Die außenpolitische Staatsräson der Bundesrepublik Deutschland: Theoretische Grundlagen und politikwissenschaftlicher Diskurs [1 ed.] 9783428537853, 9783428137855

Den Staat begleitet seit jeher seine Räson, auch in der Außenpolitik. Daher ist es sinnvoll, den Begriff der Staatsräson

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German Pages 292 Year 2012

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Die außenpolitische Staatsräson der Bundesrepublik Deutschland: Theoretische Grundlagen und politikwissenschaftlicher Diskurs [1 ed.]
 9783428537853, 9783428137855

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Beiträge zur Politischen Wissenschaft Band 171

Die außenpolitische Staatsräson der Bundesrepublik Deutschland Theoretische Grundlagen und politikwissenschaftlicher Diskurs

Von Hans-Christian Crueger

Duncker & Humblot · Berlin

HANS-CHRISTIAN CRUEGER

Die außenpolitische Staatsräson der Bundesrepublik Deutschland

Beiträge zur Politischen Wissenschaft Band 171

Die außenpolitische Staatsräson der Bundesrepublik Deutschland Theoretische Grundlagen und politikwissenschaftlicher Diskurs

Von Hans-Christian Crueger

Duncker & Humblot · Berlin

Die Philosophische Fakultät der Rheinischen Friedrich-Wilhelms-Universität Bonn hat diese Arbeit im Jahre 2011 als Dissertation angenommen.

Bibliografische Information der Deutschen Nationalbibliothek Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über http://dnb.d-nb.de abrufbar.

Alle Rechte vorbehalten

© 2012 Duncker & Humblot GmbH, Berlin

Fremddatenübernahme: L101 Mediengestaltung, Berlin Druck: Berliner Buchdruckerei Union GmbH, Berlin Printed in Germany ISSN 0582-0421 ISBN 978-3-428-13785-5 (Print) ISBN 978-3-428-53785-3 (E-Book) ISBN 978-3-428-83785-4 (Print & E-Book) Gedruckt auf alterungsbeständigem (säurefreiem) Papier entsprechend ISO 9706

Internet: http://www.duncker-humblot.de

Vorwort Dieses Buch ist eine leicht überarbeitete Fassung meiner Dissertation, die im Sommersemester 2011 von der Philosophischen Fakultät der Rheinischen Friedrich-Wilhelms-Universität Bonn angenommen wurde. Dazu beigetragen haben viele. Für eine angenehm partielle Beachtung von „Einsamkeit und Freiheit“ danke ich herzlich Prof. Dr. Christian Hacke, von dem ich sehr viel gelernt habe. Auch auf die Unterstützung von Prof. Dr. Wolfram Hilz war stets Verlass, dafür vielen Dank. Prof. Dr. Volker Kronenberg danke ich für die Leitung der Prüfungskommission, Prof. Dr. Werner Gep­ hart für sein freundliches Mitwirken. Universitas magistrorum et scholarium, aber auch der Lernenden selbst: Freundschaften zählen zu den belastbarsten Studienergebnissen. Es sind Dr. Johannes Tröger, Dr. Thomas Vollmer und Dr. Thomas Wolf gewesen, mit denen ich studiert habe. Dafür schulde ich ihnen ebenso viel Dank wie für die Durchsicht des Manuskripts und ihre hilfreichen Anmerkungen. Zusätzlich zu wichtigen Hinweisen zum Manuskript verdanke ich Dr. Lazaros Miliopoulos das Interesse an Politik- als Geisteswissenschaft. Aus meinem ehemaligen Lehrstuhlkollegen, Dr. Patrick Keller, ist ein Freund geworden, dem ich für vieles zu Dank verpflichtet bin. Seine klugen Kommentare zum Manuskript gehören dazu. Bleibt noch das mir Wichtigste. Meinen lieben Eltern, denen ich alles verdanke, ist das Buch gewidmet. Berlin, im Januar 2012

Hans-Christian Crueger

Inhaltsverzeichnis A. Einführung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 9 I. Relevanz der Thematik und Ziel der Arbeit. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 10 II. Methodik und Begriffsklärungen. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 13 1. Staatsräson . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 14 2. Partikularismus und Universalismus. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 20 3. Praktische Wissenschaft. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 23 III. Aufbau der Arbeit. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 25 IV. Forschungsstand . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 35 B. Staatsräson – Theoretische Grundlagen. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 41 I. Staatsräson und Staatsetablierung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 43 1. Die Begründung von Außenpolitik bei Machiavelli und Hobbes. . . 43 2. Staatsräson als Kriegsgebot. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 48 3. Staatsräson als außenpolitische Aporie. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 55 II. Staatsräson und Staatslimitierung. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 60 1. Der Wandel von der Staatsklugheit zur Staatsweisheit bei Kant . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 61 2. Staatsräson als Friedensgebot . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 65 III. Exkurs: Staatslegitimation und außenpolitische Theoriebildung. . . . . . . 71 IV. Staatsräson und moderne Politikwissenschaft. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 80 1. Staatsräson in der Lehre der Internationalen Politik . . . . . . . . . . . . . 82 2. Staatsräson und liberaler Staat. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 94 V. Staatsräson im Zeitalter der Globalisierung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 108 1. Staatsräson und Staatswandel . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 110 2. Räson zwischen Staat, Staatenwelt und Weltstaat . . . . . . . . . . . . . . . 117 VI. Resümee . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 130 1. Zusammenfassung. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 130 2. Ausblick . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 137 C. Die außenpolitische Staatsräson der Bundesrepublik Deutschland – Politikwissenschaftlicher Diskurs. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 145 I. Erste Übertragung: Allgemeines. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 145 1. Außenpolitische Staatsräson vor der Berliner Republik. . . . . . . . . . . 145 2. Globalisierung und Staatensystem. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 158 3. Grundgesetz . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 167 4. Geschichte und Normalität. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 177 5. Atlantizismus und Europäismus. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 185

8 Inhaltsverzeichnis II. Zweite Übertragung: Besonderes. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 194 1. Strategische Konzepte . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 195 2. EU-Politik. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 202 3. VN-Politik. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 210 4. NATO-Politik. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 217 5. Interventionspolitik. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 224 III. Resümee . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 231 1. Zusammenfassung. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 232 2. Ausblick . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 238 D. Schlussbetrachtung: Die außenpolitische Staatsräson der Bundesrepublik Deutschland – eine Synthese. . . . . . . . . . . . . . . . . . . 246 Quellen- und Literaturverzeichnis. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 257 Personenverzeichnis. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 291

A. Einführung Seit einiger Zeit schon ist Deutschland wieder ein Staat. Vom Bonner Provisorium zum Berliner Definitivum, fürs Erste scheint es so. Dabei ist die mit der Wiedervereinigung erlangte vollgültige Staatlichkeit der Deutschen ein Glücksfall an sich. Denn das gesamte politische Denken der Neuzeit gravitiert zum Staat, und zwar als „Menschenrecht auf Staat“1. Diese kurze Wendung steht in vollem Umfang für die politische Moderne, für ihre zentrale Norm, das Menschenrecht, und für deren positiven Rahmen, den Staat. Wenn es aber ein Recht auf Staat gibt, gibt es dann auch ein Recht auf Staatsräson? Auf Staatsklugheit zum einen und Staatsweisheit zum anderen, auf ein handlungsleitendes Prinzip, ein normatives Telos, das sowohl in tatsächlichen Konstellationen Orientierung zur situationsadäquaten Entscheidung bietet als auch den Fluchtpunkt einer sinnvollen Strategiediskussion markiert? Die Antwort auf diese Frage verschiebt sich in dem Maße vom Nein zum Ja, in dem Staat und Staatsräson in ihrer geschicht­ lichen Kontingenz und politiktheoretisch gehaltvoll begriffen werden. Sie verschiebt sich in dem Maße, in dem historisch verwurzelte Beiklänge reflektiert werden. Wem Staatsräson vor allem einen obrigkeitsstaatlichen und reaktionären Soupçon signalisiert, der denkt jedoch auf dem heuristischen Faulbett der simplen Gegensätze. Moderne Demokratie muss dann als vollumfängliche Opposition zur absolutistischen Monarchie imaginiert werden. Wohin dann mit der Staatlichkeit, die beide historisch verklammert? Wer sich also beim Begriff Staat mehr vorzustellen vermag als ein historisches Artefakt politischer Organisation, wer die heutige semantische Reziprozität von Staat und moderner Demokratie zugibt, der darf auch beim Begriff der Staatsräson mehr als eine museale Erkenntnisdiskussion verlangen. Denn der Staat entwickelt sich, seitdem über ihn gesprochen wird. Entwicklung bedingt aber immer auch eine aktuelle Ontologie. Gleiches gilt für die Staatsräson. Insofern stellt sich die Frage nach Staatsräson heute genauso gut wie früher. Das gilt auch für deutsche Staatsräson. Andererseits sind Staat und Staatsräson zwar erst neuzeitliche, aber dennoch stark ideenhistorisch beladene Begriffe. Sie geraten daher leicht zwischen die Mühlsteine forschender Selbstverständnisse von Modernismus 1  Kersting

(1993), S. 493.

10

A. Einführung

und Traditionalismus, dienen Bezichtigung und Bekenntnis als intellektuelle Versammlungsorte. Wissenschaftliche Indienstnahme eines und forschende Beschäftigung mit einem Begriff sollten aber jenseits voreiliger Parteinahmen möglich sein. Affektierte Abwehr wie effektheischende Affirmation beenden das Denken. Daher ist wissenschaftssprachlichen Zulässigkeitsattitüden mit Skepsis zu begegnen. Der Begriff der Staatsräson soll hier ohne solche Parteinahme problematisiert und entwickelt werden. Er soll jedenfalls nicht im Vorhinein diskriminiert oder bevorzugt werden. Dies lohnt schon unabhängig von der Frage, ob Staatsräson dort am stärksten wirke, wo am wenigsten über sie gesprochen werde.2 Dies lohnt bereits, weil Staatsräson nach wie vor ein Teil des alltäglichen politischen Ausdrucks ist. Und dies ist besonders reizvoll, weil der Begriff der Staatsräson auch ein Instrument politischer oder politikwissenschaftlicher Sensationsgier ist. Er kommt mit großer Sicherheit ins Spiel, wenn eine Geste der Entlarvung oder Bekräftigung gefragt ist. Besonders falsch oder besonders richtig, beides wird durch den Begriff Staatsräson angezeigt. Das ist weniger paradox, als es klingt. Denn Staatsräson ist ein Begriff, der auf die jeweilige Staatspraxis verweist, so fallen die normativen Ambivalenzen des tatsächlichen Handelns auf ihn zurück – das ist seine Schwäche wie auch seine Stärke.

I. Relevanz der Thematik und Ziel der Arbeit Die Relevanz der Thematik begründet sich durch einige Wandlungsdiagnosen, die aller Voraussicht nach eine historische Zäsur bedeuten. Unmittelbar politisch greifbar ist aus deutscher Perspektive zuerst die Wiedervereinigung. Der neuerliche Besitz des souveränen Staates ist zugleich Ausdruck der „Revolution der Staatenwelt“3, die das Ende des Kalten Krieges bedeutete. Diese wiederum ermöglichte eine Phase enormer Dynamik in der europäischen Integrationsgeschichte, wie sie in den letzten beiden Jahrzehnten zu beobachten gewesen ist. Und schließlich ist auch dies nur ein Unter­ kapitel der epochalen Ausdehnung der Staatenwelt ins Planetarische, ihrer vielfachen Institutionalisierungen und ihrer gleichzeitigen Transzendierung durch welthistorische und weltweite Prozesse, die ein neues Zeitalter einläuten – dasjenige der Globalisierung. All dies hat zu einer Irritation der Kategorien geführt. In der Politikwissenschaft sind kaum traditionelle Interpretationen übrig, kaum ein Terminus unbezweifelt geblieben, es herrscht kaum noch semantische Intuition. Die prognostische Szenarienmalerei zur künftigen Weltordnung nach dem Ende 2  Vgl.

Münkler (1987), S. 328. (1994), S. 625.

3  Hildebrand



I. Relevanz der Thematik und Ziel der Arbeit11

der Bipolarität,4 die anhaltende Diskussion um den Staat5 oder die methodologische Hausse des Konstruktivismus6 in der Internationalen Politik7 sind allesamt Ausdruck dieser Irritation. Diese Phänomene spiegeln sich exemplarisch in der Diskussion um die deutsche Außenpolitik oder auch in der häufigen Kritik ihres angeblich grundsätzlichen Ausbleibens.8 Diese Kritik verliert hingegen immer mehr an Berechtigung. So hat doch fraglos die Anzahl der außenpolitikorientierten Publikationen seit der Wiedervereinigung stark zugenommen. Die wissenschaftliche Debatte gewinnt an Struktur und Lebhaftigkeit.9 Auch hier zeigt sich das Spiegelbild einer tatsächlichen Entwicklung der deutschen Außenpolitik, die in den letzten beiden Jahrzehnten sehr wohl von Dynamik und Engagement oder auch schlicht durch Verwicklungen in internationale Ereignisse geprägt gewesen ist. Jedenfalls ist das wiedervereinigte Deutschland von der einst durch Waldemar Besson abschätzig skizzierten außenpolitischen „Verschweizerung“10 weiter entfernt, als es der Bonner Republik11 jemals möglich gewesen wäre. Deren Außenpolitik, ja sogar das ganze provisorische Staatswesen an sich, sind vor allem eine „Funktion des Ost-West-Konflikts“12 gewesen. Der „disparate Geschichts­ bogen“13 und die „weltpolitische Grenzlage“14 ließen nur geringe Möglichkeiten der internationalen Entfaltung. Dies hat sich fundamental geändert. Allein ein flüchtiger Blick auf die militärische Interventionspolitik seit der Wiedervereinigung, deren Existenz überhaupt, genügt bereits, um den Wandel der deutschen Außenpolitik grundlegend vor Augen zu führen. Der Forschung zur Außenpolitik Deutschlands stellt sich folglich eine doppelte Herausforderung. Einerseits steht eine Selbsterkenntnis an, wel4  Vgl. Fukuyama (1989); Mearsheimer (1990); Krauthammer (1990); Huntington (1993). 5  Vgl. Schuppert (2008); Genschel / Leibfried (2008). 6  Vgl. Hellmann / Wolf / Zürn (2003). 7  Die Arbeit folgt der üblichen Unterscheidung, wonach sich die Großschreibung, also Internationale Politik, auf die wissenschaftliche Disziplin bezieht und die Kleinschreibung, also internationale Politik, den Gegenstand selbst bezeichnet. 8  Vgl. Piel (1998); Krause (2005). 9  Dazu lässt sich auf politikwissenschaftliche Zeitschriften verweisen, die in regelmäßigen Abständen als Austragungsort für Debatten dienen, zum Beispiel auf „Internationale Politik“, auf „Aus Politik und Zeitgeschichte“ oder „Welttrends“. 10  Besson (1970), S. 458. 11  Die Begriffe Bonner und Berliner Republik werden im Rahmen der Arbeit allein in einem chronologischen Sinne verwendet. 12  Woyke (2005), S. 204. 13  Hacke (2003), S. 55. 14  Link (1987), S. 407.

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A. Einführung

che die neue Qualität des politischen Subjekts grundlegend anerkennt und problematisiert. Es bedeutet gerade keinen methodischen Atavismus zu fragen, was denn „Außenpolitik im souveränen Staat“15 überhaupt bedeute. Andererseits bedarf es der Wahrnehmung einer geänderten Umwelt und ihrer politischen Bedingungen. Schon die Begriffe Außenpolitik, Souveränität oder Staat sind substantiellem Wandel unterworfen. Zwar sollte die Sensibilität gegenüber den begrifflichen und politischen Transformationen nicht von der nach wie vor überwältigenden Evidenz der klassisch neuzeitlichen Bedeutungen und Realitäten ablenken, dennoch zeigt sich in der internationalen Politik im Zeitalter der Globalisierung in vielerlei Hinsicht Neues oder wenigstens Anderes als bisher. In dieser doppelten Heraus­ forderung liegt also eine gewaltige Notwendigkeit zur Orientierung begründet. Die hierzu notwendige Orientierungsleistung hingegen ist den di­ ­ versen außenpolitisch relevanten Wissenschaften insgesamt aufgegeben und kann nicht im Rahmen einer einzelnen Disziplin, geschweige denn einer ein­zelnen Arbeit wie der vorliegenden geleistet werden. Jedoch lässt sich vor diesem allgemeinen Hintergrund die spezielle Relevanz eines Beitrags zur außenpolitischen Staatsräson der Bundesrepublik Deutschland begründen. Denn Relevanz der Thematik und erkenntnisleitende Absicht sind nur zwei Facetten derselben Problematik. Angesichts der besonderen Orientierungsbedürftigkeit deutscher Außenpolitik stellt die vorliegende Arbeit daher nichts anderes dar als einen Versuch zur Verdichtung der Grundlagendiskussion: Die Arbeit zielt ausschließlich darauf, ein normatives Substrat zu gewinnen. Die Arbeit hat kein gesondertes methodisches, historisches oder ideenhistorisches Interesse, sondern ein praktisches. Und praktische Wissenschaft muss immer entscheidungsvorbereitende Wissenschaft sein. In Bezug auf die außenpolitische Praxis handelt es sich aber ausdrücklich nicht um ein gezieltes Interesse, welches der Begriff der Staatsklugheit traditionellerweise meint, also taktisches Geschick unter den Bedingungen eines bestimmten Handlungsproblems, sondern um ein übergeordnetes Interesse. Es ist das Interesse an der langfristig sinnvollen Strukturierung von Entscheidungsprozessen, mit anderen Worten: das Interesse an außenpolitischer Strategie. Strategie, verstanden im Sinne von grundsätzlicher Ausrichtung, speist sich aus der Verbindung von Abstraktion und Konkretisierung und exakt diese Verbindung strebt auch die Arbeit an. Dazu stellt sie zum einen Überlegungen zu den theoretischen Grundlagen eines aktuellen Verständnisses außenpolitischer Staatsräson an und spiegelt diese Überlegungen zum anderen in der jüngeren politikwissenschaftlichen Auseinandersetzung um die Ausrichtung der deutschen Außenpolitik. 15  Münkler

(2006).



II. Methodik und Begriffsklärungen13

Die Arbeit ist keine Geschichte der Verwendung des Staatsräsonbegriffs im außenpolitischen Diskurs der Bundesrepublik Deutschland. Sie ist auch keine Geschichte der Außenpolitik der Bundesrepublik Deutschland, die sich des Maßstabs einer vorab wie auch immer definierten Staatsräson bedient. Auch steht an ihrem Ende nicht eine Definition deutscher Staatsräson, die als Instrumentalbegriff außenpolitische Vorgehensweise in allen außenpolitischen Handlungssituationen gewährleisten soll. Vielmehr ist es ihr Ziel, einerseits den möglichen theoretischen Weg einer Aktualisierung des Staatsräsonbegriffs aufzuzeigen und andererseits die hier gewonnenen Erkenntnisse für nicht genuin theoretische, sondern tatsächlich konkrete, in der politischen Wirklichkeit beheimatete Diskussionsorte fruchtbar zu ­machen. So soll der Nachweis geführt werden, dass eine Auseinandersetzung mit der deutschen Außenpolitik möglich ist, die weder alle theoretischen Wurzeln kappt und sich ganz dem Selbstverständnis der politikberatenden Verbrauchsliteratur hingibt, noch ihre praktische Nutzlosigkeit schon alleine dadurch demonstriert, dass sie ihre theoretischen Ergebnisse unter keinerlei Übertragungszwang in tatsächliche politische Zusammenhänge stellt. Dieses spezifische Erkenntnisziel, das sich zum Teil unmittelbar aus der Relevanz der Thematik ergibt, begründet sich zum anderen Teil aus dem methodischen Selbstverständnis dieser Arbeit, das im Folgenden erläutert wird.

II. Methodik und Begriffsklärungen Die Vielzahl methodischer Zugriffe öffnet und verstellt den Blick auf die Wirklichkeit gleichermaßen. Darlegung und Anwendung eines bestimmten, möglichst neuen Ansatzes stellten zumindest in den letzten Jahren einen soliden Ausweis wissenschaftlicher Qualifikation dar.16 Methodische Selbstdisziplinierung steht damit zum einen mit guten Gründen am Anfang von Abhandlungen, sollte aber nicht die Annäherung an das Thema einseitig vorprägen. Ein fruchtbarer wissenschaftlicher Blick muss stets mehr Perspektiven eröffnen, als der methodischen Kohärenz im engeren Sinne zuträglich sind. Diese Aussage tritt gerade nicht gegen etwas ein, sondern stellt ein positives Plädoyer dar. Sie begünstigt bloß die inhaltliche Reflexions­ fähigkeit gegenüber der notwendigen Methodenkompetenz. Da die Arbeit auf eine Vielzahl unterschiedlicher aktueller Beiträge zurückgreift, denen ihrerseits ganz unterschiedliche methodische Zugänge zugrunde liegen, und parallel dazu ideengeschichtliche Bestände rekapituliert, blieb hinsichtlich der eigenen Methodik nur ein Ausweg: eine stark 16  Vgl.

Zürn (1992); Hasenclever (2001).

14

A. Einführung

zurückgenommene Hermeneutik, die sich keine eigenen methodischen Ziele setzt. Eine solche Hermeneutik betrachtet Texte als Argumentationszusammenhänge, deren entscheidende Entwicklungsschritte es zu rekonstruieren gilt. Dort, wo mehrere solcher Rekonstruktionen zusammengeführt werden, entsteht ein neues Argument. Sinnvollerweise geschieht dies unter einem möglichst breiten Einbezug der wesentlichen Lehrmeinungen. Zu Beginn der Arbeit sind die ideengeschichtlichen Klassiker die bedeutsamsten Lehrmeinungen, weswegen Teil B. auch im engen Bezug zu ihnen entwickelt wird. Gleichermaßen werden an dieser Stelle auch nur die entscheidenden Argumente nachvollzogen und in aller Regel nicht auf im Zusammenhang mit dem Thema der Arbeit untergeordnete Aspekte verwiesen oder gar zugehörige Diskussionen in der Literatur aufgearbeitet und explizit Position bezogen. Widersprechende und zustimmende Verweise auf die Literatur unterbleiben, wo sie zum Verständnis der Argumentation nicht notwendig sind. Dies gilt ebenso in Teil C. der Arbeit, der sich im engeren Sinne mit Außenpolitikforschung befasst.17 Von zentraler Bedeutung ist die Lokalisierung normativer Problemlagen. Das ist keine Hypothek für die Methodik, stellt an diese aber gewisse Herausforderungen. Ein starker Konstruktivismus etwa eignet sich nicht als Methodik normativer Fragestellungen, denn streng genommen kennt er keine solchen. Wo die Welt des politischen Handelns hinter semantischen Zusammenhängen verschwindet, so bedeutsam deren Eigenwertigkeit für ein angemessenes Realitätsverständnis auch ist, bleibt kein Mittel normativer Erkenntnis übrig. Politische Theorie ist aber eine einzige pragmatische Implikation. Deswegen zielt die Arbeit auch allenfalls implizit auf Gegenwartsdiagnostik und konzentriert sich auf die Darstellung normativer Begründungszusammenhänge. Auch ohne übersteigerten Konstruktivismus ist es dabei hilfreich, sich zuerst den eigenen Begriffen anzunähern. 1. Staatsräson Die Frage nach dem Grund für eine Auseinandersetzung mit diesem Begriff stellt sich eigentlich gar nicht. Denn dem Urteil Peter Nitschkes über die Staatsräson als des „vielleicht schillernd-vielfältigsten aller politischen Theorie- und Kampfbegriffe des neuzeitlichen Denkens“18 lässt sich nur zustimmen. Angesichts dessen ließe sich höchstens die Gegenfrage denken – warum denn nicht mit dem Begriff Staatsräson arbeiten? 17  Ein anderes Verfahren würde in jedem Fall zu einer ausufernden Belegpraxis führen und eher desorientieren, statt das Gegenteil zu bewirken; vgl. Kapitel I. 4. 18  Nitschke (1995), S. 35.



II. Methodik und Begriffsklärungen15

Immerhin lassen sich im Wesentlichen fünf gängige Einwände gegen den Begriff anführen. Carl Schmitt erschien in den 1920er Jahren Staatsräson als „theoretischer Reflex“, als „einer über den Gegensatz von Recht und Unrecht sich erhebenden, nur aus den Notwendigkeiten der Behauptung und Erweiterung politischer Macht gewonnenen soziologisch-politischen Maxime.“19 Bei Reflexen lässt sich natürlich wenig denken, sodass eine Auseinandersetzung mit dem Begriff eine hohe Redundanzgefahr birgt. Allein, jenseits der suggestiven Sprache Carl Schmitts bleibt als vermeintliches Gegenargument nur die banale Aussage stehen, dass eine Machtkonzentration wie der Staat sich ungern entmachten lässt. Darin muss sich das Nachdenken über Staatsräson jedoch keinesfalls erschöpfen. Schon Friedrich Meinecke hat auf eine Vielzahl heuristischer Funktionen hingewiesen, die der Begriff übernehmen kann.20 Staatsräson bietet sicherlich die Möglichkeit einer theoretischen Beschränkung auf Macht, bleibt darin aber nicht gefangen. Allein die dezisionistische Staatskonzeption Carl Schmitts bedingt die Aussage über Staatsräson als ausschließlich macht­ politischen Reflex. Sobald jedoch weitere theoretische Facetten von Staatlichkeit zulässig erscheinen, bricht auch die Verengung des Begriffs Staatsräson auf. Zweitens verneint eine strikte Historisierung des Begriffs jede Sinnhaftigkeit einer aktualisierenden Illustration. Rein begriffsgeschichtliche Ansätze tendieren zu dieser Position, meist als quellenkritischer Fehlschluss. Staatsräson gibt es dann nur dort, wo der exakte Begriff auftaucht.21 Mit der begriffsgeschichtlichen Hochzeit des Begriffs, der zweiten Hälfte des 16. und dem 17. Jahrhundert, sind somit auch die Idee und das Phänomen vorüber. Stellvertreterbegriffe für Staatsräson, ja überhaupt eine Ontologie des Staates und damit der Staatsräson, kommen in dieser Argumentations­ linie nicht vor. Auch dies überzeugt nicht. Mit gleichem Recht ließe sich jede demokratische Entwicklung während des 18. Jahrhunderts bestreiten, weil der entscheidende Referenzbegriff nun einmal die Republik gewesen ist, im englischen, im amerikanischen, im französischen oder auch im deutschen Kontext. Kurzum, die ausschließlich quantitativ angelegte Bedeutungsevaluation eines Begriffs ist von Interesse, wenn historische Erkenntnis erzielt werden soll. In einem theoretisch weiter gefassten Rahmen greift derlei jedoch zu kurz. Drittens werfen jüngere politikwissenschaftliche Arbeiten zu außenpolitischen Rollenkonzepten ein, dass der Begriff der Staatsräson keinerlei Erkenntnis von Umwelteinflüssen noch von „endogenen Rollenpräferenzen 19  Schmitt

(1989), S. 99. Meinecke (1957), S. 1–26. 21  Vgl. Schnur (1975); Viroli (1992). 20  Vgl.

16

A. Einführung

der Akteure“22 zulassen würde. Staatsräson sei allein ein utilitaristischer Strategiebegriff, wenn auch nicht ausschließlich in machtpolitischen Kontexten.23 Dagegen ließe sich ein differenzierteres Verständnis von Staatsräson anführen, wenn die unterschiedlichen ideengeschichtlichen Bestände des Begriffs nicht ohnehin schon ein reichhaltigeres Repertoire aufweisen würden, als es der gerade erwähnten Zurückweisung des Begriffs zugrunde gelegt wurde. Bereits die vielzähligen frühneuzeitlichen Versuche, dem Begriff seine utilitaristische Schärfe zu nehmen, ohne allerdings den Begriff als solchen aufzugeben, stehen dem entgegen.24 Sie lassen den Einseitigkeitseinwand gegenüber dem Begriff der Staatsräson verblassen, vielmehr erscheint dieser mehr aktuellen forschungspolitischen Usancen geschuldet als einer unvoreingenommenen Annäherung. Gewichtiger ist der vierte Einspruch, der die übermäßig deutliche Trennung von Staat und Gesellschaft kritisiert. Staatsräson oder der jüngere Ersatzbegriff des Nationalen Interesses unterschlage die Pluralität moderner Gesellschaften. Insofern würde auch ein normatives Problem entstehen, sollte der Verweis auf Staatsräson dazu dienen, legitime Interessen aus dem außenpolitischen Diskurs auszuschließen.25 Im Sinne allgemeiner Ideologiekritik ist dieser Hinweis sicher berechtigt, allerdings reicht er auch nicht darüber hinaus. Die Missbrauchsgefahr politischer Begriffe ist stets gegeben und sagt zudem nichts über den Gebrauchsnutzen aus. Darüber hinaus stellen Institutionen in jedem Fall Bündelungen dar, weswegen auch der Staat – allemal in seinem auswärtigen Verhalten – die Präferenzen unterschied­ licher Akteure zusammenfasst und gebündelt vertritt. Hierbei eine immer ideale, deckungsgleiche politische Repräsentativität zu erwarten, würde bereits Staatlichkeit als solche überflüssig machen. Entscheidend ist vielmehr, den Begriff der Staatsräson nicht zu einem heuristischen Rasiermesser verkommen zu lassen. Schließlich bleibt der auf den ersten Blick kaum zu konternde Vorwurf gegenüber Begriffen mit einer gewissen historischen Dimension, dass sie Geschichte hätten. Im Verlauf der Begriffsgeschichte der Staatsräson, sei es zu einer „essential elasticity of the notion“26 gekommen, die klare inhalt­ liche Zuordnungen unterminiere. Oder mit anderen Worten: „Definierbar ist nur das, was keine Geschichte hat.“27 Diese Diagnose eines vermeintlichen Mangels des Begriffs formuliert jedoch allenfalls eine Aufgabe und nicht 22  Kirste / Maull

(1996), S. 291. ebd., S. 304. 24  Vgl. Mattei (1979). 25  Vgl. Krell (2003), S. 160–161; Kratochwil (1982). 26  Haslam (2002), S. 215. 27  Nietzsche (1999), S. 317. 23  Vgl.



II. Methodik und Begriffsklärungen17

einen grundsätzlichen Einwand. Jeder Beschäftigung mit Staatsräson steht es frei, einen Beitrag gegen die Begriffsindifferenz zu leisten, welche sicherlich die natürliche Begleiterscheinung jeder Geschichtlichkeit ist. Jenseits der lediglich kontingenten Bedeutungsintuition auf der einen und der sich angesichts der Bedeutungsvielfalt womöglich einstellenden kognitiven Resignation andererseits liegt aber ein heuristischer Mittelweg. Auf diesem erscheint es zumindest möglich, die Aufgaben zu bestimmen, die einem aktuellen Verständnis von Staatsräson aufgegeben sind. Als erste Aufgabe lässt sich nennen, folgende Einsicht zu berücksichtigen: „Auch der Verfassungsstaat ist Staat. […] Auf der anderen Seite besteht kein Staat ohne Verfassung.“28 Und ein Staat ist nicht ohne eigene Räson zu haben, die sich wiederum nicht ohne Antwort auf das Sicherheitsproblem denken lässt: „Nach wie vor steht jedes politische Gebilde vor dem Problem seiner Existenzsicherung, einem Problem, das nicht administrativ oder polizeilich zu lösen ist“29, ruft Andreas Anter in Erinnerung. Dennoch kann sich ein anspruchsvolles und aktuelles Verständnis von Staatsräson nicht in einer entnormativierten Überlegung zur sicherheitspolitischen Mittelwahl erschöpfen. Andererseits bedeutet dies nicht den Umkehrschluss. Es ist also nur folgerichtig, wie Herfried Münkler einen „nichtdiskriminatorischen Interessenbegriff […] auf der Grundlage einer fortbestehenden Relevanz der Staatsräson“30 für die Untersuchung politischer Entscheidungsprozesse einzufordern. Die tiefen Wurzeln der Prinzipien moderner Verfassungsstaatlichkeit, die sich in das westliche politische Alltagsverständnis gegraben haben, sollten auch nicht selbstverständlich erscheinen. Ihre überragende normative Wünschbarkeit provoziert allzu leicht den Fehlschluss auf ihre gesicherte Existenz. Anstatt um Staatsräson geht es dann um Verfassungsräson,31 als ob Staat und Verfassung nicht nur zusammengehörten, sondern gänzlich eins wären. Es ist sinnvoller, weiterhin von Staatsräson zu sprechen, aber die Evolution des Staatsbegriffs darin einfließen zu lassen. So behält der Begriff seine Schärfe, die sich gegen alles Eskamotierende abhebt, weswegen sich mit ihm auch der „Erzfehler allen praktischen Denkens“ vermeiden lässt, „wenn wir die Notlage, in der plötzlich alles auf dem Spiel steht, als absurd oder irrelevant abtun“32. Dies gilt umso mehr, da sich die Gestalt der Notlage ständig wandelt. Auch wenn heute, außenpolitisch besehen, der deutsche Staat glücklicherweise den existenzbedrohenden Staatenkrieg weniger fürchten muss als je zuvor, bedeutet dies nicht die Abwesenheit jeder 28  Isensee

(2004), S. 4. (2007), S. 269. 30  Münkler (2000), S. 148. 31  Vgl. Schröder (2003), S. 436–437. 32  Thaler (2008), S. 328. 29  Anter

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A. Einführung

Notlage. Es sind fundamentale normative Notlagen, wie sie sich beispielsweise bei der Problematik humanitärer Interventionen auftun, die hier vor allem angesprochen sind. Als Chiffre der Letztbegründung leistet der Begriff der Staatsräson hier unverzichtbare heuristische Dienste. Angesichts dieser Dienste vermag die Ansicht nicht zu überzeugen, gegenüber dem Begriff der Staatsräson stünden „analytisch präzisere“ Begrifflichkeiten, „außenpolitische Rollenkonzepte“33 etwa, zur Verfügung. Vielmehr verweisen solche semantischen Distanzierungsmanöver, wenn auch ex negativo, auf die Lebendigkeit des Diskurses um Staatsräson. In der Anerkennung dieses Diskurses und in der Sichtbarmachung seiner Pfade liegt die zweite Aufgabe aktueller Staatsräsonforschung. Hierin zeigt sich ferner der zur Existenzsicherung komplementäre politische Teil des Begriffs, nämlich die normative Dimension im engeren Sinne. Staatsräson trennt das Bedeutsame vom Nachrangigen, der Begriff hierarchisiert Gründe und Ziele. Ob in der Form frühneuzeitlicher Staatsklugheit, ob als kantsche Staatsweisheit, ob als „Kluge Macht“34 oder als „schlaue Macht“35, in jedem Fall werden eindeutige normative Postulate erhoben, die allesamt eine eigene Vorstellung vom Vernünftigen anvisieren, an dem sich das staatliche Verhalten allgemein und die Außenpolitik im Besonderen orientieren sollte. Diese Vorstellung vom Vernünftigen lagert stets irgendwo zwischen den Polen partikularer und universaler Politik. An dieser Stelle genügt der Hinweis auf die analytische Fruchtbarkeit des Begriffs der Staatsräson, die schon im Kompositum selbst zum Ausdruck kommt. Der Staat und die Räson sind seit jeher umstrittene Grundkategorien des neuzeitlichen politischen Denkens, weswegen der Begriff auch eine prinzipielle Definitionsoffenheit mit sich bringt, wodurch aber ebenso die Inkorporation unterschiedlicher Deutungsvarianten möglich wird. Letzteres ist auch das Anliegen dieser Arbeit. Der oben angesprochene heuristische Mittelweg verlängert sich so zu einem normativen Mittelweg. Dazu ist es allerdings nötig, zum einen die ausgetretenen Pfade der theoretischen Diskussion auszuweisen, um diese anschließend zu verlassen. Es ist durchaus möglich, über Staatsräson zu schreiben, ohne pseudoemanzipatorische Bezichtigungs- oder regierungskongruente Erbauungsliteratur zu produzieren.36 Andererseits darf diese Kritik jüngerer Beiträge zum Thema Staatsräson nicht deren hintergründige Bedeutung in einem größeren politiktheoretischen Zusammenhang ausblenden. Ob nun 33  Maull (2007), S. 73; Hanns W. Maull stützt sich bei seinem Argument auf eine gänzlich verzerrende Engführung des Begriffs der Staatsräson, die auch nicht von seinen beiden einzigen Referenzautoren, Friedrich Meinecke und Werner Link, bevorzugt wird; vgl. Kirste / Maull (1996), S. 291. 34  Czempiel (1999). 35  Hellmann (2009). 36  Vgl. Chomsky (1973); Schöllgen (2003).



II. Methodik und Begriffsklärungen19

eine bejahende oder verneinende Position zum konkreten Regierungshandeln bezogen wird oder nicht, spielt in dieser Perspektive keine Rolle, denn auch hiermit werden nur andere oder eben dieselben Ziele betont. Dadurch jedoch erscheint die Durchsetzung dieser Ziele als erlaubt und sinnvoll, oder mit anderen Worten: als legitim. Die dritte und wichtigste Aufgabe, die eine Aktualisierung des Staatsräsonbegriffs zu erfüllen hat, liegt – gerade im Rahmen normativer Theorie – in der legitimationstheoretischen Substanz des Begriffs begründet. Hierin zeigt sich sowohl die Offenheit des Begriffs als auch seine kategoriale Bedeutung. Staatsräson definiert sich je nach legitimationstheoretischen Prämissen. Diese selbst aber gelangen erst durch die Rückkopplung über ihren Anteil an der Staatsräson zur vollen Wirksamkeit in der praktischen Wirklichkeit. Wolfgang Schröder hat präzise auf diesen Legitimationsaspekt von Staatsräson hingewiesen: „Näherhin betrachtet, verfolgt die Staatsklugheitslehre typischerweise ein politiktheoretisch-teleologisches Erkenntnisinteresse. Es gilt Grundsätzen (Maß- und Vorsichtsregeln) kluger Einsicht in Bezug auf die Verfolgung des Endzwecks, der dem Staat als politischer Organisationsgewalt normativer Vergemeinschaftung legitimitätstheoretisch zugedacht wird.“37 Ferner weist Schröder zutreffend Partikularismus und Universalismus als Endpunkte des staatsräsonalen Horizonts aus: „Nach dem Abstraktionsgrad ihrer Perspektive lässt sich die Staatsklugheit in zweierlei Grundformen entwerfen: entweder als eine allgemeine oder universelle (unter Ansetzung eines allgemeinsten Staatsbegriffs, wie ihn etwa das Völkerrecht als Staatsprinzip kennt) oder aber als spezielle oder partikulare (auf die politisch-geographische Situation eines bestimmten Staates zugeschnittene) politische Wissenschaft.“38 Die Spanne zwischen partikularen und universalen Vorstellungen ist damit korrekt beschrieben, allerdings muss man diese nicht im Sinne eines strengen Entweder-oder-Schemas verstehen. Im Gegenteil, kein anderer Begriff wie derjenige moderner Staatsräson eignet sich, die dilemmatische Situation zwischen Partikularismus und Universalismus aufzulösen. Das Staatsräsonverständnis dieser Arbeit sieht in ihr vielmehr ein Bindeglied zwischen den Forderungen der prinzipiellen Vernunft und den Geboten der realistischen Klugheit. Bezugnehmend auf obiges Zitat ließe sich auch von einem gleitenden Übergang der Abstraktionsgrade sprechen, der sich stets als konkrete Staatsräson manifestiert. Bei Friedrich Meinecke findet sich in diesem Zusammenhang die glückliche Formulierung von der „Entelechie“39 des Staates, die in der Staatsräson zum Tragen käme. Dies gilt uneingeschränkt fort und so ermöglicht der 37  Schröder

(2003), S. 341; Hervorhebung im Original. S. 342. 39  Meinecke (1957), S. 11. 38  Ebd.,

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A. Einführung

Begriff der Staatsräson den Zugriff auf die legitimationstheoretischen Grundlagen des modernen Staates sowohl in ihrer ideenhistorischen Gestalt als auch in ihrer heutigen Praxisrelevanz. Der praktische Rahmen ist in diesem Fall die deutsche Außenpolitik. 2. Partikularismus und Universalismus Zur Erläuterung der spezifischen Problematik moderner Staatsräson, auch der außenpolitischen Staatsräson der Bundesrepublik Deutschland, bietet sich das Begriffspaar aus Partikularismus und Universalismus an. Im engeren Rahmen der Internationalen Politik werden, oder wurden zumindest lange, in aller Regel andere Begriffe bevorzugt, wobei die berühmte Dichotomie aus Realismus und Idealismus nur die bekannteste begriffliche Gegenüberstellung darstellt. In ideenhistorischen Zusammenhängen, wie sie wesentlich den ersten Teil der Arbeit kennzeichnen, erscheinen Partikularismus und Universalismus aber als die bessere Interpretationshilfe. Abgesehen davon sind die beiden Termini ohnehin fest etabliert im politikwissenschaftlichen Diskurs, auch in der Internationalen Politik.40 Schließlich ermöglichen sie eine Anknüpfung an Debatten, die hauptsächlich in politikwissenschaftlichen Nachbardisziplinen geführt werden, wie der Rechtswissenschaft oder der Philosophie. Als frühes Beispiel für eine zwischen partikularen und universalen Vorstellungen differenzierende Interpretation kann wiederum eines der Hauptwerke Friedrich Meineckes genannt werden, „Weltbürgertum und Nationalstaat“41. Im Rahmen dieser Arbeit kommen die beiden Begriffe in einem weit gefassten Verständnis zum Einsatz. Partikularismus steht für das Separate in der Politik, dessen wichtigste neuzeitliche Konkretisierung nichts anderes als der Staat selbst ist. Die Staatsgrenze markiert mit ihrer scharfen Trennung von innen und außen einen exklusiven Zuständigkeitsbereich. Dies ist die eigentliche Pointe der frühneuzeitlichen Staatsetablierung, denn der entschiedene Exklusivitätsanspruch auf einen nach außen abgeschlossenen Raum der Sicherheit und der Ordnung bildete die Grundlage aller nachfolgenden Errungenschaften der politischen Moderne. Die klassisch partikulare Idee des Politischen ist folglich der einzelne Staat. Wenn im Folgenden von politischem Partikularismus die Rede ist, wird damit jedoch nicht ausschließlich eine Zuschreibung auf der Ebene der politischen Organisation und Institutionalisierung vorgenommen. Daneben bezeichnet Partikularismus im jeweiligen Kontext auch einen bestimmten theoretischen Zugang auf der 40  Beispielsweise verwenden folgende Autoren das Begriffspaar; vgl. Bull (1977), Haslam (2002), Isensee (2003), Münkler (2008), Vasilache (2009). 41  Meinecke (1969).



II. Methodik und Begriffsklärungen21

Ebene der politischen Entscheidungsproblematik. Zugespitzt lässt sich formulieren: Partikularismus bedeutet Prudentialismus. Staat und Zweckrationalität sind insofern zwei Seiten derselben Medaille. Den organisatorischen und institutionalisierten Partikularismus begleitet also ein handlungstheoretischer. Im Begriff der traditionellen Staatsklugheit spiegelt sich diese Parallele nur zu deutlich, weswegen Staatsräson intuitiv auch stets ein normativ ungebundenes, technisches Verständnis von Politik anzeigt. Das ist primär plausibel, mehr aber auch nicht, und umschreibt nur einen Bezugspunkt eines modernen Verständnisses von Staatsräson. Denn der partikularen, staatlichen Logik lagen bereits zu Beginn auch nicht-partikulare Annahmen zugrunde. Der Staatsbegriff verweist also schon von sich aus auf die Existenz anderer Staaten, und die Gebote der Staatsklugheit folgern ebenfalls aus der Annahme einer unter allen Akteuren verbreiteten Disposition zur Zweckrationalität. Kurzum: Die Rede vom Partikularismus hat nur Sinn, wenn der Gegenbegriff impliziert wird. So bedeutet also Partikularismus auch Universalismus, der nachfolgend in Bezug auf die politische Organisationsform als auch bezüglich der politischen Rationalitätsvorstellung die jeweilige Gegenposition markiert. Um einen möglichst klaren Argumentationszusammenhang herzustellen, ist es notwendig, die Gegenposition auch tatsächlich aus der ursprünglichen Position heraus zu entwickeln und nicht etwa Surrogate in Stellung zu bringen. Bezogen auf die partikulare Einheit Staat lassen sich also gerade nicht Phänomene oder Begriffe als universale Gegenstücke ausweisen, die ihrem Wesen nach nicht-staatliche sind. Weder internationale Organisationen, private Akteure, eine „Weltgesellschaft“42 oder Ähnliches kann folglich hin­ reichen, um als universale Alternative des Staates gelten zu können. Auf der organisatorisch-institutionellen Ebene bleibt als einziger Gegenentwurf zum partikularen Einzelstaat der universale, ins Globale gesteigerte Staatsentwurf, also der Weltstaat. Dessen Nichtvorhandensein tut dabei nichts zur Sache: „Ob der Weltstaat in dieser oder einer anderen Form die Chance hat, jemals realisiert zu werden, ist für das Thema belanglos“, er „hat allein heuristische Funktion“43. In diesem Sinne ist die Kosmopolis ohnehin ein altbekannter Prüfstein des abendländischen politischen Denkens, wenn auch die Neuzeit ganz spezifische Formen weltstaatlicher Konzeptionen ausge­ bildet hat.44 Politischer Universalismus verweist im Folgenden also tatsächlich stets auf den eigentlichen politischen Universalismus, auf eine planetarische Politikorganisation. Dass dabei jede Weltstaatskonzeption gegenüber der herkömmlichen Staatskonzeption nicht bloß einen quantitativen, sondern 42  Albert

(2002). (2003), S. 15. 44  Vgl. Cheneval (2002). 43  Isensee

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einen qualitativen Unterschied bedeutet, liegt auf der Hand. Und genauso offensichtlich – ideengeschichtlich wie theoretisch – ist die Verklammerung der universalen Politikorganisation mit einem Universalismus in der politischen Handlungstheorie. So wie die politische Klugheit die Staatseinrichtung gebietet, fordert die politische Vernunft die Einrichtung des Weltstaats. So wie sich Staat und Weltstaat gegenüberstehen, so stehen sich politische Klugheit und Vernunft gegenüber. Spätestens seit dem 18. Jahrhundert bezeichnet Universalismus in handlungstheoretischen Kontexten als Kontrastbegriff zur partikularen, besonderen Klugheit die allgemeine, universale Vernunft. Alle Argumentationszusammenhänge, die ihre Gültigkeit nicht aus kontingenten, sondern aus möglichst unbedingten Grundlagen beziehen, lassen sich also als universale Positionen beschreiben. Partikularismus und Universalismus sind neutrale, deskriptive Begriffe, die nachfolgend jedoch nicht in einem sich gegenseitig ausschließenden Zusammenhang Verwendung finden, sondern vielmehr als Komplementärbegriffe verstanden werden. Dies ist bedeutsam, um den Praxisbezug der Interpretation aufrechterhalten zu können. Partikularismus und Universalismus lassen sich allenfalls in bestimmten politiktheoretischen Kontexten säuberlich trennen, in der politischen Wirklichkeit waren und sind sie auf das engste miteinander verwoben: Beispielsweise erfolgt der Menschenrechtsschutz – eine Forderung der universalen politischen Vernunft – allein durch Staaten, während diese ebenfalls zu den Menschenrechtsbedrohern zu zählen sind. Es ist entscheidend, das Spannungsverhältnis zwischen Partikularismus und Universalismus nicht zu einer der beiden Seiten aufzulösen, so wie es aus der politischen Ideengeschichte wohlbekannt ist, etwa bei Hobbes zur einen oder bei Kant zur anderen Seite hin. Einer jüngeren politikwissenschaft­ lichen Klage über das „Elend des methodologischen Nationalismus“45 ist in diesem Sinne also mit der Gegenfrage nach dem Elend des methodologischen Globalismus zu begegnen. Methodologisches Elend, so bleibt zu vermuten, liegt nie in der Natur einer Sache, sondern stets aufseiten des Betrachters. Demzufolge ist eine grundsätzlich offene Disposition gegenüber partikularen wie universalen Argumentationsmustern sinnvoller als eine vorherige Festlegung und kommt im Folgenden zum Tragen. Nur so lässt sich jedenfalls eine insbesondere für das Thema Staatsräson hochbedeutsame Problemkonstellation immer wieder vor Augen führen: In der politischen Neuzeit existieren parallele Strukturen von partikularer Organisation und universaler Norm, die ausgesprochen häufig und auf vielfältigste Weise miteinander in Beziehung treten. In dieser Einsicht muss etwa ein elaboriertes Verständnis der gesamten Interventionsproblematik wurzeln, dem viel-

45  Zürn

(2003).



II. Methodik und Begriffsklärungen23

leicht bedeutsamsten Problem in der internationalen Politik seit dem Ende des Kalten Krieges.46 3. Praktische Wissenschaft Praktische Wissenschaft erscheint aktuell, speziell im Rahmen der Internationalen Politik, als methodische Arrièregarde. Methodik glänzt hingegen dort, wo sie das Pathos des Neuen beansprucht.47 Und wenn schon nicht das, so sollte Methodik zumindest ein Testverfahren liefern, um politische Theorien, wiederum insbesondere solche der internationalen Politik, gleichsam experimentell prüfen zu können.48 Zum einen zeigt sich hierin ein Ausdruck des modernen Wissenschaftsverständnisses insgesamt, das wesentlich auf einer chronologischen Auffassung von Erkenntnisstrukturen beruht, zum anderen der teilweise verständliche Hang phänomenologischer Geistes- und Sozialwissenschaft, eine Validität der Ergebnisse zu produzieren, die naturwissenschaftliche Eindeutig- und Dauerhaftigkeit insinuiert. Die zugehörigen erkenntnistheoretischen Debatten sind so alt wie die Wissenschaften selbst und zeigen sich immer wieder in unterschiedlichen Kontexten. Nicht im Sinne einer Abgrenzung, sondern im Sinne einer grundsätzlich zu bevorzugenden gegenseitigen Ergänzung methodischer Zugriffe, schlägt die Arbeit einen anderen Weg ein als in der momentan häufig sprachphilosophisch inspirierten Politikwissenschaft üblich. Diese Konjunktur konstruktivistischer Forschungsvorhaben hat eine Reihe wichtiger Studien zur deutschen Außenpolitik hervorgebracht.49 Dennoch nähert sich die vorliegende Arbeit dem Diskursbegriff weder konstruktivistisch, noch theoretisiert sie diesen auf eine andere Art und Weise.50 Dies würde einen Widerspruch zum Essentialismus jeder praxisorientierten Forschung bedeuten. Im Folgenden ruht dieser Essentialismus vor allem auf drei unterschiedlichen Säulen. Die erste Grundannahme ist die Freiheit des Denkens. Eigentlich ist diese ein epistemologischer Gemeinplatz, spätestens 46  Nachdem nun ausführlicher auf das Begriffspaar Partikularismus und Universalismus eingegangen worden ist, können weitere Begriffsklärungen vorgenommen werden; hierzu genügt jedoch eine kurze Aufzählung: Erstens werden wie üblich in Bezug auf das Zwischenstaatliche die Begriffe Naturzustand und Anarchie weitgehend synonym verwendet; gleiches gilt zweitens für die Begriffe Rechtsmoral, Vernunft- und Naturrecht, welche jeweils als Gegenentwurf zu rechtspositivistischen Ansätzen verstanden werden; drittens werden die Begriffe Philosophie und Theorie weitgehend synonym verwendet. 47  Vgl. Kirste / Maull (1996); Hellmann (2007a); Risse (2007). 48  Vgl. Baumann / Rittberger / Wagner (1999). 49  Vgl. Medick-Krackau (1999); Hellmann / Wolf / Zürn (2003); Baumann (2006). 50  Vgl. Habermas (1981); Hellmann (2006), S. 205–220.

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seit dem 18. Jahrhundert, spätestens seit der dritten Antinomie der „Kritik der reinen Vernunft“.51 Dennoch laufen strukturell angelegte Analysen häufig auf Ergebnisse hinaus, die einen Determinismus implizieren. Wenn schon nicht dagegen, so doch zumindest daneben gilt es aber, eine implizite Offenheit der politischen Entwicklung anzunehmen, die sich jenseits semantischer Definitionszusammenhänge und jenseits institutioneller oder gesellschaftlicher Gefüge befindet: Die Freiheit des Denkens beschreibt den Raum individueller und kollektiver Verantwortlichkeit. Hier findet sich der qualitative Resonanzraum politischer Urteile. In organisatorisch-institutioneller Hinsicht steht für diese Verantwortlichkeit in der politischen Neuzeit ein Rahmen zur Verfügung, der nach wie vor, und auch wegen seiner Wandlungsfähigkeit, in historisch wie theoretisch vergleichender Perspektive eine manifeste Konkurrenzlosigkeit auf seiner Seite hat. Damit ist die zweite essentialistische Grundannahme der Arbeit umschrieben: der Staat. Neuzeitliches politisches Denken ist Staatsdenken; präziser noch: legitimationstheoretisches Staatseinrichtungsdenken. Von seinen ersten Höhepunkten in der politischen Philosophie der Frühen Neuzeit ausgehend, weil hier schon angelegt, kristallisiert sich dieses Denken schon seit langem in einer bestimmten normativen Prämisse. Seither durchzieht diese in unterschiedlichen Varianten jede gehaltvolle politische Theorie der Neuzeit. Die Prämisse ist der einzelne, abstrakte Mensch und seine denkbare Zustimmung zur Staatlichkeit. Je weniger rudimentär diese Prämisse formuliert wird, desto stärker entfernt sich politische Theorie von einem gültigen Legitimationsmuster. Dementsprechend entfalten in all ihrer Zurückgenommenheit eindeutige Formulierungen auch die größte Legitimationskraft, so etwa die verfassungsstaatlichen Konkretisierungen der politischen Kultur des Westens.52 Es ist also weder ein teleologisches Eingeständnis noch Ausdruck buchstäblich verstandener Regierungslehre, sondern vielmehr eine synthetische Vernunftleistung, da sie die eigenen Grenzen politischer Erkenntnisfähigkeit markiert, wenn in dieser Arbeit folgende Aussage entschieden geteilt wird: „Der moderne Staat westlicher Prägung ist die Krönung der Staatlichkeit.“53 Wenn also von Staat in der Arbeit die Rede ist, dann immer schon im Sinne seiner Entwicklungsperspektive und mit Blick auf die aktuelle Erscheinungsform, die sich als Grundrechtsdemokratie beschreiben lässt. In vorliegender Arbeit taucht nur eine Präzisierung auf, wenn dem Staatsbegriff das Wort liberal beigefügt wird. Damit ist jedoch keine generelle qualitative Differenz angesprochen, sondern es wird Kant (1911), S. 308–313. ist ein besonders prominentes Beispiel für einen solchen Reduktionismus. 53  Voigt (2007), S. 19. 51  Vgl.

52  Artikel 1 I Grundgesetz



III. Aufbau der Arbeit25

lediglich der Hinweis auf die besondere theoretische Konstellation der Grundrechtsdemokratie gegeben: der liberale Staat ist der Treffpunkt von Partikularismus und Universalismus in der Wirklichkeit. Die dritte essentialistische Festlegung ist die These von der Sinnhaftigkeit normativer Forschung, also praktischer Wissenschaft schlechthin.54 Dies muss inzwischen jedoch nicht mehr die Festlegung auf bestimmte methodische Zugriffe oder eine ausgearbeitete Ontologie bedeuten. Vor allem muss praktische Wissenschaft nicht in einem Gegensatz zu analytisch-empirischer Forschung gedacht werden. Normative Urteile schließen deskriptive selbstverständlich ein. Ohnehin werden in der Arbeit keine Sollensaussagen im Sinne konkreter Handlungsvorgaben für voraussichtliche Entscheidungssituationen getroffen. Vielmehr wird für einen bestimmten Argumentationsrahmen plädiert, sollen die einzelnen politikwissenschaftlichen Teildiskussionen mit diesem Rahmen verbunden werden. Der Begriff der Staatsräson eignet sich zweifellos für normative Vorhaben. Zum einen, weil er unter der Voraussetzung aktueller Staatlichkeit eine eindeutig demokratiewissenschaft­ liche Funktion erfüllt,55 deren Bedeutung gerade unter Verweis auf die einführenden Bemerkungen zur Relevanz der Thematik vor Augen tritt. Zum anderen eignet er sich hierzu wegen seiner existentiellen Konnotation. So liest es sich auch bei Andreas Anter: „Wenn es um die Existenz politischer Ordnung geht, kann sich die Politikwissenschaft nicht auf einen positivistischen oder relativistischen Standpunkt zurückziehen, sondern wird sich normativen Fragen nicht entziehen können.“56 Dazu gehört unbedingt, eine Vermittlung zwischen Theorie und Praxis für möglich zu halten, die weder die Vernunft der Theorie korrumpiert noch die Gegebenheiten der Realität ignoriert.

III. Aufbau der Arbeit Auf Allgemeines folgt jeweils Besonderes, auf Analyse folgt schließlich Synthese, so ist die Arbeit aufgebaut. Teil B. definiert als Auseinandersetzung mit den theoretischen Grundlagen den grundsätzlichen Bezugsrahmen eines aktuellen Verständnisses von außenpolitischer Staatsräson. In Teil C. erfolgt die Übertragung dieses Bezugsrahmens auf die politikwissenschaft­ liche Diskussion um die deutsche Außenpolitik. Obwohl Teil B. keine Ideengeschichte der Staatsräson im engeren Sinne darstellt, beruht er auf einem chronologischen Gliederungsprinzip. Und obwohl Teil C. keine abgeschlossene Systematik des disziplinären Diskurses um die Außenpolitik DeutschBeyme (2000), S. 39–49. Friedrich (1961), S. 18–20. 56  Anter (2007), S. 269. 54  Vgl. 55  Vgl.

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lands ausbreitet, ist seine Gliederung prinzipiell systematisch angelegt. Die Schlussbetrachtung liefert abschließend eine Synthese, keine einfache Gesamtschau der Resultate, sondern ihre Verschränkung. So lässt sich der grundsätzliche Aufbau der Arbeit skizzieren. Eine kleinteiligere Erklärung bedarf der näheren Erläuterung der einzelnen Kapitel respektive der eigent­ lichen Idee hinter ihnen und ihrer Anordnung. Die theoretischen Grundlagen der Staatsräson sind mit den Grundlagen der Staatlichkeit selbst verwoben. Den Auftakt des zweiten Teils der Arbeit bildet folglich Kapitel B. I., das Staatsräson als theoretischen Teil der Staatsetablierung erläutert. Dies geschieht von Anfang an in einem ausschließlich politiktheoretischen Kontext, im Besonderen im außenpolitiktheoretischen Zusammenhang. Unter Bezugnahme auf Machiavelli und Hobbes wird zuerst die neuzeitliche Hinwendung zur nach innen und außen differenzierten Betrachtung von Politik vorgestellt. Diese wird als Durchsetzung des modernen Partikularismus gegenüber dem mittelalterlichen Universalismus beschrieben. Staatsräson erscheint dabei als wirksamstes Lizenzierungsinstrument tradi­ tionsbrechender Politikvorstellungen. Staat, Staatenwelt und Staatsräson bilden dabei einen Begründungszusammenhang, der sich in der ideengeschichtlichen Rückschau aufs Deutlichste bei den beiden frühneuzeitlichen Klassikern schlechthin, Machiavelli und Hobbes, zeigt. Aus der genannten Trias erfolgte erstmalig die eigentümlich neuzeitliche Konstitution einer eigengesetzlichen Politikdimension: der Außenpolitik. Deshalb lässt sich auch von der „Begründung von Außenpolitik bei Machiavelli und Hobbes“ sprechen. Ebenso wie diese Begründung auf einem spezifisch partikularen Verständnis von politischer Organisation beruht, basiert sie auf einem spezifischen Verständnis davon, welche gedankliche Orientierungsform politischen – außenpolitischen – Kontexten angemessen sei. Mit anderen Worten: sie definiert ein eigenes Verständnis von politischer Klugheit. Dies geschieht im Wesentlichen über den Weg einer Umdeutung des tradierten aristotelischen Klugheitsbegriffs. Ein scharfer innerweltlicher Konsequenzialismus löst dabei ältere Perspektiven auf Politik ab. Dem liegt ein moralphilosophischer Schritt zugrunde, nämlich derjenige von der individuellen zur institutionellen Ethik. Ausdruck dessen ist Staatsräson. Dieses Verständnis von politischer Klugheit als Staatsklugheit erzeugt eine theoretische Disposition, die in einer Außenpolitik der unbeschränkten Vorteilsmehrung endet. Konkret wird somit ein extremes Machtausdehnungsgesetz formuliert, das den präventiven Einsatz von Gewaltmitteln einschließt. So erklärt sich der zuspitzende Titel des Unterkapitels: „Staatsräson als Kriegsgebot“. Das Kapitel B. I. endet mit einem Blick auf den prinzipiellen Charakter der theoretischen Situation, die auf den Durchbruch einer unbegrenzten partikularen Staatsräson folgt. Die Reinheit des partikularen Denkens bei



III. Aufbau der Arbeit27

Machiavelli und Hobbes demonstriert nichts treffender als ihr geradezu axiomatisches Desinteresse an Problemen, die mehr als den Einzelstaat betreffen, mithin nicht mehr partikular sind. Es findet kein Perspektivwechsel zwischen staatlicher Außenpolitik und der Politik innerhalb der Staatenwelt statt. Zwischenstaatliche Konfliktvermeidung ist völlig von der Agenda des politischen Denkens verschwunden, das gänzlich um die zwischenstaatliche Konfliktentscheidung kreist. Die frühneuzeitliche Staatenwelt hat als archetypische Konkurrenzumwelt maßgeblichen Niederschlag in den Schriften von Machiavelli und Hobbes gefunden respektive ist hier maßgeblich vorgezeichnet worden. Die ständige Hervorbringung unausweichlicher Gegensätzlichkeit bildet sozusagen den Endpunkt der historischen Staatsetablierung. Hier zeigt sich der unauflösbare Rest des außenpolitischen Denkens der Frühen Neuzeit, hier zeigt sich „Staatsräson als außenpolitische Aporie“. Gleichfalls offenbart die aporetische Situation im Kern die Kehrseite der Legitimationsfunktion von Staatsräson, ihren limitierenden Charakter. Diese Limitationseffekte, die im prinzipiellen Rationalitätsbezug jeder Vorstellung von Staatsräson angelegt sind, treten allerdings erst vollends zutage, wenn der staatliche Partikularismus universal verankert wird. Dies ist das Thema des Kapitels B. II. Eine solche Verankerung lässt sich spätestens gegen Ende des 18. Jahrhundert feststellen. Ihren Kulminationspunkt, auch im Außenpolitischen, erfährt diese in der Philosophie Kants. Die Universalisierung der Vernunft, das Kernstück des politischen Denkens der Aufklärung, schwingt sich zum Widerpart der partikularen Staatsklugheit auf. Auch hier zeigt sich also wieder ein Verständniswandel im Bereich der politischen Rationalität. Politische Klugheit erscheint nur noch als praktische Vernunft sinnvoll denkbar. Dies wiederum bedeutet keine Rückkehr zu vormodernen Formen politischer Klugheit, sondern einen exakten Gegenentwurf zu Machiavellis und Hobbes’ so eindeutiger Parteinahme zugunsten der Empirie gegen die Theorie. Kant optiert theoretisch. Mit dem Recht, genauer: dem Menschenrecht, der Forderung der universalen Vernunft, tritt eine überpositive Kategorie auf den Plan, die der traditionellen Variante der Staatsräson noch völlig fremd gewesen war. Die gedankliche Duldung völlig rechtsfreier Räume, wie sie in Bezug auf das Zwischenstaatliche das Denken Machiavellis und Hobbes genuin kennzeichnet, lässt sich unter universalen Prämissen nicht aufrecht erhalten. Insofern ergeben sich gänzlich andere Handlungsgebote, welche in vielerlei Hinsicht – keinesfalls jedoch überall – das Gegenteil der bis dahin formulierten Staatsräson bedeuten. Kant selbst hat diesem Umstand auch in terminologischer Hinsicht Rechnung getragen. Folglich erklärt sich die Überschrift: „Von der Staatsklugheit zur Staatsweisheit“. Die Pointe der kantschen Handlungsgebote spricht der Titel des zweiten Unterkapitels an, und zwar im Sinne einer Gegenüberstellung zur ursprüng-

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A. Einführung

lichen Staatsklugheitslehre: „Staatsräson als Friedensgebot“. Die Friedensbezogenheit der kantschen Konzeption erklärt sich präzise aus der Rechtsbezogenheit der Staatsweisheit. Dazu werden die Rechtssubjektivität von Staaten und die sich daraus ableitenden außenpolitischen Handlungsimperative erläutert. Das außenpolitische Großprogramm des neuzeitlichen Universalismus ist der Analogieschluss, der die Identität von Zwischen- und Vorstaatlichkeit zum Ausgang nimmt und folglich einmal mehr ein naturzustandsüberwindendes Argument entwickelt. Die begriffliche Klarheit wie die Vielseitigkeit des Problembewusstseins, die das Denken Kants auszeichnen, führen zu einem anspruchsvollen Politikentwurf. Wobei gerade der Anspruch bemerkenswert ist, den partikularen Staat zwar einerseits mit einer universalen Legitimationstheorie zu unterfüttern, andererseits jedoch die partikulare Rechtspersönlichkeit des Staates zu bewahren. Insofern ist es gerade nicht der Universalstaat, der zum normativen Fluchtpunkt der kantschen Philosophie wird, sondern der freiwillige Staatenbund. Dies wird als maximal wünschbare Variante zwischenstaatlicher Konfliktvermeidung bei Kant vorgestellt. Vor allem aber ist der entschieden universale Anspruch bedeutsam, der hiermit in das außenpolitische Denken zurückgekehrt ist. Die Auseinandersetzung mit diesen drei Klassikern der politischen Ideengeschichte erfolgt aus einer bestimmten Überlegung heraus: Da Teil B. der Arbeit insgesamt weniger eine inhaltlich eng definierte These liefern soll, sondern vielmehr auf die Markierung des korrekten Bezugrahmens einer aktualisierenden Beschäftigung mit Staatsräson abzielt, musste eine möglichst präzise Identifizierung der diskursiven Eckpunkte erfolgen. Da Außenpolitik und internationale Politik genuin neuzeitliche politische Konzeptionen sind, erscheint es sinnvoll, die jeweiligen Eckpunkte auf den Fundamenten des neuzeitlichen politischen Denkens an sich zu suchen. Unter Hinzunahme des partikular-universalen Deutungsmusters ist somit klar, dass es eine ideengeschichtliche Entwicklungslinie abzuschreiten gilt, die vom staatlichen zum suprastaatlichen Denken verläuft. Genau deswegen und wegen der konstitutiven Bedeutung dieser Konstellation für die nachfolgenden Diskussionen bis in unsere Zeit, wurden Machiavelli und Hobbes auf der einen und Kant auf der anderen Seite ausgewählt. Denn Georg Cavallars Urteil über die Konstanten des kosmopolitischen Denkens der Neuzeit lässt sich verallgemeinern: „In vieler Hinsicht bewegen sich unsere Diskurse auch heute innerhalb jenes argumentativen Rahmens, der bis in das 18. Jahrhundert geformt wurde.“57 Um dies zu veranschaulichen, reicht es daher aus, sich im Nachfolgenden auf die einschlägigen theoretischen Bausteine zu konzentrieren und nicht die gesamte Argumentationssystematik eines klassischen Autors auszubreiten. Die Zusammenlegung von Machiavelli und 57  Cavallar

(2005), S. 67.



III. Aufbau der Arbeit29

Hobbes schien sinnvoll, weil der Durchbruch des Partikularismus den Ausgangspunkt von Teil B. darstellt und durch die Heranziehung beider Autoren eine größere systematische Verständlichkeit gewährleistet werden kann.58 Hierauf folgt in Kapitel B. III. ein Exkurs, der dem „Problembewusstsein für die gegenseitige Bedingtheit von Staatsphilosophie und Philosophie der internationalen Beziehungen“59 Rechnung trägt. An dieser Stelle wird der Zusammenhang von Staatslegitimationstheorie und außenpolitischer Staatsräson behandelt. Dabei wird Staatslegitimationstheorie als der wesentliche Bestimmungsfaktor für außenpolitische Theoriebildung erläutert. Dies dient zum einen größerer methodischer Klarheit. Zum anderen wird noch einmal die Sinnhaftigkeit des Bezugs auf die ideengeschichtlichen Klassiker untermauert. Ausgehend von der Einordnung von Hobbes und Kant als unterschiedliche Vertreter des kontraktualistischen Legitimationsschemas wird deutlich, dass außenpolitische Maximen, mithin auch die außenpolitische Staatsräson, eine Spiegelung der Letztbegründungsargumente der jeweiligen Staatseinrichtungstheorie darstellen. Im Einzelnen wird dies im Rahmen des strategischen Kontraktualismus, also bei Hobbes, und im Rahmen des vernunftrechtlichen, also bei Kant, erläutert. Zum Abschluss des Exkurses kann somit einerseits verdeutlicht werden, dass Staatslegitimation und außenpolitische Theoriebildung sich zueinander wie ein unendlicher Begründungsregress verhalten. Andererseits wird der enge Bezug zwischen Partikularismus und Universalismus noch einmal hervorgehoben, es wird klar, dass Staatsräson als Kriegs- oder Friedensräson weniger in einem gegensätzlichen als in einem reziproken Verhältnis zueinander stehen. Den Knotenpunkt der Argumentation markiert jedoch in jedem Fall das ursprüngliche Staatslegitimationsargument, was sich auch im weiteren Verlauf von Teil B. zeigen wird. Das Kapitel B. IV. verlässt den allgemeinen politiktheoretischen Teil und wendet sich der im engeren Sinne institutionell verstandenen politikwissenschaftlichen Theorie zu. In der Auseinandersetzung mit bedeutenden Denkschulen der Internationalen Politik des zwanzigsten Jahrhunderts wird die Fortexistenz von partikularer und universaler Diskussionsanordnung nachgewiesen. Gleichfalls wird anhand zentraler Lehrstücke der jüngeren Theoriegebäude, namentlich dem „Nationalen Interesse“ und der „Interdependenz“, die Persistenz des staatsräsonalen Denkens als normativer Kern auch der jüngeren Debatten herausgearbeitet. Dabei treten einzelne Traditions­ linien zutage, welche die Verbindungen zwischen den frühneuzeitlichen 58  Nicht im begriffsgeschichtlichen oder philosophisch-systematischen, wohl aber im ideengeschichtlichen Kontext ist es denn auch höchst plausibel, Machiavelli als direkten Vorläufer von Hobbes auszuweisen; vgl. Münkler (1984). 59  Cheneval (2002), S. 632.

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A. Einführung

Diskussionsstrukturen und der jüngeren Politikwissenschaft abschließend verdeutlichen. Hinter allerlei terminologischen Neuerungen lassen sich klassische Strategiedebatten des Auswärtigen entdecken, folglich außenpolitische Staatsräsondefinitionen. Andererseits wird auch deutlich, dass nicht mehr dieselbe Anschaulichkeit der Gegenüberstellung partikularen und universalen Denkens gegeben ist, wie sie bei den Klassikern vorzufinden war. Allerdings durchzieht auch die akademische Politikwissenschaft des 20. Jahrhunderts der theoretische Zusammenhang von Argumenten der Staatslegitimation und derjenigen der außenpolitischen Maximenbildung, daher heißt das Unterkapitel „Staatsräson in der Lehre der Internationalen Politik“. Den Abschluss des Unterkapitels B. IV. 1. bildet die Thematisierung der Staatsräson innerhalb der konstruktivistischen Methodik. Als prominentester Interpretationszugriff in der jüngeren Politikwissenschaft hat der Konstruktivismus viele Debatten bestimmt, auch viel Widerspruch provoziert. Mit Blick auf außenpolitische Staatsräson und eingedenk des explizit normativen Selbstverständnisses dieser Arbeit wird dem Konstruktivismus eine hilfswissenschaftliche Funktion zugewiesen. Zur Bereicherung der epistemologischen Perspektiven auf den Begriff Staatsräson ist er außerordentlich hilfreich, zu einer inhaltlichen Bestimmung kann er aufgrund seiner prinzipiellen normativen Indifferenz nicht dienen. Es wird aufgezeigt, dass dem Konstruktivismus außenpolitische Staatsräson als Erkenntnisproblem erscheint, nicht als normatives. Letztgenanntes ist der Kern des daran anschließenden Unterkapitels B. IV. 2., das mit „Staatsräson und liberaler Staat“ betitelt ist. Die Rede vom liberalen Staat kennzeichnet hier nichts anderes als die aktuelle Entwicklungsvariante des neuzeitlichen Staates. Die Bezeichnung liberal stellt in diesem Zusammenhang keinen konkreten ideengeschichtlichen Verweis auf den Liberalismus im engeren Sinne dar, geschweige denn eine wie auch immer zu deutende Stellungnahme mit Blick auf moderne Parteifamilien. Hingegen dient das Adjektiv allein der Kenntlichmachung des eigentümlichen politiktheoretischen Doppelcharakters heutiger Staatlichkeit. Dieser besondere Charakter liegt in der Gleichzeitigkeit von partikularer Organisation und universaler Legitimation. Das Unterkapitel thematisiert die sich hieraus ergebende spezifische Herausforderung für die politische und außenpolitische Theorie: Die gegenseitige Überwältigungsgefahr partikularen wie universalen Denkens. Hingegen wird als Ziel benannt, zu einem komplementären Verständnis zu gelangen. Dazu erfolgt eine kurze Argumentation zum Verhältnis von Vernunft und Macht und eine kursorische Auseinandersetzung mit der wichtigsten thematisch einschlägigen Arbeit der modernen Politikwissenschaft, Carl Joachim Friedrichs Versuch über die „Staatsräson im Verfassungsstaat“. Sodann erfolgt das eigentliche Argument zugunsten einer reziproken Bedingtheit von Partikularismus und Universalismus anhand eines konkreten Bei-



III. Aufbau der Arbeit31

spiels aus der aktuellen internationalen Politik. Im Rahmen des Themenfelds der so genannten humanitären Intervention, dem vielleicht theoretisch herausforderndsten Phänomen der internationalen Politik nach Ende des Kalten Krieges, wird erläutert, wie aktuelle außenpolitische Staatsräson, also die des liberalen Staates, aussehen könnte. Dabei kommt erneut der legitimierende wie limitierende Aspekt des Begriffs zum Tragen. Die humanitäre Intervention bedeutet nichts anderes als die gewalttätige Durchsetzung universaler Forderungen durch eine partikulare Macht. Dass in solchen Situationen notwendigerweise Ambivalenzen auftreten und sich alles in einer normativen Grenzsituation abspielt, unterstreicht die Bedeutung des Themas als Bewährungsort für aktuelle und anspruchsvolle Außenpolitiktheorie, als geradezu idealen Ort einer Staatsräsondiskussion. Den Abschluss des Unterkapitels bildet ein Plädoyer zugunsten der Verschränkung von partikularen wie universalen Denkstrukturen, wenn tatsächliches außenpolitisches Handeln politikwissenschaftlich grundiert werden soll. Außenpolitische Staatsräson versucht in diesem Sinne den Brückenschlag zwischen den Geboten der Theorie und den Möglichkeiten der Praxis. Ebenso wie das vorangegangene bewegt sich dann Kapitel B. V. im Rahmen der gegenwärtigen politikwissenschaftlichen Theoriedebatte. Allerdings wechselt die Perspektive von der Vertikalen in die Horizontale: nicht mehr die möglichst große Tiefe der politisch-normativen Abwägung, sondern die denkbar vorhandene Breite der politikorganisatorischen Möglichkeiten wird in den Blick genommen. Thema sind die heutige Gestalt der Bedingung von Staatsräson, also des Staates, und die Frage nach der Relevanz der universalen Staatsorganisation, also des Weltstaats. In beiderlei Hinsicht lassen sich bestimmte Konsequenzen für eine aktuelle außenpolitische Staatsräson ziehen. Da die so genannte Globalisierung als wichtigste Epochensignatur erscheint, trägt das Kapitel den Titel „Staatsräson im Zeitalter der Globalisierung“. Das Unterkapitel B. V. 1. thematisiert mithin die Frage nach dem Wandel des Staates im Rahmen der Globalisierung. Denn auch die Globalisierungsforschung präsentiert die alte These vom Absterben des Staates als Neuigkeit. Allein, der geschichtliche Staat wandelt sich bloß. Am Ende der Diskussion der verschiedenen Wandlungsthesen steht das Fazit einer legitimationstheoretisch notwendigen Fortexistenz von Staatlichkeit. Auch jede jüngere Form von Staatsräson findet hier eine alte Aufgabe. Andererseits zeigt sich auch eine mögliche Perspektive auf Globalisierung, in der der Staat ohnehin machtanalytisch als Gewinner erscheint und somit also weniger die machtbehauptende Funktion von Staatsräson als vielmehr ihre legitimationstheoretische von gesteigertem Interesse bleibt. Mit der Frage nach dem Klugheitsverständnis, das einer aktuellen außenpolitischen Staatsklugheit zugrunde gelegt werden sollte, setzt das letzte

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A. Einführung

Unterkapitel von Teil B. ein. Dazu werden erst die bekannten und gegenläufigen Klugheits- respektive Vernunftkonzeptionen rekapituliert. In der Theorie stehen sich universale Forderungen und partikulare Interessen unvermittelt gegenüber, was zu einer Renaissance aristotelisch-phronetischer Klugheitskonzeptionen geführt hat, die eine praktische Vernünftigkeit abbilden sollen. Am Ende der Diskussion unterschiedlicher Klugheitskonzepte nimmt die Arbeit nicht etwa Partei, sondern plädiert für eine möglichst ausgedehnte kognitive Gruppenarbeit bei der praxisbezogenen Vermittlung zwischen partikularen und universalen Prämissen. Basierend auf dieser grundsätzlichen Annahme zu politischer Rationalität im Allgemeinen und außenpolitischer Staatsräson im Besonderen wendet sich das Unterkapitel politikorganisatorischen Fragen zu. Im Zentrum steht dabei die Frage nach der Positionierung außenpolitischer Staatsräson zwischen Staatenwelt und Weltstaat. In Auseinandersetzung mit der aktuellen Theoriediskussion werden probeweise eine partikulare und eine universale Staatsräson formuliert. Den Abschluss bildet ein Argument, das für einen Blickwechsel weg von den trennenden Faktoren von Partikularismus und Universalismus und hin zur Gemeinsamkeit eintritt. Diese Gemeinsamkeit wird als das eigentliche Medium aktueller außenpolitischer Staatsräson ausgewiesen, hier formuliert sie sich im Sinne allgemeiner Politiktheorie. Ein Resümee fasst die Ergebnisse zusammen und gibt einen Ausblick. Damit werden die theoretischen Grundlagen für ein aktuelles Verständnis außenpolitischer Staatsräson gelegt und Teil B. der Arbeit abgeschlossen. Die Übertragung dieser Grundlagen auf den Diskurs innerhalb der mit deutscher Außenpolitik befassten deutschen Politikwissenschaft bildet Teil C. der Arbeit. Grundsätzlich wird die politikwissenschaftliche Diskussion vor dem Hintergrund der theoretischen Ergebnisse aufbereitet. Ziel ist es dabei, den theoretischen Rahmen mit konkreten Inhalten zu füllen. Dazu konzentriert sich Teil C. auf politikwissenschaftliche Beiträge nach der deutschen Wiedervereinigung. „Politikwissenschaftlich“ ist dabei jedoch nicht ausschließlich in einem engen, institutionellen Sinne zu verstehen, sonder indiziert vielmehr den normativen Charakter der jeweiligen Forschung. Neben dem Fokus auf das Normative orientiert sich die Literaturauswahl am Selbstverständnis der einzelnen Forschungsmeinungen. Dabei wird Grundlegendes vor Konkretem bevorzugt. Es sind weniger die einzelnen Debatten zu konkreten politischen Ereignissen von Interesse, wie sie vornehmlich in zeitlicher Nähe zu prägnanten Geschehnissen in der deutschen Außenpolitik geführt werden, sondern hauptsächlich die übergeordneten Auseinandersetzungen um die grundsätzliche Ausrichtung der deutschen Außenpolitik – das erkenntnisleitende Ziel ist es jeweils, ein thematisch zugeordnetes strategisch verwendbares Substrat der Diskursinhalte zu gewinnen.



III. Aufbau der Arbeit33

Dazu unterteilt sich Teil C. der Arbeit in zwei Kapitel. Da jeweils die Übertragung der theoretischen Ergebnisse auf den politikwissenschaftlichen Diskurs im Zentrum steht, sind die Kapitel nicht inhaltlich betitelt. Das Grundmuster der Gliederung aufnehmend beinhaltet Teil C. Allgemeines und Besonderes der deutschen Außenpolitikforschung. Das Kapitel C. I. mit dem Titel „Erste Übertragung: Allgemeines“ umfasst die prinzipiellen Topoi, die immer wieder die Diskussion um die deutsche Außenpolitik grundsätzlich strukturieren. Hiermit sind noch keine konkreten Politikfelder angesprochen, sondern Faktoren, die den Hintergrund zu diversen Auseinandersetzungen stellen. Den Auftakt bildet das Unterkapitel C. I. 1., das die „Außenpolitische Staatsräson vor der Berliner Republik“ in den Blick nimmt. Bereits in den frühen Arbeiten zum Thema, beispielsweise von Waldemar Besson oder Ralf Dahrendorf, zeigen sich grundsätzliche Linien, die auch in der heutigen Diskussion auftauchen, insbesondere mit Bezug auf die Spannung zwischen partikularen und universalen Bestrebungen. Andererseits unterschied sich die Bonner Republik wieder grundsätzlich, so dass einige der Probleme, die bei den damaligen Autoren noch im Zentrum der Debatte standen, heute keine Rolle mehr spielen. Trotzdem müssen auch sie zur Sprache kommen, was an dieser Stelle geschieht. Das Unterkapitel C. I. 2. zu „Globalisierung und Staatensystem“ referiert die unterschiedlichen Bezüge, die sich in der Literatur finden, und zeigt die Relevanz, die beide miteinander verbundenen Themenkomplexe für die konkrete außenpolitische Staatsräson entfalten. Deswegen findet sich sodann an der Mittelposition des Gesamtkapitels das Unterkapitel C. I. 3. zum „Grundgesetz“. Die deutsche Verfassung zeigt archetypisch die Muster der partikularen Verwirklichung universaler Ziele. Nicht zuletzt in den Bereichen, wo das Grundgesetz spezifische außenpolitische Vorgaben macht, spricht es direkt als Teil außenpolitischer Staatsräson. Das Unterkapitel benennt diese Vorgaben, versucht jedoch auch eine Wertung im Lichte der theoretischen Grundlagen vorzunehmen. Darauf folgt das Unterkapitel C. I. 4. zu den Topoi „Geschichte und Normalität“, die so gut wie alle außenpolitischen Diskussionen grundieren. Im Zentrum der Untersuchung steht hier die Frage, inwiefern der Vergangenheitsbezug als sinnvoller Aspekt einer Staatsräson dienen kann, die zukünftiges Handeln leiten sollte. Dazu werden die in der Literatur vorhandenen Antwortvarianten gebündelt, zwischen Partikularismus und Universalismus verortet und so erläutert. Den Abschluss und zugleich einen Übergang bildet das Unterkapitel C. I. V. Die Außenpolitik der Bundesrepublik Deutschland steht seit frühester Zeit auf zwei Beinen, auf „Atlantizismus und Europäismus“. Dennoch, und bis in die jüngste Gegenwart hinein, tauchen in der Forschung immer wieder Positionen auf, die den Themenkomplex als Entscheidungssituation darstellen. Das Unterkapitel fragt nach der Sinnhaftigkeit

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A. Einführung

solcher Positionen im Lichte der theoretischen Grundlagen und erschließt so die Bedeutung des Themenfeldes für die Formulierung außenpolitischer Staatsräson. Außerdem stellt es einen Übergang zum folgenden Kapitel dar, weil hier außenpolitische Vorgaben mit dem höchsten Konkretionsgrad diskutiert werden. Diese stehen dann im Zentrum des Kapitels C. II., weswegen es auch mit „Zweite Übertragung: Besonderes“ überschrieben ist. Während im vorigen Kapitel Aspekte zur Sprache kommen, die häufig die gegenständlichen Diskussionen begleiten, ihnen gleichsam unterlegt sind, ohne den eigentlichen Streitpunkt zu bilden, wendet sich die Arbeit nun den klaren normativen Vorgaben zu, die auf ein bestimmtes Politikfeld bezogen in der Literatur gegeneinander in Stellung gebracht werden. Die normativ operierende Außenpolitikforschung hat differenzierte Konzepte hervorgebracht. Auch wenn die Grenze zwischen De- und Präskription nicht immer besonders deutlich gezeichnet wird, liefern diese Konzepte recht umfassende Politikempfehlungen auf der Ebene außenpolitischer Strategie. Das Unterkapitel C. II. 1. untersucht die unterschiedlichen Konzepte im Hinblick auf die erarbeiteten Grundlagen in der Theorie und eröffnet somit Anknüpfungspunkte im engeren Sinne einer Diskussion um außenpolitische Staatsräson. Daran schließen drei Kapitel an, welche die außenpolitischen Strategiedebatten zu den drei großen institutionellen Rahmen der deutschen Außenpolitik untersuchen. Die deutsche Europa-, die VN- und die NATO-Politik stellen mit Abstand die wichtigsten Betätigungsfelder bundesrepublikanischer Außenpolitik dar. Hier liegt das Hauptarbeitsfeld der unmittelbar politikberatenden Politikwissenschaft, hier spiegeln sich in aller Regel auch die unterschiedlichen strategischen Konzepte. Neben einigen kurzen zeithistorischen Rekapitulationen, die alleine der Orientierung dienen, widmen sich die Unterkapitel C. II. 2. bis C. II. 4. den grundlegenden normativen Vorstellungen, die mit den jeweiligen Institutionen in Verbindung gebracht werden. Auf ihrer Relevanz als Teil außenpolitischer Staatsräson liegt der Fokus. Es handelt sich bei diesen Unterkapiteln also weder um historische Darstellungen noch um Institutionenforschung. Vielmehr wird die Frage nach der grundsätzlichen strategischen Position der Bundesrepublik im jeweiligen Politikfeld thematisiert und diese mit den theoretischen Ergebnissen aus Teil B. der Arbeit verbunden. Nur so lässt sich auch hier, also in der kaum zu überblickenden Debatte um einzelne Gesichtspunkte, ein normatives Substrat als Aspekt außenpolitischer Staatsräson gewinnen. Den Abschluss bildet ein Unterkapitel zur Interventionspolitik. Dieses Unterkapitel C. II. 5. bildet ein Pendant zum Theoriekapitel „Staatsräson und liberaler Staat“. Weil die humanitäre Intervention die größte Herausforderung normativ orientierter Außenpolitikforschung darstellt, ist es sinnvoll, den Teil der Arbeit, der sich mit konkreten außenpolitischen Handlungsfeldern und den zugehörigen konkreten Handlungsvorgaben der Literatur be-



IV. Forschungsstand35

schäftigt, hiermit enden zu lassen. Auch hier fasst ein Resümee die Ergebnisse zusammen und gibt einen Ausblick. Die Untersuchung schließt mit einer synthetischen Schlussbetrachtung ab. Synthese ist hier wörtlich und nicht theoretisch zu verstehen. Es soll nichts in etwas anderem aufgehoben, sondern zusammengefügt werden. Die Ergebnisse von Teil B. werden in der Arbeit zwar auf Teil C. übertragen, sie wirken in Teil C. aber vornehmlich als Ergebnisfilter. Die Schlussbetrachtung führt alle Ergebnisse abschließend zusammen und versucht so zu zeigen, dass Außenpolitiktheorie immer auch im Sinne allgemeiner Politik­ theorie verstanden und formuliert werden muss. Abermals wird an dieser Stelle das Begriffspaar von Partikularismus und Universalismus Verwendung finden, um außenpolitische Ergebnisse der Arbeit zu ordnen und diese in die allgemeine Politiktheorie einzuordnen. Ziel ist es, nicht nur wesentliche Aspekte der außenpolitischen Staatsräson der Bundesrepublik herauszuarbeiten, sondern auch die theoretischen Pfade auszuweisen, auf denen sich das Thema fortentwickeln lässt.

IV. Forschungsstand Der Forschungsstand ist nie mehr als ein subjektiver Blick in die Literatur. Sonst müsste sich schon beweisen lassen, dass sich Wissen linear entwickelt, dass Gewusstes und zu Wissendes niemals einen kausalen Zusammenhang bilden oder auch, dass ausgerechnet schon vor der Bearbeitung eines Themas hinreichend klar sein sollte, was alles dazu gehört und was nicht. Die Skepsis, die sich also bei jedem Versuch einstellt, eine Wissensübersicht zu gewinnen, resultiert forschungsstrukturell in einem Hang zum Mikroskopischen. Max Weber hat früh auf dieses Charakteristikum moderner Wissenschaft hingewiesen, es bejaht und wissenschaftliche Eigenständigkeit nur im Rahmen maximaler Spezialisierung gelten lassen.60 Inzwischen stehen selbst eng fokussierte Untersuchungen vor einem praktisch unüberwindbaren Gebirge aus Literatur. Die Literaturauswahl dieser Arbeit ist denn auch zwangsläufig eben nur eine solche. Sie orientiert sich weniger am Ziel, einen Beitrag zur theoretischen Differenzierung zu liefern, als vielmehr daran, zu einer Theorieverdichtung zu gelangen. Daraus folgend leidet unumgänglich die Darstellung der Vielfalt an Einzelperspektiven. Der Politikwissenschaft mangelt es aber sicher nicht an theoretischem Pluralismus, denn die Zahl der Theorien zur internationalen Politik erhöht sich kontinuierlich. Um genau zu sein, lässt sie sich nur noch abbilden, nicht aber mehr in ihrer Breite auf ein konkretes Problem anwenden. Die 60  Vgl.

Weber (1996), S. 11–12.

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A. Einführung

Arbeit konzentriert sich hingegen auf die praktische Theorie internationaler Politik, schenkt dafür aber beispielsweise der epistemologischen Theorie weniger Aufmerksamkeit. Die häufig nur vermeintlichen Fundamentalunterschiede der Theorien internationaler Politik verringern sich außerdem, wenn sie in allgemeine Überlegungen zur Staatstheorie eingebettet werden, was hier über das Begriffspaar Partikularismus und Universalismus erfolgt. So erschließt sich auch der Zugang zur außenpolitischen Literatur, die im Rahmen der Arbeit dann relevant ist, wenn sie konkrete normative Vorgaben macht. Auch bei der Aufarbeitung der außenpolitischen Literatur wird der übergeordnete Begründungszusammenhang, den der Begriff Staatsräson beansprucht, von zentraler Bedeutung sein. Es sind die Bundesrepublik Deutschland als moderner, aktueller Staat und die damit einhergehenden begründungstheoretischen Zusammenhänge, die den Zugriff auf die außenpolitische Literatur strukturieren. Dabei muss der literarische Bezug hierzu nicht explizit erfolgen, wohl aber implizit deutlich werden. Dies kann bei pragmatischer, auf konkrete Maßnahmen gerichteter Außenpolitikforschung ebenso der Fall sein wie bei solcher, die ausführlicher staatstheoretisch reflektiert. In jedem Fall soll sie einen strategischen Zug aufweisen, also normative Aussagen treffen, die über das ausschließlich Kurzfristige hinausgehen. Beim Begriff der Staatsräson wiederum erscheint es auf den ersten Blick so, als ob dieser gar kein aktuelles politikwissenschaftliches Forschungsfeld erschließen könnte. Friedrich Meineckes nicht unbedingt junge Studie spielt nach wie vor eine Hauptrolle in den wissenschaftlichen Apparaten.61 Dem trägt die Arbeit insofern Rechnung, als dass aus der Zeit vor Meinecke nur Klassiker der politischen Ideengeschichte herangezogen werden, die für weitaus mehr als für Staatsräson stehen.62 Deren Begriff hat in seiner ungefähr 500jährigen Existenz zwar eine Vielzahl an Interpretationen, Kritiken und Verteidigungen erfahren.63 In der jüngeren Forschung taucht die Staatsräson jedoch fast ausschließlich im ideenhistorischen Rückblick auf.64 So liegt Carl Joachim Friedrichs Versuch einer Ethisierung der Staatsräson im Meinecke (1957). werden Machiavelli, Hobbes und Kant als die bedeutendsten Pro­ tagonisten hinsichtlich der ideengeschichtlichen Grundlagen des außenpolitischen Staatsräsondiskurses vorgestellt, aber auch nur insoweit und nicht in einem darüber hinausgehenden Sinne; auch wird darauf verzichtet, Forschungsdiskussionen mit Blick auf die drei genannten Autoren auszubreiten. 63  Vgl. Schnur (1975); Mattei (1979); Lazzeri (1992). 64  Vgl. Stolleis (1990); Viroli (1992); Nitschke (1995); Ottmann (2006); dies gilt zumindest, wenn man den Blick auf die deutschsprachige Forschung richtet und den angelsächsischen Ersatzbegriff des „national interest“ und seine deutsche Adaptation ausklammert. 61  Vgl.

62  Allerdings



IV. Forschungsstand37

Rahmen des liberalen Verfassungsstaates bereits ein halbes Jahrhundert zurück.65 Behaftet mit dem Hautgout des Arkanen, Reaktionären und Undemokratischen taugt die Ratio des Staates vielen allenfalls als negativ konnotierte Kontrastvokabel.66 Auch der sich angesichts der Globalisierung erhebende Ruf nach Behauptung staatlicher Handlungsfähigkeit verbindet sich bisher nicht mit Staatsräson.67 So erscheint eine neuerliche Reflexion der Staatsräson im 21. Jahrhundert unter neuen Vorzeichen und Bedingungen nicht nur in theoretischer Hinsicht sinnvoll, sondern auch in praktischer. Denn auch wenn Staatsräson prima facie kein Arbeitsfeld der aktuellen politischen Theorie ist, begegnet sie doch in Ersatzbegriffen, wie etwa dem außenpolitischen Interesse.68 Dieses begriffskonjunkturelle Tief ist jedoch nicht etwa das Ergebnis der innenpolitischen Überwindung der Staatsräsonproblematik, sondern ihrer Entscheidung: Moderne Staaten charakterisiert ihr rechtliches sowie faktisches Gewaltmonopol, und exakt aufgrund dieser Konkurrenzlosigkeit bedarf es keines gesonderten Selbsterhaltungsdogmas jenseits des positiven Rechts ihrer Verfassungen. Im Rahmen der allgemeinen Staatstheorie wurden vor allem Autoren herangezogen, deren Arbeiten ebenso jüngeren Datums wie eigenständig und belangvoll sind. Neben den Prominenzen der historisch-strukturellen Staatsforschung, Charles Tilly und Wolfgang Reinhard,69 sind für die Argumentationsbildung der Arbeit insbesondere Rüdiger Voigt, Andreas Vasilache und Andreas Anter wichtig gewesen.70 In den Sammelbänden von Stephan Leibfried, Michael Zürn oder von Achim Hurrelmann finden sich Panoramen der aktuellen Forschungsfragen und Ergebnisse.71 So unterschiedlich die Ergebnisse im Einzelnen ausfallen, so unbestreitbar zeigt sich doch eine Renaissance der Staatsforschung, welche die Zentralität ihres Forschungsobjekts wieder stärker betont, nachdem es zuvor nicht an Nachrufen auf den Staat gemangelt hatte.72 Friedrich (1961). Wolf (2000). 67  Vgl. Oberreuter / Piazolo (2001); Fukuyama (2004); Voigt (2007); häufig auch implizit angesichts der allgegenwärtigen Klage über „failed states“; vgl. exemplarisch Rotberg (2004); Risse (2005). 68  Dies trifft keineswegs nur auf die Denkschule des Realismus zu, sondern umfasst alle nicht-konstruktivistischen Positionen, die Akteursrationalität unterstellen, also auch den klassischen Liberalismus oder Idealismus in der internationalen Politik; niemand anderes als Alexander Wendt hat mit Nachdruck darauf hingewiesen; vgl.  Wendt (1992), S. 391–392. 69  Vgl. Tilly (1990); Reinhard (1999). 70  Vgl. Voigt (2007); Vasilache (2007); Anter (2007). 71  Vgl. Leibfried / Zürn (2006); Hurrelmann (2008). 72  Vgl. Strange (1996); Van Creveld (1999). 65  Vgl. 66  Vgl.

