Die Abgrenzung von Gesellschafts- und Insolvenzstatut im Lichte des Kornhaas-Urteils des EuGH [1 ed.] 9783428587605, 9783428187607

Aus der liberalisierten Gesellschaftsmobilität folgt ein Neben- und Miteinander von Gesellschafts und Insolvenzrecht in

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German Pages 310 [311] Year 2023

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Die Abgrenzung von Gesellschafts- und Insolvenzstatut im Lichte des Kornhaas-Urteils des EuGH [1 ed.]
 9783428587605, 9783428187607

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Beiträge zum Europäischen Wirtschaftsrecht Band 84

Die Abgrenzung von Gesellschaftsund Insolvenzstatut im Lichte des Kornhaas-Urteils des EuGH Von

Bertram Bombe

Duncker & Humblot · Berlin

BERTRAM BOMBE

Die Abgrenzung von Gesellschafts- und Insolvenzstatut im Lichte des Kornhaas-Urteils des EuGH

Beiträge zum Europäischen Wirtschaftsrecht Begründet von Professor Dr. Wolfgang Blomeyer † und Professor Dr. Karl Albrecht Schachtschneider

Band 84

Die Abgrenzung von Gesellschaftsund Insolvenzstatut im Lichte des Kornhaas-Urteils des EuGH Von

Bertram Bombe

Duncker & Humblot · Berlin

Der Fachbereich Rechtswissenschaft der Friedrich-Alexander-Universität Erlangen-Nürnberg hat diese Arbeit im Jahre 2022 als Dissertation angenommen.

Bibliografische Information der Deutschen Nationalbibliothek Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über http://dnb.d-nb.de abrufbar.

D29 Alle Rechte vorbehalten © 2023 Duncker & Humblot GmbH, Berlin Satz: 3w+p GmbH, Rimpar Druck: CPI books GmbH, Leck Printed in Germany ISSN 0947-2452 ISBN 978-3-428-18760-7 (Print) ISBN 978-3-428-58760-5 (E-Book) Gedruckt auf alterungsbeständigem (säurefreiem) Papier entsprechend ISO 9706

Internet: http://www.duncker-humblot.de

Meinen Eltern

Vorwort Diese Arbeit entstand berufsbegleitend neben meiner Tätigkeit als Rechtsanwalt. Sie wurde im Sommersemester 2022 vom Fachbereich Rechtswissenschaft der Friedrich-Alexander-Universität Erlangen-Nürnberg als Dissertation angenommen. Literatur und Rechtsprechung sind bis einschließlich Juni 2021 berücksichtigt. Mein herzlicher Dank gilt Herrn Professor Dr. Jochen Hoffmann für die Förderung des Promotionsvorhabens, die Anregungen zur Themenfindung und die hervorragende wissenschaftliche Betreuung. Mit seinen förderlichen Anmerkungen und Hinweisen sowie seiner allzeitigen Diskussions- und Hilfsbereitschaft hat Herr Professor Dr. Jochen Hoffmann entscheidend zum Gelingen dieser Arbeit beigetragen. Herrn Professor Dr. Robert Freitag, Maître en droit (Bordeaux), danke ich für die zügige Erstellung des Zweitgutachtens sowie für das angenehme Prüfungsgespräch. Während meines Jurastudiums hat er mein Interesse am wissenschaftlichen Arbeiten geweckt. Auch hierfür gilt ihm mein Dank. Darüber hinaus danke ich den Personen in meinem privaten Umfeld für die Unterstützung und das entgegengebrachte Verständnis während des Entstehungsprozesses dieser Arbeit. Da Eure Unterstützung auf ganz individuelle Weise erfolgte, soll Euch mein Dank persönlich erreichen. Für die kritische Durchsicht des Manuskripts und die vielen wertvollen Hinweise sowie anregenden Gespräche möchte ich Herrn Dr. Sebastian Ernst meinen Dank aussprechen. Mein größter Dank gilt schließlich meinen Eltern, die mich seit jeher in allen Lebenslagen in jeder erdenklichen Weise unterstützt haben. Ich danke Euch für Euren bedingungslosen Rückhalt, der mir meinen Weg ermöglicht. Ludwigsburg, im Dezember 2022

Bertram Bombe

Inhaltsübersicht 1. Kapitel Einleitung

27

§ 1 Historische Entwicklung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 27 § 2 Gegenstand und Gang der Untersuchung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 29

2. Kapitel Rechtlicher Rahmen zur Abgrenzung von Gesellschafts- und Insolvenzstatut

31

§ 3 Kollisionsrechtliche Grundlagen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 32 A. Rechtsquellen des IPR . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 32 B. Auslegung europäischen Kollisionsrechts . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 49 C. Qualifikation . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 51 D. Statutenwechsel . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 63 E. Substitution . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 64 F. Sonderanknüpfung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 65 § 4 Primärrechtliche Grundlagen des europäischen Gesellschaftsrechts . . . . . . . . . . . . . 67 A. Niederlassungsfreiheit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 67 B. Internationale Sitzverlegung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 73

3. Kapitel Die Rechtssache Kornhaas

79

§ 5 Gegenstand und Inhalt der Kornhaas-Entscheidung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 81 A. Geltendmachung nationaler Organhaftung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 82 B. Sachverhalt und Verfahrensgang . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 84 § 6 Kollisionsrechtliche Einordnung der Kornhaas-Entscheidung . . . . . . . . . . . . . . . . . . 88 A. Qualifikation des EuGH . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 88 B. Maßgebliche Kollisionsregeln . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 90 C. Konturierung insolvenzrechtlicher Qualifikationskriterien . . . . . . . . . . . . . . . . . . 100 D. Ergebnis der kollisionsrechtlichen Einordnung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 128

10

Inhaltsübersicht

§ 7 Primärrechtliche Einordnung der Kornhaas-Entscheidung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 131 A. Begrenzung des Schutzbereichs der Niederlassungsfreiheit durch Kornhaas . . . 132 B. Übertragung der Keck-Rechtsprechung auf die Niederlassungsfreiheit . . . . . . . . 134 C. Insolvenzspezifische Regelungen im Verhältnis zur Niederlassungsfreiheit . . . . 141 D. Ergebnis der primärrechtlichen Einordnung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 143

4. Kapitel Ausformung allgemeiner Qualifikations- und Abgrenzungskriterien

144

§ 8 Entwicklung allgemeiner Prinzipien der insolvenzrechtlichen Zuordnung . . . . . . . . 145 A. Aussagegehalt der aktuellen EuGH-Rechtsprechung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 145 B. Entwicklung spezifischer Qualifikations- und Abgrenzungskriterien . . . . . . . . . . 159 § 9 Differenzierende Systematik . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 182 A. Gleichlaufgrundsatz als Ausgangspunkt . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 183 B. Differenzierende Anwendung des Insolvenzstatuts . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 193 C. Kollisionsrechtlicher Mechanismus zur Anspruchsverknüpfung . . . . . . . . . . . . . 194 D. Multifunktionalität auf kollisionsrechtlicher Ebene . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 196

5. Kapitel Anwendung der Qualifikations- und Abgrenzungsmaxime

202

§ 10 Grenzzeichnung – Maßgebende Qualifikations- und Abgrenzungskriterien . . . . . . . 202 A. Verhältnis von Anknüpfung und Zuständigkeit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 203 B. Insolvenzrechtliche Qualifikation als Ausgangspunkt . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 204 C. Ausdehnung des Insolvenzstatuts . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 205 § 11 Qualifikation und kollisionsrechtliche Einordnung nationaler Haftungsinstrumente 208 A. Innenhaftung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 208 B. Einordnung der Insolvenzantragspflicht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 220 C. Außenhaftung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 225 D. Haftungsinstrumente unter dem präventiven Restrukturierungsrahmen des StaRUG . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 235 § 12 Gläubigerschutz unter rechtsvergleichender Perspektive . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 255 A. Irische Haftungsinstrumente . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 256 B. Französisches Insolvenzrecht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 270

Inhaltsübersicht

11

6. Kapitel Zusammenfassung der Erkenntnisse

275

§ 13 Konklusion . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 275 § 14 Zusammenfassung der wichtigsten Thesen der Untersuchung . . . . . . . . . . . . . . . . . . 278 Literaturverzeichnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 282 Stichwortverzeichnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 308

Inhaltsverzeichnis 1. Kapitel Einleitung

27

§ 1 Historische Entwicklung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 27 § 2 Gegenstand und Gang der Untersuchung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 29

2. Kapitel Rechtlicher Rahmen zur Abgrenzung von Gesellschafts- und Insolvenzstatut

31

§ 3 Kollisionsrechtliche Grundlagen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 32 A. Rechtsquellen des IPR . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 32 I. Kollisionsnorm und Anknüpfungstechnik im IPR . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 33 1. Anknüpfungsgegenstand und Anknüpfungsmoment . . . . . . . . . . . . . . . . . 33 2. Unterschiede in der Art der Verweisung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 34 II. Europäische Kollisionsrechtsquellen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 35 1. Internationales Gesellschaftsrecht als Teil des IPR . . . . . . . . . . . . . . . . . . 35 a) Quellen des europäischen Gesellschaftsrechts . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 35 aa) Primärrecht und EuGH-Judikatur für Außengesellschaften . . . . . . 35 bb) Gründungstheorie für EU-Auslandsgesellschaften . . . . . . . . . . . . . 36 cc) Einheitsstatut als Folge des Übergangs zur Gründungstheorie . . . . 37 b) Klassische kollisionsrechtliche Methode oder Prinzip der Anerkennung? . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 38 aa) Begriff der Anerkennung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 38 bb) Grundlage für das Anerkennungsprinzip . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 39 cc) Absage an das Anerkennungsprinzip . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 39 2. Internationales Insolvenzrecht als Teil des IPR . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 40 a) Europäisches Insolvenzrecht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 41 b) Bestimmung des anwendbaren Rechts . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 42 aa) Art. 3 EuInsVO . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 43 bb) Art. 7 EuInsVO . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 44 3. Internationales Deliktsrecht als Teil des IPR . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 45 a) Europäisches Deliktsrecht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 46 aa) Anknüpfungssystem . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 46

14

Inhaltsverzeichnis bb) Art. 4 Rom II-VO . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 47 b) Zuständigkeit nach der Brüssel Ia-VO . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 47 aa) Anwendungsbereich . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 47 bb) Internationale Zuständigkeit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 48 B. Auslegung europäischen Kollisionsrechts . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 49 I. Autonome Auslegung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 49 II. Auslegungsmethode . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 50 C. Qualifikation . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 51 I. Begriff und Gegenstand der Qualifikation . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 51 1. Begriff der Qualifikation . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 52 2. Gegenstand der Qualifikation . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 53 II. Qualifikationsstatut . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 54 1. Qualifikationstheorien des autonomen deutschen IPR . . . . . . . . . . . . . . . . 54 2. Autonome europäische Qualifikationsmethode . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 55 III. Doppel- und Mehrfachqualifikation . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 56 IV. Qualifikation im Gesellschafts-, Insolvenz- und Deliktsrecht . . . . . . . . . . . . 58 1. Gesellschaftsrechtliche Qualifikation . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 58 2. Insolvenzrechtliche Qualifikation . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 59 3. Deliktsrechtliche Qualifikation . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 61 D. Statutenwechsel . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 63 E. Substitution . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 64 I. Voraussetzungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 64 II. Anwendungsbereich im haftungsrechtlichen Kontext . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 65 F. Sonderanknüpfung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 65

§ 4 Primärrechtliche Grundlagen des europäischen Gesellschaftsrechts . . . . . . . . . . . . . 67 A. Niederlassungsfreiheit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 67 I. Inhalt der Niederlassungsfreiheit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 68 1. Primäre und sekundäre Niederlassungsfreiheit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 68 2. Niederlassungsfreiheit als Kollisionsnorm . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 69 II. Niederlassungsfreiheit als Diskriminierungs- und Beschränkungsverbot . . . . 70 1. Vom Diskriminierungs- zum allgemeinen Beschränkungsverbot . . . . . . . . 71 2. Konkretisierung des niederlassungsrechtlichen Beschränkungsbegriffs . . 71 III. Rechtfertigung von Beschränkungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 72 B. Internationale Sitzverlegung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 73 I. Grundlagen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 74 1. Statuswahrende Verwaltungssitzverlegung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 75 2. Formwechselnde Satzungssitzverlegung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 76 II. Fortentwicklung durch Kornhaas? . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 78

Inhaltsverzeichnis

15

3. Kapitel Die Rechtssache Kornhaas

79

§ 5 Gegenstand und Inhalt der Kornhaas-Entscheidung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 81 A. Geltendmachung nationaler Organhaftung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 82 I. Regelungsgehalt und Zielsetzung des § 64 S. 1 GmbHG a. F. . . . . . . . . . . . . 82 II. Konzentration des Zahlungsverbots nach Insolvenzreife in § 15b InsO . . . . . 83 B. Sachverhalt und Verfahrensgang . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 84 I. Nationaler Entscheidungsgang . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 84 II. Kornhaas-Entscheidung des EuGH . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 86 1. Zur ersten Vorlagefrage . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 86 2. Zur zweiten Vorlagefrage . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 87 § 6 Kollisionsrechtliche Einordnung der Kornhaas-Entscheidung . . . . . . . . . . . . . . . . . . 88 A. Qualifikation des EuGH . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 88 I. Auslegungskompetenz . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 88 II. Funktional-teleologische Qualifikation . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 89 B. Maßgebliche Kollisionsregeln . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 90 I. Internationale Eröffnungszuständigkeit, Art. 3 EuInsVO . . . . . . . . . . . . . . . . 90 II. Anwendbares Recht, Art. 7 EuInsVO . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 91 1. Bestimmung des Insolvenzbereichs . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 91 2. Verfahrenseröffnung als Anwendungsvoraussetzung des Art. 7 Abs. 1 EuInsVO? . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 92 a) Meinungsstand in der Literatur . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 93 b) Keine Voraussetzung für die Anknüpfung nach Art. 7 Abs. 1 EuInsVO 94 3. Geltendmachung durch den Insolvenzverwalter als Qualifikationsvoraussetzung? . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 97 III. Zwischenergebnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 100 C. Konturierung insolvenzrechtlicher Qualifikationskriterien . . . . . . . . . . . . . . . . . . 100 I. Kasuistik des EuGH . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 100 1. Grundlagenentscheidung Gourdain/Nadler . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 101 2. Zunehmende Konturierung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 102 a) Bestätigung der Grundlagenentscheidung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 102 b) Intensive oder extensive Interpretation des Insolvenzbereichs . . . . . . . 103 c) Weites Verständnis des Insolvenzbereichs . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 104 d) Zusammenfassung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 106 II. Abgrenzung nach den Zuständigkeitsregeln der Brüssel Ia-VO und EuInsVO 107 1. Grundlegende Systematik . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 107 2. Gleichlauf von internationaler Zuständigkeit und dem auf Insolvenzverfahren anwendbaren Recht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 109

16

Inhaltsverzeichnis 3. Gleichlauf von internationaler Zuständigkeit und anwendbarem Recht bei Annexverfahren . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 111 a) Auslegungszusammenhang zwischen Art. 6 Abs. 1 und Art. 7 EuInsVO 111 b) Folgerungen aus der Kornhaas-Entscheidung und weiterer Rechtsprechung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 113 aa) Gleichlauf bei der Anknüpfung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 113 bb) Fehlender Gleichlauf bei der Zuständigkeit . . . . . . . . . . . . . . . . . . 116 cc) Auseinanderfallen von Qualifikation und Zuständigkeit . . . . . . . . . 120 c) Zusammenfassung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 121 4. Zwischenergebnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 122 III. Anknüpfung an die Insolvenz als materielle Qualifikationsvoraussetzung . . 123 1. Eintritt eines Insolvenzgrundes als Anspruchsvoraussetzung . . . . . . . . . . 124 2. Reichweite des Qualifikationskriteriums . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 125 a) Kein Erfordernis weiterer materieller Anforderungen . . . . . . . . . . . . . . 125 b) Keine Wertungsparallele zu Insolvenzanfechtungsklagen . . . . . . . . . . . 126 c) Ermittlung des Bezugspunkts bei „generalklauselartigen“ Anspruchsgrundlagen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 126 D. Ergebnis der kollisionsrechtlichen Einordnung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 128 I. Argumentationslinie des EuGH in Kornhaas . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 129 II. Schlussfolgerungen für die Qualifikation . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 129 III. Erforderlichkeit der Weiterentwicklung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 130

§ 7 Primärrechtliche Einordnung der Kornhaas-Entscheidung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 131 A. Begrenzung des Schutzbereichs der Niederlassungsfreiheit durch Kornhaas . . . 132 B. Übertragung der Keck-Rechtsprechung auf die Niederlassungsfreiheit . . . . . . . . 134 I. Beschränkung der Niederlassungsfreiheit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 135 1. Diskriminierungsverbot . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 135 2. Allgemeines Beschränkungsverbot . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 136 II. Eingrenzung des niederlassungsrechtlichen Beschränkungsbegriffs . . . . . . . 137 1. Weite primärrechtliche Interpretation . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 137 2. Eingeschränkte primärrechtliche Interpretation . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 138 3. Kein neuer Beschränkungsbegriff . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 140 C. Insolvenzspezifische Regelungen im Verhältnis zur Niederlassungsfreiheit . . . . 141 D. Ergebnis der primärrechtlichen Einordnung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 143

Inhaltsverzeichnis

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4. Kapitel Ausformung allgemeiner Qualifikations- und Abgrenzungskriterien

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§ 8 Entwicklung allgemeiner Prinzipien der insolvenzrechtlichen Zuordnung . . . . . . . . 145 A. Aussagegehalt der aktuellen EuGH-Rechtsprechung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 145 I. Urteil NK . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 146 1. Schlussanträge des Generalanwalts als Ausgangspunkt . . . . . . . . . . . . . . . 147 2. Entscheidung des EuGH . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 148 3. Schlussfolgerungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 150 4. Betrachtung vor dem Hintergrund bislang gewonnener Erkenntnisse aus Kornhaas und H . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 152 II. Urteil CeDe Group . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 153 1. Sachverhalt und Verfahrensgang . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 153 2. Schlussanträge des Generalanwalts als Ausgangspunkt . . . . . . . . . . . . . . . 155 3. Entscheidung des EuGH . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 156 4. Schlussfolgerungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 157 5. Betrachtung vor dem Hintergrund bislang gewonnener Erkenntnisse aus Kornhaas . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 158 III. Kammerebene der Entscheidungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 158 IV. Zwischenergebnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 159 B. Entwicklung spezifischer Qualifikations- und Abgrenzungskriterien . . . . . . . . . . 159 I. Verdichtung der Kriterien der vis attractiva concursus . . . . . . . . . . . . . . . . . 160 II. Qualifikationskriterien . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 162 1. Materielle Insolvenz . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 162 a) Materieller Insolvenzbezug der Kriterien der vis attractiva concursus 163 aa) Unmittelbarkeitskriterium . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 163 bb) Kriterium des engen Zusammenhangs . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 165 b) Präventiver und reaktiver Gläubigerschutz unter dem Wirkungsbereich der EuInsVO . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 166 aa) Präventive Konzeption . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 167 bb) Begrenzung durch Bezug zur materiellen Insolvenz . . . . . . . . . . . . 169 2. Insolvenzrechtliche Implikation im Unionsrecht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 169 a) Insolvenztypische Zwecke . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 171 aa) Masseanreicherung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 171 bb) Par conditio creditorum . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 172 cc) Haftungsverwirklichung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 174 dd) Haftungsbegründung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 175 b) Regulative Wirkung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 176 3. Zusammenführung der Kriterien der vis attractiva concursus . . . . . . . . . . 177 4. Zwischenergebnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 178

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Inhaltsverzeichnis III. Kriterienkatalog – insolvenzrechtliche Qualifikation unter Art. 7 Abs. 1 EuInsVO . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 178 1. Qualifikationskriterien . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 179 2. Bedingter Zuordnungsumfang . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 180 IV. Loslösung vom verfahrensrechtlichen Charakter der lex fori concursus . . . . 181

§ 9 Differenzierende Systematik . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 182 A. Gleichlaufgrundsatz als Ausgangspunkt . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 183 I. Hypothetische lex fori concursus . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 184 II. Möglichkeit der Verlegung des COMI . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 184 1. Antragstellung als maßgeblicher Zeitpunkt der Zuständigkeitsbegründung 185 2. Auswirkungen auf die Bestimmung des anwendbaren Rechts . . . . . . . . . . 187 3. Einschränkung des Gleichlaufs als Folge verfahrensunabhängiger Anknüpfung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 189 B. Differenzierende Anwendung des Insolvenzstatuts . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 193 I. Zeitliche Differenzierung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 193 II. Autonome Begründung als Grundlage . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 194 C. Kollisionsrechtlicher Mechanismus zur Anspruchsverknüpfung . . . . . . . . . . . . . 194 D. Multifunktionalität auf kollisionsrechtlicher Ebene . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 196 I. Doppelqualifikation . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 197 II. Mehrfachqualifikation . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 200 III. Zwischenergebnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 201

5. Kapitel Anwendung der Qualifikations- und Abgrenzungsmaxime

202

§ 10 Grenzzeichnung – Maßgebende Qualifikations- und Abgrenzungskriterien . . . . . . . 202 A. Verhältnis von Anknüpfung und Zuständigkeit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 203 B. Insolvenzrechtliche Qualifikation als Ausgangspunkt . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 204 C. Ausdehnung des Insolvenzstatuts . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 205 § 11 Qualifikation und kollisionsrechtliche Einordnung nationaler Haftungsinstrumente 208 A. Innenhaftung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 208 I. Zahlungsverbot . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 209 1. Qualifikation . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 211 a) Geschäftsleiterhaftung nach neuem Recht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 211 b) Masselose Insolvenz . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 212 c) Substitution . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 214 d) Folgen der Zuordnung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 214 2. Beschränkung der Niederlassungsfreiheit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 214

Inhaltsverzeichnis

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3. Statutenwechsel durch Verlegung des COMI . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 215 a) Anwendbares Recht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 215 b) Internationale Zuständigkeit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 216 II. Insolvenzverursachungshaftung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 216 1. Qualifikation . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 217 2. Folgen der Zuordnung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 218 3. Beschränkung der Niederlassungsfreiheit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 219 4. Statutenwechsel durch Verlegung des COMI . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 219 a) Anwendbares Recht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 220 b) Internationale Zuständigkeit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 220 B. Einordnung der Insolvenzantragspflicht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 220 I. Qualifikation . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 221 II. Folgen der Zuordnung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 223 III. Beschränkung der Niederlassungsfreiheit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 223 IV. Statutenwechsel durch Verlegung des COMI . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 224 C. Außenhaftung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 225 I. Begrenzte Extensität . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 225 II. Insolvenzverschleppungshaftung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 225 1. Qualifikation . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 226 a) Gesamtschaden der Altgläubiger . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 227 b) Individualschaden der Neugläubiger . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 228 c) Individualschaden der Altgläubiger . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 231 d) Folgen der Zuordnung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 231 2. Beschränkung der Niederlassungsfreiheit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 231 3. Statutenwechsel durch Verlegung des COMI . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 232 a) Anwendbares Recht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 232 b) Internationale Zuständigkeit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 234 D. Haftungsinstrumente unter dem präventiven Restrukturierungsrahmen des StaRUG . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 235 I. Präventiver Restrukturierungsrahmen und IPR . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 235 1. Öffentliche und nicht-öffentliche Verfahren . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 236 2. StaRUG im Anwendungsbereich von Brüssel Ia-VO und EuInsVO . . . . . 237 II. Verletzung der Pflicht zur Wahrung der Interessen der Gesamtheit der Gläubiger . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 238 1. Qualifikation . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 240 a) Qualifikation des Haftungstatbestandes . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 241 b) Folgen der Zuordnung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 242 2. Beschränkung der Niederlassungsfreiheit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 242 3. Statutenwechsel durch Verlegung des COMI . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 243 a) Anwendbares Recht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 243

20

Inhaltsverzeichnis b) Internationale Zuständigkeit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 244 III. Anzeigeverschleppungshaftung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 244 1. Qualifikation . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 246 a) Quotenschaden der Altgläubiger . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 246 b) Quotenschaden für Neugläubiger? . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 247 2. Folgen der Zuordnung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 249 3. Beschränkung der Niederlassungsfreiheit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 249 4. Statutenwechsel durch Verlegung des COMI . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 250 a) Anwendbares Recht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 250 b) Internationale Zuständigkeit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 251 IV. Geschäftsleiterhaftung bei der Erwirkung gerichtlicher Stabilisierungsanordnungen aufgrund unrichtiger Angaben . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 251 1. Qualifikation . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 252 2. Folgen der Zuordnung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 253 3. Beschränkung der Niederlassungsfreiheit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 254 4. Statutenwechsel durch Verlegung des COMI . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 254 a) Anwendbares Recht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 254 b) Internationale Zuständigkeit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 255

§ 12 Gläubigerschutz unter rechtsvergleichender Perspektive . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 255 A. Irische Haftungsinstrumente . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 256 I. Reckless trading . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 257 1. Norminhalt . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 258 2. Konturierung durch die Rechtsprechung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 259 3. Qualifikation . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 260 4. Folgen der Zuordnung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 264 5. Beschränkung der Niederlassungsfreiheit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 264 6. Statutenwechsel durch Verlegung des COMI . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 264 a) Anwendbares Recht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 265 b) Internationale Zuständigkeit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 265 II. Fraudulent trading . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 266 1. Qualifikation . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 267 2. Folgen der Zuordnung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 269 B. Französisches Insolvenzrecht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 270 I. Insolvenzantragspflicht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 270 II. Action en responsabilite´ pour insuffisance d’actif . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 270 1. Qualifikation . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 272 2. Folgen der Zuordnung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 273

Inhaltsverzeichnis

21

6. Kapitel Zusammenfassung der Erkenntnisse

275

§ 13 Konklusion . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 275 § 14 Zusammenfassung der wichtigsten Thesen der Untersuchung . . . . . . . . . . . . . . . . . . 278 Literaturverzeichnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 282 Stichwortverzeichnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 308

Abkürzungsverzeichnis a. A. ABl.EG ABl.EU Abs. a. E. AEUV a. F. AG AktG Alt. a. M. Anm. Art. Bandhrsg. Bd. Bearb. BeckOGK BeckOK BeckRS Begr. BGB BGBl. BGH Brüssel Ia-VO

BT-Drs. bzw. CA C. com. COD DB dens. ders. d. h. dies.

andere Ansicht Amtsblatt der Europäischen Gemeinschaften Amtsblatt der Europäischen Union Absatz/Absätze am Ende Vertrag über die Arbeitsweise der Europäischen Union alte Fassung Amtsgericht/Die Aktiengesellschaft (Zeitschrift) Aktiengesetz Alternative am Main Anmerkung Article(s)/Artikel (im Singular und Plural) Bandherausgeber Band Bearbeiter Beck’scher Online-Großkommentar Beck’scher Online-Kommentar Beck-Rechtsprechung Begründer Bürgerliches Gesetzbuch Bundesgesetzblatt Bundesgerichtshof Verordnung (EU) Nr. 1215/2012 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 12. Dezember 2012 über die gerichtliche Zuständigkeit und die Anerkennung und Vollstreckung von Entscheidungen in Zivil- und Handelssachen Bundestags-Drucksache beziehungsweise Companies Act 2014, No. 38 of 2014 (Gesellschaftsgesetz Irland) Code de commerce (Handelsgesetzbuch Frankreich) Ordentliches Gesetzgebungsverfahren/ehemaliges Mitentscheidungsverfahren der Europäischen Union Der Betrieb (Zeitschrift) denselben derselbe das heißt dieselbe(n)

Abkürzungsverzeichnis Digitalisierungsrichtlinie

Diss. DNotZ DStR DZWIR EBOR ECFR EFTA EG EGBGB EGV/EG-Vertrag ErwG EU EuGH EuGH-Satzung EuGVÜ EuGVVO EuInsVO EuInsVO 2000 Eurostat EUV EuZW EWGV/EWG-Vertrag EWHC (Ch) EWiR EWR EWRA EWS f. FD-InsR ff. FK

23

Richtlinie (EU) 2019/1151 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 20. Juni 2019 zur Änderung der Richtlinie (EU) 2017/ 1132 im Hinblick auf den Einsatz digitaler Werkzeuge und Verfahren im Gesellschaftsrecht Dissertation Deutsche Notarzeitschrift Deutsches Steuerrecht (Zeitschrift) Deutsche Zeitschrift für Wirtschafts- und Insolvenzrecht European Business Organization Law Review (Zeitschrift) European Company & Financial Law Review (Zeitschrift) Europäische Freihandelsassoziation (englisch European Free Trade Association) Europäische Gemeinschaften Einführungsgesetz zum Bürgerlichen Gesetzbuch Vertrag zur Gründung der Europäischen Gemeinschaft Erwägungsgrund/Erwägungsgründe Europäische Union Gerichtshof der Europäischen Union Protokoll über die Satzung des Gerichtshofs der Europäischen Union vom 26. Februar 2001 (ABl. C 80 S. 53), zuletzt geändert durch Art. 1 ÄndVO (EU, Euratom) 2019/629 vom 17. 04. 2019 Übereinkommen über die gerichtliche Zuständigkeit und die Vollstreckung gerichtlicher Entscheidungen in Zivil- und Handelssachen vom 27. September 1968 Verordnung (EG) Nr. 44/2001 des Rates vom 22. Dezember 2000 über die gerichtliche Zuständigkeit und die Anerkennung und Vollstreckung von Entscheidungen in Zivil- und Handelssachen Verordnung (EU) 2015/848 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 20. Mai 2015 über Insolvenzverfahren (Neufassung) Verordnung (EG) Nr. 1346/2000 des Rates vom 29. Mai 2000 über Insolvenzverfahren Statistisches Amt der Europäischen Union Vertrag über die Europäische Union (Lissabon) Europäische Zeitschrift für Wirtschaftsrecht Vertrag zur Gründung der Europäischen Wirtschaftsgemeinschaft vom 25. 03. 1957 High Court of England and Wales (Chancery Division) (erstinstanzliches Gericht in England und Wales (Kammer für Wirtschaftssachen)) Entscheidungen zum Wirtschaftsrecht (Zeitschrift) Europäischer Wirtschaftsraum Abkommen über den Europäischen Wirtschaftsraum vom 3. Januar 1994 Europäisches Wirtschafts- und Steuerrecht (Zeitschrift) folgende Fachdienst Insolvenzrecht folgende Frankfurter Kommentar

24 Fn. FS gem. GenG Gesamthrsg. GesR GmbH GmbHG GmbHR GPR GRUR-Int. GWR Habil. HdB HGB Hk h. L. h. M. Hrsg. HWB IECA IEHC ILRM InsO InsR Int. IntGesR IPR IPRax IR i. S. d. i. S. v. i. V. m. IWRZ JherJb JORF jurisPR-HaGesR jurisPR-InsR JuS JZ Kap. KG KOM KTS

Abkürzungsverzeichnis Fußnote(n) Festschrift gemäß Genossenschaftsgesetz Gesamtherausgeber Gesellschaftsrecht Gesellschaft mit beschränkter Haftung Gesetz betreffend die Gesellschaften mit beschränkter Haftung GmbH-Rundschau (Zeitschrift) Zeitschrift für das Privatrecht der Europäischen Union Gewerblicher Rechtsschutz und Urheberrecht Internationaler Teil (Zeitschrift) Gesellschafts- und Wirtschaftsrecht (Zeitschrift) Habilitationsschrift Handbuch Handelsgesetzbuch Handkommentar herrschende Lehre herrschende Meinung/herrschende Meinungen Herausgeber/in Handwörterbuch Irish Court of Appeal (irisches Berufungsgericht) High Court of Ireland (irisches Gericht erster Instanz) Irish Law Reports Monthly (irische Fallsammlung) Insolvenzordnung Insolvenzrecht Internationaler/Internationales Internationales Gesellschaftsrecht Internationales Privatrecht Praxis des Internationalen Privat- und Verfahrensrechts (Zeitschrift) Irish Reports (irische Fallsammlung) im Sinne des/im Sinne der/im Sinne dieser im Sinne von in Verbindung mit Zeitschrift für Internationales Wirtschaftsrecht Jherings Jahrbücher für die Dogmatik des heutigen römischen und deutschen Privatrechts Journal officiel de la République française (staatliches Amtsblatt Frankreich) Juris PraxisReport Handels- und Gesellschaftsrecht Juris PraxisReport Insolvenzrecht Juristische Schulung (Zeitschrift) Juristenzeitung Kapitel Kammergericht Europäische Kommission Zeitschrift für Insolvenzrecht Konkurs Treuhand Sanierung

Abkürzungsverzeichnis LG lit. LMK Ltd.

