Die Abhandlung von der Criminal-Gesetzgebung von Hanns Ernst von Globig und Johann Georg Huster: Eine 1782 von der Ökonomischen Gesellschaft Bern gekrönte Preisschrift [1 ed.] 9783428468355, 9783428068357


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German Pages 275 Year 1990

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Die Abhandlung von der Criminal-Gesetzgebung von Hanns Ernst von Globig und Johann Georg Huster: Eine 1782 von der Ökonomischen Gesellschaft Bern gekrönte Preisschrift [1 ed.]
 9783428468355, 9783428068357

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STEPHANI SCHMIDT

Die Abhandlung von der Criminai=Gesetzgebung von Hanns Ernst von Globig und Johann Georg Huster

Freiburger Rechtsgeschichtliche Abhandlungen Herausgegeben vom Institut für Rechtsgeschichte t,tnd geschichtliche Rechtsvergleichung der Albert-Ludwigs-Universität, Freiburg i. Br.

Neue Folge · Band 14

Die Abhandlung von der Criminal= Gesetzgebung von Hanns Ernst von Globig und Johann Georg Huster Eine 1782 von der Ökonomischen Gesellschaft Bern gekrönte Preisschrift

Von

Stephani Schmidt

Duncker & Humblot · Berlin

Gedruckt mit Unterstützung der Gerda Henkel Stiftung, Düsseldorf, der Oekonomischen und Gemeinnützigen Gesellschaft des Kantons Bem und der Wissenschaftlichen Gesellschaft in Freiburg i. Br.

CIP-Titelaufnahme der Deutschen Bibliothek Schmidt, Stephani: Die Abhandlung von der Criminal=Gesetzgebung von Hanns Ernst von Globig und Johann Georg Huster: eine 1782 von der Ökonomischen Gesellschaft Bem gekrönte Preisschrift I von Stephani Schmidt. - Berlin: Duncker u. Humblot, 1990 (Freiburger Rechtsgeschichtliche Abhandlungen; N. F., Bd. 14) Zug!.: Freiburg (Breisgau), Univ., Diss., 1988 I 89 ISBN 3-428-06835-1 NE:GT

Alle Rechte vorbehalten © 1990 Duncker & Humblot GmbH, Berlin 41 Druck: Wemer Hildebrand, Berlin 65 Printed in Germany ISSN 0720-6704 ISBN 3-428-06835-1

Meinen Eltern und Klaus

VORWORT* Die juristische Fakultät der Albert-Ludwig-Universität Freiburg nahm die vorliegende Arbeit im Wintersemester 1988/89 als Dissertation an. Der Grundstein zu dieser Arbeit über die Berner Preisschrift von Hanns Ernst von Globig und Johann Georg Huster wurde in einem strafrechtsgeschichtlichen Seminar von Professor Karl Kroeschell gelegt, in dem die Preisschrift Gegenstand eines Referates war. Professor Karl Kroeschell danke ich - außer für die Heranführung an das Gebiet der deutschen Rechtsgeschichte - sehr für die Anregung zu dieser Arbeit und die Überlassung des Themas. Besonderen Dank schulde ich auch Herrn Dr. Häberli, vormalig Leiter der Burgerbibliothek Bern, der jederzeit bereit war, mir auf sachkundige und zugleich unbürokratische Weise zu helfen. Gerne gedenke ich auch der immer freundlichen Hilfsbereitschaft der Mitarbeiter der Universitätsbibliothek Freiburg, besonders derer im Lesesaal! sowie im Sonderlesesaal. In besonderem Maße bin ich meinen Eltern zu Dank verpflichtet für die vielen Gespräche und die in selbstloser Weise durchgeführte Korrektur und Überarbeitung des Textes. Für die Erstellung des Manuskriptes darf ich mich bei Fräulein Heike Retterich bedanken. Den Herausgebern der "Freiburger Rechtsgeschichtliche Abhandlungen" gilt mein Dank für die Aufnahme meiner Arbeit in diese Reihe. Der Oekonomischen und Gemeinnützigen Gesellschaft des Kantons Bern, der Gerda Henkel Stiftung in Düsseldorf und der Wissenschaftlichen Gesellschaft in Freiburg i.Br. danke ich für die Gewährung von Druckkostenzuschüssen. Buchs I Schweiz, im Dezember 1989 Stephani Schmidt

Endlich ist auch das Vorwort an sich zum Gegenstand wissenschaftlichen Interesses geworden, wenn auch vorerst nur unter einem ganz bestimmten eng eingegrenzten Aspekt, vgl. hierzu Maximilian Herberger, Die Frau im Vorwort, in: Rechtshistorisches Joumal6 (1987), S. 233-239.

~TSVERZEIC~S

Einführung . . . . . .. .. .. .. .. .. .. .. .. .. .. .. .. .. .. .. . .. .. .. . .. .. . .. .. .. .. .. .. . . .. .. .. .

13

A.

16

Einleitung

. .. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .. .. .. .. . . . . .. . . . . . . . . .. . . . . . . . . . . . . . . . . . . ..

I. Zeitströmungen

. . . . . . . . . .. ... . . . . .. . . . . . . . . . . . . . .. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

16

1. Vernunftrecht und Aufklärung ...... ........................... a) Allgemeines .. .. .. .. . . . . . .. . . .. .. .. .. .. .. . .. .. . . .. .. . . . . .. . . .. . b) Strafrechtswissenschaft im Zeitalter des Vernunftrechts . . . . .. . . .. . . . . .. .. .. . .. .. . . . .. . . . . . . . . . . . . ba) Grotius .. ....... ..................................... ...... bb) Hobbes . .. .. .. .. . .. .. .. .. . . . . . . .. .. .. .. .. .. .. . .. .. .. .. . . . . . bc) Locke . .. .. .. . .. . .. .. .. .. .. . .. .. .. .. .. .. .. .. .. .. .. .. . . . . . .. . bd) Pufendorf . . . .. . . . . . . .. . . . . . . . . .. . . . . .. .. .. . . . . . . . . . . . . . . . . be) Thomasius .. . . . . . . . . .. . . . . . . . . . . .. . . . .. . .. . . . . . . . . . . . . . . . .

16 16 17 18 18 19 20 20

2. Strafrechtsgeschichte der Aufklärung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . a) Montesquieu ............... .. ..... ................... ... ...... b) Voltaire ... ... .. . ......... ....................... ..... . . . .. .. .. . c) Beccaria .. . .. . .. .. . . . .. .. .. .. .. . . .. . .. .. . .. .. .. . . . .. . . . . . . . . . . .

21 21 22 22

II. Die Sozietätsbewegung im 18. Jahrhundert ......................

23

1. Entwicklung

. . . . .. . .. .. . . . . . . .. . . . .. . .. .. . . . .. .. .. . . . .. . . . . . . . . .. . .

23

2. Die Bemer Ökonomische Gesellschaft . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

25

3. Die Patriotische Gesellschaft

27

111. Das Bemer Preisausschreiben . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

28

1. Veranstaltung von Preisausschreiben als gesamteuropäisches Phänomen .. . .. . .. . . . . . . . . . .. . . . .. . . . . . . . . . . . . . . . . .

28

2. Das Bemer Preisausschreiben

..... .. .. ..... .. ............. , .. .

29

a) Ausschreibung .............. .. ... ............................ b) Bewertung der eingegangenen Arbeiten . . . . . . . . . . . . . . . . c) Reaktionen auf die Preisschrift .. .. .. . . .. .. . .. . .. .. .. .. . ..

30 32 34

6

B.

Inhaltsverzeichnis

IV. Die Autoren der Preisschrift .......................................

34

1. Hanns Ernst von Globig .. . . .. . . .. .. .. .. . . . . .. . .. .. . . . . .. .. .. . . . .

34

2. Johann Georg Huster . .. .. . . . . . . . . . .. .. .. . .. . . .. . .. . . . . . . . . .. .. . .

41

. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .. . . . . . . . .. . . . . .

43

I. Systematik und Form .. .. .. .. .. .. .. .. .. .. . . .. .. .. .. .. .. . . .. .. .. . . . .. ..

43

.. .. . .. . .. .. . . .. .. .. .. .. . . . . . . .. .. .. .. .. .. .. .. . . .. .

43

a) Zielsetzungen . . . . .. .. . . . . .. . . .. .. . . . . . . . .. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . b) Systematik innerhalb der einzelnen Teile . . . . . . . . . . . . . . .

43 44

. . . .. . .. . . . . . . . . . . . . . . .. . . . . . . . . . . .. . . . . . . . . . . . . . . . . .

46

a) Entstehung .................................................... b) Systematik innerhalb der Vier Zugaben . . . . . . . . . . . . . . . . .

46 46

II. Rechtsphilosophische Grundlagen der Preisschrift . . . . . . . . . . . .

48

1. Gesellschaftsvertrag .. . . . . . .. .. .. .. .. . . . . . .. .. .. .. . . . .. .. . . . . . . . ..

48

. .. . . .. .. .. . . . . . .. .. .. .. . . . . . . .. . . . . . . . .

49

a) Besserung der Sitten .. .. .. . .. .. .. .. .. .. .. .. .. .. .. .. . .. .. . .. . b) Rechtspflege . .. .. . .. .. .. . .. .. . . .. .. .. .. .. .. . .. .. .. . . . . .. . .. . . . ba) Kodifikationsgedanke ................................... bb) Anwendung der Gesetze . . . .. .. .. .. .. .. .. .. .. .. .. .. .. ..

49 51 51 53

. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .. . . . .. . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

54

4. Proportionalitätsprinzip . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

54

5. Abschreckungsprinzip . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

58

6. Besserungs- und Nützlichkeitsprinzip

62

Die Preisschrift und ihre Zugaben

1. Die Preisschrift

2. Vier Zugaben

2. Verbrechensvorbeugung

3. Humanitätsprinzip

. . . . . . .. . .. . . . .. . . . .. . .. . .. .. .. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

63

. . .. .. .. .. . . . .. .. . . . . .. . .. .. .. . . .. .. . . . . . .. .. . . .

63

a) Maßstab der Strafe . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . b) Strafarten .. .. .. .. .. .. .. . . .. .. .. .. .. .. .. . . .. .. .. .. . . . .. .. . .. . .. ba) Außerordentliche Strafen .............................. Todesstrafe .............................................. bb) Ordentliche Strafen . . . . . . . . . . . .. . .. .. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . (1) Körperliche Strafen (Leibesstrafen) .. ...... .. ..

63 65 66 66 69 70

111. Dogmatischer Teil

1. Das Strafensystem

Inhaltsverzeichnis

7

(2) Freiheitsstrafen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Gefängnis und Knechtschaft .. .. .. .. .. .. .. .. .. .. . Verbannung .............. ... ................. .... ... (3) Schand- und Ehrenstrafen .. .. .. . .. .. .. .. . .. .. .. .. (4) Geldstrafen . .. . .. . . . . . .. .. . .. . . . .. .. . . . . .. . . . .. . .. . . . Wirkungen der Verurteilung ........................... ... Strafzumessung ................... . .. ................. .... ... Strafausschließung . . . . . .. . . . . . . . . . . .. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Strafvollzug . . . . .. . . . . . . . . .. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .. . . . . . . . .. . . . . . .

72 73 74 77 81 86 89 92 96

2. Allgemeine Lehren . . .. .. .. .. .. .. .. .. .. .. .. .. .. .. . . .. .. . . . . . . . . . . .

98

a) Verbrechensbegriff .................................. ........ b) Erscheinungsformen strafbarer Handlungen . . . . . . . . . . . ba) Vorsatz und Fahrlässigkeit ..................... ........ bb) Versuch . .. .. . . . .. .. . . .. .. . .. .. .. . . . .. .. . . .. .. .. . . . . . . . . . . . bc) Teilnahmeformen .... .. ......... ...................... ... c) Ausschluß der Strafbarkeit und Strafmilderung . .. .. .. ca) Schuldausschließungsgründe .......................... (1) Kindheit und Alter .. .. ....................... .. .... (2) Wahnsinn und Raserei ............................ (3) Trunkenheit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . (4) Liebe, Zorn und Furcht .. .. .. .. .. .. .. .. .. .. .. .. . .. cb) Irrtum .. .. .. .. .. .. .. .. . .. .. .. . .. . .. .. .. .. .. .. . . . .. . . .. . .. . . . cc) Notwehr . ... ...... ............. .. ................... . ... ...

99 100 100 102 104 105 105 106 107 108 108 109 110

c) d) e)

f)

3. Straftatbestände .. .. .. .. . . .. .. . .. .. .. .. . . .. .. . . .. .. . . . . .. .. .. . .. . . . 111 a) Staatsverbrechen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . aa) Hochverrat .. ................. .............................. ab) Majestätsdelikte .............. .............. .. .... .. ..... b) Verbrechen gegen den Einzelnen ..................... .. . ba) Verbrechen gegen Personen ................... .. .. .. .. (1) Mord, Abtreibung und Selbstmord .......... . .. (2) Körperverletzung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . (3) Freiheitsberaubung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . (4) Beleidigung .. .. .. .. .. .. .. .. .. . .. .. .. .. .. .. .. .. .. .. .. . bb) Verbrechen gegen das Vermögen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . (1) Entwendung ............. . .................. .. ... .... (2) Brandstiftung . .. . . . .. . .. . . . . .. .. .. . . . .. .. . . . . .. . . . . . bc) Verbrechen gemischter Art .... ........ ............. .. . (1) Betrug . . .. .. .. .. .. .. . .. .. .. . . .. .. .. . . .. . .. . . . . . . . . .. .. (2) Raub .. . . . . .. .. .. .. . .. .. . . .. . . .. .. .. . . .. .. . . . . .. .. . . . .. (3) Gewalttätigkeiten . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

113 113 114 115 115 115 118 119 119 121 121 123 124 124 125 127

8

Inhaltsverzeichnis

(4) Ehe- .und Sittlichkeitsdelikte ...... .... .. .. .. ... .. (5) Zauberei .. .. . .. . .. .. . . .. .. .. . .. . .. .. .. .. . .. . . .. . .. . ..

128 130

IV. Polizei- und Kirchenstrafrecht .. .. .. .. .. .. .. . .. .. .. .. .. .. .. .. .. .. .. . 130 1. Polizeistrafrecht .. ......... .... .... .. .. .... .. ........... .... .. .... a) Abgrenzung: Kriminalgesetzgebung-Polizeistrafrecht b) Polizeistrafen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .. .. .. . .. . . . .. . . . . . . . . . c) Aufgaben der Polizei . . . . . . . . . .. . . . . . . . . .. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . d) Einzelne Polizeivergehen . . . .. . . . . . . . . .. .. . . . . . . . . . . . . . . . . . e) Religionsverbrechen .. .. .. .. .. .. .. .. .. .. .. .. .. .. .. .. .. .. .. ..

130 131 132 134 137 139

2. Kirchenstrafrecht ....................... ................... ...... . 141 V. Prozessualer Teil . .. .. . .. . .. . . . . . . . . .. .. .. .. .. .. .. .. . .. .. .. . . . .. .. .. . . . 142 1. Die Lehre vom Beweis

142

2. Kriminalgerichtsbarkeit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 152 a) Das gemeinrechtliche Strafverfahren . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . b) Das Strafverfahren der Preisschrift . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . ba) Anklage- / Inquisitionsprozeß ........................ . bb) Das Gerichtswesen . . . . . . . .. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . bc) Besetzung des Gerichts . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .. . . . . . . . (1) Ordentliche Richter ............................... (2) Beisitzer ....... .................... ........... ... .... (3) Gerichtsbedienstete .. .. .. .. .. .. .. .. .. .. .. .. . .. .. . .. bd) Öffentlichkeit . . . . . . . . . . . . . . .. . . . . . . . .. . . . . . . . . . . . .. . . . . . . . be) Dauer des Verfahrens ...... ............................ bt) Verfahrenskosten . . . . . . . . . . . . . . . . . .. . . . . . . . . . . . .. . . . . . . . c) Ablauf des Verfahrens ...................................... ca) Untersuchung .. . . .. . . . . . . . .. . . . . . .. .. .. . .. . . .. .. .. . . . .. .. (1) Verhör des Angeklagten ... ...... .............. .. . (2) Zeugen .. .. . .. .. .. . .. . .. . .. . . . . .. .. .. .. . . . . .. .. . . . . . .. (3) Verteidigung .. .. .. .. .. .. .. . .. .. .. .. .. . .. .. . .. .. .. .. . (4) Verfahren gegen Abwesende . .. .. .. .. . .. .. .. .. .. cb) Urteilsfmdung ..................................... .. ... .. cc) Urteilsverkündung und -Vollstreckung ............... 3. Polizeigerichtsbarkeit ............ ........................... .. ..

152 153 153 156 158 158 159 160 160 163 164 165 165 168 170 171 172 173 173 174

VI. Beurteilungen der Schriften . . . . . . . . . .. . . . . . . . .. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 175

Inhaltsverzeichnis

1. Gutachten der Ökonomischen Gesellschaft

9

175

a) Das interne Gutachten vom 9.4.1781 . .. .. . .. .. .. . .. . .. .. . 176 b) Offizielles Gutachten zu Nr. 14 der Wettschriften . .. . .. .. .. .. . . .. . .. . . . ... .. .. . . . .. . . .. . .. . . . 178 2. Kritiken zur Preisschrift und den Vier Zugaben . . . . . . . . . . . . 180 a) Zeitgenössische Kritik .. .. .. .. .. .. .. .. . .. .. .. .. .. .. . .. .. .. .. aa) Preisschrift .. . ............... . .. . ... ...... ..... .... .. .... .. ab) Vier Zugaben .. .. .. .. .. .. .. .. .. .. .. .. .. .. .. .. . .. .. .. .. .. . b) Stimmen zum Werk Globigs und Husters in der Literatur des 19. und 20. Jahrhunderts ...... .... ...

180 180 183 184

C. Die Schriften von Globig und Duster und die Kriminalgesetzgebung der Auftdärungszeit .. . . . .. .. .. .. . .. .. . .. .. .. .. . . .. .. . . . . .. .. .. . . 188

I. Constitutio Criminalis Theresiana . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 188 1. Darstellung . .. .. . .. . .. .. .. . . . . .. .. . . . .. .. .. . .. .. .. . . .. .. . . . . .. . . .. . 188 2. Vergleich der CCTh mit der Bemer Preisschrift II. Der Pflaumsehe Entwurf .. .. .. .. . .. .. .. . .. .. .. .. .. . .. .. . .. .. .. . . . .. ..

191 193

III. Der Einfluß der Schriften von Globig und Huster auf zeitgenössische Strafrechtskodiftkationen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 199 1. Die Josephina von 1787 ................................... ... ...

200

a) Darstellung . . . . . . . . .. .. .. . . . . .. . . .. . . . . .. . . . . . . .. . . . . . .. . . . .. . 200 b) Vergleich der Josephina mit der Bemer Preisschrift und ihren Zugaben . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 205 2. Das Strafrecht des Allgemeinen Landrechts für die Preußischen Staaten von 1794 .. . .. . .. .. . . . .. . . . .. . . . . . . . . . . . . . 210 a) Darstellung . .. .. .. .. .. .. .. . .. .. . . . . . .. .. .. . .. .. . .. . . . . . . . .. . . . 210 b) Vergleich des Strafrechts des ALR mit Globigs Preisschriften . . . . . . . . . . . . . . . . .. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 217

D. Zusammenfassung Anhang:

. .. .. .. .. .. . . . .. . .. .. .. . . . . .. . .. . . .. .. . .. .. . . . . . . . . . . . . . 225

Das Gutachten Daniel von Fellenbergs vom 9.4.1781 Ablichtung der Originalhandschrift und Transkription . . . 237

10

Inhaltsverzeichnis

Literaturverzeichnis

. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 251

I. Globigs Werke . .. . . . . . .. .. .. .. .. .. . . .. . . .. .. .. .. .. .. .. . . .. .. .. .. . . . . . . 251 1. Im Druck erschienene Schriften

. . . .. .. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 251

2. Ungedruckte Schriften .......................................... 252 II. Literatur und Quellen .. .. . . . .. .. . .. .. .. .. .. .. . .. .. .. .. .. . . . . .. .. . . .. 252 111. Gesetzesregister

. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .. . . . . . . . . . . . . . . . . 270

ABKÜRZUNGSVERZEICHNIS

Abhandlung

Abhandlung von der Criminal =Gesetzgebung

AGB

Allgemeines Gesetzbuch für die Preußischen Staaten

ALR

Allgemeines Landrecht für die Preußischen Staaten

BBB

Burgerbibliothek Bem

ccc

Peinliche Gerichtsordnung Kaiser Karls V. von 1532 (zit. auch Carolina)

CCTh

Constitutio Criminalis Theresiana von 1769 (zit. auch Theresiana)

Instruktion

Verfahrensordnung für politische Verbrechen Josephs li. von 1787

JGS

Josephs des Zweyten Römischen Kaisers Gesetze und Verfassungen im Justizfache

Josephina

Allgemeines Gesetz über Verbrechen und derselben Bestrafung Josephs li. von 1787

KGO

KriminalgerichtsordnungJosephs li. von 1788

RStG

Strafgesetzbuch für das Deutsche Reich vom 15. Mai 1871

Vier Zugaben

Vier Zugaben zu der Abhandlung

ZStR

Schweizerische Zeitschrift für Strafrecht

EINFÜHRUNG Im Jahre 1969 erschien ein Werk unverändert im Nachdruck, das bereits 1783 unter dem Titel "Abhandlung von der Criminal =Gesetzgebung" großes Aufsehen erregt hatte.' Von Hanns Ernst von Globig2 und Johann Georg Huster verfaßt und der Ökonomischen Gesellschaft zu Bern im Rahmen eines Preisausschreibens eingereicht, war es 1782 mit dem ersten Preis bedacht worden. Damals wie auch 1969 wieder stieß es in der Fachwelt auf reges Interesse. Allerdings hatte dies bislang noch keine eingehende Behandlung der in der Strafrechtswissenschaft des ausgehenden 18. Jahrhunderts so bekannten und geachteten Schrift zur Folge. Ziel der vorliegenden Arbeit ist es daher, ein Werk, dessen Titel immer wieder in wissenschaftlichen Arbeiten, die sich mit dem Strafrecht der Aufklärungszeit beschäftigen, genannt wurde und wird, inhaltlich vorzustellen und so dessen Einordnung in die historische Entwicklung des Strafrechts zu ermöglichen. Soweit bislang auf die Abhandlung von der Criminal =Gesetzgebung und ihre Ergänzungen in den Vier Zugaben' eingegangen wurde, geschah dies fast ausschließlich im Hinblick auf spezielle, eng umgrenzte Fragestellungen. Die Bemer Preisschrift, wie das Werk von Globig und Huster auch häu-

fig genannt wird, erlangte bereits zu Lebzeiten ihrer Verfasser Weltruhm

und war insbesondere für Globig, den bedeutenderen von beiden, der Beginn einer langen und erfolgreichen schriftstellerischen Beschäftigung mit Fragen des Rechts, bei der das Strafrecht weiterhin im Vordergrund stand.

Die Arbeit ist in drei große Abschnitte eingeteilt. Der erste Abschnitt ist mehrfach untergliedert und gibt im ersten Teil einen kurzen Überblick über die für das Werkverständnis wesentlichen Zeitströmungen, als da zu nennen 1 Banns Ernst von Globig I Johann Georg Buster, Abhandlung von der Criminal =Gesetzgebung, eine von der ökonomischen GeseUschaft in Bem 1782 gekrönte Preisschrift, Zürich 1783.

2 Im folgenden wird Hanns Ernst von Globig unter Außerachtlassung seines Adelsprädikats nur Globig genannt. 3 Banns Ernst von Globig I Johann Georg Buster, Vier Zugaben zu der im Jahre 1782 von der ökonomischen Gesellschaft zu Bem gekrönten Schrift: von der Criminalgesetzgebung, Altenburg 1785.

14

Einflihrung

sind das Vernunftsrecht und die Aufklärung. Auch ein Eingehen auf die Lage der Strafrechtswissenschaft in dieser Zeit erwies sich für das Verständnis der Arbeit als unumgänglich. Im zweiten Teil werden neben der allgemeinen "Gesellschaftsbewegung" des 18. Jahrhunderts die zwei großen Gesellschaften der Stadt Bem dargestellt und anschließend der zeitliche und organisatorische Ablauf des Berner Preisausschreibens geschildert. Den Abschluß des ersten Abschnitts bilden die Lebensbilder der beiden Autoren. Der zweite Abschnitt als einer der beiden Hauptteile der Arbeit enthält eine inhaltliche Darstellung der Preisschrift und ihrer Vier Zugaben und umfaßt neben den Überlegungen zu den philosophischen Grundlagen derselben die Erörterung des gesamten materiellen und prozessualen Kriminalstrafrechts sowie des Polizei- und Kirchenstrafrechts. Hierbei wird nur in beschränktem Maße eine historische Herleitung der einzelnen Institute und Tatbestände unternommen, da in diesem Bereich auf die ähnlich gelagerte Dissertation von Bemd Rehbach verwiesen werden kann, der die Strafrechtsentwicklungbis zum Jahre 1792 nachzeichnet.4 In diesem Abschnitt wird zudem versucht, die Preisschrift zeitlich einzuordnen und ihre Stellung im Rahmen der allgemeinen Strafrechtsentwicklung zu würdigen. Hierfür werden im wesentlichen die in ihrer Konzeption ähnlichen Arbeiten von Beccaria,s sowie die Beiträge der Mitbewerber beim Bemer Preisausschreiben Gmelin6 und Servin7 als auch die Abhandlungen von Filangieri,8 Soden9 und Wieland 10 herangezogen. Als Gesetzesentwürfe fmden die einschlägigen Arbeiten von von Dalberg, tt von von Quistorpl2 und zum Teil auch die von Pflaum 13 Berücksichtigung. Es wurde hierbei besonderer Wert darauf 4 Bemd Rebbach, Der Entwurf eines Kriminalgesetzbuches von Karl Theodor von Dalberg aus dem Jahre 1792,1986.

O:sare Bcc:caiia, Über Verbrechen und Strafen, 1764, in der Übersetzung von Wilhelm Alff, 1966. 6

1785.

Chiistian Gottlieb Gmelin, Grundsätze der Gesetzgebung über Verbrechen und Strafen,

7 Antoine Nicolas Sezvin, De Ia ~gislation criminelle, 1782, in der Übersetzung von Johann Emst Gruner, Über die peinliche Gesetzgebung, 1786. 8 Gaetano Filangieri, System der Gesetzgebung, aus dem Italienischen des Ritters Caietan Filangieri, Bd. 3 2. Aufl. 1789 und Bd. 4 3. Aufl. 1808.

9 Ju/ius Graf von Soden, Geist der peinlichen Gesetzgebung Teutschlands, Bd. 1 und 2, 2. Aufl. 1792. 10

Emst Carl Wieland, Geist der peinlichen Gesetze, Bd. 11783 und Bd. 21784.

11

Kar/ Tbcodor von Da/berg, Entwurf eines Gesetzbuches in Criminalsachen, 1792.

l2 Johann Christian von Quistorp, Ausführlicher Entwurf zu einem Gesetzbuch in peinli-

chen und Strafsachen, 1782. 13

Matthäus Pflaum, Entwurf einerneuen peinlichen Gesetzgebung, 1793.

Einführung

15

gelegt, daß die miteinander zu vergleichenden Werke zeitlich der gleichen Epoche angehörten. Im letzten Teil des zweiten Abschnitts wird auf die Beurteilung der Preisschrift und der Vier Zugaben durch die Ökonomische Gesellschaft in Bem und auf allgemeine Kritiken eingegangen. Den zweiten Hauptteil bildet der dritte Abschnitt, der einen Vergleich der Schriften Globigs und Husters mit zeitgenössischen Strafgesetzbüchern zum Inhalt hat. Als Vergleichsobjekte werden die Constitutio Criminalis Theresiana als Beispiel für die sich eben dem Ende zuneigende Epoche gewählt sowie der Pflaumsehe Entwurf, der 1796 jm Hochstift Bamberg Gesetz wurde, als Exempel für das beginnende Eindringen des Gedankengutes der Aufklärung in die Strafgesetzgebung. Weiterhin wird der Frage nachgegangen, ob die Preisschrift einen nachweisbaren Einfluß auf die Gesetzgebungsbemühungen ihrer Zeit hat nehmen können. Ein solcher Einfluß wird ihr nämlich bislang in der Literatur bezüglich der beiden großen Strafrechtskodift.kationen der Aufklärung, der Josephina von 178714 und dem 20. Titel des zweiten Teils des Allgemeinen Preußischen Landrechts von 179415 zugeschrieben, woraus sich eine Gegenüberstellung mit diesen beiden Gesetzgebungswerken geradezu zwingend ergab. Sowohl im Rahmen der Darstellung der Preisschrift, als auch auf der Ebene des Vergleichs wird immer wieder bewußt auf die jeweilige Originalquelle selbst zurückgegriffen. Dies kann zwar mitunter eine Erschwernis für den Leser bedeuten. Andererseits würde jedoch bei einer Übertragung der Quellen in das heutige Hochdeutsch oftmals mit einer Terminologie gearbeitet werden müssen, die begrifflich dem Denken und den Verhältnissen des ausgehenden 18. Jahrhunderts nicht ohne weiteres entspricht, also legitim nicht anwendbar ist. Zudem hätte dies häufig einen Verlust der Aussagekraft der Quelle zur Folge, denn "Wer den Geist einer Zeit verstehen will, muß ihn aus ihrer eigenen Sprache zu erfühlen suchen." 16 Im übrigen wurde bewußt darauf verzichtet, dem Erstlingswerk Globigs seine späteren Schriften im einzelnen gegenüberzustellen. Dies hätte, u.a. auch bedingt durch die Vielfalt der dort behandelten Themenkreise, 17 den Rahmen dieser Arbeit gesprengt und muß weiterer Behandlung vorbehalten bleiben.

14 Allgemeines Gesetz über Verbrechen und derselben Bestrafun& 1787. 15

Hans Hattenhauer, Allgemeines Landrecht für die Preußischen Staaten von 1794, 1970.

16 Siehe

Eberhard Schmidt, Einführung in die Geschichte der deutschen Strafrechtspflege, S. 7 (VoJWOrt zur 1. Auflage 1947). 17

Vgl. unten A IV, 1.

A. EINLEITUNG

I. Zeitströmungen Die Berner Preisschrift von Hanns Ernst von Globig und Johann Georg Huster wurde 1778n9 verfaßt und erschien im Jahre 1783 in Zürich im Druck. 1

1. Vernunftrecht und Aufklärung a) Allgemeines Sie fällt damit historisch in den Zeitraum des aufgeklärten Absolutismus in Preußen und Österreich sowie des höfischen Absolutismus in Frankreich, um nur die in diesem Zusammenhang wichtigsten europäischen Herrschaftsgebiete der damaligen Zeit zu nennen.2 Das gesamte Abendland wurde in dieser Zeit bestimmt von den Gedanken der Aufklärung und des Naturrechts. Unter Naturrecht versteht man das in der vernunftbegabten Natur des Menschen begründete, von Zeit und Ort ebenso wie von jeder menschlichen Rechtssetzung unabhängige Recht.3 Dieser Naturrechtsbegriff geht bis ins 15. Jahrhundert vor Christi Geburt zurück und hat seither -jeweils mit unterschiedlichen Schwerpunkteneine beherrschende Rolle gespielt.4

Näheres zur Entstehungsgeschichte der Preisschrift siehe unten A III, 2. und A IV, 1. 2

Zur Unterscheidung des Absolutismus in Epochen vgl. Reinhold Koscr. Die Epochen der absoluten Monarchie in der neueren Geschichte, in: Historische Zeitschrift, Bd. 61 (1889) S. 246 ff. Vgl. Brackhaus Enzyklopädie, Bd. 13 (1971) S. 245. Allgemein zur Aufklärung Horst Möller. Vernunft und Kritik, Deutsche Aufklärung im 17. und 18. Jahrhundert. 4

I. Zeitströmungen

17

b) Strafrechtswissenschaft im Zeitalter des Vernunftrechts Um die Bedeutung der naturrechtliehen Schule im 18. Jahrhundert für die Strafrechtsreformbemühungen der Aufklärung würdigen zu können, ist es unerläßlich, kurz auf die Entwicklung des Vernunftrechts einzugehen. Die zwei Jahrhunderte von 1600 bis 1800 kann man das Zeitalter des Vernunftrechts nennen. In dieser Zeitspanne gewann die alte Rechts- und Gesellschaftsphilosophie des Abendlandes - das Naturrecht - in der Gestalt, die ihr die Frühaufklärung gegeben hatte, unmittelbaren Einfluß auf Rechtswissenschaft, Gesetzgebung und Rechtspflege der meisten europäischen Völker.' Das Vernunftrecht und die Aufklärung des 17. und 18. Jahrhunderts sind aber von Haus aus nicht identisch. Das Vernunftrecht ist vielmehr die Neufassung einer bereits seit der Antike kontinuierlich fortbestehenden antikabendländischen Sozialphilosophie. Die Aufklärung ist trotz ihrer philosophischen Begründung ein moralischer und im letzten Grunde religiöser Durchbruch zu einer neuen Lebensgesinnung, aus der heraus sich eine Umwälzung der öffentlichen Meinung und große Reformen des öffentlichen Lebens entwickelten.6 Zu Beginn des 18. Jahrhunderts stand das Strafrecht in ganz Europa noch unter dem bestimmenden Einfluß der mittelalterlichen Scholastik, die den göttlichen Willen als oberstes Prinzip auch der staatlichen Gesetzgebung betrachtete. Strafbare Handlungen faßte man als Ungehorsam gegen die von Gott eingesetzte staatliche Obrigkeit auf, was sich vor allem in der harten Bestrafung der Religions- und Fleischesdelikte zeigte.7 Die Strafjustiz wurde als die Vollstreckerin des göttlichen Auftrages gesehen, die mit dem weltlichen Schwert der Gerechtigkeit die "Bösen" und die von Gott abfallenden "Sünder" zu bekämpfen und damit die "Frommen" vor diesen Frevlern an Gottes Geboten zu schützen hatte. Gerade dieser religiöse Einschlag im strafrechtlichen Denken, der sich seit der Zeit der Reformation immer stärker durchgesetzt hatte, führte unter anderem auch dazu, daß aus Furcht, bei Vernachlässigung dieser Pflicht der Strafe Gottes ausgesetzt zu sein, an dem furchtbaren System der mittelalterlichen Todes- und Leibesstrafen festgehalten wurde.8 5

Vgl. Pranz Wieacker, Privatrechtsgeschichte der Neuzeit,§ 15 S. 249.

6

Vgl. Wieacker(Anm. 5) § 18 S. 312.

7

V gl. Otto Fisch/, Der Einfluß der Aufklärungsphilosophie, S. 8.

8

Vgl. Eberharrl Schmidt, Die geistesgeschichtliche Bedeutung der Aufklärung für die Entwicklung der Strafjustiz aus der Sicht des 20. Jahrhunderts, in: Schweizerische Zeitschrift für Strafrecht, Bd. 73 (1958) S. 343 f.

18

A. Einleitung

ba) Grotius Die Repräsentanten der naturrechtliehen Bewegung des 17. Jahrhunderts haben der religiös-theokratischen Strafauffassung (mit ihren prozeßrechtlichen Begleiterscheinungen) die Gedanken der Säkularisierung und Rationalisierung entgegengesetzt.9 Als "Vater der eigentlichen Naturrechtsschule" gilt vielfach Hugo Grotius (1583-1645).10 Er begründet die Lehre von der Autonomie des vernünftigen. wenn auch mit seiner Vernunft von Gott gewollten Menschen. 11 Für das Strafrecht vertritt er in seinem grundlegenden Werk "De jure belli ac pacis" (1623) die Auffassung, die Rechtfertigung der Strafe ergebe sich nur aus der menschlichen Natur und der auf sie gegründeten Gemeinschaft. 12 Den Zweck der Strafe sieht er, außer in der in ihr selber liegenden Vergeltung, in der Besserung des Verbrechers sowie der Verhinderung künftiger Verbrechen, und zwar sowohl solcher des Täters selbst als auch anderer möglicher Verbrecher.I' bb) Hobbes Thomas Hobbes (1588-1679) sieht in der Strafe im wesentlichen ein Zwangsmittel zur Verhütung von Verbrechen. Sie ist um des allgemeinen Wohleswillen nötig, weil dieses Frieden, die Erhaltung des Friedens aber Gesetze erfordere, die ohne Strafandrohung leere Worte wären. 14 Bei Hobbes fmdet sich zum ersten Mal in ausgeprägter Form die Idee des Gesellschaftsvertrages. Er ist der Ausgangspunkt für das Naturrecht der Aufklärung, das sich von den historischen Quellen und Autoritäten nach und nach vollständig löst und statt dessen eine Rechtsordnung ausschließlich mit

9

Vgl. ebd. S. 344.

Vgl. Reinhard Frank, Die Wolfrsche Strafrechtsphilosophie und ihr Verhältnis zur criminalpolitischen Aufklärung im XVIII. Jahrhundert, S. 3, anders Wieacker(Anm. 5) S. 299, einschränkend auch Robert Stintzing I Ernst Landsberg, Geschichte der deutschen Rechtswissenschaft, Bd. 111, 1. S. 1. Allgemein zu Grotius vgl. Erik Wolf, Große Rechtsdenker der deutschen Geistesgeschichte, S. 253-310. IO

II

Vgl. Schmidt (Anm. 8) ZStR S. 344.

Vgl. Eberhard Schmidt, Einführung in die Geschichte der deutschen Strafrechtspflege, § 152 S. 164. Eine Definition der Strafe gibt Orotius im 20. Kapitel des II. Buchs in § 1 (S. 357): "Malum passionis (est) quod infligitur ob malum actionis", vgl. hierzu auch Ludwig von Bar, Geschichte des deutschen Strafrechts und der Strafrechtstheorien, § n S. 219 ff. 12

13

Vgl. FISChl(Anm. 7) S. 14.

14

Vgl. Fischl(Anm. 7) 5.16.

I. Zeitströmungen

19

Hilfe der Vernunft zu deduzieren versucht. u Demzufolge haben sich die Menschen einst zu einem staatlich und rechtlich geordneten Gemeinwesen zusammengeschlossen. Dies geschah durch einen Vertrag mit bestimmtem Inhalt. Dieser Inhalt leitet sich ab aus der Natur des Menschen an sich und den Rechten, die die Menschen für sich in Anspruch genommen hatten, als sie noch in natürlicher Freiheit gelebt hatten, also vor dem Zustandekommen des Gesellschaftsvertrages. Dieser (fiktive) Zustand natürlicher Freiheit hatte aber zugleich einen Zustand größter persönlicher Unsicherheit bedeutet, so daß die Menschen um der Sicherheit bietenden Gemeinschaft willen freiwillig ihrer uneingeschränkten Freiheit entsagten. Man muß den Gesellschaftsvertrag gewissermaßen so interpretieren, wie ihn die Menschen betrachtet haben mögen, als sie ihn abschlossen. Dann aber kann sein Sinn nur der gewesen sein, sowohl die ursprüngliche Freiheit als auch die Rechte des Menschen zu wahren.16 Hobbes kommt daher zu dem Ergebnis, das Volk habe die Souveränität unwiderruflich und ohne Vorbehalte dem Herrscher übertragen. 17 Die Strafe ist demnach eine Konsequenz der selbstgewollten Rechtlosigkeit des Individuums gegenüber dem Staat.18 bc) Locke John Locke (1632-1704), der an die Vertragsidee Hobbes anknüpft, führt dagegen aus, daß auch nach dem Abschluß des Gesells~haftsvertrages den Mitgliedern des Staates ein Teil ihrer Rechte und Freiheiten bleibe. Die neugeschaffene Gewalt sei an bestimmte Rechtssätze gebunden. Denn die Grundrechte (Leben, Eigentum) seien mit der Natur des Menschen selbst gegeben und daher jeder staatlichen Gewalt vorgeordnet. 19 Hieraus folgt für Locke, daß die Strafbefugnis des Staates nicht wie bei Hobbes schrankenlos, sondern durch die Zwecke der Prävention und der Abschreckung gebunden ist.20

u Vgl. Helmut Coing, Die ursprüngliche Einheit der europäischen Rechtswissenschaft, S. 160. Die Wurzeln dieser Vertragstheorie reichen jedoch bis weit ins Altertum zurück, vgl. hierzu Ernst Cassirer, Die Philosophie der Aufklärung, S. 339 ff. und Hcnnann Conrad, Deutsche Rechtsgeschichte, Bd. 1 S. 304. 16 Vgl. Coing(Anm. 15) EinheitS. 160, dcrs., Epochen der Rechtsgeschichte in Deutschland, S. 70 und Allred 110n Overbeck, Das Strafrecht der französischen Encyclopädie, S. 19.

17 Vgl. Hans von Voltelini, Die naturrechtliehen Lehren und Reformen des 18. Jahrhunderts, in: Historische Zeitschrift, Bd. 105 (1910) S. 75 f.

ts Vgl. Fischl(Anm. 7) 5.16. 19

Vgl. Coing(Anm. 16) Epochen S. 71.

20 Vgl. Fischl(Anm. 7) S. 16 und Ludwig Laistner, Das Recht in der Strafe, S. 74.

20

A Einleitung

bd) Pufendorf Bei Sa.muel Pofendorf (1632-1694), der Grotius folgt, bildet die Grundlage des Naturrechts ein anthropologischer Ansatz: der Grundsatz der socialitas und imbecillitas des Menschen, aus dem die oberste Pflicht des Menschen, die Pflicht zur Gemeinschaftspflege und -erhaltung, folgt. 21 Auch für Pofendorf ergibt sich die Rechtsmacht der Obrigkeit zu Strafen aus dem Gesellschaftsvertrag. Er sieht die Rechtfertigung der Strafe allein in ihrem Nutzen für den Staat und das Staatswohl. Daher hat die Bestrafung eines Verbrechers dann zu unterbleiben, wenn mit ihr kein Nutzen für den Staat verbunden ist.22 Unter Nutzen versteht Pufendorf in erster Linie die Verhütung künftiger Verbrechen, wobei er hinsichtlich der Strafandrohung im Gesetz eine Auffassung entwickelt, die der Theorie Feuerbachs vom psychologischen Zwang nahekom.mt.23 Bei Pufendorf ist bereits das Schema der rationalen Nützlichkeitszwecke, die allein den Sinn der Strafe zu bestimmen haben, voll entwickelt: generalpräventive Abschreckung, spezialpräventive Besserung, Abschreckung und Unschädlichmachung des Täters.24 Vergeltung als Prinzip staatlichen Strafens lehnt Pufendorf ab, womit er sich im Gegensatz zu Grotius befmdet, mit dem ihn .sonst vieles verbindet.2s be) Thomasius Als hier letzter Vertreter der naturrechtliehen Schule soll Christian Thomasius (1655-1728) genannt sein.26 Sein Anliegen war es, auf der Grundlage der Arbeiten von Grotius, Hobbes, Locke und Pufendorf, in seinen Schriften und Vorlesungen die von Carpzow verkörperte theokratische Strafauffassung in Frage zu stellen. Anknüpfend an Hobbes betrachtet er die Macht des Fürsten, die sich auf den Gesellschaftsvertrag gründet, als grundsätzlich unbeschränkt. Jedoch erklärt er- hierin Pufendorf fol2t

Vgl. Wieacker(Anm. 5) S. 307. Zu Pufendorf allgemein vgl. Wolf(Anm. 10) S. 311-370.

22

Vgl. Schmidt(Anm.12) Einführung§ 153 S. 164 ff.

23

Vgl. ebd.

24

Vgl. Schmidt(Anm. 8) ZStR S. 344 f.

Vgl. Schmidt (Anm. 12) Einführung§ 153 S. 164 ff., Fisch/ (Anm. 7) S. 18; einschränkender von Bar (Anm. 12) § 80 S. 226 ff. und Franz von HO/tzendozf, Handbuch des deutschen Strafrechts, Bd. 1 S. 554. 25

26 Fischi(Anm. 7) S. 23 nennt ihn bereits einen Aufklärungsphilosophen, ebenso Stintzing/ Landsberg(Anm. 10) Bd. 111, 1 S. 107. Franz von Liszt, Lehrbuch des deutschen Strafrechts, S. 59 bezeichnet ihn sogar als "Wortführer der deutschen Aufklärung•. Allgemein zu Thomasius vgl. Wolf(Anm. 10) S. 371-423.

I. Zeitströmungen

21

gend- den Herrscher durch die Idee des Gemeinwohls gebunden: "salus populi suprema Iex esto".27 Nach seinem Willen soll nicht nur die Straftat selbst maßgeblich sein für die Strafzumessung, sondern daneben soll auch die Wiedergutmachung des Schadens, die Sicherung aller Bürger vor weiteren Straftaten sowie die Besserung des Täters berücksichtigt werden.28 Aus Gründen der Vernunft das geltende Recht kritisieren und eine neue Rechtsordnung aufrichten zu können, ist eine gemeinsame Überzeugung der Rechtswissenschaft des 18. Jahrhunderts. Sie bleibt in Europa in ihren Grundlagen erhalten als eine einheitliche geistige Weitsicht, die von den gleichen Ideen berührt und bewegt wird.29

2. Strafrechtsgeschichte der Aufklärung Für die Strafrechtsgeschichte des 18. Jahrhunderts sind insbesondere drei Persönlichkeiten von entscheidender Bedeutung:30 Die beiden Franzosen Montesquieu und Voltaire sowie der Italiener Beccaria. a) Montesquieu

Auf dem naturrechtliehen Gedankengut der Rationalisierung und Säkularisierung des Strafrechts aufbauend hatte Montesquieu (1689-1755) in seinen "Lettres persanes" (1721) und im "Esprit des lois" (1748) die Gedanken der Humanisierung und der Liberalisierung entwickelt und somit im Grunde das gesamte Programm der strafrechtlichen Aufklärung bereits dargelegt. In seinen Werken ist das Unbehagen über die geltende französische Strafrechtsordnung, gegen die während der Regierungszeit Ludwigs XIV. nicht opponiert werden durfte, bereits deutlich erkennbar. Mit seiner Forderung nach einer Gewaltenteilung soll das Verhältnis von Recht und Macht grundsätzlich neu überdacht, die Justiz allein dem Gesetz unterstellt und dadurch dem Einfluß der Exekutive entzogen werden. Unmittelbare

27

Vgl. Coing(Anm. 16) Epochen S. 71.

28

Vgl. Laistner(Anm. 20) S. 51 und von Holtzendorf(Anm. 25) S. 254.

29

Vgl. Coing(Anm.lS) EinheitS. 161 f. Hienu mag in nicht unerheblichem Maße die Möglichkeit einer allen geläufigen sprachlichen Verständigung (französisch oder lateinisch) beigetragen haben. 30 Vgl. Schmidt (Anm. 8) ZStR S. 348, der noch Friedrich den Großen mit berücksichtigt. Insgesamt zu diesem Komplex vgl. auch Thomss Würtenberger, Cesare Bcccaria und die Strafrechtsreform, in: Erinnerungsgabe für Max Grünhut, S. 199 ff.

22

A Einleitung

Wirkungen auf das Strafrecht gewinnt seine Forderung nach der Proportionalität von Verbrechen und Strafen, sowie der Grundsatz, daß sich die Strafe nach der Natur des Verbrechens richten müsse.31 Seine Gedanken und Ideen wurden insbesondere von den Enzyclopädisten aufgegriffen und weiterverarbeitet 32 b) Voltaire

Während Montesquieu eher für die Gebildeten seiner Zeit schrieb, ist es Voltaires (1694-1778) Verdienst, neben seinen Forderungen auch die Montesquieus vehement und lautstark vertreten zu haben.33 Insbesondere der Justizmord an dem Toulouser Kaufmann Jean Calas hatte ihn veranlaßt, gegen die (französische) Strafjustiz zu Felde zu ziehen.l4 Auch setzte er sich sehr für die Stratlosigkeit von Religionsvergehen ein, wenn sie auf dem Irrtum beruhten, Gott könne durch den Menschen beleidigt werden. c) Beccaria

In dieser an Justizirrtümern und -skandalen reichen Zeit erschien im Jahre 1764 in Livorno ein Büchlein ohne Verfasserangabe von nur 100 Seiten mit dem Titel "Dei delitti e delle pene". Hierbei handelte es sich um das epochemachende Werk Cesare Beccarias (1735--1794), das in der Folge in alle Kultursprachen übersetzt und immer wieder neu aufgelegt und kommentiert wurde.'s Ein nicht zu unterschätzender Grund seines Erfolges war die exemplarische Kürze des Werkes, das sich auf das Wesentliche beschränkte und auf philosophisch weitschweifige Gedankengänge und Begründungen verzichtete. Beccaria forderte eine Gesamtreform des Strafrechts. Wie Montesquieu leitete er das Recht zu strafen aus dem Gesellschaftsvertrag her, wonach der einzelne nur soviel seiner Freiheit auf den Staat übertrage, als zur Aufrechterhaltung der Gemeinschaft erforderlich

31 Vgl. Conrad (Anm. 15) Bd. 2 S. 436 und besonders Fischi (Anm. 7) S. 30 ff. Zum Strafrecht bei Montesquieu vgl. die gleichnamige Dissertation von Friedrich Georg Dahlem.

32 Vgl. von Overbeck(Anm.16) S. 9 f. 33

Vgl. Schmidt(Anm. 8) ZStRS. 347 f.

Vgl. hierzu insbesondere die Schilderung bei Eduaro Hertz, Voltaire und die französische Strafrechtslehre im 18. Jahrhundert, S. 157 ff.; zu Voltaire im übrigen auch Hertz, ebd. S. 1 ff. 34

35 Vgl. zum Leben Beccarias und zum Entstehen des Buches insbesondere O:sare Beccaria, Über Verbrechen und Strafe, in der Übersetzung von Wilhelm Al[[, S. 1 ff.

II. Die SozietAtsbewegung im 18. Jahrhundert

23

sei. Nur dieser Teil unterliege dem Zugriff staatlicher Strafen.36 Im wesentlichen blieb Beccaria in den von dem Franzosen vorgezeichneten Bahnen: Verwerfung grausamer Strafen und der Folter, Verhältnismäßigkeit von Verbrechen und Strafe, Teilung der Gewalten, Humanisierung und Liberalisierung der Strafrechtspflege. Strafzweck war die Abschreckung in generat- und spezialpräventiver Hinsicht. Er lehnte jedoch die Todesstrafe grundsätzlich bis auf wenige Ausnahmen ab,37 forderte zudem die Öffentlichkeit des Strafverfahrens und prangerte die Beweistheorien und Verteidigungsmöglichkeiten des Angeklagten im geltenden Strafprozeßrecht an. 38 Beccaria war der eigentlich bahnbrechende Reformer der Kriminaljustiz und hat vermutlich am nachhaltigsten auf die Umgestaltung der strafrechtlichen Anschauungen in der Gesetzgebung der europäischen Fürsten, Gelehrten und Völker eingewirkt.39

ll. Die Sozietätsbewegung im 18. Jahrhundert 1. Entwicklung Das 18. Jahrhundert kann man als das Jahrhundert der "Gesellschaften" bezeichnen. Die Gesellschaft organisierte sich in "Gesellschaften", um so zu versuchen, ihre Vorstellungen, Träume und Utopien von einer besseren Welt in konkretere Formen umzusetzen. Sie sollten als Beförderer von Reform und Aufklärung wirken. Dies geschah mit so großem Erfolg, daß gegen Ende dieses Zeitalters ganz Buropa - insbesondere aber Frankreich, die Schweiz, Deutschland und Oberitalien - und das europäisierte Amerika von einem dichten Netz von "Gesellschaften" überzogen waren. Adlige und Geistliche aller Rangstufen, Bürger verschiedener Berufe, Professoren, Kaufleute, Fabrikanten oder Magistrate, fanden sich zu gemeinsamem neu36 Vgl. Conrad (Anm. 15) Bd. 2 S. 436 f. Insoweit entschied sich Beccaria für die liberale Gesinnung Montesquieus und gegen Rousseaus Auffassung vom Wesen des "contrat social". Nach diesem gibt der einzelne bei Abschluß des Gesellschaftsvertrages seine gesamten Rechte hin. Er besitzt für die Zukunft dann nur diejenigen Rechte, die ihm die Gesellschaft zugesteht. Vgl. Jean-Jacques Rousseau, Du contrat social, zitiert nach Hans Brockard I Eva Pietzcker, Vom Gesellschaftsvertrag, I Kap. 6 S. 17 f. sowie Gustav Radbruch, Isaak lselin über Cesare Beccaria, in: Elegantiae juris criminalis, S. 181 ff. 37 Hier zeigt sich deutlich der Gegensatz zu Rousseaus Lehre vom Gesellschaftsvertrag, die die Todesstrafe zuläßt, vgl. Rousseau (Anm. 36) II Kap. 5 S. 36 ff und unten B 111, 1. b) ba). 38

Vgl. hienu Scbmidt(Anm. 12) Einführung§ 209 a.E. S. 218 ff.