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Daneben lässt sich eine Gruppe von Autoren identifizieren. Sie besteht zum einen aus Autoren, die auf der aktuellen Sinnhaftigkeit des Begriffs der Staatsräson beharren, auch wenn dies hauptsächlich im Kontext ideen­ geschichtlicher Rückschauen geschieht, und zum anderen aus Autoren, die in ihren Studien nicht auf eine Auseinandersetzung mit klassischen Fragestellungen der Staatsräsonforschung verzichten, insbesondere in der Behandlung normativer Dilemmata des Staatshandelns. Matthias Thaler kann stellvertretend für Letzteres angeführt werden.73 Ideengeschichtliche Ausarbeitungen, die abschließend eine fortgesetzte Relevanz des Begriffs der Staatsräson feststellen und Plädoyers für neuerliche Auseinandersetzungen halten, liegen etwa von Herfried Münkler, Peter Nitschke oder Jonathan Haslam vor.74 In einem engeren rationalitätstheoretischen Sinn demonstriert Wolfgang Kersting dies am Begriff der Staatsklugheit.75 Im engen Zugriff auf die außenpolitische Staatsräson des modernen Staates pendelt die im institutionellen, disziplinären Sinne verstandene politikwissenschaftliche Forschung noch immer zwischen den Polen, die sich Ende der 1970er Jahre bereits etabliert hatten, weswegen im entsprechenden Kapitel auch noch einmal die Positionen Hans J. Morgenthaus sowie Robert Keohanes und Joseph Nyes rekapituliert werden.76 Auch der zuletzt stärker werdende Konstruktivismus, der sich vor allem mit dem Namen Alexander Wendts verbindet, hat dem keine weitere normative Facette hinzugefügt.77 Ein ganz anderes Bild ergibt sich jedoch, wenn man die engen Fachgrenzen verlässt und die philosophische wie rechtswissenschaftliche Diskussion ebenfalls einbezieht. Denn Christoph Horn und vor allem Otfried Höffe haben wirkmächtige normative Studien zu außenpolitischen Handlungszielen vorgelegt.78 Desgleichen und teilweise in Abgrenzung zu den philosophischen Beiträgen existieren Arbeiten juristischer Provenienz, die sich implizit oder sogar explizit die auswärtige Räson zum Thema nehmen.79 Im Rahmen dieser dezidiert normativen Forschung stellt die Frage nach dem Ob und gegebenenfalls nach dem Wieviel an Supranationalität zum jetzigen Zeitpunkt die am stärksten umstrittene Frage dar. Es handelt sich um eine Diskussion Weltstaat versus Staat, Universalismus versus Partikularismus. Ein abstrakter Staatsräsondiskurs, so lässt sich die zugehörige Forschung zusammenfassen, ist also sehr wohl 73  Vgl. 74  Vgl.

75  Vgl. 76  Vgl. 77  Vgl. 78  Vgl. 79  Vgl.

Thaler (2008). Münkler (1987); Nitschke (1995); Haslam (2002). Kersting (2005a). Morgenthau (2006); Keohane / Nye (1977). Wendt (1992). Horn (1996); Höffe (1999). Isensee (2003); Schröder (2003).



IV. Forschungsstand39

lebendig, auch wenn dies nicht immer einen eindeutigen begrifflichen Niederschlag findet. Bis hierhin sind ausschließlich Studien referiert worden, die einen abstrakten, staatstheoretischen Zugang zum Themenkomplex außenpolitische Staatsräson wählen oder in einem allgemeinen politiktheoretischen Sinne hierzu einen Beitrag liefern. Die in diesem Sinne einschlägige Forschung stellt aber bloß den theoretischen Sockel der Arbeit dar. Auf dieser Grundlage werden die spezifischen Diskussionen zur deutschen Außenpolitik und damit zur außenpolitischen Staatsräson Deutschlands untersucht. Sie stehen in der Systematik der Arbeit wie einzelne Säulen nebeneinander und werden zunächst nur durch den theoretischen Sockel, der die identische Perspektive auf die einzelnen Diskussionen ermöglicht, verbunden. Erst in dem synthetischen Finale der Arbeit finden sie einen gemeinsamen Abschluss, ein verbindendes Dach, das alle Einzelergebnisse überspannen soll. Bei den außenpolitischen Einzeldiskussionen konzentriert sich die Arbeit auf die Berliner Republik, das Deutschland nach der Wiedervereinigung. Wissenschaftliche Diskurse um die Außenpolitik der Bonner Republik werden nicht mehr nachvollzogen, außer in der expliziten Zuspitzung auf die Staatsräson des einstigen Westdeutschlands. Dies dient gleichsam als Wurzelgrund der jüngeren Diskussion. Insbesondere die außenpolitische Posi­ tionierung im bipolaren Staatensystem des Kalten Krieges stand hier im Zentrum der Kontroversen.80 Die Diskussion der letzten beiden Jahrzehnte wiederum wird vornehmlich als Diskurs unter deutschen Politikwissenschaftlern und Historikern untersucht, wenn sie denn normative Positionen zur deutschen Außenpolitik beziehen. Ausländische Stimmen werden ohnehin nur unvollständig berücksichtigt.81 Inzwischen liegt eine beachtliche Anzahl monographischer Übersichtsdarstellungen und Einführungen zur deutschen Außenpolitik vor, denen naturgemäß eine eigene Aufmerksamkeit zukommt.82 Die stark essayistischen Monographien von Hans-Peter Schwarz stechen in ihrer eindeutigen normativen Absicht immer noch hervor.83 Darüber hinaus sind seit Beginn der 80  Vgl. Besson (1970); Schwarz (1975); Dahrendorf (1976); Schwarz (1985); Link (1987); Kaiser (1987); Zimmer (1992); Peter (2003). 81  Auch wenn nach dem Ende des Kalten Krieges ein reges internationales Interesse an der deutschen Außenpolitik herrschte, deren grundsätzlicher Wandel erwartet wurde; vgl. Mearsheimer (1990); Crawford / Halfmann (1992); Nicolas / Stark (1992); Vernet (1992); Krasner (1993); Waltz (1993). 82  Vgl. Bredow / Jäger (1993); Hanrieder (1995); Rode (1996); Haftendorn (2001); Lantis (2002); Erb (2003); Hacke (2003); Schöllgen (2003); Schöllgen (2004); Bierling (2005); Gareis (2005); Hellmann (2006); Bredow (2008). 83  Vgl. Schwarz (1994); Schwarz (2005).

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1990er Jahre eine ganze Reihe von Sammelbänden entstanden, die sowohl die auswärtige Politik der Berliner Republik thematisieren als auch deren wissenschaftliche Begleitung durchleuchten und aufbereiten.84 Außerdem liegen verschiedene metatheoretisch reflektierende Arbeiten vor, die ausschließlich Strömungen in der Forschung zur deutschen Außenpolitik in den Blick nehmen.85 Daneben existiert seit dem Jahr 2007 ein umfassendes neues Handbuch deutscher Außenpolitik, das ein unerlässliches Hilfsmittel ist und sicherlich in näherer Zukunft auch bleiben wird.86 Ferner verbleiben die einschlägigen Periodika, die regelmäßig als Foren für Kontroversen um die deutsche Außenpolitik dienen, in denen sich in aller Regel Forschungstendenzen und methodische Grenzlinien offenbaren. Schließlich sei auf die Analysen verwiesen, die explizit das außenpolitische Interesse der Bundesrepublik Deutschland oder ihr außenpolitisches Teilinteresse innerhalb eines umgrenzten Politikfeldes zum Gegenstand haben.87 Hier zeigt sich nichts anderes als eine begrifflich eng an die englischsprachige Politikwissenschaft anknüpfende Variante einer Staatsräson-Diskussion. Insbesondere Christian Hacke ist in diesem Zusammenhang zu erwähnen, da er sich in seinem Oeuvre immer wieder der Problematik gestellt hat.88 Die Tendenzen in der Außenpolitikforschung und die methodischen Spielarten fächern sich ebenfalls immer stärker auf. Auch in diesem Bereich bestimmt sich der Zugriff auf die Literatur nach ihrer Relevanz für die Entwicklung des übergeordneten normativen Arguments der vorliegenden Arbeit, wobei sich diese Relevanz natürlich auch aus der Bedeutsamkeit eines Widerspruchs ergeben kann, die Literatur also keinesfalls nur nach rein auf Unterstützung abzielenden Gesichtspunkten aufgearbeitet wird.

84  Vgl. Huelshoff / Markovits / Reich (1993); Harnisch / Maull (2001); Webber (2001); Rittberger (2001); Maull / Harnisch / Grund (2003); Böckenförde (2005); Niemann (2005); Maull (2006); Jäger / Höse / Oppermann (2007); Brand (2007); Kronenberg / Puglierin / Keller (2008); Böckenförde / Gareis (2009). 85  Vgl. Hellmann (1996); Medick-Krakau (1999); Peters (2001); Harnisch (2003); Baumann (2006). 86  Vgl. Schmidt / Hellmann / Wolf (2007). 87  Vgl. Theiler (2001); Pietz (2007); Staack (2009). 88  Vgl. Hacke (1994); Hacke (1996).

B. Staatsräson – Theoretische Grundlagen Zwischen anarchischen und kosmopolitischen Theorien liegt die überwältigende Mehrheit der sonstigen politischen Theorie, die den Fokus auf den einzelnen Staat neben anderen Staaten richtet. Im Rahmen des Letzteren wiederum muss jede praktische Position grundsätzliche Werte und zugehörige Umsetzungsstrategien formulieren. Allerdings können auch derart grundlegende praktische Formeln kollidieren. Sobald im Rahmen solcher Kollisionen eine Norm angenommen wird, die alle anderen Interessen und Werte überstimmt, lässt sich von Staatsräson sprechen. Doch bleibt in dieser allgemeinen Interpretation als einziger Inhalt von Staatsräson, der historische Kontexte und politiktheoretische Präferenzen überbrückt, nur die negative Formulierung der Existenzgarantie übrig – Staatsräson wird jedenfalls nicht respektiert, wenn das staatliche Überleben zur Disposition gestellt wird. Im Folgenden soll ein aktuelles Verständnis von Staatsräson in ihrer außenpolitischen Bedeutung entwickelt werden, das auf ideenhistorischer und theoretischer Reflexion aufruht, um so zu allgemeinen Annahmen über den strategischen Kern der auswärtigen Politik eines Staates am Beginn des 21. Jahrhunderts zu kommen. Als Maxime hat außenpolitische Staatsräson die Ideen- und Realgeschichte des Staates in unterschiedlichen Varianten geprägt. Zur Erläuterung dessen bedienen sich die hier angestellten Vorüberlegungen vor allem eines bestimmten Begriffspaars: Partikularismus und Universalismus. Ideengeschichtlich betrachtet diente der Begriff Staatsräson Zwecken der Legitimation und Limitation.1 Gegenüber dem Rechtfertigungszweck wird derjenige der Begrenzung oft unterschlagen, ist aber nicht sekundär. Jacob Burckhardts berühmtes Diktum von Florenz als „des ersten modernen Staates der Welt“2 stellt beispielsweise auf ein spezifisch neuzeitliches – und eben einschränkendes – Rationalitätsverständnis der Politik ab. Staatsräson bildet in diesem Sinne einen Damm gegen irrationale Herrschaftsvarianten, traditionelle, charismatische, ideologische oder sonstige. Auch als legititimatorische Vokabel fungiert Staatsräson in machtpolitischen wie theoretischen Konkurrenzsituationen: als institutionenethische Lizenz zur rückhaltlosen Durchsetzung gegenüber historischen Wettbewerbern des Staates oder anderen Staaten, im theoretischen Zusammenhang gegenüber nicht-säkularen 1  Vgl.

Schnur (1975), S. 15; Viroli (1992), S. 238–280. (1960), S. 102.

2  Burckhardt

42

B. Staatsräson – Theoretische Grundlagen

oder rein individualethischen Entwürfen. Weil all dies auch bei Friedrich Meinecke thematisiert wird, steht seine Definition von Staatsräson inzwischen fast traditionell am Anfang einschlägiger Studien. Staatsräson dient insofern als staatspraktischer Leitfaden und „besteht also darin, sich selbst und seine Umwelt zu erkennen und aus dieser Erkenntnis die Maximen des Handelns zu schöpfen.“3 Nun sind die Erkenntnis der Umwelt eines spezifischen Staates und die staatliche Selbsterkenntnis voraussetzungsvolle Prozesse,4 während der Begriff der Maxime relativ eindeutig erscheint. Hinsichtlich der aus der Erkenntnis der äußeren und inneren Umstände geschöpften Maximen erzählt die politische Ideengeschichte grundsätzlich von zwei sich angeblich ausschließenden Versionen. Der kompetitiven, macht- und sicherheitsfixierten Lesart von außenpolitischer Staatsräson wird die kooperative Auffassung gegenübergestellt, die rechts- und friedensbezogen sei.5 Nur wird letztere spätestens seit Kant überhaupt nicht mehr als Staatsräson bezeichnet. Hierin spiegelt sich zwar zu einem Gutteil die ambivalente Geschichte des modernen Staates, doch hilft die Beschwörung der angeblichen Fundamentaldifferenz bei einer zukunftsfähigen Konzeptionalisierung von Staatsräson nicht weiter. Sowohl die „Zähmung der Leviathane“6 als auch ihre Züchtung bilden Elemente der Staatsräson. Dies soll im theoretischen Rahmen dieser Arbeit anhand von einschlägigen Beispielen für ein aktuelles Verständnis von Staatsräson fruchtbar gemacht werden. Die von Meinecke eingeforderte Selbsterkenntnis bedeutet außerdem, Staatsräson auch als Verfassungsräson zu denken. Somit lässt sich eine überzeichnete Trennung von Staat und Norm vermeiden, wie sie beispielsweise für Carl Schmitt charakteristisch ist.7 Auch wenn dies nichts anderes bedeutet, als an die Systematisierungsversuche anzuknüpfen, welche sich besonders in der Staatsräsonliteratur des 16. und 17. Jahrhundert finden.8 Jedenfalls insofern, als dass eine Staatsräson, die in ihren praktischen Kon3  Meinecke

(1957), S. 1. Stolleis hält Friedrich Meineckes Wesenbestimmung der Staatsräson für inzwischen unmöglich, da er ihr nur „scheinbar überzeitliche“ Bedeutung bescheinigt und angesichts vielfältiger Bedeutungsvarianten nicht mehr als eine „Leerformel“ erkennen kann; Stolleis (1990), S. 137–138; auch Roman Schnur argumentiert in historisierender Absicht; vgl. Schnur (1975), S. 12; zu Recht hat Peter Nitschke darauf aufmerksam gemacht, dass sich eine politikwissenschaftliche Perspektive nicht über eine möglicherweise gegenwartsrelevante Ontologie von Staatsräson hinwegesetzen darf; vgl. Nitschke (1995), S. 59–64; Herfried Münkler argumentiert genauso; Münkler (1987), S. 167–168. 5  Robert Kagan hat ein Beispiel für diese simple Gegenüberstellung geliefert; vgl. Kagan (2003). 6  Asbach (2002). 7  Vgl. Schmitt (1914), S. 84–110. 8  Vgl. Mattei (1979). 4  Michael



I. Staatsräson und Staatsetablierung43

sequenzen sittliche Zwecke befördert, als begrüßenswert zu gelten hat. Dies ist allerdings nur möglich, wenn die Balance zwischen Macht-Limitation und Macht-Legitimation ständig thematisiert wird. Politisch und moralisch problematisch ist im Gegenteil vor allem unkritische Freundschaft oder apologetische Feindschaft zur Staatsräson. Nun steht aber in der ideen­ historischen Chronologie freilich die legitimierende Staatsräson an erster Stelle, was im Folgenden anhand von Machiavelli und Hobbes verdeutlicht werden soll.

I. Staatsräson und Staatsetablierung 1. Die Begründung von Außenpolitik bei Machiavelli und Hobbes Die Neuzeit versteht sich als das Ende des Mittelalters, das System von Territorialstaaten trat an die Stelle der res publica christiana. Letztere hatte seit dem Ende der Spätantike den Rahmen des politischen Denkens in Europa abgesteckt. Als „religiös-politische Einheitswelt“9 verlieh die res publica christiana der mittelalterlichen Politiktheorie ihre eigentümliche Charakteristik. Denn nur durch ihre christlich-religiöse Umrahmung gewann jedwede politische Tätigkeit Profil und Signifikanz. So bezogen die beiden Kerngewalten, Kaiser und Papst, seit Augustinus aus dem göttlichen Willen ihre Legitimation und schufen als Referenzpunkte über Jahrhunderte ein generelles europäisches Gemeinschaftsbewusstsein.10 Gerade diese Gesamtheit der politischen Welt des Mittelalters bildete den grundsätzlichen Fluchtpunkt aller Perspektiven des zeitgenössischen Denkens über Politik.11 Von den karolingischen Fürstenspiegeln über Thomas von Aquin bis zu Dante änderte sich daran grundsätzlich nichts.12 Letzterer war es gewesen, der in der „Monarchia“ noch einmal ein emphatisches Plädoyer zugunsten der Unteilbarkeit politischer Autorität gehalten hatte.13 Doch gegen den im mittelalterlichen Universalismus aufgehobenen „Personenverbands“14- und 9  Böckenförde

(1992), S. 94. Watson (1992), S. 139–140; Mieck (1998), S. 36. 11  „The politcal thinking of the period was founded on the notion of the underlying oneness of the world.“ Osiander (2007), S. 283. 12  Vgl. Miethke (2000), S. 47–111; auch das Kernthema der neben Thomas von Aquin und Dante Alighieri bekanntesten Köpfe der politischen Philosophie des Mittelalters, Wilhelm von Ockham und Marsilius von Padua, das Autoritätsverhältnis von Papst und Kaiser, behandelt im Grunde Kompetenzprobleme innerhalb einer einzigen politischen Einheit; vgl. Flasch (2001). 13  Vgl. Alighieri (1996), S. 311. 14  Vgl. Mayer (1939). 10  Vgl.

44

B. Staatsräson – Theoretische Grundlagen

„Rechtsbewahrstaat“15 konturierte sich um das Jahr 1500 zunehmend der moderne Staat des territorialen Verbunds und der Rechtsetzung.16 Oder besser: Der moderne Staat stellte sich zunehmend als machtpolitisch konkurrenzlos heraus.17 Als besonders vorteilhaft erwies sich in diesem höchst kompetitiven Prozess eine bis dato unbekannte Teilung der Politik. Die strenge Trennung von innen und außen, die spätestens im 17. Jahrhundert kategorische Geltung erlangte, war dem Mittelalter noch gänzlich unbekannt gewesen18 – Außenpolitik ist eine moderne Idee. Ganz so wie die Malerei kennzeichnet sich also auch die Politik der Renaissance durch die Entdeckung einer neuen Räumlichkeit. Ohne das Auftreten eines neuen politischen Organisationsphänomens, nämlich des Staates, ist das nicht zu erklären. Denn der Staat der Frühen Neuzeit war nicht einfach nur „stronger, more united and more militarily effective than ever before“19. Vielmehr gewann er große Teile seiner Beschaffenheit aus der Erosion des mittelalterlichen und religiös konnotierten Universalismus zugunsten der neuen staatlichen Partikularität. Eindrücklich lässt sich dies anhand des Rollenwechsels der Kirche illustrieren, die zunehmend als eine Macht unter vielen auftrat und so ihrer früher einzigartigen politischen Sonderstellung verlustig ging.20 Ferner begann man, im Verkehr der Staaten untereinander „die Beziehungen als selbstreferentiell wahrzunehmen und das Handeln der Akteure einem Systemzwang zu unterwerfen“21. Diese Interaktionssphäre wurde nun scharf abgegrenzt vom Bereich der Innenpolitik. Auch heute noch beherrscht die kategorische Aufteilung in innen und außen die Vorstellungen von dem, was Politik sei.22 Dabei werden in aller Regel dieselben Argumente ins Spiel gebracht wie zur Entstehungszeit des modernen Staatensystems: Zum einen ist es die schlichte heuristische Zweckmäßigkeit der geteilten Perspektive, die regelmäßig als analytischer Fortschritt genannt wird. Denn der Staat bestimmt den Blickwinkel, so 15  Münkler

(1987), S. 49. Tilly (1990), S. 38–95; Ertmann (1997), S. 1–34; Reinhard (1999), S. 281– 304; klassischerweise bei Hobbes: „auctoritas non veritas facit legem“ – „that law in general, is not counsel, but command“; Hobbes (1962), S. 251. 17  Vgl. Spruyt (1994), S. 153–180; Kleinschmidt (1998), S. 64–83; Buzan / Little (2000),  S. 243–248. 18  Vgl. Böckenförde (1992), S. 95; Kintzinger (2002), S. 16. 19  Anderson (1993), S. 1. 20  Vgl. Van Creveld (1999), S. 75; Bobbitt (2003), S. 78. 21  Kleinschmidt (1998), S. 63. 22  Ein genereller Hinweis auf aktuelle Einführungen in die Internationale Politik kann als Beleg genügen, wo in aller Regel außen und innen als politische Gegenbegriffe erläutert werden. 16  Vgl.



I. Staatsräson und Staatsetablierung45

dass es zur Diagnose einer wesensmäßigen Unterschiedlichkeit des inneren wie äußeren Politikfeldes kommt. Außenpolitik sei nicht von institutionalisierten Herrschafts-, sondern von Machtbeziehungen gekennzeichnet. Das fehlende Gewaltmonopol bedeute in extremis Anarchie und damit prinzipiell die Unmöglichkeit kollektiver und legitimer Entscheidungsfindung und deren Durchsetzung. Bestenfalls ist die kooperative Moderation von Interessen möglich, schlimmstenfalls kommt es zum Konflikt mit katastrophalen Folgen.23 Indes ist die Trennung zwischen innen und außen weniger empirischanalytisch, als sie auf den ersten Blick erscheint, sondern es steckt viel normative Theorie darin. Denn zwischen der die Neuzeit dominierenden Staatstheorie, dem Kontraktualismus, und der buchstäblichen Abgrenzung von Innen- und Außenpolitik besteht ein unmittelbarer Zusammenhang. So ist die Grenze des Territorialstaats nichts anderes als eine Spiegelung der für die Vertragstheorie entscheidenden Grenze zwischen Naturzustand und Staatlichkeit. Dadurch wird der Ausschluss aller Probleme des Naturzustands bewirkt.24 Nur so lässt sich folglich eine der bedeutendsten Pointen der Staatsentstehung, nämlich die stabile Befriedung der Gesellschaft, erläutern. Denn der staatliche Schiedsrichter entscheidet nicht nur alle Konflikte, sondern exportiert konsequent die lebensbedrohlichen und kulturvernichtenden Umstände des Naturzustands, und nur dann gilt Folgendes nicht mehr: „and the life of man, solitary, poor, nasty, brutish, and short.“25 Dies ist selbst dann der Fall, wenn das Territorialprinzip nicht allein als vertragstheo­ retisches Produkt interpretiert wird, wofür realhistorisch wiederum einiges spricht. Schließlich erfolgt über die Separation von innen und außen auch eine wesentliche Identifikationsvermittlung.26 Entscheidend dabei ist aber, dass die der Dichotomie von innen und außen zugrunde liegende Idee des Partikularstaats untrennbar mit dem Gedanken der Staatsräson verknüpft ist. Zutreffend lässt sich Staatsräson folglich als „Triumph des Partikularen in der Sphäre des Politischen“27 charakterisieren. Allein durch die kategorisch zugunsten der staatlichen Selbsterhaltung votierende Entscheidungshilfe bei Interessens- oder eben auch Normkollisionen konnte sich der Staat der Frühen Neuzeit zu jenem durch Souveränität, also absolute Bindungslosigkeit, 23  Gegen die herrschende Lehre der schematischen Unterscheidung lässt sich natürlich eine Reihe von Argumenten finden, die stets auf die gegenseitige Abhängigkeit und Bedingheit von Innen- und Außenpolitik abstellen, also allenfalls eine hermeneutische Differenz gelten lassen; vgl. List (1995), S. 19–20. 24  Vgl. Vasilache (2007), S. 93–94. 25  Hobbes (1962), S. 113. 26  Vgl. Risse (2007). 27  Münkler (1987), S. 269.

46

B. Staatsräson – Theoretische Grundlagen

gekennzeichneten Gebilde entwickeln, mit dem auch alle politischen Errungenschaften der Neuzeit verbunden sind.28 Diese Entwicklung lässt sich exemplarisch im Werk von Niccolò Machia­ velli und Thomas Hobbes aufzeigen. Das Denken der beiden berühmtesten Klassiker der Frühen Neuzeit ist durchzogen von der Einteilung des Politischen in innen und außen als Ausdruck der neuen Partikularität. Gerade hier, in der ständigen expliziten Trennung zwischen interner und externer Perspektive, liegt einer der wesentlichen Unterschiede zwischen neuzeit­ licher und älterer politischer Theorie. Grundsätzlich teilt sich Politik nun „sowohl in die inneren als auch in die äußeren Angelegenheiten“29. Dem entspricht auch das säuberliche Auseinanderhalten von Krieg und Bürgerkrieg.30 Dabei werden die auswärtigen Phänomene fast durchgängig im Zusammenhang mit Gewalt oder Bedrohung kontextualisiert, wobei die „foreign invasion“31 nur die deutlichste Explikation darstellt. Die logische Folgerung ist dann die Forderung nach militanter Abschließung vom Auswärtigen, die allein Unabhängigkeit, vor allem aber Sicherheit, garantieren kann. Viel stärker noch als im außenpolitischen Realismus der akademischen Politikwissenschaft des 20. Jahrhunderts gerät das Zwischenstaatliche somit zum Kampfplatz, auch wenn die in diesem Kontext treffende Rede von der internationalen Anarchie erst im vorigen Jahrhundert aufkam.32 Angesichts dieser Perzeption ist die Entwicklung einer Maxime für Interessens- und Normkollisionen, die als indiskutable Minimalforderung eine gleichsam biologisch zu verstehende Selbsterhaltung einfordert, nur zwangsläufig. Bei Machiavelli und Hobbes wird dem Staat folglich eine außenpolitische Generallizenz erteilt, die nur eine funktionale Bindung an materielle Machtmechanismen kennt. Insbesondere daher rührt die Provokation der traditionsstürzenden Argumentationsmuster. Weder Gerechtigkeit, Mitleid und Löblichkeit seien von Belang, wo es um das politische Überleben des Vaterlands gehe, heißt es in den „Discorsi“33. Das heißt wohlgemerkt nicht, Ungerechtigkeit, Erbarmungslosigkeit oder Schändlichkeit spielten nun die maßstabgebende Rolle. Staatserhaltung kennt nur einfach keinen traditionellen normativen Bezug mehr, im Negativen wie im Positiven; Staatserhaltung 28  Aufgrunddessen ist der Begriff der Staatsräson zwar stark mit der Epoche der Frühen Neuzeit verwoben; er ist aber kein ausschließlich epochenspezifischer Begriff. 29  Machiavelli (2001), S. 337; Textpassagen, die analytisch innen und außen trennen, finden sich durchgängig sowohl bei Machiavelli wie bei Hobbes. 30  Vgl. Machiavelli (2001), S. 74; Hobbes (1962), S. 195. 31  Ebd., S. 246; in diesem Zusammenhang liegt ferner der Verweis auf die sinnstiftende exhortatio am Ende des „Principe“ nahe; vgl. Machiavelli (2006), S. 311–321. 32  Vgl. Haslam (2002), S. 227. 33  Vgl. Machiavelli (2001a), S. 765.



I. Staatsräson und Staatsetablierung47

gilt absolut. Die Parallele zur Normlosigkeit der hypothetischen Staatsausblendung im „Leviathan“, also zum Naturzustand, ist frappierend. Auch hier löst die individuelle Selbsterhaltung alle normativen Bezüge auf: „The notions of right and wrong, justice and injustice have there no place.“34 Ferner demonstriert Machiavellis Annahme einer zuerst einmal rein materiellen Existenz der patria, wie sehr sich schon im 16. Jahrhundert die Idee einer von ihren menschlich-individuellen Teilen getrennt konzipierten politischen Überexistenz, mithin des Staates, durchgesetzt hatte. Ideen- wie realhistorisch lässt sich bezüglich der Frühen Neuzeit folglich ein eindeutiger Zusammenhang zwischen Staat, Staatensystem und außenpolitischer Theoriebildung diagnostizieren.35 Im Zentrum dieses Gefüges stand dabei der partikulare Entwurf des Politischen. Aus Partikularität wiederum folgt die Annahme einer Umwelt, der irgendwie begegnet werden muss. Der erstmals ausschließlich als solcher aufgefassten auswärtigen Politik lag schließlich mit der kompetitiven, instrumentellen Lesart von Staatsräson eine streng eindimensionale – historisch aber vermutlich auch deswegen höchst erfolgreiche – „Ethik der Selbsterhaltung“36 zugrunde. Ferner geriet dadurch die außenpolitische Räson des frühneuzeitlichen Staates zum Archetypus einer reinen Machtlehre. Denn welche Probleme die nach innen gerichtete staatliche Selbsterhaltung zu Beginn der Neuzeit theoretisch wie praktisch auch immer aufgeworfen hat, so erscheint sie doch weniger deutlich aller normativen Standards entbunden als ihr Pendant im Außenverhältnis. Dies gilt zumindest für Machiavelli sowie Hobbes und wird auch nicht dadurch geschmälert, dass die geringen innenpolitischen Standards aus aktueller Perspektive normativ keinesfalls zufrieden stellend sind. Denn außenpolitisch dient der Staat bei Machiavelli und Hobbes niemandem außer sich selbst.37 Erst im Innenpolitischen beginnt mit der Rechtsetzung die Existenz dessen, was auch der antiken und mittelalterlichen Politiktheorie als wertvoll galt.38 So besehen stellt also die außenpolitische Seite der 34  Hobbes

(1962), S. 115. Osiander 1995; im Gegensatz zu Andreas Osianders grundlegender Arbeit wird hier aber stärker der Faktor der Partikularität als Prämisse außenpolitischen Denkens betont; auch wenn insgesamt zwischenstaatliche Konzeptionen nur eine Mar­ ginalie im politischen Denken der Frühen Neuzeit darstellen sollten, wie Andreas Osiander meint, verringert sich nicht ihre ideengeschichtliche Bedeutung für das nachfolgende Staatsdenken. 36  Münkler (1984), S. 282. 37  Das heißt seiner streng militärisch und territorial definierten Sicherheit. 38  Dass der Staat die Voraussetzung von Recht oder Moral darstellt, ist im Fall von Hobbes völlig unstrittig; bei Machiavelli ist zumindest die herrschende Lehre dieser Ansicht; vgl. Münkler (1984), S. 284; folgerichtig entsteht dadurch eine außenpolische Handlungslehre, die überhaupt keine klassisch-normativen Konnotationen kennt; dies zeigt sich implizit auch im berühmten Agathokles-Kapitel des „Prin35  Vgl.

48

B. Staatsräson – Theoretische Grundlagen

frühneuzeitlichen Staatsräson die genuin radikale Variante des staatlichen und damit partikularen Überlebensdogmas dar. Folgerichtig erscheinen Hobbes alle Vorstellungen einer universalen res publica christiana nurmehr als „gross errors“39. Den Boden für diese Entwicklung bildete eine Transformation des Verständnisses von Klugheit, die – als neuartige Staatsklugheit – eine konkrete außenpolitische Strategie entfalten sollte. 2. Staatsräson als Kriegsgebot Staatsräson und Staatsklugheit sind Synonyme, und wie alle Grundbegriffe der praktischen Philosophie blickt auch die Klugheit auf eine lange Interpretationsgeschichte zurück. Als eine der Kardinaltugenden kam der Klärung dessen, was Klugheit sei, von Platon bis zur mittelalterlichen Philosophie besondere Aufmerksamkeit zu. Dabei ist gleich der älteste Definitionsversuch stilbildend gewesen, wenn es im platonischen Dialog „Charmides“ heißt, Klugheit sei die „Erkenntnis des Guten und Bösen“40. Fortan firmierte Klugheit immer unter ethischen Gesichtspunkten.41 Die bis zur neuzeitlichen Epochenwende wirkmächtigste Bestimmung von Klugheit ist aber die aristotelische der Nikomachischen Ethik42, die kurz erläutert werden muss, um den die Lehre von der Staatsräson grundierenden Wandel besser veranschaulichen zu können. Im sechsten Buch der Nikomachischen Ethik erfolgt die Erläuterung der Klugheit (Phronesis) im individualethischen Rahmen. Als typische Tugend des Verstands wird Klugheit dem rationalen Seelenteil zugeordnet und in dessen Binnengliederung zwischen rein epistemischer und praktischer Vernunft wiederum letzterer zugeschlagen.43 Originärer Ausdruck von Klugheit ist die Fähigkeit, in Handlungssituationen das zu tun, was Aristoteles als rechte Mitte beschreibt, nicht etwas Durchschnittliches, sondern Wohlabgewogenes.44 Dabei jedoch bleibt Klugheit untrennbar auf eine in sittlichem cipe“, in dem eine Reihe innenpolitischer Verbrechen gescholten werden, wohingegen ein außenpolitisches Verbrechen schlichtweg unvorstellbar bleibt; vgl. Machiavelli (2006), S. 149–162; bezüglich Hobbes genügt der Hinweis darauf, dass sich das berühmte „homo homini lupus“ – „man to man is an arrant wolf“ explizit auf das äußere Verhalten von Staaten untereinander bezieht; Hobbes (1966), S. ii. 39  Hobbes (1962), S. 576. 40  Platon (1982), S. 174d. 41  Mal als Teil eines wohlgeordneten Kosmos, wie bei Platon, oder als alle übrigen Tugenden transzendierende Größe wie bei Cicero; vgl. ebd., S. 506c–507c; vgl. Cicero (1966), S. 153. 42  Vgl. Aristoteles (1995), S. 1138b18–1145a14. 43  Vgl. ebd., S. 1143b18–1144a11. 44  Vgl. ebd., S. 1105b27–1107a8.



I. Staatsräson und Staatsetablierung49

Sinne gelungene Lebensführung bezogen, auch und gerade im politischen Rahmen.45 In dieser Klugheitsethik verbindet sich also das Allgemeine mit dem Konkreten, indem sie zwar nur in Einzelfällen zur Anwendung kommen kann, aber Ausdruck eines generell habitualisierten Vermögens ist. Doch vor allem der prinzipielle Sittlichkeitsbezug der aristotelischen Klugheit ist in diesem Zusammenhang entscheidend, der auch durch die zugestandene Erfahrungsabhängigkeit und Situationsadäquatheit nicht aufgelöst wird. Klugheit ist nicht zielbezogene Technik, sondern ethisch-selbstzweckhaftes Handeln. Ebendies betont Aristoteles zum Ende des sechsten Buches der Nikomachischen Ethik, wo er noch einmal eigens die Verbindung von Sitte und Phronesis hervorhebt – ohne Moral keine Klugheit, ohne Klugheit keine Moral.46 So bleibt jenseits aller partiellen Unterschiede festzuhalten, dass die Autoren der Antike und des Mittelalters Klugheit stets als Bedingung und Teilmenge ethischen Verhaltens ansahen. Insofern konnte Klugheit gerade nicht in Opposition zu moralischem Handeln begriffen werden. Vielmehr bedeutete sie die erfahrungsgesättigte und kontextgerechte Anwendungskompetenz unveränderlicher Normen in der Realität, also der Welt der veränderlichen Umstände. Dagegen ist das Klugheitsverständnis der Frühen Neuzeit, aus dessen Verbindung mit dem Staat die Staatsräson als neuartige Staatsklugheit resultierte, weniger ein stringenter Gegenentwurf als vielmehr eine starke Umdeutung der älteren Lesart. In den auf Beratung und Entscheidungsvorbereitung abzielenden Schriften Machiavellis kommt dies besonders zum Tragen.47 Klugheit als situationsbezogene Handlungskompetenz fungiert hier nicht mehr als Vermittler zwischen Norm und Praxis. Hingegen wird das tradierte Bewusstsein um situative Zwänge nicht einfach beibehalten, sondern übersteigert. Die Klugheit wird so aus ihrem ethischen Fundament gelöst, die Empirie gegen die Norm ausgespielt. Insofern ergibt sich im politischen Rahmen eine Technik der Macht, die sehr wohl in Gegensatz zu ethischem Verhalten geraten kann: klugerweise seien Treue, Mitleid, Menschlichkeit und Religion außer Acht zu lassen, wenn die Erhaltung des Staates auf dem Spiel stehe.48 Die Klugheit wird also zu einer Auffindungsfähigkeit des geringeren Übels transformiert.49 Diese nicht nur wertfreie, sondern auch antimetaphysische Klugheitsauffassung erscheint dann auch bei Hobbes als streng materialisiertes Zweck-Mittel-Prinzip. Klugheit defi45  Vgl.

ebd., S. 1140a27. ebd., S. 1144b31–33. 47  Etwa durch die prinzipielle Ablehnung der Mesotes-Lehre und ihrer mäßigenden Funktion; vgl. Machiavelli (2001), S. 138–139. 48  Vgl. Machiavelli (2006), S. 239–240. 49  Vgl. ebd., S. 280–289. 46  Vgl.

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B. Staatsräson – Theoretische Grundlagen

niert sich als menschliche Anlage, selbst zukünftige Interessen und deren unmittelbar handlungsmotivierende Effekte zielführend zu berücksichtigen. Die klassische Umschreibung dieser Disposition findet sich in der hundertfach zitierten hobbesschen Wendung vom Menschen als dem Wesen, welches schon der zukünftige Hunger hungrig macht – „fame futura famelicus“. Was übrig bleibt, sind situative Kosten-Nutzen-Rechnungen, die Strategien für den Nahbereich der Zukunft liefern; Klugheit umfasst in diesem Sinne nurmehr Nutzenmaximierung und Verlustminimierung.50 Daher rührt der radikale Konsequenzialismus bei Machiavelli und Hobbes, die von allem Übrigen getrennte Orientierung am – wahrscheinlichsten – Ergebnis einer Handlung. Die in Bezug auf Staatsräson gewichtigste Änderung des Klugheitsverständnisses liegt dabei in einem moralischen Perspektivwechsel. Da Klugheit sowohl bei Aristoteles als auch bei Machiavelli personalisiert veranschaulicht wird, bietet sich auch hier zur Illustration die Gegenüberstellung der beiden Klugen an – zum einen der Phronimos, zum anderen der „Principe“. Ersterer wird als idealisierter Repräsentant einer im Ganzen gelungenen Lebensführung vorgestellt.51 Der Figur wird zwar mit dem historischen Perikles ein reales Gesicht gegeben, doch bleibt es letztlich bei einer abstrakten Skizze mit generellem ethischen Vorbildcharakter. Im Gegenteil dazu wird der Fürst Machiavellis als rein polit-technisches Imitationsmuster vorgestellt. Klugheit ist nicht mehr mit individueller Seelenschulung verbunden, sondern wird als Beherrschungskompetenz eines weitgehend autonomen Sektors vorgestellt, eben der Politik, oder noch eingeschränkter: der Machtgewinnung und Machterhaltung. Damit ist die politische Führungspersönlichkeit nur noch Funktionsträger im politischen Erfolgsspiel, aber gerade nicht mehr an den gängigen individuellen Moralkodex gebunden: „Considered as an individual, Machiavelli’s prince might well go to hell“52, lautet hierzu die pointierte, aber zutreffende Formulierung eines Interpreten. Die von Machiavelli allenthalben diagnostizierte Unvereinbarkeit von ethischem Handeln und politischem Erfolg53 eröffnet somit eine neue Aussicht auf eine institutionell-politische Moral, die in Konflikt mit der individuellen Ethik steht.54 Dieser folgenreiche Perspektivwechsel hat dann bei Hobbes über die Verdrängung individualethischer Überlegungen aus dem Bereich der Politik zu deren grundsätzlicher Negation geführt.55 Allein, erst aufHobbes (1962), S. 56–60. Aristoteles (1995), S. 1140b8–10. 52  Van Creveld (1999), S. 174. 53  Vgl. Machiavelli (2006), S. 215–218. 54  Vgl. Höffe (2005), S. 309. 55  Vgl. Hobbes (1962), S. 308–322. 50  Vgl. 51  Vgl.



I. Staatsräson und Staatsetablierung51

grund der Dichotomie von Institutionenethik und Individualethik ist Staatsräson als Maxime der erstgenannten entstanden und kann auch nach wie vor nur mit diesem ideengeschichtlichen Verweis hinreichend erläutert werden. Staatsräson ist also erst einmal Ausdruck eines partikularen Selbsterhaltungsstrebens mit einer extrem konsequenzialistischen Ausrichtung. Hierauf beruhen wesentliche und natürlich auch begrüßenswerte Teile der gesamten modernen politischen Theorie, die vor allem anderen Staatstheorie ist. Insofern lässt sich Staatsräson auch nicht einfach zu einem „zwielichtigen Bereich neuzeitlicher Politik“56 degradieren. Es bleibt zu fragen, welches konkrete auswärtige Verhalten die institutionenethisch fundierte Klugheit des Staates in ihrer frühneuzeitlichen Grundform einforderte. Für eine isolationistische Konzeption, wie sie etwa aus antiken Vorstellungen von der Autarkie der Polis bekannt ist,57 war vermutlich der Grad an Interdependenz bereits in einem Maße gewachsen, welches derlei Überlegungen unmöglich machte. Das auf Nutzenmaximierung hin orientierte frühneuzeitliche Klugheitsverständnis ließe eine Argumentation zugunsten einer Kooperationsstrategie erwarten, die im bilateralen Zusammenspiel beiderseitige Gewinne zu produzieren hätte. Dies fehlt allerdings völlig. Zum einen ist das außenpolitische Denken von Machiavelli und Hobbes wie schon beschrieben radikal partikular angelegt. Es ist eben nicht mehr das Wohl der abendländischen Christenheit gewesen, das als Fluchtpunkt von Politiktheorie fungierte, sondern das einzelstaatliche Überleben. So fehlt eine universale Theorie des Internationalen, auch wenn bisweilen sogar das internationale System als solches ins Zentrum der Perspektive rückt.58 Zum anderen ist es die Identität des Internationalen mit dem Naturzustand, welche dann bei Hobbes systematisch ausgearbeitet wird,59 die eine universalistische Argumentation verhindert. Genau dies ist der Idee nach auch schon bei Machiavelli vorhanden, wenn auch jenseits aller konkreten Begrifflichkeiten. Es greifen also die wohlbekannten Mechanismen der Kooperationsverhinderung, die – solange man nur zweckrationale, sprich: kluge Akteure annimmt – einer zwischenstaatlichen Zusammenarbeit im Weg stehen. Zentral hierbei sind die beiden Charakteristika von Klugheit und Gleichheit unter den Bedingungen von Ressourcenknappheit. Wo kein überpositives, vorstaatliches Recht und kein Gesetzgeber vorhanden sind wie im Naturzustand, kann es folglich überhaupt nichts Rechtes oder Unrechtes geben. Bei der auf Staaten projizierten natürlichen Gleichheit der Menschen handelt es sich mithin nicht um ein justiziables 56  Ottmann

(2006), S. 231. Bellers (1996). 58  Vgl. Machiavelli (2001), S. 41–49. 59  Vgl. Hobbes (1962), S. 110–116. 57  Vgl.

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B. Staatsräson – Theoretische Grundlagen

Prinzip, sondern um eine Fähigkeit: „the weakest has strength enough to kill the strongest“60. Gleichheit bedeutet also Bedrohungssymmetrie. Auch der Staat ist durch die Doppelidentität von Opfer und Täter gekennzeichnet. Neben dieser spezifischen Egalität ist es die beschriebene Zweck­ rationalität, die problemverschärfend wirkt. Da die hobbessche Feststellung von der denkbaren Wolfsnatur des Menschen anders als üblicherweise interpretiert nicht auf den Menschen selbst, sondern auf das Zwischenstaatliche bezogen wird,61 ist es gleichsam das staatliche Wolfspotenzial, welches die Staatsklugheit zu einer eindimensionalen Strategie der Interessenverfolgung zwingt. Denn schon das Schadenspotenzial der anderen außenpolitischen Akteure nötigt zum exakt gegenläufigen Verhalten. Der Möglichkeit konkreter Bedrohung soll in gleicher Weise zuvorgekommen werden. Als Mittel der Wahl bleibt somit nur die unausgesetzte Steigerung des eigenen Schadenspotenzials, also ein Maximum an präventiver Abschreckung und Gewaltanwendung.62 Für das klassische Staatsräsonverständnis ist das Problem des strategischen Misstrauens also unlösbar. Es lohnt sich immer, nicht zu kooperieren. Kein Akteur kann bereit sein, hinsichtlich der möglichen Kooperationskosten in Vorleistung zu gehen.63 Als verschärfende Bedingung tritt hierzu noch die Güterknappheit. Zum einen sind es die Güter selbst, die nur in begrenztem Umfang zur Verfügung stehen, denn Reichtum, Prestige und insbesondere Sicherheit zeichnen ihren Inhaber nicht per se aus, sondern nur durch das relative Plus gegenüber weniger Begüterten. Zum anderen aber ist das entscheidende Mittel der Gütererlangung, nämlich Macht, eine knappe Ressource, die nur im Nullsummenspiel erworben werden kann – der Gewinn des einen ist der Verlust bei einem anderen.64 Zwischenstaatlichkeit erscheint daher in der Tat als änderungsresistenter „Dauerkonflikt“65. Allerdings ließe sich selbst unter den Vorzeichen einer auf Dauer gegründeten Konkurrenz eine außenpolitische Staatsräson vorstellen, die wenigstens auf eine Einhegung oder Milderung des Staatenkonflikts zielt. Wenn sich schon keine direkte Kooperation denken lässt, so doch vielleicht eine Auffassung von Außenpolitik, die den Systemerhalt im Ganzen propagiert. Damit ist natürlich die klassische Gleichgewichtspolitik angesprochen, die fraglos eine bedeutende Rolle in der internationalen Politik der Neuzeit 60  Ebd.,

S. 110. (1966), S. ii. 62  Die kooperationsverhindernde Struktur des Naturzustands wird häufig mit dem spieltheoretischen Modell des Gefangenendilemmas erläutert; vgl. Taylor (1985); Kersting (2005); Henning Ottmann weicht davon ab; vgl. Ottmann (2006). 63  Vgl. Hobbes (1966), S. 45–46. 64  Vgl. Machiavelli (2006), S. 98; Hobbes (1966), S. 8. 65  Münkler (1996), S. 48. 61  Hobbes



I. Staatsräson und Staatsetablierung53

gespielt hat. Insofern sind Hobbes und auch Machiavelli denn auch immer wieder mit der Gleichgewichtstheorie in Verbindung gebracht worden.66 Würde dies zutreffen, müsste die außenpolitische Grundausrichtung der Machtausdehnung in den Überlegungen der Theoretiker der Frühen Neuzeit mit irgendeiner Art von Schranke versehen sein. Die Überdehnung der Macht wäre ein denkbarer Vorbehalt, der Kollaps des Systems oder Einwände, die negative, innenpolitische Auswirkungen der äußeren Expansions­ politik bemängeln würden.67 Und in der Tat warten auch Machiavelli und Hobbes mit derlei Kautelen auf: „We may further add, the insatiable appetite, or βουλιμια, of enlarging Dominion“.68 Hobbes addiert dieses Fehlverhalten zu anderen Gründen, die so gut wie unweigerlich zum Staatsuntergang beitrügen, Eroberungen werden mit Geschwülsten verglichen. Eine ähnliche Klage, jedenfalls in ihrer Ablehnung staatlicher Machtausdehnung, schlägt Machiavelli an. Ausgerechnet der Autor der „Discorsi“, der ansonsten nie um eine Rechtfertigung römischer Politik verlegen ist, kreidet dem Imperialismus Roms die nachmalige Geringfügigkeit der republikanischen Freiheitsliebe im Italien der Renaissance an.69 Doch sind dies nichts anderes als marginale Notizen, die in krassem Widerspruch zum Gesamtzusammenhang der Argumentation beider Autoren stehen. Grundsätzlich läuft das außenpolitische Denken Machiavellis und Hobbes auf einen unbeschränkten Expansionismus hinaus. Diese Macht­ expansion ist die Staatsräson des frühneuzeitlichen Staates, das historische Fundament moderner Staatlichkeit. Als Konsequenz der partikularen Konzeption des Politischen samt einer von Normlosigkeit, Ressourcenkonflikt und utilitaristischem Klugheitsverständnis geprägten Auffassung von Außenpolitik konnte Staatsräson gar nicht anders ausbuchstabiert werden. Dabei werden durchaus unterschiedliche Arten der Expansion aufgeführt und ebenso unterschiedliche Begründungen für die Ausdehnungsprogrammatik geliefert. Die Axiomatik Machiavellis lässt diesen immer wieder affirmative Wendungen gebrauchen, in deren Zentrum vor allem eines steht: „der Wille und die Notwendigkeit zu erobern“70. Diese sind das Ergebnis einer Legitimationstrias, die sich auch im Kontext der akademischen Politikwissenschaft des 20. Jahrhunderts wieder finden lässt.71 Anthropologische Annahmen, die Staatsformen betreffende Hypothesen und Behauptungen über die Gesetzmäßigkeiten des Staatensystems formen ein Begründungsdreieck für Leidhold (1992); Sheehan (1996). sind die klassischen Begründungen für eine auswärtige Balancepolitik; vgl. Strohmeyer (1994); Sheehan (1996). 68  Hobbes (1962), S. 321. 69  Vgl. Machiavelli (2001), S. 319. 70  Ebd., S. 434. 71  Vgl. Waltz (1959). 66  Vgl.

67  Dies

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B. Staatsräson – Theoretische Grundlagen

eine streng machtpolitisch verstandene Ausdehnung des Staates. Mit dem Menschen kam auch der Krieg in die Welt und solange ersterer da ist, wird es an letzterem nicht fehlen.72 Ebenso sicher, wie bei Aristoteles die menschliche Natur zur Gemeinschaft strebt und sich in dieser entfaltet, ist es bei Machiavelli die Natur des Menschen, die Konflikte produziert: „Es ist wirklich nur natürlich und gewöhnlich auf Eroberung aus zu sein“73. Die weiteren Triebfedern von Expansionskriegen, mit denen die Gedankenwelt Machiavellis aufwartet, sind der Staat und die Pluralität der Staatenwelt. Es ist sicher keine unzulässige Interpolation, wenn man in Machiavelli den ideengeschichtlichen Chronisten des aufkommenden modernen Staatensystems sieht.74 Von größerer Bedeutung als der Bezug auf das Menschenbild ist aber die Auffassung von der auswärtigen Machtentfaltung als allgemeines Staatsmerkmal, übrigens unabhängig von der jeweiligen Staatsform.75 Die Vorrede des zweiten Buchs der „Discorsi“ erweckt sogar den Anschein, als ob für Machiavelli der Ausbau des territorialen Herrschaftsbereichs einfach mit dem Phänomen Außenpolitik identisch ist.76 Schließlich erscheint dem Florentiner das Nebeneinander der Staaten als verläss­licher Konflikt- respektive Eroberungsanreiz, und er leitet dies unter Rekurs auf das oben bereits angesprochene strategische Misstrauen her. Dieses strukturalistische Argument stellt mustergültig auf das Fehlen einer übergeordneten Ordnungsinstanz ab, das den einzelnen Akteuren eine Außenpolitik aufzwingt, die eben in Expansion mündet.77 Vom „natürlichen Hass“78 gegeneinander, den Machiavelli bei benachbarten Staaten ausgemacht hatte, war es dann nicht mehr weit bis zum natürlichen Kriegszustand der Staaten untereinander bei Hobbes,79 also zu unausgesetzter Machtakkumulation: „so now do cities and kingdoms which are but greater families, for their own security, enlarge their Dominions […] and endeavour as much as they can, to subdue, or weaken their neighbours, by open force, and secret arts, for want of other caution, justly; and are remembered for it in after ages with honour.“80 Auch wenn die Unterschiede zwischen Hobbes und dem Florentiner offenkundig sind – das szientis­ Machiavelli (2001), S. 177–178. (2006), S. 94. 74  So etwa auch schon Felix Gilbert, wenn er Machiavelli als „one of the first to grasp the competitive nature of the modern state system“ beschreibt; Gilbert (1986), S. 29. 75  Vgl. Machiavelli (2001), S. 145–151. 76  Vgl. ebd., S. 295–302. 77  Vgl. ebd., S. 431–440. 78  Machiavelli (2001a), S. 627. 79  Vgl. Hobbes (1962), S. 115. 80  Ebd., S. 154. 72  Vgl.

73  Machiavelli



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tische Methodenprogramm, die insgesamt systematische Staatstheorie oder die absolutistische Schlagseite finden sich nur bei Hobbes –, gleichen sich die beiden doch in ihrer Konzeptionalisierung von Außenpolitik. Auch die hobbessche Machtrationale beruht auf einem unveränderlichen Prinzip – „the acquisition of more.“81 Folgerichtig reserviert der Stammvater der Vertragstheorie denn auch dieselben Rechte für den Souverän, der durch kriegerischen Akt unterwirft, wie für denjenigen, der aus dem kontraktualistischen Begründungsprozess hervorgeht.82 Mithin wird also der staatliche Expansionismus in das ausgefeilte Legitimationsargument ausdrücklich integriert. Hierin liegt eine Pointe des vertragstheoretischen Arguments, die oft wenig Beachtung findet: Da der Staat als Stellvertreter des Individuums fortan für die Beschaffung von Sicherheit zuständig ist, bleibt ihm als einzig verlässliche Strategie nur die machtpolitisch definierte Inkorporation des Auswärtigen. Das außenpolitische Ziel schlechthin heißt folglich sowohl in den „Discorsi“ als auch im „Leviathan“ Eroberung. Staatsräson verstanden als Maxime erscheint also erst einmal als offensives Gesetz der Machtausdehnung; im frühneuzeitlichen System der Territorialstaaten also zuallererst als Gebietserweiterung. Dieser so gut wie immer bellizistisch konnotierte Expansionismus im Außenpolitischen kennt, um es noch einmal zu betonen, weder Schranke noch Grenze. 3. Staatsräson als außenpolitische Aporie Da partikulare Rationalität nichts übrig hat für universale Einwände, schert sich Staatsräson in ihrer historischen Ursprungsform nicht um Probleme des Systems. Die Schriften Machiavellis und Hobbes’ zeichnet insofern ein geradezu axiomatisches Desinteresse an zwischenstaatlicher Konfliktvermeidung aus.83 Ob dies im Zusammenhang zyklischer Geschichtsauffassung und anthropologischen Argwohns wie beim italienischen Autor oder im Kontext einer elaborierten Legitimationstheorie wie beim englischen ignoriert wird, spielt hinsichtlich der außenpolitischen Konsequenzen keinerlei Rolle. Bei Hobbes ist es die naturzustandsidentische „objektive Unentscheidbarkeit der konkurrierenden Rechtsansprüche von Staaten“84, die diese zu Gewalt greifen lässt, bei Machiavelli das, was 81  Ebd.,

S. 86. ebd., S. 185–196. 83  So ist auch Hedley Bulls Interpretation zu verstehen, wonach Hobbes zwar den Bürgerkrieg, nicht aber den Krieg habe beenden wollen; vgl. Hedley Bull (1981). 84  Hüning (2000), S. 157; hier auch der Hinweis auf den aporetischen Charakter der Situation, auch wenn Dieter Hüning diesen nur in einem rechtslogischen Sinne thematisiert. 82  Vgl.

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B. Staatsräson – Theoretische Grundlagen

Interpreten als „Dämonie der Macht“85 oder exakter als ihre Pleonexie86 beschrieben haben.87 Aus systemischer Perspektive bedeutet die von den frühneuzeitlichen Theoretikern konzipierte außenpolitische Staatsräson also nichts anderes als die ständige Reproduktion von Konflikten. In dieser Hinsicht mündet die frühneuzeitliche Politiktheorie in einer Ausweglosigkeit. Die Staatsräson des einzelnen Akteurs zwingt dazu, bei der Betrachtung des Ganzen von einer Aporie zu sprechen. Dieser ideengeschichtliche Befund spiegelt sich wiederum deutlich in realhistorisch orientierten Analysen. Die berühmteste Beschreibung dieser geschichtlichen Konstellation liefert mit Charles Tilly denn auch niemand anderes als der Doyen der historisch orientierten Forschung zur Staatsentwicklung: „War made the state, and the state made war.“88 Da politisches Denken in enger Wechselwirkung mit der politischen Bedarfslage steht, entfaltete die originäre Staatsräson mithin ihre größte Wirkung in der Eliminierung machtpolitischer Rivalitätszentren – oder anders: Sie ist das essentielle Instrument zur Schaffung eines Gewaltmonopols gewesen. Historisch betrachtet ist dieser Prozess im auswärtigen Verhältnis der Staaten erst zum Stocken gekommen beziehungsweise stabilisiert worden, als der Staat es schließlich nur noch mit seinesgleichen zu tun hatte. Hierin liegt der eigentliche heuristische Effekt der viel bemühten Rede vom Westfälischen System.89 Theoretisch war mit der Außenpolitik eine Sphäre der absoluten Freiheit etabliert worden, indem die Akteure ihr hobbessches Recht auf alles wahrnahmen. Orientierung bot allein die allgemein anerkannte Staatsräson, die als differentia specifica alle Teilnehmer des frühneuzeitlichen Staatensystems gegenüber Systemfremden auszeichnete. Der konsequente Ausschluss tradierter Kategorien, wie beispielsweise der Lehre vom gerechten Krieg, flankiert diese Entwicklung. Ausweglosigkeit ist allerdings ein Zustand größter Berechenbarkeit. „An der Idee der Staatsräson scheidet sich somit tatsächlich die auf Pastoralmacht fixierte Gesellschaft der Antike und des Mittelalters gegenüber der Neuzeit; sie wird im technischen wie menschlichen Sinne hiermit vollkommen neu strukturiert – und das heißt zunächst einmal rationalisiert.“90 Die85  Ritter

(1948). Berlin (1982), S. 108–147. 87  Allerdings argumentiert auch Machiavelli bisweilen ähnlich strukturalistisch wie Hobbes; vgl. Machiavelli (2001), S. 431–440. 88  Tilly (1975), S. 42. 89  Diesen übersieht Heinz Duchhardt in seiner Kritik an dem Begriff; vgl. Duchhardt (1999). 90  Nitschke (1995), S. 44. 86  Vgl.



I. Staatsräson und Staatsetablierung57

se von Peter Nitschke treffend umrissene Wandlung des politischen Denkens findet sich im Besonderen auch in der frühneuzeitlichen Konzeptionalisierung des Außenpolitischen wieder. Außenpolitische Staatsräson schaltet Irrationalitäten aus, aber auch andere Rationalitäten.91 Illustrieren lässt sich dies am Besten anhand der hobbesschen Auffassung des Zwischenstaat­ lichen, die wie gesagt auf eine Perpetuierung der aus der Naturzustandskonzeption bekannten Konfliktlage hinaus läuft. Unterschiedliche Interpreten haben die Gefangenendilemma-Struktur des Naturzustandstheorems hervor­ gehoben,92 um mit der spieltheoretischen Anleihe dessen Eigentümlichkeit zu verdeutlichen. Vergegenwärtigt man sich das berühmte Gefangenendilemma als Rationalitätsfalle, wird einerseits klar, warum Staatsräson im Sinne von Hobbes und Machiavelli in eine Aporie münden muss; zum anderen erklärt sich aber auch, warum diese gar nicht als Problem begriffen wird. Denn das grundlegende Argument läuft auf einen spezifischen Fatalismus hinaus, der auf folgender Entscheidung beruht: lieber in eine Rationalitätsfalle tappen, als die tradierten Politikvorstellungen fortführen. Ob als „Verselbständigung des Politischen zum Staat“93 oder „Verstaatlichung der Politik“94, das starke Partikularisierungsplädoyer, das die realhistorische Etablierung von Staatlichkeit begleitete, mündet hinsichtlich der auswärtigen Politik in einem theoretischen wie historischen Dauerpatt. Dessen Verlässlichkeit bildete aber einen wichtigen – ratio­na­lisierenden – Aspekt der historischen Anfänge des Staatensystems. In ­dieser Hinsicht wird auch erst die Rede vom Konzert der Mächte, der Pentarchie und dergleichen in ihrem ganzen Umfang verständlich. Ebenso erschließt sich unter diesem Gesichtspunkt die notorische Beschwörung des internationalen Gleichgewichts, die somit als Folge des Staatsräsondiskurses gesehen werden kann.95 Zumindest insofern, als im Lichte der bisherigen Ausführungen zur außenpolitischen Staatsräson der Frühen Neuzeit die Gleichgewichtstheorie nurmehr als rein symptomatische Polit-Kur erscheint. Aus dem aporetischen Charakter der Situation speist sich ferner der außenpolitische Limitierungseffekt von Staatsräson. Der Zirkelschluss aus Staat und Staatsrationalität bildet dabei einen Riegel gegen personalisierte Entscheidungsfindung. Wer auch immer Herrschaft ausübt, die Exekution des rationalen Staatsinteresses befindet sich nicht mehr in seiner Verfü91  Pointiert und komisch von Wolfgang Conrad von Thumbshirn formuliert, der 1648 zu den Friedensverhandlungen in Münster und Osnabrück bemerkte: „Ratio status ist ein wunderliches Thier, es verjaget alle anderen Rationes.“ Zit. nach: Bornkamm / Fuchs (1954), S. 425. 92  Vgl. Taylor (1985); Kersting (2005). 93  Voigt (2004), S. 54. 94  Münkler (1990). 95  Vgl. Strohmeyer (1994).

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B. Staatsräson – Theoretische Grundlagen

gungsgewalt.96 In der Tat lässt sich dann argumentieren, es habe ein Austausch politischer Ethiken stattgefunden.97 Staat und Staatensystem fungieren dabei als neue Normierungsgrößen, die Hergebrachtes ablösen. Deshalb gilt die Frühe Neuzeit als Wiege des modernen Staatensystems. Denn wenn man nicht den Intensitätsgrad an staatlicher Interdependenz,98 sondern die Integration der anderen Staaten in das Kalkül des einzelnen Staates als Existenznachweis eines Staatensystems ansieht, bleibt kein Zweifel am Systemcharakter der frühneuzeitlichen Staatenansammlung.99 Das Überleben im Konkurrenzsystem rückt damit in die politische Rolle, die vormals durch naturrechtliche, theologische oder individuell-tugendhafte Leitvorstellungen ausgefüllt war. In diesem Zusammenhang muss abschließend die frühneuzeitliche Umkehr der politischen Beweislast genannt werden. Während die antike und mittelalterliche politische Theorie die Qualität der politischen Ordnung als eine sich im Alltag bewährende Größe ansah, beginnt die Argumentationsführung der Frühen Neuzeit nicht mehr beim Alltäglichen der Politik. Im Gegenteil, zu Machiavellis liebsten Beweisfiguren gehört das beispielhafte Verhalten im Moment der größten Gefahr oder Krise. Und die Naturzustandsfiktion bei Hobbes stellt nichts anderes dar als den theoretischen Idealtypus der Ausnahmesituation.100 Staatsräson ist dann folglich die machtpolitische Antwort auf die Vertrauens- und Sicherheitszweifel, die Ausnahmesituationen mit sich bringen. Der Staat bewährt sich zuungunsten aller eventuellen machtpolitischen Konkurrenten mit der ihm eigenen Räson. Durch die dauerhafte Annahme der Ausnahme definiert er einfach selbst den Maßstab der eigenen Legitimation. Nur seine eigene Fortexistenz gewährleistet Sicherheit. Somit können überhaupt nicht mehr Tugend oder Erkenntnis als Quellen politischer Einsicht fungieren, sondern es bleibt ­allein die ständige Notwehrsituation. Wiederum ein Dauerzwang, der sich nicht auflösen lässt, und der neben Legitimation eben auch eine starke ­Limitation im Verhältnis von Zwecken und Mitteln beinhaltet. 96  Die Frage, ob es sich de facto um eine staatliche Funktionalisierung der Herscherpersönlichkeit handelt, oder ob dies eine unzulässige Interpolation sei, ob es also nicht vielmehr eine Indienstnahme der Staatsräson durch den absolutistischen Monarchen gewesen sei, muss an dieser Stelle nicht entschieden werden; Legitimation und Limitation müssen einfach als zwei Seiten derselben Medaille verstanden werden; vgl. Münkler (1990), S. 190–193; Nitschke (1995), S. 49–50. 97  Vgl. Münkler (1984), S. 281–282. 98  Vgl. Osiander (1995). 99  Vgl. Kohler (2008), S. 13–63. 100  Woher dann auch Carl Schmitt seine Fixierung auf den Ausnahmezustand bezieht: „Die Ausnahme ist interessanter als der Normalfall. Das Normale beweist nichts, die Ausnahme beweist alles“; Schmitt (1922), S. 22.



I. Staatsräson und Staatsetablierung59

Diskutiert man außenpolitische Staatsräson innerhalb dieses ideengeschichtlichen Rahmens, also der bedingungslosen Durchsetzung der partikularen Institution Staat bei Machiavelli und Hobbes, ist die Diagnose der Aporie sicher zutreffend. Dabei sollte aber nicht der Anachronismus übersehen werden, der diesem Urteil inne wohnt. Noch einmal, weder Machiavelli noch Hobbes verfügen über ein nennenswertes Problembewusstsein hinsichtlich zwischenstaatlicher Gewalt. Nur unter Ausblendung der historischen Umstände erscheint dies jedoch kritikwürdig. Außerdem verkennt eine etwaige Kritik, dass auch die Vorteile heutiger Staatlichkeit historisch auf diesen gewaltsamen Plädoyers der Frühen Neuzeit beruhen. Die Gedanken im „Principe“ gewiss nicht, doch auch nicht der Argumentationszusammenhang in den „Discorsi“, lassen den Staatenkonflikt als solchen problematisch erscheinen.101 Und auch Hobbes hat im Grunde angesichts der nach außen agonalen Tendenzen des von ihm legitimierten Staates dafür nur ein intellektuelles Achselzucken übrig.102 Das Resümee dieses Kapitels lautet also wie folgt: Frühneuzeitliche Partikularität setzt sich gegen mittelalterlichen Universalismus durch. Der Staat beansprucht effektiv Souveränität gegenüber allen anderen Autoritäten. Die Staatsräson bildet als neuzeitliche Staatsklugheit das hierzu notwendige politiktheoretische Instrument; gegenüber der tradierten Individualethik nimmt sie eine institutionenethische Position ein. Im äußeren Verhältnis bilden die Staaten untereinander ein System, das einem naturzustandsidentischen Dauerkonflikt gleicht. Außenpolitische Staatsräson bedeutet Machtausdehnung, wo und wie sie möglich ist. Dieser Zustand äußerster Konkurrenz findet nicht nur seinen Niederschlag in den Schriften Machiavellis und Hobbes, sondern wird dort maßgeblich präskribiert. Das rationalisierende, also limitierende, Element von Staatsräson ist eindeutig angelegt, der legitimierende Effekt tritt aber deutlicher zutage. Ein systematisches Problembewusstsein hinsichtlich dieses zwischenstaatlichen Konfliktsystems existiert nicht.

101  Zum einen nicht problematisch, weil für Machiavelli ohnehin keine Lösung denkbar ist, zum anderen nicht, weil Machiavelli bisweilen einen echten normativen Bellizismus zeigt; vgl. Machiavelli (2001), S. 311–323. 102  Auch wenn die Staaten untereinander in einem wesentlich naturzustandsidentischen Verhältnis existieren, ergibt sich nicht die selbe Forderung nach dem „exeundum e statu naturali“, denn für Staaten gilt keine Bedrohungssymmetrie; außerdem verspricht sich der Autor des Leviathan dauerhafte materielle Vorteile des Kriegszustandes unter den Staaten, wie sie bei Individuen undenkbar sind; vgl. Hobbes (1962), S. 115.

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B. Staatsräson – Theoretische Grundlagen

II. Staatsräson und Staatslimitierung Das Jahr 1648 markiert den vorläufigen Sieg der partikularen Idee gegenüber universalistischen Politikvorstellungen, der Staat hatte sich konkurrenzlos etabliert. In der Folge zeigt sich immer stärker die rationalisierende Funktion von Staatsräson. Realhistorisch lässt sich dies am 18. Jahrhundert demonstrieren, das deutlich die ideengeschichtlich vorgezeichneten Muster aufweist: extrem hohe Konfliktlastigkeit bei gleichzeitiger Entideologisierung des Konflikts und allgemeiner Übereinkunft über dessen Unausweichlichkeit.103 Vergrößerung des Staatsgebietes, Vermehrung der Bevölkerung oder Effizienzsteigerung der militärischen Operationsfähigkeit sind keine Glaubensbekenntnisse einer untereinander verschworenen Kaste absolutistischer Arkanpolitiker, sondern Symptome systembedingten Denkens – eingelöste Postulate einer allgemein anerkannten außenpolitischen Staatsräson. Allerdings ist es ein Fehler, ideenhistorische Zusammenhänge als lineare Fortschrittsprozesse zu beschreiben, mit klar definierten Erfolgs- und Abfallprodukten. Nur weil sich der Staat der Frühen Neuzeit gegenüber den universalistischen Vorstellungen des Mittelalters durchgesetzt hatte, heißt dies nicht, dass jede Art von Universalismus für immer verabschiedet worden wäre. Im Gegenteil, denn das 18. Jahrhundert ist nicht nur dasjenige des absolutistischen Kabinettskriegs gewesen, sondern ebenso das Jahrhundert der politischen Theorie der Aufklärung. Diese findet ihren Höhepunkt im Werk Immanuel Kants. Im Folgenden sollen nun im Kern zwei Annahmen entfaltet werden: Erstens, der politischen Organisationseinheit Staat war erfolgreich die Befriedung der Gesellschaft im Inneren gelungen, und zwar zum Preis eines dauerhaften Unfriedens nach außen. An diesem andauernden Kriegszustand und insbesondere an der ihn theoretisch konstituierenden Staatsräson stößt sich zunehmend die auf universalistischen Hypothesen fußende Politiktheorie der Aufklärung. Kristallisationspunkt dieser Entwicklung ist die radikale Kritik, die Kant vom Standpunkt der universalen Vernunft an der partikularen Staatsklugheit übt. Zweitens, so grundlegend diese Kritik auch ausfällt und so entschieden die Idee des zwischenstaatlichen Friedens gegen die des Krieges auch in Szene gesetzt wird, entwickelt Kant doch keine prinzipiell universalistische Politiktheorie zur Überwindung des partikularen Staates und seiner Außenpolitik. Wohl aber werden universalistische Prämissen ins Spiel gebracht, die die Sphäre der Außenpolitik universalistisch aufladen. Gerade Letzteres ist von zentraler Bedeutung und Wirkmächtigkeit. Ohne eine Vergegenwärtigung dieser Entwicklung muss aktuelle Außenpolitik in wesentlichen Punkten unverständlich bleiben. Eine auch heute ständig zu beobachtende außenpolitische 103  Vgl.

Kunisch (1973).



II. Staatsräson und Staatslimitierung61

Ambivalenz zwischen Partikularismus und Universalismus gründet in dieser an Kant zu zeigenden Entwicklung. 1. Der Wandel von der Staatsklugheit zur Staatsweisheit bei Kant Gegen Ende des 18. Jahrhunderts ist die Idee vom zwischenstaatlichen Naturzustand ein politiktheoretischer Gemeinplatz. Dementsprechend finden sich in den Schriften Kants zahlreiche Passagen, die sich auf den interna­ tionalen Naturzustand beziehen.104 Die Schrift mit dem stärksten außenpolitischen Bezug, „Zum ewigen Frieden“ von 1795, wiederholt ferner gleich zu Beginn noch einmal die traditionelle außenpolitische Strategie der frühneuzeitlichen Staatsräsonlehre, dass „nach aufgeklärten Begriffen der Staatsklugheit in beständiger Vergrößerung der Macht, durch welche Mittel es auch sei, die wahre Ehre des Staates gesetzt wird.“105 Überhaupt weiß Kant von einer Unzahl an traditionellen Kunstgriffen zu berichten, die allesamt der Staatsklugheit dienen.106 Entscheidend ist aber das Problembewusstsein, das die Schilderung des zwischenstaatlichen Naturzustands prominent kennzeichnet.107 Es sind im Wesentlichen drei Begründungsmotive, die den Kriegszustand unter den Staaten nicht mehr, wie noch bei Machiavelli und Hobbes, notwendig erscheinen lassen. Friede erscheint bei Kant zum einen moralisch geboten, zum anderen rechtstheoretisch notwendig und schließlich auch geschichtsphilosophisch möglich.108 Abgesehen von den einzelnen Friedensbegründungen ist es jedoch abermals ein bestimmtes Verständnis von klugem Handeln, das den Ausschlag gibt. Damit ist Kants Verständnis von praktischer Vernunft angesprochen. Dieses stellt im Grunde eine Umkehr der prudentiellen Anlage Machiavellis dar. „Was soll ich tun?“109, die Ausgangfrage der praktischen Überlegungen Kants hat bereits eine bewusst antiutilitaristische Stoßrichtung. Dies bedeutete nichts anderes als einen massiven Angriff auf die traditionelle Staatsklugheit. Diese hatte sich durch die bei Kant (1912), S. 355; Kant (1914), S. 344. (1912), S. 344; die Formel „nach aufgeklärten Begriffen“ ist dem ironischen Ton geschuldet, der den Anfang der Friedensschrift durchzieht. 106  Vgl. ebd., S. 374–375; diese Methoden lässt Kant in anthropologischen Mängeln wurzeln und sieht diese im Zwischenstaatlichen besonders, da nicht sanktioniert, hervortreten; vgl. ebd., S. 375. 107  Damit ist Kant nicht der Erste, wohl aber der bei weitem Originellste, da bei ihm das Naturzustandsproblem klar als rechtsphilosophisches Problem aufgefasst wird; Vorläufer hat Kurt von Raumer versammelt; vgl. Raumer (1953). 108  Vgl. Cavallar (1992), S. 43–51. 109  Kant (1911), S. 522. 104  Vgl.

105  Kant

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B. Staatsräson – Theoretische Grundlagen

Hobbes und vor allem Machiavelli klassisch vorgeführte Umdeutung der Theorie zum reinen Mittel der Praxisbewältigung ausgezeichnet. Theoretisch entschied die Staatsräson die in der Praxis auftauchenden Konflikte immer zu ihren Gunsten. Dadurch konnte jede mit den Machtansprüchen des Staates konkurrierende Morallehre ausgehebelt werden. Bei Kant hingegen geschieht das Gegenteil. In der Abhandlung „Über den Gemeinspruch: das mag in der Theorie richtig sein, taugt aber nicht für die Praxis“110 wird der Versuch unternommen, zu beweisen, dass richtige Theorie in der Praxis unmöglich falsch sein kann. „Zum ewigen Frieden“ lässt sich daran anschließend als eine konkrete Ausarbeitung der auf das Zwischenstaatliche bezogenen Teile von „Über den Gemeinspruch“ interpretieren. Hierin ist keine Rückkehr zum aristotelischen Klugheitsverständnis zu sehen, sondern genauso wie Machiavelli und Hobbes entwickelt Kant ein antiaristotelisches Verständnis.111 Kant will also nicht zurück zur Vermittlung zwischen Theorie und Praxis, sondern löst deren Verhältnis zugunsten der Theorie auf. Klugheit lässt sich insofern nur als praktische Vernunft beschreiben, während diese wiederum durch die Voraussetzung der Pflicht bestimmt wird. Pflicht hingegen ist im kantschen Sprachgebrauch nur in Verbindung mit kategorischen Imperativen zu denken.112 Zwischen praktischer Vernunft und moralischem Verhalten findet sich also überhaupt kein Unterschied mehr. Gemäß der ihm eigenen Universalisierungsfähigkeit verbietet der kategorische Imperativ, das Sittengesetz, Handlungen, die die menschliche Selbstzweckhaftigkeit nicht berücksichtigen. Somit holt Kant also nicht nur die Politik genau in den ethischen Rahmen zurück, aus dem Machiavelli und Hobbes sie gelöst hatten, sondern ersetzt Politik durch diesen Rahmen: „Die Moral ist schon an sich Praxis in objektiver Bedeutung“113. Dies hat wiederum nichts mit mittelalterlichem Universalismus zu tun, wohl aber mit Universalismus an sich. Die Argumentationslinie, die Kant in „Zum ewigen Frieden“ verfolgt, wendet sich also mit einem neuen Universalismus gegen die ältere, partikulare Staatsklugheit. Um dies auch begrifflich zu unterstreichen führt er den Terminus „Staatsweisheit“114 ein, der sich ebenso als Staatsvernunft lesen lässt. Zum Verständnis dessen, was die Staatsvernunft der Staatsklugheit 110  Kant

(1912a). Ottmann (2008), S. 160. 112  Die klassische, musterhafte Formulierung eines kategorischen Imperativs findet sich in der „Grundlegung zur Metaphysik der Sitten“, wo es heißt: „handle nur nach derjenigen Maxime, durch die du zugleich wollen kannst, dass sie ein allgemeines Gesetz werde“; Kant (1911a), S. 421. 113  Kant (1912), S. 370. 114  Ebd., S. 379. 111  Vgl.



II. Staatsräson und Staatslimitierung63

voraus hat, ist es nötig, sich eine wichtige kantsche Prämisse zu vergegenwärtigen: Staaten und Individuen sind als Rechtssubjekte identisch.115 Ganz im Gegensatz zu manchen Interpretationsklischees der politikwissenschaftlichen Lehre der internationalen Beziehungen116 sind es also nicht in erster Linie moralische oder partizipationstheoretische, sondern rechtstheoretische Gründe, die Kant zum Kritiker der Staatsklugheit werden lassen.117 Denn wo die juridische Identität gegeben ist, gelten auch dieselben Forderungen. Also gilt: „die reine[n] Rechtsprinzipien haben objektive Realität, d. i. sie lassen sich ausführen; und darnach müsse auch von Seiten des Volks im Staate und weiterhin von Seiten der Staaten gegen einander, gehandelt werden“118. Dieser Leitsatz einer praktischen Rechtsvernunft beansprucht im Sinne Kants universale Gültigkeit und kennt keine einschränkenden Bedingungen der Empirie; er gilt ohne jede Ansehung tatsächlicher Verhältnisse oder Konsequenzen. Folglich rückt das von der hergebrachten Staatsklugheit stabilisierte System eines zwischenstaatlichen Dauerkonflikts ins Zentrum der Kritik. Dabei wird Krieg allerdings nicht zum bedingungslos zu vermeidenden moralischen Skandalon erklärt.119 Aber es ist eine unbedingte Forderung der praktischen Vernunft, den Krieg als Rechtsmittel zu verabschieden. Letzteres wiederum ist einer der wichtigsten Aspekte der hobbesschen Staatstheorie und hat als ius ad bellum die Geschichte des neuzeitlichen Völkerrechts bis weit in das 20. Jahrhundert hinein geprägt. Die universale Vernunft ist es aber, die nach Kants Auffassung „den Krieg als Rechtsgang schlechterdings verdammt“120, denn: „Bei dem Begriffe des Völkerrechts, als eines Rechts zum Kriege, lässt sich eigentlich gar nichts denken“121. Gemäß dem kontraktualistischen Grundsatz kann dort, wo Krieg herrscht, nicht gleichzeitig von Recht die Rede sein.122 Da aber Staaten ebenso wie Individuen souveräne Rechtssubjekte sind und die Postulate der praktischen Rechtsvernunft für die einen wie die anderen gelten, gilt auch für den zwischenstaatlichen 115  Vgl. Höffe (1995), S. 114; beispielsweise der zweite Präliminarartikel aus „Zum ewigen Frieden“ verdeutlicht dies, wenn es dort heißt: „seine [des Staates] Existenz, als einer moralischen Person“; Kant (1912), S. 344. 116  Vgl. Doyle (1983); Czempiel (1996). 117  Vgl. Cavallar (1992), S. 45. 118  Kant (1912), S. 380. 119  Vgl. ebd., S. 345. 120  Ebd., S. 356. 121  Ebd. 122  Denn dort, wo die Staaten im Sinne des ipse-iudex-Prinzips handeln, kommt es zwar zu ebenso einseitigen wie gewalttätigen Antworten auf Rechtsfragen, gerade wegen ihres einseitigen und gewalttätigen Charakters lässt sich dabei aber nicht an Recht in einem vernünftigen Sinne denken.

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B. Staatsräson – Theoretische Grundlagen

Naturzustand, dass er zu überwinden sei: „Für Staaten, im Verhältnisse unter einander kann es nach der Vernunft keine andere Art geben, aus dem gesetzlosen Zustande, der lauter Krieg enthält, herauszukommen, als dass sie, eben so wie einzelne Menschen, ihre wilde (gesetzlose) Freiheit aufgeben, sich zu öffentlichen Zwangsgesetzen bequemen und so einen (freilich immer wachsenden) Völkerstaat […] bilden.“123 Die Staatsweisheit Kants unterscheidet sich also von Staatsklugheit dadurch, dass sie prinzipiell, nicht konsequenzialistisch, argumentiert und universale Geltung beansprucht, sich also nicht mit partikularen Ergebnissen, beispielsweise relativer Sicherheit, zufrieden gibt. Daraus ergibt sich in der kantschen Überlegung eine spezifische Kongruenz, die in Georg Cavallars Monographie zur Friedensschrift Kants, der bedeutendsten jüngeren Monographie zum Thema, besonders deutlich umrissen wird: „Friede und Recht fallen zusammen; wer nicht Recht will, will nicht den Frieden.“124 Die Duldung oder Inkaufnahme rechtsfreier Räume, wie sie im Kern das Zwischenstaatliche bei Machiavelli und Hobbes auszeichnet, kommt somit nicht mehr in Frage. Bei Normkollisionen kann sich der einzelne Staat nicht mehr auf seine partikulare Klugheit zurückziehen und durchweg zugunsten des eigenen Machterhalts oder Machtausbaus votieren. Sicherheit ist bei Kant zu einer Frage der Rechtssicherheit geworden, der insofern auch nur mit derselben Begründungslogik begegnet werden kann, die den Ausgang aus dem zwischenmenschlichen Naturzustand vorschreibt.125 Dies wird von Kant in aller Schärfe herausgearbeitet und zeigt sich überall dort besonders eindrücklich, wo zur Illustration die Mittel der Staatsklugheit aufgezählt und schließlich allesamt mit dem polemischen Etikett „Afterpolitik“126 versehen werden. Ebenso der Illustration dient – wie schon bei Aristoteles und Machiavelli – eine Personifikation. Im Anhang von „Zum ewigen Frieden“ erläutert Kant noch einmal den Unterschied zwischen Staatsklugheit und -weisheit anhand der Gegenüberstellung des „politischen Moralisten“ mit dem „moralischen Politiker“. Jener repräsentiert 123  Kant (1912), S. 357; bis hierhin argumentiert Kant im Sinne einer Weltstaatskonzeption mit Sanktionsgewalt, verlässt aber später diesen Argumentationsweg. 124  Cavallar (1992), S. 45. 125  Dass es sich hierbei im Grunde um einen wirklich diametralen Gegensatz handelt, der Kant auch exakt in dieser Zuspitzung vor Augen tritt, zeigt etwa das folgende Zitat: „Die wahre Politik kann also keinen Schritt tun, ohne vorher der Moral gehuldigt zu haben, und ob zwar Politik für sich selbst eine schwere Kunst ist, so ist doch Vereinigung derselben mit der Moral gar keine Kunst; denn diese haut den Knoten entzwei, den jene nicht aufzulösen vermag, sobald beide einander widerstreiten.“ Kant (1912), S. 380. 126  Ebd., S. 385; der hier kritisierte Probabilismus beispielsweise ist eine genaue Wiedergabe der Annahmen zum strategischen Misstrauen, die sich bei Hobbes finden.



II. Staatsräson und Staatslimitierung65

einen einschlägigen Klugheitsakteur, der in der partikularen Vorteilsmehrung sein Geschäft erblickt, und bedarf hier keiner näheren Schilderung mehr. Letzterer hingegen vertritt das Prinzip der Staatsweisheit und folgt dem „reinen Begriff der Rechtspflicht“127. Für ihn eröffnen sich durchaus Perspektiven, den Frieden zu befördern. Zur Demonstration dessen dient Kant die Beweisführung darüber, „dass Politik und Moral nicht wesensnotwendig uneins sind“128, wie Monique Castillo treffend erläutert. Dennoch ist der dem moralischen Politiker ferner zugeordnete Imperativ wiederum kein moralischer, sondern ein rechtlicher.129 Abgesehen davon ist aber die von Kant bemühte Figur des moralischen Politikers im Zusammenhang von Universalismus und Partikularismus von größter Bedeutung. Im Gegensatz zu den Stellvertretern der Staatsklugheit, denen angesichts der Mangelhaftigkeit der Welt allenthalben ein naturalistischer Fehlschuss unterlaufe,130 verfüge der moralische Politiker über einen handlungsleitenden Grundsatz, der es ihm erlaube, Klugheit und Moral politisch zusammenzubringen, also im Sinne einer ausübenden Rechtslehre. Dieser Grundsatz ist das „Naturrecht, so wie es in der Idee der Vernunft uns zum Muster vor Augen steht“131. Dadurch, dass überpositives Recht zum entscheidenden Kriterium dessen wird, was in der politischen Praxis als vernünftig gelten kann, wird der hergebrachten Staatsräsonlehre ihr partikulares Fundament entzogen. Dieses ruht ja gerade auf der einseitigen und rein dezisionistisch zu verstehenden staatlichen Kompetenz zur Rechtsgenese. Im Außenverhältnis bedeutete dies stets das Recht zum Krieg. Naturrecht, im heutigen Jargon Menschenrecht, ist aber natürlich die universale Kategorie schlechthin, damit trägt die kantsche Staatsweisheit im Kern ein universales Programm. 2. Staatsräson als Friedensgebot Im Vorigen ist die Kritik erläutert worden, die sich zwangsläufig ergibt, wenn partikulare Staatsklugheit an der Elle universaler Vernunft gemessen wird. Die politische Theorie Kants stellt in diesem Sinne den Versuch dar, politische Klugheit durch Vernunft zu ersetzen, wobei sich die Differenz der beiden Begriffe aus der Verallgemeinerungsfähigkeit der kantschen Vernunft herleitet.132 Die Maxime der Naturrechtsachtung verleiht seiner Konzeption 127  Ebd.,

S. 379. (1995), S. 208. 129  Vgl. Ottmann (2008), S. 176. 130  Vgl. Kant (1912), S. 372. 131  Ebd. 132  Im Kontext der akademischen Lehre von der internationalen Politik könnte man auch von liberaler oder idealistischer Vernunft sprechen, in einem breiteren 128  Castillo

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B. Staatsräson – Theoretische Grundlagen

ihre universale Stoßrichtung. Im Folgenden soll nun veranschaulicht werden, dass Staatsräson im politiktheoretischen Kontext keineswegs auf ein Gebot offensiver, gewaltlastiger Expansion festgelegt ist, sondern im Gewand einer Staatsvernunft auch friedensbezogen auftreten kann. Es erübrigt sich, noch einmal das konkrete Programm auszubreiten, das Kant in „Zum ewigen Frieden“ entwickelt, oder seine über das Gesamtwerk verstreuten Aussagen zum Zwischenstaatlichen ideengeschichtlich abzubilden.133 Für die Diskussion der Staats- als Friedensräson sind vor allem die beiden ersten Definitivartikel der Friedensschrift von Bedeutung, also das republikanische Postulat und die Idee eines Friedensbundes, in Sonderheit ihre Verklammerung.134 Der zweite Definitivartikel liefert das Plädoyer zugunsten eines Bundes von Staaten, der einen bestimmten singulären Sinn hat. Noch einmal, die Ausgangsthese lautet wie folgt: „Völker als Staaten können wie einzelne Menschen beurteilt werden, die sich in ihrem Naturzustande (d. i. in der Unabhängigkeit von äußern Gesetzen) schon durch ihr Nebeneinandersein lädieren, und deren jeder um seiner Sicherheit willen von dem andern fordern kann und soll, mit ihm in eine der bürgerlichen ähnliche Verfassung zu treten, wo jedem sein Recht gesichert werden kann.“135 Dass es sich um eine der bürgerlichen Verfassung ähnliche, nicht aber identische, handelt, ist ein wichtiger Hinweis auf den Charakter des „Föderalism“ der Staaten. Doch welche Art von Bund konzipiert Kant? Spätestens seit dem Beginn des 17. Jahrhunderts liefert das Denken übers Zwischenstaatliche eine Vielzahl von Ansätzen, wie eine Institutionalisierung der Staatenkooperation aussehen könnte und warum diese zu wünschen sei.136 In aller Regel handelt es sich dabei nicht, wie gerne von den Klassikern des außenpolitischen Realismus im 20. Jahrhundert behauptet, um ein moralisch oder utopisch motiviertes Unterfangen.137 Im Gegenteil, üblicherweise wird utilitaristisch argumentiert. Es wird also ein materieller Vorteil angenommen, der dem einzelnen Staat entsteht, wenn er sich einem Staatenbund anschließt; häufig werden ökonomische oder kooperationspraktiideengeschichtlichen Zusammenhang führt dies aber zu Missverständnissen; ­beispielsweise sind sowohl Kant, Fichte und auch Hegel Vertreter des Deutschen Idealismus, vertreten aber höchst unterschiedliche Positionen im Hinblick auf internationale Politik. 133  Dazu grundlegend; vgl. Cavallar (1992); Gerhardt (1995); Höffe (1995). 134  Auch an die Prämisse des zweiten und fünften Präliminarartikels aus „Zum ewigen Frieden“, also die Autonomie eines jeden Staates als moralische Person, kann in diesem Zusammenhang erinnert werden. 135  Kant (1912), S. 354. 136  Frühe Beispiele finden sich bei Kurt von Raumer; vgl. Raumer (1953); Robert Keohane und Lisa Martin liefern ein aktuelles Beispiel; vgl. Keohane / Martin (1995). 137  Vgl. Carr (1940), S. 16–28.



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sche wie -pädagogische Gründe angeführt;138 theoretisch besehen spielt das aber nur eine nachgeordnete Rolle. Denn Kant, der bis 1793 immer wieder für eine echte Weltstaatskonzeption eingetreten war,139 weil er eine Identität von zwischenmenschlichem und zwischenstaatlichem Naturzustand angenommen hatte, löst sich in „Zum ewigen Frieden“ von einer derartigen Vorstellung. Da auch an dieser Stelle eine hauptsächlich rechtstheoretische Begründungsstrategie zur Anwendung kommt, erklärt sich, dass eben keine prinzipiell universale Ordnungsvorstellung entworfen wird, sondern nur „das Surrogat des bürger­ lichen Gesellschaftsbundes“140. Im Wesentlichen sind es zwei Argumente der Rechtstheorie, die gegen einen vollgültigen Universalismus sprechen: Erstens impliziert die Idee vom Völkerrecht, auf die Idee Kants vom Völkerbund bezogen ist, Pluralismus. Bei nur einem Volk kein Völkerrecht. Zweitens handelt es sich beim zwischenstaatlichen Naturzustand nur um eine Art „Rest-Naturzustand“141. Das auf den einzelnen Staat bezogene Verlassen des Naturzustandes begründet überhaupt erst eine wie auch immer geartete Rechtswirklichkeit. Das auf die Vielzahl der Staaten bezogene Verlassen des Naturzustandes hingegen ergibt sich alleine aus der Rechtlosigkeit zwischen den Staaten, diese selbst hingegen stellen ja jeder für sich bereits Rechtswirklichkeit dar.142 Letztgenannte Rechtssubjektivität darf nicht aufgehoben werden, gleichermaßen darf allerdings der zwischenstaatliche Kriegszustand nicht perpetuiert werden. Insofern bleibt nur ein Staatenbund, der zwar seinem Namen gerecht wird, aber dennoch die rechtliche Gleichheit seiner Mitglieder bewahrt: „Dieser Bund geht auf keinen Erwerb irgend einer Macht des Staats, sondern lediglich auf Erhaltung und Sicherung der Freiheit eines Staats, für sich selbst und zugleich anderer verbündeten Staaten, ohne da diese doch sich deshalb (wie Menschen im Naturzustande) öffentlichen Gesetzen, und einem Zwange unter denselben, unterwerfen dürfen.“143 Nur in einer „fortwährend-freien Assoziation“144 der Staaten ist dies denkbar. Damit treten die Staaten aus dem restlichen Naturzustand, der noch zwischen ihnen herrschte, auch wenn damit natürlich in Bezug auf Kriege nach Jackson / Sørensen (2003), S. 105–137. Cavallar zeigt, dass die Abwendung von der Weltstaatkonzeption mit der Schrift „Über den Gemeinspruch“ einsetzt; vgl. Cavallar (1992), S. 206. 140  Kant (1912), S. 356. 141  Höffe (1995a), S. 115. 142  Daneben äußert Kant auch pragmatische Einwände gegen einen echten Universalismus, also einen Weltstaat; vgl. Kant (1912), S. 367. 143  Ebd., S. 356. 144  Ebd., S. 383. 138  Vgl.

139  Georg

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B. Staatsräson – Theoretische Grundlagen

wie vor mit „beständiger Gefahr ihres Ausbruchs“145 zu rechnen ist. Insoweit wäre die von Machiavelli und Hobbes bekannte Argumentation der konfliktiven, expansionistischen Staatsklugheit nicht erschüttert. Ohne eine effektive Zwangsinstitution lässt sich kein verlässlicher Frieden herstellen, so die Logik des „Leviathan“. Das bleibt Kant natürlich nicht verborgen und also heißt es in der „Rechtslehre“, die 1797, mithin zwei Jahre nach „Zum ewigen Frieden“ erschienen ist: „so ist der ewige Friede (das letzte Ziel des ganzen Völkerrechts) freilich eine unausführbare Idee.“146 Ein Grund, warum nicht doch eine vollgültig universale Konzeption von Kant entwickelt worden ist, wurde mit dem rechtstheoretisch gebotenen Erhalt der Einzelstaaten bereits genannt. Zum anderen würde ein mit Sanktionsgewalt ausgestatteter Bund, also ein den Krieg zum Friedensinstrument gebrauchender Universalstaat, in der kantschen Argumentation einen Widerspruch zu sich selbst darstellen.147 Der Bund existiert ja allein als Versuch der Kriegsverhinderung. Der Bund kann also weder die Abwesenheit des Krieges garantieren noch seine Mitglieder zwingen, ihn nicht zu verlassen.148 Wie soll dann überhaupt noch Frieden möglich sein? Die kantsche Antwort auf diese Frage ergibt sich aus der Verklammerung der Idee des Friedensbundes mit der Idee des Republikanismus, der republikanischen Verfassung, die aus dem Rechtsbegriff folgt. In der jüngeren politikwissenschaftlichen Diskussion wird hauptsächlich auf die utilitaristische Seite des Arguments geblickt, das den ersten Definitivartikel von „Zum ewigen Frieden“ ausmacht.149 Wiederum dominiert bei Kant dagegen die rechtstheoretische Begründungsvariante. Da Republiken sich im Inneren an der Herrschaft des Rechts orientieren, werden sie das Recht auch im Äußeren als 145  Ebd.,

S. 357. (1914), S. 350. 147  Georg Cavallar macht ferner auf andere als nur im freiwilligen Friedensbund gewahrte transzendental-rechtliche Prinzipien aufmerksam, etwa die Freiheit von Staaten oder ihre Gleichheit als Mitgesetzgeber eines zwischenstaatlichen, öffentlichen Rechts; vgl. Cavallar (1992), S. 208. 148  Die „Rechtslehre“ ist in dieser Hinsicht besonders deutlich, da der Bund als eine „zu aller Zeit auflösliche Zusammentretung“ beschrieben wird; Kant (1914), S. 351. 149  Demnach scheuen Republiken den Krieg stärker als andere Staatsformen, weil diejenigen, die die Kosten von Kriegen zu tragen hätten, am Beschluss darüber beteiligt seien; vgl. Kant (1912), S. 351; daran anknüpfend die Theorie des Demokratischen Friedens wie etwa grundsätzlich bei Michael Doyle; vgl. Doyle (1983); zur Übersicht bietet sich Joachim Krause an; vgl. Krause (2003); das utilitaristische Argument, das die Selbstliebe des republikanischen, oder heute demokratischen, Volkes in Friedensliebe übersetzt, ist schwach, da eine Unmenge an empirischen und theoretischen Einwänden auftaucht; im Zusammenhang des Gesamtwerks Kants kommt dem Argument aber ohnehin kaum Bedeutung zu; vgl. Cavallar (1992), S. 173–177. 146  Kant



II. Staatsräson und Staatslimitierung69

Orientierungspunkt nutzen.150 Insofern kann der Bund doch immerhin eine gesetzgebende und rechtsprechende Funktion wahrnehmen, wenn auch eine sanktionierende Funktion ausbleiben muss. So lässt sich, wenn schon nicht der ewige Friede selbst, doch ein Prozess im Sinne einer „kontinuierlichen Annäherung“151 an diesen denken, denn diese „auf der Pflicht, mithin auch auf dem Recht der Menschen und Staaten gegründete Aufgabe ist, allerdings ausführbar.“152 Die klarste zusammenfassende Erläuterung des kantschen Konzepts findet sich bei Cavallar: „Kant geht es nicht um die Abschaffung der Kriege, sondern um die Schaffung von Rechtsverhältnissen, die als solche den Krieg als Gewaltmittel zur Durchsetzung des eigenen Willens ausschließen.“153 Warum lässt sich aber bei Kant von einer außenpolitischen Staatsräson sprechen, die als Friedensräson konzipiert wird? Zum einen ist es natürlich der bereits erwähnte Ausschluss des Krieges als Mittel der Rechtsdurchsetzung.154 Im Sinne einer außenpolitischen Maxime, um die Diktion Meineckes wieder aufzugreifen, ist es aber vor allem ein anderer Aspekt der kantschen Konzeption, der den Ausschlag gibt. In Bezug auf das außenpolitische Verhalten eines Einzelstaates155 ist damit ein bestimmter Anspruch angesprochen, den dieser formulieren darf und muss. Denn auch wenn Staaten andere Staaten nicht zwingen dürfen, den zwischenstaatlichen Naturzustand zu verlassen, so dürfen sie doch voneinander fordern, dies zu tun. Staaten haben untereinander einen rechtstheoretischen Anspruch auf Naturzustandsbeseitigung.156 Darin kommt einerseits die limitierende Wirkung von Staatsräson zum Ausdruck, die als allgemein gültige Staatsvernunft gleiche Rechte und damit eben auch Pflichten konstituiert.157 Der einzelne Staat geht somit seiner Anlage zur prudentiellen Vorteilsmehrung verlustig, die die wichtigste An150  Mehr noch, denn es lässt sich schlüssig zeigen, dass bei Kant nicht nur die Herrschaftsform die Außenpolitik bestimmt, sondern es sich um ein reziprokes Verhältnis handelt; vgl. ebd., S. 198. 151  Kant (1914), S. 350. 152  Ebd. 153  Cavallar (1992), S. 392. 154  Abgesehen davon lässt sich Kant aber weder pazifistisch noch bellizistisch vereinnahmen, sein politisches Denken ist rechtsbezogen, woraus sich der Friedensbezug ergibt; in diesem Sinne schon Kenneth Waltz in einem frühen Aufsatz, trotz erheblicher Verkürzungen; vgl. Waltz (1962). 155  Theoretisch gilt dies in der Tat für alle Staaten, praktisch durchführbar und sinnvoll erscheint dies Kant hingegen nur für Republiken; vgl. Kant (1912), S. 356. 156  Vgl. Höffe (1995a), S. 115. 157  So ist auch die Thematisierung des „ungerechten Feindes“ im Zwischenstaatlichen zu verstehen; Kant (1914), S. 349.

