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German Pages 283 [284] Year 1993
GERHARD LANGE
Die Bedeutung des preußischen Innenministers Friedrich Albrecht Graf zu Eulenburg für die Entwicklung Preußens zum Rechtsstaat
Quellen und Forschungen zur Brandenburgischen und Preußischen Geschichte Herausgegeben im Auftrag der Preußischen Historischen Kommission, Berlin von Prof. Dr. Johannes Kunisch
Band 3
Die Bedeutung des preußischen Innenministers Friedrich Albrecht Graf zu Eulenburg für die Entwicklung Preußens zum Rechtsstaat
Von Gerhard Lange
Duncker & Humblot · Berlin
Die Deutsche Bibliothek - CIP-Einheitsaufnahme Lange, Gerhard: Die Bedeutung des preussischen Innenministers Friedrich Albrecht Graf zu Eulenburg für die Entwicklung Preussens zum Rechtsstaat I von Gerhard Lange. Berlin : Duncker und Humblot, 1993 (Quellen und Forschungen zur brandenburgischen und preussischen Geschichte ; Bd. 3) Zug!.: Kiel, Univ., Diss., 1993 ISBN 3-428-07909-4 NE:GT
Alle Rechte vorbehalten © 1993 Duncker & Humblot GmbH, Berlin Fotoprint: Wemer Hildebrand, Berlin Printed in Germany ISSN 0943-8629 ISBN 3-428-07909-4
Mei nem Vater - in memoriam -
Mei ner Mut ter Gerda-Valeska Katrin
Vorwort Die Rechtswissenschaftliche Fakultät der Christian-Albrechts-Universität zu Kiel hat die vorliegende Arbeit im Wintersemester 1992/93 als Dissertation angenommen. Mein besonderer Dank gilt meinem hochverehrten Lehrer, Herrn Professor Dr. Georg-Christoph von Unruh, der die Arbeit angeregt, ihre Anfertigung geduldig betreut und in besonders vielfältiger Weise nachhaltig gefördert und unterstützt hat. Sein stets ermutigender Zuspruch hat mir den Abschluß dieser Arbeit erst ermöglicht. Bedanken möchte ich mich zudem bei Herrn Professor Dr. Edzard Schmidt-Jortzig für die Erstattung des Zweitgutachtens mit den ergänzenden Anregungen im Promotionsverfahren. Mein Dank gilt weiterhin den Leiterinnen und Leitern, Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern des Bildarchivs Preußischer Kulturbesitz in Berlin-Dahlem, des Brandenburgischen Landeshauptarchivs in Potsdam, des Bundesarchivs in Koblenz, des Fürstlich von Bismarck'schen Archivs in Friedrichsruh, des Geheimen Staatsarchivs Preußischer Kulturbesitz in Berlin-Dahlem, des Politischen Archivs des Auswärtigen Amtes in Bonn und nicht zuletzt des Geheimen Staatsarchivs Preußischer Kulturbesitz in Merseburg für die Bereitstellung der Archivalien und die Unterstützung und Hilfe bei deren Bearbeitung. Frau Heidrun Ahrendsen danke ich für die Hilfe bei der Übersetzung des "Curriculum vitae" des Ministers, Herrn Philipp Graf zu Eulenburg für hilfreiche Hinweise. Die Arbeit wurde gefördert durch einen Druckkostenzuschuß der Lorenz von Stein-Gesellschaft zu Kiel e.V. Dem Vorstand und den Mitgliedern gilt hierfür mein herzlicher Dank. Schließlich danke ich Herrn Professor Dr. Johannes Kunisch, Köln, für die Herausgabe der Arbeit in seiner Schriftenreihe und Herrn Professor Norbert Sirnon für die Aufnahme in sein Verlagsprograrnm.
8
Vorwon
Allen genannten Persönlichkeiten bleibe ich für ihre wertvolle Unterstützung meiner Arbeit aufrichtig verbunden. Am Tage der mündlichen Prüfung
Kiel, 19. April 1993
Gerhard Lange
Inhaltsverzeichnis I. Leben und Wirken
17
A. Abstammung und Herkunft ............................................................................................
17
B. Schule und Studium ........................................................................................................
19
1.
Gymnasialzeit in Königsberg ..................................................................................
19
2.
Studium in Königsberg und Berlin .........................................................................
19
3.
Auskultator in Königsberg IDld Frankfurt/Oder .....................................................
20
4.
Referendar ................................................................................................................
20
5.
Assessor in Köln und Oppeln ..................................................................................
21
C. Eintritt in die Verwaltung ...............................................................................................
23
1.
Ernennung zum Regierungsrat ................................................................................
24
2.
Generalconsul in Antwerpen ...................................................................................
24
3.
Ernennung zum Legationsrat ..................................................................................
26
4. Generalconsul in Warschau .....................................................................................
27
D. Die Ost-Asien-Expedition ...............................................................................................
28
1.
Ernennung zum Außerordentlichen Gesandten und Bevollmächtigten Minister
29
2.
Anreise nach Singapore ...........................................................................................
30
a)
Der Vertrag mit Japan ......................................................................................
30
b) Die Verträge mit China und Siam ...................................................................
31
c) Ergebnisse der Expedition ...............................................................................
32
Reiseeindrucke .........................................................................................................
32
a)
Ankunft in Alexandria ......................................................................................
33
b) Vertragsabschlüsse mit Japan, China IDld Siam .............................................
34
Rückfahrt und Abschluß der Expedition ................................................................
38
3.
4.
10
Inhaltsverzeichnis
E. Berufung zum Minister des Innem ................................................................................
39
1. Das Ministerhotel .....................................................................................................
41
2. Die Preß-Ordonnanz ................................................................................................
42
3.
Die Indemnitätsvorlage ...........................................................................................
43
4.
Verwaltungsreform ..................................................................................................
44
5. Entlasswtgsgerüchte ................................................................................................
46
6. Tagesablauf ..............................................................................................................
48
7.
Das Attentat auf Bismarck .......................................................................................
49
8.
Krieg gegen Österreich ............................................................................................
49
9. Pauline Lucca ...........................................................................................................
50
10. Eulenburgs Kontakte zum König ............................................................................
51
a)
Die Emser Depesche ........................................................................................
54
b) Verfasswtgsminister .........................................................................................
58
c) Kaiserproklamation ..........................................................................................
59
11. Eulenburg in Partei und Parlament .........................................................................
59
Die Verwaltungsreformen ................................................................................
59
b) Der "Conservative" Eulenburg ........................................................................
59
c)
Der Abgeordnete Eulenburg ............................................................................
60
d) Eulenburg im Bundesrat ...................................................................................
62
a)
12. Aus der Ministerzeit ................................................................................................. a)
Die Jahrestage der Ministeremennwtg ............................................................
63 63
b) Eulenborgs Diners ............................................................................................
66
c) Eulenborgs schlagfertiger Humor ...................................................................
68
d) Deutsche Gesellschaft zur Rettwtg Schiffbrüchiger ......................................
68
e)
Auszeichnungen durch fremde Fürsten ..........................................................
69
f)
Unstimmigkeiten mit Bismarck .......................................................................
69
F. Rücktritt vom Amt des preußischen Innenministers .....................................................
72
1. Entwurf der Städteordnung vom Juni 1877 ...........................................................
72
a) Rücktrittsgründe ...............................................................................................
75
b) Rücktrittsgesuch an den König ........................................................................
77
Inhaltsverzeichnis aa)
11
Telegramm des Königs an Bismarck ....................................................
78
bb)
Bismarcks Antwort .................................................................................
78
cc)
Möglicher Nachfolger Bennigsen .........................................................
79
dd)
Halbjähriger Urlaub ...............................................................................
80
ee)
Rücktrittsmitteilung ans Staatsministerium ..........................................
81
ff)
Aufgabe des Landtagsmandats ......................................................... .....
82
gg)
Abschiedsbrief an Bismarck ..................................................................
83
hh)
Der Brief des Königs vom 30. Dezember 1877 an Bismarck .............
84
c) Erneutes Entlassungsgesuch ............................................................................
87
Die Entlassung .........................................................................................................
87
3. Eulenburg - Bismarck ..............................................................................................
89
2.
G. Lebensende
90
1.
Nachrufe
91
2.
Reminiszenzen nach 100 Jahren .............................................................................
92
3.
Geschichte in der Politik ..........................................................................................
94
II. Die preußische Kreisordnung von 1872 als Abschluß der Stein'schen Verwaltungsreform A. Der Ursprung des Kreises im Minelalth .......................................................................
96 96
1.
'kraj' im Königreich Böhmen ..................................................................................
97
2.
Der Kreis in der Marle Brandenburg .......................................................................
97
a)
Kreiskommissar und Landrat ...........................................................................
98
b) Die Entstehung der Kreisverfassung ...............................................................
99
Der Rezeß vom 26.6.1653 ...............................................................................
100
d) Die Stellung des Landrats ................................................................................
101
3. Erste Reformansätze, Richters Entwurfvon 1786 ................................................
101
B. Reformversuche seit Beginn des 19.Jahrhunderts .......................................................
102
1. ProMemoria des Freiherrn vom Stein von 1803 ...................................................
102
2.
Die Nassauer Denkschrift........................................................................................
103
3.
Der Kreisordnungsentwurf vom 13. Oktober 1808 ...............................................
104
c)
12
Inhaltsverzeichnis Das Kreisedikt Hardenbergs ...................................................................................
106
5. Die Kreisordnungen ab 1825 ..................................................................................
107
6.
Der Kreisordnungsentwurf vom 17. März 1852 ....................................................
110
7.
Entwürfe von Kreisverfassungen für jede Provinz ................................................
112
8.
Die Verwaltungsreform in Schleswig-Holstein .....................................................
113
C. Beginn der Kreisordnungsreform im Herbst 1867 ........................................................
115
Der Kreisordnungsentwurf vom November 1868 .................................................
116
a)
Bismarcks Kritik an Eulenburgs Mitarbeitern im Ministerium .....................
119
4.
1.
2.
b) Eulenburg in der Conseil-Sitzung 1868 ..........................................................
121
c) Eulenburg vor dem Abgeordnetenhaus zum Kreisordnungsentwurf ...........
122
d) Im Staatsministerium ........................................................................................
123
e)
Konferenz Bismarcks mit Gneist .....................................................................
127
Der Gesetzesentwurf über die Kreisverwaltung vom 10. Februar 1869 ..............
128
a)
128
Konferenzen mit Vertrauensmännern des Abgeordnetenhauses ..................
b) Konferenzen mit Vertrauensmännern des Herrenhauses ...............................
131
c) Gneists Promemoria von 1869 ........................................................................
133
D. Der Kreisordnungsentwurf vom August 1869 ..............................................................
138
1. Eulenburgs Stellungnahme an Bismarck ................................................................
140
2.
Einbringung des Entwurfs ins Abgeordnetenhaus ................................................
141
a)
Motive zu dem Gesetzentwurf .........................................................................
143
b) Eulenburgs Stellungnahme im Abgeordnetenhaus ........................................
144
c) Gneist zu dem Entwurf.....................................................................................
145
d) Weitere Ausführungen Eulenburgsund Gneists im Abgeordnetenhaus ......
147
e) Gneist zur preußischen Kreis-Ordnung ..........................................................
151
E. Der Kreis-Ordnungsentwurf von 1871n2 .....................................................................
153
Vorlage des Entwurfs an den König und das Staatsministerium ..........................
155
1.
2.
Einbringung des Gesetzentwurfs in das Abgeordnetenhaus .................................
159
a) Eulenburgs Referat im Staatsministerium .......................................................
159
b) Berichterstatter Dr. Friedenthai vor dem Abgeordnetenhaus am 16. März 1872 ..................................................................................................................
160
c) Eulenburg vor dem Abgeordnetenhaus ..........................................................
162
Inhaltsverzeichnis 3. 4.
Annahme des Kreis-Ordnungs-Entwurls durch das Abgeordnetenhaus .............
13 164
Die Behandlung des Kreis-Ordnungs-Entwurls im Herrenhaus ..........................
165
a)
165
Vertagung beider Häuser des Landtages ........................................................
b) Hauptdifferenzpunkte über den Entwurl der Kreis-Ordnung zwischen dem Abgeordnetenhaus und dem Herrenhaus ........................................................
166
c) Beratungen des Entwurls im Herrenhaus .......................................................
168
d) Bismarck wird Gegenspieler Eulenburgs ........................................................
170
e) Eulenburg vor dem Herrenhaus .......................................................................
173
5. Ablehnung des Kreis-Ordnungsentwurls durch das Herrenhaus .........................
175
a) Conseil-Sitzung über die Krise ........................................................................
176
b) Eulenburgs Korrespondenz mit dem König ...................................................
178
c)
Ablehnung eines Pairsschubs durch Roon ......................................................
179
6. Die dritte Einbringung der Novelle ........................................................................
180
a) Eulenburgs Brief zum Pairsschub an den König............................................
182
b) Sitzung des Staatsministeriums .......................................................................
183
c) Eulenburg vor dem Abgeordnetenhaus ..........................................................
183
d) Sitzungen des Staatsministeriums ...................................................................
185
e) Eulenburg vor dem Abgeordnetenhaus ..........................................................
187
Annahme des Entwurls durch das Abgeordnetenhaus..........................................
187
F. Bemühungen um einen Pairsschub ................................................................................
188
1. Schreiben des Staatsministeriums wegen des Pairsschubs an den König ............
191
2. Die Ernennung der Pairs ..........................................................................................
194
3.
Die Entscheidung des Herrenhauses ...............:......................................................
196
4. Stellungnahmen des Königs ....................................................................................
201
5. Eulenburgs Kreis-Ordnung .....................................................................................
202
G. Die Bedeutung der Kreisordnung mit ihren Auswirkungen bis in die Gegenwan .....
203
7.
1.
Ausführung der Kreis-Ordnung ..............................................................................
207
a)
Haushaltsmittel zur Ausführung der Kreis-Ordnung .....................................
208
b) Beschaffung amtlicher Siegel ..........................................................................
209
c) Eulenburg zu Einzelfragen der Kreis-Ordnung und deren Auslegung.........
210
d) Verkündung kreispolizeilicher Vorschriften ..................................................
212
e)
214
Venretung des Landrats ...................................................................................
Inhaltsverzeichnis
14
2. Eulenburg zur neuen Verwaltungsrechtsprechung ................................................
215
H. Kommunale Selbstverwaltung im Grundgesetz der Bundesrepublik Deutschland ....
217
111. Verwaltungsgerichtsbarkeit
A. Anfänge des Verwalrungsrechtsschutzes im 18. Jahrhundert...................................... 1.
222 222
"Allgemeine Ordnung" vom 21. J~mi 1713 ............................................................
222
2. Ressort-Reglement vom 19. Juni 1749 ...................................................................
223
3. Regulativ vom 12. Februar 1782 ............................................................................
224
4.
Ressort-Reglement von 1797 ..................................................................................
224
B. Verwaltungsrechtsschutz zu Beginn des 19. Jahrhunderts ...........................................
224
1.
Verordnung vom 26. Dezember 1808 ....................................................................
224
2. Erste Erwähnung besonderer Verwaltungsgerichte ...............................................
226
3.
Abbau des Verwaltungsrechtsschutzes nach 1808 ................................................
226
4. Verwaltungsgerichtsbarkeit in Baden 1863 ...........................................................
226
C. Bemühungen um Verwalt~mgsrechtsschutz in Preußen ...............................................
227
1. Gesetz über die Errichtung eines obersten Gerichtshofes für Verwalrungssachen - Entwurf von 1873 - .......................................................................................
229
2.
Neuer Gesetzentwurf vom 30. Januar 1874 ...........................................................
231
3.
Gesetz betreffend die Verfassung der Verwaltungsgerichte und das Verwaltungsstreitverfahren- Entwurf vom 24. Oktober 1874 - .......................................
235
a) Eulenburgs Erläuterungen ................................................................................
237
b) Die Vorlage des Gesetzentwurfs .....................................................................
239
c) Eulenburg vor dem Abgeordnetenhaus ..........................................................
243
d) Stellungnahme des Abgeordneten Dr. Gneist .................................................
245
e) Zweite Beratung im Abgeordnetenhaus - Stellungnahme des Abgeordneten Dr. Gneist ..........................................................................................................
248
Differenzpunkte zu Kommissionsbeschlüssen ...............................................
249
Annahme des Gesetzentwurfs durch das Abgeordnetenhaus ...............................
249
a)
250
f)
4.
Briefwechsel Bismarck- Eulenburg ................................................................
Inhaltsverzeichnis
15
b) Anforderung von Geldmitteln zur Ausführung des noch nicht verabschiedeten Gesetzes durch Eulenburg .....................................................................
250
5.
Annahme des Gesetzentwurfs durch das Herrenhaus ...........................................
251
6.
Schreiben Eulenburgs an den König betr. Haushaltsminel ...................................
252
7.
Schlußberatung des Herrenhauses ..........................................................................
252
8.
Abschließende Beratung im Abgeordnetenhaus ...................................................
253
D. Eulenburgs Ersuchen an den König, die beschlossenen Gesetze zu vollziehen .........
255
I.
Eulenburgs Instruktionen an die Regierungspräsidenten ......................................
256
2.
Erlaß, Inkrafttreten und Würdigung des Gesetzes .................................................
256
3.
Auslegung einiger Vorschriften des Gesetzes durch Eulenburg ..........................
257
E. Angliederung des Oberverwaltungsgerichts (OVG's) an das Ressort des Innenministers ...................................................................................................................................
258
I.
Eulenburg zu Auslegungsfragen .............................................................................
258
2.
Vorschlag, Persius zwn Präsidenten des OVG's zu emeJIDen ..............................
259
3.
Vorschläge für die weitere Besetzung des OVG's .................................................
260
Aufnahme der Tätigkeit durch das Oberverwaltungsgericht .......................................
261
I.
Geschäfts-Regulative für das OVG, die Bezirksverwaltungsgerichte und KreisAusschüsse ..............................................................................................................
262
2.
Erweiterung des Geschäftsumfangs des OVG's .....................................................
263
3.
Bayerns Interesse an den preußischen Verwaltungsreformen ..............................
264
4. Eulenburgs Interesse an Grundsatzentscheidungen des OVG's ...........................
264
Entscheidungssammlung des OVG's ......................................................................
265
6. Tätigkeit des OVG's .................................................................................................
265
G. Verwaltungs- als Verfassungsreform .............................................................................
270
F.
5.
IV. Schlußbetrachtung
Literaturverzeichnis ..............................................................................................................
272
276
Abkürzungsverzeichnis Abs.
A.
Absatz Abschnitt Abteilung Adhibendum Anmerkung Artikel
Bd. Br. betr. BI. bzw.
Band Brandenburg, brandenburgisch betreffend, betreffs Blatt beziehungsweise
dergl. d.J.
dergleichen dieses Jahres
etc. Ew.
und so weiter ehrwürdig
f., ff Fol.
folgende Folium
g.
genannt
HA
Hauptabteilung
Kgl.
königlich
m.E.
meines Erachtens
Abschn. Abt., Abth. Adhib. Anm.
No.,Nr.
Nummer
Pr.
Preußen, preußisch
R Rep. Rthl, n
Rückseite Repositur Reichstaler
S. Sekt. SM
Seite, Satz Sektion Seine Majestät
Tit.
Titel
u. u.s.w.
und und so weiter
V.
von, vom
Vol.
Volut
I. Leben und Wirken A. Abstammung und Herkunft Friedrich Albrecht (genannt Fritz) Graf zu Eulenburg, geboren am 29. Juni 1815 zu Königsberg i.Pr., war ein Sproß der im 12. Jahrhundert hoch angesehenen Familie von Ileburg, die in Sachsen-Meißen, Schlesien und Böhmen reich begütert, durch den Besitz der Burggrafschaft Wettin in nahen Beziehungen zum sächsischen Fürstenhause, um 1170 Schloß, Stadt und Herrschaft Eilenburg erworben hatte, dann aber in der alten Heimat allmählich verschwand, indem einzelne Zweige ausstarben oder ihren Besitz aufgaben, dagegen seit Anfang des 15. Jahrhunderts im preußischen Ordensland zunächst vorübergehend auftauchte, um 1454 aber sich dauernd unter dem Namen Eulenburg in Rastenburg und Friedland niederließ und hier ihre Heimat fand, großes Ansehen und umfangreichen Grundbesitz erwarb und 1786 von Friedrich Wilhelm II. mit der Grafenwürde bekleidet wurde, um insbesondere. im 19. Jahrhundert eine Reihe hervorragender Beamten, Politiker und Staatsmänner hervorzubringen, entsprechend ihren sprichwörtlichen Geistesgaben: "Klug wie die Eulenburgs" sagt ein ostpreußisches Bonmot.' Die Eulenburgs waren nicht bildungsfeindlich, sie wußten um das "Wissen ist Macht". Das akademische Studium ist Familienüberlieferung gewesen, bewahrt durch 20 Geschlechterfolgen seit jenem Botho, der 1290/91 Mitglied der "Natio Germanica" an der Universität Bolgona war, über den anderen Botho, der 1618/19 als Rector Magnificus an der Frankfurter Universität war, bis in die neueste Zeit. 2 Um 1800 bestanden vier Linien, zu Prassen, Wicken, Gallingen und Perkuiken.3 Philipp Conrad Graf zu Eulenburg, 1820-1889, einziger Bruder des Grafen Fritz, vermählte sich mit Alexandrine von Rothkirch-Panthen, die von ihrem Großonkel Karl von Hertefeld 1867 Haus Liebenberg mit den Vorwerken I 2
3
A. Latz, Eulenburg. In: Allgemeine Deutsche Biographie (ADB), Bd. 55, S. 743 ff. Graf zu Eulenburg-Wicken, Siegfried, Die Eulenburgs, S. 64. Brandenburgisches Landeshauptarchiv (BLHA) Potsdam, Liebenberg, Pr.Br.Rep. 37, S. l.
2 Lange
18
I. Leben und Wirken
Louisenhof und Hertefeld, dem Liebenherger Forst, dem Gut Häsen, dem Vorwerk Neu-Häsen, den Klevesehen Häusern und der wüsten Mark Lanke erhielt.4 Nach dem Tode Phitipp Conrads zu Eulenburg übernahm Graf, später Fürst Phitipp zu Eulenburg-Hertefeld (1847-1921), Sohn des ersteren, die Herrschaft Liebenberg. Graf Fritz gehörte der jüngsten der vier Linien an und war der Sohn des in dem Freiheitskampf mit dem Eisernen Kreuz geschmückten Rittmeisters a.D. Grafen Friedrich LeopoW, Herr auf Perkuiken ( 1787-1845), Sohn des Ernst Christoph, auf Prassen, und der Hedwig Gräfin von der Groeben; die Mutter des Grafen Fritz war Amalie von Kleist-Dahmen (17921830), Tochter des Landwirtschaftsdirektors Christoph von Kleist und der Marie Sophie Elisabeth von Ostrau.6 Die Eltern des Grafen Fritz waren eng befreundet mit dem Ehepaar Wrangel, dem Generalfeldmarschall. Als Fritz Eulenburg in Königsberg geboren wurde, hielt Lydia von Wrangel ihn über die Taufe, sein Vater und Wrangel waren zu dem Zeitpunkt mit der Armee in Frankreich.7 Nachdem Perkuiken bei der mißlichen Lage der Landwirtschaft infolge der napoleonischen Kriege verkauft worden war, lebte die Familie im ererbten väterlichen Haus in Königsberg in der Königsstraße. 8 Da Graf Fritz schon 1830 die Mutter und 1845 auch den Vater verloren hatte, schloß er sich an seinen Bruder Phitipp an. Aus den Erinnerungen des Neffen Fritz Eulenburgs, Phitipp Eulenburg, wird verschiedentlich deutlich, wie eng die persönlichen Bindungen von Fritz Eulenburg zur Familie seines Bruders Philipp waren. So berichtet er u.a.9 : Mein Onkel Fritz Eulenburg war Wlverheiratet, der zärtlichste Bruder und Schwager meiner Eltern und beste Onkel von deren Kindern.
Die Sommerzeit verlebte Fritz Eulenburg stets in Liebenberg bei seinem Bruder und dessen Frau, mit denen er bis zu seinem Tode in innigster Freundschaft verbuncen war. 10
BLHA Potsdam, Liebenberg, Pr.Br.Rep. 37, BI. 1 u. 2. Lotz, ADB, Bd. 55, S. 743 f. 6 Born, in: Neue Deutsche Biographie, Bd. 4. 7 Haller, Johannes, Aus 50 Jahren, S. 13. 8 Lotz, S. 743 f. 9 Haller, Johannes, Aus 50 Jahren, S. 45. 10 Holif:Jck., E., Nachrichten über die Grafen zu Eulenburg, S. 108. 4
s
B. Schule und Studium
19
B. Schule und Studium
1. Gymnasialzeit in Königsberg Eulenburg besuchte von 1824 bis 1832 das Gymnasium Fridericianum in Königsberg, das er als bester Schüler verließ. In dieser Zeit hatte er zwei Jahre hindurch Unterricht (Nachhilfestunden gegen Remuneration) im Hause seiner Großmutter, der Oberburggräfin von Ostrau, bei Eduard von Simson. 11 Simson, zu dem Eulenburg seit seiner Schulzeit in nahen Beziehungen stand, war später als Reichstagspräsident sein häufiger Gast und nannte ihn den begabtesten Menschen, der ihm je begegnet seiY
2. Studium in Königsberg und Berlin Von 1832 bis 1835 studierte Eulenburg in Königsberg und Berlin Rechtsund Staatswissenschaften. 13 Über die Eulenburgs heißt es, sie hätten sich "In Latinitae" auszudrücken gewußt wie in der Muttersprache. 14 Hiervon gab er in Berlin Zeugnis. In dem von ihm eigenhändig in lateinischer Sprache verfaßten Lebenslauf, seinem " curriculum vitae" vom 1. August 1835, berichtet er über sein Studium.ls In der Albertinischen Akademie, die in Königsberg hohes Ansehen genießt, bin ich von Schubert in den akademischen Rang aufgenommen worden. Unter dem Schutze der Zeit wurde ich vom Dekan Reidenitz auch in die juristische Fakultät eingeschrieben. Zweieinhalb Jahre lang, in denen ich mich mit der Gesamtheit der Wissenschaften beschäftigte, lehrten mich Hebartz und Rosenkranz die Philosophie, Drumann und Lobeen die Philologie. Ich nahm an rechtswissenschaftliehen Vorlesungen von Reidenitz, Schweikan über Buchholtz, Sirnon und Riede( teil; die Technologie lehrte mich Hagen.
Nachdem ich die Albeninische Akademie verlassen und mich nach Berlin begeben hatte, wurde ich dort im Mai 1835 von Prorektor Steffens in den akademischen Rang aufgenommen
II
12
Simson, Bemhard von, Eduard von Simson, S. 12, 13.
Lotz in ADB, S. 744.
13 Auskunft Auswärtiges Amt Bonn, Politisches Archiv, Personalakte Friedrich Albrecht Graf zu Eulenburg. 14 Graf zu Eulenburg-Wicken, Siegfried, Die Eulenburgs, S. 64. 15 Auskunft Auswärtiges Amt Bonn, Politisches Archiv, Personalakte Friedrich Albrecht Graf zu Eulenburg.
20
I. Leben und Wirken
und von Haffter in die juristische Fakultät eingeschrieben. Ich besuchte Vorlesungen von Magnus über Savigny und Goeschen. Nachdem nun drei Jahre "recht" vergangen sind, hat sich die Angelegenheit schon so weit entwickelt, daß ich mich anstelle von Vorlesungen des juristischen Examens unterziehen muß. Berlin, I. August 1835
3. Auskultator in Königsberg und Frankfurt/Oder Am 21. August 1835 legte Eulenburg die Prüfung "pro auscultatura" beim Kgl. Kammergericht in Berlin ab und war ab dem 1. Dezember 1835 Auscuttator beim Oberlandesgericht Königsberg, 1836 bis April1837 beim Landund Stadtgericht Frankfurt an der Oder. 16
Als Eulenburg bei dem Gericht in Königsberg tätig war, beantragte er- etwa um das Jahr 1836- schriftlich für eine Reise nach Berlin und Dresden einen Urlaub "nach Deutschland". Immerhin war der Landesgerichtsrat, der ihm die "Reise nach Deutschland" gestattete, polizeilich soweit empfindsam, daß er über das Wort "Deutschland" ein Fragezeichen machte. Doch war diese geographische Anschauung zu fest in Ostpreußen begründet, als daß man eine andere Redewendung bei einer solchen Reise damals hätte in Anwendung bringen könnenY
4. Referendar
Am 25. September 1837 wurde Eulenburg zum Referendar ernannt und war als solcher seit dem 1. Oktober 1837 beim Landgericht und Justizsenat in Koblenz und ab 1. April1839 am Oberlandesgericht in Münster und Köln tätig. 18 Über die Zeit, als Eulenburg als Referendar bei der Regierung in Münster arbeitete, also etwa 1840, berichtete sein Neffe Philipp zu Eulenburg über seinen OnkeP 9 : Geistvoll, witzig, voll Uebermut und eine interessante Erscheinung mit seinen leuchtenden großen braunen Augen, war er in Gesellschaft seiner Freunde von Mäusebach, Oskar Amim
16 Auskunft Auswärtiges Amt Bonn, Politisches Archiv, Personalakte Friedrich Albrecht Graf zu Eulenburg. 17 Haller, Johannes, Aus 50 Jahren, S. 6. 18 Lotz in ADB, S. 744. 19 Bundesarchiv Koblenz, Nachlaß Eulenburg, Nr. 35, S. 267.
B. Schule und Studium
21
(Schwager Bismarcks), Graf Flemming - und Bismarcks selbst ein sehr gern gesehener Gast im Salon Bettina's und ihrer drei lebhaften Töchter.
In einem Persönlichkeitsattest des Oberlandesgerichts Münster20 aus Anlaß der Meldung Eulenburgs zur "dritten Prüfung für die ganze Monarchie" fanden seine Prüfungs- und Arbeitsleistungen recht ansprechende Beurteilungen. So wurden ihm für seine erste Prüfung "hinreichende Kenntniße, eine ziemlich schnelle Auffassungsgabe und eine genügend ausgebildete Beurtheilungskraft" bestätigt. Über seine Tätigkeit beim Land- und Stadtgericht zu Frankfurt wurde ihm "unter dem 10. April '37 ein sehr vorteilhaftes Zeugnis ertheilt. Unterm 19. August '37 bestand er die zweite Prüfung völlig zufriedenstellend, die Probe-Relation wurde für voll gelungen erklärt." Bei dem Landgericht und dem Justiz-Senat zu Coblenz "ist er bis April '39 in den verschiedenen Geschäftszweigen geübt worden u. hat überall die vorteilhaftesten Zeugniße erhalten." Seit April 39 ist er bis Ende August 40 bei dem hiesigen Ober-Landes-Gericht (Münster) ... mit Instruiren, Dekretiren u. Referiren in Preß-Sachen, Verlaßenschafts- und Beschwerde-Sachen beschäftigt u. in mündlichen Vorträgen geübt worden. Die Mitglieder des Collegio halten ihn einstimmig für vorzüglich qualificirt. Er ist für ein Obergericht unbedenklich geeignet u. hat sich durch Fleiß und meritisches Verhalten ganz besonders empfohlen. Pralisch21
5. Assessor in Köln und Oppeln Nach Ablegung der Dritten Juristischen Staatsprüfung, die er für die älteren Provinzen hinreichend und für die Rheinprovinz gut bestand, wurde er am 18. Januar 1842 zum Oberlandesgerichts-Assessor ernannt und sodann im Mai 1842 an das Landgericht Köln versetzt, wo er gleichzeitig bei der Regierung beschäftigt wurde. 22 Der Finanzminister von Bodelschwingh verfügte dazu am 16. Mai 1842 in Berlin: 20 Auskunft Auswärtiges Amt Bonn, Politisches Archiv, Personalakte Friedrich Albrecht Graf zu Eulenburg. 21 Auskunft Auswärtiges Amt Bonn, Politisches Archiv, Personalakte Friedrich Albrecht Graf zu Eulenburg. 22 Auskunft Auswärtiges Amt Bonn, Politisches Archiv, Personalakte Friedrich Albrecht Graf zu Eulenburg.
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I. Leben und Wirken Es wird sich Gelegenheit fmden, ... Sie aushülfsweise namentlich in dem Justiziar obliegenden Arbeiten zu beschäftigen. 23
Am 5. Juli 1842 erhielt Eulenburg durch eine Verfügung des Ministers des Innem, von Rockow, und des Finanzministers, von Bodelschwingh, die Zusage zum Antritt der obigen Tätigkeit. 24
Ein nächtlicher Vorfall beendete die Tätigkeit Eulenborgs in Köln. Ein Schreiben des Innenministers und des Finanzministers dazu lautet25: An Graf zu Eulenburg Berlin, 25.9.1843 Die zuchtpolizeiliche Bestrafung, welche Ew. pp durch die zu Cöln in der Nacht vom 2ten zum 3ten August d. Jahres verübten Beleidigungen unserer Nachtwächter und damit velbundenen Störung der nächtlichen Ruhe sich zugezogen haben, gestattet Ihre fernere Beschäftigung bei einer Regierung der Rheinprovinz nicht Wir haben daher beschlossen, diese Beschäftigung bei der königlichen Regierung zu Oppeln stattfinden zu lassen. Der Finanzminister
Der Minister des Innem
Am 18. Januar 1844 wurde Eulenburg an das Land- und Stadtgericht in Oppeln versetzt und gleichzeitig bei der dortigen Regierung beschäftigt, er tratdonseinen Dienst am 5. März 1844 an und erhielt eine jährliche Remuneration von 400 Reichsthalem. 26 Am 2. Juli 1844 gab der Regierungs-Präsident in Oppeln, Graf von Pückler, über Eulenburg und seine dortige Tätigkeit eine Beuneilung ab. 27 Darin heißt es u.a.: Der Oberlandes-Gerichts-Aßeßor Gr. zu Eulenburg nimmt seit vier Monaten an den Geschäften der hiesigen Regierung thätigen Antheil und hat nun ... die Führung des Justitiarials in der Abteilung für Steuern und Domainen und Forsten übernommen, und vertritt auch noch zur Zeit ... den Justitiar der Abtheilung des Innem. Der Graf zu Eulenburg hat in diesen Functionen sich als ein sehr talentvoller junger Marm bewährt; er hat in neuen Wirkungskreisen sich schnell zurecht gefunden, besitzt überhaupt eine glückliche Gabe der Auffaßung, urtheilt mit Sicherheit, arbeitet mit Fleiß und Geschick und hat insbesondere bei der ihm übenrageneo Untersuchung gegen einige der Veruntreuung angeschuldigte Forstbeamte sich mit vieler Umsicht und Gründlichkeit benommen. Zugleich ist ... seyn sittliches Verbalten tadellos gewesen Auf Grund dieser meiner pflichtgemäßen Censur karm ich kein Bedenken tragen, dem ... vorgetragenen Wunsch des Grafen zu Eulenburg zum Regierungs Aßeßor emarmt zu werden,
23 Geheimes Staatsarchiv Preußischer Kulturbesitz (GStAPK) Berlin-Dahlem, I. Hauptabteilung (HA), Rep.77, Nr. 901, BI. 2. 24 GStAPK Berlin-Dahlem,l. HA, Rep. 77, Nr. 901, BI. 3. 25 GStAPK Berlin-Dahlem, I. HA, Rep. 77, Nr. 901, BI. 5. 26 Auskunft Auswärtiges Amt Bonn, Politisches Archiv, Personalakte Friedrich Albrecht Graf zu Eulenburg. 27 Auskunft Auswärtiges Amt Bonn, Politisches Archiv, Personalakte Friedrich Albrecht Graf zu Eulenburg.
C. Eintritt in die Verwaltung
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auf angelegentlichste zu befürworten, und E.E. auch meiner Seits um deßen Gewährung zu bitten, wobei ich nicht unbemerkt !aßen will, daß der Gesuchsteller viel Liebe und Beruf zum Verwaltungsdienste in sich zu tragen scheint, und daß es mir nur angenehm seyn kann, wenn derselbe dem hiesigen Collegio belaßen bleibt. Der Reg.Präs. Pückler
Gemäß Erlaß des Justizministers in Berlin vom 26. Oktober 1844 wurde Eulenburg für den Übertritt zur Verwaltung "aus dem Königlichen Justizdienste entlaßen. "28
C. Eintritt in die Verwaltung Nach erfolgreicher Tätigkeit in Oppeln wurde Eulenburg am 18. November 1844 durch den Minister des lnnem, Graf Arnim, und den Finanzminister Flottweil zum Regierungsassessor emannt29 , die Minister versetzten ihn dann am 15. Juli 1845 an das Regierungskollegium zu Merseburg. 30 Im Februar 1848 erbat Eulenburg einen einjährigen Urlaub für eine Reise in die nordamerikanischen Freistaaten, den er auch bewilligt erhielt, vor Antritt des Urlaubs jedoch wurde er auf Wunsch der Minister Hansemann und von Auerswald am 21. Juni 1848 als Hülfsarbeiter in das Ministerium des Innem berufenY Hier trat Eulenburg am 4. Juli 1848 seinen Dienst als Regierungsassessor an und wurde beauftragt, "bei den Vorarbeiten zu einigen legislatorischen Arbeiten Hülfe zu leisten. "32 In dieser Zeit fand er sich häufig zusammen mit Rudolph von Delbrück, Freiherrn Karl von Meusebach, Graf Flemming und Graf Goltz, besonders gern bei "Kroll", wo sie an Konzerttagen "in einer vorher bestellten Loge ein spätes Mittagsmahl nahmen und die Sorgen des Tages in Champagner ertränkten."33 Unter dem 14. Juli 1848 betonte der Finanzminister Hansemann in einem Schreiben an das Regierungspräsidium in Merseburg, daß Eulenburg "hier un28 Auskunft Auswärtiges Amt Bonn, Politisches Archiv, Personalakte Friedrich Albrecht Graf zu Eulenburg. 29 GStAPK Berlin-Dahlem, I. HA, Rep. 77, Nr. 901, BI. 42. 30 GStAPK Berlin-Dahlem, I. HA, Rep. 77, Nr. 901, BI. 44. 31 Auskunft Auswärtiges Amt Bonn, Politisches Archiv, Personalakte Friedrich Albrecht Graf zu Eulenburg. 32 GStAPK Berlin-Dahlem, I. HA, Rep. 77, Nr. 901, BI. 52, 53. 33 v. De/brück, Rudolph, Lebenserinnerungen, Bd. I, S. 235, 236.
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I. Leben und Wirken
ausgesetzt mit mehreren legislatorischen Arbeiten" beschäftigt sei.34 Eulenburg war daneben aber auch mit anderen Aufgaben befaßt. So hatte er u.a. auch gegen Kleistein Disziplinarschreiben aufzusetzen. 35
1. Ernennung zum Regierungsrat
Am 28. Januar 1850 wurde Eulenburg durch den König zum Regierungsrat ernannt, eine entsprechende Verfügung erging durch den Minister des Innern, von Manteuffel, und den Finanzminister, von Rabe. 36 Als Regierungsrat und später als vortragender Rat war Eulenburg im Ministerium des Inneren bis 1852 tätig und "zog in dieser Zeit, vielfach als Regierungscommissär im Landtage auftretend, durch den Geist und Schlagfertigkeit die allgemeine Aufmerksamkeit auf sich. "37
2. Generalconsul in Antwerpen
Am 22. März 185238 wurde Eulenburg, da er als Folge seines Widerstandes gegen Quehl'schen39 Einfluß aus seiner Stellung ausscheiden mußte40 , unter besonderer Anerkennung seiner bisherigen ersprießlichen Dienste zum Generalkonsul für Belgien in Antwerpen ernannt, wo er bis 1859 blieb.41 Im November 1852 berichtete Eulenburg in einem privaten Brief42 dem Minister von Manteuffel über seine ersten Erfahrungen in Antwerpen. Er schrieb u.a., er habe sich auf große Handelsberichte bisher noch nicht eingelassen, er wolle nicht, wie Minutoli, damit anfangen, nach einigen Monaten Aufenthalts in Belgien Bücher und Abhandlungen über das Land zu schrei34 Auskunft Auswärtiges Amt Bonn, Politisches Archiv, Personalakte Friedrich Albrecht Graf zu Eulenburg. 35 v. Petersdorff, Herman, Kleist-Retzow, S. 135. 36 GStAPK Berlin-Dahlem, I. HA, Rep. 77, Nr. 901, BI. 59. 37 GStAPK Berlin-Dahlem,l. HA, Rep. 94, Nr. 415, Portrait, Nr. 33, BI. 2. 38 GStAPK Berlin-Dahlem, I. HA, Rep. 77, Nr. 901, BI. 60. 39 Rhino Quehl war ein Journalist, durch den Innenminister von Manteuffel schon während des Erfurter Parlaments seine Politik hane in der Presse vertreten lassen, voller Ideen und Anregungen, richtigen und falschen, eine sehr geschickte Feder führend, aber mit einer zu starken Hypothek an Eitelkeit belastet (v. BisTNJrck, Die gesammelten Werke, Bd. 15, Erinnerung und Gedanke, S. 94). 40 GStAPK Berlin-Dahlem, I. HA, Rep. 94, Nr. 415, Portrait, Nr. 33, BI. 2. 41 Lotz in ADB, S. 744. 42 von Manteuffel, Otto Freiherr, Unter Friedrich Wilhelm IV., zweiter Band, S. 296.
C. Eintritt in die Verwaltung
Friedrich Albrecht Graf zu Eulenburg Quelle: Bildarchiv Preußischer Kulturbesitz Berlin Dahlem
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I. Leben und Wirken
ben. Außerdem sei ihm die Sache so neu, daß er aller Anstrengungen bedürfe, um sich auch nur einigermaßen hineinzuarbeiten. Ich hoffe aber, es wird mir mit der Zeit gelingen, freilich nur durch Selbststudium, denn hier in Antwerpen ist es mir bisher nicht gelungen, auch unter den angesehensten Kaufleuten einen zu finden, der seinen Blick über Häute, Farbholz oder Kaffee zu erheben vermag. Dagegen schwelgen sie in Selbstbewunderung, halten Antwerpen für den ersten Ort der Welt und den Bürgermeister für unfehlbar. Es übersteigt überhaupt alle Begriffe, was hier im Lande mit seinen Institutionen, mit Loyalität, Patriotismus und politischer Einsicht geprahlt wird.
Eulenburg berichtete dann weiter über das Land, woraus hervorgeht, daß er sich in der Kürze der Zeit doch bereits eine Fülle von Kenntnissen und Eindrücken über das Land, die politischen Verhältnisse und die Menschen verschafft hatte. Mit Schreiben vom 11. Juni 185243 empfahlen die Minister des Innem, von Manteuffel, und der auswärtigen Angelegenheiten, von Westphalen, dem König, dem Grafen zu Eulenburg wegen seiner "sehr lobenswerten und ersprießlichen Tätigkeit ... und in Berücksichtigung der von ihm unter den schwierigsten Umständen bewährten, durchaus zuverlässigen und patriotischen Gesinnung ... " den Rotben Adler Orden 4ter Klasse zu verleihen. Dies erfolgte am 19. Juni 1852 durch König Friedrich Wilhelm IV.44 Aus der Zeit, in der Eulenburg in Antwerpen war, berichtete sein Neffe Philipp45 , damals etwa 10 Jahre alt: Er besuchte oft meine Eltern in Berlin, an denen er mit zärtlicher Liebe hing. Diese Besuche des heiteren und von aller Welt verehrten Onkels waren mein Entzücken, ganz abgesehen davon, daß er mir belgisehe Münzen für meine Münzsammlung brachte und mit mir gern zu dem berühmten Hofkonditor Kranzier Unter den Linden ging, um Pfannkuchen zu essen, wobei es ihm nicht darauf ankam, ob ich 2, 3,- auch wohl4 Stück verschlang.
3. Ernennung zum Legationsrat Am 17. September 1855 erhielt Eulenburg den Charakter eines Legationsrats.46 43 GStAPK Berlin-Dahlem,l. HA, Rep. 77, Nr. 901, BI. 61-62 R. 44
GStAPK Berlin-Dahlem,l. HA, Rep. 77, Nr. 901, BI. 64.
45 Haller, Johannes, Aus 50 Jahren, S. 24. 46 Auskunft Auswärtiges Amt Bonn, Politisches Archiv, Personalakte Friedrich Albrecht Graf
zu Eulenburg.
C. Eintritt in die Verwaltung
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Um diese Ernennung hatte Eulenburg mit seinem Brief vom 10. August 185547 aus Antwerpen an Seine Excellenz, Herrn Berling, gebeten. Es sei dies, so Eulenburg, keine Beförderung, sondern lediglich eine Veränderung des Titels, mit Rücksicht auf die Zukunft, wenn überhaupt von einer amtlichen Zukunft bei ihm noch die Rede sein könne. Es ist kein sehr erhebendes Gefühl für mich, eine Reihe meiner Hinterleute, mit Rapidität vorwärts kommen zu sehen, während ich niemals auch nur das geringste Zeichen erhalte, daß man mich nicht vollständig vergessen hat. Als ein solches würde ich meine Ernennung zu Legations-Rath ansehen. Generai-Consul ist hier jedermann, auch der Peruanisehe General-Consul, welcher den Guano verkauft. ConseilleT de regence verstehen die Leute nicht, weil Bürgermeister und Schöffen einer Stadt hier die regence bilden. Conseiller de Iegation würde ihnen allein begreiflich machen, daß man auf einer etwas anderen Stufe steht als jeder consularische Gewürzkrämer, und es bedarf einer solchen äußeren Hebung des hiesigen Preußischen Beamten um so mehr, je weniger seine Gehaltsverhältnisse die Art regulirt sind, daß sie ihm die Mittel gewähren könnten, seiner Stellung den nöthigen Nachdruck zu geben.
Eulenburgs Wunsch wurde also erhört, nur einen guten Monat später erfolgte seine Ernennung. Auf die Kosten, die in Antwerpen auf ihn zugekommen waren, wies Eulenburg auch in seinem Brief48 an den Minister von Manteuffel im November 1852 hin. Er schrieb dort u.a., er sei gezwungen gewesen, ein ganzes Haus zu mieten und sich vollständig einzurichten, anders sei es nicht möglich gewesen, das Büro unterzubringen.
4. Generalconsul in Warschau Am 2. Mai 1859 wurde Eulenburg zum Generalkonsul in Warschau ernannt.49
In einem BriefS0 an den späteren Fürsten Bismarck aus Warschau vom 16./28. Juni 1859 schrieb Eulenburg u.a.:
47 Auskunft Auswärtiges Amt, Politisches Archiv, Personalakte Friedrich Albrecht Graf zu Eulenburg. 48 v. Manteuffel, Ono Freiherr, Unter Friedrich Wilhelm IV., zweiter Band, S. 297. 49 Auskunft Auswärtiges Amt Bonn, Politisches Archiv, Personalakte Friedrich Albrecht Graf zu Eulenburg. so Fürstlich von Bismarck'sches Archiv (FBA) Friedrichsruh, Akte B 39.
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I. Leben und Wirken Gestatten Sie mir, verehrter Freund und Gönner, Ihnen meine Ankunft in Warschau und die Übernahme der hiesigen Geschäfte durch diese Privatdepesche kund zu thun. Ihr amtliches, an mich gerichtetes Schreiben habe ich noch in Serlin empfangen. Das Exequatur für mich ist aber bisher nicht ausgefertigt.
In großer Ängstlichkeit, so Eulenburg weiter, sei bei seiner Ankunft seitens der diplomatischen Kanzlei des Fürsten-Statthalters sofort nach Petersburg telegraphiert worden mit der Anfrage, ob er fungieren könne, worauf die telegraphische Antwort erfolgt sei: "Oui, officieusement." Er fühle sich durch diesen offiziösen Zustand zwar nicht beengt, besser aber sei es doch, wenn derselbe sich bald in einen offiziellen verwandelte, und er stelle daher anheim, ob Bismarck nicht gelegentlich die Güte haben wolle, anzufragen, was der Ausfertigung des Exequatur im Wege stehe. Der Eindruck, den er von dem ganzen habe, sei nicht übel, und der Wirkungskreis, der ihm bevorstehe, jedenfalls ein großer und interessanter. In zwei bis vier Wochen, wenn er sich erst eingearbeitet habe, müsse er nochmals nach Belgien zurück, um seine Sachen zu packen und seine Abschiedsbesuche zu machen. Die Berufung nach Warschau kam offensichtlich für Eulenburg wie für die Behörden in Warschau und Petersburg recht überraschend. Am 30. Juli 1859 wurde Eulenburg die Kammerherrnwürde verliehen, noch im selben Jahr wurde er mit dem Rothen Adler Orden 3. Klasse mit Schleife ausgezeichnet.5 1
D. Die Ost-Asien-Expedition Am 10. Oktober 185952 wurde der Legationsrat Friedrich Graf zu Eulenburg mit der Leitung der nach den ostasiatischen Gewässern zu entsendenden preußischen Expedition beauftragt, um mit China, Japan und Siam Freundschafts-, Handels- und Schiffahrtsverträge abzuschließen. 53
Eulenburg wurde mit der Ausarbeitung der für die Mission notwendigen Instruktionen, der Beschaffung von Geschenken und den übrigen zu treffenden Vorbereitungen und Maßnahmen beauftragt und erhielt für seine Mission gleichzeitig die Vollmachten der Zollvereinsstaaten, der Groß-Herzogtümer
51 Auskunft Auswärtiges Amt Sonn, Politisches Archiv, Personalakte Friedrich Albrecht Graf zu Eulenburg. 52 Auskunft Auswärtiges Amt Sonn, Politisches Archiv, Personalakte Friedrich Albrecht Graf zu Eulenburg. 53 Lotz, S. 744.
D. Die Ost-Asien-Expedition
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Mecklenburg-Schwerin und Mecklenburg-Strelitz sowie der drei Hansestädte Bremen, Harnburg und Lübeck.54 Das Bedürfnis einer eigenen diplomatischen Vertretung in den ostasiatischen Reichen bestand für Preußen und die Zollvereinsstaaten seit langer Zeit. Schon im Jahre 1843 wurde die Aufmerksamkeit der königlichen Regierung auf die für den deutschen Handel in Ostasien zu erwartenden Vorteile geleitet und der Vorschlag zur Gründung einer großen Handelssozietät gemacht.
1. Ernennung zum Außerordentlichen Gesandten und bevollmächtigten Minister Am 9. Aprill860 wurde Eulenburg zum außerordentlichen Gesandten und bevollmächtigten Minister gelegentlich der ihm übertragenen Leitung der Expedition nach den ostasiatischen Gewässern ernannt.55 Als Leiter der Mission war zunächst der Gesandte Freiherr von Richthofen ausgewählt worden, Meinungsverschiedenheiten über seine persönliche Stellung führten jedoch zur Zurücknahme des Auftrags. 56 Als scharfsinnig, redegewandt, von rascher Auffassung und nie um eine Antwort oder einen Ausweg verlegen, von eiserner Geduld und Zähigkeit und liebenswürdig in den Formen galt Eulenburg als besonders geeignet für die Erfüllung dieser schwierigen Aufgabe. 57 Zunächst war es die Aufgabe Eulenburgs, die Entwürfe der Verträge mit den drei Ländern aufzustellen, im Aprill860 wurden diese dann den VereinsRegierungen zu Erklärung mitgeteilt. Es war das erste Mal, daß Preußen das ganze nicht Österreichische Deutschland dem Ausland gegenüber vertrat.58
v. Decker, R., Die preußische Expedition nach Ostasien, I. Band, Einleitung, S. XII. Auskunft Auswärtiges Amt Bonn, Politisches Archiv, Personalakte Friedrich Albrecht Graf zu Eulenburg. 56 v. Delbrück, Rudolph, Lebenserinnerungen, 2. Bd., S. 178. 57 v. Delbrück, Rudolph, Lebenserinnerungen, 2. Bd., S. 179. 58 v. Delbrück, Rudolph, Lebenserinnerungen, 2. Bd., S. 180. 54 55
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I. Leben und Wirken
2. Anreise nach Singapore Die aus mehreren Schiffen bestehende Expedition traf Anfang August 1860 in Singapore ein59 , Eulenburg und andere Mitglieder des Unternehmens waren streckenweise über das Land gereist und erreichten am 2. August mit dem englischen Postdampfschiff den Ort von Suez kommend und bezogen Quartier auf den Schiffen.60 Als Gesandtschaftsarzt nahm Roben Freiherr Lucius von Ballhausen an der Expedition teil. 61 Am 12. und 13. August 1860 liefen die Schiffe in Richtung Japan aus, Eulenburg auf der Dampfcorvette "Arcona", und erreichten am 4. September Yeddo in Japan. 62
a) Der Vertrag mit Japan Der Vertrag mit Japan wurde mit den grundlegenden Vereinbarungen getroffen, daß Preußen das Recht der diplomatischen Vertretung in Yeddo erhielt, die Häfen von Nagasaki, Yukohama und Hakodade für preußische Schiffe und Untertanen geöffnet würden, Preußen die Rechte der meistbegünstigten Nation zugestanden wurden und der Vertrag mit dem Austausch der Ratifikationsurkunden wirksam werden sollte.63 Graf Eulenburg ließ den zuständigen Minister sofort darüber informieren. Die Verhandlungen gestalteten sich sehr schwierig, da die Kreuz- und Querfragen der Japaner den Gesandten nach An der Fragen eines neugierigen Kindes nach Gegenständen, die über seine Fassungskraft gehen, "immer wieder in das weite Feld verschlugen". Graf Eulenburg antwortete auf alles sehr ausführlich und mit exemplarischer Geduld. 64 Die Verhandlungen dauerten fast fünf Monate. 65 Hinsichtlich des Austausches der Ratifikationsurkunden und damit des Inkrafttretens des Vertrages war Japan an einer längeren Frist von ca. 30 Monaten interessiert. In einem Kompromiß stimmte Eulenburg dem mit der Maßgabe zu, daß bis dahin die preußischen Kaufleute, die sich unberechtigt in Japan
59 60
61 62 63 64 65
v. Declcer, R., Die preußische Expedition nach Ostasien, l. Bd., Einleitung, S. XVII. v. Declcer, R., Die preußische Expedition nach Ostasien, l. Bd., S. 191. Lucius von Ballhausen, Robert Freiherr, Bismarck-Erinnerungen, S. 1. v. Declcer, R., Die preußische Expedition nach Ostasien, l. Bd., S. 217. v. Declcer, R., Die preußische Expedition nach Ostasien, 2. Bd., S. 109. v. Declcer, R., Die preußische Expedition nach Ostasien, 2. Bd., S. 128. v. Delbriick, Rudolph, Lebenserinnerungen, 2. Bd., S . 181 .
D. Die Ost-Asien-Expedition
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aufhielten, ungestört in Japan verbleiben durften und die deutschen nichtpreußischen Kaufleute eine längere Frist zur bequemen Abwicklung ihrer Geschäfte gewährt bekamen. 66 Eulenburg bedauerte, daß der Zweck seiner Mission insofern nicht vollständig erreicht worden war, als der Zollverein und die anderen norddeutschen Staaten nicht in den Vertrag einbezogen worden waren. Dies wäre aber nur durchzusetzen gewesen, wenn er dieselben als ein mit Preußen zusammengehöriges politisches Ganzes dargestellt und keinen anderen Souverain als den Regenten von Preußen genannt hätte. 67 Die Vertragsunterzeichnung, die am 24. Januar 1861 stattfand, nahm geraume Zeit in Anspruch, da neben dem Vertrage das Handelsregulativ besonders zu unterschreiben war, so daß jeder Bevollmächtigte zwanzig Mal seinen Namen hinsetzen mußte. 68 Anschließend wurden Geschenke ausgetauscht. Drei Monate lang hatte die trübe Aussicht, seine Mission in Japan gänzlich scheitern zu sehen, auf dem Gesandten Eulenburg gelastet, er ließ in dieser Zeit kein erlaubtes Mittel unversucht und führte zuweilen sehr ungern sogar eine Sprache, welcher tätiger Nachdruck zu geben kaum in seiner Macht gestanden hatte. Jetzt endlich erheiterte sich sein Gesichtsausdruck, und die Hoffnung, seine Entschlossenheit und Ausdauer belohnt zu sehen, wirkte auf Eulenburg freudig belebend.69
b) Die Verträge mit China und Siam Bei den Verhandlungen entwickelte Eulenburg solche Gewandtheit und Beharrlichkeit, daß er trotz der großen Hindernjsse, die sich seiner Aufgabe neben Yeddo in Japan auch in Peking entgegenstellten, den Vertrag mit Japan bereits am 24. Januar 1861, den zwischen allen Zollvereinsstaaten, Mecklenburg und den Hansestädten und China am 2. September 1861 und den mit Siam am 7. Februar 1862 zustande brachte.70 Durch diese Handelsverträge mit Japan, China und Siam konnte u.a. die Ausweisung der preußischen Kaufleute aus Japan abgewendet und die Beteiligung preußischer Schiffe an dem Warenhandel zwischen China und Japan erreicht werden.71
66 67 68 69 70 71
v. Dec~r. R., Die preußische Expedition nach Ostasien, 2. Bd., S. 133. v. Dec~r. R., Die preußische Expedition nach Ostasien, 2. Bd., S. 162, 163. v. Dec~r. R., Die preußische Expedition nach Ostasien, 2. Bd., S. 162. v. Dec~r. R., Die preußische Expedition nach Ostasien, 2. Bd., S. 109, 110. Latz, S. 744. Born, Karl Erich, in: Neue Deutsche Biographie, S. 681.
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I. Leben und Wirken
c) Ergebnisse der Expedition Die 420.000 Taler, die für diese Mission hatten aufgebracht werden müssen, waren in der Tat sehr gut verwendet.72 Die mit Japan, China und Siam geschlossenen Verträge bildeten die rechtliche Grundlage für den diplomatischen und kommerziellen Verkehr Deutschlands mit den ostasiatischen Staaten. Die Verträge mit China und Japan wurden nicht nur für Preußen und die Zollvereinsstaaten, sondern auch für Mecklenburg und die Hanseaten geschlossen, doch so, daß Preußen allein das Gesandtschaftsrecht erhielt.73 Als die Verträge 1862 dem Landtage vorgelegt wurden, wartrotz des politischen Konflikts mit der Regierung die Befriedigung über das Ereignis allgemein und der Widerspruch verstummt. 74
3. Reiseeindrücke Eulenburg stellte seine Eindrücke, Erlebnisse und teils auch Ergebnisse dieser Expedition in einer Vielzahl von Briefen an seinen einzigen Bruder, den Grafen Phitipp Conrad zu Eulenburg dar. 75 Darin werden nicht nur die Probleme auf einer solchen Fahrt zu der damaligen Zeit und Eulenburgs besonderes diplomatisches Geschick in den häufig langen und schwierigen Verhandlungen deutlich, vielmehr schilderte er auch in sehr interessanter Weise und in besonderer Anschaulichkeit Landschaften, ihm fremde klimatische Bedingungen sowie Stimmungen und Empfindungen auch sehr persönlicher Art, auch seine Tagesabläufe und Arbeitsrhythmen. Die zahlreichen, regelmäßig geschriebenen Briefe, die in ihrer Gesamtheit den Charakter eines Reisetagebuchs gewinnen, dokumentieren einmal mehr den Fleiß Eulenburg, aber auch die enge persönliche Bindung an seinen Bruder und dessen Familie. Beispielhaft sei daher aus einigen Briefen zitiert.
72 73 74 75
v. Delbrück, Rudolph, Lebenserinnerungen, 2. Bd., S. 184. Bergengrün, Alexander, Staatsminister August Freiherr von der Heydt, S. 270. Bergengrün, S. 270. Graf zu Eu/enburg-Hertefeld, Philipp, Ost-Asien 1860.1862.
D. Die Ost-Asien-Expedition
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a) Ankunft in Alexandria So schrieb er über seine Ankunft mit dem Lloyd-Dampfer "Amerika" von Korfu kommend in Alexandria am 2. Juni 186076: Gestern, den l. Juni, um 12 Uhr kam die afrikanische Küste in Sicht, zuerst der Leuchtturm von Alexandria, dann der Palast des Vicekönigs, der Hafen, die Pompejus-Säule. Den merkwürdigsten Eindruck machte die lange, gelbe Sandküste rechts, also westlich von Alexandria, scharf abstechend gegen das tiefblaue Meer und fast verschwimmend mit dem gegen den Horizont hin rötblichen Himmel. Kaum hatten wir im Hafen Anker geworfen, so wurden wir von einer Unzahl buntbemannter Boote umgeben. Türken, Araber, Europäer in allen Farben und allen Kostümen, Alles schreiend und gestikulirend, formirten ein wunderhübsches Bild.... Der Oleander ist gerade in Blüthe und wächst hier in einer Ueppigkeit, wie ich ihn nie gesehen.... In der Nacht schläft man unter einem Moskitonetz, welches die Zudringlichkeit der Mücken, aber nicht diejenige der Höhe verhindert, die gleich in fröhlichen Sprüngen mich begrüßen kamen und namentlich meinen linken Arm sehr schmackhaft gefunden haben müssen, denn ich war heute Morgen wie tätowiert.
An sehr vielen Stellen kommen Eulenborgs Leidenschaft für Pferde und die Begeisterung für das Reiten zum Ausdruck, so auch in Alexandria. Und Pferde habe ich gesehen, zum Verlieben. Gestern Nachmittag ritt ein englischer Junge von etwa 14 Jahren auf einem arabischen Schimmel, hinter ihm ein Araber auf einem eben solchen, beide im Galopp; man konnte nichts Hübscheres sehen.77
In vielen Briefen berichtete er zudem regelmäßig von Spazierritten, die er ständig unternahm, und erwähnte auch bedauernd, wenn er die Zeit dazu nicht gefunden haue. So schrieb er am 29. Dezember 1860 u.a.: Nachdem ich bis 3 Uhr fleißig gearbeitet, ritt ich spazieren, um mir den durch Kohldampf erhitzten Kopf etwas freier zu machen.78
Am 4. Januar 1861 bemerkte er, er habe so entsetzlich viel zu tun, daß er auch an diesem Tage wieder nicht zum Reiten gekommen sei und von dem Sitzen und der Kohlenhitze einen ganz dicken Kopf habe.79
76 77 78 79
Graf zu Eulenburg-Hertefeld, Philipp, Ost-Asien 1860-1862, S. 7 f. Graf zu Eulenburg-Hertefeld, Philipp, Ost-Asien 1860-1862, S. 9. Graf zu Eulenburg-Hertefeld, Philipp, Ost-Asien 1860-1862, S. 137. Graf zu Eulenburg-Hertefeld, Philipp, Ost-Asien 1860-1862, S. 143.
3 Lange
I. Leben und Wirken
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b)Vertragsabschlüsse mit Japan, China und Siam Über den Vertragsabschluß für Preußen mit Japan berichtete er am 11.Januar1861 80 u.a., daß sich definitiv entschieden habe, daß der Vertrag nur mit Preußen geschlossen werden solle. Seinem diplomatischen Talent mache das wenig Ehre, aber in der Sache selbst sei es sehr gut. Es sei die höchste Zeit gewesen, daß Preußen einen Vertrag mit Japan gemacht hätte, denn es sei bei seiner Ankunft der Befehl an alle Deutschen, die in Jokohama wohnten, ergangen, das Land zu verlassen. Jetzt habe ich den Preußen das Recht erwirkt, zu bleiben; preußische Schiffe werden den sehr lebhaften Handel zwischen China und Japan betreiben können, aber auch nur Preußische, nicht hannoversche, oldenburgische oder harnburgische! Deutsche, die sich in Japan niederlassen wollen, müssen Preußen werden oder sich wenigstens für solche ausgeben. Wer von Deutschland aus Waaren nach Japan verschiffen will, muß sich dazu preußischer Schiffe bedienen. So wird Deutschland hier für die nächsten zehn bis zwanzig Jahre nur durch die schwarz weiße Aagge repräsentirt sein, und ich denke, c'est precisement ce qull fant.
Und am darauffolgenden Tag stellte Eulenburg fest: Dafür wurde heute sehr fleißig gearbeitet. Ich habe heute, seit meiner Abreise von Berlin, den 56. Bericht an den Minister erstanet. 81
Die Ausstellung und Übergabe von Geschenken in Taikun anläßlich eines Frühstücks schilderte Eulenburg am 14. Januar 1861.82 Rings umher auf Tischen, hölzernen Divans und Stühlen lagen die schönen Bücher aufgeschlagen, und auf einem großen Tische an der schmäleren Wand, dem Regenten gegenüber, standen kalte Fasanen, Enten, Roastbeef, Reis mit Curry, Eier, warmes gedämpftes Rindfleisch mit Kartoffeln, gebratene Fische, sehr viel Bordeaux, sehr viel Sekt in Schnee und einige Buddeln Schnaps. Gegen I Uhr versammelte sich meine ganze Gesellschaft im Salon, und bald darauf erschien Harris mit Heusken und Alcock mit sechs Dolmetschern, Sekretären und Attaches. Der Verlauf des Frühstücks war wie der jedes vergnügten Frühstücks. Erst bekomplimentirte man sich, besah bewundernd und lobhudelnd die Geschenke, aß dann etwas Fisch, trank ein Glas Bordeaux, fing an, auf die Fasanen und Enten einzuhauen, schlürfte Sekt mit großem Appetit, wurde lauter und lauter, bis die ganze junge Gesellschaft berauscht war und meine Telegraphen in Gefahr brachte. Auf allen Gesichtern stand großes Vergnügen geschrieben. Das ist dann der richtige Moment, um abzubrechen. Ich proponirte einen Spazierrin, und wir setzten uns zu Pferde, 17 Herren und 23 Jakunins. So waren wir 40 Reiter. Die Sonne schien prächtig klar und warm. Ich und Alcock rinen in ehrsamem Trabe voraus, die übrige Gesellschaft machte in ihrer Trunkenheit Unsinn, und der unergründliche Schmutz spritzte uns um die Ohren.
Über die Vertragsunterzeichnung mit Japan berichtete Eulenburg am 24. Januar 186!83 :
80 81 82 83
Graf zu Eulenburg-Hertefeld, Philipp, Ost-Asien 186(}.1862, S. Graf zu Eulenburg-Hertefeld, Philipp, Ost-Asien 186(}.1862, S. Graf zu Eulenburg-Hertefeld, Philipp, Ost-Asien 186(}.1862, S. Graf zu Eulenburg-Hertefeld, Philipp, Ost-Asien 186(}.1862, S.
147. 148. 149. 158.
D. Die Ost-Asien-Expedition
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Um 2 Uhr erschienen die Gouverneure, um 5 Uhr gingen sie weg, und ich trug meinen Vertrag in mein Stübchen und drückte ihn an mein Herz wie ein schwer zur Welt gekommenes Kind. Heute ist, soviel ich weiß, der Gehunstag Friedrichs des Großen. Möge es ein gutes Omen sein. Im Uebrigen ist nun alles gleichgültig, was noch aus der Expedition wird. Mag noch etwas mehr erreicht werden oder nicht, mögen wir ersaufen oder sonst wie verderben, die Hauptaufgabe ist erfüllt und von Blamage ist nicht mehr die Rede. Ich danke Gott auf den Knieen, daß er soweit geholfen hat.
Aus diesen Zeilen wird deutlich, wie mühevoll der Vertrag mit Japan erkämpft werden mußte und welche Bedeutung ihm Eulenburg und auch Preußen zumaßen. Die Anstrengungen Eulenburgs wurden klar, als er tags darauf schrieb, er sehne sich unendlich nach acht Tagen vollständiger Ruhe, aber nicht nach Art der Ruhe, wie sie ihn nun auf dem Schiffe erwarte, mit "auf dem Rücken liegen" und angenehmer Magenstimmung. 84 Nach dem Vertragsabschluß mit Japan hatte sich Eulenburg entschlossen, zunächst nach Siam zu gehen, mit Rücksicht auf Wind und Wetter und aufgeund der Mitteilung des Lord Elgin, daß die damalige Lage Chinas Preußens Anträgen wenig Aussicht auf Erfolg böte, daß besser eine Konsolidierung der politischen Verhältnisse abgewartet werden sollte. 85 Demgegenüber behaupteten andere kundige Freunde in Shang-Hae, die Konjukturen Chinas seien günstig, die Schwäche der Regierung und ihr Streben, das gute Einvernehmen mit den fremden Mächten zu erhalten, schienen den Abschluß des Vertrages zu verbürgen. Daher beschloß Graf Eulenburg schon nach zweitägigem Aufenthalt in Shang-Hae, zunächst in China sein Glück zu versuchen.86 Ein Schreiben, in dem Eulenburg die Wünsche der preußischen Regierung und seine bevorstehende Ankunft in Tient-Tsin meldete, wurde von englischen Konsularbeamten ins Chinesische übersetzt. Um Angabe von geeigneten Übermittlungswegen bat Eulenburg die Gesandten von Russland, England und Frankreich. Zwischenzeitlich in China angekommen, berichtete Eulenburg am 31. Mai 186287 aus Tient-Tsin, daß die chinesische Regierung zwar einen Handelsvertrag, aber keinen politischen Vertrag mit Preußen wolle, weshalb er nach Peking zum Prinzen von Kung müsse, um alles zu versuchen, was in seinen Kräften stehe. Seine Kräfte waren nach seinen eigenen Bekundungen, die sich gegen Ende seiner Mission häuften, nicht mehr die besten, er war offensichtlich durch die
84
Graf zu Eulenburg-Hertefeld, Philipp, Ost-Asien 1860-1862, S. 159.
87
Graf zu Eulenburg-Hertefeld, Philipp, Ost-Asien 1860-1862, S. 241.
85 v. Decker, R., Die preußische Expedition nach Ostasien, 86 v. Decker, R., Die preußische Expedition nach Ostasien,
li!. Bd., S. 421. li!. Bd., S. 422.
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I. Leben und Wirken
anstrengende Arbeit und die klimatischen Belastungen deutlich geschwächt. So bekundete er am 21. Juni 1861 u.a. 88 : Unsere Regierung muß keine Befürchtung vor Krieg haben, sonst würde sie mir nicht eine Menge neuer Aufträge schicken, deren Ausführung noch unendlich lange Zeit erfordern wird. Auch müssen diese Leute eine eigenthümliche Idee von meinen Geistes- und Körperkräften haben, wenn sie sich einbilden, ich könnte Jahre lang hintereinander mich damit beschäftigen, in diesen Klimaten die schwierigsten Aufgaben zu lösen, die einem gestellt werden können. Schon jetzt bin ich halb aufgerieben, und dürfte ich mich nicht der bestimmten Hoffnung hingeben, im Frühjahr künftigen Jahres mich wieder auf vaterländischem Boden zu befinden, so würde das Bißehen Courage, welches ich noch habe, der größten Niederschlagenheil Platz machen.
Die Verhandlungen mit China gestalteten sich äußerst schwierig, wurden unterbrochen und dann wieder aufgenommen. Man drehte sich im Kreise, da die chinesischen Kommissare Eulenburg mitteilten, sie dürften nur über Handelsbestimmungen verhandeln, worauf Eulenburg antwortete, er sei als Unterhändler nur befugt, auf der Grundlage eines politischen Vertrages zu verhandeln.89 Eulenburg teilte später den Kommissaren mit, daß er auf dem Rechte der Gesandtschaft fest bestehe, auch wenn diese Forderung zum Abbruch der Verhandlungen führen sollte.90 Gegenstand war das Gesandtschaftsrecht, das die Chinesen rundweg verweigerten, der Kaiser sollte sodann über ein Kompromißangebot entscheiden. Am 4. Juli 1861 schrieb Eulenburg der Familie seines Bruders91 : Die größte Lust habe ich eigentlich, auf ein paar Monate nach Nagasaki zurückzukehren und mich dort in der schönen Natur so recht auszuruhen. Ich bedarf es wirklich. Denkt Euch, daß ich in der letzten Zeit, um nur fertig zu werden, täglich von 6 Uhr des Morgens bis 6 Uhr Abends habe arbeiten müssen, und das bei einer Hitze von 30 bis 32 Grad Reaumur.92 Dabei diese innere Aufregung, dieses ewige Abängstigen und oft auch noch Aerger, daß einem die Galle überlaufen möchte.Ich bin zuweilen so müde, so niedergeschlagen, so verzweifelt, daß ich die größten Anstrengungen machen muß, um meiner Umgebung meinen Zustand nicht zu verrathen. Von dem Allen hat man in Berlin keine Idee; diese Leute bilden sich, wie es scheint, ein, daß ich herrlich und in Freude lebe, daß mir alle Verträge auf dem Präsentirteller gebracht werden und daß ich so dumm bin, aus Bescheidenheit nur ein Stückehen und nicht den ganzen Vertrag zu nehmen.
Am 7. Juli 1861 knüpfte Eulenburg daran an93 : Sollte ich noch einmal zurückkehren, so könnte mir Einer alle Schätze der Welt bieten, ich würde die Sache nicht noch eirunal machen.
Nach amtlichen Äußerungen der chinesischen Regierung war der Kaiser Hien-Fun am 21. August 1861 verstorben, habe jedoch noch am 19. August 88
Graf zu Euienburg-Hertefeld, Philipp, Ost-Asien 186().1862, S. 252. v. DeckLr, R., Die preußische Expedition nach Ostasien, IV. Bd., S. 42, 43. 90 v. DeckLr, R., Die preußische Expedition nach Ostasien, IV. Bd., S. 44. 91 Graf zu Eulenburg-Hertefeld, Philipp, Ost-Asien 186().1862, S. 255. 92 37,5-40 Grad Celsius. 93 Graf zu Eulenburg-Hertefeld, Philipp, Ost-Asien 186().1862, S. 256. 89
D. Die Ost-Asien-Expedition
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den preußischen Vertrag genehmigt, ohne eine Silbe daran geändert zu haben. Das mit dem kaiserlichen Siegel versehene Approbationsdekret sei in Pe-Kin eingetroffen.94 Unter dem 2. September 1861 berichtete Eulenburg dann von der Vertragsunterzeichnung mit China, nicht nur im Namen Preußens, sondern auch für alle übrigen Zollvereinsstaaten, die mecklenburgischen Großherzogtümer und die Hansestädte. Am 2. September morgens erschienen die chinesischen Kommissare und überreichten die in gelbseidenem Umschlag steckende Abschrift des Approbationsdekrets; nach kurzem Gespräch schritt man zur Unterzeichnung des in vier deutschen, vier chinesischen und vier französischen Exemplaren ausgefertigten Vertrages. 95 Nach Unterzeichnung und Auswechselung der Urkunden fand ein Frühstück statt, wenngleich bedauert wurde, daß die Trauer um den verstorbenen Kaiser die vorbereiteten glänzenden Festlichkeiten verhinderte. Als Ergebnis dieses Tages wurde festgehalten96: So wurde denn der 2. September, an welchem wir ein Jahr vorher den Taifun bestanden und den (Kreuzer) Frauenlob verloren, in diesem Jahr durch Vollendung des mit schweren Mühen und Leiden erkauften wichtigsten Werkes der Expedition zu einem Freudentage. Der preußische Vertrag war der erste von gleicher Bedeutung, welcher in China ohne Anwendung von Gewalt, durch freie Vereinbarung geschlossen wurde.
Graf Eulenburg beschloß danach, auf die Einladungen des russischen und des französischen Gesandten, zunächst Pe-Kin zu besuchen97 , und zwar vom 10. September bis 6. Oktober 186!.98 Es folgten dann die Verhandlungen mit Siam in Bangkok. Die preußische Gesandtschaft hielt sich vom 22. November 1861 bis zum 24. Februar in Siam auf, mit dem Ziel, eine vertragliche Regelung herbeizuführen, wonach die Angehörigen des deutschen Zollvereins sich in Siam niederlassen und dort Handel treiben durften. 99 So beschrieb Eulenburg am 20. Januar 1862 aus einer Besprechung eines Hauptpunktes des Vertrages seine Verhandlungspartner, die königlichen Bevollmächtigten100:
v. Decker, R., Die preußische Expedition nach Ostasien, IV. Bd., S. 91, 92. v. Decker, R., Die preußische Expedition nach Ostasien, IV. Bd., S. 92. v. Decker, R., Die preußische Expedition nach Ostasien, IV. Bd., S. 93. 97 v. Decker, R., Die preußische Expedition nach Ostasien, IV. Bd., S. 97. 98 v. Decker, R., Die preußische Expedition nach Ostasien, IV. Bd., S. 99. 99 Wenk, Klaus, Die Beziehungen zwischen Deutschland und Thailand. In: Direck JayanamtJ, Klaus Wenk, Max BiehJ, Thailand, S. 56. 100 Graf zu Eulenburg-Hertefeld, Philipp, Ost-Asien 1860.1862, S. 375. 94
95 96
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I. Leben und Wirken
Sie hatten ihre Füße fast immer in der Hand, kauten Betel, spuckten den blutrothen Saft in die kupfernen Vasen und tranken Thee aus kleinen chinesischen Täßchen und allerliebsten kleinen goldenen Theetöpfchen. Nicht nur die Diener, die ihnen etwas reichten, näherten sich ihnen auf Knieen und Ellbogen, sondern auch die zahlreichen Arbeiter und Alles, was vorüber muß, kriecht entweder wirklich oder macht doch so.
Am 23. Januar 1862 berichtete Eulenburg vom Abschluß der Vertragsverhandlungen mit Siam. 101 Heute bin ich auch hier mit meinen Verhandlungen fertig geworden. Es wird der Vertrag jetZl abgeschrieben, was, namentlich mit dem siamesischen Text, wohl mindestens eine Woche dauern wird, dann werde ich ihn unterzeichnen, und damit wird meine ostasiatische Aufgabe beendigt sein. Gott sei gelobt und gepriesen! Ich kann nur wiederholen, daß alle Schätze der Welt mich nicht dazu bestimmen würden, dieselbe Campagne noch einmal durchzumachen.
Da Graf Eulenburg leidend war, mußten die Abschiedsaudienzen verschoben werden. 102
4. Rückfahrt und Abschluß der Expedition
Über den Beginn der Rückfahrt und die durchgemachten Strapazen wurde dann noch einmal eindrucksvoll berichtet. 103 Wir versammelten uns diesmal in Singapore weder so zahlreich, noch gesund und heiter wie anderthalb Jahre zuvor; über Viele hatten sich die Wellen geschlossen, Andere barg die fernste fremdeste Erde. Regierungsrath Wichura lag in Java fieberkrank, Manche, die sich noch aufrecht hielten, brachen auf der Rückreise zusammen; übermüdet waren Alle. Von der Mannschaft der Schiffe erlagen noch viele, ohne die Heimath wiederzusehen; Andere starben bald nach der Rückkehr. Weit mehr Opfer, als irgend Jemand befürchtete, forderten nachträglich die klimatischen Strapazen.
Eulenburg schiffte sich mit mehreren Begleitern auf dem englischen Postdampfer zunächst nach Ceylon ein. 104 Am 25. Januar 1862 berichtete Eulenburg dann, daß er vom König und der königlichen Regierung besondere Anerkennung über den erfolgten Vertragsabschluß erfahren habe. 105 Nach seiner Rückkehr Ende April 1862 wurde Eulenburg der Rothe Adler Orden 2. Klasse mit Eichenlaub verliehen. 106
101 102 103 104 105 106
Graf zu Eulenburg-Hertefeld, Philipp, Ost-Asien 1860.1862, S. 379. v. Decker, R., Die preußische Expedition nach Ostasien, IV. Bd., S. 320. v. Decker, R., Die preußische Expedition nach Ostasien, IV. Bd., S. 350. V. Decker, R., Die preußische Expedition nach Ostasien, IV. Bd., S. 350. Graf zu Eulenburg-Hertefe/d, Philipp, Ost-Asien 1860.1862, S. 380. Lotz in ADB, S. 744, 745.
E. Berufung zwn Minister des Innem
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Er wurde sodann unter Vorbehalt weiterer Verwendung im auswärtigen Dienst zur Disposition gestellt und vorläufig im auswärtigen Ministerium beschäftigt.107
E. Berufung zum Minister des Ionern Am 8. Dezember 1862 wurde Graf zu Eulenburg bei einem partiellen Ministerwechsel, zugleich mit Herrn von Selchow und Graf Itzenplitz, vom Könige in das Kabinett, das Staatsministerium, berufen, und zwar als Minister des Innern, nachdem er schon einige Monate vorher die Übernahme des Handelsministeriums abgelehnt hatte. 108 Er war der erste Minister seines Namens.109 An die Stelle des Herrn von Jagow in Ministerium des Innem trat Graf Friedrich Eulenburg, ein grundgescheiter Mann von großer Lebens-, wenn auch etwas geringerer Arbeitslust, aber ein einsichtiger Politiker, ein unerschrockener und schlagfertiger Debater, von festen monarchischen Grundsätzen und ebenso frei von beschränktem Parteifanatismus, wie Bismarck selbst.ll 0
Der König hatte Herrn von Selchow das Innenministerium zugedacht, Bismarck bat jedoch, von dessen Ernennung abzusehen, weil er ihn der Aufgabe nicht für gewachsen hielt, und schlug statt seiner den Grafen Friedrich Eulenburg vor. Beide Herren standen mit dem König in freimaurerischen Verbindungen.U1 Eulenburg soll dabei als "hoher Freimaurer" die besondere Gunst Wilhelm I. besessen haben. 112 Von Selchow und Eulenburg wurden bei den Schwierigkeiten, welche die Vervollständigung des Ministeriums hatte, erst im Dezember zum Eintritt bewogen. 113 Bismarck hatte bei dem Vorschlag, Eulenburg statt von Selchow zum Innenminister zu berufen, dem König vorgetragen, er lege in diesem Falle viel mehr Gewicht auf persönliche Begabung, Geschick und Menschenkenntnis, als auf technische Vorbildung. 114
!07
Auskunft Auswärtiges Amt Bonn, Politisches Archiv, Personalakte Friedrich Albrecht Graf
10s 109
Hollaclc, E., Nachrichten über die Grafen zu Eulenburg, S. 106.
zu Eulenburg.