39

Vgl. ron Ovetbeck(Anm. 16) S. 114.

24

A Einleitung

artigem Tun zusammen. 1 Zu Beginn des 18. Jahrhunderts hatte es erst einige wenige Gesellschaften gegeben, meist in Form von Akademien. Neben dem Glauben an die Möglichkeit der Verbesserung unbefriedigender Zustände trat nun die Betonung der Tat; die Vorstellung von der Entwicklungsmöglichkeit des Menschen sollte ebenso realisiert werden wie die neuen wissenschaftlichen Entdeckungen.2 Jedoch fanden sich zur Verwirklichung dieser Vorstellungen nicht viele Regierungen von sich aus bereit, so daß stattdessen private Initiativen einsetzten, die zum Zusammenschluß interessierter Einzelpersonen zu "Gesellschaften" führten. Von 1720 an begannen die Freimaurerlogen' ihr Netz über Europa auszulegen und ab 1730 lassen sich erste ökonomische und gemeinnützige sowie neuartige literarische Gesellschaften feststellen.4 Gemeinsam war allen diesen Zusammenschlüssen der Gedanke der Aufklärung, "des Anzündens eines neuen klareren Lichtes, das Schäden näher beleuchten und die nötige Helligkeit für die gewünschten Reformen geben sollte".' Im 18. Jahrhundert entstand neben den bereits bekannten, mehr theoretisch arbeitenden Gesellschaften und Akademien ein neuer Gesellschaftstypus, der sich primär mit der Praxis befaßte, mit der praktischen Anwendung der Wissenschaft für die Allgemeinheit. Seine Mitglieder wollten nicht beim theoretischen Studium, bei Diskussion und Publizistik stehenbleiben, sondern durch praktische Tätigkeit Direktwirkung erzielen, so z.B. auf dem Gebiete der Volkswirtschaft, des Fürsorgewesens und der Erziehung.6 Ihre Mittel erhielten sie aus der Mitgliederkollekte, privaten Beiträgen, hohen Eintrittsgeldern und -spenden. Zudem versuchten sie den Staat an ihren Unternehmungen zu interessieren. Ein besonderer Typus der gemeinnützigen Sozietäten, die aber auch oft mit anderen zusammengehen konnten, war derjenige der ökonomischen Sozietät, der sich vornehmlich, wenn nicht ausschließlich mit dem Problem der Vgl. für alle zum Thema Gesellschaften im 18. Jahrhundert V/rieb Im Hof, Das Gesellige Jahrhundert, S. 105 ff. mit weiteren Literaturangaben zu diesem Problemkreis aufS. 250 ff. 2

Vgl. V/rieb Im Hof, Aufklärung in der Schweiz, S. 64.

Obwohl es sich hierbei um Geheimgesellschaften handelt, weisen sie doch alle typischen Merkmale einer Sozietätsbewegung auf, so daß sie mit zu diesem Kreis zu zählen sind, vgl. ausführlicher Im Hof (Anm. 1) Geselliges JahrhundertS. 163 ff. 3

4 Ende des 18. Jahrhunderts hatte jede größere Stadt (mehr als 10 000 Einwohner) in Mitteleuropa, eine Akademie oder Gelehrte Gesellschaft, ein Lesekabinett, eine Gemeinnützige oder Ökonomische Gesellschaft bzw. ein bis zwei Freimaurerlogen aufzuweisen, vgl. Im Hof (Anm. 1) Geselliges JahrhundertS. 105.

Siehe Im Hof (Anm. 1) Geselliges Jahrhundert S. 77, ders., Die Helvetische Gesellschaft, Bd. l S. 9ff. 6

Vgl. hierzu Im Hof (Anm. 1) Geselliges JahrhundertS. 134 ff.

II. Die Sozietätsbewegung im 18. Jahrhundert

25

agrarischen Ökonomie beschäftigte. Die überwiegende Mehrheit der Bevölkerung war in der Landwirtschaft tätig. Diese war jedoch im Laufe des 18. Jahrhunderts in eine Krise geraten, bedingt durch Bevölkerungswachstum, unzeitgemäße Agrarstruktur sowie die üblichen Mißernten aus klimatischen und politisch-militärischen Gründen.7

2. Die Berner Ökonomische Gesellschaft Die Schweiz wurde erst nach der Jahrhundertmitte von dieser Bewegung erfaßt.B Wie Modelle beider oben genannter Gesellschaftsformen wirken die zwei Gründungen Berner Bürger: die "Ökonomische Gesellschaft" und die "Patriotische Gesellschaft".

1759 gründeten einige Berner Patrizier unter Führung des damaligen Landvogts Samuel Engel und des Gutsbesitzers und Chorgerichtsschreibers Johann Rudolf Tschiffeli eine Ökonomische Gesellschaft,9 die anfangs nicht nur für den Staat Bern, sondern für die gesamte Schweiz konzipiert war. 10 Das Gründungsprogramm erschien mehrsprachig, sowohl in deutscher (verfaßt am 13.1.1759) als auch in französischer und lateinischer Sprache (verfaßt am 20.1.1759). 11 Die Aktivitäten der Gesellschaft umfaßten im wesentlichen den Ausbau der landwirtschaftlichen Betriebe der Gesellschafter zu Mustergütern, praktische Versuche im Lande, metereologische Beobachtungen und die Propagierung neuer agronomischer Techniken. Zudem besaß die Ökonomische Gesellschaft ein eigenes Publikationsorgan, 12 das jeVgl. Im Hof (Anm. 1) Geselliges JahrhundertS. 146 ff. Vgl. allgemein zur Gesellschaftsbewegung in der Schweiz Emil Ernc, Die schweizerische Gesellschaftsbewegung im 18. Jahrhundert, S. 8 ff. 8

9 Vgl. zur Gründungsgeschichte der Ökonomischen Gesellschaft Conrad Bäschlin, Die Blütezeit der Ökonomischen Gesellschaft in Bem, 1759-1766, S. 38 ff. Engel und Tschiffeli wurden auch Mitglieder der Helvetischen Gesellschaft, vgl. Im Hof (Anm. 5) Helvetische Gesellschaft S. 263. Diese war die einzige gesamtschweizerische Sozietät des 18. Jahrhunderts, die allgemeinen Charakter hatte. Ziel sollte die Zusammenfassung aller gesamtschweizerischen Aktivitäten sein, vgl. Im Hof(Anm. 2) Aufklärung S. 49 ff. und Bäscblin, ebd. S. 275 ff. 10 1761 waren zwei Gesellschaften gegründet worden, die sich aber 1766, bedingt durch die Repressionsmaßnahmen der Bemer Regierung, wieder auflösten, vgl. unten Anm. 17 und Anm.26. 11 Der deutsche Text erschien in den "Monatlichen Nachrichten einicher Merkwürdigkeiten, in Zürich gesammelt, und herausgegeben vom Jahre 1759" (Februar 1759), der französische in dem "Journal Helv6tique" (Februar 1759), der lateinische im "Excerptum totius Italicae nec non Helveticae literaturae" (März 1759); vgl. näher zum Gründungsprogramm Hans Strahm, Die Ökonomische Gesellschaft in Bem, S. 1 ff.

12 Vgl. zur Geschichte der Publikationsorgane der Ökonomischen Gesellschaft Strahm (Anm. 11) S. 10 ff.

26

A Binleitung

weils zweisprachig verlegt wurde: Deutsch und Französisch.tl Zur Verwirklichung ihrer Vorstellungen veranstaltete sie zahJreiche Preisausschreiben, um so das interessierte Publikum zur tätigen Mithilfe bei der Lösung der anstehenden Probleme zu gewinnen.14 Berühmte Staatsmänner und große Gelehrte rechneten es sich zur Ehre an, der Gesellschaft anzugehören, wie z.B. der Marquis de Mirabeau, Voltaire, der Markgraf Karl Friedrich von Baden, die Herzöge Ludwig Bugen und Karl Eugen von Württemberg, Freiherr von Münchhausen und die Grafen von Zinzendorf.u Schon fünf Jahre nach ihrer Gründung rühmte der Österreichische Staatsmann Karl von Zinzendorf: "Die Ökonomische Gesellschaft zu Bem ist eine Mutter aller nach der Zeit in Frankreich, Engelland, Deutschland und selbst in der Schweiz entstandenen ähnlichen Veranstaltungen" .16 Zwar entspricht dies nicht den Tatsachen, läßt jedoch die außergewöhnliche Bedeutung der Ökonomischen Gesellschaft deutlich werden. In der Folgezeit geriet die Ökonomische Gesellschaft mehrfach mit der sehr konservativen Bemer Staatsregierung aneinander und beschränkte sich zeitweilig auf rein naturwissenschaftliche Aufgaben.17 Vor der Revolution glich sie jedoch eher einer "gelehrten patriotischen Gesellschaft im allgemeinen".1s

13 Der Kanton war zweisprachig, und die Absicht internationaler Wirkung gebot auch eine französische Ausgabe zu veranstalten, vgl. Im Hof(Anm. 1) Geselliges JahrhundertS. 152.

14

Vgl. näher hierzu Biseh/in (Anm. 9) S. 126 ff.

Vgl. Hans Strahm, Die Oekonomische Gesellschaft von Bern 1759-1860, in: Tätigkeitsbericht der OGG 1944, S. 12 m.w.A. Sie waren alle Ehrenmitglieder der Ökonomischen Gesellschaft, vgl. Mss. oek. Ges. Pol. 2.2 S. 21 ff. und Pol. 2.3 S. 12 (BBB). 15

16 Siehe Kar/ von Zinzendozf, Bericht des Grafen Kar! von Zinzendorf über seine handelspolitische Studienreise durch die Schweiz 1764, in: Basler Zeitschrift für Geschichte und Altertumskunde, Bd. 35 (1936) S. 303.

17 .~n Bern sah man die teils sehr fortschrittlichen Ideen und Vorstellungen der Mitglieder der Okonomischen Gesellschaft nicht gern. Nachdem von verschiedenen Seiten Klagen über die Schinznacher Tagung der Helvetischen Gesellschaft an den Rat herangetragen worden war- da Schinznach auf Berner Gebiet lag, war dieser zuständig- nutzte dieser die Gunst der Stunde, um gegen die Gesellschaften allgemein vorzugehen. Der kleine Rat beschloß daher am 20.9.1766, daß die Ökonomische Gesellschaft keine Preisfragen mehr stellen dürfe, die die Landesverwaltung beträfen, sowie die Sitzungen der regionalen Ökonomischen Gesellschaft nur noch unter dem Vorsitz der Landvögte erfolgen dürften, was zum Verlust ihrer Selbständigkeit führte. Zudem wurden die Mitglieder der Ökonomischen und Helvetischen Gesellschaft ersucht, sich von ihren Gesellschaften zu distanzieren. Die Schinznacher Gesellschaft hat diesen staatlichen Repressionsversuch jedoch ohne offensichtliche Blessuren überstanden, da der kleine Rat einlenkte. Im Gegensatz zu dieser bewirkte die Regierungsmaßnahme aber bei der Ökonomischen Gesellschaft, daß der Elan vorerst gebrochen war; vgl. ausführlicher hierzu Im Hof (Anm. 5) Helvetische Gesellschaft S. 48 ff. und August Oncken, Der ältere Mirabeau und die Oekonomische Gesellschaft in Bern, S. 44 ff. sowie Anmerkung 35 (S. 60 f.). 18

Siehe Im Hof (Anm.1) GeselligesJahrhundert S.154.

II. Die Sozietätsbewegung im 18. Jahrhundert

27

3. Die Patriotische Gesellschaft Ein Teil der Mitglieder der Helvetischen Gesellschaft und der Ökonomischen Gesellschaft, allen voran der Berner Rechtsprofessor Daniel von Fellenberg, wollten jedoch nicht bei einer nationalen bzw. ökonomischen Gesellschaft stehen bleiben. Sie gründeten 1761/62 eine universale "Aufmunterungsgesellschaft" mit Namen "Societ6 des Citoyens" bzw. "Patriotische Gesellschaft". Sie sollte eine Internationale Akademie für Sittenlehre, Politik und Gesetzgebung mit gemeinnützigen Zielsetzungen sein, wodurch der Gesellschaft Möglichkeiten der Einwirkung auf die soziale und politische Wirklichkeit aufgezeigt werden sollten.l9 Durch Ausschreibung von Preisfragen und publizierte Beurteilungen der eingegangenen Arbeiten sollte die Menschheit der Vollendung entgegengeführt werden.20 Allerdings gab sich die Gesellschaft, ohne freimaurerisch zu sein, als Geheimgesellschaft und versteckte sich hinter der "Typographischen Gesellschaft'', hinter der der Berner Vinzenz Bernhard Tscharner, gleichfalls Mitglied der Patriotischen Gesellschaft sowie der Helvetischen und der Ökonomischen Gesellschaft, stand.21 Zum einen wollten die Initiatoren und Mitglieder hinter der Sache völlig zurückstehen, vor allem aber wollte man nicht die Aufmerksamkeit der Regierung auf sich lenken.22 Nachdem die erbetenen Preisarbeiten nicht den Vorstellungen der Juroren genügten und somit nicht den erhofften Erfolg brachten, gab man diesen Weg auf und wollte sich darauf beschränken, den philosophischen und philanthropischen Geist durch Unterstützung hervorragender Werke zu fördern.z' So zeichnete die Patriotische Gesellschaft die Abhandlung des 26jährigen Marchese l9 Vgl. hierzu näher Im Hof(Anm. 2) AufklärungS. 66, dr:rs., Vom Bern des "Ancien Regime" und vom Bern der Aufklärung, in: Archiv des Historischen Vereins des Kantons Bern, Bd. 42 (1953) S. 308 ff., ders. (Anm. 5) Helvetische Gesellschaften S. 34 ff. mit Textauszügen aus dem Programm sowie Margrct Genna.Stalder, Die Patriotische Gesellschaft in Bern 1762-1766. 20 Vgl. zu diesem typischen Aufklärungsprogramm auch Kurt Guggisberg, Daniel von Fellenberg, in: Berner Zeitschrift für Geschichte und Heimatkunde, 1951 S. 150. 21 Die Typographische Gesellschaft war Herausgeberio der Zeitschriften "Estratto della letteratura Europea" und "Excerptum totius Italicae nec non Helveticae literaturae" näher dazu Guggisberg(Anm. 20) Daniel von Fellenberg S. 147 f.

22 Vgl. Guggisberg (Anm. 20) Daniel von Fellenberg S. 151, Im Hof (Anm. 5) Helvetische Gesellschaft S. 34 ff. So erfolgten auch die Preisausschreiben anonym durch "eine patriotische Gesellschaft", als Adresse war die Typographische Gesellschaft in Bern angegeben, vgl. z.B. Gazette litteraire de J'Europe vom 1. Oktober 1765, S. 128. Zudem wurde die Patriotische Gesellschaft auch oft mit der Helvetischen Gesellschaft verwechselt, da beide fast zur gleichen Zeit gegründet worden waren. Von 17 Mitgliedern der Typographischen Gesellschaft gehörten 16 gleichfalls der Helvetischen Gesellschaft an. 23

Vgl. hierzu Richard Fellr:r, Geschichte Berns, Bd. 3 S. 6f1J.

28

A. Einleitung

Cesare Beccaria "Dei delitti e delle pene" im Oktober 1765 mit einem Preis aus.24 Diese Auszeichnung machte aber in obrigkeitlichen Kreisen einen schlechten Eindruck.~ Da die Mitglieder der Patriotischen Gesellschaft jedoch nicht öffentlich bekannt waren, entgingen sie dem bemerischen Repressionsversuch vom 20.9.1766.26 Die Mitglieder und Gründer der Patriotischen Gesellschaft hatten jedoch (auch) zu hoch visiert. Die Zeit für eine weltumspannende gemeinnützige Gesellschaft war noch nicht gekommenP Im Winter 1766/67 stellte die Patriotische Gesellschaft ihre Tätigkeit ein.28 Ihre Mitglieder betätigten sich aber weiterhin in der Ökonomischen Gesellschaft und der Helvetischen Gesellschaft oder bemühten sich auf anderen Wegen ihrer philantrophischen Überzeugung Ausdruck zu verleihen.

m. Das Bemer Preisausschreiben 1. Veranstaltung von Preisausschreiben als gesamteuropäisches Phänomen Die Veranstaltung von Preisausschreiben war eine beliebte Methode, das interessierte Publikum auf spezielle Probleme aufmerksam zu machen und zur detaillierten Stellungnahme anzuregen. Sie wurden von Akademien, Behörden, gelehrten und gemeinnützigen Gesellschaften, Privatleuten oder 24 Vgl. Gazette üttcrairc dc f Europc vom 1. Oktober 1765, S. 127 f., worin der anonyme Verfasser der Schrift aufgefordert wird, sich zu melden. Vgl. auch Guggisberg ( Anm. 20) Danie! von Fellenberg S. 165, Im Hof (Anm. 5) Helvetische Gesellschaft S. 36 m.w.N. Der Preis wurde nicht von der Ökonomischen Gesellschaft verliehen, wie vielfach behauptet wird, vgl. für alle Thomas WürtenbelJCr, Cesare Beccaria und die Strafrechtsreform, in: Erinnerungsgabe für Max Grünbut, S. 202.

~ Wie sich aus einem Brief Daniel von Fellenbergs an lsaak lselin vom 23.2.1766 [Burgerbibliothek Bem I Fellenberg-Archiv I Daniel Fellenberg I Mss. bist. helv. XL 3) ergibt, waren selbst nicht alle Mitglieder der Patriotischen Gesellschaft mit der Auszeichnung einverstanden. 26 Siehe oben Anm. 17. Vorsichtshalber hatte die Patriotische Gesellschaft, da man mit Maßnahmen der Regierung allgemein rechnete, ihre Korrespondenz seit dem Frühjahr 1766 nicht mehr an die Typographische Gesellschaft, sondern an Firmen in Basel, Genf und Zürich senden lassen, vgl. hierzu näher Genna-Sta/der(Anm. 19) S. 147 f. 27 Auch erlahmte die Spendenfreudigkeit der Mitglieder und Förderer. 1766 brachte man das Preisgeld für Antoine Uonard Themas ("Eloge de Descartes") nicht mehr zusammen, vgl. Genna-Stalder(Anm. 19) S. 143 ff. 28

Laut Genna-Stalder(Anm. 19) S. 150 geschah dies auf Betreiben der Bemer Regierung.

III. Das Bemer Preisausschreiben

29

auch von besorgten Landesvätern ausgelobt. Bedingt durch das Interesse, welches die Menschen in immer stärkerem Maße ihrer Umwelt entgegenbrachten, nahm ihre Beschäftigung mit den sozialpolitischen, Gesetzgebungs- sowie Verfassungsfragen kontinuierlich zu. Eine kaum mehr übersehaubare Flut von Reformschriften- mehr oder weniger originellen Inhalts- "beglückten mit ihren Verbesserungsvorschlägen die Welt".t Die weit verbreitete Unzufriedenheit führte zu zahlreichen Preisausschreiben, die sich mit kriminalpolitischen Fragen befaßten.l Der Zeit entsprechend handelt es sich hierbei um ein gesamteuropäisches Phänomen, die Preisfragen kamen etwa von der Preußischen, der Bayerischen und der Herzoglich Schleswig-Holsteinischen Regierung, den Akademien zu Mantua, Chälons-sur-Mame und Paris, dem Nationalinstitut in Paris, der königlichen Gesellschaft der Künste und Wissenschaften zu Metz sowie der Ökonomischen Gesellschaft zu Bem.3

2. Das Bemer Preisausschreiben Durch die Vielzahl der strafrechtlichen Mißstände seiner Zeit angeregt, beschloß ein unbekannter Philantrop, einen Preis für denjenigen auszusetzen, der den besten Weg zu einer Reform der europäischen Strafgesetze aufzeigen könne. Zum Richter über die eingehenden Lösungen wurde die Ökonomische Gesellschaft emannt.4 Im Jahr 1776 wurde der Ökonomischen Gesellschaft von einem französischen Anonymus folgender Vorschlag zur Auslobung eines Preisausschreibens gemacht, für welches ein Preisgeld von 1.200 Livres zur Verfügung gestellt wurde:

1 Siehe Michael Alkalay, Das materielle Strafrecht der französischen Revolution und sein Einfluß auf Rechtsetzung und RechtSprechung der Helvetischen Republik, S. 21, vgl. Otto Fisch/, Der Einfluß der Aufklärungsphilosophie auf die Entwicklung des Strafrechts, S. 54. So wurden z.B. die Preise oftmals nicht an die eingereichten Arbeiten vergeben, da diese den Ansprüchen der Aufgabensteiler nicht genügten, vgl. auch Margret Genna..Stalder, Die Patriotische Gesellschaft in Bem 1762-1766, S. 126 f. zu Preisfragen der Patriotischen Gesellschaft. 2 Vgl. Georg Wilhelm Böhmer, Handbuch der Utteratur des Criminalrechts, S. 862 ff., der alleine zehn verschiedene Preisausschreiben aufführt. An ihnen beteiligten sich auch so bekannte Persönlichkeiten wie Voltaire, Lacretelle, Robespierre, Marat und Brissot de Warville. Die beiden Letztgenannten nahmen auch an dem Bemer Preisausschreiben teil.

3 V gl. Böhmer (Anm. 2) S. 862 ff., Alkalay (Anm. 1) S. 21, Bduard Hertz, Voltaire und die französische Strafrechtslehre im 18. Jahrhundert, S.448 ff. Allerdings war die Erörterung solcher Gesetzgebungsfragen nicht jeder Regierung recht. Die französische Regierung verbot daher der Akademie Ch4lons-sur-Mame ohne vorherige Zensur ihrerseits Preisausschreiben zu krönen oder drucken zu lassen, vgl. hierzu Hertz, ebd. S. 450 und Jacques-Pierre Brissot de Wazville, Memoires (1754-1793), Bd. 1 S. 218. 4

Vgl. Brissotde Wazville(Anm. 3) S. 218.

30

A. Einleitung

"Composer et rediger un plan complet et detaill~ de l~gislation sur les mati~res criminelles, sous le triple point de we: (1) des crimes et des peines proportionn~es qu 'il convient de leur appliquer; (2) de Ia nature et de Ia force des preuves et des p~mptions; (3) de Ia mani~re de les acqu~rir par Ia voie de Ia procedure criminelle, en sorte que Ia douceur de l'instruction et des peines fut concili~ avec Ia certitude d'un ch4timent prompt et exemplaire, et que Ia Soci~t~ civile trouve Ia f.lus grande sßret~ possible, combin~ avec le plus grand respect possible pour Ia libert~ et I humanit~.•5

a) Ausschreibung Nachdem am 4.2.1777 die Summe von 50 Louis d'Or bei der Ökonomischen Gesellschaft eingegangen war,6 erfolgte die Ausschreibung des Preises am 15.2.1777 in der "Gazette de Berne" in französischer Sprache und in den "Monatlichen Nachrichten einicher Merkwürdigkeiten", Ausgabe Februar 1777, auch in deutscher Sprache.7 Hinter der Person des Anonymus verbarg sich wahrscheinlich der Pariser Parlamentsadvokat Elle de Beaumont.8 Er war seit 1770 Ehrenmitglied der Ökonomischen Gesellschaft,9 5 Siehe Mss. oek. Ges. Pol. 2.2 S. 137 Nr. 5 (BBB). Hierbei handelt es sich um die früheste Nennung dieses Wettbewerbs. Am 14.12.1776 beschloß die Gesellschaft, das Preisgeld anzunehmen und das Preisausschreiben durchzuführen, vgl. Mss. oek. Ges. Pol. 2.2 S. 139 Nr. 2 (BBB). Zu Ende des 18. Jahrhunderts entsprachen etwa 24 Livreseinem Louis d'Or, vgl. Helmut Kahnt I Bcrnd Knorr, Alte Maße, Münzen und Gewichte, S. 171.

6 Siehe Mss. oek. Ges. Pol. 2.2 S. 141 Nr. 1 (BBB): "Abgelesen Versicherungsschein von den Herren Marcuard und Beuther über den von dem franze>$ischen Ungenannten der Ges. angebotenen Preis v. 50 L. d'Or". Diese Notiz steht unter dem Datum 8. Horn. (d.h. Februar, der Verf.). Das Datum 4.2.1m wird von Kurt Guggi.sberg, Daniel von Pellenberg in: Bemer Zeitschrift für Geschichte und Heimatkunde, 1951 S. 75 genannt, der sich auf den früheren Oberbibliothekar der Stadtbibliothek Bem, Dr. Hans Strahm, beruft. 7

Der deutsche Text hat folgenden Wortlaut:

"Es soll über die Criminal-Materien ein vollständiger und ausführlicher Gesetzesplan

verfaßt werden, unter diesem dreifachen Gesichtspunct: 1. Von denen Verbrechen und denenselben aufzuerlegenden angemessenen Straffen. 2. Von der Natur und der Stärke der Beweisthümer, und der Vermuthungen. 3. Von der Art, mitteist der Criminal-Procedur dergestalten dazu zu gelangen, daß die Gelindigkeit des Verhörs und der Strafen mit Gewißheit einer schleunigen exemplarischen Strafe vereinigt werden und die bürgerliche Gesellschaft die größte mögliche Sicherheit finde, mit der größten möglichen Ehrfurcht für die Preyheit und die Menschheit vereinbaret.... Der Preis wird zu Ende des Jahres 1779 zugesprochen werden, und die einzusendenden Stüke müssen an den Herrn Doctor Tribolet, beständiger Secretair von der Societät franeo addressiert seyn. Man wird solche bis auf den 1. Heumonat 1779 annehmen. Sie können in lateinischer, französischer, deutscher, ittalienischer oder englischer Sprache geschrieben seyn. Der Name des Verfassers muß in einem versiegelten Zedul stehen, der die gleiche Devise haben soll, wie die Schrift, die denselben begleiten wird ...•, siehe Monatliche Nachrichten einicher Merkwürdigkeiten, in Zürich gesammelt, und herausgegeben vom Jahre 1m, S. 25 f. Die Gazette de Bcme ist identisch mit der Nouvelles de divers endroits, bzgl. des Preisausschreibens vgl. ebd. Nr. 14 vom 15.2.1m. 8 Vgl. Guggisberg(Anm. 6) Daniel von Fellenberg S. 75, Kurt Guggisbergl Hezmann Wahlen, Kundige Aussaat - ke>$tliche Frucht, S. 27 ff. und Johann Samuel Ersch I Johann Gottfried Gruber, Allgemeine Encyklopädie der Wissenschaften und Künste, Bd. 8 (1822) S. 265.

III. Das Bemer Preisausschreiben

31

und es war wohl die Auszeichnung Beccarias durch eine Berner Gesellschaft, 1o die ihn veranlaßt hatte, sein Anliegen einer Berner Sozietät anzutragen. In den "Monatlichen Nachrichten einicher Merkwürdigkeiten" gab der Sekretär der Ökonomischen Gesellschaft gemeinsam mit der Veröffentlichung der Ausschreibung folgende Erklärung dafür, warum sich die Gesellschaft auf die Auslobung dieses Preisausschreibens eingelassen habe: "Ohnerachtet bisdahin die Societät sich mehr mit Physik und dem Ackerbau beschäftiget hat, so lieget ihre gleichwohl auch die Untersuchung alles Wahren und nützlichen in allen Arten allzusehr an, als daß sie nicht mit Vergnügen die Bekanntmachung eines für alle Nationen so wichtigen, und auf die Ausbreitung eines neuen lichtes über einen der wichtigsten Zweigen der Gesetzgebung abzwekenden Frage übernehmen sollte ...". 11

Ein weiterer "Ungenannter" stellte der Ökonomischen Gesellschaft im Sommer desselben Jahres ebenfalls 50 Louis d'Or zur Verfügung, die je nach Wahl der Gesellschaft den ausgesetzten Preis auf 100 Louis d'Or erhöhen sollten oder auch für Nebenpreise verwendet werden konnten. 12 Dieser zweite Spender war kein Geringerer als Voltaire, der das Geld allerdings nicht aus eigener Tasche bereit stellte, wie er seinen Freunden gegenüber vorgab, sondern es sich vielmehr zuvor von Friedrich II. von Preußen hatte anweisen lassen. 13 Dieses Geld sollte "zur Verbesserung der in Frankreich und den meisten deutschen Staaten geltenden Strafgesetze" dienen. 14 Voltaire verfaßte gleichzeitig selbst eine Schrift- "Prix de Ia justice et de l'humanit6" - , die den Bewerbern um den Preis als Richtschnur dienen sollte. Abgesehen von dem großen Interesse, das dem gesamtem Komplex des Strafrechts entgegen gebracht wurde, trug auch diese mit Voltaires Namen verbundene Veröffentlichung dazu bei, daß die Preisaufgabe weithin bekannt wurde.

9 Vgl. für alle Kurt Ouggisberg, Phitipp Emanuel von Fellenberg und sein Erziehungsstaat, Bd. 1 S. 97; Mss. oek. Ges. Pol. 2.2 S. 24 (Rückseite) (BBB). 1o

Vgl. oben A II, 3. S. 27 f., es war dies die Patriotische Gesellschaft.

tt

Vgl. Monatliche Nachrichten einicher Merkwürdigkeiten (Anm. 7) S. 26.

12

Vgl. Hertz(Anm.3)S.426ff.

Vgl. Reinhold Koser I Hans Droysen, Briefwechsel Friedrich des Großen mit Voltaire, Teil 3 Nr. 644, Brief vom 13.8.1m, worin der König Voltaire das erbetene Preisgeld zusagt und verspricht, es über die Bank in Neuebatet anweisen zu lassen; Nr. 645, Briefvom 5.9.1m; Nr. 650, Brief vom 25.11.1m: Voltaire dankt dem König für seine großzügige Spende und sendet ihm zwei Exemplare seines "Prix de Ia justice et de l'humanite". Vgl. auch Brief Nr. 653 vom 25.1.1778, der eine Stellungnahme des Königs zu diesem Werk enthält. 13

14

Siehe Hertz(Anm. 3) S. 426 f.

32

A. Einleitung

b) Bewertung der eingegangenen Arbeiten Bis Anfang Juli 1n9 waren bereits über 20 Arbeiten eingegangen.u Jedoch scheint die Abgabefrist mehrfach verlängert worden zu sein. So wurde noch am 25.11.1780 der Eingang von drei Arbeiten verzeichnet. 16 Bereitsam 6.7.1779 war die Kleine Gesellschaft17 übereingekommen, alle Beiträge Daniel von Fellenberg zuzuleiten, der sie bis zum 1.9.1780 durchsehen sollte.18 Dieser übergab sie aber bereits am 27.11.1779 dem Präsidenten. 19 Am 13.12.1779 wurde eine. Kommission zur Prüfung der Wettschriften ernannt, der neben Fellenberg noch vier weitere Mitglieder der Ökonomischen Gesellschaft angehörten.20 Am 11.11.1780 faßte die Kleine Gesellschaft den Beschluß, den Preis "auf Neujahr 1782" zu vergeben.21 Aber dieser Termin wurde nicht eingehalten, obwohl die Beurteilung Daniel von Fellenbergs, der wohl federführend in der Kommission zur Prüfung der Wettschriften war,22 über die 46 eingereichten Arbeiten2' bereits am 17.4.1781 der Öko-

u Diese wurden durch den Sekretär im •Avis-Blatt" bekanntgemacht, um so jedem Mitglied die Möglichkeit, die Beiträge einsehen und lesen zu können, anzuzeigen, vgt Mss. oek. Ges. Pol. 2.3 S. 23 vom 6.7.1779 Nr. 1 (BBB).

16 Vgl. Mss. oek. Ges. Fot 2.3 S. 38 vom 25.11.1780 (BBB). 17 Zum Aufbau und der Arbeitsweise der Ökonomischen Gesellschaft vgl. ausführlich Gon-

rad Bäschlin, Die Blütezeit der Ökonomischen Gesellschaft in Bem 1759-1766, S. 89 ff., Mss. oek. Ges. Fot Al, A2, A3 (BBB) sowie Hans R. Guggisberg, Agrarwissenschaftliche Kontakte zwischen Schweiz und Spanien im Zeitalter der Aufklärung, in: Schweizerische Zeitschrift für Geschichte, Bd. 36 (1986) S. 13 Anm. 43 m.w.N.

18 Vgl. Mss. oek. Ges. Fot 2.3 S. 23 vom 6.7.1779 Nr. 1 (BBB). Zu Daniel von Fellenberg (1736-1801) vgl. jlUSführlich Guggisberg(Anm. 6) Daniel von Fellenberg S. 55 ff und 146 ff. l9 Von den handschriftlichen Originalien der eingereichten Beiträge befinden sich 26 Arbeiten im Archiv der Ökonomischen Gesellschaft. Davon sind 17 in französischer, sieben in deutscher, und je eine in lateinischer und italienischer Sprache verlaßt. Eindeutig zugeordnet werden können bislang nur wenige Werke. Bei Arbeit Nr. 4 handelt es sich um den Beitrag von Brissot de Warville (vgl. unten Anm. 23), der einen ganzen Band umfaßt, vgl. Mss. oek. Ges. 4" 8 (BBB). Hinter Nr. 15 verbirgt sich die Schrift von Johann Wolfgang Brenlc, vgl. Mss. oek. Ges. 4" 9 (3) (BBB), mit Nr. 21 ist der Beitrag des Parlamentsadvokaten Mart. Bemardi aus Aix bezeichnet, vgl. Mss. oek. Ges. Pol. 19 (2) (BBB) und Nr. 30 kennzeichnet die Schrift von Julien Dentand (vgl. unten Anm. 28), vgl. Mss. oek. Ges. 4" 9 (11) (BBB). Die Ökonomische Gesellschaft hat 1922 ihre wertvollen alten Bestände, unter ihnen auch die Wettschriftbeiträge, der Burgerbibliothek Bem zur Aufbewahrung übergeben. Zum Verbleib des Originals der Preisschrift sieheB I, 1. a) Anm. 9 S. 44.

20 Vgl. Mss. oek. Ges. Pol. 2.3 S. 26 und 27 (BBB).

21 Siehe Mss. oek. Ges. Pol. 2.3 S. 38vom 11.11.1780 (BBB). 22 Vgl. Mss. oek. Ges. Pol. 2.3 S. 37 Nr. 1 vom 4.11.1780 (BBB) und den Brief Fellenbergs an

Albrecht von Haller vom 11.1.1782, Mss. oek. Ges. 4• 28 (BBB).

23 Ursprünglich waren ca. 50 Beiträge eingegangen. Diese Anzahl hatte sich um einige Exemplare verringert, da deren Verfasser ihre Arbeiten, wohl aus Verärgerung über die sich immer wieder verzögernde Entscheidung, vorab veröffentlicht hatten. Vgl. Hertz (Anm. 3)

III. Das Bemer Preisausschreiben

33

nomischen Gesellschaft zugegangen war.24 Vielmehr wurde am 28.4.1781 der Beschluß gefaßt, weitere Rechtsgelehrte des Landes um eine Stellungnahme zu den Wettschriften zu bitten.2' Ob dieser Beschluß tatsächlich ausgeführt wurde, ist nicht bekannt. Erst in der Sitzung vom 23.3.1782 konnte Fellenberg sein Gutachten vortragen.26 Die Kleine Gesellschaft entschied nach vorausgegangner Beratung, dem Vorschlag Fellenbergs folgend der Großen Gesellschaft zu empfehlen, der Arbeit Nr. 14 den ersten Preis zuzuerkennen.n Diese machte sich das Votum Fellenbergs im Sommer 1782 zu eigen und verlieh dem Beitrag "Abhandlung von der Criminal =Gesetzgebung" der beiden sächsischen Juristen Hanns Ernst von Globig und Johann Georg Huster den ersten Preis. Zugleich veranlaßte sie, daß diese Schrift 1783 in Zürich im Druck erschien.lB In dem von der Ökonomischen Gesellschaft verfaßten Vorbericht zur gedruckten Arbeit fordert diese die Verfasser auf, "sich mit der Vervollkommnung derselben [zu] beschäftigen".29Diesem Verlangen kamen Globig und Huster nach und publizierten 1785 die "Vier Zu-

S. 448, der als Beispiel Brissot de Warville anführt, der seine ursprünglich eingereichte Schrift "Theorie des lois criminelles" bereits 1781 hatte drucken lassen. Gleiches tat Antoine Nicolas Servin, dessen Buch "Oe Ia legislation criminelle" 1782 in Basel erschien und Jean Paul Marat, dessen "Plan de legislation en matiere criminelle" erstmals 1785 in Neuchßtel publiziert wurde, vgl. Guggisberg (Anm. 6) Daniel von Pellenberg S. 77. Vgl. auch Mss. oek. Ges. Pol. 2.3 S. 43 (BBB). 24

Vgl. Mss. oek. Ges. Fol. 2.3 S. 45 (BBB).

25

Vgl. Mss. oek. Ges. Fol. 2.3 S. 46 Nr. 3 (BBB).

Das Gutachten Fellenbergs (Mss. oek. Ges. Fol. 6 E 48 [BBB)) befindet sich in der Stube der Ökonomischen Gesellschaft im Schloß Jegenstorf. Über das Gutachten selbst siehe unten B VI, l.a). 26

27 Vgl. Mss. oek. Ges. Fol. 2.3 S. 47 Nr. 1 vom 23.3.1782 (BBB). Bis zu diesem Zeitpunkt waren die jeweiligen Namen der Verfasser der Preisschriften den Beurteilenden nicht bekannt, da diese gesondert aufbewahrt wurden, vgl. oben Anm. 7. Die Arbeiten selbst erhielten sogleich bei Eingang eine Ziffer zugeteilt. Dem Vorschlag einiger Mitglieder der Kleinen Gesellschaft, das Preisgeld zu teilen und die zweite Hälfte den beiden nachfolgenden Wettschriften zuzusprechen, fand nicht die Mehrheit der Stimmen, vgl. Mss. oek. Ges. Fol. 2.3 S. 47 Nr. 1 vom 23.3.1782 (BBB). 28 Auf ihr Verlangen hin wurden auch die Beiträge von Johann Melchior Beseke "Versuch eines Entwurfs zu einem vollständigen Gesetzesplan für Verbrechen und Strafen•, Dessau 1783, von Christian Gottlieb Gmelin "Grundsätze der Gesetzgebung über Verbrechen und Strafen•, Tübingen 1785 und Julien Dentand, "Essai de jurisprudence criminelle", Lausanne 1785, zum Druck befördert. Hinter der, in Pellenbergs Gutachten mit der Ziffer 8 bezeichneten Arbeit verbirgt sich die Arbeit Besekes und hinter den Ziffern 30 und 42 die von Denland und Gmelin. Vgl. Mss. oek. Ges. Pol. 6 E 48 (BBB), Göttingisehe Anzeigen von gelehrten Sachen, 1782 S. 462 ff. und Robert Stintzing I Ernst Landsberg, Geschichte der deutschen Rechtswissenschaft, Bd. III, 1 S. 412.

29

Siehe Abhandlung, Vorbericht (S. 2).

34

A Einleitung

gaben zu der im Jahre 1782 von der ökonomischen Gesellschaft zu Bern gekrönten Schrift: von der Criminalgesetzgebung".

c) Reaktionen auf die Preisschrift Die Reaktionen auf die Preisschrift selbst waren überschwenglich. Zwar erschien sie trotzvielfacher Anläufe nie in französischer Sprache,30 jedoch stand dies ihrer Verbreitung nicht im Wege. Sie wurde in zahlreichen juristischen und literarischen Zeitschriften und Büchern vorgestellt und besprochen und erlangte so eine beachtenswerte Verbreitung auf dem ganzen Kontinent." Hierzu hat sicher nicht unwesentlich das Ansehen beigetragen, das die Ökonomische Gesellschaft in ganz Europa genoß. Alldies sicherte der Schrift ihre Popularität über weit mehr als ein Jahrhundert. Immer wieder wurde sie zitiert und beurteilt, selbst noch im Rahmen der Strafrechtsreformdiskussion zu Beginn des 20. Jahrhunderts.32

IV. Die Autoren der Preisschrift 1. Hanns Ernst von Globig Hanns Ernst von Globig, dessen Stammreihe bis auf das Jahr 1271 zurückgeführt werden kann, entstammte dem Uradel des sächsischen Kurkreises.1 Er wurde am 2. November 1755 auf dem großväterlichen Gut Grauwinkel, in der Nähe von Wittenberg, geboren.l Seine Eltern waren 30 V gl. den Brief Globigs und Husters vom 13.12.1782 (Mss. oek. Ges. Fol. 8 B 20 (BBB]), in dem sie auf einen Druck der Preisschrift drängen, um eine rasche französische Übersetzung zu ermöglichen. Später bietet sich Globig sogar selbst als Übersetzer an, vgl. Mss. oek. Ges. Fol. 8 B Nr. 31 (BBB}, Brief Globigs vom 145.1784. 31 Vgl. Sammlungphysisch-ökonomischer Schriften, Bd. 3 S. X und S. 35 ff., Böhmer(Anm. 2) S. 283 ff., Bibliothek der neuestenJuristischen Litteratur für das Jahr 1783, S. 249 ff., Allgemeine juristische Bibliothek, Bd. 3 S. 255 und Neueste Juristische Literatur für das Jahr 1783, s. 494 ff. 32 Vgl. hierzu Ludwig Günther, Die Strafrechtsreform im Aufklärungszeitalter, in: Archiv für Kriminal-Anthropologie und Kriminalistik, Bd. 28 (1907) S. 112 ff.

Vgl. Gothaisches genealogisches Taschenbuch der uradeligen Häuser, 1911 S. 293. Zu seinem Leben vgl. insbesondere seine Autobiographie, die von Gotdob Adolf E. von Nostiz und Jänckendorfnach seinem Tode in der Beylage zu No. 178 des Intelligenzblattes der Leipziger Literatur-Zeitung vom 22.7.1826 veröffentlicht wurde, vgl. ebd. S. 1-4. Weitere Darstellungen seiner Vita fmden sich im Neuen Nekrolog der Deutschen. Bd. 4 (1826) 2

IV. Die Autoren der Preisschrift

35

Christoph Ernst von Globig, Hofgerichtsassessor zu Wittenberg,' und Wilhelmina von Natzmar.4 Mit seinen drei Schwestern verlebte er eine glückliche Kindheit in GrauwinkeL Gemeinsam mit der nur um ein Jahr älteren Schwester erhielt er seinen ersten Unterricht im Lesen und Schreiben.5 Durch eine Schweizer Gouvernante erlernte er von 1763 an die französische Sprache, und erst 1766 wurde für ihn der Hauslehrer Pfotenhauer engagiert, der ihn drei Jahre lang unterrichtete. Nach dem Tod seiner Mutter teilte sich die Familie, und er zog 1766 mit dem Vater nach Wittenberg. Dort hörteer ab 1771 neben dem Privatunterricht bereits Vorlesungen an der Universität.6 Schon mit 16 Jahren hatte Globig sich aus Neigung für die Jurisprudenz entschieden. Er belegte bis 1774 Rechtsgeschichte und deutsches Recht bei Wiesand,7 die Institutionen Justinians bei Klügel,8 die Pandekten bei Hommel,9 Lehnrecht und öffentliches Recht bei Reinhard, 10 Prozeßrecht bei Kraus11 und Strafrecht bei Pauli.l2 Im März 1n4 bestand er am Hofgericht S. 283-289, Heinrieb ]){jring, Globig. in: Allgemeine Encyklopidie der Wissenschaften und Künste, Bd. 70 (1860) S. 41 ff., Jobann Oeorg Meusel, Das Gelehrte Teutschland, Bd. 2 (1796) S. 580, Bd. 9 (1801) S. 432, Bd. 13 (1808) S. 475, Bd. 17 (1820) S. 729 und Bd. 22 (1831) S. 280, Christitin Johsnn 0. Hll}'lllsnn, Dresdens theils verstorbene theils jetzt lebende Schriftsteller und Künstler, S. 71 f., Johann Heinrich Stepl, Gallerie aller juridischen Autoren von der ältesten bis auf die jetzige Zeit, Bd. 3 (1822) S. 249 f., Robert Stintzing I Ernst Landsberg. Geschichte der deutschen Rechtswissenschaft, Bd. 111, 1 Noten S. 268 f., Albert Teichmann, Globig, in: Allgemeine deutsche Biographie, Bd. 9 (1879) S. 237 f. und Rolf I.iebetwirth, Globig, in: Neue deutsche Biographie, Bd. 6 (1964) S. 456 f. 3 • 29.8.1733 t 27.2.1790191. Globig vetwendet in seiner Biographie oftmals andere Vomamen für Personen und Daten als sie in späteren Lebensbeschreibungen angeführt werden. Verfasser benutzt im Text im wesentlichen die von Globig genannten Daten und Namen und vermerkt in den Fußnoten, falls Abweichungen zur Literatur bestehen.

4 • ? t 3.9.1766. Der Gotha (Anm. 1) 1911 S. 295 spricht von einer Christiane von Natzmer, im Ooths (Anm. 1) 1906 S. 519 wird der Name mit Christiane Wilhelmine von Natzmer angegeben. 5

Vgl. Autobiographie(Anm. 2) S. 2, Nekrolog(Anm. 2) S. 283.

Der Privatunterricht wurde ab 1769, da Pfotenhauer eine Pfarrei übernahm, von den Lehrern Dobin und später Martin Hungaria übernommen, vgl. Autobiographie (Anm. 2) S. 2. Bereits am 24.5.1762 war Globig an der Universität Wittenberg immatrikuliert worden, vgl. Fritz Juntkc, Album Academicae Vitebergensis, Jüngere Reihe Teil 3, S. 182. 6

7 Georg Stephan Wicsand, Professor in Wittenberg von 1765-1813. V gl. zu diesem und zu den übrigen Lehrern Globigs Waltcr Friedensburg. Geschichte der Universität Wittenberg, S. 570 ff. und dcrs., Urkundenbuch der Universität Wittenberg, Teil2, wo aufS. 448 f. das Vorlesungsprogramm der juristischen Fakultät für das Sommersemester 1m abgedruckt ist.

8

Ernst Gottfried C. Klügel, Professor in Wittenberg von 1785-1813, zuvor Dozent ebd.

9

Christian Gottlieb Hommel, Professor in Wittenbcrg von 1787-1802, zuvor Dozent ebd.

10

Johann Carl G. Reinhard, Professor in Wittenberg von 1782-1785, zuvor Dozent ebd.

11

Johann Gottfricd Kraus, Professor in Wittenberg von 1752- 1784.

36

A. Einleitung

zu Wittenberg das examen nobilium und bezog am 14.5.1774 zur Vervollständigung seiner Studien die Universität Leipzig." In Leipzig wurde er als Auditor beim Oberhofgericht zugelassen, wo er ebenso wie an der Universität mit Karl Ferdinand Hammel zusammentraf.t4 Daneben beschäftigte sich Globig mit Geschichte und Diplomatik und erlernte die Fremdsprachen Englisch und Italienisch. Sein Onkel, der Konsistorialpräsident Hans Gotthelf von Globig15 vermittelte ihm 1775 eine Anstellung bei der Regensburger Gesandtschaftskanzlei, die er jedoch nur ein Jahr lang innehatte. Anschließend dauerte es bis 1778, ehe er durch eben denselben Onkel einen Posten als Sekretär im kurfürstlichen Geheimen Kabinett der inneren Geschäfte erhielt. Während dieser Wartezeit befaßte er sich weiterhin mit juristischen Studien und schrieb eine Abhandlung über die Rechte eines Erzmarschalles und dessen Vikars, die jedoch der Zensur zum Opfer fiel und niemals veröffentlicht wurde. 16 Im August 1778 beschloß Globig, auf Anregung seines Vaters, sich an der von der Bemer Ökonomischen Gesellschaft ausgeschriebenen Preisaufgabe über die Kriminalgesetzgebung zu beteiligen.t7 Hierbei konnte er auf Material zurückgreifen, das er während seines Aufenthalts in Leipzig, wohl angeregt durch Hammel, bereits erarbeitet hatte. Da er dennoch glaubte, nicht mehr ausreichend Zeit für eine gründliche Bearbeitung der gestellten

12

Martin Gottlieb Pauli, Professor in Wittenberg von 1763-1796.

13 Hierbei handelte es sich um ein Examen, das besonders diejenigen adeligen Studenten ablegten, die beabsichtigten später in landesherrliche Dienste zu treten. Es bestand aus einer Proberelation aus dem Gebiet des Zivil- oder Strafrechts sowie einer mündlichen Prüfung. Das Hofgericht zu Wittenberg wurde durch Rescript vom 19.9.1771 zur Abhaltung dieser Examina angewiesen, die erste Prüfung fand am 10.4.1m statt, vgl. hierzu ausführlich Kar/ Salomo Zacharüi, Geschichte und Verfassung des Chursächsischen Hofgericht zu Wittenberg, S. 148-151. Vgl. auch Autobiographie (Anm. 2) S. 2 und Georg Erler, Die jüngere Matrikel der Universität Leipzig 1559-1809, Bd. 3 S. 114.

14 Karl Ferdinand Hommel, • 6.1.1722 t 16.5.1781, Professor in Leiprig und Beisitzer am Oberhofgericht Leipzig, vgl. dazu Gerd KleinheyerI Jan Schröder, Deutsche Juristen aus fünf Jahrhunderten, S. 120 ff.

IS • 20.3.1719 t 2.11.1779, Königlich Polnischer und Kurfürstlich Sächsischer Geheimer Rat und Konsistorialpräsident, vgl. auch Gotha (Anm. 1) 1911 S. 293. Zum Geheimen Rat und Konsistorium in Sachsen allgemein vgl. Kurt G. A. leserich I Hans Pohl I Christian von Unruh, Deutsches Verwaltungsrecht, Bd. 1 V§ 12 S. 813 ff. m.w.N. 16

Vgl. Autobiographie (Anm. 2) S. 2 urid Nekrolog(Anm. 2) S. 285.

Bemerkenswert ist, daß Globig in seiner Autobiographie (Anm. 2) S. 2 Voltaire als Stifter des Preises bezeichnet, während er Ende 1784, zum Zeitpunkt des Abschlusses der Arbeit an den Vier Zugaben, noch keine Kenntnis von der möglichen Identität der Stifter hatte, vgl. Vier Zugaben, S. 8 (Vorbericht). Zu den tatsächlichen Stiftern des Preisgeldes, zu denen Voltaire nicht zählte, vgl. oben A III, 2. a). 17

IV. Die Autoren der Preisschrift

37

Aufgabe zu haben, 18 gewann er seinen Freund Johann Georg Huster als Mitarbeiter. 19 Nach nur sieben Monaten konnten sie ihren Beitrag bereits im Mai 1779 nach Bem einreichen.20 Ermutigt durch den ihnen 178221 zugesprochenen Preis versuchte sich Globig in der Folgezeit mehrmals bei Preisausschreiben. So beteiligte er sich, wenn auch erfolglos, 1783 an der Mannheimer Preisfrage über Verhütungsmöglichkeiten des Kindesmordes22 und 1786 an der von der Akademie zu Berlin gestellten Frage über die Grenzen der väterlichen Gewalt.23 Dagegen war seinen Beiträgen zu den Preisausschreiben zum Entwurf eines Allgemeinen Gesetzbuchs für die Preußischen Staaten wesentlich mehr Erfolg beschieden. Er beteiligte sich hieran auf drei Gebieten.24 Der Beitrag zu Teil I Abteilung 1 - Personenrecht - hatte das Motto "Suum cuique" und erhielt als zweiten Preis das Akzessit und eine kleine silberne Medaille;2s der Beitrag zu Teil I Abteilung 2 - Ständerecht - "Quotiens dubia interpretatio libertatis est secundum libertatem respondendum erit" erhielt ebenso wie Globigs Eingabe zu Teil I Abteilung 3 - Strafrecht - "Leges non annorum numerus, sed sola aequitas commendat" als ersten Preis je eine kleine goldene Medaille.26 Nach dem Tode seines Onkels, seines bisherigen Prot~ges, verwendete sich der Konsistorialrat L . B. von Loeben für ihn und vermittelte ihm 1779 18 Als Abgabedatum war der Juli 1779 angegeben gewesen, vgl. dazu oben A Ill, 2. a) Anm. 7 s. 30, b).

l9

Zu Huster vgl. unten A IV, 2.