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B. Staatsräson – Theoretische Grundlagen

triebsfeder zum Staatenkonflikt bei Machiavelli und Hobbes dargestellt hatte. Andererseits schimmert hier der aufklärerische Universalismus durch. Am Beginn der Aufgabe, einen Friedensbund zu begründen, steht schließlich das „Recht der Menschen“. Dementsprechend ist, wenn auch äußerst zurückgenommen, der dritte Definitivartikel aus „Zum ewigen Frieden“ ein klarer Schritt in Richtung einer Entkoppelung von Recht und Staatsangehörigkeit.158 Bezogen auf Staatsräson versteht sich dieser Universalismus als echtes Gegenstück zur tradierten Staatsklugheit mit ihrer dezidiert partikularen Parteinahme. Allerdings ist es von größter Bedeutung, Kant eben nicht eine Transzendierung der Einzelstaatlichkeit anzudichten.159 Die rechtstheoretische Gleichsetzung von Individuum und Staat und die weitgehende Parallele des zwischenmenschlichen und zwischenstaatlichen Naturzustands führen gerade nicht zu einer Aufweichung des Staates als Rechtssubjekt. Also mündet der kantsche Universalismus nicht in die Forderung nach einer Universalrepublik. Warum sich Kant letztlich nur mit dem „Surrogat“ eines globalen Staates begnügt hat, wird zwar zur Gänze erst im Gesamtzusammenhang seines Werks deutlich,160 ist aber mit obigem auch hier schon hinreichend dargelegt. Für ein aktuelles Verständnis von Staatsräson ist insbesondere noch ein Rezeptionsstrang der kantschen Theorie des Zwischenstaatlichen bedeutsam. Denn ein wirkmächtiger Teil der Interpretationsgeschichte macht im Grunde geltend, dass Kant sich selbst missverstanden habe: „What Kant Should Have Said“161, lautet der Titel eines dementsprechend programmatischen Aufsatzes aus dem Jahr 1988.162 Das Argument basiert im Wesentlichen auf der Annahme, Kant sei im zweiten Definitivartikel von „Zum ewigen Frieden“ ein logischer Fehler unterlaufen. Laut Otfried Höffe „besteht zwischen der These des Zweiten Definitivartikels und der die Begründung tragenden Analogie [zwischen Individuen und Staaten] tatsächlich ein Widerspruch.“163 Demzufolge lägen gar keine rechtstheoretischen Gründe gegen einen Souveränitätsverzicht aufseiten der einzelnen Staaten vor. Was allenfalls übrig bliebe, wären umsetzungstechnische Einwände, die sich gegen die Einrichtung eines Weltstaats anführen ließen. Diese ließen sich aber dadurch ausKant (1912), S. 357–360. diesem Kontext lässt sich beispielsweise das strikte Interventionsverbot anführen, das Kant in „Zum ewigen Frieden“ vertritt; vgl. ebd., S. 346; Henning Ottmann demonstriert dies ebenfalls im Vergleich Kants mit Hegel; vgl. Ottmann (2004), S. 142. 160  Vgl. Cavallar (1992), S. 198–214. 161  Carson (1988). 162  Im deutschen Sprachraum sind es vor allem Christoph Horn und Otfried Höffe, die ähnlich argumentieren; vgl. Horn (1996); Höffe (1999). 163  Höffe (1995a), S. 115. 158  Vgl. 159  In



III. Exkurs: Staatslegitimation und außenpolitische Theoriebildung 71

räumen, dass der Weltstaat ohnehin nur extrem subsidiär zu denken sei, also allein zur Durchsetzung rechtsförmiger Konfliktregelung zwischen den Einzelstaaten mit einer Sanktionsgewalt ausgestattet sein müsse. Dennoch sei irgendeine Art von Sanktionsgewalt vonnöten, schließlich gehöre sie anerkanntermaßen zum unverzichtbaren Repertoire der innerstaatlichen Rechtssicherung.164 Kurzum, Kant wird ganz entgegen seiner eigenen Intention zum Zeugen einer Durchdringung der partikularen Gewalten durch eine universale. Im Unterkapitel „Räson zwischen Staat, Staatenwelt und Weltstaat“ wird dies wieder aufgegriffen werden, da sich hierin eine mächtige Tendenz aktueller internationaler Politik zeigt. An dieser Stelle bleibt festzuhalten, dass Kants Theorie des Zwischenstaatlichen in scharfem Kontrast zu derjenigen Machiavellis und Hobbes’ eine aufs Universale bezogene Limitierung der einzelstaatlichen Machtpleonasmen beinhaltet. Insofern ist aus ideengeschichtlicher Perspektive seine Friedensräson als Rückkehr des Universalismus zu betrachten, nachdem sich die partikulare Gewalt schlechthin, der Staat, realhistorisch aller Konkurrenten entledigt hatte. Hier zeigt sich ebenso eine neue Staatslimitierung, denn die Komposition von „Zum ewigen Frieden“ kann auch als staatstheoretische Evolution gelesen werden: Während die sechs Präliminarartikel als Bedingungen eines negativen Friedens fungieren, bedeuten die drei Definitivartikel eine normative Aufladung des Friedensbegriffs, also dessen Positivierung. Die zwischenstaatliche Aporie der älteren frühneuzeitlichen Staatstheorie konnte folglich nicht mehr auf Akzeptanz hoffen. Woher dies im Einzelnen rührt und welche Verbindungen zwischen Limitation und L ­ egitimation einer jeweiligen Staatsräson bestehen, erläutert der folgende Exkurs.

III. Exkurs: Staatslegitimation und außenpolitische Theoriebildung Die politiktheoretische Spannung, die zwischen partikularer Gewalt, dem Staat, und universaler Norm, dem Menschenrecht, besteht, ist oben aufgezeigt worden.165 Eine Spannung ist allerdings immer auch Ausdruck einer Verbindung, weshalb der nachfolgende Exkurs notwendig ist. Denn außenpolitische Staatsräson ist fraglos der konkrete Kern allgemeiner außenpolitischer Theoriebildung. Deshalb muss aber zum einen, und wiederum unter Rückgriff auf den nun bekannten ideengeschichtlichen Rahmen, erläutert 164  Vgl.

ebd., S. 116–128. Spannung zeigt sich eben besonders deutlich zwischen den Staatstheorien von Hobbes und Kant; der ideengeschichtlich korrekte Hinweis auf den eben nicht weltstaatlich ausgestalteten Universalismus Kants ist dabei kein grundsätz­ licher Einwand gegen die Gegenüberstellung von Hobbes und Kant. 165  Diese

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B. Staatsräson – Theoretische Grundlagen

werden, dass jede außenpolitische Theoriebildung nicht ohne Verbindungen zur normativen Staatstheorie auskommt.166 Da Staatstheorien ihrerseits stets auf eine legitimationstheoretische Letztbegründung zurückgreifen, zielt dieser Exkurs darauf, den Zusammenhang von Staatslegitimation und außen­ politischer Theoriebildung offen zu legen. Mehr noch: Die diesem Vorhaben zugrunde liegende These nimmt einen stark präskribierenden Effekt einer jeweiligen Staatslegitimation auf die entsprechende außenpolitische Theorie und damit auf eine jeweilige außenpolitische Staatsräson an. Zum anderen kann somit ein weiteres Mal die Sinnhaftigkeit des Begriffspaars aus Partikularismus und Universalismus verdeutlicht werden, wenn die theoretische Einordnung außenpolitischer Staatsräson ansteht. Damit bereitet dieser Exkurs den Boden für die restlichen theoretischen Überlegungen und ermöglicht den späteren Übergang von der allgemeinen politiktheoretischen Ebene auf die konkret-politische der Bundesrepublik Deutschland. Bis hierhin hat der ideengeschichtliche Hintergrund, also einerseits Machiavelli und Hobbes und Kant andererseits, Folgendes verdeutlicht: Gegen die mittelalterlichen Einheitsvorstellungen konturierte sich der Staat als Konzept der Abgeschlossenheit. Resultat dieses frühneuzeitlichen Partikularismus war eine außenpolitische Staatsräson, die ebenso konfliktiv-expansiv wie systemstabilisierend wirkte. Institutionenethik wurde gegen Individualethik positioniert. Diese Konstellation wurde durch eine positivistische Rechtstheorie grundiert, sodass eine rechtstheoretische Akzentverschiebung auch einen Konstellationswandel von Staat und außenpolitischer Staatsräson nach sich ziehen musste. Nicht nur, aber auch deshalb markiert Kant mit seinen dezidiert nicht-positivistischen Prämissen den Auftritt eines neuerlichen Universalismus, dessen universale Staatsvernunft sich entsprechend an der partikularen Staatsklugheit abarbeitete. Weil in beiden Entwürfen Staatstheorie zum Ausdruck kommt, lässt sich zwar von einem Spannungsverhältnis sprechen, nicht aber von einer grundsätzlichen, diametralen Gegensätzlichkeit. Sowohl hier wie dort existieren legitimierende und limitierende Funktionen der einzelstaatlichen Räson. Diese sind ihrerseits jeweils Teil der spezifisch neuzeitlichen Raison d’être des Staates.167 166  Dies gilt im Übrigen auch für außenpolitische Theorien oder Theorien der internationalen Politik, wo sie erklärtermaßen rein deskriptive Erkenntnisziele verfolgen; dies lässt sich beispielsweise am wirkmächtigsten Klassiker der Lehre der internationalen Politik im vergangenen Jahrhundert, Hans Morgenthau, zeigen; hier stehen universales Bekenntnis zu Menschenrechten und liberaler Staatlichkeit völlig unvermittelt neben der diplomatischen Technik der Interessensvermittlung, die ganz auf partikularen und positivistischen Prämissen aufruht; vgl. Morgenthau (2006). 167  Dennoch wird die Einordnung außenpolitischer Theorie oder von Theorie der internationalen Politik in einem größeren politiktheoretischen Kontext meist nicht behandelt, so etwa in aktuellen Lehrbüchern; vgl. Schieder / Spindler (2006).



III. Exkurs: Staatslegitimation und außenpolitische Theoriebildung 73

Denn generell sind aus der politischen Ideengeschichte fünf unterschiedliche staatstheoretische Legitimationsmodelle bekannt.168 Bei der Frage nach Staatsräson zwischen Partikularismus und Universalismus darf nun beispielsweise der Eudämonismus, also das antike Legitimationsmodell, getrost außer Acht gelassen werden. Er ist zwar eindeutig partikular angelegt,169 läuft aber grundsätzlich auf eine Strategie der generellen Vermeidung von Außenkontakten hinaus,170 was unter neuzeitlichen Bedingungen gänzlich undenkbar erscheint. Ferner würde die Darlegung einer im weitesten Sinne kommunitaristischen Position in außenpolitischer Hinsicht keinen Erkenntnisgewinn bedeuten.171 Prinzipiell ist aber der hier angestrebte Rückgriff auf Modelle der Staatslegitimation äußerst hilfreich und notwendig, einerseits, weil methodische Probleme nicht in dem gleiche Maße auftauchen,172 die andere Erklärungsmuster beeinträchtigen, andererseits, weil in der außenpolitischen Theoriediskussion häufig allgemeine politik­ theoretische Annahmen enthymematisch mitformuliert werden, die aber zu einem besseren Verständnis ausgesprochen anstatt stillschweigend vorausgesetzt werden sollten. Staatslegitimationsmodelle liefern dagegen eindeutige normative Diskurse über Staatsziele. Indem sie die Frage nach dem „Wozu“ des Staates thematisieren, werden vermeintlich essentialistische Wahrheiten, wie etwa eine politische Anthropologie, vor allem als Glied in der Argumentationskette relevant. So lassen sich einige methodische Probleme abmildern, welche die Diskussion einer außenpolitischen Theorie belasten, wenn diese mit einer überfrachteten deskriptiven Setzung beginnt. Letzteres zeigt sich beispielsweise immer dann, wenn außenpolitische Großtheorien, wie Realismus und Idealismus, vor allem unter Hinweis auf unterschiedliche Menschenbilder erläutert werden.173 Doch auch außenpolitische Theorie ist erst einmal normative Staatstheorie.174 Horn (2003), S. 22–31. rührt beispielsweise auch die Wertschätzung von Grenzen durch moderne Aristoteliker; vgl. Thaa (1999). 170  Dazu Aristoteles’ eigene bündige Zusammenfassung: „Die Autarkie ist aber das Ziel und das Beste.“ Aristoteles (1995a), S. 1253a. 171  Hegel zieht sich einfach auf eine streng partikulare Position zurück; vgl. Hegel (1911), S. 266–271; während moderne Kommunitaristen wie Michael Walzer in Bezug auf das Außenpolitische eigentümlich vage bleiben; vgl. Walzer (1990). 172  Das beste Beispiel hierfür ist die prononcierte Grundlegung einer bestimmten politischen Anthropologie, die in aller Regel überhaupt nicht problematisiert wird, wobei natürlich eine Reihe einschlägiger Probleme auftauchen; vgl. Höffe (1992); Jörke (2005), S. 48–58. 173  Das Problem ist der häufig apodiktische und einseitige Charakter, der den untschiedlichen Anthropologien beigemessen wird; durch eine simple anthropologische Gegenbehauptung erscheint dann eine Großtheorie, wie der Liberalismus oder Realismus, diskreditiert; damit wird im Grunde jede fruchtbare Diskussion unterbunden. 168  Vgl.

169  Daher

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B. Staatsräson – Theoretische Grundlagen

Es sind dementsprechend vor allem zwei Varianten des kontraktualistischen Arguments, deren außenpolitische Implikation hier hervorgehoben werden muss. Zum einen handelt es sich um den strategischen Kontraktualismus bei Hobbes, zum anderen um den vernunftrechtlichen bei Kant. Hobbes entwickelt ein Modell der Staatslegitimation, das ihn als Meister einer Argumentation der Letztinstanzlichkeit ausweist. Das methodische Programm des Szientismus, das sämtliche Schriften des englischen Philosophen durchzieht, verlangt einen gedanklichen Dreischritt aus Zerlegung, Anschauung und Zusammensetzung. Die staatstheoretische Ausmünzung dieser Trias muss hier nicht im Einzelnen nachgezeichnet werden, vielmehr steht die Veranschau­ lichung der Verknüpfung von Staatsbegründung und Außenpolitik an. Zuerst stellt sich also die Frage nach der hobbesschen Staatszielbestimmung. Zur Legitimation der Staatseinrichtung dient der – bei Hobbes rein fiktionale – Naturzustand, der letztlich als Lernprozess begriffen werden muss.175 Innerhalb des Naturzustands folgt auf einen machtakkumulierenden Vernunftakt ein kooperationsbezogener und schließlich der staatsstiftende, der die Bedingungen der Möglichkeit von Kooperation herstellt. Abgesehen von allen Details der hobbesschen Naturzustandskonzeption liegt ihre legitimationstheoretische Wirkungskraft in ihrer Einfachheit. Denn nur durch die Staatseinrichtung lässt sich das menschliche Grundbedürfnis nach Überleben gewährleisten: „The final cause, end, or design of men […] in the introduction of that restraint upon themselves, in which we see them live in commonwealths is the foresight of their own preservation“176. Sicherheit ist also der letztbegründende Faktor innerhalb der hobbesschen Legitimationstheorie. 174

Die eingangs dieses Kapitels formulierte These, dass Staatslegitimation und außenpolitische Theorie in einem Begründungszusammenhang stehen, lässt sich nun zum einen ideengeschichtlich plausibel zeigen, zum anderen theoretisch erläutern. Die ideengeschichtliche Plausibilität liegt auf der Hand: Da das außenpolitische Programm der hobbesschen Theorie schon ausführlich erläutert worden ist, genügt an dieser Stelle der Hinweis auf die bemerkenswerte Parallele zwischen dessen Zieldefinitionen und den Grundlagen der allgemeinen Staatstheorie des „Leviathans“. Kurzum, die Letztbegründung der Staatseinrichtung spiegelt sich in der grundsätzlichen außenpolitischen Maxime.177 Auch wenn es sich hierbei nicht um einen linearen Rosenthal (2001), S. 234–266. Kersting (2005), S. 79–81. 176  Hobbes (1962), S. 153. 177  Souveränität und Verteidigungszweck lassen sich somit nur als Aspekte ein und desselben Arguments denken: „But if the right of the sovereign also be exclud­ ed, he cannot perform the office they have put him into; which is, to defend them both from foreign enemies, and from the injuries of one another; and consequently there is no longer a commonwealth“; ebd., S. 313. 174  Vgl. 175  Vgl.



III. Exkurs: Staatslegitimation und außenpolitische Theoriebildung 75

Prozess in zeitlichen Etappen handelt, sondern um einen theoretischen Zusammenhang, lässt sich doch davon sprechen, dass der Beginn des Ganzen auch dessen Ende markiert. Machtakkumulierende Vernunft führt schließlich zur Staatseinrichtung. Der Staat wiederum, nachdem er den Individuen die Aufgabe der Machtakkumulation abgenommen hat, exekutiert im Äußeren just jene Strategie der Sicherheitsbeschaffung durch Machtvermehrung. Um ein weiteres ideengeschichtliches Indiz anzuführen, lässt sich auch Machiavelli diesem Muster zuschlagen. Nun findet sich zwar bei Machiavelli keine systematisch ausgearbeitete Legitimationstheorie, geschweige denn irgendeine Variante des kontraktualistischen Arguments, dennoch beginnen die „Discorsi“ mit einer Art Staatsentstehungsarchäologie. Auch hier steht das Sicherheitsbedürfnis ganz am Anfang aller Staatlichkeit. Die Einwohner einer Gegend gründen einen Staat, denn sonst gilt, dass „sie nicht sicher zu leben vermögen“178, es kommt zur Staatsentstehung, um sich „leichter verteidigen zu können.“179 Ausgehend von diesen Aussagen zur Staatslegitimation kehrt das Sicherheitsmotiv immer wieder in die Reflexionen Machiavellis zurück.180 Und ebenso wie bei Hobbes findet sich auch bei Machiavelli dieselbe Parallelität von staatslegitimatorischen Gründen und außenpolitischen Zielen. Gleichermaßen kommt hierin wieder der prinzipielle Partikularismus von Machiavelli und Hobbes zum Ausdruck. Staatslegitimation ist in diesem Fall per se unter den Bedingungen von Knappheit gedacht. Sicherheit und das entscheidende Instrument der Sicherheitsbeschaffung, Macht, lassen sich nur im Nullsummenspiel zum Nachteil anderer erwerben. Die Staatseinrichtung kann dabei das Knappheitsregiment allenfalls im Innern der Staaten ausschalten, keinesfalls hingegen im Außenverhältnis. Partikularität steht in diesem Sinne also für einen partiellen (sicherheits-)politischen Vorteil, der entweder erworben werden kann oder nicht. Bleibt noch einmal die Frage, warum nicht auch der zwischenstaat­ liche Naturzustand die Bedingungen seiner Überwindung liefert. Zum einen geschieht dies nicht, weil der partikularen Begründungslogik jedes Problembewusstsein wesensfremd sein muss, das sich auf allgemeine Missstände gründet. Andererseits ist die Analogie von Individuum und Staat bei den partikularen Denkern, insbesondere jedenfalls bei Hobbes, nur eine bedingte. Staaten existieren beispielsweise nicht unter derselben Bedrohungssymmetrie wie Individuen.181 Die Staatseinrichtung resultiert im Rahmen des 178  Machiavelli 179  Ebd.

(2001), S. 9.

180  Sowohl im „Principe“ als auch in den „Discorsi“ finden sich viele weitere Textpassagen, die außenpolitische Sicherheitserwägungen ansprechen. 181  Deswegen ist auch der zwischenmenschliche Naturzustand „no place for industry“, während der zwischenstaatliche ganz im Gegenteil zu ihr beiträgt; Hobbes (1962), S. 113; vgl. ebd., S. 115.

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B. Staatsräson – Theoretische Grundlagen

strategischen Kontraktualismus aus der Kombination von Selbsterhaltungsinteresse und Zweckrationalität, der Staat ist ein sicherheitsfunktionales Instrument im Dienste verständiger Individuen. Dagegen liegt dem vernunftrechtlichen Kontraktualismus Kants etwas völlig anderes zugrunde. Der Naturzustand ist ein Zustand natürlicher Rechte, wobei das Naturrecht auch wirklich nur im Singular gedacht wird: „Freiheit […] ist dieses einzige, ursprüngliche, jedem Menschen, kraft seiner Menschheit, zustehende Recht.“182 Dies ist keinesfalls eine nicht weiter begründete Behauptung, sondern vielmehr Ausdruck des vermutlich wirkmächtigsten epistemologischen Großprogramms der Neuzeit. Denn Kant verabschiedet die gesamte Grundlage der metaphysischen Tradition, die der praktischen Philosophie mit Verweisen auf alle möglichen Bezugspunkte – Gerechtigkeit, Göttlichkeit, Klugheit, Menschennatur und dergleichen mehr – Orientierung verschafft hatte. Alle diese Orientierungspunkte scheitern bei Kant als Begründungsinstanzen allgemeiner praktischer Gesetze.183 Was hingegen nicht scheitert, ist die Autonomie der praktischen Vernunft. Die eingängigste Formulierung der Konsequenzen dieser erkenntnistheoretischen Innovation findet sich bei Wolfgang Kersting: „mit dieser Erkenntnis befreit uns Kant von der Herrschaft des theologischen Absolutismus und den Bindungen eines teleologischen Naturrechts […] mit dieser Erkenntnis hebt uns Kant jedoch auch aus den prosaischen Niederungen der Klugheitslehre und des generalisierten Egoismus.“184 Und weiter: „Kants Konzept von der Autonomie der reinen praktischen Vernunft begründet normative Erkenntnis in dem Universalisierungsgrundsatz.“185 Die Pointe der kantschen Staatslegitimation ist dementsprechend die Universalisierung des oben genannten Naturrechts, der Freiheit, das sich selbst wiederum aus der Autonomie der praktischen Vernunft ergibt. Während also Hobbes als partikularer Legitimationstheoretiker in Erscheinung tritt, zeigt sich hier die universale Tendenz der kantschen Konzeption.186 Der Ausdruck universalisierter Freiheit im Verhältnis der Menschen untereinander ist das Rechtsprinzip: „Eine jede Handlung ist recht, die oder nach deren Maxime die Freiheit der Willkür eines jeden mit jedermanns Freiheit nach einem allgemeinen Gesetze zusammen bestehen kann.“187 Oder in den Worten Christoph Horns: 182  Kant

(1914), S. 237. Kant (1911), S. 27–46. 184  Kersting (2005), S. 180. 185  Ebd., S. 181. 186  Das ist sicherlich eine schablonenhafte, wenn auch an dieser Stelle nicht unzulässige Darstellung; sowohl auf den individuellen Voluntarismus von Hobbes, der auch universalisierbar ist, als auch auf Kants Beharren auf der einzelstaatlichen Souveränität könnte mit berechtigtem Einwand hingewiesen werden. 187  Kant (1914), S. 230. 183  Vgl.



III. Exkurs: Staatslegitimation und außenpolitische Theoriebildung 77

„Die Staatsetablierung erscheint somit als Gebot unseres grundlegenden Freiheitsrechts“.188 Kants Kontraktualismus gründet also nicht auf einer Nützlichkeitserwägung, sondern auf einer ethischen Pflicht zur Naturzustandsüberwindung, zum Staat. Wie bei Hobbes lässt sich auch hier auf eine Duplizität der Begründungsmuster verweisen. Die Pflicht zur Naturzustandsüberwindung kehrt in der Friedensräson wieder, die Kant als außenpolitische Maxime für – republikanische – Einzelstaaten entwickelt. Es ist beides Mal das Universalisierungsargument der Rechtsvernunft, das den Ausschlag gibt. Der Rechtspflicht zum Frieden im Staat korrespondiert eine Rechtspflicht zum Weltfrieden. Da der Staat ein prinzipiell freiheitsfunktionales Instrument ist, richtet sich die Legitimationslogik, welche den primären Naturzustand ohne jede Staatlichkeit überwindet, auch gegen den sekundären Naturzustand zwischen den etablierten Staaten. Noch deutlicher formuliert: Solange überhaupt eine Art von Naturzustand fortbesteht, ist das vernunftrechtliche Legitimationsmodell nicht vollends umgesetzt. Der ideengeschichtlich korrekte Befund beschreibt allerdings eine Argumentation Kants, die eben keinen echten Universalismus, das heißt, eine vollgültige Weltstaatskonzeption, anstrebt, sondern eine föderale Lösung ohne echte Staatlichkeit bevorzugt. An dieser Stelle bedeutsam ist hingegen allein die Tatsache, dass sowohl das strategische Modell von Hobbes wie das vernunftrechtliche Modell Kants eine doppelte Parallelität aufweisen. Einmal die jeweils interne Parallele zwischen Staatslegitimation und außenpolitischer Maximenbildung und zweitens die äußere Parallele untereinander, gleichen sich die beiden Entwürfe doch trotz ihrer erheblichen Differenzen in dieser Struktur. Abgesehen von der ideengeschichtlichen Evidenz ist dieser Zusammenhang auch theoretisch schlüssig. Außenpolitik konstituiert sich aus zwei Gründen, zum einen aus den Charakteristika jedes einzelnen Akteurs, zum anderen aus der Pluralität der Akteure. Als Staaten sind die außenpolitischen Akteure allerdings keine Naturerscheinungen, sondern im neuzeitlichen Rahmen reales Produkt und realer Produzent um Rationalität bemühter politischer Begründungstheorien.189 Da also ein politiktheoretischer Kreations188  Horn (2003), S. 30; neben der freiheitsbezogenen Argumentationslinie entwickelt Kant noch eine komplexe Eigentumstheorie, die den zweiten Begründungspfeiler der Naturzustandsüberwindung darstellt und die Kersting treffend als Aufgabe zusammenfasst, „die Bestimmungsbedürftigkeit des apriorischen Privatrechts aufzuzeigen […] sich im Rahmen der Regeln des prozeduralen Rationalismus zu einem gesetzgebenden allgemeinen Willen zu vereinigen, der […] die natürlichen Regeln des Mein und Dein konkretisiert.“ Kersting (2005), S. 189; um den theoretischen Zusammenhang von Staatslegitimation und Außenpolitiktheorie zu illustrieren, genügt hingegen die Skizze der freiheitsbasierten Variante der Staatseinrichtung bei Kant. 189  Vgl. Knutsen (1997), S. 79–80; Kleinschmidt (1998), S. 61.

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B. Staatsräson – Theoretische Grundlagen

prozess stattfindet, der Akteurseigenschaften festlegt, ist es nur folgerichtig, diese Eigenschaften als Determinanten der nachfolgenden politischen Prozesse zu verstehen. Anders gesagt: Legitimation ist immer zweckbezogen. Dort, wo also Staatslegitimation stattfindet, muss folglich eine Identität der Legitimationsmodi der abstrakten Staatsbegründung und des konkreten Staatshandelns angenommen werden. Wenn also beispielsweise, wie bei Hobbes, Staatsentstehung und Sicherheitsbeschaffung verknüpft sind, muss Außenpolitik ebenfalls sicherheitsfixiert gedacht werden. Aus keinem anderen Grund bemühen sich die ideengeschichtlich operierenden Arbeiten zur Staatsräson, stets sowohl deren Legitimations- als auch Limitationseffekte herauszuarbeiten.190 Kurzum: Legitimation bedingt Limitation. Dies führt allerdings zu einem Begründungsregress.191 Der Zusammenhang von Staatslegitimation und Außenpolitik ist kein einseitiger, sondern ein wechselseitiger. Die Wiederkehr der Legitimationslogik in der Außen­ politik liefert erneut die begründenden Faktoren, die die Staatseinrichtung zwingend erscheinen lassen. Dies gilt im Übrigen gleichermaßen für partikulare und universale Legitimationstheorien. Die Naturzustandskonzeption der kontraktualistischen Theorien existiert schließlich im Zwischenstaat­ lichen fort und reproduziert dementsprechend die Zustände, die im Staatsinnern überwunden werden. Im Fall des partikularen strategischen Kontraktualismus führt dies zu der aporetischen Situation des Dauerkonflikts, beim universalen vernunftrechtlichen zur kosmopolitischen Verlängerung des Arguments. Hieran lässt sich zuletzt auch noch einmal die Sinnhaftigkeit des Begriffspaars von Partikularismus und Universalismus verdeutlichen. Partikularismus bescheidet sich prinzipiell mit Einzelstaatlichkeit, während Universalismus prinzipiell über diese hinausweist. Es handelt sich also nicht primär um ein Gegensätzlichkeit anzeigendes Begriffsduo, wohl aber um ein Begriffspaar, das Unterschiede signalisiert und dennoch die Verbindung von Staatstheorie und Außenpolitik abdeckt. Entsprechend der Anlage der Arbeit ist bis hierhin fast ausschließlich im ideengeschichtlich-theoretischen Rahmen argumentiert worden. So sehr dies notwendig ist, um die Grundlagen zu klären, so sehr erscheint doch eine kurze, aufhellende Verknüpfung von Ideen- und Ereignishistorie an dieser Stelle sinnvoll. Denn die sicherlich verständnisförderliche Darlegung theoretischer Grundlagen unter Anknüpfung an ihre ideengeschichtlich bedeutsamsten Repräsentanten sollte nicht dazu führen, aus der notwendigerweise narrativen Struktur einer solchen Schilderung auf eine tatsächliche EntwickSchnur (1975), S. 15, Münkler (1987), S. 261–298. berühmte, von John Herz geprägte, Terminus vom Sicherheitsdilemma ist nichts anderes als eine begriffslogische Zusammenfassung dieses Begründungsregresses; vgl. Herz (1950). 190  Vgl. 191  Der



III. Exkurs: Staatslegitimation und außenpolitische Theoriebildung 79

lung im Sinne einer klaren Abfolge zu schließen. Politiktheoretisches Wissen existiert und vermehrt sich multidimensional und eine Neuigkeit bedeutet keineswegs immer die Verabschiedung des Alten. Gemünzt auf die Geschichte des Staates und damit die Geschichte der Staatsräson bedeutet dies Folgendes: Es lässt sich zwar eine Entwicklung vom Macht- zum Rechtsstaat konstatieren, es ist aber ein Irrtum, dies mit einer simplen Fortschrittsinterpretation zu kommentieren.192 Denn seit Ende des Mittelalters setzt der Machtstaat Recht, während der nachmalige Rechtstaat keinesfalls auf die Instrumente der Macht verzichtet, oder gar einen Gegenentwurf darstellt. Vielmehr ist der aktuelle Rechtsstaat aus dem frühneuzeitlichen Machtstaat herausgewachsen.193 Das samt seiner für die außenpolitische Staatsräson relevanten Implikationen bis hierhin beschriebene staatstheoretische Denken lässt sich auch als Abbild einer historischen Entwicklung der Staatsgewalt lesen. Wolfgang Reinhard schildert diesen Prozess in seiner epochemachenden Studie als Weg „von der Monarchie zur Demokratie“194. Dies sollte aber wiederum nicht dazu führen, sich hinsichtlich der historischen Ausdehnung staatlicher Macht zu täuschen. Die so genannte absolute Monarchie hatte als Staat insgesamt weniger Zugriff auf die Untertanen – und dies hat nichts mit der Frage der Willkür und Irrationalität des staatlichen Zugriffs zu tun – als der moderne Verfassungsstaat auf seine Bürger. Seit dem Ende des 18. Jahrhunderts verringert sich der staatsfreie Raum kontinuierlich. Ohne den grundsätzlich bei Machiavelli und Hobbes angelegten staatlichen Machtpleonasmus lässt sich dies nicht erklären. Bezogen auf außenpolitische Staatsräson bedeutet dies, dass realiter modernen Rechtsstaaten nicht nur ein universalistischer Zug zu Eigen ist, sondern dass ihnen auch eine Verfügungsgewalt zu Gebote steht, die im historischen Vergleich ihresgleichen sucht. Friedens- und Kriegsräson sind also weitaus weniger als Gegensatz verständlich, denn als Elemente ein und derselben Staatlichkeit.195 Inwiefern hier Rationalisierungseffekte ihre eigene Nemesis produzieren, steht auf einem anderen Blatt, wird aber weiter unten zur Sprache kommen müssen, wenn das Thema „Staatsräson und liberaler Staat“ in den Fokus gelangt. Dieser Exkurs konnte Folgendes verdeutlichen: Staatslegitimationstheorie ist die zentrale Determinante außenpolitischer Theorie, mithin außenpolitischer Staatsräson. Dieser Begründungszusammenhang konnte ideengeGallus / Jesse (2004). Shennan (1986); Breuer (1998); Tilly (2007). 194  Reinhard (1999), S. 406–440. 195  Deswegen ist das, was sich vielleicht noch theoretisch voneinander trennen lässt, ideengeschichtlich stark miteinander verknüpft; dies zeigt sich beispielsweise immer dann, wenn Kant in geradezu klassischer Manier sicherheitsorientierte Argumente anführt; vgl. Kant (1912), S. 365–366. 192  Vgl. 193  Vgl.

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B. Staatsräson – Theoretische Grundlagen

schichtlich veranschaulicht und theoretisch erklärt werden. Gleichermaßen konnte die jeweilige Verbindung von partikularem und universalem Denken zu den beiden bedeutendsten Varianten des Kontraktualismus gezeigt werden. Der strategische Kontraktualismus muss eine sicherheitsfixierte Staatsräson nach sich ziehen, so wie der vernunftrechtliche eine der Rechtsverwirklichung. Dies sind notwendige Vorarbeiten für die Annäherung an einen konkreten Staatsräsondiskurs. Ohne den Hinweis auf die Verknüpfung von Staatslegitimation und Außenpolitik lassen sich strategische Diskussionen über eine bestimmte Außenpolitik, etwa die deutsche, nicht klar genug ausbreiten. Ebenso müssten ferner die hieran anschließenden theoretischen Überlegungen weniger verständlich erscheinen. Konkret zeigt sich dies im anschließenden Kapitel, das „Staatsräson in der modernen Politikwissenschaft“ thematisiert. Der Bezug auf die theoretischen Überlegungen und ideengeschichtlichen Ausführungen sollte dabei deutlich werden.

IV. Staatsräson und moderne Politikwissenschaft Unter Rückgriff auf die Schriften Machiavellis, Hobbes’ und Kants konnte außenpolitische Staatsräson bis hierhin sowohl in ihren archetypischen Spielarten, partikular oder universal, dargestellt als auch staatstheoretisch eingeordnet und erläutert werden. Begriffsgeschichtlich gesehen verschwindet der Terminus Staatsräson dagegen spätestens Ende des 18. Jahrhunderts aus dem Zentrum der Diskussion.196 Dies dürfte vor allem im Zusammenhang mit zwei realhistorischen Entwicklungen stehen, zum einen mit der gänzlich konkurrenzlosen Etablierung und Stabilisierung197 der staatlichen Organisationsform des Politischen, zum anderen mit der im Verlauf des 19. Jahrhunderts stattfindenden Nationalisierung, die den stark rationalistischen, wenn nicht technizistischen, Diskurs der Staatstheorie198 des vorangegangenen Säkulums verformte. Ideengeschichtlich ließen sich natürlich auch für das 19. Jahrhundert die nun bekannten Muster der Theoretisierung auswärtiger Staatsräson aufzeigen, etwa in der Hegel-Rezeption199 oder in der damaligen deutschen Geschichtswissenschaft.200 Hinsichtlich der theoretischen Ausdifferenzierung Münkler (1987), S. 323–328; Haslam (2002), S. 183. Rahmen der internationalen Politik ließe sich auf das so genannte Konzert der Mächte verweisen oder auf die ebenso selbstreferentielle wie status-quo-orientierte Theorie des Gleichgewichts; vgl. Strohmeyer (1994); Sheehan (1996). 198  Vgl. Stollberg-Rilinger (1986). 199  Vgl. Ottmann (2008), S. 270–272. 200  Heinrich von Treitschkes Schriften böten beispielsweise reichlich Stoff; seine berühmte Reduktion des Staates auf „zum ersten Macht, zum zweiten Macht, und 196  Vgl. 197  Im



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brächte dies hingegen keinen Erkenntnisgewinn, da unter Verweis auf Hobbes und Kant die paradigmatische Grundlegung von Außenpolitiktheorie zwischen Partikularismus und Universalismus bereits hinreichend erläutert ist. Um allerdings das theoretische Fundament der aktuellen Diskussion zu veranschaulichen, ist es nötig, die Traditionslinien aufzuhellen, die spätestens seit Mitte des 20. Jahrhunderts wiederum einen Disput zwischen Partikularismus und Universalismus nach sich zogen. Damit ist vor allem die Teildisziplin Internationale Politik der modernen universitären Politikwissenschaft angesprochen. Insbesondere deren Anfänge, die in einem engeren, insbesondere institutionell verstandenen Sinne in den jeweiligen Jahren nach dem Ersten und Zweiten Weltkrieg liegen.201 Denn auch wenn es zu keiner im engen Sinne begriffsgeschichtlichen Renaissance der Staatsräson im Rahmen der Internationalen Politik gekommen ist, so gruppierte sich die Diskussion doch um altbekannte Konflikte. Exemplarisch wird dies im folgenden Unterkapitel im Rahmen der Lehre von der Internationalen Politik gezeigt werden, insbesondere dadurch, dass die – als Realismus und Idealismus firmierenden202 – großen normativen Schulen in Teilen als Ausdruck partikularen und universalen Denkens entschlüsselt werden. Eine kursorische Auseinandersetzung mit der konstruktivistischen Metatheorie rundet das Kapitel ab. Im darauf folgenden Unterkapitel wird schließlich eine explizite Staatsräsondiskussion anhand ihres heutigen Referenzpunkts, dem modernen Staat, geführt und beispielhaft eine aktuelle theoretische Problemstellung herausgearbeitet. Es erfolgt also eine Auseinandersetzung mit den politikwissenschaftlichen Antworten auf das Problem, dass moderne Staatlichkeit zwar nach wie vor partikular angelegt ist, gleichsam aber dezidiert universale Werte vertritt und Legitimationsgrundlagen hat. Kurz: Wie sieht es mit der Staatsräson im liberalen Staat aus?

zum dritten nochmals Macht“ kann zumindest als Hinweis auf jene partikulare Tradition dienen, die Staats- mit Machträson weitgehend gleichsetzt; Treitschke (1870), S. 52. 201  Vgl. Menzel (2001), S. 25. 202  Nicht zuletzt aus Gründen der Praktikabilität wird diese Namensgebung hier beibehalten, auch wenn es sicher kaum begriffslogische Argumente gibt, die dafür sprechen; im Wesentlichen entstammt diese Zuordnung, die vor allem einer um Profilierung bemühten Selbstidentifikation diente, den Arbeiten von Edward Carr und Hans Morgenthau und wurde rasch kanonisch; die eigentlich von Edward Carr angebotene Einteilung in „Utopia and Reality“ war dann wohl doch zu abwegig, um sich durchzusetzen; Carr (1949), S. 16–28.

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B. Staatsräson – Theoretische Grundlagen

1. Staatsräson in der Lehre der Internationalen Politik Die Lehrbücher berichten, dass die theoretische Selbstverständigung der Lehre von der Internationalen Politik mit einem Streit begann.203 Die Vertreter der, institutionell besehen, noch jungen Disziplin stritten um das, was man vernünftigerweise einsehen sollte, nicht um das, was man wissen kann; der Streit war kein epistemologischer, sondern ein normativer. Auf der Basis unterschiedlicher Axiome, im Besonderen unterschiedlicher politischer Anthropologien, die mit reichlich essentialistischem Grundvertrauen in Stellung gebracht wurden, kamen Gegenstand, Fragestellung und Handlungsanleitungen der Disziplin zur Debatte. Vielleicht nicht überraschend gewann derjenige den Streit, der ihn gesucht hatte. Denn die Anwälte des Realismus traten vor allem als Kritiker auf und eroberten sich so ihre während der fünfziger und sechziger Jahre des 20. Jahrhunderts dominante Position. Dies erklärt sich auch aus den historischen Umständen der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts, mithin der Weltkriegsepoche. Die rasche Abfolge zweier Kriege, die alle großen Mächte umfasst hatten und einzigartig desaströs gewesen waren, legte den Schluss nahe, die Zwischenkriegszeit auf nichts anderes als eine solche zu reduzieren. Die vermeintlich oder tatsächlich idealistischen Tendenzen der Theorie der internationalen Politik galten als diskreditiert. Insbesondere die Völkerbundsidee erschien als Irrweg. Zusätzlich zeichnete sich unmittelbar nach Ende des Zweiten Weltkriegs bereits die kommende Konfrontation ab, die als Kalter Krieg fast den ganzen Rest des Jahrhunderts bestimmen sollte. Ausgestattet mit reichlich Krisenerfahrung argumentierte in dieser Situation eine Reihe von Autoren für eine gründliche Besinnung auf das Nüchterne – häufig Deutsche, die zur Emigration gezwungen worden waren und sich in den USA eine akademische Existenz aufgebaut hatten. Das in dieser Hinsicht wirkmächtigste Plädoyer stammt von Hans Morgenthau, der in seinem erstmalig 1948 veröffentlichten Hauptwerk „Politics among Nations“ seine Position gegen die in der Zwischenkriegszeit und insbesondere in den USA vorherrschende Sichtweise konturierte und seine Auseinandersetzung obendrein noch zum Grunddisput der neuzeitlichen Politiktheorie stilisierte.204 Mit dieser Kontroverse war die Dichotomie von Realismus und Idealismus fest verankert.205 Hier soll nun keineswegs eine Geschichte dieser Denkschulen folgen, sondern kurz gezeigt werden, dass sich zentrale Lehrstücke exemplarisch in das bereits anhand von Hobbes und Kant erläuterte Muster außenpolitischer Theoriebildung, also das Vorherrschen partikularer oder universa203  Menzel

(2001), S. 72–83; Jackson / Sørensen (2003), S. 41–45. Morgenthau (2006), S. 3. 205  Stellvertretend für die gesamte Debatte lassen sich einige Aufsätze anführen, die allesamt zu Beginn der fünziger Jahre des 20. Jahrhunderts erschienen sind; vgl. Butterfield (1951); Morgenthau (1952); Tannenbaum (1952). 204  Vgl.



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ler Tendenzen, einordnen und somit auch als Staatsräsondiskurs darstellen lassen. Es ist sicher unnötig, Partikularismus und Universalismus als die einzigen Wegmarken neuzeitlicher Staatstheorie auszuweisen, was auch falsch wäre. Dennoch ist es eine bemerkenswerte Tatsache, dass sich diese ideengeschichtlichen Positionen im 20. Jahrhundert in dem Binnendiskurs der politikwissenschaftlichen Teildisziplin der Internationalen Politik zusammendrängen, wo sie im Übrigen eine inzwischen unüberschaubare Ausdifferenzierung erfahren haben. Hans Morgenthau liefert nun mit seinem Beharren auf einer bestimmten Kategorie eine klassische Lektion in partikularer außenpolitischer Staatsräson: „The main signpost that helps political realism to find its way through the landscape of international politics is the concept of interest defined in terms of power.“206 Da im angelsächsischen Sprachraum zumindest im Blick auf das Zwischenstaatliche nicht so sehr von „state“, sondern von „nation“ gesprochen wird oder zumindest wurde, ist es vor allem das „national interest“ gewesen, welches von Morgenthau eigens konzeptionalisiert und ständig bemüht wurde.207 Interesse, verstanden im Sinne von Macht, wird von Morgenthau weitgehend so konzipiert wie außenpolitische Staatsräson bei Machiavelli oder Hobbes: Macht sei das genuine Medium der Politik, Machtkonkurrenz deren Grundstruktur. Nur mit dem Begriff des Interesses ließe sich rationale Ordnung in diese Grundstruktur bringen. Allein durch Interessenanalyse und Interessenkompromiss ließen sich politische Probleme lösen, wenigstens mindern. Der Begriff des Interesses böte Schutz gegen subjektive Vereinnahmung oder ideologische Versuchung. Außenpolitisch handelnde Politiker seien entsprechend vom machtbezogenen Interesse geleitet und sollten sich vom Machtinteresse des Staates leiten lassen.208 Die bündige außenpolitische Zusammenfassung dieses machtgeleiteten Interessenbegriffs bei Morgenthau liest sich so: „Folgerichtig besteht das vorrangige außenpolitische Interesse des Staates darin, Macht anzuhäufen und zu erhalten.“209 Es tauchen also im Wesentlichen die außenpolitischen Merkmale der frühneuzeitlichen Staatsräson wieder auf; besser gesagt: Sie zeigen sich auch hier. Außerdem finden sich dieselben theoretischen Dispositionen, die die Argumentation topisch strukturieren. Der angestrebte Rationalisierungseffekt ist beispielsweise ein solcher Topos, der, ganz im Sinne des hergebrachten Staatsräsondiskurses, Außenpolitik vor Willkür 206  Morgenthau (2006), S. 5; die Zentralität der Kategorie lässt sich schon daran ablesen, dass Hans Morgenthau dem Begriff des Nationalen Interesse entschieden mehr Aufmerksamkeit widmet als den übrigen fünf der „Six Principles of Political Realism“; vgl. Morgenthau (2006), S. 4–16. 207  Vgl. Morgenthau (1951). 208  Vgl. Morgenthau (2006), S. 5–10. 209  Jacobs (2006), S. 50.

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schützt; ebenso der ja trotz aller Unbill zumindest rational kalkulierbare staatliche Machtpleonasmus, der als verlässliche Kalkulationsgröße dienen soll. Besonders deutlich zeigt sich auch die Gegenüberstellung von Individual- und Institutionenethik.210 Der vierte Punkt der programmatischen Grundlegung, die Morgenthau der zweiten und allen folgenden Auflagen von „Politics among Nations“ voranstellte, ist besonders einschlägig. Staatshandeln muss anderen moralischen Imperativen folgen als individuelles Handeln. Konsequenzialistische Klugheit ist politisch adäquat, prinzipielle Vernunft nicht. Partikularismus versus Universalismus: „universal moral principles cannot be applied to the actions of states“211. Auch hier, im Realismus des 20. Jahrhunderts, kommt wieder die Verbindung zwischen den Argumenten der Staatslegitimation und den Prämissen der Außenpolitiktheorie zum Tragen. Kenneth Waltz, der neben Morgenthau bedeutendste Vertreter dieser Denkschule, offenbart dies bereits in seiner Dissertationsschrift,212 die, obwohl bereits fünf Jahre zuvor abgeschlossen, erst 1959 erschien. „Man, the State, and War“ liefert einen Katalog einschlägiger ideengeschichtlicher Erklärungen zwischenstaatlicher Gewalt. Schon hier wird die Vorliebe von Waltz deutlich, allein die Strukturbedingungen der Staatenpluralität als Erklärung des Staatenkonflikts heranzuziehen.213 Allein, es ist besonders aufschlussreich, dass Waltz im Kontext staatensystembedingter Kriegsursachenanalyse offensichtlich einen Hinweis auf ein Argument der Staatslegitimation für angebracht hält. Denn in expliziter Analogie zu Hobbes wird die grundsätzliche Ursache von Staatlichkeit im ansonsten notwendigerweise konfliktiven Nebeneinander menschlicher Individuen gesehen.214 Überhaupt hat die realistische Theoriebildung mit Waltz einen stark strukturalistischen Einschlag erhalten, der vermutlich auch in Zukunft das Argumentationsmuster der Wahl bilden dürfte.215 210  Abgesehen von der Polemik gegen szientistische Methodik stellt Hans Morgenthaus Scientific Man vs. Power Politics nichts anderes dar als den Versuch, eine politische (Staats-)Ethik gegen individuelle Moralismen abzuschirmen; vgl. Morgenthau (1946). 211  Morgenthau (2006), S. 12; dort, wo moralische Prinzipien keinen Platz haben, gelten entsprechend auch keine rechtlichen Bindungen: „legal obligations must yield to the national interest“; Morgenthau (1951), S. 144. 212  Vgl. Waltz (1959). 213  Es mag Zufall sein, aber angesichts der entschieden szientistischen Anlage des waltzschen Hauptwerks drängt sich der Verweis auf die auch in dieser Hinsicht augenfällige Parallele zum Autor des Leviathan auf; wo für den Autor der Frühen Neuzeit noch alles more geometrico zur Ausführung gelangen sollte, wird von Kenneth Waltz 1979 der mos oeconomicus vorgestellt; vgl. Waltz (1979). 214  Vgl. Waltz (1959). 215  Vgl. Masala (2006); dies führt durchaus zu einer klaren Stringenz der Argumentation, wie etwa im Hauptwerk John Mearsheimers; vgl. Mearsheimer (2001);



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Insgesamt lässt sich also festhalten, dass der Realismus in eindeutiger ideengeschichtlicher Kontinuität zu den außenpolitischen Konzeptionen von Machiavelli und Hobbes steht.216 Bezogen auf die außenpolitische Staatsräson als Kerntheorem ist hier jedoch insbesondere die Begrifflichkeit des Nationalen Interesses von Bedeutung. Zum einen steht das Nationale Interesse für die frühneuzeitliche partikulare Konzeption außenpolitischer Staatsräson mit der sicherheitsbezogenen Legitimationsgrundlage. Zum anderen lässt sich in diesem Sinne die Unzahl von Studien erklären, die während des 20. Jahrhunderts beispielsweise zum Nationalen Interesse der USA erschienen sind,217 und schließlich als klassischer Staatsräsondiskurs dechiffrieren.218 Ausgehend von den Schriften Morgenthaus hat der Begriff eine steile Karriere gemacht. Er gehörte und gehört zu den zentralen Vokabeln der außenpolitischen Diskussion. Der Begriff hatte sich spätestens 1970 derart etabliert, dass Benjamin Frankel sich bemüßigt sehen konnte, eine kleine Arbeit vorzulegen, die in grundsätzlicher Manier den Begriff erläutert und eine Zusammenfassung der Debatte versucht.219 Schon zwei Jahre zuvor war es zu einer Art Kanonisierung gekommen, als James Rosenau in der prestigeträchtigen „National Encyclopedia of Social Sciences“ einen eigenen Eintrag zum „Nationalen Interesse“ verfasst hatte, der den vom Terminus Staatsräson nur zu gut bekannten Legitimationszweck besonders betonte: „actors have found […] the concept useful both as a way of thinking about their goals and as a means of mobilizing support for them.“220 Ob also vom Nationalen Interesse die Rede ist, wie hauptsächlich im 20. Jahrhundert, oder von Staatsräson, wie etwa während des 17. Jahrhunderts, ist also vornehmlich ein terminologischer Unterschied, kaum ein inhaltlicher.221 der inzwischen beinahe legendäre Prognosefehler John Mearsheimers über die Zukunft Europas nach Ende des Kalten Krieges ist zum einen sicherlich der gedanklichen Sogwirkung des strukturellen – neorealistischen – Arguments geschuldet, zum anderen jedoch auch der Unkenntnis der tatsächlichen Verhältnisse zuzuschreiben, taugt aber insofern nicht zur grundsätzlichen Diskreditierung der hergebrachten neorealistischen Argumentation; vgl. Baumann / Rittberger / Wagner (2001). 216  Zum einen gehört dies seit langem zum gesicherten Wissen; vgl. Kauppi /  Viotti (1992), Boucher (1998); zum anderen fehlt es noch an einer grundlegenden Studie zur Rezeptionsgeschichte im engeren Sinne; für das 20. Jahrhundert hat ­Michael Smith dies teilweise versucht; vgl. Smith (1986). 217  Charles Beards Studie aus dem Jahr 1934 ist eine der ersten einschlägigen Arbeiten; vgl. Beard (1934). 218  Alles andere ist letztlich ein semantisches Missverständnis, das den englischen und deutschen Nationsbegriff unzulässig vermischt; vgl. Conze (2003), S. 209. 219  Vgl. Frankel (1970). 220  Rosenau (1968), S. 34. 221  Insofern wird verständlich, dass Kenneth Waltz im Interview einen, zumindest im Realismus vorhandenen, Theoriestillstand im 20. Jahrhundert beklagt; auch wenn

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Der realistische Begriff vom Nationalen Interesse, fraglos eines der zentralen Lehrstücke der Denkschule, weist also in seinem Kerngehalt Merkmale auf, die ihn als klassischen Ausdruck – partikularer – Staatsräsonformulierung ausweisen. Dies lässt schon vermuten, dass auch das andere Ende des Spektrums, die universale Theorievariante, in gleicher Weise zur ideengeschichtlichen Erbmasse beigetragen hat. Allerdings ist die idealistische Theorielandschaft innerhalb der modernen Politikwissenschaft noch weitaus abwechslungsreicher als die realistische, ganz zu schweigen von den vielen Überschneidungen. Grundsätzlich lässt sich zwischen einer utilitaristischen und einer moralisch-normativen Variante idealistischer Theoriebildung unterscheiden, wobei erstere im Rahmen der Politikwissenschaft deutlich häufiger auftritt.222 Ebenso wie beim Nationalen Interesse im Rahmen des Realismus soll auch im idealistischen Zusammenhang exemplarisch ein Teil für das Ganze herangezogen werden. Das einschlägige Lehrstück stammt aus dem Institutionalismus, der sich zu einer idealistischen Hauptströmung herausgebildet hat. Dies geschah vor allem auf der Grundlage von zwei Standardwerken, die Ende der 1970er Jahre erschienen sind.223 Die universale Tendenz zeigt sich schon bei Hedley Bull, insofern stilbildend für die gesamte Englische Schule,224 in der Betonung zwischenstaatlicher Normen, die auch unter den Bedingungen von Anarchie regelmäßig eingehalten würden: „Most states at most times pay some respect to the basic rules of coexistence in interna­ tional society“225. Verbindende Elemente politischer Alltagserscheinungen werden hervorgehoben und dienen als theoretischer sich hinsichtlich des Zeitraums eine noch pointiertere Aussage treffen ließe, verliert die Waltzsche Aussage nichts von ihrer resignativen Komik: „I have often said that what Morgenthau did was translate Meinecke from German to English, and if you look at the index, you won’t see Meinecke mentioned. I would translate some of Meinecke into the same words that Morgenthau used in Politics among Nations. And Morton Kaplan translated Morgenthau from English into whatever language it was that Kaplan was writing in. I guess I think there’s been very little progress.“; Halli­ day / Rosenberg (1998), S. 386. 222  Analog dazu ließe sich eine epistemologische Einordnung vornehmen, wobei utilitarstische Autoren grundsätzlich dazu neigen, szientistisch vorzugehen, während bei der normativen Variante naturgemäß qualitative Ansätze überwiegen; Michael Zürn unternimmt eine ähnliche Einteilung; vgl. Zürn (1992), S. 68. 223  1977 sind gleich zwei Bücher publiziert worden, denen als institutionalistischen Klassikern innerhalb der modernen Lehre der internationalen Politik ähnliche Bedeutung beigemessen wird wie hinsichtlich des Realismus beispielsweise den Werken Hans Morgenthaus und Kenneth Waltz’; vgl. Bull (1977); Keohane / Nye (1977). 224  Vgl. Daase (2006). 225  Bull (1977), S. 42; außerdem kann an dieser Stelle auf eine Parallele hingewiesen werden, die offensichtlich zwischen Hedley Bulls „international society“ und Kants „Surrogat“ besteht.



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Ausgangspunkt.226 Es ist aber insbesondere ein Begriff des Institutionalismus, der, meist im Rahmen einer utilitaristischen Argumentation, als universaler Argumentationshebel eingesetzt wurde und wird: Interdependenz. Vor allem Robert Keohane und Joseph Nye strebten mit Hilfe des Interdependenzbegriffs danach, eine grundsätzliche Theoriewende einzuleiten.227 Die Rede von der Interdependenz sollte dabei in erster Linie zwei Aspekte unterstreichen, die zum einen in der internationalen Politik der 1970er Jahre zu beobachten gewesen waren und die der Realismus zum anderen weitgehend vernachlässigt hatte. Der dem Realismus eigene Akteurspurismus, also die Fixierung auf Staaten als Akteure internationaler Politik, sollte zugunsten einer Perspektive verabschiedet werden, die auch nichtstaatliche Akteure, insbesondere internationale Organisation und multinationale Unternehmen, in ihre Analyse einbezog. Außerdem sollten die erhöhten Kosten der Kooperationsverweigerung in den Fokus genommen werden, die Staaten angesichts der enorm gestiegenen wirtschaftlichen Verflechtung zu ge­ wärtigen hätten.228 Außerdem stellte die Interdependenztheorie eine Reak­ tion auf dominante Strömungen in der zeitgenössischen Politik dar, ebenso wie der Realismus der 1940er und 1950er Jahre in Auseinandersetzung mit den konkreten historischen Umständen entstanden war. Denn auch die erste Hälfte der 1970er war schließlich geprägt von einschneidenden Entwicklungen, sei es der Zusammenbruch des Bretton-Woods-Systems, die erste Ölkrise, der amerikanische Rückzug aus Vietnam und die kooperativen Bemühungen im Bereich des Ökonomischen, also die Einführung des Weltwirtschaftsgipfels, des nachmaligen G8-Gipfels, sowie im Bereich der bipolaren Entspannungspolitik, beispielsweise im Rahmen der KSZE oder der SALTVerhandlungen. Außerdem dürfte der wirtschaftliche Aufholprozess der Westeuropäer und Japans gegenüber den USA auch dazu beigetragen haben, dass insgesamt ein Trend entstand, ökonomische Methoden auf politische Probleme, auf Probleme der internationalen Politik anzuwenden. Insofern 226  Ob politischer Alltag oder politische Ausnahme den Referenzrahmen für eine politische Theorie bilden sollten, ist natürlich eine der großen Debatten in der politischen Ideengeschichte, so gewinnt beispielsweise die politische Theorie der Neuzeit dadurch Kontur, dass sie die politische Gefahrensituation zum allgemeinen theoretischen Bewährungsmoment aufwertet; unter anderem mit diesem Argument verabschieden Machiavelli und Hobbes den mittelalterlichen Aristotelismus. 227  Laut Selbstauskunft der Autoren stand 1977 nichts weniger als die Ablösung von Hans Morgenthaus „Politics among Nations“ auf dem Programm; vgl. Keo­ hane / Nye 1977, S. viii. 228  Dies Argument findet sich in seiner klassischen Darlegung zwar schon in Norman Angells Buch „The Great Illusion“, das am Vorabend des Ersten Weltkriegs einen großen Staatenkonflikt für ökonomisch unsinnig, wenn nicht unmöglich erklärte, war allerdings in der Weltkriegsepoche und den beiden Nachkriegsjahrzehnten einigermaßen in Vergessenheit geraten; vgl. Angell (1910).

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spiegelt die idealistische Interdependenztheorie von Keohane und Nye den realistischen Strukturalismus bei Waltz. Die angestrebte Abgrenzung gegenüber der realistischen Denkschule erfolgt denn auch vornehmlich bei nachgelagerten Aspekten und unter Zuhilfenahme einiger Differenzierungsargumente. Prinzipiell konstatiert auch die Interdependenztheorie Keohanes und Nyes einen zweckrationalen Akteurs­ egoismus.229 Insbesondere unter den gegebenen Bedingungen einer stark verflochtenen Weltwirtschaft erwächst allerdings aus der Interessenverfolgung der einzelnen Akteure – so die grundlegende interdependenztheoretische Annahme – nicht unbedingt ein Kooperationshindernis. Im Gegenteil, die der Interdependenz geschuldete einzelstaatliche „vulnerability“230 führt zu politischen oder sonstigen Kosten, die auch nicht durch einzelstaatliche Gegenmaßnahmen zu verhindern sind. Also kann es zweckrational sinnvoll sein zu kooperieren. Die Interdependenztheorie Keohanes und Nyes liefert also in erster Linie eine utilitaristische Kooperationstheorie. Dies erfolgt in expliziter Abgrenzung zu realistischen Modellen. Die realistischen Grundannahmen über Akteure, Instrumente und Ziele internationaler Politik werden dazu einer einfachen Umkehrung unterworfen: Es seien nicht nur Staaten, die internationale Politik bestimmen, militärische Macht sei nicht das entscheidende Mittel und militärisch konnotierte Sicherheit sei nicht das primäre außenpolitische Ziel.231 Neben diesen grundsätzlichen Hypothesen verweisen Keohane und Nye auf die Existenz von „international regimes“, die interdependente Beziehungen strukturieren, wobei diese Regime in einem weiten Sinne verstanden werden müssen als „networks of rules, norms, and procedures that regularize behavior and control its effects.“232 Das Verständnis von interna­ tionaler Politik, wenigstens zwischen hoch industrialisierten und pluralistischen Staaten, speist sich aus der kombinierten Betrachtung des Faktors Interdependenz und seiner strukturellen Variablen, also der Regime. Was hat das mit Staatsräson zu tun? Zum einen lässt sich in der Interdependenz „aufgrund des Kosteneffekts ein klassisches Problem politischer Strategie“233 erkennen, wie Manuela Spindler korrekt anmerkt. Damit korrespondierend machen Keohane und Nye zum anderen konkrete normative Vorgaben für die einzelstaatliche Außenpolitik, im Besonderen für die amerikanische.234 Insofern ist also die analytische Durchdringung der InterdeKeohane / Nye (1977), S. 23–60. S. 13. 231  Vgl. ebd. S. 23–37. 232  Ebd. S. 19. 233  Spindler (2006), S. 105. 234  Beispielsweise diejenige, angesichts der notorischen Interdependenzkosten grundsätzlich non-hegemoniales, multilaterales Vorgehen zu bevorzugen; vgl. Keo229  Vgl.

230  Ebd.,



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pendenzproblematik zuerst einmal eine Aufgabe der traditionell verstandenen Staatsklugheit. Keohane und Nye versäumen ja gerade nicht, immer wieder auf das Interesse hinzuweisen, das jeder Staat daran hat und haben sollte, Kooperationskosten niedrig zu halten und gleichzeitig die mit Interdependenz ebenfalls verbundenen Konflikte mit Hilfe kooperativer Lösungsmechanismen zu überwinden.235 Der Unterschied zu realistischen ­Politikempfehlungen liegt hier in der Betonung möglicher Kooperation an sich und der Erwartung hinsichtlich kooperativer Gewinne, also der Abkehr vom Nullsummenspiel. Ferner lässt sich darauf hinweisen, dass auch hier ein allgemeiner Rationalisierungseffekt beabsichtigt wird. Denn es war die „autonomy illusion“236, welche die Kritik der Interdependenztheoretiker auf sich zog. Gerade die realistische Fixierung auf einzelstaatliche Machtgewinne und Machtverluste habe zu einer Überbetonung, genauer gesagt Fehleinschätzung, außenpolitischer Möglichkeiten geführt. Das idealistische Lehrstück der Interdependenz stellt darüber hinaus aber auch noch ein Beispiel für eine universale Staatsräsonformulierung im Rahmen der Lehre der Internationalen Politik dar. Dies klingt schon in allgemeinen Interpretationen der Interdependenztheorie an, auch wenn diese gar keine Aussage über Partikularismus und Universalismus im Sinn haben. Beispielsweise, wenn hinsichtlich der Interdependenztheorie Keohanes und Nyes Einschätzungen wie die folgende getroffen werden: Die Interdependenztheorie sei „angesiedelt im Spannungsverhältnis zwischen einer staatenzentrierten Sichtweise des Realismus und der konstatierten Herausbildung einer Weltwirtschaft, die sich dem einzelstaatlichen Steuerungsvermögen entzieht und für die daher neue politische Organisationsformen gefunden werden müssen.“237 Die Interdependenztheorie hat also einen stark universalen Zug. Dieser äußert sich konkret im Verlassen der einzelstaatlichen Perspektive, sodass zur Bewältigung internationaler Probleme internationale Organisation geradezu geboten erscheint.238 Dabei stellt die internationale Organisation nur eine zur Institution geronnene Variante des internationalen Regimes dar, welches selbst eine grundsätzliche Antwort auf das Problem des strategischen Misstrauens bereithält. Dies wiederum wird grundiert durch eine doppelte Normbindung, die über das Staatliche hinausweist, und zwar einmal implizit und einmal hane / Nye (1977), S. 231; allerdings offenbart sich hier auch eine Schwäche der Interdependenztheorie, wenn Interdependenz sowohl Ziel als auch Mittel internationaler Politik sein soll; ähnlich wie im Realismus, wo Macht als Instrument und Zweck von Außenpolitik fungiert, droht ein Zirkelschluss. 235  Was dann überhaupt zum theoretischen Kernstück des akteurszentrierten Institutionalismus werden sollte; vgl. Zangl / Zürn (1999). 236  Keohane (1975), S. 359. 237  Spindler (2006), S. 105. 238  Vgl. Keohane / Nye (1977), S. 221–242.

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explizit. Einerseits nämlich müssen internationale Regime universale Anknüpfung gewährleisten oder zumindest muss diese implizit unterstellt werden, wenn ihnen eine unabhängig von einzelstaatlicher Macht gedachte Wirkung zugeschrieben wird.239 Hierin zeigt sich nichts anderes als die Annahme universal akzeptierter Normen. Andererseits argumentieren Keohane und Nye explizit im Sinne des normativen Universalismus, wenn sie die Entschärfung des Sicherheitsdilemmas zwischen hoch industrialisierten und pluralistischen Staaten durch innergesellschaftliche Präferenzbildung erklären, also auf eine jenseits der konkreten Staaten angesiedelte Wertentscheidung verweisen.240 Schließlich läuft die Interdependenztheorie sowohl in analytischer als auch in normativer Hinsicht auf eine Einschränkung der einzelstaatlichen Autonomie hinaus, eben zugunsten zwischenstaatlicher Regime bis hin zu Institutionen. Es lässt sich grundsätzlich dann von Staatsräsondefinition sprechen, wenn im engeren Sinne außenpolitische Strategieberatung betrieben wird. Dies steht im Falle der Interdependenztheorie außer Frage. Darüber hinaus lässt sich auch hier wieder der Nexus zwischen Staatslegitimation und außen­ politischer Theorie aufzeigen. Denn die im ideengeschichtlichen Sinne liberalen Wurzeln der Interdependenztheorie liegen auf der Hand. Hinter der Staatszielbestimmung, mit der zunehmenden Verflechtung nicht nur profitabel umzugehen, sondern die Verflechtung prinzipiell als begrüßenswert zu betrachten und möglichst noch zu erhöhen, verbirgt sich die klassisch liberale Wertschätzung internationaler Kontakte, im Besonderen internationaler Handelskontakte. Insofern speist sich die zugrunde liegende Staatslegitimation nicht mehr aus der einzigen, zumindest aber vorherrschenden Motivation der Sicherheitsgenerierung, wie im Realismus. Klassischerweise gerät die Wohlstandsbeschaffung zum wenigstens gleichrangigen Legitimationsgrund.241 Die interessanteste Herausforderung des Themas „Staatsräson in der Lehre der Internationalen Politik“ ergibt sich allerdings aus einer weiteren theoretischen Volte, die zwischen Ende der 1980er und Beginn der 1990er Jahre eintrat. Damit ist die Kritik angesprochen, die sich am vorherrschenden Positivismus, Essentialismus oder auch Rationalismus der bisherigen Theorie entzündete, gleichviel ob idealistischer oder realistischer Prove­ nienz. Ob nun von positivistischen, essentialistischen oder rationalistischen Theorien die Rede war, spielt dabei keine Rolle, da stets dasselbe gemeint und attackiert wurde: die Heranziehung von Axiomen, denen eine materielle Existenz zugeschrieben wurde. Ein Beispiel stellt die Unterstellung prinMüller (1993). Keohane / Nye (1977), S. 155–158. 241  Vgl. ebd., S. 234–242. 239  Vgl. 240  Vgl.



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zipieller Akteursrationalität dar. Mit dieser Kritik ist natürlich der Konstruktivismus gemeint.242 Ideengeschichtlich bietet sich zur Erklärung der konstruktivistischen Wende folgende Interpretation an: Die idealistische Theorie hatte sich auf rationalistische Argumentationsmuster verlegt, im interdependenztheoretischen Rahmen beispielsweise auf das Argument der Koopera­ tionsgewinne. Dies bedeutete natürlich eine Kosten-Nutzen-Kalkulation, deren utilitaristische Stoßrichtung insgesamt nicht dazu geeignet war, den auf den gleichen Axiomen fußenden strukturellen Realismus tatsächlich in Bedrängnis zu bringen. Wegen der prinzipiellen Interessensbasierung und der grundsätzlichen Staatsbezogenheit ließ sich also gerade nicht ein Gegenmodell zu realistischen Theorieentwürfen begründen. Insofern blieb idealistisch und universal orientierten Theoretikern letztlich nur zweierlei übrig. Entweder hätte sich die Entwicklung einer dezidiert normativen Theorie, einer Ethik des Internationalen angeboten, oder der Hebel hätte auf der epistemologischen Ebene angesetzt werden müssen. Aufgrund des grundsätzlich etwas schleppenden Nachvollzugs philosophischer Trends in der Lehre der Internationalen Politik war Letzteres zu Beginn der 1990er Jahre schlechthin wahrscheinlicher. Denn auch wenn in der Philosophie der Schwung sprachphilosophischer Modelle gegenüber der klassischen normativen politischen Philosophie zu diesem Zeitpunkt bereits wieder stark abgenommen hatte, schlug er in der Lehre der Internationalen Politik voll durch. Gleichzeitig verband er sich, wenn auch sachlich nicht zwingend begründet,243 mit der idealistischen Denkschule.244 Was bedeutet Konstruktivismus und was bedeutet er für das Thema Staatsräson? Glücklicherweise – und im Gegensatz zu manch anderer Theo­rievariante – darf beim Konstruktivismus direkt vom Namen auf den Inhalt geschlossen werden. Grundsätzlich wirft er die Frage auf, welcher Anteil der sozialen und politischen Wirklichkeit materiell ist, also natür­ licher Umwelt gleicht, und welcher Anteil Resultat zwischenmenschlicher 242  Für einige Autoren markiert dessen Auftreten eine der weiteren großen Debatten der Internationalen Politik; vgl. Adler (1997); Checkel (1998); den wichtigsten Referenzpunkt für die frühen Konstruktivisten in der Internationalen Politik bildete dabei das sozialkonstruktivistische Grundlagenwerk Peter Bergers und Thomas Luckmanns; vgl. Berger / Luckmann (1966); Nicholas Onuf legte die erste bedeutende Monographie im Rahmen der Internationalen Politik vor, während heute vor allem Alexander Wendts Aufsatz aus dem Jahre 1992 als konstruktivistisches Fanal firmiert; vgl. Onuf (1989); Wendt (1992). 243  Vgl. Barkin (2003). 244  Spätestens mit John Rawls hatte die Philosophie den „linguistic turn“ schon wieder verlassen, auch in Bezug auf die internationale Politik; vgl. Rawls (2001); keineswegs hingegen die Lehre von der Internationalen Politik, deren sprachphilosophische Schiene geradezu danach suchte, sich in den Dienst idealistischer Theoriebildung zu stellen; vgl. Wendt (1992), S. 424–425.

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Verständigung ist, also aus einem kommunikativen Herstellungsprozess folgt, damit konstruiert ist. Was auf den ersten Blick als materielle politische Umwelt erscheint, etwa die Existenz von Staaten, sei hingegen nicht per se gegenständlich, sondern in erster Linie ideelle Realität – „due to process, not structure“245, heißt es bei Alexander Wendt. Wenn diese ideelle Realität aus einem Verständigungsprozess resultiert, muss es Normen geben, die diesen Prozess regulieren und konstituieren, eine Prozessordnung sozusagen. Das anschaulichste Beispiel für diesen Gedankengang bietet Gert Krell, wenn er exemplarisch auf den Unterschied zwischen Verkehrsregeln verweist, die den (materiellen) Verkehr regeln, und Schachregeln, die das (konstruierte) Spiel erst ermöglichen.246 Ebenso entscheidend erscheinen dem Konstruktivismus identitäre Selbst- und Fremdzuschreibungen. Dies ruft also die Frage hervor, wer wen als Schachspieler welcher Qualität und dergleichen mehr ansieht, um bei der Metapher zu bleiben. Auf internationale Politik bezogen bedeutet dies, dass gleichwertigen materiellen Faktoren völlig unterschiedliche Bedeutung zukommen kann: „States act differently toward enemies than they do toward friends […] just as British missiles have a different significance for the United States than do Soviet missiles.“247 Um also zu erkennen, warum das so ist, schreibt der Konstruktivismus der ideellen Realität gegenüber der mate­ riellen die höhere Bedeutung zu. Hauptziel des konstruktivistischen Forschungsprogramms ist somit die Dekonstruktion der Konstrukte. Auch wenn sich dahinter sicherlich eine Menge berechtigter Ideologiekritik verbirgt, versteht sich der Konstruktivismus doch vornehmlich als reine Epistemologie, die zuerst einmal in neutraler Absicht nach den Erkenntnismöglichkeiten fragt, ohne normative Vorgaben zu machen: „Shared knowledge and its various manifestations – norms, rules, etc. – are analytically neutral with respect to cooperation and conflict.“248 Dabei sollte nicht das Missverständnis aufkommen, der Konstruktivismus bezweifele die Existenz diverser materieller Auswirkungen von Axiomen in der internationalen Politik. Was er hingegen anzweifelt, ist deren Persistenz, also dauernde ­ Unveränderlichkeit. Dies gilt natürlich nicht für unzweifelhaft materielle Faktoren wie Naturgesetze oder bestimmte geographische Gegebenheiten. Die allgemeinen konstruktivistischen Annahmen haben im Bezug auf den Begriff Staatsräson natürlich eine konkrete Bedeutung. Demnach ist auch 245  Ebd.,

S. 394. Krell (2003), S. 331. 247  Wendt (1992), S. 397. 248  Wendt (1999), S. 253; in diesem Sinne ähnelt der Konstruktivismus einem amputierten Höhlengleichnis, im Grunde wird eine der platonischen verwandte Ideenlehre entwickelt, nur ohne Idee des Guten. 246  Vgl.



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Staatsräson ein Konstrukt.249 Unter dem Titel „Constructing National Interests“ hat Jutta Weldes 1996 dies in einem ebenso beispielhaften wie eingängigen Aufsatz dargelegt.250 Auch in konstruktivistischer Sichtweise kommt dem Konzept des Nationalen Interesses eine herausragende Bedeutung zu: „it clearly should occupy a prominent place in accounts of international politics.“251 Allerdings – und dies ist entscheidend im Sinne normativer Politiktheorie – wählt die konstruktivistische Perspektive einen spezifischen Fluchtpunkt, nämlich einen spezifisch deskriptiven: „In examining the social construction of the national interest of a state, one is thus asking not why a particular course of action was choosen but how it was possible“252. Im Fokus steht also der Nachvollzug von Bedingungsmöglichkeiten einer gegebenen Interessensdefinition, nicht aber deren Bewertung an sich. Es ist folglich auch in Bezug auf den Begriff der Staatsräson klar, dass diese dem Konstruktivismus als epistemologisches Problem erscheint, nicht als normatives. In diesem Sinne lässt sich der Konstruktivismus sogar als historisch ausgerichtete Denkschule beschreiben, die eine normative Indifferenz auszeichnet.253 Die epistemologische Herausforderung durch den Konstruktivismus hat letztlich nur eine äußerst geringe Bedeutung für die normative Ebene.254 Denn eine Auseinandersetzung um Nationales Interesse und Staatsräson lässt sich nur führen, wenn die Diskutanten eigenen und fremden Argumenten einen grundsätzlichen materiellen Bedeutungskern zuschreiben, zumindest implizit. Dabei kann der Konstruktivismus sich vor allem immer dann beweisen, wenn er als Ideologiekritik auftritt und das Vermeintliche der Tatsachen ans Licht bringt.255 249  Die Annahme eines kontextunabhängigen „Wesen[s] der Staatsräson“, die man bei Friedrich Meinecke findet, erscheint insofern zwar fragwürdig, aber nicht per se abwegig; Meinecke (1957), S. 1–26; allerdings macht auch Alexander Wendt eine essentialistische Konzession, wenn er vier sozusagen dekonstruktionsresistente Grundannahmen über Staatsinteressen macht; vgl. Wendt (1999), S. 233–238. 250  Vgl. Weldes (1996); ein speziell auf Sozialisationseffekte internationaler Organisationen gegenüber Staaten zielender Versuch findet sich bei Martha Finnemore; vgl. Finnemore (1996). 251  Ebd., S. 276. 252  Ebd., S. 284; Hervorhebung im Original. 253  Im Aufsatz von Jutta Weldes wird dies besonders deutlich, wenn eine Dekonstruktion der amerikanischen Interessendefinition im Rahmen der Kubakrise versucht wird, die im übrigen auch eindrucksvoll gelingt; eine normative Einordnung hinsichtlich der Frage, ob das amerikanische Vorgehen berechtigt war, unterbleibt hingegen; vgl. Weldes (1996), S. 289–302. 254  In einem ähnlichen Sinne auch schon bei einem Konstruktivisten selbst, der anmerkte, dass „empirisch nichts so heiß gegessen wird, wie es theoretisch gekocht wurde“; Risse (2003). 255  Bedauerlich ist jedoch vor allem, dass konstruktivistische Autoren häufig einen Bogen um ideengeschichtliche Bestände machen, was dem eigenen Ansatz nicht

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Resümiert man das Thema „Staatsräson in der Lehre der Internationalen Politik“, lässt sich folglich von einer andauernden Virulenz des Staatsräsondiskurses sprechen. Am Beispiel konkreter Lehrstücke wie dem Nationalen Interesse oder dem interdependenztheoretischen Verflechtungsinteresse konnte gezeigt werden, dass sich hinter terminologischen Novellierungen klassische Strategiedebatten mithin Staatsräsondefinitionen verbergen. Ebenso wie im Bezug auf die Klassiker der politischen Ideengeschichte ließ sich eine Einordnung zwischen Partikularismus und Universalismus vornehmen, auch wenn sich nicht mehr eine derart archetypische Diskrepanz wie etwa zwischen Hobbes und Kant aufzeigen lässt. Es gilt aber vor allem Folgendes: Immer dann, wenn ein normativer Diskurs um außenpolitisches Staatshandeln stattfindet, wird um Staatsräson gerungen. Ein in dieser Hinsicht substanzieller Unterschied zwischen beispielsweise dem 17. und ­ 20. Jahrhundert lässt sich nicht erkennen.256 2. Staatsräson und liberaler Staat Im Vorangegangenen hat sich die Lebendigkeit des Staatsräsondiskurses in der Lehre von der Internationalen Politik gezeigt. Bis hierhin ist dies jedoch vornehmlich ein empirischer Befund. Auch das außenpolitische Denken und die Theorie des Internationalen im 20. Jahrhundert kennzeichnen sich also durch Diskussionen darüber, welchen grundsätzlichen Zweck auswärtiges Staatshandeln – auch in Kollision mit anderen Zwecken – verfolgen sollte. Das ist nicht weiter überraschend, verdient aber im Lichte von Historisierungsversuchen des Themas Staatsräson durchaus eigene Erwähnung.257 Neben der empirischen Feststellung aktueller politikwissenschaft­ licher Staatsräsonlehren existiert allerdings eine bestimmte theoretische Herausforderung. Um diese jedoch exakt kenntlich zu machen, gilt es zuerst, ein weit verbreitetes Missverständnis auszuräumen. Einerseits trifft nämlich Folgendes zu: „most realists run a mile when the issue of ethics or morality is raised, and dive for cover under ‚necessity‘ of state.“258 Und andererseits erscheint vielen nicht-realistischen Autoren der Ausdruck Staatsräson nach wie vor als exzellenter Warnhinweis, um mit eizugute kommt; grundsätzlich thematisiert der Konstruktivismus in der Internationalen Politik mutatis mutandis nämlich auch nichts anderes als das Universalienproblem, das so alt ist, wie die Philosophie selbst; die zugehörige Kontroverse wiederum fand schon im Nominalismusstreit der mittelalterlichen Scholastik einen wichtigen Höhepunkt; vgl. Flasch (2001), S. 510–512. 256  Vgl. Kratochwil (1982), S. 24–30. 257  Vgl. Luhmann (1989). 258  Haslam (2002), S. 215.



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nem einzigen Begriff die vielen Zumutungen zu markieren, welche die Macht gegenüber Moral und universaler Vernunft bereithält.259 Woran liegt beides? Kurz gesagt: an einem vulgärtheoretischen Politmythos. Genauer gesagt: an der immer wieder vorgetragenen Behauptung eines ausschließenden Gegensatzes von Macht und Vernunft. Politik sei ein schmutziges Geschäft, mithin vernunftinkompatibel. Mit Volker Gerhardt lässt sich der behaupteten Opposition von Macht und Vernunft ebenso entschieden wie plausibel entgegen­ getreten:260 Die Unsinnigkeit der Vorstellung von der Ohnmacht der Vernunft oder der Unvernünftigkeit der Macht wird schon aus einer kursorischen Begriffsklärung deutlich. Vernunft bezeichnet demnach nichts weiter als eine Fähigkeit, insofern ist sie auch mit den ganz normalen Begrifflichkeiten menschlicher Erkenntnis erfassbar. So wie Vögel fliegen können, kann der Mensch vernünftig sein. Beides lässt sich im Sinne einer Tatsachenbeschreibung erkennen und somit nicht nur der Gattung im Allgemeinen, sondern auch einzelnen Gattungsvertretern zuschreiben, also menschlichen Individuen. Vernunft kann vor allem dann als Fähigkeit erkannt werden, wenn kein inhaltlich überfrachtetes Vernunftverständnis zugrunde gelegt wird. Im Anschluss an Kant sollte daher Vernunft als Fähigkeit zu schließen gedacht werden. Schließen meint nichts anderes als „eine Form des Denkens, in der bereits gewonnene Einsichten folgerichtig miteinander verknüpft werden, um neue Einsichten möglich zu machen.“261 Auf dieser Grundlage lässt sich nun – wenn auch unter Auslassung einiger Argumentationsschritte – festhalten: „Der Vernunft hingegen bleiben Leistungen vorbehalten, die auf das Ganze eines Zusammenhangs […] gerichtet sind. […] Sie [die Vernunft] übersetzt die Allgemeinheit des Denkens in das individuelle Dasein des Menschen. In und mit ihr wird die Ratio existenziell. Sie ist es aber auch, die aus Erkenntnissen politische Konsequenzen zieht.“262 Vernunft ist also, und dies ist das Entscheidende, ein Vermögen, eine Leistungsfähigkeit oder eine Disposition zu gerade nicht-beliebigen Zwecken: „Nur sie hat die Größe, sich selbst in ihre synthetischen Leistungen einzubeziehen, selbst Teil des Ganzen zu sein, das sie denkt, und ihm dennoch kritisch begegnen zu können.“263 Exakt hier liegt der Unterschied zu Macht, aber eben nicht der Gegensatz. Denn Macht ist eine „Disposition zu beliebigen Zwecken“264. Das lässt sich schon daran erkennen, dass Macht nur in Beziehungen sichtbar ist. Macht 259  Vgl. Chomsky (1973); Wolf (2000); besonders abwegig bei Susanne zur Nieden; vgl. Nieden (2005). 260  Vgl. Gerhardt (2006). 261  Ebd., S. 237. 262  Ebd., S. 238. 263  Ebd., S. 240. 264  Ebd., S. 244.

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existiert nur als Macht über eine andere Macht, fehlt diese, ist auch jene nicht vorstellbar. Daher rührt auch der Pleonasmus der Macht, die „unabgeschlossene Dynamik des Übergangs von Mittel zu Mittel.“265 Anschaulich ist das Beispiel der Parteien in der modernen Demokratie, die alle an die Macht wollen, aber natürlich unterschiedliche Ziele für vernünftig halten. Dieselbe Macht kann unterschiedlichen Zielen dienen, dieselbe Vernunft nicht. Hierin zeigt sich aber nicht nur ein entscheidendes Argument gegen die vermeintliche Gegensätzlichkeit von Macht und Vernunft, sondern auch ein Argument für die Vernunft, „sich endlich ihren Machtanspruch einzugestehen“266. Denn am „Ende hilft gegen eine Macht nur eine andere Macht. Auch deshalb bedürfen wir einer Vernunft, die sich als Macht gegen konkurrierende Mächte behauptet.“267 Damit ist der Staat an- und ein Argument ausgesprochen, das sämtliche theoretischen Versuche blamiert, welche auf Politik- oder Staatsüberwindung aus sind.268 Vernunft und Macht lassen sich ganz ohne Metaphysik zusammen denken. Dort, wo mit Macht verbundene Staatsräson ist, muss nicht, kann aber sehr wohl Vernunft sein. Nichts anderes findet sich im modernen Staat, der zutreffend als liberaler Staat zu bezeichnen ist.269 So wie sich Macht und Vernunft nicht ausschließen und im modernen politischen Kontext stets verbindungsfähig sind, so sind auch Liberalismus und Staatsräson vereinbar.270 Die Idee der Unverträglichkeit liegt im Charakter des Staates als institutionalisierter Macht begründet. Insofern erscheint der Staat erst einmal als janusköpfiger „Bedroher und Garant der Menschenrechte“271. Dagegen lässt sich allerdings einwenden, dass hier nur 265  Ebd.,

S. 243. S. 236. 267  Ebd., S. 245. 268  So verwickelt sich der Anarchismus in einen Selbstwiderspruch, weil er nach der Abschaffung der Herrschaft nichts mit denen anzufangen weiß, die auf die Idee einer Wiedereinführung verfallen sollten; vgl. ebd., S. 235–236. 269  Die Arbeit folgt in dieser Hinsicht dem Verständnis Wolfgang Kerstings: „Der Liberalismus ist die Reflexionsform der politischen Moderne. Er bietet die begriffliche Darstellung der gesellschaftlichen und politischen Lebensordnung von souveränen, autonomen Individuen. Die liberale Ordnung gründet im menschenrechtlichen Egalitarismus. Sie ist institutionalisiertes Menschenrecht“; Kersting (2006), S. 7. 270  Allenfalls ideen- wie realhistorisch ließe sich eine gewissen Primärplausibilität einer Verortung von Staatsräson im gegenliberalen Ideen-Milieu denken, weil die historische Hochzeit der expliziten Staatsräsondiskussion, das 16. und 17. Jahrhundert, natürlich auch illiberale Phänomene en masse bereit hielt; nur ist Staatsräson der modernistische Kampfbegriff schlechthin gewesen und hat sich durch die betonte Rationalitätsbindung gegenüber den menschenrechtlich problematischen Aspekten frühneuzeitlicher Staatlichkeit auch als Gegenmittel erwiesen. 271  Brugger (1998), S. 153. 266  Ebd.,



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eine Ambivalenz der Wirkungen angesprochen wird. Anders ausgedrückt: Ohne Staat bliebe eine ganze Menge an Menschenrechts-Bedrohern übrig, aber kein Garant. Klarheit bringt ferner der Verweis auf die gängige Erzählung der Staatsevolution, wonach zuerst der Macht-, dann der Rechts- und später der Sozialstaat entstanden sei.272 Denn es ist ein Fehler, aus dieser historisch halbwegs zutreffenden Entwicklungsgeschichte auf eine Evolution der theoretischen Prämissen zu schließen. Mit guten Gründen lassen sich die Wurzeln dieser Entwicklung bereits im hobbesschen Egalitarismus und Voluntarismus der freien Individuen erkennen. Jedenfalls steckt im hobbesschen Kontraktualismus schon der Keim für das lockesche und kantsche Vernunftrechtsdenken, das wiederum sozialstaatliche Prämissen inkorporiert. So wie also hier grundsätzliche Gemeinsamkeiten quer zur historischen Entwicklung aufgezeigt werden können, gilt dies auch für die Staatsräson und den liberalen Staat: Der Staat, als liberaler Staat, findet zwar seine Legitimation ausschließlich im menschenrechtlichen Universalismus, er bleibt aber auch eine partikulare Macht; diese Einsicht ist ebenfalls nicht primär historisch zu verstehen, sondern als folgerichtige Konsequenz neuzeitlicher Politiktheorie. Der Dualismus aus Partikularismus und Universalismus offenbart sich bei Kant ebenso wie heute. Die spezifische theoretische Herausforderung liberaler Staatsräson ergibt sich möglicherweise aus einer doppelten Überwältigungsgefahr. Zum einen kann der menschenrechtliche Universalismus die einzelstaatliche Partikularität transzendieren, zum anderen die einzelstaatliche Partikularität den menschenrechtlichen Universalismus instrumentalisieren. Ersteres könnte zu dem Gedanken führen, liberale Staatsräson berge einen Widerspruch in sich: Die universale Norm bedeute schließlich immer das Ende der partikularen Existenz. Dem kann allerdings theoretisch durch den Einwand begegnet werden, dass dies denkbar, aber nicht notwendig ist. Ein liberaler Staat hat keinen menschenrechtlichen Universalismus zu fürchten, da dieser ihm von außen keine Vorhaltungen machen kann. Zweites, also die Usurpation universaler Prinzipien durch den einzelnen Staat, ist weitgehend ein Scheinproblem.273 Jedenfalls kann der Einwand dann nicht voll zur Geltung gelangen, wenn trotz aller partikularen Interesseneinmengung tatsächlich auch universale Zwecke befördert werden. Sollte hingegen ein universal bemänteltes Partikularinteresse in der Tat ausschließlich partikulare Zwecke befördern, Luhmann (1995); Breuer (1998); Benz (2001). für reine Positivisten, für echte Schmittianer, für jeden also, dem das Naturrecht bloß eine leere Formel ist, stellt dies ein vollgültiges Problem dar: „Wenn ein Staat im Namen der Menschheit seinen politischen Feind bekämpft, so ist das kein Krieg der Menschheit, sondern ein Krieg, für den ein bestimmter Staat gegenüber seinem Kriegsgegner einen universalen Begriff zu okkupieren sucht, […] Wer Menschheit sagt, will betrügen.“ Schmitt (1963), S. 55. 272  Vgl.

273  Höchstens

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B. Staatsräson – Theoretische Grundlagen

wäre dies zwar ein Problem, würde aber wiederum keine konzeptionelle Diskreditierung des Universalismus bedeuten. Es lässt sich also einerseits die doppelte Überwältigungsgefahr mit guten Gründen bestreiten, andererseits jedoch erhält man dadurch noch keine positive Antwort auf die Frage nach der Vermittlung zwischen der partikularen und universalen Tendenz, die notwendigerweise im Begriff der liberalstaatlichen Räson getroffen werden muss. Seit Carl Joachim Friedrichs Versuch über die „Staatsräson im Verfassungsstaat“ ist es um diesen Fragenkomplex allerdings still geworden.274 Friedrich hingegen hatte sich noch einmal entschieden gegen jede Lesart des Staatsräsonbegriffs gewandt, die in diesem nicht mehr als eine technizistische, rein kontingente und damit letztlich tote Vokabel frühneuzeitlicher Kanzleidiskurse zu sehen vermag. Im Gegenteil, das Spezifische der Staatsräson sei kein Übergangsphänomen des Beginns neuzeitlicher Politik, sondern ein notwendiger Begleiter aller Staatstheorie: „Denn wenn vorausgesetzt wird, dass die politische Ordnung, der Staat, notwendige Vorbedingung einer freien sittlichen Existenz des Menschen ist, so ist der Bestand einer solchen Ordnung lebenswichtig.“275 In dem Zitat klingt bereits Friedrichs Bemühen an, eine Brücke zwischen Individual- und Institutionenethik zu bauen. Das Klugheitsgebot der lebensnotwendigen Staatseinrichtung und der moralische Imperativ der Staatseinrichtung zum Zweck der Vernunftrechtsverwirklichung stehen in dieser Lesart gleichberechtigt nebeneinander. Genau hier offenbart sich nun das Problem der liberalen Staatsräson, zudem zeigt sich eine spezifisch neuzeitliche Konstellation. Zu deren Analyse helfe es gerade nicht, die Perspektive allein auf die frühneuzeitlichen Entstehungsbedingungen der Staaten und die begleitenden ideengeschichtlichen Konzeptionen zu richten. Denn in der nicht ganz von der Hand zu weisenden Interpretation Friedrichs musste also Machiavelli und seinen direkten Epigonen die Staatsräsonproblematik im Grunde fremd bleiben.276 Bestand doch bei ihnen keine Verbindung mehr zur mittelalterlich-christlichen Transzendenz und noch keine zur modernen, säkularisierten Naturrechtslehre. Also konnte folgender Kollisionsfall gerade nicht eintreten: „Denn nur wenn eine Individualethik hoher Normativität mit den Erfordernissen eines Staates kollidiert, dessen Sicherheit und Selbst­ Friedrich (1961). 17–18. 276  Gegen Carl Joachim Friedrichs Urteil lässt sich natürlich unter Verweis auf das republikanische Telos in Machiavellis Denken argumentieren; allerdings gerät der Florentiner natürlich immer dort in Bedrängnis, wo er zwischen den Notwen­ digkeiten der Selbstbehauptung und den Vorzügen der Republik, also zwischen „Principe“ und „Discorsi“ vermitteln will; letztlich zieht sich die Argumentation ja auch auf den reinen Appell an das republikanische Gewissen des „uomo virtuoso“ zurück. 274  Vgl.

275  Ebd.,



IV. Staatsräson und moderne Politikwissenschaft99

behauptung auf dem Spiel steht, wird die Problematik der Staatsräson aktuell.“277 Friedrich hat versucht, ideengeschichtlich relevante Antworten auf dieses Problem zu versammeln. Allerdings bedeuten Antworten noch keine Lösungen und so hat sich Friedrich auf das Konstatieren einer Aporie zurückgezogen. Nothandlungen zur staatlichen Selbsterhaltung und individualethisch korrektes Verhalten würden potenzielle Zielkonflikte bergen, die nun einmal nicht auszuräumen seien.278 Außerdem haben die Überlegungen Friedrichs eine innenpolitische Schlagseite. Auswärtiges wird im Zusammenhang der Staatsräson schließlich bewusst ausgeklammert: „Wenn man von der äußeren Sicherheit absieht.“279 Derlei steht im Rahmen dieser Arbeit nicht zu Gebote. Liberale außenpolitische Staatsräson kennzeichnet nicht nur die Integration von Universalismus und Partikularismus, sondern sie lässt sich auch nur über die gegenseitig bedingende Parallelität der beiden Begriffe theoretisch begründen. Denn so wie Staatsräson und liberaler Staat kompatibel sind, so müssen auch Universalismus und Partikularismus nicht notwendigerweise in gedankliche Opposition gebracht werden. Als Beispiel sollen an dieser Stelle aber nicht die Nothandlungen zur Selbsterhaltung dienen, die bei Friedrich als Kristallisationspunkt des Staatsräsonproblems firmieren. Vielmehr tritt die liberale Staatsräson heute in einem Phänomen zu Tage, das mit Peter Nitschke die „ontologische Entität“280 aktueller Staatsräson genannt werden kann. Dieses Phänomen ist die Durchsetzung universaler Werte mit partikularen Machtmitteln, die so genannte humanitäre Intervention.281 Nirgends zeigt sich so wie hier das eigentümlich neuzeitliche Miteinander von universaler und partikularer Tendenz. Es ist nur sinnvoll, „humanitäre Kriege“282 zusammen mit dem Begriff der liberalen Staatsräson zu diskutieren, die sich natürlich in dieser existenziellen Grenzsituation augenfälliger manifestiert 277  Ebd.,

S. 14. ebd., S. 26–27. 279  Ebd., S. 126. 280  „Die historische Entität [der Staatsräson] ist eben leichter zu begründen als eine ontologische – und damit potentiell aktuelle.“ Nitschke (1995), S. 60. 281  Mit Blick auf den Begriff Humanitäre Intervention folgt die Arbeit Knut Ipsens Definition: „Unter humanitärer Intervention ist die Anwendung von Waffengewalt zum Schutz der Bevölkerung eines Staates vor Menschenrechtsverletzungen zu verstehen.“ Ipsen (1990), S. 885; dies gilt natürlich auch und gerade gegenüber einer fremden Regierung, wonach in der begrifflichen Engführung „das militärische Eingreifen eines Staates zur Sicherung der elementaren Lebensrechte einer Bevölkerungsgruppe gegenüber ihrer eigenen Regierung“ gemeint ist; Tomuschat (2008), S. 66. 282  Voigt (2006). 278  Vgl.