GStAPK Berlin-Dahlem, I. HA, Rep. 94, Nr. 415, Portrait, Nr. 33, BI. 2.
110 v. Sybel, Heinrich, Die Begründung des Deutschen Reiches durch Wilhelm I., Volksausgabe, 2. Bd., S. 336. lll v. Bismarck, Gedanken und Erinnerungen, S. 229, 230. ll2 v. Petersdorff, Herman, Kleist-Retzow, S. 439. 113 v. Bismarck, Die gesammelten Werke, Bd. 15, Erinnerung und Gedanke, S. 205. ll4 v. Bismarck, Die gesammelten Werke, Bd. 15, Erinnerung und Gedanke, S. 206.
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I. Leben und Wirken
Eulenburg wurde von Bismarck, der am 23. September 1862 den Vorsitz des Ministeriums übernommen hatte, in das sog. Konfliktsministerium berufen; Konfliktsministerium deshalb, weil es einige Jahre bis nach dem Krieg von 1866 budgetlose Verwaltung praktiziert und sich daher ein ausgeprägter Konflikt zum Landtag herausgebildet hatte. 115 Der König hatte gegen die Berufung Eulenburgs als Minister des Innern Bedenken gehabt, die Bismarck mit dem Hinweis überwandt, daß er (Eulenburg) wohl "arbeitsscheu und vergnügungssüchtig", aber auch "gescheit und schlagfertig" sei und daß ihn, wenn er als Minister des Innem in der nächsten Zeit als der Vorderste auf der Bresche stehen müsse, das Bedürfniß, sich zu wehren und die Schläge, die er bekomme, zu erwidern, aus seiner Unthätigkeit herausspornen werde. 116
In seinem Schreiben vom 7. Dezember 1862 meldete Bismarck dem König, daß das Kabinett das Hinzutreten des Grafen Eulenburg und des Oberpräsidenten von Selchow zum Bestande des Ministeriums als einen Abschluß der bisherigen Ungewißheit dankbar entgegennehmen würde, die Herren von Bodelschwingh und von Roon hätten auf ihre zuvor geäußerten Bedenken gegen Graf Eulenburg als Innenminister verzichtet. 117 Auch Andrae hatte Bismarck vor der Berufung Eulenburgs gewarnt. Am 7. März 1865 schrieb er an Ludwig von Gerlach u.a. 118 : Es ist wahr, ich habe dem Grafen Eulenburg nie ein Verständnis für wirklich konservative, d.h. für christliche Interessen zugetraut und es stets für einen Fehlgriff gehalten, daß er berufen wurde, es auch Herrn von Bisrnarck offen ausgesprochen als ich seine Berufung noch nicht fest beschlossen glaubte.
Bismarck schlug trotz der Mahnungen gleichwohl den Grafen Eulenburg für das Innere vor und äußerte gegenüber dem König weiter119 : Dem Ministerium des Innem wird, den Kammern gegenüber, eine sehr viel schwierigere Aufgabe als dem Handelsministerium zu Theil, und deshalb müßte, meines allerunterthänigsten Erachtens, die fähigste und schlagfertigste Kraft, die ohne Zweifel bei Graf Eulenburg zu finden ist, auf diese Stelle gebracht werden. Durch zwei so kluge und brauchbare Mitglieder wie Graf Eulenburg und Selchow, würde das Ministerium eine wesentliche Kräftigung, nicht nur für sei· ne Leistungen, sondern auch für sein Ansehn im Lande gewinnen.
Bismarck brachte in diesen Zeilen seine ganze Hochachtung und Wertschätzung über den Grafen Eulenburg als Person und seine Kenntnisse und Fähigkeiten dem König gegenüber sehr deutlich zum Ausdruck, um seine Be-
115 Lotz in ADB, S. 745; eingehend: Huber, Ernst Rudolf, Deutsche Verfassungsgeschichte seit 1789, Bd. III, S. 305 ff., S. 333 ff. 116 v. Bismarck, Gedanken und Erinnerungen, S. 230. 117 v. Bismarck, Die gesammelten Werke, Bd. 4, Politische Schriften, S. 20. 118 v. Ger/ach, Ernst Ludwig, Von der Revolution zum Norddeutschen Bund, 2. Teil, S. 1214. 119 v. Bismarck, Die gesammelten Werke, Bd. 4, Politische Schriften, S. 20.
E. Berufung zum Minister des Innem
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rufung ins Kabinett auf den Posten des Innenministers zu erreichen, und zwar nicht ohne Erfolg. Diese Einschätzung über Eulenburg hielt Bismarck jedoch nicht davon ab, ihn schon kurze Zeit später ganz anders darzustellen. Am 4. März 1863 beklagte er sich gegenüber Ernst Ludwig von Gerlach, Eulenburg sei unzuverlässig, fürchte sich, obgleich er nichts habe und sein Ministerium sei mit Roten besetztY.a Bismarck wollte damit offensichtlich zum Ausdruck bringen, daß Eulenburg sich grundlos fürchtete und die Mitarbeiter in dessen Ministerium nicht den Vorstellungen des Fürsten entsprachen. Der König gab also dem Wunsch Bismarcks nach und berief Eulenburg zum Minister. Bismarck selbst glaubte auch im nachhinein, daß seine Wahl den Umständen nach richtig gewesen sei, denn wenn ich auch unter dem Mangel an Arbeitsamkeil und Pflichtgefühl meines Freundes Eulenburg mitunter schwer gelinen habe, so war er doch in den Zeiten seiner Arlx:itslust ein tüchtiger Gehilfe und immer ein feiner Kopf, nicht ohne Ehrgeiz und Empfindlichkeit, auch mir gegenüber. Wenn die Periode der Entsagung und ange~trengten Arlx:it länger als gewöhnlich dauerte, so verfiel er in nervöse Krankheiten. Jedenfalls waren er und Roon die Hervorragendsten in dem Konfliktministerium. 121
Diese Einschätzung bestätigte Bismarck in seinem Brief an den König am 22. Oktober 1869122, als es um den Eintritt des Grafen Königsmarck in das Kabinett ging, als er betonte, daß ihn dessen Eintritt erfreuen würde, namentlich als Landwirtschaftsminister "oder für das Innere, falls dieses Ressort nicht mit einer so wohl befähigten Kraft wie Graf Eulenburg besetzt wäre."
1. Das Ministerhotel Zu Beginn seiner Ministerzeit bezog Eulenburg das große Ministerhotel Unter den Linden 73. 123 Auch und gerade während seiner langjährigen Ministerzeit pflegte Eulenburg intensive Beziehungen zur Familie seines Bruders. Sein Neffe Philipp erinnert sich124 :
v. Gerlach, Ernst Ludwig, Von der Revolution zum Norddeutschen Bund, 1. Teil, S. 441. v. Bi.smarck, Die gesammelten Werke, Band 13, Gedanken und Erinnerungen, S. 230- Mit "Konfliktministerium" bezeichnete Bismarck das Kabinen während des Budget-Streites mit dem Abgeordneten-Haus 1861 -1866. 122 v. Bi.smarck, Die gesammelten Werke, Bd. 6 b, Politische Schriften, S. 154. 123 Haller, Johannes, Aus 50 Jahren, S. 45. 124 Haller, Johannes, Aus 50 Jahren, S. 45. 120
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I. Leben und Wirken Er bat meine Eltern, dasselbe (das Ministerhotel) ganz als ihr eigenes Heim zu betrachten.... Das Ministerium meines Onkels war ein glänzendes Absteigequartier, wo meine Eltern und wir drei Geschwister, meine Schwester Ada, mein Bruder Fredi (Friedrich) und ich ein jedes sein Zimmer hatte, und wo meine Mutter bei der vielen und glänzenden Geselligkeit die Honneurs als Frau des Hauses ein für alle Mal übernommen hatte.... Es blieb uns aber Berlin Unter den Linden 73 bis zu der Zeit, da mein Onkel erkrankte (1878) und seinen Abschied nahm.
In der ersten Zeit seiner Tätigkeit als Innenminister war Eulenburg nahezu ausschließlich damit befaßt, parlamentarische Angriffe gegen die Staatsregierung abzuwehren und die Autorität der Krone zu verteidigen. Er war jedoch auch bereits erfolgreich in der Führung der Polizei. Bismarck schrieb dazu am 11. Juli 1863 an den Minister von Mühler u.a. 125: Ich hab heute viel zu thun, und komme vielleicht nicht dazu Eulenburg zu schreiben. Würden Sie die Güte haben, ihm zu sagen: Der König ist mit dem Verhalten der Polizei bei den Aufläufen sehr zufrieden, und erwanet Anträge auf Auszeichnungen der belheiligten Schutzmannschaft.
2. Die Preß-Ordonnanz In die Anfangszeit der ministeriellen Tätigkeit Eulenborgs fiel auch die am I. Juni 1863 von der Staatsregierung erlassene Presse-Notverordnung (sog. Preß-Ordonnanz). Diese Preßverordnung ermächtigte die Verwaltungsbehörden, Zeitungen und Zeitschriften nach zweimaliger Verwarnung wegen fortdauernder, die öffentliche Wohlfahrt gefährdender Haltung zeitweise oder auf Dauer zu verbieten. 126 In einer Rede vor dem Abgeordnetenhausam 19. November 1863 wies Eulenburg einen wesentlichen Anteil an der damaligen Beunruhigung der Bevölkerung des Landes der Presse zu und führte dazu u.a. aus, es gäbe leider unendlich wenig Blätter, denen es darum ginge, eine politische Doktrin, eine Überzeugung zu predigen, Proselyten zu machen und die Verwirklichung dieser Doktrin im Lande einzuführen. Wir haben meistentheils Annoncenblätter, welche suchen, so viel Absatz und so viel Gewinn als möglich zu erzielen, welche auf Neugier und auf die Aufregungslust des Publikums spekuliren, denen jede Nachricht, sie möge so falsch sein, wie sie immer wolle, wenn sie nur pikant ist, jeder Angriff, er möge so verwerflich sein, wie er wolle, wenn er nur dem Strafgesetzbuch vorbeiläuft, recht ist, um ihn in tausend und abenausend Exemplaren zu verbreiten und sich dadurch Annoncen zu verschaffen. 1Z7
125 126 127
v. Mühler, Heinrich, Königlich Preußischer Staats- und Kultusminister, S. 125. Handwönerbuch zur deutschen Rechtsgeschichte (HRG), III. Band, S. 1918. v. Decker, R., Zehn Jahre innere Politik 1862-1872, S. 13.
E. Beruflmg zwn Minister des Innem
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Das Abgeordnetenhaus versagte die nachträgliche Genehmigung der Preßverordnung, welche demzufolge von der Staatsregierung sofort außer Kraft gesetzt wurde. Am 16. Mai 1865 verlieh Wilhelm aus Anlaß der 50-jährigen Vereinigung der Rheinprovinz mit Preußen im Rahmen mehrerer Ordensverleihungen Eulenburg den Rotben Adler Orden 1. Klasse mit EichenlaubP.s
3. Die Indemnitätsvorlage In den Jahren des Konflikts und auch bei der Einholung der "Indemnität" nachträgliche Billigung des seit 1862 nicht mehr verabschiedeten Etats des Staatshaushalts - vom Landtag erwies sich Eulenburg als tüchtiger Mitarbeiter Bismarcks und war anerkanntermaßen neben diesem und Roon unzweifelhaft die erste Kapazität des Staatsministeriums und zudem ein ausgezeichneter Parlamentsredner. Zur Beendigung des Konflikts hatte als erster Eulenburg am 28. Juni 1866 ein Schreiben an Bismarck gesandt mit einem Entwurf eines Passus der Thronrede nebst eingehender Molivierung für die Eröffnung des Landtages.129 In diesen Aktenstücken 130 beantragte und motivierte Eulenburg eingehend die Notwendigkeit, es zur Beruhigung der Gemüter im Lande seitens der Regierung ausdrücklich anzuerkennen, daß nach dem Sinne der Verfassungsurkunde Ausgaben, welche nicht auf Gesetzen beruhen oder nicht, sei es dauernd, sei es für das betreffende Jahr von der Landesvertretung bewilligt worden sind, nicht geleistet werden dürfen. 131
Zudem forderte Eulenburg, diesen Passus ausdrücklich in die Tranrede aufzunehmen, desgleichen den Antrag auf "nachträgliche Gutheißung" (der Ausgabe) an die Landesvertretung.132 Außerdem sollte, so Eulenborgs Vorschlag, zur Beruhigung für die Zukunft die Vorlegung eines Gesetzes über die Verantwortlichkeit der Minister in Aussicht gestellt werden. 133 Der beigefügte Entwurf eines Passus der Thronrede zeigte die große Gewandtheit Eulenburgs,
128
GStA Merseburg, Acta Zivilkabinett, 3.5.2.7., 2.2.1 Nr. 2027, Bd. 46, BI. 10, 11.
RiJter, Gerbard, Die Entstehung der lndernnitätsvorlage. In: Historische Zeitschrift, 114. Band, S. 26; zum folgenden ausführlich: Huber, Emst-Rudolf, Deutsche Verfass\Ulgsge12.9
schichte seit 1789, Bd. III, S. 269 ff. 130 v. Roon, Denkwürdigkeiten, 2. Bd., S. 309, 310. 131 RiJter, S. 58. 132 RiJter, S. 59. 133 RiJter, S. 59.
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I. Leben und Wirlc:en
den Forderungen des Landtags entgegenzukommen, ohne den Rechten der Krone grundsätzlich oder tatsächlich etwas zu vergeben. 134 So war man Anfang Juli 1866 im Ministerium anscheinend einig darüber, daß etwas geschehen müsse, um den inneren Konflikt versöhnlich zu beenden. Auch Bismarck selbst engagierte sich offensichtlich sehr. Eulenburg berichtete Keudell über die Anwesenheit des Fürsten in den Kommissionen des Abgeordnetenhauses.135 Bismarck ist jetzt gar nicht wieder zu erlc:ennen. Die dümmsten Fragen und Einwendungen beantwortet er mit unermüdlicher Geduld und mit - ich kann nur sagen - kindlicher Liebenswürdigkeit. Er ist ein zu merlc:würdiger Mensch.
Wenn auch später dem etwas abgeänderten Entwurf des Finanzministers von der Heydt, dessen Anträge und Motive mit dem Entwurf Eulenburgs fast völlig, zum Teil wörtlich übereinstimmten, ("nachträgliche Gutheißung" wurde durch "Indemnität" ersetzt), und der Inhalt desselben zu einem großen Teile in die am 5. August 1866 gehaltene Thronrede überging, der Vorzug gegeben wurde, so bleibt es doch Eulenburgs Verdienst, in dieser so wichtigen Frage zur Beendigung des Konflikts die entscheidende Initiative gesetzt zu haben. 136 Eulenburg trat auch für die Aufrechterhaltung und Durchführung der Reorganisation der Armee mit der ganzen Energie seines Wesens ein. 137
4. Verwaltungsreform Seit 1866 setzte dann bei Eulenburg eine lebhafte positive Reformtätigkeit ein, die zunächst die Einrichtung der neuen Provinzen auf preußischem Fuß und weiterhin die Umgestaltung der inneren Verwaltung durch Einführung der Selbstverwaltung und der Verwaltungsrechtsprechung zum Gegenstand hatte.13s Nach der Vergrößerung Preußens im Jahre 1866 wandte er sich somit den bisher zurückgestellten positiven Aufgaben seines Ressorts zu und leistete zunächst unter Wahrung der Interessen der Gesamtmonarchie wie der berechtigten Eigentümlichkeiten der neuen Gebiete mit staatsmännischem Blick und 134 Ritter, S. 26. 135 v. Keudell, Roben, Fürst und Fürstin Bismarck, S. 309. 136
137
v.Roon, S.310.
Geheimes Staatsarchiv (GSlA) Merseburg, Acta Ministerium des Innem, Rep. 77, Tit. 183 d, Nr. 3, BI. 148. 138 Lotz in ADB, S. 745.
E. Berufung zum Minister des Innem
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mit sicherer und schonender Hand die neuen Landesteile in die neue preußische Ordnung hinüber, nicht ohne die Hoffnung, aus den hier gemachten Erfahrungen für Altpreußen Nutzen zu ziehen. Er richtete in einigen neuen Landesteilen eine kommunale Selbstverwaltung in ihren Landesdirektionen, Ausschüssen und Landtagen ein. Mitte des Jahres 1866 muß Eulenburg mit Regierungstätigkeit und Kabinettsarbeit rechtschaffen ausgelastet gewesen sein. Darauf weisen seine Briefe hin, die er an Bismarck schrieb. Am 13. September 1868 berichtet er u.a. 139 : Nachdem einige Wochen lang der Staat von mir und Roon regiert worden war- wobei sich Roon namentlich durch Vertretung des Justizministers ausgezeichnet hat - sind vorgestern Heydt und gestern Leonhardt wieder eingesprungen.
Eulenburg hat danach also das Staatsministerium nahezu allein geführt und dementsprechend auch die dabei anfallende Arbeit allein erledigt. Er berichtete dann weiter über seine Ministerkollegen: Heydt hat eine Reise nach dem Süden Frankreichs gemacht, ltzenplitz sitzt auf Haus Tornow und trinkt Carlsbader, Selchow ist seit geraumer Zeit verschwunden, ohne eine fühlbare Lücke zurückzulassen: man sagt, er bade irgendwo in der Ostsee. Mühler endlich befindet sich mit Familie inPutzarbei seinem Schwiegersohn. Er ist ... wohl krank.
Und über Mühlers Frau wußte er: Sie soll sehr schlechter Laune sein, seit ihr auf der Rheinreise, einige Aasehen für sie präparirten Rohweins, die sie in den Kleiderkoffern gepackt hane, zerbrochen sind, und ihre ganze Garderobe derart verdorben haben, daß ihr nur die bescheidensten Gewänder übrig geblieben sind, mit denen sie nur im Zwielichte hat ausgehen können.
Eulenburg berichtete hier nicht gerade mit besonderem Respekt über seine Ministerkollegen, er gab über sie auch seine Einschätzung bei. Eulenburgs langer Arbeitstag wurde auch aus seinem Brief an den Fürsten vom 13. Oktober 1868140 deutlich, als er nur kurz auf ein beigelegtes Besprechungsprotokoll hinwies und dann schloß: Morgen mehr darüber. Ich bin heute zu müde. Vier Stunden Staatsministerium und acht Stunden Hausarbeit. Ihr Eulenburg
Es reichte hier nicht einmal zu einem "Ihr treu ergebener Freund" oder einer ähnlichen Formulierung oder aber gar zu der sonst häufig zu findenden Empfehlung an die Damen Bismarcks, Frau und Tochter.
139 140
Auskunft Auswärtiges Amt Bonn, Politisches Archiv, Akte R 294, BI. 52-55. Auskunft Auswärtiges Amt Bonn, Politisches Archiv, Akte R 294, BI. 62, 62 R.
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I. Leben und Wirken
5. Entlassungsgerüchte Eulenburgs Wirken in den neuen Provinzen fand aber offensichtlich nicht bei allen ungeteilte Zustimmung. So brachte der Kronprinz in einem Schreiben an Bismarck seine Besorgnis zum Ausdruck, daß "das diktatorische und bürokratische Vorgehen der Minister Eulenburg und Lippe" Preußen die Sympathien rauben müsse. 141 Der Kronprinz sah in den beiden genannten Ministern "die Wurzel allen Übels", erinnerte Bismarck daran, daß dieser beide bereits seit dem Juli 1866 als schädlich und unfähig bezeichnet habe und bot ihm geradezu seine Hilfe bei deren Entfernung aus dem Amte an. Bismarck hatte offensichtlich tatsächlich beabsichtigt, einen Wechsel im Kabinett vorzunehmen. Am 18. August 1867 schrieb Stosch an Gustav Freytag, es handele sich jetzt um die Entfernung und Ersetzung von Eulenburg und Lippe, es sei alles dazu geebnet, aber man könne die Nachfolger noch nicht finden. 142 v. Bennigsen berichtete in zwei Briefen vom 2. Dezember 1867 und 17. Januar 1868 davon, daß für den Fall, daß Eulenburg abginge, er neuer Innenminister werden sollte. 143 Einen wahren Schrecken hat aber in den konservativen Kreisen das hier weitverbreitete Gerücht hervorgerufen, daß ich in nächster Zeit Nachfolger von Graf Eulenburg werden solle.
Daran sei jedoch nichts, so v. Bennigsen weiter, Bismarck habe mit ihm noch nicht darüber verhandelt. Forckenbeck berichtete jedoch auch über dieses Gerücht und bestätigte, daß v. Bennigsen ihn gefragt habe, ob er bereit sei, mit ihm ins Ministerium einzutreten. 144 Bismarcks Absicht, Eulenburg aus dem Kabinett zu entlassen, wurde auch dadurch deutlich, daß er Anfang 1868 auch Forckenbeck, wenn auch in sehr unbestimmter Weise, den Posten des Ministers des Ionern angeboten hatte. 145 Die Entlassungsgerüchte um Eulenburg korrespondierten mit Mitteilungen über seine weitere Verwendung. So schrieb Moritz von Blanckenburg an Roon, Fritz Eulenburg stehe in Stettin in allen liberalen Zeitungen als allerge-
141
Thimme, Friedlich, in: v. Bismarck, Die gesammelten Werke, Bd. 6 a, Politische Schriften,
142
v. Slosch, Ulrich, Denkwürdigkeiten des Generals und Admirals Albrecht von Stosch,
143 144 145
Oncken, Hermann, Rudolf von Bennigsen, 2. Bd, S. 122, 125. Oncken, Hermann, Rudolf von Bennigsen, 2. Bd., S. 125. Philippson, Manin, Max von Forckenbeck, S. 190.
S.l3.
S. l32.
E. BerufWJg zum Minister des Innem
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wissester Ober-Präsident von Pommern, und er fügte hinzu: "Dies wäre wirklich ein Scandal - glaube es auch nicht. "146 Eulenburg galt zu dieser Zeit bei Teilen des Abgeordnetenhauses zwar als liebenswürdiger Mann, aber doch zum Minister des Innern nicht geeignet147 und als ein Reaktionär. 148 Nach deren Ansicht verliehen die Minister Lippe, Mühler und Eulenburg dem Kabinett einen reaktionären Charakter. 149 Insbesondere Eulenburg und Mühler wurden daher von sämtlichen Liberalen, Freikonservativen und Nationalliberalen bekämpft, man versuchte, sie mit Kleinigkeiten wie Budgetabstrichen zu ärgern und zum Abgange zu reizen. 150 Sybel vermerkte dazu: Im Hause herrschte Unwille gegen den Grafen Eulenburg, wegen seiner Langsamkeit und feudalen Tendenzen in Sachen der Verwaltungsreform, welche StimmWJg er dann bei mehreren Posten seines Etats schmerzlich zu empfinden hane. 151
Später, zum Zeitpunkt der Verabschiedung der Kreis-Ordnung Ende 1872, hatte sich diese Einschätzung deutlich geändert. Da zählte Eulenburg mit den Ministern Falk und Camphausen zur gemäßigt-liberalen Hälfte des Ministeriums.152 Eulenburg blieb jedoch im Amt, offensichtlich weil Bismarck die Schwierigkeiten kannte, den König, dem vor allem Eulenburg persönlich nahe stand, von einem solchen Wechsel zu überzeugen. 153 Bismarck, von Hans Viktor von Unruh auf Beseitigung "einzelner, besonders anstößiger Minister wie Lippe und Graf Eulenburg" angesprochen, meinte, gegen die Entfernung Lippes habe er nichts; mit Eulenburg sei es schon schwieriger, der stände gut beim Könige und sei schwer zu beseitigen.154 Danach hat Bismarck 1868 offenbar Eulenburgs Entlassung in Betracht gezogen. Gustav Freytag berichtete dazu in einem Brief an von Bennigsen: 146 Roon, Denkwürdigkeiten, Bd. 2, S. 394. 147 v. Poschinger, Heinrich, Erinnerungen aus dem Leben Hans Viktor von Unruh, S. 247. 148 v. Poschinger, Heinrich, Erinnerungen aus dem Leben Hans Viktor von Unruh, S. 247;
Philippson, S. 200. 149 Philippson, S. 185. 150 Philippson, S. 188, 191. 151 v. Sybel, Heinrich, Die Begründung des Deutschen Reiches durch Wilhelrn 1., Volksausgabe, 7. Bd., S. 111. 152 Philippson, S. 245. 153 Thimme, Friedrich, in: v. Bismarck, Die gesammelten Werke, Bd. 6 a, Politische Schriften, s. 13. 154 v. Poschinger, Heinrich, Erinnerungen aus dem Leben Hans Viktor von Unruh, S. 247.
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I. Leben und Wirken Der Abgang Lippes und Eulenburgs wird dadurch aufgehalten, daß es Bismarck immer schwerer wird, selbständige Menschen neben sich dulden. Jede entgegengesetzte Auffassung macht ihn unausstehlich nervös. 155
Ähnlich hatte sich Stosch am 18. August 1867 gegenüber Gustav Freytag geäußert: Je mehr Bismarck wächst, um so unbequemer werden ihm eigendenkende und handelnde Köpfe. Und je nervöser er wird, desto mehr fürchtet er scharfe persönliche Berührungen.156
6. Tagesablauf
Aus der Ministerzeit Eulenborgs liegen über einige Zeiträume seine Tagebuchaufzeichnungen vor, so von Mai und Juli 1866, März und April 1867 und Januar 1871. 157 Aus diesen Aufzeichnungen ergibt sich u.a. ein Grundschema für seinen Tagesablauf, den naturgemäß die ministerielle Arbeit von morgens bis in die späten Abendstunden prägte, meist nur unterbrochen durch ein Essen gegen 17 Uhr allein oder in Gesellschaft mit anschließendem Spaziergang oder -ritt, teils unternahm er auch eine Kutschfahrt. Als in etwa beispielhaft hierfür mögen die Aufzeichnungen über den 18. Mai 1866 gelten. Für diesen Tag vermerkte Eulenburg 158: Um 8 stehe ich auf und arbeite angestrengt bis I, wo ich zu Bismarck gehe, mit dem ich ... ein eingehendes Gespräch hatte. Dann ist Vortrag bei mir bis 3 Uhr, hernach wieder Vortrag einzelner Herren bis 5 Uhr, esse bei ... mit .... Gegen 8 Uhr reite ich spazieren ... und arbeite dann bis 10 1/2 Uhr.
Oft hielt Eulenburg auch Vorgänge des aktuellen Tagesgeschehens fest, auch klimatische Gegebenheiten oder auch gesundheitliche Probleme. So berichtete er am 3. Mai 1866 von einer Conseil-Sitzung mit Bismarck, dem König, General von Moltke und Savigny, auf der wegen der verstärkten Rüstungen Österreichs für diverse Armeeteile die Mobilmachung beschlossen worden sei 159 , zwei Tage später vermerkt er, der Krieg scheine unvermeidlich. 160
!55 Oncken, Herrnann, Rudolf von Bennigsen, 2. Band, S. 97. 156 v. Stosch, Ulrich, S. 132. !57 BLHA Potsdam, Pr.Br.Rep. 37, Akte 387, Liebenberg. !58 BLHA Potsdam, Pr.Br.Rep. 37, Akte 387, Liebenberg, BI. !59 BLHA Potsdam, Pr.Br.Rep. 37, Akte 387, Liebenberg, BI. 160
32. 28. BLHA Potsdam, Pr.Br.Rep. 37, Akte 387, Liebenberg, BI. 29.
E. Berufung zum Minister des Innem
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7. Das Attentat aufBismarck Unter dem 5. Mai 1866 vermerkte er zudem, daß auf Bismarck geschossen worden sei, ein gewisser Blind habe Unter den Linden 5 Schüsse auf den Fürsten abgefeuert und ihm den Rock durchschossen. Eulenburg und auch der König seien sofort zu Bismarck gekommen. Bismarck sagte, er sei glücklich, für Seine Majestät einmal im Feuer gestanden zu haben. Zu Eulenburg sagte der König, er solle etwas auf Bismarck vigiliren lassen, ohne daß dieser es merke. "Ja", habe Eulenburg gesagt, "wie auf Euer Majestät, die das auch immer nicht wollen". 161 Der Verbrecher habe sich, so notierte Eulenburg weiter, gegen Abend eine Wunde am Halse beigebracht. 162 Tags darauf schrieb er, daß der Verbrecher verstorben sei, die ganze Armee mobil gemacht und die Auflösung des Abgeordnetenhauses beschlossen worden sei. Dieses Attentat auf Bismarck nahm Eulenburg auch zum Anlaß für einen Brief an den Fürsten. So schrieb er am 7. Mai 1866 u.a. 163 : Der Verbrecher (Cohen-Blind) hat sich soeben mit einem der langen gehaltenen Taschenmesser eine anscheinend nicht gefährliche Wunde über dem Kehlkopfe im Halse beigebracht. Ueber den Ausdruck 'langen gehaltenen' habe ich Rückfrage gehalten und zugleich ein Donnerwetter erlassen, daß man denselben (nämlich den Verbrecher) nicht gehörig untersucht hat. Verzeihen Sie mir, alter Freund, wenn ich nicht bloßtrotzdem Mordversuche, sondern sogar wegen desselben ungewöhnlich guter Laune bin. Der liebe Gon konnte Sie uns in diesem Augenblick nicht nehmen; er konnte uns nicht der gräßlichen Beschäftigung aussetzen, mit Ihrem Kadaver wie Sie sich einst ausdrückten - :ru krebsen. Krebsen Sie mit! Dann geht es besser.
8. Krieg gegen Österreich Am 17. Mai 1866 berichtete Eulenburg, der Krieg (gegen Österreich) stehe vor der Tür, das Geschrei nach einem Wechsel des Ministeriums sei lauter als je zuvor, wie gern sei er bereit, zurückzutreten, aber hieße das nicht lediglich eine Bresche in den Wall machen?164 Zwei Tage später legte er nieder, er sehe keine Möglichkeit mehr, daß der Friede erhalten werde, im Stillen wünsche er ihn auch nicht, wenn Preußen nur vermeiden könnte, anzugreifen. Am 5. Juni 1866 äußerte Eulenburg gegenüber Mühler, nachdem gemäß einer Depe-
161 162 163 164
v. Mii.h/er, Heinrich, Königlich Preußischer Staats- und Kultusminister, S. 151. BLHA Potsdam, Pr.Br.Rep. 37, Akte 387, Liebenberg., BI. 29. BLHA Potsdam, Pr.Br.Rep. 37, Akte 387, Liebenberg, BI. 18 R. BLHA Potsdam, Pr.Br.Rep. 37, Akte 349, Liebenberg, BI. 31, 32.
4 Lange
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sehe aus Paris Napoleon die Österreichische Erklärung als Ablehnung des Kongresses betrachtet und Preußen volle Freiheit der Aktionen zuerkannt hatte: "Wir hatten doch ungeheures Glück, übermorgen geht es los!" 165 Auch vorher schon, nämlich am 22. März 1866, hatte Eulenburg sich mit Rücksicht auf das Innere für den Krieg mit Österreich ausgesprochen, die inneren Konflikte könnten dadurch zugleich bewältigt werden. 166 Einen Tag vor der Kriegserklärung hatte Eulenburg seinen Neffen Philipp, Sohn seines einzigen Bruders, der in Dresden das Vitzthumsche Gymnasium besuchte, ein Telegramm gesandt und ihm mitgeteilt, daß es Zeit sei, Dresden zu verlassen. Man hatte eine Chiffre verabredet, und Bismarck, unter der Bedingung des Schweigens, hatte Eulenburg dazu autorisiert. 167 Am 3. Juli 1866 hielt Eulenburg fest168 : Heute finden in der ganzen Monarchie die Wahlen zum Abgeordnetenhause sUilt. Ich erfülle meine ermüdende Pflicht als Wahlmann von 9 bis 2 Uhr, wir Conservativen werden geschlagen.
Tags darauf schrieb er, daß am Vortag bei Königgrätz die ganze Österreichische Armee glänzend geschlagen worden sei.
9. Pauline Lucca Vom 22. März 1867 berichtete Eulenburg, daß er um 11 1/2 Uhr zur Gratulation zum Könige gefahren sei, der 70 Jahre alt geworden sei, abends habe er sich anläßlich einer theatralischen Vorstellung mit der Schauspielerio Pauline Lucca unterhalten, bis sie habe auftreten müssen. 169 In der Folgezeit berichtete Eulenburg häufig von Treffen mit Frau Lucca, teils auch zusammen mit deren Mann. Am Sonntag, dem 24. März 1867, vermerkte er170: Ich arbeitete bis nach 2 Uhr und ging dann zu Pauline Lucca, deren Mann auf einige Tage verreist ist. Erst fand ich Besuch don, dann waren wir allein: sie ist reizend und himmlisch gut.
Am 30. März war Eulenburg bereits um 1 Uhr bei Pauline Lucca und erwähnt weiter171 :
Mühler, S. 155. Mühler, S. 138. Haller, Johannes, Aus 50 Jahren, S. 20, 49. BLHA Potsdam, Pr.Br.Rep. 37, Akte 387, Liebenberg, BI. 44. BLHA Potsdam, Pr.Br.Rep. 37, Akte 387, Liebenberg, BI. 22. BLHA Potsdam, Pr.Br.Rep. 37, Akte 387, Liebenberg, BI. 23. BLHA Potsdam, Pr.Br.Rep. 37, Akte 387, Liebenberg, BI. 24.
165 11.
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Um 7 Uhr fahre ich ins Opernhaus, wo die 'Afrikanerin' gegeben wird. Nach dem zweiten Akt gehe ich zur Lucca in ihr Ankleidezimmer und bleibe dort den 3. Akt über.
Tags darauf nahm er im 'Hotel de Petersbourg' an einem Abschieds-Diner für Pauline Lucca teil, die mit ihrem Mann nach London abreiste, wo sie drei Monate lang im Covent-Garden-Theater singen wollte, und notierte172: Das Diner ist vortrefflich, die Gesellschaft nicht eben von Geist strotzend. Nach Beendigung desselben fahre ich ... zu ihnen und begleite sie dann auch noch nach dem Bahnhofe.
Pauline Lucca hatte in dieser Zeit einen offensichtlich nicht unwesentlichen Platz in Eulenburgs Leben, was auch zur Folge hatte, daß manche seiner Tagesabläufe von dem sonst so überaus üblichen Schema abwichen. Aber auch später hatte er noch Kontakte zu Pauline Lucca. So schrieb er am 19. September 1867 an Bismarck u.a., er sei zum ersten Male in seinem Leben in der Schweiz gewesen, habe diese bei Schaffhausen betreten, sich nach Zürich begeben und die am Züricher See wohnende Lucca besucht. 173 Am 29. Juni 1867 berichtete er in seinem Tagebuch u.a. 174: Ich werde heute 52 Jahre alt. Ich finde die Treppe mit Blumen bestreut und in den Stuben einen prachtvollen Rosenflor.
Dieser Schmuck stammte ganz offensichtlich von der bei ihm wohnenden Familie seines Bruders. Mit Schreiben vom 6. März 1868175 wies Eulenburg die Bureau-Casse des Ministeriums des Innern an, das durch den Staatshaushalts-Etat pro 1868 um 2.000 auf nunmehr 12.000 Taler erhöhte jährliche Gehalt des Ministers des Innern für das Jahr 1868 vom 1. Januar d.J. ab an ihn zu zahlen.
10. Eulenburgs Kontake zum König
Zahlreich ist belegt, daß Eulenburg einen guten und intensiven Kontakt zum König hatte und auch pflegte. Dies erinnerte auch Philipp Eulenburg über seinen Onkel: Es fiel mit 1888 immer ein Wort meines Onkels Fritz Eulenburg ein, der in den sechziger Jahren unaufhörlich zu Diners und Abenden bei dem alten Kaiser und der Kaiserin geladen wurde. Ich begegnete ihm einst Unter den Linden und fragte ihn, wohin er gehe. - 'Ich gehe mir
112
173 174 175
BLHA Potsdam, Pr.Br.Rep. 37, Akte 387, Liebenberg, BI. 25. BLHA Potsdam, Pr.Br.Rep. 37, Akte 349, Liebenberg, BI. II. BLHA Potsdam, Pr.Br.Rep. 37, Akte 387, Liebenberg, BI. 49. GStA Merseburg, Acta Ministerium des Innem, Rep. 77, Tit. 183 d, Nr. 3, BI. 71,71 R.
52
I. Leben und Wirken
Matratzen kaufen', sagte er.- 'Matratzen?' fragte ich erstaunt.- 'Ja, ich bin jetzt schon wieder zu Hof geladen, und da solche hohen Ehren immer mit einem Sturz endigen, will ich wenigstens weich fallen.' 176
Eulenburg war auch oftmals Vermittler und Bindeglied zwischen dem Königshaus und dem Staatsministerium. Mit Schreiben vom 13. Oktober 1864 teilte er den übrigen Staatsministern mit, daß auf seine privat an den Ober-Schloß-Hauptmann Graf von Keller gerichtete Anfrage dieser mitgeteilt habe, daß bei der Beisetzung der Leiche des Königsam 15. d.M. die Anwesenheit der Herren Staatsminister nicht in Aussicht genommen sei. 177 Aus diesem Brief wird deutlich, daß zum Hofe nicht nur dienstliche Kontakte bestanden. Eulenburg stand vor allem dem König persönlich nahe. 178 In einem Brief an den erkrankten Bismarck vom 13. September 1868179 wird Eulenburgs Einfluß bei Hofe besonders deutlich. Er schrieb u.a.: Ihr Brief war so gefaßt, daß ich ihn ohne Bedenken dem Könige vorlesen konnte. Seine Majestät hörten ihn aufmerksam und ohne mich zu unterbrechen an.
Eulenburg nahm sich also das Recht heraus und besaß es offensichtlich auch, erst einmal zu prüfen, ob er den Brief Bismarcks dem König zumuten konnte, und entschied dann, ihn zu verlesen. Zudem teilte er dies Bismarck auch unumwunden mit, als Selbstverständlichkeit quasi. Diese Handhabung war für Eulenburg kein Einzelfall. So schrieb er dem Fürsten am 19. September 1868180, daß er dessen Brief erhalten habe und nicht verhehlen werde, den Inhalt desselben zur Kenntnis seiner Majestät zu bringen, und schloß: Morgen kommt der König zurück; sobald ich ihn gesprochen habe, schreibe ich Ihnen wieder. Ihr herzlich ergebenster Eulenburg
Hier hatte Eulenburg entschieden, den Brief nicht zu verlesen, sondern lediglich dessen Inhalt dem König zur Kenntnis zu geben. Am 26. September 1868 181 sodann berichtete Eulenburg abermals nach Varzin, er habe nach Rückkehr des Königs aus den Herzogtümern demselben im Sinne des letzten
176 177 178
s. 13.
179 180
181
Haller, Johannes, Aus 50 Jahren, S. 135. GStA Merseburg, Acta Ministerium des lnnem, Rep. 77, Tit. 183 d, Nr. 3, BI. 46. Thimme, Friedrich, in: v. Bismarck, Die gesammelten Werke, Bd. 6 a, Politische Schriften, Auskunft Auswärtiges Amt Bonn, Politisches Archiv, Akte R 294, BI. 52,52 R. Auskunft Auswärtiges Amt Bonn, Politisches Archiv, Akte R 294, BI. 56-57 R. Auskunft Auswärtiges Amt Bonn, Politisches Archiv, Akte R 294, BI. 58-59 R.
E. Berufung zum Minister des Innem
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Schreibens des Fürsten Vortrag gehalten. Gleichzeitig bot er dem offensichtlich noch kranken Fürsten aber auch seine Hilfe an. Ich hoffe, verehrter Freund, daß Sie nunmehr wieder so viel Kräfte gesammelt haben, um nach und nach an den Geschäften Theil nehmen zu können. Gestatten Sie mir daher, daß ich Ihnen von jetzt ab, in kurzen Zwischenräumen geschäftliche Mitteilungen mache. Ich werde es in einer Form thun, die Sie nicht ermüdet. Wenn ich auf gebrochenem Bogen schreibe, können Sie ja Ihre Bemerkungen mit Bleistift daneben setzen, und mir meine Schreiben br.m. 182 wieder zurückschicken.
Ob in dieser Weise verfahren wurde, konnte nicht festgestellt werden, ein solcher halbseitig geschriebener Brief Eulenburgs mit Anmerkungen des Fürsten wurde nicht aufgefunden. Eulenburgs Vertrauensstellung beim König dokumentiert sich auch in der Tatsache, daß er 1873, als Roon wegen der Erkrankung Bismarcks Präsident des Staatsministeriums war, vertraulich beim König anregte, daß Bismarck wieder das Präsidium des Ministerium übernehmen möge. 183 Die engen Kontakte Eulenburgs zum Hofe haben bei dem Fürsten jedoch nicht nur Freude hervorgerufen. So haben sie, was Bismarck auch verschiedentlich betont hat, ein ums andere Mal Eulenburgs Entlassung als Minister des Innern im Wege gestanden. Aber insbesondere wohl auch deshalb nicht, weil Bismarck hinter den Kulissen durch innerpolitische Aktionen gegen die Kaiserin Augusta kämpfte. Er hatte wohl nicht ganz zu Unrecht erkannt, daß die treibende politische Kraft in den Jahren vor der in Erscheinung tretenden neuen Ära die Prinzessin von Preußen war, nebst ihren geistreichen politischen Freunden. Um seine eigene Basis zu schaffen, mußte Bismarck versuchen, das Hindernis hier, die Gattin des Regenten, zu beseitigen, die Königin matt zu setzen, Bismarck kontra Augusta.184 Später, Anfang 1875, äußerte Bismarck einmaP 85 : In letzter Instanz regieren bei uns die Damen und gegen Schürzen beißt Eulenburg nun einmal nicht: das ist das Geheimnis unserer inneren Politik.
182
183
184 185
brevi manu =kurzerhand. v. Bismarck, Gedanken und Erinnerungen, S. 231. Haller, Johannes, Aus 50 Jahren, S. 35, 36. v. Tiedemann, S. 27.
I. Leben und Wirken
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a) Die Emser Depesche Im Juli 1870 vor Ausbruch des Krieges mit Frankreich, hatte Eulenburg noch einmal eine wichtige politische Mission zu erfüllen. Die Verhandlungen des Königs mit dem französischen Botschafter Benedetti in Ems standen vor dem Abbruch. Auf Bismarcks Anerbieten, nach Ems zu kommen, hatte Abeken am 11. Juli 1870 geantwortet, der König wünsche, daß er so bald als möglich komme. 186 Bismarck entschloß sich, am 12. Juli nach Ems aufzubrechen, um dem König die Berufung des Reichstages wegen der Mobilmachung zu befürworten. 187 In Berlin hatte er aus Telegrammen erfahren, daß der Prinz von Hohenzollern der Kandidatur auf den spanischen Tron entsagt habe, um den Krieg abzuwenden, und der König trotz der französischen Bedrohungen und Beleidigungen mit Benedetti zu verhandeln fortfuhr, ohne ihn an seine Minister zu verweisen. Bismarck war daraufhin entschlossen, seinen Rücktritt aus dem Dienst nach Ems zu melden. Er telegraphierte dem König, wenn dieser Benedetti noch einmal empfinge, so bäte er um seine Entlassung; als keine Antwort kam, telegraphierte er erneut, wenn der König jetzt Benedetti empfangen hätte, so betrachtete er das so, als ob der König seine Entlassung angenommen hätte. 188 Bismarck sah den Krieg als eine Notwendigkeit an, der mit Ehren nicht auszuweichen war. Er berichtete189: Ich glaubte nunmehr an Frieden; wollte aber die Haltung nicht vertreten, durch welche dieser Frieden erkauft gewesen wäre, gab die Reise nach Ems auf und bat Graf Eulenburg, dorthin zu reisen Wld Sr. M. meine Auffassung vorzutragen.
Bismarck faßte diesen Entschluß, während Roon und Eulenburg bei ihm weilten. 190 Über den 12. Juli 1870 berichtete Eulenburg in seinen Tagebuchaufzeichnungen191, er sei um 9 Uhr mit seinem Wagen über Zehleudorf und Teltow nach Gütergotz zu Roon gefahren, habe mit ihm gefrühstückt, geschwatzt und
186
s. 356. 187 188 189
Thimme, Friedrich, in: v. Bismarc/c, Die gesammelten Werke, Bd. 6 b, Politische Schriften,
v. Bismarck, Die gesammelten Werke, Bd. 13, Gedanken und Erinnerungen, S. 339. Busch, Moritz, Tagebuchb1ätter, S. 485. v. Bismarck, Die gesammelten Werke, Bd. 15, Gedanken und Erinnerungen, S. 306. 190 Thimme, Friedrich, in: v. Bismarck, Die gesammelten Werke, Bd. 6 b, Politische Schriften, s. 358. 191 Bundesarchiv Koblenz, Nachlaß Eulenburg, Nr. 35, S. 223,224.
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promeniert und ihn um 4 Uhr mit nach Berlin genommen. Eulenburg fuhr dann fort: Um 6 1/2 Uhr dinieren wir bei Bismarck, der eben aus Varzin gekommen ist. um sich auf Befehl des Königs nach Ems zu begeben. Später kommt Moltke. Die Nachricht, dass der Prinz Leopold von Hohenzollern auf die spanische Kroncandidatur verzichtet hat, scheint der Situation eine friedlichere Wendung gegeben zu haben, allein es wird doch beschlossen, dass während Bismarck nach V arzin zurückkehren will, ich nach Ems gehen soll.
An Bismarcks Stelle übernahm also Graf Eulenburg die Reise nach Ems, um dem Könige im Hinblick auf etwaige neue Zumutungen des französischen Gesandten Benedetti den Rücken zu stärken. Es ist sehr wohl möglich, daß Eulenburg ermächtigt war, darauf hinzudeuten, daß Bismarck bei weiterer Nachgiebigkeit des Königs sich veranlaßt sehen könnte, von seinem Amt zurückzutreten. Am 12. Juli 1870 telegraphierte Bismarck nach Ems an Abeken, daß Graf Eulenburg für ihn reisen werde und vollständig informiert sei, woraufhin Abeken am 13. Juli zurück telegraphierte, daß der König Graf Benedetti nicht vor Eulenborgs Ankunft sehen werde. 192 Graf Eulenburg ging zu einer Ausstellung nach Kassel und von da aus nach Ems. 193 Über den 13. Juli 1870 schrieb Eulenburg in sein Tagebuch194, daß er, über Münden kommend, Ems um 11 1/2 Uhr erreicht habe, und schilderte dann weiter: Lange Conferenz mit Abeken. 195 Benedetti hat heute morgen den König auf der Promenade angetreten und von ihm verlangt, dass niemals ein Hohenzoller den spanischen Thron besteige. Der König hat's abgelehnt. Während ich mich wasche, besucht mich Prinz Albrecht196, dann habe ich mit Abeken Vortrag beim Könige. Er entschließt sich, Benedetti nicht mehr empfangen zu wollen. Anton Radzivi11 197 überbringt diese Botschaft an Benedetti: Das ist Krieg. Nach einem Besuche von Tresckow198 sehr heiteres Diner von etwa 18 Personen beim Könige. Nach Tisch nochmals Vortrag bei demselben über eine schwächliche Depesche Werthers199 aus Paris, in der dem Könige angesonnen wird, in einem eigenhändigen Briefe an Napoleon Abbitte zu thun. Promenade mit König und Camphausen200 bis 9 Uhr. Dann Sou!'Cr im Freien mit Prinz Albrecht mit wunderschönen Frauen, namentlich Herzogin von Ossuna201 und Gräfin Larisch. Gespräche im Freien bis 12 Uhr.
192 Thimme, Friedrich, in: v. Bismarclc, Die gesammelten Werke, Bd. 6 b, Politische Schriften, S. 359, 367. 193 v. Unruh, Hans Viktor, in: v. Poschinger, Heinrich, Fürst Bismarck und die Parlamentarier, 1. Bd., S. 347. 194 Bundesarchiv Koblenz, Nachlaß Eulenburg, Nr. 35, S. 224. 195 Abeken, Vortragender Rat im Auswärtigen Amt, stets Reisebegleiter des Königs. 196 Prinz Albrecht, der jüngste Bruder des Königs. 197 Prinz Anton Radzivill, Flügeladjutant des Königs. 198 General von Tresckow, Flügeladjutant des Königs. 199 Baron Werther, Preußischer Gesandter in Paris. 200 Camphausen, Finanzminister. 201 Herzogin von Ossuna y Infantado (Spanien), geb. Prinzessin Salm-Salm.
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I. Leben und Wirlc:en
Wenn auch dieser so entscheidungsträchtige Tag in Ems noch ganz harmonisch und offensichtlich auch amüsant ausklang, so wird doch aus diesen Aufzeichnungen über die wiederholten Vorträge beim König deutlich, daß Eulenburg hier als Berater des Königs eine sehr wichtige, ja möglicherweise entscheidende Rolle gespielt hat. Zudem bekannte Eulenburg, daß seine Vermutung, daß es nunmehr Krieg gebe, ihn beunruhigte. Dies wurde auch aus den Eintragungen über den folgenden Tag, den 14. Juli 1870, deutlich, wenn es don heißt202: Ich hatte gut geschlafen, das Herz zog sich aber doch zusammen, als ich beim Erwachen die Ereignisse des gestrigen Tages überdachte, die den Krieg nach sich ziehen müssen. Bismarck, der telegraphisch von denselben unterrichtet ist, telegraphiert denn auch dringend wegen sofortiger Rückkehr des Königs.
Eulenburg berichtete dann weiter von einem Treffen mit Benedetti. Er war in großer Aufregung und wollte meine Vermittlung beim Könige, die ich bestimmt ablehnte.
Aus diesem Ansinnen Benedettis werden auch Position und Einfluß Eulenburgs beim König deutlich. Benedetti hielt Eulenburg aus der Schar der prominenten Begleiter des Königs als einzigen für kompetent, beim König für ihn zu vermitteln. Eulenburgs Einfluß beim König zeigte sich zudem in den weiteren Eintragungen zum 14. Juli 1870. Eulenburg fuhr nämlich fon: Ich promenierte mit dem Könige, der mir verspricht, morgen früh nach Berlin zu reisen, frühstückte mit den Damen von gestern und depeschierte nach Hause. Dann war ich nochmals beim Könige, der sich herzlich für meinen Beistand bedankt und um 3 Uhr nach Coblenz fährt, um der Königin Adieu zu sagen, wobei er auf dem Bahnhofe noch Benedetti siehL
Eulenburg bestätigte damit, daß der König Benedetti auf dem Bahnhof in Ems noch getroffen hat, dies aber eine sehr kurze Begegnung gewesen sein muß, wenn er formuliert, der König habe Benedetti "gesehen". Über den weiteren Verlauf des Tages vermerkte Eulenburg, daß er mit demselben Zug, den auch der König nahm, weiter nach Wiesbaden zur Familie seines Bruders Phitipp und anschließend nach Frankfun am Main gereist sei, ins Hotel "d'Angleterre". Dem König war es angenehm und notwendig, in diesem kritischen Augenblick einen Minister um sich zu haben, dessen Gesellschaft ihm lieb war. 203 Der König hatte auch ministerielle Beratung gewünscht. 204
Bundesarchiv Koblenz, Nachlaß Eulenburg, Nr. 35, S. 225. Abeken, Hedwig, Heinrich Abeken, S. 374. 204 v. Sybe/, Heinrich, Die Begründung des Deutschen Reiches durch Wilhelm I., Volksausgabe, Bd. 7, S. 222. 202 203
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Nach anderen sehr guten Quellen, deren Angaben in den Tagebuchaufzeichnungen Bestätigung finden, hat Eulenburg dem Könige von einem nochmaligen Empfang Benedettis abgeraten20s, der diesem auch auswich. Es sei Benedetti aber doch gelungen, Eulenburg auf der Promenade zu sprechen und ihn dringend zu ersuchen, dem Botschafter eine nochmalige Audienz beim König auszuwirken. Darauf soll Eulenburg geantwortet haben, der König könne durchaus nichts anderes sagen, als was er ihm schon gesagt habe. Eulenburg habe unter diesen Umständen nicht umhin können, dem Könige Vortrag zu halten, dem es peinlich zu sein schien, den Botschafter nochmals abzuweisen. Darauf soll Eulenburg geäußert haben, Majestät beabsichtigten ja wohl, am anderen Tage nach Koblenz zur Königin zu fahren. Da könne man vielleicht Benedetti zum Abschiednehmen nach dem Bahnhofssalon einladen. Hierauf sei der König eingegangen, auch auf die Bemerkung Eulenburgs, der König, der mit dem gewöhnlichen Zuge fahre, werde doch nicht so pünktlich auf dem Bahnhofe eintreffen. 206 Das Abschiednehmen des Königs von Benedetti gestaltete sich dann auch sehr kurz. Als der König auf dem Bahnhof eintraf, passierte er schnell den Salon, in dem Benedetti sich aufhielt, begrüßte diesen flüchtig, nahm mit zwei Worten Abschied im Vorbeigehen und fuhr mit der Eisenbahn ab. 207 Daß König Wilhelm aufgrunddes Eulenburg'schen Vortrags die Verhandlungen mit dem französischen Botschafter abbrach, bestätigte der Geheimrat Abeken. 208 Dies urkundet auch die Emser Depesche Abekens an Bismarck vom 13. Juli 1870209 , in der es u.a. lautete: Da Seine Majestät dem Grafen Benedetti gesagt, daß er Nachricht vom Fürsten erwane, hat Allerhöchstderselbe, mit Rücksicht auf die obige Zumuthung, auf des Grafen Eulenburg und meinen Vonrag beschlossen, den Grafen Benedetti nicht mehr zu empfangen.
Als der König die Depesche am nächsten Tag auf der Morgenpromenade erhielt, überreichte er sie, nachdem er sie zweimal gelesen hatte und über den Ton betroffen war, Eulenburg mit den Worten: "Das ist der Krieg." 210 Bei dem Ausbruch des Krieges von 1870/71 stand Eulenburg in den kritischen Tagen des Jahres 1870 in Ems seinem Königlichen Herrn wieder treu
20S
B/um, Hans, Fürst Bismarck und seine Zeit, 4. Bd., S. 243. Unruh, Hans Viktor, in: 11. Poschinger, Heinrich, Fürst Bismarck und die Parlamentarier,
206 11.
s. 347.
Poschinger, Heinrich, Erinnerungen aus dem Leben Hans Viktor von Unruh, S. 293. Abelcen, Hedwig, Heinrich Abeken, S. 376. Ho/lack, E., Nachrichten über die Grafen zu Eulenburg, S. 108. Delbrück, Hans, Erinnerungen, Aufsätze und Reden, S. 350.
207 11.
208
209 210
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I. Leben und Wirken
zur Seite211 , und während dieses Krieges hat er die vielfachen und schwierigen Aufgaben, welche der Verwaltung des Ionern gestellt waren, mit unermüdlichem Eifer erfolgreich gelöst, so daß ihm als besondere Anerkennung hierfür am 19. Januar 1873 212 das Eiserne Kreuz II. Klasse am weißen Bande mit schwarzer Einfassung verliehen wurde. In Anerkennung seiner hingebenden Treue und seiner Verdienste und in Erinnerung seiner Anwesenheit in Ems am 13. Juli 1870 wurde Eulenburg durch Allerhöchste Ordre vom 13. Juli 1871 eine Domherrnstelle bei dem Domstifte in Brandenburg als Dotation verliehen. 213
b) Verfassungsminister Nur wenige Tage nach Kriegsbeginn, am 22. und 23. Juli 1870, trat Eulenburgtrotz oder vielleicht gerade wegen des Krieges als Hüter der Verfassung hervor. Mit Schreiben vom 22. Juli 1870214 hatte Eulenburg die Absicht bekundet, durch den Oberstaatsanwalt des Kammergerichtes gegen den Grafen Adolph Kielmannsegge zu Celle Anklage wegen Landesverrats erheben zu lassen. Dagegen wandte sich Bismarck mit dem Bemerken, daß nunmehr ein Kriegsgericht zuständig sei. Demgegenüber machte Eulenburg in einem Schreiben an Bismarck vom 23. Juli 1870 geltend, daß eine bloße Erklärung des Kriegszustandes noch nicht die Suspension des Art. 7 der Verfassung zur Folge habe; diese müsse vielmehr durch eine besondere Verordnung des Generalgouverneurs ausgesprochen werden, worauf erst eine Niedersetzung von Kriegsgerichten zulässig sei. Eulenburg habe davor gewarnt, ohne Not zur Suspension von Verfassungsbestimmungen zu schreiten, womit Bismarck sich auch einverstanden erklärt habe. 215
211 212 213 214 215
GStA Merseburg, Acta Ministerium des Innem, Rep. 77, Tit. 183 d, Nr. 3, BI. 148. BLHA Potsdam, Pr.Br.Rep. 37, Akte 348, Liebenberg, BI. 2. GStA Merseburg, Acta Ministerium des Innem, Rep. 77, Tit. 183 d, Nr. 3, BI. 148. Thimme, in: v. Bismarck, Die gesammelten Werke, Bd. 6 b, Politische Schriften, S. 414. Thimme, in: v. Bismarck, Die gesammelten Werke, Bd. 6 b, Politische Schriften, S. 414.
E. Berufung zum Minister des Innem
59
c) Kaiserproklamation Am 18. Januar 1871 bemerkte Eulenburg in seinem Tagebuch216: Endlich kein Frost. Ich arbeite bis 11 Uhr, wo ich nach dem Herrenhause fahre. Dort verliest Itzenplitz eine diese Nacht telegraphisch angekommene Proklamation des Königs an das deutsche Volk, wonach Er die deutsche Kaiser-Würde annimmt. Das Gleiche wiederholt sich um 12. Uhr im Abgeordnetenhaus: Beide Akte sind feierlich und enthusiastisch.
11. Eulenburg in Partei und Parlament
a) Die Verwaltungsreformen Eulenburg nahm sodann die Reform der altländischen Kreisverfassung, sein Hauptwerk, in Angriff, welche die Reste der patrimonalen Ordnung, die gutsherrliche Polizei beseitigte, die ständische Zusammensetzung der Kreistage abschaffte und die moderne Verwaltungsjurisdiktion begründete. 217 War es Eulenburg unschwer gelungen, den König von der Notwendigkeit dieser Reform zu überzeugen, so stieß er, obwohl selbst von konservativen Anschauungen durchdrungen und sie in allen politischen Reden offen bekennend, auf den heftigsten Widerstand der konservativen Partei.
b) Der "Conservative" Eulenburg Eulenburg selbst war Mitglied der konservativen Partei. 218 In seinem Tagebuch vermerkte er unter dem 3. Juli 1866 u.a.: "Wir Conservativen ... "219 In seiner Partei war Eulenburg allerdings ganz und gar nicht unumstritten. In einem Brief an seinen älteren Sohn vom 25. Februar 1868220 wies Roon dem Grafen Eulenburg eine gewichtige Parteiaufgabe zu, indem er betonte, die notwendig gewordene Organisation oder Reorganisation der conservativen
216
211 21s 219 220
BLHA Potsdam, Pr.Br.Rep. 37, Akte 387, Liebenberg, BI. 4. Lotz in ADB, S. 745. Lotz in ADB, S. 747. BLHA Potsdam, Pr.Br.Rep. 37, Akte 387, Liebenberg, BI. 44. v. Bismarck, Die gesammelten Werke, Bd. 15, Erinnerung und Gedanke, S. 345.
60
I. Leben und Wirken
Partei sei rite Sache des Ministers des Innern, und weder Bismarck noch er selbst, noch Blanckenburg oder sonst jemand habe dazu den amtlichen Beruf. Ist der dazu allein Berufene dazu nicht geneigt oder nicht geeignet, so fehlt ihm etwas Unentbehrliches für sein Amt.
Roon stellte somit Eulenburgs Eignung für das Ministeramt wegen der nicht von ihm vorgenommenen Parteiorganisation in Frage. Kurze Zeit später, am 25. März 1868, ging Roon in einem Brief221 an Blanckenburg erneut auf dieses Thema ein und schrieb u.a., es sei wesentlich die Aufgabe des Ministers des Innern gewesen, die Conservativen als Regierungspartei zu organisieren, der dazu, aus Mangel an Ernst und Vertrauen bei der Partei aber ganz ungeeignet erscheine. Roon nannte hier also die Gründe, die seiner Meinung nach den Ausschlag dafür gaben, daß Eulenburg diese Aufgabe nicht erledigen konnte. Später präzisierte Roon diese Gründe, als er hervorhob, die Persönlichkeit Eulenburgs habe den Conservativen kein volles Vertrauen einzuflößen vermocht. 222
c) Der Abgeordnete Eulenburg Eulenburg gehörte als Vertreter des Wahlbezirks Militsch-Trebnitz (Breslau 2) dem Abgeordnetenhause als Mitglied der Conservativen von 1866 bis 1877 ununterbrochen an. 223 Damit war er der einzige Minister, der zugleich Mitglied des Abgeordnetenhauses war. 224 Am 7. November 1867 teilte der Landrat und Wahlkommissanus des Kreises Trebnitz, von Salisch, mit, daß Eulenburg in diesem Wahlkreise fast einstimmig zum Abgeordneten für den preußischen Landtag gewählt worden sei, und bat um eine Erklärung zur Annahme der WahF25 Im Antwortschreiben vom 11. November 1867 erklärte Eulenburg, daß er das Mandat dankbar annehme.226
221 v. Roon, Denkwürdigkeiten, Bd. 2, S. 378. 222 v. Roon, Denkwürdigkeiten, Bd. 2, S. 573.
223 Lotz in ADB, S. 474; zum Parteiwesen: Huber, Ernst Rudolf, Deutsche Verfassungsgeschichte seit 1789, Band IV (1969), S. 7 ff. , S. 25 ff. 224 Blum, Hans, Fürst Bismarck und seine Zeit, 5. Bd., S. 57. 225 GStA Merseburg, Acta Ministerium des Innem, Rep. 77, Tit. 183 d, Nr. 3, BI. 69. 226 GStA Merseburg, Acta Ministerium des Innem, Rep. 77, Tit. 183 d, Nr. 3, BI. 70.
E. Berufung zum Minister des Innem
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Quelle: Bildarchiv Preußischer Kulturbesitz in Berlin-Dahlem
61
62
I. Leben und Wirken
Am 16. November 1870 telegraphierte Wahlkommissarins von Salisch, Trebnitz, an Eulenburg, daß er soeben mit 354 gegen eine Stimme zum Abgeordneten gewählt worden sei und bat um eine entsprechende Annahmeerklärung, die Eulenburg am darauffolgenden Tag ebenfalls telegraphisch abgab. 227 Im Oktober 1876 wurde Eulenburg erneut zum Abgeordneten des Wahlkreises Militsch-Trebnitz gewählt und nahm auch diese Wahl an. 228
d) Eulenburg im Bundesrat Auch als Bundesratsmitglied entfaltete Eulenburg eine erfolgreiche Tätigkeit.229 Dazu wurde Eulenburg am 24. Oktober 1876 von Hofmann in Vertretung des Reichskanzlers mitgeteilt, daß Seine Majestät der Kaiser und König den Geheimen Oberregierungsrat Dr. von Nathusius zum stellvertretenden Bevollmächtigten zum Bundesrat für den Fall der Verhinderung Eulenborgs bis auf weiteres ernannt habe. 230 Als Eulenburg mit der Reform der Kreisverfassung befaßt war, hatte sich zwischen Bismarck und den Konservativen eine Entfremdung eingestellt, die es auch Eulenburg unmöglich machte, das Vertrauen der ihm an sich so nahestehenden Partei zu gewinnen. 231 Sein Aufruf an die Konservativen, ein vernünftiger Konservatismus müsse zwar notwendig eingelebte Verhältnisse so lange konservieren, bis sich etwas Besseres biete, aber er dürfe nicht bloß verneinend und an Lieblingsanschauungen festhaltend , immer auf demselben Standpunkte festhalten, er müsse vielmehr zur rechten Zeit Konzessionen machen, wenn sie sich als nützlich oder notwendig erwiesen, blieb ungehört. Erst nach dreimaliger Einbringung des Gesetzentwurfs und mit Hilfe eines sog. Pairsschubs durch Ernennung von nicht weniger als 24 neuen Mitgliedern des Herrenhauses gelang es ihm, die neue Kreis-Ordnung mit der darin eingeführten Verwaltungsgerichtsbarkeit vom Landtag verabschieden zu lassen. Sie wurde arn 13. Dezember 1872 vom König ausgefertigt. Eulenburg wurde daher auch "Vater der Kreis-Ordnung" genannt. 232
227
GStA Merseburg, Acta Ministerium des Innem, Rep. 77, Tit. 183 d, Nr. 3, BI. 93, 94. BLHA Potsdam, Pr.Br.Rep. 137. Liebenberg, Akte 348, BI. 32. 229 GStA Merseburg, Acta Ministerium des Innem, Rep. 77, Tit. 183 d, Nr. 3, BI. 148. 230 GStA Merseburg, Acta Ministerium des Innem, Rep. 77, Tit. 183 d, Nr. 3, BI. 128. 231 Lotz in ADB, S. 746. 232 Lühr, in: Altpreußische Biographie, Bd. I, S. 170; ausführlich hierüber s.u., Abschnitt II. 228
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An die Kreisordnung schloß sich die viel umstrittene Provinzial-Ordnung von 1875 an, die die ständische Gliederung der Provinziallandtage aufgab. Mit demselben Eifer wie bei der Kreis-Ordnung widmete sich Eulenburg der Ausführung der Provinzialordnung vom 29. Juni 1875, woran sich auch eine umfangreiche Korrespondenz mit dem König über allgemeine und spezielle Behandlungen des Gesetzes anschloß. 233 Es folgten das Verwaltungsgerichtsgesetz und das Kompetenzgesetz von 1876 mit der Umgestaltung der Bezirksregierungen, welche anstelle des überlieferten Kollegialsystems das französische Präfektursystem setzte. 234
12. Aus der Ministerzeit
a) Die Jahrestage der Ministerernennung Eulenburg pflegte während seiner Ministerzeit einen Brauch, der sich einmal in seinem Brief vom 7. Dezember 1865235 an Bismarck andeutete. Er schrieb dort: Morgen, Freitag den 8. d.M., vor drei Jahren wurde ich auf Ihren Antrieb zum Minister ernannt. Wollen Sie diesen Jahrestag Ihrer Scheußlichkeit, um 5 Uhr, in schwarzer Halsbinde, bei einigem Sekte mit mir feiern?
Bismarck antwortete: Mit dem größten Vergnügen. Daß es sich bei diesen Einladungen zu den Jahrestagen seiner Ernennung zum Minister tatsächlich um einen Brauch handelte, wird aus Eulenburgs Brief an Bismarck vom 8. Dezember 1875236 deutlich (s. S. 64). Eulenburg schrieb dort u.a.: Heute vor 13 Jahren wurde ich Minister. Während der ganzen Zeit habe ich an diesem Tage meine Collegen Minister bei mir zu Tische gehabt, und so auch heute. Es kommen um 5 Uhr Camphausen, Leonhardt, Falk, Achenbach, Kameke, Bülow, Stosch und sonst niemand .... Sie würden mir eine ungerneine Freude machen, wenn Sie mit mir essen wollten.... Überlegen Sie's sich, lassen Sie mich bis 3 Uhr wissen, was Sie beschlossen haben, und glauben Sie an die treue Freundschaft Ihres Eulenburg.
G.-Chr. von Unruh, Friedrich Albrecht Graf zu Eulenburg (1815-1881), S. 190. Lotz in ADB, S. 746. 235 Kohl, Horst, Aus der Korrespondenz des Grafen Friedrich zu Eulenburg mit dem Fürsten Bismarck. In: Deutsche Revue, in: BLHA Potsdarn, Pr.Br.Rep. 37, Akte 349, Liebenberg, BI. 18 R. 236 FBA Friedrichsruh, Akte B 39. 233
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I. Leben und Wirken
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E. Berufung zum Minister des Innem
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I. Leben und Wirken
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Bismarck hat Eulenburg die Freude der Teilnahme an diesem Essen gemacht, er vermerkte auf der Einladung "ja". Auch 1876, dem letzten Jahr, in dem Eulenburg am Jahrestag seiner Ernennung als Minister im Amt war, beging er diesen Tag im Kreise seiner Kollegen. So lud er am 7. Dezember auch Bismarck ein. Morgen vor 14 Jahren wurde ich zum Minister ernannt. Sie wissen, daß ich diesen Tag immer mit meinen Kollegen essend und trinkend bei mir begangen habe, und oft habe ich die große Freude gehabt, auch sie in unserer Mitte zu sehen. Wie ist es nun diesmal? Können sie es über sich gewinnen, morgen um 5 1{2 Uhr im Ueberrock bei mir zu dinieren? Sie würden mir einen wahren Freundschaftsdienst dadurch erweisen 237
Ein Jahr später befand sich Eulenburg bereits in dem halbjährigen Erholungsurlaub, aus dem heraus er seine Dienstgeschäfte nicht mehr aufnahm, sondern auf eigenen Wunsch in den Ruhestand versetzt wurde. Der 8. Dezember muß Eulenburg sehr viel bedeutet haben, denn an diesem Tag des Jahres 1877 verabschiedete er sich - auch in Erinnerung an seine Ernennung zum Minister - vom Fürsten Bismarck.
b) Eulenburgs Diners Eulenburg liebte überhaupt das Essen in Gesellschaft. Davon geben zahllose TagebucheintTagungen Zeugnis, wobei er stets auch vermerkte, mit wem er gegessen hatte, häufig mit Kollegen oder Freunden, aber auch mit Mitgliedern der Familie. Zuweilen äußerte er sich auch zur Qualität des Essens, der dabei geführten Gespräche oder auch des Restaurants. Seine kleinen Diners waren berühmt, bildeten jahrelang den Sammelpunkt der hervorragendsten Politiker und galten im übrigen durch den Wechsel zwischen köstlichem Humor und geistvoller Erörterung der brennenden Zeitfragen als einzig in ihrer Art. 238 Eulenburgs Zeitgenossen erwähnen vielfach ihre Teilnahme an seinen Diners. So berichtete Bennigsen wiederholt von solch kleinen Essen. Am 14. September 1867 schrieb er in einem Brief239 an seine Frau, daß er mit Münster, Miquel und Graf Stolberg, Bismarck und einigen Herren zu einem kleinen Diner bei Eulenburg gewesen sei, wo beiläufig allerlei Hannoverana verhandelt
237 238 239
Kohl, Horst, BI. 8 R; im "Überrock" bedeutete zwanglos gekleidet. Lotz in ADB, S. 744. Oncken, Hermann, Rudolf von Bennigsen, 2. Bd., S. 119.
E. BerufWlg zum Minister des lnnem
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worden seien. Der französische Botschafter Benedetti, ein kleiner, runder, höflicher Mann, dinierte öfter bei Eulenburg.2A0 Auch Mühler2A1 berichtete von einem solchen Diner am 9. Dezember 1869 bei Eulenburg, an dem u.a. auch Bismarck teilgenommen hatte. Und am 27. Januar 1872 teilte Bennigsen seiner Frau mit: Gestern hatten wir nach der Kreisordnungskommission2A2 ein sehr amüsantes kleines Diner bei Eulenburg von etwa neun Personen. Große steife Festessen gibt dieser kluge Weltmann gar nicht.2A3
Zum Staunen der Gäste gab Eulenburg schon zur Suppe "seine Geschichten" zum besten. Tiedemann244 erinnerte sich: April22 (1875). Diner beim Minister des lnnem, Graf Eulenburg. Anwesend: Feldmarschall Manteuffel, Oberpräsident von Scheel-Piessen, Staatssekretär von Bülow, Bennigsen, Gneist und ich ... Schon während der Suppe beginnt Eulenburg seine Geschichten zu erzählen, die mit jedem Gange pikanter werden.
Dabei verleugnete Eulenburg jedoch niemals seine feine Herzensbildung und Güte, seine schlagfertige Zunge und sein sprudelnder Geist verletzten nicht.2A5 Eulenburgs Beliebtheit wurde verschiedentlich hervorgehoben. So nennt Abeken in seinem Brief von 1850 an seinen Onkel ihn den angenehmsten Gesellschafter von der Welt.2A6 Stosch schrieb an seine Frau: Graf Eulenburg ist der liebenswürdigste Kavalier, galant und rücksichtsvoll, mit den Gedanken zur Hand, mit hübschen Formen gegen den Kronprinzen und voller Takt gegen jedermann. Er füllt seinen Posten voll aus. 2A?
Am 8. April 1867 vermerkte Eulenburg nach einem Diner bei sich mit mehreren Politikern und hohen Verwaltungsbeamten in seinem Tagebuch auch einmal: "Wir trinken entsetzlich viei."2A8 Auch bereits früher wurde gelegentlich ähnliches über Eulenburg berichtet. Friedrich von Gerlach schrieb am 19. Februar 1863 an Ludwig von Gerlach u.a.: Von Graf Eulenburg bespricht man weniger erfreuliche Seiten, er solle schon öfters als Bonvivant sich gezeigt haben, in Weinlaune auf dem Heydt'schen Fest erschienen sein und
2AO Bundesarchiv Koblenz, Nachlaß Eulenburg, Nr. 35, BI. 217. 2AI v. Mühler, Heinrich, S. 189. 2A2 v. Bennigsen war Vorsitzender dieser Kommission, Oncken, Bd. 2, S., 237. 2A3 Onc/cen, Hermann, 2. Bd., S. 237. 244 Tiedemann, S. 25. 2A5 Lotz in ADB, S. 744. 2A6 v. Manteuffel, l. Bd., S. 335. 2A7 v. Stosch, S. 139. 2A8 BLHA Potsdam, Pr.Br.Rep. 37, Akte 387, Liebenberg, BI. 27.
68
I. Leben und Wirken neulich sogar bei einem Diner ein pourparler mit dem linksgehenden jungen Grafen Renard gehabt haben, infolgedessen Renard ihn soll haben fordern lassen, während Eulenburg seine Äußerungen mit Weinlaune entschuldigte und die Sache dadurch applaniert hat. 249
Und am 30. November desselben Jahres schrieb derselbe Absender erneut an Ludwig von Gerlach, daß über Herrn v. Bismarck viele Geschichten erzählt würden. Er solle mit Graf Eulenburg und dem Redakteur des "Kladderadatsch", einem Herrn Dohm, zu dreien diniert und bis elf Uhr pokuliert haben und alle drei sollen gegenseitig sehr befriedigt gewesen sein.250
c) Eulenborgs schlagfertiger Humor Über Eulenborgs Witz und Heiterkeit berichtete u.a. Hans Viktor von Unruh251, der Minister des Innem habe während eines Diners Proben seines schlagfertigen Witzes abgelegt. Auch der Neffe Eulenburgs, Philipp Eulenburg, hob einmal dessen urwüchsige Komik und Heiterkeit hervor252, zum anderen berichtete er in seinen Erinnerungen u.a.: Er gehörte zu den alten Freunden Bismarcks, der ihn als äußerst klugen, schlagfertigen Redner und nicht zum wenigsten auch als liebenswürdigste, geistreich-witzigste Persönlichkeit seines gesamten Bekanntenkreises schätzte. 253
Bismarck selbst hob diese Eigenschaft Eulenborgs hervor und belegte sie auch mit einem Beispiel, als er berichtete: Graf Kutusoff ... erzählte gelegentlich vor dem Könige, seine Familie stamme aus Preußisch-Litthauen und sei unter dem Namen Kutu nach Rußland gekommen, worauf Graf Fritz Eulenburg in seiner witzigen Art bemerkte: "'Den schließliehen >Soff< haben Sie also erst in Rußland sich angeeignet"' - allgemeine Heiterkeit, in welche Kutusoff herzlich einstimmte. 254
d) Deutsche Gesellschaft zur Rettung Schiffbrüchiger Anfang 1873 trat Eulenburg dem Vorstand des Bezirksvereines Berlin der Deutschen Gesellschaft zur Rettung Schiffbrüchiger bei. Daraufhin schrieb ihm am 27. März 1873 H.H. Meier aus Bremen u.a. 255: 249 11. Gerlach,
Ernst Ludwig, Von der Revolution mm Norddeutschen Bund, 2. Teil, S. 1136.
Gerlach, Ernst Ludwig, Von der Revolution zum Norddeutschen Bund, 2 Teil, S. 1167. In: 11. Poschinger, Heinrich, Bismarck und die Parlamentarier, 1. Bd., S. 104.
250 11. 251
252 253
Haller, Johannes, Aus dem Leben des Fürsten Phitipp zu Eulenburg-Hertefeld, S. 5. Haller, Johannes, Aus 50 Jahre, S. 45. 254 11. Bismarclc, Die gesammelten Werke, Erinnerung und Gedanke, Bd. 15, S. 320. 255 GStA Merseburg, Acta Ministerium des lnnem, Rep. 77, Tit. 183 d, Nr. 3, BI. 103.
E. Berufung zum Minister des Innem
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Indem ich mich beeile, Eurer Excellenz für diesen erfreulichen Beweis Ihrer Sympathie an unserem menschenfreundlichen Unternehmen den aufrichtigen Dank auszusprechen, hoffe ich, daß der hervorragende Einfluß Eurer Excellenz wesentlich dazu beitragen werde, dem jungen Verein in Berlin ein kräftiges Gedeihen zu sichern.
Möglicherweise hatte Eulenburg die Erinnerung an Vorkommnisse und Unglücksfälle auf der von ihm geleiteten Ost-Asien-Expedition veranlaßt, sich in diesem Verein zu engagieren. Immerhin waren das Expeditionsschiff "Frauenlob" gesunken und einige Besatzungsmitglieder der anderen Schiffe ertrunken.
e) Auszeichnungen durch fremde Fürsten An Auszeichnungen fremder Fürsten besaß Eulenburg die Großkreuze des Kaiserlich Königlich Österreichischen Leopold-Ordens, des Königlich Italienischen St. Mauritius- und Lazarus-Ordens, des Königlich Belgisehen Leopold-Ordens und des Sachsen-Ernestinischen Haus-Ordens sowie den Kaiserlich-Russischen St. Annen-Orden I. Klasse. 256 Am 24. Juni 1874 wurde Eulenburg Ritter des Johanniter-Ordens. 257
t) Unstimmigkeiten mit Bismarck
Ende 1874 äußerte Bismarck gegenüber Lucius von Ballhausen, Eulenburg habe zwar seinen Erwartungen nicht entsprochen, aber er sei doch ein sehr fähiger Mann, welcher um sich haue, wenn er getreten werde. Er sei nur zu bequem und "schwiemele" zu viel, er lasse Subskribenda Vierteljahre liegen, während er selbst (Bismarck) Dinge bei Tisch zeichne, welche nicht mehr zu lesen seien, das solle jeder tun. 258 Anfang 1875 gab es wegen der Verwaltungsorganisation Unstimmigkeiten zwischen Bismarck und Eulenburg. Feldmarschall von Manteuffel äußerte gegenüber von Tiedemann die Befürchtung, es werde sich aus den augenblicklichen Reibungen ein chronischer Konflikt zwischen Bismarck und Eulenburg entwickeln, was sehr zu bedauern wäre, sei doch Eulenburg der einzige Kolle-
256 251 258
GStA Merseburg, Acta Ministerium des Innem, Rep. 77, Tit. 183 d, Nr. 3, BI. 148. BLHA Potsdam, Pr.Br.Rep. 37, Akte 348, Liebenberg, BI. 23, 23 R. Lucius von Bai/hausen, Roben Freiherr, Bismarck-Erinnerungen, S. 58.
70
I. Leben und Wirken
ge des Fürsten im Staatsministerium, der staatsmännische Veranlagung besitze.259 Der Umgang mit dem Fürsten scheint aber auch oft recht problematisch gewesen zu sein. Dies äußerte Eulenburg auch selbst wiederholt, so u.a. am 5. Februar 1875 gegenüber von Tiedemann. Ich kenne ihn seit 14 Jahren und weiß, daß es nicht ganz leicht ist, dienstlich mit ihm zu verkehren, daß er namentlich Widerspruch schwer erträgt. Sind Sie einmal anderer Ansicht als er, so hüten Sie sich, ihm sofort zu widersprechen. Tun Sie das, dann findet er, leicht erregbar wie er ist, so niederschmetternde Gründe für seine Ansicht und verbeißt sich so fest in diese, daß keine Macht der Erde ihn wieder davon abbringen wird. Kommen Sie dagegen nach einer Stunde wieder und sagen: Ich habe die Sache zu erledigen versucht, dabei sind mir jedoch die und die Bedenken aufgestiegen, dann werden Sie finden, daß Fürst Bismarck vorurteilsfrei genug ist, jede andere Ansicht zu hören, zu würdigen und eventuell zu akzeptieren. 260
Schon 1863 hatte Eulenburg von Keudell anläßtich dessen Dienstantritts bei dem Fürsten gewarnt. Ihre Stellung bei Bismarck wird sehr schwierig werden, darauf machen Sie sich nur gefaßt. Er ist ein gewaltiger Mensch und duldet keinen Widerspruch. Wer mit ihm zu thun hat, den zwingt er zum Gehorsam, mag man dagegen "strampeln" so viel man will. Und nun ist Ihnen ja eine besondere Vertrauensstellung zugedacht. Sie werden es sehr schwer haben und ich wünsche von Herzen, daß Sie lange aushalten.261
Auch gegenüber seinem Neffen Phitipp berichtete Eulenburg einmal über eine Eigenwilligkeit des Fürsten262: Bismarck ist doch bisweilen merkwürdig. Ich gehe mit ihm in der Behrenstraße, und es kommt uns in einiger Entfernung Herr von X entgegen. Ich hatte ihn noch nicht erkannt. "Kommen sie auf die andere Seite der Straße", sagte Bismarck, "ich will ihm nicht begegnen".
