Die Bedeutung der Lehre von den subjektiven Rechtfertigungselementen für Methodologie und Systematik des Strafrechts [Reprint 2014 ed.] 9783110890150, 9783110009989


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German Pages 281 [288] Year 1970

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Table of contents :
Einleitung
I. Bedeutung der Überlegung
II. Ursprünglicher Sitz des materiellrechtlichen Problems
III. Von der Ausnahmeregelung, der Fußnote, zur systemsprengenden Wirkung der Grundsatzdebatte
IV. Wechselwirkung zwischen Denkstil und materiellrechtlichem Problem
§ 1 Methode, System und Auslegung
A. Grundsätzliche Fragen
I. Bedeutung der Methodologie
II. Verhältnis zwischen Methode und System
III. Gegenstand der Untersuchung und Methode
IV. Methodenmonismus – Methodenstaffelung
V. Grenzüberschreitungen in der Geschichte der Methodenlehre
VI. Bezogenheit zwischen Methode und Gegenstand der Untersuchung
VII. System als besonderer „Aggregatzustand“ einer Methode
B. Einzelfragen über Methode und System
I. Ausgewählte Abschnitte der Geschichte der Methodenlehre, besonders zum System- und Problemdenken
II. „Geschlossenes“ oder „offenes“ System?
III. Zur Möglichkeit eines axiomatischen Systems
IV. Recht und mathematisches Denken
V. Rang und Bedeutung reiner Deduktion
VI. Zum „offenen System“ und zum Problemdenken
VII. Äquivalenz systematischer Konstruktionen
VIII. Verbindung zwischen Problemdenken und Drang nach weitgehender Systematisierung
IX. Zum Kompromiß
X. Verhalten von Ausnahme zur Regel
XI. Der Grenzfall
XII. Abgrenzung zwischen Moral und Recht
XIII. Logisches und bewertendes Denken
XIV. Relativität der Systeme
C. Zur Auslegung
I. Auslegung als Sinnerforschung
II. Methoden der Auslegung
III. Einzelfragen der Auslegung
IV. Synthese zwischen Anpassungsfähigkeit in der Auslegung und Rechtssicherheit
D. Vorgegebene Bindungen für Methode und System
I. Bindung an das Gesetz
II. Durch die Wahl eines Systems oder von Wertungen
III. Bindung an sachlogische Strukturen und ontologische Vorgegebenheiten
IV. Durch die „Natur der Sache“
V. Postulat der Widerspruchsfreiheit
VI. Geringer Umfang der Bindungen
§ 2 Einzelfragen im Rahmen der Notwehr
I. Die Notwehr als besonderer Sitz der Materie
II. Problemlage um 1880
III. Heutiger Stand der Problematik nach Schmitt
IV. Umstrittene Bedeutung des „Verteidigungswillens“
V. Verteidigungswille bei Fahrlässigkeitsdelikten
VI. Schlußfolgerungen
§ 3 Subjektive Rechtfertigungselemente in den übrigen Rechtfertigungsgründen
A. Allgemeine Erörterungen
I. Vielschichtigkeit der einzelnen Rechtfertigungsgründe
II. Aus der Regelung bei § 53 StGB lassen sich keine Folgerungen für die anderen Rechtfertigungsgründe ziehen
III. Die berechtigte Warnung vor zu starker Berücksichtigung der subjektiven Rechtfertigungselemente zwingt zu einer eingehenden Untersuchung bei allen Rechtfertigungsgründen
B. Subjektive Einschläge bei den anderen Rechtfertigungsgründen
I. Abwehrwille im Krieg
II. Regelung bei §§228 und 904 BGB
III. Subjektive Rechtfertigungselemente beim sogenannten übergesetzlichen Notstand
IV. Bei Staatsnotstand und Staatsnotwehr
V. Subjektive Elemente beim „ärztlichen Heileingriff“
VI. Bei der Einwilligung
VII. und bei der mutmaßlichen Einwilligung
VIII. Selbsthilferecht des BGB
IX. Wahrnehmung berechtigter Interessen
X. Züchtigungsrecht
XI. Eingriffe aus Amtsrechten und Dienstpflichten
XII. Abgeordnetenprivileg des § 100 Abs. 3 StGB a. F
C. Zusammenfassung und Schlußfolgerungen
I. Verbot von Rückschlüssen aus der Regelung bei § 53 StGB auf alle anderen Rechtfertigungsgründe
II. Übersicht über die Bedeutung der Regelung bei den einzelnen Rechtfertigungsgründen
III. Ablehnen einer abschließenden Regelung vor einem Wechsel in den Perspektiven und Obergang zu allgemeineren Betrachtungen
§ 4 Die Bedeutung der subjektiven Unrechtselemente für die Problembehandlung
A. Verbindung zwischen subjektiven Rechtfertigungselementen und subjektiven Unrechtselementen
1. Geschichtlicher Ansatz und Zielsetzung
2. Extremer Subjektivismus als Folge der Lehre von den sRFE
B. Einzelne subjektive Einschläge
I. Allgemeine Bedeutung und Wechsel in der Einschätzung
1. Entdeckung und Aufstieg
2. Abbau und Auflösung
II. Einzelfragen
1. Vorentscheidungen zur Frage
2. Subjektive Rechtfertigungselemente und finale Handlungslehre
3. Zur subjektiven und objektiven Finalität
4. Subjektive Elemente im Versuch und im Vorsatz
5. In den einzelnen Tatbeständen
III. Zusammenfassung
§ 5 Methodologische und systematische Folgerungen der Untersuchung
I. Fortsetzung der Gedanken aus § 1
II. Methode in der Anlage der Arbeit und deren Konsequenzen
III. Keine zwingenden Folgerungen aus den §§ 2–4
IV. Materiellrechtliche Fragen als Modell bei methodologischen Untersuchungen
V. Starke Beachtung der Methodologie in der heutigen Wissenschaft
VI. Zum Vorurteil und zur Notwendigkeit zu differenzieren
VII. Objektivität bei Einschlagen des persönlichen Stils
VIII. Objektivität und Ubersubjektivität
IX. Über- und Intersubjektivität im Dialog
X. Wahrheit und Richtigkeit
XI. Rechtsvergleichende und reditshistorische Gesichtspunkte
XII. Zur prinzipiellen Gleichberechtigung von Thesen und Lösungsmöglichkeiten
XIII. Zur dialektischen Methode und zur „ars iuris“ als Teilergebnis
XIV. Abschließende Übersicht über die Schwerpunkte der Argumentation und der Lösung
Literaturverzeichnis
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Die Bedeutung der Lehre von den subjektiven Rechtfertigungselementen für Methodologie und Systematik des Strafrechts [Reprint 2014 ed.]
 9783110890150, 9783110009989

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HERIBERT WAIDER Die Bedeutung der Lehre von den subjektiven Rechtfertigungselementen für Methodologie und Systematik des Strafrechts

HERIBERT WAIDER

Die Bedeutung der Lehre von den subjektiven Rechtfertigungselementen für Methodologie und Systematik des Strafrechts

Berlin 1970 WALTER DE GRUYTER & CO.

Als Habilitationsschrift auf Empfehlung der rechtswissenschaftlichen Fakultät der Universität Köln gedruckt mit Unterstützung der Deutschen Forschungsgemeinschaft.

A r d i i v - N r . 23 40701 Satz und Druck: Max Schönherr, 1 Berlin 65 Alle Redite, einschließlich des Rechts der Herstellung von Fotokopien und Mikrofilmen, vorbehalten.

RICHARD LANGE in Dankbarkeit

VORWORT Die Abhandlung lag im Sommersemester 1968 der Rechtswissenschaf tlichen Fakultät der Universität zu Köln als Habilitationsschrift vor. Es schien mir sachlich geboten zu sein, seither erschienene Beiträge zu diesem Thema nicht mehr nachträglich einzuarbeiten. Es ist angebracht, von den neueren Strömungen, besonders im Verlauf der Strafrechtsreform, auch zeitlich einigen Abstand zu halten. Dogmengeschichtliche Beiträge, aus denen man Einsichten für Gegenwart und Zukunft gewinnen will, sollten nicht bestrebt sein, die Streitfragen möglichst bis zur Gegenwart aufzuarbeiten. Sonst gerät man in den Sog der „Zeitgeschichte". Aus diesem Grunde habe ich auch die Ausführungen zu § 100, III StGB der alten Fassung sachlich unverändert stehen lassen. Für Methodenlehre und Systematik des Strafrechts, für die Lehre von den subjektiven Reditfertigungselementen, ist das kurze Zwischenspiel der „lex Ossietzky" viel zu aufschlußreidi, als daß man es schnell vergessen dürfte. Bei dieser zeitlichen Distanz lassen sich die Forderungen an den Gesetzgeber de lege ferenda, wie ich sie 1968 erhob, besser sichtbar machen. Eine erneute Uberprüfung erst nach etwa zehn Jahren verspricht mehr Früchte. Mein Dank gilt durch eine Beihilfe Dr. Richard Lange um die Habilitation

der Hilfe der Deutschen Forschungsgemeinschaft, die den Druck ermöglichte. Die Arbeit ist Herrn Professor gewidmet, der mit kundiger Hand meine Bemühungen vor zahlreichen Klippen geschützt hat.

Köln, im Frühjahr 1970 Heribert Waider

INHALT Einleitung I. Bedeutung der Überlegung II. Ursprünglicher Sitz des materiellrechtlichen Problems . . . III. Von der Ausnahmeregelung, der Fußnote, zur systemsprengenden Wirkung der Grundsatzdebatte IV. Wechselwirkung zwischen Denkstil und materiellrechtlichem Problem

Seite 1 2 3 6

§ 1 Methode, System und Auslegung A. Grundsätzliche Fragen I. II. III. IV. V. VI.

Bedeutung der Methodologie Verhältnis zwischen Methode und System Gegenstand der Untersuchung und Methode Methodenmonismus — Methodenstaffelung Grenzüberschreitungen in der Geschichte der Methodenlehre Bezogenheit zwischen Methode und Gegenstand der Untersuchung VII. System als besonderer „Aggregatzustand" einer Methode .

7 8 9 9 13 14 15

B. Einzelfragen über Methode und System I. Ausgewählte Abschnitte der Gesdiichte der Methodenlehre, besonders zum System- und Problemdenken II. „Geschlossenes" oder „offenes" System? III. Zur Möglichkeit eines axiomatischen Systems IV. Recht und mathematisches Denken V. Rang und Bedeutung reiner Deduktion VI. Zum „offenen System" und zum Problemdenken VII. Äquivalenz systematischer Konstruktionen VIII. Verbindung zwischen Problemdenken und Drang nach weitgehender Systematisierung IX. Zum Kompromiß X. Verhalten von Ausnahme zur Regel XI. Der Grenzfall XII. Abgrenzung zwischen Moral und Recht XIII. Logisches und bewertendes Denken XIV. Relativität der Systeme

16 24 28 29 35 37 42 44 48 48 52 54 60 62

C. Zur Auslegung I. II. III. IV.

Auslegung als Sinnerforschung Methoden der Auslegung Einzelfragen der Auslegung Synthese zwischen Anpassungsfähigkeit in der Auslegung und Rechtssicherheit

63 65 68 71

X

Inhalt

D. Vorgegebene Bindungen für Methode und System

Seite

I. Bindung an das Gesetz II. Durch die Wahl eines Systems oder von Wertungen . . . . III. Bindung an sachlogische Strukturen und ontologische Vorgegebenheiten IV. Durch die „Natur der Sache" V. Postulat der Widerspruchsfreiheit VI. Geringer Umfang der Bindungen

72 73 74 76 79 80

§ 2 Einzelfragen im Rahmen der Notwehr I. II. III. IV. V. VI.

Die Notwehr als besonderer Sitz der Materie Problemlage um 1880 Heutiger Stand der Problematik nach Schmitt Umstrittene Bedeutung des „Verteidigungswillens" Verteidigungswille bei Fahrlässigkeitsdelikten Schlußfolgerungen

. . . .

83 83 86 89 98 103

§ 3 Subjektive Rechtfertigungselemente in den übrigen Reditfertigungsgründen A. Allgemeine

Erörterungen

I. Vielschichtigkeit der einzelnen Rechtfertigungsgründe . . II. Aus der Regelung bei § 53 StGB lassen sich keine Folgerungen für die anderen Rechtfertigungsgründe ziehen . . III. Die berechtigte Warnung vor zu starker Berücksiditigung der subjektiven Reditfertigungselemente zwingt zu einer eingehenden Untersuchung bei allen Rechtfertigungsgründen

B. Subjektive Einschläge bei den anderen

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113

Rechtfertigungsgründen

I. Abwehrwille im Krieg II. Regelung bei § § 2 2 8 und 904 BGB III. Subjektive Rechtfertigungselemente beim sogenannten übergesetzlichen Notstand IV. Bei Staatsnotstand und Staatsnotwehr V. Subjektive Elemente beim „ärztlichen Heileingriff " . . . . VI. Bei der Einwilligung VII. und bei der mutmaßlichen Einwilligung VIII. Selbsthilferedit des BGB IX. Wahrnehmung berechtigter Interessen X. Züchtigungsrecht XI. Eingriffe aus Amtsrediten und Dienstpflichten XII. Abgeordnetenprivileg des § 100 Abs. 3 StGB a. F

C. Zusammenfassung und

107

113 116 120 130 131 133 136 137 138 144 152 157

Schlußfolgerungen

I. Verbot von Rückschlüssen aus der Regelung bei § 53 StGB auf alle anderen Rechtfertigungsgründe II. Übersicht über die Bedeutung der Regelung bei den einzelnen Rechtfertigungsgründen III. Ablehnen einer abschließenden Regelung vor einem Wechsel in den Perspektiven und Ubergang zu allgemeineren Betrachtungen

167 167

170

Inhalt

$ 4 Die Bedeutung der subjektiven Unrechtselemente für die Problembehandlung

XI

Seite

A. Verbindung zimsd>en subjektiven Rechtfertigungselementen und subjektiven Unrechtselementen 1. Geschichtlicher Ansatz und Zielsetzung 2. Extremer Subjektivismus als Folge der Lehre von den sRFE

173 174

B. Einzelne subjektive Einschläge I. Allgemeine Bedeutung und Wechsel in der Einschätzung . 1. Entdeckung und Aufstieg 2. Abbau und Auflösung II. Einzelfragen 1. Vorentscheidungen zur Frage 2. Subjektive Rechtfertigungselemente und finale Handlungslehre 3. Zur subjektiven und objektiven Finalität 4. Subjektive Elemente im Versuch und im Vorsatz . . . 5. In den einzelnen Tatbeständen III. Zusammenfassung

176 177 180 184 184 185 188 196 198 200

§ 5 Methodologische und systematische Folgerungen der Untersuchung I. II. III. IV. V. VI. VII. VIII. IX. X. XI. XII. XIII. XIV.

Fortsetzung der Gedanken aus § 1 Methode in der Anlage der Arbeit und deren Konsequenzen Keine zwingenden Folgerungen aus den §§ 2—4 . . . . Materiellrechtliche Fragen als Modell bei methodologischen Untersuchungen Starke Beachtung der Methodologie in der heutigen Wissenschaft Zum Vorurteil und zur Notwendigkeit zu differenzieren . Objektivität bei Einschlagen des persönlichen Stils . . . . Objektivität und Übersubjektivität Über- und Intersubjektivität im Dialog Wahrheit und Richtigkeit Rechtsvergleidiende und rechtshistorisdie Gesichtspunkte Zur prinzipiellen Gleichberechtigung von Thesen und Lösungsmöglichkeiten Zur dialektischen Methode und zur „ars iuris" als Teilergebnis Abschließende Übersicht über die Schwerpunkte der Argumentation und der Lösung

Literaturverzeichnis

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ENTWÜRFE — MATERIALIEN — NIEDERSCHRIFTEN Alternativ-Entwurf eines Strafgesetzbuches (AE) — 1966 — Allgemeiner Teil. Alternativ-Entwurf eines Strafgesetzbuches — 1968 — Politisches Strafrecht. Beratungen des Sonderausschusses „Strafrecht" in der 4. Wahlperiode, Deutscher Bundestag. Beratungen des Sonderausschusses für die Strafrechtsreform in der 5. Wahlperiode, Deutscher Bundestag. Bericht des Sonderausschusses „Strafrecht" über die Beratung des Entwurfs eines Strafgesetzbuches (StGB) Ε 1962 — Drucksache IV/650, vom 30. 6.1965. Entwurf eines Achten Strafrechtsänderungsgesetzes — Deutscher Bundestag, S.Wahlperiode, Drucksache V/898. Entwurf eines Gesetzes zur Änderung des StGB — Antrag der Fraktion der SPD, Deutscher Bundestag, 5. Wahlperiode, Drucksache V/182. Entwurf des Allgemeinen Teils eines Strafgesetzbuches, 1958. Entwurf eines Strafgesetzbuches, Ε 1960. Entwurf eines Strafgesetzbuches, Ε 1962. Entwurf eines Strafgesetzbuches, 1965, Bundestag, 5. Wahlperiode, Drucksache V/32. Materialien zur Strafrechtsreform, Bd. 1 ff. Niederschriften über die Sitzungen der Großen Strafrechtskommission, Bd. 1 ff. Schriftlicher Bericht des Sonderausschusses für die Strafrechtsreform, nebst Beschlüsse des Sonderausschusses für die Strafrechtsreform „Entwurf eines Achten Strafrechtsänderungsgesetzes", Deutscher Bundestag, 5. Wahlperiode, Drucksache V/2860, vom 9. 5. 1968. Vergleichende Übersicht über den Entwurf eines StGB — Drucksache 5/32 — in der Fassung der 1. Lesung des Sonderausschusses für die Strafrechtsreform, Stand 1. 7. 1967, Deutscher Bundestag, 5. Wahlperiode.

ABKÜRZUNGEN sRFE = subjektive Rechtfertigungselemente sURE = subjektive Unrechtselemente Im übrigen wurden die sonst üblichen Abkürzungen benutzt.

EINLEITUNG I. Bedeutung der Überlegung Graf Kessler berichtet in seinen Tagebüchern1, daß er im Dezember 1924 Einstein gefragt habe, an welchem Problem er jetzt arbeite. Einsteins Antwort war, er denke nach. Man komme eigentlich immer vorwärts, wenn man über irgendeinen wissenschaftlichen Satz nachdenke. Denn jeder ohne Ausnahme sei „falsch". Grund dafür sei die Inadäquatheit des menschlichen Denkens und Begriffsvermögens. Jedes Nachdenken erschütterte einen wissenschaftlichen Satz und führe zu einer neuen, exakteren Formulierung 2 . Sieht man davon ab, daß eine Formulierung auch einmal weniger exakt oder unergiebiger als die bisherige ausfallen kann, daß es Rückschritte in der Erkenntnis gibt und daß Einstein mit seinem Ausspruch lediglich auf das Unvermögen anspielt, eine begriffliche Formulierung der Natur mit der Natur selbst vollständig zur Deckung zu bringen, so enthält Einsteins Ausspruch den allgemeingültigen Kern, daß ein wissenschaftliches sorgfältiges Infragestellen selbst einer praktisch kaum mehr in Zweifel gezogenen Ansicht immer einen Schritt nach vorn führt und der Wahrheitsfindung dient. Aus der Geschichte der allgemeinen Wissenschaftslehre wissen wir, daß manchmal gerade in den nicht mehr erörterten „abgelegten" Problemen ganz unbeachtet Fehlerquellen und damit Sperren steckten, die erst beseitigt werden mußten, bevor man einen neuen Abschnitt angehen konnte. Als Beispiel aus letzter Zeit sei auf die Entdeckungen von Max Planck hingewiesen, mit denen die Quantentheorie und die moderne Physik begonnen hat 3 . Aus all dem ergibt sich, daß man heute noch die Bedeutung der sogenannten subjektiven Unrechtselemente im Strafrecht erneut überprüfen kann, selbst wenn schon zahlreiche eingehende Untersuchungen zu diesem Fragen1 Graf Kessler, Harry, 1, Tagebücher 1918—1937, Bericht über den 18. 12. 1924, »Die Welt" v. 7. 10. 1961. 1 Dies wird besonders deutlich, wenn man Längsschnitte durch die Geschichte einer wissenschaftlichen Disziplin zieht. Dann zeigt sich auch, daß die Entwicklung nicht kontinuierlich verlaufen muß. Vgl. hierzu nur Schmidt, Eberhard, 5, Einführung in die Geschichte der deutschen Strafrechtspflege, I . A . 1947, 3. A. 1965; zum Problem der Verantwortlichkeit in Ethik und Recht als Längsschnitt durch die Geschichte der Moraltheologie: Müller, Michael, 1, Ethik und Recht in der Lehre von der Verantwortlichkeit, 1932; beide insgesamt. * Siehe hierzu Heisenberg, Werner, 1, Das Naturbild der heutigen Physik, 1955, S. 28.

2

Einleitung

komplex vorliegen4. Den Schwerpunkt legen wir dabei dem Thema der Arbeit entsprechend auf die sogenannten „subjektiven Rechtfertigungselemente". II. Ursprünglicher Sitz des materiellrecbtlichen Problems Dieser begrenzte Fragenbereich hat einerseits eine sehr alte Geschichte, andererseits wurden die Probleme in diesem Jahrhundert — gewissermaßen vor unseren Augen und auf wenige Jahrzehnte zusammengedrängt — in einem Umfang und mit Wirkungen behandelt, die weit über die eigentliche Bedeutung der Sonderfälle hinausgehen. Der Sitz der materiellrechtlichen Seite der Materie war ursprünglich ein (wie wir heute sagen würden) subjektives Rechtfertigungselement (sRFE) bei der Notwehr. Die wohl älteste Stelle, auf die fast nie verwiesen wird, stammt von Julius Paulus, unter Alexander Severus ( + 235) praefectus praetorio. Im Libro X ad Sabinum, einem Kommentar, führte nadi ihm die Notwehr nur dann zur Straffreiheit, wenn sie „tuendi dumtaxat, non etiam ulciscendi causa factum sit". Selbst wenn diese Auffassung von Paulus lediglich aus älteren Quellen übernommen worden sein sollte, so kommt ihr doch deshalb eine entscheidende Bedeutung zu, weil die Stelle aus Paulus in die Digesten übernommen wurde und somit seit 533 Gesetzeskraft besaß5. Während die Handlung aus Notwehr „straflos" blieb, war der Racheakt strafbar 6 . Diese römischrechtliche Auffassung wurde durch die Übernahme in das kanonische Recht noch bestärkt und weiter verbreitet. Während in der frühchristlichen Zeit bis zum Jahre 312 bei keiner irgendwie bedeutenden Schrift eines Christen auch nur eine Andeutung dafür zu finden ist, daß eine Tötung aus Notwehr erlaubt sei7, Rache und Abwehr gleichgesetzt wurden, womit das Problem schon im Ansatz entfällt, wird die Frage im Zuge der Ablösung der Erfolgshaftung durch das Schuldprinzip aktuell. Etwa um das Jahr 1200 — überwiegend im Einwirkungs4 Siehe das Literaturverzeichnis insgesamt. Besonders: Braun, Werner, 1, Die Bedeutung der subjektiven Unrechtselemente für das System eines Willensstrafrechts, 1936, S. 3—7; Kantorowicz, Hermann, 1, Tat und Schuld, 1933, S. 6; Mayer, Max Ernst, 1, Der allgemeine Teil des Deutschen Straf rechts, Lehrbuch, 1915, S. 185 ff.; Mezger, Edmund, 1, Strafrecht, Ein Lehrbuch, 3. A. 1949, S. 168— 169; Schmitt, Rudolf, 1, Subjektive Rechtfertigungselemente bei Fahrlässigkeitsdelikten? OLG Hamm N J W 1962 S. 1169, in JUS 1963 S. 64 ff.; Schweikert, Heinrich, 2, Die Wandlungen der Tatbestandslehre seit Beling, 1957, S. 9 ff.; Staab, Edgar, 1, Das Problem subjektiver Elemente im Rahmen der Notwehr, 1953, S. 4; Vollmann, Herbert, 1, Die subjektiven Unrechtselemente im Strafrecht, 1933, S. 11; alle mit weiteren Nachweisen. 5 D. 9, 2, 45, § 4. • Siehe Mommsen, Theodor, 1, Römisches Strafrecht, 1955, Nachdruck der Ausgabe von 1899, S. 620—621. 7 Schöpf, Bernhard, 1, Das Tötungsrecht bei den frühchristlichen Schriftstellern, 1958, S. 86.

Einleitung

3

bereidi der kanonistischen Rechtsschule der Universität Bologna — findet man die Unterscheidung zwischen Notwehr als Abwehr einerseits und R a che andererseits schon bei sieben Kanonisten 8 . Von seinem Lehrer Huguccio ( + 1210) übernimmt Innozenz III. ( + 1 2 1 6 ) dieses Merkmal des Julius Paulus aus den Digesten. Die hier wichtige Stelle lautet: „ . . . non ad summendam vindictam, sed ad iniuriam propulsandam; . . . " . Sie wird später in die Dekretalen Gregors IX. (Liber extra) aufgenommen und erlangt so als Teil des Corpus Iuris Canonici im J a h r e 1234 für die ganze Kirche Gesetzeskraft 9 . Hier wird wieder zwischen Abwehr und Rache unterschieden. Im Anschluß an Paulus und das Corpus Iuris Civilis läßt man jetzt die Notwehr nur dann als „entschuldigt" gelten, wenn der Angegriffene „defensionis causa", nicht aber „ultionis causa" gehandelt hat. D e r Verteidigungszweck muß den Willen des Abwehrenden bestimmen 10 . Dem entsprechend erklärt Thomas von Aquin ( + 1274), daß z w a r in Notwehr der Angreifer äußersten Falles sogar getötet werden dürfte (indirekte Tötung) 1 1 . Soldaten im Krieg und Polizisten bei der Bekämpfung von Räubern würden in dieser Lage gleichwohl sündigen, „wenn sie von privater Leidenschaft bewegt werden" 1 2 .

III. Von der Ausnahmeregelung, der Fußnote, zur systemsprengenden Wirkung der Grundsatzdebatte Wichtiger als dieser kurze Rückblick auf einige Nachweise aus der Geschichte ist ein zweiter Gedankengang. Während für das römische Recht die Zubilligung der Notwehr nur klärte, daß die T a t „straffrei" blieb 1 3 , wurde die Frage von den Kanonisten in Bologna als „Schuldproblem" gesehen 14 . E t w a zur gleichen Zeit bedeutet die Zubilligung einer Tötung in Notwehr im deutschen Rechtskreis (wie in den Landfrieden von 1152 und 1 1 7 9 ) 1 5 üblicherweise nur, daß der T ä t e r frei von peinlichen Strafen blieb. 8 Vgl. Kuttner, Stephan, 1, Kanonistische Schuldlehre von Gratian bis auf die Dekretalen Gregors IX, 1935, S. 349, Anm. 1. • X . 5, 12, 18. 10 Kuttner, Stephan, 1, aaO, S. 349. 11 Vgl. hierzu Waider, Heribert, 7, Bemerkungen zum Naturbegriff und zur Lehre von den Ehezwecken im Anschluß an die Entscheidung BGHSt 16, S. 175 ff., in: ZStW Bd. 75, 1963, S. 243—245. 12 Thomas von Aquin, 1, Summe der Theologie, 2. A. 3. Bd. 1954, herausgegeben von Bernhart, S. Th. II, II. q. 64, a. 7. Vgl. ferner Schreiber, Frans Josef, 1, Die Beurteilung der Notwehr in der christlichen Literatur zwisdien dem 4. und 12. Jh. Erlanger jur. Diss. 1966, S. 150—151. 13 wie ·. Daß dies durchaus nicht gleichbedeutend mit „schuldlos" war, war lange schon allgemeine Auffassung. Vgl. Schöpf, Bernhard, 1, aaO, S. 73, 86. 14 Vgl. Kuttner, Stephan, 1, aaO, dem es in der Monographie überhaupt nur um die Schuldlehre seit Gratian und um die allmähliche Ablösung der Erfolgshaftung geht. Vgl. Müller, Michael, 1, aaO, insgesamt; bes. S. 71 ff. 15 Vgl. Gernhuber, Joachim, Die Landfriedensbewegung in Deutschland bis zum Mainzer Reichslandfrieden von 1235, 1957, insgesamt. Die hier wichtige Stelle ist

4

Einleitung

Andere Rechtsnachteile trafen ihn oft dennoch 16 . Darauf beschränkte sich die Problematik. Noch zu Beginn dieses Jahrhunderts taudien diese Frage oder entsprechende Probleme nur gelegentlich auf. Man mißt den „ganz nebenbei getroffenen Feststellungen keinerlei Bedeutung bei" 1 7 . Für Beling ist noch 1906 die Feststellung, daß ein vom Handelnden verfolgter Zweck von Einfluß auf die Rechtmäßigkeit des Handelns sein kann, eine reine Ausnahme, die nur in wenigen „Sonderbestimmungen", ( z . B . dem Schikaneverbot und der Festnahmebefugnis) bedeutsam werden kann 18 . Die Möglichkeit einer konstitutiven Bedeutung subjektiver Elemente für die objektive Rechtswidrigkeit (ζ. B. bei § 193 StGB, § 226 BGB, bei Geschäftsführung ohne Auftrag) erwähnt Ν agier noch 1911 nur in einer Fußnote 19 . Auch Hans Albrecht Fischer20, der wohl als erster diesen Erscheinungen eine größere Tragweite beimaß 21 , behandelte 1911 als Zivilreditler die Fragen noch fast ausschließlich für die Rechtfertigungsgründe des bürgerlichen Rechts 22 . Auch bei ihm findet man, daß der nicht in Notwehr handelt, der „lediglich aus Rachsucht" den Angreifer verletzt 22 . Erst mit Hegler (1914) 2 3 und Μ. E. Mayer (1915) 2 4 tritt so etwas wie eine Grundsatzdebatte wieder im Strafrecht auf. Bei Mezger (1923) machen die Probleme der subjektiven Unrechtsausschlüsse (z.B. bei der Notwehr) bereits den geringeren Teil der Abhandlung „Die subjektiven Unrechtselemente" aus 25 . Uber die Hälfte der

bei Eberhard Schmidt, 5, aaO, § 62 abgedruckt. Die Texte findet man in den Monumenta Germaniae Historica, Constitutiones I, S. 195 ff. (1152) und S. 380 ff. (1179). 16 Schmidt, Eberhard, 5, aaO, § 62 (Notwehr). Vgl. audi § 102. Zur Entwicklung der Lehre von der Notwehr siehe audi Mayer, Hellmuth, 2, Strafrecht, AT. 1953, S. 199 ff. 17 Braun, Werner, 1, aaO, S. 3. 18 Beling, Ernst, 4, Die Lehre vom Verbrechen, 1906, S. 142. " Νagier, Johannes, 1, Der heutige Stand der Lehre von der Rechtswidrigkeit, in: Festschrift Binding, 1911, Bd. II, zitiert nach dem Sonderdruck, S. 16, Anm. 8. 20 Fischer, Hans Albredit, 1, Die Rechtswidrigkeit mit besonderer Berücksichtigung des Privatrechts, 1911, insgesamt. 21 So Braun, Werner, 1, aaO, S. 3—4; vgl. auch Meiger, Edmund, 1, aaO, S. 168. 22 Fischer, Hans Albrecht, 1, aaO, S. 138. Für einen Aussdiluß der Rechtfertigung beim Handeln aus Haß in Notwehrlagen traten u. a. ausdrücklich ein: Kohler, Josef, 1, Lehrbuch des bürgerlichen Rechts, Bd. I, 1906, § 69, IV; Köhler, August, 1, Deutsches Strafredit, AT. 1917, S. 289; vgl. auch Hegler, August, 1, Subjektive Rechtfertigungsmomente im Rahmen des allgemeinen Verbrechensbegriffs, in: Frank-Festgabe, Bd. 1, 1930, S. 258 (Motiv der Rache innerhalb des Züchtigungsrechts). 28 Hegler, August, 2, Die Merkmale des Verbrechens, ZStW Bd. 36, S. 19 ff., bes. S. 36 ff. 24 Mayer, Max Ernst, 1, aaO, S. 185—188. 25 Mezger, Edmund, 13, Die subjektiven Unrechtselemente, GerS. 89. Bd. S. 207 ff.

Einleitung

5

Abhandlung befaßt sich mit Dogmengeschicbte, mit grundsätzlichen Ausführungen zu Unrecht, Schuld und subjektiver Unrechtsbegründung. Was man bis dahin als Ausnahmeerscheinung hingenommen hatte, wird später von Schaffstein als „unerklärliche Anormalität" empfunden 26 . Die subjektiven Unrechtselemente haben zu einer „Erschütterung der Strafrechtswissenschaft" geführt 27 , haben dem alten System den „ersten Stoß" erteilt 28 und tiefgreifende Veränderungen der Lehre von der Rechtswidrigkeit ausgelöst29. Man glaubte, daß durch diese Elemente das „überkommene, mühevoll geordnete Lehrgebäude ins Wanken" geriet30, daß sie Schuld seien an oft wiederholten Ansätzen zu neuen Systemaufbauten 31 . Nach Härtung zieht Welzels Strafrechtssystem nur die letzten Folgerungen aus der Entdeckung der subjektiven Unrechtselemente32. Wegner sieht als Folge dieser Lehre „furchtbare, tatbestandszersetzende Wirkungen" 33 . „Alles bewegt sich von seinem gewohnten Platz" 34 . Würtenberger warnt vor einer Überschätzung der Bedeutung subjektiver Unrechtselemente, die zur Bildung eines „personalen Unrechts" führt, zu einer Subjektivierung des Strafrechtsdenkens 35 . Mezger, dem wir einige grundlegende Arbeiten zu diesem Problemkreis verdanken, stimmt Langes Warnungen davor zu, den subjektiven Unrechtselementen eine allzu revolutionäre Rolle im Unrechtsbegriff einzuräumen 36 . Bereits aus diesem kurzen Aufriß ergibt sich, zu welchen Folgen es führen kann, wenn man ein zunächst nur an wenigen Punkten auftauchendes Problem verallgemeinert und mit dem bereits bestehenden System konfrontiert, wenn man aus Einzelheiten Grundsätzliches macht 37 . Der kurze Zeitraum der letzten fünfzig Jahre spiegelt an diesem Problem ein Stück der Geschichte der Rechtsidee wider, den weiteren Abstieg von objektiven Ele26

Schaffstein, Friedrich, 1, Rechtswidrigkeit und Schuld im Aufbau des neuen Strafreditssystems, ZStW Bd. 57, S. 313. 27 Staab, Edgar, 1, aaO, S. 46. 28 Welzel, Hans, 3, Besprechung von Busch, Richard, 1, Moderne Wandlungen der Verbrechenslehre, 1949, D R Z 1949, S. 215. 2 · Jescbeck, Hans-Heinrich, 2, Die Entwicklung des Verbrechensbegriffs in Deutschland seit Beling im Vergleich mit der österreichischen Lehre, ZStW Bd. 73, S. 193. 30 Braun, Werner, 1, aaO, S. 25. 51 Würtenberger, Thomas, 1, Die geistige Situation der deutschen Strafrechtswissenschaft, 1957, 2. unveränderte Aufl., S. 2—3. 52 Härtung, Fritz, 2, Besprechung zu Welzel, Das neue Bild des Strafrechtssystems, N J W 1952, S. 334; vgl. auch Sdimitt, Rudolf, 1, aaO, S. 68. 33 Wegner, Arthur, 1, Strafrecht, AT. 1951, S. 222. 34 Lang-Hinrichsen, Dietrich, 5, Zum Handlungsbegriff im Strafrecht, JR 1954, S. 89. (Speziell zur Handlungslehre). 35 Würtenberger, Thomas, 1, aaO, S. 4—5. 36 Mezger, Edmund, 15, Literaturbericht, Rezension zu Kohlrausch-Lange, Kommentar, in: ZStW Bd. 65, S. 65. 37 Wegner, Arthur, 1, aaO, S. 222.