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B. Staatsräson – Theoretische Grundlagen

als in Debatten um Interdependenzen, Interessen, Institutionen oder sonstige Insinuationsbegriffe, sondern eben dort, wo der Staat mit Gewalt gegen widerstrebende Gewalt das Menschenrecht durchsetzt! Die Lehre der internationalen Politik hatte bereits Mitte der 1990er Jahre den Blick dafür geöffnet, sowohl klugheitsbezogene wie vernunftrechtliche Überlegungen in die Interventionspraxis einfließen zu lassen.283 Zuerst sollten jedoch kursorisch die wesentlichen Argumente rekapituliert werden, die für und gegen militärische Interventionen von Staaten im Dienste des Menschenrechtsschutzes gemacht werden.284 Im Wesentlichen lassen sich drei Rechtfertigungsmuster finden: Zum einen existiert ein Begründungsstrang, der an die – übrigens eindeutig vormoderne – Lehre vom gerechten Krieg anknüpft. Michael Walzer ist hier vielleicht der wichtigste einschlägige Stichwortgeber gewesen, der mit der zweiten Auflage von „Just and Unjust Wars“285 passend zum Ende des Zeitalters der Bipolarität dieser Begründungsart einen wichtigen Impuls verliehen hat. Das zentrale Argument zielt hierbei interessanterweise nicht nur auf die unmittelbare Unterbindung von Menschenrechtsverletzungen, sondern auch auf die Wiederherstellung der Unabhängigkeit der betroffenen politischen Gemeinschaft und erhält somit einen kommunitaristischen Einschlag. Zum zweiten bedienen sich Interventionsbefürworter eines stärker positivistischen Arguments. In dieser Sichtweise stellt eine humanitäre Intervention entweder einen Akt militärischer Nothilfe dar oder legitimiert sich als Ausdruck völkerrechtlicher Konven­ tionen, die inzwischen zum Gewohnheitsrecht geronnen sind.286 Schließlich bleibt drittens der explizit universalistische Begründungsstrang. In dieser Hinsicht müssen in einer jeden Situation, in der gravierende Menschenrechtsverletzungen stattfinden, politische oder rechtliche Überlegungen hintanstehen. Mehr noch, die Nicht-Intervention erscheint in dieser Perspektive dann als schwerwiegendes moralisches Fehlverhalten. Insofern verliert ein Staat seinen Souveränitätsanspruch in dem Maße, in dem er im Gegensatz zur neuzeitlich-menschenrechtlichen Staatslegitimation agiert.287 Hoffmann (1996). Gustenau (2000); Münkler / Malowitz (2008). 285  Vgl. Walzer (1990). 286  Das Stichwort Responsibility to Protect kann hier als Indiz für einen solchen völkerrechtlichen Trend genannt werden, auch wenn derzeit noch nicht von einer echten völkerrechtlichen Norm gesprochen werden kann; durchaus überraschend findet sich das Prinzip jedoch im Schlussdokument des Millennium-Gipfels der Vereinten Nationen aus dem Jahr 2005. 287  „Das klassische Nichteinmischungsprinzip ebenso wie der damit verbundene homogene Souveränitätsbegriff stellen daher hier eine seit der Entwicklung republikanischer Staaten nicht mehr haltbare Konstruktion dar.“ Kambartel (1996), S. 248; Hervorhebung im Original. 283  Vgl. 284  Vgl.



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Gegenüber diesen drei prinzipiellen Rechtfertigungsargumenten existieren zwei grundsätzliche Einwände. Zum einen ist der echte Gesinnungspazifismus zu nennen, der den Krieg immer an der Spitze der Skala denkbarer politischer Übel platziert. In dieser Hinsicht erscheinen nicht nur alle nichtkriegerischen Optionen attraktiver als wie auch immer begründete Militäraktionen. Vielmehr wird auch das Ultima-Ratio-Argument abgelehnt, welches Kriegshandlungen nur unter der Bedingung gleichzeitiger Dringlichkeit und sonstiger Mittelausschöpfung zulassen will. Der Gedanke der moralischen Unterlassensschuld ist dem Gesinnungspazifismus fremd – die Ultima Ratio erscheint ihm außerhalb jeder Ratio. Die Not anderer bleibt allein ihre. Neben den vielen weiteren Einwänden, die auf die Probleme der konkreten Umsetzung der Intervention abstellen, bleibt als prinzipielle Beanstandung allein die offenkundige völkerrechtliche Illegalität humanitärer Interventionen. Das zwischenstaatliche Recht ist nach wie vor das ihrige. Das heißt, solange die Staaten keine Norm untereinander entwickeln und positivieren, die den Menschenrechtsschutz als zulässigen Durchbrechungsgrund des allgemeinen völkerrechtlichen Gewaltverbots etabliert, bleibt es beim generellen Interventionsverbot der UN-Charta.288 Unabhängig von der keineswegs abgeschlossenen Diskussion um Rechtsgründe, moralische Grundlagen oder Umsetzungsstrategien humanitärer Interventionen sind diese jedoch inzwischen zum beliebten außenpolitischen Instrument avanciert. Spätestens seit dem Kosovo-Krieg des Jahres 1999, aber im Grunde schon seit Ende des Zeitalters der Bipolarität gehört die Intervention im Dienst des Menschenrechtschutzes zum Repertoire des auswärtigen Staatshandelns.289 Diese Tatsache wiederum ist nur mit Blick auf den Themenkomplex Staatsräson und liberaler Staat zu erklären. Liberale Staatsräson ruht auf zwei Einsichten. Einmal ist damit die These angesprochen, die im Exkurs dieser Arbeit zu „Staatslegitimation und außenpolitischer Theoriebildung“ erarbeitet worden ist. Sobald sich eine bestimmte Legitimationsvariante von Staatlichkeit zum dominanten Argument entwickelt, wird dies zwangsläufig seinen außenpolitischen Niederschlag finden. Zum anderen bedingt die inzwischen theoretisch weitgehend unangefochtene universale Menschenrechtsidee das Konzept liberaler Staatsräson. Das revolutionäre Potenzial, das in dieser Verbindung liegt, ist unübersehbar. Keine metaphysische, religiöse, moralische oder sonstige Interpretation der politi288  Der bei kommunitaristischen Autoren beliebte Einwand, jeglichen Interven­ tionismus als Paternalismus zu diskreditieren, hat bei demokratisierenden Eingriffen sicherlich einige Berechtigung, nicht jedoch bei humanitären; vgl. Zanetti (1998), S. 317–318. 289  Vgl. Jäckel (1995); Debiel / Nuscheler (1996); Brunkhorst (1998); Hasenclever (2001).

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B. Staatsräson – Theoretische Grundlagen

schen Tätigkeit des Menschen nimmt es begründungstheoretisch mit dem menschenrechtlichen Universalismus auf. Keine kulturelle, politische oder gesellschaftliche Perspektive kann eine theoretisch überzeugende Alternative zum kategorischen Egalitarismus des Menschenrechts bieten, der sich nur freiheitsfundiert denken lässt. Und wenn nun Argumente der Staatslegitimation die Argumente der außenpolitischen Strategiebildung und Performanz präskribieren, und wenn also staatliche Gewalt nur als Ausdruck von Naturrechtsverwirklichung legitim ist, dann wird ersichtlich, warum humanitäre Interventionen und liberale Staatsräson untrennbar verbunden sind. „Republiken sind daher bereits aus internen Gründen praktischer Konsistenz auf dem Wege zu einem weltbürgerlichen Recht.“290 Friedrich Kambartels zutreffende Umschreibung wird in ihrer ganzen ideen- wie realhistorischen Bedeutung noch deutlicher, wenn von der kantschen Sprache abstrahiert wird. Dann lässt sich festhalten: Moderne Staaten können gar nicht anders, als auch außenpolitisch auf die Durchsetzung des Menschenrechts zu dringen! Das Recht auf staatliche Partikularität – die Souveränität – steht damit nicht mehr am Anfang außenpolitischer Begründungsketten, sondern wird abhängig vom universalen Recht der mensch­ lichen Individuen. Der menschenrechtsmissachtende Staat kann insofern nicht mehr auf die Akzeptanz anderer Staaten hoffen. Véronique Zanetti hat dies in aller Klarheit herausgearbeitet: „Folglich kann sich ein solcher Staat nicht nur nicht auf das Prinzip der Nichteinmischung berufen, um seine Unrechtstaten zu kaschieren, sondern es ist auch nicht illegitim seitens der anderen Staaten, zu intervenieren, um seinen Bürgern zu Hilfe zu kommen – die anderen Staaten sind sogar dazu verpflichtet. Folglich ist es moralisch nicht verwerflich, den Frieden zu gefährden, um eine internationale Lage herzustellen, in der die Würde aller gewahrt ist.“291 Aufschlussreich ist ferner der hier anklingende Pflichtcharakter der humanitären Intervention. Dort, wo die humanitäre Intervention geboten ist, muss sie unbedingt erfolgen.292 Die Rede von einer Verantwortung zur oder einem Recht auf Intervention bedeutet also bestenfalls Begriffsverwirrung, wahrscheinlicher jedoch ein bewusstes Ausweichen vor der Pflicht. Rechte müssen nicht wahrgenommen werden, und dass ein Akteur seiner Verantwortung nicht gerecht wird, bedeutet noch kein moralisches Versagen. Neuzeitliche Moralkonzeption und Staatlichkeit verbinden sich aber im Begriff der liberalen Staatsräson, deren prononciertester Ausdruck sich in der Pflicht zur humanitären Intervention findet. Liberale Staatsräson annonciert entscheidungsbezogene Letztverbindlichkeit; angesichts des sich 290  Kambartel

(1996), S. 248. (1998), S. 306. 292  Allenfalls offensichtliche Eigengefährdung kann das Kriterium der Unbedingtheit aufweichen; was allerdings im Zeitalter von Massenvernichtungswaffen und Proliferationsproblematik ein keinesfalls fernliegendes Szenario ist. 291  Zanetti



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ob menschenrechtlicher Ungeheuerlichkeiten immer auftuenden Schulddilemmas zwingt sie zur Entscheidung: Humanitäre Interventionen entscheiden Situationen, in denen sowohl Handeln als auch Unterlassen unter rein moralischen Gesichtspunkten problematisch ist. Gleichzeitig muss einer rein partikular angelegten Politik der humanitäre Interventionsgedanke notwendig fern liegen. Also liefert hier liberale Staatsräson klassischerweise Legitimation und Limita­tion. Die Legitimation speist sich aus dem menschenrechtlichen Universalismus, der auch die Legitimationsgrundlage der partikularen Staatlichkeit liefert, zugleich markiert die Staatspartikularität auch die Grenzen der Interventionspolitik, sie legt die klugheitsbasierten Grenzen des Universalismus fest.293 Die zweite Einsicht, auf der liberale Staatsräson ruht, lässt sich als wirklichkeitsbedingte Limitation beschreiben: So sehr die universale Legitima­ tion des humanitären Interventionismus keiner weiteren Diskussion bedarf, so wichtig ist die Betonung seiner partikularitätsbasierten Restriktionen. Moderne Staatlichkeit bedeutet institutionalisiertes Menschenrecht, womit die Brücke zur Praxis geschlagen ist. Diese übersetzt Theorie in Wirklichkeit. Damit muss aber der im Begriff der Staatsräson enthaltene Konsequenzialismus in die Überlegung zurückkehren. Nur so lässt sich im „tiefsten Abwägungsdickicht“294 ein gangbarer Weg entdecken – wenn schon kein moralischer oder politischer Ausweg denkbar ist. Immerhin, in dem von Wolfgang Kersting beschworenen Dickicht der Abwägung bietet zumindest der Zielort ein wenig Orientierung, das Maximum an Menschenrechtsschutz. Allein, „militärisches Handeln bildet einen praxeologischen Grenzfall, der weder moralischen Rigorismus noch epistemologische Genauigkeit er­ laubt.“295 Also bleibt eine Außenpolitik der dreifachen Schadensminimierung, die notwendig unter einen allgemeinen Effektivitäts- und Effizienzvorbehalt zu stellen ist. Es bleibt eine frühneuzeitlich anmutende Zweck-MittelRationalisierung unter modernsten Vorzeichen, es bleibt liberale Staatsräson. Die bei jeder humanitären Intervention dreifach anzustrebende Schadensminimierung bezieht sich erstens natürlich auf die Unterbindung oder Verhinderung der gravierenden Menschenrechtsverletzung, sei diese nun staatlich organisiert oder nicht. Die übliche Bezugsgröße stellt hier der Völkermord 293  Die auf den ersten Blick berechtigte Warnung vor dem „moral excess“ Hans Morgenthaus geht insofern genauso ins Leere wie die Rede von der „postnationale[n] Politik“, die sich bei Ulrich Beck findet; ebensowenig lässt sich von einem „Short, Unhappy Life of Humanitarian War“ sprechen, wie dies Charles Krauthammer getan hat, noch gilt das Argument einer gleichsam subjektiv handelnden, präventiven Weltinnenpolitik, das Jürgen Habermas bemüht hat; Morgenthau (2006), S. 13; Beck (1999), S. 987; Krauthammer (1999); vgl. Habermas (2000). 294  Kersting (2000), S. 86. 295  Ebd., S. 87.

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dar.296 Er muss abgewendet werden. Als ursprünglichem Legitimationsmotiv kommt dieser Schadensminimierung eine theoretisch herausgehobene Rolle zu. Ferner gilt das Gebot der Schadensminimierung gegenüber allen Unbeteiligten, ja selbst gegenüber allen Beteiligten. Drittens und theoretisch sogar bedeutender als alles andere bedeutet die Pflicht zum Menschenrechtsschutz des intervenierenden Staates natürlich auch Schadensminimierung gegenüber den eigenen Bürgern, sprich: Soldaten, die ja nicht nur zur Ausübung der Gewalt befohlen, sondern ihr auch ausgesetzt werden. Denn hier tritt neben die universale Pflicht die besondere partikulare Verantwortung, die der einzelne Staat gegenüber seinen Bürgern hat. Der Effektivitätsund Effizienzvorbehalt zeigt dann ebenfalls die typisch staatsräsonale Janusköpfigkeit aus Legitimation und Limitation, die im Falle der humanitären Intervention aufgrund der liberalen Staatsräson dann nicht nur ein KostenNutzen-Kalkül ist, sondern, genauer gesagt, einer Kosten-Sinn-Rationalität gleicht.297 Liberale Staatsräson zerschlägt hier also den gordischen Knoten der moralischen Dilemmata, die sich in der internationalen Politik stellen. Allerdings gelingt es auch ihr nicht, den Knoten aufzulösen. Theoretische Konsistenz ist nicht zu erhoffen, wenn Gewalt auf Gewalt trifft. Was sich theoretisch nicht – allenfalls dezisionistisch – auffangen lässt, kann wenigstens ideengeschichtlich erläutert werden. Denn einerseits muss die humanitäre Intervention als besonders sprechender Ausdruck liberaler Staatsräson verstanden werden. Andererseits lässt sie sich, und nachgelagert damit auch liberale Staatsräson, als Ausdruck einer diskursiven Allianz von Machiavellisten und Kantianern, einem Ineinandergreifen von Partikularismus und Universalismus deuten.298 Grundsätzlich neigen die ideengeschichtlichen Exponenten des Partikularismus, das ist inzwischen deutlich geworden, zu einem starken Interventionismus, oder besser: zum Imperialismus.299 Dabei wird der Außenpolitik in der Wahl ihrer Instrumente keine Grenze gezogen. Maximale Intensität der Mittel, also Gewalteinsatz, ist schließlich alleine abhängig vom widerstrebenden Willen, der gegebenenfalls zu überwinden ist. Damit ist Gewalt kategorisch erlaubt. Universalisten hingegen zeigen eine verlässliche Abneigung gegen jede Art von Interventionismus, 296  Im Übrigen ein Klugheitsargument ersten Ranges, denn einerseits wird konsequenzialistische Vorsicht gegenüber den Wirkungen der eigenen Interventionsfähigkeit geübt, andererseits aber eine moralisch letztlich fragwürdige Rechnung mit der Zukunft gemacht; nur der akute Gewaltexzess soll unterbunden werden, bei Jahrzehnte anhaltenden Konflikten sind unter Umständen aber auf die Dauer des jeweiligen Konflikts gerechnet viel höhere Opferzahlen zu erwarten. 297  Vgl. ebd.; Zanetti (2000); Oeter (2008); Tomuschat (2008). 298  Vgl. Thaler (2008), S. 326–333. 299  Insofern hat die Verbindung Machiavellis mit dem Imperialismusbegriff ihre volle Berechtigung; vgl. Hörnqvist (2004).



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vom Gewalteinsatz ganz zu schweigen. Der fünfte Präliminarartikel aus „Zum ewigen Frieden“ lässt keinen Interpretationsspielraum: „Kein Staat soll sich in die Verfassung und Regierung eines andern Staats gewalttätig einmischen.“300 Zuletzt hatte – in klarer Nachfolge Kants – ähnlich zurückhaltend auch John Rawls argumentiert.301 Das auf den ersten Blick paradoxe Urteil, wonach also Partikularismus zu Interventionismus führt und Universalismus nicht, lässt sich wiederum unter Rückgriff auf den Exkurs zur außenpolitischen Bedeutung der Argumente der Staatslegitimation erklären. Die partikulare Legitimationsstrategie, welche allein die Sicherheitsbeschaffung im Sinn hat, muss keinesfalls notwendigerweise eine fremde Staatlichkeit achten. Im Gegenteil, diese erscheint als Bedrohung und provoziert präventive Gewalt. Dies ist beim Universalismus natürlich anders, weil Staaten als tatsächliche Erscheinungsformen des universalen Begründungsarguments gedacht werden müssen. Als partikularer Ausdruck dieses Arguments ist es dann nur folgerichtig, ihnen überall – mithin universal – einen Achtungsvorschuss entgegenzubringen. Da nun aber Partikularismus und Universalismus in Bezug auf Staatlichkeit nie in einen diametralen Gegensatz gebracht werden können, sondern der Gegensatz zu großen Teilen nur ein scheinbarer ist, sollte es nicht verblüffen, wenn das traditionelle Dilemma zwischen Souveränität und Moral irgendwann erodiert. Genauer gesagt: Diese Erosion müsste sich nicht irgendwann beobachten lassen, sondern genau in dem historischen Moment, wenn zum einen Staatlichkeit ganz unangefochten auf universalen Fundamenten ruht302 und zum anderen diese Variante der Staatlichkeit in einem Umfeld internationaler Konkurrenzlosigkeit auftritt.303 Genau diese Umstände waren mit dem Ende des Kalten Krieges gegeben. Auswärtige Gewalt, die ein Staat unter Rekurs auf Argumente der Moral übt, das ist der problematische – und theoretisch interessante – Kristallisationspunkt liberaler Staatsräson. Dieser Befund ist allerdings weniger spektakulär, als es scheint. Im Rahmen der Theorie der internationalen Politik sind es allenfalls noch die Gralshüter theoretischen Lagerdenkens, die hieran einen prinzipiellen Anstoß nehmen könnten.304 Es ist aber schlüssiger 300  Kant (1912), S. 346; eine schlüssige Anknüpfung und Übertragung dieser spezifischen kantschen Problemstellung auf die aktuelle internationale Politik findet sich bei Wilfried Hinsch; vgl. Hinsch (2005). 301  Vgl. Rawls (2001). 302  In diesem Sinne lässt sich Francis Fukuyama nur beipflichten; vgl. Fukuyama (1992). 303  Wobei Konkurrenzlosigkeit nicht Singularität bedeutet, weswegen die Rede vom „Unipolar Moment“ doch trügerisch war; Krauthammer (1990). 304  Exakt in diesem Sinne haben Interventionskonzepte nicht zuletzt bei den Repräsentanten der Disziplin einen schweren Stand gehabt, die vornehmlich in den

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und sinnvoller, hierin einen Aushandlungsprozess, eine Arbeitsteilung zwischen politischer Vernunft und politischer Klugheit zu sehen, zwischen Prinzip und Situation. Dass damit reichlich Probleme verbunden sind und reichlich Probleme neu entstehen, ist offensichtlich. Allerdings lassen sich anhand bestimmter Probleme auch Entwicklungsmöglichkeiten aufzeigen. Ein offensichtliches Beispiel dafür ist die Tatsache, dass aus völkerrechtlicher Perspektive in der humanitären Intervention eine Art Rechtsfortbildung durch Rechtsbruch zu sehen ist.305 Darin lässt sich allerdings eine Parallele zu frühneuzeitlichen Staatsetablierungsprozessen erkennen, die wesentlich auf ähnlichen Wegen stattgefunden haben. Alle mit der humanitären Intervention, dem Ausdruck liberaler Staatsräson, verbundenen Probleme gründen letztlich auf dem unauflösbaren Zwiespalt, der immanenten Ambivalenz einer zuletzt auch gewalttätigen Durchsetzung universaler Rechte in einer partikular organisierten Welt. Politikwissenschaftliche Theorie muss sich aber an diesem Zwiespalt bewähren. Und zwar sinnvollerweise als Diskussion um Staatsräson, „als Rückkehr zu einer nüchternen Abwägung von Nutzen und Kosten militärischer Interventionen.“306 Mit diesem Zitat erklärt Herfried Münkler eine von ihm zuletzt festgestellte Interventionsmüdigkeit der interventionsfähigen – westlichen – Staaten. Humanitäre Interventionen stünden inzwischen wieder unter dem technizistisch verstandenen Erfolgskalkül der Staatsräson. Standen sie immer schon, lässt sich entgegnen, allenfalls wurde falsch kalkuliert. Zu Ende der Interventionspolitik der neunziger Jahre des vergangenen Jahrhunderts hatte Herfried Münkler ohnehin bereits argumentiert: „Aber all dies war keine Frage prinzipieller Menschenrechtspolitik, sondern eine Frage der politischen Urteilskraft und der Staatsräson. Und sie dürfte auch im 21. Jahrhundert darüber entscheiden, ob man das Risiko einer Intervention eingehen wird oder nicht.“307 Es will aber nicht einleuchten, warum Menschenrechtspolitik nichts mit Urteilskraft zu tun haben darf und umgekehrt. Herfried Münkler wiederholt im Grunde Kants aus „Zum ewigen Frieden“ bekannte Grenzgott-Gegensätzlichkeit: „Der 1980er und 1990er Jahren die Diskussion bestimmt haben, wobei erwartungsgemäß vor allem die als den eigenen Vorstellungen theoriefremd erscheinenden Bestandteile des Interventionskonzepts kritisiert wurden; vgl. Czempiel (1995). 305  Völkerrechtlich gesehen kommt die humanitäre Intervention momentan nicht über ein Problem de lege ferenda hinaus, denn bei Anwendung traditioneller und weithin akzeptierter methodologischer Grundsätze der Völkerrechtspraxis gibt es kein Recht auf humanitäre Intervention, geschweige denn eine Pflicht; Staatenpraxis und herrschendes Recht liegen weit auseinander; vgl. Simma (1999), S. 21–22; Hilpold (2001), S. 462–467. 306  Münkler (2008), S. 90. 307  Münkler (2000), S. 165.



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Grenzgott der Moral weicht nicht dem Jupiter (dem Grenzgott der Gewalt)“308. Wenn man aber unterstellt, dass die beiden sich im Begriff der liberalen Staatsräson die Hand reichen, dass Partikularismus und Universalismus sich hier überschneiden, gelangt man zu einem schlüssigen Ergebnis. Denn es gelingt Herfried Münkler zwar durchgängig überzeugend, die Vorbehalte der Klugheit aufzuzeigen, welche wesentliche Aspekte der jüngeren westlichen Interventionspolitik strukturieren: Geographische Nähe und militärische Machbarkeit, bündnispolitischer Druck oder Furcht vor den Lasten, die Flüchtlingsbewegungen mit sich bringen, sind natürlich mitbedingende Faktoren einer jeden Interventionspolitik, auch der humanitären. Auf diese und weitere Einflüsse dürfen sich alle Skeptiker verlassen, auch in Zukunft wird die politische Entscheidung über eine Intervention „natürlich von Fall zu Fall einzeln erfolgen“309. Allerdings lässt sich so nicht erklären, warum humanitäre Interventionen seit Ende des Kalten Krieges überhaupt und immer stärker auf der außenpolitischen Agenda auftauchen. Es müssen neben den Klugheitsvorbehalten weitere ausschlaggebende Bedingungen existieren. Der Grund dafür, „dass sich eine strikte Selektivität nach geographischer Nähe und politischen bzw. wirtschaftlichen Interessen dennoch nicht durchgesetzt hat“, ist laut Herfried Münkler „vor allem eine Folge des Einflusses der Medien auf die Entscheidung“310. So sehr dies im Hinblick auf die informationelle Globalisierung überzeugen mag – erst moderne Medien transportieren die interventionsinduzierenden Nachrichten weltweit und in wirksamster Anschaulichkeit – so sehr vertauscht das Argument doch Anlass und Ursache. Denn im Rahmen der westlichen Interventionspolitik tritt zu den Einschränkungen und Anreizen der Klugheit ein normatives Telos unbegrenzter Reichweite: Neben Partikularismus tritt Universalismus. Die eingeforderte Bewährung politikwissenschaftlicher Theorie würde zum einen in der Schaffung eines Bewusstseins um dieses Nebeneinander liegen, zum anderen darin, verständlich zu machen, warum dieses Neben­ einander auch partiell zu einem Miteinander werden kann, offensichtlich jedenfalls im Rahmen der humanitären Intervention. Die innenpolitischen Vermittlungsprobleme, die die westliche Interventionspolitik begleiten, könnten so gemildert werden. In diesem Sinne lässt sich ein kurzes Resümee ziehen: Universalistische Politik in einer partikularen Welt ist grundsätzlich möglich, weil es keinen ausschließenden Gegensatz zwischen Vernunft und Macht gibt. Vernünftige – vernunftrechtliche – Außenpolitik bedeutet keinesfalls einen zwangsläufigen Verzicht auf die Beachtung von 308  Kant

(1912), S. 370. (2000), S. 156. 310  Münkler (2008), S. 101. 309  Münkler

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Klugheitsregeln. Dies zeigt die Politik der humanitären Intervention. Diese lässt sich im Übrigen weder ohne den Verweis auf die allein im partikularen Verhältnis der Staaten untereinander angesiedelten Machtverhältnisse erklären. Die letzten beiden Jahrzehnte sind diejenigen klarer westlicher Dominanz gewesen, die westlichen Staaten haben auch deshalb humanitär interveniert, weil sie es konnten. Angesichts dessen geht allerdings auch der Vorwurf mangelnder Konsistenz der Interventionspolitik ins Leere. Noch erscheint die Entwicklung als ideengeschichtlicher Bruch. Vielmehr sind Universalismus und Partikularismus zwei Theorieströmungen, die im Verlauf der Neuzeit häufig parallel verlaufen sind und sich eben bisweilen überschneiden. Die spezifische Konstellation aktueller westlicher Staatlichkeit liegt dabei in der ebenso interessanten wie wirkmächtigen Gegebenheit, dass partikularen Resultaten, den Staaten, inzwischen universale Legitimationsgrundlagen vorausgedacht werden. Das heißt aber, dass nun auch das ursprünglich rein partikular angelegte Lehrstück der Staatsräson universale Aspekte inkorporieren muss. Der Begriff liberaler Staatsräson bietet hierfür eine belastbare Grundlage. Pragmatisch gewendet: Je öfter massive Menschenrechtsverletzungen unter Beachtung von Klugheitsregeln über den Weg einer Intervention unterbunden werden können, desto besser. Dass dies ein mit Dilemmata gepflasterter Weg ist, der zwischen prinzipienbasiertem Universalismus und klugheitsverankertem Partikularismus liegt, ändert nichts an der Sinnhaftigkeit des Ganzen. Es ist zuletzt überzeugend, die Probleme, die sich aus einem restriktiven, universalen Interventionismus ergeben, geringer zu gewichten, als die Probleme, die sich aus der Nicht-Intervention ergeben. Die zukünftige Praxis sollte damit auf einen Minimalinterventionismus hinauslaufen. Auswärtige Räson des liberalen Staates steht also nicht für eine immer inhaltsgleiche causa causans, sondern versammelt prinzipielle Argumente ebenso wie situative. Außenpolitische liberale Staatsräson, ließe sich argumentieren, markiert den politischen Übergang vom theoretisch-moralisch Notwendigen zum praktisch-moralisch Zulässigen.

V. Staatsräson im Zeitalter der Globalisierung Im vorigen Kapitel ist zuerst im Rahmen der modernen Politikwissenschaft die Fortexistenz traditioneller Muster der Staatsräsondiskussion aufgezeigt worden. Die Denkschulen des Realismus und Idealismus offenbaren jeweils starke partikulare oder universale Tendenzen. Konkret bedeutet dies, dass einzelne Lehrstücke dieser Denkschulen gedankliche Muster widerspiegeln, die früher mit dem Begriff der Staatsräson verbunden waren. Allein mit dem Hinweis auf den Zusammenhang von außenpolitischer Theorie und staatlicher Legitimationstheorie ließ sich dies verständlich machen. Auch



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das Aufkommen des politikwissenschaftlichen Konstruktivismus ändert nichts an diesem Befund, da er in diesem Zusammenhang hauptsächlich als epistemologische Anmerkung in Erscheinung tritt, ohne inhaltlich-normative Alternativen zu bieten. Die Diagnose einer fortgesetzten Relevanz des Staatsräsondiskurses im modernen politikwissenschaftlichen Kontext ist sodann mit aktuellem Bezug operationalisiert worden. Der liberale Staat offenbart partikulare und universale Muster und gleichfalls natürlich seine Räson. Im Umgang mit diesem Spannungsverhältnis, so die These, liegt eine zentrale theoretische Herausforderung. Am Beispiel der humanitären Intervention ließ sich allerdings gleichfalls zeigen, dass diese Herausforderung durchaus zu meistern ist. Dazu muss allerdings der theoretischen Versuchung widerstanden werden, Eingängiges mit Zutreffendem zu vertauschen und in ein Denken simpler Gegensätze zu verfallen: Vernunft versus Macht, Moral versus Politik und so fort. Auch wenn derlei Kontrastierungen bisweilen lehrreich sein und als didaktisches Konstrukt dienen können, müssen politiktheoretische Versuche scheitern, diese Gegenüberstellungen ein für allemal zugunsten einer Seite aufzulösen. Hilfreich ist das Ganze hingegen als „kognitive Arbeitsteilung“311. Ein denkbares Produkt dieser Arbeitsteilung wäre, so ließe sich das vorangegangene Kapitel resümieren, die Räson des liberalen Staates. Ein nicht abschließend aufzulösendes Spannungsverhältnis signalisiert wiederum Vorläufigkeit und verweist folglich auf die geschichtliche Offenheit politischer Prozesse: Mögliche Entwicklungstendenzen sind also in der aktuellen Erscheinungsform von Staatlichkeit und ihren Bedingungen zu suchen. Selbst wenn sich theoretisch hinreichend herausarbeiten lässt, was momentan sinnvollerweise unter Staatsräson zu verstehen sei, muss dies folglich abschließend mit der Epochensignatur abgeglichen werden. Staatsräson hängt mit Staat zusammen und dieser existiert heute im Prozess der Globalisierung. Im Folgenden wird deswegen zum einen nach einem möglichen globalisierungsbedingten Wandel von Staatlichkeit gefragt und gegebenenfalls die Bedeutung dieses Wandels für ein aktuelles Staatsräsonverständnis thematisiert. Zum anderen und zuletzt wird Staatsräson in Verbindung mit den im engeren Sinne politischen Referenzgrößen der Globalisierung, nämlich Staat, Staatenwelt und Weltstaat diskutiert. Seit den 1980er Jahren entwickelt sich der Globalisierungsbegriff zur sozial- und geisteswissenschaftlichen Universalchiffre.312 Es dürfte nicht verfrüht sein, zu prognostizieren, dass dereinst jenseits aller terminologischen Einzelpräferenzen die kanonische Epochenfolge der internationalen Politik auf folgendes Nacheinander lauten wird: Weltkriege, weltweiter 311  Thaler 312  Vgl.

(2008), S. 332. Rehbein / Schwengel (2008), S. 11.

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Kalter Krieg, dann Globalisierung. Fortfahrend wird Globalisierung ganz allgemein als weltweite Zunahme, Verdichtung und Neustrukturierung so­ zia­ler, politischer, wirtschaftlicher Beziehungen und dergleichen mehr verstanden.313 Tiefgreifender Wandel im Weltmaßstab geht sicherlich nicht spurlos am Staat vorüber, weswegen sich die Frage nach Staatsräson und Staatswandel aufdrängt. 1. Staatsräson und Staatswandel Weil Komplexitätsreduktion keine natürliche Grenze kennt, ist der Staat ein notorischer Überlebender. Die Gesamtheit der staatlichen Erscheinungsform des Politischen lässt sich schwerlich erfassen, allemal nicht in ihren diversen Bedingungen. Wo aber ein Gesamtzusammenhang überfordert, wird gerne einfach ein Teil fürs Ganze genommen. Also wird ständig das Ende des Staates behauptet, wo er sich doch nur wandelt. Eine erstmalig größere Verbreitung erreicht die Diagnose des staatlichen Ablebens parallel zur Konsolidierung der Nationalstaatlichkeit während des 19. Jahrhunderts. Diese Strömung lässt sich durchgängig im deutschen Idealismus nach Kant beobachten, bei Fichte, Schlegel oder auch beim jungen Hegel.314 Berühmt ist ferner die Erwartung einer geschichtsphilosophischen Rendite im marxschen Denken, die sich im Absterben jeder Staatlichkeit auszahlen soll.315 Und nach dem Zweiten Weltkrieg lässt sich dann bei Carl Schmitt Folgendes nachlesen: „Die Epoche der Staatlichkeit geht jetzt zu Ende. Darüber ist kein Wort mehr zu verlieren.“316 Während des ersten Jahrzehnts nach Ende des Kalten Krieges erhielten diese Stimmen neues Gewicht. Gleich eine Reihe prominenter Autoren ließ sich mit deutlichen Einlassungen ob des Endes aller Staatlichkeit vernehmen, teils triumphierend, teils trauernd.317 Diese Abgesänge finden über die Grenzen von Denkschulen hinweg im Grunde schon seit jeher ihren Widerhall in der Theorie der internationalen Politik.318 Schließlich ist es zuletzt insbesondere die Höffe (1999), S. 13; Beck (2007), S. 42–47; Brock (2008), S. 13. Haverkate (1990), S. 43–44. 315  Vgl. Marx / Engels (1848), S. 16. 316  Schmitt (1950), S. 10; Carl Schmitt argumentierte allerdings schon früher mit dieser Tendenz; vgl. Schmitt (1958). 317  Vgl. Zürn (1992a); Guéhenno (1996); Evans (1997); Van Creveld (1999); Reinhard (1999); letzterer hat seine grundsätzliche These kürzlich noch einmal bekräftigt; vgl. Reinhard (2007), S. 119–122; auch die Diskussion um ein angeblich wiederkehrendes Mittelalter lässt sich nur vor diesem Hintergrund erklären; vgl. Friedrichs (2004), S. 127–145. 318  Bei Hans Morgenthau in offensichtlicher Anlehnung an Carl Schmitt; vgl. Morgenthau (2006), S. 11; während Stanley Hoffmann bereits Mitte der 1950er Jah313  Vgl. 314  Vgl.



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Lehre der Internationalen Politischen Ökonomie gewesen, die den Staat zu einem weltwirtschaftlichen Akteur unter vielen herabsinken und damit sein Ende gekommen sah. Souverän seien zukünftig nur noch Konzerne.319 Anders als bei älteren Positionen sind es nicht irgendwelche intrinsischen Gründe, die den Staatsexitus herbeiführen, sondern neuerdings ist es vor allem ein überragender extrinsischer Faktor, der zum großen Staatsbedroher aufsteigt, die Globalisierung. Je stärker die Staaten in ein System der internationalen Verflechtung eingebunden seien, desto flüchtiger werde ihre spezifische Gestalt. Zumindest für die letzten beiden Dekaden lässt sich allerdings auch eine differenzierende Sichtweise feststellen, die sich gegen die Staatsuntergangsszenarien konturiert. Gegenüber dem effektheischenden Alarmismus oder Triumphalismus der Staatsverabschiedung ist diese ausgewogenere Position jedoch bisweilen in den Hintergrund geraten. Jedenfalls sei demnach der Staat keinesfalls am Ende, die globale Ausbreitung moderner Wirtschaftszusammenhänge oder sonstige Verflechtung müsse nicht zwangsläufig antistaatlich verstanden werden.320 Ohnehin eher unbelastet durch ideengeschichtliche Eigenkenntnis war das post-bipolare Untergangsszenario nie mehr als eben ein solches gewesen. Hier zeigte sich ein vermutlich der ersehnten Übersichtlichkeit geschuldeter Denkfehler, Veränderungen lieber exakt zu terminieren, anstatt sie als zeitlich kaum eingerahmte Prozesse zu verstehen. So hatte sich schon 1993 zu Recht die Gegenfrage aufgedrängt: „Abschied vom Staat – Rückkehr zum Staat?“321 Sinnvoller ist es also, mit Niklas Luhmann von „Metamorphosen des Staates“322 zu sprechen und festzuhalten, „dass die Geschichte der ‚europäischen‘ Erfindung des Staates auch nach fünfhundert Jahren keine abgeschlossene Geschichte ist.“323 Auch wenn Niklas Luhmann selbst noch einige Zweifel hinsichtlich der staat­ lichen Fortexistenz an den Tag gelegt hatte, entwickelte sich die Forschung doch inzwischen ganz überwiegend in diese Richtung. Abgesehen von der einfachen Gegenbehauptung, wonach der Staat im Zeitalter der Globalisierung weitgehend derselbe bleibe wie zuvor,324 kristallisiert sich eine – insgesamt sehr zurückgenommene – Transformationsthese heraus.325 Aber wie wandelt sich der Staat? re den Staat zugunsten internationaler Organisationen im Verschwinden wähnte; vgl. Hoffmann (1954). 319  Vgl. Strange (1996); Rosecrance (1996); Gilpin (2001). 320  Vgl. Dittgen (1999); Bernauer (2000). 321  Voigt (1993). 322  Luhmann (1995). 323  Ebd., S. 130. 324  Vgl. Krasner (1999). 325  Vgl. Weiss (2003); Leibfried / Zürn (2006).

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Als Maßstab des Staatswandels gilt gemeinhin seine Tätigkeit. Die Anzahl der Staatsaufgaben und die Intensität ihrer Wahrnehmung werden daher durchgängig zur Taxierung des Wandels von Staatlichkeit herangezogen.326 Dieses vieldimensionale Verständnis des Staates dient in der Tat inzwischen erfolgreich dazu, eine „Tendenz zu übertriebener Aggregation und Verein­ fachung“327 zu vermeiden, wie sie sich noch in der oben beschriebenen Diskussion um das Staatssterben gefunden hatte. Trotzdem genießt die Frage nach der Effektivität des Gewaltmonopols nach wie vor zentrale Bedeutung. Eine signifikante Änderung der Staatsqualität könnte sich in dieser Hinsicht aus zwei Phänomenen ergeben: Konkurrenz oder Erosion. Außenpolitisch würde dem Staat erst dann Konkurrenz um die Monopolisierung von Gewalt erwachsen, wenn auswärtige Gewaltanwendung von nicht-staatlichen Akteuren ausgeübt werden würde, um den Staat als solchen zu verdrängen. Dabei ist zu beachten, dass nicht jede sicherheitspolitische Herausforderung Konkurrenz bedeutet. Neue Bedrohungen etwa, wie sie sich in der Gewaltausübung inter- oder besser transnationaler Terrorgruppen zeigen, würden erst dann eine existenzielle Herausforderung für den Staat bedeuten, wenn diese Gewaltausübung ein Einrücken dieser Gruppierungen in eine staatsanaloge Position zur Folge hätte, wovon jedoch überhaupt keine Rede sein kann. Echte Konkurrenz könnte aus dem unmittelbaren Zugang internationaler Organisationen zu militärischen Mitteln resultieren. Doch diesen Zugang gibt es nicht.328 Exemplarisch offenbart sich der Sachverhalt anhand der geläufigen Formel von der „UN-Mission“. Diese nämlich bleibt immer dort staatlich mediatisiert, wo sie sich auf militärische Mittel stützt.329 Wandel durch verdrängende Konkurrenz findet also so gut wie nicht statt. Bleibt die Variante einer denkbaren Erosion des staatlichen Gewaltmonopols. Sicherlich erodieren Monopole im Falle einer abnehmenden Bereitstellung des monopolisierten Guts sowie im Fall einer ausgedehnten Auslagerungspraxis, wenn der Monopolist Zwischenhändler beauftragt. Hierfür mögen einige Anzeichen existieren, wobei in diesem Zusammenhang vor allem natürlich auf private Sicherheits- und Militärfirmen hingewiesen wird.330 Allerdings lässt sich hier keine substanzielle Verlagerung feststellen, welche die staatliche Kompetenz ernsthaft aushöhlen würde. Auch die mögliche Beauftragung solcher Firmen durch internationale Organisationen scheiterte bisher am Widerstand der Mitgliedsstaaten.331 Es darf also nicht verwundern, wenn die in den letzten beiden Jahrzehnten maßgeblichen Forschungsgruppen zum Thema im Ergebnis 326  Vgl.

Walkenhaus (2006); Hurrelmann (2008). (2006a), S. 38. Jachtenfuchs (2006), S. 89. ebd., S. 42–43. Weiner (2001); Chesterman / Lehnardt (2007). Schaller (2005), S. 30–31.

327  Leibfried / Zürn 328  Vgl. 329  Vgl. 330  Vgl. 331  Vgl.



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die Kontinuität des staatlichen Gewaltmonopols betonen, als theoretisches Postulat sowieso, aber eben auch faktisch.332 Ebenso wenig zeigen sich gravierende Einbußen bei der Verfügung über finanzielle Ressourcen, die der ökonomischen Alimentierung der staatlichen Gewalt dienen333 – was bei fortgesetzter Gewalteffektivität auch nicht übermäßig verwunderlich ist. Dennoch bleibt nicht alles, wie es ist. Denn bei aller Zurückhaltung hinsichtlich fassbaren Wandels der staatlichen Gewaltmonopolisierung konstatiert die Literatur doch zumindest Folgendes: „das Staatsschiff gerät vorerst nur in schweres Wasser“334, immerhin. Wenn diese Einschätzung also weder auf nennenswerte Konkurrenz für Staaten noch auf deren Selbstauflösung verweisen kann, woher rührt dann die Bedrängnis? Der Grund hierfür ist darin zu suchen, dass der Reduktionismus auf die Frage nach der Gewalt­ exklusivität des Staates zwar theoretisch hilfreich und normativ sinnstiftend ist, aber insofern den Staat als „Ordnung der Ordnungen“335 ein Stück weit verkennt. Denn so sehr der Staat hierarchisch unangefochten bleibt, so sehr kann das System der nachgelagerten Ordnungen und ihrer Beziehungen zum Staat dem Wandel unterworfen sein, womit wieder das Phänomen der Globalisierung angesprochen ist. Es ist weniger der Staat selbst, der sich wandelt, als seine von ihm durchdrungene Umwelt. Dies wird zum einen im Sinne eines Autonomieverlusts beschrieben:336 Das globale Ineinanderrücken staatsbezogener Prozesse, seien es ökonomische, kulturelle oder sonstige Vorgänge, beschädige nicht das Potenzial von Staatlichkeit an sich, bedinge aber sehr wohl eine Umstrukturierung der Wirkungsoptionen. So „ist die Autonomie der Nationalstaaten bei ihrem Einsatz begrenzt und durch internationalen Konsens und Koordination gesteuert.“337 Wobei dies nur eine Facette der Entwicklung darstellt und ein zu starker Schwerpunkt auf den Autonomieverlust gelegt wird. Denn neben dieser rein zwischenstaatlichen Lesart gibt es nämlich auch reichlich nicht-staatliche Handlungsfelder und Akteure, die jedoch wichtig für das Verständnis von Staatlichkeit sind und sowohl aufhören zu existieren als auch – und genauso wichtig – neu entstehen. Die globalisierungsbedingte Kanalisierung staatlicher Aktivität bedeutet also nicht nur Begrenzung, sondern auch Erweiterung. Um dies zu verdeutlichen, haben Philipp Genschel und Bernhard Zangl die Formel „vom Herrschaftsmonopolisten zum Herrschaftsmanager“338 geprägt. Dem liegt eine Grimm (1996), S. 771–776; Hurrelmann (2008), S. 316–319. Genschel (2006). 334  Hurrelmann (2008), S. 320. 335  Anter (2007), S. 207. 336  Vgl. Leibfried / Zürn (2006a), S. 45; Hurrelmann (2008), S. 313. 337  Leibfried / Zürn (2006a), S. 43. 338  Genschel / Zangl (2008). 332  Vgl. 333  Vgl.

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gedankliche Trennung von Staat und Staatlichkeit zugrunde, es wird also der Unterschied zwischen Institution und tatsächlicher Wirkungsmacht der Institution betont. Dabei gilt grundsätzlich Folgendes: „Im Idealtyp des nach innen und außen souveränen Staates fallen beide in eins: Der Staat ist im Vollbesitz von Staatlichkeit. Auf seinem Staatsgebiet besitzt er, und nur er allein, die für die Herrschaftsausübung notwendige Entscheidungs- und Organisationskompetenz und trägt die Letztverantwortung für die Kollek­ tivgutproduktion.“339 In seiner bisherigen Geschichte habe der Staat einen jahrhundertelangen Prozess der kontinuierlichen Staatlichkeitsaneignung durchlaufen. Jetzt hingegen befinde er sich erstmalig wieder in einem Prozess des Verlusts von Staatlichkeit durch Internationalisierung und Privatisierung. Dieser berühre zwar in keiner Hinsicht die Letztverantwortung des Staates, jedoch zeige sich der Staatswandel in einer gleichzeitigen Schwächung und Stärkung des Staates. Erstere liege im Kompetenzverlust, letztere in der Steuerung dieses Verlusts und der Kontrolle der neuen Kompetenzträger begründet. Also ergebe sich der nur scheinbar widersinnige Befund einer Reziprozität zwischen fortschreitender Zerfaserung von Staatlichkeit und unverändert zentraler Bedeutung des Staates.340 Alle diese Argumentationen akzentuieren, „dass sich staatliche Aktivitäten eher verändern als auflösen.“341 Durch diese Veränderungen, die häufig auch als Ausdehnung von Staatsaufgaben verstanden werden müssen, wenn schon nicht faktisch, so doch jedenfalls im Sinne der Verantwortlichkeit, ist dennoch ein staatlicher Autoritätsverlust denkbar.342 Auch wenn dies noch nicht die Substitution des Staates bedeutet, sondern nur Symptome einer Komplexitätsüberfrachtung bei diesem zeigt, gelangt die Argumentation hier an eine entscheidende Stelle. Denn dort, wo sich Autoritätsverlust ankündigt, ist prinzipiell die Staatsräson aufgerufen. Entstaatlichung und Staatsverlust sind nicht nur empirische Phänomene, sondern im Globalisierungsprozess natürlich auch häufig normative Postulate. Darin wiederum ist aus der Perspektive einer pragmatischen Staatstheorie nichts anderes zu sehen als eine Form der „paradoxen Staatsräson“.343 Mehr noch, eine stark empirisch-analytisch verfahrende Untersuchung des Staatswandels, deren Kon­ trollmuster immer nur der soignierte Staat in seinem „golden age“344 ist,345 339  Genschel / Zangl

(2007), S. 11. ebd., S. 12–16. 341  Hurrelmann (2008), S. 312. 342  Allerdings greift damit die neuere Literatur zum Staatswandel nur ein älteres Argument auf, das sich so beispielsweise schon bei Walter Eucken findet; vgl. Eucken (1952), S. 327. 343  Anter (2007), S. 249. 344  Hurrelmann (2007). 345  Vgl. Schuppert (2008). 340  Vgl.



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läuft Gefahr, einen entscheidenden Schritt zur „Vollendung des staatstheoretischen Nihilismus“346 zu tun, dessen Charakteristikum seine normative Nichtigkeit ist.347 Deswegen hat es auch nicht an Stimmen gefehlt, die in einem deutlichen Ton der Verteidigung des Staates das Wort geredet haben – wie auch immer der Staat sich wandele, untergehen dürfe er nicht.348 Dies muss auch das Credo einer jeden legitimationstheoretisch avancierten Staatsräson sein und bleiben. Angesichts der erwähnten Nekrologe, die auf den Staat gehalten wurden, erscheint folglich Rüdiger Voigts leichte Abwandlung der traditionellen Formel durchaus sinnvoll, die zu Zeiten der monarchisch organisierten Staatlichkeit der Frühen Neuzeit noch die ver­ bindende dynastische Klammer beschwor: „Der Staat ist tot, es lebe der Staat.“349 Die eigentümliche historische Parallele von Abgesängen auf den Staat und dem Ruf nach globalem Staatsexport im Sinne von „nation building“ mag als weiterer Beleg in diesem Sinne dienen.350 Globalisierungsbedingter Staatswandel kann also auch als Renaissance gelesen werden, als Prozess, der als Folge eine gestärkte einzelstaatliche Handlungsmacht zeitigt. In jedem Fall lässt sich für die letzen beiden Jahrzehnte auch eine Rückkehr des Staates in die einschlägige Forschung konstatieren.351 Die Globalisierung als Prozess der Staatsstärkung zu lesen, heißt aus der Transformationsthese eine der „Selbsttransformation“352 zu machen. Tatsächlich ist dies mindestens ebenso schlüssig wie die herkömmliche Annahme des Staatswandels. Globalisierungsprozesse gehen mindestens ebenso sehr vom Staat selbst aus, wie sie auf ihn einwirken. Gerade im Bereich der ökonomischen Verflechtung wird dies gerne übersehen, die zu einem Gutteil politisch intendiert und damit staatlich initiiert wurde.353 Entsprechend lässt sich das viel beschworene Erpressungspotenzial privater ökonomischer Akteure gegenüber dem Staat, welches unter den Bedingungen eines globalen Wirtschaftsraums zum Tragen käme, nicht in ein staatstheoretisch gehaltvolles Argument überführen, denn dieses Potenzial gilt allenfalls gegenüber dem Staat im Konkreten, nicht aber im Abstrakten: 346  Beyerle

(1997). ebd., S. 186. 348  Vgl. Isensee (2004), S. 4–19; Voigt (2007), S. 38. 349  Voigt (2009), S. 221. 350  Denn nicht erst seit Francis Fukuyamas einschlägiger Monographie, sondern schon lange zuvor spielte das Thema Nation Building respektive State Building eine herausgehobene Rolle; vgl. Eisenstadt / Rokkan (1973); Almond (1988); Fukuyama (2004); Rotberg (2004). 351  Wegweisend in diesem Sinne schon Mitte der 1980er Jahre der von Peter Evans herausgegebene Band; vgl. Evans (1985); Schuppert (1989); Stirk (2006). 352  Höffe (1999), S. 315; Hurrelmann (2008), S. 315. 353  Vgl. Anter (2007), S. 259. 347  Vgl.

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Konzerne können sicherlich von einem Staat in den anderen wechseln. Standortverlagerungen in nicht-staatliche Räume dürften hingegen eine äußerste Rarität darstellen354 – „there is no place for industry.“355 Selbst die dauerhafte und vollständige Wanderung privater Wirtschaftsakteure in Staaten, die beispielsweise noch signifikante Rechtsstaatsdefizite aufweisen, scheint höchst unwahrscheinlich. In der Globalisierung öffnen sich folglich auch neue Räume für die staatliche Exekutive, und zwar stark zuungunsten der staatlichen Legislative, wie Andreas Vasilache darlegt: „Ein differenzierender Blick auf die gewalten­ teilige Architektur des Staates offenbart, dass globalisierte Politik sich als Steigerung exekutiver Macht und Handlungspotenziale zulasten legislativer Organe entfaltet.“356 Wegen des neuzeitlichen Kontraktualismus erscheine eine legitimationstheoretisch vollgültige Durchdringung des außerstaatlichen Raums unmöglich, so dass Außenpolitik notwendigerweise in der Regierungsprärogative verweile. Internationaler Problemlösungsbedarf spiele somit dem exekutiven Drang nach Kompetenzerweiterung in die Hände: „Aus machtanalytischer Perspektive kann die nationale Verwaltung nicht als Globalisierungsverlierer gelten.“357 Allerdings, so räumt auch Andreas Vasilache ein, seien Legislative und Judikative ohnehin mit einer inhärenten Kontroll-Befugnis ausgestattet, die dem regierungstechnischen Machtpleonasmus entgegenwirke.358 Das Thema Staat in der Globalisierung, Staatswandel und Staatsräson verweist schließlich ebenso auf den Komplex aus Partikularismus und Universalismus wie alle anderen Überlegungen, die bis hierhin angestellt wurden. Dies kommt in den verschiedensten Beiträgen zum Ausdruck. Zum Beispiel wie bei Otfried Höffe, der zwar nach wie vor „die entscheidende Bezugsgröße der Rechts- und Staatsphilosophie im partikularen Gemein­wesen“359 sieht, gleichwohl deren relativen Gewichtsverlust kategorisch verstanden wissen 354  Auch Machiavellis bekanntes Argument über den Zusammenhang von militärischer und ökonomischer Potenz findet hier ein spätes Echo: „weil Gold nicht ausreicht, um gute Soldaten zu finden, aber gute Soldaten allemal ausreichen, um Gold zu finden“; Machiavelli (2001), S. 367. 355  Hobbes (1962), S. 113. 356  Vasilache (2009), S. 81. 357  Ebd., S. 89. 358  Vgl. ebd.; als Beispiel für die Stichhaltigkeit von Andreas Vasilaches These lässt sich – wenn auch in der europapolitischen Engführung – das Lissabon-Urteil des Bundesverfassungsgerichts vom 30.06.2009 anführen, in dem nichts anderes als eine partikularstaatliche Existenzrechtsargumentation zur Anwendung kam; Otfried Höffe und Linda Weiss hatten bereits ähnliche Argumentationen wie Andreas Vasilache entwickelt; vgl. Höffe (1996); Weiss (1998). 359  Höffe (1999), S. 14.



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will.360 Oder wie zum Beispiel bei Andreas Vasilache, der den Nexus zwischen systematischer Rechtsbegründung und politikorganisatorischer Grenzerrichtung sowie „die daraus zwingend resultierende Unterscheidung zwischen einem Raum allgemeiner (und sanktionsfähiger) Verbindlichkeit einerseits und einer Sphäre partikularer Entscheidung und Vereinbarung ­ andererseits“361 anspricht. Die universalen Legitimationsgrundlagen des modernen Staates haben dazu beigetragen, den Prozess der Globalisierung zu ermöglichen, dessen Bedeutung sich nun vor allem im Bezug auf die partikularen Einheiten erschließt. Aber wie sich der Staat auch immer wandeln mag, so hat doch die Auseinandersetzung mit den zugehörigen Diskussionen gezeigt, dass es keine empirischen Anhaltspunkte dafür gibt, die normativen Ansprüche der Staatsräson des liberalen Staates aufzugeben. Sie muss nach wie vor ebenso Behauptung einfordern, wie Möglichkeiten der Verringerung von Dilemmata aufzeigen. Welches Klugheitsverständnis sich dazu eignet und auf welche wesentlichen politiktheoretischen Bezugspunkte es sich richten sollte, ist das Thema des nächsten Abschnitts. 2. Räson zwischen Staat, Staatenwelt und Weltstaat Der frühneuzeitliche Prudentialismus und seine kantsche Gegenposition sind zwar bereits behandelt worden, beide sollen aber noch einmal rekapituliert werden. Bei Machiavelli und Hobbes hatte Klugheit die Form einer gedanklichen Technik zur Erfolgskalkulation angenommen. Der Kluge verfügt nicht mehr über Klugheit als Charaktereigenschaft, sondern beweist sich allein in seinem klugen Handeln, welches sich durch reine Selbstbezogenheit auszeichnet. Alle Unterschiede zwischen Maßstab und Messobjekt werden eingeebnet: Klugheit wird nicht auf ein bestimmtes Handlungsproblem angewendet, sondern befolgt allein die Imperative jedes Handlungsproblems, verlässt also nie den praktischen Rahmen. Dadurch aber, dass Probleme immer ein Resultat von Dringlichkeitswahrnehmungen sind, mutiert Klugheit folglich zur Ausnahmebewältigungskompetenz: „Ihre Wirksamkeit ist durch die Dramatik der Grenzsituation geprägt; ihre interne Logik steht im Bann der Selbsterhaltung.“362 Die Klugheit zeigt sich dort am stärksten, wo der geringste Spielraum gegeben ist. Hier, in der Logik der Notlage, zeigt sich die Logik des reinen Partikularismus, der immer schon dann zufrieden sein kann, wenn er nicht vollends scheitert. Vor dem Hintergrund und mit Hilfe dieses ebenso spezifischen wie zugespitzten Verständnisses politischer Klugheit vollzog sich der historische Durchbruch des Staates. Allein, bereits im inter360  Vgl.

ebd.

361  Vasilache 362  Kersting

(2009), S. 82. (2005a), S. 9.

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essendienlichen Egoismus lagen schon die eigentümlich neuzeitlichen Anknüpfungspunkte für die Vorstellung von einer praktischen Vernunft verborgen, wie sie sich dann bei Kant findet. Dazu gehören etwa die für die neuzeitliche Politiktheorie wesentliche Annahme über die individuelle Vernunftfähigkeit oder der legitimationstheoretische Voluntarismus. Allerdings wird bei Kant der Spannungszustand zwischen Theorie und Praxis dann einfach zur anderen Seite hin aufgelöst. In „Über den Gemeinspruch“ wird die Annahme der Hoheit der praktischen Zwänge über die theoretischen Prinzipien als Versuch ebenso egoistischer wie unvernünftiger Neigung desavouiert, auf Kosten der moralischen Pflicht Ad-hoc-Koalitionen mit der Erfahrung zu schmieden.363 Kant ist zwar keinesfalls blind gegenüber den Implikationen der Praxis, aber Politik muss stets im Sinne „ausübender Rechtslehre“364 gedacht werden, bleibt also vollkommen normativ gebunden. Folglich lässt sich auch im Zusammenspiel von Theorie und Praxis keine Mittlerposition für die Klugheit gewinnen – oder in Otfried Höffes Worten: „Kant weiß durchaus, dass die konkrete moralische Handlung aus dem Zusammenspiel von zwei Momenten entsteht. Weil das eigent­ lich Moralische aber nicht im Zusammenspiel liegt, vielmehr ausschließlich bei einem Moment, der erfahrungsunabhängigen Willensbestimmung, sieht er sich zu einer Entmachtung des anderen Moments, der Erfahrung, gezwungen.“365 Und so wie frühneuzeitlicher Prudentialismus und Partikularismus sich einander bedingen, wie die partikulare Logik eine Begleiterin des Staates ist, so bedingen sich aufklärerischer Rationalismus und Universalismus, ist die universale Logik der Vernunft die Kehrseite der Idee der Menschenrechte, welche ihrerseits inzwischen stark das Zwischenstaatliche beeinflusst. Nur unter Inkaufnahme der Einseitigkeit lässt sich an dieser Stelle Partei ergreifen, denn so sehr Partikularismus und Universalismus auch aufeinander verweisen, so sehr bleibt doch ein Zwischenraum der konkreten politischen Entscheidung erhalten. Kersting hat dies zu Recht hervorgehoben: „Dieses sich zwischen universalistischer Moralität und ra­ tionaler Interessenverfolgung aufspannende ethische Zwischenreich wird durch die Vernunftkonzepte der Moralphilosophie und der Rational-choiceTheorie nicht erfasst. Hier waltet eine praktische Vernünftigkeit, die in der modernen praktischen Philosophie sprachlos bleibt.“366 Das Unbehagen an dieser Sprachlosigkeit hat mancherorts zu einer Renaissance aristotelisch-phronetischer Modelle in der Philosophie geführt.367 Kant (1912a). (1912), S. 370. 365  Höffe (2005), S. 305. 366  Kersting (2005a), S. 11. 367  Vgl. Luckner (2005), S. 166–170. 363  Vgl.

364  Kant



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Das aristotelische Klugheitskonzept gleicht, wie gesagt, einer Position, die einen Ausgleich zwischen Theorie und Praxis sucht, indem eine umsetzungskompatible moralische Grunddisposition zur Geltung gebracht werden soll. Handlungstheoretisch wird das Verhältnis von politischer Theorie und Praxis somit nicht zu einer Seite hin entschieden, sondern in einer Haltungsidentität im Sinne antiker Staatskunst aufgehoben. Die bedeutendste Anwendung eines solchen Modells auf einen staatsräsonalen Kontext stellt Wolfgang Schröders Schrift aus dem Jahr 2003 zur „Grundrechtsdemokratie als Raison offener Staaten“368 dar. Einerseits bietet das aristotelische Klugheitsdenken einen sinnvollen Anknüpfungspunkt für ein aktualisiertes Staatsräsonverständnis, dies zeigt sein von Schröder herausgearbeiteter Bedeutungskern. Klugheit ist demnach „ihrer Struktur nach als eine erfahrungsbasierte, weisheitliche Einsicht und Vernünftigkeit zu verstehen, deren besonderes Kennzeichen es ist, auf die Wahrung und Durchsetzung normativer Ziel- und Zweckvorgaben für das Feld der Praxis und besonders der Politik ausgerichtet zu sein.“369 Insbesondere die im Anschluss hieran mögliche Ausstattung des Selbsterhaltungsgedankens mit einem universalen Zug ist begrüßenswert. Andererseits erscheint eine direkte Übertragung auch problematisch. Denn so entsteht sowohl ein nicht zwingendes Differenzierungsbedürfnis zwischen Staats- und Verfassungsräson als auch eine handlungstheoretische Verkürzung. Weil auch der aristotelischen Phronesis der Gedanke einer normativen Selbstwidersprüchlichkeit suspekt ist, dividiert Schröder Staats- und Verfassungsräson auseinander, wonach allein letztere ausschließlich normative Legitimitätsziele für sich beanspruchen dürfe.370 In der Perspektive praktischer Politikwissenschaft, die sich auf gegenwärtige Staatlichkeit richtet, erscheint diese Trennung aber, wie bereits mehrfach betont, nicht erkenntnisförderlich. Mit dem Begriff Staat sind immer schon ausschließlich normative Legitimitätsziele gemeint. Die handlungstheoretische Verkürzung wiederum ergibt sich dann aus der von Schröder – im Sinne echter Phronesis wohl notwendig geforderten – Beschränkung der Verfassungsräson auf „die verfassungspolitischargumentative Zurückweisung von Kompetenzanmaßungen von suprastaat­ licher Seite.“371 Das ist aber ein Partikularismus, der nur abwehrt und nicht handelt. Wie am Beispiel der humanitären Intervention gezeigt werden konnte, offenbart sich die ganze Virulenz aktueller Staatsräson jedoch erst im partikularen Handeln auf universaler Legitimationsgrundlage. Dies führt über das klassische Biotop der Staatsräson, den Selbsterhaltungsnotstand, 368  Schröder

(2003). S. 366. 370  Vgl. ebd., S. 436–437. 371  Ebd., S. 441. 369  Ebd.,

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hinaus. Schließlich lässt sich der phronetischen Argumentation Schröders noch in ihrer Diagnose folgen, wonach der Rekurs auf Staatsräson den Argumentationsnotstand bei moralisch problematischem Staatshandeln sozusagen final abschneidet und somit das Problem vertagt: „Jedoch ist die entsprechende Lösung nur um den Preis zu haben, dass die mit Staatsraison Argumentierenden ein neues politisch-ethisches Problem von großer Brisanz schaffen: Sie führen die Unfähigkeit des Staates vor, bruch- und kompromisslos sittlicher Staat zu sein. Man sieht: Der Rekurs auf Staatsraison im gekennzeichneten Sinn kann einen staatsethischen ‚Argumentationsnotstand‘ nicht wirklich beseitigen, sondern nur verschieben.“372 Immerhin verschieben, lässt sich entgegnen. Zugegeben, damit wird dann der Rahmen klassischer Phronesis-Argumentation verlassen, fordert diese doch irgendeinen ethischen Mehrwert für den Handelnden selbst. Aber bereits die möglichst weitgehende Verschiebung des Problems der sich selbst kompromittierenden Staatsethik stellt einen Wert an sich dar, zumindest einen erkenntnistheoretischen. So wird wenigstens der Ort exakt markiert, bis wohin die Argumentation sinnvollerweise gelangen sollte, von dem aus sich ein Argumentationsfortschritt bestimmen könnte. Das von Kersting beschriebene „ethische Zwischenreich“ lässt sich also auch mit Hilfe der politischen Klugheit der Phronesis nicht abschließend kartographieren. Doch führt ein aktualisiertes Konzept der Phronesis bemerkenswert weit und muss keinesfalls hinter den neuzeitlichen Archetypen der Klugheit, den Reinheitsgeboten der situationsadäquaten Erfolgskalkulation oder der prinzipienbasierten Vernunft zurückstehen. Die grundsätzliche Herausforderung aber bleibt bestehen. Auch die Phronesis hat es mit dem partikularen Universalismus des modernen Staates zu tun und muss „die rechtsmoralischen Vorgaben situationsgerecht zu konkretisieren helfen.“373 Zusätzlich zur normativ begründeten Aufgabe der Selbsterhaltung bedeutet dies die Ermöglichung von legitimationstheoretisch kohärentem Verhalten, und zwar bis in die ärgste Abwägungsproblematik des Grenzfalls hinein, der häufig seinerseits auch erst Widersprüchlichkeiten offenbar werden lässt. Otfried Höffe betont dazu abschließend die Bedeutung der Deliberation für kluges politisches Handeln, aber auch ihre Bedingtheit: „Ein wichtiges Element sind dabei sittlich-politische Diskurse.“374 Sie „entzünden sich an den gesellschaftlichen und politischen Problemen der Zeit und suchen zu ihrer sachgerechten Lösung beizutragen. Dabei stehen sie unter der wichtigen Bedingung der Endlichkeit, einer Knappheitsbedingung: dem Zeitdruck und Handlungszwang.“375 Ohne 372  Ebd.

373  Höffe 374  Ebd., 375  Ebd.

(2005), S. 310. S. 316.



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den Begriff der Staatsräson lässt sich dieser Handlungszwang aber nicht genau lokalisieren. Die Rede von der Staatsräson dient in diesem Sinne also auch dazu, nicht den Offenbarungseid praktischen politischen Denkens leisten zu müssen. Dies geschieht immer dort, wo die theoretische Relevanz des manifesten Handlungszwangs, die notwendige Entscheidungsbezogenheit der Politiktheorie bestritten wird. Darüber liest es sich nach wie vor am Besten in florentinischer Prosa: „Und wo dich zu vielem nicht die Überlegung veranlasst, tut es die Notwendigkeit.“376 Insofern ist es legitim, wenn sich die auf jene Notwendigkeit bezogene Staatsklugheit aus unterschiedlichen Klugheitsbegriffen speist – von kognitiver Gruppenarbeit und erkenntnistheore­ tischem Pluralismus ist hier mehr zu erwarten als von theoretischen Alleinvertretungsansprüchen. Nur, wo liegt eigentlich der Ort, an dem politische Klugheit, Staatsräson, organisatorisch zum Tragen kommt? Im Kontext dieser Arbeit natürlich in der auswärtigen Politik des einzelnen Staates. Politiktheoretisch verweist dies auf zwei weitere Begriffe: Staatenwelt und Weltstaat.377 Dies wiederum markiert einen Unterschied zum Begriff der Weltgesellschaft, der schon seit längerem im Gespräch ist378 und während der letzten beiden Jahrzehnte eine prominente Rolle in der Auseinandersetzung mit internationaler Politik gespielt hat, bisweilen sogar in seiner prononcierten Variante als Gesellschaftswelt.379 Als soziologische Analysekategorie haben derlei Begrifflichkeiten fraglos ihren Sinn, lassen sich doch nur so diverse Globalisierungsphänomene erklären. In der engeren Perspektive normativer Politiktheorie erscheinen Bezugnahmen auf eine Weltgesellschaft dagegen als wenig gehaltvoll. Denn hierbei geht die Grundkategorie des Normativ-Politischen verloren, die Fähigkeit zur Differenzierung. Institutionell gesehen, bedeutet dies die Fähigkeit zur Grenzziehung. Es ist zwar korrekt, „die Staatsgrenzen scheinen sich in einem Prozess der Entzauberung zu befinden.“380 Gleichermaßen gilt jedoch, dass die Frage von Inklusion und Exklusion, von Innen und Außen, nach wie vor eine, wenn nicht die Grundkategorie des Politischen bleibt.381 Mit anderen Worten, Politik kommt nicht ohne „die Ordnung der Grenze“382 aus, die – selbst bei Inrechnungstellung sämtlicher Globalisierungsprozesse – bisher ausschließlich der Staat gewährleisten kann.383 376  Machiavelli

(2001), S. 48. Lutz-Bachmann / Bohman (2002). 378  Vgl. Luhmann (1971). 379  Vgl. Czempiel (1990); Beck (1995); Albert / Steinmetz (2007). 380  Di Fabio (2001), S. 53. 381  Vgl. Agamben (2002), S. 36–38. 382  Anter (2007), S. 259. 383  Vgl. ebd., S. 260. 377  Vgl.

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Wie sehr jedoch diese Tatsache unterschiedliche Positionen herausfordert, haben diverse jüngere Debatten gezeigt. Zum einen dominiert das Grenzproblem – auch in einem erkenntnistheoretischen Sinne – die so genannte Kommunitarismus-Liberalismus-Debatte, also eine der wichtigsten, wenn nicht die wichtigste Debatte der politischen Philosophie der letzten Jahrzehnte.384 Zum anderen zeigt sich selbiges auch im Binnenkosmos der Lehre der internationalen Politik.385 Schließlich lässt sich das Grenzproblem selbst in manchen literarischen Essays nachweisen.386 Jedenfalls gilt es, allerdings jenseits abwegiger Gegensatzkompositionen wie „Weltkrieg oder Weltgesellschaft“387, drei Fragen in politikorganisatorischer Absicht zu beantworten: Erstens, was Staatsklugheit unter Prämissen heutiger Partikularität bedeutet? Zweitens, was dies unter Prämissen aktueller Universalität besagt? Und schließlich, ob es nicht auch hier die genuine Aufgabe zeitgemäßer Staatsklugheit ist, eine vermittelnde Position gegenüber den partikularen und universalen Prämissen zu finden? Die zweite der drei Fragen, diejenige nach dem universal grundierten Verständnis von Staatsräson, dient dabei sinnvollerweise als Ausgangspunkt, weil der heutige politische Universalismus, das Menschenrecht, als Taktgeber der Diskussion fungiert. Seine Aussagen nötigen momentan den Partikularismus des Staates zur Rechtfertigung. Diese theoretische Konstellation ist als Resultat der grundsätzlichen legitimationstheoretischen Dominanz der vernunftrechtlichen Variante des Kontraktualismus zu sehen. Wohlgemerkt, es handelt sich um eine Vorherrschaft in der Theorie. Die vermeintliche Wirklichkeit einer bereits existierenden „cosmopolitan democracy“388 darf an dieser Stelle übergangen werden. Ebenso wenig relevant ist hier die Idee eines „Transnationalstaats“389 oder auch die globale Friedensperspektive der so genannten Theorie des Demokratischen Friedens.390 Der theoretische Prüfstein, den der Universalismus kreiert, ist der Weltstaat, die Kosmopolis. Der Urgrund jeder kosmopolitischen – universalen – Konzeption des Politischen ist eine wie auch immer ausgestaltete, jedenfalls aber bedingungslos-natürliche Gleichheitsannahme. Alle Menschen sind gleich, schon alleine weil sie Menschen sind. Dieser Egalitarismus ist ein sehr alter Gedanke, der sich bis zur antiken Stoa zurückverfolgen Honneth (1994); Höffe (1995b), S. 261–266. Siedschlag (2001); Niedhart (1997). 386  Vgl. Enzensberger (1993). 387  Schumann / Grefe (2008). 388  Held / Archibugi (1995). 389  Beck (2007), S. 183–192; Ulrich Becks Konzeption umgeht jedoch handlungstheoretische Grundfragen. 390  Vgl. Doyle (1983). 384  Vgl. 385  Vgl.



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lässt.391 Andererseits gehört es zum gesicherten Bestand ideenhistorischen Wissens, einen kosmopolitischen Zug der gesamten neuzeitlichen Politiktheorie anzunehmen. Dieser Zug verdichtete sich dann zu einer offensichtlichen und dominanten Tendenz im 18. Jahrhundert.392 Angelpunkt dieser Entwicklung war die anthropologische Prämisse der individuellen Vernunftfähigkeit und ihrer eben spezifisch modernen Funktion als conditio sine qua non einer jeden politischen Legitimationstheorie. Somit begann der neuzeitliche Kontraktualismus. Ausgehend von Hobbes lieferte dieser sowohl ein geschlossenes Legitimationsargument des partikularen Staates als auch gleichzeitig die gedanklichen Instrumente, die höchsteigenen Konsequenzen dieses Arguments, namentlich den zwischenstaatlichen Naturzustand, zu kritisieren. Dieser ideengeschichtliche Vorgang kulminierte in der Philosophie Kants. Cheneval hat dies eingängig zeigen können: „Die moderne politische Philosophie ist supranational und kosmopolitisch, insofern ihre Argumentation auf dem Naturzustandstheorem und gewissen individualistischen Prämissen beruht. Sie ist es also in ihrer kontraktualistischen Tradition. Der kontraktualistische Individualismus erweist sich konsequent zu Ende gedacht als Kosmo­politismus.“393 Kants Konzeption wiederum „hatte zunächst den entscheidenden Vorteil, die kosmopolitischen Implikationen und Konsequenzen der Vertragstheorie offen gelegt und geklärt zu haben.“394 Es ist bemerkenswert, wie stark Partikularismus und Universalismus, Staat und Weltstaat, also eine theoretische Konstellation, die im Wesentlichen bereits im 18. Jahrhundert ausgeformt worden war, auch heute noch die Bahnen der Diskussion vorgeben.395 Was heißt aber heute Weltstaat? Denkbar sind grundsätzlich zwei Varianten von Weltstaatlichkeit. Zum einen lässt sich ein Weltstaat gegen die Einzelstaaten denken, welcher deren Existenz letztlich völlig aufhebt,396 zum anderen lässt sich ein Weltstaat denken, der die Einzelstaaten subsidiär ergänzt.397 Die erstgenannte Variante lässt sich übergehen, da sie im Grunde hinter die historischen Theoriebestände zurückfällt. Bereits Kant hatte schlüssig herausgearbeitet, dass jeder partikulare Staat ein Überlebensrecht gegenüber der universalen Gewalt besitzt.398 Die zweite, subsidiäre Variante, bestimmt folglich die Auseinandersetzung. Der ideengeschichtliche UmKühnhardt (1987), S. 55–60; Thaler (2008), S. 261–262. Cavallar (2005), S. 49–50; Asbach (2002), S. 27–44. 393  Cheneval (2002), S. 31. 394  Ebd., S. 633. 395  Vgl. Cavallar (2005), S. 67. 396  Vgl. Beitz (1979); Pogge (1989). 397  Vgl. Höffe (1999); Jürgen Habermas lässt sich insofern auch hier einordnen, wenn er davon spricht, dass der Nationalstaat „eher aufgehoben statt abgeschafft würde“; Habermas (1997), S. 153. 398  Vgl. Kant (1912), S. 344. 391  Vgl. 392  Vgl.

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schlagplatz der kosmopolitischen Staatstheorie bleibt dabei Kant, was – wie gesagt – an den neuzeitlichen Legitimationsprämissen liegt, oder in den Worten Chenevals: „Der Staat kann nicht legitimiert werden, ohne ihn immer schon in eine universalistische Rechtslogik einzubetten“399, oder in den Worten Ludger Kühnhardts: „Kein Staat der Erde vermag sich heute dem Menschenrechtsthema zu entziehen“400. In diesem Sinne hat Christoph Horn mit Kant, aber gegen dessen konkrete Vorstellung vom „negative[n] Surrogat“401 der Weltrepublik, die normative Begründbarkeit der Weltstaatlichkeit, ja deren normative Überlegenheit gegenüber partikularen Vorstellungen aufgezeigt.402 Da hinsichtlich der Bedingungen der Weltstaatlichkeit eine Art ideengeschichtliches Urheberrecht Kants gilt, beginnen auch aktuelle Beiträge immer wieder mit den Prämissen der kantschen „Rechtslehre“. Das grundsätzliche Argument lässt sich aber auch ohne jede historische Anknüpfung einfach und überzeugend darstellen: Überall dort, wo von Recht gesprochen wird, schließt dies den Anspruch auf die Verwirklichungsmöglichkeit des Rechts ein. Auch die Rede vom Menschenrecht bedeutet also notwendigerweise einen Gewährleistungsanspruch. Unter den Bedingungen der Realität kann dieser aber nur Staatlichkeit bedeuten, weil anders keine allgemeine Rechtsdurchsetzung denkbar ist. Menschenrecht gilt ferner eo ipso für alle Menschen. Also ist allen Individuen die Staatseinrichtung unbedingt aufgetragen: „Exeundum e statu naturali“403 gilt immer, für alle gleichermaßen und für jeden gegenüber jedem anderen. Nun liegt es auf der Hand, dass die Umsetzung eines allgemeinen Gebots unvollständig ist, wenn sie ausschließlich von einer einzelnen Gruppe von Menschen als separate Staatseinrichtung umgesetzt wird. „Legitimerweise kann es somit nur einen einzigen Staat geben, den Weltstaat.“404 Gegen die Schlüssigkeit dieses Arguments lässt sich kein Einwand normativer Politiktheorie denken. Zumindest dort nicht, wo auch nur der kleinste Rest menschenrechtlicher Prämissen existiert. Eine theoretisch konsistente Begründung einer rein partikularen Staatskonzeption ist also nur unter der Bedingung grundsätz­ licher Menschenrechtsnegation möglich, anders nicht.405 399  Cheneval

(2002), S. 37. (1987), S. 381. 401  Kant (1912), S. 357. 402  Vgl. Horn (1996). 403  Das „principio exeundum e statu naturali“ beschreibt im Grunde den Kern neuzeitlichen politischen Denkens überhaupt, findet sich wörtlich an diversen Stellen bei Kant und wird in der aktuellen Literatur immer wieder stellvertretend für den Kontraktualismus insgesamt angeführt. 404  Horn (1996), S. 233. 405  Deswegen gelingt es auch leichthin, aktuellen Partikularisten, etwa Chantal Mouffe, theoretische Inkonsistenz nachzuweisen, weil diese eben letztlich nicht be400  Kühnhardt



V. Staatsräson im Zeitalter der Globalisierung125

Vor diesem Hintergrund hat Otfried Höffe im Jahr 1999 eine umfangreiche Ausarbeitung einer Weltstaatstheorie vorgelegt und damit für eine kraftvolle Revitalisierung des politischen Universalismus gesorgt, dessen Ver­ abschiedung, wenn auch in ganz unterschiedlicher Form, einst den ideen­ geschichtlichen Übergang zum politischen Denken der Neuzeit eingeleitet hatte.406 Die Ergebnisse, zu denen Otfried Höffe im Einzelnen gelangt ist, müssen in diesem Zusammenhang nicht wiedergegeben werden. Wesentlich ist aber zum einen der Gedanke der Subsidiarität, der den programmatischen Ausgangspunkt markiert hatte: „Nachzudenken ist über eine neue Gestalt des Politischen, die den Einzelstaat freilich nicht ersetzt, aber ergänzt.“407 Zum anderen ist es aber fraglos der Gewaltaspekt. Auch die Weltrepublik Otfried Höffes, der ganz im Sinne ihrer minimalistischen Beschränkung auf eine Rahmenordnung allein nur geringste Kompetenzen zugestanden werden, verfügt über den Wesensgehalt aller Staatlichkeit, also „das zwischenstaatliche Gewaltmonopol“ und kommandiert „zu dessen Ausübung einen Machtapparat.“408 Als Zwischenresultat lässt sich folglich festhalten, dass im Rahmen der normativen Politiktheorie der Weltstaat inzwischen einen zentralen Platz einnimmt.409 Damit – und das ist entscheidend – übt er ­einen direkten Rechtfertigungszwang auf jeden Partikularismus aus. Bevor auf die entsprechenden Rechtfertigungsversuche eingegangen wird, lassen sich jedoch die Konturen einer einzelstaatlichen Räson umreißen, welche die universalen Postulate berücksichtigt. Diese kann sicher nicht die einseitige Weltstaatseinrichtung durch einen einmaligen Akt bedeuten. Hingegen bedeutet universale Staatsräson einerseits einen Konservatismus hinsichtlich der partikular bereits existierenden Gewährleistung universaler Güter, das heißt also hinsichtlich des einzelstaatlichen Menschenrechtsschutzes, mithin der Existenz des jeweiligen Einzelstaates. Jenseits dieser normativen Demarreit sind, Menschenrechte explizit auszuschließen, sondern diese doch wieder in ihre Argumentationen aufnehmen; vgl. Thaler (2008), S. 300–324. 406  Vgl. Höffe (1999); in ideengeschichtlicher Perspektive hat Otfried Höffe zuletzt eindringlich zeigen können, wie eng die Verbindung von epistemischem Universalismus und politischem in der Philosophie Kants ist, wie sehr die Erkenntnisdie Staatstheorie bedingt; vgl. Höffe (2009). 407  Höffe (1999), S. 14; entsprechend konstatiert Otfried Höffe auch ein Recht auf Differenz der Staaten, „eine universalistische Befugnis auf Partikularität“; ebd., S. 125. 408  Ebd., S. 353. 409  Im politikwissenschaftlichen Mikrokosmos der Internationalen Politik ist es Alexander Wendt gewesen, der dieser Entwicklung vehement Rechnung getragen hat; allerdings hat ihn die prinzipielle normative Sprachlosigkeit des Konstruktivismus zu einem kuriosen Historismus verleitet; mit geschichtsphilosophisch reichlicher Gewissheit gelingt dann tatsächlich der Blick in die Zukunft: „Why a World State is Inevitable“; Wendt (2003).

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B. Staatsräson – Theoretische Grundlagen

kationslinie bedeutet universale Staatsräson aber, für Verrechtlichung, genauer gesagt, Völkerverrechtlichung überall dort einzutreten, wo es irgend möglich ist. Darüber hinausgehend sind supranationale Institutionalisierungen anzustreben. Kurzum, der einer universalen Staatsräson folgende Partikularstaat wirkt auf sein eigenes juridisches Herabsinken zum Gliedstaat hin. Dabei gibt ein universaler Vernunftbegriff das staatliche Telos vor, dispensiert aber nicht grundsätzlich prudentielle Handlungsweisen. Partikulare Vorstellungen rechtfertigen sich gegenüber dem Weltstaatsmodell mit Hilfe von Einwänden gegen dieses. Die Vielzahl der denkbaren Argumente gegen den institutionalisierten Universalismus lässt sich in rundweg ablehnende und konstruktive einteilen. Erstere verneinen einfach die Möglichkeit des Weltstaats an sich oder diagnostizieren unlösbare praktische Probleme der Einrichtung. Letztere dagegen erkennen die vernunftrechtliche Begründetheit der Weltstaatlichkeit an, halten aber die partikulare Staatenwelt für besser geeignet, um dem normativen Ziel näher zu kommen. Für die ablehnende Haltung lässt sich hauptsächlich anführen, die Voraussetzungen für einen Weltstaat seien nicht gegeben oder könnten auch gar nicht gegeben sein. Es fehle nun einmal die Weltgesellschaft, überhaupt sei ein globaler Demos nicht vorstellbar. Entsprechend könne auch keine planetarische Solidarität angenommen werden. Auch Unregierbarkeit taucht häufig als Einspruch gegen einen globalen Staat auf. Klassisch ist ferner der Hinweis auf die Unüberwindbarkeit der zwischenstaatlichen Anarchie. Als Variante dieses grundsätzlichen Arguments wird außerdem auf die konfliktbezogene Nutzlosigkeit der Weltstaatseinrichtung verwiesen, Weltstaatlichkeit bedeutet demnach allenfalls eine Verschiebung politischer Konflikte vom Zwischen- ins Innerstaatliche, nicht aber deren Beendigung. Auch lässt sich noch der kommunitaristische Einwand anführen, der angesichts der Globalstaatlichkeit eine Einebnung kultureller Identitäten befürchtet.410 Das bei weitem wichtigste der im Grundsatz ablehnenden Gegenargumente findet sich jedoch im Verweis auf die nicht auszuschließende Gefahr der Pervertierung einer jeden politischen Herrschaft. Diese Gefahr wird bereits an prominenter Stelle von Kant diskutiert.411 Allein, alle diese ablehnenden Einwände lassen sich – weltstaatliche Subsidiarität und Vernunftrechtlichkeit vorausgesetzt – in der Theorie schlüssig entkräften. Jedenfalls lässt sich 410  Viele dieser Einwände werden bei den Weltstaatsbefürwortern selbst diskutiert; vgl. Horn (1996), S. 242–251; Höffe (1999), S. 229–418; Höffe (2009), S. 25– 26; Michael Walzer kann als Hauptvertreter des kommunitaristischen Einwands genannt werden; vgl. Walzer (1983); Josef Isensees partikularer Ansatz stellt reichhaltige und gewichtige Weltstaatskritik bereit; vgl. Isensee (2003). 411  Kant (1912), S. 367; eine Variante dieses Arguments zeigt sich in der Weltstaatskritik, die auf die mangelnde Möglichkeit zur Emigration, präziser: Flucht, abstellt; vgl. Boxill (1987).



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nirgendwo in diesen Kritikpunkten ein Gegenargument prinzipieller Qualität entdecken. Die entscheidende Frage, die sich aktuell aus dem Zusammenspiel von Partikularismus und Universalismus ergibt, gründet also auf einem kons­ truktiven Veto gegen den Weltstaat. Es fragt sich, ob nicht das in der Theorie vorhandene vernunftrechtliche Manko des „Pluriversums“412 der Staaten die Möglichkeit eines „Vorzug[s] an Freiheitlichkeit“413 in der Wirklichkeit offen lässt. Dies käme zwar noch nicht einer exakten theoretischen Rehabilitation gleich, könnte aber bedeuten, dass der Partikularismus dennoch „die Legitimationsprobe der praktischen Vernunft besteht.“414 Jedenfalls, so setzt das partikulare Argument ein, sei ein voreiliges Aufweichen von Staatsgrenzen keinesfalls ein Dienst an der Universalität der Menschenrechte. Dies gelte selbst im engen kontinentalen und mit Integrationserfahrung ausgestatteten Kontext Europas.415 Was aber spricht für einen gesteigerten Schutz universaler Rechte durch einen Partikularismus der Gewalten, was für die gegenüber dem Weltstaat gesteigerte menschenrechtliche Gewährleistungsfähigkeit der Staatenwelt? Das konstruktive Gegenargument lässt sich in drei Aspekte auffächern. Erstens lässt sich ein empirischer Einwand der Staatsorganisationsgeschichte gegen die Vorstellung einer subsidiär verfassten Weltstaatlichkeit machen. Die bundesstaatliche Subsidiarität kann nicht nur theoretisch ihre Attraktivität verlieren, sie scheint auch tatsächlich im Laufe der Zeit ihre Kraft einzubüßen. In so gut wie allen hoch entwickelten Bundesstaaten ist auf lange Sicht die Vereinheitlichungstendenz offensichtlich im Vorteil gegenüber dem föderalen Organisationsprinzip. Entscheidungsmacht neigt dazu, sich ständig auf höhere Ebenen zu verlagern, von diesen an sich gezogen zu werden. Auch föderal eingerichtete Staaten verfügen letztlich über die Kompetenz, die Rechte ihrer Gliedstaaten zu beschneiden. Diese Tendenz würde sich im Rahmen der Weltstaatlichkeit nur noch einmal verstärken, da der Weltstaat enorme Gegenkräfte zu bändigen hätte. Zweitens scheint die Staatenwelt einige Vorzüge in pragmatischer Hinsicht zu genießen, wenn der Schutz universaler Rechte ansteht. Vielstaatlichkeit bedeutet Konkurrenz, Gewaltenteilung und ein demokratisches Plus. Konkurrenz und Gewaltenteilung ergeben sich schon aus dem Plural der Staaten. Der demokratische Mehrwert ergibt sich aus dem Umstand, dass auch unter den Bedingungen von Vielheit Einigungen nötig sind, etwa zur Lösung globaler 412  Schmitt 413  Isensee 414  Ebd.

(1963), S. 54. (2003), S. 22.

415  Vgl. Di Fabio (2001), S. 64–66; Schröder (2003), S. 304–305; Anter (2007), S. 260–262.

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B. Staatsräson – Theoretische Grundlagen

Probleme. Der Weg zu einer solchen Einigung zwischen den Staaten kann aber immer nur horizontal erfolgen, da eine oberste Einigungsinstanz fehlt. Schließlich lassen sich für die Staatenwelt auch in theoretischer Hinsicht prinzipielle Vorteile ausmachen. Denn im universalen System erscheint beispielsweise jeder Minderheitenschutz zumindest erschwert, da alle Instanzen zwischen der universellen und individuellen Ebene nur eine Zwischenexistenz fristen. Sie erfüllen eine Funktion der vertikalen Gewaltenteilung, die zwar als solche auch im Weltstaat als legitim anerkannt sein muss, deren exakte Position aber letztlich beliebig erscheinen mag. Außerdem könnte der politische Universalismus die appellative Überschussfunktion der Menschenrechtsidee beeinträchtigen, die gegenüber einer jeden, wie auch immer vollkommenen, positivrechtlichen Fixierung ihre Wirkung entfaltet. Mit anderen Worten: Wo nur noch Vernunft ist, braucht sie keine List mehr. Das ist ihr womöglich nicht zuträglich.416 Analog zur universal orientierten Staatsräson lässt sich in diesem Sinne eine partikulare formulieren. In Frontstellung zu Begrifflichkeiten wie „good governance“, „globaler Zivilgesellschaft“ und dergleichen417 bestärkt sie partikulare Souveränität und lässt Souveränitätsverluste allenfalls dort gelten, wo diese machttaktisch sinnvoll erscheinen.418 Dies bedeutet noch keinen Positivismus, der sich allen universalen Rechtsvorstellungen verschließt. Jedoch fordert die partikulare Staatsklugheit gerade nicht den Schritt vom naturrechtlichen zum staatsrechtlichen Universalismus. Sie konzipiert Staatlichkeit stets im Plural und inkorporiert die Wandlungen des Staates, begrüßt und postuliert diese im Sinne offener Staatlichkeit, wo ihr Änderungen als Bewahrungschancen erscheinen.419 Allein, die einfache Gegenüberstellung unterschiedlicher – wenn auch modernisierter – Bedeutungsvarianten von Staatsräson wäre ein voreiliger Abschluss der Diskussion der theoretischen Grundlagen. Die Frage „Welche Weltordnung: kosmopolitisch oder multipolar?“420 ist zu simpel gestellt. Udo Di Fabio hatte bereits 2001 auf die Notwendigkeit neuer synthetischer Erkenntnisleistungen hingewiesen: „Die klassische Moderne ist zwar nicht ohne Substanz in der Gegenwart, sonst wäre sie nicht klassisch zu nennen, aber sie ist in all ihren scharfen Unterscheidungen konzeptionell überschritten. Wir befinden uns in einer Epoche, die entweder ihren Namen und damit ihren 416  Die genannten drei Aspekte des konstruktiven Gegenarguments finden sich in unterschiedlichen Varianten alle schon bei Josef Isensee; vgl. Isensee (2003), S. 22– 27. 417  Vgl. Mouffe (2007), S. 8. 418  Vgl. Link (2001), S. 61–69; Voigt (2007), S. 320–321. 419  Vgl. Di Fabio (1998), S. 158; vgl. Herberg (2008). 420  Mouffe (2007), S. 118.



V. Staatsräson im Zeitalter der Globalisierung129

Geist noch nicht gefunden oder aber ihren Übergang in einen neuen Ruhezustand noch nicht geschafft hat. Hauptmerkmal des neuen Denkens ist die verstärkte Zulassung von Begriffszuordnungen, die bisher als Widersprüche ausgeschlossen waren.“421 Will man 500 Jahre nach Machiavelli von Staatsräson sprechen, müssen weniger die Unterschiede zwischen Partikularismus und Universalismus in den Blick genommen, als vielmehr ihre Schnittmengen betont werden. Grenzüberschreitungen müssen keine Entgrenzungen bedingen. Dazu kann man von universalem Partikularismus oder partikularem Universalismus sprechen oder einfach vom Staat unserer Zeit, dem liberalen Staat. Der scheinbare Hiatus von Staatenwelt und Weltstaat sollte jedenfalls nicht zu einer Kommunikationsunfähigkeit zwischen Partikularisten und Universalisten führen. Menschenrechte sind als normatives Telos sowohl bei den Verteidigern des Einzelstaates als auch bei den Befürwortern des Weltstaats unumstritten. Es spielt sich vielmehr eine Debatte um die politische Instrumentenwahl ab, wobei die einen allenfalls stärker die Einwände der Klugheit, die anderen die Forderungen der Vernunft unterstreichen. In jedem Fall bleibt weitaus mehr als „der Versuch einer Außenpolitik“422. Denn die Frage, wie sich das rechtsmoralisch Verbindliche mit dem pragmatisch Sinnvollen verbinden lässt, stellt sich stets unmittelbar. Und diese Frage ist im Zwischenstaatlichen jene nach aktueller außenpolitischer Staatsräson! Darauf antworten lässt sich aber nur mit einer praktischen Politikwissenschaft, einer Wissenschaft also, die sich weder ausschließlich auf den normativen Rahmen noch allein auf die Imperative der Empirie konzentriert. In einer theoretischen Konkretisierung bedeutet dies einen partikularen Standpunkt einzunehmen, der jedoch Raum für universale Entwicklungen lässt. Andererseits sollte kein Partikularismus, kein Staat, die eigene Existenz, auch nicht die Existenz des eigenen Willens, fremder Willkür überantworten. Präziser heißt dies: den legitimen Ausgangspunkt jedweder solcher Überantwortung, so sie denn tatsächlich stattfindet, allein bei sich selbst erkennen können. Jede partikulare Entscheidung zu Universalismus muss freiwillig sein. Exakt diese Konstellation lässt sich aber bereits in der theo­ retischen Diskussion beobachten. Etwa dann, wenn der Universalist Otfried Höffe für eine vorsichtige politische Stückwerkstechnik eintritt, um graduelle Rechtsdurchsetzungen im Zwischenstaatlichen zu ermöglichen.423 Oder dann, wenn der Partikularist Josef Isensee die heuristische Bedeutung der Weltstaatlichkeit hervorhebt, um dem faktischen Unrecht im zwischen- und einzelstaatlichen Rahmen entgegenzuwirken.424 421  Di

Fabio (2001), S. 63. (2007), S. 268. 423  Höffe (1999), S. 422–433. 424  Isensee (2003), S. 15. 422  Beck

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B. Staatsräson – Theoretische Grundlagen

Die Doppelnatur des Begriffs der Staatsräson kann sich hier beweisen. Sie inkorporiert die Spannung zwischen Partikularismus und Universalismus, ohne sie gleich nach der einen oder anderen Seite hin aufzulösen. Dort, wo sie der Einrichtung eines globalen Gewaltmonopols mit Skepsis begegnet, bewahrt sie ein Residuum der Unvernunft und schafft damit womöglich gerade erst die Verwirklichungschance für das Vernünftige in der Praxis. Es lohnt also die Erinnerung daran, dass die Wirklichkeit der Staatenwelt den Vergleich mit dem Weltstaat vor allem deswegen immer zuverlässig verliert, da jener bisher nur in Gedanken existiert. Welcher Begriff, wenn nicht derjenige der Staatsräson, böte eine Möglichkeit, das Allgemeine – eben Universale – des Vernünftig-Normativen mit den Notwendigkeiten des Praktischen zu verbinden, mithin zu partikularisieren? Staatsräson ermöglicht den Umgang mit Dilemmata und wehrt der Versuchung, diese einfach zu bestreiten. Jede außenpolitische Konzeption, gerade eine mora­ lische, welche die aktuelle Staatlichkeit nicht als ihren gedanklichen Angelpunkt anerkennt, bleibt in der Praxis unbrauchbar.

VI. Resümee Das Resümee umfasst Zusammenfassung und Ausblick. In der Zusammenfassung werden dabei lediglich die Ergebnisse der bisherigen Kapitel resümiert. Im Ausblick hingegen werden sie auch in ihrer Bedeutung zusammengeführt. Der Ausblick stellt keine Vorankündigung kommender Kapitelinhalte dar, sondern verbleibt im Rahmen von Teil B. der Arbeit. Allerdings stellt er die Grundlage für die Übertragung der theoretischen Ergebnisse aus Teil B. auf die konkrete Diskussion der – hauptsächlich – politikwissenschaftlichen Beiträge in Teil C. dar. Außerdem versucht der Ausblick einige Forschungsfragen aufzuzeigen, die sich an den abstrakten, theoretischen Teil der Arbeit anschließen. Diese Forschungsfragen sind jedoch nicht mehr von direkter Bedeutung für den Teil C. der Arbeit. Sie sollen nur in aller Kürze mögliche Wege für weitere Überlegungen andeuten, die jedoch den vorliegenden Rahmen sprengen würden. Im Wesent­ lichen benennt der Ausblick abschließend den theoretischen Rahmen, der auf die konkreten politikwissenschaftlichen Diskussionen, die sich an die tatsächliche deutsche Außenpolitik anlagern, in Teil C. übertragen wird. 1. Zusammenfassung Am Beginn stand die Staatsräson als Begleiterin und zu großen Teilen als Wegbereiterin der politischen Moderne. Ohne den Begriff der Staatsräson bleibt die erfolgreiche Etablierung des Staates unverständlich. Dementsprechend thematisierte das Kapitel B. II. anhand der Schriften von Machia­velli



VI. Resümee131

und Hobbes die spezifisch neuzeitliche Aufspaltung der Politik in innere und äußere. Mit Blick auf die ideengeschichtlich relevantesten Argumente zur auswärtigen Politik ließ sich die Durchsetzung partikularer Denkmuster gegenüber dem älteren Universalismus aufzeigen. Zur theoretischen Begründung von Außenpolitik tritt Staatsräson bei Machiavelli und Hobbes folglich als gedankliches Instrument der Partikularisierung von Politik auf. An deren Ende stand der historische Staat der Frühen Neuzeit, das frühneuzeitliche Staatsdenken mit seiner charakteristischen Betonung der Differenz von innen und außen. Im Rahmen des Letzteren entwickelten sich, wiederum klar bei den ideengeschichtlichen Klassikern ersichtlich, Annahmen über eine besondere Eigengesetzlichkeit. Diese Eigengesetzlichkeit resultiert in einer außenpolitischen Selbstgesetzlichkeit, womit der frühneuzeitliche Staat nach außen nichts weiter ist, als ein Agent seiner selbst. Außenpolitische Staatsräson steht in diesem Sinne umfassend für Staatserweiterung. Unter den kontingenten Bedingungen der frühneuzeitlichen Staatenwelt bedeutete dies eine Maxime kriegerischer Machtausdehnung. Parallel zu diesem Wandel durchlief der philosophische Grundbegriff der Klugheit eine eigene Transformation. Staatsräson bedeutete also ebenso neuartige Staatsklugheit. Als Umdeutung der mittelalterlichen, in der Antike verwurzelten Klugheitsvorstellung triumphierte ein strenger Konsequenzialismus. So wandelte sich auch die politische Ethik von einer individuellen zu einer institutionellen. Diese neue institutionelle politische Ethik, die konsequenzialistische Staatsklugheit, mündete direkt in die typische Rationalitätsfalle einer taktierenden Ratio. Das außenpolitische Denken war somit in einer aporetischen Situation angekommen. Allein, weder Machiavelli noch Hobbes haben hierin ein Problem gesehen. Ein rein partikular angelegtes Denken muss allerdings auch keine nicht-partikularen Problem­ perspektiven entwickeln. Der naturzustandsidentische Dauerkonflikt, der sich im frühneuzeitlichen Staatensystem zeigt und dort auch konserviert wurde, spiegelt diese Rationalitätsfalle. In der partikularen Perspektive der einzelnen Teile des zeitgenössischen Staatensystems, also der frühneuzeitlichen Staaten, konnte sich jedoch keine außenpolitische Staatsräson entwickeln, die hierin zu vermeidende Opportunitätskosten erblickt hätte. Die mögliche Konfliktvermeidung erscheint unter solchen gedanklichen Voraussetzungen niemals attraktiver als der möglicherweise im Konflikt zu erzielende Gewinn. Offene Gegensätzlichkeit markiert den Endpunkt der außenpolitischen Konzeptionen von Machiavelli und Hobbes. Sie markiert gleichfalls eine erste Etappe in der Historie der Staatlichkeit, die mit deren uneingeschränkter Etablierung abschließt. Legitimation durch Staatsräson bedingt auch hier schon Limitation durch Staatsräson, wobei der rechtfertigende Aspekt des Begriffs und des Konzepts, gerade im Außenpolitischen, eindeutig im Vordergrund stand.