20 Vgl. Autobiographie (Anm. 2) S. 3.

Nicht 1781 wie Globig schreibt, vgl. Autobiographie (Anm. 2) S. 3 und oben A 111, 2. b) S. 33. 21

22

Vgl. zu diesem Preisausschreiben unten B lll, 3. b) ba) (1) S. 116 f.

Seine Arbeit belegte den undankbaren vierten Platz, vgl. Allgemeine Literatur-Zeitung vom Jahre 1?90, Nr. 289 Sp. 9 ff. Diesen Beitrag veröffentlichte Globig selbst 1789 unter dem Titel "Ueber die Gründe und Gränzen der väterlichen Gewalt". Vgl. dazu auch Göttingisehe Anzeigen von den gelehrten Sachen, 1789 S. 1947 ff. 23

24 Diese drei Beiträge befinden sich noch heute bei den Gesetzgebungsmaterialien zum ALR im Zentralen Staatsarchiv in Merseburg, DDR, wie eine Anfrage in Merseburg ergab. 25 Vgl. Anzeige der Abhandlungen über den Entwurf eines allgemeinen Gesetzbuchs für die preußischen Staaten, welchen die ausgesetzten Preise und das Accessit zuerkannt wurden, in: Allgemeine deutsche Bibliothek, Bd. 65 (1786) S. 305 f. und zu der diesen Beiträgen zugrunde liegende Einteilung des Gesetzbuches August Heinrich Simon, Bericht über die szientivische Redaktion der Materialien der Preußischen Gesetzgebung, in: Allgemeine Juristische Monatsschrift für die Preußischen Staaten, Bd. 11 (1811) S. 191 ff.

26 Zum letzten Beitrag vgl. Allgemeine Literatur-~itung vom Jahre 1787, Nr. 288 b Sp. 583 f. Dieser Beitragwurde 1788 auszugsweise publiziert, vgl dazu auch unten C III, 2. a) Anm. 69.

38

A. Einleitung

eine Assessorenstelle am Dresdner Appellationsgericht, wo ihm 1781 der Titel Rat verliehen wurde.n Seine Sekretärstelle im kurfürstlich Geheimen Kabinett behielt er bei. 1787 wurde Globig, wiederum auf Empfehlung Loebens, als Assessor am Reichskammergericht vorgeschlagen. Um seine Aussichten auf diese Position zu verbessern, publizierte er einen bereits lange geplanten Kommentar über die Zweifelsfälle im sächsischen Lehnrecht.2B Im April 1778 fuhr er zur Präsentation nach Wetzlar und kehrte, nachdem er am 31. August seine Proberelation angefertigt hatte, im Oktober desselben Jahres mit der Zusage für die nächste freiwerdende Stelle nach Dresden zurück.29 Bereits im Mai 1779 konnte er als Nachfolger des inzwischen verstorbenen Beisitzers von Mickel seine Tätigkeit am höchsten Gericht des Reichs aufnehmen.30 In Wetzlar heiratete er noch in demselben Jahr Sophie von Bothmer, die ihm sieben Kinder schenkte, von denen jedoch einige früh starben.31 Sein ältester Sohn Ernst kam im Rußlandfeldzug Napoleons 1812 ums Leben. Seine Töchter Emilia und Ludowika erlagen 1814 einer Thyphusepidemie.32

2? Bei L. B. von Loeben handelt es sich um Otto Ferdinand Graf von Loeben, • 18.6.1741 t 12.9.1804, Königlich Polnischer und Kurfürstlich Sächsischer Geheimer Rat und Kabinettsminister, 1790 in den Reichsgrafenstand erhoben, vgl. näher Genealogisches Handbuch des Adels, Adelige Häuser A, Bd. 4 S. 480. Zum Appelationsgericht allgemein vgl. Karlheinz Blaschke, Das kursächsische Appellationsgericht 1559-1835 und sein Archiv, in: Zeitschrift der Savigny-Stiftung für Rechtsgeschichte, Germanistische Abteilung Bd. 84 (1%7) S. 329-354. 28 De rebus dubiis in jure feudali praesertim Saxonico Commentatio, vgl. dazu Allgemeine Literatur-Zeitung 110m Jahre 1788, Nr. 285 Sp. 569 ff., Anhang zu dem 53.-86. Bande der Allgemeinen deutschen Bibliothek, Erste Abtheilung S. 323 f. und Juristische Bibliothek, Bd. 2 (1790) s. 546-564. 29 Die Proberelation "Specimen Relationis pro Assessoratu, in caussa Henrici Peiperi contra lsaacum Emestum Appellationis, quod in augustissimo Camera[e] Imperialis Senatu [zu Wetzlar] exhibuit Principis Electoris Saxoniae Praesentatus loannes Emestus a Globig, pridie Kai. Sept. A. 1788" befindet sich heute in der Sächsischen Landesbibliothek in Dresden, vgl. Katalog der Handschriften der Sächsischen Landesbibliothek zu Dresden, Bd. 2 S. 228 K Nr. 257 ([]im Originaltext). Zu der Notwendigkeit einer Proberelation als Zugangsvoraussetzung für eine Richterstelle am Reichskammergericht vgl. Rudolf Smend, Das Reichskammergericht, Bd. 1 S. 304 ff., zu dem Präsentationsrecht und -verfahren vgl. ebd. S. 294 ff. 30

V gl. Autobiographie (Anm. 2) S. 3.

Vgl. ebd., Im Gotha (Anm. 1) 1911 S. 295 wird der Name mit Henriette von Bothmer angegeben, ebenso bei LiebeiWirth (Anm. 2) S. 456. Insgesamt hatte Globig sieben Kinder: drei Söhne (Ernst • 1790 t 1812, Ferdinand • 1803 t ? und Gustav Alfred • 1808 t ?) und vier Töchter (1. Tochter • 1794 t ?, 2. Tochter • 1798 t ?, Emilia • 1799 t 1814 und Ludowika • 1800 t 1814). Der Gotha (Anm. 1) 1911 S. 295 kennt nur das letztgeborene Kind Gustav Alfred, dessen Lebensdaten er mit "1798 t 1852 angibt, Lieberwirth (Anm. 2) S. 456 erwähnt nur drei Söhne und eine Tochter. 31

32

Vgl. Autobiographie(Anm. 2) S. 4.

IV. Die Autoren der Preisschrift

39

Nach zehnjähriger Zugehörigkeit zum Reichskammergericht wurde Globig 1789, erneut auf Betreiben des Grafen von Loeben, das Amt eines kursächsischen Reichstagsgesandten und evangelischen Directoralis in Regensburg übertragen.33 Diese neue Tätigkeit ließ ihm wieder mehr Zeit für wissenschaftliche Studien und 1806 erschien seine "Theorie der W ahrscheinlichkeit zur Gründung des historischen und gerichtlichen Beweises" in zwei Bänden, deren Vorarbeiten zum.größten Teil noch in Wetzlar geleistet worden waren. Ebenfalls 1806 wurde die "Kritik des Entwurfs eines peinlichen Gesetzbuchs für Baiern" publiziert."' 1808 folgte der "Entwurf eines Maaßstabes der gesetzlichen Zurechnung der Strafverhältnisse". Bereits 1801 hatte Globig aufgrundeines von Zar Alexander I. von Rußland an die europäischen Juristen gerichteten Aufrufs mit der Erstellung einer fortschrittlichen Geset7gebung für dessen Land, in welche die bereits vorhandenen alten Gesetze eingefügt werden könnten, begonnen. Hierbei konnte er sich auf seine anläßlich der diversen Preisaufgaben erarbeiteten Materialien stützen. Der Zar war von seiner vierbändigen Arbeit, die neben dem Straf-, Polizei- und Zivilrecht auch das Prozeßrecht enthielt, so angetan, daß er ihm 1804 einen wertvollen Ring schenkte und 1806 das Ritterkreuz des St. Annenordens verlieh.35 Auf dem Reichstag selbst war Globig an den Verhandlungen über die Entschädigungen derjenigen Fürsten beteiligt, die durch den Frieden von Luneville ihre linksrheinischen Gebiete verloren hatten, wie auch an der durch besagten Frieden bedingten Neuschaffung von vier Kurfürstentümem.36 Nach Auflösung des immerwährenden Reichstags kehrte er im Mai 33 Vgl. Autobiographie (Anm. 2) S. 3. Zum evangelischen Direktorium im Corpus Evangelicorum allgemein vgl. Hermann Conrad, Deutsche Rechtsgeschichte, Bd. 2 S. 93.

34 Letztere konnte jedoch von vomherein nicht mehr, wie es ihrer Intention entsprochen hätte, das Schicksal des Kleinschrodschen Entwurfs beeinflussen, da bereits 1804 die Gesetzgebungsarbeiten von diesem auf Kar! Anselm von Feuerbach übertragen worden waren, vgl. Erika Schneider, Gallus Aloys Kleinschrod, sein Leben und Wirken, insbesondere der Entwurf zu einem peinlichen Gesetzbuche für die kurpfalzbaierischen Staaten, S. 161 ff. und Max Otünhut, Anselm v. Feuerbach und das Problem der strafrechtlichen Zurechnung, S. 160 ff. und 169 f., vgl. auch Autobiographie (Anm. 2) S. 3. Globip Kritik erschien 1806 anonym, erst 1808 ließ er sie unter seinem Namen erneut auflegen. 35 Vgl. Autobiographie (Anm. 2) S. 3 und Meuse/ (Anm. 2) Bd. 13 S. 475. Dieses Werk erschien 1809 anonym unter dem Titel "System einer vollständigen Criminal = Policey = und Civilgesetzgebung• (3 Bde.) und 1815-1818 unter Globigs Namen in zweiter Auflage mit einigen Zusätzen als "System einer vollständigen Gesetzgebung für die Kaiserlich Russische Gesetz= Commission• (4 Bde.).

36 Vgi. hierzu allgemein Conrad (Anm. 33) Bd. 2 S. 57 ff. m.w.N. und S. 94. Die Beteiligung an der Gründung der vier neuen Kurfürstentümer war für Globig eine durchaus lohnende Tätigkeit gewesen: jeder der neuen Kurfürsten zahlte ihm einen Betrag von 3000 Gulden, vgl. Autobiographie (Anm. 2) S. 4. Vgl. auch Protokoll der ausserordentlichen Reichsdeputation zu Regensburg, Bd. 1 S. III und Bd. 2 § 271 S. 840 ff., besonders S. 844.

40

A. Einleitung

1806 nach Dresden zurück und wurde dort Mitglied des Konsistoriums, Geheimer Rat und Konferenzminister sowie Direktor der Gesetzeskommission.37

Globigs Autobiographie endet mit dem Jahr 1814 und ist nicht, wie durch von Nostiz und Jänckendorf in seinem Nachruf angekündigt, bis zum Jahre 1826 fortgeschrieben worden.38 Aus den Materialien zur sächsischen Ge~ schichte ergibt sich jedoch, daß er bis zu seinem Tode im sächsischen Staatsdienst blieb und als Vorsitzender des Geheimen KonsiliUJ.DS, Konferenzminister für das Departement öffentliche Verwaltung und Gesetzgebung und als Direktor der Gesetzeskommission bemüht war, seinem Land zu dienen.39 Globig erlag am 26. April 1826 70jährig in Dresden einem Schlaganfall, ohne daß es ihm beschieden gewesen wäre, die unter. seiner Leitung begonnenen Arbeiten an der neuen Strafrechtskodifikation zu Ende geführt zu haben.40 Globigs staatspolitischem Handeln sollte keine nachhaltige Wirkung beschieden sein, wenn auch der König von Sachsen ihm 1816 das Großkreuz des sächsischen Civilverdienstordens "pro meritis et fide" verliehen hatte.41 Bereits seine Zeitgenossen standen seinen politischen Leistungen skeptisch gegenüber, was jedoch bis zu einem gewissen Grade auch in deren politischer Opposition begründet gewesen sein mag. Graf Senfft, sächsischer Kabinettsminister, warf ihm sogar einen vollkommenen Mangel an politischem Gespür und zudem Charakterschwäche vor.42 So sprach auch Karl Freiherr vom Stein 1813 von Globig als von einem schwachen, verlegenen, in sich gekehrten Mann, dessen Geist in dem alten deutschen Reichsrecht und den 37

Vgl. Autobiographie(Anm. 2) S. 4 und Meusel(Anm. 2) Bd. 13 S. 475.

38

Vgl. Beylage zu No. 178(Anm. 2) S. 1.

Vgl. Gerhard Schmidt, Die Staatsrechtsreform in Sachsen in der ersten Hälfte des 19. Jahrhunderts, S. 68 ff. und ders., Reformbestrebungen in Sachsen in den ersten Jahrzehnten des 19. Jahrhunderts, S. 75, 78 ff. und Criminalgesetzbuch für das Königreich Sachsen, S. 1 ff. Soweit Wa/ther Hubatsch, Freiherr vom Stein, Briefe und amtliche Schriften, Bd. 6 S. 327 Anm. 2 zum Brief vom Steins an Büchler vom 31.1.1821, hierin Hany Bresslau, Geschichte der Monumenta Germaniae historica, S. 67 Ailm. 1 und S. 151 folgend, Globig als Bundestagsgesandten bezeichnet, unterläuft ihm eine Verwechslung. Bei dem Bundestagsgesandten von Globig handelt es sich um seinen Vetter zweiten Grades, Hans August Fürchtegott von Globig, • 3.8.1773 t 1832, Sohn von Hans Gotthelfvon Globig, vgl. oben Anm. 15. Vgl. dazu das Protokoll der achtzehnten Sitzungvom 14.5.1821, in: Protokolle der Deutschen Bundesversammlung vom Jahre 1821, S. 360 und Johann Ludwig Klüber, Acten des Wiener Congresses in den Jahren 1814 und 1815, Bd. 2 S. 339 und 592 und Bd. 6 S. 598. 39

40 Vgl. Allgemeine Literatur-Zeitung vom Jahre 1826, Nr. 118 Sp. 112. 41

Vgl. Beylage zu No. 178(Anm. 2) S. 1 und Meusef(Anm. 2) Bd. 17 S. 729.

Vgl. Eduard von Wietersheim, Nachtrag zu dem Aufsatze über den KS. Cabinets =Minister Grafen von Einsiedel, in: Archiv für die Sächsische Geschichte, Bd. 3 (1865) S. 366 unter Hinweis aufS. 199 der Memoiren von Friedrich Christian L Graf Senfft von Pilsach. 42

IV. Die Autoren der Preisschrift

41

kleinlichen Streitigkeiten des Regensburger Reichstages vergraben sei.4' In einer zeitgenössischen Preußischen Charakteristik der leitenden sächsischen Beamten wird er bezeichnet als "ein gelehrter Jurist und guter Arbeiter. Bekannter in der Republik der Gelehrten als in der politischen Welt".44 In dieseln''sinne war auch Globigs guter Ruf als Rechtsgelehrter bereits zu seinen Lebzeiten unstreitig. Als letztes seiner Werke erschien 1820 der erste und 1822 der zweite Band einer Abhandlung über die neuere Gesetzgebung in Europa, besonders der einzelnen deutschen Staaten, das nochmals ein lebhaftes Echo in der Gelehrtenwelt hervorrief.43

2. Johann Georg Huster Johann Georg Huster wurde am 25.9.1741 als Sohn eines Kreiseinnehmers in Reichenbach im Vogtland geboren.46 Er besuchte von 1761 bis 1764 die Universität Leipzig. Seine Studien schloß er hier am 8.3.1764 mit der philosophischen Magisterpromotion ab.47 1770 inscribierte er sich an der Universität Wittenberg48 und widmete sich dort juristischen Studien. Hier hatte er vermutlich auch mit Globig Freundschaft geschlossen.49 Am 3.4. 1775 legte er sein "examen pro praxi et notariatu", den Abschluß für den praktischen Dienst, ab'O und trat 1776 eine Stelle als Finanzsekretär in Dresden an.51 1779 avancierte Huster zum Geheimen Finanzsekretär. 1783 wandte er sich nach Torgau, wo er als kurfürstlich sächsischer Geheimer43 Siehe Brief vom Steins an Nesselrode vom 11.4.1813 in: Hubatsch (Anm. 39) Bd. 4 Nr. 86 S. 88: "... un ministre, M. de Globig, homme faible, embarrasse, induit, dont l'esprit est encombr6 du droit public de l'Allemagne et des tracasseries ~dantesques (I) de Ia diete de Ratisbonne ..." ([)im Originaltext). 44 Zitiert nach Hubatsch (Anm. 39) Nr. 86 S. 88 Anm. 6 (Fundstelle des Zitats: Zentrales Staatsarchiv Merseburg DZA II Merseburg, Rep. 114 VIII Spec. 25 1/2).

43 "Censura rei iudicialis Europae (partim) liberae, praesertim Germaniae, novis legum exemplis illustrata", Bd. 1 (1820) und Bd. 2 (1822); vgl. dazu Göttingisehe gelehrte Anzeigen, 1821 S. 880, Anzeige=Biatt Neuer Bücher und Literarischer Nachrichten, 1821 S. 14 ff., 55 ff. und Meusei(Anm. 2) Bd. 22 S. 380. 46 Vgl. näheres zu seinen Lebensdaten vor allem bei Stintzing I Landsberg (Anm. 2) Bd. III, 1 Noten S. 269; Christoph Weidlich, Biographische Nachrichten von den jetzt lebenden Rechtsgelehrten in Deutschland, Bd. 4 S. 108 f. Über sein Leben ist jedoch leider nur wenig überliefert.

47

Vgl. Erler(Anm. 13) Bd. 3 S. XVIII und S. 177.

48 Vgl. Juntke (Anm. 6) S. 249. 49

Vgl. Juntlr.e (Anm. 6) S. 182, 249; sie haben zur gleichen Zeit diese Universität besucht.

50

Vgl. Juntke(Anm. 6) S. XII und S. 249.

31

Vgl. Stintzing I Landsberg(Anm. 2) Bd. 111,1 Noten S. 269.

42

A. Einleitung

und Finanzsekretär bei der "Gleits- und Haupt-Land-Accise-Einnahme" tätig wurde.s.z Er starb dort 1803 in seinem zweiundsechzigsten Lebensjahr.~3 Huster zeichnete für den zweiten Teil der Preisschrift sowie für die vierte der "Vier Zugaben" verantwortlich.54 Ob er sich nach 1785 noch jemals schriftstellerisch auf juristischem Gebiet betätigt hat, ist nicht bekannt. Sein Name erscheint in der zeitgenössischen Literatur lediglich in Zusammenhang mit den beiden Publikationen von 1783 und 1785.

s.z Ebd., Stepf(Anm. 2) Bd. 4 S. 285. Zur Steuerverwaltung in Sachsen allgemein vgl. Jeserich I Pohl I Unruh (Anm. 15) Bd. 1 V§ 12 S. 821 ff. ~3 Todestag ist der 30.1.1803, vgl. Stepf(Anm. 2) Bd. 4 S. 286, Stintzing I Landsberg (Anm. 2) Bd. 111,1 Noten S. 269. 54

Vgl. Vier Zugaben, S. 1 und 3 (Vorbericht).

B. DIE PREISSCHRIFf UND IHRE ZUGABEN

I. Systematik und Form 1. Die Preisschrift a) Zielsetzungen Absicht und Ziel der Initiatoren des Preisausschreibens "Von der heilsamsten Einrichtung der peinlichen Gesetzgebung"' war es, einen bis ins einzelne gehenden, möglichst genauen Entwurf einer Kriminalgesetzgebung zu erhalten. Dieser sollte nicht auf ein bestimmtes Staatswesen zugeschnitten sein, sondern - ganz im Sinne der Aufklärung - unabhängig von Staatsgrenzen Geltung erlangen können, da die Grundzüge und Grundsätze des Rechts allgemein gültig seien. Seine mit dem Wettbewerb verfolgten Absichten konkretisierte der nicht genannte Philantroph durch Benennung dreier Gesichtspunkte, unter denen die Aufgabe erörtert werden sollte:2 Es sollten sämtliche Verbrechen angeführt werden einschließlich der ihnen angemessenen Strafen, eine detaillierte Darstellung aller Beweisarten und Rechtsvermutungen gegeben, sowie der Weg beschrieben werden, der bezüglich der Beweisfrage im Strafverfahren einzuschlagen sei, um "schonende Untersuchungsformen und milde Strafen mit einer raschen exemplarischen Strafvollstreckung" so miteinander zu verbinden, daß sowohl "die Sicherheit der bürgerlichen Gesellschaft wie auch die Grundsätze der Menschlichkeit" gewährleistet würden.' Zwar wurden hiermit den Teilnehmern bezüglich der Darstellung des Themas bereits recht detaillierte Vorgaben gemacht, wie sie die einzelnen Punkte zu gewichten hätten, jedoch stand es ihnen völlig frei, in welcher Form sie ihren Beitrag abfassen wollten. Die Autoren der Preisschrift, Globig und Huster, wählen die Form einer lehrbuchartigen Abhandlung, wie sich bereits am Titel der Arbeit erkennen Vgl. Abhandlung S. 1 (Vorbericht). 2

426.

Vgl. Text des Preisausschreibens oben A III, 2. Siehe Eduard Hertz, Voltaire und die französische Strafrechtslehre im 18. Jahrhundert, S.

44

B. Die Preisschrift und ihre Zugaben

läßt.4 Sie verwahren sich aber gegen weitschweifige Darstellungen und sind bemüht, die Anzahl der Beispiele auf die nötigsten zu begrenzen und die "Sätze so deutlich mitzutheilen, daß sie keiner solchen Erläuterung bedürfen".s Globig und Huster übernehmen die angebotene Gliederung, fügen jedoch einen weiteren- vierten- Teil hinzu, den sie mit "Vorläufigen Anmerkungen von der peinlichen Gesetzgebung überhaupt" überschreiben6 und der Abhandlung voranstellen. Es folgen die drei Hauptteile in der von den Veranstaltern genannten Reihenfolge.' Die Unterscheidung zwischen materiellem Strafrecht und Strafverfahrensrecht wird übernommen. Die einzelnen Teile sind in Abschnitte unterteilt, die, soweit erforderlich, weiter untergliedert werden.8 Die gedruckte Schrift umfaßt insgesamt 440 Seiten im Oktavformat.9 b) Systematik innerhalb der einzelnen Teile Die "Vorläufigen Anmerkungen" enthalten die allgemeinen Gedanken der Autoren über die Erforderlichkeit der Strafe überhaupt sowie ausführliche Überlegungen dazu, wie ihrer Anwendung durch weniger schwere Eingriffe in das Leben des Einzelnen vorgebeugt werden kann. 10 Der erste Hauptteil, II der von den Verbrechen und den ihnen angemessenen Strafen handelt, umfaßt vier Abschnitte, 12 von denen die ersten drei gegenüber dem vierten eine gewissen Einheit bilden.

4 Vgl. auch Ludwig Günther, Die Strafrechtsreform im AufkläNngszeitalter, in: Archiv für Kriminal-Anthropologie und Kriminalistik, Bd. 28 (1907) S. 131.

Siehe Abhandlung, EingangS. 8. Diese Passage ist in der ersten Person verfaßt, da sie von Globig alleine geschrieben wurde. 6

Siehe Abhandlung S. 9. Vgl. Abhandlung S. 35, 257, 379. Vgl. z.B. Teil I, Abschnitt II und 111.

9 Das handschriftliche Original der Wettschrift ist Jeid.~r trotzintensiver Nachforschungen nicht mehr auffindbar. Bereits in einem Verzeichnis der Okonomischen Gesellschaft vom 23. April1922 wurde dieses Manuskript als fehlend verzeichnet.

to Dieser Teil umfaßt 26 Seiten. II Verfasser behält die Zählweise der Aufgabenstellung- wie Globig und Husterauch- bei, damit keine unnötige Verwirrung entsteht. Im Folgenden wird daher immervon den "Vorläufigen Anmerkungen" und den drei Hauptteilen die Rede sein, anstatt von vier Hauptteilen.

12 Erster Abschnitt: Von den Verbrechen überhaupt; zweiter Abschnitt: Von den Strafen insgemein, und deren Verhältnis gegen die Verbrechen; dritter Abschnitt: Von den Umständen, welche die Verbrechen und Strafen ändern; vierter Abschnitt: Von den Verbrechen und Strafen insbesondere.

I. Systematik und Form

45

Der erste Abschnitt enthält grundsätzliche Ausführungen zum Verbrechen überhaupt. Die beiden folgenden Abschnitte lassen eine strenge systematische Gliederung vermissen. Der zweite Abschnitt beinhaltet in seinem ersten Teil Überlegungen über Sinn, Zweck und Ziel des Strafens und der Strafe. Im übrigen erfolgt die Einteilung der allgemeinen Lehren unter dem Gesichtspunkt des Sachzusammenhangs. So hat Globig Notwehr, Irrtum und die übrigen für die Strafzumessung maßgebenden Umstände wie Zurechnungsfähigkeit als auch die Lehre von der Idealkonkurrenz im Bereich der allgemeinen Lehren über Strafen erörtert und zwar als Gründe, welche die Strafen mildem oder verschärfen oder gar ausschließen können.13 Der vierte Abschnitt befaßt sich mit den Verbrechen und Strafen im einzelnen, 14 indem er die jeweiligen Delikte nach ihrem Angriffsobjekt zusammenstellt. Insgesamt gliedert Globig sie nach ihrer strafrechtlichen Bedeutung in zwei große Gruppen: An der Spitze stehen Verbrechen gegen den Staat, gefolgt von Verbrechen gegen den Einzelnen.u Als Annex fügt er noch einen Exkurs über "Policey = Vergehungen" an, soweit diese zu Verbrechen Anlaß geben bzw. soweit sie bis dahin zu den Verbrechen gezählt wurden. 16 Der zweite Hauptteil ist ein Beitrag Husters und beschäftigt sich mit der Beweislehre. Dieser Teil umfaßt zehn Abschnitte, die sich folgendermaßen gliedern lassen: Grundsätzliche Überlegungen zur Beweisführung (erstervierter Abschnitt), Ausführungen zur Beweiskraft einzelner Zeugenaussagen (fünfter Abschnitt) sowie strafrechtsspezifischer Beweise (sechster Abschnitt); es folgt eine Gewichtung der einzelnen Beweise (siebter-neunter Abschnitt), an die sich Gedanken zur Gegenbeweisführung durch den Angeschuldigten anschließen (zehnterAbschnitt). Der dritte und letzte Hauptteil, für den wiederum Globig verantwortlich zeichnet, hat prozessuale Fragen zum Gegenstand. 17 Er ist in sechzehn zum Teil recht kurze Abschnitte untergliedert, die sich unter folgende sechs Punkte zusammenfassen lassen: Allgemeiner Überblick und Gerichtsbarkeit (erster Abschnitt), Grundsätze der Anklage und des Verfahrensrechts (zweiter-elfter Abschnitt), Verteidigung (zwölfter Abschnitt), Beendigung 13 Vgl. hierzu AbhandlungS. 86, 92,159. 14 Vgl. Abhandlung S. 162. u Vgl. näher hierzu unten B III, 3. S. 112 ff.

16 Vgl. Abhandlung S. 239. 17 Die Überschrift lautet: "Von der Art, vermittelst der Criminal-Procedur dergestalt dazu zu gelangen, daß die Gelindigkeit des Verhörs und der Strafen mit der Gewissheit einer schleunigen und exemplarischen Strafe vereiniget werde, und die bürgerliche Gesellschaft die größte mögliche Sicherheit finde, mit der größten möglichen Ehrfurcht für die Freyheit vereinbaret", siehe Abhandlung, Inhalt der Preisschrift (S. 2).

46

B. Die Preisschrift und ihn: Zugaben

des Verfahrens (13. und 14. Abschnitt), Kosten des Verfahrens (16. Abschnitt) sowie Vollstreckung des Urteils (15. Abschnitt).

2. Vier Zugaben a) Entstehung

Bereits in der Einleitung der von ihr zum Druck beforderten Preisschrift forderte die Ökonomische Gesellschaft die Verfasser derselben auf, ihre Abhandlung noch einmal zu überarbeiten, zu ergänzen und zu berichtigen. 18 Globig und Huster beabsichtigten zunächst, dies in Form von Noten zu tun, die als Zusatz zu der Preisschrift gedruckt erscheinen sollten. 19 Während des FortschreiteDS dieser Arbeit entschieden sie sich jedoch, da ihnen zu viele Gesichtspunkte wesentlich und erwähnenswert erschienen, diese in Form von Zugaben, d.h. von eigenen, in sich geschlossenen, Abhandlungen zu publizieren.20 Sie orientierten sich hierbei grundsätzlich am Aufbau der Preisschrift und behielten die Form einer lehrbuchartigen Abhandlung bei.21 b) Systematik innerhalb der Vier Zugaben Globig verfaßte die drei ersten, Huster die vierte Zugabe.22 Sie entsprechen jedoch nicht exakt den vier Teilen der Preisschrift. Vielmehr wurde nur den "Vorläufigen Anmerkungen" und dem ersten Hauptteil je eine Zugabe gegenübergestellt. Die übrigen beiden Zugaben behandeln die Gebiete der Polizeistrafen sowie der Kirchenstrafen. Die zweite und dritte Zugabe sind in Hauptstücke und diese wiederum in Abschnitte unterteilt. Zusätzliche Ausführungen zum zweiten und dritten Hauptteil der Abhandlung schienen den Verfassern nicht erforderlich, da diese bereits erschöpfend abgehandelt worden seienP Die Vier Zugaben haben einen Umfang von 450 Seiten. Hieran schließen sich noch 60 Seiten Druckfehlerberichtigungen und kurze Anmerkungen zu einzelnen Begriffen der Preisschrift an.24 IB

Vgl. Abhandlung, Vorbericht (S. 2).

19 V gl. Vier Zugaben S. 5 f (Vorbericht).

20

Vgl. Vier Zugaben S. 6 (Vorbericht).

21

Vgl. oben BI, 1. a); vgl. Günther(Anm. 4) S. 131.

22

Vgl. VierZugaben S. 1 (litelblatt),

23

Vgl. Vier Zugaben S. 7 (Vorbericbt), vgl. jedoch unten B V Anm. 1.

24

Vgl. Vier Zugaben S. 451.

I. Systematik und Fonn

47

Die erste Zugabe ist überschrieben: "Ueber die Allgemeinheit und Bestimmtheit peinlicher Gesetze" und entspricht thematisch in etwa den "Vorläufigen Anmerkungen von der peinlichen Gesetzgebung überhaupt". Sie ist ausführlicher als letztere und läßt das Bestreben ihres Verfassers erkennen, seine bereits in der Abhandlung zum Ausdruck gebrachte Grundüberzeugung zu bekräftigen. Dem ersten Hauptteil "Von den Verbrechen und den ihnen angemessenen Strafen" wurde die zweite Zugabe "Neue Gedanken über die Verbrechen und Strafen" zugeordnet. Sie weist aber auch noch Bezüge zu den "Vorläufigen Anmerkungen" auf und ist mit ihren 241 Seiten mit Abstand der umfangreichste Teil. Die Zugabe gliedert sich in drei Hauptstücke, die die "Allgemeine[n] Verhältniße der Verbrechen und Strafen" sowie deren Auswirkungen auf einzelne Verbrechen und die "Umstände, welche die Verbrechen und Strafen ändern", behandeln.l3 Hieran und an den Titeln der einzelnen Abschnitte läßt sich unschwer erkennen, daß Globig sich an der Gliederung des ersten Hauptteils orientiert hat. Die dritte Zugabe handelt von der ''Theorie der Strafgerechtigkeit in Polizeysachen" und ist in fünf Hauptstücke aufgegliedert. Ausführungen zu diesem Thema, das bereits im vierten Abschnitt des ersten Hauptteils der Abhandlung angelegt worden ist, sind nach Ansicht des Autors erforderlich, weil die Polizei die "treue Gehülfm" des peinlichen Rechts sei.26 Die letzte Zugabe umfaßt gerade elf Seiten und hat die Kirchenstrafen zum Gegenstand. Sie ist ebenso wie die dritte Zugabe ''bloß wegen ihrer Verwandschaft mit der ausgeschriebenen Preißaufgabe, nicht als wesentliche[r] Theil ... derselben beygefügt"P

23

Siehe Vier Zugaben S. 41.

26 Siehe Vier Zugaben S. 285 und 290. 27

Siehe Vier Zugaben S. 7 (Vorbericht).

48

B. Die Preisschrift und ihre Zugaben

II. Rechtsphilosophische Grundlagen der Preisschrift Die rechtsphilosophischen Grundlagen der Preisschrift finden ihre Behandlung im wesentlichen in den "Vorläufigen Anmerkungen" und der ersten Zugabe, aber auch im ersten Hauptteil der Aufgabe sowie der zweiten Zugabe. Die Strafrechtsreform des Aufklärungszeitalters war nicht von Kriminalisten ausgegangen, sondern von philosophisch und philautropisch gesinnten Gelehrten aller Fakultäten eingeleitet worden. Ihre Unzufriedenheit mit den bestehenden Rechtszuständen zeigte sich aber besonders in ihrem Kampf gegen das herrschende Strafrechtssystem.t

1. Gesellschaftsvertrag Das Recht des Staates zu strafen gründen die Aufklärer übereinstimmend auf die seit Rousseau herrschend gewordene und von Beccaria in das Strafrecht eingeführte, naturrechtliche Theorie vom "contrat social".2 Danach beruht es auf einem beim Übergang aus dem Naturzustand in die staatsrechtliche Ordnung geschlossenen Gesellschaftsvertrag, daß Handlungen, mit denen ein Mensch versucht, seinen vormals geopferten Freiheitsanteil ganz oder zum Teil zurückzugewinnen, als Vertragsbrüche und Verbrechen aufgefaßt werden, die vom Staat sanktioniert werden müssen. Auch Globig und Huster stützen sich in ihrer Abhandlung von der Kriminalgesetzgebung auf den Gesellschaftsvertrag als Grund des "ius puniendi" des Staates. Jedoch sprechen sie bereits von dem "so unentbehrlichen als fabelhaften Grundsatz des Staatsrechts" und nehmen diesen "Grundsatz des Ursprungs der Staaten und der Gesetze [nur) an, weil solcher der einzige ist, woraus sich Regeln einer gerechten Staatsverfassung ziehen lassen".3 Die Pflicht des Staates, d.h. für Globig des Regenten,4 besteht darin, die ihm von den Bürgern übertragenen Rechte zu schützen und Angriffe anderer auf sie zu unterbinden und falls notwendig abzuwehren. Das daraus resultierende Recht, eventuelle Vertragsbrüche mit Strafen zu ahnden, darf 1 Vgl. Ludwig Günther, Die Strafrechtsreform im Aufklärungszeitalter, in: Archiv für Kriminal-Anthropologie und Kriminalistik, Bd. 28 (1907) S. 117 ff. 2

Vgl. Cesare Beccaria, Über Verbrechen und Strafen, Zitiert nach der Übersetzung von

Wilhelm Alff, Kap. 1 S. 51.

3 Siehe Abhandlung S. 37 und S. 9 Anm. •; vgl. auch Abhandlung S. 4 so·".-;c Vier Zugaben S. 18. Auch Hornmet hatte sich bereits in seinen Anmerkungen zu Beccarias Schrift gegen dessen Annahme eines Gesellschaftsvertrages als Grundlage des Staates gewandt, vgl. Karl Fcrdinand Bommel, Des Herrn Marquis von Beccaria unsterbliches Werk von Verbrechen und Strafen, § 1 S. 35 Anm. c.

4

Vgl. Abhandlung S. 34.

II. Rechtsphilosophische Grundlagen der Preisschrift

49

jedoch nur dann zur Anwendung gelangen, wenn der Staat seiner Verpflichtung zur Verhinderung von Verbrechen mittels geeigneter Vorbeugemaßnahmen nachgekommen ist. Denn eine Strafe ist nur und erst dann gerecht und notwendig, wenn diejenigen Maßnahmen, die die meisten Verbrechen verhindem können, gar nicht oder zu spät geholfen haben.5

2. Verbrechensvorbeugung Globig vergleicht den peinlichen Gesetzgeber mit einem Arzt, der Krankheiten seiner Patienten durch "gute Diät" vorzubeugen und zu heilen sucht, bevor er zur Heilung starke Arzneien verordnet.6 Oftmals ist dies der einzige Weg, die Eintracht des Staates und die Glückseligkeit aller zu wahren. Die hierzu geeigneten Mittel gliedert Globig in zwei Gruppen, in solche, die der Besserung der Sitten, - da diese ''beständig wirken"7 - , und solche, die einer "guten Justizpflege" dienen.S

a) Besserung der Sitten Eine Besserung der Sitten wird in erster Linie durch eine gute Erziehung erreicht, die insbesondere den Kindern zuteil werden soll. Da aber viele Eltern ihren Kindem ohne eigenes Verschulden kein gutes Beispiel sein können, gelangt Globig zu der Überzeugung, daß "öffentliche Erziehungs = Anstalten" die beste Möglichkeit sind, den kommenden Generationen "die Gesetze nur als gute Lehren, nicht als Zwangsmittel" erscheinen zu lassen.9 Die Kindem sollen "von ihren Aeltem ganz abgesondert und in einer vollkommneo Gleichheit, ..., auf den leichtesten Weg, mehr zur Tugend, als zur Gelehrsamkeit, geführt werden".10 Jedoch soll nicht nur der Jugend ein leichterer Zugang zu den Möglichkeiten eines friedlichen Lebens geboten werden, Globig bezieht auch die Erwachsenen in sein Erziehungsvorhaben Vgl. Abhandlung S. 8, vgl. Hanns Ernst von Globig, Betrachtungenbey dem Entwurf eines Criminal =Gesetzbuchs für die Preußischen Staaten, S. 59, Christian Gottlieb Gmelin, Grundsätze der Gesetzgebung über Verbrechen und Strafen,§§ 1 ff. S. 1 ff. und Antoine Nicolas Servin, De Ia legislation criminelle, zitiert nach der Übersetzung von Johann Ernst Gruner, Über die peinliche Gesetzgebung, I Kap. 1 Abschnitt 1 § 3 S. 20 ff. 6

Siehe Abhandlung S. 10, 48, vgl. Vier Zugaben S. 312.

7

Siehe Abhandlung S. 18.

8

Siehe Abhandlung S. 10, vgl. auch ebd. S. 11 f.

9

Siehe Abhandlung S. 12 f.

10

Siehe Abhandlung S. 12, vgl. auch Günther(Anm. 1) Strafrechtsreform S. 142.

50

B. Die Preisschrift und ihre Zugaben

mit ein. Hier kann insbesondere die Ausbreitung der Künste und Wissenschaften helfen, denn sie bieten "dem Bürger eine beständige Beschäftigung, einen reichlichen Unterhalt. ... dadurch [fallen] zwey Hauptquellen von Verbrechen, die Armuth und der Müßiggang, hinweg"." Allerdings erkennt Globig auch, daß nicht alle schlechten Sitten eines Volkes behoben werden können, und sieht es bereits aJs einen Erfolg an, wenn der Gesetzgeber sie mit seinen Mitteln abzubauen vermag.12 Eine unter den Aufklärern 13 verbreitete Ansicht, die Landesbeschaffenheit und das Klima würden sich auf das kriminelle Verhalten seiner Bewohner auswirken, versucht Globig zu relativieren, ohne sich jedoch ganz dem Einfluß dieser Meinung entziehen zu können.l4 Er geht davon aus, daß die Bewohner der wärmeren Gegenden den Lastern der Trägheit und Wollust eher verfallen, was auch durch eine Besserung der Sitten nicht erfolgreich bekämpft werden kann, "weil der Einfluß des Himmelsstrichs unvermeidlich" ist. 15 Als unerläßliche Helferin des Staates und "Gehülfm des peinlichen Richters"16 bei der Wahrung und Sicherung der guten Sitten und Ordnung nennt die Preisschrift die Polizei. Sie muß über die guten Sitten, die "durch einen stillschweigenden Zusatz zum ersten gesellschaftlichen Vertrag" 17 Mittel zum Schutz desselben wurden, wachen.1s Ihre Aufgabe ist es daher nicht, Verletzungen des Gesellschaftsvertrages zu ahnden, sondern solche Verletzungen, die sich gegen die guten Sitten wenden. Globig erkennt, daß der Polizei hierzu keine uneingeschränkte Macht eingeräumt werden darf, sondern daß sich ihre Befugnisse an ihren Aufgaben orientieren und durch diese begrenzt werden müssen. 19 Die Polizeivergehen dürfen nicht ebenso hart II Siehe Abhandlung S. 13; Globig tritt zudem für eine Belohnung der Tugend sowie der Dankbarkeit ein, ohne selbst jedoch zu verkennen, wie schwer es sein wird, zwischen falschem Streben nach Vorteilen und echten von Herzen kommenden Gefühlen zu unterscheiden. Allerdings setzt er sich für Belohnungen ,Seitens des Staates für Wohlverhalten und erwiesener Dankbarkeit sein, vgl. Abhandlung S. 13 ff., ebenso Beccaria (Anm. 2) Kap. 41 S. 148 ff. 12

Vgl. Abhandlung S. 11, 16.

13

Vgl. Günther(Anm. 1) Strafrechtsreform S. 136 Anm. 1.

14

Vgl. Abhandlung S. 16 ff. und Vier Zugaben S. 23 ff.

15

Siehe Abhandlung S. 19, vgl. auch ebd. S. 16 ff.

16 17

Siehe Abhandlung S.239, vgl. Vier Zugaben S. 290. Siehe Abhandlung S. 20, vgl. Vier Zugaben S. 45, 289, 301.

Vgl. Abhandlung S. 8, 19 ff., 239 ff., Vier Zugaben S. 2S und 235 ff. (Dritte Zugabe) und Gmelin (Anm. 5) § 6 S. 11. Für eine Verbrechensvorbeugung_durch polizeiliche Maßnahmen auch Kad Ferdinand Hammel, Principis cura Ieges, in der Ubersetzung von &iner Polley, Principis cura Ieges oder des Fürsten höchste Sorgfalt: die Gesetze, VII S. 102 f. IS

19

Vgl. Abhandlung S. 21.

II. Rechtsphilosophische Grundlagen der Preisschrift

51

bestraft werden wie Verbrechen gegen den Gesellschaftsvertrag. Ihre Maßnahmen müssen eher den Charakter von Züchtigungen als von Strafen haben und in einem eigenen Gesetzbuch niedergelegt werden.20 "So wie die Policey durch sichtbare und handgreifliche Mittel die Sitten und gute Ordnung erhält, eben so ist die Religion eine unsichtbare Führerin zur Tugend und zum ordentlichen Leben".lt Die Verfasser der Preisschrift räumen - wie viele Aufklärer - der Religion22 einen hervorragenden Platz in der staatlichen Strafrechtspflege ein, jedoch nicht um ihrer selbst willen. Vielmehr sehen sie sie "nur politisch" als eine, wenn auch wesentliche Stütze der bürgerlichen Gesellschaft. Niemandem wird vorgeschrieben, was er glauben soll und wie er seinen Glauben auszuüben hat. Jedoch darf der Einzelne sich in keiner Weise in Widerspruch zu der oder den im Staate existierenden Religionen stellen, da dies den Staat selbst in Gefahr bringt.23 In derartigen Fällen steht das Recht zu strafen dem Staat und nicht etwa der Kirche zu.2A Grundsätzlich wird dieses dem Aufgabenbereich der Polizei zugerechnet.25 b) Rechtspflege

Als zweites geeignetes Mittel zur Verhütung von Verbrechen, neben der Besserung der Sitten, führt Globig eine gute "unpartheyische Justiz= Pflege" an, die er in eine gute Gesetzgebung sowie eine gerechte Ausübung der Gesetze untergliedert.26 ba)

K~ationsgedanke

Wesentliches Charakteristikum einer guten Gesetzgebung ist für Globigin Übereinstimmung mit den Gelehrten seiner Zeit - eine vollständige sy20 Vgl. Abhandlung S. 20 f. 21

Siehe Abhandlung S. 22.

22 Gemeint ist eine Religion im Sinne von Staatsreligion. 23 Zur Religion vgl. Abhandlung S. 22 ff. und 252 ff., Vier zugaben S. 439 ff. (Vierte Zugabe). 2A Die Kirche selbst hat solch ein Recht nur dann, wenn ihre Mitglieder gegen innerkirchliche Pflichten, die nicht dem Staatswohl dienen, verstoßen, vgl. näher Vierte Zugabe und unten BIV,2. 23 Vgl. Abhandlung S. 256und Vier Zugaben S. 293und unten B IV, 1.; allgemein dazu H. Drotit, Das Ermessen des Strafrichters, S. 86 ff. 26

Siehe Abhandlung S. 23, vgl. oben B ll, 2.

52

B. Die Preisschrift und ihre Zugaben

stematische Kodifikation, die gewiß und bestimmt ist und deren Normen in ihrer Anwendung nicht dem richterlichen Ermessen unterworfen sind.V Die Befugnis, Strafen festzusetzen, kommt unter Ausschließung anderer Rechtsquellen wie Gewohnheitsrecht oder Richterspruch allein dem Gesetzgeber zu.28 Um dieses Ziel zu erreichen, müssen folgende Gesichtspunkte berücksichtigt werden: Materielle Vollständigkeit Das Gesetzbuch muß jede nur denkbare strafbare Handlung enthalten und die dazugehörige Strafe angeben. Dies ist trotz der verschiedenen Begehungsformen der Verbrechen möglich, da allen "gewisse Hauptregeln" gemeinsam sind.29 Die inhaltlich erschöpfende Regelung muß letztlich dazu führen, daß jeder "sein eigner Advocat seyn kann".:lO Das festgelegte Wort des Gesetzes wird die für jedermann klar erkennbaren Grenzen über Recht und Unrecht darstellen.lt Absolute Strafandrohung Dem Richter kommt lediglich die Befugnis zu, die angeklagte Handlung unter einen im Gesetz normierten Tatbestand zu subsumieren. Eine Ermessensfreiheit des Richters bei seinen Entscheidungen wird grundsätzlich verneint, denn diese steht allein dem Gesetzgeber zu. 32 In diesen beiden Forderungen ist bereits sinngemäß der erst später aufgestellte Grundsatz "nullum crimen, nulla poena sine lege" enthalten.'' Sprache Die Sprache muß für jeden Bürger verständlich sein, also klar, einfach strukturiert und frei von juristischen Spezialausdrücken. Unerläßliches Ern

Im einzelnen vgl. Abhandlung S. 24 ff.

Vgl. Thomas Würtenbezger, Cesare Beccaria und die Strafrechtsreform, in: Erinnerungsgabe für Max Grünhut, S. 205. 28

29

Siehe Abhandlung S. 30.

30

Siehe Abhandlung S. 32, vgl. ebd. S. 29 f.

Vgl. K.atharina II., Instruction für die zu Verfertigung des Entwurfs zu einem neuen Gesetzbuche verordnete Commißion, Kap. 10 § 156 S. 41. 31

32 Vgl. Beccaria (Anm. 2) Kap. 4 S. 55 ff. und vgl. Katharina II. (Anm. 31) Kap. 10 § 151 S. 39. 33 Vgl. Würtenbezger(Anm. 28) Beccaria S. 205, Beccaria (Anm. 2) Kap. 3 S. 54 f. Erstmals verwirklicht wurde dieser Grundsatz im Allgemeinen Gesetz über Verbrechen und derselben Bestrafung Josef II. von 1787, vgl. ebd. I§§ 1, 13 und unten C lll, 1. a) Anm. 4.

II. Rechtsphilosophische Grundlagen der Preisschrift

53

fordernis bleibt zudem die Abfassung des Gesetzbuches in der Landessprache.34 Bekanntmachung Unbedingte Voraussetzung für die Bestrafung eines Bürgers ist die Bekanntmachung der gesetzlichen Ge- und Verbote. Globig schlägt vor, das Gesetzbuch auf Kosten des Staates drucken und jedem Haushalt ein solches zukommen zu lassen, um die Erziehung und Unterweisung der Kinder in dessen Sinn zu gewährleisten.15 Umfang Das Gesetzbuch darf nicht zu umfangreich sein, um nicht seine Popularität und die Verwendung durch das Volk zu behindern. bb) Anwendung der Gesetze Das zweite Kriterium einer guten Rechtspflege ist eine gute Ausübung der Gesetze.36 Das Ideal der Aufklärungszeit ist eine vom Gesetzgeber kontrollierte Gleichmäßigkeit der Rechtsprechung. Der Gesetzgeber darf nie zugleich Richter sein, da er bereits die Rolle des Anklägers innehat. Der Richter muß im Sinne des Zeitgeistes ein Vorbild der Bürger sein, was auch durch einen beispielhaften Lebenswandel erreicht werden kann.37 Wesentliches Merkmal des Richteramtes ist dessen Unparteilichkeit, die u.a. durch öffentliche Sitzungen und Gleichrangigkeit unter den im Urteilsgremium vertretenen Richtern bewirkt wird.38 Der Richter ist lediglich der "mechanische Ausüber der klaren Bestimmungen des Gesetzes",39 zu dessen berufli~ Vgl. auch Hommcl (Anm. 18) Principis X S. 123. Globig wehrt sich besonders gegen die Übernahme fremder Gesetzbücher, da jede Nation ihre - auf sie passende Gesetzbücher- benötigt, vgl. Abhandlung S. 26 und Vier Zugaben S. 289. Dies gilt jedoch nur für die Polizeigesetzgebung, was Bruno Schwcllnus, Sachsens Strafrechtspflege im Aufklärungszeitalter, S. 50, übersieht. 35

Vgl. Vier Zugaben S. 459 p. 321. 13 und Abhandlung S. 25,53 f.

Vgl. Abhandlung S. 32 ff. Erstes Kriterium einer guten Rechtspflege ist eine gute Gesetzgebung, vgl. B II, 2. b) ba). 36

37 Globig schlägt z.B. vor, dem Richter eine besondere Besoldung zukommen zu lassen, die ihm eine gehobene gesellschaftliche Stellung ermögliche, vgl. Vier Zugaben S. 460 ad. p. 23 in Fine, Abhandlung S. 384. 38

Vgl. Abhandlung S. 34 ff. mit weiteren Vorschlägen.

Siehe Abhandlung S. 31; etwas einschränkender Abhandlung S. 96 f., besonders S. 97 Anm.•. 39

54

B. Die Preisschrift und ihre Zugaben

eher Qualifikation nur der "vollkommene[...] Gebrauch der fünf Sinne[...], gute Beurtheilungskraft und Rechtschaffenheit" erforderlich sind.40 Eine wissenschaftliche Ausbildung erübrigt sich, wie überhaupt Globig - auch hier eine Forderung seiner Zeit folgend - die Rechtswissenschaft selbst sowie das Gewohnheitsrecht für überflüssig erklärt.4 1 Friedrich II. von Preußen ging bereits in seiner 1749 verfaßten Dissertation davon aus, daß durch Klarheit und Deutlichkeit der einzelnen Bestimmungen jeder Streit um ihre Auslegung ausgeschlossen wäre, da alles vorauszusehen wäre und nichts mehr zu Unerträglichkeilen führen würde.42

3. Humanitätsprinzip Die Vermenschlichung des Menschen ist ein allgemeines Prinzip der Aufklärung.43 So entspricht auch die Forderung, das Strafrecht zu humanisieren und eine größtmögliche Milde bei der Anwendung der Strafen walten zu lassen, dem auf das Individuum und seine Glückseligkeit ausgerichteten Zeitgeist des Jahrhunderts der Aufklärung.44 Auch Globig spricht sich gegen Strafen, die das notwendige Maß an Härte übersteigen und dadurch grausam werden, aus, da dem Gesetzgeber zur Festsetzung solcher Strafen das Recht fehlt.45 Dieser muß vielmehr "menschlich seyn", denn die Strafe darf lediglich dem Nutzen der Gesamtheit verpflichtet sein. Zu harte Strafen sind untauglich und auf Dauer zum Zweck der Verbrechensbekämpfung nicht geeignet.46

4. Proportionalitätsprinzip Zu den ständigen Forderungen, die bei allen Schriftstellern der Aufklärung zu fmden sind, gehört die nach der Proportionalität von Verbrechen

40 Siehe Abhandlung S. 32. 41

Vgl. Abhandlung S. 31, 368.