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Einleitung

menten zu einer immer stärkeren Subjektivierung, eine weitere Auflösung der objektiven Substanz 38 . IV. Wechselwirkung zwischen Denkstil und materiellrechtlichem

Problem

Wenn es audi bekannt ist, daß wichtige andere Überlegungen hinzukamen und so die großen Veränderungen innerhalb der Strafrechtswissenschaft mit bewirkten, so bleibt es doch immer noch erstaunlich, daß verhältnismäßig kleine Ursachen so große Wirkungen ausgelöst haben. Es liegt die Vermutung nahe, daß dies nicht am Gewicht der materiellrechtlichen Problematik lag. Andere Zeiten haben die Fragen ohne so große Reflektionen gelöst. Es spricht vieles dafür, daß es Denkmethoden und Denkstile waren, die zu so einschneidenden Änderungen geführt haben. An dieser Stelle soll deshalb der Versuch unternommen werden, zu überprüfen, welchen Einfluß die verschiedenen Arten des Denkens auf den allmählichen Ausbau und auf die Entwicklung der Lehre von den subjektiven Rechtfertigungselementen gehabt haben, wie dies gleichzeitig auf Methodik und Systematik des Strafrechts rückgewirkt hat und es noch tut, weldie Folgen daraus für die Gegenwart zu ziehen sind. Die Entscheidung, ob im Einzelfall überhaupt ein subjektives Rechtfertigungselement gegeben ist oder nidit, wie materiellrechtlich „richtig" zu lösen ist, muß dabei ganz zurücktreten 39 .

38

Lange, Richard, 10, Das Problem der Objektivität im Recht, in: MarxismusLeninismus, Geschichte und Gestalt, 1961, S. 108. " Die hier interessierenden Fälle der subjektiven Rechtfertigungselemente sind keineswegs nur Übungsfälle (vgl. Goldschmidt, James, 1, Rechtsfälle aus dem Strafrecht, 3. A. 1930, Fall 22, 23), noch kommen sie nur „auf dem Katheder" vor (vgl. Schmitt, Rudolf, 1, aaO, S. 64). Aus dem Jahr 1961 sind zwei einschlägige Entscheidungen der Gerichte aus dem Bereich des Notwehrrechts bekannt geworden. Einmal eine Entscheidung des OLG Hamm in: N J W 1962, S. 1169; vgl. Schmitt, Rudolf, 1, aaO, S. 64 ff. Es handelt sich hierbei um die Voraussetzungen der Notwehr bei Fahrlässigkeitstaten. Der zweite Fall, der sich in Österreich zugetragen hat: Der Chef der Verkehrsabteilung einer Polizeidirektion rammt unter Verletzung der Vorfahrt an einer Straßenkreuzung einen kurz vorher gestohlenen Wagen. Der Dieb, der zu Fuß nicht schnell genug wegkommt, wird kurz danach beim Fluchtversuch gestellt. Der Beamte erfährt erst nach dem Zusammenstoß, daß er so den Dieb am Fortschaffen der Beute gehindert hat, die Festnahme ermöglichte. (Berichte der FAZ vom 6. 2. 1961; „Die Welt" vom 2. 2. 1961).

§ 1 METHODE, SYSTEM U N D AUSLEGUNG A. GRUNDSÄTZLICHE FRAGEN I. Bedeutung der Methodologie Am Anfang aller Überlegungen steht die Frage nach dem Weg1, den man einzuschlagen hat. Dies gilt zumindest für eine Wissenschaft, die sich ihres hohen Entwicklungsstandes bewußt wird. Die Frage gehört mit ihrem Schwerpunkt in den Bereich der speziellen strafrechtlichen Methodologie, die ein Teil der Strafrechtswissenschaft ist. Gleichzeitig werden dabei Fragen der allgemeinen rechtswissenschaftlichen Methodenlehre behandelt, vergleichend solche der Methodenlehre anderer wissenschaftlicher Disziplinen. Schließlich werden Probleme der Methodenlehre der Wissenschaften berührt, die in den Bereich der Philosophie gehören 2 . Die Frage nach dem Weg stellt sich in dreifacher Richtung. Erstens nach dem Weg, den die Untersuchung, die hier durchgeführt wird, zu gehen hat. Zweitens ist zu fragen nach den Methoden der Auslegung und drittens nach der Methode, mit der die hier behandelten Partien der Strafrechtswissenschaft aufgebaut worden sind und weiter erhalten werden. H a t die Frage nach der rechten Methode an der Spitze zu stehen, so folgt die Methodenreflexion doch zeitlich der Methode nach. Eine Rückbesinnung wird erst erforderlich, wenn eine wissenschaftliche Disziplin gezwungen ist, sich selbst in Frage zu stellen. Diese „Fragwürdigkeit" wird zu verschiedenen Zeiten unterschiedlich stark empfunden. Schule3 beklagt, daß die Bemühungen, methodische Vorfragen zu klären, in der Rechtswissenschaft des In- und Auslandes zurückgingen. Soweit dies

1 „Jede Kritik hat an der Methode anzusetzen". Allers, Rudolf, 1, Über Psychoanalyse, 1922, S. 16. Vgl. Frankl, Viktor, 1, Das Menschenbild der Seelenheilkunde, 1959, S. 78. 2 Nach Jaspers ist die methodische Erkenntnis mit dem Wissen um die jeweilige Methode und ihre Grenzen überhaupt die wichtigste Wissenschaft. Jaspers, Karl, 1, Wahrheit und Wissenschaft, Nationalzeitung Basel, 3. 7. 1960, Rede zur Fünfhundertjahrfeier der Universität Basel. Es wurde benutzt: Wilpert, Paul, 2, Philosophie und Einzelwissenschaften, Thesen zur Sitzung des Alpbach-Seminars am 3. 12. 1962 in Köln, unveröffentlicht, w o besonders auf die Frage nadi der Tragweite der mit einer Methode gewonnenen Aussagen hingewiesen wird. Siehe auch Meyer, Hans, 1, Systematische Philosophie, Bd. 1, 1955, S. 15 ff. 3 Schule, Adolf, 1, Zur Methodenfrage in der Völkerreditswissensdiaft, Studium Generale I960, S. 201.

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Methode, System und Auslegung

überhaupt auf das Strafrecht zutrifft 4 , beruht es wohl nicht auf einer ausgesprochenen Abneigung oder Gleichgültigkeit der Methodenlehre gegenüber. Man folgt häufig "nur Radbruchs Meinung 5 , nach der eine gesunde Wissenschaft üblicherweise nicht viel von sich selbst wisse. Wissenschaften seien krank, wenn sie sich mit ihrer eigenen Methodenlehre zu beschäftigen hätten. Diese Auffassung geht bereits von dem Vorhandensein richtiger Methoden aus, die so in „Fleisch und Blut" übergegangen sind, daß man sich über ihre Tragfähigkeit keine Rechenschaft mehr gibt, noch zu geben hat. Demgegenüber ist sicher, daß heute, wie in der jüngsten Vergangenheit, sogenannte „Systemfragen" in der Rechtswissenschaft, ganz besonders im Strafredit, sehr häufig erörtert werden. Man denke nur an den Streit, an welcher Stelle im Ablauf der Überlegungen und im „System" der Vorsatz zutreffend einzuordnen sei. Dabei handelt es sidi nicht etwa nur um ein technisches oder didaktisches Problem. Es geht gleichzeitig und überwiegend um eine materielle Frage. Engisch6 meinte noch 1957 hierzu, es sei kaum zu glauben, aber es sei nun einmal so, daß dieses „Systemproblem" im Mittelpunkt der strafrechtlichen Erörterungen stehe. Er sieht hierin einen Beweis dafür, wie ernst Systemfragen in der Jurisprudenz genommen würden. Eine Abneigung gegen Methodenfragen wäre zumindest der Strafrechtswissenschaft nicht vorzuwerfen, wenn „Systemprobleme" immer oder doch häufig Methodenfragen enthielten. Sollte dies zutreffen, so würde gerade bei der Behandlung von Systemfragen eine bestimmte Methodik stillschweigend vorausgesetzt und die Methodenfrage implicite mitbehandelt. Gefragt ist damit nach dem Verhältnis zwischen Methode und System. II. Verhältnis zwischen Methode und System Man kann ganz allgemein unter einem „System" die inhaltliche Seite einer Wissenschaft, das geordnete Ganze ihrer Erkenntnisse oder Gehalte verstehen, unter der Methode als der formalen Seite einer Wissenschaft die Art, in der dies Ganze aufgebaut und erworben wird 7 . Gleiches gilt entsprechend für den Teilbereidi einer Wissenschaft, ζ. B. für das Strafredit. 4 Vgl. nur Sax, Walter, 3, Das strafrechtliche „Analogieverbot". Eine methodologische Untersuchung über die Grenze der Auslegung im geltenden deutschen Strafredit, 1953. 5 Radbruch, Gustav, 1, Einführung in die Rechtswissenschaft, 9. A. 1950, S. 242. • Engisch, Karl, 3, Sinn und Tragweite juristischer Systematik, Stud. Gen. 1957, S. 187. 7 Lötz, in: Brugger, Walter, Philosophisches Wörterbudi, 4. A. 1951, „Methode". Die von Lötz gewählte Umschreibung ist eine brauchbare Arbeitshypothese. Spranger bezeichnet „Methode" als ein in langen Bemühungen erprobtes, durch Zusammenarbeit und Tradition ausgelesenes, strenges Verfahren des denkenden Erkennens. Spranger, Eduard, 1, Die Einheit der Wissenschaft, ein Problem, ARSPh. Bd. 40, S. 5. Im 16. Jahrhundert verstand man unter dem „Methodus" überhaupt die „systematische" Darstellung, um die damals gekämpft wurde. Siehe von Stintzing, Roderich, 1, in: Stintzing-Landsberg, Geschichte der Deutschen

Grundsätzliche Fragen

9-

Bei dieser Formulierung sind System und Methode gewissermaßen zwei verschiedene Betrachtungsmöglichkeiten ein und desselben Gegenstandes, die nicht ganz unabhängig voneinander bestehen. Dagegen sieht Fingers, der sich gegen die Uberbewertung der Methode ausspricht, in dieser lediglich' einen Weg zur richtigen Erkenntnis und damit zur Wahrheitsfindung. Sie sei nicht Wahrheitsfindung selbst. Dies Ergebnis wird der gegenseitigen Bezogenheit der inhaltlichen und der formalen Seite einer Wissenschaft nicht gerecht. Dies ergibt sich aus der Bedeutung des behandelten und untersuchten Gegenstandes für den Weg einer Untersuchung, wovon zunächst zu sprechen sein wird. III. Gegenstand der Untersuchung und Methode Gegenstand und Methode sind nach Schwinge9 wechselseitig voneinander abhängig. Erik Wolf spricht von einer „Verschlingung" von methodologischen und inhaltlichen Elementen9". Man kann diesen Gedanken anders fassen, noch einen Schritt weiter gehen und vermuten, daß der Gegenstand der Untersuchung, deren Methode und die gewonnene Erkenntnis sich wechselseitig bedingen 10 . Da es unterschiedliche Materien in den verschiedenen Wissenschaften gibt, die zu behandeln sind, kann dieser Satz nur dann richtig sein, wenn es in der Wissenschaft mehr als eine Methode gibt und wenn mehrere legitim angewendet werden. Man hat sich zunächst für oder gegen den Methodenmonismus zu entscheiden. IV. Methodenmonismus — Methodenstaffelung Um die letzte Jahrhundertwende war die Neigung zum Methodenmonismus in Deutschland fast in allen wissenschaftlichen Disziplinen zu finden 11 . Rechtswissenschaft, 1. Abt. 1880, S. 140. Vgl. audi Waider, Heribert, 4, „Ars iuris" und „suum in persona ipsa" bei Hugo Donellus, Arch. Gesch. Philosophie Bd. 43,. S. 58. 8 Finger, August, 1, Kritische Bemerkungen zur Lehre vom Tatbestand und d e r Rechtswidrigkeit GS. Bd. 97, S. 386. • Schwinge, Erich, 1, Der Methodenstreit in der heutigen Rechtswissenschaft,. 1930, S. 28. Vgl. auch Hennis, Wilhelm, 1, Politik und praktische Philosophie, 1963, S. 29. ·* Wolf, Erik, 3, Strafrechtliche Schuldlehre, Bd. I, S. 102, Anm. 32. 10 »Aus speziellen Methoden, angewendet auf spezielle Gegenstände, können nur spezielle Resultate hervorgehen". Meurers, Josef, 2, Das heutige Wissen über die Struktur des Universums und seine naturphilosophische Bedeutung, in: Naturwissenschaft und Theologie, H . 5, Tragweite und Grenzen der wissenschaftlichen Methoden, 1962, S. 9. Nadi Meurers, 2, S. 25 schränkt die Methode wissenschaftliche Einsichten von vornherein ein. Die Resultate können auch immer nur von gleichem Charakter sein, wie die Methode selbst. 11 Es war dies allerdings nicht der erste Versuch. Wir werden später auf ältere Bestrebungen hinweisen. In dieser Abhandlung und an dieser Stelle genügt der allgemeine Hinweis auf Naturalismus und Positivismus. Vgl. ganz allgemein von· Aster, Ernst, 1, Geschichte der Philosophie, 7. A. 1949, S. 358 ff. Über die vielfältig positiven Bedeutungen derartiger Strömungen ist damit nichts gesagt.

Methode, System und Auslegung

10

Unter „Wissenschaftlicher Methode" verstand man dabei weitgehend die naturwissenschaftlich-mathematische Methode schlechthin12. Je stärker man sich, soweit es eben ging, dieser Denkart näherte, um so „wissenschaftlicher" war die Disziplin 13 . Die Frage, ob dieses Vorgehen den Eigenheiten der verschiedenen wissenschaftlichen Disziplinen entsprach, trat hinter dem Streben nach Vereinheitlichung zurück. Diese Auffassung ist seit den großen Veränderungen im Denken, etwa um 1900 beginnend, immer mehr aufgegeben worden. Es wird heute kaum noch vertreten, daß nur eine Methode richtig sei. In soweit ist der Methodenmonismus in der allgemeinen "Wissenschaftslehre überholt14. Praktisch verlangt jede Wissenschaft nach einer eigenen Methode. Nach ihr ist das Sachgebiet zu behandeln15. Dabei wird nicht übersehen, daß eine zu große Methodendifferenzierung und Methodenverbindungen zu einer Zersplitterung der Wissenschaft führen können16. Mit diesem Ergebnis ist die Frage nach der Berechtigung eines Methodenmonismus nur für die allgemeine Wissenschaftslehre verneinend geklärt. Ist ein derartiger Monismus wenigstens innerhalb ein und derselben wissenschaftlichen Disziplin, zum Beispiel der Rechtswissenschaft, zu vertreten? Als eine der beiden möglichen Positionen bietet sich der Satz an: Jedes Erkenntnisziel bedingt eine besondere Methode. Man kann diesen Gedanken sofort mit Schwinge17 als übertrieben verwerfen, soweit man nur darunter versteht, daß die „besonderen Methoden" alle in sich verschieden sind. Das würde zur Auflösung des Denkens führen. Umgekehrt genügt eine Methode praktisch nie. Um einen Gegenstand in allen seinen Eigen12 Kaufmann, Arthur, 3, Zur rechtsphilosophischen Situation der Gegenwart, J Z 1963, S. 138: Man hielt für die ganze Wahrheit, was auf naturwissenschaftlidimathematische Weise erfaßt werden konnte. Zur Frage, wie weit eine „exakte" Wissenschaft eine besondere Sicherheit der Resultate garantiert, siehe Meurers, 2, aaO, S. 9. 1 3 Schon früh bedauerte von Kirchmann die Mängel der Rechtswissenschaft im Vergleich mit der Naturwissenschaft, von Kirchmann, Julius, 1, Die Wertlosigkeit der Jurisprudenz als Wissenschaft, 1848, zitiert nach dem Neudruck 1956, S. 18; 2 0 ; 31. Vgl. etwa von Liszt, Franz, 1, Rechtsgut und Handlungsbegriff im Bindingschen Handbuch, Ein kritischer Beitrag zur juristischen Methodenlehre, ZStW Bd. 6, 1886, S. 662 ff.; zur Eigenständigkeit der Rechtswissenschaft siehe daselbst S. 667. Siehe allgemein Kaufmann, Arthur, 3, aaO, S. 137. Über den Einfluß des Naturalismus auf Rechtswissenschaft und Moraltheologie siehe Waider, Heribert, 7, aaO, S. 2 2 0 ff. 1 4 Vgl. für viele: Spranger, Eduard, 1, aaO, S. 4 ; Meyer, Hans, 1, aaO, S. 14; Schwinge, Erich, 1, aaO, S. 28, mit weiteren Hinweisen; Landmann, Michael, 2, Der Mensch als Schöpfer und Geschöpf der Kultur, 1961, S. 2 1 3 ; Meurers, Josef, 1, Grenzen der Wissenschaft, Rheinischer Merkur vom 19. 1. 1962, S. 7 : Man kann mit einem philosophischen System nicht mehr einen Weltentwurf erreichen. 1 8 So oder ähnlich: Lötz, in Brugger, 1, aaO, „Methode"; Meyer, Hans, 1, aaO, S. 1 3 ; Bochenski, JM., 1, Die zeitgenössischen Denkmethoden, 2. A. 1959, S. 1 7 ; 2 0 ; Heck, Philipp, 1, Begriffshildung und Interessenjurisprudenz, 1932, S. 2 6 — 2 7 . 18

Vgl. Spranger,

Eduard, 1, aaO, S. 5.

17

Vgl. Schwinge,

Erich, 1, aaO, S. 28.

Grundsätzliche Fragen

11

Schäften zu erfassen, sind im allgemeinen mehrere Methoden nötig 18 . Man denke nur daran, wie viele Disziplinen sich daran beteiligten und noch beteiligen, das heutige „Menschenbild" möglichst vollkommen aufzuzeichnen 19 , welche Einzelfragen aus allen wissenschaftlichen Bereichen innerhalb der „KriminalWissenschaften" behandelt werden müssen. Zu einer der wichtigsten methodologischen Fragen gehört hier das Problem der Transformation eines Begriffs aus einer nichtjuristischen Disziplin in die Rechtswissenschaft. Alle Methoden haben ihre Grenzen. Versagt eine, so müssen andere herangezogen werden. Deshalb hat sich Schwinge für einen „Methodensynkretismus" und gegen einen Methodenmonismus ausgesprochen20. Besser wäre es wohl, von „Methodenpluralismus" zu sprechen, da der Begriff „Methodensynkretismus" vielfach negativ verstanden wird 21 . Am deutlichsten wird das, was hier gemeint ist, mit dem Begriff „Kombination von Methoden" 22 oder — noch besser — mit „Methodenstaffelung" 23 umschrieben. Etwas diesem Gedanken Verwandtes meint F i n g e t , wenn er sich gegen eine Überschätzung der „Methodenreinheit" ausspricht, zu der sidi manche bekennen würden wie zu einem „alleinseligmachenden GlauSchwinge, Eridi, 1, aaO, S. 28; Coing, Helmut, 1, Die juristischen Auslegungsmethoden und die Lehren der allgemeinen Hermeneutik, 1959, insgesamt; Waider, Heribert, 2, Die „Rechtswidrigkeit" des artifiziellen Abortes und der Perforation in medizinisch indizierten Fällen. Zugleich ein Beitrag zur Methodologie des Naturrechts, Kölner jur. Diss. 1949. 19 Das „Menschenbild" wird nur auf einer sehr breiten Basis von vielen verschiedenen Wissenschaften gemeinsam erarbeitet werden können. Vgl. Viehweg, Theodor, 4, Rechtsphilosophie als Grundlagenforschung, ARSPh. 1961, Bd. 57, S. 537. Hier sind gewaltige Gebiete der Wirklichkeit noch nicht erforscht. (Bochenski, JM., 2, Wege zum philosophischen Denken, Einführung in die Grundbegriffe, 1959, S. 68). Vgl. hierzu auch die wichtigen Ausführungen über die Blickrichtung auf den Menschen als Person bei Engisch, Karl, 16, Zur „Natur der Sache" im Strafrecht, in: Festschrift für Eberhard Schmidt, 1961, S. 97; 99; Stratenwerth, Günter, 2, Das reditstheoretische Problem der Natur der Sache, 1957, S. 17 ff. 20 Schwinge, Erich, 1, aaO, S. 28. Vgl. Lange, Richard, 13, Niederschriften über die Sitzungen der Großen Strafrechtskommission, Bd. 2, S. 192; Stöger, Fritz, 1, Versuch des untauglichen Täters. Zugleich ein Beitrag zur strafrechtlichen Lehre vom Unrecht, 1961, S. 85. 21 Vgl. Sax, Walter, 3, aaO, S. 69—70, und Schneider, Egon, 2, Rezension zu Viehweg, Topik und Jurisprudenz, 2. Α., MDR 1963, S. 654. 22 Meyer, Hans, 1, aaO, S. 14. 83 Vgl. Fitzek, Werner, 1, Theologie und Weltbild, Rheinischer Merkur vom 3.2.1961; Kaiin, J., in: Naturwissenschaft und Theologie, aaO, S. 59; Waider, Heribert, 7, aaO, S. 245 ff. Damit ist der Methodenstreit, der mit logischen Argumenten kaum beizulegen ist, weitgehend entschärft. Vgl. Schwinge, Erich, 1, aaO, S. 13. 24 Finger, August, 1, aaO, S. 386. Auch Jescheck spricht der Methodenreinheit nicht den Primat zu {jescheck, Hans-Heinrich, 2, aaO, S. 191). Jede „einfache" Lösung, die nur ein „Fach" behandelt, ist eine falsche Lösung (Bochenski, JM., 2, aaO, S. 45). Vgl. auch Mezger, Edmund, 9, Der Begriff der Rechtsquelle, in: Festschrift für Heck-Rümelin-Schmidt, 1931, S. 27. 18

12

Methode, System und Auslegung

ben". Wenn auch hiermit noch nicht geklärt ist, ob ein Methodenpluralismus im Strafrecht, besonders bei der Lösung der hier behandelten Probleme, zulässig ist, so kann man doch jedenfalls feststellen, daß die Benutzung verschiedener Methoden in ein und derselben wissenschaftlichen Disziplin nicht als in sich unzulässig anzusehen ist. Die Methodenlehre jeder Wissenschaft wird Teile enthalten, die allen Wissenschaften gemeinsam sind, andere, die nur einer Reihe (ζ. B. den Naturwissenschaften) eigen sind, und schließlich solche, die lediglich der Eigengesetzlichkeit einer einzelnen Disziplin zuzuordnen sind 25 . Dies hat zur Folge, daß man sich mit den Methoden anderer Disziplinen auseinandersetzen und über ihre Verwendbarkeit in der Rechtswissenschaft entscheiden muß, sich zumindest von ihnen anregen läßt 26 . Mit dieser Ablehnung des Methodenmonismus ist der Weg frei zur Erörterung der Frage, wie Gegenstand der Untersuchung und Methode sich zueinander verhalten. Hier stehen an sich zwei Möglichkeiten offen. Entweder sind Gegenstand der Untersuchung und Methode voneinander ganz unabhängig. Oder aber die jeweils anzuwendende Methode steht nicht im Belieben, sondern wird ganz oder weitgehend vom Gegenstand der Untersuchung vorgeschrieben. Im letzteren Fall gehören Gegenstand der Untersuchung, inhaltliche (System) und formale Seite (Methode) einer Wissensdiaft oder eines ihrer Teilbereiche eng zueinander, sind wechselseitig aufeinander bezogen, bedingen sich gegenseitig. Praktisch wird es nicht mehr vertreten, daß Gegenstand der Untersuchung und Methode nichts miteinander zu tun haben 27 . Die Geschichte der Wissenschaften kennt jedoch einige Fälle, bei denen man es annahm, Grenzübersdireitungen auf breiter Front vorkamen. Einige lassen die Kämpfe ahnen, die früher um die „richtige'' Methode geführt wurden. Wir wollen kurz auf zwei Gruppen von Beispielen hinweisen, die hier einzig wegen des Streites um Methoden interessieren, die gleichzeitig typisch und symptomatisch sind. is

Sehr eingehend Scherhorn, Gerhard, 1, Methodologische Grundlagen der sozialökonomischen Verhaltensforschung, 1961, S. 39. Vgl. audi Waider, Heribert, 7, aaO, S. 245 ff. 26 Über die Einheit in der juristischen, theologischen und philologischen Hermeneutik siehe Gadamer, Hans-Georg, 1, Wahrheit und Methode, 1960, S. 311. U m gekehrt orientieren sich Philologen und Historiker an der juristischen Hermeneutik. Siehe Gadamer, Hans-Georg, 1, aaO, S. 321. Vgl. auch Sturm, Fritz, 1, Anleitung zur Anfertigung von Digestenexegesen, JuS 1962, S. 387, und besonders Forsthoff, Ernst, 3, Recht und Sprache, Prolegomena zu einer richterlichen Hermeneutik, 2.Teil: Hermeneutische Studien, S. 18—47, Sonderausgabe 1964. 87 Zu diesem Komplex siehe: Landmann, 1, Philosophische Anthropologie, 1955, S. 8; Gadamer, Hans-Georg, 1, aaO, S. 5; 297; Dilthey, Wilhelm, Gesammelte Schriften, Bd. I, 1913, S. 4; Mittasch, Helmut, 1, Die Auswirkungen des wertbeziehenden Denkens in der Strafrechtssystematik, 1939, S. 1 ff.; 62; Lewald, Walter, 1, Staatsreditslehrertagung 1961, N J W 1962, S. 97, Anm. 3. Zur unzulässigen Übertragung von Methoden siehe Brecher, Fritz, 1, Scheinbegründung und Methodenehrlichkeit im Zivilredit, in: Festschrift für Nikisch, 1958, S. 231.

Grundsätzliche Fragen V. Grenzüberschreitungen

in der Geschichte der

13 Methodenlehre

Es gab eine Zeit, in der die Kenntnis der Medizin gleichbedeutend war mit der Kenntnis des „Canon" von Avicenna28, der als erster Philosoph des Islams ein „geschlossenes System" hinterließ ( + 1037). Auf die Kenntnis des menschlichen Körpers stellt man es nicht ab 2 9 . Im 15. Jahrhundert gab es heftige Widerstände gegen die Übernahme anatomischer Entdeckungen durch die Mediziner 3 0 . Die Theorien der modernen Physik wurden in Padua, aber auch sonst, mit den Werken des Aristoteles bekämpft 3 1 . Man erklärte die Entdeckungen des Galilei aus philosophischen Definitionen heraus für unmöglich, weigerte sich·, durch ein Fernrohr zu sehen, da es sich, was man a priori erkennen könne, um Fälschungen handeln müsse 32 . Galilei war sich der methodologischen Situation bewußt 3 3 . Der Fall Galilei ist hier nur deshalb von Interesse, weil es sich um eine schwerwiegende Entscheidung für und gegen eine Methode handelte, weil die Tragweite einer Methode, die zu bestimmten Zeiten und für bestimmte Objekte legitim war, in einer neuen Situation falsch beurteilt wurde. Dies gilt nicht minder für das Gegenbeispiel, für die vor noch nicht allzu langer Zeit vertretene These, der Mensch habe keine Seele, weil sie bisher noch nie bei einer Operation gefunden worden sei 34 . Sicher ging ein großer Teil der wissenschaftlichen Auseinandersetzungen vergangener Jahrhunderte um Methodenfragen und deren Tragweite 3 5 . Fragt man heute einen theoretischen Physiker, ob er beweisen könne, daß die anorganische Natur Bannerth, in: LThK., 2. A. 1957, Bd. I, Sp. 1149—1150: „Avicenna". *· Chenu, M.-D., 1, Das Werk des hl. Thomas von Aquin, 1. A. 1960, S. 87. 30 Chenu spridit von „Stumpfsinnigkeit" in der Auseinandersetzung, aaO, 1, S. 87. M Chenu nennt die Philosophen von Padua „devote Fanatiker". Chenu, M.-D., 1, aaO, S. 87. Zu Zerfallserscheinungen in der mittelalterlichen Philosophie und zur scholastischen Methode vgl. Pieper, Josef, 3, Scholastik, 1960, S. 30 und insgesamt; Grabmann, Martin, 1, Die Geschichte der scholastischen Methode, 2. Bd., 1909, 1911, Neudruck 1961, insgesamt; Waider, Heribert, 3, Rezension zu: Trusen, Spätmittelalterlidie Jurisprudenz und Wirtschaftsethik, ARSPh, Bd. 48, 1962, S. 263. 3 8 Vgl. Dessauer, Friedrich, 1, Der Fall Galilei und wir, Abendländische Tragödie, 4. A. 1957, S. 32; 106, Anm. 6; Fülöp-Miller, Rene, 1, Madit und Geheimnis der Jesuiten, Eine Kultur- und Geistesgeschichte, 1929, S. 489. Man darf nicht übersehen, daß es letztlich um die anthropologischen Konsequenzen der Lehre ging. Vgl. Landmann, Michael, 1, aaO, S. 86. Vgl. auch ganz allgemein zum Problem: Galileo Galilei zum 400. Geburtstag, Abhandlungen und Berichte des Deutschen Museums, 32. Jhg. Η. 1, 1964, mit zahlreichen weiteren Literaturnachweisen. 53 v. 'Weizsäcker, Carl Friedrich, 1, Galileo Galilei, in: Universität und Christ, 1960, S. 59. 3 4 Ob dieser Ausspruch wirklich von Virchow stammt, kann dahingestellt bleiben. Er wird heute noch gebraucht. Vgl. BoAenski, JM., 2, aaO, S. 67; Lepp, Ignace, 2, Die neue Erde, 1962, S. 182; Fromm, Friedrich, 1, Schadenersatz für Persönlichkeitsverletzungen, N J W 1965, S. 1202. 35 Coing berichtet, daß einige die Methodenentwicklung der Geisteswissenschaften für das bedeutendste wissenschaftliche Ergebnis der letzten Generation halten (Coing, Helmut, 1, aaO, S. 5.) Gadamer spricht von einer moralischen Relevanz der 28

Methode, System und Auslegung

14

keine psychischen Faktoren habe, so erwidert er, man könne es nicht, weil man mit den Methoden der eigenen Disziplin nicht „herankönne" 36 . Diese Antwort entspricht dem neuesten Stand der Methodenlehre. VI. Bezogenheit

zwischen Methode und Gegenstand

der

Untersuchung

Wenn auch keine Einstimmigkeit über die Grade der Bezogenheit zwischen Methode und Gegenstand zu erwarten ist, so kann man doch von dem Faktum selbst ausgehen. Einige Punkte sollen im folgenden Abschnitt herausgestellt werden. Sie lassen sich in drei Thesen aufgliedern. Die Wege des Denkens, die zum Aufbau eines Systems führen, hängen vom Sachgebiet und vom Ziel ab 3 7 . Der Gegenstand, so lautet die erste These, bestimmt die Eigenart der Methode 38 . Ihm muß das Erkenntnismittel adäquat sein, an ihm hängt Berechtigung oder Unzulässigkeit einer Methode, die sich zum Gegenstand wie Schlüssel und Tür zueinander verhalten müssen 39 . "Weber40 verlangt deshalb für das Prozeßrecht eine besondere Methode, soweit es innerhalb der Rechtswissenschaft Besonderheiten auf weise 41 . Hierzu ist eine zweite und Gegeni&we aufgestellt worden. Nach Engisch42 empfängt das benutzte Material durch die Art der Erfassung (ζ. B. durch eine systematische) eine Bestimmung seines Inhalts 43 . Allein Methoden ( G a d a m e r , Hans-Georg, 1, aaO, S. 296). Wir sind der Ansicht, daß die geistigen Auseinandersetzungen innerhalb des 2. Vatikanischen Konzils weitgehend auf Veränderungen im Denkstil und in der theologischen Methodologie zurückzuführen sind. Doms, i n : Naturwissenschaft und Theologie, H . 5, a a O , S. 82. Vgl. Heck, Philipp, 1, aaO, S. 26/27. N a d i Meurers ist es eigentlich die Methode, welche die Bedeutung eines wissenschaftlichen Resultats repräsentiert ( M e u r e r s , Josef, 2, aaO, S. 8). 58 Weber, Friedrich, 1, Zur Methodik des Prozeßrechts, Stud.Gen. 1960, S. 185. Vgl. Kaufmann, Arthur, 8, Das Schuldprinzip, 1961, S. 63 (das Formalobjekt bestimmt die Angemessenheit der Methode); Welzel, Hans, 23, Strafrecht und Philosophie, Kölner Universitätszeitung 1930, Nachdruck in: Welzel, Hans, 22, V o m Bleibenden und Vergänglichen in der Strafrechtswissenschaft, 1964, S. 29; Tbielicke, Helmut, 2, Einführung in die christliche E t h i k ; 1963, S. 54 (Verbindungen zwischen sachlichen Strukturen einer Wissenschaft und Methodenproblemen). 36

87

So v. Hippel, Ernst, 1, Zur Ontologie des Rechts, Stud.Gen. 1959, S. 69. Weber, Friedrich, 1, a a O , S. 185. M a n kann im Prozeßrecht eine Methode sehen, ohne die kein Weg zur Wahrheit und zum Recht führt. Vgl. Arndt, Adolf, 3, Umwelt und Recht, N J W 1963, S. 433, Anm. 8. 41 v. Kempski, Jürgen, 1, Bemerkungen zum Begriff der Gerechtigkeit, Stud.Gen. 1959, S. 62 meint, zur Lösung eines hinreichend klargestellten Problems benötige man eine Methode, die diesem Problem gegenüber angemessen ist. Diese Behauptung enthält den Grundgedanken der hier erwähnten These. Das gleiche Prinzip gilt für die Relationstechnik. 42 Engisch, Karl, 3, aaO, S. 188. Vgl. auch Coing, Helmut, 5, Zur Geschichte des Privatrechtssystems, 1962, S. 21. 4 3 Vgl. Oehler, Dietrich, 1, Wurzel, Wandel und Wert der strafrechtlichen Legalordnung, 1950, S. 83 (Inhaltsänderung des Stoffes, der in ein System „gegossen" 89

40

Grundsätzliche Fragen

IS

schon durch die methodische Auswahl des Materials erfolgt eine Inhaltsbeeinflussung, wenn nicht sogar eine Inhaltsbestimmung. Für Wilpert ist beim Menschen Wirklichkeit immer schon gedeutete Wirklichkeit 44 . Zu einer Tatsache wird ein Faktum erst durch die Einstellung zu ihm und durch eine aus einer Einstellung heraus vollzogene Einordnung in einen größeren Zusammenhang 45 . Grünhut46 hat auf die stoffgestaltende Funktion der strafrechtlichen Methode hingewiesen. Dieser Gedanke wurde von Erik Wolf*1 aufgegriffen, der die Abhängigkeit des Stoffes von der Methode herausgestellt hat. Er schreibt der Methode eine „stoffgestaltende und stoffwandelnde Funktion" zu 48 . Eine dritte, vermittelnde These ist gewonnen, wenn man mit Erik Wolf über Grünhuts Formulierung hinausgeht. Nach Wolf verschlingen sich methodologische und inhaltliche Elemente. Die Vorgeformtheit des Materials bestimmt die Methode wieder mit 49 . Dies wird auch außerhalb der Rechtswissenschaft vertreten. So meint Chenu50, daß ein Denksystem nur verständlich ist, wenn man es aus dem inneren Licht sieht, in dem der Geist es erfaßte, konstruierte, einte. Im Besitzergreifen und Besitz der Wahrheit liegt ein gegenseitiges Sich-Bedingen von Methode und Gegenstand 51 . Diese dritte vermittelnde These erweist sich zugleich als Synthese der beiden ersten, die sie in sich aufnimmt und überhöht. VII. System als besonderer „Aggregatzustand"

einer Methode

Weitere Einzelheiten sind an dieser Stelle nicht von Interesse. Wir haben hinreichend aufgezeigt, wie sich Methode und System nur im „Aggregatzustand" unterscheiden. Das System (statisch) ist für uns die Methode (dynamisch) in einer anderen Konsistenz. Die Methode findet ihren Niederschlag im System, das sich wiederum in der Methode weiter entfaltet. Dabei ist es gleich, ob man unter dem System die inhaltliche Seite einer ganzen Wissenschaft (ζ. B. der Rechtswissenschaft) oder ein System geringeren Umfanges (ζ. B. System des Strafrechts) verstehen will. Die Methode ist, wird). Mehrere Wissenschaftler können Zoologen sein, und doch zu sehr unterschiedlichen Ergebnissen in ihren Forschungen kommen. Man vergleiche nur den Denkstil von Haeckel, Portmann und Kinsey. Siehe in diesem Zusammenhang auch Steiner, Gerolf, 1, Das Unbelehrbare im Menschen, Stud. Gen. 1962, S. 389 f. 44 Wilpert, Paul, 1, Gefahren und Möglichkeiten in der heutigen Gesellschaft, Bewährungshilfe 1961, S. 5. Vgl. Boros, Ladislaus, Mysterium mortis, 2. A. 1963, S. 47/48. 45 Wilpert, Paul, 1, aaO, S. 7. Lepp bezweifelt, daß es „reine" Tatsachen gibt, die formuliert werden. Notwendigerweise würden sie in ein System von Hypothesen eingebaut. (Lepp, Ignace, 2, aaO, S. 57). 46 Grünhut, Max, 1, Begriffsbildung und Reditsanwendung im Strafrecht, 1926, S. 15. 47 48 Wolf, Erik, 3, aaO, S. 86 . wie S. 94. 49 50 wie S. 102, Anm. 32. Chenu, M.-D., 1, aaO, S. 175. 51 wie 50 .