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B. Staatsräson – Theoretische Grundlagen

Der Inhalt von Kapitel B. II. summiert die aus jeder spezifischen Legitimation erwachsenden Limitationen und zeigt diese anhand des außenpolitischen Denkens von Kant. Hier zeigt sich ein neuerlicher Wandel, dem seinerseits eine abermalige Veränderung des politischen Klugheitsverständnisses zugrunde liegt. Während des 18. Jahrhunderts verschoben sich die Koordinaten weg von der partikularen Klugheit und hin zur universalen Vernunft. Erst auf der Grundlage allgemeinverbindlicher, also staatlicher, Herrschaft konnte sich das politische Denken zu einem Rechtsdenken ausformen, das als Menschenrechtsdenken wieder eine überpositive Kategorie der größten Wirkungsmacht einführte. In Bezug auf auswärtige Staatsräson konnte dies nicht folgenlos bleiben. Die partikulare Theorieoption, Konflikt und prinzipielle Rechtsfreiheit im Zwischenstaatlichen nicht nur zuzulassen, sondern politiktheoretisch als unproblematisch zu betrachten, war somit nicht mehr gegeben. Deshalb finden sich bei Kant gänzlich andere außenpolitische Handlungsgebote, als dies noch bei Machiavelli und Hobbes der Fall gewesen war. Außenpolitische Staatsräson wandelt sich so von einer außenpolitischen Siegstrategie, die im Rahmen eines bestehenden Staatensystems konzipiert wird, zu einer Außenpolitik, die den Vorteil nicht mehr innerhalb des Staatensystems sucht, sondern jenseits desselben. Gleichzeitig wird der Vorteil nicht mehr partikular verstanden, sondern in eine universale Pflicht verändert. Wegen des sich anbietenden Analogieschlusses gerät fortan das Zwischenstaatliche in den Fokus des neuzeitlichen politischen Argumentationsmusters schlechthin, nämlich der Naturzustandsüberwindung. Bei Kant wird diese Überlegung bis an ihr Ende geführt, also bis zum Weltstaat. Allerdings würde dies einen Eingriff in die Rechtspersönlichkeit der einzelnen Staaten bedeuten, weswegen Kant schließlich ein institutionelles Surrogat als außenpolitischen Fluchtpunkt ins Auge fasst. Im Sinne dieser universal verankerten außenpolitischen Staatsräson ist die auf Freiwilligkeit beruhende Verrechtlichung des Zwischenstaatlichen, der Staatenbund, das strategische Hauptziel. Im Gegensatz zu Machiavelli und Hobbes wird also eine prinzipielle Limitierung staatlicher Außenpolitik formuliert, deren gedanklicher Wurzelgrund eine normative Aufladung im Bereich der politischen Rationalität darstellt. Gegen die Rationalitätsfalle der tradierten, konsequenzialistischen Staatsklugheit konturiert Kant eine praktische Staatsvernunft, die auf prinzipienbasierten Argumentationsgrundlagen ruht. Als Kernstück von Teil B. der Arbeit lieferte der Exkurs in Kapitel B. III. eine weiterführende Erklärung für die unterschiedlichen Ausformungen des neuzeitlichen außenpolitischen Denkens, die bis dahin aufgezeigt worden waren. Außenpolitische Theorie und damit außenpolitische Staatsräson wurden als abhängige Variablen grundsätzlicher Staatslegitimationstheorie ausgewiesen. In Bezug auf außenpolitische Staatsräson spiegeln die ideengeschichtlichen Eckpunkte, wie sie sich bei Machiavelli und



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Hobbes auf der einen, bei Kant auf der anderen Seite finden, die Axiome der jeweiligen Argumentationen zur Staatseinrichtung. Letztere Argumentationen basieren stets auf universalen Annahmen, sonst würden sie in theoretischer Hinsicht versagen. Andererseits zeitigen sie mit den real existierenden Staaten partikulare Konsequenzen. Das reziproke und spannungsgeladene Verhältnis von Universalismus und Partikularismus konnte somit im Exkurs noch einmal verdeutlicht werden. Im Exkurs zeigte sich in Gänze die heuristische Fruchtbarkeit des Begriffspaars, da sich nur unter gleichzeitiger Betrachtung der beiden Begriffe die unterschiedlichen theoretischen Fäden in einer Hand halten lassen. So ließ sich eine zwar stark rudimentäre, aber theoretisch belastbare Typologie außenpolitischer Staatsräson erstellen. Staatslegitimationstheorie determiniert außenpolitische Staatsräson, so lautet das entscheidende Fazit des Exkurses. Der Exkurs bot also eine abstrakte Zusammenfassung der konkreten ideengeschicht­ lichen Ergebnisse, die bis dahin erarbeitet wurden. Jede Variante des Kontraktualismus produziert ihre eigentümliche außenpolitische Staatsräson, mit dieser theoretischen Einsicht legte der Exkurs das Fundament für die Diskussion der jüngeren theoretischen Grundlagen und ihrer Ausbreitung auf einem Koordinatensystem aus Partikularismus und Universalismus. Damit war jedoch auch bereits das Fundament für die noch ausstehende Untersuchung des Diskurses zu einer konkreten Außenpolitik bereitet, namentlich der deutschen. Der Exkurs stellte damit auch den Angelpunkt der theoretischen Überlegungen in Teil B. dar. Angelpunkt auch deswegen, weil in Kapitel B. IV. der Deutungsrahmen aus Partikularismus und Universalismus zur Anwendung gelangte, selbst aber nicht mehr problematisiert wurde. Gleichfalls jedoch diente die Feststellung der Persistenz partikularer wie universaler Argumentationsmuster in Bezug auf die jüngere politikwissenschaftliche Theorie als Beweis für die Vitalität der Staatsräsondiskussion. Anhand zentraler Lehrstücke bedeutender Denkschulen der Internationalen Politik konnten ideengeschichtliche Muster aufgezeigt werden, die einen direkten Bezug zur einschlägigen Hinterlassenschaft der vorab behandelten Klassiker offenbaren. Mit Hilfe des Begriffspaars aus Partikularismus und Universalismus konnte hier eindeutig der Begründungszusammenhang zwischen Argumenten der Staatslegitimation und Argumenten außenpolitischer Strategie, mithin außenpolitischer Staatsräson, nachgewiesen werden. Während gezeigt werden konnte, dass die ideengeschichtliche Ahnherrschaft im Rahmen des politikwissenschaftlichen Realismus sehr offen zu Tage tritt, ließ sich dies für den politikwissenschaftlichen Idealismus zwar auch darstellen, jedoch mit geringerer Evidenz. Im Ergebnis außer Frage steht jedoch das Grundmuster der partikularen wie universalen Ausrichtung, nach der sich auch die Theorie der Internationalen Politik gruppiert. Dabei fungiert der Begriff des Nationalen Interesses in der zweiten

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B. Staatsräson – Theoretische Grundlagen

Hälfte des 20. Jahrhunderts verstärkt als Ersatzbegriff für außenpolitische Staatsräson im partikularen Sinne, während der Begriff der Interdependenz als ein Beispiel für universale Begriffsschöpfungen angeführt werden konnte. Es ließ sich folglich demonstrieren, dass terminologischer Wandel häufig in ein und demselben Argumentationszusammenhang stattfindet. In Bezug auf qualitative Differenzen der normativen Theorie zum Auswärtigen offenbarten sich hingegen auffällige Konstanten. Dies gilt schließlich auch in Bezug auf den Konstruktivismus in der Internationalen Politik. Es ließ sich herausarbeiten, dass der Konstruktivismus einen – wenn auch nicht so innovativen, wie immer behauptet – wichtigen Beitrag zur Epistemologie der Internationalen Politik im Allgemeinen und in Bezug auf außenpolitische Staatsräson im Besonderen leistet. Aufgrund seiner methodischen Logik verschließt sich der Konstruktivismus aber regelmäßig gegenüber normativen Problemen und neigt dazu, diese sprachphilosophisch aufzulösen, wodurch er sich in Distanz zu einer praktischen Politikwissenschaft bringt. Unabhängig davon bleibt jedoch festzuhalten, wie deutlich sich die grundsätzliche, zu Beginn am Beispiel Machiavellis, Hobbes’ und Kants gezeigte Diskrepanz, aber auch Wechselwirkung der partikular-universalen Problemkonstellation in der jüngeren akademischen Politikwissenschaft zeigen lässt. Die Unabdingbarkeit praktischer Wissenschaft in Bezug auf Politik demonstrierte der Rest des Kapitels B. IV. Unter der Überschrift „Staatsräson und liberaler Staat“ kam die Bedeutung außenpolitischer Staatsräson für das prägnanteste normative Problem der gegenwärtigen internationalen Politik zur Sprache: die humanitäre Intervention. Das Etikett liberaler Staat wurde als Ausdruck der Parallelität von Universalismus und Partikularismus in der Wirklichkeit des heutigen Staates erläutert. Zudem wurde für ein komplementäres Verständnis von Vernunft und Macht plädiert. Der Staat von heute, so lautet das Ergebnis, ist die partikulare Organisation universaler Legitimation. In Bezug auf außenpolitische Staatsräson wurde dieser Befund anhand des theoretischen Problems der humanitären Intervention fruchtbar gemacht. Dabei konnten zum einen die humanitäre Intervention als der Bewährungsort schlechthin für außenpolitische Staatsräson des liberalen, das heißt heutigen, Staates verortet und zum anderen die zulässigen Argumente der Interventionslegitimation und -limitation herausgearbeitet werden. In letzteren kristallisiert sich außenpolitische Staatsräson, die Partikularismus und Universalismus zusammenführt. Demnach besteht eine universale Pflicht zur Intervention, die partikulare Grenzen findet. Nur der Begriff der liberalen außenpolitischen Staatsräson vermag es, diese Ambivalenzen auszudrücken, wenn auch nicht aufzulösen. Es ließ sich allerdings zeigen, dass außenpolitische Staatsräson liberaler Staatlichkeit zumindest ein sehr weitgehendes Vernunftregiment in der Außenpolitik abbildet, ohne dass dies mit einer grundsätzlichen Unachtsamkeit gegenüber Regeln der außenpolitischen



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Klugheit erkauft werden müsste. Gleichzeitig zeigte sich, dass die Politik der humanitären Intervention nur unter Verweis auf die Reziprozität von politischem Universalismus und Partikularismus erklärt und begründet werden kann. Der ursprünglich partikular angelegte Begriff der Staatsräson muss heute aber auch, so lässt sich resümieren, universale Argumente einschließen. Dies geschieht im Rahmen liberaler, außenpolitischer Staatsräson. Im Sinne praktischer Wissenschaft steht sie für den Übergang zwischen politischer Theorie und politischer Praxis. Auch Kapitel B. V. bewegte sich im Rahmen der aktuellen politikwissenschaftlichen Theoriedebatte. Jedoch veränderte sich der Blickwinkel, nicht mehr die punktuelle, möglichst weit in die Tiefe gehende normative Überlegung stand im Zentrum, sondern die in die Breite gehende Vielfalt der politischen Organisationsmöglichkeiten. Dabei wurden sowohl die aktuellen Bedingungen der partikularen Existenz des Staates, also die Globalisierung, in den Fokus genommen als auch die aktuelle Theorie zur endgültig universalen Staatsorganisation, also die Theorie des Weltstaats. Dabei konnte im Hinblick auf die Globalisierungsdiskussion die Unhaltbarkeit der weit verbreiteten These vom Abschied des Staates verdeutlicht werden. Die These sitzt einem Missverständnis auf, das Veränderung mit Ende verwechselt. Dagegen ließen sich mehrere Strömungen in der aktuellen Literatur aufzeigen, welche die Globalisierung als eine Epoche spezifischen Staatswandels erscheinen lassen. Hierin liegt allerdings insofern keine Besonderheit, als dass der geschichtliche Staat sich ständig wandelt. Der derzeitige Wandel des Staates konnte ferner als bedingter Wandel erläutert werden, der von nicht-staatlichen, wenn auch für den Staat bedeutsamen, Faktoren abhängt, beispielsweise einem Wandel ökonomischer Zusammenhänge. Auch wenn sich die These vom Abschied des Staates als unhaltbar erweist, zeigen sich doch Symptome einer Komplexitätsüberfrachtung, die das staatliche Handeln in der Globalisierung beeinträchtigen. Gegen diese wurde der Begriff der Staatsräson in Position gebracht. Als normatives Postulat wendet er sich gegen jede Übertragung deskriptiver Befunde der Staatsschwächung in den Bereich des politisch Wünschbaren. In seiner legitimationstheoretisch avancierten Form konnte darüber hinaus seine Nützlichkeit in einer gegenläufigen Argumentation unterstrichen werden. Denn in der stärker normativ ausgerichteten Globalisierungsliteratur wird auf den Umstand verwiesen, dass der Staat im Rahmen der Globalisierung keinesfalls am Ende Machteinbußen erleiden müsse, sondern sogar das Gegenteil der Fall sein könnte. Hier spielt die limitierende Funktion des Begriffs eine potenziell wichtige Rolle. Schließlich ließ sich andeuten, wie die universalen Legitimationsgrundlagen des partikularen Staates globalisierungsinduzierend wirken, wobei dies jedoch keine Rückwirkungen auf die normativen Forderungen nach einem Miteinander von Partikularismus und Universalismus im Staat hat.

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B. Staatsräson – Theoretische Grundlagen

Im zweiten Teil des Kapitels B. V. wurden dann zu Beginn noch einmal die wesentlichen ideengeschichtlichen Varianten politischer Klugheit respektive Vernunft referiert. Noch einmal wird der Zusammenhang zwischen frühneuzeitlichen Prudentialismus und Partikularismus auf der einen und aufklärerischem Rationalismus und Universalismus auf der anderen Seite betont. Obwohl beide Klugheitsverständnisse im modernen Staat aufeinander verweisen, bieten sie keine endgültig befriedigenden Modelle einer praktischen Vernünftigkeit, die direkt in der Sphäre der politischen Entscheidung wirkt, sondern jeweils eine gewisse Einseitigkeit. Dies hat zuletzt zu einer Wiedergeburt des aristotelischen Klugheitsmodells in der Politikwissenschaft geführt. Nach einer Aufbereitung dieses an der antiken Phronesis orientierten Modells im Rahmen außenpolitischer Staatsräson konnte jedoch gezeigt werden, dass auch hierin keine vollends zufrieden stellende politische Klugheitskonzeption vorliegt. Als Konsequenz aus den jeweils einschränkenden Modellen wurde hingegen nicht für ein Fallenlassen der ideengeschichtlichen Bestände plädiert, sondern zugunsten einer kognitiven Gruppenarbeit. Es erscheint folglich als ein Gebot der Staatsklugheit selbst, sich mithin mehr von erkenntnistheoretischem Pluralismus zu erhoffen als von der Festlegung auf eine bestimmte Idee von Klugheit. Die angestrebte und auf die Praxis gerichtete Vermittlung universaler und partikularer Prämissen lässt auch keine andere Position zu. Die Ergiebigkeit dieser Offenheit demonstrierte die abschließende Argumentation, die sich dem Ort zuwandte, an dem eine wie auch immer bestimmte politische Klugheit zum Tragen kommen soll. Staatsräson wurde in der politikorganisatorischen Trias aus Staat, Staatenwelt und Weltstaat eingebettet. Die erkenntnisleitende Frage lautete dabei, welche Handlungsanleitungen sich aus unterschiedlichen Staatsräsonverständnissen für den einzelnen Staat zwischen Staatenwelt und Weltstaat ergeben. Um zu einer Antwort zu gelangen, wurde probeweise eine universale wie partikulare außenpolitische Staatsräson formuliert. Erstere speist sich aus den Prämissen der Weltstaatstheorie und verfolgt eine konsequente Außenpolitik der Verrechtlichung zur Gewährleistung des universalen Guts schlechthin, des Menschenrechts. Der reale Partikularstaat, der einer universalen außenpolitischen Staatsräson folgt, zielt auf die eigene Herabstufung auf einen Gliedstaat hin, wohlgemerkt jedoch nicht auf einen gänzlichen Verzicht auf die Staatsqualität. Dem ließ sich eine partikulare außenpolitische Staatsräson gegenüberstellen, die Souveränitätsverluste allein dort in Kauf zu nehmen bereit ist, wo sie darin eine Notwendigkeit zu generellem Souveränitätsbehalt erblickt. Somit verwahrt sich die partikulare außenpolitische Staatsräson vor der praktischen Übertragung des menschenrechtlichen Universalismus in einen staatsorganisatorischen. Staatlichkeit erscheint ihr nur im Plural bewahrenswert. An dieser Stelle der Argumentation hat die Arbeit bewusst keine Partei ergriffen,



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sondern für eine Synthese geworben, die Begriffszusammenführungen erlaubt, wo vorher vor allem Gegensätzlichkeiten lokalisiert worden sind. Partikularismus und Universalismus finden heute im Staat zusammen. Das grundsätzliche Finale der Argumentation zu den theoretischen Grundlagen der Staatsräson bildete folglich die Fürsprache für eine außenpolitische Staatsräson, die das rechtsmoralisch Verbindliche mit dem pragmatisch Sinnvollen zu verbinden sucht. Dort, wo dies gelingt, zeigt sich die Moral der Staatsklugheit. 2. Ausblick Im Zentrum der theoretischen Grundlegung stand nicht die Frage nach einer causa causans der Staatsräson, sondern es ging um den Rahmen, in dem sich die Diskussion sinnvollerweise bewegen sollte. Das Ziel konnte insofern erreicht werden, als dass Diskussionstopoi benannt und an ideengeschichtlich erläuterten Beispielen aufgezeigt werden konnte, welche die entscheidenden Bezugspunkte einer heutigen Staatsräsondiskussion bilden sollten. Dieser Ausblick wird die Ergebnisse aus Teil B. noch einmal anhand der Wegmarken Staat, Staatenwelt, Staatsräson und außenpolitische Staatsräson zusammen führen. Damit bewegt er sich dem grundsätzlichen Muster der Arbeit folgend vom Allgemeinen zum Besonderen und bereitet so abschließend den Boden für die Aufbereitung der politikwissenschaft­ lichen Diskussion mit Bezug zur tatsächlichen deutschen Außenpolitik. Ob Henning Ottmann Recht damit hat, die frühneuzeitliche Staatsgenese im Sinne einer Eskalationslogik zu verstehen, „bis nur noch der absolutistische Staat in der Lage ist, den Teufel mit dem Beelzebub auszutreiben,“425 mag dahingestellt bleiben. Unbestreitbar ist hingegen die Dominanz einer Zweck-Mittel-Setzung, die in vielen Facetten der Staatsetablierung zum Ausdruck kam und kommt. Auch wenn zu den ursprünglichen Argumenten der Letztbegründung staatlicher Herrschaft durch die Zeiten weitere hinzugetreten sind – hinzutreten mussten –, so hat sich die Zweck-Mittel-Setzung keineswegs erledigt. Das Lehrstück politischer Anthropologie, das Hobbes im Leviathan präsentiert hat, zeigt ihn ideengeschichtlich als Adepten Machiavellis, politiktheoretisch aber als eigenständigen Klassiker. Denn das Paradoxon der Freiheitserzwingung durch den Staat ist die zentrale Antwort der politischen Neuzeit auf das Ende der vormodernen Grundlagen der Politik, den theoretischen Aristotelismus und seinen praktischen Parochialismus. Oder anders gesprochen: Familien sind deutlich weniger abhängig von Sicherheit als Individuen. Die natürliche Freiheit der letzteren ist ohne Sicherheit Willkür. Das lässt sich im Leviathan nachlesen, wie es sich in 425  Ottmann

(2006), S. 7.

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B. Staatsräson – Theoretische Grundlagen

aktuellen Nachrichtenbildern ansehen lässt – überall dort, wo Strukturen der Staatlichkeit zerfallen oder noch nie vorhanden waren, ist umfassende und erratische Gewalt gewiss. Und zuallererst, weil der Staat letztere vollständig an sich nimmt, sie damit der Systematisierung erst zugänglich macht, ist er unter realen Bedingungen unentbehrlich. Deswegen ist das interessante Thema Staatswandel unter normativen Gesichtspunkten weniger interessant. Der Staat wandelt sich natürlich ständig. Ob sein Wert jedoch zu oder abnimmt, das ist weitaus weniger komplex als seine tatsächliche Gestalt. Denn obwohl der Staat eine Disziplinierungsanstalt ohnegleichen ist, bleibt er ein Diener der Menschen, der sie frei setzt. Alle Bedrohlichkeiten, die vom Staat auch ausgehen, bilden hierzu kein prinzipielles Gegenargument. Denn die Antwort auf die pervertierte Disziplinierungsanstalt, die keinen Unterschied mehr zwischen sich und dem ganzen Leben macht, auf den totalitären Staat also, wird niemals ein NichtStaat sein, sondern ein besserer Staat. Deshalb bleibt es stets von Bedeutung zu verstehen, dass die ideen- und realhistorische Abfolge von Machtstaat und Rechtsstaat in der politischen Wirklichkeit keine logische ist. Hier zeigt sich nicht die Verdrängung der einen Staatsvariante durch eine andere, sondern notwendigerweise ein Nebeneinander: Der Rechtsstaat muss, gerade weil er Rechtsstaat ist, immer auch Machtstaat sein. Nur deswegen ist der Zusammenhang zwischen Staatlichkeit und Menschenrechtsschutz so evident – historisch wie theoretisch. Deswegen verbinden sich im Staat die Partikularität des Politischen und der Universalismus des Rechts. Hier zeigt sich die Signatur der Neuzeit, die zuerst eine partikulare Organisation gegen das Mittelalter setzte, gleichzeitig jedoch ein universales Telos entwickelte. Der Staat ist einerseits aus der Emanzipation vom mittelalterlichen Universalreich entstanden, andererseits ist er ein Agent des neuzeitlich-menschenrechtlichen Universalismus. Es ist somit falsch, in Globalisierung und Staat etwas Gegensätzliches zu sehen. Auch hier wirkt die Überzeugungskraft des menschenrechtlich verankerten Kontraktualismus. Der Staat ist das freiheitsfunktionale Instrument schlechthin, produziert aber in der Praxis notwendig Widersprüche, wenn er die vitale Basis aller Freiheit schützt, indem er Sicherheit herstellt. Es gibt aber unter den Bedingungen der Wirklichkeit keine Alternative zum Staat. Deswegen mündet eine politische Philosophie, die auf erkenntnistheoretischem Kritizismus und unbedingter Verbindlichkeit in der Moraltheorie beruht, wie es bei Kant der Fall ist, in eine reformorientierte Staatstheorie. Eine Politik jenseits der Staatlichkeit ist notwendig die schlechtere Alternative. Die verheißungsvolleren Fragen ergeben sich mit Blick auf das Zusammenspiel von Partikularismus und Universalismus. Was bedeutet es, wenn die Vielheit der Staaten von der Idee des Universalismus immer weiter



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durchdrungen wird? Carl Schmitt hat ein Dilemma konstruiert, entweder „Pluriversum“426 oder „furchtbare Macht“427, das sich im Kern auch schon bei Kant findet.428 Anders als Carl Schmitt hatte Kant aber schon einen möglichen Ausweg gezeigt. Doch nach wie vor ergeben sich aus dem Verhältnis von Staat zu Staatenwelt große Herausforderungen, denn „am Pluriversum reiben sich die Menschenrechte.“429 Das Denken über internationale Politik spiegelt heute die alte Frage nach der Naturzustandsüberwindung. Ein großer Teil der normativen Theorie der internationalen Politik wartet folgerichtig mit Postulaten auf, die den einzelnen Staat transzendieren. Die Antwort auf die Probleme der Staatenwelt liefert in dieser Perspektive der Weltstaat, wenn auch meist in einer rudimentären Variante. Die außenpolitische Aporie des sicherheitsbezogenen Partikularismus provoziert immer neues theoretisches Unbehagen, das sich dementsprechend in der Regel universalistisch äußert. Dieser Dualismus produziert das Spannungsfeld, dessen Kräfte auf die internationale Politik wirken. Er produziert aber auch Paradoxa in der Lehre der internationalen Politik: Kein Autor mit realis­ tischem Selbstverständnis will ein echter Rechtspositivist sein und ein naturrechtliches Menschenrechtsverständnis schlechthin negieren. Gleichzeitig können realistische Autoren nicht die partikulare Position, das heißt die Parteinahme für den einzelnen Staat, preisgeben, weswegen die ja nicht minder auf die Realität zielende Verwirklichungsfrage der Menschenrechte meist ausgeklammert wird. Umgekehrt sind die Autoren, die sich explizit nicht der realistischen Schule zuordnen möchten, auf das universale Programm verwiesen. Dieses muss sich aber erst einmal notwendigerweise in einzelstaatlicher Außenpolitik ausdrücken, was direkt einen sicherheitsproblematischen Effekt haben kann. Deswegen wird auch hier die Rechtsdurchsetzung gerne ausgeklammert, weil sie unabdingbar einzelstaatliche Machtmittel voraussetzt, die sich gegen andere Mächte richten. Vielleicht böte der Abschied von der Idee größtmöglicher Konsistenz politischer Legitimationsmuster im Auswärtigen einen Ausweg. Angesichts der Problemkonstellation, angesichts des offensichtlich widersprüchlichen, aber auch nicht zu trennenden Verhältnisses von Partikularismus und Universalismus, angesichts des Beziehungsgeflechts von Staat, Staatenwelt und Weltstaat erscheint dies sinnvoll. Allerdings würde dies bedeuten, manch gepflegte Grenze zwischen einzelnen Theorieschulen als vermeintliche anzuerkennen. Es würde bedeuten, die Theorie des Auswärtigen endlich als staatstheoretisches Folgeproblem zu begreifen. 426  Schmitt

(1963), S. 54. S. 58. 428  Eingängig beschrieben als ein „Kirchhofe der Freiheit“, Kant (1912), S. 367. 429  Isensee (2003), S. 14. 427  Ebd.,

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B. Staatsräson – Theoretische Grundlagen

Dies wäre eine im Wesentlichen ideengeschichtliche Lektion, denn schon Kant hat die sicherheitsorientierte Staatslegitimation und das zugehörige Modell von Außenpolitik attackiert und mit seinem vernunftrechtlichen Kontraktualismus einen axiomatischen Kontrapunkt gesetzt. Im Gegensatz zum strategischen Kontraktualismus läuft dieser aber theoretisch vermutlich zwingend auf einen Weltstaat hinaus. In der Wirklichkeit der Staatenwelt hat aber nicht ein Modell ein anderes ersetzt, vielmehr haben sich beide Modelle miteinander verschränkt. Partikulare Sicherheitsbeschaffung und Menschenrechtsengagement müssen also nicht gegensätzlich gedacht werden. Der Mangel an theoretischer Kohärenz kann mitunter jedoch für manches Problem fruchtbar gemacht werden, jedenfalls dort, wo das Problem aus der Kombination von partikularer Organisation und normativer Universalität, also der typischen staatlichen Wirklichkeit erwächst. Hier beginnt der Raum aktueller Staatsräson, dort nämlich, wo die universale Idee nicht notwendig abzulehnen, ihre weltstaatliche Ausgestaltung aber aufgrund der Pluralität der Staaten vernünftigerweise weder für heute noch für morgen zu erwarten ist. Wie lassen sich universale Ziele aus einer partikularen Position heraus verfolgen, die selbst nicht aufgeben werden darf, eben weil sie bereits universalen Legitimationsforderungen genügt? Oder in den Worten Wolfgang Kerstings: „Wie lässt sich der wirklichkeitsübersteigende Kosmopolitismus des kontraktualistischen Arguments mit der faktischen Pluralität der Staaten versöhnen?“430 Kersting selbst spricht bei der Beantwortung dieser Frage von einem „Pluralitätsdilemma des Kontraktualismus“431, sieht also keinen theoretisch schlüssigen Ausweg. Unter Preisgabe theoretischer Kohärenz lässt sich jedoch der Dualismus von Partikularismus und Universalismus als Fundament einer Staatsräsondiskussion fruchtbar machen, die zwar um die notwendigen theoretischen Bezugspunkte weiß, sich aber durch dieses Wissen nicht davon ablenken lässt, pragmatische Positionen zu beziehen. Die bedeutendste Frage der normativen Theorie internationaler Politik, ob der zwischenstaatliche Naturzustand dem vorstaatlichen gleicht und gleichermaßen zu überwinden sei, lässt sich nicht ohne weiteres in eine praxistaugliche Antwort überführen. Der Ungleichzeitigkeit, mit der sich Partikularismus und Universalismus in der politischen Wirklichkeit niederschlagen, darf aber nicht mit normativer Sprachlosigkeit begegnet werden. Nachdenken über aktuelle Staatsräson findet sich mithin notwendigerweise in einer Mittlerposition, zwischen Partikularismus und Universalismus, zwischen Praxis und Theorie. Die Rede vom „neuen Mittelalter“ in der internationalen Politik,432 welche die Rück430  Kersting

(2005), S. 214. S. 212. 432  Vgl. Friedrichs (2004), S. 127–145. 431  Ebd.,



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kehr des normativen Universalismus, der neuerlichen Moralisierung von Recht oder der neuerlichen Diskussion um die Gerechtigkeit von Kriegen in einem Bild fassen will, führt jedoch in die Irre. Sie verkennt, dass hier ein moderner Universalismus und Partikularismus sich gegenseitig anziehen und gleichzeitig abstoßen. Dadurch entsteht kein neues Mittelalter, sondern es ergibt sich eine neue Staatsräsonproblematik. Auch im Beziehungsgeflecht aus Staat, Staatenwelt und Weltstaat existieren institutionen- und individualethische Berührungspunkte und Widersprüche. Die Frage, ob neuzeitliche Staatstheorie, die auf individualisierten Legitimationsgrundlagen basiert, notwendig in eine Weltstaatstheorie überführt werden muss, ist dabei noch nicht einmal das eminent praktische Problem. Die politikorganisatorische Frage zeigt eigentlich eine klare Antwortperspektive. Im Rahmen der normativen Theorie behauptet der Weltstaat das Feld, es lassen sich keine prinzipiellen, sondern nur pragmatische Gegengründe anführen. Diese sind jedoch so gewichtig, dass sie einen dominanten Platz in der Praxis einnehmen. Staatsräson muss also darüber sprechen, dass in staatlicher Politik partikulare und universale Komponenten ineinander fließen, ein Staat sowohl seine Sicherheitsinteressen verfolgt als auch Rechtsregime kreiert. Es sind aber die Widersprüche im realen Handeln, die das Thema Staatsräson hell leuchten lassen. Es bleibt fraglich, ob der Dualismus aus Partikularismus und Universalismus mit Blick auf heutige Staatsräson überhaupt aufgelöst werden sollte. Denn mit Blick auf das augenfälligste praktische Problem, nämlich den Einsatz von partikularen Machtmitteln zu universalen Zwecken, erscheint die spannungsreiche Kombination aus Partikularismus und Universalismus sinnvoller als denkbare Alternativen. Konkrete Außenpolitik, um den Übergang von Staatsräson zur außenpolitischen Staatsräson zu vollziehen, speist sich aus einem Motivgemisch, das sich aus staatlichem Machtinteresse und menschenrechtlicher Verantwortung zusammensetzt – dies gilt unbeschadet der Tatsache, dass im demokratischen Legitimationsprozess die universale Komponente hervorgekehrt wird, also etwa das Humanitäre an der militärischen Intervention prominent öffentlich gemacht wird. Insofern kann sich durchaus ergeben, was Kant an anderer Stelle und mit anderer Zielsetzung formuliert hat, was aber doch auch hier einschlägig ist: „wodurch dann ein großer Schritt zur Moralität (obgleich noch nicht moralischer Schritt) getan wird“433. Das Auseinanderfallen von Motiven und Wirkungen in der Praxis lässt sich theoretisch nicht mehr kohärent darstellen. Allerdings kann das Thema außenpolitische Staatsräson als eine mögliche gedankliche Handhabe solcher Widersprüche dienen. Paradoxien müssten demnach nicht als Probleme eigener Qualität betrachtet werden, jedenfalls nicht dort, wo enormer Handlungsdruck besteht. Dies lässt sich anhand 433  Kant

(1912), S. 375.

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B. Staatsräson – Theoretische Grundlagen

des Begriffs der außenpolitischen Staatsräson aufzeigen. Dazu ergeben sich abschließend folgende Überlegungen: Außenpolitische Staatsräson muss heute als ständige Kompromissfindung von Universalismus und Partikularismus gesehen werden. Sie inkorporiert Elemente der Legitimation wie der Limitation. Ideengeschichtlich hält sie gleichermaßen Verbindung zu Argumentationsmustern, die von Machiavelli und Kant geprägt wurden. Dies lässt sich theoretisch zwar nicht kohärent darstellen, wird aber in der Außenpolitik moderner Staaten ständig produziert. Hier zeigt sich deutlich der Konflikt, aber auch der Kompromiss zwischen institutioneller und individueller Moral, zwischen politischer und persönlicher. Das Spannungsfeld von Staat und Menschenrecht lässt sich nicht einfach auflösen. Diese Konstellation ist aber eben nicht per se beklagenswert, wenigstens dann nicht, wenn die Kritik Karl Poppers an dem, was er Historizismus nennt,434 als im Prinzip stichhaltig angenommen wird. Wenn dem so ist, lässt sich die Offenheit politischer Entwicklung in der Geschichte mit Jonathan Haslam resümieren: „The only lesson from history is that change rather than progress is inevitable.“435 Wobei Gleiches auch gegenüber Rückschritten gilt. So ergeben sich mannigfache Gründe, warum außenpolitische Staatsräson in pragmatischer Absicht nützlich ist. Erstens liefert die in ihr enthaltene Balance zwischen universaler Norm und partikularer Organisation eine Spannung, die politischer Entwicklung zuträglich ist. Denn aus dieser Spannung resultiert Vitalität. Universale Prinzipien werden in der politischen Praxis nicht zuletzt durch das Korrektiv partikularer Gegentendenzen lebendig und wertvoll, gleiches gilt umgekehrt. Überall dort, wo Partikularismus oder Universalismus ohne Herausforderungen dominieren, droht die Gefahr realitätsblinder Gesinnungsethik oder realitätsgeblendeten Machtpleonasmus. Zweitens lässt sich so die einfache Staatsapotheose verhindern, die dann in der Tat nurmehr eine Räson kennt, die als „theoretischer Reflex“436 daherkommt. Dies ist jedoch schon bei Carl Schmitt eine unzulässige Vereinfachung gewesen und wird heute nicht besser, wenn zu Staatsräson nur einfällt, dass es sich dabei um ein legitimationsbefreites Herrschaftsdogma handele.437 Außenpolitische Staatsräson hingegen liefert den begrifflichen Brennpunkt normativer Strategien. Zusätzlich zu dem, was Alexander Wendt anführt, ist es nicht nur unerlässlich, internationale Zukunftsprognosen zur Grundlage strategischen Handelns zu machen – „Grand strategies should be Popper (1957). (2002), S. 252. 436  Schmitt (1989), S. 99. 437  Vgl. Wolf (2000). 434  Vgl.

435  Haslam



VI. Resümee143

based on a correct theory of where the world system is going“438 –, sofern dies überhaupt möglich ist, klugheitsbegrenzte Zielanalysen sind mindestens ebenso bedeutsam. So lässt sich drittens die rhetorische Inflation eindämmen, die – allemal im Bereich des Internationalen – universale Prinzipien, sprich: das Menschenrecht, erfasst und diese in immer differenziertere Forderungskataloge umwandelt. Dies unterspült jedoch vor allem das legitimationstheoretische Fundament der Menschenrechte und gefährdet dieses implizit durch Beliebigkeit. In der Außenpolitik einen menschenrechtlichen Minimalismus zu vertreten, ist folglich ein Gebot der Staatsklugheit, damit sich universale Forderungen nicht schon lange vor jeder Durchsetzungschance an den partikularen Realitäten abschleifen. Und ebenso ist es außenpolitische Staatsräson, die den Einsatz partikularer Machtmittel zu universalen Zwecken zum einen ermöglicht und zum anderen so begrenzt, dass er denk- wie durchführbar bleibt. Das Thema der so genannten humanitären Intervention stellt dementsprechend die größte Herausforderung einer normativen Theorie der internationalen Politik dar. Wenn schon nicht auflösen, so kann außenpolitische Staatsräson hierbei doch einige Dilemmata kompensieren. Die „responsibility to protect“, im UN-Rahmen formuliert und proklamiert, gilt auch für die Urheber dieser Verantwortungszuweisung selbst. Gerade der gewaltsame Menschenrechtsschutz bedeutet eine späte Konsequenz aus Machiavellis notorischer Warnung an alle unbewaffneten Propheten. Der Skeptizismus, der hierin zum Ausdruck kommt, sorgt in der Praxis für einen Universalismus des Machbaren, also für einen praktikablen Universalismus, und erweist ihm damit einen Gefallen. Ein klugheitseingeschränkter Universalismus oder umgekehrt ein menschenrechtlich bedingter Partikularismus erscheint mithin als einzig sinnvolle normative Strategievariante. Damit wird zwar die eine oder andere theoretische Aporie konserviert, dies erscheint angesichts der pragmatischen Nützlichkeit eines solchen Konzepts außen­ politischer Staatsräson aber hinnehmbar. Denn die Probleme der internationalen Politik entfalten sich in der Theorie wie in der Praxis zwischen den Obskurantismen des politischen Autismus und der politischen Allzuständigkeit, zwischen unterkomplexem Kommunitarismus und Globalismus. Außenpolitische Staatsräson, so schillernd der Begriff anmutet, formuliert jedoch einen Anspruch aufs Indiskutable und Dringliche. Sie ist im akuten Handeln verankert. Sie findet ihre Entscheidungshilfen nicht in den Möglichkeiten der entrücktesten Zukunft, sondern liefert die eminent praktische politische Konzeption schlechthin. Dazu gehört der partikulare Reflex der Selbsterhaltung: Nichtstaatlichkeit 438  Wendt

(2002), S. 529.

144

B. Staatsräson – Theoretische Grundlagen

ist einfach nicht attraktiver. So fremd die außenpolitische Theorie der Frühen Neuzeit erscheint, mit ihrer enormen Aggressionsbereitschaft, ihrer Machtmaximierung jenseits aller sonstigen Kalküle, so sehr werden doch angesichts grassierender Nichtstaatlichkeit in einer zusammenrückenden Welt ihre Errungenschaften gepriesen, nämlich die Ausschaltung aller nichtstaatlichen Konkurrenten und damit die Herstellung von Öffentlichkeit. Private Gewaltformen – etwa in der Gestalt der notorischen „War Lords“ – bieten dagegen nur normative Leere. Die ursprüngliche Intention der frühneuzeitlichen Staatsräson bietet dagegen auch heute mit ihrer klaren Legitimationsfunktionalität, also der Verknüpfung ihrer eigenen Existenz mit dem Sicherheitsversprechen, zum einen eine normative Grundorientierung. Zum anderen bietet außenpolitische Staatsräson darüber hinausführende Orientierung als partikulare Verwirk­ lichungsform des neuzeitlichen Universalismus. Moderne Staatsräson hat somit eine dreifache Aufgabe, sie muss zum einen den empirischen Staatscharakter beachten, gleichzeitig das normative Ziel nicht aus dem Auge verlieren und schließlich die Geschichtlichkeit des Rahmens begreifen. Dann kann sie die außenpolitische Praxis sowohl gegenüber überspannten Erwartungen als auch gegenüber politischem Fatalismus abschirmen. Außenpolitische Staatsräson setzt sich mithin aus existenziellem Kern und normativem Telos zusammen. Sie ist das pragmatische Resultat aus der Räson des Staates im Allgemeinen und eines bestimmten Staates im Besonderen. Im Rahmen dieser Arbeit müssen also zu den Begriffsinhalten, die sich prinzipiell aus dem Staatsbegriff erklären, jene hinzutreten, die sich aus der Besonderheit der Bundesrepublik Deutschland erklären. Die Auseinandersetzung mit der Diskussion um diese stärker kontingenten Aspekte findet sich im Folgenden.

C. Die außenpolitische Staatsräson der Bundesrepublik Deutschland – Politikwissenschaftlicher Diskurs In Teil C. werden die theoretischen Grundlagen genutzt, um den politikwissenschaftlichen Diskurs über die außenpolitische Staatsräson der Bundesrepublik Deutschland aufzuarbeiten. Die allgemeinen Inhalte kommen in einem besonderen Umfeld zum Tragen, deshalb gliedert sich Teil C. in zwei Übertragungen, die ihrerseits jeweils eine Abstufung hin zum Konkreten bedeuten. Der Schwerpunkt liegt dabei auf politikwissenschaftlichen Beiträgen, die entweder explizit von Staatsräson sprechen, einen der vielen Ersatzbegriffe wie Nationales Interesse verwenden oder die normativen Grundlagen der deutschen Außenpolitik thematisieren. In diesem Rahmen werden anhand bestimmter Diskussionspunkte Konsens und Dissens aufgezeigt sowie abermals mit Hilfe des Begriffspaars aus Partikularismus und Universalismus begründungstheoretisch eingeordnet. Auch im konkreten Bezug auf die deutsche Außenpolitik haben die Argumente der Staatslegitimation direkte Konsequenzen für die pragmatische Theorie und letztlich für die normativen Aussagen innerhalb konkreter außenpolitischer Handlungsfelder. Zuerst stehen jedoch Themen im Fokus, die als grundsätzliche Bezugspunkte einer jeden aktuellen Auseinandersetzung um deutsche Außenpolitik gelten können. Hierbei handelt es sich um Topoi, die Argumentationsmuster strukturieren. Das Ziel von Kapitel C. I. ist es also, den Hintergrund außenpolitischer Diskussionen auszuleuchten. Den Auftakt macht dabei der Traditionsbestand. Auch in der Bonner Republik war die außenpolitische Grundorientierung natürlich Thema – häufig genug als expliziter Streit um die bundesrepublikanische Staatsräson.

I. Erste Übertragung: Allgemeines 1. Außenpolitische Staatsräson vor der Berliner Republik Obwohl die zwischen Neugründung und Rückkehr anzusiedelnde Etablierung der Politikwissenschaft als institutionalisiertem Universitätsfach der Gründung der Bundesrepublik erstaunlich rasch folgte,1 benötigte die wis1  Vgl.

Bleek (2001), S. 265–307.

146

C. Die außenpolitische Staatsräson der Bundesrepublik Deutschland

senschaftliche Durchdringung der neuen deutschen Außenpolitik doch etwas Zeit. Wie auch anders, denn erst einmal gab es gar keine Außenpolitik. Es gab keinen Konsens über außenpolitische Ziele und es gab keinen außen­ politischen Traditionsbestand, der nicht, und sei es alleine schon durch sein Geschichte-Sein, kontaminiert erschienen wäre. Was für das Ganze galt, galt auch für außenpolitische Strategien: „Die Staatsräson der Bundesrepublik hatte zunächst Provisoriumscharakter.“2 Durch die Konstellation des Kalten Krieges änderte sich hieran einiges in bemerkenswerter Geschwindigkeit. Durch eine Reihe kalkulierter, vermeintlicher Souveränitätsverzichte gelang der Regierung Adenauer schrittweise die substantielle Anreicherung der Souveränität der Bundesrepublik. Spätestens durch die Pariser Verträge und den Beitritt zur NATO am 09. Mai 1955 hatte die junge Republik eine kurz zuvor noch unvorstellbare Position gewonnen, die sich trotz aller Einschränkungen in einer zumindest gefühlten Parität gegenüber den westeuropäischen Nachbarn niederschlug. In der günstigen Lage, insgesamt sowohl amerikanischen als auch französischen Interessen entgegen kommen zu können, bildete sich allmählich das außenpolitische Profil des jungen westdeutschen Staates heraus. Neben der transatlantisch ausgedehnten Sicherheits- und Wertegemeinschaft der NATO trugen auch die frühen Schritte zur europäischen Integration dazu bei, dem Profil langsam aber sicher Kontur zu geben. Der schon 1952 erfolgte Zusammenschluss zur EGKS, also der Schaffung eines gemeinsamen Marktes für Kohle und Stahl, zwischen Frankreich, Italien, der Bundesrepublik und den Benelux-Staaten, bildete alsbald das zweite Standbein der bundesrepublikanischen Außenpolitik, das mit den Römischen Verträgen des Jahres 1957, mithin der Einführung eines gemeinsamen westeuropäischen Marktes, nur noch einmal an Bedeutung und Festigkeit gewann. Erste Eigenständigkeit wurde damit durch Eingliederung in den politischen Westen wieder gefunden. Als Spielbein dieser ersten außenpolitischen Phase lässt sich die Deutschlandpolitik benennen, denn hier konnte nicht innerhalb eines Lagers der Bipolarität und letztlich mit der Unterstützung des wohlwollenden Hegemons USA agiert werden. Hier musste ein grenzüberschreitendes Handeln ansetzen, dessen Ziel, die Wiedervereinigung, sich zwar leicht formulieren ließ, dessen Mittel aber keinesfalls so offen auf der Hand lagen wie im Rahmen der Westintegration. Seit 1955 manifestierte sich die deutsche Teilung auch bündnispolitisch. Die Außenpolitik der Bundesrepublik reagierte darauf fürs Erste mit der Hallstein-Doktrin, die bis zum Ende der 1960er Jahre hinein prägend bleiben sollte. An der Doktrin, also dem Versuch, die DDR außenpolitisch dadurch zu isolieren, dass die diplomatischen Kontak2  Hacke

(2003), S. 60.



I. Erste Übertragung: Allgemeines147

te der Bundesrepublik mit denjenigen Staaten abgebrochen werden sollten, die ihrerseits diplomatisch Beziehungen mit der DDR eingingen, zeigt sich wiederum die machtpolitische Leere, die sich hinter dem politisch-legitimatorisch zutreffenden Alleinvertretungsanspruch fand. Denn die Fieberkurve der Hallstein-Doktrin verlief im Wesentlichen entlang der Spannungsschwankungen im Verhältnis der Weltmächte USA und Sowjetunion. Komplettiert durch den Elysée-Vertrag des Jahres 1963, der die deutschfranzösische Zusammenarbeit institutionalisierte und als Freundschaftsmanifest eine hohe Symbolkraft mit sich brachte, hatte sich die Bundesrepublik in ihren ersten beiden Jahrzehnten mit einer Rasanz aus den materiellen und moralischen Trümmern und Verheerungen der Geschichte erhoben, die sich nächstliegend nur durch ihre Unbedeutendheit erklären lässt. Die zwar zunehmend wirtschaftlich prosperierende Republik hatte einerseits international an Reputation zugelegt und sich unter den gegebenen Bedingungen wohl an das Optimum einer souveränen Verfügung über die eigene Außenpolitik angenähert, dennoch ist ihr Charakter als nachgeordneter Funktionsträger im Gefüge des internationalen Systems nicht zu übersehen. Gleichwohl erschien parallel zum einsetzenden Wandel in der Ostpolitik eine erste Studie, die sich selbst als systematischen Beitrag zu einer außenpolitischen Staatsräson der Bundesrepublik Deutschland verstand. Waldemar Besson hatte in seiner 1970 erschienenen Analyse der Außenpolitik der Bundesrepublik einen zeithistorischen Zugang gewählt und sein Buch explizit als Verständnishilfe für das allmähliche Definitivwerden des westdeutschen Provisoriums verstanden: „So wird die Bundesrepublik in zwanzig Jahren ein Staat unter Staaten.“3 Dass Besson Staatsräson zu seinem „Schlüsselbegriff“4 machte, verdeutlicht zum einen den überzeitlichen, klassischen Begriffsgehalt des Wortes. Zum Zweiten bot sich ein Begriff, der nach Staatstechnik klang, in Zeiten nationaler Teilung stark an, weil er Raum ließ, um über Interessen der Deutschen im Westen nachzudenken, ohne das bundesrepublikanische, deutsche Interesse an der Wiedervereinigung zu beschädigen. Als Kind der amerikanischen Politik der Eindämmung ist Besson die Bundesrepublik grundsätzlich erschienen. Dennoch hat er die Republik außenpolitisch schon nicht mehr auf eine einfache Aufgabe reduzieren können und mögen. Im Gegenteil, in offener Emanzipation von der Politik der Ära Adenauer hat das CDU-Mitglied Besson darauf beharrt, dass eine auf Westintegration fixierte Außenpolitik nicht mehr sinnvoll sei. Ohne die Leitlinie 3  Besson (1970), S. 10; schon zwei Jahre zuvor hatte Waldemar Besson die Staatsräsonproblematik der jungen bundesrepublikanischen Außenpolitik in einem Aufsatz umrissen; vgl. Besson (1968). 4  Ebd., S. 13.

148

C. Die außenpolitische Staatsräson der Bundesrepublik Deutschland

der Westorientierung aufzugeben, hat Besson diese um weitere Grundaufgaben bundesrepublikanischer Außenpolitik angereichert: Neben der Partnerschaft mit den USA und der Zusammenarbeit mit den Westeuropäern hat er – ausdrücklich geopolitisch und historisch argumentierend – einen Ausgleich in östlicher Richtung postuliert. Mehr noch, denn zusätzlich sei endlich ein Modus vivendi mit der DDR zu finden, um die deutschlandpolitische Starre aufzubrechen. Seinen Forderungskatalog komplettierte schließlich der Hinweis, dass die Bundesrepublik ihren inzwischen wieder beachtlichen internationalen Akteursstatus nicht ausfüllen würde, sollte sie nicht ein direktes und nennenswertes Interesse an der damals so genannten Dritten Welt entwickeln.5 Hierin erblickte Besson das systematische Fundament der außenpolitischen Staatsräson einer mittleren Macht. Einerseits sei ein Bewusstsein um den Abstand zu den nuklearen Weltmächten zu wahren, andererseits sollte jedoch auch ein eigener „weltpolitischer Anspruch“6 angemeldet werden. Besson nutzte den Begriff der Staatsräson in geradezu archetypischer Manier dazu, eine in seinen Augen rationale außenpolitische Strategie in den Vordergrund zu stellen und gleichzeitig konkurrierende Ideen als irrational zu diskreditieren: Die drohende Irrationalität hat Besson dann in Form von drei Verführungen präsentiert, denen sich die deutsche Außenpolitik unter keinen Umständen hätte ergeben dürfen. Zum einen warnte er vor außen­ politischem Autismus, vor der Sehnsucht nach internationaler Bedeutungslosigkeit, oder um die ebenso abfällige wie eingängige Vokabel Bessons zu gebrauchen, vor „Verschweizerung“7. Dieser Versuchung sei ebenso zu widerstehen wie einem auf das Jahr 1937 schielenden Revisionismus oder einem europäisch angestrichenen Weltmachtsanspruch, der ein Kraftzentrum Europa zwischen den Führungsmächten der Bipolarität imaginierte.8 Mit seiner Studie hatte Besson nicht nur eine erste umfassende Beschreibung der außenpolitischen Anfänge der Bundesrepublik vorgelegt, sondern sein Resümee gleichfalls normativ aufgeladen. Zwar hatte er somit eine systematisierte, außenpolitische Staatsräson der jungen Republik vorgelegt, doch verzichtete er auf ein normatives System. Besson blieb ganz im zeithistorischen Rahmen und gestand der erfolgreichen jungen Geschichte gleichsam eine eingegebene Beweiskraft zu. Eine bis dato geglückte Außenpolitik rechtfertigte sich so durch sich selbst. Eine latente Unzufriedenheit mit der deutschlandpolitischen Perspektivlosigkeit kennzeichnet schon Bessons Untersuchung. Dementsprechend war es 5  Vgl.

ebd., S. 446–454. (1970), S. 457. 7  Ebd., S. 458. 8  Vgl. ebd., S. 458–459. 6  Besson



I. Erste Übertragung: Allgemeines149

bereits in den 1960er Jahren zu einer immer offensichtlicheren Durchlöcherung der Hallstein-Doktrin gekommen, auch wenn sich daran nicht unbedingt eine bessere deutschlandpolitische Erfolgsbilanz anknüpfte.9 Jedenfalls hatte der Handlungsdruck ein Ausmaß erreicht, das letztlich auch den Regierungswechsel 1969 beförderte, der wiederum die so genannte Neue Ostpolitik einleitete. Inzwischen war deutlich geworden, dass der Weg zu Veränderungen im deutsch-deutschen Verhältnis über Moskau führen musste. Ausgehend vom Moskauer Vertrag des Jahres 1970 entwickelte sich eine Vertragspolitik nach Osten, deren wesentliche Etappen der Warschauer Vertrag, der Grundlagenvertrag und 1973 abschließend der Prager Vertrag gewesen sind. Diese bilaterale Politik spiegelte sich in multilateralen Entspannungsbemühungen im Rahmen der Konferenz für Sicherheit und Zusammenarbeit in Europa, die im Jahr der Unterzeichnung des Prager Vertrages ihre Arbeit aufnahm. Dass gleichfalls in diesem Jahr die beiden deutschen Staaten in die Vereinten Nationen aufgenommen wurden, komplettierte die Sichtbarkeit des Wandels in der internationalen Politik wie in der deutschen Außenpolitik. Damit war eine neue Situation entstanden, die Mitte der 1970er Jahre unterschiedliche Reaktionen im Hinblick auch auf die außenpolitische Staatsräson nach sich zog. Überdeutlich wird dies in einem 1975 gehaltenen und ein Jahr später publizierten Vortrag von Ralf Dahrendorf.10 Die sinnfälligerweise im Rahmen der Waldemar-Besson-Gedächtnis-Vorlesungen an der Universität Konstanz gehaltene Rede steht ebenso für Kontinuität wie für Wandel der von Besson gelegten Grundlagen einer Staatsräson, welche die jüngere Außenpolitik sowohl wiedergeben als auch bestärken sollte. Aus der jüngsten Vergangenheit schöpfend und deutlich die zukünftige Richtung anzeigend forderte Dahrendorf: „Die Wiedervereinigung kann nicht sinnvoll als oberstes Ziel der deutschen Politik gedacht werden, auch wenn das Faktum der durch die Teilung verlorenen Geschichte deutsche Politik begleiten und zu einem gewissen Grade bestimmen wird.“11 Auch wenn hierin eine Distanz zu Besson aufschimmert,12 ist Dahrendorfs grundsätzliche Absicht nicht zu verkennen. Sein Bemühen zielte auf prinzipielle Affirmation der von Besson etablierten Zielperspektiven deutscher Außenpolitik. Dies zeigt sich im Allgemeinen wie im Besonderen: Während die Bundesrepublik sich ihrer Rolle als Mittelmacht, zwischen den Nuklearmächten und denen, die keine Mächte sind, stets im Klaren sein müsse, seien gleichzeitig die von Besson ausgegebenen Leitlinien unbestritten. Darüber hinaus pochte Dahrendorf Görtemaker (1999), S. 461–467; Hacke (2003), S. 133–139. Dahrendorf (1976). 11  Ebd., S. 10. 12  Vgl. Besson (1970), S. 455–457. 9  Vgl.

10  Vgl.

150

C. Die außenpolitische Staatsräson der Bundesrepublik Deutschland

jedoch auf eine neue Grundkategorie bundesrepublikanischer Außenpolitik, die bis dahin zwar schon selbstverständlich praktiziert, nicht jedoch genauso selbstverständlich benannt worden war: „die spezifische Mission der Bundesrepublik als mittlerer Macht mit gebrochener Geschichte aber kräftiger staatlicher Existenz und breitem Aktionsspielraum, liegt in der Konzentration auf multilaterale Politik, also auf große internationale Organisationen und Institutionen.“13 Ganz beeinflusst von den politikwissenschaftlichen Trends seiner Zeit und durch seinen Liberalismus bestimmt, forderte Dahrendorf die gesteigerte multilaterale Ausrichtung in der Außenpolitik schließlich als Kern bundesrepublikanischer Staatsräson, ja reduzierte diese schließlich darauf. Über den außenpolitischen Fluchtpunkt der Bundesrepublik Deutschland konnte somit kein Zweifel mehr herrschen; Dahrendorf knüpfte deren glückliche Zukunft in auswärtigen Angelegenheiten vor allem an eine Bedingung, nämlich „wenn sie zu einem sichtbar aktiven Mitglied der europäischen Institutionen, der Vereinten Nationen und ihrer Unterorganisationen, der internationalen Wirtschaftsorganisationen und anderer multilateraler Gremien und Konferenzen wird.“14 Um dann mit aller Deutlichkeit auszusprechen: „Das ist die Staatsräson der Bundesrepublik Deutschland.“15 Im gleichen Jahr, in dem Dahrendorf seinen Vortrag gehalten hatte, war jedoch ein weiterer Aufsatz zum Thema erschienen, und zwar mit einer anderen Gewichtung. Hans-Peter Schwarz konnte bereits Mitte der 1970er Jahre eine allmähliche Geschichtswerdung der massiven Konflikte um die sozialliberale Ostpolitik konstatieren.16 Dies bot ihm Gelegenheit zu neuerlicher Reflexion über die strategischen Grundlagen der bundesrepublikanischen Außenpolitik, die seiner Meinung nach sehr wohl inzwischen auf einen Traditionsbestand blicken könnten, der als Quasi-Staatsräson die ­Außenpolitik präge: „Diese ‚Staatsraison der Bundesrepublik‘ lässt sich mit einiger Vereinfachung und Vorläufigkeit als dauerhafte, alle wesentlichen Ebenen der Politik erfassende Einbindung des westdeutschen Staates in ein komplexes Verbundsystem westlicher Demokratien verstehen. Die Ausgestaltung und Festigung dieser westlichen Binnenbeziehung hat Priorität vor allen anderen außenpolitischen Zielen.“17 Was Besson und Dahrendorf systematisch aufgefächert hatten, wurde somit von Schwarz wieder zusammengefaltet und in einer einzigen außenpolitischen Zielperspektive gebündelt. Bemerkenswert ist ferner der beharrliche Verweis auf die klare Kontinuitätslinie durch Schwarz, die inzwischen 13  Dahrendorf 14  Ebd., 15  Ebd. 16  Vgl.

17  Ebd.,

S. 16.

(1976), S. 13.

Schwarz (1975), S. 307. S. 308.



I. Erste Übertragung: Allgemeines151

fraglos als im Sinne eines historischen Konsenses über alle außenpolitischen Präferenzen zu verstehen sei. Auch jede Spekulation über zukünftige Regierungen und deren Außenpolitiken habe diese Tatsache anzuerkennen: „An der Macht sind immer noch die Gruppen, die an der nunmehr schon Tradition gewordenen Doktrin der Westbindung festhalten. Die ‚Staatsraison der Bundesrepublik‘ hat ein zähes Leben.“18 Schwarz bemühte für seinen Befund deutlich weniger systematische Normativität als etwa Dahrendorf und bewegte sich methodisch somit stärker in dem von Besson abgesteckten Rahmen. Gleichwohl findet sich bei Schwarz weniger Fragendes als bei Besson, die Kontinuität der Westbindung erschien ihm schon weitgehend selbstverständlich. Jedenfalls bedurfte sie in seiner Sichtweise offensichtlich nicht mehr einer eigenen Begründung – ebenfalls eine Parallele zu Besson. Eigentümlich für Schwarz ist dagegen eine andere Facette seiner Anschauung bundesrepublikanischer Staatsräson. Während sich bei Dahrendorf eine Reduktion auf den Multilateralismus findet, nimmt Schwarz zwar zum einen die sozialliberale Ostpolitik aus der tagespolitischen Diskussion heraus, degradiert sie jedoch zugleich zu einer Art außenpolitischer Kür im Vergleich zur Pflicht der adenauerschen Westintegration.19 So prägte er ein exklusives Verständnis von außenpolitischer Staatsräson, das – mit einigem Recht – nach dem denkbaren Konfliktfall strategischer Ziele fragte und diesen durch eine klare Hierarchisierung des Anzustrebenden auflöste, ohne dass dies Ausdruck einer klar ersichtlichen Konstellation in der tatsäch­ lichen Außenpolitik gewesen wäre. Angesichts der europäischen Mittellage der mittleren Macht Bundesrepublik darf es im Rückblick nicht überraschen, dass sich auch die Diskussion um die außenpolitische Staatsräson in west-östlicher Ausrichtung einpendelte. Gleiches galt schließlich für die tatsächliche Außenpolitik, die nach Ende der Regierung Brandt erst einmal in eine sicherheitspolitisch-strategische Konsolidierungsphase eintrat. Außenpolitische Anstrengungen verlagerten sich nach der vollendeten Westintegration und gelungenen Ostaktionen unter Bundeskanzler Helmut Schmidt erst einmal ins Ökonomische. Im Tandem mit Valéry Giscard d’Estaing gelangen bedeutende wirtschaftspolitische Schritte, etwa die Institutionalisierung dessen, was heute unter dem Namen G8 firmiert, oder die Errichtung des Europäischen Währungssystems. Der Schwung der ostpolitischen Vertragswerke blieb hingegen weitgehend wirkungslos, jedenfalls hinsichtlich der erhofften Verbesserungen für die Deutschen in der DDR. Die große unmittelbar sicherheitspolitische Herausforderung zeigte sich erst gegen Ende der 1970er und bedeutete gleichzeitig Selbiges für die Kanzlerschaft Schmidts: der NATO-Doppelbe18  Ebd., 19  Vgl.

S. 337. ebd., S. 309.

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C. Die außenpolitische Staatsräson der Bundesrepublik Deutschland

schluss. Die Implementierung neuartiger Mittelstreckenraketen durch die Sowjetunion stellte die letzte große Herausforderung und Probe des west­ lichen Bündnisses durch die sowjetische Weltmacht dar. Die zweigleisige Taktik der NATO-Staaten desavouierte jedoch schließlich in doppelter Weise die Sowjetunion, da sich letztere nicht nur als rüstungspolitisch intransigent offenbaren musste, sondern auch als militärtechnologisch balancierbar. Am Ende war es ein Leichtes gewesen, die sowjetische Herausforderung zu kontern. Weniger wirkungslos entwickelte sich die außenpolitische Debatte innerhalb der Bundesrepublik. Auch wenn sie nicht ein Ausscheren oder dergleichen aus der westlichen Phalanx zur Folge hatte – hätte haben können –, so zersetzte sie doch die sozialliberale Regierungskoalition. Auch wenn diese schließlich einen anderen Anlass für ihr Ende fand, so kostete diese Debatte Helmut Schmidt die Kanzlerschaft.20 Allerdings demonstrierte die christlich-liberale Koalition unter Helmut Kohl einen besonderen außenpolitischen Kontinuitätswillen, durch HansDietrich Genscher auch personifiziert an der Spitze des Auswärtigen Amtes. So wurde der Doppelbeschluss schließlich durchgesetzt, trotz oder wegen des Regierungswechsels. Gleichwohl tauchte 1982 erstmalig wieder in einer Regierungserklärung der Begriff der Staatsräson auf, verwendet durch Helmut Kohl und gemünzt auf die transatlantische Sicherheitskooperation.21 Alles in allem verstrichen die 1980er Jahre jedoch ohne nennenswerte strategisch-sicherheitspolitische Herausforderungen. Wenig überraschend, wenn auch durch das heutige Wissen suggestiv verstärkt, wirken die gegen Ende der 1980er Jahre erschienenen Beiträge zur außenpolitischen Staatsräson der Bundesrepublik denn auch wie Zwischenfazits einer ersten großen Etappe. Zehn Jahre nach seinem Aufsatz zur außenpolitischen Staatsräson der Bundesrepublik trat Hans-Peter Schwarz dann erneut hervor, indem er eine stark essayistische Monographie über Verhältnis der Bundesrepublik zu außenpolitischer Macht vorgelegte.22 Auch wenn das Buch vor allem als parteinehmender und unmittelbarer, wenn auch sehr gelehrter Beitrag zur zeitgenössischen Debatte zu verstehen ist, finden sich hier grundsätzliche Reflexionen, vor allem aber deutliche Urteile zur bundesrepublikanischen Staatsräson: „Wenn die Bundesrepublik ihren Willen zur Selbstbehauptung zu legitimieren hat, verweist sie stets auf ein Dreifaches […] Kriterien verantwortlicher Machtpolitik sind demnach: die Selbstbehauptung der eigenen freiheitlichen Lebensform, die Erhaltung der westlichen Sicherheits- und Schöllgen (1999), S. 151–160; Hacke (2003), S. 237–240. Deutscher Bundestag, Stenographische Berichte, Bd. 121, S. 7220. 22  Vgl. Schwarz (1985). 20  Vgl. 21  Vgl.



I. Erste Übertragung: Allgemeines153

Integrationsgemeinschaft sowie die Bewahrung internationaler Ordnung (in dieser Reihenfolge).“23 Schwarz schließt noch den Hinweis an, dass hierbei Zielkonflikte auch innerhalb der westlichen Bündnispolitik unvermeidlich seien.24 Mit derlei Anmerkungen begab er sich auf eine Metaebene gegenüber seinem früheren Beitrag, der noch konkrete politische Entscheidungsfragen thematisiert hatte. Schwarz erschien zur Bewahrung der außenpolitischen Staatsräson Bonns offensichtlich nicht mehr die Betonung einer bestimmten außenpolitischen Ausrichtung vonnöten, sondern der Verweis auf grundsätzliche handlungstheoretische Voraussetzungen. Während ihm das wünschenswerte Ziel der bundesrepublikanischen Außenpolitik offenkundig ausreichend verankert erschien, kritisierte er nun die Vergesslichkeit um die Notwendigkeiten von Außenpolitik schlechthin, die Schwarz vorkam wie ein „irrationaler Verzicht auf die mögliche Ordnungsfunktion von Macht“25. Die langen und heftigen Kontroversen um den NATO-Doppelbeschluss und die häufig massierte, in pazifistischer Anmutung auftretende Kritik am Handeln der jeweiligen Bundesregierungen waren Hans-Peter Schwarz schließlich Anlass genug, Folgendes festzuhalten: „Wer sich mit dem Verhältnis der Deutschen zur beunruhigenden Tatsache internationaler Macht befasst, kommt um die resignierte Feststellung nicht herum, dass sie sich anscheinend in extremen Einstellungen am wohlsten fühlen.“26 Ungeachtet der raffinierten Boshaftigkeit, mit der hier stilvollendet Verschiedenes über einen Kamm geschoren wurde, ist aber doch klar, worauf die Argumentation letztlich abzielte. Schwarz markierte einen Mangel, den er als Abkehr von den Denkmustern einer Staatsräson verstanden haben wollte: „Wesentlich in unserem Zusammenhang ist das Resultat: die Idee der Staatsräson selbst ist im gegenwärtigen bundesdeutschen Nachdenken über Außenpolitik weitgehend verblasst.“27 Zu deren außenpolitiktheoretischer Revitalisierung ent­ wickelte Schwarz dann einige Argumente, die jedoch weiter unten Gegenstand sein werden. An dieser Stelle bleibt zunächst festzuhalten, dass Mitte der 1980er Jahre die Bonner Republik hinsichtlich ihrer außenpolitischen Staatsräson nicht mehr darüber stritt, was zu tun gewesen wäre, sondern eher darum, wie man es hätte tun sollen. Der politikwissenschaftliche Diskurs um die außenpolitische Staatsräson der Bundesrepublik Deutschland fand zu Zeiten der Bonner Republik seinen Abschluss in einem 1987 erschienenen Aufsatz von Werner Link.28 Glück23  Ebd.,

S. 162. ebd. 25  Ebd., S. 10. 26  Ebd., S. 107. 27  Ebd., S. 144. 28  Vgl. Link (1987). 24  Vgl.

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C. Die außenpolitische Staatsräson der Bundesrepublik Deutschland

licherweise hatte Werner Link einen im Gegensatz zur älteren Literatur systematischeren Zugang gewählt, der gleichzeitig einen Brückenschlag zwischen den politikwissenschaftlichen Lagern der 1980er Jahre erlauben sollte: „Die folgenden Überlegungen gehen ebenfalls von Meineckes Einsichten aus und versuchen, die Grundannahmen des ‚strukturellen Realismus‘ mit ‚liberalen‘ Fragestellungen Kantscher Prägung zu verbinden.“29 Für Link bedeutete dies eine dreifache Konditionalität der bundesrepublikanischen Außenpolitik, die sich abstrakt aus der innerstaatlichen Struktur, derjenigen des internationalen Systems und den Verständnissen anderer Staaten über ihre jeweils eigene außenpolitische Staatsräson zusammensetzte. Interessanterweise taucht bei Link zum ersten Mal das Existenzrecht Israels als Teil der bundesrepublikanischen Staatsräson auf.30 Ohne einen Schwerpunkt auf die innerstaatlichen Bedingungen der Außenpolitik zu legen, hatte Werner Link – hier ganz dem neorealistischen Programm von Kenneth Waltz folgend – sich stark auf die Wirkungszwänge konzentriert, denen die Außenpolitik der Bundesrepublik aufgrund der internationalen Konstellation ausgesetzt gewesen war. So erklärte sich folglich die Westbindung vor allem „aus der Struktur des internationalen Systems, die durch die bipolare Machtverteilung und durch den strukturellen Weltkonflikt, genannt Ost-West-Konflikt, bestimmt wird.“31 Darüber hinaus setzte Werner Link jedoch noch einen weiteren Akzent. In bewusster Abgrenzung gegenüber den von Hans-Peter Schwarz angestellten Überlegungen prägte Link folgendes eingängiges Resümee zur außenpolitischen Staatsräson der Bundesrepublik. Diese sei zu verstehen als „Westbindung plus Ostverbindungen“32. Beide Elemente erschienen Werner Link komplementär,33 die bei Schwarz vorhandene Privilegierung der Westbindung wurde von Werner Link abgelehnt. Er argumentiert, dass letztlich alle Regierungen der Bonner Republik der grundsätzlichen Orientierung aus Westbindung und Ostverbindung gefolgt sind, wesentlich beeinflusst durch die internationale Konstellation des Kalten Krieges. Aus der Perspektive des Jahres 1987 schien darin eine Art Finalität bundesrepublikanischer Staatsräson entstanden zu sein, die auch zukünftig als normative Vorgabe hätte fungieren sollen. Anzumerken bleibt 29  Ebd.,

S. 400. ebd., S. 405. 31  Ebd., S. 409. 32  Ebd., S. 410; Hervorhebung im Original. 33  Ohne allerdings diese Komplementarität als Ende jeder spezifischen Staatsräsonproblematik zu überhöhen; genau so jedoch rücklickend Edgar Wolfrum: „Erst durch die Neue Ostpolitik Willy Brandts – die die Aussöhnung mit den Staaten Osteuropas anstrebte und eine deutschlandpolitische Entspannung brachte – war die Staatsräson der Bundesrepublik komplett und versöhnte sich die Politik mit der Moral.“ Wolfrum (2006), S. 469. 30  Vgl.



I. Erste Übertragung: Allgemeines155

noch, dass Link hiermit gerade nicht einer Politik der Äquidistanz das Wort reden wollte.34 Innerhalb kürzester Zeit sollten sich dann aufgrund der weltpolitischen Veränderungen um das Jahr 1990 die Bedingungen der Außenpolitik der Bundesrepublik fundamental wandeln. Wesentliche Komponenten der bundesrepublikanischen Staatsräson sollten hingegen fortwirken, so dass Werner Links Rede von der Westbindung bei gleichzeitigen Ostverbindungen auch unter den so grundsätzlich gewandelten Verhältnissen eine gewisse Plausibilität bewahrte. Das Fortwirken der prinzipiellen Aspekte der außenpolitischen Staatsräson der Bonner Republik wird im Folgenden immer wieder aufscheinen, an dieser Stelle bleibt nach der chronologischen und thematischen Übersicht jedoch noch zweierlei zu fragen: Welches Staatsräsonverständnis kommt im entsprechenden Diskurs der Bonner Republik zum Tragen und in welches Verhältnis lässt sich dies zu den Ergebnissen des theoretischen Teils der Arbeit setzen? Zum einen zeigen sich im Staatsräsonverständnis der genannten Autoren noch deutlich die Spuren Meineckes. Bis in die Diktion hinein wird dies ersichtlich, etwa dann, wenn Besson vom „Bewegungsgesetz der Bundes­ republik“35 spricht. Oder, wenn Dahrendorf auf der Suche nach einer bundesrepublikanischen Staatsräson nach „Sinn und Zweck“36 der Bundesrepublik fragte und somit offensichtlich an Friedrich Meineckes EntelechieFormel anknüpft. Ähnliches gilt für Hans-Peter Schwarz, der auf die Überzeitlichkeit bestimmter Problemkomplexe hinwies, und sich mit der Formulierung zur „Antinomie zwischen Sittengebot und Staatsinteresse“37 ebenfalls als genauer Leser Meineckes zu erkennen gibt. Zum anderen verweist der Diskurs um die außenpolitische Staatsräson der Bonner Republik schon auf einige Eigentümlichkeiten gegenüber früheren Staatsräsonverständnissen. So muss etwa die bei Waldemar Besson und Ralf Dahrendorf vorhandene Verknüpfung außenpolitischer Staatsräson mit ihren innenpolitischen Bedingungen als Hinweis darauf angesehen werden, dass die klare Unterscheidbarkeit der außen- und innenpolitischen Sphäre aufgegeben wurde zugunsten einer integrativen und erklärungsstärkeren Perspektive. Besson wollte dies ausdrücklich als Abweichung verstanden wissen, denn die „ältere Literatur“38 habe dies noch anders gesehen. Ebenso Ralf Dahrendorf, der das außenpolitische Interesse eines StaaLink (1987), S. 410–414. (1970), S. 445. 36  Dahrendorf (1976), S. 7. 37  Schwarz (1985), S. 145. 38  Besson (1970), S. 13. 34  Vgl.

35  Besson

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C. Die außenpolitische Staatsräson der Bundesrepublik Deutschland

tes nurmehr aus den „gebündelten Interessen seiner Bürger“39 zu konzipieren vermochte. Oder noch deutlicher, mit klarem normativen Bezug: „Mit anderen Worten: zur äußeren gehört eine innere Staatsräson, zum verantwortlichen Handeln einer mittlere Macht im Konzert der Staaten gehört eine gesellschaftliche und politische Ordnung, die solches Handeln trägt, nämlich eine liberale Ordnung.“40 Weniger normativ, aber über die Deskription zu ähnlichem Ergebnis gelangend hat Link diesen Interpreta­ tionstopos aufgegriffen, als er Ende der 1980er Jahre resümierte: „In Übereinstimmung mit ‚Wesen und Form‘ des Staates zu handeln, heißt dann für den Staat Bundesrepublik Deutschland nichts anderes, als gemäß seiner ‚Republikanität‘ zu handeln. Das entspricht weitgehend der Wertentscheidung des Grundgesetzes.“41 Hans-Peter Schwarz hingegen operierte auf einer höheren Reflexionsstufe und verwies beständig auf theoretische Dilemmata, die weder umgangen noch aufgelöst hätten werden können: „In veränderter Form treten freilich die alten, quälenden Fragen doch wieder auf, die früher als ‚Dämonie der Macht‘, als Antinomie zwischen Sittengebot und Staatsinteresse, als moralische Gebrochenheit auch des verantwortlichen Umgangs mit Macht erkannt und reflektiert worden sind.“42 Noch verstärkt durch die besondere historische Situation der Bonner Republik erschienen Schwarz jedoch jene Reflexionen an ein aporetisches Ende gelangt, das man nur noch konstatieren konnte: „Hier liegen die innersten, übrigens gar nicht auflösbaren Paradoxien bundesdeutscher Außenpolitik.“43 Bemerkenswert ist ferner das ausgeprägte Bewusstsein bei Schwarz, dass sich jede moderne Staatsräson in einem spannungsgeladenen Raum zwischen Universalismus und Partikularismus befindet. Viel stärker als bei allen anderen Autoren, die sich einschlägig äußerten, findet sich bei Hans-Peter Schwarz der Hinweis auf diese spezifische theoretische Problematik, und zwar schon Mitte der 1970er Jahre: „Angesichts der Unmöglichkeit, bereits im Weltmaßstab eine ideale internationale Ordnung zu schaffen, sollen die kosmopolitischen Ziele freiheitlicher westlicher Zivilisation wenigstens im regionalen Rahmen der industriellen Demokratien verwirklicht werden.“44 Er erblickte hierin eine Aufgabe, die in seinen Augen insbesondere der Bonner Republik zukam.45 Auch zehn Jahre später ist es Hans-Peter Schwarz gewesen, der mit seiner 39  Dahrendorf

(1976), S. 8. S. 16. 41  Link (1987), S. 403. 42  Schwarz (1985), S. 145. 43  Ebd., S. 11. 44  Schwarz (1975), S. 308. 45  Vgl. ebd., S. 327. 40  Ebd.,



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Universalismus und Partikularismus inkorporierenden Perspektive eine Sonderstellung innerhalb des Diskurses eingenommen hat. Einmal in der Verbindung partikularer Handlungsmuster mit universalen Zielen, was in Folgendem zum Ausdruck kommt: „Selbstbehauptung der freien Republik setzt eben heute die Einbindung in die Gemeinschaft liberaler Demokratien voraus, sie vollzieht sich aber auch im Bewusstsein einer gewissen Verantwortung für die internationale Ordnung als ganzes.“46 Aber auch mit Blick auf die eigentliche normative Schwierigkeit: „Das Ethos des Staatshandelns ist ein ausdifferenziertes Normensystem, in dem sowohl Selbstsucht wie auch Verantwortung für die internationale Ordnung in einem nie auflösbaren Spannungsverhältnis stehen.“47 Das liegt in der Nähe der Ergebnisse von Teil B. dieser Arbeit, wonach außenpolitische Staatsräson aus einem existenziellen, partikularen Kern und einem normativen, universalen Ziel bestehen muss. Mehr als eine Nähe ist es aber nicht. Die Bonner Republik, die trotz allem in ihrem Selbstverständnis nie die Vorläufigkeit aufgegeben hatte, war nicht der Ort für endgültige Definitionsbemühungen.48 Sie und auch ihre Politikwissenschaft hatten stets ein diplomatisch-revisionistisches Grundverständnis in der Außenpolitik bewahrt. Dies offenbart auch der Konsens,49 den sich die damalige Politikwissenschaft trotz aller Binnendifferenzierungen hinsichtlich der außenpolitischen Staatsräson erarbeitete, und der nicht zu Unrecht von Werner Link mit den Worten „Westbindung plus Ostverbindungen“50 zusammengefasst worden war. Ein traditionsgesättigtes, dennoch offenes Verständnis von Staatsräson war dabei fraglos förderlich gewesen. Das Ausbleiben einer systematischen theoretischen Aufarbeitung des Staatsräsonbegriffs im außenpolitischen Kontext mag hierbei vielleicht sogar hilfreich gewesen sein. Denn so ließ sich der besonderen Situation mitunter besser Rechnung tragen als durch kleinteilige Theoriedebatten, die für die einzigartige Spaltungssituation ohnehin nicht auf Bekanntes hätten zurückgreifen können. Christian Hackes Fazit dieser Besonderheit steht für sich: „Außenpolitische Kompatibilität und innenpolitischer Konsens waren für die alte Bundesrepublik von besonders komplexer Problematik, weil in dem geteilten Land ein permanenter geistiger Spannungszustand zwischen Staatsräson 46  Schwarz

(1985), S. 163. (1985), S. 165; ein Befund, der in der einzigen zeitgenössischen Überblicksdarstellung zu den normativen Grundlagen der bundesrepublikanischen Außenpolitik fehlt; vgl. Schweigler (1985). 48  Vgl. Hacke (1988). 49  Die ebenso sporadische wie heftige Kritik daran wirkt haltlos; vgl. Arndt (1985). 50  Link (1987), S. 410; Hervorhebung im Original. 47  Schwarz

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nach Westen und nationalem Interesse, das nach Osten drängte, ausgependelt werden musste.“51 Daran anknüpfend hat Matthias Peter die Staatsräson der Bonner Republik in zeithistorischer Perspektive als Spagat zwischen gestern und morgen, zwischen Stabilität und Revisionismus gedeutet: So „war daher jede wie auch immer formulierte Staatsräson der Bundesrepublik zum einen rückwärts gewandt, die nationalsozialistische Schreckensherrschaft gewissermaßen im Blick; zum anderen war sie vorwärtsgerichtet auf drei Grundziele der Bonner Politik: die feste Bindung der Bundesrepublik an die westliche Sicherheits- und Wertegemeinschaft, den Aufbau einer europäischen Friedensordnung sowie die Wiederherstellung der staatlichen Einheit.“52 Dem lässt sich nichts mehr hinzufügen. Und in theoretischer Perspektive lassen sich die Spannungen zwischen Universalismus und Partikularismus zwar schon in der Staatsräson der Bonner Republik finden, sie sollten aber noch nicht so bestimmend hervortreten, wie im Folgenden dargestellt wird. 2. Globalisierung und Staatensystem Gerade in dem historischen Moment also, als sich in der Bonner Republik ein außenpolitischer Konsens gebildet hatte, der sowohl auf eine eigene Geschichte als auch auf eine eigene wissenschaftliche Literatur zurückblicken konnte, veränderte sich die Lage grundsätzlich. So grundsätzlich, dass nach Ende des Kalten Krieges und nach der erfolgten Wiedervereinigung eine intellektuelle Atmosphäre der überspannten Erwartungen, voreiligen Prognosen sowie vor allem der Verunsicherung herrschte. Allgemein gesprochen hielt zu Beginn der 1990er Jahre das Neue Einzug in die Publikationslandschaft.53 Der politikwissenschaftliche Diskurs um die Außenpolitik der Berliner Republik hat sich dabei von Anfang an intensiver um bestimmte Topoi gruppiert und ist stärker auf bestimmten Politikfeldern ausgetragen worden als anderswo. Im vorigen Kapitel ist der Traditionsbestand aufgearbeitet worden, der, sei es explizit im Sinne einer bundesrepublikanischen Staatsräson, sei es implizit als strategischer Kompass, den Diskurs strukturiert. Gleiches gilt für die Begriffe Globalisierung und Staatensystem. Sie dienten 51  Hacke (2003), S. 57; die ebenso eigentümliche wie an dieser Stelle mitunter zutreffende Differenzierung zwischen Staatsräson und nationalem Interesse findet sich auch bei Matthias Zimmer; vgl. Zimmer (1992). 52  Peter (2003), S. 120. 53  Vgl. Hacke (1992); Heydrich (1992); Bredow / Jäger (1993); Baring (1994); Kaiser / Maull (1994); Hacke (1994).



I. Erste Übertragung: Allgemeines159

und dienen als Projektionsflächen unterschiedlicher politischer Handlungsanweisungen. Zuerst stellt sich jedoch die Frage, wie Globalisierung und Staatensystem in aller Regel in der Literatur adressiert werden? Ausgehend von Richard Rosecrances prominenter Studie54 über den Aufstieg des Handelsstaates in der internationalen Politik der Moderne herrschte anfänglich ein stark ökonomisch orientiertes Verständnis von Globalisierung vor. Globalisierung, das war die „Weltwirtschaft“55. In diesem Sinne bedeutete Globalisierung insbesondere ein außenwirtschaftspolitisches Phänomen, das mit entsprechend außenwirtschaftspolitischen Mitteln zu bearbeiten sei. Seinen Kulminationspunkt hat dieser Forschungsstrang dann in der einschlägigen Habilitationsschrift von Michael Staack gefunden, die das Modell des Handelsstaates insgesamt auf die deutschen Verhältnisse übertragen hat. Michael Staack schloss seinerzeit mit der These, dass allein dieses Modell ideale Möglichkeiten der Komplexitätsreduktion mit sich brächte, wenn es um die Deutung der deutschen Außenpolitik nach der Wiedervereinigung ginge.56 Deutlich weniger prominent ist jene Interpretation des Globalisierungsbegriffs hervorgetreten, die einen Schwerpunkt auf kulturelle Prozesse der Grenzüberschreitung legt. Vor allem Ernst-Otto ­Czempiel hat immer wieder dieses Interpretationsmotiv bemüht57 und die Vorstellung einer „Gesellschaftswelt“58 betont. Darüber hinaus lässt sich feststellen, dass der Begriff der Globalisierung seinen Durchbruch in der Außenpolitikforschung insbesondere in den letzten zehn Jahren erfahren hat und aus jüngeren Publikationen nicht mehr wegzudenken ist.59 In vielerlei Hinsicht ist das Staatensystem, oder die Staatenwelt, der entscheidende Gegensatz-, aber auch Komplementärbegriff zur Globalisierung.60 So wie Globalisierung hauptsächlich in ökonomischen Kategorien erfasst wird, so wird das Staatensystem hauptsächlich in sicherheitspolitischen, und das heißt im engeren Sinne militärischen, Kategorien erfasst. Entscheidend ist dabei die Kategorie der Polarität, die als zentrales Ordnungsmuster des Staatensystems herangezogen wird. Bei der Analyse des internationalen Systems gilt entsprechend Folgendes: „Dominierend ist dabei die Ausprägung der Polarität im internationalen System, wobei hierunter verstanden wird, welche Zahl von Staaten (in diesem Fall von GroßmächRosecrance (1986). (1996), S. 63. 56  Vgl. Staack (2000), S. 542. 57  Vgl. Czempiel (1990); Czempiel (2000). 58  Czempiel (1994), S. 36. 59  Das zeigt exemplarisch die jüngere Einführungsliteratur; vgl. Hellmann (2006); Bredow (2008). 60  Vgl. Tomuschat (1994); Link (2000); Hacke (2001); Jäger / Beckmann (2007). 54  Vgl.

55  Ragnitz

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ten) als Ordnungsmächte wirken.“61 So galt es auch schon vor der Zeitenwende von 1989 und 1990, also im Zeitalter der Bipolarität, und selbiges lässt sich selbstverständlich in Publikationen zu Beginn der 1990er Jahre aufzeigen.62 Jedenfalls haben die politikwissenschaftlichen Autoren, die vom Staatensystem oder der Staatenwelt sprechen, hauptsächlich militärische Vergleichsmuster im Sinn, die zu bestimmten Polaritätskonstellationen führen, denen Rechnung zu tragen sei.63 Grundsätzlich wird also die Globalisierung in wirtschaftspolitischer und das Staatensystem in verteidigungspolitischer Perspektive adressiert. Plausibel ist dies, weil die Globalisierung zuerst als ökonomisches Phänomen wahrgenommen wurde und die hergebrachte Begrifflichkeit vom Staatensystem stets eng mit der souveränen staatlichen Selbstbestimmung verknüpft gewesen ist, die ihren wesentlichen Ausdruck über Jahrhunderte im eigenständigen militärischen Handeln gefunden hatte. Allerdings haben die Anschläge am 11. September 2001 und die nachfolgende Intervention in Afghanistan das Bewusstsein für die prinzipielle – und eben auch sicherheitspolitische – Verdichtung gestärkt, die mit der Globalisierung einhergeht. Ebenso liegt inzwischen eine Reihe von Untersuchungen vor, die die Verbindungen von nicht-staatlichen Konflikten mit geringer Gewaltintensität aber langer Dauer und einer weltweiten ökonomischen Interdependenz thematisieren.64 Umgekehrt lässt sich jedoch auch registrieren, etwa wenn mit Blick auf die Globalisierung die deutsche Außenpolitik unter militärtechnischen Gesichtspunkten befragt wird: „Für die deutsche Außenpolitik allerdings stellt sich das Problem, Anschluss an die militärtechnologischen Entwicklungen zu halten.“65 Globalisierung und Staatensystem sind mithin die beiden wichtigsten grundlegenden Bezugspunkte der außenpolitischen Diskussion in Deutschland, wenn nach den internationalen Bedingungen der Außenpolitik gefragt wird. Dies zeigt ihre kontinuierliche Verwendung genauso wie ihr Bedeutungswandel angesichts einer sich verändernden internationalen Umwelt. Dabei sind beide Begriffe mehr als interpretatorische Szenerie, denn an sie knüpfen sich konkrete Postulate, die im Kernbereich der außenpolitischen Staatsräson Deutschlands anzusiedeln sind. Spätestens zur Jahrtausendwende ist in diesem Sinne der außenpolitische Globalisierungsdiskurs in eine entschieden offensive Forderungsdiskussion übergegangen. Jüngere Publikationen postulieren in aller Regel eine offensive Außenwirtschaftspolitik, die sich an den ökonomischen Interessen der 61  Ebd.,

S. 20. Krause (1996), S. 82–84. 63  Vgl. Piazolo (2006). 64  Vgl. Münkler (2002). 65  Jäger / Beckmann (2007), S. 25–26. 62  Vgl.



I. Erste Übertragung: Allgemeines161

Bundesrepublik zu orientieren habe.66 In die gleiche Richtung zielen Beiträge, die eine Verbesserung der handelspolitischen Situation Deutschlands anmahnen und der strategischen Planung dienliche institutionelle Veränderungen einfordern.67 Dies wird keinesfalls nur mit Nützlichkeitsargumenten begründet, sondern ebenso mit inhaltlich stärker normativ angereicherten Überlegungen, die eine wachstumsfreundliche deutsche Außenpolitik einfordern: „Hierbei hat die Bundesregierung angesichts des großen Gewichts der deutschen Volkswirtschaft in der Europäischen Union und darüber hinaus eine besondere Verantwortung.“68 Insbesondere dort, wo die Globalisierung unter rein wirtschaftlichen Gesichtspunkten diskutiert wird, ergeben sich ganze Empfehlungskataloge. Stefan Schirms einschlägiger Beitrag kann zur Veranschaulichung herangezogen werden. Von Arbeitsmarktflexibilisierungen über eine Verlagerung der Investitionsfelder weg von ressourcenintensiven Industrien, wie etwa Kohle und Stahl, hin zur Bildung und bis zu einer Kombination aus verbessertem Management der Finanzmärkte und gleichzeitiger Handelsliberalisierung, so liest sich die Aufgabenliste für die Bundesregierung.69 Die nahe liegende Erklärung für die relative Eindeutigkeit und Unbefangenheit, mit welcher die ökonomischen Vorgaben für die Außenpolitik formuliert werden, lässt sich bei Michael Staack finden. Demnach sei die Außenpolitik der Berliner Republik wesentlich vom Fortwirken außenpolitischer Grundmuster geprägt, die sich während der Zeit vor der Wiedervereinigung eingeschliffen hätten.70 Dies stimmt sicherlich mit den Befunden des vorigen Unterkapitels überein. Bemerkenswert ist aber die Beobachtung, dass die ökonomisch inspirierten Autoren offensichtlich weniger Probleme haben, eine reduktionistische Strategiediskussion zu führen und dementsprechend besonders klare Vorgaben für das Regierungshandeln liefern. Bei einer so stark exportorientierten Volkswirtschaft wie der deutschen verwundert es schließlich nicht, wenn sich ein Konsens über das Erstrebenswerte ebenso schnell wie deutlich abzeichnet. Auch wenn Autoren, bei denen der Begriff vom Staatensystem die Position einnimmt, die in der ökonomischen Lesart der Globalisierung zukommt, eine ähnliche Hierarchisierung der Ziele vornehmen können – Sicherheit wäre das Äquivalent zu Wohlfahrt – so stellen sich doch andere Probleme. Unter diesen Problemen ist nicht nur die im Gegensatz zu Wohlfahrt schwierigere empirische Messbarkeit von Sicherheit bedeutsam. Ferner Sturm (2005); Schultes (2007). Falke (2007), S. 303–307. 68  Donges (2007), S. 280. 69  Vgl. Schirm (2005), S. 145–149; ähnlich konkret bei Joachim Ragnitz; vgl. Ragnitz (1996), S. 75. 70  Vgl. Staack (2000), S. 52. 66  Vgl. 67  Vgl.

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trennt ebenso stark die unterschiedliche Auffassung dessen, was unter internationalem System zu subsumieren sei. Auf der einen Seite wird die Interdependenz betont. Die deutsche Außenpolitik solle ein Augenmerk auf Verregelung des Internationalen legen, die wechselseitigen Abhängigkeiten seien inzwischen unauflösbar, einseitiges abweichendes Verhalten brächte nur Kosten mit sich.71 Auf der anderen Seite steht das traditionelle Verständnis, das aus Strukturbedingungen des internationalen Systems sicherheitspolitische Imperative herleitet. Dementsprechend wird häufig der Bedarf an Führungsstärke betont, dem die deutsche Außenpolitik begegnen müsse. Dies zeigt sich etwa bei Joachim Krause: „Von daher ist gestaltende Sicherheits- und Verteidigungspolitik ein Muss deutscher Außenpolitik.“72 Hans-Peter Schwarz war einer der Protagonisten gewesen, der immer wieder zeigte, in welchen konkreten politischen Strategien eine gestaltende Außenpolitik im Staatensystem vorstellbar gewesen wäre: „Dass dies eine neue, überlegte Form der Gleichgewichtspolitik in der EU und im gesamten europäischen Staatensystem erfordert, ist jedoch den Deutschen noch nicht richtig ins Bewusstsein gedrungen.“73 Angesichts sich verändernder sicherheitspolitischer Bedrohungsmuster bei gleichzeitig weiter bestehender sicherheitspolitischer Kontinuität mit Blick auf die Verankerung der deutschen Außenpolitik in den großen internationalen Institutionen hat sich ein gradueller Wandel in den Argumentationsmustern vollzogen, die auf das Staatensystem rekurrieren. Inzwischen werden die Begriffe Globalisierung und Staatensystem in einem Kontext verwendet, die Begriffsfunktionen ineinander geschoben. Helmut Hubel zieht insofern die Konsequenz aus einer von ihm selbst erhobenen Klage. „Die bisherigen Bemühungen der Analytiker, den heutigen sicherheitspolitischen Herausforderungen konzeptionell, d. h. eindeutig, gerecht zu werden, haben zu wenig befriedigenden Ergebnissen geführt.“74 Ausgehend von dieser Diagnose sind es inzwischen mehrdimensionale Analyse-Ansätze, „die Sicherheit sowohl in der Staatenwelt als auch in der Gesellschaftswelt, unter militärischen wie nichtmilitärischen Aspekten“75 untersuchen. Während Wohlstandsmehrung und Gleichgewichtswahrung also die vordergründigen Kernforderungen sind, die sich mit den Topoi Globalisierung und Staatensystem verbinden, existiert dazu im Hintergrund ein Hauptschauplatz des außenpolitischen Diskurses, der an dieser Stelle ebenfalls zur Sprache kommen muss. Denn Kaiser (1995); Kaiser (2001); Rittberger (2006). (1996), S. 78. 73  Schwarz (1999), S. 9; mit einem ähnlichen gleichgewichtspolitischen Schwerpunkt bei Werner Link; vgl. Link (2001). 74  Hubel (2007), S. 71. 75  Ebd., S. 84. 71  Vgl.