25

Landgericht Buchstabe (lateinisch littera) Lindenmaier-Möhring – Kommentierte BGH-Rechtsprechung Limited (haftungsbeschränkte Kapitalgesellschaft englischen Rechts) MittBayNot Mitteilungen des Bayerischen Notarvereins, der Notarkasse und der Landesnotarkammer Bayern (Zeitschrift) MittRhNotK Mitteilungen der Rheinischen Notarkammer (Zeitschrift) Mobilitätsrichtlinie Richtlinie (EU) 2019/2121 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 27. November 2019 zur Änderung der Richtlinie (EU) 2017/1132 in Bezug auf grenzüberschreitende Umwandlungen, Verschmelzungen und Spaltungen MoMiG Gesetz zur Modernisierung des GmbH-Rechts und zur Bekämpfung von Missbräuchen vom 23. 10. 2008 MüKo Münchener Kommentar m. w. N. mit weiteren Nachweisen n. F. neue Fassung NJ Nederlandse Jurisprudentie (Zeitschrift) NJW Neue Juristische Wochenschrift (Zeitschrift) NJW-RR Neue Juristische Wochenschrift-Rechtsprechungs-Report (Zeitschrift) No(s). Nummer(n) (englisch number(s)) NotBZ Zeitschrift für die notarielle Beratungs- und Beurkundungspraxis Nr. Nummer NVwZ Neue Zeitschrift für Verwaltungsrecht NZA Neue Zeitschrift für Arbeitsrecht NZG Neue Zeitschrift für Gesellschaftsrecht NZI Neue Zeitschrift für Insolvenz- und Sanierungsrecht OBLB Oxford Business Law Blog OLG Oberlandesgericht PK Praxiskommentar RabelsZ Rabels Zeitschrift für ausländisches und internationales Privatrecht RefE Referentenentwurf RegE Regierungsentwurf Restrukturierungsrichtlinie Richtlinie (EU) 2019/1023 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 20. Juni 2019 über präventive Restrukturierungsrahmen, über Entschuldung und über Tätigkeitsverbote sowie über Maßnahmen zur Steigerung der Effizienz von Restrukturierungs-, Insolvenz- und Entschuldungsverfahren und zur Änderung der Richtlinie (EU) 2017/1132 (Richtlinie über Restrukturierung und Insolvenz) RG Reichsgericht RGZ Entscheidungen des Reichsgerichts in Zivilsachen RIW Recht der Internationalen Wirtschaft (Zeitschrift) Rn. Randnummer(n)

26 Rom I-VO Rom II-VO Rs. S. SA SanInsFoG SARL SAS Schriftl. SE Sect(s). SE-VO sog. StaRUG st. Rspr. SystDarst u. a. UAbs. v. VerfOEuGH VersR vgl. VO Vorb. WM z. B. ZBB ZEuP ZEV ZfRV ZGR ZHR ZInsO ZIP ZRI ZVG ZVglRWiss ZZP

Abkürzungsverzeichnis Verordnung (EG) Nr. 593/2008 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 17. Juni 2008 über das auf vertragliche Schuldverhältnisse anzuwendende Recht („Rom I“) Verordnung (EG) Nr. 864/2007 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 11. Juli 2007 über das auf außervertragliche Schuldverhältnisse anzuwendende Recht („Rom II“) Rechtssache Satz/Seite(n) Société Anonyme (Rechtsform für Aktiengesellschaften in Frankreich) Sanierungs- und Insolvenzrechtsfortentwicklungsgesetz Société à responsabilité limitée (Gesellschaft mit beschränkter Haftung, Rechtsform in Frankreich) Société par actions simplifiée (Vereinfachte Aktiengesellschaft, Rechtsform in Frankreich) Schriftleitung Societas Europaea (Europäische Aktiengesellschaft) Paragraf(en) oder Artikel eines Gesetzes (englisch Section(s)) Verordnung (EG) Nr. 2157/2001 des Rates vom 08. 10. 2001 über das Statut der Europäischen Gesellschaft (SE) sogenannte(r/s) Unternehmensstabilisierungs- und -restrukturierungsgesetz ständige Rechtsprechung Systematische Darstellungen und andere/unter anderem Unterabsatz gegen (englisch versus)/von (als Namensbestandteil) Verfahrensordnung des Gerichtshofs Versicherungsrecht (Zeitschrift) vergleiche Verordnung Vorbemerkung Wertpapier-Mitteilungen, Zeitschrift für Wirtschafts- und Bankrecht zum Beispiel Zeitschrift für Bankrecht und Bankwirtschaft Zeitschrift für Europäisches Privatrecht Zeitschrift für Erbrecht und Vermögensnachfolge Zeitschrift für Europarecht, Internationales Privatrecht & Rechtsvergleichung Zeitschrift für Unternehmens- und Gesellschaftsrecht Zeitschrift für das gesamte Handelsrecht und Wirtschaftsrecht Zeitschrift für das gesamte Insolvenz- und Sanierungsrecht Zeitschrift für Wirtschaftsrecht Zeitschrift für Restrukturierung und Insolvenz Zwangsversteigerungsgesetz Zeitschrift für Vergleichende Rechtswissenschaft Zeitschrift für Zivilprozess

1. Kapitel

Einleitung Aus der liberalisierten Gesellschaftsmobilität und der Anerkennung im Inland ansässiger EU-Auslandsgesellschaften als rechtsfähige juristische Personen folgt das Risiko einer Aufspaltung innerstaatlich aufeinander abgestimmter Regelungssysteme. Davon betroffen ist auch der kapitalgesellschaftsrechtliche Gläubigerschutz als klassische Domäne des Gesellschafts- und Insolvenzrechts. Hier bestehende Friktionen und Normwidersprüche treten insbesondere durch Unterschiede in der mitgliedstaatlichen Ausgestaltung insolvenznaher Haftungsinstrumente zutage, die sich gegen die Organe der dort agierenden in- wie ausländischen Gesellschaften richten. Geht es in diesem Zusammenhang um die Geschäftsleiterhaftung im Umfeld der Insolvenz, ist als dritte Regelungsmaterie das Deliktsrecht mit in den Blick zu nehmen. Dieser Dreiklang des Gläubigerschutzes stellt den Rechtsanwender teils vor große Herausforderungen. Die bestehenden europäischen Regelungswerke verweisen für die Anwendung von Gläubigerschutzvorschriften zuweilen auf unterschiedliche Jurisdiktionen. Für das Ergebnis länderübergreifender Unternehmensinsolvenzsachverhalte und einer damit verbundenen Geschäftsleiterhaftung ist jedoch entscheidend, ob und inwieweit nationale Gläubigerschutzvorschriften auf zugezogene EU-Auslandsgesellschaften und deren Geschäftsleiter zur Anwendung berufen sind. Aufgrund der engen Verknüpfung des gesellschafts-, insolvenz- und deliktsrechtlichen Gläubigerschutzes lässt sich das bei grenzüberschreitenden Sachverhalten nicht immer auf den ersten Blick erkennen. Entscheidend ist, welchem Rechtsbereich die jeweiligen nationalen Schutzmechanismen zugeordnet werden können. Zu ermitteln ist dies durch das europäische Kollisionsrecht. In dem hier beschriebenen Bezugssystem zeichnet sich dieses vielfach durch fehlende Kohärenz aus. Den relevanten Maßstab für die Beurteilung bildet daher die Rechtsprechung des EuGH mit ihrer Auslegung der einschlägigen europäischen Verordnungsvorgaben zur Bestimmung des anwendbaren Rechts sowie der Entscheidungszuständigkeit.

§ 1 Historische Entwicklung Im Laufe ihrer Geschichte entwickelte sich die EU zu einem bedeutsamen Akteur des internationalen Welthandels. Im Jahr 2019 bildete sie nach der Volksrepublik China und den Vereinigten Staaten von Amerika die drittgrößte Volkswirtschaft der

28

1. Kap.: Einleitung

Welt.1 Durch den Ausbau des europäischen Binnenmarktes entstand einer der größten zusammenhängenden Wirtschaftsräume der Welt. Der EWR umfasst heute neben den 27 Mitgliedstaaten der EU die EFTA-Staaten2 Norwegen, Liechtenstein und Island. Auf diesem Gebiet wird der freie Verkehr von Waren, Personen, Dienstleistungen und Kapital gemäß den Bestimmungen der Verträge3 gewährleistet, Art. 26 Abs. 2 AEUV, Art. 1 Abs. 2 EWRA. Mit dem dafür notwenigen Abbau der Binnengrenzen wurde zugleich die Voraussetzung für eine enge Verflechtung der wirtschaftlichen Tätigkeiten zwischen den Mitgliedstaaten geschaffen. Seither expandieren Unternehmen innerhalb der EU in zunehmendem Maße grenzüberschreitend. In der Folge treten fremdländische Gesellschaften auf europäischen Märkten unter deren heimischen Rechtsordnungen auf. Vor diesem Hintergrund ist dem europäischen Gesellschaftsrecht eine Schlüsselrolle bei der Errichtung des gemeinsamen Binnenmarktes zuzuschreiben. Nicht zuletzt deswegen rückt das internationale Gesellschaftsrecht immer wieder in den Fokus europäischer Regelungsbemühungen. Das Company Law Package der EU etwa enthält mit der Digitalisierungs- und Mobilitätsrichtlinie seit 2019 einheitliche Regelungen über Teilbereiche des Gesellschaftsrechts aller EU-Staaten. Für Kapitalgesellschaften bietet es die Grundlage für grenzüberschreitende Formwechsel und Spaltungen zur Neugründung. Zugleich harmonisiert es das Verfahren grenzüberschreitender Verschmelzungen. Vom europäischen Sekundärrecht unberührt, wird das europäische Gesellschaftsrecht durch die grenzüberschreitende Mobilität von Gesellschaften innerhalb der EU bestimmt. Ermöglicht durch die mit Unterzeichnung des EWG-Vertrages statuierte Niederlassungsfreiheit4, und später vorangetrieben durch die Rechtsprechung5 des EuGH, ist die grenzüberschreitende Verwendung verschiedener Gesellschaftsformen mittlerweile geübte Praxis. Europäische Auslandsgesellschaften können sich seither auf die Niederlassungsfreiheit berufen und werden in den Mitgliedstaaten nach ihrem Heimatrecht anerkannt. Daneben dient die fehlende Harmonisierung des IPR seit vielen Jahre als Türöffner für den regulatorischen Wettbewerb der Rechtsordnungen um das attraktivste Gesellschaftsrecht. Im Zuge dieser 1 Siehe die Daten von Eurostat, https://ec.europa.eu/eurostat/statistics-explained/index.php/ National_accounts_and_GDP (zuletzt abgerufen am 16. 04. 2021) und der Weltbank, https://da ta.worldbank.org/indicator/NY.GDP.MKTP.PP.KD?end=2019&locations=EU-USCN&start=2019&view=bar (zuletzt abgerufen am 16. 04. 2021). 2 Art. 1 des Anpassungsprotokolls zum Abkommen über den EWR, ABl.EG 94 L 1/572 und die Schlussakte, ABl.EG 94 L 1/598. 3 Gemeint sind AEUV, EUV und EWRA, worauf sich die EU und der EWR gründen, Art. 1 Abs. 2 AEUV und Art. 217 AEUV i. V. m. Art. 1 Abs. 1 EWRA. 4 Art. 52, 58 EWGV (heute Art. 49, 54 AEUV). 5 Siehe eingangs die zentralen Judikate EuGH, 27. 09. 1988, Rs. 81/87 (Daily Mail), ECLI: EU:C:1988:456 = NJW 1989, 2186; EuGH, 09. 03. 1999, Rs. C-212/97 (Centros), ECLI:EU:C: ¨ berseering), ECLI:EU:C: 1999:126 = NJW 1999, 2027; EuGH, 05. 11. 2002, Rs. C-208/00 (U 2002:632 = NJW 2002, 3614; EuGH, 30. 09. 2003, Rs. C-167/01 (Inspire Art), ECLI:EU:C: 2003:512 = NJW 2003, 3331.

§ 2 Gegenstand und Gang der Untersuchung

29

Entwicklungen zeichnete sich schnell die grundlegende Folgefrage ab, nach welchen Staates Rechtsordnung sich die gesellschaftsrechtlichen Verhältnisse einer Gesellschaft richten.6 Um ihre Anwendbarkeit konkurrieren die mitgliedstaatlichen Rechtsordnungen auch in Bezug auf Gesellschaften in finanzieller Schieflage. Hält eine fremde Rechtsordnung krisenbezogene Regularien bereit, unter denen sich eine Sanierung leichter realisieren lässt, können insbesondere grenzüberschreitend agierende Gesellschaften versucht sein, das für sie günstigere Recht zur Anwendung zu bringen. Gleiches gilt für Geschäftsleiter, die insolvenzrechtliche Haftungsnormen des Heimatrechts abstreifen möchten. Im Wettstreit stehen die europäischen Insolvenzrechtsordnungen besonders dann, wenn sich die Auswirkungen einer Insolvenz nicht auf das Gebiet eines Mitgliedstaates beschränken. Bei sog. Cross-Border-Insolvenzen geht es ebenfalls um die Ermittlung der auf insolvenzrechtliche Sachverhalte anwendbaren Rechtsordnung.

§ 2 Gegenstand und Gang der Untersuchung Die Arbeit soll einen Beitrag dazu leisten, den Erkenntnisstand zur Anwendung insolvenzbezogener Geschäftsleiterhaftung zu ordnen. Das Neben- und Miteinander von Gesellschafts- und Insolvenzrecht führt gerade bei länderübergreifenden Sachverhalten immer wieder zu offenen Fragen in der Rechtsanwendung. Infolgedessen findet sich in der Literatur eine kaum noch überschaubare Fülle vielfältiger Standpunkte unterschiedlicher Schattierung. Diese gilt es für die hier betreffende Regelungsmaterie auszuwerten. Darüber hinaus will die Arbeit bislang ungeklärte Fragen bei der Anwendung nationaler Gläubigerschutzvorschriften auf Geschäftsleiter EU-ausländischer Gesellschaften herausarbeiten und für diese – auf Grundlage der jüngeren Rechtsprechung des EuGH – Lösungsvorschläge unterbreiten. Das zweite Kapitel beleuchtet dafür den rechtlichen Rahmen zur Abgrenzung von Gesellschafts- und Insolvenzstatut und etabliert ein kollisionsrechtliches Vorverständnis der europäischen Regelungen sowie Rechtsprechungsgrundsätze. Hierauf fußt die Untersuchung. Das dritte Kapitel widmet sich der Rechtssache Kornhaas7 als eine der zentralen Entscheidungen zum Kapitalgesellschaftsrecht der letzten Jahre. Mit ihrem grenzüberschreitenden Zusammenhang umfasst sie das internationale Gesellschaftsrecht und das internationale Insolvenzrecht gleichermaßen. Nachdem Gegenstand, Verfahrenslauf und Inhalt des Urteils erläutert wurden, erfolgt eine kollisions- und primärrechtliche Einordnung der Entscheidung. Dabei liegt der Schwerpunkt auf der Interpretation und Fortentwicklung ihres Aussagegehalts. Er6 MüKo-AktG/Heider, Bd. 1, § 5 Rn. 20; MüKo-BGB/Kindler, Bd. 13, Internationales Handels- und Gesellschaftsrecht Rn. 1. 7 EuGH, 10. 12. 2015, Rs. C-594/14 (Kornhaas), ECLI:EU:C:2015:806 = NJW 2016, 223.

30

1. Kap.: Einleitung

gänzend werden im vierten Kapitel die neueren Judikate NK8 und CeDe Group9 zur Ausformung allgemeiner Abgrenzungsprinzipien in den Blick genommen und mit den Erkenntnissen aus der Kornhaas-Entscheidung in Bezug gesetzt. Auf diese Weise entsteht ein Gesamtbild über die bisherige Rechtsprechungsentwicklung des EuGH zur Frage nach der insolvenz- bzw. zivil- oder gesellschaftsrechtlichen Zuordnung von Haftungsinstrumenten sowie der damit eng verknüpften Frage nach der internationalen Zuständigkeit. Dieses Bild dient sodann als Grundlage der weitergehenden Untersuchung: Im Sinne eines induktiven, fallübergreifenden Lösungsansatzes werden zunächst maßgebliche Qualifikations- und Abgrenzungskriterien herausgearbeitet. Danach wird zur Ausformung einer differenzierenden Systematik der Frage nachgegangen, wie sich die Anwendung der Kriterien in unterschiedlichen zeitlichen Konstellationen und auf verschiedene Abschnitte insolvenzbezogener Sachverhalte auswirkt. Das fünfte Kapitel skizziert anschließend insolvenznahe, die Geschäftsleitung juristischer Personen betreffende Haftungsinstrumente des nationalen Rechts und wendet die entwickelten Maxime auf die einzelnen Haftungstatbestände an. Es soll auf diesem Wege das im vorherigen Kapitel grundlegend bestimmte Verhältnis der Rechtsordnungen konturieren und die theoretische Abgrenzung von Gesellschafts-, Delikts- und Insolvenzstatut weiter konkretisieren. Nach geklärter Zuordnung konzentriert sich die Analyse auf Fallgestaltungen des Statutenwechsels. Zuletzt wird der Gläubigerschutz unter rechtsvergleichender Perspektive behandelt. Qualifiziert werden insolvenznahe Haftungsinstrumente des irischen und französischen Rechts. Die Arbeit schließt mit der Zusammenfassung der Erkenntnisse.

8

EuGH, 06. 02. 2019, Rs. C-535/17 (NK), ECLI:EU:C:2019:96 = IPRax 2019, 518. EuGH, 21. 11. 2019, Rs. C-198/18 (CeDe Group), ECLI:EU:C:2019:1001 = ZIP 2019, 2360. 9

2. Kapitel

Rechtlicher Rahmen zur Abgrenzung von Gesellschafts- und Insolvenzstatut Möchte man klären, inwieweit nationale Gläubigerschutzvorschriften auf zugezogene EU-Auslandsgesellschaften angewandt werden können, sind dafür zwei Stufen voneinander zu trennen.1 In einem ersten Schritt ist die jeweilige gläubigerschützende Norm des nationalen Sachrechts mittels Qualifikation kollisionsrechtlich einem Systembegriff – dem des Gesellschafts-, Insolvenz- oder Deliktsstatuts – zuzuordnen und unter Anwendung der passenden Kollisionsregel anzuknüpfen.2 Als Kollisionsrecht ermittelt der Rechtsanwender mithilfe des IPR das materiell anwendbare Recht analytisch.3 Dafür ist der entsprechende Lebenssachverhalt aufzugliedern und funktional den verschiedenen Anknüpfungsgegenständen zuzuordnen. Für die Anknüpfungsgegenstände gelten wiederum unterschiedliche Kollisionsregeln.4 Entsprechende Regelungen finden sich neben der europäischen Gründungstheorie, die wesentlich auf der Rechtsprechung des EuGH zur Niederlassungsfreiheit fußt, in der EuInsVO sowie in der Rom II-VO. Folgt aus dem Qualifikationsvorgang sodann die Anwendbarkeit der inländischen Schutzvorschrift auf die zugezogene EU-Auslandsgesellschaft, ist in einem zweiten Schritt die Anwendung der Norm auf ihre Unionsrechtskonformität hin zu überprüfen. Die Anwendung muss im Einklang mit der Niederlassungsfreiheit stehen. Daher soll in diesem Kapitel zunächst der für die Abgrenzung von Gesellschaftsund Insolvenzstatut erforderliche kollisionsrechtliche Rahmen beleuchtet werden. So wird eine begriffliche und systematische Grundlage für die später vorzunehmende Qualifikation geschaffen. Danach werden – der klassischen Zweistufigkeit der kollisionsrechtlichen Behandlung von EU-Auslandsgesellschaften folgend – die primärrechtlichen Grundlagen des europäischen Gesellschaftsrechts und Teile der sich darauf gründenden Rechtsprechungsentwicklung des EuGH dargestellt. Im Fokus stehen hier die Vorgaben zur internationalen Sitzverlegung und die daraus folgenden Auswirkungen auf die Mobilität von Gesellschaften innerhalb der EU. 1 Zur kumulativen Prüfung von IPR und Europarecht BGH, 02. 12. 2014 – II ZR 119/14, juris Rn. 20 = IPRax 2015, 334 (336); Habersack/Verse, Europäisches Gesellschaftsrecht, § 3 Rn. 38; Kieninger, RabelsZ 73 (2009), 607 (613 f.); MüKo-GmbHG/Weller, Bd. 1, Einleitung Rn. 426; Weller/Hübner, in: FS Pannen, S. 259 (260 f.). 2 Weller/Hübner, in: FS Pannen, S. 259 (260). 3 Keil, DZWIR 2016, 392. 4 Keil, DZWIR 2016, 392.

32 2. Kap.: Rechtlicher Rahmen zur Abgrenzung von Gesellschafts- und Insolvenzstatut

§ 3 Kollisionsrechtliche Grundlagen Das IPR ist dazu bestimmt, das beschriebene Kollisionsproblem zu lösen und bietet hierzu in seiner kollisionsrechtlichen Ausformung die Regeln, anhand derer zu entscheiden ist, welche von mehreren in Betracht kommenden Rechtsordnungen zur Anwendung kommt.5 Im Kern geht das IPR in seiner heutigen Form auf den methodischen Ansatz von Friedrich Carl v. Savigny zurück, „daß bei jedem Rechtsverhältniß dasjenige Rechtsgebiet aufgesucht werde, welchem dieses Rechtsverhältniß seiner eigenthümlichen Natur nach angehört oder unterworfen ist“6. Das Fundament der heute geltenden klassischen Methodik7 des IPR ist demnach vom Prinzip der engsten Verbindung geprägt.8 Im Ausgangspunkt ist anhand von zunächst neutralen Kriterien das Recht zu ermitteln, mit welchem der zu beurteilende Sachverhalt oder das Rechtsverhältnis am stärksten verflochten ist und dem der Sachverhalt oder das Rechtsverhältnis seiner Natur nach angehört.9 Die Ermittlung des anzuwendenden Rechts beruht dabei auf den methodischen Besonderheiten und der spezifischen Struktur des IPR. Gleichwohl war die Frage nach der Methodik der Kollisionsanwendung – gerade auf europäischer Ebene – lange Zeit stark umstritten.10 Mangels Kodifikation eines allgemeinen Teils ist sie nach wie vor von keinem einheitlichen Verständnis der allgemeinen Lehren11 des IPR geprägt.

A. Rechtsquellen des IPR Für die Ermittlung des anzuwendenden Rechts kommen Kollisionsnormen aus nationalen oder europäischen Rechtsquellen in Betracht. Zusammengenommen decken sie weite Teile des IPR ab. Die Regelungen des autonomen nationalen Kollisionsrechts sind weitestgehend im EGBGB zu finden.12 Inzwischen erlangte jedoch das europäische Sekundärrecht in seiner Ausgestaltung als Verordnungsrecht die weitaus größere Bedeutung. Durch eine umfangreiche Kodifikation wurden zentrale Bereiche des IPR vereinheitlicht, Art. 3 Nr. 1 EGBGB. Daneben spielt aber auch das europäische Primärrecht eine wichtige Rolle. Dies gilt vor allem in Bezug auf die unionsrechtskonforme Auslegung des IPR und das auf der Rechtsprechung 5

HCL/Behrens/Hoffmann, Bd. I, Einleitung Rn. B 1. v. Savigny, System des heutigen Römischen Rechts, Bd. VIII, 1849, S. 28, 108. 7 Zur Europäisierung der klassischen IPR-Methodik ausführlich MüKo-BGB/v. Hein, Bd. 12, Einleitung zum IPR Rn. 40 ff. 8 Staudinger/Looschelders, Einleitung IPR Rn. 54. 9 Kienle, IPR Rn. 2. 10 Staudinger/Looschelders, Einleitung IPR Rn. 1079. 11 Zu diesen ausführlich Staudinger/Looschelders, Einleitung IPR Rn. 49. 12 Zu den weiteren nationalen Rechtsquellen des IPR Erman-BGB/Hohloch, Bd. II, EGBGB Einleitung vor Art. 3 Rn. 11 ff. 6

§ 3 Kollisionsrechtliche Grundlagen

33

des EuGH zur Niederlassungsfreiheit basierende internationale Gesellschaftsrecht.13 Die durch den Vertrag von Amsterdam14 angestoßene und sich rasant entwickelnde Europäisierung des IPR diente insoweit auch der Verwirklichung des Binnenmarktziels der EU, Art. 3 Abs. 3 S. 1 EUV, Art. 26 AEUV. Die Bildung des europäischen Kollisionsrechts und die Harmonisierung der nationalen Kollisionsnormen der Mitgliedstaaten fußt auf der mit Art. 61 lit. c i. V. m. Art. 65 lit. d EGV-Nizza in das sekundäre Gemeinschaftsrecht überführten,15 heute in Art. 81 Abs. 1, Abs. 2 lit. c AEUV geregelten Kompetenz des Europäischen Parlamentes und des Rates der Europäischen Union auf dem Gebiet des IPR. Auch wenn die nationalen Kollisionsnormen des EGBGB durch den Anwendungsvorrang der europäischen Rechtsakte einen Bedeutungsverlust erfahren, bedarf es des autonomen Kollisionsrechts auch weiterhin zur Handhabung der vom europäischen Gesetzgeber nicht kodifizierten Teilbereiche. Art. 3 EGBGB ist insoweit nur deklaratorischer Natur, gibt aber zugleich die international-privatrechtliche Reihenfolge der Prüfung wieder.16

I. Kollisionsnorm und Anknüpfungstechnik im IPR Systematik und Struktur der kollisionsrechtlichen Anknüpfung folgen hierzulande dem Aufbau der selbstständigen Kollisionsnorm.17 Als sog. Rechtsanwendungs- oder Verweisungsnorm18 legt sie fest, welches Recht bei der Kollision von mehreren Rechtsordnungen auf den zu regelnden Lebenssachverhalt zur Anwendung kommt.19 Dies gilt auch für die europäischen Vorschriften. 1. Anknüpfungsgegenstand und Anknüpfungsmoment Im Zentrum des Tatbestandes einer Kollisionsnorm steht der Anknüpfungsgegenstand (catégorie de rattachement). Dieser umschreibt zunächst in einem allgemeinen Komplex die jeweiligen Rechtsfragen und Sachverhalte, für die das anzuwendende Recht ermittelt werden soll.20 Hier geht es um den Lebensbereich, aus dem eine zu entscheidende Rechtsfrage herrührt. Der Anknüpfungsgegenstand bestimmt den sachlichen Anwendungsbereich einer Kollisionsnorm und grenzt diesen zu13

MüKo-BGB/v. Hein, Bd. 12, EGBGB Art. 3 Rn. 94 ff. ABl.EG 97 C 340/1; BGBl. 1998 II, S. 386; BGBl. 1999 II, S. 296. 15 v. Hoffmann/Thorn, IPR § 1 Rn. 115, 118. 16 BT-Drs. 16/9995, S. 7; BT-Drs. 16/12104, S. 8. 17 Zu Aufbau, Struktur und Erscheinungsformen der Kollisionsnormen Hk-BGB/Dörner, EGBGB vor Art. 3 – 6 Rn. 5; MüKo-BGB/v. Hein, Bd. 12, Einleitung zum IPR Rn. 56 ff.; Staudinger/Looschelders, Einleitung IPR Rn. 1030 ff. 18 v. Hoffmann/Thorn, IPR § 4 Rn. 6; Kegel/Schurig, IPR § 1 VIII 1. 19 Kegel/Schurig, IPR § 1 VIII 1. 20 Statt aller v. Bar/Mankowski, IPR I § 7 Rn. 5. 14

34 2. Kap.: Rechtlicher Rahmen zur Abgrenzung von Gesellschafts- und Insolvenzstatut

gleich ab.21 Durch Auslegung sind Umfang und Inhalt des Anknüpfungsgegenstands zu ermitteln.22 Die Frage, ob ein Sachverhalt, eine daraus folgende Rechtsfrage oder ein Rechtsinstitut unter den Anknüpfungsgegenstand subsumiert werden kann, ist indes Gegenstand der Qualifikation.23 Vervollständigt wird die dualistische Struktur24 der Kollisionsnorm durch ihre Rechtsfolgenseite. Sie verweist durch das Anknüpfungsmoment (facteur de rattachement) bzw. durch den Anknüpfungspunkt (point de contract) auf eine bestimmte Rechtsordnung.25 Die abstrakte Bestimmung der auf den zu beurteilenden Sachverhalt anzuwendenden Rechtsordnung erfolgt unter Bezugnahme eines bestimmten Elements des Sachverhalts.26 2. Unterschiede in der Art der Verweisung Sowohl im deutschen als auch im europäischen IPR beschreibt der Vorgang des Anknüpfens ganz allgemein die Verbindung von Anknüpfungsgegenstand und Anknüpfungsmoment.27 Die durch diesen Vorgang ermittelte maßgebende Rechtsordnung, deren materielle Vorschriften (Sachnormen) auf den Anknüpfungsgegenstand anzuwendenden sind, wird als Statut bezeichnet.28 Anknüpfungsgegenstand und Anknüpfungsmoment finden sich regelmäßig auch in den einschlägigen Kollisionsnormen der EU-Verordnungen. Ein maßgeblicher Unterschied zwischen nationalen und europäischen Kollisionsnormen besteht jedoch in der Art der Verweisung. Das nationale Kollisionsrecht folgt dem Grundsatz der Gesamtverweisung gem. Art. 4 Abs. 1 EGBGB. Wird danach auf das Recht eines anderen Staates verwiesen, findet das gesamte IPR dieses Staates Anwendung. Es besteht so einerseits die Möglichkeiten, dass das IPR der verwiesenen Rechtsordnung die Verweisung des deutschen IPR annimmt, indem es auf eigenes materielles Recht verweist. Andererseits kann es auf das deutsche Recht zurückverweisen oder aber auf eine dritte Rechtsordnung weiterverweisen.29 Rück- und Weiterverweisung werden zusammen als Renvoi bezeichnet.30 Kollisionsnormen des europäischen Rechts hingegen 21 v. Bar/Mankowski, IPR I § 7 Rn. 5; MüKo-BGB/v. Hein, Bd. 12, Einleitung zum IPR Rn. 56. 22 Staudinger/Looschelders, Einleitung IPR Rn. 1043. 23 MüKo-BGB/v. Hein, Bd. 12, Einleitung zum IPR Rn. 56. Ausführlich zur Qualifikation unten Kap. 2 § 3 C. 24 Für den zweigliedrigen Tatbestandsbegriff die heute wohl h. L., v. Bar/Mankowski, IPR I § 7 Rn. 6; v. Hoffmann/Thorn, IPR § 4 Rn. 4; Kegel/Schurig, IPR § 6 II 1. 25 Weller, IPRax 2011, 429 (430). Zur vielschichtigen Terminologie näher v. Bar/Mankowski, IPR I § 7 Rn. 4. 26 MüKo-BGB/v. Hein, Bd. 12, Einleitung zum IPR Rn. 57. 27 v. Bar/Mankowski, IPR I § 7 Rn. 14. 28 MüKo-BGB/v. Hein, Bd. 12, Einleitung zum IPR Rn. 57; v. Hoffmann/Thorn, IPR § 2 Rn. 33. 29 BeckOK-BGB/Lorenz, EGBGB Art. 4 Rn. 2. 30 v. Bar/Mankowski, IPR I § 7 Rn. 214; Kegel/Schurig, IPR § 10 I.

§ 3 Kollisionsrechtliche Grundlagen

35

schließen einen Renvoi weitestgehend aus; die Verweisung bezieht sich als sog. Sachnormverweisung allein auf die Sachnormen des fremden Rechts.

II. Europäische Kollisionsrechtsquellen Um eine Abgrenzung von Gesellschafts- und Insolvenzstatut unter Bezugnahme verschiedener Haftungs- und Gläubigerschutzinstrumente unterschiedlicher europäischer Rechtsordnungen vornehmen zu können, muss man sich zunächst mit den Rechtsgrundlagen auseinandersetzen, mittels derer die Abgrenzung erfolgt. Auf europäischer Ebene ist dazu das internationale Gesellschaftsrecht (sogleich unter 1.), das internationale Insolvenzrecht (unten 2.) und das internationale Deliktsrecht (unten 3.) näher zu beleuchten. 1. Internationales Gesellschaftsrecht als Teil des IPR Das internationale Gesellschaftsrechts hat zur Aufgabe, geeignete Anknüpfungspunkte zu finden, wenn es um die Bestimmung des auf gesellschaftsrechtliche Fragestellungen anwendbaren Rechts geht. Diskutiert werden in diesem Zusammenhang im Wesentlichen nur noch die Gründungs- und Sitztheorie.31 a) Quellen des europäischen Gesellschaftsrechts Im Hinblick auf die Bestimmung des anwendbaren Rechts ist zwischen Innenund Außengesellschaften zu unterscheiden. Für Außengesellschaften ist europäisches Primärrecht in Form der Niederlassungsfreiheit maßgeblich. Das Recht für Innengesellschaften kann sich dagegen nach sekundärem EU-Recht richten. Bevor im zweiten Teil dieses Kapitels ein Blick auf die primärrechtlichen Grundlagen des europäischen Gesellschaftsrechts und auf Teile der sich darauf gründenden Rechtsprechungsentwicklung des EuGH geworfen wird,32 soll bereits an dieser Stelle auf die rechtsdogmatischen Anknüpfungsmerkmale und insbesondere auf die (europäische) Gründungstheorie eingegangen werden. aa) Primärrecht und EuGH-Judikatur für Außengesellschaften Für die GmbH und andere juristische Personen finden sich weder im deutschen noch im europäischen Kollisionsrecht explizite Regelungen zur internationalpri31

Zur Sitztheorie im deutschen autonomen internationalen Gesellschaftsrecht und zur Gründungstheorie im Verhältnis zum Unionsrecht HCL/Behrens/Hoffmann, Bd. I, Einleitung Rn. B 21 ff., 36 ff., 54 f.; MüKo-BGB/Kindler, Bd. 13, Internationales Handels- und Gesellschaftsrecht Rn. 5; Westermann, in: Scholz, GmbHG, Bd. I, Anhang § 4a, Die GmbH im IPR Rn. 10 ff. 32 Unten Kap. 2 § 4.

36 2. Kap.: Rechtlicher Rahmen zur Abgrenzung von Gesellschafts- und Insolvenzstatut

vatrechtlichen Anknüpfung. Das autonome deutsche Recht enthält mit einer Legaldefinition des Gesellschaftssitzes in § 4a GmbHG und § 5 AktG lediglich zwei Bestimmungen mit materiell-rechtlichem Regelungsgehalt.33 Umstritten ist, ob diesen Vorschriften nach ihrer Änderung durch das MoMiG auch ein kollisionsrechtlicher Regelungsgehalt zuzuerkennen ist.34 Davon unberührt ist im hier betreffenden Zusammenhang grundlegend auf das unionsrechtliche Gesellschaftskollisionsrecht für Außengesellschaften abzustellen. Dieses findet seine Grundlage in den Bestimmungen zur Niederlassungsfreiheit gem. Art. 49, 54 AEUV und Art. 31, 34 des EWRA.35 Ganz entscheidend wurde jenes Gesellschaftskollisionsrecht durch richterliche Entscheidungsfindung geprägt. Mit seiner Rechtsprechung zur Niederlassungsfreiheit ebnete der EuGH nicht nur den Weg zur grenzüberschreitenden Mobilität von Gesellschaften. Er gab dem Rechtsanwender zugleich Instrumente an die Hand, mit deren Hilfe er die damit einhergehende Fragen einordnen und zu Teilen lösen kann. Gleichwohl ist der Einfluss der Niederlassungsfreiheit auf das internationale Gesellschaftsrecht der Mitgliedstaaten der EU, die Deutung der EuGH-Judikatur und deren dogmatische Einordnung bis heute umstritten.36 An einer positiven Ausgestaltung des internationalen Gesellschaftsrecht durch den EuGH fehlt es bislang. Das klassische IPR nimmt in der Entscheidungsfindung nur eine untergeordnete Rolle ein. Letztlich bleibt es dem IPR überlassen, die Konsequenzen aus den Vorgaben der Niederlassungsfreiheit zu ziehen.37 bb) Gründungstheorie für EU-Auslandsgesellschaften Nach der implizierten Gründungsanknüpfung des Unionsrechts sind Gesellschaften, die nach dem Recht eines EU- Mitgliedstaates gegründet worden sind und dort ihren Satzungssitz haben, nach Maßgabe ihres Gründungsrechts auch in allen anderen EU-Mitgliedstaaten als rechtsfähig und nach dem Recht des Gründungsstaates zu behandeln.38 Auf den Verwaltungssitz kommt es insoweit nicht an. Die Verwaltungssitzanknüpfung wird dagegen von verschiedenen gesellschaftsrechtlichen Begleitvorschriften der EU vorausgesetzt, so etwa von Art. 3 Abs. 1 EuInsVO.39

33 HCL/Behrens/Hoffmann, Bd. I, Einleitung Rn. B 58; Henssler/Strohn/Lange, Gesellschaftsrecht, AktG § 5 Rn. 1. 34 Hierzu HCL/Behrens/Hoffmann, Bd. I, Einleitung Rn. B 59 f; MüKo-AktG/Ego, Bd. 7, Europäische Niederlassungsfreiheit Rn. 193. 35 Weller, IPRax 2017, 167 (168). 36 Michalski/Leible, Bd. I, SystDarst 2 Rn. 19; Weller, IPRax 2017, 167 (168) m. w. N. 37 v. Bar/Mankowski, IPR I § 7 Rn. 19. 38 HCL/Behrens/Hoffmann, Bd. I, Einleitung Rn. B 54; MüKo-AktG/Ego, Bd. 7, Europäische Niederlassungsfreiheit Rn. 182; MüKo-BGB/Kindler, Bd. 13, Internationales Handelsund Gesellschaftsrecht Rn. 5. 39 Dazu unten Kap. 2 § 3 A. II. 2. b) aa).