16

Methode, System und Auslegung

anders als Finger es meint 5 2 , mehr als ein (beliebiger) Weg zur Wahrheitsfindung. Sie ist durch die starke Bindung an den zu untersuchenden Gegenstand Wahrheitsfindung selbst. Audi die Auslegungsmethoden können nicht ohne Rüdssicht auf das System benutzt werden. D i e Auslegung baut an den schon vorhandenen Erkenntnissen weiter. Sie darf deshalb in ihren Methoden nidit den Methoden widersprechen, mit denen das System erriditet wurde 5 3 . Über Einzelheiten wird weiter unten zu berichten sein. Schließlich ergibt es sich von selbst, daß die Methoden, nach denen in dieser Abhandlung vorgegangen wird, den hier entwickelten Ansichten zur Methodenlehre entsprechen muß 5 4 . Damit sind einige grundsätzliche methodische Fragen geklärt. Wir haben uns im folgenden mit Einzelfragen über Methode und System zu befassen.

B. E I N Z E L F R A G E N Ü B E R M E T H O D E U N D SYSTEM I. Ausgewählte Abschnitte der Geschichte zum System- und Problemdenken

der

Methodenlehre,

besonders

Wenden wir uns zunächst einigen Abschnitten der Geschichte der Methodenlehre zu, soweit dies für die weitere Betrachtung v o n Interesse ist. Der52 Finger, August, 1, aaO, S. 386. Ohne daraus unmittelbar Folgerungen ziehen zu wollen, haben wir darauf hinzuweisen, daß heute die Ansicht vertreten wird, man könne in der modernen Physik nicht immer mehr vom beobachteten Gegenstand abgelöst vom Beobaditungsvorgang sprechen. Vgl. Heisenberg, Werner, 1, aaO, S. 12. Vgl. audi Dixon, Macneile, 1, Die Situation des Menschen, 1963, S. 56 (Gesehenes ist vom Sehenden untrennbar); siehe auch Becker, Oskar, 2, Größe und Grenze der mathematischen Denkweise, S. 55—56 (zum Verhältnis zwischen beobachtendem Subjekt, messendem Gerät und beobachtetem Objekt); Brecher, Fritz, 1, aaO, S. 239; Kaufmann, Arthur, 8, aaO, S. 74—84 (standpunktbezogene Erkenntnis) ; Engisch, Karl, 26, Wahrheit und Richtigkeit im juristischen Denken, S. 22 (zur Frage, ob ein Ausscheiden der Persönlichkeit bei der Erkenntnis möglich ist); dazu auch Bollnow, Otto Friedrich, 1, Die Objektivität der Geisteswissenschaften und die Frage nach dem Wesen der Wahrheit, Zeitschrift für philosophische Forschung, Bd. XVI, S. 3 ff.; bes. S. 3 (zur Frage des Ausschaltens der Subjektivität des Erkennenden); S. 11. 53

In der Auslegung lebt und entfaltet sich das System weiter. Vgl. zu dieser Frage Coing, Helmut, 1, aaO, insgesamt; Wurzel, Karl Georg, 1, Das Juristische Denken, 2. A. 1924, S. 5 ff.; Forsthoff, Ernst, 2, Zur Problematik der Verfassungsauslegung, 1961, S. 25; 40; ferner die Berichte über die Vorträge von Peter Schneider und Horst Ehmke „Prinzipien der Verfassungsauslegung" von Lewald, Walter, 1, aaO, S. 97. Es ist ζ. B. unzulässig, einen Rechtssatz, der ursprünglich als Prämisse gedacht war, stillschweigend zu einem Axiom zu erheben. Es sei denn, man wollte inhaltliche Änderungen erreichen. Vgl. Waider, Heribert, 7, aaO, insgesamt. Auf Einzelfragen ist später einzugehen. 54 Es kann eingeräumt werden, daß Methodenfragen nicht rein rational zu entscheiden sind. Vgl. Sdiwinge, Erich, 1, aaO, S. 13. Sie müssen nur nachvollziehbar •entwickelt werden.

Einzelfragen über Methode und System

17

artige Gedanken sind allein schon deshalb förderlich, weil die Rechtsgesdiidite, ähnlich wie die Rechtsvergleichung, eine Fülle von sehr verschiedenen Lösungsversuchen gleicher oder ähnlich gelagerter Probleme anbietet 1 . Unter diesem Gesichtspunkt ist die Dogmatik auf die Geschichte und die Vergleichungen mit ähnlichen Disziplinen geradezu angewiesen2. Damit ist in keinem Falle gesagt, daß unmittelbar Folgerungen zu ziehen sind. In einem sehr frühen Stadium besteht eine Wissenschaft häufig nur aus vielen Sätzen, die ohne Verbindung nebeneinanderstehen 3 . Sieht man es als Aufgabe der Wissenschaft an, nicht nur neue Sachverhalte zu entdecken, sondern audi einen geordneten Zusammenhang zwischen den gewonnenen Sätzen herzustellen, so kann dieser Zustand auf die Dauer nicht befriedigen 4 . Es hat verschiedene Bemühungen gegeben, eine derartige Ordnung herzustellen. Schon sehr früh wurde die Frage gestellt, ob man sich in der Rechtswissenschaft, wie wir heute sagen, mehr dem Problem- oder mehr dem Systemdenken zuneigen soll, wie weit man more geometrico vorgehen darf oder nicht. Im Laufe der Geschichte der Wissenschaften taucht dieses Problem in den letzten zweieinhalbtausend Jahren immer wieder auf. Es ist hier nicht der Platz, diese Problemgeschichte lückenlos im Laufe der Jahrhunderte zu verfolgen. Das ist für diese Untersuchung allein schon deshalb unangebracht, weil sich Denkmethoden und Denkstile, wie das Denken überhaupt, nicht linear fortentwickelt haben. Es gab Sprünge nach vorn und nach rückwärts 5 . Es genügt, auf einige ausgewählte „Punkte", d. h. Personen und Lehren, hinzuweisen, die, ganz gleich, ob sie von Juristen stammen oder nicht, ideengeschichtlich ein ganz besonderes Gewicht haben. Wir wollen so besonders zeigen, daß und wie weit die verschiedenen Denkstile bekannt waren®. Für Piaton7 ist das Gesetz nicht imstande, das für alle Zuträglichste und Gerechteste genau zu umfassen. Das beruhe darauf, daß die Menschen und ihre Handlungen unähnlich seien. Die menschlichen Dinge blieben nicht kon1 Going, Helmut, 5, aaO, 1962, S. 29. Dabei lassen sich Fortschritte und Rückschritte in der Problemeinsicht feststellen. Es ist audi nachweisbar, daß eine bestimmte Lösung „richtiger ist", als eine andere, siehe hierzu Coing, Helmut, 9, Naturrecht als wissenschaftliches Problem, 1965, S. 16. 2 Coing, Helmut, 5, aaO, S. 30. Vgl. Hirsch, Ernst, Rezension zu Coing, 1, aaO, JZ 1961, S. 300; Coing, Helmut, 9, aaO, S. 13. 3 4 Bothenski, JM., 1, aaO, S. 19. Vgl. Bod>enski, JM., 1, aaO, S. 19. s Köstler hat dies für einen kurzen aber sehr interessanten Zeitabschnitt sehr überzeugend dargestellt (Köstler, Arthur, 1, Die Nachtwandler, 1959). * Vgl. hierzu besonders: Viehweg, Theodor, 1, Topik und Jurisprudenz, I . A . 1953; 2. A. 1963, insgesamt; Viehweg, Theodor, 3, Zur Geisteswissenschaftlichkeit der Rechtsdisziplin, Stud.Gen. 1958, S. 334 ff.; insgesamt; v. Fritz, Kurt, 1, Der Beginn universalwissensdiaftlicher Bestrebungen und der Primat der Griechen, Stud. Gen. 1961, S. 546 ff.; 601 ff.; Jaeger, Werner, 1, Aristoteles, 2. A. 1955, S. 86 ff. 7 Piaton, Politikos, 294, b/c; wir folgen der Übersetzung von SAleiermacher und Müller. Siehe hierzu auch v. Fritz, Kurt, 1, aaO, S. 618.

Methode, System und Auslegung

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stant. Dies schließe eine Regelung für alle und für alle Zeiten aus. Das Gesetz wolle aber alles einartig machen, was sich zu den nie Einartigen niemals richtig verhalten könne8. Weshalb man sich doch zu dem Gesetz bekennen müsse, ist hier nicht von Bedeutung. Wichtig ist nur, daß nach Piatons Meinung es unmöglich ist, das Gerechte im Gesetz genau zu urrvschreiben. Zu Beginn der „Ersten methodischen Überlegung" weist Aristoteles9 für den Bereich der Wissenschaften vom Staate darauf hin, daß eine Darlegung nur dann befriedigen würde, wenn sie jenen Klarheitsgrad erreicht habe, den der gegebene Stoff gestatte. Der Exaktheitsanspruch dürfe nicht bei allen wissenschaftlichen Problemen in gleicher Weise erhoben werden. Mari müsse sich damit bescheiden, bei einem solchen Thema und bei solchen Prämissen die Wahrheit nur grob und umrißhaft anzudeuten, bei Gegenständen und Prämissen, die nur im großen und ganzen feststehen, in der Diskussion eben auch nur zu entsprechenden Schlüssen zu kommen. Der logisch geschulte Hörer werde nur in soweit Genauigkeit auf den einzelnen Gebieten verlangen, als es die Natur des Gegenstandes zulasse. Es sei nämlich genau so ungereimt, vom Mathematiker Wahrscheinlichkeiten entgegenzunehmen, wie vom Rhetor denknotwendige Beweise zu fordern 10 : Von einer Untersuchung über ethische Fragen dürfe nur umrißhafte Gedankenführung erwartet, nicht aber wissenschaftliche Strenge gefordert werden11. Aristoteles hat sich damit gegen eine „exakte" Methode in Ethik und Recht ausgesprochen12. Dies gilt auch für die Rhetorik, zu der damals mit Teilen auch das gehörte, was wir heute zur Rechtswissenschaft rechwie 7 . Aristoteles, Nikomachische Ethik, nach der Übersetzung von Dirlmeier, 1957; I,. 1; vgl. v. Fritz, Kurt, 1, aaO, S. 6 2 8 — 6 2 9 . Starke Rückgriffe auf Aristoteles findet man besonders in der jüngeren Politologie. Siehe u. a. Hennis, Wilhelm, 1, Politik und praktische Philosophie, 1963, insgesamt; Grimm, Dieter, 1, Politische Wissenschaft als normative Wissenschaft, J Z 1965, S. 334 ff.; bes. S. 437, mit zahlreichen; Nachweisen. 10 wie ·. Auf die Frage, wie weit dies audi für die Wahrscheinlichkeitsrechnung gilt, ist hier nicht einzugehen. Auch heute noch wird die Ansicht vertreten, däß eine Methode nicht unbedingt nur zu einer Lösung führen müsse. Es genüge, wenn Annäherungen an Lösungen geboten würden. (Vgl. von Kempski, Jürgen, 1, aaO, S. 62). Knittermeyer sieht die Mathematik nicht als Urbild aller Gewißheiten an. (Knittermeyer, Heinrich, 1, Grundgegebenheiten des menschlichen Daseins, 1963, S. 52). Das meiste in unserem Wissen ist auch heute für Bochenski nur Wahrscheinlichkeit. Der Grund dafür sei, daß die Wahrheit über die Wirklichkeit ungeheuer komplex sei. (Bochenski, JM., 2, aaO, S. 45). Außerdem ist der Wahrheitsbegriff nach Zeiten und Völkern sehr unterschiedlich. (Vgl. Pfürtner, Stephanus, 1, Luther und Thomas im Gespräch, 1961, S. 82). Sobald die Wahrheitsaussage polemisch definiert ist, bringt sie oft nur noch die „halbe Wahrheit". ( K ü n g , Hans, 2, Kirche im Konzil, 1963, S. 164). 8

9

Nik. Ethik, II, 2; siehe hierzu Gadamer, Hans-Georg, 1, aaO, S. 296. Siehe die eingehenden Darlegungen hierzu von Jaeger, Werner, 1, aaO, S. 86 ff. Zur Bedeutung des Begriffes „exakte Wissenschaften" siehe Lorenzen, Paul, 1, Die 11

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Einzelfragen über Methode und System

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nen 13 . Wir können hier nicht eingehend die Frage behandeln, ob der wohl noch vor Piatons Tod geschriebene Protreptikos des jüngeren Aristoteles unter dessen Einfluß eine geometrische Ethik vertreten hat. Ob Aristoteles dort noch nach dem platonischen Methodenideal einer Ethik more geometrico gearbeitet hat und erst in der Nikomachischen Ethik dazu kam, in Ethik und Recht nur „typische Allgemeinheit" zu erstreben, aus denen keine zwingenden Schlüsse zu ziehen wären, die höchstens in der Regel gelten würden 14 . Wichtig ist, daß er jedenfalls später diese exakte Auffassung aufgegeben hat, obschon er die Mathematik seiner Zeit genau kannte 15 . Fast alle mathematischen Kenntnisse, die Euklid (um 325 v. Chr.) in den „Elementen" zusammenfaßte, waren zur Zeit der Abfassung der Nikomachischen Ethik (um 330 v. Chr.) bereits entfaltet 16 . Aristoteles hat in Ethik und Recht ganz bewußt nicht more geometrico gearbeitet. Wir finden diese Gedanken des Aristoteles noch heute häufig wieder. Die lebende Wirklichkeit, in der ein Verbrechen begangen wird, geht nach Knittermeyer nie voll in ein „Paragraphennetz" ein 17 . Er sieht es deshalb immer als ein Wagnis an, eine wirkliche Situation unter einen vorher und generell festgelegten Paragraphen zu subsumieren 18 . Nach Gadamer19 kann f ü r die Beurteilung des Einzelfalles nicht einfach der Maßstab des Allgemeinen angewendet werden. Der Einzelfall bestimme die Maßstäbe selbst mit, ergänze und berichtige sie. Diese Ausführungen entsprechen der heute üblichen und bekannten Funktion der rechtsprechenden Gewalt. Die Durchordnung des Lebens durch Regeln des Rechts und der Sitte bedarf der produktiven Ergänzung, da sie unvollständig ist. Dies geschieht durch die „Urteilskraft", konkrete Fälle richtig einzuschätzen 20 . Gadamer verweist hier besonders auf die Jurisprudenz. Unser Wissen von Recht und Sitte werde laufend vom Einzelfall ergänzt und produktiv bestimmt. Das zeige, daß auch das Recht nicht voll bestimmbar sei, weil es nie ganz unabhängig von der Situation sei, die das Rechte von einem verlange 21 . Entstehung der exakten Wissenschaften, I960, S. 9—10, und Meurers, Josef, 2, aaO, S. 9. 13 Viehweg, Theodor, 1, aaO, S. 9. 14 So Jaeger, Werner, 1, aaO, S. 86 ff.; siehe besonders S. 89, Anm. 1, w o Jaeger aufzeigt, daß Aristoteles schon damals Ansätze zu einer „Situationsethik" oder besser noch „Personalethik" entwickelt hat. Vgl. zu dieser Frage: von Kracht, Helene, Ansätze zu einer situationsethischen Betrachtungsweise in der Nikomachischen Ethik des Aristoteles, Diss. phil. Köln 1961, insgesamt; Waider, Heribert, 7, aaO, S. 249. 15 Becker, Oskar, in: Becker-Hof mann, 1, Geschidite der Mathematik, 1951, S. 66—67. 16 Becker, Oskar, 1, aaO, S. 68. Vgl. audi Lorenzen, Paul, 1, aaO, S. 82 und Sauer, Friedrich, 1, Mathematisches Denken auf dem Wege zur Philosophie, 1965, S. 155 ff. 17 18 Knittermeyer, Heinrich, 1, aaO, S. 85. wie 18 20 Gadamer, Hans-Georg, 1, aaO, S.36. Gadamer, Hans-Georg, l,aaO, S.35. 21 Gadamer, Hans-Georg, 1, aaO, S. 300.

20

Methode, System und Auslegung

Auf eine andere sehr weittragende Lehre der griechischen Philosophie ist noch hinzuweisen. Pythagoras ( + 497/496 ν. Chr.) und seine Schule vertraten die Ansicht, das Göttliche erschließe sich den Menschen nur auf mathematischem Wege. Lorenzen22 meint, die pythagoreische Auffassung sei unser historisches Schicksal geworden. Es galt wie ein Dogma, daß Gott die Welt nach Zahlenverhältnissen geordnet habe. Ursprünglich war der Pythagoräismus streng arithmetisch ausgerichtet23. Man faßte z.B. die Gerechtigkeit = Wiedervergeltung als Quadratzahl auf 24 . Weitere Einzelheiten sind hier nicht von Interesse. Herauszustellen war nur, daß schon sehr früh gelehrt wurde, Wahrheit und Gerechtigkeit seien nur mathematisch zu erfassen. Mit ganz wenigen Ausnahmen lag den römisdien Juristen ein streng systematisches, mathematisches Denken ganz fern. Der für sie so anders geartete Denkstil des Euklid war ihnen nicht unbekannt 25 . Er wurde nidit benutzt. Man kann heute nicht mehr sagen, daß die Römer mit Begriffen rechneten26. Der Systemgedanke ist nicht römischen Ursprungs 27 . Auch Ciceros Bemühungen waren weit entfernt von einem Versudi, ein strenges System aufzustellen 28 . Verhältnismäßig früh finden wir in einer anderen wissenschaftlichen Disziplin, die ebenfalls über eine Dogmatik verfügt und in Teilen eine bewertende Wissenschaft ist, in der Theologie, immer wieder Ansätze dafür vor, rein theologische Abhandlungen streng deduktiv und mathematisch' zu bearbeiten. Alle diese Überlegungen flössen später direkt oder indirekt in die Rechtswissenschaft ein. Zu einer der bekanntesten Abhandlungen dieser Art gehört „Cur deus homo" des Anselm von Canterbury ( + 1109)29. Hier liegen Ansätze zu einem theologischen Rationalismus. Etwa in dieser Linie bewegen sich auch Alanus de Insulis (Alain de Lille, + 1202) und sein Zeitgenosse Nikolaus von Amiens, die einige Schriften streng nach der mathematisch-deduktiven Methode behandelt haben 30 . 22 Lorenzen, Paul, 1, aaO, S. 47. Vgl. allgemein zu dieser Strömung Meyer, Hans, 2, Geschichte der abendländischen Weltanschauung, Bd. 1, 1947, S. 43 ff. und Becker, Oskar, 2, aaO, S. 1 ff. Über die enge Verbindung zwischen Philosophie (Ethik) und Mathematik bei Pythagoras und Piaton siehe Sauer, Friedrich, 1, aaO, S. 16. 23 So Lorenzen, Paul, 1, aaO, S. 47. 14 Vgl. Meyer, Hans, 1, aaO, Bd. 1, S.49. 25 Siehe Viehweg, Theodor, 1, aaO, S. 30—31. 2e 27 Vgl. hierzu Coing, Helmut, 5, aaO, S. 15. wie S. 17. 28 Vgl. Viehweg, Theodor, 1, aaO, S. 30—31; Coing, Helmut, 5, aaO, S. 18—19; Waider, Heribert, 4, aaO, S. 57—58. " Uber seine Methode siehe eingehend: Grabmann, Martin, 1, aaO, 1. Bd., S. 265 ff. * Vgl. Curtius, Ernst Robert, 1, Europäische Literatur und lateinisches Mittelalter, 3.A. 1961, S. 127; Grabmann, Martin, 1, aaO, 2. Bd. S. 452 ff. besonders S. 471 ff. Welchem der beiden genannten Verfasser die in diesem Zusammenhang besonders interessante Schrift „ars catholicae fidei" zuzuschreiben ist, darf hier offen gelassen werden. Vgl. hierzu Grabmann, wie oben. Hier wird lange vor Cartesius und vor Spinoza streng geometrisch-systematisch gearbeitet. Die gleiche

Einzclfragcn über Methode und System

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Methodengeschichtlich ganz besonders wichtig ist Raimundus Lullus ( + 1315), der in seiner „ars magna et ultima" Wahrheiten und Prinzipien als drehbare Kreise, Dreiecke und Figuren anderer Art darstellte. Lullus hat sehr stark auf Leibniz eingewirkt, der ihn sehr häufig zitierte und ihn als seinen Vorläufer in der »ars combinatoria" bezeichnete 31 . Im Gegensatz dazu stellen die großen Summen und Kommentare der Hochscholastik keine Systeme im strengen Sinne dar 32 . Sie sind lediglich Gefüge von hoher gedanklidier Ordnung 33 . Bei Thomas von Aquin ist ein geschlossenes System geradezu ausgeschlossen. Das liegt daran, daß nach seiner Ansicht uns die Wesensgründe der Dinge unbekannt sind 34 . Allerdings gibt es auch hier Ansätze zu einem anderen Denken. Man findet Schriftkommentare, wie den Kommentar zu den 14 Paulusbriefen, die biblische Texte als einen klar disponierten Zusammenhang von Thesen erläutern, sie logisch verknüpfen, während sie lediglich in einem geschichtlichen Zusammenhang stehen 35 . Im übrigen hat Thomas seine Ansichten nicht aus wenigen philosophischen oder dogmatischen Prinzipien rein deduktiv entwickelt 36 . Ein ganz besonderer Drang zum Systematisieren tritt in der Rechtswissenschaft im 16. Jahrhundert hervor 37 . Von sehr großer und nachhaltiger Bedeutung war der Versuch des H u g o Donellus (f 1591), die jurisprudentia in eine „ars iuris" zu verwandeln, wohl die reifste Leistung unter allen VerMethode findet sich auch bei Duns Scotus (1308 1) und Thomas Bradwardius (13491). Vgl. Grabmann, Martin, 1, aaO, 2. Bd. S. 472—475. Zur „ars iuris" siehe Viehweg, Theodor, 1, aaO, insgesamt; Waider, Heribert, 4, aaO, insgesamt. Von Horaz gibt es eine „ars poetica", die ebenfalls juristisch relevant geworden ist. Vgl. Waider, Heribert, 4, aaO, S. 56. M Vgl. Überweg, Friedrich, 1, Grundriß der Geschichte der Philosophie, 12. A. 1951, 2. Teil von Bernhard Geyer, zu „Raymundus Lullus", S. 459, 460; Lang, Albert, 2, Die Loci theologici des Melchior Cano und die Methode des dogmatischen Beweises, 1925, S. 25. Siehe Platzeck, Erhard-Wolfram, 1, Das Leben des seligen Raimundus Lullus, 1964, besonders S. 73; und ders. 2, Raimund Lull, sein Leben, seine Werke und die Grundlage seines Denkens, I. Bd. 1962, S. 299 ff. (seine Buchstabenkombinatorik und das heutige Kombinatorik-Kalkül). Der Kuriosität halber sei noch auf Paul Skalisch hingewiesen, den „Erfinder der Euklidischen Theologie", der 1554 durch Quadrate, Kreise und Dreiecke drei Naturen in Christo nachweisen wollte. Vgl. dazu Brodrick, James, 1, Petrus Canisius, 1950, 1. Bd. S. 298. w

Vgl. hierzu Pieper, Josef, 2, Hinführung zu Thomas von Aquin, 1958, S. 220; Pfürtner, Stephanus, 1, aaO, S. 49; 51. M Vgl. Pieper, Josef, 1, Philosophia negativa, 1953, S. 58. M Vgl. Pieper, Josef, 1, aaO, S. 67. 35 Pieper, Josef, 2, aaO, S. 139. »· wie »2. 17 Zur Entwicklung siehe: von Stintzing, Roderich, 1, aaO, 1. Abt. 1880, S. 102 ff.; Viehweg, Theodor, 1, aaO, S. 39 ff.; Lang, Albert, 2, aaO, insgesamt; Going, Helmut, 5, aaO, S. 22—23; 42 ff.; Muther, Theodor, 1, Zur Geschichte der Rechtswissenschaft und der Universitäten in Deutschland, 1876, Nachdruck 1961, S. 308 f.

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Methode, System und Auslegung

suchen, die etwa z u gleicher Zeit liefen 38 . Seine „Commentarii iuris civilis" (1589 squ.) wurden noch Jahrhunderte später von Savigny als das „beste und fast einzig brauchbare Werk" bezeichnet. Savigny lobt das „System" als trefflich und empfehlenswert. Man spricht von der besten, und vollendetsten systematischen Darstellung des römischen Privatrechts, nach dessen Plan alle späteren Werke verfaßt wurden 39 . Donellus verband topisches Denken mit dem Drang nach einer weitgehenden Systematik 40 . Alle diese Bemühungen haben auf die „ars iuris", das „System" oder den „methodus" gezielt, ohne daß man streng more geometrico vorging 41 . Dies setzt auf breiter Basis erst später ein. Hinzuweisen ist noch auf die in die gleiche Zeit fallenden Strömungen innerhalb der Theologie. In enger Anlehnung an das Werk des Rudolf Agricola (f 1485) „Die inventione dialectica" (1479 verfaßt, 1539 gedruckt) schuf Melchior Cano (f 1560) in Anlehnung an die Topik des Aristoteles als ersten Versuch einer eigenen theologischen Methodologie sein 1563 in Salamanca erschienenes Werk „De locis theologicis". Das Werk, eine theologische Topik, bis 1890 dreißigmal nachgedruckt, ist die erste wahrhaft wissenschaftliche Methodenlehre der katholischen Theologie. Dieser Hinweis ist hier wichtig, weil das Buch aus den methodologischen Strömungen der damaligen Zeit entstand. Alle Humanisten fordern eine verbesserte Methode, ganz gleich, in welchem Lager sie stehen, ob es um Theologie oder Recht geht. In Auseinandersetzungen mit derartigen Bemühungen des 38 Siehe eingehend hierzu: Waider, Heribert, 4, aaO, dnsgesamt, mit weiteren Nachweisen. Etwa gleichzeitig (1586) veröffentlicht Johannes Althusius seine „Jurisprudentia Romana, vel potius, iuris Romani ars". Althusius, der von Donellus beeinflußt wurde, bringt in diesem Titel sogar die Begriffe „iurisprudentia", „ars iuris" und „methodus". Vgl. zu dieser Frage Reibstein, Ernst, 1, „Althusius", Staatslexikon der GG., 6. Α., l . B d . 1957, Sp. 284 ff. 39 Vgl. vor allem: von Savigny, Friedrich Karl, 1, Juristische Methodenlehre, Vorlesung mitgeschrieben von Jakob Grimm, herausgegeben von Wesenberg, 1951, S. 63; von Stintzing, Roderich, 1, aaO, S. 129. Jedoch trifft nicht zu, was von Stintzing dort behauptet, daß von Topik dort kein Gebrauch gemacht werde. Vgl. dazu Waider, Heribert, 3, insgesamt. Zur Verbindung von Topik und Systematik bzw. zu den Übergängen zwischen beiden siehe Viehweg, Theodor, 1, aaO, S. 51. 40 Siehe Waider, Heribert, 4, aaO, S. 68. Zum ersten juristischen Werk, in dem der Begriff „System" vorkommt, vergleiche Viehweg, Theodor, 3, aaO, S. 336; bes. Anm. 13. Zu den Begriffen Methode und System vgl. Zedier, Johann Heinridi, 1, Großes vollständiges Universallexikon aller Wissenschaften und Künste, welche bißhero durch menschlichen Verstand und Witz erfunden und verbessert wurden, 1732/50, 20. Bd. 1739, S. 1291—1338 „Methode" und 41. Bd. 1744, Sp. 1209—1222 „System". Zum System und zur systematischen Methode in der Geschichte des wissenschaftlichen Sprachgebrauchs und in der philosophischen Methodologie siehe Ritsehl, Otto, 1, System und systematische Methode in der Geschichte . . ., 1906, insgesamt, und Gadamer, Hans-Georg, 1, aaO, S. 164. 41 Vgl. Waider, Heribert, 4, aaO, insgesamt; siehe audi von Stintzing, Roderich, 1, aaO, S. 140, der darauf hinweist, daß man im 16. Jahrhundert unter dem „methodus" die „systematische" Darstellung verstand.

Einzelfragen über Methode und System

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Humanismus, mit den interkonfessionellen Streitigkeiten, aber auch mit der alten scholastischen Auffassung und Praxis, entstand diese Abhandlung. Zuvor und gleichzeitig damit erscheint eine große Zahl von juristischen und theologischen Traktaten dieser Art. Man kann von einer eigenen Literaturgattung sprechen42. !!