72  Krause



I. Erste Übertragung: Allgemeines163

selbst die noch so prononcierte Norm, die im deutschen außenpolitischen Diskurs aufgestellt wird, kommt nicht ohne eine grundsätzliche Bezugnahme aus. Und die heißt: Multilateralismus. Obwohl scheinbar Einigkeit darüber herrscht, dass die deutsche Außenpolitik stets im Verbund zu orches­ trieren sei, offenbaren sich dennoch maßgebliche Unterschiede. Grundsätzlich gehört der Multilateralismus zum Kernbestand des politikwissenschaftlichen Diskurses um die außenpolitische Staatsräson. „Zu den die Staatsräson der ‚Bonner Republik‘ prägenden Erfahrungen gehörte auch, dass durch die Pflege einer stabilen Kultur machtpolitischer Zurückhaltung der politische und ökonomische Einfluss der Bundesrepublik nicht etwa sank, sondern sich kontinuierlich steigerte“76, schreibt Sven Bernhard Gareis, um dann fortfahrend diesen Befund mit einer multilateralen Orientierung der Republik zu verknüpfen: „Ihr konsequent verfolgter Ansatz, Sicherheit und Stabilität durch Friedensorientierung, multilaterale Integration und Kompromissbereitschaft zu sichern entwickelte Vorbildcharakter in Europa und darüber hinaus.“77 Mit Blick auf die Souveränität der Bonner Republik ergibt sich also der kuriose Befund, dass man auf etwas verzichtete, das man gar nicht besaß, um es am Ende zu gewinnen. Diese Erfolgsgeschichte hat sicherlich zu einer dauerhaften Etablierung multilateraler Begründungsmuster in sämtlichen außenpolitischen Facetten der Bundesrepublik geführt. Dementsprechend steht es auch für konstruktivistisch arbeitende Politikwissenschaftler außer Frage, dass der Multilateralismus auch in der Berliner Republik einen wesentlichen Teil der außenpolitischen Identität ausmacht – Multilateralismus als außenpolitischer Wesenszug.78 Dabei spielt der Kontext anscheinend keine Rolle. Als es Mitte der 1990er Jahre in den umfangreicheren Publikationen darum ging, die bisherigen außenpolitischen Gewissheiten an die aktuellen Unsicherheiten der neuen Epoche anzupassen, war sowohl für die Protagonisten sicherheitspolitischer Argumente als auch für die Vertreter außenwirtschaftspolitischer Blickweisen die multilaterale Konstante eine Selbstverständlichkeit. Was im Zusammenhang des sicherheitspolitisch konnotierten Staatensystems recht war, war im ökonomisch verstandenen Globalisierungszusammenhang nur billig: „Für Deutschland gilt aber überdies, dass es wie kein anderes Land vergleichbarer Größenordnung auf multilaterale Strukturen angewiesen ist und auf eine Führungsrolle in deren Ausgestaltung drängen müsste“79, erläuterte Uwe Nehrlich im Jahr 1994, während zwei Jahre später Joachim Ragnitz bei der Gestaltung der globalen Ökonomie vor allem auf „die Fortentwick76  Gareis 77  Ebd. 78  Vgl.

(2009), S. 103.

Risse (2007), S. 54. (1994), S. 158.

79  Nehrlich

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lung des multilateralen Handelssystems“80 pochte. Der multilaterale Duktus hatte die Zeitenwende 1989 / 90 also erst einmal unbeschadet überstanden und kennzeichnete den Diskurs in gleichem Maße wie zuvor. Unter quantitativen Gesichtspunkten hat sich daran nichts geändert. Nach wie vor gehört es zum Comment normativer Formulierung hinsichtlich der außenpolitischen Ausrichtung Deutschlands, jedem Unilateralismus eine prinzipielle Absage zu erteilen und jeden Multilateralismus gutzuheißen.81 An dieser Stelle zeigt sich der deskriptive Nutzen konstruktivistischer Analysen. Rainer Baumann hat anhand einer systematischen Durchsicht außenpolitischer Reden und politikwissenschaftlicher Beiträge zum Multilateralismus die zugehörige Kontinuitätsthese einer grundsätzlichen Prüfung unterzogen. Einerseits bestätigt er die Dominanz der Kontinuitätsthese hinsichtlich des multilateralen Denkens, welches für die Außenpolitik der Bonner wie Berliner Republik gleichsam prägend ist. Die Forderung nach gemeinschaftlichem außenpolitischen Vorgehen veränderte sich mit der Wiedervereinigung nicht.82 Allerdings zeigt Baumann in seiner Analyse deutlich, dass es sich hierbei allein um einen sozusagen quantitativen Befund handelt. So wenig das normative Postulat nach vielseitig abgesicherter und abgestimmter Außenpolitik an Häufigkeit einbüßte, so stark zeigt sich dennoch ein Wandel, wenn die inhaltliche Bedeutung, die dem Multilateralismusbegriff zugewiesen wird, ebenfalls überprüft wird. Wenn ein Forschungsprogramm nicht nur nach dem Auftreten einer Vokabel, sondern auch nach deren Sinngehalt fragt, ergeben sich rasch neue Ergebnisse, jedenfalls beim bundesrepublikanischen Multilateralismus. Es zeigt sich nämlich bei allem deklaratorischen Festhalten am Multilateralismus eine Verschiebung der Begriffsbedeutung. Wenngleich in der Bonner Republik und auch noch bis weit in die Mitte der 1990er Jahre hinein die multilaterale Ausrichtung deutscher Außenpolitik stets auf der Grundlage eines prinzipiellen Legitimationsmusters stattfand, drängte sich zur Mitte der ersten Dekade nach der Wiedervereinigung zunehmend ein verändertes Legitima­tionsmuster in den Vordergrund; eines, das sich als utilitaristisches Begründungsargument beschreiben lässt.83 War ursprünglich außenpolitischer Multilateralismus als ein ethisch zu bevorzugendes Verhalten beschrieben und durchgesetzt worden, erschien anschließend Multilateralismus als nutzensteigerndes Verhalten in einem nicht mehr ethisch aufgeladenen Sinn. In einer späteren Publika­ 80  Ragnitz (1996), S. 64–69; in einem allgemeinen normativen Sinn findet sich die multilaterale Kontinuitätslinie auch bei Harald Müller und Volker Rittberger gleich zu Beginn der 1990er Jahre; vgl. Müller (1992); Rittberger (1992). 81  Vgl. Bredow (2005); Wagner / Schlotter (2006); Staack (2009). 82  Vgl. Baumann (2006), S. 31–38. 83  Vgl. ebd., S. 167.



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tion hat Bauman diesen Befund treffend zusammengefasst: „Deutschland hat am Multilateralismus festgehalten, doch dieser Multilateralismus ist ein anderer geworden.“84 Multilateralismus sicherte eine effektivere Durchsetzung eigener Interessen und hatte nach ebendieser Maßgabe zu erfolgen,85 was eine Anpassung an geänderte Bedingungen natürlich keinesfalls ausschließt. Dies kann einerseits als Hinweis auf die Fragilität der außenpolitischen Traditionen der Bonner Republik verstanden werden. Andererseits zeigt sich hierin jedoch auch eine Verschiebung des Verhältnisses zwischen Universalismus und Partikularismus hinsichtlich der Determinanten Globalisierung und Staatensystem und ihrer Bedeutung für die außenpolitische Staatsräson der Bundesrepublik Deutschland. Denn Globalisierung und Staatensystem können als universale respektive partikulare Chiffren verstanden werden. Argumentationskontexte, in denen das Staatensystem angesprochen wird, tendieren dazu, in partikularen Deduktionen zu enden. Aufgrund bestimmter Systemgesetze, die als solche dem Einfluss der Akteure entzogen sind, gilt es dann für die einzelnen Staaten, den Handlungsimperativen Genüge zu tun: „Deshalb richtet sich staatliches Handeln an der Sicherstellung der eigenen sozialen, politischen und territorialen Existenz aus.“86 Exakt dies spiegelt sich im Wandel des deutschen Multilateralismus, wenn die multilaterale Außenpolitik als unter aktuellen außenpolitischen Bedingungen gewinnbringender ausgewiesen wird. Allerdings bleibt es nicht bei dieser im Rahmen der Lehre der internationalen Beziehungen einfach auch als neorealistisch zu bezeichnenden Position. Denn die stärker hervortretende Position partikularer Argumente findet sich parallel zu universalen Postulaten. Häufig verbindet sich einfach beides in der bekannten Eigentümlichkeit. Etwa dann, wenn Stefan Schirm bei aller Betonung partikularer Interessen deren Durchsetzung im Zusammenhang der globalen Ökonomie mit einer Handlungsempfehlung an die deutsche Außenpolitik ergänzt, die zur Grundierung der wirtschaftspolitischen Interessensdurchsetzung die Suche nach gemeinsamen Wertvorstellungen empfiehlt.87 Ähnlich erscheint die Aufforderung Michael Staacks, der im Nachgang zur IrakkriegsDebatte eine gleichsam universale Gegenposition der deutschen Außenpolitik einforderte: „Gemeinsam mit anderen Mitgliedstaaten der Europäischen Union und ‚Gleichgesinnten‘ in der ganzen Welt sollte Deutschland deshalb für die Selbstbehauptung und adäquate Fortentwicklung eines von allen zu be­ folgenden Völkerrechts eintreten.“88 Gegen eine als illegitim empfundene 84  Baumann

(2007), S. 443. Zürn (2006), S. 74. 86  Jäger / Beckmann (2007), S. 20. 87  Vgl. Schirm (2005), S. 149. 88  Staack (2006), S. 368. 85  Vgl.

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Außenpolitik – Michael Staacks Ansinnen richtete sich gegen die amerikanische Außenpolitik unter Präsident George W. Bush – wird eine partikulare Opposition formuliert, die gleichzeitig einen universalen Überbau erhält. Nicht nur neben, sondern sogar in der stärker hervortretenden Partikularität im politikwissenschaftlichen Diskurs um die deutsche Außenpolitik können sich also auch universale Inhalte finden. Michael Zürn hat dazu einen Erklärungsversuch geliefert, der im Kern treffend, in der Diktion aber wenig hilfreich ist. Das zu beobachtende Muster, so Zürn, würde eine gedankliche Bewegung „von der Logik der materiellen Interdependenz zur Logik der moralischen Interdependenz“89 bedeuten. Auch wenn es sich um keine Interdependenz handeln kann, ist es dennoch sinnvoll, diese Lesart des außenpolitischen Globalisierungsdiskurses zu berücksichtigen. Verknüpft man dies mit außenpolitischer Staatsräson, besteht die Gefahr einer simplen Gegenüberstellung. Dies zeigt sich in einem Beitrag Joscha Schmierers über „Nationale Interessen zwischen Staatenwelt und Weltgesellschaft“. Er resümiert seine Überlegungen zum nationalen Interesse der Bundesrepublik mit folgenden Worten: „Entscheidend wird sein, ob der Begriff für die demokratische Abwägung und für die revidierbare Mehrheitsentscheidung offen bleibt; ob er fundamentalistisch verstanden wird oder als Vermittlung von engen und allgemeinen Interessen, […] ob er universelle Werte reflektiert oder nur engstirnig die Durchsetzung partikularer Ziele motiviert“90. Damit ist allerdings noch nichts zu dem Problem gesagt, dass eine nicht partikulare Durchsetzung universaler Ziele unter Realitätsbedingungen kaum vorstellbar ist. Die außenpolitische Staatsräson der Bundesrepublik behält also im Spannungsfeld von Globalisierung und Staatensystem einen verbindlichen Zug, auch wenn sie im Rahmen von Nützlichkeitserwägungen noch eine multilaterale Orientierung bewahrt. Beide Fundamentalbegriffe lassen sich in ihrer wechselhaften Beziehung und in ihrer Bedeutung für die außenpolitische Staatsräson jedoch nur unter Zuhilfenahme des Interpretationsmusters aus Universalismus und Partikularismus sinnvoll einordnen. Nur so wird das Beziehungsgeflecht deutlich, in dem die außenpolitische Staatsräson formuliert und kontinuierlich überdacht werden muss in ihrem Verhältnis zu Globalisierung und Staatensystem. Entscheidend ist, dass beide Begriffe keine konstanten Bedingungen darstellen, sondern zwischen ihnen und einer außenpolitischen Staatsräson ein tiefes wechselseitiges Verhältnis herrscht. Im Vergleich zum Folgenden stellen beide Begriffe dennoch externe Faktoren dar; die innere Legitima­ tionsgrundlage der außenpolitischen Staatsräson Deutschlands ist dagegen die Verfassung, das Grundgesetz. 89  Zürn

(2006), S. 74. (2004), S. 65.

90  Schmierer



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3. Grundgesetz Deutschlands Verfassung ist ein außenpolitisch eloquentes Dokument, zumindest im internationalen Vergleich.91 Im Folgenden sind dabei nicht die staatsorganisationsrechtlichen Kompetenzzuweisungen von besonderem Interesse, sondern die materiellrechtlichen Vorgaben des Grundgesetzes für die deutsche Außenpolitik. Denn die deutsche Außenpolitik steht auf dem Recht des Grundgesetzes, dieses begründet somit wesentlich die außenpolitische Staatsräson der Bundesrepublik. Auch die normativen Vorgaben für das auswärtige Handeln Deutschlands, wie sie sich im Grundgesetz finden, lassen sich in ihrer ganzen Bedeutung für die außenpolitische Staatsräson nur mit Hilfe des Begriffspaares aus Universalismus und Partikularismus entschlüsseln. Vorab können die einzelnen außenpolitischen Programmpunkte des Grundgesetzes jedoch wie folgt zusammengefasst werden. Jahrzehntelang war das Grundgesetz ein Vereinigungsprogramm, der letzte Satz seiner Präambel formulierte die Aufforderung „in freier Selbstbestimmung die Einheit und Freiheit Deutschlands zu vollenden.“ Komplementiert wurde dieser Appell durch die alte Fassung des Artikels 23 Grundgesetz und den Artikel 146 Grundgesetz, in denen die Möglichkeiten der Geltungsübertragung respektive neuerlichen Verfassungsgebung normiert wurden und im Falle des Artikels 146 Grundgesetz immer noch normiert sind. Nach der Wiedervereinigung wurden der Passus in der Präambel gestrichen und der Artikel 23 Grundgesetz neu gefasst, während der Artikel 146 Grundgesetz nurmehr die wenig spektakuläre Information enthält, dass eine Verfassung solange gilt, bis es sich der Verfassungsgeber, das Volk, anders überlegt. So lassen sich die übrigen außenpolitischen Postulate des Grundgesetzes zu drei Kernforderungen gruppieren. Als Erstes kann die Verpflichtung zur Friedenswahrung genannt werden. Das Grundgesetz überdeterminiert dieses Postulat sogar. Zum einen durch die Tatsache, dass der Dienst am Frieden prominent zu Beginn der Präambel genannt wird, zum anderen durch die Häufigkeit, mit der das Ziel wiederholt wird.92 Ganz überwiegend hat sich in der Verfassungsinterpretation ein zurückgenommenes Verständnis der grundgesetzlichen Friedenspflicht durchgesetzt. Allein schon durch die Abwesenheit von Krieg wird ihr Genüge getan, weitergehende außenpolitische Forderungen lassen sich aus der Friedensbindung durch das Grundgesetz nicht ableiten.93 Neben der Friedenspflicht nennt das Bierling (2005), S. 9; Staack (2009), S. 47. vier mal finden sich explizit friedenspolitische Wendungen; vgl. Präambel des Grundgesetzes; Artikel 1 II Grundgesetz; Artikel 24 II Grundgesetz; Artikel 26 I Grundgesetz. 93  Vgl. Bierling (2005), S. 10. 91  Vgl.

92  Gleich

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Grundgesetz als zweite außenpolitische Grundausrichtung die Bereitwilligkeit zu einem kooperativen Internationalismus.94 Das Grundgesetz verbietet dementsprechend Vereinigungen, die sich gegen „den Gedanken der Völkerverständigung richten“95. Im Positiven sind es aber vor allem das Bekenntnis der Präambel zu einem „vereinten Europa“ sowie die Artikel 23 bis 25 Grundgesetz, die den Internationalismus des Grundgesetzes repräsentieren. Der Artikel 23 Grundgesetz schreibt die Mitwirkung an der europäischen Vereinigung und der Entwicklung der Europäischen Union fest. Artikel 24 Grundgesetz erlaubt dem Bund die dazu notwendige Übertragung von Hoheitsrechten und Artikel 25 Grundgesetz inkorporiert die allgemeinen Regeln des Völkerrechts in das bundesrepublikanische Staatsrecht. Das Grundgesetz bezieht sich hiermit auf das Völkergewohnheitsrecht, etwa das allgemeine Interventionsverbot. Diese Regeln genießen einen besonderen Status, denn Artikel 25 Grundgesetz weist ihnen eine normenhierarchische Position oberhalb der Bundesgesetze und unterhalb der Verfassung zu. Drittens bleibt schließlich das menschenrechtliche Achtungs- und Verwirklichungsgebot des Artikels 1 Grundgesetz. Es bindet die bundesrepublikanischen Staatsorgane auch in ihrem auswärtigen Handeln. Fraglos handelt es sich hierbei um eine „Reihe höchstbeachtlicher Grundsätze“96, wie Manfred Knapp einmal formulierte. Allerdings hat die Bundesregierung, der im Wesentlichen die Gestaltung der auswärtigen Politik zufällt,97 hierbei einen breiten Ermessensspielraum. Um die außenpolitische Staatsräson der Bundesrepublik Deutschland in Bezug auf die in der Verfassung niedergelegten außenpolitischen Grundsätze nun greifbar zu machen, gilt es, sich ein grundsätzliches Paradoxon vor Augen zu halten. Friedrich Kambartel hat diesen Widerspruch eingängig beschrieben: „Die Verfassungen republikanischer Einzelstaaten sind auf Prinzipien begründet, deren juridische Geltung zwar zunächst auf die Bürger eines bestimmten Staates beschränkt ist, deren Begründungen und häufig auch Formulierungen jedoch eine solche Beschränkung nicht enthalten, vielmehr sich auf alle Menschen beziehen.“98 Mit republikanisch ist hier nichts anderes gemeint als modern – diese Staaten gründen sich auf Menschenrechte. Die Spannung, die jedoch entsteht, wenn universale Prinzipien partikulare Realisierungen erfahren, führt in der Praxis natürlich zu Widersprüchen. Das ist im theoretischen Teil der Arbeit mehrfach gezeigt worden 94  Diesen Internationalismus als „raison d’être“ der deutschen Außenpolitik zu bezeichnen, geht jedoch zu weit; vgl. ebd., S. 16; Hervorhebung im Original. 95  Artikel 9 II Grundgesetz. 96  Knapp (1996), S. 153. 97  Vgl. Cremer (2003); Wolfrum (2007). 98  Kambartel (1996), S. 248.



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und zeigt sich jeden Tag im konkreten Außenverhalten heutiger Staaten, in ihrer Asylpolitik, in ihrer Außenwirtschaftspolitik, in ihrer Interventions­ politik und in vielem mehr. Am asylpolitischen Beispiel hat Kambartel die gängige staatliche Reaktion auf das Auseinanderklaffen von Anspruch und Wirklichkeit beschrieben: „Diese Differenz kommt besonders dann sinnfällig zum Ausdruck, wenn Hilfesuchende an und in den Grenzen eines demokratischen Staates auftreten und, weil sie keinen Aufenthaltstitel haben, mit Gewalt abgewiesen werden. Die partikularistische Ausformung dieses moralischen Widerspruchs überbrücken Verfassung und Recht bestimmter republikanischer Staaten dadurch, dass sie Verpflichtungen enthalten, an der weltallgemeinen Beförderung und Sicherung der Menschen und Bürgerrechte mitzuwirken.“99 Die Reflexion dieser Differenz erlaubt erst ein sinnvolles Handeln, das den moralischen Widerspruch nicht unbedingt aufheben, aber mildern kann, ohne gleichzeitig auf die Beachtung von Klugheitsregeln zu verzichten. Die menschenrechtsbezogene Außenpolitik und die Übertragung von Hoheitsrechten sind Beispiele, anhand derer gezeigt werden kann, wie eine solche Reflexion aussehen könnte. Deswegen werden nachfolgend diese beiden Themenfelder für die Diskussion herangezogen. Wie kann also das grundgesetzlich vorgegebene Gebot der Verwirklichung der Menschenrechte im komplexen Zusammenhang von Partikularismus und Universalismus diskutiert werden? Die bisweilen anzutreffende Sprachlosig­ keit,100 vielleicht angesichts der Selbstverständlichkeit des menschenrecht­ lichen Postulats, führt jedenfalls nicht weiter. Es ist hilfreich, den Wortlaut der ersten beiden Absätze des Artikels 1 Grundgesetz noch einmal anzuführen: „Die Würde des Menschen ist unantastbar. Sie zu achten und zu schützen ist Verpflichtung aller staatlichen Gewalt.“ Und weiter: „Das Deutsche Volk bekennt sich darum zu unverletzlichen und unveräußerlichen Menschenrechten als Grundlage jeder menschlichen Gemeinschaft, des Friedens und der Gerechtigkeit in der Welt.“ Wie bereits erwähnt, bindet Artikel 1 Grundgesetz auch das auswärtige Handeln der Bundesrepublik Deutschland. Der Wortlaut verdeutlicht jedoch die ins Maximale gesteigerte Bindungskraft. Der erste Satz knüpft unmittelbar an die einzige Grundlage des legitimationstheoretischen Großprogramms der politischen Neuzeit an, den einzelnen Menschen. Das Grundgesetz adressiert also den denkbar größten Kreis, jeden Menschen, wie er gerade als Mensch in der Welt existiert. Die sozusagen organisationsrechtliche Kompetenzzuweisung des zweiten Satzes erledigt jede Überlegung zu hoheitlichen Reservaten, die nicht an das auf die Men99  Ebd.

100  Vgl.

Hellmann (2006), S. 43–45.

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schenwürde bezogene Achtungs- und Schutzgebot gebunden wären. Da alle staatliche Gewalt angesprochen ist, ist auch die auswärtige angesprochen. Der zweite Absatz erläutert die Menschenwürde als Menschenrecht, unterstreicht noch einmal seinen legitimationstheoretischen Bezug – „Grundlage jeder menschlichen Gemeinschaft“ – und setzt sich über staatliche Grenzen hinweg: „in der Welt.“ Artikel 1 Grundgesetz ist damit ein universales Manifest. Der Mensch mit seinem Recht ist eine universale Aussage und ebenso ist es die Erwähnung jeder menschlichen Gemeinschaft in der Welt. Die deutsche Staatsrechtslehre hat seit langem die entsprechenden interpretatorischen Konsequenzen gezogen, wie sich bei Christian Tomuschat nachlesen lässt: „Menschenwürde ist ein Attribut jeder menschlichen Person und empfängt von daher auch als Verfassungsrechtssatz eine universalistische Geltungstendenz, selbst wenn dem historischen Verfassungsgeber solche ausgreifenden Deutungen durchaus ferngelegen haben mögen.“101 Es lassen sich also auch keine Gegengründe im Sinne einer historisch-originären Verfassungsinterpreta­ tion anführen, die als Schranke gegenüber der universalen Deutung des Artikels 1 Grundgesetz wirken würden. Im Einklang mit der übergroßen ­ Mehrheit aller Stimmen hat Christian Tomuschat den Universalismus des Artikels 1 Grundgesetz später bekräftigt: „Wenn jedem menschlichen Wesen von Verfassungs wegen eine Würde zugesprochen wird, so kann diese Aussage nicht an den Grenzen der Bundesrepublik haltmachen.“102 Dennoch ist es die konkrete Verfassung eines konkreten, partikularen Staates, die sich hier zum Agenten alles Menschlichen in der Welt aufschwingt. Zu Recht, aber dies bleibt nicht ohne staatstheoretische Folgen. Günther Frankenberg hat diese Folgen zu einem prägnanten Satz verdichtet: „Menschenrechte versprechen die Gegenwart der autonomen Person in der allseitig gesicherten Entfaltung von Subjektivität und müssen sie doch stets abweisen in der Beziehung staatlicher Gewalt als regelnder Objektivität.“103 Gerade an der konkreten Verfassungsnorm zum Menschenrecht, das auch in der Außenpolitik zur Geltung kommen muss, zeigt sich also erneut die Widersprüchlichkeit, die in Teil B. beleuchtet worden ist. Der Widerspruch zwischen universaler Norm und partikularer Organisation kommt hier ebenso zum Tragen wie die reziproke Bedingtheit. Denn nur die partikulare Organisation kann die universale Norm garantieren und nur die universale Norm kann die partikulare Organisation legitimieren. Günther Frankenberg kritisiert ferner treffend den traditionellen Unwillen, dieses Dilemma zu benennen: „In die Zwillingsexistenz von Menschenrechten und Nationalstaat sind Paradoxien eingelassen, die von Evolutionsparabeln zur 101  Tomuschat

(1978), S. 44–45. (1992), S. 519. 103  Frankenberg (1988), S. 82. 102  Tomuschat



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Menschenrechtsidee wie auch von den Souveränitätslehren verschwiegen werden.“104 Überlegungen zu einer außenpolitischen Staatsräson, die diese Spannung außer Acht lassen, führen nicht weiter. Dabei gibt es durchaus Möglichkeiten für den theoretischen Umgang mit ihr. Die finden sich jedoch meist nicht in der einschlägigen politikwissenschaftlichen Literatur. Grundsätzlich wird auch hier konzediert: „Der Schutz der Menschenrechte ist ein weitgehend akzeptiertes Ziel deutscher Außenpolitik“105. Bei normativer Grundierung und Analyse konkreter Außenpolitik changieren die Leitaussagen dann jedoch zwischen unglücklichen Legitimationsversuchen einerseits und problemunbewusster Kritik andererseits, die sich dann in nichts von aus der Tagespolitik bekannten Vorwurfs­ ritualen unterscheidet.106 Bei Manfred Knapp, der ja wie oben gezeigt vollkommen zutreffend auf die grundgesetzliche Bindung der Außenpolitik hinweist, findet sich hingegen folgender Legitimationsversuch: „Ein liberaldemokratischer Staat wie die Bundesrepublik, dessen gesamte Lebens- und Produktionsverhältnisse von tiefgreifenden Internationalisierungsprozessen durchdrungen sind und der einen relativ hohen Verflechtungsgrad mit seiner internationalen Umwelt aufweist, muss sich auch bei der Gestaltung seiner Außenbeziehungen zu einer prinzipiellen Beachtung seiner Fundamentalnormen verpflichtet fühlen.“107 Mit anderen Worten: Die Beachtung einer Fundamentalnorm findet unter Maßgabe einzelstaatlicher Nützlichkeitserwägungen statt – oder auch nicht, muss sofort gefragt werden. So wenig falsch die Aussage ist, so wenig Problembewusstsein demonstriert sie für die Spannung aus Universalismus und Partikularismus und führt folglich auch nicht weiter bei der Reflexion außenpolitischer Staatsräson. Gänzlich verfehlt sind Versuche, politikwissenschaftliche Konzepte mit Aktualitätswert heranzuziehen, um die deutsche Menschenrechtspolitik sowohl zu legitimieren als auch zu analysieren, etwa als „zivilmachtorientierte Menschenrechts­politik“108. Ohne Verbindung zum ideengeschichtlichen Reservoir kann keine Theorieverdichtung gelingen, weswegen derartige Beiträge schließlich nichts weiter als das Offensichtliche bemerken, zum Beispiel die Differenz zwischen außenpolitischen Ankündigungen und tatsächlichem Handeln.109 Sinnvoller, wenn auch nicht unmittelbar weiterführend ist dagegen das einfache Zugeständnis doppelter Standards, also gleichsam selektiver Menschenrechtspolitik.110 104  Ebd.

105  Heinz

(2007a), S. 541. Stelzenmüller / Pinzler (1998). 107  Knapp (1996), S. 156. 108  Pfeil (2000), S. 28. 109  Vgl. ebd., S. 147–149. 110  Vgl. Heinz (2007). 106  Vgl.

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Dieses Zugeständnis löst allerdings auch nicht die gedankliche Blockade auf, die sich einstellt, wenn auswärtige Menschenrechtspolitik allein an menschenrechtlichen Grundsatznormen gemessen wird. Dann kann in den partikularen Einmengungen zuletzt nur ein korrumpierendes Element ge­ sehen werden. Menschenrechtsbezogene Außenpolitik erscheint dann stets willkürlich und inkonsequent. So geben die vermeintlichen Freunde einer solchen Politik im Übrigen nur ihren tatsächlichen Feinden die Mittel an die Hand, außenpolitische Menschenrechtsverwirklichung als schon aus sich selbst heraus fruchtloses Unterfangen zu diskreditieren. Insofern muss ein avancierter Begriff außenpolitischer Staatsräson Wege eröffnen, die angesprochene Inkonsequenz als scheinbare Inkonsequenz zu entlarven. Ohne einen Bezug zu Universalismus und Partikularismus ist dies nicht möglich. Dazu weiter unten mehr, denn vorab gilt es noch am zweiten Beispiel, der Übertragung von Hoheitsrechten, eine ganz ähnliche theoretische Problemkonstellation zu verdeutlichen. Diese Problemkonstellation ergibt sich aus der verfassungshistorisch bemerkenswerten Eigenart des Grundgesetzes – und inzwischen auch anderer europäischer Verfassungen –, die Möglichkeit der Substanzüberantwortung vorzusehen. Artikel 23 und 24 Grundgesetz erlauben die Übertragung von Hoheitsrechten auf die Europäische Union beziehungsweise zwischenstaatliche Einrichtungen im Allgemeinen. Zu Recht ist frühzeitig darauf hingewiesen worden bei dieser verfassungspolitischen Entscheidung handele es sich „nicht lediglich um einen schlichten Gezeitenwechsel im Auf und Ab der tagespolitischen Richtungen und Bestrebungen, sondern um einen Vorgang von sehr viel allgemeinerer Tragweite“111. Klaus Vogel, von dem dieser Satz stammt, hat an gleicher Stelle den entscheidenden Hinweis gegeben, dass der Staat des Grundgesetzes damit einem „in eine ‚internationale Gemeinschaft‘ der Staaten sich einordnenden und sich insofern ihrem Rechtsetzungswillen auch (teilweise) unterordnenden Staat“112 gleiche. Derlei zutreffende Aussagen rücken die Übertragung von Hoheitsrechten direkt ins Zentrum des universal-partikularen Spannungsfeldes. Denn dieses „Spannungsfeld wird durch das Außenstaatsrecht, das den Staat bewusst öffnet, in das Grundgesetz aufgenommen“113, wie Frank Schorkopf richtigerweise feststellt. Damit zieht das Grundgesetz womöglich die Konsequenz aus der kontraktualistischen Logik der Rechtssicherheit durch Souveränitätsverzicht. Womöglich, weil das Grundgesetz nur eine Erlaubnis zur Übertragung von Hoheitsrechten erteilt und keine Verpflichtung ausspricht – selbst in der 111  Vogel

(1964), S. 18; Hervorhebung im Original. S. 35; Hervorhebungen im Original. 113  Schorkopf (2007), S. 20. 112  Ebd.,



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Neufassung des Artikels 23 Grundgesetz nicht. Gleichwohl ist die eindeutige Aufforderung des Artikels 23 Grundgesetz in ihrer ganzen Tragweite exakt in diesem Sinne zu verstehen: „Zur Verwirklichung eines vereinten Europas wirkt die Bundesrepublik Deutschland bei der Entwicklung der Europäischen Union mit“. Dies alles sind Fragen des Außenstaatsrechts und damit letztlich eminent außenpolitische Fragen. Und es sind Fragen der außenpolitischen Staatsräson. Ähnlich wie beim Beispiel der extraterritorialen Grundrechtsverwirklichung, also der auswärtigen Menschenrechtspolitik, streift die politikwissenschaftliche Literatur zur Außenpolitik Deutschlands diese Aspekte jedoch nur am Rande.114 Neben vor allem deklaratorischen Verknüpfungen von Europapolitik und Staatsräson115 dominiert in der außenpolitischen Forschung in solchen Grundsatzfragen eine normative Befangenheit.116 Normative Zurückhaltung darf hier aber nicht als irgendeine Art von Europaskeptizismus verstanden werden. Im Gegenteil, denn gerade durch die grundsätzlich pro-integrative Haltung wird manche normativ bedeutende Frage vielleicht gar nicht erst gestellt. Allemal nicht im Zusammenhang mit universalen und partikularen Normkonstellationen. Wolfgang Schröder hat Letzteres vorexerziert und – wenn auch unter Rekurs auf einen in Abgrenzung zur historischen Staatsräson gebildeten allgemeinen RäsonBegriff – den Sinn einer heutigen Staatsräson angesichts der Möglichkeit und Verpflichtung zur einzelstaatlichen Kompetenzübertragung an überstaatliche Organisationen folgendermaßen umrissen: „Und das Unterscheidungsproblem, auf das sie bezogen ist, betrifft den Differenzierungsbedarf zwischen legitimitätstheoretisch gebotener Integration und legitimitätstheoretisch gebotener Abgrenzung einzelstaatlicher und suprastaatlicher politischer Ziele.“117 Ein gehaltvoller Begriff außenpolitischer Staatsräson muss diesen Differenzierungsbedarf stillen oder sich zumindest zu ihm verhalten. Ohne eine Berücksichtigung der außenpolitischen Postulate der Verfassung im Zusammenspiel mit der Spannung zwischen Universalismus und Partikularismus ist dies nicht möglich, was neben der Skizze der auswärtigen Menschenrechtspolitik auch die Skizze der Problemkonstellation bei der Übertragung von Hoheitsrechten gezeigt hat. Die abschließenden Überlegungen übertragen also die Merkmale einer abstrakten außenpolitischen Staatsräson 114  Die Gründe hierfür liegen in der Hauptsache vermutlich darin, dass die Binnengliederung des Fachs die einschlägigen Fragen eher im Rahmen der innenpolitischen Forschung diskutiert. Oder darin, dass die Forschung zur Europapolitik als solcher inzwischen beinahe als eigenständige politikwissenschaftliche Binnendisziplin angesehen werden muss, die in institutionellen Fragen kaum noch Berührungspunkte mit der Forschung zur einzelstaatlichen deutschen Außenpolitik aufweist. 115  Vgl. Müller-Brandeck-Bocquet (2006). 116  Vgl. Göler / Jopp (2007); Janning (2007). 117  Schröder (2003), S. 441.

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zwischen Universalismus und Partikularismus auf die grundgesetzlich eingerahmte, mithin konkrete Situation. Dies muss zuerst bedeuten, die Inkonsequenz, welche sich in der auswärtigen Staatspraxis bei der Umsetzung des universalen Menschenrechtsgebots zeigt, als scheinbare Inkonsequenz aufzuklären und damit das konkrete Handeln wieder auf einem legitimationstheoretisch festen Boden zu platzieren. Die vermeintliche Inkonsequenz zeigt sich darin, dass zwar das grundgesetzliche Gebot der Achtung vor allem des Schutzes der Menschenwürde einen klaren Auftrag an die Außenpolitik formuliert, dieser aber in der Praxis unter einem Möglichkeitsvorbehalt steht. Im Ergebnis erhält auf internationaler Ebene der eine in seinen Menschenrechten Bedrohte Hilfe und der andere nicht, weil menschenrechtsfremde Gründe, etwa eine überlegene Macht, dem entgegenstehen. Die Interventionspraxis westlicher Staaten und auch der Bundesrepublik Deutschland zeigt dies nur zu gut. Ebenfalls inkonsequent mag die vorrangige Rettung eigener Staatsbürger vor einer sich ankündigenden Gefahr erscheinen, die natürlich auch andere vor Ort befindliche Personen bedroht, wie sie beispielsweise aus Evakuationsszenarien in internationalen Krisensituationen bekannt ist. Christian Tomuschat hatte mitunter solche Situationen vor Auge, wenn er schon vor über dreißig Jahren anmerkte: „Es versteht sich von selbst, dass Wohl und Wehe der eigenen Staatsangehörigen die primäre Sorge der verantwortlichen Staatsführung sein müssen. Damit schleicht sich unvermeidbar die scheinbare Inkonsequenz ein.“118 Er selbst bietet ein zweifaches Argument an, um die Scheinbarkeit der Inkonsequenz aufzuzeigen. Einerseits sei es ein normtheoretisches Missverständnis, die bis zur stärksten Allgemeinheit gesteigerten Leitvorstellungen – Menschenrechtsschutz – im Sinne „unmittelbar anwendungsfähiger Rechtssätze“119 zu verstehen. Unter Hinzuziehung des Grundsatzes ultra posse nemo obligatur zeigt sich dann, dass die außenpolitische Menschenrechtsdurchsetzung eher einem regulativen Prinzip gleicht als einem abschließend und vor allem hinreichend bestimmten Handlungsauftrag, sodass Christian Tomuschat resümieren kann: „Nur die Verfolgung bestimmter politischer Ziele kann gefordert sein, nicht der konkrete Erfolg.“120 Somit heißt die Aufgabe außenpolitischer Staatsräson, die Grenzen des Möglichkeitsvorbehalts zu bestimmen, denen die universalen Vorgaben des Grundgesetzes unterliegen. Nur so lässt sich auch eine maximale Umsetzung der universalen Anforderungen durch die partikularen Fähigkeiten erreichen, sonst überdehnt sich das Allgemeine des Universalen derart, dass konkrete Außenpolitik nur als Scheitern denkbar erscheint. Und dieses 118  Tomuschat

(1978), S. 46–47. S. 47. 120  Ebd., S. 49. 119  Ebd.,



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würde dann auch tatsächlich eintreten, weil angesichts einer theoretischen Dauerüberforderung die Bedingungen der Praxis nicht mehr ausreichend bedacht werden müssten – ohne Möglichkeitsvorbehalt bleibt nur die handlungstheoretische Resignation, weil sich die Richtigkeit einer Handlung beim gleichzeitigen Ausbleiben einer anderen, ebenfalls richtigen Handlung nicht mehr begründen ließe. Ein ähnliches Dilemma offenbart sich übrigens auch bei der Differenz zwischen den grundgesetzlichen Menschen- und Bürgerrechten, wie Angelika Siehr demonstriert hat: „Dem Universalismus der in der Verfassung positivierten Menschenrechte tritt nun in Gestalt der Bürgerrechte unvermittelt das fest umrissene und gleichzeitig begrenzte ‚wir‘ einer partikularen Gemeinschaft gegenüber.“121 Diese partikulare Gemeinschaft der Bundesrepublik Deutschland muss in ihrer außenpolitischen Staatsräson auch die Grenze der – konsequenten – Übertragung von Hoheitsrechten bestimmen. Anhand des gegenwärtigen europäischen Integrationsstands, also des Vertragswerks von Lissabon, kann dies verdeutlicht werden. Denn der Vertrag versucht durchaus, „die Zuständigkeiten der Union noch stärker als zuvor zu begrenzen, um das Risiko der Aushöhlung der de jure-Souveränität der Mitgliedstaaten zu mindern“122, wie Andreas Hofmann und Wolfgang Wessels festhalten. Damit ergänzen sich der Vertrag von Lissabon und die Sicherungsklausel des Artikels 23 Grundgesetz insofern, als dass für die Bundesrepublik Deutschland die Option ausscheidet, einem europäischen Bundesstaat beizutreten und auf den Rang eines nicht-souveränen Gliedstaates hinabzusinken.123 Mehr noch, denn nicht nur die absolute Grenze der Kompetenzübertragung, sondern auch eine legitimationstheoretisch fundierte Bestimmung des sinnvollerweise zu Übertragenden und des sinnvollerweise nicht zu Übertragenden ist notwendig. Beides hat Wolfgang Schröder auf der Grundlage aufwendiger Vorüberlegungen unternommen. Diejenigen Kompetenzen, die beim Einzelstaat verbleiben sollten, definiert er als „solche Regelungsaufgaben, die ihrem Problembezug nach praktisch ausschließlich die Interessen und Rechte der Bürger eines bestimmten Staates betreffen und daher ausschließlich in den verfassungsmäßig bestimmten Bereich der autonomen einzelstaatlichen Regelungszuständigkeit fallen.“124 Als verfassungsmäßig hinreichend abgedeckter Bereich kann am Beispiel des Grundgesetzes die Sozialpolitik genannt werden, wie es auch Schröder im Anschluss an seine Definition tut. Umgekehrt gilt für eine aktuelle außenpolitische Staatsräson, dass sie eindeutig grenzüberschreitende – und auch einzelstaatliche Prob121  Siehr

(2001), S. 14. (2009), S. 74. 123  Vgl. Herdegen (1992); Di Fabio (1993). 124  Schröder (2003), S. 309; Hervorhebung im Original. 122  Hofmann / Wessels

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C. Die außenpolitische Staatsräson der Bundesrepublik Deutschland

lemlösungsfähigkeit überschreitende – Phänomene, beispielsweise sicherheits- oder umweltpolitischer Natur, auf die suprastaatliche Ebene verschiebt. Nur anhand solcher Kriterienkataloge ist es einer außenpolitischen Staatsräson dann auch möglich, einzelstaatliche und im konkreten Fall grundgesetzliche Regelungsreservate gegenüber suprastaatlichen Anmaßungen in Schutz zu nehmen. Ähnliches zeigt sich schließlich im Urteil des Bundesverfassungsgerichts vom 30. Juni 2009 zum Vertrag von Lissabon, insbesondere im dritten Leitsatz.125 Damit und mit der grundsätzlichen Bestätigung der Rechtmäßigkeit des Lissabon-Vertrags hat das Bundesverfassungsgericht zwei wesent­liche Forderungen aufgegriffen, die als Kernkomponenten einer abstrakten außenpolitischen Staatsräson ausgewiesen werden konnten: Offenheit zum Universalismus aufgrund partikularer Entscheidungsfreiheit. Bundestag und Bundesverfassungsgericht behalten das letzte Wort, gerade im Sinne außenpolitischer Staatsräson, die so ganz im Sinne des Grund­ gesetzes ihre „demokratisch eingebettete Integrationsoffenheit“126 demonstriert, wie Peter-Christian Müller-Graff formuliert hat. Resümierend lässt sich festhalten, dass gemäß dem Grundgesetz zwar ein Staatsziel der Kompetenzüberantwortung existiert, nicht jedoch ein solches der Selbstaufgabe, und dass der von Verfassungs wegen gebotene extraterritoriale Menschenrechtsschutz seine Schranken im pragmatischen Argument dazu fehlender Fähigkeiten finden kann. Beides ist Teil der außenpolitischen Staatsräson der Bundesrepublik Deutschland. Grundsätzlich ist jene stärker auf die Verfassung angewiesen als auf irgendeinen anderen konkreten Faktor. Denn zu Recht ist die Verfassung als der Makler beschrieben worden, der zwischen Universalismus und Partikularismus vermittelt und somit politisches, außenpolitisches Handeln erst ermöglicht: „Ist also eine ‚Entparadoxierung‘ der Zwillingsexistenz von Menschenrechtsidee und Nationalstaatlichkeit weder in die eine noch in die andere Richtung möglich, so bleibt keine andere Wahl, als die daraus resultierende Spannung zunächst einmal als gegeben zu akzeptieren und mit ihr in der bestmöglichen Weise umzugehen. Das ehrgeizige Projekt des Verfassungsstaates verlangt offenkundig nach ­einer Vermittlung zwischen diesen beiden Polen – eine Aufgabe, die allein der Verfassung zukommen kann.“127 Der Internationalismus des Grundgesetzes und seine Forderung, dem Menschenrecht auch jenseits des eigenen Geltungsbereichs zu dienen, stellen also schließlich eine Brücke zwischen Partikularismus und Universalismus her. Und schließlich schützt die außenpolitische Staatsräson die Verfassung auch dort, wo ihr Recht nicht mehr eindeutig sprechen kann – „Es lässt sich aber nicht leugnen, dass das Verfassungsrecht 125  Vgl.

BVerfG, 2 BvE 2 / 08 vom 30.6.2009. (2010), S. 24. 127  Siehr (2001), S. 312. 126  Müller-Graff



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in komplexen Abwägungsprozessen recht weitgehend seine operationelle Steuerungsfähigkeit verliert.“128 Denn hier kann und muss das Recht des Grundgesetzes immer notwendig in die politische Berechnung einfließen. ­Josef Isensee hat diese Einsicht mit an Machiavelli erinnerndem Zungenschlag auf den Punkt gebracht: „so ist im Verfassungsstaat das Recht selbst Bestandteil der necessità geworden: unumstößliche Vorgabe des staatlichen Handelns, die von der Politik zu respektieren und zu kalkulieren ist.“129 Gleichzeitig setzt die Verfassung den Staat voraus, ohne den jedes Recht ohne Garantie bleiben muss. Auch deswegen formuliert die außenpolitische Staatsräson des Grundgesetzes einen kräftigen Imperativ der Selbsterhaltung. Schließlich hat Eckart Klein auf die Entstehung staatsindividueller Charakteristika aufmerksam gemacht, die bei der Verbindung von Staatsräson und Verfassung entstehen: „Man kann also durchaus von der Räson des Verfassungsstaates sprechen, die eine verfassungsgeleitete Räson ist. Mit dem Eingehen des Verfassungsrechts in die Staatsräson kommt aber auch ein Spezifikum zum Ausdruck, das sich aus der je und je konkreten Verfassung ergibt.“130 Der auswärtige Menschenrechtsschutz ist so ein Spezifikum des Grundgesetzes. Die konkrete außenpolitische Staatsräson der Bundesrepublik Deutschland erhält aber nicht nur nach Maßgabe des Grundgesetzes ihre Spezifika. Zusätzlich ergeben sich Besonderheiten aus der Geschichtlichkeit jeder ­Außenpolitik. Davon handelt das folgende Kapitel. 4. Geschichte und Normalität Geschichte erklärt viel, begründet aber nichts. Gegen Ende von Teil B. der Arbeit hatte es geheißen, moderne Staatsräson müsse die Geschichtlichkeit ihres Rahmens begreifen. In einem abstrakten – und das heißt in diesem Fall auch in einem universalen – Sinne ist dies in Teil B. der Arbeit dadurch geschehen, dass zwar die Legitimationsgrundlagen der Staatlichkeit als überzeitliche Einsichten dargestellt worden sind, der ständige Gestaltwandel des Staates unter den Bedingungen der Wirklichkeit aber ebenso akzeptiert wurde. Darüber hinausgehende Überlegungen zur außenpolitischen Staatsräson eines Staates bewegen sich ganz im partikularen Binnenkosmos: Es ist die deutsche Geschichte, die für die außenpolitische Staatsräson der Bundesrepublik Deutschland eine wesentliche Rolle spielt. Geschichtlichkeit im Allgemeinen ist nur insofern von Relevanz, als generell außenpolitische 128  Tomuschat

(1992), S. 519. (1992), S. 147. 130  Klein (2003), S. 99. 129  Isensee

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C. Die außenpolitische Staatsräson der Bundesrepublik Deutschland

Praxis nie hinter einem Schleier – historischen – Nichtwissens stattfindet. Geschichtliche Faktoren wirken also konkret als pragmatische Bedingungen, die außenpolitische Planung anhand einer außenpolitischen Staatsräson vorab festlegen und Berücksichtigung einfordern. Im Kommenden wird also dargelegt, welche Positionen sich in der politikwissenschaftlichen Literatur finden, die Aussagen darüber treffen, inwiefern deutsche Außenpolitik von deutscher Geschichte bestimmt wird und warum dies geschehen sollte. Aus diesen Positionen heraus wird ein Sonderfall der Geschichtsreflexion betrachtet: die Frage nach Normalität. Letztere ist ein weit verbreiteter Diskussionstopos in der deutschen Geschichtswissenschaft, oder ist es zumindest gewesen, der eine nachholende Konjunktur auch in der jüngeren politikwissenschaftlichen Diskussion erlebt hat. Insofern erscheint die Anknüpfung an die eigentümliche Normalitätsdiskussion als sinnvoll und geboten. Das Kapitel schließt mit einem kurzen Resümee, welches die partikularen Geschichtsbefunde der deutschen außenpolitischen Staatsräson mit den universalen Charakteristika allgemeiner außenpolitischen Staatsräson im Sinne der theoretischen Grundlagen verbindet. Grundsätzlich erscheint die Bundesrepublik Deutschland als alt geboren. Das jugendliche Aufbegehren, das oft genug republikanische Gründungsmythen kennzeichnet, fehlt. Der Neuanfang der 1950er Jahre ist eigentümlich auf das Davor bezogen, dazu mag sogar die Person des ersten Kanzlers selbst in ihrer gerontokratisch anmutenden Erscheinung zur Unterstützung dieser These angeführt werden: Die frischeste Zeit der Republik wurde beherrscht vom Vorgestern. Und so ist auch in der bundesrepublikanischen Außenpolitik und der zugehörigen politikwissenschaftlichen Literatur der Rückbezug ein weit verbreiteter Topos. Normativ ist das problematisch, weil etwa eine moralisch wie auch immer einzustufende Vergangenheit natürlich nicht aus sich selbst heraus schon Handlungsverpflichtungen im Jetzt generiert. Konkret: Der Schutz von Menschenrechten legitimiert sich nicht erst durch Nationalhistorien, sondern schon alleine durch sich selbst. Es ist aber ein Gebot der außenpolitischen Klugheit, Begründungsmuster nicht nur zu theoretisieren, sondern auch zu rhetorisieren, womit der Geschichtsbezug unbedingt als Teil einer partikularen Staatsräson zu denken ist, allemal der deutschen. Denn die im historischen Vergleich monumentale Eigenartigkeit einer selbst im innersten Kern menschenrechtszerstörenden Außenpolitik des totalitären Deutschlands zwischen 1933 und 1945 blieb entscheidender Bezugspunkt auch für die nachfolgende Außenpolitik der Bundesrepublik. Es stellt sich mithin gar nicht die Frage, „wie umfassend die außenpolitischen Beziehungen der Bundesrepublik von der Vergangenheit, in erster Linie der nationalsozialistischen, geprägt sind“131 und waren, 131  Schwelling

(2007), S. 102.



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wie Birgit Schwelling korrekt feststellt. Fragen stellen sich dagegen in der Literatur anderswo. Etwa dort, wo aus geschichtlichen Prägungen Rückschlüsse auf heutige Strategien gezogen wurden oder werden. Solche Interpretationsmuster sind gängig, haben aber sogleich auch Kritik auf sich gezogen. Karl Otto Hondrich hat dementsprechend zu Beginn der 1990er Jahre, also im Umfeld des damaligen Golf-Kriegs, nachdrücklich auf andere historische Faktoren hingewiesen, welche die bundesrepublikanische Außenpolitik geformt hätten: „wer den Supermächten ausgeliefert und politisch und militärisch letztlich nicht Täter, sondern Erduldender, ja Hauptleidtragender eines möglichen Krieges in Europa sein würde, für den ist Friedfertigkeit ein absolutes Muss. Mit diesem Lehrstoff füllten die Deutschen die Rolle, die ihnen nach dem Zweiten Weltkrieg verordnet worden war. Sie entwickelten sich, nicht nur äußerlich, sondern ‚echt‘ zu Musterschülern der Friedfertigkeit.“132 Und Fragen wurden und werden gestellt, ob und inwiefern der außenpolitische Geschichtsbezug in seiner Konzentration auf die nationalsozialistische Epoche einen Wandel durchläuft, warum dieser stattfindet und wie er zu bewerten ist. Insbesondere Christian Hacke und Gregor Schöllgen haben nach der Wiedervereinigung eine differenziertere historische Grundlegung der deutschen Außenpolitik angemahnt. Zugunsten einer Öffnung der sinnstiftenden Geschichtsbezüglichkeit von Außenpolitik plädierte beispielsweise Christian Hacke, als er 2003 forderte, dass „eine außenpolitische Kultur entsteht, die deutsche Geschichte auch unter der Fragestellung aufarbeitet, ob und wo sich Anknüpfungspunkte für bemerkenswerte Traditionslinien aufspüren lassen. Das außenpolitische Versagen und Verbrechen Deutschlands im 20. Jahrhundert darf nicht verkleinert oder gar eingeebnet werden.“133 Aber, fragte er daran anschließend: „sind in den vergangenen Jahrzehnten nicht umgekehrt durch alleinige Konzentration auf deutsche Schuld und deutsches Verbrechen positive Aspekte deutsche Außenpolitik unverantwortlich eingeebnet worden?“134 Nicht mehr fragend ist Gregor Schöllgen in dieselbe Richtung vorgegangen, als er ebenfalls 2003 titelte „Der Auftritt. Deutschlands Rückkehr auf die Weltbühne“135. Nur um dann schließlich in eindeutiger historischer Konnotation zwei Jahre später die deutsche Außenpolitik als „Jenseits von Hitler“136 zu platzieren. Schon durch solche Offenheit, die sich natürlich als Bereicherung und nicht als Gegenmodell zu hergebrachten Erinnerungsmustern versteht, verbreiterte sich der historische Horizont deut132  Hondrich

(1992), S. 30. (2003), S. 528. 134  Ebd.; so auch schon im Jahr 2002; vgl. Hacke (2002), S. 288. 135  Schöllgen (2003). 136  Schöllgen (2005). 133  Hacke

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C. Die außenpolitische Staatsräson der Bundesrepublik Deutschland

scher Außenpolitik. Richtig ist aber auch, dass es stets ein Teil ihres Fundaments bleiben wird, „die Erinnerung an die nationalsozialistischen Verbrechen wach zu halten, nicht als Instrument permanenter Fremd- und Selbstdemütigung, sondern als Hilfe, als Chance für den freien Staat und seine Bürger, seiner raison d’être treu zu bleiben“137. So hat es Eckart Klein ebenfalls 2003 ausgeführt und – ganz im Sinn außenpolitischer Staatsräson – folgerichtig gefordert, dass „daraus für die praktische Politik Konsequenzen gezogen werden“138 müssten. Hiermit ist allerdings ein Problem aufgeworfen, das sich notwendigerweise mit historischen Bezügen verknüpft, sobald diese als echte Handlungsgründe und nicht als kommunikative Unterstützungsfaktoren im politischen Wettbewerb um Zustimmung gesehen werden. Denn wie bereits zu Beginn des Kapitels gesagt, legitimiert Geschichte streng genommen gar nichts. Auch keine Außenpolitik, weswegen die von Karl Otto Hondrich so bezeichnete Friedfertigkeit der Bonner Republik auch eher als ein Produkt der zeitgenössischen Situation in der internationalen Politik zu verstehen ist, denn als freier Entschluss am Ende eines historischen Lernprozesses. Das zugehörige außenpolitische Verhalten konnte sich zwar als Geschichtslektion darstellen, beruhte aber mindestens ebenso sehr auf den inneren Bedingungen, welche die Demokratie des Grundgesetzes stellte, und den auswärtigen Beschränkungen, die die Epoche des Kalten Krieges mit sich brachte. Insofern durfte es nicht verwundern, dass bei Änderung der äußeren Umstände auch bald die außenpolitischen Konsequenzen, die als Konsequenzen aus der Geschichte verstanden worden waren, einen Wandel durchliefen. Michael Schwab-Trapp hat dies bereits kurz nach der Jahrtausendwende in einer umfassenden Untersuchung an einem besonders aussagekräftigen Beispiel außenpolitischer Entscheidungsfindung, nämlich anhand militärischer Interventionen, gezeigt.139 Mit Blick auf die geschichtliche Einbettung der Auseinandersetzungen um die militärischen Interventionen, an denen die Bundesrepublik Deutschland seit den 1990er Jahren beteiligt war, resümierte er dann wie folgt: „Die deutsche Geschichte als Argument für oder gegen militärische Interventionen bildet einen […] dominanten Argumentations­ strang.“140 Nachdem die Vergangenheit zuvor gegen den Einsatz militärischer Machtmittel gesprochen hatte, konnte sie nun – unter geänderten internationalen Bedingungen – auch dafür sprechen. Hierin offenbart sich die normative Beliebigkeit des Vergangenheitsbezugs besonders eindrücklich. Birgit 137  Klein 138  Ebd. 139  Vgl.

140  Ebd.,

(2003), S. 101.

Schwab-Trapp (2002). S. 203.



I. Erste Übertragung: Allgemeines181

Schwelling hat dies mit Blick auf die deutsche außenpolitische Diskussion vor dem Bundeswehreinsatz im Kosovo-Krieg dann zu folgendem korrekten Urteil veranlasst: „Unter Berufung auf den Nationalsozialismus konnte man demnach 1999 sowohl zum Bellizisten als auch zum Pazifisten werden.“141 Dieses Phänomen versinnbildlicht gleich zweierlei. Erstens ist die Berufung auf die nationalsozialistischen Verbrechen keinesfalls wegzudenken aus der politischen wie außenpolitischen Argumentationsszene. Zweitens aber, das hat Helmut König in seiner allgemeinen Darstellung zur Rolle der Erinnerung an den Nationalsozialismus im politischen Diskurs der Bundesrepublik gezeigt, vollzieht sich nicht nur ein gradueller, sondern ein kategorischer Wandel: „Auch nach der Herstellung der deutschen Einheit nimmt die Erinnerung an Nationalsozialismus und Holocaust breiten Raum ein, zugleich aber sind die Koordinaten der Erinnerung grundlegenden Veränderungen unterworfen. Aus einem Phänomen der Zeitgeschichte wird der Nationalsozialismus mehr und mehr zu einem Ereignis der Geschichte.“142 Birgit Schwelling hat dies zum Diktum vom „Schwinden der Eindeutigkeit“143 veranlasst, dessen Hauptgründe sie in der kollektiven Empfindung einer mit Ende des Kalten Krieges und Wiedervereinigung angebrochenen neuen Zeit, anderen Erwartungshaltungen der internationalen Partner Deutschlands, ebenfalls im Ende der zeitgeschichtlichen Existenz des Nationalsozialismus und in der schlicht jüngeren Generation der Handelnden lokalisierte. Letztere hätte zumindest qua Geburt keine Verbindung mehr mit der Zeit vor 1945 aufzuweisen.144 Diese Überlegungen berühren jedoch unmittelbar eine Eigenart bundesrepublikanischer Geschichtsreflexion, die sich auch in der Diskussion um die deutsche Außenpolitik zeigt. Dies ist die Frage nach der Normalität historischer Pfade, die zuletzt im Umfeld einer Äußerung des damaligen Bundeskanzlers Gerhard Schröder wieder an Aktualität gewann. Er hatte am 05. August 2002 in seiner Rede zum Auftakt des Bundestagswahlkampfs gesagt: „Es ist wahr, wir haben uns auf den Weg gemacht, auf unseren deutschen Weg.“ Diese Diktion erinnerte an die aus der Geschichtswissenschaft wohlbekannte, dort allerdings auch schon veraltete, aber weiterhin notorische Frage nach dem deutschen Sonderweg in der neueren Geschichte Europas.145 Nur vor diesem Hintergrund ist die Debatte um die Norma141  Schwelling

(2007), S. 105. (2003), S. 17–18; Helmut König vermutet deswegen eine zunehmende Stellvertreterfunktion des historischen Bezugs auf den Nationalsozialismus, der von den wahren Motiven der Handelnden nur noch ablenkt; vgl. König (2003), S. 46. 143  Schwelling (2007), S. 104. 144  Vgl. Schwelling (2007), S. 106–107. 145  Vgl. Hildebrand (1987). 142  König

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C. Die außenpolitische Staatsräson der Bundesrepublik Deutschland

lität der deutschen Außenpolitik nach der Wiedervereinigung verständlich.146 Bedeutsam für das Thema der außenpolitischen Staatsräson ist sie, weil sich der Normalitätsbegriff bei näherem Hinsehen als ein normativer Angelpunkt der strategischen Diskussion um die deutsche Außenpolitik offenbart. Noch gegen Ende der Bonner Republik hatte das Adjektiv normal – dem Staat Bundesrepublik vorangestellt – dazu getaugt, Aufmerksamkeit zu erzeugen. Um im Rahmen der erlaubten Provokation zu bleiben, schien allerdings immerhin noch ein Fragezeichen geboten, als Wilhelm Bleek und Hanns Maull 1989 titelten: „Ein ganz normaler Staat? Perspektiven nach 40 Jahren Bundesrepublik“147. Im Verlauf der 1990er Jahre ist das Fragezeichen sukzessive einem Ausrufezeichen gewichen, sowohl im zustimmenden wie ablehnenden Sinne. Exemplarisch lassen sich Jürgen Habermas, Andrei Markovits zusammen mit Simon Reich, Karl-Rudolf Korte, Rainer Baumann zusammen mit Gunther Hellmann, Hanns Maull sowie Egon Bahr anführen, um die regelmäßige Wiederkehr des Normalitätsdiskurses zu belegen.148 Gleichfalls ließ sich schon kurz nach der Jahrtausendwende ein erstes Fazit der Diskussion um die deutsche Außenpolitik ziehen, das Dirk Peters seinerzeit zu Recht auf zwei Aspekte reduzierte: „Almost all contributors agreed that unification had opened up new opportunities for German foreign policy, including opportunities to break with the foreign policy traditions of the ‚old‘ Federal Republic and to pursue a more assertive foreign policy. Yet they disagreed as to whether it would be a wise choice for Germany to do so.“149 Der Streit um die verstärkte Abwendung von hergebrachten außenpolitischen Verhaltensmustern wurde und wird allerdings teilweise noch vornehmlich als Auseinandersetzung um eine Normalisierung der deutschen Außenpolitik geführt. Augenfällig wird diese Verknüpfung etwa bei Gregor Schöllgen, dem 2003 die Bundesrepublik als „ein Nationalstaat wie andere auch, mit dem Potenzial einer europäischen Großmacht“150 erschien, um dann mit folgendem Postulat zu schließen: „Seit der Wiedervereinigung hat das Land die Statur für diese Rolle, seit der Irak-Krise auch das Selbstbewusstsein, sie mit Augenmaß auszufüllen. Sie anzunehmen, ist ein nationales Interesse.“151 An derlei Forderungen entzündeten sich wesentliche Debatten um die Ausrichtung der deutschen Außenpolitik, sodass sich alsbald 146  Auch wenn die offene Anküpfung an das Bild des historisch zu beschreitenden Wegs eher ein Sujet der politischen Publizistik geblieben ist; so etwa bei Egon Bahr, der 2003 titelte: „Der deutsche Weg. Selbstverständlich und normal“; Bahr (2003). 147  Bleek / Maull (1989). 148  Vgl. Habermas (1995); Markovits / Reich (1997); Korte (1998); Baumann / Hellmann (2001); Maull (2004); Bahr (2009). 149  Peters (2001), S. 11. 150  Schöllgen (2003), S. 12. 151  Ebd., S. 167.



I. Erste Übertragung: Allgemeines183

eine nach wie vor gültige Typologie etablierte, die zwischen den Befürwortern einer außenpolitischen Normalisierung und deren Gegnern unterschei­ det,152 wobei als Norm eine tatsächliche oder angenommene offensivere Interessenverfolgung seitens der westlichen Partnerstaaten dient. In Bezug auf konkrete außenpolitische Verhaltensweisen schieden und scheiden sich die Geister der Normalitätsbefürworter.153 Dennoch zeigt sich insgesamt eine deutliche normative Kohärenz, die sich in einer offeneren Thematisierung deutscher Interessen niederschlägt, und in einer dann im westlichen Staatenkosmos in der Tat unkomplizierteren Umgangsweise mit militärischen Machtmitteln, also bei der militärischen Intervention.154 Eben klassischerweise im historischen Bezugsrahmen argumentierend hat Chris­ tian Hacke hierfür die prägnante Formel von „mehr Bismarck und weniger Habermas“155 geprägt. Und an dieser mutmaßlichen historischen Normalität militärischen Engagements entzündete sich denn auch die schärfste Kontroverse im Rahmen der Debatte um das historisch Übliche und seine Wiederkehr in der bundesrepublikanischen Außenpolitik. Gunther Hellmann veröffentlichte 2004 dazu einen programmatischen Aufsatz, in dem er sich „Wider die machtpolitische Resozialisierung der deutschen Außenpolitik“156 aussprach. An die Diktion Schöllgens anknüpfend warnte er vor ebendieser „machtpolitischen Resozialisierung im Konzert der großen Mächte“157 und einer damit einhergehenden Militarisierung der deutschen Außenpolitik.158 Die Debatte blieb paradigmatisch und brachte letztlich keine Bewegung in die normative Frontstellung, zog Gunther Hellmann doch weitgehend Kritik auf sich, die sich bemerkenswerterweise vor allem darin äußerte, dass die Normalität der bundesrepublikanischen Interventionspraxis seinen Einwänden gegenüber relativiert, sozusagen normalisiert wurde.159 Damit war die 152  Gunther Hellmann lieferte 1999 noch eine differenzierte Einteilung der normativen Positionen, während Michael Staack oder eben Dirk Peters und zuletzt auch Siegmar Schmidt, Gunther Hellmann sowie Reinhard Wolf in leicht verlagerter Perspektive diese Dichotomie aufgreifen; vgl. Hellmann (1999); Staack (2000); Peters (2001); Schmidt / Hellmann / Wolf (2007a). 153  So teilen zwar Gregor Schöllgen, Christian Hacke oder auch Rüdiger Voigt die normative Absicht einer normalisierten, das heißt auch öffentlich pointierteren, deutschen Interessenverfolgung, bewerteten jedoch beispielsweise das außenpolitische Agieren der Bundesregierung im Zusammenhang mit dem Irak-Krieg im Jahr 2003 sehr unterschiedlich; vgl. Hacke (2003a); Schöllgen (2004a); Voigt (2005). 154  Vgl. Baumann / Hellmann (2001), S. 77. 155  Hacke (2006), S. 75. 156  Hellmann (2004). 157  Ebd., S. 80. 158  Vgl. ebd., S. 80–88. 159  Gunther Hellmann nutzte die Zeitschrift Welttrends als Publikationsort, in deren Folgeheft dann eine ganze Reihe prominenter Autoren gegen seine Thesen

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Debatte weitgehend entschieden, was sich letztlich an einem Abebben des Normalitätsdiskurses zeigt. Allein Marcus Hawel hat 2007 noch einmal in einer umfangreichen Monographie der Kritik an der so genannten Normalisierung das Wort geredet.160 1998 hatte Karl-Rudolf Korte bei der Beschäftigung mit der außenpolitischen Normalität der Außenpolitik der Bundesrepublik – vielleicht wegen der Änderungsstimmung, die Regierungswechsel begleitet – noch das Präteritum gewählt, um das Selbstverständliche festzuhalten: „In der durch Ostverbindungen erweiterten westeuropäischen Integration und der atlantischen Sicherheitspartnerschaft lag die unverrückbare und allseits akzeptierte Staatsräson der Bundesrepublik Deutschland.“161 Daran hat auch der Geschichts- und Normalisierungsdiskurs nichts geändert. Allerdings hatte KarlRudolf Korte eine zutreffende Beobachtung angefügt, als er das historische Normalitätsbewusstsein als Wurzel eines „Begründungsvorbehalts“162 beschrieb, der fortan außenpolitische Grundsatzentscheidungen begleiten würde. Dies ist eine korrekte Diagnose gewesen, die im Lichte der Ergebnisse des Theorieteils dieser Arbeit auch als unbedingt begrüßenswert eingestuft werden muss. Denn abschließend gilt es, den sich im Rahmen historischer Verweise und mit Hinweis zu einer wie auch immer verstandenen geschichtlichen Normalität abspielenden Diskurs um die außenpolitische Staatsräson der Bundesrepublik Deutschland mit dem normativen Spannungsfeld aus Partikularismus und Universalismus in Verbindung zu bringen. Auch wenn Geschichtsbezüge nicht als theoretisch belastbare Legitimationslieferanten angesehen werden können, so dürfen sie doch als rhetorische Vehikel dienen, um notwendige Legitimationsanforderungen in einen Diskurs zu transportieren. Dann kann die grundsätzlich partikulare Größe einer Nationalhistorie sogar Stellung bezog, etwa Stephan Böckenförde, Wilfried von Bredow, Carlo Masala oder auch Hanns W. Maull; vgl. Nummer 43 der Zeitschrift Welttrends (2004). 160  Marcus Hawels Arbeit stellt sicherlich die umfassendste Auseinandersetzung mit dem Normalitätsdiskurs dar, scheidet aber als ernst zu nehmende normative Positionierung aus, da sie sich an entscheidender Stelle in verschwörungstheoretischen Erklärungsmustern verliert: „Das ideologische Fundament der deutschen Außenpolitik seit 1945 war nicht einfach auswechselbar. Es musste Stein für Stein abgetragen werden: an- und abgekratzt in mühevoller und mühseliger Kleinarbeit, und die abgetragenen Segmente mussten mosaikartig durch neue ersetzt werden: in salamitaktischem Tempo, damit es dem öffentlichen Zensus des kollektiven Gedächtnisses entging und nicht Alarm schlug. Darin versteckte sich Sinn und Zweck der vergangenheitspolitischen Normalisierung: das kollektive Gedächtnis für den postmodernen Zeitgeist des alltagspolitischen Pragmatismus neoliberalen Einschlags geschmeidig zu machen.“ Hawel (2007), S. 419. 161  Korte (1998), S. 5. 162  Ebd., S. 11.



I. Erste Übertragung: Allgemeines185

als Bezugspunkt universaler Fragestellungen dienen. Nichts anderes beschreibt der von Karl-Rudolf Korte diagnostizierte Begründungsvorbehalt, unter dem die Kernanliegen der deutschen Außenpolitik stehen. Allein Gunther Hellmann hat ein Bewusstsein für diesen Zusammenhang anklingen lassen, als er gegen Ende seines einschlägigen Beitrags die Normalitätsfrage direkt mit universalistischen Entwicklungsperspektiven der internationalen Politik verknüpft und ein Plädoyer gehalten hat zugunsten eines pragmatischen Universalismus, der zum Kennzeichen zukünftiger deutscher Außenpolitik tauge.163 Nutzlos dagegen für ein fruchtbares normatives Zusammenspiel aus Partikularismus und Universalismus ist ein buchstäbliches Verständnis von außenpolitischer Normalität, das der ohnehin zu lange sonderwegsdeformierten Geschichtsdebatte in Deutschland nur eine weitere Facette hinzufügt. Schon in der ersten Hälfte der 1990er Jahre hat Ludger Kühnhardt auf diesen Umstand aufmerksam gemacht: „Die Bundesrepublik Deutschland muss verinnerlichen, dass ‚Normalität‘ nicht ‚Statik‘ bedeutet. Internationale Politik ist ihrem Wesen nach dynamisch, zum Teil unkalkulierbar. Eigene Ideale und Interessen werden immer wieder vor neue Entscheidungssitua­ tionen gestellt. Zugespitzt: Das Normale ist die ständige Abweichung. Die Bundesrepublik Deutschland muss daher umso mehr ein festes Fundament ihrer innen- wie außenpolitischen Wertgrundlagen mit einem offenen Dach ihrer Handlungsoptionen bei steter Beachtung des Verlässlichkeitsgrundsatzes verbinden.“164 Insofern, also unter Berücksichtigung der legitimationstheoretischen Leerstellen, welche die Rede von historischer Normalität mit sich führt, ist der Argumentationsplatz des geschichtlich Üblichen als Teil einer außenpolitischen Staatsräson zu berücksichtigen. Normalisierung ist normativ offen: „Hence, normalisation of foreign and security policy need not result in casual endorsement of the use of force as constructivists fear and need not lead to the idealised dismissal of material power that realists abhor“165, so hat es Regina Karp kürzlich zusammengefasst. Gerade deswegen bildet außenpolitische Normalität ein Element einer jeden Diskussion um außenpolitische Staatsräson. 5. Atlantizismus und Europäismus Zur Normalität des politikwissenschaftlichen Diskurses um deutsche Außenpolitik gehört seit Langem wiederum der Gegensatz von Atlantizismus und Europäismus. Aus der zeithistorischen Literatur ist diese Kontroverse Hellmann (2004), S. 88. (1994), S. 123. 165  Karp (2009), S. 31. 163  Vgl.

164  Kühnhardt

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als Streit unter Atlantikern und Gaullisten bekannt. Obwohl weitgehend selbsterklärend sei an dieser Stelle noch einmal auf Eckart Conzes Definition der beiden Begriffe verwiesen, die sowohl für die politische Auseinandersetzung, die stilbildend vor allem während der 1960er Jahre zu Tage getreten ist,166 als auch für die Begriffsverwendung in der Literatur Geltung beanspruchen kann: „Als ‚Atlantiker‘ seien also die Vertreter einer außenpolitischen Konzeption bezeichnet, die den transatlantischen Bezug der westdeutschen Außenpolitik besonders betonten. Demgegenüber können wir als ‚Gaullisten‘ diejenigen identifizieren, die wegen ihrer Kritik an der amerikanischen Außenpolitik für eine möglichst enge politische Abstimmung mit Frankreich plädierten; eine Konzeption also, die man als tendenziell ‚europazentrisch‘ bezeichnen könnte.“167 Rückblickend lässt sich der Streit zwischen Gaullisten und Atlantikern durchaus „darauf reduzieren, dass erstere für ein Entweder-oder, die Atlantiker hingegen für ein Sowohl-als-auch in den Beziehungen zu Washington und Paris plädierten“168, wie Christian Hacke anmerkt. Gleichwohl hat Tim Geiger in seiner umfassenden Unter­ suchung der historischen Debatte auf ihren wesentlich durch die Bedingungen des damaligen internationalen Systems geprägten Charakter aufmerksam gemacht: „Die Atlantiker-Gaullisten-Kontroverse verdeutlicht zugleich anschaulich den hohen Grad internationaler Abhängigkeit der Bundesrepublik und gibt Aufschluss über ihre, auch nach der nominellen Souveränität 1955 in manchem recht engen Grenzen eigener Handlungsfähigkeit.“169 Insofern verwundert die strukturelle Unterlegenheit, die Niederlage, der gaullistischen Diskutanten während der Epoche des Kalten Krieges nicht, zu groß und ausschlaggebend war letztlich das machtpolitische Gewicht der USA, als dass angesichts der sowjetischen Bedrohung nicht auch Atlantiker im Zweifel eine Entweder-oder-Positionierung einfordern konnten, welche schließlich immer wieder zugunsten des eigenen Standpunkts endete. Bemerkenswert an der Kontroverse ist jedoch vor allem ihre tatsächlich unübersichtliche Gemengelage. Auch Eckart Conze betont diese nachdrücklich: „In der ‚Atlantiker-Gaullisten‘-Kontroverse trafen, das ist deutlich geworden, zu Beginn der sechziger Jahre unterschiedliche Linien innen­ politischer, außenpolitischer, gesellschaftlicher und sozialkultureller Entwicklungen zusammen. Das macht diese Debatte in ihren unterschiedlichen Dimensionen und Verästelungen so komplex und undurchschaubar.“170 Vielleicht auch deswegen trifft auf die Atlantiker-Gaullisten-Kontroverse ein Hildebrand (1990). (2003), S. 211. 168  Hacke (2003), S. 107. 169  Geiger (2008), S. 518. 170  Conze (2003), S. 225. 166  Vgl.

167  Conze



I. Erste Übertragung: Allgemeines187

Befund zu, der sich in ähnlicher Form nicht auf andere außenpolitische Großkontroversen der Bundesrepublik Deutschland übertragen lässt. Denn der Streit zwischen Atlantikern und Gaullisten ist nie entschieden worden. Torsten Oppelland sieht denn auch richtigerweise eine besondere Gegenwartsrelevanz dieser historischen Auseinandersetzung: „Darüber hinaus blieb diese Kontroverse anders als alle anderen in gewisser Weise offen und unentschieden, so dass sie – was ihre besondere Aktualität ausmacht – immer wieder zu Tage getreten ist.“171 Zuletzt hat diese Aktualität aber eine besondere Note erfahren, da die Debatte inzwischen nicht mehr unter den Konditionen des Kalten Krieges an Lebendigkeit gewonnen hat, sondern in einem neuen internationalen Umfeld oder sogar wegen dieses neuen Umfelds, wie Tim Geiger festgestellt hat: „Damit stellt sich für das wiedervereinigte Deutschland die bekannte europäisch-atlantische Optionsproblematik der 1960er Jahre in ganz neuer Weise. Es bleibt die schwierige, stets neu auszujustierende Aufgabe deutscher Politik, einen ausgewogenen Mittelweg zu finden, der sowohl den essentiellen europäischen Interessen der Bundesrepublik, vor allem in Verbindung mit dem französischen Nachbarn, Rechnung trägt als auch den engen Beziehungen mit den USA, die gerade angesichts neuer Herausforderungen und Bedrohungen für die westliche Wertegemeinschaft auch in Zukunft ein unentbehrlicher Partner und Verbündeter bleiben dürften.“172 So lässt sich der einschlägige Titel, den Wolfram Hanrieder seinem ausgreifenden historischen Rückblick auf die Geschichte der Außenpolitik der Bundesrepublik Deutschland nach dem Ende der Bonner Republik gab – „Deutschland, Europa, Amerika. Die Außenpolitik der Bundesrepublik“173 – auch als Ankündigung des Kommenden lesen. Denn die Personifikation der Auseinandersetzung um strategische Grundausrichtungen als AtlantikerGaullisten-Kontroverse darf nicht über ihre zeitlich fortgesetzte Virulenz hinwegtäuschen. Angesichts der prinzipiellen Offenheit der Debatte bedurfte es nur eines weiteren Anlasses, um nach Ende des Kalten Krieges ihr erneutes Aufflackern auszulösen, und zwar exakt in dem europäistischen Sinne, in dem Egon Bahr schon 1998 in seiner Streitschrift eine außen- und sicherheitspolitische „Emanzipation“174 von den USA gefordert hatte. Spätestens mit den Jahren 2002 und 2003, also mit dem Irak-Konflikt, war dieser Anlass gekommen – die Debatte um Europäismus und Atlantizismus hatte wieder einmal an Aktualität gewonnen.175 171  Oppelland

(2004), S. 341. (2008), S. 532. 173  Hanrieder (1995). 174  Bahr (1998), S. 43. 175  Vgl. Geiger (2008), S. 11. 172  Geiger

188

C. Die außenpolitische Staatsräson der Bundesrepublik Deutschland

Gregor Schöllgen gab den Ton an, indem er in der damaligen Politik der Bundesregierung nicht weniger erkannte als das Symptom einer ganzen Zeitenwende: „Die transatlantische Epoche geht zu Ende.“176 Der politikwissenschaftliche Diskurs spaltete sich für einen historischen Moment deutlich in zwei Parteien, die geradezu archetypisch die von Eckart Conze bereits für die Kontroverse der 1960er Jahre festgestellten Merkmale aufwiesen. Jenseits sonstiger methodischer oder strategischer Differenzen standen sich die Befürworter einer atlantischen Strategiekonzeption auf der einen und die Anwälte einer stärkeren Konzentration auf europäische Partner und Institutionen auf der anderen Seite gegenüber. Letztere sogar in der historisch bekannten Variante, deren Argumentation schon in den 1960er Jahren vornehmlich in der Kritik an der Außenpolitik der USA bestanden hatte. Programmatischen Ausdruck fand diese Position im Umfeld des IrakKonflikts exemplarisch in Michael Staacks Beitrag, der gleich im Titel ein „Nein zur Hegemonialmacht“177 aussprach. Für Staack war erst mit der deutschen Außenpolitik gegenüber der amerikanischen Irak-Politik der Jahre 2002 und 2003 das Ende der Epoche des Kalten Krieges gekommen. Erstmalig durch die offene deutsche Opposition gegenüber den USA habe die Außenpolitik der Berliner Republik das Tor zu neuen Handlungsmöglichkeiten aufgestoßen und sich letztlich in eine Stellung hinein verneint, die, allemal im Vergleich zu den außenpolitischen Zwängen und Beschränkungen der Bonner Republik, als grundsätzlich autonom angesehen werden könne. Michael Staack resümierte seine Überlegungen, indem er eine neue außenpolitische „Wahlfreiheit“178 annahm. Damit bewegte er sich auf derselben Argumentationslinie wie schon Gregor Schöllgen zuvor. Nicht nur rückblickend konstatierte dieser das Ende der transatlantischen Epoche und verlegt sogleich die Zukunft der deutschen Außenpolitik nach Europa.179 Auch Gregor Schöllgen interpretierte die Vorgänge als Konsequenz einer prinzi­ piell veränderten internationalen Situation: „Für die deutsche Außenpolitik heißt das nichts anderes, als den dramatisch gewandelten weltpolitischen Konstellationen Rechnung zu tragen und sich, stärker noch als zuvor, in jene Tradition zu stellen, die dann doch die vertrautere ist: die europäische.“180 176  Schöllgen

(2003), S. 159. (2004). 178  Ebd., S. 222; eine Wahlfreiheit, deren mittel- und langsfristige Folge Michael Staack gleichwohl schon prognostizieren wollte, indem er eine stärker europäisch orientierte Außen- und Sicherheitspolitik der Bundesrepublik aufziehen sah; vgl. ebd., S. 220–221. 179  Vgl. Schöllgen (2004a). 180  Ebd., S. 15–16; so auch, wenngleich nur noch im Titel nach dem „Ende der transatlantischen Epoche?“ fragend, der einschlägige Sammelband von Michael Staack und Rüdiger Voigt; Staack / Voigt (2004). 177  Staack



I. Erste Übertragung: Allgemeines189

Michael Staack und Gregor Schöllgen argumentierten beide aus historisch grundierten Positionen. Einen etwas anders gelagerten Europäismus vertraten hingegen Harald Müller oder Peter Rudolf.181 Beide diagnostizierten „Strukturkonflikte in den transatlantischen Beziehungen“182, die in einer unterschiedlichen Betonung, mehr noch: in einer grundsätzlich neuen Außenpolitik zu suchen seien. Während die europäischen Gegenspieler der USA ihre Außenpolitik multilateral organisierten, zeige sich bei den USA ein unverhohlener Unilateralismus, welcher – in dieser Deutungsperspektive – den eigentlichen Bruch mit den Traditionen transatlantischer Partnerschaft darstelle. Aufruhend auf solchen Überlegungen entwickelten andere Autoren auch noch stärker normativ konzeptionierte Positionen, die der deutschen Außenpolitik nahe legten, sich zukünftig auf den Ausbau europäischer Fähigkeiten in der Außen- und Sicherheitspolitik zu konzentrieren, und dies ganz bewusst neben den USA, wenn nicht sogar in Konkurrenz zu diesen.183 Inwiefern zur Analyse dieser Standpunkte eher ideologiekritische Zugänge184 dienlich sind oder solche, die sich dem klassischen politikwissenschaftlichen Realismus zuordnen lassen,185 kann an dieser Stelle dahingestellt bleiben. Entscheidend ist nur die Virulenz des außenpolitischen Europäismus und seiner Gegenposition, des Atlantizismus. Denn wie schon bei der historischen Debatte zwischen Gaullisten und Atlantikern in der Bonner Republik suchten die Kontrahenten der europazentrischen Argumentation die Unverzichtbarkeit der transatlantischen Bindung zu unterstreichen. Nicht weniger dramatisierend als Michael Staacks „Nein zur Hegemonialmacht“, lässt sich beispielsweise Arnulf Baring anführen, der folgendes festhielt: „Ohne die USA gibt es keine Zukunft für Deutsch­ land“186. Gleichermaßen zeigte sich das ebenfalls bekannte Muster, sich nicht auf das außenpolitische Dilemma-Argument einlassen zu wollen, wonach Europa und Nordamerika nur als strategisches Entweder-oder zu verstehen seien, sondern ein komplementäres Verständnis zu fördern.187 Prägnant griff etwa Christian Hacke auf diese Argumentationsstruktur zurück: „Europa steht nicht alternativ zur atlantischen Partnerschaft, sondern bleibt ihr wesentlicher Bestandteil.“188 Ähnlich begründeten Helga Haftendorn und Michael Kolkmann ihre Posi­tion, die zwar Differenzen in der strateMüller (2002); Rudolf (2002). (2002), S. 17. 183  Vgl. Lübkemeier (2003); Martens (2005). 184  Vgl. Langguth (2004). 185  Vgl. Masala (2004). 186  Baring (2003). 187  Vgl. Meier-Walser / Luther (2002); Bierling 2007. 188  Hacke (2004), S. 382. 181  Vgl.

182  Rudolf

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C. Die außenpolitische Staatsräson der Bundesrepublik Deutschland

gischen Kultur beidseits des Atlantiks feststellten, gleichwohl eine deutsche Initiative zur Reparatur des transatlantischen Verhältnisses anmahnten und so auch zum Lager der Atlantiker gezählt werden dürfen.189 Karl-Heinz Kamp hingegen hat schon zur Hochzeit der Debatte auf ein allseitiges Auseinanderlaufen von distanzierender Rhetorik, widersprüchlichen Begründungsmustern und tatsächlicher Außenpolitik hingewiesen.190 Auf dieser Grundlage konstatierte er ferner einen mittelfristigen Handlungsbedarf im transatlantischen Sicherheitsgefüge, der „den Realitäten des 21. Jahrhunderts Rechnung trägt: den neuen Bedrohungen, die neue Antworten erfordern; dem berechtigten Wunsch der EU, eine eigenständige Kraft in der Sicherheitspolitik zu werden; der Ausweitung der euro-atlantischen Gemeinschaft und der Erweiterung der NATO; der neuen, weiter gefassten Rolle der NATO sowie den wachsenden europäisch-amerikanischen Asymmetrien bei der militärischen Leistungsfähigkeit.“191 Somit war der Ge­ gensatz zwischen Europäismus und Atlantizismus wieder einmal Stimulus einer spezifischen, sich an einem konkreten Gegenstand entzündenden, ­außenpolitischen Debatte gewesen – und im Übrigen wieder einmal unentschieden geblieben. Und so lebt die Dichotomie in der jüngeren Literatur fort. Sie tut dies als explizit normatives „Plädoyer für eine transatlantische Arbeitsteilung“192, das europäische und amerikanische Aufgaben und damit Politiken voneinander trennt oder auch als deskriptives Instrument zur Unterscheidung innerdeutscher oder auch innereuropäischer außenpolitischer Ansätze.193 Sie tut dies implizit im Sinne einer historischen Rückschau, wenn etwa Werner Link die Epoche des Kalten Krieges „erst mit einer gewissen sicherheitspolitischen Unabhängigkeit Gesamteuropas“194 enden lässt. Sie tut dies explizit als normative These, wie bei Wolfram Hilz: „Die deutsch-französische ‚Achse‘, im Sinne eines permanenten bilateralen Positionsabgleichs zwischen Berlin und Paris, spielt dabei als Stabilitätsanker für die internationale Verflechtung der Bundesrepublik die zentrale Rolle, um alle anderen Kooperationsverhältnisse darauf abstimmen zu können – auch die deutschHaftendorn / Kolkmann (2004). Kamp (2003). 191  Ebd., S. 20; in einem abstrakten Sinne so auch Christian Hacke: „Deshalb wünscht der Rest der Welt heute, im Zeichen weltpolitischer Probleme von Globalisierung, Terrorismus, regionalen Krisen und nicht zuletzt angesichts neuer globaler Fragen eine entsprechend kluge Mischung von harten und weichen, kreativen und nichtmilitärischen Machtmitteln und entsprechend auch eine neue Melange von Uniund Multilateralismus.“ Hacke (2004a), S. 103. 192  Bahr (2005). 193  Vgl. Zürn / Binder (2005); Hellmann (2007). 194  Link (2007), S. 137. 189  Vgl. 190  Vgl.



I. Erste Übertragung: Allgemeines191

amerikanischen Beziehungen!“195 Und schließlich erschien es den Herausgebern eines der umfangreichsten Sammelbände zur deutschen Außenpolitik der letzten Jahre als angemessen, dessen letzten Teil gleich vollständig unter den Titel „Zwischen Europa und Amerika“196 zu stellen. Hans-Peter Schwarz und Werner Link markieren dort noch einmal die beiden Pole der Auseinandersetzung. Ersterer will die Verbindung der deutschen Außenpolitik mit derjenigen der USA ohne Umschweife als „Staatsräson“197 verstanden wissen und bekräftigt damit seine alte Position.198 In archetypisch atlantizistischer Manier betont Schwarz nicht nur kulturelle Gemeinsamkeiten, den Weltmachtstatus der USA oder die historisch positiven Erfahrungen, sondern stellt ebenso das Junktim von gelingender europäischer Integration und lebendiger atlantischer Partnerschaft her.199 Werner Link hingegen bemüht ebenfalls den Begriff der „Staatsräson“200, um seine These zu stützen, konzentriert sich dann aber vor allem darauf, unter Hinweis auf die Vorgaben des Grundgesetzes eine Konzentration der deutschen Außenpolitik auf ihre europäischen Bindungen zu fordern.201 Lothar Rühl nimmt an gleicher Stelle dagegen die Position des verhaltenen Atlantikers ein, der strategischen Überlegungen Vorrang vor allen anderen einräumt, etwa solchen zu kulturellen Dispositionen unterschiedlicher Außenpolitiken: „Aber eine nachhaltige und unbeirrbare, strategisch, also planvoll und zielgerichtet über längere Zeit angelegte Politik der atlantischen Partnerschaft mit einem Akteur Europa in der NATO wie bei den Vereinten Nationen würde Deutschland und Europa am besten dienen und in jedem Fall die einzige positiv wirksame sein.“202 Ähnlich verfährt Wilfried von Bredow, der allerdings die argumentative Reihenfolge umstellt – ein tatkräftiger Europäismus der deutschen Außenpolitik sei die Grundlage für eine vitale transatlantische Partnerschaft.203 Die fortgesetzte Virulenz der sich in Atlantizismus und Europäismus aufspreizenden Debatte erklärt sich abschließend abermals aus ihrem Ort im Spannungsfeld zwischen Partikularismus und Universalismus. Und so können diese Begriffe dienlich sein, um die Auseinandersetzung normativ fruchtbar zu machen: Deutlich ist, dass ein starker Partikularismus weder im 195  Hilz

(2008), S. 142.

196  Jäger / Höse / Oppermann

(2007), S. 567. (2007), S. 569. 198  Vgl. Schwarz (1975). 199  Vgl. Schwarz (2007). 200  Link (2007a), S. 585. 201  Vgl. ebd., S. 593–594. 202  Rühl (2007), S. 603. 203  Vgl. Bredow (2007), S. 631–632; so auch schon Michael Zürn und Martin Binder; vgl. Zürn / Binder (2005), S. 406–407. 197  Schwarz

192

C. Die außenpolitische Staatsräson der Bundesrepublik Deutschland

Rahmen des außenpolitischen Europäismus noch des Atlantizismus formuliert wird.204 Der Europäismus tendiert theoretisch offensichtlicher zum Universalismus, weil er anders als der Atlantizismus schon auf eine bestehende überstaatliche Institution Bezug nimmt. Gleichwohl existieren dezidiert atlantizistische Stimmen, die eine enge Bindung zum Universalismus aufweisen. Dies zeigt sich etwa bei einem Autor wie Karl-Heinz Kamp: „Die transatlantische Sicherheitspartnerschaft ist für beide Seiten unverzichtbar. Europa und die Vereinigten Staaten sind auf das engste miteinander verbunden – sowohl politisch und wirtschaftlich als auch militärisch. Mehr noch – die transatlantische Gemeinschaft mit ihrer einmaligen Kombination von Freiheit, Pluralismus, Demokratie und Marktwirtschaft ist das einzig taugliche Modell für die ‚Weltgesellschaft‘.“205 Zu den stärker universalistisch orientierten Autoren aufseiten der heutigen Atlantiker sind aber auch solche zu zählen, die eine grundsätzlich andere methodische Position, nämlich eine konstruktivistische, einnehmen als etwa der zitierte Karl-Heinz Kamp. Nur so ist der folgende Hinweis von Michael Zürn und Martin Binder im Kontext der jüngeren Debatte um das europäisch-amerikanische Verhältnis zu verstehen: „Es gibt keinen Automatismus, der uns von einer neuen Machtstruktur direkt zum ‚Ende des Westens‘ führt. Wer einen solchen Automatismus postuliert, setzt sich angesichts einer geschichtsoffenen Entwicklung de facto für das Ende des Westens ein.“206 Darin, also in einer letztlich ins Universalistische hineinreichenden Variante, erschöpft sich der außenpolitische Atlantizismus jedoch keinesfalls. Denn daneben existiert noch ein Atlantizismus, der sich nicht gänzlich von partikularen Vorstellungen trennt. Joachim Krause etwa lässt sich dieser theoretischen Spielart zuschlagen, wenn er, während die Erregungskurve der Debatte um den Irak-Konflikt immer steiler wurde, den Akteuren beidseits des Atlantiks kein gutes Zeugnis ausstellte und manchen europäi­ schen Vertretern ein ungutes Festhalten an „universalistischen (und utopischen) Vorstellungen“207 attestierte. Gleichwohl wollte Krause keineswegs das Ziel einer internationalen Ordnung mit eindeutig institutionalistischen Zielen aufgeben, pochte aber zum Wohle von deren Durchsetzungschancen auf die konkrete Einbindung der USA im Besonderen und die transatlantische Partnerschaft im Allgemeinen.208 Ähnliches findet sich bei Christian Hacke, der, ebenfalls noch im Sinne einer direkten Teilnahme an der De204  Allein im Sinne eines Plädoyers für eine vollgültige europäische Staatlichkeit ist dies vielleicht noch der Fall, wo dann die partikulare deutsche Außenpolitik in einer neuen partikularen europäischen Außenpolitik aufgeht; vgl. Habermas (2008). 205  Kamp (2003), S. 20. 206  Zürn / Binder (2005), S. 393. 207  Krause (2003a), S. 14. 208  Vgl. Krause (2003a), S. 13–14.



I. Erste Übertragung: Allgemeines193

batte um die amerikanische Irakpolitik der Jahre 2003 und 2004, Folgendes anmerkte: „Diese kleineuropäisch-kontinentale Perspektive des deutschfranzösischen Tandems ist gefährlich, denn die (außen-)politische Geschichte der Bundesrepublik Deutschland der letzten fünfzig Jahre lehrt, dass sich deutsche Interessen, aber auch die der Europäer nicht kleineuropäisch verwirklichen lassen, sondern eher, wenn beide Seiten des Atlantiks im Bewusstsein einer sie verbindenden ‚atlantischen Zivilisation‘ (Hannah Arendt) gemeinsam handeln“209. Der Bezug zu Hannah Arendt zeigt einmal mehr die immer bestehende Verbindung zur politischen Theorie als solcher. Auf der Grundlage der Kategorien von Partikularismus und Universalismus ist der Schritt von der politischen zur außenpolitischen Theorie allerdings ein kleiner. Das zeigt zum Beispiel Lazaros Miliopoulos, der angesichts der schlagwortartig allbekannten Überlegungen Francis Fukuyamas zum Ende der Geschichte und ihrer Implikationen für die internationale Ordnung einen theoretisch fundierten Atlantizismus propagiert: „Damit ist ein eventuelles Dilemma des Liberalismus angedeutet: Das Dilemma bestünde darin, […] dass der Liberalismus ‚definitionsgemäß auf Wertneutralität verpflichtet‘ ist, diese zugleich ‚als bindenden politischen Wert verteidigen‘ muss. […] Aus diesem Dilemma hilft nur die ‚politische Idee‘ einer partikular zu verstehenden Atlantischen Zivilisation heraus, die mit einer sich entwickelnden ‚politischen Ordnung‘ und der Symbolisierung von Sinnelementen sowie der Feststellung von Tugendgemeinsamkeiten, ­einer Art ‚minimalen Kernmoral‘ des Liberalismus (nach Lamore) einhergehen sollte.“210 Insofern ist es nötig, die ständige Debatte um Europäismus und Atlantizismus ebenso ständig unter Hinzunahme der Begriffe von Partikularismus und Universalismus zu entschlüsseln. In diesem Sinne ist die Auseinandersetzung insgesamt stets Teil einer deutschen außenpolitischen Staatsräson. In die ausdrückliche Betonung einer europäischen respektive transatlantischen Orientierung der deutschen Außenpolitik mengen sich stets unausgesprochene Prämissen, die nur in einem allgemeinen politiktheoretischen Kontext greifbar sind. Die Debatte repräsentiert die Widersprüche und Dynamik einer Außenpolitik, die nun einmal auf zwei Standbeinen ruht, dem europäischen und dem atlantischen. Der Gegensatz zwischen atlantischer und europäischer Sicherheitspolitik ist somit allenfalls ein taktischer. Auf der strategischen Ebene lässt er sich kaum vorstellen. Wie sollte auch eine europazentrierte normative Ausrichtung deutscher Außenpolitik im Gegensatz zu einer amerikanischen oder vice versa aussehen? Allein eine gründliche Pervertierung oder Degeneration der modernen Staatlichkeit an sich, 209  Hacke

(2004), S. 381. (2007), S. 472; Hervorhebung im Original.

210  Miliopoulos

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C. Die außenpolitische Staatsräson der Bundesrepublik Deutschland

deren dynamische Entwicklungsspitze nach wie vor Staaten darstellen, die sich auch als westlich bezeichnen lassen, würde dem widersprechen – ansonsten bleibt einer außenpolitischen Staatsräson der Bundesrepublik Deutschland nichts anderes übrig, als sich spannungsreich, aber dennoch gleichermaßen europäisch wie atlantisch zu definieren.

II. Zweite Übertragung: Besonderes Damit ist die Durchsicht der Debatte anhand der hintergründigen Diskussionstopoi abgeschlossen. Die Bedeutung von Themen wie beispielsweise dem Verhältnis von Geschichte und Normalität oder der Gegenüberstellung von Atlantizismus und Europäismus für die außenpolitische Staatsräson der Bundesrepublik Deutschland ist schon allein wegen der fortgesetzten Anknüpfung der Literatur an diese Topoi plausibel. Durch die Hinzuziehung der Begriffe Partikularismus und Universalismus ließe sich jedoch auch eine tiefer liegende Verknüpfung dieser Topoi zeigen, und zwar mit der allgemeinen Staatstheorie und der daraus folgenden allgemeinen Außen­ politiktheorie. Das Kursorische der Darstellung ist dem Umstand geschuldet, dass für die Zielführung der gesamten Arbeit auf einen inhaltlich gefüllten wie aktuellen Staatsräsonbegriff ein Mehr an Details keinen Erkenntnisgewinn verspricht. Es reicht in diesem Rahmen beispielsweise aus, um die Geschichtsbezüglichkeit jeder außenpolitischen Staatsräson im Allgemeinen, der deutschen im Besonderen und wesentliche Züge der zugehörigen Debatte zu wissen. Gleiches gilt für die Themen, die im Folgenden behandelt werden. Im Vergleich zu Kapitel C. I. erhöht sich in Kapitel C. II. der Konkretionsgrad der Debattenorte. Während Kapitel C. I. den Hintergrund des politikwissenschaftlichen Diskurses fokussierte, konzentriert sich Kapitel B. II. auf den Vordergrund. Sowohl anhand strategischer Konzepte als auch anhand der drei zentralen institutionellen Einfassungen deutscher Außenpolitik, EU, VN und NATO, wie ebenfalls und schließlich bei der militärischen Interven­ tionspolitik verliert der politikwissenschaftliche Diskurs an Abstraktionsgrad. Die Debatte um die strategische Ausrichtung der deutschen Außen­ politik verknüpft sich hier mit dem Besonderen eines bestimmten außen­ politischen Feldes. Wiederum über das Begriffspaar aus Partikularismus und Universalismus wird Kapitel C. II. an Teil B. der Arbeit gebunden. An dieser Schwelle zum Konkreten und Besonderen endet dann aber im G ­ runde die Sinnhaftigkeit der wissenschaftlichen Verwendung des Begriffs Staats­ räson, der gerade nicht als Erkenntnisinstrument für jedwede konkrete ­außenpolitische Situation dienen kann und soll.