Eulenburg hat daraufhin nach dem Grund gefragt, denn Bismarck habe doch immer gut mit ihm gestanden und er sei gar nicht übel. '"'Das mag sein", sagte Bismarck, "aber er paßt mir nicht mehr." Auf Eulenburgs Frage, ob er denn einen Konflikt mit ihm gehabt habe, antwortete Bismarck: "Nein, durchaus nicht - aber ist Ihnen nicht auch einmal plötzlich jemand eklig geworden"? Eulenburg ergänzte dazu, es wäre fatal, wenn Herr X den Übergang auf die andere Straßenseite auf sich bezogen hätte, denn er sei ein guter Kerl und durchaus Anhänger von Bismarck gewesen.
259 v. Tiedemann, Christoph, Sechs Jahre Chef der Reichskanzlei unter dem Fürsten Bismarck, S. 18; siehe dazu unten, Abschn. II. 260 v. Tiedemann, S. 41. 261 v. Keudell, Robert, Fürst und Fürstin Bismarck, S. 127, 128. 262 Haller, Johannes, Aus 50 Jahren, S. 36.
E. Berufung zum Minister des hmem
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Die Unstimmigkeiten zwischen Bismarck und Eulenburg eskalierten dann offensichtlich, denn Anfang Mai 1875 war Bismarck entschlossen, Eulenburg zu entlassen. Nach einem Konzert zeigte er von Tiedemann ein umfangreiches Schriftstück und sagte, es sei ein Memoire, in dem er den Kaiser bitte, zwischen ihm und Eulenburg zu wählen. Ihm sei der Geduldsfaden gerissen und er hoffte, der Kaiser würde in die Entlassung Eulenborgs willigen. Als Nachfolger habe Bismarck den Regierungspräsidenten von Ende vorgeschlagen. 263 Die Entlassung Eulenborgs hatte also für den Fürsten schon recht konkrete Gestalt angenommen, gleichwohl blieben Eulenburg und auch Bismarck im Amte. Als Eulenburg dann 1876 an die Reform der Städteordnung herantrat, um sie in die Verwaltungsrechtsprechung einzugliedern, stieß er auf neue Schwierigkeiten insbesondere bei der national-liberalen und der freisinnigen Partei, deren Wortführer Miquel, Lasker und Virchow waren. 264 Am 18. März 1876 legte Eulenburg dem Abgeordnetenhaus einen relativ fortschrittlichen Entwurf der Städteordnung für die östlichen Provinzen vor, der u.a. für die Stadtvertretungen das Dreiklassenwahlrecht mit geheimer Wahl vorsah und die Staatsaufsicht beschränkte. Die Mehrheit des Abgeordnetenhauses unter der Führung Miquels änderte den Entwurf weiter im liberalen Sinne durch weitere Einschränkungen der Staatsaufsicht, Kommunalisierung der Polizeigewalt und Milderung des Dreiklassenwahlsystems ab, das Herrenhaus jedoch hob die liberalisierenden Änderungen auch des Regierungsentwurfs auf, woraufhin der König am 30. Juni 1876 die Schließung des Landtages verfügte und damit der Entwurf erledigt war. 265 Eulenburg legte dann Ende Juni 1877 einen weiteren umfassenden Entwurf einer Städteordnung dem Staatsministerium vor, der allerdings auf den entschiedenen Widerstand Bismarcks traf (s.u. S. 72 ff.) und deshalb auch nicht Gesetz wurde.266 Der Entwurf der Städteordnung steht in zumindest zeitlich engem Zusammenhang mit dem Ausscheiden Eulenborgs aus dem Amt des Innenministers. Durch den ihm während der Schulzeit durch Eduard von Simson erteilten Unterricht hatte Eulenburg mit Simson bereits in so früher Zeit Beziehungen TiedemaM, S. 32. Latz in ADB, S. 746.
263 11. 264
265 Huber, Ernst Rudolf, Deutsche Verfassungsgeschichte seit 1789, Band IV, Struktur und Krisen des Kaiserreichs, S. 361. 266 Der handschriftliche Entwurf findet sich in den Akten des Ministeriums des Innem, GStA Merseburg, Rep. 77, Tit. 479, No. 236, BI. 4-78 R.
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angeknüpft, die auch durch politische Meinungsverschiedenheiten und die Konfliktszeit nicht aufgelöst worden waren. u;7 Diese Freundschaft und die Bedeutung, die Eulenburg ihr zumaß, werden deutlich in seinem Brief an von Simson vom 17. Januar 1877. Je älter man wird, je enger wird der Kreis der Menschen, die einem die eigene aufrichtige und hingebende Freundschaft erwidern. So trübe Erfahrungen in dieser Hinsicht ich auch an mir gernacht habe, so wohltuend wirken die Ausnahmen, zu denen ich, zu meiner größten Freude, auch Sie, verehrter Herr Präsident, rechnen kann. Sie sind mir wirklich treu geblieben: aber ich Ihnen auch, das kann ich versichern. Lassen Sie uns in dieser Treue verharren: sie ist auf gutem Boden erwachsen, hat sich auf schwierigen und verwickelten Lebenswegen bewährt, und wird hoffentlich einst besser verwenhet werden können, als in diesem Jammenhale. 268
Eulenburg hob hier eine langjährige Freundschaft mit Freude hervor, wie ihm offensichtlich über die Jahre nur sehr wenige geblieben waren. Am 22. März 1877 wurde Eulenburg von Wilhelm I. zum Großkomthur des Hohenzollem'schen Haus-Ordens ernannt und ihm das Kreuz dieses Ordens verliehen. u;g
F. Rücktritt vom Amt des preußischen Innenministers 1. Entwurf der Städteordnung vom Juni 1877 Als Grund für den Rücktritt Eulenborgs als Innenminister gilt eine Meinungsverschiedenheit mit Bismarck über die beabsichtigte Refonn der Städteordnung. 270 Mit Schreiben vom 28. Juni 1877 hatte Eulenburg dem Präsidium des Staatsministeriums einen neuerlichen Entwurf einer Städteordnung zur Beschlußfassung und Weiterleitung an den Landtag vorgelegt und dazu die Änderungen gegenüber dem vorherigen Entwurf in Motiven dargelegt und begründet.271 Zu diesem Gesetz-Entwurf erstellte Bismarck unter dem 15. September 1877 in seiner Eigenschaft als Präsident des Staatsministeriums ein Vo-
u;7 v. Simson, Bernhard, S. 12. 268
v. Simson, Bernhard, S. 13.
270
Born, Karl Erich, in: Neue Deutsche Biographie, 4. Bd., S. 681; v. Tiedemann, S. 204. GStA Merseburg, Acta Ministerium des Innem, Rep. 77, Tit. 479, Nr. 236, BI. 4-23 R.
u;g BLHA Potsdam, Pr.Br.Rep. 37, Akte 348, Liebenberg, BI. 35.
271
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tum. 272 Hierin kritisierte er nicht nur den Entwurf in einigen Punkten der Sache nach, er wandte sich auch gegen "den Herrn Minister des Innem". Bismarck wollte die weitere Abschwächung der Regierungsgewalt und die Demokratisierung in der Städteordnung verhindem. 273 So beklagte er die Beschränkung des Einflusses der Staatsregierung gegen das weitere Eindringen der "socialistischen Elemente" in die städtische Verwaltung, in erster Linie durch Herabsetzung des Bürgercensus von 12 auf 6 Mark. Außerdem sollte nach seiner Vorstellung die Hälfte der Stadtverordneten aus Hausbesitzern bestehen, letztlich beklagte er die in Aussicht gestellten Einschränkungen des Bestätigungsrechts der Staatsregierung und lehnte die Ausdehnung der Städteordnung auf die westlichen Provinzen ab. Bismarck hätte lieber auf den Erlaß einer neuen Städteordnung verzichtet, als den beantragten Konzessionen zuzustimmen, zumindest hatte sie in diesem Jahr nicht eingebracht werden sollen. Er hielt vielmehr eine wenige Paragraphen umfassende Novelle der alten Städteordnung hinsichtlich der Angleichung an die neuen Kreis- und Provinzialordnungen sowie des Gesetzes betreffend die Einrichtung der Verwaltungsgerichte für ausreichend. Sodann wandte Bismarck sich in seinem Votum speziell an Eulenburg: In den Motiven des Gesetzes habe ich die Gründe gesucht, welche den Herrn Minister des Innem bestimmt haben können, der Staatsregierung von Neuern einen freiwilligen Verzicht auf ihre bestehenden Rechte und so weit gehende Abschwächungen der bisher geübten staatlichen Autorität und der bestehenden Bürgschaften gegen socialdemokratische Einflüsse vorzuschlagen.
Die Ablehnung des Gesetzentwurfs und sodann auch die Verärgerung über dessen Urheber kamen bei Bismarck noch deutlicher zum Ausdruck, als er versuchte, Innenminister Eulenburg in die Nähe der Gegnerschaft der Regierung zu rücken und ihm mangelnde Staatsraison vorzuwerfen, indem er weiter formulierte: Ich glaube, daß alle Gegner der Regierung, insbesondere die republikanischen wie die päpstlichen, die Fonschrittspartei und das Centrum den Entwurf, so wie er liegt, einstimmig willkommen heißen würden; vom Standpunkte der Königlichen Regierung aber kann ich kein Motiv entdecken, durch welches mir die von mir angefochtenen Theile des Entwurfs vor Seiner Majestät dem Könige und vor der eigenen Staatsraison rechtfenigen könnte.
Eulenburg nahm zu diesem Votum am 25. September 1877 gegenüber Bismarck ausführlich und sachgerecht Stellung, nachdem er diesem am Vortag in einem Brief seine Rücktrittsabsicht mitgeteilt hatte.
272 273
GStA Merseburg, Acta Ministerium des Innem, Rep. 77, Tit. 479, Nr. 236, BI. 182-183 R. v. Petersdorff, Herman, S. 466.
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Mit diesem Brief274 an Bismarck dokumentierte Eulenburg erstmals seine Absicht, vom Amt des Innenministers zurückzutreten. Er schrieb ihn am 24. September 1877 und berichtete von Unwohlsein, das ihn schon seit Monaten plage und welches ihn auch nach dem Seebade nicht verlassen habe. Eulenburg fuhr dann fort: Ich bin körperlich und geistig so herunter, daß ich die Pflichten meines Amtes nicht mehr ausfüllen kann. Deshalb werde ich Seine Majestät binen, mich zu pensionieren. Diesen Antrag will und kann ich aber natürlich nicht stellen, ohne mich vorher mit Ihnen verständigt zu haben.
Er bat Bismarck dann um einen Termin für eine Unterredung. Eulenburg zog damit also Bismarck als "verehrten Freund", wie er ihn anschrieb, hinsichtlich seiner Rücktrittsabsicht ins Vertrauen, bevor er sich an den König wandte. In der Stellungnahme vom 25. September 1877275 zu dem Votum Bismarcks bezüglich des Städteordnungs-Entwurfs hielt Eulenburg auch und besonders an den von Bismarck beanstandeten Neuerungen des Entwurfs fest. Er hob dabei besonders hervor, daß er es für das eigenste Interesse der Staatsregierung halte, die Verwaltungsstreitsachen der Stadtgemeinden den Verwaltungsgerichten zu übertragen und durch die Ausdehnung des Geltungsbereiches des Oberverwaltungsgerichts die Einheitlichkeit der Judikatur sicherzustellen. Zudem stellte er klar, daß er die Novellierung der alten Städteordnung nicht für möglich hielt, sondern eine weitgreifende Umarbeitung mittels eines völlig neuen, die gesamte städtische Verfassung einheitlich und übersichtlich regelnden Gesetzes für unerläßlich ansah. Im einzelnen führte Eulenburg an, daß in den östlichen Provinzen bereits ein Bürgercensus in Höhe von 6 Mark gesetzlich festgelegt sei. Gegen die Forderung Bismarcks, daß die Hälfte der Stadtverordneten aus Hausbesitzern bestehen müsse, wandte er ein, daß dadurch die sozialistische Partei nicht zurückzudrängen sei, da deren Mitglieder auch in der Zahl der größeren und kleineren Hausbesitzer nicht fehlten. Hinsichtlich des Bestätigungsrechts des Staates habe sich das Staatsministerium bereits im Jahre 1876 dahingehend ausgesprochen, daß nur bezüglich der Bürgermeister und Beigeordneten daran festzuhalten sei, nicht jedoch bei den unteren Polizeibeamten. Eulenburg schloß seine Stellungnahme mit der Hoffnung, daß Bismarck die gegen den Entwurf der Städteordnung erhobenen Bedenken im wesentlichen als erledigt betrachte.
274 275
FBA Friedrichsruh, Akte B 39. GStA Merseburg, Acta Ministerium des Innem, Rep. 77, Tit. 479, Nr. 236, BI. 190-193 R.
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Der dargelegte Schriftwechsel macht deutlich, daß es in der Tat auf Seiten Bismarcks wegen einiger Passagen des Städteordnungs-Entwurfs zu einer deutlichen Verstimmung gegenüber Eulenburg gekommen war. Das belegen die teilweise überdeutlichen Formulierungen des Fürsten. Eulenburg hat diese Kritik Bismarcks ganz offensichtlich jedoch nicht gegen sich persönlich gerichtet empfunden, sondern sie als sachliche Einwände gegen den Gesetzentwurf aufgefaßt und in ebensolcher sachbezogenen Weise dazu ausführlich und eingehend Stellung genommen und sich dabei auch nicht von seinen Standpunkten abbringen lassen. Bereits Anfang 1877 hatte Bismarck geäußert, er denke nicht an eine Wiederaufnahme der Geschäfte, ohne die ihm wünschenswert erscheinende Personalkonzession erreicht zu haben, er könne Eulenburg nicht mehr weiter durchschleppen. 276 Bismarck soll auch im September 1877, als er sich wieder einmal mit Abschiedsgedanken trug, als Bedingung seines Wiedereintritts ausdrücklich den Rücktritt des ihm unleidlichen Ministers Eulenburg verlangt haben, K.leist vermutete dazu, daß der König als Freimaurer seinen Logenbruder Eulenburg nicht gehen lassen wollte, was zu respektieren sei. 277
a) Rücktrittsgründe Hätte Eulenburg wirklich die teilweise herbe Kritik des Fürsten zum entscheidenden Anlaß für seinen beabsichtigten Rücktritt genommen, so hätte er sich sicherlich die Mühe der seitenlangen Stellungnahme, in der er auf alle Einwände Bismarcks einging und sie widerlegte, erspart und sogleich auf Bismarcks Votum hin seinen Rücktrittsantrag gestellt, vor allem, auch ohne ihn vorher davon zu unterrichten. Am 5. Oktober 1877 teilte Minister Friedenthai Herrn von Tiedemann in einer Unterredung mit, daß es im Interesse des Fürsten liege, Bennigsen zum Minister des Ionern zu machen, wenn Eulenburg wirklich zurücktreten sollte.27s Ein wesentlicher Grund für Eulenborgs Rücktrittsgesuch war sicherlich der Streit mit Bismarck um die Städteordnung. Am 7. Oktober 1877 erklärte 276 '1:17 '1:18
Lucius von Bai/hausen, Roben Freiherr, Bismarck-Erinnenmgen, S. 111. v. PetersdorjJ. Herman, S. 466. v. Twdemann, S. 203.
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Eulenburg gegenüber Herrn von Tiedemann, er müsse seinen Abschied nehmen, wenn die Städteordnung nicht eingebracht werde. Gegen Eulenburg habe der Fürst erklärt, noch am Vortrag seien von ihm als Motive für seinen Rücktritt andere Gründe genannt worden. 279 Diese Darlegung spricht dafür, daß der entscheidende Grund für das Rücktrittsgesuch doch Eulenburgs angegriffener Gesundheitszustand war, den er auch nach dieser Äußerung zunächst Bismarck als Grund angab. Vielleicht zur Unterstützung schob er dann die mögliche Nichteinbringung der StädteOrdnung als weiteren Grund nach. Auch Bennigsen berichtete in einem Brief von Eulenburgs bevorstehendem Ausscheiden aus dem Ministeramt Graf Eulenburg, welcher der Geschäfte schon lange müde war und sehr elend von seiner Badereise zurückkam, hat infolge erneuter unerfreulicher Differenzen mit Bismarck seine Entlassung bestimmt geforden und besteht auch auf derselben. 280
Wenn auch hier die Differenzen mit Bismarck als Grund genannt wurden, so kommt aber auch sehr deutlich die angegriffene Gesundheit Eulenborgs deutlich zum Ausdruck, die ihn offensichtlich schon länger geplagt hatte. Wäre Eulenburg allerdings wirklich schon längere Zeit amtsmüde gewesen, so hätte er nicht noch einen derart umfassenden Städteordnungsentwurf (ca. 105 Seiten) erstellt und ihn dann noch so umfassend gegenüber der Kritik des Fürsten verteidigt. In dem Streit über die Städteordnung hat also m.E. nicht der, jedenfalls nicht der entscheidende Grund für Eulenborgs Rücktrittsabsichten gelegen. Anderenfalls hätte Eulenburg auch nicht Bismarck in der alten Freundschaft und Vertraulichkeit seine Rücktrittsabsicht mitgeteilt und um ein persönliches Gespräch gebeten, bevor er mit diesem Anliegen an den König herantrat. Wahrscheinlich hatte sich Eulenburgs Gesundheitszustand in dieser Zeit deutlich verschlechtert, und er merkte offensichtlich, daß ihm die Kräfte und auch die Konzentration fehlten, um seinen Entwurf der Städte-Ordnung im Landtag einzubringen und auch durchzubringen, woraufhin er dann zwangsweise noch vor Beginn der neuen Landtagssession um Entlassung bat. Es mag sein, daß Bismarck aus seiner offensichtlichen Verärgerung über den Gesetzentwurf und Eulenburg anderen, auch dem König gegenüber, kei-
279
v. T~demaM, S. 204. Hermann, S. 320.
280 Onc~n.
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nen Hehl gemacht hatte und daß dadurch der Eindruck eines tiefen, auch persönlichen, Zerwürfnisses zwischen ihm und Eulenburg entstanden war. Hierfür spricht u.a. auch eine Äußerung des Königs in einem Brief vom 14. Oktober 1877281 , auf die noch einzugehen sein wird.
b) Rücktrittsgesuch an den König Mit Schreiben vom 10. Oktober 1877282 bat Eulenburg dann den König um Entlassung aus dem Dienst aus gesundheitlichen Gründen. So schrieb er u.a.: Meine Nerven sind nicht bloß angegriffen, sie sind zerrüttet. ... Eine Wendung zum Besseren ist auch nach dem Gebrauche der Seebäder nicht eingetreten, welche mir bisher Stärkung und Erfrischung zu bringen pflegten .... Die Erschlaffung oder Überreitzung der Nerven hat meine Befähigung zu geistiger Thätigkeit geschwächt. In Folge davon ist die Kraft, Entschlüsse zu fassen und Entscheidungen zu treffen, geschwunden: es wird mir schwer, scharf gedachten Auseinandersetzungen zu folgen, und selbst die Zunge versagt mit zuweilen den Dienst, wenn ich meinen Gedanken einen präeisen Ausdruck geben will. Unter solchen Umständen dürfen Eure pp mich in der verantwortungsvollen und weithin wirkenden Stelle eines Ministers des Innem nicht belaßen.
Eulenburg bezog sich sodann auf das Attest283 seines Arztes, des Geheimen Ober-Medizinal-Raths von Langenbeck, vom 4. Oktober 1877, in dem ihm infolge übermäßiger Anstrengung während der letzten Jahre nervöse Überreizung bescheinigt wurde, die sich durch Verdauungsstörungen, Schlaflosigkeit und Schwindelanfälle äußerten und manchmal zu recht bedrohlichen Krankheitszuständen geführt hätten, welche in der letzten Zeit in verstärktem Maße aufgetreten seien, demzufolge eine baldige Unterbrechung der Tätigkeit des Ministers von wenigsten sechs Monaten als unumgänglich notwendig empfohlen werde. Eulenburg fuhr dann fort, er könne sich nicht auf sechs Monate vertreten lassen, da die Geschäfte des Ministeriums des Innem auf längere Zeit einer kräftigen und verantwortlichen Leitung nicht entbehren könnten, und bat abschließend, seinem Dienst-Entlassungs-Gesuch stattgeben zu wollen.
281 282 283
BLHA Potsdam, Pr.Br.Rep. 37, Akte 348, Liebenberg, BI. 43-44 R. BLHA Potsdam, Pr.Br.Rep. 37, Akte 348, Liebenberg, BI. 40-41. BLHA Potsdam, Pr.Br.Rep. 37, Akte 348, Liebenberg, BI. 39.
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aa) Telegramm des Königs an Bismarck Aufgrund dieses Pensionierungsgesuchs telegrafierte Wilhelm dem Fürsten Bismarck nach Varzin284: Soeben erhalte ich Eulenburgs Entlassungs-Gesuch wegen geistiger und körperlicher lnvalidite', 8 Tage vor Eröffnung des Landtages. Das ist stark. Wer soll ihn in 8 Tagen ersetzen? Er muß also bleiben und seine Gesetze vertheidigen, da, wie die Zeitungen sagen, denn von anderer berufener Seite erfahre ich nichts, er sich mit Ihnen jetll verständigt hat, so daß dieserhalb kein Grund zu seinem Rücktritt obwaltet. Die Eröffnungsrede habe ich auch noch nicht, so daß ich garnicht weiß, wovon die Rede sein soll im Landtage. Ich bitte schleunigst um Ihre Ansicht über Eulenburg. Wilhelm
Der König zeigte sich hier also recht entsetzt über das kurz vor Beginn der Landtagssession eingereichte Demissionsgesuch Eulenburgs und wußte sich wegen einer möglichen Vertretung keinen Rat, sowohl hinsichtlich der einzubringenden Gesetze (auch des Entwurfs der Städte-Ordnung) als auch der Tronrede. Zudem rügte er auch den Adressaten Bismarck, daß er über dessen Auseinandersetzung mit Eulenburg über die Städte-Ordnung lediglich aus der Zeitung erfahren habe.
bb) Bismarcks Antwort Der Fürst antwortete285 auf die Anfrage des Königs diesem telegrafisch am 14. Oktober 1877: Ich fand Graf Eulenburg vor drei Wochen sehr angegriffen und willens, zurückzutreten. Vor acht Tagen nahm ich an, daß er Rücktritt aufgegeben. Differenz mit mir war nur wegen seiner zu liberalen Städteordnung, die er aufgab. Sein jetziger Schritt überrascht mich. Stelle ehrf. anheim, wenn er wirklich nicht mehr kann, was wahrscheinlich, ihm Urlaub zu geben.
Wenn selbst aus der Sicht des Fürsten die Differenzen als beigelegt betrachtet wurden, so wird in diesem beigelegten Zwist für Eulenburg schon gar kein Grund mehr für einen Rücktritt gelegen haben. Bismarck erinnerte sich später an Eulenborgs Gesundheitszustand zu diesem Zeitpunkt286:
284 285 286
Bundesarchiv Koblenz, Nachlaß Bismarck, BI. 21. v. Bismarck, Die gesammelten Werke, Bd. 6 c, S. 86. v. Bismarck, Die gesammelten Werke, Bd. 13, Gedanken und Erinnerungen, S. 406, 407.
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Der Graf Friedrich Eulenburg erlcläne sich körperlich bankrott, und in der Tat war seine Leistungsfähigkeit sehr verringert, nicht durch Übermaß von Arbeit, sondern durch die Schonungslosigkeit, mit welcher er sich von Jugend auf jeder Art von Genuß hingegeben hatte. Er besaß Geist und Mut, aber nicht immer Lust zu ausdauernder Arbeit. Sein Nervensystem war geschädigt und schwankte schließlich zwischen weinerlicher Mattigkeit und künstlicher Aufregung.
Zu dieser Äußerung Bismarcks bemerkte der Neffe Eulenburgs, Phitipp zu Eulenburg-Hertefeld, später287 : Mein Onkel war tatsächlich 1877 mit seiner Gesundheit zusammengebrochen. Die von dem Fürsten angegebenen Gründe dieses Zusammenbruches sind nicht völlig stichhaltig und der Animosität entsprungen, in die der überaus nervöse und empfindliche Kanzler anscheinend durch den Brief des alten Kaisers vom 30. Dezember 1877288 geraten war.
cc) Möglicher Nachfolger Bennigsen Bismarck schlug dem König für die Zeit der Beurlaubung Eulenborgs eine Aushilfslösung vor, wünschte aber weder, noch rechnete auf den Wiedereintritt des Ministers; vielmehr nahm er für dessen Posten den Nationalliberalen von Bennigsen in Aussicht, mit dem er auch im Juli 1877 in Fühlung getreten war. 289 Der Fürst bot von Bennigsen das Ministerium des Innem an, wahrscheinlich in Verbindung mit der verfassungsmäßigen Stellvertretung des Reichskanzlers (Vicekanzler). 29° Über die Absicht Bismarcks, ihn zum Nachfolger Eulenborgs zu machen, berichtete von Bennigsen auch in einem Brief an seine Mutter am 22. Oktober 1877.291 Mit von Bennigsen hatte Bismarck bereits seit April1877 Verhandlungen über den Eintritt ins Ministerium geführt, zu einem Zeitpunkt also, wo im Kabinett gar keine Vakanz eingetreten war, eine solche also erst geschaffen werden mußte. 292
Haller, Johannes, Aus 50 Jahren, S. 67. S.u. hh) 289 Frauendienst, Wemer, in: v. Bismarck, Die gesammelten Werlce, Bd. 6 c, S. 86. 290 Oncken, Hermann, Rudolf von Bennigsen, Bd. 2, S. 319. 291 Oncken, Hermann, Rudolf von Bennigsen, Bd. 2, S. 320, 321. 292 Philippson, Martin, Max von Forckenbeck, S. 290. 287 288
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dd) Halbjähriger Urlaub Am 14. Oktober 1877 antwortete Wilhelm in einem persönlichen Brief293 dem Innenminister, daß ihm das Schreiben eine unangenehme Überraschung verursacht habe. Er habe gedacht, daß von den Differenzen zwischen ihm (Eulenburg) und dem Fürsten Bismarck nicht mehr die Rede sei, und fuhr fort: Es sollte mir ein Zeichen sein, daß Sie Ihre Gesundheit efficiens nur vorzuschützen hätten, um dem Fst. Bk nicht allein das Odium Ihrer Entlaßung aufzubürden.
Es sei ihm, so der König weiter, unmöglich, auf das Entlassungsgesuch einzugehen. Dem Vorschlag Bismarcks auf Erteilung eines halbjährigen Urlaubs und der Vertretung durch Minister Friedenthai stimmte er zu und schloß seine Zeilen an Eulenburg: Ich bin hiermit ganz einverstanden und erfolgt die desfallsige Ordre heute noch. Ich habe zu großes Vertrauen und Dankbarkeit zu Ihnen um Sie missen zu können, also, mit Gon und Vertrauen in die Zukunft geblickt. Ihr treu ergebener Wilhelm
Der König ging also trotz der anderweitigen Auskunft Bismarcks davon aus, daß Eulenburg wegen des Streites mit dem Fürsten um die Städte-Ordnung seinen Rücktritt eingereicht und dabei die gesundheitlichen Gründe nur vorgeschoben habe. Am 15. Oktober 1877 ergingen zwei Telegramme an Bismarck.294 Einmal ließ der Geheime Legations-Rat von Bülow von Baden-Baden, wo sich der König gerade aufhielt, verschlüsselt an das Auswärtige Amt telegrafieren: Herr von Wilmowski bittet Nachstehendes an Fürst Bismarck telegraphisch weiter zu geben: 'Seine Majestät sind einverstanden mit bloßer Beurlaubung des Grafen zu Eulenburg auf 6 Monate und interimistischer Stellvertretung durch Minister Friedenthal. Bezügliche Orders sind gezeichnet und heute an Eure Durchlaucht zur Contrasignatur abgesandt. gez. von Wilmowski' gez. von Bülow
In dem zweiten Telegramm teilte der König selbst dem Fürsten nach Varzin mit, er sei mit dessen Vorschlag ganz einverstanden und habe Eulenburg u.s.w. sofort davon benachrichtigt. Ebenfalls am 15. Oktober 1877 antwortete Eulenburg dem König, daß er im Amt bleibe, und schrieb u.a. 295 :
293 294 295
BLHA Potsdam, Pr.Br.Rep. 37, Akte 348, Liebenberg, BI. 42, 44. Auskunft Auswärtiges Amt Bonn, Politisches Archiv, Akte R 231. BLHA Potsdam, Pr.Br.Rep. 37, Akte 348, Liebenberg, BI. 45.
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Womit habe ich so viel Gnade verdient? Ew. pp Vertrauens bin ich würdig, aber nicht des Werthes, welches Ew. pp auf mein Verbleiben im Amte legen. Wenn Ew. pp befehlen, so gehorche ich, aber es wird mir wohl noch gestattet sein, mündlich auseinander zu setzen, warum ich glaube, daß mein Ausscheiden aus dem Amte gerechtfertigt gewesen wäre.
Wahrscheinlich hatte Eulenburg dem König mündlich mitteilen wollen, daß der Zwist mit dem Fürsten über die Städte-Ordnung auch eine und welche Rolle bei seinem Rücktrittsgesuch gespielt habe. Noch am selben Tage, am 15. Oktober 1877, schrieb296 der König offiziell an Eulenburg und teilte ihm mit, daß er dem Entlassungsgesuch nicht stattgeben könne und daß er ihm zur Erholung einen Urlaub auf die Dauer von sechs Monaten erteile und Minister Dr. Friedenthai die Vertretung übertrage, das Staatsministerium habe er von dieser Verordnung benachrichtigt.
ee) Rücktrittsmitteilung ans Staatsministerium Eulenburg teilte sein Rücktrittsgesuch, dessen Ablehnung durch den König und die Erteilung eines sechsmonatigen Erholungsurlaubs dem Staatsministerium in dessen Sitzung am 17. Oktober 1877 mit. 297 Minister Dr. Friedenthai bekundete daraufhin seine Bereitschaft, die Vertretung zu übernehmen, wies jedoch auf die große ihm dadurch zuwachsende Geschäftslast hin, durch die ihm die Aufgabe sehr schwierig erscheinen müsse. Der Vice-Präsident des Staatsministeriums dankte dem Minister für die landwirtschaftlichen Angelegenheiten Dr. Friede~thal für dessen Bereitschaft. Die lange Beurlaubung Eulenburgs war bei einigen Landtagsabgeordneten auf Kritik gestoßen, was Anlaß für eine erneute Besprechung in der Ministerrunde wurde. In der Sitzung des Staatsministeriums am 24. Oktober 1877298 nämlich gab Minister Dr. Friedenthai eine Darlegung darüber, was auf den von den Abgeordneten Dr. Virchow und Dr. Haenel gestellten Antrag betreffend die Beurlaubung des Ministers Eulenburg zu erklären sei und führte aus, es sei ein unbestrittenes Recht der Krone, Minister zu beurlauben, und daß, da er die Geschäfte des Ministers des Ionern mit voller persönlicher Verantwortlichkeit führe, die Schlüsse unberechtigt seien, welche der Antrag ziehe, daß BLHA Potsdam, Pr.Br.Rep. 37, Akte 348, Liebenberg, BI. 49. GStA Merseburg, Acta Ministerium des Innem, Rep. 77, Tit. 183 d, Nr. 3, BI. 140, 140 R. 298 GStA Merseburg, Acta Ministerium des Innem, Rep. 90 a Abth. B, Tit.III, 2 b, Nr. 6, Vol. 89, BI. 147 R, 148. 296 297
6 Lange
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durch die Beurlaubung die Fortentwicklung der Gesetzgebung geschädigt und die Verantwortlichkeit der Minister beeinträchtigt werde.
ff) Aufgabe des Landtagsmandats Nicht ohne Bedeutung für die Frage, ob Eulenborgs Rücktrittsgesuch in erster Linie politische oder gesundheitliche Gründe hatte, ist seine Entscheidung hinsichtlich des noch von ihm innegehabten Landtagsmandats des Hauses der Abgeordneten. Mit Schreiben vom 26. Oktober 1877299 an den Präsidenten des Abgeordnetenhauses, von Bennigsen, erklärte Eulenburg, daß er aufgrund seines Gesundheitszustandes und des ihm vom Könige bewilligten halbjährlichen Urlaubs gehindert sei, an den Verhandlungen des Abgeordnetenhauses teilzunehmen und er daher sein Mandat niederlegen müsse, er habe das Innenministerium um Anordnung einer Neuwahl ersucht. Eulenburg gab also bereits hier zu diesem frühen Zeitpunkt unmittelbar nach Rücktrittsgesuch und Urlaubsbewilligung seine politische Tätigkeit im Landtag endgültig auf, auch wiederum aus gesundheitlichen Gründen. Offensichtlich war ihm klar oder er spürte zumindest doch, daß sein verschlechterter Gesundheitszustand ihn trotz des Erholungsurlaubs auch nach einem halben Jahr daran hindem würde, wieder als Minister und Landtagsabgeordneter tätig zu werden. Wenn er schon die Beurlaubung widerwillig und allein auf die Anordnung des Königs hin akzeptiert hatte, so gab er sein Abgeordnetenmandat sofort und endgültig auf und ließ auch sogleich sein eigenes Ministerium die entsprechende Neuwahl einleiten. Hätte Eulenburg die Möglichkeit gesehen oder doch zumindest in Betracht gezogen, seine Ministertätigkeit nach Ende des Urlaubs wieder aufzunehmen, so hätte er sicherlich gleichermaßen versucht, sein Landtagsmandat zu erhalten und sich zumindest nur für die Dauer seines Urlaubs abzumelden. Eulenburg betrachtete also bereits zu diesem Zeitpunkt sein berufliches Wirken als Minister und Abgeordneter als beendet.
299
BLHA Potsdam, Pr.Br.Rep. 37, Akte 348, Liebenberg, BI. 51,51 R.
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gg) Abschiedsbrief an Bismarck Dies machte er auch gegenüber Bismarck in einem AbschiedsbrieP00 deutlich, den er am Jahrestag seiner Ministerernennung dem Fürsten schrieb. Darin betonte Eulenburg am 8. Dezember 1877 u.a.: Um Ihnen Adieu zu sagen, wähle ich den heutigen Tag, an welchem ich, vor 15 Jahren, ins Ministerium berufen wurde. Ich danke Gott, daß Er mich gewürdigt hat, in dieser großen Zeit an Ihrer Seite meine Kräfte für König und Vaterland einsetzen zu können, und ich danke Ihnen von Herzen für alles Gute, das Sie mir, in diesen langen Jahren, als College und Freund erwiesen haben.
Eulenburg fuhr fort, er verlasse sich darauf, daß Bismarck das Versprechen, ihm auch nach Lösung der amtlichen Bande Freundschaft zu bewahren, halten werde. Zudem schrieb Eulenburg von seinem schlechten körperlichen Zustand und seiner bevorstehenden Abreise an den Genfer See, wo er Ruhe und Schlaf suche. Kurz ging er noch auf seinen Vertreter Friedenthai ein und berichtete von dem allseitigen Wunsch, Fürst Bismarck möge ins Abgeordnetenhaus kommen und dokumentieren, daß er mit der Politik und den Maßnahmen des jetzigen Ministers einverstanden sei. Sofern es noch eines weiteren Beweises bedurft hätte, um zu belegen, daß Eulenburg nicht in erster Linie wegen der Meinungsverschiedenheit mit Bismarck über den Entwurf der Städte-Ordnung, sondern wegen seiner angegriffenen Gesundheit sein Rücktrittsgesuch an den König gerichtet hatte, so ist er m.E. mit diesem Brief erbracht. Derart freundschaftliche Zeilen des Dankes an den Freund und Kollegen und die Bitte um Fortsetzung dieser Freundschaft auch über das Ende der gemeinsamen dienstlichen Tätigkeit hinaus sowie die angenehme Erinnerung an die Berufung ins Ministeramt vor 15 Jahren durch den Fürsten hätte Eulenburg niemals gefunden, wäre er aus Verärgerung über den Zwist mit Bismarck voller Groll gegen diesen aus seinem Amte geschieden. Es traf also ganz offensichtlich zu, daß, wie Bismarck an den König formuliert hatte, die Differenzen zwischen ihm und Eulenburg über die Städte-Ordnung beigelegt waren, zumindest jedenfalls aus der Sicht Eulenburgs, als dieser sein Rücktrittsgesuch einreichte. Daß Bismarck vom endgültigen Ausscheiden Eulenburgs aus dem Ministeramt ausging, berichtete er in einem BrieP01 an den Staatssekretär des
300 301
FBA Friedrichsruh, Akte B 39. v. Bismarck, Die gesammelten Werke, Politische Schriften, Bd. 6 a, S. 93.
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Auswärtigen Amtes, von Bülow, arn 15. Dezember 1877 schrieb und u.a. ausführte: Daß Eulenburg nicht wieder eintritt, nehme ich als sicher an, denn bei aller persönlichen Freundschaft hat dessen Tätigkeit und Unlätig~it das Geschäft wesentlich ruiniert.
Bisrnarck fand also hier nicht so freundliche Worte über Eulenburgs Tätigkeit, betonte aber gleichwohl die persönliche Freundschaft. Wie sehr Eulenburg offensichtlich gesundheitlich angegriffen war, ist auch einem Brief zu entnehmen, den er zur Jahreswende 1877/78 an den König richtete. So schrieb er arn 28. Dezember 1877302, er habe den erteilten Urlaub bisher in Berlin zugebracht, es sei noch viel Geschäftliches und Privates zu ordnen gewesen, er sei auch körperlich so angegriffen, daß er sich vor einer weiteren Reise gescheut habe. Am nächsten Tag endlich wolle er sich auf den Weg machen und sich zu längerem Aufenthalt nach dem Genfer See begeben. Eulenburg fühlte sich also bis zu diesem Zeitpunkt nicht einmal in der Lage, seine Urlaubsreise an den Genfer See anzutreten, um sich dort die rechte und erwünschte Erholung zu verschaffen. Er sandte Wilhelrn in dem Brief sodann Glückwünsche zum bevorstehenden Jahreswechsel und betonte: Ich würde dies unendlich gerne mündlich thun, aber ich fürchte, Eure Majestät durch Erbittung einer Audienz zu belästigen.
Auf diesen Brief vermerkte der König dann handschriftlich: Wenn Sie Zeit haben, so würde ich Sie gern heute um 1/2 4 Uhr empfangen.
B. 29.12.77
w.
Dieses Gespräch zwischen Eulenburg und dem König, das noch erhebliche Folgen nach sich ziehen sollte, hat auch stattgefunden. Darin hat Eulenburg u.a. einen möglicherweise bevorstehenden Ministerwechsel mit dem Eintritt von Bennigsens in das Staatsministerium angesprochen.
hh) Der Brief des Königs vorn 30. Dezember 1877 an Bismarck Nach der Unterredung mit Eulenburg schrieb der König arn 30. Dezember einen Brief3°3 an Bismarck, der u.a. folgendermaßen lautete: 302 303
BLHA Potsdam, Pr.Br.Rep. 37, Akte 348, Liebenberg, BI. 53. FBA Friedrichsruh, Akte B 126.
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Seit einiger Zeit gefallen sich die Zeitungen von totaler Modifikation des Staats Ministeriums zu berichten und Personen sogar zu nennen, ohne daß irgend eine positive Zurückweisung solcher Gerüchte erfolgt wäre. Nun bringt aber die gestrige Norddtsch. Allgemeine Zeitung in ihrer Nummer 306, zweite und dritte Spalte, Mittheilungen der gedachten An aus anderen Zeitungen, und beleuchtet dieselben in einer so eigenthümlichen An, daß man sie für officiös halten könnte. Dies gilt namentlich von der Versicherung, daß Sie mir einen Plan zu jener Modificirung vorgelegt und ich denselben durchaus gebilligt hätte!! Dies geht denn doch zu weit und kann nicht ohne Dementirung gelassen werden, die ich von Ihrer Seite officiös wünsche, da Niemand besser weiß, als Sie selbst, daß Sie mir keine Sylbe über diesen Gegenstand mitgeteilt haben. Die Zeitungen gehen so weit zu versichern, Sie hätten H. v. Bennigsen nach Varzin berufen, um mit ihm diese große Umwälzung zu bearbeiten, wobei er das Ministerium des Innem erhalten solle? Dies hat mich denn doch in einem Maße frappin, daß ich anfangen muß zu glauben, es sei wirklich Etwas der An im Werke, von dem ich garnichts weiß! Graf Eulenburg, der sich gestern verabschiedete, wollte meiner Versicherung, daß ich von Nichts wisse, garnicht glauben. Ich muß Sie also ersuchen mir Mitteilung zu machen, was denn eigentlich vorgeht? Was Bennigsen betrifft, so würde ich seinen Eintritt in das Ministerium nicht mit Yenrauen begrüßen können, denn so fähig er ist, so würde er den ruhigeren und cofiServativeren Gang meiner Regierung, den Sie selbst zu gehen sich ganz entschieden gegen mich aussprechen, nicht gehen können!-
Der König schloß dann mit guten Wünschen für das Neue Jahr. Dieser Brief macht deutlich, daß der König in der Tat verstimmt war, daß er von Bismarck nicht über einen möglichen Ministerwechsel, zudem mit Bennigsen, informiert war. Diese Verstimmung hatte allerdings, was auch hervortritt, nicht Eulenburg ausgelöst, er hat sie möglicherweise durch die entsprechende Nachfrage verstärkt. Eulenburg war es sichtlich unangenehm, daß der König nach dem Gespräch mit ihm Bismarck diesen Brief geschrieben hatte. Denn er ging in seinem Brief vom 2. Januar 1878304 an Bismarck darauf ein. Ich erfahre eben durch Wilmowski, daß Seine Majestät: aus einem Gespräche mit mir Veranlassung genommen habe, Ihnen zu schreiben, und Sie zu fragen, welche Bewandnis es mit den Zeitungs-Artikeln über die Neuorganisation der Reichsverwaltung und über bevorstehende Ministerwechsel habe.
Eulenburg erklärte dann weiter, daß er dem Kaiser von Gerüchten über Ministerwechsel erzählt, daß dieser aber davon nichts gewußt habe. Er, Eulenburg, befürchte, daß der Brief des Kaisers Bismarck vielleicht unangenehm berührt habe und bat diesen wegen seiner Unvorsichtigkeit um Verzeihung. Mit guten Wünschen für das neue Jahr verabschiedete Eulenburg sich dann von Bismarck nach Vevey.
304
FBA Friedrichsruh, Akte B 39.
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I. Leben und Wilten
Der besagte Brief des Kaisers an Bismarck hatte den Fürsten offensichtlich sehr verärgert. Da die Audienz Eulenburgs beim König den Anstoß zu dessen Protest gab, schloß Bismarck auf eine Intrige des gestürzten Ministers.305 Von Tiedemann vermerkte unter dem 11. Januar 1878 dazu306: Die Unpäßlichkeit des Fürsten ist verschlimmert worden durch einen Brief des Kaisers, die Ministeltrisis betreffend. Graf Eulenburg hatte, einen Scherz beabsichtigend, den Kaiser gefragt, ob ihm denn schon die neue Varziner Ministerliste vorgelegt sei: Bennigsen, Forckenbeck, Stauffenberg, Rickert u.s.w., und der Kaiser hatte infolgedessen sehr zornig Aufklänmg vom Fürsten verlangt.
Bismarck selbst wurde etwas deutlicher und berichtete307 vom Einlaufen eines ungewöhnlich ungnädigen Schreibens des Kaisers, aus dem ich ersehe, daß Graf Eulenburg zu ihm mit der Frage in das Zimmer getreten sei: 'Haben Euer Majestät schon von dem neuen Ministerium gehört? Bennigsen.' Dieser Mitteilung folgte der lebhafte schreckliche Ausbruch kaiserlicher Entrüstung über meine Eigenmächtigkeit und über die Zumutung, daß er aufhören sollte, 'konservativ' zu regieren. Ich war unwohl und abgespannt, und der Text des kaiserlichen Schreibens und der Eulenburgsche Angriff fielen mir dermaßen auf die Nerven, daß ich von neuem ziemlich schwer erkrankte, nachdem ich dem Kaiser durch Roon geantwortet haue, ich könne ihm einen Nachfolger Eulenburgs doch nicht vorschlagen, ohne mich vorher vergewissert zu haben, daß der Betreffende die Ernennung annehmen werde.
Bemerkenswert ist für die Einordnung dieser Begebenheit, die Bismarck ja selbst als "Eulenburgschen Angriff' einstufte, daß er darüber in seinem Kapitel "lntriguen" berichtete, in dem er zu diesem Punkt auch von "Eulenburgs feindlicher Einwirkung" sprach.308 Graf Herbert Bismarck, Sohn des Fürsten, wurde in einem Brief309 an Bennigsen, den er im Auftrage seines wegen dieses Vorfalles noch kranken Vaters schrieb, noch deutlicher, als er u.a. ausführte, daß nach den vorliegenden zweifellosen Thatsachen insbesondere der Minister Graf Eulenburg in geschickt berechneter Weise persönlich dazu mitgewirlct hat, bei Seiner Majestät die Sorge und Verstimmung zu wecken, welcher der Kaiser meinen Vater gegenüber Ausdruck gegeben hat.
Bismarck hatte dem Kaiser durch ein Schreiben Roons geantwortet und neben einer Erklärung des Vorganges durch die ungnädige Verurteilung sich genötigt gesehen, sein Abschiedsgesuch vom Frühjahr (1877) zu emeuem.310
305 306
s. 220. 307
308
309 310
Heffter, Heinrich, Die Deutsche Selbstverwaltung im 19. Jahrhundert, S. 658. v. TiedemaM, Christoph, Sechs Jahre Chef der Reichskanzlei unter dem Fürsten Bismarck,
v. Bismarclc, Die gesammelten Weite, Bd. 15, Erinnenmg und Gedanke, S. 369, 370. v. Bismarclc, Die gesammelten Weite, Bd. 15, Erinnerung und Gedanke, S. 371. Onclcen, Hermann, Rudolf von Bennigsen, 2. Bd., S. 342. Bismarclc, Die gesammelten Weite, Bd. 15, Erinnerungen und Gedanken, S. 370.
F. Rücktritt vom Amt des preußischen hmenrninisters
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Die Bemerkung Eulenborgs gegenüber dem Kaiser über den möglichen Eintritt Bennigsens in das Ministerium und die daraufbin erfolgte Anfrage des Kaisers an den Fürsten haben also bei diesem eine erhebliche Verstimmung insbesondere gegenüber Eulenburg hervorgerufen, die immerhin zu einem Rücktrittsgesuch Bismarcks führte.
c) Erneutes Entlassungsgesuch Am 23. März 1878 wandte sich Eulenburg aus seinem Urlaubsort Vevey am Genfer See an den König und bat erneut um Entlassung aus dem Dienst. So schrieb er u.a. 311 : Beim Herannahen des Ablaufs dieses Urlaubs gestatte ich mir, meine Bitte um Entlaßung allerunterthänigst zu wiederholen. Eurer Majestät Allergnädigster Erlaubniß, einige Zeit Ruhe genießen zu dürfen, verdanke ich zwar Beßerung meines körperlichen Zustandes, zugleich hat sich aber in dieser Zeit die Überzeugung in mir gefestigt, daß meine Kräfte nicht mehr hinreichen werden, die Pflichten genügend zu erfüllen, welche einem Minister Eurer Majestät obliegen .... Vertrauen Ew. M. auf meiner Versicherung, daß nur völlige Erschöpfung mich veranlaßt, wiederholt ehrfurchtsvoll zu bitten, Ew. M. wollen geruhen, mich in Gnade aus Allerhöchst Ihrem Dienste zu entlaßen.
Nunmehr fand Eulenburg, der auch hier wieder auf den alleinigen Grund der schlechten Gesundheit hinwies, bei dem König Verständnis für seinen Pensionierungswunsch.
2. Die Entlassung
Am 30. März 1878 teilte Wilhelm312 daraufbin dem Staatsministerium seinen Erlaß mit, wonach dem Staatsminister Graf zu Eulenburg unter Bewilligung der gesetzlichen Pension auf sein Ersuchen hin die Entlassung aus seinem jetzigen Amte gewährt worden sei, zugleich gab er die Ernennung des Oberpräsidenten (Botho) Graf zu Eulenburg, einem Neffen des soeben entlassenen Ministers Friedrich Albrecht Graf zu Eulenburg, zum Minister des Innern bekannt. 313
BLHA Potsdam, Pr.Br.Rep. 37, Akte 348, Liebenberg, BI. 54-55. GStA Merseburg, Acta Ministerium des Innem, Rep. 77, Tit. 183 d, Nr. 3, BI. 143. 313 Dazu: HeinTich, Henning, Jeserich, Verwaltungsgeschichte Ostdeutschlands 1815-1945, s. 72, 75, 115 f ., 169. 311
312
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I. Leben und Wirken
Damit war die Amtszeit Eulenborgs als Innenminister auch offiziell beendet. Eulenburg verließ nunmehr auch das Ministerhotel Unter den Linden 73 und bezog sodann eine Privatwohnung in der Margarethenstraße in Berlin.314 Am 1. April 1878 schrieb315 der Finanzminister Hobrecht "an den Königlichen Staatsminister a.D." Eulenburg und bat, die zur Aufstellung der Pensionsnachweisung benöthigten Angaben, insbesondere über die Zeit Ihrer Geburt, den Eintritt in den Staatsdienst und die Zeitdauer Ihrer Amtsführung in den einzelnen von Hochdemselben bekleideten Stellungen mir geneigtest mitzutheilen, auch mich benachrichtigen zu wollen, an welchem Orte Sie Ihre Pension zu beziehen wünschen.
Eulenburg antwortete am 5. April1878 aus Vevey dem Minister Hobrecht Er wies darauf hin, daß er ohne seine Akten nicht die genaue Zeitdauer der Amtsführung in den einzelnen Stellungen angeben könne und skizzierte sodann seinen beruflichen Werdegang doch recht genau316: Ich bin geboren am 29. Juni 1815. In den Staatsdienst bin ich getreten am lten December 1835. An diesem Tage bin ich beim Tribunal in Königsberg als Auscultator vereidigt worden. Ich habe dann als Auscultator beim Stadtgericht in Frankfurt a./0., als Referendarius beim Landgerichte und dem Justizsenate in Coblenz, und beim Oberlandesgerichte in Münster gearbeitet, Im Jahre 1841 habe ich die Drittejuristische Prüfung für alte und neue Provinzen (sogenanntes Universal-Examen) bestanden, arbeitete als Gerichts-Aßeßor erst bei dem Landgericht und der Regierung in Cöln, dann bei dem Stadtgerichte und der Regierung in Oppeln, und wurde 1843 oder 1844 zur Verwaltung übernommen, und zwn Regierungs-Aßeßor ernannt. Als solcher arbeitete ich bei den Regierungen in Oppeln und Merseburg, wurde 1848 erst ins Finanz-Ministerium, dann in"s Ministerium des Innem berufen, und 1849 zum RegierungsRalb ernannt; als solcher verblieb ich im Ministeriwn des Innem bis 1852, wo meine Ernennung zum General-Consul in Antwerpen erfolgte. 1858 wurde ich als Handels-Consul nach Warschau versetzt und 1860, unter Ernennung zum Königlichen Gesandten, mit der Leitung einer Expedition nach Ostasien beauftragt. Von dieser kehrte ich Mine 1862 nach Berlin zurück, wurde auf Wartegeld gesetzt, und einige Monate im Ministerium der Auswärtigen Angelegenheiten beschäftigt. Am 8. December 1862 geruhten Seine Majestät mich zum Minister des Innem zu ernennen, am 30ten März d.J. mich aus dieser Stellung zu entlaßen. .... Die Zeit, welche ich im Staatsdienste zugebracht habe, beträgt sonach 42Jahre und 4 Monate. Ich hoffe, daß diese Angaben zur Aufstellung der Berechnung der mir von Seiner Majestät Allergnädigst bewilligten Pension hinreichen werden .... Meine Pension wünsche ich in Berlin zu beziehen.
Trotz seiner Erkrankung bewies Eulenburg mit dieser Aufzählung seiner beruflichen Daten sein erstaunlich gutes Gedächtnis. Der König, der Eulenburg am 22. März 1877 zum Großkomthur des Hohenzollernschen Haus-Ordens ernannt und ihm das Kreuz dieses Ordens ver-
314 315 316
Hollaclc, E., Nachrichten über die Grafen zu Eulenburg, I. Reihe, Heft I, S. 108. BLHA Potsdam, Pr.Br.Rep. 37, Akte 348, Liebenberg, BI. 56. BLHA Potsdam, Pr.Br.Rep. 37, Akte 348, Liebenberg, BI. 56-57.
F. Rücktritt vom Amt des preußischen Innenministers
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liehen hatte, verlieh ihm nunmehr am 8. April1878 den Stern zum Kreuz des Hohenzollemschen Hausordens. 317
3. Eulenburg- Bismarck Eulenburgs Gesundheitszustand besserte sich auch nach seiner Pensionierung nicht, gleichwohl war er an den politischen Ereignissen nach wie vor sehr interessiert, was in seinem Brief vom 10. Juli 1879318 an Bismarck deutlich wurde. Mein Gesundheitszustand hat es mir seit Monaten unmöglich gemacht, des Abends spät auszugehen. Aus diesen Gründen habe ich es mir versagen müssen, Sie hin und wieder aufzusuchen, und meinem lebhaften Wunsche die wichtigsten Phasen der letzten Zeit von Ihnen besprechen zu hören, nachzukommen.
Auch hieraus ist zu ersehen, daß Eulenburg auch zu diesem Zeitpunkt noch dem Fürsten freundschaftlich verbunden war und auch keinerlei Groll wegen seines Ausscheidens aus dem Ministeramte gegen Bismarck hegte. Eulenburg hatte auch danach noch Kontakte zu Bismarck. So war er am 28. September 1879 abends bei ihm und traf dort auch Radowitz, Kleist-Retzow, Geheimrat Tiedemann und Lucius von Ballhausen.319 Bismarck hingegen sah Eulenburg doch in einem etwa anderen Licht, als er ihn in einem Schreiben vom 5. Juli 1879320 an den König, in dem er den häufigen Wechsel der Minister beklagte, u.a. ausführte: Der Graf Eulenburg hat diese Friktion mit mir länger ausgehalten wie andere; nachdem er mir in den ersten zehn Jahren seines Amtes in Gemeinschaft mit Roon tapfer beigestanden hatte, war er aber müde geworden und ließ sich von dem ·parlamentarischen Strom treiben: dadurch hat er in den letzten Jahren recht schädlich auf unsere Gesetzgebung eingewirkt und manche der Kronrechte fallen Jassen, die er in den ersten zehn Jahren seines Amtes energisch verteidigt haue.
Bismarck spielte hier sicherlich auf die Kreis-Ordnung von 1872 an, auch wohl auf den Entwurf zur Städte-Ordnung von 1877, wenngleich dieser auch nicht Gesetz wurde. Die Einführung der Verwaltungsgerichtsbarkeit hatte pragmatisch eine beträchtliche Beschränkung der monarchischen Befugnisse gebracht, die dem
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BLHA Potsdam, Pr.Br.Rep. 37, Akte 348, Liebenberg, BI. 35, 64. FBA Friedrichsruh, Akte B 39. Lucius von Ballhausen, Robert Freiherr, Bismarck-Erinnerungen, S. 172. v. Bismarck, Die gesammelten Werke, Bd. 6 c, Politische Schriften, S. 156.
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I. Leben und Wirlcen
Staatsoberhaupt als Inhaber der "vollziehenden Gewalt" nach der Verfassung geblieben waren. 321 Auch etwa zwei Jahre später, als Eulenburg schon sehr krank war, muß der Fürst über ihn in einer Gesprächsrunde nicht gerade freundliche Worte gefunden haben. In dem Kapitel 'Bismarck arn Teetisch' schilderte Philipp Eulenburg in seinen Erinnerungen über das Verhältnis zwischen Bismarck und seinem Onkel Fritz Eulenburg u.a. die folgende Begebenheit. 322 Daß er (Bismarck) eines Abends über meinen Onkel Fritz Eulenburg herzog, der todkrank darniederlag - was Bismarck wußte -, den Mann, dessen Mitwirlcung und schlagfertige Rednergabe als Minister des Innem während der großen Zeit von 1862 bis Ende der siebziger Jahre er nicht missen konnte, und dessen Freundschaft und unvergleichlicher Humor ihn in schweren Zeiten oft genug gestärkt hatte - das verletzte mich so tief, daß ich mehr als eine Woche lang von dem Teetisch fernblieb. Eine Zeitungsnotiz, die sich auf die Wirkung der neuen Kreis-Ordnung, das Welk meines Onkels, bezog, ärgerte Jupiter. Daß aber mein Onkel die Kreisordnung nur auf Bismarcks Geheiß durchgeführt hatte, schien er vergessen zu haben, nachdem er, Großgrundbesitzer geworden, sich durch diese Kreisordnung beengt fühlte. Nun, da sie ihn kniff, war mein Onkel der Attentäter, nicht etwa er selbst. ln solchen Abwälzungen auf die Schultern anderer war der Fürst auch großzügig . ... Von der neuen Kreisordnung war damals, d.h. im Jahre 1877 und einigen darauffolgenden Jahren, viel die Rede. Es wurde auf den Rittergütern weidlich geschimpft, doch weniger auf meinen Onkel als auf Bismarck, denn jener wurde doch nur als das Organ des Kanzlers in der erregenden Frage bewertet. Der Fürst lebte damals noch nicht so intensiv wie später auf seinen Friedrichsruher und Varziner Gütern, und die neue Kreisordnung fraß noch nicht an seinen Nerven wie zu der Zeit, da er seine "Gedanken und Erinnerungen" verfaßte. .... An jenem Abend am Teetische des Fürsten waren es Ausdrücke einer Mißbilligung gegen meinen so schwer erlerankten Onkel, die durch irgend welche, der fürstlichen Verwaltung in Friedrichsruh oder Varzin entstandenen Schwierigkeiten, infolge der neuen Kreisordnung, hervorgerufen waren. Denn bekanntlich verstand der alte Fürst, wo es sich um seine materiellen Interessen handelte, durchaus keinen Spaß.
Auch aus diesen Aufzeichnungen werden die Animositäten Bismarcks gegenüber Eulenburg deutlich, die auch noch nach Eulenborgs Ausscheiden aus dem Ministeramte vorherrschten.
G. Lebensende In der darauffolgenden Zeit muß es Eulenburg gesundheitlich noch erheblich schlechter gegangen sein.
321 G.-Chr. von Unruh, Die verfassungsrechtliche Bedeutung der preußischen Verwaltungsrechtspflege, S. 24. 322 Haller, Johannes, Aus 50 Jahren, S. 66-68.
G. Lebensende
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Im Laufe der letzten Jahres seines Lebens entwickelte sich ein hochgradiges Nervenleiden. 323 Sein Neffe Philipp Eulenburg gab über ihn in einem Brief an Herbert Graf von Bismarck vom 17. Dezember 1880 einen sehr erschütternden Bericht, als er u.a. schrieb37A: Daß ich erst im Laufe des Januars nach Paris zu gehen brauchte, würde mir bei der schweren Erlc:rankung meines guten Onkels, Fritz Eulenburg, allerdings sehr erwünscht sein. Sein Tod ist bei der großen Abnahme der Kräfte wohl eigentlich in nllchster Zeit zu erwarten - und leider zu wünschen. Er erlc:ennt seine nächsten Verwandten, leidet aber an verwirrten Phantasien und Halluzinationen, die ihn Tag und Nacht verfolgen, und über die er unaufhörlich sprichL Er ist nach einer Kette von mehr oder minder heftigen Schlaganfällen dabei körperlich unbeschreiblich heruntergekommen und so schwach, daß er nicht allein in der Stube umhergehen kann und häufig gezwungen ist, halbe Tage lang im Ben zu bleiben. Es ist qualvoll, ihn in dieser Verfassung m sehen und man kann nur Gon bitten, daß er ihm Erlösung gibL Mein Vater ist zu ihm nach Berlin gezogen, IDld es gehört seine starlc:e Konstitution und sein gesundes Nervensystem dazu, um dies Leiden so geduldig zu sehen. Ich löse ihn bisweilen ab, muß aber gestehen, daß ich mit meinen Nervenverhältnissen diesem Elend und dieser Wirrniß nicht gewachsen bin.
Friedrich Albrecht Graf zu Eulenburg starb am 2. Juni 1881 in Schöneberg bei Berlin. 325 Beigesetzt wurde er in Liebenberg.326 Er war ein Mann, nehmt alles nur in allem.3Z7
].Nachrufe Eulenburg wurde in der Presse durch Nachrufe gewürdigt. So war am 4. Juni 1881 in dem "Kleinen Journal" 328 nach Darlegung seines beruflichen Werdegangs zu lesen: In dem Grafen Eulenburg ist ein Staatsmann zu Grabe gegangen, dessen Name mit der bedeutendsten Reform der preußischen Verwaltung seit dem Freiherrn vom Stein verknüpft ist und bleiben wird und die HingebiDlg, mit welcher sich der Vemlichene an dieser Reformalbeil beteiligte, hat ihm schließlich die Anerlc:ennung auch Derer verschafft, welche beim Beginn seiner Amtsführung in heftiger Opposition gegen ihn standen. Das Mißtrauen fast des ganzen Landes hane den Grafen Friedrich Eulenburg als Minister des Innem empfangen; die Achtung aller Parteien und die wohlverdiente Anerlc:ennung für seine Amtsführung folgte ihm bei seinem Rücktritt und folgt ihm jetzt in das Grab.
GStA Merseburg, Acta Ministerium des Innem, Rep. 77, Tit. 183 d, Nr. 3, BI. 148. Röhl, lohn C.G., Politische Korrespondenz Philipp zu Eulenburg, S. 119, 120. 325 Lotz, A., in: Allgemeine Deutsche Biographie, S. 747. 326 Hollack, E., Nachrichten über die Grafen zu Eulenburg, S. 106. 3Z7 Sha/cespeare, William, Harntet, 1. Aufzug, 2. Szene. 328 GStA Merseburg, Acta Ministerium des Innem, Rep. 77, Tit. 183 d, Nr. 3, BI. 148. 323
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I. Leben und Wirken
Er war das, wozu nach dem englischen Sprichwort selbst der König Niemanden machen kann: ein Gentleman.
In der Nr. 129 des "Staatsanzeigers"329 vom 4. Juni 1881 fand Eulenburg eine umfassende Würdigung. So wurde ihm bei der ausführlichen Schilderung seines Berufsweges "seine außergewöhnliche und gründliche wissenschaftliche Bildung in Verbindung mit einer hervorragenden Geschäftsgewandtheit" bescheinigt. Zur Berufung als Minister hieß es: Als er unter den schwierigsten Zeitverhältnissen dieses ihm durch das Allerhöchste Vertrauen übertragene Amt übernahm, erklärte er in einer an die obersten Verwaltungsbeamten erlassenen Verfügung, daß er durchdrungen von der Bedeutung der ihm zugewiesenen Aufgabe sich des ernsten Willens bewußt sei, die Lösung derselben mit vollem Eifer und mit aller ihm verliehenen Kraft zu erstreben und daß er hierzu die kräftige Hülfe aller Organe der Verwaltung in Anspruch nehme. Die Worte dieser Verfügung: 'Die Treue und aufopfernde Hingebung der Königlichen Beamten an die Krone ist einer der Grundpfeiler, an welchen der Preußische Staat ruhmvoll aufgerichtet ist. Auf diese rückhaltlose Hingebung muß die Regierung Se. Majestät des Königs um so unbedingter rechnen dürfen, seitdem die Einführung freier Institutionen dem Beamtenstande wesentlich die Aufgabe zugewiesen hat, eine Stütze der verfassungsmäßigen Rechte des Thrones zu sein. Dazu ist es aber unerläßlich, daß in der Verwaltung überall Einheit des Geistes und Willens, Entschiedenheit und Energie hervortrete.' Diese Worte sind ihm stets Richtschnur seines eigenen Verhaltens gewesen; was er von anderen verlangt, hat er selbst in vollstem Maße in den schwierigsten Zeiten geleistet. Vor allem aber bleibt der Name des Grafen Friedrich zu Eulenburg unauflöslich verknüpft mit der Geschichte der Reform der preußischen Verwaltung, für deren Verwirklichung er den richtigen Zeitpunkt erkannte und glücklich erfaßte. Die Kreisordnung vom 13. Dezember 1872 sowie die Schöpfung der Verwaltungsgerichtsbarkeit ist sein Werk, dessen Durchführung ihm wohlverdiente Anerkennung auf die Dauer sichert. Sein Name gehört der Geschichte an, seine Verdienste um das Vaterland sichern ihm eine Stelle unter den ersten Staatsmännern Preußens, und das Andenken an die edle Einfachheit und Liebenswürdigkeit seines Wesens wird Allen, denen es vergönnt war, ihm persönlich oder amtlich näher zu treten, unvergessen bleiben.
2. Reminiszenzen nach 100 Jahren Auch ein Jahrhundert später erinnert man sich gelegentlich des früheren preußischen Innenministers. In einigen Presseveröffentlichungen des In- und auch des Auslandes der jüngeren Zeit fand Eulenburg Erwähnung.
329
GStA Merseburg, Acta Ministerium des Innern, Rep. 77, Tit. 183 d, Nr. 3, BI. 148.
G. Lebensende
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So wurden in Bangkak in einem Bericht330 über die thailändisch-deutschen Handelsbeziehungen Eulenburg und der von ihm mit Siam am 7. Februar 1862 im Rahmen der Ostasien-Expedition geschlossene Freundschafts-, Handels- und Schiffahrtsvertrag erwähnt, der Vertrag, welcher in seiner Bedeutung als Basis der thailändisch-deutschen Zusammenarbeit hervorgehoben wurde. In dessen Folge, so wurde ausgeführt, habe sich eine lang anhaltende Freundschaft zwischen beiden Ländern entwickelt, und die Bundesrepublik Deutschland sei nach Japan und den USA der drittgrößte Handelspartner Thailands geworden. Zu Beginn der 80er Jahre finden sich auch in der deutschen Presse Anmerkungen über Eulenburg. So wurde anläßtich seines 100. Todestages mit Abdruck eines Fotos von ihm berichtet.331 Im Rahmen eines Rückblicks auf seine Lebensdaten und die beruflichen Stationen, die Ostasien-Expedition und die Ministerzeit wurden besonders die Eingliederung der nach dem Sieg 1866 über Österreich neugewonnenen Provinzen Schleswig-Holstein, Hannover, Hessen-Kassel und Hessen-Nassau in die preußische Verwaltung sowie die längst fällige Reform der Kreis- und Gemeindeverwaltung und der preußischen Provinzialverwaltung als seine zwei großen Aufgaben hervorgehoben. Wegen dieser Reform wurde er als später Nachfahre der Reformer Stein und Hardenberg zu Beginn des 19. Jahrhunderts und damit als letzter altpreußischer Verwaltungsreformer gewürdigt. Nicht zuletzt anläßtich der deutschen Leistungsschau in Tokio erinnerte man sich Eulenburgs. In einem Bericht mit dem Titel: "Auf den Spuren des Grafen Eulenburg·332 über diese erste deutsche Industrieausstellung in einem zur westlichen Wirtschaftsordnung gehörenden Industrieland fand Eulenburg als Pionier für die deutsche Industrie in Japan Anerkennung. Es wurde betont, daß Eulenburg im Jahre 1861 als Leiter der preußischen Ostasien-Expedition mit dem damals noch in freiwilliger Selbstisolierung lebenden Japan einen Freundschafts-, Handels- und Schiffahrtsvertrag abgeschlossen und dabei der Regierung in Tokio ein Siemens-Telegraphengerät überreicht hatte. Die Firma Siemens würdigte Eulenburg im Rahmen einer Jubiläumsschrift333 aus dem Jahre 1987. 330 331
332
333
"Bangkok Post", 6. Februar 1975, S. 10. "Die Welt" vom 30. Mai 1981. "Süddeutsche Zeitung" Nr. 77 vom 31. März/1. April 1984. "100 Jahre Siemens in Japan 1887-1987".
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I. Leben und Wirken
Neben einer Abbildung Eulenburgs wurde hervorgehoben334 , daß nach der 250-jährigen politischen und gesellschaftlichen Abkapselung Japans anläßtich der preußischen Ostasien-Expedition unter Leitung des Grafen Friedrich Albrecht zu Eulenburg, die sowohl politische als auch wissenschaftliche Zielsetzungen verfolgt habe, es im Januar 1861 zu einer ersten deutsch-japanischen Übereinkunft gekommen sei, um Handelsbeziehungen und freundschaftliches Zusammenwirken zwischen Preußen sowie dem Deutschen Zollverein und dem Kaiserreich Japan aufzunehmen. Graf Eulenburg habe dabei seinem japanischen Vertragspartner als Staatsgeschenk einen in Berlin hergestellten magneto-elektrischen Telegraphen-Apparat aus der Firma Siemens und Halske überreicht, gleichsam ein Symbol darstellend für die künftig zu entwickelnde Kommunikation zwischen zwei befreundeten Völkern; dieser in der Jubiläumsschrift abgebildete Zeigertelegraph sei wohl, so wird vermutet, das erste elektrische Gerät überhaupt, das nach Japan gelangt sei.
3. Geschichte in der Politik Aber auch im politischen Leben ist Graf Eulenburg nicht vollständig der Vergessenheit anheimgefallen. Anläßlich des Staatsbesuchs des Präsidenten der Bundesrepublik Deutschland Professor Karl Carstens und seiner Frau in Thailand gab der Bundespräsident arn 1. März 1984 in Bangkak ein Abendessen zu Ehren des Königs und der Königin von Thailand. Die zu diesem Essen erstellte Menukarte335 zeigte auf der Außenseite des Umschlags Siegel und Unterschrift des Grafen Friedrich zu Eulenburg und enthielt innen den Hinweis, daß Graf Eulenburgarn 7. Februar 1862 in Bangkak den deutsch-siamesischen Freundschafts-, Handels- und Schiffahrtsvertrag unterzeichnet habe. Auf den Innenseiten des Umschlags der Menukarte waren Art. 1 des siamesischen und des deutschen Alternats sowie die Siegelund Unterschriftenseite des Vertrages wiedergegeben.
334 335
"100 Jahre Siemens in Japan 1887-1987", S. 9. Auskunft Auswärtiges Amt Bonn, Politisches Archiv.
G. Lebensende
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Bei der Berichterstattung über diesen Staatsbesuch fand Graf Eulenburg gleichennaßen Erwähnung, so in thailändisch-deutschen Reminiszenzen unter dem Titel: "Der Gesandte und der dicke Prinz".336 Mit Auszügen aus dessen Tagebuch und Briefen wurde an den "Außerordentlichen Preußischen Gesandten und Bevollmächtigten Minister Friedeich Albrecht Graf zu Eulenburg" erinnert, der 1861/62 die erste deutsche Mission auf thailändischem Boden gründete. Als Krönung seiner harten, aber auch amüsanten Arbeit wurde der am 7. Februar 1862 unterzeichnete "Schiffahrtsvertrag zwischen den Staaten des Zollvereins und den Großherzogtümern Mecklenburg-Schwerin und Mecklenburg-Strelitz einerseits und dem Königreich Siam andererseits" hervorgehoben. Zu dem in der Überschrift erwähnten "dicken Prinzen" Krom Luang Wongsa wurde Eulenburg mit dem Hinweis zitiert, wie ehrlich und undiplomatisch er als Gesandter auch habe sein können: Er sieht aus wie ein Nilpferd. Sein dickes, betelkauendes Maul ist entsetzlich unappetitlich, aber seine Züge und sein Wesen haben trotzdem etwas außerordentlich Gemütliches. Ich kann mich noch nicht recht besinnen, wem er gleicht, aber unter den dicken Bäcker· und Fleischermeistem sieht man bei uns häufig solche Figuren,
lautete die Charakterisierung durch Eulenburg. So wurden Eulenburg und seine Verdienste auch hier noch einmal herausgestellt.
336
"Frankfurter Allgemeine Zeitung", 1. März 1984.
ll. Die preußische Kreisordnung von 1872 als Abschluß der Stein'schen Verwaltungsreform Eine Anpassung der Verfassung der noch stark feudal geprägten Kreise an konstitutionelle Prinzipien war seit der "neuen Ära" in Preußen eine vordringliche Aufgabe, der sich nach mancherlei gescheiterten Ansätzen der Innenminister Eulenburg mit Nachdruck annahm, worauf bereits eingegangen wurde.
A. Der Ursprung des Kreises im Mittelalter
Die Bezeichnung "Kreis" umfaßt im deutschen Sprachgebrauch seit dem 13. Jahrhundert eine geschlossene Gruppe von Menschen in einem bestimmten Gebiet, einem 'Land', eine Rechtsgemeinschaft landbewohnender und landbeherrschender Leute, die über die Grenze engerer Siedlungen hinausragte und deren Ordnung durch herrschaftliche wie genossenschaftliche Elemente geprägt war. 1 Die Eigenart des Kreises lag in der engen Verknüpfung von genossenschaftlichem und herrschaftlichem Element, in der Wahrnehmung von hoheitlichen Aufgaben für den Landesherrn durch Vertrauensleute, die die Gewähr dafür gaben, daß die Aufgaben auch unter angemessener Berücksichtigung der "kantonalen", landschaftlichen Bedürfnisse erledigt wurden, nicht nur aus der Sicht der fürstlichen Obrigkeit.2 Der Ursprung der 'Kreisverfassung' reicht bis ins Mittelalter zurück, als im Einvernehmen zwischen maßgeblichen landsässigen Einwohnern und dem Landesherrn Funktionsträger bestimmt wurden, die eine Mittlerstellung wahrnahmen, weil sie sowohl persönliche Unabhängigkeit besaßen als auch in nachbarschaftlieber oder landsmannschaftlieber Bindung zu ihren 'Landsleuten' standen. 3 So wurden "die in dem crais gesezen und dazu gehörend ce I G.-Chr. von Unruh, Die Kreisordnungsentwürfe des Freiherrn vom Stein und seiner Mitarbeiter 1808-1810-1820, in: Westfälische Forschungen, 21. Bd., 1968, S. 6. 2 G.-Chr. von Unruh, Der Kreis - Ursprung, Wesen und Wandlungen, in: Der Kreis, Handbuch, S. 14. 3 G.-Chr. von Unruh, Preußens Beitrag zur Entwicklung der kommunalen Selbstverwaltung in Deutschland, in: DVBI. 1981, S. 723.
A. Der Urspnmg des Kreises im Mittelalter
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Zwaben unze Bayern" 1330 bereits als geschlossener Personenkreis, als ein Corpus begriffen, wobei nicht geklärt ist, ob der Name von dieser im Spätmittelalter aufgekommenen Bezeichnung für Sammlung und Begrenzung von Räumen und ihren Menschen stammt.4
1. 'kraj' im Königreich Böhmen Als Bezeichnung für eine politische Einrichtung mit administrativen Aufgaben wurde 'Kreis' wohl zuerst im Königreich Böhmen verwandt, wo das ursprünglich Land bedeutende kraj für die Landfriedens- und Steuerverwaltungsbezirke bildenden Landgemeinden seit dem Spätmittelalter krajske obce in Gebrauch kam, Mittelpunkt dieser Kreise war regelmäßig ein größerer Ort oder eine Stadt.5 In Böhmen waren kraj genannte "bezirkte Lande" in administrative Beziehung zur Krone gebracht, da Kaiser Sigismund auch König von Böhmen und Markgraf von Brandenburg war, wurden möglicherweise die in Böhmen entwickelte Institution in Nachbargebieten bekannt und auch die Bezeichnung von dort übernommen, in der Kurmark Brandenburg aus solchen Landschaften oder Landen Kreise. 6
2. Der Kreis in der Mark Brandenburg Der Ursprung jener 'Kreis' genannten Institution liegt in den Landen oder Landschaften der Mark Brandenburg, die sich seit dem 16. Jahrhundert zu geschlossenen Gemeinwesen entwickelten, zu integrierenden Bestandteilen des Territorialstaates.7 Hier bestanden von alters her Vereinigungen von Rittergutsbesitzern bestimmter Bezirke, sog. "Kreiskonvente", die eine ständische Korporation darstellten, seit dem 16. Jahrhundert ungefähr stehen an der Spitze dieser Kreiskonvente aus der Zahl der Mitglieder gewählte Vorsteher unter der Bezeichnung "Landräte".8
4 G.-Chr. von Unruh, Vom brandenburgischen zum deutschen Kreis, vielhundenjährige Entwicklung einer kommlDlalen Körperschaft, in: Der Landkreis 1992, S. 34. 5 G.-Chr. von Unruh, Der Kreis, Urspnmg, Wesen und Wandlungen, S. 14. 6 G.-Chr. von Unruh, Vom brandenburgischen zum deutschen Kreis, vielhundenjährige Entwicklung einer kommunalen Körperschaft, S. 35. 7 G.-Chr. v. Unruh, Der Kreis im 19. Jahrhunden zwischen Staat und Gesellschaft, in: CroonHofmann-von Unruh, Kommunale Selbstverwaltung im Zeitalter der Industrialisierung, S. 96. 8 Kimme, Hugo, Die Autonomie der KommlDlalverbände in Preußen, S. 48.
7 Lange
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II. Die preußische Kreisordmmg von 1872
Urkundlich findet der Kreis in der Mark Brandenburg zum ersten Mal bei einer Ladung des Kurfürsten zu einem allgemeinen Landtag am 8.4.1534 Erwähnung, wo auf vorhergegangene Besprechungen der Geladenen in ihren 'Chreyzen' Bezug genommen wurde. 9 Dabei handelte es sich zunächst um die größeren Landschaften, die sich wiederum in kleinere "Lande" gliederten. Der Gebietsumfang dieser "Gezirke" reicht meist bis in die Wendenzeit zurück, ohne später wesentliche Veränderungen zu erfahren. Auf den "Chreystagen" wurden auch Deputierte gewählt, welche die Verwendung der von den Landständen genehmigten Steuern zu überwachen hatten. 10 Die hervorragende Aufgabe der Kreistage lag in der Steuerverwaltung, die sich nicht auf die Verteilung der aufzubringenden Abgaben beschränkte, sondern auch außerordentliche Bewilligungen, Niederschlagung von Forderungen und die Verwendung der Beiträge umfaßte. 11 Hier liegt also bereits der Anfang der öffentlichverantwortlichen Tätigkeit der Kreise. 12 Unter des "Kreises Verrichtungen" besaßen vor allem die geregelten "Remissionen" soziale und ökonomische Bedeutung beim speziellen "Lastenausgleich mit Strukturförderung" des Gebietes. 13
a) Kreiskommissar und Landrat Die Eigenart der kurmärkischen Kreisverfassung - die seit dem 17. Jahrhundert auch in Pommern, Schlesien und in den westlichen Gebieten Preußens Eingang fand - lag zunächst darin, daß der vom Landesherrn ernannte Kreiskommissar regelmäßig der Landschaft entstammte, für die er tätig zu sein hatte, er besaß das Vertrauen der Bevölkerung, wurde später Landrat genannt und war Mittler zwischen Fürst und Untertanen, später zwischen Staatsund kommunaler Selbstverwaltung. 14
9 G.-Chr. von Unruh, Preußens Beitrag zur Entwicklung der kommunalen Selbstverwaltung in Deutschland, in: DVBI. 1981, S. 723. 10 G.-Chr. von Unruh, Vom brandenburgischen zum deutschen Kreis, vielhundenjährige Entwicklung einer kommunalen Körperschaft, S. 34. 11 G.-Chr. von Unruh, Preußens Beitrag zur Entwicklung der kommunalen Selbstverwaltung in Deutschland, S. 724. 12 G.-Chr. von Unruh, Preußens Beitrag zur Entwicklung der kommunalen Selbstverwaltung in Deutschland, S. 723. 13 von Thie/e, Carl Gonfried, Nachrichten von der churmärkischen Contributions- und SeheBeinrichtung oder Land-Steuer-Verfassung; G.-Chr. von Unruh, Preußens Beitrag zur Entwicklung der kommunalen Selbstverwaltung in Deutschland, S. 723. 14 G.-Chr. von Unruh, Vom brandenburgischen zum deutschen Kreis, vielhundenjährige Entwicklung einer kommunalen Körperschaft, S. 35.
A. Der Ursprung des Kreises im Mittelalter
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In der zweiten Hälfte des 16. Jahrhunderts fand sich die Bezeichnung 'Direktor' für ein Mitglied des Kreistages, das die Versammlung leitete und 'Sprecher' seiner Beschlüsse war. Von hier nahm das Amt des Landrats seinen Anfang, dieser Titel bezeichnete ursprünglich ständische Vertreter, die zur Wahrung ihrer Belange beim Landesherrn wirken sollten, in der Kurmark hatte der Kurfürst 1550 versprechen müssen, solche "Landräte" zu Ratgebern zu berufen, ohne daß damit zunächst eine Bindung an Landschaft oder Kreise vereinbart worden war. Der Landrat hatte mit Vertretern der Kreise ehrenamtlich öffentliche Aufgaben zu erledigen, weshalb die in der Kurmark entwikkelte Kreisverfassung als das erste Beispiel der modernen Selbstverwaltung angesehen wird. 15 Das mit der Amtsbezeichung des Landrats verbundene Leitbild des 'Mittlers' zwischen dem Ganzen und seinen einzelnen Gliedern, zwischen unmittelbarer Staatsverwaltung und kommunaler Selbstverwaltung war kein geringer Beitrag Preußens zur Entwicklung einer rechtsstaatliehen Verfassung in Deutschland. 16
b) Die Entstehung der Kreisverfassung Die Entstehung der Kreisverfassung reicht bis in die Zeit des ständischen Staates zurück, die Stände, ursprünglich Adel, Geistlichkeit, Städte, waren Interessenverbände, denen eine gewisse Anteilnahme an den landesherrlichen Geschäften, insbesondere der Finanzverwaltung zugetragen war, die aber außerdem bestimmte Zweige staatlicher Tätigkeit, wie Polizei und niedere Gerichtsbarkeit, kraft eigenen Rechts ausübtenY Von 1588 stammt die erste Erwähnung der "Creyß-Verfassung", wenn sich dieser Begriff auch zunächst lediglich auf die Organisation "zur Defension und Rettung des Landes" bezog, die von den "Kreis-Verwandten" beauftragten Vertreter sollten seit 1590 "auf gute policey" acht haben, womit zu damaliger Zeit die Aufrechterhaltung von Sicherheit und Ordnung im weitesten Sinne gemeint war. 18 Mit "Polizei" und "guter Polizei" meinte man die Iandes15 G.-ChT. von Unruh, Vom brandenborgiseben zum deutschen Kreis, vielhundertjährige Entwiclclung einer kommunalen Körperschaft, S. 36; Bornhalc, Conrad, Preußische Staats- und Rechtsgeschichte, Bd. 2, S. 280 f. 16 G.-Chr. von Unruh, Preußens Beitrag zur Entwicklung der kommunalen Selbstverwaltung in Deutschland, S. 726. 17 v. BraucJUJsch, M., Verwaltungsgesetze für Preußen, S. 2. 18 G.-Chr. von Unruh, Der Kreis - Ursprung, Wesen und Wandlungen, S. 16.