Das Vorgehen in Ethik und Recht more geometrico setzt auf breiter Basis erst mit und nach Cartesius (meditationes de prima philosophia, 1641) ein. Symptomatisch sind zwei Titel: „Rationes dei existentiam et animae a corpore distinctionem probantes more geometrico demonstrata" von Cartesius43 und „Ethica more geometrico demonstrata" von Spinoza4i. Dagegen sind noch Pascal (f 1662) und Leibniz 1716) zu nennen, die einer reinen Anwendung der mathematisch-naturwissenschaftlichen Methode auf Ethik und Recht nur eine relative Bedeutung zuschrieben45. Wichtig ist, daß Leibniz mit seiner Logik und Methodenlehre den Grundstein zur symbolischen Logik, zur Logistik gelegt hat 46 . Abschließend läßt sich feststellen, daß der „mos geometricus" bereits im 18. Jahrhundert, aber stärker noch in der ersten Hälfte des 19. Jahrhunderts seine beherrschende Stellung nicht hat halten können. Dafür sind Vico (f 1744) einerseits, vor allem aber die Ablösung des rationalistischen Naturrechts, das stark more geometrico vorging, durch die historische Rechtsschule, besonders durch von Savigny (f 1861), Beweis genug47. Von da ab laufen die verschiedenen Strömungen nebeneinander her. Wir können hier den kurzen historischen Überblick abschließen, bei dem es lediglich darauf ankam, innerhalb der Wissenschaftslehre einige frühe Vorläufer der heute noch anzufindenden Stile und Denkmethoden und ihr 42 Siehe hierzu Lang, Albert, 1, LThK. 2. A. Bd. 2, 1958, Sp. 918 „Melchior Cano"; Lang, Albert, 2, aaO, insgesamt, besonders zu den gleichzeitig laufenden juristischen Strömungen S. 37, Anm. 1; Lang, Albert, 3, LThK. 2. A. Bd. 6, 1961, Sp. 111 ff. „Loci theologici". 43 Siehe hierzu Meyer, Hans, 2, aaO, Bd. IV, S. 104—114; Grabmann, Martin, 1, aaO, Bd. 2, S. 474; Aster, Ernst von, 1, aaO, S. 193 f.; Oehler, Dietrich, 1, aaO, S. 82. 44 Vgl. Meyer, Hans, 2, aaO, Bd. IV, S. 144; 147. 45

Vgl. Verdroß, Alfred, 1, Abendländische Rechtsphilosophie, 1958, S. 129—131; Viehweg, Theodor, 1, aaO, S. 51—53, mit Hinweis auf die beiden Schriften „Dissertatio de arte combinatoria" (1666) und „Nova methodus discendae docendaeque iurisprudentiae" (1667). Siehe auch Sturm, Fritz, 2, Das römische Recht in der Sicht von Gottfried Wilhelm Leibniz, Recht und Staat, H. 348/49, 1968, besonders S. 19, 22, 24. Vgl. Becker, Oskar, 2, aaO, S. 25; Brecher, Fritz, 1, aaO, S. 227, Anm. 1. 48 Meyer, Hans, 2, aaO, Bd. IV. 1950, S. 194 f. 47 Siehe zu Vico Viehweg, Theodor, 1, aaO, S. 3 ff. und Verdroß, Alfred, 1, aaO, S. 144—147. Wie stark die Anschauungen in der Moraltheologie bis in unser Jahrhundert hinein gewirkt haben, findet man bei Leclercq geschildert. Siehe Leelercq, Jacques, 1, Christliche Moral in der Krise der Zeit, 1954, S. 121.

Methode, System und Auslegung

24

Herkommen aus auch außerjuristischen Disziplinen aufzuzeigen, die uns im folgenden beschäftigen werden 48 . II.

„Geschlossenes"

oder „offenes"

System?

In der Auseinandersetzung der letzten Jahrzehnte um System und Methode wird zwischen einem „geschlossenen" und einem „offenen" System unterschieden. Hellmuth Mayer1 meint, von Liszt habe in seinem Lehrbuch den Versuch gemacht, ein konsequent naturalistisches System zu errichten, die naturwissenschaftliche Methode in die Jurisprudenz einzuführen. Verfolgt man Liszts Ausführungen, so findet man häufig den Begriff „geschlossenes System" des Strafredits 2 , das aufzubauen sei. Ein solches geschlossenes System hat sidier pädagogische Vorteile 3 . Von Liszt glaubte, nur in diesem System sei der Tag für Tag anwachsende Stoff des Strafredits sicher zu behandeln 4 . Zu erreichen sei dieses geschlossene System des Strafredits, indem man von breiten empirischen Grundlagen durch sorgfältiges Abstrahieren die obersten Grundsätze, höchste und feinste Begriffe gewinnt 5 . Einen Schritt weiter geht Zimmerl6, der als Voraussetzung für ein geschlossenes System ein in sich „gesdilossenes Gesetz" fordert 7 . 48 Daß einige Probleme im Laufe der Jahrhunderte immer wieder auftauchen, zeigt sich, wenn man Nörrs Rezension liest zu Lundstedt, A. Vilhelm, Legal Thinking Revised, My Views of Law, 1956, in: ZStW. 73. Bd. 1961, S. 243. Was Simmonet bei Donellus gefunden hat, daß er das Recht zur Würde einer Wissenschaft erhoben habe, vermißt Lundstedt heute noch. Alles, was vor ihm über das Recht geschrieben worden sei, verdiene den Namen Rechtswissenschaft nicht. Lundstedt wollte aus dem Redit erst eine Wissenschaft machen. 1 Mayer, Hellmuth, 2, Strafrecht, Allgemeiner Teil, 1953, S. XI. Zur Bedeutung der »naturwissenschaftlichen Methode" im Recht siehe Lange, Ridiard, 8, Der Kriminologische Standpunkt, in: Handbuch der Neurosenlehre und Psychiatric, Bd. V, herausgegeben von Frankl-von Gebsattel-Schultz. 1960, S. 435. Vgl. auch Schwinge, Erich, 1, aaO, S. 18; Waider, Heribert, 7, insgesamt. Gegen die Verwendung der naturwissenschaftlichen Methode im Recht siehe Kaufmann, Arthur, 10, Freirechtsbewegung — lebendig oder tot? in JuS. 1965, S. 2. (Das Richtige ist keine Natur-, sondern eine Kulturerscheinung). * U. a. von Liszt, Franz, 2, Strafrechtliche Aufsätze und Vorträge, II. Bd. 1905, S. 81; 286; 434. Schwinge bezeichnet die logische Geschlossenheit der Rechtsordnung als ein Kernstück der positivistischen Lehre (Schwinge, Erich, 1, aaO, S. 17). s Vgl. von Liszt, Franz, 1, aaO, S. 667; 2, aaO, S. 81; 296. Zum pädagogischen Element des Systemdenkens siehe Waider, Heribert, 4, aaO, S. 56. * von Liszt, Franz, 2, aaO, 286; 1, aaO, S. 669 (Stoffbeherrschung). 5 von Liszt, Franz, 2, aaO, S. 434. * Zimmerl, Leopold, 2, Strafrechtliche Arbeitsmethode de lege ferenda, 1931, S. 14. 7 Siehe auch Forsthoff, Ernst, 2, aaO, S. 19; 24; insgesamt. Das überkommene System, das etwas Abschließendes bedeute, sei geschlossen und nahtlos. Nach Lange hat Feuerbach es des geschlossenen Systems wegen abgelehnt, dem Richter ein außerordentliches Milderungsrecht für den Einzelfall zuzugestehen (Lange, Richard, 11, Der Strafanspruch des Staates und die Grenzen der Strafbarkeit, in: Probleme der Strafrechtsreform, Schriftenreihe der Friedrich-Naumann-Stiftung zur Politik

Einzelfragen über Methode und System

25

Ein Beispiel für „Übergänge" vom „geschlossenen" System zum „offenen" findet man bei Sauer, der das System sehr hoch einschätzt, ein letztes Ziel aller Wissenschaften. Wahres Wissen sei nur in ihm möglich. Alle Erkenntnis sei systematische Erkenntnis 8 . Für Sauer besteht das Hauptwerk des systematischen Denkens in Gewährleistung von Universalität und Geschlossenheit, Vollständigkeit und Widerspruchsfreiheit 9 . Gleichzeitig meint er aber, ein System habe nur als „System in der Entwicklung", als ein „offenes" Wert, weil es sonst erstarre 10 . Nimmt man diese Ausführungen ganz ernst, so ergibt sich daraus, daß man allenfalls einem statischen System Geschlossenheit zubilligen kann. Da das Recht sich aber in der Zeit entfaltet, kommt es notwendig zu einem dynamischen System (System in der Entfaltung), das dann zwangsweise offen gehalten werden muß. Wir sehen in Sauers Ausführungen keinen Widerspruch. Es zeigt sich lediglich, welche Komplexität dem Systemdenken eigen ist11. Gegen ein streng geschlossenes System erheben sich zunächst grundsätzliche Bedenken. Wir halten mit Pieper ein „geschlossenes philosophisches System" für unmöglich12. Als Grund hierfür bietet sich die Unvollständigkeit menschlichen Erkennens an. Das allein würde einer geschlossenen Systematik jedoch nicht unbedingt im Wege stehen. Man könnte von einem „geschlossenen System des Erkennbaren" ausgehen. Das ist aber deshalb nicht möglich, weil die Grenze, bis zu der das menschliche Erkennen vordringen kann, nicht konkret fixierbar ist13. Räumt man der philosophischen Anthropologie überhaupt einen Einfluß auf das System des Rechts ein, so ergibt sich allein schon aus diesem Grunde, aus dieser „Einbruchsstelle der Philosophie", daß r.uch ein geschlossenes System des Rechts grundsätzlich nicht möglich ist. Wir dürfen nur mit einem auf möglichst breiter Erfahrungsbasis fußenden, unvollständigen und überholbaren Menschenbild arbeiten 14 . und Zeitgeschichte, Nr. 5, S. 76). Zur Problematik im Entwurf siehe Noll, Peter, 1, Zur Gesetzestedinik des Entwurfs eines Strafgesetzbuches, JZ. 1963, S. 297; 298. 8 Sauer, Wilhelm, 2, Juristische Methodenlehre, 1940, S. 171. • Sauer, Wilhelm, 2, aaO, S. 172. 10 wie ·. Vgl. Sauer, Wilhelm, 3, Die Gerechtigkeit, 1959, S. V, wo er sich für ein „offenes" System ausgesprochen hat. Siehe hierzu Waider, Heribert, 9, Nachruf für Wilhelm Sauer, ZStW. 1962, Bd. 74, vor S.l. 11 Man müßte an sich immer angeben, was man unter einem System versteht. Vgl. Coing, Helmut, 5, aaO, S. 9. Zum System sehr eingehend audi Mittasd), Helmut, 1, aaO, besonders S. 23 ff. Wichtig ist, daß der Entwurf zu einem Strafgesetzbuch 1962 an zahlreichen Stellen die Lösung von Einzelfragen Rechtsprechung und Lehre überläßt. Hier wird ganz „offen" gearbeitet. 11 Pieper, Josef, 1, aaO, S. 67, wie audi insgesamt. Das ganze Buch handelt von der Unvollständigkeit des Erkennens. So Pieper, Josef, 1, aaO, S. 77. Vgl. von Liszt, Franz, 1, aaO, S. 665; 667. 14 Viehweg, Theodor, 4, aaO, S. 537. Vgl. Pannenberg, Wolfhart, 1, Wirkungen biblischer Gotteserkenntnis auf das abendländische Menschenbild, Stud.Gen. 1962, S. 590 ff., und Correll, Werner, 1, Pädagogische Verhaltenspsydiologie, 1965, S. 20,

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Methode, System und Auslegung

Ein geschlossenes System wird sonst noch aus vielen anderen Gründen abgelehnt. So behauptet Landsberg15, jedes geschlossene System bedeute einen Verzicht auf die „Ehrlichkeit der Situation". Arndt16 sieht die äußerste Ausprägung des Systemdenkens sogar dahin führen, daß der Mensch aus dem Recht ausscheidet. Für Engisch17 steht die Lückenhaftigkeit der Rechtsordnung dem geschlossenen System im Wege. Esser spricht sogar von der Illusion der logischen Geschlossenheit des Rechtssystems 18 , von den Vorurteilen des geschlossenen Systems 19 . Auch Arthur Kaufmann hält den Glauben an eine Geschlossenheit des Gesetzes f ü r eine Illusion 20 . Thierfelder lehnt es ab, eines „schönen geschlossenen Systems" wegen in der Wirklichkeit bestehende Widersprüche „verkleistern" zu wollen 21 . Larenz stellt sogar die Behauptung auf, keiner denke an ein logisch geschlossenes System von Begriffen, die untereinander im Ableitungszusammenhang im Sinne der formalen Logik stünden 22 . Das geschlossene System kann auch zu einer Gefahr f ü r die Wahrheitsfindung werden. Ein zu starker Drang, den vorhandenen Stoff zu systematisieren, kann zu Fehllösungen führen. So steht Lepp23 auf dem Standpunkt, letztlich sei auf diesen übertriebenen D r a n g die Lehre vom „Ödipuskomplex" zurückzuführen. Freud habe sie gebraucht, um sein System zusammenzuhalten 2 4 . Ob dies zutrifft, kann hier offen bleiben. Auf eine weitere Gefahr hat Emge25 hingewiesen. Nach ihm übernimmt sich der Verstand immer, wenn er sich in einem System versucht. Das System sei ein inhaltlich zu weit gehendes Unterfangen der Vernunft. Man kann viele Gründe hierfür anführen. Lebensvollder den Menschen als „offenes System" bezeichnet. Sein Verhältnis zur Welt und zu sich selbst sei immer wieder neu zu ordnen. 15 Landsberg, Paul, 1, Einführung in die philosophische Anthropologie, 2. A. 1960, S. 7. 18 Arndt, Adolf, 1, Gesetzesrecht und Richterrecht, NJW. 1963, S. 1277. 17 Engisch, Karl, 4, Interessenjurisprudenz und Strafredit, MSchrKrimPsych. Bd. 25, 1934, S. 67; 69. 18 Esser, Josef, 2, Grundsatz und Norm in der richterlichen Fortbildung des Privatrechts, 1956, S. 208; 286. ι« w ; e ιβ^ s . 222. Siehe allgemein audi daselbst S. 44, besonders Anm. 140; S. 218 ff. 20 Kaufmann, Arthur, 3, aaO, S. 139. Vgl. auch ders. 11, Analogie und „Natur der Sache", 1965, S. 39: Es kann kein geschlossenes axiomatisches Rechtssystem geben, sondern nur ein offenes „topisches" System! 21 Thierfelder, Rudolf, 1, Objektiv gefaßte Schuldmerkmale, Strafr. Abh. H. 308, 1932, S. 31. 22 Larenz, Karl, 2, Methodenlehre der Rechtswissenschaft, 1960, S. 134. Zur Geschichte siehe Jescheck, Hans-Heinrich, 2, aaO, S. 184. 23 Lepp, Ignace, 1, Psychoanalyse der Liebe, 1960, S. 86. 24 Lepp, Ignace, 1, aaO, S. 95; vgl. auch S. 115. 25 Emge, Carl August, 1, Einführung in die Rechtsphilosophie, 1955, S. 378. Siehe zu ähnlichen Schwierigkeiten Lerche, Peter, 1, Rechtsprobleme der wirtschaftslenkenden Verwaltung, D Ö V , 1961, S. 486.

Einzelfragen über Methode und System

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züge wie Werterkenntnis verändern sich26. Deshalb kommen rechtliche Begriffsbildung und Begriffsentfaltung nie zum Absdiluß 2 7 . Man kann das Leben nicht in ein f ü r immer geltendes, abgeschlossenes Ordnungsgefüge einfangen 2 8 . Wahrheiten können immer nur in einer historisch bedingten Form zur Objektivierung gebracht werden 2 9 . Die Unendlichkeit der Wahrheit zwingt zu einem Mißtr.auen gegen fertige Systeme 30 . Ist ein Rechtsverständnis nur möglich, wenn man die N o r m in die Lebenszusammenhänge einordnet, denen sie ihre Entstehung verdankt 3 1 , so müssen audi Systeme ihre Geschichte haben. Das heißt nichts anderes, als daß sie dynamisch angelegt sein müssen. Der Verzicht auf eine geschlossene Systematik bedeutet nicht, daß an ihre Stelle ein Problemchaos treten muß. Es ist eine hohe gedankliche O r d nung anzustreben 32 . Diese kann unter bestimmten Umständen fordern, d a ß die Rechtsmaterie stärker durchsystematisiert wird. Wir haben oben aufgezeigt, daß dieser Drang nach Systematisierung in den verschiedenen Zeiten sehr unterschiedlich entwickelt war. Im 16. Jahrhundert trat er in Westeuropa besonders stark hervor. Man kann deshalb vom Systemwillen einer Lehre oder eines einzelnen Gesetzgebers sprechen 33 . Vor einem entsprechenden Problem stehen heute noch Völker, die bisher keine großen systematischen Kodifizierungen hervorgebracht haben. So meint der Amerikaner Hall34, das Ausmaß der Systematisierung eines Zweiges der Wissenschaft sei ein Kriterium dafür, wie weit das wissenschaftliche Begreifen einer Materie vorgedrungen sei. Das Urteil ist nur zu verstehen, wenn man weiß, wie weit in den USA die Bemühungen um eine Kodifizierung des Strafrechts, besonders des Allgemeinen Teils, fortgeschritten sind 35 . 26

Sax, Walter, 4, Über Rechtsbegriffe. Gedanken zur Grenze rechtlicher Begriffsbildung, in: Festschrift für Hermann Nottarp, 1961, S. 135. Dies gilt nicht nur für rechtliche Regelungen. Auch ästhetische, moralische und religiöse Wertungen sind in verschiedenen Kulturkreisen und zu verschiedenen Zeiten sehr unterschiedlich. Die Wertungen sind unbeständig, sie sind einem laufenden Wandel unterworfen. (Bochenski, JM., 2, aaO, S. 74—75. Vgl. auch Waider, Heribert, 1, Rezension zu Verdroß, Abendländische Rechtsphilosophie, Arch. Gesch. Philosophie Bd. 42, S. 315; Waider, Heribert, 3, aaO, S. 263; Waider, Heribert, 7, aaO, S. 247). 27

Darauf hat Sax, Walter, 4, aaO, S. 315 hingewiesen. Sax, Walter, 4, aaO, S. 135. Nach Hirsch, Ernst, 2, Rezension zu Drath, Martin, Grund und Grenzen der Verbindlichkeit des Rechts, 1963, JZ. 1965, S. 331, gleicht die logische Systematisierung des Rechtsstoffes der Quadratur des Kreises. Das Recht sei immer bedingt durch sozialkulturelle Gegebenheiten. 29 Siehe hierzu Esser, Josef, 2, aaO, S. 267; Pjärtner, Stephanus, 1, aaO, S. 41. 30 31 Lepp, Ignace, 2, aaO, S. 83. Engisch, Karl, 4, aaO, S. 70. 32 Pieper, Josef, 1, aaO, S. 77. 33 Siehe Esser, Josef, 2, aaO, S. 169. Hans Naumann hat in einem Nachruf auf Erich Rothacker (FAZ v. 1 7 . 8 . 1 9 6 5 : Der Mensch, ein endliches Wesen) erklärt, daß Rothackers Stärke nicht das „große System" gewesen sei. Die Zeit der Systeme sei vielleicht auf lange Zeit vorbei. 34 Hall, Jerome, 1, Strafrechtstheorie, ZStW. 1962, Bd. 73, S. 397. 35 Zu Versuchen, Ansätze zu einem Allgemeinen Teil im englischen Recht zu 28

Methode, System und Auslegung

28 III.

Zur Möglichkeit

eines axiomatischert

Systems

Bevor wir uns mit den Vor- und Nachteilen des „offenen" Systems auseinandersetzen, ist über die Tendenz zu berichten, die Rechtswissenschaft in ein „axiomatisches System" einzubauen. Wilburg38 hat aufgezeigt, daß in der Rechtswissenschaft Sätze, die ursprünglich als Prinzipien gedacht waren, später einmal das Ansehen von Axiomen genießen 37 . Es gab Stimmen, die sich dafür aussprachen, die Rechtswissenschaft überhaupt in ein „axiomatisches System" zu bringen 38 . Dessen Voraussetzungen sind: Gegenseitige Unabhängigkeit der Axiome, Vollständigkeit des Systems und Widerspruchsfreiheit 39 . Es läßt sich indessen leicht feststellen, daß die Rechtsordnung, wie die Rechtswissensdiaft, zur Zeit nicht axiomatisiert ist 40 . Dann kann die axiomatische Methode in diesem Bereich auch nicht zugelassen werden 41 . Ein axiomatisches System ist in der Rechtswissensdiaft bisher audi noch nicht aufgebaut worden 4 2 . Ob dies überhaupt jemals möglich ist, kann dahingestellt bleiben 43 . Die gesamte gegenwärtige Rechtsordnung, das Strafgesetzbuch wie die Entwürfe, bauen jedenfalls nicht auf dem axiomatischen System auf. Weshalb der Verfasser es nicht für erstrebenswert hält, das axiomatische System in die Rechtswissenschaft einzuführen, ganz besonders entwickeln, siehe Hall, Jerome, 1, aaO, S. 391—393. Vgl. hierzu audi Esser, Josef, 2, aaO, S. 189; 225; Coing, Helmut, 5, aaO, S. 27. 34 Wilburg, Walter, 1, Entwicklung eines beweglichen Systems im bürgerlichen Recht, 1951, S. 6. Vgl. schon Thibaut, Anton, 1, Theorie der logischen Auslegung des Römischen Rechts, 2. A. 1806, S. 37. " Der Vorgang ist auch sonst festzustellen. Vgl. Pieper, Josef, 2, aaO, S. 139; Waider, Heribert, 7, aaO, S. 246—247. 18 Beling, Ernst, 2, Methodik der Gesetzgebung, insbesondere der Strafgesetzgebung, 1922, S. 5; Zimmerl, Leopold, 2, aaO, S. 14; 15. Zur Frage der „logischen Geschlossenheit und Lückenlosigkeit der Rechtsordnung" vgl. Kaufmann, Arthur, 11, aaO, S. 12. Noll, Peter, 4, Tatbestand und Rechtswidrigkeit; Die Wertabwägung als Prinzip der Rechtfertigung, ZStW. Bd. 77, 1965, S. 3, sieht in einem widerspruchsfreien und geschlossenen rechtlichen Begriffssystem höchstens einen ästhetischen Wert! n Für alle: Engisch, Karl, 3, aaO, S. 173; 174; Viehweg, Theodor, 1, aaO, S. 54—55, mit weiteren Hinweisen in Anm. 142/143; Sauer, Wilhelm, 2, aaO, S. 172; Bochenski, JM., 1, aaO, S. 80—81. Vgl. Stammler, Rudolf, 2, Theorie der Rechtswissenschaft, 1911, S. 364. 40 Vgl. Klug, Ulrich, 1, Juristische Logik, 2. A. 1958, S. 97; es gibt ein „quasiaxiomatisches" System (S. 149). Schreiber, Rupert, 1, Logik des Rechts, 1962, S. 34. 41 Zutreffend S wie « Bd. 1, S. 164 ff. wie S. 318/319. 71 Wimmer, August, 2, Über unzulässige Vertiefung der Sdiuldfrage bei Fehlleistungen von Kraftfahrern, NJW 1959, S. 1755. Zu automatischen Reaktionsweisen, siehe Mierke, Karl, 1, Störungen und Belastungen der Konzentrationsfähigkeit des Kraftfahrers, NJW I960, S. 1381. ™ Vgl. Wimmer, August, 2, aaO, S. 1755. Siehe auch: „Wer auffährt, ist schuldig!", FAZ 4. 6. 60, S. 10. 73 Versierte Autofahrer geben auch auf flachem Feld, selbst wenn kein Fahrzeug zu sehen ist, beim Einbiegen das Signal hierzu automatisch. Wenn sie bewußt handeln würden, unterließen sie es, weil es überflüssig ist. 74 Siehe hierzu auch Welzel, Hans, 21, aaO, S. 32/33, Anm. 91 mit weiteren Nachweisen. 75 Vgl. OLG Frankfurt in VRS 65, S. 365. Siehe hierzu Franzheim, Horst, 2, Sind falsche Reflexe des Kraftfahrers strafbar?, NJW 1965, S. 2000/2001.

Einzelne subjektive Einschläge

195

aus einer Kette von Einzelakten, die nicht mehr bewußt final gesteuert werden. Und selbst wenn man mit Welzel die „automatisierten Handlungsbereitschaften" einführt 76 , für deren Vorhandensein man verantwortlich ist, so bleib doch gültig, daß die Bereitschaft aktiviert werden muß. Gerade das geschieht fast immer durch „Automatismen". Sieht man selbst davon ab, daß ein Automatismus der Handlungsbereitschaft zwar eingeübt sein kann, im Ernstfall dann unverschuldet doch versagt, indem es zu einer Fehlleistung kommt 77 , so ist mit dieser Argumentation die eigentliche Handlung um ein weiteres Stück zurückverlegt, nämlich auf den Augenblick, in dem man vor Jahren diesen Automatismus einübte. Eine sehr unbefriedigende Lösung. Hinzu kommt, daß Versehen hier fast immer aus Fahrlässigkeit begangen werden. Damit ist einer der wundesten Punkte der finalen Handlungslehre berührt. Gerade die Finalisten hatten sehr lange Schwierigkeiten, Fahrlässigkeitsdelikte in ihr eigenes System einzubauen 78 . So hat Welzel ursprünglich die fahrlässige Handlung als eine völlig eigenständige Handlungsform gegenüber der vorsätzlichen Handlung herausgestellt. Von Seiten der Finalisten aus betrachtet ist Niese erst 1951 die finalistische Bewältigung der Fahrlässigkeit gelungen. Hier wurde erst sehr spät im eigenen Lager etwas behauptet, was man selbst lange verworfen hatte. Soweit die finale Handlungslehre nicht übernommen wurde, wird auf die nicht gelösten Schwierigkeiten hingewiesen, die sich für die Fahrlässigkeits- und Unterlassungsdelikte ergeben79. Aus diesen Schwierigkeiten wird von einigen sogar die Folgerung gezogen, daß die Grundkonzeption der finalen Handlungslehre, soweit sie Handlungslehre ist, damit aus den Angeln gehoben wird. Das gilt zumindest für ihren Absolutheitsanspruch aus dem ontologischen Bereich80. An dieser Stelle können die Ausführungen abgebrochen werden. Es ist hier unbedeutend, ob man sich für eine der entwickelten Handlungslehren entscheiden kann. Wichtig ist nur, daß die subjektiv-finale Handlung mit ihrem vermeintlichen subjektiven Unrechtselement nicht die „Härte" besitzt, die man ihr zu unterstellen beliebt, daß sie nicht „self-evident" ist. Offensichtlich ist hier alles ebenso umstritten, wenn nicht noch mehr, wie bei den sRFE und den sURE. Der Hinweis, daß das eine zum anderen führe, hilft nur, wenn man sich für ein bestimmtes System entscheidet. Im übrigen gilt hier wie auch sonst, das eine Kontroversfrage nicht dadurch erhellt wird, daß '· Welzel, Hans, 21, aaO, S. 33. Es genügt, daß man als Fehlleistung an Stelle des Bremspedals das Gaspedal durchtritt! 78 Vgl. Welzel, Hans, 1, aaO, I . A . 1947, § 8 , einerseits und die entsprechende Stelle in der 9. Α.; Niese, Werner, 2, aaO, S. 40 ff.; siehe hierzu auch Waider, Heribert, 12, aaO, S. 177. Alle auch für die folgenden Sätze. 77

™ Vgl. für alle die Übersichten bei Schönke-Schröder, aaO, 12. A. Vorbem. 1, Ziff. 32 und 33; Baumann, Jürgen, 4, aaO, 3. A. § 16; andererseits Welzel, Hans, 1, aaO, 9. A. § 20, II, a. E. Vgl. audi Boldt, Gottfried, 3, aaO, S. 338—343.

so w i e 7·,

196

Die Bedeutung der sURE für die Problembehandlung

man sie durch ebenso umstrittene andere Fragen lösen will. Ein schwaches Argument stärkt kein anderes schwaches Argument, sondern schwächt die Position. Was praktisch hier interessiert, ist doch nur, welche Verhaltensweisen einer Person man dieser bereits beim Handlungsbegriff nicht zurechnen will 81 . Allgemein bezeichnet man sie als Reflexhandlungen, über deren Ausklammern man sich auch so einigen könnte 82 . Und selbst wenn man im Zweifel eine bestimmte Handlungsart einem Menschen noch als Handlung zurechnen wollte, so ließe sich notfalls auch bei der Schuldfrage eine Korrektur anbringen 83 . Der Streit um diese Seite der sURE steht in keinem Verhältnis zum praktischen Effekt. 4. S u b j e k t i v e E l e m e n t e i m V e r s u c h u n d i m V o r s a t z Von vielen wird der „Entschluß" in § 43 StGB als subjektives URE angesehen1. Hierauf war man bei der „Durchforschung der strafrechtlichen Tatbestände auf sURE" gestoßen2. Gerade der Entschluß beim Versuch wird vielfach als Beispiel genannt, wenn man ein „zweifellos" subjektives URE vorzeigen will 3 . Dabei benutzt man die Lehre vom untauglichen Versuch als Eckpfeiler der Begründung. Das heißt nichts anderes, als daß man versucht, von der Peripherie her (sURE und untauglicher Versuch) das Willenselement zum tragenden Pfeiler des Handlungsbegriffs zu machen4. Es ist jedoch methodologisch unzulässig, aus einer Verlegenheitslösung des Gesetzgebers und einigen Ausnahmen die Regel zu machen5. Auch hier taucht bei der subjektiven Versuchsauffassung der Absolutheitsansprudi auf, der sich auf ontologische Vorgegebenheiten stützt 6 . Demgegenüber hat Oebler besonders deutlich herausgestellt, wie eine in sich durchaus folgerichtige Lösung denkbar ist, bei der der Entschluß beim Versuch' kein subjektives Unrechtselement zu sein braucht7. Die Rechtswidrigkeit des Anfangs der Ausführungshandlung ergebe sich bereits aus der objektiv erkennbaren Zweckbestimmung der Handlung. Untersucht man diese Gedankenführung OehlerP kritisch, so zeigt sich, daß hier nicht nur fast alle Streitfragen über den Charakter des Versuchs berührt werden. Es geht audi um die Berechtigung und Begrenzung kantisch apriorischen Denkens einerseits, wie audi 81

Siehe Henkel, Heinrich, 2, aaO, S. 238. Vgl. Baumann, Jürgen, 4, aaO, § 16, I, 2 b; Schönke-Schröder, 1, aaO, 12. A. Vorbem. vor § 1, Ziff. 29; siehe Mezger, Edmund, 8, aaO, Bern. 6 a, bb, vor § 51, der ohne nähere Begründung automatische Akte den Reflexen gleichsetzen will. 88 Franzheim, Horst, 2, aaO, S. 2001. 1 Vgl. Oehler, Dietrich, 4, aaO, S. I l l , Anm. 1, mit Übersicht; Schönke-Schröder, 1, aaO, 12. A. Vorbem. zu § 43, Z. 6. 2 So Welzel, Hans, 1, aaO, 9. A. § 11, I, 3. 3 Vgl. Oehler, Dietrich, 4, aaO, S. 111, § 7, 1. Abs. 4 So Lange, Richard, 3, aaO, S. 601; vgl. ders. 3, aaO, S. 608; siehe auch Boldt, Gottfried, 1, aaO, S. 638. s So methodologisch treffend Baumann, Jürgen, 3, aaO, S. 43. 7 • Lampe, Hermann, 1, aaO, S. 150. Oehler, Dietrich, 4, aaO, S. 119. 8 wie 7, S. 111—123. 82

Einzelne subjektive Einschläge

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andererseits um die Relevanz von Gedankengängen, die von Nicolai Hartmann, Spranger, Dilthey, Scheler, Rickert u. a. stammen 9 . Sdion an dieser Aufzählung zeigt sich, daß Behauptungen und Gegenbehauptungen den Bereich des logischen, allgemein anerkannten Operierens längst verlassen haben. Hier geht es um Sinnerklärung und Bedeutungsanalysen10, bei denen man sich mit philosophischen Schulmeinungen auseinanderzusetzen hat. Man wird zugeben müssen, daß diese Fragen nicht mehr zwingend nur in der einen oder der anderen Art gelöst werden können. Dies zeigt, daß der Vorstoß, von den sURE her den Versuch genau zu fassen, nur deshalb sich anbot, weil man gerade zu dieser Zeit an vielen Stellen des Gesetzes subjektive Elemente zu finden glaubte. Angesichts der Gegenargumente, die Oehler vorträgt, muß man deutlich herausstellen: Offensichtlich gibt es auch hier praktikable Lösungsmöglichkeiten, die den Entschluß dogmatisch „aufarbeiten", ohne daß er sich als Modellfall für sURE erweist. Nur diese Feststellung ist in dieser Untersuchung von Bedeutung. Für Welzel11 ist der Vorsatz selbst dann ein generelles sURE, wenn das Delikt, das begangen wurde, keine speziellen subjektiven Unrechtselemente besitzt. Man berief sich audi hier auf die Erkenntnisse der sURE 12 . Welzel meint, seine Behauptung sei „logisch zwingend", daß der Vorsatz bei einem vollendeten Delikt auch ein sURE sei, wenn der Entschluß beim Versuch ein solches darstelle 13 . Folgt man der soeben angeführten These von Oehler, so entfällt dies Argument bereits. Maurach bezeichnet das Ergebnis als „unsinnige Folge" und das Ergebnis selbst als „widersinnig", wenn man Entschluß und Vorsatz hinsichtlich ihres Charakters als sURE unterschiedlich behandele 14 . Nicht weniger bestimmt bezeichnet Mezger zwar den Entschluß in § 43 StGB als subjektives Unrechtselement15, bestreitet jedoch, daß dieser bei Absdiluß des Handelns zum Vorsatz werde 16 . Vorsatz und sURE sind für ihn zwei sachlich ganz verschiedene Dinge 17 . Das gilt sicher, wenn man die Handlung als objektivierten Willen ansieht 18 . Welzels Beweisführung ist nicht zwingend, wenn, wie Gallas behauptet, die Stellung des Vorsatzes im System nicht allein von ontologischen Erwägungen abhängt, sondern auch von Wertungsfragen 19 . Baumann bringt den methodologisch wichtigen Hinweis, mit dem Vorsatz als sURE mache die finale Handlungslehre die Ausnahme zur Regel20. Klug hat aufgezeigt, wie man aus der Ontologie Nicolai Hartmanns die These ableiten könne, der Vorsatz sei aus ontologischen Gründen kein Tatbestandselement, sondern ein Schuldelement21. In die gleiche Kategorie gehört Klugs Hinweis, die Entscheidung • Vgl. die Anm. 8—10 bei Oehler, Dietrich, 4, aaO, S. 113. 10 11 wie ·, S. 113, 2. Abs. Welzel, Hans, 2, aaO, S. 15. ls " Vgl. Oehler, Dietrich, 4, aaO, S. 12. Welzel, Hans, 2, aaO, S. 13. 14 15 Maurad>, 3, aaO, 3. A. § 41, I, A, 1 b. Mezger, Edmund, 11, aaO, S. 27. 17 » wie 1S, S. 28. wie »». 18 Siehe Lange, Richard, 3, aaO, S. 601, zu der Ansicht von H. Mayer. " Gallas, Wilhelm, 1, Zum gegenwärtigen Stand der Lehre vom Verbrechen, ZStW Bd. 67, S. 32. 21 " Baumann, Jürgen, 4, aaO, § 20, II. Klug, Ulrich, 2, aaO, S. 38.