II. Zweite Übertragung: Besonderes195

1. Strategische Konzepte Im Jahr 2005 ging Joachim Krause auf die „Suche nach einer Grand Strategy“211. In diesem Aufsatz kritisiert Krause in grundsätzlicher Weise die deutsche Außenpolitik seit der Wiedervereinigung als eine Kette versäumter Anpassungen. Dass die Bundesrepublik „sich auf neue Bedrohungen einstellen“212 müsse, wird hier insbesondere angemahnt. Bemerkenswert ist in diesem Zusammenhang jedoch vor allem der fragende Unterton, der die Argumentation auszeichnet. Denn Krause scheint sich ebenso wenig sicher wie Herfried Münkler gewesen zu sein, der im selben Jahr rundheraus die Frage gestellt hatte: „Gibt es überhaupt so etwas wie eine strategische Ausrichtung der deutschen Außenpolitik?“213 Da es zum Kerngeschäft jeder Wissenschaft, also auch der Politikwissenschaft, gehört, selbst gestellte Fragen zu beantworten, verstehen sich derart fragende Beiträge natürlich als Richtungsweiser einer strategischen Orientierung, deren Mangel eher mit Blick auf das tatsächliche Regierungshandeln diagnostiziert wird. Für den politikwissenschaftlichen Diskurs jedenfalls lässt sich eine reichhaltige Literatur zur strategischen Konzeptionalisierung der Außenpolitik der Berliner Republik feststellen. Im Folgenden wird diese Literatur exemplarisch vorgestellt und wieder nach Verbindungen zu den theoretischen Grundgehalten einer außenpolitischen Staatsräson gesucht. Unter Hinzunahme der Erkenntnis aus Teil B. der Arbeit, wonach der Begriff des Nationalen Interesses in seiner theoretischen Funktion keine Differenz zu – vornehmlich partikularen – Konzeptionalisierungen von außenpolitischer Staatsräson aufweist, zeigen sich solche Verknüpfungen gleich ganz deutlich. Denn vollkommen zutreffend hat Rainer Baumann in der zeithistorischen Rückschau angesichts der außenpolitischen Rhetorik handelnder Außenpolitiker in den 1990er Jahren eine „Wiederentdeckung des ‚nationalen Interesses‘ “214 konstatiert. Er hat in seiner vokabularanalytisch angelegten Untersuchung eine zweifache Wandlung nachweisen können: Zum einen steigerte sich die Verwendung des Begriffs vom Nationalen Interesse im Verlauf der 1990er Jahre messbar, zum anderen wanderte die Begriffsverwendung weg von einer Intention, die vor allem an außenpolitische Kooperation, wenn nicht Harmonie appellierte, hin zu einem Gebrauch, der dieses eigene In­ teresse im Konflikt mit anderen sah und ihm hier Geltung verschaffen 211  Krause

(2005). S. 25. 213  Münkler (2005), S. 127. 214  Baumann (2006), S. 138. 212  Ebd.,

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C. Die außenpolitische Staatsräson der Bundesrepublik Deutschland

wollte.215 Ohne Frage stieg die Häufigkeit der Begriffsverwendung parallel zu einer zunehmenden strategischen Unübersichtlichkeit der internationalen Politik, die im Verlauf der 1990er Jahre zwar eindeutig vom Paradigma des Kalten Krieges Abschied nehmen musste, ohne jedoch gleich einen neuen Erklärungsrahmen für die veränderte internationale Konstellation zur Hand zu haben. Insbesondere Christian Hacke hat hierauf immer wieder mit einer Rückbesinnung auf die klassisch realistische Kategorie des Nationalen Interesses reagiert.216 Dennoch zeigt sich im politikwissenschaftlichen Diskurs gerade nicht die gleiche semantische Verschiebung wie in der realen politischen Rhetorik. Obwohl die Rede vom Nationalen Interesse einen bis dato ungekannt partikularen Zug in die Debatte um die strategische Ausrichtung der deutschen Außenpolitik brachte, wanderte die Begriffsverwendung nicht ins offen Partikularistische, sondern wahrte eine Verbindung zum Universalismus: „Die Verfolgung nationaler Interessen muss mit dem Ziel der Mitverantwortung für die Weltgemeinschaft in Gleichklang gebracht werden.“217 Obwohl Christian Hacke auch die Risiken einer im nachbarschaftlichen Vergleich unterentwickelten Interessenpolitik betonte, wollte er die begriffliche Verknüpfung von Interesse und Universalismus nicht aufgeben und unterstrich ebenso die außenpolitischen Möglichkeiten, die sich daraus ergäben: „Die Chance besteht darin, dass Deutschland und die Deutschen im Vergleich zu ihren Nachbarn vorleben, dass nationale Interessen erst in Verbindung mit universellen Werten Sinn machen und kooperativ verfolgt werden müssen.“218 Auch der jüngere Diskurs ist im Wesentlichen diesen Vorgaben gefolgt. So hob Gunther Hellmann 2005 die Kooperationsbezogenheit jeglicher Interessenverfolgung für die deutsche Außenpolitik hervor: „Als übergeordneter, noch vergleichsweise allgemein gehaltener Grundsatz stünde die Einsicht im Zentrum, dass das überragende ‚nationale‘ Interesse Deutschlands darin besteht, die spannungsreichen ‚nationalen‘ Interessen auszugleichen, die sich in den wichtigsten Kooperationsnetzwerken äußern, in denen deutsche Außenpolitik operiert.“219 Herfried Münkler dagegen kritisierte im selben Jahr zwar eine übersteigerte universale Bindung und empfahl deren geopolitische Einhegung oder Modifika215  Vgl. 216  Vgl.

ebd., S. 138–144. Hacke (1994a); Hacke (1997); Hacke (1998); Hacke (2001a); Hacke

(2002). 217  Hacke (1996), S. 6. 218  Ebd. S. 12; Christian Hacke hat diesen Nexus auch weiterhin betont und folglich liest es sich fünf Jahre später so: „Zusätzlich ist es wichtig darauf hinzuweisen, dass Interessen nicht isoliert gesehen werden dürfen, sondern im Zusammenhang mit Werten und Ideen verstanden werden müssen.“ Hacke (2001a), S. 134. 219  Hellmann (2005), S. 60–61; Hervorhebung im Original.



II. Zweite Übertragung: Besonderes197

tion, nicht jedoch die Verabschiedung dieser Bindung: „Und das wiederum heißt, dass der normative Universalismus, der zeitweilig zur intellektuellen Grundierung der deutschen Außenpolitik avanciert ist, in seiner uneingeschränkten Form nicht tragfähig ist, sondern mit Blick auf die jeweiligen Regionen spezifiziert werden muss.“220 Die stärkere Betonung einer deutlich partikularen Lesart des Nationalen Interesses hatte mitunter bereits Eingang in die politische Publizistik gefunden.221 Es muss diese Lesart gewesen sein, die politikwissenschaftliche Autoren bisweilen auch zur Ablehnung der Begrifflichkeit gebracht hat. Dafür kann exemplarisch Hanns Maull stehen, welcher dem Nationalen Interesse eine „vordemokratische Natur“222 bescheinigte. Gleichwohl hielt er einen Ersatzbegriff für nötig: „Tatsächlich wäre es vernünftiger, den Begriff ganz aus dem Verkehr zu ziehen und ihn durch die – zwar sperrigere, aber genauere und assoziativ weniger missverständliche – Kategorie des ‚außenpolitischen Gemeinwohls‘ zu ersetzen.“223 Eine ähnliche Motivlage mag das Schlagwort vom „aufgeklärten Eigeninteresse“224 kreiert haben, das immer wieder einmal auftauchte und auftaucht. Allein, auch Gegenbegriffe oder Abwandlungen signalisieren nichts als die langfristige Orientierungsbedürftigkeit einer Außenpolitik und fragen somit implizit nach außenpolitischer Staatsräson. Hinter der außenpolitischen Debatte um das Nationale Interesse der Bundesrepublik Deutschland steht folglich die Debatte um die deutsche außenpolitische Staatsräson. Dies gilt auch für die zwei innerhalb des politikwissenschaftlichen Diskurses seit der Wiedervereinigung wirkmächtigsten Konzepte. Im Gegensatz zum theorienäheren Nationalen Interesse finden sich hier schon in der begrifflichen Ausformung deutlichere Vorgaben für die deutsche Außenpolitik. Damit gemeint ist das außenpolitische Verständnis Deutschlands als Zentralmacht sowie als Zivilmacht. Hans-Peter Schwarz hat den Begriff der Zentralmacht während der 1990er Jahre geprägt und entschieden in die Debatte eingeführt.225 Die monographische Darstellung aus dem Jahr 1994 enthält die grundlegenden Beobachtungen und die Entwicklung des Arguments, wobei zuerst ein bewusst deskriptiver Ton angeschlagen wird. Deutschland sei mit dem Ende des Kalten Krieges und durch die Wiedervereinigung schlechterdings die 220  Münkler

(2005), S. 128–129. Bahr (1998). 222  Maull (2006a), S. 64. 223  Ebd., S. 64. 224  Messner (2005). 225  Vgl. Schwarz (1994); Schwarz (1999). 221  Vgl.

198

C. Die außenpolitische Staatsräson der Bundesrepublik Deutschland

europäische Zentralmacht geworden.226 Gleichwohl hat Hans-Peter Schwarz keinen Zweifel daran gelassen, was aus diesen Tatsachen zu folgen habe, nämlich eine im Vergleich zum Bisherigen sichtbarere „Gestaltungspolitik“227, auch in Bereichen, die bislang keine Rolle in der deutschen Außenpolitik im Zusammenwirken mit Deutschlands Nachbarn gespielt hätten wie etwa „gemeinschaftlich geplanter und durchgeführter Militärpolitik.“228 Ganz ähnlich lautet die Argumentation in einem Aufsatz aus dem Jahr 1999: „Objektiv gesehen ist Deutschland die Zentralmacht Europas – geographisch zentral positioniert, an Wirtschaftskraft und Bevölkerungszahl erheblich gewichtiger als Großbritannien, Frankreich, Italien oder Spanien. […] Nur eine zurückhaltend, mit Augenmaß wahrgenommene, an den Ideen der Integration und fairer Kooperation orientierte Führungsrolle ist für die Nachbarn akzeptabel.“229 Die Führungsrolle selbst ist jedoch das Kernanliegen des außenpolitischen Konzepts der Zentralmacht. Hans-Peter Schwarz hat daran nie einen Zweifel gelassen und, bisweilen wie in der Debatte um Geschichte und Normalität, eine Angleichung der deutschen Außenpolitik an ihre europäischen Gegenüber gefordert. Das strategische Konzept der Zentralmacht Europas ist im Wesentlichen das Konzept, wie Großbritannien oder Frankreich „sich innerhalb des Konzerts westeuropäischer Staaten so etwas wie den Rang von europäischen Großmächten zu erhalten.“230 Auch Rainer Baumann hat das Konzept der Zentralmacht zuletzt in diesem Sinne referiert.231 Ebenfalls seit Beginn der 1990er Jahre hat das Konzept Deutschlands als außenpolitischer Zivilmacht eine besondere Rolle im politikwissenschaft­ lichen Diskurs gespielt – verbunden mit dem Namen Hanns Maulls.232 Die maßgebliche Darlegung des Konzepts findet sich in einem Aufsatz aus dem Jahr 1996.233 Das Konzept der Zivilmacht zeichnet eine deutlich konstruktivistische Methodik aus: „Wir gehen dabei davon aus, dass – analog zur Innenpolitik – auch die Außenpolitik eines Staates dauerhafte Einstellungen und Verhaltensmuster aufweist, die die Summe der geographischen, historischen und situativen Einflüsse und Erfahrungen einer Gesellschaft gewissermaßen in geronnener und verfestigter Form widerspiegeln.“234 Individualpsy226  Vgl.

227  Ebd., 228  Ebd.

Schwarz (1994), S. 8–11. S. 178.

229  Schwarz

(1999), S. 1. (1994), S. 9. 231  Vgl. Baumann (2007a). 232  Vgl. Maull (1990); Maull (1992). 233  Vgl. Maull / Kirste (1996). 234  Ebd., S. 284. 230  Schwarz



II. Zweite Übertragung: Besonderes199

chologische Deutungsmuster werden also im Sinne einer Rollentheorie auf die Außenpolitik eines Staates übertragen und liefern so ein Vergleichsinstrument.235 Wie bei der individuellen Entwicklung durchläuft demnach auch ein Staat unterschiedliche Phasen, auch in der Außenpolitik. An deren Ende steht dann eine bestimmte zivilisatorische Disposition: „wie für Individuen im Laufe des innergesellschaftlichen Zivilisierungsprozesses eine Affektkontrolle, also der Verzicht auf die Anwendung physischer Gewalt, und ein staat­ liches Gewaltmonopol internalisiert wurden, haben Zivilmächte den gewaltfreien zwischenstaatlichen Konfliktaustrag zum Selbstzwang erhoben und die partielle Überführung staatlicher Souveränität an internationale Institutionen akzeptiert.“236 Insofern und auch wegen des entschieden konstruktivistischen Ansatzes erscheint das Konzept der Zivilmacht einen stärker analytischen als normativen Schwerpunkt zu setzen. Jedenfalls zeichnen sich die einschlägigen Beiträge der 1990er Jahre durch einen stark deskriptiven Zug aus. Hanns Maull hat jedoch ebenfalls betont, dass neben der De- auch die Präskription eine wichtige Rolle spielt. In dem im Jahr 2004 erschienenen Aufsatz kritisiert er deutlich ein in dieser Perspektive abweichendes Verhalten der deutschen Außenpolitik. Hier werden als Axiome einer Zivilmacht imperative Programmsätze vorgestellt und nach deren Umsetzung gefragt: „Wie gezeigt, kennzeichnen zwei zentrale Elemente (never again und never alone) das ­außenpolitische Rollenkonzept Deutschlands. Wie ließen sich diese Leitlinien für die Gegenwart und Zukunft neu ausformulieren und umsetzen?“237 Die Antwort auf diese Frage heißt Demokratieförderung und das Vorantreiben internationaler Verregelung durch Souveränitätstransfers.238 Das sind wiederum Forderungen, deren universaler Hintergrund offensichtlich ist, und die so aus der Lehre der internationalen Politik gut bekannt sind. Zentralmacht und Zivilmacht rekurrieren folglich auf den politikwissenschaftlichen Realismus respektive Idealismus des 20. Jahrhunderts. 2007 hat Hanns Maull noch einmal die normative Bedeutung des Zivilmachtkonzepts für die deutsche Außenpolitik betont und die Außenpolitik seit der Wiedervereinigung als Kontinuitätsgeschichte einer Zivilmacht beschrieben.239 Gleichwohl zeigt er an gleicher Stelle Skepsis ob der zukünftigen Entwicklung und der Ungewissheit externer Faktoren: „Außenpolitisch ist die Bundesrepublik als Zivilmacht vor allem auf Partner und auf einen zivilmachts-kompatiblen internationalen Kontext angewiesen.“240 235  Vgl.

ebd., S. 284–296. S. 299. 237  Maull (2004), S. 22; Hervorhebung im Original. 238  Vgl. ebd., S. 22–23. 239  Vgl. Maull (2007), S. 77–82. 240  Ebd., S. 83; ähnliche Skepsis äußerte Gunther Hellmann schon fünf Jahre zuvor; vgl. Hellmann (2002). 236  Ebd.,

200

C. Die außenpolitische Staatsräson der Bundesrepublik Deutschland

Neben Begriffen wie dem Nationalen Interesse, der Zentral- und Zivilmacht, die allesamt als Ersatzbegriffe für außenpolitische Staatsräson betrachtet werden können, ist auch von Staatsräson selbst gesprochen worden. Hans-Peter Schwarz hat spätestens 2005 mit einer monographischen Studie die prononcierte Verwendung des Zentralmachtbegriffs aufgegeben und den Begriff der Staatsräson in den Vordergrund gerückt.241 Unter Rekurs auf Friedrich Meinecke und einige einschlägige Autoren der Bonner Republik, insbesondere Waldemar Besson, entwickelt Hans-Peter Schwarz eine vielfältige Vorstellung von den Inhalten einer außenpolitischen Staatsräson Deutschlands und betont die Nützlichkeit des Staatsräsonbegriffs: „Der Begriff Staatsräson und die Sache selbst sind zu Unrecht vergessen worden.“242 Im Kern beschreibt er vier Leitlinien, die der deutschen Außenpolitik langfristige Orientierung verschaffen sollen. Inhaltlich lassen sich diese sogar auf zwei reduzieren, nämlich eine europäische wie transatlantische Verankerung der deutschen Außenpolitik.243 Daneben treten prozedurale Petita, einmal die kontinuierliche Pflege der deutschen Wirtschaftskraft und ein Zweites, das Hans-Peter Schwarz mit der Formel „Weltpolitik mit Maß und Ziel“244 umschreibt. Hierunter sei zwar ein weltpolitischer Anspruch zu verstehen, der jedoch eher behutsam ausformuliert wird. So „sind die bisherigen Verhaltensweisen bundesdeutscher Staatsräson auch künftig geboten: allseitige Vorsicht, keine brüsken Kurswechsel (weder in der EU noch gegenüber den Vereinigten Staaten), Verzicht auf frisch-fröhliche Improvisation, Ausgleich.“245 Bei den tatsächlichen außenpolitischen Vorgaben bewegt Hans-Peter Schwarz sich eindeutig im Bereich des Bekannten. Multilateralismus, Europäismus und Atlantizismus sind außenpolitische Tradi­ tionswerte, die auch bei ihm hoch gehalten werden. Allenfalls kleine Veränderungen werden eingefordert, die jedoch stets den geänderten Umständen geschuldet sind und keine Revision der Grundsätze bedeuten. Dazu zählt etwa „zu Frankreich ganz sachte auf mehr Distanz zu gehen“246, falls Frankreich zu offensive Führungsansprüche in der europäischen Politik stelle, was nur angesichts der innereuropäischen Streitigkeiten der Jahre 2003 bis 2005 nachvollzogen werden kann. Bemerkenswert neben alledem ist vor allem die Sensibilität, die Hans-Peter Schwarz gegenüber dem Verhältnis von Partikularismus und Universalismus an den Tag legt. Staatsräson erscheint ihm als genuin partikulares Konzept.247 Gleichwohl schränkt er Schwarz (2005), S. 265–312. S. 277. 243  Vgl. ebd., S. 283–297. 244  Ebd., S. 298. 245  Schwarz (2005), S. 302. 246  Ebd., S. 297. 247  Vgl. ebd., S. 277. 241  Vgl.

242  Ebd.,



II. Zweite Übertragung: Besonderes201

diese Feststellung ein, wenn er die legitimationstheoretischen Grundlagen moderner Staatlichkeit in dieses partikulare Konzept integrieren will: „Anders als die Staatsräson vordemokratischer und undemokratischer Staaten darf die Staatsräson der Demokratie des Grundgesetzes nicht ohne peinliche Beachtung der Grundrechte, der demokratischen Verfahrensregeln, auch des Völkerrechts international wirksam werden.“248 Die außenpolitische Staatsräson einer Demokratie bleibe ans Recht gebunden.249 Ebenso argumentiert Matthias Zimmer in seinem einschlägigen Aufsatz, wenn er wiederum unter ausdrücklichem Rückgriff auf Friedrich Meinecke Staatsräson mit einem normativen Universalismus verknüpft: Der „sittliche, an Normen zurückgebundene Verantwortungshorizont politischen Han­ delns“250 sei stets als Teil einer modernen Staatsräson zu beachten. Staatsräson bleibt entsprechend auch ganz außenpolitische Handlungsmaxime. Als solche, erläutert Matthias Zimmer, sei die außenpolitische Staatsräson der Bundesrepublik Deutschland vor der Wiedervereinigung überdeterminiert gewesen, danach unterdeterminiert. Natürlich sei die Anzahl an Bedingungen letztlich verantwortlich für das Über- oder Unterbestimmtsein: „Überdeterminiert vor allem durch die weltpolitische Mittellage an der Grenze des OstWest-Konfliktes, durch die vielfältigen Einbindungen in europäische und transatlantische Institutionen und Regelwerke, aber auch – und das trifft sicherlich für die achtziger Jahre stärker zu als für die Jahrzehnte zuvor – durch die die politische Kultur bestimmenden Diskurse über die Folgen des Dritten Reiches.“251 Jene Konkretheit fehle aber seit dem Ende der deutschen Teilung: Zwar habe das „vereinte Deutschland […] nach wie vor eine westliche Bindung, ergänzt durch eine mitteleuropäische Verantwortung. Wertegemeinschaft mit dem Westen, Verantwortungsgemeinschaft mit und für Mittel- und Osteuropa“252 sind nach wie vor gegeben. Aber eine „elegante Begrifflichkeit wie die von der Westbindung und den Ostverbindungen bietet sich zur Charakterisierung bundesdeutscher Staatsräson heute nicht an. Die Bedingungen sind komplexer geworden, die Möglichkeiten mannigfaltiger.“253 Was auch als Grund für eine auf Kurzfristigkeit fußende Außenpolitik der Berliner Republik anzusehen sei.254 Ausführungen über das Verhältnis der außenpolitischen Staatsräson der Bundesrepublik im Spannungsfeld von Partikularismus und Universalismus finden sich hier ansonsten nicht. 248  Ebd.,

S. 280–281. ebd., S. 281. 250  Zimmer (2009), S. 67. 251  Ebd., S. 72. 252  Ebd., S. 80. 253  Ebd. 254  Vgl. ebd., S. 78. 249  Vgl.

202

C. Die außenpolitische Staatsräson der Bundesrepublik Deutschland

Die hier angesprochenen strategischen Konzepte sind in ihrem Zugriff allesamt phänomenologisch angelegt. Die Rede von der Zentral- oder Zivilmacht wurzelt vor allem in der Beobachtung tatsächlicher Gegebenheiten deutscher Außenpolitik. Eine direkt sichtbare Brücke zur allgemeinen Staatstheorie weisen sie nicht mehr auf. Dies ist fraglos als Ergebnis ihrer Praxisnähe einzuordnen. Sämtliche hier referierten Begrifflichkeiten erscheinen als Vehikel einer sich selbst als unmittelbare Beratungsliteratur verstehenden Textgattung. Gleichwohl wurzeln die Begriffe als Staatsräsonkonzeptionen im Spannungsfeld von Partikularismus und Universalismus. Na­ tionales Interesse, Zentralmacht und Staatsräson selbst tun dies mit einem erkennbar partikularen Zug, der Begriff der Zivilmacht mit einem erkennbar universalen. Soweit es sich um Ersatzbegriffe handelt, sind diese im politikwissenschaftlichen Diskurs als solche kenntlich zu machen. Gleichwohl leisten die Beiträge unverzichtbare Vermittlungsarbeit. Gegen Ende der Auseinandersetzung mit den theoretischen Grundlagen der außenpolitischen Staatsräson stand neben anderem als Ergebnis, dass partikulare Sicherheitsbeschaffung und universales Engagement für Menschenrechte nicht als Gegensatz aufzufassen sind. Die angesprochenen strategischen Konzepte stellen gerade in dieser Hinsicht Kompromissformeln dar. Sie vermitteln zwischen den – ungenannten und nicht argumentativ entwickelten – Prämissen einer modernen staatlichen Legitimationstheorie und der Partikularität der alltäglichen außenpolitischen Praxis. Das zeigt sich besonders deutlich, wenn etwa, wie oben beschrieben, Begriffe wie Staatsräson oder Nationales Interesse nur mit einer Verbindung zum normativen Universalismus konzeptionalisiert werden. Gleiches gilt für den Kontingenz-Vorbehalt, mit dem das Konzept der Zivilmacht ausgestattet ist. Dieser ist nichts anderes als ein Zugeständnis an die Eigenheiten einer partikularen Umwelt und an die eigene Partikularität selbst. Für die Formulierung der außenpolitischen Staatsräson Deutschlands spielen diese Konzepte eine zentrale Rolle. Allerdings sind sie, und das gilt auch für die Beiträge, die begrifflich gar nicht von der Staatsräson abweichen, ergänzungsbedürftig. Eine stärkere Rückbindung an die theoretischen Grundlagen ist notwendig, ebenso ein stärker synthetisches Verständnis der unterschiedlichen Begriffe, die zu oft rein konträr entwickelt werden. 2. EU-Politik Eine ebenso zentrale Bedeutung kommt den drei wesentlichen institutionellen Handlungsfeldern deutscher Außenpolitik zu, der EU, den Vereinten Nationen und der NATO. Stärker noch als bei den Vereinten Nationen verknüpft sich die Wiedergewinnung der Souveränität der Bundesrepublik historisch mit der europäischen Integration und dem sicherheitspolitischen



II. Zweite Übertragung: Besonderes203

Bündnis, das den Atlantik politisch überspannt. Die Integrationsgeschichte der europäischen Staaten ist politikwissenschaftlich das sinnfälligste Beispiel des Zusammenspiels von Partikularismus und Universalismus. Deswegen ist die Integrationspolitik auch ein unverzichtbarer Anknüpfungspunkt eines aktuellen Begriffs von Staatsräson. Gleichzeitig ist die deutsche Europapolitik eines der am stärksten bearbeiteten Forschungsfelder. Schon zehn Jahre nach Abschluss des Vertrages von Maastricht zeigte sich die deutsche Europapolitik in der politikwissenschaftlichen Debatte „mit einer erheb­ lichen Breite und Differenzierung von Ansätzen“255, wie Wolfgang Wessels als einer ihrer besten Kenner bilanzierte. Daran hat sich bis heute nichts geändert, und auch die ohnehin schiere Fülle der Literatur nimmt weiterhin zu. Mit Blick auf die Verbindung von deutscher Europapolitik mit dem Begriff der außenpolitischen Staatsräson relativiert sich die Unübersichtlichkeit jedoch. Josef Janning hat beim Rückblick auf den einschlägigen politikwissenschaftlichen Diskurs hierzu Folgendes notiert: „Sich in Europa und seinem politischen Gefüge zu behaupten, war, je nach Standpunkt des Betrachters, Schicksal oder Ratio deutscher Politik.“256 Als Ratio galt und gilt dies jedoch immer noch einer großen, aber noch überschaubaren Anzahl von Autoren. In bemerkenswert expliziter Art und Weise ist dies immer wieder zum Ausdruck gebracht worden. Gisela Müller-Brandeck-Bocquet ist diejenige, bei der diese Position schließlich zur einfachen Deckungsgleichheit gebracht wurde, indem außenpolitische Staatsräson und Europapolitik nicht etwa aufeinander bezogen, sondern vielmehr identisch seien. Schlechthin sei „Europapolitik als Staatsraison“257 zu verstehen. Hier wird in einer stark auf politischen Voluntarismus reduzierten Verwendung des Begriffs der Staatsräson die Europapolitik in eine umfassende Legitima­tionsfunktion gebracht, die ihr selbst während der 1950er Jahre nicht zugekommen ist. Ferner ist die Vorstellung einer reinen Abhängigkeit der außenpolitischen Staatsräson von politischen Deklarationen außerordentlich vordergründig. Formulierungen Müller-Brandeck-Bocquets legen jedoch genau dies nahe, etwa wenn es zum außenpolitischen Verhalten der Bundesrepublik heißt, dass „sie Europa zur Staatsraison erhob“258. Als historische Urteile sind solche Aussagen zweifellos zulässig, zu einem aktuellen und theoretisch grundierten Verständnis außenpolitischer Staatsräson tragen sie jedoch kaum bei, auch weil sie sich argumentativ nicht zum Verhältnis von Partikularismus und Universalismus verhalten. 255  Wessels

(2003), S. 32. (2007), S. 747. 257  Müller-Brandeck-Bocquet (2006). 258  Ebd., S. 467. 256  Janning

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C. Die außenpolitische Staatsräson der Bundesrepublik Deutschland

Dennoch ist es weithin üblich, die europäische Integration selbst als Staatsräson der Bundesrepublik Deutschland anzusehen. Bis zur Mitte der 1990er Jahre dominierten noch Formulierungen, die einen eher integrationstechnischen Duktus aufwiesen. 1995 hielt beispielsweise Melanie Piepenschneider für ihre Leser fest: „Die Einbindung der Bundesrepublik in den europäischen Integrationsprozess war und bleibt einer der bestimmenden Parameter deutscher Europapolitik.“259 Dann jedoch gewann verstärkt das Verständnis der europäischen Integration als Staatsräson der Bundesrepublik an Bedeutung. „Die europäische Integration ist der Kern der Staatsräson der Bundesrepublik Deutschland“260, heißt es seither, oder es wird über die „Verbindlichkeit der europäischen Integration als historisch gewachsene Staatsraison“261 geschrieben. Auch Werner Weidenfeld konnte im Jahr 2001 kaum einen Unterschied zwischen Europapolitik und Staatsräson ausmachen: „Die europäische Integration wurde zum Kern der Staatsräson der alten Bundesrepublik.“262 Änderungen seit der Wiedervereinigung seien nicht zu erkennen gewesen: „Aber auch das vereinte Deutschland richtet seine Außenpolitik vorrangig am Gravitationszentrum Europäische Union aus. Die normativen Grundlagen dafür setzt das Grundgesetz.“263 So verwundert es nicht, dass Gisela Müller-Brandeck-Bocquet auch schon 2005 annahm, die europäische Integration sei „seit Langem zur Staatsräson der Bundesrepublik geworden“264. Diese Einschätzung ist zuletzt von Wilhelm Knelangen noch einmal ausdrücklich geteilt worden.265 Alle diese Stimmen lassen sich natürlich als integrationsfreundlich qualifizieren. Die Verwendung des Begriffs der Staatsräson ist hier weitgehend einfach als Annoncierung des Wichtigen einzuordnen. Staatsräson folgt in diesem Sinne der Idee, dass die europäische Integration eines der wesent­ lichen, wenn nicht sogar das allein wesentliche Ziel der deutschen Außenpolitik darstellt oder darstellen soll. Es ist hier gerade nicht anders herum, dass nämlich aus einem modernen Verständnis von Staatsräson quasi automatisch die Bejahung der europäischen Integration folgen würde, was bei einer theoretisch reflektierten Begriffsverwendung doch die eigentlich nahe liegende gedankliche Reihenfolge wäre. Gleichwohl schimmert auch bei diesen Feststellungen schon gelegentlich ein Folgeproblem einer theoretisch reflektierten Begriffsverwendung durch. So etwa bei Manuela Glab, die 259  Piepenschneider

(1995), S. 362. (1998), S. 169. 261  Schmalz (2001), S. 68. 262  Weidenfeld (2001), S. 137. 263  Ebd., S. 139. 264  Müller-Brandeck-Bocquet (2005), S. 120. 265  Vgl. Knelangen (2009), S. 255. 260  Glab



II. Zweite Übertragung: Besonderes205

1998 – analog zur Etikettierung der europäischen Integration als deutscher Staatsräson – zu bedenken gab: „Die Frage nach den Wertgrundlagen und Belastungsgrenzen der deutschen Europapolitik weist über die herkömm­ lichen Kosten- und Nutzenanalysen der deutschen EU-Mitgliedschaft hinaus. Vielmehr macht sie das Spannungsverhältnis zwischen Nationalstaat und europäischer Integration zu einem innenpolitischen Thema der poli­ tischen Kultur.“266 Dieses Spannungsverhältnis ist natürlich dasjenige zwischen Partikularismus und Universalismus. Die Fragen des Souveränitätstranfers und der Finalität sind deswegen entscheidende Folgeprobleme einer Verknüpfung von europäischer Integration und Staatsräson. Der Grund liegt darin, dass eine allein als Bedeutungszuschreibung gemeinte Verwendung des Begriffs Staatsräson im Zusammenhang mit der europäischen Integration, insbesondere eine Identitätsannahme, unmittelbar ein Paradoxon ergibt. Da die europäische Integrationsgeschichte eine Geschichte des Transfers von partikularen Souveränitätsrechten auf eine höhere, gleichsam universalere Ebene ist, würde eine Identität von Staatsräson und fortlaufender Integration schließlich das Ende der partikularen Rechtspersönlichkeit herbeiführen. Frühzeitig hat Hans-Peter Schwarz diesem Paradoxon pointierten Ausdruck gegeben: „Schöne Staatsräson, die darin bestehen soll, dass sich ein Staat auflöst.“267 Folglich verweisen viele Beiträge zum Zusammenhang von Europapolitik und ihrer Einbettung in die außenpolitische Staatsräson Deutschlands auf die Finalitätsfrage und charakterisieren deren Antwort als entscheidende Prämisse.268 Selbst ganz unterschiedliche Zugänge führen dann zu ähnlichen normativen Ergebnissen. Dies zeigt sich zum Beispiel bei Heinrich August Winkler und Carlo Masala. Während dieser aus sicherheitspolitischen Gründen für eine Kerneuropakonzeption eintritt, verknüpft jener Vertiefung und Erweiterung: „Der folgende Beitrag stellt die These auf, dass angesichts der veränderten sicherheitspolitischen Lage nur die Herausbildung eines Kerneuropas die adäquate Antwort auf die zweifache europäische Frage ist.“269 Und: „Ohne Vertiefung keine neuen Beitrittsverhandlungen: Wenn sich die deutsche Europapolitik an dieser Maxime orientiert, wird sie wieder festen Boden unter die Füße bekommen.“270 Daniel Göler und Mathias Jopp sprechen daher nicht zu Unrecht über „Deutschlands konstitutionelle ­ Europapolitik“271, bei der die „Zielrichtung auf eine konsequente Vertiefung 266  Glab

(1998), S. 208. (1994), S. 31. 268  Vgl. Weidenfeld (2001), S. 142; Woyke (2005), S. 208–210. 269  Masala (2004), S. 101. 270  Winkler (2004), S. 46. 271  Göler / Jopp (2007). 267  Schwarz

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C. Die außenpolitische Staatsräson der Bundesrepublik Deutschland

des Integrationsprozesses geht.“272 Bei Josef Janning erscheint dieses normative Verständnis deutscher Europapolitik als klar universaler Auftrag, wenn einerseits herkömmlich „die politische wie institutionelle Weiterentwicklung der Europäischen Union“273 als Ziel deutscher Europapolitik ausgegeben wird, andererseits jedoch Folgendes angemerkt wird: „Ein Paradigmenwechsel im Verständnis der Integration wird erforderlich“274. Dieser Paradigmenwechsel – sollte er denn eintreten – mündet hier in einem klassisch universalen Postulat: „Europas territoriale Reichweite entschiede sich nicht hegemonial, sondern wäre Ergebnis einer freiwilligen normativen Übereinstimmung – sie umfasste diejenigen europäischen Demokratien, die bereit und in der Lage sind, sich einem offenen gemeinsamen Markt anzuschließen, gemeinsame Werte, Normen und Standards zu teilen und ohne nationale Vorbehalte im politischen System des europäischen Staatenverbunds mitzuwirken.“275 Dagegen existieren partikulare Vorbehalte, und wiederum ist Hans-Peter Schwarz als einer ihrer prominentesten Fürsprecher zu nennen: „Europapolitischer Realismus hinsichtlich der Finalität – auch das ist ein Erfordernis deutscher Staatsräson im 21. Jahrhundert.“276 Dieser Realismus bestünde mindestens darin, das Ausbleiben der weiteren Föderalisierung der Europäi­ schen Union anzuerkennen und die fortgesetzte Primärfunktion der einzelnen Staaten als Interessensadressaten einzugestehen: „Die demokratisch verfassten Staaten Europas sind für das Geltendmachen deutscher, französischer, britischer, niederländischer oder polnischer Interessen nach wie vor die Nummer eins, die EU ist die gewichtige Nummer zwei.“277 Interessanterweise erschöpft sich seine Position aber nicht im simplen Plädoyer für einen grundsätzlichen Integrationsstopp. Vielmehr tritt Hans-Peter Schwarz für eine integrationspolitische Konsolidierungsstrategie ein, die als Teil der außenpolitischen Staatsräson Deutschlands wirken soll. Dies umfasst sogar Argumente zugunsten einer Stärkung der militärischen Kapazitäten der Europäischen Union.278 Abschließend muss eine Übertragung der Ergebnisse von Teil B. der Arbeit zeigen können, dass die Europapolitik im Rahmen der außenpoliti272  Ebd.,

S. 479. (2007), S. 747. 274  Ebd., S. 750. 275  Ebd., S. 751. 276  Schwarz (2005), S. 295. 277  Ebd., S. 45. 278  Vgl. ebd., S. 292–300; Franco Algieri hat gezeigt, dass diese Tendenz auch das konkrete europapolitische Handeln des wiedervereinigten Deutschlands kennzeichnet; vgl. Algieri (2007), S. 115–122. 273  Janning



II. Zweite Übertragung: Besonderes207

schen Staatsräson nicht auf ein einfaches Entweder-oder zu reduzieren ist und im politikwissenschaftlichen Diskurs auch nicht reduziert wird. Auch bei der Staatsräsondebatte im integrationspolitischen Kontext spielt der Ersatzbegriff des Nationalen Interesses eine besondere Rolle. Uwe Schmalz hat 2004 deutlich machen können, dass der Begriff zuvor immer stärker ins Zentrum der Debatte gerückt war.279 Interesse wird dabei verstanden als Richtschnur einer europapolitischen „Führungsstrategie“280. Eskamotierende Rollenzuschreibungen wie etwa diejenige vom „Konziliator im übernationalen Interesse“281, der vor allem „ausgleichend und konsenserzeugend“282 wirken sollte, gehören im Grunde der Vergangenheit an, wie auch diese Zitate von Michael W. Richter aus den 1990er Jahren stammen. Dagegen entwickelte sich eine bisweilen dichotomische Diskursstruktur. Einerseits wurde das Interesse an einer maximalen Integrationsvertiefung als außenpolitische Staatsräson betont. Andererseits wurden Argumente zugunsten einer Interessenverfolgung vorgebracht, die ganz im partikularen Antagonismus angesiedelt werden kann. Letzteres ist zum Beispiel bei Stefan Fröhlich der Fall, der in nur scheinbarer Deskription Folgendes ausführt: „Allerdings ist Berlin auch zusehends bemüht, die Grenzen eigener oder deutsch-französischer Initiativen – der Irak-Krieg hat dies deutlich gemacht – auszuloten. Europäisches Engagement wird nun einmal im Wettstreit nationaler Interessen innerhalb der Union bestimmt.“283 Die Mehrheit der Autoren, die den Interessenbegriff auf ein einzelnes Ziel verengen, ist hingegen klar aufseiten der universalen Integrationisten einzuordnen. Manuela Glab ist als noch zurückgenommene Stimme in diesem Chor anzusehen: „Die Außenpolitik der Bundesrepublik muss vom eigenen Interesse an der Erhaltung und Erweiterung des demokratischen Kernes der EU bestimmt sein.“284 Gisela Müller-Brandeck-Bocquet geht schon deutlich darüber hinaus: „Deutschland ist es seiner Staatsraison und seinen wohlverstandenen Interessen schuldig, weiterhin die Weichen Richtung Vollendung der Integration zu stellen.“285 Und bei Marcus Hawel bricht der universale Impuls am stärksten durch, wenn er nichts weniger als „die Integration der Welt am Beispiel Europas“286 verlangt. Diese Verknüpfung mit dem Weltstaatsgedanken ist zwar ungewöhnlich, unterstreicht aber dennoch das universale Potenzial, das jeder Schmalz (2004), S. 282–292; Göler / Jopp (2007), S. 462. (2001), S. 144. 281  Richter (1997). 282  Ebd., S. 74. 283  Fröhlich (2008), S. 21. 284  Glab (1998), S. 208. 285  Müller-Brandeck-Bocquet (2006), S. 486. 286  Hawel (2007), S. 425. 279  Vgl.

280  Weidenfeld

208

C. Die außenpolitische Staatsräson der Bundesrepublik Deutschland

außenpolitischen Staatsräson innewohnt, die integrationspolitische Imperative als alleingültige Maximen anzuerkennen bereit ist. Umso bemerkenswerter ist dieser Zwiespalt im Lichte einer langen europapolitischen Tradition, die gerade auf die Vermeidung jeder Gegensätzlichkeitsannahme von partikularem und universalem Interesse bedacht war und ist. Denn Hans-Peter Schwarz hat bei seiner einschlägigen Einschätzung die Plausibilität auf seiner Seite: „In der Bundesrepublik herrscht seit rund vierzig Jahren (…) weitgehender Konsens darüber, dass zwischen enger verstandenen nationalen Interessen und dem deutschen Interesse an der Vertiefung und Erweiterung Europas kein grundlegender Gegensatz besteht.“287 Parallel zu der Entweder-oder-Diskussion – hier partikulare Interessenverfolgung im Gegensatz zu anderen Partikularismen, dort ausschließlich ein gemeinschaftliches Interesse an universaler Integration – existiert denn auch eine Art Brückenstrategie, die immer wieder im politikwissenschaftlichen Diskurs auftaucht. Exemplarisch bei Gunther Hellmann, der 2002 schrieb: „Die Europäische Union ist heute für Deutschland aber weit mehr als die wichtigste internationale Institution zur Vertretung deutscher Interessen.“288 Nur um unmittelbar anzufügen: „Ob ‚Eigennutz‘ (im Gegensatz zum Nutzen der Partner) unter diesen Bedingungen noch eine sinnvolle handlungsleitende Kategorie darstellen kann, ist vor allem auch deshalb fraglich, weil die Grenzen dessen, was zu ‚uns‘ gehört, zunehmend verschwimmen. Seiner Führungsrolle wird Deutschland daher umso eher gerecht werden können, je weniger die nationalstaatlichen Grenzen in der Rede von den ‚eigenen‘ Interessen akzentuiert werden, d. h., je mehr deutsche und europäische Interessen versöhnt erscheinen.“289 Erscheinen heißt nicht sein. Und so ist bei pragmatischen Autoren die Präferenz für ein teleologisches Wirrwarr der deutschen Europapolitik anzutreffen: „Diese Nicht-Beantwortung der Zielfrage hat es in schwierigen Situationen der Europapolitik erlaubt, auch unter den Vorzeichen unterschiedlicher, bisweilen sogar gegensätzlicher Zielbilder gemeinsam Politik zu betreiben“290, schreibt rückblickend Josef Janning. Während Wolfgang Wessels noch deutlicher wird: „Eine konstruktive Mehrdeutigkeit über die letztlich erstrebenswerte politische und rechtliche Qualität der Europäischen Union kann für eine deutsche Strategie äußerst nützlich sein.“291 Auch diese Mehrdeutigkeit ist letztlich Ausfluss des Spannungsverhältnisses von Partikularismus und Universalismus, das im Rahmen der deutschen Europa287  Schwarz

(2005), S. 53. (2002a), S. 31.

288  Hellmann 289  Ebd.

290  Janning 291  Wessels

(2007), S. 750. (2006), S. 158.



II. Zweite Übertragung: Besonderes209

politik im Allgemeinen und bei der Suche nach der europapolitischen Staatsräson im Besonderen deutlich wird. Das Paradoxon, das automatisch bei dem Zielvorhaben entsteht, durch Autonomieabgabe die eigene Handlungsmacht zu steigern, lässt sich theoretisch nicht auflösen. Dennoch ist es weithin herrschende politikwissenschaftliche Lehre, strategischen Inhalten, die als Nationales Interesse, also als außenpolitische Staatsräson verstanden werden, im „Milieu der Integration“292 besonders große Umsetzungschancen zuzuschreiben. Es ist ein Ergebnis von Teil B. der Arbeit gewesen, dass auch der Begriff außenpolitische Staatsräson gedanklich in einem inhaltlichen Schwebezustand zu halten ist: Ob als universalitätsoffener Partikularismus oder partikularitätsrespektierender Universalismus ist dabei irrelevant. Übertragen auf den politikwissenschaftlichen Diskurs über die außenpolitische Staatsräson und ihre Relevanz im europapolitischen Rahmen bedeutet dies, dass eine aktive und kontinuierliche Diskussion der Finalitätsfrage ebenso sinnvoll und notwendig ist wie die Abwehr suprastaatlicher Kompetenzanmaßungen. Die deutsche Außenpolitik kann dabei auf die Vorgaben des Bundesverfassungsgerichts zurückgreifen, ohne dadurch von eigenständiger Strategiebildung, vom kontinuierlichen Auffinden der Staatsräson entbunden zu werden. Es ist ein positives Zeichen, wenn angesichts des Vertrages von Lissabon einige Autoren dies reflektieren. Gerade mit Blick auf die auswärtigen Kompetenzen der Europäischen Union selbst wird dies deutlich. Wolfram Hilz hat hierzu zunächst festgehalten: „In diesem Handlungsfeld der Union haben die Mitgliedstaaten – angeführt von der britischen Regierung – mit dem Reformvertrag erneut die Bedeutung der nationalen Entscheidungsmöglichkeiten hervorgehoben“293. Um dann folgende normative Vorgabe zu machen: „Die Hoffnung liegt also eher auf einer mittel- bzw. langfristigen Verhaltensänderung im Verhältnis von Union und Mitgliedstaaten durch die Einsicht in die verbesserte Durchsetzungsfähigkeit europäischer Positionen bei ausreichender Einigkeit.“294 Und genauso lässt sich der Appell von ­Peter-Christian Müller-Graff verstehen: „Es bleibt Aufgabe der deutschen Integrationspolitik, die für die Stellung Deutschlands in Europa und in der Welt elementar bedeutsame EU funktionsfähig und legitimiert zu halten. Sie wird dabei das Lissabon-Urteil zu be­achten haben, muss sich dadurch aber nicht zu furchtsamer Zurückhaltung drängen las­sen. Denn die Vorgaben des Urteils zu hy­pothetischen künftigen Entscheidungssitu­ationen sind allesamt höchst abstrakt und auslegungsbedürftig. Es ist Aufgabe und Möglichkeit 292  Janning (2007), S. 751; Hans-Peter Schwarz ist mit Blick auf den Begriff der Staatsräson davon abgewichen; vgl. Schwarz (2005a), S. 48. 293  Hilz (2010), S. 248. 294  Ebd., S. 249.

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C. Die außenpolitische Staatsräson der Bundesrepublik Deutschland

der Politik, integrationspoli­tisch Sinnfälliges zu entwickeln und not­falls das BVG davon zu überzeugen. Das Lissabon-Urteil ändert nichts daran, dass es letztlich auf die Klugheit aller Beteiligten ankommt.“295 3. VN-Politik Bei dem zweiten wesentlichen institutionellen Handlungsfeld der deutschen Außenpolitik, den Vereinten Nationen, ist die Diskurslage insofern eine andere, als dass sich keine Finalitätsfrage stellt. Als internationale Organisation im klassischen Sinne, also ohne exekutiven wie legislativen Kompetenztransfer, bilden die Vereinten Nationen ein abgeschlossenes System. So umfangreich der Zielkatalog der Charta der Vereinten Nationen sich auch darstellt, so eindeutig stehen die Vereinten Nationen auf dem Prinzip des Intergouvernementalismus. Gerade hierdurch aber haben die Vereinten Nationen als ideale Projektionsfläche für den prinzipiellen Multilateralismus der deutschen Außenpolitik und Politikwissenschaft gedient und tun dies nach wie vor: „Dem Prinzip des Multilateralismus in der Weltpolitik besonders verpflichtet, machten alle Bundesregierungen ihr Engagement für die UNO zum Herzstück ihrer Außenpolitik.“296 Christian Hackes zeithistorische Angabe zur jeweiligen Regierungspolitik hat dabei in der politikwissenschaftlichen Literatur ihre normative Entsprechung gefunden. Es sei an dieser Stelle an den oben genannten Ralf Dahrendorf erinnert, der im Multilateralismus den Kern bundesrepublikanischer Staatsräson erkennen wollte. Unabhängig von dieser Zuspitzung lässt sich jedenfalls ein breiter Konsens in der Literatur diagnostizieren, der neben die deskriptive Feststellung der außenpolitischen Affinität der Bundesrepublik stets auch die normative Bekräftigung dieser grundsätzlichen Orientierung stellt. Dies erfolgt entweder im Rückblick durch Hinweise auf den Erfolg dieser Politik,297 oder es erfolgt durch eine offene normative Bekräftigung, wie beispielsweise bei Johannes Varwick: „Deutsche Außen- und Sicherheitspolitik ist auch unter neuen Bedingungen nicht ohne die vielfältige multinationale Einbindung vorstellbar“298, ja, sie gehöre zum außenpolitischen „Einmaleins“299. Auch rein deskriptiv angelegte Beiträge lassen keinen Zweifel an ihrer normativen Zustimmung zur deutschen Außenpolitik in den Vereinten Nationen respektive der deutschen Unterstützung für dieselben.300 295  Müller-Graff

(2010), S. 29. (2002a), S. 11. 297  Vgl. Hacke (2005), S. 11. 298  Varwick (2005), S. 188. 299  Ebd., S. 193. 300  Vgl. Knapp (2002). 296  Hacke



II. Zweite Übertragung: Besonderes211

Gleichwohl wird in aller Regel ein Wandel der deutschen Außenpolitik beschrieben. Dieser ist jedoch nicht bei der prinzipiellen Fixierung auf die Vereinten Nationen in globalen Fragen angesiedelt. Hier gilt nach wie vor Christian Hackes einschlägige Feststellung aus dem Jahr 2003: Auch für „Berlin ist die UNO die zentrale Organisation, die für globalen Frieden, Fortschritt und Abbau der Ungerechtigkeit zwischen Arm und Reich gestärkt werden muss.“301 Aber der Zustand der Organisation selbst geriet schon früh in den außenpolitischen wie politikwissenschaftlichen Fokus. Manfred Knapp hat dargelegt, dass die 1990er Jahre durch ein starkes Interesse an einer grundlegenden Reform der Vereinten Nationen gekennzeichnet waren, insbesondere mit Blick auf die Zusammensetzung des Sicherheitsrates, also des einflussreichsten Organs der gesamten Organisation.302 Auch wenn bereits seit 1992 alle Bundesregierungen die Sicherheitsrats­ reform – und damit einen deutschen oder zumindest gesamteuropäischen ständigen Sitz in diesem – als Ziel verfolgten,303 nahm die politikwissenschaftliche Auseinandersetzung erst nach der Jahrtausendwende Schwung auf. Grund dafür mag sein, dass „die deutschen Bemühungen um einen ständigen Sitz im Sicherheitsrat in der ersten Hälfte der 1990er Jahre eher halbherzig erfolgten“304, wie Klaus Hüfner konstatiert hat. Dies sollte sich jedoch zusehends ändern. Grundsätzlich teilte Deutschland die nach dem Ende des Zeitalters der Bipolarität verbreitete Überzeugung, dass den Vereinten Nationen in Zukunft mehr Bedeutung zukommen würde. Indes knüpfte sich diese Erwartung ebenso wie bei den meisten anderen Mitgliedstaaten an die Idee einer grundsätzlich notwendigen Reform des gesamten Systems der Vereinten Nationen. Seit Mitte der 1990er Jahre rückte dann vor allem die Reform des Sicherheitsrates ins Zentrum des außenpolitischen wie politikwissenschaftlichen Interesses. Während sich die konkrete Außenpolitik deutlich dazu bekannte, einen ständigen Sitz im Sicherheitsrat anzustreben, formierten sich innerhalb der Politikwissenschaft zwei strategische Lager. Auf der einen Seite wurde die Politik der Sitzerlangung unterstützt und normativ unterbaut, auf der anderen Seite wurde diese Politik klar abgelehnt und sogar als strategischer Fehler angesehen, und dies in bemerkenswerter Distanz zum weithin sichtbaren Konsens aller unterschiedlichen Bundesregierungen in dieser Frage. Karl Kaiser war einer der Ersten, die offensiv den deutschen Regierungswunsch in den politikwissenschaftlichen Diskurs trugen und verteidigten.305 301  Hacke

(2003), S. 485. Knapp (2003), S. 213. 303  Vgl. Winkelmann (2006), S. 68. 304  Hüfner (2007), S. 490. 305  Vgl. Kaiser (1993). 302  Vgl.

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C. Die außenpolitische Staatsräson der Bundesrepublik Deutschland

Beispielhaft für die Befürworter ist die Argumentation Christian Tomuschats, der sich 1996 für einen deutschen Sitz aussprach und dabei offenkundig an tradierte außenpolitische Normen appellierte: „Jeder Staat, der ein Konzept einer gerechten und friedlichen Weltordnung zu entwerfen vermag, muss also ein natürliches Interesse daran haben, eine einflussreiche Stellung in den Vereinten Nationen zu gewinnen.“306 Deshalb gelte Folgendes: Angesichts der „Zentralstellung des Sicherheitsrates in der gegenwärtigen Weltordnung muss ein ständiger Sitz im Sicherheitsrat für Deutschland ein erstrebenswertes Ziel sein.“307 Im zweiten Zitat ist es ein Machtfunktionalismus, der es nahe legt, einen Sitz anzustreben, im Ersten jedoch ist dieses Einflussinteresse gekoppelt an normative Grundsätze wie Gerechtigkeit und Frieden. Auch im Fortgang seiner Argumentation ist Christian Tomuschat darum bemüht, den anzustrebenden Gewinn an Einfluss, den ein Sicherheitsratssitz mit sich brächte, in eine normative Zweck-Mittel-Relation zu setzen. Durch ihr Engagement im Sicherheitsrat könne die Bundesrepublik den Multilateralismus als solchen stärken und gleichzeitig die normativen Ziele der Charta der Vereinten Nationen befördern, die in ihrer Orientierung auf Menschenrechts- und Minderheitenschutz und Demokratisierung ohnehin auch allgemeine Ziele der deutschen Außenpolitik darstellen sollten.308 Dieser Argumentationsduktus hat sich erhalten. Nur ein Jahr später, also 1997, gaben sich Volker Rittberger und Martin Mogler bereits derart überzeugt von der Notwendigkeit eines deutschen Sicherheitsratssitzes, dass nur noch Fragen nach dem Wie, nicht nach dem Ob gestellt wurden: „Welche Option sollte verfolgt werden?“309 Ein erstes umfangreiches Resümee der deutschen Bemühungen im Reformprozess der Vereinten Nationen um einen Sicherheitsratssitz hat dann Lisette Andreae in ihrer einschlägigen Monographie im Jahr 2002 gezogen.310 In ihren normativen Inhalten stellt die Studie im Wesentlichen eine Kritik an der Außenpolitik aller Bundesregierungen nach der Wiedervereinigung dar, die trotz aller Bekenntnisse eine einheit­ liche und dynamische Verfolgung des Zieles Sicherheitsratssitz versäumt hätten. Dagegen sei eine Strategie zu entwickeln, die sämtliche relevanten Teile der Bundesregierung in den Prozess einbinden sollte, damit doch noch ein deutscher Sitz erreicht werden könne; insbesondere, weil die Vorstellung eines gemeinsamen europäischen Sitzes unrealistisch sei angesichts der erheblichen Widerstände bei den Partnern in der EU.311 Vielmehr sei die 306  Tomuschat

(1996), S. 98. S. 99. 308  Vgl. ebd., S. 102–106. 309  Rittberger / Mogler (1997), S. 40. 310  Vgl. Andreae (2002). 311  Vgl. ebd., S. 261–270. 307  Ebd.,



II. Zweite Übertragung: Besonderes213

Vertretung europäischer Vorstellungen im Sicherheitsrat effektiver durch eine vergrößerte Zahl europäischer Vertreter zu erreichen und auch normativ wünschenswert, wie Lisette Andreae in einem der Monographie nachgeschobenen Aufsatz ausführte: „Als ein vor allem der gemeinsamen europäi­ schen Außen- und Sicherheitspolitik verpflichteter Staat sollte die Bundesrepublik ihre Mitarbeit im Sicherheitsrat so gestalten, dass nicht nur deutsche, sondern vor allem von den europäischen Partnern gemeinsam getragene Positionen eingebracht werden können. Eine solche europäische Position hätte unvergleichlich höheres politisches Gewicht.“312 Zwischen 2002 und 2005 gewann die Debatte in der Politikwissenschaft an Schärfe, was mit den deutlich größeren Anstrengungen der damaligen Bundesregierung zu erklären ist und vor allem eine ganze Reihe prominenter Kritiker auf den Plan rief. Allein, auch in dieser Hochphase der Auseinandersetzung ist der Streit nicht entschieden worden, blieben die Befürworter des deutschen Sitzes bei ihrer Position. So etwa Sven Bernhard Gareis, der 2006 das deutsche Streben nach einem Sicherheitsratssitz angesichts des wirtschaftlichen und politischen Gewichts Deutschlands folgendermaßen beurteilte: „eigentlich eine Selbstverständlichkeit.“313 Seit 2002 fielen dann mehrere Entwicklungen zusammen, welche die Kritik an der deutschen Politik gegenüber den Vereinten Nationen beförderten. Zum einen vertrat die im selben Jahr wiedergewählte Bundesregierung den Anspruch auf einen Sitz im Sicherheitsrat mit einer bis dahin ungewohnten, auch öffentlich dokumentierten Vehemenz. Zum anderen hatte Deutschland in den Jahren 2003 und 2004 einen nicht-ständigen Sitz inne und vertrat in dieser Position schließlich eine gegen die Irak-Politik der USA gerichtete Diplomatie. Christian Hacke hat als einer der Ersten auf den Widerspruch einer deutschen Außenpolitik aufmerksam gemacht, die einerseits auf Teilhabe am wichtigsten multilateralen Entscheidungsgremium der Weltpolitik pochte und andererseits dessen Entscheidung in der Irak-Frage vorab für nicht zustimmungsfähig erklärte, weil eine Intervention in jedem Fall abgelehnt werde: „Das rhetorisch vollmundige Bekenntnis zum Multilateralismus und zur Unterstützung der UNO wurde wertlos durch die schroffe Absage Berlins gegenüber einem UNO-Mandat zur Durchsetzung der Irak-Resolutionen und Völkerrechtsprinzipien mit notfalls militärischen Mitteln.“314 Ferner lässt sich zeigen, dass die Kritik sich im Kern aus denselben normativen Prinzipien ableitete, die etwa bei Christian Tomuschat 312  Andreae

(2002a), S. 38. (2006), S. 152. 314  Hacke (2002a), S. 14; teilweise hat es auch schon während der 1990er Jahre politikwissenschaftliche Kritik an den deutschen Bemühungen um einen Sicherheitsratssitz gegeben; vgl. Wagner (1993). 313  Gareis

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C. Die außenpolitische Staatsräson der Bundesrepublik Deutschland

noch dazu gedient hatten, eine befürwortende Position einzunehmen. Es ist insbesondere Gunther Hellmann gewesen, der die wesentlichen Kritikpunkte am deutschen Streben nach einem Sitz im Sicherheitsrat vorgebracht hat.315 So wie die Befürworter die deutschen Bemühungen um einen Sitz als natürliche Folge der tradierten außenpolitischen Vorstellungen und normativen Grundlagen darstellten und darstellen, verneinte Gunther Hellmann dies aus denselben Gründen. Die Forderung des Grundgesetzes, in einem vereinten Europa dem Frieden in der Welt zu dienen, geriet zum Argumentationshebel: „Misst man das Ansinnen der Bundesregierung an diesem Anspruch, so gibt es derzeit nicht einen einzigen guten Grund zur Rechtfertigung eines nationalen deutschen Sitzes. Mehr noch: Dieser Anspruch steht in mehrfacher Hinsicht in offenem Widerspruch zu Buchstaben und Geist der Präambel.“316 Entsprechend hierzu wurde ebenso die Option eines europäischen Sitzes wieder ins Spiel gebracht und als Einwand gegen einen deutschen Sitz formuliert: Die Idee, den europäischen Sitz „wieder zum Leben zu erwecken, ist vielleicht dadurch möglich, dass Deutschland auf einen ständigen nationalen Sitz verzichtet und in der EU jene Koalitionen schmiedet, die langfristig dabei helfen, den französischen und britischen Anspruch auf ihre nationalen Sitze auszuhebeln.“317 Diesem Argumenta­ tionsmuster sind andere Kritiker weitgehend gefolgt. August Pradetto beispielsweise verknüpfte beide Argumentationsstränge direkt miteinander: „Wenn es der deutschen Regierung vorrangig nicht um nationales Prestige, sondern um die Expansion des Völkerrechts und des Einflusses der UN geht, dann ist einerseits die Befürwortung einer regional-kontinentalen Proporzregelung, andererseits das kontinuierliche Bemühen um eine gemeinsame (in den Verträgen zur politischen Union ohnehin nahegelegten) Repräsentanz der EU-Außenpolitik durch Frankreich und Großbritannien im Sicherheitsrat eine adäquate Strategie.“318 Deskriptive Beiträge nehmen ungeachtet der politikwissenschaftlichen Kontroverse inzwischen zwar an, dass seit der Wiedervereinigung eine kontinuierliche Außenpolitik in den Vereinten Nationen betrieben worden sei.319 Dennoch gibt es kaum einen Beitrag, der sich mit der Reformproblematik der Vereinten Nationen als solcher beschäftigt, der nicht auch eine klare normative Vorgabe zur Frage des deutschen Sicherheitsratssitzes machen würde.320 So oder so zeigen sich jedoch im Streit um das deutsche Streben Hellmann (2004). S. 482. 317  Ebd., S. 491. 318  Pradetto (2005), S. 140. 319  Vgl. Hüfner (2007), S. 492. 320  Vgl. Pietz (2007), S. 76. 315  Vgl.

316  Ebd.,



II. Zweite Übertragung: Besonderes215

nach einem Sicherheitsratssitz wieder einmal die tiefer liegenden normativen Vorstellungen der einzelnen Autoren. Denn auch der Diskurs über die deutsche Politik in den Vereinten Nationen ist ein Diskurs um die grundsätzliche strategische Orientierung der deutschen Außenpolitik. Damit ist es ein Diskurs, der implizit natürlich die Frage der außenpolitischen Staatsräson aufgreift und – wie üblich – auf einem bestimmten Politikfeld austrägt. Auch hier wirkt wieder das Spannungsfeld aus Universalismus und Partikularismus, zeigen sich wieder die typischen Paradoxien und Verknüpfungen. Dies zeigt ein Blick auf die grundsätzlichen normativen Aussagen, auch wenn sie eher en passant getroffen werden. Abschließend muss die Übertragung der theoretischen Ergebnisse auf den politikwissenschaftlichen Diskurs hinsichtlich der deutschen Außenpolitik gegenüber den Vereinten Nationen zwei Sichtweisen berücksichtigen. Einerseits kann kein Zweifel daran bestehen, dass die Vereinten Nationen aufgrund von strukturellen Schwächen und auch wegen der in ihrem System obwaltenden partikularen Interessen ihren selbst gesteckten Zielen nur unzureichend näher kommen: Die Offenheit der Vereinten Nationen ist auch ihr Problem – jeder, aber auch jeder, Staat wird aufgenommen. Welche qualitativen Standards auch immer beschworen werden, quantitative Auswirkungen auf die Welt-Organisation sind nicht zu erkennen, das zeigt schon ein Blick auf ihre Mitgliederzahl. Gleichzeitig ist das System der Vereinten Nationen, zumindest die Prärogative des Sicherheitsrats, eine Erscheinung, die nur schwerlich vom Begriff der Willkür zu trennen ist. Legitimationstheoretische Gründe für die Privilegien der Sicherheitsratsmitglieder sind einfach nicht auffindbar. Parallel dazu wirken die Vereinten Nationen in ihren vielen Bemühungen um soziale oder sonstige entwicklungspolitische Projekte paternalistisch, so segensreich die Ergebnisse im Einzelnen ausfallen mögen. Insoweit mag der Universalismus der Vereinten Nationen angezweifelt werden. Nicht normativer Universalismus, sondern institutioneller Kollektivismus scheint in dieser Perspektive am Werk zu sein. Durch den Formalismus der Vereinten Nationen hat man es in ihnen mit einem Staatsbegriff zu tun, der aktuellen normativen Kriterien nicht genügt und positivistisch daherkommt. Der Zielkatalog der Organisation verhält sich dazu wiederum paradox.321 Dadurch tut sich eine tiefe legitimationstheoretische Kluft auf. Andererseits ist dieser Blickwinkel vielleicht zu eng. Jedenfalls lässt sich gegen den größeren Zusammenhang, den Otfried Höffe aufzeigt, wenig einwenden: „Über den bleibenden Defiziten darf man aber das schon Erreichte nicht übersehen, und dieses spricht per saldo eher für einen Fort321  Vgl.

Tomuschat (1994), S. 23–24.

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schritt als einen Rückschritt: Die Vereinten Nationen beispielsweise haben zwar ihr selbstgesetztes Ziel, den globalen Rechtszustand, nicht annähernd erreichen, den Gegensatz, einen internationalen Naturzustand, aber ausdrücklich verwerfen können.“322 Angesichts dieser Spreizung bleibt zu fragen, was sich im politikwissenschaftlichen Diskurs zeigt, was zu einer außenpolitischen Staatsräson Deutschlands gegenüber den Vereinten Nationen gehören könnte? Die Frage nach dem Sicherheitsratssitz ist dabei nicht eindeutig zu beantworten. Sofern sich im deutschen Streben ein universalitätsoffener Partikularismus zeigen sollte, liegen zumindest keine Einwände auf der Hand. Wäre dem so, dann könnte die deutsche Außenpolitik tatsächlich als „treibende Kraft von Verrechtlichung und Multilateralisierung der internationalen Beziehungen“323 wirken, wie es Christian Hacke 2002, also bereits vor der intensiven Phase der Debatte um den Sicherheitsratssitz, feststellte. Auch im Sinne eines partikularen Maklers lässt sich diese Rolle denken.324 Sofern also eine Schnittmenge genuin partikularer und universaler Motive zum Tragen käme, erscheint der Sicherheitsratssitz als legitimes Ziel. So lässt sich auch Manfred Knapps Antwort auf die Motivfrage interpretieren: „Sicher spielen dabei mehrere Interessen und Ziele eine Rolle. Neben der allgemeinen, selbst auferlegten Verpflichtung auf einen globalen Multilateralismus und der grundsätzlichen Bereitschaft, mehr weltpolitische Verantwortung zu übernehmen, lagen der deutschen UN-Politik sicher auch eine Reihe genuin nationaler Zielsetzungen zugrunde.“325 Diese Verantwortung zum Multilateralismus muss allerdings eindeutig menschenrechtlich grundiert sein, was aber auch bei der deutschen Politik innerhalb der Vereinten Nationen der Fall ist.326 Ein normativ nicht weiter reflektiertes Bekenntnis zum Multilateralismus ist deswegen zu Recht kritisiert worden.327 Umgekehrt ist es fragwürdig, der Bundesrepublik eine Rolle innerhalb der Vereinten Nationen zu empfehlen, die „zu einem stärkeren entwicklungspolitischen Engagement führen und einen höheren Grad an sicherheitspolitischer Neutralität aufweisen“328 würde, wie es Klaus Hüfner getan hat. Denn eine klare Grenze zwischen sicherheitspolitischer und normativer Neutralität lässt sich kaum denken. Auch eine pauschale Intensivierung der deutschen Politik gegenüber den Vereinten Nationen, um, in den Worten 322  Höffe

(1999), S. 429. (2002a), S. 12. 324  Hacke (2005), S. 11. 325  Knapp (2005), S. 154. 326  Vgl. Boeckle (2001), S. 292. 327  Vgl. Varwick (2005), S. 193. 328  Hüfner (2007), S. 498. 323  Hacke



II. Zweite Übertragung: Besonderes217

Manfred Knapps, „den Anforderungen eines globalen kooperativen Multilateralismus gerecht werden“329 zu können, ist normativ vermutlich zu anspruchslos. Deswegen erscheint hier ein pragmatisches Streben nach weiterem Abbau der legitimationstheoretischen Probleme innerhalb des Systems der Vereinten Nationen vor allem zur außenpolitischen Staatsräson zu gehören. So lässt sich auch Johannes Varwick verstehen, der 2009 auf die nach wie vor notwendige Reform des Sicherheitsrates hingewiesen und gleichzeitig folgende Mahnung erteilt hat: „Ein überzogener ‚VN-Legalismus‘ ist also nicht tragfähig und sollte einer realistischeren Sichtweise weichen.“330 Die Bedeutung der Vereinten Nationen wird dadurch nicht geschmälert, zu deren institutionellem Gefüge ohnehin keine grundsätzliche Alternative bereit steht. Universale Zumutungen gegenüber der Partikularität der deutschen Außenpolitik sind von dieser Seite auch nicht zu erwarten. 4. NATO-Politik Die NATO ist das dritte wesentliche institutionelle Handlungsfeld, auf das sich deutsche Außenpolitik bezieht. Dabei lässt sich das transatlantische Bündnis ohne weiteres als außenpolitisches Standbein bezeichnen: Zum einen ist die Bundesrepublik länger NATO-Mitglied als Mitglied der Vereinten Nationen, zum anderen hat die NATO als Organisation deutlich geringere Wandlungen durchlaufen als die Vereinten Nationen. Genauer gesagt hat der Nordatlantikvertrag während der Mitgliedschaft der Bundesrepublik, also seit 1955, überhaupt keine Änderung erfahren. Die unmittelbar nach der Wiedervereinigung zu vernehmende Warnung vor Distanzierung der deutschen Außenpolitik von der NATO, insbesondere von der durch die NATO gewährleisteten nuklearen Abschreckung,331 sind wenigstens mit Blick auf den politikwissenschaftlichen Diskurs unbegründet gewesen respektive haben Früchte getragen. Dementsprechend konnte Rainer Baumann zehn Jahre später völlig zutreffend wie zustimmend eine klare Kontinuität der deutschen NATO-Politik feststellen, die weder in die Nähe einer Aufgabe der militärischen Integration noch einer wie auch immer gearteten Nationalisierung geraten war.332 Zurückblickend ist ebenso das Urteil desselben Autors über die grundsätzliche Bedeutung der Allianz für die deutsche Außenpolitik zutreffend: „Ever since the creation of the Bundeswehr in 1955, membership of NATO has been at the heart of (West) 329  Knapp

(2007), S. 745. (2009), S. 357. 331  Vgl. Mey / Rühle (1991), S. 30–31. 332  Vgl. Baumann (2001), S. 179. 330  Varwick

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C. Die außenpolitische Staatsräson der Bundesrepublik Deutschland

Germany’s security policy.“333 Auch aktuelle Stimmen, wie etwa diejenige Olaf Theilers, weichen hiervon nicht ab: „Die NATO gilt aus deutscher Perspektive sowohl als zentrales Element der europäischen Friedensordnung wie auch als Garant für die gemeinsame transatlantische Sicherheit. Diese Doppelfunktion macht die NATO für die Bundesrepublik praktisch unverzichtbar.“334 Vor dem Hintergrund erheblicher Veränderungen der internationalen Politik der letzten zwanzig Jahre ist dies bemerkenswert. Durch den Zerfall der Sowjetunion verblieben und verbleiben die USA für das Erste als einzige Weltmacht, also als der Staat mit den größten globalen Einflussmöglichkeiten. Gleichzeitig kam der NATO auf den ersten Blick ihr Zweck abhanden, nämlich die Verteidigung ihrer Mitglieder vor ebenjener Sowjetunion. Ebenfalls setzte eine Entwicklung ein, die auf eine stärkere sicherheitspolitische Rolle der EU hinauslief und mit der Einführung der ESVP, also der Europäischen Sicherheits- und Verteidigungspolitik, einen ersten Kulminationspunkt erfahren hat. Schließlich ist die NATO seither in eine Reihe von Konflikten involviert gewesen, teils mit, teils ohne Auftrag der Vereinten Nationen. Dadurch hat sich das militärische Anforderungsprofil an die Mitgliedstaaten stark gewandelt sowie die Zahl der NATO-Mitglieder stark vergrößert. All dies jedoch hat in der politikwissenschaftlichen Wahrnehmung zu keinem normativen Dissens über die grundsätzlich überragende Wünschbarkeit der NATO aus deutscher Sicht, ja, wie bei Olaf Theiler zu sehen, die Annahme ihrer Unverzichtbarkeit geführt. Damit wird die NATO als Bezugspunkt unmittelbar ins Zentrum einer jeden Überlegung zu außenpolitischer Staatsräson gerückt. Staatsräson annonciert als Begriff das Indiskutable und Dringliche in der politischen Praxis. Dementsprechend hat Johannes Varwick mit offensichtlicher Zustimmung auf ein Wort des ehemaligen Verteidigungsministers Peter Struck aus dem Jahr 2005 hingewiesen, wonach die NATO-Mitgliedschaft selbstverständlich zur Staatsräson gehöre.335 Und Einverständnis zeigt sich auch bei Markus Kaim, der gegenüber seiner einschlägigen Beobachtung selbst keinerlei normative Einwände erhebt: „Alle Bundesregierungen seit 1955 haben ohne Unterschied die NATO in Bezug auf die deutsche Staatsräson als notwendigen Garanten der territorialen Integrität und politischen Souveränität der Bundesrepublik betrachtet“336. Beiden Autoren ist gemein, dass sie den Staatsräson-Bezug überzeitlich herstellen. Er gilt stets, unabhängig von Entwicklungen der internationalen Politik oder einem Wandel der innen­ politischen Bedingungen des auswärtigen Handelns, geschweige denn von 333  Ebd.,

S. 141. (2009), S. 308. 335  Vgl. Varwick (2007), S. 776. 336  Kaim (2007), S. 87–88. 334  Theiler



II. Zweite Übertragung: Besonderes219

Regierungswechseln. Als Gründe hierfür werden neben der Tatsache, dass die NATO der effektive Garant für den Schutz der Bundesrepublik im engeren sicherheitspolitischen Sinne ist und diese Garantie inzwischen auch auf einem über Jahrzehnte gewachsenen Vertrauen gründet, vor allem vier weitere Motive angeführt. Ähnlich wie bei der Europäischen Union wird erstens die militärische Integration der Bundesrepublik in einem aufgrund der historischen Entwicklung nicht mehr aufzulösenden Zusammenhang mit der Souveränitätserlangung beschrieben. Auch hier liegt das paradoxe Muster zugrunde, wonach gerade durch einen Verzicht auf Handlungsfreiheit überhaupt erst grundlegende Autonomie erreicht wird. Damit eng verbunden wird zweitens auf einen gesteigerten außenpolitischen Einfluss hingewiesen, den die NATO-Mitgliedschaft mit sich brächte. Gleichzeitig würde dieser durch Integration gesteigerte Einfluss zu einer besseren Kosten-NutzenRelation führen, die außerhalb der NATO verschwinden und in erheblich größere verteidigungspolitische Anstrengungen münden müsste. Schließlich sei viertens die NATO das wichtigste sicherheitspolitische Kommunika­ tionsforum der Bundesrepublik. Alle relevanten sicherheitspolitischen Entscheidungen seien bisher im NATO-Rahmen gefällt worden.337 Dieser normative Konsens grundiert jede Diskussion zur deutschen NATO-Politik. Dies gilt zumindest auf den ersten Blick, wobei sich sozusagen oberhalb dieser normativen Grundtendenz auch Dissens im politikwissenschaftlichen Diskurs zeigt, der wiederum Rückschlüsse auf dennoch existierende Differenzen innerhalb dieser normativen Grundtendenz zulässt. Dies lässt sich exemplarisch verdeutlichen an der Auseinandersetzung um den Beitritt neuer Mitglieder zur NATO nach Ende des Kalten Krieges und an der Frage nach der Rolle, welche der NATO nach Ende der Bipolarität zuwachsen sollte. Denn bereits in der ersten Hälfte der 1990er Jahre sah sich die NATO einer ganzen Reihe von Staaten gegenüber, die – aus dem ehemaligen sowjetischen Herrschaftsbereich entlassen – in das Bündnis drängten. In der Folge führte dies zu einer umfassenden Erweiterung des Bündnisses, die sich in zwei Wellen 1999 und 2004 vollzogen hat. Dieser Prozess ist kontrovers in der politikwissenschaftlichen Literatur begleitet worden. Die Gegner oder zumindest Kritiker der Erweiterung haben dabei in aller Regel einen argumentativen Umweg gewählt. So sehr die mittel-osteuropäischen Aspiranten auch auf Verständnis trafen, so sehr drohte doch eine Situation, in der eine neuerliche Verschlechterung des Verhältnisses zu Russland unausweichlich schien. „Schwierigkeiten dürfte vor allem das Problem des russischen Widerstandes gegen eine mögliche Ausdehnung der Allianz bereiten“338, mahnte Peter Schmidt 1996. Auch wenn letztlich gar keine Auflösung der 337  Vgl.

Varwick (2007), S. 775–778; Kaim (2007), S. 87–92. (1996), S. 220.

338  Schmidt

220

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Situation möglich wäre, ohne neue Probleme zu schaffen, beharrte Peter Schmidt auf einer skeptischen Position.339 Ausdrücklich kritisch hat sich Michael Staack eingelassen. Zwischen dem Aufbau einer das gesamte Europa umfassenden Sicherheitsstruktur und der NATO-Öffnung würden sich Zielkonflikte ergeben. Mit dem Beitritt Polens, Tschechiens und Ungarns 1999 sei eine Schwerpunktsetzung zugunsten der militärischen Integration einhergegangen, die als „Fehlentwicklung“340 einzustufen sei, die wiederum einer Korrektur durch insbesondere die deutsche Außenpolitik bedürfe, vor allem unter stärkerer Berücksichtigung wirtschaftlicher und gesellschaftlicher Aspekte: „Eine Strategie hingegen, die sich auf eine ‚Ostverschiebung des Westens‘ reduziert, wäre gerade für Deutschland ein fragwürdiger und möglicherweise sehr kurzfristiger Sicherheitsgewinn.“341 Dagegen hat Christian Hacke eine zumindest distanzierte Haltung zu der bisweilen in der Erweiterungsfrage lavierenden Außenpolitik der deutschen Regierung eingenommen und eher einen Mangel an kontinuierlicher Einflussnahme in der Erweiterungsfrage konzediert sowie kritisch beurteilt.342 Obwohl bei der zweiten Erweiterungsrunde dieselbe Konstellation den Diskurs hätte prägen müssen, dominierte inzwischen eindeutig eine positive Grundeinstellung zur Erweiterung. Bei aller Notwendigkeit, auf die russischen Bedenken einzugehen und die russische Anpassungsfähigkeit nicht über Gebühr zu strapazieren, wurde doch betont, dass letztlich kein Weg an der Aufnahme weiterer Mitglieder vorbeiführe.343 Allein, in der am deutlichsten bei Michael Staack zutage tretenden Beanstandung einer militärischen Schlagseite des Erweiterungsprozesses zeigt sich eine wesentliche Beurteilungsnuance im Diskurs um die deutsche NATO-Politik. Damit ist nicht das immer wieder thematisierte Verhältnis von sicherheits- und verteidigungspolitischen Kapazitäten der Europäischen Union und der NATO gemeint,344 sondern die Frage, inwieweit die NATO als reines Militärbündnis wahrgenommen wird, oder als ein solches, das über engere sicherheitspolitische Zusammenhänge hinausgeht. Insbesondere im Zusammenhang mit dem Einsatz von NATO-Streitkräften im Kosovo ist die normative Einbindung der NATO in Zweifel gezogen und gegen den normativen Rahmen des Grundgesetzes kontrastiert worden.345 Ferner wurde die NATO an dieser Stelle, wie bei Sebastian Sedlmayr, in einen Gegensatz zu internationaler Sicherheit gebracht: „Mit der Entschei339  Vgl.

ebd., S. 221–222. (1997), S. 285.

340  Staack 341  Ebd.

Hacke (1997a). Kamp (2002); Knapp (2004). 344  Vgl. Overhaus (2004); Sinjen / Varwick (2005). 345  Vgl. Mayer (1999); Albrecht (2000). 342  Vgl.

343  Vgl.



II. Zweite Übertragung: Besonderes221

dung, ohne UN-Mandat die Bundesrepublik Jugoslawien im NATO-Verbund zu bombardieren, hat die rot-grüne Bundesregierung selbst zu Anfang ihrer Amtszeit den wohl folgenschwersten Treffer gegen eine globale kooperative Sicherheitsarchitektur gelandet.“346 Ein solches allein aufs Sicherheitspolitische im engeren Sinne konzentrierte, letztlich wenig normativ aufgeladene NATO-Verständnis prägt dann mitunter auch Vorgaben zur deutschen ­NATO-Politik – selbst wenn sie ins Positive gewendet sind. So etwa bei Helga Haftendorn: „Die Bundesregierung sollte […] deutlich machen, dass Deutschland ein originäres Interesse am Fortbestand des Atlantischen Bündnisses als Risikogemeinschaft, als Sicherheitscaucus und als transatlantischer Transmissionsriemen hat.“347 Im Gegensatz dazu steht die Betonung der „Wertegemeinschaft“348 der NATO, wie zum Beispiel bei Johannes Varwick. Auf dieser Grundlage wurden und werden dann in aller Regel eine ganze Reihe von Forderungen an die deutsche NATO-Politik gestellt. Einmal ist da das allgemeine Postulat nach einer aktiven NATO-Politik, welche die Allianz vitalisieren soll.349 Darüber hinaus geht der Appell, das deutsche Gewicht innerhalb der NATO zu vergrößern, indem mehr finanzielle Mittel bereitgestellt werden.350 Und schließlich lassen sich ganze Problemkataloge formulieren, in denen konkrete Gefahren für die NATO aufgezählt werden, um dann umfassende Gegenstrategien einzufordern. So etwa bei Olaf Theiler: „Angesichts der geschilderten aktuellen Herausforderungen und der zum Teil sehr eng, im schlimmsten Fall sogar kausal miteinander verknüpften Risiken erscheint eine ebenso aktiv die Entwicklungen auf allen drei Ereignisebenen mit beeinflussende wie gleichzeitig vorsichtige und mit Rücksicht auf die eigenen Ressourcen und internen Spannungen ausbalancierte Sicherheitspolitik für Deutschland unverzichtbar.“351 Es sind jedoch nicht diese konkreten Problemlagen und Handlungsempfehlungen, welche die deutsche NATO-Politik wiederum als außenpolitisches Feld ausweisen, das natürlich auch im Spannungsverhältnis von Partikularismus und Universalismus einzuordnen ist. Es ist vielmehr die normative Grundierung des Militärbündnisses, die den theoretischen Bezug herstellt, auch wenn sie angesichts der im Tagespolitischen eindeutigen Rollenzuschreibung als Militärbündnis häufig in den Hintergrund des politikwissenschaftlichen Diskurses tritt. Denn vordergründig erscheint die NATO als klassische Organisation des Partikularismus: Weder findet sich eine Abgabe von Hoheitsrechten an eine 346  Sedlmayr

(2008), S. 164. (2005), S. 85. 348  Varwick (2007), S. 775. 349  Vgl. Pradetto (2005), S. 139; Kaim 2007, S. 103. 350  Vgl. Wiesmann (2003), S. 22; Ferber (2005), S. 54–56. 351  Theiler (2009), S. 322. 347  Haftendorn

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supranationale Instanz, noch tritt die NATO mit einem organisatorischen Universalanspruch auf. Es ist die übliche Selbstseparation des Partikularismus, die hier nur im Sinne eines Bündnisses auftritt, so scheint es. In diesem Blickwinkel wirkt die NATO lediglich als diplomatischer Reflex militärischer Reize, als rein kontingente Erscheinung der Epoche des Kalten Krieges. Dies ist die durchaus dominante Perspektive, bei erklärten Freunden wie Gegnern der NATO, was sich nicht zuletzt in der wissenschaftlichen Erklärungsnot nach dem Zusammenbruch der Sowjetunion zeigte. Die Rede vom „Rätsel des Fortbestands der NATO“352 spricht hier für sich. Selbst bei Autoren, welche die deutsche Außenpolitik regelmäßig einer Vernachlässigung ihrer Aufgaben im Rahmen der NATO zeihen, sind es eher Argumente der partikularen Vorteilsnahme, die zur Geltung gebracht werden. Dies zeigt sich etwa bei Michael Rühle, der mit Blick auf das deutsche Engagement innerhalb der Allianz zuletzt einforderte, „dass man sich von lieb gewonnenen Illusionen der Vergangenheit verabschiedet. Dazu zählt insbesondere die Hoffnung, deutsche Sicherheitsinteressen ließen sich auch weiterhin nahezu gefahrlos durch die Teilnahme an kollektiver Konfliktnach­ sorge vertreten. Und dazu zählt auch die Vorstellung, eine Mittelmacht wie Deutschland könne Bündnissolidarität ohne Bereitschaft zu militärischer Risikoteilung demonstrieren.“353 Ähnliches trifft auf Manfred Knapp zu, wenn auch unter umgekehrten Vorzeichen, nämlich bei der Kritik an einem übersteigerten NATO- beziehungsweise EU-Engagement zulasten der Vereinten Nationen: „Trotz aller feierlichen Millenniumserklärungen der Vereinten Nationen saß für Deutschland das teure Hemd der EU und der NATO meist doch näher als der weltpolitische Rock der Vereinten Nationen.“354 Hierin muss jedoch nicht unbedingt das Muster der partikularen KostenNutzen-Kalkulation gesehen werden, auch nicht mit dem Provinzialität unterstellenden Unterton. Es ist ebenso denkbar, dass hierin ein normativuniversaler Zug der deutschen Außenpolitik zum Tragen kommt, der in ­einem echten oder vermeintlichen Nullsummenspiel der Aufmerksamkeitsaufteilung auf die wesentlichen Institutionen für eine Konzentration auf vertraute universale Wertbindung innerhalb der EU und der NATO sorgt. Denn die universale Dimension des atlantischen Bündnisses sollte nicht ausgeblendet werden. Die Raison d’être der NATO war und ist keineswegs nur eine Funktion militärpolitischer Imperative nach dem Ende des Zweiten Weltkriegs. Die NATO ruht auch auf Werten, und zwar nicht erst seit dem Harmel-Bericht des Jahres 1967, der bisweilen als Wendepunkt erscheint, nach dem die NATO eine stärker politische Natur angenommen hätte. So 352  Franke

(2008). (2009), S. 6. 354  Knapp (2005), S. 154. 353  Rühle



II. Zweite Übertragung: Besonderes223

wird der politische Ursprung des Bündnisses unterschlagen. Es ist schon die Eingangsformel des Nordatlantikvertrags, die diesen Charakter offenbar werden lässt. Denn der Vertrag formuliert die Absichten der Signatarstaaten in aller Klarheit: „They are determined to safeguard the freedom, common heritage and civilisation of their peoples, founded on the principles of democracy, individual liberty and the rule of law.“ Von Anfang an stand folglich neben allen sicherheitspolitischen Notwendigkeiten der Wunsch, eben kein simples militärisches Zweckbündnis zu gründen, nicht einfach nur strategischen Zwängen zu gehorchen. Es galt dagegen, eine zivilisatorische Gemeinsamkeit von Staaten zu institutionalisieren. Es ist gerade dieser Aspekt, der die NATO kennzeichnet. Lazaros Miliopoulos hat darauf hingewiesen: „Die ‚politische Gemeinschaft‘ des Westens hat sich konkret durch die Begründung der NATO in einer embryonalen Form realisiert.“355 Wenn moderne außenpolitische Staatsräson, wie gegen Ende des Theorieteils ausgeführt, eine dreifache Aufgabe hat – Beachtung der einzelstaat­ lichen Erscheinung, Beachtung des normativen Ziels eines allgemeinen, qualitativen Staatsbegriffs und Beachtung der konkreten historischen Situation, dann erscheint es geboten, die drei wesentlichen institutionellen Handlungsfelder von Europäischer Union, Vereinten Nationen und NATO nicht gegeneinander auszuspielen, sondern jeweils kontextsensible normative Vorgaben zu formulieren. Mit Blick auf die NATO ist dabei natürlich die partikulare Sicherheitsfixierung von Bedeutung. Schon aus ihr heraus erklären und legitimieren sich Hinweise darauf, die deutsche Außenpolitik müsse auf eine fortgesetzte Relevanz der NATO achten.356 Es ist aber ebenso von Bedeutung, die universale Komponente der außenpolitischen Staatsräson der Bundesrepublik gerade auch innerhalb der NATO zu berücksichtigen. Dies ist einerseits wichtig für die zukünftige Entwicklung der Allianz, der hierin ein großes Orientierungspotenzial offen steht, das unabhängig von konkreten sicherheitspolitischen Notwendigkeiten einen Entwicklungspfad vorgeben kann. Andererseits muss die außenpolitische Staatsräson der Bundesrepublik so für eine fortlaufende Rückbindung der NATO an ihr universales Wertefundament sorgen. Gerade in den Grenzsituationen der militärischen Intervention, die hier ihre intensivste Ausprägung finden, stellt sich diese Aufgabe. Damit ist aber bereits das kommende Unterkapitel angesprochen, das mit der deutschen Interventionspolitik und damit mit einem normativ besonders aufgeladenen Feld die Durchsicht des politikwissenschaftlichen Diskurses um die außenpolitische Staatsräson der Bundesrepublik beschließen wird.

355  Miliopoulos 356  Varwick

(2007), S. 41. (2007), S. 778.

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5. Interventionspolitik Die militärische Intervention stellt den Grenzfall der modernen außenpolitischen Staatsräson dar. Legitimations- wie Limitationszwecke werden hier drastisch deutlich, deutlicher als bei anderen Topoi des politikwissenschaftlichen Diskurses um die deutsche Außenpolitik. Hier drängt sich das Begriffspaar aus Partikularismus und Universalismus besonders eng zusammen, schiebt sich noch offensichtlicher übereinander. Zu Beginn der 1990er Jahre zeigte der politikwissenschaftliche Diskurs sich jedoch noch einigermaßen eindeutig. Auch wenn angesichts der veränderten weltpolitischen Umstände auch die zukünftige Rolle der Bundeswehr diskutiert wurde, zeichnete sich noch kein offener Interventionsdiskurs ab: Die Bundeswehr wurde als reine Landes- respektive Bündnisverteidigungsarmee betrachtet. Im Sinne einer besonders strengen Auslegung dieses Verständnisses konnte etwa Dieter Lutz 1993 zum Problem der humanitären Intervention noch folgendermaßen ausführen: „Aber auch wenn künftig die Missachtung der Menschenrechte (zu Recht) nicht länger als innere Angelegenheit eines im übrigen souveränen Staates, sondern als Gefährdung des internationalen Friedens behandelt wird, so bleibt der automatische Einsatz der Bundeswehr als Interventionstruppe zur tatsächlichen oder angeblichen Aufrechterhaltung deutscher Wert- und Menschenrechtsvorstellungen strikt verboten.“357 Gleichwohl kam es sukzessive zu Auslandseinsätzen der Bundeswehr und dem wegweisenden „Out-of-Area“-Urteil des Bundesverfassungsgerichts, das im Jahr 1994 die Zulässigkeit von Einsätzen der Bundeswehr im Rahmen kollektiver Sicherheitssysteme feststellte, und zwar auch ohne geographische Beschränkung auf das Gebiet der NATO-Vertragsstaaten. Dies hat rasch seinen Niederschlag in der politikwissenschaftlichen Debatte gefunden, innerhalb derer zunehmend die alte Argumentationsgrundlage verlassen wurde. Christian Hacke und Joachim Krause vollzogen beispielsweise diesen Wandel. Ersterer, indem er darauf aufmerksam machte, dass sicherheitspolitische Integration natürlich auch sicherheitspolitische Pflichtenteilung bedeute,358 letzterer, indem er Überlegungen einer außenpolitischen Selbstbeschränkung, etwa einer Fokussierung auf den europäischen Raum, jede strategische Berechtigung absprach.359 Daran anschließend ist es Nina Philippi gewesen, die 1997 ein erstes Resümee der Diskussion gezogen hat.360 Besonders bemerkenswert ist der umfangreiche Kriterienkatalog zur Zulässigkeit beziehungsweise Sinnhaftigkeit militärischer Auslandsein357  Lutz

(1993), S. 26. Hacke (1996), S. 11. 359  Vgl. Krause (1996), S. 94. 360  Vgl. Philippi (1997). 358  Vgl.



II. Zweite Übertragung: Besonderes225

sätze, den sie entwickelt hat.361 Hier wird zwischen abstrakten Bedingungen, die unabhängig von spezifisch bundesrepublikanischen Faktoren zur Geltung kommen, und solchen unterschieden, die allein mit Blick auf die konkrete deutsche Außenpolitik Gewicht haben. Damit war nicht nur ein grundsätzliches Argumentationsmuster etabliert, sondern zugleich ein grundsätzlicher Wandel im politikwissenschaftlichen Diskurs vollzogen worden, und das in relativ kurzer Zeit. Geradezu prophetisch erscheint dabei Nina Philippis inkonsistente Position bezüglich der völkerrechtlichen Zulässigkeit militärischer Interventionen. Die Befolgung des Völkerrechts ist für sie einerseits conditio sine qua non, andererseits möchte sie jedoch bei einer Blockade des einzigen in völkerrechtlicher Hinsicht legitimationsfähigen Organs, des Sicherheitsrats der Vereinten Nationen, ein Handeln auch ohne dessen Mandat nicht gänzlich verwerfen.362 Der Kosovokrieg des Jahres 1999 stellte exakt diese Situation dar. Der Zerfall Jugoslawiens hatte eine Reihe von Konflikten produziert, wobei die deutsche Außenpolitik nach ihrer unilateralen Anerkennungspolitik in eine ungünstige Lage geraten war, die eine eher passive Haltung nach sich zog.363 Dies galt auch für die gewalttätigen Auseinandersetzungen im Kosovo, wo bereits seit Mitte der 1990er Jahre kosovarische Separatisten und serbische Kräfte gegeneinander vorgingen. 1998 eskalierte die Lage zusehends, wobei die Zivilbevölkerung immer stärker in Mitleidenschaft gezogen beziehungsweise direkt malträtiert wurde. Dementsprechend reagierten im gleichen Jahr auch die Vereinten Nationen sowie die NATO, wobei letztere dazu überging, Serbien mit Luftschlägen zu drohen, sollte sich die Situation nicht verbessern. Da dies wenn überhaupt nur kurzzeitig der Fall war, begann die NATO im März 1999 mit Luftschlägen gegen serbische Stellungen, an denen auch deutsche Soldaten beteiligt waren. Damit war innerhalb eines Jahrzehnts ein radikaler Wandel in der deutschen Außenpolitik vollzogen worden, die nun militärische Mittel – auch ohne Mandatierung durch die Vereinten Nationen – in tatsächlichen Kampfeinsätzen anwandte, um humanitäre Zwecke durchzusetzen. Auch dieser Prozess ist letztlich in bemerkenswerter Geschwindigkeit vom politikwissenschaftlichen Diskurs aufgenommen worden.364 Mit Blick auf die gesamte öffentliche Diskussion, aber auch mit Blick auf den politikwissenschaftlichen Diskurs hat Michael Schwab-Trapp 2002 diese Entwicklung zusammen gefasst und im Nachhinein schon durch die Auseinandersetzung um eine deutsche Beteiligung am Golfkrieg zu Beginn der 1990er Jahre als im Philippi (1997), S. 179–201. ebd., S. 180–185. 363  Vgl. Biermann (2006), S. 590. 364  Vgl. Hacke (1999); Axt (2000). 361  Vgl. 362  Vgl.

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Wesentlichen vorbestimmt angesehen: „Sie entlässt erstens die Gruppe der Träger eines kritischen Diskurses gegen den Krieg personell geschwächt, entwickelt zweitens mit der deutschen Vereinigung ein Argument für eine deutsche Beteiligung an militärischen Interventionen, das mit zunehmendem zeitlichen Abstand von der Vereinigung nur an Plausibilität gewinnen kann, schreibt drittens die deutsche Basiserzählung zu einem Argument für militärische Interventionen um und setzt schließlich viertens die Friedensbewegung und ihre Anhänger massiven Delegitimationsprozessen aus.“365 Inzwischen herrscht Konsens darüber, dass das deutsche Engagement im Kosovokrieg den Kulminationspunkt außenpolitischen Wandels nach der Wiedervereinigung darstellt.366 Deswegen ist mit Blick auf die außenpolitische Staatsräson die Diskussion um den Kosovo-Einsatz bedeutsamer als etwa die Diskussion um den Afghanistan-Einsatz. Umstritten ist noch, ob beim Kosovo-Einsatz lediglich strukturelle Zwänge der internationalen Politik ihr Werk getan haben oder ob hierin das Ergebnis zielgerichteter Entscheidungen der deutschen Außenpolitik zu sehen ist. Gregor Schöllgen lässt sich als Vertreter der Struktur-These benennen,367 während Rainer Baumann und Gunther Hellmann die gegenteilige Position einnehmen: „The changes in Germany’s readiness to participate in military interventions have been more than a mere adaptation to a changing international environment“368. Es ist jedoch plausibel, die Entwicklung zumindest auch als Resultat normativer Grundentscheidungen der deutschen Außenpolitik anzusehen. Dementsprechend hat sich hieran auch eine sehr lebendige politikwissenschaftliche Debatte um normative Vorgaben der Interventionspolitik angeschlossen, die auch konkrete Forderungen an das außenpolitische Handeln formuliert. Im politikwissenschaftlichen Diskurs wurden schließlich strategische Konsequenzen aus der Entwicklung der Interventionspraxis gezogen und damit Wesentliches zum Verständnis der außenpolitischen Staatsräson der Bundesrepublik beigetragen. Zuvörderst hat sich ein verändertes Verständnis der Bundeswehr etabliert. Hinsichtlich der deutschen Interventionspraxis konnte Thomas Risse denn auch schon 2004 folgende Bilanz ziehen: „Es steht außer Frage, dass wir es hier mit einem tief greifenden Wandel der deutschen Außen- und Sicherheitspolitik über die vergangenen zehn Jahre hinweg zu tun haben.“369 365  Schwab-Trapp 366  Vgl.

