Faktoren, die tatsächlich in direktem Zusammenhang mit einer Beschlagnahmemöglichkeit stehen. Ergebnis jedoch ablehnend Grunewald, ZGR 2013, 841. FS Achenbach, S. 39, 53 („Kein Vorstandsmitglied oder Geschäftsführer würde einem Wirtschaftsprüfer derart sensible Unterlagen überlassen oder ihm gegenüber entsprechende Angaben machen, wenn er ernsthaft befürchten müsste, mit eben diesen Informationen später selbst belastet zu werden.“); Tully/Kirch-Heim, NStZ 2012, 657, 662; Sexton, NYU L. Rev. 57 (1982), 443, 466; Brown, Hofstra L. Rev. 34 (2006), 897, 923. 52  Alexander, St. John’s L. Rev. 63 (1989), 191, 261 f. 53  So Thornburg, Notre Dame L.Rev. 69 (1993), 157, 174 zur Rechtslage in den USA. 50  Im

51  Beulke,

100

C. Untersuchung der Abschreckungsthese

Soweit die Literatur den Abschreckungseffekt als Argument für einen erweiterten Beschlagnahmeschutz anführt, so fehlt dabei oftmals eine genaue Differenzierung, welche Mechanismen diesen unter welchen Bedingungen genau begründen. Eine solche Differenzierung ist aber unentbehrlich, um selbst eine ungefähre Aussage über Ausmaß und Wahrscheinlichkeit eines möglichen Abschreckungseffekts treffen zu können, ohne die eine sinnvolle Abwägung mit dem staatlichen Verfolgsinteresse nicht erfolgen kann. a) Vorbemerkung zur Bedeutung persönlichen Risikos für die Abschreckungsthese Zur Beurteilung der Abschreckungsthese ist in einer ersten Näherung zunächst die Bedeutung eines persönlichen, rechtlichen Risikos für das Vorliegen eines Abschreckungseffekts herauszustellen. Denn jedenfalls ein rational begründeter Abschreckungseffekt kann nur dann in Frage kommen, wenn die in Bezug genommene Handlung wenigstens theoretisch negative Konsequenzen haben kann. Dies ist auch bei anwaltlichen Unterlagen aber keinesfalls automatisch der Fall. Als relevante Konsequenz kommt hier vielmehr einzig eine nachteilige Beweislageveränderung in Betracht, also eine solche, die das persönliche Risiko zivil- oder strafrechtlicher Nachteile erhöht. Zwar ist grundsätzlich auch unabhängig davon ein abschreckender Effekt denkbar, wenn etwa die Inanspruchnahme rechtliche Beratung im Einzelfall die Preisgabe privater oder intimer Informationen erforderlich macht. Dies kann allerdings schon im Ausgangspunkt nur für die Beratung von Privatpersonen gelten. Wie oben bereits dargelegt erscheint eine solche Möglichkeit im Zusammenhang mit Unternehmensanwälten hingegen fernliegend. Der Austausch privater oder intimer Informationen wird hier schon rein faktisch eine seltene Ausnahme bleiben und auch in rechtlicher Hinsicht kann hier keine berechtigte Erwartung der Geheimhaltung bestehen.54 Hinzu kommt – und dies gilt auch für Privatpersonen – dass die Beschlagnahme selbst in Bezug auf intime Informationen höchstens einen geringen Unterschied machen kann. Denn einen fundamentalen Unterschied macht es für den Abschreckungseffekt nicht mehr, ob diese Informationen nur zur Kenntnis eines Rechtsanwalts (und gegebenenfalls seiner Angestellten, Referendare oder Praktikanten) oder zusätzlich noch schweigepflichti54  Vgl.

oben unter C.IV.1.



IV. Die einzelnen Einflussfaktoren101

ger Ermittlungsbeamten gelangt. Allenfalls eine besondere persönliche Beziehung zu einem Rechtsanwalt, von der allerdings in dieser Allgemeinheit nicht ausgegangen werden kann, mag hier also im Einzelfall einen Unterschied machen. Im Ergebnis ist also festzustellen, dass ein relevanter Abschreckungseffekt nur insoweit festgestellt werden kann, wie sich aus den betreffenden Kommunikationsinhalten die Gefahr eines rechtlichen Nachteils ergibt, insbesondere in Form zivilrechtlicher Inanspruchnahme oder strafrechtlicher Verurteilung. b) Rein zukunftsbezogene Rechtsberatung aa) Die Argumentation in der Literatur Wenngleich von Befürwortern eines erweiterten Beschlagnahmeschutzes teilweise nur die Gemengelage zwischen zukunfts- und vergangenheitsbezogenen Sachverhalten betont55 oder nur allgemein ein Abschreckungseffekt festgestellt wird, bezieht sich ein Teil der Kritik an einem nur eingeschränkten Beschlagnahmeschutz auch auf rein zukunftsbezogene, präventive Rechtsberatung.56 So wird geltend gemacht, dass ein fehlender oder lückenhafter Beschlagnahmeschutz eine verringerte Rechtskonformität der Akteure zur Folge habe, da erst die umfassende Inanspruchnahme rechtlicher Beratung die Kenntnis der relevanten Rechte und Pflichten ermögliche.57 Auf diese Weise werde der Gedanke der Generalprävention unterlaufen und derjenige prozessual benachteiligt, der versuche, sich rechtstreu zu verhalten.58 Überdies werde verhindert, dass der Rechtsanwalt rechtzeitig auf den Mandant einwirken könne um diesen von eventuell beabsichtigten Rechtsverstößen abzuhalten.59 Besondere Bedeutung komme der präventiven Beratung dabei etwa Taschke, FS Hamm, S. 751, 759, 763. etwa Beulke/Lüdke/Swoboda, Unternehmen im Fadenkreuz, S. 65 f. 57  Kapp/Schröder, WuW 2002, 555, 565; Kapp/Roth, ZRP 2003, 404, 406; Buntscheck, WuW 2007, 229, 236; Upjohn Co. v. United States, U.S. 449, (1981), 383, 392; Duplan Corp v. Deering Milliken Inc., F. Supp 397 (1974), 1146 („This court recognizes that it is not the federal government that is primarily responsible for enforcement of the federal antitrust laws but rather the lawyers who advise their corporate clients.“); Gergacz, Attorney-Corporate Client Privilege, § 1:21; Burnham, The Business Lawyer 24 (1969), 901, 913 f.; kritisch zu einem solchen „voluntary compliance model“ Sexton, NYU L. Rev. 57 (1982), 443, 469 f. 58  Kapp/Schröder, WuW 2002, 555, 565; Kapp/Roth, ZRP 2003, 404, 407. 59  Kapp/Schröder, WuW 2002, 555, 565; Weissenberger, Iowa L.Rev. 65 (1980), 899, 905; Kobak, Georgia L. Rev. 6 (1972), 339, 340 („If there exists any single 55  Vgl. 56  Vgl.

102

C. Untersuchung der Abschreckungsthese

im Bereich des Kartellrechts zu, da mit der VO 1 / 2003 nunmehr ein System der „Selbsteinschätzung“60 geschaffen wurde, welches Unternehmen im Vorhinein zu einer eigenen Einschätzung der kartellrechrechtlichen Zulässigkeit potentiell wettbewerbsbeschränkender Vereinbarungen zwingt.61 bb) Kein Abschreckungseffekt bei rein zukunftsbezogener Rechtsberatung Soweit es um solche rein zukunftsbezogene Rechtsberatung geht, wird man die oben genannte Argumentation im Ergebnis ablehnen müssen und größtenteils bereits das Vorliegen eines relevanten Risikos verneinen müssen.62 (1) Allgemeines Denn egal, zu welchem Ergebnis die Beratung am Ende kommt, hat der Entscheidungsträger erst hierauf basierend eine Entscheidung zu treffen. Erst diese Entscheidung aber kann potentiell ein finanzielles Risiko für den Verband herbeiführen, zum Beispiel indem dadurch gegen kartellrechtliche, bußgeldbewehrte Vorschriften verstoßen wird.63 place where society needs a buffer of legal advice to separate the whims of a client from immediate gratification, that place is the boardroom of the modern corpora­ tion.“). 60  Vgl. dazu Loewenheim/Meessen/Riesenkampff-Nordemann, § 2 GWB, Rn. 5. 61  Buntscheck, WuW 2007, 229, 237; Mehle/Mehle, NJW 2011, 1639, 1642 f.; Eichler/Peukert, AnwBl 2002, 189. 191; allgemein zu diesem „Systemwechsel“ Immenga/Mestmäcker-GWB-Fuchs, § 2, Rn. 12 ff. 62  Note, Harvard L. Rev. 95 (1981), 91, 276 f. („But in seeking legal advice on future corporate moves, the corporation is already attempting to comply with the law; it has, as yet, little or nothing to hide and – with or without the privilege – little incentive to withhold relevant information from an attorney“); Thornburg, Notre Dame L. Rev. 69 (1993), 157, 176 (die richtigerweise argumentiert, dass bei Folgen des präventiv eingeholten Rechtsrat keine rechtswidrige Tat begangen wird und somit auch kein Anreiz zum Zurückhalten von Informationen besteht. Wenn dem Rechtsrat hingegen nicht gefolgt werde, so sei der Mandant nicht schutzwürdig); Leslie, Ind. L.J. 77 (2002), 469, 487 („Corporate actors who wish to comply with the law will not worry that their communications with counsel will eventually be revealed, because revelation would show only that the corporation did not pursue avenues that violated applicable law or regulations. Thus, in most preconduct situations, the law need not provide additional incentive to encourage corporate employees to be candid with counsel.“). 63  LG Bonn, Beschl. v. 10.09.2010 – 27 Qs 21/10 –, Rn. 34 (in Bezug auf das System der Legalausnahme in VO 1/2003); vgl. auch Schwintowski, NZG 2005, 200, 203 (Im Rahmen der kartellrechtlichen Selbsteinschätzung könne sich nur dann eine Haftung ergeben, wenn von der anwaltlichen Einschätzung abgewichen werde).



IV. Die einzelnen Einflussfaktoren103

Auch kann das Ergebnis einer rein zukunftsbezogenen Rechtsberatung letztlich nicht die Beweislage in Bezug auf das Vorliegen einer Anknüpfungstat für die Verbandsgeldbuße beeinflussen, da hierin ja lediglich die Rechtslage und keine belastenden Tatsachenfragen enthalten sind. Ob eine Tat begangen wurde oder nicht, kann schlichtweg nicht mit dem Ergebnis einer vor der mutmaßlichen Tat liegenden rechtlichen Beratung bewiesen werden. Aus diesem Grund hat der Bereich rein präventiver Rechtsberatung auch letztlich kaum Relevanz für die Frage möglicher Beschlagnahmeverbote. Denn wenn entsprechenden Unterlagen schon die Beweisbedeutung fehlt, besteht ganz unabhängig von etwaigen Verboten schon keine Befugnis zur Beschlagnahme nach § 94 StPO. Grundsätzlich könnten rein zukunftsbezogene Rechtsberatungsergebnisse zwar für die Frage eines unvermeidbaren Verbotsirrtums einmal relevant werden.64 Denn falls ein später beschlagnahmtes anwaltliches Gutachten zu dem Schluss gekommen wäre, dass eine geplante Handlung rechtswidrig wäre, so wäre jedenfalls der Einwand einer Unvermeidbarkeit eines eventuellen Verbotsirrtums und damit auch eine zivilrechtliche Haftungsentlastung abgeschnitten. Nichts anderes gilt jedoch für den Fall, dass vor diesem Hintergrund gleich ganz auf das Einholen rechtlichen Rats verzichtet wird. Denn die Vermeidbarkeit eines Verbotsirrtums setzt bei zweifelhafter Rechtslage voraus, dass zumutbare Erkundigungsmöglichkeiten ausgeschöpft wurden.65 Der Einwand der Unvermeidbarkeit ist somit auch abgeschnitten, wenn Rechtsrat überhaupt nicht eingeholt wurde. Gleiches gilt für den Fall, dass zwar qualifizierte Beratung in Anspruch genommen wird, dem Rechtsanwalt gegenüber aber nicht alle relevanten Fakten offengelegt werden.66

64  Selbst das aber nicht im Bereich des europäischen Kartellrechts, vgl. EuGH, NJW 2013, 3083 (Schenker & Co. AG). 65  KK-OWiG-Rengier, § 11, Rn. 59; Schönke/Schröder-StGB-Sternberg-Lieben, § 17, Rn. 18. 66  KK-OWiG-Rengier, § 11, Rn. 76; Michalski-GmbHG-Dannecker, § 82, Rn. 30; Hölters-AktG-Hölters, § 93, Rn. 249; Fleischer, KSzW 2013, 3, 9; Fleischer, FS Hüffer, S. 187, 193; Strohn, ZHR 176 (2012), 137, 139; NJW 2007, 2118, 2120; BGH, NJW-RR 2011, 1670; OLG Stuttgart, NZG 2010, 141, 144.

104

C. Untersuchung der Abschreckungsthese

(2) B  ewusst rechtswidriges Verhalten auf Grundlage anwaltlicher Beratung Gleichwohl verbleibt eine spezifische Konstellation, in der ein Abschreckungseffekt anzuerkennen ist, die aber dennoch die genannte Argumenta­ tion der Literatur nicht zu stützen vermag, ihr letztlich gar zuwiderläuft. Es handelt sich dabei um den Fall, dass ein zukunftsbezogenes anwaltliches Gutachten zu dem Schluss kommt, dass ein geplantes Vorgehen rechtswidrig ist, der Mandant in Kenntnis dieses Gutachtens aber dennoch nicht davon absieht, also „sehenden Auges“ den Rechtsverstoß in Kauf nimmt. Wie etwa in den kartellrechtlichen Entscheidungen der Kommission in den Fällen „John Deere“67 und „Sabena“68 geschehen, kann ein anwaltliches Gutachten dann zur Beurteilung des Verschuldensgrades herangezogen werden und somit durchaus einen rechtlichen Nachteil für den Mandanten begründen.69 Auf dieser Grundlage kann dann zwar ein Abschreckungseffekt festgestellt werden. Dabei ist jedoch klar zu sehen, dass dieser letztlich wenig mit der compliance-orientierten Argumentation der Literatur zu tun hat; denn ein Beschlagnahmeschutz für derartige Konstellationen würde keinerlei Beitrag zur Rechtskonformität leisten. Ein Unternehmen würde dadurch lediglich in die Position versetzt, die Folgen rechtswidriger Handlungen besser einschätzen zu können und diese so in ihre wirtschaftlichen Kalkulationen einzubinden. Ein dahingehender Beschlagnahmeschutz würde also im Gegenteil die Rechtskonformität höchstens mindern und geradezu Anreize für kalkulierte Rechtsverstöße bieten.70 (3) E  rgebnis: kein Abschreckungseffekt im Hinblick auf rein zukunftsbezogene Beratung Mithin bleibt festzuhalten, dass die Möglichkeit der Beschlagnahme jedenfalls insoweit vernünftigerweise keinen abschreckenden Effekt auf die Inanspruchnahme rechtlicher Beratung haben kann, wie es um zukunftsbe67  Entscheidung der Kommission „John Deere“ vom 14.12.1984, ABlEG Nr. L 35, S. 58, 61. 68  Entscheidung der Kommission „Sabena“ vom 4.11.1988, ABlEG Nr. L 317, S. 47, 53. 69  Als Argument für einen weiten Beschlagnahmeschutz wird dies etwa von Beulke/Lüdke/Swoboda, Unternehmen im Fadenkreuz, S. 66 und Eichler/Peukert, AnwBl 2002, 189, 195 herangezogen. 70  Ähnlich auch Thornburg, Notre Dame L. Rev. 69 (1993), 157, 176 (fehlende Schutzwürdigkeit bewusst entgegen rechtlicher Beratung handelnder Mandanten).



IV. Die einzelnen Einflussfaktoren

105

zogene Beratung prinzipiell rechtstreuer Mandanten geht. Von dem Sonderfall des bewusst kalkulierenden Rechtsbrechers einmal abgesehen ergibt sich insofern bereits hieraus, dass eine Beschlagnahmemöglichkeit in der Regel nicht die Kenntnis von Handlungspflichten und Rechten im Kontext geplanter unternehmerischer Entscheidungen beeinträchtigen würde. Die genannte Argumentation der Literatur ist insoweit also abzulehnen. c) Anwaltliche Tätigkeit mit Vergangenheitsbezug Ein anderes Bild ergibt sich allerdings im Hinblick auf nicht allein auf zukünftige Sachverhalte beschränkte Beratungskonstellationen.71 Hier besteht allgemein durchaus das Risiko, dass dadurch Tatsachen zu Tage gefördert werden, welche später als Beweis für eine sanktionsfähige Tat des Mandanten dienen können. Derartige Konstellationen sind auch außerhalb einer im engeren Sinn verstandenen Verteidigungssituation keine Seltenheit. Vielmehr bewegt sich die anwaltliche Beratung gerade in wirtschaftsrechtlichen Sachverhalten in vielen Fällen in einer nicht trennbaren Gemengelage von zukunfts- und vergangenheitsbezogenen Fragen.72 Als Beispiel sei nur der Fall herausgegriffen, in dem ein Rechtsanwalt mit der Prüfung möglicher Schadensersatzansprüche gegen Dritte beauftragt wird.73 Eine solche Beratung ist zwar tendenziell zukunftsgerichtet, kann aber nur auf Grundlage des vollständigen, vergangenen Sachverhalts erfolgen, zu dem zwangsläufig auch das (möglicherweise rechtswidrige) Verhalten des Mandanten gehört. Diese Problematik betrifft darüber hinaus in besonderem Maße die anwaltliche Tätigkeit im Zusammenhang mit der Aufarbeitung von möglichen, in der Vergangenheit liegenden Rechtsverstößen im Unternehmen, also insbesondere auch interne Erhebungen durch Rechtsanwälte. Hier besteht ein nicht unerhebliches Risiko, dass dadurch erst Tatsachen zu Tage gebracht werden, welche auf für eine Unternehmensgeldbuße aus71  Vgl. für die diesbezügliche Feststellung eines abschreckenden Effekts etwa Polley/Kuhn/Wegmann, KSzW 2012, 206, 211; Jahn, ZIS 2011, 453, 459; Kapp/ Schröder, WuW 2002, 555, 565; Dolmans/Eichler/Müller-Ibold, AnwBl 1999, 493, 499 (für Syndikusanwälte); BVerfGE 113, 29, 49 (=  NJW 2005, 1917, 1919) („Mit dem Ausmaß potenzieller Kenntnis staatlicher Organe von vertraulichen Äußerungen wächst die Gefahr, dass sich auch Unverdächtige nicht mehr den Berufsgeheimnisträgern zur Durchsetzung ihrer Interessen anvertrauen.“). 72  Taschke, FS Hamm, S. 751, 759, 763. 73  Vgl. hierzu auch Taschke, FS Hamm, S. 751, 763.

106

C. Untersuchung der Abschreckungsthese

reichende Anknüpfungstaten schließen lassen. Wäre etwa das Protokoll eines mit einem Mitarbeiter geführten, verdachtgeleiteten „Interviews“ durch einen Rechtsanwalt beschlagnahmefähig, so bestünde in der Tat die Gefahr einer für das Unternehmen und die beteiligten natürlichen Personen nachteiligen Veränderung der Beweislage. Besteht also die Chance, dass aus der anwaltlichen Beratung selbstbelastende Dokumente hervorgehen, so liegt im Wesentlichen auf der Hand, dass die Beschlagnahmemöglichkeit grundsätzlich einen Faktor begründen würde, welcher die Motivation zur Offenbarung von Informationen mindern würde. d) Zum Beschlagnahmeschutz zugunsten von Nichtbeschuldigten Relevant für die genaue Ausgestaltung eines Beschlagnahmeschutzes ist nicht nur, ob generell eine Beschlagnahmemöglichkeit besteht oder nicht, sondern insbesondere auch in welchen prozessualen Situationen. Dass die genannten strafrechtlichen Risiken dann einen hemmenden Einfluss ausüben können, wenn entsprechende Unterlagen in einem Verfahren gegen den Mandanten selbst beschlagnahmt werden könnten, erschließt sich noch unmittelbar. Weniger klar hingegen ist das Vorliegen eines solchen Einflusses insoweit wie eine Beschlagnahmemöglichkeit auf Nichtbeschuldigte begrenzt würde. Angesprochen ist damit die Streitfrage, die auch der Diskussion um die richtige Auslegung von § 97 I Nr. 3 StPO zugrunde liegt; ob nämlich ein Beschlagnahmeverbot nur zugunsten eines Beschuldigten bestehen oder ob sich dieses auch auf Mandatsverhältnisse von Dritten erstrecken sollte.74 Vielfach wird hinsichtlich eines abschreckenden Effekts in der Literatur nicht danach differenziert, ob eine Beschlagnahmemöglichkeit allein in Bezug auf Unterlagen eines nichtbeschuldigten Dritten besteht oder auch in Bezug auf Unterlagen von Beschuldigten. Wie im Folgenden zu sehen wird, ergibt sich hier allerdings durchaus ein Unterschied. Der erste Schritt zur Herausarbeitung dieses Unterschieds besteht darin, zwischen strafrechtlichen (bzw. ordnungswidrigkeitenrechtlichen) und lediglich zivilrechtlichen Konsequenzen einer Beschlagnahme anwaltlicher Unterlagen zu unterscheiden.

74  Vgl.

unten E.IV.1.a).



IV. Die einzelnen Einflussfaktoren107

aa) Strafrechtliche Konsequenzen (1) K  eine Schlechterstellung im Vergleich zur Aussagepflicht? Ein denkbarer Argumentationsweg, den abschreckenden Effekt in strafrechtlicher Hinsicht zu verneinen, könnte sich zunächst aus der Parallele zur grundsätzlichen Zeugenpflicht des Nichtbeschuldigten ergeben. So argumentiert etwa Görtz-Leible, dass der Nichtbeschuldigte durch staatlichen Zugriff auf dem Rechtsanwalt mitgeteiltes Wissen nicht schlechter gestellt würde, weil er als Zeuge ohnehin vollumfänglich zur Aussage verpflichtet werden könnte.75 Verkannt wird dabei aber, dass diese Aussagepflicht nur im Grundsatz besteht und inhaltlich dort endet, wo eine Selbstbelastung stattfinden würde (§ 55 StPO). Die Nichtexistenz einer solchen inhaltlichen Einschränkung bei der Beschlagnahme bewirkt deshalb eben doch einen Zugriff auf Informationen, zu deren Herausgabe der Mandant persönlich nicht verpflichtet gewesen wäre. Würden also in den beschlagnahmten anwaltlichen Unterlagen des Nichtbeschuldigten Zufallsfunde gemacht und verwertet, welche diesen inkriminieren, so wäre er durchaus schlechter gestellt und es stünde zu vermuten, dass jedenfalls ein gewisser hemmender Effekt auf die anwaltliche Vertrauensbeziehung ausgeübt wurde. (2) K  ein rechtlicher Nachteil durch Beschlagnahme aufgrund eines Verwertungsverbots Nichtsdestotrotz kann ein relevanter Abschreckungseffekt hier dennoch, allerdings mit einer anderen Argumentation, verneint werden. Wie beschrieben kann ein solcher Effekt nur dann eintreten, wenn der Mandant durch die Beschlagnahme einen rechtlichen Nachteil zu fürchten hätte. In strafrechtlicher Hinsicht wäre ein solcher zwar in Gestalt von Zufallsfunden denkbar. Im Ergebnis ist ein möglicher rechtlicher Nachteil aber dennoch abzulehnen. Denn dieser würde noch nicht automatisch durch die Beschlagnahme selbst, sondern erst durch die entsprechende Verwertung gegen den Mandanten begründet. In Übereinstimmung mit der Rechtsprechung des BGH ist hier aber im Ergebnis ein strafrechtliches Verwertungsverbot anzunehmen. Das Problem, das sich in dieser Konstellation stellt, ergibt sich daraus, dass (bei angenommener Beschlagnahmemöglichkeit ausschließlich von 75  Görtz-Leible,

Beschlagnahmeverbote, S. 216 ff.

108

C. Untersuchung der Abschreckungsthese

anwaltlichen Unterlagen Nichtbeschuldigter) die betreffenden Gegenstände zunächst beschlagnahmt werden dürften. Mit den daraus gewonnen Informationen würde der Mandant dann aber unter Umständen zum Beschuldigten, so dass die Unterlagen danach nicht mehr beschlagnahmt werden dürften. Die Beschlagnahmefreiheit würde dann also erst nach der bereits erfolgten Beschlagnahme eingreifen. Explizit beschrieben wurde diese spezielle Konstellation, soweit ersichtlich, bisher allein von Wohlers, der hier ein Verwertungsverbot annehmen will.76 Wohlers ordnet die Problematik dabei in die allgemeinere Diskussion um die Auswirkungen von nachträglich eingetretenen Beschlagnahmehindernissen ein.77 Diese befasst sich explizit allerdings zumeist nur mit der Frage eines später weggefallenen Teilnahmeverdachts gegen den Rechtsanwalt.78 Das spätere Einrücken in die Beschuldigtenstellung durch den Mandanten selbst wird dabei im Übrigen nicht thematisiert. Dies ist deshalb misslich, weil genau an dieser Stelle Unterschiede in der Rechtsprechung des BGH bestehen, die beiden Konstellationen also gerade nicht ohne Weiteres einheitlich eingeordnet werden können. So verneint der BGH in Übereinstimmung mit der überwiegenden Meinung in der Literatur79 zunächst ein Verwertungsverbot im Falle eines nachträglich weggefallenen Teilnahmeverdachts gegen den Berufsgeheimnisträger.80 Eine andere Entscheidung des BGH hingegen bejaht ein Verwertungsverbot – wiederum unter Zustimmung der teilweise gleichen Literaturmeinungen81 – insoweit wie die Beschlagnahme in einem anderen Verfahren erfolgte als jenes, in welchem die gewonnenen Informationen schließlich verwendet werden sollen.82 In diesem Fall betont das Gericht, dass die 76  SK-StPO-Wohlers,

§ 97, Rn. 44 ff. Verwertungsverbot bejahend: SK-StPO-Wohlers, § 97, Rn. 46 f. (soweit die Vertrauensbeziehung schon im Zeitpunkt der Beschlagnahme bestand); AKStPO-Amelung, § 97, Rn. 35; Mitsch, FS Lenckner, S. 721, 737 f.; Schlüchter, Strafverfahren, Rn. 308; Schmitt, Zeugnisverweigerungsrechte, S. 103 f.; ein Verwertungsverbot verneinend: LR-StPO-Menges, § 97, Rn. 39, 147; KK-StPO-Greven, § 97, Rn. 10; Meyer-Goßner-Schmitt, § 97, Rn. 25, 47; BeckOK-StPO-Ritzert, § 97, Rn. 25; BGHSt 25, 168, 170 f. (=  NJW 1973, 1289, 1290); BGH, NStZ 1983, 85. 78  Und der daraus resultierenden Ausnahme von dem Beschlagnahmeverbot nach § 97 II 3 StPO. 79  LR-StPO-Menges, § 97, Rn. 39, 147; KK-StPO-Greven, § 97, Rn. 10; MeyerGoßner-Schmitt, § 97, Rn. 25, 47; BeckOK-StPO-Ritzert, § 97, Rn. 25; BGHSt 25, 168, 170 f. (=  NJW 1973, 1289, 1290); BGH, NStZ 1983, 85. 80  BGHSt 25, 168, 170 f. (=  NJW 1973, 1289, 1290); BGH, NStZ 1983, 85. 81  LR-StPO-Menges, § 97, Rn. 148; KK-StPO-Greven, § 97, Rn. 9; Meyer-GoßnerSchmitt, § 97, Rn. 49; BeckOK-StPO-Ritzert, § 97, Rn. 26; Herdegen, GA 1963, 141. 82  BGHSt 18, 227 (=  NJW 1963, 870). In dem zugrundeliegenden Sachverhalt wurden schriftliche Mitteilungen zwischen dem Beschuldigtem und seiner Ehefrau 77  Ein



IV. Die einzelnen Einflussfaktoren109

Verwertbarkeit „nicht allein von der Tatsache abhängt, daß die Beschlagnahme gerechtfertigt war, sondern von dem Grund dieser Rechtfertigung.“83 Soweit ersichtlich wurde dieser Rechtsprechung in der Literatur bislang auch an keiner Stelle widersprochen. Entscheidend ist nun, dass der Fall des nachträglichen Einrückens in die Beschuldigtenstellung eindeutig in die letztere Kategorie eingeordnet werden muss, also nicht als Fall eines nachträglich eintretenden Beschlagnahmehindernisses innerhalb eines einzigen Verfahrens. In der genannten Entscheidung BGHSt 18, 227 handelte es sich dabei sogar um verschiedene Taten desselben Haupttäters. Wenn aber schon hier ein Verwertungsverbot für andere Taten angenommen wird, dann muss dies erst recht gelten, wenn es sich um andere Taten von völlig unterschied­ lichen Tätern handelt. Einzig das macht auch Sinn, denn es wäre nicht einzusehen, warum das anwaltliche Vertrauensverhältnis weniger schützenswert sein sollte, nur weil innerhalb dessen zufällig auch Informationen über rechtswidrige Taten eines Dritten enthalten waren. In konsequenter Anwendung der zustimmungswürdigen Rechtsprechung des BGH wäre folglich also ein Verwertungsverbot anzunehmen, wenn anwaltliche Unterlagen eines Nichtbeschuldigten beschlagnahmt werden und darin enthaltene Hinweise nunmehr in einem Verfahren gegen ihn als Beschuldigten verwendet werden sollen.84 Folgt man dieser Annahme, so würde sich aus der Beschlagnahme von anwaltlichen Unterlagen Nichtbeschuldigter im Ergebnis kein rechtliches Risiko für den jeweiligen Mandanten ergeben und ein die Offenheit gegenüber dem Rechtsanwalt hemmender Einfluss wäre zu verneinen. Theoretisch wäre auch denkbar, dies anders zu sehen. In diesem Fall wäre ein Abschreckungseffekt dann aber zu bejahen und ein Schutz bereits auf der Beweiserhebungsebene wäre naheliegend. wegen Teilnahmeverdacht der Ehefrau beschlagnahmt. Nach dem Urteil des BGH durften die gewonnen Informationen nur zum Beweis genau der Taten verwendet werden, bezüglich derer ein Teilnahmeverdacht bestand. Hinsichtlich anderer Taten hingegen wurde ein Beweisverwertungsverbot angenommen. Diese Rechtsprechung wurde durch die beiden zeitlich nachfolgenden Entscheidungen BGHSt 25, 168 und BGH, NStZ 1983, 85 auch nicht etwa abgeändert. Vielmehr wird BGHSt 18, 227 dort ausdrücklich genannt und jedenfalls von BGH, NStZ 1983, 85 anhand des unterschiedlichen Sachverhalts differenziert. 83  BGHSt 18, 227, 228 f. (=  NJW 1963, 870, 871). 84  Vgl. zu diesem Argument auch BGHSt 18, 227, 229 (=  NJW 1963, 870, 871) („Sonst würde über Recht und Schutz des zeugnisverweigerungsberechtigten Gewahrsamsinhabers die vielfach von Zufälligkeiten und Ermessensentscheidungen abhängende, durch Verbindung und Trennung veränderbare äußerliche Einheit des Verfahrens entscheiden.“).

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C. Untersuchung der Abschreckungsthese

bb) Zivilrechtliche Nachteile Ist somit festgestellt, dass der Nichtbeschuldigte richtigerweise keine strafrechtlichen Konsequenzen aus der Beschlagnahme seiner anwaltlichen Unterlagen zu fürchten hat, so ist dennoch in einem weiteren Schritt zu untersuchen, ob sich nicht jedenfalls zivilrechtliche Nachteile ergeben könnten, welche im Grundsatz ebenso einen Abschreckungseffekt auslösen könnten. Zu denken ist dabei beispielsweise an die Situation eines Adhäsionsklägers.85 Steht etwa im Zusammenhang mit einer Schadensersatzforderung desselben ein mögliches Mitverschulden im Raum,86 so wären dessen Anwaltsunterlagen nicht nur beweisrelevant, sondern eine Beschlagnahme hätte im Einzelfall auch erhebliche Auswirkungen auf die erfolgreiche Geltendmachung einer solchen Forderung. Gleiches kann für andere Personen gelten, welche ein zivilrechtliches Interesse an dem jeweiligen Verfahrensgegenstand des Strafverfahrens haben. Gleichwohl wird man im Ergebnis einen abschreckenden Einfluss auch in zivilrechtlicher Hinsicht weitgehend verneinen müssen. Dies liegt daran, dass immer auch eine Zeugenaussage des Nichtbeschuldigten möglich ist. Sofern dieser nicht selbst der Gefahr der strafrechtlichen Selbstbelastung ausgesetzt ist, ist er dann ohnehin verpflichtet, wahrheitsgemäß auszusagen, ohne Rücksicht auf eventuelle zivilrechtliche Nachteile. Auch ohne die Möglichkeit der Beschlagnahme hat der Nichtbeschuldigte also letztlich keine Möglichkeit, zivilrechtlich für ihn nachteilige Informa­ tionen wirkungsvoll aus dem Strafverfahren herauszuhalten. Aus der feh­ lenden Entsprechung der § 384 Nr. 1 und 3 ZPO87 in der StPO wird man überdies schließen können, dass ein derartiger Vorrang der strafprozessualen Wahrheitsfindung vor zivilrechtlichen Interessen auch einer bewussten normativen Wertung entspricht.88 zu dieser Konstellation Jahn, ZIS 2011, 453. für eine solche Konstellation etwa BGHSt 47, 378 (=  NJW 2002, 3560). 87  MüKo-ZPO-Damrau, § 384, Rn. 1. 88  Ergänzend mag an dieser Stelle im Übrigen noch darauf hingewiesen werden, dass auch im Zivilprozess nicht gänzlich zweifelsfrei ist, inwieweit anwaltliche Unterlagen vor dem Zugriff des Prozessgegners geschützt werden können. Diese Zweifel ergeben sich aus § 142 ZPO, welcher dem Gericht ermöglicht, die Vorlage von Unterlagen anzuordnen, auf die sich eine der Parteien – gleichgültig welche – bezogen hat. Da § 142 II ZPO von dieser Vorlagepflicht lediglich zeugnisverweigerungsberechtigte Dritte ausnimmt, nicht aber die Parteien selbst, wird in der Literatur diskutiert, ob sich die Anordnungsbefugnis des Gerichts nicht auch auf anwaltliche Unterlagen erstrecken könnte. Dies wird allerdings, soweit erkennbar, in Rechtsprechung und Literatur durchgängig verneint: LG Karlsruhe, Beschluss vom 24.01.2005 – 85  Vgl. 86  Vgl.



IV. Die einzelnen Einflussfaktoren111

cc) Ergebnis: kein Abschreckungseffekt bei der Beschlagnahme von Unterlagen nichtbeschuldigter Dritter Im Ergebnis erleidet ein nichtbeschuldigter Dritter also durch die Möglichkeit der Beschlagnahme seiner anwaltlichen Unterlagen in dem Verfahren gegen einen anderen weder einen relevanten strafrechtlichen noch zivilrechtlichen Nachteil. Der Zugriff auf diese Unterlagen stellt sich für diesen weitgehend neutral dar und kann somit realistischerweise auch keinen hemmenden Effekt auf die Inanspruchnahme rechtlicher Beratung auslösen. e) Beratung von Unternehmen Wenig eindeutig gestaltet sich schließlich auch der abschreckende Einfluss der Beschlagnahme im Zusammenhang mit Mandatsbeziehungen zu Unternehmen. Zwar bestehen auch gegen das Unternehmen Sanktionsmöglichkeiten89 und sonstige Risiken, die auf den ersten Blick offensichtliche Faktoren für einen Abschreckungseffekt darstellen. Diese treffen jedoch zunächst einmal nur das Unternehmen selbst. Die Entscheidungen aber, inwieweit jeweils ein Rechtsanwalt ins Vertrauen gezogen werden soll, treffen auch hier natürliche Personen. Eine Betrachtung der Sanktionsmöglichkeiten gegen ein Unternehmen reicht somit nicht aus, sondern es muss darüber hinaus festgestellt werden, inwieweit auch die Entscheidungsträger persönlich betroffen wären, sollten sich inkriminierende Tatsachen aus den beschlagnahmten anwaltlichen Unterlagen ergeben. aa) Staatliche Sanktionen für Organwalter Kernelement eines möglichen, auf die relevanten Entscheidungsträgers wirkenden Abschreckungseffekts ist die jeweilige persönliche Sanktion von staatlicher Seite, die aus der Beweisverwertung der anwaltlichen Dokumente folgt. Eine persönliche Haftung kommt hier in Frage, soweit die fraglichen Rechtsverstöße entweder unter Beteiligung des Entscheidungsträgers stattfanden oder als Teil von dessen Überwachungspflichten zu verhindern gewesen wären. In letzterem Fall kommt neben den speziellen Bußgeld- und 4 O 67/04; Konrad, NJW 2004, 710; Rühl, ZZP 125 (2012), 25; Becker, MDR 2008, 1309; Musielak-ZPO-Stadler, § 142, Rn. 7. 89  Vgl. oben A.II.5.a).

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C. Untersuchung der Abschreckungsthese

Strafvorschriften insbesondere eine persönliche Bußgeldhaftung nach §§ 9, 130 OWiG, aber auch die allgemeine strafrechtliche Geschäftsherrenhaftung in Frage.90 Da hierfür aber jeweils auch ein persönliches Fehlverhalten notwendig ist, kann ein solcher Abschreckungseffekt auch nur insoweit bejaht werden, wie ein solches Fehlverhalten zumindest theoretisch in Frage kommt. Durch das Anknüpfen an Überwachungspflichten wird eine solche theoretische Möglichkeit zwar in vielen Fällen durchaus bestehen, jedenfalls aber nicht immer. Ein neu in das Unternehmen gekommener Vorstandsvorsitzender etwa hätte aus dieser Perspektive keinerlei Sanktionen für vorher begangene Rechtsverstöße aus dem Unternehmen heraus zu befürchten. Gleiches gilt grundsätzlich für Geschäftsleiter, welche sich subjektiv rechtstreu verhalten haben und durch angemessene rechtliche Beratung laufend auch die tatsächliche Rechtskonformität ihrer Tätigkeit sichergestellt haben. bb) Zivilrechtliche Ansprüche Darüber hinaus kommen auch zivilrechtliche Sanktionen für die Begehung oder Nichtverhinderung von Rechtsverstößen im Unternehmen in Frage. Neben Kündigung und Abberufung sind hier insbesondere Schadensersatzansprüche für gegen das Unternehmen verhängte Verbandsgeldbußen von Bedeutung. Inwieweit die Verbandsgeldbuße allerdings Entscheidungsträger auch persönlich betrifft, ist abhängig von der spezifischen Beteiligungs- und Vergütungsstruktur des Unternehmens und der haftungsrechtlichen Nähe zu den fraglichen Rechtsverstößen. Direkte Auswirkungen haben Verbandsgeldbußen auf Organwalter nur in dem Maß, wie diese persönlich am Kapital des Unternehmens beteiligt sind und wie hierdurch variable Gehaltsanteile reduziert werden. Je höher die Relevanz des Unternehmenserfolgs für das Einkommen und je größer die Kapitalbeteiligung ist, desto mehr wird sich eine Verbandsgeldbuße auch auf einen Geschäftsleiter persönlich auswirken. Bei kleineren oder mittelständischen, inhabergeführten Betrieben liegt das Potential einer Verbandsgeldbuße für einen abschreckenden Effekt hiernach auf der Hand. Darüber hinausgehend kann eine Verbandsgeldbuße nur indirekt, in Form einer Regresshaftung steuernde Wirkung auf einen Geschäftsleiter entfalten. 90  Vgl. dazu Grützner, in: Momsen/Grützner (Hrsg.), Wirtschaftsstrafrecht, Kap. 4, Rn.  42 ff.; Pietrek, Strafrechtliche Verantwortlichkeit aus Compliance-Pflichten, S. 159 ff.; Mittelsdorf, ZIS 2011, 123; Werner, CCZ 2011, 201; Kretschmer, StraFo 2012, 259; Mansdörfer/Trüg, StV 2012, 432; Mittelsdorf, ZIS 2011, 123; Göhler, FS Dreher, S. 611; Schall, FS Rudolphi, S. 267; Bauer/Wißmann, FS Schiller, S. 15.



IV. Die einzelnen Einflussfaktoren113

Auch hierbei gilt jedoch die obige Einschränkung, dass eine solche Haftung nur bei persönlicher Verantwortlichkeit besteht. Überdies wird von zahlreichen Stimmen in der Literatur die Möglichkeit von Regressansprüchen für Verbandsgeldbußen ganz grundsätzlich verneint91 oder eingeschränkt, insbesondere im Wege der Begrenzung auf den für den betreffenden Geschäftsleiter geltenden persönlichen Bußgeldrahmen.92 Eine herrschende Meinung oder gar eine höchstrichterlicher Klärung in Bezug auf diese Fragen ist aber derzeit nicht erkennbar.93 Insofern bleibt dennoch, auch in Bezug auf Verbandsgeldbußen, ein erhebliches persön­ liches Risiko für den Geschäftsleiter, welches geeignet ist, eine gewisse Handlungssteuerung zu bewirken. Wie oben dargelegt, können derartige zivilrechtliche Sanktionen zwar auch völlig unabhängig von einer etwaigen Beschlagnahme verfolgt werden. Ein tatsächlicher Schaden für das Unternehmen wird jedoch in vielen Fällen erst dadurch entstehen, dass entsprechende Rechtsverstöße durch staatliche Verfolgungsbehörden untersucht und geahndet werden. So mag ein Verstoß gegen kartellrechtliche Bestimmungen zwar einen Verstoß gegen die Legalitätspflicht darstellen, solange Dritte davon jedoch keine Kenntnis erlangen, wird dem Unternehmen auch kein Schaden entstanden sein. Über den Umweg der Regresshaftung besteht also grundsätzlich ein starker Anreiz für Geschäftsleiter, Verbandsgeldbußen für bereits begangene Rechtsverstöße zu verhindern. Besteht folglich die Möglichkeit einer solch persönlichen Verantwortlichkeit, so ist grundsätzlich davon auszugehen, dass eine Beschlagnahmemöglichkeit sehr wohl einen hemmenden Einfluss auf die offene Kommunikation gegenüber einem (Unternehmens-)Anwalt haben kann, welcher mitunter den aus einer persönlichen Erfolgsbeteiligung folgenden Effekt noch verstärken kann. Gleichwohl ist insbesondere im Vergleich zu Privatpersonen festzustellen, dass dieser Effekt nicht immer vorhanden, sondern auf bestimmte, wenn auch häufige Konstellationen beschränkt ist. 91  Dreher, FS Konzen, S. 103  ff.; KK-AktG-Mertens/Cahn, § 93, Rn. 56; Horn, ZIP 1997, 1129, 1136. 92  Hüffer-AktG-Koch, § 93, Rn. 15; Fleischer, BB 2008, 1070, 1073; Thole, ZHR 173 (2009), 504, 533 ff.; Marsch-Barner, ZHR 173 (2009), 723, 730; vgl. dazu auch Dreher, FS Konzen, S. 105; Bayer, FS Schmidt, S. 85, 97 (Regressbegrenzung auf ein „angemessenes Maß“ als Ausfluss der Fürsorgepflicht einer Aktiengesellschaft); vgl. zuletzt auch speziell für kartellrechtliche Bußgelder Lotze, NZKart 2014, 162, 166 ff. 93  Bayer, FS Schmidt, S. 85, 95; ausdrücklich gegen eine Regressbegrenzung argumentieren etwa Glöckner/Müller-Tautphaeus, AG 2001, 344, 345 f.; Zimmermann, WM 2008, 433, 437; Möller, Vorteilsanrechnung, S.  108 ff.

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C. Untersuchung der Abschreckungsthese

f) Sonderfall des Abschreckungseffekts – beschränkte Möglichkeit von Vertraulichkeitszusagen und Amnestievereinbarungen aa) Die These von der durch die Beschlagnahmemöglichkeit geminderten Aussagebereitschaft von Mitarbeitern im Rahmen von Internal Investigations Neben den Abschreckungseffekt im engeren Sinn tritt, zumindest im Kontext von Unternehmen, noch ein anderes Problem, welches vielfach als Argument für einen umfassenden Beschlagnahmeschutz angeführt wird.94 Es handelt sich hierbei insbesondere nicht um die Frage nach einem hemmenden Einfluss auf die Entscheidung über das Ob und Wie der Hinzuziehung eines Rechtsanwalts, sondern vielmehr um die Problematik der praktischen Möglichkeit einer effektiven Tätigkeit eines Rechtsanwalts. So wird teilweise geltend gemacht, dass eine Beschlagnahmemöglichkeit von Interviewprotokollen die Durchführung von internen Erhebungen erschwere, da den befragten Mitarbeitern hierdurch keine Vertraulichkeitszusagen mehr gegeben werden könnten, welche sich auch auf die Weitergabe an die Staatsanwaltschaft erstrecken.95 Wenn hierbei auch nicht die Beauftragung eines Rechtsanwalts an sich gehemmt wird, so ergibt sich dieser Ansicht nach jedenfalls ein ähnliches Ergebnis. Denn egal, ob die anwaltliche Durchführung einer internen Erhebung aus Angst vor Beschlagnahme überhaupt nicht durchgeführt wird oder keine relevanten Erkenntnisse bringt, wird die Präventions- und Aufklärungswirkung interner Erhebungen gleichermaßen in Frage gestellt.

94  Upjohn & Co. v. United States, U.S. 449 (1981), 383, 384; Jahn/Kirsch, StV 2011, 151, 152 (Hemmung der interviewten Mitarbeiter wahrheitsgemäße Auskünfte zu geben als Argument für einen weiten persönlichen Anwendungsbereich von § 97 Abs. 1 Nr. 3 StPO); Erb, FS Kühne, S. 171, 173 f.; Fritz, CCZ 2011, 156, 157 (Folge einer Beschlagnahmemöglichkeit von Interviewprotokollen sei eine Mauer des Schweigens, weil den Befragten eine Vertraulichkeit auch gegenüber der Staatsanwaltschaft „nicht mehr“ garantiert werden könne); wohl auch Cleblad/Johnsen, Dt. Anwaltsspiegel 2011, 8, 9. 95  Jahn/Kirsch, StV 2011, 151, 152; Fritz, CCZ 2011, 156, 157; Erb, FS Kühne, S.  171, 173 f.



IV. Die einzelnen Einflussfaktoren

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bb) Hintergrund der Argumentation Zwar ist der Grundgedanke der Argumentation zunächst noch richtig. Hiernach muss es einem Unternehmen möglich sein, bestimmte Anreize für Mitarbeiter zur Aussage über eigenes Fehlverhalten zu setzen. Denn für die Aufklärung und Aufarbeitung von Rechtsverstößen innerhalb eines Unternehmens ist von zentraler Bedeutung, auch das Wissen von einfachen Mitarbeitern unterhalb der Führungsebene abzuschöpfen, was im Regelfall durch sogenannte „Mitarbeiter-Interviews“ geschieht.96 Ein Unternehmen steht dabei grundsätzlich vor dem Problem einer im Ausgangspunkt verständlicherweise geringen Bereitschaft von Seiten der „Wissensträger“,97 inkriminierende Tatsachen zu offenbaren und sich somit der Gefahr sowohl zivilrechtlicher als auch strafrechtlicher Sanktionen auszusetzen.98 Zwar bestehen umfassende Auskunftspflichten eines Arbeitnehmers gegenüber seinem Arbeitgeber,99 welche im Grundsatz auch mit arbeitsrechtlichen Sanktionen, der Aufforderung zur Abgabe einer eidesstattlichen Versicherung oder mit den Zwangsmitteln des § 888 ZPO durchgesetzt werden können.100 Da jedoch oftmals der Nachweis bestimmter Kenntnisse nicht gelingen wird,101 stellen bestimmte Zusicherungen bzw. „Amnestieprogramme“ mitunter die einzige Möglichkeit dar, schnell und zuverlässig diese „Mauer des Schweigens“102 zu durchbrechen.103 96  Göpfert/Merten/Siegrist, NJW 2008, 1703; Kahlenberg/Schwinn, CCZ 2012, 81, 81. 97  Göpfert/Merten/Siegrist, NJW 2008, 1703. 98  Breßler/Kuhnke/Schulz/Stein, NZG 2009, 721, 721  f.; Kahlenberg/Schwinn, CCZ 2012, 81, 81; Wewerka, Internal Investigations, S. 96; Hubbell, Stanford L. Rev. 32 (1980), 1163, 1173. 99  Knauer, ZWH 2012, 81, 84 f.; Schürrle/Olbers, CCZ 2010, 178, 178; Mengel/ Ullrich, NZA 2006, 240, 242 f.; ausführlich dazu Kruse, Compliance und Rechtsstaat, S.  143 ff.; Rödiger, Strafverfolgung von Unternehmen, S. 281 ff.; Kottek, Kooperation mit SEC, S. 87 ff.; teilweise werden diese Pflichten aber auch aufgrund des nemo-tenetur-Prinzips eingeschränkt, vgl. für entsprechende Forderungen Jahn/ Kirsch, in: Rotsch, Hdb. Criminal Compliance, Rn. 32 f.; Kirsch, in: Kempf/Lüderssen/Volk, Unternehmensstrafrecht, S. 361, 363 f.; Rudkowski, NZA 2011, 612, 614; Bauer StV 2012, 277; Göpfert/Merten/Siegrist, NJW 2008, 1703, 1705; LG Hamburg, MDR 1984, 867, 868; vgl. für den Umfang arbeitsrechtlicher Auskunftspflichten auch unten unter C.IV.3.c)bb). 100  Göpfert/Merten/Siegrist, NJW 2008, 1703, 1706 f.; Dann/Schmidt, NJW 2009, 1851, 1854; Momsen, ZIS 2011, 508, 513; vgl. für eine umfassende Aufzählung möglicher Sanktionen Jakoby/Kienast, in: Wessing/Dann, Korruptionsverfahren, § 13, Rn. 201 ff. 101  Breßler/Kuhnke/Schulz/Stein, NZG 2009, 721, 721 f. 102  Göpfert/Merten/Siegrist, NJW 2008, 1703, 1704.

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C. Untersuchung der Abschreckungsthese

Ein wesentlicher und üblicher Bestandteil solcher Amnestievereinbarungen ist die Zusicherung der Vertraulichkeit.104 103

cc) Widerlegen der These An der genauen Reichweite solcher Vertraulichkeitszusagen offenbart sich jedoch der Fehler in der obigen Argumentation. Denn derartige Zusagen erstrecken sich üblicherweise, so sie denn überhaupt getätigt werden, gerade nicht auf die Nichtweitergabe der Aussagen an Behörden.105 Im Gegenteil wird in der Literatur, und insbesondere auch von Seiten der Bundesrechtanwaltskammer, vielfach betont, dass eine Amnestievereinbarung bereits mit dem expliziten Hinweis darauf verbunden werden sollte, dass die Ergebnisse einer Mitarbeiterbefragung gegebenenfalls freiwillig den Behörden übergeben werden können.106 In den USA wurde hierfür schon zuvor der Begriff der „Upjohn warnings“ etabliert, wonach Interview-Partner explizit darauf hingewiesen werden müssen, dass der befragende Rechtsanwalt nur das Unternehmen repräsentiert und allein dieses über eine Entbindung von der anwaltlichen Schweigepflicht entscheiden kann.107 103  Breßler/Kuhnke/Schulz/Stein, NZG 2009, 721, 722; Moosmayer, Compliance, S. 101; Kienast, in: Wessing/Dann, Korruptionsverfahren, § 8, Rn. 25. 104  Kienast, in: Wessing/Dann, Korruptionsverfahren, § 8, Rn. 32; Breßler/Kuhnke/ Schulz/Stein, NZG 2009, 721, 723. 105  Für ein solch enges Verständnis von Vertraulichkeitszusagen siehe Kienast, in: Wessing/Dann, Korruptionsverfahren, § 8, Rn. 32 („Die unmittelbare Zusicherung von Vertraulichkeit von Aussageinhalten ist grundsätzlich nicht möglich“); Leisner, in: Knierim/Rübenstahl/Tsambikakis, Kap. 9, Rn. 67; Breßler/Kuhnke/Schulz/Stein, NZG 2009, 721, 727; Schuster, NZWiSt 2012, 28, 30; auch Jahn/Kirsch, StV 2011, 151, 152 folgern aus der Notwendigkeit, Auskünfte von Dritten bzw. einfachen Mitarbeitern zu erlangen, lediglich, dass die Entscheidung über behördlichen Zugriff der Unternehmensleitung überlassen bleiben sollte; Bock/Gerhold, in: Knierim/Rübenstahl/Tsambikakis, Kap. 5, Rn. 40 sprechen die Möglichkeit eines Verzichts auf die spätere Entbindung von der anwaltlichen Verschwiegenheitspflicht an, schließen sich jedoch im Übrigen der Formulierung von Jahn/Kirsch, StV 2011, 151, 152 an, wonach der staatliche Zugriff jeweils der Disposition durch die Unternehmensleitung überlassen bleiben sollte. 106  Leitner, FS Schiller, S. 430, 438; Leisner, in: Knierim/Rübenstahl/Tsambikakis, Kap. 9, Rn. 67; Knauer, ZWH 2012, 81, 84; Kahlenberg/Schwinn, CCZ 2012, 81, 83; Lützeler/Müller-Sartori, CCZ 2011, 19, 23; Theile, StV 2011, 381, 381; Jahn, StV 2009, 41, 42; BRAK-Stellungnahme 35/2010, These 3, Begründungspunkt 4. 107  Vgl. etwa O’Sullivan, Am. Crim. L. Rev. 45 (2008), 1237, 1290 f.; Garrett, Cardozo L. Rev. 30 (2008), 917; 941 ff.; Griffin, NYU L. Rev. 82 (2007), 311, 337; Mark/Pearson, Stanford J. L. Bus. & Fin. 13 (2007), 1, 10.



IV. Die einzelnen Einflussfaktoren117

Eine weitergehende Zusicherung, die einen Verzicht auf jegliche freiwillige Mitwirkung oder etwa auch den Verzicht auf eine Entbindung der beauftragten Rechtsanwälte von der Zeugnispflicht enthält, wäre zwar grundsätzlich möglich,108 allerdings wenig wahrscheinlich, nicht wirksam durchzusetzen109 und im Einzelfall möglicherweise sogar pflichtwidrig.110 Denn eine interne Untersuchung ist niemals Selbstzweck, sondern Ergebnis einer unternehmerischen Entscheidung, welche einen bestimmten Zweck oder zumindest Aussicht auf einen konkreten Nutzen haben muss um ihre teilweise hohen Kosten zu rechtfertigen. Oftmals liegt dieser Zweck einer Internal Investigation gerade darin, die Ergebnisse den Behörden zu übermitteln,111 etwa im Rahmen eines Kronzeugen-Programms,112 auf Anforderung durch US-amerikanische Behörden,113 als Teil eines aufsichtsrechtlichen Auskunftsersuchens,114 zur Vorbereitung einer steuerlichen Berichtigung bzw. Selbstanzeige115 oder wenn die Untersuchung allgemein im Hinblick auf wohlwollende Anwendung des Opportunitätsprinzips116 durchgeführt wird.117 Diese Tendenz zur Weiterleitung von Informationen wird noch dadurch verstärkt, dass es mitunter im Interesse der selbst an Rechtsverstößen betei108  Park, in: Volk, MAH-WirtschaftsstrafR, § 11, Rn. 186; Kirsch, in: Kempf/ Lüderssen/Volk, Unternehmensstrafrecht, S. 361, 365. 109  Kirsch, in: Kempf/Lüderssen/Volk, Unternehmensstrafrecht, S. 361, 365. 110  Vgl. zur Gefahr einer Untreue-Strafbarkeit wegen erkennbar unwirtschaftlich durchgeführten internen Ermittlungen Momsen, in: Criminal Compliance vor den Aufgaben der Zukunft, S. 47, 52 f.; zur Schadensersatzhaftung aus gleichem Grund Potinecke/Block, in: Knierim/Rübenstahl/Tsambikakis, Kap. 2, Rn. 201. 111  Leisner, in: Knierim/Rübenstahl/Tsambikakis, Kap. 9, Rn. 81. 112  Vgl. für die kartellrechtliche Kronzeugenregelung die Bekanntmachung des Bundeskartellamtes Nr. 9/2006; vgl. allgemein dazu Dannecker/N. Müller, in: Wabnitz/Janovsky, Kap. 18, Rn. 157 ff.; Immenga/Mestmäcker-GWB-Dannecker/Biermann, § 81, Rn. 416 ff.; vgl. zum europäischen Kronzeugenprogramm im Kartellrecht etwa Loewenheim/Meessen/Riesenkampff-Nowak, VO 1/2003, Art. 23, Rn. 37. 113  Vgl. etwa Wewerka, Internal Investigations, S. 36 ff. 114  Vgl. etwa Wewerka, Internal Investigations, S. 18 f. 115  Leisner, in: Knierim/Rübenstahl/Tsambikakis, Kap. 9, Rn. 56 f.; Potinecke/ Block, in: Knierim/Rübenstahl/Tsambikakis, Kap.2, Rn. 184. 116  Vgl. allgemein zu darauf abzielenden Kooperationsbemühungen Potinecke/ Block, in: Knierim/Rübenstahl/Tsambikakis, Kap. 2, Rn. 186; Knierim, in: Knierim/ Rübenstahl/Tsambikakis, Kap. 15, Rn. 185 ff.; Klahold/Berndt, in: Momsen/Grützner, Kap. 3 A, Rn. 92 ff.; Grützner, in: Momsen/Grützner, Kap. 4, Rn. 65 ff.; Kempf/ Schilling, in: Volk, MAH-WirtschaftsstrafR, § 10, Rn. 85 ff.; Wewerka, Internal ­Investigations, S.  29  ff.; Knauer, ZWH 2012, 41, 44 ff.; Behrens, RIW 2009, 22, 30 ff. 117  Vgl. zum Ganzen auch oben A.II.5.

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C. Untersuchung der Abschreckungsthese

ligten Unternehmensleitung sein kann, die Verantwortung hierfür gezielt auf nachgeordnete Mitarbeiter zu verschieben.118 Selbst wenn eine Untersuchung nicht schon mit einer dahingehenden konkreten Zielsetzung begonnen wird, ist im Einzelfall unwahrscheinlich, dass sich ein Unternehmen freiwillig der Möglichkeit einer solchen Kooperation mit den Behörden berauben würde.119 Zumindest aber liegt nahe, dass sich das Unternehmen irgendeine konkrete Reaktion auf einen festgestellten Rechtsverstoß vorbehalten würde, welche in der ein oder anderen Form negativ für den betroffenen Mitarbeiter wäre. Ferner stehen diverse andere, in der Praxis etablierte, Wege zur Verfügung, die Konsequenzen möglicher Ermittlungsverfahren gegen einzelne Mitarbeiter abzumildern und so die Aussagebereitschaft zu erhöhen.120 Diese umfassen etwa die Übernahme von Verteidigerkosten,121 das Absehen von Strafanzeige durch das Unternehmen122 und die Freistellung von möglichen Geldstrafen123 und tragen so dazu bei, dass auch die Notwendigkeit eines weitreichenden Verzichts auf Informationsweitergabe relativ gering ist. Auf Basis dieser eingeschränkten Reichweite möglicher und realistischerweise zu erwartender Vertraulichkeitszusagen kann nun aber auch eine Beschlagnahmemöglichkeit keine, oder bestenfalls geringe, Auswirkung auf die Bereitschaft der Mitarbeiter zur Aussage haben. Dies wird in Rechtsprechung und Literatur in den USA auch vielfach bereits sehr klar gesehen.124 118  Erb, FS Kühne, S. 171, 181; Nestler, in: Knierim/Rübenstahl/Tsambikakis Kap. 1, Rn. 39; Zerbes, ZStW 125 (2013), 551, 559; Theile, StV 2011, 381, 382. 119  Zur strukturellen Tendenz von Internal Investigations, die Unterlagen auch den Behörden zugänglich zu machen siehe Zerbes, ZStW 125 (2013), 551, 559; Theile, StV 2011, 381, 384; Ignor, CCZ 2011, 143, 143 f. 120  Vgl. für eine umfassende Übersicht Leisner, in: Knierim/Rübenstahl/Tsambikakis, Kap. 9, Rn. 42 ff. 121  Knauer, ZWH 2012, 81, 84; Breßler/Kuhnke/Schulz/Stein, NZG 2009, 721, 722 f.; Kienast, in: Wessing/Dann, Korruptionsverfahren, § 8, Rn. 31. 122  Breßler/Kuhnke/Schulz/Stein, NZG 2009, 721, 727; Kienast, in: Wessing/ Dann, Korruptionsverfahren, § 8, Rn. 30. 123  Breßler/Kuhnke/Schulz/Stein, NZG 2009, 721, 722  f.; Kahlenberg/Schwinn, CCZ 2012, 81, 84 ff.; Kienast, in: Wessing/Dann, Korruptionsverfahren, § 8, Rn. 31. 124  In re Grand Jury Investigation, F.2d 599 (1979), 1224, 1236; O’Sullivan, Am. Crim. L. Rev. 45 (2008), 1237, 1291 f.; Hubbell, Stanford L. Rev. 32 (1980), 1163, 1173; vgl. auch Erb, FS Kühne, S. 171, 173 f., 183 (der zwar einerseits erkennt, dass ein Beschlagnahmeverbot keinen effektiven Schutz für interviewte Mitarbeiter bietet, sich andererseits aber in Widerspruch dazu setzt und die Beschlagnahmegefahr als Grund für eine Hemmung wahrheitsgemäßer Aussagen und als Argument für eine erweiterte Auslegung von § 97 I anführt).



IV. Die einzelnen Einflussfaktoren119

Ein Beschlagnahmeschutz hat schließlich keinerlei Vorteile für den betroffenen Mitarbeiter, wenn das Unternehmen selbst den Staatsanwalt informiert.125 Für diesen macht es keinen Unterschied, ob die Protokolle seiner Aussage im Wege der Beschlagnahme in die Hände der Staatsanwaltschaft geraten oder im Wege der freiwilligen Weitergabe durch das Unternehmen. Ein Beschlagnahmeschutz vermittelt unter diesen Umständen allenfalls eine Illusion von Sicherheit.126 Unter Umständen ist sogar denkbar, dass ein Beschlagnahmeschutz im Ergebnis nachteilige Auswirkungen für den einzelnen Mitarbeiter hat, weil er im fehlgeleiteten Vertrauen darauf aussagt und auf die Mandatierung eines eigenen Anwalts verzichtet.127 Hubbell spricht in diesem Zusammenhang gar von einer „Falle“ für den einfachen Mitarbeiter.128 Zwar ist nicht davon auszugehen, dass ein Beschlagnahmeschutz für den einfachen Mitarbeiter keinerlei Vorteile hat. Soweit es um die Abschreckung eines Mitarbeiters von wahrheitsgemäßer Aussage geht, würde sich ein solcher Vorteil aber allein auf eine etwas geringere Wahrscheinlichkeit beschränken, dass das jeweilige Protokoll tatsächlich zur Kenntnis der Behörden gelangt. Dass mit einer solchen realistischerweise zu rechnen ist, ändert sich dadurch nicht. Allein das Bestehen einer realistischen Möglichkeit der behördlichen Kenntnisnahme aber vermag bei lebensnaher Betrachtung im Einzelfall einmal tatsächlich einen Unterschied für die Aussagebereitschaft eines Mitarbeiters zu machen. 125  Galen,

NJW 2011, 945, 945. re Grand Jury Investigation, F.2d 599 (1979), 1224, 1236 („Although we agree that an attorney often needs to secure information from lower-echelon employees, we are not convinced that extension of the corporation’s Attorney-Client Privilege would enhance his or her ability to secure that information. The ‚confidentiality‘ offered to non-control-group employees would be quite illusory from their standpoint. Because they have no control over the privilege itself, their communications remain confidential only in the sense that they are not released to outsiders, and only as long as the corporate control group desires to assert the privilege.[…] Privilege or no privilege, lower-level employees would confide in corporate counsel at their own risk. […] In short, we do not believe that extension of the corporation’s privilege against disclosure would significantly add to an attorney’s ability to obtain information from employees outside the control group.“); Alexander, St. John’s L. Rev. 63 (1989), 191, 226 („that any sense of personal security on the part of the employee may be illusory. The lawyer’s client is the corporation – the entity – not its constituents“); Sexton, N.Y.U. L. Rev. 57 (1982), 443, 466 f.; Gray/Kreul, Marq. L. Rev. 65 (1981), 241, 261; Brown, Hofstra L. Rev. 34 (2006), 897, 923; Thornburg, Notre Dame L. Rev. 69 (1993), 157, 174 („For the individual employee then, the privilege is an illusion. The employee’s interested is protected only by the corporation’s grace, not by the attorney-client prvívilege.“). 127  Hubbell, Stanford L. Rev. 32 (1980), 1163, 1173, Fn. 45. 128  Hubbell, Stanford L. Rev. 32 (1980), 1163, 1173 („the privilege creates a trap for the unwary employee“). 126  In

120

C. Untersuchung der Abschreckungsthese

Da eine solche realistische Möglichkeit aber sowohl mit als auch ohne Beschlagnahmeschutz besteht,129 kann ein solcher somit nicht dem Zweck dienen, die Mitarbeiter zur Aussage zu ermutigen, sondern einzig dem Schutz des Unternehmens. dd) Ergebnis: Beschlagnahmemöglichkeit hemmt die Bereitschaft zur Aussage im Rahmen von Internal Investigations nicht Ein Beschlagnahmeschutz von Unterlagen eines Unternehmensanwalts kann somit jedenfalls nicht mit dem in der Literatur vorgebrachten Argument begründet werden, dass andernfalls die praktische Durchführung von internen Untersuchungen erschwert würde. Die einzig relevante Frage ist vor diesem Hintergrund vielmehr, inwieweit ein Beschlagnahmeschutz die Initiierung einer solchen durch die jeweiligen Entscheidungsträger beeinflusst.130 3. Den Abschreckungseffekt neutralisierende Faktoren a) Unternehmen und Rechtsanwälte als „unvermeidbare Bettgefährten“?131 Wie bereits angedeutet, kann im Kontext von Unternehmen132 eine Untersuchung des Abschreckungseffekt nicht bei den oben genannten Faktoren stehenbleiben, welche in bestimmten Situationen einen hemmenden Einfluss auf die Inanspruchnahme von Rechtsanwälten ausüben. Vielmehr gilt es, die vollständige Motivations- und Pflichtenlage der jeweiligen Entscheidungsträger zu erfassen. Im Folgenden soll deshalb untersucht werden, inwieweit rechtliche Mechanismen greifen, die auch unter der Bedingung einer Beschlagnahmemöglichkeit die völlige Offenheit gegenüber einem Rechtsanwalt nahelegen oder sogar erzwingen könnten. In diesem Zusammenhang finden sich in der US-amerikanischen Literatur133 und vereinzelt auch in der dortigen Rechtsprechung134 zahlreiche 129  Nath,

Buff. L. Rev. 30 (1981), 11, 43. Sexton, N.Y.U. L. Rev. 57 (1982), 443, 467. 131  Vgl. Note, Harv. L.Rev. 91 (1977), 464, 474 („ineluctable bedfellows“). 132  Bei natürlichen Personen hingegen sind keine vergleichbaren rechtlichen Mechanismen erkennbar. 133  Note, Harv. L. Rev. 84 (1970), 424, 431 („Nevertheless, it is doubtful that the firm would cease to monitor the activities of its employees, leaving them free to create treble damages liability.“); Note, Harv. L. Rev. 91 (1977), 464, 474 („the 130  Vgl.



IV. Die einzelnen Einflussfaktoren121

Stimmen wonach zumindest Unternehmen gar keine andere Wahl hätten, als Rechtsanwälte ins Vertrauen zu ziehen.135 Unternehmen und deren Rechtsanwälte seien vielmehr unabhängig von der Reichweite anwaltlicher Privilegien „unvermeidbare Bettgefährten“.136 134

Gemeint ist damit, dass aufgrund der hohen Dichte und Komplexität rechtlicher Regelungen im Wirtschaftsleben anwaltliche Beratung schon deshalb unverzichtbar ist, weil nur so zukünftige Rechtsverstöße und damit umso größere, neue Haftungsrisiken vermieden werden können. Letztlich handelt es sich dabei um eine vornehmlich betriebswirtschaftliche Argumentation, der offenbar die Prämisse zugrunde liegt, dass sich Rechtsverstöße für ein Unternehmen jedenfalls auf lange Sicht nicht auszahlen. Zwar spricht einiges dafür, dass diese Annahme im Grundsatz richtig ist. Allerdings wird man dies für den deutschen Kontext schon deshalb etwas einschränken müssen, weil jedenfalls außerhalb des Kartellrechts ein deutgreater financial stake that corporate clients ordinarily have in their activities – both because their separate decisions involve greater risk and because they are more vulnerable to constant legal attack – makes ineluctable bedfellows of corporations and lawyers.“); Note, Harvard L. Rev. 95 (1981), 91, 276 f. („In today’s business world, which must cope with innumerable complex governmental regulations, a corporation has no choice but to communicate with attorneys. […] investigations of past corporate behavior […] would continue even in the absence of the privilege […] because corporate management needs the information to correct past inefficiencies, to reward and reprimand employees, and to file appropriate governmental documents“); Alexander, St. John’s L. Rev. 63 (1989), 191, 225 („Because a vast array of laws and regulations must be taken into account in the accomplishment of business objectives, and because these external forces present a grave potential for liability, corporate managers would appear to have no practical choice but to consult lawyers. In so doing, it would seem that they must, out of business necessity, disclose all relevant facts about the corporation’s past and prospective conduct if they wish to obtain the informed legal advice required to properly manage the corporation’s affairs.“); Nath, Buff. L. Rev. 30 (1981), 11, 44 („The questionable payments cases, including Upjohn, show that, rather than privileges, potential exposure to securities and tax law violations, derivative suits, charges of currency violations, and other independent business reasons provided the impetus.“); Brown, Hofstra L. Rev. 34 (2006), 897, 903 („Nevertheless, there is certainly room for doubt as to whether the looming threat of compelled-voluntary waiver is affecting or will affect the corporate attorney-client relationship in the fashion postulated. Independent legal and economic incentives exist that may inspire corporations to strive for legal compliance irrespective of the prospect of privilege waiver.“). 134  In re Grand Jury Investigation, F.2d 599 (1979), 1224, 1237 („In our opinion, the potential costs of undetected noncompliance are themselves high enough to ensure that corporate officials will authorize investigations regardless of an inability to keep such investigations completely confidential.“). 135  Der Gedanke findet sich im Ansatz mittlerweile auch bei Erb, FS Kühne, S. 171, 183. 136  Note, Harv. L.Rev. 91 (1977), 464, 474 („ineluctable bedfellows“).

122

C. Untersuchung der Abschreckungsthese

lich niedrigerer Bußgeldrahmen für Sanktionen gegen Unternehmen zur Verfügung steht. Auch kann es durchaus Fälle geben, in denen eine derart langfristige Perspektive schon deshalb in den Hintergrund tritt, weil die im Raum stehenden Rechtsverstöße bereits für sich genommen ausreichen, um dem Unternehmen irreparablen Schaden zuzufügen. Doch selbst die Richtigkeit der Annahme unterstellt, trägt sie jedenfalls für sich genommen noch nicht die Feststellung, dass bereits dadurch hemmende Einflüsse auf die Offenheit innerhalb eines anwaltlichen Mandatsverhältnisses neutralisiert würden. So muss die Untersuchung eines hemmenden Effekts zunächst bei den handelnden natürlichen Personen ansetzen. Diese sind zwar grundsätzlich dem Unternehmensinteresse verpflichtet. Gerade vor dem Hintergrund der Business Judgement Rule folgt daraus aber noch nicht zwangsläufig, dass auch persönlich wirkende Haftungsmechanismen jederzeit eine so verstandene langfristige Orientierung zu erzwingen vermögen. Notwendig ist also eine genaue Analyse der rechtlichen Verpflichtungen zur Hinzuziehung rechtlichen Beistands generell und insbesondere zu Pflichten in Bezug auf möglicherweise im Unternehmen begangene Rechtsverstöße. b) Zivilrechtliche Pflichten zur Inanspruchnahme rechtlicher Beratung137 aa) Allgemeine Pflichten zur Beratung (1) A  llgemeine Sorgfaltspflichten und die „Grundlage angemessener Information“ als Ansatzpunkt für eine Pflicht zur Inanspruchnahme rechtlicher Beratung Erster Ansatzpunkt für eine Pflicht zur Inanspruchnahme rechtlicher Beratung ist zunächst die Formulierung der Business Judgement Rule in § 93 I 2 AktG, welche den Ausschluss einer Pflichtverletzung von einem Handeln „auf der Grundlage angemessener Information“ abhängig macht, wobei anerkannt ist, dass es sich nicht nur um vorhandene Informationen handeln kann, sondern mitunter auch die selbst veranlasste Beschaffung von Informationen notwendig ist.138 Die jeweils notwendige Informationsgrundlage kann insbesondere auch rechtliche Fragen betreffen.139 dazu ausführlich Sander/Schneider, ZGR 2013, 725. § 93, Rn. 84; Binder, AG 2012, 885, 886; BGH, NJW-RR 1995, 669. 137  Vgl.

138  GroßKomm-AktG-Hopt,



IV. Die einzelnen Einflussfaktoren123

Die Einholung von Informationen erlangt dabei grundsätzlich nicht als eigenständige Pflicht Bedeutung, sondern immer nur im Zusammenhang mit einer (anderen)140 unternehmerischen Entscheidung. 139

Von einer Pflicht zur Inanspruchnahme von rechtlicher Beratung kann also allgemein dann gesprochen werden, wenn der Geschäftsleiter zu einer unternehmerischen Handlung oder einem Unterlassen verpflichtet ist und die für das Eingreifen der Business Judgement Rule notwendige Informationsgrundlage nur mit Einholung rechtlichen Rats geschaffen werden kann.141 Rechtliche Fragen können dabei grundsätzlich für jede unternehmerische Entscheidung relevant werden, da Mindestinhalt der allgemein formulierten Leitungssorgfalt in § 93 I AktG jedenfalls die Pflicht zur Wahrung des Vorteils der Gesellschaft und zur Abwendung von Schäden ist.142 Sofern sich also zumindest auch in rechtlicher Hinsicht aus irgendeiner unternehmerischen Entscheidung wirtschaftliche Risiken ergeben, sind die zugrundeliegenden rechtlichen Fragen auch immer Teil der für die Anwendung der Business Judgement Rule notwendigen Informationsbasis. Diese rechtlichen Risiken können insbesondere in Gestalt von staatlichen Sanktionen für Gesetzesverstöße (Bußgelder, Vermögensabschöpfung, Eintragung in das ­ Gewerbezentralregister)143 auftreten. In Frage kommen aber ebenso wirtschaftliche Nachteile im privaten Rechtsverkehr, wie z. B. Schadensersatzansprüche Dritter oder Reputationsverluste.144 (2) Die Legalitätspflicht / Compliance-Pflicht Neben einer über die Anwendungsvoraussetzungen der Business Judgement Rule vermittelten Pflicht kommt als zweiter Ansatzpunkt für eine Verpflichtung zur Beauftragung eines Rechtsanwalts auch die sogenannte Legalitätspflicht in Betracht, welche ebenfalls Bestandteil der anerkannten Sorgfaltspflichten eines Geschäftsleiters ist.145 139  Michalski-GmbHG-Haas/Zimons,

§ 43, Rn. 70a. Frage, ob die Entscheidung über die Einholung von Informationen ebenso eine unternehmerische Entscheidung sein kann, vgl. Wagner, CCZ 2009, 8, 16. 141  Vgl. Sander/Schneider, ZGR 2013, 725, 730 ff. zu einer umfangreichen Diskussion der Frage, ob die Einholung rechtlichen Rats lediglich im Einzelfall das Verschulden entfallen lassen kann oder bereits die Pflichtwidrigkeit. 142  Spindler/Stilz-Spindler, § 93, Rn. 11; Großkomm-AktG-Hopt, § 93, Rn. 72. 143  Vgl. oben A.II.5. 144  Potinecke/Block, in: Knierim/Rübenstahl/Tsambikakis, § 2, Rn. 120. 145  Allgemein dazu Spindler/Stilz-Fleischer, § 93, Rn. 14 ff.; Hölters-AktG-Hölters, § 93, Rn. 54 ff.; Großkomm-AktG-Hopt, § 93, Rn. 98; KK-AktG-Mertens/Cahn, § 93, Rn. 67 ff.; zum Verhältnis von Legalitätspflicht und allgemeiner Schadensabwendungspflicht vgl. Thole, ZHR 173 (2009), 504, 517. 140  Zur

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C. Untersuchung der Abschreckungsthese

Hiernach muss der Geschäftsleiter dafür Sorge tragen, dass alle Rechtsvorschriften eingehalten werden, die das Unternehmen als Rechtssubjekt betreffen.146 Die externe Rechtsbindung des Unternehmens bestimmt also auch die Pflichtenbindung des Geschäftsleiters im Innenverhältnis zur Gesellschaft.147 Darüber hinaus umfasst die Legalitätspflicht nach allgemeiner Meinung auch, Rechtsverstöße von anderen Mitarbeitern gegenüber Dritten zu verhindern.148 Teilweise erfährt die allgemeine Legalitätspflicht für bestimmte Wirtschaftszweige oder Rechtsformen eine zusätzliche Konkretisierung. Insbesondere sieht § 91 II AktG eine aktienrechtliche Verpflichtung des Vorstands zur Einrichtung eines Früherkennungs- und Überwachungssystems vor, welches auch Verstöße gegen gesetzliche Vorschriften innerhalb des eigenen Unternehmens umfasst.149 Teilweise wird aus bereichsspezifischen Regelungen auch eine Gesamtanalogie mit dem Ergebnis einer allgemeinen Compliance-Pflicht gebildet,150 woraus sich im Ergebnis aber kein Unterschied zu anerkannten Grundsätzen der Legalitätspflicht ergibt. Vielmehr stellt sich die „Compliance-Pflicht“ letztlich nur als andere Umschreibung und gesetzliche Grundlage für den Inhalt der Legalitätspflicht dar.151 Nach ganz herrschender Meinung152 handelt es sich bei der Frage nach rechtmäßigem Handeln nicht um eine der Business Judgement Rule unterfallende unternehmerische Entscheidung.153 Gleichwohl bleibt auch die Legalitätspflicht jedenfalls Teil der allgemeinen Sorgfaltspflichten eines Geschäftsleiters. Somit muss auch diese notwendigerweise ihre Grenzen in einem zumindest fahrlässigen Sorgfaltsverstoß finden und kann nicht durch 146  Spindler/Stilz-Fleischer, §  93, Rn.  23, 112; MüKo-AktG-Spindler, § 93, Rn. 73 ff.; eine entsprechende Pflicht sieht auch Art. 4.1.3 des Deutschen Corporate Governance Kodexes vor. 147  Zimmermann, WM 2008, 433, 435; Thole, ZHR 173 (2009), 504, 509. 148  Thole, ZHR 173 (2009), 504, 509 f.; Reichert, ZIS 2011, 113, 113; Fleischer, BB 2008, 1070, 1071; Dreher, FS Konzen, S. 97 f.; Spindler/Stilz-Fleischer, § 93, Rn. 112. 149  Entwurf KonTraG, BT-Drucks. 13/9712, S. 15; Spindler-Stilz-Fleischer, § 91, Rn. 31. 150  Schneider, ZIP 2003, 645, 649; kritisch dazu: Spindler/Stilz-Fleischer, § 91, Rn. 47. 151  Spindler/Stilz-Fleischer, § 91, Rn. 47 ff.; KK-AktG-Mertens/Cahn, § 93, Rn. 80; Potinecke/Block, in: Knierim/Rübenstahl/Tsambikakis, Kap. 2, Rn. 19. 152  Zu einer Einschränkung der Legalitätspflicht bei geringfügigen Rechtsverstößen siehe Glöckner/Müller-Tautphaeus, AG 2001, 344, 345; Kocher, CCZ 2009, 215, 218; Sieg/Zeidler, in: Hauschka, Corporate Compliance, § 3, Rn. 20 ff. 153  Fleischer, in: Fleischer, Handbuch Vorstandsrecht, § 7, Rn. 23; Fleischer, ZIP 2005, 141, 145 f.; Ihrig, WM 2004, 2098, 2104 f.; a. A. Sieg/Zeidler, in: Hauschka, Corporate Compliance, § 3, Rn. 22.



IV. Die einzelnen Einflussfaktoren

125

eine „objektive“, ausnahmslos aus der ex-post Perspektive stattfindende Betrachtung einer später gerichtlich festgestellten Rechtmäßigkeit bestimmt werden. Entsprechend ist auch allgemein anerkannt, dass ein Geschäftsleiter nicht gegen die gesellschaftsrechtliche Legalitätspflicht verstößt, wenn er bei rechtlicher Unsicherheit in ausreichendem Maß Erkundigungen bei qualifizierten Rechtsberatern eingeholt hat und auf dieser Grundlage mit guten Gründen von der Rechtmäßigkeit ausgehen konnte.154 Dabei handelt es sich auch nicht etwa um eine Durchbrechung des Legalitätsprinzips,155 sondern vielmehr um eine sachgerechte Anwendung.156 Unter der Bedingung rechtlicher Unsicherheit wird damit eine „Rechtsvergewisserungspflicht“157 zum unverzichtbaren Teil der Legalitätspflicht.158 Im hier interessierenden Zusammenhang ergibt sich hieraus jedoch kein Unterschied zu den Fällen, in denen Rechtsberatung als Teil der Anwendungsvoraussetzungen der Business Judgement Rule angesehen werden kann.159 Für die Pflichtmäßigkeit des Geschäftsleiterhandelns ist in beiden Fällen notwendig, eine angemessene Informationsgrundlage hinsichtlich der rechtlichen Implikationen heranzuziehen und gegebenenfalls durch Hinzuziehen qualifizierter Berater selbst zu schaffen. Der genaue Umfang der daraus entstehenden Rechtsvergewisserungspflicht bestimmt sich in beiden Fällen nach den jeweiligen Umständen des Einzelfalls, wobei das Spektrum der möglichen Prüfungsdichte von summarischer Prüfung durch den Geschäftsleiter selbst bis hin zur Einholung mehrerer Meinungen externer Gutachter reicht.160 Entscheidungsfaktoren 154  Spindler/Stilz-Fleischer, § 93, Rn. 29; GroßKomm-AktG-Hopt, § 93, Rn. 99; MüKo-AktG-Spindler, § 93, Rn. 75. 155  So aber wohl MüKo-AktG-Spindler, § 93, Rn. 75. 156  Spindler/Stilz-Fleischer, § 93, Rn. 28. 157  Spindler/Stilz-Fleischer, § 93, Rn. 29. 158  Spindler/Stilz-Fleischer, § 93, Rn. 29; Großkomm-AktG-Hopt, § 93, Rn. 84; MüKO-AktG-Spindler, § 93, Rn. 77 ff.; Hölters-AktG-Hölters, § 93, Rn. 76; Fleischer, BB 2008, 1070, 1071; Schneider, DB 2011, 99, 102; OLG Frankfurt, NZG 2010, 583 (im Rahmen eins Bußgeldverfahrens); OLG Stuttgart, NZG 2010, 141, 144. 159  MüKO-AktG-Spindler, § 93, Rn. 75; Binder, AG 2012, 885, 888, 890 (der allerdings darauf hinweist, dass die rechtliche Entscheidungsvorbereitung im Zusammenhang mit der Legalitätspflicht keine Frage der Pflichtverletzung, sondern eine des Verschuldens sei); für eine dogmatische Verortung schon auf der Ebene der Sorgfaltspflicht vgl. Fleischer, FS Hüffer, S. 187, 201. 160  Spindler/Stilz-Fleischer, § 93, Rn. 29; MüKo-AktG-Spindler, § 93, Rn. 78 ff.; Hölters-AktG-Hölters, § 93, Rn. 76; Fleischer, BB 2008, 1070, 1071; Schneider, DB

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C. Untersuchung der Abschreckungsthese

können hierbei die Komplexität und Schwierigkeit der Rechtsfrage, die Eilbedürftigkeit sowie die Bedeutung für das Unternehmen sein.161 Bestandteil der Rechtsvergewisserungspflicht ist ferner auch die Pflicht zur Offenlegung aller relevanten Fakten gegenüber dem Rechtsberater.162 Wird dieser also falsch oder unvollständig informiert, so kann die rechtliche Beratung grundsätzlich keine Haftungsfreistellung im Sinne von § 93 I 2 AktG bewirken.163 bb) Speziell zu Reaktionspflichten auf Verdachtsfälle im eigenen Unternehmen Im Grundsatz besteht in der Literatur Einigkeit, dass ein Geschäftsleiter einschreiten muss, wenn der begründete Verdacht besteht, dass innerhalb des Unternehmens oder aus diesem heraus Straftaten oder Ordnungswidrigkeiten begangen werden.164 Da bei der später vorzunehmenden Untersuchung von Auswirkungen einer Beschlagnahmemöglichkeit Unterschiede zwischen den verschiedenen Rechtsgründen dieser Pflicht deutlich werden, soll es an dieser Stelle nicht bei deren pauschaler Feststellung bleiben, sondern es sollen vielmehr die einzelnen Bestandteile der Pflicht genau herausgearbeitet werden.165

2011, 99, 102; OLG Frankfurt, NZG 2010, 583; OLG Stuttgart, NZG 2010, 141, 144. 161  GroßKomm-AktG-Hopt/Roth, § 93 n. F., Rn. 47; Spindler-Stilz-Fleischer, § 93, Rn. 29; Hölters-AktG-Hölters, § 93, Rn. 76. 162  BGH, NJW 2007, 2118, 2120; OLG Stuttgart, NZG 2010, 141, 144; Strohn, ZHR 176 (2012), 137, 139; Fleischer, KSzW 2013, 3, 9; Fleischer, FS Hüffer, S. 187, 193; Hölters-AktG-Hölters, § 93, Rn. 24. 163  Spindler/Stilz-Fleischer, § 93, Rn. 35; Fleischer, EuZW 2013, 326, 329; Sander/Schneider, ZGR 2013, 725, 751. 164  BGH, Urteil v. 08.10.1984 – II ZR 175/83 (=GmbHR 1985, 143); Fleischer, NZG 2014, 321, 324; Golombek, WiJ 2012, 162, 162 ff.; Knauer, ZWH 2012, 41, 46 ff.; Reichert, ZIS 2011, 113, 117; Reichert/Ott, ZIP 2009, 2173, 2176 ff.; Behrens, RIW 2009, 22, 29; Fleischer, AG 2003, 291, 294; Spindler/Stilz-Fleischer, § 91, Rn. 55; Potinecke/Block, in: Knierim/Rübenstahl/Tsambikakis, § 2, Rn. 6; Fleischer, Handbuch des Vorstandsrechts, § 8, Rn. 35. 165  Vgl. für eine noch ausführlichere und umfassendere Darstellung insbesondere Knauer, ZWH 2012, 41, 44 ff.