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Die Bedeutung der sURE für die Problembehandlung

zwischen den verschiedenen gegensätzlichen Ansichten über die hier erörterte Stellung des Vorsatzes sei nicht zwingend beweisbar 22 . Dabei ist besonders wichtig, daß Klug hier von dem Fehlen eines „stringent mathematischen Beweises" spricht, während Engisch23 von einem methodisch ganz anderen Denken zum gleichen Ansatz kommt. „Wer möchte sich getrauen, hier ein eindeutiges ,richtig' oder ,falsch' auszusprechen?" Ganz gleich, welche Forderungen man an einen zwingenden Beweis stellt, mehr als ein Bekenntnis ist in dieser Frage nicht abzugeben, so sicher und selbstverständlich es auch vorgetragen werden mag. 5. I n d e n e i n z e l n e n T a t b e s t ä n d e n Welzel behandelt unter der gemeinsamen Überschrift „Der subjektive Tatbestand" 24 und gleichrangig nach dem „Vorsatz als finales Handlungselement" die „subjektiv-täterschaftlichen Handlungsmomente 25 ". Damit ist eine Gruppe von Delikten gemeint, die vielfach als ganz besonderes Paradeund Herzstück der sURE gelten. Zu ihr gehören als ihr „Kerntyp" 26 die Absichts- und Tendenzdelikte. Vergleicht man die ersten Ansätze dieser Lehre 27 und die wohl erste Ordnung in Unterfälle, die Mezger28 1923 vorgenommen hat, mit der breit angelegten Übersicht von Oehler59, so kann man zunächst feststellen, wie der Umfang der tatsächlichen oder vermeintlichen subjektiven Elemente immer mehr anwächst. Zieht man die in beiden Abhandlungen genannte Literatur hinzu, so wird ferner evident, daß hier in einzelnen Gruppen oder sogar in Einzelnormen mit einem so hohen geistigen Aufwand heute gestritten wird, daß die Kontroverslage der Einzelfälle außerhalb einer Spezialabhandlung nicht mehr darstellbar ist. Aus beiden Gründen, nach Umfang wie Umstrittenheit, ist von der berühmten Evidenz, die man den sURE zuschrieb, nichts mehr übrig geblieben. Allein das schon spricht gegen ihre Bedeutung. Der größere oder geringere Umfang ist aber noch unter einem ganz anderen Gesichtspunkt von Bedeutung. Es fällt auf, daß Welzel heute diese Gruppe auf drei Seiten abwickelt30, während Oehler etwa 100 Seiten für die Auseinandersetzung benötigt 31 . Dabei weist Oehler ausdrücklich darauf hin, daß nur die „wesentlichsten Delikte" behandelt werden 32 . Für Welzel ist dieser Teil der sURE ein abgelegtes Problem, das er im Allgemeinen Teil und ohne Auseinandersetzung mit Gegenmeinungen kurz abhandelt. Es wird nicht versucht, die Gegenmeinung zu widerlegen. Bei der Fülle des Materials wäre das kaum mehr möglich. An dieser Stelle wird besonders deutlich, daß 22 24 29 27 28

29

wie i l , S. 38. " Engisch, Karl, 20, aaO, S. 427. 25 Wehel, Hans, 1, aaO, 9. A. § 13. wie 24, unter II, S.71. Lange, Richard, 1, aaO, S. 480. Literatur bei Mezger, Edmund, 13, aaO, S. 260—266. w i e

27.

Siehe Oehler, Dietrich, 4, aaO, S. 64 (dort Untergliederung); 65 ff. »« Wehel, Hans, 1, aaO, 9. A. S. 71—73. S1 32 Oehler, Dietrich, 4, aaO, fast ganz die Seiten 65—165. wie S1, S. 93.

Einzelne subjektive Einschläge

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streng genommen die Auseinandersetzungen bereits aneinander vorbeigehen. Ein Grund hierfür ist, daß, wie Oehler33 es darstellt, vergleichbar nur das ist* was von gleichen Grundvoraussetzungen ausgeht. Vieles ist schlechthin univergleichbar. Allerdings muß man feststellen, daß beim Erarbeiten einer „herrschenden Lehre" oder „herrschenden Rechtsprechung" laufend Ergebnisse nebeneinander gestellt werden, die unter Umständen von sehr unterschiedlichen Ansätzen ausgehen34. Ferner werden hier einzelne Normen gruppiert, um so für ganze Gruppen die Richtigkeit der eigenen Meinung erweisen zu können. Ein Beispiel hierfür. Bei Welzel35 heißt es: Zu den Merkmalen in a) (seil. Die Absicht) und b) (seil. Die besondere Handlungsteridenz) sind seit der Ausbildung der Lehre von den subjektiven Unrechtselementen weitere über den Vorsatz hinausgehende Gesinnungsmomente getreten, die den besonderen Unwertgehalt der Tat kennzeichnen. Verläßt man Welzeis Ansicht, so muß man feststellen, daß die von ihm in dieser Gruppe züsammengefaßten Normen durchaus nicht homogen sind. Hier ist vieles kontrovers36. Über die vielfältigen Kontroversen wird man wieder nicht urteilen können, ohne auf noch weiter zurückliegende Unterschiede in den Ansätzen einzugehen. Die sogenannten subjektiven Finalisten finden hier wie überall sURE, da sie ihrer Grundkonzeption entsprechen, und sie diese in ihr System einbauen können. Ist der Sinn für sURE erst einmal geschärft, so sieht man sie fast überall. Nicht weniger gilt, daß von einer anderen methodologischen Konzeption her, hat man erst einmal die Gegenposition „grundsätzlich widerlegt", ein einzelnes sURE, wenn man es als solches bezeichnen muß, keinerlei Störeffekt mehr entwickeln kann. Wer die Möglichkeit einer Ausnahme in seinem System akzeptiert, kann einzelne Fälle dieser Art ohne Schaden hinnehmen. Bei dieser Lage ist es nur noch von geringem Interesse, worauf eine Entschärfung der subjektiven Elemente im einzelnen beruhen kann, ohne daß zum Grundsatzstreit Stellung genommen werden muß. Es lag ζ. B. nahe, wenn man schon den Versuch in den Kreis der subjektiven Elemente einbezog, in Erwägung zu ziehen, ob nicht auch bei anderen Delikten durch die subjektive Formulierung bereits die Rechtsgutgefährdung getroffen werden sollte37. Das würde bedeuten, daß gerade die subjektiven Formulierungen das objektive System als solches noch verstärken, nicht aber in Frage stellen. Die Strafbarkeit kann durch Verwertung subjektiver Merkmale bei den Absichtsdelikten lediglich vorverlegt worden sein38. Bei mehraktigen Delikten verkümmerte der zweite Akt zur Absicht39. Der Gesetzgeber begnügte sich damit, daß der erste Akt objektiv vorlag. Zum Vorverlegen der »« Vgl. z.B. Oehler, Dietrich, 4, aaO, S. 63; 67, Anm. 7; 89, Anm. 18. & Siehe oben, unter § 2, bei Anm. 108. • 35 Welzel, Hans, 1, aaO, 9. A. § 13, II., 2 c. " Siehe bei Oehler, Dietrich, 4, aaO, die Aufgliederung auf S. 64. 37 Lange, Richard, 1, aaO, S. 480; ders. 3, aaO, S. 633; vgl. Franzheim, Dieter, 1, Das Motiv der finalen Handlung, Kölner jur. Diss. 1955, S. 104. M Baumann, 3 9 Wegner, Arthur, 1, aaO, S. 15. Jürgen, 4, aaO, § 20, II.

200

Die Bedeutung der sURE für die Problembehandlung

Strafbarkeit ließ man den zweiten Akt sich· ins Subjektive verflüchtigen40. Der Betrugstatbestand könnte sonst lauten: „Wer durch Täuschung... sich oder einen anderen auf Kosten eines Dritten bereichert41, . . D a s Einführen der Absicht führt zur Vorwegnahme der nächsten Stufe einer Tat, zur Vorverlegung der Strafbarkeit und somit zu einem größeren Rechtsgüterschutz42. Die Absicht wird hier nur erforscht, soweit und weil an ihr die Bedeutung der Tat kenntlich wird 43 . An dieser Stelle können die weiteren Ausführungen zu den einzelnen subjektiven Unrechtselementen abgebrochen werden. Es wäre für die Abhandlung ganz unergiebig, wenn wir noch darauf eingehen würden, wie die immer weiter ausgebaute Lehre von den subjektiven Unrechtselementen bei einigen zum personalen Unrecht ausgeweitet wurde, wie sie vielfach Bestrebungen nach einem Subjektivismus in der Strafrechtsdoktrin entgegenkam, wie Gesinnungsmerkmale aufgenommen wurden, aber auch die Gefahr eines Gesinnungsstrafrechts heraufbeschworen wurde. Soweit die subjektiven Unrechtselemente zur Diskussion über Tatunrecht, Erfolgsunrecht und Handlungsunwert führten, wie auch zur Auseinandersetzung über Rechtsgüterverletzung, Aktunwert, Straftat als Pflichtverletzung, sind die Anfänge der Lehre, die subjektiven Unrechtselemente, in ihrem Endstadium in der Verbrechenslehre kaum mehr zu erkennen. Die Kette der Argumente wird immer länger, ohne daß die Stringenz zunimmt. Was noch verbleibt, ist kurz zusammenzufassen und läßt sich als Resümee dieses Paragraphen ausweisen. III. Zusammenfassung Während der Sitz der Materie zunächst die sRFE waren, dehnte sich die Lehre bald auf sogenannte sURE aus. Verließ die Lehre das begrenzte Sachgebiet der Rechtfertigungsgründe und der Ausnahmeregelung der subjektiven Elemente in diesen, so entfiel die Abgrenzung zwischen Rechtswidrigkeit und Schuld. Auch die fälschliche Annahme eines Rechtfertigungsgrundes beseitigte dann das Unrecht. Damit war selbst bei rein kausalen Tatbeständen eine Trennung von Recht und Unrecht nach objektiven Gesichtspunkten grundsätzlich ausgeschlossen. Diese Lösung Schaffsteins stellt das extreme Gegenstück zu der bereits erörterten Auffassung des österreichischen Obersten Gerichtshofes dar, für den allein das äußere Faktum, daß ein Recht40

Baumann, Jürgen, 4, aaO, § 20, I, 1 a. Vgl. das Beispiel bei Hegler, August, 1, aaO, S. 281. 41 So oder ähnlich lautet die Argumentation. Vgl. hierzu Gallas, Wilhelm, 1, aaO, S. 36; Mezger, Edmund, 10, in: Niederschriften über die Sitzungen der Großen Strafrechtskommission, 2. Bd., Anh. S. 8; ders. 15, aaO, S. 65; Lange, Richard, 3, aaO, S. 625; ders. 24, Zur Preisgabe von Staatsgeheimnissen, JZ 1965, S. 301; Waider, Heribert, 10, Strafbare Versuchshandlungen der Jagdwilderei, GA 1962, S. 176 ff.; insgesamt; (zur dreifachen Vorverlegung bei § 292 StGB). 4 ' Vgl. Sax, Walter, 2, Grundsätze der Strafrechtspflege, in: Bettermann-Nipperdey-Scheuner, Die Grundrechte, III/2, S. 918, mit dem Hinweis auf Schopenhauer, Arthur, 1, Die Welt als Wille und Vorstellung, Bd. I, 4. B. „Welt als Wille", S. 406. 41

Einzelne subjektive Einschläge

201

fertigungsgrund genügt, ausreicht, ganz gleich, ob der Täter die rechtfertigenden Umstände kennt oder nicht. Diese extrem subjektive Richtung Sc&rtjfciemi ist bereits früher im 12. Jahrhundert von Abälardus vertreten worden, nach dem letztlich in der Moral nur die gute oder schlechte Absicht zählt, die materielle Seite der Tat an sich unbedeutend ist. Nach dieser Auffassung liegt der Unwert eines Deliktes nicht in der Verletzung eines Gutes, sondern im Ungehorsam Das zeigt, daß in ferner wie jüngster Vergangenheit die heute sogenannten sRFE die Schaltstelle abgaben für Theorien und Lösungsvorschläge, die an die Grundfragen von Strafrecht und Ethik herangingen. Erst nadi der Jahrhundertwende spürte man nach den sRFE die sURE auf, die sich zusammen bald als Sprengstoff für das ganze Strafrechtssystem erwiesen. Ihr Umfang ist hoffnungslos umstritten. Da sie in das alte System nicht hereinpaßten, wirkten sie zunächst als Sprengkörper für das System. Viele Autoren waren darüber begeistert, andere lehnten sie schroff ab. Die Gewichte sind heute so verteilt, daß man sie als neutralisiert bezeichnen kann. Ob man sie bejaht oder verneint, ist weigehend einer Frage der Grundeinstellung. Werden sie bejaht, so hängt dies vielfach an Vorentscheidungen für bestimmte Systeme (Finalisten). Einige sehen die „finale Handlungslehre" überhaupt als Konsequenz der sURE an. Bei der Vielfalt der von Strafrechtlern entwickelten Handlungslehren, die zumindest gleichberechtigt neben der „finalen Handlungslehre" stehen, kann letztere die Position der sURE nicht stärken. Gleiches gilt für den Versuch, den Entschluß bei § 43 StGB und den Vorsatz als sURE auszuweisen. Audi hier sind inzwischen in der Literatur Lösungen entwickelt worden, die sie ohne die Hilfskonstruktion eines sURE hinreichend erklären. Nichts anderes gilt für die Absichts- und Tendenzdelikte und die Normen, die vermeintlich subjektive Tatbestandselemente enthalten. Für alle gibt es Deutungen, die jede tatbestandszersetzende Wirkung dieser Einschläge ausschließen. Es ist deshalb an der Zeit, von der Unzahl der materiellrechtlichen Streitpunkte abzulassen und sich wieder den methodologischen Grundsatzfragen zuzuwenden, deren Erörterung oben unterbrochen wurde.

§ 5. METHODOLOGISCHE UND SYSTEMATISCHE FOLGERUNGEN DER UNTERSUCHUNG I. Fortsetzung der Gedanken aus § 1 Nachdem in § 1 der Abhandlung die Grundlagen für jede Erörterung über Methode, System und Auslegung aufgezeichnet waren, brachten die §§ 2—4 eine Übersicht, wie die materiellrechtlich sehr unterschiedlichen Lösungsvorschläge lauten, die alle versuchen, die tatsächlich oder vermeintlich vorhandenen subjektiven Einschläge zu deuten und einzuordnen. In diesem Paragraphen (§ 5) soll dargelegt werden, welche methodologischen Folgerungen aus dem bisher ausgebreiteten Material gezogen werden können 1 . Der Abschnitt ergänzt demnach § 1 unter Berücksichtigung der Ausführungen in den §§ 2—4 und zieht die bereits erarbeiteten Linien des § 1 weiter aus. Was bisher erörtert wurde, soll weitergedacht werden 2 . IL Methode in der Anlage der Arbeit und deren Konsequenzen Es herrscht weitgehende Übereinstimmung darüber, daß ein fortlaufendes Sondieren der Möglichkeiten, ein stetes Nachbohren und Ziehen neuer Grenzen in der Wissenschaft vorgenommen werden muß, wenn man selbst nur das gegenwärtige Niveau der Disziplin halten will. Was heute noch möglich und tragbar ist, muß immer wieder überprüft werden. Das ist zumindest ebenso wichtig wie Versuche an neuentwickelten Systemen3. Es gibt zwar zahlreiche allgemein gehaltene methodologische Abhandlungen. Viele Gedanken zum System, zur Methodologie und zur Auslegung lassen sich' jedoch nur verstreut bei der Behandlung materiellreditlicher Fragen aufspüren, wo sie vielfach implizite behandelt werden. Deshalb war eine stark differenzierende Erörterung der Ansichten der einzelnen Autoren zu den einzelnen Rechtfertigungsgründen in den §§ 2 und 3 erforderlich. Die Art, nach der diese Sondierung hier geschieht, muß auch der in dieser Abhandlung angewandten Methode „adäquat" sein4. Diese Art des Vorgehens verbietet, bei der Behandlung der einzelnen Rechtfertigungsgründe sich materiellrechtlich für eine bestimmte Lösung zu entscheiden, ob nämlich im Einzelfall ein subjektives Rechtfertigungselement zu bejahen ist oder nicht. 1 Wir verzichten soweit wie möglich auf Wiederholungen der bereits im Text wie in den Anmerkungen erwähnten Ansichten. Es soll lediglich deutlich gemacht werden, was hinter diesen Ansichten steht, wenn man es genaunimmt. 2 Sidier läßt sidi auch nach anderen Methoden vorgehen. Selbst wenn die Ergebnisse den Praktikern nichts „Festes" im materiellen Recht an die Hand geben, die „Unsicherheit" vielleicht sogar nodi größer wird, so sind die Gedanken jedoch noch nicht „unpraktisch". Sie zeigen, was fest und was nidit fest ist.

204

Methodologische und systematische Folgerungen der Untersudiung

III. Keine zwingenden Folgerungen aus den §§ 2—4 Das ist evident, wenn man die stark differenzierende Aufgliederung der einzelnen Streitpunkte in den §§ 2—4 dieser Abhandlung verfolgt hat. Selbst der Einzelfall der Notwehr, der auf die längste Geschichte und wohl stärkste Bearbeitung zurückblicken kann, zeigt bei dieser Frage, ob nämlich bei ihm ein subjektives Rechtfertigungselement zu finden ist, daß keine der Lösungen abschließend zu falsifizieren ist5. Ein Denkfehler, wie er sich ja beim „Rechnen mit Begriffen" einstellen könnte, ist nicht anzukreiden. Sonst hätten viele Autoren ihre Ansicht sicher schon widerrrufen. Wer beharrt schon darauf, daß 2 X 2 = 5 ist? Jedenfalls läßt sich nachweisen, daß materiellrechtliche Fragen der hier erörterten Art auch ganz anders gelöst werden können 6 . Geht man zu den übrigen Rechtfertigungsgründen über, so wird man es kaum erwarten dürfen, daß beim Fehlen einer hinreichend geklärten Einordnung der Gründe selbst, wenn auch nur in einem kleinen „Untersystem", eine zwingende Lösung für etwaige Elemente subjektiver Art aufzufinden sein werden 7 . Waren die Lösungsversuche bei den Rechtfertigungsgründen hier noch relativ vollständig darzustellen, so hörte das auf, als man sich den sURE zuwendete (§ 4). Hier ist im Rahmen einer methodologischen Arbeit nur zu zeigen, wie von den sRFE über die sURE der Schwerpunkt der Argumentation zusehends immer weniger in der Einschätzung des subjektiven Elementes selbst liegt. Eigentlich tragend werden die „Vor-Entscheidungen" in Grundsatzfragen, in der Handlungs-, Unrechts- und Verbrechenslehre. Jeder Versuch, hier einen Beweis zu führen, löst eine Kette weiterer Fragen aus. Gerade diese Streitfragen sind wiederum nicht sicher ausgetragen. Audi hier ist die Beweisführung doch nur so stark, wie es das schwächste Glied in der Kette der Argumente rückwärts ist. Und dieses schwächste Glied liegt oft weit weg von der Frage nach den subjektiven Elementen. Auf allgemeinerer und deshalb höherer Ebene gibt es nur neue Kontroversen und Schwierigkeiten8. Zum Teil sind Fragen des ungeschriebenen Redites zu klären, zum Teil handelt es sich um Gesetzesauslegung. Das ungeschriebene Recht wandelt sich oft unter der Hand. Die objektive Gesetzesauslegung löst sich nicht gleichmäßig von der Konzeption des Gesetzgebers. Stammen die Gesetze (wie die entwickelten außergesetzlichen Rechtfertigungsgründe) aus verschiedenen Zeiten, so muß man damit rechnen, daß die objektive Gesetzesauslegung, die sich in der Zeit verändern kann, in den verschiedenen Normen unterschiedlich schnell zu anderen Lö5 Siehe diese Argumente bei Naumann, Hans, 1, aaO, über Rothackers Tätigkeit und Stärke. Vgl. audi Maihof er, Werner, 6, Der Unrechtsvorwurf, in: Festschrift für Rittler, 1957, S. 141. 4

Vgl. oben unter § 1, A, I, 2. Abs., ferner § 1, A VII, S. 16, von Anm. 54.

5

Vgl. unter § 2.

7

Vgl. unter § 3, A.

· Vgl. unter Einleitung, IV.

8 Engisch, Karl, 26, aaO, S. 14. Deshalb ist der Komplex audi gegenwärtig nicht zu axiomatisieren. Siehe § 1, Β III.

Methodologische und systematische Folgerungen der Untersuchung

205

sungen kommt, als die lauteten, an die der Gesetzgeber gedacht hat. Lehre wie Rechtsprechung sind bei dem hier behandelten Komplex, wie in §§ 2 und 3 gezeigt wurde, jedenfalls nicht zu einer Konvergenz gelangt. Das bedeutet nicht, daß die vielfältigen Versuche, sich mit den sURE materiellrechtlich auseinanderzusetzen, sie zu kultivieren, sie in das alte Strafrechtssystem einzubauen oder sie zum Pfeiler neuer Systeme zu machen, zwecklos waren. Alle diese Versuche behalten ihren hohen Eigenwert. Sie müssen sogar weiter gepflegt werden. Ausgeschrieben ist der Fall keineswegs. Nur in dieser Abhandlung sind die Streitfragen im materiellrechtlichen Teil nicht weiter voranzutreiben 9 , während den späteren Versuchen, zu materiellrechtlichen Lösungen zu kommen, die methodologischen Überlegungen nur helfen können. Schließlich geht es hier sowieso nur um Argumente und Gesichtspunkte, nicht um strenge Beweise. In theoretischen Fragen der Wissenschaft besteht keine Beweislastverteilung10. IV. Materiellrecbtliche Fragen als Modell bei methodologischen Untersuchungen Die materiellrechtliche Problematik wurde hier überwiegend benötigt, um am „Modell" Überlegungen zur Methode anstellen zu können. An sich ist es denkbar, Denkregeln abstrakt ohne Bezug zum Material zu entwickeln, so wie man auch abstrakte Systeme in beliebiger Zahl sich ausdenken kann. Sie sind nur wirklichkeitsfremd und oft unergiebig. Man könnte deshalb die „Spielregeln des Denkens" am beliebigen Objekt aufzeigen 11 , gleich ob am konkreten Fall oder an einem materiellrechtlichen Problemkreis des Strafrechts. Am speziellen Thema lassen sich jedoch methodologische Grundsatzfragen besser darstellen 12 . Der Verfasser ist der Ansicht, daß die sURE im weiteren Sinne mit Einschluß der Rechtfertigyngsgründe einen ergiebigen Modellfall abgeben. Der Komplex ist wegen seiner Vielschichtigkeit ganz besonders günstig. Da die Dogmatik lebt und sich weiter entwickelt, wird hier gewissermaßen vom Methodiker nicht eine Leiche seziert oder ein Teil von ihr präpariert. Das führt dazu, daß die Dinge sich fast noch beim Schreiben unter den Händen laufend verschieben und verändern. Bei aller • Der Bereich gehört sicher nicht zum „Kern-Bereich" des Rechts. Die Meinungsverschiedenheiten spielen sich vielmehr im sogenannten „Mittelfeld" ab, das vielfach offengelassen werden muß. le

Siehe hierzu Engisch, Karl, 14, Die Lehre von der Willensfreiheit in der strafrechtsph'ilosophischen Doktrin der Gegenwart, 1963, S. 39; Mezger, Edmund, 20, „Über Willensfreiheit", Sitzungsberichte der Phil. hist. Klasse der Bayrischen Akademie der Wissenschaften, Jahrgang 1944—1946, H . 9, 1947, S.23; Waider, Heribert, 14, aaO, S. 284, zu Anm. 53. 11

Siehe ζ. B. Engisch, Karl, 26, aaO, S. 8 ff. " Ähnlich Engisch, Karl, 8, Besprechung von Schmidhäuser, nungsmerkmale im Strafrecht, JZ 1959, S. 734.

Eberhard, Gesin-

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Methodologische und systematische Folgerungen der Untersuchung

Bestimmtheit im Urteil ist bis zuletzt kein bereits „vorgefaßtes" Urteil über zwingende Lösungen abzugeben 13 . V. Starke Beachtung der Methodologie

in der heutigen

Wissenschaft

Bestehen derartige Verbindungen zwischen materiellreditlichen und methodologischen Fragen, so ist es beim heutigen Stand der Wissenschaft nicht erstaunlich, daß die Lösung methodologischer Fragen auf starkes Interesse auch bei denen stößt, die bislang mehr materiellrechtlich interessiert waren und deshalb mit Beiträgen dieser Problematik stärker hervorgetreten sind 14 . Mehr als früher werden derartige Überlegungen in den Vordergrund ge18 Das gilt bis in die neuesten Auflagen von Abhandlungen, die nicht mehr berücksichtigt werden konnten. Dem Verfasser ist es unverständlich, wie junge Menschen von der Rechtswissenschaft angezogen werden können, weil es dort eine „strenge Methode" gibt, mit der man gerade Linien durch das Gewirr von Tatsachen ziehen könne. So Braunedi, Anne-Eva, 1, Der junge Jurist und die Kriminologie, JuS, 1966, S. 222. Das könnte doch allenfalls für die Relationstechnik gelten. Im übrigen sollte man die Juristen sehr früh schon von diesem Irrtum heilen. Die Rechtswissenschaft ist wohl mit keiner anderen Wissenschaft zu vergleichen. (Raiser, Ludwig, 1, aaO, S. 1206). Sie ist nach Ansicht von Wilhelm Wundt die komplizierteste aller Wissenschaften. Vgl. den Hinweis bei Maunz, Theodor, 1, Von der Wertlosigkeit der Rechtswissenschaft, in: Der Aquädukt, C. H. Beck, 1763—1963, S. 297. 14 Außer den Autoren, die vielfach darüber gearbeitet haben — vgl. die Titel im Literaturverzeichnis —, siehe aus 1966 ζ. B. Diederichsen, Uwe, 1, Topisches und systematisches Denken in der Jurisprudenz, NJW 1966, S. 697 ff.; Obermayer,Klaus, 1, Gedanken zur Methode der Rechtserkenntnis, NJW 1966, S. 1885 ff., beide mit vielen Nachweisen. Wenn eine so subtile Spezialabhandlung wie Viehwegs Topik und Jurisprudenz 1965 in 3. Auflage ( I . A . 1953; 2. A. 1963) erschienen ist, so spricht das für sich. Gleiches gilt für Klugs Juristische Logik (2. A. 1958; 3. A. 1966); man sieht, es hängt die häufige Nachfrage nicht von der gewählten Methode ab. Es geht vielmehr überhaupt um methodologische Probleme, gleich von welcher Grundposition aus man ansetzt! Leider gehen die eben erwähnten Ausführungen Obermayers zu wenig auf die speziellen Fragen des Strafrechts ein. Auch Diederichsen behandelt es nur kursorisch. Sicher läßt sich der Wert eines Allgemeinen Teiles des Strafrechts nicht leugnen. Dem Verfasser ist auch niemand bekannt, der ihn auflösen wollte. Vgl. Diederichsen, 1, aaO, S. 701. Das Problem ist jedoch, wie allgemein wohl der Allgemeine Teil des Strafrechts sein sollte! Hier beginnen erst die Schwierigkeiten. Vgl. oben unter § 1, Β. VIII. Allgemein zur Frage, ob und wie weit Topik heute vertretbar ist, vgl. Diederichsen, Uwe, 2, aaO, S. 2005—2006; 2ippelius, Reinhold, 2, Problemjurisprudenz und Topik, NJW 1967, S. 2229 ff.; Kriele, Martin, 1, Theorie der Rechtsgewinnung, 1967, § § 3 0 ff.; Schneider, Egon, 3, Gedanken zur Methodenlehre, MDR 1967, S. 6 ff.; Horn, Norbert, 1, Zur Bedeutung der Topiklehre Theodor Viehwegs für eine einheitliche Theorie des juristischen Denkens, NJW 1967, S. 601 ff.; Oehler, Klaus, 1, Der geschichtliche Ort der Entstehung der formalen Logik, Stud. Gen. 1966, S. 453 ff.; alle mit weiteren Nachweisen. Die Frage, ob die Topik der Strafrechtswissenschaft adäquat ist, wurde dort nicht eingehend erörtert, da die. Zielrichtung der Abhandlungen diese Sonderfrage nicht näher tangierte.

Methodologische und systematische Folgerungen der Untersuchung

207

stellt 15 . Heute wird Wissenschaft vielfach sogar mit Methode identifiziert, da sie immer methodisch sei16. Man fordert audi zu einem Wandel in der Methode auf, wenn man etwas erneut aufgreifen will, was bisher nicht zu bewältigen war 1 7 . Man glaubt sogar, daß die großen wissenschaftlichen Schritte durch Methoden erreicht werden, die bisher niemandem eingefallen sind 18 . Noch deutlicher formuliert es Rombach19, wenn er meint, nicht der Inhalt charakterisiere die Wissenschaft, sondern die Methodizität der Erkenntnis. Keine wissenschaftliche Erkenntnis ist aus sich heraus verständlich. Man muß die „Hintergründe der Methode" kennen, mit deren Hilfe man sie gewonnen hat 20 . Will man für die verflossene Zeit des Kampfes um die Anerkennung subjektiver Unrechtselemente den verschiedenen Parteien gerecht werden, so· muß man davon ausgehen, daß der Verlauf der Forschung in einer bestimmten Zeit immer nur begrenzt gesteuert und erzwungen werden kann. Der Mensch kann derartige Ziele nur im gewissen beschränkten Grade erreichen 21 . Sicher gab es einen Augenblick, in dem man der Konstruktion eines subjektiven Rechtfertigungselementes schlechthin nicht gewachsen war. Das gilt selbst dann, wenn die großen Lösungsmöglichkeiten bereits 1885 nachweislich im Ansatz vorhanden waren 22 . Viele verteidigten, ein Teil tut es heute noch 23 , einen Objektivismus Belingseher Prägung, was sicher fast notwendig wieder Anlaß gab, nach subjektiv gefärbten Ansätzen zu suchen. War man doch zu Beginn der Kontroverse in der Lehrentwicklung und in der Folgezeit wissenschaftlich nicht elastisch· genug, konnte es vielleicht gar nicht sein, die neu auftauchenden Probleme abzufangen, einzubauen und das eigene Lehrgebäude zu modifizieren. Sicher lag es auch mit daran, daß man zu starr dem Systemdenken verbunden war, das sich damals, wenn nicht mit der naturwissenschaftlichen Methode identifizierte, so doch sich ihr anzunähern versuchte 24 . Mit einer wenigstens ergänzenden topischen Methode, 15

Vgl. unter § 1, Α. I. " Siehe Freiherr von Weizsäcker, Carl Friedrich, 2, Fragen an die Tiefenpsychologie, in: Gesellschaft und Neurose, 1965, S. 18. Vgl. audi Wolf, Erik, 6, Der Sachbegriff im Strafredit, in: Die Reichsgerichtspraxis im deutschen Rechtsleben, aaO, S. 44 ff. 17 18 wie S. 19. wie w Rombach, Heinrich, 1, Substanz, System, Struktur, 1965, S. 391. " Bräuneck, Anne-Eva, 1, aaO, S. 222. Dann ist es wichtig, ob, wie Bollnow behauptet, die Methodenwissenschaft der Geisteswissenschaften immer nodi im Bann der Naturwissenschaften steht. (Vgl. Bollnow, Otto Friedrich, 1, aaO, S. 3; siehe auch Landmann, Michael, 2, aaO, S. 211—234; dagegen steht Diederichsens Ansicht, nach der Viehweg nur gegen Windmühlenflügel kämpfe, aaO, S. 700). " Möller, Joseph, 2, aaO, S. 196. " Vgl. unter § 2, II. So Rittler, Theodor, 1, aaO, S. V, ausdrücklich. 24 Es hat sehr lange gedauert, bis man abschwor, mit einer allumfassenden Methode in allen Wissenschaften gleich arbeiten zu können. Siehe Volkart, Edmund, 1, in William Thomas, Person und Sozialverhalten, 1965, S. 17. Zum Methodenmonismus siehe oben unter § 1, A IV, S. 9. Sollte für die Überlegungen hier nicht auch gelten, daß die Ausnahme die Steigerung einer Eigenschaft ist, die schließlich

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Methodologische und systematische Folgerungen der Untersuchung

mit dem Problemdenken, hätte man den Streit zumindest entschärfen können. Die Strafrechtswissenschaft würde ganz anders aussehen, wenn Welzel sein System nicht auf einer subjektiven, sondern auf einer objektiven Finalität begründet hätte. Wie die Dinge liegen, ist es auf diesem Sektor nicht zu einem „Entwicklungsprozeß der fortschreitenden Vergeistigung des Rechts" 25 gekommen, sondern zu einer sehr starken Subjektivierung aller Bezüge in einem sehr frühen Stadium der Untersuchung. Die starke Beschäftigung der Juristen mit methodologischen Fragen läßt erwarten, daß das „Denken über das Denken" immer mehr gepflegt werden wird. VI. Zum Vorurteil und zur Notwendigkeit zu differenzieren Verfolgt man die zahlreichen materiellrechtlichen Lösungsversuche, die wir oben (§§ 2—4) aufgezeichnet haben, so kann man sidi des Eindrucks nidit erwehren, als ob die verschiedensten Meinungen oft nicht „vorurteilslos" entwickelt wurden. Geht man von einmal hingenommenen dogmatischen Denkansätzen aus, so scheint einem oft vieles, was man für rechtlich angemessen empfindet, vereinfadit auch als denknotwendig 1 . Wie ein Magnet die Eisenspäne, so ziehen unsere Wünsche die Beweise an 2 . Ein „Vorurteil" braucht an sich nicht notwendig ein Negativum zu sein. Ein „praeiudicium" ζ. B. ist neutral. Unter Umständen und je nach dem Rechtskreis kann es sogar rechtsgestaltend und rechtserhaltend sein3. Gleich weitgehend ist der Begriff „Vorverständnis" einer Sache, das jeder Mensch mitbringt 4 . Auch sonst wird der Begriff „Vorurteil" nicht notwendig negativ verstanden 6 . Man kann nach Gadamer das „Vorurteil" als „Bedingung des Verstehens" schlechthin verstehen 6 . Unter diesem Gesichtspunkt gibt es überhaupt keine absolute Vorurteilslosigkeit 7 . Auch logische Urteile kommen ohne „Voreinmal wahrnehmbar wird. So Teilhard de Chardin, Pierre, 1, aaO, S. 31. Die ersten Anfänge verwischen sidi in allen Bereichen (ders. 2, Die Entstehung des Menschen, 1961, S. 40). 25 Neukamp, 1, Das Entwicklungsgesetz der fortschreitenden Vergeistigung des Rechts, ARWPh. Bd. IX, 1915/16, S. 136. 1 Siehe unter § I, Β XIII. Aus bestimmten Welteinsichten ist Kritik an anderen Auffassungen oft folgerichtig (Evers, Hans Ulridi, 1, Zur Debatte ums Naturrecht, Rezension zu Matz, Ulridi, Rechtsgefühl und objektive Werte, FAZ 8 . 1 . 66, S. 13). 2 Dixon, MacNeile, 1, aaO, S. 14. 8 Hierauf weist Jachmann, Günther, 1, Diskussionsbeitrag zu Max Horkheimer, 1, Über das Vorurteil, 1963, S. 15, zutreffend hin. 4 Vgl. Schulz, Walter, 1, aaO, S. 591. Selbst bei einer statistischen Befragung gilt, daß es keine wertfreie Objektivität gibt. 5 Aus der zahlreichen Literatur siehe besonders: Davis, Earl, 1, Zum gegenwärtigen Stand der Vorurteilsforsdiung, in: Vorurteile, ihre Erforschung und ihre Bekämpfung, Bd. 3 der Politischen Psychologie, 1964, S. 51 ff.; Horkheimer, Max, 1, aaO; Mitscherlich, Alexander, 1, aaO; Strzelewicz, Willy, (Herausgeber) 1, Das Vorurteil als Bildungsbarriere, 1965, mit elf Beiträgen. • Gadamer, Hans-Georg, 1, aaO, S. 261; vgl. audi daselbst S. 261 ff. 7 Lange, Richard, 25, Die moderne Anthropologie und das Straf recht, in: Sdiuld — Verantwortung — Strafe, herausgegeben von Erwin Frey, 1964, S. 290—191.