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II. Die preußische Kreisordnung von 1872
herrliche Wohlfahrtspflege, das Wort war seit Mitte des 16. Jahrhunderts ein Leitbegriff der Verwaltung geworden und bedeutete mehr als Gefahrenabwehr, sie suchte das Bürgerglück, diente zur innenpolitischen Friedenssicherung und dem fürstlich-absolutistischen Regiment zum Wohle des Staates und zur Ehre Gottes. 19 Von Beginn an stand die Sicherung des notwendigen Lebensunterhalts der Eingesessenen im Vordergrund, womit sich die- indes unverkennbar staatlich auferlegte - Sorge um Sicherheit und Ordnung im Kreisbereich verband, hinzu trat der Ausbau der Infrastruktur. 20
c) Der Rezeß vom 26.6.1653 Die 'bezirkte Landschaft', der Kreis, umfaßte anfangs Städte und Dörfer, unterschiedliche ökonomische Vorstellungen und Wünsche führten zu einer Trennung dieser Einheit, die im Rezeß vom 26.6.1653, der den letzten kurmärkischen Landtag schloß, bestätigt wurde. 21 Diese Trennung geschah nicht selten, weil sich der Landesfürst davon eine Stärkung der eigenen Position versprach. 22 Der Rezeß von 1653 hatte weittragende Folgen: Der Kreis erhielt einen feudalen Charakter, der seiner landschaftlichen Herkunft gar nicht gemäß war, von nun aber für lange Zeit das Bild seiner Erscheinung belastete; besaßen bereits die Bauern keine politischen Befugnisse mehr, so verloren jetzt auch die Bürger an politischer Potenz, da keine Institutionelle Verbindung zur gutsbesitzenden Ritterschaft mehr bestand. 23 Die bürgerlichen Mitwirkungsrechte wichen in die Städte zurück, während auf dem Lande die Ritterschaft das Regiment immer ausschließlicher übemahm 24 , allerdings durchaus im Bewußtsein der Verantwortung für das größere Gemeinwesen, den Staat, anderenfalls hätte der Kreis nicht neben der Stadt auch Träger kommunaler Selbstverwaltung im Verfassungsstaat werden können. Die im 17. und 18. Jahrhundert entwickelte patrimoniale Verwaltung erhielt sich auf dem flachen Lande bis zur Verabschiedung der preußischen Hattenhauer, Hans, Europäische Rechtsgeschichte, S. 419. SchmidJ-Jortzig, Edzard, Die Entwicklung des Verfassungsrechts der Kreise, in: Hundert Jahre Kreisordnung in Nordrhein-Westfalen, S. 91. 21 G.-Chr. von Unruh, Preußens Beitrag zur Entwicklung der kommunalen Selbstverwaltung in Deutschland, S. 724. 22 SchmidJ-Jortzig , Edzard, Die Entwicklung des Verfassungsrechts der Kreise, S. 96. 23 G .-Chr. von Unruh, Der Kreis. Ursprung, Wesen und Wandlungen, S. 18. 24 SchmidJ-Jortzig, Edzard, Die Entwicklung des Verfassungsrechts der Kreise, S. 97. 19
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A. Der Ursprung des Kreises im Mittelalter
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Kreisordnung von 1872.25 Bei den seit Ausgang des 17. Jahrhunderts erfolgenden körperschaftlichen Zusammenschlüssen von Landständen handelte es sich mehr um Ergänzungen der staatlichen Verwaltungsorganisation. 26 Erst die Kreisordnung von 1872 für die östlichen Provinzen war der Initialschritt für eine umfassende Neuordnung gewesen, sie erst glich die altständischen, teils noch feudalen Strukturen im Kreise an die modernen Verhältnisse und Anforderungen an. 27
d) Die Stellung des Landrats Die Eigenart der Kreisverfassung zeigt sich in der Stellung des Landrats, der nicht aufgrund unabhängiger Entscheidung vom Landesherrn ernannt, sondern von diesem auf Vorschlag der "Kreisverwandten" ins Amt berufen wurde.28 Die brandenburgischen Kreisdirektoren baten im Jahre 1702 den Kurfürsten und König mit Erfolg um die generelle Verleihung des Titels "Landrat", der seitdem bis in die Gegenwart mit dem Amt des Kreisvorstehers verbunden blieb. Unter Friedrich Wilhelm I. und Friedrich II. wurden die Landräte zu landesherrlichen Beamten. 29
3. Erste Reformansätze, Richters Entwurfvon 1786 Seit Mitte des 18. Jahrhunderts führte der wachsende Umfang der Verwaltungsgeschäfte zu ersten Reformvorschlägen, welche unter anderem auch die Angleichung der landrätlichen Stellung an die übrigen Staatsbediensteten vorsah.30 Es mußten jedoch fast 100 Jahre vergehen, bis diese Reformvorschläge teilweise verwirklicht wurden.
25 G.-Chr. von Unruh, Die Kreisordnungsentwürle des Freiherrn vom Stein und seiner Mitarbeiter 1808-1810-1820, S. 5. 26 Schmidt.Jortzig, Edzard, Kommunalrecht, S. 55. 27 Schmidt-Jortzig , Edzard, Die Entwicklung des Verlassungsrecht der Kreise, S. 96. 28 G.-Chr. von Unruh, Der Kreis im 19. Jahrhundert zwischen Staat und Gesellschaft, S. 96. 29 von Brauchitsch, M., Verwaltungsgesetze für Preußen, S. 2. 30 G.-Chr. von Unruh, Verwaltungsreformbestrebungen im Zeitalter des Absolutismus, in: Die Verwaltung, Bd. 3, S. 89 f.
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II. Die preußische Kreisordnung von 1872
Es finden sich Ansätze für eine effektvollere und raschere Erledigung der Verwaltungsgeschäfte und für gemeinsame Entscheidungen von haupt- und ehrenamtlich tätigen Menschen. Dazu gehört auch der von Johann Daniel Richter anonym publizierte "Versuch und Ideal eines Dienstreglements für das Kreisdirektorium" von 1786.31 Nach der Erkenntnis, daß der Kreis eine Korporation bildet, der alle Einwohner in Stadt und Land angehören, entwickelte Richter seine Vorschläge für eine Organisation, die sowohl auf besseren Vollzug der Staatsgeschäfte und damit auf bessere Fürsorge für die Einwohner als auch auf eine Mitbeteiligung berufener Repräsentanten der Einwohner an den öffentlichen Maßnahmen hinwirken sollte, die Reformvorschläge zielten auf die Herstellung einer 'Einheit der Verwaltung' sowie auf eine Beseitigung der herkömmlichen Patrimonialverwaltung in den Dörfern. 32 Richter fand bei den Zeitgenossen wenig Beachtung. Richters "Versuch" hingegen stellt nichts weniger als den ersten Entwurf einer Kreisordnung dar. 33 Es mußten jedoch fast noch 100 Jahre vergehen, bis ein Teil jener Gedanken, die Richter zum erstenmal veröffentlichte, in der Kreisordnung von 1872 Gestalt erhielt.34
B. Reformversuebe seit Beginn des 19. Jabrbunderts 1. ProMemoria des Freiherrn vom Stein von 1803
Am 19. März 1803 legte Freiherr vom Stein seine Pro-Memoria "Über die Bildung der Polyzey und Finanz Behörden für das platte Land und die Mediat Städte des Fürstenthums Münster" vor, in denen er den Geschäftsbereich der landrätlichen Behörde mit "Verwaltung der Landespolizey, des Militair Wesens und Aufsicht über das Steuer Wesen, die öffentlichen Abgaben und das Communitaets Vermögen" umriß. Er führte dann einen umfangreichen Kata-
31 32 33 34
G.-Chr. von U11ruh, Verwaltungsreformbestrebungen im Zeitalter des Absolutismus, S. 89. G.-Chr. von Unruh, Verwaltungsreformbestrebungen im Zeitalter des Absolutismus, S. 90. G .-Chr. von Unruh, Verwaltungsreformbestrebungen im Zeitalter des Absolutismus, S. 90. G.-Chr. von Unruh, Verwaltungsreformbestrebungen im Zeitalterdes Absolutismus, S. 92.
B. Reformversuche seit Beginn des 19. Jahrhunderts
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log von Tätigkeiten des Landrats auf, die alle mit einer sehr kleinen Verwaltung ausgeführt werden sollten. 35 König Friedrich Wilhelm III. berief den Staatsminister Freiherr vom Stein nach Memel, wo dieser am 30. September 1807 eintraf und sofort die Leitung aller Staatsgeschäfte mit Ausnahme der auswärtigen und der militärischen Angelegenheiten übernahm. 36 Die funktionelle Position des Kreises innerhalb der preußischen Monarchie war vor 1807 keineswegs homogen. 37 Die in der Kurmark Brandenburg ausgeprägte und entwickelte Kreisverfassung war nicht in allen Provinzen übernommen und fortgebildet worden. Die meisten der maßgebenden Staatsreformer, vor allem ihre leitenden Köpfe wie Freiherr vom Stein und Hardenberg, hatten diese "typische" Kreisverfassung und ihre Funktionen niemals kennengelernt. Manche standen ihr gar mit erheblicher Voreingenommenheit als ständischem Relikt gegenüber.
2. Die Nassauer Denkschrift
Im Jahre 1807 trachteten Freiherr vom Stein und seine Mitarbeiter die Organisation des Kreises zu erhalten und lediglich in zeitgemäßen Formen fortzuentwickeln.38 Freiherr vom Stein hatte in der Nassauer Denkschrift vom Juni 1807 den Kreis in den Neuaufbau des Staates einbezogen. Er hatte der richtigen Ordnung des Kreises erhebliche Bedeutung für die künftige Verfassung des Staates zugemessen und wollte hierfür an eine bewährte Einrichtung anknüpfen.39 Das Konzept der Staatsreform Steins lag nicht in einer Gliederung der hoheitlichen Gewalt und in der Beschränkung von Volksvertretern auf die Beteiligung an der Legislative, sondern in der Überwindung des Gegensatzes zwischen Staat und Gesellschaft durch verantwortliche Beteiligung von Vertretern der Bürger an der Administrative der Kommunen und Provinzen, im frei35 Laux, Eberhard, Die Entwicklung der Kreisaufgaben und des Personals (1816-1886- 1986), in: Hundert Jahre Kreisordnung in Nordrhein-Westfalen, S. 125, 126. 36 G.-Chr. von Unruh, Die Veränderungen der Preußischen Staatsverfassung durch Sozial- und Verwaltungsreformen, in: Deutsche Verwaltungsgeschichte, Bd. 3, 1983, S. 400. 37 G .-Chr. von Unruh, Der Kreis, S. 75. 38 G.-Chr. von Unruh, Preußens Beitrag zur Entwicklung der kommunalen Selbstverwaltung in Deutschland, S. 725. 39 G.-Chr. von Unruh, Die Kreisordnungsentwürfe des Freiherrn vom Stein und seiner Mitarbeiter 1808-1810-1820, S. 5.
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II. Die preußische Kreisordmmg von 1872
en Mandat liegt mithin der Anfang zum Verständnis der von Stein erstrebten Staatsverfassung.40
3. Der Kreisordnungsentwurf vom 13. Oktober 1808
Stein erteilte dem Minister Freiherrn Friedrich Leopold Schroetter den Auftrag, einen auf die besonderen Verhältnisse der preußischen Provinzen abgestellten Plan zu entwerfen, woraufhin Schroetter dieser Weisung entsprechend am 13. Oktober 1808 einen Kreisordnungsentwurf vorlegte, der sich zunächst nur auf die Provinz Preußen bezog, später jedoch auf alle Provinzen übertragen werden sollte. 41 Dieser Entwurf wurde gleichzeitig mit der Städteordnung erstellt.42 Tragendes Prinzip war darin, wie bei der Städteordnung, die Weckung des Gemeinsinns; der Kreistag sollte die Gesamtheit der Kreiseingessenen vertreten, neben dem Landrat sollte eine 'Kreisdirektion' als Organ der Kreisverwaltung wirken, der der Landrat und sämtliche Kreisdeputierten angehörten.43 Danach sollte das Staatsgebiet in Distrikte eingeteilt werden, die städteeigene Bezirke bilden. Als Organe dieser Verwaltungsbezirke sollten Kreisdeputierte fungieren, der Landrat sollte auf Vorschlag des Kreistages ernannt werden. Den Vorstellungen Steins von der Beteiligung des Bürgers an der Staatsverwaltung kam die herkömmliche Organstellung des von Kreisvertretern gewählten und von der Krone ernannten Landrats entgegen, der sowohl als Vorsitzender des Kreistages Sprecher seiner Kreiseingessenen wie Beauftragter für die Vollziehung staatlicher Aufgaben in seinem Bezirk war.44 Man darf diesen Plan den Steinsehen Kreisordnungsentwurf nennen, weil die darin enthaltenen Gedanken den Vorstellungen des leitenden Ministers von kommunaler Selbstverwaltung im wesentlichen entsprachen.45 Da im ersten Dezennium des 19. Jahrhunderts in den Städten die meisten Preußen wohnten, die in der Lage und bereit waren, administrative Verant-
40 G .-Chr. von Unruh, Die Veränderungen der Preußischen Staatsverfassung durch Sozial- und Verwaltungsreformen, S. 407, 409. 41 G.-Chr. von Unruh, Der Landrat, S. 36. 42 G.-Chr. von Unruh, Der Kreis- Ursprung, Wesen und Wandlungen, S. 24. 43 G.-Chr. von Unruh, Die Kreisordnungsentwürfe des Freiherrn vom Stein und seiner Mitarbeiter 1808-1810-1820, S. 6. 44 G.-Chr. von Unruh, Die Veränderungen der Preußischen Staatsverfassung durch Sozial- und Verfassungsreformen, S. 421. 45 G.-Chr. von Unruh, Der Kreis, S. 86.
B. Reformversuche seit Beginn des 19. Jahrhunderts
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wortung zu tragen, war es folgerichtig, mit einer 'Ordnung für die Städte' am 19. November 1808 die Reform der Staatsverfassung zu beginnen.46 Die Städteordnung war das erste Kommunalgesetz Deutschlands im konstitutionellen Zeitalter, man begann mit ihr, den Mitgliedern des Staates die Erledigung von öffentlichen Aufgaben in eigener Verantwortung zu übertragen, damit begann für Stein die Einrichtung der Verfassung eines Staates mit einer bürgergemäßen und von der Verantwortung der Bürger selbst getragenen Verwaltung.47 Die Städteordnung von 1808 ist somit als ein Grundgesetz der kommunalen Selbstverwaltung anzusehen. 48 Es ist das große Verdienst des Freiherrn vom Stein und seiner Mitarbeiter, daß sie mit der städtischen Selbstverwaltung den ersten Schritt der Umgestaltung des obrigkeitlichen Anstaltsstaates in den genossenschaftlichen Volksstaat vollzogen.49 Mit der Städteordnung und der für das flache Land bereits im Entwurf fertig gestellten Kreisordnung sollte nach Steins eigenen Worten "die Tätigkeit aller Staatsbürger bei der Staatsverwaltung in Anspruch" genommen werden. 50 "Behörden" sind es, die Stein in Zukunft überwiegend ehrenamtlich verwaltet wissen wollte, durch eigene Tätigkeit sollte der Staatsbürger einen "dezentralisierten Einheitsstaat", eine maßvolle Herrschaft gewährleisten. Entscheidend war für Stein, eine mißbräuchliche Ausübung von Macht zu verhindern, dafür sollte der Bürger durch seine Beteiligung an administrativen Geschäften sorgen. 51 Das von ihm verkündete Prinzip, den Staatsbürger an der Staatsverwaltung zu beteiligen, mußte als nahezu revolutionär verstanden werden. 52 Allerdings haben sich die Bürger zunächst keineswegs nach Übernahme der kommunalen Aufgaben gedrängt.53
46 G.-Chr. von Unruh, Die Veränderungen der Preußischen Staatsverfassung durch Sozial- und Verwaltungsreformen, S. 416. 47 G .-Chr. von Unruh, Preußens Beitrag zur Entwicklung der kommunalen Selbstverwaltung in Deutschland, S. 7 19. 48 G .-Chr. von Unruh, Selbstverwaltung als staatsbürgerliches Recht, in: DOV 1972, S. 17. 49 von Brauchitsch, M., Verwaltungsgesetze für Preußen, S. 316; G.-Chr. von Unruh, Heinrich Friedrich Karl Reichsfreiherr vom und zum Stein, in: Persönlichkeiten der Verwaltung, S. 65 ff. so G.-Chr. von Unruh, Verfassungsreformen in Preußen von 1794 bis 1875, in DVP 1989, S. 284 (285). 51 G.-Chr. von Unruh, Verfassungsreformen in Preußen von 1794 bis 1875, in DVP 1989, s. 286. 51 G.-Chr. von Unruh, Verwaltungsreformbestrebungen im Zeitalter des Absolutismus, S. 89. 53 G.-Chr. von Unruh, Selbstverwaltung als staatsbürgerliches Recht, in: DOV 1972, S. 20.
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Im übrigen hatte die Sorge vor einer befürchteten Neigung der Städte, ihre Verknüpfung zum Staat zu lockern, Stein auf eine Sicherung staatlicher Rechte bestehen lassen, "damit nicht eine Menge kleiner Republiken entstünde".S4 Stein sah die Erschaffung des politischen Bürgers als seine Aufgabe und läßt sich als Schöpfer des politischen Ehrenamtes bezeichnen, da in den in Preußen eingerichteten Gemeindevertretungen zum ersten Mal in Deutschland öffentliche Verantwortung des Mitbürgers geübt und erprobt wurde. 55 Konnte Stein noch im November 1808 die Städteordnung kontrasignieren, so vermochte er die bereits im Entwurf fertiggestellte Kreisordnung nicht mehr in Kraft setzen zu lassen. 56 Schroetters Entwurf konnte später als ein der Städteordnung vom 11. November 1808 "ebenbürtiges Werk" bezeichnet werden, das lediglich infolge der von Napoleon erzwungenen Entlassung Steins aus allen Staatsämtern nicht vollzogen wurde. 57 Da Stein nur 14 Monate bis zum November 1808 diese Aufgabe wahrnehmen konnte, gibt es keinen Staatsmann, der bei einer so kurzen Amtszeit ein Reformwerk von ähnlicher Dauer hatte erstellen können. 58 Schließlich hat Stein durch sein Engagement für den materiellen Gesetzesbegriff als erforderlicher Grundlage für notwendige Beschränkungen der Freiheit und des Eigentums des Bürgers zugleich die Entwicklung des Polizeirechts mittelbar, aber wesentlich gefördert.59
4. Das Kreisedikt Hardenbergs
Hatte Stein an den Grundsätzen der Kreisordnung festhalten und sie lediglich zeitgemäß fortentwickeln wollen, so verfolgte sein Nachfolger in der Lei-
S4 G.-Chr. von Unruh, Spannungen zwischen Staats- und Selbstverwaltung im bürgerlichen und im sozialen Rechtsstaat, in: der Staat, 4. Bd., S. 446. 55 G.-Chr. von Unruh, Die Veränderungen der Preußischen Staatsverfassung durch Sozial- und Verwaltungsrefonnen, S. 401. 56 G.-Chr. von Unruh, Preußens Beitrag zur Entwicklung der kommunalen Selbstverwaltung in Deutschland, S. 722; Hattenhauer, Hans, Europäische Rechtsgeschichte, S. 533. 57 G.-Chr. von Unruh, Vom brandenburgischen zum deutschen Kreis, vielhundertjährige Entwicklung einer kommunalen Körperschaft, S. 36. 58 G.-Chr. von Unruh, Die Veränderungen der Preußischen Staatsverfassung durch Sozial- und Verwaltungsrefonnen, S. 401. 59 G.-Chr. von Unruh, Die Wandlung vom obrigkeitlichen ius politae zu einem rechtsstaatgemäßen Polizeirecht in den Vorstelhmgen preußischer Reformer vor, um und nach dem Freiherrn vom Stein, in: Die Verwaltung, 17. Bd. 1984, S. 55.
B. Reformversuche seit Beginn des 19. Jahrhunderts
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tung der Staatsgeschäfte, Karl August von Hardenberg, vor allem das Ziel, eine leistungsfähige Exekutivgewalt für das flache Land zu schaffen.60 Mit dem Edikt vom 30. Juli 1812 erfolgte die erste Kodifizierung einer Kreisverfassung und hierin wurde zum ersten Mal das Wort "Kreisverwaltung" erwähnt, ein Kollegium, das aus dem von der Krone ernannten Kreisdirektor als Vorsitzendem, an dessen Ernennung eine Vertretungskörperschaft keine Mitwirkungsrechte hatte, dem Stadtrichter der Kreisstadt und aus sechs Deputierten der Gemeinden bestand.61 Aufgrund des starken Widerstandes gegen das Kreisedikt wurde dieses durch Kabinettsorder vom 19. Mai 1814 suspendiert und durch Verordnung vom 30. April 1815 im wesentlichen die frühere landrätliche Verfassung unter Beibehaltung der Gendarmerie in allen Kreisen der Monarchie wiederhergestellt.62 Umsonst jedoch waren die Bemühungen um ein konstitutionelles Kreisrecht nicht gewesen, wenn auch die Ideen von 1808 erst Jahrzehnte später, in der Kreisordnung von 1872, ihre Verwirklichung fanden, in einem Werk, mit dem die Steinsehen Reformen ihre Vollendung erfuhren.63
5. Die Kreisordnungen ab 1825 Im Jahre 1825 wurden erstmalig Gutsbesitzer, Städte und Bauernstand durch die provinziellen Kreisordnungen zu Kreisständen in den bestehenden landrätlichen Kreisen zur Vertretung der Kreiskorporationen zusarnmengefaßt.64 Erst mit der wachsenden wirtschaftlichen Unabhängigkeit des kleinen Grundbesitzes konnte nach Lorenz von Steins Ansicht das Bedürfnis nach allgemeiner Teilnahme an der Verwaltung entstehen und die Notwendigkeit eintreten, eine Form zu finden, in welcher die verschiedenartigen Gemeindegestallungen in einem gemeinsamen größeren Körper der Selbstverwaltung zusammentreten.65 Es bleibt das Verdienst Lorenz von Steins, die hohe Verant-
60 G.-Chr. von Unruh, Der Kreis - Ursprung, Wesen und Wandlungen, S. 25; über verschiedene, nicht verwirklichte Entwürfe: G.-Chr. von Unruh, Die Kreisordnungsentwürfe des Freiherrn vorn Stein und seiner Mitarbeiter 1808-1810-1820. 61 G.-Chr. von Unruh, Der Kreis, S. 91. 62 G.-Chr. von Unruh, Der Kreis, S. 96. 63 G.-Chr. von Unruh, Die Kreisordnungsentwürfe des Freiherrn vorn Stein und seiner Mitarbeiter 1808-1810-1820, S. 12. 64 G.-Chr. von Unruh, Der Kreis, S. 105. 65 G.-Chr. von Unruh, Der Kreis, S. 114.
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II. Die preußische Kreisordnung von 1872
wortung der vollziehenden Gewalt für den Staat der Industriegesellschaft als erster erkannt und hervorgehoben zu haben, wobei es ihm letzten Endes immer um die Freiheit des einzelnen ging, die er nicht allein in der Teilhabe an der Gesetzgebung, sondern in der darauf bezogenen Tätigkeit der Verwaltung gewährleistet sah. 66 Die gesetzliche Grundlage der kreisständischen Verfassungen in den älteren Provinzen der Monarchie bilden die in den Jahren 1825 bis 1828 erlassenen Kreisordnungen mit den sie ergänzenden späteren Gesetzen, unter welchen als besonders bedeutsam die in den Jahren 1841, 1842 und 1846 für die einzelnen Landesteile ergangenen Verordnungen über das Recht der Kreisstände zur Bestimmung der Kreis-Eingesessenen hervorzuheben sind. 67 Die Abänderung und Aufhebung dieser Verfassungen war inzwischen teils zeitweise wirklich erfolgt, teils der Zweck einer ganzen Reihe legislatorischer Versuche gewesen, die zu einem Abschlusse nicht gelangt sind. 68 Während in den ersten zwanzig Jahren des Bestehens dieser Gesetze nur vereinzelte Stimmen für ihre Abänderungsbedürftigkeit in gewissen Beziehungen, namentlich in Bezug auf eine stärkere Vertretung der Städte und Landgemeinden auf den Kreistagen, sich erhoben, wurden im Jahre 1848 auch die Kreisverfassungen Gegenstand vielseitiger Angriffe, was wiederholte Reformversuche zur Folge hatte. Das Gesetz vom 24. Juli 1848 hob zunächst die erwähnten Verordnungen über das Besteuerungsrecht der Kreisstände auf, die älteren Kreisordnungen selbst aber wurden durch die Kreis-, Bezirks- und Provinzial-Ordnung vom 11. März 1850 beseitigt.69 Nach der letzteren sollten die Kreisversarnmlungen, unter Fortfall des Virilstimmrechts der Rittergutsbesitzer und unter Beseitigung jeder ständischen Gliederung, aus 15 bis 40 Abgeordneten bestehen, welche nach Maßgabe der Bevölkerung auf die einzelnen Wahlbezirke verteilt, nur in direkten Wahlen von den Vertretungen der Gemeinde gewählt werden sollten.70 Die Rittergüter waren durch die große Anzahl ihrer Virilstimmen der Minderzahl der Abgeordneten der Landgemeinden und Städte gegenüber auf den meisten Kreistagen überwiegend günstig gestellt, während doch die Majorität der Mitglieder über die Kreisabgaben und deren Verwendung und überhaupt über die Kreis-
G.·Chr. von Unruh, Verwaltung und Yerwaltungswissenschaft, in DVBI. 1971, S. 30 (33). Geheimes Staatsarchiv (GStA) Merseburg, Acta Ministerium des lnnem, Rep. 77, Tit. 772, Nr. 1, Vol. 11, BI. 69. 68 GStA Merseburg, Acta Ministerium des lnnem, Rep. 77, Tit. 772, Nr. 1, Vol. 11, BI. 69 R. 69 GStA Merseburg, Acta Ministerium des lnnem, Rep. 77, Tit. 772, Nr. 1, Vol. 11, BI. 70. 70 GStA Merseburg, Acta Ministerium des lnnem, Rep. 77, Tit. 772, Nr. 1, Vol. 11 , BI. 70 R. 66 67
B. Refonnversuche seit Beginn des 19. Jahrhunderts
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angelegenheilen zu beschließen hatte.71 Das aktive Wahlrecht war der Regel nach an einen Census von jährlich zwei Talern, das passive an einen solchen von jährlich acht Talern gebunden. In der unter dem konservativen Innenminister Otto von Manteuffel ergangenen Ordnung erschien zum erstenmal der Kreisausschuß als Exekutivorgan für die Kreisangelegenheiten.72 Die Ausführung dieser Gesetze stieß auf Schwierigkeiten, welche im Mai 1851 den damaligen Minister des Ionern veranlaßten, den älteren Kreistagen die einstweilige Vertretung der Kreise wiederum zu übertragen und den so inaktivierten Kreisständen interimistisch die in Artikeln 10 bis 14 der Kreis-, Bezirks- und Provinzial-Ordnung vom 11. März 1850 den Kreisvertretungen beigelegten Befugnisse mit der Ermächtigung zu überweisen, während dieser Zwischenzeit die Zahl der Vertreter der Städte und Landgemeinden durch Zuziehung der aufgrund des § 147 der Gemeindeordnung vom 11. März 1850 bestellten Kreiskommissionsmitglieder für die Städte und Landgemeinden und deren Stellvertreter zu verstärken.73 Die Kreis-, Bezirks- und Provinzial-Ordnung vom 11. März 1850 wurde durch das Gesetz vom 24. Mai 1853 aufgehoben. Durch letzteres Gesetz wurden zugleich die früheren Gesetze und Verordnungen über die Kreisverfassungen in sämtlichen Provinzen der Monarchie, soweit sie mit den Bestimmungen der Verfassungsurkunde nicht in Widerspruch standen, wieder in Kraft gesetzt, der Erlaß besonderer provinzieller Gesetze zur Fortbildung dieser Verfassungen angekündigt und bis zum Erscheinen dieser Gesetze die seit Verkündung der Kreis-, Bezirks- und Provinzialordnung vom 11. März 1850 in einzelnen Kreisen stattgehabte Verstärkung der früheren Zahl der Kreistags-Abgeordneten der Städte und Landgemeinden gesetzlich genehmigt. Gleichzeitig hob ein zweites Gesetz vom 24. Mai 1853 den Art. 105 der Verfassungs-Urkunde vom 31. Januar 1850 auf, welcher u.a. für die künftige gesetzliche Regelung der Verwaltung der Kreis-Angelegenheiten die Bildung von Kreisversammlungen aus gewählten Vertretern allgemein zugesagt hatte und deshalb der Beibehaltung des Virilstimmrechts der Rittergutsbesitzer entgegenstand.74
71 Tellkampf, J.L., Selbstverwaltung und Refonn der Gemeinde- und Kreisordnungen in Preußen,S. 60. 72 G.-Chr. von Unruh, Das Ringen um Refonnen in Preußen 1848 - 1869, S. 611. 73 GStA Merseburg, Acta Ministerium des Innem, Rep. 77, Tit. 772, Nr. 1, Vol. 11, BI. 71. 74 GStA Merseburg, Acta Ministerium des Innem, Rep. 77, Tit. 772, Nr. 1, Vol. 11, BI. 72.
110
II. Die preußische Kreisordmmg von 1872
Endlich beseitigte das Gesetz vom 14. April 1856 die früheren Bestimmungen in Art. 42 der Verfassung, wonach "die gutsherrliche Polizei und die obrigkeitliche Gewalt sowie die gewissen Grundstücken zustehenden Hoheitsrechte und Privilegien" aufgehoben waren, eine Bestimmung, deren Vereinbarkeit mit den Rechten der Rittergutsbesitzer gleichfalls zu Zweifeln Anlaß gegeben hatte.75 Dies war der gegenwärtige Rechtszustand, dessen Verbesserungsbedürftigkeit von allen Seiten, und zwar je nach dem politischen Standpunkte in höherem oder geringerem Grade, anerkannt wurde und für dessen Änderung daher die verschiedenartigsten Vorschläge gemacht wurden. Schon im Herbst 1851 war den Provinziallandtagen die Frage zur Begutachtung vorgelegt worden, ob nicht mit Wiederaufhebung des Gesetzes vom 11. März 1850 die Kreisverfassung dergestalt zu ordnen sei, daß im allgemeinen die älteren Kreisordnungen zugrunde gelegt würden und im Anschluß daran die den eigentümlichen Verhältnissen und Bedürfnissen jedes einzelnen Kreises entgegenstehenden näheren Festsetzungen durch Kreis-Statuten zu bewirken seien, vornehmlich hinsichtlich des Normal-Ertrages eines zur Kreisstandschaft berechtigten Gutes und hinsichtlich einer ausgedehnten Vertretung der Städte und Landgemeinden auf den Kreistagen.76
6. Der Kreisordnungsentwurf vom 17. März 1852
Nachdem die Gutachten der Provinziallandtage im wesentlichen zustimmend aufgefallen waren, wurde den Kammern infolge allerhöchster Ermächtigung vom 17. März 1852 der nach oben angeführten allgemeinen Grundzügen aufgestellte Entwurf einer Kreisordnung für die gesamte Monarchie zur Beratung vorgelegt.77 Die Gliederung der Stände nach den älteren Kreis-Ordnungen war darin beibehalten, die Ausübung des Virilstimmrechts von einer dreijährigen Besitzzeit abhängig gemacht und die Stellvertretungsbefugnis der zur persönlichen Ausübung der Kreisstandschaft befähigten Rittergutsbesitzer abgeschafft. Jede Stadt sollte mindestens einen Abgeordneten, die Landgemeinden zusammen mindestens sechs Abgeordnete auf den Kreistag entsenden, die GStA Merseburg, Acta Ministerium des Innem, Rep. 77. Tit. 772, Nr. 1, Vol. 11, BI. 72 R. GStA Merseburg, Acta Ministerium des Innem, Rep. 77. Tit. 772, Nr. 1, Vol. 11, BI. 73. 77 GStA Merseburg, Acta Ministerium des Innem, Rep. 77, Tit. 772, Nr. 1, Vol. 11, BI. 73 R. 75 76
B. Reformversuche seit Beginn des 19. Jahrhunderts
111
Wahl der Abgeordneten auf sechs Jahre stattfinden; eine etwa angemessene, noch stärkere Vertretung der Städte und Landgemeinden sowie eine Verlängerung der Wahlperiode auf Lebenszeit der Festsetzung durch Kreisstatut vorbehalten bleiben.78 Außerdem war der Regelung durch Kreisstatut überlassen die Feststellung der Bedingungen für die Erwerbung bzw. Erhaltung der Kreisstandschaft, für die Verleihung von Kollektivstimmen an Rittergüter sowie für die Vertretung der Gutsbesitzer durch eine Deputation auf dem Kreistage. Unter Beibehaltung der in der älteren Kreisverfassung begründeten Sonderung in Teile war zugleich für Beschlüsse über Ausgaben, welche nicht in einer gesetzlichen Verpflichtung des Kreises beruhten, die Beratung zur Abstimmung nach Kurien eingeführt und endlich das passive Wahlrecht im Stande der Städte und Landgemeinden erweitert.79 Dieser Entwurf wurde in der Ersten Kammer mit einigen nicht erheblichen Abänderungen angenommen, gelangte aber wegen des Schlusses der Session nicht mehr zur Beratung in der zweiten Kammer. Man veränderte auch die herkömmliche Stellung des Landrates, der hinfort aufgrund des Disziplinargesetzes vom 21. Juli 1852 jederzeit unter Gewährung eines Wartegeldes durch königliche Verfügung einstweilen in den Ruhestand versetzt werden konnte. 80 Damit war der Landrat politischer Beamter geworden und blieb es.81 Den im Herbst des Jahres 1852 anderweitig einberufenen Provinziallandtagen wurde nunmehr der vollständige Entwurf einer Kreis-Ordnung für die Monarchie, wie er aus den Beratungen der Ersten Kammer hervorgegangen war, zur Begutachtung vorgelegt. 82 Die hierauf erstatteten ständischen Gutachten, welche im allgemeinen den Prinzipien der Vorlage zustimmten, enthielten, abgesehen von anderen minder erheblichen Abänderungsvorschlägen, den Antrag, daß für jede Provinz ein besonderes Gesetz über die Kreisverfassungen, sich anschließend an den früheren Rechtszustand, erlassen werden solle.
GStA Merseburg, Acta Ministerium des Innern, Rep. 77, Tit. 772, Nr. 1, Vol. 11, BI. 74. GStA Merseburg, Acta Ministerium des Innem, Rep. 77, Tit. 772, Nr. I, Vol. II, BI. 74 R. G.-Chr. von Unruh, Der Landrat, S. 65. G.-Chr. von Unruh, Die Veränderungen der preußischen Staatsverfassung durch Sozial- und Verwaltungsreformen, S. 469. 82 GStA Merseburg, Acta Ministerium des Innem, Rep. 77, Tit. 772, Nr. I, Vol, 11, BI. 75. 78
79 80 81
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li. Die preußische Kreisordmmg von 1872
7. Entwürfe von Kreisverfassungen für jede Provinz Hierauf ging die Staatsregierung ein und legte den Kammern mit Allerhöchster Ermächtigung vom 10. Januar 1853 acht in Gestalt von Novellen ausgearbeitete Gesetzentwürfe betreffend die Kreisverfassungen in den einzelnen Provinzen der Monarchie vor, im wesentlichen unter Festhaltung der früher aufgestellten Hauptprinzipien, jedoch unter den veränderten Formen, welche der unmittelbare Zusammenhang mit den älteren provinziellen kreisständischen Gesetzen bedingte.83 Die Erste Kammer nahm die acht Entwürfe mit einigen unwesentlichen Abänderungen an, unter denen nur die Einführung einer Rezeption in die Kurie der Ritterschaft von Ausübung der Kreisstandschaft hervorzuheben ist. In der Zweiten Kammer kamen die Entwürfe wiederum nicht zur Beratung. Nachdem dieselben nach einer speziellen Begutachtung durch die Oberpräsidenten nochmals umgearbeitet waren, wurden sie mittels Allerhöchster Ermächtigung vom 1. Dezember 1853 zunächst der Zweiten Kammer vorgelegt.84 Von diesen Gesetzentwürfen waren jedoch erst diejenigen in Betreff der Kreisverfassungen der sechs östlichen Provinzen zum Abschluß der Beratungen in der Kommission der Zweiten Kammer gelangt und von derselben in wesentlicher Übereinstimmung mit den Regierungsvorlagen zum Gegenstand eines Kommissionsberichts vom 24. März 1854 gemacht worden, als der Ablauf der Sitzungsperiode den ferneren Beratungen abermals ein Ziel setzte. 85 Unter Berücksichtigung der in diesem Kommissionsbericht gemachten Abänderungsvorschläge wurden nun die acht Gesetzentwürfe dem Staatsrat, und zwar der engeren Versammlung desselben, zur Begutachtung überwiesen, später aber, und zwar noch vor der Beratung in der Versammlung, zurückgelegt. Vom Jahre 1859 an begann mit dem Kabinett des Fürsten von Hohenzollern die "Neue Ära" unter dem Prinzregenten. Von jetzt an kamen unter dem liberalen Innenminister Graf von Schwerin-Putzar die Bemühungen um neue kommunale Ordnungen nicht mehr zur Ruhe. 86 Nach manchen gescheiterten Versuchen gab den Anstoß zu einer Kreisordnungsreform die notwendig gewordene Organisation der 1866 erworbenen
GStA Merseburg, Acta Ministerium des Innem, Rep. 77, Tit. 772, Nr. 1, Vol. 11, BI. 75 R. GStA Merseburg, Acta Ministerium des Innern, Reg. 77, Tit. 772, Nr. 1, Vol. 11, BI. 76. 85 GStA Merseburg, Acta Ministerium des Innern, Rep. 77, TiL. 772, Nr. 1, Vol. 11, BI. 76 R. 86 G.Chr. von Unruh, Das Ringen um Reformen in Preußen 1848-1869, S. 612; GStA Merseburg, Acta Ministerium des lnnem, Rep. 77, Tit.. 772, Nr. I, Vol. II, BI. 77-86; von der Groeben, Klaus, Die öffentliche Verwaltung im Spannungsfeld der Politik, S. 17, 23. 83
84
B. Refonnversuche seit Beginn des 19. Jahrhunderts
113
Provinzen87, die vor allem der am 8. Dezember 1862 zum Innenminister ernannte Graf Eulenburg betrieb. Dabei wurde die privilegierte Stellung der Rittergutsbesitzer nicht mehr eingeführt, vielmehr bildete man Wahlkörper zwecks Wahl zum Kreistage, und zwar teilte man die Wählerschaft in die Wahlverbände des großen Grundbesitzes, der Stadt- und Landgemeinden, wie es die Vorlagen von 1860 und 1862 und wiederum die von 1863 und 1865 bereits für die alten Provinzen in Vorschlag gebracht hatten. Aufgrund der in den alten Provinzen gemachten Erfahrungen richtete man in den in 1866 neu erworbenen Provinzen Hannover und Schleswig-Holstein sowie den Regierungsbezirken Kassel und Wiesbaden durch Verordnungen vom September 1867 Kreisvertretungen ein und räumte diesen Gebieten die eigene Verwaltung ihrer Vermögensangelegenheiten ein und schränkte gleichzeitig die Staatsaufsicht auf das zur Wahrung der Staatsinteressen notwendige Maß ein. 88 Zugleich wurden den Kreistagen wichtige autonome Befugnisse hinsichtlich der inneren Kreisangelegenheiten wie Zusammensetzung des Kreistages u.s.w. übertragen, durch die di~ Kreisverwaltung durch Statuten den besonderen Bedürfnissen und Verhältnissen angepaßt wurde. Gleichzeitig deuteten die Verordnungen auf die zukünftige Gesetzgebung mit erweiterten Befugnissen der kreisständischen Verwaltung hin. 89 Nach dem Inhalt dieser Verordnungen wurden überall die Kreisvertretungen ins Leben gerufen.
8. Die Verwaltungsreform in Schleswig-Holstein
Nach Österreichs Niederlage übertrug es im Prager Friedensvertrag vom 23. August 1866 seine Rechte auf die Herzogtümer Schleswig und Holstein dem König von Preußen. Mit Patent vom 12. Januar 1867 nahm dieser förmlich Besitz von den Herzogtümern, nachdem der Preußische Landtag bereits am 24. Dezember 1866 die Einverleibung beschlossen hatte. 90 Der preußische Landrat Moritz von Lavergne-Peguilhen hielt sich auf Wunsch Bismarcks nach dem Ende des Krieges mit Dänemark 1864 bis 1866 im Herzogtum Schleswig auf, um über die Verhältnisse des Landes zu berichten.91
87
s. 23.
Schmitz, Paul, Die Entstehung der preußischen Kreisordnung vom 13. Dezember 1872,
GStA Merseburg, Acta Ministerium des Innem, Rep. 77, Tit. 772, Nr. I, Vol. 11, BI. 87. GStA Merseburg, Acta Ministerium des Innem, Rep. 77, Tit. 772, Nr. I, Vol. II, BI. 90 R. Galette, Alfons, 125 Jahre Kreise in Schleswig-Holstein, in: Delm, Klaus-Dieter, 125 Jahre Kreise in Schleswig-Holstein, S. 18. 91 Galette, Alfons, S. 18. 88 89 90
8 Lange
114
II. Die preußische Kreisordnung von 1872
Am 6. März 1867 forderte Innenminister Eulenburg den Oberpräsidenten Freiherrn von Seheei-Piessen auf, nach Anhörung des Schleswiger Regierungspräsidenten von Zedlitz eine neue Kreisbezirkseinteilung der beiden Herzogtümer baldigst vorzulegen und dabei die zuvor am Modell der alten Provinzen entwickelten Grundsätze zu beachten.92 Zum raschen Vorgehen drängte nicht nur das sachliche Bedürfnis nach kurzfristiger Herstellung einer rechtsstaatliehen und leistungsfähigen Organisation der neu erworbenen Gebiete, sondern auch der vom Preußischen Landtag für das lokrafttreten der preußischen Verfassung bestimmte Zeitpunkt des I. Oktober 1867, da danach die Reformmaßnahmen nur durch förmliche Gesetzgebung mit parlamentarischer Beteiligung durchgeführt werden konnte, bis dahin kam man über den Weg autokratischer Durchführung der Reformen durch Regierungsverordnungen schneller, wenn auch gründlich vorbereitet zum Ziel.93 In seiner Denkschrift vom September 1866 hob Landrat von Lavergne-Peguilhen hervor, den kleinstaatliehen Gebieten müßten die administrativen Institutionen des Großstaates verliehen werden, um zunächst zumindest den äußeren Zusammenhang der Teile und des Ganzen zu begründen, wodurch sich später auch die Einheit im Geiste des Volkes bilden werde. Die Grundlage der administrativen Verfassung in Preußen, die Abgrenzung der landrätlichen Kreise, solle so normiert sein, daß dem Landrat genaue Kenntnis der Personen und Verhältnisse seines Verwaltungsbezirks möglich sei und er bei der Erfüllung seiner Berufspflichten volle Beschäftigung finde. Das preußische Beispiel mit Kreisen von durchschnittlich 15 Quadratmeilen (850 qkm) und etwa 50.000 Einwohnern habe sich trotz angewachsener Aufgaben bewährt.94 In den vom 12. bis 19. September 1867 andauernden insgesamt sieben Sitzungen, von denen Minister Eulenburg in den beiden ersten den Vorsitz führte, wurden neben dem Oberpräsidenten 19 Vertrauensmänner zur künftigen Verwaltungsorganisation der Herzogtümer gehört, und zwar zu den Entwürfen der Verordnungen über die Kreisverfassung, die provinzialständische Verfassung und die Landgemeindeverfassung.95 Bereits wenige Tage nach Abschluß dieser Beratungen, eine Woche vor lokrafttreten der preußischen Verfassung, am 22. September 1867, wurden die drei Organisationsverordungen, darunter diejenige "über die Organisation der Kreis- und Distriktsbehörden sowie die Kreisvertretung in der Provinz Schleswig-Holstein" in der preußischen Gesetzessammlung auf den Seiten 1581 ff. veröffentlicht.
92 93 94 95
Ga/elle, Alfons, S. 19. Ga/elle, Alfons, S. 19. Galette, Alfons, S. 22, 23. Galette, Alfons, S. 20.
C. Beginn der Kreisordnungsreform im Herbst 1867
115
Die im Jahre 1867 erlassenen Kreisordnungen für Hannover, SchleswigHolstein und die Regierungsbezirke Wiesbaden und Kassel, in denen man zunächst die vorhandene Amtsverwaltung der Kreisverfassung annähern wollte, bedeuteten bemerkenswerte Ansätze zu einer Fortbildung der ständischen Kreisverbände zu "genossenschaftlichen Kreisgemeinden", alles in allem aber gaben diesen Kreisordnungen ein Bild der Unsicherheit und einer noch fehlenden Konzeption des parlamentarischen Gesetzgebers. 96 Es zeugt allerdings von der Sorgfalt der Vorarbeiten zur Einführung der Kreisverfassung im Jahre 1867 wie von den Leistungen der neu gebildeten Kreise in den nachfolgenden Jahren, daß ihre Gliederung über ein gutes Jahrhundert Bestand gehalten hat, von kleineren Veränderungen abgesehen bis zur Gebietsreform des Jahres 1970.97
C. Beginn der Kreisordnungsreform im Herbst 1867 Bereits die Thronrede vom 15. November 1867 hatte eine den Wünschen entgegenkommende Zusicherung hinsichtlich einer Kreisordnungsreform zum Ausdruck gebracht, indem der König u.a. geäußert hatte: Meine Regierung wendet der Fortbildung der Kreis- und Provinzialverfassung ihre besondere Aufmerksamkeit zu und wird, sobald die erforderlichen Vorbereitungen beendet sind, Ihnen darauf bezügliche Gesetzentwürfe zugehen Jassen. 98
Dem Abgeordnetenhaus waren zahlreiche Petitionen aus den östlichen Provinzen betreffend die Reform der Gemeinde-, Kreis- und Provinzialordnung sowie der ländlichen Polizeiverwaltung zugegangen und von der Gemeindekommission vorberaten worden, worüber das Mitglied Dr. Lette in der Sitzung des Abgeordnetenhauses am 11. Dezember 1867 dem Plenum Bericht erstattete.99 In der selben Sitzung des Abgeordnetenhauses äußerte sich der Minister des Innem Graf zu Eulenburg über die neuen Entwürfe und ihre Richtung u.a.: Die Regienmg erkennt an, daß die Gesetzgebung auf dem Gebiete der Kreis- und Provinzialverfassung, der ländlichen Gemeindeverfassung und der Polizeigerichtsbarkeit auf dem Lande verbes serungs- und reformfähig ist; sie erkennt auch an, daß sie in vielen dieser Gebiete re-
96 98
G .-Chr. von Unruh, Der Kreis, S. 124. Galette, Alfons, S. 29 Schmitz, Paul, Die Entstehung der Preußischen Kreisordnung vom 13. Dezember 1872,
99
Schmitz, Paul, S. 34.
97
s. 33.
116
II. Die preußische Kreisordnung von 1872
formbedürftig ist. Zunächst aber erlcennt sie die Bedürftigkeit nur in dem Maße an, daß sofort an die Reform in Bezug auf die Kreisverfassung Hand angelegt werden muß. Endlich bin ich der Ansicht, daß die Polizeiverwaltung auf dem Lande, wie sie bis jetzl. geübt worden ist, allerdings, namentlich praktisch und vielleicht auch theoretisch, an manchen Mängeln leidet und daß diese Mängel beseitigt werden müssen. Ich muß aber aufrichtig gestehen, daß die Regierung und namentlich ich selbst sich bisher noch nicht klar darüber geworden ist, auf welche Weise der üble Zustand durch einen besseren zu ersetzen ist." 100
Eulenburg sprach hier also schon die entscheidenden Reformpunkte und die Reformbereitschaft der Regierung und seiner selbst deutlich an, wobei er die Vordringlichkeit der Kreisreform hervorhob, wenn auch über An und Durchführbarkeit noch offene Fragen bestanden. Der Abgeordnete Dr. Gneist hielt das Grundsatzreferat, als arn 19. Februar 1868 der Innenminister Eulenburg eine Reihe profilierter Politiker beider Häuser des Landtages zu einer Besprechung über den Kreisordnungsentwurf gebeten hatte. Er forderte neben der Einwohnervertretung, dem Kreistag, einen gewählten Kreisausschuß, der in einer Doppelstellung für obrigkeitliche Beschlüsse und für umfassende kommunale Angelegenheiten verantwortlich sein sollte, diesem Kollegium sollte aber auch die Verwaltungsrechtsprechung übertragen werden. Hier allerdings versagten selbst seine nationalliberalen Freunde Gneist zunächst die Gefolgschaft. 101 Um das Versprechen der Regierung, auf ähnlichem Wege wie für Kurhessen und Hannover die Selbstverwaltung der übrigen Provinzen zu fördern, zu erfüllen, forderte Eulenburgarn 21. März 1868 die Ressort-Minister auf, festzustellen, welche Etatpositionen sich zur Überweisung an die Provinzialverwaltung eigneten. Das Ergebnis war kläglich, es kamen lediglich wenige untergeordnete Positionen zur Meldung. 102 Den ganzen Sommer 1868 hindurch wurden die Vorbereitungen im Ministerium des Innern weiter fortgesetzt; an ihnen nahm auch Professor Gneist teii.Io3
1. Der Kreisordnungs-EntwurfvomNovember 1868 Mit Schreiben vom 20. November 1868 übersandte Innenminister Graf zu Eulenburg sämtlichen Staatsministern einen neuen Entwurf eines Gesetzes beSchmitz, Paul, S. 36. G.-Chr. von Unruh, Der Kreis, S. 127. Zimmerma1111, Wilhelm, Die Entstehung der provinziellen Selbstverwaltung in Preußen 1848- 1875. s. 61. 103 Schmitz, Paul, S. 37. 100 101 102
C. Beginn der Kreisordnwtgsrefonn im Herbst 1867
117
treffend die Kreis-Verfassungen in den alten Provinzen der preußischen Monarchie.104 Der Inhalt dieses Gesetzentwurfes ist im wesentlichen nach derselben Reihenfolge geordnet wie in den Regierungsentwürfen von 1860 und 1862, auch wurde ein Teil der Bestimmungen in derselben Fassung wieder aufgenommen.105 In den zu diesem Gesetzentwurf erstellten Motiven wurden die einzelnen Regelungen erläutert, wie hier auszugsweise dargelegt. Bei den Grundlagen der Kreis-Verfassung, der Kreisvertretung, sind die Befugnisse der Kreisstände in mehrfacher Beziehung erheblich erweitert worden.106 So wurde den Kreisständen selbst die eigene Verwaltung der Kreiskommunal-Angelegenheiten unter Leitung des Landrats übertragen (§ 6 Nr. 1). Dies ist von besonderer Bedeutung, da der Entwurf die Genehmigung der Regierung zur Ausführung der Kreistagsbeschlüsse nur für gewisse Fälle (§§ 36, 37) vorschrieb, im übrigen aber der Kreis-Verwaltung innerhalb ihres Wirkungskreises völlig freie Hand ließ und das Veto der Staatsbehörden nur bei Überschreitung der Befugnisse oder bei Verletzung des Staatswohls eingreifen konnte. So sind insbesondere die Feststellungen des Kreishaushalts und die Abnahme der Rechnungen der Kreisversammlung überlassen worden (§ 38).107 Zudem sollten die Kreisstände bei den Kommunal-Angelegenheiten der Gemeinden und in anderen Bereichen mitwirken(§ 6 Abs. 3 u. 4), die bisher teilweise von Staatsbehörden wahrgenommen wurden, als Teil der Dezentralisation der Staatsverwaltung. Aus diesem Grunde und zur zentralen Verwaltung der Vermögensangelegenheiten wurde unter die Organe des Kreises auch der KreisAusschuß aufgenommen (§ 2). 108 Den eigentlichen Kern des Entwurfs bildete die Zusammensetzung der Kreis-Versammlung (Tit. II Abschn. I). Besondere Kritikpunkte in den vorhandenen Kreisordnungen namentlich der sechs östlichen Provinzen waren die zu geringe Vertretung der Städte und Landgemeinden auf den Kreistagen, die zu zahlreiche Vertretung des großen Grundbesitzes, die Ausschließung des nicht ritterschaftliehen Besitzes von der Vertretung im ersten Stande, das Virilstimmrecht vieler ganz kleiner Rittergüter, der Kauf des Virilstimmrechts mit einem Rittergut und die Vertretungsbefugnis beim Virilstimmrecht. 109
104
GStA Merseburg, Acta Ministerium des hmem, Rep. 77, Tit. 772, Nr. 1, Vol. GStA Merseburg, Acta Ministerium des Innem, Rep. 77, Tit. 772, Nr. 1, Vol. 106 GStA Merseburg, Acta Ministerium des Innem, Rep. 77, Tit. 772, Nr. I, Vol. 107 GStA Merseburg, Acta Ministerium des hmem, Rep. 77, Tit. 772, Nr. I, Vol. 108 GStA Merseburg, Acta Ministerium des hmem, Rep. 77, Tit. 772, Nr. 1, Vol. 109 GStA Merseburg, Acta Ministerium des lnnem, Rep. 77, Tit. 772, Nr. 1, Vol. lOS
II, Bl. 12-46. 11, BI. 91 R. 11, BI. 92. II, BI. 92 R. 11, BI. 93 R. 11, BI. 96.
118
II. Die preußische Kreisordmmg von 1872
Diesen begegnete der Entwurf dadurch, daß Städte und Landgemeinden nach dem Maßstab ihrer Bevölkerung vertreten sein sollten (§§ 22 u. 24), die Stimmzahl des ersten Standes verminderte sich durch Bindung an einen Mindest-Grundsteuer-Reinertrag von 500 bzw. 1.000 Taler(§§ 11 u. 12), bei Neuerwerbung nach fünfjähriger Besitzzeit (§ 18), zudem erfolgte eine erhebliche Einschränkung des Vertretungsrechts (§ 20). 110 Der Verminderung der Stimmzahl im ersten Stand stand jedoch eine Vermehrung durch Zuführung der nicht ritterschaftliehen Güter gegenüber, die durch das Ausscheiden kölnischer Güter und von Grundbesitzern der Rheinprovinz aufgewogen wurde. Dem nunmehr gebildeten Stand des großen Grundbesitzes blieb das Virilstimmrecht erhalten, aber beschränkt auf die größeren Besitzungen mit Anspruch auf selbständige Vertretung im Kreistage bei Grundsteuern von mindestens 3.000 Talern, die übrigen Güter bildeten auf je 3.000 Talern Grundsteuer-Reinertrag zusammengezählt eine Kollektivstimme. 111 Sofern die Verteilung der Stimmen auf die einzelnen Stände zu Mißverhältnissen führte, war die Abänderung der Kreisverfassung durch Kreisstatut möglich. Der Entwurf führte den Grundsatz durch, daß die Zahl der einem Stande auf dem Kreistage zu gewährenden Vertreter nicht nach einem bestimmten Verhältnis zu den anderen Ständen, sondern nach einem nur für den einzelnen Stand maßgebenden selbständigen Faktor zu bestimmen war, der deren wirkliche Bedeutung zum Ausdruck brachte. 112 Zur Erhaltung des Gleichgewichts zwischen den drei Ständen und zum Schutze von Minoritäten dienten die Bestimmungen über die Abstimmung nach Ständen und die Sonderung in Teile (§§ 33 u. 34). Der Entwurf regelte hinsichtlich des aktiven und passiven Wahlrechts (§§ 23, 25 u. 26), daß überall die Gemeindevertretungen bzw. Gemeindeversammlungen unter Zutritt der Mitglieder des Gemeindevorstandes (Magistrat, Bürgermeister, Schulze, Schöppen, Amtmann, Beigeordneter u.s.w.) die Wahlkörper bildeten, daß die Wahl eine direkte war und die Wahlkörper die Abgeordneten stets aus ihrer Mitte wählen mußten, was eine erhebliche Erweiterung des aktiven und passiven Wahlrechts darstellte, somit fielen Stimmrecht und Bürgerrecht in der Gemeinde zusammen, wodurch die Gemeinden auf den Kreistagen eine mit den Bedürfnissen und Interessen vertraute Vertretung hatten. 113
110 lll
112 113
GStA Merseburg, Acta Ministerium des lnnem, Rep. 77, Tit. 772, Nr. GStA Merseburg, Acta Ministerium des lnnem, Rep. 77, TiL 772, Nr. GStA Merseburg, Acta Ministerium des lnnem, Rep. 77, Tit. 772, Nr. GStA Merseburg, Acta Ministerium des Innem, Rep. 77, Tit. 772, Nr.
1, Vol. I, Vol. I, Vol. I, Vol.
II , BI. 97. II, BI. 98 R. II, BI. 102 R. II, BI. 104 R.
C. Beginn der Kreisordnungsreform im Herbst 1867
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In Titel II Abschn. 2 wurden die Versammlungen und Geschäfte der Kreisstände mit Vereinfachungen des Geschäftsganges und Kompetenzerweiterungen geregelt. Der Titel III enthielt die Bestimmungen über Landrat, Kreis-Ausschuß und Kreis-Kommission. Danach wurde der Landrat als Organ zugleich der Staatsregierung und des Kreisverbandes auch zukünftig vom Könige ernannt, auf Präsentation des ganzen Kreistages, wobei wahlfähig alle Besitzer im ersten Stande stimmberechtigter Güter waren. 114 Der Kreis-Ausschuß verwaltete das Kreis-Kommunalvermögen und die kreisständischen Anstalten und führte die Beschlüsse des Kreistages aus (§§ 40 u. 47), soweit ihm nicht besondere Funktionen zugewiesen wurden (§ 41). Die Stände sollten darin möglichst gleichmäßig vertreten sein, die Mitglieder sollten aus dem Kreistage selbst hervorgehen, um eine enge Verbindung und gute Information zwischen beiden sicherzustellen. 115 Die Mitglieder der nach § 45 zu bestellenden besonderen Kommissionen sollten andere Kreiseingesessene sein. Der Titel IV befaßte sich mit der Oberaufsicht über die Kreisverwaltung und sicherte im § 50 die Erfüllung der dem Kreise gesetzlich obliegenden Verpflichtungen durch zwangsweise Eintragungen auf den Etat, Titel V enthielt die abschließenden Übergangs- und Ausführungsbestimmungen, aus denen sich ergab, daß die bisherigen Gesetze und Verordnungen betr. die Kreisverfassungen in Kraft bleiben sollten, soweit sie nicht durch den Entwurf abgeändert wurden.116 Der Widerstand, den der erste Entwurf im Staatsministerium fand, und eine Erkrankung Eulenburgs brachten die Angelegenheit zum großen Verdrusse des Ministerpräsidenten zum Stocken, der sich damals sehr heftig über die Unfähigkeit und Untätigkeit der Mitarbeiter des Innenministeriums ausließ. 117
a) Bismarcks Kritik an Eulenburgs Mitarbeitern im Ministerium
Im Staatsministerium war man verstimmt über die Mitarbeiter in Eulenburgs Innenministerium. Dies brachte Bismarck in einem Brief vom 19. Januar 1869 zum Ausdruck, in dem er an Eulenburg u.a. schrieb: GStA Merseburg, Acta Ministerium des Innem, Rep. 77, Tit. 772, Nr. 1, Vol. 11, BI. 106. GStA Merseburg, Acta Ministerium des Innem, Rep. 77, Tit. 772, Nr. 1, Vol. 11, BI. 107. 116 GStA Merseburg, Acta Ministerium des Innem, Rep. 77, Tit. 772, Nr. 1, Vol. 11, BI. 108. 117 Zimmermann, Wi1he1m, Die Entstehung der provinziellen Selbstverwaltung in Preußen 1848 - 1875, S . 67. 114 115
120
II. Die preußische Kreisordmmg von 1872
Sie haben von allen Ministern den Vorsprung in der Unfähigkeit der Räte, mit denen Sie arbeiten, wobei allseitig Ihr Vetter, als exceptio, qui firmat regulam ausgenommen wird Der muß bald Präsident werden, wenn er nicht verftümmem soll. Sie haben an der Spitze die absolute Nullität, und es ist meines Erachtens Ihre Pflicht, dafür zu sorgen, daß Sie Urlaub oder Krankheit haben können, ohne daß der Staatunter Ihrer Vertrenmg leideL Außerdem bedürfen Sie, und wenn Sie der fleißigste Mann der Welt wären, in Ihrem Ministeriwn, für jetzt dem wichtigsten von allen, anderer produktiver Kapazitäten in größerer Anzahl, als sie vorhanden sind Im Publikum begreift niemand, wie ein so kluger Minister es aushält, mit solchen ---- vollenden Sie selbst, der Platz fehlt. Ihr v.B. 118
Eulenburg zog sich als Mitarbeiter neben von Wolff, der schon in den Hannoverschen Angelegenheiten mitgearbeitet hatte, für die einzelnen Abschnitte Landrat a.D. Friedenthal,119 den späteren Minister, Ministerialrat Persius, ferner die Herren von Klützow, Bitter d. Ae. und von Bötticher hinzu. 120 Friedenthai berichtete darüber in seiner Autobiographie u.a.: Eine zufällige Unterhaltung des damaligen Ministers des Innem Grafen zu Eulenburg mit mir veranlaßte den letzteren zu der Aufforderung, ich möge als freiwilliger Mitarbeiter an der von ihm in Aussicht genommenen Reorganisations-Gesetzgebung mitwirften. Ich erklärte mich hierzu bereit, und im Sommer 1868 trat im Ministerium des Innem eine Kommission (bestehend aus dem Minister, den Herren von Klützow, Bitter der Ältere, Persius, von Boetticher und mir) zusammen, innerhalb welcher die Grundgedanken desjenigen Entwurfes eingehend erörtert und im wesentlichen fixiert wurden, welcher, obwohl als Kreis-Ordnung bezeichnet, zugleich die unerläßlichen Reformen der Gemeinde-Verfassung, der beziiglichen Staatsverwaltung und die Anfänge der Verwalnmgs-Justiz zu ordnen bestimmt wurde. Die Ausarbeinmg des Entwurfs, welche der Herr Geheimrat Persius und ich übernahmen, erfolgte bis zum Herbst 1869.121
Friedenthailegte hier zugleich dar, daß Eulenburg selbst erster Mann in der gebildeten Kommission war und dabei die Grundgedanken des Entwurfs eingebracht hat. Er war somit auch laufend mit der Erörterung des Entwurfs befaßt, hat diesen also entscheidend geprägt. Zudem machte Friedenthai hier be-
118
S.IO.
Reininghaus, Robert Rünger, Graf Friedrich zu Eulenburg Preußischer Minister des Innem,
119 RudDlf FriedentluJl wurde als Kaufmannssohn am 15. September 1827 in Breslau geboren. Nach dem Besuch des Neißer Gymnasiwns und des Jura-Studiums auf der Universität Breslau wurde er 22-jährig summa cum Iaueie zum Doktor der Rechte promovierL Nach der Assessorprüfung 1854 arbeitete er zunächst in den väterlichen Betrieben. 1857 wurde er Landrat des Kreises Grottkau. Seit 1867 im Zollparlament und später im Reichstag war er als Freikonservativer und Mitglied der deutschen Reichspartei als Referent an wichtigen Gesetzeswerften beteiligt, zudem arbeitete er entscheidend an der Kreisordnung mit, erstellte mit Persius den Entwurf von 1869 und vertrat als Berichterstatter in seiner großen Rede vom 16. März 1872 die Grundgedanken dieses Reformwerfts im Landtag. Seit 1873 Vizepräsident des Abgeordnetenhauses, war er von 1874 bis 1879 Landwirtschaftsminister und vertrat hier ein halbes Jahr Innenminister Eulenburg. Seit 1879 war er Mitglied des Herrenhauses. Friedenthai starb am 6. März 1890. (Kleinschmidt, Ernst, Rudolf Friedenthal, in: Schlesische Lebensbilder, S. 244 ff). 120 Reininghaus, Robert Rüttger, S. 12. 121 Friedenthai in: Poschinger, H. Ritter, Fürst Bismarck und die Parlamentarier, zweiter Band, S. 79, 80.
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reits den tatsächlichem Umfang der Reform deutlich, der weit über die eigentliche Kreisreform hinausging und auch die Verwaltungsgerichtsbarkeit beinhaltete.
b) Eulenburg in der Conseil' 22-Sitzung 1868 In der Conseil-Sitzung vom 30. Oktober 1868 legte der Minister des Innern Graf zu Eulenburg dar, der Erlaß einer neuen Kreis-Ordnung für die alten Provinzen sei ein dringendes Bedürfnis. Der heute an die übrigen Staatsminister verteilte Entwurf bezwecke, den Städten und den Bauern eine ihrem gestiegenen Wohlstande entsprechende stärkere Vertretung auf dem Kreistage zu gewähren, das Virilstimmrecht für großen Grundbesitz zu erhalten, nicht aber für die kleineren Rittergüter, und größeren Besitzungen mit einem gewissen Steuerertrage aus den Städten und dem Bauernstande in die Rechte des großen Grundbesitzes eintreten zu lassen. 123 Sodann sei die Selbstverwaltung anzubahnen durch Schaffung geeigneter Organe. In Hannover sei damit der Anfang gemacht mit dem Ausschuß aus den drei Ständen, daneben sollen verwaltende ständische Beamte stehen, so daß nicht der ständische Ausschuß sich selbst verwalte. Er habe die Bildung von Kreisausschüssen vorgeschlagen zur Selbstverwaltung der Kreisangelegenheiten z.B. des Wegebaus, der Schulbauten pp. Zur weiteren Entwicklung der Selbstverwaltung in den Provinzen werde man auch an die Änderung der Provinzialordnung denken müssen, dafür seien schon Skizzen entworfen, für die weitere Vorbereitung sei aber der Erfolg der Kreisordnung im Landtag präjudiziell und abzuwarten. 124 Die mit sogenannten Lehnschulzengütern verbundene Pflicht zur Verwaltung des Schulzenamtes - welche in der Mark, in Pommern und Schlesien häufiger vorkomme - sei von der liberalen Partei lebhaft angefochten, werde aber auch von der konservativen Partei nicht mehr verteidigt, da die Erbschulzen oft schlechter verwaltet hätten als die gewählten Schulzen.
122 Conseil war in Preußen der unter der Leitung des Königs tagende Kronrat, dem weiterbin der Kronprinz und sämtliche Staatsminister angehörten (GStA Merseburg, Acta Preußisches Staatsministerium, Rep. 90 a, Abth. B, Tit. III, 2 c, Nr. 3, Vol. IV, BI. 50; Brackhaus KonversationsLexikon, 14. Auf!., 10. Band, S. 757). 123 GStA Merseburg, Acta Preußisches Staatsministerium, Rep. 90 a, Abth. B, Tit. III, 2 c, Nr. 3, Bd. 111, BI. 325. 124 GStA Merseburg, Acta Preußisches Staatsministerium, Rep. 90 a, Abth. B, Tit. 111, 2 c, Nr. 3, Bd. 111, BI. 325 R.
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II. Die preußische Kreisordnwtg von 1872
c) Eulenburg vor dem Abgeordnetenhaus zum Kreisordnungsentwurf Graf Eulenburg versuchte das "wüste Geschrei" nach Dezentralisation zu dämpfen, indem er in einer programmatischen Rede am 3. Dezember 1868 die Grundsätze darlegte, die die Regierung bei der Reform leiten würde. 125 In seiner Rede vor dem Abgeordnetenhaus äußerte sich Eulenburg im Rahmen der Diskussion über den Kreisordnungsentwurf u.a. zur Selbstverwaltung126: Ich hoffe, darüber werden die Herren sich einig sein, daß man wtter dem Wwtsche nach Selbstverwaltwtg nicht das versteht, daß nach und nach die ganze Staatsverwaltwtg in die Hände von Korporalionen übergehen soll. Ich glaube, das meinen Sie nicht Ich meine vielmehr, die Selbstverwaltung kann nur darin bestehen und in der An ausgeführt werden, daß nach und nach der Staat diejenigen Branchen der Verwaltung, deren er nicht bedarf, in die Hände kommunaler Verbände legt und daß er außerdem die kommunalen Verbände insofern an die Staatsverwaltung herantreten läßt, als sie für gewisse Akte der Staatsverwaltwtg entweder begutachtend oder im Wege, wenn ich mich so ausdrücken darf, einer administrativen Justizverwaltung entscheidend einwirken..... Es wird angemessen sein, aus den Kreisvertretungen heraus Ausschüsse sich bilden zu lassen, welche im Kleinen für den Kreis dasjenige leisten sollen, was ich eben für die provinziellen Ausschüsse angedeutet habe. Die Kreisordnung, welche Ihnen vorgelegt werden wird, wird einen solchen Plan enthalten; dann haben Sie Provinzialausschüsse und Kreisausschüsse und es kommt dann nur darauf an, hinterher im Wege der Gesetzgebung dasjenige auszusondern, was nach und nach auf diese Organe ... abgebürdet werden soll. Ich bemerke dabei, daß, wenn darauf hingedeutet wird, daß es eigenthümlich sei, daß die Kreisordnung im Hause noch nicht vorgelegt worden sei, ich dies dadurch motiviren kann, daß es bei einem Gesetze von so enormer Tragweite, wie es gerade die Kreisordnwtg für die acht alten Provinzen des Staates ist, gerechtfertigt erscheint, wenn die Staatsregierung die Vorlage nicht ohne Zustimmung des Minister-Präsidenten macht.
Auch in dieser Rede hob Eulenburg die Bedeutung und den Umfang der Neufassung der Kreisordnung hervor und wies besonders auf die Kreisausschüsse als Selbstverwaltungsorgane hin. In der Sitzung des Abgeordnetenhauses am darauffolgenden Tag, dem 4. Dezember 1868, nahm Eulenburg erneut das Wort127• Er sagte u.a., das Streben nach Selbstverwaltung sei an und für sich ein sehr konservatives, er lege einen ebenso großen Wert darauf, die Gemeinde in der Selbstverwaltung selbständig zu sehen, als den Kreis oder die Provinz. Es komme nur darauf an, wie man sich die Gemeinde und deren Vertretung denke. Er, Eulenburg, gehöre keineswegs zu den Leuten, die es als Vorrecht des Staates ansähen, überall bevormundend in das Gemeindeleben einzugreifen, dies halte er für eine oft überflüssige, störende und schädigende Einwirkung des Staates.
125 ZimmermaM, Wilhelm, S. 57. 126 11. Decker R., Zehn Jahre innere Politik
1862- 1872, S. 109 f. GStA Merseburg, Acta Ministerium des Innem, Rep. 77, Tit. 772, Nr. 1, Vol. 11, BI. 191, 191 R; stenographische Berichte (sten.-Ber.) S. 443,444. 127
C. Beginn der Kreisordnungsreform im Herbst 1867
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Ich glaube, daß die Gemeinde besser fährt, wenn sie über dasjenige, was ihr frommt, selbst beschließt, und daß es sogar manchmal ganz gut ist, wenn sie ihre eigenen Thorheiten ohne Hülfe der Regierung ausbadet.
Eulenburg fuhr dann fort, er habe zunächst nur das Gesetz in Aussicht gestellt, welches nach seiner Auffassung und nach dem, was bisher im Parlament vorgetragen worden sei, das Notwendigste sei, nämlich die Umänderung und Verbesserung der Kreisverfassung. Überall ertöne der berechtigte Ruf nach einer Reform der Kreisverfassung, und jetzt, wo er damit komme, werde die Reform der Gemeindeverfassung gefordert. Den Zusammenhang gebe er zu, das diesbezügliche Drängen sei ihm überraschend. Nach seiner Meinung könne man eine Kreisverfassung beraten, ohne daß ein formuliertes Landgemeindegesetz vorgelegt sei, die Regierung werde bei der Beratung der Kreisverfassung die Gesichtspunkte der Landgemeindeordnung berücksichtigen. Man solle sich in der Session mit der Kreis-Ordnung begnügen. Eulenburg schloß dann: Meine eigene Position und die der Regierung möchte ich lieber so auffassen, daß ich weniger verspreche und viel halte, als daß ich viel verspreche und wenig halte.
d) Im Staatsministerium In der Sitzung des Staatsministeriumsam 4. Dezember 1868 wurde auf Antrag des Ministerpräsidenten Graf Bismarck beschlossen, zu den drei Ständen des Kreistages, dem größeren Grundbesitz, den Städten und Landgemeinden, eine vierte Klasse aus Vertretern der Höchstbesteuerten zu bilden, zum anderen, den modifizierten Kreisordnungs-Entwurf vor Einbringung in den Landtag mit Vertrauensmännern beider Häuser des Landtags zu beraten. 128 Der erste Antrag wurde mit der Notwendigkeit der Vertretung derjenigen, die die meisten Steuern zahlten, zu besonderer Geltung zu bringen, begründet und fand die Unterstützung Eulenburgs. Von den Beratungen mit den Vertrauensmännern versprach man sich, die Ansichten der verschiedenen politischen Parteien über die Reform kennenzulernen und durch das Angebot der Zusammenarbeit positive Folgen für die Bearbeitung des Entwurfs in beiden Häusern, es wurden jedoch auch wegen möglicher zeitlicher Verzögerungen Bedenken geäußert. 129
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335.
GStA Merseburg, Acta Ministerium des Innem, Rep. 77, Tit. 772, Nr. 1, Vol. 11, BI. 333. GStA Merseburg, Acta Ministerium des Innem, Rep. 77, Tit. 772, Nr. 1, Vol. 11, BI. 334,
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li. Die preußische Kreisordnung von 1872
Bismarck regte zusätzlich an, weiteren Berufsgruppen wie Geistlichen, Lehrern, Richtern und Landwehr-Offizieren eine ständige Vertretung im Kreistag einzuräumen und die neue Kreis-Ordnung nicht nur für die acht älteren Provinzen, sondern für die ganze Monarchie einzuführen, Beschlüsse hierüber wurden bis zur Umarbeitung des Entwurfs ausgesetzt. 130 Entsprechend dem Beschluß des Staatsministeriums vom 4. Dezember 1868 wurde in den daraufhin umgearbeiteten Entwurf des Kreisverfassungs-Gesetzes durch die §§ 10 und 28 bis 34 der viene Stand der Höchstbesteuenen in die Kreisvertretung eingefügt. 131 Deren Zahl der Abgeordneten sollte 1/4 aller Kreistagsmitglieder betragen, und zwar 1/3 der Gesamtzahl der Mitglieder der übrigen drei Stände. Danach war die Vertretung der Höchstbesteuenen von der Vertretung der übrigen drei Stände abhängig, aber sie bildete auch keine von den übrigen drei Ständen gesonderte Klasse, sie konnte vielmehr in den Städten und Landgemeinden und unter den Besitzern großer Güter gleichmäßig vorhanden sein. Für die Feststellung der Zahl der Wähler im Stande der Höchstbesteuenen wurde die Einwohnerzahl zugrunde gelegt, und zwar auf je 1.000 Einwohner ein Wähler, maximal jedoch 60 Wähler selbst bei größerer Einwohnerzahl. Dadurch wären in den meisten Kreisen wirklich diejenigen Personen zur Wahl der Abgeordneten der Höchstbesteuerten gelangt, die aufgrund ihrer Steuerkraft eine besondere Vertretung beanspruchen konnten, offenbare Mißverhältnisse sollten durch Kreisstatut beseitigt werden. 132 Die Wähler sollten, wie auch die Erwerber eines großen Gutes, mindestens fünf Jahre im Kreisgebiet ihren Wohnsitz haben. Damit sollte verhinden werden, daß jeder Kapitalist, der sich vorübergehend im Kreis niederließ, auch sofon die wichtigen Rechte ausüben durfte. 133 Maßgebend dabei sollte der Steuerbetrag des abgelaufenen Kalenderjahres sein. Der Wahlkörper der Höchstbesteuerten sollte die Kreistags-Abgeordneten aus seiner Mitte wählen, damit auch die Höchstbesteuerten in den Kreistag kamen. Die Aufstellung der Wählerliste der Höchstbesteuerten durfte nur der Landrat vornehmen, da ihm die Steuerverhältnisse zugänglich waren und andere Behörden oder oder gar Privatpersonen von den Vermögensverhältnissen keine Kenntnis bekommen durften. Deshalb sollten auch die Wählerlisten statt
130 131 132 133
GStA Merseburg, Acta Ministerium des Innem, Rep. 77, Tit. 772, Nr. GStA Merseburg, Acta Ministerium des Innem, Rep. 77, Tit. 772, Nr. GStA Merseburg, Acta Ministerium des lnnem, Rep. 77, Tit. 772, Nr. GStA Merseburg, Acta Ministerium des Innem, Rep. 77, Tit. 772, Nr.
1, Vol. 1, Vol. l , Vol. l, Vol.
11, BI. 336. 11 , BI. 372. 11, BI. 374. 11, BI. 374 R.
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öffentlicher Bekanntmachung nur 14 Tage auf dem Landratsamt ausgelegt werden. 134 Für die Vertretung des größeren Grundbesitzes sollte das Virilstimmrecht nach Ansicht des Minister-Präsidenten v. Bismarck ganz fortfallen zusammen mit einer erheblichen Reduktion der gesamten Stimmen des großen Grundbesitzes. Daher wurde der Betrag des für eine Kollektivstimme maßgeblichen Reinertrages auf 6.000 Taler verdoppelt, was nahezu die Halbierung der Vertreter zur Folge hatte. 135 Für den Stand der Städte war eine Reduktion der Zahl der Abgeordneten dahingehend vorgeschlagen worden, daß nur auf je 4.000 Seelen (vorher 3.000) ein Abgeordneter gerechnet wurde. Im Stande der Landgemeinden wurde die Zahl der Vertreter dadurch vermindert, daß auf je 6.000 Seelen ein Abgeordneter gewählt werden sollte (früher 4.000). 136 Die Zahl der Ausschußmitglieder wurde auf vier festgesetzt, durch Kreisstatut konnte nötigenfalls die Zahl der Mitglieder verstärkt werden. Hinsichtlich des übrigen Inhalts des Gesetz-Entwurfs wurde auf die zum früheren Entwurf gemachten Ausführungen verwiesen. Das Staatsministerium beschloß auf seiner Sitzung vom 14 Januar 1869, den Gesetzentwurf betreffend die Kreisordnung mit Mitgliedern des Abgeordnetenhauses (u.a. Dr. Gneist) und des Herrenhauses zu beraten. 137 Für die Beratung der Kreis-Ordnung im Staatsministerium wurde ein Katalog von 28 Fragen aufgestellt, die sich u.a. damit befaßten, ob die bisherige Sonderung in "Stände" beibehalten werden bzw. eine neue Kategorie der Höchstbesteuerten hinzugefügt werden solle, die Zahl der Vertreter jedes Standes, die Vertreter der Städte und Landgemeinden, die Bildung eines Kreis-Ausschusses sowie dessen Errichtung und Geschäftsbereich, klassifiziertes oder allgemeines Wahlrecht, Änderung der Kreisverfassung durch Kreis-Statut, Auflösung einer Kreis-Versammlung durch königliche Verordnung und Erwerb und Verlust der Ritterguts-Qualität. 138 In der Sitzung des Staatsministeriums vom 25. Januar 1869 wurde über die Reform der Kreisverfassungen in den alten Provinzen die Frage beraten, ob 134 135 136 137 138
256.