IV. Die einzelnen Einflussfaktoren127

(1) Z  ur Herleitung der Pflicht zum (repressiven) Vorgehen aus der Schadensabwendungspflicht Für die Schadensabwendungspflicht ergibt sich dies aus dem Umstand, dass interne Rechtsverstöße immer auch ein wirtschaftliches Risiko für das Unternehmen begründen, sei es in Form von Bußgeldern, Reputationsschäden, Schadensersatzansprüchen oder dem Ausschluss von öffentlichen Aufträgen.166 Gegen individuelle Täter im Unternehmen vorzugehen dient dabei zunächst präventiven Zwecken, indem eine weitere Risiken begründende Wiederholung verhindert wird.167 In Bezug auf vergangene Taten kann darüber hinaus eine Pflicht zur Prüfung und Geltendmachung von Schadensersatzansprüchen bestehen.168 Auch können unter Umständen durch ein Vorgehen gegen Täter im Unternehmen und eine darauf aufbauende Kooperation mit den Behörden negative Auswirkungen von in der Vergangenheit liegenden Taten gemindert oder verhindert werden.169 Denn im Rahmen des im Ordnungswidrigkeitenrechts geltenden Opportunitätsprinzip kann sich entsprechendes nachtat­ liches Verhalten jedenfalls auf die Höhe einer Verbandsgeldbuße170 positiv auswirken.171 Im deutschen Kartellrecht ist dies in der Bonusregelung des Bundeskartellamtes172 ausdrücklich geregelt, auch im europäischen Kartellrecht findet 166  Knauer,

ZWH 2012, 41, 46 f.; vgl. dazu bereits oben A.II.5. ZWH 2012, 41, 47; Reichert/Ott, ZIP 2009, 2173, 2176 f. 168  Golombek, WiJ 2012, 162, 165. 169  Vgl. allgemein zu Nutzen und Motiven einer Kooperation mit den Behörden Potinecke/Block, in: Knierim/Rübenstahl/Tsambikakis, Kap. 2, Rn. 186; Knierim, in: Knierim/Rübenstahl/Tsambikakis, Kap. 15, Rn. 185 ff.; Klahold/Berndt, in: Momsen/ Grützner, Kap. 3 A, Rn. 92 ff.; Grützner, in: Momsen/Grützner, Kap. 4, Rn. 65 ff.; Kempf/Schilling, in: Volk, MAH-WirtschaftsstrafR, § 10, Rn. 85 ff.; Wewerka, Internal Investigations, S. 29 ff.; Knauer, ZWH 2012, 41, 44 ff.; Behrens, RIW 2009, 22, 30 ff. 170  Daneben kann sich die Kooperationsbereitschaft auch auf das Ausmaß einer möglichen Gewinnabschöpfung positiv auswirken und überdies staatliche Ermittlungsmaßnahmen mit der damit verbundenen Störung von Betriebsabläufen vermeiden, siehe Knauer, ZWH 2012, 41, 44 f.; Behrens, RIW 2009, 22, 31; Roxin, StV 2012, 116, 118. 171  Dies obwohl das allgemeine deutsche Ordnungswidrigkeitenrecht hierzu keine konkrete Regeln enthält, siehe dazu Knauer, ZWH 2012, 41, 44 f.; Behrens, RIW 2009, 22, 31; Roxin, StV 2012, 116, 118. 172  Bekanntmachung des Bundeskartellamtes Nr. 9/2006; vgl. dazu allgemein Dannecker/N. Müller, in: Wabnitz/Janovsky, Kap. 18, Rn. 157 ff.; Immenga/Mestmäcker-GWB-Dannecker/Biermann, § 81, Rn. 416 ff. 167  Knauer,

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C. Untersuchung der Abschreckungsthese

sich eine solche Regelung.173 Noch stärker ist dieser Mechanismus im Rahmen von Verfahren US-amerikanischer Behörden ausgeprägt.174 Zwar ist in diesem Zusammenhang oftmals nur von einem „faktischen Zwang“175 zur Kooperation die Rede, im Wege der Geschäftsleiterhaftung für die Nichtbeachtung der Schadensabwendungspflicht kann hieraus jedoch aus Perspektive der individuellen Entscheidungsträger im Einzelfall auch ein rechtlicher Zwang werden.176 Es kann damit festgehalten werden, dass schon allein aufgrund der allgemeinen Schadensabwendungspflicht eine Pflicht des Geschäftsleiters bestehen kann, Maßnahmen gegen die für Rechtsverstöße im Unternehmen Verantwortlichen zu ergreifen. (2) Z  ur Herleitung der Pflicht zum (repressiven) Vorgehen aus der Legalitätspflicht Darüber hinaus ergibt sich dieses Ergebnis auch aus der Legalitätspflicht der Unternehmensleitung, welche ein Einschreiten jedenfalls aufgrund einer ansonsten bestehenden Wiederholungsgefahr verlangt.177 Zwar könnte man im Vergleich zu einer Herleitung aus der Schadensabwendungspflicht einen Unterschied darin sehen, dass die Legalitätspflicht sich denklogisch nicht auf die Verhinderung bereits begangener Taten erstrecken kann und somit nur aus rein präventiven Gesichtspunkten zu einer entsprechenden Pflicht führt. Im Ergebnis kann dies jedoch keinen Unterschied machen, da notwendiger Bestandteil einer zukunftsgerichteten Legalitätspflicht jedenfalls auch sein muss, bereits andauernde rechtswidrige Praktiken zu beenden und Vorkehrungen zu treffen, dass Täter nicht weiterhin Rechtsverstöße begehen 173  Vgl.

Loewenheim/Meessen/Riesenkampff-Nowak, VO 1/2003, Art. 23, Rn. 37. etwa Wybitul, BB 2009, 606. 175  Vgl. etwa Behrens, RIW 2009, 22, 33. 176  Knauer, ZWH 2012, 41, 43 f.; Reichert/Ott, ZIP 2009, 2173, 2176 ff.; speziell zu der Verpflichtung zur Inanspruchnahme der kartellrechtlichen Kronzeugenregelung Säcker, WuW 2009, 362, 367. Auch eine Dissertation zu dieser Frage kommt zu dem Ergebnis, dass sich die gesellschaftsrechtlichen Pflichten in vielen Fällen zu einer Inanspruchnahme der Kronzeugenregelung verdichten werden (Böttcher, Gesellschaftsrechtlicher Zwang zur Nutzung kartellrechtlicher Kronzeugenregelungen). Diesen Aspekt vernachlässigt etwa Behrens, RIW 2009, 22, 30, der aus der Möglichkeit zur Schadensvermeidung- und Begrenzung lediglich die von konkreten Pflichten losgelöste Zweckmäßigkeit eines freiwilligen Einsatzes von Internal Investigations ableiten will. 177  Potinecke/Block, in: Knierim/Rübenstahl/Tsambikakis, Kap. 2, Rn. 9 („Außerem ist die Aufklärung von Verstößen originärer Bestandteil der Legalitätspflicht“); Wagner, CCZ 2009, 8, 13. 174  Vgl.



IV. Die einzelnen Einflussfaktoren129

können.178 Auch könnten interne Bemühungen um die Verhinderung zukünftiger Taten unter Abschreckungsgesichtspunkten kaum Wirkung entfalten, wenn nicht gleichzeitig glaubhaft wird, dass auch gegen bereits begangene Taten vorgegangen wird.179 Wirksame Prävention ist ohne ein Mindestmaß an tatsächlicher Repression kaum denkbar. Insofern hat auch die Legalitätspflicht in diesem Zusammenhang sowohl eine präventive als auch eine repressive Dimension und verdichtet sich bei Hinweisen auf Rechtsverstöße ebenso zu einer Pflicht zur internen Sachverhaltsaufklärung180 und zum Einschreiten gegen die Verantwortlichen. c) Die Auswirkungen einer Beschlagnahmemöglichkeit auf die zivilrechtliche Pflicht zur Inanspruchnahme rechtlicher Beratung und der Sachverhaltsaufklärung Bislang konnte eine im Einzelfall bestehende Pflicht zur Inanspruchnahme rechtlicher Beratung und zur Durchführung von Internal Investigations festgestellt werden. Zu klären bleibt aber, inwieweit sich an den oben dargelegten Grundsätzen etwas ändern würde, wenn mit der Möglichkeit einer Beschlagnahme der dabei entstehenden Unterlagen gerechnet werden müsste. Denn die weiteren rechtlichen Pflichten der handelnden Personen sind zwar relevant für das Ausmaß des Abschreckungseffekts und damit für die Notwendigkeit eines Beschlagnahmeverbots selbst. Gleichzeitig könnte aber auch eine gewisse Wechselwirkung bestehen, so dass die Frage nach der Beschlagnahmefähigkeit auch Auswirkungen auf die Pflicht zur Inanspruchnahme anwaltlicher Unterlagen hätte. aa) Allgemeine Grundsätze zum gebotenen Maß an rechtlicher Beratung Ob und inwieweit eine Beschlagnahmemöglichkeit Auswirkungen auf die Pflicht zur Informationsbeschaffung haben kann, ergibt sich zunächst an keiner Stelle aus dem Gesetz. Auch in Literatur und Rechtsprechung wird die Problematik nicht diskutiert. Die gleichwohl vorhandene Diskussion mit dem Ziel einer Konkretisierung der Anforderungen an die Angemessenheit der Informationsgrundlage 178  Klahold/Berndt,

in: Momsen/Grützner, Kap. 3A, Rn. 90. CCZ 2009, 8, 13; vgl. auch den Hinweis auf die Unternehmenskultur als wesentlicher Faktor für die Wirksamkeit von Compliance-Bemühungen bei Bussmann, FS Achenbach, S. 67 ff. 180  Wenn auch nicht unbedingt mit Hilfe von externen Rechtsanwälten; vgl. dazu Wagner, CCZ 2009, 8; Golombek, WiJ 2012, 162; Knauer, ZWH 2012, 41, 46 f. 179  Wagner,

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C. Untersuchung der Abschreckungsthese

konzentriert sich dabei hauptsächlich auf die Frage, aus welcher Perspektive die Angemessenheit der Informationsgrundlage zu bestimmen ist und inwieweit die Einschätzung des Geschäftsleiters einer gerichtlichen Überprüfung zugänglich ist.181 In der hier interessierenden inhaltlichen Hinsicht dominieren in der Rechtsprechung weitgehend negative Abgrenzungen.182 Konkrete positive Anforderungen können dabei schon deshalb nur schwer formuliert werden, da sich die Angemessenheit jedenfalls immer nur für den Einzelfall feststellen lässt.183 Eine sehr weitgehende positive inhaltliche Voraussetzung schien der BGH im Jahr 2008 formuliert zu haben, indem er die Notwendigkeit feststellte, „alle verfügbaren Informationsquellen tatsächlicher und rechtlicher Art“ auszuschöpfen.184 Auch die instanzgerichtliche Rechtsprechung hat sich dieser Formulierung teilweise angeschlossen.185 In neueren Entscheidungen wird die Formulierung aber im Sinne einer „sorgfältigen Ermittlung“186 oder der schlichten Wiederholung des Gesetzestextes („angemessene Informations­ grundlage“)187 wieder abgeschwächt,188 allerdings jeweils ohne Auseinandersetzung mit möglichen Unterschieden zu der zitierten strengen BGHEntscheidung189 In der Literatur besteht entsprechend dazu auch Einigkeit, dass auch mit der Formulierung des BGH nicht gemeint sein kann, ausnahmslos alle denkbaren Informationsquellen heranzuziehen.190 Vielmehr müssen jeweils im Einzelfall Kosten und Nutzen der Informationsbeschaffung191 ebenso wie die Dringlichkeit einer Entscheidung192 abgewogen werden um eine unwirt181  Vgl. MüKo-AktG-Spindler, § 93, Rn. 48 ff.; Schneider, DB 2011, 99, 101; Fleischer, FS Hüffer, S. 187, 199 f.; Wagner, CCZ 2009, 8, 16; Lutter, ZIP 2007, 841, 844 f. 182  Binder, AG 2012, 885, 891. 183  Hölters-AktG-Hölters, § 93, Rn. 34; Spindler/Stilz-Fleischer, § 93, Rn. 73; Schneider, DB 2011, 99, 101; Wagner, CCZ 2009, 8, 17. 184  BGH, NJW 2008, 3361, 3362. 185  Binder, AG 2012, 885, 888; OLG Düsseldorf, CCZ 2010, 117, 119. 186  Binder, AG 2012, 885, 888; BGH, NJW-RR 2009, 332; KG, AG 2005, 581. 187  Binder, AG 2012, 885, 888; BGH, CCZ 2011, 233. 188  Binder, AG 2012, 885, 888; BGH, NJW-RR 2009, 332; KG, AG 2005, 581. 189  Binder, AG 2012, 885, 888. 190  Hölters-AktG-Hölters, § 93, Rn. 34; Spindler/Stilz-Fleischer, § 93, Rn. 73; Kocher, CCZ 2009, 215, 220 f.; Schneider, DB 2011, 99, 101; Wagner, CCZ 2009, 8, 17. 191  Hölters-AktG-Hölters, § 93, Rn. 34; Spindler/Stilz-Fleischer, § 93, Rn. 73; Kocher, CCZ 2009, 215, 220 f.; Schneider, DB 2011, 99, 101; Wagner, CCZ 2009, 8, 17. 192  GroßKomm-AktG-Hopt, § 93, Rn. 84; Hölters-AktG-Hölters, § 93, Rn. 34.



IV. Die einzelnen Einflussfaktoren131

schaftliche „Überinvestition“ in Expertenrat zu vermeiden.193 Dies entspricht auch der Gesetzesbegründung zum UMAG, wonach die Entscheidung über die Informationsgrundlage zumindest auch nach betriebswirtschaftlichen Gesichtspunkten getroffen werden müsse.194 Im Zusammenhang mit möglichen Auswirkungen einer Beschlagnahmemöglichkeit ist dem hinzuzufügen, dass die Angemessenheit der Informa­ tionsgrundlage nicht nur von den tatsächlichen Umständen im Einzelfall, sondern zuallererst davon abhängt, welche originären gesellschaftsrecht­ lichen Pflichten dem damit vorzubereitenden Handeln oder Unterlassen zugrunde liegen. Die Informationen müssen also „angemessen“ sein, um die spezifische Sorgfaltspflicht zu erfüllen, zu deren Erfüllung sie herangezogen werden sollen. Grund hierfür ist, dass die Business Judgement Rule und die damit verbundenen Anforderungen an angemessene Selbstinformation letztlich nur eine gesetzliche Konkretisierung gesellschaftsrechtlicher Pflichten sind.195 Deren Anforderungen im Detail müssen somit immer auch den Pflichten angepasst werden, deren Einhaltung der Geschäftsleiter gegenüber dem Unternehmen schuldet. Wie beschrieben kommt hierfür grundsätzlich die allgemeine Schadensabwendungspflicht ebenso in Frage wie die Legalitätspflicht bzw. die „Compliance-Pflicht“ des Geschäftsleiters.196 bb) Auswirkungen auf allgemeine Rechtsberatung mit Vergangenheitsbezug (1) A  uswirkungen auf die Begründung über die Schadensabwendungspflicht Soweit man allein die Schadensabwendungspflicht bei unternehmerischen Entscheidungen in den Blick nimmt, so ist richtig, dass die Entscheidung über die Heranziehung von Informationen vor dem Hintergrund einer umfassenden Kosten-Nutzen-Betrachtung getroffen werden muss. 193  Fleischer,

KSzW 2013, 3, 6 f. § 93, Rn. 73; Fleischer, KSzW 2013, 3, 7; Merkt, FS Hommelhoff, S. 725 f.; Krieger, ZGR 2012, 496, 501; Hölters-AktG-Hölters, § 93, Rn. 34; Regierungsentwurf UMAG, BT-Drucks. 15/5092, S. 12. 195  Kocher, CCZ 2009, 215, 221. 196  Potinecke/Block, in: Knierim/Rübenstahl/Tsambikakis, § 2, Rn. 25 („Schutzfunktion“ und „Überwachungsfunktion“ von Compliance); eine in gesellschaftsrechtlicher Hinsicht ausschließliche Herleitung aus der Schadensabwendungspflicht nimmt aber wohl Golombek, WiJ 2012, 162, 163 vor. 194  Spindler/Stilz-Fleischer,

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C. Untersuchung der Abschreckungsthese

Auf dieser Grundlage ließe sich im Einzelfall durchaus begründen, dass einzig das Absehen von rechtlicher Beratung oder die eingeschränkte Offenbarung von Informationen an den Rechtsanwalt pflichtgemäß wäre, wenn die Gefahr bestünde, dass hierzu erfolgte schriftliche Aufzeichnungen zur Kenntnis der Behörden gelangen würden und dadurch die Verhängung einer Verbandsgeldbuße oder einer sonstigen Sanktion gegen das Unternehmen zumindest erleichtert, wenn nicht gar erst ermöglicht würde.197 Gleiches gilt für die generelle Aufdeckung von Rechtsverstößen, welche etwa zur Grundlage von Schadensersatzansprüchen Dritter werden können. In dem Fall müsste bereits bei der Frage, ob ein Rechtsanwalt ins Vertrauen gezogen werden und welche Tatsachen ihm anvertraut werden soll, die potentielle Beweisbedeutung der daraus entstehenden Dokumente berücksichtigt werden. Insbesondere wäre der auf mögliche Verbandsgeldbußen zurückzuführende Abschreckungseffekt dann auch unabhängig von Komponenten der persönlichen Erfolgsbeteiligung nicht auf solche Geschäftsleiter beschränkt, die möglicherweise persönliche Verantwortung für die ursprüngliche Rechtsverletzung tragen. Vielmehr käme als Anknüpfungspunkt für einen Bußgeldregress dann die Offenbarung gegenüber dem Rechtsanwalt in Betracht. Die Möglichkeit der Beschlagnahme könnte hiernach die Pflicht zur Inanspruchnahme eines Rechtsanwalts geradezu in ihr Gegenteil verkehren und zu einer Pflicht zum Absehen von rechtlichem Beistand führen. Notwendig wäre aber auch dann eine Abwägung zwischen dem davon unabhängigen, ohnehin gegebenen Entdeckungsrisiko relevanter Rechtsverstöße, der Schwere der Sanktionsandrohung und der Risiken für die Zukunft, welche aus mangelnder Beratung entstehen würden. Insbesondere diverse rechtliche Mechanismen lassen die Entdeckungswahrscheinlichkeit mitunter so hoch erscheinen, dass kaum ein anderes Verhalten als die proaktive Kooperation mit den Behörden verantwortbar wäre. Zu denken ist insbesondere an kartellrechtliche198 und allgemeine199 Kronzeugenregelungen, die Pflicht zur Weiterleitung von im Rahmen einer steuerlichen Betriebsprüfung erlangten Informationen über Straftaten200 197  So explizit für den US-Kontext Gergacz, Attorney-Corporate Client Privilege, § 1:20. 198  Vgl. ausführlich zum daraus folgenden Handlungszwang für Geschäftsleiter: Böttcher, Gesellschaftsrechtlicher Zwang zur Nutzung kartellrechtlicher Kronzeugenregelungen; vgl. dazu auch Säcker, WuW 2009, 362, 367 f. 199  Vgl. allgemein zur Kronzeugenregelung in § 46b StGB Sahan/Berndt, BB 2010, 647 sowie die ausführliche Dissertation von Frahm, Die allgemeine Kronzeugenregelung.



IV. Die einzelnen Einflussfaktoren133

oder den in der Diskussion befindlichen Schutz für sogenannte „whistle­ blower“.201 200

Insofern wäre selbst aus der Schadensabwendungspflicht nur in seltenen Ausnahmefällen zu begründen, dass zur Minimierung einer Entdeckungsgefahr bezüglich vergangener Rechtsverstöße die Inanspruchnahme rechtlicher Beratung eingeschränkt würde. Zu denken ist etwa an Konstellationen, in denen die Verjährung der in Rede stehenden Rechtsverstöße unmittelbar bevorsteht202 und die Umstände auch ein Fortdauern derselben nicht nahelegen. Aus dieser Perspektive sind Unternehmen und Rechtsanwälte also folglich nicht unbedingt immer „unvermeidbare“, aber zumindest schwer vermeidbare „Bettgefährten“. (2) A  uswirkungen auf die Begründung über die Legalitätspflicht Dafür, dass die Beschlagnahmegefahr selbst in solchen Ausnahmefällen keinen Unterschied machen kann, spricht aber entscheidend der Umstand, dass die Rechtsvergewisserungspflicht zumindest auch aus der Legalitätsbzw. Compliance-Pflicht abgeleitet werden kann. Da diese Teil der gesellschaftsrechtlichen Sorgfaltspflichten ist, wäre zwar grundsätzlich denkbar, deren Geltung unter den Vorbehalt unternehmerischer Gewinnmaximierung zu stellen, d. h. die Legalitätspflicht im Einzelfall zurückstehen lassen, wenn es die wirtschaftlichen Interessen des Unternehmens gebieten. In der Literatur wird diese Problematik unter dem Stichwort der „nützlichen Pflichtverletzung“ diskutiert. Im Kern geht es dabei um die Frage des Verhältnisses der Legalitätspflicht zu den übrigen Sorgfaltspflichten. Dabei stehen Literatur und Rechtsprechung aber zu Recht203 ganz überwiegend204 auf dem Standpunkt, dass das Legalitätsgebot bei der Bestimmung des gesellschaftsrechtlichen Pflichtenprogramms ausnahmslos unter200  Vgl. § 4 V I Nr. 10 EStG; näher dazu Klahold/Bernd, in: Momsen/Grützner, Kap 3A, Rn. 93. 201  Vgl. allgemein dazu Thüsing/Forst, in: Thüsing, Beschäftigtendatenschutz und Compliance, § 6; siehe zur aktuellen Diskussion etwa Leuchten, ZRP 2012, 142; Rudkowski, CCZ 2013, 204; Simonet, RdA 2013, 236. 202  Säcker, WuW 2009, 362, 367. 203  Für eine ausführliche Begründung siehe Thole, ZHR 173 (2009), 505. 204  Zu einer Einschränkung der Legalitätspflicht bei geringfügigen Rechtsverstößen siehe aber Glöckner/Müller-Tautphaeus, AG 2001, 344, 345; Kocher, CCZ 2009, 215, 218; Sieg/Zeidler, in: Hauschka, Corporate Compliance, § 3, Rn. 20 ff.

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C. Untersuchung der Abschreckungsthese

nehmerischen Nützlichkeitserwägungen vorgeht. Ein Verstoß gegen externe Rechtsvorschriften begründet hiernach also immer auch eine interne Pflichtverletzung.205 In den Worten des Bundesverfassungsgerichts geht die Rechtsordnung entsprechend „nicht von einem schützenswerten Interesse der juristischen Person an strafbaren Handlungen zu ihren Gunsten oder in ihrem Interesse aus […].“206 Auf dieser Grundlage aber verbleibt auch ungeachtet einer etwaigen Gefahr der Beschlagnahme und Verschlechterung der Beweislage zulasten des Unternehmens kein Raum mehr, Informationen gegenüber einem Rechtsanwalt zurückzuhalten, soweit diese für die Einhaltung der Legalitätspflicht notwendig sind. Denn wenn schon eine gesellschaftsrechtliche Pflicht besteht, die Gesetze auch dann einzuhalten, wenn dies für das Unternehmen wirtschaftlich nachteilig ist, dann kann nichts anderes für die informationelle Vorbereitung der hierfür erforderlichen Maßnahmen gelten. Im diesem Bereich muss daher der Grundsatz gelten, dass allein solche Informationen angemessen sind, die eine hinreichend genaue Bestimmung der Rechtslage zulassen. Sofern dies bei der Zurückhaltung von Informa­ tionen oder dem teilweisen oder vollständigen Verzicht auf rechtliche Beratung nicht mehr der Fall ist, kann also auch keine Haftungsfreistellung mehr eingreifen. (3) E  rgebnis: Möglichkeit der Beschlagnahme schränkt Compliance-Pflichten nicht ein Die Gefahr einer für das Unternehmen nachteiligen Beschlagnahme kann damit also keine Auswirkungen auf die grundsätzlich bestehende Pflicht eines Geschäftsleiters haben, sich bei rechtlicher Unsicherheit von einem qualifizierten Rechtsberater informieren zu lassen. Diese Pflicht besteht vielmehr im Grundsatz fort. Unter diesen Umständen würde jedenfalls ein rational handelnder Geschäftsleiter folglich nur selten von der Einholung 205  Reichert, ZIS 2011, 113, 113; Thole, ZHR 173 (2009), 505; Fleischer, BB 2008, 1070, 1071; Spindler/Stilz-Fleischer, § 93, Rn. 36; Hölters-AktG-Weber, § 76, Rn. 26; Großkomm-AktG-Hopt, § 93, Rn. 99; Möller, Vorteilsanrechnung, S. 50 f.; BGHSt 55, 288, 301 f. (= NJW 2011, 88, 92); BGHSt 55, 266, 275 f. (= NJW 2010, 3458, 3460); vgl. zuletzt auch LG München I, CCZ 2014, 142 (Verurteilung eines ehemaligen Vorstandsmitglieds zu Schadensersatz wegen grenzüberschreitender Schmiergeldzahlungen, deren Rechtfertigung durch wirtschaftliche Erwägungen ausdrücklich abgelehnt wurde). 206  BVerfG, NStZ-RR 2004, 83, 84.



IV. Die einzelnen Einflussfaktoren

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rechtlichen Rats absehen, selbst wenn die Beschlagnahme der dabei entstehenden schriftlichen Unterlagen zugelassen würde. cc) Auswirkungen auf interne Sachverhaltsaufklärung Im Grundsatz kann auch für den Bereich der internen Sachverhaltsaufklärung nichts anderes gelten, jedenfalls insoweit wie auch diese der zukunftsgerichteten Einhaltung der Legalitätspflicht dient. In weit stärkerem Umfang als im Bereich der typischen Rechtsberatung tritt hier allerdings das Problem der Wirtschaftlichkeit von Sachverhaltsaufklärungsmaßnahmen in den Vordergrund. Denn nimmt man die Legalitätspflicht ernst und akzeptiert, dass diese einer rein wirtschaftlichen Betrachtung vorgeht, ihre Grenze also nicht im rein finanziell verstandenen Unternehmensinteresse findet, so stellt sich die Frage, wo die Pflicht zur internen Sachverhaltsaufklärung stattdessen endet. So wäre nicht einzusehen und volkswirtschaftlich unsinnig, dass selbst bei schwachen Hinweisen auf geringfügige Rechtsverstöße untergeordneter Mitarbeiter ausnahmslos eine aufwendige und kostenintensive interne Untersuchung angestrengt werden müsste.207 Die Lösung hierfür kann aber letztlich ebenfalls gesetzlichen Wertungen entnommen werden. So kann auch der StPO die Grundkonzeption einer unterschiedlichen Bedeutung verschieden schwerer Delikte entnommen werden,208 etwa wenn durch §§ 153, 153a StPO die Einstellung von Verfahren bei geringfügigen Delikten erleichtert wird oder die erlaubten strafprozessualen Eingriffsmaßnahmen teilweise an Kataloge von als besonders schwerwiegend angesehenen Taten geknüpft werden.209 Entsprechend muss sich diese Wertung auch beim Umfang von Aufklärungs- ebenso wie von Präventionsverpflichtungen widerspiegeln. Bei staatlichen Strafverfolgungsbehörden ist dies anerkannt und faktisch alternativlos.210 Ebenso muss auch bei internen Ermittlungen durch ein Un­ ternehmen verfahren werden. Die konsequente Anwendung der Legalitätspflicht hat deshalb auch nicht zur Folge, dass Wirtschaftlichkeitserwägungen bei der von der Geschäftslei207  Golombek,

WiJ 2012, 162, 167. § 152, Rn. 40. 209  LR-StPO-Erb, § 160, Rn. 44. 210  LR-StPO-Erb, § 160, Rn. 44. 208  LR-StPO-Beulke,

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C. Untersuchung der Abschreckungsthese

tung zu treffenden Entscheidung über das angemessene Informationsniveau völlig außer Acht gelassen werden können und so in größerem Umfang als bisher die Gefahr einer übermäßigen „Gutachtenindustrie“211 entstünde. Ein ökonomischer Mitteleinsatz muss von einem Geschäftsleiter jedenfalls in gleichem Umfang erwartet werden, wie ihn auch Strafverfolgungsbehörden trotz Geltung des Legalitätsprinzips (vgl. §§ 152 II, 160 I StPO) praktizieren.212 Insofern wird einem Geschäftsleiter bei der Hinzuziehung externer Berater auch weiterhin ein Beurteilungsspielraum zukommen. Gleichwohl hat sich dieser vornehmlich an der Bedeutung der möglichen Rechtsverletzung zu orientieren und nicht an dem aus der Aufklärung entstehenden finanziellen Risiko für das Unternehmen. dd) Der Einfluss von Treue- und Verschwiegenheitspflicht Im Ergebnis kann an den oben gefundenen Grundsätzen auch die Verschwiegenheitspflicht (vgl. §§ 93 I 3, 404 AktG sowie §§ 43, 85 GmbHG) oder die allgemeinere organschaftliche Treuepflicht213 nichts ändern. Eine Verletzung der Verschwiegenheitspflicht kann zwar durchaus auch darin bestehen, dass nicht hinreichend für die Geheimhaltung geheimer Informationen des Unternehmens gesorgt wird.214 Insofern wäre theoretisch denkbar, eine solche Verletzung anzunehmen, wenn es der Geschäftsleiter im Wissen um die Beschlagnahmemöglichkeit zulässt, dass sensible Informationen in anwaltlichen Dokumenten niedergeschrieben werden und schließlich zulasten des Unternehmens verwendet werden. Dem steht allerdings entgegen, dass die Verschwiegenheitspflicht ihre Grenze im Unternehmensinteresse findet.215 Wenn also eine gesellschaftsrechtliche Pflicht des Geschäftsleiters gegenüber dem Unternehmen besteht, einen externen Berater ins Vertrauen zu ziehen, kann auch die Verschwiegenheitspflicht nicht verletzt sein.216 Da die Pflicht zur Hinzuziehung eines Rechtsanwalts bzw. zur Sachverhaltsaufklärung aber aus oben genannten 211  Kiefner/Krämer,

AG 2012, 498, 500. LR-StPO-Beulke, § 152, Rn. 40; LR-StPO-Erb, § 160, Rn. 44. 213  Zur ganz herrschenden Ansicht, wonach die Verschwiegenheitspflicht dogmatisch als Teil der Treuepflicht begriffen wird vgl. Spindler/Stilz-Fleischer, § 93, Rn. 160; MüKo-AktG-Spindler, § 93, Rn. 113; GroßKomm-AktG-Hopt, § 93, Rn. 187. 214  Großkomm-AktG-Hopt, § 93, Rn. 189. 215  Vgl. BGHZ 64, 325, 329 (=  NJW 1975, 1412, 1413); GroßKomm-AktGHopt, § 93, Rn. 209; KK-AktG-Mertens/Cahn, § 93, Rn. 120; MüKo-AktG-Spindler, § 93, Rn. 133. 216  GroßKomm-AktG-Hopt, § 93, Rn. 211; KK-AktG-Mertens/Cahn, § 93, Rn. 120. 212  Vgl.



IV. Die einzelnen Einflussfaktoren137

Gründen unabhängig von der Gefahr einer Beschlagnahme besteht, kann die Beschlagnahmegefahr auch nicht zu einem Durchgreifen der Verschwiegenheitspflicht führen. Es verbleibt dann vielmehr bei dem Grundsatz, dass die Weitergabe von Informationen an externe, ihrerseits zum Schweigen verpflichtete Berater im Interesse der Gesellschaft zulässig ist.217 Auch die Treue- bzw. Verschwiegenheitspflicht eines Geschäftsleiters ändert somit nichts daran, dass die Möglichkeit einer Beschlagnahme keine Auswirkungen auf die Pflicht zur Inanspruchnahme rechtlicher Beratung oder zur Sachverhaltsaufklärung hat. d) Pflicht zur Inanspruchnahme von Rechtsanwälten nach dem OWIG / Strafrecht Im Übrigen unterliegt ein Geschäftsleiter im Einzelfall nicht nur einer zivilrechtlichen Pflicht zur Einholung rechtlichen Rats oder zur Durchführung einer internen Untersuchung. Vielmehr kann sich diese Pflicht in gleicher Weise auch aus dem Ordnungswidrigkeiten- und dem Strafrecht ergeben. Im hier relevanten Kontext entsprechen die daraus folgenden Pflichten weitgehend den oben für das Gesellschaftsrecht festgestellten.218 Da ferner auch die genaue Rechtsquelle von Haftung für die Motivationslage unternehmerischer Entscheidungsträger nur von untergeordneter Bedeutung sein dürfte,219 sollen die nachfolgenden Ausführungen in der gebotenen Kürze erfolgen und auf die gleichwohl in Frage kommenden Unterschiede fokussiert werden. aa) Rechtsvergewisserungspflicht Zunächst ergeben sich in Bezug auf aktuelles oder zukünftiges unternehmerisches Handeln im Zusammenhang mit der Rechtsvergewisserungspflicht letztlich keine Unterschiede zu den obigen gesellschaftsrechtlichen Ausführungen. Denn genauso wie eine gesellschaftsrechtliche Pflicht des Geschäftsleiters besteht, für die Rechtmäßigkeit des Verbandshandelns zu sorgen, treffen ihn die Verbandspflichten aufgrund der Pflichtenüberleitung in den §§ 14 StGB, 9 OWiG auch direkt und persönlich. 217  Siehe zu diesem Grundsatz Hüffer-AktG-Koch, § 93, Rn. 31; GroßKommAktG-Hopt, § 93, Rn. 211; MüKo-GmbHG-Fleischer, § 43, Rn. 207. 218  Zur Parallelität der geforderten Aufsichtspflichten siehe; Bock, Criminal Compliance, S. 279; Rathgeber, Criminal Compliance, S. 263; Ransiek, ZGR 1992, 203, 206; Wirtz, WuW 2001, 342; Rebmann/Roth/Hermann-Förster, § 30, Rn. 27. 219  Bock, Criminal Compliance, S. 277 ff.

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C. Untersuchung der Abschreckungsthese

Bei rechtlicher Unsicherheit müssen also im Grundsatz in gleicher Weise zumutbare Erkundigungsmöglichkeiten ausgeschöpft werden und zu diesem Zweck alle relevanten Fakten offengelegt werden um sich den Einwand eines Verbotsirrtums nicht abzuschneiden.220 bb) Sachverhaltsaufklärung Eine entsprechende Pflicht zur internen Sachverhaltsaufklärung kann sich zunächst aus § 130 i. V. m. § 9 OWiG und diversen bereichsspezifischen Organisationspflichten221 ergeben.222 Unter der Bedingung einer Beschlagnahmemöglichkeit könnte zwar grundsätzlich daran gedacht werden, eine solche Pflicht im Einzelfall als im Hinblick auf das Unternehmen „unzumutbar“223 abzulehnen, wenn damit zu rechnen ist, dass das Unternehmen dadurch Schaden nimmt. Die zugrunde liegende Wertungsfrage ist aber wiederum ebenso zu entscheiden wie im Rahmen des Gesellschaftsrechts. Wenn eine wirtschaftlich nachteilige Maßnahme dennoch durch das Gesellschaftsrecht verlangt wird, so kann sie nicht zugleich unter Hinweis auf das Gesellschaftswohl unzumutbar sein. e) Einschränkung der Pflichten aufgrund möglicher Selbstbelastung durch Geschäftsleiter? Da schon das Zusammenspiel obiger Compliance-Pflichten mit der Tätigkeit von Rechtsanwälten bisher wenig Beachtung gefunden hat, überrascht kaum, dass auch mögliche Auswirkungen des nemo-tenetur-Prinzips auf diese Pflichten bisher kaum untersucht wurden.224 Zwar wurde bereits festgestellt, dass das nemo-tenetur-Prinzip nicht direkt gegen die Beschlagnahmefähigkeit anwaltlicher Unterlagen in Stellung gebracht werden kann.225 Es könnte allerdings dadurch mittelbar Bedeutung 220  Vgl.

oben unter C.IV.2.b)bb)(1). dazu etwa Spindler-Stilz-Fleischer, § 91, Rn. 42. 222  Vgl. etwa Rathgeber, Criminal Compliance, S. 274  ff.; Potinecke/Block, in: Knierim/Rübenstahl/Tsambikakis, Kap. 2, Rn. 13. 223  Vgl. zum Kriterium der Unzumutbarkeit und dessen Ableitung aus dem Begriff der „gehörigen Aufsicht“ KK-OWiG-Rogall, § 130, Rn. 49; Maschke, Aufsichtspflichtverletzungen, S. 56 ff. 224  Vgl. aber für einen Hinweis auf mögliche Selbstbelastung von sowohl Unternehmen als auch Organen durch Erfüllung von Compliance-Pflichten Jahn/Kirsch, in: Rotsch, Hdb. Criminal Compliance, Rn. 100; Kirsch, in: Kempf/Lüderssen/Volk, Unternehmensstrafrecht, S. 361, 363. 225  Siehe oben unter B.III. 221  Vgl.



IV. Die einzelnen Einflussfaktoren139

erhalten, dass es Einfluss auf die Rechten- und Pflichtenlage der relevanten natürlichen Personen ausübt und so das Maß des hier interessierenden Abschreckungseffekts beeinflusst. aa) Der strukturelle Konflikt zwischen Compliance-Pflichten und Selbstbezichtigungsfreiheit Unabhängig von der genauen Rechtsquelle dieser Pflichten besteht das grundsätzliche Problem dabei in einem gewissen Konflikt zwischen organisationsbezogenen Compliance-Pflichten und einer persönlichen Selbstbelastungsfreiheit des einzelnen Entscheidungsträgers. Dieser Konflikt ist ein struktureller und letztlich auf die Mehrdimensionalität von Compliance-Pflichten zurückzuführen. So kann ein Geschäftsleiter nicht nur für vergangene Rechtsverstöße infolge mangelhafter Aufsicht haftbar gemacht werden, sondern ist zugleich auch für die zukünftige Rechtmäßigkeit der Unternehmenstätigkeit verantwortlich und diesbezüglich potentiell von Haftung bedroht. Gleichzeitig kann letztere Pflicht in vielen Fällen nur mit einer umfassenden Auseinandersetzung der Vergangenheit erfüllt werden, sei es in Form von Informa­ tionsweitergabe an einen Rechtsanwalt oder der Durchführung einer Internal Investigation. Dabei zeigt sich dieser strukturelle Konflikt zwischen Compliance-Pflicht und Selbstbelastungsfreiheit im Zusammenhang mit der Beschlagnahme letztlich nur besonders deutlich. Im Grundsatz bestünde er auch bei einem angenommenen Verbot der Beschlagnahme. Denn wie oben gezeigt,226 hat ein einzelner Geschäftsleiter gerade keine umfassende Kontrolle über die Inhalte seiner Kommunikation mit einem Unternehmensanwalt. Vielmehr besteht in der Regel die Möglichkeit, dass spätestens nach einem Wechsel in der Unternehmensleitung die dem Rechtsanwalt mitgeteilten Informationen sowohl in zivilrechtlichen als auch strafrechtlichen Verfahren gegen ihn verwendet werden. Insofern ist die These, dass keine belastenden Informationen an Dritte weitergeleitet werden und deshalb bei der vergangenheitsbezogenen Sachverhaltsauseinandersetzungen keine gewichtigen Interessen des Geschäftsleiters betroffen seien,227 jedenfalls nicht haltbar, egal ob man von einem Beschlagnahmeverbot ausgeht oder nicht.

226  Siehe

C.IV.1. ZGR 2013, 841, 843.

227  Grunewald,

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C. Untersuchung der Abschreckungsthese

bb) Die Parallele zur allgemein zivilrechtlichen und insbesondere arbeitsrechtlichen Diskussion Zumindest was die rein zivilrechtlichen Compliance-Pflichten betrifft, ist der beschriebene Grundkonflikt keineswegs neu, sondern vielmehr Gegenstand einer breiten Diskussion im Zusammenhang mit arbeitsrechtlichen Auskunftspflichten von Mitarbeitern gegenüber dem Arbeitgeber im Rahmen einer Internal Investigation.228 Auch wenn diese hier im Ergebnis abgelehnt werden sollen, kämen in Anlehnung an dort diskutierte Ansätze theoretisch auch im vorliegenden Zusammenhang eine Reihe von Optionen in Frage, um diesen Konflikt zugunsten der handelnden natürlichen Personen aufzulösen. Hierzu gehört eine Einschränkung schon auf der Primärebene der Pflichten229 oder eine sekundäre Einschränkung auf der Ebene der Verwertung230 der durch die Aufsichtspflichten geschaffenen Beweise. Vorliegend ist dies von besonderem Interesse, da jedenfalls ein Verwertungsverbot eine von der Beschlagnahmemöglichkeit ausgehende abschreckende Wirkung doch erheblich reduzieren, wenn nicht gänzlich beseitigen, würde. Eine Einschränkung der Primärpflicht hingegen hätte in noch größerem Maß die gegenteilige Wirkung, da dem Risiko dann kaum ein persönlicher Nutzen mehr entgegenstehen würde. Soweit ersichtlich werden solcherlei Beschränkungen speziell mit Bezug zu Unternehmen und deren Leitungspersonen bisher allerdings kaum diskutiert.231 228  Zur Diskussion insgesamt siehe ausführlich etwa Kruse, Compliance und Rechtsstaat, S.  142 ff.; Rödiger, Strafverfolgung von Unternehmen, Kap. 3; Kottek, Kooperation mit SEC, S. 113 ff.; Greeve/Tsambikakis, in: Knierim/Rübenstahl/Tsambikakis, Kap. 17, Rn. 16 ff. 229  Für eine Einschränkung der arbeitsrechtlichen Auskunftspflichten: Jahn/ Kirsch, in: Rotsch, Hdb. Criminal Compliance, Rn. 32 f.; Kirsch, in: Kempf/Lüderssen/Volk, Unternehmensstrafrecht, S. 361, 363 f.; Rudkowski, NZA 2011, 612, 614; Bauer StV 2012, 277; Göpfert/Merten/Siegrist, NJW 2008, 1703, 1705; LG Hamburg, MDR 1984, 867, 868; für eine Einschränkung der Durchsetzbarkeit arbeitsrechtlicher Auskunftspflichten im Wege einer verfassungskonformen Reduktion des § 888 ZPO: Gerst, CCZ 2012, 1, 3; Raum, StraFo 2012, 395, 397. 230  Für ein Verwertungsverbot im Hinblick auf arbeitsrechtlich begründete Auskünfte: Jahn/Kirsch, in: Rotsch, Hdb. Criminal Compliance, Rn. 99 f.; Kruse, Compliance und Rechtsstaat, S.  226; Rödiger, Strafverfolgung von Unternehmen, S. 258 ff., 320; Wewerka, Internal Investigations, S. 314 ff.; Kirsch, in: Kempf/Lüderssen/Volk, Unternehmensstrafrecht, S. 361, 366 f.; Galen, NJW 2011, 945, 945; Theile, StV 2011, 381, 384 f.; Bittmann/Molkenbur, wistra 2009, 373, 379; Böhm, WM 2009, 1923, 1926 ff.; SK-StPO-Rogall, Vor § 133, Rn. 140. 231  Vergleichbare Ansätze finden sich allenfalls bei Mäder, Betriebliche Offenbarungspflichten, S. 307. Dort werden allerdings nur ganz allgemein und kursorisch



IV. Die einzelnen Einflussfaktoren141

In strafrechtlicher Hinsicht befürworten allein Jahn / Kirsch explizit ein entsprechendes umfassendes Verwertungsverbot, welches allerdings ausdrücklich nicht auf das nemo-tenetur-Prinzip, sondern „überindividuell-verfahrensstrukturelle“ Erwägungen gestützt wird.232 Ein möglicher Einfluss der Selbstbelastungsproblematik auf gesellschaftsrechtliche Compliance-Pflichten wird indessen zwar von Grunewald thematisiert.233 Problematisiert wird dabei aber nicht schon das Bestehen der Primärpflicht zur Durchführung potentiell selbstbelastender Untersuchun­ gen,234 sondern lediglich eine mögliche Sekundärhaftung für das Versäumnis, das dabei aufgedeckte eigene Fehlverhalten aktiv etwa gegenüber dem Aufsichtsrat offenzulegen. cc) Keine Beschränkung der Pflichten auf das Verhältnis zwischen Privaten Eines der Probleme in der arbeitsrechtrechtlichen Diskussion stellt zunächst die Relevanz des nemo-tenetur-Prinzips für Pflichten zwischen privaten Rechtssubjekten dar.235 So wird teilweise trotz der anerkannten Möglichkeit einer mittelbaren Drittwirkung236 bestritten, dass sich das nemo-tenetur-Prinzip in sachlicher Hinsicht auf private Zwangsausübung erstrecke.237 Im vorliegenden Zusammenhang stellt sich dieses Problem jedoch nicht in gleichem Maße. Denn die relevanten Compliance-Pflichten sind gerade nicht rein zivilrechtlicher Natur238 und auf den Interessenausgleich zwischen Verwertungsbeschränkungen zugunsten von nicht näher spezifizierten natürlichen Personen angedacht, welche ein zukünftiges Unternehmensstrafrecht ergänzen könnten. Eine ähnliche Wirkung wie ein Verwertungsverbot hätte allerdings auch der teilweise vertretene Ansatz, den jeweils handelnden natürlichen Person immer auch persönlich die Entbindungsbefugnis zuzsprechen, vgl. dazu etwa Schmitt, wistra 1993, 9, 10 ff. 232  Jahn/Kirsch, in: Rotsch, Hdb. Criminal Compliance, Rn. 99 f. 233  Grunewald, NZG 2013, 841. 234  Vielmehr bejaht Grunewald, NZG 2013, 841, 843 die uneingeschränkte Fortgeltung dieser Pflichten mit dem Hinweis darauf, dass keine belastenden Informa­ tionen an Dritte weitergeleitet würden. 235  Vgl. zur Diskussion Rödiger, Strafverfolgung von Unternehmen, S. 269  ff., 276 ff.; Jahn/Kirsch, in: Rotsch, Hdb. Criminal Compliance, Rn. 25. 236  Vgl. Jahn/Kirsch, in: Rotsch, Hdb. Criminal Compliance, Rn. 5 ff. 237  SK-StPO-Rogall, Vor § 133, Rn. 139; Verrel, NStZ 1997, 415, 415 ff.; Momsen, ZIS 2011, 508, 513. 238  Für die gesellschaftsrechtlichen Pflichten wäre ein Zwang hingegen fernliegender als im Zusammenhang mit der arbeitsrechtlichen Nebenpflicht zur Auskunft,

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C. Untersuchung der Abschreckungsthese

Privaten beschränkt. Vielmehr besteht jedenfalls in Gestalt des § 130 OWiG auch ein originär staatlicher Zwang. dd) Ablehnung eines relevanten „Zwangs“ Im Hinblick auf die konkrete Pflicht zur Hinzuziehung eines Rechtsanwalts oder zur Sachverhaltsaufklärung muss trotz einer gewissen Tendenz in dieser Richtung dennoch ein echter „Zwang“ und damit der Kern des nemotenetur-Prinzips verneint werden. Denn alle hinsichtlich einer Selbstbelastung in Frage kommenden Pflichten sind an die fortlaufende Tätigkeit als Leitungsperson eines Unternehmens geknüpft. Nichts von alledem aber zwingt eine Person, diese Tätigkeit weiter auszuüben.239 Auch das teilweise im Zusammenhang mit generellen arbeitsvertraglichen Auskunftspflichten vorgebrachte Argument, welches auf einen – echter Freiwilligkeit entgegenstehenden – faktischen Zwang zur Sicherung des eigenen Lebensunterhalts verweist,240 verfängt jedenfalls hier nicht. Dieses stützt sich auf die Annahme, dass eine jede Person faktisch darauf angewiesen sei, einen Arbeitsvertrag mit irgendeinem Arbeitgeber abzuschließen und somit notwendigerweise immer – gleichsam unfreiwillig – einer solchen Auskunftspflicht unterliegen würde.241 Obschon auch diese Annahme etwa die Möglichkeit der beruflichen Selbständigkeit ausblendet, so kann jedenfalls die Leitung eines Unternehmens nicht mehr als eine entsprechende Art von Notwendigkeit des Lebens qualifiziert werden. Selbst ein bloß faktischer „Zwang“ wäre deshalb nur mit sehr viel Phantasie zu konstruieren. Auch in rein zeitlicher Hinsicht unterscheidet sich der faktische „Zwang“ in normalen arbeitsvertraglichen Auskunftspflichten von den hier relevanten Leitungspflichten. In beiden Fällen steht zwar eine Selbstbelastung für vergangenes Tun im Raum, die Pflichten unterscheiden sich aber in ihrer zeitlichen Zielrichtung. Im Fall des Arbeitsvertrags drohen unmittelbare Konsequenzen aus der Nichtbefolgung einer möglichen Selbstbelastungspflicht, im Fall der Leida es sich hierbei um eine Hauptleistungspflicht handelt und somit § 888 III ZPO den Einsatz von Zwangsmitteln ausschließt, vgl. zur Erwzingbarkeit arbeitsrecht­ licher Auskünfte Böhm, WM 2009, 1923, 1925. 239  Vgl. für eine vergleichbare Argumentation im Zusammenhang mit der Pflicht zu wahrheitsgemäßen Angaben gegenüber einem Versicherer Bittmann/Molkenbur, wistra 2009, 373, 377. 240  Vgl. dazu etwa Fritz, CCZ 2011, 156, 160. 241  Fritz, CCZ 2011, 156, 160.



IV. Die einzelnen Einflussfaktoren143

tungsfunktion hingegen würden potentielle Konsequenzen aus Untätigkeit zu jedem gegebenen Zeitpunkt erst aus zukünftigen, weiteren Rechtsverstößen folgen. Während der Einzelne sich in ersterem Fall also zum Zeitpunkt einer möglichen Selbstbelastung seiner Pflichtenposition nicht mehr durch zukunftsgerichtete Aufgabe derselben entziehen könnte, wäre dies in letzterem Fall durchaus möglich. Im Ergebnis muss ein wirklicher „Zwang“, der Einfluss auf Primärpflichten oder Beweisverwertung haben könnte, somit also verneint werden. Zwar finden sich in dem hier vorgestellten spezifischen Zusammenhang noch kaum Stellungnahmen aus der Literatur242 und keine aus der Rechtsprechung. Aus den genannten Gründen spricht jedoch zumindest deutlich weniger dafür, hier anhand des nemo-tenetur-Prinzips Modifikationen vorzunehmen als dies im Zusammenhang mit der arbeitsrechtlichen und allgemein zivilrechtlichen Diskussion der Fall ist. Insofern wird man davon ausgehen können, dass die dortige ablehnende, wohl noch herrschende, Ansicht auch und erst recht auf die Situation der hier analysierten Leitungspersonen übertragbar ist. Dies gilt gleichermaßen sowohl für Einschränkungen der Primärpflicht243 als auch für mögliche Verwertungsverbote.244

242  Vgl. lediglich die oben genannten Ansätze bei Jahn/Kirsch, in: Rotsch, Hdb. Criminal Compliance, Rn. 99 f.; Grunewald, NZG 2013, 841; Mäder, Betriebliche Offenbarungspflichten, S. 307. 243  Gegen arbeitsrechtliche Auskunftsverweigerungsrechte: Bittmann/Molkenbur, wistra 2009, 373, 376; Gerst, CCZ 2012, 1, 2; Rübenstahl, WiJ 2012, 17, 22; allgemein gegen eine Einschränkung zivilrechtlicher Pflichten aufgrund von Selbstbelastung: BGHZ 41, 318, 327 (=  NJW 1964, 1469, 1471 – „Auch den Art. 1, 2 und 20 GG läßt sich kein allgemeingültiger Rechtssatz entnehmen, aus dem sich ergibt, daß unter keinen Umständen jemand gezwungen werden dürfe, sich selbst einer strafbaren Handlung zu bezichtigen (BVerfG, NJW 63, 1195). Wer ein fremdes Rechtsgut verletzt, hat grundsätzlich dafür einzustehen und für die Wiedergutmachung zu sorgen. Ist dies nicht anders möglich, als dadurch, daß der Schädiger dabei eine eigene strafbare Handlung bekennt, so hat er dies auf sich zu nehmen, soweit ihn das Gesetz nicht ausdrücklich davon freistellt.“); BGH, NJW 1962, 731 (Auskunftsanspruch aus § 242 BGB wurde bejaht, obwohl dessen Erfüllung dem Eingeständnis der üblen Nachrede nach § 186 StGB gleichkam); BAG, NZA 1996, 637 (Bejahung einer Auskunftspflicht, allerdings ohne explizite Auseinandersetzung mit der nemotenetur-Problematik, obwohl dies im Lauf des Verfahrens geltend gemacht wurde). 244  LG Hamburg, NJW 2011, 945; Greeve/Tsambikakis in: Knierim/Rübenstahl/ Tsambikakis, Kap. 17, Rn. 31 (verbunden allerdings mit Forderung eines gesetzlich geregelten Verwertungs- und Verwendungsverbots); OLG Karlsruhe, NStZ, 1989, 287 (mit zust. Anm. Rogall); KG, NStZ 1995, 146; LG Hamburg, MDR 1984, 867. Allerdings wird zumindest im Bereich der arbeitsrechtlichen Auskunftspflichten entweder das eine oder das andere bejaht, siehe dazu Bock/Gerhold, in: Knierim/Rübenstahl/Tsambikakis, Kap. 5, Rn. 41.

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C. Untersuchung der Abschreckungsthese

ee) Einschränkung der Primärpflichten aufgrund allgemeiner Zumutbarkeitserwägungen? Auch wenn insoweit festgestellt wurde, dass keine verfassungsrechtlich zwingenden Gründe hier gegen die Begründung von Primärpflichten oder die Verwertung der daraus entstehenden Beweise sprechen, so könnte noch daran gedacht werden, ob aus allgemeinen Zumutbarkeitserwägungen nicht zumindest die Pflichten zu potentiell selbstbelastenden Untersuchungen eingeschränkt werden könnten oder müssten. Im Unterschied zu einem Verwertungsverbot bedürfte es hierfür auch nicht unbedingt eines Rückgriffs auf zwingendes Verfassungsrecht.245 Als einfachgesetzlicher Ansatzpunkt hierfür käme vielmehr eine entsprechende Auslegung unbestimmter Rechtsbegriffe (etwa die „gehörige Aufsicht“ in § 130 OWiG) oder im Hinblick auf zivilrechtliche Pflichten auch eine etwa in der arbeitsrechtlichen Literatur vorgeschlagene Lösung über § 275 III BGB246 in Betracht. Aus gutem Grund wurde ein solcher Ansatz jedoch bislang, soweit ersichtlich, nicht vertreten, denn er würde nichts anderes bedeuten, als die weitgehende Aufgabe rechtlich durchsetzbarer Compliance-Pflichten. Aufgrund des oben aufgezeigten strukturellen Konflikts wären diese nicht nur äußerst oft einzuschränken, sondern auch gerade dann, wenn bereits Anzeichen für Rechtsverstöße vorhanden sind, mithin also wenn ihre Durchsetzung am dringendsten erscheint. Es stünde dann zu vermuten, dass Rechtskonformität letztlich nicht gesteigert, sondern sogar vermindert würde. Der Sinn hinter einem Schutz der unternehmerischen Selbstevaluation aber würde dann in sein Gegenteil verkehrt. Somit muss es auch aus allgemeinen Erwägungen dabei bleiben, dass selbst bei Gefahr einer möglichen Selbstbelastung die unternehmerische Selbstevaluation durch einen Geschäftsleiter „geradezu zu seinen Kernauf­ gaben“247 gehört und diesbezüglich keiner Einschränkung unterliegt. 245  Insoweit wie von Jahn/Kirsch, in: Rotsch, Hdb. Criminal Compliance, Rn. 99 f. ein überindividuell-verfahrensstrukturelles Verwertungsverbot gefordert wird, bleibt unklar, welcher gesetzliche Anknüpfungspunkt hierfür beabsichtigt ist. Der gänzliche Verzicht auf einen solchen erscheint jedenfalls zweifelhaft. Auch der dort in Bezug genommene „funktionale“ Ansatz des OLG Düsseldorf, NZKart 2013, 39 verzichtet gerade nicht auf eine einfachgesetzliche Anbindung, sondern konkretisiert lediglich die Formulierung „überwiegende schutzwürdige Interessen“ in § 406e II 1 StPO. 246  Vgl. etwa Jahn/Kirsch, in: Rotsch, Hdb. Criminal Compliance, Rn. 19; Fritz, CCZ 2011, 156, 157. 247  Grunewald, NZG 2013, 841, 842.



IV. Die einzelnen Einflussfaktoren

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ff) Folgeproblem – ein zivilrechtliches Verwertungsverbot? Ferner sprechen auch gegen die Annahme eines Verwertungsverbots noch andere Gründe, welche über das oben ausgeführte Nichteingreifen des nemo-tenetur-Prinzips hinausgehen. Denn selbst wenn man mit Jahn / Kirsch aus überindividuellen verfahrensstrukturellen Gründen ein strafprozessuales Verwertungsverbot annähme, so würde damit nicht die Gefahr einer persönlichen zivilrechtlichen Haftung beseitigt werden. Würden also im Rahmen einer Internal Investigation Rechtsverstöße zutage gefördert, für welche eine persönliche Schadensersatzhaftung des jeweiligen Entscheidungsträgers bestünde, so könnten – und müssten248 – die entsprechenden Erkenntnisse von Seiten des Unternehmens genutzt werden, um diese vor Gericht durchzusetzen. Es könnte dann also der Fall eintreten, dass der Betroffene zwar durch ein Verwertungsverbot vor einem Bußgeld geschützt wird, aber dennoch der Gefahr einer möglicherweise um ein vielfaches höheren Schadensersatzforderung ausgesetzt ist. Unter diesen Umständen aber ist nicht zu erwarten, dass ein strafprozessuales Verwertungsverbot den Abschreckungseffekt in relevanter Weise mindern und die Offenheit gegenüber Rechtsanwälten oder die Durchführung von Internal Investigations in relevanter Weise fördern würde. Zwar wäre grundsätzlich (jedenfalls durch den Gesetzgeber) möglich, auch ein entsprechendes zivilprozessuales Verwertungsverbot zu konzipieren. Ein solches aber wäre, je nachdem ob man diesem Fernwirkung beimessen würde oder nicht, entweder wenig nützlich oder es würde die von den Compliance-Pflichten gewollte Steuerungswirkung weitgehend aushöhlen. Denn wenn es möglich wäre, die persönliche Haftung durch das nachfolgende Anstrengen einer Untersuchung des eigenen Fehlverhaltens wirkungsvoll und umfassend zu vermeiden, so würde das persönliche Risiko von Rechtsverstößen erheblich gemindert. Im Ergebnis würde die Situation dann einem gänzlichen Verzicht auf rechtlich durchsetzbare und persönlich wirkende Compliance-Pflichten angenähert. Dies aber wäre aus den oben genannten Gründen nicht tragbar und wurde auch deshalb bisher, soweit ersichtlich, noch nicht vertreten. 248  Vgl. zu einer entsprechenden Verpflichtung des Aufsichtsrats Spindler/StilzSpindler, § 116, Rn. 47 f.; für eine solche Pflicht des aktuellen Vorstands bezüglich Pflichtverletzungen früherer Vorstandsmitglieder vgl. KK-AktG-Mertens/Cahn, § 93, Rn. 89; einschränkend siehe aber auch Wagner, ZHR 178 (2014), 227, 239 f. zu einer gewissen „Bisshemmung“ des Aufsichtsrates hinsichtlich der Durchsetzung von Ansprüchen gegen Vorstandsmitglieder.

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C. Untersuchung der Abschreckungsthese

gg) Ergebnis: keine Einschränkung von Compliance-Pflichten durch Selbstbelastungsfreiheit Wenn dieser Problembereich auch bisher wenig geklärt ist, so spricht im Ergebnis also doch viel dafür, dass das nemo-tenetur-Prinzip keinerlei Einfluss auf die Pflicht eines Geschäftsleiters hat, anwaltlichen Rat zu suchen und auch unter Einsatz von Internal Investigations für die Legalität des Geschäftsbetriebs zu sorgen. Hinzu kommt wiederum, dass es hier im Wesentlichen darum geht, inwieweit verschiedene rechtliche Einflussfaktoren tatsächliche Auswirkungen auf die Offenheit innerhalb anwaltlicher Mandatsverhältnisse haben. Selbst wenn man hier zu dem Ergebnis eines sehr weiten Schutzes der handelnden natürlichen Personen durch das nemo-tenetur-Prinzip kommen wollte, so würde dies angesichts fortdauernder rechtlicher Unsicherheiten wenig an dem Ergebnis ändern, dass mit dem Verzicht auf Compliance-Maßnahmen jedenfalls ein immenses, auch persönliches Risiko verbunden ist. f) Ergebnis: teilweise Neutralisierung des Abschreckungseffekts durch Rechtspflichten zur Hinzuziehung von Rechtsanwälten Es zeigt sich somit, dass die Motivations- und Pflichtenlage von Entscheidungsträgern mit den beschriebenen Abschreckungseffekten aufgrund einer Beschlagnahmemöglichkeit nur unvollständig beschrieben würde. Vielmehr besteht in vielen Fällen eine echte Rechtspflicht zur Hinzuziehung von Rechtsanwälten, welche auch unter der Bedingung einer hypothetischen Beschlagnahmemöglichkeit fortbestehen kann. Hieraus ergibt sich das Potential zu einer zumindest teilweisen Neutralisierung bestehender Abschreckungseffekte.

V. Zur These von der reduzierten Gründlichkeit bei Internal Investigations als Folge einer Beschlagnahmemöglichkeit An den obigen Ausführungen wird darüber hinaus auch deutlich, dass letztlich wenig Raum für die teilweise befürchtete Gefahr von bewusst oberflächlichen Internal Investigations bleibt.249 Nach dieser insbesondere durch den U.S. Supreme Court in der UpjohnEntscheidung geäußerten Ansicht250 würden Unternehmen zwar nach außen 249  Buchanan,

Wake Forest L. Rev. 39 (2004), 587, 600 f.



V. Zur These von der reduzierten Gründlichkeit bei Internal Investigations147

hin ihren Verpflichtungen nachkommen, Verdachtsfälle aufzuklären, die entsprechenden Untersuchungen aber bewusst so strukturieren, dass keine wirklich relevanten Dinge entdeckt würden. 250

Diese Art der „Scheincompliance“251 ist aber zunächst einmal kein beschlagnahmespezifisches Problem, sondern im weiteren Zusammenhang mit Compliance immer zu beachten.252 Vor allem aber wäre eine solche Vorgehensweise unter den dargestellten haftungsrechtlichen Rahmenbedingungen auch zumindest sinnlos. Denn damit würde ja gerade nicht der Legalitätspflicht entsprochen und somit auch kein wirksamer Schutz vor zusätzlicher persönlicher Haftung begründet. Mitunter wäre sogar das Gegenteil der Fall und die Unternehmensleitung begäbe sich „in tiefere strafrechtlich relevante Gefilde und damit in eine Situation, die gerade vermieden bzw. gelöst werden soll.“253 So müsste in zivilrechtlicher Hinsicht ein solches Verhalten, welches bewusst der Verschleierung eigenen Fehlverhaltens dient, etwa einer erfolgreichen Verjährungseinrede entgegenstehen.254 Noch größere Gefahren bestehen, wenn interne Untersuchungen gar den Behörden im Rahmen von Kooperationsbemühungen übergeben werden. Denn eine „Kooperation“, die in Wahrheit das Ziel der Verschleierung hat, würde bestenfalls nicht den erwünschten Effekt der Strafmilderung erreichen, schlechtestenfalls eine Verschärfung der Haftungsrisiken. Soweit es sich um die Kooperation mit US-Behörden handelt, würde sich außerdem sowohl der Rechtsanwalt als auch der jeweilige Auftraggeber dem zusätzlichen Risiko einer Bestrafung wegen „obstruction of justice“ aussetzen.255 Auch wenn eine entsprechende Vorschrift für das Ordnungs250  Upjohn & Co. v. United States, U.S. 449 (1981), 383, 393, Fn. 2 („The Government argues that the risk of civil or criminal liability suffices to ensure that corporations will seek legal advice in the absence of the protection of the privilege. This response Ignores the fact that the depth and quality of any investigations, to ensure compliance with the law would suffer, even were they undertaken.“). 251  Rotsch, ZIS 2010, 614, 617. 252  Vgl. Bock, Criminal Compliance, S. 227 f. („Window Dressing“); Rotsch, in: Criminal Compliance vor den Aufgaben der Zukunft, S. 3, 14 („Feigenblatt-Funk­ tion“). 253  Verjans, in: Volk, MAH-WirtschaftsstrafR (1. Auflage 2006), § 8, Rn. 50. 254  Denn in einer bewusst verschleiernden Handlung kann eine eigene Pflichtverletzung gesehen werden: BGH, NJW 1995, 1353, 1358; Grunewald, NZG 2013, 841, 843. 255  Willcox, Maryland L. Rev. 49 (1990), 917, 925 mit Hinweis auf 18 U.S.C. § 1505.

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C. Untersuchung der Abschreckungsthese

widrigkeitenverfahren in Deutschland fehlt, so käme auch hier jedenfalls dann eine Bestrafung wegen Strafvereitelung gemäß § 258 StGB in Betracht, wenn damit die Aufdeckung von Straftaten nach dem StGB verhindert werden soll.256 Zwar könnte eine solche „Scheinuntersuchung“ in der Praxis dennoch einen Vorteil haben, wenn sie nicht also solche erkannt wird, der Schein also erfolgreich gewahrt wird. Allerdings erscheint diese Gefahr gerade dann, wenn interne Untersuchungen durch Rechtsanwälte durchgeführt werden sollen, eher gering. Denn selbst wenn sich der Rechtsanwalt durch eine solche Untersuchung nicht zumindest in die Nähe einer eigenen Beihilfetat begibt, so wäre sie jedenfalls nicht mit den berufsrechtlichen Pflichten eines Rechtsanwalts als unabhängiges Organ der Rechtspflege vereinbar. Sollte eine solche Scheinuntersuchung darüber hinaus aus Sicht eines Organwalters den Zweck haben, eigene rechtswidrige Taten vor dem eigenen Unternehmen zu verbergen, so käme zusätzlich eine Strafbarkeit des Rechtsanwalts wegen Parteiverrats nach § 356 StGB in Betracht.

VI. Bewertung der verschiedenen Einflussfaktoren im Hinblick auf die Abschreckungsthese 1. „Haftungsmühle“ als Ergebnis divergierender Haftungsfaktoren Wie oben festgestellt wurde, besteht also grundsätzliche eine Verpflichtung, Rechtsanwälte miteinzubeziehen oder durch sonstige Personen eine angemessene Sachverhaltsaufklärung zu betreiben, welche auch durch die Möglichkeit der Beschlagnahme nicht eingeschränkt wird. Für einen Geschäftsleiter, der hinreichend sicher sein kann, keine Rechtsverstöße in der Vergangenheit zu verantworten, folgt daraus, dass von einer Abschreckungsgefahr nicht die Rede sein kann. Denn allein durch Verzicht auf Offenheit gegenüber seinen Beratern besteht für ihn die realistische Gefahr einer persönlichen Haftung. Soweit ein Geschäftsleiter aber negative Konsequenzen für sein Verhalten in der Vergangenheit zu fürchten hat, ergibt sich für diesen eine Art „Haftungsmühle“.257 Die Beschlagnahmemöglichkeit kann dabei also bewirken, dass er im Umgang mit Verdachtsfällen im Unternehmen letztlich 256  Taschke,

NZWiSt 2012, 89, 92. Effekt erkennt im Ansatz auch bereits Städler, Die Auswirkungen eines Personenwechsels bei Vertretungsorganen, S. 143 im Zusammenhang mit der 257  Diesen



VI. Bewertung der verschiedenen Einflussfaktoren149

zwischen einer summenmäßigen Erhöhung seiner persönlichen Haftungsgefahr258 und einer erhöhten Verfolgungswahrscheinlichkeit von bereits eingegangenen Haftungsgefahren wählen muss. So formuliert wäre also durchaus denkbar, dass ein rational handelnder Akteur eine weitere Erhöhung seines ohnehin bestehenden Haftungsrisikos in Kauf nehmen würde um auf der anderen Seite seine Chancen zu erhöhen, dass sich dieses Risiko nie materialisiert. Auf der anderen Seite sprechen insbesondere zwei Überlegungen dagegen, dass eine solche hemmende Wirkung auf die Mandatsbeziehung auch tatsächlich in signifikanter Zahl feststellbar wäre. Zum einen ist dies die bereits angesprochene fehlende persönliche Kontrolle über den Mandatsinhalt, die eine, wenn auch zunächst nur unternehmensinterne, Aufdeckung vergangenen Fehlverhaltens auch ohne die Möglichkeit der Beschlagnahme wahrscheinlich macht. 2. Der Einfluss von D&O Versicherungen Zum anderen ergibt sich auch durch die weite Verbreitung von D&O Versicherungen ein Unterschied zwischen beiden Varianten der besagten „Haftungsmühle“, der die Abwägung wesentlich zugunsten der völligen Offenheit gegenüber dem Rechtsanwalt verschiebt. Grund hierfür ist, dass bei D&O-Versicherungen Ansprüche aus vorsätzlicher Schadensverursachung oder wissentlichen Pflichtverletzungen ausgeschlossen sind.259 Selbst für den Fall, dass das fahrlässige Unterlassen von Aufsichtsmaßnahmen in der Vergangenheit zu einer Haftung führen kann, so würde hier in vielen Fällen zunächst grundsätzlich eine D&O-Versicherung eingreifen. Nachdem heute fast alle Versicherungsbedingungen einen gewissen SelbstbeFrage nach der Befugnis zur Entbindung von der Schweigepflicht durch eine juristische Person („Wahl zwischen ‚Pest und Cholera‘“). 258  Zwar sind auch Sachverhalte denkbar, welche etwa auf eine einzige, kontinuierliche Anknüpfungstat eines zu überwachenden Mitarbeiters zurückzuführen sind, so dass sich im Einzelfall für den Aufsichtspflichtigen durch das spätere Absehen von Aufklärungsmaßnahmen keine zusätzliche Strafbarkeit ergibt und sich etwaige Auswirkungen auf minimale Änderungen bei Strafzumessung und Schadensberechnung hinauslaufen. Diese Konstellationen dürften aber die große Ausnahme sein. Ferner würden sich selbst dann substantielle Nachteile durch eine Aushebelung der ursprünglichen Verjährungsfrist ergeben (vgl. zu dem Aspekt der Verjährung auch Grunewald, NZG 2013, 841, 845). 259  Prölss/Martin-VVG-Voit, Teil III, F., IX., 5.1, Rn. 1 f.; Schimmer, in: Patzina/ Bank/Schimmer/Simon-Widmann, Kap. 18, Rn. 25; Lange, DStR 2002, 1674, 1676.

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C. Untersuchung der Abschreckungsthese

halt vorsehen260 und das Aktienrecht einen solchen sogar verpflichtend vorsieht (§ 93 II 3 AktG), schließt eine solche Versicherung eine gewisse hemmende Wirkung zwar nicht ganz aus, schränkt sie aber doch zumindest ein. Wird hingegen bewusst von der Pflicht abgewichen, Rechtsverstöße im Unternehmen aufzuklären, so besteht in Bezug darauf regelmäßig kein Schutz einer D&O-Versicherung. Der Grund dafür liegt darin, dass bei entsprechenden Versicherungen Ansprüche aus vorsätzlicher Schadensverursachung oder wissentlichen Pflichtverletzungen grundsätzlich ausgeschlossen sind.261 Gegen diesen „Wissentlichkeitsausschluss“262 kann sich der betroffene Geschäftsleiter zwar mit dem Einwand verteidigen, dass er entweder die entsprechende Pflicht nicht gekannt habe oder ihm nicht bewusst war, diese zu verletzen.263 Das Wissen um eine grundsätzliche Legalitätspflicht wird man jedoch im Allgemeinen unterstellen können. Ebenso sind kaum Umstände vorstellbar, in denen die unbewusste Verletzung dieser Pflicht glaubhaft gemacht werden könnte. Denn die Legalitätspflicht meint eben nicht die absolute Verhinderung jeder Rechtsverletzung aus dem Unternehmen heraus, sondern nur die organisatorischen Maßnahmen, die zu einer Verhinderung ebensolcher geboten sind.264 Eben eine solche Maßnahme stellt aber gerade dann, wenn sich ein Verdachtsfall im Unternehmen ergibt, die Hinzuziehung eines Rechtsanwalts zur Sachverhaltsaufklärung dar.265 Verzichtet ein Geschäftsleiter somit im Hinblick auf die Beschlagnahmegefahr „bewusst“ darauf, einen Rechtsanwalt in dem jeweils gebotenen Maße miteinzubeziehen, so liegt darin regelmäßig zugleich auch ein wissentlicher Verstoß gegen die Legalitätspflicht. Dies hat für die Frage eines etwaigen Abschreckungseffekts auch konkrete Auswirkungen. Denn im Ergebnis bedeutet dies, dass das persönliche Haftungsrisiko für fehlerhafte Aufsichtsmaßnahmen in der Vergangenheit tendenziell geringer ist als das Risiko, das sich aus dem Verzicht auf an260  Thüsing, in: Graf v. Westphalen/Thüsing, Vertragsrecht und AGB-Klauselwerke, Geschäftsführerverträge, Rn. 161. 261  Prölss/Martin-VVG-Voit, Teil III, F., IX., 5.1, Rn. 1 f.; Schimmer, in: Patzina/ Bank/Schimmer/Simon-Widmann, Kap. 18, Rn. 25; Lange, DStR 2002, 1674, 1676; Wagner, ZHR 178 (2014), 227, 249. 262  Lange, DStR 2002, 1674, 1676. 263  Lange, DStR 2002, 1674, 1676 f.; es ist ferner aber auch möglich, einen Versicherungsausschluss zu vereinbaren, der bereits bei bloßer Vorsätzlichkeit eingreift, also bereits dann, wenn ein Gesetzesverstoß lediglich für möglich gehalten und billigend in Kauf genommen wird, siehe dazu Wagner, ZHR 178 (2014), 227, 249 f. 264  Vgl. etwa Spindler/Stilz-Fleischer, § 91, Rn. 47. 265  Eine interne Sachverhaltsaufklärung kann selbstverständlich auch durch andere Personen als durch einen Rechtsanwalt erfolgen. Entscheidend ist aber, dass eine solche Aufklärung stattfindet.



VII. Empirische Untersuchungen zum Abschreckungseffekt

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waltliche Beratung ergibt. Auf der einen Seite steht dann ein auf die Selbstbeteiligung begrenztes, auf der anderen Seite ein unkalkulierbares und möglicherweise existenzvernichtendes Risiko.

VII. Empirische Untersuchungen zum Abschreckungseffekt Auch vereinzelte Versuche aus den USA, die Existenz eines Abschreckungseffekts auf empirischem Wege zu überprüfen, haben jedenfalls kein klares Bild ergeben, welches den genannten differenzierten Erwägungen im Rahmen der Rational-Choice-Betrachtung widersprechen würde. 1. Übersicht über die bestehenden empirischen Untersuchungen Relevant ist im vorliegenden Zusammenhang insbesondere eine im Yale Law Journal erschienene Studie aus dem Jahr 1962, welche sich generell mit der Frage nach den Auswirkungen des Anwaltsprivileges auf die Offenheit gegenüber Rechtsanwälten beschäftigte und zu diesem Zweck sowohl Laien als auch praktizierende Anwälte und Richter befragte.266 Eine weitere, 1989 veröffentlichte Studie267 hatte zum Ziel, diese Frage im spezifischen Zusammenhang mit dem Anwaltsprivileg bei der Vertretung von Unternehmen zu untersuchen („New York Studie“). Neben Rechtsanwälten wurden hier hochrangige Vertreter268 großer Unternehmen befragt. Während die genannten Studien sich explizit auf den gerichtlich oder behördlich angeordneten Zugriff auf Informationen des Rechtsanwalts beschränkten, stellte eine dritte Studie („Tompkins County Studie“) ferner die verwandte Frage nach Auswirkungen der grundsätzlichen Geheimhaltungspflicht von Rechtsanwälten.269 2. Generelle Zweifel an der Aussagekraft der Studien Die Ergebnisse der obigen Rational-Choice-Betrachtung können hierdurch aber schon deshalb nicht wirkungsvoll in Frage gestellt werden, weil diverse Faktoren an Verlässlichkeit und Aussagekraft der gefundenen Daten 266  Note,

Yale L.J. 71 (1962), 1226. St. John’s L. Rev. 63 (1989), 191. 268  Als „senior management“ bezeichnete Mitarbeiter, welche in der internen Hierarchie direkt unter dem Vorstandsvorsitzenden oder dessen jeweiliger Entsprechung in anderen Gesellschaftsformen standen, vgl. Alexander, St. John’s L. Rev. 63 (1989), 191, 203. 269  Zacharias, Iowa L. Rev. (1989), 351. 267  Alexander,

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C. Untersuchung der Abschreckungsthese

zweifeln lassen, welche noch über die generellen Einwände gegenüber einem solchen „behavioral approach“270 hinausgehen. So weist etwa Alexander in Bezug auf seine Studie von 1989 selbst auf eine gewisse Voreingenommenheit („professional bias“) der befragten Rechtsanwälte und Unternehmensvertreter hin,271 die als direkt von der Reichweite des Anwaltsprivileges Betroffene ein natürliches Interesse an dessen expansiver Anwendung haben.272 Auch wurde in keiner der Studien auch nur der Versuch unternommen, das Ausmaß eines möglichen Abschreckungseffekts zu bestimmen.273 Selbst wenn das vollständige Anvertrauen von Informationen etwa durch eine Beschlagnahmemöglichkeit als „weniger wahrscheinlich“ bezeichnet wird, so ist damit noch nicht gesagt, ob dies auch in relevantem Maß geschieht oder vielmehr nur minimale bis gar keine Auswirkungen hat.274 Zu berücksichtigen ist ferner, dass die Frage nach einem Abschreckungseffekt nur allgemein gestellt wurde. Eine Differenzierung zwischen verschiedenen individuellen Situationen fand größtenteils nicht statt und wäre wohl aufgrund der komplexen Vielschichtigkeit unterschiedlicher Motiva­ tionsfaktoren auch nur schwer umzusetzen gewesen.275 Wohl etwas zu weit gehen dürfte im Ergebnis zwar die Diagnose, wonach aus den genannten Gründen eine verlässliche empirische Überprüfung des Abschreckungseffekt schon im Grundsatz nicht möglich sei.276 Richtig ist dazu generell Posner, Stanford L. Rev. 50 (1998), 1551. St. John’s L. Rev. 63 (1989), 191, 197 ff., 263; vgl. aber auch die in der Studie enthaltenen Versuche einer gewissen Objektivierung der Ergebnisse, Alexander, St. John’s L. Rev. 63 (1989), 191, 241 ff. 272  Alexander, St. John’s L. Rev. 63 (1989), 191, 197  ff., 263; ebenso auch: Thornburg, Notre Dame L. Rev. 69 (1993), 157, 165; Imwinkelried, The New Wigmore, § 5.2.2 a. (im Zusammenhang mit anderen Studien zum Zeugnisverweigerungsrecht von Psychotherapeuten); vgl. für eine ähnliche Argumentation des U.S. Supreme Court im Zusammenhang mit dem Presseprivileg: Branzburg v Hayes, U.S. 408 (1972), 665, 694 („It would be difficult to canvass the views of the informants themselves; surveys of reporters on this topic are chiefly opinions of predicted informant behavior and must be viewed in the light of the professional self-interest of the interviewees.“). 273  Imwinkelried, The New Wigmore, § 5.2.2 b. 274  Imwinkelried, The New Wigmore, § 5.2.2 b. 275  Eine gewisse Annäherung ermöglicht allenfalls die Frage nach spezifischen Situationen, in denen das Attorney-Client Privilege in Gesprächen zwischen Unternehmensvertretern und Rechtsanwälten thematisiert wurden, vgl. hierzu Alexander, St. John’s L. Rev. 63 (1989), 191, 242 f. 276  Note, Harvard L. Rev. 84 (1970), 424, 425; Dallas, South. Cal. L. Rev. 50 (1977), 303, 306, Fn. 22; Kobak, Georgia L. Rev. 6 (1972), 339, 339 („unverifiable assumptions“). 270  Vgl.

271  Alexander,



VII. Empirische Untersuchungen zum Abschreckungseffekt

153

aber, dass die Ergebnisse jedenfalls nicht überschätzt oder gar zum alleinigen Entscheidungskriterium werden sollten. Dies gilt umso mehr für zwei weitere Studien, welche aus diesem Grund hier nur am Rande erwähnt werden sollen. Die erste, durchgeführt von der „Associaton of Corporate Counsel“, befragte eine Reihe von Inhouse-Juristen, in der zweiten277 wurden externe Rechtsanwälte von der „National Association of Criminal Defense Lawyers“ nach Auswirkungen des Attorney-Client Privilege bzw. dessen Abwesenheit gefragt.278 Beide ergaben zwar mit großer Eindeutigkeit, dass eine Einschränkung des Schutzes der anwaltlichen Geheimsphäre die Offenheit gegenüber Rechtsanwälten drastisch einschränken würde.279 Sie befragten aber eben nicht die Mandanten, sondern die direkt betroffenen Juristen selbst, welche darüber hinaus offenbar wussten, dass die Befragungen in direktem Zusammenhang mit der Vorbereitung einer öffentlichen Stellungnahme zum Thema durch die American Bar Association (ABA) standen.280 Entsprechend entschieden wurde die Relevanz beider Studien denn auch in der Literatur bestritten,281 größtenteils wurden sie ganz ignoriert. 3. Die ambivalenten Ergebnisse der empirischen Studien Auch in inhaltlicher Hinsicht ergibt sich aus keiner der genannten Stu­dien ein klares Bild bezüglich eines Abschreckungseffekts.282 So kann zwar zunächst festgestellt werden, dass jeweils eine, wenn auch teilweise knappe Mehrheit der möglichen Mandanten283 äußerte, bei Einschränkung oder Abwesenheit des Attorney-Client Privilege in geringerem Post, National L.J., 25. April 2005, S. 6. Übersicht über beide Studien findet sich bei Imwinkelried, The New Wigmore, § 5.2.2 b. 279  Imwinkelried, The New Wigmore, § 5.2.2 b. 280  Imwinkelried, The New Wigmore, § 5.2.2 b. 281  Imwinkelried, The New Wigmore, § 5.2.2 b („no serious social scientist would take them at face value.“); Horton, The Business Lawyer 61 (2005), 95, 128 („taint­ ed by self-interest“). 282  Dallas, South. Cal. L. Rev. 50 (1977), 303, 306, Fn. 22 („inconclusive“); Note, Harvard L. Rev. 98 (1985), 1450, 1474 f. („no solid empirical data exists to support the estimates of either critics or proponents as to either the costs ort he benefits of privileges. In short, legal decisionmakers face a perhaps unavoidable empirical indeterminancy.“); Gergacz, Attorney-Corporate Client Privilege, § 1:6 („somewhat muddled findings“). 283  50,9% (Note, Yale L.J. 71 (1962), 1226, 1262); 52,5% (Zacharias, Iowa L. Rev. (1989), 351, 386); 75% (Alexander, St. John’s L. Rev. 63 (1989), 191, 245). 277  Vgl.

278  Eine

154

C. Untersuchung der Abschreckungsthese

Maße zur vollständigen Offenlegung aller Tatsachen gegenüber einem Rechtsanwalt bereit zu sein.284 Die daraus in der Literatur gezogenen Schlussfolgerungen unterscheiden sich allerdings stark und stehen sich teilweise diametral gegenüber. Während die Studien teilweise als Nachweis eines relevanten Abschreckungseffekts herangezogen werden,285 folgern andere das Gegenteil daraus und sehen die Abschreckungsthese als weitgehend widerlegt an.286 Tatsächlich wird man die Ergebnisse jedoch so verstehen müssen, dass ein gewisser Abschreckungseffekt aufgrund einer hypothetischen Einschränkung der anwaltlichen Vertrauenssphäre nicht zu leugnen ist. Schon allein der Umstand jedoch, dass immerhin eine substantielle Zahl der Befragten angab, auch bei Einschränkung der Vertrauenssphäre nicht weniger offen gegenüber einem Rechtsanwalt zu sein, lässt jedoch ebenso darauf schließen, dass ein Abschreckungseffekt nicht einfach uneingeschränkt und wie selbstverständlich postuliert werden kann,287 wie es teilweise in der deutschen Literatur getan wird. Dies zeigt sich überdies auch an anderen Details der Untersuchungen. So lassen sich in den Studien auch Belege dafür finden, dass rechtliche Regelungen zum Schutz des Mandatsgeheimnisses neben der persönlichen Integrität des Rechtsanwalts nur eine untergeordnete Rolle spielen. So wurde etwa in der Tompkins County Studie eine Folgefrage an diejenigen gestellt, welche zuvor angegeben hatten, bei Nichtgewährleistung der Vertraulichkeit Informationen zurückzuhalten.288 Diese fragte danach, ob Informationen auch dann zurückgehalten würden, wenn Vertraulichkeit grundsätzlich gewährleistet wäre, mit Ausnahme solcher spezifischer Sachverhalte, welche der Rechtsanwalt im Vorhinein genau beschrieben hätte. Unter diesen Umständen wollten nur 15,1% der Befragten Informationen zurückhalten. Auch wenn man dies immer noch für signifikant halten will, so ergibt sich die Bedeutung dieser Zahl insbesondere aus dem Vergleich zu der Frage nach 284  In Übereinstimmung damit wurde auch in der sozialwissenschaftlichen Forschung ein positiver Einfluss von Vertraulichkeit auf die Bereitschaft zur Beantwortung sensibler Fragen festgestellt, siehe dazu Singer, Am. Soc. Rev. 43 (1978), 144, 151. 285  Levin, Rutgers L. Rev. 47 (1994), 81, 104 f. 286  Imwinkelried, The New Wigmore, § 5.2.2 („it would be more accurate to say that the available studies are at odds with the hypothesis that in the typical case, the lack of an evidentiary privilege deters a person from either consulting a third party […] or making necessary disclosures“); Thornburg, Notre Dame L. Rev. 69 (1993), 157, 162 („The modest amount of empirical data available, however, is equivocal at best and casts doubt on the truth of this assertion.“). 287  Zacharias, Iowa L. Rev. 74 (1989), 351, 378, 396. 288  Zacharias, Iowa L. Rev. (1989), 351, 386.



VII. Empirische Untersuchungen zum Abschreckungseffekt

155

Zurückhaltung von Informationen unter der geltenden, sehr weitgehenden Gewährleistung von Vertraulichkeit. Hier gaben bereits 11,3% der Befragten an, ohnehin Informationen zurückzuhalten, selbst ohne eine Einschränkung des Anwaltsgeheimnisses.289 In eine ähnliche Richtung weisen auch die Antworten auf die in der New York Studie enthaltene Frage, welche Faktoren den größten Einfluss auf Offenheit gegenüber Rechtsanwälten haben. 46% der befragten Unternehmensvertreter nannten als wichtigsten Faktor das persönliche Vertrauen in die Integrität des Rechtsanwalts, während nur 16% das Attorney-Client Privilege als wichtigsten oder mit anderen gleichwertigen Faktor nannten.290 Als wichtigster, die Häufigkeit der Inanspruchnahme von Rechtsanwälten beeinflussender Faktor wurde darüber hinaus mehrheitlich eine rein betriebswirtschaftliche Notwendigkeit genannt („business necessity“).291 Insoweit wird man die empirischen Studien als Bestätigung des oben gefundenen Ergebnisses heranziehen können, wonach ein Abschreckungseffekt grundsätzlich bestehen kann, allerdings in deutlich geringerem Ausmaß als vielfach behauptet. Auch die im Rahmen der Rational-Choice-Betrachtung entwickelte Differenzierung zwischen verschiedenen Situationen wird durch die New York Studie in Teilen bestätigt. So wurde dort der Versuch einer gewissen Objektivierung der Ergebnisse unternommen, indem nach den spezifischen Situationen gefragt wurde, in denen das Attorney-Client Privilege Thema in den Gesprächen zwischen Rechtsanwalt und Mandant war.292 Mit Abstand am meisten genannt wurden hier potentielle oder bereits laufende Gerichtsverfahren.293 Eine substantielle Zahl von Befragten nannte in diesem Zusammenhang ferner auch „sensible Sachverhalte“, zu denen insbesondere interne Untersuchungen und staatliche Ermittlungsverfahren gezählt wurden.294

289  Zacharias,

Iowa L. Rev. (1989), 351, 386. St. John’s L. Rev. 63 (1989), 191, 248. 291  Alexander, St. John’s L. Rev. 63 (1989), 191, 249 (Für 65,4% der Unternehmensvertreter der wichtigste Faktor, während das Attorney-Client Privilege an dieser Stelle nur von einem einzigen von 52 Befragten als wichtigster Faktor genannt wurde). 292  Alexander, St. John’s L. Rev. 63 (1989), 191, 237 ff. 293  Alexander, St. John’s L. Rev. 63 (1989), 191, 238 (78,9% der Befragten hatten das Attorney-Client Privilege in diesem Zusammenhang erwähnt). 294  Alexander, St. John’s L. Rev. 63 (1989), 191, 238 f. (38,9%). 290  Alexander,

156

C. Untersuchung der Abschreckungsthese

4. Ergebnis: Vorhandene empirische Untersuchungen treffen keine verlässlichen Aussagen Trotz aller Vorbehalte kann somit festgestellt werden, dass die bestehenden empirischen Untersuchungen zwar aus sich selbst heraus keine verlässliche Aussage über Bestehen und Ausmaß eines Abschreckungseffekts erlauben. Ihre Ergebnisse stehen aber jedenfalls im Einklang mit den ambivalenten Ergebnissen der oben angestellten Rational-Choice-Betrachtung.

VIII. Das ambivalente und differenzierte Gesamtergebnis zur Abschreckungsthese Wie sich im Lauf der obigen Untersuchung gezeigt hat, kann das Postulat eines umfassenden Abschreckungseffekts jedenfalls nicht uneingeschränkt aufrechterhalten werden. Die Frage nach dem Abschreckungseffekt kann aufgrund der Vielschichtigkeit der zugrundeliegenden Konstellationen seriöserweise nicht mit einem klaren und allgemeingültigen Ja oder Nein beantwortet werden. Die Antwort muss vielmehr differenziert ausfallen und überdies Raum für die mit letzter Sicherheit nicht vorhersagbare Vielfalt menschlicher Entscheidungsparameter lassen. Soweit eine Mandatsbeziehung zu einer natürlichen Person betroffen ist, kann ein solcher Effekt noch recht weitgehend festgestellt und die Abschreckungsthese somit verifiziert werden. Einzig im Zusammenhang mit rein zukunftsbezogener Rechtsberatung ist diese Feststellung aufgrund eines weitgehend nicht vorhandenen rechtlichen Risikos einzuschränken. Hier kann ein Abschreckungseffekt allenfalls aufgrund der höchstpersönlichen Natur des Mandatsinhalts oder eines bewusst einkalkulierten Rechtsbruchs295 bestehen. Ein weitaus komplexeres Bild ergibt sich für Mandatsbeziehungen zu einem Unternehmen. Abschreckende, auf die jeweiligen Entscheidungsträger wirkende Faktoren können zwar auch hier festgestellt werden. Diese sind jedoch von dem Ausmaß der konkreten Eigentumsverhältnisse und dem Maß an persönlicher Verwicklung in den fraglichen Sachverhalt abhängig. Ihr tatsächliches Potential zur Hemmung des Informationsflusses wird dadurch in Frage gestellt, dass auch unabhängig von einer Beschlagnahmemöglichkeit bereits ein abschreckender Effekt in Gestalt von fehlender persönlicher Kontrolle über den Mandatsinhalt festgestellt werden konnte. Überdies 295  Vgl.

C.IV.2.b)bb)(2).