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urteil" nicht aus8. Das „eingesdiliffene Wissen" ist ebenso notwendig und wichtig wie die „Abbreviatur eigener Erlebnisse"9. Um es kurz zu sagen, ohne die Maschinerie des Vorurteils kann man nicht einmal über die Straße gehen10. Wenn wir sonst auch mit dem Vorurteil leben müssen, so ist im gewissen Sinne bei komplizierten Denkprozessen das Wissen um die Möglichkeit seiner Existenz bei jedem Denken erforderlich 11 . Alles Denken sollte deshalb streng genommen zunächst nur zu einem „vorläufigen Denken" und „vorläufigen Urteil" führen. Dies wird erst dann zu einem (negativen) „Vorurteil", wenn wir die erste Lösung unter dem Eindruck neuen Wissens nicht mehr zurücknehmen können 12 . Auf weldiem Weg, mit welchen Methoden man nach neueren, was heißen soll „besseren" Lösungen sudien soll, ist nidjt zwingend und starr an die alte, bisherige materiellrechtliche Lösung gekoppelt. Sicher muß man nur eingehende Reflexionen vor die materiellrechtlichen Überlegungen setzen, wenn das objektive Vorurteil eindämmbar werden soll13. Das wird ohne gründliche Kenntnis der Methodenlehre einerseits und ohne den Versuch sorgfältigen Differenzierens andererseits unmöglich sein14. Dabei scheint es zunächst oft, als ob die Unterschiede in Nuancen liegen, die man ruhig übersehen darf. Stößt man nach, so trennen vielfach Welten und Weltanschauungen die Ansätze voneinander. Vorurteile lassen sich überhaupt nur abbauen, wenn man hinreichend differenziert 15 . Sobald man dies tut, wird man finden, daß die „Vorentscheidungen" für Streitfragen sehr unterschiedlich sein können. Selbst formale oder sogar Sinnwidersprüche sind denkbar, ohne daß sich dies im Ergebnis als falsch niederschlagen muß. Um es präziser zu fassen: „Wenn man genügend differenziert, ist fast alles umstritten" 16 . Man stößt sofort auf sehr allgemeine und umfassende Fragen. Je allgemeiner jedodi die Probleme sind, um so schwieriger ist es, sie in 8

Kaufmann, Arthur, 11, aaO, S. 45. Horkheimer, Max, 1, aaO, S. 6 bzw. 5. 10 So genau wie S. 6. 11 Dixon, Macneile, 1, aaO, S. 10. 9

18

So Allport, zitiert nach Mitscherlich, Alexander, 1, aaO, S. 41, ohne genaue Fundstelle. 13 wie 1! , S. 50. 14 Beachtlich ist, daß Erfindungen oft deshalb gelingen, weil der mensdilidie Geist irrational reagieren kann. Zunächst müssen einmal frühere Lösungsversuche ausgeschieden werden. Dann sucht man Wege, die möglidist abwegig erscheinen, bis man „analoge Schlüsse" zieht. Vgl. Thomson, G., 1, Erfinden in Teamarbeit, Rheinischer Merkur, 17.9.1965, S. 31. 111 Leuschner, Joadiim, 1, Bemerkungen über vorurteilshafte Einstellungen zu histologisch-politisdien Fragen, in: Das Vorurteil als Bildungsbarriere, Herausgeber Willy Strzelewicz, 1965, S. 144 ff., S. 168.

" Vgl. oben unter § 2, Notwehr.

210

Methodologische und systematisdie Folgerungen der Untersuchung

den Griff zu bekommen 17 . J e dunkler aber das Thema ist, um so durchsichtiger sollte die Methode sein18. Bei aller Systemfreudigkeit wird man hier nur weiterkommen, wenn man ganz „problemoffen" bleibt. Der gegenwärtige sehr verhärtete Stand der Lehre von den sRFE, aber auch den sURE, läßt kaum noch eine andere Wahl 19 . VII.

Objektivität

bei Einschlagen

des persönlichen

Stils

Es mehren sich die Stimmen, die für weite Bereiche der Wissenschaft die Möglichkeit einer vollkommenen Objektivität schlechthin verneinen. In der gesamten Methodologie ist fast nichts zwingend 20 . Entscheidend ist vielmehr, was der einzelne Denker mit der von ihm gewählten Methode oder seinem System daraus gemacht hat. Letztlich ist dies der tragende Grund 21 . Die Person ist aus dem Erkenntnisakt nie ganz auszuscheiden22. Es gibt eine Einstellung, die hinter jeder Methode steht 23 , deshalb audi eine Konkurrenz der Stile und Relativität der Systeme 24 . Eine ausschließliche zwingende Notwendigkeit für eine ganz bestimmte Methode wird nicht anerkannt 25 . Man kann deshalb in abstracto von einer wenn auch nicht ganz unbeschränkten Freiheit in der Methodenwahl sprechen26. Nach' Bollnows Ansicht ist ein subjektives Element in den Geisteswissenschaften unvermeidlich. Am Verstehen ist dort nicht nur der formale Intellekt beteiligt 27 . Es gibt sogar einen Bereich der nicht objektivierbaren Gründe. Diesem entspringt erst jede objektivierte Aussage28. Jedes von einem Denker entworfene Weltbild trägt Züge einer bestimmten Zeit und Sicht 29 . Nach Joseph Vogt, einem Historiker, dringt die Persönlichkeit des Kritikers in jede Interpretation ein 30 . In der Quellenkritik gibt es selbst bei strengster Anwendung der vorgeschriebenen Methoden keine „mathematische Gewißheit" 31 . Nach Ulmer geht in jede Feststellung der Wahrheit bei allen Wissenschaften, auch bei der Mathematik, ein Moment der mensch17 Haegert, Wilhelm, 1, Rezension zu Revermann, Macht und Recht in der deutschen Innenpolitik, NJW 1965, 1906. 18 Enzensberger, Hans Magnus, Einzelheiten, 1962, S. 335. 19 Wir knüpfen hier an unsere Ausführungen unter § 1, Β. XI, an. 20 Siehe hierzu unter § 1, insgesamt. 21 Vgl. oben § 1, Β. XIV, mit Nachweisen. 22 Vgl. oben § 1, Α. VII, mit Nachweisen. 23 Oben § 1, Β. XIV. 24 wie 2». 25 Vgl. oben § 1, Β. VII. 26 Daß die Methode nicht ganz unabhängig vom behandelten Objekt ist, haben wir gezeigt. Vgl. oben § 1, Α. IV. 27 Bollnow, Otto, Friedrich, 1, aaO, S. 7. 28 Vgl. Bollnow, Otto Friedrich, 1, aaO, S. 21 (Das Umgreifende). 29 Möller, Joseph, 1, aaO, S. 10. 30 Vogt, Joseph, 1, Wahrheit in der Geschichtswissenschaft, in Ulmer, Die Wissenschaften und die Wahrheit, 1966, S. 95. si w ; e so.

Methodologische und systematische Folgerungen der Untersuchung

211

liehen Entscheidung mit ein32. Deshalb ist nach seiner Ansicht keine Wahrheit der Wissenschaft endgültig und vollständig, weil diese Entscheidung ein geschichtliches Ereignis ist, deshalb auch überholbar33. Wer als Jurist das „Richtige" sucht, darf nach £«gwcÄ sein „Ich" nicht ganz auslösdien34. Aus dieser ganzen Skala von Argumenten, die sich einander entsprechen, ergibt sich, daß Sachfragen von der Person (und damit von Personenfragen) nie ganz zu trennen sind. System und Methode sind demnach oft persongebunden. Sie sind vielfach persönliche Stile. So gibt es Neigungen mehr zum Problemdenken oder mehr zum Systemdenken bei den verschiedenen Autoren. Die letzten Gründe hierfür sind oft irrational. Ebenso findet man Vermischung zwischen beiden Stilen 35 . Von objektiver Beurteilung und Objektivität läßt sich allerdings hier nur noch in sehr begrenztem Umfang und mit vielen Vorbehalten sprechen, was es im folgenden Abschnitt noch zu vertiefen gilt. VIII.

Objektivität

und

Übersubjektivität

Nach Ansicht vieler gehört zu den allgemeinsten Kriterien der Wissenschaft die Forderung nach Objektivität 36 . Soweit man darunter versteht, daß in der Wissenschaft die subjektive „Voreingenommenheit" auszuschalten ist, gilt dies nach wie vor 37 . Wie wir bereits gezeigt haben38, ist eine „persönliche Färbung" durch den Forscher überhaupt nicht ganz auszuschließen. Nur im gewissen Sinne ist „Objektivität" als Allgemeingültigkeit in den Naturwissenschaften gewährleistet. Das beruht darauf, daß ein Experiment beliebig wiederholbar und damit die Überprüfbarkeit der Ergebnisse durch einen Dritten weitgehend sichergestellt ist, ferner darauf, daß alle Erscheinungen hier auf das Quantitative zurückgeführt werden. Alle unkontrollierbaren Empfindungen werden so eliminiert39. Auch dies gilt jedoch nur mit Vorbehalten. Das geht so weit, daß Wisser40 vom „Verzicht auf die Objektivierbarkeit des Naturgeschehens" spricht. Nach von Weizsäcker, auf den dieser Hinweis Wissers zielt, wird jedes Experiment zwar in der Weise der klassischen Physik beschrieben, aber ohne den Anspruch, daß hierdurch 32 Ulmer, Karl, 1, Die Wissenschaften und die Wahrheit, (Herausgeber), 1966, daselbst von ihm: Die Vielfalt der Wahrheit in den Wissenschaften und ihre Einheit, S. 7 ff. und Nachwort, S. 201 ff. Hier S. 18. 8 3 wie 3 i . 34 Engisch, Karl, 26, aaO, S. 22. 35

Vgl. Waider,

Heribert, 4, aaO, S. 68.

Siehe zu dem gesamten Fragenbereich Bollnow, O t t o Friedrich, 1, aaO, insgesamt. D a es hier nur auf die Spezialfragen ankommt, können wir zur Entlastung auf die Grundsatzdebatte verzichten. Sämtliche Wege des Wahrheitssuchens befassen sich irgendwie mit diesen Fragen. Die Literatur ist nicht mehr zu übersehen. 36

37 Bollnow, Erörterten. 38

Siehe oben § 5, VII.

» Bollnow,

3

40

Otto Friedrich, 1, aaO, S. 4. Natürlich nur im Rahmen des gerade

Otto Friedrich, 1, aaO, S. 5.

Wisser, Ridiard, 1, Verantwortung im Wandel der Zeit, 1967, S. 2 0 5 — 2 0 7 .

212

Methodologische und systematische Folgerungen der Untersuchung

objektive, subjekt-unabhängige Tatbestände festgestellt werden. Ein ungestörtes Objekt ist eine Fiktion. Hier läßt sich bereits einwenden, daß derartige Experimente nur zu einem Weltverständnis passen, das auf räumlich-zeitliche Ausdehnung reduziert ist. Man macht das Naturgesetz erst möglich, indem man es auf die hierfür relevanten Fakten reduziert 41 . Nur deshalb, weil das Letzte unausgesprochen bleibt, scheint es unbezweifelbar zu sein, daß das Naturgesetz gilt42. Eine künstliche Wirklichkeit, die zum Naturfaktum gemacht wird, ermöglicht sogenannte Wiederholungen des Experiments 43 . Man kann vom „Vergangenheitscharakter des Experimentes" sprechen, das nur für eine reduzierte Welt gilt44. Voraussagen im eigentlichen Sinne gibt es in den Naturwissenschaften nicht. Denn das wäre die Schilderung dessen, was auf uns zukommt 45 . Daß wir ohne die Naturwissenschaft praktisch nicht mehr leben können, wird damit nicht bestritten. Ihr Eigenwert wird voll anerkannt. Den Geisteswissenschaften fehlt es an entsprechend einfach zu behandelnden Kriterien der Objektivität 46 . Ein Objektivitätsanspruch als Anspruch auf Allgemeingültigkeit ist in diesem Sinne in den Geisteswissenschaften ernstlich nicht mehr haltbar 47 . Die Frage bleibt, ob die notwendige Folge einer Subjektivität die Objektivität eindeutig und notwendig ausschließt48. Bollnow hat hierzu sehr einleuchtende Differenzierungen entwickelt. Nach seiner Ansicht gibt es sehr wohl eine sachhaltig ausweisbare (d. h. objektive) Erkenntnis, ohne daß sie für jedermann in gleicher Weise zugänglich ist49. Von den personbestimmten besonderen Voraussetzungen des erkennenden Subjektes hängt es ab, ob ihr gerade noch die Wahrheit zugänglich ist50. Wenn Arthur Kaufmann meint, Wissenschaft sei jede sachgebundene Erkenntnis der Wirklichkeit, die methodisch gewonnen und daher allgemein zugänglich ist51, so ist dies noch nicht exakt genug formuliert. Von Weizsäcker bezeichnet dagegen als einen gemeinsamen Zug der wissenschaftlichen Methode die Kontrollierbarkeit durch andere Leute, die Urteil haben 52 . 41 van den Berg, Jan Henrik, 1, aaO, S. 60—61; ferner S. 128—129; van den Berg meint sogar, daß die Dinge „dehumanisiert" werden, man so erst das Naturgesetz findet. Vgl. zum Naturgesetz § 1, Β X . 42 w i e 4 1 , S . 129. 48 wie 42 , S. 128. Daher stimmen die Naturgesetze. Sie enthalten Tautologien. 44 45 wie 43 , S. 60/61. wie 44 , S. 60/61. 48 Bollnow, Otto Friedrich, 1, aaO, S. 6. 47 48 wie 4«, S. 7. wie 48 50 wie wie « , S. 7. 51 Kaufmann, Arthur, 8, aaO, S. 62. 52 von Weizsäcker, Carl Friedrich, 2, aaO, S. 18. Zur Kontrollierbarkeit der Beweisführung in der Geschichtswissenschaft, siehe Vogt, Joseph, 1, aaO, S. 102. Es ist sogar einzuräumen, daß der Verfasser einen großen Teil der auf der Welt erscheinenden Literatur nicht versteht, ohne jedodi zu behaupten, daß der Inhalt der Abhandlungen deshalb falsch ist. Wir wissen, daß es Spezialgebiete in der Wissenschaft gibt, zu denen bereits ein Fachkollege nichts mehr sagen kann, weil er es nicht mehr versteht.

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In Grenzbereichen ist es denkbar, daß es Wahrheiten gibt, die nur noch einem einzigen weiteren Menschen zugänglich sind 53 . Bollnow hat seine frühere These widerrufen, daß es eine Wahrheit gibt, die nur für einen einzigen Menschen und für keinen anderen mehr zugänglich ist54. Jedoch ist es dem Verfasser vorstellbar, daß dieser einzige sich — mit sich selbst oder mit seiner Vergangenheit — auseinandersetzt, die einem zweiten Menschen allein schon deshalb nicht zugänglich sein kann, weil er gar nicht hinreichende Kenntnis von relevanten Fakten aus dem Leben des anderen haben kann. Dies würde sogar gelten, wenn der eine sehr feine, aber gerade deshalb sehr widitige Zwischentöne im Innenbereich der Person einfach nicht hinreichend dem anderen mitteilen kann. Dann gibt es aber sogar eine Wahrheit für eine einzige Person, ohne daß diese Person gespalten sein muß. Diese feine Nuance kann jedoch letztlich hier offen gelassen werden. Wichtig ist hier etwas anderes. Man wird von diesen Ansätzen her anerkennen müssen, daß es Wahrheiten gibt, die nicht mehr allgemeingültig zugänglich sind, ohne daß sie aufhören, Wahrheiten zu sein55. Eine derartige Einmaligkeit schließt demnach nicht notwendig und immer „Objektivität" aus56. Evident ist die in den Geisteswissenschaften damit verbundene „Unsicherheit" bei Entscheidungen 57 , die sich aus den Disziplinen selbst ergibt. Bollnow schließt hieraus, daß es in diesem Bereich kein Kriterium der „Nachkontrollierbarkeit" schlechthin geben kann 58 . Es ist nicht nur so, daß eine tiefere Subjektivität, die in die Erkenntnis eingeht, den Gegenstand in größerer Tiefe objektiv aufschließen kann 59 . Hinzu kommt vielmehr, daß als neue Bedingung, nicht etwa als Kriterium der Wahrheit, neben den Widerstand der Sache60 die „Übersubjektivität" im Rahmen der hier geschilderten Grenzen zu fordern ist61. Engisch hat diesen Gedanken der Übersubjektivität aufgegriffen, in das Juristische transponiert und für das Recht BS Bollnow, Otto Friedrich, 1, aaO, S. 9. Zutreffend beschränkt deshalb Schreiber, Rupert, 1, aaO, S. V, den eigentlichen Dialog auf ein Buch. μ wie w wie 56

wie

M

, S. 7.

57

Die gesamte hier vorliegende Abhandlung ist paradigmatisch dafür. Gerade diese Ausführungen bringen einen weiteren grundsätzlichen Unsidierheitsfaktor für jede wissenschaftliche Stellungnahme. 58

Sonst müßte das Ergebnis von jedem anderen überprüft werden können. Vgl. Bollnow, Otto Friedrich, 1, aaO, S. 11. 59 wie 5e , S. 9. 60 Alle Lösungen, die glatt aufgehen, sind höchst verdächtig! Bollnow, Otto Friedrich, 1, aaO, S. 15. M

Bollnow, Otto Friedrich, 1, aaO, S. 11; 17. Siehe auch oben § 1, Β X. Der Gedanke klingt audi bei einem ganz anders orientierten Denker wie Brusiin, Otto, (1, aaO, S. 110) an, der von den logisdien Gesetzmäßigkeiten spricht, die sich über die Subjektivität des einzelnen erheben!

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Methodologische und systematische Folgerungen der Untersuchung

fruchtbar gemacht62. Von dem Dialog, der Ubersubjektivität erst ermöglicht, sei es, es gehe um die Wahrheit, sei es, man suche das Richtige, wie dem Transponieren auf die rechtliche Ebene, wird in den beiden folgenden Abschnitten zu sprechen sein. Als letzte Bedingung fordert Bollnow noch die Rüdebindung der an einem äußeren Gegenstand erkannten Wahrheit an die innere Wahrhaftigkeit des erkennenden Subjektes63. Das berührt jedoch eine Frage, die hier nicht zu beantworten ist. Das Gleiche gilt für die Forderung und Pflicht, auf dem Wege zur Wahrheit den trügerischen Schein zu beseitigen, noch viel mehr aber die Wahrheit nicht bewußt zu entstellen!64 IX. Über- und InterSubjektivität im Dialog Übersubjektivität wird man fast nur im Wege des Dialogs über die Intersubjektivität gewinnen können. Der Dialog kann auch schriftlich oder mit einer gedruckten und veröffentlichten Auffassung eines anderen geführt werden. Dieser Dialog, notfalls als Streit, ist zur Wahrheitsfindung unabdingbar. Bollnow warnt vor allen Thesen und Theorien, die glatt aufgehen. Scheine sich alles reibungslos zu fügen, so sei äußerste Vorsicht geboten. Man müsse befürchten, es handele sich um „luftige Phantasiegebilde" 1 . Die Wahrheit in der Wissenschaft kann nur sichtbar werden, wenn sie sich im Dialog entfalten kann. Man muß die verschiedenen Lösungsmöglichkeiten, auch und gerade die der Gegner, „durchspielen" 2 . Es gibt Abhandlungen, deren besonderes Verdienst in der Relativierung und Lockerung versteifter Gegensätze besteht3, die demnach den offenen Dialog wieder ermöglichen. Schon der Titel eines Aufsatzes „Über die kollektive Findung der Wahrheit" zeigt die Linie auf 4 . Haussier weist darauf hin, daß die eigentlich bedeutsame philosophische Errungenschaft unserer Zeit wohl in der Einsicht besteht, daß der Mensch auf den „partnerischen Wesensdialog" angelegt ist5. 62

Engisch, Karl, 26, aaO, S. 19, mit Nachweisen. Dort das Nietzsche-Zitat: „Einer hat immer Unrecht, mit zweien beginnt die Wahrheit!" Es läßt sich sogar sagen, daß, wenn nur noch ein Mensch existieren sollte, es kein Recht mehr gäbe, da das Recht die Sozialverhältnisse zwischen den Menschen regelt. Unrecht im heute üblichen Sinne konnte weder der „erste Mensch" tun, noch könnte es der „letzte Mensch" allein begehen. Er könnte nur noch unmoralisch leben. Das Recht beginnt und endet mit dem Paar! Nicht zu beweisen ist allerdings die Ansicht des Verfassers dieser Abhandlung, daß es nie nur einen Menschen gegeben hat. Im Anfang war das Paar! es 64 Bollnow, Otto Friedrich, 1, aaO, S. 11. wie 88 , S. 12. 1 Bollnow, Otto Friedrich, 1, aaO, S. 15. Es sollte sehr zu denken geben, daß nur sinnleere Begriffe „univok" sein können, streng genommen nur ZahlbegrifFe (Kaufmann, Arthur, 11, aaO, S. 4). 2 Vgl. Waider, Heribert, 15, Ottokar Jesar f , ZStW 1965, Bd. 77, S. 189—190. 9 Lange, Richard, 3, aaO, S. 630, zu Gallas. 4 Rahner, Karl, 2, aaO, insgesamt. 5 Haussier, Bernhard, 1, Dante bleibt aktuell, 1965, S. 22. Allerdings gibt es schon eine Abhandlung des Rudolf Agricola Frisius aus dem Jahre 1479 mit dem Titel: De inventione dialectica.

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Nach Bochenski gibt es keine zwei Menschen, die dieselben Einsichten in einen Wert haben! 6 Das zwingt geradezu zum Gespräch. Selbst Mathematiker versprechen sich in vielen Fragen einen Gewinn von einem Dialog 7 . Gerade auch der Dialog darüber, was Recht ist, darf keinesfalls abgeschnitten werden. Er ist für das Wesen des Menschen „typisch" 8 . Man kann deshalb über dogmatische Lehrmeinungen keinen überzeugenden Mehrheitsbeschluß herbeiführen 9 . Die Wahrheit ist offen für andere. Ihre Bedingung ist, daß ich midi mit einem anderen darüber verständigen kann 10 . Ihr Kennzeichen ist, daß sie sich in einem vernünftigen Gespräch bewährt 11 . Der sorgfältig geführte Dialog wird die Relativität und Beschränktheit des eigenen Standpunktes ebenso zeigen12, wie er krasse Fehlurteile in einigen Fällen ausschließen wird 13 . Selbst heftige Streitigkeiten bei Gesprächen zwischen Gelehrten sind positiv zu beurteilen. Sie lassen deutlicher werden, für welche Position man sich als die richtigere zu entscheiden hat 14 . Es besteht Gefahr, wenn wissenschaftliche Streitfragen nicht zur rechten Zeit aufgearbeitet werden. Derartige liegengelassene Probleme haben die fatale Eigenschaft, in dem Augenblick wieder an die Oberfläche zu kommen, in dem die Wissenschaft sie am wenigsten brauchen kann 15 . Wer seine literarischen Gegner unterdrückt, schädigt, wenn audi' unbewußt, sidi selbst. Die eigene These enthält bereits den Keim zur Antithese. Je starrer und konsequenter der Ansatz ist, um so sicherer führt er zur Antithese. Wichtig ist für die allgemeine Wissenschaftsgeschichte, daß genügend hinreichend Vorgebildete vorhanden sind, die sich erneut mit dem Problem auseinandersetzen. Wer rechtzeitig die Ambivalenz von Lösungsmöglichkeiten einräumt, erspart sich selbst den „Zugzwang". Das Ziel eines Dialogs sollte sein, die Wahrheit tiefer zu ergründen, sich nicht nur mit einigen Schichten zufrieden zu geben16. Dabei muß man beβ Bochenski, J. M., 2, S. 78. Nach ihm sind Werte auf Beziehungen zwischen Menschen und Dingen begründet, deshalb insoweit veränderlich, wie der Mensch es ist (S. 79). 7 Hermes, Hans, 1, Wahrheit in der Mathematik, in: Ulmer, Karl, 1, aaO, S. 33. 8 Siehe oben unter § 1, Β IV. Es gibt auch keine Rechtswidrigkeit an sich. Sie ist immer auf zwischenmenschliche Handlungen bezogen. (Würtenberger, Thomas, 3, Zur Rechtswidrigkeit der Kriegsverbredien, in: Festschrift für Mezger, 1954, S. 194.) 9 Vgl. Blau, Günther, 1, aaO, S. 78. 10 11 Vgl. Bollnow, Otto Friedrich, 1, aaO, S. 19. wie 10, S. 20. 12 13 Engisch, Karl, 26, aaO, S. 19. wie S. 22. 14 wie 12 , s. 20. Auf diesem Gebiet liegt auch ein positiver Grund dafür, daß man versucht, „Schulen" zu bilden. 15 Beispielhaft hierfür: Die Lehre von den Ehezwecken der katholischen Kirdie und Moraltheologie. Siehe hierzu Waider, Heribert, 7, aaO; ders. 14, aaO, insgesamt. Die Probleme müssen vielschichtig angegangen werden. Verschiedene Perspektiven sind die Voraussetzungen dafür, die Wirklichkeit besser in den Griff zu bekommen. Wer auf nur einem Standpunkt unter Ausschluß der Diskussion beharrt, ist mit schuld an den Verzerrungen, die sich einstellen werden. 1(1 Vgl. Waider, Heribert, 7, aaO, S. 245.

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Methodologische und systematische Folgerungen der Untersuchung

achten, daß wohl nichts exakt im Recht zu berechnen ist. Streng beweisen läßt sich nichts oder doch fast gar nichts, jedenfalls nicht genug. Aufweisen läßt sich im Dialog manches17, was dann für andere geistig nachvollziehbar ist. Die Gesamtanlage dieser Abhandlung ist so gewählt worden, daß im Dialog mit anderen Meinungen an ihnen die eigenen Ansichten aufgewiesen wurden. Von der gewählten Aufgabe und Methode her wäre der Versuch eines strengen Widerlegens sogar methodenwidrig gewesen. X. Wahrheit und Richtigkeit Wie schon kurz erwähnt (unter VIII.), unterscheidet man heute der Sadie nach zwisdien der Wahrheit in den Wissenschaften und dem Bemühen, das, was richtig ist, festzustellen. Es ist selbstverständlich, daß hier keine Übersicht über die Wahrheit und ihre Erkenntnis gebracht werden kann, was eine Bibliothek der Literatur aus den letzten Jahrhunderten ausmachen würde. Liest man die von Karl Ulmer herausgegebene Vortragsreihe über „Die Wissenschaften und die Wahrheit", so vergehen einem alle Illusionen, hier jemals zur Klarheit oder Konvergenz der Ansichten kommen zu können 18 . Ebensowenig läßt sich sagen, was man bei den einzelnen Vertretern der verschiedenen wissenschaftlichen Disziplinen als „unwissenschaftlich" bezeichnen kann. Weder läßt sich Allgemeingültigkeit der Ergebnisse in den Geisteswissenschaften erreichen19, noch ist das Wahrheitsproblem rein wissenschaftstheoretisch zu lösen20. Damit ist nicht gesagt, daß alle bisher gewonnenen Einsicht „unwahr" oder „falsch" waren. Die Meinungen bieten sich wie die Farben auf einer Palette an. Häufig war auch der Trieb vorhanden, den eigenen Wissenschaftsbegriff zum Maßstab für alle anderen zu machen21. Heute wird man davon ausgehen müssen, daß jede Wissenschaft hinsichtlich ihrer Erkenntnisse nach ihren eigenen Kriterien vorgeht 22 . Selbst Techner begräbt angesichts des Wandels im Wahrheitsbegriff 23 und der Zerstrittenheit über die Wesensgrundlagen des Redites endgültig die Hoffnung, zu einer absoluten Wahrheit des Rechts vordringen zu können 24 . 17

So entsprechend Kaufmann, Arthur, 11, S. 45 mit weiteren Nachweisen. Ulmer führt allein fünf unterschiedlidie Typen von Wahrheit auf (aaO, S. 10). Bei Fechners Beitrag daselbst gibt es fünf Stufen der Wahrheit. 19 Bollnow, Otto Friedrich, 1, aaO, S. 7. 20 Möller, Joseph, 2, aaO, S. 200, Anm. 11. 21 Vgl. Ulmer, Karl, 1, aaO, S. 9; siehe oben § 1, A V. 22 Vgl. Ulmer, Karl, 1, aaO, S. 10. Es gab nachweisbar zu viele Behauptungen, die sidi beim schnellen Umschlag unserer Erkenntnisse als nidit wahr herausgestellt haben, als daß man hier auf große Einmütigkeit hoffen dürfte. Das gilt auch für die sadilogischen Strukturen. Siehe hierzu Würtenberger, Thomas, 6, Besprechung von Gerhart Husserl, Recht und Zeit, A C P Bd. 155, 1956, S. 450. 23 Techner, Erich, 3, Wahrheit und Recht, in: Ulmer, aaO, S. 129. 24 Vgl. Fechner, Erich, 3, aaO, S. 125. Allerdings meint er noch fünf Stufen der Wahrheit aufzeichnen zu können (aaO, 3, insgesamt). Dabei braucht man noch nicht einmal die äußerste Position Kelsens zu beziehen: „Eine N o r m . . . ist weder wahr nodi unwahr, sondern nur gültig oder ungültig." (Kelsen, Hans, 1, Reine Rechtslehre, 2. A. 1960, S. 19). Es gibt jedoch audi Stimmen, die Identität zwischen 18

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Dies liegt vor allem daran, daß Subjekt und Objekt sich im Erkenntnisakt intensiv durchdringen 25 . Im Recht gehe es mehr um die Eignung der Zweckmäßigkeit einer Regelung 26 , seien nur Wahrscheinlichkeiten zu erlangen 27 . Gerade das letzte Problem ist an dieser Stelle nicht auszudiskutieren. Ob überhaupt „Wahrheit" in der Rechtswissenschaft zu erfassen ist, kann zur Lösung der hier erörterten Fragen offen bleiben, da die Beantwortung der Frage nicht von entscheidender Bedeutung für diese Ausführungen ist. Selbst wenn man sich mit dem Begriffspaar „richtig" und „richtiger" (als vertiefte Erkenntnis) begnügt, so bleiben die Ergebnisse noch „entsprechend" denen, die sich bei der Wahrheitssuche stellen. Wenn das Wahre und das Richtige das Ganze ist 28 , so ist das Ganze nie zu erreichen 29 . Die Wissenschaft wird die Sache nie so erfassen, wie sie eigentlich ist 30 . Viel wichtiger ist, daß die Grenze des Erfaßbaren nicht fixierbar ist, ganz gleich, ob man sich mit der Wahrheitsfindung oder der vertieften Erkenntnis ( = richtiger) begnügt 31 . In beiden Fällen gelingen immer nur Annäherungswerte! 3 2 . U n t e r bestimmten Voraussetzungen kann jeder Satz „falsch" sein, weil er unvollständig ist, nicht klar genug gefaßt und vertiefbar, jedoch noch nicht hinreichend vertieft 3 3 . Der Rechtswissenschaft geht es in diesem Punkt etwa gleich gut wie den anderen wissenschaftlichen Disziplinen 34 . Wahrheit und Richtigkeit behaupten. Vgl. die Hinweise bei Engisch, Karl, 26, aaO, S. 4. Die Gegenstimmen sind bei Engisch, daselbst, auf S. 4/5 zu finden. 25 fedmer, Erich, 3, aaO, S. 129. 28 wie 25 , S. 119. 27 Kaufmann, Arthur, 11, aaO, S.45. 28 So ein Ausspruch Hegels nach Engisch, Karl, 26, aaO, S. 20. 2® Absolute Kriterien, Maßstäbe für die Wahrheit im Recht, gibt es nicht. Fechner, Erich, 3, aaO, S. 130. Ulmer, Karl, 1, S. 8. Und gelte es, weil sie bei jedem anders aussieht. 3 1 Vgl. oben unter Einleitung, I, 2. Absatz; ferner § 1, Β II. 3 2 Wer wollte absolute Urteile über die gerechteste Lösung bei der sogenannten „ethischen Indikation" fällen? Vgl. Karpf, Hans-Joachim, 1, Die rechtliche Problematik des artifiziellen Abortes in ethisch indizierten Fällen, 1965, insgesamt. , s Vgl. oben Einleitung, I. 5 4 In der Theologie: Unsere Erkenntnis ist immer unterwegs (Auer, Alfons, 1, Eheliche Hingabe und Zeugung, theologisch-praktische Quartalsschrift, 112. Jg. 1964, S. 129). — Eine Privatoffenbarung ist denkmöglich, jedoch nicht wissenschaftlich nachweisbar. — Die Erkenntnis vermag die volle Wahrheit nie einzuholen. (Auer, Alfons, 1, aaO, S. 129). — Eine polemisch definierte Wahrheit kann neben einem Wahrheitskern eine „halbe Wahrheit", eine Halbwahrheit enthalten. Dann ist sie ergänzungsbedürftig und insoweit halbfalsch. (Vgl. Kiing, Hans, 2, aaO, S. 160-165). — Die (deduktiven) Ableitungen im Naturrecht wollen nie gelingen. (Schöllgen, Werner, 3, aaO, S. 16). — Audi in anderen Disziplinen ist es nicht weit besser. Zur Sinnlosigkeit bei Axiomen einer mathematischen Theorie von der Wahrheit zu sprechen, zur Nichtnachprüfbarkeit mathematischer Aussagen durch das Experiment und zur Krise des Evidenzbegriffs siehe Hermes, Hans, 1, aaO, S. 27-29. — Zur Begrenzung der Möglichkeiten empirischer Feststellung siehe Stachoviak, Herbert, 1, Gedanken zu einer allgemeinen Theorie der Modelle, Stud. Gen. 1965, 18. Jg., S. 435, Anm. 6. — Zur nicht berechenbaren Wechselwirkung zwischen kultureller und genetischer Evolution siehe Portmann, Adolf,.

