Die Beschäftigungspolitik in der Bundesrepublik Deutschland in den Jahren 1974 - 1978: Eine wirkungsanalytische Untersuchung vor dem Hintergrund des spezifischen Charakters der Wirtschaftskrise und unter Berücksichtigung der aktuellen Funktionsmechanismen des Arbeitsmarktes [1 ed.] 9783428452538, 9783428052530


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German Pages 171 Year 1982

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Die Beschäftigungspolitik in der Bundesrepublik Deutschland in den Jahren 1974 - 1978: Eine wirkungsanalytische Untersuchung vor dem Hintergrund des spezifischen Charakters der Wirtschaftskrise und unter Berücksichtigung der aktuellen Funktionsmechanismen des Arbeitsmarktes [1 ed.]
 9783428452538, 9783428052530

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FRIEDHELM HEMMERICH

Die Beschäftigungspolitik in der Bundesrepublik Deutschland in den Jahren 1974-1978

Volkswirtschaftliche Schriften Herauegegeben von Prof. Dr. Dr. J. B r o er man n, Berlin

Heft 326

Die Beschäftigungspolitik in der Bundesrepublik Deutschland in den Jahren 1974-1978 Eine wirkungsanalytische Untersuchung vor dem Hintergmnd des spezifischen Charakters der Wirtschaftskrise und unter Berücksichtigung der aktuellen Funktionsmechanismen des Arbeitsmarktes

Von

Dr. Friedhelm Hemmerieb

DUNCKER &

HUMBLOT

I

BERLIN

Alle Rechte vorbehalten & Humblot, Berlin 41 Gedruckt 1982 bei Berliner Buchdruckerei Union GmbH., Berlin 61 Prlnted ln Germany

© 1982 Duncker

ISBN 3 428 05253 6

Vorwort Auf die im Jahre 1974 hereinbrechende Arbeitslosigkeit reagierten die Träger der Wirtschaftspolitik zunächst gelassen: man wähnte sich im Besitz wirksamer Instrumente zur Wiedererlangung der Vollbeschäftigung. Entgegen den Erwartungen hatte der Einsatz dieser Instrumente jedoch nicht den gewünschten Erfolg. Seit die Krise, etwa im Jahre 1977, ihren Charakter als längerfristig angelegte Wachstums- und Beschäftigungskrise endgültig enthüllte, führte das zu zunehmender wirtschaftspolitischer Ratlosigkeit, die bis heute anhält. Der Kern der vorliegenden Arbeit besteht in einer Wirkungsanalyse der Beschäftigungspolitik in den Jahren 1974-78. Es kann deutlich gemacht werden, daß die Wirtschaftspolitik sich zwischen dem Einsatz keynesianischen Instrumentariums, beschäftigungspolitischer Abstinenz und dem Versuch einer mittelfristig orientierten Verstetigungspolitik bewegte. In den Untersuchungszeitraum fiel das- hoffentlich vorläufige- Ende einer auf Vollbeschäftigung zielenden Wirtschaftspolitik. Die schrittweise Zurücknahme des Vollbeschäftigungszieles blieb bisher überraschenderweise politisch weitgehend folgenlos. Die großen gesellschaftlichen Institutionen blieben von der nun bereits über sieben Jahre andauernden Massenarbeitslosigkeit bis heute weitgehend unberührt. Dies dürfte nicht zuletzt auch mit den herrschenden Erklärungsmustern der Krise als einer extern verursachten zusammenhängen. Aus der Sicht der Analyse des gewählten 5-Jahreszeitraumes und unter Berücksichtigung des neuartigen Charakters der Krise kann deutlich gemacht werden, daß sich die Lebensbedingungen der von Arbeitslosigkeit betroffenen und bedrohten Bevölkerungsteile in den 80er Jahren weiter verschlechtern werden, sofern der Verzicht auf Vollbeschäftigungspolitik fortgesetzt wird. Dies würde einen bedrohlichen Problemdruck politischer und sozialpsychologischer Art hervorrufen. Schließlich können als ein Resultat der Untersuchung einige wichtige Komponenten einer erfolgversprechenden künftigen Beschäftigungspolitik ausgemacht werden.

Vorwort

6

Meinem Oldenburger Freund, Ulrich Bernath, danke ich für eine Reihe hilfreicher Anregungen zu dieser Arbeit. Carlos Ossorio-Capella danke ich dafür, daß er mir die Möglichkeit gegeben hat, dieses Thema als Dissertation an der Universität Oldenburg zu bearbeiten. Freiburg i. B., im Juni 1981 F'riedhelm Hemmerich

Inhalt 1.

Einleitung 000. 00•• 00000000. 00000. 0•• • 000•• . 0. •. 0•.•••••.• 000 13

1.1.

Die Kosten der Arbeitslosigkeit 00•• 0 0000000.•••• 0.•••• 00• 0• • 13

1.2.

Ziel, Aufbau und Methode der Arbeit ........ 00•• 00•• 0• • • • • • 17

2.

Die makroökonomischen Ursachen von Wirtschaftskrise und Massenarbeitslosigkeit . 000•• 0••• 0•. 000000000••• 0•••••• 0000• • 21

2.1.

Vorbemerkungen

2.2.

Die langfristigen Ursachen 00000••• 0000000• 0••.•• 000.• 00• 0000 21

2.2.1.

Der 'überblick

21

2.2.20

Die Phase von 1950- 1965 00. 0. 0. 0. 00 000••• 0•••• 0••• 000000...

23

2.2.3.

Die Zeit seit 1966 00. 00•. 0. 0•. 0.••••• 000•• .... 000••• 0•• 0. 0...

25

2.3.

Die konjunkturellen Ursachen . 0•••.•. 00••••. 00• 0..... 0• • • • • • 29

203.1.

Konjunktur- und Beschäftigungsindikatoren im 'überblick . . .

2.3.2.

Die Verwendungskomponenten des Sozialprodukts und ihre jeweiligen Bestimmungsgründe . .... 32

2.3.2.1.

Der 'überblick ... 000••. 00.•..••.•••••••••..•••. 0••••• 0• • • • • • 32

2.3.2.2.

Der private Verbrauch . 00•.. 0••••.•••• 0. 0••• 0• •••..• 0 00.... • 32

203.2.3.

Der Außenbeitrag

36

2.3.2.4.

Die Investitionen

36

2.4.

Zusammenfassung der Krisenursachen ............... 0• 00• • • 43

2.5.

Exkurs zur Erklärung der Arbeitslosigkeit sowie zur Strategieempfehlung des Sachverständigenrates 0••• 0• 0• • . • • • • • . • • • 44

2.5.1.

Vorbemerkungen

2.5.2.

Darstellung der Sicht des SVR . ... 0••••..• • 0. 0•. • 0. 0• 0• . • • • • 44

. 00• 0• 00•• 0••.••• 0• 00000•• 00000• 0• 000000• • • 21

o

••••••••• ••



o



0



o











29



... 0. 00. 0. 0•. 0• . • • 0 0•.•. 00.•. 0• • 0•.. 00... 00 44

Inhalt

8

2.5.3.

Kritik der Krisenerklärung des SVR

46

2.5.4.

Kritik der Strategieempfehlung des SVR . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

49

3.

Der Arbeitsmarkt und seine aktuellen Funktionsmechanismen 52

3.1.

Vorbemerkungen

...........................................

52

3.2.

Das Angebot an Arbeitskräften . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

52

3.3.

Die Nachfrage nach Arbeitskräften . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

56

3.3.1.

Das Niveau der Nachfrage nach Arbeitskräften . . . . . . . . . . . . . .

56

3.3.2.

Die Struktur der Nachfrage nach Arbeitskräften . . . . . . . . . . . . .

59

3.3.2.1.

Vorbemerkungen

................... ........................

59

3.3.2.2. 3.3.2.2.1. 3.3.2.2.2. 3.3.2.2.3.

Die und Der Das Das

beiden Hauptsegmente des Arbeitsmarktes: das primäre das sekundäre Segment . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 'Überblick . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . primäre Arbeitsmarktsegment . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . sekundäre Arbeitsmarktsegment . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

60 60 62 64

3.4.

Der Arbeitsmarktprozeß . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

68

4.

Beschäftigungspolitik in den Jahren 1974- 78 vor dem Hintergrund der ökonomischen und politischen Entwicklung . . . . . . . . 72

4.1.

Zum Aufbau dieses Kapitels . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

72

4.2.

Die politische Ausgangslage vor Beginn der Krise . . . . . . . . . . . .

72

4.3.

Die globale Gestaltung der Staatshaushalte in konjunkturund beschäftigungspolitischer Perspektive . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 75

4.3.1.

Vorbemerkungen

4.3.2.

Die Ergebnisse der Schätzung der konjunkturellen Wirkungen in den beiden ausgewählten Budgetkonzepten . . . . . . . . . . . . . . . . 79

4.3.3.

Methodische Erläuterungen zu den beiden Budgetkonzepten . .

4.3.3.1.

Das Konzept des konjunkturneutralen Haushalts des Sachverständigenrates . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 83

4.3.3.2.

Das System von Fiskalindikatoren des IFO-Instituts und seine Unterschiede zum Konzept des konjunkturneutralen Haushalts 88

4.3.4.

Die Beurteilung der konjunkturellen Wirkungen . . . . . . . . . . . .

. .................. ........................

75

83

90

Inhalt

9

4.4.

Die konjunktur- und beschäftigungspolitischen Einzelmaßnahmen vor dem Hintergrund der allgemeinen ökonomischen und politischen Entwicklung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 95

4.4.1.

Vorbemerkungen

4.4.2.

Die Phase 1974/75: zunächst Abwarten, dann indirekt-antizyklische Politik, unzureichend dimensioniert . . . . . . . . . . . . . . . . 96

4.4.2.1.

Die konjunkturelle Situation unmittelbar vor Ausbruch der Krise . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 96

4.4.2.2.

Die Maßnahmen des Jahres 1974

4.4.2.3. 4.4.2.3.1. 4.4.2.3.2.

Die Maßnahmen des Jahres 1975 ..................... .... ... Der Überblick ........................ . . .. .......... . . . ..... Die Wirkungen der wirtschaftspolitischen Maßnahmen im Jahre 1975 (exkl. Investitionszulage) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Die Investitionszulage . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

4.4.2.3.3.

. .................. ........................

95

97 100 100 103 105

4.4.2.4.

Zusammenfassung der Wirkungen der Einzelmaßnahmen in der ersten Phase des Untersuchungszeitraumes . . . . . . . . . . . . . . . 110

4.4.3.

Die Phase 1976/77: krisenverschärfende Politik der Haushaltskonsolidierung ...................... . ... .. .......... . .. . .... 112

4.4.3.1.

Vorbemerkungen

4.4.3.2.

Das Programm zur Stärkung von Bau- und anderen Investitionen vom August 1975 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 112

4.4.3.3.

Der finanzpolitische Kurswechsel: Beschlüsse über Sparmaßnahmen und Steuererhöhungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Der politische Hintergrund des Kurswechsels . . . . . . . . . . . . . . . . Das Programm der Sparmaßnahmen und Steuererhöhungen vom September 1975 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Sonstige Maßnahmen in den Jahren 1976/77 ........ .. . ..... .

4.4.3.3.1. 4.4.3.3.2. 4.4.3.3.3.

. . ...................................... . .. 112

117 117 120 124

4.4.3.4.

Zusammenfassung der Wirkungen der Einzelmaßnahmen in der zweiten Phase des Untersuchungszeitraumes . . . . . . . . . . . . . 125

4.4.4.

Das Jahr 1978: mäßig expansive Wirtschaftspolitik .......... 128

4.4.4.1.

Wieder leichte Kurskorrektur der Finanzpolitik . . . . . . . . . . . . . 128

4.4.4.2.

Das Programm für Zukunftsinvestitionen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 129

4.4.5.

Zusammenfassende Beurteilung der konjunktur- und beschäftigungspolitischen Einzelmaßnahmen in den Jahren 1974- 1978 133

4.4.6.

Sonstige Maßnahmenbereiche von beschäftigungspolitischer Relevanz . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 139

4.4.6.1.

Vorbemerkung

4.4.6.2.

Beschäftigungsentwicklung im öffentlichen Dienst . . . . . . . . . . . 139.

4.4.6.3.

Arbeitsmarktpolitische Maßnahmen gegenüber Ausländern .. 144

4.4.6.4.

Arbeitszeitverkürzung

139

.. . ................................ . .. 146

10

Inhalt

5.

Kurze Zusammenfassung der Ergebnisse und Ausblick . . . . . . . . 149

5.1.

Die wichtigsten Ergebnisse in Kurzfassung .. .. ... . ... . . . .. . . 149

5.2.

Was bleibt in bezug auf die Beschäftigungspolitik seit 1974 erklärungsbedürftig? .................. . ................. . ..... 150

5.3.

Konsequenzen eines künftigen Verzichts auf Beschäftigungspolitik . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 154

5.4.

Ansatzpunkte einer erfolgreichen Beschäftigungspolitik in den 80er Jahren aus heutiger Sicht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 157

Literaturverzeichnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

16~

Verzeichnie der Tabellen und Schaubilder Tabellen 1:

Belastungsfaktoren der Arbeitslosigkeit und ihre Gewichtung

16

2:

Erwerbspersonenpotential

22

3:

Bestimmungsgründe des Arbeitskräfteeinsatzes . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

23

4:

Index der Auslastung des Produktionspotentials (Sachkapazitäten) im gesamten Unternehmenssektor (ohne Wohnungsvermietung) und in der verarbeitenden Industrie . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 29

5:

Erwerbspersonenpotential und sein Auslastungsgrad . . . . . . . . . . . . . .

6:

Erwerbstätige, Bruttowertschöpfung und Anlageinvestitionen im verarbeitenden Gewerbe und im Baugewerbe . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 31

7:

Reales Bruttosozialprodukt (BSP) und seine Verwendung sowie Arbeitslosigkeit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 33

8:

Investitionen, Kapitalintensität und Produktionspotential . . . . . . . . .

9:

Veränderung der registrierten Arbeitslosigkeit nach Merkmalsgruppen zwischen September 1975 und September 1978 . . . . . . . . . . . . . . . . 69

10:

Veränderung der Zahl der Arbeitslosen mit verschiedenen Merkmalskombinationen zwischen September 1975 und September 1978 70

11 :

Konjunktureller Impuls der öffentlichen Haushalte gemäß Konzept des SVR und konjunktureller Effekt gemäß Konzept des IFO-Instituts im Vergleich . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 79

12:

Konjunkturelle Effekte der öffentlichen Haushalte gemäß Konzept des IFO-Instituts . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 81

13:

Maß für Konjunkturgerechtigkeit der öffentlichen Haushalte im Vorjahresvergleich . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 91

14:

Maßnahmen zur Verbesserung der Haushaltsstruktur und zur Verminderung der Kreditaufnahmen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 121

15:

Programm für Zukunftsinvestitionen .... . ....................... 129

16:

Die finanziellen Auswirkungen der wichtigen finanzpolitischen Beschlüsse in den Jahren 1974- 1978 ....... .. . .. ............ .... .... 134

17:

Beschäftigte im unmittelbaren öffentlichen Dienst ........ . . . ..... 140

18:

Vollbeschäftigte bei den Gebietskörperschaften ..... ...... ... ... . . 140

30

42

12

Verzeichnis der Tabellen und Schaubilder

19:

Vollbeschäftigte der Gebietskörperschaften insgesamt nach ausgewählten Aufgabenbereichen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 141

20:

Wohnbevölkerung und Erwerbstätigkeit von Ausländern .......... 145

21:

Arbeitsmarktentlastung durch Verkürzung der Lebensarbeitszeit .. 147

Schaubilder 1:

Verteilung der direkt zurechenbaren fiskalischen Kosten der Unterbeschäftigung nach Kostenarten und Personengruppen ilin Jahre 1978 14

2:

Struktur der Investitionen in der verarbeitenden Industrie . . . . . . . .

40

3:

Arbeitsplatzentwicklung in der verarbeitenden Industrie . . . . . . . . . .

43

1. Einleitung 1.1. Die Kosten der Arbeitslosigkeit "Bei uns im Betrieb, einer Druckerei, gibt es zwar noch keine Entlassungen, aber unter Druck setzen sie einen trotzdem. Da wird auf die momentane wirtschaftliche Lage verwiesen, da heißt es, du mußt deine Leistung steigern, du mußt mehr arbeiten, wenn du deinen Arbeitsplatz erhalten willst. Dann verweisen sie auf die Artikel in den Zeitungen, soundso viele Druckereien in der Bundesrepublik hätten schon zugemacht, soundso viele Drucker seien arbeitslos, es könnten nur die im Betrieb bleiben, die wirklich viel leisten, die viel bringen. So üben die von der Geschäftsleitung einen Leistungsdruck auf dich aus, und das kriegst du tagtäglich zu hören. So wollen sie dich klein machen... Mit diesen Drohungen werden natürlich viele Kollegen völlig eingeschüchtert. Da gibt es welche, die stecken drauf wie die Wahnsinnigen, die arbeiten zum Beispiel die Pausen durch, nur damit sie in der Stunde tausend Bogen mehr schreiben können, die meinen, sie würden sich dadurch ihren Arbeitsplatz erhalten. Aus lauter Angst, auf der Straße zu stehen, machen die das... Ich hab Magengeschwüre, nicht zuletzt auch von der Schichtarbeit. Wenn du jetzt zum Beispiel krank bist, dann lesen sie dir vor: Du hast in diesem Jahr schon soundso viele Tage gefehlt, und dann heißt es ganz formell: Wenn Sie sich nicht zusammenreißen, werden wir Sie entlassen müssen, oder Sie suchen sich freiwillig eine andere Arbeitsstelle. So exerzieren sie mit der Angst bei uns im Betrieb1." In der langfristigen Entwicklung dieses Jahrhunderts ist Arbeitslosigkeit in den westlichen Industrieländern nicht die Ausnahme, sondern eine fast normale Erscheinung2 • Nimmt man an, daß die Trends von Wirtschaftswachstum, Arbeitsproduktivität und Arbeitszeit sich auch in der Zukunft fortsetzen, so läßt sich anhand von Modellrechnungen zeigen, daß sich das gegenwärtige Niveau der Massenarbeitslosigkeit in der BRD bis ca. 1990 noch drastisch erhöhen wird3 • Es gibt heute keine Anzeichen dafür, daß sich diesem Problem mit den herkömmlichen Konzepten der Wirtschaftspolitik beikommen ließe. Die Arbeitslosigkeit kennt diverse "Kostenarten": So etwa die gesamtwirtschaftlichen Kosten in Form von entgangener Produktion. So hätte z. B. das Sozialprodukt im Jahre 1978 bei VollausSperner, F., Angst, S. 40. Vgl. etwa: Zinn, K. G., Der Niedergang des Profits, S. 12. 3 Vgl. z. B. Gattinger, J., Krumper, A. und Russ, H., Wachsendes Ungleichgewicht am Arbeitsmarkt bis Ende der achtziger Jahre - Folgerungen für die Beschäftigungspolitik, S. 99-105 sowie: Frenzel, U., Die Bombe tickt, in: Die Zeit vom 6. 2. 1981. 1

2

1. Einleitung

14

lastung des potentiellen Arbeitsvolumens um ca. 127 Mrd. DM oder rund 10 °/o höher gelegen als es tatsächlich der Fall war'. Oder die fiskalischen Kosten: Schaubild 1

Verteilung der direkt zurechenbaren fiskalischen Kosten der Unterbeschäftigung•) nach Kostenarten und Personengruppen im Jahre 197811

Ausfälle an direkten Steuern

*) ohne .,Bestandssockel" an Arbeitslosen und Stiller Reserve **) darunter 5,8 Mrd. DM bei registrierten Arbeitslosen ohne Leistungsbezug

Die fiskalischen Kosten pro nicht beschäftigter Erwerbsperson beliefen sich gemäß dieser Rechnung 1978 auf rund 18 000,- DM'. Dabei sind die Daten des Schaubilds 1 insoweit "geschönt", als die der Rechnung zugrundeliegenden Daten einen "Bestandssockel" an Arbeitslosigkeit und Stiller Reserve in Höhe von 350 000 Personen nicht berücksichtigen7. ' Koller, M., Die Kosten der Erwerbslosigkeit, 5.187. Ebd., S. 188.

6

8 7

Ebd. Ebd.

1.1. Die Kosten der Arbeitslosigkeit

15

Oder die individuellen Kosten der Arbeitslosigkeit: gemäß einer Repräsentativbefragung unter erwachsenen Arbeitslosen, die sowohl im September 1974 als auch - noch oder wieder - im September 1975 arbeitslos waren, betrugen die Einkommenseinbußen infolge der Arbeitslosigkeit 45 Ofo des vorher bezogenen Einkommens. Das Durchschnittseinkommen der befragten Gruppe betrug monatlich 625,- DM gegenüber 1145,- DM vor der Arbeitslosigkeit8 • Auch wenn sich über die exakte Festlegung der Armutsgrenze streiten läßt, ist ersichtlich, daß Arbeitslosigkeit in ihrer dauerhaften Form einen stetigen Zustrom von Personen und Familien in das ohnehin umfangreiche gesellschaftliche Lager der Armut erzeugt9 • Es wäre jedoch verfehlt, die individuellen Kosten der Arbeitslosigkeit ausschließlich finanziell zu bestimmen. In einer Gesellschaft, in der Erwerbstätigkeit mit den meisten Lebensbereichen eng verknüpft ist und in der aufgrund herrschender Wertmuster der soziale Status des größten Teils der erwachsenen Personen von der erwerbstätigen Arbeit her (ihrem Vorhandensein, ihrer relativen Machtposition in Hierarchien und ihrem Einkommensniveau) bestimmt wird, ist Arbeitslosigkeit ein zentrales Stück Identitätsverlust und ist Angst vor Arbeitslosigkeit gleichbedeutend mit einer Identitätsbedrohung. Einige der mit Arbeitslosigkeit verbundenen Belastungsfaktoren und ihre relative Bewertung finden sich in Tab. 1, deren Daten im Rahmen einer repräsentativen Bevölkerungsumfrage zu Problemen der Arbeitsmarkt- und Beschäftigungsbedingungen erhoben wurden. Die Frage, deren Beantwortung zu den Resultaten der Tab. 1 führte, lautete: "In den Jahren 1975, 1976 und Anfang 1977 gab es in der Bundesrepublik zeitweilig meh1· als eine Million Arbeitslose. Nehmen Sie einmal an, Sie würden selbst arbeitslos sein. Was glauben Sie, würden für Sie sehr wichtige, weniger wichtige oder keine Probleme sein?"

Der ermittelte Index kann Werte zwischen Null (für alle Personen unwichtig) und Zweihundert (für alle Personen sehr wichtig) annehmen. 8 Brinkmann, C., Finanzielle und psycho-soziale Belastungen während der Arbeitslosigkeit, S. 403. 8 Vgl. Geißler, H., Die Neue Soziale Frage, Freiburg/Br. 1976, S. 48 f.; dort wird ermittelt, daß 1974 in der BRD knapp 6 Mio. Personen mit ihrem Nettoeinkommen unter den Bedarfssätzen der Sozialhilfe lagen. Roth, J., Armut in der Bundesrepublik, Reinbek bei Harnburg 1979, S. 28 ff. kommt mit anderen Armutskriterien zu noch weit höheren Werten als Geißler.