GStA Merseburg, Acta Ministerium des Innern, Rep. 77, Tit. 772, Nr. 1, Vol. 11 , BI. 376. GStA Merseburg, Acta Ministerium des Innem, Rep. 77, Tit. 772, Nr. 1, Vol. 11, BI. 377 R. GStA Merseburg, Acta Ministerium des Innern, Rep. 77, Tit. 772, Nr. 1, Vol. 11, BI. 378. GStA Merseburg, Acta Ministerium des Innern, Rep. 77, Tit. 772, Nr. 1, Vol. 11, BI. 254. GStA Merseburg, Acta Ministerium des Innem, Rep. 77, Tit. 772, Nr. 1, Vol. 11, BI. 255,
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die bisherige Sonderung in Stände beibehalten werden solle. Der Referent, Geh. Ob.Reg.Rat Wagener, verneinte diese Frage und sprach sich für die Herstellung einer einheitlichen, mit allgemeinem Stimmrecht direkt gewählten Kreisvertretung aus. 139 Nach seiner Ansicht müsse mit der Reform der Kreisverfassungen eine Reorganisation der ländlichen Polizeiverwaltung verbunden werden, die ortspolizeiliehen Funktionen seien künftig durch ernannte Beamte im Namen des Königs als ein Ehrenamt zu versehen. 140 Der Kreisverband repräsentiere einmal eine Korporation mit eigener Vermögensverwaltung und eigenen Interessen und müsse hier durch gewählte Organe vertreten sein, andererseits sei es ein Staatsverwaltungsbezirk, der nur vom Staat ernannte Organe haben dürfe. Nach Meinung Wageners müsse der Kreistag aus dem Landrat, den ernannten Polizei-Obrigkeiten, Vertretern der bisherigen Autoritäten des Kreises und aus in direkter Wahl mit dem allgemeinen Stimmrecht gewählten Abgeordneten bestehen, wobei er mehrfach auf ähnliche Verhältnisse in England hinwies. 141 Bismarck wies auf die Übereinstimmung dieser Ansichten mit den neuesten Werken Gneists hin und sah sie als bemerkenswert an, da sie namentlich in der nationalliberalen Partei viel Anklang gefunden hätten, amtlich könne er sie sich jedoch nicht aneignen. Er unterschied zwei Fragen, nämlich, ob der Kreistag durch Beamte als Mitglieder oder Sachverständige ohne Stimmrecht verstärkt werden solle und wie der aus der Wahl hervorgegangene Teil des Kreistages zusammengesetzt werden solle. Er teilte die Einschätzung Wageners über das allgemeine Wahlrecht nicht, es sei zwar vorteilhaft in großen Wahlbezirken, jedoch ungünstig in kleinen Kreisen, wo sich das Lotteriewesen geltend mache und die kleinen Interessen eine jede Disziplinierung der Wähler verhinderten, es entstehe leicht eine Herrschaft der Tagelöhner durch Verabredung, der Census müsse umso höher steigen, je kleiner der Wahlbezirk sei. Die ständische Sondierung sei nur noch eine Sonderung nach Interessen, die er für berechtigt und den tatsächlichen Verhältnissen entsprechend halte, es müsse nur eine andere Bezeichnung für die mit dem Odium behafteten "Stände" gefunden werden. 142 Innenminister Eulenburg stimmte den Ausführungen Bismarcks zu und sprach sich auch insbesondere gegen das allgemeine Wahlrecht für die Kreisvertretungen aus. Er empfahl, bei der Fortbildung der Kreisverfassungen sich möglichst an den bestehenden Zustand anzuschließen und nur solche Ände139 140 141 142
414.
GStA GStA GStA GStA
Merseburg, Acta Ministerium des Innem, Rep. 77, Tit. 772, Nr. 1, Vol. 11, BI. 412. Merseburg, Acta Ministerium des Innem, Rep. 77, Tit. 772, Nr. 1, Vol. 11, BI. 412 R. Merseburg, Acta Ministerium des Innem, Rep. 77, Tit. 772, Nr. I, Vol. 11, BI. 413. Merseburg, Acta Ministerium des Innem, Rep. 77, Tit. 772, Nr. l, Vol. II, BI. 413,
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rungen vorzunehmen, für welche ein Bedürfnis vorhanden sei. Eine Beseitigung der bisherigen Stände sei nicht geboten, die bisherigen Klassen und Interessen im Kreise müßten vielmehr in ein richtiges Verhältnis zueinander gebracht und eine vierte Klasse der Höchstbesteuerten hinzugefügt werden. 143 Ministerpräsident v. Bismarck sprach sich zudem dafür aus, die Reform der ländlichen Polizei mit der der Kreis-Ordnung zu verbinden. Unter Aufhebung der gutsherrliehen Polizei seien alle Kreise in Polizeibezirke zu teilen, an deren Sitz ein ernannter Beamter aus den Kreisinsassen als Ehren-Amt und unentgeltlich die Polizei im Namen des Königs verwalte. Die Übernahme dieses Ehrenamtes müsse Zwangspflicht sein, als Bezeichnung wurde "Land-Amtmann" vorgeschlagen.144 Innenminister Eulenburg erbot sich, den Gesetz-Entwurf in diesem Sinne zu ergänzen. Letztlich wurde beschlossen, nach Aufhebung der gutsherrliehen Polizei die Schulzen als Organe der Polizei nicht mehr von Gutsherren, sondern vom Staate ernennen zu lassen. 145
e) Konferenz Bismarcks mit Gneist Der Ministerpräsident sah sich veranlaßt, im Januar 1869 den Dr. Gneist zu einer Abendbesprechung über diesen Gegenstand einzuladen, die am 2. Februar 1869 in einer bis spät in die Nacht hineindauernden Konferenz stattgefunden hat. 146 Ein Umschwung trat mit dieser Konferenz ein, von wo an die Verhandlungen mit Vertrauensmännern des Parlaments und dem Ministerium des Innern nicht mehr abrissen. 147
143 GStA Merseburg, Acta Ministerium des lnnem, Rep. 77, Tit. 772, Nr. 1, Vol. 11, Bl.414R-415R. 144 GStA Merseburg, Acta Ministerium des lnnem, Rep. 77, Tit. 772, Nr. 1, Vol. 11, BI. 420 R. 145 GStA Merseburg, Acta Ministerium des lnnem, Rep. 77, Tit. 772, Nr. 1, Vol. 11, BI. 420 R- 421 R. 146 v. Poschinger, H. Riner,Fürst Bismarck Wld die Parlamentarier, S. 73. 147 Zimmermann, Wilhelm, S. 67.
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II. Die preußische Kreisordmmg von 1872
2. Der Gesetzentwurfüber die Kreissverwaltung vom 10. Februar 1869 Mit Schreiben vom 10. Februar 1869 übersandte Eulenburg an den Präsidenten des Staatsministeriums, von Bismarck, und die übrigen Staatsminister den Entwurf eines Gesetzes betreffend die Kreisverwaltung und die Kreisverfassung in den acht altländischen Provinzen Preußen, Brandenburg, Pommern, Schlesien, Posen, Sachsen, Westphalen und Rheinprovinz (68 §§)
sowie die zur Vorlegung an die Vertrauensmänner bestimmten 18 Fragen.148
Am 17. Februar 1869 übersandte Innenminister Eulenburg dem Präsidenten des Abgeordnetenhauses, von Forckenbeck, 21 Exemplare des Gesetzentwurfs betr. die Kreis-Verwaltung und Kreis-Verfassung mit der Zusammenstellung von Fragen, die er mit den Vertrauensmännern besprechen wollte, deren Namensliste er ebenfalls beifügte und um "Anberaumung einer Zusammenkunft im Ministerium des Ionern am Freitag, dem 19. Februar, abends 7 1/2 Uhr", ersuchte. 149 Diesen Gesetzentwurf mit der Fragenliste sandte Eulenburg am 18. Februar 1869 gleichfalls an den Präsidenten des Herrenhauses, Graf zu Stolberg, und an die Vertrauensmänner und berief eine "Zusammenkunft für Sonnabend, 20. Februar 1869, 7 1{2, ins Ministerium des Innern" ein. 150
a) Konferenzen mit Vertrauensmännern des Abgeordnetenhauses In der ersten Konferenz mit Mitgliedern des Abgeordnetenhauses am 19. Februar 1869 wies Eulenburg auf den Zweck hin, nämlich in freier, vertraulicher Besprechung die Ansichten der verschiedenen Parteien der beiden Häuser des Landtages über die Umgestaltung der Kreisverfassungen zu hören, bevor die Staatsregierung dem Landtage einen entsprechenden Gesetzentwurf vorlege. 151
148 GStA Merseburg, Acta Ministerium des Innem, Rep. 77, Tit. 772, Nr. 1, Vol. 12, BI. 274,
278f.
149 GStA Merseburg, Acta Ministerium des Innem, Rep. 77, Tit. 772, Nr. 1, Vol. 12, BI. 294. 150 GStA Merseburg, Acta Ministerium des Innem, Rep. 77, Tit. 772, Nr. I, Vol. 12, BI. 303. 151 GStA Merseburg, Acta Ministerium des lnnem, Rep. 77, Tit. 772, Nr. 1, Vol. 12, BI. 309.
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In der nachfolgenden Generaldiskussion nahm unter verschiedenen Rednern auch der Abgeordnete Dr. Gneisteingehend Stellung. Er führte u.a. aus, daß es nach seiner Ansicht Aufgabe der Staatsregierung sei, durch das Gesetz über die Kreis-Verfassung eine Verwaltungs-Institution mit neuen Organen zu schaffen und keine parlamentarische Körperschaft, von denen es schon zuviel gäbe und eine die andere abschwäche. Es seien Fehler gewesen, 1824 durch die Kreis-Stände ein Oberhaus mit Viril-Stimmen der Rittergutsbesitzer zu schaffen, wodurch der erste Stand die beiden anderen vollständig überwog, und 1850 umgekehrt ein Unterhaus, indem man die ganze Kreis-Vertretung nur nach dem Maßstabe der Steuern gebildet habe, beide Fehler müßten jetzt vermieden werden. In dem Entwurf sei richtigerweise die Verwaltung an die Spitze gestellt, deren Ausarbeitung im einzelnen noch erfolgen müsse. Als Schwerpunkte der Vorlage sehe er die Zuweisung abgegrenzter Bezirke an die Ämter und die Übertragung der gutsherrliehen Polizei an einen Landamtmann. Dessen Funktionen müßten noch spezialisiert werden, er müsse in seinem Bezirke die gesamte Polizei haben, Vorgesetzter des Schulzen und der Gendarmen sein u.s.w .. Zudem benötige eine selbständige Kreis-Verwaltung eine besondere kommunalsteuer, und zwar nicht durch Zuschläge zu den Staatssteuern, sondern durch Überweisung eines Teils der Grund- und Gebäude-Steuern pp an die Kreise. Dadurch werde sich die Frage der Zusammensetzung der Kreisversammlung sehr wesentlich vereinfachen, er erkenne hier das liberale Verfahren der Staatsregierung an. Gneist fuhr fort, der Kreis-Ausschuß müsse der permanent verwaltende Körper im Kreise sein, über alle Polizeifragen und Beschwerden entscheiden und über Gendarmen verfügen, kurz, tatsächlich verwalten, nach dem jetzigen Entwurf sei er lediglich dekoratives Beiwerk neben dem Landrat. Anstelle der Vorlage des Entwurfs an den Landtag empfahl Dr. Gneist die Berufung einer Immediat-Kommission zur Ausarbeitung eines vollständigen Verwaltungsrechts.152 Innenminister Eulenburg hob hervor, Dr. Gneist habe die beabsichtigte Selbstverwaltung als Abgabe von staatlichen Funktionen an die Kreise aufgefaßt und sei darin zu weit gegangen, die Staatsregierung wolle vielmehr die Verwaltung durch den Landrat in der Hand behalten und nur allmählich einzelnes zur Selbstverwaltung abgeben, dies könne jetzt jedoch noch nicht im einzelnen festgelegt werden, da es im Laufe der Jahre in dem jetzt beabsich-
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GStA Merseburg, Acta Ministerium des Innem, Rep. 77, Tit. 772, Nr. 1, Vol. 12, BI. 309 R
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I!. Die preußische KreisordnWlg von 1872
tigten Versuch wachsen müsse, dies werde auch im Entwurf (§§ 14, 15) bezüglich des Kreis-Ausschusses und des Kreistages deutlich. Der Landamtmann solle vollständig an die Stelle der gutsherrliehen Polizei treten und auch einen Teil der Polizei-Gerichtsbarkeit übernehmen mitsamt der Polizei-Anwaltschaft, eine Regelung solle durch das in § 8 des Entwurfs vorbehaltene Ausführungs-Gesetz erfolgen. Eulenburg erläuterte weiter, die Landgemeinde- und Provinzial-Ordnung stünden in engem Zusammenhang mit der Kreis-Ordnung, man solle überzeugt sein, daß man den Kreistagen möglichst ausgedehnte Befugnisse einräumen wolle und daß man nach Fertigstellung der Kreis-Ordnung die anderen beiden Gesetze ebenfalls in nächster Zeit zur Beratung vorlegen werde. 153 Nach weiteren Konferenzen am 22., 24. und 27. Februar sowie am 2., 5. und 6. März 1869 fand am 7. März 1869 die Schlußkonferenz über die Kreis-Ordnung mit 15 Mitgliedern des Abgeordnetenhauses statt. Innenminister Eulenburg eröffnete die Spezial-Diskussion und sagte zur Frage der Befugnisse des Kreis-Ausschusses gern. §§54 und 55 des Entwurfes, es sei in Aussicht genommen, dem Kreis-Ausschuß gewisse Funktionen der Kreis-Verwaltung und Polizei-Gerichtsbarkeit zu übertragen, er könne anstelle der bisherigen Bezirks-Regierungen entscheiden u.a. über Streitigkeiten zwischen Annenverbänden, über Wegebaulast, Kirchen- und Schulbauten, so auch über Beschwerden in Lokal-Polizei-Angelegenheiten und über den Erlaß von Polizei-Verordnungen für den ganzen Kreis oder mehrere Gemeinden desselben. Diese Eröffnungen des Ministers fanden von allen Seiten Zustimmung.154 Dr. Gneist führte aus, an judiziellen Befugnissen könne der Ausschuß unbedenklich diejenige erhalten, welche bis jetzt die Bezirksregierungen und Polizeirichter hatten. Er wünschte, die Errichtung von Kreis-Statuten nur auf solche Gegenstände Anwendung finden zu lassen, die in der Kreis-Ordnung ausdrücklich dafür offen gelassen seien. Zur Frage des Präsentationsrechts für das Landrats-Amt äußerte er, daß bei so ausgedehnter Selbstverwaltung, wie sie jetzt dem Kreistage resp. Ausschusse übertragen werden solle, der Landrat direkt von der Staatsregierung ernannt werden müsse. ISS
!53 GStA Merseburg, Acta Ministerium des Innem, Rep. 77, Tit. 772, Nr. 1, Vol. 12, BI. 311-
315 R.
!54 GStA Merseburg, Acta Ministerium des Innem, Rep. 77, Tit. 772, Nr. 1, Vol. 12, BI. 361,
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In dieser Konferenz stellte Eulenburg die entscheidenden Weichen für die in Aussicht genommene Einführung der Selbstverwaltung und den Beginn der Verwaltungsgerichtsbarkeit, indem er dem Kreis-Ausschuß als dem entscheidenden und bedeutenden Gremium die wichtigen Selbstverwalwngsaufgaben und auch die Zuständigkeit in Beschwerdesachen über Polizeiverordnungen zuwies.
b) Konferenzen mit Vertrauensmännern des Herrenhauses Am 20. Februar 1869 führte Innenminister Eulenburg eine Besprechung über den Gesetzentwurf betreffend die Kreis-Verwaltung und Kreis-Verfassung mit 13 Mitgliedern des Herrenhauses. In seiner Einleitung wies er darauf hin, daß der Entwurf ein Kompromiß der verschiedenen Anschauungen sei und die Staatsregierung erfahren wolle, ob er der Meinung der Vertrauensmänner entspreche.ts6 In der allgemeinen Diskussion äußerte sich der Minister u.a. dahingehend, daß geplant sei, verhältnismäßig kleine Polizeibezirke zu bilden und so die Abneigung gegen die Übernahme der Polizeiverwaltung gering sein werde, die Polizeiverwalter sollten jedoch kein Virilstimmrecht erhalten, da sie, vom Könige ernannt, entgegen den modernen Anschauungen zu großen Einfluß der Staatsgewalt auf die Zusammensetzung der Kreis-Versammlung einbrächten. Der Begriff "Rittergut" solle aus der Gesetzgebung nicht verschwinden, auch wenn ein damit verknüpftes Recht beseitigt werde. Die Städte müßten im Kreisverband bleiben, 0a ihre Interessen und die der Kreise gemeinsame und wechselseitige seien. Eulenburg bemerkte abschließend, daß, wenngleich nicht zu verkennen sei, daß der Ruf nach Veränderung der Kreis-Verfassung wesentlich ein Produkt der Zeitströmung sei, derselbe doch eine Heftigkeit angenommen habe, die es nicht gestatte, daß die königliche Staatsregierung sich länger der Reformfrage sowohl bezüglich der KreisVerfassung als der gutsherrliehen Polizei entziehe, sie müsse vielmehr diskutiert und zum Austrage gebracht werden, wenn nicht die systematische Opposition des Abgeordnetenhauses zunehmen solle. In der weiteren Verhandlung mit den Vertrauensmännern des Herrenhauses am 1. März 1869 bemerkte Minister Eulenburg, die Ernennung der Schulzen
156
380.
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durch ein Organ der Staatsgewalt sei aus staatlich-politischen Gesichtspunkten notwendig, der Staat müsse einen unmittelbaren Einfluß auch auf die untersten Organe seiner Tätigkeit haben und darauf achten, daß dieselben sich in den Händen qualifizierter Personen befänden. 1s7 Man könne, so Eulenburg weiter, in kleinen Kreisen nicht die Wahlen aufgeund des allgemeinen, direkten Stimmrechts vornehmen lassen, dies sei nur möglich, wo es sich in größeren Bezirken um die Wahl von Vertretern für politische Körperschaften handele und wo sich die Wahlkandidatur der Natur der Sache nach auf wenige Personen beschränken müsse. Das allgemeine Stimmrecht namentlich auf Kommunalwahlen auszudehnen, sei der Staatsregierung fremd. Bei der Wahl durch die Gemeinde liege die Gefahr vor, daß Personen gewählt werden könnten, die zu dem ihnen übertragenen Amte unfähig wären, wie es die Erfahrung in Hannover gezeigt habe. Nach Eulenburg sei es eine berechtigte Unterscheidung, daß man die Entscheidung darüber, was zweckmäßig ist, einzelnen Beamten, darüber, was rechtens ist, kollegialischen Behörden übertragen solle. In eigentlichen Verwaltungssachen sei die kollegialische Beschlußfassung von keinem ausgezeichneten Wert, wohl aber in Rechtsangelegenheiten. 158 In der weiteren Konferenz am 3. März 1869 machte Eulenburg u.a. deutlich, daß man bei dem Entwurf des Gesetzes die Idee gehabt habe, daß es besser sei, das bestehende Recht fortzubilden, als etwas vollständig Neues zu schaffen. Die Befugnisse der Krone, den Landrat zu ernennen, lasse sich aus der bisherigen Gesetzgebung herleiten, und es erscheine deshalb nicht erforderlich und auch nicht geraten, eine diesfällige Bestimmung in den Entwurf aufzunehmen (den Landrat ohne weiteres zu ernennen). Zur Frage der Reorganisation der ländlichen Polizeiverwaltung äußerte Eulenburg, die Paragraphen des Entwurfs, welche von der Polizei-Verfassung handelten, hätten durchaus nicht den Zweck, die Materie zu erschöpfen. Es bleibe vorbehalten, ein besonderes Polizeigesetz zu machen. Es wären wesentlich drei Rücksichten gewesen, welche für die Reform der PolizeiVerwaltung als maßgebend angesehen würden, erstens den täglich mehr wechselnden Grundbesitz als die Basis für obrigkeitliche Rechte anzusetzen, sodann, daß die Klagen über schlechte Polizei sich zunehmend vermehrten, und endlich, daß es nicht für ersprießlich erachtet werden könne, die Polizei in die Hände der Landräte zu legen. Die Stellung des landrätlichen Amtes er-
JS7
GStA Merseburg, Acta Ministerium des lnnem, Rep. 77, Tit. 772, Nr. 1, Vol. 12, BI. 428,
ISS
GStA Merseburg, Acta Ministerium des Innem, Rep. 77, Tit. 772, Nr. 1, Vol. 12, BI. 447 -
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464 R.
C. Beginn der Kreisordnungsrefonn im Herbst l 867
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fordere es, daß ihm die Aufsicht über die Lokal-Polizei-Verwaltung beigelegt werde und es sei damit unvereinbar, dasselbe mit der ersten Instanz in Polizeisachen zu befassen. Daß man jetzt das Institut der Amtmänner etablieren wolle, sei ein richtiger Gedanke, man knüpfe damit an die bestehende Verfassung an und schaffe die notwendige Zwischenbehörde zwischen Landrat und den Kreiseingesessenen. Dabei habe man die Absicht, die Polizeibezirke nur so groß zu bemessen, daß die Übernahme der Verwaltung nicht mit Übelständen für die Amtmänner verbunden sei. 159 · Eulenburg hat durch seine Darlegung einen deutlichen Schritt hin zum Rechtsstaat getan, indem er klarstellte, daß es mit den Verwaltungsaufgaben des Landratsamtes unvereinbar sei, dieses auch mit der ersten Instanz in Polizeisachen zu befassen. Er sah also bereits hier die Notwendigkeit, die Überprüfung von Verwaltungsentscheidungen der Verwaltung selbst zu entziehen und sie der beginnenden Verwaltungsgerichtsbarkeit zu übertragen.
c) Gneists Promemoria von 1869 Mit Schreiben vom 13. April1869 legte Bismarck dem Grafen zu Eulenburg das "Promemoria zur Reform der Kreis-Ordnung" des Professors Gneist, das dieser für Bismarck in dessen Auftrag erstellt hatte, vor und bat ihn, den in Aussicht genommenen Vortrag auch auf die von Gneistangeregte Berufung einer Immediat-Kommission ausdehnen zu wollen und ergänzte, daß es sich vielleicht empfehlen dürfte, die evtl Berufung einer solchen Kommission mit der Reaktivierung des Staatsrates zu verbinden. 160 Bismarck hatte zu der Zeit die Absicht, zusammen mit der Kreis-Ordnungsreform den Staatsrat wieder ins Leben zu rufen, da er es als wünschenswert ansah, daß die Gesetzentwürfe, ehe sie vor den Landtag kämen, durch eine umfassendere und vielseitigere Prüfung vorbereitet würden, als dies derzeit der Fall sei. 161 Der Staatsrat war seit seiner Gründung im Jahre 1817 bis zum Frühjahr 1848, als er nach der Revolution verschwand und dann nur noch von 1854 bis 1857 kurz auflebte, die höchste beratende Behörde des Königs, seine wichtigste und fruchtbarste Arbeit während der gesamten Tätigkeit war die Beratung neuer Gesetze gewesen, über 30 Jahre hinweg waren alle wichtigen Gesetzes-
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GStA Merseburg, Acta Ministerium des lnnem, Rep. 77, Tit. 772, Nr. l, Vol. 12, BI. 471 ,
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GStA Merseburg, Acta Ministerium des lnnem, Rep. 77, Tit 772, Nr. 1, Vol. 13, BI. 329. Schneider, Hans, Der preußische Staatsrat, S. 249, 250.
487.
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II. Die preußische Kreisordmmg von 1872
vorhaben im Staatsrat verhandelt, Gesetze entworfen und endgültig formuliert worden. 162 In diesem Promemoria163 legte Gneisteinführend dar, daß das Schicksal der Kreis-Ordnung davon abhänge, ob sie als eine parlamentarische Institution oder als eine neue Grundlage der Staatsverwaltung behandelt werde. Solle ein neues Kreisparlament geschaffen werden, so entstehe ein unlösbarer Streit, ob Herrenhäuser oder Abgeordnetenhäuser. Die Parlamente häuften sich, so daß sie sich gegenseitig aufbebten, wenn noch neue Kreis-, Stadt- und Dorfparlamente hinzukämen. Solle jedoch eine Verwaltungseinrichtung geschaffen werden, so seien Funktionen der bisherigen Staatsbeamten auf Ehrenämter, Staatslasten auf die Kreisverbände zu übertragen, was der Gesetzentwurf vorläufig vermeiden wolle, die Übertragung von Staatsfunktionen sei gerade der einzige Gegenstand des Selfgovemment.164 Gneist entwickelte sodann in sechs Abschnitten seine Vorstellungen zur Kreis-Ordnung zu den Gliederungspunkten Kreisämter, Kreisausschüsse, Kreistag, Kreis- und Gemeindesteuern, administrative Oberinstanz sowie gesetzliche Redaktion der Kreis-Ordnung und setzte sich in einem siebenten Abschnitt mit der Bildung einer Immediat-Commission auseinander. In der Bildung der Kreisämter sah Gneist eine Grundlage des Neubaus. 16~ Es ginge darum, für die Landgemeinden den kommunalen Verband und den Kommunalsinn zu schaffen, Amtsbezirke als Bezirke für eine Selbstverwaltung durch Ehrenämter. Lebensfrage sei, daß der vom Könige zu ernennende und zu bestellende Landamtmann (Kreisamtmann, Kreishauptmann) grundsätzlich ein unentgeltliches Ehrenamt verwalte, um die besitzende Klasse in die höhere Staatsverwaltung hineinzuziehen. Dem Landamtmann als Gegengewicht zum Berufsbeamtenturn müßten alle Funktionen der Ortspolizei übertragen werden, er müsse als stellvertretender Landrat in seinem Amtsbezirk bezeichnet werden. Die Kreisämter bedürften einer zusammenfassenden Administration in den verwaltenden Kreisausschüssen aus den ernannten Kreisamtmännem, Bürgermeistem und Ratsherren sowie der Gesamtheit der gewählten Kreisverordne-
162 163
350.
van Hall, Wolfgang, Savigny als Praktiker, S. 16, 20. GStA Merseburg, Acta Ministerium des Innem, Rep. 77, TiL 772, Nr. I, Vol. 13, BI. 330-
164 Hierzu: GStA Merseburg, Acta Ministerium des Innem, Rep. 77, TiL 772, Nr. I, Vol. 13, BI. 330 R - 333 R; G.-ChT. von Unruh, Der Kreis, S. 123 ff. 16~ GStA Merseburg, Acta Ministerium des Innem, Rep. 77, Tit. 772, Nr. I, Vol. 13, BI. 330 R - 333 R.
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ten. 166 So sei ein Kreis-Ausschuß erforderlich für Beschwerdesachen als Oberinstanz über die Verfügungen der Kreisamunänner und die Streitigkeiten der kleineren Gemeinden. Als "Verwaltungsgericht erster Instanz" werde dieser Ausschuß anstelle des Dezernats der Landräte (und zum Teil der Regierungen) über streitige Fragen des Verwaltungsrechts treten. 167 Gneist stellte damit an dieser Stelle das dringende Erfordernis von unabhängigen Verwaltungsgerichten heraus und redete ihnen vehement das Wort. Im Hinblick auf den bisherigen Entwurf der Kreis-Ordnung stellte er klar, daß dieses eigentliche Gebiet des Selfgovernment in dem "Kreisausschuß" des Gesetzentwurfs ganz außer Betracht gelassen worden sei. In der Kreisversammlung, dem Kreistag, sehe Gneist eben kein Kreisparlament, in welchem Gesetze zu beschließen, Steuern zu bewilligen oder die Staatsverwaltung zu kontrollieren wäre, die Gesetze würden von König und Landtag beschlossen, Landrat und Kreisversammlung könnten nur ausführende Organe dafür sein. Da das Selfgovernment einen gesetzlich feststehenden Steuermodus voraussetze, könne der Kreistag nur drei Funktionen haben, nämlich Ausgabenbewilligung mit Feststellung des Jahresetats, persönliche Beteiligung der Mitglieder an den Kreis- und Bezirksverwaltungskommissionen sowie die Rechnungsprüfung und Decharge über die Verwaltung der Kreisfonds. Diese Natur der Geschäfte müsse die Zusammensetzung des Kreistages ergeben, und man dürfe nicht umgekehrt, wie bisher, zuerst an eine Form der Beschließung und des Einflusses denken, für welche dann die entsprechenden Geschäfte aufgesucht, aber nicht gefunden würden. Wie der heutige Staat, so bestehe die Selbstverwaltung nur aus Ämtern und Steuern, die notwendigen Leistungen bestünden heute in der Übernahme von Ehrenämtern und höheren, bereits durchgeführten Steuern. Ebenso widerstrebe der heutigen Gesellschaft jede Beschränkung der passiven Wählbarkeit Es sei notwendig, die Kreiseingesessenen nach dem Maßstab der Staatssteuern zu repräsentieren, die Proportion dafür sei in dem preußischen Dreiklassen-System bereits vorhanden, als der gegebenen Form, und eine Kreisrepräsentation in Gang zu bringen. 168 Zur Reform des Gesamtsystems der Kreis- und Kommunalsteuern führte Gneist aus, daß bisher Gemeinde-, Kreis- und Provinzialsteuern durch Zuschläge zu den Staatssteuern aufgebracht würden. Die richtige Kommunalsteuer bilde vielmehr die Besteuerung des in der Gemeinde fixierten Realbe-
166 167 168
GStA Merseburg, Acta Ministerium des Innem, Rep. 77, Tit. 772, Nr. 1, Vol. 13, BI. 334. GStA Merseburg, Acta Ministerium des Innem, Rep. 77, Tit. 772, Nr. 1, Vol. 13, BI. 336. GStA Merseburg, Acta Ministerium des Innem, Rep. 77, Tit. 772, Nr. 1, Vol. 13, BI. 340 R.
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II. Die preußische Kreisordnwtg von 1872
sitzes nach dem jährlichen Miet-, Pacht- und Ertragswert. Mit der Kreis-Ordnung werde zugleich das System der selbständigen Kommunal-Steuern einzuführen sein, welches dann auch die gleichmäßige Basis der Kreis- und Provinzialbesteuerung bilde. 169 Bei der gesetzlichen Regelung der administrativen Oberinstanzen sei festzustellen, daß eine geregelte Entscheidung der streitigen Fragen des Verwaltungsrechts-eine "Jurisdiction über öffentliches Recht"- schon von allen Parteien verlangt werde, daher werde ein oberster Verwaltungsgerichtshof (conseil d'etat) über die streitigen Fragen des Verwaltungsrechts nicht länger zu entbehren sein. Eine Reihe kleiner Beschwerdepunkte sei endgültig in dem ständigen Kreisverwaltungsausschuß zu erledigen, für alle erheblicheren werde aber die deutsche Weise noch eine Oberinstanz suchen.l7° Die gesetzliche Gestaltung der Kreis-Ordnung ergebe sich aus den dargelegten untrennbaren Gesichtspunkten und gehe weit über den Umfang des vorliegenden Entwurfs hinaus, dessen kurze Fassung nur dadurch ermöglicht sei, daß er bis zu wirklicher Selbstverwaltung noch nicht durchreiche. Alle Gegenstände der Kreisverwaltung seien zuletzt Gesetzes- und Geldfragen, welche notwendig durch Gesetze zu regeln seien, ohne welche niemand gehorche, niemand bezahle, ohne welche keine Selbstverwaltung Halt und Bestand gewinne. Für die Kreisstatuten bleibe ein verhältnismäßig kleiner Gestaltungskreis übrig. 171 Abschließend hob Gneist die Notwendigkeit der Bildung einer ImmediatKommission hervor. Nur eine solche Kommission sei zur Bewältigung eines Materials geeignet, welches umfangreicher und schwieriger zu behandeln sei als ein neues Strafgesetzbuch oder eine Prozeßordnung. Auch die Bildung eines Staatsrates hielt er für erforderlich. 172 Hiermit brachte er gleichzeitig auch die Bedeutung und den Umfang des Reformwerkes "Kreis-Ordnung" eindrucksvoll zum Ausdruck. Gneist regte schließlich die Veröffentlichung einer Königlichen Verordnung an, welche die Hauptgesichtspunkte bezeichnen solle, die die öffentliche Meinung darüber beruhigen würde, daß der "innere Ausbau" der Verfassung im Ernst gewollt werde, und fuhr fort und schloß:
170
GStA Merseburg, Acta Ministerium des lnnem, Rep. 77, Tit. 772, Nr. 1, Vol. 13, BI. 345. GStA Merseburg, Acta Ministerium des lnnem, Rep. 77, Tit. 772, Nr. 1, Vol. 13, BI. 345 R
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GStA Merseburg, Acta Ministerium des lnnem, Rep. 77, Tit. 772, Nr. 1, Vol. 13, BI. 347-
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-347.
348R.
172 GStA Merseburg, Acta Ministerium des Innem, Rep. 77, Tit. 772, Nr. 1, Vol. 13, BI. 348 R - 350.
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Selbst wenn die umfangreichen Entwürfe im Laufe des Jahres noch nicht zum Abschluß kommen, würde man sich durch den Gedanken beruhigen, daß ein Werk von solcher Tragweite, so begonnen, nicht mehr rückgängig werden kann. Alea jacta!
Das Promemoria Gneists wurde zum Gegenstand der Beratung gemacht und bestimmte die Redaktion der endgültigen Vorlage der Kreisordnung entscheidend. 113 In einer Veröffentlichung174 im Jahre 1869 hatte Gneist zudem auf die Notwendigkeit einer Verwaltungsreform mit Einführung der kommunalen Selbstverwaltung hingewiesen. So hob er u.a. hervor, daß es für die Selbstverwaltung in ländlichen Bereichen erforderlich sei, das im politischen Testament des Freiherrn vom Stein angedeutete Gesetz über die Polizeiverwaltung endlich wirklich zu erlassen, und zwar vorweg mit der gesetzlichen Aufbebung aller Gutspolizei. Im heutigen Staat dürfe keine Polizei anders geübt werden als nach Gesetzen, durch persönliches Amt, aus königlicher Ernennung, mit allen Rechten und Pflichten eines höheren Polizeibeamten. Erforderlich sei zudem die Bildung von Kreisämtern, wie solche in Hannover und anderen Landesteilen bereits bestünden. Der Staat sei unzweifelhaft berechtigt, wie zum Militär- und Geschworenendienst, so auch zu den Polizeiverwaltungen zu zwingen. 175 Die Amtsgeschäfte der Ehrenämter seien gegeben in den vorhandenen Geschäften des Landratsamts. Das Selfgovernment bestehe darin, daß solche nicht in einem von der Ministerverwaltung unmittelbar abhängigen Beamten zu zentralisieren, sondern in einer großen Zahl unabhängiger Beamten zu dezentralisieren seien. Die Kreisverwaltung bilde sich durch ein Zusammentreten der Kreisamtmänner mit dem Landrat zu einer ständigen Kreisbehörde mit ständigen Ausschüssen. 176 Mit Schreiben vom 22. Juni 1869 erstattete Eulenburg dem König den am 16. März angeforderten Bericht. 177 Verlauf und Resultate der Beratungen im allgemeinen bezeichnete er als erfreulich, bei streng sachlichen Diskussionen sei allseits das Bestreben nach Verständigung in den Vordergrund getreten, die Vorschläge der Regierung hätten in manch wichtigen Punkten eine kaum erwartete übereinstimmende Billigung gefunden. Auch bei den streitigen Gegenständen hätten die Besprechungen zur Klärung der Ansichten beigetragen
175
G.-Chr. von Unruh, Der Kreis im 19. Jahrhundert zwischen Staal und Gesellschaft. S. 101. Gneist, Rudolf, Verwaltung, Justiz, Rechtsweg, Staatsverwaltung und Selbstverwaltung. Gneist, Rudolf, Verwaltung, Justiz, Rechtsweg, Staatsverwaltung und Selbstverwaltung,
176
Gneist, Rudolf, Verwaltung, Justiz, Rechtsweg, Staatsverwaltung und Selbstverwaltung,
173 174
s. 415. s. 416.
177 Zum Inhalt des Berichts: GStA Merseburg, Acta Ministerium des lnnern, Rep. 77, TiL 772, Nr. 1, Vol. 13, BI. 42 ff.
138
II. Die preußische Kreisordnung von 1872
und allen Beteiligten die Notwendigkeit von Zugeständnissen vor Augen geführt, solle die Reform der Kreisverfassungen überhaupt zustande kommen. Er hoffe, daß das schwierig und weitgreifend angebahnte Reformwerk im Landtag nicht überstürzt, sondern ernst genug erwogen und sorgfältig genug vorbereitet werden könne. 178 Eulenburg berichtete dem König dann ausführlich über die Diskussionspunkte im einzelnen.
D. Der Kreisordnungsentwurf vom August 1869
Bismarck erwartete die Vorlage eines weiteren Kreisordnungsentwurfs. In einem Briefl79 an den Abgeordneten von Diest-Daber vom 31. August 1869 schrieb er u.a.: Halten wir uns zunächst an die zu erwartende Vorlage über die Kreis-Ordnung und deren Gebiet..... Ich weiß nicht, wie weit die Vorlage des Ministers des Innem greifen wird, aber hüten wir uns vor allem vor dem Irrtum, als könnten wir beim Kreise nicht anfangen, wenn nicht Provinz, Gemeinde und Staat gleichzeitig umgearbeitet würden.
Bismarck hob damit hervor, daß zunächst die Kreisreform in Angriff genommen werden müsse, ohne Provinz- und Gemeindeordnungen gleichzeitig umzugestalten. Der von Bismarck angesprochene Entwurf war zu diesem Zeitpunkt bereits auf den Weg gebracht. Am 29. August 1869 ließ Eulenburg, der sich selbst auf einer Reise befand, an die Staatsminister und deren Präsidenten von Bismarck einen im Innenministerium aufgestellten anderweiten Entwurf einer Kreis-Ordnung mit der Bitte um eingehende Prüfung übersenden, wobei betont wurde, daß sowohl die Prinzipien, auf denen der Gesetzentwurf beruhe, als auch alle wesentlichen Bestimmungen von dem Minister des Innern selbst in besonderen Konferenzen unter seiner Leitung festgestellt worden seien und noch vor seiner Abreise die ausgearbeiteten Teile seine Billigung erfahren hätten. 180 Der Aufstellung des vorliegenden Entwurfs sei eine Prüfung der Protokolle über die Beratungen mit den Vertrauensmännern beider Häuser sowie der in neuerer Zeit erfolgten Presseveröffentlichungen sachkundiger Männer vorausgegangen. Danach habe der Minister die Reorganisation der Kreisverfassung
178 179 180
GStA Merseburg, Acta Ministerium des Innem, Rep. 77, Tit. 772, Nr. I, Vol. 13, BI. 43. v. Poschinger, H. Ritter, Fürst Bismarck und die Parlamentarier, S. 80. GStA Merseburg, Acta Ministerium des Innem, Rep. 77, Tit. 772, Nr. I, Vol. 13, BI. 209.
D. Der Kreisordnungsentwurf vom August 1869
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in weiteren Gesichtspunkten angreifen müssen als in den früheren Entwürfen. Neben dem Schwerpunkt in der Zusammensetzung der Kreistage sei versucht worden, neue Verwaltungseinrichtungen zu schaffen, welche eine feste Basis für die in neuerer Zeit allseitig erstrebte Selbstverwaltung der Gemeinden, Kreise und Provinzen gewährten. In diesem Entwurf seien somit nicht nur die kommunalen Verhältnisse des Kreises geordnet, sondern auch eine vollständige Neuordnung der ländlichen Polizeiverfassung, eine teilweise Neugestaltung der ländlichen Gemeindeverfassung sowie eine Reorganisation der allgemeinen Staatsverwaltung vorgenommen worden. Das Wesen der Prinzipien der sogenannten Selbstverwaltung bestehe auf der Übertragung gewisser Funktionen von Staatsbehörden auf Organe des Kreises und der damit größeren Dezentralisation der gesamten Staatsverwaltung. 181 Die neuen Organe der Selbstverwaltung sollten der Amtshauptmann und der Kreisausschuß sein. Der Amtshauptmann übe als unentgeltliches Ehrenamt die Polizei und die unmittelbare Aufsicht über die Landgemeinden und Gutsbezirke aus, zudem sollten ihm noch einige Befugnisse des Landrats übertragen werden. Die anfanglieh fehlende Neigung zur Übernahme des Ehrenamtes eines Amtshauptmannes werde allmählich in immer weiteren Kreisen hervortreten, je mehr dessen bedeutende Stellung erkannt werde. Die durch die Einführung des Amtshauptmannes bedingte Aufhebung der polizeiobrigkeitlichen Gewalt der Rittergutsbesitzer sowie die Fixierung der Stellung der Amtshauptleute führe zu einer teilweisen Neugestaltung der Gemeinde-Verfassung. Der Gemeinde-Vorsteher sei dabei einerseits Ortsobrigkeit und Organ des Amtshauptmannes für die Polizeiverwaltung, andererseits die leitende kommunale Verwaltungsbehörde. Das Fortbestehen der mit dem Besitze gewisser Grundstücke verbundenen Berechtigung und Verpflichtung zur Verwaltung des Schulzenamtes erscheine unvereinbar mit der Abschaffung der Polizeigewalt der Rittergutsbesitzer und der Wahl der Gemeinde-Vorsteher. 182 Der Kreis-Ausschuß sei bestimmt, den Mittelpunkt der Selbstverwaltung des Kreises zu bilden; als Organ der Kreis-Korporation liege ihm die Verwaltung der Kreis-Kommunalangelegenheiten, als Organ des Staates die Besorgung von Geschäften der allgemeinen Landesverwaltung ob. Aus dieser Doppelstellung ergebe sich auch seine Zusammensetzung aus Vertretern des Kreistages und der Obrigkeiten des Kreises, nämlich aus dem Landrat als Vorsitzendem und je drei Mitgliedern der Kreisangehörigen und Amtshauptleuten 181
GStA Merseburg, Acta Ministerium des Innem, Rep. 77, Tit. 772, Nr. 1, Vol. 13, BI. 209,
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GStA Merseburg, Acta Ministerium des Innem, Rep. 77, Tit. 772, Nr. 1, Vol. 13, BI. 211.
209R.
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II. Die preußische KreisordnWJg von 1872
und Bürgermeistern.183 Vornehmlich werde bei den zahlreichen Aufgaben des Kreisausschusses die Aufsicht über die Landgemeinden und Gutsbezirke ein Hauptfeld der Tätigkeit bilden. Der Innenminister habe die Zusammensetzung der Kreistage neu geregelt, so werde die Gesamtzahl der Kreistags-Abgeordneten zwischen den Städten und dem platten Lande nach der Maßgabe verteilt, daß die Zahl der städtischen Abgeordneten ein Drittel der Gesamtzahl nicht übersteigen dürfe, die übrigen erhielten die Wahlverbände des größeren Grundbesitzes und der Landgemeinden je zur Hälfte. 184 Zudem hätten die größeren Grundbesitzer als Meistbegüterte das Recht auf eine besondere Vertretung im Kreistage. Alle Kreissteuern sollen durch Zuschläge zu den direkten Staatssteuern aufgebracht und der Beschlußnahme des Kreistages nur die Festsetzung des Maßes der Belastung der einzelnen Staatssteuern mit Kreiszuschlägen innerhalb fester Grenzen überlassen werden. Der vorliegende Entwurf sei auf die sechs östlichen Provinzen beschränkt. 185 Abschließend ließ Eulenburg die baldige Übersendung eingehender Motive ankündigen. Als Anlage befand sich sodann der Gesetzentwurf, bestehend aus 141 Paragraphen, sowie ein Wahl-Reglement bei dem Schreiben.
1. Eulenburgs Stellungnahme an Bismarck Am 21. September 1869 antwortete Eulenburg Bismarck auf dessen zwei Briefe vom 7. September, daß in dem übersandten Entwurf einer Kreis-Ordnung den höchstbesteuerten Kreiseingesessenen eine besondere Vertretung auf dem Kreistage nicht gegeben worden sei, da dieser Gedanke, dem in den Beratungen des Staatsministeriums im Januar d.J. ein entscheidender Ausdruck gegeben worden war, bei den Vertrauensmännern aus beiden Häusern des Landtags fast gar keinen Anklang gefunden habe, da der Großgrundbesitz dadurch ein erhebliches, seiner wirklichen Bedeutung nicht entsprechendes Übergewicht erhalten würde, was aufgrund des gesammelten statistischen Materials kaum in Abrede gestellt werden könne. 186
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GStA Merseburg, Acta Ministerium des GStA Merseburg, Acta Ministerium des GStA Merseburg, Acta Ministerium des GStA Merseburg, Acta Ministerium des
Innem, Rep. 77, Tit. 772, Nr. Innem, Rep. 77, Tit. 772, Nr. Innem, Rep. 77, Tit. 772, Nr. Innem, Rep. 77, Tit. 772, Nr.
I, Vol. 1, Vol. 1, Vol. 1, Vol.
13, BI. 212. 13, BI. 213. 13, BI. 214 R. 13, BI. 326.
D. Der Kreisordnungsentwurf vom August 1869
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Durch Einbeziehung des Gebäude-Nutzungswertes sei auch den größeren Industriellen, die daneben noch Grundeigentum vom Umfang eines oder zweier Bauerngüter hätten, ein Wahlrecht im Verbande der größeren Grundbesitzer zuteil geworden. Der Vorschlag Bismarcks, eine besondere Vertretung der Höchstbesteuerten einzuführen, habe im Landtag keine Aussicht auf Annahme. 187 Abschließend teilte Eulenburg mit, daß die Beratungen des Königlichen Staatsministeriums über den neuen Kreis-Ordnungsentwurf abgeschlossen seien und dieser bis auf einige unwesentliche Abänderungen einstimmig genehmigt worden sei. 188 In der Thronrede zur Eröffnung des Landtagsam 6. Oktober 1869 ging der König auf den Kreis-Ordnungs-Entwurf ein und sagte dazu: 189 In dem Entwurfe einer neuen Kreis-Ordnung, zunächst für die sechs östlichen Provinzen, wird Ihnen eine Vorlage von umfassender Bedeutung für die gesammte Staatsverwaltung gemacht werden. Dieselbe beschränkt sich nicht auf eine Abänderung derjenigen Bestimmungen der jetzt bestehenden Kreis-Ordnungen, welche vielfach als verbesserungsbedürftig bezeichnet und von Meiner Regierung als solche anerkannt worden sind.
Der König führte dann u.a. weiter aus, daß die Kreisangehörigen an der Verwaltung teilnehmen und einen Teil der Geschäfte der allgemeinen Landesverwaltung übernehmen sollten.
2. Einbringung des Entwurfs ins Abgeordnetenhaus
Am 8. Oktober 1869 führte dann der Minister des Innern Graf zu Eulenburg den vom 27. September 1869 datierten ersten Entwurf zur Kreis-Ordnung mit einer vorsichtig aber würdig gehaltenen Eröffnungsrede in dem Hause der Abgeordneten ein. 190 Rudolf Friedenthai hatte mit Geheimrat Persius diesen Entwurf zur KreisOrdnung ausgearbeitet, wie kein anderer hatte Friedenthai die von Gneists Ideen beeinflußte Konzeption Eulenburgs begriffen und normativ erfaßt. 191
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GStA Merseburg, Acta Ministerium des Innem, Rep. 77, Tit. 772, Nr. 1, Vol. 13, BI. 327. GStA Merseburg, Acta Ministerium des Innem, Rep. 77, Tit. 772, Nr. 1, Vol. 13, BI. 328. v. Deck.er, R., Zehn Jahre innere Politik, S. 114, 115. v. Poschinger, H. Ritter, Fürst Bismarck und die Parlamentarier, 2. Band, S. 80. G.-Chr. von Unruh, Der Kreis, S. 136.
142
II. Die preußische Kreisordnung von 1872
Der Kern des Anliegens war eine unmittelbare Beteiligung der Bürger an Staatsaufgaben, die Kreis-Ordnung sollte der Beginn einer umfangreichen Reform der Staatsverfassung werden. 192 Seit der Einführung der Verfassung und der damit zusammenhängenden Bildung der politischen Parteien hatte sich namentlich in den letzten Jahren der Regierung Friedeich Wilhelms IV. der Mißbrauch herausgebildet, daß die ganze Verwaltung, selbst zuletzt die Bestätigung der Gemeindebeamten, von der politischen Stellung der Beteiligten abhängig gemacht wurde. Dieser Mißbrauch wurde zuletzt nirgends tiefer empfunden als in der preußischen Zentralregierung selbst und war einer der wesentlichsten Beweggründe für die Umgestaltung der inneren Verwaltung durch Einführung der Selbstverwaltung und der damit zusammenhängenden Verwaltungsgerichtsbarkeit, die mit diesem Gesetzentwurf vom 8.10.1869 begann. 193 Die Rede, mit der Eulenburg die ministerielle Vorlage im Abgeordnetenhaus begründete, stellte diese Bedeutung heraus. Eingangs wies er darauf hin, daß der Ruf nach Selbstverwaltung lauter und lauter erschallt sei und dieser in der neuen Kreis-Ordnung seine Erhörung gefunden habe. 194 Er machte sodann die Abgeordneten darauf aufmerksam, daß es sich dabei nicht nur um ein kommunales Organisationsgesetz handelte, sondern um eine beträchtliche Veränderung der preußischen Verfassungs- und Verwaltungsstruktur, daß es sich wegen der darin verstärkten Mitverantwortung der Bürger an der öffentlichen Verwaltung um eine Ausdehnung der vom Freiherrn vom Stein konzipierten Städteordnung von 1808 auf das "flache Land" handelte. 195 Bei der Behandlung der einzelnen Neuerungen hob er sodann u.a. hervor, daß die mit dem Besitze eines Gutes verbundene obrigkeitliche Gewalt aufgehoben worden sei und der Amtshauptmann die Polizei im Amtsbezirke und in Gemeinde- und Gutsbezirken verwalte. An der Spitze des Kreises stehe ein vom König ernannter Landrat. Zum Zwecke der Verwaltung der Angelegenheiten des Kreises und der Besorgung von Geschäften der allgemeinen Landesverwaltung solle ein Kreis-Ausschuß gebildet werden, der die Beschlüsse der Kreisversammlung vorzubereiten und auszuführen habe. Eulenburg fuhr dann fort: 196
G.-ChT. von Unruh, Der Kreis, S. 129. Friedrichs, Kar!. Verwaltungsgerichtsbarkeit in Preußen, in: WStVR 1914, S. 753. v. Decker, R., Zehn Jahre innere Politik, S. 115, 116. G.-Civ. von Unruh, Friedrich Albrecht Graf zu Eulenburg (1815-1881), in: Persönlichkeiten der Verwaltung, S. 189. 196 v. Decker, R, Zehn Jahre innere Politik, S. 118. 192 193 194 195
D. Der Kreisordnungsentwurf vom August 1869
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Meine Herren! Dieses ist der Weg, auf welchem die Regierung die Selbstverwaltung anzubahnen gedenkt, und das Maß, welches sie vor der Hand gewähren zu können, aber auch gewähren zu müssen glaubt.
Sodann bekannte Eulenburg sich selbst zur Selbstverwaltung: Ich gehöre zu denjenigen, die es für durchaus wünschenswerth halten, nach und nach zur Selbstverwaltung zu gelangen. Ich habe mich nur immer dagegen erldärt, von derselben so viel zu sprechen, ohne gleich bestimmte Andeutungspunkte zu geben, in welcher Art sie ins Leben geführt und wo sie zuerst in Angriff genommen werden soll; ich habe immer behauptet, daß der Kreis derjenige Punkt sei, bei dem man am geeignetsten einzusetzen habe, und in Konsequenz dieser meiner Ueberzeugung habe ich in die Kreisordnung diejenigen Anhaltspunkte der Selbstverwaltung gelegt, die im Augenblick gegeben erscheinen. Ich fürchte mich und habe mich gefürchtet, mit einem Sprunge aus Zuständen, in die wir uns hineingelebt haben, überzugehen in Zustände, die wir nicht kennen; ich glaube, daß wir Personen und Einrichtungen erproben und uns überzeugen müssen, daß die Brücken halten, auf welchen wir in neue Zustände übergehen wollen; daß wir die alten Häuser nicht verlassen dürfen, ehe die neuen bewohnbar sind. Die Opfer, welche nach dem Kreisordnungs-Entwurfe den größeren Grundbesitzern zugemuthet werden, sind nicht leicht, denn sie sollen auf der einen Seite Rechte verlieren, auf der anderen Seite neue Pflichten übernehmen; aber ich habe doch zu der Opferfreudigkeit und zu dem Muthe der Herren das Vertrauen, daß sie hingeben und übernehmen werden, was zum öffentlichen Wohle erforderlich ist.
Eulenburg erließ gegen Ende seiner Rede einen Aufruf: Mein Appell geht deshalb an die Herren, die, wenn ich es so sagen soll, verlieren: haben Sie den Muth, sich in die neuen Zustände zu finden und werfen sie Ihre ganze Kraft hinein, um sich auch in den neuen Zuständen auf der Oberfläche zu halten, ich meine oben an der Bewegung und des Einflusses. Und bei den anderen Herren appelliere ich an das Maß ihrer Forderungen, an das Abstehen von vielleicht berechtigten theoretischen Ideen, unter Festhalten an demjenigen, was sich bisher bewährt hat und nur in neue Formen hinübergeführt werden soll.
Er schloß dann mit dem Wunsche, daß die Kreis-Ordnung gleich im Hause beraten werden möge. Die Grundsätze, die dabei zur Erörterung gelangen wuden, sind so tief eingreifend in unser ganzes staatliches Leben, daß es von der größten Wichtigkeit ist, die Vemandlungen in diesem Hause in ihrer ganzen Ausdehnung dem Publikum bekannt werden zu lassen.
a) Motive zu dem Gesetzentwurf In den zu dem Gesetzentwurf erstellten Motiven werden die Grundsätze der neuen Kreisordnung dann eingehend und umfassend dargelegt. Die "Motive zu dem Entwurfe der Kreisordnung für die Provinzen Preußen, Brandenburg, Pommern, Posen, Schlesien und Sachsen vom 27. September 1869" liegen gedruckt vor und haben einen Umfang von 72 Seiten. 197 Der vorliegende Entwurf stelle das Resultat der Verhandlungen der Staatsregie-
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II. Die preußische Kreisordnung von 1872
rung mit beiden Häusern des Landtages und daraus zuvor gebildeten kleineren Kreisen der jeweiligen Vertrauensmännern dar. Er sei auf die sechs östlichen Provinzen beschränkt worden, solle jedoch nach dort erfolgter Verwirklichung mit den ausgeprägten Prinzipien der Selbstverwaltung auf sämtliche übrigen Landesteile der Monarchie übertragen werden.
b) Eulenborgs Stellungnahme im Abgeordnetenhaus Zu dem Gesetzentwurf nahm Innenminister Eulenburg im Haus der Abgeordneten in der 6. Sitzung am 19. Oktober 1869 eingehend Stellung.198 Er sagte dort u.a.: Zuerst sind ein paar Worte über die Frage zu sagen, warum die Regierung eine Kreis-Ordnung nur für die sechs östlichen Provinzen und nicht zugleich für die ganze Monarchie vorgelegt hat. Der Wunsch, eine Kreis-Ordnung für die ganze Monarchie zu haben, ist im Schoße der Regierung ebenso lebendig gewesen, als er in den meisten Reden derjenigen Herren, die darüber gesprochen haben, ausgedrückt worden isL Allein der Regierung kam es hauptsächlich darauf an, zuerst das Bedürfnis da zu befriedigen, wo es am dringendsten hervortrat, und zu gleicher Zeit ein Gesetz zustande zu bringen, in welchem die Prinzipien der Kreisverfassung, die Grundlage der Selbstverwaltung und die Basis für die Reorganisation der Staatsverwaltung ihren besten Ausdruck fänden. Hätte die Regierung den Gesetzentwurf zugleich auf alle übrigen Provinzen der Monarchie ausdehnen wollen, so würden sich die Bedenken, die sich gegen einzelne Bestimmungen unzweifelhaft selbst für die sechs östlichen Provinzen erheben werden, in so bedeutendem Maße gemehrt haben, daß die Bewältigung derselben kaum vorauszusehen, vielmehr auf ein Nichtzustandekommen des Gesetzes in dieser Sitzung zu rechnen gewesen wäre..... Vorbehalten bleibt aber, und zwar vorbehalten in der kürzesten Frist, diejenigen Grundsätze, die in dieser KreisOrdnung werden niedergelegt werden, sofort und ohne Verzug auf die neuen Provinzen und auf die westlichen Provinzen auszudehnen, soweit die Spezial-Verhältnisse dieser Provinzen es vertragen ..... Ein zweiter Einwurf ist gemacht worden gegen die isolierte Vorlegung der KreisOrdnung ohne Gemeinde-Ordnung und ohne Provinzial-Ordnung. .... Der Wunsch, in dieser Sitzungs-Periode etwas zustande zu bringen, ist wesentlich bestimmend gewesen, bei dem Entschlusse von der Vorlegung einer Gemeinde-Ordnung und Provinzial-Ordnung einstweilen abzusehen. Ich hane ursprünglich die Absicht, eine Gemeinde-Ordnung vorzulegen, sie ist auch zum Teil ausgearbeitet. .... Wäre die Sache sehr glücklich gelaufen, so wäre die Gemeindeordnung zustande gekommen, aber weiter nichts, und doch halte ich das Zustandekommen der Kreis-Ordnung für ein dringenderes Bedürfnis als das der Gemeindeordnung, zumal mit Rücksicht darauf, daß in einer Kreis-Ordnung sich Prinzi~ien für die Gemeinde- und Provinzialordnung niederlegen lassen, was ja auch geschehen ist. 1 9
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327R.
GStA Merseburg, Acta Ministerium des Innem, Rep. 77, Tit. 772, Nr. 1, Vol. 14, BI. 291-
198 GStA Merseburg, Acta Ministerium des Innem, Rep. 77, Abth. IV, Sekt. 4, Tit. 772, Nr. 1, Adhib. 10, BI. 141; sten. Ber. S. 93. 199 GStA Merseburg, Acta Ministerium des Innem, Rep. 77, Abth. IV, Sekt. 4, Tit. 772, Nr. I, Adhib. 10, BI. 141 R; sten. Ber. S. 94.
D. Der Kreisordnungsentwurf vom August 1869
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Ich bin überzeugt, meine Herren, daß wir durch das System, welches der Kreis-Ordnungsentwurf Ihnen proponiert, am richtigsten dasjenige treffen, was heut zu Tage noch lebendig ist, und zwar indem wir Vorrechte gekürzt und Zurücksetzungen zu verbessern gesucht haben, ohne an den Grundfesten der Kreisvertretungen, die auf dem lebendigen Leben basieren müssen, zu rütteln..... Ich bin weit entfernt, diesen Kreis-Ordnungsentwurf als das surnmum sapientiae anzusehen und zu glauben, es sei alles erschöpft, was seit 30 bis 40 Jahren die Gemüter bewegt, aber ich kann versichern, daß ich etwas Besseres nicht weiß und gern bereit bin etwas Besseres anzunehmen, wenn Sie beweisen können, daß es ein solches ist. .... Ich habe mir immer gedacht, daß ein vernünftiger Konservativismus zur rechten Zeit Konzessionen machen müsse, ich habe immer gedacht, daß der Konservativismus darin besteht, Verhältnisse, welche sich eingelebt haben, so lange zu konservieren, bis etwas Besseres geboten wird. Ich habe es aber zugleich als eine Hauptaufgabe des Konservativismus gehalten, nicht blos sich verneinend, und an Lieblingsanschauungen festhaltend, immer auf demselben Standpunkte zu halten, sondern Konzessionen dann zu machen, wenn sie sich entweder als notwendige oder als nützliche erweisen..... Ich glaube, daß die Konservativen im Lande mir daraus keinen Vorwurf machen werden. Aber, meine Herren, begeben Sie sich doch auch ein Mal auf dieses Feld, versuchen Sie es doch ein Mal, einem in ihrem Sinne gebotenen Fortschritt gegenüber auch eine Konzession zu machen! Das tun Sie nicht, Sie häufen Forderung auf Forderung, ich glaube, der Konservativismus befmdet sich in einer edleren und nützlicheren Position. Die Regierung ist von der Ansicht ausgegangen, und die Richtigkeit derselben werden Sie nicht bestreiten können, daß, ohne der Selbstverwaltung Schaden zu tun - der Schwerpunkt der Selbstverwaltung liegt beiläufig, meiner Auffassung nach, nicht in den Amtshauptleuten, sondern in den Kreis-Ausschüssen,- die Regierungdarandenken muß, dieselbe in solche Hände zu legen, die nicht dasjenige leisten, was der Staat von Ihnen verlangt. 200
c) Gneist zu dem Entwurf In derselben Sitzung des Abgeordnetenhauses nahm auch Gneist ausführlich das Wort zu dem Gesetzentwurf. 201 Er führte dabei u.a. aus: Der Partikularismus habe den Stillstand hervorgerufen, noch viel mehr als die Staatsbevormundung. Es werde staatlich und wirtschaftlich notwendig sein, diese zersplitterten Gemeindekörper zu größeren Ganzen zu vereinigen, wenn man die persönlichen Kräfte und die Geldmittel zu einer wirklichen Selbstverwaltung gewinnen wolle. Eine Union von Gemeinden sei unmöglich gewesen, solange die Gutsobrigkeit und das Schulzenamt zu Tausenden mit bestimmten Grundstücken verbunden gewesen seien, sie sei nicht möglich gewesen, solange ein gleicher Steuerfuß gefehlt habe, denn uniren könne man nur, was einen Maßstab für gemeinsame Leistungen und was gemeinsame Institutionen habe. Der Gesetzentwurf hebe gerade diese Hindernisse weiterge200 GStA Merseburg, Acta Ministerium des Innern, Rep. 77, Abth. IV, Sekt. 4, Tit. 772, Nr. 1, Adhib. 10, BI. 142 ff; sten. Ber. S. 95 ff. 201 GStA Merseburg, Acta Ministerium des Innem, Rep. 77, Abth. IV, Sekt. 4, Tit. 772, Nr. 1, Adhib. 10, BI. 149; sten. Ber. S. 109. 10 Lange
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li. Die preußische Kreisordmmg von 1872
hend auf als die früheren Entwürfe von 1850, er beseitige die gutsobrigkeitlichen und Lehnschulzenämter vollständig und schaffe einen festen gesetzlichen Steuerfuß für die Kreislasten. Zu der Stellung des obrigkeitlichen Amtes im Kreisverband sagte Gneist, die Funktionen der Obrigkeit, die Gegenstand einer Selbstverwaltung des obrigkeitliche Amtes im Kreise werden könnten, seien außerordentlich bedeutend, und fuhr dann fort: Meine Herren! Hier im Kreise liegt die Hauptstelle für das platte Land, die Hauptstelle, von der aus Sicherheits-Polizei und Feuer-Polizei, Gewerbe- und Arbeits-Polizei, Gesundheits- und WirtschaftsPolizei, Jagd-Polizei, Sitten-Polizei, Wege-Polizei, alles, was überhaupt Gegenstand der Selbstverwaltung des obrigkeitlichen Amtes sein kann. Diese Funktionen der Selbstverwalumg bilden die Ausführung unserer Gewerbeordmmg, !Dlserer GendarmerieordniDlg, !Dlserer sonstigen Polizei-Gesetzgebung, !Dlserer Militärgesetze IDlSerer Finanzgesetze, des ganzen Apparats, welcher nahe zu das gesetzliche Verwaltungsrecht für die innere Landesverwaltung in allen Hauptzweigen in sich begreift.
Diese Gesetze müßten auch pflichtmäßig und unparteiisch ausgeführt werden, die Selbstverwaltung ändere an diesen Amtspflichten nichts als die Personen. Die sogenannten Gutsobrigkeiten seien aber keine verantwortlichen Beamten des Staates, auch keiner staatliche Disziplin unterworfen gewesen. Sie sollten ein eigenes Recht ausüben, während doch die Pflicht zur Ausführung von Landesgesetzen kein Privatrecht sein kann. Dieser Widerspruch ist es, der jede Entwicklung der gutsobrigkeitlichen Gewalt zum Besseren verhindert hat. Der Gesetzentwurl bringt Ihnen die vollständige Aufhebung und spricht endlich aus, was schon vor einem Menschenalter hätte ausgesprochen werden sollen. Er spricht aus, was vor 60 Jahren in den Städten vom Gesetze festgestellt wurde, nun endlich auch für das platte Land: Es sollen in Preußen keine Patrimonialgerichte, keine patrimonialen Polizeiobrigkeiten, überhaupt keine obrigkeitlichen Ämter mehr aus eigenem Recht sein. Folgerecht kann das obrigkeitliche Amt nur ein königliches, ein Staatsamt sein. Auch diese Konsequenz spricht der Entwurl aus.
Gneist legte weiter dar, die neuen Kreisausschüsse und Amtshauptmänner führten die Geschäfte, die bisher von den Regierungen, Landräten und den ständigen Ortsobrigkeiten auf dem platten Lande geführt worden seien.202 Dieser ständige Ausschuß, der bereits Gegenstand vieler Bedenken geworden sei, solle solche obrigkeitlichen Funktionen übernehmen, die bisher dem Landrat allein und zur guten Hälfte den Regierungen oblegen habe. Er solle
202 GStA Merseburg, Acta Ministerium des Innem, Rep. 77, Abth. IV, Sekt. 4, Tit. 772, Nr. 1, Adhib. 10, BI. !50 R; sten. Ber. s. 112.
D. Der Kreisordnungsentwutf vom August 1869
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zugleich Verwaltungsgerichtshof sein und der Vorgesetzte der Kreishauptleute werden. Ein solches Kollegium könne man nicht aus gewählten Privatpersonen bilden. An dieser Schwierigkeit sei bereits ein Stein-Hardenbergseber Reformversuch gescheitert, weil es nicht möglich gewesen sei, aus Gewählten, Privaten, Oberbehörden zu bilden. Der Gesetzentwurf sichere durch dieses Amtsverhältnis und die zwischengeschobene kollegialische Instanz die Verwaltung nach Gesetzen, befestige ganz anders eine gesetzmäßige Verwaltung. 203 Es sei das höchste Ziel, den "Rechtsstaat" wirklich zu erreichen. Die preußische Gesetzgebung sei auf keinem Gebiete erfolgloser gewesen als in der Schöpfung wirklicher Selbstverwaltung. Diese Kreis-Ordnung machen, heiße das Verwaltungsrecht in allen wesentlichen Zweigen revidieren und reformieren, die Kreis-Ordnung sei nicht weniger als eine neu gestaltete Organisation der ausführenden Gewalt im Innem. Gneist schloß dann mit den Worten: 204 Eine Kreis-Ordnung kann nur beschlossen werden von einer Majorität, die das alte Wort Ulrichs von Hunen führt: « Ich habs gewagt!»
Gneist hob in dieser Rede in besonderem Maße das Ziel der Reform, den Rechtsstaat, hervor.
d) Weitere Ausführungen Eulenburgsund Gneists im Abgeordnetenhaus In der darauffolgenden, 7. Sitzung des Abgeordnetenhauses am 20. Oktober 1869, nahm Eulenburg erneut zu dem Entwurf Stellung: Die Kreis-Ordnung hat ihren Schwerpunkt in der Zusammensetzung der Kreistage und in den Funktionen des Kreis-Ausschusses. Ich habe schon bei mehreren Gelegenheiten bemerkt, daß ich den Schwerpunkt der durch die Kreis-Ordnung anzubahnenden Selbstverwaltung keineswegs in die Amtshauptleute lege, sondern in den Verwaltungs-Ausschuß und in die demselben zuzuweisenden Funktionen . .... Ich sage: ich will nicht demokratisieren, ich will aber Institutionen schaffen, an die sich alles Das anschließen kann, was im Volke lebt, was lebendig ist und was sich entwickeln will.
In den nachfolgenden Sitzungen des Abgeordnetenhauses äußerte sich Gneist mehrfach zu dem Kreis-Ordnungsentwurf. 203 GStA Merseburg, Acta Ministerium des Innem, Rep. 77, Abth. IV, Sekt. 4, Tit 772, Nr. 1, Adhib. 10, BI. 151; sten. Ber. S. 113. 204 GStA Merseburg, Acta Ministerium des Innem, Rep. 77, Abth. IV, Sekt 4, Tit. 772, Nr. 1, Adhib. 10, BI. 151; sten. Ber. S. 113.
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II. Die preußische Kreisordmmg von 1872
So sagte er in der 16. Sitzung am 9. November 1869 u.a., seiner Überzeugung nach sei die allgemeine Wehrpflicht für die Heeresverfassung nicht mehr als die persönliche Verpflichtung zu den Ämtern für die künftige bürgerliche Verfassung, mit dieser Grundlage stehe und falle seines Erachtens die Kreisordnung. Besteht diese Pflicht, so erfolgt daraus das gleiche Wahlrecht aller Derjenigen, die diese Verpflichtung tragen..... Meine Herren, dann ist die persönliche Verpflichtung, auf der diese Kreis-Ordnung von unten heraus gebaut werden soll, eine WahrheiL Dann ist die Gleichheit von Rechten und Pflichten, - der große politische Gedanke IUiserer Zeit -, eine Wahrheit, aus welcher sich eine verständige Refonn des Dreiklassensystems ergibL Dem Erfolg nach ist es aber IUirnöglich, Ehrenämter jemals aufmbauen ohne die ernstliebste Verpflichtung dazu. 205
Gneist stellte hier deutlich heraus, daß entscheidend für den Erfolg der Reform der Kreis-Ordnung die Verpflichtung und Bereitschaft zur Übernahme von Ehrenämtern seien. In der 22. Sitzung des Abgeordnetenhausesam 18 November 1869206 nahm Gneist zum Erfordernis einer Verwaltungsgerichtsbarkeit Stellung. Er führte aus, ob eine Steuer von der gesetzmäßigen Stelle verfassungsmäßig beschlossen, ob das Steuergesetz richtig ausgelegt sei, das seien keine Fragen für einen einzeln gestellten Verwaltungsbeamten, sondern hier sei das erste Bedürfnis einer Rechtsprechung. Für viele Fragen sei eine Bildung von Verwaltungsgerichtshöfen notwendig, man könne den Rechtsweg nicht ohne weiteres mit dem Kreisgericht identifizieren. Gneist hielt also die ordentlichen Gerichte nicht für geeignet, in Verwaltungssachen zu entscheiden. In der 44. Sitzung am 10. Januar 1870 sagte Gneist zu der Einrichtung eines Kreis-Ausschusses, dies sei das wichtigste exekutive Organ, welches in der Gesetzesvorlage vorkomme, es solle zu diesem Zweck aus dem Landrat, aus Kreishauptleuten und aus Magistratualen bestehen. Wenn dieses Organ nicht zur Ausführung der Gesetze dienen solle, dann solle man lieber auf die Kreis-Ordnung verzichten, denn Selbstverwaltung bestehe eben darin, daß es gelinge, außer dem berufsmäßigen Beamtenturn auch Exekutivorgane in dem Kommunalverbande zu schaffen. 207
205 GStA Merseburg, Acta Haus der Abgeordneten, Rep. 169 c, Abschn. 38 D, Nr. 9, Vol. 6 BI. 27 R; sten. Ber. S. 412. 206 GStA Merseburg, Acta Haus der Abgeordneten, Rep. 169 c, Abschn. 38 D, Nr. 9, Vol. 6, BI. 93; sten. Ber. S. 593. 207 GStA Merseburg, Acta Haus der Abgeordneten, Rep. 169 c, Abschn. 38 D, Nr. 9, Vol. 6, BI. 161; sten. Ber. S. 1369; G.-Chr. von Unruh, Verwa1tungsgerichtsbarlceit im Verfassungsstaat, S. 31 f.
D. Der Kreisordnungsentwwf vom August 1869
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Am 18. Januar 1870 äußerte sich Gneistin der 49. Sitzung des Abgeordnetenhauses erneut zur Frage der Selbstverwaltung. Es sei einer der unbeliebtesten Gegenstände, von der Polizeigewalt zu sprechen, und doch sei sie das eigentliche Thema der öffentlichen Selbstverwaltung. Die Justiz sei immer unbeliebt bei denen, die ihren Prozeß verloren hätten, aber der Polizei gehe es noch schlimmer, sie sei unbeliebt bei jedem, mit Ausnahme des Tages, wo man sie brauche. Die bürgerliche Freiheit, der ganze Grundcharakter einer Staatsverfassung hänge zuletzt von der Frage ab, wer im Lande den Gendarmen zu kontrollieren habe und in welcher Weise dies geschehe. Das sei die konkreteste Frage, von der aus man auf den Boden der Wirklichkeit komme mit seinen Gedanken über Selbstverwaltung. Man habe im Strafrecht die Jury eingeführt, um die Kriminaljustiz zu ergänzen, man solle dasselbe tun, um der Rechtsprechung über öffentliches Recht einen Halt zu geben, so sei es die wirkliche Selbstverwaltung. Auch eine zweite Instanz solle aus mitverwaltenden Personen gebildet werden. Soweit es noch einer dritten Instanz der Polizeiverwaltung bedürfe, werde allerdings wohl das Beamtenelement stärker hervortreten müssen zu einem Verwaltungsgerichtshofe, sei es in der Provinz oder in einer Zentralstelle.208 Die Selbstverwaltung sei eine Neugestaltung des Polizeidezemats, und darin liege die eigentliche Schwierigkeit dieser Gesetzesberatung. Die preußischen Kammern hätten bisher sehr wenig Verwaltungsgesetze beraten. Mit dieser Art von Gesetzen trete eine neue Arbeit in dem Berufe dieses Hohen Hauses ein. In der Wirklichkeit handelt es sich für unsere Staatsverfassung um die Neubildung der Polizei-Gewalt, um die endliche Grundlegung einer Jurisdiktion über öffentliches Recht, die uns fehlt. 209
Innenminister Eulenburg nahm in der 50. Sitzung des Abgeordnetenhauses am 19. Januar 1870 zu mehreren Punkten des Kreis-Ordungsentwurfes Stellung. Der Amtshauptmann ist kein Kind der Liebe, der Amtshaup:rnann ist ein Kind der Abneigung gegen die gutsherrliche Polizei, gegen die Bürokratie, vielleicht ein Kind der Sehnsucht
208 GStA Merseburg, Acta Haus der Abgeordneten, Rep. 169 c, Abschn. 38 D, Nr. 9, Vol. 6, BI. 213; sten. Ber. S. 1521. 209 GStA Merseburg, Acta Haus der Abgeordneten, Rep. 169 c, Abschn. 38 D, Nr. 9, Vol. 6, BI. 213 R; sten. Ber. S. 1552.
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II. Die preußische Kreisordnung von 1872
nach Selbstverwaltung. Der Wunsch nach Selbstverwaltung ist ein berechtigter und allgemein verbreiteter.210
Über die Amtshauptleute fuhr er fort, er halte an seinem Gedanken fest, daß es sich hier um Beamte handele, die nicht dazu da seien, ökonomische Verhältnisse zu regulieren, sondern um Beamte, welche staatliche Funktionen unentgeltlich zu versehen hätten, sie sollten königliche Beamte im Ehrendienst sein, wie die Motive zum Gesetz sich ausdrückten, welche die Eigenschaft gebildeter Funktionen mit sich brächten, und in dieser Ausübung vollständig auf gleiche Linie gestellt würden mit den königlichen Beamten; sie sollten gleiche Autorität mit diesen haben, ebenbürtig neben ihnen stehen, wie der Herr Abgeordnete Gneist sich Ausgedrückt habe: unter Umständen ihnen Konkurrenz machen können. Eulenburg meinte, daß dieser neue Gedanke kein importierter fremder sei, sondern einer, der sich naturgemäß entwickele, wenn man zu der Überzeugung gelangt sei. daß rein staatliche Beamte in solcher Masse nicht mehr zu stellen seien, sondern daß die Bevölkerung aushelfen müsse: Die Bevölkerung, die militärdienstpflichtig und schulpflichtig ist und nun auch zivildienstpflichtig werden muß, wenn wir die Überzeugung haben, daß der gute Wille und die Bildung im Volke so weit vorgeschritten sind, um das nötige Material für solche Institutionen zu liefern..... Meine Herren, ich meine, wir haben alle Veranlassung, wenn es irgend möglich ist, das Gesetz in dieser Session zustande zu bringen. Wenn wir es in dieser Session nicht zustande bringen, wann soll es dann geschehen? .... Ich kann nur versichern, daß die Staatsregierung den Nrößten Wert darauf legt, die Kreis-Ordnung noch in dieser Session zustande kommen ru sehen. 2 1
In der 63. Sitzung des Abgeordnetenhauses am 7. Februar 1870212 griff Gneist erneut das Thema Verwaltungsgerichtsbarkeit auf. Es sei nicht ausführbar, so sagte er, die für das Publikum erforderliche Rechtskontrolle an den Kreisrichter zu geben, da die Entscheidung über die Veranlassung solcher Verfügung und über das Maß des Zwanges immer nur korrigiert werden könne durch mitverwaltende Personen. Darum müßte diese materielle Beschwerde-Instanz immer formiert werden aus einem Personal, welches mit verwalte. Man komme damit konsequent auf den Kreis-Ausschuß. Es sei lediglich eine alte Beamtengewohnheit des Richterpersonals, sich immerfort zu weigern, die so formierten Kollegialbehörden in ihrer Qualität als Verwaltungsgerichtshof anzuerkennen. Verwaltungsgerichte würden nirgends anders gebildet.
210 GStA Merseburg, Acta Haus der Abgeordneten, Rep. 169 c, Abschn. 38 D, Nr. 9, Vol. 6, BI. 235; sten. Ber. S. 1551. 211 GStA Merseburg, Acta Haus der Abgeordneten, Rep. 169 c, Abschn. 38 D, Nr. 9, Vol. 6, BI. 236; sten. Ber. S. 1553. 212 GStA Merseburg, Acta Haus der Abgeordneten, Rep. 169 c, Abschn. 38 D, Nr. 9, Vol. 6, BI. 325 R; sten. Ber. S. 1970.
D. Der Kreisordnungsentwurf vom August 1869
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Man habe zwar noch kein Verfahren, damit solle die Kreis-Ordnung jedoch nicht überladen werden, davon sollte man aber die Fortschritte der KreisOrdnung nicht abhängig machen. Ich glaube, die Regierungsvorlage ist auf dem rechten Wege, die Rechtskontrolle an der rechten Stelle einzuführen, wo es hingehört, nicht aber den Rekurs an den Kreisrichter da einzuführen, wo er nicht hingehörL Rechtskontrollen wollen wir alle haben; aber Rechtskontrollen über materielle Polizeibeschwerden lassen sich nicht anders bilden, als in der ersten Instanz in der Gestaltung eines Kreis-Ausschusses, wo es sich um die Prinzipien handelt, in der Gestaltung der Verwaltungsgerichtshöfe,- und wo es sich um die Kompetenz handelt, durch die Stellung des Obertribunals als höchsten Kompetenzgerichtshofes.
Gneist hatte damit noch einmal deutlich seine Forderung nach speziellen Verwaltungsgerichten unterstrichen und herausgestellt, daß der Kreisrichter nicht die richtige Rechtskontrolle für Verwaltungshandeln sei. Trotz Eulenborgs und Gneists Drängen kam der Entwurf der Kreis-Ordnung in dieser Session wegen der außenpolitischen Lage nicht mehr zur Beschlußfassung. Um so mehr setzte der Minister nach dem Friedensschluß 1871 seinen ganzen staatsmännischen Ehrgeiz an dies Werk, er war der überzeugte Anhänger eines konservativen Fortschritts, der eine gute Strecke mit den Liberalen gehen wollte. 213
e) Gneist zur preußischen Kreis-Ordnung In seiner Schriff14 über die preußische Kreis-Ordnung aus dem Jahre 1870 hob Gneist u.a. hervor, daß es bislang an einem inneren Ausbau der Verfassung fehle, es herrsche ein Einverständnis darüber, daß dieser Aufbau im Sinne der Selbstverwaltung der kommunalen Verbände erfolgen solle.:m Außer der wirtschaftlichen Selbstverwaltung werde zudem ein Rechtsschutz des Einzelnen gegen die Zentralverwaltung verlangt, mit einem spezifischen Mißtrauen gegen alle arbiträren Gewalten des Beamtenturns werde in der Selbstverwaltung auch eine Garantie der gesetzlichen Ordnung gesucht. 216 Gneist sah den Schwerpunkt aller Selbstverwaltung in der Gestaltung der Polizeigewalt mit den Amtshauptleuten und dem Kreisausschuß als entscheiHeffter, Heinrich, Die Deutsche Selbstverwaltung im 19. Jahrhundert, S. 517. Gneist, Rudolf, Die preußische Kreis-Ordnung in ihrer Bedeutung für den inneren Ausbau des deutschen Verfassungsstaates. 215 Gneist, Rudolf, Die preußische Kreis-Ordnung in ihrer Bedeutung für den inneren Ausbau des deutschen Verfassungsstaates, Vorwort, S. III. 216 Gneist, Rudolf, Die preußische Kreis-Ordnung in ihrer Bedeutung für den inneren Ausbau des deutschen Verfassungsstaates, Vorwort, S. IV. 213
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II. Die preußische Kreisordnung von 1872
dende Grundlage eines neuen Verwalwngssystems in Preußen. 217 Der schwierigste Mangel der Polizeigesetzgebung sei der Mangel an Rechtskontrollen, die Rechts- und Gerichtskontrollen für die ineinandergreifende Tätigkeit der exekutiven und der verwaltenden Polizei bildeten den Abschluß des sog. Rechtsstaates, eine Aufgabe der schwierigsten Art. 218 Es bedürfe einer Neubildung der Jurisdiktion über das öffentliche Recht, der ständige Kreisausschuß als Verwaltungsgericht I. Instanz gewinne damit die ständige kollegialische Gestalt, deren es für die Jurisdiktion bedürfe, zudem sei es Aufgabe des höchsten Gerichtshofes, das im Rechtsstaat begrenzte Gebiet der Verwaltungsjustiz in seinen verfassungsmäßigen Schranken zu halten und in denjenigen streitigen Verwaltungsfragen, welche als Prinzipienfragen für analoge Fälle von Bedeutung seien.219 Gneist sah auch die Möglichkeit der Realisierung einer solchen Verwaltungsreform, und zwar in der positiven Gestalt der preußischen Verhältnisse, in welchen ein durchgebildetes einheitliches Verwaltungsrecht den Übergang in die Selbstverwaltung durch ein Gesetz möglich mache. Es bedürfe des Entschlusses, das Steuerprinzip der Selbstverwaltung als unabweisbare Konsequenz der Stein-Hardenberg'schen Gesetzgebung nicht halb, sondern ganz zu wollen. Als einfache Konsequenz des Verhälttlisses von Rechten und Pflichten im öffentlichen Leben ergebe sich die Gestalt der Vertretung in Gemeinde, Kreis und Staat einerseits sowie die Formierung der ständigen Verwalwngskörper bis zu dem Reichsrat andererseits, wodurch der unvermittelte Widerspruch zwischen der Verfassung des konstitutionellen Staates und der überkommenen Verwaltung des absoluten Staates seine endliche Versöhnung, die Stein-Hardenberg'sche Gesetzgebung ihre Fortführung im konstitutionellen Deutschland finde. 220 Der scheinbare Einfluß, so Gneist, welchen diese Schrift auf den preußischen Gesetzentwurf über die Kreis-Ordnung vom Oktober 1869 geübt habe, beruhe darauf, daß die Grundelemente des Verwaltungsrechts und Kommunalwesens gegeben seien und zwischen beiden lediglich eine Kombination möglich sei.