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Methodologische und systematische Folgerungen der Untersuchung

Auch die sprachliche Formulierungsmöglichkeit spricht dagegen, daß sich hier etwas zum Besseren ändern lassen wird. In jeder sprachlichen Mitteilung kann das Wirkliche nie ganz erfaßt werden. Jenseits der Möglichkeiten von Irrtum und Verstellung wird es immer nur begrenzt zur Erscheinung kommen 3 5 . Oft sind auch objektive Vorgänge durch subjektive Formulierungen und Einschläge leichter in den Griff zu bekommen 36 . Sie können in dem hier bearbeiteten Bereich der s R F E und s U R E notwendig sein, um das objektive Unrecht eindeutig zu umschreiben 37 , und so der Verdeutlichung dienen 38 . Eine rein objektive Formulierung könnte sogar ausgeschlossen oder weniger glücklich sein 39 . Oft ist nach dem Wortlaut der Sprache Objektives und Subjektives nicht rein zu scheiden. Was unter rechtlichem Blickwinkel nicht untrennbar verbunden ist, kann es sprachlich durchaus sein 40 . Mitunter benutzt der moderne Gesetzgeber subjektive Merkmale von Tatbeständen, und zwar zur //dttpiumschreibung 41 . Ein theoretisch' ideales Gesetz würde sich vielleicht von derartigen subjektiven Einschlägen frei halten 4 2 . Selbst wenn 9 0 % aller Tatbestände des Besonderen Teils „final" sein sollten, so würde sich daraus wohl nur ergeben, daß eine rein kausale E r klärung ohne Rücksicht auf die Finalität schlechthin zu Bedenken Anlaß gibt 43 . Man könnte durchaus zwischen subjektiver und objektiver Finalität 1, Utopisches in der Lebensforschung, Eranos-Jahrbudi 1963, S. 316. — Zu den zahlreichen Fehlleistungen in der Geschichte der Zeugungslehren vgl. Doms, Herbert, 1, Gatteneinheit und Nachkommenschaft, 1965, insgesamt: Lesky, Erna, 1, Die Zeugungs- und Vererbungslehren der Antike und ihr Nachwirken, 1951, insgesamt; Waider, Heribert, 14, aaO, S. 292. — Zu der Unbestimmtheit in den Naturgesetzen siehe Braunbek, Werner, 1, Wie gewinnt die Physik ihre Erkenntnisse?, in: Ulmer, Karl, 1, aaO, S. 46. Zu den Zweifeln, ob Naturkonstanten überhaupt Konstanten sind, siehe Friedridi-Freska, Hans, 1, Irrtum und Erkenntnis in der Biologie, in: Ulmer, Karl, 1, aaO, S. 54; ferner oben § 1, Β. IV. Heute experimentell belegte Theorien können, da man zukünftige Experimente nie vorwegnehmen kann, sich später einmal als falsch erweisen. Siehe hierzu Braunbek, Werner, 1, aaO, S. 42. — Auch Versuche und Messungen sind zu interpretieren, was oft nur mit viel Mühe durch die Diskussion gelingt. Siehe Braunbek, Werner, aaO, 1, S. 36; 42. — Mit der Geschichte lassen sich keine Versuche anstellen. So Bollnow, Otto Friedrich, 1, aaO, S. 5 (keine Experimente)! Es gibt keine reine Tatsachen. In die Feststellung geht immer schon ein Moment der menschlichen Entscheidung ein. Vgl. Ulmer, Karl, 1, aaO, S. 13 mit weiteren Nachweisen in Anm. 3. — Es gibt eine genau definierte Wirklichkeit, die weder ganz beobachtbar, nodi genau wissenschaftlich erfaßbar ist, weshalb sie für die Naturwissenschaften nicht existent ist. Es ist dem Menschen grundsätzlich und durdi Naturgesetz verwehrt, die Wirklichkeit exakt zu bestimmen oder sidi auch nur ihr beliebig anzunähern. Vgl. Braunbek, Werner, 1, aaO, S. 46. 36 Sax, Walter, 2, aaO, S. 917, Anm. 26. Ulmer, Karl, I, aaO, S. 14. 38 Vgl. Mittasch, Helmut, 1, aaO, S. 132. wie 3e , S. 918. 3 9 wie 37 , S. 917. 4 0 Foltin, Edgar, 1, aaO, S. 29. 41 Baumann, Jürgen, 4, aaO, § 20, I, la. 42 Lange, Richard, 9, aaO, S. 9. Vgl. oben unter § 1, Β. X . Der Gesetzgeber kann es nicht. 43 Sax, Walter, 2, aaO, S. 916, Anm. 24.

85

37

Methodologische und systematische Folgerungen der Untersuchung

219

aufspalten. Keineswegs mußte man auf die sogenannte „finale Handlungslehre" kommen 44 . Vielfach ist aber gar nicht feststellbar, ob ein Verb eine kausale oder finale Bedeutung hat, oder beides nebeneinander aussagen kann 4 5 . Hier gibt es sehr unterschiedliche Deutungsmöglichkeiten 46 . Besonders bei der Auslegung der §§ 228, 229 B G B wird dies in der Literatur deutlich. Hier gibt es gleich laute Stimmen, die jedoch jeweils die objektive oder allein die subjektive Finalität aus dem Gesetzestext herauslesen 47 . Entsprechendes gilt für § 193 StGB 4 8 . Die sprachliche Fassung des Gesetzes kann nie „exakt" sein 49 . Die gesamten Ausführungen dieser Abhandlung zur Auslegung zeigen, daß auf dem sprachlichen Sektor kein Beweis zu führen ist 5 0 . Die juristische Sprache ist eine Kunstsprache. Auch sie paßt zur „ars iuris" 5 1 . Bei dieser Lage ist es nicht zwingend erweisbar, daß der Rechtsdogmatiker in weiten Bereichen bei der Untersuchung schwieriger Grenzfragen, wie wir sie hier in den s U R E und s R F E behandelt haben, mit Sicherheit von „Verifizieren" oder „Falsifizieren" im strengen Sinne sprechen kann 5 2 . Was es gibt, ist eine „kontrollierbare Beweisführung" 5 3 . Man kann den Vorgang mit „Rektifizieren" bezeichnen 54 , das allerdings viele Grade zwischen „richtig" und „richtiger" kennt, wohl aber nie den Grad „am richtigsten". Denn das wäre nicht mehr zu überbieten! Als Gegensatz zum Rektifizieren, aber in Ergänzung und zur besseren Bestimmung dessen, was richtig ist, tritt der „negative Ausschluß" einer Sache. Nach Ansicht vieler ist die Sicherheit beim negativen Ausschluß größer, d. h. bei der Feststellung und im Nachweis, was sicher nicht richtig sein 44

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43

Scfewrft, Rolf, 1, Die subjektiven Unrechtselemente in der neuen Strafrechtsentwicklung, Münchener juristische Dissertation, 1951, S. 4 4 ; zur Wortbedeutung siehe die Seiten 36-44 daselbst. 45

4 e Siehe Oehler, Dietrich, 4, aaO, S. 76 ff.; speziell zu „jagen"; vgl. Lange, Richard, 4, aaO, S. 5 6 1 ; Oehler, Dietrich, 4, aaO, S. 77. Dies gilt sogar für Adjektive! Siehe Honig, Richard, 1, Humanitas und Rhetorik in spätrömischen Kaisergesetzen — Studien zur Gesinnungsgrundlage des Dominats, 1960, S. 19. 4 7 Vgl. oben § 3, Β II, bzw. § 3, Β VIII. 48

Siehe oben § 3, Β I X .

Vgl. unter § 1, Β X . Sauer hat bereits 1949 den Streit um die Umgruppierung im System, der durch die subjektiven U R E in das Strafrecht gekommen ist, letztlich nur als „Wortstreit" klassifiziert. Siehe Sauer, Wilhelm, 7, aaO, S. 216. 5 0 Siehe oben § 1, C. Zur Auslegung. Vgl. auch Engisch, Karl, 26, aaO, S. 13 5 1 Audi hier gilt der Satz: „Falsa demonstratio non nocet!" 4β

5 2 So Engisd), Karl, 26, aaO, S. 8. Vgl. zur grundsätzlichen Unvollkommenheit aller empirischen Verifikationsverfahren den Hinweis bei Stachoviak, Herbert, 1, aaO, S. 435, Anm. 7. Audi bei den Historikern gibt es keine Verifikation. (Vogt, Joseph, 1, aaO, S. 102). Was Engisch noch unter die Verifizierungsmöglichkeiten fallen lassen will, ist sehr wenig und für die hier erörterten Probleme nicht aktuell. Siehe hierzu Engisch, Karl, 26, aaO, S. 7. 53

So Vogt, Joseph, 1, aaO, S. 102, auch für den Historiker.

54

Vgl. Engisch, Karl, 26, aaO, S. 9 und insgesamt.

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Methodologisdie und systematische Folgerungen der Untersuchung

kann 55 . Engisch spricht als Prüfstein folgende These aus: „Ist die kontradiktorische, entgegengesetzte Auffassung gleichermaßen richtig?"56 Selbst eine methodengerechte juristische Entscheidung steckt nur Grenzen des Richtigen ab 57 . Zuzugeben ist, daß wir heute in ganz wenigen Fällen wissen, was sicher nicht geht. Wir erkennen es oft lediglich an den Ausläufern und Kettenreaktionen und deren Ergebnissen 58 . Ebenso schwer ist, die Denkunmöglichkeit einer Lehre nachzuweisen. Fast immer gelingt nur der Nachweis der Unvereinbarkeit mit anderen Axiomen 5 9 . Nach der Ansicht des Verfassers besteht ζ. B. Sicherheit im Bereich des sogenannten Naturredits nur insoweit, als gewisse Grundprinzipien nicht umkehrbar sind. Und zwar: Es gibt keinen beliebigen Austausch zwischen Ausnahme und Regel und keine Umkehr einiger Normen als soldier 60 . Die dieser Abhandlung zugrundeliegenden materiellrechtlichen Fragen werden von derartigen zwingenden negativen Ausschlüssen nicht getroffen. Das gilt selbst für die beiden Extremmöglichkeiten: Weder die Auffassung des österreichischen Obersten Gerichtshofes, die von Rittler geteilt wird, nach der beim Vorliegen der Voraussetzungen Straffreiheit eintritt, ob der Täter die Fakten kannte oder nicht 61 , noch die Ansicht des Antipoden Schaffstein, nach der auch die fälschliche Annahme eines Rechtfertigungsgrundes das Unrecht beseitigt 62 , 55 Die Breite der Disziplinen, bei denen man derartige Behauptungen findet, ist erstaunlich. So heißt es bei Spendet, Günther, 3, (Über eine rationalistische Geisteshaltung als Voraussetzung der Jurisprudenz, in: Festschrift für Radbruch, 1948, S. 84): Eine Welt der reinen Verneinung, in der nur das Falsche gilt und nur das Unrecht verwirklicht wird, wäre in sich unmöglich. — Vgl. zur „negativen Theologie" Vorgrimler, Herbert, 1, Negative Theologie, LThK, 7. Bd. 1962, 2. A. Sp. 864-865; zur „Philosophia negativa" Pieper, Josef, 1, aaO, insgesamt; siehe hierzu auch oben unter § 1, Β I; ferner Kaufmann, Arthur, 8, aaO, S. 16 mit weiteren Nachweisen. Nach Kloten, Norbert, 1, (Möglichkeiten und Grenzen wirtschaftswissenschaftlicher Erkenntnisse, in: Ulmer, Karl, 1, aaO, S. 107) ist in den Wirtschaftswissenschaften nur die Falsifikation endgültig, nicht aber die Bestätigung, die Verifikation. — Konrad Lorenz meint, man sei viel weiter, wenn man wisse, was nicht gehe. (Siehe Lorenz, Konrad, 1, Das sogenannte Böse — Zur Naturgeschichte der Agression, S. 395-396). Dem Hemmungsmechanismus beim Tier entsprechen (!) die Verbote beim Menschen (Lorenz, Konrad, 1, aaO, S. 164-165). — Der Biologe Friedrich-Freska weist auf eine moderne Forderung hin, nach der sich exakte Wissenschaften nur mit Sätzen befassen sollen, die falsifizierbar sind. Nur der Irrtum sei endgültig, Beweise seien lediglich approximativ. (Vgl. Friedrich-Freska, 1, aaO, S. 50). Allerdings sagt der Volksmund, man solle nie nie sagen, was wohl richtig ist, weil in jedem Irrtum audi ein Stückchen Wahrheit steckt! M 57 Engisch, Karl, 26, aaO, S. 14. wie S. 18. 58 Fechner, Erich, 3, aaO, S. 131. 5e Vgl. den guten Hinweis bei Evers, Hans-Ulrich, 1, aaO, S. 13. 60 Vgl. Waider, Heribert, 1, aaO, S. 315, z.B. für das absolute Tötungsverbot. Alle wichtigen Gebote der 2. Tafel des Dekalogs lauten: „Du sollst nicht...!" 61 Vgl. oben § 3, Β III. 62 Vgl. unter § 4, A 2. Je stärker der Pluralismus in der Gesellschaft sich durchsetzt, um so weniger darf man es auf die innere Einstellung abstellen. Man

Methodologische und systematische Folgerungen der Untersuchung

221

werden durch den negativen Ausschluß mit Sicherheit verunmöglicht 63 64 . Die Sicherheit in der Beurteilung ist auch nach diesen Gedankengängen nicht größer geworden. Je grundsätzlicher man die Fragen erörtert, um so geringer wird die Sicherheit, das „Richtigere" zu finden. XL

Rechtsvergleichende

und rechtshistorische

Gesichtspunkte

Wer Dogmatik im Strafrecht betreibt, befaßt sich immer auch mit Dogmengeschichte. Selbst wer keinen eigenen historischen Teil bringt 65 , kann keinen Zeitpunkt nach rückwärts hin fixieren, in dem genau die „Gegenwart der Dogmatik" anfangen würde 66 . Die Dogmatik wandelt sich unter unseren Händen, ohne daß wir den Vorgang genau erfassen können. Was es gibt, sind Unterschiede im Tempo der Veränderung, wodurch einzelne Partien der Dogmatik sehr konstant bleiben, was für die Kontinuität der Rechtsordnung von allergrößter Bedeutung ist 67 . Im übrigen gibt es auch hier Schübe in der Entwicklung, was Prognosen so sehr erschwert, wenn nicht unmöglich macht. Die Geschichtlichkeit des Menschen und damit seine Rechtsordnung zwingen dazu, sich immer in der Dogmatik auch mit der Rechtsgeschichte auseinanderzusetzen 68 . Die materiellrechtlichen Teile der wird immer mehr dazu kommen müssen, lediglich Mindestforderungen in der äußeren Erfüllung der Vorschriften durchzusetzen. 68 Audi rein objektive Systeme, die auf alle sURE verzichten würden, wären durchaus realisierbar. Ein Strafrecht, daß nur an ein Erfolgsunrecht anknüpft, würde noch keine Erfolgshaftung kennen. Vgl. Botkeimann, Paul, 5, aaO, S. 172-173. 64 Allerdings halte ich beide Lösungen für nicht zeitadäquat. Die erste nähert sich zu sehr der Erfolgshaftung (oder besser der Erfolgsbelohnung bei gutem Ausgang), die zweite einem reinen Subjektivismus, wie er in einer reinen Situationsethik vertreten wird. Eine exaktere Umgrenzung beider Lösungsversuche ist in dieser methodologischen Abhandlung nicht erforderlich. 85 Mit welchem Zeitpunkt sollte der audi abschließen? " Selbst Vorschläge, wie man besser entscheiden sollte, sind beim Druck und beim Erscheinen bereits Geschichte. Übrig bleiben wohl nur Gedanken de lege ferenda, soweit sie keinerlei Einfluß auf das geltende Recht nehmen wollen. (Aber selbst da wird mitunter der Satz vertreten: „Im Zweifel für den Entwurf!" Siehe als Beispiel Schänke, Adolf, 1, aaO, 3. A. 1947, Vorb. zum Allgemeinen Teil, IV, 4, S. 20, zur Kausaltheorie bei erfolgsqualifizierten Delikten vor der Neufassung des § 56 StGB im Jahre 1953. Die Auffassung des § 21 Ε 1927 kann bereits jetzt als geltendes Recht betrachtet werden!) Veröffentlichte Entscheidungen der Gerichte sind auch schon Geschichte, wenn sie erscheinen. Den Parteien sind sie ja schon bekannt! 67 Eine richtig verstandene Kasuistik in den Entscheidungen der Gerichte dient der Kontinuität der Rechtsordnung. Hier wird eine der besonders wichtigen Funktionen der Rechtsprechung offenbar, die mit ihren „Präjudizien" eine erkennbar eigene Linie der Rechtsgestaltung schafft. Vgl. hierzu Simitis, Spiros, 1, aaO, S. 64. Dies gilt selbst dann, wenn die Rechtsprechung ihre Meinung ändern sollte, da dies nur einen neuen Ansatz für eine Linie deutlich machen würde. •β D a ß d; e Geschichtlichkeit des Menschen von der anderen Seite her die Veränderungen in den Normen fordern kann, macht die Sache nodi unberechenbarer.

222

Methodologische und systematische Folgerungen der Untersuchung

Ausführungen haben nicht nur gezeigt, daß einzelne Probleme im 3. Jahrhundert ebenso wie heute erörtert wurden 6 9 . Die Ausführungen zu den §§ 2 — 3 dieser Abhandlung machten auch deutlich, wie es aus der Zeit nach der Jahrhundertwende und dem Stand der Studien der damaligen Dogmatik verständlich war, daß ein reibungsloser Einbau der subjektiven Elemente nicht glückte. Zu verstehen sind viele Stellungnahmen einzelner Dogmatiker nur aus ihrer Zeit und aus den begrenzten, ihnen zur Verfügung stehenden Denkkategorien. Jede Auslegung eines Rechtfertigungsgrundes und seine Ausstattung mit einem subjektiven Element fordert auch heute noch, die historische Methode in der Exegese nicht unbesehen auszuklammern 70 . Die Aufgliederung in den §§ 2 und 3 dieses Werkes hat gezeigt, daß hier viele Einstellungen nebeneinander stehen 71 . Das ist nichts Neues. Aus der Geschichte ergibt sich, daß man sehr unterschiedliche Auffassungen realisieren kann, ohne daß man spätere Entwicklungen voraussieht, noch sie voraussehen kann 7 2 . Die Strömungen können lange nebeneinander herlaufen, ohne daß w i r allgemeinverbindliche Gewißheit bekommen, wie man sich auf jeden Fall einzustellen hat 7 3 . Man wird sehen, daß jedes neue Wissen vielfältig alte Weisheiten ausbaut, fortsetzt und vollendet, selbst wenn man das alte Wissen unterdrücken würde, man es leugnen wollte oder verbirgt 7 4 . Siehe Simitis, Spiros, 2, Rechtliche Anwendungsmöglichkeiten kybernetischer Systeme, 1966, S. 9. Die Situation wandelt sich immer! — Zur Geschichtlichkeit des Menschen siehe Waider, Heribert, 14, aaO, S. 300-302. Zum Verhältnis Recht — Geschichte siehe allgemein Laufs, Adolf, 1, Zum Verhältnis Recht und Geschichte, JZ 1966. S. 434-436. Der Beitrag enthält gute Ansätze. 69 Siehe oben Einleitung, II, § 3, Β IX. 70 Der Verfasser hat in seiner Abhandlung über die Geheimbündelei ( W a i d e r , Heribert, 16, aaO, insgesamt) nachzuweisen versucht, daß die Geschichte dieser Norm evident erscheinen läßt, wie dringend eine Beseitigung dieser Norm war. 71 Zur Bedeutung der dogmengeschichtlichen Arbeiten und der entwicklungsgeschichtlichen Vorstufen des heutigen Strafredits vgl. Waider, Heribert, 15, aaO, S. 189. 72 Zu Querschnitten von besonderem Interesse siehe Kaufmann, Arthur, 8, aaO; Müller, Michael, 1, aaO, besonders zu Erfolgshaftung; Oehler, Dietrich, 1, aaO, alle insgesamt. 73 Vielleicht kann man zur Abgrenzung nur mit Sicherheit sagen: Nicht geschichtsadäquat wäre heute eine reine Erfolgshaftung einerseits, andererseits ein Strafrecht, das einer reinen Situationsethik oder Personalitätsethik genau entsprechen würde. Siehe oben § 2, Β. XII, insgesamt; (zur Situationsethik und Personalitätsethik). Daß die Dinge in der Moral anders zu beurteilen sind, spricht nicht gegen diese Entscheidung. Vgl. hierzu Waider, Heribert, 14, aaO, S. 310, 4c bis S. 311, a. E. 74 Vgl. hierzu die zutreffenden Gedanken von de Sede, Gerard, 1, Die Templer sind unter uns, 1962, S. 188-189. Aus diesen Gründen müßte die Literatur, die zwischen 1933 und 1945 erschienen ist, sorgfältig aufgearbeitet werden. Der Zeitabstand ist wohl allmählich groß genug geworden, um auch die Abhandlungen, die man nicht mehr zitiert und übergeht, in die theoretischen Abhandlungen positiv hereinzuziehen. Die Kontinuität des Rechts ist audi auf diesem Sektor notwendig.

Methodologische und systematische Folgerungen der Untersuchung

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Viele gegenwärtige Probleme taudien nicht nur in der eigenen Rechtsgeschichte auf. Man findet sie auch in anderen Rechtskreisen, entweder als gegenwärtig geltendes Recht oder aber als Teil der dortigen Rechtsgeschichte. Rechtsvergleichende Studien sind häufig auch gleichzeitig rechtsgeschichtliche. Die Uhren gehen nicht nur in Frankreich anders! In der Vorsatzvermutung des kanonischen Rechts75 stoßen wir auf unsere eigene Strafrechtsgeschichte, die sich hiervon erst 1846/49 in Preußen löste76. Die Konsequenzen aus Belings Lehre führten in Österreich zu Entscheidungen und Thesen, die uns wie unsere eigene Geschichte (gestorben und gleichzeitig zu neuem Leben erwacht) ansehen, und zwar genau in der Frage der sRFE 77 . Rechtsvergleichende und rechtsgeschichtliche Überlegungen verbinden sich oft. Gehen die Uhren in anderen Ländern anders, so lebt man dort, von uns aus betrachtet, in einer anderen Zeit, sei es in unserer Vergangenheit oder in unserer (voraussichtlichen) Zukunft. Zusätzlich laufen unterschiedliche Wertvorstellungen nicht nur in verschiedenen Zeiten und Räumen, die beide zusammen erst eine Bestimmbarkeit ermöglichen. Stark divergierende Wertvorstellungen aus anderen Zeiten und Räumen laufen gleichzeitig „quer" durch die eigene Gemeinschaft, was eine genaue Fixierung einer Norm praktisch verunmöglicht 78 . Diese Schwierigkeit bietet nicht nur das materielle Recht. Nimmt man die Methodenlehre hinzu, nach der Systeme erhalten und entwickelt werden, so wächst die Unsicherheit, da hier Vergleiche nicht nur mit den Rechtsgebieten, sondern sogar mit anderen wissenschaftlichen Disziplinen angestellt werden müssen. Diese Disziplinen sind nicht nur nach oben und unten offen. Sie kommunizieren vielfach mit anderen Fachrichtungen. Die materiellrechtlichen Teile der Arbeit 79 haben es laufend gezeigt. Das Unvermögen einer genaueren Bestimmung ist durch diese Überlegungen nur weiter angewachsen. Die rechtsvergleichenden und rechtshistorischen Untersuchungen zeigen lediglich, daß derartige allgemeine Gedanken keinerlei größere Bestimmtheit in der Lösung ermöglichen. XII. Zur prinzipiellen Gleichberechtigung von Thesen und Lösungsmöglichkeiten Die bereits oben 1 kurz erwähnte Frage nach der „Äquivalenz der systematischen Konstruktionen" und damit auch' vielfach der Lösungen ist nach Darstellung der großen materiellrechtlichen Kontroversen zu den sRFE und sURE (in den §§ 2—4) noch zu vertiefen. Keiner Theorie steht ein Mono73 Vgl. die Hinweise und Auseinandersetzungen bei Waider, Heribert, 17, aaO; vgl. can. 2200 § 2 CJC. 76 Preuß. G. S., 1846, Gesetz vom 1 7 . 7 . 1 8 4 6 , S. 267 ff.; § 1 9 , II (S.271); V O vom 3 . 1 . 1 8 4 9 , Preuß. G. S., 1849, S. 14 ff.; § 22 (S. 18): Freie richterliche Beweiswürdigung, Ausschluß der praesumtio doli! 77 Siehe eingehend oben § 2, B. III. 78 Siehe hierzu unter § 1, Β. XIII. Diese Unterschiede schlagen sidi audi bei der Auslegung der verschiedenen Autoren wie bei den Reformarbeiten nieder. 79 §§ 2—4 dieses Buches. 1 Siehe unter § 1, Β. VII.

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Methodologische und systematische Folgerungen der Untersuchung

polanspruch zu 2 . Von einer echten Äquivalenz im strengen Sinne einer Gleichwertigkeit kann eigentlich nicht gesprochen werden. Wüßte man von mehreren möglichen Lösungen sicher, daß sie absolut gleichwertig sind, so wüßte man auch, welche von diesen Lösungen allein richtig ist! Eine derartig weitgehende Gleichwertigkeit gibt es nicht. Gemeint ist wohl, die anderen Lösungen sind nicht zwingend abzuschließen. Man würde besser von einer prinzipiellen Gleichberechtigung sprechen. Je nach dem Ansatz der Beweisführung, der Methode und dem System, lauter Vorentscheidungen, die mit den einzelnen sRFE nichts oder wenig zu tun zu haben brauchen, überzeugen die Folgerungen, weil man sie als denknotwendig hinnimmt. Die Beweisführung überzeugt, wenn die Voraussetzungen akzeptiert werden 3 . Man wird hier nicht von richtig und falsch, sondern allenfalls von richtig und richtiger sprechen können 4 . Es ist wissenschaftlich' korrekt, mehrere Lösungsmöglichkeiten als vertretbar hinzunehmen 5 . Offensichtliche Fehler beim Schließen gibt es selten. Außerdem ist der juristische Schluß nicht zwingend ein formallogischer6. Nur in begrenztem Maße läßt sich zeigen, was sicher Un-sinn und was Un-recht ist7. Es handelt sich in den hier bearbeiteten Fällen der sRFE und sURE ja nicht um Vorgänge wie jene, in denen zwischen einem gemeinen Mord und einer „groben Vorschriftswidrigkeit'' zu entscheiden ist und man hin und her schwankt und nicht weiß, wofür man sich entscheiden soll8. Die materiellrechtlichen Fälle spielen sich im Zwischenbereich ab, der plastisch und kritisch ist9. Man stößt auch nicht 2

wie 1. Es gibt sogar innerhalb der Mathematik Grundlagenkämpfe. Hermes hält es für möglich, daß man in Zukunft verschiedene Ansichten auch innerhalb der Mathematik im Prinzip als gleichberechtigt nebeneinander stehen läßt. Vgl. Hermes, Hans, 1, aaO, S. 33. Der Vorgang kann sich in der Strafrechtswissenschaft auch gerade umgekehrt abspielen. Von unterschiedlichen Ansätzen kommt man zum gleichen Ergebnis. Vgl. Lange, Richard, 24, aaO, insgesamt. Es gibt audi Sachlösungen, die vom Systemstreit ganz unabhängig sind. Siehe Nowakowski, Friedrich, 4, Zu Welzeis Lehre von der Fahrlässigkeit, JZ 1958, S. 394. 3

4

Es sollte zu denken geben, daß Jugendliche vielfach sehr abstrakte und wirklichkeitsfremde ethische Systeme vertreten. Sie stellen häufig Regeln auf, die als Schemata den Einzelfall vergewaltigen. Sie binden sich selbst an Prinzipien, manchmal bis zur Selbstauflösung, und wollen, daß die Umgebung im ethischen Rigorismus das Gleiche tut. So die Erfahrung. Vgl. audi Remplein, Heinz, 1, aaO, S. 486. Der entgegengesetzte Stil wäre dann auch eine Frage der menschlichen Reife! 5 Nowakowski, Friedrich, 4, aaO, S. 391. 7 • Vgl. oben § 1, Β. V. Spendel, Günter, 3, aaO, S. 82. 8 Das selbst dann nicht, wenn es sich um Notwehrfälle handelt, in denen jemand ums Leben kommt. Entfällt die objektive Notwehrlage, so besteht in der objektiven Beurteilung auch kein Zweifel mehr. Zur Debatte steht gerade, daß hier „an sich" Notwehr, unter Umständen bis zur Tötung, rechtlich zulässig war! • Siehe hierzu Lange, Richard, 19, aaO, S. 237.

Methodologische und systematische Folgerungen der Untersudiung

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auf Sinnwidersprüche10. Selbst der Rest, der bei der Auslegung nicht aufgelöst werden konnte, würde nodi zeigen, welche Gesichtspunkte nidit hinreichend berücksichtigt werden konnten 11 . Ein durchaus positiver Aspekt, der vor voreiligen Schlüssen und deren Folgen warnt! Die unterschiedlichen Lösungen zeigen auch, daß man aus dem Grenzfall weder ein Prinzip entwickeln noch auf ihm ein System errichten kann 12 . Es gilt vielmehr heute, daß wieder alles „offen" ist13. Wer nach der Literatur greift, wird finden, daß er für jede rein subjektiv-finale Abhandlung zumindest eine nachweisen kann, die nicht etwa mehr nur nach dem Beltngsdien System einen reinen Objektivismus dagegenstellt, sondern im objektiven Zweck, der mit Hilfe des subjektiven ermittelt wurde, eine moderne und ebenfalls überzeugende Alternative anbietet. Je stärker der juristische Gesichtskreis erweitert wird, desto mehr wird seine Begrenztheit deutlich. Nichts ist in den materiellrechtlichen Fragen dieser Abhandlung so abschließend in Literatur und Rechtsprechung und dahin geklärt, daß die Gegenmeinung sicher falsch ist14. Jeder mögliche Unrechts- und Schuldbegriff kann sinnvoll sein. Jedes dieser Systeme kann geeignet sein, den Gesamtunwert vollständig zu erfassen15. Es kommt hier nur auf geeignet und weniger geeignet an 16 . Im Gegensatz zur Physik stehen der Jurisprudenz für ihre Erkenntnisse keine durchgängigen Regeln zur Verfügung 17 . Die Dinge, mit denen ich selbst es zu tun haben werde, lassen keine mathematische Beweisführung zu 18 . Noch gibt es bei der Anwendung bewertender Normen „Narrensicherheit" 19 . Jeder Versuch in dieser Richtung führt nur zu unangemessenen Ergebnissen20, was weit schlimmer ist. In der Jurisprudenz werden viele Fragen trotz aller Verfeinerungen und Vervollkommnung nie zu einer „eindeutigen Antwort" führen 21 . Gerade bei den Rechtfertigungsgründen können die Vorgänge 10

Vgl. oben § 1, D. V. Sogar ein Spannungsverhältnis mit einem Rest von Widerspruch in der Auslegung wäre tragbar. Vgl. unter § 1, C. II. 11 12 Vgl. unter § 1, Β. XIV. Vgl. oben § 3, Β. II. 13 Entsprechend die Erklärung Drehers, Eduard, 1, (Strafrecht seit 1763, in: Der Aquädukt, C. H. Beek 1763—1963, S. 285) zur Situation um 1900 in der klassischen Physik. 14 Obermayer, Klaus, 1, (aaO, S. 1892) bemerkt sehr richtig, daß „wir dem Geheimnis ausgeliefert" sind. 15 Nowakowski, Friedrich, 4, aaO, S. 391. 16 wie 1 5 . 17 18 Obermayer, Klaus, 1, aaO, S. 1892. Dixon, Macneile, 1, aaO, S. 10. »· Vgl. Leferenz, Heinz, 1, Die Sexualdelikte des Ε 62, ZStW Bd. 77, S. 382. „Narrensicherheit" benötigte man früher für Geräte, die zum feldmäßigen Einsatz bei der Truppe bestimmt waren. In solchen Fällen hat die Forderung ihre Gültigkeit. » wie » . 81 Obermayer, Klaus, 1, aaO, S. 1892. Ein gutes Beispiel bietet die Lehre vom Umkehrsdiluß, die überhaupt nicht absolut auflösbar ist. Vgl. hierzu besonders Spendet, Günter, 4, Der sogenannte Umkehrsdiluß aus § 59 StGB nach der subjektiven Versuchstheorie, ZStW Bd. 69, 1957, S. 441 ff.; insgesamt; derselbe 6, Kritik der subjektiven Versudistheorie, NJW1965, S. 1881 ff. insgesamt; Sax, Walter, 5, aaO, insgesamt, alle mit zahlreichen Nachweisen.