16

1. Einleitung

Tab. 1 zeigt deutlich das weite Spektrum der mit Arbeitslosigkeit verbundenen psycho-sozialen Belastungen10• Tabelle 1

Belastungsfaktoren der Arbeitslosigkeit und ihre Gewidltung

Rangplatz

Belastungsfaktor

Index

1

Zukunftsaussichten Beeinträchtigung des Lebensstandards Negative Einflüsse auf das Familienleben Persönlicher Mißerfolg Nutzlosigkeit Beeinträchtigung des sozialen Ansehens Verlust von Freunden und Kollegen Langeweile

176 155 132 122 121 98

2 3 4

5 6 7 8

94

77

Quelle: Noll, H.-H.: Die individuelle Betroffenheit und subjektive Wahrnehmung von Beschäft.lgungsproblemen, ln: Mittellungen &·US der Arbeitsmarkt- und Berufsforschung 4/1978, S . 414.

Schließlich sind die gesellschaftlichen Kosten der dauerhaften Arbeitslosigkeit von Bedeutung. Obwohl die Massenarbeitslosigkeit seit 1974 ein zentrales Moment der gewachsenen gesellschaftlichen Ungleichheit ist, konnte - für viele eine Überraschung, für die meisten Politiker eine Beruhigung - der "soziale Frieden" bewahrt werden. Weder haben die Arbeitslosen in Millionenstärke etwa einen Marsch auf Bonn durchgeführt, noch haben sie z. B. eine Arbeitslosen-Partei gegründet. Diese politische Abstinenz der Arbeitslosen und der weiten Kreise der von Arbeitslosigkeit bedrohten Personen11 dürfte ohne Berücksichtigung der herrschenden Erklärungsmuster der Arbeitslosigkeit als primär selbstverschuldet und ohne Berücksichtigung der damit verbundenen Stigmatisierungsprozesse nicht verständlich sein. 10 Eine der gründlichsten Untersuchungen der Zusammenhänge von Arbeitslosigkeit und psychischem Elend stellt die Studie von M. H. Brenner, Wirtschaftskrisen, Arbeitslosigkeit und psychische Erkrankung, München 1979, dar. Dort wurde der Beziehung dieser Faktoren im Staate New York im Zeitraum von 1850 bis 1967 nachgegangen, wobei eine extrem hohe Korrelation zwischen dem jeweiligen Ausmaß der Arbeitslosigkeit und dem relativen Anteil psychiatrischer Hospitalisierungen ermittelt wurde. 11 Die zumeist anzutreffende Berücksichtigung nur der offenen Arbeitslosigkeit vernachlässigt, daß große Teile der Beschäftigten mit der Angst vor möglicher Arbeitslosigkeit leben und daß die Arbeitslosigkeit als Bedrohung bis in die Schulen und in die Kindererziehung durchschlägt.

1.2. Ziel, Aufbau und Methode der Arbeit

17

Arbeitslosigkeit ist bewußtseinsmäßig weithin privatisiert, die aus ihr resultierenden Belastungen sind individualisiert. Daß faktische und potentielle Arbeitslosigkeit eine zentrale gesellschaftliche Angstquelle darstellt, dürfte unmittelbar plausibel sein. Diese gesellschaftliche Angstproduktion und die daraus resultierende gesellschaftliche Produktion von Aggressivität sind in ihren möglichen langfristigen Auswirkungen bisher weitgehend verdrängt worden. Zwar ist die seit 1974 währende Wirtschaftskrise in vielen Komponenten nicht mit der Weltwirtschaftskrise der 30er Jahre vergleichbar. Daß der Aufstieg des NS-Regimes jedoch ohne die Existenz von Massenarbeitslosigkeit in den 20er und Anfang der 30er Jahre kaum denkbar gewesen wäre und daß die breite Zustimmung zu diesem Regime eng mit der Beseitigung der Arbeitslosigkeit verbunden war, dürfte unbestreitbar sein.

1.2. Ziel, Aufbau und Methode der Arbeit Manche Bereiche haben im Vergleich zur allgemeinen Verlaufsform wirtschaftlicher Zyklen eine gegenläufige Konjunktur. Dies gilt auch für den Bereich der Veröffentlichungen zur Wirtschaftskrise: vor allem in den Jahren 1975-1977 war die Krise von einem ungewöhnlichen Boom von Publikationen zur Krise begleitet. Dieser Publikationsboom ist z. T. Ausdruck eines gesellschaftlichen Bedürfnisses nach Lösungen für längst überwunden geglaubte Probleme, das gilt insbesondere für die Arbeitslosigkeit, er ist andererseits in vielfältiger Weise Ausdruck von politischen und ideologischen Auseinandersetzungen, die häufig den Charakter von "Glaubenskämpfen" angenommen haben. Dies bedeutet, daß die einflußreichen der vertretenen Positionen in einer Weise kontrovers sind, daß für eine Annäherung innerhalb der wissenschaftlichen Disziplin z. Zt. keine, einen weitgehenden Konsens findende Methode zu existieren scheint. Die Wirtschaftskrise schlägt sich damit auch in einer Krise der Wirtschaftswissenschaft nieder, wobei bis heute nicht ersichtlich ist, ob die letztere Krise zu einem ParadigmenwechseP2 führen wird oder nicht. Die beiden theoretisch und praktisch wichtigsten Ansätze in der Auseinandersetzung um Diagnose und Therapie der Wirtschaftskrise sind der Keynesianismus und die Neoklassik13• 12 Der Paradigma-Begriff wurde von T. Kuhn in seiner Arbeit: Die Struktur wissenschaftlicher Revolutionen, 2. Aufl., Frankfurt/M., 1969 entwickelt. Eine Anwendung dieses Begriffs auf arbeitsmarkttheoretische Ansätze findet sich bei: Pfriem, H., Konkurrierende Arbeitsmarkttheorien, Frankfurt/M., New York 1979, bes. S. 7-49. 13 Einen fundierten überblick über verschiedene Positionen in der Auseinandersetzung um die Krise bieten: Jortzig, G. und Weg, M., Zur Diskussion

2 Hemmerich

18

I. Einleitung

Im Zusammenhang mit der seit ca. Anfang der 70er Jahre erheblich angestiegenen Inflationsrate hat die neoklassische Position stark an Verbreitung und Einfluß gewonnen, wohingegen sich der Keynesianismus als das lange Zeit dominierende Paradigma nach Ansicht weiter Kreise zunehmend "Anomalien" gegenübersieht und deshalb als unter den heutigen Bedingungen nicht mehr aussagekräftig bzw. - im Bereich der Wirtschaftspolitik- als ineffizient angesehen wird. Bei der These vom Ende des Keynesianismus wird unterstellt, daß die Wirtschaftspolitik sowohl in ihrer antiinflationären als auch in ihrer expansiven Variante tatsächlich auf keynesianischen Prinzipien basierte. Diese Annahme scheint dadurch gestützt zu werden, daß die zentrale konjunkturpolitische Rechtsgrundlage, das Stabilitäts- und Wachstumsgesetz von 1967 und damit die offizielle Definition der wirtschaftspolitischen Aufgabenstellung einen deutlich keynesianischen Charakter aufweisen. Der starke Anstieg der Inflationsrate seit 1969 einerseits und die Dauerarbeitslosigkeit seit 1974 andererseits scheinen damit die Vermutung nahezulegen, daß beide Verletzungen wirtschaftspolitischer Ziele ursächlich mit keynesianischer Politik verknüpft sind und folglich deren Unwirksamkeit beweisen. Eine empirische Herleitung dieser behaupteten Kausalität wird jedoch nicht erbracht. Dies hat offenbar verschiedene Gründe: zum einen eignet sich die These vom Tod der keynesianischen Politik - wie alle Thesen, die angeblich oder tatsächlich mit überholten Vorstellungen aufräumen - gut zur Erzielung wissenschaftlicher Tauschwerte. Zum anderen liegt diese These genau auf der Linie des politischen Interesses der Neoklassik und paßt sich damit auch reibungslos in die Konjunkturerklärung des Sachverständigenrates zur Begutachtung der gesamtwirtschaftlichen Entwicklung (SVR) ein. Schließlich, und das dürfte entscheidend sein, sind systematische Wirkungsanalysen wirtschaftspolitischer Maßnahmen ein bis heute weitgehend vemachlässigtes Feld der ökonomischen Forschung14• So existiert z. B. bis heute nicht einmal ein allgemein akzeptierter Indikator zur Messung des Grades der Konjunkturgerechtigkeit der Gestaltung der öffentlichen Haushalte. von Krise und Krisenpolitik in der herrschenden ökonomischen Theorie, in: WS!-Mitteilungen 3/1978, S. 160-174. 14 Vgl. z. B.: Stigler, G., The Formation of Economic Policy, in: Current Problems in Political Economy, Greencastle (Ind.), 1966, S. 57; Giersch, H., Rationale Wirtschaftspolitik in der pluralistischen Gesellschaft, Bd. 45 der Schriften des Vereins für Socialpolitik, Berlin 1967, S. 114; Gandenberger, 0., Uber das Verhältnis von Wissenschaft und Politik im Bereich der Sozialökonomik, in: Ordo, Bd. 22 (1971), S. 92; Möller, H., Ergebnis und Kontrolle der Beratung (Einleitendes Votum), in: Schneider, H.-K. (Hg.), Grundsatzprobleme der wirtschaftspolitischen Beratung. Das Beispiel Stabilisierungspolitik, Berlin 1968, S. 364.

1.2. Ziel, Aufbau und Methode der Arbeit

19

In den Jahren 1969-1972 wurde eine keynesianische Wirtschaftspolitik in ihrer antiinflationären Variante nicht betrieben15• Insoweit ist es verfehlt, die Stabilität der Inflationsrate auf keynesianische Politik als deren Ursache zurückzuführen. Das Ziel und der Schwerpunkt dieser Arbeit liegen in einer empirischen Wirkungsanalyse der staatlichen Beschäftigungspolitik in den Jahren 1974-1978 vor dem Hintergrund des besonderen Charakters der Krise und vor dem Hintergrund der aktuellen Funktionsmechanismen des Arbeitsmarktes. Der Begriff der Beschäftigungspolitik, der ja politisch-institutionell nicht fixiert ist, wird dabei in einem weiten Sinne verstanden als die Gesamtheit der staatlichen Maßnahmen, die die Beschäftigungssituation beeinflussen16, wobei das deutliche Schwergewicht der Untersuchung dabei auf jenen Maßnahmen liegt, deren Ziel die Beeinflussung des Niveaus der gesamtwirtschaftlichen Nachfrage nach Arbeitskräften ist. Die in Kap. 4 vorgenommene Wirkungsanalyse vollzieht sich auf zwei Ebenen: zum einen in einer Globalanalyse der Wirkungen der Staatshaushalte anhand von Budgetkonzepten, zum anderen in einer Analyse der wichtigsten Einzelmaßnahmen vor dem Hintergrund der jeweiligen politischen Situation in verschiedenen Phasen des Untersuchungszeitraums. Die Berücksichtigung dieser beiden Untersuchungsebenen erlaubt schließlich eine Einschätzung der Beschäftigungspolitik in dem gewählten 5-Jahreszeitraum. Vor der Untersuchung der staatlichen Beschäftigungspolitik werden die makroökonomischen Ursachen der Arbeitslosigkeit herausgearbeitet (Kap. 2), wobei deutlich wird, daß eine zeitliche Überlagerung von langfristigen und zyklischen Verursachungsfaktoren vorliegt. Dieser für die Nachkriegszeit der BRD neuartige Charakter der Krise wurde lange Zeit von weiten Kreisen der professionellen Wirtschaftsforschung teils nicht oder nicht in vollem Umfang erkannt, teils - aus neoklassischen Positionen heraus - aus der Wahrnehmung ausgeblendet, was möglicherweise schwerwiegende beschäftigungspolitische Konsequenzen hatte und hat. In Kap. 3 findet sich als eine Art Verbindungsglied zwischen Ursachenanalyse und Analyse der Beschäftigungspolitik eine Darstellung genereller und aktueller Funktionsmechanismen des Arbeitsmarktes. 15 Vgl. z. B.: Starbatty, J., Erfolgskontrolle der Globalsteuerung, Frankfurt/M. 1976, bes. Kap. 5. 16 Eine umfassende schematische Darstellung des Begriffs der Beschäftigungspolitik findet sich bei: Engelen-Kefer, U., Beschäftigungspolitik, Köln 1976, s. 27.

20

1. Einleitung

Diese Mechanismen bleiben in ökonomischen Untersuchungen vielfach unberücksichtigt, obwohl ihr Einfluß insbesondere auf die Struktur von Beschäftigung und Arbeitslosigkeit und damit auch auf die Wirksamkeit beschäftigungspolitischer Maßnahmen unbestreitbar ist. Sowohl in Kap. 2 über die Ursachen der Krise als auch in Kap. 4 im Abschnitt über die Budgetkonzepte erfolgt eine Auseinandersetzung mit den entsprechenden Vorstellungen des SVR als dem seit Jahren praktisch-wirtschaftspolitisch einflußreichsten Wissenschaftlergremium inderBRD. In einem Ausblick (Kap. 5) wird schließlich auf der Basis der Ergebnisse der Untersuchung eine Einschätzung der wirtschaftlichen und politischen Hintergründe der Beschäftigungspolitik in den Jahren 1974 bis 1978 versucht, und es werden die zukünftigen Möglichkeiten und Grenzen der Beschäftigungspolitik sowie die potentiellen Konsequenzen eines Verzichts auf Beschäftigungspolitik in den 80er Jahren aufgezeigt.

2. Die makroökonomischen Ursachen von Wirtschaftskrise und Massenarbeitslosigkeit 2.1. Vorbemerkungen Im folgenden werden die ökonomischen Ursachen der Wirtschaftskrise und der Arbeitslosigkeit herausgearbeitet. Dies geschieht in einer Makroanalyse der Bestimmungsgründe des Beschäftigungsniveaus, wobei in zwei Schritten vorgegangen wird: im ersten Schritt erfolgt eine Untersuchung der langfristigen Bestimmungsgründe des Beschäftigungsgrades in der Nachkriegszeit der BRD. Diese trendmäßige Betrachtung macht deutlich, daß der Ausbruch von Massenarbeitslosigkeit in der zweiten Hälfte der 70er Jahreaufgrund des Zusammenspiels der Bestimmungsgrößen der Beschäftigung seit 1950 nicht gänzlich überraschend kam. In einem zweiten Schritt werden dann die zyklischen Ursachen der Arbeitslosigkeit dargestellt. Von daher werden der Ausbruch der Krise gerade im Jahre 1974 und das Ausmaß der Arbeitslosigkeit besonders in den ersten Jahren des Untersuchungszeitraums deutlich.

2.2. Die langfristigen Ursachen 2.2.1. Der Uberblick

Das Angebot an Arbeitskräften stellt die eine Seite des gesamtwirtschaftlichen Arbeitsmarktes dar. Dieses "Erwerbspersonenpotential", das Resultat einer Reihe von ökonomischen und außerökonomischen Faktoren ist1 , zeigt in der langfristigen Entwicklung den in Tab. 2 dargestellten Verlauf. Tab. 2 zeigt zum einen eine hohe Stabilität des Erwerbspersonenpotentials zwischen 1960 und 1978. Im Zusammenhang der hier zu untersuchenden Fragestellung ist jedoch besonders bemerkenswert, daß sich das Erwerbspersonenpotential im hier gewählten Untersuchungszeitraum reduzierte, daß also die seit 1974 vorhandene Massenarbeitslosigkeit von der Angebotsseite des Arbeitsmarktes her weder verursacht noch verschärft, sondern sogar leicht abgemildert wurde. 1

Vgl. dazu im einzelnen Abschnitt 3.2.

22

2. Die Ursachen der Krise und der Massenarbeitslosigkeit Tabelle 2

Erwerbspersonenpotentiala)

-in Mio.-

Zeitraum 1951 1955 1959 1960 1960 1961 1962 1963 1964 1965 1966

}b)

Erwerbspersonenpotential

Zeitraum

22,0 23,8 24,9 25,0

1967 1968 1969 1970 1971 1972 1973

26,5 26,3 26,4 26,7 26,9 27,0 27,1

1974 1975 1976 1977 1978

26,9 26,8 26,7 26,6 26,7

26,4 26,6 26,7 26,8 26,8 26,9 26,9

! Erwerbspersonen-

I !

potential

a) Erwerbspersonenpotential = Erwerbstätige und registrierte Arbeits.lose und (geschätzte) Stille Reserve (lnlandskonzept). Daten entnommen aus: 1951 -1960: SVR, Jahresgutachten 1979/80, S. 240; 1960- 1978: ebd., S. 55 (nach Berechnungen des Instituts für Arbeitsmarkt- und Berufsforschung der Bundesanstalt für Arbeit). b) Ohne Saarland und Berlin. Den Werten dieser 4 Jahr.e liegt - mangels entsprechender Daten -die Abgrenzung nach dem Inländerkonzept (nach dem Wohnor~) zugrunde; Schätzungen der Stillen Reserve liegen für diesen Zeitraum nicht vrr (erst ab 1960).

Erste Anhaltspunkte hinsichtlich der Entwicklung des quantitativen Arbeitskräfteeinsatzes, also der Arbeitskräftenachfrage, liefert die langfristige Betrachtung der Entwicklung von Produktion, Arbeitsproduktivität und Arbeitszeit in Tab. 3. Auch wenn in den hoch aggregierten Entwicklungsreihen der Tab. 3 noch keine "letzten" Ursachen der Krise erkennbar sind, so wird doch deutlich, daß das Wachstum der Produktion (reales Bruttoinlandsprodukt) bereits seit ca. 1960 mit dem Wachstum der Arbeitsproduktivität pro Stunde nicht mehr Schritt halten kann und daß die Diskrepanz der Wachstumsraten dieser beiden Indikatoren im Zeitablauf eine zunehmende Tendenz aufweist. Ein solches trendmäßiges Auseinanderklaffen der Wachstumsraten von Produktion und Arbeitsproduktivität hat nun zwangsläufig eine Reduktion der Arbeitskräftenachfrage zur Folge, sofern diese Entwicklung nicht durch eine entsprechende Verringerung der Arbeitszeit kom-

23

2.2. Die langfristigen Ursachen

pensiert wird. Eine solche volle Kompensation der reduzierten Arbeitskräftenachfrage infolge des Rückgangs der Arbeitszeit lag jedoch nicht vor, wie ebenfalls aus Tab. 3 hervorgeht. Tabelle 3

Bestimmungsgründe des Arbeitskräfteeinsatzes Durchschnittliche jährliche Veränderung in Ofo Bruttoinlandsprodukt in Preisen von

Arbeitsproduktivität je Stunde

Arbeitszeit je Erwerbstätigen

1951- 55

9,2

7,3

-0,8

1954-58

7,5

6,4

-1,4

Zeitraum

1970

1956- 60

6,1

6,1

-1,4

1959- 63

5,8

5,8

-1,0

1961-65 1964-68

4,8 3,7

5,2 5,1

- 0,8 -0,7 -0,5

1966-70

4,5

5,3

1969- 73

4,8

5,6

-1,3

1971- 75

2,4

5,0

-1,6

1974-78

2,1

4,0

-0,5

Quelle: R. Henschel, Arbeitslosigkeit, Folge einseitig quantitativ orientierter Wachstumspolitik, in: WSI-Mitteilungen 4/1980, S. 209.

Im folgenden wird die Nachkriegsentwicklung der BRD, in zwei Phasen unterteilt, einer etwas detaillierteren Beleuchtung der Bestimmungsgründe der Arbeitskräftenachfrage unterzogen. 2.2.2. Die Phase von 1950-1965 Der Zeitraum von 1950-1965 war eine ungewöhnlich lange Phase hohen und nahezu störungsfreien1 Wirtschaftswachstums. Die sehr günstigen politischen, institutionellen und ökonomischen Ausgangsbedingungen für diese "Wirtschaftswunderphase" sind vielfach beschrieben worden. Als psychischer Faktor dürfte auch jene besondere Motivation einer Generation zu nennen sein, die - in NS-Zeit und Krieg teils 2 Allerdings war auch diese Zeitspanne keineswegs frei von zyklischen Bewegungen, die jedoch als Schwankungen um den Wachstumstrend nicht zu Krisen führten. Vgl. Glastetter, W., Die wirtschaftliche Entwicklung der Bundesrepublik Deutschland im Zeitraum 1950-1975, Berlin, Heidelberg, New York, 1977, S. 14 ff.

24

2. Die

Ursachen der Krise und der Massenarbeitslosigkeit

ihrer Jugend und ihrer Hoffnungen beraubt, teils schicksalhaft in die Entwicklung verstrickt - in einer emotional stark besetzten "Bewegung des Wiederaufbaus" Vergessen und Sinn suchte. Bis ca. 1960 lag das Wachstum des Bruttoinlandsprodukts über dem der Arbeitsproduktivität. Die aufgrund der steigenden Arbeitsproduktivität zwischen 1950 und 1960 "freigesetzten", d. h. zur Herstellung des alten Produktionsvolumens nicht mehr erforderlichen 9,6 Mio. Arbeitskräfte3 wurden beschäftigungsmäßig vom rasanten Wachstum der Produktion (reales Bruttoinlandsprodukt) "aufgesogen". Verstärkt wurde diese beschäftigungsfördernde Differenz der beiden Wachstumsraten durch die während dieser gesamten Phase andauernde, nicht unerhebliche Reduktion der Arbeitszeit (Einführung der 40-Stunden-Woche bis ca. 1965). So erreichte die Zahl der Erwerbstätigen im Jahr 1965 mit 26,8 Mio. Personen4 ihren höchsten Stand in der Geschichte der BRD. Erstmals im Jahr 1960 und - mit Ausnahme des Jahres 1967- bis und mit 1973 überstieg die Anzahl der offenen Stellen diejenige der Arbeitslosen5 • Hauptsächliche Wachstumsfaktoren in dieser Phase waren zum einen die Unternehmensinvestitionen als traditioneller Motor privatwirtschaftlicher Systeme; ihr Wachstum lag in mehrjährigen Durchschnitten regelmäßig über dem Wachstum des Bruttosozialprodukts6 und kennzeichnete den gesamten Zeitraum als die "Akkumulationsphase einer sich selbst tragenden und den Konjunkturzyklus überlagernden privaten Investitionstätigkeit" 7 • Das hohe Investitionsniveau mit seinem großen Anteil an "autonomen Investitionen" war Ausdruck hoher Rentabilität des eingesetzten Kapitals, wobei die Rentabilitätsbedingungen nicht zuletzt staatlicherseits günstig beinflußt wurden8 • Zum zweiten gingen vom privaten Verbrauch aufgrund des ungewöhnlichen Nachholbedarfs erhebliche expansive Wirkungen aus, die Geldvermögensbildung der privaten Haushalte war bis in die erste Hälfte der 60er Jahre hinein gering, so "kam fast jede Milliarde, die 3 Kalmbach, P., über gegenwärtige Rationalisierungs- und Automatisierungstendenzen in der Bundesrepublik Deutschland, in: Wirtschaft und Gesellschaft, 4/1979, S. 425. 4 Inlandskonzept. Vgl. Kopf, J., u. a., Volkswirtschaftliche Basisdaten, Frankfurt/Main, New York 1980, S. 384. 5 Vgl. SVR, Jahresgutachten 1979/80, S. 240. 6 Glastetter, W., Die wirtschaftliche Entwicklung der Bundesrepublik Deutschland im Zeitraum 1950 bis 1975, S. 84, 94. 7 Riese, H., Wirtschaftspolitik unter veränderten historischen Bedingungen, in: Frankfurter Hefte, 10/1979, S. 23. 8 Vgl. Altvater, E., u. a., Vom Wirtschaftswunder zur Wirtschaftskrise, Berlin 1979, S. 88 und S. 277 ff.