217 Gneist, Rudolf, Die preußische Kreis-Ordnung in ihrer Bedeunmg für den des deutschen Verfassungsstaates, S. 101. 218 Gneist, Rudolf, Die preußische Kreis-Ordnung in ihrer Bedeutung für den des deutschen Verfassungsstaates, S. 102, 111. 219 Gneis/, Rudolf, Die preußische Kreis-Ordnung in ihrer Bedeunmg für den des deutschen Verfassungsstaates, S. 113,205. 220 Gneis/, Rudolf, Die preußische Kreis-Ordnung in ihrer Bedeunmg für den des deutschen Verfassungsstaates, Vorwort, S. VI.
inneren Ausbau inneren Ausbau inneren Ausbau inneren Ausbau
E. Der Kreis-Ordnungsentwurfvon 187ln2
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Gneist stellte hier also erneut die notwendigen Grundlagen einer Verwaltungs- und Verfassungsreform für Preußen heraus, in denen er eine Fortentwicklung auf der Basis der Stein-Hardenberg'schen Gedanken der Selbstverwaltung sah.
E. Der Kreis-Ordnungsentwurfvon 1871172 Nach der Unterbrechung durch die Kriegszeit 1870/71 wurde mit einigen Modifikationen der Entwurf der neuen Kreis-Ordnung während der LandtagsSession 1871/72 dem neugewählten Abgeordnetenhause wieder vorgelegt. 221 Mit Schreiben vom 8. Dezember 1871 teilte Innenminister Eulenburg dem Präsidenten des Staatsministeriums, von Bismarck, mit, daß der während der Session 1869/70 vorgelegte Entwurf einer Kreis-Ordnung für die Provinzen Preußen, Brandenburg, Pommern, Posen, Schlesien und Sachsen in beiden Häusern des Landtags nicht zum Beschluß gelangt sei, jedoch im Plenum des Abgeordnetenhauses und in einer Kommission mit den beiden ersten Titeln vorberaten worden sei. 222 Aufgrund dieser Erörterungen, Mitteilungen aus beteiligten Kreisen und Presseveröffentlichungen habe er seinen Gesetzentwurf überprüft und nach eigener Darstellung nicht unerhebliche Abänderungen und Ergänzungen vorgenommen, die er sogleich erläutere. Danach beziehe sich die wesentlichste Abänderung auf die Reorganisation der ländlichen Polizeiverwaltung. Die wichtigste Ergänzung des Gesetz-Entwurfs, so Eulenburg, sei die Regelung des Verfahrens in Verwaltungsstreitsachen vor den Kreis-Ausschüssen und den Deputationen für das Heimatwesen (§§ 40 und 41 des Gesetzes vom 8. März 1871, G.S.S. 130 ff) als eine Rekurs-Instanz für die Entscheidungen der Kreis-Ausschüsse. 223 Die Notwendigkeit der Ergänzung der Vorlage hinsichtlich dieser beiden Punkte habe sich aus den Beschlüssen des Abgeordnetenhauses ergeben, die darauf abzielten, in, so Eulenburg, ungeeigneter Weise den Gerichten die Rechtskontrolle über die Verwaltung zu übertragen. Um die Einmischung der Gerichte in Verwaltungsangelegenheiten zu beseitigen, welche zu einer gegenseitigen Gefährdung der Autorität der Gerichts- und Verwaltungsbehörden und zu mannigfachen anderen Mißständen
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v. Poschinger, H. Ritter, Fürst Bismarck und die Parlamentarier, 2. Band, S. 178 GStA Merseburg, Acta Ministerium des Innem, Rep. 77, Tit. 772, Nr. 1, Vol. 15, BI. 120. GStA Merseburg, Acta Ministerium des Innem, Rep. 77, TiL 772, Nr. 1, Vol. 15, BI. 128 R.
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II. Die preußische KreisordnWlg von 1872
führen würde, werde es sich empfehlen, so Eulenburg, die Kreis-Ausschüsse und die Deputationen für das Heimatwesen unter der Bezeichnung von "Deputationen für Verwaltungsstreitigkeiten" als vollständige Verwaltungsgerichte mit einem gesetzlich geordneten öffentlichen mündlichen Verfahren zu organisieren, denen alsdann die BeHihigung zur Entscheidung auch solcher streitigen Verwaltungs-Angelegenheiten, welche das Abgeordnetenhaus an die Gerichte übertragen wollte, nicht mehr abgesprochen werden könne. 224 Der Gesetzentwurf beschränke sich darauf, die Haupt- und Grundzüge für das Verfahren vor den Kreis-Ausschüssen und den Deputationen für Verwaltungsstreitigkeiten aufzustellen und überlasse im übrigen die Regelung des Geschäftsganges ministeriellen Regulativen, um zunächst praktische Erfahrungen über das Verfahren sammeln zu können. Bei dem wesentlichsten Unterschied zwischen öffentlich-rechtlichen und privatrechtliehen Streitigkeiten werde die sog. Verhandlungs-Maxime auf die den Verwaltungsgerichten zu entscheidenden Streitigkeiten keine Anwendung finden können. Es scheine vielmehr für diese die Annahme der sog. Untersuchungs-Maxime zulässig zu sein, demgemäß bestimmten die§§ 126 und 168, daß die Verwaltungsgerichte die Tatsachen, welche für die von ihnen zu treffende Entscheidung erheblich seien, von Amts wegen zu erforschen und festzustellen sowie den Beweis in vollem Umfange zu erheben hätten. 225 Es werde in den Verwaltungsgerichten erster Instanz das Laien-Element, in denen zweiter Instanz das berufsmäßige Beamtenturn überwiegen, diese verschiedenartige Zusammensetzung der Verwaltungsgerichte übe auf die von ihnen zu fällenden Entscheidungen günstigen Einfluß aus. Während in der ersten Instanz die tatsächlichen Verhältnisse eines Streitfalles, die auf die Notwendigkeit oder Nützlichkeit einer Anordnung oder Einrichtung bezüglichen Fragen eine auf praktischer Erfahrung, Kenntnis der Sachen und Personen und Selbstanschauung der Mitglieder des Kreis-Ausschusses bestehende erschöpfende Feststellung und sachgemäße Beurteilung finden würden, sichere die Anrufung der zweiten Instanz eine sorgfältige Prüfung der streitigen Rechtsverhältnisse und eine sachverständige Anwendung des Gesetzes auf den konkreten, in tatsächlicher Beziehung durch die Vorinstanz gründlich erörterten und klar gestellten Streitfal!.226 Zur Entlastung der Deputationen für Verwaltungsstreitigkeiten seien die Rekurs-Entscheidungen in gewerbe-, bau- und feuerpolizeilichen sowie Dis-
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GStA Merseburg, Acta Ministerium des Innem, Rep. 77, Tit. 772, Nr. 1, Vol. 15, BI. 130. GStA Merseburg, Acta Ministerium des Innem, Rep. 77, Tit. 772, Nr. 1, Vol. 15, BI. 130 R. GStA Merseburg, Acta Ministerium des lnnem, Rep. 77, Tit. 772, Nr. 1, Vol. 15, BI. 131 R.
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membrations-Angelegenheiten den Bezirksregierungen überlassen geblieben, da dort der Gewerbeordnung vom 21. Juni 1869 und der dazu am 4. September 1869 ergangenen ministeriellen Anweisung ein geordnetes kontradiktorisches mündliches Verfahren eingeführt worden sei. Nachdem das Gesetz vom 8. März 1871 das Prinzip der Kostenpflichtigkeil für Armen-Streitsachen eingeführt habe, glaubte Eulenburg, die Annahme dieses Prinzips auch hinsichtlich der der Kognition der Kreis-Ausschüsse und der Deputationen für das Heimatwesen unterliegenden Verwaltungsstreitigkeiten befürworten zu sollen. Dies werde den Erfolg haben, daß von den Verwaltungsgerichten ohne wesentlichen Nachteil für die Beteiligten bei deren ohnehin bedeutender Geschäftslast eine große Zahl unerheblicher und unnützer Streit- und Beschwerdesachen ferngehalten würden. Während die in erster Instanz zu erhebenden Kosten den Kreisen zufließen sollten, sollten die der zweiten Instanz zur Staatskasse vereinnahmt werden und daraus jeweils die entsprechenden Ausgaben bestritten werden, wobei evtl. Überschüsse bei den Deputationen den Provinzial-Verbänden zugewiesen werden sollten, die auch deren gewählte Mitglieder entschädigten, da die Deputationen zugleich auch die Funktionen der Provinzial-Verwaltungsgerichtshöfe wahrnähmen. 227 Die übrigen Abänderungen und Ergänzungen des früheren Entwurfs seien von minderer Wichtigkeit. Die Einrichtung einer obrigkeitlichen Selbstverwaltung für die Stadtkreise werde bis zum Erlaß eines Gesetzes über Reorganisation der gesamten inneren Verwaltung ausgesetzt bleiben müssen, dessen Aufgabe es sein werde, in den Provinzial-Verwaltungsgerichten und in einem obersten Zentral-Verwaltungsgerichtshofe die zur Übernahme der den Kreis-Ausschüssen übertragenen Geschäfte der allgemeinen Landesverwaltung geeignete Organe für die Stadtkreise zu schaffen. 228
1. Vorlage des Entwurfs an den König und das Staatsministerium Mit Schreiben vom 19. Dezember 1871legte Eulenburg den Gesetzentwurf mit dem obigen Votum dem Kaiser und König sowie dem Präsidenten des kö-
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niglichen Staatsministeriums, v. Bismarck, und sämtlichen Staatsministern vor. 229 In den Motiven zu dem Entwurf der Kreis-Ordnung vom 19. Dezember 1871 wurden über die in dem grundlegenden Bericht an den König und die Staatsminister bereits eingehend dargelegten Änderungen hinsichtlich der ländlichen Polizeiverwaltung und der Ergänzungen bezüglich der Einrichtung des Kreis-Ausschusses und der Deputationen für Verwaltungsstreitigkeiten als Verwaltungsgerichte erster und zweiter Instanz hinaus der Gesetzentwurf insgesamt und speziell auch die einzelnen gesetzlichen Vorschriften eingehend angesprochen. Aus diesen Motiven sind die nachfolgenden Anmerkungen hervorzuheben. 230 Dem Vorsitzenden des Kreis-Ausschusses werde aus Gründen des öffentlichen Interesses das Recht der Berufung gegen Entscheidungen des Ausschusses gegeben, da die Art der persönlichen Zusammensetzung der Kreis-Ausschüsse keine vollständige Gewähr dafür gebe, daß nicht in einzelnen Fällen die Majorität die lokalen Interessen über das berechtigte und notwendig zu berücksichtigende allgemeine Interesse setze oder bei ihren Entscheidungen die geltenden Gesetze und Verordnungen außer Acht lasse.231 Für solche immerhin denkbaren Fälle werde das vorgeschlagene Berufungsrecht an die höhere Instanz nicht zu entbehren sein. Zur Kompetenz des Kreis-Ausschusses gehörten als streitige Verwaltungssachen insbesondere alle Beschwerde-Sachen gegen Amts- und GemeindeVorsteher sowie Bürgermeister sowohl in polizeilichen wie ländlichen Kommunal-Angelegenheiten. Das Verfahren solle der Regel nach ein öffentliches mündliches sein ohne vorhergegangenen Schriftwechsel.232 Ein solcher könne jedoch nach dem Ermessen des Kreis-Ausschusses stattfinden, wenn der Streitgegenstand erheblich oder verwickelt oder der Klage-Antrag gegen eine öffentliche Behörde gerichtet sei. Bei letzteren könne der Kreis-Ausschuß, wenn er durch den erfolgten Schriftwechsel bzw. durch die ihm eingereichten amtlichen Akten und Urkunden den Sachverhalt für genügend erörtert halte, auch ohne vorherige mündliche Verhandlung die Entscheidung treffen.
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GStA Merseburg, Acta Ministerium des lnnem, Rep. 77, Tit. n2, Nr. 1, Vol. 15, BI. 241. GStA Merseburg, Acta Ministerium des lnnem, Rep. 77, Tit. n2, Nr. 1, Vol. 15, BI. 241 R. GStA Merseburg, Acta Ministerium des lnnem, Rep. 77, Tit. n2, Nr. 1, Vol. 15, BI. 242.
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Gegen diese Entscheidungen stehe beiden Teilen außer dem Rekurs in den gesetzlich zulässigen Fällen die Berufung auf mündliche Verhandlung vor dem Kreis-Ausschuß offen. 233 Dieses Verfahren empfehle sich, um die öffentlichen Behörden nicht durch die Notwendigkeit des oft mit weiteren Reisen verbundenen persönlichen Erscheinens vor dem Kreis-Ausschuß zu sehr zu belästigen. Das Interesse der klagenden Partei aber werde dadurch in keiner Weise verletzt, da ihr gegen die schriftliche Vorentscheidung in allen Fällen die Provokation auf mündliche Verhandlung zustehe. Dasselbe Verfahren solle stattfinden, wenn sich schon aus dem Inhalte der Klageschrift oder aus früheren amtlichen Urkunden ergebe, daß der erhobene Anspruch unzweifelhaft rechtlich unbegründet sei. Als Konsequenz der bereits dargelegten Untersuchungs-Maxime ergebe sich einmal, daß das Ausbleiben der Parteien in der zur öffentlichen Verhandlung anberaumten Sitzung nur als Verzicht auf den Vortrag mündlicher Ausführungen vor dem erkennenden Verwaltungsgericht gelten könne, daß doch die Verhandlung auch in Abwesenheit der Parteien erfolgen und die Entscheidung entsprechend dem Hinweis der Ladung dann nach Lage der Akten getroffen werde, zum anderen, daß dem Kreis-Ausschuß die Befugnis zustehen müsse, das persönliche Erscheinen und die AuskunftseTteilung von Seiten der Parteien, wenn es zur Aufklärung der Sache notwendig sei, zu verlangen sowie auch solche Beteiligten, deren Interesse durch die zu erlassende Entscheidung berührt werde, von Amts wegen beizuordnen.234 Das an Kosten zu erhebende Pauschquantum sei im Höchstbetrage auf 20 Taler normiert. Was die Erstattung der Auslagen des Verfahrens sowie der Auslagen des obsiegenden Teils seitens des unterliegenden anbetreffe, so sollten Gebühren, welche der obsiegende Teil einem Bevollmächtigten für die Wahrnehmung der öffentlichen Sitzungen des Kreis-Ausschusses zu entrichten habe, davon ausgenommen sein, um die Parteien zu veranlassen, in Person vor dem KreisAusschusse zu erscheinen und dadurch eine gründliche Erörterung des Sachverhalts bzw. in den dazu geeigneten Fällen eine vergleichsweise Erledigung des Streites zu erleichtem.23s Die Bestimmungen, wonach die Kosten außer Ansatz bleiben sollten, wenn der unterliegende Teil eine öffentliche Behörde sei, sei mit Rücksicht darauf getroffen, daß in Zukunft auch Beschwerden über Verfügungen der Amts- und
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GStA Merseburg, Acta Ministerium des lnnem, Rep. 77, TiL 772, Nr. 1, Vol. 15, BI. 243. GStA Merseburg, Acta Ministerium des lnnem, Rep. 77, TiL 772, Nr. 1, Vol. 15, BI. 243 R. GStA Merseburg, Acta Ministerium des lnnem, Rep. 77, TiL 772, Nr. 1, Vol. 15, BI. 244 R.
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Gemeinde-Vorsteher sowie der Bürgermeister als Verwaltungsstreitsachen zu behandeln seien. Es werde sich nicht rechtfertigen lassen, in dem Falle, daß die Verfügung eines Gemeinde-Vorstehers von dem Kreis-Ausschusse aufgehoben oder abgeändert werde, Kosten zu erheben. Entweder müßten dieselben von den Gemeinde-Vorstehern persönlich getragen werden und hätten dann den Charakter einer Disziplinarstrafe, oder sie würden der Gemeinde zur Last fallen, die dadurch für eine unrichtige Verfügung ihres Vorstehers ohne Grund verantwortlich gemacht würde. 236 Da die Deputationen für Verwaltungsstreitigkeiten nur den Charakter einer provisorischen Institution trügen, die in dem demnächst zu erlassenden Gesetz über die Reorganisation der inneren Verwaltung ihre weitere Ausbildung und definitive Gestaltung als Provinzial-Verwaltungsgerichtshöfe erhalten sollten, würden die sie betreffenden Vorschriften in den Titel der Übergangsbestimmungen gelegt. Die Deputationen für Verwaltungsstreitigkeiten seien zunächst nur dazu bestimmt, die Rekurs-Instanz für die Entscheidungen der Kreis-Ausschüsse zu bilden. In ihrer weiteren Entwicklung als Provinzial-Verwaltungsgerichtshöfe werde ihnen auch die Aufgabe zufallen, in denjenigen zur Kompetenz der Bezirks-Regierungen gehörigen landespolizeilichen Angelegenheiten die erstinstanzliehe Entscheidung zu fallen, welche zur Überweisung an die Kreis-Ausschüsse nicht geeignet erschienen. Sie würden für die Stadtkreise die Funktionen der Kreis-Ausschüsse zu übernehmen und die kommunale Aufsicht über die Stadtgemeinden zu führen haben. 237 Zum vollständigen Abschluß der Reorganisation bedürfe es dann nur noch der Einsetzung eines zentralen Verwaltungsgerichtshofes, welcher anstelle der Ressort-Ministerien vornehmlich dazu berufen sein werde, durch Entscheidung prinzipieller Fragen die Einheit der Rechtsprechung auf dem Gebiete des öffentlichen Rechts zu wahren. 238 Seine weiteren Funktionen ergäben sich naturgemäß aus der Notwendigkeit der Bildung einer Berufungs- und Beschwerdeinstanz für die erstinstanzliehen Entscheidungen der Provinzialgerichtshöfe. Die im § 167 enthaltene Einschränkung des Prinzips der Mündlichkeit des Verfahrens, wonach die Entscheidung von der Deputation auf schriftlichen Antrag gefallt werden solle, wenn beide Parteien beantragt hätten, daß die Sache ohne mündliche Verhandlung entschieden werde, sei aus der wesentlich praktischen Rücksicht zulässig erschienen, die vom Sitze der Deputationen oft
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GStA Merseburg, Acta Ministerium des Innem, Rep. 77, Tit. 772, Nr. 1, Vol. 15, BI. 245. GStA Merseburg, Acta Ministerium des Innem, Rep. 77, Tit. 772, Nr. 1, Vol. 15, BI. 251. GStA Merseburg, Acta Ministerium des Innem, Rep. 77, Tit. 772, Nr. 1, Vol. 15, BI. 251 R.
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entfernt wohnenden Parteien in unerheblichen Streitsachen der Notwendigkeit des mit unverhältnismäßigen Kosten verknüpften persönlichen Erscheinens bzw. der Bestellung eines Bevollmächtigten zu entheben. 239
2. Einbringung des Gesetzentwurfs in das Abgeordnetenhaus
Innenminister Eulenburg legte dem neugewählten Abgeordnetenhaus, in dem eine starke liberale Gruppe mit den Freikonservativen die Mehrheit gegen Konservative und Fortschrittspartei hielt, am 21. Dezember 1871 die zweite Fassung seines Kreis-Ordnungsentwurfs mit wichtigen Änderungen vor. 240 Einmal wollte man von dem Institut der Amtshauptleute absehen und statt dessen in viel kleineren Bezirken ehrenamtliche Amtsvorsteher für die Polizeiverwaltung schaffen und zum anderen dem Kreis-Ausschuß nicht nur kreiskommunale und staatliche Verwaltungsaufgaben, sondern gleichzeitig Funktionen in der Verwaltungsgerichtsbarkeit erstinstanzlieber Kompetenz übertragen. Auch hierin suchte das Staatsministerium der rechtsstaatliehen Maxime gerecht zu werden.
a) Eulenburgs Referat im Staatsministerium In der Sitzung des Staatsministeriums vom 3. März 1872241 , an der alle Staatsminister mit Ausnahme des Justizministers Dr. Leonhardt teilnahmen, referierte Innenminister Eulenburg über die Beschlüsse der Kommission des Abgeordnetenhauses hinsichtlich der Kreis-Ordnungsvorlage dahingehend, daß der Rahmen akzeptiert, im Detail aber viel geändert worden sei, so bei der Zusammensetzung des Kreistages, in der Steuerfrage und bei der Absicht, die Amtsbezirke zu Kommunalbezirken zu machen. Eulenburg habe dabei in Erfahrung bringen wollen, auf welche Änderungen die Regierung auf keinen Fall eingehe.242
GStA Merseburg, Acta Ministerium des Innem, Rep. 77, Tit. 772, Nr. 1, Vol. 15, BI. 253. G .-Chr. von Unruh, Der Kreis, S. 135. GStA Merseburg, Acta Preußisches Staatsministerium, Rep. 90 a, Abth. B, Tit. III, 2 b, Nr. 6, Vol. 84, BI. 53. 242 GStA Merseburg, Acta Preußisches Staatsministerium, Rep. 90 a, Abth. B, Tit. III, 2 b, Nr. 6, Vol. 84, BI. 55. 239 240 241
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Sodann berichtete der Geh. Reg. Rat Persius über die Zusammensetzung des Kreistages und die abändernden Beschlüsse wegen Streichung der Klasse der Meistbesteuerten mit über 6.000 Talern Reinertrag, wegen Hinzutritts großer Industrieller, Beteiligung der Städte und der Wählbarkeit. Dazu gab der Ministerpräsident zu bedenken, daß die Regierung von ihrer Vorlage in keinem Punkte ohne Beschluß des Staats-Ministeriums und Genehmigung des Königs abweichen könne, denn jede Konzession in der Kommission sei im Plenum eine verlorene Position. Der Minister des Ionern sei in einer besseren Position gegenüber dem Abgeordnetenhaus, wenn er erklären könne, daß er ein Zugeständnis der Regierung nicht in Aussicht stellen könne.243
Innenminister Eulenburg erkannte diesen Standpunkt an und wollte demgemäß die Regierungsvorlage in der Kommission so verteidigen.
b) Berichterstatter Dr. Friedenthai vor dem Abgeordnetenhaus am 16. März 1872 In der 49. Sitzung des Abgeordnetenhauses am 16. März 1872 legte der Abgeordnete Dr. Friedenthai als Berichterstatter der XIII. Kommission in einer grundlegenden Rede umfassend die Grundzüge des Entwurfs der KreisOrdnung dar. 244 Der Entwurf greife weit über das Maß desjenigen hinaus, was man gemeinhin unter einer Kreis-Ordnung verstehe, er erstrecke sich auf die Regelung von Verhältnissen des gesamten Staatswesens. Das Gesetz habe die Aufgabe, den Verwaltungs-Institutionen diejenige Struktur zu geben, welche dem Geiste des Verfassungsstaates entspreche. Es handele sich dabei nicht um eine Veränderung der Kreiskommune, sondern um die Schaffung einer ganz neuen Basis für den Aufbau der inneren Verwaltung, es handele sich darum, den Kreisen eine Kompetenz zu geben und eine Fülle des staatlichen Lebens, wie sie es annähernd noch nie gehabt hätten. Als erster Grundgedanke der Vorlage werde bezeichnet, daß das Gesetz von dem Kreise als dem Mittelpunkt der Verwaltungsform ausgehe. Bei der Staatsverwaltung liege die Hauptinstanz in der Spitze, wo alle Fäden zusam-
243 GStA Merseburg, Acta Preußisches Staatsministeriurn, Rep. 90 a, Abth. B, TiL III, 2 b, Nr. 6, Vol. 84, BI. 55 R. 244 Stenogr. Berichte 1872, 3. BandS. 1277 ff.
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menliefen, die leitenden Grundsätze ausgesprochen würden, in den Ministerien. Bei der Selbstverwaltung werde da die Hauptinstanz liegen, wo die zusammengehörigen Menschen und die zusammengehörigen Dinge sich unmittelbar berührten. Der Kreis solle die Hauptinstanz der obrigkeitlichen Partikularverwaltung sein, nicht die Provinz, nicht die Gemeinde. Nicht die Provinz, weil der Verband zu groß sei, sie werde zu leicht zur Vereinigung eines Stammes, welche für uns Deutsche stets eine Staatsgefahr mit sich bringe, um deretwillen es gewagt wäre, sie mit so starken Attributen auszurüsten. Nicht die Einzel-Gemeinde, da es eine qualitative Gleichartigkeit sein müsse, die Einzelgemeinden, wie etwa eine kleine Kolonie mit Gemeinderechten verglichen mit der Hauptstadt Berlin, seien quantitativ wie qualitativ vollkommen ungleichartig. Der Kreis habe durch seine tatsächlichen Leistungen und die erarbeitete Stellung im Staatsleben bewiesen, daß er ganz besonders als Hauptinstanz der obrigkeitlichen Partikular-Verwaltung zu dienen geeignet sei. Dazu hätten die Landgemeinden weit reformiert werden müssen, vor allem durch die Aufhebung der gutsherrliehen Polizeigewalt. Sie habe als Folge des Verhältnisses zwischen dem Gutsherrn und seinen Erbuntertänigen keinen Sinn mehr gegenüber freien Bauern und Gemeinden. Man habe auch als in etwa analoges Institut die Erbscholtisei-Gewalt aufheben müssen. Das nächst höhere Glied sei der Amtsbezirk als eine Vereinigung solcher Gemeinden und Güter, welche gemeinschaftlich vizinale Interessen hätten. Der Amtsbezirk erhalte neben seiner mehr wirtschaftlichen Funktion in dem Amte des Amtsvorstehers die erste und eigentliche Exekutiv-Instanz der obrigkeitlichen Verwaltung. Über den Amtsbezirken und Stadtgemeinden stehe der Kreis. Der Kreis müsse, so Friedenthai weiter, mit dem Inhalt der Selbstverwaltung ausgefüllt werden als zweitem Grundzug der Vorlage, mit der ehrenamtlichen Selbstverwaltung. Die Städte-Ordnung übertrage eine große Anzahl von Funktionen an besoldete berufsmäßige Beamte, während die Kreis-Ordnung den Schwerpunkt der Verwaltung in die unbesoldeten Ehrenämter lege, was ein Fortschritt sei. Die rechte Durchführung und die rechte Bedeutung der Selbstverwaltung (immer cum grano salis) werde dann gesichert, wenn man ihren Schwerpunkt in das Ehrenamt hineinlege. Erst dadurch werde die moralische, die großartige Wirkung der Selbstverwaltung erreicht, daß das gesamt Volk in den Dienst des Staates trete. Die Vorlage gestalte den Kreis zu einem anderen Organe als bisher und statte ihn mit sämtlichen kommunalen Funktionen aus.
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Der dritte Grundzug sei der, die Verwaltung sich nach Gesetzen und in den traditionellen Formen der Rechtspflege gestalten und in Erscheinung treten zu lassen. Die Vorlage habe sich bemüht, die Willkür auszuschließen. Sie habe zweitens versucht, für die öffentlichen Befugnisse ein Klagerecht, ein bestimmtes Verfahren und bestimmte Instanzen zu schaffen, nach dem Muster desjenigen, was nach der Entwicklung des Justizwesens an traditionellen Garantien allseitig anerkannt worden sei. Die Gerichte, wie man sie besitze, seien auf Privatrechtspflege hin ausgelegt, sie eigneten sich nicht als Gerichtshöfe des öffentlichen Rechtes. Dadurch, daß man die Verwaltungs-Justiz organisiere unter den schützenden Formen der Rechtspflege, daß man Verwaltungsgerichte zusammensetze aus Männern der Verwaltung und aus Männern der Justiz und daß beiden das Laienelement hinzugefügt werde, finde man einen befriedigenden Abschluß jener alten Kontroverse. Es werde ein großer Schritt getan, wenn das Amt, was gekränkt hat, als Verklagter vor den Schranken des Gerichts erscheinen müsse und nicht wie bisher Instanz in eigenen Angelegenheiten sei. Die Staatsregierung übernehme die Verpflichtung, nach der Gesetzeskraft der Kreis-Ordnung frei werdende Überschüsse zumindest teilweise wegen der Übernahme staatlicher Funktionen an die Kreise zu überweisen. Man habe zudem das System der Kommunal-Zuschläge zu den Staatssteuern gewählt. Es sei ein eminent politisches Bedürfnis, ein solches Gesetz endlich zur Durchführung zu bringen, diese Überzeugung gehe durch das ganze Land. Ein Bedürfnis, das keinen Aufschub dulde. Soweit der Berichterstatter Dr. Friedenthai vor dem Abgeordnetenhause, dem er die Grundzüge des Gesetzentwurfs mit den grundlegenden Neuerungen der Selbstverwaltung und der Verwaltungsgerichtsbarkeit und damit der Neugestaltung der gesamten Kreis-Ordnung darlegte. Friedenthai trug die Grundgedanken des Reformwerks so überzeugend vor, daß er manche Zweifler und sogar Gegner, so Miquel und Lasker, zu überzeugen vermochte.2A5 c) Eulenburg vor dem Abgeordnetenhaus In derselben Sitzung nahm anschließend Innenminister Eulenburg das Wort. Er legte u.a. dar, daß er nunmehr die Frage der Kreis-Ordnung für reif halte. Er habe die meisten Angriffe darüber zu erfahren gehabt, daß die Ge2AS
G .-Chr. von Unruh, Der Kreis, S. 136.
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setzgebung nicht früher in Fluß gekommen sei, aber er müsse zu seiner Beruhigung sagen, daß gerade seit der Zeit, in welcher diese Frage auf das Lebhafteste ventiliert worden sei, die Ansichten der verschiedenen Parteien sich außerordentlich berichtigt, modifiziert, gemäßigt, den faktischen Verhältnissen mehr angeschlossen und der Leidenschaftlichkeit, von der sie eine Zeitlang durchdrungen gewesen seien, sich entkleidet hätten. 246 Es sei vielleicht richtig, wenn gesagt worden sei, die Entwürfe der Regierung seien etwas mehr nach links gegangen, dies gelte jedoch wohl nicht von der ständischen Seite der Frage, sondern wesentlich von Fragen, die noch neuerdings hinzugetreten seien, der Frage der Selbstverwaltung u.s. w., die ja erst nach und nach aufgetaucht seien. Wenn aber gleichzeitig zugegeben werde, daß die Äußerungen der parlamentarischen Körper mehr nach rechts gegangen seien, so sei derjenige Zeitpunkt gekommen, in welchem sich die Ansichten begegneten, derjenige, der die Reife der Frucht ankündige. Deshalb lege die Regierung den allergrößten Wert darauf, daß diese Gesetzgebung endlich einen Abschluß oder wenigstens eine feste Basis gewinne. Man möge sich bei den Neuerungen nicht über das Bedürfnis hinaus von dem entfernen, was bisher praktisch gewesen sei und dessen Folgen sich übersehen ließen. Die Durchführung des neuen Gedankens allein erfordere große Umgestaltungen, man solle dieselben aber auf das Maß des Notwendigen beschränken und nicht die Gelegenheit benutzen, um sonst geschätzte Theorien a tout prix' zur Geltung zu bringen. Tun wir einen großen entscheidenden Schritt vorwärts, ohne einen Sprung zu machen, von dem wir nicht wissen, wohin er führt. Ich will mich einmal recht offen aussprechen. Ich könnte mir denken, daß die Regierung sich mit Beschlüssen des Abgeordnetenhauses, die ihr nicht recht gefallen, doch einverstanden erklären könnte und sich mit dem Hause einigte; ich könnte mir auch denken, daß sich die Regierung mit dem Herrenhause einigt, aber der ganze Schwerpunkt der Sache liegt in diesem Falle darin, Herrenhaus und Abgeordnetenhaus zu vereinigen, und die Aufgabe der Regierung muß es sein, gerade auf diese Seite der Frage das Hauptgewicht zu legen. Ich halte die Vorlage der Regierung für diejenige, die am meisten Chancen bietet, eine allseitige Zustimmung zu erlangen, und wenn ich deshalb in der Beratung des Gesetzentwurfs wesentlich auf die Regierungsvorlage zurückgehen werde, natürlich abgesehen von einzelnen Punkten, in denen ja Abweichungen davon stattfinden können, so bitte ich, das nicht als schroffe Ablehnung desjenigen anzusehen, was die Kommission beschlossen hat, sondern nur den ernstlichen und dringenden Wunsch der Regierung zu erkennen, in dieser Session mit beiden Häusern des Landtages zu einer Verständigung zu gelangen. 247
246 GStA Merseburg, Acta Haus der Abgeordneten, Rep. 169 c, Abschn. 38 D, Nr. 9, Vol. 8, BI. 148; sten. Ber. S. 1303. 247 GStA Merseburg, Acta Haus der Abgeordneten, Rep. 169 c, Abschn. 38 D, Nr. 9, Vol. 8, BI. 148 R; sten. Ber. S. 1304.
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II. Die preußische Kreisordnung von 1872
Eulenburg sah hier bereits die Schwierigkeiten, die sich bei der Verabschiedung des Gesetz-Entwurfs aufgrund der Unterschiede zwischen beiden Häusern ergeben würden, und ließ sein Bemühen erkennen, den Entwurf für beide Häuser akzeptabel zu gestalten. Auch in den nachfolgenden Sitzungen des Abgeordnetenhauses äußerte sich Eulenburg zu dem Kreis-Ordnungsentwurf. So sagte er am 19. März 1872 in der 51. Sitzung u.a.: Ich suche gar keinen Ruhm darin, überhaupt ein Gesetz unter meiner Wirkung zustande zu bringen, sandem den Ruhm, ein gutes Gesetz zustande zu bringen. 248
In der 53. Sitzung am 21. März 1872 äußerte er sich u.a. folgendermaßen: Das Gesetz, um welches es sich jetzt handelt, ist ein Gesetz, dessen recht eigentliche Bestimmung die Griindung der Selbstverwaltung ist und ich meine, daß die Vorbedingung aller Selbstverwaltung, die Vorbedingung für den Entschluß einer Regierung, einen Teil ihrer Rechte aufzugeben die ist, daß die Personen, in deren Hände sie gelegt werden, rückhaltlose Angehörige desjenigen Staates sind, innerhalb dessen Grenzen sie funktionieren. 249
3. Annahme des Kreis-Ordnungs-Entwurfs durch das Abgeordnetenhaus
In der 54. Sitzung des Abgeordnetenhausesam 23. März 1872 wurde über den Kreis-Ordnungsentwurf abgestimmt Das Ergebnis gab der Präsident des Abgeordnetenhauses bekannt: Das Resultat der Abstimmung ist folgendes: Mit Ja haben gestimmt 256 Mitglieder, mit Nein 61 Mitglieder; 11 haben sich der Abstimmung enthalten. Es ist also die Kreis-Ordnung für die Provinzen Preußen, Brandenburg, Pommern, Posen, Schlesien und Sachsen mit sehr großer Majorität vom Hause angenommen.250
Damit hatte Eulenburg die Annahme des Kreis-Ordnungsentwurfs im Abgeordnetenhaus erreicht.
248 GStA Merseburg, Acta Ministerium des Innem, Rep. 77, Abth. IV, Sekt. 4, Tit. 772, Nr. 1, Val. 18, BI. 6 R; sten. Ber. S. 1362. 249 GStA Merseburg, Acta Ministerium des Innem, Rep. 77, Abth. IV, Sekt. 4, TiL 772, Nr. 1, Val. 18, BI. 64; sten. Ber. S. 1485. 250 GStA Merseburg, Acta Ministerium des Innem, Rep. 77, Abth. IV, Sekt. 4, Tit 772, Nr. 1, Val. 18, BI. 254 R; sten. Ber. S. 1500.
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4. Die Behandlung des Kreis-Ordnungs-Entwurfs im Herrenhaus251
a) Vertagung beider Häuser des Landtages Mit Schreiben vom 7. Juni 1872252 an den Kaiser und König teilte Innenminister Eulenburg mit, daß die Vorberatungen der Kreis-Ordnung in der Kommission des Herrenhauses nicht zu der vorgesehenen Zeit abgeschlossen worden seien und die Plenarberatungen des Herrenhauses erst in der zweiten Hälfte des Monats Juni würden beginnen können. Da eine unveränderte Annahme der Vorlage nach den Beschlüssen des Abgeordnetenhauses durch das Herrenhaus nicht erwartet werden dürfe, würden die Beschlüsse noch mehrfach zwischen beiden Häusern des Landtags hin- und hergehen, wenn die dringend wünschenswerte Verständigung über diesen wichtigen und weittragenden Gesetzentwurf unter den drei gesetzgebenden Faktoren erzielt werden solle, was verfassungsrechtlich (Art. 62 Abs. 2 Pr. Verfassung) geboten sei, wodurch die Schließung (Vertagung) des Landtags nicht vor Mitte Juli erfolgen könne. Dementsprechend solle nach Anträgen beider Häuser die Staatsregierung ersucht werden, die Verlegung des Landtags bis zum 21. Oktober d.J. zu veranlassen, da sich vieler Mitglieder des Landtags, die zugleich auch Mitglieder des Reichstags seien, nach über siebenmonatiger ununterbrochener Parlamentstätigkeit eine gewisse geistige Abspannung und Ermüdung bemächtigt habe. Dies könne zur Beschlußunfähigkeit der Häuser oder doch zu sehr geringer Teilnahme an den Beratungen führen, was die Erreichung der gewünschten Verständigung über die Kreis-Ordnung zweifelhaft erscheinen lasse. Sollte eine Schließung des Landtages eintreten, so würde die Erledigung der Kreis-Ordnung und anderer Vorlagen durch erneute Einbringung und Beratung in mehreren Stadien der parlamentarischen Verhandlungen erschwert und verzögert werden. Deshalb schlage das Staatsministerium eine Vertagung 251 Das Herrenhaus, das bis 1855 Erste Kammer geheißen hatte, setzte sich zusammen aus den großjährigen Prinzen des Königshauses, von denen jedoch mangels königlicher Berufung keiner die Mitgliedschaft je erlangte, aus Mitgliedern des Hohen Adels, aus ernliehen Mitgliedern, aus den Inhabern der vier großen preußischen Landesämter, aus auf Lebenszeit sowie aufgrund des Präsentationsrechts bestimmter Organisationen wie z.B. der Kirche, Grafen- und Familienverbänden sowie der zehn Landesuniversitäten berufener Mitglieder, der Anteil des Adels betrug über 3/4 der Mitglieder (Huber, Ernst Rudolf, Deutsche Verfassungsgeschichte seit 1789, Bd.lll Bismarck und das Reich, S. 83 ff). 252 GStA Merseburg, Acta Ministerium des lnnem, Rep. 77, Abth. I, Sekt. 1-3, Tit. 496 a, Nr. 151, BI. 76- 80.
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II. Die preußische Kreisordnung von 1872
bis zum 21. Oktober d.J. vor. Das Staatsministerium bitte daher unter der Voraussetzung der Zustimmung beider Häuser den König darum, beide Häuser des Landtages bis zum 21. Oktober d.J. zu vertagen. Das Herrenhaus hatte entgegen Eulenburgs Wunsch die parlamentarische Arbeit sehr in die Länge gezogen, der Landtag wurde im Juni 1872 vertagt, ohne daß man die Vorlage erledigt hatte. 253 Mit Schreiben vom 13. Oktober 1872254 teilte Innenminister Eulenburg dem König mit, daß er hinsichtlich der bis dahin nicht im Herrenhaus vertretenen Städte Breslau, Königsberg i./Pr., Memel, Danzig und Berlin die erforderlichen Anordnungen zur Ergänzung des Herrenhauses getroffen habe, was mit Rücksicht auf die bevorstehende Wiedereröffnung der Sitzungen des Landtages bei der Wichtigkeit der in Aussicht stehenden Beratungen auch wünschenswert sei, so daß die Vertretung der Städte in der bevorstehenden Session eine möglichst vollständige sein werde.
b) Hauptdifferenzpunkte über den Entwurf der Kreis-Ordnung zwischen dem Abgeordnetenhaus und dem Herrenhaus In den Drucksachen des Herrenhauses zu No. 116, dem Kreis-Ordnungsentwurf, erfolgte eine Zusammenstellung der Hauptdifferenzpunkte zwischen den Beschlüssen des Abgeordnetenhauses und den Vorschlägen der Kommission des Herrenhauses über den Entwurf der Kreis-Ordnung. 255 Es handelt sich dabei um die nachfolgend dargelegten Punkte. 1.
Maßstab für die Verteilung der Kreisabgaben. Höhe der Belastung der Grund- und Gebäudesteuer. (§§ 10 und 11 der Beschlüsse des Abgeordnetenhauses und der Vorschläge der Herrenhaus-Kommission)
2.
Steuer-Exemptionen der Beamten(§ 20 C B § 18 B C)
3.
Mitwirkung des Kreis-Ausschusses bei der Bestätigung der GemeindeVorsteher und Schöffen, (Zustimmung oder Anhörung) (§ 27 h C § 26 h C)
4.
Amtliche Stellung der Gutsvorsteher (Bestätigung. Unterstellung unter das Disziplinargesetz)(§§ 33 und 26 CU 34 h C)
253
2S4 2SS
Heffter, Heinrich, Die Deutsche Selbstverwalnmg im 19. Jahrhunden, S. 551. GStA Merseburg, Acta Zivilkabinett, 2.2.1 Nr. 288, BI. 106. GStA Merseburg, Acta Ministerium des Innem, Rep. 77, Tit. 772, Nr. 1, Vol. 17, BI. 3-4.
E. Der Kreis-Ordnungsentwurfvon 187ln2
167
5.
Aufbebung der mit dem Besitze gewisser Grundstücke verbundenen Berechtigung und Verpflichtung zur Verwaltung des Schulzenamtes (§ 27, § 26)
6.
Bildung der Amtsbezirke(§§ 18 und 49, §§ 49 und 30)
7.
Bildung von Amtsausschüssen (§51)
8.
Ernennung der Amtsvorsteher (bindende Vorschläge oder Anhörung des Kreistages) (§§ 55, 52)
9.
Disziplinarverhältnis der Amtsvorsteher (§§ 65, 64 in Verbindung mit § 79)
10. Ernennung des Landrats (ob die Vorschläge des Kreistages auf größere Grundbesitzer zu beschränken seien oder nicht?)(§§ 71, 70) 11. Ernennung der Kreis-Deputirten (§§ 72, 71) 12. Zusammensetzung des Kreistages a) Bildung des Wahlverbandes der größeren ländlichen Grundbesitzer (§§ 83, 82) b) Verteilung der Kreistags-Abgeordneten auf die einzelnen Wahlverbände (größere Grundbesitzer, Städte, Landgemeinden)(§§ 86, 85) c) Wahl der Kreistags-Abgeordneten der Landgemeinden (durch besondere Wahlmänner oder durch die Schulzen)(§§ 97, 96) d) Wählbarkeit zum Kreistags-Abgeordneten(§ 102 und zu 6) 13. Fassung der Kreistagsbeschlüsse (itio in partes) (§§ 118, 119) 14. Zuziehung eines Syndikus zu Amtshandlungen des Kreis-Ausschusses (obligatorisch oder fakultativ)(§§ 126, 127) 15.
Stellung des Kreis-Ausschusses in der Kreiskommunal-Verwaltung (§§ 128, 129)
16. Beschlußfähigkeit des Kreis-Ausschusses; Entscheidung bei Stimmengleichheit(§§ 132, 133) 17. Beitrag zu den Kosten der Amtsverwaltung aus der Staatskasse (§§ 67, 66 und 178) Ein Antrag256 von Mitgliedern am 21. Oktober 1872 macht deutlich, daß man im Herrenhaus bereits zu diesem Zeitpunkt gewillt und entschlossen war, dem Kreis-Ordnungsentwurfnicht zuzustimmen. 256 GStA Merseburg, Acta Ministerium des lnnem, Rep. 77, Tit. 772, Nr. 1, Vol. 17, BI. 28, 28R.
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II. Die preußische Kreisordmmg von 1872
Gegen den Entwurf der neuen Kreis-Ordnung stimmte im Herrenhaus später beispielsweise auch der Landrat des Kreises Angermünde, Alexander von Buch, obwohl ihn Innenminister Eulenburg ausdrücklich darum gebeten hatte, für die Annahme des Entwurfs zu stimmen oder aber sich zumindest der Stimme zu enthalten, gleichwohl führte von Buch in der loyalsten Form die Kreisordnung in seinem Kreis durch. Wie hier, so hatte Eulenburg auch im Jahre 1872 abgelehnt, beispielsweise die Landräte zu maßregeln, die gegen eine Regierungsvorlage des Schulaufsichtsgesetzes gestimmt hatten, während später die "Kanalrebellen", Landräte, die 1899 gegen den Bau des Mittellandkanals gestimmt hatten, zur Disposition gestellt wurden. 257
c) Beratungen des Entwurfs im Herrenhaus Bei den Beratungen des Kreis-Ordnungsentwurfs im Herrenhaus nach der Wiedereröffnung des Landtags beteiligte sich Eulenburg wiederholt an den Debatten. So äußerte er in der 24. Sitzung vom 22. Oktober 1872 u.a., daß der Ruf nach Selbstverwaltung nicht als eine offiziöse Redensart in die Welt geschleudert worden sei, sondern, wo der Wunsch nach Selbstverwaltung im Volke lebendig geworden sei, habe die Regierung demselben ihr Ohr weder verschließen können noch wollen. Meine Herren! Die Selbstverwaltung drückt sich nicht darin aus, daß man, statt ein paar Beamten ein paar Nichtbeamte an den grünen Tisch zusammensetzt: Aber sehen Sie sich doch um, ob nicht in den letzten 30 Jahren ein reges Leben in die Bevölkerung gekommen ist, reger, als man es ahnen und erwarten konnte. Was hat eine Provinzialregienmg heutzutage zu tun, und was hatte sie früher zu tun? Früher mußte sie belehren, treiben, anregen; heutzutage ist ihre Hauptaufgabe, zu regeln, zu beaufsichtigen was gähn und kocht und sich selbst die Wege bahnt • das sind Symptome der keimenden Selbstverwaltung. Die Leute verwalten sich selbst in der Familie, in den Kommunen, sie wollen es auch in den größeren Kreisen; für den Staat kommt es darauf an, diese emporsprudelnde Quelle :ru fassen und nutzbar zu machen.258
Eulenburg fuhr dann fort, Stände in dem alten feudalen Sinne seien nicht aufrecht zu erhalten, ebensowenig nach seiner Ansicht das obrigkeitliche erbliche Amt. Die Regierung wolle eine Umgestaltung der Kreisverwaltung, wel-
G .-Chr. von Unruh, Der Landrat, S. 68,69 GStA Merseburg, Acta Ministerium des lnnem, Rep. 77, Abth. IV, Sekt. 4, Tit. 772, Nr. 1, Vol. 18, BI. 77; sten. Ber. S. 373. 257 258
E. Der Kreis-Ordnungsentwurf von 1s11n2
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ehe anschließend an das bisher Bestandene dasselbe insoweit modifiziere, als erforderlich erscheine, um die wirklich leistungsfähigen Kräfte des Kreises mehr als bisher zur Entwicklung einer materiellen und intellektuellen Tätigkeit gelangen zu lassen. Die Regierung wolle, daß ein Teil derjenigen Funktionen, die bisher von staatlichen Organen ausgeübt worden seien, auf Organe der Selbstverwaltung übergehe; sie habe die feste Überzeugung, daß diese Organe sich finden würden, sobald die Bedeutung der ganzen Institution zum klaren Bewußtsein der Bevölkerung gekommen sein werde. Es liege absolut kein Mißtrauen gegen Beamte vor, aber ein Vertrauen zu Nichtbeamten. Bei aller Anerkennung der Berechtigung zur freien Entwicklung der Volkskräfte, so Eulenburg weiter, werde man immer festhalten müssen, daß, wenn eine gedeihliche Wirksamkeit derselben möglich sein solle, die starke Hand des Staates und seine Autorität nicht störend und hemmend, aber beaufsichtigend und regelnd auf ihnen liegen müsse. Rufe nach Aufrechterhaltung der gutsherrliehen Polizei erschallten nur sehr vereinzelt, sie hätten keine Berechtigung. Eulenburg schloß dann seinen Beitrag: Es bleibt mir noch ein Wort zu erwidern übrig auf die Klage über den unerträglichen Zwang, der gegen den Staatsbürger ausgeübt werden wird, wenn die Selbstverwaltung ihn zwingt, seine Zeit und Kräfte dem Staate zu widmen, ohne daß er dazu Lust haL Dieser Klage gegenüber charakterisiere ich den Entwurf und seine Absicht so: Er will die allgemeine Dienstpflicht, die auf dem militärischen Gebiete Preußen groß gemacht hat, auf das bürgerliche Gebiet übertragen. Die allgemeine Dienstpflicht, sie ist die Parole, die ich ausgebe, sie ist das Mono des Kreisordnungs-Entwurfes. 259
In der nächsten Sitzung des Herrenhauses am darauffolgenden Tag ging Eulenburg erneut auf die Stände ein und meinte, Stände in dem Sinne, wie sie jetzt existierten, seien in der neuen Kreis-Ordnung nicht mehr aufrecht zu erhalten, sie seien es schon deshalb nicht, weil eben aus der Kreisvertretung eine Institution hervorgehen solle, denn die Kreisvertretung solle die Mutter des Ausschusses werden, wenn die Kreis-Ausschüsse wirken sollten, so dürften sie nicht aus ständischer Vertretung hervorgehen, sie müßten hervorgehen aus der Mitte der Bevölkerung, über die sie sitzen sollten, und die zu ihnen das Vertrauen haben müsse, daß sie die Besten und Fähigsten des Kreises in sich schlössen. Die Nicht-Rittergutsbesitzer sollten hineintreten in diese Kreisversammlungen, die jetzt mit mehr Rechten und Pflichten ausgestattet sein würden als früher; man werde in dem bisherigen Bauern nach und nach einen Schlag
259 GStA Merseburg, Acta Ministerium des Innem, Rep. 77, Abth. IV, Sekt. 4, TiL 772, Nr. 1, Vol. 18, BI. 77 R; sten. Ber. S. 374.
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Il. Die preußische Kreisordnung von 1872
Menschen heranziehen, der es wohl würdig sei, neben dem Rittergutsbesitzer in den Kreisversammlungen zu sitzen. Nicht liberale Parteien seien es, die gedrängt hätten, sondern Anschauungen, die in einer Zeit sich gebildet hätten, in der die Welt wie in den letzten zehn Jahren ein ganz anderes Gesicht bekommen habe. Eulenburg schloß dann mit einem Appell an die Mitglieder des Herrenhauses: Verzweifeln Sie darum nicht, haben Sie mehr Mut, als Sie zu haben scheinen. Sie veneidigen bisher Besessenes als gut und wollen sich dem Besseren verschliessen; Sie haben den Mut nicht, Sie haben das Zutrauen nicht zu der Bevölkerung, welches die Regierung hat Versuchen Sie es einmal mit der Kreis-Ordnung! 260
d) Bismarck wird Gegenspieler Eulenburgs Zwei Tage später, am 25. Oktober 1872, wandte sich Eulenburg an den Fürsten von Bismarck und brachte seine Sorge um die Annahme der KreisOrdnung eingehend zum Ausdruck. So schrieb er u.a.: 261 Verehrter Freund, nur die Wichtigkeit des Gegenstandes kann mich bestimmen, Sie durch einen Brief zu incommodiren. Die Berathung der Kreis-Ordnung im Herrenhause läuft so, daß ein Zustandekommen derselben zu den größten Unwahrscheinlichkeiten gehön..... Voraussichtlich werden auch in Beziehung auf die Zusammensetzung des Kreistages Beschlüsse gefaßt werden, an deren Annahme seitens des Abgeordneten-Hauses nicht zu denken ist..... Die Katholiken stimmen gegen die Kr.O., weil sie fürchten, die Amtmänner würden geeignete Organe für die Schließung von Civil-Ehen sein..... Was ist zu thun? Eine Kreis-Ordnung muß zu Stande kommen, und zwar binnen kürzester Frist. Ich falle mit dieser, aber was dann? Eine conservative Kreis-Ordnung hat im Angeordneten-Hause, eine liberalere im Herrenhause keine Chance, und doch muß etwas geschehen: ohne Kreis-Ordnung stockt die ganze Gesetzgebung: Schulordnung, Wege-Ordnung, Verwaltungs-Reorganisation, Provinciai-Fonds: alles bleibt stecken. Ich bine Sie, verehner Freund, dringend: lassen Sie mich ein Won darüber wissen, wie Sie zur Sache stehen. Die Ungewißheit darüber fühn viele Leute ins feindliche Lager. Wollen Sie, daß ich gleich meine Dernission gebe, und wollen Sie's gleich mit einem anderen versuchen? Oder wollen Sie sich offen und nachdrücklich für meine Bestrebungen aussprechen? Soll endlich, für den Zeitpunkt, wo der Gesetzentwurf voraussichtlich zum zweiten Male an das Herrenhaus kommen wird, an einen Pairsschub gedacht werden? Es ist keine Zeit zu verlieren.
Aus diesen Zeilen wird deutlich, daß Eulenburg nicht nur die Unterstützung Bismarcks schmerzlich vermißte, es fehlte ihm überhaupt eine Stellungnahme des Fürsten zur Frage der Kreis-Ordnung, was zur Folge hatte, daß sich viele 260 GStA Merseburg, Acta Ministerium des Innem, Rep. 77, Abth. IV, Sekt. 4, Tit 772, Nr. 1, Vol. 18, BI. 89 R; sten. Ber. S. 398. 261 Fürstlich von Bismarck'sches Archiv (FBA) Friedrichsruh, Akte B 39.
E. Der Kreis-Ordnungsentwurfvon 1871[72
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Leute gegen den neuen Gesetz-Entwurf wandten. Selbst seinen Rücktritt als Minister bot Eulenburg an, um Bismarck zur Unterstützung des nach seinem Dafürhalten so außerordentlich wichtigen Reformgesetzes zu veranlassen, für dessen Annahme er einen Pairsschub für unerläßlich hielt. Bismarcks Antwort warf dem Minister seine Eigenmächtigkeit vor und verweigerte jede Hilfe. 262 So schrieb er an den 'verehrten Freund' Eulenburg u.a., daß man bereits bei der Beratung des Entwurfs der Kreis-Ordnung im Staatsministerium sehr zweifelhaft gewesen sei, ob man das Elaborat ohne Anstoß und Konflikte durch das Herrenhaus bringen würde. Seitdem ist die Vorlage durch die Einwirkung der Abgeordneten nicht genießbarer geworden für die Stammgäste des Herrenhauses. Ich habe mir ein Urtheil über jede Einzelheit der Modificationen, welche die ursprüngliche Vorlage, wie S.M. u. das Staatsministerium sie machten, erlitten hat, bisher nicht gebildet, da diese Aenderungen zu meiner Zeit nicht zur Beratung im Staatsministerium gelangten u. ich die Commissionsverhandlungen gamicht, die des Plenums, nach Zeit und Gesundheit nicht vollständig kennengelernt habe. Sie, verehrter Freund, fanden damals meine Anforderungen exorbitant, als ich von Ihnen ein festes Eingreifen in die Zerfahrenheit der conservativen Fraktion u. die Maßregelung einiger rebellirender Landräthe, resp. Veranlassung zur Niederlegung des Mandates verlangte. Sie ließen mich damit vollständig abfahren. Ich glaube, daß Ihre Nachsicht zur Verwilderung der Gesellschaft nicht unwesentlich beigetragen hat. Von mir verlangen Sie nun im analogen Falle, daß ich einen ganzen Faktor der Gesetzgebung u. Pfeiler der Landesverfassung zusammenhauen helfe.
Bismarck fuhr fort, er vermisse solidarisches Auftreten der Minister, zudem vermöge der König bei den Herren des Herrenhauses mehr als alle Minister, im übrigen habe Eulenburgs Mitarbeiter Wolff durch seinen passiven Widerstand während Eulenburgs Krankheit Vorlagen unmöglich gemacht (verhindert), die damals noch möglich gewesen seien. Er schloß dann seinen Brief: Ich hoffe, im Dezember zu kommen, wenn ich aber viel solche Briefe wie diesen jetzt schreiben muß, so komme ich nicht vor dem Reichstage, u. lege mein Preuß. Ministerpräsidium gänzlich zu Akten. Verantwortung ohne entsprechenden Einfluß auf das zu Verantwortende, führt in ärztliche Anstalten.
In alter Freundschaft der lhri~.
v.B. 3
Aus dem Brief wird beeindruckend deutlich, daß Bismarck aus Verärgerung über Eulenburg nicht bereit war, diesen in Sachen Kreis-Ordnung zu unterstützen, obwohl er sehr wohl die Bedeutung dieses Gesetzentwurfs kannte, wenn er ihn einen Pfeiler der Landesverfassung nannte.
262 263
Heffter, Heinrich, Die Deutsche Selbstverwaltung im 19. Jahrhundert, S. 552. v. Bismarck, Die gesammelten Werke, Band 14, zweiter Band, Briefe, S. 839.
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II. Die preußische Kreisordmmg von 1872
Speziell bei der Kreis-Ordnung - in betreff deren auch sachlich zwischen Fürst Bismarck und Graf Eulenburg nicht unerhebliche Meinungsverschiedenheiten bestanden - beschränkte der Vorsitzende des Ministerium sich fast ganz auf die Rolle des passiven Zuschauers und war nur selten zu bewegen, "eine Meinungsäußerung auf die politische Bühne gelangen zu lassen, auf welcher Eulenburg sein Stück aufführte. "264 Bismarck saß zu dieser Zeit seit Monaten krank und grollend in Varzin; um so leichter hatte es Eulenburg in der Hauptstadt, den Ablauf der Krise in seinem Interesse zu steuern.265 Bismarck hielt sich bald dem Fortgang der Verwaltungsreform fast ganz fern. Er, der beim Kreis-Ordnungs-Entwurf von 1869 noch das Innenministerium vorwärtsgedrängt hatte, war jetzt der Gegenspieler Eulenborgs innerhalb der Regierung, kritisch gegen dessen liberalisierendes Reformgesetz. 266 Hatte Bismarck sich damals noch lebhaft für ein gewisses Maß an Selbstverwaltung und Dezentralisation eingesetzt, so ließ er nun bereits die halb gleichgültige, halb kritische Einschätzung der Verwaltungsreform erkennen, die er fortan beibehalten hat, er fand die Zugeständnisse Eulenborgs an die Mehrheit des Abgeordnetenhauses zu groß; wesentlich erschien ihm die Abschaffung der ritterschaftliehen Virilstimmen auf den Kreistagen und der gutsherrliehen Polizei267 , "und alles übrige sei des Lärms nicht wert. "268 Bismarck hatte sich offensichtlich nicht sehr intensiv mit dem Kreis-OrdnungsEntwurf beschäftigt. Man kann keineswegs sagen, daß Bismarck die KreisOrdnung studiert hat- ja schwerlich gelesen. 269 Im Hintergrund des Kampfes um die Kreis-Ordnung verfolgte Bismarck seine besonderen Ziele, die Umgestaltung des Herrenhauses und den Sturz Eulenburgs. Aber Eulenburg hatte nicht nur das volle Vertrauen des alten Königs, sondern auch die Unterstützung der reformfreudigen Mehrheit des Abgeordnetenhauses; vor allem zeigte er sich als gewandter Diplomat der inneren Politik selbst einem Bismarck gewachsen, ja in diesem Machtkampf überlegen.270 Zudem hatte Eulenburg den König von der Notwendigkeit einer Reform der Kreis-Ordnung überzeugt, der Monarch wünschte deren Durchführung mit größter Entschiedenheit. 271 v. Roon, Albrecht, Denkwürdigkeiten, 2. Bd., S. 574. Heffter, Heinrich, Die Deutsche Selbstverwalnmg im 19. Jahrhundert, S. 552. Heffter, Heinrich, Die Deutsche Selbstverwalnmg im 19. Jahrhundert, S. 548. Heffter, Heinrich, Die Deutsche Selbstverwalnmg im 19. Jahrhundert, S. 551. 268 Lucius von Bai/hausen, Robert Freiherr, Bismarck-Erinnerungen, S. 25. 269 v. Petersdorff, Herman, Kleist-Retzow, S. 443. 270 Heffter, Heinrich, Die Deutsche Selbstverwalnmg im 19. Jahrhundert, S. 551. 271 v. Roon, Albrecht, Denkwürdigkeiten, 2. Bd., S. 574; G.-Chr. von Unruh, Der Kreis, S. 141. 264
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E. Der Kreis-Ordnungsentwud von 187ln2
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e) Eulenburg vor dem Herrenhaus In der 28. Sitzung des Herrenhausesam 26. Oktober 1872 legte Eulenburg dar, daß die Aufrechterhaltung der Lehnschulzen, auch selbst nur teilweise da, wo ein gegenseitiges Einverständnis stattfinden sollte, einen Riß in das System des Gesetzentwurfes hineinbrächte. Die obrigkeitliche Gewalt solle ein Ausfluß der Staatsgewalt sein, sie sei den Rittergütern genommen, den Lehnschulzen wolle die Kommission sie lassen. 272 Wenn hervorgehoben würde, daß 4700 Lehnschulzen jetzt noch existierten und daß es also hart wäre, das Institut aufzuheben, so könne er mit demselben Rechte umgekehrt sagen, daß es, weil eine so große Zahl von Lehnschulzen noch existiere, umso mehr geboten erscheine, sie zu beseitigen, weil sonst in einem großen Teile der Monarchie ein Institut fortbestände, welches mit der Idee des Gesetzes unvereinbar sei. Die Schwierigkeiten bei der Wegschaffung eines schlechten Schulzen sei bei dem Erbschulzen unendlich größer als bei einem Wahlschulzen, wo sich die Sache durch neue Ernennung von selbst erledige. Das sei der Hauptpunkt, auf den es ankomme. 273 Es handele sich, so Eulenburg weiter, namentlich hier darum, ob es staatlich konserviert oder geduldet werden solle, was schon seit einem halben Jahrhundert vorher angefochten worden sei, daß eine staatliche Obrigkeit keine Privaterbschaft sein und als solche aufrecht erhalten werden könne. Wer die Absicht hat, gegen das Gesetz zu stimmen, der mag auch für die Lehnschulzen stimmen; es ist aber unmöglich, für die Lehnschulzen zu stimmen und dann noch etwas zustande zu bringen. Aber jeder wie er will.
In der 29. Sitzung des Herrenhausesam 28. Oktober 1872 wurde es für Eulenburg offensichtlich langsam zu Gewißheit, daß eine Annahme des Gesetzentwurfes nicht mehr erfolgen werde, als er den ·Mitgliedern sagte: Selbst in der Lage, in welcher die Hoffnung auf Verständigung zwischen den beiden Häusern sich jetzt befindet, dad ich nicht müde werden, auf eine Annäherung zwischen denselben hinzuwirken. 274
Das Herrenhaus war bei diesen Sitzungen besucht wie kaum, alle aus den Provinzen Angekommenen voll Entschlossenheit, die Position der Ritterschaft nicht freiwillig preiszugeben. Z75
1:72 GStA Merseburg, Acta Ministerium des Innem, Rep. 77, Abth. IV, Sekt. 4, Tit. 772, Nr. 1, Vol. 18, BI. 126 R; sten. Ber. S. 472. 1:73 GStA Merseburg, Acta Ministerium des Innem, Rep. 77, Abth. IV, Sekt. 4, Tit 772, Nr. 1, Vol. 18, BI, 127; sten. Ber. S. 473. 1:74 GStA Merseburg, Acta Ministerium des Innem, Rep. 77, Abth. IV, Sekt. 4, Tit 772, Nr. 1, Vol. 18, BI. 139; sten. Ber. S. 497. 275 v. Petersdorff, Herman, Kleist-Retzow, S. 444.
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II. Die preußische Kreisordmmg von 1872
Trotz der offensichtlichen Aussichtslosigkeit kämpfte Eulenburg allerdings weiter, so auch in der 30. Sitzung am 29. Oktober 1872. Dort sagte er, daß sich die Regierung im Interesse des Zustandekommens des Gesetzes sehr wohl dazu entschließen könne, in denjenigen Punkten, auf die es ihr nicht wesentlich ankomme, den Mitgliedern zu empfehlen, einen Vorschlag anzunehmen, der bereits vom Abgeordnetenhause gemacht worden sei.Z76 Die Regierung verschließe sich nicht vor der Wirklichkeit, sie leugne nicht, daß es Klassen der Gesellschaft gebe, die ihre Berechtigung und Ansprüche hätten, sie wolle diesen Gesellschaftsgruppen ihren Ausdruck geben. Sie wolle an dasjenige anschließen, was die geschichtliche Entwicklung biete, sie wolle nicht mit derselben brechen, aber demjenigen, was alt geworden sei, eine neue Gestalt geben, es den Bedürfnissen und Neugestaltungen der Zeit anpassen, es ausstatten mit denjenigen Mitteln, mit denen man neue und bessere Früchte zu erzielen hoffen könne. Daher könne man an dem Begriffe des Rittergutsbesitzes als einem noch zutreffenden nicht festhalten. Die Regierung könne sich nicht dazu verstehen, den Begriff >>Rittergut« aufrecht zu erhalten. Sie dringe darauf, daß er durch den Begriff des »großen Grundbesitzes« ersetzt und dieser nach der Ertragsfahigkeit des Gutes konstruiert werde. Für den kleineren ländlichen Besitz werde die Begriffsbestimmung dann leicht, was nicht großer Grundbesitz sei, gehöre zur Kategorie des kleineren, und was nicht zum ländlichen Grundbesitz gehöre, gehöre zu den Städten, damit seien die Stände gegeben. Der zweite Punkt, in welchem die Regierung nicht nachgeben könne, sei der, daß sie jedem Stande eine Gleichberechtigung mit den beiden anderen Ständen vindiziere. Wenn Sie Ihre Konunissionsbeschlüsse in diesem Punkte fallen lassen, dann taucht in mir die Hoffnung auf, daß es doch noch zu einer Verständigung konunen kann. Welchen unendlichen Wert die Regierung hierauf legt, habe ich Ihnen schon so oft gesagt, daß ich es kaiDil zu wiederholen brauche. Ich bitte Sie dringend, sich bei Ihrer Abstimmung von keiner Voreingenommenheit leiten zu lassen.277
Am selben Tag noch, am 29. Oktober 1872, hatte Eulenburg infolge der Haltung des Herrenhauses dem König seine Entlassung angeboten. 278 Der König nahm sie jedoch nicht an, er benützte vielmehr die Gelegenheit, als er an-
276 GStA Merseburg, Acta Ministerium des Innem, Rep. 77, Abth. IV, Sekt. 4, Tit. 772, Nr. 1, Val. 18, BI. 147; sten. Ber. S. 513. 277 GStA Merseburg, Acta Ministerium des Innem, Rep. 77, Abth. IV, Sekt. 4, Tit. 772, Nr. 1, Val. 18, BI. 154; sten. Ber. S. 527. 278 Reininghaus, S 30.
E. Der Kreis-Ordnungsentwurfvon 187ln2
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läßlich des Todes des Prinzen Albrecht die Präsidenten beider Häuser empfing, dem Präsidenten des Herrenhauses, Grafen Brühl, zu sagen, er sei weit entfernt, der Ueberzeugung irgend jemandes Gewalt anzuwn, aber der Eulenburgsche Gesetzentwurf trage auch seine Unterschrift und er betrachte ihn als seine eigene Vorlage. Ihre Durchführung werde durch das dringende Staatsinteresse geboten.279
Dieses Königswort blieb indessen ohne Wirkung. So nahm Eulenburg in der letzten Sitzung des Herrenhauses, der 32., am 31. Oktober 1872, noch einmal das Wort und führte mit allem Nachdruck aus: Meine Herren! Sie stehen im Begriffe, darüber zu beschließen, ob die Gesetzesvorlage für diese Session als beseitigt angesehen werden soll oder nichL Wenn Sie die Gesetzesvorlage im Ganzen verwerfen, so ist sie damit für diese Session beseitigt; sie kann nicht mehr an das Abgeordnetenhaus gebracht werden. Fällt Ihr Beschluß so aus, so würde unter anderen Umständen vielleicht die Dernission des Ministeriums, speziell desjenigen Ministers, der mit der Führung dieser Angelegenheit betraut ist, die Folge sein. Sie werden uns zutrauen, daß wir, wenn wir irgend eine Förderung der Sache darin erkennten, keinen Augenblick Anstand nehmen würden, unsere Dernission zu den FUßen Seiner Majestät niederzulegen; allein die Sache steht in diesem Falle anders. Seine MajesW haben die Überzeugung, daß das Zustandekommen einer auf den Prinzipien der Regierungsvorlage beruhenden Kreis-Ordnung eine Notwendigkeit ist, und in dieser Überzeugung würden Sie jedem neuen Ministerium dieselbe Aufgabe stellen, die uns oblegen hat Wenn Sie den Entschluß fassen, die Vorlage abzulehnen, so wird die Session unmittelbar geschlossen und eine neue Session einberufen werden, in welcher die Kreis-Ordnung zu den ersten Vorlagen gehören wird. Wir sind von der Notwendigkeit der Durchführung derselben unter voller Zustimmung Seiner Majestät so überzeugt, daß wir diese Aufgabe nicht fallen lassen, sondern versuchen werden, die Lösung derselben zu erreichen durch alle Mittel, welche die Verfassung uns gestattet 280
Eulenburg gab also hier bereits mit dem Hinweis auf alle Mittel der Verfassung dem Herrenhaus zu erkennen, daß die Regierung für den Fall der Ablehnung der Gesetzesvorlage auch einen Pairsschub in Betracht zog.
5. Ablehnung des Kreis-Ordnungsentwurfsdurch das He"enhaus Der Kreis-Ordnungsentwurf wurde am 31. Oktober 1872 im Herrenhaus mit 148 gegen 18 Stimmen in namentlicher Abstimmung abgelehnt. 281
G.-Chr. von Unruh, Der Kreis, S. 141. GStA Merseburg, Acta Ministerium des Innem, Rep. 77, Abth. IV, SekL 4, Tit 772, Nr. 1, Vol. 18, BI. 176; sten. Ber. S. 571. 281 Reininghaus, S. 30. 279
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Noch am seihen Tage erging die Botschaft auf Schließung des Landtages; am folgenden Tage wurde der Landtag auf den 12. November 1872 wieder einberufen. 282 Mit Schreiben vom 31. Oktober 1872 teilte der Präsident des Herrenhauses, Otto Graf zu Stolberg-Werningerode, dem Präsidenten des Hauses der Abgeordneten, Herrn von Forckenbeck, mit, daß das Herrenhaus in seiner heutigen Sitzung den von der Königlichen Staatsregierung mitteist Allerhöchster Ermächtigung vom 20. Dezember v.js. den beiden Häusern des Landtages zur verfassungsmäßigen Beschlußnahme vorgelegten Entwurf der Kreis-Ordnung für die Provinzen Preußen, Pommern, Brandenburg, Posen, Schlesien und Sachsen abgelehnt habe. Er teilte weiter mit, daß er die Königliche Staatsregierung von diesem Beschlusse in Kenntnis gesetzt habe. 283
a) Conseil-Sitzung über die Krise Auf der Conseil-Sitzung vom 8 November 1872legte der Kaiser und König die kritische Situation dar, in der sich die Staatsregierung befinde, da das Herrenhaus die Kreis-Ordnungsvorlage nicht nur abgelehnt habe, sondern bei den Verhandlungen mit großer Schroffheit verfahren sei. 284 Zur Beendigung der Krise sei vorgeschlagen worden, einen Pairsschub bzw. eine Reform des Herrenhauses vorzunehmen. Eine Verstärkung des Hauses durch liberale Elemente ermögliche wohl die Annahme der Kreis-Ordnung, führe aber eventuell auch zum Verlust der unerläßlichen Selbständigkeit und Autorität, was vermieden werden müsse. Der König hielt die Anwesenheit des Fürsten von Bismarck für erforderlich und forderte den Innenminister Graf zu Eulenburg zur Äußerung auf. Graf zu Eulenburg hielt einen Pairsschub für unbedingt nötig, um die Kreis-Ordnung und andere Gesetze und auch die Reform des Herrenhauses durchzubringen. Die gegenwärtige Erscheinung, daß sich das Herrenhaus der Regierung widersetze, werde sich wiederholen, das Haus trete nicht mehr beruhigend, vermittelnd und besänftigend auf, es wirke vielmehr wie ein Reibeisen, es habe die Gegensätze aufs äußerste verschärft und die Ablehnung der Kreis-Ordnung mit den gehässigsten, aufreizenden Reden begleitet, es habe 282. 283
BI.296.
Reininghaus, S. 31. GStA Merseburg, Acta Haus der Abgeordneten, Rep. 169 c, Abschn. 38 D, Nr. 9, Vol. 9,
284 GStA Merseburg, Acta Preußisches Staatsministerimn, Rep. 90 a, Abth. B, Tit III, 2 c, Nr. 3, Bd. III, BI. 373.
E. Der Kreis-Ordnungsentwurf von 1871n2
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die Prinzipien des Gesetzes angegriffen und verworfen, weil sie Reformen enthielten. Die Regierung könne sich solcher Reformen nicht entziehen, weil die maßgebenden Verhältnisse sich geändert hätten und sie in der Richtung der Zeit lägen. Das Ausbleiben der Reformen, so Eulenburg, werde mit notwendiger Folge eine radikale Strömung hervorrufen. Das Haus mache eine prinzipielle Opposition, indem die Mitglieder, die der Regel nach in den Sitzungen erschienen, sich in diametralem Gegensatz zur Regierung befänden, die anderen verhindert zu Hause blieben. Ein Pairsschub sei unvermeidlich, da nach der Verordnung vom 10. November 1865 eine Änderung der Institution nur durch Gesetz möglich sei, also mit Zustimmung des Herrenhauses, dem es allerdings nicht zuzumuten sei, sich selbst zu töten. Wie zum Zwecke der Reform, so sei auch für die Kreis-Ordnung die Zustimmung des Herrenhauses ohne Pairsschub nicht zu erreichen. Auf Anfrage des Königs wurde mitgeteilt, daß der Fürst Bismarck in seinem neuesten Brief auf die Reform des Herrenhauses Wert lege und dazu alsbald einen Pairsschub befürworte und die Kreis-Ordnung bis nach erfolgter Reform zurückgelegt werden solle. 285 Der Kriegsminister Graf Roon gab eine Übersicht der Veranlassung der jetzigen Lage und äußerte, das Verhalten des Herrenhauses zeuge weder von politischer Weisheit, noch von richtiger Erwägung der praktischen Verhältnisse. Sollte der neue Entwurf der Kreis-Ordnung vom Abgeordnetenhaus angenommen werden, sei ein Pairsschub vorzunehmen, da beim derzeitigen Personalbestand eine Zustimmung durch das Herrenhaus nicht zu erwarten sei, lediglich zur Reform des Herrenhauses ohne ein bestimmtes Projekt könne ein Pairsschub nicht erfolgen. Die übrigen Minister erkannten nahezu einhellig das Reformbedürfnis des Herrenhauses und die Notwendigkeit an, durch einen Pairsschub die baldige Verabschiedung der Kreis-Ordnung zu sichem. 286 Der Kronprinz sprach sich entschieden für einen Pairsschub zur Durchbringung der Kreis-Ordnung aus, zeigte jedoch auch Verständnis dafür, daß dem König die Entscheidung nicht leicht falle, da das Herrenhaus in der Zeit des Konflikts wegen der Militärfrage treu zu ihm gehalten habe, aber die Würde des Trans und das Wohl des Staates erforderten scharfes Vorgehen. 285 GStA Merseburg, Acta Preußisches Staatsministeriurn, Rep. 90 a, Abth. B, Tit. III, 2 c, Nr. 3, Bd. II1. BI. 375. 286 GStA Merseburg, Acta Preußisches Staatsministeriurn, Rep. 90 a, Abth. B, Tit. III, 2 c, Nr. 3, Bd. 111, BI. 376- 379. 12 Lange
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Auf die Frage des Königs, zu welchem Zeitpunkt ein eventueller Pairsschub zu erfolgen habe, erwiderte Graf zu Eulenburg, das hänge von dem Zweck der Maßnahme ab, für die Reform als solcher, wenn das Reformprojekt ausgearbeitet sei, aber bevor der Gesetzentwurf zunächst dem Herrenhaus vorgelegt werde. Zur Verabschiedung der Kreis-Ordnung müsse zunächst die Zustimmung des Abgeordnetenhauses gesichert sein, jedoch bevor die Vorlage ans Herrenhaus gelange. 287 Der König erklärte, daß er sich mit schwerem Herzen entschließe, der Maßregel eines Pairsschubs an sich zuzustimmen, teils um die Kreis-Ordnung als nächsten Zweck, teils um die Reform des Herrenhauses durchzusetzen, daß er sich jedoch den Zeitpunkt der Ausführung nach dem Verlauf der Verhandlungen im Abgeordnetenhause vorbehalte. Die Kreis-Ordnung sei jedoch ein günstigerer Anlaß zum Pairsschub, als die anderen Gesetzentwürfe zwischen Staat und Kirche. 288
b) Eulenburgs Korrespondenz mit dem König Im November 1872, also kurz vor dem erwogenen Pairsschub, war die Annahme des Kreis-Ordnungsentwurfs durch beide Häuser des Landtags noch keinesfalls gesichert, sondern eher unwahrscheinlich, über einen möglichen Pairsschub wurde noch ausgiebig diskutiert. In dieser Zeit korrespondierte Eulenburg intensiv mit dem König. Eulenburg setzte nunmehr alles auf sein persönliches Vertrauensverhältnis zu König Wilhelm, der die Bedeutung des Entwurfs erkannt hatte. 289 So schrieb Eulenburg am 8. November 1872290 u.a. zu einem Vorschlag des Großherzogs von Baden, der offensichtlich zu gemeinsamen Verhandlungen beider Häuser des Landtags geraten hatte, der Vorschlag sei sehr gut gemeint, aber nach seinem Dafürhalten unausführbar. Sollten die beiden Häuser des Landtags bloß gemeinschaftlich beraten und sich dann zur Abstimmung wieder trennen, oder sollten sie gemeinschaftlich diskutieren und abstimmen? Im
287 GStA Merseburg, Acta Preußisches Staatsministeriums, Rep. 90 a, Abt.h. B, Tit III, 2 c, Nr. 3, Bd. III, BI. 379 R. 288 GStA Merseburg, Acta Preußisches Staatsministerium, Rep. 90 a, Abt.h. B, Tit. III, 2 c, Nr. 3, Bd. III, BI. 380. 289 G.-Chr. von Unruh, Die Einrichtung der kommunalen Selbstverwaltung als staatspolitische Aufgabe, in DVBI 1973, S. 3,4. 290 GStA Merseburg, Acta Hausarchiv Wilhelm I. Nachlaß, Rep. 51 J, No. 147, Eulenburg, BI. 10, ll.
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ersten Falle wäre die Debatte nur verbittert worden, ohne zu einem Resultate zu führen, im zweiten Fall würde dasjenige Haus, welches schwächer an Mitgliedern sei, majorisiert werden. Ein Gesetzentwurf, so Eulenburg, auf Einführung einer solchen Einrichtung habe auch nicht die geringste Aussicht auf Annahme. Sodann berichtete Eulenburg über zwei Meinungen zu seinem Kreis-Ordnungsentwurf: Der Brief des Wirklichen Geheimen Raths von Alvensleben auf Redizin ist die Expectoration eines alten, schwachen, dem Leben fernstehenden Mannes. Wenn er den Kreis-OrdnungsEntwurf revolutionärer Tendenzen beschuldigt, so drückt er sich noch milde aus im Vergleich zu seinem Sohn, dem Rittmeister von Alvensleben, welcher bei den Berathungen der Commission des Herrenhauses, den Gesetzentwurf als »verrückt>Pairsschub« zu einer anderen Majorität gebracht würde; er, Roon, würde eine solche Maßregel tief beklagen, aber deren Notwendigkeit zugeben können, vorausgesetzt, daß es des Königs Wille sei, die neue Kreis-Ordnung a tout prix durchzusetzen. Für den Fall eines vorherigen Pairsschubs hielte Roon es für möglich, daß die Vorlage, ungeachtet des ihr vom Abgeordnetenhause aufgedrückten über-
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GStA Merseburg, Acta Hausarchiv Wilhelm I, Nachlaß, Rep. 51 J, No. 147, Eulenburg,
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GStA Merseburg, Acta Hausarchiv Wilhelm I, Nachlaß, Rep. 51 J, No. 578, Roon, BI. 57-
BI. II.
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liberalen Gepräges, im Herrenhaus durchginge, und die Regierung stände vor der Alternative, dem Entwurf schließlich die Sanktion zu versagen oder ein Gesetz zu publizieren, das vielleicht weit über die Ziele hinausginge, die dem Lande frommten. Daher müsse die Maßregel unbedingt hinausgeschoben werden und sei zu unterlassen, falls die Annahme im Abgeordnetenhaus versagt würde. Zur Reform des Herrenhauses bemerkte Roon, nur eine solche Umgestaltung dürfe des Königs Billigung erhalten, welche dieser Körperschaft Ansehen, Unabhängigkeit und konservativen Charakter belasse, den liberalisierenden Tendenzen des Abgeordnetenhauses zu widerstehen und vor nivellierenden Anläufen zu schützen. Roon schloß dann: Falls die neue Bildung solche Garantie nicht sicher vemeißt, ist es besser, Ew. Majestät be· halten das alte H.H.: mit seinen bewährten Vorzügen und -Mängeln, anstaU mit einem neuen zu experimentieren. Diese Möglichkeit der Emaltung des bewährten Alten geht aber verloren, falls Ew. Majestät Sich bereit fmden lassen sollten, die Corruption des alten Hauses zu gestatten, bevor Sie der Annehmlichkeit des neuen sicher sind. Daher ist mein allerunterthfinigster Rath: Wegen der Reformpläne für das H.H.. kein Pairsschub, bevor nicht diese Pläne Eurer Majestät gefallen!