VIII. Das ambivalente und differenzierte Gesamtergebnis

157

konnte gezeigt werden, dass die auf Entscheidungsträger wirkenden rechtlichen Rahmenbedingungen starke Anreize zur Offenheit, auch im Bewusstsein der Beschlagnahmemöglichkeit, bieten und so einen gewissen „neutralisierenden“ Effekt zeitigen. In der Tendenz wird man somit auch im Zusammenhang mit der recht­ lichen Beratung von Unternehmen einen gewissen Abschreckungseffekt feststellen können. Dieser ist jedoch situativ zu qualifizieren und insgesamt jedenfalls deutlich schwächer ausgeprägt als bei natürlichen Personen.

D. Schlussfolgerungen für mögliche verfassungsrechtliche Beschlagnahmeverbote I. Kein verfassungsrechtliches Beschlagnahmeverbot auf Grundlage des Bestimmtheitsgebots Für die Ableitung eines Beschlagnahmeverbots aus dem Bestimmtheitsgrundsatz hat sich aus der obigen Analyse abschreckender Effekte insbesondere ein wesentliches Ergebnis ergeben: Sofern es sich um rein zukunftsbezogene Beratung handelt, kann die Möglichkeit der Beschlagnahme keinen relevanten hemmenden Effekt auslösen, da es im Wesentlichen schon an der Begründung eines zusätzlichen Beweisrisikos mangelt. Dies gilt für anwaltliche Beratung von Unternehmen sehr eindeutig, mit geringfügigen Einschränkungen aber auch für die Beratung von Privatpersonen. Wie bereits gezeigt1 kann sich auch aus der Konstellation des schon im Vorfeld der möglichen Beratungsleistung bewusst mit dem Rechtsbruch kalkulierenden Mandanten nichts anderes ergeben. In dieser Hinsicht ist zwar ein Abschreckungseffekt eindeutig, unter normativen Wertungsgesichtspunkten spricht dies jedoch eher gegen als für einen Beschlagnahmeschutz. So wichtig die Beratung durch Rechtsanwälte für die tatsächliche Wirksamkeit des Bestimmtheitsgrundsatzes also ist, so ergibt sich dennoch aus diesen Überlegungen, dass es kaum möglich ist, hieraus auch ein Beschlagnahmeverbot herzuleiten. Zwar gibt es auf der anderen Seite durchaus zahlreiche Konstellationen, in denen eine Beratung sich nicht vollständig auf Zukünftiges beschränkt, sondern vielmehr auch Tatsachen aus der Vergangenheit eine Rolle für die zukunftsgerichtete Beratung spielen. Beratung zur möglichen Geltendmachung von Schadensersatz etwa ist nicht möglich, ohne dass der Rechtsanwalt detaillierte Informationen über den in der Vergangenheit liegenden und möglicherweise auch strafrechtlich relevanten Sachverhalt von seinem Mandanten erfragt.2 Für diese Konstellationen konnte oben auch in Grenzen ein gewisser Abschreckungseffekt festgestellt werden. Im Ergebnis än1  Vgl.

C.IV.2.b)bb)(2). FS Hamm, S. 751, 763.

2  Taschke,



II. Zur Begründung eines Beschlagnahmeverbots

159

dert aber auch dies nichts an der Ablehnung eines auf den Bestimmtheitsgrundsatz aufbauenden Beschlagnahmeverbots. Der Grund hierfür ist, dass Informationsweitergabe durch den Mandanten in diesen Konstellationen nicht für die Bestimmbarkeit eines Normbefehls selbst notwendig ist, sondern nur für die Subsumtion eines Sachverhalts unter eine bereits hinreichend konkretisierte Norm. Zwar wäre es vordergründig nicht völlig undenkbar, auch die eindeutige Subsumtionsfähigkeit als Teil des Bestimmtheitsgebots aufzufassen. Denn erst dann wäre sichergestellt, dass der Bürger wirklich in jeder Situation genau weiß, was er zu tun und zu lassen hat. Damit würde dem Bestimmtheitsgrundsatz aber eine Bedeutung zugemessen, die zu Recht bisher weder in der Literatur noch in der Rechtsprechung artikuliert wurde. Ein solches Verständnis ist auch abzulehnen, denn die Gültigkeit einer abstrakten Gesetzesnorm kann nicht von Unsicherheiten in Bezug auf tatsächliche Begebenheiten abhängig gemacht werden. Dass Unsicherheit über einen Sachverhalt besteht, hat letztlich nichts mit der Bestimmtheit einer Norm zu tun. Das Tötungsverbot bleibt, um nur ein Beispiel zu nennen, auch dann hinreichend bestimmt, wenn im Einzelfall tatsächliche Unsicherheit etwa darüber besteht, ob ein neues Arzneimittel lebensverkürzend wirkt oder nicht. Im Ergebnis kann also aus dem Bestimmtheitsgrundsatz kein verfassungsrechtliches Beschlagnahmeverbot abgeleitet werden.

II. Zur Begründung eines Beschlagnahmeverbots auf Grundlage des allgemeinen Rechtsstaatsprinzips Im Lichte der oben gefundenen Ergebnisse kann auch dem allgemeinen Rechtsstaatsprinzip nur zum Teil ein verfassungsrechtliches Beschlagnahmeverbot entnommen werden. Soweit es um reguläre Strafverfahren gegen natürliche Personen und eine Beschlagnahme deren eigener anwaltlicher Unterlagen geht, ist ein solches anzuerkennen. Soweit es jedoch um Unterlagen eines allein für ein Unternehmen tätigen Rechtsanwalts geht, ist es abzulehnen.

160 D. Schlussfolgerungen für verfassungsrechtliche Beschlagnahmeverbote

1. Natürliche Personen a) Weitgehende Bestätigung der Abschreckungsthese In Bezug auf natürliche Personen hat die obige Analyse zunächst grundsätzlich einen weitgehenden, insbesondere im Vergleich zu Unternehmen deutlich größeren Abschreckungseffekt feststellen können. Zwar wurde für rein zukunftsbezogene Beratung ein solcher Effekt größtenteils abgelehnt und seine Bedeutung im Übrigen aus Wertungsgründen verneint. Gerade bei der Beratung von natürlichen Personen wird sich die Beratung allerdings praktisch nie derartig beschränken lassen, sondern in der Regel auch oder sogar ausschließlich auf Sachverhalte in der Vergangenheit erstrecken. Da sich auch bei der konkreten Ausgestaltung eines Beschlagnahmeverbots schwerlich zwischen vergangenheits- und rein zukunftsbezogener Beratung differenzieren ließe, mag diese Überlegung zwar den Abschreckungseffekt punktuell einschränken, nicht aber grundsätzlich in Frage stellen. b) Keine gegenläufigen verfassungsrechtlichen Prinzipien Entscheidend für ein verfassungsrechtliches Beschlagnahmeverbot spricht in Bezug auf natürliche Personen letztlich die fast völlige Abwesenheit gegenläufiger verfassungsrechtlicher Prinzipien. Das Rechtsstaatsgebot lässt sich zwar nicht auf eine individualschützende Tendenz beschränken, sondern vereint in sich viele, mitunter gegenläufige Wertungen, welche jeweils miteinander in Ausgleich gebracht werden müssen.3 Weitgehend unstreitig ist Teil des Rechtsstaatsgebots insbesondere auch die Forderung nach umfassender Ermittlung der Wahrheit im Strafverfahren4 und effektiver Durchsetzung der staatlichen Strafverfolgung.5 Für gewöhnlich müssen diese Ziele also gegen den Wert abgewogen werden, den das jeweilige Beweisverbot schützen soll. Die Notwendigkeit 3  Hilger,

FS Salger, S. 319, 325. Art. 20 (Rechtsstaat), Rn. 218; Maunz/Dürig-GGGreszick, Art. 20, VII., Rn. 147; BVerfGE 57, 250, 275 (=  NJW 1981, 1719, 1722); BVerfGE 63, 45, 63 (=  NJW 1983, 1043, 1043); BVerfGE 80, 367, 378 (=  NJW 1990, 563, 564); BVerfGE 86, 288, 317 (=  NJW 1992, 2947, 2949). 5  Maunz/Dürig-GG-Greszick, Art.  20, VII., Rn. 143; BVerfGE 33, 367, 383 (=  NJW 1972, 2214, 2216); BVerfGE 106, 28, 49 (=  NJW 2002, 3619, 3624); BVerfGE 107, 299, 316 (=  NStZ 2003, 441, 443). 4  Dreier-GG-Schulze-Fielitz,



II. Zur Begründung eines Beschlagnahmeverbots161

einer solchen Abwägung kommt auch in der gängigen Formel zum Ausdruck, wonach keine Wahrheitsermittlung um jeden Preis6 erfolgen dürfe. Der Komplexität der vorliegenden Fragestellung wird eine simple Gegenüberstellung und Abwägung zweier gegenläufiger Werte aber nicht gerecht.7 Denn, wie bereits ausgeführt, rechtfertigt die effektive Rechtspflege ein Beschlagnahmeverbot allein in dem Maß wie ansonsten von der Offenheit gegenüber einem Rechtsanwalt abgesehen würde. In diesem Maße aber führt die Beschlagnahme auch nicht zu einer Förderung der prozessualen Wahrheitsfindung. Denn soweit ein hemmender Effekt tatsächlich wirkt, entstehen die Beweise, auf die die Beschlagnahme abzielt, ja gerade nicht.8 Soweit also ein abschreckender Effekt festgestellt werden kann, ist die Beschlagnahmefreiheit aus Sicht der Strafverfolgung praktisch neutral. Sie mag allein dann im Ausnahmefall positive Auswirkungen für die Wahrheitserforschung haben, wenn der Einzelne von dem oben skizzierten, von rationalen Akteuren ausgehenden Verhaltensmodell abweicht, also etwa aus Unkenntnis und entgegen seiner Interessen bestimmte Informationen offenbart. Soweit es also um Privatpersonen geht, so könnte die Beschlagnahme und damit die Beeinträchtigung des Zugangs zum Rechtsstaat letztlich nur mit einer Art Strafeffekt gerechtfertigt werden. Denn aufgrund des festgestellten Abschreckungseffekts wäre das Resultat einer Beschlagnahmemöglichkeit, dass derjenige, der sich eines eigenen strafrechtlichen Risikos bewusst ist, effektiv von dem verfassungsrechtlich verbürgten Zugang zu Rechtsanwälten ausgeschlossen würde. Angeknüpft wäre damit an die alte Kritik von Bentham, wonach nur der Schuldige von einem Anwaltsprivilege profitieren würde, der Unschuldige hingegen nichts zu befürchten hätte.9 Der über Rechtsanwälte vermittelte Zugang zur Rechtspflege, mithin also die Teilhabe an der rechtsförmigen Gestaltung gesellschaftlichen Zusam6  Siehe etwa BGHSt 14, 358, 365 (=  NJW 1960, 1580, 1582); BGHSt 31, 304, 309 (=  NJW 1970, 1570, 1571). 7  Kritisch zu entsprechenden Tendenzen in der Literatur Alschuler, U. Colorado. L. Rev. 52 (1981), 349, 350 f. 8  So etwa Posner, Stanford L. Rev. 51 (1999), 1477, 1532; Alschuler, U. Colorado L. Rev. 52 (1981), 349, 350; Alschuler, U. Colorado L. Rev. 54 (1982), 67, 74; Imwinkelried, Boston U. L. Rev. 83 (2003), 315, 318; Swidler & Berlin, U.S. 524 (1998), 399, 408 („Without assurance of the privilege’s posthumous application, the client may very well not have made disclosures to his attorney at all, so the loss of evidence is more apparent than real.“). 9  Bentham, Rationale of Judicial Evidence, Buch V, Kap. V, § 2 (S. 473 ff.).

162 D. Schlussfolgerungen für verfassungsrechtliche Beschlagnahmeverbote

menlebens, ist aber für jeden Bürger verfassungsrechtlich garantiert, unabhängig davon, ob er sich in der Vergangenheit etwas zu Schulden kommen lassen hat oder nicht. Für Straftaten und Ordnungswidrigkeiten wurden jeweils auf demokratischem Weg bestimmte Sanktionen festgelegt. Bei Verstößen müssen diese auch so konsequent wie möglich angewendet werden, es darf aber keinesfalls darüber hinausgegangen werden. Weder darf eine Art von informeller Sanktion wie das effektive Fernhalten von anwaltlicher Beratung zusätzlich verhängt werden, noch darf eine solche als Ersatz für eine gesetzlich bestimmte Sanktion vorgesehen werden. c) Kein Beschlagnahmeverbot zugunsten von Nichtbeschuldigten Ein abschreckender Effekt konnte allerdings auch für natürliche Personen nur insoweit festgestellt werden, wie sich die Beschlagnahme als Zugriff auf anwaltliche Unterlagen eines Beschuldigten selbst darstellt. Die gegen einen Nichtbeschuldigten gerichtete Beschlagnahme hingegen kann den obigen Erkenntnissen zufolge keine realistischen Auswirkungen auf die Offenheit gegenüber Rechtsanwälten haben.10 Grund hierfür ist, dass für dort aufgefundene strafrechtlich relevante Informationen in Übereinstimmung mit der Rechtsprechung des BGH ein Verwertungsverbot zugunsten des (ursprünglich) Nichtbeschuldigten anzunehmen ist und sich auch relevante zivilrechtliche Nachteile nicht erkennen lassen. Qualifiziert werden muss dieses Ergebnis lediglich dahingehend, dass es abhängig von der obigen Feststellung eines Verwertungsverbots ist.11 Würde man dieses ablehnen, so wäre auch ein Abschreckungseffekt klar zu bejahen und somit auch hier ein Beschlagnahmeverbot zu bejahen. d) Ergebnis: eingeschränktes verfassungsrechtliches Beschlagnahmeverbot zugunsten von natürlichen Personen Im Ergebnis ist also für natürliche Personen in der Tat ein aus dem Rechtsstaatsprinzip herzuleitendes, verfassungsrechtlich zwingendes Beschlagnahmeverbot anzunehmen, welches insbesondere unabhängig von dem Aufbewahrungsort der betreffenden Unterlagen ist. Eine Einschränkung ergibt sich lediglich aus der prozessualen Situation und der Beziehung des Mandanten zum Verfahrensgegenstand. Soll die Beschlagnahme sich gegen einen Nichtbeschuldigten oder seinen Rechtsanwalt richten, so ist aufgrund 10  Vgl. 11  Vgl.

oben C.IV.2.b)bb). oben C.IV.2.d)aa)(2).



II. Zur Begründung eines Beschlagnahmeverbots163

des fehlenden Abschreckungseffekts ein verfassungsrechtliches Beschlagnahmeverbot zu verneinen. 2. Unternehmen a) Die Ambivalenz des Abschreckungseffekts Ein anderes Bild ergibt sich hingegen für Unterlagen eines Unternehmensanwalts. Soweit es sich bei dem Mandanten um ein Unternehmen handelt, konnte oben zunächst nur ein sehr eingeschränkter Abschreckungseffekt festgestellt werden. Entsprechend wurden zahlreiche Umstände und Situationen aufgezeigt, in denen ein Beschlagnahmeverbot keine oder kaum Auswirkungen auf die wahrheitsgemäße Kommunikation mit Rechtsanwälten hätte, selbst dann nicht, wenn die Beschlagnahme mit dem Ziel einer Sanktionierung des Unternehmens erfolgt, sich dieses also nicht lediglich in der Position eines gänzlich Nichtbeschuldigten befindet. Trotz der Gefahr einer nachteiligen Beweisverwertung gegen das Unternehmen würde in diesen Fällen die Entstehung entsprechender Unterlagen also nicht verhindert. Dies hat zur Folge, dass ein Beschlagnahmeverbot hier sehr wohl eine reale Beeinträchtigung der prozessualen Wahrheitsfindung nach sich zieht. Im Unterschied zur Situation bezüglich natürlicher Personen sind an dieser Stelle also durchaus gegenläufige Tendenzen innerhalb des Rechtsstaatsgebots miteinander abzuwägen. Zwar erscheint nicht unmöglich, dass diese Abwägung zugunsten eines Beschlagnahmeverbots ausfallen würde. Sie könnte aber letztlich ebenso vertretbar zum gegenteiligen Ergebnis kommen. b) Die Konkretisierungsbedürftigkeit des Rechtsstaatsprinzips Damit zeigt sich hier in besonderem Maß die dem allgemeinen Rechtsstaatsprinzip immanente Konkretisierungsbedürftigkeit, die letztlich dazu führt, dass trotz eines theoretisch denkbaren Begründungsansatzes ein verfassungsrechtlich zwingendes Beschlagnahmeverbot abgelehnt werden muss. Für die vorliegende Untersuchung ist dabei zu berücksichtigen, dass das BVerfG bezüglich des Rechtsstaatsprinzips mit Recht von einer Einschätzungsprärogative des Gesetzgebers ausgeht:12 „Bei der Weite und Unbestimmtheit des Rechtsstaatsprinzips ist dabei mit Behutsamkeit vorzugehen; denn es ist grundsätzlich Sache des Gesetzgebers, zwischen 12  BVerfGE

65, 283, 290 (=  NVwZ 1984, 430, 431).

164 D. Schlussfolgerungen für verfassungsrechtliche Beschlagnahmeverbote möglichen Alternativen bei der normativen Konkretisierung eines Verfassungsgrundsatzes zu wählen. Erst wenn sich bei Berücksichtigung aller Umstände und nicht zuletzt der im Rechtsstaatsprinzip selbst angelegten Gegenläufigkeiten unzweideutig ergibt, daß rechtsstaatlich unverzichtbare Erfordernisse nicht mehr gewahrt sind, können aus diesem selbst konkrete Folgerungen für die Ausgestaltung des Strafverfahrens im Rahmen der vom Gesetzgeber gewählten Grundstruktur des Verfahrens gezogen werden.“13

Das Strafprozessrecht mag zwar „angewandtes Verfassungsrecht“14 sein; die Konkretisierung auf bestimme Sachfragen kann von Wissenschaft und Rechtsprechung aber nur dann selbst vorgenommen werden, wenn das Verfassungsrecht auch wirklich einen hinreichend konkreten Inhalt aufweist. Handelt es sich wie hier um ein hauptsächlich durch „Weite und Unbe­ stimmtheit“15 gekennzeichnetes Verfassungsprinzip,16 so ist entsprechend eine gewisse Zurückhaltung, auch und gerade bei der Begründung von Beschlagnahmeverboten geboten.17 c) Normgeprägtheit Dies muss umso mehr gelten, wenn die relevanten Abwägungsgesichtspunkte eine hohen Grad an unumgänglicher einfachgesetzlicher Normprägung aufweisen. Wie bei der Analyse des Abschreckungseffekts festgestellt wurde, hängt dieser zu nicht geringem Teil von einfachgesetzlichen Rahmenbedingungen ab, die teilweise streitig sind, jedenfalls aber ohne Weiteres durch den Gesetzgeber geändert werden könnten. Zu nennen sind hier insbesondere die Fragen nach der persönlichen Dimension der Entbindungsbefugnis, nach einem Verwertungsverbot für einfache Mitarbeiter und Organwalter sowie nach der haftungsrechtlichen Relevanz sogenannter nützlicher Pflichtverletzungen. Zusammengenommen könnte sich aus dem Zusammenspiel dieser Problemkomplexe sowohl eine fast vollständige Eliminierung des Abschreckungseffekts als auch eine merkliche Steigerung desselben ergeben, was wiederum Auswirkungen auf die verfassungsrechtliche Beurteilung der Beschlagnahmefrage hätte. 13  BVerfGE

57, 250, 276 (=  NJW 1981, 1719, 1722). Strafprozeß, S. 29. 15  BVerfGE 57, 250, 276 (=  NJW 1981, 1719, 1722); BVerfGE 70, 297, 308 (=  NJW 1986, 767, 768). 16  Sendler, NJW 1988, 2875, 2875. 17  BVerfG, NStZ-RR 2004, 83, 84; BVerfGE 77, 65, 76 f. (=  NJW 1988, 329, 330); Krauß, WuW 2013, 24, 31. 14  Peters,



II. Zur Begründung eines Beschlagnahmeverbots

165

Ein sehr weitgehender Abschreckungseffekt als Folge einer Beschlagnahmemöglichkeit wäre dann etwa festzustellen, wenn • den handelnden Personen vollumfänglich eine persönliche Entbindungsbefugnis zugesprochen würde, • es keine „nützliche Pflichtverletzung“ gäbe und für die Zwecke von gesellschaftsrechtlicher Haftung allein die wirtschaftlichen Interessen des Unternehmens zählen würden und • Leitungspersonen damit rechnen müssen, dass alle dem Unternehmensanwalt mitgeteilten Informationen einschränkungslos in einem späteren Strafverfahren gegen sie selbst verwertet und zum Anlass weiterer Ermittlungen gemacht werden können. Der Abschreckungseffekt wäre hingegen kaum mehr zu erkennen, wenn • die handelnden Personen ohnehin keinen Einfluss auf die Entbindungsentscheidung haben, • das Gesellschaftsrecht auch dann bedingungslose Legalität einfordert, wenn dies finanziell nachteilig für die Gesellschaft ist und • ein vollumfängliches Verwertungsverbot für solche Personen bestünde, welche innerhalb des Unternehmens für die Mandatierung von Rechtsanwälten verantwortlich sind. Diese Fragen wurden oben anhand der derzeitigen Rechtslage beantwortet und so das Ergebnis eines zwar vorhandenen, aber stark eingeschränkten Abschreckungseffekts gefunden. Wie gezeigt könnte dies aber jeweils sowohl durch einfache Gesetzesauslegung als auch durch gesetzgeberische Tätigkeit geändert werden. Mithin würde das Postulat eines verfassungsrechtlichen Beschlagnahmeverbots auf wenig gesicherter Grundlage erfolgen und wäre überdies in hohem Maß abhängig von weiteren legislativen Entwicklungen. d) Ergebnis: Ablehnung eines verfassungsrechtlichen Beschlagnahmeschutzes zugunsten von Unternehmen Auch deshalb kann im Ergebnis festgestellt werden, dass das Rechtsstaatsprinzip eben keine „unzweideutige“ Aussage über die Beschlagnahmefähigkeit von Unterlagen eines Unternehmensanwalts enthält. Wollte man vorliegend dennoch ganz konkrete Verfahrensregeln daraus ableiten, so würde dies auf eine der Gewaltenteilung widersprechende Usurpation legislativer Befugnisse hinauslaufen. In den Worten des BVerfG würde man sich damit „aus der Rolle des Normanwenders in die einer normsetzenden Instanz begeben und damit der Bindung an Recht und Gesetz entziehen.“18 18  BVerfG,

NJW-RR 2014, 105, 106.

166 D. Schlussfolgerungen für verfassungsrechtliche Beschlagnahmeverbote

Im Ergebnis gebietet mithin der Respekt vor dem „Konkretisierungspri­ mat“19 des Gesetzgebers die Ablehnung eines verfassungsrechtlich begründeten Beschlagnahmeverbots für Unterlagen von Unternehmensanwälten. Dies gilt auch und umso mehr für die oben entwickelte, noch allgemeiner aus dem Rechtsstaatsgebot hergeleitete Argumentation20 und die damit zusammenhängende „Compliance-These“21 der Literatur. Denn aufgrund obiger Erwägungen und insbesondere der ambivalenten Ergebnisse hinsichtlich des Abschreckungseffekts kann das Beschlagnahmeverbot nicht ohne Weiteres als Funktionsvoraussetzung unternehmerischer Selbstevaluation eingeordnet werden. Vielmehr ist es auch hier die Prärogative des Gesetzgebers, das Ausmaß einer begrenzten Förderung von Selbstüberwachung mit dem Verlust von Beweisführungsmöglichkeiten abzuwägen.

III. Die rechtspolitische Dimension der Beschlagnahmeproblematik 1. Bedeutung der Frage für die Untersuchung Hinzu kommt, dass mit der Beschlagnahmefrage auch eine weitergehende, rechtspolitische Wertungsfrage aufs Engste verbunden ist, deren Dimension in der bisherigen Diskussion bislang noch nicht ausreichend erkannt wurde bzw. die ohne nähere Auseinandersetzung wie selbstverständlich im Sinne einer der möglichen Lösungen beantwortet wird.22 Es handelt sich dabei um nicht weniger als die Frage nach dem besten Weg, Wirtschaftskriminalität in und aus Unternehmen heraus zu unterbinden. Konkreter ausgedrückt: die Frage nach dem optimalen Verhältnis zwischen repressiver staatlicher Verhaltenssteuerung und präventiver unternehmerischer Selbststeuerung. Zu entscheiden ist dabei im Ergebnis, ob es gesamtgesellschaftlich besser ist, unternehmensinterne Aufdeckung oder die staatliche Bestrafung von Rechtsverstößen zu maximieren. Der weit überwiegenden, einen erweiterten Beschlagnahmeschutz fordernden Meinung in der neueren Literatur23 ist dabei die implizite Ent19  Bosbach,

NStZ 2009, 177, 179. oben unter B.V.5.c). 21  Vgl. B.V.5.d). 22  Vgl. etwa Jahn/Kirsch, in: Rotsch, Hdb. Criminal Compliance, Rn. 99 f. Deren „überindividuell-verfahrensstrukturelle“ Ansatz basiert letztlich auf der Prämisse, dass staatlicher Zugriff auf die Ergebnisse von Internal Investigations „unter Compliance-Steuerungsaspekten sowohl im repressiven als auch im präventiven Bereich strukturell“ dysfunktional wäre. 23  Vgl. insbesondere Jahn/Kirsch, in: Rotsch, Hdb. Criminal Compliance, Rn. 99 f. 20  Vgl.



III. Die rechtspolitische Dimension der Beschlagnahmeproblematik167

scheidung für erstere Option zu entnehmen. Sie besagt damit im Ergebnis, dass staatliche Strafandrohung zumindest für die Bekämpfung primärer Rechtsverstöße24 in Unternehmen von untergeordneter Bedeutung gegenüber unternehmensinternen Präventionsmechanismen ist. Den eigenen Präventionsbemühungen eines Unternehmens wird also ein wirkungsvollerer Beitrag zur Herstellung von Rechtskonformität zugetraut als der klassischen staatlichen Strafandrohung. Es würde zu weit führen, diesen Ansatz hier letztverbindlich bewerten zu wollen.25 Gleichwohl erscheint angezeigt, an dieser Stelle zumindest die Problematik klar herauszuarbeiten und darzulegen, warum überhaupt ein Konflikt zwischen interner Aufdeckung und externer Bestrafung besteht. Zum einen zur Verdeutlichung der rechtspolitischen Dimension der Beschlagnahmefrage und ihrer daraus folgenden Unzugänglichkeit für breit angelegte verfassungsrechtliche oder verfahrensstrukturelle Postulate aus der Rechtswissenschaft; zum anderen aber auch im Hinblick auf mögliche legislative Aktivitäten in der Zukunft, deren Erfolg auch davon abhängt, dass sie auf Grundlage der richtigen Wertungsfragen entfaltet werden. 2. Zum Bestehen eines Konflikts zwischen Aufdeckung und Bestrafung Dass zwischen unternehmensinterner Sachverhaltsaufklärung und staatlicher Bestrafung überhaupt ein Konflikt besteht, ist zunächst begründungsbedürftig. a) Beeinträchtigung interner Aufklärung Im Ausgangspunkt kann entsprechend der obigen Ergebnisse zum abschreckenden Effekt einer Beschlagnahmemöglichkeit davon ausgegangen werden, dass staatliche Verfolgungstätigkeit durchaus zumindest das Potential hat, eigene unternehmensinterne Aufklärung einzuschränken.26 Zwar gibt die sekundäre Pönalisierung von staatlich auferlegten Aufsichts- und Überwachungspflichten oft erst den Anlass zur Durchführung interner Sachverhaltsaufklärung. Mit der verfahrensrechtlichen Zulässigkeit eines Zugriffs auf die dabei entstehenden Beweismittel wäre jedoch sogleich 24  Gemeint sind damit solche, die nicht allein in einem Verstoß gegen sekundäre Aufsichts- und Organisationspflichten liegen. 25  Vgl. für erste Ansätze hierzu etwa Kölbel, in: Rotsch, Hdb. Criminal Compliance, § 37; Theile, in: Rotsch, Hdb. Criminal Compliance, § 34 B, Rn. 60 ff. 26  Vgl. zu den Ergebnissen der Untersuchung der Abschreckungsthese oben unter C.VIII.

168 D. Schlussfolgerungen für verfassungsrechtliche Beschlagnahmeverbote

auch wieder eine gegenläufige Tendenz zum Verzicht auf ebensolche Aufklärung verbunden. b) Beeinträchtigung staatlicher Strafverfolgung Inwieweit staatliche Strafverfolgung auf der anderen Seite durch den bloßen Umstand unternehmensinterner Compliance-Bemühungen beeinträchtigt wird, ist weit weniger klar. Die Durchführung einer Internal Investigation durch das Unternehmen selbst hindert schließlich parallele staats­ anwaltschaftliche Ermittlungen nicht. Eine rechtliche Einschränkung des staatlichen Verfolgungspotentials erfolgt also jedenfalls nicht. Gleichwohl ist eine faktische Einschränkung strukturell durchaus möglich.27 aa) Trübung von Beweisquellen Zum einen sind Internal Investigations nur schwer vor den möglicherweise beteiligten Tätern geheim zu halten und begründen so eine gewisse Gefahr von Verschleierungshandlungen28 oder sonstiger „Trübung“ von Beweisquellen.29 Denkbar ist etwa, dass Tatbeteiligte nach Kenntnisnahme von internen Untersuchungen Aussageabsprachen untereinander treffen oder Beweismittel manipulieren und so die Erfolgschancen einer nachfolgenden, eigenständigen staatlichen Ermittlung schmälern.30 bb) Faktischer Rückzug des Staates aus der Ermittlungstätigkeit Schwerer allerdings dürfte ein anderer Grund wiegen: der faktische Rückzug der Verfolgungsbehörden von der Ermittlung in Unternehmen. Eine solche Tendenz ist auch bereits strukturell in einem kooperativen Compliance-System31 der „regulierten Selbstregulierung“32 angelegt. 27  Siehe hierzu die Ausführungen zur Gefährdung des Ermittlungszwecks bei Loer in: Wessing/Dann, Korruptionsverfahren, § 10, Rn. 74 ff.; dagegen aber Theile, in: Rotsch, Hdb. Criminal Compliance, § 34 B, Rn. 59 („Kumulation privter und staatlicher Untersuchungen“). 28  Loer in: Wessing/Dann, Korruptionsverfahren, § 10, Rn. 76. 29  Wehnert in: Kempf/Lüderssen/Volk, Ökonomie vs. Recht, S. 137, 140; Taschke, in: Rotsch, Hdb. Criminal Compliance, § 36, Rn. 16. 30  Loer in: Wessing/Dann, Korruptionsverfahren, § 10, Rn. 76. 31  Vgl. allgemein dazu Kölbel, ZStW 125 (2013), 499, 506 ff.; Theile, ZIS 2008, 406, 411 ff.; Bock, Criminal Compliance, S. 222 ff.; Engelhart, Sanktionierung von Unternehmen, S.  649 ff.; Pies/Sass/Meyer zu Schwabedissen, Korruptionsbekämp-



III. Die rechtspolitische Dimension der Beschlagnahmeproblematik169

Denn schon allein im Sinne einer möglichst optimalen Ressourcenallokation liegt nahe, dass sich Verfolgungsbehörden auf solche Sachverhalte konzentrieren, welche nicht zumindest potentiell bereits durch Private aufgeklärt werden. In diesem Zusammenhang geht auch die Vorstellung von Behörden, die „die Hände in den Schoß legen“33 fehl bzw. vermittelt einen falschen Eindruck. Denn in einem Umfeld „chronisch“34 knapper Ressourcen35 bedeutet die Indienstnahme Privater nicht etwa, dass die Behörden weniger selbst ermitteln. Sie schaffen damit vielmehr Freiräume, in anderen Sachverhalten selbst zu ermitteln, insbesondere also solche, in denen mit einer Kooperation durch Private nicht gerechnet werden kann. 32

Nach Wessing liegt ein solcher „Rückzug des Staates“ nicht nur aus ökonomischen Gesichtspunkten nahe, sondern dieser sei „nahezu“ zwingend.36 Die Gründe hierfür seien etwa höhere technische Spezialisierungsgrade, komplexere Organisatorsstrukturen in Unternehmen und die wachsende Internationalität der Wirtschaft.37 Dem könnte zwar theoretisch durch bessere personelle Ausstattung der Behörden abgeholfen werden – Tendenzen dazu gibt es auch bereits38 – so dass die „zwingende“ Natur dieser Entwicklung eher verneint werden muss.39 Die genannten Faktoren weisen aber daraufhin, dass ein gewisser Rückzug der Behörden aus der Sachverhaltsermittlung strukturell zumindest sehr wahrscheinlich ist. Wäre dies anders, würden Behörden also gänzlich unabhängig von internen Erhebungen den gesamten Sachverhalt auch weiterhin und vollständig eigenständig ermitteln, so würde darüber hinaus das oben beschriebene40 Anreizsystem zur Kooperation unterlaufen. Wenn die Behörden die Ergebnisse von Internal Investigations auch selbst ermitteln oder ermittelt haben, fung, S.  180 ff.; Reeb, Internal Investigations, S. 41 ff.; Sieber, FS Tiedemann, S. 449, 475 f.; Wessing, FS Volk, S. 867, 880 ff.; vgl. dazu schon oben unter A.II.5. 32  Sieber, FS Tiedemann, S. 476. 33  Wimmer, FS Imme Roxin, S. 537, 551 (mit Hinweis auf Hamm, FAZ vom 18. Mai 2010). 34  Taschke, NZWiSt 2012, 89, 92. 35  Engelhart, Sanktionierung von Unternehmen, S. 628; BGHSt 50, 299, 308 f. (= NJW 2006, 925, 929 – „Nach der Erfahrung des Senats kommt es bei einer Vielzahl von großen Wirtschaftsstrafverfahren dazu, dass eine dem Unrechtsgehalt schwerwiegender Korruptions- und Steuerhinterziehungsdelikte adäquate Bestrafung allein deswegen nicht erfolgen kann, weil für die gebotene Aufklärung derart komplexer Sachverhalte keine ausreichenden justiziellen Ressourcen zur Verfügung stehen.“). 36  Wessing, FS Volk, S. 867, 879. 37  Wessing, FS Volk, S. 867, 879. 38  Bock, Criminal Compliance, S. 255 ff. 39  Dagegen auch Wimmer, FS Imme Roxin, S. 537, 550 f. 40  Vgl. oben A.II.5.c).

170 D. Schlussfolgerungen für verfassungsrechtliche Beschlagnahmeverbote

so bestünde jedenfalls unter verfahrensstrukturellen Gesichtspunkten keine Veranlassung und keine Rechtfertigung mehr, einem Unternehmen für die gleichen Ergebnisse größere Vergünstigungen zu gewähren. Internal Investigations wären dann kein Mittel mehr zur ökonomischen Aufklärung von Rechtsverstößen, sondern würden ganz ausbleiben oder auf eine unwirtschaftliche Verdopplung von Ermittlungstätigkeit hinauslaufen. Im Ergebnis kann also festgestellt werden, dass ein gewisser Verzicht auf eigene staatliche Ermittlungen eine systemimmanente Begleiterscheinung des kooperativen Compliance-Systems darstellt. c) Ausgleich der Beeinträchtigung staatlicher Ermittlungstätigkeit durch „freiwillige Kooperation“? Diese mögliche Beeinträchtigung staatlicher Ermittlungen wäre aber dann zu vernachlässigen, wenn die Erkenntnisse aus unternehmensinternen Erhebungen den Behörden ohnehin „freiwillig“ zugänglich gemacht würden. Ein solcher Zugang ist in dem System der Criminal Compliance auch grundsätzlich angelegt.41 So kann durch Schaffung der entsprechenden Rahmenbedingungen erreicht werden, dass sich Unternehmen aus reinen Opportunitätsüberlegungen zu einer Kooperation mit den Behörden entschließen und diesen ihre Erkenntnisse zugänglich machen, etwa im Rahmen des kartellrechtlichen Bonusprogramms. Entscheidend ist aber, dass das Anknüpfen an unternehmerisches Opportunitätsdenken zwangsläufig auch die Möglichkeit mit sich bringt, dass sich die relevanten Akteure gegen eine Kooperation entscheiden.42 Ein Beispiel hierfür wäre etwa, wenn Erkenntnisse über Verstöße im Unternehmen existieren, die Gefahren für das Unternehmen und dessen Entscheidungsträger aufgrund einer nahen Verjährungsfrist aber minimal sind. Allein so erklärt sich auch der Widerstand gegen die Möglichkeit der Beschlagnahme. Denn dieser wäre wenig zielführend, wenn mögliche Gegenstände der Beschlagnahme ohnehin freiwillig herausgegeben werden sollen. Durch das Instrument der Kooperation ist also strukturell gerade nicht gewährleistet, dass die Behörden vollen Zugriff auf interne Ermittlungsergebnisse haben. 41  Vgl.

oben A.II.5.c). für entsprechende Erwägungen, die zu einem Verzicht auf die Informationsweitergabe an Behörden führen können auch Kruse, Compliance und Rechtsstaat, S.  79 ff. 42  Vgl.



III. Die rechtspolitische Dimension der Beschlagnahmeproblematik171

Problematisch ist dies nicht allein aufgrund der im Einzelfall unzureichenden Sachverhaltserkenntnis der Behörden. Der Verlass auf Kooperation wirft überdies die hier nicht näher zu vertiefende Frage nach einem Konflikt mit dem staatlichen Gewaltmonopol und dem Legalitätsgrundsatz auf.43 Denn in dem Moment, wo eigene staatliche Ermittlungstätigkeit wissentlich oder strukturell eingeschränkt wird und das Ausmaß der Sachverhaltsermittlung zumindest teilweise von der Entscheidung privater Rechtssubjekte abhängt, wird zwangsläufig ein Stück der Gleichbehandlung im Rahmen der Strafverfolgung aufgegeben. Der „Verfolgungszwang gegen jeden Verdäch­ tigen“44 nähert sich dann strukturell dem Verfolgungszwang gegen jeden, dessen Verfolgung seinem Arbeitgeber opportun erscheint.45 d) Ergebnis: struktureller Konflikt zwischen staatlicher Strafverfolgung und rein internen Compliance-Bemühungen Mithin kann festgestellt werden, dass auch unabhängig von der Beschlagnahmefrage staatliche Strafverfolgung und unternehmensinterne Compliance-Bemühungen nicht immer harmonisch nebeneinander funktionieren, sondern dass teilweise durchaus ein gewisser struktureller Konflikt besteht, welcher auch nicht adäquat durch Anreize zur Kooperation beseitigt werden kann. 3. Die Rolle der Beschlagnahme Hieran wird nun die Rolle der Beschlagnahme von Compliance-Unterlagen deutlich. Diese hat grundsätzlich das Potential, die oben dargestellten Defizite der freiwilligen Kooperation auszugleichen und im Ergebnis tatsächlich zu einem sehr weitgehenden Zugang der Behörden zu den Erkenntnissen interner Ermittlungen zu führen. Dies führt dann auch dazu, dass etwaige strukturelle Beeinträchtigungen eigener staatlicher Ermittlungstätigkeit irrelevant werden. Durch das Ineinandergreifen der verschiedenen Befugnisse von Behörden und Unternehmen ist im Gegenteil sogar eine merkliche Effektuierung staatlicher Verfolgung möglich. 43  Gleichwohl führen auch die hier angestellten Erwägungen nicht dazu, dass „das Ermittlungsmonopol der Staatsanwaltschaft im ganzen ernsthaft“ herausgefordert und so die private Ermittlungsätigkeit an sich unzulässig wird (vgl. Jahn, StV 2009, 41, 43). 44  BVerfG, NStZ 1982, 430, 430. 45  Vgl. für ähnliche Erwägungen auch Theile, in: Rotsch, Hdb. Criminal Compliance, § 34 B, Rn. 62 ff.

172 D. Schlussfolgerungen für verfassungsrechtliche Beschlagnahmeverbote

Auf der anderen Seite weist die Beschlagnahmemöglichkeit zumindest eine gewisse Tendenz auf, unternehmensinterne Aufklärungsmaßnahmen zu hemmen. Diese mag zwar nicht so gravierend sein, wie bisher angenommen,46 ganz ausschließen lässt sie sich jedoch nicht. Es ergibt sich also das Bild, dass die Beschlagnahmemöglichkeit tendenziell das steuerungstheoretische Gewicht zugunsten einer größeren relativen Rolle staatlicher Repressionsdrohung verschieben würde. Ein Beschlagnahmeverbot hingegen würde das Gegenteil bewirken. Es würde staatliche Strafverfolgung einschränken und gleichzeitig die Wahrscheinlichkeit unternehmensinterner Sachverhaltsaufklärung maximieren. 4. Abwägungskriterien einer rechtspolitischen Entscheidung Für die Entscheidung zwischen beiden Tendenzen ist schließlich relevant, deren gemeinsames Band, die langfristige Minimierung von Rechtsverstößen, zu erkennen. Denn auch staatliche Strafverfolgung ist kein Selbstzweck, sondern soll letztlich – zumindest auch – weitere Straftaten verhindern, weist also ein präventives Element auf. Der präventive Effekt bloßer interner Sachverhaltsaufklärung ist dabei ein durchaus eingeschränkter. Zwar ist richtig, dass erst diese Aufklärung die Unternehmensführung in die Lage versetzt, die konkreten Verstöße für die Zukunft zu unterbinden. Würde die interne Sachverhaltsaufklärung nicht geleistet, so hätte selbst die nach größtmöglicher Rechtstreue strebende Unternehmensleitung nicht die Chance, die konkreten Verstöße abzustellen. Die Maximierung unternehmerischer Selbstevaluation hat also jedenfalls die eng verstandene spezialpräventive Tendenz, laufende Rechtsverstöße zu unterbinden. Im Übrigen ist der präventive Effekt unternehmensinterner Untersuchungen, deren Ergebnisse nicht vollständig den Behörden zugänglich sind, aber weit weniger klar, möglicherweise sogar negativ. Denn das Interesse des Unternehmens ist bestimmt von Haftungsvermeidung, sowohl für vergangene als auch zukünftige Sachverhalte. Die „Bestrafung“ eines Täters ist für ein Unternehmen bestenfalls neutral, schlimmstenfalls mit ungewollten Risiken und öffentlicher Aufmerksamkeit verbunden. In gleichem Maß wie dies das Risiko strafrechtlicher Sanktionierung senkt, mindert sich aber auch das präventive Potential des Strafrechts. Wird 46  Vgl.

die obigen Ergebnisse zur Abschreckungsthese unter C.VIII.



III. Die rechtspolitische Dimension der Beschlagnahmeproblematik173

etwa eine Straftat unternehmensintern aufgedeckt, der Täter aber nicht in den staatlichen Strafprozess überführt, sondern lediglich zivilrechtlich belangt und gegebenenfalls aus dem Unternehmen entfernt, so bleibt dieser frei, ähnliche Taten in einem neuen Unternehmen zu begehen. Gleichzeitig würde ein solches Vorgehen eine gewisse interne Signalwirkung haben und sich auf die Risikoabschätzung der übrigen Unternehmensangehörigen auswirken. 5. Ergebnis: eine im Hinblick auf verfassungsrechtliche Postulate noch unzureichend geklärte rechtspolitische Frage Es geht bei der Entscheidung zwischen Maximierung staatlicher Strafverfolgung oder unternehmensinterner Selbstevaluation folglich nicht um eine Dichotomie zwischen Repression und Prävention. Es geht vielmehr um die rechtspolitische und kriminologische Frage, in welchem Maß wirksame Prävention auch der staatlichen Repression bedarf.47 In der Entscheidung für ein Beschlagnahmeverbot drückt sich dabei primär eine zurückhaltende Tendenz gegenüber der Steuerungswirkung staat­ licher Repression aus. Vor allem aber kann hierin auch eine nicht geringe Gewichtsverschiebung von Generalprävention und Vergeltung hin zu einer stärkeren Betonung einer speziellen Form von Spezialprävention gesehen werden, welche sich weniger auf Strafe stützt als vielmehr auf ständige Kontrolle und konsequent uneingeschränkte Befähigung von Unternehmen zum jederzeitigen Abstellen von Rechtsverstößen. Im Ergebnis spricht der dabei aufgezeigte, hochgradig politische Charakter der gesamten Problematik also zusätzlich gegen die verfassungsrechtliche Begründung eines Beschlagnahmeverbots und verstärkt somit die obige Argumentation noch einmal. Solange eine rechtspolitische Frage – wie vorliegend – nicht annähernd geklärt oder überhaupt ausreichend klar gestellt ist, kann aus ihr auch kein verfassungsrechtliches Postulat im Rahmen des Rechtsstaatsprinzips abgeleitet werden. Die angestellten Erwägungen erheben dabei nicht den Anspruch, die Frage selbst abschließend zu klären. Sie mögen aber jedenfalls dazu dienen, die relevanten Wertungen aufzuzeigen und so den Boden für eine spätere inhaltliche Entscheidung – idealerweise durch den Gesetzgeber selbst – zu bereiten. 47  Einen grundsätzlichen Vorzug „präventiv-außerstrafrechtlicher Akte“ gegenüber nachträglicher strafrechtlicher Ahndung befürworten etwa Dannecker/Bülte, in: Wabnitz/Janovsky, Kap. 1, Rn. 132.

174 D. Schlussfolgerungen für verfassungsrechtliche Beschlagnahmeverbote

IV. Die These von der Manipulierbarkeit von Strafverfahren durch Unternehmen Neben den genannten Gründen könnte gegen ein verfassungsrechtliches Beschlagnahmeverbot für Unterlagen eines Unternehmensanwalts schließlich auch noch ein anderer Aspekt sprechen. Die Problematik ergibt sich daraus, dass diese Unterlagen strukturell nicht nur den eigentlichen Mandanten (das Unternehmen) betreffen, sondern immer auch die handelnden natürlichen Personen. 1. Formulierung der These in Rechtsprechung und Literatur So hat LG Mannheim darauf hingewiesen, dass insbesondere im Nachgang zu einer Internal Investigation die Gefahr einer Beweismanipulation von Seiten einer nicht selbst am Verfahren beteiligten Partei besteht und somit die Rechtsstaatlichkeit des Verfahrens in Frage gestellt sein könne.48 Hätte es das Unternehmen (soweit es denn nicht bereits selbst potentiell von einer Sanktion betroffen ist) in der Hand, frei darüber zu entscheiden, welche Informationen in das Strafverfahren gegen einen (ehemaligen) Mitarbeiter einfließen können, so würde dies tatsächlich mit dem Ziel der prozessualen Wahrheitsfindung kollidieren und Zweifel an der Fairness des Verfahrens begründen.49 Folge wäre nämlich dann, dass das Unternehmen die Beweislage entsprechend günstig für die eigenen Zwecke gestalten könnte, was unter Umständen zu einer falschen Verurteilung des Beschuldigten oder zumindest zu einem höheren Strafmaß50 führen könnte.51 Strukturell naheliegen würde eine solche Vorgehensweise etwa, wenn später Schadensersatzansprüche geltend gemacht werden sollen, arbeitsrechtliche Konflikte auszutragen sind oder die Verantwortlichkeit gezielt auf untere Hierarchieebenen im Unternehmen gelenkt werden soll.52 Auch würde dem 48  LG Mannheim, NStZ 2012, 713, 715 f.; das Argument aufgreifend auch Erb, FS Kühne, S. 182 f.; Meyer-Goßner-Schmitt, § 97, Rn. 10b; offenbar schon vor dem Urteil des LG Mannheim äußerte Wehnert, StraFo 2012, 253, 258 bereits ähnliche Bedenken, ein Verweis des LG Mannheim hierauf fehlt jedoch. 49  Vgl. BVerfGE 122, 248, 270 (=  NJW 2009, 1469, 1473 – „Verfahrensrechtliche Gestaltungen, die der Ermittlung der Wahrheit und somit einem gerechten Urteil entgegenstehen, können, soweit sie verfassungsrechtlich nicht anderweit erfasst werden, jedenfalls den Anspruch des Beschuldigten auf ein faires Verfahren berühren.“). 50  Siehe zur Bedeutung etwaiger „Weisungen von Oben“ für die Strafzumessung KK-OWiG-Mitsch, § 17, Rn. 72. 51  Meyer-Goßner-Schmitt, § 97, Rn. 10b.



IV. Die These von der Manipulierbarkeit von Strafverfahren

175

beschuldigten Mitarbeiter mitunter erschwert werden, die unfaire Gestaltung eines mit ihm geführten Interviews zu beweisen und auf diese Weise möglicherweise ein Verwertungsverbot für seine dort getätigten Aussagen zu erreichen.53 52

Wäre dieser Argumentation im Grundsatz zuzustimmen, so wäre nicht nur ein zusätzliches Argument für die Ablehnung eines verfassungsrechtlichen Beschlagnahmeverbots gewonnen. Es könnte darüber hinaus auch in einer einfachgesetzlichen Auslegung Niederschlag finden. Insbesondere wäre dabei zu bedenken, dass die befürchtete Einflussnahme auf Strafverfahren nicht von der (fehlenden)54 Verfahrensbeteiligung des Unternehmens abhängig wäre. Vielmehr würde sich das Problem einer verfahrensstrukturellen Benachteiligung auch, wenn nicht sogar verstärkt, stellen, wenn dem Unternehmen selbst bereits akut Sanktionen drohen. 2. Ablehnung der Manipulations-These Als Begründung für eine Einschränkung des Beschlagnahmeschutzes taugt diese Argumentation im Ergebnis gleichwohl nicht. Sie basiert vielmehr unhinterfragt auf einer impliziten Auslegung des bestehenden Rechts, welche zwar im deutschen Recht offenbar nie in Frage gestellt wurde, letztlich aber dennoch abzulehnen ist. So ist eine in diesem Sinn manipulierbare Offenbarung von einzelnen Informationen nach der hier im Folgenden zu skizzierenden Ansicht ganz unabhängig von der Frage des Beschlagnahmeschutzes ohnehin nicht möglich. Der Grund hierfür liegt in einer bisher wenig ausführlich behandelten55 und auch hier nicht erschöpfend behandelbaren Thematik: der sachlichen Reichweite und Begrenzbarkeit einer Entbindung von der anwaltlichen Verschwiegenheitspflicht.56 52  Meyer-Goßner-Schmitt, § 97, Rn. 10b; vgl. allgemein zum strukturellen Interesse einer Verantwortungsverlagerung auf Mitarbeiter, die nicht zu den Führungskräften i. S. v. § 30 OWiG gehören Loer, in: Wessing/Dann, Korruptionsverfahren, § 10, Rn. 72. 53  Wehnert, StraFo 2012, 253, 258. 54  Allein von einer solchen Konstellation scheint das LG Mannheim in seinen Ausführungen aber auszugehen. 55  Eine Ausnahme bildet lediglich die umfangreich geführte Diskussion um die zur Entbindung befugte Person bei Mandatsverhältnissen mit juristischen Personen, vgl. zur Diskussion und zum Streitstand bereits oben unter C.IV.1.b). 56  Im Gegensatz dazu wird diese Thematik etwa in den USA sehr ausführlich und kontrovers geführt, vgl. dazu nur die ausführlichen Darstellungen bei Rice, Attoreny-Client Privilege, § 9; Gergacz, Attorney-Corporate Client Privilege, § 5.

176 D. Schlussfolgerungen für verfassungsrechtliche Beschlagnahmeverbote

a) Die Grundannahme in Literatur und Rechtsprechung: völlige Gestaltungsfreiheit bei der Offenbarung von Informationen aus der anwaltlichen Geheimsphäre Folgt man diesbezüglich der, soweit ersichtlich, einhelligen Grundannahme in Literatur und Rechtsprechung im Zusammenhang mit Compliance, so hat die Manipulations-These des LG Mannheim zunächst durchaus ihre Berechtigung. Im Grundsatz scheint man hier ohne nähere Problematisierung von einer völligen Gestaltungsfreiheit bei der selektiven Herausgabe von durch das Anwaltsgeheimnis geschützten Informationen an Behörden und Gerichte auszugehen.57 Folgerichtig wird auch von Seiten der Staatsanwaltschaft die verbreitete „Salamitaktik“ kritisiert, nach der Unternehmen häufig nur sukzessiv und in begrenztem Umfang Informationen und Unterlagen an Behörden weitergegeben.58 Soweit ersichtlich wird also bisher nicht daran gedacht, diese Problematik, die schließlich auch die Fairness-Bedenken des LG Mannheim provoziert, über das Instrument der konkludenten Entbindung von der anwalt­ lichen Schweigepflicht zu lösen. Wie im Folgenden zu zeigen wird, weist aber gerade dies den Weg zu einer verhältnismäßigen Lösung des Problems.

57  Vgl. LG Mannheim, NStZ 2012, 713, 716 („in der Vergangenheit (z. B. in Wirtschaftsstrafverfahren) die Beobachtung zu machen war, dass Unternehmen als Anzeigeerstatter – auch von mit ‚Internal Investigations‘ betrauten Rechtsanwälten unterstützte – zuweilen nur sehr sukzessive bzw. mit offenbar wohldurchdachter Strategie die ihnen zur Verfügung stehenden Beweismittel im Verlauf eines Strafverfahrens vorlegen“); Wehnert, StraFo 2012, 253, 258 (Hinweis auf die Gefahren für interviewte Mitarbeiter als Folge einer selektiven Informationsweitergabe durch das Unternehmen); Hehn/Hartung, DB 2006, 1909, 1912 (Empfehlung einer genauen Analyse, welche Informationen im Rahmen einer Kooperation mit den Behörden offengelegt werden sollen und welche nicht); Hart-Hönig, FS Schiller, S. 281, 315 (Feststellung einer von den Umständen des Einzelfalls abhängigen Pflicht von Organmitgliedern, die Kooperation mit den Ermittlungsbehörden zu verweigern oder entsprechend dem Unternehmensinteresse zu begrenzen); Meyer-Goßner-Schmitt, § 97, Rn. 10b. 58  Apfel/Rixe, WiJ 2013, 120, 121 (Tagungsbericht, Vortrag von Oberstaatsanwältin Gädigk); ähnlich auch das LG Mannheim, NStZ 2012, 713, 716.



IV. Die These von der Manipulierbarkeit von Strafverfahren177

b) Die konkludente Entbindung von der anwaltlichen Schweigepflicht Nach wohl allgemeiner Meinung ist die Entbindung von der anwaltlichen Verschwiegenheit auch durch schlüssiges Verhalten möglich, muss also nicht ausdrücklich geschehen.59 Wenn anwaltliche Unterlagen, etwa Interviewprotokolle einer Internal Investigation, den Behörden im Rahmen von Kooperationsbemühungen zugänglich gemacht werden,60 so wäre hierin folglich eine zumindest konkludente Erklärung zu sehen, wonach der betreffende Rechtsanwalt von seiner Schweigepflicht entbunden wird und die entsprechenden Dokumente einen etwaigen Schutz vor Beschlagnahme verlieren. Zwar ist ebenfalls allgemein anerkannt, dass eine Entbindungserklärung auf bestimmte Sachverhaltskomplexe beschränkt werden kann,61 eine auf einzelne Tatsachen beschränkte Entbindungserklärung wird jedoch zu Recht fast einhellig abgelehnt.62 Auch etwa in den USA ist der Grundsatz, dass Entbindung von der anwaltlichen Schweigepflicht sich aus Fairnessgründen63 in der

59  Meyer-Goßner-Schmitt, § 53, Rn. 47; LR-StPO-Ignor-Bertheau, § 53, Rn. 80; KK-StPO-Senge, § 53, Rn. 50; SK-StPO-Rogall, § 53, Rn. 209; BeckOK-StPO-Huber, § 53, Rn. 42; OLG Karlsruhe, NStZ 1994, 141 (konkludente Entbindung eines Arztes von seiner Schweigepflicht bei Vorlage eines ärztlichen Attests); vgl. ausführlich für die „doctrine of implied waiver“ in den USA: Note, Harvard L. Rev. 98 (1985), 1450, 1629 ff.; zum Zusammenhang zwischen der „instrumental rationale“ und der großzügigen Annnahme von (konkludenten) Entbindungserklärungen in den USA siehe Westinghouse v. Philippines, F.2d (1991), 951, 1414, 1423 f. 60  Vgl. zu solchen Kooperationsbemühungen allgemein Potinecke/Block, in: Knierim/Rübenstahl/Tsambikakis, Kap. 2, Rn. 186; Knierim, in: Knierim/Rübenstahl/ Tsambikakis, Kap. 15, Rn. 185 ff.; Klahold/Berndt, in: Momsen/Grützner, Kap. 3 A, Rn.  92 ff.; Grützner, in: Momsen/Grützner, Kap. 4, Rn. 65 ff.; Kempf/Schilling, in: Volk, MAH-WirtschaftsstrafR, § 10, Rn. 85 ff.; Wewerka, Internal Investigations, S.  29 ff.; Knauer, ZWH 2012, 41, 44 ff.; Behrens, RIW 2009, 22, 30 ff. 61  Meyer-Goßner-Schmitt, § 53, Rn. 49; LR-StPO-Ignor-Bertheau, § 53, Rn. 82; KK-StPO-Senge, § 53, Rn. 50; SK-StPO-Rogall, § 53, Rn. 210; BeckOK-StPO-Huber, § 53, Rn. 43; OLG Hamburg, NJW 1962, 689, 690. 62  Meyer-Goßner-Schmitt, § 53, Rn. 49; LR-StPO-Ignor-Bertheau, § 53, Rn. 82; KK-StPO-Senge, § 53, Rn. 50; SK-StPO-Rogall, § 53, Rn. 210; BeckOK-StPO-Huber, § 53, Rn. 43; OLG Hamburg, NJW 1962, 689, 690; a. A. Theuner, Ärztliche Schweigepflicht, S. 317; zweifelnd auch HK-StPO-Gercke, § 53, Rn. 41. 63  Vgl. für den Fairnessgedanken als wesentliche Determinante der sachlichen Reichweite einer Entbindungserklärung Federal Rules of Evidence 502 (a) (3); Gergacz, Attorney-Corporate Client Privilege, §§ 5.5, 5.51; Note, Harvard L. Rev. 98 (1985), 1450, 1632 ff.; Willcox, Maryland L. Rev. 49 (1990), 917, 923; In re: Grand Jury Proceedings, 219 F.3d 175; In re von Bulow, 828 F.2d 94.

178 D. Schlussfolgerungen für verfassungsrechtliche Beschlagnahmeverbote

Regel auf den gesamten Sachverhaltskomplex bezieht, als sogenannte „subject matter waiver rule“ fest etabliert.64 c) Die Berücksichtigung des Fairness-Gedankens bei der Bestimmung der sachlichen Reichweite einer konkludenten Entbindungserklärung Der in den USA hierfür gängigerweise vorgebrachte Grund – Fairness gegenüber (anderen) Verfahrensbeteiligten – knüpft dabei direkt an die Befürchtungen des LG Mannheim an und überzeugt auch in der Sache. So wird schon im Interesse materiell richtiger Verfahrensergebnisse zu Recht geltend gemacht, dass andernfalls den übrigen Beteiligten die Möglichkeit genommen würde, die entsprechenden Informationen in ihrem Kontext zu würdigen und sich gegebenenfalls effektiv gegen sie zu verteidigen.65 Verbunden damit ist insbesondere und explizit auch die Sorge um „strategische Manipulation“ von Verfahren, deren Zulässigkeit keinerlei Grundlage in gängigen Rechtfertigungen für den Schutz der anwaltlichen Geheimsphäre findet.66 Gleichgültig ob man den Sinn des grundsätzlichen Beschlagnahmeschutzes anwaltlicher Unterlagen in der Sicherung des Rechtsstaats, dem nemo64  Vgl. Note, Harvard L. Rev. 98 (1985), 1450, 1632 ff.; Gergacz, AttorneyCorporate Client Privilege, § 5.16 (m.v.w.N.); In re: Grand Jury Proceedings, 219 F.3d 175 („In other words, a party cannot partially disclose privileged communications or affirmatively rely on privileged communications to support its claim or defense and then shield the underlying communications from scrutiny by the opposing party“); In re Sealed Case, 676 F.2d 793 („When a party reveals part of a privileged communication in order to gain an advantage in litigation, it waives the privilege as to all other communications relating to the same subject matter“). Auf die weitere Problematik, die in den USA unter dem Stichwort „selective waiver“ oder „limited waiver“ diskutiert wird, sei hier nur hingewiesen (vgl. dazu etwa Gergacz, Attorney-Corporate Client Privilege, § 5.50 ff.; Dorris, Stanford L. Rev. 36 (1984), 789; Koch, American Crim. L. Rev. 34 (1997), 347; Note, Harvard L. Rev. 98 (1985), 1450, 1643 ff.). Das Grundproblem dabei ist, inwieweit eine Entbindungserklärung auch über das konkrete Verfahren hinausgeht, in welchem sie abgegeben wurde. 65  Note, Harvard L. Rev. 98 (1985), 1450, 1632 ff. („it creates unfairness to the party against whom the material is introduced by depriving him of the opportunity to explore its context“); Willcox, Maryland L. Rev. 49 (1990), 917, 923; vgl. auch zur Notwendigkeit einer eigenen Überprüfung von Ermittlungsergebnissen durch die Staatsanwaltschaft Bittmann, in: Rotsch, Hdb. Criminal Compliance, § 34 B, Rn. 140. 66  Note, Harvard L. Rev. 98 (1985), 1450, 1632 („Instead, implied waiver has been used to prevent the sort of strategic manipulation of privileges that enables privilege-holders to obtain advantages never considered part of the legitimate costs of a system of privilege“).



IV. Die These von der Manipulierbarkeit von Strafverfahren179

tenetur-Prinzip, der Freiheit der anwaltlichen Berufsausübung oder einem materiellen Geheimnisschutz sehen möchte,67 so erfordert doch jedenfalls keiner dieser Ansätze die Möglichkeit der selektiven Einbringung von Informationen aus der geschützten Geheimsphäre in das Verfahren gegen einen anderen.68 Auch losgelöst von der Frage der Fairness des Verfahrens gegen eine natürliche Person spricht viel dafür, eine nur selektive Offenlegung der Ergebnisse von Internal Investigations in der Regel nicht zuzulassen bzw. eine solche durch die Annahme weitgehender impliziter Entbindungserklärungen zu verhindern. Denn auch eine solche wird grundsätzlich nur dann erfolgen, wenn dafür konkrete Vorteile erwartet werden, also etwa der Verzicht auf (weitere) staatliche Ermittlungsmaßnahmen oder Vorteile bei der Sanktionierung vergangener Rechtsverstöße. Wird im Rahmen einer solchen „Kooperation“ aber nur ein Teil offengelegt – im Zweifel wird dies der Teil sein, dessen Bekanntwerden ohnehin befürchtet wird – so ergibt sich daraus in der Regel auch kein förderungswürdiger Beitrag, der ein etwaiges Entgegenkommen durch die Behörden rechtfertigen könnte. Im Bereich der Bonusregelung des Bundeskartellamtes ist dieser Grundsatz auch unbestritten. Entsprechend ist dort explizit vorgesehen, dass kooperationswillige Unternehmen „uneingeschränkt“69 mit dem Bundeskartellamt zusammenarbeiten und „auch nach Antragstellung alle ihm zugänglichen Informationen und Beweismittel […] übermitteln“70 müssen. Befolgt ein Unternehmen diese Vorgaben hinsichtlich einer Kooperation mit den Behörden nun aber, so hätte auch ein vollständiger Beschlagnahmezugriff auf die diesem Sachverhalt zuzordnenden Unterlagen keinerlei Auswirkungen mehr. Diese wurden den Behörden dann ja ohnehin zugänglich gemacht. Ist dies aber nicht der Fall, so wäre ein Schutz auch nicht mehr gerechtfertigt. 67  Vgl. zu einer ausführlichen Diskussion der Schutzzwecke von § 97 StPO unten unter E.IV.1.a)bb). 68  Es mag an dieser Stelle mangels direkter Ergebnisrelevanz für die Beschlagnahmefrage dahingestellt bleiben, ob etwas anderes gelten würde, wenn neben einer natürlichen Person auch das Unternehmen selbst als (Neben-)Beteiligter Teil des Verfahrens ist und die teilweise Offenlegung von Informationen somit direkt als legitime Verteidigung angesehen werden müsste. Überlegenswert wäre aber auch in dieser Situation, ob nicht das Risiko falscher strafrechtlicher Verurteilung einer natürlichen Person mögliche, letztlich ja nur vermögensrelevante, Konsequenzen überwiegen müsste. 69  Bundeskartellamt, Bekanntmachung Nr. 9/2006, B.3.4. 70  Bundeskartellamt, Bekanntmachung Nr. 9/2006, D.8; Immenga/MestmäckerGWB-Dannecker/Biermann, § 81, Rn. 432.

180 D. Schlussfolgerungen für verfassungsrechtliche Beschlagnahmeverbote

Letztlich würde ein solcher Ansatz auch die Durchführung von Internal Investigations in keiner Weise hemmen. Er würde vielmehr jeweils die freie Wahl lassen, sich entweder auf den Beschlagnahmeschutz zu berufen und nicht an den Ermittlungen mitzuwirken oder eben unter der Bedingung einer konkludenten Entbindungserklärung zu kooperieren. Er würde lediglich ein verdeckt partielles Kooperieren erschweren, welches keinerlei ersicht­ lichen Vorteil für die gesamtgesellschaftliche Maximierung von Rechtskonformität hat. d) Auswirkungen auf die Manipulations-These Für das Manipulationsargument des LG Mannheim bedeutet das Folgen dieses Ansatzes im Ergebnis, dass die Gefahr einer unzulässigen Einflussnahme durch unbeteiligte Unternehmen kaum bestehen kann. Denn das Unternehmen hat dann nur noch die Wahl, entweder die anwaltliche Geheimsphäre zu schützen und gar keine Informationen hieraus preiszugeben oder sie in Bezug auf einen Themenkomplex vollumfänglich dem staatlichen Zugriff auszusetzen. Ein „manipulatives Rosinenpicken“ ist dann nicht mehr gangbar und die beschriebene Problematik der einseitigen und verfälschenden Einflussnahme auf ein Verfahren tritt überhaupt nicht auf. Dem Fairness-Gedanke würde also schon bei der Frage der Entbindung von der anwaltlichen Schweigepflicht ausreichend Rechnung getragen, so dass es einer weitergehenden Beschlagnahmemöglichkeit nicht bedürfte. Im Vergleich zu einer Einschränkung des Beschlagnahmeverbots wäre dies auch in sachlicher Hinsicht sinnvoll und schon im Hinblick auf die Verhältnismäßigkeit der Beschlagnahme geboten. Denn wenn eine mögliche Manipulation als Argument gegen einen Beschlagnahmeschutz in Stellung gebracht werden soll, dann kann dies auch nur so weit reichen, wie zumindest die theoretische Möglichkeit einer solchen Einflussnahme besteht. Dies aber ist jedenfalls nicht der Fall, wenn von Seiten des betroffenen Unternehmens von Anfang an gar keine Informationen oder Unterlagen in das Verfahren eingeführt werden. 3. Ergebnis: Ablehnung der Manipulations-These Als Ergebnis wird man festhalten können, das nach der hier entwickelten Ansicht die Befürchtungen des LG Mannheim grundlos sind und selbst bei im Grundsatz weitreichender Beschlagnahmefreiheit von Interviewprotokollen keine Gefahr der Manipulation von individuellen Strafverfahren besteht.



V. Gesamtergebnis181

Dies kann zwar aus allgemein anerkannten Grundsätzen zu Entbindung von der anwaltlichen Schweigepflicht abgeleitet werden und überzeugt auch in der Sache. Gleichwohl ist zuzugeben, dass sich eine entsprechende Konkretisierung bislang weder in Literatur noch Rechtsprechung finden lässt und sich so eine beträchtliche rechtliche Unsicherheit ergibt. Im vorliegenden Zusammenhang ist dies jedoch nur von untergeordneter Bedeutung. Denn selbst die Richtigkeit der Manipulations-These würde lediglich das oben bereits gefundene ablehnende Ergebnis zu einem verfassungsrechtlichen Beschlagnahmeverbot zugunsten von Unternehmen und Nichtbeschuldigten weiter untermauern. Auf der anderen Seite würde es aber auch eindeutig zu weit gehen, die Manipulations-These als Grundlage für ein verfassungsrechtliches Verbot eines Beschlagnahmeschutzes heranzuziehen.

V. Gesamtergebnis zur Begründung eines verfassungsrechtlichen Beschlagnahmeverbots Im Verlauf der bisherigen Untersuchung konnte festgestellt werden, dass sich aus dem Rechtsstaatsprinzip prinzipiell ein verfassungsrechtliches Beschlagnahmeverbot für anwaltliche Unterlagen ableiten lässt. Im Unterschied zu seinen dargestellten speziellen Ausprägungen kann das Rechtsstaatsprinzip in seiner allgemeinen Form insbesondere auch für außerprozessual entstandene anwaltliche Unterlagen ein Beschlagnahmeverbot begründen. Grundgedanke hierbei ist, dass die Tätigkeit des Rechtsanwalts als Funktionsvoraussetzung des Rechtsstaats eingeordnet wird. Ein Beschlagnahmeverbot ist deshalb (nur) insoweit anzuerkennen wie es tatsächlich zur Aufrechterhaltung dieser anwaltlichen Tätigkeit notwendig ist. Auf dieser Grundlage lässt sich ein verfassungsrechtliches Beschlagnahmeverbot sinnvollerweise allein zugunsten natürlicher Personen als Mandanten begründen. Allein im Hinblick auf diese Mandate konnte die hier sogenannte Abschreckungsthese mit hinreichender Klarheit verifiziert werden und so festgestellt werden, dass eine Beschlagnahmemöglichkeit auch außerprozessualer anwaltlicher Unterlagen die Fähigkeit der Rechtsanwaltschaft untergraben würde, ihre verfassungsrechtliche Funktion innerhalb des Rechtsstaats auszufüllen. Im Hinblick auf die einfachgesetzliche Situation und insbesondere auf § 97 II 1 StPO ist insbesondere auch festzustellen, dass ein solches Beschlagnahmeverbot grundsätzlich davon unabhängig ist, ob sich die betreffenden Unterlagen im Gewahrsam des Rechtsanwalts oder des Mandanten selbst befinden. Die örtliche Belegenheit macht schlicht keinerlei Unter-

182 D. Schlussfolgerungen für verfassungsrechtliche Beschlagnahmeverbote

schied für die Frage nach einer Funktionsbeeinträchtigung der anwaltlichen Tätigkeit. Einzuschränken ist dieses Ergebnis lediglich im Hinblick auf die gegen Nichtbeschuldigte gerichtete Beschlagnahme. Diesbezüglich musste ein relevanter Abschreckungseffekt und somit auch ein verfassungsrechtliches Beschlagnahmeverbot verneint werden. Für anwaltliche Mandatsbeziehungen zu Unternehmen hingegen ist jedenfalls ein verfassungsrechtlich begründeter Beschlagnahmeschutz in Gänze abzulehnen. Dies ergibt sich im Wesentlichen daraus, dass nicht mit hinreichender Eindeutigkeit festgestellt werden konnte, dass eine Beschlagnahmemöglichkeit tatsächlich den offenen Zugang zu Rechtsanwälten in relevanter Weise beeinträchtigen würde. Vielmehr wurden zahlreiche rechtliche Rahmenfaktoren herausgearbeitet, welche die zugangsfördernde Wirkung eines Beschlagnahmeschutzes erheblich einschränken und in Frage stellen. Dies hat zur Folge, dass ein Beschlagnahmeschutz nicht auf seine positiven Wirkungen beschränkbar ist, sondern im Einzelfall durchaus das Potential zu sozial und auch verfassungsrechtlich unerwünschten Auswirkungen hat. Die in diesem Zusammenhang notwendigerweise zu treffende Abwägungsentscheidung ist dabei eine originär politische und somit allein durch den Gesetzgeber zu treffen. Da einer solchen Entscheidung deshalb nicht durch verfassungsrechtliche Postulate vorgegriffen werden kann, ist ein verfassungsrechtlich zwingender Beschlagnahmeschutz insoweit also abzulehnen.

E. Einfachgesetzliche Lösung der Beschlagnahmeproblematik I. Einleitung und Übersicht Nach den bisherigen Ergebnissen dieser Untersuchung ist jedenfalls die zentrale Frage nach einem Beschlagnahmeschutz für Unterlagen von Unternehmensanwälten durch den Gesetzgeber zu entscheiden und muss einer einfachgesetzlichen Lösung zugeführt werden. Die im Folgenden zu entwickelnde Lösung wird diesbezüglich einen weitgehenden Beschlagnahmeschutz bejahen. Als normative Grundlage ist dabei § 160a StPO nicht, und § 148 StPO nur eingeschränkt, heranzuziehen. Ein vergleichsweise umfassender Beschlagnahmeschutz, der insbesondere auch durch eigenen Gewahrsam des Mandanten nicht ausgeschlossen wird, ergibt sich vielmehr erst aus § 97 StPO. In Bezug auf Mandatsverhältnisse zu natürlichen Personen wird sich hierdurch der oben entwickelte verfassungsrechtliche Beschlagnahmeschutz auch bereits einfachgesetzlich bestätigen. Insoweit können die Beschlagnahmeschutzvorschriften also auch als Ausfluss der oben entwickelten verfassungsrechtlichen Anforderungen aufgefasst werden. In Bezug auf Mandatsverhältnisse zu Unternehmen ist das Ergebnis der Beschlagnahmefreiheit hingegen erst aus dem Gesetz und den darin zum Ausdruck gekommenen Wertungen zu gewinnen. Dabei wird festgestellt werden, dass der einfachgesetzliche Schutz das verfassungsrechtlich zwingende Schutzniveau übersteigt.

II. § 160a StPO Im Zusammenhang mit der Beschlagnahme anwaltlicher Unterlagen hat § 160a StPO spätestens mit der zum 1. Februar 2011 vorgenommenen Änderung größere Aufmerksamkeit erregt. Seither sieht § 160a I 1 StPO ein absolutes Beweiserhebungsverbot für Ermittlungsmaßnahmen gegen Rechtsanwälte vor, welche voraussichtlich Erkenntnisse bringen würden, über die diese das Zeugnis verweigern könnten. Ergänzt wird es in § 160a I 5 StPO durch ein Verwendungsverbot hinsichtlich selbiger Informationen, sofern diese im Rahmen anderweitiger Ermittlungsmaßnahmen erlangt wurden. Zuvor war dieser Schutz noch auf die in § 53 I 1, Nr. 1, 2 und 4 StPO genannten Personen beschränkt worden, einfache Rechtsanwälte, die nicht

184

E. Einfachgesetzliche Lösung der Beschlagnahmeproblematik

zugleich Verteidiger waren, waren davon also ausgenommen. Kritik an der damit verbundenen Ungleichbehandlung zwischen Verteidigern und Rechtsanwälten1 aufnehmend, erfolgte 2011 dann schließlich die Ausdehnung von Beweiserhebungs- und Beweisverwendungsverbot auch auf das Vertrauensverhältnis zu Rechtsanwälten.2 Auf Grundlage dieser neuen Gesetzeslage wurde dann schließlich von zahlreichen Autoren festgestellt, dass § 160a StPO nunmehr alle Problemkonstellationen der vorliegenden Untersuchung erfasse und somit zu einem umfassenden Beschlagnahmeverbot anwaltlicher Unterlagen führe.3 Im Folgenden soll dem allerdings im Einklang mit der wohl herrschenden Ansicht entgegengetreten werden und im Ergebnis ein Beschlagnahmeverbot aus § 160a StPO abgelehnt werden. 1. Einschränkung durch die innere Struktur des § 160a? Das hier hauptsächliche interessierende und mit Recht am intensivsten diskutierte Problem im Zusammenhang mit § 160a StPO ist zwar dessen Verhältnis zu den Beschlagnahmevorschriften. Mögliche Einschränkungen von dessen Potential für einen Schutz anwaltlicher Unterlagen werden mittlerweile aber auch in der inneren Struktur der „unglücklich formulierte[n]“4 Vorschrift § 160a I StPO selbst gesehen.5 a) Eingeschränkte Reichweite von § 160a I 1 StPO Zunächst statuiert 160a I 1 StPO ein absolutes Erhebungsverbot allein für solche Maßnahmen, die sich „gegen“ einen Rechtsanwalt (oder die übrigen genannten Zeugnisverweigerungsberechtigten) richten. Durchsuchung und Beschlagnahme in den Räumlichkeiten des Mandanten richten sich aber grundsätzlich nicht gegen einen Rechtsanwalt, sondern gegen den jeweiligen Gewahrsamsinhaber, mithin also den Mandanten.6 Jedenfalls aus § 160a 1  Siehe zur dahingehenden Kritik etwa Ignor, NJW 2007, 3403, 3404 f.; Kretschmer, HRRS 2010, 551, 554 f. 2  Vgl. zum Aufgreifen der Kritik aus der Literatur den Regierungsentwurf zur Neufassung des § 160a StPO, BT-Drucks. 17/2637, S. 6 f. 3  Umfassend und prägnant zu dieser Meinung insbesondere Ballo, NZWiSt 2013, 46; vgl. im Übrigen die weiteren Nachweise unten unter E.II.2.a). 4  Glaser/Gedeon, GA 2007, 415, 423. 5  Vgl. dazu ausführlich Rütters/Schneider, GA 2014, 160, 171 ff. 6  Vgl. die ausführliche dahingehende Argumentation bei Rütters/Schneider, GA 2014, 160, 171 f.; im Ergebnis ebenso Ballo, NZWiSt 2013, 46, 48; Schuster, NZWiSt 2012, 431, 433.



II. § 160a StPO

185

I 1 StPO kann sich somit für Unterlagen im Mandantengewahrsam kein Beschlagnahmeverbot ergeben.7 Dieser könnte vielmehr höchstens für die Beschlagnahme in Kanzleiräumen relevant werden. b) Bloßes Verwertungsverbot nach § 160a I 5 StPO? Auch kann alternativ nicht einfach ohne Weiteres auf § 160a 1 5 StPO zurückgegriffen werden, soweit es um Unterlagen im Gewahrsam des Mandanten geht. Dieser regelt zwar solche Ermittlungsmaßnahmen, welche sich gegen andere, nicht nach § 53 I 1 Nr. 1, 2 oder Nr. 4 StPO zeugnisverweigerungsberechtigte Personen richten. Er umfasst damit also grundsätzlich auch Ermittlungsmaßnahmen gegen den Mandanten selbst, soweit dadurch Erkenntnisse gewonnen würden, die von dem Zeugnisverweigerungsrecht des Rechtsanwalts umfasst sind.8 Da § 160a I 5 StPO allgemein von „Ermittlungsmaßnahmen“ spricht und nicht etwa Bezug auf einen „Beschuldigten“ oder ähnliche Begriffe nimmt, ist die dort getroffene Regelung auch unproblematisch auf Unternehmen anwendbar.9 § 160a 1 5 StPO verbietet jedoch nicht die Ermittlungsmaßnahme selbst. Er bezieht sich allein auf die Sätze 2 bis 4 des § 160a I StPO, nicht aber auf dessen Satz 1. Mithin wird hier lediglich ein Beweisverwertungsverbot, nicht aber ein Beweiserhebungsverbot statuiert.10 Übertragen auf die Beschlagnahme müsste dies eigentlich heißen, dass anwaltliche Unterlagen im Gewahrsam des Mandanten beschlagnahmt werden dürften11 und lediglich ihre Verwertung durch § 160a I 5 StPO verboten wäre. Diese Differenzierung zwischen Erhebungs- und Verwertungsverbot macht bei akustischen Abhörmaßnahmen zwar durchaus Sinn. Denn hierdurch wird sichergestellt, dass etwa das Telefon eines Verdächtigen grundsätzlich 7  Rütters/Schneider, GA 2014, 160, 172; Ballo, NZWiSt 2013, 46, 48; Schuster, NZWiSt 2012, 431, 433. 8  Hieran ändert nach einhelliger Meinung auch der unglückliche Wortlaut nichts, der streng genommen auch so gelesen werden könnte, dass es auf Erkenntnisse des Mandanten ankommt. Siehe dazu etwa Rütters/Schneider, GA 2014, 160, 172 f.; Ballo, NZWiSt 2013, 46, 48 f.; Meyer-Goßner-Schmitt, § 160a, Rn. 7. 9  Darauf, dass § 160a StPO nicht in dem Katalog des § 434 I 2 StPO enthalten ist, kommt es deshalb richtigerweise nicht an; so im Ergebnis auch Minoggio, Firmenverteidigung, Rn. 635, der dies allerdings mit einem gesetzgeberischen „Versehen“ und alternativ damit begründet, dass sich ohnehin aus § 148 StPO ein umfassendes Beschlagnahmeverbot ergebe. 10  Vgl. Meyer-Goßner-Schmitt, § 160a, Rn. 3, 7. 11  So im Ergebnis auch Rütters/Schneider, GA 2014, 160, 177.

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E. Einfachgesetzliche Lösung der Beschlagnahmeproblematik

abgehört werden kann, ein dabei zufällig mitgehörtes Gespräch mit dem Rechtsanwalt aber dennoch nicht gegen ihn verwendet werden kann. Im Rahmen der Beschlagnahme hingegen sind vergleichbar „zufällige“ Erkenntnisse höchstens in Ausnahmefällen denkbar.12 Unterlagen, die beschlagnahmt werden sollen, sind grundsätzlich entweder anwaltliche Unterlagen oder sie sind es nicht. Bei Unklarheit kann eine Durchsicht nach Maßgabe des § 110 StPO erfolgen.13 Ebenso ist möglich, etwa in einem Ordner vermischte Unterlagen zu trennen. Jedenfalls im Normalfall ist also im Zeitpunkt der Beschlagnahme klar, ob es sich um anwaltliche Unterlagen handelt oder nicht. Damit wäre auch in diesem Zeitpunkt klar, ob ein Beweisverwertungsverbot nach § 160a I 5 StPO eingreift oder nicht. Ist dies aber nun der Fall, läge also ersichtlich nach § 160a I 1 5 StPO ein Verwertungsverbot vor, so wäre eine Beschlagnahme nach allgemeinen Grundsätzen ebenso verboten, auch wenn dies nicht direkt von § 160a StPO angeordnet wird. Denn jedenfalls ein absolutes, selbständiges Verwertungsverbot wie das des § 160a I 5 StPO müsste auch bereits „Vor-“ bzw. „Vorauswirkung“14 in Bezug auf die Beweiserhebung entfalten.15 Dies müsste, soweit man § 160a StPO hierauf erstreckt, dann auch für die Beschlagnahme gelten. Dies folgt schon aus dem Verhältnismäßigkeitsgrundsatz, mit dem nicht vereinbar wäre, einen Gegenstand zu beschlagnahmen, welcher aufgrund fehlender Verwertbarkeit von vornherein nicht zur Beweisführung geeignet wäre.16 Im Ergebnis kommt somit auf Grundlage des § 160a I 5 StPO schon ein Beschlagnahmeverbot und nicht lediglich ein Verwertungsverbot in Betracht.17 12  Rütters/Schneider,

GA 2014, 160, 175. NJW 2002, 1410; a. A. für potentielle Verteidigungsunterlagen Schlothauer, in: Widmaier, MAH-Strafverteidigung, § 3, Rn. 71 (auch hiernach besteht aber die Möglichkeit, die betreffenden Unterlagen zu versiegeln und statt von der Staatsanwaltschaft von dem Ermittlungsrichter durchsehen zu lassen). 14  Vgl. zu den Begriffen Jahn, Gutachten 67. DJT, C 84 f. 15  So speziell zu Ermittlungsmaßnahmen und § 160a StPO: Sahan, in: Criminal Compliance vor den Aufgaben der Zukunft, S. 133, 142; HK-StPO-Zöller, § 160a, Rn. 8; Meyer-Goßner-Schmitt, § 160a, Rn. 7. 16  LR-StPO-Gössel, Einl. L. Rn. 125; LR-StPO-Menges, § 97, Rn. 4; vgl. einschränkend aber SK-StPO-Wohlers, § 97, Rn. 50 (Unverhältnismäßigkeit der Beschlagnahme nur bei umfassendem Verwendungsverbot, nicht schon automatisch bei bloßen Verwertungsverboten). 17  So im Ergebnis auch Ballo, NZWiSt 2013, 46; Sahan, in: Criminal Compliance vor den Aufgaben der Zukunft, S. 133, 142; einschränkend Rütters/Schneider, GA 2014, 160, 177. 13  BVerfG,



II. § 160a StPO187

Hinsichtlich eines Beschlagnahmeverbots für anwaltliche Unterlagen im Gewahrsam des Mandanten könnte also durchaus auf § 160a I 5 StPO zurückgegriffen werden.18 c) Ergebnis: Innere Struktur des § 160a I StPO steht einem Beschlagnahmeverbot nicht entgegen Grundsätzlich wäre also auf Grundlage von § 160a I StPO denkbar, dass hierdurch sämtliche hier interessierenden Probleme im Zusammenhang mit der Beschlagnahme anwaltlicher Unterlagen gelöst werden und die streitigen Fragen zugunsten eines sehr umfassenden Beschlagnahmeschutzes entschieden wurden. Wäre dies der Fall, so würde zum einen das Gewahrsamserfordernis des § 97 II 1 StPO im Kontext anwaltlicher Unterlagen keine Rolle mehr spielen. Zum anderen wäre auch zugleich der Streit um den zeitlichen Anwendungsbereich des § 148 StPO obsolet. Die Anwendung von § 160a I StPO hätte ferner auch zur Folge, dass es für die Frage der Beschlagnahme keine Rolle spielen würde, ob es sich um ein Mandatsverhältnis zu einer natürlichen Person oder zu einem Unternehmen handelt. In beiden Fällen wären anwaltliche Unterlagen ohne Rücksicht auf die Gewahrsamssphäre und den Zeitpunkt ihrer Entstehung vor Beschlagnahme geschützt. 2. Verhältnis zwischen § 160a StPO und § 97 StPO Die zentrale Frage hinsichtlich eines möglichen Beschlagnahmeverbots von anwaltlichen Unterlagen nach § 160a I StPO ist somit dessen Verhältnis zu den Beschlagnahmevorschriften. Gesetzlicher Anknüpfungspunkt für diese Frage ist § 160a V StPO („Die §§ 97 und 100c Abs. 6 bleiben unberührt“). a) Meinungsstand Hierbei stehen sich im Wesentlichen zwei Lager gegenüber. Einer Ansicht nach ergänzt § 160a StPO den Beschlagnahmeschutz vollumfänglich und greift immer dann ein, wenn die Beschlagnahmevorschriften im konkreten Fall keinen Schutz gewähren.19 § 160a V StPO entfaltet nach dieser Ansicht 18  Ballo,

NZWiSt 2013, 46. NZWiSt 2013, 46; Schuster, NZWiSt 2012, 431, 432; Mark, ZWH 2012, 311, 313; Bertheau, StV 2012, 303, 306; Szesny, GWR 2011, 169; Fritz, CCZ 19  Ballo,

188

E. Einfachgesetzliche Lösung der Beschlagnahmeproblematik

also die Wirkung einer „Meistbegünstigungsklausel“.20 Die wohl überwiegende Gegenansicht folgert aus § 160a V StPO, dass § 160a StPO jedenfalls keine direkte Auswirkung auf die Frage der Beschlagnahmefähigkeit hat.21 Teilweise wird das grundsätzliche Anerkenntnis des Vorrangs der speziellen Beschlagnahmevorschriften ferner mit der Feststellung verbunden, dass in § 160a StPO jedenfalls eine gesetzgeberische Wertentscheidung zugunsten eines weitreichenden Schutzes der anwaltlichen Vertrauensbeziehung getroffen worden sei. Dies wiederum soll schließlich zu einer extensiven Auslegung der bestehenden Beschlagnahmevorschriften führen.22 b) Grammatikalische Auslegung Die grammatikalische Auslegung ergibt zunächst kein eindeutiges Ergebnis. Dass eine andere Vorschrift „unberührt“ bleibt, kann einerseits bedeuten, dass diese lediglich neben der darauf verweisenden Vorschrift anwendbar bleibt. In diesem Fall würden die in § 97 StPO enthaltenden Einschränkungen den Schutzgehalt des § 160a StPO nicht begrenzen. Andererseits kann die Formulierung „unberührt“ aber auch ein echtes Vorrangverhältnis ausdrücken. Auf diese Doppeldeutigkeit wird auch in dem vom Bundesministerium der Justiz herausgegebenen Handbuch der Rechtsförmlichkeit hingewiesen, welches Empfehlungen zur einheitlichen sprachlichen Gestaltung von Rechtsvorschriften enthält.23 Unter Zugrundelegung eines solchen Vorrangverhältnisses spräche darüber hinaus viel dafür, die spezielleren Beschlagnahmevorschriften auch in ihrem gesamten Regelungsgehalt und damit auch einschließlich ihrer Limitationen hinsichtlich eines Beschlagnahmeverbots dem Beweiserhebungsverbot in § 160a I 1 vorgehen zu lassen. Denn wäre etwa lediglich der Vorrang bestimmter (Beschuldigten)-Rechte gewollt, so hätte dies problemlos durch eine entsprechend abweichende Formulierung (etwa: „Die Rechte aus § 97 2011, 156, 159; Winterhoff, AnwBl 2011, 789, 792; Knierim, FD-StrafR 2011, 314177; Sahan, in: Criminal Compliance vor den Aufgaben der Zukunft, S. 133, 143 ff. 20  Jahn/Kirsch, NStZ 2012, 718, 718. 21  Winkler, Vertrauensverhältnis, S.  113 ff.; Erb, FS Kühne, S. 171, 174 ff.; Jahn/ Kirsch, NStZ 2012, 718; 718 f.; Jahn/Kirsch, StV 2011, 148, 154; Jahn, ZIS 2011, 453, 459 f.; Siegrist, wistra 2010, 427, 430; Bauer, StV 2012, 277, 277; Wimmer, WiJ 2013, 102, 103 f.; Meyer-Goßner, § 160a, Rn. 17; BeckOK-StPO-Patzak, § 160a, Rn. 17; KK-StPO-Griesbaum, 160a, Rn. 21; Nickolai, in: Wabnitz/Janovsky, Kap. 25, Rn. 4c; LG Mannheim, NStZ 2012, 713, 717; LG Hamburg, NJW 2011, 942, 944. 22  Gercke, FS Wolter, S. 933, 941; Galen, NJW 2011, 945, 945; Wessing, ZWH 2012, 6, 10. 23  Bundesministerium der Justiz, Handbuch der Rechtsförmlichkeit, Rn. 87.