2.2. Die langfristigen Ursachen

25

vom Sektor der Unternehmen in Form von Löhnen verausgabt worden war, bereits in derselben Woche an den Sektor der Unternehmen in Gestalt von Verkaufserlösen wieder zurück"'. In dieser Phase verkauften sich die angebotenen Waren sozusagen "von selbst", raffinierte Marketing-Strategien waren bis dahin weder bekannt, noch waren sie für die Unternehmen notwendig. Schließlich gingen bereits in den 50er Jahren expansive Beschäftigungsimpulse vom positiven Außenbeitrag aus10• 2.2.3. Die Zeit seit 1966

Seit Mitte der 60er Jahre sind die besonderen, die ungewöhnlich lange Akkumulationsphase prägenden Ausgangsbedingungen großenteils verbraucht. Die Entwicklung in der BRD folgt zunehmend derjenigen in vergleichbaren "reifen" westlichen Industrieländern. Die trendmäßig zwar auch sinkende Entwicklung der gesamtwirtschaftlichen Arbeitsproduktivität pro Stunde übersteigt in mehrjährigen Durchschnitten seitdem in zunehmendem Maße das Wachstum der Produktion, wie aus Tab. 3 hervorgeht11 • Diese im Vergleich zur "Wirtschaftswunderphase" umgekehrte und im Zeitablauf zunehmende Differenz der beiden Wachstumsraten muß auf die Dauer, bei weitgehend stabilem Erwerbspersonenpotential, Arbeitslosigkeit hervorrufen, sofern sie nicht mit einer entsprechenden Reduktion der Arbeitszeit einhergeht, was insbesondere im Untersuchungszeitraum nicht mehr der Fall war. Sucht man nach den den Beschäftigungsgrad bestimmenden Entwicklungslinien hinter diesen globalen Indikatoren, stößt man wieder auf die zentrale Rolle der Investitionen: die Entwicklung der Unternehmensinvestitionen und besonders die Entwicklung der das Produktionspotential wesentlich bestimmenden Erweiterungsinvestitionen bleibt seit ca. Mitte der 60er Jahre, insbesondere in der Industrie, trendmäßig deutlich hinter dem Wachstum des Bruttosozialprodukts zurück12 • 8 Stützel, W., Ober- und Untergrenzen der öffentlichen Verschuldung, in: Markmann, H. und D. Simmert (Hg.), Krise der Wirtschaftspolitik, Köln

1978,

s. 271.

Vgl. SVR, Jahresgutachten 1974, S. 233. u Bemerkenswert ist dabei, daß das Wachstum der Arbeitsproduktivität pro Stunde im verarbeitenden Gewerbe zwischen 1950 und 1979 praktisch konstant war, also während 3 Jahrzehnten einem exponentiellen Trend folgte. o. V., Längerfristiges Wachstum der gewerblichen Arbeitsproduktivität seit 1950 wenig verändert, in: DIW-Wochenbericht 48/1980, S. 504-507. Auf die Bestimmungsgründe der Entwicklung der Arbeitsproduktivität wird im Zusammenhang mit den Rationalisierungsinvestitionen (vgl. Abschnitt 2.3.2.4.) und im Zusammenhang mit der Struktur des Arbeitsmarktes (vgl. Kap. 3) etwas näher eingegangen. 10

26

2. Die Ursachen der Krise und der Massenarbeitslosigkeit

Diese Entwicklung ist teils Ausdruck und Folge, teils Ursache13 der bereits seit ca. 1960 trendmäßig gesunkenen Kapitalrentabilität14• Für das reduzierte Wachstum der Investitionen und die reduzierte Kapitalrentabilität gibt es einige triftige Gründe, die die auf der Grundlage von Keynes'schen Überlegungen, insbesondere von Hansen und Kalecki entwickelte Theorie der "säkularen Stagnation" zu Recht wieder in die Diskussion gebracht haben. Als solche Stagnationsfaktoren sind hier zu nennen: -

Die Abnahme der Wohnbevölkerung (seit 1972 der deutschen, seit 1974 insgesamt), die zumindest in jenen Bereichen, "in denen der Bedarf von der Kopfzahl abhängt, wie Wohnraum, Gesundheitswesen, Erziehung usw." 15, eine Reduktion der Nachfrage zur Folge haben wird.

-

Die seit 1960 kontinuierlich sinkende Kapitalproduktivität (steigender Kapitalkoeffizient) mit der ebenfalls seit 1960 (in der Industrie bereits seit den frühen 50er Jahren)16 kontinuierlich ansteigenden Kapitalintensität als wichtigster Bestimmungsgröße17• Nach dem Ende der sich z. T. selbst tragenden Investitionsentwicklung in der "Wirtschaftswunderphase", mit ihrem hohen Anteil an autonomen Investitionen, ist die Koppelung von allgemeiner Wirtschaftsentwicklung (Bruttosozialprodukt, gesamter Verbrauch) und Investitionen wieder enger geworden (deutlicher Rückgang der Erweiterungsinvestitionen und der "revolutionären" Produktinnovationen, besonders im Bereich langlebiger Konsumgüter). Da diese

12 Zum Unternehmensbereich insgesamt vgl. Kopf, J. u. a., Volkswirtschaftliche Basisdaten, S. 37, 228. Zur Industrie vgl.: o. V., Entwicklung des Produktionspotentials im verarbeitenden Gewerbe der Bundesrepublik Deutschland seit 1960, in: DIW-Wochenbericht 25/1980, S. 276-281. 13 Ursache insofern, als die Unternehmen in ihrer Gesamtheit über die Investitionen kreislauftheoretisch den Gewinnanteil am Volkseinkommen und damit einen Faktor der Kapitalrentabilität selbst bestimmen. 14 Vgl. z. B. Welsch, J., Globalsteuerung in der Bundesrepublik Deutschland, Köln 1980, S. 86 f. 15 Oppenländer, K. H., Mittelfristige Wachstumsperspektiven der westdeutschen Wirtschaft, in: IFO-Schnelldienst, 31/32/1978, S. 5. 16 Vgl. Altvater, E., u. a ., Vom Wirtschaftswunder zur Wirtschaftskrise, S.88. 17 Vgl. Kopf, J., u. a., Volkswirtschaftliche Basisdaten, S. 206 f. Ob diese Trends auch zukünftig stabil sind und damit als Hinweis auf die Gültigkeit des auf der Basis von Wertgrößen, nicht auf der Basis der das Investitionsverhalten bestimmenden Preisgrößen definierten Marx'schen "Gesetzes des tendenziellen Falls der Profitrate" interpretiert werden können, ist höchst umstritten. Kritisch dazu: Hofmann, W., Theorie der Wirtschaftsentwicklung, 2. Auflage Berlin 1971, S. 81 ff.; Elsenhans, H., Das Gesetz des tendenziellen Falls der Profitrate, in: Leviathan 4/1979, S. 584-597; Zinn, K. G., Der Niedergang des Profits, S. 134 ff.

2.2. Die langfristigen Ursachen

27

Entwicklung in allen vergleichbaren Industrieländern zu beobachten ist, deutet das eher auf die Gültigkeit der These von den "sinkenden Investitionschancen" hin als auf die Gültigkeit der These vom Aussterben des "dynamischen Unternehmertums" gerade in der ERD. -

Bei einem großen Teil der Märkte für dauerhafte Konsumgüter (Elektrogeräte, Pkw, Einrichtungsgegenstände) sind mittlerweile Sättigungsgrade erreicht, die die Produktion weitgehend auf die Deckung von Ersatzbedarf beschränken18•

-

Der kontinuierliche Anstieg der Geldvermögensbildung der privaten Haushalte seit den frühen 60er Jahren19 schlägt sich im Unternehmenssektor als wachsender Nachfrageausfall nieder, der auf Dauer weder von den Investitionen, noch - trotz hoher Staatsverschuldung - von den Staatsausgaben kompensiert werden kann20 •

-

Vom Außenhandel her sind für die ERD- im Unterschied zur Zeit vor 1974- bei flexiblen Wechselkursen, steigenden Ölpreisen21 und

18 Vgl. z. B. o. V., Die fetten Jahre sind vorbei, in: Der Spiegel vom 8. 9. 1980, bes. S. 39 f. 19 SVR, Jahresgutachten 1979/80, S. 268 f. 20 Gewöhnlich wird zur empirischen Begründung dieser Aussage der trendmäßige Anstieg der Sparquote herangezogen. Dies ist insofern nicht ganz korrekt, als zum einen die Auflösung von in früheren Perioden gebildeten Ersparnissen (z. B. aus vermögenswirksamem Sparen) und als zum anderen die Konsumentenkredite (als negatives Sparen) nicht separat ausgewiesen bzw. nicht berücksichtigt werden. Während die Einschränkungen, die die Argumentation mit der Sparquote in diesem Zusammenhang von den beiden genannten Faktoren her erfährt, quantitativ recht unerheblich sind, ist ein weiterer Gesichtspunkt von größerer Relevanz: die Ausgaben der privaten Haushalte für den Erwerb von Wohneigentum werden in der Statistik des Sozialprodukts nicht als privater Konsum, sondern als Teil der gesamtwirtschaftlichen Investition erfaßt. Eine Bereinigung der Ersparnis der privaten Haushalte um ihre Verschuldung aus den Investitionen in Wohneigentum reduziert das Volumen der Ersparnis der privaten Haushalte erheblich (vgl. SVR, Jahresgutachten 1979/80, S. 269). Dennoch bleibt auch nach einer solchen Bereinigung der Tatbestand einer langfristig in bedeutendem Umfang angewachsenen Geldvermögensbildung (Netto-Gläubigerposition) der privaten Haushalte bestehen. Insoweit ist die Argumentation mit der steigenden Sparquote im praktischen Ergebnis nicht falsch. Zu den Konsequenzen der wachsenden Geldvermögensbildung der privaten Haushalte für die Schuldnerposition des Staates und der Unternehmen vgl. grundlegend: Stütze!, W., Ober- und Untergrenzen der öffentlichen Verschuldung, S. 267 ff. 21 Obwohl die ölexportierenden Länder ihre Importe aus der BRD seit 1974 drastisch erhöht haben, läßt sich im Untersuchungszeitraum dennoch ein Nettoeffekt in Form eines Realeinkommenstransfers in diese Länder und ein Nachfrageausfall in der BRD feststellen. Berücksichtigt man dazu noch die ölpreisinduzierten, auf Energieeinsparung zielenden, zusätzlichen Investitionen, so dürfte sich dieser Nettoeffekt noch entscheidend reduzieren. Es gibt insoweit keinerlei überzeugenden Beweis dafür, daß die Ölpreissteigerungen vor oder im Untersuchungszeitraum entscheidender oder auch nur wesentlicher Verursachungsfaktor der Krise gewesen sind.

28

2. Die Ursachen der Krise und der Massenarbeitslosigkeit

defizitären Handelsbilanzen fast aller Handelspartner keine entscheidenden Wachstumsimpulse mehr zu erwarten22 • Die langfristigen Entwicklungslinien zusammenfassend läßt sich sagen: Die Triebkraft (der SVR: das "Herzstück") privatwirtschaftlicher Systeme, die Unternehmensinvestitionen, haben seit etwa Mitte der 60er Jahre trendmäßig erheblich an expansiver Ausstrahlungskraft verloren. Dies ist Ausdruck gesunkener Gewinnerwartungen (gesunkener Kapitalrentabilität) als dem zentralen Bestimmungsgrund der Investitionen. Die reduzierte Kapitalrentabilität hat z. T. "innere Gesetzmäßigkeiten" (steigender Kapitalkoeffizient zwischen 1960 und 1978) zur Ursache, primär dürfte die Krise jedoch ihren Entstehungsgrund in einem Mangel an effektiver Nachfrage haben (Realisierungskrise). Das Schrumpfen der Wohnbevölkerung, das hohe Niveau der gesamtwirtschaftlichen Ersparnis und die darin zum Ausdruck kommenden Sättigungserscheinungen beim privaten Verbrauch, der erreichte Stand der öffentlichen Infrastruktur, der Mangel an ausstrahlenden Produktinnovationen und damit die Reduktion der autonomen Investitionen23 sowie der Ausfall des Außenhandels als Wachstumsmotor stellen diejenigen Faktoren dar, die die Kapitalrentabilität von der Absatzseite her unter Druck gebracht haben und noch bringen. In ihrer Konsequenz lösten diese Stagnationstendenzen der Nachfrage über ihre zirkuläre Verknüpfung mit den Erweiterungsinvestitionen, bei über dem Produktionswachstum liegender Entwicklungsrate der Arbeitsproduktivität und bei Stabilität des Erwerbspersonenpotentials sowie unter Berücksichtigung der beschäftigungsmäßig nur unzur.eichend kompensatorisch wirkenden Arbeitszeitverkürzung die Massenarbeitslosigkeit aus. Diese kann mit einigem Erkenntniswert als ein "Gleichgewicht bei Unterbeschäftigung" im keynesianischen Sinne interpretiert werden und macht somit wichtige Aussagen der Krisentheorie von Keynes und der Stagnationstheorie seiner Nachfolger wieder aktuell24 • Die Krise ist somit nicht extern verursacht, sondern hat ihre Gründe in den internen langfristigen und den im folgenden zu behandelnden zyklischen Entwicklungen. 22 Bekanntlich kompensieren sich bei flexiblen Wechselkursen kurzfristig mögliche Positionsverbesserungen eines Landes im Export (etwa infolge relativ niedriger Inflationsrate) mittel- bis längerfristig durch entsprechende Korrekturen des Außenwerts der Währung. u Hier läßt sich ein Zusammenhang zur Theorie der langen Wellen herstellen (Abschwungphase eines Kondratieff-Zyklus), wobei derartige Erklärungsansätze mehr deskriptiven als analytischen oder gar wirtschaftspolitisch entscheidungsrelevanten Charakter haben. 24 Vgl. dazu auch: Zinn, K. G., Der Niedergang des Profits, S. 34 ff.

2.3. Die konjunkturellen Ursachen

29

2.3. Die konjunkturellen Ursachen 2.3.1. Konjunktur- und Beschäftigungsindikatoren im tJberblick

Nach der Behandlung der langfristig wirksamen Bestimmungsfaktoren des Beschäftigungsgrades werden im folgenden in einer kürzerfristig orientierten Jahresbetrachtung die Gründe für den Zeitpunkt des Ausbruchs, für das Ausmaß und für den Verlauf der Beschäftigungskrise untersucht. Tab. 4 enthält Kennziffern zum Auslastungsgrad des Produktionspotentials, also zu einem für Konjunkturanalysen besonders im Zusammenhang mit Erweiterungsinvestitionen relevanten Indikator. Tabelle 4

Index der Auslastung des Produktionspotentials (Sachkapazitä.ten) im gesamten Unternehmenssektor (ohne Wohnungsvermietung) und in der verarbeitenden Industriea) (1970 = 100)

11970 1971 1972 1973

1974 1975 1976 1977 1978

Unternehmenssektor insgesamt (ohne Wohnungsvermietung)) b

100

98,3

97,0

97,6

94,1

88,8

91,6

92,4

93,6

Verarbeitende lndustriec)

100

96,5

96,2

99,5

95,0

87,2

93,9

95,3

96,0

a) Die den Berechnungen zugrunde IJ.egenden Ursprungswerte haben die Preisbasis 1970. b) Vg1. Kopf, J . u. a., Volkswirtschaftliche Basisdaten, s .. 37. c) Vgl. o. V., Wieder hohe Kapazitätsauslastung in der verarbeitenden Industrie der Bundesrepublik Deutschland, in: DIW-Wochenbericht 12/1977, s. 108, sowie: o. V., Produktion und Kapazitätsauslastung im verarbeitenden Gewerbe 1978, in: DIW-Wochenbericht 3/1979, s. 18. Der Auslas.t ungsgrad ist dort in Relation zur maximal möglichen Auslastung (= 100) angegeben und wurde zur Verbesseru·n g der Verglel.chbarkeit mit dem Auslastungsgrad des gesamten Unternehmenssektors vom Verfasser auf die Basis 1970 = 100 umgerechnet.

Der Auslastungsgrad25 lag während des gesamten Untersuchungszeitraums niedriger als in jedem der Jahre zwischen 1970 und 1973. Das 25 Der Auslastungsgrad wurde gemessen als das Verhältnis der effektiven zur potentiellen Bruttowertschöpfung der Unternehmen, beides in realen Größen. Die Daten der Tab. 4 sind zwar nicht mit identischen, aber mit recht ähnlichen und damit vergleichbaren Meßkonzepten ermittelt. Die Werte für den Auslastungsgrad des Unternehmenssektors insgesamt wurden in enger Anlehnung an das entsprechende Konzept des SVR errechnet (vgl. etwa: SVR, Jahresgutachten 1979/80, S. 56 f., 213 f.). Zum DIW-Indikator für

30

2. Die Ursachen der Krise und der Massenarbeitslosigkeit

gilt für den gesamten Unternehmenssektor und für die Industrie und verdeutlicht die Tiefe und die Dauer dieser Krise. Seit 1976 steigt der Auslastungsgrad wieder an, das Produktionsvolumen wächst also seitdem zunehmend wieder in die Kapazitäten hinein, die infolge des starken Rückgangs der Erweiterungsinvestitionen nur noch verlangsamt angestiegen waren. Tab. 5 macht die Tiefe und Dauerhaftigkeit der Beschäftigungskrise mit Hilfe des Auslastungsgrades des Erwerbspersonenpotentials deutlich. Dieser Indikator zeigt deutlicher als die üblicherweise offiziell aus.: gewiesene Quote der registrierten Arbeitslosigkeit das Ausmaß der Unterbeschäftigung und ihr annähernd konstantes Niveau auch in den Jahren ab 1976. Tabelle 5

Erwerbspersonenpotential und sein Auslastungsgrada)

1974 1975 1976 1977 1978

1970 1971 1972 1973 Erwerbspersonenpotential (in Mio.)b) ..... Eingesetztes Arbeitskräftepotential (in Mio.)h) ..... Auslastungsgrad (in Ofo)c)

i

I

26,7

26,9

27,0

27,1 i 26,9

26,8

26,6 --

26,6

26,6

26,6

26,2

25,3 25,0 25,0 25,0 -- ·- ---- - - - -- -

... 99,4 99,0 98,5 98,4

97,1

94,2

26,7

93,8

26,6

93,9

26,7

94,1

a) Vgl. Autoren.gemeinschaft, Der Arbeitsmarkt in der Bundesrepublik Deutschland 1979 (Insgesamt und regional), in: Mitteilungen aus der Arbeitsmarkt- und Berufsforschung, 1/1979, S. 29, Übersicht 4. b) Inlandskonzept. c) Definiert als das Verhältnis des tatsächlichen eingesetzten Arbeitskräftepotentials zum ErwerbspersonenpotentiaL

Tab. 6 schließlich zeigt, daß die Kernbereiche des Beschäftigungsrückgangs im verarbeitenden und im Baugewerbe lagen. Vom Rückgang der Erwerbstätigkeit im gesamten Unternehmensbereich von 22,7 die verarbeitende Industrie vgl. in Kurzfassung: o. V., Entwicklung des Produktionspotentials im verarbeitenden Gewerbe der Bundesrepublik Deutschland seit 1960, in: DIW-Wochenbericht 25/1980, S. 276 oder ausführlich: R. Krengel u. a., Produktionsvolumen und -potential, Produktionsfaktoren der Industrie im Gebiet der Bundesrepublik Deutschland, 20. Folge, Berlin 1978.

2.3. Die konjunkturellen Ursachen

31

Mio. Personen (1972) auf 20,8 Mio. Personen (1976) 28 entfiel damit der größte Teil (74 °/o) auf diese beiden Bereiche des produzierenden Gewerbes. Der Beschäftigungsrückgang im Handel (gut 0,2 Mio. Personen im selben Zeitraum)27 dürfte zumindest teilweise als Resultat dieser Entwicklung im produzierenden Gewerbe zu interpretieren sein. Tabelle 6

Erwerbstätige, Bruttowertschöpfung und Anlageinvestitionen im verarbeitenden Gewerbe und im Baugewerbe

Erwerbstätige in Mio.a) -Verarbeitendes Gewerbe ...... . ... . -Baugewerbe ....... . Bruttowertschöpfung Veränderung gegenüber Vorjahr in Ofob) - Verarbeitendes Gewerbe .......... . - Baugewerbe ....... . Anlageinvestitionen Veränderung gegenüber Vorjahr in Ofoc) - Verarbeitendes Gewerbe .......... . - Baugewerbe ....... .

1972

1973

1974

1975

1976

9,9

9,9

9,6

9,1

8,9

2,4

2,4

2,2

2,0

2,0

2.8

6,1

0,3

- 5,2

7,2

6,2

0,7

-8,2

-5,9

2,4

- 10,2

- 6,3

- 8,9

- 8,7

4,2

4,7

- 14,0

- 39,8

-2,9

- 0,4

a) Inlandskonzept. Vgl. Kopf, J. u. a., Volkswirtschaftliche Basisdaten, s. 392. b) Auf Preisbasis 1970. Vgl. Statistisches Bundesamt, Volkswirtschaftliche Gesamtrechnungen, Fachserie 18, ReUle S. 3, Ergebnisse der Volkswirtschaftlichen Gesamtrechnungen 1960 bis 1976 nach Wirtschaftsbereichen und Gütergruppen, Stuttgart und Mainz 1979, S . 128 f. c) Auf Preisbasis 1970. Vgl. ebd., S. 224 f.

Dabei zeigt sich eine deutliche Parallelität zwischen der Bruttowertschöpfung und den Anlageinvestitionen einerseits und der Beschäftigung in diesen Sektoren andererseits. 26

27

Vgl. Kopf, J., u. a., Volkswirtschaftliche Basisdaten, S. 392. Ebd.