Vgl. Michael Alkalay, Das materielle Strafrecht der französischen Revolution und sein Einfluß auf Rechtsetzung und Rechtsprechung der Helvetischen Republik, S. 33 m.w.N. 42

43

Vgl. Beccaria (Anm. 2) S. 38 f., vgl. Abhandlung S. 47 ff. und Vier Zugaben S. 61 ff.

44

Vgl. Alkalay(Anm. 42) S. 35 und auch Beccaria (Anm. 2) Kap. 27 S. 107 ff.

45

Vgl. Abhandlung S. 59, 83, und 88.

Siehe Abhandlung S. 157, vgl. Globig (Anm. 5) S. 17 ff. Zum Begriff der Grausamkeit in der Philosophie der Aufklärung siehe auch Alkalay (Anm. 42) S. 37 und Beccaria (Anm. 2) Kap. 6 s. 60 ff. 46

II. Rechtsphilosophische Grundlagen der Preisschrift

55

und Strafen.47 Sie richtet sich an den Gesetzgeber mit dem Ziel, der nahezu schrankenlosen richterlichen Willkür bei der Auswahl der Strafen Einhalt zu gebieten.48 Das einzelne Verbrechen wird- im Sinne einer relativen Straftheorie - als bloße Rechtsgutverletzung verstanden, die in vernünftiger und angemessener Weise zu bestrafen ist.49 Die Strafe als Reaktion der Gesellschaft auf diese Beeinträchtigung des Gesellschaftsvertrages hat sich an der Art des Verbrechens zu orientieren und zugleich im Verhältnis zu diesem zu stehen.50 Ihre Höhe bestimmt sich nach der im einzelnen abstufbaren Schwere des Deliktes. Unerläßliche Voraussetzung hierfür ist eine richtige Bewertung der Taten, für die einzig die Schwere des Unrechtsvorwurfs maßgeblich ist.5 1 Dieser wiederum leitet sich allein aus dem der Gesellschaft zugefügten Schaden ab, worunter nicht nur das sich unmittelbar aus der Tat ergebende Übel verstanden wird, sondern hauptsächlich die längerfristigen Folgen desselben.32 Hierbei sind Ursachen irrelevant, die im Wesen oder Verhalten des Täters liegen.53 Dies zeigt sich besonders deutlich an den folgenden vier - in den Vier Zugaben genannten - Kriterien zur Bemessung der Tatfolgen und der Größe des Schadens:"' 1. 2.

Es dürfen nur offenkundige Umstände berücksichtigt werden. "Nach erwiesener Existenz solcher Umstände, ist der böse Vorsatz des Verbrechers so lange vorauszusetzen, als dieser nicht aus anderen Umständen das Gegentheil darthut•.ss

47 Vgl. etwa Ludwig Günther, Die Idee der Wiedervergeltung in der Geschichte und Philosophie des Strafrechts, II S. 168 ff., 188 ff., 202 ff. Zur Problematik der Proportionalität besonders Raincr Polley, Die Lehre vom gerechten Strafmaß bei Kart Ferdinand Hommel (AD 1722 -1781) und Benedikt Carpzow (AD 1595 -1666), S. 7-17.

48 Voltaire nennt die Richter, die die Strafen nicht dem Verbrechen anpassen, sogar "Mörder in der Robe", zitiert nach Eduard Hertz, Voltaire und die französische Strafrechtspflege im 18. Jahrhundert, S. 303.

49

50

Vgl. AJ/calay(Anm. 42) S. 38.

Vgl. Chanes de Sccondat Montesquieu, De l'esprit des lois, zitiert nach der Übersetzung von Ernst Forsthoff, Vom Geist der Gesetze, Bd. 1 Buch 12 Kap. 4 S. 260 ff., vgl. auch &tharina IL (Anm. 31) Kap. 7 § 67 S. 16, die diese Stelle fast wörtlich übernahm. 51

Vgl. Pollcy(Anm. 47) S. 10 f.

Vgl. Vier Zugaben S. 46, dagegen Joseph von Sonnenfcls, Grundsätze der Polizey, Handlung und Finanz, I Kap. 3 § 191 S. 268 ff., vgl. auch Gmclin (Anm. 5) § 19 S. 41. 32

53 Vgl. Würtcnbe.IJCr(Anm. 28) Beccaria S. 206 f. Hiermit wurde im wesentlichen auf den äußeren Taterfolg und nicht auf die Schuld des Täters abgestellt, vgl. auch Vier Zugaben S. 46, 73.

"' Vgl. zum Folgenden Vier Zugaben S. 46 ff. 55

Siehe Vier Zugaben S. 47.

56

3. 4.

B. Die Preisschrift und ihre Zugaben

Unmittelbare aber vorhersehbare, also zu erwartende Folgen der gesetzeswidrigen Handlungen gehen ebenso zu Lasten des Täters, auch wenn sich sein Vorsatz nicht darauf erstreckte, wie auch der Nichteintritt des Erfolges, soweit er nicht auf Maßnahmen des Täters zurückzuführen ist, ihm nicht positiv zugerechnet werden kann.

Die Bestimmung dieses Schadens, der Folge des Verbrechens, muß, da sie - entsprechend den Gedanken der Aufklärung- nicht dem richterlichen Ermessen überlassen werden darf, vom Gesetzgeber normiert werden. Als "Führerin des Geset~ebers" sieht Globig die Analogie, die aus allen ''bekannten ähnlichen Fällen hergeleitet werden" muß.~ Problematisch ist jedoch auch die Bestimmung des richtigen Verhältnisses. Hier gilt als Maßstab einer gerechten Proportionalität der Gerechtigkeitssinn eines aufgeklärten, d.h. vernünftigen Menschen.57 Jener ist nicht mehr an einem auf Gott, sondern an einem auf den Menschen bezogenen Strafrecht orientiert, so daß sich die Strafe nicht mehr nach dem Ausmaß der in einem Verbrechen liegenden Versündigung bestimmt. Kriterium ist nun allein die Schwere der jeweiligen Tat, der durch sie verursachte Schaden. Globig versucht nun in den Vier Zugaben zur Bestimmung der Schwere einer Tat durch einen Vergleich der einzelnen Verbrechen zu gelangen und so "eine Stufenleiter von selbigen ausfindig zu machen, welche zur Anpaßung proportionirlicher Strafen unumgänglich nothwendig ist".ss Erbetrachtet die Verbrechen, bei denen er solche gegen den Staat und solche gegen den einzelnen unterscheidet, unter zwei Aspekten, einmal unter dem der Begehensweise und zum andern unter dem des Tatobjektes. Was letzteres betrifft, so haben beide Verbrechensarten ein gemeinsames Kriterium, an dem sie gemessen werden können: die durch die Tat verursachte Gefährdung der öffentlichen Sicherheit. Verbrechen gegen den Einzelnen können jedoch auch noch unter einem zusätzlichen Gesichtspunkt beurteilt werden: dem des entstandenen Schadens, welcher seinerseits wiederum in einer gewissen Beziehung zum eben genannten Maßstab steht. Denn je größer der dem Einzelnen zugefügte Schaden ist, desto mehr wird dadurch die öffentliche Sicherheit gefährdet. Die Kriterien zur Bestimmung der Größe dieses Schadens werden deutlich bei der näheren Betrachtung des zweiten Aspekts: Art und Weise der Tatbegehung. Globig differenziert hier zwischen Beeinträchtigung des Ver-

~

Siehe Vier Zugaben S. 48 und vgl. ebd. S. 71 f.

51

Vgl. Polley(Anm. 47) S. 16 f.

SB

Siehe Vier Zugaben S. 49, vgl. zum Folgenden ebd. S. 49 ff.

11. Rechtsphilosophische Grundlagen der Preisschrift

57

mögensundder Person. In beiden Fällen können sich die Verstöße jedoch nicht gegen den Staat,39 sondern nur gegen den Bürger richten. Nur bei Verbrechen gegen den einzelnen ist es somit grundsätzlich möglich, eine Stufenleiter derselben aufzustellen. Bei Verbrechen gegen den Staat ist dies fast undurchführbar, da hier nur das vage Differenzierungskriterium der Gefährdung der öffentlichen Sicherheit zur Verfügung steht. Globig kommt daher zu dem Ergebnis, daß es "unmöglich ... sey, eine vollkommene, auf überzeugenden Gründen beruhende Stufenleiter aller und jeder Verbrechen ausfindig zu machen".61 Um die bestmögliche, wenn auch unvollkommene Bestimmung der Proportionalität von Verbrechen und Strafen zu erlangen, greift Globig auf die den Verbrechen eigene Teilung in zwei Gruppen zurück: 1.

2.

Straftaten gegen die Sicherheit des Staates sowie die persönliche Sicherheit des Einzelnen und Verletzung des Eigentums und Beleidigung der Person.61

Mit Hilfe dieses neuen proportionalen Maßstabes staatlichen Strafens hoffen die Aufklärer, die bisherige Willkür des Richters bei der Strafzumessung zu beseitigen sowie der Forderung der Aufklärung nach Milderung des überkommenen Strafensystems zu entsprechen.62 Das Verhältnis zwischen Verbrechen und Strafen ist grundsätzlich konstant und in keiner Weise abhängig von der sittlichen Vollkommenheit der einzelnen Nationen. Denn der Gesellschaftsvertrag, gegen den sich die Verstöße richten, ist in allen Staaten derselbe, in ihren Sitten unterscheiden diese sich jedoch. Letztere haben aber nur Einfluß auf die Polizei und niemals auf die Strafgesetze.63

Y1 Soweit Staatseigentum und/oder -vermögen betroffen sind, will Globig es wie Privateigentum behandelt wissen, es sei denn, die ganze Nation geriete durch die Handlung in Gefahr, vgl. Vier Zugaben S. 51. 60

Siehe Vier Zugaben S. 55.

Zur ersten Gruppe zählt er: Staatszerrüttende Verbrechen, Mord, Brandstiftung, Überschwemmung, einfachen Mord (Totschlag), Körpetverletzung, Freiheitsberaubung, Widerstand gegen die Staatsgewalt; zur zweiten Gruppe: Vergehen gegen persönliche Vorzüge des Regenten, Beleidigungen, Ehebruch, Diebstahl, Fälschung, Sachbeschädigung. 61

62 Vgl. Würtenbe~r(Anm.28) Beccaria S. 207 und Montcsquieu (Anm. 50) Bd. 1 Buch 19 Kap. 14 s. 420 ff.

63 Vgl. Vier Zugaben S. 26 und unten B IV, 1. a).

58

B. Die Preisschrift und ihre Zugaben

5.

Abschreckun~prinzip

Eine Strafe ist nur dann gerecht, wenn sie verhältnismäßig und zugleich notwendig im Sinne des Strafzweckes ist. Im Rahmen der kriminalpolitischen Nützlichkeitserwägungen scheint fast allen Aufklärern die Abschreckung wichtigster Strafzweck zu sein.64 Auf die selbstgestellte Frage: ''Welches ist der politische Zweck der Strafen?" antwortet Beccaria: "Die Abschreckung der übrigen Menschen."65 Zwar erfaßt diese generalpräventive Wirkung der Strafe auch den einzelnen Täter, und dies wird nicht übersehen. Jedoch wird die Ausgestaltung der Strafe in erster Linie unter dem Gesichtspunkt der allgemeinen Abschreckung vorgenommen. Wenn daher Beccaria an anderer Stelle sagt: "Der Zweck der Strafe ist kein anderer, als den Verbrecher daran zu hindern, seinen Mitbürgern neuen Schaden zuzufügen", so fährt er gleich fort: "und die anderen von gleichen Handlungen abzuhalten, es verdienen also die Strafen und die Art ihrer Auferlegung den Vorzug, die unter Wahrung der Angemessenheil den lebhaftesten und nachhaltigsten Eindruck auf die Gemüter der Menschen machen".66 Dies zeigt deutlich, daß Beccarias Streben auf die Abschreckung der Allgemeinheit gerichtet ist. Der Einzelne wird nicht so sehr als Individuum gesehen, sondern vielmehr als Mitglied der Gesamtheit.67 Diese Auffassung vertreten auch Globig und Huster. Sie differenzieren jedoch noch etwas feiner. Ihrer Ansicht nach hat die Strafe zwei wesentliche Funktionen: 1. Den Ersatz des entstandenen Schadens und 2. als Hauptfunktion die Verhütung künftigen Schadens. Letztere wird abermals untergliedert in Abschreckung der potentiellen anderen Täter und Besserung des Täters selbst.fil

64 Stellvertretend für viele: Gaetano Filangieri, System der Gesetzgebung aus dem Italienischen des Ritters Caietan Filangieri, IV Kap. 27 S. 19 f., S. 89. Vgl. hierzu auch Gert-Dietcich Woelki, Christian Gottlieb Gmelin, ein deutscher Kriminalist der Aufklärung, S. 25 ff. 65

Siehe Cesare Bcccacia, Über Verbrechen und Strafen, zitiert nach der Übersetzung von

66

Siehe Beccaria (Anm. 65) § 15 S. 105, vgl. Abhandlung S. 62.

67

Vgl. Drost(Anm. 25) S. 91.

Kar/ Bssclbom, § 12 S. 89.

fil

Vgl. Vier Zugaben S. 65 ff. und Abhandlung S. 52, 61 ff. Insoweit erhebt Ludwig von Bar, Geschichte des deutschen Strafrechts und der Strafrechtstheorien, § 83 S. 236, wie sich auch noch aus dem Folgenden ergeben wird, zu Unrecht den Vorwurf, die Verfasser "stellen eine Reihe verschiedener Strafzwecke nebeneinander, ohne irgend welchen Versuch der Rangordnung dieser Zwecke".

II. Rechtsphilosophische Grundlagen der Preisschrift

59

Erfordernisse einer wirksamen Abschreckung sind einmal die bereits genannte Bestimmtheit der Strafen und deren Bekanntmachung. Zum anderen muß die Härte der einzelnen Strafen in dem Maße abnehmen, in dem sich auch der durch die Tat verursachte Schaden verringert.eJ Eine in diesem Sinne ausgewogene Abstimmung kann nach Auffassung der Verfasser am besten erreicht werden, wenn "die Strafe so viel [wie] möglich eine Wiedervergeltung des zugefügten Schadens ist".7o Denn "nichts ist wirksamer, als den Verbrecher eben daran zu strafen, wodurch er andem hat schaden wollen".71 Diese Bejahung der materiellen Talion bedeutet jedoch keine Rückkehr zu dem von der Aufklärung verworfenen, auf biblisch-theologischen Grundsätzen beruhenden Vergeltungsgedanken.n Sie wird nicht mehr als eigener selbständiger Strafzweck anerkannt, sondern ist vielmehr Mittel zur Erreichung des obersten Ziels: Prävention durch Abschreckung, welches nur im Falle vollkommener Wiedervergeltung erreichbar ist.73 Der hier vertretene Vergeltungsgedanke folgt einer unkirchlich-profanen, rein kriminalpolitisch begründeten Strafauffassung.74 Insoweit handelt es sich bei der von Globig und Huster vertretenen Straftheorie um eine Vereinigungstheorie. Der Zweckgedanke ist mit dem Vergeltungsprinzip verbunden.75 Globig führt die Notwendigkeit der Wiedervergeltung auf das natürliche Empfinden der Menschen zurück, denn seit jeher hätten "einander gleichwiegende Wirkungen ganz entgegen gesetzter Ursachen [die Seele und den Körper] am meisten erschüttert.76 Daher erscheint es ihm "der Natur des Menschen selbst gemäß, daß die Strafe mit dem Verbrechen den grösten 19

Vgl. Vier Zugaben S. 68.

Siehe Abhandlung S. 56 Nr. II, vgl. auch ebd. S. 92 ff. Dagegen u.a. von Sonnenfels (Anm. 52) I Kap. 8 § 354 S. 458 f. 70

71 Siehe Abhandlung S. 56 Nr. II. n Vgl. Günther(Anm. 1) Strafrechtsreform S. 154 ff. m.w.N. 73 Vgl. Vier Zugaben S. 65. Insofern muß Günther(Anm. 47) Wiedervergeltung S. 253 ff. wi-

dersprochen werden, der behauptet, Globig und Huster hätten "die eigentliche Talion als Grundlage ihres Strafensystems" betrachtet. Vgl. Gallus Alo/S Kleinschrod, Systematische Entwicklung der Grundbegriffe und Grundwahrheiten des peinlichen Rechts, II § 21 S. 53 ff., Gmelin (Anm. 5) § 21 S. 45, Beccaria (Anm. 2) Kap. 19 S. 93 ff. und Filangieri (Anm. 64) IV Kap. 32 s. 85 ff. 74 Montesquieu ist wohl ihr erster Vertreter, vgl. ausführlich dazu Frit:drich Georg Dahlem, Das Strafrecht bei Montesquieu, S. 44 ff. Globig lehnt sich in seiner Auffassung von der Vergeltungsideeeng an Montesquieu an. Vgl. auch Allred von Overbeck, Das Strafrecht der französischen Encylopädie, S. 28 f. und Hans Ludwig Nagel, Der Strafzweck bei Ernst Ferdinand Klein im Vergleich zur deutschen Aufklärung und zu den Auffassungen der übrigen Strafrechtsliteratur am Ende des Achtzehnten Jahrhunderts, S. 58 ff. 7~ Vgl. zu den Straftheorien ausführlich Wemer Dahlinger, Der Strafzweck in Geschichte und Gegenwart, S. 67 ff. 16

Siehe Vier Zugaben S. 60 f.

60

B. Die Preisschrift und ihre Zugaben

Kontrast hervorbringe, daß man Beleidigungen des Körpers mit ähnlichen körperlichen Schmerzen erwiedere".n Die Strafe ergibt sich also aus der Natur des Verbrechens. Hierdurch wird aber nur die Strafart bestimmt, nicht auch die Strafhöhe. Diese ist abhängig von der Proportionalität zwischen Verbrechen und Strafe. Maßgeblich für die Wirksamkeit der Wiedervergeltung sind neben der inneren Beschaffenheit der Strafe auch ihre Dauer und ihre Intensität.78 Jedoch tritt Globig nicht für eine uneingeschränkte Wirksamkeit des Systems der Wiedervergeltung ein, sondern erklärt es in einer Anzahl von Fällen für nicht anwendbar, z.B. bei Ehebruch und Notzucht.79 Weiteres Kriterium einer exemplarischen Abschreckung sind die negativen Auswirkungen der Strafe. Seine Forderung, die durch die Strafe bewirkte Sanktion solle "etwas nachtheiliger sey[n], als das Verbrechen vortheilhaft" war,., um so eine erfolgreiche Verhütung weiterer Verbrechen zu erreichen, schränkt Globig in den Vier Zugaben ein wenig ein, indem er dort nur noch verlangt: "Der Schmerz ... [der Strafe] muß ... wenigstens eben so groß seyn, und eben so lange dauern, als der Schade, welchen der Verbrecher verursacht hat".Bl Die Härte der Strafe im Sinne einer notwendigen Abschreckung darf niemals die Grenze der Grausamkeit überschreiten, da dem Staat hierzu das Recht nicht zusteht. Denn durch seinen Beitritt zum Gesellschaftsvertrag hat der Einzelne nur gerade soviel seiner Freiheit als Opfer eingebracht, als zur Erhaltung des Staates, zur Abwendung der Verbrechen unabweislich notwendig gewesen ist.82 Eine grausame Strafe verfehlt sogar ihren eigentlichen Zweck, da sie kein abschreckendes Beispiel mehr ist, sondern vielmehr Mitleid mit dem Bestraften nach sich zieht. Einzige ,Ausnahme hiervon ist aber die Wiedervergeltung grausamer Taten, da diese Strafe keine unverhältnismäßige Härte darstellt und daher ihren Beispielcharakter nicht verliert.83 Globig bekennt sich allerdings zu der damals verbreiteten Idee der n Siehe Vier Zugaben S. 61. In der Abhandlung S. 57 sagt er sehr viel einfacher: "Die Natur selbst lehrt diese Strafe".

78 Vgl. Vier Zugaben S. 66; näher dazu unten B 111, 1. a), vgl. auch Dahlem (Anm. 74) S.47ff. 79 Vgl. Abhandlung S. 57. In diesem Fall muß diejenige Strafe ausgewählt werden, die dem Staat am nützlichsten ist (S. 93 f.), vgl. auch Abhandlung S. 73, 196, bzgl. Mord Vier Zugaben S.103. 'M1

Siehe Abhandlung S. 57, vgl. ebd., S. 57 ff. ebenso Gmelin (Anm. 5) § 23 S. 49.

BI

Siehe Vier Zugaben S. 66, vgl. auch unten B 111, 1. a).

82

V gl. auch zum Folgenden Abhandlung S. 59 f.

Vgl. auch Abhandlung S. 73, 83, 88, dagegen Gmelin (Anm. 5) § 23 S. 50 Anm. h sowie hierzu von Bar(Anm. 68) S. 237. 83

II. Rechtsphilosophische Grundlagen der Preisschrift

61

Scheinstrafe, die nach außen härter erscheint, als sie tatsächlich für den Täter ist.84 Eine unerläßliche Voraussetzung einer wirkungsvollen Abschreckung ist die Öffentlichkeit der Strafvollstreckung, denn nur auf diese Weise kann sich der Beispielscharakter der wiedervergeltenden Strafe und der Hauptzweck der Strafe überhaupt- das Beispiel- voll entfalten.83 Daher fordert Globig z.B. Gefängnisse an öffentlichen Plätzen, wo sie für jedermann direkt einsehbar sind, da sie zur Seite des Platzes hin mit Gitterstäben versehen sein sollen und den Blick in ihr Inneres freigeben. Ebenso setzt er sich für die öffentliche Entrichtung der Geldstrafen ein.86 Ohne die unverzügliche der Tat unmittelbar nachfolgende Bestrafung des Täters verliert die Strafe einen Großteil ihrer Wirkung. Denn wird die Strafe erst einige Zeit nach der Tat und dem Urteilsspruch vollstreckt, hat der Einzelne keinerlei Bezug mehr zu der Tat, so daß die staatliche Maßnahme ihm grausam und ungerechtfertigt erscheinen muß.87 Zudem begrenzt sich so auch für den Straftäter selbst die gesamte Strafzeit auf das tatsächlich verwirkte Strafmaß, und er erfährt es ohne Verzögerung.88

84 Vgl. Abhandlung S. 62 sowie Francais-Marie Arouet Voltairc, Commentaire sur le Iivre des Delits et des Peines, zitiert nach Günther Mensching, Republikanische Ideen, Schriften 2, Kap. 2 S. 36 und Jean Paul Marat, Plan de legislation criminelle, zitiert nach der Übersetzung von Kolb I Krüger I Kiüger, Plan einer Criminalgesetzgebung, S. 76, vgl. hierzu auch Friedrich Lohmann, Jean Paul Marat und das Strafrecht in der französischen Revolution, S. 54, ebenso Gmelin (Anm. 5) § 46 S. 101, § 168 S. 138 ff., Johann Christian von Quistorp, Ausführlicher Entwurf zu einem Gesetzbuch in peinlichen und Strafsachen, I § 52 S. 61 f. Anm. b, c, § 126 S. 140 f. und Filangieri (Anm. 64) IV Kap. 27 S. 19 ff. Siehe auch diesbezüglich die Cabinetts-Order Friedrich II. vom 11.12.1749, abgedruckt in: Ebemard Schmidt, Kriminalpolitik Preußens unter Friedrich Wilhelm I. und Friedrich li., S. 29 f. 83

Vgl. Abhandlung S. 60 Ziff. 5 und S. 437 und Vier Zugaben S. 79.

86

Vgl. näher Abhandlung S. 75 und 437.

87 Vgl. Abhandlung S. 60 Ziff. 6 und Vier Zugaben S. 79. 88 Hiermit stellt Globig sich allerdings in einen gewissen Widerspruch zu seiner auf S. 29 f. der Abhandlung erhobenen Behauptung, sofern die Gesetze normiert seien, könne jedermann das von ihm durch eine Straftat veiWirkte Strafmaß selbständig aus der Kodifikation entnehmen. Vgl. hierzu auch Vier Zugaben S. 498.

62

8. Die Preisschrift und ihre Zugaben

6. Besserungs- und Nützlichkeitsprinzip Erhebliches Gewicht messen die Verfasser neben der Gerechtigkeit auch der Nützlichkeit der jeweiligen Strafe bei.sg Letztere orientiert sich allerdings allein am Staatswohl. Jedoch wird die Verhütung von Straftaten nicht nur unter dem Gesichtspunkt der Abschreckung beurteilt, sondern als zweiter Aspekt tritt die beabsichtigte Besserung des Straftäters hinzu.90 Aufgrund ihres Menschenbildes, das alle Menschen von Natur aus für gut hält, gehen die Verfasser von einer grundsätzlichen Fähigkeit des Straftäters zur Besserung aus.91 Mittels der von vielen Zeitgenossen im Sinne der Enzyklopädisten vertretenen Theorie der Spezialprävention wird der Schuldige vor einem Rückfall dadurch bewahrt, daß die Anziehungskraft des Verbrechens durch den Schmerz der Strafe zunichte gemacht wird.92 Für Globig und Huster besteht zwischen Abschreckung und Besserung aber keine Gleichwertigkeit: "Da ... bey der Verhütung künftiger Verbrechen, die Abschröckung anderer unendlich wichtiger, als die Besserung des einzigen Verbrechers ist; so muß ich unter zweyerley Strafen, davon die eine mehr bessert als abschröckt, die andere hingegen letzteres mehr bewirkt, ahnstreitig dieser den Vorzug geben".93 Dennoch setzen beide sich auch für den Strafzweck der Besserung ein, wobei aber nicht so sehr die moralische Besserung des Täters als vielmehr sein künftiges äußeres gesetzmäßiges Verhalten im Vordergrund steht.94 Jedoch schließen sie sich nicht der Ansicht Rousseaus an, daß mit der Erziesg Vgl. Abhandlung S. 75 "weil die Strafen nicht aJJein die gerechtesten, sondern auch die nützlichsten seyn müssen", vgl. auch ebd. S. 93 f. Bzgl. der tatsächlichen Konsequenz dieser Auffassung vgl. Abhandlung S. 176 und 244.

90 91

Vgl. Abhandlung S. 51 und Vier Zugaben S. 65.

Vgl. Abhandlung S. 55 "Wir Menschen sind von Natur gut geschaffen." Vgl. auch Karl Theodor ron Da/berg, Entwurf eines Gesetzbuches in Criminalsachen, S. 144 und 205. 92 Vgl. von Overbeck (Anm. 74) S. 31 und Alkalay(Anm. 42) S. 42. Siehe Abhandlung S. 62, ebenso Gmelin (Anm. 5) § 15 S. 34 ff. und Johann David Michaelis, Mosaisches Recht, VI Vorrede S. 17. Für Gleichwertigkeit dieser beiden StrafzweCke ron Dalberg(Anm. 91) S. 113 und Ernst Lorenz Rathlcf, Vom Geiste der Kriminalgesetze, S. 5, vgl. dazu Nagel (Anm. 74) S. 65 ff. Allgemein zur Bedeutung des Orientalisten Michaelis für die Strafrechtswissenschaft vgl. Friedrich Schaffstein, Johann David Michaelis als Kriminalpo93

litiker, in: Nachrichten der Akademie der Wissenschaften in Göttingen, I. Philologisch-Historische Klasse, Jahrgang 1988 Nr. 3 S. 95 ff.

94 Vgl. hierzu Günther (Anm. 1) Strafrechtsreform S. 159 f. SoJJte eine Besserung nicht möglich sein, fordern auch Globig und Huster-unter gewissen Voraussetzungen- eine dauernde Unschädlichmachung, vgl. z.B. Abhandlung S. 181, Unschädlichmachung durch Verurteilung zu lebensgefährlichen schweren Arbeiten (Bergwerke, Galeeren), S. 188 Anm. oder auch durch Landesverweisung (S. 244 f.).

III. Dogmatischer Teil

63

hung des Täters grundsätzlich bereits während dessen Strafverbüßung begonnen werden soll.9' Diese soll vielmehr im Anschluß daran in einem·besonderen Besserungshaus, das nicht mit Arbeits- oder Zuchthäusern zu verwechseln ist,96 erfolgen, da sie nicht mehr Teil der Strafe ist, sondern ein Mittel der Verbrechensvorbeugung darstellt.97 Der mit dieser Forderung verbundene Zwang für den aus der Knechtschaft entlassenen Häftling, weiterhin in staatlichem Gewahrsam zu verbleiben, wird durch den Gesellschaftsvertrag als gerechtfertigt angesehen, da nur so ein größeres Übel verhindert werden kann.

m.

Dogmatischer Teil

1. Das Strafensystem a) Maßstab der Strafe Strafe ist für Globig die notwendige Antwort der Gesellschaft auf einen Verstoß gegen den Gesellschaftsvertrag. 1 Er sieht in ihr ein Übel, das durch die Natur des Menschen selbst bedingt ist.2 Der Maßstab der Strafe ist, wie bereits oben ausgeführt, der durch die Tat verursachte Schaden.3 Dieser bestimmt sich nicht nur aus den unmittelbar aus der Tat resultierenden Nachteilen, sondern vielmehr auch durch die längerfristigen Folgen, nämlich die Möglichkeit einer Gefährdung der inneren Sicherheit des Staates durch ähnliche Straftaten.4 Wesentlich sind also die wahrscheinlichen Folgen der Tat, die der Gesetzgeber im Wege der Analogie ermitteln muß.'

Vgl. Alkalay(Anm. 42) S. 42, ebenso auch Gmelin (Anm. 5) § 27 S. 58. 96 Globig denkt dabei an ein Besserungshaus, wie es später der Großherzog von Österreich in Toskana hatte errichten lassen, vgl. Vier Zugaben S. 351. 95

97 Vgl. hierzu Vier Zugaben S. 116 f. und S. 352. Als besserungsfähig werden nur diejenigen angesehen, die eine zeitige Knechtschaftsstrafe verbüßt haben, da nur bei ihnen eine "Rückkehr zur Tugend noch zu hoffen" ist (S. 352).

1 Zur Frage, wie weit das Recht des Staates zu strafen geht, vgl. unten das zur Todesstrafe Gesagte (B III, 1. b) ba)).

2 Vgl. Abhandlung S. 48. 3 Vgl. oben B li, 4. Zur Vermeidung unnötiger Wiederholungen wird auf das oben bereits Gesagte verwiesen. 4

Vgl. Vier Zugaben S. 6.

5

Vgl. VierZugaben S. 67.

64

B. Die Preisschrift und ihre Zugaben

Einziges konkretes Kriterium zur näheren Bestimmung der Strafe, das aber sowohl aus der Sicht des betroffenen Bürgers als auch der des Staates gegeben sein muß, ist das des ersetzbaren bzw. unersetzbaren Schadens.6 Demnach hat eine Straftat, die zu einem nicht ersetzbaren Schaden führt, eine lebenslange Strafe zur Folge; soweit ein ersetzbarer Schaden entstanden ist, darf die Ahndung der Tat nur solange andauern, wie ihr Nachteil anhält.7 In beiden Fällen soll sich die Art der Straftat im Wesen der Strafe widerspiegeln.s Die Bestimmung der Dauer der zeitigen Strafe, die im Falle eines ersetzbaren Schadens eingreifen soll, bereitet insofern Schwierigkeiten, als es nicht möglich ist, mit der Festsetzung der jeweiligen Strafe so lange zuzuwarten, bis sämtliche sich eventuell ergebenden Nachteile und Folgen der Tat erkannt worden sind.9 Globig billigt daher dem Gesetzgeber eine willkürliche Festlegung der Strafzeiten zu. Als Richtmaß gibt er folgendes Rechenexempel vor: Ausgehend von einem Durchschnittsalter der Menschen von 60 Jahren wird die Dauer einer lebenslangen Knechtschaft- im Falle einer Minderung- mit 30 Jahren veranschlagt.1o Maximal ein Drittel dieser Zeit, also zehn Jahre, darf eine zeitige Strafe dauern. Die Strafe darf grundsätzlich nur so lange währen, wie noch ein Wissen um die Tat in der Bevölkerung vorhanden ist. Eine langfristigere Strafe ist grausam, da nicht mehr durch die sie leitenden Prinzipien gerechtfertigt. 11 In diesem Sinne soll auch die Intensität der einzelnen Strafen mit dem allmählichen Vergessen der Tat abnehmen. 12 Da es jedoch keine genauen Anhaltspunkte dafür gibt, wie schnell und in welchem Ausmaß ein Verbrechen in Vergessenheit gerät, ist der Gesetzgeber zur Bestimmung der einzelnen Strafen - auch in diesem 6 Vgl. hienu und zum Folgenden Vier Zugaben, Zweite Zugabe, 3. Abschnitt (S. 67 ff.), Hanns Ernst von Globig, Betrachtung bey dem Entwurf eines Criminal =Gesetzbuchs für die Preußischen Staaten, S. 12 ff., Ga/Jus Aloys Kleinschrod, Systematische Entwicklung der Grundbegriffe und Grundwahrheiten des peinlichen Rechts, II §§ 9 ff. S. 22 ff. 7

Vgl. Vier Zugaben S. 68.

Ebd. So sollen z.B. Körperverletzung mit harter Knechtschaft, Straftaten gegen das Vermögen mit leichter Knechtschaft (vgl. näher dazu unten B 111, 1. b) bb) (2) S. 73 f. oder Straftaten gegen die Ehre des Einzelnen mit Schande geahndet werden. Zu den einzelnen Straftatbeständen siehe unten B 111, 3. 8

9 Dies läuft auch den Strafzielen völlig zuwider und läßt u.a. die Beispielswirkung der Strafe entfallen oder unter Umständen die Verjährung der Strafe eintreten, vgl. Vier Zugaben S. 69. 10 Vgl. Abhandlung S. 76 i.V.m. Vier Zugaben S. 466 pag. 761. 8, 100, Vier Zugaben S. 70, Mss. oek. Ges. Fol. 8 B Nr. 8 S. 2 (BBB) und Neue Sammlung physisch-ökonomischer Schnlten, Bd. 3 S. 46.

11 Aus diesem Grunde bejahen die Verfasser auch die Möglichkeit einer Verjährung von Straftaten, vgl. unten B III, 1. e ), besonders S. 94 ff. 12

Vgl. Vier Zugaben S. 70.

111. Dogmatischer Teil

65

Fall- auf einen Vergleich ähnlicher Fälle angewiesen.l3 Die Verfasser gelangen daher im Wege der Analogie dazu, daß Verbrechen gegen die Sicherheit des Staates und des Einzelnen eine lebenslange Strafe erfordern, da hier meist ein solch unersetzbarer Schaden entsteht, der ein völliges Vergessen der Tat zu Lebzeiten des Täters unmöglich erscheinen läßt. 14 Was die übrigen Verbrechen anbelangt, so obliegt es dem Gesetzgeber, die Straftat und Verjährungsfrist gemäß der oben dargestellten Regel festzusetzen. 15 Zugleich wird gefordert, daß sich die kontinuierliche Abnahme des Schadens im Laufe der Zeit in einer proportionalen Linderung der jeweiligen Strafe gemäß den allgemeinen Grundsätzen niederschlagen soU.16 Abschließend nennt Globig noch einige Regeln zur möglichsten "Vollkommenheit" und "Gelindigkeit" der Strafe: 17 1.

Erforderlich ist eine Differenzierung Bürger - Sträfling nach dem äußeren Erscheinungsbild ebenso wie eine besondere äußere Kennzeichnung der einzelnen Stufen einer Strafe.I&

2.

Alle Folgen der einzelnen Strafen müssen jederzeit ohne weiteres aufhebbar sein, da die Verurteilung zu einer bestimmten Strafe immer nur auf einer, wenn auch sehr großen Wahrscheinlichkeit beruht und der Einzelne- nach VerbüBung seiner Strafe- nicht daran gehlndert werden darf, in einem anderen Staat frei nach dessen Gesetzen zu leben.

3.

Nach VerbüBung der Strafe hat eine feierliche öffentliche Rehabilitation des Entlassenen durch den Richter zu erfolgen. 19 b) Strafarten

Das traditionelle Strafensystem steht im Zentrum der aufklärerischen Kritik, insbesondere die Todesstrafe und die verstümmelnden Leibesstrafen werden in zunehmendem Maße bekämpft. Globig und Huster bekennen sich in ihrer Preisschrift zu einem Strafsystem, das der Todesstrafe grund-

13

Vgl. Vier Zugaben S. 71, vgl. ebd. auch S. 48.

14

V gl. bezüglich der Verbrechenseinteilung Vier Zugaben S. 55.

ts Vgl. Vier Zugaben S. 71 f. 16

Vgl. Vier Zugaben S. 72 f., Globig(Anm. 6) EntwurfS. 12.

17

Siehe Vier Zugaben S. 75 und vgl. zum Folgenden ebd. S. 75 ff.

18

Z .B. harte Knechtschaft -leichte Knechtschaft.

19

Vgl. Vier Zugaben S. 31 ff., 510. Die Umstände, die eine Strafe verändern können, werden weiter unten behandelt, vgl. B. 111, 2. c).

66

B. Die Preisschrift und ihre Zugaben

sätzlich nicht bedarf.20 Sie sehen die verbleibenden Strafen: Leibesstrafen, Knechtschaft, Gefängnis, Verbannung, Verweisung, Schand- sowie Geldstrafen in ihren vielfach möglichen Differenzierungen für ausreichend an, um die von ihnen postulierten Strafziele zu erreichen. ba) Außerordentliche Strafen Todesstrafe21 Auch die Preisschrift beteiligt sich an der seit dem Erscheinen von Beccarias Werk sehr engagiert geführten öffentlichen Debatte über die Abschaffung der Todesstrafe. Die Lösung der Staatswesen von ihren religiösen Grundlagen führte zu großen Zweifeln am gesamten geltenden Strafrecht und infolgedessen auch zur Suche nach einer neuen und vernünftigen Rechtfertigung der Strafen, insbesondere der Todesstrafe. Die Strafbefugnis des Staates ergab sich nicht mehr aus göttlicher Machtvollkommenheit, sondern (nur noch) aus dem Gesellschaftsvertrag.22 Für die Frage der Rechtmäßigkeit der Todesstrafe ist grundsätzlich maßgeblich, welchen Inhalt der Einzelne dem Gesellschaftsvertrag gibt. Die unterschiedlichen Ansichten lassen sich im wesentlichen zwei Hauptgruppen zuordnen: Die eine sieht den Ursprung der staatlichen Strafbefugnis in vorstaatlichem, d.h. natürlichem Strafrecht, das mittels des Gesellschaftsvertrages auf den Staat übertragen worden war, dem somit die Möglichkeit zur Verhängung aller Sanktionen zusteht. Vertreter dieser Interpretation gelangen ohne weiteres zur Bejahung der Rechtmäßigkeit der Todesstrafe.23 Für die andere Gruppe wird das Recht des Staates zu strafen erst unmittelbar durch den Gesellschaftsvertrag begründet, wobei sich wiederum zwei unterschiedliche Auslegungen ergeben. Die eine erkennt in dem Gesell20

Eine Ausnahme machen sie jedoch, s. unten B 111, 1. b) ba) S. 68.

Vgl. Abhandlung S. 163 und ausfiihrlich hienu Bettina Strub, Der Einfluß der Aufklärung auf die Todesstrafe, sowie Gcrd Brunncr, Die Todesstrafe in der Zeit der Aufklärung und Horst-Haraid Lewandowsld, Die Todesstrafe in der Aufklärung. 21

22 Vgl. hienu und zum Polgenden Michael Alkalay. Das materielle Strafrecht in der französischen Revolution und sein Binfluß auf Rechtsctzung und Rechtsprechung der Helvetischen Republik, S. SO f. Eine Übersicht über die Stellungnahmen der einzelnen Autoren des 18. Jahrhunderts gibt Christian Gottlieb Gmclin, Grundsätze der Gesetzgebung über Verbrechen und Strafen, § 36 S. 76 ff. 23 Vgl. Joseph von Sonnen/eis, Grundsätze der Polizey, Handlung und Finanz, I Kap. 8 § 3n S. 486 f., Ernst Carl Wieland, Geist der peinlichen Gesetze, I § 316 S. 426, Gaetano Filangieri, System der Gesetzgebung, aus dem Italienischen des Ritters Caietan Filangieri, IV Kap. 26 S. 11 ff., Kap. 29 s. 23 ff.

111. Dogmatischer Teil

67

Schaftsvertrag einen Verzicht des Einzelnen auf alle seine Rechte. Diese Auffassung gelangt daher gleichfalls zur Rechtmäßigkeit der Todesstrafe. Einer ihrer entschiedensten Vertreter ist Rousseau.2A Die andere Auffassung jedoch geht davon aus, daß der Mensch bei Abschluß des Gesellschaftsvertrages nicht alle, sondern nur einige seiner Rechte auf den Staat übertragen hat, wozu das Recht auf das eigene Leben ebensowenig wie das vorstaatliche Recht auf Tötung gehört haben. Konsequenterweise gelangt diese Gruppe, zu der auch Beccaria zu zählen ist, zur Ablehnung der staatlieh legitimierten Todesstrafe, da sie sie für unrechtmäßig hält.2' Globig und Huster beschreiten jedoch einen anderen Weg. Für sie stellt sich die Frage nach dem Inhalt des Gesellschaftsvertrages in der oben geschilderten Weise nicht, obwohl auch für sie der Gesellschaftsvertrag die Grundlage ist.26 Sie gehen davon aus, daß der Einzelne ursprünglich - als die Menschen in vollkommener Freiheit und Gleichheit lebten und lediglich durch das Naturrecht gebunden waren- nur im Falle der Notwehr zur Tötung einer Person berechtigt war.27 Aber selbst das Recht auf Rache ''bis auf den Tod"21 besteht nur so lange, wie sich der Täter nicht ergibt. Sobald dies geschieht, darf dessen Leben nicht mehr gefährdet werden. Allein dieses eng begrenzte Recht auf Freiheit und Leben des Täters kann und will der Beleidigte dem Gesetzgeber überlassen.29 Denn durch den Abschluß des Gesellschaftsvertrages können nicht mehr Rechte begründet werden, als zuvor bestanden haben.30 Die Funktion des Staates wird insoweit auf die eines bloßen Zweckverbandes zum Schutz und Wohle des Individuums und seiner Interessen reduziert.31

2A Vgl. Thomas Würtenbe~r, Cesare Beccaria und die Strafrechtsreform, in: Erinnerungsgabe für Max Grünhut, S. 210 f., Gustav Radbmch, Isaale lselin über Cesare Beccaria, in: Elegantiae juris criminalis, S. 186. 25 Vgl. Q:sare Beccana, Über Verbrechen und Strafen, zitiert nach der Übersetzung von Wilhelm Alff, Kap. 28 S. 110 ff.

26 Die Frage, in welchem Umfang der Einzelne dem Staat seine eigene Freiheit und sein Leben anvertraut hat, läßt Globig bewußt offen, vgl. Abhandlung S. 63 und 67.

27 Vgl. Abhandlung S. 64 ff., Vier Zugaben S. 80 ff. Zu den Rechten im Stande der Natur vgl. auch Allred von Overbeck, Das Strafrecht der französischen Encyclopädie, S. 16 ff. 28 Siehe Abhandlung S. 66, vgl. Vier Zugaben S. 181.

29 Vgl. Abhandlung S. 67. Im Gegensatz dazu gestehen z.B. die Enzyklopädisten nicht nur dem Beleidigten, sondern jedem das Recht zu, den Schuldigen zur Rechenschaft zu ziehen, vgl. von Overbeck (Anm. 27) S. 16 m.w.N. 30 Vgl. Vier Zugaben S. 81; insoweit ihnlieh in der Argumentation auch von Sonnenfels (Anm. 23) I Kap. 8 §§ 378 ff. S. 497 ff.

31 Vgl. Alkalay(Anm. 22) S. 51 und ron Overbeck(Anm. 27) S. 117.

68

8. Die Preisschrift und ihre Zugaben

Jedoch gelingt es Globig nicht, seine Auffassung konsequent durchzuführen, in Ausnahmesituationen gesteht er dem Staat das Recht zur Tötung zu. Die Todesstrafe als staatliche Sanktion sieht er allerdings nur als gerechtfertigt an, wenn anderenfalls dem Staat ein unvermeidlicher Schaden entsteht. Dieser muß zudem noch größer sein als derjenige Verlust, den der Staat durch die Tötung des Bürgers erlitte.32 Globig glaubt die Notwendigkeit zur Anwendung der Todesstrafe auf einen einzigen Fall begrenzen zu können: den einer bewaffneten Verschwörung gegen den Staat, wenn die Rädelsführer einen so starken Rückhalt in der Bevölkerung oder in den Nachbarstaaten besitzen, daß eine außerordentliche Gefährdung des Staatswesens zu befürchten ist.33 "In allen übrigen Fällen ist die Todesstrafe dem Staate nicht vortheilhaft, und also weder nothwendig, noch gerecht. Denn die ... Absichten der Strafen werden bey selbiger verfehlt",34 da die gewünschte Abschreckung nicht erreicht wird. Angesichts der Ablehnung der Todesstrafe sieht Globig in der Freiheitsstrafe, vor allem der ewigen Knechtschaft, die Möglichkeit zu einer gerechten und kriminalpolitisch sinnvollen Bestrafung des Täters.35 Jene ruft nur eine kurze, wenn auch heftige Gemütsbewegung beim Zuschauer hervor, während diese ständig von neuem, wenn auch nicht in so intensivem Maße auf den Einzelnen einwirkt.36 Letzteres wird durch regelmäßige Vorführung der Gefangenen erreicht37 und zieht, soweit sie nicht zu häufig erfolgt, auch keine gefühlsmäßige Abstumpfung nach sich. Kann die Knechtschaft diese Wirkung nicht hervorrufen, so kann die Todesstrafe dies noch weit weniger.38 32 Vgl. Abhandlung S. 67 f., Vier Zugaben S. 83, 122, 110n Sonnenfels (Anm. 23) I Kap. 8 § 376 s. 484 f. 33 Vgl. Vier Zugaben S. 84, Abhandlung S. 168. Anders dagegen Globig(Anm. 6) EntwurfS. 19 ff., vgl. auch unten C III, 2. b ).

34

Siehe Ab!landlung S. 68, vgl. ebd. S. 68 f., 72, Beccaria (Anm. 25) Kap. 28 S. 112.

Vgl. Würtenbezrer (Anm. 24) Beccaria S. 211; zur (harten) Knechtschaft vgl. unten B 111, 1. b) bb)(2). 35

36 Vgl. Abhandlung S. 69, Vier Zugaben S. 84 ff. Somit verwirft Globig die Todesstrafe auch aus Gründen der Unzweckmäßigkeit. Sie ist in seinen Augen von zu geringer abschreckender Wirkung. Vgl. hierzu auch Beccaria (Anm. 25) Kap. 28 S. 110 ff., Tomaso Natale, Riflessione politiche intorno all'efficacia e necessitä delle pene, S. 40, zitiert nach Ludwig Günther, Tomaso Natale, Marchese di Monterosato, ein in Deutschland vergessener Vorläufer Beccarias, in: Archiv für Strafrecht und Strafprozess, Bd. 48 (1901) S. 27 sowie von Sonnenfels (Anm. 23) I Kap. 8 § 379 S.498 ff., § 386 S. 508 f. 37 Ein sinnvoller Strafvollzug erfordert die regelmäßige Zurschaustellung der Gefangenen, vgl. unten B 111, 1. f).

38 Vgl. Vier Zugaben S. 90.

111. Dogmatischer Teil

69

Im übrigen gibt Globig zu bedenken, daß die Todesstrafe "in ihrer Intensität keiner zweckmäßigen Veränderung fähig" ist.39 Denn entweder müssen Verschärfungen der Strafe hinzutreten, was grausam ist, oder die Todesstrafe wird undifferenziert auf viele verschiedene Verbrechen angewandt, worunter die erforderliche Verhältnismäßigkeit von Verbrechen und Strafen leidet.40 Zudem ist im Falle eines Fehlurteils eine Wiedergutmachung unmöglich.41 Die von der Ökonomischen Gesellschaft in ihren "Gedanken über die Preisschrift" geübte Kritik an der Ablehnung der Todesstrafe überzeugt Globig nicht. Vielmehr bemüht er sich in den Vier Zugaben seine Vorstellung "nicht [aus] Eigenliebe zur vorgefaßten Meinung, sondern [aus] beständige[m] Trachten nach Wahrheit"42 noch einprägsamer, wenn auch im wesentlichen mit denselben Argumenten, darzutun.43 bb) Ordentliche Strafen Die ordentlichen Strafen, zu denen die Todesstrafe - wie oben gezeigt nicht gerechnet wird, gliedern sich in zwei Arten: Die erste bezieht sich auf die physische Existenz des Täters, indem sie seine körperliche Integrität beeinträchtigt und/oder seine Freiheit mehr oder weniger beschränkt, die zweite bedroht die bürgerliche Existenz des Täters, wozu hauptsächlich entehrende Strafen im Sinne von Schandstrafen zu rechnen sind.44 Die erste Gruppe der Strafen gliedert sich wiederum in solche, die aufvielfältige Weise die Freiheit des Verbrechers betreffen, und solche, die, auch wenn sie grundsätzlich zu den kurzfristigen Freiheitsstrafen zu zählen sind, doch we39

Siehe Vier Zugaben S. 87.

Vgl. auch Beccaria (Anm. 25) Kap. 6 S. 63 und Cesare Beccaria, Über Verbrechen und Strafen, zitiert nach der Übersetzung von Kar/ Esselbom, § 23 S. 127. 40

41 Vgl. Vier Zugaben S. 347 und 357. Das Argument, inhaftierte Verbrecher seien dem Staat lästiger als tote und kosteten mehr, entlaäftet Globig mit dem Hinweis auf die Pflichten des Einzelnen seinen Mitbürgern gegenüber, vgl. Vier Zugaben S. 90. 42 Siehe Brief von Globig an die Ökonomische Gesellschaft vom 12.3.1784, Mss. oek. Ges. Fol. 8 B Nr. 8 S. 3 (BBB).

43 Vgl. Neue Sammlung (Anm. 10) S. 46 f., Vier Zugaben S. 80 ff. Diese Beurteilung muß ihm bereits vor dem 15.12.1783 zugegangen sein, so daß er zu ihr in den Vier Zugaben Stellung nehmen konnte, vgl. Mss. oek. Ges. Fol. 8 B Nr. 2 S. 2 (BBB). Dies ergibt sich aus einem Vergleich der in diesem Brief gemachten Ausführungen mit der 1785 veröffentlichten Kritik. Bemerkenswert ist aber, daß Globig in seinen späteren Schriften die Todesstrafe in weit größerem Umfange für gerechtfertigt hält, vgl. Globig (Anm. 6) EntwurfS. 19 ff., besonders S. 23 ff. und Hanns Ernst von G/obig, Entwurf eines Maaßstabs der gesetzlichen Zurechnung und der Straf= Verhältniße, § 42 S. 142 ff.

44

Vgl. G/obig (Anm. 43) Maaßstab § 41 S.140 ff.

70

B. Die Preisschrift und ihre Zugaben

gen der augewandten körperlichen Gewalt als Leibesstrafen zu gelten haben.4~

(1) Körperliche Strafen (Leibesstrafen)

Ihre Rechtfertigung fmdet die Leibesstrafe im Gesellschaftsvertrag.46 Ihre Anwendung - basierend auf dem Gedanken der Wiedervergeltung47 - darf grundsätzlich nur bei Verbrechen gegen die körperliche Unversehrtheit des Einzelnen erfolgen.48 Einzig ausgenommen sind diejenigen Straftaten, bei denen die an sich denkbare Todesstrafe aus oben genannten Gründen ausscheidet, und die die ewige Knechtschaft als Hauptstrafe sowie als Zusatz die Leibesstrafe bewirken.49 Überhaupt kommen die Leibesstrafen in weit größerem Maße als Zusatzstrafen zur Anwendung als im Sinne einer Hauptstrafe. Die körperlichen Züchtigungen sind so lange rechtmäßig, wie sie nicht grausam erscheinen, d.h. sie dürfen "nicht so hart seyn ..., daß der Bestrafte entweder unmittelbar sein Leben, oder alle Mittel solches zu erhalten einbüße". Eine gewisse Gesundheitsbeeinträchtigung ist jedoch zulässig, "denn sonst müste man diese Art von Strafen ganz verbannen, da die Absicht und die natürliche Wirkung derselben ist, das physische Wohlseyn des Verbrechers zu stöhren"."' Globig differenziert streng zwischen den einzelnen Arten der Züchtigung und erachtet schließlich die Rutenschläge auf den Rücken als die einzig erforderliche, da sie genügend unterschiedliche Anwendungsmöglichkeiten bietet.~ 1 Die Anzahl der Schläge begrenzt er auf fünf bis maximal hundert, jedoch kann auch auf mehr Schläge erkannt werden, nur müssen sie dann 4~ Vgl. Vier Zugaben S. 98, wo Globig von gemischten Strafen spricht, und Abhandlung S. 87. Über eine ähnliche Einteilung vgl. Filangieri (Anm. 23) IV Kap. 28 S. 22 f., Gmelin (Anm. 22) § 24 S. 51 f. und Wieland (Anm. 23) I § 297 S. 402.