Hier verdeutlicht sich, daß Eulenburg nicht nur im Herrenhaus Widersacher gegen seine Reformpläne hatte, sondern auch in seiner unmittelbaren Umgebung bei den Kollegen im Staatsministerium, was ihm seine Aufgabe, die Reform der Kreis-Ordnung zur Annahme zu bringen, zusätzlich deutlich erschwerte. Kriegsminister Roon gab mit diesem Brief an den König ein beredtes Beispiel dafür. Dem König fiel es sehr schwer, das Herrenhaus, das ihm in den Konfliktsjahren von 1861 bis 1866 niemals die Gefolgschaft versagt hatte, jetzt in seinen Rechten zu beschränken, doch erörterte er nun in einem Schreiben an Bismarck vom 9. November 1872 zum erstenmal den Gedanken eines Pairsschubs, wenn nicht gar einer ganzen Umgestaltung dieser Kammer. 293
6. Die dritte Einbringung der Novelle Am 12. November 1872 eröffnete Kriegsminister Graf von Roon im Auftrage des Königs die neue Sitzungsperiode - Session - des Landtages der Monarchie.
293
G .-Chr. von Unruh, Der Kreis, S. 141.
E. Der Kreis-Ordnungsentwurfvon 1871n2
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In seiner Rede294 betonte er u.a., daß der König es für geboten erachtet habe, die letzte Session zu schließen, da die Hoffnung gescheitert sei, die Reform der Kreis-Verfassungen nach Wiederaufnahme der im Juni vertagten Session zum Abschluß zu bringen. Er wies darauf hin, daß die Häuser vor allem wieder mit der Umgestaltung der bisherigen Kreiseinrichtungen befaßt würden, da die Regierung die Reform, deren Ausführung durch Bereitstellung der dazu erforderlichen Geldmittel erleichtert werde, als Grundlage der Lösung mannigfacher anderer Aufgaben des Staates ins Leben gerufen werde. Die Regierung hoffe zuversichtlich, eine allseitige Vereinbarung über den Entwurf zu erreichen und sei entschlossen, die Durchführung der bedeutsamen Aufgabe durch alle Mittel, welche die Verfassung der Monarchie an die Hand gebe, zu sichern. Auch in dieser Eröffnungsrede wurde das Interesse der Regierung an der Verabschiedung der Kreis-Ordnungsreform deutlich, zudem wurde auch hier mit dem Hinweis auf alle Möglichkeiten der Verfassung die Durchführung eines Pairsschubs angedeutet. In der 3. Sitzung des Abgeordnetenhausesam 16. November 1872 brachte Innenminister Eulenburg erneut den Kreis-Ordnungsentwurf ein. Dazu bemerkte er: 29s Zum driuen Male, meine Herren, lege ich Ihnen den Entwurf einer Kreisordnung vor. Die
Zahl derjenigen Beschlüsse, welche die Regierung geänden zu sehen wünscht, ist nicht groß,
aber sie legt auf ihre Abänderungs-Vorschläge umso größeren Wen. Motive habe ich dem Gesetz-Entwurfe nicht beigegeben, weil ich nur hätte schreiben können, was doch eigentlich Ihnen allen bekannt ist
Worauf es jetzt ankommt, das ist ein vollständiges Einverständnis zwischen der Regienmg und dem Abgeordnetenhause. Von welcher Bedeutung es sein muß, wenn eben zwischen der Regierung und dem Abgeordnetenhause über jeden Paragraphen des weittragenden Gesetzes ein Einverständnis zustande kommt, das brauche ich nicht näher auszuführen. Die Regienmg hat gegeben, was sie kann, sie forden, was sie muß. Tun Sie nun das Ihrige, meine Herren. Ich lebe nicht bloß der Hoffnung, ich gebe mich der festen Zuversicht hin, daß das Abgeordnetenhaus die Lage verstehen und wirklich Hand in Hand mit der Regierung einer Gesetzgebung von so enormer Bedeutung die Wege bahnen wird.
Eulenburg ging bei der erneuten Einbringung der Kreis-Ordnungsentwurfs davon aus, daß das Abgeordnetenhaus diesem Entwurf abermals seine Zustimmung erteilen werde, appellierte gleichwohl nochmals an die Mitglieder des Hauses, diesem wichtigen und weittragenden Gesetze zuzustimmen.
294 GStA Merseburg, Ministerium des Innem, Rep. 77, Abth. I, Sekt 1-3, Tit496 a, Nr. 151, Bl.126. 19S GStA Merseburg, Acta Haus der Abgeordneten, Rep. 169 c, Abschn. 38 D, Nr. 9, Vol. 10, BI. 84 R; sten. Ber. S. 14.
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II. Die preußische Kreisordnwtg von 1872
a) Eulenburgs Brief zum Pairsschub an den König Noch am seihen Tage, dem 16. November 1872, schrieb Eulenburg erneut an den König. In diesem Brief296 ging er auf die Vorbereitung des Pairsschubs ein, sprach aber auch Schwierigkeiten mit dem Abgeordnetenhause an. So schrieb er u.a., daß er nicht verfehlt hätte, dem Könige gestern eine Vorschlagsliste der ins Herrenhaus zu Berufenden vorzulegen, wenn er nicht den Minister Grafen von Roon um schleunige Anberaumung einer Staatsministerial-Sitzung ersucht hätte, in welcher er diesen Gegenstand gedacht hätte, zur Sprache zu bringen, um dem König eine auf den Vorschlägen des Staatsministeriums beruhende Liste vorlegen zu können. Da diese Sitzung noch nicht stattgefunden habe, beeile er sich, dem König diejenige Liste einzureichen, welche er nach Varzin gesandt hatte, und auf welcher Fürst Bismarck eigenhändig bemerkt hätte "wird nicht reichen für Reform". Dies beziehe sich wohl nur auf die Zahl. Zum Vortrage über die Punkte in der Kreis-Ordnung erlaube er sich, den Geheimen Regierungs-Rat Persius aus seinem Ministerium vorzuschlagen. Die Beschlüsse des Abgeordnetenhauses hätten von der Regierung nicht überall gebilligt werden können. Bleibe das Haus auch diesmal wieder bei seinen Beschlüssen, so sei kein Einverständnis zwischen ihm und der Regierung vorhanden. Letztere habe dann keine Veranlassung, besondere Kraftanstrengungen zugunsten eines Gesetzentwurfes zu mache, dessen Bestimmungen ihr in vielen Beziehungen nicht behagten. Es kommt also alles darauf an, daß sich das Abgeordneten-Haus den Forderungen der Regierung fügt, und, um dieses Resultat vorzubereiten, fanden die Besprechungen mit Vertrauensmännern nur aus dem Abgeordneten-Hause statt. .... Andeutungen über die Absichten der Regierung in Bezug auf das Herrenhaus habe ich nicht gemacht, und werde sie nicht machen. Ich beschränke mich immer nur auf die Erklärung, daß, wenn ein völliges Einverständnis der RegiefWig mit dem Abgeordneten-Hause über die Kreis-Ordnung erzielt wird, die RegiefW!g alles verfassungsmäßig Zulässige daran setzen wird, um den Entwurf zum Gesetze werden zu lassen.
Eulenburg hob in diesem Brief neben den Schwierigkeiten mit dem Abgeordnetenhause auch deutlich hervor, daß Minister Graf Roon, der einem Pairsschub mit besonderer Skepsis gegenüberstand, das Vorgehen in dieser Sache eher behinderte oder doch verzögerte.
296
GStA Merseburg, Acta Hausarchiv Wilhelm I, Nachlaß, Rep. 51 J, No. 147, Eulenburg,
BI. 12-13 R.
E. Der Kreis-Ordnungsentwurfvon 187ln2
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b) Sitzung des Staatsministeriums In der Sitzung des Staatsministeriums vom 17. November 1872:m, an der alle Staatsminister mit Ausnahme des Ministerpräsidenten teilnahmen, legte Innenminister Eulenburg ein Verzeichnis derjenigen Personen vor, die zur Durchbringung der Kreis-Ordnung eventuell in das Herrenhaus berufen werden sollten. Die Ressortchefs übernahmen es, sich des Einverständnisses dieser Personen durch mündliche oder schriftliche Rückfragen zu versichern. Kriegsminister Roon bemerkte zu dem in Aussicht genommenen Pairsschub, daß er nach wie vor bereit sei, einer sachgerechten Reform des Herrenhauses zuzustimmen und einen Pairsschub für unvermeidlich halte, falls das Herrenhaus bei seiner früheren ebenso faktiösen als unpolitischen Haltung beharren sollte. Dagegen würde er einen sofortigen Pairsschub für überflüssig und bedenklich erachten, falls, wie es den Anschein gewinne, das Herrenhaus bereit sei und unzweideutige Garantien dafür gewähre, daß der neue Entwurf der Kreis-Ordnung auch bei seinem jetzigen Personalbestande zur Annahme gelangen werde. Jedenfalls werde er es ablehnen, eine derartige Maßregel jeder Zeit mitzuvertreten. Demgegenüber vertraten die übrigen Minister die Ansicht, daß der in Aussicht genommene Pairsschub jetzt unter allen Umständen erfolgen müsse, und zwar unverzüglich, sobald die Annahme der Kreis-Ordnung im Abgeordnetenhaus feststehe, und auch in dem Falle, daß das Herrenhaus sich jetzt entgegenkommend zeige, was übrigens in dessen eigenem Interesse nicht zu wünschen sei, da es sich damit selbst nullifizieren werde. Dabei wurde mehrseitig betont, daß es sich in dem gegenwärtigen Stadium nicht mehr allein um die Kreis-Ordnung, sondern darum handele, eine faktiöse Opposition ein für allemal zu brechen und insbesondere die Durchbringung der Vorlagen des Kultusministers sicherzustellen.
c) Eulenburg vor dem Abgeordnetenhaus In der 4. Sitzung des Abgeordnetenhauses am 20. November 1872 nahm Innenminister Eulenburg erneut eingehend Stellung.
297
GStA Merseburg, Acta Preußisches StaatsministerilDll, Rep. 90 a, Abth. B, Tit. III, 2 b,
Nr. 6, Vol. 84, BI. 182-184 R.
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II. Die preußische Kreisordmmg von 1872
So sagte er u.a.: 298 Eine Mahnung an das Herrenhaus zu richten, war ich sicherlich nicht blos berechtigt, sondern verpflichtet, wenn das Zustandekommen der Gesetzgebung, für die wir jetzt eintreten, mir wirklich am Herzen lag. Ich mußte es tun, ich mußte darauf hinweisen, daß die Regierung alle Mittel gebrauchen würde, um demjenigen Gesetze, auf welches sie so großen Wen legt, die Gebun zu sichern. Aber, meine Herren, ich glaube nicht, daß man hier in diesem Hause Mahnungen an die Regierung darüber machen darf, ob ein Pairsschub gerechtfertigt sei oder nicht, ich würde im Herrenhause keine Mahnung deran annehmen, wenn es sich darum handelte, das Abgeordnetenhaus aufzulösen, das sind Sachen, die in der Hand der Regierung liegen.
Wenn der Regierung, so Eulenburg weiter, Vorwürfe darüber gemacht würden, daß sie die neue Vorlage nicht zuerst dem Herrenhause übergeben, sondern im Abgeordnetenhause eingebracht habe, so könne er darauf nur erwidern, daß das Fragen der Taktik seien, der eine prozediere so, der andere so. Wenn die Vorlage durchgehe, dann habe er Recht. Er hoffte, sie werde durchgehen. Er habe niemals an irgend einen der Herren Abgeordneten die Anmutung gestellt, er solle ministeriell stimmen, niemals, am allerwenigsten bei diesem Gesetze. Er habe sich auf einen ganz anderen Standpunkt gestellt, er habe gesagt: Ich wünsche, die Herren Abgeordneten möchten recht konservativ, recht verständig stimmen, weil ich glaube, daß der wirkliche Konservativismus in der Verständigkeit, zur rechten Zeit zu geben und das Richtige in dem Augenblick zu finden, wo das Finden eine Notwendigkeit geworden ist. In diesem SiMe engagiere ich die Herren, mit mir zu stimmen, weil ich glaube, daß die Regierung in diesem Augenblick das Richtige bietet. Wenn Sie schließlich sagen: liberale Politik unter konservativer Firma machen, das wiesen Sie weit von sich ab - ja dann stehen wir freilich auf sehr verschiedenem Standpunkte. Ich halte es für durchaus richtig, liberale Politik unter konservativer Firma zu machen, d.h., ich will als wahrhaft konservativer Mann soweit liberal sein, als der Liberalismus in meinen Augen Ansprüche auf Befriedigung hat und als ich glaube, seine berechtigten Ansprüche nicht blos gewähren zu köMen, sondern zum Wohle des Vaterlandes gewähren zu müssen.299
Eulenburg fuhr dann fort, die Herren von der äußersten Linken und von der äußersten Rechten täten am besten, wenn sie alle Amendements, die sie einzubringen gedächten, aufgäben und statt derer von rechts einen Schlußparagraphen beantragten, welcher lautete, die Ausführung dieses Gesetzes werde einem konservativen Minister übertragen, von links, die Ausführung dieses Gesetzes werde einem liberalen Minister übertragen. Es ist neu, daß man einem Gesetze, dessen Inhalt man für zweckmäßig hält, am Ende zuzustimmen Anstand nimmt, weil keine Garantie gegeben sei, daß für ewige Zeiten ein liberaler oder ein konservativer Minister an der Spitze der Verwaltung stehen werde. Mir scheint es nun im speziellen Fall, daß die meisten Garantien für die Durchführung des Gesetzes in dem SiMe, wie es gegeben ist, darin liegen, daß derjenige Minister es ausführt, unter dessen Ägide es zustande gekommen ist. Ich habe während der ganzen Beratung des Gesetzes niemals Veranlas-
298 GStA Merseburg, Acta Haus der Abgeordneten, Rep. 169 c, Abschn. 38 D, Nr. 9, Vol. 10, BI. 92; sten. Ber. S. 29. 299 GStA Merseburg, Acta Haus der Abgeordneten, Rep. 169 c, Abschn. 38 D, Nr. 9, Vol. 10, BI. 101 R; sten. Ber. S. 48.
E. Der Kreis-Ordnungsentwurf von 1s11n2
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sung gegeben, an Hintergedanken bei mir zu glauben, viebnehr habe ich Bedenlcen, welche ich gegen einzelne BestirnrnlDlgen hegte, frei vorgebracht und motiviert, ich habe da, wo ich mich entgegengesetzten Beschlüssen fügen zu können glaubte, dies offen ausgesprochen, und dabei wird es bleiben. 300
In der 6. Sitzung des Abgeordnetenhausesam 22. November 1872 erklärte Eulenburg u.a., der Minister des Ionern werde sich eine Kontrolle deshalb vorbehalten müssen, weil es darauf ankomme, eine gewisse Gleichmäßigkeit in der Ausführung des Gesetzes zu sichern.301
d) Sitzungen des Staatsministeriums An der Sitzung des Staatsministeriums vom 22. November 1872302 nahmen mit Ausnahme des Ministerpräsidenten sämtliche Staatsminister teil. Aufgrund der Rückäußerungen einiger für die Berufung in das Herrenhaus in Aussicht genommener Personen wurden einige Änderungen der betreffenden Liste erforderlich. Sodann teilte der Innenminister Eulenburg mit, daß aufgrund der KreisOrdnungsdebatte im Abgeordnetenhaus die unveränderte Annahme der gegenwärtigen Regierungsvorlage mit namhafter Majorität als unzweifelhaft erscheine. Es sei deshalb nunmehr nach seiner Meinung der Zeitpunkt eingetreten, mit den in Aussicht genommenen Berufungen ins Herrenhaus vorzugehen, da die dritte Lesung voraussichtlich schon Mitte nächster Woche stattfinden werde. Demgegenüber machte der Kriegsminister Roon geltend, daß es derzeit als wahrscheinlich gelten dürfe, wenn auch noch nicht ganz sicher, daß das Herrenhaus die gegenwärtige Vorlage ohne weiteres annehmen werde. Unter dieser Voraussetzung aber erscheine ihm ein Pairsschub ad hoc nicht bloß als überflüssig, sondern auch als staatsgefährlich. Jedenfalls habe er auf speziellen Befehl des Königs eine Anfrage an den Ministerpräsidenten nach Varzin gerichtet nach dessen Meinung zu einem Pairsschub ad hoc unter diesen Voraussetzungen.
300 GStA Merseburg, Acta Haus der Abgeordneten, Rep. 169, Abschn 38 D, Nr. 9, Vol, 10, BI. 103 R; sten. Ber. S. 52. 301 GStA Merseburg, Acta Haus der Abgeordneten, Rep. 169 c, Abschn. 38 D, Nr. 9. Vol. 10, BI. 135; sten. Ber. S. 83, 84. 302 GStA Merseburg, Acta Preußisches Staatsministerium, Rep. 90 a, Abth. B, Tit. III, 2 b, Nr. 6, Vol. 84, BI. 185.
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II. Die preußische Kreisordnwtg von 1872
Nach eingehender Diskussion beschloß man einstimmig, in jedem Falle zunächst noch die ausstehende Antwort des Ministerpräsidenten abzuwarten, gleichzeitig aber den Innenminister zu ersuchen, die eventualiter aufgestellte Liste über die neuen Berufungen in das Herrenhaus dem Könige zur Prüfung vorzulegen. In der Sitzung des Staatsministeriums am 25. November 1872303 waren wiederum sämtliche Staatsminister mit Ausnahme des Ministerpräsidenten anwesend. Kriegsminister Roon teilte die aus Varzin an ihn ergangene Antwort wegen Berufung neuer Mitglieder ins Herrenhaus mit dem Bemerken mit, daß diese Antwort dem Könige bereits vorgelegen habe. Über den Inhalt dieser Antwort und über die Bedeutung des vom Ministerpräsidenten abgegebenen Votums entspann sich eine längere Diskussion, bei welcher namentlich die Fragen zur Erörterung gelangten, in welcher Weise eventuell eine zuverlässige Garantie dafür zu gewinnen sein dürfte, daß das Herrenhaus die Kreis-Ordnung auch ohne Vermehrung seiner Mitgliederzahl unverändert annehmen werde, und ob es unter den obwaltenden Umständen angezeigt erscheine, den König um Abhaltung einer zweiten Conseil-Sitzung zu bitten. Nach längerer Beratung machte das Staats-Ministerium sich dahin schlüssig, a)
daß von Anberaumung einer 2. Conseil-Sitzung abzusehen sei,
b)
daß es bei gegenwärtiger Lage der Sache als angezeigt erscheine, eine beschränkte Zahl von neuen Mitgliedern in das Herrenhaus zu berufen mit allen gegen die Stimme des Ministers für landwirtschaftliche Angelegenheiten-,
c)
daß zur Zeit mindestens 25 neue Mitglieder zu berufen seien, mit 5 gegen 2 Stimmen.
Der Kriegsminister wollte die Zahl der zu Berufenden zur Zeit auf 10 beschränkt wissen. 304
303 GStA Merseburg, Acta Preußisches Staatsministeriurn, Rep. 90 a, Abth. B, TiL III, 2 b, Nr. 6, Vol. 84, BI. 187. 304 GStA Merseburg, Acta Preußisches Staatsministeriurn, Rep. 90 a, Abth. B, Tit. III, 2 b, Nr. 6, Vol. 84, BI. 187 R.
E. Der Kreis-Ordnungsentwurfvon 1871n2
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e) Eulenburg vor dem Abgeordnetenhaus In der 8. Sitzung des Abgeordnetenhauses arn 26. November 1872 ergriff Eulenburg erneut das Wort. 305 Er sagte, er wisse in der Tat nicht, worin die Handlungen bestehen sollten, welche die Unabhängigkeit der Meinungsäußerung der Herrenhaus-Mitglieder beschränkten. Er habe im Herrenhaus lediglich auf das Bestimmteste hervorgehoben, welchen Wert die Regierung auf dieses Gesetz lege und daß sie entschlossen sei, alle Mittel anzuwenden, die ihr zu Gebote stünden, um dasselbe durchzubringen. Wie weit die Regierung in dieser Beziehung gehen werde, sei eine Frage, welche unmöglich in dem Hause der Abgeordneten diskutiert werden könne. Die Regierung sei von der Notwendigkeit der Durchbringung dieses Gesetzes, dieser Reorganisation gerade so fest durchdrungen, wie damals bei der Durchbringung der Armee-Reorganisation. Wenn die Regierung ihren festen Willen bekunde, alles zu tun, was in ihren Kräften stehe, um diesem Gesetz Eingang und Leben zu sichern, so stehe sie auf derselben Stufe wie damals, als die Frage der Reorganisation der Armee vorlag, sie habe nur zu beklagen, daß mehrere derjenigen Herren, welche sonst mit der Regierung zu gehen pflegten, sich diesmal in ihrem Gewissen nicht bewogen finden könnten, für dieselbe zu stimmen.
7. Annahme des Entwurfs durch das Abgeordnetenhaus
Es erfolgte sodann die Abstimmung über dell Gesetzentwurf, und der Präsident des Abgeordnetenhauses gab deren Ergebnis bekannt: Das Resultat der Abstimmung ist folgendes: Mit Ja haben gestimmt 228 Mitglieder, mit Nein 91, 2 Mitglieder haben sich der Abstimmung enthalten. Es ist danach das Gesetz, betreffend die Kreis-Ordnung für die Provinzen Preußen, Brandenburg, Pommern, Posen, Schlesien und Sachsen angenommen worden. 306
Eulenburg hatte nachhaltige Unterstützung durch den Landtagsabgeordneten und späteren Justizminister Rudolf Friedenthai gefunden, dem neben den
305 GStA Merseburg, Acta Ministerium des Innem, Rep. 77, Abth. IV, Sekt. 4, Tit. 772, Nr. 1, Vol. 18, BI. 228; sten. Ber. S. 127. 306 GStA Merseburg, Acta Ministerium des Innem, Rep. 77, Abth. IV, Sekt. 4, Tit 772, Nr. 1, Vol. 18, BI. 235; sten. Ber. S. 141.
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II. Die preußische Kreisordmmg von 1872
Ministerialbeamten Persius - dem späteren 1. Präsidenten des preußischen Oberverwaltungsgerichts - und Max von Brauchitsch das Verdienst zukommt, die Mehrheit der Abgeordneten des Landtages für die Vorlage gewonnen zu haben. 307
F. Bemühungen um einen Pairsschub
Tags darauf, am 27. November 1872, berichtete Eulenburg dem König in einem Brief über das Abstimmungsergebnis im Abgeordnetenhause und das mögliche Stimmverhalten des Herrenhauses. 308 Die Herren geben sich der Hoffnung hin, daß, auch ohne Pairsschub, das Herrenhaus diesmal die ganze Kreis-Ordnung nicht ablehnen werde: sie beabsichtigen aber alle Amendements wieder hinein zu bringen, welche für das Abgeordneten-Haus und für die Regierung unannehmbar sind. Was würde die Folge davon sein?
Die Kreis-Ordnung, so Eulenburg weiter, sei gestern in dritter und letzter Lesung, ganz unverändert, wie die Regierung sie vorgelegt habe, mit 228 gegen 91 Stimmen vom Abgeordnetenhause angenommen worden. Die Minorität habe bestanden aus den Polen, den Katholiken und einem Teil der Konservativen, von welchen eine größere Anzahl als das erste Mal für das Gesetz gestimmt habe, unter ihnen "der stramm konservative" Herr von Köller (VicePräsident des Hauses), der Landrat von Bismarck (Bruder des Fürsten) und mehrere andere. Diese überwiegende, aus allen Parteien zusammengesetzte Majorität sei nun für den Entwurf in seiner jetzigen Gestalt zu finden gewesen, nachdem die Regierung erklärt gehabt habe, sie werde von demselben nicht abgehen, aber auch für denselben einstehen. Gehe der Entwurf nun an das Herrenhaus (in seiner jetzigen Zusammensetzung), so werde er zwar nicht wieder im ganzen abgelehnt. aber durch Amendements ganz unannehmbar gemacht werden. Wenn Graf Otto Stolberg, so Eulenburg weiter, anderer Ansicht sei, so täusche er sich: er sei noch nicht lange genug Präsident des Hauses, er kenne die Persönlichkeiten und Stimmungen nur noch sehr oberflächlich. Ich habe sehr genaue Erkundigungen eingezogen und kann aufs bestimmteste versichern, daß es in der Absicht des Herrenhauses liegt, so zu verfahren, wie der gestern Abend erschienene, allerunterthänigst beigefügte, Leit-Artikel der Kreuz-Zeitung es andeutet.
307 G.-ChT. von Unruh, Die Einrichtung der kommunalen Selbstverwaltung als staatspolitische Aufgabe, in DVBI. 1973, S. 3. 308 GStA Merseburg, Acta Hausarchiv Wilhelm I, Nachlaß, Rep. 51 J, No. 147, Eulenburg, BI. 14-16.
F. Bemühungen um einen Pairsschub
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»Keine Ablehnung der Kreis-Ordnung, aber gründliche Amendirung derselben!«
Das Abgeordnetenhaus, so Eulenburg, ändere an seinen Beschlüssen auch nicht mehr ein Titelchen. Das Herrenhaus, in seiner jetzigen Zusammensetzung, könne auch nicht anders, als bei seinen Amendements stehen bleiben. Nach Wochen langen beunruhigenden und aufregenden Verhandlungen werde alles wieder beim Alten und ein Pairsschub notwendig sein, der unter viel ungünstigeren Verhältnissen werde stattfinden müssen als jetzt. Das Staatsministerium hat die Angelegenheit, in Eurer Majestät Abwesenheit nochmals aufs sorgfältigste erwogen. Es ist mit Einschluß des Kriegsministers Grafen Roon, zu der Überzeugung gelangt, daß, wie die Sachen liegen, ein sofoniger mäßiger Pairsschub unumgänglich ist. Ich beschwöre Eure Majestät, dem Schritte, welcher dieser Überzeugung Ausdruck giebt, die Genehmigung nicht versagen zu wollen. Der Bericht des Staatsministeriums wird morgen bei Eurer Majestät sein.
In den Briefen Eulenburgsan den König tritt immer wieder deutlich hervor, mit welcher Entschlossenheit und auch innerem Engagement er um "seine" Kreis-Ordnung kämpfte und den noch etwas unentschlossenen König von der Notwendigkeit eines baldigen Pairsschubs zu überzeugen versuchte, ja, ihn inständig dazu ersuchte, um die Kreis-Ordnung doch noch zu retten. Dies zeigt sich auch in den beiden Briefen, die Eulenburg dem König am 28. November 1872 schrieb. Den ersten309 leitete er mit folgender Formulierung ein: Eure Majestät wollen huldreichst entschuldigen, daß ich in der Herrenhaus-Angelegenheit schon wieder incommodire. Aber die Sache drängt, da das Haus schon zum 5. December einberufen wird.
Im Namen des Staatsministeriums wandte er sich sodann gegen die Bedenken des Königs gegen zwei neu zu berufende Mitglieder des Herrenhauses, die das Staatsministerium für vollständig geeignet halte. Den zweiten Brief vom 28. November 1872310 datierte er mit dem Zusatz "Abends 9 Uhr" und erwiderte auf den Befehl des Königs, zur Orientierung über die Verhältnisse im Herrenhause mit dessen Präsidenten Graf Stolberg zu sprechen, daß dies bereits am Vorabend geschehen sei, und präzisierte: Auf meine bestimmte Frage an Graf Stolberg, ob er irgend eine Garantie geben könne, daß das Herrenhaus die Kreis-Ordnung in ihrer jetzigen Gestalt annehmen werde, antwonete er bestimmt »nein«!
309 GStA Merseburg, Acta Hausarchiv Wilhelrn I, Nachlaß, Rep. 51 J, No. 147, Eulenburg, BI.17,17R. 310 GStA Merseburg, Acta Hausarchiv Wilhelrn I, Nachlaß, Rep. 51 J, No. 147, Eulenburg, BI. 18-19 R.
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li. Die preußische KreisordniDlg von 1872
Eulenburg fuhr dann fort und stellte seine ionersten Gedanken und Empfindungen eindrucksvoll dem König dar: Eure Majestät mögen allergnädigst glauben, daß in dem ganzen jetzt entbrannten Kampfe niemand eine schwierigere Stellung hat, als ich. In der Confliktszeit waren meine Standesgenossen, meine persönlichen Freunde auf meiner Seite: ich kämpfte nicht nur für eine gute Sache, sondern auch in guter Gesellschaft. Jetll ist es anders: ich glaube eine gute, eine nothwendige Sache zu vertheidigen, für lange Zeit hin die Veranlassung zu Streit und Zwiespalt zu beseitigen, den Grundstein zu einer großartigen EntfaltiDlg des gesunden öffentlichen Lebens zu legen. Ich habe die Leute, denen ich Einsicht und Kermtnis zutraue, mir zur Seite, aber ein großer Theil meiner Standesgenossen und Freunde wendet sich von mir ab, oder betrachtet mich mit Mißtrauen, und zu den ungeheueren Anstrengungen der zu bewältigenden Arbeit gesellt sich noch das höchst unheimliche Gefühl verschobener sozialer SteiiiDlg. Ich bedarf aller meiner Kraft, um mir das Gleichgewicht zu erltalten, und nun befehlen Eure Majestät, daß ich mich mit den Herren in persönliche Verbindung setze, welche es nicht für wert gehalten haben, mir zu schreiben oder einen Fuß über meine Schwelle zu setzen, während sie alle möglichen Hinterthüren benutzen, um Eure Majestät ihre Rathschläge oder guten Vorsätze zu unterbreiten. Ich weiß genau, was vorgeht: Ich weiß, daß 82 Mitglieder des Herrenhauses entschlossen sind, die Kreis-Ordnung nur mit durchschlagenden Amendements anzunehmen, daß von ihnen an 20 unentschlossene Mitglieder geschrieben ist, sie möchten auf jeden Fall kommen, und mit ihnen stimmen. Die, der Regierung günstige, neue Fraktion zählt nur 75 Mitglieder, von denen schon jetzt mehrere krank gemeldet sind. Werden nur 25 neue Mitglieder gerufen, so steht die Sache immer noch zweifelhaft, aber doch nicht aussichtslos. Berufen Eure Majestät gar keine oder weniger, so ist sie verloren. Eure Majestät werden mir dann das huldreiche Zeugnis nicht versagen, daß ich mein bestes Wissen und meine beste Kraft daran gesetzt habe, Eurer Majestät, meinem allzeit gnädigsten Herrn, dienstbar, treuund gehorsam zu sein.
Aus diesen Zeilen wird auch deutlich, wie einsam und allein gelassen Eulenburg sich im Kampf um die Kreis-Ordnung fühlte und daß er all' seine Hoffnung, die Kreis-Ordnung doch noch durchzubringen, auf den vom König zu genehmigenden Pairsschub setzte, um den er hier schon fast resignierend kämpfte. An der Sitzung des Staatsministeriums am 28. November 1872 nahmen sämtliche Staatsminister mit Ausnahme des Ministerpräsidenten teil.
In der Sitzung wurde seitens des Innenministers Eulenburg der Entwurf eines Immediat-Berichts betreffend die neuen Berufungen in das Herrenhaus vorgetragen und nachdem die Erinnerungen der Minorität darin Berücksichtigung gefunden hatten, genehmigt und sofort vollzogen.m
31! GStA Merseburg, Acta Preußisches Staatsministerium, Rep. 90 a, Abth. B, Tit. III, 2 b, Nr. 6, Vol. 84, BI. 191.
F. Bemühungen um einen Pairsschub
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1. Schreiben des Staatsministeriums wegen des Pairsschubs an den König Gleichfalls am 28. November 1872 sandte das Staatsministerium ein
Schreiben312 an den Kaiser und König, das von sieben Ministern unterzeichnet war.
Das Schreiben hatte den folgenden Wortlaut: Das alleruntertänigst unterzeichnete Staatsministerium ist aufs neue über die Frage in Beratung geraten, ob die Berufung einer Anzahl neuer Mitglieder ins Herrenhaus sofon notwendig erscheine, oder einem späteren Zeitpunkte, je nach Bedürfnis, vorbehalten werden könne. Fünf Mitglieder des Staats-Ministeriums glauben, Ew. Kaiserlichen und Königlichen Majestät die sofonige Berufung neuer Mitglieder, auf deren Stimmen die Regierung bei Beratung der KreisOrdnung und der zur Feststellung der Grenzen zwischen Staat und Kirche bestimmten GesetzEntwürfe rechnen kann, ehrfurchtsvoll anraten zu müssen. Sie gehen dabei von folgenden Erwägungen aus: Wie schon in dem, Ew. Majestät unterbreitet gewesenen, Votum des Fürsten von Bisrnarck ausgefühn ist, könnte von der augenblicklichen Verstärkung des Herrenhauses höchstens dann Abstand genommen werden, wenn die Annahme der Kreis-Ordnung in ihrer jetzigen Gestalt im Herrenhause auch ohne neue Ernennungen unbedingt gesichen wäre. Dies ist nicht der Fall. Das Herrenhaus, in seinem jetzigen Bestande, wird vielleicht die Kreis-Ordnung, wie sie aus den letzten Beratungen des Abgeordnetenhauses hervorgegangen ist, nicht im Ganzen ablehnen, aber nach sicheren Anzeichen, deran amendieren, daß auf eine Verständigung mit dem Abgeordnetenhause und der Regierung nicht zu rechnen ist. Letztere hat dem Abgeordnetenhause gegenüber, indem sie von demselben die unbedingte Annahme des neuen Entwurfs verlangte, das Engagement übernommen, ihm, wenn es auf dieses Verlangen eingehe, keine abermalige Änderung seiner Beschlüsse zuzumuten. Die Regierung hat die moralische Verpflichtung, die Kreisordnung, wie sie ohne Änderung der Regierungs-Vorlage nunmehr aus den Beratungen des Abgeordnetenhauses hervorgegangen ist, auch ohne Änderung beim Herrenhause durchzusetzen. Diese Verpflichtung zu erfüllen, ist die Regierung außer Stande, wenn Ew. Majestät nicht geruhen, durch Berufung neuer Mitglieder in das Herrenhaus auf Änderung des Stimmverhältnisses in demselben hinzuwirken. Diesen Erwägungen schließen sich der Minister der landwinschaftlichen Angelegenheiten und der Kriegsminister nicht überall an. Von der Notwendigkeit der Durchbringung der KreisOrdnung in unverändener Form überzeugt, sind sie doch der Meinung, daß zur Erreichung dieses Zweckes eine Berufung neuer Herrenhausmitglieder nicht erforderlich sei, das Herrenhaus vielmehr bei nochmaliger Beratung, und im Angesichte des fest bekundeten Willens der Regierung, von seinen früheren Beschlüssen zurückkommen, und die Kreis-Ordnung in der Gestalt, wie sie jetzt vorliegt, annehmen werde. Gegen die Ernennung einer geringen Zahl von neuen Herrenhaus-Mitgliedern, etwa 10, würde der Kriegsminister nichts zu erinnern finden, um dadurch der Verstärkung des Hauses, welche mit der Zeit allerdings notwendig werden würde, den Weg zu bahnen. Dagegen bittet die Majorität des Staatsministeriums Ew. Majestät alleruntertänigst aus dem Kreise solcher Persönlichkeiten, welche der Zukunft des Staates hinreichende Gewähr bieten, dem Herrenhause 25 Mitglieder zuzuführen. Sie hält die Zahl zwar für sehr gering und für die Dauer wahrscheinlich nicht ausreichend, hat aber, Eurer Majestät Intentionen gemäß, bei ihren Vorschlägen über das Maß des zur Zeit
312
GStA Merseburg, Acta Zivilkabinen, 2.2.1. Nr. 288, BI. 139-140.
li. Die preußische Kreisordmmg von 1872
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unumgänglich Notwendigen nicht hinausgehen wollen, und hofft, daß die Berufung von 25 neuen Mitgliedern die Durchbringung der unveränderten Kreis-Ordnung im Herrenhause sichern werde. Den Entwurf der entsprechenden Allerhöchsten Ordre fügt das Staatsministerium alleruntertänigst bei. Das Staatsministerium GrafRoon Selchow Camphausen
Gr. Eulenburg
Leonhardt
ltzenplitz Falk
Auf das obige Schreiben des Staatsministeriums setzte der König die nachfolgenden zwei Vermerke als Randbemerkungen, die nur fragmentarisch lesbar sind_ Der erste Vermerk lautete: Ich kann diesen Bericht nicht für enchöpfend erldlren, denn es fehlt 1. die Angabe, ob die genannten 25 Penonen, ein bindendes Venprechen gegeben haben, in allen Punkten die letzte Fassung der Kreis-Ordnung genehmigen ... u. zu wollen ....
2. auf welcher Annahme die Zahl von 25 Stimmen beruht, die nötig erscheinen ... Besprechungen mit Mitgliedern des Herrenhauses statt gefunden haben, deren jene Annahme erhellt, wenn solche Besprechungen mit Mitgliedern des Abgeordnetenhauses stattgefunden haben, um Gewißheit über die Stellung dieses Hauses zum wiedereinzubringenden Gesetz Entwurf zu erlangen, und so veranlasse ich das Staatsministerium sofort, namendich den Minister des Innem, solche Besprechungen herbeizuführen, vor allem mit dem Präsident des Herrenhauses Graf Stolberg, und eiligst zu berichten, welches Resultat diese Besprechungen gehabt haben würden. Bis zur Erstellung dieses Berichts muß ich mir meinen Beschluß über die etwaige Ernennung neuer Herrenhaus Mitglieder vorbehalten. Berlin, 29.11.72
Wilhelm
Der König war also, trotz des eindringlichen Appells des Staatsministeriums, noch nicht ohne weiteres bereit, einem Pairsschub in dem geforderten Umfang von 25 neuen Mitgliedern seine Zustimmung zu erteilen, er veranJaßte vielmehr das Staatsministerium, insbesondere den Innenminister, erneut Gespräche mit dem Präsidenten und Mitgliedern des Herrenhauses zu führen und über das Ergebnis Bericht zu erhalten_ Noch am selben Tage, dem 29. November 1872, führte Innenminister Eulenburg das vom König angeordnete Gespräch mit den Führern der Parteien des Herrenhauses. Es führte zu dem Resultat, daß die Parteiführer eine Garantie dafür nicht übernehmen konnten, daß die Gesetzesvorlage betreffend die Kreis-Ordnung im Herrenhause durchginge, und vorschlugen, mit der Ernennung neuer Mitglieder des Herrenhauses zu warten, bis es zur Nichtannahme des Gesetzes gekommen sei.313 313 GStA Meneburg, Acta Zivilkabinen, 2.2.1. Nr. 288, BI. 140; v. Roon, Denkwürdigkeiten, Bd. 2, S. 279.
F.
Bemüh~mgen um
einen Pairsschub
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Am 30. November 1872 berichtete Eulenburg dem König morgens über die Besprechung mit den Parteiführern des Herrenhauses und deren Ergebnis.314
In einem Brief315 vom selben Tag schrieb er dem König, daß die Minister Graf Itzenplitz, Camphausen, Leonhardt, Falle und er gegen die Ansichten der Minister Graf Roon und von Selchow sich in einer Beratung die folgende Meinung gebildet hätten. Sie hielten es der Stellung des Herrenhauses unwürdig, wenn dasselbe, mit der Peitsche des event. Pairsschubs hinter sich, in die Beratungen der Kreis-Ordnung träte. Sie hielten es auch für die Regierung nicht fair, eine Maßregel wie einen Pairsschub bloß als ein Strafmittel für schlechte Abstimmung in Anwendung zu bringen. Die Regierung müsse bei der Erwägung, ob eine Verstärkung des Hauses einzutreten hätte, sich von größeren Gesichtspunkten leiten lassen, als von der bloßen Verstimmung über eine ihr nicht bequeme Abstimmung. Diese größeren Gesichtspunkte seien bei ihrem Rat, neue Herrenhausmitglieder zu ernennen, maßgebend gewesen: diese hätten ihre Berechtigung ganz abgesehen von der Kreis-Ordnung, und was sich nun als politische Maßregel durchführen ließe, würde, wenn es im Laufe der Session notwendig werden sollte, den Charakter einer das Herrenhaus herabwürdigenden Strafmaßregel annehmen. Eulenburg weiter: Graf Itzenplitz wird Eure Majestät binen, an meiner Stelle, über die Angelegenheit noch mündlichen Vortrag halten zu dürfen. Ich bin, nachdem ich Eure Majesllit zu sehen die Ehre gehabt hatte, eine Treppe hin~mtergestürzt, und in Folge dessen am Gehen behindert.
Nachdem die Einwilligung zum Pairsschub im Prinzip erteilt war, handelte es sich nun noch darum, den Umfang desselben zu bestimmen.316 In der Sitzung des Staats-Ministeriums vom 30. November 1872, in welcher darüber verhandelt wurde, suchte Roon die seinen Ansichten widersprechende Maßregel durch Beschränkung der neuen Pairsernennungen auf eine geringere Zahl wenigstens möglichst unschädlich zu machen, allein auch dabei blieb er in der Minorität. Mit Eulenburg bestanden vier weitere Minister auf der größeren Zahl der Pairs, sie drohten sämtlich ihren Abschied zu neben, wenn anders entschieden würde.317 Als Roon wegen einer anderen dringenden Angelegenheit die Sitzung vor dem Schlusse verlassen mußte, benutzten die zur Majorität gehörigen Minister Graf Itzenplitz und Eulenburg diesen Umstand, um die von ihnen festgestellte v. Roon, Denkwürdigkeiten, Bd. 2, S. 579. GStA Merseburg, Acta Hausarchiv Wilhelm I, Nachlaß, Rep. 51, No. 147, Eulenburg, BI. 20,20R. 316 v. Roon, Denkwürdigkeiten, Bd. 2, S. 575. 317 v. Petersdorff, Herman, Kleist-Retzow, S. 449. 314 315
13 Lange
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li. Die preußische Kreisordnung von 1872
größere Liste sofort der Genehmigung des Königs zu unterbreiten, welche auch noch an demselben Tage erteilt wurde, ohne daß Roon Gelegenheit gefunden hatte, den Standpunkt der Minorität dem Monarchen nochmals darzulegen.318
2. Die Ernennung der Pairs
Mit Schreiben319 vom 30. November 1872 an Innenminister Eulenburg teilte der König die Ernennung der neuen Herrenhausmitglieder mit. Dieses Schreiben lautet: An den Minister des Innem. Ich will auf den Bericht des Staatsministeriums vom 28. d.M. 1. den Wirklichen Geheimen Rath von Balan, 2. den Rinergutsbesitzer von Bethmann-Hollweg auf Runowo, 3 den Ober-Präsidenten der Provinzregierung von Bardeleben, 4. den Unterstaatssekretär Biner, 5. den Präsidenten des Haupt-Bank-Dierektoriums von Dechend, 6. Meinen Gesandten vom königlich Sächsischen Hofe von Eichmann, 7. den General-Auditeur der Armee Fleck, 8. den Wirklichen Geheimen Ober-JustivRath, Präsident Friedberg, 9. den Präsidenten der Seehandlung Günther, 10. den Vice-Präsidenten des Ober-Appellations-Gericht zu Berlin, Henrici, 11. den General-Feldmarschall Herwarth von Bittenfeld, 12. den Staatsminister Freiherr von der Heydt, 13. den General der Infanterie von Holleben, 14. Meinen Gesandten Freiherr von Magnos 15. den Rittergutsbesitzer, Legationsrath von Neumann auf Gerbstädt, 16. den Staatsminister Freiherr von Patow, 17. den General der Infanterie von Peucker, 18. den Wirklichen Geheimen Legations-Ralb und Ministerial-Direktor von Philipsbom, 19. den Rinergutsbesitzer von Rath zu Lauersdorf bei Crefeld, 20. den General-Direktor der direkten Steuern Schumann, 21. den General-Postdirektor Stephan, 22. den Generai-Lieutenant, Staatsminister von Stosch. 23. den Wirklichen Geheimen Rath Sulzer, 24. den Wirklichen Geheimen Ober-Regierungs-Rath Wehrmann, 25. den General-Staatsanwalt Wever, 26. den General-Feldmarschall v. Steinmetz in Gemäßheil des§ 3 No. 3 der Verordnung vom 12. Oktober 1854 zu Mitgliedern des Herrenhauses auf Lebenszeit berufen. Sie haben dieselben hiervon in Kenntnis zu setzen und zur Teilnahme an den Sitzungen des Herrenhauses einzuladen, auch dem Präsidenten des letzteren Mitteilung zu machen. B. den 30. November 1872 Wilhelm ggez. Graf zu Eulenburg 318 319
Schmitz, Paul, S. 74. GStA Merseburg, Acta Zivilkabinen, 2.2.1. Nr. 288, BI. 141-142.
F. BemühiD!gen um einen Pairsschub
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Eulenburg hatte zunächst dem König 40 Ernennungen abgerungen, als dieser Pairsschub allerdings stattfinden sollte, sträubte sich der König und beließ es bei 26. 320 Mit Schreiben vom 2. Dezember 1872321 teilte Innenminister Eulenburg dem König mit, daß der Wirkliche Geheime Ober-Regierungs-Rath Wehrmann und der Staatsminister von der Heydt aus gesundheitlichen Gründen gebeten hatten, von ihrer Berufung ins Herrenhaus Abstand zu nehmen, so daß mit Einschluß des vom König eigenhändig auf die 25 neue Mitglieder umfassende Vorschlagsliste des Staatsministeriums hinzugesetzten General-Feldmarschalls von Steinmetz noch 24 zu berufende Herrenhausmitglieder verblieben, der Pairsschub betraf somit letztlich 24 neue Herrenhausmitglieder. Der zweite handschriftliche Vermerk Wilhelms vom 30. November 1872 auf dem Rand des Schreibens des Staatsministeriums vom 28. November 1872 lautete: 322 Nachdem mir Namens des Staats-Ministeriums auf meine Fragen genügender Vonrag mündlich durch Minister Graf Eulenburg gehalten worden ist, derselbe auch die von mir ver· langte Besprechung mit den Führern der Parteien des Herrenhauses statt gefunden hat, dieselbe aber zu dem Resultat geführt hat, daß diese Führer eine ganz bestimmte Garantie nicht zu übernehmen vermöchten, daß im Herrenhause die quae. Gesetzesvorlage durchginge, und auf ihren Vorschlag, mit Ernennung der neuen Mitglieder des Herrenhauses zu warten, bis sich in den ersten Sitzungen desselben die Nicht-Erreichung des Zustandekoromens des Gesetzes, dargelegt habe, und nicht als passend von mir abgelehnt wird, so habe ich die vorliegende Liste der zu ernennenden Mitglieder des H.H. vollzogen, wonach das Weitere nunmehr anzuordnen ist. Berlin, den 30. November 1872 3 Uhr
Wilhelm
Roon erfuhr zu seiner Überraschung die vollendete Tatsache gegen Abend durch folgendes Handbillet des Königs: 323 Mit schwerem Herzen habe ich die 26er Liste vollzogen. Original-Ordre sandte ich durch Graf ltzenplitz direkt an Minister Gr. Eulenburg; meine Gründe wollen Sie aus dem 2ten Decret ersehen! Gott wolle, daß ich das Richtige erwählte!
w. 30./11. 72
Roon fühlte sich durch dieses Vorgehen seiner Minister-Kollegen tief verletzt. Aus dem anschließenden Urlaub reichte er daraufbin sein Abschiedsgesuch ein, dem der König aber nicht nachkam. Mit Schreiben vom 8. Dezember 1872 reichte Roon dann sein ausführlich motiviertes Entlassungsgesuch ein, was er u.a. mit körperlicher Hinfälligkeit 320 321 322 323
v. Petersdorjf. Herman, Kleist-Retzow, S. 449. GStA Merseburg, Acta Zivilkabinett, 2.2.1. Nr. 288, BI. 144, 144 R. GStA Merseburg, Acta Zivilkabinett, 2.2.1. Nr. 288, BI. 139, 140. v. Roon, Denkwürdigkeiten, Bd. 2, S. 576.
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II. Die preußische Kreisordmmg von 1872
und Abspannung und auch mit Divergenz der politischen Bestrebungen und Tendenzen im Staatsministerium begründete, wobei er als einen den Interessen des Thrones und des Landes zuwider laufenden Schritt die unnötige, mindestens verfrühte Ernennung neuer Herrenhausmitglieder bezeichnete.324 In einem eigenhändigen Schreiben vom 1I. Dezember 1872 lehnte WHhelm den Wunsch Roons ab und schrieb u.a.: 325 Die anderen Gründe die Sie für Ihr Ausscheiden anführen, beziehen sich auf die inneren politischen Verhältnisse. Aber auch in diesen bedarf ich Ihres Gegenhaltes, wie in der eben beendeten Crisis, wo ich es ja Dmen nur verdanke, daß wir mit einer so geringen Pain-Creirung durchkamen; .... Den Vorfall mit dem mündlichen Vortag des Ministen Graf ltzenplitz nach der Ministerial-Sitmng, im Auftrag des lahinen326 Graf Eulenrorg, nahin ich so auf, daß auch Sie mit diesem Verfahren einventanden seien. Leugnen kann ich es nicht, daß jenes Verfahren mich selbst überraschte; da indessen Graf Eulenburg am Morgen desselben Tages, mündlich referirte, über die Abends vorher mit den Parteiführern des Herrenhauses, auf meinen Befehl an das Staatsministerium, gehabte Conferenz, - so glaubte ich daß der ltzenplitz'sche mündliche Bericht gleichfalls eine besprochene Abmachung sei. Daß dem nicht so war, erfuhr ich ent zufällig später und begreife vollkommen Ihre Verstimmung dieserltalb.
Aus diesen Zeilen ergibt sich deutlich, daß durch das Vorgehen der Minister Itzenplitz und Eulenburg bei der Pairsernennung sich auch der König überfahren fühlte. Es wird sicherlich auch nicht auszuschließen sein, daß Eulenburg seine Sturzverletzung als taktische Erkrankung vorgeschoben hatte, um dem König nicht selbst berichten zu müssen und somit nicht in die vorderste Linie der Kritik zu geraten. Denn Eulenburg hatte mit Sicherheit damit gerechnet, daß diese Blitzaktion zu erheblichen Verstimmungen bei Roon führen mußte und bei dem König führen konnte.
3. Die Entscheidung des Herrenhauses Am 6. und am 9. Dezember 1872 fanden die 4. und die 6. Sitzung des Herrenhauses statt. In diesen entscheidenden Sitzungen nahm Innenminister Eulenburg erneut das Wort, um einige grundlegende Ausführungen zu machen zu dem Gesetzentwurf, aber auch zu dem Verhalten des Herrenhauses bei der Behandlung des Kreis-Ordnungsentwurfesund dem Verhältnis des Herrenhauses zur Staatsregierung. 324
325 326
v. Roon, Denkwürdigkeiten, Bd. 2, S. 517. v. Roon, Denkwürdigkeiten, Bd. 2. S. 578-580. Eulenburg war ja eine Treppe hinuntergestürzt.
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So sagte Eulenburg am 6. Dezember 1872327 u.a., er wünschte, er könnte frischer sprechen, als sein angegriffener körperlicher Zustand es ihm gestatte. Er fragte dann, ob es sich in der Frage der Kreis-Ordnung wirklich um ein Begraben handele, wie sein Vorredner in einer "Leichenrede" behauptet habe, oder nicht vielmehr um ein Schaffen. Ich meine, es handelt sich um das Schaffen eines großen Werkes, welches die Regierung mit Zustimmung der Häuser ins Leben rufen will. Sie jammern und klagen bloß und prognostizieren aus dem Vorgehen der Regierung nur den Umsmrz alter, bewährter Instimtionen, der wo möglich mit dem Umsrurz aller, selbst des ältesten Faktors der Gesetzgebung ... endigen wird.
Der Herr Vorredner, so Eulenburg weiter, stelle das ganze procedere so dar, als wäre die Ablehnung des ganzen Gesetzentwurfes seitens des Herrenhauses wesentlich die Schuld der Regierung, als hätte die Regierung von vom herein eine Stellung zum Herrenhause eingenommen, welche demselben es unmöglich gemacht hätte, anders zu verfahren, als es der Fall gewesen sei. So steht die Sache nicht, Vergegenwärtigen Sie sich die Geschichte des Gesetzentwurfes. Er ist Ihnen zugegangen aus dem Abgeordnetenhause in einer Form, mit welcher die Regierung nicht überall einverstanden war. Ihre Kommission hat sich wochenlang mit demselben beschäftigt und hat eine Menge Ve!besserungen hineingebracht, welche die Regierung als solche ansah. .... Die Regierung hat, nachdem das Herrenhaus in wichtigen Punkten bereits gegen die Ansicht der Regierung Beschlüsse gefaSt hatte, ... Ihnen dringend ans Herz gelegt, wenigstens in dieser Frage nicht ein Vomm abzugeben, welches von der Regierung nicht akzeptieJt werden könne, weil sietrotzaller Vorgänge die Hoffnung auf Verständigung noch nicht aufgeben wolle. Sie haben trotzdem gegen die Regierung entschieden, Sie haben einen Welt darauf gelegt, Beschlüsse zu fassen, welche der Regierung unannehmbar erschienen und zuletzt ganz plötzlich und in einer der Regierung unerwarteten Wendung die Resultate der ganzen reiflichen und eingehenden Beramng dadurch über den Haufen geworfen, daß Sie das ganze Gesetz abgelehnt haben ...... Ich wiederhole nur, was ich Ihnen schon gesagt habe: Die Regierung legt auf die Annahme dieses Gesetzentwurfs einen solchen Wert, daß sie von demselben nicht abläßt, und habe Ihnen damals erklärt: sowie Sie den Gesetzentwurf abwerfen, wird die Session geschlossen und die erste Vorlage für die neue Session wieder ein Kreis-Ordnungsentwurf werden.
Was sei der Regierung, so Eulenburg weiter, also übrig geblieben? Sie habe noch einmal das Material gesichtet und auf das genaueste geprüft, und in wiederholten Staatsministerial-Sitzungen, an denen sämtliche Mitglieder mit der größten Aufmerksamkeit und mit dem größten Interesse teilgenommen hätten, dargelegt. welche Punkte es seien, bei denen die Regierung stehen bleiben müsse, welche Punkte es seien, die sie von dem Abgeordnetenhause und die sie von dem Herrenhause annehmen könne. So, meine Herren, liegt die Sache. Wir sind fest entschlossen - und das wissen Sie -, diesen Gesetzentwurf unverändert durchzubringen. Wir sind dazu entschlossen aufgrund der historischen Vorgänge von drei Jahren, die sich an diesen Gesetzentwurf anschließen; aufgrund unserer innersten Überzeugung von der Zweckmäßigkeit der Maßregel im Allgemeinen, von der
327 GStA Merseburg, Acta Ministerium des Innem, Rep. 77, Abth. IV, Sekt. 4, TiL 772, Nr. 1, Vol. 18, BI. 361; sten. Ber. S. 19.
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II. Die preußische Kreisordmmg von 1872
Nützlichkeit und mindestens der Unschädlichkeit der Bestimmungen, die in diesem Gesetzentwurfe enthalten sind. So, meine Herren, steht die Regierung zmn Herrenhause. Wenn die Regierung - oder wir wollen nicht sagen, die Regierung, sondern Seine Majestät auf Anraten der Regierung -, eine Maßregel getroffen hat, um in diesem Hause die Annahme des Gesetzentwurfs zu sichern, so ist rein sachlich verfahren und es sind nur Mittel angewendet worden, die jede Regierung anwenden kann oder muß, wenn sie sich der Gerechtigkeit ihrer Sache bewußt ist. 328
Vergessen, so fuhr Eulenburg fort, sei die korrekte Haltung des Herrenhauses in der Konfliktszeit nicht, am wenigsten an der Stelle, von der die Berufung neuer Mitglieder des Herrenhauses ausgegangen sei, aber vergessen müsse der Staat, wenn es sich darum handele, in neuer Periode neue notwendige Maßregeln ins Leben zu rufen. Die Regierung könne mit einem Hause jahrelang auf dem besten Fuße stehen; sie könne, sie müsse dem Hause gegenüber die Schritte ergreifen, die ihr notwendig erschienen, wenn es sich um große politische Maßregeln handele, von deren Notwendigkeit sie aufs Innerste durchdrungen sei. Und nun, meine Herren, der Herr Vorredner nennt die jetzige Beratung und diesen Gesetzentwurf den letzten Kampf um konservative organische Einrichtungen. Ich nenne ihn den ersten Kampf um Belebung derjenigen gesunden Kräfte des Staates, deren wir bedürfen, um auf der Höhe zu bleiben, die wir um Preußen und Deutschlands Willen behaupten müssen.
Soweit Eulenburg am 6. Dezember 1872 vor dem Herrenhaus. Am 9. Dezember 1872 äußerte er sich dort erneut und abschließend zur Kreis-Ordnung. 329 Worauf kommt es in dem ganzen Gesetzentwurfe an? Wir wollen dem lebendigsten Gliede des preußischen Staatsorganismus, dem Kreise, eine Bedeutung geben, die er bisher nicht gehabt hat; wir wollen Kräfte, die in ihm schlummern, entfesseln; wir wollen ihm volle kommunale Verwaltung und Verwaltungsjustiz zuweisen, die er bisher nicht hatte, weil wir glauben, daß das Bedürfnis nach Beidem gerade in den Händen des Kreises am besten seine Befriedigung finden wird.
Zu diesem Zwecke, so fuhr Eulenburg fort, schlage die Regierung vor die Aufhebung der gutsherrliehen Polizei, Wahl der Schulzen, Bildung vom Amtsbezirken, Bildung des Kreis-Ausschusses. Der ganze Streit drehe sich um die Zusammensetzung des Kreistages. Der Kreistag sei die Vorschlagsbehörde für die Abgrenzung der Amtsbezirke, für die Besetzung der Amtsvorsteherstellen, für die Wahl des Landrats, für die Bildung des Kreis-Ausschusses, kurz, in ihm konzertriere sich alles.
328 GStA Merseburg, Acta Ministerium des Innem, Rep. 77, Abth. IV, Sekt. 4, Tit. 772, Nr. 1, Vol. 18, BI. 361 R; sten. Ber. S. 20. 329 GStA Merseburg, Acta Ministerium des Innem, Rep. 77, Abth. IV, Sekt. 4, Tit. 772, Nr. 1, Vol. 18, BI. 384; sten. Ber. S. 69.
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Was sei nun der Punkt, um den es sich bei der Zusammensetzung der Kreistage drehe? Die Rittergutsbesitzer sollten nicht mehr als Rittergutsbesitzer mit Virilstimmen im Kreistage erscheinen, sondern sollten ihre Rechte mit denen der kleineren Grundbesitzer teilen. Der Begriff des Rittergutsbesitzers decke die Realität des großen Grundbesitzes nicht, und deshalb sei die Regierung bemüht gewesen, den großen Grundbesitz anderweit zu definieren. Das sei ein Opfer, so Eulenburg, welches den Rittergutsbesitzern zugemutet werde. Sie würden, wo sie bisher in großer Majorität sich befunden hätten, jetzt nur eine Gleichberechtigung haben. Sie verlören dadurch nichts, sie würden in der neuen Stellung ihr Interesse zu wahren stark genug sein, umso mehr, als der kleine Grundbesitzer, dessen Interessen im Wesentlichen mit deren identisch seien, von dem Augenblicke an, wo er gleichberechtigt mit denen sein werde, aus freiem Antriebe ihnen zur Seite stehen und nicht bloß die Rolle des Bevormundeten spielen werde. Von diesem Augenblicke an werde die Gleichartigkeit der Interessen des großen und kleinen Grundbesitzes auch dem letzteren zum Bewußtsein kommen, was nicht geschehen sei, solange er das Bewußtsein gehabt habe, formell nicht zu seinem Rechte kommen zu können. In dieser Richtung hin die Gesetzgebung zu leiten, hielte Eulenburg für ein großes politisches Bedürfnis. Es sei ein offenbarer Fehler des deutschen Charakters, daß der Niedrigerstehende das Höhere nicht zu erreichen, sondern herabzuziehen suche, daß er es vorziehe, den besser Situierten zu beneiden und herabzuwürdigen, als es zu versuchen, sich zu ihm emporzuschwingen. Die Regierung glaube, daß auch der kleinere Grundbesitz reif sei, seine Interessen mit vollem Gewichte zu vertreten. Dem Kreistage und den an ihn sich knüpfenden Organen wolle der Gesetzentwurf Befugnisse geben, die weit über das hinausgingen, was bisher unter Kreisbefugnissen gedacht worden sei, deshalb genüge ein bloßes Ausbessern der Schäden nicht, welche bei der bisherigen Kreisverfassung hervorgetreten seien. Zu der vollen kommunalen Selbstverwaltung, die die Regierung den Kreistagen geben wolle, trete die administrative Justiz, ein langersehntes Institut, welches die Garantie biete, daß künftig weder von omnipotenten Kreisrichtern, noch von omnipotenten Landräten die Rede sein werde. Die Polizeipflege werde von Organen und nach Formen geübt werden, welche den exekutiven Beamten die volle Gewißheit ihrer Berechtigung und den Verwaltern das Bewußtsein geben würden, nach dem Gesetze beurteilt und nicht mit Willkür behandelt zu werden. Eulenburg schloß dann seine Rede:
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Und nun noch ein Wort! Sie sagen, hinter mir stehen die Na1ionalliberalen, hinter den Nationalliberalen stehen Demokraten, und das Bild schließt als rauchender Trümmerhaufen, und ich darauf mit einer brennenden Zigarre. Meine Herren! Es ist ein eigentümliches Zusammentreffen. Heute vor zehn Jahren öffnete ich mit zitternder Hand die Ordre, in der meine Ernennung zum Minister des Innem stand. Das war die Zeit des vollen Konflikts. Gleich nach dem Ausbruche des Konflikts trat die polnische Erhebung ein, die einen starken Rückstoß auf die Provinz Posen und unsere östlichen Landesteile ausübte; das Jahr 1864 brachte den Krieg mit Dänemark, das Jahr 1866 den Krieg mit Österreich; ich glaube, es war im Jahre 1867, wo die Provinz Preußen unter einer Mißernte ohne gleichen entsetzlichen Zuständen preisgegeben war; eine Diktaturperiode von ungefähr einem Jahr setzte die Regierung in den Stand und in die Verpflichtung, große, neue Provinzen binnen kürzester Frist zu organisieren und dem preußischen Staate anzuschließen; das Jahr 1870 brachte den Krieg mit Frankreich: Aufgaben innerhalb 10 Jahren, wie sie kamn ein Ministerium des preußischen Staats wird zu lösen gehabt haben, Aufgaben, an die dieses Ministerium herangetreten ist mit vollen konservativen Anschauungen und Gesinnungen, Aufgaben, die sie nur lösen konnte, wenn sie aus konservativen Gesinnungen heraus nicht mit liberalisierenden, aber mit liberalen Gesetzen und Maßregeln reagierte, d.h. freisinnige, und dazu bekenne ich mich. Der ganze Bamn, der in Deutschland, von Preußen aus, gewachsen ist, ist ein liberaler Bamn, eine freisinnige, große Schöpfung; Gon hat ihn wachsen lassen, Gon wird auch über diese Frucht seine schützende Hand halten.
Soweit Eulenburg im Herrenhaus. Es folgte sodann die Abstimmung über den Kreis-Ordnungsentwurf. Der Präsident des Herrenhauses, Otto Graf zu Stolberg-Werningerode, teilte das Ergebnis mit: 330 Das Resultal der Abstimmung ist folgendes: Es haben gestimmt 207 Mitglieder: davon haben gestimmt mit »Ja« 116, mit »Nein« 91; der Gesetzentwurf ist daher mit Majorität angenommen worden.
Das Herrenhaus hat also am 9. Dezember 1872 dem Kreis-Ordnungsentwurfmit 116 gegen 91 Stimmen, somit mit einer Mehrheit von 25 Stimmen, zugestimmt. Damit war die Kreis-Ordnung von beiden Häusern des Landtags angenommen worden, Eulenborgs Kampf für dieses Gesetz doch noch erfolgreich beendet. Nach dem Sieg Eulenborgs durch die Annahme des Kreis-Ordnungs-Entwurfs im Herrenhaus saß der dem Kanzler so überaus lästige Innenminister um so sicherer im Sattel.331 Professor Woodrow Wilson, der spätere 28. Präsident der Vereinigten Staaten von Amerika, hatte wohl den Pairsschub des Königs und die Kreis-Ordnung von 1872 gemeint, als er in seiner "Study of Administration" 1887 äußerte, das bewundernswerte System (der preußischen Verwaltung) sei auf königliche Initiative hin entwickelt worden.
330 GStA Merseburg, Acta Ministerium des Innem, Rep. 77, Abth. IV, Sekt. 4, TiL 772, Nr. 1, Vol. 18, BI. 385; sten. Ber. S. 71. 331 11. Petersdorff, Hermann, Kleist-Retzow, S. 450.
F. Bemühwtgen um einen Pairsschub
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4. Stellungnahmen des Königs In einem Gespräch am 10. Dezember 1872 sagte Müh1er zum König, Graf Eulenburg habe das Herrenhaus nichtachtend behandelt, hätte er ihm halb so viel Aufmerksamkeit geschenkt wie dem Abgeordnetenhause, so wäre der ganze Konflikt zu vermeiden gewesen, in der Haltung des Herrenhauses habe eine nicht unberechtigte Empfindlicflkeit mitgewirkt. Der König stimmte dem zu und sagte dann, sie hätten doch die Empfindlichkeit nicht so weit treiben sollen, gegen ihn (den König) in so scharfe Opposition zu treten, doch man habe ja gestern gesiegt. 332 Der König zeigte sich also etwas verärgert über die Vorgehensweise des Herrenhauses und betrachtete die Annahme der Kreis-Ordnung als Sieg. In einem Brief333 vom 12. Dezember 1872 äußerte sich der König gegenüber Bismarck über die kürzlich beschlossene Kreis-Ordnung, insbesondere auch über die Abstimmung im Herrenhaus, und den zuvor durchgeführten Pairsschub. So schrieb er u.a.: Eine Crisis haben wir also endlich überstanden u. der geringe Pairsschub hat dies bewirkt. Ja, man muß sogar annehmen, daß ohne diesen Schub, die Majorität größer gewesen wäre oder mindestens überhaupt eingetreten wäre, da derselbe viele wieder in das alte Lager zurückgeführt hat, die sonst von demselben schon abgefallen waren! Da die Majorität gerade die Zahl des Schubs beträgt, so ist es mehr wie klar, daß eine Abzählung im Voraus stangefwtden hat, um den neuen Mitgliedern allein das Odium aufzuerlegen! Enfin, die Opposition ist genau disziplinirt.
Der König ging also davon aus, daß das Abstimmungsergebnis im Herrenhaus von den Stimmzahlen her von den Gegnern der Kreis-Ordnung bewußt herbeigeführt worden sei. Er machte allerdings auch deutlich, daß ihn die Annahme der Kreis-Ordnung durch beide Häuser des Landtags und damit die Beendigung der vorangegangenen Krise erleichtert habe, wenn er auch Zweifel an der Notwendigkeit des Pairsschubs nicht verbarg. Seine Einschätzung, die Kreis-Ordnung hätte auch ohne Pairsschub im Herrenhaus eine Mehrheit erhalten, muß allerdings Bedenken unterliegen, denn Eulenburg hatte diese Frage vorher geklärt und selbst der Präsident des Herrenhauses konnte diese Bestätigung nicht geben. Die Kreis-Ordnung wurde am 13. Dezember 1872 verkündet.334
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v. Mühler, Heinrich, Königlich Preußischer Staats- wtd Kultusminister, S. 230. Auskunft Auswärtiges Amt Bonn, Politisches Archiv, Akte R 229. Preußische Gesetzessammlung S. 661 ff.
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li. Die preußische Kreisordmmg von 1872
Sie trat am 1. Januar 1874 in Preußen, Brandenburg, Pommern Schlesien und Sachsen in Kraft, für Posen wurde durch§ 182 die Einführung des Gesetzes einer königlichen Verordnung vorbehalten.335
5. Eulenburgs Kreis-Ordnung Es war entscheidend Eulenborgs Leistung, daß er dieses Gesetz seinem König, dem Kanzler und Ministerpräsidenten, seinen parteipolitischen Gegnern und selbst Parteifreunden gegenüber durchsetzte. 336 Eulenburg, der als Motto der Kreis-Ordnung "die allgemeine Dienstpflicht" bezeichnete, konnte nach Abschluß des Werkes in sein Tagebuch schreiben: "Segnet Gott die Ausführung des Gesetzes, dann bin ich ein preußischer Regenerator. "337 Man kann Eulenburg zu Recht einen Regenerator nennen, denn die von ihm in Preußen mit der Kreis-Ordnung eingeführte kommunale Selbstverwaltung und die Verwaltungsgerichtsbarkeit waren immerhin so bedeutungsvoll und wichtig für die weitere rechtsstaatliche Entwicklung in Preußen und Deutschland, daß beide Kernpunkte Eingang und Absicherung in der Verfassung, dem heutigen Grundgesetz, gefunden haben.
Spricht man mit guten Gründen von der Stein'schen Städteordnung, so sollte man mit dem gleichen Recht von der Eulenburg'schen Kreis-Ordnung sprechen, die das Werk Steins von 1808 vollendete. Wenn auch die Bedeutung der Ministerialräte an dem Reformwerk betont und dazu bemerkt wird, daß gerade Eulenburg "durch seine geringe Arbeitslust" sehr auf ihre Hilfe angewiesen gewesen sei338, so bleibt doch die Tatsache bedeutsam, daß auch die tüchtigsten Hilfskräfte ohne die Dynamik eines verantwortlichen Chefs ihre besten Ideen nicht zu realisieren vermögen. 339 So bleiben die persönlichen Verdienste des Ministers Fritz Eulenburg hervorragend, der von Jahr zu Jahr die Grundideen der Verwaltungsreformen tiefer erlaßt, genial weitergeführt und energisch durchgeführt hat. Der Verdienst Bismarcks war die Wahl eines genialen Staatsmannes, der mit richtiger Aus-
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v. Brauchilsch, M. Verwalnmgsgesetze für Preußen, S. 6. G.-Chr. vo11 Unruh, Der Kreis, S. 145. G.-Chr. vo11 Unruh, Der Kreis, S . 143. Heffter, Heinrich, Die Deutsche Selbstverwalnmg im 19. Jahrhunden, S. 512. G.-Chr. vo11 Unruh, Der Kreis, S. 144.
G. Die Bedeutung der Kreisordnung
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wahl seiner Mitarbeiter die höchst verwickelte Aufgabe im einzelnen durchzuführen verstand. 340 Mit der Anpassung der Kreisverfassung an die politischen und gesellschaftlichen Bedingungen ihrer Zeit begann 1872 im größten deutschen Bundesland, in Preußen, eine neue Epoche des Verhältnisses des Staates zu seinen Angehörigen, indem eine Form der Selbstverwaltung eingeführt wurde, die sich auf Mitverantwortung gründete und das Gemeinsame statt des Trennenden zwischen den verschiedenen Sozialkörpern und wiederum zwischen diesen und dem Verwaltungsapparat des Staates betonte.341
G. Die Bedeutung der Kreisordnung mit ihren Auswirkungen bis in die Gegenwart Bei der Kreis-Ordnung von 1872 hat es sich um mehr als eine Organisationsnorm gehandelt, weil damit ein neuer Abschnitt in der Entwicklung Deutschlands zum demokratischen Rechtsstaat eröffnet worden ist, da dem Staatsbürger, der bisher bereits an der Gesetzgebung durch Repräsentanten beteiligt gewesen war, nunmehr auch die Mitverantwortung im Handeln der Exekutive und zugleich der Rechtsschutz gegen Eingriffsmaßnahmen der öffentlichen Gewalt anheimgegeben worden ist. 342 Die wesentlichen Elemente der Kreis-Ordnung sind in ungebrochener Kontinuität bis in die Gegenwart erhalten geblieben. Mit der Kreis-Ordnung wurde zugleich die Verwaltungsgerichtsbarkeit in Preußen eingeführt, die, jedenfalls in den beiden ersten Instanzen, in Städten und Kreisen wie in Bezirken, den Repräsentanten der Bürgerschaft anvertraut wurde. Damit war der Bereich für die Entfaltung politischer Freiheit erweitert und zugleich ein umfassender Rechtsschutz gegen hoheitliche Maßnahmen eingerichtet.343 Die Einrichtung der Verwaltungsgerichtsbarkeit fand mit der Einrichtung des Preußischen Oberverwaltungsgerichts 1875 zunächst ihren Abschluß.
v. Poschinger, H. Ritter, Fürst Bismarck und die Parlamentarier, S. 188, 189. G.-Chr. von Unruh, Der Kreis, S. 144. G.-Chr. von Unruh, Die Einrichtung der kommunalen Selbstverwaltung als staatspolitische Aufgabe, in DVBI. 1973, S. 1 ff. 343 G.-Chr. von Unruh, Selbstverwaltung als staatsbürgerliches Recht, S. 18. 340 341 342
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II. Die preußische Kreisordmmg von 1872
Dagegen haben die Grundzüge der 1872 kodifizierten Kreisverfassung mit der Dreiteilung ihrer Organe - Kreistag, Kreisausschuß und Hauptverwaltungsbeamter, Landrat oder später in einigen Ländern Oberkreisdirektor genannt- keine Veränderung gefunden. In der deutschen repräsentativen Demokratie bildet wegen der hier vollzogenen korporativen Gliederung des Staatsvolkes innerhalb des Staatsgebietes die dadurch "vervielfältigte Demokratie" ein charakteristisches Merkmal der verfassungsmäßigen Ordnung des deutschen Rechtsstaates. 344 Es war - zunächst in Preußen - in erster Linie der Kreisselbstverwaltung zu danken, wenn das "Kulturgefalle" zwischen Stadt und Land, wohl mit unterschiedlicher Intensität, verringert oder jedenfalls aufgehalten wurde, wozu Förderung des Bildungswesens und der Kulturpflege durch die Errichtung von Fortbildungsschulen, Volksbüchereien oder Museen nicht unerheblich beitrug.34s Die Kreis-Ordnung erlangte auch für die anderen Länder des Reiches anregende Bedeutung, da durch sie viele öffentliche Angelegenheiten in Stadt, Kreis, Bezirk und Provinz der bürgerlichen Mitverantwortung anheimgegeben worden waren. 346 Unter dieser kommunalen Verfassung, die im Laufe der Zeit in allen preußischen Provinzen eingeführt wurde, sind beträchtliche Leistungen durch Bürger und für Bürger erbracht worden, die Selbstverwaltung hat sich in den folgenden Jahrzehnten bewährt, wie bereits zuvor in den Städten. Bemerkenswert bleibt, daß in diesem Zeitabschnitt fast alle Länder des Reiches die überörtliche Selbstverwaltung nach dem Vorbild der preußischen Kreis-Ordnung einrichteten, ja, daß sogar die Freie und Hansestadt Bremen 1875 für ihr Landgebiet eine Kreis-Ordnung schuf.347 Die Reformgedanken des Freiherrn vom Stein, nämlich die Tätigkeit aller Staatsbürger bei der Staatsverwaltung in Anspruch zu nehmen und dadurch das durch aktive Teilnahme der Bürger entstehende Verständnis, daß Gemeinden und Kreise Glieder eines höheren Gemeinwesens, des Staates, seien, und daß alle ortsbürgerliche Tätigkeit in untrennbarem Zusammenhang zu staatsbürgerlichen Aufgaben stehe348 , gewannen in der Kreis-Ordnung Gestalt, deren Anreger und Verfasser sich ausdrücklich als Vollzieher der Gedanken 344 G.-Chr. von Unruh, Dezentralisation der Verwaltung des demokratischen Rechtsstaates nach dem Grundgesetz, S. 651, zitiert vom BVerfG in BVerfGE 52, 85 (S. 111 f). 345 G.-Chr. von Unruh, Staat und kommunale Selbstverwaltung 1867- 1918, S. 569. 346 G.-Chr. von Unruh, Spannungen zwischen Staats- und Selbstverwaltung im bürgerlichen und sozialen Rechtsstaat, S. 446. 347 G.-Chr. von Unruh, Selbstverwaltung als staatsbürgerliches Recht, S. 18. 348 G.-Chr. von Unruh, Der Kreis im 19. Jahrhunden zwischen Staat und Gesellschaft, s. 108, 109.
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Steins bekannten und alle entscheideneo Einzelheiten der Gesetzgebung als Stein'sche Gedanken nachzuweisen vermochten.349 Die ~ortsetzung, die die Reform des Freiherrn vom Stein in seinem Sinne dank der Initiative von Rudolf von Gneist und des preußischen Innenministers Graf Fritz zu Eulenburg mit der Ausdehnung der "Inanspruchnahme von Staatsbürgern" für die Staatsverwaltung auf das flache Land durch die Kreisordnung von 1872 und die zugleich damit eingerichtete Verwaltungsgerichtsbarkeit fand, hat in ihrer weit über ihre Zeit hinausreichenden Bedeutung im historischen Schrifttum allerdings kaum die ihr gemäße Beachtung erfahren.350 Es hat manche Sternstunde gegeben, auch in der Geschichte des deutschen Staates, wo große Leistungen erbracht wurden, für die hier nur der Name des Freiherrn vom Stein oder auch später die mit dem Namen Bismarcks verknüpften Organisationsgesetze genannt sein sollten, unter denen die Kreisordnung von 1872, das Landesverwaltungsgesetz und die Einführung der Verwaltungsgerichtsbarkeit hervorgeragt haben. 351 Die Kreis-Ordnung von 1872 wird zutreffend das "Grundgesetz der deutschen Kreise" genannt. 352 Die im Zuge der preußischen Verwaltungsreform in den siebziger und achtziger Jahren des vorigen Jahrhunderts verwirklichten Verwaltungsstrukturen waren der entscheidende Einschnitt in der Entwicklung der Kreise, die nun förmliche Anerkennung bzw. Wiedereinsetzung als Korporation mit dem Recht der Selbstverwaltung eigener Angelegenheiten erfuhren. 353 Die KreisOrdnung von 1872, die das gebietskörperschaftliche Wesen des Kreises bestätigte, wurde als Verfassungsurkunde der deutschen Landkreise bezeichnet, ihre Grundzüge, nämlich Dezentralisierung der staatlichen Verwaltung und Beteiligung von Kreiseingesessenen an der Erledigung hoheitlicher Aufgaben durch Kreisorgane, die unter dem Vorsitz des Landrats arbeiteten, prägen die Einrichtungen und Verfahrensformen dieser kommunalen Körperschaften. 354 Die eigenartige Stellung des Landrats führte schließlich dazu, daß es zu den Qualifikationserfordernissen eines höheren Beamten gehörte, zeitweise als Kreisvorsteher gewirkt zu haben, die Verwaltung eines Landratsamtes ge-
349 G.-Chr. von Unruh, Verfassung und Auftrag des Kreises im demokratischen und sozialen Rechtsstaat, S. 10, 11. 350 G.-Chr. von Unruh, Verfassungsreformen in Preußen von 1794 bis 1875, S. 291. 351 G.-Chr. von Unruh, Betrachtungen zur Verwaltungsreform, in DÖV 1971, S. 433 (434. 352 G.-Chr. von Unruh, Das Ringen um Reformen in Preußen 1848- 1869, S. 614. 353 Schmidt-Jortzig, Edzard, Die Entwicklung des Verfassungsrechts der Kreise, S. 88, 90. 354 G.-Chr. von Unruh, Der Landrat, S. 66.
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hörte damit zu den wichtigsten Voraussetzungen für eine erfolgreiche Laufbahn in der Staatsverwaltung.355 Die Schwierigkeiten, mit denen sich die Initiatoren der Kreis-Ordnung auseinanderzusetzen hatten, waren nicht nur die Gegenströmungen von Seiten, die das Bestehende zu erhalten wünschten, sondern nicht weniger von Politikern, die sich fortschrittlich oder liberal nannten, weil sie sich von antagonistischen Vorstellungen zwischen Staats- und Selbstverwaltung nicht zu lösen vermochten. Die Erwartung der damals progressiven Männer wie Eulenburg, Gneist, Friedenthai oder Persius, das neue Modell der Selbstverwaltung werde "als ein Unterbau von Staat und Gesellschaft beide zu einer Einheit verschmelzen", verwirklichte sich in diesem Umfang allerdings nicht. 356 Das Werk des Freiherrn vom Stein und seiner Mitarbeiter sollte vollendet werden, worauf Gneist nachdrücklich verwies, wenn er feststellte, daß "alle entscheidenen Einzelheiten unserer Gesetzgebung als Stein'sche Gedanken nachzuweisen" seien.357 Gneist stellte später zu der Verwaltungsreform fest, aus den schroffen Gegensätzen und Konflikten des letzten Menschenalters sei in Preußen ein Aufbau von Selbstverwaltung und Verwaltungsjurisdiktion hervorgegangen.358 Das endliche Resultat sei das Zustandekommen der grundlegenden Kreisordnung vom 13. Dezember 1872 gewesen, als Fortführung und Konsolidation hätten sich daran Gesetze über die Verfassung, das Verfahren und die Zuständigkeit der neuen Behörden von 1875 und 1876 angeschlossen. Die Bedeutung, die Gneist schon damals der Verwaltungsreform beimaß, formulierte er dann besonders deutlich: Das Gesetzeswerk fiel in einen Zeitpunkt des nationalen Aufschwungs, in jenes Decennium von 1867 - 1877, welches eine spätere Zeit als den fruchtbarsten Abschnitt des deutschen Rechtslebens verzeichnen wird. 359
Rechtsstaat ist - als eine Fortentwicklung der Ideen Rudolf von Gneists nicht auf den Schutz des Individuums vor hoheitlicher Gewalt wie vor Eingriffen von jedermann durch unabhängige Richter beschränkt, sondern soll auch durch eine "Balancierung" der Verwaltung, die eine gebietliehe Dezentralisation bewirkt, gewährleistet werden. 360
355 G.-Chr. von Unruh, Der Landrat, S. 67. 356 G.-Chr. von Unruh, Die Einrichtung der kommunalen Selbstverwaltung als staatspolitische
Aufgabe, S. 9. 357 G.-Chr. von Unruh, Der Kreis im 19. Jahrhundert zwischen Staat und Gesellschaft, S. 100. 358 Gneis/, Rudolf, Der Rechtsstaat und die Verwaltungsgerichte in Deutschland, S. 286. 359 Gneis/, Rudolf, Der Rechtsstaat und die Verwaltungsgerichte in Deutschland, S. 290. 360 G .-Chr. von Unruh, Dezentralisation der Verwaltung des demokratischen Rechtsstaats nach dem Grundgesetz, in: DÖV 1974, S. 649 ff, (651).