32

2. Die Ursachen der Krise und der Massenarbeitslosigkeit 2.3.2. Die Verwendungskomponenten des Sozialprodukts und ihre jeweiligen Bestimmungsgründe

2.3.2.1. Der Oberblick Tab. 7 zeigt die Entwicklung des Bruttosozialprodukts, seiner Verwendungskomponentensowie das Niveau der Arbeitslosigkeit. Die Wachstumsreduktion des Bruttosozialprodukts vor dem Ausbruch der Krise und im Untersuchungszeitraum spiegelte sich in den Komponenten in unterschiedlicher Weise wider. Allein der private Verbrauch und der Außenbeitrag zeigten (jeweils mit Ausnahme des Jahres 1974) einen relativ kontinuierlichen Entwicklungsverlauf. Dagegen wiesen der Staatsverbrauch und die staatlichen Anlageinvestitionen im Untersuchungszeitraum erhebliche Schwankungen auf. Der rapide Rückgang dieser Komponente im Vorjahresvergleich trat allerdings erst im Jahre 1976 ein, also ca. 2 Jahre nach dem Ausbruch der Krise. Insoweit läßt sich bereits an dieser Stelle die These aufstellen, daß die Gestaltung der Wirtschaftspolitik hinsichtlich des Zeitpunkts des Ausbruchs der Krise nicht ursächlich gewesen ist. In Kap. 4 wird auf die Gestaltung der Staatshaushalte und auf die konjunktur- und beschäftigungspolitischen Maßnahmen noch ausführlich einzugehen sein. Die massivsten Schwankungen zeigte die traditionell konjunkturreagibelste Verwendungskomponente des BSP, die Bruttoanlageinvestitionen der Unternehmen. Die Arbeitslosigkeit verdoppelte sich annähernd in den Jahren 1974 und 1975 (jeweils im Vorjahresvergleich) und liegt seit 1975 bei ca. 1,5 Mio. Personen. 2.3.2.2. Der private Verbrauch Der private Verbrauch, die anteilsmäßig mit mehr als 50 °/o bedeutendste Verwendungskomponente des Bruttosozialprodukts weist zwar einerseits den bekannten, relativ wenig konjunkturreagiblen Verlauf auf, seine Konjunkturreagibilität hat jedoch mit dem gestiegenen Niveau des verfügbaren Einkommens erheblich zugenommen28, wie vor allem die Entwicklung in den Jahren 1973-1975 zeigt. 28

Der Anteil des Grundbedarfs am verfügbaren Einkommen ist von ca.

66% (1950) auf 47% (1976) gesunken. Vgl. SVR, Jahresgutachten 1977/78,

S. 131. Die Gesellschaft für Konsumforschung beziffert den frei disponiblen Anteil am Haushaltseinkommen 1965 mit 26%, 1977 mit 31 %. Vgl. Nerb, G., Strukturelle und konjunkturelle Aspekte der Konsumentwicklung, in: IFOSchnelldienst 6/1978, S. 18.

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!lg.

9 3

li:

--

--

-

-

--

179

179 149

149

2,1

185

277

1,6

-

-

-

-

-

993 1030 1060

1074 582 273

246

1495 1616 1621

1554 788

429

393

3,0 3,3 5,6

3,4

1,5

3,4

- 13,2

0,3

4,5

3,1

4,3 6,0

0,1 5,5

1,1

3,4 3,1

6,5

3,1

3,5 2,6

-4,5

4,9

1978 1977

a) Die Ursprungswerte für Bruttosozialprodukt und seine Verwendungskomponenten beziehen sich auf die Preisbasis 1970. Quelle : SVR, Jahr esgutachten 1979/80, S. 55, 253, 255, 259; ei gene Ber echnungen. - b) Staatsverbrauch und Anlageinvestitionen des S taates w urden w egen der Problematik der heutigen Abgrenzung dieser beiden Bereiche zusammengefaßt. Außerdem sollten die Anlageinvestitionen der Unt ernehmen isoliert gezeigt werden.

-

323

davon Registrierte -

...... . .... .

-

461

Arbeitslosigkeit insgesamt . . .. . . . ..

3,5

8,6

4,3

4,3

9,9

3,3

Außenbeitrag (in Ofo BSP) .. . . . . . ...

10,9

5,0

3,5

6,1

Bruttoanlageinvestitionen der Unternehmen ...... . . .. . ... .

5,9

1,3

Staatsverbrauch und Bruttoanlageinvestitionen des Staatesb)

3,4

3,1

0,3

2,5

4,0

5,2

7,3

7,9

4,5

Privater Verbrauch . . ... . . .. . . . ....

5,3

4,9

3,6

3,3

5,9

7,9

6,5

-1,8

1976

0,4

1975

1974

1972 1973

1971

1970

1969

Bruttosozialprodukt .. . ... . . .. . . ...

1968

Arbeitslosigkeit in 1000 Arbeitslosen -

Tabelle 7: Reales Bruttosozialprodukt (BSP) und seine Verwendung sowie Arbeitslosigkeita) -Veränderung gegenüber dem Vorjahr in 'Ofo, Außenbeitrag in Ofo des Bruttosozialproduktes,

~

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2. Die Ursachen der Krise und der Massenarbeitslosigkeit

34

Nach der "Freß- und Bekleidungswelle" der 50er Jahre haben die Bereiche "langlebige Konsumgüter" (vor allem in den 60er Jahren; "Einrichtungs- und Kfz-Welle") sowie "Kommunikation und Freizeitbedarf" (in den 70er Jahren) wachsende Bedeutung innerhalb des privaten Verbrauchs erlangt28• Mit den stark gewachsenen Realeinkommen vergrößern sich die Dispositionsmöglichkeiten der privaten Haushalte: die Chancen zu warten (z. B. Ersatzbedarf hinauszuschieben wie etwa deutlich bei den privaten Pkw-Käufen 1973/7430) und auch zu sparen31 sind langfristig erheblich gestiegen. Die Bestimmungsgründe des privaten Konsums haben sich im Zeitablauf gewandelt: dominierten in der unmittelbaren Nachkriegszeit noch die physisch-materiellen Überlebenszwänge und war das Jahrzehnt, das man später vielleicht einmal die "goldenen 60er Jahre" nennen wird, noch primär von dem Wunsch nach Verfügbarkeit über Gebrauchswerte geprägt, so haben mittlerweile mit dem "Ende des Privatismus", also mit den alle Lebensbereiche immer perfekter durchdringenden Konsumangeboten32, Beeinflußungskräfte der sozialen Umwelt ein wohl historisch nicht gekanntes Niveau als Bestimmungsfaktoren von Höhe und Struktur der Verwendung der verfügbaren Einkommen erreicht. Das gewachsene Bewußtsein davon, daß "das Verbrauchsparadies nicht die versprochene Glückseligkeit liefert" 33, hat ein Vakuum geschaffen, das als Einflußgrößen des privaten Verbrauchs u. a. die folgenden Faktoren zu zunehmender Bedeutung gebracht hat: -

die Zukunftsängste, die weitgehend massive objektive Ursachen ökonomischer und politischer Natur haben114 ;

Ebd., S. 13. Die PKW-Neuzulassungen gingen 1973 deutlich und 1974 rapide zurück. Vgl. Kopf, J ., u. a., Volkswirtschaftliche Basisdaten, S. 456. 81 Die Sparquote stieg von 8,5 % (1960) auf 15,3 % des verfügbaren Einkommens (1975) an. Vgl. SVR, Jahresgutachten 1979/80, S. 263. 32 Nicht zuletzt ist dabei hier an "Die Droge im Wohnzimmer" (so ein Buchtitel von M. Winn, Reinbek bei Hamburg, 1979), das Fernsehen, mit seinen vielfältigen direkten und indirekten bedarfsweckenden Funktionen zu denken. 33 Fromm, E., Die Revolution der Hoffnung, Reinbek bei Harnburg 1974, 29

80

8.13.

84 Hier sind, neben der offenen und der drohenden Arbeitslosigkeit als bedeutender gesellschaftlicher Angstquelle, vor allem die folgenden, z. T. internationalen Bedrohungsfaktoren zu nennen: Zerstörung der natürlichen Lebensbedingungen, permanentes Wettrüsten mit wachsender Atomkriegsgefahr, rapide Zunahme der Verelendung in der Dritten Welt, fortgeschrittene "Durchstaatlichung" Orwell'scher und Huxley'scher Prägung.

2.3. Die konjunkturellen Ursachen -

35

der weitgehende Verlust der Spontaneität, der zum großen Teil durch die im Arbeitsprozeß geforderte "Verkopfung" der Persönlichkeit sowie durch die primär auf Konsumförderung hin ausgerichtete Reizüberflutung verursacht ist; die Lebensängste, die u. a. als Resultat der reduzierten Bedeutung der für das physische Überleben notwendigen Arbeit die prinzipielle Indeterminiertheit menschlicher Existenz als "Sinnkrise" zunehmend ins Bewußtsein dringen lassen und die ihren Teil zur massiven Verbreitung von Depressionen in einer "Gesellschaft notorisch unglücklicher Menschen" (E. Fromm) beitragen35•

Die Struktur einer zunehmend sucht- und drogengeprägten Gesellschaft86 läßt nicht zufällig "strategisches Marketing als bisher höchste evolutionäre Stufe" 87 zur zentralen Unternehmenstrategie der 80er Jahre werden und damit auf die möglichst vollständige "Ausschöpfung" der verfügbaren Einkommen hinzielen. Ob es allerdings den gar nicht mehr "geheimen Verführern" gelingt, das erreichte Niveau der Geldvermögensbildung der privaten Haushalte zu reduzieren oder gar ihre Entwicklungsrichtung umzukehren, wie es vor einigen Jahren in den USA zu beobachten war88 , dürfte entscheidend von sozialpsycho35 Dies gilt möglicherweise besonders für jene Jugendlichen und jungen Erwachsenen, die aufgrund des weitgehenden "Nicht-Vorhandenseins" ihrer Väter eine allzustark mutterdominierte Sozialisation erfuhren und in deren Folge ein so hohes Ich-Ideal aufweisen, daß ihnen die dauerhafte Einpassung in einen fremdbestimmten und vielfach als sinnlos erlebten Arbeitsprozeß kaum erträglich ist. Vgl. Negt, 0., Die verlorenen Söhne kehren nicht mehr zurück, in: Psychologie heute, Febr. 1980, S. 36. 86 Drogenkonsum steht dabei im weitesten Sinn für die Befriedigung jener Gefühle von innerer Leere, die ein Aus- und Auffüllen dieser Leere mit Konsumgütern gebieterisch verlangen, wobei Konsumgüter dabei nicht unbedingt immer käuflich zu erwerbende Produkte sein müssen (man denke nur an die "Arbeitssucht"). Zwar existieren bisher keine umfassenden Indikatoren über den suchtbestimmten Anteil am gesamten privaten Konsum, aber bereits die Verbrauchsentwicklung bei den offen als solche erkennbaren Suchtmitteln wie Alkohol, Tabakwaren, Medikamente, Lebensmittel (jeder zweite ERD-Bürger hat Ubergewicht) sowie Drogen im engeren Sinne spricht eine deutliche Sprache. 37 Henzler, H., Strategisches Marketing als Impulsgeber der BOer Jahre, S. 71 (Henzler ist Direktor der international tätigen Unternehmensberatungsfirma McKinsey). Die Unternehmensinnovationen der 80er Jahre werden voraussichtlich vor allem "Marketing-Innovationen" sein. Bei dieser Verwendung des Innovations-Begriffs wäre wohl, im Anschluß an G. Mensch, Das technologische Patt, Frankfurt/M., 1975, eher von "Scheininnovationen" zu sprechen. Analog auch Bombach, G., Stagnation als Schicksal?, in: Besters, H. (Hg.), Wachstum und Konjunktur unter veränderten Bedingungen, Baden-Baden 1976, S. 33: "Man hat festgestellt, daß sich das Innovationsinteresse von der Herstellung immer mehr auf das Marketing verlagere", Marketing-Konkurrenz wird vermutlich die dominierende Wettbewerbsform der kommenden Jahre sein. 38 Dort ging die Sparquote zwischen 1975 und 1977 von 9,5 auf 4,5 % zurück, was bemerkenswerte konjunkturelle Impulse zur Folge hatte. Nerb, G., Strukturelle und konjunkturelle Aspekte der Konsumentwicklung, S. 23.

3*

36

2. Die Ursachen der Krise und der Massenarbeitslosigkeit

logischen Faktoren und von der damit einhergehenden Produktion von Angst bzw. (relativer) Angstfreiheit abhängen. In diesem Zusammenhang wird die Arbeitslosigkeit in Ausmaß und Dauer als eine zentrale gesellschaftliche Angstquelle selbst wirksam.

2.3.2.3. Der Außenbeitrag Vom Außenbeitrag gingen im gesamten Untersuchungszeitraum deutliche, Produktion und Beschäftigung fördernde Effekte aus. Die These von der "importierten Rezession", die vor allem von der Bundesregierung verbreitet wurde39, läßt sich nicht halten. Zwar stieg der Außenbeitrag real von 11,1 Mrd. DM (1972) über 25,9 Mrd. DM (1973) auf 42,6 Mrd. DM (1974) und fiel dann im Jahre 1975 auf 23,1 Mrd. DM ab'0 • Betrachtet man den Außenbeitrag in Prozent des Bruttosozialprodukts zwischen 1968 und 1978 (vgl. Tab. 7), so wird jedoch deutlich, daß der Wert des Jahres 1973 über dem Trend lag und daß der Wert des Jahres 1974 - statistisch gesehen- einen "Ausreißer" darstellte41 • Die Entwicklung seit 1975 ist als eine Normalisierung auf hohem Niveau zu interpretieren, wobei der Wert des Jahres 1975 sogar noch höher lag, als es bei Fortschreibung des Trends zu erwarten gewesen wäre'2 • Man kann sogar noch weiter gehen und sagen, daß die BRD in den Jahren 1973/74 im hohen Maße Arbeitslosigkeit exportiert hat und daß die Arbeitslosigkeit in der BRD, bei der Stagnation der Investitionen im Jahre 1973 und ihrem rapiden Rückgang im Jahre 1974, sicherlich bereits im Jahre 1974 die Millionengrenze deutlich überschritten hätte, wenn der Außenbeitrag in den Jahren 1973/74 nicht diese ungewöhnliche Höhe erreicht hätte.

2.3.2.4. Die Investitionen In der Jahresbetrachtung der Tab. 7 fällt vor allem die Zyklizität der Anlageinvestitionen der Unternehmen auf: sie wiesen in den Jahren 1969-1971 ungewöhnlich hohe Steigerungsraten auf43, erhöhten das 39 So etwa Bundeskanzler H. Schmidt in einer Erklärung der Bundesregierung zur Finanz- und Konjunkturpolitik vor dem Bundestag: "Wenn im Jahre 1975 auch unser Sozialprodukt nun zum erstenmal seit langer, langer Zeit sinkt, so liegt das ausschließlich an der importierten Rezession." In: Bulletin der Bundesregierung vom 18. 9. 1975, S. 1118. ' 0 Vgl. SVR, Jahresgutachten 1979/80, S. 253. 41 Dies wird auch darin deutlich, daß die Bundesregierung in ihrer Jahresprojektion 1974 (Jahreswirtschaftsbericht 1974, S. 28) einen Außenbeitrag in Höhe von nur 1,5-2 % des BSP erwartete. 42 Vgl. auch: Starbatty, J., Stabilitätspolitik in der freiheitlich-sozialstaatliehen Demokratie, Baden-Baden 1977, S. 53 ff.

2.3. Die konjunkturellen Ursachen

37

Niveau noch 1972 mit einer Rate, die über derjenigen des Bruttosozialprodukts lag und stagnierten 1973. Ab 1974 gingen die Investitionen rapide zurück und lagen, in Preisen von 1970, noch im Jahr 1978 unter dem Niveau von 197244 • Die Gründe des extremen Investitionsbooms der Jahre 1969 bis 1972 lagen in den ungewöhnlichen Gewinnsteigerungen der Unternehmen im Anschluß an die Krise des Jahres 196745 bei gleichzeitig weit überdurch... Schnittliehern Auslastungsgrad des Produktionspotentials (vgl. Tab. 4) und hoher Verbrauchsnachfrage (private Haushalte, Staat und Außenbeitrag)46. Die Vermutung liegt nahe, daß die Gewinnerwartungen der Unternehmen als die zentrale Bestimmungsgröße der Erweiterungsinvestitionen in diesen Jahren des Investitionsbooms auch positiv beeinflußt wurden durch die Erfahrung der raschen Krisenüberwindung (die wesentlich auf die von der SPD geprägte, neue Wirtschaftspolitik zurückgeführt wurde) und - damit zusammenhängend - durch die Erwartung einer Fortsetzung des vor der Krise gekannten Wachstumstempos, wofür die Bundesregierung seit ihrer Führung durch die SPD (1969) mit ihrer progressiven Wirtschaftspolitik günstige Rahmenbedingungen schaffen zu können schien. (Vgl. Abschnitt 4.2.) Spätestens 1974 wurde deutlich, daß sich die im Investitionsboom aufgebauten Sachkapazitäten nicht mehr im durchschnittlichen Ausmaß auslasten ließen. Die konjunkturelle Ursache für den Zeitpunkt des Ausbruchs der Krise und für ihre Tiefe in den Jahren 1974/75 lag also wesentlich in der Überproduktion47 (genauer: Überinvestition) der 43 Im verarbeitenden Gewerbe, also vor allem im Bereich der Industrie, betrug das reale Wachstum der Bruttoanlageinvestitionen (gegenüber Vorjahr) sogar 34,3% (1969) und 22,3% (1970). Kopf, J., u. a., Volkswirtschaftliche Basisdaten, S. 229. 44 Daß ein erheblich größeres Investitionsvolumen im Untersuchungszeitraum von der Finanzierungsseite her möglich gewesen wäre, ist angesichts der hohen Geldvermögensbestände im Unternehmenssektor (Finanzinvestitionen statt Investitionen in Anlagen) unbestritten. Vgl. SVR, Jahresgutachten 1979/80, S. 268, sowie: o. V., Zur Diskussion um die Staatsverschuldung, in: WSI-Mitteilungen 9/1980, S. 494-498. 45 Der SVR schreibt: .,Die Gewinne waren ... den Arbeitnehmereinkommen weit vorausgeeilt .. .", Jahresgutachten 1975, S. 42. Die bereinigte Lohnquote war von 1967 bis 1969 um ca. 2 % zurückgegangen. SVR, Jahresgutachten 1975, S. 66. 46 Der positive Außenbeitrag erreichte in den Jahren 1967-69 vorher nie gekannte Höhen. (Vgl. Tab. 7.) 47 Es ist letztlich unerheblich, ob man den Zustand der Unterauslastung von Kapazitäten als Ergebnis vorangegangener Überproduktion, oder als Resultat aktueller Unterkonsumtion bezeichnet. Gerade im .,Wiederholungszwang" zur Herausbildung von Überkapazitäten und damit von einem Mißverhältnis zwischen Produktion und Verbrauch, scheint ja das Wesensmerkmal der Zyklizität privatwirtschaftlicher Systeme zu bestehen. Vgl. Preiser, E., Zur nichtmonetären überinvestitionstheorie, S. 81 ff.

38

2. Die Ursachen der Krise und der Massenarbeitslosigkeit

vorangegangenen Jahre und damit im Verlauf des traditionellen "cyclus-makers", den Bruttoanlageinvestitionen der Unternehmen, sowie in den durch sie hervorgerufenen, kumulativen Wirkungen. Bezüglich der zugrundeliegenden Investitionsfunktion kann dabei nach neueren Untersuchungen48 als gesichert gelten: -

Erweiterungsinvestitionen, d. h. solche, die Gewinnsteigerungen über die Mengenkomponente der Verkaufsprodukte und damit über die Umsatzseite erreichen sollen, sind von den Absatzerwartungen zentral determiniert48, wobei die relativen Preise von Kapital und Arbeit lediglich als Nebenbedingung wirksam werden. Damit sind Erweiterungsinvestitionen, sieht man einmal von autonomen Investitionen ab, eng mit der allgemeinen Konjunktur- und Wachstumsentwicklung und somit auch mit der Nachfrageentwicklung verkoppelt, wodurch der Auslastungsgrad in der Krise eine bestimmende Funktion erhält.

-

Rationalisierungsinvestitionen50, d. h. solche, die Gewinnsteigerungen bei weitgehend konstantem Produktionsvolumen über Stückkostensenkungen (also über die Kostenseite) erreichen sollen, sind dagegen durch die tatsächlichen - technischen und arbeitsorganisatorischen-Rationalisierungsmöglichkeiten bestimmt, wobei hierje nach Entwicklungsstand von Technik und Arbeitsorganisationdie relativen Preise von Kapital und Arbeit eine größere Rolle als bei den Erweiterungsinvestitionen spielen. Die Koppelung von Rationalisierungsinvestitionen mit dem allgemeinen Konjunktur- und Wachstumsprozeß ist damit jedoch prinzipiell erheblich weniger eng als bei den Erweiterungsinvestitionen. Dies dürfte die Konzentration der Unternehmen auf Rationalisierungsinvestitionen gerade in der Krise (vgl. Schaubild 2) hinreichend erklären.

48 Hier sind vor allem die im IFO-Institut für die Industrie durchgeführten Untersuchungen zu nennen. Vgl. z. B.: Uhlmann, L., Bestimmungsgründe der Investitionsentscheidung in der Industrie, S. 3-61 und Gerstenberger, W., Absatz und Faktorpreise als Determinanten der Investitionsausgaben, S. 63211; beide Aufsätze in: IFO-Studien, 26. Jahrgang, 1-2/1980.- Zu den mehr psychologischen Faktoren als nicht unerheblichem Hintergrund der Investitionsentscheidungen vgl. z. B. Friedrich, W., u. a., Vertrauen in die Zukunft eine wichtige Voraussetzung für die private Investitionstätigkeit, in: IFOSchnelldienst, 30/1977, S.16-25. 4° In diesem Zusammenhang wäre es auch einmal interessant zu untersuchen, inwieweit einzelwirtschaftlich der professionelle Optimismus der Marketing-Leute auf dem Wege über allzu ambitiöse Verkaufsprognosen die Herausbildung von Überkapazitäten beeinflußt. 50 Ersatzinvestitionen haben in der Regel auch einen Rationalisierungseffekt und können deshalb mit diesen zusammengeiaßt werden.