46 Hiervon gehen Globig und Huster als Tatsache aus, vgl. Abhandlung S. 72 f., Vier Zugaben S. 91. Zum Thema Leibesstrafen vgl. auch Filangieri (Anm. 23) IV Kap. 33 S. 99 ff., Gmelin (Anm. 22) § 34 f S. 73 ff., Wieland (Anm. 23) I §§ 317ff. S. 428 ff. und Antoine Nicolas Servin, De Ia 16gislation criminelle, zitiert nach der Übersetzung von Johann Ernst Gruner, Über die peinliche Gesetzgebung, I Kap. 1 Abschnitt 2 § 2 S. 81.

47

Vgl. oben B II, 5.

48

V gl. Vier Zugaben S. 91.

49 Vgl. Vier Zugaben S. 103. 30

Siehe Vier Zugaben S. 92, vgl. dazu auch Kleinschrod (Anm. 6) 111 § 18 S. 39 ff.

Vgl. Vier Zugaben S. 96 ff. In der Preisschrift hatte Globig sich noch für Ruten und Stockschläge auf Rücken und Fußsohlen ausgesprochen, vgl. Abhandlung S. 74; zustimmend auch Gmelin (Anm. 22) § 34 S. 73, anders Kleinschrod (Anm. 6) 111 § 18 S. 39 ff. 51

lll. Dogmatischer Teil

71

mit zeitlichem Abstand verabreicht werden.52 Die einzelnen Grade der körperlichen Züchtigung sollen durch die jeweilige Anzahl der Schläge erkennbar sein, die bei Schwachen, Frauen und Jugendlichen zu reduzieren sind. Ist die zuerkannte Züchtigung unmöglich, so hat dies eine Umwandlung dieser Strafe in Knechtschaft zur Folge.~3 Um die größtmögliche Gerechtigkeit bei der Ausführung der Leibesstrafe zu erzielen, hält Globig die Erfmdung einer Maschine, die die Schläge mit immer gleichbleibender Kraft und Geschwindigkeit austeilt, für geboten.54 Eine lebenslängliche Züchtigung bejaht er vom Grundsatz her, zumal gerade diese Strafe im Gegensatz zur Knechtschaft "eine mannigfaltige und fast mathematische Gradation erlangt, welche [in] ... Intensität und Dauer" jener nicht gleich kommt.~ Jedoch verwahrt er sich in praxi gegen sie, da sie kontinuierlich mit gleichbleibender Intensität dem Volke vor Augen geführt, mit zunehmender Zeit bei diesem Mitleid erregt. Die beste Wirkung erzielt die Leibesstrafe, wie alle Strafen, wenn sie so schnell wie möglich auf die Tat folgt. 56 Im Falle der verstümmelnden Strafen sieht Globig ein Optimum an Wiedervergeltung erreicht. Obwohl er in der Preisschrift die Grausamkeit der verstümmelnden Strafen anprangert, nimmt er aber die Fälle der Wiedervergeltung davon aus, " denn bey dieser fällt aller Anschein der Grausamkeit hinweg".57 In den Vier Zugaben nimmt er von dieser extremen Position bereits Abstand und will verstümmelnde Strafen nur dann als grundsätzlich gerechtfertigt ansehen, wenn die Straftat eine ebensolche vorsätzlich ausgeführte Verstümmelung zum Gegenstand gehabt hat.58 Im weiteren führt er jedoch folgende fünf Gründe auf, derenthalben er die verstümmelnden Strafen ebenfalls für unzulässig hält:S9 52

Vgl. Vier Zugaben S. 97.

Zur Umwandlung von Strafen durch den Richter vgl. auch Kleinschrod (Anm. 6) II § 127 S.344 f. ~3

54 Vgl. Vier Zugaben S. 97 f. Bereits in der Preisschrift fordert er, "damit jedoch die Strafe nicht willkührlich sey, muß sowol das Maaß, die Grösse und Qualität der Ruthen oder des Stocks, hiernächst auch die Leibesstärke desjenigen, der die Schläge austheilen soll, bestimmet werden•, siehe Abhandlung S. 74.

55

Siehe Vier Zugaben S. 99.

Vgl. Vier Zugaben S. 100 ff., 110 sowie Kleinschrod (Anm. 6) lli § 18 S. 41 und Beccaria (Anm. 25) Kap. 19 S. 93 Cf. 56

57 Siehe Abhandlung S. 73, vgl. ebd. S. 196, Gmelin (Anm. 22) § 35 S. 75 Anm. y widerspricht dieser Auffassung.

58

S9

Vgl. Vier Zugaben S. 93.

Vgl. zum Folgenden Vier Zugaben S. 93-96 sowie Kleinschrod (Anm. 6) li § 35 S. 84 ff., 87 Nr. 2 und Gmelin (Anm. 22) § 35 S. 75 f., der die Strafe sogar aus Gründen gesunder Staatsklugheit ablehnt "dann so lange ein Mensch lebt, muß er so viel möglich als ein brauchbarer Unterthan erhalten werden" (S. 76). Dagegen Wieland (Anm. 23) I § 318 S. 429 ff., Sezvin

72 1.

2. 3. 4. 5.

B. Die Preisschrift und ihre Zugaben

Diese Strafart ist relativ unbekannt, da ihre Voraussetzungen - die Strafe darf keine weiteren körperlichen Schäden verursachen, die Verstümmelung muß augenfällig sein und der Täter muß vorsätzlich gehandelt haben- sehr selten gegeben sind. Dies führt zu einer großen Unsicherheit beim Bürger, da oftmals bei derselben Tat unterschiedliche Strafen verhängt würden. Die Verstümmelung kann mit den Folgen eines Unglücksfalls verwechselt werden, was der Hauptabsicht der Strafe zuwiderläuft. Der Verstümmelte ist sein Leben lang gezeichnet, was ihm z.B. ein Leben außerhalb des Staates unmöglich macht. Bei einem Justizirrtum ist keine Wiedergutmachung möglich, und eine Besserung des Straftäters ist fast ausgeschlossen.

(2) Freiheitsstrafen«> Durch die grundsätzliche Ablehnung der Todesstrafe und der verstümmelnden Leibesstrafe entsteht eine empfindliche Lücke im Strafensystem. Diese soll mit Hilfe der Freiheitsstrafe, insbesondere in der Form der Arbeitsstrafe geschlossen werden. Unter dem Begriff Freiheitsstrafe faßt Globig sowohl die Knechtschaft und die Gefängnisstrafe, die dem Verurteilten die Bewegungsfreiheit rauben als auch die Verbannung und Verweisung, mit deren Hilfe dem Täter Vorschriften bezüglich seines Aufenthaltsortes gemacht werden können.6t

(Anm. 46) I Kap. 1 Abschnitt 1 § 5 S. 50 und Filangieri (Anm. 23) IV Kap. 48 S. 529 Anm. ••. Demgegenüber treten folgende Schriftsteller der Aufklärungszeit auch weiterhin für verstümmelnde Strafen ein: Natale S. 54 zitiert nach Günther (Anm. 36) S. 32 und Ernst Lorenz &thef, Vom Geiste der Crimninalgesetze, S. 63.

«>

Einen rechtshistorischen Abriß über die Entstehung der modernen Freiheitsstrafe gibt

Katja Vera Taver in ihrer Dissertation: Die Entstehung der Freiheitsstrafe in ihrer Zweiteilung

in Gefängnis als leichtere und Zuchthaus als schwerere Strafform unter besonderer Berücksichtigung der Entwicklung in Deutschland. Vgl. auch Robert von Hippe/, Beitriige zur Geschichte der Freiheitsstrafe, in: Zeitschrift für die gesamte Strafrechtswissenschaft Bd. 18 (1898) S. 419 ff., 608 ff., Franz Doleisch von Dolsperg, Die Entstehung der Freiheitsstrafe unter besonderer Berücksichtigung des Auftretens moderner Freiheitsstrafe in England und Günter Seggelke, Die Entstehung der Freiheitsstrafe. 61 Vgl. auch Gmelin (Anm. 22) § 25 S. 52 ff., Kleinschrod (Anm. 6) III §§ 24 ff. S. 50 ff., besonders §§ 30 ff. S. 63 ff. und Filangieri (Anm. 23) IV Kap. 33 S. 99 ff., die aber eine andere Einteilung vornehmen sowie Wieland (Anm. 23) I §§ 320 ff. S. 432 ff. und Servin (Anm. 46) I Kap. 1 Abschnitt 2 § 1 S. 70 ff.

111. Dogmatischer Teil

73

Gefängnis und Knechtschaft Die Gefängnisstrafe gilt als ein Unterfall der Knechtschaft, der nur unter gewissen Voraussetzungen zur Anwendung kommt.62 Eine Verurteilung zur Knechtschaft bedeutet Inhaftierung und gleichzeitige Verpflichtung zur Verrichtung öffentlicher Arbeiten. Nur in Ausnahmefällen, wenn der Täter aufgrund seiner körperlichen Konstitution nicht zu Arbeiten herangezogen werden kann, ist auf eine Gefängnisstrafe zu erkennen.63 Allerdings müssen für einen Tag Knechtschaft zwei Tage Gefängnis abgebüßt werden.64 Globig unterscheidet zwischen harter und einfacher Knechtschaft.65 Letztere ist ein "Stubenarest ..., mit einer, dem Stande und den Fähigkeiten des Arestanten gemäßen Arbeit verbunden".66 Sie wird angeordnet, wenn eine Geldbuße oder eine andere Entschädigung abzuarbeiten oder ein einem fremden Vermögen zugefügter ungewisser Schaden zu büßen ist.67 Die harte Knechtschaft hingegen bedeutet eine Zuchthausstrafe verbunden mit öffentlichen Arbeiten ohne Ansehen des Standes und der Fähigkeiten des Verurteilten.68 Jeder muß so hart und so viel arbeiten wie irgend möglich; Arbeitsstätten sollen insbesondere (Gift-)Bergwerke, Steinbrüche, Manufakturen, Festungen und Galeeren sein.!9 Weigert sich ein Häftling, die ihm zugedachte Arbeit zu verrichten, so begeht er damit ein neues Verbrechen: "er verweigert sich dem Staate die Genugthuung zu geben, wozu er als Bürger verbunden ist".70 Solch ein Verhalten zieht körperliche Züchtigungen nach

62 Vgl. hierzu und zum Folgenden Abhandlung S. 75 ff., Vier Zugaben S. 103 ff. Allgemein auch Hellmuth von Weber, Die Entwicklung des Zuchthauswesens in Deutschland im 17. und 18. Jahrhundert, in: Festschrift Adolf Zycha, S. 427 ff. insbesondere S. 465. 63 Vgl. Abhandlung S. 75 i.V.m. Vier Zugaben S. 465 p. 75 I. 8 v. u., Vier Zugaben S. 103 f. und Friedlich Lohmann, Jean Paul Marat und das Strafrecht in der französischen Revolution, S. 59, zur Frage des Aufkommens der Freiheitsstrafe als Arbeitsstrafe vgl. ebd. S. 57 ff.

64

Vgl. Abhandlung S. 75.

Für harte oder lebenslängliche Knechtschaft verwendet er auch das Synonym "ewige" Knechtschaft, vgl. Abhandlung S. 72, 76. 65

66

Siehe Vier Zugaben S. 105 f.

67

Zur Problematik der Geldstrafe siehe unter B III, 1. b) bb) (4).

68 Vgl. auch Kleinschrod (Anm. 6) III §§ 36 ff. S. 73 ff.

19 Vgl. Vier Zugaben S. 108, Abhandlung S. 188 Anm. •. Im Vordergrund steht also der Aspekt der nutzbringenden Verwendung der Arbeitskraft des Gefangenen und noch nicht so sehr das Interesse an seiner Besserung. Allerdings ist dies nicht zu verwechseln mit der von Hermann Kn'egsmann, Binführung in die Gefängniskunde, S. 3, vertretenen Auffassung, die Wurzeln der modernen Freiheitsstrafe seien im "opus publicum" zu finden, vgl. dazu auch Taver (Anm. 60) S. 3 ff. 70

Siehe Vier Zugaben S. 110.

74

B. Die Preisschrift und ihre Zugaben

sich. Der zeitliche Strafrahmen der Knechtschaft sowie der Gefängnisstrafe wird von acht Tagen bis zu zwanzig Jahren bzw. lebenslang festgesetzt. 71 Die Zuchthausstrafe ist im Sinne des Wiedervergeltungsgedankens nur für die Verletzung der Freiheit passend. Da aber die Todes- und die Verstümmelungsstrafe nicht zulässig sind, kommt die Knechtschaft in ihren unterschiedlichen Ausgestaltungen den Straftaten, die grundsätzlich mit jenen vergolten werden müßten, als adäquate Strafe am nächsten.7l Globig hält daher eine Untergliederung der Knechtschaft in vier Arten entsprechend den vier Arten von Verbrechen gegen die Sicherheit des Staates und die persönliche Sicherheit des einzelnen Bürgers für unumgänglich.n Lebenslängliche Knechtschaft wird bei sehr schweren oder wiederholten Verbrechen als angemessen empfunden, in diesem Fall ist der Täter als Mensch für den Staat verloren. Die Strafe kann keine Besserung mehr bewirken, sondern nur noch der Abschreckung dienen.74 Hat der Verurteilte aber nur eine zeitige Strafe verwirkt, so ist es Aufgabe des Staates, seine Besserung zu fördern und voranzutreiben und ihm Hoffnung auf ein Leben als nützlicher Bürger zu geben. Ist eine Leibesstrafe als Zusatzstrafe verhängt worden, so ist sie aus eben genanntem Grund und wegen ihres Beispielcharakters zu Beginn der Knechtschaft zu verbüßen.7s Verbannung Unter den Begriff der Verbannung subsumiert Globig die Verbannung selbst als auch die Verweisung in ihren unterschiedlichen Ausformungen. Beide rechnet er noch zu den Freiheitsstrafen, da sie die physische Persönlichkeit betreffen, auch wenn das Schwergewicht auf der Beeinträchtigung der bürgerlichen Rechte und Vorteile liegt.76 Die härtere Strafe sieht er in der Verbannung, durch die der Aufenthaltsort des Täters auf einen bestimmten - ihm fremden - Ort beschränkt wird. Sie soll dort Anwendung fmden, wo wegen des geringen Gewichts des Vergehens eine gelinde Knechtschaft oder Gefängnisstrafe zu hart, anderer71

7l

Vgl. AbhandlungS. 76. Vgl. Vier Zugaben S. 107.

73

Ebd.

74

Vgl. vier Zugaben S. 111.

1S

Vgl. Vier Zugaben S. 110 f.

Vgl. Abhandlung S. 76 ff., Vier Zugaben S. 120 ff., Servin (Anm. 46) I Kap. 1 Abschnitt 2 § 4 S. 90 ff., Kleiaschrod (Anm. 69 III §§ 43 ff. S. 86 ff., Gmelin (Anm. 22) §§ 26 f. S. 60 ff., Filangieri (Anm. 23) IV Kap. 33 S. 112, Kap. 34 S. 24 ff., von Sonnenfels (Anm. 23) I Kap. 8 § 368 S. 475 und Wieland (Anm. 23) I §§ 329 ff. S. 444 ff. 76

III. Dogmatischer Teil

75

seits aber eine Beschränkung der Bewegungsfreiheit unabweislich ist.77 Mit jenen hat sie auch gemein, daß die Arbeitskraft und das Vermögen des Verbannten dem Staat erhalten bleibt. Auf Verbannung wird erkannt, wenn der Verbrecher dem Staat oder einem Einzelnen beträchtlichen Schaden androht und dafür keine Kaution leisten kann.78 Ebenso soll sie bei kleinen Majestätsverbrechen angewandt werden, zu deren Ahndung es ausreicht, dem Täter die Möglichkeit zu schaden zu nehmen und ihn von einem bestimmten Ort fernzuhalten. Globig schränkt allerdings den möglichen Täterkreis, der diese Strafe verwirken kann, ein: "Sie paßt mehr auf Vornehme, auf Hofleute, denen die Entfernung vom Hofe, und das Verbot, sich aufzuhalten, wo sie wollen, weit schmerzhafter fällt, als dem gemeinen Mann, der über die Nahrungssorgen alle Annehmlichkeiten der Abwechslung und des Aufenthalts vergißt".79 Die Verweisung, verstanden als Aufforderung, sich von einem gewissen Ort fernzuhalten, kennt Globig in zwei Varianten: als mildere Form die partielle oder auch örtliche Verweisung, die dem Täter den Aufenthalt an einem bestimmten Ort untersagt, und als härtere Strafe die immer auf Lebzeiten auszusprechende Landesverweisung.lkl Die Verweisung findet nicht bei Kriminalverbrechen Anwendung, sondern stellt die härteste Strafmöglichkeit für einen Verstoß gegen Polizeimaßnahmen dar und vergrößert somit das Kontingent der Polizeiahndungen.81 Sie soll nur dann Platz greifen, wenn der Täter nicht durch andere Polizeistrafen von seinem Tun abgehalten werden kann.

77

Vgl. Abhandlung S. 76 f., Vier Zugaben S. 120.

Vgl. Vier Zugaben S. 120. In seinem 1808 erschienenen "Entwurf eines Maaßstabs der gesetzlichen Zurechnungen und der Straf=Verhältniße" (Anm. 43) differenziert Globig weiter: Die Verbannung erfolgt nur im Falle eines angedrohten unersetzbaren Schadens; wird ein ersetzbarer Schaden angedroht, so empfiehlt er als Strafe die Verweisung aus dem Ort (§ 45 S. 160 f.). 78

79 Siehe Abhandlung S. 76 f. Später schränkt Globig den Kreis der in Frage kommenden Personen ein, indem er die "Confination" als Surrogat der Verbannung für diejenigen empfiehlt, für welche die Strafe wegen ihrer Vermögensumstände und Familienverhältnisse zu hart ist. Bei der Confination kann der Schuldige am Ort verbleiben, soll aber nicht öffentlich erscheinen dürfen und muß sich gewissen Einschränkungen unterwerfen, vgl. GJobig (Anm. 43) Maaßstab § 43 S. 148, § 45 S. 161. lkl Vgl. hierzu und zum Folgenden Abhandlung S. 76 ff., Vier Zugaben S. 120 ff. Gmelin (Anm. 22) § 26 S. 60 ff. verwirft diese Strafe, ebenso Kart Ferrlinand Hommel, Principis cura Ieges, in der Übersetzung von Rainer Polley, Principis cura Ieges oder des Fürsten höchste Sorgfalt: die Gesetze, VII S. 114 ff. 81 Vgl. Abhandlung S. 78 Anm. •, Vier Zugaben S. 126 und unten B IV, 1. b) S. 133. Vgl. auch Gmelin (Anm. 22) § 26 S. 61 f.

76

8. Die Preisschrift und ihre Zugaben

Die Staatsverweisung - "welche ... nicht eine gewöhnliche Ahndung, sondern ein äußerstes Nothmittel ist"82 - soll die Ausnahme sein, da sie grundsätzlich nicht im angestrebten Maße wirksam sein kann. Ihr fehlt im wesentlichen- ähnlich wie der Todesstrafe, denn diese Art von Verweisung bedeutet den bürgerlichen Tod, - die abschreckende Wirkung, da der Übeltäter den Augen seiner Mitbürger entzogen wird.83 Zudem erlaubt auch diese Strafe keine Modifikationen. Sie findet dann Anwendung, "wenn die Sittlichkeit, die Religion und alle zur Erreichung der gemeinsamen Glückseligkeit erforderlichen Anstalten, in einem so hohen Grade beleidiget worden, daß alle Beraubungen der mit eben diesen Gegenständen verbundenen Vortbeile zu schwach sind, das gegebene Aergerniß zu heben, und den Staat vor ähnlichen Beleidigungen sicher zu stellen".84 Allerdings ist Voraussetzung, daß die Taten keine körperlichen/knechtigen Strafen erlauben und die Täter keine Einsicht zeigen.ll.1 Denn bei Zumessung und Festsetzung der Strafen hat die bürgerliche Freiheit grundsätzlich Vorrang vor anderen Interessen des Staates, nur seine Sicherheit kann mit ihr konkurrieren. Bedroht oder verachtet also jemand die bürgerlichen Rechte, die durch den Zusatzvertrag begründet wurden, so resultieren daraus niemals körperliche Strafen, da diese allein den unmittelbaren Angriffen auf den Gesellschaftsvertrag vorbehalten sind.86 Im Falle der Staatsverweisung gesteht Globig dem Schuldigen zu, sein Vermögen mitzunehmen.87 Er verwahrt sich gegen einen Vermögensverlust zugunsten des Staates,ss da der Einzelne bei Abschluß des Gesellschaftsvertrages nicht sein Vermögen und sein Eigentum eingebracht hat, und somit diese Rechte auch keiner Beschränkung unterliegen können. Der Staat

82

Siehe Vier Zugaben S. 165.

Vgl. Vier Zugaben S. 121. Kleinschrod (Anm. 6) verwirft sie aus diesem Grunde völlig, vgl. ebd. III § 46 S. 92. 83

84 Siehe Vier Zugaben S. 122. Globig spricht sich gegen die Deportation in einsame Gegenden bzw. auf unbewohnte Inseln aus, da dies einer Todesstrafe gleichkommt. Vielmehr muß in solchen Fällen der Verurteilte "nicht bloß über die Gränze, sondern bis zum Wohnsitz einer benachbarten Nation gebracht werden, wo er Gelegenheit findet, seinen nothdürftigen Unterhalt zu erwerben• (Vier Zugaben S. 127). Anderer Ansicht hier Kleinschrod (Anm. 6) III § 50 S. 100, der Globig aber mißversteht. Gme/in (Anm. 22) §§ 26 f. S. 60 ff. befürwortet diese Strafe nur zum Teil. 11.1

86 87

Vgl. Vier Zugaben S. 123. Ebd. Vgl. Vier Zugaben S. 127.

88 Globig verweist hier auf Servin (Anm. 46) I Kap. 1 Abschnitt 2 § 3 S. 87, der einen Vermögensverlust zu Gunstendes Staates bejaht, vgl. Vier Zugaben S. 127 und Globig(Anm. 6) EntwurfS. 54 ff.

In. Dogmatischer Teil

n

kann nicht etwas verlangen, was ihm niemals zugestanden hat.89 Denn "die Uebertretung jedes Vertrags giebt dem beleidigten Theil nur ein Recht zur Entschädigung, nicht ein Recht sich aller Vortheile zu bemeistern, welche derBeleidiger vermöge dieses Vertrages hatte".90 Die oben behandelte Verweisung, die eine Vorstufe zur Staatsverweisung darstellt, bedeutet de facto eine langsame allmähliche Beraubung der bürgerlichen Rechte und Vorteile.91 Sie bietet sich insbesondere als Surrogat in den Fällen an, in denen eine andere Aberkennung der bürgerlichen Vorrechte nicht sinnvoll erscheint, z.B. bei niedrigem gesellschaftlichen Stand des Täters, da diesem der Entzug von Standesrechten nichts bedeutet.92 Diese Strafe zielt auf einen Personenkreis ab, der leichtfertig Polizeigesetze übertritt und bei dem noch Hoffnung auf Besserung besteht.93 Sie ist eine zeitige Strafe, deren Strafrahmen Globig mit fünf bis zwanzig Jahren bemißt, wobei ein progressives Vorgehen empfohlen wird.94 Wirkt sich eine zwanzigjährige partielle Verweisung nicht bessernd auf den Verbrecher aus, so bleibt als letzte Möglichkeit die Staatsverweisung. Letztere kann aber auch unverzüglich verhängt werden, z.B. bei gröbsten Polizeivergehen.9s Soweit eine zeitige Verweisung in Betracht kommt, gilt das oben zur Frage des Vermögens Geäußerte erst recht. Der Verbrecher bleibt im Besitz desselben, allenfalls kann ihm, wenn er zur Verschwendung neigt, die Verwaltung desselben entzogen werden.96 (3) Schand- und Ehrenstrafen

Globig postuliert im Gegensatz zu vielen Aufklärungsschriftstellern weiterhin die Anwendung von äußerlich wahrnehmbaren, beschimpfenden Ehren- und Schandstrafen.97 Denn "die Schande an und für sich ist schon eine

89 Vgl. Vier Zugaben S. 128.

90

Siehe Vier Zugaben S. 129.

9t Vgl. Vier Zugaben S. 125. Sie wird u.a. von Filangiezi (Anm. 23) IV Kap. 33 S. 112 ff. und

K.leinschrod (Anm. 6) III § 49 S. 97 f. bejaht.

92 Vgl. vier Zugaben S. 125. 93

Vgl. Vier Zugaben S. 126, Globig (Anm. 43) Maaßstab § 45 S. 160.

94 Vgl. ebd. Abhandlung S. 77 i.V.m. Vier Zugaben S. 466 p. 771. ult., wo Globig noch von ein- bis zehnjährigen Fristen ausgeht. 9s

Vgl. Vier Zugaben S. 126.

96 97

Vgl. Abhandlung S. 77 f., Vier Zugaben S. 129. Vgl. Abhandlung S. 240, 244 und von Sonnenfels (Anm. 23) I Kap. 5 § 293 S. 407 f., Kap. 8

78

B. Die Preisschrift und ihre Zugaben

besondere Strafe, so wie die Beleidigung der Ehre ein besonderes Verbrechen ist. Die bürgerliche Ehre ist, ..., ein eingebildetes Gut, und beruhet auf unüberwindlichen Vorutheilen".98 "... mithin muß es [das Gut] gesichert werden, weil dessen vertust die Vortheile der Gesellschaft vermindert, und es ungerecht wäre, einen Unschuldigen wegen eines Vorurtheils leiden zu lassen".99 Allerdings setzt Globig sich für eine Beschränkung dieser Strafen auf bestimmte Delikte ein. Gemäß dem Grundsatz der analogen Vergeltung sollen sie nicht mehr alle Delikte sanktionieren, sondern nur noch diejenigen Straftaten, die gegen die guten Sitten verstoßen oder eine ehrlose, niederträchtige oder auch übertrieben ehrgeizige Gesinnung verraten. 100 Die allgemeine Moralität eines Volkes, verbunden mit den- bei den einzelnen Völkern oft unterschiedlichen - Sitten und Gebräuchen, bildet die Grundlage zur Bemessung der Schandstrafen.JOt Sie geben dem Unwillen und der Verachtung des Volkes Ausdruck.1oz Ihre Intensität orientiert sich am jeweiligen Stand der Sittlichkeit eines Volkes, d.h. je schlechter die Sitten sind, desto geringere Beispielswirkung kommt der Schandstrafe zu, denn die Strafe ist immer nur so groß, wie die Sitten gut sind. Hieraus resultiert eine Besonderheit der Schandstrafen, durch die sie sich wesentlich von den übrigen Straftaten unterscheiden: die sonst ausnahmslos gegebene Proportionalität zwischen Straftat und Strafe kann hier nicht greifen, da das Ob und Wie der Schandstrafe von der lokalen Unterschiedlichkeit der Sitten bestimmt wird.•03 Auf Ehrenstrafen kann also nur dann erkannt werden, wenn die begangene Tat in den Augen der Öffentlichkeit die Ehre verletzt.l04

§§ 369 f. S. 471 ff., der sich ebenfalls dafür ausspricht sowie Kleiaschrod (Anm. 6) III § 75 S. 151, Gmelin (Anm. 22) § 29 S. 63 ff. und Wieland (Anm. 23) I §§ 327 f. S. 433 ff.

98 Siehe Abhandlung S. 79, vgl. auch Karl Ferrlinand Hammel, Des Marquis von Beccaria unsterbliches Werk von Verbrechen und Strafen, Vorrede S. 15 und Charles de Secondat Montcsquieu, Oe l'esprit des lois, zitiert nach der Übersetzungvon Emst Forsthoff, Vom Geist der Gesetze, Bd. 1 Buch 6 Kap. 12 S. 122. 99

Siehe Abhandlung S. 40.

Vgl. Abhandlung S. 80,89 Nr. 3, 240, Vier Zugaben S. 132 ff. und Ludwig Günther, Die Idee der Wiedetvergeltung in der Geschichte und Philosophie des Strafrechts, II S. 261. 100 101

Vgl. Vier Zugaben S. 131 ff.

102 Vgl. Abhandlung S. 80. 103

V gl. auch Globig (Anm. 43) Maaßstab § 45 S. 152.

104 Vgl. auch

99 ff.

Beccaria (Anm. 25) Kap. 33 S. 133 sowie zum Ganzen auch ebd. Kap. 23 S.

III. Dogmatischer Teil

79

Eine selbständige105 Schandstrafe darf nur verhängt werden, wenn "die allgemeine Sittlichkeit, die Pflichten, deren Erhaltung jeder bürgerlichen Gesellschaft oblieget",106 durch eine niederträchtige und vorsätzliche Handlung verletzt worden ist. Allein in diesem Fall ist eine - auf staatlicher Maßnahme beruhende - Beeinträchtigung der Ehre des Straftäters gerechtfertigt. Beruht der verursachte Schaden auf einer fahrlässigen Handlung, kann hierdurch also niemals die Ehre des Verbrechers verletzt werden. 100 Die Schandstrafe hat zwei unterschiedliche Erscheinungsformen: Sie kann sowohl Hauptstrafe als auch Nebenstrafe sein.tOB Als Nebenstrafe kommt sie vor allem dann in Betracht, wenn die strafbare Handlung die allgemeine Sittlichkeit nicht unmittelbar verletzt, es aber dennoch der der Gesellschaft zugefügte Schaden gebietet, mit der gesetzlichen Ahndung "gewille äußerliche Zeichen der Verachtung (zu] verbinden".'~ Die Schandstrafe umfaßt zwei Hauptgruppen: 1.

2.

die sogenannte Polizeischande, die zur Verminderung der Ehre führt und diejenige, die die völlige Beraubung der Ehre zum Ziel hat.tto

Für die Polizeischande 111 nennt Globig- ohne zu verkennen, daß im wesentlichen die "moralische ... Empfindsamkeit jeder Nation"112 entscheidend ist- fünf Möglichkeiten der Bestrafung: a) Ausschluß von gewissen öffentlichen Ämtern; b) Ausschluß von allen öffentlichen Ämtern; c) Beraubung einiger Vorteile, die dem Schuldigen als Privatmannaufgrund seines Standes zustehen; d) Verlust aller dieser Vorteile oder Versetzung in eine niedere Klasse von Bürgern und e) Verleihung der Rechte eines Fremden, d.h. völliger Verlust aller Vorrechte eines Bürgers.ttJ

105

Vgl. Abhandlung S. 80 und Vier Zugaben S. 134.

106

Siehe Vier Zugaben S. 134.

100

Vgl. ebd.

108

Vgl. hierzu Abhandlung S. 80 und Vier Zugaben S. 134 f.

Siehe Vier Zugaben S. 135. In der Abhandlung geht Globig noch davon aus, die Schande sei nur dann Nebenstrafe, wenn "sie allein nicht zureichend seyn würde" (S. 80). Diese Ansicht vertritt er jedoch in den Vier Zugaben nicht mehr. 1~

IlD

Vgl. hierzu Abhandlung S. 82 und Vier Zugaben S. 135 ff.

Obwohl diese Strafe bei Polizeivergehen (vgl. unten B IV, l.d)) zur Anwendung kommt, ist doch ein richterliches Urteil Voraussetzung für ihre Rechtmäßigkeit, vgl. Vier Zugaben S. 139. 111

112

Siehe Vier Zugaben S. 136.

113

Vgl. ebd.

80

B. Die Preisschrift und ihre Zugaben

Diese allmähliche Minderung der bürgerlichen Vorteile fmdet ihre Fortsetzung in den drei Möglichkeiten der zweiten Gruppe von Schandstrafen, die jedoch - wie bei der ersten Gruppe - nur als Beispiele gedacht und vielfacher Variation zugänglich sind. Diese drei sind a) richterliche Aberkennung des ehrlichen Namens sowie aller damit verbundener Vorzüge, b) öffentliche Errichtung eines schändlichen Zeichens und c) Tragen eines entehrenden Zeichens.114 Ziel dieser beiden letzten Strafen ist also zum einen der Verlust derjenigen bürgerlichen Vorrechte, die durch die Tat verletzt worden sind und zum anderen eine öffentliche Verspottung des Täters, soweit er sich der gröbsten Unsittlichkeit, der Beleidigung der Ehre, schuldig gemacht hat.1ts Bereits diese Ausgestaltung der Strafen läßt deutlich werden, daß ihre Anwendung nicht für jeden Bürger in gleicher Weise beabsichtigt ist.116 Ihre Zielgruppe ist im wesentlichen der Adel und das vornehme Bürgertum, da diese Gruppen "einen weit grössern Antheil an der bürgerlichen Achtung [haben] als die andern Stände".117 Bei Fremden und Armen zeigen die Schandstrafen fast keine Wirkung, da diese beiden Gruppen in den Augen der damaligen Zeit praktisch keine Ehre besitzen: die Ob~ren verachten sie, und "die Achtung ihres gleichen hilft ihnen nicht viel".tt8 Zudem können sie in Erwartung einer Schandstrafe von sich aus auswandern und so - freiwillig - ihre bürgerlichen Rechte - den Gegenstand der Schand- und Ehrstrafe- aufgeben, womit der Strafzweck bereits erfüllt ist.119 Globig ordnet die Schandstrafe der Kategorie der gemischten Strafen zu, da mit dem Verlust von Achtung und Vorrechten meist eine Beschränkung der Freiheit120 oder der Körperverletzung121 einherzugehen pflegt. Die Ver114 1ts 116 117 118

Vgl. Vier Zugaben S. 138 ff. Vgl. Abhandlung S. 81 und Vier Zugaben S. 134 und 146. Vgl. Vier Zugaben S. 139 f. Siehe Vier Zugaben S. 140, vgl. auch Vier Zugaben S. 145.

Siehe Abhandlung S. 81, vgl. auch S. 124 ff. und 204 f. Die Behauptung, diese Strafe sei nur "verhältniSmäßig, wenn der Beleidiger und Beleidigte von einerley Stand sind" hält Globig in den Vier Zugaben jedoch nicht aufrecht. Vgl. auch Jean Paul Marat Plan de l~gislation criminelle, zitiert nach der Übersetzung von Kolb I Krüger I Krüger, Plan einer Criminalgesetzgebung, S. 51. Beccaria (Anm. 25) Kap. 21 S. 96 ff. geht ausdrücklich von einer Gleichbehandlung aller Straftäter aus, die er auf den Gesellschaftsvertrag gründet.

119 Vgl. Vier Zugaben S. 140 und 145. 120 Etwa die Verpflichtung zum Tragen bestimmter schändlicher Zeichen, z.B. das Tragen

eines gelben Hutes oder einer Sturmhaube bzw. Eselsmütze zur Bestrafung von Hurenwirten oder der Pranger sind hierher zu rechnen, vgl. hierzu Abhandlung S. 83, 240, 244 und Vier Zugaben S. 142. 121

Hierzu zählt vor allem die Brandmarkung, die Globig jedoch als grausam ablehnt, vgl.

111. Dogmatischer Teil

81

hängung einer lebenslänglichen Schandstrafe soll nur dann zulässig sein, wenn sie mit einer härteren lebenslänglichen Strafe verknüpft wird, da anderenfalls der Verurteilte keinen Anlaß und Anreiz hat, sich zu bessern. 122 Falls zeitige Ehrenstrafen nicht möglich sind, setzt sich Globig- anstelle lebenslanger Ehrlosigkeit- für die Verbannung des Täters aus dem Staat ein. 123 Die Strafe der Verbannung kann auch als strafschärfendes Mittel dienen: so sieht Globig in der örtlichen Verbannung ein Surrogat der bürgerlichen Degradation (d. h. Polizeischande), die jedoch oft von den Ehrenstrafen der zweiten Gruppe in der Wirkung übertroffen wird, so daß in diesem Fall nur die Verweisung in Betracht kommt. 124 Zugleich stellt die Landesverweisung "als die gröste Ahndung mittelbarer Beleidigungen der Nation"123 für den Fall, daß alle anderen Strafen wirkungslos bleiben, die letzte Sanktionsmöglichkeit des Staates dar. Eine Vollstreckung von Schandstrafen bei Verbrechern, die nach erfolgter Verurteilung durch Selbstmord oder auch eines natürlichen Todes verstorben sind, lehnt Globig aus Gründen der Humanität und der Menschenwürde ab. Zudem entfällt durch eine solche Strafvollstreckung der Beispielscharakter einer Strafe, denn sie ruft in erster Linie Mitleid und Abscheu ihrer Zuschauer hervor.t26 (4) Geldstrafen

Der neunte Abschnitt der Vier Zugaben ist überschrieben: "Von den Geldbußen".t27 Doch Globig differenziert nicht zwischen den Begriffen Abhandlung S. 83 Anm. • und Vier Zugaben S. 142, Kleiaschrod (Anm. 6) II § 35 Nr. 2 S. 87. Vgl. auch Lohmann (Anm. 63) S. 55, der darauf hinweist, daß die Brandmarkung nicht als körperliche Strafe, sondern als Ehrenstrafe angesehen wurde. Zugleich widerspricht diese Bestrafung auch dem Grundsatz, daß bei jeder Strafe jederzeit eine Wiedergutmachung möglich sein muß, vgl. hierzu oben B III, 1. a) S. 65.

122 Vgl. Vier Zugaben S. 142 f. und Kleiaschrod (Anm. 6) II § 35 Nr. 3 S. 88 sowie ebd. IIl § 74 S. 148 f. und § 75 S. 149 ff. Aus den gleichen Gründen glaubt Globig das Aufstellen von Schandsäulen oder Bildern des Tätersam On der Strafverfolgung nur im Falle einer Verbannung bzw. ewigen Knechtschaft, Tod oder F1ucht des Verbrechers vertreten zu können, vgl. Vier Zugaben S. 141. 123 Vgl. VierZugaben S. 144 f. und oben B III, 1. b) bb) (2). 124

Vgl. Vier Zugaben S. 146 f.

123

Siehe Vier Zugaben S. 147.

126 Vgl. Vier Zugaben S. 147 ff. 127 Siehe Vier Zugaben S. 148, vgl. Abhandlung S. 83, Gtobig (Anm. 6) EntwurfS. 50 ff. Vgl. zur Geldstrafe auch Filangieri (Anm. 23) IV Kap. 32 S. 85 ff., Gmelin (Anm. 22) §§ 31 f. S. 7 ff., Kleinschrod (Anm. 6) IIl §§56 ff. S. 109 ff., von Sonnenfels (Anm. 23) I Kap. 8 §§ 372 ff. S. 479 ff., Servin (Anm. 46) I Kap. 1 Abschnitt 2 § 5 S. 93 ff. sowie Wieland (Anm. 23) I

82

B. Die Preisschrift und ihre Zugaben

Geldbuße und Geldstrafe. Vielmehr sieht er in dem einen nur ein Synonym

für das andere. 128 Entsprechend seiner Forderung nach einem wiedervergeltenden Charakter der Strafe kommt für ihn die Geldstrafe nur als Sanktion für Eigentumsdelikte in Betracht. Denn "nichts ist empfmdlicher, als

dasjenige an meinem Vermögen einzubüssen, was ich den andern zu entwenden hofte". 129 Alle übrigen bis dato gebräuchlichen Anwendungsfälle der Geldstrafe, wie z.B. der Umwandlung von Körper- in Geldstrafen, lehnt er ab. 130 Die Geldstrafe soll also bei Verletzung und Mißbrauch des Eigentums sowie einer Gefährdung staatlichen bzw. privaten Vermögens Anwendung finden.t3t Als dritte Gruppe zählt Globig noch diejenigen materiellen Entschädigungen hinzu, die ein Täter seinem Opfer im Falle von Körperverletzungen sowie Beeinträchtigungen der Freiheit schulde.t32 Zur Festsetzung der Geldstrafe stellt Globig zwei Hauptregeln auf: 1.

Grundsätzlich darf die Strafe nie das gesamte Vermögen des Schädigers umfassen, d.h. sie darf nicht einer Güterkonfiskation gleichkommen. Diese ist nur dann zulässig, wenn das Vermögen des Täters gerade durch eine Straftat wie Betrug oder durch Einfuhr gemeingefährlicher Sachen erworben worden ist. Durch Berücksichtigung dieses Grundsatzes soll eine Gefährdung des Hausstandes des Täters ausgeschlossen sein.133

§§ 323 ff. S. 435 ff. Einen allgemeinen, wenn auch kurzen Überblick vermittelt die Dissertation von Robert Neumaier, Die geschichtliche Entwicklung der Geldstrafe vom 15. Jahrhundert bis zum RStGB, besonders S. 24 ff. 128 Vgl. z.B. Abhandlung S. 81 ff., Vier Zugaben S. 149, 155; auch Kleinschrod (Anm. 6) kannte diese Differenzierung noch nicht, vgl. z.B. ebd. III §56 S. 109. 129 Siehe Abhandlung S. 85. 130

Vgl. VierZugaben S.149 und 173.

Vgl. Vier Zugaben S. 151. Dies war eine in der damaligen Literatur vorherrschende Ansicht, vgl. z.B. Filangieri (Anm. 23) IV Kap. 32 S. 85 ff., von Sonnenfels (Anm. 23) I Kap. 8 § 374 f. S. 481 ff., Johann Christian von Quistorp, Ausführlicher Entwurf zu einem Gesetzbuch in peinlichen und Strafsachen, I § 62 S. 74 ff.; dagegen aber Wieland (Anm. 23) I § 324 S. 436 f. 131

132 Vgl. Vier Zugaben S. 152, 154, Abhandlung S. 52. Globig erkennt zwar, daß es sich hierbei im Grunde um einen zivilrechtliehen Anspruch handelt, hält aber seine Festsetzung im Rahmen des Kriminalrechts für erforderlich bzw. für möglich, vgl. Vier Zugaben S. 498.

133 Vgl. Vier Zugaben S. 153, Abhandlung S. 51 und 84 f. Dies ist ein allgemeines Anliegen der Zeit, vgl. Matthäus Pflaum, Entwurf einer neuen peinlichen Gesetzgebung, I § 44 S. 39, Kleinschrod (Anm. 6) III § 57 S. 110 ff., der jedoch eine Konfiskation bejaht; von Sonnenfels (Anm. 23) I Kap. 8 § 372 S. 479 f. läßt die Güterkonftskation trotz grundsätzlicher Übereinstimmung mit Globig zu. Andererseits lehnt z.B. Beccaria (Anm. 25) Kap. 22 S. 98 f. aus Rücksicht auf die Angehörigen des Täters die Geldstrafe völlig ab (ebd. Kap. 25 S. 102 f.), ebenso Montesquieu (Anm. 98) Bd. 1 Buch 12 Kap. 4 S. 260 ff. und Francais-Marie Arouet Voltaire, Prix de Ia justice et de l'humanite, zitiert nach Günther Mensching, Republikanische Ideen, Schriften 2, Art. 27 S. 162 ff. Vgl. auch Servin (Anm. 46) I Kap. 1 Abschnitt 3 § 2 S. 102 ff., der

lU. Dogmatischer Teil

2.

83

Die durch die Geldstrafe erlangten Mittel sind nicht mehr Einkünfte des Regenten oder der Gerichte,134 sondern sollen vielmehr als Hilfe für Notleidende oder zur Belohnung von Tugendhaften verwandt werden.133 Auf diese Weise wird zugleich künftigen Straftaten vorgebeugt.136

Der konkreten Festsetzung der jeweiligen Geldstrafe hat folgende Überlegung vorauszugehen: Handelt es sich um eine tatsächlich eingetretene Verletzung fremden Eigentums oder nur um eine Gefährdung fremder bzw. um Mißbrauch eigener Güter bzw. um die Leistung.einer Entschädigung zugunsten des Verletzten? 137 Die Antwort hierauf ist das maßgebliche Kriterium zur Bestimmung der Höhe der Geldstrafe.t38 Soweit durch eine Verletzungshandlung ein konkreter Schaden entsteht, muß "die Strafe mit dem Werth dieses Schadens im VerhältDille stehen",t39 d.h. sie darf sich nicht am Vermögen des Täters orientieren. Maßstab ist grundsätzlich der entstandene Schaden, wobei die Art und Weise der Tatausführung und die Schwere des Schadens natürlich mit zu berücksichtigen sind. 1o40 Ist allerdings noch kein konkreter Schaden eingetreten oder handelt es sich um Polizeivergehen, bemißt sich die Geldstrafe nach dem Vermögen des Täters, wenn auch unter Beachtung der Besonderheiten des Einzelfalles. Stehen Mißbräuche des eigenen Vermögens oder eine Entschädigung für erlittene Körperverletzung in Frage, so gilt gleichfalls obiger Maßstab, jedoch läßt sich

sich für eine GüterkonftSkation, wenn auch nur unter Anerkennung einer staatlichen Fürsorgepflicht für die Familien der Täter, ausspricht, und Filangieri (Anm. 23) IV Kap. 46 S. 434, 440. Gegen eine Vermögenseinziehung auch Omdin (Anm. 22) f 32 S. 71 und § 60S. 125, vgl. auch Wieland (Anm. 23) I f§ 325 f. S. 438 ff. Allgemein zur KonfiSkation Wi/Ji Ehmann, Die Strafe der Vermögenseinziehung, S. 79 ff. 134

Dies sah sogar noch das ALR vor, vgl. §§ 114 ff.ll17 ALR.

133

Vgl. Abhandlung S. 13 ff. und oben B II, 2.

136 Vgl. Vier Zugaben S. 153; so sieht z.B. das Neue Criminalgesetzbuch von Toskana, in: Schlötzer's Stats=Anzeigen, Bd. 10 (1787) S. 366 f., in § 46 vor, die Strafgelder in eine Kasse einzuzahlen, aus der die durch Verbrechen Geschädigten unterstützt werden sollen. 137 Die Gefihrdung fremder und der Mißbrauch ~igener Güter gehören im Grunde in die Kategorie der Polizeivergehen. Aus Gründen ihrer Ahnliehkeil mit Verbrechen erachtet Globig es für gerechter, hier als Sanktion die Geldstrafe zu fordern, vgl. Vier Zugaben S. 295, 291.

138 Vgl. Vier Zugaben S. 154. 139 Siehe Vier Zugaben S. 154.

lo40 Vgl. Vier Zugaben S. 154, dem steht das auf Seite 163 f. (Vier Zugaben) Gesagte nicht entgegen, es ist nur eine Klarstellung. Der angerichtete Schaden muß natürlich - soweit möglich in natura- ersetzt werden. Dabei handelt es sich aber um keine "Sanktion•, sondern vielmehr um einen reinen Schadensersatz im Sinne einer Wiederherstellung des vorigen Zustandes. Die strafrechtliche Sanktion besteht jedoch in der Verhängung einer Geldstrafe, die neben den Ersatz tritt.

84

B. Die Preisschrift und ihre Zugaben

hier die Größe des Mißbrauchs oder der Verletzung zur Bestimmung desselben mit heran.ziehen.l41 Eine Geldstrafe ist Globigs Ansicht nach nur dann sinnvoll und zweckmäßig, wenn sie mindestens den 30. Teil des Vermögens des Täters beträgt, jedoch auch nicht mehr als die Hälfte desselben. 142 Die Größe des Vermögens wird aufgrund der Angaben des Täters ermittelt, es sei denn, das Gericht hat genügend eigene Kenntnis darüber. 14' Globig erkennt zwar, daß dies keine befriedigende Lösung sein kann, aber er sieht in ihr den einzig möglichen Weg zur Festsetzung der Geldstrafe.t44 Zugleich befürwortet er die Führung von Tabellen, die den durchschnittlichen jährlichen Verdienst der einzelnen Berufsgruppen wiedergeben, um so einen einigermaßen gerechten Maßstab für die Festsetzung der Strafen zu erhalten. Diese Tabellen sind gerade dann von Nutzen, wenn der einzelne Täter nicht über bares Vermögen verfügt, sein Jahresverdienst vielmehr sein einziges Vermögen ausmacht,145 da allein dieser dann als Berechnungsgrundlage für eine Geldstrafe dienen kann. Den Einwand, die Kreditwürdigkeit des Straftäters leide unter dieser Offenlegung seiner Vermögensverhältnisse, läßt Globig nicht gelten, vielmehr hält er es mit Beccaria für ein durchaus erstrebenswertes Ziel, alle Kreditgeschäfte gerichtlich protokollieren zu lassen, 146 was zugleich eine Einsicht in die Vermögensverhältnisse des einzelnen Bürgers ermöglicht. Ein viel erhobener Einwand gegen die Praktikabilität der Geldstrafe ist der der unterschiedlichen Vermögensverhältnisse der Straftäter. Da oft gerade die armen und ärmsten Bürger den Täterkreis der Straftaten gegen fremdes Eigentum ausmachen, sind nach Globig die Geldstrafen im Grunde grausam, da sie die unschuldigen Familien der Täter mitbestrafen oder auch ohne Wirkung, wenn die Täter über keinerlei Vermögen verfügen. 147 Um al-

141 Vgl. Vier Zugaben S. 154 und 164. 142 Vgl. Vier Zvgaben S. 155, in der Preisschrift äußert er sich nvr grundsätzlich dazu, ohne

gewisse Qvoten zv nennen, vgl. Abhandlvng S. 98. Vgl. avch Filangjeri (Anm. 23) IV Kap. 32

s. 89 ff.

143 Vgl. Vier Zllgaben S. 155, ebenso Filangjeri (Anm. 23) IV Kap. 32 S. 8S ff. vnd vorher bereits Montesquieu (Anm. 98) Bd. 1 Buch 6 Kap. 18 S. 132.

144 Unter gewissen Umständen läßt Globig auch eine Schätzung des Vermögens durch den Richter zu, vgl. Vier Zvgaben S. 156.

145 Vgl. VierZvgaben S. 159 f. 146 Vgl. Vier Zllgabcn S. 157. Ziel dieser Maßnahme ist die Vermeidung von Bankrotten und Erhaltvng des öffentlichen Kredits.

147 Vgl. Vier Zvgaben S. 148 f. sowie Beccaria (Anm. 25) Kap. 22 S. 98 ff. Allerdings hat die Preisschrift noch die Ansicht vertreten, die dvrch die Verhängvng der Geldstrafe eintretende

lll. Dogmatischer Teil

85

so eine Gefährdung des häuslichen Wohlstandes zu vermeiden, setzt Globig sich dafür ein, daß anstelle der zu leistenden Geldschuld gelinde Handarbeit geleistet werden kaiU1. 148 Sie ist in seinen Augen das geeignete Surrogat und zwar für beide Arten der Geldstrafen.149 Für den Umfang der Arbeitsverpflichtung ist allein die festgesetzte Höhe der Geldstrafe maßgeblich. Die Art der Arbeiten aber, die der Richter festsetzt,150 bestimmt sich "nach den Kräften und Fähigkeiten des Verbrechers, und die Freyheit deßelben wird nur durch gelinden Arest beschränkt". 151 Stellt der Verurteilte jedoch für die zu leistende Arbeit Bürgen oder eine andere Sicherheit, die die ordnungsgemäße Ableistung der auferlegten Arbeit gewährleisten, so bleibt er vom Arrest verschont. Während der Dauer dieser Arbeit unterhält der Staat, falls erforderlich, die Familie des Täters.152 Für die Durchführung der aufgetragenen Aufgaben werden gewisse, wiederum den persönlichen Qualitäten des Täters entsprechende Fristen bestimmt, so daß eine zügige Ableistung gewährleistet ist. Ist die Geldstrafe aufgrund der besonderen Umstände des Einzelfalls nicht ausreichend, so empfiehlt Globig als Steigerung derselben - soweit es sich um Sanktionen für Gefährdungsdelikte handelte - die Verweisung des Täters. Hat ein Täter sich immer wieder den Besserungsversuchen des Staates widersetzt, so sind bei ihm körperliche Strafen gleichfalls zwecklos. Zudem steht die Verweisungsstrafe ihrem Charakter nach der Geldstrafe wesentlich näher als jener.133 Diese Möglichkeit der Strafumwandlung darf jedoch auf diejenigen Fälle, in denen tatsächlich ein konkreter Schaden entNot einer Familie sei hinzunehmen, da andererseits "das weit grössere Beyspiel dieser Strafe" außer jedem Verhältnis zu jener stehe. Außerdem könne der Staat die unschuldig leidenden Familien versorgen, Abhandlung S. 86.