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ambivalent sein, was nicht etwa wertfrei bedeutet. Sie können positiv zum Leben wie negativ zur Zerstörung führen 22 . Bei der Einordnung des Vorsatzes in das System zweifelt Engisch sogar, ob sich jemand trauen möchte, hier ein eindeutiges richtig oder falsdi auszusprechen23. Es gibt, um nur ein Beispiel zu nennen, BGH-Entscheidungen, die zahllose Zweifelsfragen und Kontroversen berühren. Fast zu jeder läßt sich eine Gegenthese finden 24 25 . Sich unterscheidende Lösungsmöglichkeiten können alle richtig sein26. Der Maßstab für die Unterscheidung zwischen Scheinbegründung und echter Begründung ist nach Engisch die „subjektive Ehrlichkeit" 27 . Sollte das stimmen, wer wollte dann noch zwingende und sichere Lösungen anbieten? 28 Liest man die von Schnur gesammelten Aufsätze über die Gesdiichte der Erklärung der Menschenrechte, so weiß man am Ende mehr über die Gesamtzusammenhänge, die zu diesen Erklärungen führten, als vorher 29 . Was genau sich zugetragen hat, wird jedodi mit jedem Beitrag ungewisser. Es läßt sich selbst bei Kenntnis der Entwicklung der Lehre von den sRFE und sURE ab 1885 nicht sagen, wohin die Entwicklung, von heute aus betrachtet, in der Zukunft gehen wird. An den subjektiven Elementen wird es sicher nicht liegen, daß wir hier keine Prognose aufstellen können 30 . Es läßt sich nur feststellen, daß die Gewichte für und wider nach dem gegenwärtigen Stand der Kontroverse wohl gut ausgeglichen sind. Eine weitere Prognose ist unmöglich, da ein Schluß auf die Kontinuität der entgegenstehenden Ansichten und eine Vorausschau auf die Strahlkräfte der einzelnen „Schulen" einfach unmöglich ist. Es ist nicht ausgeschlossen, daß die Juristen eines Tages an derartigen Streitigkeiten die Lust verlieren oder es für tunlich halten, ihre Kräfte anderenorts einzusetzen. Ist es das Ziel der Juristen, ein „angemessenes Ergebnis" zu gewinnen 31 , ist man sich darüber einig, daß Freiheit in der Wahl der Entscheidung nicht 22

Vgl. Dombois, Hans, 1, Mensch und Strafe, 1957, S. 17. Engisch, Karl, 20, aaO, S. 427. 24 Vgl. BGHSt 6, 147; so Engisch, Karl, 26, aaO, S. 9. 25 Für die komplizierte Lehre vom „finis operis" beim ehelichen Akt bietet Hörmann, Karl, 1, (aaO, insgesamt) sogar drei verschiedene Lösungen an, die alle aus den Textstellen bei Thomas von Aquin zu belegen sind. 26 Siehe oben § 1, D. IV, und § 1, Β. IV. 27 Engtsd), Karl, 26, aaO, S. 12. 28 Lange, Ridiard, 24, aaO, S. 298, vor III. 2 ' Schnur, Roman, Herausgeber, 1, Zur Geschichte der Erklärung der Menschenredite, 1964, insgesamt. so Soweit überhaupt subjektive Prognosen bei der großen Zahl von Veröffentlichungen gewagt werden dürfen, so sdieint dem Verfasser doch die Eindrucks- und Überzeugungskraft der sogenannten finalen Handlungslehre stark zurückgegangen zu sein. Diese Feststellung hat damit nichts zu tun, daß wir das Welzelsdie System zum Fortschritt in der Wissenschaft unbedingt benötigten, daß wir die Sachleistung in Welzels systematischer Darstellung des deutschen Strafredits gar nicht hoch genug einschätzen können. 11 Fiedler, Herbert, 6, Juristisdie Logik in mathematischer Sicht, ARSPh. Bd. 52, 1966, S. 96. 23

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gleich Willkür ist32, so wird man wohl darauf bestehen müssen, daß der Bundesgerichtshof seine Rechtsprechung zum übergesetzlichen Notstand überprüft. Nicht deshalb, weil hier ein subjektives Element als Regulativ eingebaut wurde, sondern weil er doch wohl aus unterschwelligen rechtspolitischen Gründen aus fahrlässigen Handlungen vorsätzliche Abtreibungen gemacht hat, weil sie sonst nicht strafbar waren33. Im übrigen werden voraussichtlich Änderungen erst eintreten, wenn Systeme und Denkrichtungen freiwillig abgebaut werden, die mit den sURE unmittelbar nichts zu tun haben, sich aber mit ihnen verbanden. Der Schwerpunkt der Probleme liegt hier nicht im materiellen Recht, vielmehr in der Methodenlehre, im System und der Denkrichtung, wovon im folgenden Abschnitt noch einmal zu reden sein wird. XIII. Zur dialektischen Methode und zur „ars iuris" als Teilergebnis Gerade über diese Punkte hat der Verfasser sich in § 1 der Abhandlung hinreichend ausgelassen34. Hier sind über Systemdenken, Problemdenken und Topik nur noch wenige Worte zu verlieren. Bei aller Neigung zur Rationalität, zur Klarheit und Durchsichtigkeit, zur Vorhersehbarkeit und Exaktheit im Recht, die wir mit Obermeyer teilen35, muß man wissen, daß wir desto sicherer in die Irre gehen, je präziser wir verfahren wollen36. Wer alle Widersprüche37 gegeneinander ausgleichen will, erhält zum Lohn ein getrübteres Bild als der, der sie stehen läßt 38 . Wer häufig Kolloquien über juristische Grenzfragen (mit Einschlägen aus anderen wissenschaftlichen Disziplinen) besucht, weiß, daß man oft „aufsteckt" und nicht mehr sucht nach Lösungen, die allen Gesichtspunkten gerecht werden. Wer in der Rechtswissenschaft nur „feste Maßstäbe" an die Hand gibt39, wird sehen, daß nodi weniger vernünftig lösbar ist, als wenn man das Problemdenken mit heranzieht. Wer mit seinem System mehr verspricht, als er halten kann, gibt Vgl. oben § 1, D. IV. » Vgl. unter § 1, B. III. Ist die Lehre von den sRFE und den sURE materiell-rechtlidi nicht mehr vollständig darstellbar, so wird nicht überraschen, daß alle methodologischen Ergebnisse dieser Abhandlung auch nicht in einem vollständigen Katalog von Thesen vorgetragen werden können. Ein großer Teil der erarbeiteten Einsichten ist im Text zerstreut, bis in die Fußnoten und Anmerkungen. ss Vgl. Obermayer, Klaus, I, aaO, S. 1892. " Vgl. den bei Friedeil, Egon, 1, (Kulturgeschichte Griechenlands, 1966, S. 48) verzeichneten Ausspruch Jacob Bttrckhardts (ohne Belegstelle). — Ratzinger hat nachgewiesen, daß Konzilsdekrete um so mehr an Wirklichkeitskraft verlieren, je mehr sie an innerer Perfektion und Klarheit gewinnen. Siehe Küng, Hans, 3, Die letzte Sitzungsperiode des Konzils, 1966, S. 25. 37 Gemeint sind nicht die Sinnwidersprüche! 58 wie s», aaO, S. 84. 38 Siehe Diederidisen, Uwe, 1, aaO, S. 703. Sicher hat die Dogmatik die sinnvolle Aufgabe, Abgründe der Gerechtigkeit zu verdecken, (Viehweg, Theodor, 5, Zur geplanten Reform des Reditsstudiums in Deutschland, in: Festgabe für Eric Voegelin, 1962, S. 561). Da man sowieso nie weiß, wie lange die Abdichtungen halten (ders. 5, aaO, S. 562), darf man keineswegs in der Wissenschaft leugnen, daß es Abgründe gibt. Darum geht es hier. 84

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untaugliche Maßstäbe. Wer ein lückenloses, ganz überschaubares Rechtssystem anbietet, verspricht ein „perpetuum mobile". W a s wir erreichen, sind Annäherungswerte und Ähnlichkeiten 40 . J e allgemeiner die Interpretationsregeln in der Rechtswissenschaft werden 4 1 , um so weniger werden sie hergeben 42 . Bollnow hat vor allen großen konstruktiven System in der eigenen Arbeit gewarnt. Tief verdächtig erscheinen ihm alle glatt aufgehenden Zusammenhänge, wie systematische Anordnungen nach architektonischen Prinzipien 43 . D a ß das Problemdenken im Sinne von Viehweg auch in dem am „strengsten geschlossenen" Gebiet des Strafrechts gegenüber dem Systemdenken immer mehr Raum gewinnt, hat Lange unlängst erst herausgestellt 44 . Viehweg hat jedenfalls nicht nur alte und zugleich neue Aspekte in den Methodenstreit gebracht 45 . E r zwang damit zu einem erneuten Durchdenken der Probleme 4 6 . Das ist bereits sehr viel 4 7 . Unversöhnlich stehen Fiedler, Herbert, 6, aaO, S. 94-95. Vgl. Obermayer, Klaus, 1, aaO, S. 1888. Von einem gewissen Grade der Generalisierung an verlieren sogar die Begriffe ihren Wert. Vgl. Lang-Hinrichsen, Dietrich, 5, aaO, S. 88. Wichtig werden die Begriffe, wenn sie komplex sind. Siehe Lange, Richard, 1, aaO, S. 94-95. 4 2 Es besteht sowieso die Neigung, die Geltung von Lebensregeln auf andere, ja auf die ganze Welt auszudehnen. Vgl. Spranger, Eduard, 2, Psychologie des Jugendalters, 26. A. 1960, S. 160. Wichtig sind audi Schäfers Ausführungen, nadi denen allgemeine Darstellungen zu Spekulationen verleiten. Nur das Spezielle pflegt das Gesicherte zu sein. (Schäfer, Hans, 1, Allgemeine Psychologie der menschlichen Haut, Stud. Gen. 19. Jg. 1964, S. 500). Wie die psychisch wirksamen Heilmittel „exakt" wirken, wissen wir vielfach audi heute noch nicht. Die Mehrzahl der Krankheiten ist einer exakten Therapie bis heute entzogen, (ders. 2, Bemerkungen zur Wirkung von Heilmitteln, FAZ vom 2. 9.1963). Die Medizin ist nach wie vor eine „ars". — Es gibt kein System der Philosophie, das den Anspruch erheben könnte, die wesentlichen Wirklichkeiten der Welt adäquat widerzuspiegeln. Vgl. Pieper, Josef, 4, Erkenntnis und Freiheit, 1964, S. 120. 40

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So dem Sinne nach Bollnow, Otto Friedrich, 1, aaO, S. 15. Lange, Richard, 17, Noch einmal: Konstanz und die Rechtswissenschaft, J Z 1966, S. 346. Vgl. als Beispiel für das offene System und das Problemdenken: Roxin, Claus, 2, aaO, S. 206; Berges, August, 2, Rezension zu Viehwegs Topik und Jurisprudenz, zur 3. A. 1965, N J W 1966, 1909; Wieacker, Franz, 8, Naturrecht und materiale Gerechtigkeit, J Z 1964, S. 639; Bachof, Otto, 1, Die Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichtes, J Z 1966, S. 310, redite Spalte. 46 Obermayer, Klaus, 1, aaO, S. 1888. 4 9 Selbst wenn man nur die Entwicklung beobachten wollte, so müßte man doch sagen, daß allein schon der erste Anstoß und erste Versuche von großer Bedeutung sein können. Siehe zu den Bemühungen das Strafrecht zu systematisieren: Oehler, Dietrich, 1, insgesamt, besonders dort die Hinweise auf die Versuche des Tiberius Decianus (1581 ΐ ) in den „Criminalia", 1591 in Frankfurt erschienen, der versuchte, das Strafredit in eine bessere Ordnung zu bringen. 47 Wir werden uns meistens nicht bewußt, wie wenig wir über Probleme wissen, mit denen wir täglich umgehen müssen. Siehe ζ. B. zur exosomatischen und geistigen Evolution, die mit von der Weitergabe der Kulturerrungensdiaften durch 48 44

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nur die Extreme nebeneinander. Man hat bei der Auseinandersetzung über die Topik manchmal den Eindruck, als ob es als störend empfunden wird, daß man bereits vor Jahrhunderten gute Gedanken gehabt hat, die in ihren Ansätzen audi heute noch unentbehrlich sind. So meint Engisch, die Topik sei antiquiert 48 . Sicher hat er recht, wenn er sie das „vorletzte Wort" nennt 49 . Der Verfasser hat bereits 1961 veröffentlicht, daß die immer noch vorhandene Topik aus dem Strafrecht nicht verschwinden dürfe. Systemdenken und Problemdenken müßten nebeneinander stehen 50 . Bei aller Systemfreudigkeit sei das typische Denken im Strafrecht unentbehrlich 51 . Man muß das Problemdenken mit dem Drang nach Systematisierung verbinden. Auch Diederichsen erklärt bei aller Reserve, das Systemdenken könne bisweilen, von der Topik ergänzt 52 , keineswegs aber ersetzt werden 53 . Diederichsen spricht von „Ergänzungsnotwendigkeit" von Systemdenken und Problemdenken 54 55 . Geht man davon aus, daß viele im Recht sein können, im Unrecht nur alle sind, wenn sie ihre extreme Richtung für allein richtig halten, so liegt der Ansatz zur Lösung in der hier erwähnten Methodenverbindung 56 . D a ß die Rechtsordnung abhängt und zur Akzeleration die eingehenden Ausführungen bei Portmann, Adolf, 1, aaO; van den Berg, Jan Hendrik, 1, aaO; Muchow, Hans Heinrich, 1, Sexualreife und Sozialstruktur der Jugend, 1959, alle insgesamt. Siehe audi die Literatur zum „Menschenbild" bei Kaiser, Günther, 1, Zur kriminalpolitischen Konzeption der Strafrechtsreform, ZStW Bd. 78, 1966, S. 112 ff. 48 Engisch, Karl, 25, Literaturbericht in der ZStW 69. Bd., 1957, S. 600. 50 " wie 48, S. 601. Waider, Heribert, 4, aaO, S. 68. si w i e so, S. 69. Wenn wir Viehweg richtig verstehen, will er keineswegs die alte Topik des Aristoteles und die des Cicero in ihrem alten Gehalt übernehmen. In den §§ 7 und 8 der „Topik und Jurisprudenz* läuft immer topisches Denken neben dem Drang nach Systematisierung. " Diederichsen, Uwe, 1, aaO, S. 704, a. E. M 54 wie 52, S. 705, oben. wie 5S. 55 Audi in der Abhandlung des Verfassers über Hugo Donellus (1591 t)> ' n der diese Frage behandelt wurde, wurde nicht verlangt, das juristische Denken auf den Stand des Hugo Donellus zurückzuschrauben! Historische Erörterungen, wie Viehweg sie in seiner „Topik und Jurisprudenz* audi bringt, haben einen ganz anderen Sinn. 56 Man kann sidi für Belings geschlossene Strafrechtsdogmatik begeistern und doch hinnehmen, daß heute das Strafrecht viel zu differenziert und vielschichtig geworden ist, als daß es beim Belingsdien System bleiben könnte. Vgl. Plate, Hartwig, 1, Ernst Beling als Strafrechtsdogmatiker, JZ 1966, S. 395. Die Mischung zwischen deduktiver und induktiver Methode ist nicht neu. Vgl. Kaufmann, Arthur, 11, aaO, S. 26 mit weiteren Nachweisen. Zur Methodenkombination und Methodenstaffelung siehe oben § 1, Α. IV. Zum parallelen Ablauf zwischen System- und Problemdenken vgl. oben unter § 1, Β. VI. Zum Kreislauf und Stoffwechsel zwischen diesen Strömungen siehe oben § 1, Β. VIII. Sogar Kasuistik und Richtlinien sind aufeinander angewiesen. Vgl. von Hippel, Fritz, 1, Richtlinien und Kasuistik im Aufbau von Rechtsordnungen, 1942, S. 29. Es sei auch noch auf den Versuch von Leibniz hingewiesen, der den Titel trägt „de arte combinatoria* (1666).

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die Topik allein den Gehalt der Jurisprudenz voll ausschöpfen kann 57 , hat nicht einmal Viehweg behauptet. Es ist auch bei dieser Auseinandersetzung tröstlich zu wissen, daß in allen wichtigen Dingen jeder seinen Weg zum Gegenüber mit dem Rüdcen zum Ziel beginnt 58 . Als Ausweg bietet sich die sogenannte „dialektische Methode" an. Ohne auf eins der vielen wissensdiaftsgeschichtlichen Systeme oder Methoden sich festlegen zu wollen, soll hier von ihr gesprochen werden 59 . Sie dient dem Durchsetzen des Primates der Sachlichkeit und Pragmatik gegenüber allem Formalen in der Jurisprudenz 60 . Engisch meint, daß sie den dogmatisch nicht verhärteten Juristen deshalb besonders naheliege, da sie vom einseitigen Standpunkt eines einzelnen zu einer „richtigeren" Lösung im Dialog führt 61 . Der Fortschritt alles wissenschaftlichen Denkens, zumindest des geisteswissenschaftlichen, verläuft nach Bockelmann „dialektisch" 62 . Die „ars dialectica" war für Cicero jedoch nichts anderes als die „Topik" 63 , nach der der wohl größte „Ordner des Römischen Rechtes", Hugo Donellus (•f 1591), das ganze damalige Recht durchsystematisierte64. Daß man unsere Bemühungen nicht auf den Stand des 16. Jahrhunderts „zurückdrehen" kann, ist selbstverständlich. Die richtigen Ansätze, auch für die heutige Zeit, sind bei Donellus alle schon vorhanden. Einzelheiten sind hier nicht von Interesse65. Als Teilergebnis kann festgehalten werden, daß die sRFE und die sURE mit dazu beigetragen haben zu zeigen, wie man heute methodologisch vorzugehen hat. Der Schwerpunkt hat sidi vom materiellen Recht zur Methode verschoben66, die mit der „ars uiris" einen höheren Grad der Reflexion erreicht hat. 57

Diederichsen meint es wohl. Vgl. S. 705. Freund, Michael, 1, Die Minister entlasse ich, FAZ vom 23.9.1964, S. 1. *· Wir wollen nur einige Namen nennen, die sich mit einer so bezeichneten Denkform befaßten, ohne daß eine Vertiefung hier nötig oder förderlich wäre: Piaton, Aristoteles, Thomas von Aquin, Hegel, Kierkegaard, Marx, Karl Barth, Brunner, Bultmann. Die jeweils vertretenen Ansichten decken sidi nidit und sind vielschichtig. Allein sdion das Anführen der Namen zeigt, daß hier keine weiteren Literaturaufzählungen sinnvoll sind. «"> Fiedler, Herbert, 6, aaO, S. 115. 61 Engisch, Karl, 26, aaO, S. 20. Das Durdispredien von Problemen im lautlosen Gespräch mit sich selbst kann auch wie ein Dialog wirken. Das hängt nur von der Fähigkeit ab, sidi vor vorgefaßten Meinungen abzusichern und unter Berücksichtigung der Ansichten anderer die eigenen Überlegungen und ihre Ergebnisse immer wieder in Frage zu stellen. Ein derartiges Nachdenken als Dialog besonderer Art führt sich zu einer Vertiefung der Einsicht. Vgl. oben Einleitung, I. 62 Bockelmann, Paul, 11, Rezension zu Welzel, Hans, Das deutsche Strafrecht, 9. Α., NJW 1965, S. 1906. 63 Vgl. Viehweg, Theodor, 1, aaO, S. 37; Waider, Heribert, 4, aaO, S. 52 ff.; besonders S. 57. M Eingehend dazu Waider, Heribert, 4, insgesamt. 65 Siehe eingehend Waider, Heribert, 4, aaO, insgesamt. M Zur ars iuris siehe Fechner, Erich, 3, aaO, S. 132, Anm. 10. 58

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XIV. Abschließende Übersicht über die Schwerpunkte der Argumentation und der Lösung Fragt man sich, welche Bedeutung die Lehre von den sRFE (und sURE in gewissem Sinne) gehabt hat, so muß man sagen, daß gerade das, was viele feststellen wollten, nämlich ihre Existenz, heute umstrittener ist als je. Die Lehre hat sicher nie die Bedeutung gehabt, die man ihr zunächst zuschrieb. Sieht man von den subjektiven Finalisten ab, so hat die Lehre sich nicht durchsetzen können. Setzt man bei der Überprüfung bei den Voraussetzungen an, so findet man, daß die Unterschiede bereits in Arbeitshypothesen, Thesen und Vorentscheidungen stecken, die in der Kette der Argumentation weiter zurückliegen. Unterschiede findet man eigentlich in den Ansätzen, nicht im konkreten Streit um ein subjektives Element. Das, was früher angeblich zwingend zur „Systemänderung" führte, läßt die Vertreter heute im Stich, oder es erscheint jetzt nach Festigung einer anderen Ansicht als unbedeutend oder überflüssig. Es gibt heute praktisch keine durchgreifende allgemeine Lehre zu den sURE im weiteren Sinne, allenfalls findet man Teilstücke und kleinere Strukturen, die sich nicht mehr denknotwendig zu einer geschlossenen Ordnung verbinden lassen. Die Bedeutung der Lehre von den sRFE liegt wohl in einem anderen Bereich. D a Methodologie und Systematik als „Infrastruktur" der Dogmatik anzusprechen sind, müssen Auseinandersetzungen in diesem Bereich immer als sehr bedeutsam angesehen werden. Man wird den Streit sicher nicht als „quereile allemande" 67 ansprechen dürfen. Auch bei anderen wissenschaftlichen Disziplinen kann man feststellen, daß viele beim Auftreten neuer Einsichten zunächst ganz unfähig sind, sachadäquat zu reagieren 68 . Das besonders deshalb, weil Position wie Gegenposition häufig zunächst in die Extreme gehen. Dieser Vorgang ist bei den sURE im weiteren Sinne bis heute noch nicht ganz abgeschlossen. Der große Wert des heftigen Streites war und ist ein heuristischer. Alte „Vor-Urteile" mußten überpüft werden, eine starke neue Entwicklung wurde angestoßen. Alles zusammengenommen hat der Streit zu Einsichten geführt, die die Entwicklung und Entfaltung der Dogmatik weitergetragen haben (ζ. B. Tatbestandslehre, Unterscheidung zwischen objektiver und subjektiver Finalität). Dies besonders deshalb, weil bei diesem Problem sich Grundsatzfragen in Fülle überschnitten haben. Gerade derartige Bereiche sind f ü r die Forschung ganz besonders „fruchtbar'' 6 9 . 67 Vgl. für ähnliche Vorgänge Wolter, L., 1, Die Krise der Rechtswidrigkeitslehre, ZStW Bd. 48, 1928, S. 45. 88 Die Gesdiidite der katholischen Dogmatik wie der Moraltheologie verfügt über ein reidies Arsenal solcher „Extremlösungsmöglichkeiten", die erst mit viel Mühsal und Geduld ausgeglichen werden konnten. Bei der langen Geschichte verzichten wir auf Einzelnachweise. " Siehe hierzu Plessner, Helmuth, 1, Lachen und Weinen, 3. A. 1961, insgesamt als Beispiel, und oben unter § 1, Β. XII. Audi Dahm, Georg, 3, (Verbrechen und Tatbestand, in: Grundsatzfragen der neuen Rechtswissenschaft, 1935,

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Die materielle Sinngrenze der sRFE wird erst dann sichtbar werden, wenn eine neue positive Einsicht zusätzlich eingetreten ist 70 , sich aber auch noch zusätzlich durchgesetzt hat 71 . Ein letzter Gedanke bleibt noch zu klären. Bei den weitgehend negativen Ausschlüssen72 kann es nicht ausbleiben, daß die Gesamteinstellung zu einigen Zeitströmungen gerade nicht so negativ bleiben kann, wie man sie vielfach heute noch vertritt. Das gilt vorab zur Einschätzung des sogenannten Positivismus und Voluntarismus 73 . Das ist deshalb besonders widitig, weil der Freiheitsraum innerhalb der methodologischen und systematischen Überlegungen durdi eine zu starke Negierung dieser beiden geistigen Strömungen bedenklich eingeengt worden ist. Bockelmann hat unlängst vermerkt, daß ein Zweifel an der Erkennbarkeit des Naturrechts nicht zu Zweifeln an seiner Existenz führen müsse74. Das enthält inzidenter zumindest, daß Bockelmann eine Existenz des N a turrechts nicht ausschließt75. Wichtig ist, daß fünf Seiten weiter bei Bockelmann die Stichworte „voluntaristische Regelung" und „positivistisch zu lösende Aufgabe" fallen 76 . Damit ist kurz hintereinander behandelt worden, was sich hier gebieterisch aufdrängt. Je weniger sidier über materiellrechtliche Fragen gleich welcher Normen zwingende Lösungen und Systeme geboten werden, um so stärker wird der Jurist es auf eine Willensentscheidung abstellen müssen77. Wenn nidit alle Gesichtspunkte bei einer Lösung gleich S. 36) hat von der „Fruchtbarkeit" in diesem Zusammenhang gesprochen. Dort war es allerdings anders gemeint. 70 Vgl. mutatis mutandis Küng, Hans, 1, S. 189. 71 Daß andere Lösungen nidit denkunmöglich sind, haben wir in den §§ 2—3 oben eingehend in den Einzelfällen nachgewiesen. Es wird aber sicher ein unauflösbarer Rest verbleiben. Vgl. Grillparzer, Franz, 1, Ein Bruderzwist in Habsburg, 1959, Reklam, S. 81: „Den Satzungen der Menschen ist ein Maß des Törichten notwendig beigemischt"! 72 Es bleibt, daß man schon sehr viel weiß, wenn man weiß, was sicher nicht geht. 73 Das Schrifttum hierzu ist in jeder Hinsicht nidit zu übersehen. Wir verzichten darauf, zu derartig allgemeinen Fragen hinreichende Nachweise in der Literatur zu bringen, da der Schwerpunkt dieser Abhandlung an anderen Stellen liegt. Wie wenig die Literatur zu übersehen ist, zeigt die Aufstellung zum Naturrechtssdirifttum für die Jahre 1945-1960 bei Maihofer, Werner, 2, (aaO, S. 580-622), der eine Bibliographie von 43 Seiten mit Titeln für diese fünfzehn Jahre bringt! 74 Bodtelmann, Paul, 4, Umwandlung der Verkehrsübertretungen in Ordnungswidrigkeiten?, Sonderdruck aus Kraftfahr- und Verkehrsrecht, Juli 1966, S. 3. 75 Einzelheiten und Grade der Zuneigung zum Naturrecht, was ja ein ganzes Problembündel aus Gegenwart und Geschichte bedeuten würde, sind hier irrelevant. 78 wie 74, S. 8. 77 Zur „Synthese" zwischen Naturredit und Positivismus siehe oben § 1, D. VI. Man sollte sich in vielen Fällen mit der Legalität zufrieden geben. Vgl. hierzu Würtenberger, Thomas, 5, Recht und Erziehung in der öffentlichen Jugendhilfe, ZStW 1959, S. 23; ders. 7, Die Legalität — Versuch einer Deutung ihres reditsphilosophisdien Sinngehaltes, in: Festschrift für Rudolf Laun, 1953, S. 623. Daß Verfasser selbst ein „Naturrechtler" und kein „Positivist" im Sinne der alten

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zu berücksichtigen sind, so wird keine andere Möglichkeit verbleiben, als daß man sich entscheidet, welchen Gedanken der Vorrang zu geben ist. D a die Rechtsordnung letztlich Herr im eigenen Hause ist78, Gesetzesanwendung kein ausschließlicher kognitiver Denkakt, sondern auch gewollte Entscheidung ist79, wird der erforderliche Willensakt die hinreichende Stärke besitzen müssen, um so zu einer Lösung zu kommen 80 . Somit ist dem Recht ein „voluntaristischer" Zug eigen. Es dürfte von größtem wissenschaftlichen Interesse sein, daß in der modernen katholischen Theologie die alte Ächtung des Voluntarismus (wie Nominalismus und Positivismus) einem aufgelockerten Verständnis zu weichen scheint. Sollte es nicht mehr gelingen, Sachlösungen aus einem irgendwie intellektuell faßbaren Naturrecht abzuleiten,, so bietet sich auch dort wie von selbst und fast mit zwingender Notwendigkeit zur Begründung des Sittengesetzes der Rekurs auf den göttlichen Willen an 81 . Entsprechendes gilt für den Nominalismus 82 . Ebenso wie es einen extremen Realismus platonischer Färbung gab und gibt, gibt und gab es auch einen extremen Nominalismus 83 84 . Der Abbau von vermeintlichen gottgewollten Naturrechtssätzen, die sich inzwischen als biologische Naturalismen erwiesen haben 85 , wird den Verständigungsprozeß auch auf anderen Gebieten fördern. Der geschilderte Vorgang innerhalb der Theologie verläuft, wenn auch in Phasenverschiebung, analog zu dem geschilderten juristischen. Beweise lassen sich daraus nicht gewinnen, es lassen sich jedoch' Schlüsse ziehen. Schiebt sich in einigen Punkten die Willensentscheidung legitim nach vorn, während gleichzeitig ein ontologisch begründetes Recht wenig zu Sachlösungen verhelfen kann, so wird man einem gemäßigten Positivismus sein Recht nicht ganz versagen können. Damit werden Willensentscheidungen immer noch nicht zur Willkür. Audi in diesem Punkt ist jedoch' nur ein negativer Ausschluß möglich. Auch hier wissen wir bloß in wenigen Punkten, was wohl immer als Willkür empfunden wurde und auch in Zukunft freiwillig nicht hingenommen werden wird 86 . Daß man damit nicht einem extremen Positivismus das Wort redet, versteht sich für den Juristen, der die Unterscheidung ist, ergibt sich bereits aus seinen im Literaturverzeichnis aufgeführten Veröffentlichungen, ζ. T. bereits aus den Titeln. 78 Vgl. Beling, Ernst, 1, Der gegenwärtige Stand der strafrechtlichen Verursachungslehre, GS Bd. 101, S. 2; Esser, Josef, 2, aaO, S. 3; oben unter § 1, Β. VII. 79 Vgl. Heller, Theodor, 1, aaO, S. 103. 80 Zum willkürlichen Zug der Wissenschaften vgl. oben § 1, Β. VII, Der Wille schiebt sich immer dazwischen! Vgl. unter § 1, Β. IV. 81 Zu den Ansätzen siehe Auer, Johann, 2, Voluntarismus, in: LThK 10. Bd. 1965, Sp. 870-872. 81 83 Vgl. Auer, Johann, 1, aaO. insgesamt. wie 82 . 84 Es sollte zu denken geben, daß Piaton kein strenges System entwickelt hat. Alles besaß nur Modellcharakter und war offen. Siehe Caiser, Konrad, 1, Vom literarischen zum mündlichen Wort Piatons, FAZ vom 23.10.1965, insgesamt. 85 Vgl. Waider, Heribert, 7, aaO; ders. 14, aaO, insgesamt.

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Methodologische und systematische Folgerungen der Untersuchung

Rechtsgeschichte seines Landes in diesem Jahrhundert mit allen ihren Folgen kennt, von selbst. Man wird am Ende dieser Untersuchung sagen können, daß es im Recht nicht nur ein „ethisches"87 und nicht nur ein „naturrechtliches" Minimum 88 gibt und geben muß, sondern ebenso notwendig im hier umgrenzten Rahmen auch ein „positivistisches und voluntaristisches Minimum" zu garantieren und zu ermöglichen ist. Somit enthält die Abhandlung nicht nur eine „iurisprudentia negativa", wenn es auch in weiten Teilen notwendig war, methodologisch so negativ ausschließend vorzugehen und zu zeigen, was keineswegs gelten darf. Die grundsätzlichen methodologischen Einsichten, die in der gesamten Abhandlung an Hand der subjektiven Rechtsfertigungselemente erarbeitet worden sind, indem man die materiellreditlichen Probleme der sRFE und sURE „durchspielte", müssen dem Rang ihrer Bedeutung nach als die gewichtigeren eingeschätzt werden. Sie sind durchaus positiv. Aus diesen methodologischen Einsichten ergibt sich, daß die subjektiven Elemente in den Rechtfertigungsgründen heute in der Wissenschaft nicht als stringent erwiesen anzusehen sind. Es gibt daneben sicher geistige Antipoden zu dieser Ansicht. Wie wir sahen, sind jedoch subjektive Einschläge selbst bei größten Anstrengungen weder in den Denkmethoden noch in deren Ergebnissen ganz auszuschließen. Somit beginnt die Auseinandersetzung mit subjektiven Elementen bereits eine Stufe früher, als man lange annahm, nämlich bereits beim Denken über das Denken. Auseinandersetzungen sind grundsätzlich nicht zu beseitigen. Da das Denken so personengebunden ist, ist die materiellrechtliche Frage, ob subjektive Rechtfertigungselemente zwingend zu erweisen oder zu widerlegen sind, nicht absolut beantwortbar.

86 Eine sehr gute, weil stark einschränkende Darstellung, die Fehler der Vergangenheit zugibt und gerade diesen Aspekt berührt, findet man bei Messner, Johannes, 1, aaO, insgesamt. 87 Vgl. Jellinek, Georg, 1, aaO, S. 45. 88 Vgl. Tesar, Ottokar, 1, Die naturrechtlichen Grundlagen der „Crimes against Humanity", in: Festschrift für Rudolf Laun, 1953, S. 434.

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