II. § 160a StPO189

StPO bleiben unberührt“) erreicht werden können. Stattdessen wurde aber eine Formulierung gewählt, die den gesamten § 97 StPO unberührt lässt und somit auch ein Fortgelten der dort enthaltenen Limitationen nahelegt. c) Systematische Auslegung In ähnlicher Weise führt auch die systematische Auslegung zu keinem zwingenden Ergebnis, spricht im Ergebnis aber doch deutlich dafür, dass § 160a StPO keine Änderungen für den Beschlagnahmeschutz herbeigeführt hat. Zunächst wird zu Recht darauf hingewiesen, dass § 160a V StPO zwar § 97 StPO „unberührt“ lässt, dabei aber nicht auch die Vorschriften zur Durchsuchung erwähnt.24 Wenn aber § 160a I 1 StPO bereits die Durchsuchung verbieten würde, so verbliebe kein sinnvoller Raum mehr für eine Anwendung der Beschränkungen des Beschlagnahmeschutzes.25 In § 97 StPO eine Beschränkung des weiten Beweiserhebungsverbots in § 160a I 1 StPO zu sehen, würde dann völlig ohne Auswirkung bleiben, da bereits die notwendigerweise vorgelagerte Durchsuchung aufgrund von § 160a StPO unzulässig wäre. Grundsätzlich ist zwar denkbar, den § 160a StPO im Zusammenhang mit einer Durchsuchung einschränkend auszulegen.26 Jedenfalls in systematischer Hinsicht verträgt sich dies aber nicht mit dem in § 160a V enthaltenen, isolierten Verweis allein auf die §§ 97, 100c VI StPO, sondern legt eher nahe, § 160a V StPO tatsächlich als „Meistbegünstigungsklausel“27 zu begreifen. Im Sinne eines solchen Verständnisses argumentiert ferner Bertheau,28 dass mit § 97 StPO lediglich ein Verbot der Beschlagnahme unberührt bleibe, die Ermächtigungsgrundlage für eine solche aber §§ 94 ff. StPO zu entnehmen sei. Die für die Beschlagnahme nötige Befugnisnorm bleibe somit gerade nicht unberührt, sondern werde durch das Beweiserhebungsverbot des § 160a I StPO überlagert. Dies ist zwar vordergründig richtig, die Schlussfolgerung einer Meistbegünstigungsklausel kann aber dennoch nicht überzeugen. So ist bereits die 24  Siegrist, wistra 2010, 427, 430; Ballo, NZWiSt 2013, 46, 50; Schuster, NZWiSt 2012, 431, 432; Bertheau, StV 2012, 303, 306. 25  Siegrist, wistra 2010, 427, 430; Ballo, NZWiSt 2013, 46, 50; Schuster, NZWiSt 2012, 431, 432; Bertheau, StV 2012, 303, 306. 26  Diesen Weg wählt Siegrist, wistra 2010, 427, 430. 27  Jahn/Kirsch, NStZ 2012, 718, 718. 28  Bertheau, StV 2012, 303, 306; im Anschluss daran auch Ballo, NZWiSt 2013, 46, 50.

190

E. Einfachgesetzliche Lösung der Beschlagnahmeproblematik

unausgesprochene Prämisse dieser Argumentation zu kritisieren, wonach sich eine ausdifferenzierte Vorschrift auf ihren positiven Aussagegehalt reduzieren lasse. So ordnet § 97 StPO zwar positiv ein Beschlagnahmeverbot an, gleichzeitig enthält sein Wortlaut aber auch eindeutige Limitationen.29 Auch diese Limitationen gehören dann zu der in § 97 StPO getroffenen „Regelung“, welche aufgrund von § 160a V StPO auch weiterhin uneingeschränkt gilt. Deutlich wird dies etwa anhand des Gewahrsamserfordernisses in § 97 II 1 StPO.30 Ließe § 160a V StPO einschränkungslos den gesamten § 97 StPO unberührt, so würde jedenfalls auch die explizite Aussage in § 97 II 1 StPO unberührt gelassen und auf diesem Weg das Gewahrsamserfordernis in die Regelung des § 160a StPO importiert. Bereits daraus wird deutlich, dass § 160a V StPO bei systematischer Betrachtung kaum den Effekt einer Meistbegünstigungsklausel haben kann. Zuzustimmen ist im Ergebnis auch Jahn / Kirsch in ihrer Kritik, dass § 160a V StPO obsolet wäre, wenn lediglich die schützende Funktion von § 97 StPO weiterhin Anwendung fände.31 Zwar ist auf der anderen Seite richtig, dass die Fortgeltung von § 97 StPO in Zusammenschau mit § 160a II 1–3 StPO eine gewisse Wirkung entfalten kann.32 Denn erst dadurch wird sichergestellt, dass das absolute Beschlagnahmeverbot des § 97 StPO nicht zugunsten des relativen Beweiserhebungsverbots in § 160a II StPO (als lex posterior) zurücktritt.33 Insofern würde § 160a V StPO auch dann seine Berechtigung haben, wenn der Verweis auf § 97 StPO als lediglich den Schutz erweiternd aufgefasst würde. In systematischer Hinsicht kann die These von der Meistbegünstigungsklausel aber nicht erklären, warum § 97 StPO in einem eigenen Absatz 5 für unberührt erklärt wurde.34 Denn wenn der Verweis lediglich im Rahmen des § 160a II StPO seine Berechtigung finden würde, hätte nahegelegen, die Fortgeltung des § 97 StPO ebenfalls in § 160a II StPO festzuschreiben. In29  Erb,

FS Kühne, S. 171, 175. anzumerken ist, dass nach der hier vertretenen Meinung der tatsäch­liche Anwendungsbereich des Gewahrsamserfordernisses sehr klein ist, vgl. dazu unten unter E.IV.2.k). Mit der herrschenden Gegenmeinung hingegen würde mit Übertragung des Gewahrsamserfordernisses eine nicht unerhebliche Einschränkung des Schutzes einhergehen. 31  Jahn/Kirsch, NStZ 2012, 718, 719. 32  Ballo, NZWiSt 2013, 46, 51; Knierim, FD-StrafR 2011, 314177; Schuster, NZWiSt 2012, 431, 432; Schuster, NZWiSt 2012, 28, 30; Galen, NJW 2011, 945. 33  Ballo, NZWiSt 2013, 46, 51; Knierim, FD-StrafR 2011, 314177; Schuster, NZWiSt 2012, 431, 432; Schuster, NZWiSt 2012, 28, 30; Galen, NJW 2011, 945. 34  So auch Erb, FS Kühne, S. 171, 175. 30  Wobei



II. § 160a StPO191

dem aber der Weg eines eigenen Absatzes gewählt wurde, kann nur davon ausgegangen werden, dass dieser für den gesamten § 160a StPO Wirkung entfalten sollte, mithin also auch für das absolute Beweiserhebungsverbot in § 160a I 1 StPO. Im Hinblick darauf macht § 160a V StPO dann aber nur Sinn, wenn auch die Limitationen des § 97 StPO unbeschadet bleiben. Würde § 160a V StPO hingegen als Meistbegünstigungsklausel verstanden, wäre dies nicht zu erklären. In ähnlicher Weise wäre damit nicht zu erklären, dass im Zuge der Schaffung des § 160a StPO auch die Anforderungen an die Verstrickungsausnahme in § 97 II 3 StPO angepasst wurden. Gegenüber der alten Regelung in § 97 StPO wurden diese mit dem Ziel einer Verbesserung des Schutzniveaus in dem neu geschaffenen § 160a IV 1 StPO leicht verändert und parallel dazu auf § 97 II 3 StPO übertragen.35 Wäre § 160a V StPO aber tatsächlich im Sinne einer Meistbegünstigungsklausel zu verstehen, so wäre eine entsprechende Änderung des § 97 StPO überflüssig gewesen. Denn dann würde ohnehin nur die jeweils für den Beschuldigten günstigere Verstrickungsklausel zur Anwendung kommen. Eine Harmonisierung der Anforderungen hingegen wäre überflüssig gewesen. Zwar könnte der Zweck einer solchen Harmonisierung grundsätzlich auch auf eine schlichte Klarstellung beschränkt werden. Würde man dem § 160a V StPO aber ein solches Verständnis zugrunde legen, so hätte im Sinne einer kohärenten Systematik in § 97 StPO auch der Wegfall der übrigen Beschränkungen, etwa des Gewahrsamserfordernisses, „klargestellt“ werden müssen. Dass dies nicht geschehen ist, spricht somit dafür, dass § 97 StPO gerade nicht allein in seiner begünstigenden Wirkung unberührt bleiben sollte, sondern auch hinsichtlich sämtlicher Limitationen, welche nicht im Zuge einer parallelen Neufassung geändert wurden. Dass § 160a StPO keine Auswirkungen auf die Beschlagnahmefähigkeit haben kann, wird überdies durch die bereits erwähnte, offensichtlich nicht auf die Beschlagnahme zugeschnittene innere Systematik des § 160a I bestätigt.36 Der Beschlagnahme fehlt das Element der potentiell zufälligen Betroffenheit verschiedener Personen, welches Maßnahmen wie die telefonische Überwachung auszeichnet. Ohne dieses Element aber macht das abgestufte System von Beweiserhebungs- und Beweisverwertungsverbot in § 160a I StPO kaum Sinn, so dass hierin ein weiteres Indiz für die hier vertretene Meinung gesehen werden kann. 35  Gesetzentwurf zu § 160a StPO a. F., BT-Drucks. 16/5846, S. 37 f.; Beschlussempfehlung des Rechtsausschusses, BT-Drucks. 16/6979, S. 42, 45. 36  Siehe oben E.II.1.b).

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E. Einfachgesetzliche Lösung der Beschlagnahmeproblematik

d) Historische Auslegung Diese Ergebnisse werden auch durch die historische Auslegung anhand der Gesetzesmaterialien gestützt. Zweifel an einer beabsichtigten Änderung des Beschlagnahmesystems durch § 160a StPO drängen sich bereits auf, wenn das Gesetz in den Blick genommen wird, welches § 160a in die StPO einfügte: das „Gesetz zur Neuregelung der Telekommunikationsüberwachung und anderer verdeckter Ermittlungsmaßnahmen sowie zur Umsetzung der Richtlinie 2006 / 24 / EG“. Ungeachtet dieser Bezeichnung ist zwar unstreitig, dass der Schutz des § 160a StPO nicht auf verdeckte Ermittlungsmaßnahmen beschränkt ist, sondern grundsätzlich alle Ermittlungsmaßnahmen umfasst.37 Allerdings ergibt sich aus den Materialien im Ergebnis sehr eindeutig, dass gerade die Beschlagnahme umfassend von der Neuregelung ausgeschlossen sein sollte. So lässt sich daraus zunächst jedenfalls ein echtes Vorrangverhältnis des § 97 StPO herauslesen, welches eine bloß ergänzende Wirkung ausschließt.38 Auch hinsichtlich der Frage, ob dem § 97 StPO lediglich in seiner positiv schützenden Funktion Vorrang eingeräumt werden muss oder auch dessen Limitationen der weiten Formulierung des § 160a I 1 StPO vorgehen, ergeben die Materialien in ihrer Gesamtschau ein hinreichend klares Bild. Wie bereits angesprochen legt der in § 160a V StPO enthaltene Verweis auf § 97 StPO in seiner Gänze (und nicht nur auf die dort enthaltenen Rechte) nahe, dass das Gesamtkonzept der Beschlagnahmeschutzvorschriften unberührt bleiben sollte. Entsprechend wird auch in dem Gesetzesentwurf von 2007 formuliert, dass „die spezielleren Regelungen“39 des § 97 StPO der Neuregelung in § 160a StPO vorgehen. Entsprechend spricht auch der Gesetzentwurf von 2011, der im Rahmen des § 160a StPO eine Gleichstellung von Rechtsanwälten und Verteidigern zur Folge hatte, von „uneingeschränkter Beibehaltung sowohl der Zeugnisverweigerungsrechte als auch dem mittelbaren Schutz des Berufsgeheimnisses dienenden Sonderregelungen in § 97 StPO“.40 37  Ballo, NZWiSt 2013, 46, 49; Gesetzentwurf zu § 160a StPO a. F., BT-Drucks. 16/5846, S. 25. 38  Gesetzentwurf zu § 160a StPO a. F., BT-Drucks. 16/5846, S. 38; Ballo, NZWiSt 2013, 46, 50; Jahn/Kirsch, StV 2011, 151, 154; Jahn/Kirsch, NZWISt 2012, 718, 719; KK-StPO-Griesbaum, § 160a, Rn. 21; Meyer-Goßner, § 160a, Rn. 17; LG Hamburg, NJW 2011, 945, 944; LG Mannheim, NStZ 2012, 713, 717. 39  Gesetzentwurf zu § 160a StPO a. F., BT-Drucks. 16/5846, S. 38; Hervorhebung durch den Verfasser. 40  Gesetzentwurf zur Neufassung des § 160a StPO, BT-Drucks. 17/2637, S. 6.



II. § 160a StPO193

Auch eine im Grundsatz schützende Regelung besteht aber gerade nicht nur aus der Gewährung von Rechten, sondern regelt in Abwesenheit spe­ ziellerer Vorschriften zugleich immer auch den Bereich, in dem sie keinen Schutz gewährt. Die Regelung besteht dann schlicht darin, dass dort kein Schutz besteht. Mit „uneingeschränkter Beibehaltung“ einer Regelung kann mithin schwerlich gemeint sein, ihre Anwendung auf positiv schützende Aspekte zu beschränken. Noch deutlicher wird die Gesetzesbegründung bei der Erläuterung des grundsätzlichen Verzichts auf eine Differenzierung zwischen verdeckten und offenen Ermittlungsmaßnahmen.41 Im Hinblick auf diesen Grundsatz begründe § 160a V StPO42 eine „Ausnahme“,43 das heißt im Anwendungsbereich der dort in Bezug genommenen besonderen Erhebungsverbote der §§ 97, 100c VI StPO soll die in § 160a StPO nicht vorgesehene Differenzierung zwischen offenen und heimlichen Maßnahmen eben doch fortbestehen. Was damit gemeint ist, geht deutlich aus dem letzten Halbsatz hervor, in dem es heißt, dass § 160a StPO „zugunsten dieser speziellen Regelungen insoweit keine Anwendung findet.“44 Weder die spezielle Regelung hinsichtlich der heimlichen Wohnungsüberwachung noch die zur offenen Beschlagnahme soll also durch die (im Hinblick auf Heimlichkeit oder Offenheit der Maßnahme undifferenzierte) Regelung des § 160a StPO verdrängt werden. Insbesondere sollen auch nicht nur Einzelheiten innerhalb dieser speziellen Erhebungsverbote von § 160a StPO unberührt bleiben – vielmehr formuliert die Gesetzesbegründung hier weit eindeutiger: § 160a StPO soll „keine Anwendung“45 finden. Abgesehen von den beschriebenen positiven Anhaltspunkten in den Materialien, die für eine Weitergeltung des bestehenden Beschlagnahmesystems sprechen, ist insbesondere auch von Relevanz, was dort nicht erörtert wird. So wird an keiner Stelle in den Materialien, weder zu der ursprünglichen Fassung des § 160a StPO noch zu dessen Änderung im Jahr 2010, auch nur thematisiert, welche Auswirkungen der neu zu schaffende § 160a StPO auf die bestehenden Problemfelder bei der Beschlagnahme anwaltlicher Unterlagen hat oder haben sollte. Vor diesem Hintergrund erscheint wenig plau41  Gesetzentwurf

zu § 160a StPO a. F., BT-Drucks. 16/5846, S. 25 f. zum Zeitpunkt der Gesetzesbegründung noch als § 53b Abs. 5 StPO-E vorgesehen war. 43  Gesetzentwurf zu § 160a StPO a. F., BT-Drucks. 16/5846, S. 25. 44  Gesetzentwurf zu § 160a StPO a. F., BT-Drucks. 16/5846, S. 26. 45  Gesetzentwurf zu § 160a StPO a. F., BT-Drucks. 16/5846, S. 26. 42  Der

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E. Einfachgesetzliche Lösung der Beschlagnahmeproblematik

sibel, dem Gesetzgeber dennoch einen Willen zur quasi beiläufigen Entscheidung dieser Probleme zu unterstellen.46 Stattdessen ergibt sich aus der Gesamtschau der Materialien, dass sich an den Befugnissen zur Beschlagnahme grundsätzlich nichts ändern sollte, was nicht auch direkt in den hierzu spezielleren Regelungen Niederschlag gefunden hat. 3. Ergebnis zu 160a: keine Entscheidung der Beschlagnahmefrage Im Ergebnis kann also festgestellt werden, dass § 160a StPO allgemein keine normative Grundlage für einen Beschlagnahmeschutz darstellt und somit auch zur Lösung der hier zu behandelnden Probleme nichts beitragen kann. Einzig auf die gesetzgeberische Wertung, die mit der Gleichstellung von Rechtsanwälten und Verteidigern verbunden war, wird im Rahmen der Diskussion an späterer Stelle zurückzukommen sein.47

III. § 148 StPO 1. Allgemeines zum Stand der Diskussion In welchem Ausmaß § 148 StPO einen Beschlagnahmeschutz für Compliance-Unterlagen gewährleisten kann, muss bisher als völlig ungeklärt angesehen werden. Diese Arbeit wird entgegen einem Großteil der Literatur die Ansicht vertreten, dass § 148 StPO nur für solche anwaltlichen Unterlagen einen Beschlagnahmeschutz garantiert, welche innerhalb eines laufenden Ermittlungsverfahrens entstanden sind. Unterlagen, die vorher entstehen, können hingegen nur über § 97 StPO vor Beschlagnahme geschützt werden. Allgemein ist dabei festzustellen, dass sich die Diskussion noch am Anfang befindet und vielfach selbst in Beiträgen, welche sich explizit mit dem Schutz der Geheimhaltungssphäre des Rechtsanwalts befassen, überhaupt keine Problematisierung erfolgt.48 Jedenfalls kann vor diesem Hintergrund keine Rede davon sein, dass dieser Bereich „rechtlich am besten durch­ drungen“49 ist. Gleichwohl hat § 148 StPO in der neueren Compliance-Literatur und insbesondere im Zusammenhang mit der Frage nach staatlichem Zugriff auf auch Winkler, Vertrauensverhältnis, S. 116. unten unter E.IV.1.b)cc)(3). 48  Vgl. beispielhaft Goeckenjan, FS Samson, S. 641. 49  Leitner, StraFo 2012, 344, 345. 46  So

47  Vgl.



III. § 148 StPO

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die Ergebnisse von Internal Investigations umfangreich Beachtung gefunden. Ein Grund hierfür dürfte – neben einem Mangel an Alternativen – sein, dass im Zusammenhang mit § 148 StPO jedenfalls im Hinblick auf dessen persönlichen Anwendungsbereich weitgehend Klarheit herrscht. Insbesondere dessen Anwendbarkeit auf Unternehmen ist durch den expliziten Verweis in § 434 I 2 StPO gesichert. Anders als im Rahmen der Untersuchung des § 97 StPO kann somit auf weitere Ausführungen zum persönlichen Anwendungsbereich des § 148 StPO verzichtet werden. Entsprechend wird sich auch die folgende Darstellung auf die hier allein interessierende Problematik des zeitlich-sachlichen Anwendungsbereichs beschränken. Implizit wird im Folgenden ferner der in vielen bisherigen Veröffentlichungen festzustellenden Tendenz einer Vermischung von prozessualen bzw. einfachgesetzlichen und verfassungsrechtlichen Argumentationswegen entgegengetreten. So wurde oben zunächst isoliert die verfassungsrechtliche Beurteilung abgeschlossen. Im Folgenden soll nun die davon zu trennende einfachgesetzliche Auslegung der §§ 148, 97 StPO vorgenommen werden. 2. Meinungsstand zum zeitlich-sachlichen Anwendungsbereich von § 148 StPO Der Meinungsstand in der bisherigen Diskussion lässt sich grob in drei verschiedene Richtungen kategorisieren. Zum einen die traditionelle Auffassung, welche den Anwendungsbereich des § 148 StPO ohne weitere Problematisierung auf Grundlage der bisher zum Beschuldigtenbegriff entwickelten Grundsätze bestimmt und somit erst ab Einleitung eines Ermittlungsverfahrens einen wirksamen Beschlagnahmeschutz gewährt. Zum anderen stehen sich die insbesondere durch das LG Bonn vertretene restriktive Auffassung, die den Anwendungsbereich des § 148 StPO teilweise noch weiter einschränken will, und die in der Literatur vertretene erweiternde Auffassung gegenüber, die einen sehr weitreichenden Beschlagnahmeschutz auch für außerhalb eines Strafverfahrens entstandene Unterlagen gewähren will. a) Übersicht über die bisherigen Ansätze in Literatur und Rechtsprechung aa) Das traditionelle Verständnis eines „Verteidigungsverhältnisses“ i. S. v. § 148 I StPO Als „traditionelle Auffassung“ soll im Folgenden die Ansicht bezeichnet werden, welche das von § 148 StPO geschützte Verteidigungsverhältnis in

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E. Einfachgesetzliche Lösung der Beschlagnahmeproblematik

enger Anlehnung an den Wortlaut definiert und davon ausgeht, dass ein Beschlagnahmeschutz nach § 148 StPO nur für solche anwaltlichen Unterlagen besteht, welche innerhalb eines bestehenden Verteidigungsverhältnisses und einem laufenden Ermittlungsverfahren zwischen einem Beschuldigten und seinem Verteidiger erstellt wurden.50 Anzumerken ist zwar, dass es durchaus problematisch ist, dieses Verständnis von § 148 StPO im eigentlichen Sinn als „Meinung“ in Bezug auf den Schutz vorprozessualer Unterlagen zu verstehen, da in zeitlich-sachlicher Hinsicht eine andere Sichtweise gar nicht in Betracht gezogen wird. Die Darstellung dieser Auffassung ist aber dennoch unverzichtbar für das Verständnis der gegenwärtigen Gesetzeslage. (1) Der Beschuldigtenbegriff im Allgemeinen Ausgangspunkt dieser Auffassung ist, dass § 148 I StPO die Kommunikation mit dem „Beschuldigten“ schützt. In Abwesenheit einer Diskussion über eine mögliche Ausweitung des Beschlagnahmeschutzes wird man davon ausgehen müssen, dass von Vertretern dieser Auffassung keine Abweichung von den gängigen, auch für die übrige StPO einheitlich anerkannten, Definitionen des Beschuldigten gewollt ist bzw. überhaupt in Erwägung gezogen wird. Hiernach müsste der Begriff des Beschuldigten in § 148 StPO also genau so wie in allen übrigen Vorschriften der StPO verstanden werden. Der Begriff des Beschuldigten wird zwar an keiner Stelle in der StPO definiert, wohl aber in mehreren Vorschriften vorausgesetzt.51 Die heute ganz herrschende Meinung bestimmt den Beginn der Beschuldigteneigenschaft dabei durch eine Kombination von objektiven und subjektiven Kriterien in Anlehnung an § 397 I AO.52 Beschuldigter ist hiernach derjenige, gegen den die Verfolgungsbehörden Maßnahmen ergreifen, die erkennbar darauf abzielen, gegen ihn wegen einer Straftat oder Ordnungswidrigkeit vorzugehen.53 Dies kann einerseits in Form der Einleitung eines förmlichen Ermittlungsverfahrens vorliegen, etwa 50  Meyer-Goßner-Schmitt, § 148, Rn. 4.; SK-StPO-Wohlers, § 148, Rn. 9; vgl. auch Kapp, WuW 2003, 142. 51  LR-StPO-Kühne, Einl J, IV, Rn. 68. 52  LR-StPO-Gleß, § 136, Rn. 5; SK-StPO-Rogall, Vor § 133 ff., Rn. 34. 53  BGHSt 51, 367, 370 f. (=  NJW 2007, 2706, 2707); BGH, NJW 2003, 3142; BGH, NJW 1997, 1591; SK-StPO-Rogall, Vor § 133 ff., Rn. 34.; LR-StPO-Gleß, § 136, Rn. 5.; LR-StPO-Kühne, Einl J, IV, Rn. 72; LR-StPO-Erb, § 163a, Rn. 9 ff.; Meyer-Goßner-Meyer-Goßner, Einl. Rn. 76; AK-StPO-Gundlach, § 136, Rn. 2 ff.; Rogall, Beschuldigte als Beweismittel gegen sich selbst, S. 27 ff.



III. § 148 StPO197

durch einen entsprechenden Aktenvermerk, andererseits aber auch in Form einer Maßnahme, die regelmäßig nur gegenüber einem Beschuldigten erfolgt bzw. erfolgen darf.54 Teilweise wird zwar leicht abweichend entweder das an den Tatverdacht anknüpfende, objektive Element55 oder die subjektive Sicht des ermittelnden Beamten als Ausgangspunkt gewählt.56 Letztlich besteht aber weitgehend Einigkeit, dass weder ein rein objektiv vorliegender Tatverdacht, noch ein rein subjektiv aus Sicht des Beamten zu bestimmender Inkulpationsakt dem generellen Begriff des Beschuldigten gerecht wird, sondern vielmehr eine Kombination aus beiden Aspekten notwendig ist.57 Dies wird einerseits durch das grundsätzliche Festhalten an der Notwendigkeit eines „Inkul­ pationsaktes“58 von Seiten der Ermittlungsbehörde, andererseits durch eine innerhalb eines gewissen Beurteilungsspielraums59 objektivierte Bestimmung eines solchen Willensaktes erreicht.60 Entscheidend für die hier relevanten Sachverhalte aber ist, dass die nach allgemeinen Grundsätzen bestimmte Beschuldigteneigenschaft und damit der als gesichert geltende Anwendungsbereich des § 148 StPO erst dann beginnt, wenn der Betroffene bereits „Objekt staatlicher Strafverfolgung“61 geworden ist. (2) K  ein Beschuldigter ohne staatliches Untersuchungsverfahren Klar ist nach dieser Konzeption folglich zunächst, dass § 148 StPO dann keine Wirkung entfalten kann, wenn (noch) überhaupt kein staatliches Untersuchungsverfahren jeglicher Art vorliegt. Auch ein bloßer zivilrechtlicher Prozess, etwa zur Durchsetzung eines Schadensersatzanspruches kann hiernach nicht erfasst sein. Die Inhalte einer rein präventiven oder zivilprozessualen Rechtsberatung wären hiernach somit nicht von § 148 StPO geschützt. 54  Meyer-Goßner-Meyer-Goßner, 55  LR-StPO-Lüderssen/Jahn,

Einl., Rn. 76. § 137, Rn. 4; Gerlach, NJW 1969, 776, 779; Geerds,

GA 1965, 321, 327. 56  SK-StPO-Rogall, Vor § 133 ff., Rn. 26, 31; BGH, NJW 1997, 1591. 57  SK-StPO-Rogall, Vor § 133 ff., Rn. 31; LR-StPO-Lüderssen/Jahn, § 137, Rn. 4a; Roxin, FS Schöch, S. 823. 58  Fincke, ZStW 1983, 918; LR-StPO-Kühne, Einl J, IV, Rn. 72; LR-StPO-Erb, § 163a, Rn. 11; SK-StPO-Rogall, Vor § 133 ff., Rn. 34. 59  BGH, NJW 2009, 3589; Fincke, ZStW 1983, 918, 935; SK-StPO-Rogall, Vor §  133, Rn.  17 m. w. N. 60  Fincke, ZStW 1983, 918, 919  ff.; SK-StPO-Rogall, Vor §§  133 ff., Rn.  17 f.; BGHSt 51, 367, 370 f. (=  NJW 2007, 2706, 2707). 61  Rogall, Beschuldigte als Beweismittel gegen sich selbst, S. 22; Grosjean, Beginn der Beschuldigteneigenschaft, S. 27.

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E. Einfachgesetzliche Lösung der Beschlagnahmeproblematik

(3) Kein Beschuldigter im Verwaltungsverfahren Ebenso kann hiernach grundsätzlich niemand Beschuldigter in einem reinen Verwaltungsverfahren sein, welches ja gerade nicht auf die Verhängung einer Sanktion abzielt, sondern zunächst nur präventive Zwecke verfolgt. Zwar wird der Ausschluss einer Beschuldigteneigenschaft in anderen, etwa präventiv wirkenden verwaltungsrechtlichen, Verfahren auch von keinem Autor ausdrücklich festgestellt, dies ergibt sich jedoch zunächst aus dem Charakter der die Beschuldigtenrechte normierenden Normen als originär strafprozessuale Vorschriften, welche über das Strafprozessrecht hinaus lediglich im Ordnungswidrigkeitenverfahren über § 46 I OWiG Anwendung finden. Dies spiegelt sich überdies in den jeweils ohne Einschränkung verwendeten Formulierungen. So werden jeweils explizit Ausdrücke wie „Strafverfolgungs­ behörde“62 oder „Strafverfolgungsorgan“63 verwendet, anstatt sich allgemeiner auf staatliche Untersuchungsbehörden zu beziehen, welche auch im Übrigen in diesem Zusammenhang nicht thematisiert werden. Etwas anderes ergibt sich auch nicht insoweit wie vereinzelt eine Modifizierung der allgemeinen Grundsätze für den Bereich des Wirtschaftsverwaltungsrechts vertreten wird.64 Wenn dabei gefordert wird, „sämtliche Beschuldigtenrechte“65 auch gegenüber der handelnden Verwaltungsbehörde anzuerkennen, so handelt es sich dabei bei näherer Betrachtung doch nur um eine pauschalisierte Anwendung des allgemein anerkannten Beschuldigtenbegriffs auf die spezielle Frage nach dem Zeitpunkt des Übergangs zwischen Verwaltungs- und Bußgeldverfahren. Wenn eine Behörde mit „Doppelzuständigkeit“,66 also mit Zuständigkeit sowohl für die verwaltungsrechtliche Aufsicht als auch für Verfolgung von Ordnungswidrigkeiten, Maßnahmen ergreift, die aufgrund tatsächlicher Anhaltspunkte für eine verfolgbare Tat erkennbar nicht mehr präventiven Zwecken dienen, sondern die Verfolgung bestimmter Taten als Ordnungswidrigkeit zum Ziel haben, so ist dies im Kern die gleiche Frage wie bei der Abgrenzung zwischen Zeuge und Beschuldigtem. Anders ausgedrückt handelt die betreffende Behörde dann grade nicht mehr als Verwaltungsbehörde, sondern als Bußgeldbehörde.67 62  LR-StPO-Lüderssen/Jahn, § 137, Rn. 4; LR-StPO-Menges, § 97, Rn. 26; AKStPO-Gundlach, § 136, Rn. 2; LR-StPO-Kühne, Einl. J.IV. Rn. 71. 63  LR-StPO-Gleß, § 136, Rn. 5; SK-StPO-Rogall, Vor § 133 ff., Rn. 31. 64  Bärlein/Pananis/Rehmsmeier, NJW 2002, 1825, 1829. 65  Bärlein/Pananis/Rehmsmeier, NJW 2002, 1825, 1828. 66  Bärlein/Pananis/Rehmsmeier, NJW 2002, 1825, 1829. 67  Vgl. ausführlich zum Übergang zwischen kartellrechtlichen Verwaltungs- und Bußgeldverfahren auch Klemp, BB 1976, 912.



III. § 148 StPO199

Eine grundsätzliche Ausdehnung des generellen Beschuldigtenbegriffs auf ein präventives verwaltungsrechtliches oder gar zivilrechtliches Vorgehen gegen eine Person wird hingegen, soweit erkennbar, von keinem Autor ver­ treten.68 bb) Die restriktive Ansicht Die, soweit erkennbar, restriktivste Ansicht zum Anwendungsbereich von § 148 StPO vertritt in mittlerweile ständiger Rechtsprechung das LG Bonn.69 Eine restriktive Bestimmung des durch § 148 StPO vermittelten Schutzes wird darüber hinaus in unterschiedlicher Deutlichkeit von den Landgerichten Mainz70, Stuttgart71 und Mannheim72 zugrunde gelegt und hat mittlerweile auch in der Literatur vereinzelt Zustimmung gefunden.73 (1) Die Ansicht des LG Bonn Besondere Bedeutung erlangt insbesondere die Rechtsprechung des LG Bonn dadurch, dass dieses örtlich für Beschwerden gegen gerichtliche Bestätigungen von Beschlagnahmen durch das Bundeskartellamt zuständig ist74 und grade das nationale Kartellverfahren einen der wichtigsten Anwendungsbereiche einer Verbandsgeldbuße nach § 30 OWiG darstellt. Hieraus erklärt sich auch die vergleichsweise hohe Anzahl an relevanten Entscheidungen in diesem Zusammenhang.75 Auch wenn dies in den bisher veröffentlichten Urteilen nicht gänzlich deutlich wird, scheint der leitende Gedanke des LG Bonn bei der Auslegung 68  Vgl. auch LR-StPO-Erb, § 163a, Rn. 10, der zwar eine erweiterte Auslegung von § 137 StPO vertritt, damit aber explizit nicht den generellen Beschuldigtenbegriff erweitern will. 69  LG Bonn, WuW 2006, 1037; LG Bonn, Beschl. v. 10.09.2010, 27 Qs 21/10, Rn. 24; LG Bonn, WuW 2012, 972; LG Bonn, Beschl. v 16.01.2012, Az. 27 Qs 24/11 (zit. nach Thum, HRRS 2012, 535, 538, Fn. 29). 70  LG Mainz, NStZ 1986, 473, 474. 71  LG Stuttgart, NStE 1994, Nr. 12 zu § 97 StPO. 72  LG Mannheim, NStZ 2012, 713. 73  Meyer-Goßner-Schmitt, § 97, Rn. 36 (unter expliziter Ablehnung von Mehle/ Mehle, NJW 2011, 1639); Krauß, WuW 2013, 24 (Leitende Regierungsdirektorin im Bundeskartellamt); Thum, HRRS 2012, 535 (Beisitzender Richter der Wirtschaftsstrafkammer des LG Bonn; der Beitrag gibt zwar nur die persönliche Meinung des Verfassers wieder, Wortlaut und die zitierte Literatur entsprechen jedoch teilweise sehr weitgehend den einschlägigen Urteilen des LG Bonn). 74  Polley/Kuhn/Wegmann, ZStW 2012, 206, 206. 75  Polley/Kuhn/Wegmann, ZStW 2012, 206, 206.

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E. Einfachgesetzliche Lösung der Beschlagnahmeproblematik

des § 148 StPO eine sehr strikt verstandene, sachliche Zweckbindung anwaltlicher Unterlagen an ein bevorstehendes oder laufendes Strafverfahren zu sein.76 So seien nur solche Unterlagen als beschlagnahmefreie Verteidigungsunterlagen zu qualifizieren, welche zielgerichtet genau für das und in dem Verfahren erstellt wurden, in dessen Verlauf letztlich auch die Beschlagnahme fällt.77 Von dem Ausgangspunkt dieser strikten Anforderungen in sachlicher Hinsicht leitet das LG Bonn wiederum drei weitere wesentliche Einschränkungen des § 148 StPO ab: (1) Zunächst sei das notwendige Maß einer auf das konkrete Verfahren bezogenen Zielgerichtetheit der betreffenden Unterlagen dabei „denknotwendig“78 nur dann zu erreichen, wenn ein Ermittlungsverfahren bereits eingeleitet sei.79 Erst hierdurch werde eine hinreichende Konkretisierung der Vorwürfe bewirkt.80 (2) Auch sei Korrespondenz zwischen dem Beschuldigten und seinem Verteidiger erst dann vor Beschlagnahme geschützt, wenn der Beschuldigte darüber hinaus positive Kenntnis von den gerade gegen ihn laufenden Ermittlungen habe.81 (3) Überdies sei die Korrespondenz in jeglichen anderen Verfahren, unabhängig von sachlichen Überschneidungen, nicht geschützt. Solche „anderen Verfahren“ können zum einen Zivilverfahren82 (wie z. B. Schadensersatzprozesse) sein, zum anderen aber auch andere gleichzeitig oder zeitlich vorher laufende Ermittlungsverfahren wegen einer Straftat oder Ordnungswidrigkeit.83

Der Ansicht des LG Bonn folgend wären folglich keine der hier behandelten Unterlagen vor Beschlagnahme geschützt. In dem Beschluss vom 10.09.201084 handelte es sich dabei um Unterlagen, welche im Zusammenhang mit einem früheren Ermittlungsverfahren 76  Klar artikuliert wird dies jedoch nicht, vgl. etwa LG Bonn, Beschl. v. 10.09.2010, 27 Qs 21/10, Rn. 24; LG Bonn, WuW 2012, 972, 979; etwas deutlicher: Thum, HRRS 2012, 535, 538. 77  LG Bonn, WuW 2012, 972, 979; LG Bonn, Beschl. v. 10.09.2010, 27 Qs 21/10, Rn. 22. 78  Thum, HRRS 2012, 535, 538. 79  LG Bonn, WuW 2006, 1037, 1039; LG Bonn, Beschl. v. 10.09.2010, 27 Qs 21/10, Rn. 18; LG Bonn, WuW 2012, 972, 978. 80  Thum, HRRS 2012, 535, 538. 81  LG Bonn, WuW 2006, 1037, 1039; LG Bonn, Beschl. v. 10.09.2010, 27 Qs 21/10, Rn. 21. 82  LG Bonn, WuW 2012, 972, 979; LG Bonn, Beschl. v. 10.09.2010, 27 Qs 21/10, Rn. 22. 83  LG Bonn, WuW 2012, 972, 979; LG Bonn, Beschl. v. 10.09.2010, 27 Qs 21/10, Rn. 22. 84  LG Bonn, Beschl. v. 10.09.2010, 27 Qs 21/10.



III. § 148 StPO201

des Bundeskartellamtes entstanden waren, in dem Beschluss vom 21.06.201285 zumindest teilweise um Unterlagen, welche im Rahmen eines früheren kartellrechtlichen Ermittlungsverfahrens der Europäischen Kommission erstellt worden waren. Ohne dass diese Konsequenz durch das LG Bonn explizit herausgestellt würde, so müssen die genannten Urteile insbesondere auch so verstanden werden, dass selbst solche Unterlagen nicht unter den Schutz des § 148 StPO fallen, welche in einem anderen Verfahren gegen den selben Beschuldigten erstellt worden sind und als solche in jenem Verfahren von § 148 StPO unstreitig geschützt waren. Zwar legen die vom LG Bonn angestellten ergänzenden Ausführungen den Schluss nahe, dass dies einmal anders sein könnte, wenn Gegenstand beider Verfahren sowohl in zeitlicher als auch sachlicher Hinsicht ein „gleicher“86 Sachverhalt wäre.87 Diese Möglichkeit wird allerdings sogleich wieder dadurch relativiert, dass dies „nach der Vorstellung der Ermittlungsbehörden“ der Fall sein müsse.88 Nach dem LG Bonn reicht es folglich etwa nicht aus, wenn ein erstes kartellrechtliches Ermittlungsverfahren lediglich einen Bestandteil des den Gegenstand des späteren Verfahrens bildenden Produkts betraf oder wenn in einem ersten Verfahren der gesamte europäische Binnenmarkt untersucht wurde, in einem zweiten Verfahren jedoch nur der deutsche Markt.89 (2) D  ie restriktive Ansicht in der übrigen Rechtsprechung Soweit in der übrigen Rechtsprechung ebenfalls ein restriktives Verständnis von § 148 StPO zugrunde gelegt wird, so geschieht dies jedenfalls mit geringerer Deutlichkeit und mit deutlich geringerem Argumentationsaufwand. Dabei ist der Rechtsprechung des LG Stuttgart90 zunächst noch ein sehr ähnliches Verständnis von § 148 StPO zu entnehmen wie der des LG Bonn. So wird ein Beschlagnahmeschutz ebenso unter Hinweis auf eine notwendig enge Zweckbindung der Unterlagen für die Zeit „vor Begründung eines Verteidigungsverhältnisses“ verneint. Dies soll zwar nur „regelmäßig“ der 85  LG

Bonn, WuW 2012, 972. Bonn, Beschl. v. 10.09.2010, 27 Qs 21/10, Rn. 22. 87  Vgl. LG Bonn, WuW 2012, 972, 979 f.; LG Bonn, Beschl. v. 10.09.2010, 27 Qs 21/10, Rn. 22. 88  Vgl. LG Bonn, Beschl. v. 10.09.2010, 27 Qs 21/10, Rn. 22. 89  Vgl. LG Bonn, WuW 2012, 972, 980. 90  LG Stuttgart, NStE 1994, Nr. 12 zu § 97 StPO. 86  LG

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E. Einfachgesetzliche Lösung der Beschlagnahmeproblematik

Fall sein, allerdings finden sich keine näheren Ausführungen dazu, wann von dieser Regel einmal abgewichen werden könnte. Auch wird die Nichtprivilegierung der betreffenden Unterlagen zumindest auch damit begründet, dass diese vor Bekanntgabe eines Ermittlungsverfahrens erstellt wurden. Das LG Mainz wiederum geht offenbar selbstverständlich davon aus, dass ein Schutz über § 148 StPO vor Einleitung eines Ermittlungsverfahrens nicht in Frage kommt, allerdings ohne ausdrücklich auch Kenntnis eines Ermittlungsverfahrens zu fordern.91 Dem LG Mannheim schließlich ist eine solche restriktive Ansicht nur sehr indirekt zu entnehmen. Zwar hat das LG Mannheim hierzu keine Stellung genommen,92 andeutungsweise wird jedoch klar, dass der lediglich „potentiell Beschuldigte“ nicht in den Schutzbereich des § 148 StPO fallen soll.93 (3) Die restriktive Ansicht in der Literatur Teilweise wird die restriktive Ansicht und insbesondere die Rechtsprechung des LG Bonn mittlerweile auch in der Literatur ausdrücklich befürwortet.94 Einerseits wird darin die Rechtsprechung des LG Bonn zwar vollumfänglich als richtig anerkannt, andererseits jedoch zumindest mit einer kleinen Einschränkung versehen. So sei grundsätzlich denkbar, dass ein Beschlagnahmeschutz nach § 148 StPO auch einmal für Unterlagen greifen könnte, die vor Einleitung eines Verfahrens und damit auch ohne Kenntnis von einem solchen erstellt wurden. Dies solle allerdings auf „extrem gelagerte Einzelfälle“ beschränkt sein, in denen „die Einleitung eines Ermittlungsverfahrens in engem zeit­ lichem Zusammenhang bezüglich gerade dieser Vorwürfe objektiv droht und zu erwarten steht.“.95 Gesteigerte Bedeutung erfährt diese Einschränkung der restriktiven Literaturmeinung dadurch, dass es sich bei dem Autor um einen beisitzenden Richter der Wirtschaftsstrafkammer des LG Bonn han91  LG Mainz, NStZ 1986, 473, 474 („soweit diese Beweismittel enthalten, die bereits längere Zeit vor Begründung eines Verteidigungsverhältnisses, ja sogar vor Einleitung eines Ermittlungsverfahrens überhaupt entstanden sind, nicht von dem Beschlagnahmeverbot erfaßt.“). 92  Jahn/Kirsch, NZWiSt 2013, 28, 29. 93  LG Mannheim, NStZ 2012, 713, 717 („Erst recht kann dann aber kein weitergehender Schutz vor der Beschlagnahme von Gegenständen (Unterlagen etc.) für das Verhältnis zwischen dem lediglich potentiell Beschuldigten und seinem lediglich potentiellen Verteidiger – etwa durch eine Anwendung des § 160a Abs. 1 StPO bereits auf die Frage der Zulässigkeit der Beschlagnahme – gelten.“). 94  Meyer-Goßner-Schmitt, § 97, Rn. 36 (unter expliziter Ablehnung von Mehle/ Mehle, NJW 2011, 1639); Krauß, WuW 2013, 24; Thum, HRRS 2012, 535. 95  Thum, HRRS 2012, 535, 539.



III. § 148 StPO203

delt, der angesichts der teilweise fast wortlautgetreuen Übernahme der einschlägigen Urteile des LG Bonn offenbar auch selbst an diesen beteiligt war. Insofern mag dies als Hinweis darauf dienen, dass auch das LG Bonn in der Zukunft eine solche Ausnahme für Extremfälle, in denen das Beharren auf die strikte Grenze der Verfahrenseinleitung „bloße Förmelei“96 wäre, anerkennen könnte. Hierauf deutet auch hin, dass das LG Bonn in einer Entscheidung Anforderungen formuliert, die „auch bei einer vorsorglichen Korrespondenz“ relevant sein sollen.97 Im Lichte der generell restriktiven Herangehensweise des LG Bonn erscheint jedoch auch diese Möglichkeit eher theoretischer Natur zu sein. (4) K  ritische Beurteilung der inhaltlichen Argumentation der restriktiven Ansicht Als Begründung für die restriktive Auffassung wird mitunter die daraus folgende Unmöglichkeit einer „trennscharfen Zuordnung“98 zu Verteidigungsunterlagen oder den bloßen Ergebnissen allgemeiner Rechtsberatung angeführt. Zwischen allgemeiner Rechtsberatung und Verteidigung müsse zwingend ein Unterschied verbleiben.99 Für dieses Postulat wird aber keine prozessuale oder sonst rechtliche Begründung genannt. Vor dem Hintergrund, dass etwa § 97 I StPO die Verteidigungsunterlagen im Hinblick auf das Beschlagnahmeverbot genau so wie auch die aus allgemeiner Rechtsberatung entstehenden Unterlagen behandelt, erscheint eine solche Begründung auch nicht unmittelbar ersichtlich. Die Forderung nach der Berücksichtigung eines solchen „wesensmäßigen“ Unterschieds100 könnte somit nur dann eigenständigen Einfluss auf die Entscheidung der hier in Rede stehenden Rechtsfrage haben, wenn ein solcher zwingend in § 148 StPO angelegt wäre. Belege hierfür fehlen bei den Vertretern der restriktiven Ansicht aber. Vielmehr wird dabei deutlich, dass Hintergrund der restriktiven Ansicht letztlich doch im Wesentlichen eine starke Betonung der notwendigen Effektivität der Rechtsverfolgung und des staatlichen Interesses an möglichst umfassender Wahrheitsermittlung ist.101 96  Thum,

HRRS 2012, 535, 539. LG Bonn, Beschl. v. 10.09.2010, 27 Qs 21/10, Rn. 24. 98  Thum, HRRS 2012, 535, 538 f. 99  LG Bonn, Beschl. v. 10.09.2010, 27 Qs 21/10, Rn. 24; LG Bonn, WuW 2006, 1037, 1039. 100  LG Bonn, Beschl. v. 10.09.2010, 27 Qs 21/10, Rn. 24; LG Bonn, WuW 2006, 1037, 1039. 101  Vereinzelt finden sich auch explizite Hinweise hierauf, vgl. etwa Thum, HRRS 2012, 535, 538 f. („dass die Effektivität der Rechtsverfolgung zugunsten des Be97  Vgl.

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E. Einfachgesetzliche Lösung der Beschlagnahmeproblematik

Dies kommt auch zum Ausdruck, wenn die Ablehnung der erweiternden Auffassung damit „begründet“ wird, dass dann „so gut wie jede anwaltliche Tätigkeit in einem kartellrechtsrelevantem Zivilprozess, Verwaltungsverfahren oder auch außerhalb eines Verfahrens dem für Verteidigungssituationen entwickelten Beschlagnahmeverbot unterfallen würde.“102 Das aber ist eine reine Folgenbeschreibung, kein Argument. In ähnlicher Weise wird geltend gemacht, eine (zeitliche) Ausdehnung des § 148 StPO würde „das Ausnahme-Regel-Verhältnis der StPO in sein Gegenteil“ verkehren103 und so zu einer „vom Gesetz nicht beabsichtigten Aushöhlung der generellen Beschlagnahmefähigkeit aller Beweismittel“104 führen.105 Insoweit wie dies als Hinweis auf die Interpretationsregel verstanden werden kann, wonach Ausnahmevorschriften grundsätzlich restriktiv ausgelegt werden müssen,106 kann dem allerdings nicht zugestimmt werden. So wird eine solche Auslegungsregel in der Literatur durchgängig als unbrauchbar abgelehnt107 während sie von der Rechtsprechung vielfach durchbrochen,108 eingeschränkt109 oder auch lediglich als Ergänzung zu Sinn und Zweck einer Regelung herangezogen wird.110 Überdies ist überaus zweifelhaft, ob im vorliegenden Fall überhaupt von einem relevanten Regel-Ausnahmeverhältnis ausgegangen werden kann.111 schuldigten in nicht hinnehmbaren Maßen eingeschränkt würde.“); Krauß, WuW 2013, 24, 24 („dass eine weitergehende Einschränkung der Verfolgung und Ahndung insbesondere schwerwiegender und sozialschädlicher Kartellrechtsverstöße nicht gerechtfertigt ist.“). 102  Krauß, WuW 2013, 24, 30. 103  Thum, HRRS 2012, 535, 539 (Fn. 33.). 104  LG Bonn, WuW 2006, 1037, 1040; LG Bonn, Beschl. v. 28.09.2005, 37 Qs 27/05. 105  LG Bonn, WuW 2006, 1037, 1040; LG Bonn, Beschl. v. 28.09.2005, 37 Qs 27/05; LG Bonn, Beschl. v. 10.09.2010, 27 Qs 21/10, Rn. 24. 106  Vgl. zu dieser Regel allgemein Simon, Gesetzesauslegung, S. 401 ff. (mit vielen weiteren Nachweisen). 107  Simon, Gesetzesauslegung, S. 402; Kramer, Methodenlehre, S. 205 ff.; Engisch, Juristisches Denken, S. 258; Larenz, Methodenlehre, S. 355 f. Küper, JZ 1978, 205, 205. 108  Simon, Gesetzesauslegung, S. 409; Kramer, Methodenlehre, S. 206; BGH, NJW 1976, 116. 109  Simon, Gesetzesauslegung, S. 413. 110  Simon, Gesetzesauslegung, S. 407; Kramer, Methodenlehre, S. 206; Küper, JZ 1978, 205, 205; BGHSt 39, 112, 117 (=  NJW 1993, 1341, 1342). 111  Zur Schwierigkeit der Qualifizierung einer Norm als „Ausnahme“ siehe bereits Larenz, Methodenlehre, S. 355.



III. § 148 StPO

205

Zunächst ist zwar richtig, dass § 94 StPO, vorbehaltlich bestimmter Beweiserhebungsverbote, grundsätzlich von der Beschlagnahmefähigkeit aller Beweisgegenstände ausgeht. Nimmt man allerdings konkreter die anwalt­ lichen Unterlagen oder sogar die „Verteidigungsunterlagen“ in den Blick, so zeigt sich, dass die StPO dieses Regel-Ausnahme-Verhältnis für diesen Bereich, wenn überhaupt, merklich weniger deutlich formuliert. So begegnet die These von der regelmäßigen Beschlagnahmefähigkeit anwaltlicher Unterlagen schon aufgrund des umfassenden Katalogs des § 97 I StPO, von dem lediglich in § 97 II StPO wiederum Ausnahmen gemacht werden, Bedenken. Diese werden noch verstärkt, wenn man nicht nur anwaltliche Unterlagen im Allgemeinen, sondern Verteidigungsunterlagen im Speziellen in den Blick nimmt. In diesem Bereich geht § 148 StPO ersichtlich von dem Grundsatz aus, dass auf den Inhalt dieses Bereichs kein staatlicher Zugriff besteht, dass also vielmehr eine ausnahmsweise Kenntnisnahme des Inhalts eines Verteidigungsverhältnisses gesondert begründet werden muss. Verstärkt werden die Zweifel schließlich durch die Existenz des (neugefassten) 160a StPO. Ungeachtet der Kontroverse um dessen genaues Verhältnis zu § 97 StPO112 tritt hierin doch ein gesetzgeberischer Wille zu Tage, das Mandatsverhältnis grundsätzlich vor staatlichem Zugriff zu schützen. Mit diesem grundsätzlichen Verbot aller „Ermittlungsmaßnahmen“ welche staatliche Einblicke in das Mandatsverhältnis erlauben, wäre das durch das LG Bonn behauptete Regel-Ausnahme-Verhältnis auch in Bezug auf anwaltliche Unterlagen aber nur schwer zu vereinbaren. Der Hinweis auf ein solches kann somit jedenfalls kein substantielles Argument ersetzen. (5) S  peziell zur eng verstandenen Zweckbindung des LG Bonn Auch der Ansatz einer sehr strikt verstandenen Zweckbindung an ein bevorstehendes oder laufendes Strafverfahren überzeugt im Ergebnis nicht. So sei nach der Ansicht des LG Bonn das notwendige Maß einer auf das konkrete Verfahren bezogenen Zielgerichtetheit der betreffenden Unterlagen „denknotwendig“113 nur dann zu erreichen, wenn ein Verfahren bereits eingeleitet sei, da erst hierdurch eine hinreichende Konkretisierung der Vorwürfe bewirkt werde.114 „Regelmäßig“ sei auch Kenntnis des Beschuldigten von dem gegen ihn geführten Ermittlungsverfahren notwendig um den 112  Vgl.

oben unter E.II.2. HRRS 2012, 535, 538. 114  Thum, HRRS 2012, 535, 538. 113  Thum,

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E. Einfachgesetzliche Lösung der Beschlagnahmeproblematik

notwendigen Bezug seiner Verteidigungsbemühungen zu den ihm vorgeworfenen Taten herzustellen.115 Dabei bleibt allerdings unklar, inwieweit mit der Einleitung eines Verfahrens tatsächlich eine relevante Konkretisierung stattfinden soll. Weder werden bereits bei Einleitung eines Verfahrens die Ermittlungen auf einen bestimmten Straftatbestand beschränkt noch ist in diesem Stadium bereits der genaue Umfang der den Anfangsverdacht bildenden Straftaten notwendigerweise bekannt. Vielmehr ist Ziel des Ermittlungsverfahrens gem. § 160 I StPO die Erforschung des „Sachverhalts“, auf den allein sich eine gewisse Konkretisierung durch Einleitung eines Ermittlungsverfahrens beziehen kann. Dieser Sachverhalt kann dem Betroffenen aber sehr wohl bereits vor Einleitung eines Ermittlungsverfahrens bekannt sein, zumindest bei natürlichen Personen wird dies regelmäßig auch der Fall sein. In diesem Sinn würde mit der bloßen Einleitung eines Ermittlungsverfahrens folglich keine genauere Konkretisierung des Verfahrensgegenstands einhergehen als dies der Fall wäre, wenn dem Betroffenen lediglich der Sachverhalt selbst bekannt wäre. Würde man diesen Begründungsansatz des LG Bonn deshalb ernst nehmen, so hätte dies im Übrigen noch deutlich weitreichendere Folgen als nur eine Einschränkung des zeitlichen Anwendungsbereichs des § 148 StPO. Würde nämlich Verteidigung im prozessual schützenswerten Sinn wirklich ausschließlich nur als solche begriffen, die sich gegen einen dergestalt sachlich und rechtlich konkretisierten Vorwurf wendet, so wäre auch innerhalb eines Ermittlungs- oder Gerichtsverfahrens keine Abgrenzung mehr zur „Nichtverteidigung“ möglich. Denkbar wäre dann etwa, dass Aufzeichnungen des Mandanten immer dann der Schutz des § 148 StPO versagt würde, wenn diese sich mit weiteren verwandten, den Behörden bisher noch unbekannten, Sachverhalten beschäftigen. Letztlich wäre damit der Weg frei, Verteidigung nur als das zu definieren, was sich mit den behördlich bereits bekannten Ermittlungsergebnissen beschäftigt. Das aber wäre das Ende des freien Verteidigerverkehrs und wurde vollkommen zu Recht bisher von niemandem vertreten. Im Übrigen ist jedenfalls eine solch enge und konkretisierte Zweckbeziehung weder im Wortsinn von „Verteidigung“ noch sonst in der StPO angelegt. Der Gedanke, dass nur dann und insoweit von Verteidigung gesprochen werden könne, wie ein „Angriff“ in Form einer Beschuldigung bereits erfolgt ist, erscheint dabei völlig aus der Luft gegriffen und auch dem übrigen Strafrecht fremd. 115  Thum,

HRRS 2012, 535, 537 f.



III. § 148 StPO207

Sogar die materiell-strafrechtliche Notwehr als die schärfste Form von Verteidigung ist schon dann möglich, wenn ein Angriff lediglich unmittelbar bevorsteht.116 Ein Angriff muss also selbst hier noch nicht begonnen haben. Warum dann aber der Begriff der Verteidigung in einer rechtsstaatlich geprägten Auseinandersetzung mit dem Staat noch enger verstanden werden soll, mag nicht recht einleuchten. cc) Die erweiternde Ansicht (1) Ü  bersicht über die vertretenen Erweiterungen Der restriktiven Ansicht des LG Bonn wird in der Literatur größtenteils ein weiteres Verständnis des durch § 148 StPO vermittelten Beschlagnahmeschutzes entgegengehalten.117 Soweit eine Thematisierung der Frage nach dem vor Einleitung eines Verfahrens geltenden Beschlagnahmeschutzes erfolgt, sind in der Literatur derzeit nur sehr wenige Stimmen ersichtlich, welche es bewusst118 bei der Möglichkeit der Beschlagnahme belassen möchten.119 Auch 116  Siehe

zur Notwehr etwa MüKo-StGB-Erb, § 32, Rn. 104. Jahn/Kirsch, NZWiSt 2013, 28, 30; Michalke, WiJ 2013, 104, 106 f.; Polley/Kuhn/Wegmann, ZStW 2012, 206; Mehle/Mehle, NJW 2012, 1639; Taschke, StV 1990, 435, 437 f.; BeckOK-StPO-Wessing, § 137, Rn. 1.1 f.; Taschke, FS Hamm, S. 751, 761 ff.; Wessing, FS Mehle, S. 665, 671 ff.; LR-StPO-Erb, § 163a, Rn.10; LR-StPO-Lüderssen/Jahn, § 148, Rn. 20a; HK-StPO-Julius, § 148, Rn. 8; AK-StPOStern, § 137, Rn. 21; SSW-Beulke, § 148, Rn. 9; KK-StPO-Laufhütte, § 148, Rn. 9; Kruse, Compliance und Rechtsstaat, S. 110 f. 118  Teilweise bleibt auch gänzlich unklar, ob eine wirkliche zeitliche Ausdehnung von § 148 StPO überhaupt beabsichtigt wird. So formuliert z. B. Schäfer, FS Hanack, S. 81 f., dass i. S. d. Verteidigungsvorschriften jeder als Beschuldigter behandelt werden müsse, gegen den „noch nicht förmlich ermittelt“ wird, der sich aber gegen eine „mögliche“ staatliche Strafverfolgung wehren will. Sofort im Anschluss stellt er dann aber fest, dass diese Rechte folglich demjenigen zukommen müssten, „gegen den sich der Tatverdacht so verdichtet hat, daß gegen ihn als Beschuldigten ermittelt werden könnte.“. Ähnliches liest man etwa bei SK-StPO-Wohlers, § 148, Rn. 5, nach dem § 148 StPO bereits dann eingreifen könne, „wenn der materiell Beschuldigte noch nicht formell Beschuldigter ist“. Gemeint ist dabei aber jeweils wohl nur die allgemeine Frage nach einer objektiven Bestimmung der Inkulpation durch die Ermittlungsbehörden. Bestätigt wird damit also letztlich nur der Befund der herrschenden Meinung, wonach es nicht auf eine bewusste, förmliche Einleitung eines Verfahrens gegen den Beschuldigten seitens der Staatsanwaltschaft ankommen kann, sondern vielmehr jedenfalls ein Mindestmaß an Objektivierung des behördlichen Inkulpationsaktes notwendig ist, vgl. dazu etwa SK-StPO-Rogall, Vor §  133 ff., Rn. 31; näher dazu oben bei E.III.2.a)aa)(1). 119  Vgl. aber zu den gleichwohl vorhandenen Literaturansichten auch oben E.III.2.a)bb). 117  Vgl.

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E. Einfachgesetzliche Lösung der Beschlagnahmeproblematik

in der landgerichtlichen Rechtsprechung wird teilweise eine Erweiterung des Beschlagnahmeschutzes über § 148 StPO gefordert.120 Ungeachtet diverser Unklarheiten und abweichender Äußerungen im Detail121 stimmen diese Ansichten jedenfalls insoweit überein, als sie die Einleitung eines strafrechtlichen Ermittlungsverfahrens als Abgrenzungszeitpunkt ablehnen und auch Unterlagen eines Unternehmensanwalts schützen wollen, die im Zusammenhang mit einem Verfahren gegen Mitarbeiter, aber vor förmlicher Anordnung der Verfahrensbeteiligung des Unternehmens122 erstellt wurden. Geschützt werden solle also bereits die „Vorbereitung“123 auf ein „befürchtetes“124 oder „mögliches“125 Ermittlungsverfahren.126 (2) Kritische Beurteilung der inhaltlichen Argumentation Ein erweiterter Beschlagnahmeschutz wird im Wesentlichen über ein dem § 148 StPO zugrunde gelegtes weites Verständnis von „Verteidigung“ erreicht.127 Ein Betroffener müsse sich bereits vor Entdeckung der Tat bzw. 120  LG Frankfurt, StraFo 2004, 239; LG Gießen, wistra 2012, 409 (jeweils ohne Bezugnahme auf die Rechtsprechung des LG Bonn). 121  Etwa zur Frage, ob auch vor Tatbegehung angefertigte Unterlagen geschützt werden können (dafür: Buntscheck, WuW 2007, 229, 235; AK-StPO-Stern, § 137, Rn. 2; explizit dagegen: Mehle/Mehle, NJW 2012, 1639, 1641 f.); zur Frage, ob die weite Auslegung von § 148 StPO auch für natürliche Personen gilt oder nur für Unternehmen (ausdrücklich auch für natürliche Personen: LG Gießen, wistra 2012, 409; LG Frankfurt, StraFo 2004, 239; Taschke, StV 1990, 435, 437 f.; Argumenta­ tion im Wesentlichen nur auf Unternehmen bezogen bei BeckOK-StPO-Wessing, § 137, Rn. 1.2; Polley/Kuhn/Wegmann, ZStW 2012, 206, 211; Jahn/Kirsch, NZWiSt 2013, 28, 31; Taschke, FS Hamm, S. 751; Wessing, FS Mehle, S. 665). 122  Jahn/Kirsch, NZWiSt 2013, 28, 29; Wessing, ZWH 2012, 6, 9 f.; Taschke, FS Hamm, S. 751, 762; Wessing, FS Mehle, S. 672 ff.; KK-StPO-Schmidt, § 434, Rn. 2. 123  Polley/Kuhn/Wegmann, ZStW 2012, 206, 211. 124  KK-StPO-Laufhütte, § 148, Rn. 9; LG Gießen, wistra 2012, 409; LG Frankfurt, StraFo 2004, 239. 125  Mehle/Mehle, NJW 2012, 1639, 1641; Montag, FS Canenbley, S. 339 f.; Wessing, FS Mehle, S. 671 f. 126  Jahn/Kirsch, NZWiSt 2013, 28, 30; Taschke, StV 1990, 435, 437 f.; HK-StPOJulius, § 148, Rn. 8. 127  Jahn/Kirsch, NZWiSt 2013, 28, 30; Michalke, WiJ 2013, 104, 106 f.; Polley/ Kuhn/Wegmann, ZStW 2012, 206; Mehle/Mehle, NJW 2012, 1639; Taschke, StV 1990, 435, 437 f.; BeckOK-StPO-Wessing, § 137, Rn. 1.1 f.; Taschke, FS Hamm, S. 751, 761 ff.; Wessing, FS Mehle, S. 665, 671 ff.; LR-StPO-Erb, § 163a, Rn.10; LR-StPO-Lüderssen/Jahn, § 148, Rn. 20a; HK-StPO-Julius, § 148, Rn. 8; AK-StPOStern, § 137, Rn. 21; SSW-Beulke, § 148, Rn. 9; KK-StPO-Laufhütte, § 148, Rn. 9; LG Gießen, wistra 2012, 409; LG Frankfurt, StraFo 2004, 239; Kruse, Compliance und Rechtsstaat, S. 110 f.



III. § 148 StPO209

vor seiner persönlichen Identifizierung als möglicher Täter vertrauensvoll an einen Verteidiger wenden können und stehe auch als ein solcher „Nichtbeschuldigter“ unter dem Schutz der StPO.128 Inhaltlicher Kern der Argumentation ist dabei jeweils die oben bereits ausführlich kritisierte129 Abschreckungsthese, wonach eine Beschlagnahmemöglichkeit Mandanten von einer im Allgemeininteresse notwendigen Beratung abhalten würde. Dies gelte zwar umso mehr, wenn bereits ein sonstiges staatliches (Verwaltungs-)Verfahren eingeleitet sei, welches noch nicht die zielgerichtete Verfolgung wegen einer Straftat oder Ordnungswidrigkeit zum Gegenstand hat;130 als zwingende Voraussetzung wird dies aber, soweit erkennbar, von keinem Autor genannt.131 Ein solches Verständnis des Begriffs „Verteidigung“ ist dabei methodisch grundsätzlich möglich, wenn auch nicht zwingend.132 Zu kritisieren ist dies aber jedenfalls insoweit, wie es sich auf das aus Art. 6 III EMRK i. V. m. Art. 2 I, 20 III GG abgeleitete „Gebot einer geordneten und effektiven Verteidigung“133 stützt. Denn wie oben bereits dargelegt, liegt dem eine Fehlinterpretation der verfassungsrechtlichen Rechtsprechung zugrunde.134 Schwerer noch wiegt der Umstand, dass die erweiternde Ansicht nicht hinreichend berücksichtigt, dass der Wortlaut des § 148 StPO auch explizit auf den „Beschuldigten“ Bezug nimmt. Diese Problematik wird entweder ganz ignoriert oder – im Fall des LG Frankfurt – durch Verweis auf eine „objektive Beschuldigtentheorie“ aufgelöst.135 Auch wenn unklar bleibt, welchen Inhalt diese Theorie genau haben soll, so erschließt sich aus dem Kontext der Ausführungen doch, dass das LG Frankfurt diese jedenfalls so versteht, dass „Beschuldigter“ schon derjenige 128  Jahn/Kirsch, NZWiSt 2013, 28, 30; LR-StPO-Erb, § 163a, Rn. 10; HK-StPOJulius, § 148, Rn. 8; AK-StPO-Stern, § 137, Rn. 21. 129  Vgl. oben C.VIII. 130  LG Frankfurt, StraFo 2004, 239; Mehle/Mehle, NJW 2012, 1639, 1641. 131  Vgl. aber LR-StPO-Lüderssen/Jahn, § 148, Rn. 20a, die einen darüber hinausgehenden Schutz zwar nicht ablehnen, sich aber dennoch nur auf in einem solchen Verfahren erstellte Unterlagen beziehen. 132  Zur Auslegung siehe unten E.III.3.a)aa). 133  Mehle/Mehle, NJW 2012, 1639, 1641; Polley/Kuhn/Wegmann, ZStW 2012, 206, 211; LR-StPO-Erb, § 163a, Rn.10 (der allerdings nur das Rechtsstaatsprinzip erwähnt); Taschke, FS Hamm, S. 751, 761; Montag, FS Canenbley, S. 325, 339 f.; LG Gießen, wistra 2012, 409; LG Frankfurt, StraFo 2004, 239. 134  Vgl. oben B.V.2. 135  LG Frankfurt, StraFo 2004, 239; dem folgend auch Polley/Kuhn/Wegmann, ZStW 2012, 206, 211.

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E. Einfachgesetzliche Lösung der Beschlagnahmeproblematik

sein kann, der den Ermittlungsbehörden noch völlig unbekannt ist, ja sogar dessen Tat noch gar nicht entdeckt worden ist. Eine so verstandene objektive Beschuldigtentheorie würde also auf jeglichen kognitiven oder tatsächlichen Vorgang von Seiten eines Anderen verzichten und stattdessen die rein abstrakte Möglichkeit einer Beschuldigung des Betroffenen ausreichen lassen. Bei näherer Betrachtung ergibt sich jedoch, dass es eine solche Theorie zum allgemeinen Beschuldigtenbegriff schlichtweg nicht gibt. Inhalt der in der Literatur vertretenen „objektiven Theorie“ ist vielmehr lediglich eine „objektive Individualisierung des Verdachts“136 mit der Folge, dass der Beginn der Beschuldigtenstellung jedenfalls nicht allein von dem subjektiven Entschluss eines Ermittlungsbeamten abhängen kann, jemanden fortan als Beschuldigten zu führen. Es reicht hiernach also nicht aus, dass Gründe für eine Beschuldigung abstrakt oder „objektiv“ vorliegen, sondern es erfolgt lediglich eine objektive Betrachtung des Verfahrensstandes und des Wissens der Strafverfolgungsbehörden.137 Vorausgesetzt wird also auch nach der objektiven Theorie zumindest irgendein staatlicher Strafverfolgungsvorgang. Insbesondere auch die durch das LG Frankfurt als Nachweis herangezogene Fundstelle besagt nichts anderes, weder in der zitierten alten138 noch in der neuen Auflage.139 Vielmehr wird auch hier in Übereinstimmung mit der übrigen Literatur und der Rechtsprechung explizit eine „staatliche Strafverfolgungsbehörde“ genannt, gegenüber der ein Betroffener erst zum Beschuldigten werden kann.140 Eine allgemeine, also für die gesamte übrige StPO geltende Beschuldigtentheorie, wie sie durch das LG Frankfurt zugrunde gelegt wird, wäre überdies auch inhaltlich abwegig, wäre hiernach doch jeder (mögliche) Täter sogleich auch Beschuldigter. Hiergegen sprechen zunächst rechtliche Gründe. So ergibt sich aus der in §§ 55 I, 60 II StPO vorausgesetzten Existenz des „verdächtigen Zeugen“, Vor § 133 ff., Rn. 29; Moos, FS Jeschek, S. 725, 753. LR-StPO-Lüderssen/Jahn, § 137, Rn. 4; Gerlach, NJW 1969, 776, 779; Geerds, GA 1965, 321, 327; Grünwald, Beweisrecht, S. 78; Grosjean, Beginn der Beschuldigteneigenschaft, S.  36 f.; Rogall, Beschuldigte als Beweismittel gegen sich selbst, S. 26. 138  Löwe/Rosenberg-Lüderssen, 25. Auflage 2004, § 137, Rn. 4. 139  LR-StPO-Lüderssen/Jahn, § 137, Rn. 4. 140  Vgl. LR-StPO-Lüderssen/Jahn, § 137, Rn. 4 („Beschuldigter. Das ist, wer sich gegenüber einer staatlichen Strafverfolgungsbehörde in einer Situation befindet, die für ihn die Gefahr der Selbstbelastung mit sich bringt.“). 136  SK-StPO-Rogall, 137  Vgl.



III. § 148 StPO211

dass noch nicht einmal jeder bereits von den Ermittlungsbehörden Verdächtigte automatisch Beschuldigter sein kann.141 Ebenso würden sich zahlreiche praktische Probleme ergeben. So müsste sonst nahezu jeder Zeuge, der im Umfeld einer Straftat überprüft wird, gemäß § 136 StPO belehrt werden und nach § 170 II 2 StPO das Verfahren gegen ihn anschließend förmlich eingestellt werden.142 Wenn aber schon ein im Ermittlungsverfahren Verdächtigter nicht automatisch Beschuldigter im umfassenden Sinn sein kann, dann kann erst recht noch nicht zwingend von der Beschuldigteneigenschaft ausgegangen sein, wenn die Ermittlungsbehörden einen solchen Verdacht noch gar nicht haben. Überdies würde die Möglichkeit der Sachverhaltsaufklärung erheblich beeinträchtigt, wenn dem noch unbekannten Täter beispielsweise das Anwesenheitsrecht bei der Vernehmung von Zeugen gemäß § 168c II StPO zugebilligt würde, dessen Verletzung die Unverwertbarkeit der Zeugenaussage zur Folge hätte.143 Festzustellen ist mithin, dass es die durch das LG Frankfurt in Bezug genommene objektive Beschuldigtentheorie schlicht nicht gibt und in einer allgemeinen Form auch nicht in naher Zukunft mit ihr zu rechnen ist. dd) Höchstrichterliche Rechtsprechung? Ob und inwieweit § 148 StPO auch schon vor Einleitung des konkreten Ermittlungsverfahrens Schutz vor Beschlagnahme vermittelt, wurde höchstrichterlich bislang nicht explizit entschieden.144 Aufgrund der im hier interessierenden Kontext fehlenden Möglichkeit einer weiteren Beschwerde gegen Beschlüsse eines Landgerichts (§ 310 II StPO)145 ist eine solche eindeutige Klärung auch für die nahe Zukunft nicht zu erwarten. Gleich141  Vgl. allgemein zum verdächtigen Zeugen BGH, NStZ 2008, 48; SK-StPORogall, Vor § 133 ff., Rn. 11; Roxin, FS Schöch, S. 825; Grosjean, Beginn der Beschuldigteneigenschaft, S. 26; Rogall, Beschuldigte als Beweismittel gegen sich selbst, S. 21. 142  Gerlach, NJW 1969, 776, 776; Grosjean, Beginn der Beschuldigteneigenschaft, S. 26. 143  Vgl. zur Unverwertbarkeit als Folge des Verstoßes gegen das Anwesenheitsrecht Roxin, FS Schöch, S. 823; BGH, NJW 2003, 3142. 144  Mehle/Mehle, NJW 2011, 1639, 1640; explizit offengelassen bei BGH, StV 1990, 435, 435 (wobei entgegen Taschke, StV 1990, 436, 437 auch nicht ersichtlich ist, dass der BGH hier „andeutungsweise“ zu erkennen gegeben hat, eher der erweiternden Ansicht folgen zu wollen). 145  Auf das daraus folgende Fehlen einer höchstrichterlichen Klärungsmöglichkeit weisen auch bereits Jahn/Kirsch, NZWiSt 2013, 28, 30 hin.

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E. Einfachgesetzliche Lösung der Beschlagnahmeproblematik

wohl hindert dies weder die erweiternde, noch die restriktive Ansicht daran, diverse Entscheidungen und anderweitig anerkannte Erweiterungen zu § 148 StPO zur Untermauerung der eigenen Position heranzuziehen. Ob und inwieweit dies jeweils zu Recht geschieht, soll im Folgenden einer eingehenden Prüfung unterzogen werden. Im Ergebnis wird dabei gezeigt werden, dass sich aus keiner der Entscheidungen verlässliche Anhaltspunkte für die hier interessierende Problematik gewinnen lassen. (1) B  GHSt 29, 99 – Zulässiges Verteidigerhandeln bei Terroristenverteidigung Zahlreiche Vertreter der erweiternden Ansicht zu § 148 StPO berufen sich zur Unterstützung ihres weiten Verständnisses von „Verteidigung“ maßgeblich auf die Entscheidung BGHSt 29, 99146 aus dem Jahr 1979.147 Selbst von Seiten der restriktiven Ansicht wird die Bedeutung für die hier in Rede stehende Frage nach dem zeitlichen Anwendungsbereich des § 148 StPO teilweise anerkannt und zum Anlass genommen, zumindest eine Ausnahme für extreme Ausnahmefälle zuzulassen.148 Ausschlaggebend für die prozessuale Schutzwürdigkeit sei hiernach nicht zwingend die formale Stellung als „Verteidiger“ innerhalb eines laufenden Verfahrens. Vielmehr ergebe sich aus dem Urteil, dass § 148 StPO die Korrespondenz immer schon dann schütze, wenn der Rechtsanwalt seine Tätigkeit in materieller Hinsicht aus gutem Grund als Verteidigung ansehen dürfe. Lediglich die Frage, wann dies der Fall sein sollte, wird von Vertretern der restriktiven und der erweiternden Ansicht unterschiedlich beantwort. Tatsächlich scheint ein Zitat des BGH auf den ersten Blick die grundsätzliche Relevanz dieser Rechtsprechung zu bestätigen: „Die […] dargelegten Erwägungen greifen ein, wenn der Rechtsanwalt bei seinem Handeln formell Verteidiger ist. Sie müssen aber auch dann gelten, wenn er seine Tätigkeit – so wie hier – aus gutem Grund materiell als Strafverteidigung an­ sieht.“149

Vernachlässigt wird dabei aber, dass Gegenstand dieses Urteils nicht etwa die Entscheidung über ein Beweiserhebungs- oder Verwertungsverbot zu146  BGHSt

29, 99 (=  NJW 1980, 64). NZWiSt 2013, 21, 30; Polley/Kuhn/Wegmann, ZStW 2012, 206; 212; LR-StPO-Erb, § 163a, Rn.10; Schäfer, FS Hanack, S. 81; LR-StPO-Menges, § 97, Rn. 83; LG Gießen, wistra 2012, 409; vgl. ferner auch Prittwitz, FS Bemmann, S. 605. 148  Vgl. für eine solche Äußerung von Seiten der restriktiven Ansicht Thum, HRRS 2012, 535, 539. 149  BGHSt 29, 99, 105 (=  NJW 1980, 64, 65). 147  Jahn/Kirsch,



III. § 148 StPO213

gunsten eines Beschuldigten war, sondern eine strukturell andere Frage. In der Entscheidung des BGH handelte es sich um ein Verfahren gegen einen Rechtsanwalt, welcher wegen Unterstützung einer kriminellen bzw. terroristischen Vereinigung gem. §§ 129, 129a StGB im Zusammenhang mit dem Mord an Ulrich Schmücker angeklagt war. Die fragliche Tathandlung bestand dabei in der Übersendung von Protokollen der Vernehmung seines Mandanten sowie eines Mitverdächtigen an seinen Mandanten, wodurch die Gefahr begründet wurde, dass die Gruppe auf dieser Basis weitere Zeugenaussagen wahrheitswidrig untereinander abstimmen würde. Der BGH bestätigte den Freispruch des Rechtsanwalts mit der Begründung, dass es sich dabei noch um zulässiges Verteidigerverhalten gehandelt habe. Aus diesem Zusammenhang wird deutlich, dass der Entscheidung des BGH ein strukturell völlig anderer Konflikt als bei der Frage des Beschlagnahmeschutzes durch § 148 StPO zugrunde lag. Während es in dem Urteil um den Konflikt zwischen zulässigem Verteidigerhandeln und der persön­ lichen Strafbarkeit des Verteidigers selbst ging, geht es bei § 148 StPO jeweils um den Konflikt zwischen prozessualen Rechten und Duldungspflichten des Mandanten. Aus dieser besonderen Situation dürfte sich auch die Formulierung des BGH erklären, wonach es darauf ankomme, ob der Verteidiger selbst sein Handeln als Strafverteidigung ansieht. Eine solche Formulierung macht Sinn, wenn es um die persönliche Strafbarkeit des Handelnden geht, bei der Bestimmung objektiver prozessualer Rechte des Beschuldigten wäre eine solche hingegen weit weniger naheliegend. Darüber hinaus sagt der Umstand, dass ein bestimmtes Verhalten nicht durch persönliche Sanktionsandrohung unterbunden werden kann, letztlich nichts darüber aus, ob dieses Verhalten auch sonst zulässige prozessuale Maßnahmen des Staates (hier also die Beschlagnahme) verhindern kann, ob also in gleicher Weise ein prozessuales Recht des Mandanten besteht. Mithin ist festzustellen, dass die Heranziehung dieses Urteils von Vertretern der erweiternden Auffassung zu § 148 StPO eine Überdehnung der Ausführungen des BGH darstellt. Der Aussagegehalt des Urteils beschränkt sich im hier interessierenden Zusammenhang lediglich darauf, dass „Verteidigung“ nicht schlechthin in jedem Kontext formell bestimmt werden muss. Ob eine solche „materielle“ Definition, noch dazu an die subjektiv geprägte Formulierung des BGH angelehnt, aber auch dem § 148 StPO oder anderen prozessualen Rechten des Mandanten bzw. Beschuldigten zugrunde zu legen ist, ergibt sich aus dem Urteil schlichtweg nicht.

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E. Einfachgesetzliche Lösung der Beschlagnahmeproblematik

(2) BVerfGE 38, 105 – Recht auf Zeugenbeistand Auch aus BVerfGE 38, 105150 ergibt sich richtigerweise keine Aussage über den zeitlichen Anwendungsbereich von § 148 StPO. Insbesondere kann aus den Ausführungen des BVerfG zum Recht auf Zeugenbeistand nicht geschlossen werden, dass für die Anwendbarkeit des § 148 StPO gänzlich auf die Beschuldigteneigenschaft verzichtet werden kann.151 Die Aussage des BVerfG beschränkt sich vielmehr auf die verfassungsrechtliche Feststellung eines Rechts auf anwaltlichen Zeugenbeistand. Hinweise darauf, dass der Zeugenbeistand als „Verteidiger“ mit den dazugehörigen Rechten qualifiziert werden sollte, ergeben sich aus dem Beschluss nicht. Ebenso finden sich dort keinerlei Ausführungen zum Beschlagnahmeschutz oder gar zur Anwendbarkeit des § 148 StPO. Es wird stattdessen ausschließlich das Recht auf Hinzuziehung eines Rechtsanwalts festgestellt. Es sind letztlich also schlicht keinerlei Hinweise dafür ersichtlich, dass das BVerfG hier irgendeine auch nur indirekte Aussage über die Beschlagnahmefreiheit getätigt hat. (3) Erstreckung von § 148 StPO auf das Anbahnungsverhältnis Gleiches gilt für die teilweise geforderte Erweiterung des Anwendungsbereichs von § 148 StPO auf das sogenannte „Anbahnungsverhältnis“.152 Auch hieraus lassen sich richtigerweise keine Rückschlüsse auf die zeitliche Dimension des Beschlagnahmeschutzes aus § 148 StPO ziehen.153 Denn bei der Diskussion um das Anbahnungsverhältnis geht es lediglich um den Schutz der Kommunikation, die der Begründung oder der Verhandlung über die Annahme eines Verteidigungsmandats dient.154 Die „Anbahnung“ bezieht sich ausschließlich auf die persönliche Beziehung zwischen 150  BVerfGE

38, 105 (=  NJW 1975, 103). aber wohl Taschke, StV 1990, 435, 437 („sogar derjenige, der aus der Sicht der Strafverfolgungsbehörden noch nicht einmal in Verdacht geraten ist, hat Anspruch auf Beratung und Beistand durch einen Verteidiger.“). 152  Für die Erstreckung auf das Anbahnungsverhältnis siehe LR-StPO-Lüderssen/ Jahn, § 148, Rn. 7 f.; SK-StPO-Wohlers, § 148, Rn. 7; ablehnend, mit Hinweis auf die Gefahr der Umgehung des Verbots der Mehrfachverteidigung: Meyer-Goßner, § 148, Rn. 4; KG, StV 1985, 405. 153  So aber Wessing, FS Mehle, S. 665, 673, der ausdrücklich eine Parallele zu Unternehmen als potentiell Betroffene einer Geldbuße zieht; auch Jahn/Kirsch, NZWiSt 2013, 28, 30 erwähnen die Erstreckung von § 148 StPO auf das Anbahnungsverhältnis in ihrer Argumentation. 154  Vgl. zu den Einzelheiten der Diskussion etwa LR-StPO-Lüderssen/Jahn, § 148, Rn. 7; SK-StPO-Wohlers, § 148, Rn. 7. 151  So



III. § 148 StPO

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Beschuldigtem und potentiellem Verteidiger, nicht hingegen auf den sachlich-zeitlichen Bereich der Verteidigung im Sinne des § 148 StPO. Soweit ersichtlich werden dementsprechend unter diesem Stichpunkt ausschließlich solche Fallgestaltungen problematisiert, welche unstreitig innerhalb des zeitlichen Anwendungsbereichs von § 148 StPO angesiedelt sind (insbesondere Fälle, in denen sich der Mandant bereits in Untersuchungshaft befindet). Für den eigentlich zeitlich-sachlichen Anwendungsbereich des § 148 StPO und somit den Gegenstand dieser Arbeit lässt sich aus dieser Streitfrage folglich kein Erkenntnisgewinn ziehen. (4) B  VerfG, NJW 2010, 1740 – Sachliche Begrenzung des freien Verteidigerverkehrs Zur Untermauerung des engen Verständnisses von § 148 StPO und insbesondere der Ablehnung eines Schutzes für Unterlagen aus anderen Verfahren zieht die restriktive Ansicht teilweise einen Beschluss des BVerfG aus dem Jahr 2009155 heran.156 Die behauptete Relevanz für die hier interessierenden Fragen zu § 148 StPO dürfte dabei aber auf einer Fehlinterpretation des Beschlusses und dessen Zusammenhangs basieren. Zwar kann dem Beschluss nicht schon deshalb seine Bedeutung abgesprochen werden, weil es keine direkten Aussagen zum zeitlichen Beginn der Beschlagnahmefreiheit von Verteidigungsunterlange enthält.157 Wäre das offenbar durch das LG Bonn zugrund gelegte Verständnis richtig, wonach ungeachtet sachlicher Übereinstimmungen grundsätzlich alle Unterlagen, die 155  BVerfG, NJW 2010, 1740, 1741 („Die angegriffenen Entscheidungen begrenzen die Reichweite dieses freien Verteidigerverkehrs dahingehend, dass der unkontrollierte Verkehr nur in der Weise ausgeübt werden kann, als er unmittelbar der Vorbereitung der Verteidigung dient, mithin nur solche Schriftstücke umfasst, die unmittelbar das Strafverfahren betreffen […]. Dies ist verfassungsrechtlich nicht zu beanstanden. Der weitergehenden Ansicht, wonach das Verteidigerprivileg auch Schriftsätze aus anderen Verfahren umfasse, wenn diese mit der Verteidigung in einem unmittelbaren Zusammenhang stehen oder mittelbar die Stellung des Beschuldigten im Strafverfahren tangieren […] zu folgen, würde bedeuten, dem Beschuldigten nahezu unkontrollierten Schriftverkehr zu ermöglichen. Diese Ansicht nimmt an, dass Bemühungen um den Erhalt oder die Beschaffung von Arbeitsplatz und Wohnung, Darlehnsaufnahme für eine Kaution und Verkauf von Wertgegenständen für die Kaution durchaus die Haftgründe oder die Sanktionsentscheidung betreffen können und damit mittelbar der Verteidigung dienen […].“). 156  Vgl. LG Bonn, WuW 2012, 972, 979 (mit umfangreichem Zitat des BVerfG); LG Bonn, Beschl. v. 10.09.2010, 27 Qs 21/10, Rn. 24; Thum, HRRS 2012, 535, 538. 157  So aber Mehle/Mehle, NJW 2011, 1639, 1640.

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E. Einfachgesetzliche Lösung der Beschlagnahmeproblematik

im Zusammenhang mit einem anderen, etwa zivilrechtlichen oder verwaltungsrechtlichen, Verfahren entstanden sind, von dem Schutzbereich des § 148 StPO ausgeschlossen sind, so hätte dies vielmehr auch Auswirkungen auf die Beschlagnahme der hier interessierenden anwaltlichen Unterlagen. Wenn nämlich derartige Unterlagen schon während des unstreitigen zeitlichen Anwendungsbereich des § 148 StPO nicht geschützt wären, so müsste dies erst recht für den streitigen Zeitpunkt vor Einleitung eines Ermittlungsverfahrens gelten. Diese Interpretation des Beschlusses erweist sich im Ergebnis allerdings dennoch als unrichtig. Gegenstand der Ausführungen des BVerfG waren eben nicht Unterlagen, die sich mit dem materiellen Gehalt der Vorwürfe in dem jeweiligen Strafverfahren befassten. Die Unterlagen, um die es sowohl in dem Beschluss des BVerfG als auch in der dazugehörigen allgemeinen Diskussion geht,158 sind vielmehr nur solche, welche die besondere Situation eines Untersuchungshäftlings betreffen. Das BVerfG selbst nennt hier z. B. Bemühungen um den Erhalt oder die Beschaffung von Arbeitsplatz und Wohnung, die Darlehensaufnahme für eine Kaution oder sonstige Angelegenheiten, die die Haftgründe, also insbesondere den der Fluchtgefahr, betreffen. Es handelt sich dabei also jeweils nur um solche Unterlagen, welche zumindest im Verfahren wegen Ordnungswidrigkeiten schon mangels beweisrechtlicher Relevanz nicht beschlagnahmt werden könnten. Allein vor diesem Hintergrund qualifiziert das BVerfG den freien Verkehr mit dem Verteidiger, um solche Schriftstücke davon auszuschließen, die Gefahren für die Zwecke der Untersuchungshaft und die Ordnung in der Vollzugsanstalt begründen würden. Mithin schließt das BVerfG gerade nicht, wie vom LG Bonn angenommen, schlechthin aus, dass Unterlagen im Zusammenhang mit anderen Verfahren von § 148 StPO geschützt sein können. Vom Anwendungsbereich des § 148 ausgenommen sind vielmehr nur solche (zivilrechtlichen) Unterlagen, welche sich auf einen Zusammenhang mit den Modalitäten des Verfahrens beschränken, insbesondere also mit dem Haftgrund der Fluchtgefahr. Für den Bereich der hier interessierenden Unterlagen, welche einen mehr oder weniger starken Bezug zu den materiell strafrechtlichen Vorwürfen haben, lässt sich dem Beschluss des BVerfG hingegen keinerlei Aussage 158  Vgl.