148 Vgl. hierzu und zum Folgenden Abhandlung S. 98, Vier Zugaben S. 161 ff., 214-218 sowie 239. Diese Forderung erhebt unter anderem auch Servin (Anm. 46) I Kap. 1 Abschnitt 2 § 5 S. 94 und später auch Kleinschrod (Anm. 6) III §59 S. 115. Filangieri (Anm. 23) IV Kap. 32 S. 95 fordert stattdessen Leibesstrafen ebenso von Sonnenfels (Anm. 23) I Kap. 8 § 374 S. 481 f. 149 Vgl. Vier Zugaben S. 163 und oben B III, 1. b) bb) (4) S. 81 f. 150 Soweit es sich jedoch um die Erbringung von Arbeiten anstelle von Geldleistungen im

Rahmen der Privatgenugtuung handelt, glaubt Globig die Bestimmung derselben bei Vorsatzund groben Fahrlässigkeitstaten dem Geschädigten, bei Taten mit nur leichtem Fahrlässig· keitsvorwurf sogar dem Täter überlassen zu können, vgl. Vier Zugaben S. 162 ff. ISI

Siehe Vier Zugaben S. 214.

152 Der einzelne- anne- Straftäter wird durch diese Art des Abverdienens der Geldstrafe in

keiner Weise gegenÜber dem Reichen, der sofort zahlen kann, benachteiligt, denn •seine Hände sind ja das einzige Kapital, von welchem er seine Nahrung zieht [...]-und wenn ihm der Magistrat beständige Arbeiten anweißet und davon seinen Unterhalt mit bestreitet; ist er nicht in mancher Rücksicht beßer daran, als bey unbeschränkter Freyheit mit ungewißerem Verdienst?" Siehe Vier Zugaben S. 214. 153

Vgl. Vier Zugaben S. 165 ff.

86

B. Die Preisschrift und ihre Zugaben

standen ist, keine Anwendung finden. Denn hier sieht Globig keine Möglichkeit, den Maßstab der Beurteilung der Tat zu ändern, dieser ist und bleibt die Größe des verursachten Schadens.154 Im Wiederholungsfall gilt eine lebenslange Freiheitsstrafe - nach Ausschöpfung der Möglichkeiten der Geldstrafen - als einzig gerechte Sanktion. c) Wirkungen der Verurteilung

Den ''bürgerliche[n] Folgen der Strafen" widmet Globig den elften Abschnitt der Zweiten Zugabe. u-5 Ihr Ziel ist nicht etwa die Abschreckung anderer, sondern vielmehr "nur Prüfung und Besserung" des Täters.IS6 Die bürgerlichen Folgen der Strafe kennt Globig in zwei Formen: einmal während der Strafverbüßung, die einen größeren oder kleineren Verlust der bürgerlichen Rechte mit sich bringt, und einmal nach VerbüBung der Strafe, mit der sie also keineswegs ihr Ende finden. 137 Nur während der Dauer der Strafe büßt der Verurteilte seine bürgerlichen Rechte zum Teil oder auch vollkommen ein. Er verliert jeglichen Rang und Würde. Mit dieser Forderung setzt sich Globig in Widerspruch zum gemeinen Strafrecht, wo eine Verurteilung zu Körper- oder Todesstrafen einen völligen und endgültigen Verlust aller bürgerlichen Rechte unmittelbar nach sich zog.158 Der Umfang der zivilen Rechte, d.h. der Möglichkeit seinen Verpflichtungen und Geschäften nachzukommen, ist je nach Strafart mehr oder weniger begrenzt.139 Eine lebenslange Freiheitsstrafe ist gleichbedeutend mit moralischem Tod, was heißt, daß der Verurteilte- neben dem dauerhaften Verlust der Ehre - keinerlei Verfügungsbefugnis mehr über sein Vermögen hat. Dieses fällt an seine nächsten Erben. Hat er jedoch keine Erben, so gesteht Globig ihm grundsätzlich die Möglichkeit einer letztwilligen Verfügung zu.161 Demgegenüber hat die Verhängung zeitiger Freiheitsstrafen lediglich die Übertragung der Verwaltung des Vermögens auf die Obrigkeit des Ortes für die Dauer der Strafe zur Folge. Von dem erwirtschafteten Ertrag sind die Angehörigen des Sträflings zu ver1.54

Vgl. Vier Zugaben S. 166.

l-5.5

Siehe Vier Zugaben S. 176 und vgl. ebd. S. 176 ff.

Siehe Vier Zugaben S. 187; das abschreckende Beispiel soll ja bereits durch die- verbüßte - Strafe gewirkt haben. IS6

IS7

Vgl. VierZugabenS.179.

l.58

Dies galt auch für die Bekleidung öffentlicher Ämter.

l3!1

Vgl. hier und zum Folgenden Vier Zugaben S. 179 ff. sowie Alkalay (Anm. 22) S. 65 f.

161

V gl. Vier Zugaben S. 182 unter Ablehnung der römischrechtlichen Regelungen.

lll. Dogmatischer Teil

87

sorgen, allerdings auch sein eigener Unterhalt zu bestreiten. Der Magistrat muß nach Ablauf der Strafzeit dem Verurteilten sogar Rechenschaft über seine Verwaltung erstatten.l61 Begründet wird diese Maßnahme- die Vermögensverwaltung- mit der Befürchtung, der Verurteilte oder seine Verwandten könnten durch ihm zur Verfügung stehende (Geld-)Mittel Einfluß auf den Strafvollzug nehmen.162 Aus denselben Gründen sind auch Schenkungen unzulässig. Bei sehr kurzfristigen Freiheitsstrafen, der Landesverweisungl63 sowie dem gelinden weiten Arrest, der im Falle der Abarbeitung von Geldbußen und während der Untersuchungshaft eingreift, kommen die eben genannten Maßnahmen jedoch nicht zum Tragen. Die Möglichkeit, den Verurteilten als Zeuge zu vernehmen, ist zwar nicht, wie bis dahin üblich, völlig ausgeschlossen, jedoch in ihrem Umfang abhängig von der Schwere und der Ähnlichkeit der Tat des Verurteilten mit dem zu untersuchenden Delikt. 164 Nach VerbüBung der zeitigen Strafen wird dem Freigelassenen allerdings keine unumschränkte Wiedereinsetzung in alle seine vormaligen Rechte zuteil.165 So leben zwar seine Rechte aus Eigentum wieder auf, die Wiedererlangung seiner vormaligen persönlichen Rechte ist aber sowohl abhängig von der Art der Straftat als auch von der der Vorrechte selbst.l66 Soweit diese - persönlich erworben oder ererbt - als Attribut einer unbescholtenen tadellosen Lebensführung gelten, ist eine erneute Zuerkennung ausgeschlossen. Dies läßt deutlich werden, daß die Umsetzung der typischen Forderungen der Aufklärung- wie etwa Gleichheit aller Menschen und völlige Wiedereinsetzung des Strafentlassenen in alle seine Rechte - in praxi doch an ihre Grenzen stößt. Globig differenziert vielmehr zwischen den eben genannten persönlichen Rechten und den "nutzbaren bürgerlichen Rechten, ohne welche die[se] Freyheit nichts ist". 167 Letztere werden dem Entlassenen zwar durch den Richter wieder verliehen, aber nur mit gewissen Beschränkungen. Zwar verurteilt Globig z.B. die Handwerkszünfte, die sich weigern, 161 Vgl. vier Zugaben S. 184, ebenso Globig (Anm. 6) EntwurfS. 54 ff., der jedoch hier eine differenziertere Regelung vorsieht. l62 Vgl. Vier Zugaben S. 181 und Allcalay (Anm. 22), der auf Seite 66 Anm. 319 und 322 auf eine tatsächliche Begebenheit hinweist.

163 Vgl. oben B II, 3. b) bb) (2) S. 75 f. l64 Vgl. Vier Zugaben S. 183. Dies gilt in gleicher Weise für die Zeugenbefähigkung nach VerbüBung der Strafe. Hier soll die gerichtliche Glaubwürdigkeit zudem noch mit der Verringerung der Schandvermutung einhergehen, vgl. Vier Zugaben S. 187.

16.5

166 167

Vgl. Vier Zugaben S. 183 ff. V gl. Vier zugaben S. 184. Siehe Vier Zugaben S. 183 f.

88

B. Die Preisschrift und ihre Zugaben

einen vorbestraften Bürger wieder in ihre Reihen aufzunehmen, 168 da dieses Verbalten ihm die "Laufbahn des allgemeinen Nahrungsstandes" versperrt, 169 andererseits sieht er in dessen Aussperrung von Glücks- und GewinDspielen keine Beeinträchtigung, da derartige, von der Nation selbst bewilligte Vorteile, nur denen zukommen sollen, die ihrer auch würdig sind. 170 Das Ausmaß der bürgerlichen Strafen richtet sich ebenso wie das der Kriminalstrafen nach der Größe der Tat. Wie diese verringert sich auch erstere mit der Zeit. 171 Globig lehnt einen grundsätzlichen Ausschluß von öffentlichen Ämtern als Folge einer Verurteilung ab. Soweit jedoch die strafbaren Handlungen vorsätzlich die Sicherheit des Staates oder die des Einzelnen bzw. dessen Leben gefährden, hält er den durch die Verletzung des Gesellschaftsvertrages verursachten Vertrauensschwund für so unwiederbringlich, daß eine erneute Übernahme eines solchen Amtes unmöglich erscheint.172 Bei kleineren bzw. nur fahrlässig begangenen Straftaten allerdings genügt eine zeitige Ausschließung von öffentlichen Ämtern. Ganz dem Gedankengut der Aufklärung verbunden beschäftigt sich Globig mit der Frage, ob die bürgerliche Strafe auch nach dem Tode des Verbrechers Wirkungen zeigt. Sein Hauptaugenmerk ist hierbei auf das Begräbnis gerichtet,m das auf jeden Fall ein christliches Begräbnis sein muß.174 Allerdings muß sich der Grad der Feierlichkeiten, falls die Schande 175 noch nicht ganz getilgt oder die Strafe selbst noch nicht vollständig verbüßt ist, nach dem noch ausstehenden Schattd- bzw. Strafrest bemessen. Denn der Umfang und das Ausmaß der Bestattungsfeierlichkeiten spiegeln die dem Toten von Seiten des Staates entgegengebrachte Achtung und Anerkennung wider ,176 Die Möglichkeit einer Sippenhaft verwirft Globig als unmenschlich. Denn nur Tatsachen, also persönlich begangene Verbrechen, sind über168 Vgl. Vier Zugaben S. 184. Er geht sogar soweit zu behaupten, die Handwerksinnungen widersetzten sich mit diesem Vrhalten dem "ersten Endzweck jeder vemünfthigen Staatsverfassung" (S. 188).

169 Siehe Vier Zugaben S. 188. 170 Vgl. Vier Zugaben S. 185 f. 171 Vgl. Vier Zugaben S. 186 f. 172

V gl. Vier Zugaben S. 55, 186.

Eine Erörterung des unehrlichen Begräbnisses, wie z.B. auf der Gerichtsstätte selbst, vermeidet Globig mit dem Hinweis, hierbei handele es sich um eine besondere Strafe, die nicht in diesen Zusammenhang gehöre, vgl. Vier Zugaben S. 188. 173

174 Vgl. hierzu oben B II, 2. a) S. 50 f. Für den FaD, daß die Strafvollstreckung durch den Tod des Verurteilten unmöglich geworden ist, vgl.unten Bill, 1. e).

175 Im Sinne von bürgerlicher Strafe. 176 Vgl. hierzu Vier Zugaben S.188 f.

m. Dogmatischer Teil

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haupt geeignet, eine staatliche Strafe zu verwirken. Zudem erkennt er, daß die Angehörigen des Verbrechers bereits durch die Verachtung und Vorurteile ihrer Mitbürger oder auch durch die im Rahmen der Privatgenugtuung oder Geldstrafe bedingten Vermögenseinbußen genügend gestraft sind.m d) Strafzumessung

Globigs Grundsätzen zufolge müssen alle strafbaren Handlungen ebenso gesetzlich normiert sein wie die ihnen entsprechenden Strafen, so daß der Richter grundsätzlich keine Strafzumessungskompetenz besitzt.t78 Die Strafe, die ein dem Gesetz Zuwiderhandelnder verwirkt, bestimmt sich nach ihrem Zweck, der Abwendung künftigen, durch Verbrechen verursachten Schadens von der Gesellschaft. Maßgeblich für die Strafzumessung ist daher die von den einzelnen Handlungen ausgehende sich im Schaden dokumentierende Gefährdung der öffentlichen Sicherheit.t79 Da die Größe des Schadens jedoch von einer Vielzahl von Faktoren abhängt, die eine Veränderung des Unrechtgehalts der Tat bewirken können, müssen auch diese Einzelfälle gesetzlich fixiert werden. 1m Globig fordert also Vorschriften, die genau festschreiben, wann die Voraussetzungen für eine Änderung des Strafmaßes gegeben sind. Aus dem Gesetz muß sich ohne weiteres ergeben, wann die verschärfte oder einfache Vorsatzstrafe verwirkt ist, letztere ist maßgeblich für die Erhöhung bzw. Minderung der Strafen und wann grobe oder leichte Fahrlässigkeit gegeben ist. 1St Ebenso muß klar bestimmt sein, wann etwa ein Fall der Notwehr, des Versuchs oder eines Rückfalls vorliegt und zwar nicht nur für einzelne Delikte, sondern aufgrund einer allgemeinen Regelung, die

IT1 V gl. Vier Zugaben S. 188 ff. Einen Vollzug der Strafe am Leichnam des Verbrechers hält dagegen Johsnn ChristiBn von Quistorp, Grundsätze des teutschen peinlichen Rechts, unter gewissen Voraussetzungen für geboten, vgl. ebd. I § 94 S. 137 ff. sowie auch § 803 II 20 ALR. 178 V gl. hierzu B II, 2. b); allgemein dazu vgl. Bernd Rebbach, Der Entwurf eines Kriminalgesetzbuches von Kar! Theodor von Dalberg aus dem Jahre 1792, S. 55 f., Francois-Marie Arouet Voltaire, lde~ republicaines, zitiert nach Günther Mensching, Republikanische Ideen, Schriften 2, S. 21. Giobig greift in einer Note auf S. 221 (Vier Zugaben) Servin an, der dem Richter- wie bisher- die Festsetzung der jeweiligen Modifikationen der Strafe überlassen möchte (vgl. Servin (Anm. 46) I Kap. 1 Abschnitt 1 § 6 S. 53 ff.). Allgemein zur Strafzumessung vgl. Servin (Anm. 46) I Kap. 1 Abschnitt 1 § 4 S. 32 ff.

179 Vgl. hierzu oben B II, 4. und 5. tm Vgl. Vier Zugaben S. 220 ff., Gmelin (Anm. 22) § 48 S. 103 sowie im übrigen §§ 49 ff. S. 104 ff., Wieland (Anm. 23) I § 256 S. 337 f. und Filangieri (Anm. 23) IV Kap. 39 S. 286 ff. insbesondere S. 290 ff.

1&1 Vgl. Abhandlung S. 109 sowie Globig(Anm. 6) EntwurfS. 27. Zur Frage des Vorsatzes siehe unten B 111, 2. b) ba).

90

B. Die Preisschrift und ihre Zugaben

für alle Straftaten gilt.IB2 Keine noch so große Unvollkommenheit darf den Gesetzgeber von ihrer Normierung abhalten, 183 denn andernfalls stehen die Richter vor eben derselben und treffen erfahrungsgemäß divergierende Entscheidungen, was gerade vermieden werden soll. Die genaue Normierung aller Fallgestaltungen kann allerdings dann entfallen, wenn die Ursachen, die eine Veränderung des Vorsatzes bedingen, auf ganz individuellen Eigenschaften des Täters beruhen.184 Insoweit kann der Gesetzgeber nur die Richtlinien vorgeben, innerhalb derer eine Zurechung noch zu vertreten ist. Ausnahmsweise stützt Globig sich in diesen Fällen auf die "geprüfte ... Erfahrung und Gewißenhaftigkeit" der Richter, um eine vertretbare Strafzumessung zu gewährleisten, und billigt ihnen eine gewissen Eigenständigkeil zu.t83 Sind die Ursachen jedoch mehr tatbezogen, so muß ihre begriffliche Bestimmung und eine Strafmaßbestimmung durch das Gesetz erfolgen.l86 Globig unterscheidet bei der Bestimmung der strafschärfenden bzw. strafmildernden Umstände einmal eine Veränderung, die durch im Menschen selbst begründete Umstände bedingt ist, sowie eine, die auf der Nationenbildung beruht.t87 Hierher zählt er Zeitpunkt, örtliche Begebenheit und Objekt der Tat ebenso wie persönliche Eigenschaften des Opfers, die "in äußerlichen Kennzeichen bestehen", soweit diesen durch die Verfassung der jeweiligen Gesellschaft ein besonderer Stellenwert eingeräumt wird. 188 Denn diese können das Ausmaß des Schadens und somit der Strafe beeinflussen. Diese "Lokalumstände" sind aber nur in Grundzügen reglementier-

182 Vgl. Vier Zugaben S. 228 f. Globig setzt sich hiennit als erster für eine genaue Darstellung der allgemein geltenden Bestimmungen, die man mit unserem heutigen Allgemeinen Teil des Strafgesetzbuches vergleichen könnte, ein. Zu den Einzelheiten vgl. unten B 111, 2. b) ba).

183 Vgl. Abhandlung S. 101, Vier Zugaben S. 220, 236. Globig wirft dem Gesetzgeber vor, diese Regelungen aus Bequemlichkeit nur im Einzelfall getroffen zu haben (Vier Zugaben S. 229).

184 Z.B. "Leidenschaft, Kindheit, Unwißenheit, Trunkenheit", Vier Zugaben S. 226; zu der Problematik, ob in diesen Fällen überhaupt eine strafbare Handlung angenommen werden kann, vgl. unten B lll, 2. sowie Abhandlung S. 116 f.

183 Siehe Vier Zugaben S. 227, vgl. auch Abhandlung S. 96 f. Er geht jedoch nicht soweit wie von Dalberg, der dem Richter das Recht zugesteht, unter gewissen Voraussetzungen eine andere als die vorgesehene Strafe zu verhängen, Kari TbcOdor 110n Dalberg, Entwurf eines Gesetzbuches in Criminalsachen, S. 172 ff. 186 Hierzu zählt Globig die Grenzen von Vorsatz und Fahrlässigkeit, Versuch, Vollendung, Notwehr, Teilnahme und Rückfall.

187 188

Vgl. vier Zugaben S. 225.

Siehe Vier Zugaben S. 244 und vgl. ebd. S. 225 f., 233 Nr. 5, 243 ff. sowie Abhandlung S. 107f.

III. Dogmatischer Teil

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bar, die Einzelheiten müssen vom jeweiligen nationalen Gesetzgeber festgelegt werden.t89 Die erste Gruppe umfaßt den Komplex der Zurechnung der strafbaren Handlung, wie z.B. die Problematik der Notwehr, die der Abgrenzung von Vorsatz und Fahrlässigkeit190 und die der von Versuch und Vollendung. Bedeutung kommt diesen Differenzierungen aber auch nur dann zu, wenn die sie bedingenden Umstände offensichtlich sind, da der Richter sein Urteil allein darauf stützen darf.191 Der Persönlichkeit des Täters, seinen Vorstellungen von der Tat und ähnlichem wird bei der Festsetzung der Strafe kein Gewicht beigemessen.l92 Eine Berücksichtigung auch dieser grundsätzlich möglichen Beurteilungsgesichtspunkte verbietet sich von selbst, da dem Richter zu ihrer Feststellung keine geeigneten Hilfsmitttel zur Verfügung stehen.193 Zudem zieht ein Eingehen auf diese nicht von vornherein für alle erkennbaren Umstände eine Vielzahl verschiedener Strafen für äußerlich gleiche Verbrechen nach sich und widerspricht somit den wesentlichen Zielsetzungen des Kodiflkationsgedankens.l94 Des weiteren fordert Globig genaue Kriterien für die Festlegung der einzelnen, der jeweiligen Begehungsforml93 der Straftaten angepaßten Strafen.196 Er hält eine drei- bis vierfache Abstufung der (Vorsatz)Strafe für ausreichend und nimmt in diesem Sinne eine exakte Gradation aller Strafen sowie eine Bestimmung der Grenzen einer Strafschärfung vor ,197 Zugleich bemüht er sich auch, seine theoretischen Überlegungen mit konkreten Bei-

189 Siehe Vier Zugaben S. 233. Die "Lokalumstände" sollen jedoch nur eine Verschärfung der Strafe bewirken können, denn Globig geht davon aus, daß die allgemeinen, moralischen Wertvorstellungen überall gleich sind und nur gesteigert niemals aber reduziert werden können. l90 In der Abhandlung spricht Globig in diesem Zusammenhang fast immer von Nachlässigkeit anstelle von Fahrlässigkeit.

191 Vgl. Abhandlung S. 110, Vier Zugaben S. 245 ff., 262 ff. und 268 ff. l92 Vgl. Abhandlung S. 109 f., Vier Zugaben S. 247 ff., G/obig (Anm. 6) EntwurfS. 15;

andres von Da/berg (Anm. 185) S. 117 ff.

193 Vgl. Vier Zugaben S. 246 f. l94 Ergeht aus diesem Grunde ein Fehlurteil, "so kommt solches lediglich auf die Rechnung

der allgebietenden Nothwendigkeit, welche überhaupt bestimmte Strafen fordert, wenn gleich niemals ganz gewiß zu behaupten stehet, daß die gegebene Strafe unter den möglichen die beste sey", Vier Zugaben S. 247; vgl. auch oben Anm. 192. l9l

Z.B. Versuch, Reue, Wiederholun~tat, Teilnahmeformen, vgl. Vier Zugaben S. 228.

l96 Vgl. Vier Zugaben S. 229 ff., wo Globig eine Reihe von hierbei zu beachtenden Kriterien

nennt. 197

Vgl. Vier Zugaben S. 237 ff.

92

B. Die Preisschrift und ihre Zugaben

spielen, wie etwa der Bestimmung, welchem Grad von Fahrlässigkeit welches Strafmaß entspricht, zu verdeutlichen.t9a

e) Strafausschließung Als mögliche Strafausschließungsgründe kommen der Tod des Verbrechers, seine Begnadigung und die Verjährung seiner Tat sowie unter gewissen Voraussetzungen der Verzicht auf die Strafverfolgung in Betracht.t99 Letztgenannter Strafausschließungsgrund betrifft die Unterlassung einer Strafverfolgung für den Fall, daß "öffentliche Genugthüung den Beleidigten selbst durch die Strafe unglücklich machte", wie z.B. "bey allen Familien= Verbrechen, die nicht die öffentliche Sicherheit stöhren".200 Sobald solch eine Tat aber bekannt oder vom Opfer selbst angezeigt wird, muß eine Untersuchung eingeleitet werden. Eine grundsätzliche Unterlassung der Strafverfolgung hält Globig im Falle von anonymen Beleidigungsschreiben oder sonstigen anonymen Beschimpfungen für gerechtfertigt.201 Die Möglichkeiten des Ersatzes des entstandenen Schadens bzw. der Kompensation entfalten keine strafausschließende Wirkung, sie können höchstens im zivilrechtliehen Bereich Anwendung finden.202 Voraussetzung für die drei übrigen Strafausschließungsgründe ist jeweils das Vorliegen einer Straftat und deren Bekanntsein sowie für die beiden ersten Möglichkeiten ein Urteilsspruch.203 "Der Tod hebt natürlicher Weise alle Strafe auf'.204 Trotz dieser Feststellung glaubt Globig doch auf die Wirkung der durch das Urteil verhängten Strafe nicht verzichten zu können. Sie soll durch die Schande, die dem Leichnam angetan wird, erzielt werden. So werden z.B. die sterblichen Hüllen eines Mörders oder Staatsverbrechers durch die Stadt geschleift und an 198 Vgl. Vier Zugaben S. 259 ff. 199 Schwachsinnige, Taube und Stumme, Kinder und Greise sind zwar auch ganz oder zum Teil nicht strafbar, jedoch fehlt bei ihnen bereits die Schuldfähigkeit, vgl. Abhandlung S. 115 ff. und Vier Zugaben S. 265 ff. und unten B III, 2. c) ca) (2). Zur Begnadigung allgemein vgl. Theodor Stemberg, Die Begnadigung bei den Naturrechtslehren, in: Zeitschrift für vergleichende Rechtswissenschaften, Bd. 13 (1899) S. 321 ff., 399 ff.

200 Siehe Abhandlung S. 156. 201

Vgl. Abhandlung S. 156 i.V.m. Vier Zugaben S. 471 p. 1561. ult.

202

V gl. Abhandlung S. 155.

203

V gl. Abhandlung S. 158 und Vier Zugaben S. 280.

204 Siehe Abhandlung S. 158.

III. Dogmatischer Teil

93

einem unehrenhaften Ort bestattet oder an einem Schandpfahl aufgestellt, bei Beleidigungen und Diebstählen reicht allein ein unehrenhaftes Begräbnis aus.20~ Insoweit schließt Globig sich der Ansicht der gemeinrechtlichen Juristen an, die wie er zur Rechtfertigung der vom Grundsatz gemachten Ausnahmen hervorhoben, daß es sich in diesem Fall nicht um die Vollziehung der eigentlichen Strafen, sondern um eine Abschreckungsmaßnahme handele.206 Lautet das Urteil gegen den Verstorbenen auf Entrichtung einer Geldstrafe, so gilt auch hier eine Ausnahme, wenn die Erben die Erbschaft annehmen. Dann müssen sie die noch nicht geleistete Geldstrafe entrichten.207 Im geltenden Strafrecht jener Zeit kam der Begnadigung des Übeltäters durch den Landesherrn große Bedeutung zu, sie bildete das einzige - oft lebensrettende - Gegengewicht zu der unglaublichen Härte der Strafen und der fast uneingeschränkten Macht des Richters.208 Nur so läßt es sich auch erklären, daß sich u.a. Montesquieu, Rousseau und auch die Enzyklopädisten trotz ihres Eintretens für ein aufgeklärtes Strafensystem für ein Fortbestehen dieses Institutes einsetzen.209 Die Mehrzahl der Vertreter der Aufklärung erweist sich jedoch als konsequenter Gegner des Gnadenrechts. Da sie von der Vollkommenheit des Gesetzgebers und ebensolchen Gesetzen ausgehen, bleibt für die Gnade in ihren Rechtsvorstellungen kein Raum. Denn nur ein grausamer Gesetzgeber benötigt das Mittel der Begnadigung, da er verschiedene Verbrechen mit gleich harten Strafen bedroht. Der aufgeklärte Gesetzgeber dagegen ist "menschlich ..., er [muß] das rechte Verhältniß der Verbrechen und Strafen bestimmen".210 Als eine der ersten vertreten Beccaria und von Sonnenfels diese Auffassung, ihnen schließt sich

20~ Vgl. Vier Zugaben S. 147 f. Hier kann auf das bereits oben zu den bürgerlichen Folgen der Strafen Gesagte verwiesen werden, vgl. B III, 1. c) S. 88, vgl. auch Vier Zugaben S. 188 f. Klcinschrod (Anm. 6) spricht sich gegen jede Strafvollstreckung an einem Toten aus, vgl. ebd. III § 91 f. S. 186 ff., ebenso Beccaria (Anm. 25) Kap. 32 S. 133.

206 Vgl. Friedeich Schaffstein, Die allgemeinen Lehren vom Verbrechen in ihrer Entwicklung durch die Wissenschaft des gemeinen Rechts, § 28 S. 207 f. m.w.N. 200 Vgl. Abhandlung S. 159, auch diese Regelung spiegelt noch das gemeinrechtliche Strafrecht wider, vgl. Anm. 206.

208 Vgl. von Overbcck (Anm. 27) S. 36 ff. Zur Geschichte der Begnadigung allgemein vgl. auch Hugo Hälschncr, System des Preußischen Strafrechtes, Erster Theil S. 544 ff. 209 Vgl. Montesquieu (Anm. 98) Bd. 1 Buch 6 ~P· 16 S. 130, Kap. 21 S. 133 und Jean-Jacques Rousseau, Contrat social, zitiert nach der Übersetzung von Hans Brockard I Eva Pietzcker, Vom Gesellschaftsvertrag, II, 5 S. 36 f. Für ein Beibehalten des Begnadigungsrechtes sprechen sich auch aus Ratbiet (Anm. 59) S. 143 f. und Kar/ Fetdinand Hommcl, Philosophische Gedanken über das Criminalrecht, §54 S. 110, §58 S. 118 ff. 21°

Siehe Abhandlung S. 157.

94

8. Die Preisschrift und ihre Zugaben

Globig an.2u Er erkennt ein Begnadigungsrecht nur in einem einzigen Fall an: wenn das gesamte Volk "einmüthig den Gebrauch [seiner} vereinigten Rache unterbrechen" will;212 der Gesetzgeber darf also nicht einseitig Gnadenakte erlassen.213 Viele Stimmen in der Literatur der Aufklärungszeit lehnen eine Verjährung im strafrechtlichen Bereich als ungerechtfertigt und verwerflich ab.214 Sie berufen sich im wesentlichen darauf, daß Strafen gewiß sein und unerbittlich der Straftat folgen müssen.m Ihre Befürworter hingegen - unter ihnen auch Globig- stellen stärker auf das Kriterium des Vergessens der Tat und der damit verbundenen Abnahme der Beispielswirkung der Strafe ab.216 Ebenso wie bei der VerbüBung der Strafen mit fortschreitender Dauer eine Milderung derselben eintritt,217 da die ursächliche Straftat im Gedächtnis der Menschen immer mehr verdrängt wird und die tatsächliche Strafe so zunehmend grausam erscheinen läßt, weil dem Volk der sie verursachende Anlaß nicht mehr gegenwärtig ist, ist diesem Umstand auch bei der Frage der Zulässigkeit der Verjährung Rechnung zu tragen. Diese Vermutung wiegt nach Globigs Ansicht "die Wahrheit des begangenen Verbrechens und die daraus folgende Nothwendigkeit der Strafe auf'.218 Als zweites Argument wird oftmals die zu vermutende Besserung des Täters herangezogen. In der Preisschrift beruft sich auch Globig auf sie als zweite unbedingte Voraussetzung für ein Eingreifen der Verjährungsregel, 211 Vgl. Beccaria (Anm. 25) Kap. 46 S. 156 f., von Sonnenfels (Anm. 23) I Kap. 8 § 363 S. 468 f. und § 382 S. 502 f., ihnen folgten auch Filangieri (Anm. 23) IV Kap. 57 S. 712 ff., Klein· schrod (Anm. 6) II § l4 S. 84, §§ 108 ff. S. 290 ff., Johann David Michaelis, Mosaisches Recht VI, Vorrede S. 18 ff., 45 ff., Gmelin (Anm. 22) §55 S. 118 ff., § 266 S. 437, Setvin (Anm. 46) I Kap. 1 Abschnitt 1 § 3 S~31, Marat (Anm. 118) S. 55, Pflaum (Anm. 133) Ili § 78 S. 122 f.

212 Siehe Abhandlung S. 158; hieraus erklärt sich, daß Globig in den Vier Zugaben S. 269 Anm. • die Begnadigung als Strafminderungs- bzw. ausschließungsgrund nennt. 213 Ebenso wie das Gnadenrecht verneinen diese Autoren ein Recht auf Asyl, vgl. Abhandlung S. 408 f., Beccaria (Anm. 25) Kap. 35 S. 138, Filangieri (Anm. 23) IV Kap. 57 S. 721 f., Gmelin (Anm. 22) § 263 S. 434 f., Natale S. 39, zitiert nach Günther (Anm. 36) S. 26, Pflaum (Anm. 133) III § 17 S. 26 ff., dazu auch ron Sonnenfels (Anm. 23) I Kap. 9 §§ 410 ff. S. 533 ff. und Setvin (Anm. 46) I Kap. 1 Abschnitt 5 § 1 S. 125 ff., § 4 S. 133 ff. 214 Vgl. Hälschner (Anm. 208) S. 532 Anm. 1 m.w.N., Setvin (Anm. 46) I Kap. 1 Abschnitt 5 § 3 S. 130 ff., zum Teil auch Beccaria (Anm. 25) Kap. 30 S. 122 ff., dem Globig jedoch insoweit widerspricht, vgl. Vier Zugaben S. 277. 215 Vgl. fürviele

216

Kleinschrod (Anm. 6) II § 34 S. 83 ff.

Vgl. hierzu Abhandlung S. 151 ff., Vier Zugaben S. 268 ff., insbesondere S. 272 ff. Globig bejaht sie auch für Polizeivergehen, vgl. Vier Zugaben S. 437 f. Vgl. auch Filangieri (Anm. 23) 111 Kap. 4 S. 74 ff. und Julius Graf ron Soden, Geist der peinlichen Gesetzgebung T eutschlands, II § 693 S. 329.

217 Vgl. oben 8 III, 1. d). 218 Siehe Vier Zugaben S. 272.

lll. Dogmatischer Teil

95

ohne jedoch auf die Schwierigkeiten ihrer Feststeilbarkeit näher einzugehen.219 Dies tut er jedoch in der Zweiten Zugabe, wo er mehrfach ausdrücklich darauf hinweist, daß dieses Kriterium für das Eintreten der Verjährung nicht entscheidend ist.220 Verjährung bedeutet für Globig Strafverfolgungsund nicht Strafvollstreckungsverjährung.n1 Maßstab der Verjährung ist die Dauer der Strafverfolgung, die sich wiederum an den schädlichen Folgen der Tat orientiert.m Hieraus ergibt sich bereits ein wesentliches Faktum: Ist der Schaden unersetzbar oder unübersehbar, so daß eine lebenslange Strafe die Folge ist, kann keine Verjährung der Straftat eintreten. Im übrigen bemißt sich die Bestimmung des Verjährungszeitpunktes nicht nur nach der Dauer der Strafe, immer muß auch deren Intensität berücksichtigt werden.223 Weiteres wichtiges Kriterium ist die Art und Weise der Tatausführung. Die Verjährung zeitiger Strafen soll maximal 15-20 Jahre betragen. wobei als Maßstab die Hälfte einer durchschnittlichen lebenslangen Strafe gilt.224 Globig unterteilt die Delikte in Vier Stufen, bei denen die erste Stufe die längste Verjährungsfrist hat und die vierte die kürzeste. Die erste Stufe umfaßt Verbrechen gegen Personen unter Gewaltanwendung, die zweite ebensolche Straftaten gegen fremdes Eigentum, die dritte und vierte Stufe sind der heimlichen Ausführung dieser Delikte vorbehalten. Bloße wörtliche Beleidigungen unterliegen keiner Verjährung, Polizeivergehen wegen geringen Schadens nur einer sehr kurzen. Verjährungsbeginn ist der Zeitpunkt der Entdeckung der Tat, nicht etwa der ihrer Begehung. Kann der Schaden in seinem ganzen Umfang nicht sofort genau festgestellt werden, so beginnt er erst mit genauer Kenntnis desselben.ns Hat ein Täter mehrere Straftaten mit unterschiedlichen Verjäh-

219

Vgl. Abhandlung S. 151 f.

220 Vgl. Vier Zugaben S. 272 ff. Zwar bemerkt Globig (Vier Zugaben S. 272 Anm. •) "die Abänderungen und Zusätze, welche hier vorkommen, sind mit demjenigen zu vereinbaren, was in der Preisschrift S. 151 u.f.... gesagt ist". Dennoch geben diese Ausführungen oftmals eine gegenteilige Ansicht wieder, ohne allerdings Bezug auf die in der Preisschrift vertretene Ansicht zu nehmen (vgl. z.B. Abhandlung S. 155 und Vier Zugaben S. 280). Im Folgenden wird die in den Vier Zugaben vertretene Auffassung wiedergegeben, ohne daß auf diese Widersprüche näher eingegangen wird. Omelin (Anm. 22) § 265 S. 436 f. stützt sich ebenfalls allein auf das Vergessen der Tat.

221 Vgl. Vier Zugaben S. 275, ebenso von Da/berg (Anm. 185) S. 180, zitiert nach Rehbach (Anm. 178) S. 92. 222

Vgl. Vier Zugaben S. 275, bzgl. der Polizeivergehen vgl. Vier Zugaben S. 438.

223

Globig führt hienu das Beispiel der körperlichen Züchtigung an, Vier Zugaben S. 276.

224 Vgl. Vier Zugaben S. 278.

225 Vgl. Vier Zugaben S. 280, in der Abhandlung S. 155 vertritt Globig noch die gegenteilige Auffassung.

96

B. Die Preisschrift und ihre Zugaben

rungsfristen verübt, so laufen diese unabhängig voneinander nebeneinander her. Völlig kann Globig sich jedoch nicht mit der Endgültigkeit seiner Verjährungsregelung abfmden. Um einen eventuellen Mißbrauch derselben zu unterbinden, erscheint ihm eine Ausnahmeregelung unumgänglich.226 Kehrt etwa ein Straftäter nach Verjährungseintritt an den Ort der Tat zurück, und haben seine Mitbürger wider aller Wahrscheinlichkeit die Tat immer noch nicht vergessen, so kommt unter Umständen eine zeitweilige Verbannung des Täters in Betracht. Eine grundsätzliche gesetzliche Normierung solch eines Falles ist aber unmöglich, da hierfür noch nicht genügend Erfahrungswerte vorliegen. Vielmehr muß er über das oberste Strafgericht dem Gesetzgeber vorgelegt werden, der dann einen den besonderen Umständen angemessene Entscheidung zu treffen haben.

t) Strafvollzug

Der Strafvollzug wird im wesentlichen von zwei Grundsätzen bestimmt: dem der Öffentlichkeit und dem des sofortigen Vollzugs.227 Von beiden verspricht Globig sich die größtmögliche Beispielswirkung der Strafe. Öffentlichkeit bedeutet für ihn nicht nur momentanes Zurschaustellen des Verurteilten am Pranger, körperliche Züchtigung228 oder Entrichtung der Geldstrafe vor aller Augen. Vielmehr müssen auch die Gefängnisse und Zuchthäuser allgemein einsehbar sein, so daß jedermann das Bild der Strafe allezeit vor Augen hat. Um neben den übrigen Strafzielen einen für den Täter bestmöglichen Vollzug der Freiheitsstrafe zu gewährleisten, setzt sich Globig für ein Gefängnis mit hellen, geräumigen, gut durchlüfteten Zellen ein.229 Die Gefangenen sollen grundsätzlich völlig abgesondert von einander inhaftiert werden, da dies aber zu teuer ist, sind sie zumindest in Einzelzellen, bzw. zwei Täter, die gleiche Tat verübt haben und auch sonst gleichen Standes und Sitten sind, in einer gemeinsamen Zelle unterzubringen.230 Auch bei der 226 Vgl. hierzu Vier Zugaben S. 282 f. In der Abhandlung (S. 153) hat er sich in einem ähnlichen Fall noch dafür ausgesprochen, die Verjährungsregelung bei nicht erfolgter Besserung zu mißachten und die Strafe zu vollstrecken.

227 Vgl. hierzu und zum Folgenden Abhandlung S. 437 ff. sowie oben AI, 2. c) S. 23, B II, 5. S. 61 und unten B V, 2. b) bd). 228 Über die Art und Weise ihrer Durchführung vgl. oben B 111, 1. b) bb) (1). 229 Vgl. Vier Zugaben S. 104. 230

Hier sind die von John Howard vertretenen Ziele wiederzuerkennen, vgl. hierzu EberhanJ

III. Dogmatischer Teil

97

Auswahl des Zuchtmeisters muß besondere Sorgfalt angewandt werden, da seine Tätigkeit ganz maßgeblich zum Erreichen oder Nichterreichen der Ziele des Strafvollzuges beiträgt. Diese Position ist zeitlich zu begrenzen, da anderenfalls der Zuchtmeister unweigerlich durch den ständigen Anblick der Häftlinge und die unzähligen Züchtigungen abstumpft. Zudem sind eine gute Bezahlung sowie eine Aufwertung der sozialen Stellung durch die Gewährung bürgerlicher Vorteile unbedingt erforderlich.2Jt Die Aufsicht über die Anstalten wird von angesehenen "Magistratspersonen" wahrgenommen, denen pro Gefängnis "zwey geschworne Aerzte" als unabhängige Sachverständige zur Beurteilung der Arbeitsfähigkeit der Gefangenen zur Seite stehen.232 Die Seelsorge im Zuchthaus ist Globig ein wichtiges Anliegen. Die vom Staat anzustellenden Priester sollen die Verbrecher mittels "der Religion zum Guten zurück[...]führen".233 Ihre Aufgabe ist es nicht, "durch allgemeine Ermahnungen, oder Predigten, denn diese würken auf verstockte Gemüther nicht, sondern durch mühsame Ausforschung individueller Grundsätze und Neigungen, jedem Verbrecher den ihm angemeßenen Unterricht und Trost mit[zu]theilen".234 Globig glaubt, dem Verbrecher trotz VerbüBung seiner Strafe und der öffentlichen Wiedereinsetzung in den vorigen Stand die Freiheit noch nicht in vollem Umfang wiedergeben zu können. Vielmehr bedarf dieser, der "alles Gefühl von Freyheit und Ehre verlohren hat, einer allmähligen Angewöhnung an den rechten Gebrauch dieser Freyheit".235 Letztere erhält er unter Aufsicht des Polizeirichters in einem sogenannten Besserungshause.236 Die Dauer des Aufenthaltes in diesem Hause bestimmt sich nicht nach den oben erörterten Proportionalitätsgrundsätzen, sondern ist vielmehr zeitlich unbegrenzt und ganz von dem Verhalten des ehemaligen Gefangenen abhängig.2J7 Schmidt, Zuchthäuser und Gefängnisse, S. 14 ff. sowie John Howard, State of prisons in England and Wales, in der Übersetzung von Oeorg Ludwig Köster, Über Gefängnisse und Zuchthäuser.

231

Vgl. Vier Zugaben S. 114.

232

Siehe Vier Zugaben S. 109 , vgl. ebd. S. 109 f.

2 33

Siehe Vier Zugaben S. 115.

234

Ebd. Hier übt Globig auch scharfe Kritik an der Missionspolitik der Kirchen.

235

Siehe Vier Zugaben S. 116.

236

Vgl. Vier Zugaben S. 116 f. und S. 508 sowie das oben Gesagte (B II, 6.).

237 Vgl. Vier Zugaben, S. 351. Globig verkennt allerdings nicht die Mißbrauchsgefahr dieses Institutes, vgl. ebd. Diesen Besserungshäusern vergleichbar sind die seit Ende des 18. Jahrhunderts entstandenen Arbeitshäuser, die der "korrektionellen Nachhaft" von Personen dienen

98

B. Die Preisschrift und ihre Zugaben

Hat die Straftat oder durch sie bedingte Ereignisse die Verarmung des nun gebesserten- Täters zur Folge, so ist der Staat- als guter Vater- verpflichtet, diesem eine Unterstützung zu gewähren, die ihm einen neuen Anfang ermöglicht.238 Zugleich steht aber auch dem Staat und nicht etwa dem Verletzten das Recht auf Festsetzung des vom Täter zu leistenden Schadensersatzes zu, wenn er auch dafür zu sorgen hat, daß dieser so schnell wie möglich geleistet wird.239 Die Forderung nach Vollstreckung der Strafe am Ort der Tat hält Globig für "nicht in allen Fällen thunlich".240 Hinsichtlich der Vollstreckung der Todesstrafe, die nur in Ausnahmesituationen verhängt wird, spricht er sich entschieden dagegen aus, dieser einen feierlichen Rahmen zu geben. Es gilt der Grundsatz der Persönlichkeit der Strafe, d.h. nur der Täter selbst kann sie verbüßen, sie ist nicht vererbbar oder übertragbar.241 Der Bekanntgabe des Urteils folgt seine Vollstreckung möglichst unverzüglich. Einerseits um die unbedingte Abhängigkeit von Straftat und Strafe deutlich werden zu lassen und andererseits, um den Täter nicht zu großen seelischen Qualen auszusetzen.242 Befmdet sich der Täter jedoch unmittelbar vor Vollziehung der Strafe in einem Zustand sehr starker geistiger Erregung, so ist jene zeitweilig auszusetzen, da anderenfalls nur das Mitleid der Bevölkerung hervorgerufen wird.243

2. Allgemeine Lehren Für den Bereich des Strafrechts wurde in der Literatur der Aufklärung nur vereinzelt und oft unvollständig eine exakte Darstellung der "allgemeinen Lehren vom Verbrechen" geleistet. Sie trat stets gegenüber dem Hauptsollen, die nicht in der Lage waren, ihren Lebensunterhalt auf ehrliche Weise zu sichern, vgl. Robert von Hippe/, Die korrektionelle Nachhaft, in: Abhandlungen des kriminalistischen Seminars zu Marburg. Bd. 1 (1889) S. 127 ff. 238 Vgl. Vier Zugaben S. 117. 239 Vgl. Vier Zugaben S. 118 f., zur Privatgenugtuung vgl. Vier Zugaben S. 162 ff. und oben Anm.150.

240 Siehe Abhandlung S. 437. 241 Als einzige Ausnahme läßt Globig unter gewissen Umständen die Vererbung einer Geld-

strafe zu, vgl. Abhandlung S. 159 und oben Anm. 207. Bzgl. der Geldstrafe siehe auch Neumeier (Anm. 127) S. 31. Zur Personalität der Strafe vgl. auch Gmelin (Anm. 22) § 23 S. 50.

242 Vgl. Abhandlung S. 437 und unten B V, 2. c) cc). 243 Vgl. Abhandlung S. 438 und unten B V, 2. c) cc).

ßl. Dogmatischer Teil

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anliegen, der Verbesserung des Strafensystems, zurück.244 Dieses ist auch das Ziel Globigs, Husters und ihrer Zeitgenossen, die es jedoch eher unter kriminalpolitischen als unter dogmatischen Gesichtspunkten verfolgten. Für rein rechtliche Fragestellungen ist daher oft weder Raum noch Bedarf vorhanden. a) Verbrechensbegriff

So verwundert es kaum, wenn in der Preisschrift zur näheren Bestimmung und exakteren Ausarbeitung eines allgemeinen Verbrechensbegriffs nur wenig Neigung besteht. Zwar wird der erste Abschnitt des ersten Aufgabenteiles "den Verbrechen überhaupt" gewidmet, jedoch wird der Begriffsbestimmung selbst keine Bedeutung beigemessen. Ein einziges Mal gibt Globig einen vagen Hinweis darauf, was er unter Verbrechen versteht. Er sagt: "Anmassungen wider diesen ersten Vertrag [d.h. den Gesellschaftsvertrag] beleidigen die Nation unmittelbar; und man nennt selbige[...] Verbrechen".245 Hier handelt es sich aber- wie auch sonst öfters- eher um eine globale Be- bzw. Umschreibung einer Handlung und ihrer Folgen als um eine spezifische Benennung von Umständen, die ein Verbrechen ausmachen. Auch in den Vier Zugaben kann Globig sich nicht zu einer genauen Definition entschließen, wenn er ausführt: "Verbrechen ... [verletzen] ... die erste Absicht, die natürlichen Rechte des Menschen ..., um derentwillen die Nation sich vereinigte".246 Gleichwohl bemüht Globig sich um eine Abgrenzung von Verbrechen und Vergehen. Unter letzterem will er nur die Polizeivergehen verstanden wissen, deren Täter die Sicherheit und Ordnung des Staates nur mittelbar gefährden und stören können, da ihre Handlungen nur "kleinere ... Verletzungen des gesellschaftlichen Vertrags ... [sind], welche nicht die natürlichen Rechte, sondern die bürgerlichen Verhältniße beeinträchtigen".247 244 Vgl. Ludwig Günther, Die Strafrechtsreform im Aufklärungszeitalter, in: Archiv für Kri· minal-Anthropologie und Kriminalistik, Bd. 28 (1907) S. 132 f m.w.N. Zur Entwicklung der allgemeinen Lehren vgl. insbesondere- auch zum Folgenden- Schaffstein (Anm. 206) Lehren.

245 Siehe Abhandlung S. 38. 246 Siehe Vier Zugaben S. 45. Globig subsumiert unter den Begriff einer strafbaren Handlung

nicht nur aktives Tun, sondern auch Unterlassen, vgl. z.B. Vier Zugaben S. 253, 259, 261. Am präzisesten unter den zeitgenössischen Schriftstellern skizziert Johann Jakob Cella, Über Verbrechen und Strafe in Unzuchtsfällen, §§ 8 ff. S. 13 ff., die Verbrechenshandlung. Vgl. allgemein dazu PeterSina, Die Dogmengeschichte des strafrechtlichen Begriffs "Rechtsgut", S. 3 ff., besonders S. 9 ff.

247 Siehe Vier Zugaben S. 301. Vgl. Abhandlung S. 20, 38, 239, Vier Zugaben S. 45, 53 f., 64 sowie insbesondere S. 289 ff. (Dritte Zugabe), vgl. auch unten B IV, 1. a). Die Terminologie

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8. Die Preisschrift und ihre Zugaben

Nichtsdestoweniger strebt Globig die Schaffung allgemeiner Bestimmungen an, die für alle Verbrechen Geltung haben sollen.248 Hierzu rechnet er insbesondere Vorsatz, Fahrlässigkeit, Versuch und Teilnahme. Diese Defmitionen will er in einem fiktiven Gesetzbuch den einzelnen Straftatbeständen vorangestellt wissen.

b) Erscheinungsformen strafbarer Handlungen ba) Vorsatz und Fahrlässigkeit Voraussetzung für die Strafbarkeit einer Tat ist ihre schuldhafte Begehung. Das gemeine Recht, auf das sich Globig auch hier stützt, kannte noch nicht die Schuld als Oberbegriff, sondern nur einzelne Schuldformen. Solche Schuldarten sind Vorsatz und Fahrlässigkeit.249 "Die Uebertrettung des gesellschaftlichen Vertrages hört auf, ein Verbrechen zu seyn, ..., wenn weder der Vorsatz zu schaden, noch auch einige Nachläßigkeit vorhanden ist".U» Eine Straftat erfordert eine "freye Handlung", d.h. der Täter muß sie mehr oder weniger bewußt vorgenommen haben, anderenfalls ist sein Tun nicht schuldhaft.:m Maßgeblich für die Beurteilung einer Tat als schuldhaft - sei es vorsätzlich oder fahrlässig - oder nicht ist ihr äußeres Erscheinungsbild, also die sogleich erkennbaren Ursachen und Folgen der Tat.2.52 Das nur gedankliche Erwägen einer Straftat, also der böse Wille allein, entzieht sich daher der weltlichen Strafe.253 Vorsatzl$4 definiert Globig als "Bewustseyn, daß die Handlung schädlich und den Gesetzen zuwider sey", an anderer Stelle spricht er auch von ge-

bezüglich Verbrechen ist allgemein uneinheitlich, vgl. z.B. von Dalberg(Anm. 185) S. 108, 110; Kar/ August Tittmann, Grundlinien der Strafrechtswissenschaft und der deutschen Strafgesctzkunde, §§ 24 ff. S. 18 ff.

248 Vgl. Vier Zugaben S. 228 und oben 8 III, 1.d) Anm. 182. 249 Vgl. Schaffstein (Anm. 206) Lehren§ 15 S. 95. 2.50 Siehe Abhandlung S. 114. 251 Siehe z.B. Abhandlung S. 116 und 228, vgl. Abhandlung S. 109 f. und Vier Zugaben S. 246 ff., vgl. auch Gmelin (Anm. 22) §§ 8 ff. S. 13 ff. 252

Vgl. Abhandlung S. 109 f. und Vier Zugaben S. 247 f., 263.