2.3. Die konjunkturellen Ursachen

39

Die deutliche Unterauslastung des gesamten und des Produktionspotentials im verarbeitenden Gewerbe während des vollen Untersuchungszeitraums (vgl. Tab. 4) erklärt vor dem Hintergrund der oben behandelten langfristigen Stagnationsfaktoren den Rückgang der Erweiterungsinvestitionen in der Industrie (vgl. ebenfalls Schaubild 2) hinreichend. Vor allem dieser Rückgang der Erweiterungsinvestitionen dürfte damit für das erheblich reduzierte gesamte Niveau der Bruttoanlageinvestitionen im Untersuchungszeitraum (vgl. Tab. 8) verantwortlich sein. Im Hinblick auf den Beschäftigungsgrad ist jedoch nicht nur das absolute Niveau der Investitionen, sondern auch ihre bereits erwähnte Struktur von Bedeutung. Zumindest mittelfristig sind die Erweiterungsinvestitionen die eigentlich arbeitsplatzschaffenden Investitionen~•. Je größer also der Anteil der Rationalisierungs- und Ersatzinvestitionen an den gesamten Investitionen ist, desto geringer ist tendenziell der Beschäftigungseffekt. In Schaubild 2 wird für die Industrie nicht nur der absolute, sondern auch der relative Rückgang der Erweiterungsinvestitionen im Untersuchungszeitraum deutlichu. Auch aus dem deutlich reduzierten Wachstum des Produktionspotentials (vgl. Tab. 4 und 8) läßt sich tendenziell diese beschäftigungsmäßig ungünstige Verschiebung der Investitionsstruktur ersehen53• Diese veränderte Investitionsstruktur hat die alte, von D. Ricardo im frühen 19. Jahrhundert erstmals aufgebrachte und durch den Wachstumsprozeß nach dem 2. Weltkrieg lange Zeit in Vergessenheit 51 Das gilt streng genommen nur für jenen Teil der Erweiterungsinvestitionen, der nicht zu Verdrängungseffekten bei bereits bestehenden Unternehmen führt. Soweit es zu Verdrängungseffekten kommt, fällt ein Beschäftigungseffekt lediglich in der die betreffenden Investitionsgüter herstellenden Branche an. 52 Zur Struktur der Investitionen im gesamten Unternehmensbereich liegen m. W. keine Untersuchungen vor. Daß dort eine der Industrie in der Tendenz analoge Entwicklung vorliegt, kann jedoch plausibel aus dem deutlich reduzierten Wachstum des Produktionspotentials sowie aus dessen Unterauslastung im Untersuchungszeitraum geschlossen werden. (Vgl. Tab. 8.) 53 Kraß ist der trendmäßige Wachstumsrückgang des Produktionspotentials im verarbeitenden Gewerbe bereits seit ca. 1965: während die durchschnittliche jährliche Veränderung zwischen 1960 und 1965 noch 6,6% betrug, sank sie im Zeitraum 1970-1975 auf 3,0% und 1975 bis 1978 auf 0,7 % ab. Vgl. o. V., Entwicklung des Produktionspotentials im verarbeitenden Gewerbe der Bundesrepublik seit 1960, in: DIW-Wochenbericht 25/1980, S. 280. Dieser Zusammenhang kann auch gezeigt werden im rapiden Anstieg der Re-Investitionen an den Bruttoanlageinvestitionen. Dieser Anteil betrug 1960 knapp 21 % und 1970 über 70 %. Ebd., S. 279.

40

2. Die Ursachen der Krise und der Massenarbeitslosigkeit

geratene Diskussion um die beschäftigungsmäßigen Folgen der technologischen und arbeitsorganisatorischen Veränderungen neu belebt54 • Schaubild 2

Struktur der Investitionen in der verarbeitenden Industrie z

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0

Gerstenberger, w., Investitionen und Beschäftigungsentwlcklung, in: IFOSchnelldlenst, 18-19/1978, S. 61

Quelle:

Bei einem Freisetzungseffekt von 8,8 Mio. Erwerbstätigen zwischen 1968 und 1977 infolge der Steigerung der Arbeitsproduktivität55 ist die nach wie vor prinzipiell positive58, wenn auch zunehmend kritischer 54 Selbst ein im Hinblick auf die künftigen Wachstumsaussichten relativ optimistischer Wissenschaftler wie G. Bornbach spricht in diesem Zusammenhang von einer "Tendenz zur Übersteuerung" und von "überrationalisierung", in: ders., Lernprozesse sind unvermeidlich, in: Wirtschaftswoche vom 23. 12. 1976, S. 80. 61 Dies ist mangels entsprechender Daten - Ergebnis einer hypothetischen Modellrechnung. Vgl. Uhlmann, L., Freisetzung: Ein Denkmodell wurde Wirklichkeit, in: IFO-Schnelldienst, 36/1978, S. 7. fi& So etwa R. Henschel, Leiter der Abteilung Wirtschaftspolitik beim DGBBundesvorstand: "Die Steigerung des technischen Fortschritts ist daher

2.3. Die konjunkturellen Ursachen

41

werdende Einstellung der Gewerkschaften57 zu den Auswirkungen der Rationalisierungsinvestitionen verwunderlich, vielleicht Ausdruck einer gewissen Ratlosigkeit in einer ökonomischen Umbruchphase58• Im Hinblick auf den Beschäftigungsgrad sind jedoch nicht nur das Niveau der Investitionen und ihre Struktur, sondern sind auch die Kapitalintensität und das Arbeitsplatzpotential von Bedeutung. Steigende Kapitalintensität führt bei real gleichbleibendem Investitionsvolumen zu einem Weniger an Arbeitsplätzen. Wie Tab. 8 zeigt, ist die Kapitalintensität im Untersuchungszeitraum bei gleichzeitig reduziertem Niveau der Investitionen kontinuierlich und erheblich angestiegen. Auch von daher ergibt sich also eine Tendenz zur Reduktion des Beschäftigungsgrades. Schließlich sind für das im Unternehmensbereich vorhandene Arbeitsplatzpotential nicht nur die Bruttoinvestitionen, sondern auch die je-

weiligen Abgänge von Anlagen zu berücksichtigen. Der Anteil der - in aller Regel zudem weniger kapitalintensiven - Abgänge von Anlagen an den Zugängen (Bruttoanlageinvestitionen) hat sich kontinuierlich, zwischen 1973 und 1978 jedoch drastisch erhöht59• Damit ist das insgesamt verfügbare Arbeitsplatzpotential erheblich gesunken80 und es dürfte damit jene Erscheinung deutlich werden, daß ein Großteil der im Abschwung zunächst freigewordenen Arbeitsplätze im Verlauf der Krise dauerhaft wegrationalisiert wird und im Aufschwung nicht mehr zur Verfügung steht61 (vgl. Schaubild 3 für die Industrie). grundsätzlich und unabhängig von möglichen Differenzen zum nachfragebedingten Produktionswachstum zu bejahen." In: ders., Arbeitslosigkeit, Folge einseitig quantitativ orientierter Wachstumspolitik, S. 211. Ein Grund für diese positive Einstellung mag darin liegen, daß bei Rationalisierungsinvestitionen zunächst auch positive Beschäftigungseffekte anfallen (in der Investitionsgüter produzierenden Industrie). Ein anderer Grund könnte darin bestehen, daß sich bei einem Teil der Investitionen die Rationalisierungsaspekte mit Erweiterungsaspekten schwer lösbar vermischen. fi 7 Der Arbeitskampf in der Druckindustrie vom Frühjahr 1978 dürfte in der Nachkriegszeit der erste bedeutendere Kampf der unselbständig Beschäftigten gewesen sein, der explizit um die Sicherung von Arbeitsplätzen geführt wurde. Demgegenüber haben Rationalisierungsschutzabkommen bisher eher eine Bedeutung für die Abmilderung der Rationalisierungsfolgen. 58 Zu den Konsequenzen der Rationalisierungswelle vgl. z. B. Marth, K., Technologische Entwicklungen und ihre Auswirkungen auf die Beschäftigung, in: WSI-Mitteilungen 8/1980, S. 426-436 und weitere Aufsätze dazu im selben Heft. fi9 Vgl. Arbeitsgruppe "Alternative Wirtschaftspolitik", Memorandum. Gegen konservative Formierung - Alternativen der Wirtschaftspolitik, Köln 1980, s. 122. 8o Vgl. SVR, Jahresgutachten 1976/77, S. 54. 81 Vgl. Ehrlicher, W., Strukturelle Fehlentwicklungen in der Wirtschaft der Bundesrepublik Deutschland, in: Kredit und Kapitall/1976, S. 9.

3,6

3,2

4,4

4,2

9,9

4,7

5,6

8,6

4,8

6,4

4,5

4,4

5,4

3,6

7,4

2,7

8,4

2,2

4,9

2,1

4,0

....

1,7

3,2

6,0

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1978

a) Vgl. Kopf, J., u . a. , Volkswirtschaftliche Baslsdaten, S. 188. - b) Die Kapitalintensität Ist dabei definiert als Kapitalstock je Erwerbstätigen (Im Jahresdurchschnitt). Vgl. ebd., S. 207. - c) Ebd., S. 37.

Veränderung gegenüber Vorjahr in Ofo •• •.........••..••••

Produktionspotentialc) 3,2

4,7

Kapitalintensitätb) Veränderung gegenüber Vorjahr in ·0/o . ................ . ..

10,9

5,5

1977

6,5

1976

-4,5

1975

- 13,2

1974

0,3

1973

150,6

1972

142,8

1971

134,0

1970

140,4

1969

116,6 129,3 143,0 154,2 161,1 161,6 3,5

-

Mrd. DM Veränderung gegenüber Vorjahr in Ofo •• • •••• • .. • •• • •.•••

......................

Bruttoanlageinvestitionena)

1968

Tabelle 8: Investitionen, Kapitalintensität und Produktionspotential - Gesamter Unternehmensbereich, auf Preisbasis 1970 -

i!:;

2.4. Zusammenfassung der Krisenursachen

43

Schaubild 3

...

M~l.

Arbeitsplatzentwicklung in der verarbeitenden Industrie

Personen

••• •.• ~-------r------~--------+--------+--------~------1 ••• ~------~------~--------~------~--------~------~

.. '

Zahl der Arbeitsplätze

'·' I,Z 1.0 7,1

7,

e

''

7,1 7,4 7.