Rn. 9.

z. B. LR-StPO-Lüderssen/Jahn, § 148, Rn. 17, SK-StPO-Wohlers, § 148,



III. § 148 StPO217

entnehmen, welche über die Feststellung hinausgehen würde, dass diese der „Vorbereitung der Verteidigung“ dienen müssen. Das aber ist unstreitig und trägt nichts zu der Diskussion bei, ab wann und unter welchen Umständen Unterlagen mit materiellem Bezug zu den strafrechtlichen Vorwürfen dem § 148 StPO unterfallen. (5) D  er Schutz von Unterlagen des sich selbst verteidigenden Beschuldigten Zur Begründung der restriktiven Ansicht wird teilweise auch auf die höchstrichterlich anerkannten Grundsätze zum Schutz von Unterlagen des sich selbst verteidigenden Beschuldigten rekurriert.159 So ist zunächst richtigerweise sowohl in der Rechtsprechung160 als auch in der Literatur161 anerkannt, dass „Unterlagen, die sich ein Beschuldigter ersichtlich zur Vorbereitung seiner Verteidigung in dem gegen ihn laufenden Strafverfahren anfertigt, nicht beschlagnahmt werden dürfen“,162 es insoweit also nicht auf das Bestehen oder Nichtbestehen eines Verteidigungsverhältnisses zu einem Rechtsanwalt ankommt. Dabei bleibt aber völlig unklar, wie sich hieraus Anhaltspunkte für die restriktive Ansicht ergeben sollen. Die restriktive Ansicht erläutert diesen Zusammenhang auch nicht näher, sondern versieht ihre Ausführungen lediglich mit einem Verweis auf BGHSt 44, 46. Weder lässt sich aus diesen Grundsätzen aber eine zeitliche Einschränkung von § 148 StPO herauslesen noch gar die weitergehende Forderung, dass ein Beschlagnahmeschutz erst eingreifen dürfe, wenn der Betroffene positive Kenntnis von einem gegen ihn geführten Ermittlungsverfahren erhalte.163 Gleichzeitig ist aber auch klarzustellen, dass sich aus den Grundsätzen zum sich selbst verteidigenden Beschuldigten ebenso wenig Anhaltspunkte für die erweiternde Ansicht ergeben. Zwar wird eine dahingehende Argu159  Jedenfalls wird zur Untermauerung der restriktiven Ansicht teilweise auf die dahingehende Rechtsprechung BGHSt 44, 46 verwiesen, so etwa bei LG Bonn, WuW 2012, 972, 978 (Fn. 9); LG Bonn, Beschl. v. 10.09.2010, 27 Qs 21/10, Rn. 21 (Wörtlich heißt es dort: „Der Schutz der Vertraulichkeit zwischen Verteidiger und Beschuldigtem kann nämlich erst dann eröffnet sein, wenn die Ermittlungsbehörde konkrete Ermittlungen aufgenommen und der Betroffene von der Aufnahme erfahren hat (vgl. BGHSt 44, 46, 48).“); Thum, HRRS 2012, 535, 537 (Fn. 25). 160  BVerfG, NJW 2002, 1410; OLG München, NStZ 2006, 300. 161  LR-StPO-Menges, § 97, Rn. 105; SK-StPO-Wohlers, § 148, Rn. 30; KK-StPOGreven, § 97, Rn. 24; Schneider, Jura 1999, 411. 162  BGHSt 44, 46, 48 (=  NJW 1998, 1963, 1964). 163  Siehe bereits Polley/Kuhn/Wegmann, KSzW 2012, 206, 210 zur Feststellung, dass die restriktive Ansicht des LG Bonn in BGHSt 44, 46 keine Stütze findet.

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E. Einfachgesetzliche Lösung der Beschlagnahmeproblematik

mentation, soweit ersichtlich, von Seiten der erweiternden Ansicht auch nicht verfolgt. Gleichwohl könnten Äußerungen, wonach es auf das Bestehen eines Verteidigungsverhältnisses nicht ankomme164 durchaus Grund zu dem Missverständnis geben, dass es auch in zeitlicher Hinsicht nicht darauf ankomme, ob es sich um Verteidigung gegen ein laufendes Verfahren handelt oder nicht. Der Verzicht auf das Mandatsverhältnis ist hier jedoch nur in persönlicher, nicht in zeitlicher Hinsicht zu verstehen. Gemeint ist damit also lediglich, dass auf das Bestehen einer Mandatsbeziehung zu einem Rechtsanwalt verzichtet wird, der unter den gegebenen Umständen unstreitig „Verteidiger“ wäre. Dabei wird jeweils keine Aussage über den wirklich zeitlichen Geltungsbereich von § 148 StPO getroffen. Vielmehr werden in diesem Zusammenhang lediglich solche Sachverhalte behandelt, bei denen ein Verfahren bereits eingeleitet worden ist, bei denen also Unterlagen des Verteidigers unstreitig vor Beschlagnahme geschützt wären.165 Im Ergebnis ergibt sich aus den genannten Grundsätzen und insbesondere aus BGHSt 44, 46 somit ebenfalls weder für die restriktive noch die erweiternde Ansicht ein tragfähiger Anhaltspunkt. (6) E  rgebnis: keine tragfähigen Anhaltspunkte in der höchstrichterlichen Rechtsprechung Im Ergebnis muss also festgestellt werden, dass sich aus keiner der genannten Erweiterungen und höchstrichterlichen Äußerungen auch nur indirekte Hinweise auf die vorzugswürdige Bestimmung des zeitlichen Anwendungsbereichs von § 148 StPO ergeben. Die Notwendigkeit einer eigenen, methodisch korrekten Auslegung und Argumentation tritt dadurch umso mehr in den Vordergrund.

164  Vgl. exemplarisch etwa OLG München, NStZ 2006, 300, 301 („Auf Grund dieses umfassenden Schutzes von Verteidigungsunterlagen spielt es keine Rolle, dass ein Verteidigungsverhältnis zu Rechtsanwalt Prof. Dr. L bei Anfertigung des Schriftstücks nicht bestanden hat und auch bislang nicht zustande gekommen ist.“). 165  So richtig auch Mehle/Mehle, NJW 2011, 1639, 1641, die allerdings dennoch „die tragenden Erwägungen“ von BGHSt 44, 46 für die erweiternde Ansicht nutzbar machen möchten.



III. § 148 StPO219

3. Eigene Auffassung und Einordnung a) Der Wortlaut des § 148 StPO Angesichts der vielen mittlerweile anerkannten und oftmals verfassungsrechtlich geprägten Erweiterungen des § 148 StPO hilft es, sich zu Anfang einmal den genauen und vielfach völlig außer Acht gelassenen Wortlaut von § 148 I StPO zu verdeutlichen: „Dem Beschuldigten ist, auch wenn er sich nicht auf freiem Fuß befindet, schriftlicher und mündlicher Verkehr mit dem Verteidiger gestattet.“

Dieser Wortlaut muss auch Ausgangspunkt einer prozessrechtlichen Auslegung und damit einer Entscheidung zwischen dem engen Verteidigungsbegriff insbesondere des LG Bonn und der extensiven Auslegung sein. Im Ergebnis wird dies – im Einklang mit dem beschriebenen „traditionellen“ Verständnis eines Verteidigungsverhältnisses – zu einer nur sehr eingeschränkten Reichweite des § 148 führen. aa) Der Begriff des „Verteidigers“ Der Begriff des „Verteidigers“ könnte zunächst noch durchaus weit gefasst werden. Insbesondere zwingt der natürliche Wortsinn von „Verteidigung“ nicht dazu, eine Beschränkung auf ein bereits laufendes oder gar bekanntes Verfahren anzunehmen. Verteidigung kann grundsätzlich auch eine rein präventive, vorbereitende Tätigkeit meinen. Ein solches Verständnis liegt etwa auch den Vorschriften zur (Landes-)Verteidigung im Grundgesetz zugrunde.166 bb) Der Begriff des „Beschuldigten“ in § 148 StPO Bislang nur unzureichend beachtet wurde der Umstand, dass in § 148 StPO das geschützte Vertrauensverhältnis nicht nur mit dem Begriff des Verteidigers, sondern auch mit dem Begriff des Beschuldigten umschrieben wird.167 Dessen erweiternde Auslegung stellt sich als deutlich problematischer dar als die des Verteidigers. 166  Maunz/Dürig-GG-Depenheuer, Art. 87a, Rn. 97; vgl. auch die Möglichkeit nach Art. 115a GG, einen Verteidigungsfall schon bei unmittelbarem Drohen eines Angriffs anzunehmen. 167  Vgl. aber mittlerweile auch Sahan, in: Criminal Compliance vor den Aufgaben der Zukunft, S. 133, 140, der richtigerweise darauf hinweist, dass § 148 StPO allein auf den Beschuldigten zugeschnitten ist und deshalb nicht ohne Weiteres genutzt werden kann, um das Schutzdefizit des § 97 II 1 StPO auszugleichen.

220

E. Einfachgesetzliche Lösung der Beschlagnahmeproblematik

(1) § 137 StPO als rein deklaratorische Mindestgehaltsnorm? Teilweise wird zwar vertreten, dass es im Zusammenhang mit den §§ 137 ff. StPO überhaupt nicht auf das allgemeine Verständnis des Beschuldigten ankomme168 und auch ein früheres Einsetzen der Verteidigungsrechte nicht zu einem partiell oder insgesamt weiteren Beschuldigtenbegriff zwinge.169 So stelle § 137 StPO lediglich klar, dass ein Verteidiger ab Beginn der Beschuldigteneigenschaft mandatiert werden könne, begrenze diese Befugnis jedoch nicht.170 Unabhängig von dem Begriff des Beschuldigten könne sich der Betroffene deshalb bereits vorher eines Verteidigers mit allen dazugehörigen Rechten wie dem aus § 148 StPO bedienen.171 Richtig daran ist, dass eine faktisch auf Verteidigung bezogene Tätigkeit vor Beginn der Beschuldigteneigenschaft nicht abschließend durch das Prozessrecht ausgeschlossen wird. Ginge man aber von dem allgemeingültigen Beschuldigtenbegriff aus, so ist ebenso klar, dass ein entsprechendes Recht nicht durch das Prozessrecht, jedenfalls nicht durch die Strafprozessordnung, gewährt würde. Ein solches Recht weist § 137 StPO eben zunächst einmal nur dem Beschuldigten und nicht dem Nichtbeschuldigten zu. Selbstverständlich wird dadurch nicht ausgeschlossen, einen entsprechenden Anspruch aus dem Verfassungsrecht abzuleiten. Will man dies tun, so müsste man dies aber auch deutlich machen und sorgsam verfassungsrechtlich begründen. Der bloße Hinweis auf das in dieser Hinsicht wenig bestimmte Rechtsstaatsprinzip172 reicht dafür jedenfalls nicht aus. (2) D  ie Beschuldigung als rein persönliches, nicht aber zeitliches Abgrenzungskriterium? Grundsätzlich könnte überlegt werden, das gleiche Ergebnis dadurch zu erzielen, den in § 148 I StPO erwähnten Beschuldigten allein als Umschreibung einer Person und nicht als Erfordernis einer bereits bestehenden prozessualen Rolle zu verstehen. Der Beschuldigte würde dann schlicht die Person bezeichnen, gegen die das Verfahren geführt wird und dessen Beziehung zu seinem Verteidiger geschützt wird. Die Beziehung dieser Person zu einem Verteidiger könnte hiernach aber auch schon dann geschützt sein, wenn die Beschuldigteneigenschaft noch nicht begründet wurde. 168  Taschke,

StV 1990, 435, 437 f.; HK-StPO-Julius, § 148, Rn. 8. § 163a, Rn. 10. 170  LR-StPP-Erb, § 163a, Rn. 10. 171  LR-StPO-Erb, § 163a, Rn. 10. 172  Vgl. LR-StPO-Erb, § 163a, Rn. 10. 169  LR-StPO-Erb,



III. § 148 StPO221

In ähnlicher Weise ist schließlich auch das Beschlagnahmeverbot des § 97 I StPO zu verstehen. Wenn dort etwa ein Schutz für schriftliche Mitteilungen „zwischen dem Beschuldigten“ und den jeweils Zeugnisverweigerungsberechtigten statuiert wird, so kann dieser nicht davon abhängen, ob der Betreffende im Zeitpunkt des Mitteilungsaustausches bereits in die Beschuldigtenstellung eingerückt ist. Jedenfalls würde sonst die Unterscheidung zwischen Rechtsanwälten und Verteidigern keinen Sinn mehr machen, weil dann, nach Beginn eines Verfahrens, der Rechtsanwalt zugleich auch immer als Verteidiger in Frage käme. Insoweit dürfte auch unstreitig sein, dass der grundsätzliche Schutz des § 97 I StPO i. V. m. § 53 I 1 Nr. 3 StPO unabhängig davon gilt, ob der Mandant im Zeitpunkt des Informationsaustausches bereits Beschuldigter war oder ob zu diesem Zeitpunkt überhaupt eine Tat begangen wurde. Bei § 148 StPO ist dies im Ergebnis aber dennoch anders. Denn ausdrücklich wird hier „dem Beschuldigten […] gestattet“, schriftlich und mündlich mit seinem Verteidiger zu verkehren. Das sich aus § 148 StPO ergebende Recht knüpft also ganz direkt an die Beschuldigtenstellung und die aus dieser Stellung heraus erfolgende Kommunikation an und nicht, wie § 97 StPO, an bestimmte Gegenstände. Nicht dem Bürger generell ist der völlig freie Verkehr mit einem Verteidiger „gestattet“,173 sondern eben nur dem Beschuldigten. Dem Wortlaut „Beschuldigten“ lediglich eine identifizierende anstatt qualifizierende Rolle zuzubilligen, ist im Rahmen von § 148 mithin nicht möglich. Mit der historischen Entwicklung und den Absichten des Gesetzgebers wäre eine solche Auffassung ohnehin nicht vereinbar. Es kommt also für die Reichweite des § 148 StPO durchaus auch auf die Auslegung des dort verwendeten Beschuldigtenbegriffs an. (3) U  nterschiedliche Beschuldigtenbegriffe innerhalb der StPO? Nimmt man bei einer prozessualen Betrachtung den Wortlaut der §§ 137, 148 StPO deshalb ernst und will man die oben aufgezeigten Konsequenzen eines weitgehend erweiterten generellen Beschuldigtenbegriffs nicht in Kauf nehmen, so könnte eine zeitliche Ausdehnung des prozessualen Anwendungsbereichs von § 148 StPO nur durch eine Auslegung des Beschuldigtenbegriffs erreicht werden, die von der übrigen StPO abweicht. Eine solche 173  Zur Kritik an dieser „obrigkeitsstaatlichen“ Formulierung siehe LR-StPOLüderssen/Jahn, § 148, Rn. 5.

222

E. Einfachgesetzliche Lösung der Beschlagnahmeproblematik

Möglichkeit hatte Rieß im Hinblick auf § 137 StPO bereits 1983 erwogen, ohne aber eine abschließende Meinung dazu zu formulieren.174 Die Vertreter der erweiternden Ansicht zu § 148 StPO übergehen dieses Problem zum größten Teil gänzlich175 und stützen sich stattdessen allein auf ein weites Verständnis von „Verteidigung“. Andere wiederum gehen offenbar ohne jegliche Problematisierung davon aus, dass ein solches unterschiedliches Verständnis des Beschuldigtenbegriffs möglich sei.176 Dagegen scheint die strafprozessuale Literatur zum Begriff des Beschuldigten bisher weitgehend übereinstimmend zumindest implizit von einer innerhalb der StPO einheitlich geltenden Definition auszugehen.177 Die Bezeichnung „Beschuldigter“ werde von der StPO „in der Regel im umfassenden Sinne vom Beginn des Verfahrens bis zur Rechtskraft“178 verwendet. Soweit ersichtlich hat lediglich Roxin aufgrund der Schwierigkeit einer allgemeingültigen Beschuldigtendefinition in einem neueren Festschriftenbeitrag ausdrücklich eine unterschiedliche Auslegung des Beschuldigtenbegriffes für verschiedene Ermittlungssituationen gefordert, ohne allerdings auf die Frage nach einer unterschiedlichen Auslegung im Rahmen der Verteidigungsvorschriften der §§ 137 ff. StPO einzugehen.179 Zwar handelt es sich dabei nicht um die in unterschiedlichen Konstellationen außerhalb des Strafprozessrechts kontrovers diskutierte Problematik der „gespaltenen Auslegung“. Als solche wird nämlich nur eine divergierende Auslegung derselben Norm im Hinblick auf unterschiedliche Sanktionen180 oder Anwendungsbereiche181 bezeichnet. Vielmehr handelt es sich dabei um das Problem der „Begriffsspaltung“,182 also einer unterschiedlichen Begriffsbedeutung innerhalb derselben oder auch verschiedener Gesetze. 174  Siehe zu entsprechenden Überlegungen von Rieß den Bericht zur Strafrechtslehrertagung 1983 in Bern bei Gropp, ZStW 95 (1983), 993, 1021 sowie LR-StPORieß, 24. Auflage 1989, § 163a, Rn. 10. 175  Vgl. etwa die Abwesenheit entsprechener Ausführungen bei Mehle/Mehle, NJW 2012, 1639; Polley/Kuhn/Wegmann, ZStW 2012, 206; Taschke, FS Hamm, S. 751; KK-StPO-Laufhütte, § 148, Rn. 9; LG Gießen, wistra 2012, 409. 176  Vgl. Schäfer, FS Hanack, S. 81; BeckOK-StPO-Wessing, § 137, Rn. 1.1. 177  Vgl. Meyer-Goßner-Meyer-Goßner, Einl, Rn. 76 ff.; LR-StPO-Kühne, Einleitung, J. IV.; SK-StPO-Rogall, Vor §  133 ff., Rn.  9 ff. 178  LR-StPO-Kühne, Einleitung, J. IV., Rn. 71. 179  Roxin, FS Schöch, S. 823 ff. 180  Vgl. Schürnbrand, NZG 2011, 1213; BGHZ 190, 291, 298 (=  NZG 2011, 1147, 1149 – gespaltene Auslegung von Bezugsnormen im Kapitalmarktrecht). 181  Vgl. BGHZ 150, 248, 260 ff. (=  NJW 2002, 1881, 1884); Staudinger, NJW 2002, 653 (gespaltene Auslegung im Anwendungsbereich einer gemeinschaftsrechtlichen Richtlinie).



III. § 148 StPO223

Dabei gilt nach der Rechtsprechung grundsätzlich eine Vermutung, dass dasselbe Gesetz mit demselben Begriff auch dasselbe meint.183 182

Gleichwohl ist die „Relativität der Rechtsbegriffe“ und die damit einhergehende grundsätzliche Möglichkeit der Begriffsspaltung „seit jeher an­ erkannt“.184 Dies wurde gerade auch in der strafgerichtlichen Rechtsprechung bei zahlreichen Gelegenheiten immer wieder bestätigt.185 Dies gilt allerdings nur im Grundsatz, so dass sich ebenso Entscheidungen finden lassen, welche ein jeweils einheitliches Begriffsverständnis betonen.186 Entsprechend wird man feststellen können, dass die Verwendung desselben Begriffs innerhalb eines Abschnitts oder in sonst zusammenhängenden Vorschriften zwar einerseits starke Argumente für eine übereinstimmende Begriffsinterpretation liefert,187 eine Begriffsspaltung mit entsprechender Begründung aber dennoch möglich ist. Eine solche kann sich etwa aus einem unterschiedlichen Sachzusammenhang oder der Entstehungsgeschichte ergeben.188 Hiernach wäre also z. B. gut denkbar, den Beschuldigtenbegriff im Zusammenhang mit der Beschuldigtenvernehmung anders als im Zusammenhang mit den Vorschriften zur Verteidigung zu bilden. Schwieriger, wenn auch nicht gänzlich unmöglich, wäre aber ein unterschiedliches Begriffsverständnis innerhalb der Verteidigungsvorschriften der § 137 ff. StPO selbst. Nach alledem ergibt sich folglich, dass ein im Vergleich zur übrigen StPO unterschiedlicher Beschuldigtenbegriff dem § 148 StPO durchaus zugrunde gelegt werden könnte. Notwendig hierfür ist allerdings ein in methodischer und inhaltlicher Hinsicht größerer Begründungs- und Auslegungsaufwand als dies bei einer einheitlichen Definition der Fall wäre. Simon, Gesetzesauslegung, S. 453 ff. 13, 178, 180 (=  NJW 1959, 1787, 1788 – „Nach gesetzgeberischen Gepflogenheiten versteht ein Gesetz, wenn es an mehreren Stellen denselben Begriff wörtlich verwendet, in der Regel dasselbe.“); Simon, Gesetzesauslegung, S. 455 ff. 184  Simon, NStZ 2009, 84, 85. 185  Simon, Gesetzesauslegung, S. 454 ff. (mit umfangreichen weiteren Nachweisen aus der Rechtsprechung); vgl. BGHSt 52, 257, 262 f. (=  NJW 2008, 2861, 2862 – „anderes gefährliches Werkzeug“ im StGB); BGHSt 30, 1, 5 (=  NJW 1981, 531, 532 – „Inland“ im StGB); BGHSt 4, 202, 202 f. (=  NJW 1953, 1273, 1273 – „Verletzter“ innerhalb der StPO). 186  Simon, Gesetzesauslegung, S. 455 ff.; vgl. BGHSt 31, 348, 352 (= NJW 1983, 2097, 2098 – „Gebot der einheitlichen Auslegung der Tötungstatbestände“). 187  Simon, Gesetzesauslegung, S. 458. 188  Simon, NStZ 2009, 83, 85 (Begriffsspaltung möglich, bedarf aber einer „methodologisch zulässigen Rechtfertigung“). 182  Vgl.

183  BGHSt

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E. Einfachgesetzliche Lösung der Beschlagnahmeproblematik

Hierfür spricht insbesondere auch, dass dem Gesetzgeber selbst die Schwierigkeiten einer einheitlichen Begriffsbildung bekannt waren und er deshalb bewusst auf eine gesetzliche Definitionsvorschrift verzichtet hat.189 (4) E  igene Auslegung des Beschuldigtenbegriffs in § 148 StPO Eine äußere Grenze des § 148 StPO wird zunächst durch das Bestehen zumindest irgendeines gegen den Betroffenen gerichteten rechtlichen Verfahrens markiert. Jeder Versuch, den fahrens auszudehnen, scheitern, denn schon gendeine Form eines erhoben wurde.

Schutz auf die Zeit vor Beginn eines jeglichen Vermuss jedenfalls am Wortlaut des „Beschuldigten“ der natürliche Wortsinn erfordert, dass zumindest irzielgerichteten Vorwurfs – eine „Beschuldigung“ –

Soweit der Begriff des Beschuldigten in dem Zusammenhang nicht einfach übergangen wird, dürfte dies auch einhellige Meinung sein.190 Auf der anderen Seite sind diverse Einschränkungen des § 148 StPO, die insbesondere das LG Bonn vorgenommen hat, in keiner Weise im Wortlaut angelegt. Der Wortlaut legt weder Kenntnis eines laufenden Verfahrens auf Seiten des Betroffenen noch die Begrenzung auf genau das Verfahren, in dem beschlagnahmt werden soll, nahe. Eine Beschuldigung hört nicht dadurch auf, eine Beschuldigung zu sein, weil sie nicht gegenüber dem oder mit Kenntnis des Beschuldigten selbst erhoben wird. Im Rahmen strafprozessualer Ermittlungen ergibt sich dies schon aus der bloßen Existenz verdeckter Ermittlungsmethoden, welche zwar einen Beschuldigten voraussetzen, der aber denknotwendig noch keine Kenntnis von einem gegen ihn laufenden Verfahren haben kann. Ebenso spricht der Wortsinn einer „Beschuldigung“ eher dafür, diese materiell zu verstehen und nicht auf ein konkretes, formales Verfahren zu beschränken. Auch von wem dem Betroffenen ein Tatvorwurf gemacht werden muss, um den Anwendungsbereich des § 148 StPO zu eröffnen, ergibt sich nicht aus dem Wortlaut. Dem Wortsinn nach könnte eine „Beschuldigung“ auch etwa durch Private oder jegliche Art von staatlicher Stelle erhoben werden. Dass dies gerade durch eine Behörde mit repressiver Zielrichtung, insbesondere eine Strafverfolgungsbehörde, geschehen müsste, ergibt sich jedenfalls nicht aus dem Wortlaut. Vor § 133 ff., Rn. 9; Roxin, FS Schöch, S. 823. ausdrücklich auch Rogall, Beschuldigte als Beweismittel gegen sich selbst, S. 27; Roxin, FS Schöch, S. 823, 825, 835. 189  SK-StPO-Rogall, 190  So



III. § 148 StPO

225

b) Systematik Entscheidende Aussagen über den Anwendungsbereich des § 148 StPO ergeben sich schließlich aus der Systematik des Gesetzes. aa) Der systematische Zusammenhang der §§ 137 ff. StPO Aus dem systematischen Zusammenhang mit § 137 StPO ergibt sich zunächst, dass § 148 StPO nur innerhalb „des Verfahrens“ (§ 137 I 1 StPO) Schutz gewähren kann. Dieser stellt die Ausgangsnorm des elften Abschnitts über die Verteidigung dar, so dass darin möglicherweise enthaltene Aussagen über die zeitliche oder sachliche Reichweite der Verteidigung auch Eingang in die Auslegung des § 148 StPO finden müssten. Wenn § 137 I 1 StPO nun das Recht auf Verteidigerbeistand „in jeder Lage des Verfahrens“ verbürgt, so kann damit nichts anderes gemeint sein als das im Wesentlichen durch die StPO geregelte Strafverfahren. Nur innerhalb eines solchen Verfahrens begründet § 137 StPO also das Recht auf Verteidigung. Die zur Absicherung dieses Rechts geschaffenen weiteren Verfahrensgarantien der §§ 137 ff. StPO können somit ebenfalls nicht weiterreichen. Die Verteidigung im Sinne des § 148 StPO ist somit ein Recht, das allein innerhalb eines Verfahrens gewährt wird. Außerhalb eines solchen Verfahrens gibt es keinen Verteidiger im Rechtssinn, sondern höchstens Rechtsanwälte und sonstige Personen.191 (1) S  chutz „in jeder Lage des Verfahrens“ unvereinbar mit dem Erfordernis von Kenntnis auf Seiten des Beschuldigten Hieraus ergibt sich bereits eine erste Folge für die restriktive Ansicht des LG Bonn. Wenn das Recht auf Verteidigung einschränkungslos „in jeder Lage des Verfahrens“ gewährt wird, so ist nicht zu begründen, warum noch zusätzlich Kenntnis des Verfahrens gefordert werden sollte. Denn die Einleitung eines Verfahrens, die Vornahme zielgerichteter Ermittlungshandlungen und die Begründung der Beschuldigteneigenschaft hängt angesichts zahlreicher heimlicher Ermittlungsmethoden ebenfalls nicht von der Kenntnis des Betroffenen ab. Die Ansicht des LG Bonn würde somit dazu führen, dass das Recht auf Verteidigung nicht mehr vollumfänglich in jeder, sondern 191  Paulus,

NStZ 1992, 305, 305.

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E. Einfachgesetzliche Lösung der Beschlagnahmeproblematik

nur noch in einer mitunter fortgeschrittenen Lage des Verfahrens wirksam gewährt würde. Anzumerken ist jedoch, dass sich aus diesen Überlegungen eine praktisch nur sehr begrenzte Erweiterung des Schutzes gegenüber der Ansicht des LG Bonn ergibt. Denn wenn der Schutz von der objektiven Einleitung eines Verfahrens abhängig wäre, so könnte sich ein Mandant in dem Stadium vor Kenntnisnahme eines Ermittlungsverfahrens gerade nicht sicher sein, ob entsprechende Unterlagen nun geschützt wären oder nicht. Aus Sicht des Mandanten wäre der Beschlagnahmeschutz in diesem Stadium dann eine Art „Glückssache“. Einen wirkungsvollen Beitrag zur Förderung der anwaltlichen Vertrauensbeziehung würde dieser Schutz also dennoch nur ab dem Zeitpunkt leisten, zu dem der Mandant Kenntnis von dem Verfahren erlangt. (2) Der Verfahrensbegriff der §§ 137 ff. StPO Mit der Begrenzung auf „das Verfahren“ ist gleichwohl noch nicht gesagt, wann dieses genau beginnt. Eine nähere Definition lässt sich der StPO auch nicht direkt entnehmen. Theoretisch wäre denkbar, den Umfang des Verfahrens im Sinne der §§ 137 ff. StPO sehr weit zu fassen. Auf diese Weise könnte die durch § 148 StPO geschützte Verteidigung im Einklang mit der erweiternden Ansicht möglicherweise auch bereits dann beginnen, wenn von staatlicher Seite noch keine zielgerichtete Ermittlungs- und Verfolgungstätigkeit ausgeht. Teilweise wird eine solche „Erweiterung des Verfahrensbegriffs“ auch bereits heute schon angedacht.192 Die entscheidende Frage hierzu muss lauten, von wem Aktivität ausgehen muss, um den Übergang von dem normalen Rechtsleben in eine verteidigungswürdige Verfahrenssituation zu vollziehen. Wären dies ausschließlich die staatlichen Strafverfolgungsorgane, so wäre der restriktiven Ansicht zu § 148 StPO zuzustimmen. Es bedürfte dann einer – wenngleich im Einklang mit der Diskussion zur Beschuldigteneigenschaft materiell zu bestimmenden – Einleitung eines Ermittlungsverfahrens durch ebendiese Stellen.

192  Vgl.

Jahn/Kirsch, NZWiSt 2013, 28, 30.



III. § 148 StPO227

(3) Ü  berlegungen zu einem erweiterten Verfahrensbegriff Theoretisch möglich wäre aber auch ein Verständnis des Verfahrens, welches auch die Ermittlungstätigkeit anderer staatlicher Stellen oder sogar Privater umfasst.193 Ausgehen könnte dieses von der immer noch gängigen Definition des Strafverfahrens als rechtlich geordnetem Vorgang zur Gewinnung einer richterlichen Entscheidung über ein materielles Rechtsverhältnis.194 Allgemeiner formuliert könnte das Strafverfahren im Anschluss daran auch definiert werden als die Summe der rechtlich geordneten Vorgänge, welche über das Ob und Wie der Durchsetzung materieller Sanktionsdrohungen entscheiden.195 Theoretisch könnte dies praktisch alle Vorgänge umfassen, welche materiell mit dem Sachverhalt zu tun haben, der später Gegenstand eines staatsanwaltschaftlichen Verfahrens wird und in dessen Verlauf die Beschlagnahme erfolgen soll. Verteidigung würde dann die Mitwirkung an der rechts­ förmigen Erforschung eines möglicherweise strafrechtlich relevanten Sachverhalts sein. Zu denken ist etwa an zivilgerichtliche oder verwaltungsrechtliche Verfahren, in deren Verlauf eine Art von „Ermittlung“ des möglicherweise zugleich auch strafrechtlich relevanten Sachverhalts erfolgt. Hier könnte die Bedeutung für eine spätere Strafverfolgung in einer gewissen Vorfixierung von Untersuchungsergebnissen und gegebenenfalls einer Weiterleitung an die Strafverfolgungsbehörden liegen.196 In Betracht gezogen werden könnten insbesondere aber auch „Ermittlungen“ durch den später Beschuldigten selbst und nicht zuletzt auch etwa 193  Für Überlegungen zu einem „kooperativen Ermittlungsverfahren“, allerdings wohl ausschließlich nach Einleitung eines Verfahrens durch die Staatsanwaltschaft, siehe Dahs, NJW 1985, 1113, 1117 f. 194  LR-StPO-Kühne, Einl. B I, Rn. 1; Meyer-Goßner-Meyer-Goßner, Einl. Rn. 2; ergänzend wäre noch hinzuzufügen, dass das Prozessrecht selbst teilweise bewusst auf die Herbeiführung einer gerichtlichen Entscheidung verzichtet und an deren Stelle andere verfahrensbeendende Entscheidungen ermöglicht (vgl. etwa §§ 153 ff. StPO), siehe dazu LR-StPO-Kühne, Einl. B I, Rn. 1; kritisch zu einer dahingehenden Tendenz Weigend, ZStW 113 (2001), 271. 195  Vgl. für ähnliche Definitionen des Strafverfahrensrechts Joecks, StPO, Einl., Rn. 1; SSW-StPO-Beulke, Einl. Rn. 1. 196  Eine solche Weiterleitung ist auch zulässig (vgl. § 161 I 1 StPO; MüKo-ZPOWagner, § 149, Rn. 3), auch wenn eine grundsätzliche Anzeigepflicht fehlt (vgl. zu Verwaltungsbediensteten Scheu, NJW 1983, 1707; vgl. zu Gerichten MüKo-ZPOZimmermann, § 183 GVG, Rn. 1); zur grundsätzlichen Beschlagnahmefähigkeit von Behördenakten siehe Kramer, NJW 1984, 1502; vgl. zur Kritik an Herausgabepflichten im Verwaltungsverfahren Bärlein/Pananis/Rehmsmeier, NJW 2002, 1825.

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E. Einfachgesetzliche Lösung der Beschlagnahmeproblematik

eine in einem Unternehmen durchgeführte Internal Investigation. Teil des Verfahrens könnten diese dadurch werden, dass sie im Regelfall zumindest auch auf Beeinflussung einer in der Folge zu treffende staatliche Sanktionsentscheidung gerichtet sind.197 (4) Begrenzung des Verfahrensbegriffs Im Ergebnis überzeugt diese Argumentation letztlich aber nicht und es muss vielmehr dabei bleiben, dass das relevante „Verfahren“ allein durch staatliche Strafverfolgungsbehörden betrieben werden kann. Eine Parallele kann hier zu der ausgiebig geführten Diskussion um Beweisverwertungsverbote nach § 136a StPO infolge privater Ermittlungstätigkeit gezogen werden.198 Denn auch dort stellt sich als Ausgangsfrage das Problem, ob und inwieweit strafprozessuale Normen auch auf die ausschließliche Tätigkeit von Privaten angewendet werden können. Ganz herrschende Meinung199 ist dort zu Recht, dass sich die Verfahrensvorschriften der StPO grundsätzlich nur an die Strafverfolgungsorgane richten.200 Eine Anwendung von § 136a StPO wird von der herrschenden Meinung dementsprechend im Wesentlichen nur im Wege der Analogie befürwortet und überdies mehrheitlich unter den Vorbehalt der Zurechenbarkeit zu den Strafverfolgungsbehörden gestellt.201 Auch die in der Literatur 197  Hervorgehoben seien diesbezüglich etwa die strafbefreiende Selbstanzeige im Steuerrecht (§ 371 AO), der kartellrechtliche Bonusantrag oder die Inanspruchnahme der Kronzeugenregelung nach § 46b StGB. Da es sich hierbei letztlich um spezialgesetzliche Ausprägungen der auch nach allgemeinen Regeln stattfindenden Berücksichtigung positiven Nachtatverhaltens handelt, gilt dies ebenso für allgemein kooperatives Verhalten eines Täters. 198  Siehe allgemein zur Diskussion Jahn, Gutachten 67. DJT, C 99 ff.; KK-StPODiemer, § 136a, Rn. 3 f.; Salvenmoser/Schreier, in: Achenbach/Ransiek, 15. Teil, Rn.  69 ff.; Hassemer/Matussek, Opfer als Verfolger, S. 75 ff.; Mende, Grenzen privater Ermittlungen, S. 197 ff.; Kühne, FS Wolter, S. 1009. 199  Einzig die Ausführungen von Gössel, Strafverfahrensrecht, §  23 B II c (S. 192 f.) legen nahe, dass dort eine direkte Anwendung von § 136a StPO befürwortet wird. Allerdings wird auch dort nicht gänzlich deutlich, ob nicht vielmehr eine Analogie gemeint ist. 200  Allgemein dazu: Salvenmoser/Schreier, in: Achenbach/Ransiek, 15. Teil, Rn. 4; Reeb, Internal Investigations, S. 121 f.; Götting, Beweisverwertungsverbote, S.  294 f.; Mende, Grenzen privater Ermittlungen, S. 201; speziell in Bezug auf § 136a StPO: BGHSt 17, 14, 19 (=  NJW 1962, 598, 598); BGHSt 44, 129, 134 (= NJW 1998, 3506, 3507); KK-StPO-Diemer, § 136a, Rn. 3; Meyer-Goßner-Schmitt, § 136a, Rn. 3; Krey, Private Ermittlungen, S. 75, Schlüchter, Strafverfahren, Rn. 100. 201  Siehe zur Zurechnungskonstruktion der herrschenden Meinung und der Kritik daran nur Jahn, Gutachten 67. DJT, C 100 ff. m. w. N.



III. § 148 StPO229

teilweise vertretene Ansicht, die auf die Zurechnungskonstruktion verzichten will, wendet § 136a StPO lediglich analog an.202 Der auch auf die Frage des Anwendungsbereichs der §§ 137 ff. StPO zu übertragende Grund hierfür liegt in der gesamten Systematik der StPO, die Ermittlungsbefugnisse allein den Strafverfolgungsorganen verleiht und lediglich punktuell Mitwirkungsrechte Privater203 vorsieht.204 Wo eine solche Mitwirkung nicht vorgesehen ist, heißt dies zwar nicht, dass sie verboten wäre.205 In Ermangelung jeglicher gesetzlicher Anhaltspunkte können aber genauso wenig prozessuale Rechte an rein private Vorgänge geknüpft werden. bb) Systematische Zusammenschau mit anderen normierten Rechten der Verteidigung Auch eine systematische Zusammenschau der explizit normierten Rechte der Verteidigung erlaubt Rückschlüsse auf deren Stellung im Prozessgefüge und die Reichweite des „verteidigungsfähigen“ Verfahrens. Die StPO enthält zwar keine generelle Umschreibung von Rechten des Verteidigers,206 normiert solche aber an zahlreichen Stellen.207 Gemeinsames Band all dieser expliziten Rechte ist, dass ihre Ausübung denknotwendig bereits ein behördliches Strafverfahren voraussetzt. Akteneinsicht – um nur ein Beispiel zu nennen – kann etwa nicht verlangt werden, wenn keine Akte existiert. Andere Vorschriften lassen noch direktere Schlüsse darauf zu, dass die Verteidigung im Sinne der StPO nur gegen ein durch die Strafverfolgungsbehörden betriebenes Verfahren geführt werden kann. Wenn etwa nach § 138 II 1 StPO für die Wahl sonstiger Personen als Verteidiger die Genehmigung des Gerichts notwendig ist, so würde ein Recht auf Verteidigung außerhalb eines strafbehördlichen Verfahrens in Bezug auf diese Personen leerlaufen. Darüber hinaus ist nicht ersichtlich, wie ein oben skizziertes Verfahrensverständnis mit dem System der notwendigen Verteidigung (§ 140 StPO) vereinbar wäre. Ist die Verteidigung materiell notwendig, steht also zum Jahn, Gutachten 67. DJT, C 102. für eine Übersicht dieser Mitwirkungsrechte Salvenmoser/Schreier, in: Achenbach/Ransiek, 15. Teil, Rn. 29 ff. 204  Salvenmoser/Schreier, in: Achenbach/Ransiek, 15. Teil, Rn. 4; Reeb, Internal Investigations, S.  121 f.; Götting, Beweisverwertungsverbote, S. 294 f.; Mende, Grenzen privater Ermittlungen, S. 201. 205  Reeb, Internal Investigations, S. 28 f. 206  Roxin, FS Hanack, S. 1, 9. 207  Vgl. etwa §§ 147, 239 I, 240 II 1, 249 II 2, 251 I Nr. 1, II Nr. 3, 297 StPO. 202  Vgl. 203  Vgl.

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E. Einfachgesetzliche Lösung der Beschlagnahmeproblematik

Beispiel ein Verbrechen in Rede, so ist sie dies grundsätzlich „in jeder Lage des Verfahrens“.208 Entsprechend kann das von der StPO geregelte und der Verteidigung zugängliche Verfahren auch nur ein solches sein, welches durch die Strafverfolgungsbehörden betrieben wird. Andernfalls gäbe es niemand, der überhaupt von der Notwendigkeit weiß und entsprechend einen Verteidiger bestellen könnte und müsste. Würde Verteidigung im Sinne der StPO somit schon vor Einleitung eines behördlichen Verfahrens beginnen können, so hätte der Betroffene die Möglichkeit, das Verfahren von Anfang an durch einen simplen Verzicht auf Wahl eines Verteidigers fehlerhaft werden zu lassen.209 Die Instrumentalisierung der Strafverteidigung als ein solches „Recht gegen das Verfahren“210 kann ersichtlich nicht in der StPO angelegt sein. cc) Bestimmung der Reichweite von § 148 StPO anhand allgemeiner Aussagen über Funktion und Aufgaben des Verteidigers Soweit sich allgemeine Aussagen über Funktion und Aufgaben des Verteidigers treffen lassen, so sprechen auch diese für eine Begrenzung des § 148 StPO auf die Zeit nach der behördlichen Einleitung eines strafrechtlichen Ermittlungsverfahrens. Aufgrund des Fehlens einer umfassenden Regelung der Tätigkeit des Verteidigers ist zwar schwer, solche Positionsbestimmungen verlässlich normativ zu begründen.211 Zumindest ein gewisser Orientierungswert kann der Bestimmung der Funktion des Verteidigers in Literatur und Rechtsprechung aber schon deshalb entnommen werden, weil dies gleichzeitig auch die Grundlage darstellt, auf der der Gesetzgeber die StPO in den letzten Jahrzehnten weiterentwickelt hat bzw. auf der er keinen Grund zur Änderung gesehen hat. Wenig ergiebig ist an dieser Stelle der hier nicht zu vertiefende Grundsatzstreit um die herrschende Organtheorie und die verschiedenen, theoretischen Alternativmodelle.212 208  Meyer-Goßner-Schmitt,

§ 140, Rn. 5; SSW-StPO-Beulke, § 140, Rn. 4. Konsequenz zeigt auch bereits Hassemer, ZRP 1980, 326, 331 auf, allerdings im Zusammenhang mit einer generellen Auseinandersetzung mit dem Spannungsfeld zwischen notwendiger Verteidigung und Autonomie des Beschuldigten. 210  Hassemer, ZRP 1980, 326, 331. 211  Roxin, FS Hanack, S. 1, 9; Beulke, Verteidiger, S.  18 f.; Wolf, Strafverteidigung, S. 48 ff.; LR-StPO-Lüderssen/Jahn, Vor § 137, Rn. 1a. 212  Vgl. für einen Überblick SK-StPO-Wohlers, Vor §§ 137 ff., Rn. 4 ff.; KK-StPOHannich, Vor § 137, Rn. 5; Roxin, FS Hanack, S. 1, 8 ff.; ausführlich LR-StPO-Lüderssen/Jahn, Vor § 137, Rn. 33 ff.; Beulke, Verteidiger, S.  164 ff. 209  Diese



III. § 148 StPO231

Entscheidend im vorliegenden Zusammenhang ist einzig, dass Ergebnisse von allgemeinen Bestimmungen der Rechtsstellung des Verteidigers entweder keine Aussagekraft oder Relevanz bezüglich der hier relevanten zeitlichen Dimension haben213 oder die hier vertretene Meinung stützen, wonach sich Verteidigung nach der Konzeption der StPO nur innerhalb eines von staatlichen Strafverfolgungsbehörden betriebenen Verfahrens abspielen kann. Also solche, in Literatur und Rechtsprechung immer wieder genannten, Funktionen sind insbesondere die Sicherung der prozessualen Waffengleichheit214 und das Hinwirken auf Justizförmigkeit des Verfahrens und die Berücksichtigung aller für den Beschuldigten günstigen Umstände215 zu nennen. Dabei handelt es sich ersichtlich um Funktionen, welche nur innerhalb eines von einer staatlichen Stelle betriebenen Verfahrens ausgeübt werden können. Jedenfalls ein Verständnis von § 148 StPO, das gänzlich auf eine staatliche Involvierung verzichtet, wäre hiermit nicht vereinbar. Das gleiche Ergebnis ergibt sich aus den verschiedenen Herleitungen der spezifischen Verteidigertätigkeit aus dem Verfassungsrecht. Unabhängig davon, ob man diese in dem Recht auf rechtliches Gehör oder dem Rechtsstaatsprinzip erkennt,216 ist die sich daraus ergebende Aufgabe des Verteidigers identisch: zu verhindern, dass der Beschuldigte im Strafverfahren zum bloßen Objekt staatlicher Machtausübung wird.217 Entscheidendes Strukturmerkmal der Verteidigung ist also auch hiernach, dass sie an einem zielgerichteten, durch den Staat betriebenen Verfahren und nicht außerhalb desselben mitwirkt. c) Teleologische Auslegung Nachdem Wortlaut und Systematik bereits sehr klar für die beschriebene begrenzte Reichweite des § 148 StPO sprechen, kommt auch auf Grundlage teleologischer Erwägungen ein weitergehender Schutz nicht in Betracht. 213  So etwa sämtliche Aussagen über den Grad der Unabhängigkeit des Verteidigers von Weisungen des Beschuldigten oder mögliche Pflichten zur Verfahrenssicherung- oder Förderung. 214  Spaniol, Verteidigerbeistand, S.  229 ff.; Rissel, Verfassungsrechtliche Stellung des Rechtsanwalts, S. 83 ff.; Beulke, Verteidiger, S. 37 ff.; SSW-StPO-Beulke, § 137, Rn. 2; LR-StPO-Lüderssen/Jahn, Vor § 137, Rn. 140; Roxin, FS Hanack, S. 1, 10. 215  Meyer-Goßner-Schmitt, Vor § 137, Rn. 1; KK-StPO-Hannich, Vor 137, Rn. 5; Roxin, FS Hanack, S. 1, 10; BGHSt 15, 326, 327 (=  NJW 1961, 614, 614); BGH, NJW 1964, 2402, 2403. 216  Vgl. ausführlich zu dieser Frage Rissel, Verfassungsrechtliche Stellung des Rechtsanwalts, S. 73 ff.; vgl. auch oben B.V.3. 217  Vgl. LR-StPO-Lüderssen/Jahn, Vor §§ 137 ff., Rn. 146.

232

E. Einfachgesetzliche Lösung der Beschlagnahmeproblematik

Als Kern einer solchen teleologischen Argumentation käme nur die gleiche zweifelbehaftete218 Überlegung in Frage, welche bereits der oben durchgeführten umfassenden Untersuchung des Abschreckungseffekts zugrunde lag: dass der Beschlagnahmemöglichkeit das Potential innewohnt, Mandanten von der tatsächlichen Inanspruchnahme rechtlichen Beistands fernzuhalten und dass dies im Interesse der Allgemeinheit zu verhindern ist.219 Diese These konnte oben schon rein tatsächlich nicht bestätigt werden.220 Auch unabhängig von ihrer inhaltlichen Überzeugungskraft kann diese Argumentation aber letztlich nicht zu einem weiteren Schutz durch § 148 StPO führen als die obige Analyse von Systematik und Wortlaut nahegelegt hat. Dies liegt zunächst daran, dass auch die teleologische Auslegung nicht auf allgemeine Zweckmäßigkeitserwägungen reduziert werden kann, sondern im Grundsatz immer „gemäß den erkennbaren Zwecken und dem Grundgedanken einer Regelung“221 erfolgen muss. Im Ausgangspunkt ist deshalb auch für die teleologische Auslegung entscheidend, welcher Gesetzeszweck objektiv in der Struktur der gesetzlichen Regelung zum Ausdruck gekommen ist.222 Anhand der oben angestellten systematischen Betrachtung kann dabei festgestellt werden, dass § 148 StPO gerade keinen umfassenden Schutz anwaltlicher Unterlagen bezwecken kann, sondern vielmehr auf Kommunikationsvorgänge innerhalb eines laufenden staatlichen Ermittlungsverfahrens zu beschränken ist. Entscheidend gegen die Berücksichtigung der obigen Argumentation spricht schließlich jedenfalls der systematische Zusammenhang mit § 97 StPO. Es ist allein diese Vorschrift, welche die zentrale Regelung zur Beschlagnahmefähigkeit anwaltlicher Unterlagen enthält und deren Vorgaben deshalb vorrangig beachtet werden müssen.223 Um diese nicht zu umgehen, müssen deshalb auch auf den Abschreckungseffekt aufbauende „überindivi218  Vgl.

dazu bereits oben C.VIII. und D.III. für eine dahingehende Argumentation im Rahmen des § 148 StPO Polley/Kuhn/Wegmann, ZStW 2012, 206, 211; Jahn/Kirsch, NZWiSt 2013, 28, 31. 220  Vgl. zur tatsächlichen Überzeugungskraft des Arguments oben C.VIII.; zu einer möglichen gesetzgeberischen Entscheidung der zugrundeliegenden tatsächlichen Frage E.IV.1.b)cc). 221  Larenz, Methodenlehre, S. 332. 222  BVerfGE 1, 299, 312 (=  NJW 1952, 737) („Maßgebend für die Auslegung einer Gesetzesbestimmung ist der in dieser zum Ausdruck kommende objektivierte Wille des Gesetzgebers, so wie er sich aus dem Wortlaut der Gesetzesbestimmung und dem Sinnzusammenhang ergibt“); fast wortgleich BVerfGE 105, 135, 157 (=  NJW 2002, 1779, 1781). 223  So auch bereits Sahan, in: Criminal Compliance vor den Aufgaben der Zukunft, S. 133, 140. 219  Siehe



III. § 148 StPO233

duell-verfahrensstrukturelle“224 Argumentationswege vorrangig innerhalb von § 97 StPO verfolgt werden.225 Wie noch zu zeigen wird, ist dies auch durchaus möglich und wird letztlich doch zu einem vergleichsweise umfassenden Schutz führen.226 d) Zur Frage eines Schutzes von Unterlagen aus „anderen Verfahren“ Somit kann zunächst festgehalten werden, dass § 148 StPO erst innerhalb eines Verfahrens, welches auf die Verhängung einer Sanktion gerichtet ist, einen Beschlagnahmeschutz entfalten kann. Dabei bleibt aber noch eine bisher widersprüchlich diskutierte Sonderfrage zu strukturieren und zu klären, welche insbesondere durch das LG Bonn227 aufgeworfen wurde: die Frage nach einem Beschlagnahmeschutz für Unterlagen aus „anderen Verfahren“. aa) Einem Ermittlungsverfahren vorgelagerte Unterlagen aus nicht strafrechtlichen Verfahren Aus dem oben Gesagten ergibt sich zunächst, dass dem LG Bonn insoweit zuzustimmen ist, wie es sich um Unterlagen handelt, die zeitlich vor jeglichem strafrechtlichen oder ordnungswidrigkeitenrechtlichen Verfahren entstanden sind. Unterlagen aus solchen vorgelagerten, bloßen Verwaltungsverfahren oder Zivilverfahren sind nicht von § 148 StPO geschützt, selbst wenn sich der Gegenstand dieser Verfahren mit einem späteren Ermittlungsverfahren deckt. Dieses Ergebnis mag zwar aus wertendem Blickwinkel in Frage gestellt werden, ein weitergehender Schutz lässt sich Wortlaut und Systematik von § 148 StPO aber wie dargelegt nicht entnehmen. Auch insoweit wie weitgehende Mitwirkungs- und Vorlagepflichten aus dem Wirtschaftsverwaltungsrecht kritisch gesehen werden228 sind diese zunächst ein einfachgesetzliches Faktum, ihre Einschränkung bedarf also zwingender verfassungsrechtlicher Gründe. Die Ablehnung eines verfassungsrechtlichen Beschlagnahmeverbots für Unternehmen wurde oben aber bereits ausführlich begründet und nichts anderes kann für entsprechende Herausgabepflichten gelten. Wie noch zu zeigen sein wird, kann und muss die dadurch entJahn/Kirsch, Handbuch, Rn. 99 f.; Jahn/Kirsch, NZWiSt 2013, 28, 31. dazu ausführlich unten unter E.IV. 226  Vgl. unten E.IV. 227  Vgl. LG Bonn, WuW 2012, 972, 979; LG Bonn, Beschl. v. 10.09.2010, 27 Qs 21/10, Rn. 22. 228  Vgl. ausführlich dazu Bärlein/Pananis/Rehmsmeier, NJW 2002, 1825. 224  Vgl. 225  Vgl.

234

E. Einfachgesetzliche Lösung der Beschlagnahmeproblematik

stehende Schutzlücke aber ohnehin durch § 97 StPO geschlossen werden, eine Überdehnung des § 148 StPO ist somit nicht notwendig. bb) Parallel zu einem Ermittlungsverfahren laufende „andere Verfahren“ Ein anderes Bild ergibt sich gleichwohl für solche außerstrafrechtlichen Verfahren, welche parallel zu einem strafrechtlichen Ermittlungsverfahren laufen, in dem § 148 StPO unstreitig zur Anwendung kommt. In einem solchen Fall verlieren anwaltliche Unterlagen ihren Charakter als Verteidigungsunterlagen nicht deshalb, weil ihr Gegenstand auch für andere Rechtsstreitigkeiten relevant ist. Eine Trennung wäre hier schlicht nicht möglich. Besonders augenfällig wird dies im Zusammenhang mit Adhäsionsverfahren. Diese stellen per definitionem eine Verbindung zwischen einem strafrechtlichen Verfahren und einer zivilrechtlichen Streitigkeit dar. Gleichwohl dürfte zu Recht niemand fordern, in einem solchen Verfahren den Schutz des § 148 StPO auszusetzen. Wie oben dargelegt ergibt sich auch aus dem Beschluss des BVerfG vom 13.09.2009229 nichts anderes. Denn der dort außerhalb des Schutzes von § 148 StPO gestellte Schriftverkehr betrifft gerade nicht den materiellen Tatvorwurf, sondern hat allenfalls Bezüge zu den Modalitäten des Verfahrens selbst. cc) „Andere“ strafrechtliche Ermittlungsverfahren Auch im Hinblick auf „andere“ strafrechtliche Ermittlungsverfahren ist den Ausführungen des LG Bonn zu widersprechen. Hiernach soll § 148 StPO auch solche Unterlagen nicht schützen, die innerhalb eines früheren strafrechtlichen Verfahrens entstanden sind. Anderes soll nach dem LG Bonn nur gelten, wenn die beiden Verfahren „nach der Vorstellung der Ermittlungsbehörden inhaltlich und zeitlich den gleichen Sachverhalt be­ treffen.“230 In der Regel wird für eine spätere Beschlagnahme dieser Unterlagen zwar ohnehin schon kein Grund mehr bestehen, da ein rechtskräftig abgeschlossenes Verfahren in Bezug auf einen bestimmten Lebenssachverhalt grundsätzlich nicht noch ein zweites Mal geführt werden kann (vgl. Art. 103 III GG). Problematisch sind aber solche Konstellationen, in denen der Inhalt von Verteidigungsunterlagen über den konkreten Verfahrensgegenstand hinausgeht und somit theoretisch auch für ein späteres, anderes Verfahren relevant werden kann. 229  BVerfG, 230  LG

NJW 2010, 1740. Bonn, Beschl. v. 10.09.2010, 27 Qs 21/10, Rn. 22.



III. § 148 StPO

235

Jedenfalls die mit der Ansicht des LG Bonn einhergehende weitgehende Entwertung der Verteidigung ist hierbei zunächst klar abzulehnen. Denn auf Grundlage des § 148 StPO ist jedenfalls unstreitig, dass kein staatlicher Zugriff auf solche Unterlagen besteht, welche innerhalb eines laufenden Verfahrens im Hinblick auf den konkreten Vorwurf entstanden sind. Innerhalb dieser unstreitig geschützten Verteidigerbeziehung ist also normativ klargestellt, dass der Mandant seinem Verteidiger gefahrlos alle relevanten Informationen anvertrauen kann bzw. können muss. Dies aber wäre nicht möglich, wenn er immer fürchten müsste, dass die konkreten Informationen durch die Behörden als „anderer Sachverhalt“ eingeordnet und in einem zweiten Verfahren gegen ihn verwendet würden. In diesem Fall hätte ein Beschuldigter keinerlei Möglichkeit zu wissen, was er seinem Verteidiger gefahrlos anvertrauen kann und was nicht. Das notwendige Vertrauensverhältnis würde dann durch einen ständigen Balanceakt ersetzt, keinesfalls mehr Informationen gegenüber dem Verteidiger preiszugeben als für das konkrete Verfahren zwingend notwendig. Da sich ein Strafverfahren insbesondere im Ermittlungsstadium naturgemäß noch in seinem Verlauf entwickeln kann, wäre diese Aufgabe schon für den Verteidiger selbst kaum verlässlich zu leisten, jedenfalls würde sie eine proaktive, vorausschauende Begleitung des Verfahrens deutlich erschweren. Umso mehr muss dies für den Mandanten gelten. Von diesem kann schlicht nicht erwartet werden, verschiedene Tatsachen selbst rechtlich einzuordnen und sie dann wahlweise preiszugeben oder für sich zu behalten. Beeinträchtigt wäre durch die Ansicht des LG Bonn deshalb nicht nur die Vorbereitung der Verteidigung in einem späteren Verfahren, sondern ganz konkret auch der unstreitig zu schützende Bereich der Verteidigung gegen ein bereits laufendes Verfahren. Eine Lösung muss deshalb zunächst von dem Grundsatz ausgehen, dass Unterlagen auch nach Abschluss des jeweiligen Verfahrens ihren Status als Verteidigungsunterlagen nicht verlieren und weiterhin geschützt sind. Auf der anderen Seite ist dem LG Bonn aber doch zuzugeben, dass anwaltliche Unterlagen nicht schlechthin durch § 148 StPO geschützt sein können, nur weil sie rein zeitlich während eines gegen den Mandanten laufenden Verfahrens entstanden sind. Insbesondere wäre nicht einzusehen, warum Unterlagen schon deshalb geschützt sein sollten, weil während ihrer Entstehung irgendein nicht damit im Zusammenhang stehendes Verfahren gegen den betreffenden Mandanten geführt wurde. Denn dann wäre der Schutz von bloßen Zufälligkeiten abhängig und jeder materiellen Fundierung entledigt. Vor allem ginge damit eine gewisse Privilegierung von „Dauer-Tätern“ einher. Insbesondere bei

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E. Einfachgesetzliche Lösung der Beschlagnahmeproblematik

größeren Unternehmen mit einer Vielzahl von Aktivitäten und großer rechtlicher Exponiertheit würde dies praktisch daraus hinauslaufen, alle anwaltlichen Unterlagen schlechthin über § 148 StPO zu schützen, während dies bei anderen Tätern nicht der Fall wäre. Um diese Konsequenz zu vermeiden, bedarf es aber nicht der vom LG Bonn vorgeschlagenen Beschlagnahme von Verteidigungsunterlagen aus „anderen Verfahren“. Vielmehr ergibt sich eine sachgerechte Lösung bereits durch eine eigentlich selbstverständliche sachliche Eingrenzung des freien Verteidigerverkehrs: dass dieser nur insoweit frei ist, wie er dem Zweck der Verteidigung dient.231 Das rein zeitliche Zusammenfallen von Entstehung der jeweiligen Unterlagen und einem Verfahren reicht also keinesfalls aus, um den Schutz des § 148 StPO auszulösen. Was „für die Verteidigung objektiv erkennbar ohne jede Bedeutung“232 ist, fällt ohnehin unstreitig nicht in den Anwendungsbereich des § 148 StPO. Auf der anderen Seite muss dann aber ebenso klar sein, dass alles das von § 148 StPO geschützt ist, was eben doch aus objektiv nachvollziehbaren Gründen für die Verteidigung in dem bereits laufenden Verfahren relevant sein oder hiervon praktisch nicht getrennt werden könnte. Gerade Letzteres liegt insbesondere dann nahe, wenn innerhalb eines bereits laufenden Verfahrens bzw. als Reaktion hierauf eine Internal Investigation durchgeführt wird, deren Ergebnisse also grundsätzlich auch dem restriktiv verstandenen Anwendungsbereich des § 148 StPO unterfallen würden.233 Denn zu Beginn einer solchen Untersuchung ist deren Ergebnis naturgemäß noch unbekannt. Ob dabei Informationen zutage gefördert werden, die über den bereits zum Gegenstand des Verfahrens gemachten Sachverhalt hinausgehen, ist im Vorhinein unmöglich auszuschließen. Das negiert aber nicht den grundsätzlichen Charakter der Untersuchung als Verteidigungshandlung in dem konkret laufenden Verfahren. Entsprechende Unterlagen wären somit als Verteidigungsunterlagen zu qualifizieren und somit sowohl in dem bereits laufenden als auch in späteren Verfahren gegen den Mandanten nicht zu beschlagnahmen.

231  LR-StPO-Lüderssen/Jahn, §  148, Rn. 17; SK-StPO-Wohlers, § 148, Rn. 9; KK-StPO-Laufhütte, § 148, Rn. 4; BGH, NJW 1973, 2035, 2036; BVerfGE 46, 1, 12 (=  NJW 1977, 2157, 2157); BVerfGE 49, 24, 48 (=  NJW 1978, 2235, 2235). 232  SK-StPO-Wohlers, § 97, Rn. 93. 233  Vgl. dazu etwa den Sachverhalt, der der Entscheidung LG Bonn, WuW 2012, 972 zugrunde lag.



III. § 148 StPO237

4. Ergebnis zu § 148 StPO: Schutz nur innerhalb eines laufenden Ermittlungsverfahrens Im Ergebnis verbietet § 148 StPO die Beschlagnahme anwaltlicher Unterlagen also nur insoweit, wie diese einen Bezug zum Verfahrensgegenstand haben und zeitlich nach materieller Begründung der Beschuldigtenposition entstanden sind. Einer einfachgesetzlich erweiternden Ansicht ist somit nicht zu folgen. Das Erfordernis der Kenntnis von laufenden Ermittlungen ist hingegen nicht im Gesetz angelegt und somit abzulehnen. Gleiches gilt für die Tendenz des LG Bonn, einmal entstandene Verteidigungsunterlagen in einem zusätzlichen, späteren Ermittlungsverfahren der Beschlagnahme zu unterwerfen. Dem ist der Grundsatz entgegenzusetzen, dass einmal entstandene Verteidigungsunterlagen ihren Charakter als solche nicht verlieren und auch nach Verfahrensende geschützt bleiben. 5. Übertragung der gefundenen Grundsätze auf Unternehmen und sonstige Nebenbetroffene Ist soweit also klar, dass ab Begründung der Beschuldigteneigenschaft ein umfassender Beschlagnahmeschutz anwaltlicher Unterlagen besteht, so stellt sich die Anschlussfrage, wie diese Grundsätze auf solche Rechtssubjekte übertragen werden können, welche formal zwar keine „Beschuldigten“ eines Strafverfahrens sind, zu deren Gunsten § 148 StPO aber über die Verweisung in § 434 I 2 StPO zur Anwendung kommt. Von besonderem Interesse sind in diesem Zusammenhang Unternehmen, die gleiche Problematik ergibt sich aber auch für potentiell von Einziehung und Verfall betroffene natür­ liche Personen. Nach dem Wortlaut des § 434 StPO gelten die darin enthaltenen Rechte dabei nur für den bereits (Neben-)Beteiligten, also denjenigen, dessen Verfahrensbeteiligung bereits angeordnet wurde. Die Beteiligungsanordnung erfolgt grundsätzlich erst durch das Gericht (vgl. §§ 431 I 1, 442, 444 I StPO). In den Fällen der §§ 88, 89 OWiG, wenn also die Anknüpfungstat allein eine Ordnungswidrigkeit darstellt, erfolgt sie durch die Verwaltungsbehörde.234 Jedenfalls soweit das Gericht für die Anordnung zuständig ist, könnten dem Betroffenen die Verteidigungsrechte der §§ 137, 148 StPO also eigentlich frühestens ab Erhebung der Anklage gegen die natürliche Person zu234  Beachte aber auch die Sonderzuständigkeit der Kartellbehörden in § 82 GWB und der Regulierungsbehörde in § 96 EnWG.

238

E. Einfachgesetzliche Lösung der Beschlagnahmeproblematik

kommen.235 Entsprechend verwendet § 431 StPO auch den Begriff des „Angeschuldigten“.236 Auch im Übrigen wäre die Verteidigungsfreiheit erst ab dem Zeitpunkt der förmlichen Anordnung der Verfahrensbeteiligung gewährleistet, welche nach § 431 IV StPO theoretisch noch bis zum Ausspruch der Einziehung (bzw. des Verfalls oder der Verbandsgeldbuße) herausgezögert werden könnte. Nach, soweit ersichtlich, einhelliger Meinung237 gilt § 434 I StPO jedoch auch bereits im vorangehenden Ermittlungsverfahren.238 Begründet wird dies richtigerweise damit, dass § 432 StPO auch bereits dem bloßen Beteiligungsinteressenten eine gewisse Rechtsstellung zuweist239 und überdies die §§ 434 I 1, 137 I 1 StPO die Möglichkeit gewähren, sich „in jeder Lage des Verfahrens“ eines Verteidigers zu bedienen.240 So einig man sich diesbezüglich ist, so unklar bleibt dabei aber, wann besagtes Beteiligungsinteresse bzw. das relevante „Verfahren“ beginnt. a) Parallele zur Bestimmung der Beschuldigteneigenschaft? Möglich wäre zunächst, dies analog zu den oben dargestellten allgemeinen Grundsätzen zum Beginn der Beschuldigteneigenschaft zu bestimmen.241 Der den Schutz des § 148 StPO auslösende Status als Beteiligungsinteressent würde hiernach also dann beginnen, wenn von den Ermittlungsbehörden Maßnahmen ergriffen werden, die erkennbar darauf abzielen, eine Sanktion gegen den Betroffenen zu verhängen. Anstelle einer formalen Beteiligungsanordnung würde also eine materielle Bestimmung des Beteiligungsinteresses treten. Wie auch bei der Beschuldigteneigenschaft würde dieses allerdings grundsätzlich eine Art zielgerichteten, wenn auch zumindest teilweise objektivierten Inkulpationsakt in Bezug auf den Betroffenen selbst voraussetzen. 235  KK-StPO-Schmidt, § 444, Rn. 2; LR-StPO-Gössel, § 444, Rn. 10, § 434, Rn. 2; Wessing, FS Mehle, S. 671; Engelhart, Sanktionierung von Unternehmen, S. 470. 236  LR-StPO-Gössel, § 431, Rn. 2. 237  Wessing, FS Mehle, S. 672; Minoggio, Unternehmen als Nebenbeteiligter, S. 113 („Dies entspricht einhelliger, soweit ersichtlich unbestrittener Ansicht.“). 238  Wessing, FS Mehle, S. 671 f., Kempf/Schilling, in: Volk, MAH-WirtschaftsstrafR, § 10, Rn. 169; LR-StPO-Gössel, § 434, Rn. 2; KK-StPO-Schmidt, § 434, Rn. 2; Rütters/Schneider, GA 2014, 160, 164. 239  LR-StPO-Gössel, § 434, Rn. 2. 240  KK-StPO-Schmidt, §  434, Rn. 2; LR-StPO-Gössel, § 434, Rn. 2; Wessing, FS Mehle, S. 665, 671 f.; Wessing, ZWH 2012, 6, 9 f. 241  Vgl. zum allgemeinen Beschuldigtenbegriff oben unter E.III.2.a)aa)(1).



III. § 148 StPO239

In diese Richtung weisen auch verschiedene Stimmen aus Literatur und Rechtsprechung, welche jedenfalls für die Frage der Verjährungsunterbrechung anhand einer unterschiedlichen „Stoßrichtung“ des Ermittlungsverfahrens – entweder gegen eine natürliche Person oder ein Unternehmen – differenzieren.242 Wenn auch die Interessenlage nicht mit der im Zusammenhang mit den Verteidigungsvorschriften identisch sein mag, so geht daraus doch hervor, dass ein Verfahren gegen eine Leitungsperson nicht automatisch einem Verfahren gegen das Unternehmen gleichgesetzt werden kann, sondern der subjektiven Zielsetzung der Ermittlungsbehörden durchaus rechtliche Bedeutung zukommt. Unproblematisch läge das Beteiligungsinteresse nach diesem Ansatz noch bei Einleitung eines selbständigen, bzw. „objektiven“ Verfahrens gegen ein Unternehmen vor,243 welches von vornherein nicht auf die Verhängung einer Sanktion gegen eine natürliche Person gerichtet ist, aber direkt auf ein Unternehmen abzielt. Gleiches gilt für sonstige selbständige Verfahren (vgl. § 440 StPO). Solange keiner der Prozessbeteiligten auch nur an die Verhängung einer Unternehmenssanktion oder sonstigen Nebenfolge denkt, wäre das für den Schutz des § 148 StPO erforderliche Beteiligungsinteresse allerdings eher zweifelhaft. b) Eigenständige Bestimmung im Rahmen der § 431 ff. StPO Richtigerweise kann im Ergebnis jeder Art von „Stoßrichtung“ der Ermittlungsbehörden im Rahmen der § 431 ff. StPO aber keine Bedeutung zukommen. Vielmehr hat der Schutz des § 148 StPO parallel zu der Regelung über die Anhörung im Ermittlungsverfahren in § 432 I 1 StPO immer schon dann einzugreifen, wenn sich objektive „Anhaltspunkte“ dafür ergeben, dass ein Unternehmen als Nebenbeteiligter bzw. Adressat einer Verbandsgeldbuße in Betracht kommt.244 Denn wenn nach § 432 I 1 StPO für die Anhörungspflicht ausreicht, dass eine Sanktion „in Betracht“ kommt, so kann konsequenterweise nichts anderes für die übrigen „Verteidigungsrechte“ eines von Nebenfolgen oder Verbandsgeldbuße potentiell Betroffenen gelten. Dies ergibt sich schon aus 242  OLG Karlsruhe, NStZ 1987, 79, 80; Peltzer, NJW 1978, 2131, 2132; Göhler, NJW 1979, 1436, 1437. 243  Zum Unterschied zwischen objektiven und subjektiven Verfahren siehe SKStPO-Weßlau, Vor § 430, Rn. 3; LR-StPO-Gössel, Vor § 430, Rn. 2 f. 244  So im Ergebnis auch Minoggio, Unternehmen als Nebenbeteiligter, S. 113.

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E. Einfachgesetzliche Lösung der Beschlagnahmeproblematik

dem zumindest engen Bezug zwischen rechtlichem Gehör und dem Recht auf Verteidigung.245 Egal, ob man mit Teilen der Literatur Letzteres aus Ersterem ableitet246 oder dies mit dem BVerfG ablehnt,247 so eint beide doch das gemeinsame Band ihrer Funktion als Garant der Subjektstellung des Verfahrensbetroffenen.248 Dass ein bloßes „in Betracht Kommen“ ausreicht, findet auch in den übrigen Vorschriften der §§ 431 ff. StPO eine gesetzliche Stütze. Dort wird die Nebenbeteiligung daran geknüpft, dass über eine Nebenfolge oder Verbandsgeldbuße „zu entscheiden“ ist (vgl. §§ 431 I 1, 444 I 1 StPO, §§ 87 I 1, 88 I 1 OWiG). Eine „Entscheidung über“ die Festsetzung einer Sanktion wird aber jedenfalls von den Ermittlungsbehörden immer getroffen, zumindest sofern die Verhängung einer solchen nicht völlig abwegig ist. Entweder wird die Entscheidung getroffen, das Festsetzen einer Sanktion zu betreiben oder es wird die Entscheidung getroffen, hierauf zu verzichten. Auch unter Wertungsgesichtspunkten ist dies die einzig überzeugende Lösung. So mag es bei zwei verschiedenen natürlichen Personen, gegen die als Täter ermittelt wird, noch einen Unterschied machen, ob zielgerichtet Beweise gegen die eine oder die andere gesammelt werden. Jedenfalls im Falle von Unternehmenssanktionen macht die Zielrichtung von Ermittlungen hingegen keinerlei materiellen Unterschied für Art und Umfang der Beweisermittlung. Denn die einzige tatsächliche Voraussetzung für die Verhängung einer Verbandsgeldbuße nach § 30 OWiG ist die Begehung einer bestimmten Tat durch eine Leitungsperson. Alle darüber hinausgehenden Voraussetzungen beschränken sich auf die rechtliche Wertung dieser Tatsachen. Die Tatsachenermittlung durch die Ermittlungsbehörden ist somit identisch, gleich ob die „Stoßrichtung“ der Ermittlungen sich bereits auf das Unternehmen bezieht oder lediglich auf eine natürliche Person. Ob sich ein Verfahren also bereits gegen ein Unternehmen „richtet“ oder lediglich gegen eine natürliche Person, deren Tat als Anknüpfungspunkt für 245  Vgl. zu der in der Literatur vertretenen Herleitung des Rechts auf Verteidigung oben unter B.V.3. Zu der Herleitung aus dem allgemeinen Rechtsstaatsgebot und der Menschenwürde durch das BVerfG vgl. oben unter B.V.2.b); zu der Parallelität inhaltlicher Erwägungen beider Ansätze siehe Rissel, Verfassungsrechtliche Stellung des Rechtsanwalts, S. 76 ff. 246  Vgl. oben unter B.V.3. 247  Siehe oben unter B.V.3. 248  Zu dieser Funktion des rechtlichen Gehörs: Dreier-GG-Schulze-Fielitz, Art. 103 I, Rn. 13; Arndt, NJW 1959, 6, 6; BVerfGE 9, 89, 95 (=  NJW 1959, 427, 427); BVerfGE 39, 156, 168 (=  NJW 1975, 1013, 1015); BVerfGE 107, 395, 409; zur selben Funktion des Rechts auf Verteidigung siehe BVerfGE 63, 380, 390 f. (=  NJW 1983, 1599, 1599); BVerfGE 65, 171, 174 f. (=  NJW 1984, 113, 113); BVerfGE 66, 313, 318 (=  NJW 1984, 2403, 2403).



III. § 148 StPO241

eine Verbandsgeldbuße in Betracht kommt, macht unter keinem hier relevanten Gesichtspunkt einen Unterschied. Das Gewicht von Verfolgungsinteressen des Staates und Verteidigungsinteressen des Betroffenen ist vielmehr in beiden Fällen identisch. Entsprechend muss dann auch der von § 148 StPO vermittelte Schutz in beiden Fällen eingreifen. c) Konkretisierung der Reichweite des § 148 StPO im Anwendungsbereich der §§ 431 ff. StPO Das für §§ 434 I 2, 137 StPO relevante „Verfahren“ kann mithin also auch schon das Verfahren sein, welches formal zunächst allein gegen eine natürliche Person als Täter betrieben wird, solange nur eine Unternehmenssanktion oder sonstige Nebenfolge „in Betracht kommt“. Diese niedrige Schwelle dürfte grundsätzlich immer überschritten sein, wenn ein wirtschaftsstrafrechtliches Ermittlungsverfahren geführt wird, bei welchem anwaltliche Unterlagen des Unternehmens Beweisbedeutung erlangen könnten.249 Denn diese werden nur insoweit überhaupt relevante Informationen enthalten, wie die untersuchte Tat auch einen Bezug zur Tätigkeit in dem Unternehmen hat und so die Gefahr einer Sanktionierung begründet. Einzig im Fall von Straftaten wie der Untreue (§ 266 StGB), welche sich direkt gegen das Unternehmen richten, könnte eine entsprechende Sanktion von vornherein ausscheiden, so dass ein Beteiligungsinteresse „nicht in Betracht“ käme. Selbst im Fall solcher Taten wird jedoch zumindest diskutiert, ob dies eine Bußgeldhaftung des Verbandes aus § 30 OWiG nach sich ziehen könnte.250 Jedenfalls der Wortlaut des § 30 OWiG steht dem nicht entgegen.251 249  Wessing,

in: Volk, MAH-WirtschaftsstrafR, 1. Aufl. 2006, § 11, Rn. 152. Ergebnis ablehnend Grützner, in: Momsen/Grützner, Kap. 4, Rn. 21; KKOWiG-Rogall, § 30, Rn. 95; Göhler-OWiG-Gürtler, § 30, Rn. 25; Grützner/Leisch, DB 2012, 787, 789 f.; Helmrich, wistra 2010, 331; Brender, Verbandstäterschaft, S. 128; Jeger, Geldbuße, S. 32 ff.; offengelassen von OLG Celle, wistra 2005, 160. Teilweise wird eine solche Geldbuße grundsätzlich für möglich gehalten, wobei es auf den Einzelfall ankomme. Soweit ersichtlich soll es sich dabei aber wohl nur um Anschlusstaten handeln, welche die unternehmensschädigende Vortat verdecken sollen. Ganz deutlich wird dies jedoch nicht. Als Beispiel werden jeweils falsche Steuerangaben für das Unternehmen genannt, welche die zuvor begangene Untreue oder Unterschlagung verdecken sollen, siehe dazu Pohl-Sichtermann, Geldbuße gegen Verbände, S. 162 ff.; Rebmann/Roth/Herrmann-Förster, § 30, Rn. 34; Lemke-Mos­ bacher, OWiG, § 30, Rn. 58. 251  Zur diesbezüglich ebenfalls unklaren Rechtslage auf Basis des nordrheinwestfälischen Entwurfs zur Verbandsstrafbarkeit vgl. Hoven/Wimmer/Schwarz/Schumann, NZWiSt 2014, 161, 163 ff. 250  Im

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E. Einfachgesetzliche Lösung der Beschlagnahmeproblematik

Obgleich die Literatur eine solche Haftung überwiegend verneint, so muss das verbleibende Risiko dennoch ausreichen, um jedenfalls die Rechte aus §§ 434 I, 137, 148 StPO zu begründen. Denn, wie oben dargelegt, reicht aus, dass eine entsprechende Sanktion „in Betracht“ kommt. Dies muss umso mehr gelten als neben diese rechtliche Unsicherheit noch eine tatsächliche tritt. Denn selbst bei solchen Straftaten von Organwaltern, die sich zunächst gegen das Unternehmen richten, besteht immer auch eine gewisse Wahrscheinlichkeit, dass dadurch oder im Anschluss daran auch gegen originäre Pflichten des Unternehmens verstoßen wird.252 Zu denken ist etwa an sich anschließende steuerliche Delikte oder die Konstellation der „schwarzen Kassen“. In letzterem Fall mag zwar der schlichte Entzug von Vermögensmitteln durch einen Mitarbeiter am Anfang stehen und so eine Untreuestrafbarkeit zulasten des Unternehmens begründet werden. Im Lauf einer Untersuchung kann sich dann jedoch herausstellen, dass dies nicht der eigenen Bereicherung der jeweiligen natürlichen Person dienen sollte, sondern der Begehung von anderen Taten zugunsten des Unternehmens, insbesondere von Korruptionsdelikten.253 Darüber wird zu Anfang eines Ermittlungsverfahrens aber in der Regel noch keine Klarheit bestehen.254 In der Regel besteht also sowohl in rechtlicher als auch tatsächlicher Hinsicht auch bei gegen ein Unternehmen gerichteten Taten keine hinreichende Sicherheit, dass diese nicht zum Anknüpfungspunkt einer Verbandsgeldbuße gemacht werden. Solange dies aber nicht der Fall ist, muss eine (Neben-)Beteiligung auch hier als „in Betracht“ kommend angesehen werden. Dabei besteht im Übrigen auch kein plausibler Grund, diese potentielle Betroffenheit restriktiv zu handhaben. Denn wenn sie tatsächlich einmal nicht besteht, finden sich Unternehmen also wirklich ausschließlich als Opfer einer Straftat wieder, so sind sie ohnehin „natürliche Verbündete“255 252  Zu vermuten ist, dass dies auch von den oben genannten Literaturansichten gemeint ist, die eine Verbandsgeldbuße für Straftaten zulasten des Unternehmens grundsätzlich für möglich halten, vgl. Pohl-Sichtermann, Geldbuße gegen Verbände, S. 162 ff.; Rebmann/Roth/Herrmann-Förster, § 30, Rn. 34; Lemke-Mosbacher, OWiG, § 30, Rn. 58. 253  Vgl. zur Untreue durch Bildung schwarzer Kassen etwa MüKo-StGB-Dierlamm, § 266, Rn. 244 ff.; ausführlich dazu auch die Disseration von Tsagkaraki, Die Bildung der sog. „schwarzen Kassen“ als strafbare Untreue gemäß § 266 StGB; siehe zur faktischen Verknüpfung der §§ 266 und 299 StGB auch etwa Ransiek, NJW 2009, 95, 95. 254  Siehe zu einer entsprechenden Kritik an einer Differenzierung zwischen Straftaten zum Nachteil oder im Interesse juristischer Personen auch Feigen/Livonius, FS Wolter, S. 891, 904 f. 255  Bock, Criminal Compliance, S. 24.



IV. § 97 StPO243

der Strafverfolgungsbehörden und würden somit alle verfügbaren Informationen auch freiwillig zur Verfügung stellen. Eine Beschlagnahme hätte somit für die Behörden nur in solchen Situationen einen Mehrwert, in denen sie nach den hier vertretenen Grundsätzen unzulässig wäre. Selbst wenn das Gericht oder (im vorbereitenden Verfahren) die Staatsanwaltschaft von der Möglichkeit des § 430 StPO Gebrauch gemacht hat, von der Anordnung von Einziehung oder Verfall förmlich abzusehen, so ändert diese ebenfalls nichts am Bestehen der Rechte aus § 434 I StPO. Für die Verhängung eines Bußgeldes besteht die Möglichkeit eines förmlichen Absehens einer Sanktionierung mangels Verweises in § 444 StPO schon gar nicht. Im Übrigen ergibt sich die davon unabhängige Geltung von §§ 434 I 2, 148 StPO schon daraus, dass eine solche Beschränkung gem. § 430 III StPO jederzeit wieder aufgehoben werden kann und für diesen Fall lediglich ab diesem Zeitpunkt § 265 StPO mit der Konsequenz gilt, dass ab dann „Gelegenheit“ zur Verteidigung gegeben werden muss. Würde man deshalb nicht unabhängig von einer tatsächlich durch Gericht und Staatsanwaltschaft anvisierten Sanktionierung der juristischen Person die Rechte aus §§ 434 I 2, 148 StPO zugestehen, so könnte das Gericht effektiv über das Bestehen eines Beschlagnahmeverbotes nach Belieben verfügen. Im hier relevanten Zusammenhang ergibt sich mithin, dass auch Unternehmen jedenfalls in bereits laufenden wirtschaftsstrafrechtlichen Verfahren im Zusammenhang mit betriebsbezogenen Taten sehr weitgehend durch § 148 StPO geschützt sind. Sofern in einem Ermittlungsverfahren auch nur die Möglichkeit einer gegen sie gerichteten Sanktion besteht, kann auch das Unternehmen einen Verteidiger mandatieren. Ab diesem Zeitpunkt werden Unterlagen vor Beschlagnahme geschützt, welche dieser Vertrauensbeziehung entspringen.

IV. § 97 StPO Bisher wurde festgestellt, dass § 148 StPO zwar im Grundsatz umfassend auch auf Unterlagen eines Unternehmensanwalts anwendbar ist. Seine Reichweite in zeitlicher Hinsicht ist jedoch begrenzt und endet dort, wo ein Verfahren noch nicht eingeleitet wurde. Im Folgenden ist nun das Potential von § 97 StPO zu untersuchen, diese Schutzlücke zu schließen. Wie beschrieben schützt § 97 I StPO i. V. m. § 53 I 1 Nr. 3 StPO grundsätzlich auch solche Unterlagen, welche innerhalb einer Vertrauensbeziehung zu einem Rechtsanwalt entstanden sind, der nicht zugleich Verteidiger ist. Auf den Zeitpunkt der Entstehung dieser Unterlagen kommt es insoweit nicht an, insbesondere sind also auch solche Unterlagen geschützt, welche

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E. Einfachgesetzliche Lösung der Beschlagnahmeproblematik

vor Einleitung eines Verfahrens und vor Begründung der Beschuldigtenstellung entstanden sind. Im Zusammenhang mit § 97 StPO ist daher nicht die zeitliche Dimension problematisch, sondern vielmehr zwei andere Problemfelder zu unterscheiden. Eines betrifft die Frage nach dem persönlichen Anwendungsbereich von § 97 I StPO. Das andere betrifft die Frage nach der Bedeutung von Gewahrsam an den betreffenden Unterlagen, mithin also die sachliche Reichweite von § 97 StPO. 1. Der persönliche Anwendungsbereich von § 97 StPO Unproblematisch zur Anwendung kommt § 97 StPO zunächst nur insoweit, wie es um die Beschlagnahme von anwaltlichen Unterlagen in einem Verfahren gegen eine natürliche Person geht, welche zugleich Mandant des Rechtsanwalts und Beschuldigte in dem betreffenden Verfahren ist. Problematisch ist aber die Anwendbarkeit von § 97 StPO auf alle übrigen Mandatsbeziehungen, insbesondere solche zu Nichtbeschuldigten und allgemein zu Unternehmen. Im Folgenden soll zunächst anhand des § 97 I Nr. 3 StPO untersucht werden, inwieweit natürlichen Personen auch dann der Beschlagnahmeschutz zugute kommt, wenn sie selbst nicht Beschuldigte sind. Im Anschluss an eine Analyse des gesetzlichen Schutzzwecks und im Einklang mit den obigen Ergebnissen zur verfassungsrechtlichen Notwendigkeit eines Beschlagnahmeschutzes wird diese Frage verneint werden. Gesondert hiervon soll die generelle Anwendbarkeit des § 97 StPO auf Unternehmen erörtert werden. Dabei wird gezeigt werden, dass die oben abgelehnte weite Auslegung von § 97 I Nr. 3 StPO – entgegen der bisherigen Annahme in der Literatur – weder automatisch zu einer Erstreckung des Schutzes auf Unternehmen führen würde, noch die einzige Möglichkeit hierfür darstellt. Auf Grundlage einer systematischen Analyse der (straf-) prozessualen Verortung von Unternehmen und einer aus gesetzlichen Wertungsmodellen entnommenen normativen Verifizierung des oben genannten Abschreckungseffekts wird dann im Ergebnis auch für Unternehmen eine grundsätzliche Anwendbarkeit des gesamten § 97 I StPO bejaht werden. Eingeschränkt wird dieses Ergebnis lediglich in gleichem Maß wie bei natürlichen Personen. Soweit das Unternehmen also nicht die Stellung eines (Quasi-)Beschuldigten bzw. Nebeninteressenten hat, kommt auch diesem ein Beschlagnahmeschutz nicht zugute.



IV. § 97 StPO

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a) § 97 I Nr. 3 StPO – natürliche Personen in ihrer Eigenschaft als Nichtbeschuldigte Die Frage nach der richtigen Auslegung von § 97 I Nr. 3 StPO stellt zunächst eine der wohl prominentesten Diskussionen im Zusammenhang mit dem Beschlagnahmeschutz dar. Eine Meinung schließt dabei aus der im Vergleich zu Nr. 1 und Nr. 2 fehlenden Nennung des „Beschuldigten“, dass auch Unterlagen aus Mandatsbeziehungen zu vollständig Nichtbeschuldigten einem Beschlagnahmeverbot unterliegen.256 Die wohl noch herrschende Gegenmeinung hebt den systematischen Zusammenhang mit Nr. 1 und Nr. 2 hervor und liest auch in Nr. 3 einen notwendigen Bezug zum Beschuldigten hinein.257 aa) Ambivalenz von Wortlaut, Systematik und Historie Zunächst ist wenig verwunderlich, dass die schon seit der Neufassung der Vorschrift im Jahre 1953 bestehende Problematik258 bis heute trotz einer großen Anzahl von Publikationen nicht verlässlich geklärt ist. Denn auch wenn für beide Ansichten beachtenswerte Argumente vorgebracht werden können,259 so wird man letztlich doch zu dem Ergebnis kommen müssen, dass weder Wortlaut noch Systematik noch Gesetzeshistorie eine eindeutige Richtung vorgeben. Vielmehr scheint es sich dabei schlicht um eine Problematik zu handeln, die der Gesetzgeber weitgehend übersehen hat. 256  Gercke, FS Wolter, S. 933, 945; Jahn/Kirsch, in: Rotsch, Hdb. Criminal Compliance, Rn. 103; Jahn, ZIS 2011, 453; Jahn/Kirsch, StV 2011, 151, 152 ff.; Fritz, CCZ 2011, 156, 157 f.; Krekeler, NStZ 1987, 199, 201; Beulke, FS Lüderssen, S. 693, 706; Schäfer, FS Hanack, S. 77, 93 ff.; AK-StPO-Amelung, § 97, Rn. 14; Bock/Gerhold, in: Knierim/Rübenstahl/Tsambikakis, Kap. 5, Rn. 31 ff.; OLG Köln, NStZ 1991, 452. 257  Winkler, Vertrauensverhältnis, S. 97 ff.; Klahold/Berndt, in: Momsen/Grützner, Wirtschaftsstrafrecht, Kap. 3, Rn. 48; LR-StPO-Menges, § 97, Rn. 21; Meyer-Goßner-Schmitt, § 97, Rn. 10a; KK-StPO-Nack, § 97, Rn. 6; SK-StPO-Wohlers, § 97, Rn. 12; Wessing, DAV-FS, S. 907, 927; Görtz-Leible, Beschlagnahmeverbote, S. 212 ff.; Huber-Lotterschmid, Verschwiegenheitspflichten, S.  104 ff.; Ciolek-Krepold, Durchsuchung und Beschlagnahme, Rn. 254; Krekeler, NStZ 1987, 199, 201; LG Hamburg, NJW 2011, 945; LG Bielefeld, StV 2000, 12, 13; LG Koblenz MDR 1983, 779; ablehnende Ansicht gebilligt von BVerfG, NStZ-RR 2004, 83; BVerfG, NJW 2009, 281. 258  Jahn/Kirsch, StV 2011, 151, 153. 259  Die hier nicht noch ein weiters mal vollständig dargestellt werden sollen, vgl. stattdessen ausführlich zur Argumentation für die extensive Ansicht nur Jahn, ZIS 2011, 453, 455 ff.; für die Gegenansicht etwa Huber-Lotterschmid, Verschwiegenheitspflichten, S.  104 ff.