Globigverweist diese Fälle an den "allwissenden Richter•, Abhandlung S. 110, vgl. Gmelin (Anm. 22) § 7 S. 13. Vgl. hierzu auch Getd Kleinheyer, Wandlungen des Delinquentenbildes in den Strafrechtsordnungen des 18. Jahrhunderts, in: Studien zum achtzehnten Jahrhundert, Bd. 2/3S. 235. 253

2$4 Auch Bosheit genannt, vgl. Abhandlung S. 109 f. In den Betrachtungen zum Entwurf des ALR trennt 0/obig (Anm. 6) EntwurfS. 28, 32 zwischen •gemeiner Bosheit" und "überdachter

111. Dogmatischer Teil

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setzwidriger Handlung oder Absicht.m Vorsatz gibt es für Globig ausschließlich in dieser Form. Die bis dahin oft und von vielen auch weiterhin verwendete Unterscheidung in dolos directus und dolus indirectus erwähnt er nicht.256 Vielmehr rechnet er die Fälle des dolus indirectus - bedingt durch seine Beurteilung der Tat von ihrer Wirkung her - als "normale" Vorsatztat Ist die Wirkung einer Handlung schädlich, so muß es auch ihre Ursache sein. Es gilt der Grundsatz der Vorsatzvermutung, d.h. begeht jemand eine gesetzwidrige Tat, ist er "so lange für einen vorsätzlichen Uebertreter des Gesetzes zu halten, bis (sich] aus äusserlichen Umständen der Handlung das Gegentheil erhellet".257 Das römischrechtliche Institut "in dubio pro reo" fmdet keine Anwendung, da hier ein Faktum - die Handlung- gegeben ist, das einen einwandfreien Rückschluß auf die Motivation des Täters zuläßt.258 Fahrlässigkeit bedeutet für Globig vermindertes Bewußtsein im Sinne des Vorsatzes, wobei Fahrlässigkeit der gröbsten Art letzterem sehr nahe kommt.2.59 Fehlt dem Täter ein derartiges Bewußtsein völlig, so liegt keine Straftat, sondern ein Unglücksfall vor.260 Zwei Arten von Fahrlässigkeit werden unterschieden: Grobe Fahrlässigkeit liegt vor, wenn dem Täter der Vorwurf des Nichtwissens allgemein bekannter Tatsachen und Wirkungen gemacht werden muß, leichte Fahrlässigkeit, wenn das Wissen um den durch die Handlung bewirkten Schaden nur aufgrund besonderer

Bosheit". Vgl. Quistorp (Anm. 131) Entwurf I § 13 S. 13 f., Gmelin (Anm. 22) § 8 S. 13 f., Kleinschrod (Anm. 6) I §§ 14 ff. S. 29 ff., 66 ff. S. 146 ff., Filangieri (Anm. 23) IV KAp. 37 S. 249 f. und Schaffstein (Anm. 206) Lehren § 19 S. 139. 255 Siehe Vier Zugaben S. 249, vgl. Abhandlung S. 110, Vier Zugaben S. 248, Globig (Anm. 6) EntwurfS. 27 f., 32 ff. 256 Zur Geschichte der Vorsatzproblematik vgl. insbesondere Schaffstein (Anm. 206) Lehren § 17 S. 107 ff., Hinrieb Rüping, Grundriß der Strafrechtsgeschichte, S. 43 und Eberhard Schmidt, Einführung in die Geschichte der deutschen Strafrechtspflege, § 161 S. 172.

2S7 Siehe Vier Zugaben S. 248. 258 Vgl. Vier Zugaben S. 248 f. und allgemein Peter Holtappels, Die Entwicklungsgeschichte des Grundsatzes "in dubio pro reo", S. 8 ff.

2.59 In der Abhandlung (S. 250) geht Globig noch davon aus, daß die fahrlässig begangenen Delikte ihrem Wesen nach vor den Polizeirichter, der Einfachheit halber jedoch vor den Kriminalrichter gehören. Ebenso bereits bei Hammel (Anm. 209) Gedanken S. 148 f. Vgl. bzgl. der Regelung in der Josephina unten C Ill, 1. a) S. 202 und b). Diesen Standpunkt revidiert er in den Vier Zugaben, denn dort spricht er von den fahrlässigen Verletzungen als "Modifikationen wirklicher Verbrechen, [die) vor den peinlichen Richter gehören", siehe Vier Zugaben S. 422.

260 Vgl. Vier Zugaben S. 249 f., Abhandlung S. 116. Globig spricht oft auch von Nachlässigkeit (besonders in der Preisschrift), vgl. oben Anm. 190; Quistorp (Anm. 131) Entwurf I §§ 14 f. S. 14 ff., Gmelin (Anm. 22) § 10 S. 18 ff.

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B. Die Preisschrift und ihre Zugaben

Kenntnisse erwartet werden darf.261 Das Nichtwissen dieser speziellen Kenntnisse wird zugunsten des Täters bis zum Beweis des Gegenteils vermutet, es sei denn, der Täter gehört einem Personenkreis an, der diese Spezialkenntnisse besitzt. Dann gilt er solange als Vorsatztäter, bis er selbst den Gegenbeweis führt.262 Die Strafbarkeit von fahrlässig begangenen Taten beruht auf der Nichtbzw. nicht genügenden Beachtung der dem Staat gegenüber bestehenden Sorgfaltspflichten. Jedoch ist in diesen Fällen das Strafmaß geringer, da durch die Fahrlässigkeitstaten die innere Ordnung des Staates nicht in dem Ausmaß gefährdet wird, wie es bei Vorsatztaten geschieht.263 Globig unterscheidet bezüglich des Strafmaßes bei Fahrlässigkeitsdelikten zwei Stufen: die leichte und die grobe Fahrlässigkeit. Die leichte Fahrlässigkeit, bei der das Bewußtsein eine strafbare Handlung zu begehen weitgehend fehlt, soll mit der kleinsten Schuldstrafe, dem richterlichen Verweis und dem Ersatz des entstandenen Schadens geahndet werden.264 Grobe Fahrlässigkeit wird grundsätzlich mit einem Viertel der für das entsprechende Vorsatzdelikt bestimmten Strafe bedroht. In Ausnahmefällen kann allerdings sogar die Verwirkung der hälftigen Vorsatzstrafe möglich sein,265 jeweils natürlich zuzüglich der Privatentschädigung. Globig wendet sich auch gegen das Institut des "versari in re illicita", soweit der einer unerlaubten Tat folgende Schaden seine Ursache allein einem Zufall verdankt.266 bb) Versuch Dem Versuch und seiner Strafbarkeit wurde bereits von Vertretern der deutschen gemeinrechtlichen Wissenschaft ein besonderer Platz einge-

261 Vgl. hienu Abhandlung S. 113, Vier Zugaben S. 250 ff., Globig (Anm. 6) EntwurfS. 27, 32 ff., anders etwa Filangieri (Anm. 23) N Kap. 38 S. 281. 262 Dieser letzten These widerspricht Kleinschrod (Anm. 6) I§ 27 S. 65 Anm. •.

263

Vgl. Abhandlung S. 112 ff., Vier Zugaben S. 257 f.

Vgl. Vier Zugaben S. 261. Ist der Schaden unersetzbar (z.B. Tod, Lähmung), so beträgt der Ersatz das Doppelte des vermutlichen Einkommens des Geschädigten. 264

265 Diese Begrenzung beruhte auf der Annahme, daß die Strafe einer fahrlässigen Tat nicht höher sein kann als die einer vorsätzlich begangenen Tat, vgl. Vier Zugaben S. 260.

266 Vgl. Abhandlung S. 114, 179.

111. Dogmatischer Teil

103

räumt.267 Globig definiert ihn nicht positiv, sondern bestimmt ihn von einer "vollbrachten That" her. Eine Tat gilt dann als vollendet, wenn "der Verbrecher auf seiner Seite alles zur Vollziehung gethan" hat, "sonst ist es eine angefangene That".268 Insoweit wird also die Vollendung mit dem beendeten Versuch gleichgesetzt. Die angefangene Tat wird wiederum in zwei Gruppen geteilt, einmal die Vorbereitung und zum anderen den Beginn der Ausführung der geplanten Tat. Wesentlich ist dabei immer, inwieweit die Absicht, ein Verbrechen zu begehen, durch die fragliche Handlung zum Ausdruck kommt.26J In gleicher Weise differenziert er hinsichtlich der Strafbarkeit des Versuchs. Eine gleichartige Bestrafung von Versuch und vollendeter Tat lehnt er ab. Selbst für den Fall, daß die Vollendung der gedachten Tathandlung und der Schadenseintritt nur durch das Dazwischentreten Dritter verhindert wird, will er die Versuchstat- denn objektiv erscheint die Tat ja als solche- nicht mit der Vorsatzstrafe bedroht wissen.270 Allerdings droht auch für die im Vorbereitungsstadium steckengebliebene Tat eine Strafe. Jedoch ist sie milder als die für eine Tat im Ausführungsstadium. Letztere soll eine halbe Vorsatzstrafe betragen, im ersten Fall scheint ihm ein Viertel derselben ausreichend.27t Rücktritt vor Vollendung der Tat, aber nach Beginn der Ausführungshandlungen, sowie tätige Reue unmittelbar nach Beendigung der Tat führen

267 Vgl. Schaffstein (Anm. 206) Lehren§ 22 S. 158 f. sowie allgemein zum Versuch ebd. § 22 S.157 ff. 268 Siehe Abhandlung S. 140 f., vgl. auch Vier Zugaben S. 46 ff. Wird durch bloßen Zufall der Schadenseintritt verhindert, so kann dies kein Vorteil für den Täter sein, da dieser alles nach seiner Vorstellung erforderliche getan hat und das durch die Tathandlung verursachte Beispiel die Strafe erfordert. Voraussetzung für eine Strafbarkeit ist natürlich auch hier die Öffentlichkeit der Tat, ihre Entdeckung; vgl. auch Kleinschrod (Anm. 6) I §§ 32 f. S. 74 ff. In den Vier Zugaben geht Globig nicht mehr ausführlich auf den Versuch ein. Auch bei von Dalberg fehlt noch eine allgemeine Begriffsbestimmung, er erwähnt ihn nur im Zusammenhang mit bestimmten Delikten, vgl. Rehbach (Anm. 178) S. 92, vgl. dagegenjedoch Quistorp (Anm. 131) Entwurf I §§ 12 f. S. 12 f., §§ 33 f. S. 35 ff. und Pflaum (Anm. 133) I § 11 S. 8 f., §§ 29 f. S. 23 ff. 26J Eine Erörterung des untauglichen Versuches erfolgt nicht. Vgl. dazu auch Brono Schwell-

nus, Sachsens Strafrechtspflege im Außclärungszeitalter, S. 65.

270 Vgl. SeiVin (Anm. 46) I Kap. 1 Abschnitt 1 § 4 S. 39, Filangied (Anm. 23) IV Kap. 37 S. 271, Quistorp (Anm. 177) Grundsätze I§ 97 S. 142 ff. und Gmeün (Anm. 22) § n S. 161, die grundsätzlich für die volle Strafe eintreten, und Wieland (Anm. 23) II §§ 373 f. S. 41 ff. Beccada (Anm. 25) Kap. 37 S. 140 ff. spricht sich ebenfalls für die Strafbarkeit des Versuchs aus, wenn auch ohne weitere Differenzierungen. 271

Vgl. Abhandlung S. 142.

104

B. Die Preisschrift und ihre Zugaben

ebenfalls zu einer Strafmilderung um die Hälfte, da der durch die Handlung hervorgerufene Schaden erheblich begrenzt wird.m bc) Teilnahmeformen Die Darstellung der Teilnahmeformen an einer Straftat bietet kein dogmatisch einheitliches Bild.273 Globig beschäftigt sich nicht mit Fragen der rechtlichen Einordnung bzw. Zuordnung der Tatbeiträge mehrerer Personen. Wesentlich scheint ihm auch hier eher die Frage der Strafzumessung zu sein. Er. untergliedert seine Ausführungen in vier Teilbereiche: an der Tat direkt Beteiligte, Auftraggeber, Ratgeber und die Nichtanzeige von Straftaten. Mehrere Täter bzw. Tatbeteiligte sollen dieselbe - ordentliche - Strafe erhalten, auch wenn der Schaden nur einmal entstanden ist. Eine Sonderregelung sieht Globig für die strafrechtliche Sanktionierung eines Tumultes oder Aufstandes vor: Hier sollen nur die Anführer die ordentliche Strafe verwirken, während die Mitläufer sich nur einer grob fahrlässigen Tat schuldig machen.274 Dies ändert sich auch nicht für den Fall, daß die Rädelsführer nicht ausgemacht werden können. Nehmen jedoch einer oder mehrere Tatbeteiligte die Verantwortung für den Tumult auf sich, so droht diesen eine Erhöhung der Strafe um ein Viertel. Gleiches gilt für den Anführer von Verbrecherbanden.m Besteht die Tatbeteiligung eines Bürgers im wesentlichen darin, daß er zuwartet, ob er an der Beute teilhaben kann, so beträgt sein Strafmaß die Hälfte der ordentlichen Strafe.

272 Vgl. Abhandlung S. 139 f. Sogar im Falle des sofortigen Geständnisses will Globig aus demselben Grund die Strafe um ein Viertel gemildert wissen. In den Vier Zugaben nimmt er dies- auch bzgl. der Reue- jedoch wieder zurück, vgl. Abhandlung S. 140 i.V.m. Vier Zugaben S. 470 p. 140 I. 2 und Vier Zugaben S. 270. Vgl. auch Quistorp (Anm. 177) Grundsätze I § 106 S. 160 ff., ders. (Anm. 131) Entwurf I § 70 S. 84 f., Pflaum (Anm. 133) I § 54 S. 48 und Gmelin (Anm. 22) § n S. 161. 273 Vgl. hierzu Abhandlung S. 145 ff. In den Vier Zugaben geht Globig nicht mehr ausführlich auf dieses Thema ein. Allgemein zur geschichtlichen Entwicklung vgl. Schaffstein (Anm. 206) Lehren §§ 23 ff. S. 169 ff., Bernhatd R. J. Winter, Die Entwicklung der Mittäterschaft im 19. Jahrhundert, S. 5-26 und Joscph Heimberger, Die Teilnahme am Verbrechen in Gesetzgebung und Litteratur von Schwarzenberg bis Feuerbach. Vgl. auch Quistorp (Anm. 177) Grundsätze I§§ 54 ff. S. 69 ff., ders., (Anm. 131) Entwurf I§§ 43 ff. S. 47 ff., Gmelin (Anm. 22) § 53 S. 113 ff., Wieland (Anm. 23) II §§ 375 f. S. 46 ff., Filangien (Anm. 23) IV Kap. 37 S. 268 ff., Kleiaschrod (Anm. 6) I §§ 182 ff. S. 332 ff. und Beccana (Anm. 25) Kap. 37 S. 140 ff. 274

Vgl. Abhandlung S. 146.

275

Deren Mitgliederzahl muß mindestens drei betragen, vgl. Abhandlung S. 146.

111. Dogmatischer Teil

105

Am Falle des Auftraggebers, den die ordentliche Strafe treffen soll, erörtert Globig die Problematik des Überschreitens des erteilten Auftrags.276 Begeht der Ausführende zusätzlich zu seinem Auftrag noch eine weitere Straftat, ist entscheidend, ob es sich dabei nur um eine Modifizierung der geplanten Tat oder um eine weitere wesensverschiedene Straftat handelt. Im ersten Fall bestimmt sich die Strafe nach der Modifikation, im letzten dagegen trifft den Auftraggeber nur diejenige Strafe, die er bei auftragsgemäßer Tatausführung zu erwarten gehabt hätte. Die Strafe des Ratgebers hängt von der Ernsthaftigkeit seiner Anregungen ab.271 Hat er dieselben ernst gemeint, so ist er als normaler Tatbeteiligter mit der vollen Strafe zu belegen. Hat er dagegen eher leichtfertig auf ein lohnendes Tatobjekt hingewiesen, so trifft ihn nur die halbe Strafe. Besteht sein Beitrag lediglich in einer grundsätzlichen und unverfänglichen Äußerung, die anschließend tatsächlich zu einer Straftat führt, muß er sich dieser Unachtsamkeit wegen leichte Fahrlässigkeit vorwerfen lassen. Auch bei der Nichtanzeige von Straftaten differenziert Globig. Die Nichtanzeige bereits begangener Straftaten hält er nicht für strafbar, da die Strafverfolgung keine Bürgerpflicht, sondern Aufgabe des Staates ist.278 Hingegen bedroht er die Nichtanzeige einer geplanten Tat mit der Hälfte der ordentlichen Strafe. Grobe Fahrlässigkeit wird demjenigen zur Last gelegt, der die geplante Tat deshalb nicht zur Anzeige bringt, weil er sich eine Verhinderung derselben noch zutraut. Bei Nichtanzeige einer geplanten Straftat durch Familienangehörige reduziert sich das Strafmaß auf die Hälfte der ordentlichen Strafe für grobe Fahrlässigkeit.279

c) Ausschluß der Stratbarkeit und Strafmilderung ca) Schuldausschließungsgründe Die Strafrechtswissenschaft des 18. Jahrhunderts unterschied noch nicht exakt zwischen den Voraussetzungen für die Schuld und denen für die Zu276 Vgl. Abhandlung S. 147. Zum Auftrag allgemein Kleinschrod (Anm. 6) I§§ 182 ff. S. 332 ff., Quistorp (Anm. 131) Entwurf I§ 46 S. 51 f. und Pflaum (Anm. 133) I§ 38 S. 33. 211 Vgl. Abhandlung S. 148. Zum Ratgeber allgemein vgl. Kleinschrod (Anm. 6) I§§ 192 ff. S. 348 ff., Quistorp (Anm. 131) Entwurf I§ 47 S. 52 ff. und Pflaum (Anm. 133) I§ 39 S. 34 f.

278 Vgl. Abhandlung S. 149, anders aber Quistorp (Anm. 177) Grundsätze I § 62 S. 81 ff., ders. (Anm. 131) Entwurf I§§ 50 f. S. 56 ff. und Pflaum (Anm. 133) I §§ 41 f. S. 36 ff. Vgl. dazu auch Servin (Anm. 46) Iß Abschnitt 2 § 1 S. 413. 219 Soweit es Beichtvätern nicht kin:hlicherseits verboten ist, sollen auch sie künftige Verbrechen zur Anzeige bringen müssen, vgl. Abhandlung S. 151.

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B. Die Preisschrift und ihre Zugaben

rechungsfähigkeit. Vielmehr sah sie in der Zurechnung ein Erfordernis für das Vorliegen der Schuld.l*l Mangels einer einheitlichen Begriffsbestimmung der Zurechnungsunfähigkeit beschränkte man sich auf die Aufzählung von Einzelfällen und deren Beschreibung. Bei Vorliegen solcher Fälle war die Freiwilligkeit281 der Handlung zum Teil oder völlig aufgehoben, so daß die Strafbarkeit teilweise oder ganz entfiel. Die Preisschrift wie auch die Vier Zugaben entbehren daher einer eindeutigen Differenzierung. Globig behandelt die Problematik der Zurechnungsfähigkeit wie auch die der Schuldausschließungsgründe unter der Überschrift "Von den Umständen, welche die Verbrechen und Strafen ändern".282 Im einzelnen gilt folgendes:

( 1) /(jndheit und Alter Grundsätzlich gilt ein Kind unter sieben Jahren als für seine Taten strafrechtlich nicht verantwortlich, seine Unschuld wird vermutet.283 Diese Vermutung kann allerdings unter Umständen durch den Nachweis des Gegenteils widerlegt werden. Für Kinder im Alter von sieben bis zehn Jahren wird Nachlässigkeit und für die Zehn- bis Vierzehnjährigen grobe Nachlässigkeit angenommen werden. Diese strenge Aufteilung gibt Globig jedoch später wieder auf und empfiehlt in den Vier Zugaben nicht das jeweilige Alter der Heranwachsenden, sondern deren individuelle Entwicklung als Beurteilungsgrundlage heranzuziehen. Als unterste Schwelle der Strafmündigkeit stellt er nun auf die Fähigkeit sprechen zu können ab.284 Jedoch nicht nur die Jugend, sondern auch das Alter kann als Milderungsgrund dienen: Ist der Täter älter als 70 Jahre, so wird ihm grundsätzlich nur grobe Fahrlässig-

2*1

Vgl. hierzu Schaffstein (Anm. 206) Lehren§ 16 S. 98 ff., Rüping (Anm. 256) S. 43.

281

Freiwilligkeit bedeutet für Globig die Fähigkeit, vorsätzlich oder fahrlässig zu handeln,

vgl. Abhandlung S. 115, 136.

282 Siehe Abhandlung S. 96 und Vier Zugaben S. 220.

283 Vgl. Abhandlung S. 155 f. Allgemein dazu Herbert Jung, Der Einfluß der Aufklärung auf

die strafrechtlebe Behandlung der Jugendlichen.

284 Vgl. Abhandlung S. 116 i.V.m. Vier Zugaben S. 469 p. 1161. 3, Vier Zugaben S. 266. Marat (Anm. 118) S. 57, meint, der Zeitpunkt der Strafmündigkeit sei ldima-, temperament- und erziehungsabhängig und daher nicht allgemein bestimmbar. Vgl. auch Gmelin (Anm. 22) § 8 S. 14, Filangieri (Anm. 23) IV Kap. 37 S. 244 ff., Kleinschrod (Anm. 6) I§§ 80 ff. S. 174 ff., II § 59 S. 161 ff., Quistorp (Anm. 177) Grundsätze I§ 107 S. 162 f., ders. (Anm. 131) Entwurf I§§ 27 ff. S. 29 ff., der hier nur die Zehn- bis Achtzehnjährigen berücksichtigt, ebenso Pflaum Anm. 133) I § 25 S. 20; Wieland (Anm. 23) I §§ 270 f. S. 357 ff., SeiVin (Anm. 46) I Kap. 1 Abschnitt 4 § 6 S. 122 und § 8 S. 123 f. sowie Alkalay (Anm. 22) S. 66 ff.

III. Dogmatischer Teil

107

keit zur Last gelegt, obwohl auch hier auf den Einzelfall abgestellt werden soll.28s (2) Wahnsinn und Raserei

Sind Straftaten im Zustand geistiger Umnachtung begangen worden, entfällt mangels verantwortlicher Handlung die Schuld und mit ihr die Strafbarkeit.286 Der Täter muß sich jedoch dahingehend rechtfertigen, ob er es versäumt hat, eventuell mögliche Vorsorgemaßnahmen zur Verhinderung des Verbrechens zu treffen. Ist dies der Fall gewesen, so kommt als Schuldvorwurf eine Form der fahrlässigen Begehung in Betracht.287 Wie andere hebt auch Globig die Gruppe der Taubstummen besonders hervor.288 Er überlegt, ob ihnen etwa nach Erhalt eines "fast unmöglich scheinenden Unterricht[s]" ihre strafbaren Handlungen zugerechnet werden könnten.289 Obwohl er diese Frage bejaht, begrenzt er das Strafmaß auf die Hälfte der Vorsatzstrafe, da selbst derartige Unterweisungen nicht zu dem erforderlichen Maß an Verständnis- und Einsichtsfähigkeit führen können.290 Die gleiche Strafe hält er aber auch dann für gerechtfertigt, wenn solch eine Schulung nicht erfolgt ist und die Handlungen "in der natürlichen Empfindung beruhen, und keines Unterrichts bedürfen", wozu etwa Körperverletzung und Gewalttätigkeiten zählen.29J

285 Vgl. Anm. 284, Vier Zugaben S. 508 und Marst (Anm. 118) S. 56, der sich für völlige Straffreiheit ausspricht, Wieland (Anm. 23) I§ 273 S. 364 ff., Quistorp (Anm. 131) Entwurf I § 75 S.89 f., der die Grenze mit 60 Jahren angibt und Kleinschrod (Anm. 6) I §§ 89 f. S. 189 ff., anders Pflaum (Anm. 133) I §59 S. 52 f.

286 Vgl. Abhandlung S. 116 ff., Vier Zugaben S. 266 f., ebenso Marst (Anm. 118) S. 56, Kleinschrod (Anm. 6) I § 104 S. 213 f., Gmelin (Anm. 22) § 8 S. 14 und Wieland (Anm. 23) I § 281 s. 375 ff.

287 Auch hier nimmt Globig in den Vier Zugaben seine Ausführungen in der Abhandlung insoweit zurück, als er dort grundsätzlich Fahrlässigkeit angenommen hat (ebd. S. 116).

288 Vgl. Abhandlung S. 117 f., S. 417 i.V.m. Vier Zugaben S. 503 (505) ad pag. 4171. 1, Pranz Lubbers, Die Geschichte der Zurechungsfähigkeit von Carpzow bis zur Gegenwart, S. 103 f., Schaffstein (Anm. 206) Lehren § 16 S. 102, Quistorp (Anm. 131) Entwurf I § 25 S. 26 f. und Pflaum (Anm. 133) I§ 22 S. 17 f.

289 Siehe Abhandlung S. 117. Globig ist insoweit der erste, der diese Möglichkeit anspricht. Auch im 18. Jahrhundert ging man noch davon aus, daß dem Taubstummen Begriffe wie Recht und Unrecht unbekannt seien, vgl. für alle Kleinschrod (Anm. 6) I §§ 95 ff. S. 198 ff., Wieland (Anm. 23) I § 283 S. 380 f. und Gmelin (Anm. 22) § 8 S. 15 f. 290 V gl. Abhandlung S. 117 f. i.V.m. Vier Zugaben S. 469 ad pag. 118 I. 4. 29! Siehe Abhandlung S. 117; anders Quistorp (Anm. 1TT) Grundsätze I §41 S. 49 f.

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B. Die Preisschrift und ihre Zugaben

(3) Trunkenheit

Bei der Bestrafung von im Zustand der Trunkenheit begangener Taten folgt Globig im wesentlichen den Vorstellungen des gemeinen Rechts.292 Ist die Straftat im nur angetrunkenen Zustand begangen worden, so bleibt es bei der vollen Zurechnung der Tat. Hat der Täter jedoch volltrunken ein Verbrechen verübt, so wird wie folgt unterschieden: Hat er die Trunkenheit bewußt herbeigeführt, um in diesem Zustand eine Straftat begehen zu können oder um sich dazu Mut zu machen, so kommt auch hier nur die ordentliche Strafe in Betracht.293 Fehlte ihm jedoch der Vorsatz, im absichtlich herbeigeführten Rauschzustand ein Verbrechen zu begehen, so ist auf die halbe Strafe zu erkennen. Hat er sich nur aus Fahrlässigkeit betrunken und anschließend eine Straftat begangen, so ist ihm zumindest grobe Fahrlässigkeit vorzuwerfen und auf ein Drittel der ordentlichen Strafe zu erkennen.294 Allerdings rückt Globig später selbst von diesen Maßstäben zu Gunsten eines reinen Beispielscharakters derselben ab.293 (4) Liebe, Zorn und Furcht

In den Vier Zugaben trennt Globig scharf zwischen Nachlässigkeit im Sinne von Fahrlässigkeit und im Sinne von Leidenschaft.296 Gemeinsam ist beiden, daß durch sie verursachte Handlungen ein Defizit bezüglich des Vorsatzes aufweisen. Lassen sich die Merkmale der Fahrlässigkeit an Äußerlichkeiten bestimmen, so gilt das nicht für Taten, die durch Leidenschaft gezeichnet sind, da diesen ein individueller Bezug immanent ist, der es nicht zuläßt, zuverlässige allgemeine Erkennungsmerkmale festzustellen. Ohne diese ist eine Strafmilderung aber nicht möglich. Demzufolge kann Tätern, die sich aus Liebe zu einer sträflichen Handlung haben hinreißen lassen, keine Strafmilderung zukommen.m 292 Vgl. Abhandlung S. 138, Vier Zugaben S. 266 f., anders ron Soden (Anm. 216) I § 25 S. 38 ff. Vgl. auch Schaffstein (Anm. 206) Lehren§ 16 S. 103 f.

293 Vgl. Abhandlung S. 183. Hierzu und zum Folgenden Quistrop (Anm. 177) Grundsätze I§ 44 S. 52, ders. (Anm. 131) Entwurf I § 30 S. 32, Pflaum (Anm. 133) I § 27 S. 21 f., Filangieri (Anm. 23) IV Kap 37 S. 259 ff., dagegen zum Teil Kleinschrod (Anm. 6) I § 110 S. 225, Gmelin (Anm. 22) § 8 S. 14 f. und Servin (Anm. 46) I Kap. 1 Abschnitt 5 § 5 S. 137 ff. 294 Vgl. Abhandlung S. 138. Die Tatsache des Betrunkenseins allein ist im Sinne des Kriminalstrafrechts nicht strafbar. Globig sieht es als Aufgabe der Polizei an, solchem entgegenzuwirken, vgl. Abhandlung S. 119, 139, ebenso Kleinschrod (Anm. 6) I § 109 S. 224 und Quistorp (Anm. 177) Grundsätze I§ 42 S. 50. 29$ Vgl. Vier Zugaben S. 266 f. 296 Vgl. zum Folgenden Vier Zugaben S. 262 f.

297 Vgl. Abhandlung S. 134 f. Diesen Standpunkt schwächt er in den Vier Zugaben S. 262 etwas ab, vgl. auch Gmelin (Anm. 22) § 9 S. 16 ff.

III. Dogmatischer Teil

109

Furcht und Zorn stellen für ihn keine Leidenschaften in eben genanntem Sinne dar, da ihnen "keine Beziehung auf individuelle Gemüthsbeschaffenheit" eigen ist.2911 Es sieht sie eher als· Unterfälle der Notwehr bzw. Selbsthilfe, da sie entweder auf gesetzmäßiger Rache oder physischem und moralischem Zwang beruhen. Daher sind die sie bedingenden Umstände, ebenso wie bei der Fahrlässigkeit, aus den Handlungen zu entnehmen, so daß aus Zorn oder Furcht begangene Taten gemilderte Strafen bewirken können. Liegt eine durch Zorn bedingte Straftat vor, ist Strafmilderung aber nur dann möglich, wenn dieser gerechtfertigt war.m Auf die Problematik der Gehorsamspflicht gegenüber Befehlen, die die Ausführung von Straftaten zum Inhalt haben, geht Globig im Rahmen der Furcht ein.300 Soweit der Regent diesen Befehl gegeben hat, macht der Ausführende derselben sich keiner strafbaren Handlung schuldig. Im übrigen jedoch muß er sich den Vorwurf der groben Fahrlässigkeit gefallen lassen. cb) Irrtum Die Behandlung des Irrtums nimmt bei Globig nur geringen Raum ein.301 Er trennt zwischen der ignorantia facti, die die Straflosigkeit der Handlung zur Folge hat,302 und dem Rechtsirrtum, den er als "Unwissenheit des Gesetzes" bezeichnet.303 Kenntnis der positiven Strafbarkeit einer Tat ist Voraussetzung für ihre Zurechnung.304 Diese Kenntnis wird jedoch grundsätzlich von jedem Bürger erwartet. Zugunsten Fremder gilt eine "Präsumtion der Unwissenheit" von maximal einem Jahr. Berufen diese sich danach auf 2911 Siehe Vier Zugaben S. 264. Auch insoweit handelt es sich hier um eine Änderung bzw. Klarstellung gegenüber der Preisschrift, vgl. Abhandlung S. 135 f. i.V.m. Vier Zugaben S. 470 pag. 1351.1 und Vier Zugaben S. 262 ff. 299 Zu den besonderen Voraussetzungen für leichte und grobe Fahrlässigkeit vgl. Abhandlung S. 136 f., Gmelin (Anm. 22) § 8 S. 16. Zur Strafbarkeit von im Zorn begangenen Straftaten auch Quistorp (Anm. 131) Entwurf I § 26 S. 27 f. und Pflaum (Anm. 133) I § 23 S. 18 f. 300

V gl. Abhandlung S. 137 f.

Vgl. Abhandlung S. 114 f. und 118 f., vgl. auch Quistorp (Anm. 131) Entwurf I§ 69 S. 83 f. und Pflaum (Anm. 133) I §53 S. 46 ff. 301

302 Vgl. Abhandlung S. 114 Anm. •, vgl. hierzu auch Schaffstein (Anm. 206) Lehren § 18 S. 113 ff. 303 Siehe Abhandlung S. 118. Zum Rechtsirrtum überhaupt vgl. Klaus-Jürgen Günther, Der Rechtsirrtum in der Strafrechtsdoktrin der Aufklärung, Schaffstein (Anm. 206) Lehren§ 19 S. 134 ff. und Wieland (Anm. 23) I §§ 213 ff. S. 278 ff. Explizit fordert Globig nicht das Bewußt· sein der Rechtswidrigkeit als Bestandteil des Vorsatzes. Jedoch lassen seine gesamten Ausführungen zum Rechtsirrtum erkennen, daß er hierauf aufbaut, vgl. zu diesem Problemkreis besonders Schaffstein (Anm. 206) Lehren § 19 S. 136, 138, 142 ff. 304

Vgl. K-J. Günther (Anm. 303) S. 10 ff.

110

B. Die Preisschrift und ihre Zugaben

ihre Unkenntnis der Gesetze, so obliegt ihnen der Beweis dafür.305 Hinsichtlich der in der Preisschrift abgehandelten allgemeinen Strafgesetze läßt Globig eine Berufung auf einen Rechtsirrtum allerdings nicht zu, da sie "niemals willkührlich seyn; ..., weil sie nie etwas verbieten und bestrafen, was auch der Einfältigste nicht an sich für Unrecht halten sollte".306 cc) Notwehr Globig kommt als erstem das Verdienst zu, das Institut der Notwehr aus seiner Verbindung mit den Tötungsdelikten gelöst und ihm seinen Platz im Bereich der allgemeinen Lehren zugewiesen zu haben.307 Dies bedeutet jedoch noch nicht, daß die Notwehr als objektiver Rechtfertigungsgrund anerkannt wird.311! In der Preisschrift entfällt die Strafbarkeit einer Notwehrhandlung wegen fehlenden Vorsatzes, d.h. also mangels Straftat.309 Eine Notwehrsituation kann allein dann eintreten, wenn der Staat einem Angriff auf die Person oder die Güter eines seiner Bürger nicht rechtzeitig entgegentreten kann oder will und so dem Einzelnen ein nicht unerheblicher Schaden droht. In diesen Fällen entfällt die Bindung an den Gesellschaftsvertrag und der Einzelnen ist berechtigt, alle die Rechte für sich in Anspruch zu nehmen und auszuüben, die er im Stande der Natur gehabt hat. 310 Eine Notwehrhandlung ist nur dann rechtmäßig, wenn sie als Reaktion auf einen gewalttätigen, widerrechtlichen und auf keine andere Weise ab305 Siehe Abhandlung S. 118; vgl. auch Ouistorp (Anm. 177) Grundsätze I §§ 47 f. S. 57 ff., Kleinschrod (Anm. 6) I § 138 S. 265 f., Wieland (Anm. 23) I §§ 211 S. 276 ff. und Omelin (Anm. 22) § 49 S. 104 ff. 306

307

Siehe Abhandlung S. 119.

Soweit dies Christian Daniel Erbard zugeschrieben wird, handelt es sich um einen Irrtum, dem sogar noch Rehbach (Anm. 178) S. 91 Anm. 8 unterliegt. Das Handbuch des Chursächsischen peinlichen Rechts ist erst 1789 erschienen, nicht 1782, vgl. Cbtistian Daniel Ethard, Titelblatt und letzte Seite der Vorrede. Insoweit handelt es sich bei Stintzing I Landsberg (Anm. 59) Bd. Iß, 1 S. 461 um einen Druckfehler, in den Bd. lll, 1 Noten S. 261 wird das Jahr 1789 als Erscheinungsjahr genannt. Vgl. hierzu auch Fticdbelm Krüger, Christian Daniel Erhard und sein Entwurf eines Gesetzbuches über Verbrechen und Strafen für das Königreich Sachsen, S. 19 und Hartmut Suppcrt, Studien zur Notwehr und "notwehrähnlichen Lage", S. 47 f. Diese neue Konzeption des Notwehrrechts setzte sich rasch durch, vgl. Suppcrt, ebd. S. 48.

311! Zur Problematik der Rechtswidrigkeit als Bestandteil des Verbrechensbegriffs vgl. oben Anm. 303. 309 Vgl. Abhandlung S. 119 ff., allgemein zur Notwehtr Schaffstein (Anm. 206) Lehren § 12 S. 68 ff. sowie zur Geschichte der Notwehr Heinrich Stieg/er, Die geschichtliche Entwicklung der Notwehr und Ftiedtich-Chtistian Schroeder, Die Notwehr als Indikator politischer Grundanschauungen, in: Festschrift für Reinhart Maurach, S. 127 ff. 3JO Vgl. Abhandlung S. 120, vgl. hierzu auch Robcrt Hass, Notwehr und Nothilfe, S. 69 ff., Wieland (Anm. 23) II § 433 S. 127 ff. und Omelin (Anm. 22) § 71 S. 148 f.

111. Dogmatischer Teil

111

zuwehrenden Angriff erfolgt. Allerdings mahnt Globig eindringlich, die Verhältnismäßigkeit des zu erwartenden Schadens und der Notwehrhandlung zu beachten.m So hält er die Tötung des Angreifers nur dann für erlaubt, wenn sich der Angegriffene in Lebensgefahr befmdet oder bei Diebstählen, wenn das Opfer nicht nur sein Vermögen, sondern u.a. auch "die Annehmlichkeit des Lebens" insoweit einbüßen würde, daß er gezwungen wäre, "mit beschwerlicher Arbeit sich nachgehends zu ernähren".3t2 Als erlaubte Form der Selbsthilfe findet sich in der Preisschrift der Diebstahl aus Not, wenn man "die traurige Wahl behält, entweder ... [das Eigenthums-] Recht zu verletzen, oder umzukommen".3" Die Nothilfe fmdet ebenso wie der Notwehre:xzeß keine Erörterung.

3. Straftatbestände Eine nähere, manchmal auch konkrete Be- bzw. Umschreibung von Verbrechen gab es bereits lange vor der Aufklärung.''4 Soweit heute diesbezüglich von Tatbeständen gesprochen wird, gilt dies nur "im untechnischen Sinne einer Begriffsbestimmung oder gesetzlichen Umschreibung deliktischen Unrechts".315 Der Begriff Tatbestand taucht erstmals Ende des 18. Jahrhunderts bei E. F. Klein auf. Er übersetzte das strafprozessuale Institut des corpus deliciti ins Deutsche und gab ibm einen materiell-rechtlichen Inhalt: "Diejenigen Thatsachen, welche zusammengenommen den Begriff einer gewissen Gattung von Verbrechen bestimmen, machen den Thatbestand

311 Vgl. Abhandlung S. 121 ff. Auch die Preisschrift behandelt als Notwehrbandung nur die Tötung des Angreifers, obwohl erkannt wird, daß u.U. auch weniger folgenschwere Abwehrmöglichkeiten bestehen können, vgl. Abhandlung S. 124.

312 Siehe Abhandlung S. 129, vgl. auch Quistorp (Anm. 171) Grundsätze I § 243 S. 381 ff. Erwähnenswert ist auch, daß Globig jede tödliche Notwehr bei Beleidigungen der Ehre mit dem Hinweis auf die "jtzige aufgeklärten Zeiten" auch für den Adel für unzulässig hält, ebd. S. 124 ff. (126). Dagegen z.B. Quistorp (Anm. 171) Grundsätze I§ 237 S. 372, § 242 S. 378 ff., ders. (Anm. 131) Entwurf I§ 157 S. 178 f (einschränkend), Wieland (Anm. 23) II §§ 435 f. S. 130 ff. und Pflaum (Anm. 133) I § 120 S. 113 f. 313 Siehe Abhandlung S. 131, zum Notdiebstahl auch Schaffstein (Anm. 206) Lehren § 13 S. 83 ff., Pflaum (Anm. 133) I § 159 S. 153 f. und Servin (Anm. 46) I Kap. 5 Abschnitt 1 § 2 S. 342f.

314 Gerade die strafrechtlichen Darstellungen des gemeinen Rechts gehören hierher, vgl. hierzu und zum Polgenden Friedrich Scha/Istein, Studien zur Entwicklung der Deliktstatbestände im Gemeinen deutschen Strafrecht, in: Nachrichten der Akademie der Wissenschaften in Göttingen, I. Philologisch-Historische Klasse, Jahrgang 1985 Nr. 3 S. 146 (26) ff. 315

Siehe Schaffstein (Anm. 314) Studien S. 146 (26).

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B. Die Preisschrift und ihre Zugaben

aus (corpus delicti)".316 Diese müssen vom Gesetzgeber unter Hinzufügung der zu verwirkenden Strafe explizit normiert werden, d.h. verständlich für jedermann, und allen zugänglich sein, um den Schutz des Einzelnen vor staatlicher und richterlicher Willkür zu gewährleisten.m Auch Globig geht davon aus, daß man sich bei der Bestimmung von Delikten auf die Nennung gewisser für sie charakteristischer Merkmale beschränken kann. Die Erfassung aller Einzelheiten ist nicht erforderlich, soweit nur "die Absicht des Gesetzes erreicht wird".318 Zudem ist es aus Gründen der Überschaubarkeit unmöglich, alle nur denkbaren Tatmodalitäten zu kodizifieren. Die Systematik der Straftatbestände, die im gemeinen Recht auf dem Dekalog basierte, veränderte sich unter dem Einfluß des Naturrechts und der Aufklärung.319 Wesentlich ist nun das Rechtsgut, dessen Wert sich nach der Schwere des durch seine Verletzung entstandenen Schadens für die Gesellschaft bestimmt.320 Globig unterteilt die Straftaten in zwei Kategorien: 1. in Staatsverbrechen als Verbrechen gegen die Allgemeinheit und 2. in Verbrechen gegen den Einzelnen.321 Zur ersten Gruppe zählen die großen Staatsverbrechen, die die unmittelbare Zerstörung des Staatswesens bewirken, gefolgt von den kleineren Staatsverbrechen, die lediglich eine Gefährdung desselben hervorrufen. Hierher gehören zum Teil die Verletzungen der persönlichen Vorzüge des Regenten und solche des moralischen Eigentums der Nation sowie die Nichtbefolgung obrigkeitlicher Anordnungen. Die zweite Gruppe

316 Siehe Emst Fezdinand Klein, Grundsätze des gemeinen deutschen peinlichen Rechts, § 68 S. 57. Zur Entwicklung des Tatbestandsbegriffs aus dem corpus delicti Reinhazd Moos, Der Verbrechensbegriff in Österreich im 18. und 19. Jahrhundert, S. 200 ff. und Karl Alfred Hall, Die Lehre vom Corpus Delicti, S. 127 ff. 317 Vgl. Abhandlung S. 31 f. und oben B II, 2. b) S. 52. Zu der Frage, ob die Pflichtwidrigkeit der Handlung nur erkennbar oder aber auch ihre Strafbarkeit vorhersehbar sein muß, vgl. Gerhazd Schöckel, Die Entwicklung des strafrechtlichen Rückwirkungsverbots bis zur französischen Revolution, S. 64 ff. 318 Siehe Abhandlung S. 30 und vgl. ebd. S. 164. Später eventuell auftretende Lücken sollen von einem speziell dafür geschaffenen Kollegium durch Ergänzungen geschlossen werden, vgl. hierzu auch §§ 46 ff. Einl. ALR 319 Vgl. Schaffstein (Anm. 314) Studien S. 170 (50), Hellmuth von Weber, Der Dekalog als Grundlage der Verbrechenssystematik, in: Festschrift für Wilhelm Sauer, S. 61 f.; anders noch z.B. Quistorp (Anm. 177) Grundsätze I§§ 118 ff. S. 178 ff. und Filangieri (Anm. 23) IV Kap. 44S.339 ff. 320 Bzgl. der Rangfrage der einzelnen Delikte siehe bereits oben B II, 4. 321 Vgl. Abhandlung S. 38 ff., 167 ff., 178 ff., Vier Zugaben S. 52 ff., 197 ff. Ebenso Wieland (Anm. 23) I § 236 S. 307, II §§ 342 ff. S. 1 ff. und Gmelin (Anm. 22) § 12 S. 22 ff.

111. Dogmatischer Teil

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setzt sich zusammen aus Verbrechen gegen die Person, gegen das Vermögen und Verbrechen gemischter Art.322 a) Staatsverbrechen

Der Begriff des Staatsverbrechens in seinem originären Sinn, als Verbrechen gegen den Staat und das Volk, entwickelte sich erst in der Folge der Ablösung der theokratischen Staatsauffassung durch die Lehre vom Staatsvertrag in der Aufklärung. An erster Stelle stehen nun diejenigen Delikte, die sich gegen die Gesamtheit der bürgerlichen Gesellschaft, also den Staat, richten.m So versteht Globig unter "Staats= Verbrechen alle Beleidigungen der ganzen bürgerlichen Gesellschaft überhaupt".m aa) Hochverrat Der Verlust der ''bürgerliche[n] Freyheit" der Gesellschaft kann sowohl durch die Zerstörung der "Staats= Verfassung, indem man sich, oder einen andern zum Tyrannen aufwirft" als auch durch Auslieferung des Staates in feindliche Gewalt erfolgen.m Das so umschriebene Delikt umfaßt zwei Möglichkeiten des Hochverrats, die Gefährdung des Staatswesens durch

322 Vgl. hierzu Abhandlung S. 194 ff., 198 ff., 203 ff., 220, 222, 226, Vier Zugaben S. 50 f. und weiter unten B 111, 3. b) sowie Omelin (Anm. 22) § 12 S. 22 A 5 und E, §§ 66 ff. S. 135 ff., § 84 S. 174, §§ 86 ff. S. 182 ff., §§ 93 f. S. 189 f., §§ 151 ff. S. 268 ff., von Soden (Anm. 216) I§ 290 S. 330,11 § 425 S. 58, Wieland (Anm. 23) II § 467 S. 172, §§ 482 f. S. 194 ff., § 494 S. 208 f. Demgegenüber standen bei Montesquieu noch die Religionsverbrechen an der Spitze der Verbrechensskala, bei Voltaire und Marat kommt die erste Stelle dem Diebstahl als häufigstes Delikt zu, vgl. Montesquieu (Anm. 98) Bd. 1 Buch 12 Kap. 4 S. 260, Voltaire (Anm. 133) Prix Art. 2 S. 91, Lohmann (Anm. 63) S. 50. In der zweiten Auflage (1790) nimmt Marat jedoch eine Umstellung vor und weist nun ebenfalls den Staatsverbrechen den ersten Platz zu, vgl. Marat (Anm. 118) S. 83 ff. sowie Filangien· (Anm. 23) IV Kap. 43 S. 333 f.

323 Vgl. hierzu Fricdrich-Christian Schrocder, Der Schutz von Staat und Verfassung im Strafrecht, S. 33 f., ders., Texte zur Theorie des politischen Strafrechts Ende des 18. Jh. I Mitte des 19. Jh., S. VII ff., Thomas Würtenbe~r, Das System der Rechtsgüterordnung in der deutschen Strafgesetzgebung seit 1532, S. 155 ff. Allgemein zu der geschichtlichen Entwicklung der Staatsverbrechen: Fritz 11/mer, Treuebruch, Verrat und Felonie im deutschen Strafrecht und Johannes Martin Ritter, Verrat und Untreue an Volk, Reich und Staat. 324 Vgl. Abhandlung S. 167. 325 Siehe Abhandlung S. 168. Zum Hochverrat vgl. auch Servin (Anm. 46) I Kap. 2 S. 143 ff., Filangieri (Anm. 23) IV Kap. 46 S. 408 ff., Omelin (Anm. 22) §58 S. 122 ff., Wieland (Anm. 23) II §§ 346 ff. S. 6 ff. und zum Landesverrat II §§ 362 ff. S. 28 ff., der beides unter den Begriff der Verbrechen der beleidigten Majestät zählt sowie Quistorp (Anm. 131) Entwurf I §§ 79 ff S. 913 ff. und ders. (Anm. 177) Grundsätze I§§ 149 ff. S. 226 ff.

B. Die Preisschrift und ihre Zugaben

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Angriffe von innen wie auch von außen.326 Dazu gehören geplante Verschwörungen, wie überhaupt bereits die Vorbereitunghandlungen zu den einzelnen Delikten die volle Strafe verwirken, als zu nennen sind: Spionage, Aufruhr gegen den Regenten und Überlaufen im Kriegsfalle.327 ab) Majestätsdelikte Da der Herrscher seine Autorität nicht mehr auf Gott stützen kann, sie sich vielmehr auf den Gesellschaftsvertrag gründet, ordnet Globig die Majestätsdelikte konsequent dem unmittelbaren Verbrechen gegen den Staat als solchem unter. Hierbei wird nochmals unterteilt in Delikte der beleidigten Majestät, die den Staat nur mittelbar gefährden und Delikte der "Anmaßungen der Majestäts= Rechte, welche dem Staat zu dessen Zierde und Erhaltung eigen sind".m Entwendungen öffentlicher Güter, sei es durch Diebstahl, Betrug oder Veruntreuung, werden dem Bereich der Privatdelikte zugewiesen.m Zur ersten Gruppe gehören Angriffe auf das Leben oder die Gesundheit des Regenten, wodurch er "zur Regierung ganz unbrauchbar wird",'30 sowie auf seine Ehre, allerdings nur soweit er in seiner Eigenschaft als Herrscher betroffen ist. Des weiteren werden noch Aufruhr, Beleidigung der Obrigkeit und Amtsmißbrauch dazugerechnetm Die zweite Gruppe umfaßt zum einen die Verletzung vermögenswerter Rechte wie Zoll und Abgabenerhebung und zum anderen die Münzdelikte, beide je326 Diese Unterteilung des Hochverrats in zwei Klassen findet sich auch in den Vorarbeiten zum ALR (vgl. Entwurf zum AGB 1. Teil3. Abteilung§§ 84 ff., 92 ff.), was in der Literatur zu der Annahme führte, die Unterscheidung des ALR (vgl. §§ 92, 100 II 20) zwischen Hoch- und Landesverrat gründe sich auf die Preisschrift von Globig und Huster. Berücksichtigt man aber nicht nur diese formale Komponente, sondern vergleicht auch den Inhalt der Regelungen des ALR und des AGB wie auch den der Preisschrift miteinander, so muß man zu einem völlig anderen Ergebnis gelangen. Denn in der Preisschrift werden alle gegen die Existenz des Staatswesen gerichteten Angriffe gegenüber denen auf das Oberhaupt des Staates scharf von einander abgegrenzt (vgl. Abhandlung S. 168). Im ALR hingegen werden die Delikte gegen den Regenten als Repräsentanten des Staates als Hochverrat angesehen und den Angriffen auf die Landesverfassung gegenübergestellt. Vgl. hierzu Schroeder (Anm. 323) Schutz S. 40 ff., dagegen noch Dietrich Oebler, Wurzeln, Wandel und Wert der strafrechtlichen Legalordnung, S. 119 f., Würtenberger (Anm. 323) System S. 196 ff. 327

Vgl. Abhandlung S. 168.

328 Siehe Abhandlung S. 176 und vgl. ebd. S. 170 ff., 176 f., ebenso Wieland (Anm. 23) II §§ 390 ff. S. 69 ff. und §§ 394 ff. S. 74 ff. sowie Gmelin (Anm. 22) § 62 S. 128 ff. 329 Vgl. Abhandlung S. 1n, Gmelin (Anm. 22) §§ 86 f. S. 182 ff. 330 Siehe Abhandlung S. 172. Dieser Gedanke findet sich wieder in § 611 Nr. 1 Strafgesetzbuch für die Preußischen Staaten (1851) und§ 80 I Nr. 1 RStGB (1871), vgl. Schroeder (Anm. 323) Schutz S. 34 Anm. 5.