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1. Ausführung der Kreis-Ordnung Nachdem die Kreis-Ordnung vom Landtag verabschiedet worden war, ging Eulenburg auch sogleich daran, die neuen Regelungen in die Praxis umzusetzen. So schrieb er am 29. Januar 1873 an die Regierungspräsidenten ein Rundschreiben, ein Circular, veröffentlicht im preußischen Ministerial-Blatt.361 Darin hob er hervor, daß die Kreis-Ordnung für die Provinzen Preußen, Brandenburg, Pommern, Posen, Schlesien und Sachsen am 13. Dezember 1872 die Allerhöchste Sanktion erhalten habe und durch die Gesetzessammlung publiziert worden sei. Es müsse nunmehr ungesäumt zur Ausführung derselben geschritten werden. Das durch dieses Gesetz beabsichtigte wichtige und weitergehende Reformwerk werde nur dann gelingen, wenn die durch dasselbe zu schaffenden Institutionen von den ausführenden Behörden richtig aufgefaßt und mit Liebe zur Sache ins Leben gerufen würden. Um die gleichförmige und rechtzeitige Ausführung des Gesetzes zu sichern, so Eulenburg weiter, habe er beschlossen, dieselbe für den Bereich der Regierungsbezirke unmittelbar den Herren Regierungs-Präsidenten unter der Oberaufsicht der Herren Ober-Präsidenten zu übertragen. Man möge sich dieser verantwortungsvollen Aufgabe mit voller Hingebung widmen und bestrebt sein, die Schwierigkeiten, mit welchen die Lösung derselben vielfach zu kämpfen haben werde, erfolgreich zu überwinden. Eine fernere Aufgabe werde es sein, das beteiligte Publikum über die Zwecke und Ziele der Reform in geeigneter Weise und bei jeder sich darbietenden Gelegenheit zu belehren und die in Betreff derselben noch vielfach verbreiteten unrichtigen Auffassungen und Vorurteile zu berichtigen. Die Selbstverwaltung, welche das Gesetz den Kreisen in weitem Umfange gewähre, beruhe auf der Voraussetzung, daß es an Männern nicht fehlen werde, welche zur Übernahme von Ehrenämtern in der Verwaltung und zur Vertretung der Kreise geeignet und bereit seien. Sollte die Neigung zur Übernahme unbesoldeter Ehrenämter hier und da anfänglich nicht vorhanden sein, so vertraue er auf die Einsicht, den Patriotismus und die Opferbereitschaft der Männer, daß sie ihre Zeit und ihre Kräfte dem öffentlichen Dienste widmeten. Die nächste Aufgabe der Landräte werde darin bestehen, die Kreistage und Amtsbezirke zu bilden. Zum Zwecke der Wahlen der Kreistags-Abgeordneten würden nach Art. 1-4 des Instruktionsentwurfes für jeden Kreis zunächst die
361
Bundesarchiv Koblenz, PD 6/l, Bd. 34, S. 28, 29.
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II. Die preußische Kreisordnung von 1872
Verzeichnisse der Wabiberechtigten aufzustellen sein. Die Landräte seien sogleich anzuweisen, ungesäumt vorzugehen. Eulenburg forderte dann zur Berichterstattung auf über die für die Wahlen der Kreistagsabgeordneten erforderlichen Fristen, um danach einen bestimmten, von den Landräten pünktlich einzuhaltenden Geschäftsplan vorschreiben zu können. Gleichzeitig schrieb er an die Ober-Präsidenten der Provinzen Preußen, Brandenburg und Pommern.362 Er ersuchte die Adressaten ganz ergebenst, der wichtigen Angelegenheit der Ausführung der Kreis-Ordnung geflüligst ihre volle Teilnahme zu widmen, sich über die Förderung der einzelnen Ausführungs-Arbeiten in fortdauernder Kenntnis zu erhalten, überall zu belehren und anzuregen und vor allem dafür Sorge zu tragen, daß in sämtlichen Kreisen der Provinz die Bestimmungen des Gesetzes gleichmäßig und ihrem Geiste entsprechend zur Ausführung gebracht würden. Über die Ausführung des Gesetzes solle ihm von Zeit zu Zeit Mitteilung gemacht werden.
a) Haushaltsmittel zur Ausführung der Kreis-Ordnung Am 10. Juni 1873 schrieb Eulenburg an den Finanzminister Camphausen sowie die Ober-Präsidenten der Provinzen Preußen, Brandenburg, Pommern und Sachsen sowie an das Oberpräsidium der Provinz Schlesien und teilte in Ausführung des Gesetzes vom 30. April1873 betreffend die Dotation der Provinzial- und Kreisverbände die Berechnungen über die Verteilung der durch dieses Gesetz zur Verfügung gestellten Fonds mit. 363
Daraus ergab sich für Zwecke der provinziellen Selbstverwaltung eine Summe von jährlich zwei Millionen Taler, zur Durchführung der Kreis-Ordnung und der zu erlassenden ähnlichen Gesetze eine Summe von jährlich einer Million Taler. Zudem wurden von den zu Provinzialzwecken zur Verfügung gestellten Beträgen 480.000 Taler entnommen und vorläufig für Zwecke der Kreis-Ordnung verwendet. Die Zahlungen hätten durch die RegierungsHauptkassen in vierteljährlichen Raten praenumerando zu erfolgen. Bevor die nach der Kreis-Ordnung für die Verfügung über diese Summen zuständigen Kreistage gebildet seien, sollten die Summen bis dahin einstweilen zinsbar belegt werden. Die den Kreisen zufließenden Raten seien für Kosten der ersten 362 GStA Merseburg, Acta Ministerium des Innem, Rep. 77, Abth. IV, Sekt. 4, TiL 772, Nr. 20, Vol. 1, BI. 57-58. 363 GStA Merseburg, Acta Ministerium des Innem, Rep. 77, Abth. IV, Sekt. 4, TiL 772, Nr. 20, Vol. 1, BI. 169-171 R.
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Einrichtung wie Beschaffung von Lokalen und Inventarienstiicken, von Amtsgefängnissen u.s.w. zweckmäßig zu verwenden. Welche Beträge zu den Kosten der durchlaufenden Verwaltung der KreisAusschüsse und welche zu denen der laufenden Amtsverwaltung verwendet werden sollten, sollte der Beschlußnahme der einzelnen Kreisvertretungen überlassen bleiben, Eulenburg empfahl jedoch die möglichste Sparsamkeit in der Kreis-Ausschußverwaltung, um ausreichende Fonds für die Amtsverwaltungen übrig zu haben und dadurch auch die eventuelle Belastung der Eingesessenen der einzelnen Amtsbezirke zu beschränken. Zu den Kosten der Verwaltung der Kreis-Ausschüsse gehörten Ausgaben für die Beschaffung von Diensträumen, für Licht, Heizung, Schreibmaterialien, Schreibhilfe und Porto, für Botendienste, für die Besoldung eines Sekretairs, für einen Syndikus, sofern die Anstellung eines solchen vom Kreistage beschlossen werden sollte, für die Diäten und Reisekosten der Mitglieder des Kreis-Ausschusses, für Zeugengebühren, Gutachten und Lokaltermine, soweit diese Ausgaben vom Kreise zu tragen seien. Zur Beschaffung von Amtsgefängnissen riet Eulenburg, Abkommen zur Mitbenutz!lng von städtischen Polizeigefängnissen abzuschließen, ansonsten von den bisherigen ländlichen Ortsobrigkeiten anzumieten oder zu erwerben. Abschließend ersuchte Eulenburg dann die Adressaten, die Landräte näher anzuweisen, die Bemerkungen über die zweckmäßigen finanziellen Regelungen jedoch nicht als bindende Norm, sondern nur als Fingerzeige mitzuteilen. Über die finanzielle Regelung in den einzelnen Kreisen sei ihm zu berichten.
b) Beschaffung amtlicher Siegel Bei der Einrichtung der neuen Verwaltungsstellen kümmerte Eulenburg sich auch um Einzelheiten. So schrieb er am 24. September 1873364 an die Herren Regierungs-Präsidenten und Regierungs-Vice-Präsidenten, daß rechtzeitig Einleitungen zu treffen seien, um die Amtsvorsteher und Kreis-Ausschüsse mit den für ihren amtlichen Gebrauch nötigen Siegeln rechtzeitig versehen zu können. Dazu habe er durch den Hof-Graveur zwei Probe-Siegel anfertigen lassen. Zudem bestimme er, daß nach Maßgabe dieser Probe-Siegel sowohl die Siegel für die
364 GStA Merseburg, Acta Ministerium des Innem, Rep. 77, Abth. IV, Sekt. 4, TiL 772, Nr. 20, Vol. 1, BI. 205-206 R. 14 Lange
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II. Die preußische Kreisordnwtg von 1872
Amtsvorsteher wie auch die Siegel für die Kreis-Ausschüsse allgemein als Insignie den Königlich-Preußischen Adler und als Umschrift die Worte "Amt NN", "Kreis NN" bzw. "Kreis-Ausschuß des Kreises NN" tragen sollten. Eulenburg führte dann die Preise für die Siegel in unterschiedlichen Ausführungen auf und wies zudem darauf hin, daß der Hof-Graveur Blanke auch zur Lieferung von Stempel-Brief-Marken bereit sei. Er wies die Adressaten darauf hin, daß die Beschaffung der Dienstsiegel gefa.Iligst bald zu veranlassen sei.
c) Eulenburg zu Einzelfragen der Kreis-Ordnung und deren Auslegung Am 2. November 1873 äußerte Eulenburg sich gegenüber dem Justizminister Dr. Leonhardt zu der Frage der Übernahme eines Kreistagsmandats durch einen Staatsbearnten.365 Nach seiner Einschätzung dürfte keine Veranlassung vorliegen, die Zulässigkeil der Übernahme eines Mandats als Kreistagsabgeordneter seitens eines Staatsbeamten von der Genehmigung der vorgesetzten Dienstbehörde abhängig zu machen. Es würden in der Regel nicht mehr als zwei Kreistage im Laufe eines Jahres abgehalten werden, die auch nicht länger als einige Stunden zu dauern pflegten. Die Wahrnehmung eines Mandats als Kreistagsabgeordneter erscheine daher selbst bei viel beschäftigten Beamten mit der Erfüllung der Dienstobliegenheiten nicht unvereinbar. Die Beamten hätten ihren Vorgesetzten rechtzeitig von der Anberaumung Anzeige zu machen und um Urlaub nachzusuchen, der auch zu versagen sein würde, wenn es zu einer Kollision mit Dienstobliegenheiten komme, die der Wahrnehmung des Mandats vorgehen müßten, so, wenn z.B. für einen Richter gleichzeitig eine Gerichtssitzung anberaumt worden sei. Eine Beschlußfassung des königlichen Staatsministeriums über diese Frage halte er, Eulenburg, zunächst nicht für erforderlich. Am 25. Dezember 1873366 wandte sich Eulenburg an die Regierungs-Präsidenten und Oberpräsidenten und teilte ihnen mit, daß eingegangene Anträge auf Entscheidungen, für die ab dem 1. Januar 1874 die Kreis-Ausschüsse in erster Instanz zuständig seien, alsbald nach dem 1. Januar 1874 an den betreffenden Kreis-Ausschuß abzugeben seien und daß die Anberaumung der Ver365 GStA Merseburg, Acta Ministerium des Innem, Rep. 77, Abth. IV, Sekt. 4, Tit. 772, Nr. 20, Vol. 1, BI. 233, 233 R. 366 GStA Merseburg, Acta Ministerium des Innem, Rep. 77, Abth. IV, Sekt. 4, Tit. 772, Nr. 20, Vol. 1, BI. 235,235 R.
G. Die Bedeutung der Kreisordnung
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handlungstermine dem Kreis-Ausschusse zu überlassen sei. Der Kreis-Ausschuß sei auch für Beschwerden über Verfügungen zuständig, die diejenigen Ortspolizeibehörden erlassen hätten, die noch zuständig seien, wo ein Amtsvorsteher am 1. Januar 1874 noch nicht ernannt sei. Auf Rekursbeschwerden, welche vor dem 1. Januar 1874 von den bis dahin zuständigen Behörden erlassen worden seien, habe diejenige Behörde zu entscheiden, welche nach den bis zum l. Januar 1874 gültigen Vorschriften berufen war, jedoch trete an die Stelle der Deputationen für das Heimatwesen das Verwaltungsgericht Eulenburg schuf hier also auch Übergangsregelungen für Fälle zwischen altem und neuem Recht. Am 3. Februar 1874367 teilte Eulenburg den königlichen Regierungen mit, daß nach der Kreis-Ordnung vom 13. Dezember 1872 sowohl der Inhalt der Kreistagsbeschlüsse als auch der von dem Kreistage festgestellten KreisHaushaltsetats in einer vom Kreistage zu bestimmenden Weise zur öffentlichen Kenntnis gebracht werden solle. Da die Publikationen für ihn von Interesse seien, sollten die Landräte veranlaßt werden, ihm jedesmal ein Exemplar des Kreisblattes einzureichen. Es sei zudem seine Absicht, Beschlüsse von allgemeinem Interesse durch den Deutschen Reichs-Anzeiger und den Königlich Preußischen Staats-Anzeiger zur Kenntnis bringen zu lassen. Dies teilte er auch gleichzeitig dem Kurator des Deutschen Reichs-Anzeigers und Königlich Preußischen StaatsAnzeigers, Herrn Geheimen Regierungs-Rath Zitelmann, mit. Eulenburg legte auf Anfrage auch Vorschriften der Kreis-Ordnung aus. So teilte er dem Landrat von Dramburg auf dessen Bericht mit, daß es keinem Zweifel unterliegen könne, daß unter der im § 8 der Kreis-Ordnung vorgeschriebenen Ausschließung von der Ausübung des Rechts auf Teilnahme an der Vertretung des Kreises nicht nur das passive, sondern auch das aktive Wahlrecht zu verstehen sei.368 Am 20. März 1874369 teilte Eulenburg den Regierungs-Präsidenten und Regierungs-Vice-Präsidenten mit, daß er Bedenken gegen die Aufstellung polizeilicher Exekutivbeamten von Seiten der Amtsverbände nicht für begründet erachte. Zwar enthalte die Kreis-Ordnung hierüber keine ausdrückliche Bestimmung, es lasse sich aber auch aus keiner Vorschrift derselben, insbeson367 GStA Merseburg, Acta Ministerium des Innem, Rep. 77, Abth. IV, Sekt. 4, Tit. 772, Nr. 20, Vol. 1, BI. 254. 368 GStA Merseburg, Acta Ministerium des Innem, Rep. 77, Abth. IV, Sekt. 4, Tit. 772, Nr. 20, Vol. 1, BI. 272,272 R. 369 GStA Merseburg, Acta Ministerium des Innem, Rep. 77, Abth. IV, Sekt. 4, Tit. 772, Nr. 20, Vol. 1, BI. 273-274.
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II. Die preußische Kreisordnwtg von 1872
dere nicht aus dem angesprochenen § 50, die Folgerung herleiten, daß den Amtsverbänden die Befugnis zur Anstellung polizeilicher Executivbeamten nicht zustehe. Es entspreche der Absicht des Gesetzes, daß die Amtsverbände zur Annahme derjenigen Unterbeamten, welche zur Führung der Amtsverwaltung erforderlich seien, nicht ausgeschlossen seien. Dies ergebe sich auch aus den Motiven zu § 59 des ersten Entwurfs der Kreis-Ordnung vom 27. September 1869, in welchem unter den Kosten der Amtspolizeiverwaltungen die Remunerationen besonderer Unterbeamten (Polizeidiener für den exekutiven Dienst der Amtshauptleute) aufgezählt würden. Auch werde das Bedürfnis zur Anstellung besonderer polizeilicher Exekutivbeamten im allgemeinen anzuerkennen sein, denn der Amtsvorsteher werde sich anderer Organe nicht in allen Fällen so leicht und so schnell zur Ausführung seiner Anordnungen bedienen können, wie eines Amtsdieners, der ihm als polizeilicher Exekutivbeamter stets und unmittelbar zur Hand sei. Auch fände Eulenburg nichts dagegen zu erinnern, daß die Amtsdiener als äußeres Erkennungszeichen einen Metallschild auf der Brust trügen, welcher mit dem preußischen Adler und der Umschrift "Amtsdiener des Amtsbezirks NN" versehen sei. Im übrigen nehme er bezüglich der durch die Annahme von Amtsdienern entstehenden Kosten auf die Bemerkungen in dem Circular-Erlaß vom 10. Juni v.J. wegen Verteilung der Kreisfonds Bezug und sehe der Eineeichung einer Abschrift des aufgestellten Entwurfs einer Dienst-Instruktion für die Amtsdiener entgegen. An den Königlichen Landrat in Schlochau schrieb Eulenburg am 2. April1874370, daß die Auslegung der Kreis-Ordnung dem Wortlaut und dem Sinne des Gesetzes entspreche, wenn die Regierung zu Marienwerder dazu komme, daß es einer vorherigen Anhörung des Kreistages über solche Kommunai-Bezirksveränderungen nach§ 135 nicht bedürfe, deren Genehmigung dem Kreis-Ausschuß zustehe.
d) Verkündung kreispolizeilicher Vorschriften Dem Königlichen Regierungs-Präsidium zu Potsdam teilte Eulenburg unter dem 4. April 1874371 mit, daß die Erteilung einer generellen Anweisung zur 370 GStA Merseburg, Acta Ministerium des Innem, Rep. 77, Abth. IV, Sekt. 4, Tit. 772, Nr. 20, Vol. 1, BI. 278. 371 GStA Merseburg, Acta Ministerium des Innem, Rep. 77, Abth. IV, Sekt. 4, Tit. 772, Nr. 20, Vol. 1, BI. 279,279 R.
G. Die Bedeunmg der Kreisordnung
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Ausführung des§ 78 der Kreis-Ordnung vom 13. Dezember 1872 nicht erforderlich erscheine. Es seien vielmehr von der dortigen Regierung die erforderlichen Bestimmungen über die Art der Verkündung kreispolizeilicher Vorschriften sowie über die Formen, von deren Beobachtung die Gültigkeit derselben abhänge, ohne weiteres zu erlassen. Er füge die von der Königlichen Regierung zur Erfurt erlassene Bekanntmachung zur gefälligen Kenntnisnahme bei und bemerke, daß ähnliche Bestimmungen in die dort zu erlassende Bekanntmachung aufzunehmen seien. Nach dieser Regelung372 erhielten kreispolizeiliche Verordnungen u.a. rechtsverbindliche Kraft, sobald sie durch Kreisblätter oder sonstige zur Publikation amtlicher Erlasse bestimmte und bezeichnete öffentliche Blätter bekannt gemacht seien, lokalpolizeiliche Verordnungen gleich Gültigkeit, wenn deren Publikation durch die Kreis- oder dem gleichen Zwecke dienende öffentliche Blätter und durch Anschlag (Aushang) am Rats- oder Gemeindehause oder dem zu ordentlichen Gemeinde-Versammlungen benutzten Lokale erfolgt sei. So wurde auch geregelt, daß die sonst gebräuchlichen Arten der Publikation von Polizei-Verordnungen durch Ausruf, Verlesen pp durch die gegenwärtige Bestimmung nicht berührt noch ausgeschlossen würden, die Gültigkeit der Polizei-Verordnungen sei jedoch nicht von einer derartigen Bekanntmachung abhängig. Der Königlichen Regierung in Merseburg schrieb Eulenburg am 6. April1874373 , daß er deren Auslegung des § 135 der Kreis-Ordnung nicht für zutreffend erachten könne. Nach der gegenwärtigen Fassung, die auf einem Amendement des Herrenhauses beruhe, könne es keinem Zweifel unterliegen, daß über solche Kommunal-Bezirksverordnungen, welche nach § 135 der Kreis-Ordnung der Kreis-Ausschuß z~ genehmigen habe, nicht der Kreistag zuvor noch mit einem Gutachten zu hören sei. Eine solche Anhörung des Kreistages über Angelegenheiten, in welchen dem Kreis-Ausschuß die Entscheidung zustehe, entspräche auch nicht der Stellung des Kreistages gegenüber dem Kreis-Ausschusse. Zudem würde der Gesetzeszweck, eine Vereinfachung des Verfahrens, nur unvollkommen erreicht.
372 GStA Merseburg, Acta Ministerium des Innem, Rep. 77, Abth. IV, Sekt. 4, TiL 772, Nr. 20, Vol. 1, BI. 279 R - 281. 373 GStA Merseburg, Acta Ministerium des Innem, Rep. 77, Abth. IV, Sekt. 4, TiL 772, Nr. 20, Vol. 1, BI. 282-283.
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Il. Die preußische Kreisordmmg von 1872
e) Vertretung des Landrats Der Königlichen Regierung in Coeslin teilte Eulenburg am 18. April1874 mit374, daß er die Auslegung des§ 136 der Kreis-Ordnung nicht für zutreffend zu erachten vermöge. § 75 gestatte für kürzere Verhinderungsfälle die Vertretung des Landrats durch den Kreis-Sekretär. Das Gesetz beschränke die Vertretungsbefugnis des Kreis-Sekretärs nur insofern, als derselbe nach § 118 bzw. nach§ 136 weder auf dem Kreistage, noch in dem Kreis-Ausschusse den Vorsitz zu führen berechtigt sei. Während als Vorsitzender des Kreistages im Behinderungsfalle des Landrats der dem Dienst- bzw. Lebensalter nach ältere anwesende Kreisdeputierte einzutreten habe, gehe der Vorsitz im Kreis-Ausschusse für den Fall, daß der Kreis-Sekretär den Landrat in seinem Amte vertrete, auf das hierzu vom Kreis-Ausschusse gewählte Mitglied über. In einem Schreiben vom 11. Juni 1874375 an die Oberpräsidenten der Provinzen Preußen, Brandenburg, Schlesien und Sachsen befaßte Eulenburg sich mit der Frage der Stellung der Bezirksregierungen. Er schrieb, es seien Zweifel darüber entstanden, ob nach Erlaß der Kreis-Ordnung vom 13. Dezember 1872 die Bezirksregierungen noch als vorgesetzte Provinzialbehörden der ländlichen Gemeindebeamten im Sinne des Gesetzes vom 13. Februar 1854 anzusehen und demgemäß für befugt zu erachten seien, bei gerichtlichen Verfolgungen jener Beamten wegen Amts- und Diensthandlungen den Konflikt zu erheben. Dazu führte Eulenburg dann aus, daß durch die Bestimmungen der KreisOrdnung diese Befugnis der Bezirksregierungen weder auf die Kreis-Ausschüsse noch auf die Verwaltungsgerichte übertragen worden sei. Vielmehr sei bei den legislativen Beratungen über jenes Gesetz im Abgeordnetenhaus durch den Berichterstatter der Kommission ausdrücklich konstatiert worden, daß die Vorschriften des Gesetzes vom 13. Februar 1854 von den Bestimmungen der Kreis-Ordnung nicht berührt würden. Zwar sei durch § 135 der KreisOrdnung die Aufsicht über die Kommunal-Angelegenheiten der ländlichen Gemeinden und selbständigen Gutsbezirke den Kreis-Ausschüssen überwiesen, wie auch die disziplinarischen Befugnisse gegenüber den Gemeinde-Vorstehern, Schöffen und Gutsvorstehem, im übrigen aber sei in der Stellung der
374
GStA Merseburg, Acta Ministerium des Innem, Rep. 77, Abth. IV, Sekt. 4, TiL 772, Nr. 20,
375
GStA Merseburg, Acta Ministerium des Innem, Rep. 77, Abth. IV, Sekt. 4, TiL 772, Nr. 20,
Vol. 1, BI. 284-285. Vol. II, BI. 6-7.
G. Die Bedeutung der Kreisordnung
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Bezirksregierungen als vorgesetzte Provinzial-Behörden der ländlichen Gemeindebeamten durch die Bestimmungen der Kreis-Ordnung keine Änderung hervorgerufen worden. Andererseits hätten die Kreis-Ausschüsse dadurch, daß ihnen im Interesse der Zentralisation der Verwaltung eine größere Zahl wichtiger Funktionen auch auf dem Gebiete des ländlichen Gemeindewesens übertragen worden seien, noch nicht die Stellung von Provinzial-Behörden erlangt. Ebensowenig könnten die Verwaltungsgerichte, deren Aufgabe in der Rechtsprechung auf dem Gebiete des öffentlichen Rechts bestehe, als Provinzial-Behörden im Sinne des Gesetzes vom 13. Februar 1854 betrachtet werden. Abschließend ersuchte Eulenburg die Ober-Präsidenten, den Inhalt dieses Erlasses den Bezirksregierungen sowie den Verwaltungsgerichten und KreisAusschüssen zur Beachtung mitzuteilen.
2. Eulenburg zur neuen Verwaltungsrechtsprechung
Eulenburg setzte sich auch mit den ersten Verwaltungsgerichtsentscheidungen auseinander, in diesem Falle auch kritisch. So teilte er den Regierungspräsidien am 3. August 1874376 mit, daß, wie sie aus der beigefügten Entscheidung des Verwaltungsgerichts für den Regierungsbezirk Marlenwerder gefälligst ersehen wollten, dasselbe die Kreis-Ausschüsse zur Inkommunalisierung bisher kommunalfreier Grundstücke nicht für kompetent erachte. Möge sich auch diese Ansicht aus dem vielleicht nicht ganz präzisen Wortlaute des § 135 der Kreis-Ordnung vom 13. Dezen:tber 1872 herleiten lassen, so entspreche dieselbe doch, wie Eulenburg konstatierte, nicht der Absicht des Gesetzgebers. Sodann ersuchte er die Regierungspräsidien um Mitteilung über die Auslegung deren Verwaltungsgerichte. Dem Königlichen Landrat in Dramburg schrieb Eulenburg am 29. Dezember 1875377 , daß die Frage, ob die in den §§ 142, 143, 146 und 147 der KreisOrdnung vom 13. Dezember 1872 erwähnten Befugnisse vom Kreis-Ausschusse oder dessen Vorsitzenden wahrzunehmen seien, für das Gebiet der streitigen Verwaltungs-Angelegenheiten durch das mit dem 1. Oktober 1875 in Kraft getretene Gesetz vom 3. Juli 1875 über die Verfassung der Verwal376 GStA Merseburg, Acta Ministerium des Innem, Rep. 77, Abth. IV, Sekt. 4, TiL 772, Nr. 20, Vol.ll, BI. 17. 377 GStA Merseburg, Acta Ministerium des Innem, Rep. 77, Abth. IV, Sekt. 4, TiL 772, Nr. 20, Val. ll, BI. 268, 268 R.
216
II. Die preußische Kreisordnung von 1872
tungsgerichte pp im wesentlichen ihre Erledigung gefunden habe. Während nach § 142 der Kreis-Ordnung die Zurückweisung eines unbegründeten Anspruchs nur durch einen begründeten Bescheid des Kreis-Ausschusses erfolgen konnte, könne dies nach § 37 des Gesetzes vom 3. Juli 1875 auch der Vorsitzende des Kreis-Ausschusses. Was die Beweiserhebung anbelange, so erscheine es nach dem Wortlaut der§§ 146 und 147 der Kreis-Ordnung sowie der §§ 46 und 47 des Gesetzes vom 3. Juli 1875 sowie nach der materiellen Bedeutung dieses Aktes nicht zweifelhaft, daß dieselbe nicht dem Vorsitzenden, sondern dem Kreis-Ausschusse selbst zustehe. Eulenburg wies gelegentlich auch darauf hin, daß manche ihm vorgetragenen Fälle ohne praktische Bedeutung seien und demgemäß kaum der prinzipiellen Regelung bedürften. So beschied er am 4. Februar 1876378 den Ober-Präsidenten von Potsdam in dieser Weise zu der Frage der vorübergehenden Vertretung des Landrats durch einen Kreisdeputierten. Über die Fragen der dem stellvertretenden Vorsitzenden im Kreis-Ausschuß nach § 136 der Kreis-Ordnung zustehenden Befugnisse teilte Eulenburg dem Ober-Präsidenten zu Stettin am 13. Februar 1876379 mit, er habe den Grundsatz als maßgebend bezeichnet, daß unter dem Vorsitze im Kreis-Ausschusse nicht allein das Präsidium in den Sitzungen des Kreis-Ausschusses zu verstehen sei, sondern der Inbegriff derjenigen Funktionen, welche dem Landrate als Vorsitzendem des Kreis-Ausschusses zuständen. Da der Kreissekretär als Stellvertreter des Landrats den Vorsitz im Kreis-Ausschusse nach § 136 nicht führen dürfe, habe er sich derjenigen Befugnisse zu enthalten, die ausdrücklich dem Vorsitzenden des Kreis-Ausschusses überwiesen worden seien. Es gehe jedoch zu weit, wenn, gestützt auf das Geschäfts-Regulativ für die Kreis-Ausschüsse vom 20. November 1873, für den stellvertretenden Vorsitzenden im Kreis-Ausschusse das Recht in Anspruch genommen werde, mit Ausschluß des den Landrat vertretenden Kreis-Sekretärs die an den KreisAusschuß eingehenden Schriftstücke zu eröffnen und mit dem Tage des Eingangs zu versehen. Um Verzögerungen zu vermeiden, halte Eulenburg es nicht allein für zulässig, sondern unter Umständen auch für geboten, daß der Kreis-Sekretär bei Verhinderung des Landrats auch die an letzteren unter der Adresse des Kreis-Ausschusses eingehenden Schreiben erbreche und präsentiere. Das Publikum müsse durch rechtzeitige und rechtsgültige Präsentation der Eingänge gegen den Verlust von Rechtsmitteln durch Fristversäumnis tun378 GStA Merseburg, Acta Ministerium des Innem, Rep. 77, Abth. IV, Sekt. 4, TiL 772, Nr. 20, Vol. II, BI. 270-271. 379 GStA Merseburg, Acta Ministerium des lnnem, Rep. 77, Abth. IV, Sekt. 4, TiL 772, Nr. 20, Vol. II, BI. 272-275.
H. Kommunale Selbstverwaltung im Grundgesetz der Bundesrepublik
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liehst geschützt werden. Bei richtiger Würdigung dieser sachlichen Momente müsse sich in allen Fällen der vorübergehenden Verhinderung des Landrats eine zweckmäßige Regelung der formellen Funktion des Präsentierens zwischen den verschiedenen Stellvertretern des Landrats herbeiführen lassen.
H. Kommunale Selbstverwaltung im Grundgesetz der Bundesrepublik Deutschland
Die Vollendung des politischen Konzepts des Freiherrn vom Stein, der die Tätigkeit aller Staatsbürger in Anspruch nehmen wollte, findet sich in der kommunalen Selbstverwaltung nach dem Grundgesetz, die trotz Veränderung der Verhältnisse ihren substanziellen Kern nicht eingebüßt hat. 380 Die kommunale Selbstverwaltung gliedert seit ihrer Entstehung in Deutschland die Verwaltung in überschaubare Einheiten, zudem bezieht sie die Gemeinden und Kreise in das demokratische System ein, indem die Bürger auch auf der kommunalen Ebene selbst oder durch gewählte Organe zugewiesene örtliche oder überörtliche Aufgaben eigenverantwortlich erfüllen. 381 Nach Art. 28 Abs. 2 Satz 1 GG haben auch die Gemeindeverbände das Recht der Selbstverwaltung, das Recht nämlich, alle Angelegenheiten der örtlichen Gemeinschaft im Rahmen der Gesetze in eigener Verantwortung zu regeln, das Grundgesetz gibt hier also sogar die Legaldefinition für Selbstverwaltung.382 Der Kreis ist wegen seiner zugleich gebietskörperschaftliehen Struktur sowie dem von Art. 28 Abs. 1 Satz 2 GG geforderten Demokratiestandard die zentrale, einzig verfassungsfeste Form der Kreisverbände und fallt deshalb unter die Kompetenzgewährleistung des Art. 28 Abs. 2 Satz 2 GG, weshalb ihm auch durch Art. 93 Abs. 1 Nr. 4 b GG wegen Verletzung des Rechts auf Selbstverwaltung die Verfassungsbeschwerde eröffnet wird. 383 Er stellt für diese Anforderungen empirisch die am besten geeignete Größe dar, auch die Kreise werden daher existenzial vom Grundgesetz garantiert. 384 Der
380 G.-Chr. von Unruh, Dezentralisation der Verwaltung des demokratischen Rechtsstaates nach dem Grundgesetz, S. 656; ders., Die verfassungsrechtliche Stellung der kommunalen Selbstverwaltung nach dem Grundgesetz, in: Juristische Arbeitsblätter 1992, S. 110 ff. 381 v. Mutius, Albert, Ortliehe Aufgabenerfilllung, Traditionelles, funktionales oder neues Selbstverwaltungsverständnis?, in: Selbstverwaltung im Staat der lndustriegesellschaft, S. 277 ff. 382 Schmidt-Jortzig, Edzard, Kommunale Organisationshoheit, S. 78. 383 Schmidt-Jortzig, Edzard, Die Selbstverwaltungsbereiche von Kreisen und kreisangehörigen Gemeinden nach der Verfassung, in: DOV 1984, S. 821 ff (827). 384 Schmidt-Jortzig, Edzard, Kommunalrecht, S. 28.
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II. Die preußische Kreisordmmg von 1872
Kreis gehört damit zu den Selbstverwaltungskörperschaften, auf denen - auch nach den Worten des Bundesverfassungsgerichts- die "gegliederte Demokratie" der Bundesrepublik Deutschland beruht.38s Von den Gemeindeverbänden gewährleisten bisher allein die Kreise die kommunale Selbstverwaltung, indem sie bürgernah die örtlichen Lebensbedingungen regeln, integrierend wirken und die Bürger zu Mitarbeit aktivieren, die im Grundgesetz festgeschriebenen Gemeindeverbände sind also ausschließlich die Kreise. 386 Die kommunale Selbstverwaltung hat für die Verfassung einen derart hohen Stellenwert, daß sie gemäß Art. 28 Abs. 2 des Grundgesetzes als erkennbar gesteigerte verfassungsrechtliche Fixierung zu den Einrichtungsgarantien zählt. 387 Die Selbstverwaltung ist als Einrichtung (Institution) festgeschrieben, weil von ihr ein ganz grundlegend und eigengewichtig ordnender Effekt für das Staatswesen ausgeht. 388 Die institutionelle Garantie gewährt einen besonderen Schutz, ähnlich wie beim Grundrechtsschutz ist der Kernbereich der Einrichtung absolut eingriffsfrei gestellt, verstärkt und ergänzt durch das Übermaß verbot. 389 Die Sicherungsvorkehrungen in Art. 28 Abs. 2 Satz 1 GG sind gegen den Staat gerichtet, und zwar gegen jede seiner Funktionsäußerungen, Gesetzgebung, staatliche Verwaltung und Rechtsprechung können die Selbstverwaltungsgarantie verfassungsrelevant verletzen, der Sonderschutz hätte aber auch, sofern erforderlich, Zugriffe von privatrechtlicher Seite (von Verbänden etc.) abzuwehren. 390 Jede Preisgabe der verfassungsrechtlich geschützten Selbstverwaltung würde eine Verletzung der Verfassung bedeuten.391 Soweit Vorschriften in Länderverfassungen Garantien der Kreisverbände regeln, müssen diese zumindest mit Art. 28 Abs. 2 GG über einstimmen, können jedoch auch darüber hinausgehen; sofern sie dem Grundgesetz widersprächen, wären sie nichtig. 392 Schließlich ist Art. 28 Abs. 2 GG Ausdruck des Prinzips der vertikalen Dezentralisation sowie der gestuften repräsentativen Demokratie und formt insoweit die Staatszielbestimmungen in Bund und Ländern (Demokratie, 38S BVerfGE 52, S. 111 f; G.-Chr. von Unruh, Vom brandenburgischen zum deutschen Kreis, Vielhundertjährige Entwicklung einer kommunalen Körperschaft, S. 37. 386 Schmidl-Jortzig, Edzard, Kommunale Organisationshoheit, S. 141. 387 Schmidl-Jortzig, Edzard, Die Einrichtungsgarantien der Verfassung, S. 32. 388 Schmidl-Jortzig, Edzard, Die Selbstverwaltungsbereiche von Kreisen und kreisangehörigen Gemeinden nach der Verfassung, S. 828. 389 Schmidl-Jortzig, Edzard, Die Selbstverwaltungsbereiche von Kreisen und kreisangehörigen Gemeinden nach der Verfassung, S. 824. 390 Schmidl-Jortzig, Edzard, Die Selbstverwaltungsbereiche von Kreisen und kreisangehörigen Gemeinden nach der Verfassung, S. 825. 391 G.-Chr. von Unruh, Dezentralisation der Verwaltung des demokratischen Rechtsstaates nach dem Grundgesetz, S. 652. 392 von Mutius, Albert, Örtliche Aufgabenerfüllung, S. 241.
H. Kommunale Selbstverwaltung im Grundgesetz der Bundesrepublik
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Rechtsstaat, Sozialstaat, aber auch föderale Strukturen) in bestimmter Weise mit aus. 393 Aufgrund der institutionellen Garantie besitzen die einzelnen kommunalen Körperschaften eigene Anhörungsrechte und subjektive Verfahrensbeteiligungen mit Verfassungsrang, die sie auch verfassungsgerichtlich geltend machen können. 394 Von der institutionellen Garantie der kommunalen Selbstverwaltung werden die Kommunen als Selbstverwaltungssubjekte und das Selbstverwaltungsrecht zwar nicht umfaßt, gleichwohl aber mitgeschützt, Gemeinden und Gemeindeverbände stellen notwendige Bestandteile der Selbstverwaltung dar. 395 Die Zuerkennung der Selbstverwaltung in Art. 28 Abs. 2 Satz 2 GG wurde - auch höchstrichterlich - immer in stärkerer Intensität, als ein gleichfalls "muß gewährleistet sein" verstanden. 396 Das Grundgesetz mißt dem dreistufigen Aufbau des Staates sogar eine solche gewichtige Bedeutung zu, daß nach Art. 115 c Abs. 3 GG selbst in der Ausnahmesituation des Verteidigungsfalles die Lebensfähigkeit der Länder, Gemeinden und Gemeindeverbände zu wahren ist. 397 Wann immer das Gemeinwesen besondere Anstrengungen forderte, traten an die Kreise neue und große Arbeiten heran, die sie mit bemerkenswertem Erfolg bewältigten.398 Die Gemeinden und Kreise haben sich in der Vergangenheit in besonderem Maße bewährt, vor allem auch in schwierigen Zeiten. Speziell die Leistungsfähigkeit der Kreise hat sich in den Jahren des Ersten Weltkrieges und seiner Folgen im vollen Umfang bewährt. So wurden im Laufe der Zeit Name und Grundzüge ihrer Organisation in allen Ländern des Reiches übernommen. 399 Sie gewährleisteten gleichermaßen die Kontinuität des deutschen Staates über den militärischen Zusammenbruch 1945 hinaus, sie bestanden als intakte Handlungseinheiten fort. 400 Insbesondere die gewachsene Verbundenheit von Landratsamt und Kreisbürgern war letztlich wohl auch das Geheimnis der erstaunlich wirksamen Verwaltungsarbeit im Kreise während der Kriegsjahre
393 von Muzius, Albert, Ortliehe Aufgabenerfüllung, S. 240, ders., Kommunalverwaltung und Kommunalpolitik, in Deutsche Verwaltungsgeschichte, Bd. V (1987), S. 312 ff, S. 328 ff. 394 von MuJius, Albert, Offentliehe Aufgabenerfüllung, S. 240. 395 SchmidJ.Jortzig, Edzard, Kommunale Organisationshoheit, S. 90, 91. 396 SchmidJ-Jortzig, Edzard, Kommunale Organisationshoheit, S. 92. 397 SchmidJ-Jortzig, Edzard, Kommunalrecht, S. 27. 398 Schmidl-Jortzig, Edzard, Die Entwicklung des Verfassungsrechts der Kreise, S. 91. 399 G.-Chr. von Unruh, Der Kreis im 19. Jahrnunden zwischen Staat und Gesellschaft, S. 104; Hofmann, Wolfgang, Staat und kommunale Selbstverwaltung, in: Deutsche Verwaltungsgeschichte, Bd. III (1984), S . 587 ff, 623 f. 400 SchmidJ-Jortzig, Edzard, Kommunale Organisationshoheit, S. 135.
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II. Die preußische Kreisordmmg von 1872
und der Zeit danach, das nahezu problemlose Weiterarbeiten der Kreisverwaltungen bzw. Landratsämter wurde zu einem wichtigen Argument für die Kontinuität des deutschen Staates, von den konstitutiven Staatselementen hatte damit auch die deutsche Staatsgewalt nicht zu bestehen aufgehört.401 Nicht zuletzt die Tatsache, daß die staatlichen Funktionen nur noch in Kreisen und Gemeinden Bestand hatte und dadurch die Kontinuität bewahrt blieb, führte zur verfassungsrechtlichen Regelung in Art. 28 des Grundgesetzes.402 Der Kreis hat sich als Gebietskörperschaft und Gemeindeverband auch bewährt zur Wahrung einer "Gleichberechtigung" zwischen der Bevölkerung der größeren Städte und des sog. flachen Landes, weil er einen Verwaltungsraum darstellt, in dem Aufgaben bewältigt werden können, welche regelmäßig die Leistungskraft einer Mittelstadt erfordem.403 Von der Gesamtbevölkerung der Bundesrepublik Deutschland nämlich lebten 1980 etwa 64,5% in den Kreisen, dies belegt deren wichtige Stellung. Der Kreis ist die geborene Instanz, in Erfüllung des verfassungsrechtlichen Sozialstaatsprinzips strukturelle Unterschiede zwischen Ballungsräumen und weniger dicht besiedelten Bereichen auszugleichen.404 Als Quintessenz der Bewährung hat sich jedenfalls ein Aufgabentableau herausgebildet, das in Wissenschaft und Praxis weitgehend anerkannt ist.405 Für die reine Selbstverwaltungsfunktion erscheint der Kreis heute vor allem speziell für die Komplettierung des Leistungsangebots in Daseinsvorsorge und Freizeitgestaltung sowie für die Vermittlung von Identifikation und Einbindung der Bürger berufen.406 So hat die kommunale Selbstverwaltung unter den Bedingungen der modernen Massengesellschaft ganz neue Inhalte gewonnen bzw. schon ursprünglich angelegte in neuen Dimensionen überraschend wiedergefunden, sie bedeutet zur wirklichen demokratischen Ordnung in Sinne der Verfassung eine quantitativ wie qualitativ unverzichtbare Grundstufe. Neue Aufgabenfelder sind u.a. Stadtentwicklung, Umweltschutz Verbesserung der Infrastruktur etc. 407 Zu dem verfassungsmäßig gewährleisteten Selbstverwaltungsrecht gehört auch die Möglichkeit, Rechtssätze zu erlassen, insoweit folgt daraus in VerSchmidJ-Jortzig, Edzard, Die Entwicklung des Verfassungsrechts der Kreise, S. 104, 105. G.-Chr. von Unruh, Selbstverwaltung als staatsbürgerliches Recht, S. 19. 403 G.-Chr. von Unruh, Dezentralisatiion der Verwaltung des demokratischen Rechtsstaates nach dem Grundgesetz, S. 653. 404 SchmidJ-Jortzig, Edzard, Der Kreis als Funktionsträger im sozialen Rechtsstaat, in: Der Landkreis 1980, S. 388 ff (388). 405 SchmidJ-Jortzig, Edzard, Die Entwicklung des Verfassungsrechts der Kreise, S. 91. 406 SchmidJ-Jortzig, Edzard, Der Kreis als Funktionsträger im sozialen Rechtsstaat, S. 389. 407 SchmidJ-Jortzig, Edzard, Verfassungsmäßige und soziologische Legitimation gemeindlicher Selbstverwaltung im modernen Industriestaat, in: DVBI. 1980, S. 1ff(1,9). 401
402
H. Kommunale Selbstverwalnmg im Gnmdgesetz der Bundesrepublik
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bindung mit entsprechenden Gemeinde- und (Land-) Kreisordnungen eine Generalermächtigung zum Erlaß (auch) von kommunalen Satzungen.408 Zudem umfaßt das Selbstverwaltungsrecht auch die Kooperationsfreiheit.409 Das Selbstverwaltungsrecht des Art. 28 Abs. 2 GG bzw. der Landesverfassungen umfaßt neben der Gewährleistung des Aufgabenbereichs auch die Garantie, diese Aufgaben in eigener Verantwortlichkeit zu erfüllen, die Eigenverantwortlichkeit zeigt sich als das eigentlich wichtigste Merkmal der Selbstverwaltung, sie ist für die staatsdezentralisierende, örtlich den Bürger einbeziehende Funktion schlechthin entscheidend.410 Das Recht der Selbstverwaltung wird nur im Rahmen der Gesetze gewährleistet, dieser Gesetzesvorbehalt bezieht sich sowohl auf den Umfang als auch auf die Art und Weise der Aufgabenerledigung.411 Wegen des wesensmäßigen Bedürfnisses des Menschen nach Gemeinschaft und tätiger Solidarität und dessen Drang nach aktiv leistender, selbstbestimmter Teilhabe an der Gestaltung seines Lebensbereiches ist die Selbstverwaltung unter den politischen Bedingungen des modernen Industriestaates nachdrücklicher legitimiert den je.412
408 VOll Mutius, Alben, Die verfassungsrechtliche Gewährleisnmg der kommunalen Selbstverwalnmg, in: JuS 1977, S. 592 ff, (595). 409 SchmidJ.Jortzig, Edzard, Kooperationshoheit der Gemeinden und Gemeindeverblinde bei Erfüllung ihrer Aufgaben, in: Selbstverwalnmg im Staat der Industriegesellschaft, S. 525 ff (529). 410 voll Mutius, Alben, On!iche Aufgabenerfüllung, S. 248. 411 vollMutius, Alben, On!iche Aufgabenerfüllung, S. 250. 412 SchmidJ.Jortzig, Edzard, Verfassungsmäßige und soziologische Legitimation gemeindlicher Selbstverwaltung im modernen Industriestaat, S. 10.
111. Verwaltungsgerichtsbarkeit A. Anfänge des Verwaltungsrechtsschutzes im 18. Jahrhundert Rechtsschutz gegenüber willkürlicher Machtausübung hatte es bereits im Reich und in vielen Territorien in früherer Zeit gegeben, jedenfalls waren schon im 18. Jahrhundert wirksame Einrichtungen zur Sicherung von individuellen Rechten in Preußen und in manchen anderen Gebieten vorhanden, so daß der Untertan nicht mehr schlechthin einer obrigkeitlichen Willkür preisgegeben war. 1
1. "Allgemeine Ordnung" vom 21. Juni 1713
So hat es einen Prozeß gegen des Staat -"Fiskus" - in Preußen schon frühzeitig gegeben, dies kommt klar in der "Allgemeinen Ordnung die Verbesserung des Justizwesens betreffend" vom 21.6.1713 zum Ausdruck, wobei im 18. Jahrhundert in Preußen Fiskus soviel wie Staat bedeutete, es hat also damals schon eine Gerichtsbarkeit über den Staat gegeben. 2 Gerichtsbarkeit gab es bei den Gerichten, aber auch bei anderen Behörden, bei denen es Unterbehörden mit städtischen oder auch adelige Patrimonialgerichte, eine Mittelinstanz mit Kriegs- und Domänenkammern und auch Justizkollegien als Obergerichte gab.3 Die Kammerjustiz genoß jedoch nicht allseits dasselbe Vertrauen wie die ordentliche Gerichtsbarkeit, so warf man den Kammern vor, sie seien Richter in eigener Sache, die Gerichte hingegen wurden von den Ständen aber auch aus politischen Interessen favorisiert, da zumindest ein Teil der Richter aus dem Adel stammte.4
I 2 3
4
G.-Chr. von Unruh, Vom Gesetzesstaat zum Rechtsstaat, in: DVBI. 1975, S. 838 (840). Rüfner, Wolfgang, Verwaltungsrechtsschutz in Preußen von 1749 bis 1842, S. 62, 63. Rüfner, Wolfgang, Verwalumgsrechtsschutz in Preußen von 1749 bis 1842, S. 64. Rüfner, Wolfgang, Verwaltungsrechtsschutz in Preußen von 1749 bis 1842, S. 65.
A. Anfänge des Verwalnmgsrechtsschutzes im 18. Jahrhunden
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2. Ressort-Reglement vom 19. Juni 1749
In Preußen besaß seit der zweiten Hälfte des 18. Jahrhunderts, seit Erlaß des Ressort-Reglements vom 19. Juni 1749, der Untertan die Möglichkeit, sich unmittelbar gegen ihn belastende behördliche Maßnahmen in einem förmlichen justiziellen Verfahren zu wenden. 5 Dieses Ressortreglement, Reglement, was für Justizsachen denen Krieges- und Domäinenkammem veibleiben, und welche vor die Justiz-Collegia und Regierungen gehören,
verwies Justizsachen bestimmter Sachgebiete an die Kammern, ging jedoch im übrigen von dem Prinzip der Alleinzuständigkeit der ordentlichen Gerichte für alle Justizsachen aus. 6 Als Prinzipien dieses Reglements für die Zuweisung bestimmter Rechtsprechungsaufgaben an die Kammern kamen nur zwei in Betracht, nämlich das besondere landesherrliche Interesse an einer Sache und der Wunsch, diese von der fachlich unterrichteten, mit der einschlägigen Verwaltung betrauten Behörden auch rechtlich entscheiden zu lassen, was allerdings nicht den Zweck hatte, einen größeren unmittelbaren Einfluß der Oberbehörden oder des Landesherrn auf die Entscheidung der einzelnen anstehenden Sache zu erlangen.7 Das Generaldirektorium und die Kammern wurden damit, so weit sie eine Gerichtsbarkeit auszuüben hatten, den Gerichten gleichgestellt.8 Durch dieses Ressortreglement wurde durch die Bindung der ausübenden Gewalt und der Rechtsprechung an die Gesetze die Errichtung eines Rechtsstaates im modernen Sinne der Sache nach erstrebt und weitgehend auch verwirklicht, so waren auch Verfügungen staatlicher Unterbehörden unmittelbar anfechtbar.9
s G.-Chr. von UllTuh, Verwalnmgsgerichtsbarlteit im Yerfassungsstaat, S. 25. Rüfner, Wolfgang, Verwalnmgsrechtsschutz in Preußen von 1749 bis 1842, S. 72. 7 Rüfner, Wolfgang, Verwaltungsrechtsschutz in Preußen von 1749 bis 1842, S. 74. 8 Rüfner, Wolfgang, Verwaltungsrechtsschutz in Preußen von 1749 bis 1842, S. 75. 9 G.-Chr. von Unruh, Subjektiver Rechtsschutz und politische Freiheit in der vorkonstitutionellen Staatslehre Deutschlands, S. 2. 6
224
III. Verwaltungsgerichtsbarkeit
3. Regulativ vom 12. Februar 1782 Am 12. Februar 1782 wurde das "Regulativ wegen künftiger Einrichtung des Kammerjustizwesens" erlassen, es war eine Reform, der das Ressortreglement von 1749 zugrunde gelegt wurde. 10
Durch dieses Regulativ wurde ein weitreichender gerichtlicher bzw. quasigerichtlicher Rechtsschutz in den Kammerjustizsachen geboten, es wurde aber auch hierin die Möglichkeit eines förmlichen Ausschlusses des Rechtsweges zum ersten Mal in Preußen erwähnt, in vielen Fällen, die etwa den heutigen öffentlich-rechtlichen Streitigkeiten entsprechen, war der Rechtsweg minderen Ranges. 11 Im ganzen zeigte das Regulativ von 1782 mehr Ansatzpunkte für eine echte Verwaltungsgerichtsbarkeit als für einen fortschreitenden Ausschluß des Rechtsweges, die Kammerjustizdeputationen, die unverändert bis zu ihrer Auflösung in den Jahren 1797 bis 1808 bestanden, wurden denn auch von der Literatur ohne Scheu als Gerichte bezeichnet. 12
4. Ressort-Reglement von 1797
Das Ressort-Reglement von 1797 des Freiherrn von Schroetter beseitigte sowohl die Kammerjustiz als auch die "Regierungsbefugnisse" der Gerichtshöfe und trennte damit zum ersten Mal in Deutschland organisatorisch die Rechtspflege von der Verwaltung, um dieser dadurch die erforderlichen Voraussetzungen für ihre Unabhängigkeit zu schaffen. 13
B. Verwaltungsrechtsschutz zu Beginn des 19. Jahrhunderts 1. Verordnung vom 26. Dezember 1808
Die Geschichte des modernen Verwaltungsrechtsschutzes begann in Preußen- entsprechend dem Vorbild des neuostpreußischen Ressortreglements von
Rüjner, Wolfgang, Verwalumgsrechtsschutz in Preußen von 1749 bis 1842, S. 78. Rüfner, Wolfgang, Verwaltlmgsrechtsschutz in Preußen von 1749 bis 1842, S. 80, 81. Rüjner, Wolfgang, Verwaltlmgsrechtsschutz in Preußen von 1749 bis 1842, S. 81. 13 G.-Chr. von Unruh, Verwaltungsgerichtsbarkeit im Verfassungsstaat, S. 25. 10 11 12
B. Verwaltungsrechtsschutz zu Beginn des 19. Jahrhunderts
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1797- mit der Verordnung vom 26. Dezember 1808, durch die die Gerichte in weitem Umfang auch Rechtsschutz in Verwaltungssachen zu gewähren hatten.14 Diese "Verordnung wegen Verbesserung der Einrichtung der Provinzial-, Polizei- und Finanzbehörden" brachte die volle organisatorische Trennung von Verwaltung und Rechtsprechung, sie übertrug die Verwaltung in der Mittetinstanz allein den ehemaligen Kammern, die in Regierungen umbenannt wurden, während jede Rechtspflege der Landespolizei- und Finanzbehörde aufhören und den in Oberlandesgerichte umbenannten Regierungen zufallen sollte, die Kammerjustizdeputationen und Sondergerichte der Verwaltung wurden aufgelöstY In § 38 dieser Verordnung wurde zum ersten Mal in der deutschen Gesetzgebung als Grundsatz eingeräumt, daß "über polizeiliche Verfügungen der Weg rechtens unbedingtjedem offen" stehen müsse.16 Gegen polizeiliche Verfügungen der Regierungen jedoch wurde der Rechtsweg über die Verpflichtung und den Schadensersatz nur dann eröffnet, wenn entweder die Verfügung einer ausdrücklichen Vorschrift der Gesetze zuwiderlief oder die Klage auf einen speziellen Rechtstitel gegründet wurde. 17 Die Verordnung vom 26. Dezember 1808 bezeichnete den Höhepunkt des Rechtsschutzes durch die ordentlichen Gerichte in Preußen. Schon bald nach ihrem Erlaß begann eine Entwicklung, die die Zulässigkeit des Rechtswegs immer mehr beschränkte, für zahlreiche Fälle wurde der Rechtsweg ausgeschlossen, für wichtige neue Steuern, wie die 1810 eingeführte allgemeine Gewerbesteuer und die gern. Gesetz vom 24. Mai 1812 erhobene Vermögensund Einkommensteuer wurde der Rechtsweg nicht zugelassen. 18
14
Stump, Ulrich, Preußische Verwaltungsgerichtsbarkeit 1875 - 1914, S. 25, 26. Rü}Mr, Wolfgang, Verwaltungsrechtsschutz in Preußen im 18. und in der ersten Hälfte des 19. Jahrhunderts, S. 16. 16 G.-Chr. von Unruh, Die Wandlung vom obrigkeitlichen ius politae zu einem rechtsstaatgemäßen Polizeirecht in den Vorstellungen preußischer Reformer vor, um und nach dem Freiherrn vom Stein, S. 55. 17 Rü}Mr, Wolfgang, Verwaltungsrechtsschutz in Preußen im 18. und in der ersten Hälfte des 19. Jahrhunderts, S. 16. 18 Rü}Mr, Wolfgang, Verwaltungsrechtsschutz in Preußen im 18. und in der ersten Hälfte des 19. Jahrhunderts, S. 17. 15
15 Lange
226
III. Verwaltungsgerichtsbarkeit
2. Erste Erwähnung besonderer Verwaltungsgerichte Zum ersten Mal zogen die Einrichtung von besonderen Verwaltungsgerichten die bayerischen JuristenNiblerund Kurz im Jahre 1820 in Betracht, allerdings ohne positive Resonanz. 19
3. Abbau des Verwaltungsrechtsschutzes nach 1808 In Preußen wurde der Verwaltungsrechtsschutz gegen hoheitliche Eingriffe im Laufe der folgenden Jahrzehnte erheblich eingeschränkt, ohne daß Ar. 10 II 17 Pr. ALR novelliert oder gar aufgehoben wurde. Allerdings schloß man in immer mehr Gesetzen den Rechtsweg aus oder legte die grundlegenden Bestimmungen der Verordnung von 1808 restriktiv aus wie die Einschränkung durch das Gesetz vom 11. Mai 1842, das den Rechtsschutz in Polizeisachen fast ganz beseitigte.20 Immerhin war Beschwerde als "Rechtsmittel" weiterhin zugelassen. 21
4. Verwaltungsgerichtsbarkeit in Baden 1863 Den Anfang mit der Einführung der Verwaltungsgerichtsbarkeit machte das Großherzogtum Baden mit dem Gesetz vom 5. Oktober 1863, durch das die Verwaltungsgerichtsbarkeit nicht zivilrechtlich geschulten Richtern, sondern einem kollegialen Bezirksrat, der aus ernannten Ehrenbeamten unter dem Vorsitz eines staatlichen Bezirksbeamten bestand, übertragen wurde. 22
G.-Chr. von Unruh, Vom Gesetzesstaat zum Rechtsstaat, S. 841. Rü.fner, Wolfgang, Die Verwaltungstätigkeit wtter Restauration und Konstitution, S. 471 ; Stump, Ulrich, Preußische Verwaltungsgerichtsbarkeit 1875 bis 1914, S. 26. 21 G.-Chr. von Unruh, Verwaltungsgerichtsbarkeit im Verfasswtgsstaat, S. 26 f . 22 G.-Chr. von Unruh, Verwaltungsgerichtsbarkeit im Verfassungsstaat, S. 27, 28. 19
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C. Bemühungen um Verwaltungsrechtsschutz in Preußen
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C. Bemühungen um Verwaltungsrechtsschutz in Preußen Mit Beginn der "Neuen Ära" 1860 wurde zuerst der Versuch unternommen, die restriktive Entwicklung der vergangeneo Jahrzehnte rückgängig zu machen, doch scheiterten die Reformversuche der Jahre 1860/61 zunächst gerade in den wichtigsten Teilen, eine Erweiterung des Rechtsweges wurde nur in einigen speziellen Fällen herbeigeführt. 23 Nachdem in Preußen während des Verfassungskonflikts die parlamentarischen Diskussionen zur Ausweitung des Rechtsschutzes in Verwaltungssachen geruht hatten, wurden diese 1869 wieder aufgenommen im Zusammenhang mit der geplanten Kreisreform als erstem Teil einer umfassenden Reform der Verwaltung. 24 Eine Verwaltungsgerichtsbarkeit gab es in Preußen seit dem 1.7.1871, als mit dem Ausführungsgesetz zum Bundesgesetz über den Unterstützungswohnsitz vor den Deputationen für das Heimatwesen ein Parteienstreit über öffentlich-rechtliche Angelegenheiten in einem gesetzlich geregelten und geordneten Verfahren eingeführt wurde. 25 Der Gedanke, mit der Gerichtsbarkeit über die Verwaltung besondere Verwaltungsgerichte zu betrauen, der vor allem von Gneist hervorgehoben wurde, gewann bei den Beratungen über die Kreis-Ordnung zum ersten Mal bei der Aussprache über den § 27 Bedeutung.26 In den Kreisordnungsentwurf wurde im Abgeordnetenhaus auf Antrag der Nationalliberalen und des Fortschritts eine Zuweisung bestimmter Verwaltungsangelegenheiten zur Streitentscheidung an die ordentlichen Gerichte eingeführt, in diesem Beschluß lag ein entscheidender Anstoß zur Einführung der Verwaltungsgerichtsbarkeit in PreußenY Neben anderen opponierte Gneist, der seit 1859 Mitglied des Abgeordnetenhauses war, heftig gegen eine solche justizstaatliche Ausformung von Verwaltungsgerichtsbarkeit28 Gneist wandte sich in einer seiner programmatischen Reden gegen die damals noch allgemein herrschende Auffassung, daß nur der Kreisrichter eine
Stump, Ulrich, Preußische Verwaltungsgerichtsbarkeit 1875 bis 1914, S. 26. Stump, Ulrich, Preußische Verwaltungsgerichtsbarkeit 1875 bis 1914, S. 26. 25 Friedrichs, Kar!, Verwaltungsgerichtsbarkeit in Preußen, in WStVR 1914, S. 753. 26 Meister, Ewald, Der Kampf der Konservativen und Liberalen um die Begründung der Selbstverwaltung und der Verwaltungsgerichtsbarkeit in Kreis und Provinz bei der Gneisischen Verwaltungsreform, S. 54. 27 Stump, Ulrich, Preußische Verwaltungsgerichtsbarkeit 1875 bis 1914, S. 27. 2l! Stump, Ulrich, Preußische Verwaltungsgerichtsbarkeit 1875 bis 1914, S. 27. 23
24
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lll. Verwaltungsgerichtsbarkeit
wirksame Kontrolle über die Verwaltung ausüben könne. 29 Der Richter könne nur die Gesetzmäßigkeit, dagegen wegen mangelnder Kenntnis der Verwaltungsübung nicht die Zweckmäßigkeit einer Polizeiverfügung nachprüfen.30 Die Hauptmasse der Beschwerden gegen Polizeiverfügungen richte sich aber erfahrungsgemäß gegen die Unbilligkeil einer Verfügung. Dem Richter nur die Frage über die Gesetzmäßigkeit zur Prüfung anzuvertrauen, schaffe daher gar keine wirksame Kontrolle der Verwaltung. Bei Wiedereinbringung des Kreisordnungsentwurfs 1871 wurde die Ausdehnung der Zuständigkeit des ordentlichen Richters als unzumutbar abgelehntY So kam es zur Verabschiedung der Kreis-Ordnung vom 13. Dezember 1872 mit der in §§ 140 bis 165 geregelten Verwaltungsgerichtsbarkeit. Nach den §§ 140 ff der Kreis-Ordnung war zuständig für streitige Verwaltungssachen in erster Instanz der Kreisausschuß, der offensichtlich unbegründete Klagen durch begründeten Bescheid zurückweisen konnte, im übrigen aufgrund öffentlicher mündlicher Verhandlung entschied. Der Kreisausschuß hatte den Sachverhalt von Amts wegen zu erforschen und in vollem Umfange Beweis zu erheben und sodann "nach seiner freien, aus dem ganzen Inbegriff der Verhandlung und Beweise geschöpften Überzeugung", also vollständig unabhängig, zu beschließen. Beteiligte, deren Interessen von der Entscheidung berührt waren, waren von Amts wegen beizuladen. Gegen die Entscheidungen des Kreisausschusses, die nicht endgültig waren, standen den Beteiligten und aus Gründen des öffentlichen Interesses dem Vorsitzenden des Kreisausschusses innerhalb von 21 Tagen die Berufung an das Verwaltungsgericht (§§ 187 ff) zu, das für jeden Regierungsbezirk zu bilden war. Mündliche Verhandlungen und Verkündung der Entscheidung des Verwaltungsgerichts erfolgten in öffentlicher Sitzung, war auf mündliche Verhandlung verzichtet worden, so wurde auf schriftlichen Vortrag hin entschieden. Gegen die Entscheidungen des Verwaltungsgerichts war ein weiteres Rechtsmittel zunächst nicht vorgesehen. Hierfür wurde durch Gesetz von 1875 ein Oberverwaltungsgericht geschaffen. Die Vollstreckung der Entscheidungen des Verwaltungsgerichts erfolgte durch den Vorsitzenden des Kreisausschusses.
29 Meister, Ewald, Der Kampf der Konservativen und Liberalen um die Begründung der Selbstverwaltung und der Verwaltungsgerichtsbarkeit in Kreis und Provinz bei der Gneistschen Verwaltungsreform, S. 55; G.-ChT. vo11 U11ruh, Verwaltungsgerichtsbarkeit im Verfassungsstaat, s. 219 f. 30 Meister, Ewald, Der Kampf der Konservativen und Liberalen um die Begründung der Selbstverwaltung und der Verwaltungsgerichtsbarkeit in Kreis und Provinz bei der Gneistschen Verwaltungsreform, S. 56. 31 Stump, Ulrich, Preußische Verwaltungsgerichtsbarkeit 1875 bis 1914, S. 27.
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Nunmehr entschied also über Verwaltungsangelegenheiten ein Verwaltungsgericht, und zwar in einem gesetzmäßigen Verfahren, es war eine allen Erfordernissen entsprechende Verwaltungsgerichtsbarkeit zwn ersten Male in Preußen eingerichtet.32
1. Gesetz über die Errichtung eines obersten Gerichtshofes für Verwaltungssachen- Entwurfvon 1873-
Am 25. November 1873 legte Innenminister Eulenburg dem Präsidium des königlichen Staatsministeriums, sämtlichen Staatsministern sowie dem Kronprinzen den Entwurf eines Gesetzes betreffend "die Errichtung eines obersten Gerichtshofes für Verwaltungssachen und die Erweiterung der Zuständigkeit der Verwaltungsgerichte" nebst Motiven zur Kenntnisnahme und baldigen Beratung vor mit dem Ersuchen, mögliche Einwände dagegen baldmöglichst mitzuteilen.33 Nach diesem Gesetzentwurf sollte für die gesamte Monarchie ein Oberverwaltungsgericht mit Sitz in Berlin eingerichtet werden, bestehend aus einem Präsidenten und mindestens sechs Räten, die vom König auf Lebenszeit ernannt werden sollten.34 Das Gericht sollte zuständig sein für Beschwerden gegen Entscheidungen in Verwaltungssachen der Verwaltungsgerichte und Bezirksregierungen wegen Nichtbeachtung oder unrichtiger Anwendung gesetzlicher Bestimmungen bzw. wegen wesentlicher Verfahrensmängel, soweit nicht der ordentliche Rechtsweg zulässig sei.35 Der Geschäftsgang beim Oberverwaltungsgericht sollte durch ein gesondertes Regulativ geordnet werden. Für das Verfahren und die Kosten sollten die einschlägigen Bestimmungen der Kreis-Ordnung vom 13. Dezember 1872 zur Anwendung kommen. In bestimmten Fällen hatte ein von der Bezirksregierung zu bestellender Kommissarius das öffentliche Interesse wahrzunehmen.36 Die Entscheidungen des Oberverwaltungsgerichts sollten in öffentlicher Sitzung nach Ladung und
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DiecloMnn, Carl, Die Verwalrungsgerichtsbarkeit in Preußen, S. 13. GStA Merseburg, Acta Ministerium des Innem, Rep. 77, TiL 541, Nr. 1, Bd. 1, Vol. 1,
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GStA Merseburg, Acta Ministerium des Innem, Rep. 77, TiL 541, Nr. 1, Bd. 1, Vol. 1,
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GStA Merseburg, Acta Ministerium des Innem, Rep. 77, TiL 541, Nr. 1, Bd. 1, Vol. 1,
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BI. 28. BI. 58. BI. 59. BI. 61.
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III. Verwaltungsgerichtsbarkeit
Anhörung der Parteien erfolgen, es konnten jedoch offensichtlich rechtlich unbegründete Beschwerden durch einen mit Gründen versehenen und beiden Parteien zuzustellenden Bescheid ohne weiteres Verfahren zurückgewiesen werden, wogegen Einspruch mit der Folge der mündlichen Verhandlung erhoben werden konnte. 37 Aus Gründen der Sittlichkeit und des öffentlichen Wohls konnte die Öffentlichkeit ausgeschlossen werden. 38 Das Oberverwaltungsgericht (OVG) war bei seiner Entscheidung an diejenigen Gründe nicht gebunden, die zur Rechtfenigung der Anträge vorgetragen wurden. Es hob bei begründeter Beschwerde die Vorentscheidung auf und entschied spruchreife Sachen selbst oder verwies zurück, wobei dann die Grundsätze des Autbebungsbeschlusses als maßgeblich zu betrachten waren. Hinsichtlich der vorläufigen Vollstreckbarkeit der angefochtenen Entscheidungen konnten die Polizeibehörden in dringenden Fällen ihre Verfügungen ungeachtet der eingelegten Rechtsmittel sofort vollziehen, zudem blieb die Verpflichtung bestehen, Steuern und Abgaben trotz des Rechtsmittels sofort zu entrichten.39 In den Motiven40 zu diesem Gesetzentwurf wurde dargelegt, daß die KreisOrdnung für die sechs östlichen Provinzen vom 13. Dezember 1872 in ihren Bestimmungen über das Verfahren in streitigen Verwaltungssachen eine weitgreifende Reform eingeleitet habe und daß fortan Streitsachen über dem öffentlichen Recht angehörige Fragen in einem fest geregelten öffentlichen Verfahren durch unabhängig gestellte Behörden, die Kreis-Ausschüsse, die Verwaltungsgerichte, entschieden würden. Man hatte dabei nur die zu der Zeit bestehenden Gerichtsbehörden im Auge und wollte den Rekurs an die Ministerien und die ordentlichen Gerichte abschneiden, nicht jedoch die Spruchbehörden mit den Verwaltungsgerichten abschließen. Um die verschiedenen Rechtsauffassungen der Verwaltungsgerichte auszugleichen, erschien es geboten, den durch die Kreis-Ordnung eingeführten besonderen Spruchbehörden ein besonderes, nicht minder unabhängig gestelltes, seiner Bestimmung entsprechend zusammengesetztes OVG überzuordnen.41 37 GStA Bl.62R. 38 GStA Bl.63. 39 GStA Bl.64. 40 GStA Bl.66. 41 GStA Bl.66R.
Merseburg, Acta Ministerium des Innem, Rep. 77, TiL 541, Nr. 1, Bd. 1, Vol. 1, Merseburg, Acta Ministerium des Innem, Rep. 77, TiL 541, Nr. I, Bd. 1, Vol. 1, Merseburg, Acta Ministerium des Innem, Rep. 77, TiL 541, Nr. 1, Bd. 1, Vol. 1, Merseburg, Acta Ministerium des Innem, Rep. 77, TiL 541, Nr. 1, Bd. 1, Vol. 1, Merseburg, Acta Ministerium des Innem, Rep. 77, TiL 541, Nr. 1, Bd. 1, Vol. 1,
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Die Befugnis, das OVG anzurufen, sollte begrenzt werden auf die Notwendigkeit einheitlicher Handhabung der Grundsätze des öffentlichen Rechts. Hinsichtlich des Tatbestandes sollte ein Bedürfnis zur Überprüfung nur dann gegeben sein, wenn dessen Feststellung ein dergestalt ordnungswidriges Verfahren vorhergegangen war, daß die Richtigkeit der Feststellung begründetem Zweifel unterlagen. 42 Bekanntlich würden die höheren und unteren Behörden mit einer Überzahl von Beschwerden in unbedeutenden Angelegenheiten angegangen, die sich bei erster Einsichtnahme sofort als unbegründet herausstellten. Dürften alle dergleichen Sachen unbedingt nur in dem vorgesehenen mündlichen Verfahren zur Erledigung gebracht werden, so würde sich der Zeitverlust für alle wichtigen Sachen als Nachteil herausstellen, ohne in der Sache selbst einen Vorteil zu bringen. Daher wurde die Befugnis verliehen, in den dazu geeigneten Fällen Klagen und Berufungen auch ohne mündliche Verhandlung zu erledigen, vorbehaltlich der Befugnis der Beteiligten, innerhalb von 10 Tagen mündliche Verhandlung bzw. Einleitung des regelmäßigen Verfahrens zu beantragen. 43 Die Vorschriften über das Verfahren waren weitgehend denjenigen der Kreis-Ordnung über das Verfahren vor den Verwaltungsgerichten nachgebildet.
2. Neuer Gesetzentwurfvom 30. Januar 1874
Mit Schreiben vom 30. Januar 187444 an das Präsidium des königlichen Staatsministeriums teilte Innenminister Eulenburg mit, daß er auf Hinweise des Justizministers, gleichzeitig mit der Einsetzung eines Oberverwaltungsgerichts für die ganze Monarchie auch in allen Landesteilen Verwaltungsgerichte zu errichten und das Verfahren ohne Bezugnahme auf die Kreis-Ordnung gesondert zu regeln, den Gesetzentwurf entsprechend geändert habe unter der Bezeichnung betreffend die Einset:rung von Verwaltungsgerichten und eines obersten Gerichtshofes für streitige Verwaltungssachen,
42 GStA Merseburg, Acta Ministerium des Innem, Rep. 77, TiL 541, Nr. 1, Bd. 1, Vol. 1,
81.67. 43
81.71.
GStA Merseburg, Acta Ministerium des Innem, Rep. 77, TiL 541, Nr. 1, Bd. 1, Vol. 1,
44 GStA Merseburg, Acta Ministerium des Innem, Rep. 77, Tit. 541, Nr. 1, Bd. 1, Vol. 1, 81.107.
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III. Verwalnmgsgerichtsbalkeit
der nach Beratung in den Ministerien erneut überarbeitet worden sei.45 Hinsichtlich der aus der Konferenz vom 29., 30. und 31. Dezember 1873 und 3. Januar 1874 übrig gebliebenen Differenzpunkte ersuchte Eulenburg, baldmöglichst eine Entscheidung des Staatsministeriums herbeizuführen und machte folgende Anmerkungen dazu. Dem Vorschlag, die Zuständigkeit des OVG's auf das Gebiet der Kreis-Ordnung zu beschränken, schließe er sich nicht an, auch wenn in den übrigen Provinzen den Verwaltungsgerichten nicht alle Geschäfte übertragen werden könnten, ihnen müsse auch ohne neue Kreis-Ordnung aufgrund der §§ 12 ff ein scharf abgegrenzter Geschäftskreis zugewiesen werden.46 Es sei bedenklich, unmittelbar nach lokrafttreten der Kreis-Ordnung eine Abänderung der Zusammensetzung der Verwaltungsgerichte vorzuschlagen. Nach § 6 des Entwurfs sei der Regreß gegen einen Polizeibeamten dem angeblich Verletzten dann eröffnet, wenn (von der vorgesetzten Dienstbehörde) eine polizeiliche Verfügung auf erhobene Beschwerde als gesetzwidrig oder unzulässig aufgehoben worden sei. Aus der Wortfassung, so Eulenburg, gehe hervor, daß der Polizeibeamte einer gerichtlichen Klage auf Entschädigung pp nicht schon ohne weiteres und in allen Fällen lediglich deshalb ausgesetzt werden solle, weil die von ihm erlassene Verfügung in höherer Instanz irgendeiner Abänderung unterworfen worden sei.47 Allerdings sei 'unzulässig' nicht dasselbe wie 'gesetzwidrig', da die Rechte der Polizei in den allerwenigsten Fällen durch besondere gesetzliche Vorschriften klar und erschöpfend umgrenzt seien. Es hätten alle Fälle getroffen werden sollen, in denen ein Polizeibeamter nach dem Anerkenntnis seiner vorgesetzten Dienstbehörde in unzulässiger Weise seine Amtsbefugnisse und Instruktionen überschritten habe.48 Die Kreis-Ordnung habe dieses Entscheidungsrecht von der vorgesetzten Dienstbehörde auf den Kreis-Ausschuß resp. das Verwaltungsgericht übertragen, daher sei dieser Schritt auch bezüglich der anderen Landesteile zu tun. Lasse man die vorläufige Vollstreckbarkeit der Entscheidungen der Verwaltungsgerlebte überhaupt zu, so sei es unvermeidlich, auch über die eventu-
45 GStA Bl.107R. 46 GStA Bl.l09. 47 GStA Bl.llOR. 48 GStA BI. 111.
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eile Rückgängigmachung der vorläufig erfolgten Vollstreckung eine Bestimmung zu treffen. 49 Die Disziplinargewalt über die Mitglieder des OVG's sei dem letzteren selbst einzuräumen. Die Bedenken, die gegen die dem Vorsitzenden des Verwaltungsgerichts einzuräumende Befugnis, im öffentlichen Interesse die Beschwerde zu erheben, geltend gemacht worden seien, halte Eulenburg für unbegründet, bei Streitsachen des öffentlichen Rechts dürfe deren Regelung auch für den einzelnen Fall dem Kompromiß der Parteien nicht unter allen Umständen überlassen bleiben. 5° Die Überweisung der Vorfrage an das OVG, ob das öffentliche Interesse beteiligt sei, biete eine als erwünscht zu bezeichnende Gewähr gegen eine unmotivierte Einlegung der Beschwerde von Seiten des Vorsitzenden. Allerdings gehe das Gesetz davon aus, daß das OVG in ausreichendem Maße mit Persönlichkeiten besetzt sei, die mit den Interessen der öffentlichen Verwaltung in genügendem Maße vertraut seien.51 Für das Gebiet der Kreis-Ordnung sei das Bedürfnis zur Einsetzung eines Ober-Verwaltungsgerichtsein dringendes, weshalb auch in den anderen Landesteilen das Gesetz erst in Kraft treten dürfe, wenn überall Verwaltungsgerichte vorhanden seien. In einem Schreiben vom 25. Februar 187452 an Innenminister Eulenburg teilte der Vizepräsident des Staatsministeriums, Camphausen, mit, daß er den Gesetzentwurf noch nicht zur Beratung ins Staatsministerium gebracht habe, da er die schriftlichen Stellungnahmen einiger Minister- insbesondere des Justizministers - erst noch abwarten wolle und er zudem vennute, daß die Beratungen in beiden Häusern des Landtages in dieser Session nicht mehr zu einer Übereinstimmung führen würden. Bei der prinzipiellen und praktischen Wichtigkeit und Schwierigkeit des Gegenstandes halte er zunächst die Anhörung der Provinzial-Behörden, insbesondere der Ober-Präsidenten für wünschenswert. Ferner könne aber auch in Betracht kommen, weiteren Kreisen die Möglichkeit der Beurteilung zu gewähren, indem der Entwurf als ein vorläufiger entweder durch die Presse veröffentlicht oder wenigstens zur Kenntnisnahme
49 GStA Bl.113. 50 GStA BI. 114 R. 51 GStA Bl.115. 52 GStA BI. 186-187.
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III. Verwaltungsgerichtsbarkeit
einzelner Autoritäten auf dem Gebiete des modernen Staatsrechts - beispielsweise Dr. Gneist - gebracht werde. Innenminister Eulenburg antwortete auf dieses Schreiben am 11. März 187453 dahingehend, daß er bei einem so wichtigen und schwierigen Gegenstande wie dem vorliegenden Gesetzentwurf von vomherein nicht damit gerechnet habe, daß die Vorschläge des Ministeriums im einzelnen wie bezüglich der Behandlung der Sache im allgemeinen sofort allseitige Zustimmung der Ressortchefs finden würden. Gerade deshalb und wegen der hervorgetretenen Meinungsverschiedenheiten erscheine es ihm nicht geraten, den vorgelegten Entwurf der öffentlichen Beurteilung zu unterbreiten, bevor sich das Staatsministerium nicht wenigstens in den Hauptgesichtspunkten schlüssig gemacht habe. Falls nicht eine allzu weite Umarbeitung des Entwurfs notwendig werde, werde es - wie Eulenburg hoffe - noch gegenwärtig möglich sein, denselben dem Landtage der Monarchie alsbald nach seinem Zusammentreten vorzulegen, und in diesem Falle scheine auch die Möglichkeit, den Entwurf noch in der gegenwärtigen Session zur Erledigung zu bringen, nicht ausgeschlossen, jedenfalls aber wünsche er dringend, daß wenigstens die Vorlegung noch in dieser Session erfolge. Selbst dann, wenn die legislativen Verhandlungen über den Gesetzentwurf gegenwärtig ein definitives Resultat nicht ergeben sollten, würde er diese Angelegenheit durch Kenntnisnahme von den dabei zutage tretenden Wünschen der Landesvertretung als nicht unwesentlich gefördert betrachten. Für den Geltungsbereich der Kreis-Ordnung vom 13. Dezember 1872 sei die Einsetzung einer obersten Zentral-Verwaltungs-Justizbehörde unbestritten als ein dringendes, nicht auf unbestimmt Zeit hinaus zu verschiebendes Bedürfnis zu betrachten. Er halte es aber auch nicht für unausführbar, die Kompetenz eines obersten Gerichtshofes auch auf die übrigen Provinzen zu erstrecken. Er ersuche den Vizepräsidenten des Staatsministeriums, den Gesetzentwurf nunmehr gef