(2002), S. 110. Baumann / Hellmann (2001), S. 75; Hacke (2005), S. 9; Hellmann (2007b),

S. 612. 367  Vgl. Schöllgen (2005a), S. 4. 368  Baumann / Hellmann (2001), S. 79; einen weiteren Beitrag mit dieser Interpretationsvariante liefert Manfred Knapp; vgl. Knapp (2007), S. 739. 369  Risse (2004), S. 28.



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Seither wird im politikwissenschaftlichen Diskurs mit Rolf Clement die „Bundeswehr als Instrument deutscher Außenpolitik“370 verstanden. Über diesen deskriptiven Befund hinausgehend zeigt sich aber seither ebenfalls deutlich die normative Aufwertung militärischen Eingreifens. Gerade mit Blick auf den Kosovo wurde der deutschen Außenpolitik empfohlen, die Lehren aus diesem Konflikt anzuerkennen, die darauf hinausliefen, militärisches Engagement nicht kategorisch abzulehnen. So liest es sich in Roland Friedrichs einschlägiger Monographie.371 Zu diesem Verständniswandel hat auch Wilfried von Bredow beigetragen, als er explizit feststellte: „Ein ha­ bituell eingeschliffener Reflex muss, vor allem, aber nicht nur auf der politischen Linken, endlich überwunden werden, auch wenn das schmerzt wie die Entfernung eines Tattoos, nämlich die Abwehr jeglicher militärisch gestützter Außen- und Sicherheitspolitik, weil dies angeblich eine Militarisierung der Politik bewirke.“372 Auf dieser Grundlage hat sich schließlich eine regelrechte Ratgeber-Literatur zur Interventionsproblematik entwickelt. Zwar hat Rafael Biermann in seiner umfangreichen Analyse zum Vorlauf des Kosovokrieges abschließend auf den Bedarf an „strategischer Optionen­ analyse“373 im Vorfeld einer Interventionsentscheidung aufmerksam gemacht, damit aber noch keine inhaltlich ausgefüllte Position eingenommen. Dagegen präsentiert gleich eine ganze Reihe von Autoren ausdifferenzierte normative Vorgaben. Neben der immer wieder in direktem Zusammenhang mit der Interventionsfrage erhobenen Forderung nach einem gesteigerten Ressourceneinsatz374 sind es vor allem detaillierte Kriterienkataloge, die zwar als Entscheidungshilfe konzipiert werden, jedoch natürlich auch danach trachten, eine präskribierende Funktion auszuüben. Vor allem Volker Perthes und Stefan Mair sind in diesem Sinne hervorgetreten.375 Beide sprechen sich gegen unilaterales Handeln aus und betonen im Gegenteil die Notwendigkeit für die deutsche Außenpolitik, interventionistisches Handeln im Verbund zu organisieren.376 Beide Autoren haben keine grundsätzlichen Zweifel an der Legitimation von militärischen Interventionen zur Unterbindung schwerer, ausgedehnter Gewaltanwendung, stellen also humanitäre Interventionen nicht infrage. Interessanter ist, welche einschränkenden Bedingungen genannt werden. So leitet Volker Perthes seine Überlegungen mit der Bemerkung ein, es sei „für einen Akteur wie Deutsch370  Clement

(2004); so auch Franz-Josef Meiers; vgl. Meiers (2010), S. 217. Friedrich (2005), S. 136. 372  Bredow (2005), S. 20–21. 373  Biermann (2006), S. 603. 374  Vgl. Bredow (2005), S. 22; Zürn (2006), S. 78–85; Clement (2007), S. 139. 375  Vgl. Perthes (2007); Mair (2007). 376  Vgl. Perthes (2007), S. 17; Mair (2007), S. 17. 371  Vgl.

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land und seine europäischen Partner auch legitim und sogar rational, regio­ nale und funktionale Prioritäten zu setzen und dabei eher realpolitische als idealistische Abwägungen zu treffen“377, um dann zum einen entsprechend dieser Vorgabe geographische Konditionen zu nennen, und zwar im Sinne eines je näher, desto eher. Um zum anderen eine Beschränkung auf normative Minimalziele zu empfehlen, wonach etwa die Herstellung von ­ Staatlichkeit und nicht von Demokratie schon als legitimes Ziel gelten kann. Und um schließlich jeder Idee von deutscher Außenpolitik als Ordnungsmacht mit weltweitem Wirkungskreis mit dem schlichten Hinweis einen Riegel vorzuschieben, dass solche Überlegungen ohnehin weit jenseits der tatsächlichen Kapazitäten der Bundesrepublik zur Machtprojektion einzuordnen seien.378 Einen ähnlichen Fähigkeitsvorbehalt macht Stefan Mair.379 Zusätzlich formuliert er jedoch ein noch grundsätzlicheres Bedenken: „Auch wenn Legitimität und Legalität einer militärischen Gewaltanwendung gegeben sind, bleibt die Frage, warum Deutschland sich an ihr beteiligen sollte.“380 Natürlich beantwortet Stefan Mair diese Frage, und zwar durch ein Bündel aus sechs Kriterien: der Wirkung des deutschen Militärbeitrags, der Gefährdung der deutschen Soldaten und dem Vorhandensein einer Beendigungsstrategie einerseits sowie der normativen Wünschbarkeit, der zweckrationalen Interessenlage und den möglichen Konsequenzen eines Nicht-Handelns andererseits. Rolf Clement wiederum hat alle diese Klauseln in einem Satz zusammengefasst: „Maßgeblich für den Einsatz der Bundeswehr ist die deutsche Interessenlage.“381 So zeigt sich im Wesentlichen die politikwissenschaftliche Diskurslage als Spiegel einer Bundeswehr, die „Interventionsmacht im Dauereinsatz“382 ist, um die treffenden Worte Gunther Hellmanns aufzugreifen. Anhand des Topos Intervention lässt sich abschließend exemplarisch zeigen, wie sehr es sich um einen Diskurs um außenpolitische Staatsräson handelt und wie stark hier die beiden Bedeutungsdeterminanten Partikularismus und Universalismus zusammen wirken. Die hierin liegende Paradoxie beschreibt Wolfram Hilz: „Die theoretische, wie auch praktisch-politische Paradoxie der Einsicht in die Notwendigkeit der Durchsetzung von Idealen (Menschenrechtsschutz) mittels realistischer Instrumentarien (Militärintervention) bildete ohne Zweifel den einen Kulminationspunkt deutscher Zwiegespaltenheit angesichts der eigenen Bereitschaft zur Mitwirkung am Kon377  Perthes

(2007), S. 20. ebd., S. 20–21. 379  Vgl. Mair (2007), S. 15. 380  Ebd., S. 14. 381  Clement (2007), S. 123. 382  Hellmann (2007b), S. 612. 378  Vgl.



II. Zweite Übertragung: Besonderes229

fliktmanagement und den realen Anforderungen, die sich aus den Konflikten im ehemaligen Jugoslawien ergaben.“383 Hier zeigen sich die auseinander laufenden und doch aufeinander bezogenen Legitimations- und Limitationswirkungen universaler wie partikularer Argumentationsmuster. Denn es ist die universale Vernunft, die hier den grundsätzlichen praktischen Ausschlag gibt. Sie liefert zuerst die abstrakten Legitimationsmotive für das interventionistische Handeln. In großer Reflexionstiefe zeigt dies der politikwissenschaftliche Diskurs, den primär philosophisch orientierte Autoren wie Jürgen Habermas und Wolfgang Kersting zur deutschen Kosovo-Intervention geprägt haben. Die Argumentation des ersteren deutet mit der folgenden paradigmatischen Frage direkt auf die beiden Argumentationspole von Universalismus und Partikularismus: „Stößt der Universalismus der Aufklärung hier auf den Eigensinn einer politischen Gewalt, der unauslöschlich der Antrieb zur kollektiven Selbstbehauptung eines partikularen Gemeinwesens eingeschrieben ist?“384 Jürgen Habermas nimmt genau dies an, wenn er anfügt: „Das ist der realistische Stachel im Fleisch der Menschenrechtspolitik.“385 Allerdings nimmt er sodann einen legitimationstheoretischen Umweg, um den alten Vorwurf Carl Schmitts zu kontern, universale Rechtfertigungen seien nie mehr als verkleidete Partikularinteressen. Dazu bemüht er ein geschichts­teleologisches Argument, das die deutsche Kosovo-Intervention in einen Kontext mit dem durch Kant etablierten universalen Organisationsprogramm stellt. Demnach berufe sich die deutsche Außenpolitik zu Recht auf „die Idee einer menschenrechtlichen Domestizierung des Naturzustandes zwischen den Staaten. Damit steht die Transformation des Völkerrechts in ein Recht der Weltbürger auf der Agenda.“386 Weil dem Kosovo-Einsatz eben kein verkapptes Partikularinteresse zugrunde liege und er auch noch im Bund mit der universalen Fortschrittsgeschichte stehe, ergebe sich der größere Legitimationszusammenhang.387 Dieser Umweg ist jedoch ein Irrweg. Wolfgang Kersting hat das habermassche Legitimationsmotiv zu Recht kritisiert, ohne dabei den universalen Argumentationsrahmen zu verlassen.388 Eine Rechtfertigung der Intervention als Geschichtszeichen einer zukünftigen „weltrechtlich vereinheitlichten Weltinnenpolitik“389 verbiete sich, weil dann bereits außenpolitischer Paternalismus stattfände, der gerade nicht legitimationsfähig sei: 383  Hilz

(2005), S. 367. (2000), S. 57.

384  Habermas 385  Ebd.

386  Ebd.,

S. 52. ebd., S. 63–64. 388  Vgl. Kersting (2000a). 389  Ebd., S. 222. 387  Vgl.

230

C. Die außenpolitische Staatsräson der Bundesrepublik Deutschland

„ein gerechtigkeitsethischer Promotionsinterventionismus ist nicht zu ver­ teidigen“390. Daher entwickelt Wolfgang Kersting ein universales Interventionsargument aufgrund desjenigen Legitimationsmotivs, das gänzlich jeglicher Interpretation entzogen ist, nämlich allein auf der Grundlage des existentiellen Menschenrechts. In seinen Worten kann allein „das biologische Kernland der Anthropologie“391 als Legitimationsstifter militärischen Eingreifens wirken. Nur dort, wo Staaten das universale Fundamentalargument jeder modernen Staatlichkeit – das individuelle Recht auf Leben – negierten, sei das Interventionsverbot hinfällig. Dann allerdings bestehe eine kategorische Pflicht zum Eingreifen – und dies nötigenfalls auch allein: „Nicht erst im Rahmen völkerrechtsvertraglich hergestellter Multilateralität oder gar institutionalisierter Globalität darf ein solcher völkermordbeendender Interventionismus gewählt werden, sondern auch der unilateral intervenierende Staat ist in diesem Fall grundsätzlich legitimiert.“392 Gegen diese universale Legitimationsargumentation lässt sich nichts einwenden. Es lässt sich auch keine andere denken.393 Der Gewalteinsatz ist nicht einfach nur erlaubt, um einen Völkermord abzuwehren,394 wie Thomas Risse anmerkt, und es trifft auch nicht zu, dass das moralisch Zulässige fallweise als Resultat der öffentlichen Auseinandersetzung anzusehen ist, wie Andreas Hasenclever meint.395 Schließlich ist auch das Urteil Peter Mayers im Rahmen der Legitimationsdebatte, die Luftschläge der KosovoIntervention hätten „unter moralischen Gesichtspunkten nicht unerhebliche Defizite“396 gehabt, zu einfach. Damit ist jedoch noch nicht alles über militärisches Eingreifen mit Blick auf die außenpolitische Staatsräson der Bundesrepublik gesagt. Denn außenpolitische Staatsräson kann nur versuchen, den klaren interventionsethischen Imperativ mit der Realität der partikularen Limitationen zu verbinden. Erst hier gewinnt das theoretische Argument seine praktische Gestalt. Für Wolfgang Kersting heißt dies, dass die „Anwendung prinzipiell legitimer Handlungen an die Existenz von erfolgsgarantierenden Bedingungen gebunden sein“397 muss. Damit wird die Brücke von der Vernunftmoral zur prudenti390  Ebd.,

S. 221. S. 219. 392  Ebd., S. 223. 393  Nina Philippis Hinweis muss als Völkerrechts-Positivismus ausscheiden: „Nur die UNO als globale Organisation ist in der Lage, eine militärische Intervention universal zu legitimieren.“ Philippi (1997), S. 185; Hervorhebung im Original. 394  Vgl. Risse (2004), S. 28–29. 395  Vgl. Hasenclever (2001), S. 25–26. 396  Mayer (1999), S. 287. 397  Kersting (2000), S. 224. 391  Ebd.,



III. Resümee231

ellen Praxis geschlagen. Genau dies empfiehlt aber auch der politikwissenschaftliche Diskurs im engeren Sinne. Etwa dann, wenn Eckart Klein angesichts der Möglichkeit des Genozids und der notwendigen außenpolitischen Reaktion der Bundesrepublik Folgendes ausführt: „Ist es noch zulässig, in solchen Konstellationen nach dem nationalen Interesse zu fragen und Eingreifen oder Nichteinmischung an diesem Maßstab zu orientieren? Ich halte diese Rückbindung freilich schon deshalb für notwendig, weil sonst Differenzierungen nicht mehr getroffen werden können, die notwendig sind, um eine Überspannung der Kräfte zu vermeiden.“398 Oder auch dann, wenn Stefan Mair seinen als Entscheidungshilfe konzipierten Kriterienkatalog zur humanitären Intervention unter einen generellen Klugheitsvorbehalt stellt und Situationssensibilität einfordert.399 Außenpolitische Staatsräson kann sich also durchaus als Interventionspolitik manifestieren. Hier kristallisiert sich das Zusammenwirken von Universalismus und Partikularismus sogar besonders deutlich heraus: Das partikulare Handeln ruht auf universalen Legitimationsgrundlagen, während deren theoretische Schrankenlosigkeit ihre Grenze in der Wirklichkeit der partikularen Handlungsmöglichkeit findet. De facto führt dies zu einem Universalismus im praktischen Nahbereich. Dort, wo das überwältigende universale Begründungsargument der Gefahrenabwehr greift, muss die Intervention erfolgen, so es denn irgend möglich ist. Für die europäische Mittelmacht Bundesrepublik Deutschland wird das aber nicht immer der Fall sein. In der Praxis entsteht also auf der Grundlage eines universalen Begründungszusammenhangs das Problem der partikularen Auswahl. Das ist allerdings ein theoretisches Problem, das nur durch eine fortschreitend bessere Praxis geheilt werden kann. Der politikwissenschaftliche Diskurs trägt durch die Betonung deutscher Interessen dazu bei, solange diese nicht von ihren universalen Wertgrundlagen getrennt werden. Für eine solche Besorgnis gibt es aber derzeit keine Anhaltspunkte.

III. Resümee Das Resümee von Teil C. gleicht im Aufbau demjenigen von Teil B. Die Zusammenfassung im engeren Sinne gibt lediglich Ergebnisse wieder. Im Ausblick werden die Ergebnisse in ihrer Bedeutung verknüpft sowie einige weiterführende Forschungsfragen aufgeworfen. Bei diesen handelt es sich jedoch um Fragen, die perspektivisch den Rahmen dieser Arbeit verlassen und also auch nicht abschießend beantwortet werden müssen. Dagegen 398  Klein 399  Vgl.

(2003), S. 94; ähnlich auch Christian Hacke; vgl. Hacke (2005), S. 15. Mair (2007), S. 19.

232

C. Die außenpolitische Staatsräson der Bundesrepublik Deutschland

werden dann in der Schlussbetrachtung diejenigen Fragen behandelt, deren Beantwortung unbedingt in dieser Arbeit geschehen muss. 1. Zusammenfassung Die Übertragung der Ergebnisse des Theorieteils begann mit der Durchsicht der hintergründigen Topoi des jüngeren politikwissenschaftlichen Diskurses. Das Unterkapitel C. I. 1. zeigt: Im Bonner Vorläufer der Berliner Republik gab es eine rege Debatte um die außenpolitische Staatsräson. Hierbei kam ein zwar traditionsgesättigter, aber dennoch offener Staatsräsonbegriff zur Anwendung, der eine Anknüpfung an die kontingenten Besonderheiten erlaubte. Hierzu gehören etwa die zeitgeschichtliche Nähe zum deutschen Totalitarismus, die deutsche Teilung wie auch die Konstellation der internationalen Politik, also die des Kalten Krieges. Vor allem HansPeter Schwarz hat dabei schon früh das Spannungsverhältnis zwischen Partikularismus und Universalismus angesprochen, das einem aktuellen Verständnis von Staatsräson zugrunde liegen muss. Die prägende außen­ politische Formel stammt indes von Werner Link: „Westbindung plus Ostverbindungen“400. Die Bonner Diskussion liefert das Fundament für diejenige, die mit der Wiedervereinigung begann und bis heute andauert. Die kontingenten Besonderheiten sind ferner nicht einfach verschwunden, sondern haben sich nur verändert. Dies zeigt sich bereits im Unterkapitel C. I. 2. zum Topos Staatensystem und Globalisierung. Beides verknüpft sich für die meisten Autoren im Rahmen des außenpolitischen Multilateralismus der Bundesrepublik. Rainer Baumann hat dessen semantische Transformation im Verlauf der Debatte um die strategische Ausrichtung der deutschen Außenpolitik aufgezeigt. Je nachdem, ob multilaterale Außenpolitik in einem eher partikularen Staatensystem gedacht wird oder ob der eher universal konnotierte Begriff der Globalisierung Verwendung findet, verschieben sich die Bedeutungszuschreibungen des Multilateralismus. Partikularismus und Universalismus respektive deren Chiffren Staatensystem und Globalisierung verschränken sich jedoch meist im Begriff des Multilateralismus, der in diesem Sinne als Kernbestandteil einer jeden außenpolitischen Staatsräson der Bundesrepublik Deutschland gelten muss. Hintergründig wird diese aber insbesondere durch das Grundgesetz geprägt, weswegen das entsprechende Unterkapitel C. I. 3. auch zentral, zwischen den anderen platziert wurde. Das Grundgesetz vermittelt zwischen Partikularismus und Universalismus. Es prägt durch sein Bekenntnis zum 400  Link

(1987), S. 410; Hervorhebung im Original.



III. Resümee233

menschenrechtlichen Universalismus ganz entschieden die außenpolitische Staatsräson der Bundesrepublik. Die zeigt sich vor allem im Gebot zum intervenierenden Menschenrechtsschutz wie beim Gebot des Souveränitätstransfers. Die Brücke, die das Grundgesetz zwischen Partikularismus und Universalismus spannt, ist ebenso die Brücke zwischen außenpolitischer Theorie und Praxis. Die Offenheit der deutschen Verfassung gegenüber dem Universalismus ist als Ausdruck einer partikularen Entscheidungsfreiheit zu verstehen. Selbsterhaltung durch Selbstverschränkung. Durch die Positivierung abstrakter Prinzipien formuliert das Grundgesetz sowohl die außen­ politische Leitidee als auch den zugehörigen Möglichkeitsvorbehalt, der die außenpolitische Verfolgung universaler Zwecke in partikulare Möglichkeiten einbettet. Damit ist der Topos Grundgesetz, übrigens selbst auch eine dem Wandel unterworfene kontingente Besonderheit, wichtigster Hintergrundfaktor für die außenpolitische Staatsräson der Bundesrepublik Deutschland. Dies gilt insbesondere in einem legitimationstheoretischen Sinn. Das Grundgesetz kann echte legitimationstheoretische Begründungen liefern. Dies gilt weniger für die deutsche Geschichte, ohne dass damit deren essentielle Bedeutung für die außenpolitische Staatsräson der Bundesrepublik in Abrede gestellt wäre. Unterkapitel C. I. 4. hat gezeigt, dass Geschichte und Vergangenheit vor allem einen Bedingungsrahmen für die praktische Außenpolitik liefern. Geschichte ist somit einer der wichtigsten erklärenden Faktoren im politikwissenschaftlichen Diskurs über die außenpolitische Staatsräson. Dem Bezug auf die nationalsozialistische Vergangenheit kommt dabei zu Recht überragende Bedeutung zu. Dabei ist klar geworden, dass sich dieser Bezug nach der Wiedervereinigung gewandelt hat: Der Bezug auf die Zeit zwischen 1933 und 1945 ist nach wie vor omnipräsent, allerdings hat sich seine argumentative Funktion vervielfältigt. So haben die Protagonisten sich einander widersprechender Positionen zur deutschen Außenpolitik für ihre Argumentation eine jeweils als historisch bedingte Notwendigkeit angeführt. Der politikwissenschaftliche Diskurs hat diese Vielfältigkeit aufgenommen und bleibt in diesem Punkt weiterhin offen. Der Geschichtsbezug als solcher dient inzwischen also vielmehr als rhetorisches Gefäß normativer Botschaften denn als eigentlicher Ursprung normativer Festlegungen. Ähnlich ist dies beim Sonderfall der Normalitätsdiskussion. In der zugehörigen politikwissenschaftliche Debatte, im Kern ein Streit um ein Weniger oder Mehr an offener Interessenpolitik, haben sich letztlich die Befürworter der Normalisierungsthese durchgesetzt. Normative Argumente zur deutschen Außenpolitik operieren kaum noch mit dem Hinweis, ein historischer oder historisch bedingter Sonderweg sei zu beschreiten. Durch die Einkehr der Normalität in den politikwissenschaftlichen Diskurs ist allerdings auch ihr normativer Gehalt verloren gegangen: Mit welcher Normalität auch immer, außenpolitisch lässt sich damit nicht mehr argumentieren. Ihr Verständnis ist

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C. Die außenpolitische Staatsräson der Bundesrepublik Deutschland

offen. Geschichte und außenpolitische Normalität bilden weiterhin zentrale Elemente des politikwissenschaftlichen Diskurses um die außenpolitische Staatsräson, wirken nun aber vielmehr als rhetorische Vehikel, die Austausch zwischen Universalismus und Partikularismus herstellen. Der Geschichtsbezug ist nach wie vor konstitutiv für außenpolitische Debatten, er fungiert aber nicht mehr als überzeitliche Norm, deren Bedeutung für alle Diskursteilnehmer dieselbe ist. An der Bedeutungsklarheit atlantizistischer wie europäistischer Argumentationsmuster innerhalb des politikwissenschaftlichen Diskurses gibt es hingegen keinen Zweifel, Unterkapitel C. I. 5. hat dies deutlich gezeigt. Die schon seit den 1960er Jahren bekannte normative Auseinandersetzung zwischen denjenigen, die ein stärkeres strategisches Gewicht auf Europa legen wollen, und jenen, die stärker die transatlantische Verbindung ins Zentrum strategischer Überlegungen platzieren, lebt fort – wenn auch nicht mehr in der historisch geläufigen Diktion von Gaullisten versus Atlantikern. Während des Kalten Krieges war es den Atlantikern regelmäßig gelungen, sich im Diskurs durchzusetzen. Die überragende militärische und ökonomische Bedeutung der USA schlug hier zu Buche. Gleichwohl ist der Streit nie entschieden worden. So bedurfte es nach der Wiedervereinigung nur eines neuen Anlasses, um die alte Kontroverse wieder erneut aufbrechen zu lassen. Mit den Jahren 2002 und 2003, mit dem Irak-Krieg, war dieser Anlass gekommen. Die Kritik am Vorgehen der USA diente als Vehikel für einen neuerlichen Europäismus. Der Atlantizismus bediente sich wiederum des alten Arguments, dass Deutschland nicht zwischen Europa und Nordamerika entscheiden könne, sondern stets das Sowohl-als-auch für die strategische Zielsetzung beibehalten müsse. Wieder ist der Streit nicht entschieden worden. Wieder konnte der Begriff Staatsräson bei den einen für dieses, bei den anderen für jenes stehen. Dagegen konnte unter Hinzunahme der Kategorien Partikularismus und Universalismus gezeigt werden, dass die Auseinandersetzung zwischen Atlantizisten und Europäisten insgesamt als Teil der außenpolitischen Staatsräson der Bundesrepublik verstanden werden muss. Sie spiegelt das Spannungsfeld zwischen Partikularismus und Universalismus in einer Außenpolitik, die ihrerseits stets gespannt ist zwischen einem europäi­ schen und einem atlantischen Standbein. Ein Ende oder gar eine Entscheidung der Auseinandersetzung lässt sich aus diesem Blickwinkel gar nicht denken und ist auch nicht wünschenswert. Mal mehr europäisch, mal mehr atlantisch, das ist letztlich eine taktische Frage. Strategisch lässt sich hier nichts trennen, sofern nicht eine grundsätzliche Erosion der normativen Standards moderner Staatlichkeit bei einem oder einer Gruppe westlicher Staaten auftreten sollte. So lassen sich die Übertragungen der theoretischen Einsichten auf die hintergründigen Topoi des politikwissenschaftlichen Diskurses über die



III. Resümee235

deutsche Außenpolitik zusammenfassen. Es zeigt sich, dass das Begriffspaar aus Partikularismus und Universalismus einer Strukturierung dieses Diskurses dienlich ist. Eine Verbindung zur allgemeinen Staatstheorie konnte teilweise herausgearbeitet werden. Ebenso zeigt sich, dass sich vor allem unter Zuhilfenahme dieses Begriffspaares aus einem so strukturierten Diskurs Einsichten über die außenpolitische Staatsräson der Bundesrepublik gewonnen werden können. So lässt sich über die allgemeinen Topoi hinweg jeweils die Brücke von legitimationstheoretischen Prämissen zu strategischen Überlegungen schlagen. Die dann folgende Übertragung auf das Besondere, also die vordergründigen Topoi des politikwissenschaftlichen Diskurses, setzt dementsprechend ein mit den strategischen Konzepten, die direkte normative Leitbilder für die deutsche Außenpolitik entwerfen. Unterkapitel C. II. 1. rekapituliert zu Beginn die häufig gestellte Diagnose, eine strategische Debatte zur deutschen Außenpolitik würde generell fehlen, zeigt dann aber, dass diese durchaus geführt wird, selbst in einem engeren Sinne. Die Wiederentdeckung des Begriffs vom Nationalen Interesse, die gerade während der politischen Auseinandersetzung der 1990er Jahre stattfand, hat auch im politikwissenschaftlichen Diskurs ihren Niederschlag gefunden. Das Nationale Interesse fungierte dabei durchgängig als Stellvertreterbegriff für außenpolitische Staatsräson. Dabei zeigt sich im Diskurs der Politikwissenschaft ein nuancierter Begriffsgebrauch, der zwar eine Betonung partikularer Denkmuster beinhaltet, jedoch keineswegs ins Antiuniversalistische abdriftet. Auf dieser Grundlage ruht auch die Auseinandersetzung der wirkmächtigsten außenpolitisch-strategischen Konzepte von der Zentral- wie Zivilmacht Deutschland. Partikularismus und Universalismus zeigen sich in beiden Konzepten; es sind in dieser Hinsicht deutliche, aber nicht kategorische Unterschiede, die sich hier Bahn brechen. Dies mag auch erklären, warum sich letztlich kein dauerhafter Gegensatz zwischen den Begriffen auftat, sondern vielmehr teilweise ein Übergang zu einer direkten Begriffsverwendung von außenpolitischer Staatsräson vorgenommen wurde. Dort, wo dies der Fall gewesen ist, hat sich wiederum nicht das Partikulare gänzlich durchgesetzt. Es ist zwar stets von einer spezifisch deutschen außenpolitischen Staatsräson die Rede, indes wird diese kontinuierlich in einen universalitätsoffenen normativen Rahmen eingebunden. Dies trifft sich mit dem theoretischen Postulat, das partikular-universale Spannungsfeld nicht nach einer Seite hin aufzulösen, sondern stattdessen in ein und dieselbe Begrifflichkeit von außenpolitischer Staatsräson zu inkorporieren. Eine Übertragung der theoretischen Ergebnisse auf die Diskussion der unterschiedlichen strategischen Konzepte führt deshalb deren Charakter als Kompromissformeln vor Augen, womit ihnen eine wesentliche Funktion bei der Formulierung außenpolitischer Staatsräson zukommt.

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C. Die außenpolitische Staatsräson der Bundesrepublik Deutschland

Mutatis mutandis gilt dies ebenfalls bei den drei zentralen institutionellen Handlungsfeldern deutscher Außenpolitik, bei Europäischer Union, Vereinten Nationen und NATO. Damit sind die Unterkapitel C. II. 2. bis C. II. 4. angesprochen. Die Europapolitik ist ein besonders sinnfälliges Beispiel für das Zusammenwirken partikularer und universaler Prinzipien, indem hinter der universalistischen Integrationsbereitschaft der Bundesrepublik ein klarer partikularer Wille steht. Dementsprechend zeigt sich auch der politikwissenschaftliche Diskurs in Teilen von einer vollendeten Kongruenz von außenpolitischer Staatsräson und europapolitischem Engagement überzeugt: Europapolitik ist Staatsräson und umgekehrt. Allerdings handelt es sich hierbei kaum um einen eigenständig reflektierten Staatsräsonbegriff, sondern vielmehr um ein Etikett, welches das Wünschenswerte anzeigt. Wird der Staatsräsonbegriff selbst theoretisiert, geraten die Probleme des Souveränitätstransfers und der Finalität der europäischen Integration in den Fokus, was sich so auch im politikwissenschaftlichen Diskurs wieder findet. Partikularismus und Universalismus zeigen hier wieder ihr typisch paradoxes Verhältnis, wobei die einschlägigen politikwissenschaftlichen Beiträge dieses Spannungsverhältnis in das Verhältnis von partikularer Rechtspersönlichkeit der Bundesrepublik zur universal angelegten Ausbildung der europäischen Rechtspersönlichkeit spiegeln. Bei denjenigen Autoren, bei denen sich das Bewusstsein um diese Spannung besonders ausgeprägt gezeigt hat, konnte ein teleologisches Durcheinander als normative Vorgabe einer auf Europa bezogenen außenpolitischen Staatsräson Deutschlands herausgearbeitet werden. Insbesondere der Schwebezustand zwischen Partikularismus und Universalismus, der laut der theoretischen Grundlagen auch normatives Ziel bleiben sollte, konnte somit als zentraler Übertragungsbaustein auf die europapolitische Diskussion über Staatsräson ausgewiesen werden. Mit Blick auf den Diskurs zur deutschen Außenpolitik in den Vereinten Nationen hat die Übertragung der theoretischen Grundlagen moderner Staatsräson Folgendes ergeben: Die Vereinten Nationen dienten und dienen dem deutschen Multilateralismus als ideale Projektionsfläche – in einem institutionell-organisatorischen Sinne zeigt sich hier unmittelbar der universale Zug der Staatsräsondiskussion im politikwissenschaftlichen Diskurs. Die eigentliche Spannung von Partikularismus und Universalismus konnte dann innerhalb der Auseinandersetzung um einen deutschen Sitz im Sicherheitsrat aufgezeigt werden. Gleichwohl hat dies nicht zu einer klaren Trennung der Gegner wie Befürworter geführt, vielmehr bedienten sich die meisten Autoren sowohl partikularer wie universaler Argumentationsmuster, um ihre jeweilige Position zu untermauern. Im Sinne außenpolitischer Staatsräson ließ sich der Streit auch nicht entscheiden, ob die Bundesrepublik nun einen ständigen Sitz anstreben soll oder nicht. Dagegen bleibt im Ergebnis der Verweis auf die Bedeutung eines universalitätsoffenen Partiku-



III. Resümee237

larismus, oder umgekehrt, im System der Vereinten Nationen. Gerade die universalen Aspekte eines modernen Staatsräsonbegriffs münden im Ergebnis in einer gewissen Skepsis gegenüber der multilateralen Weltorganisation, zu groß sind die normativen Mängel, die sich bei der Institution Vereinte Nationen zeigen. Allerdings liefert der politikwissenschaftliche Diskurs auch gewichtige Argumente zugunsten einer außenpolitischen Staatsräson, die eine aktive deutsche Außenpolitik in den Vereinten Nationen einfordert: Im Dienst partikularer Einflusssteigerung ist diese ohnehin geboten, ebenso gilt es aber auch für die partikulare deutsche Außenpolitik, universalen Legitimationsprämissen Schritt für Schritt zu mehr Geltung innerhalb der Vereinten Nationen zu verschaffen. Bei der NATO wiederum ist der politikwissenschaftliche Diskurs zumindest mit Blick auf die überragende Bedeutung, die das Bündnis für die deutsche Außenpolitik einnimmt, verhältnismäßig einheitlich. Ihre Unverzichtbarkeit bildet die Grundlage jeder Diskussion der deutschen NATOPolitik. Explizit ist denn auch immer wieder die NATO-Mitgliedschaft als Kernbestandteil der außenpolitischen Staatsräson Deutschlands ausgewiesen worden. Gleichwohl konnten anhand der Auseinandersetzung um den Beitritt der osteuropäischen Bündnispartner Differenzen im politikwissenschaftlichen Diskurs offen gelegt werden, die im Wesentlichen um die Frage kreisten, inwiefern die NATO allein als sicherheitspolitische Allianz im engeren Sinne anzusehen beziehungsweise politisch zu gestalten sei, oder ob die transatlantische Organisation nicht vielmehr auch einen zivilisatorisch-normativen Mehrwert mit sich brächte, der von der deutschen Außenpolitik zu befördern sei. Ähnliche Differenzen zeigten sich auch in der Debatte, die den Kosovokrieg begleitete – die NATO als militärische Versicherungsgesellschaft auf der einen, als Wertegemeinschaft, die auch Verteidigungspolitiken bündelt, auf der anderen Seite. Die Übertragung eines Partikularismus und Universalismus inkorporierenden Staatsräsonbegriffs auf den politikwissenschaftlichen Diskurs zur NATO-Politik hat schließlich ergeben, dass ein Verständnis der NATO-Politik, das allein auf partikularem Nutzenkalkül ruht, zu kurz greift. Vielmehr kann ein klares normatives Postulat formuliert werden, das der deutschen Außenpolitik die Aufgabe erteilt, sich aktiv in der NATO zu engagieren und fortlaufend für eine Rückbindung der Politik der Allianz an ihre universalen Grundlagen zu sorgen, die ihrerseits im legitimationstheoretischen Universalismus beheimatet sind. So wie die NATO neben allem partikularen Nutzen, den sie mit sich bringt, legitimationstheoretisch universale Wurzeln vorweisen kann, so kann dies ebenso jenes Phänomen, das als letzter vordergründiger Topos im politikwissenschaftlichen Diskurs betrachtet wurde: die militärische Inter­ vention, insbesondere die humanitäre. Der politikwissenschaftliche Diskurs, so ließ sich zeigen, ist hier besonders stark vom Spannungsfeld aus Univer-

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C. Die außenpolitische Staatsräson der Bundesrepublik Deutschland

salismus und Partikularismus gekennzeichnet. Dabei ist er in relativ kurzer Zeit einem starken Wandel unterworfen gewesen: Der tatsächlichen außenpolitischen Entwicklung dicht folgend, teilweise auch vorgreifend, hat sich der politikwissenschaftliche Diskurs von einem im Grunde antiinterventionistischen Konsens nicht nur verabschiedet, sondern eine – unter bestimmten Bedingungen – interventionsfreundliche Einheitsposition herausgebildet. Es liegen klare Kriterienkataloge vor, die trotz aller eingebauten Kautelen ein militärisches Interventionshandeln als wenn schon nicht übliche, so doch immer mit einzubeziehende Option darstellen. Schließlich konnte bei der Übertragung der theoretischen Grundlagen, gerade auf die humanitäre Intervention, erneut das starke Zusammenwirken partikularer wie universaler Argumentationsmuster gezeigt werden. Außenpolitische Staatsräson heißt in diesem Fall, den klaren Imperativ der universalen Legitimation mit den Limitationen eines partikularen Staatshandelns zusammenzubringen. Es gibt hier unter bestimmten Bedingungen ein kategorisches Vernunftgebot zur Intervention, das allerdings unter einen Klugheits- und Möglichkeitsvorbehalt zu stellen ist. Der politikwissenschaftliche Diskurs hat auch hier gezeigt, dass außenpolitische Staatsräson nicht jede Einzelfallabwägung vorformulieren kann. 2. Ausblick Überträgt man das widersprüchliche, aber ausschlaggebende Verhältnis von Partikularismus und Universalismus auf einzelne politikwissenschaft­ liche Diskussionsorte, zeigt sich die Widersprüchlichkeit im Diskurs selbst: Legitimationstheoretische Prämissen werden bei außenpolitischen Debatten reflektiert oder nicht, beibehalten oder ausgewechselt, beachtet werden sie stets, sei es implizit oder explizit. Der Begriff der außenpolitischen Staatsräson kann als auf die außenpolitische Staatspraxis verweisender Begriff dazu dienlich sein, unterschiedliche Inhalte zu versammeln, die für sich betrachtet nicht in ein theoretisch kohärentes System zu bringen sind. Auch die politikwissenschaftlichen Topoi ließen sich, zumindest in einer sich vom Allgemeinen zum Besonderen bewegenden Weise, sortieren. Wie in Teil B. führt auch der Ausblick in Teil C. der Arbeit noch einmal die entscheidenden Bezugspunkte und Inhalte zusammen, um so den politikwissenschaft­ lichen Diskurs für die abschließende Synthese aufzubereiten und weitergehende Forschungsfragen aufzuzeigen. Die Außenpolitik der Bundesrepublik Deutschland blickt auf einen bemerkenswerten Traditionsbestand an expliziter Staatsräsondiskussion zurück. Bereits der politikwissenschaftliche Diskurs in der Bonner Republik hat wesentliche Ausprägungen gefunden, die nach der Wiedervereinigung keinesfalls an Bedeutung verloren haben. Schon hier lässt sich beobachten,



III. Resümee239

dass partikulare und universale Sinngehalte in einem Staatsräsonbegriff zusammenfließen müssen, wenn dieser grundsätzlichen theoretischen Ansprüchen genügen und gleichzeitig als in Teilen inhaltlich offene Begrifflichkeit dynamische außenpolitische Prozesse begleiten will. Das Zusammenspiel der Topoi von Globalisierung und Staatensystem grundiert den politikwissenschaftlichen Diskurs vor allem, indem an dieser Stelle Partikularismus und Universalismus immer wieder zusammenwirken und eine konkrete strategische Vorgabe liefern: die multilaterale Einrahmung deutschen außenpolitischen Handelns. Gleichwohl bleibt offen, wie stark innerhalb dieses Rahmens partikulare Nützlichkeitserwägungen das eigentliche Handlungsmotiv darstellen sollen. Bei der Übertragung der theoretischen Grundlagen hat sich jedoch herausgestellt, dass beiden Topoi als externen Faktoren letztlich nur eine nachgeordnete Bedeutung bei der Formulierung normativer Vorgaben zukommt. So lässt sich mitunter erklären, dass zwar einige Studien zum veränderten Verständnis von Multilateralismus in der deutschen Außenpolitik vorliegen, jedoch kaum untersucht wird, ob veränderte Nutzenerwartungen mit aus deutscher Sicht entsprechend veränderten außenpolitischen Ergebnissen einhergegangen sind oder nicht. Eine weitergehende Prüfung dieses Zusammenhangs erscheint jedenfalls sinnvoll. Dagegen das Grundgesetz, das als bedeutsamster der hintergründigen Topoi des politikwissenschaftlichen Diskurses um die außenpolitische Staatsräson angesehen werden muss. Die Verfassung fungiert als Brücke zwischen Partikularismus und Universalismus, sie positiviert die universalistischen Legitimationsprämissen außenpolitischer Staatsräson in klare, normative Vorgaben für eine konkrete, partikulare Außenpolitik. Der extraterritoriale Menschenrechtsschutz, den das Grundgesetz postuliert, hat so eine Brückenfunktion, weil er parallel zu den Geboten der souveränen Selbsterhaltung durch die Verfassung der Außenpolitik vorgegeben wird, was gleichermaßen für die andere wesentliche außenpolitische Vorgabe des Grundgesetzes gilt, also für den teilweisen supranationalen Kompetenztransfer. Die deutsche Geschichte, in Sonderheit die Bezugnahme auf nationalsozialistische Vernichtungspolitik, wiederum kann in ganz unterschiedlichen oder sogar gegensätzlichen außenpolitischen Postulaten resultieren. Insofern ist sie zwar nach wie vor als konstitutiver Bestandteil einer außenpolitischen Staatsräson in den Begriff zu inkorporieren. Gleichwohl dient sie im politikwissenschaftlichen Diskurs nicht mehr als Quelle legitimationstheoretischer Prämissen, seien sie nun stärker partikular oder universal ausgerichtet. Eine sinnvolle Operationalisierung des Geschichtsbezugs liegt in seiner Funktionalisierung als partikulares Vehikel – es ist nicht die Geschichte, sondern die deutsche Geschichte, die adressiert wird – für universalistische Forderungen respektive als Vehikel für deren klugheitsbedingte Einschränkung. Die hintergründigen Topoi im politikwissenschaftlichen Diskurs um

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C. Die außenpolitische Staatsräson der Bundesrepublik Deutschland

die deutsche außenpolitische Staatsräson umfassen schließlich das Verhältnis von Atlantizismus und Europäismus, das im Sinne der Übertragung der theoretischen Ergebnisse als Ganzes in den Staatsräsonbegriff zu integrieren ist. Zwischen partikularen Interessen und universalen Normen liegt das Spannungsfeld einer Außenpolitik, die stets europäische wie transatlantische Bezüge aufweist. Außenpolitische Staatsräson muss in dieser Auseinandersetzung keine Partei ergreifen, sondern hier nur taktische Optionen erkennen, die je nach Umständen gezogen werden können. Nur ein einseitiges Ende der Auseinandersetzung würde in dieser Hinsicht als Problem erscheinen. Schließlich bleibt die These stehen, dass nur unter Zuhilfenahme der Kategorien Partikularismus und Universalismus sich die hintergründigen Topoi verbinden lassen, wobei das Grundgesetz Kernstück einer solchen Zusammenführung sein muss. Die anderen Aspekte lagern sich hier an. Allerdings bleibt es eine politikwissenschaftliche Aufgabe, fortwährend den Grundrechten des Grundgesetzes als Bedingung deutscher Außenpolitik nachzuspüren. Dies gilt selbst trotz der korrekten Einschränkung, die Christian Waldhoff mit Blick auf diesen Fragenkomplex, auf das Verhältnis von Grundrechten und Außenpolitik, getroffen hat: „Um beide Funktionsbereiche nicht zu beschädigen, darf die Differenz zwischen Außenpolitik und Grundrechtsbindung nicht harmonisierend geglättet werden. Außenpolitik als Verfassungsvollzug ist noch sehr viel mehr zum Scheitern verurteilt als die Herleitung sonstiger politischer Ziele aus dem Grundgesetz.“401 Beim Besonderen, also den vordergründigen Topoi des politikwissenschaftlichen Diskurses, kann zuerst konstatiert werden, dass sich gesonderte strategische Konzepte immer unterschiedlicher partikularer wie universaler Argumentationsmuster bedienen, eigentlich jedoch nur normative Kompilationen darstellen, die sich gegenseitig ergänzen. Konzepte zur deutschen Außenpolitik wie dasjenige der Zentral- oder Zivilmacht können insofern in einem Begriff außenpolitischer Staatsräson aufgehen, ohne dass ihre spezifischen Sinngehalte insgesamt aufgegeben werden müssten. In jedem Fall zeigt sich hier, dass der politikwissenschaftliche Diskurs eine lebendige strategische Debatte pflegt, der nur leider bisweilen der interne Austausch fehlt. Ohne neue Oberbegriffe, jedoch einfach unter der Überschrift außenpolitische Staatsräson, wäre ein strategischer Erkenntnisgewinn zu erwarten, weil stärker über Inhalte als über Begriffe debattiert werden könnte. Die drei zentralen institutionellen Handlungsfelder deutscher Außenpolitik, das hat die Übertragung der theoretischen Überlegungen gezeigt, sind notwendige Anknüpfungspunkte für einen Begriff von außenpolitischer Staatsräson, sie können aber nicht schon selbst als Staatsräson verstanden werden. Führt man sie als Anknüpfungspunkte in einem modernen Begriff außenpolitischer 401  Waldhoff

(2009), S. 77.



III. Resümee241

Staatsräson zusammen, wird klar, dass für die Bundesrepublik Deutschland Vereinte Nationen, Europäische Integration und NATO schon allein aus partikularen Nutzenkalkülen heraus unverzichtbare Säulen der Außenpolitik darstellen. Europäische Union und NATO weisen ferner eine geringere Spannung zwischen ihren inhaltsreichen universalistischen Prämissen und ihren tatsächlichen Organisationsstrukturen und Mitgliedern auf als die Vereinten Nationen. Dies rückt sie stärker in den Fokus außenpolitischer Staatsräson als letztere. Partikularismus und Universalismus verschränken sich innerhalb der Europa- wie der NATO-Politik auf besonders starke Weise. In normativer Hinsicht gewinnen beide Organisationen dadurch ein außenpolitisches Plus. Dies sollte allerdings nicht als praktisches Argument gegen eine aktive Außenpolitik in den Vereinten Nationen missverstanden werden. Innerhalb der Vereinten Nationen gibt es vielmehr einen stärkeren Handlungsimperativ, den Abbau struktureller Mängel im Sinne universaler Legitimationsprämissen außenpolitisch zu befördern. Schließlich bleibt es Aufgabe einer außenpolitischen Staatsräson, gerade die legitimationstheoretischen Prämissen der Interventionspolitik im politikwissenschaftlichen Diskurs zu präparieren, um wenigstens eine belastbare Grundlage für jede im Einzelfall notwendige Abwägung zu schaffen. In Teilen gelingt dies bereits innerhalb des politikwissenschaftlichen Diskurses, etwa dann, wenn Krite­ rienkataloge formuliert werden, die bei der Entscheidungsfindung helfen sollen. Allerdings wären an dieser Stelle mehr Begriffsklarheit und eine stärkere Bezugnahme untereinander wünschenswert. Bei sämtlichen Topoi gilt es ferner, über den Begriff der außenpolitischen Staatsräson eine Verbindung zur allgemeinen Staatstheorie herzustellen. Nur so lässt sich ein kohärentes Verständnis schaffen, welches Allgemeines und Besonderes in der richtigen Reihenfolge aufgreift. Welcher Ausblick sollte auf dieser Grundlage erfolgen? Einerseits bleibt es richtig, kontinuierlich die Strategiefrage zu stellen.402 Andererseits ist die Klage über die außenpolitische Strategielosigkeit inzwischen so alt, dass die Frage nahe liegt, inwiefern die einschlägige politikwissenschaftliche Forschung denn über die eigene Mangel-Diagnose hinauskommt und dem Problem durch einen systematischen, begriffsklaren und dauerhaften Diskurs begegnet. Zwar werden strategische Postulate formuliert, auch kontrovers und insgesamt erkenntnisförderlich, in aller Regel jedoch anhand konkreter Ereignisse der internationalen Politik oder anhand konkreter außenpolitischer Entscheidungen der Bundesrepublik Deutschland. Gleichwohl bedarf es einer gleichsam anlasslosen Diskussion der normativen Grundlagen in direkter Auseinandersetzung mit oder in Anknüpfung an den Begriff der außenpoliti402  Vgl. Masala (2008); Böckenförde / Gareis (2009a), S. 372–373; Keller / Voje (2010).

242

C. Die außenpolitische Staatsräson der Bundesrepublik Deutschland

schen Staatsräson. Wenn auch in polemischer Absicht, so weist Constanze Stelzenmüller in dieser Hinsicht in die richtige Richtung. Zum Verhältnis von Staatsräson und außenpolitischer Strategie führt sie aus: „Nun muss man Strategien nicht aufschreiben und publik machen; aber es hilft. Es diszipliniert, es setzt Maßstäbe und trägt dazu bei, eine öffentliche Debatte in Gang zu bringen. Strategie im Sinne von Grand Strategy ist aber mehr als die bloße schriftliche Katalogisierung von Werten, Bedrohungen und Interessen und das Aufstellen von Plänen. Strategie ist der Versuch, die Staatsraison in kohärentes staatliches Handeln umzusetzen.“403 Bemerkenswert ist hieran zweierlei: Zum einen ist es die Kritik an der reinen Katalogarbeit und zum anderen, dass Staatsräson und Strategie nicht begrifflich in eins, sondern in das korrekte Verhältnis gesetzt werden, wonach außenpolitische Strategie auf außenpolitischer Staatsräson fußt. Es ist in der Tat so, dass außenpolitische Staatsräson fortlaufend strategisch operationalisiert und damit praktisch fruchtbar gemacht werden muss. Und ebenfalls bemerkenswert ist die Definition außenpolitischer Staatsräson, die Constanze Stelzenmüller liefert: „Deutschlands Staatsraison ist es vor allem, dieses Gemeinschaftsmodell – die offene Bürgergesellschaft westlicher Prägung – zu verteidigen. Am wirksamsten tun wir das nach wie vor, indem wir es exportieren“404. Hier wird Staatsräson einerseits mit einem klassischen Selbsterhaltungsimperativ versehen – es gilt sie zu verteidigen –, gleichzeitig knüpft sich Staatsräson aber an normativ stark aufgeladene Inhalte, deren Verbreitung wünschenswert erscheint. Mit anderen Worten: partikulares Handeln unter der Maßgabe und zur Beförderung universaler Prinzipien. Was genau unter dieser Verbreitung zu verstehen ist, bleibt fraglich, dennoch zeigt sich hier eine prinzipiell sinnvolle Zusammenführung partikularer und universaler Argumentationen. Darüber hinausgehend würde sich verstärkte Forschung darüber lohnen, inwiefern sich Teile von unterschiedlichen nationalen politikwissenschaftlichen Diskursen in diesem Grundverständnis gleichen und welche unausgesprochenen normativen Vorstellungen hinter den universalen Inhalten stehen. Ebenfalls erkenntnisförderlich wäre eine Kontrastierung von durch die Politikwissenschaft systematisch entfalteten Staatsräsonbegriffen und den Vorstellungen der Bundesregierung. Dies ist umso dringender geboten, weil auch in jüngsten umfangreichen Arbeiten zum außenpolitischen Selbstbild der Berliner Republik respektive der jeweiligen Bundesregierungen ein letztlich unterkomplexes Staatsräsonverständnis gepflegt wird. So bemüht Ulrich Roos in seiner 2010 erschienenen Studie zur deutschen Außenpolitik einen Staatsräsonbegriff, der nicht mehr als ein Sammelbecken für das normativ Abzulehnende zu sein scheint, 403  Stelzenmüller 404  Ebd.

(2010), S. 78.



III. Resümee243

wenn er den Wandel im außenpolitischen Selbstverständnis folgendermaßen kritisiert: „An die Stelle eines grundlegenden Bekenntnisses zur Zivilisierung der Weltpolitik – im Zweifel auch entgegen enger definierten deutschen Interessen – trat eine Fixierung auf die deutsche Staatsräson ein.“405 Gegen die Idee der souveränen Gleichheit aller Staaten, gegen die Idee der internationalen Rechtsdurchsetzung, zugunsten der Idee internationaler Machtausübung und getragen von einer Vorstellung der Großmachtpolarität seien sämtliche Bundesregierungen zur außenpolitischen Entdemokratisierung angetreten, indem sie davon ausgingen, „dass nicht die gesellschaft­ lichen Präferenzen Außenpolitik bestimmen sollen, sondern die davon unabhängige Staatsräson den Vorrang genießen müsse, so dass sich im Zweifel die gesellschaftlichen Vorstellungen der Staatsräson anzupassen haben und nicht umgekehrt“.406 Nur für kurze Zeit nach der Wiedervereinigung habe die deutsche Außenpolitik eine Neigung erkennen lassen, „in Fällen größten Zweifels den Vorrang nationaler Interessen durch den Vorrang des Weltfriedens zu ersetzen und damit der uralten Logik der Machtkonkurrenz und der Staatsräson zu entsagen“407. Dies sei jedoch schon lange vorbei, so dass Ulrich Roos mit folgendem normativen Appell schließt: „Doch es ist an der Zeit, sich wieder daran zu erinnern, dass im letzten Zweifel nicht die deutsche Staatsräson handlungsleitend sein sollte, sondern das Weltgemeinwohl. Besser noch wäre es, wenn wir Deutsche gemeinsam zu der Überzeugung gelangen würden, dass das Weltgemeinwohl das zentrale Interesse der Staatsräson sein sollte.“408 Ganz unabhängig davon, ob die deskriptiven Aussagen nun zutreffen oder nicht, wird hier ein Begriff von Staatsräson verwendet, der als museales Folterinstrument aus ideengeschichtlichen Vorzeiten zu stammen scheint. Das ist das Gegenteil einer ideengeschichtlich informierten und theoretisch reflektierenden Begriffsverwendung. Der politikwissenschaftliche Diskurs zur deutschen Außenpolitik muss sich aber von solchen Begriffsatavismen trennen, ohne zur begrifflichen Beliebigkeit überzugehen. Staatsräson ist mehr als das, was gerade wichtig erscheint und sicher mehr als das, was immer schon moralisch unzulässig war. Die bei Staatsräson notwendige Begriffsdynamik ließe sich durchaus aus der Entwicklung des Begriffs Außenpolitik zurückspiegeln, der immer wieder als solcher im politikwissenschaftlichen Diskurs thematisiert wird. Eine Rückkopplung der im Binnenbereich der Außenpolitik vorhandenen Begriffsreflexion auf andere, aber thematisch nahe liegende Fundamentalbegriffe, wie zum Beispiel Staat und Staatsräson, wäre hilfreich. 405  Roos

(2010), S. 333. S. 337. 407  Ebd., S. 342. 408  Ebd., S. 345; Hervorhebung im Original. 406  Ebd.,

244

C. Die außenpolitische Staatsräson der Bundesrepublik Deutschland

Ebenso zielführend ist eine normative Herangehensweise, welche die zentralen institutionellen Handlungsfelder zusammen abhandelt und aufeinander bezieht. In Ansätzen zeigen dies Stephan Böckenförde und Sven Gareis, die so auch das zu Recht erhobene Postulat des Multilateralismus vitalisieren, weil erst innerhalb des organisatorischen Rahmens deutlich wird, wie weit Rhetorik und Praxis der deutschen Außenpolitik hier mitunter auseinander liegen: „Zugleich könnte so verdeutlicht werden, dass ein effektiver Multilateralismus nicht allein durch die Beschwörung des Prinzips, sondern durch die aktive Praxis mit Leben erfüllt wird.“409 Die Handlungsimperative gegeneinander auszuspielen und etwa NATO- und Europapolitik in einen Gegensatz zu bringen, wo Fortschritte auf der einen Seite umgehend Rückschritte auf der anderen bedeuten, führt hingegen nicht weiter.410 So kann zumindest kein Begriff außenpolitischer Staatsräson operationalisiert werden, der universale Legitimationsprämissen inkorporiert. Diese bedingen stets die Annahme offener Entwicklungsmöglichkeiten, so dass sich ein vermeintlicher Konsequenzialismus verbietet, der aufgrund von heutigen Widersprüchlichkeiten auch die möglichen Komplementaritäten von Morgen verwirft. Es hieße vielmehr ein Gebot der Klugheit zu befolgen, sollte der politikwissenschaftliche Diskurs zukünftig verstärkt Anregungen dazu liefern, wie die Außenpolitik innerhalb der wesentlichen organisatorischen Handlungsfelder, Europäische Union, Vereinte Nationen und NATO, sich als kohärent darstellen könnte. Allein, ein bisweilen auftretender Mangel an Kohärenz, selbst bis hin zur Widersprüchlichkeit, spricht nicht für eine einfache außenpolitische Parteinahme, wonach die Außen­ politik innerhalb des einen Handlungsfeldes auf Kosten eines anderen zu verbessern wäre. Stattdessen stellt sich die weitergehende Forschungsfrage, ob in die grundsätzlichen normativen Vorgaben, die der deutschen Außenpolitik gemacht werden, sei es nun von den konkreten Akteuren selbst oder von der begleitenden Politikwissenschaft, Paradoxien eingelassen sind, die dann beispielsweise zu Kollisionen der deutschen NATO-Politik mit der deutschen VN-Politik führen. Schließlich bleibt zu wünschen, dass auch konstruktivistische diskurstheoretisch orientierte Autoren in ihren Analysen zur deutschen Außenpolitik zukünftig stärker ihre normativen Grundannahmen offen legen und rechtfertigen. Wenn allerdings selbst in der Zeitschrift für Internationale Beziehungen in diesem Sinne argumentiert wird, ist dies ein gutes Zeichen. So hat Tine Hanrieder hier zu Recht festgestellt: „Sozialwissenschaft ist ohne normativen Standpunkt nicht zu haben.“411 Gerade hinsichtlich der Wünsch409  Böckenförde / Gareis

(2009a), S. 368. Dembinski (2004). 411  Hanrieder (2008), S. 181. 410  Vgl.



III. Resümee245

barkeit des Staates an sich, sollte sich zumindest diejenige Außenpolitikforschung, die Staaten als solche bisweilen gar mehr als Problemquelle denn alles andere ansieht, unter einen stärkeren normativen Begründungszwang stellen. Begrüßenswert ist, wenn dies im Zusammenhang einer Staatsräsondiskussion geschieht.412 Dann wäre zumindest eine Grundlage gegeben, um im politikwissenschaftlichen Diskurs stärker die Beziehung von Partikularismus und Universalismus zu analysieren. Denn nach wie vor „ist das Problem des Spannungsverhältnisses zwischen universalen Menschenrechten und der Autonomie nationaler, regionaler oder religiös bestimmter (Rechts-)Kulturen bis heute ungelöst.“413 Bardo Fassbender formuliert in Anknüpfung daran eine These und mehrere Fragen, deren Beantwortung zentrale Aufgabe des politikwissenschaftlichen Diskurses sein sollte, gerade in ihren Auswirkungen auf die Interventionspolitik. Denn seine These ist zutreffend: „Diente das klassische Völkerrecht des neunzehnten Jahrhunderts und zwanzigsten Jahrhunderts vornehmlich dem Interesse der Staaten (und mittelbar der staatlich verfassten Völker), so wurde im Zeitalter der Vereinten Nationen das Interesse des Individuums zum letzten und höchsten Zweck des Völkerrechts erhoben.“414 Dies bedeutet nichts anderes, als dass die universalen legitimationstheoretischen Prämissen der neuzeitlichen Politik als solcher inzwischen auch in den formalisierten Beziehungen zwischen den Staaten deutlich sichtbar sind. Dann aber heißt es in der Tat zu fragen, was es bedeutet, wenn nun Mächte aufkommen, die der bisher überragenden Macht der westlichen Staaten faktisch wie ideologisch etwas entgegensetzen können – was es für Außenpolitik und Völkerrecht bedeutet, wenn der Universalismus der Menschenrechte seines partikularen Machtunterbaus verlustig geht?415

Zimmer (2009), S. 76–77. (2009), S. 33. 414  Ebd., S. 36. 415  Vgl. ebd., S. 38. 412  Vgl.

413  Fassbender

D. Schlussbetrachtung: Die außenpolitische Staatsräson der Bundesrepublik Deutschland – eine Synthese Deutschland sei wieder einmal ein Staat, hatte es zu Beginn geheißen. Um das Nachdenken über Staatsräson als sinnvoll erscheinen zu lassen, bedarf es eigentlich gar keiner pointierteren These. Im Folgenden werden die einzelnen Aspekte der in dieser Arbeit entfalteten Variante dieses Nachdenkens resümiert und zusammengeführt. Dies geschieht unter Rückgriff auf den ebenfalls zu Beginn erläuterten Essentialismus praktischer Politikwissenschaft. Dieser besteht aus drei Elementen: dem methodischen Axiom, dass das Denken frei ist und als solches seinen Teil zur Wirklichkeit beiträgt, dem normativen Axiom, dass der Staat geboten ist und legitim sein soll und dem methodisch-normativen Axiom, dass praktische Wissenschaft möglich ist, die Theorie mit Praxis verbindet, ohne nach der einen wie anderen Seite hin abzudriften. Dazu werden drei Fragen aufgeworfen, die den beschriebenen Sinnzusammenhang entsprechend abbilden: Hat es Sinn, zur normativen Strukturierung von Außenpolitik den Begriff der Staatsräson zu wählen? Was sollte unter außenpolitischer Staatsräson im Allgemeinen verstanden werden? Und schließlich, was folgt aus der Verbindung dieses allgemeinen Verständnisses mit den Besonderheiten der deutschen Außenpolitik für deren Praxis? Über die Beantwortung der Fragen sollen die einzelnen Argumentationsschritte der Arbeit noch einmal nachvollzogen und in einen engeren Kontext gebracht werden. Intendiert ist keine Anwendbarkeit, die in jeder denkbaren außenpolitischen Situation eine Entscheidungsstütze bietet und das eigentliche politische Urteil dispensiert. Vielmehr liefert die Arbeit einen Bezugsrahmen, der wichtige Aspekte versammelt, die bei entsprechenden Entscheidungen bedacht werden sollten. Geschieht dies nur oft genug, führen die immer wieder und immer wieder neu auftretenden pragmatischen Zwänge zu einer theoretischen Verdichtung, die als außenpolitischer Erkenntnisfortschritt bezeichnet werden kann. Warum soll es also Sinn haben, nach außenpolitischer Staatsräson zu fragen? Einige Einwände gegen den allgemeinen Begriff Staatsräson sind bereits am Anfang der Arbeit zurückgewiesen worden. In einem auch stärker aufs Außenpolitische bezogenen Argumentationszusammenhang bleiben aber noch einige notwendige Anmerkungen übrig: Hanns Maull spricht dazu mit



D. Schlussbetrachtung247

Recht das Selbstverständliche aus, wenn er auf die grundsätzliche Annahme verweist, jede einzelstaatliche Außenpolitik sei auch das Resultat eingeschliffener Wahrnehmungsmuster, seien sie nun durch empirische Tatsachen bestimmt oder konstruiert: „Wie jede Außenpolitik ist auch die ­Außenpolitik der Bundesrepublik geprägt durch bestimmte außenpolitische Grundorientierungen und Leitlinien.“1 Grundorientierungen und Leitlinien offenbaren sich wiederum anhand von Entscheidungen. Es ist schon ein Gebot der praktischen Vernunft, diese Entscheidungsgründe zu reflektieren. Dazu eine begriffliche Chiffre der Letztbegründung zu suchen, sollte hilfreich sein. Allemal in außenpolitischen Zusammenhängen, die viel seltener eine Transformation politischer Fragestellungen in juristische Probleme zulassen, als dies in innenpolitischen Kontexten der Fall ist. Die im Vergleich zum Innenpolitischen wenigstens im Hinblick auf Letztinstanzlichkeit imperfekten Rechtsbeziehungen im Außenpolitischen verlangen insofern nach einem Leitbegriff, der sich auch jenseits positivierter oder positivierbarer Rechtsbeziehungen anbringen lässt. Eckart Klein hat dazu auf eine besondere Nuance des Begriffs der Staatsräson aufmerksam gemacht: „Staatsräson ist daher in diesem Sinne eine a-juristische Kategorie, ein Gegenbegriff zum Recht oder doch ein solcher Begriff, der sich rechtlicher Zähmung nicht fügt.“2 Die Schärfe, welche die Rede vom Gegenbegriff zum Recht beinhaltet, muss kein Charakteristikum aktueller außenpolitischer Staatsräson sein. Es genügt der Hinweis, dass außenpolitische Entscheidungen häufig nicht durch einen juristischen Verweis zu treffen sind, sondern schlichtweg politische Entscheidungen sind, die vor allem subjektiv von den Akteuren getroffen werden und nicht die Anwendung einer objektiven Regelhaftigkeit auf einen bestimmten Fall darstellen, wie es bei der Rechtsfindung der Fall ist. Dies spricht deutlich für die Verwendung des Begriffs außenpolitische Staatsräson. Auch die historisch gewachsenen Konnotationen des Begriffs der Staatsräson sprechen nicht dagegen. Die fraglos vorhandene assoziative Überfrachtung des Begriffs formuliert hingegen nur einen Konkretisierungsauftrag. Auch weil die vielfältigen Assoziationen, die sich mit dem Begriff der Staatsräson verbinden, dann doch nicht so vielfältig wie bei manch anderen historisch-politischen Fundamentalbegriffen sind. So sind Demokratie und Republik deutlich ältere Begriffe als derjenige der Staatsräson und bedürfen ständig in noch viel stärkerem Maße einer konkretisierenden Aktualisierung. 1  Maull

(2007), S. 73. (2003), S. 89–90; dies erklärt auch, warum der Begriff in der jüngeren Rechtswissenschaft nicht überlebt hat, selbst wenn diese nicht die Augen vor Notstandssituationen verschließt; Rolf Grawert hat diese Ambivalenz folgendermaßen beschrieben: „Aber obwohl die rechtsstaatliche aufgeklärte Rechtsdogmatik den Begriff ‚Staatsräson‘ meidet, rechnet sie weiterhin mit den einst durch ihn bezeichneten Situationen und Wertungsmaßstäben.“ Grawert (2004), S. 125. 2  Klein

248

D. Schlussbetrachtung

Dennoch werden sie natürlich ständig als Orientierungsbegriffe verwendet. Wer die begriffs- und ideengeschichtlichen Facetten des Begriffs der Staatsräson genau kennt, kann umso besser von ihnen abstrahieren. Von mancher historischen Last befreit, zeigt der Begriff der außenpolitischen Staatsräson dann klare Gesichtspunkte. Dies gilt allemal im Vergleich zu allen anderen aus dem politikwissenschaftlichen Diskurs bekannten Orientierungsbegriffen einzelstaatlicher Außenpolitik, ob es sich nun um Zivilmacht, nationales Interesse, Handelsmacht oder dergleichen noch handelt. Es hat also Sinn, außenpolitische Staatsräson wörtlich zu nehmen. Es hat hingegen keinen Sinn, den Begriff durch Historisierung intellektuell zu diskreditieren. Und es hat keinen Sinn, allein den historischen Begriff der Staatsräson, denjenigen der Frühen Neuzeit, als Menetekel im aktuellen politikwissenschaft­ lichen Diskurs zu instrumentalisieren. Daraus ergibt sich das entscheidende Argument zugunsten des Begriffs der außenpolitischen Staatsräson. Mit dieser lässt sich nämlich der unmittelbare Zusammenhang zwischen Außenpolitik und politischer Theorie, modern: Staatstheorie, aufzeigen. Ebenso lässt sich der Begriff als Appell lesen, diesen Zusammenhang im politikwissenschaftlichen Diskurs möglichst häufig und deutlich kenntlich zu machen. Die von konkreten Bezügen abstrahierte Semantik zeitigt schon diese Wirkung, nicht erst eine bestimmte Vorstellung von Staatsräson als festgelegtem Grundsatz, wie etwa Hans-Peter Schwarz annimmt: „In der vergesslichen Öffentlichkeit pluralistischer Demokratien pflegen sich erfahrungsgemäß nur Grundsätze zu halten, auf welche die Regierung, die Parteien, die Wissenschaft und die Medien beharrlich aufmerksam machen. Das gilt auch für die Staatsräson.“3 Andererseits gilt, dass dem Petitum, außenpolitische Staatsräson kontinuierlich zu thematisieren, sicherlich zuzustimmen ist – um wie viel gedächtnisstärker als die Öffentlichkeit der politikwissenschaftliche Diskurs auch immer sein mag. So kann außenpolitische Staatsräson ein Begriff sein, der eine theoretische und praktische Orientierungsleistung vollbringt. Über den auf Staatlichkeit verweisenden Begriffsbestandteil verbindet er Außenpolitik und Politiktheorie, über den auf Vernunft respektive Klugheit verweisenden Begriffsbestandteil stellt er die theoretischen Prämissen unter einen praktischen Begründungszwang. So lässt sich vermeiden, dass der politikwissenschaftliche Diskurs in zwei Teile zerfällt. Auf der einen Seite theoretischer Monolog, der – gerne im Gewand der Realismuskritik – die tatsächliche Außenpolitik auf ihr angeblich falsches Bewusstsein hinweist.4 Auf der anderen Seite ein Rechtfertigungsessayismus, der nur politisch Partei nimmt.5 3  Schwarz

(2005), S. 280. Laubach-Hintermeier (1998). 5  Vgl. Beck (1999). 4  Vgl.



D. Schlussbetrachtung249

Zusätzlich zum Begriff der außenpolitischen Staatsräson braucht es also keine begrifflichen Inventionen. Bemühen um begriffliche Neuartigkeit um ihrer selbst Willen führt ohnehin auf kurzem Weg ins ideengeschichtliche Archiv. So gesehen bedeutet eine Erweiterung des wissenschaftlichen Wortschatzes allein noch keine wissenschaftliche Bereicherung. Gleichwohl bleibt außenpolitische Staatsräson dadurch ein Begriff synkretistischer Verschmelzung, dem ein genereller Kontingenzverdacht nicht erspart bleiben kann. Das ist jedoch, kurz gesagt, egal. Da im hier zugrunde gelegten Verständnis Staatsräson stärker ein begründender als ein erklärender Begriff ist, muss dieser Verdacht gar nicht grundsätzlich ausgeräumt werden. Denn Staatsräson hat seit der Frühen Neuzeit streng genommen nur eine unstrittige Bedeutungsfacette. An der Epochenwende von Mittelalter zu Neuzeit „nahm die Lehre von der Staatsräson die Funktion der Rechtfertigung, der Rationalisierung, der Steuerung und Begrenzung von Herrschaft auf. Sie verschaffte der Politik eine eigenständige, säkulare Legitimationsgrund­ lage.“6 Rolf Grawerts zutreffende Charakterisierung muss aber nicht im Präteritum stehen bleiben. Denn dieses rückblickende Urteil unterscheidet sich nicht wesentlich von der gegenwartsbezogenen Feststellung Eckart Kleins: „Gibt auch das Recht den Rahmen vor und stiftet Sinn, so kommt der Staatsräson als movens und agens der aktiven Politik Bedeutung zu.“7 Damit ist ausreichend begründet, warum außenpolitische Staatsräson die sinnvolle Begrifflichkeit schlechthin ist, um Außenpolitik zu legitimieren und damit zu orientieren. Was ist nun im Allgemeinen unter außenpolitischer Staatsräson zu verstehen? Um diese Frage zu beantworten, bedarf es einer Rückführung. Staat und Räson müssen aus ihren ideengeschichtlichen Grundlagen heraus erklärt werden, sind aber nicht identisch mit diesen, sondern prinzipiell entwicklungsoffene Begriffsbestandteile. Diese Erklärung kann nur dadurch gelingen, außenpolitische Theorie als politische Theorie zu verstehen. Dazu müssen die grundsätzlichen legitimationstheoretischen Prämissen von Staatlichkeit präpariert werden. Im ersten Teil der Arbeit ist dies unter Rückgriff auf zwei unterschiedliche kontraktualistische Modelle geschehen. Die staatlichen Begründungsmodelle von Hobbes und Kant haben jeweils eigene außenpolitische Implikationen. Zentrale Beobachtung hierbei war, dass sich die Argumente der Letztbegründung bei der Staatseinrichtung präskribierend auf die normativen Vorgaben des auswärtigen Staatshandelns auswirken. In der klassischen Variante, die bei Hobbes ihren Ursprung nimmt, mündet dies in einer außenpolitischen Grundthese der Sicherheitsmaximierung durch Machtvermehrung. Ideengeschichtlich zeigt sich dieses Theorem 6  Grawert 7  Klein

(2004), S. 119. (2003), S. 102.

250

D. Schlussbetrachtung

schon bei Machiavelli. Dagegen konturiert sich die Legitimationstheorie Kants, welche die Staatseinrichtung nicht als Resultat eines klugen Vorteilsstrebens darstellt, sondern als ethische Pflichtaufgabe und damit als Vernunftleistung definiert. Auch hier korrespondieren die außenpolitischen Vorgaben mit den grundsätzlichen Argumenten der Staatslegitimation. Die Variante, die bei Kant ihren Ursprung nimmt, bedeutet dann eine außen­ politische Pflicht zur Verrechtlichung des Zwischenstaatlichen, eben analog zur Verrechtlichung und damit Verstaatlichung des Vorstaatlichen. Kurzum: Das politische Denken der Neuzeit beruht auf dem Gegensatz von Naturzustand und Staat und die hier anzutreffenden Argumente bestimmen genauso das außenpolitische Denken der Neuzeit, und zwar legitimierend wie limitierend. Allerdings haben sich beide Begründungsmodelle in der politischen Wirklichkeit übereinander geschoben, eine klare Trennung ist hier nicht mehr möglich. Damit ist die Grundlage außenpolitischer Staatsräson benannt, auch der heutigen. Zu deren Operationalisierung kann als hermeneutisches Instrument das Begriffspaar aus Partikularismus und Universalismus dienen. Die legitimationstheoretischen Grundlagen des neuzeitlichen Staatsdenkens sind universale Prämissen. Staaten sind aber partikulare Einrichtungen. Damit ergeben sich Paradoxien. Versteht man unter den universalen legitimationstheoretischen Prämissen die Menschenrechte und versteht man die Partikularität der Staatlichkeit als Souveränität, zeigt folgendes Wort von Günther Frankenberg diese Paradoxien besonders deutlich auf: „Ohne die Präsenz souveräner Staatlichkeit wären Rechte nicht zu garantieren und ließe sich ihre Verletzung nicht sanktionieren. In diesem Sinne wirkt das ursprünglich bestimmende Motiv der Menschenrechte, die Freiheit der Individuen von übermäßigen und unvernünftigen staatlichem Zwang zu verbürgen, unablässig mit seiner Antithese zusammen. Menschenrechte versprechen die Gegenwart der autonomen Person in der allseitig gesicherten Entfaltung von Subjektivität und müssen sie doch stets abweisen in der Beziehung staat­ licher Gewalt als regelnder Objektivität.“8 Auf die Außenpolitik gewendet heißt dies nichts anderes, als dass Staaten dort zugleich frei und unfrei sind. Die Partikularität der einzelnen Außenpolitik verheißt subjektive Unabhängigkeit, ist jedoch abhängig von universalen Voraussetzungen, die sie wiederum in ihrer Eigenart einschließen und fördern soll, ohne dass stets klar wäre, was dies in jeder einzelnen außenpolitischen Entscheidungssituation bedeuten muss. Also kann man mit Rolf Grawert „folgern, dass heute in erster Linie Menschenrechte die Staatsräson determinieren.“9 Das gilt auch für die außenpolitische Staatsräson. Allein kann dies im „Hinblick auf 8  Frankenberg 9  Grawert

(1988), S. 82. (2004), S. 136.



D. Schlussbetrachtung251

die Außenpolitik […] riskante Verhaltensweisen programmieren“10, wie er zu Recht weiter folgert. Solche riskanten Verhaltensweisen zeigen sich beispielsweise dann, wenn universale Forderungen, Menschenrechte, mit partikularen Mitteln, in diesem Fall Waffengewalt, durchgesetzt werden. Diesen praktischen Aufgaben kann nur mit einer Mischung aus Partikularismus und Universalismus begegnet werden, in der Theorie wie in der Praxis. Außenpolitische Staatsräson muss die Spannung zwischen Partikularismus und Universalismus inkorporieren und gerade nicht danach streben, sie ein für allemal aufzulösen. Dabei sind die universalen Legitimationsgrundlagen der neuzeitlichen Organisationsform des Politischen, also des Staates, unbestritten. Aus welcher Perspektive das Problem der Staatseinrichtung auch in den Blick genommen wird, eine gehaltvolle Legitimationstheorie nimmt ihren Anfang bei Annahmen über die denkbare individuelle Zustimmung zur Staatseinrichtung. In der politischen Grammatik der Neuzeit hat sich als Regel hinsichtlich dieser allgemeinen – universalen – Annahmen das Menschenrecht etabliert. Nur noch in der menschenrechtlichen Bezugnahme erscheint das Staatseinrichtungsargument gültig, dann allerdings erscheint es auch als zwingend. So ist auch das normative Telos einer modernen Außenpolitik menschenrechtlich umschrieben. Das offenbaren auch sämtliche Teilnehmer des politikwissenschaftlichen Diskurses, unabhängig von ihren sonstigen normativen Positionen. In der legitimationstheoretisch reinen Variante, das ist gezeigt worden, tendiert dieser Universalismus zu einer außenpolitischen Position, die auch in organisatorischer Hinsicht keine Kompromisse macht und erst mit der Einrichtung eines Weltstaates das universale Programm als erfüllt ansieht. Damit korrespondiert eine politische Handlungstheorie, die ihrerseits universale Grundlagen hat. Es ist ein unbedingtes Verständnis politischer Vernunft, das nicht irgendwelchen Umständen seine Reverenz erweist, welches außenpolitisch zur Menschenrechtsdurchsetzung und in seiner Konsequenz zur Weltstaatseinrichtung nötigt. Gerade wegen dieser legitimationstheoretischen Unbedingtheit ist die universale Grundprogrammatik der neuzeitlichen Politik aber nur als menschenrechtlicher Essentialismus zu verstehen: als Recht auf Leben und Unversehrtheit, auf Abwesenheit von völliger Willkür und auf zumindest prinzipielle Sicherheit. In diesem strengen Sinne verpflichtet der neuzeitliche Universalismus auch die Außenpolitik – jedenfalls bei anhaltend systematischer Verletzung dieser Rechte, wie sie etwa im Völkermord zum Ausdruck kommt. Darüber hinausgehende wichtige programmatische Menschenrechte, etwa demokratische Forderungen, sollten außenpolitisch zwar in jeder Hinsicht gefördert werden, stellen jedoch keine unbedingte Verpflichtung dar.11 Mit Friedrich Meinecke gespro10  Ebd., 11  Vgl.

S. 139. Kersting (2000a), S. 218–223.

252

D. Schlussbetrachtung

chen, ist dies die außenpolitische „Entelechie“12 des modernen Staates. Diese legitimationstheoretische Position, die Gedanken von Wolfgang Kersting aufgreift, verliert ihre Eindeutigkeit allerdings beim Schritt von Handlungstheorie zu Handlung: „Die Klarheit des Legitimationsarguments verliert sich im Dickicht der Praxis.“13 Denn die Verwirklichung der universalen Legitimationsprämissen muss in einer Welt der partikularen Wirklichkeiten stattfinden. Es ist zwar richtig, wenn Eckart Klein auf Folgendes hinweist: „Die Idee der Staatsräson hat im Verfassungsstaat als – wertfrei – auf Machterhalt und Machterweiterung fokussiertes Konzept in der Tat keinen Platz.“14 Ebenfalls richtig ist aber, dass der machtfreie Werterhalt keinen Platz in der Wirklichkeit hat, schon gar nicht in der außenpolitischen. Dies wäre zudem als politische Forderung unzulässig – Rechte bedürfen einer Garantie. Der partikulare Staat ruht auf universalen Legitimationsgrundlagen, ist aber gleichzeitig der einzige verlässliche Garant für deren aktive Verwirklichung. Und so wie politischer Universalismus und unbedingte politische Vernunft miteinander verbunden sind, sind auch politischer Partikularismus und politische Klugheit miteinander verbunden. Und Klugheit ist alles andere als unbedingt: Klugheit kalkuliert die vielen Bedingungen tatsächlichen Handelns, auch und gerade des außenpolitischen. Wo Vernunft objektive Regeln erkennt, bedenkt subjektive Klugheit die jeweilige Situation. Im Begriff der außenpolitischen Staatsräson fließt beides zusammen. Der Begriff koppelt die Außenpolitik an universale Prämissen, umgrenzt aber gleichzeitig eine partikulare Autonomie der situativen Entscheidungsfindung. Dabei wirken die universalen Prämissen konstitutiv: Je geringer die Bindung an sie, desto geringer die Achtung, die der jeweilige partikulare Staat von anderen verdient. Dies kann sogar bis zur Missachtung führen, etwa im Fall der humanitären Intervention. Die besondere Pointe in dieser Beobachtung liegt darin, dass die (Rück-)Bindung an die universalen Prämissen, welche der partikularstaatliche Akteur eingeht, natürlich eine freiwillige ist und auch immer bleiben muss: Außenpolitische Staatsräson erlaubt weder normativ ungebundenes Handeln noch unbedingte Bindung der Außenpolitik, ohne jede Anschauung der Konsequenzen. Außenpolitische Staatsräson kann somit als ein vermittelndes Konzept beschrieben werden. Sie vermittelt zwischen Universalismus und Partikularismus, zwischen Theo­ rie und Praxis, zwischen allgemeiner außenpolitischer Orientierung und konkreter Entscheidung. Außenpolitische Staatsräson kann damit keinesfalls das Dilemma auflösen, dass das politische Denken der Neuzeit 12  Meinecke

(1957), S. 11. (2000a), S. 229. 14  Klein (2003), S. 102. 13  Kersting



D. Schlussbetrachtung253

seinen Ursprung in einer einheitlichen Annahme hat, in der Vorstellung des von allen Bedingungen gelösten Menschenrechts. Diese einheitliche Annahme hat bei ihrer Verwirklichung aber eine Vielheit produziert, nämlich die Staatenwelt. Zwischen dieser Einheit und Vielheit entstehen ständig neue Spannungen. Außenpolitische Staatsräson dient schließlich als Versuch, einen außenpolitischen Umgang mit diesen Spannungen zu ermöglichen und angesichts der Vielzahl außenpolitischer Herausforderungen grundsätzliche Orientierung zu stiften. Da außenpolitische Staatsräson folglich eine pragmatische Funktion erfüllt, muss in ihrem Mangel an theoretischer Konsistenz jedoch kein Nachteil liegen. Durch seine theoretische Unvollkommenheit kann der Begriff eine Balance zwischen universalen und partikularen Postulaten herstellen, die bei dem theoretisch anspruchsvolleren Versuch, das hier vorherrschende Spannungsverhältnis zu beseitigen, nicht mehr gegeben wäre: Jenseits der theoretischen Schlüssigkeit des Weltstaatskonzepts und entnormativierten Vorteilssuche einer rein partikular konzipierten Außenpolitik liegt das heutige auswärtige Verhalten des modernen Staates. Orientiert sich dieses an dem hier entwickelten Begriff der außenpolitischen Staatsräson, kann eine fallweise Verhältnisabwägung erfolgen, die nicht auf einer einseitigen und stets einzuhaltenden Schwerpunktsetzung beruht. Dadurch steigt die langfristige Realisierungschance universaler Prämissen und kurzfristige Normlenkung partikularer Entscheidungen womöglich mehr als durch alles andere. „Denn die absolute Konsistenz einer Theorie ist nur allzu oft ein Indiz für ihre Trivialität.“15 Dieser Einwurf von Andreas Anter legt die Vermutung nahe, außenpolitische Staatsräson könnte den politischen Universalismus vor der Überdehnung durch sich selbst schützen. Solange sich der Universalismus in einer partikularen außenpolitischen Staatsräson niederschlägt, besteht auch nicht die Gefahr seiner Dogmatisierung, denn Partikularität, so sehr sie auch universale Normen einschließen mag, beinhaltet auch stets die Vorstellung des Anderen. Ferner sind bisher jedenfalls universale Normen nur durch partikulare Akteure in die Welt gekommen. Auch in der außenpolitischen Sphäre sorgt bisher mit überragender Evidenz der Entschluss einzelner Staaten, auch in Form von Staatengruppen, auch selbst in der quantitativ beinahe vollkommenen Staatengruppe der Vereinten Nationen, für die Garantie der Menschenrechte. Schließlich kann der Universalismus unter den Bedingungen der partikularen Vielheit, also unter den Bedingungen der Staatenwelt, seine Eigentümlichkeit, nämlich allein aus dem begründenden Denken heraus zu wachsen, vielleicht besser bewahren, als er es unter den Bedingungen einer einheitlichen Staatenwelt, im Weltstaat, könnte. Im Weltstaat kann entschieden werden, was in der Staatenwelt argumen15  Anter

(2007), S. 140.

254

D. Schlussbetrachtung

tiert werden muss. Es bleibt also dabei: Als Leitbegriff schützt außenpolitische Staatsräson die selbstbestimmte Entwicklung des Partikularstaates, ebenso wie sie diese unter den ständigen Rechtfertigungszwang nach Maßgabe der universalen Vernunft setzt. Das ist nicht wenig. Was bedeutet dies für die deutsche Außenpolitik? Was ist die außenpolitische Staatsräson der Bundesrepublik Deutschland? Erstens bedeutet dies, dass außenpolitische Staatsräson der Leitbegriff sein sollte, wenn die Frage nach den normativen Grundlagen der deutschen Außenpolitik und ihren pragmatischen Konsequenzen gestellt wird. Die begründungstheoretische Überlegenheit des Staatsräsonbegriffs führt bestenfalls zu einem übersichtlicheren politikwissenschaftlichen Diskurs über außenpolitische Ziele, als es bisher der Fall ist. Der politikwissenschaftliche Diskurs zur auswärtigen Praxis der Bundesrepublik braucht keine thematische Verbreiterung, diese ergibt sich schon aus der Natur der Sache, sondern theoretische Vertiefung. Das Begriffspaar von Partikularismus und Universalismus sollte hierbei Verwendung finden, auch um die Verbindung zu den hier einschlägigen juristischen wie philosophischen Nachbardisziplinen zu halten. Der Ungewissheit Eckart Kleins, „inwieweit der Verfassungsstaat Bundesrepublik Deutschland eine Staatsräson hat und haben kann – im Sinne einer Machtlehre, aber auch im Sinne einer Staatszwecklehre“16, kann damit abschließend begegnet werden. Denn Staatszwecklehre und Machtlehre lassen sich nur analytisch, nicht aber pragmatisch auseinander halten. Dies bedeutet zweitens, mit Hilfe des Begriffs Universalismus kontinuierlich die legitimationstheoretischen Prämissen der deutschen Außenpolitik herauszuarbeiten und in die deutsche außenpolitische Staatsräson einfließen zu lassen. In ihren menschenrecht­ lichen Bezügen sind diese Prämissen im Grundgesetz hinterlegt. In dieser Hinsicht ist das Grundgesetz der wichtigste Mittler zwischen der deutschen Außenpolitik und dem neuzeitlichen Universalismus als solchem. In dem die Außenpolitik formenden Verfassungsrecht berühren sich partikulare Entscheidung und universale Norm direkt. Die außenpolitische Staatsräson der Bundesrepublik wächst also aus dem Grundgesetz heraus und steht ihm nirgends entgegen. Sie muss sich gerade dort bewähren, wo das Recht der Verfassung nicht mehr konkret lenken kann, wohl aber in seiner universalen Absicht unbedingt Teil der außenpolitischen Abwägung sein muss. Im politikwissenschaftlichen Diskurs über die deutsche Außenpolitik Begriffe wie Klugheit und Legitimität gegeneinander auszuspielen, verbietet sich dann.17 Geboten ist hingegen, die Formulierung konkreter deutscher Interessenlagen in einen steten Zusammenhang mit den überzeitlichen Werten der universa16  Klein 17  Vgl.

(2003), S. 91. Zürn (2006), S. 77.



D. Schlussbetrachtung255

len Legitimationsprämissen zu stellen, wie es zum Beispiel Christian Hacke nach der Jahrtausendwende getan hat: „Heute ist Deutschland nicht nur wieder eine Nation geworden, weil andere dies auch sind, sondern weil Deutschland die nationale Idee in den vergangenen vier Jahrzehnten mit einem übernationalen Ideal verbinden konnte: […] Zum ersten Mal in seiner Geschichte ist Deutschland Teil des Westens, Teil einer großen Zivilisation, in das auch das Erbe des 19. Jahrhunderts, das des weltbürgerlichen Humanismus, mit eingewoben werden kann. Diese Werte zu erhalten und auszubauen bleibt unverzichtbarer Maßstab für die Formulierung der nationalen Interessen der Deutschen.“18 Unter diesen Vorzeichen entlarvt sich auch der notorische Gegensatz von Europäismus und Atlantizismus in der deutschen Außenpolitik als taktischer Bestandteil derselben. Ein normativer Konflikt, den die außenpolitische Staatsräson der Bundesrepublik in einem strategischen Sinne aufzulösen hätte, zeigt sich hier nicht. Schließlich formuliert die Berücksichtigung der universalen Prämissen eine außenpolitische Antwort auf die von Helmut König in seiner Studie zum „Nationalsozialismus im politischen Bewusstsein der Bundesrepublik“ gestellte Aufgabe: „Die Abgrenzung gegenüber äußeren Feinden und gegenüber einem verbrecherischen Regime der Vergangenheit trägt nicht mehr. Die ‚Berliner Republik‘ muss sich auf die Suche nach anderen Begründungen begeben.“19 Denn die nationalsozialistische Vergangenheit ist der simplen außenpolitischen Funktionalisierung entrückt und zeigt nunmehr noch ihre eigentliche Bedeutung, die Erinnerung an den unbedingten Menschenrechtsschutz. Sie determiniert im politikwissenschaftlichen Diskurs noch den Zweck, aber spätestens seit der deutschen Intervention in den Kosovokonflikt nicht mehr die Wahl der Mittel. Drittens bedeutet dies für die außenpolitische Staatsräson der Bundesrepublik Deutschland, auf einem partikularen Entscheidungsreservat zu bestehen. Die von Michael Staack so bezeichneten „Prioritätenkonflikte deutscher Sicherheitspolitik“20 sind Teil einer an solchen Konflikten reichen deutschen Außenpolitik. Diese Konflikte werden auch nicht durch die Rückkoppelung partikularer Entscheidungen an universale Normen auszuräumen sein, als spannungsgeladener Begriff nimmt sie die außenpolitische Staatsräson auf und sorgt so für ihre kontinuierliche Bearbeitung. Dieser Bezugsrahmen lässt zumindest einige außenpolitische Vorgaben hinreichend plausibel erscheinen: Außenpolitisch kann Staatsräson nicht „Überstaatsräson“21 heißen, darauf hat Frank Schorkopf zu Recht hingewiesen. Die deutsche 18  Hacke

(2003), S. 584. (2003), S. 163. 20  Staack (2009), S. 73. 21  Schorkopf (2007), S. 20. 19  König

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D. Schlussbetrachtung

Außenpolitik muss ihre partikulare Existenz mit den universalen Normen in Balance bringen. Europapolitisch bedeutet dies natürlich die fortgesetzte Mitwirkung an der europäischen Integration, allerdings nicht als Selbstzweck. Wichtige Fragen sollten auf europäischer Ebene entschieden werden, nicht aber alle wichtigen Fragen. Die Selbst-Integration hat eine Schranke, nämlich das Bestehen auf partikularer Entscheidungsfreiheit. Die Finalitätsfrage der Europäischen Union muss von der deutschen Außenpolitik in diesem Sinne offen gehalten werden. Gleichfalls ist weniger das Streben nach einem deutschen Sitz im Sicherheitsrat der Vereinten Nationen oder sein Unterlassen Teil der außenpolitischen Staatsräson der Bundesrepublik. Wenn es denn die partikulare Nutzenabwägung zulässt, spräche zumindest die Einflussvergrößerung dafür. Entscheidend ist aber der Einsatz für den Abbau universaler Zumutungen, wie zum Beispiel der allein historisch und nicht legitimationstheoretisch begründeten Zusammensetzung des Sicherheitsrats oder sein fragwürdiger Direktoratscharakter als solcher. Und innerhalb der NATO gehört es fraglos zur partikularen Entscheidungsfreiheit der Bundesrepublik, beispielsweise Beitrittskandidaten aus Rücksichtnahmen auf die Interessen von Groß- und Weltmächten zu unterstützen oder nicht. Als außenpolitische Staatsräson muss die deutsche NATO-Politik aber vor allem darauf hinwirken, die Universalität des transatlantischen Bündnisses, und das heißt auch seine Offenheit zu erhalten, vielleicht auch seine Offenheit zu steigern. Schließlich gehört es zur außenpolitischen Staatsräson der Bundesrepublik, die eigene militärische Interventionspolitik unter Gesichtspunkten der politischen Klugheit zu steuern. Dies bedeutet, das Recht auf fallweise und inkonsistente, da interessengeleitete außenpolitische Entscheidungen zu behaupten. Die außenpolitische Staatsräson der Bundesrepublik Deutschland muss also schließlich als zweistufiges Argument verstanden werden. Als grundsätzliches Legitimationsargument orientiert sie die deutsche Außenpolitik im Allgemeinen. Als bedingtes Handlungsargument rechtfertigt sie die außenpolitische Entscheidung im Besonderen. Ihrer Staatsräson Beachtung schenkt die deutsche Außenpolitik aber erst durch die stete Verbindung der beiden Argumente. Darauf hat Waldemar Besson schon vor langer Zeit hingewiesen: „Was die Analyse auseinanderlegt, kann die Praxis nicht trennen.“22 Das bleibt jedenfalls zu hoffen.

22  Besson

(1970), S. 454.

Quellen- und Literaturverzeichnis I. Zur Zitation Titel, die gleichermaßen als Quelle wie auch als Literatur hätten aufgeführt werden können, wurden in der Rubrik „Literatur“ verzeichnet. Englischsprachiges wurde im Original wiedergegeben. Bei sonstiger fremdsprachiger Literatur wurde stets die Übersetzung der jeweils zitierten Ausgabe verwandt. Eine Ausnahme bilden die Machiavelli-Zitate, bei denen die Übersetzung von mir selbst stammt. Bei manchen Zitaten wurde die Rechtschreibung geringfügig angepasst. Bei den häufig zitierten Klassikern der Ideengeschichte, also bei Machiavelli, Hobbes und Kant, wurde die jeweils maßgebliche Edition herangezogen. Bei Ma­ chia­velli ist dies die noch nicht abgeschlossene „Edizione Nazionale delle Opere di Niccolò Machiavelli“, die seit 2001 bei Salerno erscheint. Bei Hobbes wurde auf eine Ausgabe von „The English Works of Thomas Hobbes“ zurückgegriffen, die im Nachdruck in den 1960er Jahren im Scientia Verlag erschienen ist. Sämtliche KantVerweise beziehen sich auf die „Akademieausgabe“ der Königlich-Preußischen respektive der Berlin-Brandenburgischen Akademie der Wissenschaften, die seit 1900 in ständiger Überarbeitung erscheint. Bei sämtlichen in der Arbeit referenzierten Klassikern der Ideengeschichte wurde, wo eine kanonische Paginierung existiert, nach dieser zitiert. Bei den Werken Machiavellis, Hobbes’ und Kants wurde schließlich in der Rubrik „Quellen“ zur besseren chronologischen Orientierung in eckigen Klammern das Jahr der Erstpublikation beziehungsweise der wesentlichen Referenzausgabe angegeben. Gleiches gilt gegebenenfalls für den Titel, unter dem das Werk seine größte Bekanntheit erlangt hat. In der Rubrik „Literatur“ wurde bei Zeitschriftenaufsätzen nur Jahrgangsnummer und Jahreszahl angegeben. Nur dort, wo keine Jahrgangsnummer vorliegt, oder, falls in den einzelnen Jahrgängen nicht durchpaginiert wird, wurde statt der Jahrgangsnummer die Heftnummer genannt.

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Personenverzeichnis Anter, Andreas  17, 25, 37, 113–115, 121, 127, 253 Aristoteles  48–50, 54, 62, 64, 73, 118–119, 136–137 Besson, Waldemar  11, 33, 39, 147–150, 155, 200, 256 Dahrendorf, Ralf  33, 39, 149–151, 155–156, 210 Friedrich, Carl J.  30, 36–37, 98–99 Gerhardt, Volker  66, 95–96 Habermas, Jürgen  23, 103, 182–183, 192, 229 Hacke, Christian  11, 39–40, 146, 152, 157–159, 179, 183, 186, 189–190, 192–193, 196, 210–211, 213, 216, 220, 224–226, 231, 255 Hellmann, Gunther  18, 23, 39–40, 169, 182–183, 185, 190, 196, 199, 208, 214, 226, 228 Hobbes, Thomas  22, 26–29, 36, 43–59, 61–64, 68, 70–72, 74–85, 87, 94, 97, 116–117, 131–134, 137, 249 Höffe, Otfried  38, 50, 63, 66–67, 69–70, 92, 110, 115–118, 120, 122–123, 125–126, 129, 215–216 Isensee, Josef  17, 20–21, 38, 115, 126–129, 139, 177 Kant, Immanuel  18, 22, 24, 27–29, 36, 42, 60–72, 74, 76–77, 79–82, 94–95, 97, 105–107, 117, 123–124, 126, 132–134, 138–142, 154, 229, 249–250 Keohane, Robert  38, 86–90 Kersting, Wolfgang  9, 38, 52, 57, 74, 76–77, 96, 103, 117–118, 120, 140, 229–230, 251–252

Link, Werner  11, 18, 39, 153–157, 162, 190–191, 232 Machiavelli, Niccolò  26–28, 36, 43, 46–59, 61–62, 64, 68, 70–72, 75, 79–80, 83, 85, 87, 98, 116–117, 121, 130–132, 134, 137, 142–143, 177, 250 Maull, Hanns W.  16, 18, 40, 182, 184, 197–199, 246–247 Mearsheimer, John J.  11, 39, 84 Meinecke, Friedrich  15, 18–20, 25, 36, 42, 69, 93, 154–155, 200–201, 251–252 Morgenthau, Hans J.  38, 72, 81–87, 103, 110 Münkler, Herfried  10, 12, 17, 20, 38, 42, 44–45, 52, 57–58, 80, 100, 106–107, 160, 195–197 Nye, Joseph  38, 86–90 Reinhard, Wolfgang  37, 44, 79, 110 Schmitt, Carl  15, 42, 58, 97, 110, 127, 139, 142, 229 Schöllgen, Gregor  18, 39, 152, 179, 182–183, 188–189, 226 Schwarz, Hans-Peter  39, 150–157, 162, 191, 197–198, 200–201, 205–206, 208–209, 232, 248 Vasilache, Andreas  20, 37, 45, 116–117 Voigt, Rüdiger  37, 57, 99, 111, 115, 128, 183, 188 Waltz, Kenneth N.  39, 53, 69, 84–86, 88, 154 Wendt, Alexander  37–38, 91–93, 125, 142–143