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E. Einfachgesetzliche Lösung der Beschlagnahmeproblematik

bb) Teleologische Auslegung Dementsprechend ist die (einfachgesetzliche) Lösung des Problems anhand einer teleologischen Auslegung zu suchen. Über den gesetzgeberischen Zweck des § 97 StPO (bzw. des hier interessierenden § 97 I i. V. m. § 53 I 1 Nr. 3 StPO) besteht allerdings nach wie vor keine Einigkeit. Einzig in dem Ausgangspunkt, dass die Beschlagnahmeverbote nach § 97 I StPO eine Umgehung der Zeugnisverweigerungsrechte vermeiden sollen, stimmen Literatur und Rechtsprechung noch durchgehend überein.260 Das ist angesichts der an die §§ 52, 53 StPO anknüpfenden gesetzlichen Regelungstechnik des § 97 I StPO im Grundsatz auch nicht zu beanstanden. Auch dass das Zeugnisverweigerungsrecht nach § 53 I 1 Nr. 3 StPO in einem umfassenden Sinn, sowohl in einem Verfahren gegen den Mandaten selbst als auch gegen Dritte,261 gilt und alle anlässlich der Mandatsausübung bekanntgewordenen Tatsachen umfasst, ist allgemein anerkannt.262 Wie weit der Umgehungsschutz des § 97 I StPO aber reicht, ist im Einzelnen hoch umstritten. In der Literatur wird der Schutzzweck von § 97 I StPO dabei zumeist nicht isoliert behandelt, sondern die enge Anbindung der Beschlagnahmeverbote an die Zeugnisverweigerungsrechte betont und deshalb auf die hierzu gefundenen Ergebnisse verwiesen.263 Dem folgend soll hier ebenfalls im Wesentlichen auf den Meinungsstand zu den Schutzzwecken von § 53 I 1 Nr. 3 StPO zurückgegriffen und davon ausgegangen werden, dass hiermit auch die Schutzzwecke von § 97 I i.v.m. § 53 I 1 Nr. 3 StPO beschrieben werden. (1) Kein vollständiger Umgehungsschutz Festzustellen ist zunächst, dass § 97 StPO keinen umfassenden Umgehungsschutz für die dort in Bezug genommenen Zeugnisverweigerungsrechte bezwecken kann.264 Insofern kann dem BVerfG zwar in seiner Feststel260  Vgl. BeckOK-StPO-Ritzert, § 97 Rn. 2; LR-StPO-Menges, § 97 Rn. 2; HKStPO-Gercke, § 97 Rn. 1; SK-StPO-Wohlers, § 97 Rn. 1; Welp, FS Gallas, S. 391, 410; BVerfGE 20, 162 (=  NJW 1966, 1603, 1613); BGHSt 38, 144, 145 (=  NJW 1992, 763, 764). 261  BGHSt 33, 148, 152 f. (=  NJW 1985, 2203, 2204); KK-StPO-Huber, § 53, Rn. 7; Schmitt, Zeugnisverweigerungsrechte, S. 115. 262  Welp, FS Gallas, S. 391, 398. 263  Vgl. Michalowski, ZStW 109 (1997), 519, 527 ff.; Butenuth, Absolute oder relative Wirkung, S. 192; Schmitt, Zeugnisverweigerungsrechte, S. 135; Huber-Lotterschmid, Verschwiegenheitspflichten, S. 104. 264  LR-StPO-Menges, § 97, Rn. 3 ff.; Meyer-Goßner-Schmitt, § 97, Rn. 10; Weinmann, FS Dünnebier, S. 199, 207 f.; Ciolek-Krepold, Durchsuchung und Beschlag-



IV. § 97 StPO247

lung von der „Gleichwertigkeit von aufgezeichnetem und nicht aufgezeichnetem Wissen“265 zugestimmt werden, die konkrete gesetzliche Regelung reflektiert dies aber nur teilweise. Dies ergibt sich schon direkt aus der differenzierten Regelungstechnik des § 97 StPO.266 Wäre das Ziel ein umfassender Umgehungsschutz gewesen, so hätte ein einziger Satz nach dem Vorbild des § 97 IV 1 StPO ausgereicht. An seiner statt hat sich der Gesetzgeber für eine Regelung entschieden, welche in gängigen Kommentaren nicht selten eine ganze Seite einnimmt. So sind etwa „Aufzeichnungen“ und „andere Gegenstände“ i. S. v. § 97 I Nr. 2, 3 StPO nur dann geschützt, wenn diese von Zeugnisverweigerungsberechtigten nach § 53 I 1 Nr. 1 bis 3 b StPO gemacht wurden, nicht aber von solchen nach § 52 StPO.267 Ebenso wurde das Beschlagnahmeverbot bezüglich der Zeugnisverweigerungsberechtigten nach § 53 I 1 Nr. 4, 5 StPO einer gesonderten Regelung in § 97 IV, V StPO zugeführt anstatt es auch diesbezüglich bei der allgemeinen Regelung von § 97 I StPO zu belassen, welcher überdies seinerseits kein umfassendes Verbot statuiert, sondern drei verschiedene Arten von Gegenständen explizit aufzählt.268 Im Ergebnis erschließt sich das Ziel eines umfassenden Umgehungsverbots auch ebenso wenig aus einer historischen Betrachtung. So lassen sich in den Materialien zwar durchaus Passagen finden, die einen sehr umfassenden Umgehungsschutz nahelegen würden. Dies begann schon bei den Entwürfen zur RStPO: „der Entwurf […] untersagt die Beschlagnahme der Korrespondenz schlechthin, indem er das Vertrauensverhältnis zwischen dem Beschuldigten und jenen Personen als entscheidend annimmt.“269

In ähnlicher Weise lassen sich die Materialien zum 3. StrafÄndG lesen: „Der Vorschlag beruht auf der Überlegung, daß das Recht eines Geheimnisträgers, über sein Wissen das Zeugnis zu verweigern, nicht dadurch umgangen werden darf, daß sein schriftlich niedergelegtes Wissen beschlagnahmt werden kann.“270 nahme, Rn. 252; Beulke/Lüdke/Swoboda, Unternehmen im Fadenkreuz, S. 45 ff.; Butenuth, Absolute oder relative Wirkung, S. 151 ff.; Görtz-Leible, Beschlagnahmeverbote, S. 212 ff.; OLG Celle, NJW 1965, 362, 363. 265  BVerfG 32, 373, 385 (=  BVerfG, NJW 1972, 1123, 1125). 266  Vgl. hierzu im Einzelnen LR-StPO-Menges, § 97, Rn. 3 ff. 267  LR-StPO-Menges, § 97, Rn. 3; HK-StPO-Gercke, § 97, Rn. 1. 268  Hieraus schließt auch Görtz-Leible, Beschlagnahmeverbote, S. 245, dass ein vollständiger Umgehungsschutz nicht das Ziel gewesen sein kann. 269  Hahn/Stegemann, Bd. 3, Abt. 1, S. 124. 270  Regierungsentwurf zum 3. StrafÄndG, BT-Drucks. 1/3713, S. 49.

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E. Einfachgesetzliche Lösung der Beschlagnahmeproblematik

Angesichts des klar differenzierenden Wortlauts von § 97 StPO wird man derartige Passagen im Ergebnis aber nur auf zweierlei Weise interpretieren können: Entweder manifestiert sich darin ein offensichtlicher Wertungswiderspruch im gesetzgeberischen Willen selbst oder, was wahrscheinlicher erscheint, es handelt sich dabei nur um die formelhafte Bestätigung der unstreitigen Grundfunktion des § 97 StPO. Aus den genannten Textpassagen geht also letztlich nicht mehr hervor als die Tatsache, dass § 97 StPO grundsätzlich einen gewissen Umgehungsschutz bietet, nicht aber wie weit dieser wirklich gehen soll. Der oft zitierte Satz von Dünnebier „was der Mund nicht zu offenbaren braucht, darf auch der Hand nicht entrissen werden“271 drückt somit zwar den richtigen Grundgedanken aus, wird aber der differenzierenden Regelung des § 97 StPO letztlich nicht gerecht. Dass § 97 StPO „nahezu Rund­ umschutz“272 bietet, ist somit zumindest zweifelhaft. Jedenfalls ergibt sich aus dem Topos vom Umgehungsschutz kein eigenständiges Argument für die Beantwortung von konkreten Sachfragen.273 Insbesondere im Rahmen der Diskussion um den persönlichen Anwendungsbereich von § 97 I Nr. 3 StPO erweist sich der Umgehungsschutz dabei nicht selten als im Gewand des Arguments verkleidete Vorwegnahme eines Auslegungsergebnisses. Für die Beantwortung von Einzelfragen zur Reichweite von § 97 I StPO kann der postulierte Zweck, einen Umgehungsschutz zu gewährleisten, aber richtigerweise nur eingeschränkt herangezogen werden274 und allenfalls die Funktion einer Zweifelsregelung einnehmen. (2) S  chutz des Vertrauensverhältnisses Ähnlich verhält es sich mit dem Schutz des „Vertrauensverhältnisses“ als Zweck der Beschlagnahmeverbote. Dies zum Normzweck zu erheben275 bleibt letztlich nichtssagend im Hinblick auf die konkrete Reichweite eines solchen Schutzes und beschreibt lediglich das Ergebnis einer Abwägung verschiedener Interessen. Damit wird weniger zur Aufklärung von Sachfragen beigetragen als vielmehr zur Verschleierung der zentralen Frage, warum und in welchem Maß das Vertrauen in ein solches Verhältnis materiell schützenswert und normativ begründet ist.276 271  Dünnebier,

Sonderstellung der Presse, S. 39, 44. FS Rieß, S. 633, 634. 273  So auch bereits Schmitt, Zeugnisverweigerungsrechte, S. 135. 274  Schmitt, Zeugnisverweigerungsrechte, S. 135. 275  So etwa (neben anderen Zwecken) Huber-Lotterschmid, Verschwiegenheitspflichten, S. 35. 272  Wolter,



IV. § 97 StPO249

(3) D  as nemo-tenetur-Prinzip (a) Zum Meinungsstand in der Literatur Als Schutzzweck sowohl von § 53 I 1 Nr. 3 StPO als auch von § 97 I StPO wird oftmals auch das Verbot des Selbstbezichtigungszwangs („nemo tenetur se ipse accusarum“) genannt.277 276

So mache es die besondere Angewiesenheit auf den Kontakt zu einem Zeugnisverweigerungsberechtigten (und damit auch zu einem Rechtsanwalt) notwendig, den entsprechenden Kommunikationsinhalt vor staatlichem Zugriff zu schützen. Andernfalls würde ein mittelbarer Zwang zur Aussage für den (späteren) Beschuldigten und damit ein Verstoß gegen den nemo-tenetur-Grundsatz bestehen278 und eine ungestörte Inanspruchnahme der Berufsgeheimnisträger wäre nicht mehr möglich.279 Im spezifischen Zusammenhang mit § 97 I StPO wird die Diskussion um den Schutzzweck dadurch verkompliziert, dass dies oftmals mit der Frage nach der richtigen Auslegung von § 97 I Nr. 3 StPO verknüpft wird. Nemo-tenetur komme als Erklärungsansatz hiernach nur bei einer engen Auslegung des persönlichen Anwendungsbereichs von § 97 I Nr. 3 StPO in Frage, also nur dann, wenn dieser auf die Beziehung zu dem Beschuldigten beschränkt bliebe und nicht auch auf Mandatsbeziehungen zu Dritten anzuwenden wäre.280 Aufgrund der Unergiebigkeit von Gesetzesmaterialien und Wortlaut ist dies zwar nicht verwunderlich, trägt aber auch nicht zur Klarheit der Diskussion bei. Letztlich wird dadurch nur die Gefahr eines Zirkelschlusses 276  So richtig bereits Rengier, Zeugnisverweigerungsrechte, S. 14; Butenuth, Absolute oder relative Wirkung, S. 195; Lorenz, MDR 1992, 313, 315. 277  Nickolai, in: Wabnitz/Janovsky, Kap. 25, Rn. 3; Beulke, FS Achenbach, S. 39, 40; HK-StPO-Gercke, § 97, Rn. 5; Ciolek-Krepold, Durchsuchung und Beschlagnahme, Rn. 252; Welp, JZ 1974, 423, 423; Rengier, Zeugnisverweigerungsrechte, S. 23 (im Zusammenhang mit den Zeugnisverweigerungsrechten); Petry, Beweisverbote, S. 45 ff. (im Zusammenhang mit den Zeugnisverweigerungsrechten); Neumann, Zeugnisverweigerungsrechte, S. 124 ff., 154 f. (im Zusammenhang mit den Zeugnisverweigerungsrechten); HK-StPO-Gercke, § 97, Rn. 5; Tsambikakis, Zeugnisverweigerungsrechte aus beruflichen Gründen, S. 55 f. 278  Petry, Beweisverbote, S. 45 f.; Ciolek-Krepold, Durchsuchung und Beschlagnahme, Rn. 252 ff. 279  HK-StPO-Gercke, § 97, Rn. 5. 280  Schmitt, Zeugnisverweigerungsrechte, S. 121; AK-StPO-Amelung, § 97, Rn.14 f. (der im Ergebnis aber einen erweiterten persönlichen Anwendungsbereich annimmt und in der Konsequenz auch die Selbstbelastungsfreiheit als Erklärungsansatz verwirft); Petry, Beweisverbote, S. 46; Huber-Lotterschmid, Verschwiegenheitspflichten, S. 37.

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E. Einfachgesetzliche Lösung der Beschlagnahmeproblematik

begründet, wenn einerseits eine bestimmte Auslegung zur Grundlage für die Bestimmung des Schutzzweckes gemacht wird und andererseits der Schutzzweck zur Gewinnung eines Auslegungsergebnisses dienen soll. Ein ähnlicher Schluss „von der Auslegung auf die Auslegung“ wird zuweilen auch im Zusammenhang mit dem Gewahrsamserfordernis gezogen. So wird der nemo-tenetur-Grundsatz als Schutzzweck des Beschlagnahmeverbots teilweise mit dem Argument abgelehnt, dass dies nicht mit dem Gewahrsamserfordernis des § 97 II 1 StPO vereinbar sei.281 Wäre das Gewahrsamserfordernis restriktiv auszulegen und würde es somit den Schutz von Unterlagen im Gewahrsam des Beschuldigten ausschließen, wäre dies auch richtig. Denn eine Selbstbelastungsgefahr besteht gleichermaßen bei jeder Art von Zugriff auf die betreffenden Kommunikationsinhalte, die örtliche Belegenheit des Gegenstands ändert daran nichts. Wie noch zu zeigen sein wird ist der Wortlaut an dieser Stelle aber keineswegs so klar, dass hieraus Schlüsse auf den Schutzzweck des gesamten § 97 StPO gezogen werden könnten. Vielmehr verbietet nach der hier vertretenen und unten noch ausführlich zu entwickelnden Ansicht § 97 StPO die Beschlagnahme anwaltlicher Unterlagen auch dann, wenn sich diese im Gewahrsam des Mandanten befinden.282 (b) Eigene Bewertung Zunächst lassen sich dem Gesetz ohne Rückgriff auf die erwähnten, auf eine bestimmte Auslegung in anderen Detailfragen gründenden, Zirkelschlüsse keine objektiven Anhaltspunkte erkennen, die die Annahme des nemo-tenetur-Prinzips als Schutzzweck nahelegen. Ebenso bestehen keinerlei Anhaltspunkte hierfür in den Gesetzesmaterialien. Der nemo-tenetur-Grundsatz wird, soweit ersichtlich, niemals im Zusammenhang mit den Beschlagnahmeverboten aus § 97 I i. V. m. § 53 I 1 Nr. 3 StPO genannt. Zwar wurde im Zusammenhang mit der Erweiterung des Zeugnisverweigerungsrechts auf Berater zu Fragen der Betäubungsmittelabhängigkeit die Gefahr einer Offenbarung eigener Straftaten thematisiert.283 Dies geschah allerdings nur unter dem Gesichtspunkt der Abschreckung von notwendigen, im Allgemeininteresse liegenden Beratungsleistungen. 281  LR-StPO-Menges, § 97, Rn. 16; Michalowski, ZStW 109 (1997), 519, 528; Schmitt, Zeugnisverweigerungsrechte, S. 52. 282  Siehe ausführlich unten unter E.IV.2. 283  Bericht des Rechtsausschusses zum Entwurf eines Gesetzes zur Einführung eines Zeugnisverweigerungsrechts für Beratung in Fragen der Betäubungsmittelabhängigkeit, BT-Drucks. 12/2738, S. 4.



IV. § 97 StPO

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Noch deutlicher wurde dies im gleichen Gesetzgebungsverfahren an anderer Stelle. Hier wurden die gesetzgeberisch intendierten Zwecke von § 53 StPO explizit aufgezählt.284 Die Verhinderung von Selbstbelastung befand sich nicht darunter. Entscheidend gegen das nemo-tenetur-Prinzip als Schutzzweck des § 97 StPO spricht schließlich die begrenzte sachliche Reichweite der richtig verstandenen und anerkannten Selbstbelastungsfreiheit, welche im Rahmen der verfassungsrechtlichen Analyse bereits ausführlich dargestellt wurde.285 Hiernach steht die Beschlagnahme anwaltlicher Unterlagen jedenfalls im Grundsatz286 nicht im Konflikt mit dem nemo-tenetur-Prinzip, da es aufgrund der grundsätzlich fortbestehenden Entscheidungsfreiheit an einem Zwang zur Offenbarung von nachteiligen Informationen fehlt und selbst der quasi „erzwungene“ Verzicht auf anwaltlichen Beistand nicht mit einer Selbstbelastung gleichzusetzen ist. Zwar bliebe es dem Gesetzgeber unbenommen, im Rahmen des § 97 StPO über den verfassungsrechtlich zwingenden Schutz hinauszugehen. Sind aber wie hier keinerlei verlässliche Anzeichen dafür ersichtlich, dass dies im Zu­ sammenhang mit der Selbstbelastungsfreiheit gewollt war, so muss sich die hier vorzunehmende Bestimmung des Schutzzweckes an den oben erzielten Ergebnissen zur Relevanz der Selbstbelastungsfreiheit für die Beschlagnahme anwaltlicher Unterlagen orientieren. Hiernach ergibt sich, dass das nemo-tenetur-Prinzip grundsätzlich keine Einschränkung der allgemeinen Beschlagnahmefähigkeit anwaltlicher Unterlagen erfordert und es somit auch nicht als Schutzzweck für die Auslegung weiterer Einzelfragen herangezogen werden kann. (4) S  chutz des Zeugnisverweigerungsberechtigten vor Konflikten Ebenso wenig kann schließlich der Schutz von Zeugnisverweigerungsberechtigten vor Konflikten als Schutzzweck von § 97 StPO gelten.287 284  Entwurf des Bundesrates zu einem Gesetzes zur Einführung eines Zeugnisverweigerungsrechts für Beratung in Fragen der Betäubungsmittelabhängigkeit, BTDrucks. 12/870, S. 5. 285  Vgl. oben B.III. 286  Vgl. zu möglicherweise abweichenden Erwägungen im Zusammenhang mit Mandatsverhältnissen zu Unternehmen oben unter B.III.2. Im Ergebnis wird dort ein Beschlagnahmeschutz aufgrund des nemo-tenetur-Prinzips allerdings auch in diesem Zusammenhang abgelehnt. 287  So aber BGHSt 9, 59, 61 (=  NJW 1956, 599, 600); Rengier, Zeugnisverweigerungsrechte, S. 13; KK-StPO-Senge, § 53, Rn. 1.

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E. Einfachgesetzliche Lösung der Beschlagnahmeproblematik

Bereits im Zusammenhang mit § 53 StPO kann die dahingehend vertretene Ansicht nicht überzeugen.288 Hieran ändert auch nichts, dass in den Materialien zu einer Gesetzesänderung von 1992 ein solcher zumindest ergänzend explizit genannt wurde.289 Denn zunächst ist schon nicht ganz klar, was damit jeweils gemeint ist. Die Verhinderung eines rechtlichen Pflichtenwiderstreits kann schwerlich beabsichtigt sein. Ein solcher bestünde ebenso wenig ohne ein Zeugnisverweigerungsrecht, denn in diesem Fall wäre die Verwirklichung des Tatbestands des § 203 StGB gerechtfertigt.290 In diesem Sinn würde das Zeugnisverweigerungsrecht also keinen Pflichtenkonflikt verhindern, sondern schlicht den Vorrang einer von beiden Pflichten statuieren. Diese in Gestalt des Zeugnisverweigerungsrechts getroffene Vorrangentscheidung würde dann in geradezu klassischer Weise zirkulär mit ihr selbst erklärt werden. Gemeint sein könnte demnach also höchstens eine Art moralischer Pflichtenwiderstreit,291 bei dem der Berufsgeheimnisträger wählen müsste zwischen der staatsbürgerlichen Pflicht zur Mitwirkung an der Aufklärung von Straftaten und seinem Versprechen der Geheimhaltung gegenüber dem Beschuldigten. Das Konzept würde damit den frühesten Begründungsansätzen eines Attorney-Client Privilege in den englischen Gerichten des 18. Jahrhunderts ähneln. Grundlage eines prozessualen Schutzes der Geheimsphäre war hier noch „the oath and honor of the attorney“, der Gedanke also, dass von einem respektablen „gentleman“ nicht erwartet werden könne, das Vertrauen seines Klienten durch Weitergabe entsprechender Informationen zu missbrauchen.292 288  Weigend, Gutachten 62. DJT, C 82; Schmitt, Zeugnisverweigerungsrechte, S. 118 f. (mit einer Ausnahme für den Geistlichen); BGHZ 109, 260, 268 f. (=  NJW 1990, 510, 511 f.). 289  Regierungsentwurf eines Gesetzes zur Einführung eines Zeugnisverweigerungsrechts für Beratung in Fragen der Betäubungsmittelabhängigkeit, BT-Drucks. 12/870, S. 5 („auch die ins Vertrauen gezogene Person der Zwangslage enthebt, infolge der Zeugnispflicht einen Geheimnisbruch begehen zu müssen.“). 290  Rengier, Zeugnisverweigerungsrechte, S.  173  f.; Schmitt, Zeugnisverweigerungsrechte, S. 118; Ehrenberg, Verschwiegenheit, S. 232 f.; Schönke/Schröder-StGBLenckner/Eisele, § 203, Rn. 29; freilich ohne Bezugnahme speziell auf § 203 StGB findet sich diese Einsicht bereits bei Wigmore, Treatise on Evidence, § 2290. 291  Schmitt, Zeugnisverweigerungsrechte, S. 118; Ehrenberg, Verschwiegenheit, S. 233. 292  Vgl. zu diesem historischen Verständnis des Attorney-Client Privilege nur Wigmore, Treatise on Evidence, § 2290; Gergacz, Attorney-Corporate Client Privilege, § 1:4; Note, Yale L. J. 71 (1962), 1226, 1228; Gergacz, The Business Lawyer 38 (1983), 1653, 1670; Radin, California L. Rev. 16 (1928), 487, 487; Peiris, International and Comparative L.Q. 31 (1982), 609, 609.



IV. § 97 StPO

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Aus guten Gründen wurde dieser Ansatz jedoch auch im Common Law längst aufgegeben. Denn der staatliche Rechtsdurchsetzungsanspruch kann nicht akzeptieren, allein durch eine freiwillige Garantie von Vertraulichkeit zwischen zwei privaten Rechtssubjekten unterlaufen zu werden.293 Auch würde der moralische Pflichtenwiderstreit als Schutzzweck die unter dem Gesichtspunkt von Art. 3 GG problematische Frage aufwerfen, warum er nur für bestimmte Berufsgruppen relevant ist, für andere Personen hingegen nicht. Darüber hinaus läge wiederum ein Zirkelschluss vor, da ein solches Versprechen sinnvollerweise nur gegeben werden kann, wenn ein Zeugnisverweigerungsrecht diese Geheimhaltung erst ermöglicht.294 Hieraus wird klar, dass Schutzzweck nicht ein wie auch immer verstandener Pflichtenwiderstreit sein kann, sondern ein davon unabhängiger Wert, der notwendig macht, diesen gerade für die in § 53 StPO genannten Berufsgruppen in eine bestimmte Richtung zu entscheiden. Diese Überlegungen gelten vollumfänglich auch im Rahmen des § 97 StPO. Zumeist wird diesbezüglich auch einfach ohne nähere Begründung festgestellt, dass jedenfalls den Beschlagnahmeschutzvorschriften nicht die Ratio des Pflichtenwiderstreits zugrunde liegen kann.295 Grund hierfür ist wohl die Vorstellung eines streng subjektiven inneren Konflikts, der beim bloßen Dulden einer Wegnahme nicht tangiert wird. Dass diese aber nicht von allen geteilt wird, zeigen schon einzelne Ausführungen zum Gewahrsamserfordernis des § 97 II 1 StPO. So könnte wohl in der Beschlagnahme grundsätzlich ebenso viel oder wenig wie in der erzwungenen Zeugenaussage eine Art von „Geheimnisverrat“ gesehen werden, zumindest wenn die Beschlagnahme im Gewahrsam des Berufsgeheimnisträgers erfolgt.296 Insofern mag die Ablehnung des Konfliktschutzes als Schutzzweck von § 97 StPO nicht unbedingt zwingender sein als im Rahmen von § 53 StPO. Dies spielt jedoch keine Rolle, da das Ergebnis bereits dort hinreichend klar ist.

293  Wigmore,

Treatise on Evidence, § 2290. Gutachten 62. DJT, C 82. 295  LR-StPO-Menges, § 97, Rn. 86; Beulke/Lüdke/Swoboda, Unternehmen im Fadenkreuz, S. 46; Butenuth, Absolute oder relative Wirkung, S. 200; Huber-Lotterschmid, Verschwiegenheitspflichten, S. 39. 296  Vgl. zu einer solchen Auffassung Görtz-Leible, Beschlagnahmeverbote, S. 252. 294  Weigend,

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E. Einfachgesetzliche Lösung der Beschlagnahmeproblematik

(5) Materieller Geheimnisschutz Oftmals wird der Zweck des (anwaltlichen) Zeugnisverweigerungsrechts aus § 53 StPO im Schutz der Privatsphäre bzw. des Rechts auf informationelle Selbstbestimmung gesehen, mithin also in einem materiellen Geheimnisschutz.297 Insbesondere Weigend hat dies jedoch ausführlich und mit überzeugenden Argumenten widerlegt.298 Zwar bestehen Anhaltspunkte, dass der historische Gesetzgeber eine solche Schutzrichtung beabsichtigt hat.299 Für weitere Einzelfragen der Auslegung und Anwendbarkeit taugt dies jedoch dennoch nicht, denn zur Verfolgung eines solchen Leitgedankens wäre die gesetz­ liche Regelung in der Tat „grob unzureichend“.300 So geht der Schutz des § 53 StPO einerseits weit darüber hinaus, was zum Schutz der Privatsphäre notwendig wäre, indem er sich ohne Rücksicht auf den Inhalt des Mitgeteilten schlicht auf alle anvertrauten Informationen erstreckt.301 Andererseits bleibt er in vielerlei Hinsicht deutlich dahinter zurück, insbesondere indem er nur bestimmten Berufsgeheimnisträgern ein Zeugnisverweigerungsrecht zugesteht, nicht aber generell den anvertrauenden Personen selbst (sofern diese nicht Beschuldigte sind, sondern als Zeuge fungieren).302 Eine solche gesetzliche Typisierung auf Grundlage des Schutzes von Privatgeheimnissen würde in der Tat jeder Logik entbehren. Ein umfassender Schutz der Privatsphäre würde sich auch nicht in tradierte Grundsätze der StPO einfügen. Schon die Überlegung, dass viele strafbare Handlungen gerade im direkten Zusammenhang mit der Intimsphäre begangen werden,303 ergibt, dass ein grundsätzlicher strafprozessualer 297  BVerfGE 32, 373, 385 (=  NJW 1972, 1123, 1125); Rengier, Zeugnisverweigerungsrechte, S.  14 ff.; Michalowski, ZStW 109 (1997), 519, 526; Bandisch, NJW 1987, 2200, 2203; Kapp/Roth, ZRP 2003, 404, 406; Beulke, FS Achenbach, S. 39, 41 f.; AE-ZVR, S.  41 ff. 298  Weigend, Gutachten 62. DJT, C 84; siehe darüber hinaus Schmitt, Zeugnisverweigerungsrechte, S.  122 ff.; Rupp, Gutachten 46. DJT, S. 199; Ehrenberg, Verschwiegenheit, S. 236. 299  Regierungsentwurf eines Gesetzes zur Einführung eines Zeugnisverweigerungsrechts für Beratung in Fragen der Betäubungsmittelabhängigkeit, BT-Drucks. 12/870, S. 5 („hat sie individualrechtliche Funktion, indem sie sowohl das Interesse des einzelnen an der Geheimhaltung bestimmter besonders sensibler Informationen schützt als auch […]“). 300  Weigend, Gutachten 62. DJT, C 84. 301  Weigend, Gutachten 46. DJT, C 84 („auch rein ökonomische und sogar gänzlich banale Informationen“). Eine Alternative wäre nach Weigend eine Lösung in Anlehnung an einen (verbesserten) § 68a StPO. 302  Weigend, Gutachten 62. DJT, C 84. 303  Rupp, Gutachten 46. DJT, S. 199.



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Schutz der Privatsphäre nicht durchzuhalten wäre. Zu Recht ist der StPO ein solcher Grundsatz deshalb auch fremd,304 wie sich etwa besonders deutlich in der Regelung des § 81d StPO zeigt. Ein materieller Geheimschutz kann mithin nicht als Schutzzweck des § 97 StPO, sondern allenfalls als Schutzreflex anerkannt werden. (6) D  er freie Zugang zum durch Rechtsanwälte vermittelten Rechtsstaat Einzig überzeugender Zweck von § 97 I StPO ist letztlich ein überindividueller Schutz verschiedener Güter von hinreichend hoher Wichtigkeit für die Allgemeinheit.305 Dies ergibt sich zum einen aus expliziten Absichtsbekundungen in den Gesetzesmaterialien,306 zum anderen haben sich alle anderen möglichen Erklärungen als unplausibel oder schlicht nicht mit der gesetzlichen Regelung vereinbar erwiesen. Die auf Allgemeingüter zielende Schutzrichtung ist demgegenüber die einzige, welche aus sich selbst heraus überzeugen kann und überdies ohne Wertungswidersprüche auf § 97 I StPO zurückgeführt werden kann. Im Fall der Rechtsanwälte und Verteidiger wird das spezifisch zu schützende Gut der Allgemeinheit für gewöhnlich und zu Recht in der Funk­ tionsfähigkeit der Rechtspflege bzw. des Rechtsstaats selbst gesehen.307 304  Rupp, Gutachten 46. DJT, S. 199; Schmitt, Zeugnisverweigerungsrechte, S. 123; Huber-Lotterschmid, Verschwiegenheitspflichten, S. 36; vgl. zu ähnlichen Überlegungen auch Allen/Grady/Polsby/Yashko, J. of Legal Studies 19 (1990), 359, 373. 305  Weigend, Gutachten 62. DJT, C 85; Rengier, Zeugnisverweigerungsrechte, S.  22 f.; Huber-Lotterschmid, Verschwiegenheitspflichten, S. 39; Butenuth, Absolute oder relative Wirkung, S. 196 ff.; 322; Schmitt, Zeugnisverweigerungsrechte, S. 132 f.; Ehrenberg, Verschwiegenheit, S.  237  f.; LR-StPO-Ignor/Bertheau, § 53, Rn. 1; Lenckner, NJW 1965, 321, Kühne, JuS 1973, 685, 686; BVerfG, NJW 1972, 1123, 1124 (=  BVerfG 32, 373). 306  Entwurf des Bundesrates zu einem Gesetzes zur Einführung eines Zeugnisverweigerungsrechts für Beratung in Fragen der Betäubungsmittelabhängigkeit, BTDrucks. 12/870, S. 5 („hat sie sozialrechtliche Funktion, d. h. sie gibt dem Schutz des Vertrauens in die Verschwiegenheit bestimmter Berufe den Vorrang vor dem Interesse der Allgemeinheit an vollständiger Sachaufklärung im Strafverfahren, weil ohne den Schutz dieses Vertrauens gewisse andere, gleichfalls im Interesse der Gesellschaft liegende wichtige Aufgaben – wie z. B. die Beratung in bestimmten individuellen Angelegenheiten oder die Gesundheitsfürsorge – nicht oder nur unvollkommen erfüllt werden könnten.“); Regierungsentwurf zum 3. StrafÄndG, BTDrucks. 1/3713, S. 47 („im Interesse einer geregelten Gesundheitsvorsorge“). 307  Weigend, Gutachten 62. DJT, C 91; Welp, FS Bemmann, S. 626, 635; Rengier, Zeugnisverweigerungsrechte, S. 23; Huber-Lotterschmid, Verschwiegenheitspflichten, S. 40; Schmitt, Zeugnisverweigerungsrechte, S. 133.

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E. Einfachgesetzliche Lösung der Beschlagnahmeproblematik

Hinsichtlich einer näheren Konkretisierung kann insoweit auf die bereits gemachten Ausführungen zur möglichen verfassungsrechtlichen Herleitung eines Beschlagnahmeschutzes aus dem Rechtsstaatsprinzip308 verwiesen werden. Hieraus ergibt sich auch, dass das Ziel der Wahrheitsfindung als Teil des Rechtsstaatsprinzips durchaus als Schutzzweck des § 97 StPO anzuerkennen ist. Dies wird zwar im Rahmen des § 53 I Nr. 1 bis 3b vereinzelt vertreten,309 allerdings jeweils in einer Form, die es zu Recht unmöglich macht, diesen Zweck auch auf die Beschlagnahmeverbote des § 97 StPO zu übertragen.310 Denn gemeint ist damit zumeist nur die spezifische Gefahr von Falschaussagen, die aus dem Gewissens- und Pflichtenkonflikt des Zeugen resultiert. Eine vergleichbare akute Entscheidung zwischen Interessen des Mandanten und wahrheitsgemäßer Aussage findet aber im Rahmen der Beschlagnahme nicht statt. In Betracht kommt aber noch eine andere Gefahr für die Wahrheitsfindung. Denn wenn ein Mandant sich von der Möglichkeit einer zukünftigen Offenlegung des Mandatsinhalts davon abschrecken lassen würde, dem Rechtsanwalt vollständige und wahre Informationen anzuvertrauen, so könnte dadurch mitunter verhindert werden, dass entscheidende Fakten Eingang in den Prozess finden.311 Denkbar wäre etwa, dass der Mandant Informationen zurückhält, die er fälschlicherweise als unbedeutend für seine rechtliche Beratung oder Verteidigung einstuft. In diesem Sinn heben schon die Materialien zur RStPO die Bedeutung des Verteidigers für die Wahrheitsfindung hervor, der „für die Ermittlung der Wahrheit mit zu sorgen und die Einstellung des weiteren Verfahrens gegen unschuldig angeklagte Personen herbeizuführen“ habe.312 Das so verstandene Ziel der Förderung der Wahrheitsfindung fügt sich demnach nahtlos in den genannten Bezug auf das Rechtsstaatsprinzip ein. Allgemein formuliert liegt der auf diese Weise konkretisierte Schutzzweck von § 97 I StPO hiernach also auch in dem rechtsstaatlichen Anliegen, dem 308  Siehe

oben unter B.V.5. Niese, JZ 1953, 219, 223; Schmitt, Zeugnisverweigerungsrechte, S. 121; Butenuth, Absolute oder relative Wirkung, S. 195. 310  Siehe zur Nichtübertragbarkeit auf § 97 StPO etwa Butenuth, Absolute oder relative Wirkung, S. 139 f., 195; Schmitt, Zeugnisverweigerungsrechte, S. 121. 311  Welp, FS Gallas, S. 392 f. (im Kontext von Verteidigung); Posner, Stanford L. Rev. 51 (1999), 1477, 1532; Gergacz, Attorney-Corporate Client Privilege, § 1:11. 312  Hahn/Stegemann, Band 3, Abt. 2, S. 1555. 309  Vgl.



IV. § 97 StPO

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materiellen Recht mit den Mitteln des Prozessrechts zur praktischen Durchsetzung zu verhelfen. Neben dieser Konkretisierung ergibt sich aus dem Rückgriff auf die herausgearbeiteten verfassungsrechtlichen Grundlagen überdies auch eine zusätzliche normative Grundlage des Schutzzweckes, welche eine verlässliche Grundlage auch für konkrete Auslegungsfragen bieten kann, ohne dabei selbst verschiedene Auslegungsfragen vorwegnehmen zu müssen und in die dargestellten zirkulären Begründungsmuster zu verfallen. cc) Ergebnis: Funktionsfähigkeit des Rechtsstaats als Schutzzweck des § 97 StPO / kein Beschlagnahmeschutz zugunsten von Nichtbeschuldigten Im Ergebnis ist der Schutzzweck des § 97 I i.Vm. § 53 I 1 Nr. 3 StPO mithin in der überindividuellen Gewährleistung der Funktionsfähigkeit des Rechtsstaats zu sehen. Wie es auch im Zusammenhang mit dem Verteidiger anerkannt ist, stellt das Gesetz zur Verfolgung dieses Ziels dem Bürger in Gestalt des Rechtsanwalts eine Hilfsperson an die Seite. Um zu gewährleisten, dass dieses Recht nicht nur auf dem Papier besteht, sondern auch in der Realität ausgeübt wird, wird die entsprechende Mandatsbeziehung auch über das Beweisrecht abgesichert. Wie schon im Verlauf der verfassungsrechtlichen Betrachtung dargelegt, ergibt sich aus dieser Zielrichtung des Gesetzes, dass ein entsprechender Beschlagnahmeschutz dann – und auch nur dann – notwendig ist, wenn Mandanten andernfalls davon abgehalten würden, ihren Rechtsanwalt umfassend zu informieren. Soweit Mandatsbeziehungen zu natürlichen Personen betroffen sind, konnte die damit zusammenhängende Abschreckungsthese zwar grundsätzlich verifiziert werden. Gerade in Bezug auf die hier interessierende Konstellation, in der anwaltliche Unterlagen eines gänzlich Nichtbeschuldigten beschlagnahmt werden sollen, musste sie hingegen abgelehnt werden.313 Im Einklang mit dem oben gefundenen verfassungsrechtlichen Beschlagnahmeverbot und der herrschenden Meinung kann somit festgehalten werden, dass § 97 StPO nicht das anwaltliche Mandatsverhältnis zu Nichtbeschuldigten schützt. Der Beschlagnahmeschutz ist also auf das Verhältnis zu einem Beschuldigten zu beschränken. Dieses Ergebnis müsste lediglich dann in sein Gegenteil verkehrt werden, wenn entgegen der oben genannten 313  Siehe

oben C.IV.2.d)cc).

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E. Einfachgesetzliche Lösung der Beschlagnahmeproblematik

Argumentation kein Verwertungsverbot für solche Unterlagen anzunehmen wäre, welche aufgrund des ursprünglichen Fehlens einer Beschuldigung gegen den Mandanten beschlagnahmt wurden und hiernach dennoch gegen ihn verwendet werden sollen.314 b) Anwendbarkeit von § 97 StPO auf Unternehmen aa) Die bisherige Diskussion um die Anwendbarkeit von § 97 StPO auf Unternehmen Der Versuch, den Meinungsstand bezüglich der Anwendbarkeit von § 97 StPO auf die Mandatsbeziehung zu Unternehmen zu erfassen, gestaltet sich im Allgemeinen überaus schwierig. So ist bezüglich weiter Teile der Literatur eine Art exklusiver Zweispurigkeit der Diskussion zu konstatieren. Es handelt sich hier teilweise eigentlich nicht um eine Diskussion, sondern vielmehr um zwei verschiedene Grundansätze, welche jeweils ohne gegenseitige Bezugnahme auskommen. Im Kern unterscheiden sich die beiden übergeordneten Ansätze durch ihren prozessualen Bezugspunkt. Der erste Ansatz zieht die natürliche Person als klassischen Beschuldigten eines Strafverfahrens als gedanklichen Ausgangspunkt heran und diskutiert, welche prozessualen Rechte ihr dabei zukommen sollten.315 Im hier interessierenden Kontext handelt es hierbei in der Regel um einen (ehemaligen) Organwalter desjenigen Unternehmens, zu dem die fragliche anwaltliche Mandatsbeziehung besteht. Ausgangspunkt des zweiten Ansatzes hingegen ist das Unternehmen selbst als Träger originärer Rechte innerhalb eines Verfahrens. Im Folgenden sollen beide Ansätze und die innerhalb dieses gedanklichen Korsetts ablaufende Diskussion nun zunächst näher erläutert werden. Im Anschluss soll der Problematik dann eine beide Ansätze vereinende neue Struktur gegeben werden und auf dieser Grundlage einer schutzzweckorientierten und auf normativen Wertungen basierenden Lösung zugeführt werden. Im Ergebnis wird dabei die grundsätzliche Anwendbarkeit auf Unternehmen bejaht werden. Parallel zu dem obigen Ergebnis für natürliche Personen wird die Anwendbarkeit lediglich insoweit eingeschränkt werden, 314  Siehe

oben C.IV.2.d)aa)(2). ist auch der gedankliche Ansatz der aktuellen Dissertation von Winkler, Vertrauensverhältnis. Diese beschäftigt sich ausführlich mit der grundlegenden Frage nach der Einbeziehung Dritter in den Schutz von §§ 53, 97, 160a StPO, was letztlich abgelehnt wird. Ausgehend hiervon wird auch die Beschlagnahme von anwaltlichen Unterlagen im Kontext von Unternehmen und Internal Investigations in sehr weitem Umfang zugelassen, vgl. insbesondere S. 256 ff. 315  Dies



IV. § 97 StPO

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wie sich das Unternehmen nicht in einer dem Beschuldigten vergleichbaren prozessualen Situation befindet. (1) D  ie Verortung des Problems ausschließlich in der Auslegung von § 97 I Nr. 3 StPO Dominiert wird die Frage nach dem für Unternehmen wirkenden Beschlagnahmeschutz zunächst von dem ersten Ansatz, dessen normativer Anknüpfungspunkt im Wesentlichen die Auslegung von § 97 I Nr. 3 StPO darstellt. Statt eigene prozessuale Rechte von Unternehmen zu untersuchen316 wird hier der Schutz der involvierten natürlichen Personen in den Blick genommen und darüber mittelbar auch eine Aussage über den Schutz der Mandatsbeziehung zu Unternehmen als solche getroffen. Ausgangspunkt der Kontroverse ist im Rahmen dieses Ansatzes die Feststellung, dass Unternehmen nie Beschuldigte i. S. d. § 97 I StPO sein können, da gegen diese nur „(quasi)-strafrechtliche Sanktionen“317 in Gestalt von Einziehung, Verfall und insbesondere der Verbandsgeldbuße nach § 30 OWiG in Frage kommen. Beschuldigter könne aber grundsätzlich nur eine natürliche Person sein, gegen die wegen einer Straftat ermittelt wird.318 In Anknüpfung an die herrschende Meinung innerhalb obiger Diskussion um die allgemeine Einbeziehung Nichtbeschuldigter in § 97 I Nr. 3 StPO319 wird hieraus dann teilweise geschlossen, dass Unterlagen eines Unternehmensanwalts grundsätzlich nicht vor Beschlagnahme durch § 97 StPO geschützt werden können.320 Die Gegenansicht hingegen fordert, dass der Beschuldigte (d. h. im Zweifel ein ehemaliger Organwalter des Unternehmens) aus überindividuellen 316  Für Ausnahmen vergleiche z. B. Jahn/Kirsch, StV 2011, 148, 153; Wessing, FS Mehle, S. 665, 675 ff. 317  Wohlers/Kudlich, ZStW (121) 2009, 711, 712. 318  So ausdrücklich: Wessing, FS Mehle, S. 665, 676; Wessing, DAV-FS, S. 907, 927; Huber-Lotterschmid, Verschwiegenheitspflichten, S. 101; Goeckenjan, FS Samson, S. 641, 655; Kottek, Kooperation mit SEC, S. 77; LG Mannheim, NStZ 2012, 713, 715. 319  Siehe zur allgemeinen Diskussion dazu oben E.IV.1.a). 320  LR-StPO-Menges, § 97, Rn. 52; KK-StPO-Greven, §  97 Rn. 6; vgl. auch Taschke, FS Hamm, S. 751, 760 ff. (Mangels Beschuldigteneigenschaft eines Unternehmens könne § 97 StPO nicht direkt angewendet werden. Eine „entsprechende Anwendung“ sei jedoch vorzunehmen, wenn es sich bei der anwaltlichen Tätigkeit auch um „Verteidigung“ handelt); Rütters/Schneider, GA 2014, 160, 171 (trotz grundsätzlicher Nichtanwendbarkeit des § 97 StPO wird dort aber eine analoge Anwendung befürwortet).

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E. Einfachgesetzliche Lösung der Beschlagnahmeproblematik

Gründen verfahrensrechtlich von dem Schutz der Mandatsbeziehung eines Anderen (d. h. des Unternehmens) profitieren sollte.321 Insofern sei jedenfalls für Organwalter eine Ausnahme von der Beschränkung des § 97 I Nr. 3 StPO auf Mandatsverhältnisse des Beschuldigten zu machen. Auch die oben bereits genannte Meinung, welche die Anwendbarkeit des § 97 I Nr. 3 StPO generell auch auf Nichtbeschuldigte bejaht, müsste konsequenterweise und erst recht zu diesem Ergebnis kommen. (2) Die selbstverständliche Anwendung des § 97 StPO Dieser Argumentationslinie steht auf der anderen Seite in auffallender Unverbundenheit eine Auffassung gegenüber, die wie selbstverständlich annimmt, dass § 97 StPO auch der juristischen Person vollumfänglich zugute kommen könne, wobei auch nicht zwischen Verfahren gegen Mitarbeiter bzw. Organe oder gegen das Unternehmen selbst differenziert wird. So finden sich zahlreiche Publikationen, welche sich eigentlich mit anderen Problembereichen auseinandersetzen, hierbei aber implizit von der grundsätzlichen Anwendbarkeit des § 97 StPO auch für den Fall ausgehen, dass ein Rechtsanwalt lediglich ein Unternehmen vertritt. Hierbei handelt es sich etwa um Fragen nach der Stellung des Syndikusanwalts322 oder um die Probleme, die sich aus dem Gewahrsamserfordernis des § 97 II 1 StPO323 ergeben. Teilweise wird § 97 StPO auch als „allgemeines Prinzip“324 oder als direkte und notwendige Folge des Zeugnisverweigerungsrechts eines Rechtsanwalts verstanden.325 Insbesondere im Bereich des Kartellrechts scheint einhellig von einer Anwendbarkeit des § 97 I StPO ausgegangen zu werden, ohne dass dabei zwischen Mandatsbeziehungen zu juristischen oder natürlichen Personen differenziert würde. Dies wird jeweils schlicht aus der in § 46 OWiG enthaltenen Anordnung der „sinngemäßen“ Geltung der StPO gefolgert.326 321  Huber-Lotterschmid, Verschwiegenheitspflichten, S.  113 f.; Ciolek-Krepold, Durchsuchung und Beschlagnahme, Rn. 256; SK-StPO-Wohlers, § 97, Rn. 10; Schmitt, wistra 1993, 9, 12. 322  Roxin, NJW 1995, 17, 21; Hermanns, AnwBl 1980, 326, 326 (der allerdings auf S. 327 unter Verkennung der Wirkung von § 148 StPO jeglichen Beschlagnahmeschutz außerhalb der Gewahrssamssphäre des Rechtsanwalts verneint); BKartA, WuW 1983, 283, 286. 323  Vgl. Kapp/Roth, ZRP 2003, 404; Polley/Kuhn/Wegmann, KSzW 2012, 206, Buntscheck, WuW 2007, 229. 324  Immenga/Mestmäcker-GWB-Schmidt/Bach, § 58, Rn. 6. 325  Wessing, in: Volk, MAH-WirtschaftsstrafR (1. Auflage 2006), § 11, Rn. 151. 326  Vgl. etwa Klusmann, in: Wiedemann, Kartellrecht, § 57, Rn. 27; Immenga/ Mestmäcker-GWB-Dannecker/Biermann, Vor § 81, Rn. 231.



IV. § 97 StPO261

Interessanterweise scheint insbesondere auch das Bundeskartellamt, welches im Zusammenhang mit Unterlagen im Gewahrsam eines Unternehmens und einer möglichen ausdehnenden Auslegung von § 148 StPO eine sehr restriktive Linie unter Betonung der Effektivität der (Straf-)Verfolgung verfolgt,327 dieser Auffassung zu folgen.328 Auch das BVerfG hat jedenfalls in einem Nebensatz angedeutet, dass § 97 StPO grundsätzlich auch auf Mandatsbeziehungen zu Unternehmen anwendbar sein soll.329 bb) Eigene Einordnung der Diskussion Wichtig für die Diskussion ist zunächst zu erkennen, dass beide genannten Grundansätze potentiell, theoretisch auch kumulativ, zu einer Anwendung von § 97 StPO führen könnten. Unabhängig von der inhaltlichen Bewertung besteht jedenfalls kein Grund für eine Verengung der Diskussion auf jeweils einen der beiden.330 Insbesondere kann nicht ausreichen, die Anwendbarkeit allein schon mit dem Hinweis darauf zu verneinen, dass Unternehmen nicht „Beschuldigte einer Straftat“ sein können. Denn über § 46 OWiG gelten die Vorschriften der StPO im Verfahren wegen Ordnungswidrigkeiten grundsätzlich sinngemäß. Dazu gehören auch solche Vorschriften, welche den Beschuldigten zum Gegenstand haben und insbesondere auch die Beweiserhebungsverbote der StPO.331 Wird ein Bußgeldverfahren nach dem OWiG gegen eine natürliche Person betrieben, ist deshalb auch selbstverständlich, dass strafprozessuale Schutzvorschriften zu seinen Gunsten im Grundsatz Anwendung finden.332 Krauß, WuW 2013, 24. BKartA, WuW 1983, 283, 286. 329  BVerfG, NStZ-RR 2004, 83, 84 („Die Rechtsordnung geht nicht von einem schützenswerten Interesse der juristischen Person an strafbaren Handlungen zu ihren Gunsten oder in ihrem Interesse aus, weswegen sich das gem. § 97 StPO geschützte Vertrauensverhältnis zwischen Berufsgeheimnisträger und juristischer Person nicht auf deren Organe erstreckt.“). 330  So im Grundsatz auch Rütters/Schneider, GA 2014, 160, 170 f., die offenbar als bisher einzige die erweiternde Ansicht zu § 97 I Nr. 3 StPO nur als eine von mehreren Möglichkeiten erkennen, ein Beschlagnahmeverbot über § 97 StPO zu konstruieren. 331  Rebmann/Roth/Herrmann-Herrmann, § 46, Rn. 4a. 332  Vgl. zum lediglich „graduellen Unterschied“ für den Betroffenen, ob sein Verhalten als echte Straftat oder als Ordnungswidrigkeit verfolgt wird Schäfer, FS Dünnebier, S. 11, 48 f. 327  Vgl. 328  Vgl.

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E. Einfachgesetzliche Lösung der Beschlagnahmeproblematik

Ob sich die „Beschuldigung“ auf eine Straftat oder Ordnungswidrigkeit bezieht, ist dafür in erster Näherung also nicht entscheidend. Wenn aber auch derjenige, gegen den ein Ordnungswidrigkeitenverfahren betrieben wird, im Grundsatz wie ein Beschuldigter zu behandeln ist, so muss jedenfalls im Ausgangspunkt und in Abwesenheit anderer gesetzlicher Anhaltspunkte davon ausgegangen werden, dass das gleiche auch für Unternehmen gilt. Denn gegen diese kann aufgrund des § 30 OWiG ebenfalls ein Bußgeld nach dem Ordnungswidrigkeitengesetz verhängt werden. Es bestehen also im Einklang mit den zwei Spuren der obigen Diskussion zunächst zwei diskussionswürdige Möglichkeiten, einen Beschlagnahmeschutz für Unterlagen aus der Mandatsbeziehung eines Unternehmensanwalts über § 97 StPO zu konstruieren. Zum einen ist dies die genannte weite Auslegung des § 97 I Nr. 3 StPO. Ob eine „Beschuldigung“ des Unternehmens im Rechtssinn vorliegt wäre dann von lediglich nachrangigem Interesse. Die andere Möglichkeit ergibt sich aus einer möglichen Behandlung von Unternehmen als (Quasi-)Beschuldigte. Dies kommt jedenfalls dann in Frage, wenn eine Verbandsgeldbuße verhängt werden soll. Darüber hinaus stellt sich aber auch die weitergehende Frage, inwieweit eine solche (Quasi-)Beschuldigung nicht auch für andere gegen Unternehmen in Betracht kommenden Sanktionen (insbesondere Verfall und Einziehung) angenommen werden müsste. Entscheidend für beide Begründungsansätze wird letztlich die inhaltliche Frage sein, ob der oben festgestellte Schutzzweck von § 97 StPO auch eine grundsätzliche Anwendbarkeit auf Unternehmen erfordert oder nicht. Die Wertungsfrage ist die gleiche, lediglich der einfachgesetzliche Anknüpfungspunkt wäre jeweils ein anderer, also entweder § 97 I StPO in Gänze oder lediglich § 97 I Nr. 3 StPO. Ein praktischer Unterschied würde sich daraus jedoch nicht ergeben. cc) Bedenken gegen die Anwendbarkeit aufgrund der Systematik der §§ 431 ff. StPO Bevor im weiteren Verlauf der Untersuchung eine Übertragbarkeit des Schutzzwecks von § 97 StPO auf Unternehmen geprüft wird, ist im Folgenden zunächst eine weitere, in der bisherigen Diskussion noch nicht aufgetauchte, Problematik aufzuwerfen. Dabei handelt es sich um die Frage, ob sich nicht bereits aus der Systematik der §§ 431 ff. StPO Hinweise darauf ergeben könnten, dass Unternehmen von der Anwendbarkeit des § 97 StPO ausgeschlossen sind.



IV. § 97 StPO263

Von zentraler Bedeutung für diese Frage ist dabei insbesondere der bisher weitgehend unbeachtete Umstand, dass die §§ 431 ff. StPO, insbesondere § 434 I 2 StPO, keinen Verweis auf § 97 StPO enthalten.333 (1) D  ie Einordnung in die Systematik der §§ 431 ff. StPO Zunächst ist festzustellen, dass in straf- oder ordnungswidrigkeitenrechtlichen Verfahren auch die Sanktionierung von Unternehmen nicht in einem prozessualen Vakuum erfolgt, sondern hierfür in Gestalt der §§ 431 ff. StPO ein durchaus ausdifferenzierter verfahrensrechtlicher Rahmen besteht. Während die §§ 431 ff. StPO der gesetzlichen Regelungstechnik nach ohnehin primär für die Einziehung konzipiert sind, so wird die Anordnung der entsprechenden Vorschriften für den Verfall durch § 442 I StPO angeordnet. Speziell für die Verbandsgeldbuße nach § 30 OWiG ergibt sich dies aus den verschiedenen Verweisen in § 444 StPO, welcher wiederum je nach Anknüpfungstat entweder direkt oder über den allgemeinen Verweis in § 46 I OWiG zur Anwendung kommt. Stellen die §§ 431 ff. StPO somit den einzig geregelten und gleichzeitig alle möglichen Maßnahmen erfassenden Rahmen für die Sanktionierung von Unternehmen dar, so können etwaige, sich daraus ergebende systematische Aussagen hinsichtlich der Anwendbarkeit von § 97 StPO nicht unbeachtet bleiben. Sollten sich derartige Aussagen finden lassen, so wären diese aufgrund der gemeinsamen prozessualen Verortung in den §§ 431 ff. StPO im Übrigen auch nicht davon abhängig, ob im konkreten Verfahren eine Verbandsgeldbuße droht oder „nur“ eine „echte“ Nebenfolge in Gestalt von Einziehung oder Verfall. Wollte man also aufgrund der Möglichkeit einer Geldbuße für Unternehmen die Parallele zum Schutz für natürliche Personen ziehen, so müsste sich diese notwendigerweise auch auf Einziehung und Verfall erstrecken. Dies allein ist auch sinnvoll, da Geldbußen nach dem OWiG aufs Engste mit den übrigen Instrumenten zur Abschöpfung rechtswidriger Vermögensvorteile verbunden sind und zusammen mit dem Verfall als „komplementäre Instrumente der Gewinnabschöpfung“334 verstanden werden können. Wenngleich eine solche Abschöpfung grundsätzlich auch allein im Wege 333  Soweit ersichtlich wird das Fehlen dieses Verweises lediglich von Minoggio, Unternehmen als Nebenteiligter, S. 142 und Rütters/Schneider, GA 2014, 160, 171 gesehen. 334  KK-OWiG-Mitsch, § 29a, Rn. 3.

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E. Einfachgesetzliche Lösung der Beschlagnahmeproblematik

des Verfalls vorgenommen werden kann, so ist doch der gesetzliche Regelfall, dass diese Abschöpfung bereits durch die Bemessung der Geldbuße erfolgt. Zu diesem Zweck sieht § 17 IV OWiG (ggf. i.  V.  m. § 30 III OWiG)335 vor, dass die Geldbuße den wirtschaftlichen Vorteil der Tat übersteigen soll und im Zuge dessen auch den gesetzlich vorgesehenen Höchstrahmen übersteigen kann.336 Konsequenterweise ist im Fall der Verhängung einer Geldbuße dann auch die gleichzeitige Anordnung des Verfalls ausgeschlossen.337 Hinzu kommt, dass schon rein praktisch in Bezug auf behördliche Befugnisse und Schutzrechte der Betroffenen im Ermittlungsverfahren schwerlich danach differenziert werden könnte, ob an dessen Ende nur die Anordnung einer Nebenfolge oder die Verhängung einer Geldbuße bzw. Kriminalstrafe steht. Denn die Entscheidung darüber stellt erst das Ergebnis der Ermittlungen dar und kann somit nicht deren Verlauf und Inhalt determinieren. (2) D  ie Berücksichtigung der §§ 431 ff. in der bisherigen Literatur In neueren Veröffentlichungen wird die Bedeutung der §§ 431 ff. StPO als grundsätzlicher Anknüpfungspunkt jedenfalls für prozessuale Rechte von Unternehmen bereits vielfach erkannt.338 Soweit erkennbar werden daraus aber nur positiv gewendet bestimmte Rechte abgeleitet; die Möglichkeit einer begrenzenden Wirkung dieser gesetzlichen Anknüpfung wird hingegen bisher nicht erwogen. Darüber hinausgehend finden sich teilweise auch missverständliche Formulierungen, wonach „§ 97 StPO über §§ 434 Abs. 1 S. 2, 444 Abs. 2 S. 2 StPO wohl unstreitig zur Anwendung kommen“339 müsse oder das Unternehmen aufgrund dieser Normen „die gleichen Rechte wie ein Beschuldigter“340 erhalte.341 335  Vgl. im Einzelnen Brenner, NStZ 1998, 557 zum Verhältnis von §§ 17 IV, 30 III und 29a OWiG. 336  KK-OWiG-Mitsch, § 17, Rn. 140; Bohnert, OWiG, § 17, Rn. 25. 337  Göhler-OWiG-Gürtler, § 29a, Rn. 28. 338  Vgl. Gercke, FS Wolter, S. 933, 937 f.; Jahn/Kirsch, NZWiSt 2013, 21, 29 ff.; Jahn, ZWH 2013, 1, 2 f.; Wessing, ZWH 2012, 6, 6 f.; Schuster, NZWiSt 2012, 28, 29; Schuster, NZWiSt 2012, 431, 432; Jahn/Kirsch, StV 2011, 148, 153; Zimmer, BB 2011, 1075, 1075; Wessing, FS Mehle, S. 669 ff.; Wessing, DAV-FS, S. 927 f.; Krause, FS Dahs, S. 349, 373, Fn. 65; Taschke, FS Hamm, S. 751, 761 ff. 339  Schuster, NZWiSt 2012, 28, 29. 340  Zimmer, BB 2011, 1075, 1075 („Für solche Fälle gewähren die §§ 442, 444 StPO dem Unternehmen die Stellung eines Nebenbeteiligten. Dadurch erhält das Unternehmen die gleichen Rechte wie ein Beschuldigter.“).



IV. § 97 StPO

265

Letztlich ist damit aber wohl nur gemeint, dass „Verteidigungsunterlagen“ i. S. d. sicher anwendbaren § 148 StPO vor Beschlagnahme geschützt sind.342 Soweit es sich wirklich um „Verteidigungsunterlagen“ handelt, ist das auch richtig und unstreitig, auch wenn sich dies dann nicht vorrangig aus § 97 StPO, sondern aus § 148 StPO ergibt. Insoweit könnte präzisierend formuliert werden, dass aufgrund der Anwendbarkeit von § 148 StPO auch der Beschlagnahmeschutz im Zusammenhang mit dem Vertrauensverhältnis zum Verteidiger gem. § 97 I i. V. m. § 53 I 1 Nr. 2 StPO gilt. 341

Weitere Konsequenzen für die direkte Anwendung von § 97 I i. V. m. § 53 I 1 Nr. 3 StPO auf die juristische Person werden darüber hinaus aber offenbar größtenteils nicht aus den §§ 431 ff. StPO gezogen. Die entscheidende Frage, ob auch unabhängig von § 148 StPO ein Beschlagnahmeverbot gem. § 97 I i. V. m. § 53 I 1 Nr. 3 StPO eingreifen könnte, wird deshalb letztlich nicht oder wiederum nur im Zusammenhang mit der Diskussion um den persönlichen Anwendungsbereich des § 97 I 1 Nr. 2, Alt. 2, 3 StPO343 beantwortet. (3) D  ie mögliche Nichanwendbarkeit von § 97 StPO aufgrund der Systematik der §§ 431 ff. StPO Von besonderem Interesse für die Frage nach der Anwendbarkeit des § 97 StPO ist § 434 I 2 StPO, der grundsätzlich die (anwaltliche) Vertretung von Nebeninteressenten regelt. Dieser verweist nicht etwa pauschal auf die auch für natürliche Personen geltenden Rechte eines Angeschuldigten oder gar eines Beschuldigten. Stattdessen werden lediglich einige wenige Rechte aufgezählt. Darunter befinden sich die §§ 137, 148 StPO, nicht aber z. B. § 97 StPO. 341  Ähnlich auch Minoggio, wistra 2003, 121, 127 („Zunächst gewähren die §§ 433 Abs. 1, 432 Abs. 2, 442 Abs. 1 StPO ihrem klaren Wortlaut nach jedem Nebenbeteiligten unterschiedslos (soweit er Einwendungen zu erheben beabsichtigt) die Schutzrechte des Beschuldigten“); Gercke, FS Wolter, S. 933, 937 („Jedenfalls in den in Wirtschaftsstrafsachen mit Unternehmensbeteiligung regelmäßig relevanten Fällen drohender Einziehung sowie drohenden Verfalls genießt das Unternehmen denselben Schutz wie ein individuell Beschuldigter.“). 342  Vgl. Jahn/Kirsch, StV 2011, 148, 153 („Festzuhalten ist freilich, dass nur bei einer Unternehmensverteidigung im engeren Sinne § 97 Abs. 1 Nr. 3 StPO unstreitig anwendbar ist. Das ergibt sich ohne Weiteres aus den §§ 434 Abs. 1 S. 2, 444 Abs. 2 S. 2 StPO.“); ähnlich auch Taschke, FS Hamm, S. 751, 762 („Soweit sich die unternehmensberatende Tätigkeit (auch) als Verteidigung des Unternehmens darstellt, greifen daher die strafprozessualen Beschlagnahmeverbote des § 97 StPO in entsprechender Anwendung“). 343  Vgl. Jahn/Kirsch, StV 2011, 151, 153.

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E. Einfachgesetzliche Lösung der Beschlagnahmeproblematik

Als zentrale und bisher gänzlich unbeachtete Frage ergibt sich somit, ob die sich daraus ergebenden Rechte lediglich klarstellend aufgezählt sind oder ob 434 I 2 StPO vielmehr eine begrenzende Funktion aufweist, ob es sich hierbei also um eine grundsätzlich abschließende Aufzählung handelt, die somit die Anwendbarkeit von § 97 StPO ausschließt. Für Letzteres spricht dabei, dass sich die selektive Gewährung von Rechten in § 434 I 2 StPO in anderen Vorschriften der §§ 431 ff. StPO nicht findet. Sie steht vielmehr in auffälligem Gegensatz etwa zu § 433 I 1 StPO, welcher darauf verzichtet, einzelne Rechte zu nennen, sondern generell „die Befugnisse, die einem Angeklagten zustehen“ verleiht.344 Man könnte deshalb im Umkehrschluss feststellen, dass das Gesetz den von Sanktionen bedrohten Unternehmen bewusst nicht die vollen Rechte eines Beschuldigten zugestehen will, sondern grundsätzlich nur die explizit in § 434 I 2 StPO aufgezählten. Dies steht auch im Einklang mit einem vielfach wiederholten Argumentationsmuster des BGH, wonach dem Gesetzgeber grundsätzlich eine gewisse Konsequenz in seinen Formulierungen unterstellt wird.345 Wenn das Gesetz an verschiedenen Stellen eine unterschiedliche Sprache verwendet, so ist hiernach davon auszugehen, dass hierdurch auch eine sachliche Differenzierung zum Ausdruck gebracht werden soll.346 Hätte der Gesetzgeber auch den von Einziehung, Verfall oder einer Verbandsgeldbuße bedrohten Subjekten die vollen Rechte eines Beschuldigten geben wollen, so hätte nahegelegen, dies in Anlehnung an den Wortlaut von § 433 I 1 StPO auch in einer entsprechenden Formulierung auszudrücken. Die auch sachliche Bedeutung dieser unterschiedlichen Formulierungen wird deutlich, wenn man bedenkt, dass §§ 433, 434 StPO nicht etwa zusammenhangslose Vorschriften aus unterschiedlichen Zeiten sind, sondern beide durch das EGOWiG von 1968 in die StPO eingefügt wurden.347 Aus den Gesetzesmaterialien und der Gesetzeshistorie ergeben sich zwar keine expliziten Aussagen zu dieser Systematik und insbesondere keine Äußerungen, wonach speziell § 97 StPO aufgrund der fehlenden Nennung in § 434 I 2 StPO nicht anwendbar sein soll. 344  Selbst § 433 I 1 StPO gewährt dabei nicht die umfassende „Rechtsstellung“, sondern nur die „Befugnisse“ eines Angeklagten: KG, NJW 1978, 2406, 2407; Meyer-Goßner-Schmitt, § 433, Rn. 1. 345  Simon, Gesetzesauslegung, S. 73 ff. (m. w. N.); vgl. z. B. die Argumentation in BGH NJW 1967, 259. 346  Simon, Gesetzesauslegung, S. 73. 347  LR-StPO-Gössel, Vor § 430 StPO, Entstehungsgeschichte.



IV. § 97 StPO267

Gleichwohl lassen sich hierin diverse Anhaltspunkte dafür finden, dass auch der historische Gesetzgeber von einer solchen, auch die Anwendbarkeit von § 97 StPO ausschließenden, Regelungstechnik ausgeht. So erläutert der Regierungsentwurf etwa an diversen Stellen, warum verschiedene Vorschriften nicht durch Verweis für entsprechend anwendbar erklärt wurden.348 Dass diese unanwendbar sind, wird dabei jeweils schlicht festgestellt und scheint sich zwanglos aus deren Nichterwähnung in § 434 I 2 StPO bzw. § 444 StPO zu ergeben. Auch wurde der Katalog der in § 434 I 2 StPO für anwendbar erklärten Vorschriften auf Betreiben des Rechtsausschusses noch punktuell um den § 218 StPO erweitert, nicht aber um andere Vorschriften.349 Dass diese Änderung „sicherstellen“350 sollte, dass auch dem Verteidiger eine Terminsnachricht zuzustellen ist, andere Vorschriften hingegen nur „redaktionell“351 geändert wurden, weist darauf hin, dass erst die Hereinnahme des § 218 StPO dessen Anwendbarkeit begründen sollte. Die Tendenz, den Nebeninteressenten nur möglichst eingeschränkte Rechte zu gewähren, findet sich überdies auch in den übrigen Vorschriften der §§ 431 ff. StPO, wobei sich das Mindestmaß der Beteiligungsrechte nach dem Regierungsentwurf ausschließlich an dem Erfordernis des rechtlichen Gehörs zu orientieren scheint, womit „die vermögensrechtlichen Interessen des Einziehungsbeteiligten ausreichend gewahrt“352 seien.353 Mit einer solchen gesetzgeberischen Intention wäre aber nicht vereinbar, auch andere 348  Regierungsentwurf EGOWiG, BT-Drucks. 05/1319, S. 78 („Die Vorschriften über die notwendige Verteidigung sind von der entsprechenden Anwendung ausgenommen.“), 83 („Die weiteren Vorschriften des § 431 erklärt der Satz 2 nicht für anwendbar. Absatz 1 Satz 2 und 3 sowie die Absätze 2 und 5 können keine Anwendung finden, weil […]. Ausgenommen von der sinngemäßen Anwendung sind die §§ 430 und 439. […] Von der sinngemäßen Anwendung ist schließlich auch § 439 über das Nachverfahren ausgenommen. […] 440 Abs. 3, der für das Verfahren im einzelnen auf die §§ 431 ff. verweist, gilt nur insoweit, wie diese Vorschriften auch im Strafverfahren wegen der Beteiligung der juristischen Person oder Personenvereinigung für anwendbar erklärt sind.“). 349  Vgl. den ursprünglichen Regierungsentwurf, BT-Drucks. 05/1319, S. 8 und den Änderungsvorschlag des Rechtsausschusses, BT-Drucks., 05/2601, S. 17. 350  Bericht des Rechtsausschusses zu BT-Drucks. 05/2601 und 05/2600, S. 19. 351  Vgl. etwa Bericht des Rechtsausschusses zu BT-Drucks. 05/2601 und 05/2600, S. 19. 352  Regierungsentwurf EGOWiG, BT-Drucks. 05/1319, S. 78. 353  Vgl. für diese Tendenz auch Regierungsentwurf EGOWiG, BT-Drucks. 05/1319, S. 73 („Das Erfordernis des rechtlichen Gehörs gebietet nicht, den Einziehungsbeteiligten insoweit mit den vollen Rechten des Angeklagten zu beteiligen.“).

268

E. Einfachgesetzliche Lösung der Beschlagnahmeproblematik

Vorschriften als solche, auf die explizit verwiesen werden, entsprechend anzuwenden. Auf den ersten Blick scheint § 436 II StPO die eben skizzierte Systematik zwar zu konterkarieren, indem dort explizit die Nichtanwendung von § 244 II 2, IV bis VI StPO bestimmt wird. Insofern könnte auch vermutet werden, dass die §§ 431 ff. StPO in systematischer Hinsicht nur die Anwendung solcher Vorschriften verhindern, für welche diese Nichtanwendung ausdrücklich angeordnet wird. Allerdings steht § 436 II StPO in direktem Zusammenhang mit § 433 I 1 StPO, welcher dem Einziehungsbeteiligten grundsätzlich und vorbehaltlich weiterer Bestimmungen in der StPO die Rechte eines Angeschuldigten gewährt. Konsistent mit der beschriebenen einschränkenden Systematik kann § 433 II StPO somit als Rückausnahme im Hinblick auf die „ausnahmsweise“ auf die Nebenbeteiligten anzuwendenden Vorschriften über die Rechte des Angeklagten verstanden werden. Letztlich stützt § 433 II StPO damit die These von der Sperrwirkung anderer Vorschriften eher als sie in Frage zu stellen. Die systematische Auslegung spricht mithin dafür, § 97 StPO grundsätzlich nicht auf Unternehmen anzuwenden, den diesbezüglichen Beschlagnahmeschutz also auf den Anwendungsbereich des § 148 StPO zu begrenzen. Soweit man diesem systematischen Argument folgen möchte, könnte das Gesamtkonzept der §§ 431 ff. StPO entsprechend beschrieben werden als Gewährung einer verfahrensrechtlichen Minimalgarantie, welche aufgrund dogmatischer Unterschiede hinsichtlich der erfassten Sanktionen hinter der für echte „Beschuldigte“ bewusst zurückbleibt. (4) Überwindung der systematischen Bedenken Trotz dieser zahlreichen systematischen Anhaltspunkte, die dagegen sprechen, lässt sich die Anwendbarkeit des § 97 StPO im Ergebnis aber dennoch mit der inneren Struktur der §§ 431 ff. StPO vereinbaren. Dies ergibt sich letztlich daraus, dass die oben skizzierte Systematik auf einer gesetzgeberischen Vorstellung basiert, welche teilweise bereits im Ausgangspunkt zumindest zweifelhaft war, teilweise aber jedenfalls durch spätere legislative Aktivitäten überholt wurde und somit jedenfalls nicht entscheidend zur Ableitung konkreter Auslegungsergebnisse herangezogen werden sollte.



IV. § 97 StPO269

(a) D  as (ursprüngliche) Regelungskonzept der §§ 431 ff. StPO – ein „Weniger“ gegenüber dem echten strafrechtlichen Vorwurf Gemeinsam haben die in den §§ 431 ff. StPO verfahrensrechtlich geregelten Instrumente, dass sie zumindest in ihrer ursprünglichen Form als bloße „Nebenfolgen“ der Tat einer natürlichen Person aufgefasst wurden. Sie sollten eine gewisse Beteiligung am Verfahren gerade solcher Rechtssubjekte ermöglichen, welche nicht selbst Beschuldigte, sondern „tatunbeteiligte Dritte“354 sind, in deren Eigentumsposition aber dennoch eingegriffen wird.355 Soweit allein Nebeninteressenten (und nicht Täter oder Teilnehmer selbst) betroffen sind, handelt es sich bei den §§ 431 ff. StPO um die verfahrensrechtliche Regelung solcher Maßnahmen, welche nach der Vorstellung des Gesetzgebers im Allgemeinen jedenfalls keine „Strafe“ im engeren Sinn darstellen. In Bezug auf die Verbandsgeldbuße war die Nebenfolgekonstruktion dabei das Ergebnis eines Kompromisses, der die Verhängung eines Bußgeldes auch gegen Unternehmen erlauben sollte, obwohl man gleichzeitig davon ausging, dass diese nicht schuldhaft handeln können und eine die sozial­ ethische Missbilligung ausdrückende Strafe somit gegen das Schuldprinzip verstoßen würde.356 In der Gesetzesbegründung findet sich entsprechend auch ein expliziter Hinweis darauf, dass nicht nur die gewählte materiellrechtliche, sondern auch die verfahrensrechtliche Konstruktion der Verbandsgeldbuße als Nebenfolge zur Entkräftung etwaiger dogmatischer Bedenken dienen sollte.357 354  Schroth, wistra 1986, 158, 162; vgl. zu dieser Einordnung im Zusammenhang mit der Verfahrensbeteiligung von Einziehungsinteressenten auch den Regierungsentwurf EGOWiG, BT-Drucks. 05/1319, S. 72; vgl. auch die Legaldefinition des Einziehungsbeteiligten in § 431 I 1 StPO („einem anderen als dem Angeschuldigten“). 355  LR-StPO-Gössel, Vor § 430, Rn. 4; Regierungsentwurf EGOWiG BT-Drucks. 05/1319, S. 72; Regierungsentwurf StGB, BT-Drucks. 04/650, S. 240. 356  Tiedemann, NJW 1988, 1169, 1170; Schwinge, Sanktionen gegen Unternehmen, S.  66 f.; Schroth, wistra 1986, 158, 162; Regierungsentwurf OWiG, BT-Drucks. 05/1269, S. 58 („Die juristische Person oder Personenvereinigung ist als fiktives und im natürlichen Sinne handlungsunfähiges Wesen weder einer Schuld fähig noch einer sozialethischen Mißbilligung zugänglich“); vgl. zu dieser Kontroverse auch das Plenarprotokoll zur zweiten Lesung am 27.03.1968, S. 8491 f. 357  Regierungsentwurf OWiG, BT-Drucks 05/1269, S. 59. Dass grundsätzlich fragwürdig ist, prozessuale Rechte einzuschränken, um dogmatische Bedenken hinsichtlich der materiell-rechtlichen Ausgestaltung auszuräumen, ändert hieran nichts.

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E. Einfachgesetzliche Lösung der Beschlagnahmeproblematik

Welcher Rechtsnatur diese Maßnahmen stattdessen sind, ist zwar mitunter unklar; für Verfall und Einziehung hat der Gesetzgeber dies explizit offen gelassen.358 Klar ist aber, dass in den genannten Maßnahmen offenbar ein weniger gravierender, jedenfalls andersartiger Eingriff in die Rechte der Betroffenen gesehen wird als dies bei echten Straftatbeständen der Fall ist. Allein durch diese Differenzierung rechtfertigt sich (bzw. müsste sich rechtfertigen) auch die prozessual359 und materiell360 unterschiedliche Behandlung beider Arten von Sanktionen. (b) K  onkretisierung des Unterschieds zwischen echten Strafen und bloßen Nebenfolgen nach der ursprünglichen Vorstellung des Gesetzgebers Was genau den Unterschied zum Beschuldigten ausmacht und wie ein unterschiedliches (prozessuales) Schutzniveau gerechtfertigt werden könnte, wurde in der Gesetzeshistorie allerdings nie wirklich deutlich. Eine gewisse, wenn auch im Einzelfall vage und zweifelhafte, Grundvorstellung des Gesetzgebers kann dabei dennoch festgestellt werden. Die Maßnahmen der §§ 431 ff. StPO können hiernach zunächst negativ von Straftaten abgegrenzt werden, indem sie nicht als vergeltende, repressive, sozialethische Missbilligung ausdrückende Reaktion auf vergangenes Fehlverhalten verstanden werden.361 Teilweise wird der fehlende Strafcharakter auch durch den Verzicht auf das Erfordernis der Schuld362 oder die Beschränkung auf bloße Vermögensinteressen begründet.363 358  Schönke/Schröder-StGB-Eser, Vor §§ 73 ff., Rn. 12; Regierungsentwurf EGOWiG, BT-Drucks. 05/1319, S. 52. 359  Im Sinne des dargestellten, möglicherweise geringeren prozessualen Schutzniveaus aufgrund der fehlenden Anwendbarkeit von § 97 StPO. 360  Angesprochen sind damit die mitunter geringeren materiellen Anforderungen an die Verhängung verschiedener Nebenfolgen; siehe jeweils mit weiteren Nachweisen zu Problemen mit dem Schuldprinzip: MüKO-StGB-Joecks, § 74a, Rn. 5; Schönke/Schröder-StGB-Eser, § 74a, Rn. 2; zu Problemen mit der Unschuldsver­ mutung: LK-StGB-Schmidt, § 73d, Rn. 12 ff.; Schönke/Schröder-StGB-Eser, § 73d, Rn. 2. 361  Vgl. zu den Kriterien dieser negativen Abgrenzung BVerfGE 110, 1, 13 ff. (=  NJW 2004, 2073, 2073 f.); BGHSt 47, 369, 373 ff. (=  NJW 2002, 3339, 3340 f.). 362  Vgl. etwa MüKo-StGB-Joecks, § 73, Rn. 14 („Da hier ein personales Unwerturteil fehlt und überdies die Höhe des Verfalls zunächst einmal nichts mit der Menge an Schuld des Täters zu tun hat, fehlt es an dem Charakter einer Strafe im verfassungsrechtlichen Sinne.“); LK-StGB-Schmidt, § 73, Rn. 7 („Nachdem § 73 Abs. 1 den Verfall auch an die Begehung einer schuldlos-rechtswidrigen Tat anknüpft, ist



IV. § 97 StPO271

Positiv ausgedrückt sollen diese vielmehr in einem sehr weiten Sinn verschiedene Arten „sozialwidriger“ Vermögenszuordnung beseitigen.364 363

In dieses Schema lassen sich zunächst auch ohne größere Probleme jedenfalls die (ursprünglichen)365 Grundkonstellationen von Drittverfall (vgl. § 73 III StGB, § 29a II OWiG) und Dritteinziehung (vgl. § 74 I, II Nr. 2 StGB, § 22 I, II, Nr. 2 OWiG) einordnen. Hier beschränkt sich die Wirkung der Maßnahme entweder auf die bloße Abschöpfung von Gewinnen aus rechtswidrigen Taten oder auf die konkrete Verhinderung zukünftiger Taten. Eine darüber hinausgehende „Bestrafung“ erfolgt nicht. Bei anderen Maßnahmen war die Klassifizierung als „Nicht-Strafe“ allerdings schon seit jeher zumindest zweifelhaft. Neben der erweiterten Einziehung nach § 74a StGB bzw. § 23 OWiG366 trifft dies insbesondere auf die Verbandsgeldbuße nach § 30 OWiG zu.

vollends einer Charakterisierung als strafähnliche Maßnahme der Boden entzogen.“); Entwurf StrÄndG (Erweiterter Verfall), BT-Drs. 11/6623 S. 5 („Im Lichte dieser Maßstäbe steht das Gebot der Unschuldsvermutung dem vorliegenden Gesetzesvorschlag nicht entgegen, weil die Anordnung des Verfalls die Feststellung von Schuld nicht voraussetzt.“); dagegen überzeugend: Schönke/Schröder-StGB-Eser, Vor §§ 73 ff., Rn. 19 (Der Strafcharakter einer Maßnahme ergebe sich aus Zweck und Wirkung, nicht aus dem Fehlen wesentlicher Verhängungsvoraussetzungen. Der Schluss von fehlendem Schulderfordernis auf fehlenden Strafcharakter sei dementsprechend ein „Zirkelschluss“.). 363  Vgl. Engelhart, Sanktionierung von Unternehmen, S. 472; Regierungsentwurf EGOWiG, BT-Drucks. 05/1319, S. 73 („Der Einziehungsbeteiligte würde sonst aus rein vermögensrechtlichen Interessen das Gericht zu einer weiteren Nachprüfung des Schuldspruchs zwingen können[…].“); Regierungsentwurf EGOWiG, BT-Drucks. 05/1319, S. 78 (Im Zusammenhang mit dem Verzicht auf die Anwendung der Vorschriften über die notwendige Verteidigung und der stattdessen vorgesehenen Möglichkeit der Beiordnung eines Vertreters: „Damit sind die vermögensrechtlichen Interessen des Einziehungsbeteiligten ausreichend gewahrt.“). 364  Vgl. BVerfGE 110, 1, 14 (=  NJW 2004, 2073, 2074) („Gewinnabschöpfung soll einen „ordnenden Zugriff“ des Rechts zur Korrektur einer deliktisch zu Stande gekommenen Vermögenszuordnung ermöglichen“); Regierungsentwurf StrÄndG (Erweiterter Verfall), BT-Drucks. 11/6623, S. 8 („ordnenden Zugriff“). 365  Zur zwischenzeitlichen Veränderung durch Einführung des Bruttoprinzips siehe unten E.IV.1.b)cc)(4)(c). 366  Vgl. zur umstrittenen Rechtsnatur der Vorschrift MüKo-StGB-Joecks, § 74a, Rn. 5; Schönke/Schröder-StGB-Eser, § 74a, Rn. 2 (mit zahlreichen weiteren Nachweisen).

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E. Einfachgesetzliche Lösung der Beschlagnahmeproblematik

(c) Die zweifelhafte Rechtsnatur der Verbandsgeldbuße Diese war zwar historisch explizit als bloße Nebenfolge der Tat einer natürlichen Person konzipiert.367 Nach dieser Vorstellung wurde die juristische Person durch eine Geldbuße nach § 30 OWiG also nicht „bestraft“, sondern ihr wurde lediglich „für den Vorteil, den sie aus der Straftat oder Ordnungswidrigkeit eines ihrer Organe gezogen hat, nunmehr ein Ausgleich zugemutet“.368 Auch das BVerfG verneint im Zusammenhang mit der Verbandsgeldbuße sowohl einen Schuldvorwurf als auch eine „ethische Missbilligung“ und verweist stattdessen darauf, dass die Geldbuße „einen Ausgleich für die aus der Tat gezogenen Vorteile schaffen“ solle.369 Diese prozessuale Einordnung als Nebenfolge passte allerdings schon damals nur schwerlich zur tatsächlichen materiellen Ausgestaltung370 der Verbandsgeldbuße, da auch zu dem Zeitpunkt schon eine schuldabhängige Sanktion des Unternehmens selbst erfolgen konnte, die über die bloße, der Einordnung als Nebenfolge zugängliche Vermögensabschöpfung hinausging.371 Diese spezifisch „strafende“ Komponente findet in den §§ 30 III, 17 IV OWiG auch konkreten Ausdruck im Gesetz, wenn dort angeordnet wird, dass die Geldbuße den aus der Tat gezogenen wirtschaftlichen Vorteil übersteigen, das heißt also immer auch einen expliziten „Ahndungsteil“372 enthalten soll.

367  KK-OWiG-Rogall, § 30, Rn. 25; Immenga/Mestmäcker-GWB-Dannecker/Bier­ mann, Vor § 81, Rn. 97; Engelhart, Sanktionierung von Unternehmen, S. 469; Regierungsentwurf EGOWiG, BT-Drucks. 05/1319, S. 82; Regierungsentwurf OWiG, BT-Drucks. 05/1269, S. 59, 113. 368  Erhard, in: Plenarprotokoll des Deutschen Bundestages, 5. Wahlperiode, 161. Sitzung am 27.03.1968, S. 8491 f.; vgl. auch Pohl-Sichtermann, Geldbuße gegen Verbände, S. 48 („Das Hauptanliegen einer Verbandssanktion war und ist zweifellos die Gewinnabschöpfung.“). 369  BVerfGE 95, 220, 242 (=  NJW 1997, 1841, 1844). 370  Vgl. allgemein zu den verschiedenen dogmatischen Einordnungen der Verbandsgeldbuße Sieber, FS Tiedemann, S. 449, 465 ff. 371  Schroth, wistra 1986, 158, 162; eine entsprechender Änderungsantrag, der lediglich Abschöpfungsmaßnahmen gegen Verbände zulassen wollte, wurde letztlich abgelehnt, vgl. dazu BT-Plenarprotokoll 05/161 v. 27.03.1968, S. 8491 f.; Nach damaliger Gesetzeslage war allerdings nach umstrittener und schließlich durch den BFH (NJW 1984, 1054) bestätigter Ansicht der steuerliche Abzug von Geldbußen möglich, so dass eine über die bloße Gewinnabschöpfung hinausgehende Sanktionswirkung ohnehin nur eingeschränkt erzielt werden konnte; vgl. für die Gegenansicht, die den pönalen Charakter der Verbandsgeldbuße unter Hinweis auf das fehlende sozialethische Unwerturteil in Frage stellt: Eidam, Unternehmen und Strafe, Rn. 462. 372  KK-OWiG-Rogall, § 30, Rn. 117 ff.