§ 3 Kollisionsrechtliche Grundlagen

37

cc) Einheitsstatut als Folge des Übergangs zur Gründungstheorie Für das nationale Recht folgt der BGH als Reaktion auf die Überseering40 und Inspire Art41 Entscheidungen der Gründungstheorie in Bezug auf Gesellschaften, die nach dem Recht eines anderen europäischen Mitgliedstaates gegründet wurden. Auf diese ist das Gesellschaftsrecht des Herkunftsstaates anzuwenden.42 Nach anfangs noch zaghaften und nur engen Ausführungen zur Beurteilung der Rechtsfähigkeit43 und Haftungsbeschränkung44 von Gesellschaften nach dem jeweiligen Recht des Herkunftsstaats, schlägt der BGH in neueren Entscheidungen45 mutigere Töne an. Er spricht generell davon, dass sich das Gesellschaftsstatut von EU-Auslandsgesellschaften – vorbehaltlich gesondert zu begründender Sonderanknüpfungen – nach der Gründungstheorie bestimmt. Er ist damit so zu verstehen, dass das gesamte Gesellschaftsstatut46 einheitlich nach dem Recht des Herkunftsstaates zu beurteilen ist.47 Für eine einheitliche Anknüpfung plädiert auch die h. L.48 Demzufolge bestimmt sich das gesamte Gesellschaftsrecht einschließlich der gläubigerschützenden Regelungen zur Kapitalaufbringung und -erhaltung bislang grundsätzlich allein nach dem Recht des Herkunftsstaates. Umstritten ist, ob von dieser Rechtsprechung aufgrund der Kornhaas-Entscheidung des EuGH nunmehr abzuweichen ist.49 Allgemein anerkannt ist insoweit auch, dass die sog. Lehre vom Einheitsstatut nicht unumstößlich ist. Nicht ausgeschlossen ist daher die Herausbildung von Sonderanknüpfungen50 einzelner gesellschaftsrechtlicher Teilfragen.51 Die Kornhaas-Ent40

3614. 41

3331.

EuGH, 05. 11. 2002, Rs. C-208/00 (Überseering), ECLI:EU:C:2002:632 = NJW 2002, EuGH, 30. 09. 2003, Rs. C-167/01 (Inspire Art), ECLI:EU:C:2003:512 = NJW 2003,

42 Siehe nur BGH, 29. 01. 2003 – VIII ZR 155/02, juris Rn. 13 = IPRax 2003, 265 (266); BGH, 13. 03. 2003 – VII ZR 370/98, juris Rn. 14 ff. = NJW 2003, 1461 (1461 f.); Habersack/ Verse, Europäisches Gesellschaftsrecht § 3 Rn. 24 m. w. N. Die Gründungstheorie wendet der BGH auch bei Gesellschaften aus Mitgliedstaaten des EWR an, BGH, 19. 09. 2005 – II ZR 372/ 03, juris Rn. 8 f. = NJW 2005, 3351; MüKo-GmbHG/Weller, Bd. 1, Einleitung Rn. 366. 43 BGH, 29. 01. 2003 – VIII ZR 155/02, juris Rn. 11 = IPRax 2003, 265 (265 f.); BGH, 13. 03. 2003 – VII ZR 370/98, juris Rn. 17 f. = NJW 2003, 1461 (1461 f.). 44 BGH, 14. 03. 2005 – II ZR 5/03, juris Rn. 9 = NJW 2005, 1648 (1649). 45 BGH, 11. 01. 2011 – II ZR 157/09, juris Rn. 16 = NJW 2011, 844 (845 f.); BGH, 12. 07. 2011 – II ZR 28/10, juris Rn. 14 ff. = NZG 2011, 1114 (1115 f.). 46 Zur Reichweite des Gesellschaftsstatuts unten Kap. 5 § 10 B. und C. 47 So schon BGH, 30. 03. 2000 – VII ZR 370/98, juris Rn. 15 = IPRax 2000, 423 (424). 48 Siehe nur Habersack/Verse, Europäisches Gesellschaftsrecht § 3 Rn. 25 m. w. N. bei Fn. 89; MüKo-GmbHG/Weller, Bd. 1, Einleitung Rn. 388. Auf Nachteile und Gefahren der Gründungstheorie weist MüKo-BGB/Kindler, Bd. 13, Internationales Handels- und Gesellschaftsrecht Rn. 371 ff. hin. 49 Siehe hierzu Habersack/Verse, Europäisches Gesellschaftsrecht § 3 Rn. 25 m. w. N. bei Fn. 90 und unten Kap. 5 § 10 B. 50 Hierzu unten Kap. 2 § 3 F. 51 Habersack/Verse, Europäisches Gesellschaftsrecht § 3 Rn. 29.

38 2. Kap.: Rechtlicher Rahmen zur Abgrenzung von Gesellschafts- und Insolvenzstatut

scheidung hat hierfür einen erneuten Anstoß geliefert. Sollte man danach zur Anwendung einer Sonderanknüpfung gelangen, muss diese – wie bei der aus dem Qualifikationsvorgang folgenden Anwendbarkeit inländischer Schutzvorschriften – jedenfalls auch mit der Niederlassungsfreiheit vereinbar sein. b) Klassische kollisionsrechtliche Methode oder Prinzip der Anerkennung? Für das Gesellschaftsrecht steht zur Diskussion, ob und inwieweit die auf v. Savigny zurückgehende klassische kollisionsrechtliche Verweisungsmethode durch das sog. Prinzip der Anerkennung von Rechtslagen zu ersetzen ist.52 aa) Begriff der Anerkennung Auch wenn der Begriff der Anerkennung zunächst eine Assoziation mit dem internationalen Verfahrensrecht hervorruft, handelt es sich bei diesem Prinzip nicht um die prozessuale Anerkennung ausländischer Entscheidungen. Diese ist angesichts mehrerer Verordnungen auf europäischer Ebene längst selbstverständlich.53 Bei einer kollisionsrechtlichen Anerkennung geht es vielmehr darum, einen im Ausland vollzogenen Akt als wirksam zu behandeln – und zwar ipso iure und unabhängig von der Frage des anwendbaren oder angewandten Rechts.54 Auf die inländischen Kollisionsnormen soll es dabei gerade nicht ankommen.55 Bei genauerer Betrachtung wird im internationalen Gesellschaftsrecht unter dem Begriff der Anerkennung zum Teil die Anknüpfung des Gesellschaftsstatuts als Bestimmung der für die Rechtsverhältnisse der Gesellschaft maßgeblichen Rechtsordnung im Sinne eines einheitlichen Gesellschaftsstatuts verstanden.56 Darüber hinaus versteht man unter der Anerkennung die Frage nach dem Bestehen und der Rechtsfähigkeit einer im Ausland gegründeten Gesellschaft im Inland.57 Daher ist eine genaue Differenzierung bei der Verwendung des Anerkennungsbegriffs geboten.

52 Coester-Waltjen, in: FS Jayme, Bd. I, S. 121 (123 ff.); dies., IPRax 2006, 392; Staudinger/Looschelders, Einleitung IPR Rn. 66; Mansel, RabelsZ 70 (2006), 651. 53 Zur Abgrenzung von kollisionsrechtlicher und verfahrensrechtlicher Anerkennung Coester-Waltjen, IPRax 2006, 392. 54 Coester-Waltjen, IPRax 2006, 392; Staudinger/Looschelders, Einleitung IPR Rn. 67. 55 Coester-Waltjen, in: FS Jayme, Bd. I, S. 121 (122); Lagarde, RabelsZ 68 (2004), 225 (230). 56 BGH, 11. 07. 1957 – II ZR 318/55 = NJW 1957, 1433; BGH, 05. 11. 1980 – VIII ZR 230/ 79, juris Rn. 55 = NJW 1981, 522 (525 f.); Drobnig, in: FS v. Caemmerer, S. 687 (690); Ebenroth, Vermögenszuwendungen, S. 334 ff.; ders./Sura, RabelsZ 43 (1979), 315 (316); MüKo-BGB/Kindler, Bd. 13, Internationales Handels- und Gesellschaftsrecht Rn. 319; siehe auch Wiedemann, in: FS Kegel 1977, S. 187 (193). 57 So etwa Beitzke, in: FS Luther, S. 1 (12); Großfeld, RabelsZ 31 (1967), 1 (3); MüKoBGB/Kindler, Bd. 13, Internationales Handels- und Gesellschaftsrecht Rn. 319; Mansel, RabelsZ 70 (2006), 651 (670).

§ 3 Kollisionsrechtliche Grundlagen

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bb) Grundlage für das Anerkennungsprinzip Das Anerkennungsprinzip im internationalen Gesellschaftsrecht findet seine Grundlage im europäischen Primärrecht der Niederlassungsfreiheit gem. Art. 49, 54 AEUV. Unter Heranziehung dieser Grundfreiheit traf der EuGH zwei wegweisende Entscheidungen in Bezug auf die Anerkennung von Gesellschaften innerhalb der EU. Bereits in der Rechtssache Überseering58 urteilte er, dass es eine nicht gerechtfertigte Beschränkung der Niederlassungsfreiheit darstelle, wenn einer Gesellschaft, die nach dem Recht des Mitgliedstaats, in dem sie ihren satzungsmäßigen Sitz hat, gegründet worden ist, in einem anderen Mitgliedstaat, in welchen sie ihren tatsächlichen Sitz verlegt hat, die Rechtsfähigkeit abgesprochen wird. Später ging der EuGH dann noch weiter, indem er im Polbud-Urteil59 allein die Verlegung des satzungsmäßigen Sitzes einer Gesellschaft ebenfalls unter den Schutz der Niederlassungsfreiheit stellte. Dadurch kann eine nach dem Recht eines Mitgliedstaates gegründete Gesellschaft auch ohne Verlegung ihres tatsächlichen Sitzes in eine dem Recht am neuen satzungsmäßigen Sitz unterliegende Gesellschaft umgewandelt werden.60 cc) Absage an das Anerkennungsprinzip Umstritten ist, ob dieser EuGH-Rechtsprechung mitsamt den Grundfreiheiten zu entnehmen ist, dass für das Gesellschaftsrecht von der klassischen kollisionsrechtlichen Verweisungsmethode des IPR abzukehren ist und mit Rücksicht auf das Primärrecht der EU ein Übergang zur anerkennungsrechtlichen Methode erfolgen muss.61 Die vorherrschende Meinung sieht in den primärrechtlichen Vorgaben der EU keine Verpflichtung der Mitgliedstaaten, ein entsprechendes Anerkennungsprinzip zu implementieren,62 das der klassischen Kollisionsrechtsmethode vorgehen würde. Denn weder das Primärrecht der EU noch die Rechtsprechung des EuGH schreiben vor, ob ein Mitgliedstaat auf die methodische Vorgehensweise der Anpassung, Verweisung oder Ankerkennung zurückgreifen muss, um eine gegebenenfalls erforderliche Korrektur des Anknüpfungsergebnisses vorzunehmen.63 Methodisch ist einer kollisionsrechtlichen Lösung der Vorzug einzuräumen. Die Niederlassungsfreiheit lässt sich im Gesellschaftsrecht auf kollisionsrechtlicher Ebene mit Hilfe der Gründungstheorie verwirklichen.64 Für die Beantwortung der 58

3614. 59

EuGH, 05. 11. 2002, Rs. C-208/00 (Überseering), ECLI:EU:C:2002:632 = NJW 2002,

EuGH, 25. 10. 2017, Rs. C-106/16 (Polbud), ECLI:EU:C:2017:804 = NJW 2017, 3639. Staudinger/Looschelders, Einleitung IPR Rn. 68. 61 Staudinger/Looschelders, Einleitung IPR Rn. 70. 62 So etwa HCL/Behrens/Hoffmann, Bd. I, Einleitung Rn. B 145; Staudinger/Looschelders, Einleitung IPR Rn. 70 m. w. N. 63 Staudinger/Looschelders, Einleitung IPR Rn. 70 m. w. N. 64 Staudinger/Looschelders, Einleitung IPR Rn. 71; Weller, ZGR 2010, 679 (697 f.). 60

40 2. Kap.: Rechtlicher Rahmen zur Abgrenzung von Gesellschafts- und Insolvenzstatut

sich im Zusammenhang mit der grenzüberschreitenden Mobilität von Gesellschaften ergebenden kollisionsrechtlichen Fragestellungen ist daher die klassische kollisionsrechtliche Verweisungsmethode heranzuziehen. Die h. M. stellt zudem auf den zwischen der Rechtsfähigkeit und den sonstigen Fragestellungen des Gesellschaftsstatuts einer Gesellschaft bestehenden Funktionszusammenhang ab.65 Dieser forme die einzelnen Regelungsbereiche zu einer geschlossenen Einheit.66 Eine Aufspaltung des Gesellschaftsstatuts in Innen- und Außenverhältnisse der Gesellschaft könne zu Widersprüchen bei der internationalprivatrechtlichen Behandlung von Gesellschaften führen.67 Würde man ferner allein auf das Anerkennungsprinzip abstellen, ginge damit nicht zwingend eine Vereinfachung der Rechtsanwendung einher.68 Denn für eine objektiv gerechtfertigte Anwendung des Anerkennungsprinzips kommt es in einer kollisionsrechtsähnlichen Weise eben doch auch auf räumliche Kriterien zur Lokalisierung des maßgeblichen Bezugspunktes an.69 Bei den Kollisionsnormen der europäischen Verordnungen kommt das Anerkennungsprinzip ebenfalls nicht zur Anwendung. Die vereinheitlichten Kollisionsnormen des europäischen IPR bestimmen vielmehr einzelne Rechtsmaterien als Anknüpfungsgegenstände und weisen diese anhand bestimmter Anknüpfungsmomente einer Rechtsordnung zu.70 2. Internationales Insolvenzrecht als Teil des IPR Der Anstieg sog. Cross-Border-Insolvenzen als Folge der Internationalisierung und Globalisierung wirtschaftlicher Aktivitäten sorgte für das Bedürfnis, die bei grenzüberschreitenden Insolvenzen auftretenden verfahrens- und materiell-rechtlichen Schnittstellen der verschiedenen Rechtsordnungen zu regeln.71 Das internationale Insolvenzrecht liefert in seiner kollisionsrechtlichen Ausgestaltung die Anknüpfungsmomente, anhand derer bei insolvenzrechtlichen Sachverhalten mit Auslandsberührung die anzuwendende Rechtsordnung zu ermitteln ist.72 Daneben ist 65 Ebenroth, Vermögenszuwendungen, S. 338 f.; ders./Sura, RabelsZ 43 (1979), 315 (318); v. Hoffmann/Thorn, IPR § 7 Rn. 23; MüKo-BGB/Kindler, Bd. 13, Internationales Handels- und Gesellschaftsrecht Rn. 324. 66 MüKo-BGB/Kindler, Bd. 13, Internationales Handels- und Gesellschaftsrecht Rn. 324. 67 Hierzu Kropholler, IPR § 55 I 4 a. 68 MüKo-BGB/v. Hein, Bd. 12, EGBGB Art. 3 Rn. 146; Staudinger/Looschelders, Einleitung IPR Rn. 67. 69 MüKo-BGB/v. Hein, Bd. 12, EGBGB Art. 3 Rn. 146. 70 Schwemmer, Anknüpfungsprinzipien im Europäischen Kollisionsrecht, S. 6. Siehe auch Roth, EWS 2011, 314 (320); Weller, in: Arnold, Grundfragen, S. 133 (135 ff.). 71 Uhlenbruck/Lüer/Knof, InsO, Bd. 1, vor §§ 335 ff. Rn. 1. 72 In Bezug auf die EuInsVO Becker, ZEuP 287 (289); allgemein MüKo-BGB/Kindler, Bd. 13, Internationales Insolvenzrecht, Einleitung Rn. 1; Mock/Schildt, ZInsO 2003, 396 (397); KPB-InsO/Paulus, InsO vor §§ 335 ff. Rn. 1 f.; FK-InsO/Schallenberg/Rafiqpoor, vor §§ 335 ff. Rn. 7.

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das internationale Insolvenzrecht auch gleichermaßen Bestandteil internationalen Zivilverfahrensrechts.73 Für die Beurteilung von international-insolvenzrechtlichen Fragestellungen ist daher zunächst entscheidend, ob die Rechtsfrage verfahrensrechtlicher oder materiell-rechtlicher Natur ist.74 Dabei kommt es für die Einordnung der in Betracht kommenden Norm nicht darauf an, ob diese in einem verfahrensrechtlichen oder materiell-rechtlichen Gesetz verortet ist.75 Entscheidend ist vielmehr deren Regelungszweck.76 Bei einer verfahrensrechtlichen Einordnung der Rechtsfrage findet das lex fori-Prinzip77 des internationalen Zivilverfahrensrechts Anwendung. Danach bestimmen sich Verfahrensfragen allein nach dem Prozessrecht des erkennenden Gerichts.78 Als Teil des IPR ist für die hier zu untersuchenden Fragestellungen die kollisionsrechtliche Charakteristik des europäischen Insolvenzrechts von besonderem Interesse. Die Ausgestaltung und das Zusammenspiel der maßgeblichen Normen dieser Rechtsordnung stellen die Grundlage für die Abgrenzung des Insolvenzstatuts dar. a) Europäisches Insolvenzrecht Auf europäischer Ebene wurde das internationale Insolvenzrecht mit dem Inkrafttreten der EuInsVO 2000 am 31. 05. 2002 erstmals systematisch kodifiziert. Mit der Novellierung der Verordnung im Jahre 2015 wurde sodann ein internationales Konzerninsolvenzrecht neu geschaffen. Die EuInsVO in ihrer heutigen Fassung gilt für grenzüberschreitende Insolvenzverfahren in den Mitgliedstaaten der EU (mit Ausnahme von Dänemark79) allgemein, verbindlich und unmittelbar, Art. 288 Abs. 2 S. 1, 2 AEUV. Erfasst werden von ihr alle Insolvenzverfahren, welche die in ihr festgesetzten Voraussetzungen erfüllen, ganz gleich ob es sich beim Schuldner um eine natürliche oder juristische Person han.delt.80 Durch den Vorrang der EuInsVO wird der Anwendungsbereich der nationalen Vorgaben in §§ 335 bis 358 InsO praktisch eng begrenzt: Die EuInsVO regelt neben vereinheitlichtem materiellem Recht und Verfahrensrecht vor allem Fragen der grenzüberschreitenden Anerkennung und Vollstreckung, des Kollisionsrechts und der internationalen Zuständigkeit.81 Im Verhältnis zu den Mitgliedsstaaten ist das autonome deutsche Insolvenz73

Geimer, IZPR Rn. 3363; FK-InsO/Schallenberg/Rafiqpoor, vor §§ 335 ff. Rn. 7. MüKo-InsO/Reinhart, Bd. 3, vor §§ 335 ff. Rn. 30. 75 Geimer, IZPR Rn. 54. 76 Allgemein v. Bar/Mankowski, IPR I § 5 Rn. 4. 77 Zum lex fori-Prinzip v. Hoffmann/Thorn, IPR § 3 Rn. 5 ff.; Geimer, IZPR Rn. 319 ff. 78 BGH, 27. 06. 1984 – IVb ZR 2/83, juris Rn. 8 = NJW 1985, 552 (553); FK-InsO/ Schallenberg/Rafiqpoor, vor §§ 335 ff. Rn. 9. 79 Dänemark beteiligt sich nicht an der Annahme von Maßnahmen nach Titel V AEUV, Protokoll Nr. 22 über die Position Dänemarks zum Vertrag von Lissabon, ABl.EU 2010 C 83/ 299; ErwG 88 EuInsVO, ABl.EU 2015 L 141/29. 80 ErwG 9 EuInsVO, ABl.EU 2015 L 141/20. 81 Mankowski/Müller/Schmidt, EuInsVO, Einleitung Rn. 4. 74

42 2. Kap.: Rechtlicher Rahmen zur Abgrenzung von Gesellschafts- und Insolvenzstatut

recht demnach nur dann anwendbar, soweit der Anwendungsbereich der EuInsVO nicht eröffnet ist.82 Die Verordnung folgt ebenfalls dem eingeschränkten bzw. abgeschwächten83 Universalitätsprinzip.84 Nach Art. 7 Abs. 1 EuInsVO gilt für das Insolvenzverfahren und seine Wirkungen das Insolvenzrecht des Mitgliedstaats, in dessen Hoheitsgebiet das Verfahren eröffnet wird. Mithin benennt der Staat der Verfahrenseröffnung in der Regel die Voraussetzungen und Wirkungen der Eröffnung des Insolvenzverfahrens, soweit die EuInsVO nichts anderes bestimmt.85 Allerdings wird das Prinzip der Universalität an zwei Stellen durchbrochen.86 So wird zum einen die lex fori concursus vereinzelt durch Sonderanknüpfungen verdrängt oder durch ergänzende Sachnormen modifiziert. Zum anderen führt die Möglichkeit zur Eröffnung von innerstaatlichen Insolvenzverfahren, die allein das im Eröffnungsstaat befindliche Vermögen erfassen, zu einer Beschränkung des Universalitätsprinzips. b) Bestimmung des anwendbaren Rechts Einen Schwerpunkt des europäischen internationalen Insolvenzrechts stellen Art. 3, 6 und Art. 7 EuInsVO dar. Sie beschreiben grundlegende Merkmale der EuInsVO und bestimmen im Zusammenwirken das anwendbare Recht. Während Art. 3 EuInsVO die internationale Zuständigkeit bei grenzüberschreitenden Insolvenzverfahren im Hinblick auf die verschiedenen Verfahrensarten der EuInsVO in zentraler Weise regelt, führt die Festsetzung des lex fori-Prinzips in der Kollisionsnorm des Art. 7 EuInsVO grundsätzlich zu einer Kongruenz von internationaler Zuständigkeit und anwendbarem Recht.87 Erst aus der Kombination dieser Normen lässt sich ermitteln, welchen Staates Rechtsordnung zur Anwendung kommt. Denn Art. 3 EuInsVO entscheidet über den Verweis auf die lex fori concursus in Art. 7 EuInsVO mittelbar über anwendbares Recht.88 Art. 6 Abs. 1 EuInsVO regelt die Zuständigkeit für sog. Annexklagen und ist darüber hinaus ebenfalls (zumindest indirekt) für die Bestimmung des anwendbaren Rechts relevant.89

82 BGH, 03. 02. 2011 – V ZB 54/10, juris Rn. 11 = NJW 2011, 1818; BGH, 08. 12. 2016 – V ZB 41/14, juris Rn. 6 = NJW-RR 2017, 299; KPB-InsO/Paulus, InsO vor §§ 335 ff. Rn. 12 ff. 83 MüKo-BGB/Kindler, Bd. 13, Internationales Insolvenzrecht, EuInsVO Vorb. vor Art. 1 Rn. 16. 84 ErwG 22 EuInsVO, ABl.EU 2015 L 141/21. 85 Prager/Ch. Keller, in: Bork/Hölzle, HdB Insolvenzrecht, Int. InsR Rn. 116. 86 ErwG 22, 23 EuInsVO, ABl.EU 2015 L 141/21. 87 MüKo-BGB/Kindler, Bd. 13, Internationales Insolvenzrecht, EuInsVO Art. 7 Rn. 1. 88 Mankowski/Müller/Schmidt, EuInsVO Art. 3 Rn. 1. 89 Dazu ausführlich unten Kap. 3 § 6 C. II. 1. und Kap. 4 § 8 B. I.

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aa) Art. 3 EuInsVO Regelungsgegenstand des Art. 3 EuInsVO ist die Bestimmung der internationalen Gerichtszuständigkeit bei Haupt- und Partikularinsolvenzverfahren. Er definiert die maßgeblichen Anknüpfungspunkte für die internationale Eröffnungszuständigkeit. Für die Zuständigkeit bei Hauptinsolvenzverfahren knüpft Art. 3 Abs. 1 S. 1 EuInsVO an den Mittelpunkt der hauptsächlichen Interessen des Schuldners an. Er benennt allgemein den Mitgliedstaat, dessen Gerichte für die Eröffnung des Insolvenzverfahrens zuständig sind.90 Die innerstaatliche sachliche und örtliche Zuständigkeit bestimmt sich demgegenüber durch die mitgliedstaatlichen Regelungen.91 Das Zuständigkeitsmerkmal des Mittelpunktes der hauptsächlichen Interessen wird in Anlehnung an den originalen englischen Terminus („centre of main interests“) international als COMI abgekürzt.92 Dieser Anknüpfungspunkt des COMI bringt das kollisionsrechtliche Grundprinzip der Anknüpfung an die engste Verbindung für die jeweilige Rechtsbeziehung zum Ausdruck.93 In der Neufassung der EuInsVO beinhaltet Art. 3 Abs. 1 S. 2 EuInsVO eine gesetzliche Definition des COMI. Danach ist der Mittelpunkt der hauptsächlichen Interessen der Ort, an dem der Schuldner gewöhnlich der Verwaltung seiner Interessen nachgeht und der für Dritte feststellbar ist. Vor der Ergänzung des Art. 3 Abs. 1 EuInsVO musste der Begriff des COMI als autonomer Begriff der EuInsVO einheitlich und unabhängig von nationalen Rechtsvorschriften unter Bezugnahme des Unionsrechts ausgelegt werden.94 Die heutige Legaldefinition fußt daher auf der Rechtsprechung95 von 90 MüKo-BGB/Kindler, Bd. 13, Internationales Insolvenzrecht, EuInsVO Art. 3 Rn. 1 f.; Mankowski/Müller/Schmidt, EuInsVO Art. 3 Rn. 6; BeckOK-InsO/Mock, EuInsVO Art. 3 Rn. 2. 91 ErwG 26 EuInsVO, ABl.EU 2015 L 141/22; Kayser/Thole/Dornblüth, HD-KO InsO, EuInsVO Art. 3 Rn. 1; Leible/Staudinger, KTS 2000, 533 (542). Im Hinblick auf das EUÜbereinkommen über Insolvenzverfahren vom 23. 11. 1995 Virgós/Schmit, Erläuternder Bericht Rn. 72. 92 Kübler, in: FS Gerhardt, S. 527 (529 f.). Ausführlich zum Begriff des COMI KPB-InsO/ Madaus, EuInsVO Art. 3 Rn. 10. 93 Ebenroth, ZZP 1988, 121 (127 f.); Hanisch, in: FS Jahr, S. 455 (458); Leible/Staudinger, KTS 2000, 533 (543); Mankowski/Müller/Schmidt, EuInsVO Art. 3 Rn. 15; Taupitz, 1998, 315 (326). 94 EuGH, 02. 05. 2006, Rs. C-341/04 (Eurofood), ECLI:EU:C:2006:281 Rn. 31 = IPRax 2007, 120 (122); EuGH, 20. 10. 2011, Rs. C-396/09 (Interedil), ECLI:EU:C:2011:671 Rn. 43 f. = DZWIR 2012, 60 (63); ferner EuGH, 22. 11. 2012, Rs. C-116/11 (Handlowy), ECLI:EU:C: 2012:739 Rn. 49 ff. = ZIP 2012, 2403 (2405). 95 EuGH, 02. 05. 2006, Rs. C-341/04 (Eurofood), ECLI:EU:C:2006:281Rn. 32 ff. = IPRax 2007, 120 (122), EuGH, 20. 10. 2011, Rs. C-396/09 (Interedil), ECLI:EU:C:2011:671 Rn. 47 ff. = DZWIR 2012, 60 (63); AG Hamburg, 14. 05. 2003 – 67 g IN 358/02 = NZI 2003, 442 (443); High Court of Justice Leeds, 16. 05. 2003 – (Re Daisytek-ISA Limited & Ors) = NZI 2004, 219 (221); Tribunale di Parma, 19. 02. 2004 – 53/04 = ZIP 2004, 1220 (1222); High Court Dublin (Justice Kelly), 23. 03. 2004 – 33/04 = ZIP 2004, 1223 (1225 f.); AG Mönchengladbach, 27. 04. 2004 – 19 IN 54/04, juris Rn. 23 = NZI 2004, 383 (384); AG München, 04. 05. 2004 – 1501 IE 1276/04 = NZI 2004, 450.

44 2. Kap.: Rechtlicher Rahmen zur Abgrenzung von Gesellschafts- und Insolvenzstatut

mitgliedstaatlichen Gerichten und auf Grundsatzentscheidungen des EuGH. Für Gesellschaften bedeutete das die Abkehr von der „Mind of Management-Theorie“96. Im Sinne der „Business-Activity-Theorie“97 ist nunmehr der Ort der Hauptverwaltung entscheidend, wie er sich nach objektiven und für Dritte erkennbaren Umständen feststellen lässt.98 Art. 3 Abs. 1 UAbs. 1 S. 1 EuInsVO bestimmt insoweit, dass es für das COMI auf die Hauptverwaltung ankommt. Diese wird widerleglich „bis zum Beweis des Gegenteils“ am Ort des satzungsmäßigen Sitzes vermutet.99 Dennoch ist nach der Rechtsprechung des EuGH „bei der Bestimmung des Mittelpunkts der hauptsächlichen Interessen einer Schuldnergesellschaft (…) dem Ort der Hauptverwaltung dieser Gesellschaft, wie er anhand von objektiven und durch Dritte feststellbaren Faktoren ermittelt werden kann, der Vorzug zu geben“100. Das COMI ist also trotz dieser Vermutung regelmäßig am Ort der Hauptverwaltung der Gesellschaft zu verorten. Dies führt für die Bestimmung des COMI letztlich zur Maßgeblichkeit des Verwaltungssitzes. Für ein Hauptinsolvenzverfahren bedeutet die Regelung grundsätzlich, dass die internationale Zuständigkeit deutscher Gerichte nur besteht und deutsches Recht nur dann zur Anwendung kommt, sofern das COMI in Deutschland belegen ist. Befindet sich dieses hingegen in Dänemark oder in einem Drittstaat außerhalb der EU bzw. des EWR, finden die Zuständigkeitsregeln des autonomen deutschen internationalen Insolvenzrechts Anwendung. bb) Art. 7 EuInsVO Nach Art. 7 Abs. 1 EuInsVO gilt, soweit die Verordnung nichts anderes bestimmt, für das Insolvenzverfahren und seine Wirkungen das Insolvenzrecht des Mitgliedstaates, in dessen Hoheitsgebiet das Verfahren eröffnet wird. Die Grundsatznorm des Art. 7 Abs. 1 EuInsVO ist mit ihrem Verweis auf das Recht des Staates der Verfahrenseröffnung (sog. lex fori concursus oder Insolvenzstatut) als allgemeine Kollisionsnorm ausgestaltet.101 Die Norm stellt – wie alle Kollisionsnormen der 96 So der High Court of Justice London, 03. 07. 2006 – [2009] EWHC 1441 (Ch) Case Nos. 13338 and 13959 of 2009 = ZIP 2009, 1776 (1777) im Anschluss an die EurofoodEntscheidung des EuGH. 97 MüKo-BGB/Kindler, Bd. 13, Internationales Insolvenzrecht, EuInsVO Art. 3 Rn. 18 ff. 98 EuGH, 02. 05. 2006, Rs. C-341/04 (Eurofood), ECLI:EU:C:2006:281 Rn. 32 ff. = IPRax 2007, 120 (122); EuGH, 20. 10. 2011, Rs. C-396/09 (Interedil), ECLI:EU:C:2011:671 Rn. 59 = DZWIR 2012, 60 (64); Kayser/Thole/Dornblüth, HD-KO InsO, EuInsVO Art. 3 Rn. 7. 99 Kayser/Thole/Dornblüth, HD-KO InsO, EuInsVO Art. 3 Rn. 6; MüKo-BGB/Kindler, Bd. 13, Internationales Insolvenzrecht, EuInsVO Art. 3 Rn. 24; Virgós/Schmit Erläuternder Bericht Rn. 75. 100 EuGH, 20. 10. 2011, Rs. C-396/09 (Interedil), ECLI:EU:C:2011:671 Rn. 59 = DZWIR 2012, 60 (64). 101 Zum kollisionsrechtlichen Charakter des Art. 4 EuInsVO 2000 EuGH, 22. 11. 2012, Rs. C-116/11 (Handlowy), ECLI:EU:C:2012:739 Rn. 47 = IPRax 2014, 530 (532); BeckOKInsO/Mock, EuInsVO Art. 7 Rn. 1.