7, 0

~~~~~~~~~ro~nnx~~n~

z

7. 0

Gerstenberger, W., Investitionen und Beschäftigungsentwicklung, ln: IFOSchnelldienst, 18-19/1978, S. 60

Quelle:

Zusammenfassend läßt sich sagen, daß die Unternehmensinvestitionen sowohl unter dem Aspekt ihres Niveaus und ihrer Struktur als auch hinsichtlich Kapitalintensität und Arbeitsplatzpotential die wohl zentrale zyklische Einflußgröße für den Zeitpunkt des Ausbruchs und für die Tiefe der Krise im Untersuchungszeitraum gewesen sind. 2.4. Zusammenfassung der Krisenursachen Die hier getroffene Unterscheidung zwischen langfristigen und zyklischen Krisenursachen läßt erkennen: die trendmäßigen Entwicklungslinien von Erwerbspersonenpotential, Bruttoinlandsprodukt, Arbeitsproduktivität und Arbeitszeit haben in der 2. Hälfte der 70er Jahre zur Herausbildung eines globalen Arbeitsplatzdefizits geführt. Dabei lag die Entwicklung seit 1974 weitgehend im Trend. Die Krise war (und ist) in Dauer und Tiefe insoweit primär auf die langfristigen Entwicklungsbedingungen zurückzuführen. Die Untersuchung der zyklischen Entwicklungsbedingungen zeigt, daß den Investitionen als dem traditionellen "cyclus-maker" auch in dieser Krise die entscheidende Rolle als Bestimmungsfaktor des Zeit-

44

2. Die Ursachen der Krise und der Massenarbeitslosigkeit

punkts für den Ausbruch der Krise sowie für ihre Schärfe besonders in den Jahren 1974/75 zufiel. Der private Verbrauch zeigte eine relativ kontinuierliche Entwicklung, wobei seine Konjunkturreagibilität jedoch angestiegen ist, was besonders im Jahre 1974 deutlich wurde. Der Außenbeitrag und die Komponente Staatsverbrauch/staatliche Anlageinvestitionen spielten als Verursachungsfaktoren des Ausbruchs der Krise keine Rolle. 2.5. Exkurs zur Erklärung der Arbeitslosigkeit sowie zur Strategieempfehlung des Sachverständigenrates 2.5.1. Vorbemerkungen

Im folgenden werden in Form eines Exkurses die Ursachenanalyse des SVR und seine strategischen Überlegungen zur Überwindung der Krise untersucht. Die in gesetzlichem Auftrag die gesamtwirtschaftliche Situation und Entwicklung analysierende und beurteilende Wissenschaftlergruppe fühlt sich in ihrer Konjunkturerklärung und vielfach auch in ihren wirtschaftspolitischen Empfehlungen seit ca. 1974 in zunehmendem und erheblichem Umfang neoklassischen Positionen verpflichtet82 und stärkt damit - z. T. in pointierter Form - jene Richtung innerhalb der Wirtschaftswissenschaften, die im Zusammenhang mit den gestiegenen Inflationsraten seit ca. 10 Jahren erheblich an Bedeutung gewonnen hat. Insoweit hat dieser Exkurs auch unabhängig vom SVR als praktischwirtschaftspolitisch einflußreichem Beratungsgremium hinaus Gewicht. 2.5.2. Darstellung der Sicht des SVR

Nach Ansicht des SVR liegt die zentrale Ursache der Arbeitslosigkeit in einem zu hohen Lohnniveau. In den Worten des SVR stellt sich der Ablauf so dar: -

Den Gewerkschaften sei es seit 1969/70 gelungen, Lohnsteigerungen durchzusetzen, "die weit über den in der Wirtschaft erzielbaren Produktivitätsfortschritt hinausgingen" 83•

-

Die Unternehmen versuchten, "sich des zunehmenden Kostendrucks durch Preiserhöhungen zu erwehren" 84•

82 Vgl. Küchle, H., Zur Konjunkturtheorie des Sachverständigenrates, in: WSI-Mitteilungen, 7/1979, bes. S. 388 ff. 83 SVR, Jahresgutachten 1975, S. 41. 84 Ebd., S. 42.

2.5. Exkurs zur Position des Sachverständigenrates

45

·-- "Daß die Abwehrversuche der Unternehmen nicht voll gelangen, ... brachte ... zunehmende Beschäftigungsrisiken, auch wenn diese zunächst nicht sichtbar wurden65." -

"So hoch die Preissteigerungen für sich genommen auch waren, sie verhinderten nicht, daß sich die Erträge der Unternehmen mehr und mehr verschlechterten88."

-

"Je mehr die Gewinnmargen schrumpften, ... um so geringer wurde die Investitionsneigung87."

-

"Der Rückgang der Investitionsneigung . . . schuf damit doppelte Beschäftigungsrisiken: kurzfristige, weil Nachfrage ausfiel, und mittelfristige, weil weniger neue Arbeitsplätze geschaffen wurden68."

Oder zusammenfassend: Treiben "die Arbeitnehmer und ihre Organisationen ... das Lohnniveau zu hoch, (bekommen sie) die Haftungsfolge ,Unterbeschäftigung' .. . zu spüren ... " 89 • Denn die Unternehmen "lassen . . . sich ohne großen Widerstand ihre Erträge zugunsten der Löhne kürzen und schränken alsdann unter Klagen ihre Investitionen ein ..." 70 • Aus solcher Ursachenanalyse folgt konsequent die Therapieempfehlung: -

Vollbeschäftigung könne nur erreicht werden, "wenn erwartet werden kann, daß diejenigen, die arbeiten wollen, für ihre Arbeit nicht mehr verlangen, als das Ergebnis dieser Arbeit ... am Markt wert ist" 71 •

-

"Was das Investitionskalkül auch immer belasten mag, es gibt jeweils ein Lohnniveau, bei dem keine Angebotsprobleme, die aus anderen Gründen bestehen mögen, so stark zu Buche schlagen, daß Vollbeschäftigung unmöglich würde72."

-

Der Ansatz des SVR zur Krisenüberwindung: "Was fehlt, ist nicht ein Mehr an Nachfrage, sondern ein Mehr an Produktion73. " Denn die Angebotsseite sei "die autonome Ursache des Beschäftigungsproblems .. .'174• 65 68

87 68 89 70 71 72

1a 74

Ebd., S. 41. Ebd., S. 42. Ebd., S. 43. Ebd. Ebd., S. 130. Ebd. Ebd., S. 128. SVR, Jahresgutachten 1977/78, 8.138. Ebd., Vorwort, S. II. Ebd., S.l27.

46

2. Die Ursachen der Krise und der Massenarbeitslosigkeit

-

Die Lohnpolitik habe die "Hauptverantwortung für den Beschäftigungsgrad ;'

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""' ~

136

4. Beschäftigungspolitik in den Jahren 1974-1978

variationen), deren Nutzung die rein rechnerischen Beschäftigungswirkungen erheblich reduzieren können und im Untersuchungszeitraum auch reduziert haben237 • Die Daten der Tab. 16 lassen erkennen, daß bei den in den Jahren 1974---1978 durchgeführten konjunktur-, beschäftigungs- und wachstumspolitischen Maßnahmen keineswegs die im allgemeinen beschäftigungspolitisch sicherer und stärker wirkenden staatlichen Ausgabenprogramme dominierten, sondern daß das Schwergewicht auf den primär steuerpolitischen Entlastungsmaßnahmen des privaten Sektors lag: die Mindereinnahmen aufgrund von konjunktur- und wachstumspolitischen Maßnahmen beliefen sich mit 25,7 Mrd. DM auf annähernd das Doppelte der entsprechenden Maßnahmen auf der Ausgabenseite (14,2 Mrd. DM). Der eindeutige Schwerpunkt der Beschäftigungspolitik im Untersuchungszeitraum lag damit bei dem Versuch, den Beschäftigungsgrad indirekt, also über die Förderung der Investitionen und des privaten Verbrauchs zu erhöhen bzw. zumindest zu stabilisieren. Angesichts unterausgelasteter Sachkapazitäten und angesichts eines Mangels an ausstrahlenden Produktinnovationen und damit zusammenhängend-infolge von Sättigungserscheinungen beim privaten Verbrauch, blieb dieser Strategie der Erfolg weitgehend versagt. Verschärfend kam hinzu, daß sich der Trend der infolge von Rationalisierungsinvestitionen erhöhten Arbeitsproduktivität unvermindert fortsetzte und daß der in der Nachkriegszeit der BRD schon traditionelle Konjunkturmotor, der Außenhandel, mit der Einführung flexibler Wechselkurse als "Beschäftigungsmotor" zunehmend ausfiel. Das Niveau der Beschäftigung wurde im Untersuchungszeitraum durch die Finanzpolitik also allenfalls geringfügig gestützt238, in den Jahren 1976/77 wurde die Arbeitslosigkeit sogar verschärft. Auch die Struktur der Arbeitslosigkeit, gemessen am Anteil der "Problemgruppen" an der Gesamtarbeitslosigkeit verbesserte sich nicht nur nicht, sondern erfuhr als Folge der in der Krise verschärften per237 Die Nicht-Berücksichtigung derartiger Ausweichmechanismen und damit die Unterstellung reiner Mengenreaktionen der Unternehmen (Produktion und Beschäftigung) nennt Hickel zu Recht "Transmissionsnaivität". 238 Dagegen der Bundesminister der Finanzen, H. Matthöfer: "Die Bundesregierung ist in der Vergangenheit ihrer Verantwortung für die Belebung der Konjunktur, für die Wiedererreichung und langfristige Sicherung der Vollbeschäftigung, für die Oberwindung struktureller Krisen und die Bewältigung von Umstellungsprozessen und für die Schaffung zukunftsgerichteter Wachstumsimpulse gerecht geworden." Ders., Die gesamtwirtschaftliche Rolle der Finanzpolitik, in: Bulletin der Bundesregierung vom 3. 5.1978, S. 393. Für eine solche Aussage wäre zumindest die Andeutung eines Beweises wünschenswert.

4.4. Die konjunktur-und beschäftigungspolitischen Einzelmaßnahmen

137

sonalpolitischen Selektionskriterien der Unternehmen eine weitere Verschlechterung (vgl. Tab. 9 und 10). Die durchgeführten "problemspezifischen" Maßnahmen (speziell für Jugendliche und längerfristig Arbeitslose), für die im übrigen auch Effizienzkontrollen fehlen, dürften vor allem Mitnahmeeffekte ausgelöst haben. Die Ungleichverteilung des Arbeitslosigkeitsrisikos hat sich zwischen 1974 und 1978 verschärft. Die staatlichen Ausgaben für Forschung und Technologie, die zwischen 1962 und 1978 mit einer durchschnittlichen Zuwachsrate von 11 °/q (in jeweiligen Preisen) anstiegen238, konnten im Rahmen dieser Arbeit hinsichtlich ihrer Wirkungen auf Arbeitsproduktivität und Beschäftigung nicht untersucht werden. Immerhin drängt sich angesichts des langfristigen Trends zur Erhöhung des Anteils von Rationalisierungsinnovationen an den Gesamtinnovationenuo die Vermutung auf, daß die Förderung von Forschung und Entwicklung primär eine Förderung von Rationalisierungsinnovationen und in deren Folge von Rationalisierungsinvestitionen darstellt. Dies dürfte für die Technologiepolitik insgesamt241 und besonders auch für den Bereich der Elektronik zutreffen: angesichts der kurzund mittelfristigen Bedrohung von mindestens 10 Mio. Arbeitsplätzen allein durch Rationalisierungsinvestitionen im Bereich der Elektronik242 ist die Nicht-Existenz einer arbeitsmarktmäßigen "Erfolgskontrolle" der massiven staatlichen Forschungs- und Entwicklungsförderung in den Bereichen Datenverarbeitung, Nachrichtentechnik und Elektronik in der zweiten Hälfte der 70er Jahre243 ein beschäftigungspolitischer Skandal. Bei dieser öffentlichen Subventionierung von Rationalisierungsinvestitionen handelt es sich offenbar um einen jener über die Aufrechterhaltung der Wettbewerbsfähigkeit auf den Weltmärkten vermittelten und legitimierten "Sachzwänge", dessen Auswirkungen einerseits die Kapitalrentabilität steigert und andererseits - zumindest unter den geltenden Bedingungen reduzierten Wachstums - die Arbeitslosigkeit erhöht. 238 Bruder, W. und Ende, W., Forschungs- und Technologiepolitik in der Bundesrepublik Deutschland, S. 8. 240 Vgl. Kalmbach, P., Beschäftigungssicherung durch "Modernisierung der Wirtschaft"?, S. 395. 241 Vgl. ebd., S. 396 f. 242 Vgl. Gesprächskreis Modernisierung der Volkswirtschaft beim Bundesminister für Forschung und Technologie - Elektronik, Produktivität, Arbeitsmarkt (Diskussionsergebnis), Bonn 1979, Anlage 1. m In den Jahren 1974-1979 gab der Bund in diesen Bereichen 2,8 Mrd. DM aus. Vgl. Bundesministerium für Forschung und Technologie, Bundesforschungsbericht V, Bonn 1979.

138

4. Beschäftigungspolitik in den Jahren 1974-1978

Eine m. W. noch ausstehende - Analyse der Technologiepolitik unter beschäftigungspolitischem Aspekt würde für den Untersuchungszeitraum mit hoher Wahrscheinlichkeit arbeitsmarktmäßig negative Resultate erbringen. Beschäftigungspolitisch positiv zu beurteilen sind dagegen die in den Jahren 1974-1978 getroffenen Entscheidungen zur Arbeitszeitreduktion (vgl. unten, Abschnitt 4.4.6.4.). Dabei fiel jedoch nur ein Teil dieser Beschlüsse in den staatlichen Verantwortungsbereich, der andere Teil ging auf das Konto der Tarifparteien. Die staatlichen Maßnahmen bezogen sich vor allem auf die altersmäßigen Randgruppen des Arbeitsmarktes (Jugendliche und ältere Arbeitskräfte), es gab keine Ansätze einer beschäftigungspolitisch motivierten Forcierung der Arbeitszeitverkürzung in den altersmäßigen Kernbereichen des Arbeitsmarktes. Damit blieb trotz des weit verbreiteten Bedürfnisses nach Arbeitszeitverkürzung eine zentrale beschäftigungspolitische Variable weitgehend ungenutzt. Die Geldpolitik hatte im Untersuchungszeitraum einen beschäftigungspolitisch weitgehend neutralen Charakter44• Die insgesamt überwiegend negative Beurteilung, die die Beschäftigungspolitik in den Jahren 1974-1978 erfahren muß245 , ist ohne die massive Verbreitung neoklassischer Erklärungsmuster der Krise und vor allem ohne die- zumindest vordergründige- Unberührtheit und Stabilität der großen politischen und ökonomischen Institutionen nicht verständlich. Konnte der in den Jahren 1976/77 vollzogene, restriktive wirtschaftspolitische Kurswechsel anfangs noch mit einer gewissen Hoffnung auf einen baldigen Aufschwung traditionellen Ausmaßes begründet werden, so gilt das für die im Jahre 1978 betriebene, mittelfristig orientierte Verstetigungspolitik nicht mehr. Spätestens seit diesem Zeitpunkt existiert eine beschäftigungspolitisch orientierte Konjunktur- und Wachstumspolitik im Sinne des Stabilitätsgesetzes nicht mehr. Der dadurch zum Ausdruck kommende wirtschaftspolitische Konzeptionswandel traf offenbar auf ein in nicht unbeträchtlichem Ausmaß verbreitetes gesellschaftliches Bedürfnis nach wieder wachsender sozialer Ausdifferenzierung. Dies dürfte insbesondere für große Teile der - wahlentscheidenden und mit sicheren Arbeitsplätzen ausgestatteten - Mittelschichten zutreffen, denen aufgrund ihrer Möglichkeit, Ersparnisse zu bilden, eine Antiinflationspolitik stärker nützt als den unteren Einkommensschichten, die mehr auf eine Vollbeschäftigungspolitik angewiesen sind. 244 Vgl. Pohl, R., Geldpolitik in der Krise: 1974-1978, in: Simmert, D. (Hg.), Wirtschaftspolitik - kontrovers, Köln 1980, S. 402 ff. 245 Zu ähnlichen Resultaten kommt Vesper, D., Versäumnisse der Finanzpolitik - Zukunftsorientierung tut not, ebd., S. 302-334.

4.4. Die konjunktur-und beschäftigungspolitischen Einzelmaßnahmen

139

Zusammen mit der resignierten Ratlosigkeit großer Teile der unselbständig Beschäftigten und der Gewerkschaften dürften hier die wichtigsten Gründe dafür liegen, daß die nun schon sieben Jahre währende Massenarbeitslosigkeit für eine sozialdemokratisch geführte Bundesregierung bisher politisch folgenlos geblieben ist. 4.4.6. Sonstige Maßnahmenbereiche von beschäftigungspolitischer Relevanz

4.4.6.1. Vorbemerkung Abschließend erfolgt eine kurze Darstellung der wichtigsten Maßnahmen und Ergebnisse in den Bereichen der Einstellungspolitik im öffentlichen Dienst, der Ausländerbeschäftigung und der Arbeitszeitverkürzung. Die Maßnahmen in diesen Bereichen waren z. T. nicht primär beschäftigungspolitisch motiviert, sie spielen jedoch für die Gesamteinschätzung der Beschäftigungspolitik im Untersuchungszeitraum eine nicht unerhebliche Rolle. 4.4.6.2. Beschäftigungsentwicklung im öffentlichen Dienst Legt man die Anzahl der Vollbeschäftigten im unmittelbaren öffentlichen Dienst246 zugrunde, so waren im Untersuchungszeitraum knapp 14 Ofo aller Erwerbstätigen beim Staat beschäftigt!47 • Während zwischen 1960 und 1973 die Anzahl der Erwerbstätigen im gesamten Unternehmensbereich um gut 2 °/o abnahm!48, betrug die Zunahme des so definierten Personalbestandes des Staates im seihen Zeitraum 28 °/o (vgl. Tab. 17). Als Ursachen dieses starken Personalzuwachses sind u. a. zu nennen249: die gewachsene Bevölkerungsverdichtung (Bevölkerungsvermehrung, Urbanisierung), Verschiebungen zwischen den Lebensphasen (u. a. Verlängerung der Kindheits- und Jugendphase durch Veränderungen im Ausbildungssystem), Auflösung traditioneller Familienstrukturen (Trend zum Ein-Personen-Haushalt), Interdependenz zwischen der "Automatik" des Wachstums bürokratischer Organisationen und den gestiegenen Erwartungen der "Kunden". 248 Zum unmittelbaren öffentlichen Dienst zählt das Personal der Verwaltung von Bund, Ländern und Gemeinden, der rechtlich unselbständigen Wirtschaftsunternehmen sowie der Bundesbahn und der Bundespost. 247 Zur Gesamtzahl der Erwerbstätigen vgl. Tab. 5. 248 Vgl. Kopf, J., u. a., Volkswirtschaftliche Basisdaten, S. 391. 249 Vgl. Ellwein, T., Die bisherige Erweiterung des öffentlichen Dienstes und ihre Probleme, in: Politische Vierteljahresschrift 3/1978, bes. S. 421 ff.

4. Beschäftigungspolitik in den Jahren 1974--1978

140

Tabelle 17

Beschäftigte im unmittelbaren öffentlichen Dienst - In Mio. Personen -

Vollbeschäftigte ............. .

1960

1973

1974

1975

1976

1977 1978

2,64

3,38

3,42

3,49

3,49

3,48

3,53

0,33

0,34

0,51

0,51

0,44

Teilzeitbeschäftigte

Que!!e: Statistisches Bundesamt (Hg.), Statistisches Jahrbuch für die Bundesrepubllk Deutschland, Jahrgänge 1961 und 1974- 79, Abschnitt Personal der öffentlichen Haushalte; Personalbestände jeweils per Stichtag 2. 10. (1960, 1973) bzw. 30. 6. (1974 -78); Daten für Teilzeitbeschäftigte der Jahre 1960 und 1973 nicht vorhanden.

Tabelle 18

Vollbeschäftigte bei den Gebietskörperschaften - In Mio. Personen 1960 1972

1974 1975

1976

1977 1978

Gebietskörperschaften insgesamt ..................

1,78

2,50

2,55

2,61

2,64

2,66

2,72

-Bund

0,20

0,30

0,30

0,30

0,30

0,32

0,32

0,95

1,33

1,43

1,46

1,49

1,50

1,53

0,64

0,80

0,83

0,85

0,85

0,85

0,87



-Länder

0

..

~

••



0

0

-Gemeinden Que!!e:

•••••••••••

•••



•••••

••••

••

0

••

•••

••





••••

0

•••

Wie Tabelle 17.

Betrachtet man lediglich die Entwicklung bei den Gebietskörperschaften, den eigentlichen Trägern des konjunkturpolitischen Auftrags, so zeigt sich, daß der Personalbestand dort zwischen 1960 und 1972 sogar um 40 °/o zunahm, um dann im Untersuchungszeitraum - ebenso wie der Personalbestand im unmittelbaren öffentlichen Dienst insgesamt- weitgehend zu stagnieren250 • (Vgl. Tab. 18.) 250 Dabei ist die Personalzunahme beim Bund fast vollstä ndig durch eine veränderte statistische Abgrenzung erklärbar: seit 1977 wird der Bundesgrenzschutz, der vorher nicht zu den Gebietskörperschaften zählte, beim Bund mit ausgewiesen.

4.4. Die konjunktur-und beschäftigungspolitischen Einzelmaßnahmen

141

Ähnlich wie bei der Gestaltung der Staatshaushalte und bei den konjunktur- und beschäftigungspolitischen Einzelmaßnahmen zeigt sich auch beim Personalbestand, wenn auch in etwas schwächerer Form, daß in den Jahren 1976/77 eine besonders restriktive Politik betrieben wurde251 • Der Bereich des öffentlichen Dienstes, der stärker als etwa die staatlichen Sach- und Investitionsaufwendungen ins Zentrum der weitverbreiteten Kritik an Funktion und Umfang der Staatstätigkeit geraten ist, blieb damit beschäftigungspolitisch fast völlig ungenutzt. Der insgesamt sehr geringfügige Personalzuwachs bei den Gebietskörperschaften zwischen 1974 und 1978 konzentrierte sich auf zwei Bereiche: auf den Bereich von "Bildungswesen, Wissenschaft, Forschung, kulturelle Angelegenheiten" und auf den Bereich "Öffentliche Sicherheit und Ordnung" (vgl. Tab. 19). Tabelle 19

Vollbeschäftigte der Gebietskörperschaften insgesamt nach ausgewählten Aufgabenbereichen

-In 1000 Personen-

Aufgabenbereiche

1974

1978

Veränderung in%

Bildungswesen, Wissenschaft, Forschung, kulturelle Angelegenheiten ..................... .

726,8

804,2

+ 10,6

Öffentliche Sicherheit und Ordnung ............. . ..... .

232,1

277,2

+ 19,4

Quelle: Wie Tabelle 17; eigene Berechnungen.

Der Sektor "Öffentliche Sicherheit und Ordnung", der vor allem die Polizei (Anteil 1974: 72 °/o) und den Feuerschutz enthält, wies im Vergleich zum Bereich "Bildungswesen, Wissenschaft, Forschung, kulturelle Angelegenheiten" eine fast doppelt so hohe Personalzuwachsrate auf, die sich fast vollständig als Personalbestandsvermehrung bei der Polizei niedergeschlagen haben dürfte252 • 251 Stellenstreichungen und Einstellungsstopps sind seitdem bei den Gebietskörperschaften an der Tagesordnung. Vgl. SVR, Jahresgutachten 1975, S. 98. In diesem Bereich besteht ein Defizit an empirischen Untersuchungen über solche Prozesse. 252 Vom Statistischen Jahrbuch 1976 an wird der Bereich "Öffentliche Sicherheit und Ordnung" nicht mehr aufgegliedert. Man kann wohl davon ausgehen, daß der Personalbestand beim Feuerschutz im Untersuchungszeitraum weitgehend stabil geblieben ist.

142

4. Beschäftigungspolitik in den Jahren 1974-1978

Die weitgehende Stagnation der Beschäftigung im öffentlichen Dienst trifft die Berufsgruppen in unterschiedlichem Ausmaß. Besonders dramatische Entwicklungen sind bei der Gruppe der Hochschulabsolventen (inkl. Fachhochschulabsolventen) seit ca. 1977/78 bereits in vollem Gange. Die Akademikerquote253 beim Staat lag im Jahr 1970 beim 4,5fachen der entsprechenden Quote in den Wirtschaftsbereichen insgesamt254 , ca. zwei Drittel der Berufsfelder der Hochschulabsolventen liegen traditionell im öffentlichen Sektorm und seit 1977/78 verlassen jährlich ca. 100 000 bis 120 000 Absolventen die Hochschulen und Fachhochschulen25e. Nur ca. ein Drittel der Hochschulabsolventen wird bei fortdauernder Stagnation der Personalentwicklung im öffentlichen Dienst einen der Ausbildung adäquaten Arbeitsplatz finden können257• Die Betroffenen sind jedoch keineswegs nur die Hochschulabsolventen, denn diese sehen sich individuell gezwungen, ihre Arbeitskraft unter Qualifikation anzubieten und sie reihen sich damit in die Thurow'sche "Arbeitskräfteschlange" ein, wodurch ein Verdrängungsprozeß entsteht, der die ohnehin vorhandenen Tendenzen zur Produktion von an den Rand der Gesellschaft gedrängten Gruppen noch kumulativ verschärft258 • Das beschäftigungspolitische Ungenutztlassen des öffentlichen Dienstes offenbart besonders drastisch die Irrationalität und den Grad der Ideologisierung in der ökonomischen und politischen Auseinandersetzung um das Ausmaß der Staatstätigkeit, denn: -

Ein Bedarf an zusätzlichen öffentlichen Dienstleistungen, etwa im Bildungssektor, im Sozialbereich, beim Rechtsschutz, in der Finanzund Steuerverwaltung und in der Psychiatrie ist vorhanden259.

253 Anteil der erwerbstätigen Hochschulabsolventen an der Gesamtzahl der Erwerbstätigen. 254 Tofaute, H., Ausgewählte Daten zur Struktur und Entwicklung des öffentlichen Dienstes, S. 74. 255 Grottian, P., Hochschulabsolventen: qualifizierter Schrott?, S. 109. 25G Ebd., Grottian weist darauf hin (ebd., S.111, 119), daß selbst diese düsteren Perspektiven die traditionell besonders mobilisierungsfähige Gruppe der Studenten bisher nicht zu arbeitsmarktpolitischer Aktivität veranlaßt hat. 257 Vgl. ebd. 258 Der Staat hat im übrigen, ebenso wie der private Sektor, seit Ausbruch der Massenarbeitslosigkeit seine Selektionskriterien bei Neueinsteilungen verschärft (so etwa in bezug auf die geforderte Examensnote bei Hochschulabsolventen). Oder: nach dem Schwerbehindertengesetz müssen u . a. auch die Bundesländer auf 6 % ihrer Arbeitsplätze Schwerbehinderte beschäftigen. Baden-Württemberg erreichte per 31. 12. 1979 jedoch nur eine Quote von 3,8 % und zahlte dafür lieber die Ausgleichsabgabe in Höhe von knapp 6 Mio. DM - aus Steuermitteln - versteht sich. Vgl. o. V., Land hat für über 5000 Behinderte keine Stelle, in: Badische Zeitung vom 20. 8. 1980.

4.4. Die konjunktur-und beschäftigungspolitischen Einzelmaßnahmen

143

-

Selbst dort, wo ein Zusatzbedarf strittig oder nicht vorhanden ist, kann durch die Nutzung des verbreiteten Bedürfnisses nach Arbeitszeitverkürzung zusätzliche Beschäftigung geschaffen werden260 •

-

Im Vergleich zu anderen Verwendungszwecken von Staatsausgaben, z. B. für globale Konjunkturprogramme, hat der Einsatz von Mitteln für zusätzliche Arbeitskräfte im öffentlichen Dienst eine beschäftigungspolitisch erheblich größere und vor allem sichere Wirkung261.

-