IV. § 97 StPO273

(d) Aufgabe der Nebenfolgekonstruktion Diese Zweifel wurden mit der Aufgabe der Nebenfolgekonstruktion durch den Gesetzgeber noch verstärkt. Diese Entwicklung hatte mit dem WiKG2 von 1986 begonnen373 und wurde spätestens mit Änderung des § 33 I 2 OWiG und der damit verbundenen Tilgung der „Nebenfolge“ aus dem Wortlaut verlässlich bestätigt.374 Im Ergebnis stellt die Verbandsgeldbuße nach § 30 OWiG jedenfalls heute eine eigenständige Sanktion gegen das Gebilde des Unternehmens selbst dar, mit der dieses – in den Worten des Gesetzentwurfs zum WiKG2 – „für das Verschulden in seinem eigenen Nervenzentrum verantwortlich ge­ macht“375 wird.376 Entscheidend für die vorliegende Untersuchung ist dabei, dass nun noch klarer ist, dass es sich bei der Verbandsgeldbuße jedenfalls in ihrer Wirkung um eine echte „Strafe“ handelt, deren Charakter sich kaum von „normalen“ Geldbußen gegen natürliche Personen unterscheidet.377 (e) Einführung des Bruttoprinzips im Rahmen des Verfalls In eine ähnliche Richtung weist nach umstrittener Meinung auch die Einführung des Bruttoprinzips im Rahmen des Verfalls durch das AWG / StGBÄG.378 Im Unterschied zu der vorherigen Rechtslage gilt nunmehr, dass eigene Aufwendungen nicht mehr bei der Berechnung des Verfalls berück373  KK-OWiG-Rogall,

S. 46.

§ 30, Rn. 26; Engelhart, Sanktionierung von Unternehmen,

§ 30, Rn. 27; Göhler-OWiG-Gürtler, Vor § 29a, Rn. 14. WiKG 2, BT-Drucks. 10/318, S. 40. 376  KK-OWiG-Rogall, § 30, Rn. 27; Göhler-OWiG-Gürtler, Vor § 29a, Rn. 14; Immenga/Mestmäcker-GWB-Dannecker/Biermann, Vor § 81, Rn. 97; Engelhart, Sanktionierung von Unternehmen, S. 469; Brender, Verbandstäterschaft, S. 132. Auf die dogmatischen Bedenken im Zusammenhang mit dem Schuldprinzip sei hier nur am Rande hingewiesen, die herrschende Meinung sieht diese als nicht begründet an: Göhler-OWiG-Gürtler, Vor § 29a, Rn. 13; KK-OWiG-Rogall, § 30, Rn. 1 ff.; a. A. Schmitt, FS Lange, S. 877, 878 f.; Pohl-Sichtermann, Geldbuße gegen Verbände, S. 39. 377  Vgl. für eine solche Einordnung Tiedemann, NJW 1988, 1169, 1171 ff.; Weiß, JZ 1998, 289, 295; Brender, Verbandstäterschaft, S. 143; KK-OWiG-Rogall, § 30, Rn. 8; Rebmann/Roth/Hermann-Förster, Vor § 30, Rn. 8; a. A. Schroth, wistra 1986, 158, 163 (Eine Verbandstäterschaft gebe es auch nach Aufgabe der Nebenfolgekonstruktion nicht. Die Verbandsgeldbuße sei vielmehr eine „zweite Hauptfolge“ der Individualsanktion). 378  Vgl. allgemein zur Ersetzung des Nettoprinzips durch das Bruttoprinzip: Schönke/Schröder-StGB-Eser, Vor §§ 73 ff., Rn. 2a, 19; Regierungsentwurf eines 374  KK-OWiG-Rogall,

375  Regierungsentwurf

274

E. Einfachgesetzliche Lösung der Beschlagnahmeproblematik

sichtigt werden können. Dem Betroffenen wird damit also ein zusätzliches Übel auferlegt, welches über die aus der Tat gezogenen Vermögensvorteile hinausgeht.379 Unter dieser Bedingung aber kann auch der Verfall nicht mehr ohne Weiteres als bloße Gewinnabschöpfungsmaßnahme charakterisiert werden, sondern muss als zumindest strafähnliche Maßnahme qualifiziert werden.380 (5) Ergebnis: Systematik der §§ 431 ff. StPO steht der Anwendbarkeit des § 97 StPO auf Unternehmen nicht entgegen Wie dargelegt beschränken sich die von den §§ 431 ff. StPO erfassten Maßnahme mithin nicht auf die beschriebene „vermögensordnende“ Wirkung. Vielmehr sind diese teilweise, insbesondere im Bereich der Verbandsgeldbuße, in ihrer Wirkung kaum von echten Straftatbeständen zu unterscheiden. Damit erweist sich auch die gesetzgeberische Vorstellung, auf welche die Systematik der §§ 431 ff. StPO hinweist, als fehlerhaft.381 Insoweit wie die §§ 431 ff. StPO in systematischer Hinsicht tatsächlich zur Nichtanwendbarkeit von § 97 StPO führen würden, müsste also ein gesetzgeberischer Motivirrtum382 festgestellt werden, welcher durch die zwischenzeitliche rechtliche Entwicklung noch bestätigt und verstärkt wurde. Gesetzes zur Änderung des AWG, des StGB und anderer Gesetze, BT-Drucks. 12/1134, S. 12 f. 379  Schönke/Schröder-StGB-Eser, Vor §§ 73 ff., Rn. 19. 380  Schönke/Schröder-StGB-Eser, Vor §§ 73 ff., Rn. 19 (mit zahlreichen weiteren Nachweisen); Lackner/Kühl-StGB-Kühl § 73, Rn. 4b; Dannecker, NStZ 2006, 683, 683; Kirsch, in: Kempf/Lüderssen/Volk, Unternehmensstrafrecht, S. 361, 369; a. A. BVerfGE 110, 1, 13 ff. (=  NJW 2004, 2073, 2075 f.); BGHSt 47, 369, 373 (=  NJW 2002, 3339, 3340); LK-StGB-Schmidt, § 73, Rn. 11 ff.; MüKo-StGB-Joecks, § 73, Rn.  14 f. 381  Kritisch zur versäumten Änderung der prozessualen Einordnung der Verbandsgeldbuße auch Tiedemann, NJW 1988, 1169, 1171; Brender, Verbandstäterschaft, S. 143 (mit der Forderung nach einer „Aufstufung“ des Verbands zum selbständigen Verfahrensbeteiligten und Gewährung aller Rechte eines Betroffenen bzw. Angeklagten de lege ferenda). 382  Zum Begriff und für die grundsätzliche Zulässigkeit der Korrektur eines solchen Motivirrtums siehe Simon, Gesetzesauslegung, S. 370 f.; Engisch, Juristisches Denken S.  298 ff.; Zimmermann, NJW 1962, 959, 960; Reinicke, MDR 1952, 141, 142; noch weitergehend Bender, JZ 1957, 593, 600; Beispiele für eine Korrektur aufgrund eines gesetzgeberischen Motivirrtums etwa bei BGHSt 28, 272, 272 f. (=  NJW 1979, 1310, 1310); BGHSt 44, 62, 67 (=  NJW 1998, 2064, 2065); anders aber wohl BGHSt 1, 74, 79 (=  NJW 1951, 369, 370).



IV. § 97 StPO

275

Eine gesetzgeberische Abwägungsentscheidung, welche die Anwendbarkeit von § 97 StPO ausschließt, könnte allenfalls in Bezug auf echte „nichtstrafende“ Nebenfolgen getroffen worden sein. Bei tatsächlich strafenden Maßnahmen hingegen müssten ersichtlich andere Abwägungsgesichtspunkte im Spannungsfeld zwischen prozessualem Schutz des Betroffenen und der Wahrheitsfindung greifen. Dieser Befund allein zwingt zwar noch nicht zu einem konkreten, gegenteiligen Abwägungsergebnis. Entscheidend ist aber, dass nicht einfach auf eine bereits durch das Gesetz vorgenommen Abwägung zurückgegriffen werden kann, wenn diese für einen gänzlich anderen Fall getroffen wurde. Folge davon ist schließlich, dass die §§ 431 ff. StPO nicht mehr abschließend die verfahrensrechtliche Position der Betroffenen bestimmen und somit jedenfalls die Anwendbarkeit von § 97 StPO nicht ausschließen können. Von entscheidender Bedeutung für den persönlichen Anwendungsbereich von § 97 StPO ist somit der im Folgenden hinsichtlich Unternehmen näher zu erläuternde Sinn und Zweck des darin enthaltenen Beschlagnahmeverbots. dd) Konkretisierung des Schutzzwecks von § 97 StPO auf Unternehmen Wie oben herausgearbeitet wurde, ist der Schutzzweck des § 97 I i. V. m. § 53 I 1 Nr. 3 StPO in der überindividuellen Gewährleistung der Funktionsfähigkeit des Rechtsstaats und des dafür notwendigen tatsächlichen Zugangs zu Rechtsanwälten zu sehen. Notwendigkeit und Sinnhaftigkeit eines Beschlagnahmeverbots hängen demnach davon ab, ob ein Beschlagnahmeverbot eine ausreichend große hemmende Wirkung auf die Offenheit gegenüber Rechtsanwälten hätte.383 In Bezug auf Unternehmen konnte ein relevanter Abschreckungseffekt oben384 zwar grundsätzlich bestätigt werden, musste aber qualifiziert und in seinem Ausmaß deutlich eingeschränkt werden, so dass sich hier hinsichtlich des Eingreifens des Schutzzweckes kein völlig klares Ergebnis erzielen lässt. Letztlich ließen sich hier beide Ergebnisse gut begründen. Sie würden aber jeweils implizit die oben ausgeführten rechtspolitischen Fragen385 vorwegnehmen und sich der Gefahr einer gewissen Beliebigkeit aussetzen. 383  Vgl.

zu diesem Zusammenhang schon oben unter C.I. D.II.2.a). 385  Vgl. oben unter D.III. 384  Vgl.

276

E. Einfachgesetzliche Lösung der Beschlagnahmeproblematik

Insofern wäre vorzugswürdig, wenn hinsichtlich der rechtlichen Wertung dieses eingeschränkten Abschreckungseffekts Anhaltspunkte aus dem Gesetz selbst gewonnen werden könnten. Wie im Folgenden noch zu zeigen sein wird, ist dies im Ergebnis auch möglich und führt letztlich dazu, dass § 97 StPO auch auf Unternehmen umfassend angewendet werden muss. ee) Normative Bestätigung des Abschreckungseffekts (1) §  145 AktG (a) Entwicklung einer möglichen Wertungsübertragung Eine mögliche, gegen einen weitgehenden Beschlagnahmeschutz sprechende, Wertung könnte sich zunächst aus der Regelung zu den Sonderprüfern im Aktienrecht ergeben. Nach den §§ 142 ff. AktG kann die Hauptversammlung einer Aktiengesellschaft zur Prüfung von Vorgängen bei der Geschäftsführung einen Sonderprüfer einsetzen. Bei begründetem Verdacht auf „Unredlichkeiten oder grobe Verletzungen des Gesetzes“ und Erreichen des Quorums kann dies auch auf Betreiben einer Aktionärsminderheit im Wege der gerichtlichen Bestellung geschehen. Der Sonderprüfer agiert dabei nicht unähnlich einem mit einer internen Erhebung betrauten Rechtsanwalt, indem er gemäß seiner Rechte aus § 145 I bis III AktG Unterlagen der Gesellschaft prüft und Auskünfte von Wissens­ trägern einholt.386 Insbesondere kann je nach Gegenstand der Untersuchung auch ein Rechtsanwalt als Sonderprüfer eingesetzt werden.387 Von besonderer Bedeutung ist die Publizitätspflicht des dabei anzufertigenden Prüfberichts. Dieser muss gemäß § 145 VI 3 AktG beim Handelsregister eingereicht werden. Die für die hier anzustellende Untersuchung entscheidende Wertung enthält nun § 145 VI 2 AktG. Dieser bestimmt explizit, dass in den der Publizitätspflicht unterliegenden Prüfbericht auch solche Tatsachen aufgenommen werden müssen, die geeignet sind, der Gesellschaft einen Nachteil zuzufü386  Auskunftspflichtig sind gemäß § 145 II AktG zwar nur Mitglieder des Vorstandes auf Aufsichtsrates, bei entsprechendem Bedürfnis verdichtet sich deren Mitwirkungspflicht jedoch zur Pflicht, auch an untergeordnete Mitarbeiter die Weisung zur Auskunft an den Sonderprüfer zu erteilen, siehe dazu MüKo-AktG-Schröer, § 145, Rn. 15. 387  Spindler/Stilz-Mock, § 143, Rn. 7.



IV. § 97 StPO277

gen, sofern es sich um Umstände handelt, die zur Prüfung des Vorgangs durch die Hauptversammlung notwendig sind. Im Gegensatz zu zahlreichen anderen Auskunftsrechten von Aktionären, bei denen die Auskunftspflicht endet, wo das Unternehmen Schaden nehmen würde,388 hat sich der Gesetzgeber hier also bewusst gegen eine entsprechende Schutzklausel und für die größtmögliche Transparenz entschieden. Dass damit ein gewisser Abschreckungseffekt in Bezug auf die Einsetzung eines Sonderprüfers verbunden ist,389 hat er dabei in Kauf genommen. Schon die Gesetzesbegründung betont, dass eine solche Untersuchung andernfalls entwertet würde, dass es vielmehr im gewollten Wesen einer solchen liege, dass Missstände aufgedeckt und publik werden.390 Die dem zugrundeliegende Wertung könnte also dahingehend verallgemeinert werden, dass Publizität von bereits (intern) aufgedeckten Rechtsverstößen auch dann notwendig ist, wenn hierdurch die tatsächliche Bereitschaft zur internen Aufdeckung gemindert wird. Eine solche Wertung könnte dann auch auf allgemeine interne Erhebungen in Unternehmen übertragen werden. Dies hätte zur Folge, dass die dort gefundenen, schriftlich niedergelegten Ergebnisse interner Erhebungen nicht unternehmensintern unter Verschluss gehalten werden dürften, sondern der Allgemeinheit bzw. jedenfalls den Behörden zugänglich sein müssten. Ein Beschlagnahmeverbot für die Ergebnisse unternehmensinterner Erhebungen wäre hiernach also abzulehnen um einen Wertungswiderspruch zu vermeiden. Denn auf Basis der genannten Wertentscheidung wäre es nicht erklärbar, dass die Untersuchungsergebnisse eines Rechtsanwalts im Grundsatz beschlagnahmefrei wären, sie aber praktisch frei zugänglich wären, sobald der Rechtsanwalt in der Rolle des aktienrechtlichen Sonderprüfers agiert. Die Möglichkeit der Geheimhaltung der Ergebnisse wäre dann praktisch allein davon abhängig, ob die Untersuchung von der Hauptversammlung oder dem Vorstand selbst angestoßen würde. Da es für die allgemeine Beschlagnahme an vergleichbar klaren Aussagen wie der in § 145 VI 2 AktG fehlt, müsste letztere Wertentscheidung dann vorgehen. (b) Ablehnung einer Wertungsübertragung Eine durchgreifende oder gar zwingende Wertentscheidung für die Beschlagnahmeproblematik ist dem § 145 VI 2 AktG letztlich aber dennoch nicht zu entnehmen. 388  Vgl.

§§ 293a Abs. 2, 131 Abs. 3 S. 1 Nr. 1 AktG, § 8 Abs. 2 S. 1 UmwG. Sonderprüfung bei Kapitalgesellschaften, S. 411. 390  Kropff, Begründung Aktiengesetz, S. 211 f. 389  Wehner,

278

E. Einfachgesetzliche Lösung der Beschlagnahmeproblematik

Dies liegt zunächst schon daran, dass es sich dabei um eine rein aktienrechtliche Vorschrift handelt, die nicht ohne Weiteres auf andere, von Verbandsgeldbußen bedrohte Organisationsformen ausgedehnt werden kann. Viel wichtiger aber ist, dass hier der Gesellschaft Publizität nicht von außen aufgezwungen wird, sondern immer auf eine bewusste und vor allem freie Entscheidung von Aktionären zurückzuführen ist. Diese unterliegen nicht den gesellschaftsrechtlichen Pflichten des Vorstandes, insbesondere also nicht der Legalitätspflicht, und sind somit nicht ebenso faktisch zur Beauftragung einer Sonderprüfung verpflichtet. Vor allem aber zeigt sich an der Entscheidungsgewalt der Aktionäre, dass die Wertung des 145 VI 2 AktG im Ergebnis enger zu fassen ist als oben angedacht. Dessen Wertung zieht keine allgemeine Publizität unternehmensinterner Erhebungen nach sich, sondern dient allein dem Kontrollrecht der Eigentümer. Hierauf weist auch der letzte Satzteil von 145 VI 2 AktG hin, der die Publizität unter die Bedingung stellt, dass sie für die Beurteilung der Hauptversammlung notwendig ist. Die getroffene Wertung ist also auf die Ausübung dieses Kontrollrechts zu beschränken und kann nicht ohne Weiteres auf Situationen ausgeweitet werden, in denen ein vergleichbares Kontrollrecht bewusst oder unbewusst nicht ausgeübt werden soll. 145 VI 2 AktG kann deshalb letztlich auch als Ausdruck der unternehmerischen Freiheit begriffen werden, Rechtsverstöße auch auf Kosten von kurzfristigen Vermögensinteressen aufzuklären – oder dies eben zu unterlassen. Die vorrangige Funktion von 145 VI 2 AktG ist demnach nicht, der Gesellschaft eine Art allgemeiner Publizität von Rechtsverstößen aufzuzwingen, sondern lediglich zu gewährleisten, dass die Entscheidungsgewalt über eine solche letztlich in der Hand der Eigentümer und nicht deren Sachwalter liegt. Im Ergebnis bedeutet dies, dass aus 145 VI 2 AktG keine entscheidende Wertung für die Auslegung der Beschlagnahmeschutzvorschriften gewonnen werden kann. (2) Wertung aus §§ 444 I 2, 434 I 2, 148 StPO Entscheidende Wertungsgesichtspunkte für die Beschlagnahme von Unterlagen eines Unternehmensanwalts ergeben sich hingegen aus § 148 StPO bzw. aus der expliziten Anordnung von dessen Anwendbarkeit auch auf Unternehmen in §§ 434 I 2, 444 II 2 StPO. Zusammengefasst ergibt sich die Anwendbarkeit des § 97 StPO hiernach daraus, dass nicht erklärbar wäre, warum Unterlagen mit Einleitung eines Verfahrens geschützt sein



IV. § 97 StPO279

sollen, aber gleichzeitig jeder Schutz für vorherige Unterlagen versagt werden sollte. Insbesondere lässt sich aus § 148 StPO eine Aussage über die gesetzgeberische Einordnung der oben gefundenen Ergebnisse zum abschreckenden Effekt einer Beschlagnahmemöglichkeit ableiten. Aus einer rationalen Betrachtung eines solchen Effekts hat sich zwar ergeben, dass dieser Abschreckungseffekt im Kontext von Unternehmen nur stark eingeschränkt auftritt, so dass die Notwendigkeit eines Beschlagnahmeschutzes, wenn überhaupt, jedenfalls deutlich weniger ausgeprägt ist, als bisher angenommen. Dies wäre aber dann zu vernachlässigen, wenn eine gesetzgeberische Wertentscheidung dahingehend gefunden werden könnte, dass diese Überlegungen keine Auswirkungen auf den Schutz der anwaltlichen Geheimsphäre haben sollen. Dass also der anwaltlichen Vertrauensbeziehung normativ ein höherer Wert beigemessen wird als einer rationalen Kosten-Nutzen-Betrachtung unter Berücksichtigung des tatsächlichen Ausmaßes des Abschreckungseffekts. Genau eine solche Wertung aber enthält die gesetzlich angeordnete Anwendbarkeit von § 148 StPO auf Unternehmen. Denn selbst wenn man von einem unstreitigen und eher engen Verständnis des Verteidigungsmandats ausgeht, dieses also erst ab der förmlichen Einleitung eines Ermittlungsverfahrens annimmt, so greifen alle tatsäch­ lichen Bedenken gegen einen Abschreckungseffekt auch hier ein. Auf Basis der oben angestellten Rational-Choice-Betrachtung wäre also jedenfalls möglich (d. h. verfassungsrechtlich zulässig), auch im Anwendungsbereich des § 148 StPO keinen Beschlagnahmeschutz für Unterlagen von Unternehmensanwälten zu gewähren. Indem das Gesetz aber dennoch auch das Unternehmen in den Schutz des § 148 StPO einbezieht, bringt es zum Ausdruck, dass dieser Überlegung keine rechtliche Relevanz zugebilligt wird. Im Einzelnen betrifft dies sowohl die oben angesprochenen abschreckenden Effekte, welche gänzlich unabhängig von einer Beschlagnahmemöglichkeit auftreten, als auch die Pflichten, welche eventuell abschreckende Faktoren zumindest teilweise wieder neutralisieren. Denn dass im Grundsatz allein das Unternehmen der Mandant und somit zur Entbindung von der anwaltlichen Schweigepflicht berechtigt ist, gilt auch innerhalb eines laufenden Ermittlungs- oder Gerichtsverfahrens. Entsprechend besteht auch hier für die handelnde natürliche Person gleichermaßen die Gefahr, dass dem Rechtsanwalt mitgeteilte Informationen „freiwil-

280

E. Einfachgesetzliche Lösung der Beschlagnahmeproblematik

lig“ durch das Unternehmen an die Behörden weitergeleitet werden. Ebenso besteht auch hier gleichermaßen die Gefahr, dass Informationen etwa in einem späteren zivilrechtlichen Prozess gegen die handelnde natürliche Person verwendet werden. Auch die Überlegung, dass abschreckende Faktoren zumindest teilweise durch die natürliche Personen treffenden (Organisations-)Pflichten überlagert werden, kann auf die von § 148 StPO geschützte Situation übertragen werden. Auch laufende behördliche Ermittlungen entbinden einen Geschäftsleiter nicht von seinen Schadensabwendungs- und Legalitätspflichten. Die oben beschriebene Verdichtung dieser Pflichten auf die Durchführung interner Erhebungen kann dementsprechend auch im Anwendungsbereich des § 148 StPO auftreten. Im Einzelfall kann sie sogar dringender sein, da in diesem Stadium jedenfalls nicht mehr die Hoffnung bestehen kann, die entsprechenden Rechtsverstöße gänzlich „unter den Teppich zu kehren“, so dass eine Kooperation mit Behörden mitunter die einzige Möglichkeit darstellt, etwaige Sanktionen gegen das Unternehmen abzumildern oder ganz zu verhindern. Unabhängig davon, ob ein Verfahren bereits läuft oder nicht und unabhängig davon, ob § 148 StPO eingreift oder nicht, ergibt eine Gesamtschau aller Einflussfaktoren also, dass ein zwar eher geringer aber doch vorhandener Abschreckungseffekt besteht. Die Wertungsfrage ist folglich in beiden Situationen – vor und nach Einleitung eines Ermittlungsverfahrens – im Wesentlichen die gleiche. Diese hat der Gesetzgeber in § 148 StPO im Grundsatz zugunsten eines Schutzes der Mandatsbeziehung getroffen, so dass sie auch außerhalb dieser Vorschrift in Abwesenheit besonderer Rechtfertigungsgründe nicht anders beantwortet werden kann. Aus § 148 StPO kann mithin geschlossen werden, dass der oben differenziert beschriebene Abschreckungseffekt im Zusammenhang mit Unternehmen ausreicht, um allgemein den Schutz anwaltlicher Unterlagen zu begründen. (3) Wertung des § 160a StPO Diese Wertung wird tendenziell auch durch die 2011 vollzogene Neuregelung des § 160a StPO bestätigt,391 wenn auch eine mögliche Wertungsübertragung mit einigen Einschränkungen versehen werden muss. 391  Die Übertragung der Wertung des geänderten § 160a StPO auf die Diskussion um die persönliche Reichweite von § 97 I Nr. 3 StPO wird auch in der Literatur teilweise bereits vorgenommen: Galen, NJW 2011, 945; Wessing, ZWH 2012, 6, 10 (vgl. aber für die gegenteilige Auffassung noch Wessing, DAV-FS, S. 907, 927).



IV. § 97 StPO281

Die Neufassung beseitigte dabei die vorherige Privilegierung von Verteidigern gegenüber Rechtsanwälten. Aufgrund der Ausübung beider Tätigkeiten durch dieselbe Berufsgruppe (die Rechtsanwälte) und des oftmals fließenden Übergangs zwischen Anwalts- und Verteidigermandats wurde nunmehr ein einheitlicher Schutz für beide eingeführt.392 Nun könnte man dem, wie dies in der Literatur teilweise auch getan wird,393 die verallgemeinerungsfähige gesetzgeberische Wertung entnehmen, dass das Vertrauensverhältnis eines Mandanten zu seinem Rechtsanwalt nicht weniger Schutz verdiene als das zu einem Verteidiger. Konsequenterweise müsste der persönliche Anwendungsbereich des § 97 StPO dann auch dem des § 148 StPO entsprechen und sich so auch auf Unternehmen und sonstige Nebeninteressenten erstrecken. Diese Wertungsübertragung wäre allerdings nicht mit den oben zu § 160a StPO gefundenen Ergebnissen zu vereinbaren. So wurde aufgrund der Regelung in § 160a V StPO bereits ausführlich begründet, dass Möglichkeiten zur Beschlagnahme anwaltlicher Unterlagen nicht von § 160a StPO eingeschränkt werden sollten. Die Beschlagnahmeregeln sollten vielmehr umfassend und einschließlich ihrer Limitationen hinsichtlich des Schutzniveaus „unberührt“ bleiben.394 Ebenso konnte oben bereits festgestellt werden, dass die Problematik eines fließenden Übergangs zwischen normaler rechtsberatender und verteidigender Tätigkeit zwar im Rahmen von Abhörmaßnahmen besteht, nicht aber bei der Beschlagnahme.395 Ein Schriftstück enthält entweder Informationen aus dem Verteidigungsverhältnis oder nicht. Der bei akustischer Überwachung mögliche, plötzliche Übergang von Beratung zu Verteidigung noch während einer laufenden Ermittlungshandlung ist also nicht möglich. Auf diese spezielle Problemkonstellation ist § 160a StPO und dessen Gleichstellung beider Tätigkeiten aber zugeschnitten, wie nicht zuletzt durch das abgestufte System von Erhebungs- und Verwertungsverboten deutlich wird. Auf andere Konstellationen und insbesondere auf die Beschlagnahme kann die Wertung des § 160a StPO, Rechtsanwälte und Verteidiger gleichzustellen, deshalb nicht einfach übertragen werden. Dies bleibt jedoch letztlich ohne Auswirkungen und soll hier nicht weiter vertieft werden, da diese Wertung ohnehin der aus § 148 StPO entnommenen entspräche. 392  Vgl. Regierungsentwurf zur Neufassung des §  160a StPO, BT-Drucks. 17/2637, S. 6. 393  Galen, NJW 2011, 945; Wessing, ZWH 2012, 6, 10. 394  Vgl. oben unter E.II.2. 395  Vgl. oben unter E.II.1.b).

282

E. Einfachgesetzliche Lösung der Beschlagnahmeproblematik

Unabhängig davon kann aus der Einführung und schnellen Neuregelung des § 160a StPO aber jedenfalls die Wertung entnommen werden, dass der Schutz des anwaltlichen Vertrauensverhältnisses gestärkt werden sollte. Diese Wertung eignet sich aufgrund ihrer Allgemeinheit zwar nicht aus sich selbst heraus zur Gewinnung konkreter Auslegungsergebnisse, bestätigt aber doch zumindest die obige, aus § 148 StPO gewonnene Wertung. (4) E  rgebnis: ausreichender Abschreckungseffekt aufgrund der normativen Wertung der §§ 444 II 2, 434 I 2, 148 StPO Mithin kann festgestellt werden, dass sich weder aus § 145 VI 2 AktG noch aus § 160a StPO entscheidende gesetzliche Wertungen für die Beschlagnahmefrage ergeben. Der gesetzlichen Regelung der §§ 444 II 2, 434 I 2, 148 StPO ist hingegen die normative Wertung zu entnehmen, dass der nur begrenzt feststellbare Abschreckungseffekt in Bezug auf Unternehmen ausreicht, um ein Beschlagnahmeverbot anwaltlicher Unterlagen auch über § 97 StPO und damit auch außerhalb eines eng verstandenen Verteidigungsmandats zu begründen. ff) Zur Frage des richtigen gesetzlichen Anknüpfungspunktes: § 97 I StPO oder § 97 I Nr. 3 StPO? Auch wenn sich aus der Wertungsübertragung von § 148 StPO zunächst die grundsätzliche Anwendbarkeit von § 97 StPO auf Unternehmen begründen lässt, so ergibt sich hieraus im Hinblick auf § 97 I Nr. 3 StPO als gesetzlichen Anknüpfungspunkt doch auch eine gewisse Einschränkung. Denn die wertende, normativ bestimmte Feststellung eines relevanten Abschreckungseffekts findet ihre Grenze dort, wo keinerlei Sanktion für das Unternehmen selbst zu erwarten ist. Erst wenn eine solche zumindest „in Betracht“ kommt, ist der Anwendungsbereich von § 148 StPO eröffnet396 und erst unter dieser Bedingung kann die dort getroffene Wertung eingreifen. Letztlich ist eine Anwendbarkeit von § 97 StPO also nur dann zu bejahen, wenn sich das Unternehmen in der Position eines Quasi-Beschuldigten befindet, gegen den die Verhängung einer Sanktion zumindest in Betracht kommt. Hiernach ist also zumindest § 97 I StPO in seiner Gänze auch auf Unternehmen anzuwenden. Nun könnte das selbe Ergebnis ergänzend auch noch über eine entsprechende Auslegung von § 97 I Nr. 3 StPO erzielt werden. Dies würde aber für die Frage des Schutzumfangs keinen Unterschied machen. Denn eine 396  Vgl.

näher dazu oben unter E.III.5.



IV. § 97 StPO283

eigenständige, über einen gegenständlichen Auffangtatbestand hinausgehende Bedeutung könnte § 97 I Nr. 3 StPO dann ohnehin nicht zugemessen werden. Insbesondere kann dadurch nicht erreicht werden, dass ein Beschlagnahmeschutz unabhängig von der prozessualen Stellung und der Beziehung des Unternehmens zum Verfahrensgegenstand eingreift. Im Interesse größtmöglicher Klarheit ist deshalb festzustellen, dass sich auch im Hinblick auf Unternehmen keinerlei Erweiterung des persönlichen Anwendungsbereichs durch § 97 I Nr. 3 StPO ergibt. Insofern bleibt es also auch hier bei dem oben gefundenen Ergebnis, dass § 97 I Nr. 3 StPO keinen Beschlagnahmeschutz für anwaltliche Unterlagen von „Dritten“, d. h. gänzlich außerhalb des Verfahrens stehenden Subjekten zeitigt. Gleichwohl wird über die Anwendbarkeit des gesamten § 97 I StPO auf Unternehmen praktisch das gleiche Ergebnis erzielt. Denn da nach den oben gefundenen Ergebnissen eine Sanktion gegen das Unternehmen nahezu immer „in Betracht“ kommt, wenn ein Verfahren gegen einen (ehemaligen) Organwalter desselben geführt wird, sind die jeweiligen Unterlagen schon aufgrund dessen der Beschlagnahme entzogen. Selbst in einem Fall, in dem ausnahmsweise doch eine solche Sanktion von vornherein mit Sicherheit ausgeschlossen werden könnte, würde das Verneinen eines Beschlagnahmeschutzes im Übrigen praktisch keinen Unterschied für die betroffene natürliche Person machen. Denn wenn dies wirklich einmal der Fall sein sollte, so läge sehr nahe, dass das Unternehmen seinen Rechtsanwalt ohnehin von seiner Schweigepflicht entbinden würde und relevante Informationen den Behörden übergeben würde um die eigene Möglichkeit der zivilrechtlichen Inanspruchnahme des Betroffenen zu stärken. gg) Ergebnis: § 97 StPO auch auf Unternehmen anwendbar Im Ergebnis ist somit festzustellen, dass § 97 StPO im Grundsatz auch auf Unternehmen anwendbar ist. Dies ergibt sich aus dem Zweck des § 97 StPO und einer Parallelwertung zu § 148 StPO. Als Schutzzweck konnte das überindividuelle Anliegen der Gewährung effektiven Zugangs zum Rechtsstaat identifiziert werden, welcher dann beeinträchtigt wäre, wenn Mandanten durch die Möglichkeit der Beschlagnahme in ausreichendem Maß von der Offenheit gegenüber Rechtsanwälten abgeschreckt würden. Mit der durch §§ 444 II 2, 434 I 2 StPO angeordneten umfassenden Anwendung von § 148 StPO ist dabei eine gesetzgeberische Wertentscheidung verbunden, wonach der tatsächlich eher eingeschränkte Abschreckungseffekt

284

E. Einfachgesetzliche Lösung der Beschlagnahmeproblematik

auch im Zusammenhang mit Unternehmen als ausreichend zu betrachten ist und somit das grundsätzliche Bestehen eines Beschlagnahmeschutzes auch für vorprozessuale Unterlagen erfordert. Diesem Ergebnis steht trotz einiger Hinweise in diese Richtung letztlich auch nicht die innere Systematik der §§ 431 ff. StPO entgegen. Denn selbst wenn diese historisch eine Sperrwirkung für § 97 StPO und andere Vorschriften entfaltet hätte, so wäre diese jedenfalls im Licht der materiellen Weiterentwicklung der erfassten Maßnahmen als überholt anzusehen. Aus der Übertragung der normativen Wertung des § 148 StPO ergibt sich aber auch eine gewisse Einschränkung dergestalt, dass § 97 StPO nur in solchen Verfahren die Beschlagnahme verbietet, in denen eine Sanktionierung des Unternehmens zumindest „in Betracht“ kommt. Ein Beschlagnahmeschutz besteht also immer nur dann, wenn sich das Unternehmen in der Situation eines Quasi-Beschuldigten als möglicher Betroffener von Verbandsgeldbuße, Verfall oder Einziehung befindet. Ein Schutz kann dann über § 97 I StPO konstruiert werden, ohne dass es eines ergänzenden Rückgriffs auf § 97 I Nr. 3 StPO in persönlicher Hinsicht bedürfte. Diesem Ergebnis eines dennoch sehr weitgehenden Beschlagnahmeschutzes steht letztlich auch nicht die oben erwähnte Befürchtung einer manipulierenden Einflussnahme auf das Verfahren „von Außen“ entgegen.397 Im Zusammenhang mit Unternehmen läge der Versuch einer solchen Einflussnahme zwar durchaus nahe und unter den gegenwärtig angenommenen rechtlichen Rahmenbedingungen wäre damit in der Tat eine Gefahr für die Fairness des Verfahrens begründet. Auch wäre diese Gefahr nicht auf Situationen beschränkt, in denen das Unternehmen tatsächlich völlig außerhalb des Verfahrens steht. Vielmehr bestünde sie ebenso, wenn das Unternehmen als Quasi-Beschuldigter potentiell oder tatsächlich an dem Verfahren beteiligt ist. Nach der hier entwickelten Ansicht, kann und muss dieser Gefahr jedoch durch verständige Anwendung der Grundsätze zur konkludenten und nicht beliebig beschränkbaren Entbindung von der anwaltlichen Schweigepflicht wirksam begegnet werden. Einer darüber hinausgehenden Beschlagnahmemöglichkeit bedarf es deshalb nicht, um Manipulationen zu verhindern.

397  Vgl.

oben D.IV.



IV. § 97 StPO

285

c) Gesamtergebnis zum persönlichen Anwendungsbereich des § 97 StPO: Beschlagnahmeschutz zugunsten von (quasi-)beschuldigten natürlichen Personen und Unternehmen Insgesamt konnte somit gezeigt werden, dass § 97 StPO im Grundsatz ebenso auf Mandatsverhältnisse zu natürlichen Personen wie solche zu Unternehmen anwendbar ist. In Ergänzung zu § 148 StPO ist der daraus resultierende Schutz in zeitlicher Hinsicht nicht beschränkt und verbietet die Beschlagnahme unabhängig davon, zu welchem Zeitpunkt, ob vor oder nach Einleitung eines Ermittlungsverfahrens, die betreffenden Unterlagen entstanden sind. Sowohl bei natürlichen Personen als auch Unternehmen ist der Schutz des § 97 StPO lediglich dahingehend zu qualifizieren, dass er sich nur auf Mandatsbeziehungen zu (Quasi-)Beschuldigten erstreckt. Unterlagen von nichtbeschuldigten natürlichen Personen und Unternehmen, gegen die im jeweiligen Verfahren keinerlei Sanktion in Betracht kommt, können demzufolge beschlagnahmt werden. 2. Sachliche Reichweite von § 97 StPO: die Gewahrsamsfrage Nach Klärung des persönlichen Anwendungsbereichs von § 97 StPO und der grundsätzlichen Bejahung von dessen Anwendbarkeit auch auf Mandatsbeziehungen zu Unternehmen bleibt als letztes Problemfeld noch die sachliche bzw. örtliche Reichweite von § 97 StPO. a) Übersicht Das hier interessierende Problem im Zusammenhang mit der Beschlagnahme anwaltlicher Unterlagen ergibt sich aus dem Gewahrsamserfordernis des § 97 II 1 StPO. Soweit ersichtlich wird daraus einhellig gefolgert, dass anwaltliche Unterlagen im Alleingewahrsam des Mandanten grundsätzlich immer beschlagnahmt werden können, sofern diese nicht innerhalb einer Verteidigungsbeziehung entstanden sind und so dem Schutz des § 148 StPO unterfallen.398 Allenthalben wird diese Beschränkung des Schutzes auf die anwaltliche Gewahrsamssphäre zwar kritisiert,399 gleichzeitig aber immer wieder auch explizit festgestellt, dass dies zwingende Folge aus dem Wortlaut sei.400 zuletzt etwa Gercke, FS Wolter, S. 933, 945 f. für besonders deutliche Worte dahingehend etwa die Schlussanträge des Generalanwalts (AM&S), Slg. 1982, 1642, 1655 („Dem Mandanten zu sagen, seine 398  So

399  Vgl.

286

E. Einfachgesetzliche Lösung der Beschlagnahmeproblematik

Wie im Folgenden noch deutlich werden wird, stimmt dies aber nicht. Eine umfassende Auslegung von § 97 II 1 StPO ergibt vielmehr, dass ein Schutz hier nur insoweit versagt werden soll, wie sich Unterlagen im Gewahrsam von außerhalb der Mandatsbeziehung stehenden Dritten befinden. Im Gewahrsam des Beschuldigten darf hingegen nicht beschlagnahmt werden. Zusammengefasst ergibt sich dies daraus, dass auch dem (Quasi-)Beschuldigten – sei es aufgrund des nemo-tenetur-Prinzips oder einfachgesetzlich – ein Recht zur „Zeugnisverweigerung“ zukommt und dass allein so eine sachgemäße und mit dem Schutzzweck des § 97 StPO in Einklang zu bringende Lösung erreicht werden kann. 400

b) Grammatikalische Auslegung: Kein zwingender Wortlaut § 97 II 1 StPO bestimmt wörtlich: „Diese Beschränkungen gelten nur, wenn die Gegenstände im Gewahrsam der zur Verweigerung des Zeugnisses Berechtigten sind […].“

Wer die zur Verweigerung des Zeugnisses Berechtigten sind, geht daraus nicht explizit hervor. Naheliegend ist aber, dass damit die Zeugnisverweigerungsberechtigten gemeint sind, die in Absatz 1 im Detail aufgelistet wurden und an deren Kommunikationsvorgänge dort für das Beschlagnahmeverbot angeknüpft wird. Ohne dass dies je explizit dargestellt wurde, ist dies ersichtlich auch die in der gesamten bisherigen Literatur implizierte Auffassung.401 Für Gegenstände im Gewahrsam eines Mandanten würde hiernach also kein Beschlagnahmeverbot gelten. aa) Schweigerecht vs. Zeugnisverweigerung? Der Wortlaut lässt allerdings auch noch eine andere Deutung zu, ja spricht in der Allgemeinheit seiner Formulierung sogar dafür. So könnte er auch so Unterlagen seien geschützt, wenn er sie in der Kanzlei seines Anwalts zurücklasse, nicht jedoch, wenn er sie selbst aufbewahre, halte ich für unvertretbar“). 400  LR-StPO-Menges, § 97, Rn. 16 (verbunden mit der Feststellung, dass dies dem Regelungszweck des § 97 zuwider läuft und eigentlich eine Ausdehnung der Norm notwendig wäre); Welp, FS Gallas, S. 391, 416 f. (im Zusammenhang mit dem Verteidiger, dessen Geheimsphäre Welp dann stattdessen über § 148 StPO geschützt sieht); Theuner, Ärztliche Schweigepflicht, S. 364 ff. (für die Beschlagnahme von ärztlichen Unterlagen im Gewahrsam des Patienten); Rütters/Schneider, GA 2014, 160, 161. 401  Laut LR-StPO-Menges, § 97, Rn. 16, Fn. 59 nehme Petry, Beweisverbote, S. 52 f. eine erweiternde Auslegung vor und erstrecke den Schutz so auch auf den Gewahrsam des Beschuldigten. Petry stellt jedoch ausdrücklich fest, dass ein solches Verständnis der gegenwärtigen Rechtslage nicht entspreche und fordert eine Ausdehnung der Beschlagnahmefreiheit ausdrücklich nur „de lege ferenda“.



IV. § 97 StPO287

ausgelegt werden, dass Gewahrsam irgendeiner mit einem Schweigerecht ausgestatteten Person ausreicht. Einen Schritt in diese Richtung hat etwa auch das BVerfG bereits vollzogen, indem es unter § 97 II 1 StPO (im Wege der verfassungskonformen Auslegung) einen Zeugnisverweigerungsberechtigten subsumierte, der nicht selbst an der Entstehung der betreffenden Gegenstände beteiligt, sondern lediglich Praxisnachfolger des unmittelbar Beteiligten war.402 Die im hier interessierenden Zusammenhang entscheidende Folge dieses Wortlauts aber ist, dass damit auch ein Beschlagnahmeschutz für Unterlagen im Gewahrsam des Mandanten möglich wird. Denn auch dieser ist zum Schweigen bzw. zur Verweigerung des Zeugnisses berechtigt – nämlich immer dann, wenn er selbst Beschuldigter (§ 136 I 2 StPO) oder von Verfolgung gefährdeter Zeuge nach § 55 StPO ist.403 bb) Zeugnisverweigerungsrecht nicht allein dem Zeugen vorbehalten Insbesondere kann auch nicht festgestellt werden, dass die „Zeugnisverweigerung“ als technischer Begriff zu verstehen wäre, der einem „Zeugen“ vorbehalten und als Gegenbegriff zum „Aussageverweigerungsrecht des Beschuldigten“ zu verstehen wäre. Hierfür könnte zwar sprechen, dass die Formulierung des „Zeugnisverweigerungsrechts“ im Gesetz (§§ 52 ff. StPO) jeweils nur im Zusammenhang mit Zeugen auftaucht und der Beschuldigte nicht gleichzeitig auch Zeuge sein kann.404 Das Schweigerecht des Beschuldigten wird vielmehr nur beiläufig in § 136 I 2 StPO als Recht „nicht zur Sache auszusagen“ formuliert. Im Ergebnis verwendet jedoch auch das Gesetz selbst keine einheitliche Terminologie und spricht somit gegen eine entsprechende exklusive Begriffsdefinition. So geht die StPO zunächst davon aus, dass auch der Zeuge eine „Aussage“ macht und nicht lediglich ein „Zeugnis“ ablegt.405 Auch etwa in402  BVerfGE

32, 373, 381 ff. (=  NJW 1972, 1123, 1125). FS Bemmann, S. 626, 646 (der damit allerdings nur in Bezug auf eine gesetzliche Neuregelung auf Basis des AE-ZVR argumentiert). 404  Zur Unvereinbarkeit von Zeugen- und Beschuldigtenstellung siehe nur LRStPO-Ignor/Bertheau, Vor § 48, Rn. 28 m.z.w.N. 405  Vgl. § 53 II 3, HS 1 StPO („Der Zeuge kann […] die Aussage verweigern“); § 325 StPO („Aussagen der […] vernommenen Zeugen“); § 252 StPO („Die Aussage eines vor der Hauptverhandlung vernommenen Zeugen, der erst in der Hauptverhandlung von seinem Recht, das Zeugnis zu verweigern, Gebrauch macht, darf nicht verlesen werden.“). 403  Welp,

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E. Einfachgesetzliche Lösung der Beschlagnahmeproblematik

nerhalb des § 53 StPO wird keine einheitliche Terminologie verwendet, sondern neben diversen, an die „Zeugnisverweigerung“ angelehnten Formulierungen an einer Stelle auch ausdrücklich erwähnt, dass „der Zeuge […] die Aussage verweigern“ kann (vgl. § 53 II 3, 1. HS StPO). Auf der anderen Seite erwähnt § 97 II 3 StPO eine „zeugnisverweigerungsberechtigte Person“, gegen die der Verdacht einer Tatbeteiligung besteht, was dann die Folge einer Aufhebung des Beschlagnahmeverbots hat. Spätestens wenn auf dieser Grundlage dann auch tatsächlich beschlagnahmt wird, würde es sich bei besagter Person aber zwangsläufig um einen Beschuldigten handeln. Damit würde die Beschlagnahme im Verfahren gegen einen Beschuldigten erfolgen, die Zulässigkeit dieser Beschlagnahme hinge aber davon ab, dass dieser Beschuldigte die „zeugnisverweigerungsberechtigte Person“ im Sinne des § 97 II 3 StPO ist. Klar getrennt werden kann hier also nicht zwischen Beschuldigtem und Zeugnisverweigerungsberechtigten. In ähnlicher Weise wird auch in Rechtsprechung und Literatur weitgehend nicht zwischen „Aussageverweigerungsrecht“ und „Zeugnisverweigerungsrecht“ unterschieden. Oftmals werden die Begriffe vielmehr als Synonym verwendet und praktisch beliebig ausgetauscht.406 So lautet etwa eine gängige und mehrfach in der Rechtsprechung des BGH verwendete Umschreibung des nemo-tenetur-Prinzips, dass „niemand verpflichtet ist, sich selbst anzuklagen oder gegen sich selbst Zeugnis abzulegen“.407 Teilweise wird auch explizit von einer „Zeugnisverweigerung des Beschuldigten“,408 einem „Zeugnis des Beschuldigten“409 oder einem fehlenden „Zeugniszwang“410 des Beschuldigten gesprochen. Auf der anderen Seite finden sich unzählige Beispiele in Literatur und Rechtsprechung, in denen die Schweigerechte der Zeugen ebenfalls nicht als Zeugnis-, sondern explizit als Aussageverweigerungsrechte bzw. -Befugnisse bezeichnet werden.411 406  Das Deutsche Rechts-Lexikon etwa erläutert den Begriff „Zeugnisverweigerung“ schlicht mit einem Verweis auf das „Aussageverweigerungsrecht“ (Band 3, S. 4944). 407  Jeweils wortgleich: BGH, NStZ 2005, 517, 518; BGHSt 49, 136, 145 (= NJW 2005, 2720, 2722); BGH, NStZ-RR 2004, 242; Meyer-Goßner-Meyer-Goßner, Einl. Rn. 29a; ähnlich auch BGH, NJW 2005, 763, 764 („dass niemand gezwungen werden darf, sich selbst anzuklagen oder gegen sich selbst Zeugnis abzulegen (nemo tenetur se ipsum accusare).“). 408  VGH Mannheim, NZV 1992, 46, 47. 409  OLG Hamm, Beschl. v. 14.3.1979 – 6 ARs 3/79 (=  BeckRS 1979, 01540, Rn. 24). 410  Rogall, Beschuldigte als Beweismittel gegen sich selbst, S. 29. 411  Vgl. nur beispielhaft BVerfGE 38, 312, 324 f. (=  NJW 1975, 588, 589); BVerfGE 33, 367, 382 f. (=  NJW 1972, 2214); BGH, NJW 1998, 2229; BGH, JR



IV. § 97 StPO289

Im Übrigen würde auch inhaltlich wenig Sinn machen, den Beschuldigten aus der Gruppe der Zeugnisverweigerungsberechtigten auszuschließen. Denn in jedem Fall ist das damit gemeinte Recht auch in dem umfassenden Schweigerecht des Beschuldigten enthalten. Letzteres geht höchstens weiter, bleibt aber jedenfalls nicht hinter irgendeiner Art von bloßem Zeugnisverweigerungsrecht zurück. Selbst wenn ein Zeugnisverweigerungsrecht nur einem „Zeugen“ zukommen könnte, so wäre widersinnig, ein damit assoziiertes Recht demjenigen zu verweigern, der noch nicht einmal der Zeugenpflicht unterliegt, dessen Recht also eigentlich weitergehen müsste. Es würde wenig Sinn machen, den Beschuldigten einerseits von einer Pflicht zur Abgabe eines Zeugnisses als Zeuge auszunehmen, gleichzeitig aber festzustellen, dass er kein Recht zur Verweigerung eines solchen Zeugnisses hätte. Wer schon im Ausgangspunkt nicht zur Zeugenaussage verpflichtet ist, muss notwendigerweise auch das Recht haben, diese, d. h. das „Zeugnis“, zu verweigern. Festgestellt werden kann also, dass jedenfalls der Wortlaut nicht der Annahme entgegensteht, wonach § 97 StPO auch im Gewahrsam des Beschuldigten einen Beschlagnahmeschutz gewährt. Unter Zugrundelegung dieser Auslegung wäre eine Beschlagnahme also immer nur dann ausgeschlossen, wenn sich der Gegenstand im Gewahrsam einer Person befindet, die grundsätzlich zur Aussage verpflichtet ist. c) Systematische Auslegung In systematischer Hinsicht spricht hingegen einiges für die enge Auslegung, wonach der Gewahrsam des zeugnisverweigerungsberechtigten Mandanten grundsätzlich nicht ausreicht. So wird der Beschuldigte in § 97 I StPO zunächst ausschließlich neben den Zeugnisverweigerungsberechtigten und nicht als Teil davon eingeordnet, was insbesondere auch durch genaue Nennung der in Bezug genommenen Zeugnisverweigerungsrechte deutlich gemacht wird. Denn Teil dieser Aufzählung sind ausdrücklich nur die Zeugnisverweigerungsrechte aus persönlichen und beruflichen Gründen. Jedenfalls für die Zwecke des Absatzes 1 ist der Mandant somit keinesfalls als Zeugnisverweigerungsberechtigter zu betrachten. 1986, 33, 33; LR-StPO-Ignor/Bertheau, § 58, Rn. 8; LR-StPO-Menges, § 95, Rn. 34; Meyer-Goßner-Schmitt, § 55, Rn. 1; KK-StPO-Pfeiffer-Hannich, Einl., Rn. 91; Rengier, Zeugnisverweigerungsrechte, S. 22; Welp, FS Bemmann, S. 626, 640; Weinmann, FS Dünnebier, S. 199, 202 f.

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E. Einfachgesetzliche Lösung der Beschlagnahmeproblematik

Gleiches gilt für § 97 II 3 StPO, der ein noch stärkeres Argument für eine restriktive Auslegung des Gewahrsamserfordernisses liefert. Hiernach entfällt das Beschlagnahmeverbot, wenn „die zeugnisverweigerungsberechtigte Person an der Tat […] beteiligt ist“. Würde § 97 II 3 StPO nun mit der zeugnisverweigerungsberechtigten Person auch den Beschuldigten umschreiben, so wäre die Beschlagnahme folglich immer möglich und das grundsätzliche Beschlagnahmeverbot in Absatz 1 wäre in Gänze ausgehebelt. Ein solches Ergebnis wäre in der Tat nicht begründbar.412 In systematischer Hinsicht würde die Beschlagnahmefreiheit im Gewahrsam des Mandanten folglich voraussetzen, dass die in § 97 II 3 StPO genannte Zeugnisverweigerung enger auszulegen ist als jene in § 97 II 1 StPO. Es handelt sich dabei wiederum um das Problem der „Begriffsspaltung“,413 also einer unterschiedlichen Begriffsbedeutung innerhalb derselben oder auch verschiedener Gesetze. Wie oben bereits dargelegt bedarf eine solche Begriffsspaltung zwar eines erhöhten Begründungsaufwands, sie ist methodisch aber durchaus möglich. Entscheidend an dieser Stelle ist jedenfalls, dass trotz der beträchtlichen Stärke der Hinweise auf eine restriktive Bestimmung des Gewahrsamserfordernisses jedenfalls keine zwingende Folge aus der Systematik des Gesetzes abgeleitet werden kann. Vielmehr eröffnet das anerkannte Konzept der Begriffsspaltung die Möglichkeit, § 97 II 1 StPO getreu seines Sachzusammenhangs und seines Zwecks auszulegen und so trotz des insgesamt wenig überzeugenden Regelungskonzepts der Beschlagnahmeregeln zu einem sachgerechten Ergebnis zu kommen. Dies gilt hier umso mehr, da sich auch unabhängig davon aus dem Wortlaut selbst bereits eine mögliche Differenzierung ergibt. So formuliert § 97 II 1 StPO im Plural und nennt den Gewahrsam der „Berechtigten“.414 § 97 II 3 StPO hingegen formuliert mit „zeugnisverwei412  Bis 2007 entsprach dies allerdings auch unabhängig von den hier angesprochenen Problemen nicht dem Gesetz. Denn bis dahin war § 97 II 3 StPO noch auf „Teilnahme“ (vgl. § 28 I StGB: Anstifter oder Gehilfe) oder Begehung eines bloßen Anschlussdelikts beschränkt, hätte sich als zumindest typischerweise nicht auf den Beschuldigten bezogen. Erst mit Wirkung zum 1.1.2008 erfolgte eine Erstreckung auf die Tatbeteiligung („an der Tat […] beteiligt ist“), so dass gemäß § 28 II StGB jeder „Täter oder Teilnehmer“ erfasst war. Legt man also zum Verständnis des Gewahrsamserfordernisses die alte Fassung von § 97 II 3 zugrunde, wird das systematische Argument gegen einen weiteren Beschlagnahmeschutz deutlich schwächer. 413  Vgl. die Ausführungen hierzu im Zusammenhang mit § 148 StPO, oben unter E.III.3.a)bb)(3).



IV. § 97 StPO291

gerungsberechtigte Person“ im Singular. Dies mag zwar reiner Zufall sein, hätte aber durchaus seine Berechtigung, wenn § 97 II 1 StPO in extensiver Auslegung auch im Gewahrsam des Beschuldigten die Beschlagnahme verhindern würde. Denn dann würden denknotwendig immer zwei Zeugnisverweigerungsberechtigte existieren, also etwa der Rechtsanwalt und sein beschuldigter Mandant und die Verwendung des Plural in § 97 II 1 StPO würde verhindern, dass der Schutz auf die Gewahrsamssphäre von nur einem von beiden beschränkt würde. Insofern mag die Verwendung eines unterschiedlichen Numerus jedenfalls als kleiner systematischer Hinweis darauf dienen, dass die Zeugnisverweigerungsberechtigung in § 97 II 1 StPO weiter zu verstehen ist als im übrigen § 97 StPO. 414

d) Genetische Auslegung: widersprüchliche Anhaltspunkte in den Gesetzesmaterialien Aus Gesetzeshistorie und Materialien ergeben sich hier höchst widersprüchliche Aussagen, welche im Ergebnis weder die extensive noch die restriktive Auslegung von § 97 II 1 StPO entscheidend begründen können. Bei Lektüre der Begründung zum 3. StrÄndG von 1953, durch welches § 97 StPO im Wesentlichen seine heutige Gestalt erhielt, erscheint das Ergebnis auf den ersten Blick klar. Dort heißt es wörtlich: „Beim Beschuldigten selbst kann daher stets beschlagnahmt werden, regelmäßig auch bei Dritten.“415

Von entscheidender Bedeutung ist aber, dass für diese Feststellung keinerlei sachliche Begründung geliefert wird. Vielmehr soll dieses Ergebnis ausdrücklich („daher“) die direkte Folge aus einem Festhalten „an dem geltenden Recht“ sein.416 Die der StPO vorangehende RStPO von 1877 aber erlaubte richtigerweise gerade keine Beschlagnahme von Unterlagen im Gewahrsam des Beschuldigten. Jedenfalls wäre eine solche Beschlagnahme der erklärten Absicht des Gesetzgebers zuwider gelaufen. Zwar sprach auch hier der Wortlaut für die Möglichkeit einer Beschlagnahme.417 Aus den Materialien zur RStPO hingegen geht sehr eindeutig 414  Der Wortlaut würde zwar auch erlauben, hierin ein „generisches Femininum“ zu sehen. Dies wäre allerdings das einzige in der gesamten StPO und erscheint nicht sehr wahrscheinlich. 415  Regierungsentwurf zum 3. StrafÄndG, BT-Drucks. 1/3713, S. 49. 416  Regierungsentwurf zum 3. StrafÄndG, BT-Drucks. 1/3713, S. 49. 417  Die entsprechende Vorschrift der RStPO lautete: „Schriftliche Mitteilungen zwischen dem Beschuldigten und den Personen, die wegen ihres Verhältnisses zu

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E. Einfachgesetzliche Lösung der Beschlagnahmeproblematik

hervor, dass auch im Gewahrsam des Beschuldigten eine Beschlagnahme nicht zulässig sein sollte: „Was die Korrespondenz des Beschuldigten mit den von der Zeugnispflicht befreiten Personen betrifft, so ist der Entwurf nicht, gleich den meisten der bestehenden Gesetzgebungen, dabei stehen geblieben, diese Personen von der Pflicht zur Herausgabe, also zur Mitwirkung an der Überführung des Beschuldigten zu befreien, sondern er untersagt die Beschlagnahme der Korrespondenz schlechthin, indem er das Vertrauensverhältnis zwischen dem Beschuldigten und jenen Personen als entscheidend annimmt. […] Die hiernach gegen die Beschlagnahme geschützte Korrespondenz umfaßt die sämmtlichen schriftlichen Mitteilungen, welche der Beschuldigte an jene Personen gerichtet und von ihnen erhalten hat.“418

Neben der Betonung des materiellen Vertrauensverhältnisses als „entscheidend“, lässt hier insbesondere der letzte Satz kaum einen anderen Schluss zu als den Schutz von Unterlagen auch auf den Gewahrsamsbereich des Beschuldigten zu erstrecken. Anders wäre nicht zu erklären, wie ein Schutz von erhaltener Korrespondenz zustande kommen sollte. Der Rechtsanwender sieht sich somit mit der Situation konfrontiert, dass „der Gesetzgeber“ trotz explizit beabsichtigter Kontinuität zwei völlig konträre Auffassungen zu der Frage des persönlichen Anwendungsbereichs des Gewahrsamserfordernisses geäußert hat. Man mag nun zu der Frage nach eher subjektiver oder eher objektiver Bestimmung des gesetzlichen Regelungskonzepts419 unterschiedlicher Auffassung sein; angesichts zweier sich klar widersprechender subjektiver Willensäußerungen lässt der Rückgriff auf diese jedenfalls keine belastbaren Schlüsse zu.420 Auch kann nicht einfach auf die später erfolgte Äußerung abgestellt werden, wenn diese explizit keine Änderung vornehmen wollte. Insofern ist auch sekundär, dass sich die beschriebenen Äußerungen auch als gesetzgeberischen Irrtum über eine Rechtsauffassung qualifizieren ließen und ihre Vernachlässigung somit in der Rechtsprechung des BGH ihr Vorihm nach §§ 52, 53 zur Verweigerung des Zeugnisses berechtigt sind, unterliegen der Beschlagnahme nicht, falls sie sich in den Händen der letzteren Personen befinden und diese nicht einer Teilnahme, Begünstigung oder Hehlerei verdächtig sind.“ 418  Hahn/Stegemann, Bd. 3, Abt. 1, S. 124. 419  Vgl. Simon, Gesetzesauslegung, S. 209 ff.; Larenz, Methodenlehre, S. 316 ff.; Kramer, Methodenlehre, S. 121 ff. 420  Vgl. Kramer, Methodenlehre, S. 143 f. („Beachtlich können von vornherein nur Materialien sein, aus denen sich klar ergibt, welchen Sinn der historische Gesetzgeber einer Vorschrift unbestrittenermaßen zumessen wollte.“); auch unabhängig von solchen Widersprüchen spricht viel dafür, dass die Äußerungen in den Mate­ rialien „keine bindende Richtschnur für den Ausleger“ (Larenz, Methodenlehre, S. 329) darstellen, sondern lediglich Hinweise auf die dahinterstehenden Wertentscheidungen liefern können; siehe dazu ausführlich Braun, JZ 2013, 265, 271.



IV. § 97 StPO293

bild finden würde.421 Denn wenn sich der erklärte Wille in zwei gegensätzliche Richtungen äußert, so wäre eine Missachtung des einen oder des anderen in jedem Fall unumgänglich. e) Teleologische Auslegung: keine eindeutigen Hinweise auf den subjektiv verfolgten Zweck des Gewahrsamserfordernisses Ist somit festgestellt, dass sich aus direkten Äußerungen kein tragfähiges Ergebnis ableiten lässt, so könnte der subjektive Wille des Gesetzgebers dennoch mittelbar erkannt werden, wenn eine klare Tendenz hinsichtlich des Zwecks des Gewahrsamserfordernisses zum Ausdruck kommen würde. Anstelle von sich widersprechenden Äußerungen tritt diesbezüglich jedoch eine völlige Abwesenheit von Anhaltspunkten. So kann schlichtweg keinerlei Begründung aus den Gesetzesmaterialien dafür gewonnen werden, warum das Gewahrsamserfordernis überhaupt in das Gesetz aufgenommen wurde422 Dies gilt für die Materialien zur StPO ebenso wie für jene zu den württembergischen, oldenburgischen oder badischen Strafprozessordnungen, welche das Gewahrsamserfordernis bereits enthielten und jeweils als Vorlage dienten.423 Die einzige überhaupt auffindbare mittelbare Aussage über den Zweck des Gewahrsamserfordernisses in Gesetzesmaterialien wurde im Zusammenhang mit der Ergänzung des § 97 II 1 StPO durch das GKV-Modernisierungsgesetz getätigt.424 Dass für die elektronische Gesundheitskarte eine explizite Ausnahme von dem Gewahrsamserfordernis eingeführt wurde, wurde hier damit begründet, dass sich diese „in erheblichem Umfang auch in der Hand der Patienten“425 befinden würde und dies nicht zu einer Verschlechterung ihrer Rechtsstellung führen dürfe. Einerseits ist dies zwar ein Hinweis darauf, dass der ändernde Gesetzgeber davon ausging, dass im Übrigen Gegenstände im Gewahrsam des Patienten (und damit wohl auch Mandanten oder sonst Beschuldigten) eben doch beschlagnahmt werden könnten. Andererseits tritt darin aber auch der klare Wille zu Tage, das jeweils von § 97 StPO geschützte Vertrauensverhältnis nicht durch die ein421  Simon, Gesetzesauslegung, S. 370 f.; BGHSt 28, 272, 272 f. (=  NJW 1979, 1310, 1310); BGHSt 44, 62, 67 (=  NJW 1998, 2064, 206); noch weitergehend Bender, JZ 1957, 593, 600; anders aber wohl BGHSt 1, 74, 79 (= NJW 1951, 369, 370). 422  Kapp/Roth, ZRP 2003, 404, 405; HK-StPO-Gercke, § 97, Rn. 48. 423  Kapp/Roth, ZRP 2003, 404, 405; HK-StPO-Gercke, § 97, Rn. 48. 424  Gesetzentwurf GMG, BT-Drucks. 15/1525, S. 167. 425  Gesetzentwurf GMG, BT-Drucks. 15/1525, S. 167.

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E. Einfachgesetzliche Lösung der Beschlagnahmeproblematik

griffsfreundliche Wirkung des Gewahrsamserfordernisses beeinträchtigen zu wollen. Noch weitergehend könnte man die Begründung auch dahingehend verallgemeinern, dass eine Ausnahme von dem Gewahrsamserfordernis immer dann gelten solle, wenn technische oder rechtliche Neuerungen bewirken, dass Unterlagen aus der geschützten Vertrauenssphäre vermehrt in den Gewahrsam des Mandanten gelangen. Folgerichtig müssten Unterlagen dann etwa auch geschützt sein, wenn neuere rechtliche Rahmenbedingungen umfassende Compliance-Maßnahmen erfordern und sich infolgedessen fast zwangsläufig „in erheblichem Umfang belastendes Material in der Hand des Mandanten“ findet.426 Gleichwohl würde man die Absichten des ändernden Gesetzgebers damit aber wohl doch überdehnen. Letztlich wird man deshalb konstatieren müssen, dass schlicht keine subjektiven Anhaltspunkte hinsichtlich des Zweckes des Gewahrsamserfordernis bestehen. f) Teleologische Auslegung: Objektive Bestimmung des Zwecks des Gewahrsamserfordernisses Von entscheidender Bedeutung ist somit das Ergebnis einer objektiv teleologischen Auslegung. Es muss also untersucht werden, welchen Zweck zum einen das Gewahrsamserfordernis in § 97 II 1 StPO selbst hat, zum anderen aber auch welche Auslegung am besten dem Gesamtregelungskonzept des § 97 StPO gerecht wird, welchen Zweck also das grundsätzliche Beschlagnahmeverbot hat. Bei der Frage nach einem isolierbaren Zweck des Gewahrsamserfordernisses steht der Rechtsanwender in nicht ganz alltäglicher Weise weniger vor dem Problem, welchen Zweck das Gesetz wohl verfolgt, sondern eher, ob dem überhaupt ein rationaler Zweck zugrunde liegt. In über 150 Jahren Gesetzeshistorie und trotz zahlloser Neufassungen ergibt sich zunächst keinerlei Hinweis aus den Gesetzesmaterialien. Auch in der Literatur finden sich vergleichsweise wenig Stellungnahmen zu dem Zweck, welche überdies allesamt nicht überzeugen können.

426  Maßgeblich auf einen solchen Gedanken der veränderten rechtlichen Rahmenbedingungen stützten sich auch Kapp/Roth, ZRP 2003, 404, 406, allerdings wohl nur mit dem Ergebnis, dass § 97 II 1 StPO nicht mehr „zeitgemäß“ sei.



IV. § 97 StPO

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aa) Versuche einer Zweckbestimmung in der Literatur (1) K  larheit des Beschlagnahmeverbots und Parallelen zum Zwangsvollstreckungsrecht Teilweise wird der Zweck des Gewahrsamserfordernisses in einem „Gebot der Klarheit des Beschlagnahmeverbots“427 gesehen.428 Gemeint ist damit wohl, dass die Tätigkeit der Ermittler nicht damit erschwert werden soll, dass die Beschlagnahmefähigkeit für jeden einzelnen Gegenstand gesondert geprüft werden muss; dass also über die Möglichkeit der Beschlagnahme allein anhand des leicht erkennbaren, formalen Kriteriums des Gewahrsams entschieden werden kann.429 Denkbar wäre insoweit auch, eine Parallele zur ebenfalls an den Gewahrsam anknüpfenden Zwangsvollstreckung in körperliche Sachen nach §§ 808 ff. ZPO zu ziehen. Im Interesse der Effektivität eines formalisierten Vollstreckungsverfahrens430 setzt § 808 I ZPO dort für die Pfändung von Gegenständen neben einem entsprechenden Titel lediglich Gewahrsam des Schuldners voraus.431 Im Ergebnis überzeugt der Formalisierungsgedanke im Rahmen der Beschlagnahme aber nicht. Insbesondere trägt auch die Parallele zum Zwangsvollstreckungsrecht nicht, sie spricht im Ergebnis sogar eher dafür, im Zusammenhang mit der Beschlagnahme keinen Unterschied zwischen dem Gewahrsam des Mandanten und dem seines Rechtsanwalts zu machen. Gleichwohl ist der Blick auf die Zwangsvollstreckung durchaus instruktiv, da hierbei mögliche Begründungen und Grenzen einer an den Gewahrsam anknüpfenden Formalisierung deutlich zu Tage treten. 427  Gülzow,

NJW 1981, 265, 266. StPO, § 97, Rn. 15 (in späteren Auflagen des von Meyer-Goßner weitergeführten Kommentars findet sich kein Hinweis mehr hierauf); ähnlich LRStPO-Menges, § 97, Rn. 35 („Der Gesetzgeber hat jedoch mit der Anknüpfung an die tatsächliche Sachherrschaft ein leicht ermittelbares Merkmal verwenden wollen, das solchen Aufwand zur Prüfung der Zulässigkeit des Beschlagnahmezugriffs durch Ermittlungsbeamte nicht erfordert.“); auch bei Weigend, Gutachten 62. DJT, C 113 klingt dies an. 429  Vgl. Weigend, Gutachten 62. DJT, C 113 („Praktikabilitätserwägungen“; Weigend ergänzt, dass die Beschränkung auf eine bestimmte Gewahrsamssphäre jedenfalls dann nicht naheliegt, wenn den betreffenden Gegenständen der Bezug zu dem anwaltlichen Vertrauensverhältnis „auf die Stirn geschrieben“ ist und nennt als Beispiel explizit „Anwaltsschreiben“). 430  MüKo-ZPO-Gruber, § 808, Rn. 1 f.; allgemein zum Grundsatz der Formalisierung in der Zwangsvollstreckung siehe Stürner, ZZP 99 (1986), 291, 315 ff.; Baur/Stürner/Bruns, Zwangsvollstreckungsrecht, Rn. 6.53. 431  MüKo-ZPO-Gruber, § 808, Rn. 1. 428  Kleinknecht,

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E. Einfachgesetzliche Lösung der Beschlagnahmeproblematik

So liegen der Formalisierung in dem Zwangsvollstreckungsrecht im Wesentlichen zwei Gedanken zugrunde, welche beide im strafprozessualen Ermittlungsverfahren nicht greifen. (a) Die Zweiteilung des Verfahrens der Zwangsvollstreckung Zunächst ist dies der Gedanke der Spezialisierung zwischen erkennendem Gericht und Vollstreckungsorganen.432 Die Prüfung der materiellen Rechtmäßigkeit eines Titels liegt hiernach grundsätzlich allein in der Hand des Gerichts, das Vollstreckungsorgan beschränkt sich hingegen auf die bloße Vollstreckung ohne eigene materielle Prüfungsbefugnisse.433 Die Formalisierung allein anhand des Gewahrsams macht im Vollstreckungsstadium auch Sinn, weil materiellen Einwendungen von der Systematik des Gesetzes bereits im Erkenntnisverfahren ausreichender Platz eingeräumt ist (vgl. §§ 767, 771 ZPO). Eine erneute Prüfung materieller Rechte im Rahmen der eigentlichen Vollstreckungshandlung würde nur unnötig die Effektivität und Geschwindigkeit des Verfahrens reduzieren. Selbst wenn die Art und Weise der Zwangsvollstreckung fehlerhaft war, wenn also etwa gemäß § 811 ZPO unpfändbare Sachen gepfändet wurden,434 steht dem Betroffenen nachträglich die Möglichkeit der Erinnerung nach § 766 ZPO offen, deren Erfolg die Aufhebung der Vollstreckungsmaßnahme zur Folge hat (vgl. § 775 Nr. 1 i. V. m. § 776 ZPO). Da hierdurch die ursprüngliche Vermögenslage in der Regel vollständig wiederhergestellt werden kann, ohne dass sich darüber hinausgehende negative Konsequenzen aus der zwischenzeitlichen Vollstreckungsmaßnahme ergeben, ist auch nicht notwendig, an dieser Stelle weitere, der Vollstreckung vorgeschaltete Schutzmechanismen vorzusehen. (b) D  ie Notwendigkeit einer materiellen Prüfung durch die Ermittlungsbehörden Die eine Beschlagnahme durchführenden Ermittlungsbehörden auf der anderen Seite sind nicht auf eine vergleichbare bloße Ausführungsfunktion beschränkt. Vielmehr ermittelt die Staatsanwaltschaft den Sachverhalt grundsätzlich in eigener Verantwortung (vgl. § 160 I StPO), was bei Gefahr in Verzug auch die eigenständige Anordnung einer Beschlagnahme umfas432  Stürner, ZZP 99 (1986), 291, 315; Baur/Stürner/Bruns, Zwangsvollstreckungsrecht, Rn. 6.53. 433  Baur/Stürner/Bruns, Zwangsvollstreckungsrecht, Rn. 6.53 ff. (dort auch Hinweise auf die begrenzten Ausnahmen von diesem Grundsatz). 434  MüKo-ZPO-Schmidt/Brinkmann, § 766, Rn. 34.



IV. § 97 StPO297

sen kann (§ 98 I 1 StPO). Diese formal als Ausnahme konstruierte Kompetenz ist auch faktisch geradezu der Regelfall.435 Diese grundsätzliche Möglichkeit der eigenständigen Beschlagnahmeanordnung aber bedeutet, dass auch eine einfache Formalisierung anhand der Gewahrsamssphäre untauglich ist. Denn das Gewahrsamskriterium trägt dann letztlich nichts zur Effektivität des Verfahrens bei. Unabhängig davon, ob anwaltliche Unterlagen auch im Gewahrsam des Mandanten geschützt sind oder nicht, unterliegt die Beschlagnahme dem Verhältnismäßigkeitsgrundsatz.436 Von der Verpflichtung, dessen Einhaltung im Einzelfall zu prüfen, kann auch ein auf „Klarheit“ bedachtes Gesetz nicht entbinden. Entsprechend müssen mindestens solche Unterlagen jeweils von der Beschlagnahme ausgenommen werden, die den Kernbereich höchstpersönlichen Lebens betreffen.437 Selbstverständlich ist überdies, dass nicht beweisrelevante Gegenstände nicht beschlagnahmt werden dürfen. Aufgrund der mangelnden Beweisrelevanz ist letztlich also auch im Gewahrsam des Mandanten die weit überwiegende Zahl der Gegenstände „beschlagnahmefrei“. Folgerichtig sieht § 110 StPO auch explizit die Möglichkeit der „Durchsicht“ von Papieren vor, welche erst die Entscheidung über die Beschlagnahme ermöglichen soll. Darin kommt klar der Gedanke einer materiellen Einzelfallprüfung durch die Ermittlungsbehörde zum Ausdruck, welcher nur schwer mit dem einzig anhand des Gewahrsams formalisierten Gewahrsamskriterium vereinbar wäre. (c) D  ie Vermutung materieller Richtigkeit im Rahmen der Zwangsvollstreckung Die zweite wesentliche Grundlage des Gewahrsamskriteriums in der Zwangsvollstreckung ist die in § 808 I ZPO implizit zum Ausdruck kommende Vermutung, dass Gegenstände im Gewahrsam des Schuldners auch dessen Vermögen angehören.438 Diese Vermutung findet im Zivilrecht in Gestalt des § 1006 BGB auch eine ganz konkrete Grundlage.439 435  Brüning,

ZIS 2006, 29, 32. § 94, Rn. 18 m. w. N. 437  Vgl. zu entsprechenden verfassungsrechtlichen Beschlagnahmeverboten LRStPO-Menges, § 94, Rn. 74 ff. 438  Röhl, Gewahrsam in der Zwangsvollstreckung, S. 7 f., 14; MüKo-ZPO-Gruber, § 808, Rn. 2. 439  Mit dem Unterschied, dass der Besitz dort lediglich eine Eigentumsvermutung begründet, nicht, wie im Fall des Gewahrsams in der Zwangsvollstreckung, 436  Meyer-Goßner-Schmitt,

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E. Einfachgesetzliche Lösung der Beschlagnahmeproblematik

Vor allem aber wird darin auch der materiellrechtliche Hintergrund des Gewahrsamskriteriums deutlich. Im Rahmen der Zwangsvollstreckung dient dieses also nicht dem Selbstzweck der Abgrenzung, sondern knüpft ganz konkret an das materielle Ziel der Zwangsvollstreckung an: dass zur Erzwingung des materiellen Rechts in solche – und auch nur in solche – Gegenstände vollstreckt wird, welche zu dem Vermögen des Schuldners gehören. Erst hierin findet sich der legitime Zweck für den mit der Vollstreckung verbundenen Grundrechtseingriff und erst durch die Vermutung der Vermögenszugehörigkeit wird möglich, die genaue Ausgestaltung dieses Eingriffs an den Gewahrsam anzuknüpfen. Im Bereich der Zwangsvollstreckung ist die Rolle des Gewahrsams also gerade nicht ausschließlich auf die Einfachheit der Rechtsanwendung verengt. (d) D  er fehlende materielle Anknüpfungspunkt des Gewahrsamserfordernisses im Zusammenhang mit der Beschlagnahme Bei der Beschlagnahme hingegen ist ein vergleichbarer materieller Anknüpfungspunkt für das Gewahrsamserfordernis nicht erkennbar. Ein solcher könnte sinnvollerweise nur in der (impliziten) Vermutung liegen, dass sich in einer bestimmten Gewahrsamssphäre anwaltliche Unterlagen befinden bzw. nicht befinden. Soweit Unterlagen im Gewahrsam des Rechtsanwalts betroffen sind, liegt in der Tat noch eine Vermutung nahe, dass diese einen Bezug zu „einem“440 Mandatsverhältnis haben. Insofern ist folgerichtig, in dieser Gewahrsamssphäre die Beschlagnahme zu verbieten. eine umfassendere Vermutung der Vermögenszugehörigkeit; siehe dazu Röhl, Gewahrsam in der Zwangsvollstreckung, S. 7 f. 440  Nur hingewiesen sei hier auf den Umstand, dass eine solche Vermutung für Unterlagen im Gewahrsam des Rechtsanwalts auch nur dann Sinn machen würde, wenn Mandatsunterlagen im Einklang mit der Mindermeinung schlechthin geschützt wären, es also nicht darauf ankäme, ob sie der Mandatsbeziehung zum Beschuldigten oder zu einem Dritten entspringen, vgl. dazu bereits oben E.IV.1.a). Denn würde man mit der herrschenden Meinung letzteren Fall von dem Beschlagnahmeverbot ausnehmen, so müsste die Vermutung geradezu in ihr Gegenteil verkehrt werden. Dann nämlich wäre lediglich ein kleiner Teil der Unterlagen in der Kanzlei – der zu einem einzigen Mandant gehörende – vor Beschlagnahme geschützt. Der gesamte, im Zweifel zahlenmäßig weit überwiegende, Rest hingegen könnte dann beschlagnahmt werden und einer Vermutung materieller Beschlagnahmefreiheit wäre jeder Boden entzogen.



IV. § 97 StPO299

Entscheidend ist aber, dass die gegenteilige Vermutung – dass sich also keine anwaltlichen Unterlagen finden lassen und somit die Beschlagnahme möglich sein müsse – für den Gewahrsamsbereich des Mandanten nicht trägt. Eine solche wird zunächst an keiner Stelle im Gesetz artikuliert, eine dem § 1006 BGB vergleichbare Vorschrift existiert nicht. Vor allem ist diese Abwesenheit einer gesetzlichen Vermutung aber auch sachgerecht. Denn es ist eher im Gegenteil zu vermuten, dass sich auch im Gewahrsam des Mandanten anwaltliche Unterlagen befinden. Dies entspricht nicht nur der Praxis der Rechtsberatung, sondern findet seinen Ausdruck auch in § 97 I Nr. 1 StPO, wo ausdrücklich von Mitteilungen „zwischen“ Rechtsanwalt und Beschuldigtem die Rede ist, wo also vorausgesetzt wird, dass schriftliche Unterlagen auch von einem Rechtsanwalt an den Mandanten und nicht nur in umgekehrter Richtung ausgetauscht werden. Die Vermutung der Existenz oder Nichtexistenz anwaltlicher Unterlagen in bestimmten Gewahrsamssphären könnte also die Beschlagnahmemöglichkeit beim Mandanten nicht sinnvoll erklären. Selbst wenn die Nichtexistenz anwaltlicher Unterlagen im Gewahrsam des Mandanten vermutet werden könnte, so müsste ferner ein Beschlagnahmeverbot jedenfalls für offensichtlich als solche erkennbare anwaltliche Unterlagen auch beim Mandanten angenommen werden. Denn die Vermutung wäre dann erkennbar widerlegt. Entsprechend wird auch im Zwangsvollstreckungsrecht eine Ausnahme für offensichtlich schuldnerfremde Sachen gemacht,441 zu Recht erfolgt eine vollständige, für materielle Erwägungen absolut blinde, Formalisierung also selbst dort nicht. Die Vermutung eines fehlenden Bezugs zur anwaltlichen Vertrauenssphäre kann im Ergebnis also nicht an den Gewahrsam des Mandanten geknüpft werden. Entsprechend kann auf eine solche Vermutung auch keine Beschlagnahmemöglichkeit aufbauen. (e) E  rgebnis: Klarheit des Beschlagnahmeverbots kann das Gewahrsamserfordernis nicht erklären Aus den genannten Gründen trägt der Formalisierungsgedanke im Zusammenhang mit § 97 StPO mithin nicht. Dem behaupteten Gebot der Klarheit des Beschlagnahmeverbots fehlt weitgehend jede materielle Untermauerung, die eine Formalisierung wie im Bereich der Zwangsvollstreckung sinnvoll machen könnte. 441  MüKo-ZPO-Gruber,

§ 808, Rn. 22; Musielak-ZPO-Becker, § 808, Rn. 5.

300

E. Einfachgesetzliche Lösung der Beschlagnahmeproblematik

Die Beschlagnahmemöglichkeit von erkennbar anwaltlichen Unterlagen im Gewahrsam des Mandanten wäre somit gleichbedeutend damit, die bloße Einfachheit der Rechtsanwendung zum legitimen Zweck eines Grundrechts­ eingriffs zu erheben und somit selbst willkürliche Grenzziehungen zu akzeptieren. Eine Regelung, die allein anhand der Gewahrsamssphäre über die Beschlagnahmefähigkeit eines Gegenstands entscheidet, wäre mithin weder wünschenswert noch praktikabel und kann somit auch dem Gesetzgeber nicht als Ziel unterstellt werden. (2) F  ehlende Notwendigkeit eines weitergehenden Schutzes Eine andere Begründung für das Gewahrsamserfordernis geben Kapp / Roth. Diese schließen aus der Abwesenheit jeglicher Erklärung in den Gesetzesmaterialien, dass der Gesetzgeber mit klassischen Straftaten wie Mord vor Augen schlicht davon ausging, dass sich das Problem außerhalb einer Verteidigungssituation im engeren Sinn überhaupt nicht stellen würde. Das Gesetz habe nur die Beratung vor Augen gehabt, welche nach der Tat erfolge und berücksichtige noch nicht die Notwendigkeit rechtlicher Dauerberatung im modernen Wirtschaftsleben.442 Diese Deutung könnte zwar grundsätzlich erklären, warum nicht explizit ein weitergehender Schutz im Gesetz festgeschrieben wurde, es widerspricht aber der expliziten Aufnahme eines speziellen Gewahrsamserfordernisses in den Gesetzestext. Wenn ein Schutz rechtsanwaltlicher Unterlagen außerhalb einer Verteidigungssituation und im Gewahrsam des Mandanten nicht für nötig erachtet worden wäre, weil eine solche Beratung typischerweise gar nicht erfolgt oder keine beweisrelevanten Informationen enthält, so wäre es widersinnig gewesen, gerade diese – ohnehin praktisch nicht vorkommenden – Informationen von der Beschlagnahmefreiheit explizit auszunehmen. (3) G  eringere Schutzbedürftigkeit wegen faktisch erleichterter Kenntnisnahme durch Dritte Eine Erklärung für das Gewahrsamserfordernis, welche noch am häufigsten genannt wird, stellt darauf ab, „dass das Beweismittel seine Schutzwürdigkeit verliert, wenn es die geschützte Vertrauens- und Geheimnissphäre verlassen hat und damit zeugnispflichtige Dritte die Möglichkeit der Kenntnisnahme erhalten.“443 442  Kapp/Roth,

ZRP 2003, 404, 405 f.



IV. § 97 StPO301

Was damit genau gemeint ist, bleibt allerdings teilweise im Dunkeln und trotz gegenseitigem Zitieren ist auch unklar, ob die genannten Autoren alle das gleiche meinen. 443

Wenn – und darin stimmen wohl alle genannten Autoren überein – der Wortlaut des § 97 II 1 StPO wirklich eindeutig die Beschlagnahme beim Beschuldigten erlauben würde, so würden die entsprechenden Äußerungen nur dann Sinn machen, wenn es um eine Art faktisch erleichterte Zugriffsmöglichkeit ginge. Dass es also Dritte leichter hätten, sich Zugang zu den Unterlagen zu verschaffen, wenn sie sich im Gewahrsam des Mandanten befinden. Warum eine bloß faktische Zugriffsmöglichkeit Dritter die rechtliche Zugriffserlaubnis staatlicher Ermittlungspersonen beeinflussen sollte, erschließt sich aber schlicht nicht. Man mag sich höchstens vorstellen, dass hier eine Verwechslung vorliegt mit Sachverhaltskonstellationen in denen materielle Geheimschutzansprüche dadurch beeinflusst werden, dass die betreffenden Informationen entweder subjektiv zur Kenntnisnahme durch Dritte bestimmt waren oder solchen bereits objektiv zur Kenntnis gelangt sind. Beides hat mit der vorliegenden Konstellation aber nichts zu tun. Überdies ist nicht ersichtlich, warum der Gewahrsam des Rechtsanwalts in irgendeiner Weise einen höheren Schutz gegen unautorisierten faktischen Zugriff von Dritten bieten sollte als der des Mandanten. Im Hinblick auf mögliche Sicherheitsvorkehrungen wäre dies vielmehr ein gänzlich untauglich typisiertes Unterscheidungskriterium. Wäre die in der Literatur zu findende Zweckbestimmung also wirklich in dieser Weise zu verstehen, so wäre sie eindeutig abzulehnen.444

443  SK-StPO-Wohlers, § 97 Rn. 15; ähnlich auch BeckOK-StPO-Ritzert, § 97, Rn. 6; LR-StPO-Menges, § 97, Rn. 27; HK-StPO-Gercke, § 97, Rn. 34; Schmitt, Zeugnisverweigerungsrechte, S. 74; Nickolai, in: Wabnitz/Janovsky, Kap. 25, Rn. 10. 444  Zu einer anderen, sinnvolleren Interpretation der Literaturstimmen, welche allerdings im direkten Widerspruch zu den jeweils gezogenen Schlussfolgerungen steht, siehe unten unter E.IV.2.f)bb)(4).

302

E. Einfachgesetzliche Lösung der Beschlagnahmeproblematik

bb) Andere denkbare Erklärungsansätze für das Gewahrsamserfordernis (1) D  as Gewahrsamserfordernis als Korrektiv zur Vermeidung eines zu umfassenden Asyls von Beweisgegenständen Ein anderer Zweck des Gewahrsamserfordernisses könnte in einer sehr groben Eingrenzung der beschlagnahmefreien Gegenstände liegen, welche als Korrektiv für den bei näherer Hinsicht potentiell sehr weit formulierten § 97 I StPO dienen würde. In der Literatur wird ein solcher Ansatz nur näherungsweise im Zusammenhang mit der Diskussion angesprochen, ob Mitgewahrsam zwischen Beschuldigtem und Berufsgeheimnisträger die Beschlagnahmefreiheit entfallen lassen muss.445 Als Argument hierfür wird teilweise angeführt, dass sonst ein unzulässiges „Asyl“ für Beweisgegenstände begründet würde, welches praktisch alle Gegenstände im Gewahrsam des Beschuldigten von der Beschlagnahme ausnehmen würde.446 Die dahinterstehende Überlegung betrifft allerdings offenbar ausschließlich die Vertrauensbeziehung zu Angehörigen. In diesem Zusammenhang wird jeweils davor gewarnt, dass bei Annahme eines Beschlagnahmeschutzes im (Mit)-Gewahrsam des Beschuldigten praktisch alle Gegenstände im gemeinsamen Haushalt dem staatlichen Zugriff entzogen wären.447 Diese Sorge ist jedoch deshalb unbegründet und die Argumentation insoweit abzulehnen, weil § 97 I Nr. 1 StPO das Vertrauensverhältnis zwischen Angehörigen nur insoweit schützt wie es sich um „schriftliche Mitteilungen“ handelt. § 97 I Nr. 2, 3 StPO hingegen beziehen sich ausdrücklich nur auf das Zeugnisverweigerungsrecht der in § 53 I 1 Nr. 1 bis 3b StPO genannten Personen. Würde man nun aber alle nach § 97 I StPO grundsätzlich geschützten Gegenstände gewahrsamsunabhängig schützen, so könnte sich theoretisch eine andere Konsequenz ergeben, welche zwar in der Literatur bisher so nicht artikuliert wurde, aber möglicherweise dennoch dem gesetzlichen Regelungskonzept zugrunde liegen könnte. 445  Vgl.

zur Diskussion LR-StPO-Menges, § 97, Rn. 30. Schmidt, Ausnahme vom Beschlagnahmeverbot, S. 45; LR-StPO-Menges, § 97, Rn. 30. 447  Vgl. Schmidt, Ausnahme vom Beschlagnahmeverbot, S. 45; LR-StPO-Menges, § 97, Rn. 30. 446  Vgl.



IV. § 97 StPO303

Denn „Gegenstände […], auf die sich das Zeugnisverweigerungsrecht […] erstreckt“, sind grundsätzlich alle, welche dem Rechtsanwalt in seiner Eigenschaft als solcher „bekanntgeworden“ (§ 53 I 1 Nr. 3 StPO) sind. Dem Wortlaut nach erstreckt sich das Zeugnisverweigerungsrecht potentiell also zum Beispiel auch auf Gegenstände, welche der Rechtsanwalt nur einmal gesehen hat, egal in wessen Eigentum oder Gewahrsam sich diese befinden. Dies kann aber nicht bedeuten, dass solche Gegenstände ausnahmslos von der Beschlagnahme ausgeschlossen wären. Wäre dies der Fall, stünde etwa zu befürchten, dass ein ausführlicher Gang durch das Haus des Mandanten dessen gesamten Besitzstand von der Beschlagnahme ausnehmen würde. Nicht völlig undenkbar erscheint deshalb, dass der Gesetzgeber anstelle einer schwierigen genauen Definition der geschützten Gegenstände das „stumpfe Schwert“ des Gewahrsams gewählt hat, um jedenfalls eine erste grobe Eingrenzung vorzunehmen. Im vorliegenden Zusammenhang entscheidend ist aber letztlich, dass die Problematik durch die Beschränkung auf den Gewahrsam des Rechtsanwalts nicht gelöst wird, wie sich schon an der seit Jahrzehnten ausführlich geführten Diskussion etwa um die Beschlagnahmefreiheit von Buchhaltungs- und Geschäftsunterlagen im Gewahrsam von Rechtsanwälten und Steuerberatern zeigt.448 Auch im Gewahrsam des Rechtsanwalts können sich Gegenstände befinden, welche ausschließlich dort gelagert werden um sie staatlichem Zugriff zu entziehen und auch hier darf es kein „Asylrecht“449 für bloße „Überführungsstücke“ geben, welche bei privilegierten Berufsgruppen „versteckt“ werden.450 Auf der anderen Seite passiert es sogar häufig, dass schriftlich niedergelegte Unterlagen aus dem Kernbereich der rechtlichen Beratung in den Gewahrsam des Mandanten gelangen. Die Berichte über Ergebnisse von unternehmensinternen Erhebungen sind hierfür nur ein Beispiel, es kann sich dabei vor allem auch um einfache Korrespondenz zwischen Rechtsanwalt und Mandant handeln. Die Beschränkung auf den anwaltlichen Gewahrsam ändert indessen an dem grundsätzlichen Problem eines sehr weit gefassten § 97 I StPO nichts, sondern sorgt bestenfalls dafür, dass es etwas weniger häufig auftritt. Würde man also mit der genannten Begründung, ein zu weitgehendes Asyl von Beweisgegenständen verhindern zu wollen, den Beschlagnahme448  Vgl. dazu etwa SK-StPO-Wohlers, § 97, Rn. 82; Weinmann, FS Dünnebier, S. 199. 449  SK-StPO-Wohlers, § 97, Rn. 82. 450  Weinmann, FS Dünnebier, S. 199, 206; Meyer-Goßner-Schmitt, § 97, Rn. 39; BeckOK-StPO-Ritzert, § 97, Rn. 6a; LG Köln, BB 1974, 1548, 1549.