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EuInsVO – eine Sachnormverweisung dar.102 Sie enthält folglich keine Verweisung auf das jeweilige nationale IPR. Der Staat der Verfahrenseröffnung wird hierbei durch Art. 3 EuInsVO bestimmt. Bei einer Verlegung des COMI kann sich somit auch das anwendbare Insolvenzstatut ändern. Der sachliche Anknüpfungsgegenstand ist weit gefasst. Er erstreckt sich auf alle Insolvenzverfahren im Anwendungsbereich der Verordnung sowie auf alle verfahrens- und materiell-rechtlichen Wirkungen des Insolvenzverfahrens.103 Anhang A der EuInsVO regelt abschließend, welche Insolvenzverfahren als öffentliche Gesamtverfahren hiervon erfasst sind, Art. 1 Abs. 1 S. 1, Art. 2 Nr. 4 EuInsVO. Anknüpfungsmoment ist der Staat der Verfahrenseröffnung. In Ermangelung einer Verfahrenseröffnung stellt das Recht des Staates das Anknüpfungsmoment dar, in dem das Insolvenzverfahren hypothetisch zu eröffnen ist, also als sachnächstes Recht das Recht am Mittelpunkt der hauptsächlichen Interessen des Schuldners.104 Die Anwendbarkeit der lex fori concursus gilt für alle in der EuInsVO vorgesehenen Verfahrensarten, mithin sowohl für Haupt- als auch für Partikularverfahren.105 Durch Art. 7 Abs. 2 EuInsVO erfährt das Recht des Staates der Verfahrenseröffnung hinsichtlich der Voraussetzungen der Eröffnung eines Insolvenzverfahrens, der Art der Durchführung und der Beendigung eine Konkretisierung. Daran schließt sich eine beispielhafte, nicht erschöpfende Aufzählung106 von Fällen an, in denen die lex fori concursus für die zuvor genannten Teilbereiche zur Anwendung kommen soll. 3. Internationales Deliktsrecht als Teil des IPR Um eine Abgrenzung des Gesellschaftsstatuts vom Insolvenzstatut anhand insolvenznaher Haftungstatbestände vornehmen zu können, ist ferner das internationale Deliktsrecht in den Blick zu nehmen. Das autonome deutsche und das europäische internationale Deliktsrecht unterscheidet sich in den sachlichen Anwendungsbereichen. Durch die Rom II-VO wird das im sachlichen Anwendungsbereich der Verordnung liegende autonome internationale Deliktsrecht abgelöst, vgl. Art. 3 Nr. 1 lit. a EGBGB. Die Kollisionsnormen des nationalen Rechts finden daher nur 102

BeckOK-InsO/Mock, EuInsVO Art. 7 Rn. 2; EuInsVO/Paulus, Art. 7 Rn. 3 bei Fn. 8. ErwG 66 EuInsVO, ABl.EU 2015 L 141/26; MüKo-BGB/Kindler, Bd. 13, Internationales Insolvenzrecht, EuInsVO Art. 7 Rn. 3 f.; Mankowski/Müller/Schmidt, EuInsVO Art. 7 Rn. 7 f. 104 Eidenmüller, NJW 2005 1618 (1621); MüKo-BGB/Kindler, Bd. 13, Internationales Insolvenzrecht, EuInsVO Art. 7 Rn. 3. Zur hypothetischen Verfahrenseröffnung Kap. 3 § 6 B. II. 2. und Kap. 4 § 9 A. I. 105 ErwG 66 EuInsVO, ABl.EU 2015 L 141/26; Kayser/Thole/Dornblüth, HD-KO InsO, EuInsVO Art. 7 Rn. 1; MüKo-BGB/Kindler, Bd. 13, Internationales Insolvenzrecht, EuInsVO Art. 7 Rn. 2. 106 EuGH, 21. 01. 2010, Rs. C-444/07 (Probud Gdynia), ECLI:EU:C:2010:24 Rn. 25 = IPRax 2011, 589 (591); EuGH, 09. 11. 2016, Rs. C-212/15 (ENEFI), ECLI:EU:C:2016:841 Rn. 21 = NJW 2017, 144 (145). 103

46 2. Kap.: Rechtlicher Rahmen zur Abgrenzung von Gesellschafts- und Insolvenzstatut

noch auf Altfälle und auf von der Rom II-VO nicht erfasste Deliktstypen Anwendung.107 a) Europäisches Deliktsrecht Die Grundanknüpfung des europäischen internationalen Deliktsrecht findet sich in der allgemeinen Kollisionsnorm des Art. 4 Rom II-VO. aa) Anknüpfungssystem Im Unterschied zum autonomen deutschen IPR des Art. 40 Abs. 1 EGBGB, bei dem der Handlungsort der eigentliche Anknüpfungspunkt ist, stellt Art. 4 Abs. 1 Rom II-VO auf den Ort des Schadenseintritts und damit auf den Erfolgsort ab.108 Daraus folgt zugleich eine Absage an das europäische Ubiquitätsprinzip109 sowie an den Günstigkeitsgrundsatz.110 Ansonsten ähnelt das Anknüpfungssystem des europäischen internationalen Deliktsrechts dem der Art. 40 ff. EGBGB. Nach der Gesamtsystematik der Rom II-VO ist zunächst die von den Parteien gemäß Art. 14 Rom II-VO getroffene Wahl des Rechts, dem das außervertragliche Schuldverhältnis unterliegen soll, vorrangig.111 Da Art. 14 Abs. 1 S. 1 lit. b Rom II-VO die Möglichkeit einer Rechtswahl vor Eintritt des schadensbegründenden Ereignisses eröffnet, ist die Regelung weitrechender ist als die des Art. 42 S. 1 EGBGB. Diese Norm ermöglicht lediglich eine Rechtswahl post eventum.112 Wurde keine Rechtswahl getroffen, kann freilich nicht direkt auf die Grundanknüpfung zurückgegriffen werden. Zuvor ist zu prüfen, ob die besonderen Anknüpfungsregelungen der Art. 5 bis 9 Rom II-VO für spezielle Deliktstypen Anwendung finden.113 Die sachliche Reichweite des nach der Anknüpfungssystematik der Art. 4 ff. Rom II-VO ermittelten Rechts für außervertragliche Schuldverhältnisse – und damit die Reichweite

107

Wurmnest, in: jurisPK-BGB, EGBGB Art. 40 Rn. 7. MüKo-BGB/Junker, Bd. 13, Außervertragliche Schuldverhältnisse, Rom II-VO Art. 4 Rn. 3; Wagner, IPRax 2008, 1 (5); Weller, IPRax 2011, 429 (435). 109 Hierzu etwa EuGH, 30. 11. 1976, Rs. 21/76 (Mines de Potasse), ECLI:EU:C:1976:166 Rn. 15/19 = NJW 1977, 493; EuGH, 21. 05. 2015, Rs. C-352/13 (CDC Hydrogen), ECLI:EU: C:2015:335 Rn. 38 = EuZW 2015, 584 (588). 110 v. Hein, VersR 2007, 440 (443); Leible/Engel, EuZW 2004, 7 (10); Sonnentag, ZVglRWiss 2006, 256 (266 f.) m. w. N.; Wagner, IPRax 2006, 372 (376); ders., IPRax 2008, 1 (5) m. w. N. 111 MüKo-BGB/Junker, Bd. 13, Außervertragliche Schuldverhältnisse, Rom II-VO Art. 4 Rn. 9; BeckOK-BGB/Spickhoff, Rom II-VO Art. 4 Rn. 2; Wagner, IPRax 2008, 1 (4). 112 MüKo-BGB/Junker, Bd. 13, Außervertragliche Schuldverhältnisse, Rom II-VO Art. 14 Rn. 7; Leible/Lehmann, RIW 2007, 721 (726 f.); Wagner, IPRax 2008, 1 (13). 113 Zur Systematik und Prüfungsreihenfolge MüKo-BGB/Junker, Bd. 13, Außervertragliche Schuldverhältnisse, Rom II-VO Art. 4 Rn. 7 ff.; Wagner, IPRax 2008, 1 (4). 108

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des Deliktsstatuts – ermittelt sich nach der Qualifikationsnorm des Art. 15 Rom IIVO.114 bb) Art. 4 Rom II-VO Sollte keiner der spezielleren Tatbestände einschlägig sein, ist auf Art. 4 Rom IIVO und dessen Systematik abzustellen. Der gemeinsame gewöhnliche Aufenthalt von Ersatzpflichtigem und Verletztem nach Art. 4 Abs. 2 Rom II-VO (lex domicilii communis) verdrängt die Tatortregel des Art. 4 Abs. 1 Rom II-VO.115 Weist die unerlaubte Handlung hingegen eine offensichtlich engere Verbindung mit einem anderen als dem in den Abs. 1 oder 2 bezeichneten Staat auf, so ist nach Art. 4 Abs. 3 Rom II-VO das Recht dieses Staates anzuwenden. Eine offensichtlich engere Verbindung i. S. d. Vorschrift, die sich aus der Gesamtheit der Umstände ergeben muss, geht damit der Grundanknüpfung des Art. 4 Abs. 1 und 2 Rom II-VO vor.116 b) Zuständigkeit nach der Brüssel Ia-VO Die Qualifikation von Haftungsansprüchen mit Insolvenzbezug findet regelmäßig auf Basis der Zuständigkeitsregeln der Brüssel Ia-VO und der EuInsVO statt.117 Zentral ist daher die Bestimmung des Anwendungsbereichs der Brüssel Ia-VO in Abgrenzung zur EuInsVO. aa) Anwendungsbereich Nach Art. 1 Abs. 1 S. 1 Brüssel Ia-VO ist die Verordnung in Zivil- und Handelssachen anzuwenden, ohne dass es auf die Art der Gerichtsbarkeit ankommt. Aus Art. 1 Abs. 2 lit. b Brüssel Ia-VO folgt sodann, dass Konkurse, Vergleiche oder ähnliche Verfahren vom Anwendungsbereich der Verordnung ausgeschlossen sind. Dagegen gilt die EuInsVO gem. Art. 1 Abs. 1 S. 1 EuInsVO für öffentliche Gesamtverfahren. Anhang A der EuInsVO regelt abschließend118, wann es sich bei Insolvenzverfahren um „öffentliche Gesamtverfahren“119 handelt. Ist ein solches in 114 115

Rn. 7.

Engel, in: jurisPK-BGB, Rom II-VO Art. 15 Rn. 2. MüKo-BGB/Junker, Bd. 13, Außervertragliche Schuldverhältnisse, Rom II-VO Art. 4

116 MüKo-BGB/Junker, Bd. 13, Außervertragliche Schuldverhältnisse, Rom II-VO Art. 4 Rn. 8; BeckOK-BGB/Spickhoff, Rom II-VO Art. 4 Rn. 2. 117 Dazu ausführlich unten Kap. 3 § 6 C. II. 1. 118 ErwG 9 EuInsVO, ABl.EU 2015 L 141/20; Albrecht, ZInsO 2015, 1077 (1078); K. Schmidt InsO/Brinkmann, EuInsVO 2000 Art. 1 Rn. 2; BeckOK-InsO/Mock, EuInsVO Art. 1 Rn. 10; Prager/Keller, WM 2015, 805; MüKo-InsO/Reinhart, Bd. 4, EuInsVO Art. 1 Rn. 4. 119 Siehe die Legaldefinition in Art. 2 Nr. 1 EuInsVO; ErwG 14 EuInsVO, ABl.EU 2015 L 141/20; ferner BeckOK-InsO/Mock, EuInsVO Art. 1 Rn. 10; Mankowski/Müller/Schmidt, EuInsVO Art. 1 Rn. 11 ff.

48 2. Kap.: Rechtlicher Rahmen zur Abgrenzung von Gesellschafts- und Insolvenzstatut

Anhang A der EuInsVO aufgeführt, fällt es nicht in den Anwendungsbereich der Brüssel Ia-VO, sondern in den der EuInsVO.120 Der alleinige Umstand, dass ein nationales Verfahren nicht in Anhang A der EuInsVO aufgeführt ist, bedeutet jedoch noch nicht, dass dieses Verfahren unter die Brüssel Ia-VO fällt. Dies ist nur der Fall, sofern deren Anwendungsvoraussetzungen erfüllt sind.121 Aufgrund des beschriebenen Antagonismus und zur Vermeidung von Kompetenzkonflikten sind die beiden Verordnungen nach ständiger Rechtsprechung des EuGH so auszulegen, dass „jede Regelungslücke und Überschneidung zwischen den in ihnen enthaltenen Rechtsvorschriften vermieden wird“122. Dabei geht der EuGH davon aus, dass der in Art. 1 Abs. 1 S. 1 Brüssel Ia-VO enthaltene Begriff der „Zivil- und Handelssachen“ – und damit der Anwendungsbereich der Verordnung – weit zu fassen ist, während der Anwendungsbereich der EuInsVO eng auszulegen ist.123 bb) Internationale Zuständigkeit Ist der Anwendungsbereich der Brüssel Ia-VO eröffnet, bestimmt sich die internationale Zuständigkeit nach dem abgeschlossenen Zuständigkeitssystem der Art. 4 ff. Brüssel Ia-VO. Der allgemeine Gerichtsstand des Wohnsitzes folgt aus Art. 4 Abs. 1 Brüssel Ia-VO. Danach sind Personen, die ihren Wohnsitz im Hoheitsgebiet eines Mitgliedstaats haben, ohne Rücksicht auf ihre Staatsangehörigkeit vor den Gerichten dieses Mitgliedstaats zu verklagen. Besondere Zuständigkeitsregelungen finden sich in Art. 7 Brüssel Ia-VO. Für Klagen gegen Gesellschaften und juristischen Personen können diese für die Anwendung der Brüssel Ia-VO ihren Wohnsitz an verschiedenen Orten haben. Dem Kläger stehen gem. Art. 63 Abs. 1 lit. a bis c Brüssel Ia-VO drei Gerichtsstände alternativ zur Verfügung: der satzungsmäßige Sitz, der Sitz der Hauptverwaltung sowie der Sitz der Hauptniederlassung. Die Voraussetzungen der Gerichtsstände des Art. 63 Abs. 1 Brüssel Ia-VO sind autonom zu bestimmen und unabhängig von nationalen Vorschriften.124

120

ErwG 7 S. 2 EuInsVO, ABl.EU 2015 L 141/19; Haas, NZG 1999, 1148 (1149); Haubold, IPRax 2002, 157; Rauscher/Mankowski, EuZPR/EuIPR, Bd. I, Brüssel Ia-VO Art. 1 Rn. 115; Oberhammer, ZInsO 2004, 761 (764); Vallender/Vallender, EuInsVO Art. 1 Rn. 6. 121 ErwG 7 S. 4 EuInsVO, ABl.EU 2015 L 141/19. 122 EuGH, 04. 09. 2014, Rs. C-157/13 (Nickel & Goeldner), ECLI:EU:C:2014:2145 Rn. 21 = NZI 2014, 919 (920). Ausführliche Nachweise hierzu finden sich in Kap. 3 § 6 C. II. 1. 123 EuGH, 10. 09. 2009, Rs. C-292/08 (German Graphics), ECLI:EU:C:2009:544 Rn. 23 ff. = NZI 2009, 741 (742). Ausführliche Nach- und Hinweise hierzu finden sich in Kap. 3 § 6 C. II. 1. 124 ErwG 15 S. 3 Brüssel Ia-VO, ABl.EU 2012 L 351/3.

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B. Auslegung europäischen Kollisionsrechts Die dargestellten europäischen Kollisionsnormen und Unionsrechtsakte bilden die Grundlage für die Abgrenzung von Gesellschafts- und Insolvenzstatut. Um die Anwendung dieser Verordnungen und Regelungen entsprechend ihrem Inhalt um Umfang zu gewährleisten, ist ein Blick auf die maßgebenden Auslegungsmethoden und -kriterien zu werfen.

I. Autonome Auslegung Wie im sekundären Unionsrecht meist üblich125, enthalten weder die EuInsVO noch die Rom II-VO – und mangels Kodifizierung schon gar nicht das internationale Gesellschaftsrecht – allgemeine Vorgaben zu ihrer Auslegung. Lediglich in Erwägungsgrund 11 der Rom II-VO findet sich der Hinweis, dass der Begriff des außervertraglichen Schuldverhältnisses aufgrund der in den Mitgliedstaaten unterschiedlich verwandten Definitionen als autonomer Begriff verstanden werden sollte. Damit wird klargestellt, was ganz allgemein für die Auslegung der unionsrechtlichen Kollisionsnormen gilt: Die Begriffe einer Vorschrift des Unionsrechts sind grundsätzlich nicht nach der lex fori, sondern vielmehr frei von nationalen Implikationen autonom und einheitlich auszulegen. Eine Ausnahme besteht, soweit für die Ermittlung ihres Sinnes und ihrer Bedeutung ausdrücklich auf das Recht der Mitgliedstaaten verwiesen wird.126 Den Willen der Mitgliedstaaten zur Festlegung des Grundsatzes der autonomen Auslegung von auf europäischem Primärrecht beruhenden Maßnahmen sieht der EuGH in der Aufnahme der Art. 61 und Art. 65 in den EG-Vertrag sowie in dem Ziel, einen einheitlichen Raum der Freiheit, der Sicherheit und des Rechts zu schaffen.127 Aus der systematischen Kohärenz des europäischen IPR folgt ferner, dass bei der Auslegung des kollisionsrechtlichen Gemeinschaftsrechts eine andere Schwerpunktsetzung erfolgt als bei der Auslegung des nationalen autonomen Kollisionsrechts. Nationale Interessen müssen weitestgehend unberücksichtigt bleiben. Vielmehr ist den Zielen und Interessen des Gemeinschaftsrechts im Sinne des effet utile Rechnung zu tragen, um diesem größtmögliche Wirkung zukommen zu lassen.128

125

Rösler, in: Basedow/Hopt/Zimmermann, HWB des Europäischen Privatrechts, S. 122. St. Rspr., siehe nur EuGH, 01. 03. 2018, Rs. C-558/16 (Mahnkopf), ECLI:EU:C:2018: 138 Rn. 32 = NJW 2018, 1377 (1377 f.); MüKo-BGB/v. Hein, Bd. 12, EGBGB Art. 3 Rn. 163 ff.; Staudinger/Looschelders, Einleitung IPR Rn. 531; Prager/Ch. Keller, in: Bork/ Hölzle, HdB Insolvenzrecht, Int. InsR Rn. 11 f. 127 EuGH, 08. 11. 2005, Rs. C-443/03 (Leffler), ECLI:EU:C:2005:665 Rn. 45 = EuZW 2006, 22 (23); siehe auch Heinze, in: FS Kropholler, S. 105 (108). 128 Gössl, ZfRV 2011, 65 (67); Kropholler, in: FS Max-Planck-Institut, S. 583 (593). 126

50 2. Kap.: Rechtlicher Rahmen zur Abgrenzung von Gesellschafts- und Insolvenzstatut

II. Auslegungsmethode Methodisch ist für die autonome Auslegung auf die von Savigny entwickelten Formen der grammatischen, systematischen, historischen und teleologischen Auslegung zurückzugreifen.129 Diese sind jedoch an die europäischen Anforderungen und Besonderheiten anzupassen.130 Zentral für die Auslegung sind Sinn und Zweck der Vorschrift. Der EuGH qualifiziert daher funktional-teleologisch, also genau so, wie es heutzutage in der Praxis und Lehre auch im deutschen IPR üblich ist.131 Aus den Erwägungsgründen der Verordnungen, denen freilich kein normativer Gehalt zuzuschreiben ist,132 lassen sich hierfür beispielsweise die wesentlichen Zielrichtungen des Verordnungsgebers ableiten.133 Zur Wahrung der Rechtssicherheit134 und zur Gewährleistung einer einheitlichen Auslegung des Unionsrechts sieht Art. 267 AEUV bei Auslegungsfragen die Möglichkeit einer Vorabentscheidung durch den EuGH vor. Gegenstand eines Vorabentscheidungsverfahrens können neben den Verträgen i. S. d. Art. 1 Abs. 2 AEUV grundsätzlich auch sämtliche (sekundären) Rechtssetzungsakte der EU i. S. d. Art. 288 Abs. 1 AEUV sein, Art. 267 Abs. 1 lit. a AEUV, Art. 19 Abs. 3 lit. b Alt. 1 EUV. Der EuGH beantwortet in einem solchen Vorabentscheidungsverfahren nur die gegenständliche Rechtsfrage und entscheidet den konkreten Fall nicht selbst.135 Eine förmliche Bindungswirkung entfaltet sich damit nur inter partes zwischen dem vorlegenden Gericht und den betroffenen Instanzgerichten. Auch wenn dadurch nicht ausgeschlossen ist, dass die mitgliedstaatlichen Gerichte unter bestimmten Voraussetzungen eine Auslegungsfrage erneut dem EuGH zur Beantwortung vorlegen, ist die Interpretation und Auslegung des EuGH von allgemeiner Bedeutung und bei der Anwendung der europäischen Kollisionsrechtsnormen stets zu beachten.

129 MüKo-BGB/v. Hein, Bd. 12, EGBGB Art. 3 Rn. 162, 166 ff.; Staudinger/Looschelders, Einleitung IPR Rn. 531 ff.; Rösler, in: Basedow/Hopt/Zimmermann, HWB des Europäischen Privatrechts, S. 122. Zur Methodik Larenz/Canaris, Methodenlehre, S. 133 ff.; v. Savigny, System des heutigen Römischen Rechts, Bd. I, 1840, S. 213 ff., Bd. III, 1840, S. 256. 130 MüKo-BGB/v. Hein, Bd. 12, EGBGB Art. 3 Rn. 162. 131 MüKo-BGB/v. Hein, Bd. 12, Einleitung zum IPR Rn. 118, 121 ff. 132 Siehe nur EuGH, 07. 02. 2018, Rs. C-643/16 (Her Majesty’s Treasury), ECLI:EU:C: 2018:67 Rn. 51 = WM 2018, 321 (325). 133 MüKo-BGB/v. Hein, Bd. 12, EGBGB Art. 3 Rn. 171; Staudinger/Looschelders, Einleitung IPR Rn. 533; in Bezug auf die EuInsVO Prager/Ch. Keller, in: Bork/Hölzle, HdB Insolvenzrecht, Int. InsR Rn. 11. Allgemein zur Funktion von Erwägungsgründen Wagner, IPRax 2014, 217 (221). 134 Hierzu EuGH, 16. 01. 1974, Rs. 166/73 (Rheinmühlen-Düsseldorf), ECLI:EU:C:1974:3 Rn. 2 = NJW 1974, 440; EuGH, 24. 05. 1977, Rs. 107/76 (Hoffmann-La Roche), ECLI:EU:C: 1977:89, Rn. 5 = NJW 1977, 1585 (1585 f.). 135 St. Rspr., EuGH, 28. 03. 1979, Rs. 222/78 (ICAP), ECLI:EU:C:1979:90 Rn. 10 ff. = BeckRS 2004, 72399; MüKo-BGB/v. Hein, Bd. 12, EGBGB Art. 3 Rn. 154; Pirrung, in: Basedow/Hopt/Zimmermann, HWB des Europäischen Privatrechts, S. 514; Calliess/Ruffert/ Wegener, EUV/AEUV, AEUV Art. 267 Rn. 6.

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C. Qualifikation Will man die Frage beantworten, nach welchen Kriterien ein Rechtsverhältnis, eine Rechtsfigur oder eine Rechtsnorm als gesellschaftsrechtlich, insolvenzrechtlich oder deliktisch einzuordnen ist, gelingt dies nur unter Berücksichtigung der kollisionsrechtlichen Grundsätze zur Qualifikation.136 Um eben diese Frage für verschiedene gesellschafts- und insolvenzrechtlichen Gläubigerschutzinstrumente beantworten und Gesellschafts- und Insolvenzstatut klar voneinander abgrenzen zu können, werden vorab die allgemeinen kollisionsrechtlichen Grundlagen der Qualifikation dargestellt. Dies betrifft insbesondere die gesellschaftsrechtliche, insolvenzrechtliche und deliktsrechtliche Qualifikation. Bewegt man sich in diesem Grenzbereich, ist für eine kollisionsrechtliche Einordnung zudem erforderlich, dass für den Rechtsanwender über den Begriff der Qualifikation, die Systembegriffe des IPR in Bezug auf das Gesellschafts-, Insolvenz- und Deliktsrecht und über den Gegenstand der Qualifikation Klarheit besteht.137 Ausgehend von der Zwei-Stufen-Prüfung des Kollisions- und Europarechts bei der Anwendung von Haftungsinstrumenten auf Geschäftsleiter von EU-Auslandsgesellschaften, ist bei Bestehen eines kollisionsrechtlichen Anwendungsbefehls auf erster Stufe danach zu unterscheiden, wie das jeweilige gläubigerschützende Haftungsinstrument qualifiziert wird.138 Liegt eine gesellschaftsrechtliche Qualifikation vor, findet nach der nunmehr heranzuziehenden Gründungstheorie grundsätzlich das Recht des europäischen Herkunftsstaates der EU-Auslandsgesellschaft Anwendung. Etwas anderes kann sich nur ergeben, sofern ausnahmsweise eine Sonderanknüpfung in Betracht kommt. Sollte eine gläubigerschützende Vorschrift oder Rechtsfigur hingegen insolvenz- oder deliktsrechtlicher Natur sein und als solche qualifiziert werden, berufen die jeweils einschlägigen Kollisionsnormen der EuInsVO und der Rom II-VO regelmäßig nationales Recht auf die im Inland ansässige EU-Auslandsgesellschaften zur Anwendung.139 Der Qualifikation von Gläubigerschutzvorschriften kommt mithin – vorbehaltlich deren Vereinbarkeit mit der Niederlassungsfreiheit – eine wesentliche Rolle für die Abgrenzung von Gesellschafts- und Insolvenzstatut zu.

I. Begriff und Gegenstand der Qualifikation Erstmals befasste sich Franz Kahn im Jahr 1891 mit dem Problem der Qualifikation. Dieser verwandte noch die Bezeichnung „latente Gesetzeskollisionen“.140 136

MüKo-GmbHG/Weller, Bd. 1, Einleitung Rn. 391. So auch MüKo-GmbHG/Weller, Bd. 1, Einleitung Rn. 400 in Bezug auf die Systembegriffe des Deliktsrechts und Insolvenzrechts. 138 Habersack/Verse, Europäisches Gesellschaftsrecht § 3 Rn. 28. 139 Habersack/Verse, Europäisches Gesellschaftsrecht § 3 Rn. 28. 140 Kahn, JherJb Bd. 30, 1891, S. 107 ff. 137

52 2. Kap.: Rechtlicher Rahmen zur Abgrenzung von Gesellschafts- und Insolvenzstatut

Begriff und Gegenstand der Qualifikation werden in der Literatur seit dem Beginn ihrer Entwicklung kontrovers diskutiert. Die praktischen Auswirkungen der oftmals nur in terminologischer Hinsicht bestehenden Unterschiede sind jedoch meist eng begrenzt.141 Seit der Entdeckung der Thematik vor nunmehr über 100 Jahren hat der Theorienstreit zudem durch weit gefasste und teils auf einander abgestimmte Kollisionsnormen in verschiedenen Bereichen an Bedeutung verloren.142 Für die hier zu beantwortenden Fragestellungen ist ein Rückgriff auf die Qualifikation indes unerlässlich. 1. Begriff der Qualifikation Bis heute ist der kollisionsrechtliche Begriff der Qualifikation im Schrifttum umstritten.143 Einigkeit besteht lediglich darin, dass – ausgehend vom zweigliedrigen Tatbestand der Kollisionsnorm – allein der Anknüpfungsgegenstand einer Kollisionsnorm den Bezugspunkt für die Qualifikation bildet.144 Folgt man der h. M., geht es bei der Qualifikation um die Subsumtion eines zu beurteilenden Lebenssachverhalts unter den in der Kollisionsnorm enthaltenen, materiell-rechtlich geprägten Systembegriff des Anknüpfungsgegenstands.145 Nach a. A. betrifft die Qualifikation nicht die Subsumtion, sondern die Auslegung des jeweiligen Anknüpfungsgegenstands der Kollisionsnorm.146 Eine solch genaue begriffliche Trennung will von einer vermittelnden Ansicht aufgelöst werden. Nach dieser seien sowohl die Auslegung als auch die Subsumtion im Sinne eines einheitlichen Prozesses von der Qualifikation umfasst.147 Beachtet man, dass es sich bei der Anwendung einer Kollisionsnorm allgemein um einen systematisch komplizierten und gegebenenfalls mehrstufigen Vorgang handelt, wird deutlich, dass eine klare Differenzierung bei der methodischen Handhabung der Norm nicht immer möglich ist. Erst aus dem Zusammenspiel von Auslegung und Subsumtion folgt eine Kollisionsrechtsanwendung, die sowohl die Systematik der Anknüpfungsgegenstände nach ihrem eigenen Recht als auch die verschiedenen Elemente der darunter zu subsumierenden Lebenssachverhalte und Rechtsnormen hinreichend berücksichtigt.148 So ist zu konstatieren, dass in einem ersten Schritt Inhalt und Umfang des Anknüpfungsgegenstandes im Hinblick auf den 141

v. Hoffmann/Thorn, IPR § 6 Rn. 1 bei Fn. 4. Siehr, IPR § 49 II 1. 143 v. Bar/Mankowski, IPR I § 7 Rn. 138 bei Fn. 603; v. Hoffmann/Thorn, IPR § 6 Rn. 1; Staudinger/Looschelders, Einleitung IPR Rn. 1081. 144 v. Bar/Mankowski, IPR I § 7 Rn. 138; v. Hoffmann/Thorn, IPR § 6 Rn. 1; Kegel/Schurig, IPR § 7 III 1; Staudinger/Looschelders, Einleitung IPR Rn. 1081. 145 v. Bar/Mankowski, IPR I § 7 Rn. 138; v. Hoffmann/Thorn, IPR § 6 Rn. 1; Junker, IPR § 7 Rn. 1; Kropholler, IPR § 15 I 1, 3; Rauscher, IPR § 4 Rn. 443; Siehr, IPR § 49 II 1. 146 Ferid, IPR § 4 Rn. 16; Kegel/Schurig, IPR § 7 III 1, IV. 147 MüKo-BGB/v. Hein, Bd. 12, Einleitung zum IPR Rn. 113. 148 Staudinger/Looschelders, Einleitung IPR Rn. 1082. 142

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jeweiligen Lebenssachverhalt und die zu entscheidende Rechtsfrage durch Auslegung zu ermitteln sind. In einem zweiten Schritt erfolgt sodann die eigentliche Qualifikation durch Subsumtion unter den durch Auslegung konkretisierten Anknüpfungsgegenstand.149 Auslegung und Qualifikation stehen demnach in Korrelation zueinander.150 Will man Inhalt, Reichweite und Funktion der in den Kollisionsnormen verwandten Systembegriffe ermitteln, ist zwischen den Kollisionsnormen des deutschen und denen des europäischen IPR zu unterscheiden. Während sich die Auslegung der Systembegriffe des autonomen deutschen IPR aus der Perspektive der deutschen lex fori vollzieht,151 erfolgt die Auslegung und Inhaltsbestimmung eines Systembegriffs des europäischen IPR vielmehr autonom aus der Sicht des Unionsrechts.152 2. Gegenstand der Qualifikation Über den Gegenstand der Qualifikation besteht ebenso wenig Einigkeit wie über den Begriff der Qualifikation.153 Hierbei geht es um die Frage, was den Sachverhalt bildet, der unter den Tatbestand einer Kollisionsnorm subsumiert wird.154 In Betracht kommen Lebensverhältnisse bzw. Lebenssachverhalte, Rechtsverhältnisse, Rechtsfragen oder Rechtsinstitute und Rechtsnormen.155 Ist der Anwendungsbereich einer Kollisionsnorm betroffen, muss der entsprechende Lebenssachverhalt zunächst qualifiziert und unter den Anknüpfungsgegenstand subsumiert werden.156 Da sich aber aus einem Lebenssachverhalt verschiedene rechtliche Fragen ergeben können, ist für die Qualifikation meist eine Konkretisierung erforderlich. Dieser Umstand führt dazu, dass eine bestimmte Rechtsfrage oder ein bestimmtes Rechtsinstitut den eigentlichen Gegenstand der Qualifikation bildet.157 Für die Qualifikation von Rechtsfragen, die sich an der Grenze zwischen Insolvenzrecht und begleitenden Rechtsgebieten befinden, ist somit gewährleistet, dass die Gläubigerschutzinstru-

149

Staudinger/Looschelders, Einleitung IPR Rn. 1083. Junker, IPR § 7 Rn. 15; Kegel/Schurig, IPR § 7 IV; Kropholler, IPR § 15 I 3; Staudinger/ Looschelders, Einleitung IPR Rn. 1083; Wengler, in: FS Wolff, S. 337. 151 Siehe nur BGH, 22. 03. 1967 – IV ZR 148/65, juris Rn. 32 = NJW 1967, 2109 (2111). 152 EuGH, 22. 02. 1979, Rs. 133/78 (Gourdain/Nadler), ECLI:EU:C:1979:49 Rn. 3 = BeckRS 2004, 71542; Hess, IPRax 2006, 348 (351 ff.); MüKo-GmbHG/Weller, Bd. 1, Einleitung Rn. 393a. 153 MüKo-BGB/v. Hein, Bd. 12, Einleitung zum IPR Rn. 115 m. w. N.; Kropholler, IPR § 15 II; Staudinger/Looschelders, Einleitung IPR Rn. 1085. 154 Kropholler, IPR § 15 II. 155 MüKo-BGB/v. Hein, Bd. 12, Einleitung zum IPR Rn. 115. 156 Staudinger/Looschelders, Einleitung IPR Rn. 1085. 157 MüKo-BGB/v. Hein, Bd. 12, Einleitung zum IPR Rn. 116; v. Hoffmann/Thorn, IPR § 6 Rn. 5, 8; Junker, IPR § 7 Rn. 13; Kropholler, IPR § 15 II 3; Staudinger/Looschelders, Einleitung IPR Rn. 1085. 150

54 2. Kap.: Rechtlicher Rahmen zur Abgrenzung von Gesellschafts- und Insolvenzstatut

mente unterschiedlicher europäischer Rechtsordnungen vom Gegenstand der Qualifikation umfasst sind.

II. Qualifikationsstatut Das Qualifikationsstatut beinhaltet die maßgebende Rechtsordnung, nach der die jeweiligen Rechtsinstitute unter die Anknüpfungsgegenstände nationaler Kollisionsnormen subsumiert werden.158 Da hier die Anwendung unionsrechtlicher Kollisionsnormen im Vordergrund steht, liegt das Augenmerk auf der autonomen europäischen Qualifikationsmethode. Diese ist vor dem Hintergrund der zum nationalen IPR entwickelten Methoden zu betrachten. 1. Qualifikationstheorien des autonomen deutschen IPR Die Theorien des autonomen deutschen IPR unterscheiden sich vorwiegend danach, woran sie sich zur Bestimmung der für die Qualifikation maßgeblichen Rechtsordnung orientieren. In Betracht kommt hierfür das jeweils eigene Sachrecht (lex fori-Theorie), das Sachrecht der in Frage kommenden fremden Rechtsordnung (lex causae-Theorie) oder – losgelöst von dieser sachrechtlichen Systematik – eine vergleichende Untersuchung aller Rechtsordnungen.159 Keine der genannten Theorien kann heutzutage einen absoluter Geltungsanspruch entfalten.160 Eine immer größer werdende Bedeutung wird der funktional-teleologischen Qualifikation als moderne lex fori-Qualifikation zugeschrieben.161 Hierbei wird ein Vergleich zwischen dem Zweck oder der Funktion des Verweisungsbegriffs der Kollisionsnorm mit dem Zweck oder der Funktion des jeweiligen materiellen Rechtsinstituts vorgenommen.162 Die Kombination der verschiedenen Ansätze ermöglicht eine sachgemäße Qualifikation.163 So wird deutlich, dass im deutschen IPR nach wie vor der Grundsatz der lex fori-Qualifikation im Vordergrund steht und auch die deutsche Rechtsprechung bei der Qualifikation von der lex fori ausgeht.164 Diese muss allerdings durch die Modifikationen ergänzt werden.165 158

MüKo-BGB/v. Hein, Bd. 12, Einleitung zum IPR Rn. 117; Kropholler, IPR § 16. Kegel/Schurig, IPR § 7 III 3 a; Staudinger/Looschelders, Einleitung IPR Rn. 1088 ff. 160 v. Hoffmann/Thorn, IPR § 6 Rn. 11; Staudinger/Looschelders, Einleitung IPR Rn. 1091. 161 MüKo-BGB/v. Hein, Bd. 12, Einleitung zum IPR Rn. 121; v. Hoffmann/Thorn, IPR § 6 Rn. 11. 162 BGH, 22. 03. 1967 – IV ZR 148/65, juris Rn. 32 = NJW 1967, 2109 (2111); Staudinger/ Looschelders, Einleitung IPR Rn. 1095 ff. m. w. N. 163 Kropholler, IPR § 17 I; Staudinger/Looschelders, Einleitung IPR Rn. 1091. 164 Siehe nur BGH, 19. 12. 1958 – IV ZR 87/58 = NJW 1959, 717 (718); BGH, 22. 03. 1967 – IV ZR 148/65, juris Rn. 32 = NJW 1967, 2109 (2111); BGH, 21. 09. 1995 – VII ZR 248/ 94, juris Rn. 16 ff. = NJW 1996, 54 (54 f.); BGH, 13. 05. 2015 – IV ZB 30/14, juris Rn. 32 = 159

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2. Autonome europäische Qualifikationsmethode Bei der Anwendung europarechtlicher Kollisionsnormen ist ein uneingeschränkter Rückgriff auf die nationale lex fori der jeweiligen Mitgliedstaaten nicht möglich. Dies liegt darin begründet, dass die in den Kollisionsnormen der EUVerordnungen enthaltenen Anknüpfungsgegenstände autonom auszulegen sind.166 Zwar ist hiervon zunächst nur der erste Schritt des Qualifikationsvorgangs betroffen: Die Reichweite eines Anknüpfungsgegenstandes ergibt sich meist allein aus der autonomen Auslegung der jeweiligen europäischen Kollisionsnorm. Doch wegen des zuvor dargestellten Zusammenhangs von Auslegung und Subsumtion wirkt sich der für die Auslegung anzusetzende Maßstab mittelbar auch auf die Qualifikation aus. Die Auslegung erweist sich demzufolge als ein Teilelement der Qualifikation. Im unionsrechtlichen IPR gilt daher nach überwiegender Meinung, dass Rechtsinstitute grundsätzlich autonom nach Zweck und Systematik der jeweiligen europäischen Kollisionsnorm zu qualifizieren sind und diese Norm mit der Funktion des betreffenden Rechtsinstituts in direkten Bezug zu setzten ist.167 Auch Erwägungen der rechtsvergleichenden Methode sind hierbei nicht außer Acht zu lassen.168 Diese sind jedoch nicht mit der rechtsvergleichenden Qualifikation des autonomen nationalen IPR gleichzusetzen. Der EuGH hat sich primär an der Systematik und Zielsetzung der entsprechenden europäischen Kollisionsnorm und weniger an den Wertungen der einzelnen mitgliedstaatlichen Rechtsordnungen zu orientieren.169 Vergegenwärtigt man sich die Methodik des EuGH, wird deutlich, dass dieser im Ergebnis weitestgehend die funktional-teleologische Methode des nationalen IPR anwendet.170 Dabei konkretisiert der EuGH den Anknüpfungsgegenstand im Hinblick auf die Vorlagefrage meist derart weitgehend, dass der eigenständigen Qualifikation kaum noch NJW2015, 2185 (2187); v. Hoffmann/Thorn, IPR § 6 Rn. 12; Kegel/Schurig, IPR § 7 III 2 a, IV; Kropholler, IPR § 16 I. 165 MüKo-BGB/v. Hein, Bd. 12, Einleitung zum IPR Rn. 118. 166 Oben Kap. 2 § 3 B. I. 167 Siehe etwa EuGH, 10. 12. 2015, Rs. C-594/14 (Kornhaas), ECLI:EU:C:2015:806 Rn. 14 ff. = NJW 2016, 223; EuGH, 28. 07. 2016, Rs. C-191/15 (Verein für Konsumenteninformation), ECLI:EU:C:2016:612 Rn. 36 ff. = NJW 2016, 2727 (2728); EuGH, 18. 10. 2016, Rs. C-135/15 (Nikiforidis), ECLI:EU:C:2016:774 Rn. 28 f. = NZA 2016, 1389 (1390); Basedow, JZ 2016, 269 (277 f.); Heinze, in: FS Kropholler, S. 105 (108 ff.); Staudinger/Looschelders, Einleitung IPR Rn. 1102 f.; Sonnenberger, in: FS Kropholler, S. 227 (239 f.); Weller, in: Weller, Europäisches Kollisionsrecht Rn. 61. Kritisch in Bezug auf die funktional-teleologische Methode Haas, RabelsZ 77 (2013), 632 (634 f.); ders., ZIP 2013, 2381 (2383 f.) und wohl auch Thole, IPRax 2015, 396 (399) mit Fn. 35. 168 Basedow, JZ 2016, 269 (278); MüKo-BGB/v. Hein, Bd. 12, Einleitung zum IPR Rn. 127; Staudinger/Looschelders, Einleitung IPR Rn. 1103; Sonnenberger, in: FS Kropholler, S. 227 (240). 169 MüKo-BGB/v. Hein, Bd. 12, Einleitung zum IPR Rn. 135; Weller, in: Weller, Europäisches Kollisionsrecht Rn. 61. 170 MüKo-BGB/v. Hein, Bd. 12, Einleitung zum IPR Rn. 134; Heinze, in: FS Kropholler, S. 105 (107 ff.); Staudinger/Looschelders, Einleitung IPR Rn. 1103; ders., in: FS CoesterWaltjen, S. 531 (533); Sonnenberger, in: FS Kropholler, S. 227 (240).