331

Vgl. Abhandlung S. 175 und Vier Zugaben S. 199, für das Strafmaß Abhandlung S. 208 f.

m. DogmatischerTeil

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doch nur unter dem Vorbehalt, daß ein unbestimmbarer Schaden, d.h. eine Gefährdung des Staates entsteht.'32 b) Verbrechen gegen den Einzelnen ba) Verbrechen gegen Personen

(1) Mord, Abtreibung und Selbstmord An erster Stelle der Verbrechen gegen Personen nennt Globig den Mord, wobei er nicht zwischen Mord und Totschlag unterscheidet, sondern diese Begriffe synonym verwendet.'" Allerdings differenziert er zwischen Mord aus Leidenschaft und vorsätzlichem Mord. Zu letzterem zählt er insbesondere den Zweikampf, den er im Gegensatz zu manchen seiner Zeitgenossen für strafbar hält,',.. denn das Duell sei eine "überlegte Mordthat", für die es keine Entschuldigungsgründe gebe."s Zur Vermeidung von derartigen Zweikämpfen fordert Globig einen wirksamen Ehrenschutz, der insbesondere dadurch erreicht werden kann, daß demjenigen aus dem Umstand, daß er die Forderung zum Duell ablehnt, gewisse Vorteile erwachsen. Strafschärfende Modalitäten des vorsätzlichen Mordes sind die grausam und die heimlich durchgeführte Tat sowie der Mord aus Gewinnsucht. Im 332 Vgl. Abhandlung S. 176 f. und Vier Zugaben S. 201 ff., woGobig diese Delikte grundsätzlich dem Bereich der Privatverbrechen zuweist und nurmehr die oben genannten Ausnahmen zu den Staatsverbrechen z.lhlen möchte. Zu den Münzdelikten vgl. Wieland (Anm. 23) ß § 396 S. 77 ff., Quistorp (Anm. 131) Entwurf I §§ 224 ff. S. 249 ff., Gmeün (Anm. 22) § 121 S. 220 f. hält sie grundsätzlich nur für ein Privatdeliltt. '" Vgl. zur Geschichte der Tötunpdelikte Otto Ktöner, Die vorsitzliehen Tötunpdelikte in ihrer Entwicklung von der Carolina bis zum Ausgang des 18. Jahrhunderts, Friedrich Schaffstein, Die vorsitzliehen Tötungsdelikte im Gemeinen deutschen Strafrecht, in: ders., Abhandlungen zur Strafrechtsgeschichte und zur Wissenscbaftsgcschichte, S. 103 und Sven Thomas, Die Geschichte des Mordparagraphen- eine normgenetische Untetsuchung bis in die Gegenwart. Gmelin (Anm. 22) § 66 S. 13S f. nimmt dieselbe Einteilung der Verbrechen gegen PeiSOnenvor. 334 Vgl. Abhandlung S. 181 ff. Von Soden (Anm. 216) I§§ 294 ff. S. 333 ff., Beccaria (Anm. 25) Kap. 10 S. 71 f. und Filangieri (Anm. 23) IV Kap. 51 S. 603 ff., 608 ff. hingegen sprechen sich dafür aus, nur den Beleidigenden mit einer Strafe zu belegen. Allerdings weist Filangieri (Anm. 23) IV Kap. 31 S. 68 ff., 76 ff. darauf hin, daß de12rtige Sanktionen und Strafdrohungen ins Leere gingen, da in der Bevölkerung das Unrechtsbewußtsein für diese Straftaten fehle. Vgl. auch Gmelin (Anm. 22) § 29 S. 65 Anm. t. Ausführlich zur Geschichte der Duellbekämpfung vgl. die gleichnamige Dissertation von Dieter Prolcowsky.

'" Vgl. Abhandlung S. 183, 185, Servin (Anm. 46) I Kap. 2 § 2 S. 168 ff. (174), von Sonnenfels (Anm. 23) I Kap. 5 § 185 S. 260 ff., Quistorp (Anm. 131) Entwurf I§ 273 S. 300, Wieland (Anm. 23) ß §§ 443 ff. S. 142 ff., § 447 S. 147, Gmeün (Anm. 22) § 75 S. 154 ff., dagegen Rath· Jef (Anm. 59) S. 34 ff.

116

B. Die Preisschrift und ihre Zugaben

letzten Fall muß der Erfolg nicht eingetreten sein. Zur Strafbarkeit reicht es aus, daß der Täter mittels der Tat einen Gewinn erstrebte. Als wichtigstes Beispiel hierfür nennt Globig den Straßenraub, d.h. den Raubmord.'36

Als Mord unter Verletzung moralischer Pflichten bezeichnet Globig die Verwandtentötung. Hier hebt er besonders den Vater- und den Kindesmord hervor. 337 Unter letzterem wird die Tötung eines Kindes durch die ledige Mutter oder eine Verwandte unmittelbar nach der Geburt verstanden. Die Kindstötung wird als Mordtat angesehen, die die ordentliche Strafe nach sich zieht. Jedoch war diese Strafzumessung auch einer der Punkte, an denen die Kritik der Aufklärung ansetzte. Allgemein war anerkannt, daß dieses Delikt im wesentlichen aus Scham und Angst vor der gesellschaftlichen Schande, der Strafe vor unehelichem Beischlaf und wirtschaftlichen Schwierigkeiten verübt wurde. Diese Einsicht hatte weitreichende Bestrebungen zur Folge, die alle eine Verhinderung solcher Taten zum Ziel hatten.338 Als vorbeugende Mittel empfiehlt Globig zum Beispiel die Abschaffung der Strafe für den unehelichen Beischlaf und die uneheliche Niederkunft, die Errichtung von Findelhäusern und Anstalten, in denen die Kinder kostenfrei zur Welt gebracht werden können, die Verpflichtung des Kindesvaters nach unehelicher Schwängerung zur Heirat, sei es auch nur zur linken Hand.339

336 Vgl. Abhandlung S. 186 f. Unter den Straßenraub subsumiert er auch den Raubmord im Hause des Opfers, da das zu schützende Rechtsgut die "öffentliche Ruhe" ist. Als heimlichen Mord bezeichnet er die Vergiftung, da ihre Entdeckung erhebliche Schwierigkeiten verursacht, vgl. Abhandlung S. 188.

337 Vgl. Abhandlung S. 189 ff. Zum Kindesmord allgemein Gustav Radbruch I Heinrich Gwinner, Geschichte des Verbrechens, S. 242 ff., Manfred Schwaa, Die Kindestötung in ihrem Wandel vom qualifizierten zum privilegierten Delikt, speziell zur Geschichte der Kindestötung Kröner (Anm. 333) S. 94 ff., Wilhelm Wächtershäuscr, Das Verbrechen des Kindesmordes im Zeitalter der Aufklärung und Hildegard Handke, Die Kindestötung, rechtshistorisch und rechtsvergleichend, sowie Quistorp (Anm. 131) Entwurf I §§ 140 ff. S. 157 ff., Pflaum (Anm. 133) I §§ 103 ff. S. 97 ff., Wieland (Anm. 23) ll §§ 453 ff. S. 155 ff., Servin (Anm. 46) I Kap. 3 Abschnitt 1 § 2 S. 176 ff. und von Soden (Anm. 216) I §§ 252 ff. S. 286 ff.

338 Vgl. zum Beispiel die 1780 ausgeschriebene Preisaufgabe "Welches sind die besten ausführbaren Mittel, dem Kindermorde Einhalt zu tun?", zu der über 400 Beiträge eingingen. Hinter dem "Menschenfreund", der den Preis von 100 Dukaten stiftete, verbargen sich nicht etwa Karl von Dalberg und Johann David Michaelis, wie oft behauptet wird, sondern Ferdinand Adrian von Lamezan. Die beiden Erstgenannten sowie der Hofkammerrat Rigal der Ältere waren vielmehr zu Preisrichtern bestimmt worden, vgl. August Luclwig Schlözers Briefwechsel meist historischen und politischen Inhalts, siebender Theil, Nr. 52 S. 261 ff. (vom 20.8.1780), Rheinische Beiträge zur Gelehrsamkeit, Bd. 2 (1780) S. 84 ff., 200 sowie Mannheimer Geschichtsbllitter, Heft 26 (1925) Sp. 15-19. Zur Preischrift insbesondere vgl. Schwazz(Anm. 337) S. 150 ff. und Wächtershäuser (Anm. 337) S. 34 ff. Globig beteiligte sich auch an diesem Wettbewerb, vgl. seine Autobiographie, in: Beylage zu No. 178 des Intelligenzblattes der Leipziger Literatur-Zeitung vom 22.7.1826 S. 3. 339

Vgl. Abhandlung 8.190, 242 f. und Vier Zugaben S. 309 ff., 317 f., Filangieri (Anm. 23) IV

lll. Dogmatischer Teil

117

Die Kindesaussetzung wie auch die Abtreibung sind für Globig Fallgestaltungen des Kindesmordes. Das Strafmaß für die Aussetzung kann sich nur dann reduzieren, wenn die Aussetzung an einem Ort erfolgt, an dem mit der baldigen Entdeckung des Kindes fest gerechnet werden kann.340 Die Abtreibung hält Globig vom Augenblick der Zeugung an für strafbar, da man "lediglich die böse Absicht" bestrafe, und es keine fundierten Kenntnisse darüber gebe, ab welchem Monat ein Kind lebensfähig sei.341 Im Gegensatz zur Kastration des Mannes, die nur eine Verletzung darstellt, ordnet Globig die Sterilisation der Frau in die Gruppe des Kindesmordes ein.342 Allerdings gilt in diesem Fall ein sehr reduziertes Strafmaß, da es allemal ungewiß ist, ob diese Frauen überhaupt hätten gebären können. Soweit durch die Mordtat einer Familie der Ernährer geraubt wird, trifft den Täter die Verpflichtung zu periodischen Rentenzahlungen.343 Der Selbstmord und der Selbstmordversuch stellen für Globig keine Straftatbestände dar. Sie gehören lediglich in den Bereich der Polizeigerichtsbarkeit, denn es handelt sich um eine "Verletzung der Pflichten, die sich ein jeder selbst schuldig ist".344 Für ihn gibt es nur zwei Erklärungen für

Kap. 50 S. 562 f., von Sonnenfels (Anm. 23) I Kap. 5§ 193 S. 271 ff., Voltaire (Anm. 133) Prix

Art. 6 S. 102 ff. Zu vorbeugenden Maßnahmen raten auch Beccazia (Anm. 25) Kap. 31 S.

128 f., Servin (Anm. 46) I Kap. 3 Abschnitt 1 § 2 S. 178 ff., Quistorp (Anm. 131) Entwurf I § 153 S. rn ff., Wieland (Anm. 23) li § 453 S. 155 ff., vgl. im übrigen die Nachweise bei Günther (Anm. 244) Strafrechtsreform S. 247,250 ff.

340 Vgl. Abhandlung S. 191. Bzgl. der Abtreibung als Fall des Kindesmordes auch Quistorp (Anm. 177) Grundsätze I § 277 S. 432 f., ders. (Anm. 131) Entwurf I §146 S. 163 ff., Pflaum (Anm. 133) I §§ 109 f. S. 103 ff. Anders Gmelin (Anm. 22) §§ 82 f. S. 171 ff. und Servin (Anm. 46) I Kap. 3 Abschnitt 1 § 2 S. 176 ff., die die Aussetzung als eigenständiges Delikt behandeln. 341 Siehe Abhandlung S. 191. Insoweit setzt er sich in Widerspruch zu der damaligen Praxis, in der auf den Zeitpunkt der Beseelung abgestellt wurde, vgl. Kröner (Anm. 333) S. 22 ff. ebenso wie Globig etwa bereits Johannes Brunnemann, Tractatus de inquisitionis processu, cap. 9 n. 69 und ihm folgend Augustin von U:yser, Meditationes ad pandcctas, Spcc. 597, med 24 (zitiert nach Kröner (Anm. 333) S. 24 f.), Quistorp (Anm. 131) Entwurf I § 146 S. 163 ff. und von Sonnenfels (Anm. 23) I Kap. 5 §§ 190 f. S. 267 ff. 342 Vgl. Abhandlung S. 192 f., Quistorp (Anm. 131) Entwurf I § 154 S. 175 und Pflaum (Anm. 133) I § 116 S. 109 rechnen beide Fälle dorthin. 343

Vgl. Abhandlung S. 193 f.

Siehe Abhandlung S. 193, vgl. Vier Zugaben S. 346 ff. Zum Selbstmord allgemein Anton Kunzmann, Der Selbstmord in rechtsgeschichtlicher, rechtsdogmatischer und rechtsvergleichender Betrachtung, besonders S. 62 ff., und Radbruch I Gwinner (Anm. 337) S. 274 ff. Ebenfalls gegen eine Bestrafung sprechen sich aus Beccazia (Anm. 25) Kap. 32 S. 129, Hammel (Anm. 98) Bcccaria § 32 S. 140 ff. Anm. o, Marat (Anm. 118) S. 184 f., Servin (Anm. 46) I Kap. 4 Abschnitt 5 § 1 S. 310 ff., Filangiezi (Anm. 23) IV Kap. 55 S. 679 ff., von Sonnenfels (Anm. 23) I Kap. 5 §§ 187 ff. S. 264 ff., Michaelis (Anm. 211) VI§ 272 S. 127 ff., Wieland 344

118

B. Die Preisschrift und ihre Zugaben

einen Selbstmord, entweder ist der Täter wahnsinnig oder er möchte sich einer zu gewärtigenden gerechten Strafe entziehen.345Jm letztgenannten Fall hält Globig bei einem fehlgeschlagenen (Selbstmord-)Versuch sogar gewisse Schandstrafen für geboten.346

(2) Körperverletzung Bis zum ausgehenden 18. Jahrhundert gab es keinen Tatbestand der (vorsätzlichen) Körperverletzung. Das römische Recht, das im Gegensatz zum deutschen Recht die Körperverletzung als solche nicht kannte, behalf sich mit der "injuria realis", der tätlichen Beleidigung.347 Andererseits wurden Verletzungshandlungen unter andere Deliktstatbestände subsumiert und zum Beispiel als versuchter Mord angesehen. Die Preisschrift grenzt die Körperverletzung bereits gegen andere Delikte ab und erkennt die Gesundheit des Einzelnen als ihr Rechtsgut an.348 Dies ist das Ergebnis einer Entwicklung, die auf das Naturrecht des 17. Jahrhunderts zurückzuführen ist. Durch die Gliederung der Straftaten nach ihrem Tatobjekt wird dem Bewußtwerden einer Persönlichkeitssphäre als Rechtsgut und somit als Gegenstand von Straftaten der Weg geebnet. Zu den persönlichen Rechten zählt insbesondere Gesundheit, was wiederum die Entstehung neuer Straftatbestände zur Folge hat.349 Die Tathandlungen selbst wurden durch die von ihnen verursachten Folgen in zwei Gruppen eingeteilt: Einmal handelt es sich um Schädigungen der Gesundheit, die wieder heilen können, und zum anderen um irreparable Schäden, durch die der Verletzte sein Leben lang gezeichnet bleibt. Für die letztgenannte Tathandlung hat Globig in der Preisschrift noch die Strafe der Wiedervergeltung vorgesehen, wovon er sich in den Vier Zugaben jedoch wieder distan-

(Anm. 23)_ I §§ 240 ff. S. 314 ff., Charies dc Sccondat Montesquicu, Lettres persanes, zitiert nach der Ubersetzung von Fritz Montfort, Persische Briefe, S. 147 ff., Voltaire (Anm. 133) Prix Art. S S. 101 f. und Quistorp (Anm. 131) Entwurf I§ 252 S. 277 ff., anders aber Pflaum (Anm. 133) I§ 186 S. 176 ff. und Gmelin (Anm. 22) §§ 78 ff. S. 163 ff. Vgl. auch Günther (Anm. 244) Strafrechtsreform S. 251 ff. m.w.N.

345 Vgl. Vier Zugaben S. 348, Rebbach (Anm. 178) S. 103 f. 346

Vgl. Vier Zugaben S. 348 i.V.m. S. 324 ff., 148.

347 Vgl. Schaffstein (Anm. 314) Studien S. 156 (36) f. Allgemein zur Körperverletzung Lud-

wig Günther, Über die Hauptstadien der geschichtlichen Entwicklung des Verbrechens der Körperverletzung und seiner Bestrafung; vgl. auch Gmelin (Anm. 22) § 84 S. 174 und Quistorp (Anm. 177) Grundslitze I§§ 335 ff. S. 522 ff. 348 Vgl. Abhandlung S. 194 ff.

349 Vgl. hienu Alt:Jalnder Philipsbom, Die Klassifikation der einzelnen strafbaren Handlungen, S. 72, 77,80 ff.

III. Dogmatischer Teil

119

ziert.'50 Im übrigen sieht er Stockschläge, neben der privatrechtlich gebotenen Erstattung der Heilungskosten, für angemessen an.3St Allerdings kann sich auch Globig noch nicht vollständig von den gemeinrechtlichen Vorstellungen der Körperverletzung lösen. Dies zeigt sich daran, daß er Handlungen, die den Tod des Angegriffenen mittelbar zur Folge haben, als Mord bzw. versuchten Mord bestraft wissen will. (3) Freiheitsberaubung

Als Verbrechen gegen die persönliche Freiheit jedes einzelnen behandelt Globig die Entführung und Freiheitsberaubung, die er unter dem Oberbegriff "Beleidigungen der Freyheit" zusammenfaßt.3S2 Hier setzt er sich an die Spitze einer Bewegung, die diese Delikte aus dem Verband der Sittlichkeitsverbrechen, wo sie bedingt durch ihre Nähe zur Notzucht behandelt wurden, herauszulösen sucht.353 Er geht jedoch nicht soweit wie Servin oder Quistorp, die auch die Fälle der Notzucht zu den Freiheitsdelikten rechnen."" (4) Beleidigung

Ganz dem aufklärerischen Gedankengut verhaftet, versteht Globig den Ehrbegriff nur als scheinbare Größe, als eingebildetes Gut. Dennoch hält er die Ehrverletzung für strafbar, wenn auch nur im öffentlichen Interesse. Dies führt im Gegensatz zum gemeinen Recht zu milderen Sanktionen.m In der Preisschrift behandelt Globig bis auf eine Ausnahme nur den Angriff

3.50

Vgl. Abhandlung S. 1% und Vier Zugaben S. 93.

3SI

Vgl. Abhandlung S. 196.

3S2

Vgl. Abhandlung S. 198 ff., 201, Vier Zugaben S. 203.

Ebenso z.B. SclVin (Anm. 46) I Kap. 3 Abschnitt 2 § 1 S. 187 ff., § 2 S. 1% ff., Quistorp (Anm. 131) Entwurf I§§ 167 ff. S. 187 ff. In seinen Grundsätzen (Anm. 177) spricht Quistorp sich noch für die alte Lösung aus (I §§ 450 ff. S. 698 ff. und I §§ 508 ff. S. 798 ff. ). Dagegen auch Wieland (Anm. 23) li §§ 512 ff. S. 228 ff., Cella (Anm. 246) § 98 S. l'n f., §§ 109 ff. S. 194 ff. und Marat (Anm. 118) S. 104 ff., Filangicri (Anm. 23) IV Kap. 50 S. 566 ff., 570 f. sowie Omclin (Anm. 22) §§ 131 f. S. 231 ff. 353

354 Vgl. SclVin (Anm. 46) I Kap. 3 Abschnitt 2 § 1 S. 187ff., § 2 S. 1% ff. und Quistorp (Anm. 131) Entwurf I §§ 167 ff. S. 187 ff.

m Vgl. Abhandlung S. 39 f., 79 ff. und 203 ff. sowie allgemein zur Beleidigung Karlhcinz Bartels, Die Dogmatik der EhiVerletzung in der Wissenschaft des gemeinen Rechts bis zum Ausklang des 18. Jahrhunderts und Helmut Rannachcr, Der Ehrenschutz in der Geschichte des deutschen Strafrechts von der Caro!ina bis zum Reichsstrafgesetzbuch von 1871, besonders S. 49-53.

120

B. Die Preisschrift und ihre Zugaben

auf die Ehre durch wörtliche bzw. schriftliche Erklärungen.356 Insoweit behält auch er die Differenzierung in Real- und Verbalinjurien be~ ohne jedoch näher auf diesen Unterschied einzugehen.m Die Strafbarkeit einer Injurie ist nur bei vorsätzlichen Taten gegeben.3~ Als Begehungsformen der Beleidigung nennt Globig im wesentlichen die Diffamierung einer Person mit Schimpfworten oder mit schimpflichen Hinweisen auf deren Gebrechen und die Erhebung eines Deliktsvorwurfs dem Betroffenen gegenüber entweder allein, im Beisein dritter oder in der Öffentlichkeit geäußert. Als qualifizierende Merkmale kommen Ort bzw. Zeit der Tathandlung oder eine Realisierung der Tat unter gleichzeitiger Verletzung anderer Pflichten in Betracht.339 Zudem gelangt Globig bei der Bestimmung des Wertes des Rechtsguts der Beleidigung - der Ehre - zu unterschiedlichen Ergebnissen, die jeweils von der gesellschaftlichen Stellung des Täters und seines Opfers abhängen. Ist der Täter eine angesehene Persönlichkeit, das Opfer dagegen nicht, so wiegt seine Tat schwerer als im umgekehrten Fall, da dem sozial nicht sehr geachteten Täter nicht viel Glauben geschenkt wird, seine Beschimpfung also keine große öffentliche Resonanz bat. Andererseits kann bereits eine nur geringfügige Beleidigung durch den gesellschaftlich niedriger Stehenden einen großen Schaden bewirken, da dem Vornehmen wesentlich mehr an seiner Ehre liegt.3ill Ebenso verhält es sich mit den verwirkten Strafen. Grundsätzlich wird das Prinzip der am Schaden orientierten wiedervergeltenden Sanktion beibehalten, so daß zum Beispiel das öffentliche anonyme Aufhängen einer Schmähschrift, das Aufhängen eines ebensolchen Zettels durch den Richter zur Folge hat, oder falls der Täter bekannt ist, die Tat durch eine öffentliche Beschimpfung seiner Person geahndet werden soll.361 Diese Grundsätze gelten aber nur insoweit, als der Täter und sein Opfer dem gleichen gesellschaftlichen Stande angehören. Anderenfalls ist der soziale Status des Opfers ausschlaggebend für die Art der Strafe und ihr

356 Im übrigen versteht Globig grundsätzlich alle Verbrechen als Beleidigung, so z.B. die Beleidigung der Ehre, der Freiheit, der Gesundheit und des Eigentums, vgl. Abhandlung S. 39, 41, 45. 357 Vgl. Abhandlung S. 206 (Beleidigung durch eine Ohrfeige). Hierzu besonders Barteis (Anm. 355) S. 132 ff. m.w.N. 3~

V gl. Abhandlung S. 203 und Wieland (Anm. 23) II §§ 497 S. 211 f.

339

Vgl. Abhandlung S. 204 ff.

Vgl. Abhandlung S. 204 f., 81 f., Olobig (Anm. 6) EntwurfS. 10, Filangieri (Anm. 23) IV Kap. 36 S. 193 ff., Kap. 52 S. 614 ff. und Omelin (Anm. 22) § 152 S. 270. 3(0

361

Vgl. AbhandlungS. 206 f.; gegen diese Strafart Omelin (Anm. 22) § 151 S. 269 Anm. o.

DI. Dogmatischer Teil

121

Ausmaß.36l Dies stellt für Globig jedoch keine Verletzung der Grundsätze von Verbrechen und Strafe dar. Vielmehr handelt es sich hier für ihn um verschiedene Delikte. Im Falle der außergerichtlichen Beschuldigung einer Person hinsichtlich eines vermeintlich begangenen Verbrechens soll- entsprechend der gerichtlichen Falschaussage - die Sanktion ein Viertel der Strafe des dem anderen zur Last gelegten Verbrechens betragen. Denn hier handelt es sich nicht um die Äußerung eines negativen Werturteils über eine Person, sondern vielmehr um die Behauptung einer ehrenrührigen Tatsache, die als "falsches ausser =gerichtliches Zeugniß" einen realen Schaden bewirkt.363 Auf die übrigen Möglichkeiten des Ehrenschutzes wie den Widerruf, die Ehrenerklärung oder die Abbitte geht Globig nicht ein. Eine vom Beleidigenden grundsätzlich zu zahlende Privatentschädigung in Geld lehnt er ab, da durch die öffentliche Sanktion dem Straferfordernis Genüge getan ist.364

bb) Verbrechen gegen das Vermögen (1) Entwendung

Globig wendet sich gegen die gemeinrechtliche Auffassung, die den Diebstahl als Vermögensdelikt ansah, und faßt ihn als Eigentumsdelikt auf.363 Er behält in etwa den weiten Begriff des furtum be~ indem er unter den Begriff der Entwendung alle diejenigen Handlungen subsumiert, die das Eigentumsrecht eines anderen beeinträchtigen, sei es durch Wegnahme einer fremden oder Nichtrückgabe einer gefundenen Sache, Veruntreuung anvertrauter Sachen oder auch durch betrügerische Handlungen.366 Dieb36l Vgl. Abhandlung S. 208 f. und oben B III, 1. b) bb) (3). Insoweit kann auf das oben Gesagte verwiesen werden. 363 Siehe Abhandlung S. 207, vgl. ebd. S. 207 ff.

364 Vgl. Abhandlung S. 210, Gmelin (Anm. 22) § 153 S. 274 ff. spricht sich für den Widerruf aus, ebenso von Sonnenfels (Anm. 23) I Kap. 6 § 301 S. 417 f., Quistorp (Anm. 131) Entwurf I § 276 S. 304 f. Zum Widerruf allgemein Hans He/flitz, Der geschichtliche Bestand und die legislative Verwertbarkeit von Widerruf, Abbitte und Ehrenerklärung. 363 Vgl. Abhandlung S. 214. Diese naturrechtliclte Betrachtungsweise des Diebstahls zeigt sich auch bei von Soden (Anm. 216) I §§ 307 ff. S. 346 ff. Allgemein zum Diebstahl vgl. Heinrich Janßen, Der Diebstahl in seiner Entwiclclung von der Carolina bis zum Ausgang des 18. Jahrhunderts.

366 Vgl. Abhandlung S. 214 ff., 222, vgl. hierzu HcinrichJoachim Wrede, Die Untreue von der Peinlichen Gerichtsordnung 1532 bis zum Strafgesetzbuch für das Deutsche Reich vom 15. Mai 1871, S. 51 ff. Ähnlich Gmelin (Anm. 22) §§ 93 ff. S. 189 ff. und von Soden (Anm. 216) I §§

122

B. Die Preisschrift und ihre Zugaben

stahl verwendet er oft als Synonym für Entwendung, manchmal aber auch als Unterfall derselben.367 Globig gibt eine konkrete Begriffsbestimmung der Entwendungen nur insoweit, als er sagt, sie sind "nur an beweglichen Gütern, und an solchen, die wirklich des Eigenthums fähig sind" möglich. Erforderlich ist jedoch eine Zueignungsabsicht.3611 Im übrigen zählt er nur die einzelnen Begehungsformen auf. Der gefährliche Diebstahl umfaßt demnach die Fälle des heimlichen Einsteigens und des Einbrechens mit falschen Schlüsseln. Ihm gleichgestellt wird der Vieh- und Felddiebstahl, der Kirchendiebstahl sowie der Diebstahl öffentlicher Geräte, der unter Ausnutzung von Gefahren begangene und der Haus- und Familiendiebstahl, welcher aber nur auf Antrag verfolgt werden soll.361 Bewaffneter Diebstahl wird nur insoweit berücksichtigt, als die mitgeführte Waffe nicht eingesetzt wird, anderenfalls handelt es sich um Raub. Als Grund für diese Qualifizierung verweist Globig auf die größere Wahrscheinlichkeit der Unvermeidbarkeil der Tat gegenüber der der einfachen Wegnahme. Ebenso strafbar wie der gefährliche Diebstahl ist "die Entwendung anvertrauten Guts", da der Betroffene fast keine Vorkehrungen zur Abwendung bzw. Verhinderung dieser Tat treffen kann.370 Die Entwendungen betrachtet er unter einem dreifachen Aspekt: dem des Gegenstandes des Tat, dem der Tathandlung und dem der Ausnutzung der besonderen Situation. Die den Entwendungen entsprechende Strafe ist für Globig die Geldstrafe.371 Er lehnt die bislang üblichen Todes- bzw. Schandstrafen mit dem Argument der wiedervergeltenden Strafe ab. Straftaten gegen das Eigentum 307 ff. S. 346 ff., die jedoch für die Untreue eine härtere Strafe fordern. Quistorp lehnt den römischrechtlichen Diebstahlsbegriff ab, vgl. Quistorp (Anm. 177) Grundsätze I § 341 S. 531, dcrs. (Anm. 131) Entwurf I§§ 179 ff. S. 203 ff. und Pflaum (Anm. 133) I§§ 140 ff. S. 135 ff. 367 Vgl. z.B. Abhandlung S. 212, ebenso z.B. im Falle des Betrup, der einen Eigentumsschaden hervorruft; als Gegensatz zur Fälschung vgl. Abhandlung S. 214, 222.

3611 Siehe Abhandlung S. 214. Vgl. zur Zueignunpabsicht Abhandlung S. 211, 217, Gmelin (Anm. 22) § 93 S. 189, Quistorp (Anm. 131) Entwurf I§ 179 S. 203, von Soden (Anm. 216) I § 307 S. 346, § 314 S. 351 und Servin (Anm. 46) I Kap. 5 Abschnitt 1 § 1 S. 339.

361 Vgl. Abhandlung S. 214 f., Vier Zugaben S. 207 ff. und zu den qualiftzierten Diebstahlsarten Janßen (Anm. 365) S. 104 ff., Quistorp (Anm. 131) Entwurf I §§ 191 ff. S. 214 ff. und Pflaum (Anm. 133) I § 143 S. 138 f., §§ 155 f. S. 149 ff.

370 Siehe Vier Zugaben S. 209, vgl. Abhandlung S. 216, Vier Zugaben S. 209, 213 und von So-

den (Anm. 216) I §§ 120 f. S. 156 ff., § 310 S. 346 ff. Wenn Wrede (Anm. 366) S. 54 sagt, Glo-

big habe in den Vier Zugaben das Strafmaß der Untreue gegenüber dem der Abhandlung erhöht, so ist dies in dem von ihm gemeinten Sinne unrichtig. Beide Male soll das Strafmaß dem des gefährlichen Diebstahls entsprechen. Richtig ist allerdings, daß Globig in den Vier Zugaben das Strafmaß für gefährlichen Diebstahl und damit indirekt auch für Untreue gegenüber dem in der Abhandlung vertretenen Strafmaß erhöht hat. 371 Vgl. hierzu Abhandlung S. 212 f., 83 ff. und zur Geldstrafe allgemein oben B III, 1. b) bb) (4). Zu den einzelnen Strafmodalitäten vgl. Janßen (Anm. 365) S. 73 ff., 91 ff., 123 ff., 145 ff., 156 ff. und 177 ff.

111. Dogmatischer Teil

123

und Vermögen eines anderen müßten mit Sanktionen gegen das Vermögen des Täters geahndet werden. Neben den Ersatz der gestohlenen Sache tritt somit als eigentliche Strafe die Geldbuße, deren Höhe die tatsächliche Schwere der Straftat widerspiegelt. Auch hier bieten die Abhandlung und die Vier Zugaben eine detaillierte Darstellung der den einzelnen Tatmodalitäten angepaßten Strafen.m (2) Brandstiftung

Die Brandstiftung gehört nach Globig zu der Gruppe der Sachbeschädigungen und wird unter dem Oberbegriff "bösliche Beschädigung der Güter" behandelt. Hierzu zählt ferner das Herbeiführen von Überschwemmungen und anderen Wasserkatastrophen sowie das Vergiften von Bienen oder Anzünden von Feldern und Wäldern.373 Diese Delikte werden aus Boshaftigkeit, d.h. nicht aus gewinnsüchtigen Motiven, begangen."" Charakteristisch für diese Gruppen von Verbrechen ist ihre Gemeingefährlichkeit. Auf einen eventuell tatsächlich entstandenen Schaden kommt es grundsätzlich nicht an, maßgeblich ist allein die abstrakte Gefahr, mit der Leib, Leben oder Eigentum anderer bedroht werden.'" Dies zeigt sich auch bei der Strafzumessung: "Die Grösse des Verbrechens ist bloß aus der Gefahr zu beurtheilen, nicht aus dem erfolgten Schaden".376 Unter Brandstiftung versteht Globig nur die nach heutigen Begriffen schwere Brandstiftung, das Inbrandsetzen von Häusern und Gebäuden, in denen sich Menschen aufzuhalten pflegen. Als einfache Brandstiftung bezeichnet er das Anzünden von Getreidefeldern und Wäldern.377 Mit der damals herrschenden Meinung stimmt Globig darin überein, daß das Delikt der Brandstiftung die Höchststrafe verdient.m Konsequent seinen Grundsätzen folgend spricht er sich jedoch gegen die Todesstrafe als Sanktion für 372 Vgl. Abhandlung S. 215 ff. und Vier Zugaben S. 214 ff. 373 Siehe Abhandlung S. 217, vgl. ebd. S. 217 ff., ebenso Filangieri (Anm. 23) IV Kap. 47 S. 475 f. Pilangieri selbst rechnet die Brandstiftung aber nicht zu der Orvppe der Sachbeschädigungen, vgl. IV Kap. 54 S. 666 ff.

374 Vgl. Abhandlung S. 210, 217, Gmelin (Anm. 22) §§ 86 f. S. 182 ff. und von Soden (Anm. 216) I § 314 S. 351. 373 Dieses Merkmal geht auf das gemeine Recht zurück, vgl. Oehler (Anm. 326) S. 61 m.w.N. Vgl. zur Geschichte der Brandstiftung: Paul Giese, Das Wesen der Brandstiftung in geschichtlicher Entwicklung.

376 Siehe Abhandlung S. 218, anders etwa Filangieri (Anm. 23) IV Kap. 47 S. 475, Servin (Anm. 46) I Kap. 3 Abschnitt 1 § 2 S. 181 f. und Pflaum (Anm. 133) I § 84 S. 78 f. 377

Vgl. Abhandlung S. 217, 219 f. Anm. •.

378 Vgl. z.B. Gmelin (Anm. 22) §90S. 185 ff.; dagegen Quistorp (Anm. 131) Entwurf I§ 115 S. 130 ff., der die härteste Strafe nur für den Fall fordert, daß ein Mensch getötet worden sei.

124

B. Die Preisschrift und ihre Zugaben

das Feuerlegen aus. Ein Brandstifter verwirkt daher - ohne Rücksicht auf den tatsächlich entstandenen Schaden - die ewige Knechtschaft, verbunden mit harter Arbeit und körperlicher Züchtigungen. Diese Strafe entfällt nur dann, wenn der Täter nachweisen kann, daß durch sein Handeln allein sein persönliches Eigentum betroffen wurde.m Die übrigen Fälle von Brandstiftung, die keine unmittelbare Gefahr für Leib und Leben hervorrufen, sollen durch Ableistung öffentlicher Arbeiten gesühnt werden.:Ia) Die Unterscheidung in Brandstiftung und Mordbrand als Untergruppe ein und desselben Deliktes lehnt Globig ab. Er versteht unter letzterem eine Brandstiftung, die in der Absicht erfolgt, ein anderes Verbrechen, z.B. einen Diebstahl zu begehen.38t Die hierdurch bedingtet Qualifizierung der Brandstiftung, die im gemeinen Recht die härteste Strafe bewirkte, ergibt sich für Globig daher nicht. Er geht davon aus, daß es sich in solchen Fällen um zwei verschiedene Delikte handelt, die beide die ihnen entsprechende Strafe nach sich ziehen.382 bc) Verbrechen gemischter Art Die dritte Gruppe von Verbrechen sind die gemischten Verbrechen. Unter diese Rubrik fallen alle diejenigen Straftatbestände, die nicht eindeutig einer der beiden anderen Gruppen zugeordnet werden können. Ursache hierfür kann zweierlei sein: entweder es handelt sich um Verbrechen mit unbestimmtem Verbrechensobjekt, oder ihre tatbestandliehe Fassung erlaubt nicht nur eine sondern mehrere Möglichkeiten der Schadenszufügung.383 In dieser Gruppe behandelt Globig neben Betrug und Raub auch gewisse fleischliche Verbrechen sowie die Zauberei. (1) Betrug Globig verwendet noch nicht den Terminus Betrug, sondern spricht von "Betrügereyen".384 Hieran läßt sich bereits deutlich erkennen, daß der erst im 19. Jahrhundert entstandene Betrugsbegriff ihm noch völlig fremd ist. Er 379 Dies soll eine Polizeistrafe wegen vorsätzlicher Verschwendung nach sich ziehen, vgl. AbhandlungS. 219. :Ia)

381

Vgl. ebenso Quistorp {Anm. 131) Entwurf I§ 116 S. 132. Vgl. Abhandlung S. 219 und Quistorp {Anm. 1Tl) Grundsitze I § 198 S. 309 f.

382 Vgl. Abhandlung S. 219, dagegen z.B.

383 384

Wieland (Anm. 23) II § 493 S. 207 f.

V gl. Abhandlung S. 220. Siehe Abhandlung S. 222, vgl. auch Quistorp (Anm. 177) Grundsätze I § 405 S. 636 f.

111. Dogmatischer Teil

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versteht "Betrügerey'' noch als eine Art Auffangtatbestand, der immer dann herangezogen wird, wenn die schädigende Handlung nicht eindeutig einem bestimmten Straftatbestand zugeordnet werden kann.383 Ein Fall der "Betrügerey'' muß nicht unbedingt einen Vermögensschaden aufweisen, erforderlich ist nur eine Täuschungs- oder Fälschungshandlung.386 Der Kreis, der diese Delikte umfaßt, ist groß. Sie stellen für Globig zwar grundsätzlich eine selbständige Gruppe dar, sind jedoch oft so sehr mit einem anderen Delikt verbunden, daß er sie meist doch diesen zuordnet und dort behandelt, wie z.B. diejenigen Handlungen, die einen Vermögensschaden bewirken, bei den Entwendungen.387 Zurück bleiben daher nur die Delikte, die aufgrund einer Verfälschung oder Treulosigkeit beim Opfer zu einem Körperschaden oder gar Freiheitsentzug führen. Hierher gehören z.B. ein bewußtes Falschurteil eines Richters- dies zählt an und für sich als Amtsmißbrauch zu den Staatsverbrechen- , falsche Zeugenaussagen und der Meineid.388 Das Strafmaß bestimmt sich nach dem Grundsatz der Wiedervergeltung, d.h. der Zeuge muß z.B. die Strafe verbüßen, zu der der von ihm zu Unrecht Beschuldigte verurteilt worden wäre, nur daß die Strafe in diesem Fall um ein Viertel zu erhöhen ist.389

(2) Raub Im ausgehenden 18. Jahrhundert wird der Raub verstanden als Gewalt gegen Personen zur Ermöglichung der Wegnahme einer fremden bewegli383 So sagt er: "Diese sind von einem so weitläufigen Umfange, daß man ihre Anzahl und Verschiedenheit unmöglich bestimmen kann, da sie sich auf alle Classen der Verbrechen erstrekken•, siehe Abhandlung S. 222. Zum Betrug und seiner Geschichte allgemein vgl. Friedrich Schaffstein, Das Delikt des Stellionalus in der gemeinrechtlichen Strafrechtsdoktrin, in: ders., Abhandlungen zur Strafrechtsgeschichte und zur Wissenschaftsgeschichte, S. 171 ff., Wolfgang Kausch, Die Entwicklung des Falsum von der Carolina bis zur Partikulargesetzgebung der Aufklärung, Sigrid Susanne Schütz, Die Entwicklung des Betrugsbegriffs in der Strafgesetzgebung vom Codex Juris Bavarici Criminalis (1751) bis zum Preußischen Strafgesetzbuch (1851) und AICXJJnder Grafzu Dohna, Erpressung und Betrug seit dem Zeitalter der Aufklärung, in: Festschrift Adolf Zycha, S. 469 ff. 386 Vgl. Abhandlung S. 222. Ebenso Quistorp (Anm. 131) Entwurf I§ 203 S. 226 ff. und Wieland (Anm. 23) II § 480, 482 f. S. 190 ff.; anders etwa Gmelin (Anm. 22) § 12 S. 22, § 93 S. 189, §§ 106 ff. S. 205 ff. und von Soden (Anm. 216) I §§ 347 ff. S. 382 ff., für die Betrug nur eine Verletzung des Vermögens in Vorteilsabsicht ist und die ihn daher als Parallele zum Diebstahl behandeln. Vgl. auch Pflaum (Anm. 133) I§§ 163 ff. S. 157 ff. 387 Vgl. Abhandlung S. 222 und oben B 111, 3. b) bb) (1); ebenso zählt er hinterlistige Taten, z.B. den hinterlistigen Mord, grundsätzlich zu den "Betrügereyen". 388 Vgl. Abhandlung S. 224, 175; Gmelin (Anm. 22) §§ 116 f. S. 214 ff. faßt die beiden letztgenannten als "Beschädigung des Vermögens durch Eigennutz" auf; vgl. bzgl. des Meineids Filangieri (Anm. 23) IV Kap. 44 S. 361, der den Meineid unter die Verbrechen gegen Gott zählt. Allgemein dazu Franz von Liszt, Meineid und falsches Zeugnis, S. 128 ff. 389 Vgl. Abhandlung S. 224.

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B. Die Preisschrift und ihre Zugaben

eben Sache.l!lO Diesem Verständnis war eine durch das Naturrecht bedingte Veränderung vorausgegangen.391 Hatte das gemeine Recht den Raub noch als Verbrechen gegen das Gemeinwesen und den öffentlichen Frieden, also nicht so sehr als diebstahlsähnliche Tat, gesehen, so erlaubte erst die dem Naturrecht eigene Bewertung der Tat nach dem durch sie verletzten Objekt eine Zuordnung des Raubes - als gegen das Privateigentum gerichtete Tat zu den Verbrechen gegen die Person des Bürgers.m Der Angriff auf das Eigentum eines anderen blieb fortan maßgebliches Kriterium der Tat, allerdings wurde der Verletzung von Persönlichkeitsrechten wie Gesundheit und Freiheit wesentlich mehr Gewicht beigemessen.393 So entwickelt sich im Laufe der Zeit die Gewaltanwendung gegen Personen vom rein technischen Unterscheidungskriterium des Raubes vom Diebstahl zum wesentlichen Merkmal der Strafbarkeit des Raubes.394 Globig trägt dieser Erkenntnis sogar insoweit Rechnung, als er den Raub als gemischtes Verbrechen einstuft: "Wer seinen Mitbürger mit Gewalt beraubet, der begehet ein doppeltes Verbrechen; er beleidiget die Freyheit und das Eigenthum. Kommt noch eine körperliche Verletzung dazu, so wird die Uebeltat dreyfach".39' Für ihn erfordert der Tatbestand des Raubes notwendig eine Verletzung und nicht nur eine Gefährdung eines Persönlichkeitsrechts.396 Er kennt drei grundsätzliche Begehungsformen des Deliktes Raubes: Gewaltsame Wegnahme einer Sache ohne Körperverletzung, gewaltsame Wegnahme einer Sache mittels Körperverletzung, die jedoch keine offene Wunde zur Folge hat, und Wegnahme einer Sache unter Einsatz tödlicher Waffen.:m Diesen letzten Fall bezeichnet er, soweit die Wegnahme noch nicht erfolgt ist, als versuchten Straßenraub und nimmt dieses Delikt l!lO Vgl. etwa Abhandlung S. 225 und Quistorp (Anm. 171) Grundsätze I§ 396 S. 623 f. 391 Vgl. hierzu und zur Geschichte des Raubes allgemein Michael Landmesser, Der Raub von

der Carolina bis zum bayerischen Strafgesetzbuch von 1813 und Friedeich Schaffstein, Raub und Erpressung in der deutschen gemeinrechtlichen Strafrechtsdoktrin, insbesondere bei Carpzow, in: ders., Abhandlungen zur Strafrechtsgeschichte und zur Wissenschaftsgeschichte, S.139 ff. 392

Vgl. Landmesser (Anm. 391) S. 82 ff.

Vgl. zur Entwicklung dieser Rechte zu Schutzobjekten des öffentlichen Strafrechts oben B 111, 3. b) ba) (2). 393

394 Vgl. Landmesser (Anm. 391) S. 85 f., von Soden (Anm. 316) I§ 337 S. 375 f.

395 Siehe Abhandlung S. 225 i.V.m. S. 220; ebenso von Soden (Anm. 216) I § 337 S. 375 f. Gmelin (Anm. 22) § 125 S. 225 f. und Wieland (Anm. 23) II §§471 f. S. 178 ff. sehen den Raub als Fall des Diebstahls, sie stellen also für seine systematische Stellung allein auf die Verletzung des Eigentums ab.

396 Anders aber Quistorp (Anm. 171) Grundsätze I § 399 S. 626 ff. und ders. (Anm. 131) Entwurf I § 162 S. 183 ff., der auch eine konkrete Gefährdung ausreichen läßt. :m Vgl. Abhandlung S. 225.

Ill. Dogmati&cber Teil

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als Maßstab fiH' ~ein~ ßtrafzumessung.398 Der versuchte Straßenraub soll eine 15jährig~ ~~cl!-t~~aft und körperliche Züchtigungen verwirken. Dieses Strafmaß l:fllrf ~~·~h des Raubes nur dann überschritten werden, wenn die WegQ@me b~~p~et ist.399 Dies bewirkt eine Erhöhung der Strafe um dies des gefährJj.~hetl [)iebstahls.~ (3) Gewalttätigkeiten

Einen eigenen Abschnitt widmet Globig den Gewalttätigkeiten. Darunter versteht er im wesentlichen die unrechtmäßige gewaltsame Verdrängung aus unbeweglichem Besitztum. Durch diese Handlung wird zugleich das Rechtligut des Vermögens und das der Ehre beeinträchtigt,40t Globig folgt zwar dem römischen Recht insoweit, als er konstatiert, daß nur bewegliche Sachen Gegenstand einer Entwendung sein können, jedoch hält er auch "eine Beraubung des eigenthümlichen Nießbrauchs" für möglich.4112 Eine weitere Form dieser Deliktart sieht er etwa in dem gewaltsamen Eindringen in ein Haus, um dessen Bewohner beschimpfen zu können. Die Strafe für diese Tat ist entsprechend ihrem Wesen eine Z\JSainmengesetzte. Als Minimum verlangt Globig eine einjährige Knechtschaft, jeweils kombiniert mit den in Betracht kommenden Strafen für Diebstahl, soweit Entwendungen vorliegen, bzw. den Sanktionen, die Handlungen gegen kör· perliehe Integrität und persönliche Freiheit nach sich ziehen.403 Die Strafe der Knechtschaft steht in diesem Fall für die diesen Straftaten innewohnende eigene Gewaltanwendung bei der Tatausfühnmg.

398 Vgl. Abhandlung S. 225 i.V.m. S. 186 f. sowie oben B 111, 3. b) ba) (1) S. 116. Hier läßt sich erkennen, daß sich Globig doch noch nicht völlig von dem gemeinrechtlichen Verständnis des Raubes als Verstoß gegen den öffentlichen Frieden gelöst hat, vgl. Abhandlung S. 187. Ähnlich auch von Dalberg, vgl. Rehbach (Anm. 178) S. 118; vgl. allgemein hierzu auch R.adbntdl I Owinner (Anm. 337) S. 279 ff. 399 Das Strafmaß liegt damit deutlich höher als beim Diebstahl, ebenso Gmelin (Anm. 22) § 12 S. 22, von Soden (Anm. 216) I §§ 337 f. S. 375 ff., anders jedoch von Dalberg, vgl. Rehbach (Anm. 178) S. 118 und Wieland (Anm. 23) li § 468 S. 173 ff. ~

Vgl. Abhandlung S. 225 i.V.m. 186 f., 215.

401 Vgl. Abhandlung S. 225 i.V.m. 186 f., 215.

402 Siehe Abhandlung S. 226. Nach einigen deutschrechtlichen Quellen wurde gewaltsame In· besitznahme von Immobilien gleich dem Raub geahndet, vgl. Rudolf His, Das Strafn:~;ht des deutschen Mittelalters, 2. Teil S. 216 f.

403 Vgl. Abhandlungen S. 226 i.V.m. Vier Zugaben S. 477 f. p. 226 I. 8 v. u., wo Olobig die noch in der Preisschrift geforderte fünfjährige Knechtschaft als zu hart zurücknimmt.

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8. Die Preisschrift und ihre Zugaben

(4) Ehe- und Sittlichkeitsdelikte

Eine in sich geschlossene Gruppe unter den gemischten Verbrechen bilden die Ehe- und Sittlichkeitsdelikte. Bedingt durch die Säkularisierung des Strafrechts schrumpften diese auf ein Minimum zusammen. Globig beschränkt sie gar auf nur drei Delikte: Ehebruch, Bigamie und Notzucht.404 Die Ehe wird durch einen Vertrag geschlossen, der sowohl privatrechtliebe als auch staatliche Elemente enthält.4()j Zu letzteren gehört insbesondere die Reglementierung des "beständigen Trieb[es] zum grösten sinnlichen Vergnügen", des Geschlechtstriebes.406 Dies hat zur Folge, daß die Eheschließung, wie auch deren Scheidung von staatlicher Erlaubnis bzw. Zustimmung abhängig ist. Der Ehebruch beinhaltet ein zweifaches Verbrechen: Zum einen wird die Ehre des betrogenen Ehegatten verletzt und zum anderen sein Eigentum. Hierunter versteht Globig das moralische Eigentum, das beide Eheleute sich durch ihr gegenseitiges Versprechen einer ausschließlichen Liebe geschenkt haben.407 Die Strafe soll demzufolge ebenfalls aus zwei Komponenten bestehen: der Schandstrafe, etwa dem Tragen eines bestimmten Zeichens, und einer zehnjährigen Knechtschaft. In den Vier Zugaben nimmt Globig jedoch letztere mit dem Hinweis zurück, eine freiheitsentziehende Maßnahme könne nur bei freiheitsberaubenden Verbrechen Anwendung fmden. Stattdessen will er nur die Schandstrafe verhängen und zwar durch Beraubung aller bürgerlichen Vorzüge auf Lebenszeit sowie durch Tragen eines entehrenden Zeichens, wobei diese Sanktionen sowohl für die Verletzung des Staatsvertrages als auch für die Ehrverletzung gelten sollen:~a~ 404 Vgl. Abhandlung S. 229 ff. Eine völlige StrafiOilpciJ der übrigen Sittlichkeitlidelikte, die bisher zu den Verbrechen zählten, soll jedoch nicht eintreten. Die meisten werden wegen der von ihnen ausgehenden Gefahr für die Öffentlichkeit der Polizeigerichtsbarkeit zugewiesen, vgl. Abhandlung S. 241 ff., Vier Zugaben S. 305 ff. ~II• (Anm. 246) § 19 S. 26 ff., §§ 23 f. S. 32 ff. und § 59 S. 91 ff. möchte alle Sittlichkeitsdelikte nur noch ala Polizeivergehen geahndet wissen. 4()j Cella (Anm. 246) § 65 S. 101 läßt nur die privatrechtliche Seite gelten, ebell$0 Rathlef (Anm. 59) S. 40, Gmelin (Anm. 22) § 133 S. 234 ff., Wieland (Anm. 23) II § 502 S. 217 f., § 506 S. 221. Vgl. auch Servin (Anm. 46) I Kap. 4 Abschnitt 2 § 1 S. 233 ff., Quistorp (Anm. 131) Entwurf I § 289 S. 318 f. und Pflaum (Anm. 133) I § 201 S. 190 f. 406

Siehe Abhandlung S. 227.

407

Vgl. Abhandlung S. 231, Vier Zugaben S. 204.

o4al Vgl. Abhandlung S. 231 i.V.m. Vier Zugaben S. 204 ff. Für eine insgesamt mildere Bestrafung als bisher sprechen sich u.a. Quistorp (Anm. 131) Entwurf I § 290 S. 319 und Wieland (Anm. 23) II § 508 S. 223 f. aus; für eine härtere dagegen (}me/in (Anm. 22) §§ 133 ff. S. 234 ff., §§ 139 ff. S. 246 ff., Filangieti (Anm. 23) IV Kap. 47 S. 493 ff., Kap. 50 S. 573 ff., 5n f., Rathlcf (Anm. 59) S. 48 und Servin (Anm. 46) I Kap. 4 Abschnitt 2 § 1 S. 237.

W.. Dogmatischer Te i1

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Neben diese staatlichen S.trafen tritt natürlich noch der Anspruch des Opfers auf Entschädigung, welchen Globig als das gt~eigneteste Mittel zur Verhütung des Ehebruchs ansieht, da dieser Dleist von begüterten Bürgern verübt we·;de.~ Die Entschädigung setzt sich folge' adermaßen zusammen: Der betrogc~ne Eitegatte hat einen Anspruch auf dif; Scheidung der Ehe sowie auf de1n Anteil am Vermögen des Ehegatten, der ihm im Erbfall zugestanden hHtte. Zudem ist d