Die Beschäftigung eines bisher Arbeitslosen im öffentlichen Dienst hat einen Selbstfinanzierungseffekt (Minderausgaben und Mehreinnahmen des Staates im Vergleich zur Arbeitslosigkeit) in Höhe von "mindestens drei Viertel des Einkommens" 262 •

Angesichts dieser Faktoren wird die "Erklärung" der Stagnation des Personalbestandes im öffentlichen Dienst durch die Finanzkrise, durch die Nichtexistenz von Bedarf an öffentlichen Diensten oder gar durch die lrreversibilität einer Ausweitung des Staatssektors263 mehr als brüchig. Für die Verhärtung der Fronten in der politischen Auseinandersetzung in diesem Bereich dürften vor allem ideologische und sozialpsychologische Gründe maßgebend sein: -

Die erreichte Deutungsmacht der ökonomischen Situation durch die Neoklassik und ihre Anhängerschaft im politischen und im Bereich der Massenmedien.

259 Vgl. etwa: o. V., Zur Beschäftigungssituation im öffentlichen Dienst, in: DIW-Wochenbericht 28/1977, bes. S. 244ff., sowie: Rürup, B., Plädoyer für eine expansive Personalpolitik des Staates zur Wiedergewinnung der Vollbeschäftigung, S. 445-448. Die Gewerkschaft Erziehung und Wissenschaft hat einen Fehlbestand von 150 000 Lehrern ermittelt, wenn in der BRD die Norm der Lehrerausstattung in der EG erreicht werden soll. Vgl. o. V., GEW: 150 000 Lehrer fehlen, in: Badische Zeitung vom 30. 1.1981. 230 Die tatsächliche Zunahme der Teilzeitbeschäftigten im unmittelbaren öffentlichen Dienst (vgl. Tab. 17) dürfte - wegen der administrativen Beschränkung der Teilzeitarbeit - weit hinter den potentiellen Beschäftigungswirkungen bei Realisierung der individuell gewünschten Arbeitszeitreduktion zurückbleiben. 281 Vgl. Schäfer, C., Mögliche und tatsächliche Beschäftigungseffekte öffentlicher Ausgabenpolitik, S. 352 ff. P. Grottian macht zur zusätzlichen Beschäftigung von Akademikern im öffentlichen Dienst durch Umverteilung der Personalausgaben des Staates einen bemerkenswerten Finanzierungsvorschlag; allerdings dürfte die Realisierung derartiger Vorschläge angesichts der Sperrminorität der Beamten im Parlament auf nicht geringe Widerstände stoßen. Ders., Hochschulabsolventen: qualifizierter Schrott?, S.114 ff. 282 Bundesanstalt für Arbeit (J. Kühl u. a), Überlegungen II zu einer vorausschauenden Arbeitsmarktpolitik, S. 76, sowie die dort angegebene Literatur. 213 Der Reversibilität einer zusätzlichen Beschäftigung im öffentlichen Dienst dürften keinerlei schwerwiegende politische Hindernisse im Wege stehen.

144

-

4. Beschäftigungspolitik in den Jahren 1974--1978

Damit zusammenhängend: die gewachsene Gleichgültigkeit großer Teile des materiell satten, der "Verelendung durch Konsum" (W. Hofmann) unterworfenen Mittelstandes gegenüber zunehmender sozialer Ungleichheit26' und das verbreitete, nicht zuletzt aus Angst vor eigener Arbeitslosigkeit geborene aggressive Bedürfnis der Arbeitsplatzbesitzer nach Abgrenzung gegenüber den Arbeitslosen und nach deren Stigmatisierung und somit nach zunehmender Ausdifferenzierung der Gesellschaft.

Auch wenn durch die Ausweitung des Personalbestandes im öffentlichen Dienst, angesichts des immerhin begrenzten Bedarfs an zusätzlichen öffentlichen Dienstleistungen, die vorhandene Massenarbeitslosigkeit zweifellos nicht beseitigt werden kann, liegen in diesem Bereich im Sinne von durchaus erheblichen flankierenden Maßnahmen doch bisher weitgehend ungenutzte Möglichkeiten.

4.4.6.3. Arbeitsmarktpolitische Maßnahmen gegenüber Ausländern Lange bevor die Bundesregierung mit dem Programm zur Förderung von Beschäftigung und Wachstum bei Stabilität vom Dez. 1974 (vgl. Abschnitt 4.4.2.3.) deutliche expansive konjunkturpolitische Maßnahmen ergriff, wurde im Nov. 1973, als sich erste Anzeichen der Krise und der Arbeitslosigkeit abzeichneten, ein Anwerbestopp für Arbeitskräfte aus Nicht-EG-Ländern beschlossen. Die erste arbeitsmarktpolitische Maßnahme des Untersuchungszeitraumes war somit nicht konjunkturpolitischer, sondern schlicht administrativer Art und richtete sich gegen die politisch schwächste "Problemgruppe" des Arbeitsmarktes. Vom Nov. 1974 an wurde auch jenen Personen die Arbeitserlaubnis und auch die Besetzung von Ausbildungsplätzen verwehrt, die aus Nicht-EG-Ländern als Familienangehörige einreisten285 • In diesem Bereich existiert eine Dunkelziffer an Arbeitslosigkeit, die auf mehrere hunderttausend Personen anzusetzen ist288 • Die angestrebte Reduktion des ausländischen Erwerbspersonenpotentials durch diese Maßnahmen und durch das gleichzeitige NichtErsetzen der "natürlichen" Abwanderungen wurde erreicht (vgl. Tab. 20). 284 Vgl. Zimbardo, P., Das Zeitalter der Gleichgültigkeit, in: Psychologie heute, 12/1980, S. 30-36. 2es Vgl. Ewers, K. und Lenz, P., Die Ausländerbeschäftigung unter dem Druck von Wirtschaftskrise und "Konsolidierungspolitik", S. 207. 288 Vgl. o. V., Nur vorübergehende Entlastung des Arbeitsmarktes durch Rückwanderung ausländischer Arbeitnehmer, in: DIW-Wochenbericht 13/1978, S.127 f.

4.4. Die konjunktur- und beschäftigungspolitischen Einzelmaßnahmen

145

Tabelle 20

Wohnbevölkerung und Erwerbstätigkeit von Ausländern -

In Mio. Personen 1969 1973

..........

2,0

3,8

Erwerbspersonenpotential ....

1,4

2,5

Wohnbevölkerung

..

1,4

2,5

Auslastungsgrad des Erwerbspersonenpotentials in'% ........ .. ............

100

100

Unselbständig Beschäftigte

1974 1975 1976 1977 1978

i I I

I

4,0

4,0

3,9

3,9

3,9

2,5

2,4

2,2

2,1

2,1

2,3

2,1

1,9

1,9

1,9

92

88

86

90

90

Quelle: Kopf, J., u. a., Volkswirtschaftliche Basisdaten, s . 376, 385, eigene Berechnungen; beim Erwerbspersonenpotential und bei der Anzahl der beschäftigten Arbeitnehmer sind die Daten nach dem Inländerkonzept ermittelt.

Vom Rückgang der unselbständig beschäftigten Ausländer zwischen 1973 und 1977 (0,6 Mio. Personen) waren zu ca. 75 °/o Arbeitskräfte aus Nicht-EG-Ländern betroffen267. Der Auslastungsgrad des ausländischen Erwerbspersonenpotentials liegt im Untersuchungszeitraum nur deshalb nicht erheblich niedriger als der Auslastungsgrad des Erwerbspersonenpotentials in der BRD insgesamt (vgl. Tab. 5), weil ausländische Arbeitskräfte, "nachdem sie arbeitslos geworden sind, in erheblicher Zahl in ihre Heimatländer zurückkehren" 268. Insoweit vermitteln die offiziellen Daten über Arbeitslosigkeit, selbst unter Berücksichtigung der Stillen Reserve, kein realistisches Bild vom Umfang des tatsächlichen Beschäftigungsrückgangs in der Krise. Im Rahmen dieser Arbeit konnten die vielfältigen administrativen Maßnahmen gerade gegen diese hinsichtlich ihrer politischen und ökonomischen268 Durchsetzungsmacht schwächste Gruppe des Arbeitsmarktes und konnten auch die daraus resultierenden besonderen Belastungsfaktoren auf der Mikroebene nicht ausführlich dargestellt werden27o. 287 Bundesanstalt für Arbeit (J. Kühl u. a.), Überlegungen II zu einer vorausschauenden Arbeitsmarktpolitik, S. 244. 268 Ebd., S. 245. 268 Der größere Teil der ausländischen Arbeitskräfte ist dem sekundären Arbeitsmarktsegment mit seinen "bad jobs" zuzurechnen. 270 Eine fundierte Analyse der Politik gegenüber den Ausländern bietet: Ewers, K., und Lenz, P., Die Ausländerbeschäftigung unter dem Druck von

10 Hemmerich

146

4. Beschäftigungspolitik in den Jahren 1974-1978

Die bereits heute extrem schwierige arbeitsmarktpolitische Situation des größten Teils der Ausländerfamilien in der BRD wird sich aller Voraussicht nach längerfristig noch dadurch erheblich verschärfen, daß pro Jahr rund 100 000 Ausländerkinder in der BRD geboren werden271 • Die "Dritte Welt in der BRD" ist bereits Realität geworden.

4.4.6.4. Arbeitszeitverkürzung Im Untersuchungszeitraum gelangten verschiedene Maßnahmen der Arbeitszeitverkürzung zum Einsatz, die nur z. T. beschäftigungspolitisch motiviert waren und deren arbeitsmarktmäßige Entlastungswirkungen in Tab. 21 zusammengestellt sind. Die Daten sind auf der Basis der Ausgangslage des Jahres 1973 ermittelt, wobei die ausgewiesenen Entlastungseffekte bei jenen Kategorien der Arbeitszeitverkürzung kumuliert sind, bei denen die Dauer der Wirkung über ein Jahr hinausging. In der Entwicklung der Vollzeitmaßnahmen zur beruflichen Fortbildung und Umschulung zeigt sich deutlich der oben erörterte (vgl. Abschnitt 4.4.3.3.2.) restriktive Einfluß der entsprechenden Bestimmungen des Haushaltsstrukturgesetzes. Die Maßnahmen, die auf ein zeitliches Vorziehen des Rentenbeginns zielen, haben nicht unerhebliche Entlastungswirkungen des Arbeitsmarktes zur Folge gehabt. Das gilt insbesondere für die im Jahre 1973 eingeführte flexible Altersgrenze. Die Möglichkeit der Inanspruchnahme eines vorgezogenen Altersruhegeldes hat in erheblichem Umfang zu Mitnahmeffekten seitens der Unternehmen geführt, die auf diese Weise ihren Personalbestand gezielt verjüngen konnten. Das Vorziehen des Rentenbeginns, das nicht nur beschäftigungspolitisch, sondern nicht zuletzt auch sozialpolitisch zu begrüßen ist272, führt zwar zu einer zusätzlichen finanziellen Belastung der gesetzlichen Rentenversicherung. Soweit mit dem früheren Rentenbezug jedoch Arbeitslosigkeit verhindert werden kann, handelt es sich lediglich um eine Verschiebung finanzieller Belastungen Wirtschaftskrise und "Konsolidierungspolitik", 8 . 185-225; mehr mit der Mikroebene der Situation der Arbeitsemigranten in der BRD befaßt sich das Kursbuch 62: Vielvölkerstaat Bundesrepublik. 271 Bundesanstalt für Arbeit (J. Kühl u. a.), Überlegungen II zu einer vorausschauenden Arbeitsmarktpolitik, S. 247. 272 Dies zeigen Daten über die gesundheitliche Lage älterer Erwerbstätiger: so betrug etwa der Anteil der Bezieher von Invaliditätsrenten bei den männlichen Erwerbspersonen, die im Jahre 1976 ihr 62. Lebensjahr vollendeten, 15 %. Vgl. o. V., Früherer Rentenbeginn entlastet Arbeitsmarkt, in: DIWWochenbericht 1/1978, S. 4.

4.4. Die konjunktur-und beschäftigungspolitischen Einzelmaßnahmen

147

von der Arbeitslosenversicherung zur Rentenversicherung und damit um den Differenzbetrag der von diesen beiden Bereichen der Sozialversicherung zu erbringenden Leistungen. Tabelle 21

Arbeitsmarktentlastung durch Verkürzung der Lebensarbeitszeit - In 1000 Personen -

Art der Verkürzung

Entlastungswirkung 1974 1975 1976 1977 1978 10

38

53

130

101

69

69

102

99

99

90

84

37

40

48

54

51

4

10

14

18

18

Verlängerung des Erholungsurlaubs

29

57

75

103

143

Verkürzung der tariflichen Wochenarbeitszeit .. .... .............. . .

50

150

166

174

188

10. Bildungsjahr

Vollzeitmaßnahmen der beruflichen Fortbildung und Umschulung . ........ .

115

Inanspruchnahme der flexiblen Altersgrenze (63. und 64. Lebensjahr) ....... . Inanspruchnahme des vorgezogenen Altersruhegeldes nach einjähriger Arbeitslosigkeit (60. Lebensjahr) ....... . InanspruChnahme des vorgezogenen Altersruhegeldes für Schwerbeschädigte (61. und 62. Lebensjahr)

Vermehrte Teilzeitbeschäftigung . ... . . ... .

-18 -23 -23

+ 12 + 45

Kurzarbeit

73

223

96

55

50

Zusammen

392

686

586

613

701

Quelle: Autorengemeinschaft, Der Arbeitsmarkt in der Bundesrepublik Deutschland 1979 (insgesamt und regional), S. 31 f. (Die Tabelle wurde vom Verfasser gekürzt.)

Am umstrittensten dürften die in Tab. 21 enthaltenen Schätzungen der Arbeitsmarktentlastung infolge der Verlängerung des Erholungsurlaubs und infolge der Verkürzung der tariflichen Wochenarbeitszeit sein. Bei diesen Schätzungen handelt es sich nicht um- rein rechnerische - Bruttobeschäftigungseffekte, sondern es ist berücksichtigt, daß die Unternehmen erfahrungsgemäß auf eine Reduktion des ihnen zur 1o•

148

4. Beschäftigungspolitik in den Jahren 1974--1978

Verfügung stehenden Arbeitskräfteangebots nicht im vollen Umfang der Reduktion mit Neueinstellungen bzw. mit Verzicht auf ansonsten vorgenommene Entlassungen reagieren. Die Unternehmen werden versuchen, einen Teil der verminderten personellen Kapazität durch Produktivitätssteigerungen, und das heißt in einer Beschäftigungskrise nicht zuletzt: durch Arbeitsintensivierung zu kompensieren. Die in der Tab. 21 ausgewiesenen Entlastungswirkungen sind also Netto-Beschäftigungseffekte, die infolge der obigen Überlegungen einen Abschlag auf die rein rechnerischen Beschäftigungswirkungen in Höhe von durchschnittlich 35 Ofo enthalten273 • Zusammenfassend läßt sich sagen, daß von Arbeitszeitverkürzungen im Untersuchungszeitraum erhebliche Entlastungswirkungen des Arbeitsmarktes ausgingen und daß in diesem Bereich wohl auch in Zukunft große beschäftigungspolitische Chancen liegen, auch wenn dies von Unternehmerseite - vermutlich primär machtpolitisch motiviert gerne bestritten wird174•

273 Reyher, L. u. a., Arbeitszeit und Arbeitsmarkt, in: 'Mitteilungen aus der Arbeitsmarkt- und Berufsforschung, 3/1979, S. 386 f.; die Entlastungswirkungen bei der registrierten Arbeitslosigkeit liegen noch ca. ein Drittel niedriger als die Netto-Beschäftigungseffekte. Die Differenz zwischen den beiden Größen erklärt sich durch den erfahrungsmäßigen Anteil der Stillen Reserve an Veränderungen der Beschäftigung. 27 4 Vgl. z. B. Nerb, G., Verminderung des Arbeitskräfteangebots als Mittel zum Abbau der Arbeitslosigkeit, S. 10-27, bes. die Auswahl aus Stellungnahmen der Unternehmen (Anhang, S. 23 ff.), in denen die ideologischen Komponenten der Argumentation deutlich zum Ausdruck kommen.

5. Kurze Zusammenfassung der Ergebnisse und Ausblick 5.1. Die wichtigsten Ergebnisse in Kurzfassung Nachdem die Ergebnisse der wirkungsanalytisch orientierten Untersuchung der Beschäftigungspolitik bereits in den Abschnitten 4.3.2., 4.3.4. sowie 4.4.5. zusammengefaßt sind, sollen hier lediglich noch einmal die wichtigsten Punkte herausgestellt werden: -

Im Untersuchungszeitraum wurde keine durchgängige und konsistente Beschäftigungspolitik betrieben. Auf eine expansive, weitgehend an keynesianischen Prinzipien orientierte Politik in den Jahren 1974/75 folgte in den beiden Jahren danach, trotz Stabilität der Massenarbeitslosigkeit, ein Kurswechsel hin zu einer krisenverschärfenden, restriktiven Politik, die im Jahre 1978 durch eine nur noch sehr mäßig expansive, annähernd konjunkturneutrale Politik abgelöst wurde. Aus der Sicht des Frühjahrs 1981 läßt sich sagen, daß die konjunktur-und beschäftigungspolitische Linie des Jahres 1978 auch in den Folgejahren fortgesetzt wurde: der weitgehende Verzicht auf Konjunktur- und Beschäftigungspolitik markiert insoweit offenbar den neuen Trend der Wirtschaftspolitik.

-

Die generelle These von der Ineffizienz keynesianischer und damit auch von einer am Stabilitäts- und Wachstumsgesetz orientierten Politik läßt sich für den Untersuchungszeitraum nicht bestätigen. Denn mit Ausnahme der Jahre 1974/75 kann die Wirtschaftspolitik für keines dieser Jahre das Prädikat einer angewandten, expansiven Globalsteuerung für sich in Anspruch nehmen. Jedoch konnte gezeigt werden, daß die Unternehmen auf mehrere Konjunkturprogramme mit gemischten Preis-/Mengeneffekten reagiert haben, woraus sich die These einer eingeschränkten Wirksamkeit expansiver Globalsteuerung unter den Bedingungen eines fortgeschrittenen Vermachtungsgrades der Märkte und bei langfristiger Abschwächung von Wachstumsfaktoren herleiten läßt.

-

Die Politik, deren Ziel eine Steigerung des Niveaus der Beschäftigung auf dem Wege über Nachfrage- und Produktionssteigerungen war, hatte insgesamt somit nur sehr mäßigen Erfolg. In den Jahren 1976/77 hat die Wirtschaftspolitik eine Verschärfung der Beschäfti-

150

5. Kurze Zusammenfassung der Ergebnisse und Ausblick gungskrise zumindest bewußt in Kauf genommen. Im Jahre 1978 wurde lediglich versucht, ein weiteres Ansteigen der Arbeitslosigkeit zu verhindern.

-

Als relativ erfolgreich können dagegen die verschiedenen, zumeist allerdings nicht primär beschäftigungspolitisch motivierten Maßnahmen zur Reduktion der Lebensarbeitszeit angesehen werden.

-

Der administrativ erzwungene Rückgang des in der BRD vorhandenen ausländischen Erwerbspersonenpotentials hat eine deutliche Entlastung des (inländischen) Arbeitsmarktes zur Folge gehabt.

-

Hinsichtlich der Struktur der Arbeitslosigkeit gelang es der Wirtschaftspolitik nicht, die Ungleichverteilung des Arbeitslosigkeitsrisikos erkennbar zu korrigieren. Der Anteil der von Arbeitslosigkeit betroffenen Personen mit "problematischen Merkmalen" lag 1978 (leicht) höher als 1975. 5.2. Was bleibt in bezugauf die Beschäftigungspolitik seit 1974 erklärungsbedürftig?

Der Verzicht auf eine Politik zur Wiederherstellung der Vollbeschäftigung seit ca. 1976 und damit auch der Verzicht auf den Einsatz der im Stabilitäts- und Wachstumsgesetz vorgesehenen Instrumente ist nur z. T. durch die seit 1974 erkennbare Finanzkrise des Staates erklärbar. Zumindest handelt es sich bei der Finanzkrise nicht um einen "letzten Grund", sondern die Krise der Staatsfinanzen verweist selbst auf dahinterliegende Ursachen. Verschiedene Dinge bleiben erklärungsbedürftig: -

-

Erklärungsbedürftig bleibt, warum der Versuch eines massiv dosierten, längerfristigen Wachstumsprogramms1 mit seinem wahrscheinlich sehr hohen Selbstfinanzierungseffekt nicht unternommen wurde. Bei fiskalischen Kosten in Höhe von rund 20 000 DM pro Arbeitslosem und Jahr (vgl. Einleitung) existiert ja zweifellos ein Finanzierungsspielraum auch für beschäftigungsfördernde Maßnahmen. Erklärungsbedürftig bleibt auch, warum die beschäftigungspolitische Steuerungskapazität und Innovationskraft des politischen Systems

1 Den m. E. überzeugendsten, im Sinne eines Ablaufmodells durchgerechneten Vorschlag in dieser Richtung hat das DIW gemacht: o. V., Eine mittelfristige Strategie zur Wiedergewinnung der Vollbeschäftigung, in: DIWWochenbericht 15/1978, S. 147-157 sowie zu demselben Vorschlag: o. V., Finanzierungsstruktur und Verteilungswirkungen einer nachfrageorientierten Strategie zur Wiedergewinnung der Vollbeschäftigung, in: DIW-Wochenbericht 13/1979, S. 139-147.

5.2. Was bleibt erklärungsbedürftig?

151

seit Jahren offenbar so gering sind, daß der gegenwärtigen und zukünftigen Problemlage adäquate, neuartige Instrumente (z. B. Arbeitszeitverkürzung auch für die mittleren Altersjahrgänge) nicht einmal versuchsweise zum Einsatz kamen. -

Erklärungsbedürftig ist schließlich auch, wie sich das politische System und tendenziell auch die Gewerkschaften sowie die Betroffenen selbst seit ca. 1976/77 mit dem Fortbestand der Massenarbeitslosigkeit einzurichten bzw. resignierend abzufinden begonnen haben; wie es möglich war, daß die Wirtschaftspolitik das Vollbeschäftigungsziel zurückgenommen hat, ohne daß dies kurzfristig erkennbare politische Folgen hatte2 •

Zusammenfassend gesagt: neben dem, was beschäftigungspolitisch getan wurde, ist nicht weniger bemerkenswert, was beschäftigungspolitisch unterlassen wurde. Daß der trendmäßige Rückgang der Wachstumsraten des BSP, auch wenn er eigentlich nicht ganz überraschend hätte kommen dürfen, für einige Zeit Konfusion und Ratlosigkeit hervorrufen würde, war kaum verwunderlich3• Schließlich hatten wesentliche Komponenten des sozioökonomischen Systems, von denen der Arbeitsmarkt nur die hervorstechendste ist, einen Fortbestand des hohen Wachstums und damit das Weiterwirken des traditionellen politischen Allheilmittels der Nachkriegszeit zur nicht hinterfragten Voraussetzung und gerieten mit der Wachstumsreduktion automatisch in eine Krise. Der auffällig passiv-resignative Umgang mit dem Vollbeschäftigungsziel, der nun bereits ca. 5 Jahre andauert und dessen Ende sich trotz düsterer Arbeitsmarktprognosen (zumindest bis zum Ende der 80er Jahre) nicht abzeichnet, verlangt jedoch eine etwas weiter ausholende Erklärung. 2 Dagegen liegt es völlig in der Logik des Systems, daß die Unternehmen, deren an einzelwirtschaftlicher Rationalität orientiertes Verhalten die Beschäftigungskrise mit verursacht hat und weiter stabilisiert (Großteil der Rationalisierungsinvestitionen), keine Verantwortung für die Wiedererreichung der Vollbeschäftigung zu tragen haben. Die Arbeitslosigkeit ist insoweit ein Problem, das zwar wesentlich im Unternehmenssektor entstanden ist, das jedoch von den Unternehmen vollständig in die Gesellschaft hinein .,abgelagert" wurde und wird. 3 Wenn man jedoch bedenkt, daß bei einer Wachstumsrate von konstant 7% pro Jahr ein bestimmter Produktionsausstoß sich alle 10 Jahre verdoppelt, also in 50 Jahren das 32fache, in 100 Jahren das 1024fache beträgt, und wenn man bedenkt, daß alle Produktion - direkt oder indirekt - letzten Endes auf den Konsumbereich hinzielt, dann hätte es eigentlich keiner Studien wie der von Meadows u. a., sondern lediglich des Einsatzes des .,gesunden Menschenverstandes" bedurft, um zu erkennen, daß exponentielles Wachstum auf einem begrenzten Planeten keine langfristig stabile Erscheinung sein kann.

152

5. Kurze Zusammenfassung der Ergebnisse und Ausblick

Die Reduktion der Innovationsfähigkeit ist offenbar nicht nur auf den Unternehmensbereich beschränkt, sondern durchzieht als eine Art "Altersschwäche" des Systems der Nachkriegszeit weite gesellschaftliche Bereiche und hat das politische System voll erfaßt: "der Möglichkeitssinn ist in den Wirklichkeitssinn gerutscht" (R. Musil). Der Krisenzusammenhang ist ja auch keineswegs ein rein ökonomischer; die Inflation des Gebrauchs der Vokabel "Krise" in mittlerweile fast beliebigen Verbindungen (Legitimitätskrise, Krise der Arbeit, Sinnkrise, Systemkrise, Identitätskrise, Weltwirtschaftskrise etc.) ist dafür lediglich sinnfälliger Ausdruck. Insoweit stellt die Art des Umgangs mit dem Beschäftigungsproblem und von daher mit dem bedeutendsten Bereich der Vertiefung von sozialer Ungleichheit lediglich graduell eine Besonderheit im Vergleich zum Umgang mit anderen drängenden Pro~ blemen dar'. Die Wachstumskrise ist in ihrer zunehmenden Dauer jedoch dabei, uns zentrale Allmachtsphantasien der Nachkriegszeit zu nehmen: den Glauben an die beliebige Machbarkeit von technisch-ökonomischen Entwicklungen und - damit zusammenhängend - den Glauben an die konfliktfreie, weil technische Lösung gesellschaftlicher Probleme. Die Zerstörung dieser Phantasien korrespondiert auf der Seite der unselbständig Beschäftigten mit dem zunehmenden Brüchigwerden der "Religion" der Nachkriegszeit: dem Glauben an das Glück im stetigen Wachstum des Habens, in Konsum und Macht, im "Habenmodus der Existenz" (E. Fromm). Der zunehmende Verlust des Glaubens an die technisch-ökonomische Machbarkeit und an das Glück durch ständig wachsende Verfügungsgewalt über "Gegenstände" der Außenwelt hinterläßt Kränkungen, die mit einer Reihe weiterer, Verunsicherung, Angst und Entfremdung fördernder Trends zusammenlaufen5 , so vor allem: - die Monotonisierung zentraler Lebensbereiche, und zwar nicht nur im vielfach als sinnloses Einerlei empfundenen Berufsleben, sondern auch - infolge der unablässigen Überflutung durch Aufforderungen zum Konsumim "Privatleben"; - die Auflösung traditioneller Familienstrukturen 4 Eine "Theorie des gegenwärtigen Zeitalters" ist noch nicht geschrieben. Jedoch zeigen die Arbeiten von unabhängigen, nicht durch Interessengruppen des status quo gebundenen Denkern ein überraschend hohes Maß an Übereinstimmung hinsichtlich der Diagnose der gesellschaftlichen Situation, hinsichtlich der aktuellen und künftigen Bedrohungsfaktoren und hinsichtlich der (skeptischen) Einschätzung, was die Art des Umgangs mit diesen Problemlagen betrifft. Hier seien nur drei dieser Autoren genannt: Eppler, E., Ende oder Wende, München 1976; Fromm, E., Haben oder Sein, Stuttgart 1976; Richter, H. E., Der Gotteskomplex, Reinbek bei Harnburg 1979. 5 Diese Entwicklungslinien wurden zum Teil bereits im Abschnitt 2.3. als Hintergründe des privaten Konsums erörtert.