56 2. Kap.: Rechtlicher Rahmen zur Abgrenzung von Gesellschafts- und Insolvenzstatut

Raum bleibt.171 Diese Vorgehensweise erklärt sich mit einem Blick auf Art. 267 Abs. 1 lit. a AEUV. Danach muss sich eine Vorlagefrage gerade auf die Auslegung einer europäischen Rechtsnorm beziehen. Die autonome Auslegung und Qualifikation werden bestimmt durch die europäischen Rechtssätze. Dabei sind zunächst die als Qualifikationsnormen oder Qualifikationszuweisungen bezeichneten Regelungen der EU-Verordnungen maßgeblich. Konkret handelt es sich hierbei um die Bestimmungen über den sachlichen Anwendungsbereich der Verordnungen und die Vorschriften, die Auskunft über den Umfang der Verweisung geben.172 Aber auch die in den Erwägungsgründen der Verordnungen enthaltenen Erläuterungen, die sich auf den Anwendungsbereich der Verordnung beziehen, können für die Auslegung und Qualifikation herangezogen werden.173

III. Doppel- und Mehrfachqualifikation Einem Recht oder einem Rechtsinstitut kann – je nachdem, in welchem Sinnzusammenhang es zur Anwendung kommen soll – nicht immer nur eine einzige Funktion zugeschrieben werden. Es ist mitunter auch an der Schnittstelle zwischen zwei oder gar mehreren Rechtsgebieten anzusiedeln. In derartigen Fällen stellt sich die Frage, inwieweit die verschiedenartigen Funktionen des entsprechenden Rechts oder Rechtsinstituts zu berücksichtigen sind.174 Und weil es nicht sachgerecht erscheint, ein solches Rechtsinstitut allein unter eine Kollisionsnorm zu subsumieren, wurde als besondere Form der Qualifikation die Theorie der Doppel- und Mehrfachqualifikation entwickelt.175 Mit dieser Methodik kann der Multifunktionalität des betreffenden Rechtsinstituts auf kollisionsrechtlicher Ebene begegnet werden. Geht man also davon aus, dass eine Rechtsfrage verschiedenen Anknüpfungsgegenständen zugeordnet werden kann, bedeutet das, dass diese Frage bei einer Doppel- oder Mehrfachqualifikation zwei oder mehrere Kollisionsnormen betrifft. Dadurch werden mehrere Rechte gleichzeitig zur Anwendung berufen.176 Im Ergebnis würde dies zu einer Anwendbarkeit mehrerer Rechtsordnungen führen. 171 Staudinger/Looschelders, Einleitung IPR Rn. 1103; Weller, in: Weller, Europäisches Kollisionsrecht Rn. 62. 172 MüKo-BGB/v. Hein, Bd. 12, Einleitung zum IPR Rn. 137; Sonnenberger, in: FS Kropholler, S. 227 (239 f.). 173 MüKo-BGB/v. Hein, Bd. 12, Einleitung zum IPR Rn. 137; Staudinger/Looschelders, Einleitung IPR Rn. 1102. 174 MüKo-BGB/v. Hein, Bd. 12, Einleitung zum IPR Rn. 149; Kropholler, IPR § 15 II 4 a; Siehr, IPR § 49 II 4 c; grundlegend Wengler, in: FS Wolff, S. 337 (362 ff.). 175 v. Bar/Mankowski, IPR I § 7 Rn. 178; MüKo-BGB/v. Hein, Bd. 12, Einleitung zum IPR Rn. 149; Kropholler, IPR § 15 II 4 a; Staudinger/Looschelders, Einleitung IPR Rn. 1114; Wengler, in: FS Wolff, S. 337 (344 ff.). 176 v. Bar/Mankowski, IPR I § 7 Rn. 178.

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Gerade an der hier zu behandelnden Schnittstelle zwischen internationalem Gesellschafts-, Insolvenz- und Deliktsrecht wird eine Mehrfachqualifikation für bestimmte Haftungsinstrumente befürwortet.177 Eine Doppel- oder Mehrfachqualifikation führt jedoch durch das gleichrangige Nebeneinander von zwei oder mehreren Rechtsordnungen zu einem Konflikt über die Anwendbarkeit der entsprechenden Rechtsordnungen.178 Denkbar ist zum einen, eine solche Normenhäufung durch das Günstigkeitsprinzip179 im Sinne einer alternativen Anknüpfung aufzulösen.180 Als Gegenteil der alternativen Anknüpfung kann die Doppel- und Mehrfachqualifikation auch als kumulative Anknüpfung verstanden werden.181 Danach tritt die Rechtswirkung nur dann ein, wenn sie nach allen der beteiligten Rechtsordnungen begründet ist.182 Auf diese Weise soll sich die Rechtsordnung durchsetzen können, die den Eintritt einer Rechtsfolge verneint oder die geringere Wirkung anordnet.183 Im Ergebnis zeigt sich, dass sich aus einer Doppel- oder Mehrfachqualifikation je nachdem, ob man eine alternative oder eine kumulative Anknüpfung vornimmt, eine Begünstigung oder Benachteiligung ergeben kann.184 Nicht zuletzt wegen eines solchen Anwendungsspielraums ist von der Doppeloder Mehrfachqualifikation nur in eng begrenztem Rahmen Gebrauch zu machen und eine zurückhaltende Handhabung geboten.185 So ist etwa v. Hein der Ansicht, dass eine eindeutige Qualifikation aufgrund der zahlreichen Rechtsinstitute des europäischen Kollisionsrechts regelmäßig möglich sei. Er geht von deren reibungslosen und überschneidungsfreien Ineinandergreifen aus und möchte mögliche unbillige Ergebnisse einer eindeutigen Qualifikation im Wege der Anpassung korrigieren.186 Den Gedanken einer klaren und überschneidungslosen Abgrenzung der 177

Hierzu eingehend Kindler, in: FS Jayme, Bd. I, S. 409. Staudinger/Looschelders, Einleitung IPR Rn. 1116. 179 Kropholler, IPR § 20 II 1. 180 Staudinger/Looschelders, Einleitung IPR Rn. 1116. 181 So noch OLG Düsseldorf, 03. 08. 1987 – 3 Wx 207/87 = MittRhNotK 1988, 68 (69), aufgegeben durch OLG Düsseldorf, 10. 03. 2015 – I-3 Wx 196/14, juris Rn. 31 = IPRax 2016, 382 (384); OLG Stuttgart, 08. 03. 2005 – 8 W 96/04, juris Rn. 17 f. = IPRax 2005, 549 (550); OLG Frankfurt a. M., 20. 10. 2009 – 20 W 80/07, juris Rn. 9 = ZEV 2010, 253 (253 f.); ferner MüKo-BGB/v. Hein, Bd. 12, Einleitung zum IPR Rn. 154; Staudinger/Looschelders, Einleitung IPR Rn. 1117. 182 MüKo-BGB/v. Hein, Bd. 12, Einleitung zum IPR Rn. 61; Kropholler, IPR § 20 IV; Staudinger/Looschelders, Einleitung IPR Rn. 217; BeckOK-BGB/Lorenz, EGBGB Einleitung IPR Rn. 37; Siehr, IPR § 47 III 3 c. 183 Kropholler, IPR § 20 IV; BeckOK-BGB/Lorenz, EGBGB Einleitung IPR Rn. 38. 184 MüKo-BGB/v. Hein, Bd. 12, Einleitung zum IPR Rn. 154. 185 So auch v. Bar/Mankowski, IPR I § 7 Rn. 178; MüKo-BGB/v. Hein, Bd. 12, Einleitung zum IPR Rn. 156; Staudinger/Looschelders, Einleitung IPR Rn. 1118; Weber, DNotZ 2016, 424 (433). 186 MüKo-BGB/v. Hein, Bd. 12, Einleitung zum IPR Rn. 156 unter Heranziehung von BGH, 13. 05. 2015 – IV ZB 30/14, juris Rn. 34, 40 = NJW 2015, 2185 (2187). 178

58 2. Kap.: Rechtlicher Rahmen zur Abgrenzung von Gesellschafts- und Insolvenzstatut

Anwendungsbereiche der entsprechenden Verordnungen des europäischen Kollisionsrechts verfolgt auch Looschelders. Er hält eine Doppel- oder Mehrfachqualifikation mit dieser Konzeption für nicht vereinbar.187 Gerade aber im Hinblick auf insolvenznahe Haftungstatbestände sind bestimmte Fallkonstellationen denkbar, in denen eine Doppel- oder Mehrfachqualifikation auf Grundlage der einschlägigen Verordnungen durchaus in Betracht zu ziehen ist.188

IV. Qualifikation im Gesellschafts-, Insolvenz- und Deliktsrecht Die Frage nach der Qualifikation stellt sich besonders bei solchen Regelungen, die den gesellschaftsrechtlichen Gläubigerschutz betreffen und regelmäßig im Insolvenzverfahren zur Anwendung kommen.189 Entsprechende Haftungsregelungen an der Schnittstelle zwischen Gesellschafts-, Insolvenz und Deliktsrecht sind in einem ersten Schritt auf europäischer Ebene autonom nach Zweck und Systematik der jeweiligen europäischen Kollisionsnorm zu qualifizieren. Für die kollisionsrechtliche Einordnung hat die systematische Stellung und legislative Verortung der jeweiligen Norm grundsätzlich keinen Einfluss.190 1. Gesellschaftsrechtliche Qualifikation Das mitgliedstaatliche Gesellschaftsrecht der Kapitalgesellschaften enthält häufig Vorschriften zum Schutze der Gesellschaftsgläubiger. Dabei handelt es sich etwa um Bestimmungen über die Finanzausstattung der Gesellschaft oder den Erhalt des Eigenkapitals, also um Kapitalaufbringungs- oder -erhaltungsvorschriften. Dass sich diese meist in gesellschaftsrechtlichen Gesetzen befinden, ist für die Qualifikation des Anspruchs ebenso wenig maßgebend wie der Umstand, dass diese Ansprüche in der Praxis meist im Zusammenhang mit oder auf Grund eines Insolvenzverfahrens geltend gemacht werden.191 Stattdessen unterstehen gesellschaftsrechtliche Rechtsfragen bei gesellschaftsrechtlicher Qualifikation dem Gesellschaftsstatut, mithin dem Sachrecht, das sich aus der Anwendung der einschlägigen gesellschaftsrechtlichen Kollisionsregeln des europäischen Gesellschaftskollisionsrechts ergibt.

187

Staudinger/Looschelders, Einleitung IPR Rn. 1119. Dazu ausführlich unten Kap. 4 § 9 D. I. und Kap. 5 § 11 C. II. 1. b). 189 Haß/Herweg, in: Geimer/Schütze, Int. Rechtsverkehr, Bd. II, EuInsVO 2000 Art. 4 Rn. 12. 190 v. Bar/Mankowski, IPR I § 7 Rn. 167 ff.; HCL/Behrens/Hoffmann, Bd. I, Einleitung Rn. B 134; Weller/Hübner, NJW 2016, 223 (225); dies., in: FS Pannen, S. 259 (261). 191 MüKo-InsO/Reinhart, Bd. 4, EuInsVO 2000 Art. 4 Rn. 5. Siehe hierzu auch unten Kap. 5 § 10 B. 188

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Gerade bei der Durchgriffshaftung gilt, dass vom Einheitsstatut des Gesellschaftsrechts grundsätzlich auch die Regelungen zur Haftung von Geschäftsleitern für Verbindlichkeiten der Gesellschaft gegenüber Dritten umfasst sind.192 Dies bedeutet aber noch nicht, dass eine deliktische oder insolvenzrechtliche Qualifikation bestimmter Tatbestände der Geschäftsleiterhaftung von vorneherein ausgeschlossen ist. Zwar gilt für das gesellschaftsrechtliche Haftungssystem, dass dieses auch im Insolvenzverfahren grundsätzlich nach dem Gesellschaftsstatut zu beurteilen ist.193 Anders stellt es sich jedoch dar, wenn es um Haftungstatbestände geht, die an die Verletzung insolvenz- oder deliktsrechtlicher Pflichten anknüpfen, und somit als insolvenz- oder deliktsrechtlich zu qualifizieren sind. 2. Insolvenzrechtliche Qualifikation Insolvenzrechtlich qualifizierte Sachverhalte unterstehen dem nach der EuInsVO ermittelten Insolvenzstatut. Für die Qualifikation i. S. d. Art. 7 Abs. 1 EuInsVO kommt es zuweilen auch auf die Wirkungen der Eröffnung eines Insolvenzverfahrens an. Die insolvenzrechtlichen Wirkungen einer Insolvenzverfahrenseröffnung über das Vermögen einer (ausländischen) Gesellschaft unterscheiden sich in Hinblick auf das Gesellschafts- und Insolvenzrecht. Soweit es um die gesellschaftsrechtlichen Auswirkungen der Verfahrenseröffnung geht, ist das Gesellschaftsstatut auch nach der Eröffnung eines Insolvenzverfahrens insbesondere für den Fortbestand der Gesellschaft und für eine gesellschaftsrechtlich qualifizierte Haftung maßgebend.194 Auch wenn gesellschaftsrechtliche Pflichten teilweise erst in der Insolvenz der Gesellschaft praktische Relevanz entfalten, vermag dies nichts an deren gesellschaftsrechtlichen Qualifikation ändern, soweit diese Vorschriften auch außerhalb der Insolvenz Geltung erlangen.195 Dagegen bestimmt sich die Wirkung des Verfahrens auf das Vermögen einer Gesellschaft nach dem internationalen Insolvenzrecht.196 Soweit also die Auflösung, Abwicklung und Beendigung der Gesellschaft

192 Etwa RG, 29. 10. 1938 – II 178/37 = RGZ 159, 33 (44); BGH, 11. 07. 1957 – VII ZR 226/ 56 = WM 1957, 1047 (1049); BGH, 05. 11. 1980 – VIII ZR 230/79, juris Rn. 55 ff. = NJW 1981, 522 (525 f.); Eidenmüller, JZ 2004, 24 (25, 27); Kindler, IPRax 2009, 189 (192); MüKo-BGB/Kindler, Bd. 13, Internationales Handels- und Gesellschaftsrecht Rn. 617 ff.; Michalski/Leible, Bd. I, SystDarst 2 Rn. 163; MüKo-GmbHG/Weller, Bd. 1, Einleitung Rn. 398; Zimmer, NJW 2003, 3585 (3588). 193 Michalski/Leible, Bd. I, SystDarst 2 Rn. 182 m. w. N.; MüKo-GmbHG/Weller, Bd. 1, Einleitung Rn. 403. 194 HCL/Behrens/Hoffmann, Bd. I, Einleitung Rn. B 133; Kuntz, NZI 2005, 424 (425); Michalski/Leible, Bd. I, SystDarst 2 Rn. 182 m. w. N.; MüKo-GmbHG/Weller, Bd. 1, Einleitung Rn. 403. 195 Vallender/Liersch, EuInsVO Art. 7 Rn. 5. 196 Michalski/Leible, Bd. I, SystDarst 2 Rn. 182.

60 2. Kap.: Rechtlicher Rahmen zur Abgrenzung von Gesellschafts- und Insolvenzstatut

durch die Insolvenz betroffen ist, wird das internationale Gesellschafsrecht durch das internationale Insolvenzrecht überlagert.197 Geht es um die Qualifikation von Haftungsinstrumenten, die sowohl funktionell als auch tatbestandlich nicht ausschließlich unter insolvenzrechtliche Merkmale zufassen sind, kann es zu Schwierigkeiten bei der Qualifikation und Abgrenzung kommen.198 Dies ist etwa der Fall, wenn ein Haftungsanspruch nicht völlig unabhängig von einer Insolvenz entsteht und durch diese entweder auf Tatbestands- oder auf Rechtsfolgenebene inhaltlich modifiziert wird. Es geht dann um die Frage, ob eine Haftungsfigur dem Insolvenzverfahren und seinen Wirkungen zuzurechnen ist. Beantworten lässt sich dies nur anhand einer umfassenden Auseinandersetzung mit Inhalt und Reichweite des Insolvenzstatuts. Um die Gleichbehandlung aller Gläubiger im internationalen Insolvenzrecht sicherzustellen, werden durch Art. 7 Abs. 1 EuInsVO das Insolvenzverfahren und seine Wirkungen dem Insolvenzrecht des Mitgliedstaats, in dessen Hoheitsgebiet das Verfahren eröffnet wird, unterstellt. Art. 7 Abs. 2 S. 2 EuInsVO enthält zudem eine ausführliche Auflistung von Regelbeispielen, deren Gegenstände dem Insolvenzstatut unterliegen sollen. Allein dadurch ergibt sich schon ein erster Überblick, welche Rechtsfiguren und Sachnormen dem Insolvenzbereich zuzuordnen und als insolvenzrechtlich zu qualifizieren sind. Wegen der nicht abschließenden Wirkung des Beispielkatalogs in Art. 7 Abs. 2 EuInsVO ist jedoch auch die Qualifikationsfrage noch nicht abschließend geklärt. Allgemein geht die Tendenz dahin, das Insolvenzstatut als weit und umfassend zu begreifen.199 Eine a. A. leitet aus dem Katalog des Art. 7 Abs. 2 EuInsVO eine enge Auslegung des Insolvenzstatuts ab.200 Durchbrechungen des Statuts sollen daher zum Schutz individueller Interessen in erhöhtem Maße einer Rechtfertigung bedürfen.201 Darüber hinaus lässt sich aus der weiten Auffassung des Insolvenzstatuts ableiten, dass Zweifel bei der Qualifikation zugunsten des Insolvenzstatuts zu lösen sind.202 Bevor es eine europarechtliche Regelung für grenzüberschreitende Insolvenzverfahren gab, benannte der EuGH in der Gourdain-Entscheidung203 aus dem Jahre 1979 197 HCL/Behrens/Hoffmann, Bd. I, Einleitung Rn. B 129; Michalski/Leible, Bd. I, SystDarst 2 Rn. 182. 198 MüKo-GmbHG/Weller, Bd. 1, Einleitung Rn. 403 f. 199 Dafür etwa MüKo-BGB/Kindler, Bd. 13, Internationales Handels- und Gesellschaftsrecht Rn. 441; KPB-InsO/Madaus, EuInsVO Art. 7 Rn. 9; Mankowski, NZG 2016, 281 (285); Prager/Ch. Keller, in: Bork/Hölzle, HdB Insolvenzrecht, Int. InsR Rn. 67; Schack, IZVR Rn. 1190; Weller, IPRax 2017, 167 (175 f.); ders./Hübner, NJW 2016, 225. 200 Noch zur EuInsVO 2000 MüKo-InsO/Reinhart, Bd. 4, EuInsVO 2000 Art. 4 Rn. 4 und Spindler/Berner, RIW 2004, 7 (12) bei Fn. 53. 201 Schack, IZVR Rn. 1190. 202 MüKo-BGB/Kindler, Bd. 13, Internationales Handels- und Gesellschaftsrecht Rn. 441; Schack, IZVR Rn. 1191. 203 EuGH, 22. 02. 1979, Rs. 133/78 (Gourdain/Nadler), ECLI:EU:C:1979:49 = BeckRS 2004, 71542.

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erste Indizien, die zur insolvenzrechtlichen Qualifikation eines Einzelverfahrens und des ihm zugrunde liegenden materielle Anspruch heranzuziehen waren. Freilich sind die in diesem Urteil entwickelten Kriterien bei weitem nicht abschließend. Auch ist zu beachten, dass vor dem Hintergrund der nunmehr geltenden EuInsVO mittlerweile eine eher extensive Interpretation des Systembegriffs des Insolvenzrechts geboten ist.204 Ganz grundsätzlich muss aber gelten, dass sich erst aus einer Einzelfallbetrachtung die durchweg insolvenzrechtliche Prägung der jeweiligen Haftungsfigur ergibt.205 3. Deliktsrechtliche Qualifikation Bei der Geschäftsleiterhaftung gelingt eine deliktische Qualifikation entsprechender Haftungstatbestände nur, wenn Klarheit über Inhalt, Umfang und Reichweite des Deliktsstatuts besteht. Dadurch bestimmt sich, ob und inwieweit sich der Schutz des Deliktsrechts entfaltet und ob ein Tatbestand der unerlaubten Handlung gegeben ist. Ermittelt wird das Deliktsstatut auf europäischer Ebene durch die Rom II-VO. Für das so bestimmte Deliktsstatut postuliert Art. 15 Rom II-VO sodann verschiedene Tatbestände des außervertraglichen Schadensausgleichs. Unerheblich ist, ob es sich dabei um eine Verschuldens- oder Gefährdungshaftung handelt.206 Nicht vom Anwendungsbereich der Rom II-VO umfasst sind hingegen außervertragliche Schuldverhältnisse, die gesellschaftsrechtlich zu qualifizieren sind, Art. 1 Abs. 2 lit. d Rom II-VO. Entsprechende Fragen zur persönlichen Haftung der Gesellschafter und sonstigen Organe für die Verbindlichkeiten einer Gesellschaft ließen sich nämlich nicht vom Gesellschaftsstatut trennen.207 Betroffen von dieser Beschränkung ist allein die Außenhaftung der Gesellschafter und Geschäftsleiter gegenüber Gesellschaftsgläubigern. Bei Auslandsgesellschaften mit Verwaltungssitz im Inland kommen wegen einer Schädigung der Gesellschaft als Anknüpfungsmerkmale der Ort des Schadenseintritts, also der Erfolgsort nach Art. 4 Abs. 1 Rom II-VO sowie nach Art. 4 Abs. 2 i. V. m. Art. 23 Rom II-VO der gemeinsame gewöhnliche Aufenthalt der Gesellschaft im selben Staat zur Anwendung.208 Besonders bedeutsam ist in diesem Zusammenhang aber auch Art. 4 Abs. 3 Rom II-VO. Dieser führt über das Merkmal der offensichtlich engeren Verbindung aus einem bereits bestehenden Rechtsverhältnis zu einer akzessorischen Anknüpfung des Gesellschaftsstatuts. 204

Statt vieler MüKo-GmbHG/Weller, Bd. 1, Einleitung Rn. 408 m. w. N. Haubold, IPRax 2002, 157 (162); MüKo-GmbHG/Weller, Bd. 1, Einleitung Rn. 407. 206 MüKo-BGB/Kindler, Bd. 13, Internationales Handels- und Gesellschaftsrecht Rn. 648; ders., in: FS Jayme, Bd. I, S. 409 (416 f.); Kropholler, IPR § 53 IV 7; MüKo-GmbHG/Weller, Bd. 1, Einleitung Rn. 401. 207 Kommission der EG, Vorschlag für eine Verordnung des Europäischen Parlaments und des Rates über das auf außervertragliche Schuldverhältnisse anzuwendende Recht („Rom II“) vom 22. 07. 2003, KOM(2003) 427 endgültig, 2003/0168 (COD), S. 10. 208 MüKo-BGB/Kindler, Bd. 13, Internationales Handels- und Gesellschaftsrecht Rn. 648. 205

62 2. Kap.: Rechtlicher Rahmen zur Abgrenzung von Gesellschafts- und Insolvenzstatut

Voraussetzung ist, man das Gesellschaftsverhältnis als Grundlage für eine solche offensichtliche engere Verbindung betrachtet.209 Eine a. A. möchte dagegen bei der Gesellschafterhaftung von Auslandsgesellschaften über Art. 4 Rom II-VO deutsches Deliktsrecht zur Anwendung bringen.210 Die Frage, auf welche Weise die Anknüpfung unter der Rom II-VO vorgenommen wird, spielt auch eine Rolle bei einer möglichen Doppelqualifikation insolvenznaher Haftungsinstrumente.211 Bei der deliktisch qualifizierten Geschäftsleiterhaftung richtet sich diese grundsätzlich nach dem am effektiven Verwaltungssitzes geltenden Recht. Hier befindet sich meist der gemeinsame gewöhnliche Aufenthalt des Schädigers und der Gesellschaft gem. Art. 4 Abs. 2 Rom II-VO oder aber der Erfolg ist dort eingetreten. Die Qualifikation erfolgt unabhängig von der formalen Organstellung nach dem Inhalt dessen, was den deliktischen Vorwurf umfasst.212 Der Verstoß gegen eine Organpflicht ist hiervon dementsprechend nicht erfasst. Ein solcher wird bereits durch das Gesellschaftsrecht sanktioniert.213 Vielmehr geht es darum, dass eine Organperson ihre reale Schädigungsmöglichkeit in Bezug auf Dritte in vorwerfbarer Weise ausgenutzt hat.214 Ganz allgemein soll der Organperson ein Rückgriff auf die Niederlassungsfreiheit und damit auf das Gründungsrecht der Gesellschaft verwehrt werden. Denn durch die unerlaubte Handlung werden die immanenten Schranken der Niederlassungsfreiheit überschritten.215 Das führt dazu, dass hier der Erfolgsort i. S. v. Art. 4 Abs. 1 Rom II-VO zwar auch der Sitz des Geschädigten, meist jedoch der effektive Verwaltungssitz der Gesellschaft ist.216

209 So für die Durchgriffshaftung HCL/Behrens/Hoffmann, Bd. I, Einleitung Rn. B 118; siehe auch Eidenmüller, in: Eidenmüller, Ausländische Kapitalgesellschaften, § 4 Rn. 15 ff., 29 ff.; MüKo-BGB/Kindler, Bd. 13, Internationales Handels- und Gesellschaftsrecht Rn. 649; Spindler/Berner, RIW 2004, 7 (11); entgegen Wachter, GmbHR 2003, 1254 (1257) und Schanze/Jüttner, AG 2003, 661 (669 f.), die noch zu Art. 40 EGBGB an den Handlungs- bzw. Erfolgsort anknüpfen. 210 Weller, IPRax 2017, 167 (172 f.). 211 Dazu und zu den Anknüpfungsvarianten ausführlich unten Kap. 4 § 9 D. I. 212 MüKo-BGB/Kindler, Bd. 13, Internationales Handels- und Gesellschaftsrecht Rn. 654. 213 Eidenmüller, in: Eidenmüller, Ausländische Kapitalgesellschaften, § 4 Rn. 8. 214 MüKo-BGB/Kindler, Bd. 13, Internationales Handels- und Gesellschaftsrecht Rn. 654. 215 Forsthoff/Schuld, in: Hirte/Bücker, Grenzüberschreitende Gesellschaften, § 16 Rn. 79 ff.; MüKo-BGB/Kindler, Bd. 13, Internationales Handels- und Gesellschaftsrecht Rn. 656. 216 MüKo-BGB/Kindler, Bd. 13, Internationales Handels- und Gesellschaftsrecht Rn. 656.

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D. Statutenwechsel Im IPR wird ein Wechsel der für die Beurteilung eines Rechtsverhältnisses maßgeblichen Rechtsordnung als Statutenwechsel bezeichnet.217 Die Veränderung des auf einen (grenzüberschreitenden) Sachverhalt anwendbaren Rechts kann durch eine Änderung der anknüpfungserheblichen Tatsachen oder durch einen Wechsel der Kollisionsnorm zutage treten.218 Demzufolge handelt es sich bei der Verlegung des COMI um einen Fall des Statutenwechsels. Denn mit der Belegenheit des COMI ändert sich die für die Frage des anwendbaren Rechts maßgebliche Anknüpfungstatsache nach Art. 3, 7 EuInsVO.219 Die Verlegung des COMI führt regelmäßig nur zu einer Änderung des Insolvenzstatuts. Der durch die Verlegung des COMI bewirkte Wechsel des Insolvenzstatuts betrifft daher nur insolvenzrechtlich qualifizierte Ansprüche, nicht aber gesellschafts- oder deliktsrechtlich qualifizierte Ansprüche.220 Eine gesetzliche Rechtsfolgenanordnung fehlt für die hier interessierenden Fälle des Statutenwechsels. Daher ist auf die allgemeinen Grundsätze zurückzugreifen:221 Ist ein Sachverhalt bzw. Tatbestand bereits vor dem Statutenwechsel vollständig abgeschlossen, unterfällt er dem alten Statut.222 Der Statutenwechsel entfaltet insoweit keine (Rück-)Wirkung.223 Als abgeschlossen ist ein Tatbestand anzusehen, wenn das fragliche Recht oder Rechtsverhältnis vor dem Statutenwechsel entstanden ist.224 Dabei müssen alle formellen und materiellen Voraussetzungen erfüllt sein.225 Bei Rechten und Rechtsverhältnissen, für deren Entstehung im Zeitpunkt des Statutenwechsels noch nicht alle formellen und materiellen Voraussetzungen vorgelegen haben, handelt es sich um sog. offene Tatbestände.226 In diesen Fällen kommt es darauf an, ob das nun anwendbare Recht auch die im Ausland verwirklichten Tatbestandsmerkmale berücksichtigt. Das neue Statut entscheidet darüber, ob das Recht oder Rechtsverhältnis noch entsteht oder nicht und – wenn es noch entstehen kann – welches Recht hierfür maßgeblich ist.227 Sofern ein Anspruch die Eröffnung eines 217

MüKo-BGB/v. Hein, Bd. 12, Einleitung zum IPR Rn. 84; v. Hoffmann/Thorn, IPR § 5 Rn. 97, 99; Junker, IPR § 9 Rn. 17 ff. Zum Wechsel des Gesellschaftsstatuts unten Kap. 2 § 4 B. I. 1. und 2. 218 v. Hoffmann/Thorn, IPR § 5 Rn. 98 f.; Rauscher, IPR § 3 Rn. 432 f. 219 Keller, NZI 2021, 110. 220 Keller, NZI 2021, 110. 221 MüKo-BGB/v. Hein, Bd. 12, Einleitung zum IPR Rn. 78 f. 222 MüKo-BGB/v. Hein, Bd. 12, Einleitung zum IPR Rn. 80; v. Hoffmann/Thorn, IPR § 5 Rn. 103. 223 v. Hoffmann/Thorn, IPR § 5 Rn. 103; Kolmann/Ch. Keller, in: Gottwald/Haas, Insolvenzrechts-HdB, § 129. Das Europäische Insolvenzrecht Rn. 55; Rauscher, IPR § 3 Rn. 440. 224 Keller, NZI 2021, 110. 225 v. Hoffmann/Thorn, IPR § 5 Rn. 103. 226 MüKo-BGB/v. Hein, Bd. 12, Einleitung zum IPR Rn. 80; v. Hoffmann/Thorn, IPR § 5 Rn. 104; Keller, NZI 2021, 110. 227 MüKo-BGB/v. Hein, Bd. 12, Einleitung zum IPR Rn. 80; v. Hoffmann/Thorn, IPR § 5 Rn. 104; Keller, NZI 2021, 110; Rauscher, IPR § 3 Rn. 441.