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E. Einfachgesetzliche Lösung der Beschlagnahmeproblematik

schutz tatsächlich auf den Gewahrsam der Berufsgeheimnisträger beschränken, so würden sich folglich ähnliche Probleme ergeben wie schon bei der obigen Argumentation mit der „Klarheit des Beschlagnahmeverbots“. Es wäre dann ein klares, typisiertes Abgrenzungskriterium geschaffen, welches aber nicht in der Lage wäre, die entscheidenden Wertungsentscheidungen umzusetzen und somit untauglich wäre. Egal, ob es um den Gewahrsam eines Rechtsanwalts oder um den eines Mandanten geht, so muss immer ein taugliches Abgrenzungskriterium neben dem bloßen Gewahrsam gefunden werden. Dieses Kriterium muss ferner nicht zwingend für jede Gewahrsamssphäre gleich sein. Entsprechende Kriterien für Unterlagen im Gewahrsam der Berufsgeheimnisträger wurden in Literatur und Rechtsprechung auch bereits entwickelt.451 Vorgeschlagen wird insbesondere, den Schutz auf solche Gegenstände zu begrenzen, die erst innerhalb der Mandatsbeziehung entstanden sind.452 Soweit der Gewahrsam eines Berufsgeheimnisträgers betroffen ist, ist diese Eingrenzung zwar zu Recht als Hindernis für eine umfassende Beratung kritisiert worden, etwa wenn es notwendig ist, bestimmte Gegenstände eingehend durch den Berufsgeheimnisträger zu überprüfen.453 Dieser Einwand gilt jedoch ersichtlich dann nicht, wenn es sich um Gegenstände im Gewahrsam des Beschuldigten handelt. In dieser Gewahrsamssphäre wäre eine Begrenzung auf innerhalb des Vertrauensverhältnisses entstandene Gegenstände sinnvoll. Sie wäre nicht nur interessengerecht, sondern überdies vergleichsweise einfach zu handhaben. Ein Schreiben eines Rechtsanwalts an seinen Mandanten etwa wäre unproblematisch geschützt, sonstige bereits existierende Gegenstände in der Wohnung oder den Geschäftsräumen des Mandanten hingegen nicht und die Befürchtung eines umfassenden Asyls würde ins Leere laufen. Auch nach diesem Ansatz lässt sich der Ausschluss eines Beschlagnahmeverbots im Gewahrsam des Beschuldigten somit sinnvollerweise nicht begründen.

451  Vgl.

für eine Übersicht SK-StPO-Wohlers, § 97, Rn. 82. für eine solche Einschränkung schon nach geltendem Recht LG Mainz, NStZ 1986, 473, 474, 41; LG Darmstadt, NStZ 1988, 286, 286; LG Braunschweig, NJW 1978, 2108; im Ergebnis wohl auch SK-StPO-Wohlers, § 97, Rn. 82. 453  So im Ergebnis auch die herrschende Meinung: LR-StPO-Menges, § 97, Rn. 76; KK-StPO-Greven, § 97, Rn. 16; Weigend, Gutachten 62. DJT, C 110; LG Stuttgart, DStR 1997, 1449, 1450. 452  Vgl.



IV. § 97 StPO

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(2) Informationsfluss nur in eine Richtung geschützt (a) E  ntwicklung eines möglichen Erklärungsansatzes Eine andere mögliche Erklärung ergibt sich aus einem gewandelten Verständnis der Informationsströme innerhalb eines Vertrauensverhältnisses. Das Gewahrsamserfordernis würde dann Sinn machen, wenn man davon ausginge, dass für das Vertrauensverhältnis konstitutive Informationen nur in eine Richtung fließen können: vom Mandanten an den Rechtsanwalt und nicht umgekehrt. Der Grundgedanke wäre dann, dass das Vertrauen des Mandanten in den Anwalt geschützt werden sollte und nicht das Vertrauen des Anwalts in den Mandanten. Es erscheint zumindest nicht völlig abwegig, dass man entsprechend davon ausging, dass persönliche und schützenswerte Informationen nur in den Mitteilungen des Beschuldigten an andere enthalten seien. In etwaigen Antwortschreiben dieser Zeugnisverweigerungsberechtigten würden dann diese Informationen zwar vorausgesetzt sein, aber zumindest nicht die Gestalt einer wirklichen Mitteilung von Informationen annehmen. Eine solche Sicht legt etwa auch die württembergische Strafprozessordnung nahe, welche der RStPO als Vorbild gedient hatte: „Auf Briefe, welche der Beschuldigte oder ein zum Zeugnis nicht verpflichteter Angehöriger desselben an den Vertheidiger oder Beichtvater, und auf solche Briefe, welche der Beschuldigte, dessen Vertheidiger oder Beichtvater an einen zum Zeugnis nicht verpflichteten Angehörigen des Beschuldigten gerichtet hat, darf sich die Durchsicht und Beschlagnahme nicht erstrecken, vorausgesetzt, daß sich diese Briefe noch in den Händen der Personen befinden, an die sie gerichtet waren“.454

Geschützt waren also ausdrücklich nur Briefe an sonstige Zeugnisverweigerungsberechtigte, nicht solche, die an den Beschuldigten gerichtet waren. (b) Ablehnung des Erklärungsansatzes Selbst die Richtigkeit dieser Theorie unterstellt, so könnte sie jedenfalls heute nicht mehr als Auslegungsrichtschnur dienen. Denn die rechtlichen Rahmenbedingungen, die dem zugrunde liegen, haben sich in dem Sinn geändert, dass das Gesetz heute ausdrücklich auch Unterlagen schützt, die nicht direkt vom Beschuldigten stammen (etwa § 97 454  Zitiert

nach Hahn/Stegemann, Bd. 3, Abt. 1, S. 124.

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E. Einfachgesetzliche Lösung der Beschlagnahmeproblematik

I Nr. 2 StPO). Auch werden nun allgemein „schriftliche Mitteilungen zwischen“ den Beteiligten geschützt (§ 97 I Nr. 1 StPO). Das Gesetz geht also ersichtlich nicht mehr davon aus, dass schützenswerte Informationen nur zu einem aus beruflichen oder persönlichen Gründen Zeugnisverweigerungsberechtigten fließen können. Dies entspricht auch, wenn es das jemals tat, jedenfalls heute nicht mehr der Realität des modernen Wirtschaftslebens.455 Nach diesem Verständnis müsste das Gewahrsamserfordernis also als historisches Relikt einer unstreitig vergangenen Zeit gelten und müsste im Wege der gebotenen Anpassung zumindest so restriktiv wie möglich ausgelegt werden.456 Eine Beschlagnahme wäre damit auch in den Händen des Beschuldigten unzulässig. (3) D  er Rechtsanwalt als quasi außerrechtliches Korrektiv (a) E  ntwicklung eines möglichen Erklärungsansatzes Eine andere denkbare Erklärung für das Gewahrsamserfordernis könnte in der konsequenten Überleitung eines „in Vergessenheit geratenen“ Verständnisses des Zeugnisverweigerungsrechts zu finden sein, dessen wesentliche Elemente Berufsethos und standesrechtliche Gebundenheit des Rechtsanwalts sind. Kern dieser Argumentation könnte sein, dass Rechtsanwälte aufgrund ihrer besonderen Stellung als „unabhängiges Organ der Rechtspflege“ (§ 1 BRAO) verhindern, dass eine tatsächlich bedingungslos vor staatlichem Zugriff gesicherte Geheimsphäre entsteht.457 Genauso wie durch das BVerfG erwartet wird, dass Rechtsanwälte keinen „unangemessenen Gebrauch“458 von ihrem Zeugnisverweigerungsrecht machen, könnte auch im Rahmen der Beschlagnahme die Hoffnung bestehen, 455  In diesem Sinn ist auch der Hinweis von Kapp/Roth, ZRP 2003, 404, 405 f. richtig. 456  Zur methodischen Gebotenheit einer solchen Korrektur von falschen Vorstellungen des historischen Gesetzgebers siehe Simon, Gesetzesauslegung, S. 369 ff.; Engisch, Juristisches Denken, S. 298 ff.; Zimmermann, NJW 1952, 959, 960; Kramer, Methodenlehre, S. 144 f.; sehr weitgehend in diese Richtung Bender, JZ 1957, 593, 600; Beispiele aus der Rechtsprechung: BGHZ 3, 82, 88 f. (=  NJW 1951, 886, 887); BGHSt 28, 272, 272 f. (= NJW 1979, 1310, 1310); BGHSt 44, 62, 67 (= NJW 1998, 2064, 2065). 457  Vgl. etwa Henssler/Prütting-Henssler, § 43a BRAO, Rn. 91 („Ein rechtlich schutzwürdiges Vertrauen auf unverbrüchliches Schweigen kann gegenüber einem ‚Organ der Rechtspflege‘ nicht entstehen.“). 458  BVerfGE 33, 367, 384 (=  NJW 1972, 2214, 2216).



IV. § 97 StPO307

dass Rechtsanwälte von „ihrem“ Beschlagnahmeverbot im Einzelfall keinen Gebrauch machen (das würde wohl heißen, Unterlagen freiwillig herauszugeben), wenn „höherwertige Interessen des Gemeinwohls“459 dies verlangen.460 Wären Unterlagen auch im Gewahrsam des Mandanten geschützt, so könnte dieser darauf hinwirken, „sensible“ Informationen nur bei sich selbst aufzubewahren und sich so sicher sein, dass diese nicht ohne seinen Willen zur Kenntnis der Behörden gelangen. Solange diese Informationen aus der anwaltlichen Kommunikationssphäre stammen, wären sie staatlichem Zugriff also absolut entzogen. Wird der Beschlagnahmeschutz hingegen auf die anwaltliche Gewahrsamssphäre begrenzt, so wird sichergestellt, dass je nach Belegenheit des Gegenstands entweder kein Schutz besteht oder dieser im Einzelfall noch freiwillig durch den Rechtsanwalt aufgehoben werden kann. Nach dieser Interpretation wäre das Gewahrsamserfordernis also Teil eines Systems, welches die Abwägung zwischen Strafverfolgungsinteressen und Geheimhaltungsinteressen nicht vollständig gesetzlich determiniert, sondern zumindest teilweise den Berufsgeheimnisträgern überlässt. Dem Rechtsanwalt würde damit also die Rolle eines letzten, quasi außerhalb des Rechts stehenden Korrektivs zukommen.461 (b) D  as anwaltliche Berufsethos als Hintergrund der Argumentation Im Ergebnis ist eine solche Begründung zwar abzulehnen und sie wird, soweit ersichtlich, zumindest in Bezug auf das Gewahrsamserfordernis an 459  BVerfGE

33, 367, 384 (=  NJW 1972, 2214, 2216). auch Görtz-Leible, Beschlagnahmeverbote, S. 162 f. zu einer entsprechenden Betonung der „Freiheit“ des Zeugnisverweigerungsberechtigten, die Interessen der Allgemeinheit selbständig mit denen des Mandanten abzuwägen. 461  Ein entsprechendes Verständnis wird in der Literatur zwar bisher noch nicht konsequent artikuliert. Dem zumindest nahe kommen könnte aber die Konzeption von Görtz-Leible, Beschlagnahmeverbote, S. 161 ff., 251 ff., die die Freiheit des Zeugnisverweigerungsberechtigten betont, auszusagen oder nicht, allein den Rechtsanwalt und nicht seinen Mandanten als prozessuales Schutzsubjekt begreift und auf dieser Grundlage auch die Beschlagnahmemöglichkeit von Unterlagen im Gewahrsam des Mandanten erklärt. Hinlänglich klar wird dies jedoch nicht. Ferner bleibt unklar, worauf genau sich die These stützt, wonach allein der Rechtsanwalt prozessuales Schutzsubjekt sei. Die Vermutung liegt dabei nahe, dass erst das strikt verstandene Gewahrsamserfordernis diese These begründet, so dass hier wiederum von einer bestimmten Auslegung auf die Auslegung geschlossen würde. 460  Vgl.

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E. Einfachgesetzliche Lösung der Beschlagnahmeproblematik

keiner einzigen Stelle in Literatur oder Rechtsprechung auch nur angedacht.462 Abwegig wäre sie gleichwohl nicht.463 Vielmehr ist sie letztlich nur Folge des Postulats, dass Zeugnisverweigerungsrechte nur solchen Berufsgruppen zukommen dürfen, welche bedingt durch ein gefestigtes Berufsethos vermeintlich besonders verantwortungsvoll damit umgehen. Denn anders lässt sich dieses Postulat kaum erklären. Dieses Postulat findet sich nicht nur in der Judikatur des BVerfG,464 sondern auch in den Gesetzesmaterialien zu § 53 StPO465 wieder.466 So begründet das BVerfG die Vereinbarkeit eines Zeugnisverweigerungsrechtes für die in § 53 I 1 Nr. 3 StPO aufgeführten Berufe mit dem Rechtsstaatsgebot explizit damit, dass diese „nach ihrer Ausbildung, den für sie geltenden Berufsregelungen […], der durch Kammern wahrgenommenen Standesaufsicht und der disziplinarischen Überwachung durch Berufsgerichte eine gewisse Gewähr dafür bieten, daß sie von der ihnen eingeräumten Aussageverweigerungsbefugnis keinen unangemessenen Gebrauch machen, sie insbesondere nur dann in Anspruch nehmen, wenn es die Wahrung ihres Berufsgeheimnisses unabdingbar erfordert und höherwertige Interessen des Gemeinwohls nicht entgegenstehen.“467 Auch in den Vorarbeiten zum 3. StrafÄndG von 1953 wurde zur Begründung von Zeugnisverweigerungsrechten expliziert auf „Vorbildung“ und „Standesethos“ rekurriert und die Miteinbeziehung von Steuerberatern unter den Vorbehalt einer gesetzlichen Grundlage für ein spezielles Standesrecht dieser Berufsgruppe gestellt.468 Im Zusammenhang mit dem ärztlichen 462  Möglicherweise meint Janssen, Grundlagen und Grenzen der Beschlagnahme, S. 98 f. etwas ähnliches, dies wird allerdings nicht hinreichend klar und jedenfalls nicht näher erläutert oder begründet („Eine Ausnahme für die Zulässigkeit des Mitgewahrsams muß bei sinnvoller Interpretation des § 97 Abs. 2 StPO, dann gegeben sein, wenn der Beschuldigte Mitgewahrsam an dem Gegenstand hat, da dessen Sachherrschaft zu einer steten potentiellen Verstrickung und Verdunklung des Beweismittels führt, die nicht mehr von § 97 StPO gedeckt ist.“). 463  Vgl. etwa für Tendenzen, den Rechtsanwalt durch einzelne Relativierungen der Verschwiegenheitspflicht in das System der Corporate Governance einzugliedern Knöfel/Mock, AnwBl 2010, 230 sowie die Dissertation von Mann, Anwaltliche Verschwiegenheit und Corporate Governance. 464  BVerfGE 33, 367, 384 (=  NJW 1972, 2214, 2216); vgl. auch BVerfGE 38, 312, 324 (=  NJW 1975, 588, 589); BVerfGE 32, 373, 382 (=  NJW 1972, 1123, 1124). 465  Regierungsentwurf zum 3. StrafÄndG, BT-Drucks. 1/3713, S. 47. 466  Kühne, JuS 1973, 685, 686; Rengier, Zeugnisverweigerungsrechte, S. 18 f. 467  BVerfGE 33, 367, 383 f. (=  NJW 1972, 2214, 2216). 468  Regierungsentwurf zum 3. StrafÄndG, BT-Drucks. 1/3713, S. 47.



IV. § 97 StPO309

Zeugnisverweigerungsrecht wurde „Standesehre und höhere Bildung“ auch bereits in den Beratungen zur RStPO als Argument angeführt.469 Merkwürdig im Dunkeln bleibt dabei jeweils, auf welche Weise genau das Aussageverhalten durch das Berufsethos beeinflusst werden soll. Der historische Grund für eine Berücksichtigung standesethischer Besonderheiten dürfte wohl sein, dass bis in die dreißiger Jahre hinein die strafrechtliche Schweigepflicht von Berufsgeheimnisträgern durch eine Aussage vor Gericht immer befugtermaßen durchbrochen werden konnte.470 Zwischen Schweigen und Aussagen bestand für den Rechtsanwalt also tatsächlich ein wirkliches Wahlrecht, so dass die Vertraulichkeit von Mandatsinhalten nur durch das standesethisch abgesicherte Schweigeversprechen gewährleistet werden konnte. Die heute einhellige Meinung lehnt eine solch weitgehende Durchbrechung der Schweigeverpflichtung allerdings ab.471 Vielmehr bleibt die Schweigepflicht auch im Rahmen von Zeugenaussagen vollumfänglich erhalten.472 Im Grundsatz muss also ein Berufsgeheimnisträger, soweit ihm ein Aussageverweigerungsrecht zusteht, die Aussage auch tatsächlich verweigern. Hieran ändert auch die rein prozessuale Zulässigkeit von Aussagen unter Verletzung dieser Schweigepflicht473 nichts. Hieraus wird teilweise geschlossen, dass die Entscheidung, vor Gericht auszusagen, heute vollständig rechtlich determiniert sei, Raum für eine berufsethisch beeinflusste eigene Entscheidung bleibe grundsätzlich nicht.474 Vernachlässigt wird dabei aber, dass auch nach heutiger Rechtslage ein nicht unerheblicher Spielraum für eigene Entscheidungen verbleibt. Dieser besteht immer dann, wenn ein tatbestandlicher Verstoß gegen die Schweigepflicht gerechtfertigt ist, insbesondere also wenn die Voraussetzungen des § 34 StGB erfüllt sind,475 die Schwelle der §§ 138, 139 StGB jedoch noch nicht erreicht ist. In diesem Fall wird zwar die Aussage nicht bestraft, auf469  Hahn/Stegemann, 470  Schilling,

Band 3, Abt. 2, S. 1235. JZ 1976, 617, 619; vgl. Liszt, Lehrbuch des Deutschen Strafrechts,

§ 121, S. 391. 471  Henssler/Prütting-Henssler, § 43a BRAO, Rn. 94; Feuerich/Weyland-Böhnlein, § 43a BRAO, Rn. 30; Schönke/Schröder-StGB-Lenckner/Eisele, § 203, Rn. 29. 472  Lackner/Kühl-StGB-Kühl, § 203, Rn. 24; Schönke/Schröder-StGB-Lenckner/ Eisele, § 203, Rn. 29; Schilling, JZ 1976, 617, 620. 473  Lackner/Kühl-StGB-Kühl, § 203, Rn. 24; BGHSt 9, 59, 61 f. (=  NJW 1956, 599, 600). 474  Rengier, Zeugnisverweigerungsrechte, S. 19; Schilling, JZ 1976, 617, 620. 475  Dies wird zwar von Rengier, Zeugnisverweigerungsrechte, S. 19 und Schilling, JZ 1976, 617, 620 gesehen, allerdings jeweils als Ausnahme ohne weitere Bedeutung abgetan.

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E. Einfachgesetzliche Lösung der Beschlagnahmeproblematik

grund des dennoch fortbestehenden Zeugnisverweigerungsrechts wird sie aber auch nicht erzwungen. Mit anderen Worten: Es steht dann im freien Ermessen des Berufsgeheimnisträgers, ob er aussagen will oder nicht.476 Entsprechend muss dieses Ermessen dann auch im Umgang mit gegenständlichen Beweismitteln im Gewahrsam des Rechtsanwalts gelten.477 Dieser Ermessensspielraum erscheint auch nicht so gering, dass er einfach vernachlässigt werden kann. Zumindest soweit es (auch) um die präventive Gefahrenabwehr geht, besteht weitgehend „Einigkeit“,478 dass ein Verstoß gegen die Verschwiegenheitspflicht gerechtfertigt ist.479 Zuletzt handelt es sich auch nicht unbedingt um vergleichsweise seltene und für den Großteil der Anwälte praxisferne Sachverhalte. Übertragen auf Unternehmensanwälte könnte dies etwa bedeuten, dass die Schweigepflicht dann zurücktritt, wenn gegen intern festgestellte Rechtsverstöße nicht wirksam vorgegangen wird und diese deshalb fortgeführt werden. Insofern könnte das Gewahrsamserfordernis durchaus mit dem Ziel erklärt werden, dass dieses begrenzte Wahlrecht im Rahmen der Zeugenaussage auch im Rahmen der Beschlagnahme zur Geltung kommt.

476  Im Übrigen verbleibt ein zumindest formales Ermessen selbst dann, wenn die Geheimhaltungspflicht fortbesteht. Zur rechtlichen Beachtlichkeit dieses Ermessens (auch ein nicht von der Verschwiegenheitspflicht entbundener Berufsgeheimnisträger darf nicht ohne Weiteres vor der Vernehmung zur Sache entlassen werden, sondern ist zu fragen, ob er dennoch aussagen will) siehe BGHSt 15, 200 (=  NJW 1961, 279). 477  Kleine-Cosack, BRAO § 43a, Rn. 24 scheint sogar noch weiter zu gehen, allerdings ohne Begründung: „Eine Verletzung der Verschwiegenheitspflicht scheidet auch aus, wenn bei einer Durchsuchung und Beschlagnahme in einer RA-Kanzlei freiwillig der Verschwiegenheitspflicht unterliegende Angaben gemacht oder Akten herausgegeben werden“ (nicht unwahrscheinlich scheint, dass hier Verschwiegenheitspflicht und prozessuale Verwertbarkeit verwechselt wurden. Denn eine Begründung dafür, dass der Verrat eines Geheimnisses in mündlicher Form strafbar sein soll, in quasi schriftlicher Form aber nicht, ist nicht ersichtlich). 478  Rengier, Zeugnisverweigerungsrechte, S. 340. 479  Rengier, Zeugnisverweigerungsrechte, S. 340; Henssler/Prütting-Henssler, § 43a BRAO, Rn. 91; Henssler, NJW 1994, 1817, 1823; Schröder-Lenckner/Eisele, § 203, Rn. 31; Mann, Anwaltliche Verschwiegenheit und Corporate Governance, S. 30; a. A. aber Harting, Berufspflichten des Strafverteidigers, S. 139 f.; Beulke, Der Verteidiger im Strafverfahren, S. 121; eine Rechtfertigung für Offenbarungen einzig zum Zweck der repressiven Strafverfolgung scheidet hingegen aus, vgl. dazu ausführlich Rengier, Zeugnisverweigerungsrechte, S. 340 ff.



IV. § 97 StPO311

(c) Ablehnung des Erklärungsansatzes Im Ergebnis kann der Erklärungsansatz allerdings nicht überzeugen. Zumindest aber kann er in der heutigen Zeit nicht mehr als Auslegungshilfe herangezogen werden. Zunächst wäre es nach heutigem Verständnis zumindest hochgradig ungewöhnlich sowie rechtsstaatlich bedenklich, wenn sich das Prozessrecht wirklich bewusst der Abwägung zwischen Strafverfolgungs- und Geheimhaltungsinteressen enthalten würde. Umso mehr, wenn diese Abwägung in die Hände einer Personengruppe gelegt wird, die in § 1 BRAO ausdrücklich als „unabhängig“, und damit auch unabhängig vom Staat,480 qualifiziert wird. In Abwesenheit auch nur irgendeines diesbezüglichen Anhaltspunktes in den Materialien kann nicht davon ausgegangen werden, dass dies im Sinne des (nachkonstitutionellen)481 Gesetzes ist, selbst dann nicht wenn es sich als (historische) Erklärung für das Gewahrsamserfordernis immerhin deutlich besser eignet als viele andere vorgebrachte Ansätze. Auch würde sich eine solche Konzeption nicht mit der Verstrickungsklausel in § 97 II 3 StPO vertragen. Denn hierin wird letztlich eine sehr konkrete Grenze formuliert, bis zu der ein Rechtsanwalt dem Täter auch „im Unrecht“ beistehen darf, ohne dass der Staat Zugriff auf kommunikative Inhalte des Mandatsverhältnisses erhält. Diese Grenze wird erst bei der eigenen Teilnahme des Rechtsanwalts an einer Tat gezogen. Ist sie überschritten, so soll der Staat Zugriff auf entsprechende Unterlagen haben. Im Gegenschluss heißt das aber, dass er einen solchen Zugriff nicht haben soll, wenn die Grenze unterschritten ist, wenn also der Rechtsanwalt nicht im Rechtssinn Teilnehmer oder Täter ist, sondern lediglich „Mitwisser“.482 Ein Gewahrsamserfordernis, welches einzig den Zweck hat, im Einzelfall unterhalb dieser Grenze eine Preisgabe von Informationen zu erreichen, würde diese Wertentscheidung untergraben. Würde das Gesetz einen weitergehenden Zugriff auf die anwaltliche Geheimsphäre anstreben, so steht zu vermuten, dass dann auch die Verstrickungsklausel weiter formuliert wäre. So könnte sie etwa an § 34 StGB oder den Katalog des § 112a I StPO anknüpfen und damit den gesetzlich 480  Feuerich/Weyland-Vossebürger, § 1 BRAO, Rn. 15; Henssler/Prütting-Busse, § 1 BRAO, Rn. 45. 481  Vgl. BVerfGE 33, 367, 374 (=  NJW 1972, 2214, 2214). 482  Eine Ausnahme bilden lediglich die Katalogtaten der §§ 138, 139 StGB.

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E. Einfachgesetzliche Lösung der Beschlagnahmeproblematik

normierten Bereich ausweiten, in denen das Aufklärungsinteresse dem Geheimhaltungsinteresse vorgeht. Dies wäre jedenfalls rationaler, als auf das eher zufällige Maß an Staatsverbundenheit einzelner Rechtsanwälte zu vertrauen. Dies gilt umso mehr, als dass wenig Anzeichen erkennbar sind, dass Rechtsanwälte in großer Zahl freiwillig eine Entscheidung gegen die Interessen ihres Mandanten treffen würden. Zu dieser Feststellung bedarf es keiner Ausführungen über das tatsächliche Maß eines in der Ausbildung vermittelten Berufsethos. Schon der Blick in die Berufsordnung der Rechtsanwälte legt eine deutliche Tendenz in Richtung überobligatorischer Geheimhaltung nahe, indem in § 2 I, II BORA zwar die Pflicht zur Verschwiegenheit explizit betont wird und auch gesetzliche Ausnahmen davon erwähnt werden, jedoch keinerlei Pflicht normiert wird, von einer solchen Ausnahme im Einzelfall auch Gebrauch zu machen. Noch deutlicher wird dies in den Regelungen der Vereinigung der europäischen Rechtsanwaltskammern (CCBE-Berufsregeln), wo die Pflicht zur Verschwiegenheit unter 2.3 ausführlich normiert und sogar erläutert wird, ein Hinweis auf eventuelle Ausnahmen aber gänzlich fehlt. Dazu passt auch, dass der Rechtsanwalt in der bisherigen Diskussion um das Gewahrsamserfordernis kein einziges mal als Korrektiv im oben bezeichneten Sinn wahrgenommen, sondern vielmehr als eine Art „sicherer Hafen“ betrachtet wurde.483 Schließlich sprechen auch praktische Gründe dagegen, gerade im Bereich der Beschlagnahme dem Gewahrsamserfordernis die hier vorgestellte Bedeutung beizumessen. Denn die (einzig zulässige) präventive Zielrichtung des oben genannten anwaltlichen Ermessens wird nur äußerst selten auch die Offenlegung von Unterlagen oder anderen Gegenständen aus der anwaltlichen Geheimsphäre erfordern. In praktisch jedem denkbaren Fall dürfte hierfür eine simple Zeugenaussage des Rechtsanwalts ausreichen.

483  Vgl. die verschiedenen Vorschläge in der Literatur zur Auslagerung sensibler Unterlagen in anwaltliche Gewahrsamssphären: Haefcke, CCZ 2014, 39, 42; Wessing, in: Volk, MAH-WirtschaftsstrafR, § 12, Rn. 139; Ballo, NZWiSt 2013, 46, 52; Hart-Hönig, FS Schiller, S. 281, 294; Schwintowski, NZG 2005, 200, 202; Hehn/ Hartung, DB 2006, 1909, 1914, Fn. 43; siehe dazu auch schon oben unter A.1.a)aa) (2).



IV. § 97 StPO313

(4) G  ewahrsam als Instrument zur Harmonisierung der äußeren Grenzen von materiellem und gegenständlichem Geheimnisschutz (a) E  rläuterung eines möglichen Erklärungsansatzes Der letztlich einzig überzeugende Zweck des § 97 II 1 StPO liegt in einer Harmonisierung der äußeren Grenzen von materiellem und gegenständlichem Geheimnisschutz. Die gesetzgeberische Entscheidung, die dahintersteht, besagt, dass der Beschlagnahmeschutz jedenfalls dann enden soll, wenn Gegenstände in den Gewahrsam von Personen außerhalb des „Kreises der Wissenden“484 gelangt sind.485 Anknüpfen kann man hierbei an die bereits oben486 erwähnten Stimmen aus der Literatur, welche das Gewahrsamserfordernis auf eine geringere Schutzwürdigkeit infolge der Kenntnisnahmemöglichkeit Dritter zurückführen wollen.487 Wie oben angedeutet, kann man diese Äußerungen auf zwei Arten verstehen. Entweder im oben bereits abgelehnten Sinne einer rein faktisch erhöhten Zugriffsmöglichkeit, welche auch schon im Gewahrsam des Beschuldigten besteht; oder aber im Sinn einer verminderten Schutzwürdigkeit infolge eines ohnehin bereits erfolgten Zugriffs von nicht zeugnisverweigerungsberechtigten Dritten.488 Allein dies ist auch richtig. Erst dann, wenn Personen außerhalb der geschützten Mandatsbeziehung Sachherrschaft erlangen, ist „das Siegel der Vertraulichkeit ohnehin gelöst“.489 Deren Wissen kann jederzeit über eine erzwingbare Zeugenaussage in einen Strafprozess eingeführt werden,490 so dass es wenig Sinn machen würde, noch verlässlichere Beweisgegenstände, aus denen diese Personen möglicherweise ihr Wissen erst beziehen, von der Beschlagnahme auszuschließen. 484  Vgl.

zu diesem Begriff BVerfGE 32, 373, 382 (=  NJW 1972, 1123, 1124). FS Gallas, 391, 414; Dahs, GS Meyer, S. 61, 66 (beide jeweils nur im Zusammenhang mit „Verteidigung“). 486  Vgl. oben E.IV.2.f)aa)(3). 487  SK-StPO-Wohlers, § 97, Rn. 15; ähnlich auch BeckOK-StPO-Ritzert, § 97, Rn. 6; LR-StPO-Menges, § 97, Rn. 27; HK-StPO-Gercke, § 97, Rn. 34; Schmitt, Zeugnisverweigerungsrechte, S. 74. 488  Weigend, Gutachten 62. DJT, C 112 f.; so auch für den Verteidiger im Rahmen von § 148 StPO Welp, FS Gallas, 391, 414 f. 489  Weigend, Gutachten 62. DJT, C 112. 490  Vgl. zu dieser Argumentation auch die Diskussion um den „Gewahrsamsverlust“, etwa bei LR-StPO-Menges, § 97, Rn. 33. 485  Welp,

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E. Einfachgesetzliche Lösung der Beschlagnahmeproblematik

Gäbe es das Gewahrsamserfordernis nicht, so wäre der Zugriff auf Gegenstände selbst in den Händen eines völlig unbeteiligten Dritten gesperrt, allein weil etwa ein Rechtsanwalt über diesen Gegenstand vor Gericht schweigen dürfte. Da der Gewahrsamsinhaber regelmäßig Kenntnis von Existenz und Inhalt der seiner Sachherrschaft unterliegenden Gegenstände hat, würde sich hieraus aber ein Wertungswiderspruch ergeben. Denn einen Grundsatz, dass unbeteiligten Dritten ein Zeugnisverweigerungsrecht oder gar eine Schweigepflicht in Bezug auf anwaltliche Kommunikation eines anderen zukommt, existiert nicht. Die in der Zeugnispflicht zum Ausdruck kommende Grundentscheidung des Gesetzgebers geht also dahin, dass die in einem Gegenstand verkörperten Informationen im materiellen Sinn jedenfalls dann nicht mehr geschützt sind, wenn sie sich im Gewahrsam einer zeugnispflichtigen Person befinden. Aufgabe des Gewahrsamserfordernisses ist es somit, dieser Wertentscheidung zur Geltung zu verhelfen und zu verhindern, dass der gegenständliche Schutz den materiellen Schutz übersteigt. (b) D  ie Konsequenz für die Beschlagnahme im Gewahrsam des Beschuldigten Entscheidende und bislang nicht beschriebene Konsequenz des aufgezeigten Zwecks von § 97 II 1 StPO ist, dass Unterlagen auch im Gewahrsam des Beschuldigten selbst beschlagnahmefrei sein müssen. Wie Welp bereits richtig dargestellt hat, wäre der „Kreis der Wissenden“ eben nur dann verlassen, wenn die Gegenstände in die Hände einer zeugnispflichtigen Person gelangen würden.491 Jedenfalls der Beschuldigte selbst ist aber nach § 136 I 2 StPO zur Verweigerung des Zeugnisses berechtigt und selbstredend ebenfalls Teil dieses Kreises. Befinden sich Unterlagen in seinem Gewahrsam, ist die Geheimsphäre also gerade nicht verlassen. Innerhalb dieser Geheimsphäre ist auch unerheblich, wer genau Gewahrsam hat. Denn wie schon das BVerfG in der Entscheidung zum Praxisnachfolger deutlich gemacht hat, verändert sich das Gewicht der gegeneinander abzuwägenden Ermittlungs- und Geheimhaltungsinteressen nicht allein schon dadurch, dass der Gewahrsam von einem Zeugnisverweigerungsbe491  Welp,

FS Gallas, S. 391, 414 f.



IV. § 97 StPO

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rechtigten zum anderen wechselt.492 Anders als in der Entscheidung des BVerfG wird noch nicht einmal eine neue Person in den Kreis der Wissenden aufgenommen. Wird dem Beschuldigten eine anwaltliche Kommunikation übergeben, so handelt es sich vielmehr nur um juristisch aufgearbeitete Informationen, die letztlich von dem Beschuldigten selber stammen. Die logische Folge hiervon muss dann aber auch sein, dass Unterlagen im Gewahrsam des Mandanten geschützt sind. Teilweise wird der mit der herkömmlichen Meinung verbundene Wertungswiderspruch zwar gesehen,493 der Schluss einer entsprechend weiten Auslegung von § 97 II 1 StPO wird jedoch, soweit ersichtlich, nie gezogen.494 Grund hierfür ist wohl, dass der Wortlaut als so eindeutig erachtet wird, dass selbst eine derart klar erkannte Zweckbestimmung vermeintlich nicht darüber hinweghelfen könne. Wie oben dargelegt ist dem jedoch mitnichten so. Ungeachtet einer anderslautenden Tendenz in der Systematik des Gesetzes, steht der Wortlaut der hier vertretenen Auslegung nicht im Wege, sondern wird erst durch Hinzunahme einer umfassenden teleologischen Auslegung verständlich. Diese aber spricht eindeutig dafür, auch im Gewahrsam des Beschuldigten einen Beschlagnahmeschutz anzunehmen. cc) Ergebnis: keine plausible Erklärung für ein Versagen des Beschlagnahmeschutzes im Gewahrsam des Mandanten Wie sich gezeigt hat, ergibt sich weder aus den Materialien noch aus einer objektiven Betrachtung eine plausible Ratio des Gewahrsamserfordernisses, welche ohne schwerwiegende Wertungswidersprüche zur Beschlagnahmemöglichkeit anwaltlicher Unterlagen im Gewahrsam eines Beschuldigten führen könnte. Als gesetzgeberischer Zweck des Gewahrsamserfordernisses kann vielmehr einzig eine Harmonisierung der äußeren Grenzen von materiellem und 492  BVerfGE 32, 373, 382 (=  NJW 1972, 1123, 1124); im Anschluss daran auch Welp, FS Gallas, 391, 414; Dahs, GS Meyer, S. 61, 66; Theuner, Ärztliche Schweigepflicht, S. 365. 493  Welp, FS Gallas, S. 391, 414; LR-StPO-Menges, § 97, Rn. 27; Schmitt, Zeugnisverweigerungsrechte, S. 75; Theuner, Ärztliche Schweigepflicht, S. 364 ff. 494  Welp, FS Gallas, S. 391, 413 ff. erkennt zwar nicht nur den Wertungswiderspruch, sondern zieht auch den Schluss einer Beschlagnahmefreiheit im Gewahrsam des Beschuldigten. Dies wird jedoch allein auf § 148 StPO als lex posterior gestützt und entspricht insofern der heute allgemeinen Meinung. Im Übrigen, d. h. im Rahmen des § 97 StPO soll auch nach Welp eine erweiternde Auffassung am Wortlaut des Gesetzes scheitern. Die von Welp postulierte Gewahrsamsunabhängigkeit ist also strikt auf das Verteidigungsmandat begrenzt, ohne dass damit nähere Aussagen über den Beginn desselben verbunden wären.

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E. Einfachgesetzliche Lösung der Beschlagnahmeproblematik

gegenständlichem Geheimnisschutz anerkannt werden, was zur Folge hat, dass auch im Gewahrsam des Beschuldigten ein Beschlagnahmeschutz bestehen muss. g) Sonstige Argumente gegen eine restriktive Auslegung des Gewahrsamserfordernisses aa) Schutzzweck von § 97 StPO Neben dem Zweck des Gewahrsamserfordernisses selbst spricht für die hier vertretene Auslegung auch der bereits näher dargestellte Zweck der Gesamtregelung des § 97 StPO. Dieser besteht darin, die rechtsanwaltliche Tätigkeit im Dienste des Rechtsstaates nicht durch einen abschreckenden Effekt auf die Offenheit der Mandanten zu untergraben. Ein solcher Effekt aber besteht jedenfalls völlig unabhängig davon, ob es sich um Unterlagen im Gewahrsam des Rechtsanwalts oder solche im Gewahrsam des Beschuldigten handelt. Selbst insoweit wie ein solcher Effekt in tatsächlicher Hinsicht nicht oder nur eingeschränkt nachgewiesen werden konnte, kann dies nicht für eine restriktive Bestimmung des Gewahrsamserfordernisses herangezogen werden. Denn insoweit wie § 97 StPO im Übrigen reicht, wurde eine gesetzgeberische Entscheidung getroffen, dass ein solcher Effekt in ausreichendem Maß besteht. Die gleiche Einschätzung muss demnach auch für Unterlagen im Gewahrsam des Beschuldigten gelten. bb) Praktische Erwägungen Auch praktische Gründe sprechen für die hier vertretene extensive Auffassung. Denn bedingt durch die Reaktion der Rechtspraxis wird auch die Wahrheitsfindung durch die Schutzbeschränkung auf den anwaltlichen Gewahrsam nur in geringem Maß gefördert. So hat das Gewahrsamserfordernis zu der oben erläuterten Konsequenz geführt, dass insbesondere Unternehmen teilweise bewusst sensible Unterlagen in die vermeintlich zugriffssichere Obhut großer Kanzleien geben anstatt sie in den eigenen Geschäftsräumen zu verwahren.495 Die Gangbarkeit dieses Weges ist zwar, wie erläutert, insbesondere unter dem Gesichtspunkt einer Missbrauchsausnahme teilweise zweifelhaft, bisher ist aber noch kein Fall bekannt geworden, in dem eine Beschlagnahme tatsächlich hierauf 495  Vgl.

oben A.III.1.a)aa)(2).



IV. § 97 StPO317

gestützt wurde. Insofern wird man davon ausgehen können, dass Unterlagen in Kanzleiräumen jedenfalls faktisch weniger wahrscheinlich beschlagnahmt werden also solche direkt im Gewahrsam des Mandanten. Aus dem Umstand, dass sich die damit verbundenen, nicht unerheblichen Anwalts-, Logistik- und Abstimmungskosten erst dann lohnen, wenn auch wirklich hohe Haftungsrisiken (also vergleichsweise schwerwiegende Rechtsverstöße) vorliegen, kann sich überdies noch der negative Effekt einer strukturellen Bevorzugung ebenso wirtschaftlich starker wie rechtsuntreuer Akteure ergeben. Der verfassungsrechtlichen Forderung nach einer Einebnung wirtschaftlicher Unterschiede im Bereich des Rechtsschutzes und insbesondere der Verteidigung496 würde dies nur schwerlich gerecht. h) Ergebnis zur grundsätzlichen sachlichen Reichweite des Gewahrsamserfordernisses: Schutz auch im Gewahrsam des Mandanten Es hat sich somit gezeigt, dass § 97 II 1 StPO eine Beschlagnahme von anwaltlichen Unterlagen auch im Gewahrsam des Beschuldigten verbietet. Trotz beachtenswerter Argumente aus der Systematik des § 97 StPO konnte das Postualt von der zwingenden Eindeutigkeit des Wortlauts oben widerlegt werden. Da auch dem Beschuldigten das Recht zur Zeugnis- bzw. Aussageverweigerung zukommt, erlaubt der Wortlaut, den Beschlagnahmeschutz auch auf seinen eigenen Gewahrsam zu erstrecken. Dies ist auch die einzige Auslegung, die ohne Wertungswidersprüche mit dem Zweck des Gewahrsamserfordernisses, der Schutzbeschränkung auf die materielle Geheimsphäre, in Einklang zu bringen ist und sich bruchlos in das System des § 97 StPO einfügt. § 97 StPO gebietet somit bereits de lege lata und unabhängig von einem Rückgriff auf das Grundgesetz einen Beschlagnahmeschutz für anwaltliche Unterlagen im Gewahrsam des Beschuldigten. i) Speziell zum Beschlagnahmeschutz für Unterlagen im Gewahrsam von Unternehmen Im Ergebnis gilt das oben gefundene Ergebnis genauso, wenn der Mandant ein Unternehmen ist. Auch anwaltliche Unterlagen im Gewahrsam eines Unternehmens sind somit geschützt. 496  Vgl. etwa BVerfGE 122, 39, 48 f. (=  NJW 2009, 209, 209 f.); BVerfGE 63, 380, 394 f. (=  NJW 1983, 1599, 1600).

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E. Einfachgesetzliche Lösung der Beschlagnahmeproblematik

Zweifel hieran könnten sich höchstens daraus ergeben, dass die Anwendung des nemo-tenetur-Prinzips auf Unternehmen höchst streitig497 ist und insbesondere durch das BVerfG abgelehnt wird.498 Dies wird teilweise auch zum Anlass genommen, das Bestehen eines Aussageverweigerungsrechts für Unternehmen grundsätzlich als „streitig“ zu bezeichnen und die Rechtsprechung des BVerfG zum verfassungsrecht­ lichen nemo-tenetur-Prinzip als ablehnende Meinung heranzuziehen.499 Tatsächlich ergibt sich das Recht zur Verweigerung einer selbstbelastenden Aussage auch für Unternehmen aber direkt aus § 432 II (i. V. m. § 444 II 2 StPO), der einschränkungslos auf die Vorschriften zur Vernehmung des Beschuldigten verweist und somit auch auf die einfachgesetzliche Normierung der Selbstbelastungsfreiheit in § 136 I 2 StPO. Dies ist auch in der Literatur500 weithin anerkannt und wurde auch bereits durch eine ältere Entscheidung des BVerfG501 bestätigt. Auf die umfassende Geltung des verfassungsrechtlichen nemo-tenetur-Prinzips für Unternehmen kommt es also bezüglich einer Aussagepflicht nicht an. Auch der Umstand, dass dieses Schweigerecht nur für organschaftliche Vertreter und nicht etwa für einfache Mitarbeiter eines Unternehmens gelten soll,502 wirkt sich hier nicht aus. Denn Gewahrsam haben regelmäßig gerade die Organe,503 so dass Gewahrsam und Aussageverweigerungsrecht auch tatsächlich korrespondieren. j) Alternative Begründungen für die Beschlagnahmefreiheit im Gewahrsam des Mandanten Wie oben beschrieben, kann bereits durch einfache Auslegung das in der Literatur allenthalben geforderte Ergebnis eines Beschlagnahmeschutzes im Gewahrsam des Mandanten erzielt werden. Gleichwohl kann auch nicht völlig ausgeblendet werden, dass sich die gesamte Strafrechtswissenschaft seit Jahrzehnten an einen vermeintlich res497  Vgl.

oben B.III.2.b)aa). 95, 220 (=  NJW 1997, 1841, 1843 f.). 499  Vgl. etwa Meyer-Goßner-Meyer-Goßner, § 432, Rn. 3a; BeckOK-StPO-Temming, § 432, Rn. 5. 500  SK-StPO-Weßlau, §  444, Rn. 11; LR-StPO-Gössel, § 432, Rn. 16, § 444, Rn. 25b; SSW-StPO-Kudlich/Schuhr, § 444, Rn. 8; Göhler-OWiG-Gürtler, § 30, Rn. 5; Schlüter, Strafbarkeit von Unternehmen, S. 218; Minoggio, wistra 2003, 121. 501  BVerfG, DB 1975, 1936. 502  KK-StPO-Schmidt, § 444, Rn. 7; Göhler-OWiG-Gürtler, § 30, Rn. 5. 503  LR-StPO-Menges, § 97, Rn. 28. 498  BVErfGE



IV. § 97 StPO319

triktiveren Wortlaut gebunden fühlt. In diesem Sinn sollen im Folgenden noch zwei alternative Begründungsansätze aufgezeigt werden, welche auch auf Grundlage einer restriktiveren Sicht des Wortlauts zu obigem Ergebnis führen. Beide haben gemeinsam, dass sie ebenfalls keiner fragwürdigen Notkonstruktion eines verfassungsrechtlichen, den Gesetzgeber auch für die Zukunft bindenden, Beschlagnahmeverbots bedürfen und ebenfalls in der Literatur bisher nicht dargestellt wurden. Was den sachlichen Inhalt der Argumentation angeht, so orientieren sie sich jeweils an der oben favorisierten Lösung, weshalb die Darstellung hier in der gebotenen Kürze erfolgen soll. aa) Teleologische Reduktion des Gewahrsamserfordernisses Wenn, was wohl auch am ehesten der herrschenden Meinung in der Literatur entsprechen dürfte, der Zweck des Gewahrsamserfordernisses wie oben in einem Gleichklang von materieller und vergegenständlichter Geheimsphäre bestehen soll, so wäre eine teleologische Reduktion504 von § 97 II 1 StPO angezeigt. Angesichts der weitgehenden teleologisch begründeten Kritik an dem restriktiv verstandenen Gewahrsamserfordernis in der Literatur überrascht geradezu, dass trotz vermeintlich klarer Wortlautgrenze dieser Weg noch nicht beschritten wurde. Ein Grund hierfür mag möglicherweise in dem oft wiederholten505 Dictum liegen, wonach eine analoge Anwendung von § 97 StPO auf andere als die dort explizit bezeichneten Vertrauensbeziehungen ebenso unzulässig sei wie die analoge Anwendung der Zeugnisverweigerungsrechte auf andere, dort nicht enthaltenen Berufe. Bei der hier vorgeschlagenen teleologischen Reduktion geht es aber nicht um eine Erweiterung des Schutzes auf zusätzliche berufliche Beziehungen, sondern vielmehr um eine sachgerechte Anwendung des durch § 97 I StPO angeordneten Schutzes der dort bereits enthaltenen beruflichen Vertrauensbeziehungen. Insbesondere wird, wie auch das BVerfG506 bestätigt hat, die materielle Abwägung zwischen Geheimhaltungs- und Verfolgungsinteressen nicht durch die Verschiebung des Gewahrsams innerhalb der geschützten Geheimdazu allgemein, Larenz, Methodenlehre, S. 391 ff. etwa LR-StPO-Menges, §  97, Rn.  11; Meyer-Goßner-Schmitt, § 97, Rn. 2; BVerfGE 38, 312, 318 f. (=  NJW 1975, 588, 588). 506  BVerfGE 32, 373, 382 (=  NJW 1972, 1123, 1124); im Anschluss daran auch Welp, FS Gallas, 391, 414; Dahs, GS Meyer, S. 61, 66. 504  Vgl. 505  Vgl.

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E. Einfachgesetzliche Lösung der Beschlagnahmeproblematik

sphäre beeinflusst. Die wertende Abwägungsentscheidung bleibt vielmehr die gleiche. Aus diesem Grund steht einer teleologischen Reduktion weder das gesetzliche Regelungskonzept noch die Sorge um eine Minderung der Funktionstüchtigkeit der Strafrechtspflege entgegen. Entscheidend ist vielmehr allein, durch welche Auslegungsvariante der Zweck von § 97 II 1 StPO sowie des gesamten § 97 StPO am besten verwirklicht wird. Dies ist, wie oben ausführlich dargestellt, allein die weite Auslegung, die eine Beschlagnahme auch im Gewahrsam des Mandanten verbietet. bb) Verstoß des Gewahrsamserfordernisses gegen Art. 3 I GG Wollte man beide eben vorgeschlagenen Lösungen trotz allem ablehnen und zu dem zweckwidrigen Ergebnis kommen, dass einfachgesetzlich eine Beschlagnahme im Gewahrsam des Mandanten tatsächlich immer möglich ist, so würde sich dennoch die Frage nach der Verfassungskonformität des Gewahrsamserfordernisses stellen. Im Ergebnis würde in diesem Fall ein Verstoß gegen Art. 3 I GG naheliegen, soweit die Beschlagnahme im Gewahrsam des Mandanten erlaubt wird. (1) Feststellen einer Ungleichbehandlung Eine Ungleichbehandlung vergleichbarer Situationen kann zunächst eindeutig bejaht werden. So bewirkt das Gewahrsamserfordernis, dass unter dem Oberbegriff der anwaltlichen Unterlagen zusammenfassbare Dokumente in zwei verschiedenen Situationen entweder der Beschlagnahme unterworfen sind oder ihr entzogen sind. Befinden sich die anwaltlichen Unterlagen im Gewahrsam des Rechtsanwalts, sind sie beschlagnahmefrei, befinden sie sich im Gewahrsam des Mandanten, so kann darauf zugegriffen werden. Die Ungleichbehandlung wird umso deutlicher, wenn man bedenkt, dass es nicht notwendigerweise um einen fiktiven Vergleich gehen muss, sondern es sich tatsächlich um ein und dieselbe, also identische, Akte handeln kann. Solange sie im Büro des Rechtsanwalts liegt, ist sie geschützt, nachdem sie etwa an den Mandanten versendet wurde, ist sie es nicht mehr. Wenngleich vornehmlich situationsbezogen, hat die Ungleichbehandlung darüber hinaus aber auch einen greifbaren personalen Bezug und weist so eine gesteigerte Intensität auf. Denn wenn die Auslagerung „sensibler“ Unterlagen in anwaltliche Gewahrsamssphären einen höheren Schutz vor staat-



IV. § 97 StPO321

lichem Zugriff gewährt,507 so wird derjenige strukturell privilegiert, der wirtschaftlich stärker und potentiell von einschneidenderen Sanktionen betroffen ist. In der Praxis wird sich eine solche Auslagerung in der Regel nur für größere Unternehmen lohnen, nicht aber für den einfachen Bürger, der folglich bei strikter Anwendung des Gewahrsamserfordernisses faktisch schlechter gestellt würde. (2) V  erfassungsrechtliche Rechtfertigung Je nach Intensität der Ungleichbehandlung und des Eingriffs stellt das BVerfG abgestufte Anforderungen an die verfassungsrechtliche Rechtfertigung, die sich zwischen bloßem Willkürverbot und einer umfassenderen Verhältnismäßigkeitsprüfung bewegen.508 (a) K  ein sachlicher Grund für eine Ungleichbehandlung erkennbar Selbst wenn man von der geringstmöglichen Intensität der Ungleichbehandlung ausginge und lediglich die einfache Willkürformel509 anwenden wollte, so wäre eine Rechtfertigung im vorliegenden Fall kaum möglich. Denn ein Verstoß gegen Art. 3 GG ist hiernach jedenfalls dann gegeben, wenn sich für eine Ungleichbehandlung von wesentlich Gleichem „keine vernünftigen Erwägungen finden lassen, die sich aus der Natur der Sache ergeben oder sonstwie einleuchtend sind.“510 Um diesen Anforderungen des Art. 3 GG, zumindest im Sinne einer solchen „Rationalitätsgarantie“,511 gerecht zu werden, müsste dem Gewahr507  Vgl. zu der Praxis, bestimmte Unterlagen im Hinblick auf die Beschlagnahmegefahr ausschließlich in den Räumlichkeiten eines Rechtsanwalts aufzubewahren A.III.1.a)aa)(2). 508  Vgl. zu den Abwägungskriterien im Einzelnen die Zusammenfassung bei Pieroth/Schlink/Kingreen/Poscher, Grundrechte, § 11, Rn. 470; zu Begründung und Anwendung des abgestuften Ansatzes siehe im Übrigen Pietzcker, in: Merten/Papier, HGR V, § 125, Rn. 45; Dreier-GG-Heun, Art. 3, Rn. 20 ff.; Kloepfer, Verfassungsrecht II, § 59, Rn. 89 ff.; BVerfGE 97, 169, 180 f. (=  NJW 1988, 1475, 1477); BVerfGE 95, 267, 316 f. (= NJW 1997, 1975, 1979); BVerfGE 99, 367, 388 (= NJW 1999, 1535, 1536); BVerfGE 122, 39, 52 f. (=  NJW 2009, 209, 210 f.). 509  Vgl. hierzu Dreier-GG-Heun, Art. 3, Rn. 20; Pietzcker, in: Merten/Papier, HGR V, § 125, Rn. 40; Kirchhof, in: Isensee/Kirchhof, HStR VIII, § 181, Rn. 161; Kloepfer, Verfassungsrecht II, § 59, Rn. 79 ff. 510  BVerfGE 10, 234, 246 (=  NJW 1960, 235, 236). 511  Ipsen, Grundrechte, § 19, Rn. 808.

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E. Einfachgesetzliche Lösung der Beschlagnahmeproblematik

samserfordernis des § 97 II 1 StPO also allermindestens irgendein sachlicher Grund zugrunde liegen. Schon dies ist jedoch im Ergebnis nicht der Fall. Der oben vertretene Zweck des Gewahrsamserfordernisses kann hier zunächst nicht herangezogen werden, denn dieser wäre ja gerade nicht mit einer Beschlagnahme beim Mandanten vereinbar, sondern würde entschieden dagegen sprechen. Wollte man also einen Verstoß gegen Art. 3 GG ablehnen, so müsste ein anderer sachlicher Grund dargelegt werden, welcher auch im Ergebnis die restriktive Sichtweise tragen würde. Wie oben dargelegt ist ein solcher Grund aber nicht erkennbar und wurde auch, soweit ersichtlich, an keiner Stelle in Literatur oder Rechtsprechung artikuliert. Alle aufgezeigten, theoretisch denkbaren Begründungsansätze waren entweder nicht mit den gesetzlichen Rahmenbedingungen vereinbar oder wiesen schwerwiegende Wertungswidersprüche auf, die selbst niedrigsten Ansprüchen an einen sachlichen Grund im Sinne der Willkürformel nicht genügen würden. (b) Rechtfertigung jenseits der bloßen Willkürkontrolle Im Ergebnis ergibt sich auch dann nichts anderes, wenn man einen der in der Literatur vertretenen oder oben entwickelten Begründungsansätze für das strikte Gewahrsamserfordernis heranziehen wollte und somit die formale Hürde irgendeines sachlichen Grundes überwinden würde. Nach der Rechtsprechung des BVerfG wäre das Gleichheitsgebot in diesem Fall grundsätzlich dann verletzt, „wenn eine Gruppe von Normadressaten im Vergleich zu anderen Normadressaten anders behandelt wird, obwohl zwischen beiden Gruppen keine Unterschiede von solcher Art und solchem Gewicht bestehen, dass sie die ungleiche Behandlung rechtfertigen könnten.“512 Im Einklang mit der genannten Abstufung der Kontrolldichte wäre in diesem Fall zunächst relevant, dass nicht nur die Ungleichbehandlung aus den genannten Gründen eine gesteigerte Intensität aufweist, sondern auch der Eingriff in die Rechtsposition der Betroffenen. 512  BVerfGE 55, 72, 88; BVerfGE 60, 123, 133 f. (=  NJW 1982, 2061, 2062); BVerfGE 88, 87, 96 f. (=  NJW 1993, 1517, 1517); BVerfGE 102, 41, 54 (=  NJW 2000, 1855, 1856); vgl. zu dieser sogenannten neuen Formel auch Pietzcker, in: Merten/Papier, HGR V, § 125, Rn. 43 f.; Kirchhof, in: Isensee/Kirchhof, HStR VIII, § 181, Rn. 24; Dreier-GG-Heun, Art. 3, Rn. 22 (jeweils mit zahlreichen weiteren Nachweisen zum weiteren Aufgreifen dieser Formel durch das BVerfG).



IV. § 97 StPO323

Dies ergibt sich zunächst aus der hohen verfassungsrechtlichen Relevanz der Mandatsbeziehung zu einem Anwalt im Allgemeinen.513 Auch werden durch das Gewahrsamserfordernis immer gleich zwei Parteien tangiert: der Mandant und sein Rechtsanwalt. Wenngleich Letzterer zwar „nur“ in seiner Berufsausübung betroffen ist, so kann die Beschlagnahme von anwaltlichen Unterlagen jedenfalls für den Mandanten mitunter auch höchst einschneidende Konsequenzen haben, etwa die strafrechtliche Verurteilung oder die Verhängung eines Bußgeldes. Zumindest mittelbar kann sich die Beschlagnahme deshalb potentiell nicht nur auf die Berufsfreiheit, sondern auch auf zahlreiche andere grundgesetzlich geschützte Rechtspositionen wie die Freiheit der Person, das Persönlichkeitsrecht, das Eigentum und die Justizgrundrechte auswirken. Überdies ist das Unterscheidungskriterium zwar formal beeinflussbar, was nach den differenzierten Anforderungen des BVerfG für eine geringere Intensität sprechen würde. Der Mandant ist schließlich grundsätzlich frei, schlicht keine Unterlagen im eigenen Gewahrsam aufzubewahren. Realitätsnah ist diese Beeinflussbarkeit gleichwohl nicht, denn sie erfordert mitunter einen prohibitiven Kostenaufwand und ist selbst in anderen Fällen in höchstem Maß unpraktikabel. Im Ergebnis wird man deshalb durchaus von einer erhöhten Intensität des Eingriffs in die Rechtssphäre durch die gewahrsamssensible Beschlagnahmemöglichkeit ausgehen können. Vor diesem Hintergrund wird umso klarer, dass die genannten Begründungsansätze jedenfalls nicht ausreichen können, um eine solche Ungleichbehandlung zu rechtfertigen. Denn wie oben ausführlich begründet wurde, kann – unabhängig von der Frage, ob sie schon dem schlichten Rationalitätsgebot zuwiderlaufen – keiner dieser Ansätze überzeugen ohne schwerwiegende Wertungswidersprüche in Kauf zu nehmen. (3) E  rgebnis: herkömmliches Verständnis des Gewahrsamserfordernisses verstößt gegen das Gleichheitsgebot Wollte man also der hier vertretenen Ansicht zur einfachgesetzlichen Auslegung von § 97 II 1 StPO nicht folgen, so wäre das restriktive Gewahrsamserfordernis insoweit wegen Verstoßes gegen den Gleichheitssatz verfassungswidrig, wie es die Beschlagnahme nur im Gewahrsam des Rechtsanwalts, nicht aber im Gewahrsam des Mandanten verbietet. 513  Vgl. zur verfassungsrechtlichen Einordnung der anwaltlichen Tätigkeit oben unter B.

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E. Einfachgesetzliche Lösung der Beschlagnahmeproblematik

k) Gesamtergebnis zur sachlichen Reichweite von § 97 StPO: Beschlagnahmeschutz auch im Gewahrsam des Mandanten Mithin ist festzustellen, dass der Schutz § 97 StPO nicht auf die Gewahrsamssphäre des Rechtsanwalts beschränkt ist. Vielmehr hat bereits eine einfachgesetzliche Auslegung ergeben, dass eine Beschlagnahme von anwaltlichen Unterlagen bereits nach gegenwärtiger Rechtslage auch im Gewahrsam des Mandanten untersagt ist. Wäre dies nicht der Fall, so wäre ein Verstoß gegen das grundgesetzliche Gleichheitsgebot anzunehmen.

F. Endergebnis und Zusammenfassung I. Überblick Als Gesamtergebnis der vorliegenden Untersuchung kann festgestellt werden, dass ein beinahe umfassender Beschlagnahmeschutz anwaltlicher Unterlagen bereits durch § 97 StPO – und nur dadurch – gewährleistet wird. Dieser verbietet die Beschlagnahme auch dann, wenn es sich um vorprozessuale, außerhalb eines Ermittlungsverfahrens entstandene, Unterlagen handelt und grundsätzlich unabhängig davon, ob es sich um ein Mandatsverhältnis zu einer natürlichen Person oder zu einem Unternehmen handelt. Vor allem aber ist der Schutz des § 97 StPO – entgegen der allgemeinen Auffassung – nicht auf die Gewahrsamssphäre des Rechtsanwalts beschränkt, sondern erstreckt sich auch auf solche im Gewahrsam des Mandanten. Eines direkten Rückgriffs auf die verwandten, letztlich aber nicht vollständig passenden, §§ 160a und 148 StPO bedarf es hierfür ebenso wenig wie der Konstruktion zu weitreichender verfassungsrechtlicher Postulate. Einzuschränken ist der Beschlagnahmeschutz lediglich insoweit, wie eine Sank­ tionierung des betreffenden Mandanten in dem jeweiligen Verfahren überhaupt nicht in Betracht kommt, wenn er also eindeutig die Rolle eines unbeteiligten Dritten einnimmt. Auf die formale Verfahrensbeteiligung kommt es dagegen nicht an. In mancherlei Hinsicht steht das Ergebnis also im Einklang mit der insbesondere in der praxisnahen Literatur vertretenen Auffassung, welche einen sehr weiten Beschlagnahmeschutz fordert. Dies kann aber nicht darüber hinwegtäuschen, dass die hier erfolgte Untersuchung zahlreiche – jedenfalls in der deutschen Literatur und Rechtsprechung – bisher weitgehend unkritisch angenommene Gewissheiten in Frage stellen oder widerlegen musste. Hierzu gehört vor allem auch ein potentiell folgenreicher anderer dogmatischer Anknüpfungspunkt. Denn indem der verbreiteten Tendenz einer Vermischung einfachgesetzlicher und verfassungsrechtlicher Begründungswege entgegengetreten wurde und ein verfassungsrechtlich zwingendes Beschlagnahmeverbot jedenfalls im Hinblick auf Mandatsbeziehungen zu Unternehmen abgelehnt wurde, bleibt der Gesetzgeber nach der hier vertretenen Auffassung frei, die aufgezeigten Wertungsfragen zukünftig anders zu entscheiden und die Grenzen der Beschlagnahmefreiheit enger zu ziehen.

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F. Endergebnis und Zusammenfassung

II. Verfassungsrechtliche Vorgaben Der inhaltliche Teil der Untersuchung begann mit einer umfassenden Analyse der Vorgaben des Verfassungsrechts. In deren Verlauf konnte gezeigt werden, dass sich ein Beschlagnahmeschutz weder aus einem persönlichkeitsrechtlichen Geheimnisschutz noch aus dem nemo-tenetur-Prinzip herleiten lässt. Auch einer verbreitet vertretenen Ableitung aus der Berufsfreiheit des Rechtsanwalts musste jedenfalls insofern entgegengetreten werden, dass sich hieraus keine eigenen Wertungen ergeben, sondern allenfalls eine mögliche subjektive Absicherung objektiver Verfassungswerte. Das Recht auf rechtliches Gehör in Art. 103 I GG schließlich vermag ebenso wie das vielfach missverstandene „Gebot der effektiven Verteidigung“ allenfalls einen engen Beschlagnahmeschutz für innerhalb eines laufenden Verfahrens entstandene Unterlagen begründen. Als prinzipiell taugliche verfassungsrechtliche Grundlage für ein umfassendes Beschlagnahmeverbot konnte hingegen das allgemeine Rechtsstaatsprinzip herausgearbeitet werden. Von entscheidender Bedeutung für die vorliegende Untersuchung war dabei aber die Erkenntnis, dass sich auch hieraus kein unmittelbarer Beschlagnahmeschutz ergibt, sondern zunächst nur die verfassungsrechtliche Forderung nach der Gewährleistung der effektiven Tätigkeit von Rechtsanwälten. Die Möglichkeit der Beschlagnahme ist also nur insoweit zu unterbinden, wie sie den durch Rechtsanwälte vermittelten Zugang zum Rechtsstaat auch tatsächlich beeinträchtigt. Letztlich liegt dieser Gedanke auch – in unterschiedlicher Deutlichkeit – nahezu allen Ansichten in Literatur und Rechtsprechung zugrunde, welche einen weiten Beschlagnahmeschutz fordern und dazu die hier sogenannte Abschreckungsthese formulieren. Dieser These nach führe die Möglichkeit der Beschlagnahme unvermeidlich zu geringerer Offenheit gegenüber Rechtsanwälten bzw. zum völligen Verzicht auf deren Beratung oder deren Unterstützung bei der Durchführung von Internal Investigations. Problematisch an der bisherigen Diskussion jedenfalls in Deutschland ist aber, dass diese begründungsbedürftige These bislang kaum als solche erkannt wurde. Vielmehr tritt sie in der Literatur jeweils als eine Art Tatsachenbehauptung auf, gleich eines Naturgesetzes, dessen Richtigkeit weder in Frage gestellt noch gar einer wirklichen Überprüfung unterworfen wird. An diesem Punkt setzt Abschnitt C. der vorliegenden Untersuchung an. Unter Zuhilfenahme empirischer Erkenntnisse und vor allem einer Analyse rationaler Verhaltensweisen innerhalb der bestehenden rechtlichen Rahmenbedingungen wurde dabei der Versuch einer verlässlichen Verifikation der genannten Abschreckungsthese unternommen.



II. Verfassungsrechtliche Vorgaben327

Tatsächlich konnte ein Abschreckungseffekt dabei allgemein nur sehr eingeschränkt und in stark ausdifferenzierter Weise festgestellt werden. Soweit Mandatsbeziehungen zu (beschuldigten) natürlichen Personen betroffen sind, konnte die Abschreckungsthese noch vergleichsweise weitgehend bestätigt werden und auf dieser Grundlage auch ein verfassungsrechtliches Beschlagnahmeverbot bejaht werden. Einzig im Hinblick auf völlig außerhalb des Verfahrens stehende, materiell nicht beschuldigte Dritte konnte ein Abschreckungseffekt nicht bestätigt werden. Im Hinblick auf Mandatsbeziehungen zu Unternehmen ergab sich ein deutlich komplexeres Bild. In der Gesamtschau konnte ein relevanter Abschreckungseffekt hier, wenn überhaupt, nur in geringem Maß und jedenfalls situativ qualifiziert festgestellt werden. Der Grund hierfür liegt darin, dass die Motivations- und Pflichtenlage eines Geschäftsleiters nicht abschließend durch die oberflächliche Betrachtung einiger weniger abschreckender Effekte beschrieben werden kann. Daneben erfordert eine wirkliche Verifizierung der Abschreckungsthese noch mindestens die Prüfung zweier anderer Gruppen von Einflussfaktoren. Dies sind zum einen solche, welche die Offenheit gegenüber Rechtsanwälten bereits gänzlich unabhängig von einem etwaigen Beschlagnahmeverbot hemmen. Insoweit wie dies geschieht kann die Beschlagnahmefreiheit nicht mit dem Abschreckungseffekt begründet werden, da die entsprechenden Informationen ohnehin zurückgehalten würden. Entweder erfolgt eine bestimmte Kommunikation mit dem Rechtsanwalt oder nicht – sie kann aber jedenfalls nicht „doppelt“ verhindert werden. Diesbezüglich konnte herausgearbeitet werden, dass bereits der Umstand fehlender persönlicher Kontrolle über bereits kommunizierte Mandatsinhalte der völligen Offenheit zwischen Unternehmensleitung und Rechtsanwalt entgegenstehen kann. So muss ein Geschäftsleiter nach derzeitiger Rechtslage auch unabhängig von der Möglichkeit der Beschlagnahme mit dem Risiko rechnen, dass dem Unternehmensanwalt mitgeteilte Informationen in der einen oder anderen Form später gegen ihn verwendet werden. Denn der Mandant des Rechtsanwalts ist grundsätzlich allein das Unternehmen, welches deshalb auch entsprechend seiner eigenen Interessen über Informationen aus dem Mandatsverhältnis verfügen kann. Aus Sicht des Geschäftsleiters sind relevante Risikokonstellationen insbesondere zivilrechtliche Auseinandersetzungen mit dem Unternehmen oder auch strafrechtliche Verfahren, in deren Verlauf das Unternehmen den Anwalt von seiner Schweigepflicht entbindet. Eine andere Gruppe von Einflussfaktoren schließlich hat das Potential, bestehende Abschreckungseffekte durch ein gegenläufiges rechtliches Pflich­ tenprogramm zumindest teilweise zu neutralisieren. So verdichten sich insbesondere die gesellschaftsrechtliche Legalitätspflicht und die Aufsichts-

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F. Endergebnis und Zusammenfassung

und Organisationspflichten des § 130 OWiG mitunter auf eine rechtliche Pflicht zur Hinzuziehung von Rechtsanwälten. Diese Pflichten würden auch bei hypothetischer Möglichkeit der Beschlagnahme uneingeschränkt fortgelten und auf diese Weise möglichen Abschreckungseffekten entgegenwirken. Auch einer anderen speziellen Ausprägung der Abschreckungsthese im Zusammenhang mit sogenannten Mitarbeiter-Interviews musste widersprochen werden. So wird in der Literatur mitunter argumentiert, ein Beschlagnahmeverbot sei notwendig um Mitarbeiter unter Zusage von Vertraulichkeit zur Kooperation im Rahmen von Internal Investigations zu bewegen. Da der Mandant der befragenden Rechtsanwälte aber grundsätzlich allein das Unternehmen ist, verfügt dieses auch über die Möglichkeit, die Ergebnisse im eigenen Interesse den Behörden zugänglich zu machen. Ein Beschlagnahmeschutz ändert hieran nichts und erweist sich aus Sicht des Mitarbeiters jedenfalls als wenig nützlich. Im schlimmsten Fall mag er sogar nachteilig sein, da er eine falsche Sicherheit vorspiegelt und so zu Aussagen verleitet, die objektiv den eigenen Interessen zuwiderlaufen. Als Konsequenz dieses ambivalenten und differenzierten Ergebnisses musste schließlich ein verfassungsrechtlich begründetes Beschlagnahmeverbot für Unterlagen von Unternehmensanwälten verneint werden. In Abwesenheit einer eindeutigen Antwort auf die zentrale Frage nach dem Abschreckungseffekt gebietet der Respekt vor dem Konkretisierungsprimat des Gesetzgebers den Verzicht auf ein derart weitreichendes rechtswissenschaftliches Postulat. Dies muss umso mehr gelten, als es sich bei der Beschlagnahmeproblematik letztlich um eine rechtspolitische Frage im weiteren Kontext effektiver Wirtschaftsregulierung handelt, die bislang – wenn überhaupt – weitgehend intuitiv, unkritisch und ohne Analyse der tiefergehenden Wertungsfragen beantwortet wurde. Kern der Frage ist letztlich, in welchem Maße unternehmenseigene Präventionsbemühungen auch durch staatliche Repression ergänzt werden sollten. Die Einrichtung eines Beschlagnahmeverbots bewertet dabei den Nutzen unternehmerischer Selbstevaluation und Prävention tendenziell höher als den staatlicher Strafdurchsetzung. Die Ablehnung eines Beschlagnahmeverbots hingegen würde die staatliche Strafandrohung stärker betonen und um ihretwillen auch in begrenztem Maß einen Konflikt mit unternehmerischer Selbststeuerung in Kauf nehmen. Selbst wenn man dies nicht für eine originär dem Gesetzgeber zufallende Entscheidung hielte, so erscheint ein „verfassungsrechtliches Eingreifen“ der Rechtswissenschaft doch jedenfalls so lange unangebracht, wie diese grundsätzlichen Fragen keiner vollständigeren Klärung zugeführt wurden. Dies gilt ferner nicht allein für solche verfassungsrechtlichen Argumenta­ tionswege, die zu einem weiten Beschlagnahmeschutz führen würden. Auch



III. Einfachgesetzliche Lösung329

eine entgegengesetzte verfassungsrechtliche Argumentation, die einen sehr engen Beschlagnahmeschutz nahelegen würde, musste im Verlauf der Untersuchung verworfen werden. Dabei handelte es sich um die Befürchtung, dass Unternehmen durch gezielte und selektive Freigabe von aus Internal Investigations gewonnenen Informationen das Strafverfahren gegen natürliche Personen in rechtsstaatswidriger Weise manipulieren könnten. Hierzu konnte herausgearbeitet werden, dass dieser Gefahr richtigerweise nicht mit einer weitreichenden Beschlagnahmemöglichkeit begegnet werden muss. Vielmehr kann die Problematik schon über die konsequente Anwendung von in abstrakter Form anerkannten Grundsätzen zur Entbindung von der anwaltlichen Schweigepflicht gelöst werden. Diese haben zur Folge, dass die freiwillige Freigabe anwaltlicher Unterlagen das Beschlagnahmeverbot ohnehin für den kompletten jeweiligen Sachverhaltskomplex entfallen lässt und eine „selektive Kooperation“ somit in der Regel nicht möglich sein sollte.

III. Einfachgesetzliche Lösung Nachdem sich so jedenfalls die zentrale Frage nach einem Beschlagnahmeschutz für Unterlagen von Unternehmensanwälten als nicht verfassungsrechtlich determiniert erwiesen hatte, wendete sich die vorliegende Untersuchung schließlich der eingehenden Erarbeitung einer einfachgesetzlichen Lösung zu. Auf diese Weise konnte letztlich doch ein sehr weiter, wenn auch nur einfachgesetzlicher, Beschlagnahmeschutz festgestellt werden. Dabei konnte zunächst die wohl überwiegende Meinung in der Literatur bestätigt werden, wonach § 160a StPO allgemein keine normative Grundlage für einen Beschlagnahmeschutz darstellt und somit auch zur Lösung der hier zu behandelnden Probleme wenig beitragen kann. Im Zusammenhang mit § 148 StPO musste der mittlerweile wohl vorherrschenden, eine extensive Auslegung und einen weiten Schutz fordernden, Literaturmeinung gleichwohl widersprochen werden. Richtigerweise sind von § 148 StPO geschützte „Verteidigungsunterlagen“ nur solche, welche nach Einleitung eines materiell verstandenen, staatlichen Ermittlungsverfahrens entstanden sind. Eine Erweiterung auf vorprozessuale Unterlagen, die lediglich der Vorbereitung auf ein möglicherweise in Zukunft stattfindendes Verfahren dienen, wäre weder mit dem Wortlaut des § 148 StPO noch der Systematik der §§ 137 ff. StPO vereinbar. Insbesondere kann der interessengeleitete Wunsch nach einem erweiterten Beschlagnahmeschutz nichts daran ändern, dass § 148 StPO ausdrücklich nur die Kommunikation mit einem „Beschuldigten“ schützt. Eine gewisse Erweiterung des Beschlagnahmeschutzes ergibt sich gleichwohl aus der hier vorgenommenen Übertragung dieser Grundsätze auf Un-

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F. Endergebnis und Zusammenfassung

ternehmen. Der Systematik der §§ 431 ff. StPO war dabei zu entnehmen, dass Unternehmen bereits in solchen Verfahren als (Quasi-)Beschuldigte zu behandeln sein können, welche formal zunächst allein gegen eine natürliche Person als Täter betrieben werden. Solange in einem solchen Verfahren eine Unternehmenssanktion oder sonstige Nebenfolge auch nur „in Betracht kommt“, ist das Unternehmen nicht als unbeteiligter Dritter anzusehen, sondern kann uneingeschränkt von dem Recht auf (beschlagnahme-)freien Verteidigerverkehr in § 148 StPO Gebrauch machen. Auch dies ändert aber nichts daran, dass der Schutz von tatsächlich vorprozessualen und rein vorbereitenden Unterlagen allein durch § 97 StPO erreicht werden kann. Bei dessen Prüfung stellten sich im Wesentlichen zwei übergreifende Probleme: die Frage nach dem persönlichen Anwendungsbereich von § 97 I StPO und inwieweit das Gewahrsamserfordernis in § 97 II StPO auch die Beschlagnahme im Gewahrsam des Mandanten selbst erlaubt. Insoweit wie in Anknüpfung an die obige verfassungsrechtliche Analyse die allgemeine Erstreckung des Schutzes auf Nichtbeschuldigte abgelehnt wurde, konnte sich die Untersuchung zunächst noch an einer etablierten Diskussionsgrundlage in der Literatur orientieren. Bei der Frage nach der Anwendbarkeit des § 97 StPO auf Unternehmen hingegen musste zunächst eine gewisse Neuordnung der bisher in geradezu erstaunlicher Zweispurigkeit geführten Diskussion erfolgen. Dabei wurde entgegen bisheriger Meinungen festgestellt, dass der Schutz von Unterlagen eines Unternehmensanwalts über § 97 StPO weder völlig selbstverständlich besteht noch von der Auslegung von § 97 I Nr. 3 StPO und damit von der Frage der Einbeziehung Nichtbeschuldigter abhängt. Richtigerweise kann sich ein solcher Schutz nur auf Grundlage einer umfassenden Diskussion der Schutzzwecke des § 97 StPO ergeben. Als solcher wurde hier die überindividuelle Gewährleistung der Funktionsfähigkeit des Rechtsstaats durch ungehemmten Zugang zu Rechtsanwälten identifiziert. Mithin kommt es grundsätzlich auch hier auf die Richtigkeit der genannten Abschreckungsthese an. Im Unterschied zu dem eigenständigen, objektiven Versuch der Verifizierung dieser These im Rahmen der verfassungsrechtlichen Beurteilung konnte bei der Auslegung des § 97 StPO auch auf einfachgesetzliche Wertentscheidungen zurückgegriffen werden. Dass die Abschreckungsthese in rein tatsächlicher Hinsicht nicht zweifelsfrei bestätigt werden konnte, stand einem weit gezogenen, einfachgesetzlichen Beschlagnahmeschutz deshalb nicht im Wege. Denn an die Stelle eines tatsächlich nachweisbaren Abschreckungseffekts konnte hier ein dem Gesetz entnommener normativer Abschreckungseffekt treten.



III. Einfachgesetzliche Lösung331

Im Ergebnis konnte der in den §§ 434 I 2, 444 II 2 StPO explizit angeordneten Anwendbarkeit von § 148 StPO eine normative Wertung entnommen werden, wonach auch im Zusammenhang mit Unternehmen ein ausreichend großer Abschreckungseffekt besteht um das Verbot der Beschlagnahme zu rechtfertigen. Dies hängt damit zusammen, dass alle aufgezeigten Zweifel an der Richtigkeit der Abschreckungsthese auch bereits innerhalb eines konkreten Ermittlungsverfahren angebracht wären. Ordnet das Gesetz in § 148 StPO aber unter diesen Bedingungen dennoch ein Beschlagnahmeverbot an, so kann darüber hinaus, also vor Beginn eines Verteidigungsverhältnisses, nichts anderes gelten. Die gesetzliche Wertung eines prinzipiell ausreichenden Abschreckungseffekts ist deshalb auch auf § 97 StPO zu übertragen und muss entsprechend zu dessen Anwendbarkeit auch auf Unternehmen führen. In Anknüpfung an die Ergebnisse zu § 148 StPO reicht hierfür aus, dass sich das Unternehmen in der Rolle eines Quasi-Beschuldigten befindet, gegen den die Verhängung einer Sanktion in dem jeweiligen Verfahren bloß „in Betracht“ kommt. Zwar wurde in der vorliegenden Untersuchung auch, soweit ersichtlich, erstmals ein gewichtiges gesetzessystematisches Argument gegen die Anwendbarkeit des § 97 StPO auf Unternehmen entwickelt, welches sich aus der Nichterwähnung des § 97 StPO in den §§ 431 ff. StPO ergibt. Dieses konnte aber mit Hinweis auf die unklare und teilweise Strafcharakter aufweisende Rechtsnatur von Verbandsgeldbuße, Einziehung und Verfall überwunden werden. Denn eine – die Anwendung des § 97 StPO ausschließende – gesetzgeberische Abwägungsentscheidung könnte allenfalls für solche Maßnahmen getroffen worden sein, welche allein vermögensordnende, nichtstrafende Wirkung entfalten. Der letzte Teil der Untersuchung schließlich behandelte das Gewahrsamserfordernis des § 97 II StPO. Bislang steht die wohl allgemeine Meinung auf dem Standpunkt, dass der als eindeutig angesehene Wortlaut einem Beschlagnahmeschutz für Unterlagen im Gewahrsam des Mandanten entgegensteht. Die vorliegende Arbeit konnte jedoch darlegen, dass dies nicht richtig ist. Vielmehr vermittelt § 97 StPO einen Beschlagnahmeschutz auch für Unterlagen im Gewahrsam des (quasi-)beschuldigten Mandanten. Der in § 97 II StPO verwendete Begriff des „Zeugnisverweigerungsberechtigten“ ist nicht als technischer Begriff allein für „Zeugen“ aufzufassen. Richtigerweise dient der Begriff lediglich der Abgrenzung zu solchen Personen, die keiner Aussagepflicht unterliegen, auf deren Wissen also auch ohne das Mittel der Beschlagnahme mit strafprozessualen Zwangsmitteln zurückgegriffen werden kann. Auch der Beschuldigte aber hat ein Aussageverweigerungsrecht, so dass der „Kreis der Wissenden“ durch die Aufbewahrung von Unterlagen in seinem Gewahrsam nicht erweitert wird.

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F. Endergebnis und Zusammenfassung

Für die Beschränkung des Schutzes auf die anwaltliche Gewahrsamssphäre hingegen konnte kein tragfähiger Grund festgestellt werden. Eine Beschlagnahme im Gewahrsam des Mandanten beeinträchtigt die anwaltliche Vertrauensbeziehung nicht mehr und nicht weniger als wenn sie im Gewahrsam des Rechtsanwalts erfolgen würde. Aufgrund der weitgehenden Abwesenheit überzeugender Begründungen für ein eng verstandenes Gewahrsamserfordernis wäre selbst bei Ablehnung der hier vorgenommenen einfachgesetzlichen Auslegung ein Verstoß gegen das Gleichbehandlungsgebot des Grundgesetzes festzustellen und das Gewahrsamserfordernis somit verfassungswidrig. Denn ohne plausiblen Grund kann die gleiche Art von Unterlagen nicht – je nach örtlicher Belegenheit – gleichzeitig beschlagnahmefähig und beschlagnahmefrei sein.

IV. Zusammenfassung der wichtigsten Thesen 1. Die Beschlagnahmefrage in Bezug auf Unterlagen von Unternehmensanwälten ist in den weiteren Kontext effektiver Wirtschaftsregulierung einzuordnen. Ihr kommt eine wesentliche Rolle bei der Bestimmung des Verhältnisses zwischen repressiver staatlicher Fremdsteuerung und unternehmerischer Selbststeuerung zu. 2. Wesentliche Determinante sowohl der Begründung eines verfassungsrechtlichen Beschlagnahmeverbots als auch der Lösung einfachgesetzlicher Auslegungsfragen ist die Verifzierbarkeit der hier sogenannten Abschreckungsthese. Hiernach begründe die Möglichkeit der Beschlagnahme das Potential, Mandanten von der tatsächlichen Inanspruchnahme rechtlichen Beistands fernzuhalten. Dies sei im Interesse der Allgemeinheit zu verhindern. 3. Unzureichend beachtet wurde bisher, dass die Beschlagnahmemöglichkeit nur einen von mehreren Faktoren darstellt, welche das Maß der Offenheit gegenüber Rechtsanwälten beeinflussen. Hervorzuheben ist dabei zum einen die fehlende persönliche Kontrolle von (ehemaligen) Unternehmensleitern über die Verwendung von Unterlagen, zum anderen bestehende Rechtspflichten zur Hinzuziehung von Rechtsanwälten. 4. Ein Beschlagnahmeschutz für die Ergebnisse von Internal Investigations wirkt im Wesentlichen nur zugunsten des Unternehmens. Der im Rahmen eines „Interviews“ befragte Mitarbeiter profitiert hiervon nur sehr eingeschränkt, so dass auch seine Aussagebereitschaft hiervon nicht beeinflusst werden sollte. 5. Aus den rechtlichen Rahmenbedingungen lässt sich in tatsächlicher Hinsicht ein hinreichend klarer Abschreckungseffekt allein für (beschuldigte)



IV. Zusammenfassung der wichtigsten Thesen333



natürliche Personen als Mandanten feststellen. Im Hinblick auf Mandatsbeziehungen zu Unternehmen ist ein solcher Effekt hingegen zweifelhaft und kann allenfalls in sehr begrenztem Umfang bestätigt werden.

  6. Ein verfassungsrechtlich zwingendes Beschlagnahmeverbot kann nur im Hinblick auf Mandatsbeziehungen zu natürlichen Personen anerkannt werden. Es ergibt sich weder aus dem nemo-tenetur-Prinzip, noch aus dem Persönlichkeitsrecht, dem Bestimmtheitsgebot oder der Berufsfreiheit des Rechtsanwalts. Einzig eine Herleitung aus dem allgemeinen Rechtsstaatsprinzip überzeugt im Ergebnis.  7. Ein verfassungsrechtlich zwingendes Beschlagnahmeverbot für anwaltliche Unterlagen von Unternehmen ist nicht anzuerkennen. Insbesondere angesichts eines nur sehr eingeschränkt feststellbaren Abschreckungseffekts wäre dies unvereinbar mit dem Konkretisierungsprimat des Gesetzgebers. Dieser bleibt in der einfachgesetzlichen Ausgestaltung der Beschlagnahmeregelungen grundsätzlich frei.   8. Die Beschlagnahmefreiheit von anwaltlichen Unterlagen ermöglicht einem Unternehmen nicht, Strafverfahren gegen natürliche Personen zu „manipulieren.“ Dies ergibt sich bereits aus der konsequenten Anwendung abstrakt etablierter Grundsätze zur Entbindung von der anwaltlichen Schweigepflicht. Diese haben zur Folge, dass die Freigabe anwaltlicher Unterlagen das Beschlagnahmeverbot ohnehin für den kompletten jeweiligen Sachverhaltskomplex entfallen lässt und eine „selektive Kooperation“ somit nicht möglich ist.   9. § 160a StPO kann nicht als gesetzliche Grundlage für einen Beschlagnahmeschutz herangezogen werden. 10. Vor Beschlagnahme geschützte Verteidigungsunterlagen im Sinne des § 148 StPO sind nur solche, welche nach Einleitung eines materiell verstandenen, staatlichen Ermittlungsverfahrens entstanden sind. 11. Unterlagen eines Unternehmensanwalts sind in der Regel aber bereits dann als Verteidigungsunterlagen im Sinne des § 148 StPO zu qualifizieren, wenn sie nach Einleitung eines Verfahrens gegen einen (ehemaligen) Mitarbeiter entstanden sind, in welchem auch die Sanktionierung des Unternehmens nicht ausgeschlossen ist. Dem Unternehmen ist in dieser Situation eine Rolle als Quasi-Beschuldigter zuzuerkennen. 12. Anwaltliche Unterlagen nichtbeschuldigter Dritter unterliegen keinem Beschlagnahmeverbot nach § 97 I Nr. 3 StPO. 13. Soweit die Abschreckungsthese weder verlässlich bestätigt noch widerlegt werden kann, ist ihre Bewertung unter Zuhilfenahme bestehender gesetzlicher Wertungen vorzunehmen. Aus den §§ 148 StPO, 434 I 2,

334

F. Endergebnis und Zusammenfassung

444 II 2 StPO ergibt sich eine normativ fingierte Bestätigung des Abschreckungseffekts im Zusammenhang mit der rechtlichen Beratung von Unternehmen. 14. § 97 StPO vermittelt ungeachtet verschiedener systematischer Bedenken im Grundsatz auch insoweit einen Beschlagnahmeschutz, wie die betreffenden Unterlagen aus einer anwaltlichen Mandatsbeziehung zu einem Unternehmen hervorgegangen sind. 15. Unterlagen eines Unternehmensanwalts sind bereits dann nach § 97 I StPO geschützt, wenn sich das Unternehmen in der Rolle eines QuasiBeschuldigten befindet. Dies ist immer dann der Fall, wenn in einem Verfahren die Sanktionierung des Unternehmens „in Betracht“ kommt, auch wenn es sich zunächst allein gegen eine natürliche Person richtet. 16. Entgegen der bisher allgemeinen Meinung ist der Beschlagnahmeschutz nach § 97 StPO nicht auf die Gewahrsamssphäre von Rechtsanwälten und anderen Berufsgeheimnisträgern beschränkt. Er erstreckt sich vielmehr auch auf die Gewahrsamssphäre von (Quasi-)Beschuldigten. 17. Aus § 97 StPO ergibt sich mithin ein sehr weit gefasstes Beschlagnahmeverbot. Deutlich eingeschränkter hingegen ist der durch § 148 StPO und direkt durch die Verfassung vermittelte Beschlagnahmeschutz.

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