5.2. Was bleibt erklärungsbedürftig?

153

(Trend zum Einpersonenhaushalt) und damit der Verlust gewachsener Kommunikations- und Sinnzusammenhänge; - die Verrechtlichung und Durchstaatlichung und damit verbunden die Expertenherrschaft mit ihrer je spezifischen Ideologieproduktion als Faktoren, die das Selbstbewußtsein der "Nicht-Experten" maßgeblich schwächen; schließlich die Massenarbeitslosigkeit in ihrer ausstrahlenden Bedrohlichkeit selber sowie das Wettrüsten und die Verelendung in der Dritten Welt als Quellen von Angst- und Ohnmachtsgefühlen. Nimmt man diese Faktoren zusammen, so wird deutlich, daß es "gute Gründe" dafür gibt, daß wir "eine Gesellschaft notorisch unglücklicher Menschen (sind): einsam, von Ängsten gequält, deprimiert, destruktiv, abhängig - Menschen, die froh sind, wenn es ihnen gelingt, die Zeit ,totzuschlagen', die sie ständig zu sparen versuchen" 6 • Zwar ist es durchaus keine neue Erscheinung, daß die Menschen in den westlichen Industrieländern ihr Leben offenbar nicht an Maßstäben wie Selbstbestimmung, "produktive Aktivität'07 inkl. produktive und damit folgenreiche Betroffenheit auch von fremden Lebenszusammenhängen, Vertrauen und Sympathie8 sowie Bewahrung der eigenen Spontaneität orientieren•, jedoch scheint sich am Ende der Phase der Wachstumseuphorie zunehmend ein "religiöses"11 Vakuum aufzutun, von dem bis heute unklar ist, welches die bewegenden Ideen und Gefühle sind, die dieses Vakuum in den 80er Jahren ausfüllen werden. Immerhin ist der Kampf um die Ausfüllung dieses Vakuums bereits in vollem Gange11 • Was mit all dem gesagt werden soll: die zunehmend gleichgültige Hinnahme von dauerhafter Massenarbeitslosigkeit verlangt offenbar Fromm, E., Haben oder Sein, S. 15. Zur Erläuterung dieses Begriffs vgl. ebd., S. 91 ff. sowie grundlegend: Arendt, H., Vita activa oder Vom tätigen Leben, Stuttgart 1960, teilweise wiederabgedruckt in: Technologie und Politik, Heft 10 (1978), S. 63 ff. 8 Vgl. dazu etwa: Richter, H. E., Der Gotteskomplex, bes. Kap.17, S. 254 ff. 8 So leitete S. Freud seine 1930 erschienene Untersuchung über "Das Unbehagen in der Kultur" mit dem Satz ein: "Man kann sich des Eindrucks nicht erwehren, daß die Menschen gemeinhin mit falschen Maßstäben messen, Macht, Erfolg und Reichtum für sich anstreben, die wahren Werte des Lebens aber unterschätzen." 10 "Religiös" steht dabei hier nicht notwendig für ein theistisches System, sondern meint in einem umfassenderen, inhaltlich nicht spezifizierten Sinne "jedes von einer Gruppe geteilte System des Denkens und Handelns, das dem einzelnen einen Rahmen der Orientierung und ein Objekt der Verehrung bietet." Fromm, E., Haben oder Sein, S. 133. 11 Es ist von daher wohl kein Zufall, daß der "Sinn-Markt" mit seinen Gurus, seien sie nun indischer, neoklassischer oder sonstiger Couleur seit längerem hohe Wachstumsraten aufweist. 8

7

154

5. Kurze Zusammenfassung der Ergebnisse und Ausblick

Erklärungen, die tiefer ansetzen als an der "Finanzkrise des Staates", am "unzureichenden Instrumentenkasten der Wirtschaftspolitik" etc. Wenn der phantasievolle und innovative Umgang mit einem Problem u. a. eine Funktion bestimmter überwiegender Wertorientierungen und Gefühlslagen wie Vertrauen (in sich selbst und in die gesellschaftliche Zukunft), relative Angstfreiheit, Solidarität und Fähigkeit zu "produktiver Aktivität" ist12, dann kann die Art des Umgangs mit der Massenarbeitslosigkeit nach dem vorher Gesagten nicht eigentlich überraschen, sondern liegt geradezu auf der Linie der Art des Umgangs auch mit anderen, wenn auch z. T. weniger brisanten gesellschaftlichen Problemlagen. Überraschen konnte von daher jedoch, wie schnell und wie still das Vollbeschäftigungsziel in der zweiten Hälfte der 70er Jahre seinen Tod gefunden hat. Ob und gegebenenfalls unter welchen Bedingungen es eine Wiederbelebung erfahren wird, erscheint aus heutiger Sicht höchst ungewiß. Nicht auszuschließen ist immerhin, daß die zu erwartende Verschärfung der Massenarbeitslosigkeit in den kommenden Jahren eine Art wirtschaftspolitischer und evtl. auch gesellschaftspolitischer Trendumkehr auslöst. 5.3. Konsequenzen eines künftigen Verzichts auf Beschäftigungspolitik Was passiert, wenn beschäftigungspolitisch nichts passiert? Die Prognosen sprechen eine deutliche Sprache: bei Fortschreibung der Trends von Produktion, Arbeitsproduktivität und Arbeitszeit wird sich - bei in den nächsten Jahren noch ansteigendem Erwerbspersonenpotential-die Arbeitslosigkeit bis mindestens 1990 weiter drastisch erhöhen18• Unter diesen Bedingungen wird die 2-Mio.-Marke der Arbeitslosigkeit bald ins Gesichtsfeld rücken. Ceteris paribus wäre ein reales Wachstum des Bruttoinlandsprodukts von mindestens 4,5 Ofo pro Jahr erforderlich, um nur das gegenwärtige Niveau der Arbeitslosigkeit zu halten14• Eine derartige Wachstumsrate wird jedoch von niemandem als für die 80er Jahre realistisch angenommen, auch wenn solche langfristigen Prognosen zweifellos immer problematisch sind15• 12 Das trifft sowohl für die wirtschaftspolitischen Instanzen hinsichtlich ihrer Unterlassungen als auch für die Gewerkschaften und die von der Arbeitslosigkeit Betroffenen und Bedrohten hinsichtlich ihres "Verzichts" auf Widerstand gegen diese wirtschaftspolitischen Unterlassungen zu. 13 Vgl. Bundesanstalt für Arbeit (J. Kühl u. a.), Überlegungen II zu einer vorausschauenden Arbeitsmarktpolitik, S. 137 ff. sowie: Gattinger, J. u. a., Wachsendes Ungleichgewicht am Arbeitsmarkt bis Ende der achtziger JahreFolgerungen für die Beschäftigungspolitik, S.lOl ff. 14 Vgl. Bundesanstalt für Arbeit (J. Kühl u. a.), Überlegungen II zu einer vorausschauenden Arbeitsmarktpolitik, S. 147. ts So ist es prinzipiell nicht auszuschließen, daß eine Serie von Produktinnovationen über einen Schub von "autonomen Investitionen" die Wachs-

5.3. Konsequenzen eines künftigen Verzichts auf Beschäftigungspolitik

155

Die Entwicklung des Erwerbspersonenpotentials in den 80er Jahren liegt bereits heute weitgehend fest und muß daher als beschäftigungspolitisch nicht oder kaum beeinflußbar betrachtet werden. Wenn sich der bisherige Trend zur Reduzierung der Arbeitszeit je Erwerbstätigen weiter fortsetzt (vgl. Tab. 3 und 21), wird das wohl eine gewisse Entlastung des Arbeitsmarktes, jedoch keinen beschäftigungspolitischen Durchbruch bringen. Die aller Voraussicht nach auch in der Zukunft relativ hohe, über dem Produktionswachstum liegende Wachstumsrate der Arbeitsproduktivität wird zur laufenden Fortsetzung der bekannten Freisetzungseffekte führen18• Es ist aus heutiger Sicht nicht recht vorstellbar, daß die Entwicklung der Arbeitsproduktivität und damit die Anwendung technologischer Entwicklungen eine beschäftigungspolitische Beeinflussung in der Weise erfahren könnte, daß Unternehmen auf technische Rationalisierungschancen und damit i. d. R. auf die Substitution von Arbeit durch Kapital - zeitweilig - verzichten würden. Der technische "Fortschritt" wird somit, selbst wenn er in dieser Entwicklungsphase weiterhin eher beschäftigungspolitischen Rückschritt bedeutet, eine "heilige Kuh", d. h. ein primär vom internationalen Wettbewerbszusammenhang auferlegter "Sachzwang" bleiben. Die globalen ökonomischen Folgen eines Fortbestands und einer Steigerung der Massenarbeitslosigkeit in den gesamten 80er Jahren würden vor allem in entgangener gesamtwirtschaftlicher Produktion und in dauerhaft hohen und weiter ansteigenden finanziellen Belastungen des Staates bestehen. Die individuellen und psycho-sozialen Belastungsfaktoren der von der Arbeitslosigkeit Betroffenen und Bedrohten, vor allem die Erosion ihrer sozialen Identität, dürften unter diesen Bedingungen ein gesellschaftlich kritisches Ausmaß der Verbreitung erreichen. Die politischen Folgen einer solchen Entwicklung würden mit einiger Wahrscheinlichkeit fatal sein. Parallelen zur Weltwirtschaftskrise der 30er Jahre und zur spezifischen "Lösung" dieser Krise in der Weimarer Republik drängen sich auf. Ungewöhnliche Problemlagen scheinen nach ungewöhnlichen Lösungen zu rufen. Die emotionale Verfassung der Gesellschaft und das religiöse Vakuum, wie sie im vorigen Abschnitt beschrieben wurden, verschlechtert bzw. vergrößert sich, die turnsrate nach oben drückt. Allerdings gibt es heute keine Anzeichen für einen solchen Innovationsboom. 18 Vgl. Gattinger, J. u. a., Wachsendes Ungleichgewicht am Arbeitsmarkt bis Ende der achtziger Jahre- Folgerungen für die Beschäftigungspolitik, S. 101 ; so liegt etwa auch der Nutzungsgrad der Mikroelektronik gegenwärtig erst am Anfang.

156

5. Kurze Zusammenfassung der Ergebnisse und Ausblick

Bereitschaft, nach "Retter-Figuren" (0. Negt) Ausschau zu halten, steigt. "Wer sich in Gefahr fühlt, wird zur Gefahr17." Mit zunehmender Dauer der Arbeitslosigkeit würde sich die Struktur der Arbeitslosigkeit weiter verfestigen, und es würde sich noch deutlicher als bereits heute die "neue Klasse der Opfer des Arbeitsmarktes" herausbilden. Es gibt aus dieser Perspektive z. B. keinen Grund, daran zu zweifeln, daß wir längerfristig gesehen auf diese Weise die Entstehung US-amerikanischer Verhältnisse in unseren Großstädten fördern. Bisher (seit 1978) vollzieht sich der Verzicht auf Beschäftigungspolitik in einer gemäßigten Variante. Man kann mit J. K. Galbraith18 der britischen Regierung10 dankbar sein, daß sie den Verzicht auf Beschäftigungspolitik in ihrer extremen Variante, d. h. in der strengen Befolgung der neoklassischen Empfehlungen, nun schon seit eineinhalb Jahren einmal exemplarisch durchexerziert!0• So kann man begründeter Hoffnung sein, daß zumindest dieses Experiment in der BRD keine Schule macht. Die mittlerweile anzutreffende Inflation im Gebrauch des Arbeitsplatzarguments für nahezu jede beliebige Produktion, seien es nun Kernkraftwerke oder für den Export bestimmte Waffen, zeigt zum einen den erreichten Grad der beschäftigungspolitischen Ratlosigkeit der wirtschaftspolitischen Instanzen und zum anderen den Grad der Bereitschaft, bestimmte Prinzipien dem Wachstumsziel unterzuordnen. Schließlich ist eine subtile Verschiebung der politischen Schwergewichte von der Innenpolitik hin zur Außenpolitik erkennbar. Es scheint so, als hätten viele Politiker, denen man ein feines Gespür dafür, wo politische Tauschwerte zu erzielen sind, ja nicht absprechen kann, der Wirtschaftspolitik den Rücken gekehrt und sich verstärkt der Außenpolitik zugewandt. In der Wirtschaftspolitik gibt es bei Massenarbeitslosigkeit offenbar "keinen politischen Blumentopf" mehr zu gewinnen. Ob dieser Versuch vieler Politiker, verstärkt im Bereich der Außenund Sicherheitspolitik Erfolge zu erzielen, im Zusammenspiel mit dem wohl wachsenden, zumindest partiell ungerichteten Aggressionspotential der von der Arbeitslosigkeit betroffenen und bedrohten Bevölkerungsteile dem Frieden förderlich ist, dürfte sehr zweifelhaft sein21 • Paepcke, L., Die atmosphärische Veränderung, S. 14. Galbraith, J. K., Friedmans Versuchskaninchen, in: Der Spiegel vom 24. 11. 1980, s. 203. 19 Mittlerweile zeichnen sich bei der supply-side Wirtschaftspolitik der neuen Regierung in den USA bereits analoge Resultate ab. 20 Zu den "Erfolgen" dieses Experiments vgl. o. V., Wirtschaftspolitische Neuorientierung hat die Wirtschaftslage in Großbritannien verschlechtert, in: DIW-Wochenbericht 32/1980, S. 339-342. 17

18

5.4. Ansatzpunkte für die Beschäftigungspolitik in den 80er Jahren

157

5.4. Ansatzpunkte einer erfolgreichen Beschäftigungspolitik in den 80er Jahren aus heutiger Sicht Die im folgenden erwähnten beschäftigungspolitischen Ansatzpunkte sind sicherlich nicht vollständig, z. B. werden regional- und strukturpolitische Aspekte ausgeklammert; es sind jedoch diejenigen Punkte, die sich aus dem Zusammenhang der vorliegenden Arbeit ergeben. Die gesellschaftlichen Träger der Beschäftigungspolitik in den 80er Jahren werden primär die wirtschaftspolitischen Instanzen (Gebietskörperschaften) und die Gewerkschaften sein. Zunächst zu den Gebietskörperschaften: -

Eine erfolgreiche Beschäftigungspolitik wird auf mittelfristig orientierte öffentliche Ausgaben- und Investitionsprogramme nicht verzichten können. Für solche Programme existieren gesellschaftlich erwünschte und ökologisch unbedenkliche bzw. sogar förderliche Wachstumsbereiche (vgl. Kap. 4, Anm. 75). Aufgrund des zu erwartenden hohen Selbstfinanzierungseffekts solcher Programme ist eine Ausweitung der Staatsverschuldung nicht zu erwarten. Die Ausgabenprogramme sollten nach Möglichkeit mit beschäftigungspolitischen Auflagen verbunden sein, und es muß eventuellen Preisreaktionen der Unternehmen auf diese Programme besonderes Augenmerk geschenkt werden. Eine gründliche, konsolidierte Erfolgskontrolle der Programme ist unbedingt erforderlich.

-- Obwohl bereits allein das Niveau der Arbeitslosigkeit eine Herausforderung ersten Ranges darstellt, wird die Beschäftigungspolitik nicht umhin können, auch die Struktur der Arbeitslosigkeit gezielt anzugehen. Analog zur Verpflichtung, einen bestimmten Anteil von Schwerbehinderten zu beschäftigen, lassen sich Lösungen auch für die Problemgruppen des Arbeitsmarktes denken. -

Die Vermachtung des Unternehmensbereichs, die sich u. a. in- unerwünschten - kombinierten Preis-/Mengenreaktionen auf staatliche Ausgabenprogramme und in reduzierter Innovationskraft niederschlägt, erfordert in einem marktwirtschaftliehen System primär eine wirksame Wettbewerbspolitik, die dem langfristigen Trend der Vermachtung entgegenwirkt. Wettbewerbspolitik ist insoweit selbst Wachstumspolitik und trägt zur "Revitalisierung der Wirtschaft" bei.

21 Vgl. Richter, H. E., Sind wir unfähig zum Frieden?, in: Psychosozial, 4/1980, S.l03-117.

158

5. Kurze Zusammenfassung der Ergebnisse und Ausblick

-

Angesichts der Freisetzungseffekte als Folge der Steigerung der Arbeitsproduktivität wird eine strikte Durchforstung der staatlichen Förderung von privater Forschung und Entwicklung mit dem Ziel erforderlich sein, die öffentliche Förderung von Rationalisierungsinnovationen und -investitionen zu stoppen.

-

Die im Untersuchungszeitraum praktizierte Tendenz zum - flexibel zu gestaltenden - zeitlichen Vorziehen der Altersgrenze ist fortzusetzen.

-

Die Möglichkeiten der Dezentralisierung von Beschäftigungspolitik und damit die Chancen der Mobilisierung lokaler Arbeitsmärkte sind exemplarisch zu prüfen und gegebenenfalls zu nutzen22•

-

Verschiedene beschäftigungspolitische Ansatzpunkte bietet der öffentliche Dienst (vgl. auch Abschnitt 4.4.6.2.): -

-

-

Angesichts der hohen Arbeitsplatzsicherheit muß vom öffentlichen Dienst eine Lohnzurückhaltung zur finanziellen Entlastung des Staates und zur Eröffnung zusätzlicher Beschäftigungsmöglichkeiten erwartet werden; dabei sind die oberen Einkommensgruppen stärker zu belasten als die niedrigen. Dies ist nicht nur verteilungspolitisch, sondern auch nachfragemäßig erwünscht, weil die Sparquote bei niedrigen Einkommen geringer ist. Die Beschäftigung im öffentlichen Dienst wird eine- als prinzipiell reversibel zu gestaltende - Ausweitung erfahren müssen. Dies gilt für den Bereich der sozialen Dienstleistungen und es gilt vor allem für jene Berufsfelder, die traditionell ganz oder überwiegend im öffentlichen Sektor angesiedelt sind. Die Ausweitung des öffentlichen Dienstes widerspricht nicht zwangsläufig dem Ziel der Bekämpfung von "Durchstaatlichung", von Bürokratisierung und von partiellem Mißbrauch öffentlicher Leistungen. Die Orientierung des staatlichen Leistungsangebots an die Bedürfnisse der "Benutzer" ist eine permanente Aufgabe, die von den eigentlichen beschäftigungspolitischen Funktionen des Staates zu trennen ist und auch getrennt werden kann. Im Bereich der Arbeitszeitverkürzung hat der öffentliche Dienst eine Vorreiter-Funktion wahrzunehmen, die seine beschäftigungspolitischen und seine finanziellen Spielräume ausweitet.

Die beschäftigungspolitischen Aufgaben, denen sich die Gebietskörperschaften gegenübersehen, erfordern Mut, gegen die herrschende, 22 Vgl. Blankenburg, E. und Krautkrämer, U., Aktivierung lokaler Arbeitsmarktpolitik, S. 61-73.

5.4. Ansatzpunkte für die Beschäftigungspolitik in den 80er Jahren

159

neoklassische Doktrin anzugehen, derzufolge keine Wirtschaftspolitik die beste Wirtschaftspolitik ist. Sie erfordern zudem bei den Beschäftigten im öffentlichen Dienst jene "produktive Betroffenheit" durch die Arbeitslosigkeit, die - angesichts der erreichten Machtposition der Beamten im Staat - erforderlich ist, um mit langfristiger Perspektive kurz- und mittelfristige Einschränkungen in Kauf nehmen zu können. Aus heutiger Sicht ist es unwahrscheinlich, daß die Gebietskörperschaften diese beschäftigungspolitischen Aufgaben der nächsten Jahre ohne hinreichenden Druck von den durch die Arbeitslosigkeit Betroffenen und Bedrohten erfüllen können. Nun zum zweiten Träger von Beschäftigungspolitik, zu den Gewerkschaften bzw. zu den von ihnen vertretenen unselbständig Beschäftigten, für die es wahrscheinlich noch schwieriger wird, die ihnen zufallenden beschäftigungspolitischen Aufgaben wahrzunehmen: -

Eine Einflußnahme der Gewerkschaften auf Produktion und Wachstum kann über die Lohnpolitik geschehen. Allerdings gibt es gegenwärtig keinerlei überzeugenden Hinweis, daß eine Lohnzurückhaltungsstrategie, wie sie z. B. vom SVR und von anderen prominenten Wirtschaftswissenschaftlern empfohlen wird, die zur Wiedererreichung der Vollbeschäftigung erforderlichen, arbeitsplatzschaffenden Erweiterungsinvestitionen stimulieren könnte. Die Hoffnung auf Verbesserungen in der Außenhandelsposition infolge von Lohnzurückhaltung berücksichtigt nicht, daß seit Jahren viele Länder eine derartige beggar-my-neighbour-Politik betreiben und vor allem, daß Verbesserungen des Außenbeitrags bei flexiblen Wechselkursen durch den Aufwertungseffekt i. d. R. voll kompensiert werden. Es muß für die Gewerkschaften aus beschäftigungspolitischer Sicht und bei primär durch Faktoren auf der Nachfrageseite verursachter Arbeitslosigkeit darauf ankommen, die funktionelle Einkommensverteilung und damit den erreichten Nachfrageeffekt des Lohnes gesamtwirtschaftlich mindestens zu halten. Allerdings werden die Gewerkschaften zu prüfen haben, ob sie aus beschäftigungspolitischen Erwägungen heraus bei Unternehmen, denen kurz- oder mittelfristig der Konkurs droht, anstelle von branchen- und regionalspezifischen nicht vorübergehend besser unternehmensindividuelle Lohnvereinbarungen (gegebenenfalls gekoppelt mit Vermögensbildung) treffen sollten. Beschäftigungspolitisch ist die möglichst weitgehende "Sockelbetragskonzeption" der Lohnpolitik mit ihrer relativen Begünstigung

160

5. Kurze Zusammenfassung der Ergebnisse und Ausblick

der unteren Lohngruppen und damit der Haushalte mit höherer Konsumquote günstig. Die potentiellen Nachfragewirkungen, die in einer Korrektur der extrem ungleichen personellen Einkommensverteilung liegen, sind erheblich. -

Kaum lösbar erscheint z. Z. das Problem, wie die Rationalisierungsinvestitionen, die unter den geltenden Bedingungen der Wachstumsabschwächung einen permanenten Druck in Richtung auf eine Erhöhung der Arbeitslosigkeit erzeugen, zumindest für einige Jahre beschäftigungspolitisch "gezähmt" werden können. Eine staatliche Investitionslenkung dürfte zur Lösung dieses Problems weder wünschenswert noch praktikabel sein. Die Technik und der technische "Fortschritt" sind nach wie vor in weiten Kreisen eine "heilige Kuh" des Systems, auch wenn diese Einstellung nach zwei Weltkriegen, die aus dieser Sicht nichts anderes als Exzesse der Technik waren, kaum begreiflich erscheint. Es ist nicht auszuschließen, daß in einigen Jahren in den westlichen Industrieländern eine Diskussion über "mittlere" oder "angepaßte" Technologie in Gang kommt, wie man sie aus beschäftigungspolitischer Perspektive in der Dritten Welt mittlerweile bald 10 Jahre lang führt. Am erfolgversprechendsten dürfte es sein, das Problem der Rationalisierungsinvestitionen dezentral, also auf Unternehmensebene anzugehen. Keineswegs alle Rationalisierungsinvestitionen sind durch das Allzweckargument der Aufrechterhaltung der - internationalen oder nationalen- Wettbewerbsfähigkeit hinreichend zu begründen; in diesen Fällen ist es vorstellbar, daß es zwischen Unternehmensleistungen und Betriebsrat/Gewerkschaften zu Vereinbarungen kommt, in denen bestimmte Rationalisierungsvorhaben verhindert oder zumindest verschoben werden können. Es geht darum, der "Tendenz zur Übersteuerung", der "Überrationalisierung" (G. Bombach) Einhalt zu gebieten. Die dezentralen Einflußmöglichkeiten wären zweifellos größer, hätten die Gewerkschaften den Zug der Vermögensbildung der unselbständig Beschäftigten über Ertragsbeteiligungskonzepte (z. B. Investivlohn) nicht so lange Jahre verpaßt. Die Seite der unselbständig Beschäftigten hätte dann über den Weg der Kapitalbeteiligung eine erheblich günstigere Verhandlungsposition. Das Versäumte kann nicht in wenigen Jahren nachgeholt werden, jedoch wird die Vermögenspolitik ein vermutlich zentrales Aufgabengebiet der Gewerkschaften in den nächsten Jahren sein. Sollte sich die beschäftigungspolitisch motivierte Einflußmöglichkeit auf den Rationalisierungsprozeß in den Unternehmen als irrelevant herausstellen, so wird es für die Gewerkschaf-

5.4. Ansatzpunkte für die Beschäftigungspolitik in den 80er Jahren

161

ten darauf ankommen müssen, die sozialen Kosten technologischer Arbeitslosigkeit über Rationalisierungsschutzabkommen, Sozialpläne etc. wenigstens z. T. bei den rationalisierenden Unternehmen zu internalisieren. -

Die größten Erfolgschancen der Gewerkschaften dürften im Bereich der beschäftigungspolitisch motivierten Arbeitszeitverkürzung liegen23. Es ist selbstverständlich, daß man hier spezifisch, also nicht global, vorgehen muß, daß man den individuellen Wünschen nach Arbeitszeitverkürzung Raum schaffen sollte, daß man Erfahrungen sammeln muß, ehe man generelle Lösungen realisiert, und daß man die Möglichkeit der Reversibilität der Maßnahmen einbauen sollte. Beschäftigungspolitisch scheint die Arbeitszeitverkürzung die entscheidende strategische Variable der nächsten Jahre zu sein. Schon aus diesem Grund muß diese Variable aus ihrer gegenwärtigen Patt-Situation heraus, in die sie nicht zuletzt durch den Streit um die Verteilung der finanziellen Lasten einer Reduktion der Arbeitszeit geraten ist.

Für die Organisationen der unselbständig Beschäftigten gilt das für die Gebietskörperschaften Gesagte analog: ohne hinreichenden Druck von der Basis, und damit vor allem von den durch die Arbeitslosigkeit Betroffenen und Bedrohten, ist es schwer vorstellbar, daß sie diese schwierigen beschäftigungspolitischen Zukunftsaufgaben meistern können. Zusammenfassend ist zu sagen: die Wiederherstellung der Vollbeschäftigung ist erreichbar. Die Hindernisse, die der Erreichung dieses Zieles entgegenstehen, liegen eher in unserem reduzierten Selbstvertrauen und in unserer reduzierten, in der langen Wachstumsphase der Nachkriegszeit scheinbar überflüssig gewordenen Konfliktfähigkeit als in vermeintlich objektiven ökonomischen Ursachen. Die Vermeidung der im Abschnitt 5.3. skizzierten Folgen einer Fortdauer und einer Steigerung der Massenarbeitslosigkeit in den 80er Jahren sollte den vollen Einsatz von Mut, Phantasie und Widerstandskraft, aber auch von Kompromißbereitschaft sinnvoll erscheinen lassen.

23 Ein souveränes, umfassend hergeleitetes Plädoyer für Arbeitszeitverkürzung findet sich bei: Adler-Karlsson, G., Gedanken zur Vollbeschäftigung,

s. 481-505.

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