64 2. Kap.: Rechtlicher Rahmen zur Abgrenzung von Gesellschafts- und Insolvenzstatut

Insolvenzverfahrens voraussetzt, handelt es sich bei einem im Zeitpunkt vor Verfahrenseröffnung eingetretenen Statutenwechsel um einen offenen Tatbestand.228 Bereits nach dem früheren Insolvenzstatut entstandene Ansprüche, bei denen es sich um einen abgeschlossenen Tatbestand handelt, können durch einen Statutenwechsel nicht erlöschen. Sie bleiben von einem Zuständigkeitswechsel unberührt.229 Darüber hinaus soll sich bei einem gesellschafts- oder deliktsrechtlich qualifizierten Anspruch die Frage nach der Auswirkung eines Wechsels des Gesellschafts- oder Deliktsstatuts nicht stellen, sofern der Anspruch die Eröffnung eines Insolvenzverfahrens voraussetzt, dieses zum Zeitpunkt des Eintritts des Statutenwechsels aber noch nicht eröffnet wurde.230

E. Substitution Als ebenfalls relevant für die Abgrenzung der Statuten kann sich die Substitution erweisen. Bei dieser Methode geht es um die Frage, ob und inwieweit ein ausländisches Rechtsinstitut normativ vorausgesetzte Tatbestandsmerkmale inländischer Sachnormen funktionsäquivalent ersetzen kann.231 Zur Zusammenführung zweier Rechtsordnungen kommt es in den Fällen, in denen ein normatives Tatbestandsmerkmal – ein Systembegriff – einer feststehenden inländischen Sachnorm in einem ausländischen Staat verwirklicht ist.232 Kollisionsrechtlich stellt sich die Frage der Substitution insbesondere bei der Behandlung des Sachrechts.233

I. Voraussetzungen Als Voraussetzung bildet das Kriterium der funktionalen Gleichwertigkeit den zentralen Punkt der Substitution. Erforderlich ist, dass das jeweilige ausländische Rechtsinstitut in seinen wesentlichen Merkmalen dem entsprechenden inländischen Rechtsinstitut der anwendbaren Kollisions- oder Sachnorm funktional gleichwertig ist.234 Das Erfordernis der Gleichwertigkeit ist dabei nicht zu eng zu fassen, um den 228

Keller, NZI 2021, 110. Kolmann/Ch. Keller, in: Gottwald/Haas, Insolvenzrechts-HdB, § 129. Das Europäische Insolvenzrecht Rn. 55. 230 Keller, NZI 2021, 110. 231 Weller, IPRax 2017, 167 (172) bei Fn. 100. Siehe auch v. Bar/Mankowski, IPR I § 7 Rn. 240; v. Hoffmann/Thorn, IPR § 6 Rn. 40; Kropholler, IPR § 33 I; Staudinger/Looschelders, Einleitung IPR Rn. 1219; Siehr, IPR § 52 III 3. Die gängige Definition als nicht erschöpfend betrachtend MüKo-BGB/v. Hein, Bd. 12, Einleitung zum IPR Rn. 247. 232 Kropholler, IPR § 33 I 1. 233 BeckOK-BGB/Lorenz, EGBGB Einleitung IPR Rn. 95. Staudinger/Looschelders, Einleitung IPR Rn. 1219 f. bezieht die Substitution hingegen auf Kollisions- und Sachnormen. 234 BGH, 16. 02. 1981 – II ZB 8/80, juris Rn. 5 = NJW 1981, 1160; BGH, 04. 10. 1989 – IV b ZB 9/88, juris Rn. 15 = NJW 1990, 634 (635) „Funktionsäquivalenz“; BGH, 13. 05. 2015 – IV 229

§ 3 Kollisionsrechtliche Grundlagen

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vielfältigen Ausgestaltungen der Rechtsordnungen gerecht werden zu können.235 Zur Prüfung der funktionalen Gleichwertigkeit gelangt man nach allgemeiner Meinung aber nur, wenn es die maßgebliche Sachnorm in einem ersten Schritt nach ihrem Sinn und Zweck zulässt, eine ausländische Rechtsfigur unter ihren Tatbestand zu subsumieren.236 Die Literatur unterscheidet insofern zwischen „offenen“ und „geschlossenen“ Normen.237

II. Anwendungsbereich im haftungsrechtlichen Kontext Dass die Substitution auch bei den hier zu behandelnden in- und ausländischen Haftungsinstrumenten eine Rolle spielen kann, zeigt sich recht deutlich – wenn auch nicht ausdrücklich – in der Kornhaas-Entscheidung. Die im deutschen Recht in § 64 S. 1 GmbHG a. F. (jetzt in § 15b Abs. 1, 4 InsO) normierte Haftung des GmbHGeschäftsführers für Zahlungen nach Insolvenzreife wandte der BGH auf einen englischen director an, der als Geschäftsführer i. S. d. § 64 GmbHG a. F. (jetzt § 15b Abs. 1 InsO) eingeordnet wurde.238 Da die Funktionsäquivalenz zwischen dem director einer englischen Limited und einem GmbH-Geschäftsführers bejaht wurde, konnte – von weiteren Voraussetzungen einmal abgesehen – die in § 64 GmbHG a. F. (jetzt § 15b Abs. 1 InsO) normierte Haftung des Geschäftsführers für Zahlungen nach Insolvenzreife über das inländische Insolvenzstatut auf eine englische Limited mit COMI in Deutschland angewandt werden.239 Dies gilt auch für die Neuregelung der Geschäftsleiterhaftung in § 15b Abs. 1, 4 InsO. Es zeigt sich, dass bei den jeweiligen Tatbestandsmerkmalen der haftungsrechtlichen Figuren gegebenenfalls zu prüfen ist, ob es sich jeweils um eine für die Substitution „offene“ Norm handelt, deren Tatbestandsmerkmale auf funktionale Gleichwertigkeit hin untersucht werden müssen.

F. Sonderanknüpfung Die Sonderanknüpfung kann beispielsweise bei der Anwendung der EuInsVO zum Tragen kommen, indem die lex fori concursus durch diese vereinzelt verdrängt ZB 30/14, juris Rn. 33 = NJW 2015, 2185 (2187) „Übereinstimmung in der Funktion“; BeckOK-BGB/Lorenz, EGBGB Einleitung IPR Rn. 96; Kropholler, IPR § 33 II 2; Staudinger/ Looschelders, Einleitung IPR Rn. 1220; Mansel, in: FS Kropholler, S. 353 (368). 235 Kropholler, IPR § 33 II 2. 236 Allgemein v. Bar/Mankowski, IPR I § 7 Rn. 243; MüKo-BGB/v. Hein, Bd. 12, Einleitung zum IPR Rn. 252; Kropholler, IPR § 33 II 1; Staudinger/Looschelders, Einleitung IPR Rn. 1220; Mansel, in: FS Kropholler, S. 353 (367); Rehm, RabelsZ 64 (2000), 104 (106 f.). 237 So etwa Mansel, in: FS W. Lorenz, 1991, S. 689 (697); Rehm, RabelsZ 64 (2000), 104 (106 f.); Weller, ZGR 2010, 679 (706). 238 BGH, 15. 03. 2016 – II ZR 119/14 = NJW 2016, 2660. 239 Hierzu auch Hübner, IPRax 2018, 447 (448); Weller, IPRax 2017, 167 (172).

66 2. Kap.: Rechtlicher Rahmen zur Abgrenzung von Gesellschafts- und Insolvenzstatut

wird. Darüber hinaus kommt der Sonderanknüpfung im Zusammenhang mit dem Gründungsstatut eine wesentliche Rolle zu. Will man eine vom Recht des Gründungstaates abweichende Anwendung von Normen erreichen, kann dies nur auf der Grundlage von Sonderanknüpfungen erreicht werden.240 Hierbei geht es vor allem um die mögliche Sonderanknüpfung von gesellschaftsrechtlichen Gläubigerschutzregeln. Bei der hier maßgeblichen Form der kollisionsrechtlichen Sonderanknüpfung ist die Anwendung inländischer Regelungen auf ausländische Gesellschaften betroffen. Für die Anknüpfung gesellschaftsrechtlicher Gläubigerschutzinstrumente ist dafür zu erinnern, dass diese (bei gesellschaftsrechtlicher Qualifikation) grundsätzlich Bestandteil des einheitlichen Gesellschaftsstatuts sind. In diesem Fall kann das inländische Gläubigerschutzinstrument gegenüber einer dem Gründungsrecht unterstehenden Auslandsgesellschaft zur Anwendung gebracht werden, wenn die jeweiligen Regelungskomplexe im Wege der Sonderanknüpfung von dem einheitlichen Gesellschaftsstatut abgespalten und der anderen Rechtsordnung des Zuzugstaates überantwortet werden (dépeçage).241 Durch dieses Vorgehen wird dem internationalprivatrechtlichen Prinzip Rechnung getragen, dass möglichst dasjenige Recht auf einen Sachverhalt anzuwenden ist, zu dem der Sachverhalt die engste Verbindung aufweist.242 Die Voraussetzung243 für eine Rechtfertigung der Sonderanknüpfung findet sich – über das Kriterium der engeren Inlandsverbindung hinausgehend – im internationalen Geltungsanspruch, den die betreffende Vorschrift des nationalen Gesellschaftsrechts erhebt.244 Ein solcher internationaler Geltungswille kann anhand der Existenzvernichtungshaftung exemplifiziert werden. Voraussetzung ist, dass man diese nicht deliktisch oder insolvenzrechtlich, sondern gesellschaftsrechtlich qualifizieren will und infolgedessen ihre Anwendung über die Anknüpfung nach Art. 4 Rom II-VO bzw. Art. 7 EuInsVO auf im Inland tätige EU-Auslandsgesellschaften versperrt ist.245 Für eine Sonderanknüpfung ist primär auf den Normzweck der betreffenden Haftungsregelung abzustellen. Misst man der Existenzvernichtungshaftung neben dem individuellen Schutz der Parteien auch ein „ordnungspolitisches Interesse an der Durchsetzung gemeinwohlorientierter Verfahrensvorschriften“ bei, scheint es durchaus denkbar, die Haftungsregelung als eine „international zwingende Be240 HCL/Behrens/Hoffmann, Bd. I, Einleitung Rn. B 67 m. w. N.; siehe auch Fleischer, in: Europäische Auslandsgesellschaften in Deutschland, S. 49 (90 f.). 241 Kienle, in: Süß/Wachter, HdB des internationalen GmbH-Rechts, § 3 Rn. 57. Siehe auch Borges, ZIP 2004, 733 (741). 242 Hierzu auch Kienle, in: Süß/Wachter, HdB des internationalen GmbH-Rechts, § 3 Rn. 58. 243 Ausführlich zu den Voraussetzungen einer Sonderanknüpfung im Gesellschaftsrecht MüKo-GmbHG/Weller, Bd. 1, Einleitung Rn. 459 ff. 244 Habersack/Verse, Europäisches Gesellschaftsrecht, § 3 Rn. 29. 245 MüKo-GmbHG/Weller, Bd. 1, Einleitung Rn. 469.

§ 4 Primärrechtliche Grundlagen des europäischen Gesellschaftsrechts

67

stimmung“ mit internationalem Geltungsgehalt zu qualifizieren.246 Das würde im Falle einer gesellschaftsrechtlichen Qualifikation zu ihrer Anwendung sowohl auf deutsche als auch auf ausländische Gesellschaften mit Interessenmittelpunkt im Inland führen.

§ 4 Primärrechtliche Grundlagen des europäischen Gesellschaftsrechts Die Niederlassungsfreiheit ermöglicht als Grundlage des europäischen Gesellschaftsrechts das Einwandern ausländischer Gesellschaften in den inländischen Rechtsverkehr unter Anerkennung des ausländischen Gesellschaftsstatuts. Aus der Grundfreiheit folgt jedoch keine unbegrenzte Mobilität von Gesellschaften innerhalb der EU. Art. 49, 54 AEUV und weite Teile der sich darauf gründenden Rechtsprechung247 des EuGH bestimmen den Rechtsrahmen, unter dem sich Gesellschaften im Gebiet der EU bewegen können. Wechselt eine Gesellschaft ihr Gesellschaftsstatut, indem sie aus einem Mitgliedstaat heraus in einen anderen Mitgliedstaat übersiedelt, sind sowohl die kollisionsrechtliche Veränderung des Anknüpfungsmoments als auch die materiell-rechtlichen Auswirkungen auf die Wahrung der Identität und Rechtsfähigkeit der Gesellschaft zu betrachten.248

A. Niederlassungsfreiheit Nachdem das anwendbare Recht auf zugezogene EU-Auslandsgesellschaften mittels Kollisionsrecht ermittelt wurde, ist zu prüfen, ob die Rechtsanwendung mit der Niederlassungsfreiheit vereinbar ist. Mit der Kornhaas-Entscheidung eng verknüpft sind dabei Fragen, die die Begrenzung des Schutzbereichs und das Verhalten insolvenzspezifischer Regelungen im Verhältnis zur Niederlassungsfreiheit betreffen.249 Daher seien an dieser Stelle die Grundlagen der rechtsformwahrenden Sitzverlegung kurz skizziert.

246

So MüKo-GmbHG/Weller, Bd. 1, Einleitung Rn. 472. Siehe nur die Übersicht der EuGH-Rechtsprechung zur Niederlassungsfreiheit bei Winter, in: Rödder/Herlinghaus/van Lishaut, UmwStG, Anhang 1 Umwandlungsrecht Rn. 489 ff. 248 HCL/Behrens/Hoffmann, Bd. I, Einleitung Rn. B 151 ff. 249 Zur primärrechtlichen Einordnung der Kornhaas-Entscheidung unten Kap. 3 § 7. 247

68 2. Kap.: Rechtlicher Rahmen zur Abgrenzung von Gesellschafts- und Insolvenzstatut

I. Inhalt der Niederlassungsfreiheit Die Niederlassungsfreiheit wird durch Art. 49 Abs. 1 AEUV gewährleistet. Die Norm verbietet Beschränkungen der freien Niederlassung von jedem Staatsangehörigen eines EU-Mitgliedstaats im Hoheitsgebiet eines anderen EU-Mitgliedstaats.250 Das europäische Primärrecht garantiert diese Freiheit nicht nur natürlichen Personen. Es umfasst auch die Aufnahme und Ausübung selbstständiger Erwerbstätigkeiten sowie die Gründung und Leitung von Unternehmen, insbesondere von Gesellschaften i. S. d. Art. 54 Abs. 2 AEUV, nach den Bestimmungen des Aufnahmestaats für seine eigenen Angehörigen, Art. 49 Abs. 2 AEUV. Nach Art. 54 Abs. 1 AEUV und Art. 34 EWRA stehen Gesellschaften, die ihren satzungsmäßigen Sitz, ihre Hauptverwaltung oder ihre Hauptniederlassung innerhalb der Union haben, den natürlichen Personen gleich, die Angehörige der Mitgliedstaaten sind. Somit sind zunächst all diejenigen Gesellschaften niederlassungsberechtigt, die in einem EUMitgliedstaat oder EWR-Staat wirksam gegründet worden sind, unabhängig davon wo sich ihre Hauptverwaltung oder Hauptniederlassung, also ihr Verwaltungssitz, befindet.251 Die Niederlassungsfreiheit zielt vor allem darauf, den Gesellschaften in den Mitgliedstaaten zu ermöglichen, in einem anderen Mitgliedstaat der EU eine Haupt oder Zweigniederlassung zu errichten um sich dort durch Ausübung wirtschaftlicher Tätigkeiten an grenzüberschreitenden Strukturmaßnahmen zu beteiligen.252 1. Primäre und sekundäre Niederlassungsfreiheit Die Freiheit, sich im Hoheitsgebiet der anderen Mitgliedstaaten zur Berufsausübung niederzulassen, eröffnet zum einen die Möglichkeit zur Gründung und zum Betreiben eines ständigen Unternehmens, das den Schwerpunkt der wirtschaftlichen Aktivitäten eines Selbständigen darstellt, sog. primäre Niederlassungsfreiheit.253 Diese ist berührt, wenn etwa Vorschriften des Zuzugstaates einer nach dem Recht eines anderen Mitgliedstaates gegründeten Gesellschaft die Rechts- und Parteifähigkeit in gerichtlichen Verfahren absprechen254 oder eine Hineinverschmelzung255 250 Zur Systematik der Vorschrift Grabitz/Hilf/Nettesheim/Forsthoff, Das Recht der EU, Bd. I, AEUV Art. 49 Rn. 5 ff.; Michalski/Leible, Bd. I, SystDarst 2 Rn. 21 f. 251 HCL/Behrens/Hoffmann, Bd. I, Einleitung Rn. B 54. 252 EuGH, 21. 06. 1974, Rs. C-2/74 (Reyners), ECLI:EU:C:1974:68 Rn. 21 = NJW 1975, 513 (514); EuGH, 12. 09. 2006, Rs. C-196/04 (Cadbury Schweppes), ECLI:EU:C:2006:544 Rn. 53 = NZG 2006, 835 (838); Stiegler, in: Jung/Krebs/Stiegler, Gesellschaftsrecht in Europa, § 10 Rn. 16. 253 Huber, in: Kronke/Melis/Kuhn, HdB Internationales Wirtschaftsrecht, Teil K Rn. 9; MüKo-BGB/Kindler, Bd. 13, Internationales Handels- und Gesellschaftsrecht Rn. 111, 142; Michalski/Leible, Bd. I, SystDarst 2 Rn. 20. 254 EuGH, 05. 11. 2002, Rs. C-208/00 (Überseering), ECLI:EU:C:2002:632 = NJW 2002, 3614. 255 EuGH, 13. 12. 2005, Rs. C-411/03 (SEVIC), ECLI:EU:C:2005:762 = ZIP 2005, 2311.

§ 4 Primärrechtliche Grundlagen des europäischen Gesellschaftsrechts

69

verbieten.256 Regeln über das „Ob“ des Status als Gesellschaft im Sinne des nationalen Rechts sind bereits dem Grunde nach nicht an der Niederlassungsfreiheit zu messen.257 Geht es dagegen um mitgliedstaatliche Regelungen, die die Gründung einer Niederlassung im Sinne des Art. 49 Abs. 1 S. 2 AEUV beeinträchtigen, ist die sekundäre Niederlassungsfreiheit betroffen. Diese umfasst das Recht, im europäischen Zuzugstaat beispielsweise über rechtlich selbstständige Tochtergesellschaften oder unselbständige Zweigniederlassungen tätig werden zu dürfen.258 Davon Gebrauch machte auch die Kornhaas Montage und Dienstleistung Ltd. nach englischem und walisischem Recht, die ihre Tätigkeit und die damit verbundenen Dienstleistungen vorwiegend über eine Zweigniederlassung in Deutschland entfaltete.259 2. Niederlassungsfreiheit als Kollisionsnorm Aus dem Gehalt der Niederlassungsfreiheit folgt ein Verbot der Anwendung bestimmter sachrechtlicher Beschränkungen.260 Weiter führt das Erfordernis des Unionsrechts – verbunden mit der Präzisierung durch den EuGH – zur Anwendung der Gründungstheorie auf Gesellschaften aus anderen Mitgliedstaaten der EU bzw. aus den Vertragsstaaten des EWRA. Auf dieser Grundlage steht zur Diskussion, inwieweit die betreffenden Vorschriften des AEUV und des EWRA eine Kollisionsnorm mit Anwendungsvorrang vor dem mitgliedstaatlichen internationalen Gesellschaftsrecht darstellen261. Aus der Rechtsprechung des EuGH zur Niederlassungsfreiheit von Gesellschaften könnten sich aber auch zwingende Vorgaben für das mitgliedstaatliche internationale Gesellschaftsrecht entnehmen lassen262. Allein aus den einschlägigen Judikaten lässt sich die Schaffung einer primärrechtlichen Kollisionsnorm zur Bestimmung des für eine Gesellschaft maßgeblichen Gesell-

256 Calliess/Ruffert/Korte, EUV/AEUV, AEUV Art. 54 Rn. 28 ff., 32 mit weiteren Beispielen. 257 Calliess/Ruffert/Korte, EUV/AEUV, AEUV Art. 54 Rn. 28. 258 Huber, in: Kronke/Melis/Kuhn, HdB Internationales Wirtschaftsrecht, Teil K Rn. 9; MüKo-BGB/Kindler, Bd. 13, Internationales Handels- und Gesellschaftsrecht Rn. 111, 142; Calliess/Ruffert/Korte, EUV/AEUV, AEUV Art. 54 Rn. 31, 33; Michalski/Leible, Bd. I, SystDarst 2 Rn. 20. 259 Zum Inhalt und Gegenstand der Kornhaas-Entscheidung sogleich unten Kap. 3 § 5. 260 MüKo-BGB/Kindler, Bd. 13, Internationales Handels- und Gesellschaftsrecht Rn. 146. 261 Dafür etwa HCL/Behrens/Hoffmann, Bd. I, Einleitung Rn. B 54 f.; Leible/Hoffmann, RIW 2002, 925 (930 ff.); dies., ZIP 2003, 925 (926). Den kollisionsrechtlichen Inhalt absprechend etwa Eidenmüller/Rehm, ZGR 2004, 159 (166); MüKo-BGB/Kindler, Bd. 13, Internationales Handels- und Gesellschaftsrecht Rn. 146; Schanze/Jüttner, AG 2003, 661 (665); Ulmer, NJW 2004, 1201 (1205); Weller, IPRax 2009, 202 (204 f.). 262 Dafür etwa BGH, 13. 03. 2003 – VII ZR 370/98, juris Rn. 18 = NJW 2003, 1461 (1462); Kieninger, ZEuP 2004, 685 (692). A. A. Huber, in: Kronke/Melis/Kuhn, HdB Internationales Wirtschaftsrecht, Teil K Rn. 112; MüKo-BGB/Kindler, Bd. 13, Internationales Handels- und Gesellschaftsrecht Rn. 146.

70 2. Kap.: Rechtlicher Rahmen zur Abgrenzung von Gesellschafts- und Insolvenzstatut

schaftsstatuts nach der Gründungstheorie nicht unmittelbar begründen.263 Mit Blick auf den Gewährleistungsgehalt hat der EuGH die Anknüpfung des Gesellschaftsstatuts an den tatsächlichen Verwaltungssitz (aufgrund einer etwaigen primärrechtlichen Kollisionsnorm) bislang nicht grundsätzlich abgelehnt. Er stellte vielmehr auf die belastenden Rechtsfolgen des Sitzrechts ab. Vor diesem Hintergrund ist auch die Kornhaas-Entscheidung zu betrachten.264 Sofern sich für Art. 54 AEUV und Art. 34 EWRA aber wenigstens der satzungsmäßige Sitz innerhalb der Union bzw. des EWR befindet, erscheint es durchaus gangbar, die Vorschriften vor dem Hintergrund der konstitutiv wirkenden Registereintragung gleichwohl als unionsrechtliche Kollisionsnorm zu begreifen.265

II. Niederlassungsfreiheit als Diskriminierungsund Beschränkungsverbot Alle Grundfreiheiten der EU enthalten Diskriminierungsverbote. Zum Ausdruck kommen diese im Gebot der Inländergleichbehandlung266. Da die Behandlung der Niederlassungsberechtigten aus anderen Mitgliedstaaten gem. Art. 49 Abs. 2 AEUV bzw. Art. 34 Abs. 2 EWRA „nach den Bestimmungen des Aufnahmestaates für seine eigenen Angehörigen“ zu erfolgen hat, ist die Niederlassungsfreiheit als besondere Ausformung des in Art. 18 AEUV und Art. 4 EWRA niedergelegten Diskriminierungsverbots zu verstehen.267 Das Verbot umfasst unmittelbare (offene) und mittelbare (versteckte) Diskriminierungen gleichermaßen.268 Mit ihrer Funktion konkretisiert die Niederlassungsfreiheit in spezieller Ausgestaltung das allgemeine Diskriminierungsverbot. Neben dem Diskriminierungsverbot ausländischer Gesellschaften folgt aus der Rechtsprechung des EuGH auch das Verbot einer generellen Beschränkung der Niederlassungsfreiheit.269

263

So MüKo-BGB/Kindler, Bd. 13, Internationales Handels- und Gesellschaftsrecht Rn. 146 unter Bezugnahme bei Fn. 624 auf EuGH, 16. 12. 2008, Rs. C-210/06 (Cartesio), ECLI:EU:C:2008:723 = NJW 2009, 569 und EuGH, 29. 11. 2011, Rs. C-371/10 (National Grid Indus), ECLI:EU:C:2011:785 = NZG 2012, 114, wo der EuGH das Gesellschaftskollisionsrecht auf die sekundärrechtliche Ebene verwiesen und als Gegenstand möglicher EU-Rechtsetzung eingeordnet habe. 264 Dazu unten Kap. 3 § 7 B. 265 So argumentieren HCL/Behrens/Hoffmann, Bd. I, Einleitung Rn. B 54. 266 EuGH, 21. 06. 1974, Rs. C-2/74 (Reyners), ECLI:EU:C:1974:68 Rn. 24 = NJW 1975, 513 (514); Stiegler, in: Jung/Krebs/Stiegler, Gesellschaftsrecht in Europa, § 10 Rn. 25 in Bezug auf die Niederlassungsfreiheit. 267 HCL/Behrens/Hoffmann, Bd. I, Einleitung Rn. B 10. 268 Siehe nur Stiegler, in: Jung/Krebs/Stiegler, Gesellschaftsrecht in Europa, § 10 Rn. 26. 269 Ausführlich zum Diskriminierungs- und allgemeinen Beschränkungsverbot unten Kap. 3 § 7 B. I. 1. und 2.

§ 4 Primärrechtliche Grundlagen des europäischen Gesellschaftsrechts

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1. Vom Diskriminierungs- zum allgemeinen Beschränkungsverbot Die ursprünglich als Diskriminierungsverbote ausgestalteten Grundfreiheiten haben sich mittlerweile zu allgemeinen Beschränkungsverboten fortentwickelt.270 Auch für die Niederlassungsfreiheit gilt, dass deren Beschränkung – vorbehaltlich etwaiger Rechtfertigungsgründe271 – verboten ist.272 Damit ist sie als allgemeines Beschränkungsverbot zu interpretieren.273 Jede Vorschrift und Maßnahme des nationalen Rechts der Mitgliedstaaten, die sich potenziell in beschränkender Weise auswirken kann, ist in der Konsequenz auf ihre Unionsrechtskonformität zu überprüfen. Als Beschränkung gilt jede Maßnahme, die die Ausübung der Niederlassungsfreiheit behindert (unmittelbare Beschränkung) oder weniger attraktiv macht (mittelbare Beschränkung).274 2. Konkretisierung des niederlassungsrechtlichen Beschränkungsbegriffs Der EuGH hat die erfolgte Ausweitung275 der Grundfreiheiten knapp zwei Jahrzehnte später durch die Keck-Rechtsprechung eingeschränkt. Der Gerichtshof stellte zur Warenverkehrsfreiheit fest, dass vertriebsbezogene Beschränkungen, die sich auf bloße Verkaufsmodalitäten beziehen, anders als produktbezogene Beschränkungen, nicht vom Schutzbereich der Grundfreiheit umfasst sind.276 Bei ersteren Beschränkungen ist dieser letztlich auf ein reines Diskriminierungsverbot reduziert.277 Demzufolge sollen die Grundfreiheiten allein den Marktzugang gewährleisten, die nach erfolgtem Zugang geltenden Spielregeln jedoch nicht durchbrechen.278 270 Siehe grundlegend EuGH, 11. 07. 1974, Rs. 8/74 (Dassonville), ECLI:EU:C:1974:82 Rn. 5 = NJW 1975, 515 (516) und die Cassis de Dijon-Entscheidung des EuGH, 20. 02. 1979, Rs. 120/78 (REWE-ZENTEAL-AG), ECLI:EU:C:1979:42 Rn. 8 = NJW 1979, 1766. 271 Sogleich unten Kap. 2 § 4 A. III. 272 EuGH, 12. 07. 1984, Rs. C-107/83 (Klopp), ECLI:EU:C:1984:270 Rn. 19 = NJW 1985, 1275 (1276); EuGH, 30. 11. 1995, Rs. C-55/94 (Gebhard), ECLI:EU:C:1995:411 Rn. 39 = NJW 1996, 579 (581); Stiegler, in: Jung/Krebs/Stiegler, Gesellschaftsrecht in Europa, § 10 Rn. 27. 273 EuGH, 29. 11. 2011, Rs. C-371/10 (National Grid Indus), ECLI:EU:C:2011:785 Rn. 35 f. = NZG 2012, 114 (116); EuGH, 21. 06. 2012, Rs. C-84/11 (Susisalo), ECLI:EU:C: 2012:374 Rn. 31 = GRUR-Int. 2012, 1034 (1037); EuGH, 20. 06. 2013, Rs. C-186/12 (Impacto Azul), ECLI:EU:C:2013:412 Rn. 33 = EuZW 2013, 664 (665). 274 EuGH, 30. 11. 1995, Rs. C-55/94 (Gebhard), ECLI:EU:C:1995:411 Rn. 39 = NJW 1996, 579 (581). 275 EuGH, 11. 07. 1974, Rs. 8/74 (Dassonville), ECLI:EU:C:1974:82 Rn. 5 = NJW 1975, 515 (516). 276 EuGH, 24. 11. 1993, Rs. C-267/91 und Rs. C-268/91 (Keck), ECLI:EU:C:1993:905 Rn. 16 = NJW 1994, 121. 277 Hierzu etwa Habersack/Verse, Europäisches Gesellschaftsrecht, § 3 Rn. 7. 278 Mankowski, NZG 2016, 281 (285); Weller/Hübner, NJW 2016, 225; dies., in: FS Pannen, S. 259 (262).

72 2. Kap.: Rechtlicher Rahmen zur Abgrenzung von Gesellschafts- und Insolvenzstatut

Diese Rechtsprechung führt nun zu der Frage, ob diese Einschränkung auf alle Grundfreiheiten angewandt werden kann oder gar muss. Übertragen auf die Niederlassungsfreiheit folgt aus ihr eine Differenzierung zwischen grundsätzlich grundfreiheitswidrigen Marktzugangsbeschränkungen und Tätigkeitsausübungsoder Marktrückzugsregeln, die entweder bereits außerhalb des Schutzbereichs der Niederlassungsfreiheit stehen oder aber aufgrund der Cassis-Formel279 einer leichteren Rechtfertigung zugänglich sind.280 Die Kornhaas-Entscheidung rückte die Thematik der Übertragung des Marktzugangskriteriums auf die Niederlassungsfreiheit erneut in den Mittelpunkt. Liegt etwa aufgrund einer die Geschäftsleiter betreffenden mitgliedstaatlichen Haftungsregelung eine rechtfertigungsbedürftige Beschränkung der Niederlassungsfreiheit vor, ließe sich eine Bereichsausnahme vom Beschränkungsbegriff der Niederlassungsfreiheit in Anlehnung an die Keck-Doktrin zur Warenverkehrsfreiheit annehmen, wenn das Haftungsinstrument nicht-gesellschaftsrechtlichen Vorschriften des Privatrechts zuzuordnen ist.281 Es fragt sich, ob die Anwendung gesellschaftsrechtlicher Normen des allgemeinen Verkehrsrechts neben der Anerkennung der Rechts- und Parteifähigkeit einer EU-ausländischen Gesellschaft im Inland nach der Überseering-Entscheidung und den gründungsbezogenen Vorgaben nach der Inspire Art-Entscheidung (weiterhin) eine Relevanz für die Niederlassungsfreiheit besitzt.282

III. Rechtfertigung von Beschränkungen Rechtfertigen lässt sich die Beschränkung der Niederlassungsfreiheit nach der Rechtsprechung des EuGH durch den sog. „Vier-Kondiktionen-Test“ im Sinne der Gebhard-Formel283. Danach müssen Beschränkungen (1.) in nichtdiskriminierender Weise angewandt werden, (2.) den zwingenden Gründen des Allgemeinwohls entsprechen, (3.) zur Erreichung des verfolgten Ziels geeignet sein und (4.) zur Erreichung des Ziels auch erforderlich sein. Diesen Test hat der Gerichtshof auch in der

279 EuGH, 20. 02. 1979, Rs. C-120/78 (REWE-ZENTRAL-AG), ECLI:EU:C:1979:42 = NJW 1979, 1766. 280 MüKo-BGB/Kindler, Bd. 13, Internationales Handels- und Gesellschaftsrecht Rn. 442 ff.; Kindler, EuZW 2016, 136 (138); Mankowski, NZG 2016, 281 (285); Weller/ Hübner, NJW 2016, 225; dies., in: FS Pannen, S. 259 (262). 281 Ausführlich zur Übertragung der Keck-Rechtsprechung auf die Niederlassungsfreiheit auf Grundlage des Kornhaas-Urteils unten Kap. 3 § 7 B. 282 Siehe zunächst nur Stiegler, in: Jung/Krebs/Stiegler, Gesellschaftsrecht in Europa, § 10 Rn. 101. 283 EuGH, 09. 03. 1999, Rs. C-212/97 (Centros), ECLI:EU:C:1999:126 Rn. 34 = NJW 1999, 2027 (2029) unter Verweis auf EuGH, 30. 11. 1995, Rs. C-55/94 (Gebhard), ECLI:EU:C: 1995:411 Rn. 37 = NJW 1996, 579 (581) und EuGH, 31. 03. 1993, Rs. C-19/92 (Kraus), ECLI: EU:C:1993:125 Rn. 32 = NVwZ 1993, 661 (662).

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späteren Inspire Art-Entscheidung zugrunde gelegt.284 In Anwendung dieser Grundsätze gelangte der Gerichtshof etwa im Fall Centros zu keiner Rechtfertigung der beschränkenden Wirkung von Mindestkapitalerfordernissen eines Zweigniederlassungsstaates.285 Der Test sorgt dafür, dass auch bei Zuordnung von Rechtsinstituten über das Gesellschaftsrecht hinaus in solche Rechtsgebiete, die regelmäßig dem Bereich der allgemeinen Verkehrsvorschriften angehören (wie etwa dem Vertrags-, Delikts- oder Insolvenzrecht), das Ergebnis auch daran zu messen ist, ob es die Niederlassungsfreiheit berührt und ob es nach dem Vier-Konditionen-Test gerechtfertigt ist.286 Auf diese Weise wird ein Umgehen der europäischen Gründungstheorie verhindert.287 Normen, die den Marktzugang beschränken und insoweit die primäre Niederlassungsfreiheit betreffen, können über die in Art. 52 AEUV genannten Gründen der öffentlichen Ordnung, Sicherheit oder Gesundheit sowie über ungeschriebene Allgemeinwohlgründe gerechtfertigt werden, wenn zugleich auch die Anforderungen des Verhältnismäßigkeitsgrundsatzes gewahrt sind. Insbesondere pauschale Generalverbote sind dadurch unzulässig.288

B. Internationale Sitzverlegung Praktisch bedeutsam ist die Frage, ob eine nach dem Recht eines Mitgliedstaates gegründete Gesellschaft auf dem Fundament der Niederlassungsfreiheit ihren Sitz in einen anderen Mitgliedstaat verlegen kann, ohne dass es dort einer erneuten Gesellschaftsgründung bedarf.289 Verschiedene Formen der grenzüberschreitenden Sitzverlegung sind wiederholt Gegenstand der EuGH-Rechtsprechung zur Niederlassungsfreiheit gewesen.290 Im hier betreffenden Kontext ist dabei vor allem entscheidend, inwieweit eine Gesellschaft ihr Gesellschaftsstatut durch einen solchen Vorgang wechseln kann. Von einem Statutenwechsel spricht man allgemein bei der Veränderung des auf einen grenzüberschreitenden Sachverhalt anwendbaren Rechts.291 Gesellschaften erreichen dies mit dem Weg- oder Zuzug aus bzw. in einen Mitgliedstaat der EU. Dabei ist zu differenzieren: Einerseits kann es sich um einen Wegzug einer Gesellschaft durch die Verlegung ihres Sitzes in einen anderen Mit284 EuGH, 30. 09. 2003, Rs. C-167/01 (Inspire Art), ECLI:EU:C:2003:512 Rn. 133 = NJW 2003, 3331 (3334). 285 EuGH, 09. 03. 1999, Rs. C-212/97 (Centros), ECLI:EU:C:1999:126 = NJW 1999, 2027. Hierzu MüKo-BGB/Kindler, Bd. 13, Internationales Handels- und Gesellschaftsrecht Rn. 119. 286 Kraft, in: Wachter, Praxis des Handels- und Gesellschaftsrechts, § 16 Rn. 35. Siehe dazu die Prüfung in Bezug auf die Insolvenzverschleppungshaftung in Kap. 5 § 11 C. II. 2. 287 Kraft, in: Wachter, Praxis des Handels- und Gesellschaftsrechts, § 16 Rn. 35. 288 Calliess/Ruffert/Korte, EUV/AEUV, AEUV Art. 54 Rn. 32 m. w. N. 289 Habersack/Verse, Europäisches Gesellschaftsrecht, § 3 Rn. 12. 290 Ein Rechtsprechungsüberblick findet sich etwa bei Winter, in: Rödder/Herlinghaus/van Lishaut, UmwStG, Anhang 1 Umwandlungsrecht Rn. 489 ff. 291 So auch die Definition von Groh, in: Creifelds, Rechtswörterbuch, Statutenwechsel.

74 2. Kap.: Rechtlicher Rahmen zur Abgrenzung von Gesellschafts- und Insolvenzstatut

gliedstaat handeln. Dabei wahrt sie die ihr durch den Herkunftsstaat verliehene Rechtsform. Man spricht in diesem Fall von einem rechtsformwahrenden Wegzug. Das bisher anwendbare nationale Recht wird beibehalten. Andererseits kann es sich um eine Gesellschaftsverlegung in einen anderen Mitgliedstaat handeln, in deren Zuge gleichzeitig eine Umwandlung in eine Gesellschaftsform des neuen mitgliedstaatlichen Rechts stattfindet. In diesem Fall handelt es sich um einen rechtsformwechselnden Wegzug. Es ändert sich das anwendbare nationale Recht. Die Differenzierung gilt ebenso aus Sicht des Aufnahmestaates. Für diesen ist zwischen rechtsformwahrendem und rechtsformwechselndem Zuzug von Gesellschaften zu unterscheiden.292 Nach Ansicht des EuGH soll der rechtsformwahrende Wegzug nicht in den Anwendungsbereich der Niederlassungsfreiheit fallen. Der Wegzugsstaat ist europarechtlich nicht gehalten, seiner Gesellschaft zu erlauben, unter Beibehaltung ihrer nationalen Rechtsform ihren Sitz im Ausland zu verlegen.293 Dagegen muss der Wegzugsstaat im Verhältnis zu den europäischen Mitgliedstaaten und denen des EWR einen rechtsformwechselnden Wegzug erlauben.294

I. Grundlagen Der Begriff der Sitzverlegung bedarf vor dem Hintergrund, dass viele Mitgliedstaaten zwischen dem Satzungssitz und dem Verwaltungssitz von Kapitalgesellschaften differenzieren295, der Präzisierung. Beim Satzungssitz handelt es sich um den in der Satzung niedergelegten Sitz der Gesellschaft. Der Verwaltungssitz ist dort zu verorten, wo sich die tatsächliche Hauptverwaltung der Gesellschaft befindet und die grundlegenden Entscheidungen der Geschäftsführung effektiv in die laufende Geschäftsführung umgesetzt werden.296 Auf Ebene des Gesellschaftskollisionsrechts können der Satzungs- und Verwaltungssitz ein mögliches Anknüpfungsmoment bilden. Auslösender Faktor eines Statutenwechsels ist die Veränderung dieses Anknüpfungsmoments. Entscheidend ist demzufolge die Anknüpfung des Gesellschaftsstatuts nach der Sitz- oder Gründungstheorie.297 Da hierzulande die in einem euro292 Siehe – auch zu den Fallkonstellationen – Behme, Rechtsformwahrende Sitzverlegung und Formwechsel von Gesellschaften, S. 3 f. auf Basis von EuGH, 16. 12. 2008, Rs. C-210/06 (Cartesio), ECLI:EU:C:2008:723 = NJW 2009, 569. 293 EuGH, 16. 12. 2008, Rs. C-210/06 (Cartesio), ECLI:EU:C:2008:723 Rn. 99 ff. = NJW 2009, 569 (570 ff.). 294 Frobenius, DStR 2009, 487 (489); Kindler, NZG 2009, 130 (131); Teichmann, ZIP 2009, 393 (394). 295 Rechtsvergleichend Gesell/Flaßhoff/Krömker, in: van Hulle/Gesell, European Corporate Law, S. 25 f. 296 Für das nationale Recht BGH, 21. 03. 1986 – V ZR 10/85, juris Rn. 9 = ZIP 1986, 643 (644). 297 HCL/Behrens/Hoffmann, Bd. I, Einleitung Rn. B 152.

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päischen Mitgliedstaat gegründeten ausländischen Gesellschaften gemäß den Vorgaben der Niederlassungsfreiheit nach der (europäischen) Gründungstheorie zu beurteilen sind,298 löst die Verwaltungssitzverlegung aus dem ausländischen Gründungsstaat ins Inland keinen Statutenwechsel aus299 – vorausgesetzt, der Gründungsstaat nimmt einen solchen nicht an, weil er für seine Gesellschaften der Sitztheorie folgt.300 Soweit es um die Verlegung des Satzungssitzes geht, ist zunächst entscheidend, dass die Nutzung des nationalen Gesellschaftsstatuts in allen EUMitgliedstaaten einen inländischen Satzungssitz voraussetzt.301 Die Satzungssitzverlegung in einen anderen Mitgliedstaat geht daher materiell-rechtlich zwingend mit einem Rechtsformwechsel einher.302 Hierbei zeigt sich, dass die kollisionsrechtliche Bestimmung der einen Wechsel des Gesellschaftsstatuts auslösenden Gründe von den materiell-rechtlichen Auswirkungen eines Statutenwechsels auf die Wahrung der Identität und Rechtsfähigkeit der Gesellschaft zu unterscheiden ist.303 1. Statuswahrende Verwaltungssitzverlegung Wie bereits erwähnt, folgt für EU-Auslandsgesellschaften aufgrund der niederlassungsfreiheitlich intendierten Anknüpfung nach der Gründungstheorie, dass die Verlegung des Verwaltungssitzes keinen Statutenwechsel nach sich zieht. In der Ausgangsentscheidung Daily Mail hat der Gerichtshof entschieden, dass die Niederlassungsfreiheit einer Gesellschaft nicht das Recht gewähre, „den Sitz ihrer Geschäftsleitung unter Bewahrung ihrer Eigenschaft als Gesellschaft des Mitgliedstaates ihrer Gründung in einen anderen Mitgliedstaat zu verlegen“304. Dagegen folgt aus den Entscheidungen des EuGH in den Rechtssachen Centros305 und Überseering306, dass der Zuzug einer in einem anderen Mitgliedstaat gegründeten Gesellschaft ins Inland nicht mit einem Statutenwechsel verbunden werden darf. Aus der Verwaltungssitzverlegung erwächst somit kein Erfordernis zur Gesellschafts298

Siehe oben Kap. 2 § 3 A. II. 1. a) bb). HCL/Behrens/Hoffmann, Bd. I, Einleitung Rn. B 152; Stiegler, in: Jung/Krebs/Stiegler, Gesellschaftsrecht in Europa, § 10 Rn. 27. 300 HCL/Behrens/Hoffmann, Bd. I, Einleitung Rn. B 152; Stiegler, in: Jung/Krebs/Stiegler, Gesellschaftsrecht in Europa, § 10 Rn. 91; Weller, in: FS Blaurock, S. 497 (500 f.). 301 Behrens, IPRax 1999, 323 (325); MüKo-AktG/Ego, Bd. 7, Europäische Niederlassungsfreiheit Rn. 61; Hoffmann, ZVglRWiss 2002, 283 (306). 302 Siehe nur Bayer/Schmidt, ZIP 2012, 1481 (1486); Kiem, ZHR 180 (2016), 289 (300 f.); Stiegler, in: Jung/Krebs/Stiegler, Gesellschaftsrecht in Europa, § 10 Rn. 123. 303 HCL/Behrens/Hoffmann, Bd. I, Einleitung Rn. B 151 ff. 304 EuGH, 27. 09. 1988, Rs. 81/87 (Daily Mail), ECLI:EU:C:1988:456 Rn. 24 = NJW 1989, 2186 (2188). 305 EuGH, 09. 03. 1999, Rs. C-212/97 (Centros), ECLI:EU:C:1999:126 Rn. 30 = NJW 1999, 2027 (2029). 306 EuGH, 05. 11. 2002, Rs. C-208/00 (Überseering), ECLI:EU:C:2002:632 Rn. 82 = NJW 2002, 3614 (3616). 299

76 2. Kap.: Rechtlicher Rahmen zur Abgrenzung von Gesellschafts- und Insolvenzstatut

neugründung.307 Das bisherige Gesellschaftsstatut bleibt von der Verwaltungssitzverlegung unberührt. Die eingewanderte Gesellschaft ist daher auch im Zuzugsstaat weiterhin nach ihrem Gründungsrecht zu behandeln – vorausgesetzt, der Gründungsstaat folgt der Gründungstheorie und lässt die Gesellschaft auf diese Weise trotz der Verlegung des Verwaltungssitzes weiter existieren.308 Dass der Gründungsstaat nicht daran gehindert ist, dem Wegzug einer Gesellschaft in einen anderen Mitgliedstaat durch Verwaltungssitzverlegung mit deren Auflösung zu begegnen, folgt aus den zuvor genannten Judikaten Daily Mail und Überseering. In letzterem heißt es, dass der Gründungsstaat einer Gesellschaft „Beschränkungen hinsichtlich der Verlegung ihres tatsächlichen Verwaltungssitzes aus seinem Hoheitsgebiet“309 auferlegen kann. Auch die bereits erwähnte Rechtssache Cartesio310 liegt ganz auf dieser Linie, ebenso wie die Polbud-Entscheidung311. Die autonome Entscheidung der Mitgliedstaaten über die erforderliche Verbundenheit der inländischen Gesellschaften mit dem nationalen Recht betrachtet der EuGH mit Blick auf die Gründung und den Fortbestand der Gesellschaften nicht als eine die Niederlassungsfreiheit betreffende Frage. Er sieht hierin vielmehr eine davon unabhängig zu lösende Vorfrage.312 Die Mitgliedstaaten sind demnach frei darin, die Verlagerung des Verwaltungssitzes einer Gesellschaft mit deren Auflösung zu verknüpfen um so die Anerkennung der Gesellschaft durch den Zuzugstaat unmöglich zu machen. Lässt der Gründungsstaat die Verwaltungssitzverlegung aber zu und gelangt im autonomen Kollisionsrecht des Zuzugstaates die Sitztheorie zur Anwendung, kommt es zu einem Statutenwechsel. Bei Anwendung der Gründungstheorie im Zuzugstaat kommt es zur Rückverweisung.313

2. Formwechselnde Satzungssitzverlegung Wie bei der grenzüberschreitenden Verwaltungssitzverlegung kommt es auch bei der Verlegung des Satzungssitzes einer mitgliedstaatlichen Kapitalgesellschaft darauf an, inwieweit diese dadurch ihr Gesellschaftsstatut wechseln kann. Auch die Zulässigkeit des Satzungssitzverlegung bestimmt sich primär nach europäischem Recht durch die Reichweite der Niederlassungsfreiheit. Insoweit ist durch die Rechtsprechung des EuGH anerkannt, dass die Niederlassungsfreiheit auch das Recht auf identitätswahrende Änderung des Gesellschaftsstatuts umfasst. Somit ist 307

HCL/Behrens/Hoffmann, Bd. I, Einleitung Rn. B 156. HCL/Behrens/Hoffmann, Bd. I, Einleitung Rn. B 156. 309 EuGH, 05. 11. 2002, Rs. C-208/00 (Überseering), ECLI:EU:C:2002:632 Rn. 70 = NJW 2002, 3614 (3615). 310 EuGH, 16. 12. 2008, Rs. C-210/06 (Cartesio), ECLI:EU:C:2008:723 Rn. 99 ff. = NJW 2009, 569 (570 ff.). 311 EuGH, 25. 10. 2017, Rs. C-106/16 (Polbud), ECLI:EU:C:2017:804 Rn. 43 = NJW 2017, 3639 (3641 f.). 312 HCL/Behrens/Hoffmann, Bd. I, Einleitung Rn. B 156. 313 HCL/Behrens/Hoffmann, Bd. I, Einleitung Rn. B 156. 308

§ 4 Primärrechtliche Grundlagen des europäischen Gesellschaftsrechts

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ein grenzüberschreitender Formwechsel bei Beibehaltung der rechtlichen Identität möglich. Zu unterscheiden ist dabei zwischen dem Herausformwechsel und dem Hereinformwechsel. Zum Herausformwechsel hat der EuGH im Urteil Cartesio festgestellt, dass die Niederlassungsfreiheit auch die Sitzverlegung unter Änderung des anwendbaren Rechts gewährleistet. Der Gründungsmitgliedstaat dürfe „die Gesellschaft dadurch, dass er ihre Auflösung und Liquidation verlangt“ nicht daran hindern, „sich in eine Gesellschaft nach dem nationalen Recht dieses anderen Mitgliedstaats umzuwandeln, soweit dies nach diesem Recht möglich ist“314. Zudem hat der EuGH in Polbud klargestellt, dass auch eine isolierte Satzungssitzverlegung – ohne gleichzeitige Verlegung des Verwaltungssitzes – von der Niederlassungsfreiheit gedeckt sei.315 In der Folge kann ein Statutenwechsel durch formwechselnde Umwandlung der inländischen in eine ausländische Gesellschaft durch den Gründungsstaat nicht verhindert werden, wenn der ausländische Mitgliedstaat den identitätswahrenden Zuzug der Gesellschaft ohne Neugründung gestattet.316 Für die grenzüberschreitende formwechselnde Hereinumwandlung hat der EuGH in der Rechtssache VALE aus der Niederlassungsfreiheit die mitgliedstaatliche Verpflichtung abgeleitet, das für inländische Gesellschaften geltende Umwandlungsrecht auch auf Gesellschaften aus dem EU-Ausland anzuwenden. Umwandlungen im Sinne eines Formwechsels gehörten zu den wirtschaftlichen Tätigkeiten einer Gesellschaft, bei denen die Niederlassungsfreiheit zu beachten sei.317 Ferner hat er darauf hingewiesen, „dass der Niederlassungsbegriff im Sinne der Bestimmungen des Vertrags über die Niederlassungsfreiheit die tatsächliche Ausübung einer wirtschaftlichen Tätigkeit mittels einer festen Einrichtung im Aufnahmemitgliedstaat auf unbestimmte Zeit impliziert. Daher setzt er eine tatsächliche Ansiedlung der betreffenden Gesellschaft und die Ausübung einer wirklichen wirtschaftlichen Tätigkeit in diesem Staat voraus (…).“318 Der Zuzugsstaat ist insoweit berechtigt, den Erwerb seines Gesellschaftsstatuts im Wege des Formwechsels von dem tatsächlichen Zuzug abhängig zu machen.319

314

EuGH, 16. 12. 2008, Rs. C-210/06 (Cartesio), ECLI:EU:C:2008:723 Rn. 112 = NJW 2009, 569 (571). 315 EuGH, 25. 10. 2017, Rs. C-106/16 (Polbud), ECLI:EU:C:2017:804 Rn. 49 ff. = NJW 2017, 3639 (3642). 316 Stiegler, in: Jung/Krebs/Stiegler, Gesellschaftsrecht in Europa, § 10 Rn. 124. 317 EuGH, 12. 07. 2012, Rs. C-378/10 (VALE), ECLI:EU:C:2012:440 Rn. 24 = NJW 2012, 2715 (2716) mit Verweis auf EuGH, 13. 12. 2005, Rs. C-411/03 (SEVIC), ECLI:EU:C:2005: 762 Rn. 19 = ZIP 2005, 2311 (2312). 318 EuGH, 12. 07. 2012, Rs. C-378/10 (VALE), ECLI:EU:C:2012:440 Rn. 34 = NJW 2012, 2715 (2717). 319 HCL/Behrens/Hoffmann, Bd. I, Einleitung Rn. B 159.

78 2. Kap.: Rechtlicher Rahmen zur Abgrenzung von Gesellschafts- und Insolvenzstatut

II. Fortentwicklung durch Kornhaas? Die Ausführungen des EuGH in der Kornhaas-Entscheidung können den Eindruck erwecken, dass die isolierte grenzüberschreitende Satzungssitzverlegung nicht (mehr) in den Schutzbereich der Niederlassungsfreiheit fällt und die Entscheidung daher in Widerspruch zur bisherigen Rechtsprechung steht.320 Es scheint, als ob der Schutzbereich der Niederlassungsfreiheit hier auf das Recht auf Fortbestand der Rechtsfähigkeit nach einer grenzüberschreitenden Verwaltungssitzverlegung begrenzt wird. Die primärrechtliche Einordnung321 der Kornhaas-Entscheidung wird zeigen, inwieweit sich das Judikat in die Rechtsprechungshistorie des EuGH einreiht und entsprechende Schlussfolgerungen zulässt.

320 321

So auch Kindler, NZG 2018, 1 (4). Unten Kap. 3 § 7.

3. Kapitel

Die Rechtssache Kornhaas Die Entscheidung in der Rechtssache Kornhaas1 betrifft eine der zentralen Fragen des Kapitalgesellschaftsrechts. Mit ihrem grenzüberschreitenden Kontext umfasst sie das internationale Gesellschaftsrecht und das internationale Insolvenzrecht gleichermaßen. Die Entscheidung erfolgte vor dem rechtstatsächlichen Hintergrund der rasanten Zunahme von Gründungen „deutscher“ Limiteds in den Jahren von 2004 bis 2008.2 Gemeint ist die private limited by shares nach englischem Recht mit Satzungssitz in England und Verwaltungssitz in Deutschland, die ihr operatives Geschäft (allein) auf Deutschland ausgerichtet hat. Angestoßen wurde die grenzüberschreitende Verwendung verschiedener Gesellschaftsformen durch die umfangreiche EuGH-Rechtsprechung3 zur Niederlassungsfreiheit. Darüber hinaus begünstigte die fehlende Harmonisierung des IPR den regulatorischen Wettbewerb der Rechtsordnungen um das attraktivste Gesellschaftsrecht.4 Im Zuge dieser Entwicklungen zeichnete sich schnell die grundlegende Folgefrage ab, nach welchen Staates Rechtsordnung sich die gesellschafts- und insolvenzrechtlichen Verhältnisse einer solchen EU-Auslandsgesellschaft richten. Der Schwerpunkt wurde dabei zuletzt immer mehr auf die Frage nach der Anwendung nationaler Gläubigerschutznormen gelegt, wobei die insolvenzrechtliche Dimension dieser Problematik in den Mittelpunkt gestellt wurde.5 Es kam zu einem Ringen von Gesellschafts- und Insolvenzstatut im Unionsrecht.6 Im Zuge dessen wurde eine immer feinere Demarkationslinie herausgearbeitet. Gleichwohl besteht bis heute keine Einigkeit darüber, wo genau diese Linie verläuft und welche Ausformung sie im Hinblick auf die genaue Abgrenzung von Gesellschafts- und Insolvenzstatut angenommen hat.

1

EuGH, 10. 12. 2015, Rs. C-594/14 (Kornhaas), ECLI:EU:C:2015:806 = NJW 2016, 223. Mankowski, NZG 2016, 281; Weller/Hübner, in: FS Pannen, S. 259. Siehe zur Limited als Rechtsformalternative beispielsweise Bayer/Hoffmann, GmbHR 2007, 414; Kornblum, GmbHR 2008, 19. Eine empirische Erhebung findet sich bei Ringe, ECFR 2013, 230. 3 Siehe etwa den Rechtsprechungsüberblick in MAH GmbH-Recht/Dostal § 26 Rn. 101 ff. 4 Zum Wettbewerb der Rechtsordnungen im Gesellschaftsrecht Teichmann, ZGR 2017, 543 (545 ff.). 5 Mock, IPRax 2016, 237; Schall, ZIP 2016, 289; Weller/Hübner, in: FS Pannen, S. 259 (259 f.). 6 Mankowski, NZG 2016, 281. 2

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3. Kap.: Die Rechtssache Kornhaas

Eben in dieser Gemengelage hat sich der EuGH in der Rechtssache Kornhaas mit der Anwendung der Haftungsnorm des § 64 S. 1 GmbHG a. F.7 (jetzt § 15b Abs. 1, 4 InsO) auf eine europäische Auslandsgesellschaft auseinandergesetzt. Konkret ging es um die kollisionsrechtlich abgeleitete und primärrechtskonforme Anwendung des § 64 S. 1 GmbHG a. F. (jetzt § 15b Abs. 1, 4 InsO) auf eine „deutsche“ Limited mit eingetragener Zweigniederlassung in Deutschland, die überwiegend hierzulande tätig war. Recht schnell wurde das Urteil als einer der „iconic cases“8 des EuGH bezeichnet, das sich inhaltlich mit dem „modernen Klassiker“9 der kollisionsrechtlichen Qualifikation des § 64 S. 1 GmbHG a. F. (jetzt § 15b Abs. 1, 4 InsO) und darüber hinaus mit der Unionsrechtskonformität der Haftungsnorm beschäftigt. Das Urteil behandelt damit grundlegende Fragen, über die bislang teils heftig gestritten wurde und immer noch wird: Die h. M. in Rechtsprechung10 und Literatur11 befürworten ebenso wie die Entwurfsbegründungen12 des Gesetzgebers eine insolvenzrechtliche Einordnung der Haftungsnorm. Dagegen schrieb eine starke Mindermeinung13 diese bislang in ihrem Kern dem Gesellschaftsrecht zu. Der EuGH nahm zur Einordnung des § 64 S. 1 GmbHG a. F. (jetzt § 15b Abs. 1, 4 InsO) in seiner Entscheidung zwar explizit Stellung. Er ließ jedoch zugleich die Gelegenheit verstreichen, weitere Zweifelsfragen im Zusammenhang mit der Abgrenzung von Gesellschafts- und Insolvenzstatut auszuräumen.14 Auch wenn er mit dieser Ent7 Die Entscheidung bezog sich noch auf die bis zum 31. 10. 2008 geltende Fassung des § 64 Abs. 2 S. 1 GmbHG. Zur besseren Nachvollziehbarkeit wird hier zunächst auf die bis zum 31. 12. 2020 geltende Norm des § 64 S. 1 a. F. GmbHG verwiesen, die mit § 64 Abs. 2 S. 1 GmbHG a. F. identisch war und nun in § 15b Abs. 1, 4 InsO geregelt ist. 8 So Weller/Hübner, NJW 2016, 225; dies., in: FS Pannen, S. 259; ferner auch Fleischer, NZG 2015, 769 (778) mit Verweis zur Begrifflichkeit aus den Vereinigten Staaten von Amerika in Macey, The Iconic Cases. 9 Mankowski, NZG 2016, 281. 10 BGH, 02. 12. 2014 – II ZR 119/14, juris Rn. 8, 18 = IPRax 2015, 334 (335 f.); BGH, 15. 03. 2016 – II ZR 119/14, juris Rn. 14 ff. = NJW 2016, 2660 (2661); KG Berlin, 24. 09. 2009 – 8 U 250/08, juris Rn. 25 = IPRax 2010, 449 (450); OLG Thüringen, 17. 07. 2013 – 2 U 815/12, juris Rn. 18 = IPRax 2014, 357; LG Erfurt, 07. 09. 2012 – 9 O 441/11 = BeckRS 2014, 23489. 11 Siehe nur UHL/Casper, Bd. III, § 64 Rn. 31; Baumbach/Hueck/Haas, GmbHG § 64 Rn. 51; Kindler, IPRax 2010, 430 (431); Henssler/Strohn/Servatius, Gesellschaftsrecht, IntGesR Rn. 179; Thole, ZIP 2012, 605 (607); Weller/Schulz, IPRax 2014, 336 (338). Weitere Nachweise finden sich bei Ringe, JZ 2016, 573 (574) in Fn. 10. 12 RegE zum MoMiG vom 25. 07. 2007, BT-Drs. 16/6140, S. 47; RefE eines Gesetzes zum Internationalen Privatrecht der Gesellschaften, Vereine und juristischen Personen, Januar 2008, S. 12, http://www.gesmat.bundesgerichtshof.de/gesetzesmaterialien/16_wp/int_gesr/refe.pdf (zuletzt abgerufen am 16. 04. 2021). 13 Bitter, WM 2001, 666 (669) bei Fn. 34; Mock, NZI 2015, 87 (88); Poertzgen, NZI 2008, 9 (11) bei Fn. 18; ders., NZI 2013, 809; Ringe/Willemer, NZG 2010, 56 (56 f.); in diesem Sinne wohl auch Schmidt, ZHR 168 (2004), 637 (654) und OLG Karlsruhe, 22. 12. 2009 – 13 U 102/09, juris Rn. 15 = ZIP 2010, 2123 (2123 f.); offengelassen hingegen von OLG Köln, 09. 06. 2011 – I-18 W 34/11, juris Rn. 5 = ZIP 2012, 1000. 14 So auch Ringe, JZ 2016, 573.

§ 5 Gegenstand und Inhalt der Kornhaas-Entscheidung

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scheidung zumindest für einen eng abgesteckten Themenkomplex für Rechtssicherheit sorgte, besteht nach wie vor keine Einigkeit über den allgemeinen Aussagegehalt des Urteils und die daraus zu ziehenden Schlussfolgerungen. Manche Autoren wollen der Entscheidung – zumindest in Bezug auf die Handhabung der Niederlassungsfreiheit – nicht allzu viel Gewicht beimessen15 oder diese aufgrund von Widersprüchlichkeiten ganz ablehnen16. Andere erkennen in ihr ein erhebliches Gewicht und eine große praktische Bedeutung.17 Allein die umfangreiche und vielfältige Rezeption der Entscheidung deutet auf ihr Potential hin. So erscheint es durchaus gangbar, aus ihr relevante Aussagen auf sekundärrechtlicher Ebene zur Klärung der Reichweite der lex fori und auf primärrechtlicher Ebene zur Klärung der Reichweite des Gewährleistungsgehalts der Niederlassungsfreiheit zu entwickeln. In konsequenter Fortentwicklung der Rechtsprechung lassen sich ferner Aussagen zur Qualifikation weiterer gläubigerschützender Haftungsinstrumente treffen. Das Urteil stellt einen weiteren Pinselstrich in der feinen Grenzzeichnung zwischen Gesellschafts- und Insolvenzstatut dar. Dieser erlaubt es, sich der Thematik unter dem Blickwinkel der neuen Rechtsprechung anzunehmen und Kriterien herauszuarbeiten, anhand derer eine zukünftige Abgrenzung von Gesellschafts- und Insolvenzstatut erfolgen kann. Daher soll in diesem Kapitel, nachdem Gegenstand, Verfahrenslauf und Inhalt des Urteils erläutert wurden, zunächst eine kollisions- und primärrechtliche Einordnung der Kornhaas-Entscheidung erfolgen. Darauf aufbauend ist eine Interpretation ihres Aussagegehalts vorzunehmen und dieser fortzuentwickeln. Etwaigen Widersprüchlichkeiten in der Entscheidung und nach wie vor bestehenden Friktionen zwischen Gesellschafts- und Insolvenzrecht kann de lege ferenda durch die Ausarbeitung eines Abgrenzungskonzepts auf Grundlage des Kornhaas-Urteils begegnet werden. Im Ergebnis erfolgt eine klarere Grenzzeichnung18 zwischen Gesellschafts- und Insolvenzstatut.

§ 5 Gegenstand und Inhalt der Kornhaas-Entscheidung Im Ausgangsstreit vor dem LG Erfurt19 sah sich die beklagte Geschäftsführerin (director) einer Limited nach englischem und walisischem Recht dem Vorwurf des klagenden Insolvenzverwalters ausgesetzt, entgegen des Verbots des § 64 S. 1 GmbHG a. F. (jetzt § 15b Abs. 1, 4 InsO) Zahlungen zulasten der Gesellschaft an 15 So etwa Mankowski, NZG 2016, 281 und Stiegler, in: Jung/Krebs/Stiegler, Gesellschaftsrecht in Europa, § 10 Rn. 101. 16 Ringe, JZ 2016, 573 (576 f.); ders., Kornhaas and the Limits of Corporate Establishment, OBLB vom 25. 05. 2016, https://www.law.ox.ac.uk/business-law-blog/blog/2016/05/kornhaasand-limits-corporate-establishment (zuletzt abgerufen am 16. 04. 2021). 17 So z. B. Mock, IPRax 2016, 237; Schall, ZIP 2016, 289; Wansleben, EWS 2016, 72; Weller/Hübner, NJW 2016, 225; dies., in: FS Pannen, S. 259 (269). 18 Unten Kap. 5 § 10. 19 LG Erfurt, 07. 09. 2012 – 9 O 441/11 = BeckRS 2014, 23489.

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3. Kap.: Die Rechtssache Kornhaas

Dritte geleistet zu haben. Die Gesellschaft entfaltete ihre Tätigkeit und die damit verbundenen Dienstleistungen vorwiegend über eine Zweigniederlassung in Deutschland. Der EuGH hatte sich später auf dieser Grundlage mit der Frage auseinanderzusetzen, ob die Haftungsregelung des § 64 S. 1 GmbHG a. F. (jetzt § 15b Abs. 1, 4 InsO) auf die Direktorin der EU-Auslandsgesellschaft angewandt werden kann. Insoweit ging es um die Auslegung von Art. 7 EuInsVO20 und der Art. 49 und 54 AEUV. In seinem Urteil billigte der EuGH die Anwendung des § 64 S. 1 GmbHG a. F. (jetzt § 15b Abs. 1, 4 InsO) und ordnete die Regelung als insolvenzrechtliche Norm ein. Deren Anwendung hielt er zugleich für mit der Niederlassungsfreiheit vereinbar.

A. Geltendmachung nationaler Organhaftung Mit Inkrafttreten des SanInsFoG am 01. 01. 2021, das der Umsetzung der europäischen Restrukturierungsrichtlinie dient, wurden die auf die gesellschaftsrechtlichen Kodifikationen verstreuten Regelungen der Zahlungsverbote im Falle der Insolvenzreife von haftungsbeschränkten Rechtsträgern zu einer allgemeinen und rechtsformneutralen Vorschrift in § 15b InsO zusammengefasst.21 Betroffen hiervon ist auch § 64 GmbHG a. F. (jetzt § 15b InsO). Dessen Inhalt ist für die hier betreffenden Fragestellungen auch nach der Normübertragung relevant.

I. Regelungsgehalt und Zielsetzung des § 64 S. 1 GmbHG a. F. Nach § 64 S. 1 GmbHG a. F. waren die Geschäftsführer einer Gesellschaft zum Ersatz von Zahlungen verpflichtet, die nach Eintritt der Zahlungsunfähigkeit der Gesellschaft oder nach Feststellung ihrer Überschuldung geleistet werden. Die Norm statuierte damit eine persönliche Innenhaftung der Geschäftsführer gegenüber der Gesellschaft für insolvenzmasseschmälernde Zahlungen an einzelne Gläubiger. Ferner diente sie mit ihrem haftungsbewehrten Zahlungsverbot dem Schutz aller Gesellschaftsgläubiger im Interesse einer gleichmäßigen Befriedigung (par conditio creditorum).22 Die Regelung sollte dazu beitragen, masseverkürzende Zahlungen im Vorfeld des Insolvenzverfahrens zu verhindern und das zum Zeitpunkt der Insolvenzreife vorhandene Gesellschaftsvermögen zu erhalten oder wieder aufzufüllen. 20 Die Entscheidung bezog sich noch auf Art. 4 EuInsVO 2000. Der aktuelle Art. 7 EuInsVO entspricht Art. 4 EuInsVO 2000; die Vorschrift ist bis auf rein redaktionelle Anpassungen wortgleich geblieben. Zur besseren Nachvollziehbarkeit wird hier daher stets – wo möglich – auf die aktuelle Norm verwiesen. 21 Gehrlein, BB 2021, 66 (79). 22 Weller/Hübner, in: FS Pannen, S. 259 (260) m. w. N. bei Fn. 15 und 16. Allgemein zum Regelungsgehalt des § 64 GmbHG a. F. Bork/Schäfer/Bork, GmbHG, § 64 Rn. 1; UHL/Casper, Bd. III, § 64 Rn. 4; BeckOK-GmbHG/Mätzig, § 64 Rn. 4; MüKo-GmbHG/H.-F. Müller, Bd. 3, § 64 Rn. 1.

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Auf diese Weise sollte die gleichmäßige Befriedigung der Gläubiger in einem späteren Insolvenzverfahren sichergestellt werden.23 Damit traf § 64 S. 1 GmbHG a. F. einerseits eine Schutzfunktion24 zugunsten der Gesellschaftsgläubiger. Diese lag im eigenen Interesse der Geschäftsführer an der Masseerhaltung. Andererseits wurde der Norm eine druck-25 bzw. verhaltenssteuernde26 Funktion zugeschrieben. Die Haftungsandrohung sollte für das Verhalten von Geschäftsführern einen Anreiz dahingehend schaffen, als solche von ihrem Insolvenzantragsrecht gem. § 15 Abs. 1 S. 1 InsO im Interesse der Gläubigergesamtheit rechtzeitig Gebrauch zu machen. Erlaubt waren nach § 64 S. 2 GmbHG a. F. nur Zahlungen, die mit der Sorgfalt eines ordentlichen Geschäftsmannes vereinbar sind. Bei einem Verstoß gegen das Zahlungsverbot hafteten die Geschäftsführer der Gesellschaft gegenüber mit ihrem gesamten Vermögen persönlich auf Rückerstattung der Zahlungen.

II. Konzentration des Zahlungsverbots nach Insolvenzreife in § 15b InsO Die neue Vorschrift des § 15b Abs. 1 S. 1 InsO regelt, dass die nach § 15a Abs. 1 S. 1 InsO antragspflichtigen Mitglieder des Vertretungsorgans und Abwickler einer juristischen Person nach dem Eintritt der Zahlungsunfähigkeit oder der Überschuldung der juristischen Person keine Zahlungen mehr für diese vornehmen dürfen. Auch hier handelt es sich um eine Innenhaftung gegenüber der Gesellschaft. § 15b Abs. 4 S. 1 InsO statuiert die Erstattungspflicht, wenn entgegen der Vorgaben in § 15b Abs. 1 InsO Zahlungen geleistet wurden. Wenn der Erstattungspflichtige jedoch nachweisen kann, dass der Gläubigerschaft nur ein geringer Schaden entstanden ist, ist die Ersatzpflicht auf den Ausgleich dieses Schadens beschränkt, § 15b Abs. 4 S. 2 InsO. Da hier – anders als bei § 64 S. 1 GmbHG a. F. – von einem Schaden der Gläubigergemeinschaft die Rede ist, wird daraus zuweilen geschlossen, dass die Erstattungspflicht nun nicht mehr als Ersatzanspruch eigener Art27, sondern als Schadensersatzanspruch28 ausgestaltet sei. Wegen des im RegE zum SanInsFoG 23 BGH, 02. 12. 2014 – II ZR 119/14, juris Rn. 8 = IPRax 2015, 334 (335); BGH, 15. 03. 2016 – II ZR 119/14, juris Rn. 15 = ZIP 2016, 821 (821 f.); BGH, 14. 06. 2018 – IX ZR 232/17, juris Rn. 25 = ZIP 2018, 1451 (1454). 24 Haas, ZHR 178 (2014), 603 (606) m. w. N. 25 Hanseatisches OLG Hamburg, 09. 11. 2018 – 11 U 136/17, juris Rn. 82 = ZIP 2019, 416 (419) unter Verweis auf Baumbach/Hueck/Haas, GmbHG § 64 Rn. 3; ders., ZHR 178 (2014), 603 (605) m. w. N. 26 Weller/Hübner, in: FS Pannen, S. 259 (260). 27 So die Rechtsprechung zu § 64 S. 1 GmbHG a. F., BGH, 18. 11. 2020 – IV ZR 217/19, juris Rn. 20 = ZIP 2020, 2510 (2511); BGH, 20. 09. 2010 – II ZR 78/09, juris Rn. 14 = ZIP 2010, 1988 (1989); und ein Großteil der Literatur, MüKo-GmbHG/H.-F. Müller, Bd. 3, § 64 Rn. 139 ff.; Röhricht, ZIP 2005, 505 (509 f.). 28 Altmeppen, ZIP 2021, 1 (2); Brinkmann, ZIP 2020, 2361 (2366); Göb/Nebel, NZI 2021, 17 (18).

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3. Kap.: Die Rechtssache Kornhaas

enthaltenen Hinweises auf die reichsgerichtliche Rechtsprechung29, nach der die Vermutung eines Gesamtgläubigerschadens in Höhe der verbotswidrig geleisteten Zahlungen besteht, ist tatsächlich von einem Schadensersatzanspruch auszugehen. Der RegE hat sich zur Rechtsnatur des Anspruchs jedoch nicht ausdrücklich positioniert.30 Unabhängig davon ist bis hierhin festzuhalten, dass aus der Verlagerung des Zahlungsverbotes keine wesentlichen inhaltlichen Änderungen31 des Grundtatbestandes des § 64 S. 1 GmbHG a. F. folgen.

B. Sachverhalt und Verfahrensgang Am 27. 11. 2007 wurde vor dem Amtsgericht Erfurt ein Insolvenzverfahren über das Vermögen der Kornhaas Montage und Dienstleistung Ltd. eröffnet. Die Schuldnerin war zu diesem Zeitpunkt als Handelsgesellschaft in Form einer private company limited by shares in dem für England und Wales zuständigen Handelsregister in Cardiff eingetragen. Zur alleinvertretungsberechtigten geschäftsführenden Direktorin der Gesellschaft wurde Frau Simona Kornhaas bestellt. Eine in Deutschland gegründete Zweigniederlassung der Gesellschaft war zunächst in dem vom Amtsgericht Erfurt, später in dem vom Amtsgericht Jena geführten Handelsregister eingetragen. Der Unternehmensgegenstand der Schuldnergesellschaft bestand in der Montage von Lüftungsanlagen und in der Erbringung damit verbundener Dienstleistungen. Ihre Tätigkeit entfaltete die Gesellschaft überwiegend in Deutschland. Nach Eintritt der Zahlungsunfähigkeit der Gesellschaft leistete die Direktorin im Namen der Gesellschaft mehrere Zahlungen in Höhe von insgesamt EUR 110.151,66. Der Insolvenzverwalter nahm sie daraufhin auf Grundlage von § 64 S. 1 GmbHG a. F. (jetzt § 15b Abs. 1, 4 InsO) auf Ersatz dieses Betrages in Anspruch.

I. Nationaler Entscheidungsgang Der Insolvenzverwalter machte vor dem LG Erfurt32 geltend, dass die Schuldnergesellschaft spätestens seit dem 01. 11. 2006 zahlungsunfähig gewesen sei. Frau Kornhaas habe als deren Direktorin aber dennoch den Geschäftsbetrieb fortgeführt und zwischen dem 11. 12. 2006 und dem 26. 02. 2007 Zahlungen zulasten der Gesellschaft, insbesondere an Dritte, aber auch an sich selbst in Höhe von insgesamt 29

RG, 30. 11. 1938 – II 39/18, juris = RGZ 159, 211 (229 f.). Siehe den RegE zum SanInsFoG vom 09. 11. 2020, BT-Drs. 19/24181, S. 195. Der BGH entschied noch zur alten Regelung, dass es sich bei § 64 S. 1 GmbHG a. F. um einen gesetzlichen Haftpflichtanspruch auf Schadensersatz i. S. d. D&O-Versicherungsbedingungen handele, BGH, 18. 11. 2020 – IV ZR 2017/19, juris Rn. 10 ff. = ZIP 2020, 2510 (2510 f.). 31 Ausführlich zur neuen Regelung des Zahlungsverbots unten Kap. 5 § 11 A. I. 32 LG Erfurt, 07. 09. 2012 – 9 O 441/11 = BeckRS 2014, 23489. 30

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EUR 110.151,66 geleistet. Er argumentierte, der Anspruch könne im Insolvenzverfahren der Schuldnerin vom Insolvenzverwalter gegen die Direktorin geltend gemacht werden, da § 64 S. 1 GmbHG a. F. (jetzt § 15b Abs. 1, 4 InsO) auf die englische Limited gemäß Art. 7 EuInsVO anwendbar sei. Die Norm des § 64 S. 1 GmbHG a. F. (jetzt § 15b Abs. 1, 4 InsO) sei zwar formell Teil des GmbHG, materiell aber Insolvenzrecht und deshalb insolvenzrechtlich und nicht gesellschaftsrechtlich zu qualifizieren. Das LG Erfurt folgte dieser Auffassung und gab der Klage statt. Die Anwendbarkeit der Haftungsnorm ergebe sich auf Grundlage des Art. 7 EuInsVO. Es begründete, dass die Vorschrift im Ergebnis insolvenzrechtlichen Zwecken diene. Gegen die Entscheidung des LG Erfurt legte die Direktorin vor dem Thüringer OLG Berufung ein.33 Die Beklagte des Ausgangsverfahrens trug mit der Berufung vor, dass nach der Neuregelung durch das MoMiG die getroffene systematische Einordnung des § 64 S. 1 GmbHG a. F. (jetzt § 15b Abs. 1, 4 InsO) offensichtlich unzutreffend sei.34 Weiter argumentierte sie, der Anspruch aus § 64 S. 1 GmbHG a. F. (jetzt § 15b Abs. 1, 4 InsO) richte sich auf die Wiederherstellung des durch die Zahlung verminderten Gesellschaftsvermögens.35 Dagegen führte der Insolvenzverwalter für die Richtigkeit des vom LG Erfurt gefundenen Ergebnisses den Zweck der aus § 64 S. 1 GmbHG a. F. (jetzt § 15b Abs. 1, 4 InsO) folgenden Massesicherungspflicht des Geschäftsführers an. Für die Erstreckung der Haftungsregelung auf eine englische Limited gem. Art. 7 EuInsVO spreche zudem das Gourdain/NadlerUrteil36 des EuGH. In diesem habe der EuGH eine mit § 64 S. 1 GmbHG a. F. (jetzt § 15b Abs. 1, 4 InsO) vergleichbare Vorschrift des französischen Rechts (action en comblement du passif) als konkursrechtlich eingestuft.37 Auch das Thüringer OLG war der Auffassung, dass § 64 S. 1 GmbHG a. F. (jetzt § 15b Abs. 1, 4 InsO) nach seinem Sinn und Zweck als insolvenzrechtliche Norm anzusehen und deswegen gem. Art. 7 Abs. 1 EuInsVO auf die Beklagte anzuwenden sei. Vor der Entscheidung über die eingelegte Revision setzte der BGH das Verfahren aus, um eine Vorabentscheidung des EuGH einzuholen. Er wollte wissen, ob § 64 S. 1 GmbHG a. F. (jetzt § 15b Abs. 1, 4 InsO) trotz seiner systematischen Stellung im Gesellschaftsrecht38 als insolvenzrechtliche Norm i. S. d. Art. 7 EuInsVO auszulegen ist und ob die Niederlassungsfreiheit gem. Art. 49, 54 AEUV der Anwendung des Zahlungsverbots auf Kapitalgesellschaften des EU-Auslands entgegensteht.39

33

OLG Thüringen, 17. 07. 2013 – 2 U 815/12, juris Rn. 4 = IPRax 2014, 357. OLG Thüringen, 17. 07. 2013 – 2 U 815/12, juris Rn. 4 = IPRax 2014, 357. 35 OLG Thüringen, 17. 07. 2013 – 2 U 815/12, juris Rn. 4 = IPRax 2014, 357. 36 EuGH, 22. 02. 1979, Rs. 133/78 (Gourdain), ECLI:EU:C:1979:49 = BeckRS 2004, 71542. 37 OLG Thüringen, 17. 07. 2013 – 2 U 815/12, juris Rn. 11 = IPRax 2014, 357. 38 Die Geschäftsleiterhaftung findet sich seit dem 01. 01. 2021 rechtsformübergreifend in § 15b InsO geregelt. 39 BGH, 02. 12. 2014 – II ZR 119/14, juris = IPRax 2015, 334. 34

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II. Kornhaas-Entscheidung des EuGH Die Entscheidung des EuGH zu diesen Vorlagefragen fiel kurz aus. Sie knüpft unter dem kollisionsrechtlichen Gesichtspunkt an die kurz zuvor ergangene Entscheidung H40 zur internationalen Zuständigkeit nach Art. 3 EuInsVO 2000 an. Dabei verlagert sie aber den Schwerpunkt von der Frage der internationalen Zuständigkeit hin zu der materiellen Frage nach dem anwendbaren Recht i. S. v. Art. 7 EuInsVO. Bei der Prüfung, ob das anwendbare Recht mit der Niederlassung vereinbar ist, grenzt der EuGH den vorliegenden Sachverhalt von den Entscheidungen Überseering41 und Inspire Art42 ab. Diese bilden damit zugleich den Ausgangspunkt für die Entscheidung in dieser Sache. 1. Zur ersten Vorlagefrage Der EuGH ordnet die Regelung des § 64 S. 1 GmbHG a. F. (jetzt § 15b Abs. 1, 4 InsO) dem Insolvenzrecht zu. Er hat sie „eindeutig als insolvenzrechtliche Norm eingestuft“ und dem für das Insolvenzverfahren und seinen Wirkungen geltenden Recht des Art. 7 Abs. 1 EuInsVO zugerechnet.43 Insbesondere wegen der bereits eingetretenen Zahlungsunfähigkeit sieht der EuGH den engen und unmittelbaren Zusammenhang zum Insolvenzverfahren und stellt fest, dass die nationale Bestimmung des § 64 S. 1 GmbHG a. F. (jetzt § 15b Abs. 1, 4 InsO) von den allgemeinen Regeln des Zivil- und Handelsrechts abweiche. Eine darauf gestützte Klage gehöre zu den unmittelbar aus einem Insolvenzverfahren vorgehenden und in einem engen Zusammenhang damit stehenden Klagen.44 Unerheblich sei, dass die Anwendung des § 64 S. 1 GmbHG a. F. (jetzt § 15b Abs. 1, 4 InsO) nicht die Eröffnung eines Insolvenzverfahrens voraussetze.45 Darüber hinaus stützt der EuGH seine Einordnung auf ein systematisches Argument. Da die Norm des § 64 Abs. 1 GmbHG a. F. die Insolvenzantragspflicht regelte und eine Verbindung des § 64 Abs. 1 GmbHG a. F. mit § 64 Abs. 2 S. 1 GmbHG a. F. herstellte, ordnet er die Haftungsnorm ebenfalls dem Insolvenzrecht zu. Zugleich enthält das Urteil aber auch eine allgemeine Aussage zur Auslegung des Art. 7 Abs. 1 EuInsVO. Dem Insolvenzstatut unterfallen „erstens die Voraussetzungen für die Eröffnung eines Insolvenzverfah40 41

3614. 42

3331.

EuGH, 04. 12. 2014, Rs. C-295/13 (H), ECLI:EU:C:2014:2410 = IPRax 2015, 548. EuGH, 05. 11. 2002, Rs. C-208/00 (Überseering), ECLI:EU:C:2002:632 = NJW 2002, EuGH, 30. 09. 2003, Rs. C-167/01 (Inspire Art), ECLI:EU:C:2003:512 = NJW 2003,

43 EuGH, 10. 12. 2015, Rs. C-594/14 (Kornhaas), ECLI:EU:C:2015:806 Rn. 17 = NJW 2016, 223 (224). 44 EuGH, 10. 12. 2015, Rs. C-594/14 (Kornhaas), ECLI:EU:C:2015:806 Rn. 16 = NJW 2016, 223 (224). 45 EuGH, 10. 12. 2015, Rs. C-594/14 (Kornhaas), ECLI:EU:C:2015:806 Rn. 16 = NJW 2016, 223 (224) mit Verweis auf EuGH, 04. 12. 2014, Rs. C-295/13 (H), ECLI:EU:C:2014:2410 Rn. 24 = IPRax 2015, 548 (550).

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rens, zweitens die Regeln für die Bestimmung der zur Stellung des Antrags auf Eröffnung dieses Verfahrens verpflichteten Personen und drittens die Folgen eines Verstoßes gegen diese Verpflichtung“46. Für seine Entscheidung stellt der EuGH schließlich auch auf das teleologische Argument ab, dass die Vorschrift des § 64 S. 1 GmbHG a. F. (jetzt § 15b Abs. 1, 4 InsO) der Verwirklichung des Ziels diene, Masseverkürzungen vor Eröffnung des Insolvenzverfahrens zu verhindern um damit eine gleichmäßige Befriedigung der Gläubiger im Insolvenzverfahren zu erreichen. In diesem Zusammenhang wird ein Bezug zu Art. 7 Abs. 2 S. 2 lit. m EuInsVO hergestellt. Der EuGH hält genannten Artikel für vergleichbar mit der zu beurteilenden Norm. Er gelangt so zur Anwendung der lex fori concursus. 2. Zur zweiten Vorlagefrage In Bezug auf die Vereinbarkeit mit Art. 49, 54 AEUV stellt der EuGH fest, dass eine nationale Vorschrift wie die des § 64 S. 1 GmbHG a. F. (jetzt § 15b Abs. 1, 4 InsO) die Niederlassung nicht beeinträchtigen könne, sofern sie nur nach der Gründung der Gesellschaft im Rahmen ihrer Tätigkeit Anwendung findet.47 Dieser Aussage misst die Literatur bei der Auslegung und Interpretation der Entscheidung im Hinblick auf die Einschränkung der Reichweite der Niederlassungsfreiheit erhebliches Gewicht bei. Streit entzündet sich dabei vor allem an der Frage, inwieweit es für die Haftungsnorm maßgeblich ist, dass diese „nach der Gründung der Gesellschaft“ oder „im Rahmen ihrer Tätigkeit“ zur Anwendung kommt. Der EuGH trifft dazu keine weitere Aussage. Stattdessen grenzt er den Sachverhalt anfangs von den in diesem Zusammenhang maßgeblichen Entscheidungen Überseering und Inspire Art ab. Er stellt fest, dass eine Bestimmung wie die des § 64 S. 1 GmbHG a. F. (jetzt § 15b Abs. 1, 4 InsO) „weder die Weigerung eines Mitgliedstaates, die Rechtsfähigkeit einer Gesellschaft anzuerkennen (…), noch eine persönliche Haftung der Geschäftsführer [betrifft], wenn das Kapital dieser Gesellschaft nicht den im nationalen Recht vorgeschriebenen Mindestbetrag erreicht“48. Es ginge hier also nicht um die Anerkennung der Rechtsfähigkeit einer EU-Auslandsgesellschaft (so bei Überseering) und nicht um die Anwendung inländischer Mindestkapitalvorschriften auf eine EU-Auslandsgesellschaft (so bei Inspire Art),49 sondern vielmehr um die Anwendbarkeit der Haftungsnorm „nur nach der Gründung der Gesellschaft im Rahmen ihrer Tätigkeit“.

46 EuGH, 10. 12. 2015, Rs. C-594/14 (Kornhaas), ECLI:EU:C:2015:806 Rn. 19 = NJW 2016, 223 (224). 47 EuGH, 10. 12. 2015, Rs. C-594/14 (Kornhaas), ECLI:EU:C:2015:806 Rn. 28 = NJW 2016, 223 (225). 48 EuGH, 10. 12. 2015, Rs. C-594/14 (Kornhaas), ECLI:EU:C:2015:806 Rn. 25 = NJW 2016, 223 (224). 49 Weller/Hübner, in: FS Pannen, S. 259 (262).

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3. Kap.: Die Rechtssache Kornhaas

§ 6 Kollisionsrechtliche Einordnung der Kornhaas-Entscheidung Für die kollisionsrechtliche Einordnung der Kornhaas-Entscheidung ist zu berücksichtigen, dass die hier zu behandelnden Rechtsinstitute des Haftungsrechts grundsätzlich autonom nach Zweck und Systematik der entsprechenden europäischen Kollisionsnorm zu qualifizieren sind. Diese Norm ist mit der Funktion des betreffenden Rechtsinstituts in direkten Bezug zu setzen (funktional-teleologische Qualifikation50). Insoweit geht es um eine den Systembegriff des Gesellschafts-, Insolvenz- oder Deliktsrechts betreffende Zuordnung materiell-rechtlicher Normen. Dabei soll es nicht auf deren systematische Stellung und den legislativen Standort im innerstaatlichen Recht ankommen.51 Entscheidend sind vielmehr Sinn und Zweck sowohl der Sach- als auch der Kollisionsnorm.52 Betrachtet man Kornhaas im Lichte der Qualifikation, sind als Maßstab der Einordnung insbesondere die europäischen Vorschriften in den Blick zu nehmen.

A. Qualifikation des EuGH Der EuGH nutzte seine Auslegungshoheit dazu, die europäische Kollisionsnorm des Art. 7 EuInsVO auszulegen und auf dieser Grundlage die nationale Bestimmung des § 64 S. 1 GmbHG a. F. (jetzt § 15b Abs. 1, 4 InsO) insolvenzrechtlich zu qualifizieren. Dabei bediente er sich der funktional-teleologischen Qualifikationsmethode.

I. Auslegungskompetenz Die Auslegungskompetenz des EuGH findet ihre Grundlage in der Wahrung der Rechtssicherheit und der Gewährleistung einer einheitlichen Auslegung des Unionsrechts. Somit sind die Begriffe einer Vorschrift des Unionsrechts grundsätzlich nicht nach der lex fori, sondern vielmehr frei von nationalen Implikationen autonom und einheitlich auszulegen. Eine Ausnahme besteht nur, soweit für die Ermittlung ihres Zwecks und ihrer Bedeutung nicht ausdrücklich auf das Recht der Mitgliedstaaten verwiesen wird. Daher sieht Art. 267 AEUV bei Auslegungsfragen die Möglichkeit einer Vorabentscheidung durch den EuGH vor. Da die Frage nach der insolvenzrechtlichen Zuordnung des § 64 S. 1 GmbHG a. F. (jetzt § 15b Abs. 1, 4 InsO) in diesem Fall in unmittelbarem Zusammenhang mit europäischen Vor50

Dazu oben Kap. 2 § 3 B. II. Siehe nur HCL/Behrens/Hoffmann, Bd. I, Einleitung Rn. B 134. Dazu bereits oben Kap. 2 § 3 C. IV. 52 MüKo-BGB/v. Hein, Bd. 12, Einleitung zum IPR Rn. 133 f.; Schall, ZIP 2016, 289 (290). 51

§ 6 Kollisionsrechtliche Einordnung der Kornhaas-Entscheidung

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schriften der EuInsVO steht, ist die Interpretation und Auslegung des EuGH von allgemeiner Bedeutung und bei der Anwendung der europäischen Kollisionsrechtsnormen stets zu berücksichtigen. Die Einstufung des § 64 S. 1 GmbHG a. F. (jetzt § 15b Abs. 1, 4 InsO) als insolvenzrechtliche Norm war hierzulande zwar herrschend, aber keinesfalls unstreitig. Der BGH nahm daher wegen der Unklarheit über die Auslegung des Art. 7 EuInsVO und der Art. 49, 54 AEUV Rückgriff auf die Auslegungshoheit des EuGH. Die betreffenden Fragen waren für die Sachentscheidung des BGH entscheidungserheblich. Eine Ausnahme von der Vorlagepflicht nach der acte clair- oder acte éclairé-Doktrin53 kam damit – wie der BGH selbst feststellte54 – nicht in Betracht.55 Der Begriff des Insolvenzrechts im Sinne des Art. 7 EuInsVO ist als Teil des sekundären Unionsrechts infolgedessen durch den EuGH autonom auszulegen.56

II. Funktional-teleologische Qualifikation In seiner Entscheidung nimmt der EuGH zur Einordnung der Geschäftsleiterhaftung als materielles Insolvenzrecht eine funktional-teleologische Qualifikation57 vor. Hierbei stellt er entscheidend auf den Sinn und Zweck der beschriebenen Sachund Kollisionsnorm ab. Dass er sich für diese Methode entschied, überrascht nicht, zählt sie doch mittlerweile zur gesicherten dogmatischen Vorgehensweise des EuGH im IPR. Durch die angewandte Qualifikations- und Auslegungsmethodik wurde der Lösungsweg des EuGH mithin entsprechend vorgezeichnet. Dabei berücksichtigt er, dass die Rechtssache H, auf die er sich zu Beginn seiner Entscheidung bezieht, die internationale Zuständigkeit für eine auf § 64 S. 1 GmbHG a. F. (jetzt § 15b Abs. 1, 4 InsO) gestützte Klage nach Art. 3 EuInsVO betrifft und damit anders gelagert ist als der hier betreffende Fall. Bei diesem geht es um die materiell-rechtliche Anwendbarkeit der Haftungsnorm nach Art. 7 EuInsVO.58 Den alternativen Lösungsansätzen in Gestalt einer formaleren Qualifikation59, die entscheidend auf die systematische 53

EuGH, 06. 10. 1982, Rs. 283/81 (C.I.L.F.I.T.), ECLI:EU:C:1982:335 Rn. 21 = NJW 1983, 1257 (1258); zu den Grenzen der Vorlagepflicht Calliess/Ruffert/Wegener, EUV/AEUV, AEUV Art. 267 Rn. 31 ff. 54 BGH, 02. 12. 2014 – II ZR 119/14, juris Rn. 13 = IPRax 2015, 334 (335). 55 Zur Notwendigkeit der Vorlage an den EuGH auch Hübner, IPRax 2015, 297 (298); Schall, ZIP 2016, 289. 56 Das betonte auch der BGH, 02. 12. 2014 – II ZR 119/14, juris Rn. 13 = IPRax 2015, 334 (335). Ferner Hübner, IPRax 2015, 297 (298 f.); Servatius, DB 2015, 1087 (1089); Wansleben, EWS 2016, 72 (74) m. w. N. bei Fn. 31; allgemein dazu Behme, ECFR 2016, 31 (32); Wansleben/Weick-Ludewig, ZBB 2015, 395 (398) m. w. N. bei Fn. 24. 57 Ausführlich zur Qualifikation oben § 3 C. I. 2. 58 Hübner, IPRax 2015, 297 (300); Mankowski, NZG 202016, 281 (281 f.); Mock, IPRax 2016, 237 (239); Schall, ZIP 2016, 289 (290); Weller/Hübner, in: FS Pannen, S. 259 (261). 59 Dazu rät vorsichtig Schall, ECFR 2015, 280 (289 ff.); ders., ZIP 2016, 289 (290) bei Fn. 15.

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3. Kap.: Die Rechtssache Kornhaas

Stellung im Insolvenzrecht abstellt, oder einer Beschränkung der Reichweite der Anknüpfungsregeln der EuInsVO auf rein verfahrensrechtliche Normen60, erteilt der EuGH durch sein Vorgehen indirekt eine Absage.61 Bedenkt man, dass diese Lösungsansätze ihre ganz eigenen Tücken haben,62 wird deutlich, dass das gewählte Mittel am ehesten zum Ziel führen kann. Vielmehr noch hätten die alternativen Methoden zu einem weniger klaren Ergebnis hinsichtlich der Abgrenzung beigetragen. Die durch den EuGH vorgenommene Qualifikation entfaltet sich zuvorderst anhand der Ausführungen zur Einordnung der materiell-rechtlichen Norm des § 64 S. 1 GmbHG a. F. (jetzt § 15b Abs. 1, 4 InsO). Sie sind geprägt von der klassischen Auslegungsmethode als Teilelement der Qualifikation. Darüber hinaus bezieht sich der EuGH auch auf ein systematisches Element. Er leitet aus der in § 64 Abs. 1 GmbHG a. F. (jetzt § 15b Abs. 1, 4 InsO) enthaltenen Insolvenzantragspflicht eine insolvenzrechtliche Einordnung der Norm ab. Zugleich stellt er aber auch auf die ratio legis der Norm – Verhinderung von Masseverkürzungen zur gleichmäßigen Gläubigerbefriedigung – ab und gelangt auf diese Weise ebenfalls zu einer insolvenzrechtlichen Qualifikation.

B. Maßgebliche Kollisionsregeln Die für die kollisionsrechtliche Einordnung von Haftungsansprüchen maßgeblichen Rechtsgrundlagen lassen sich der EuInsVO entnehmen. Da an dieser Stelle eine Einordnung der Kornhaas-Entscheidung allein mit Blick auf EU-ausländische Kapitalgesellschaften erfolgt und daher keine Berührungspunkte mit Drittstaaten bestehen, kommen die Vorschriften des autonomen internationalen Insolvenzrechts der §§ 335 ff. InsO nicht zur Anwendung. Kollisionsrechtlich ist somit insbesondere nach Art. 3 und Art. 7 EuInsVO zu beurteilen, welche Normen des nationalen und ausländischen Rechts als insolvenzrechtlich zu qualifizieren sind.63

I. Internationale Eröffnungszuständigkeit, Art. 3 EuInsVO Voraussetzung dafür, dass sich ein deutsches Gericht mit der Frage befassen kann, ob eine insolvenznahe Haftung von Geschäftsleitern auch bei einer hierzulande ansässigen EU-Auslandsgesellschaft besteht, ist regelmäßig die Eröffnung des In60 Dafür Mock/Schildt, in: Hirte/Bücker, Grenzüberschreitende Gesellschaften, § 17 Rn. 22. In diesem Sinne auch Huber, in: Europäische Auslandsgesellschaften in Deutschland, S. 322 f. 61 So auch Schall, ZIP 2016, 289 (290). 62 So ausdrücklich Schall, ZIP 2016, 289 (290) mit Verweis bei Fn. 17 auf dens., ECFR 2015, 280 (286 ff.). 63 Zu den Grundlagen von Art. 3 und Art. 7 EuInsVO bereits oben Kap. 2 § 3 A. II. 2. a).

§ 6 Kollisionsrechtliche Einordnung der Kornhaas-Entscheidung

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solvenzverfahrens über das Vermögen dieser Gesellschaft im Inland.64 Insoweit folgt aus Art. 3 Abs. 1 EuInsVO für das Hauptinsolvenzverfahren, dass die internationale Zuständigkeit deutscher Gerichte nur besteht und deutsches Recht nur dann zur Anwendung gelangen kann, sofern das COMI in Deutschland belegen ist. In der Rechtssache Kornhaas stand außer Streit, dass die Gesellschaft als „deutsche“ Limited ihre Tätigkeit vorwiegend über eine im Handelsregister des AG Jena eingetragene Zweigniederlassung entfaltete. Ihr COMI lag somit – entgegen der Vermutung des Art. 3 Abs. 2 S. 1 EuInsVO – in Deutschland. Damit war unstreitig die deutsche Gerichtszuständigkeit für die Eröffnung des Insolvenzverfahrens über das Vermögen der Gesellschaft begründet. Die Entscheidung des EuGH baut diesbezüglich auf der bereits zuvor in der Rechtssache H65 getroffenen Feststellung auf: Die Zuständigkeit für Klagen von Insolvenzverwaltern gegen die Organvertreter insolventer Gesellschaften wegen Zahlungen nach Insolvenzreife falle gem. Art. 3 EuInsVO in die Zuständigkeit der Gerichte desjenigen Mitgliedstaates, in dem das Insolvenzverfahren eröffnet wurde.66

II. Anwendbares Recht, Art. 7 EuInsVO In Folge der deutschen Eröffnungszuständigkeit werden das materielle Insolvenzverfahrensrecht und die Wirkungen der Insolvenz gem. Art. 7 EuInsVO durch das nationale Recht bestimmt (lex fori concursus). 1. Bestimmung des Insolvenzbereichs Der genaue Umfang des Insolvenzstatuts in Gestalt des für deutsche Gerichte anwendbaren Verfahrens- und Sachrechts, auf Grundlage dessen sie zu entscheiden haben, ist jedoch nicht für alle Bereiche durch konkrete Vorgaben in der EuInsVO gedeckt.67 Die Bestimmung des anwendbaren Rechts richtet sich nur dann nach der unionsrechtlichen Bestimmung des Art. 7 EuInsVO, wenn es sich um einen insolvenzrechtlichen Sachverhalt handelt. Ob ein solcher Sachverhalt gegeben ist, ist im Wege der Qualifikation zu bestimmen.68 Für die Auslegung des Anknüpfungsgegenstandes Insolvenzverfahren und seine Wirkungen i. S. d. Art. 7 Abs. 1 EuInsVO lassen sich aus dem Normtext des Art. 7 Abs. 2 EuInsVO notwendige Anhaltspunkte entnehmen. Der Beispielkatalog in Art. 7 Abs. 2 S. 2 EuInsVO enthält eine Reihe

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Servatius, DB 2015, 1087 (1088). EuGH, 04. 12. 2014, Rs. C-295/13 (H), ECLI:EU:C:2014:2410 Rn. 26 = IPRax 2015, 548 (550). 66 Böcker, DZWIR 2016, 174. 67 Münchener Hdb GesR VI/Leible, § 35 Rn. 88; Servatius, DB 2015, 1087 (1089). 68 Zur Qualifikation ausführlich oben Kap. 1 § 3 C. 65

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3. Kap.: Die Rechtssache Kornhaas

von Gegenständen, die stets als insolvenzrechtlich zu qualifizieren sind.69 Danach umfasst das Insolvenzstatut sowohl verfahrensrechtliche als auch materiell-rechtliche Wirkungen des Insolvenzverfahrens.70 Der EuGH bezieht sich in seiner verordnungsautonomen und teleologisch-wertenden Auslegung71 eben auf diese Vorschrift. Er stellt fest, dass die Bestimmung des § 64 S. 1 GmbHG a. F. (jetzt § 15b Abs. 1, 4 InsO) mit der Vorschrift des Art. 7 Abs. 2 S. 2 lit. m EuInsVO vergleichbar sei. Diese regelt, welche Rechtshandlungen relativ unwirksam sind, weil sie die Gesamtheit der Gläubiger benachteiligen. Ferner stellt der EuGH auf die praktische Wirksamkeit (effet utile) von Art. 7 Abs. 2 EuInsVO ab. Sie verlange eine Auslegung der Norm dahingehend, dass in ihren Anwendungsbereich die Eröffnungsvoraussetzungen für ein Insolvenzverfahren, die Regeln für die Bestimmung der zur Stellung des Antrags auf Eröffnung des Insolvenzverfahrens verpflichteten Person sowie die Folgen eines diesbezüglichen Pflichtenverstoßes fallen. Darüber hinaus gibt die Vorschrift des Art. 7 EuInsVO nur wenig konkrete Vorgaben an die Hand. Der EuGH zieht sich somit auf eine allgemeine Argumentation zur Systematik und Zweck des § 64 GmbHG a. F. (jetzt § 15b InsO) zurück. Auf diese Weise findet eine Einbettung des nationalen deutschen Insolvenzrechts in die Vorgaben der EuInsVO statt. 2. Verfahrenseröffnung als Anwendungsvoraussetzung des Art. 7 Abs. 1 EuInsVO? Die Frage nach der Eröffnung eines Insolvenzverfahrens als Anwendungsvoraussetzung der EuInsVO betrifft sowohl den Bereich der Anknüpfung als auch den der Zuständigkeit. Für letzteren bestimmt Art. 6 Abs. 1 EuInsVO, dass die Gerichte des Mitgliedstaats, in dessen Hoheitsgebiet das Insolvenzverfahren nach Art. 3 EuInsVO eröffnet worden ist, zuständig für alle Klagen sind, die unmittelbar aus dem Insolvenzverfahren hervorgehen und in einem engen Zusammenhang damit stehen. Für Art. 7 EuInsVO gilt ganz ähnlich, dass für das Insolvenzverfahren und seine Wirkungen das Insolvenzrecht des Mitgliedstaats anzuwenden ist, in dessen Hoheitsgebiet das Verfahren eröffnet wird. Für ihre Verweisung setzt die Kollisionsnorm dem Wortlaut nach die Verfahrenseröffnung voraus. Demzufolge steht das anzuwendende Recht erst fest, wenn das Verfahren tatsächlich eröffnet wird.72 Geht man aber davon aus, dass Art. 7 Abs. 1 EuInsVO einen Gleichlauf73 zwischen Zuständigkeit und kollisionsrechtlicher Anknüpfung anordnet, muss dieser nicht zwangsläufig dazu führen, dass man für die Frage nach dem anwendbaren Recht und der 69

Münchener Hdb GesR VI/Leible, § 35 Rn. 88. ErwG 66 S. 4 EuInsVO, ABl.EU 2015 L 141/26; siehe auch EuGH, 09. 11. 2016, Rs. C212/15 (ENEFI), ECLI:EU:C:2016:841 Rn. 17 = ZIP 2017, 26. 71 Wansleben, EWS 2016, 72 (74); dazu auch oben Kap. 3 § 6 A. 72 HCL/Behrens/Hoffmann, Bd. I, Einleitung Rn. B 139. 73 Hierzu ausführlich unten Kap. 3 § 6 C. II. 3. 70

§ 6 Kollisionsrechtliche Einordnung der Kornhaas-Entscheidung

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internationalen Zuständigkeit zum selben Ergebnis gelangt. An dieser Stelle ist das Augenmerk daher zunächst auf die Anknüpfung zu richten. a) Meinungsstand in der Literatur Nach einigen Stimmen in der Literatur74 soll die Qualifikation unter Art. 7 Abs. 1 EuInsVO im Sinne (ungeschriebener) Tatbestandsmerkmale von der tatsächlichen Eröffnung des Insolvenzverfahrens sowie von der ausschließlichen Anwendbarkeit einer Norm im Insolvenzverfahren abhängen.75 Begründet wird dies etwa mit dem Regelungsumfang der EuInsVO. Dieser gelte aufgrund des Wortlauts in Art. 1 Abs. 1 EuInsVO nur für „Gesamtverfahren“ und weise daher eine stark verfahrensrechtliche Komponente auf.76 Darüber hinaus knüpft Art. 7 Abs. 1 EuInsVO – wie eben aufgezeigt – seinem Wortlaut nach an die Insolvenzverfahrenseröffnung an. Relevanz entwickelt diese Ansicht vor dem Hintergrund, dass die Haftungsnorm des § 64 S. 1 GmbHG a. F. (jetzt § 15b Abs. 1, 4 InsO) sowie sonstige Haftungsklagen77 gegen Geschäftsleiter auch außerhalb des Insolvenzverfahrens und von einer anderen Person als dem Insolvenzverwalter zur Anwendung gebracht werden können – etwa dann, wenn die Eröffnung eines Insolvenzverfahrens beispielsweise mangels Masse gem. § 26 Abs. 1 S. 1 InsO abgelehnt wurde.78 Legt man nun die Ansicht zugrunde, die die Einleitung des Insolvenzverfahrens als entscheidenden Aspekt für eine auf Art. 7 Abs. 1 EuInsVO gestützte Anwendung des § 64 S. 1 GmbHG a. F. (jetzt § 15b Abs. 1, 4 InsO) begreift, kann die Haftungsnorm über die EuInsVO nur zur Anwendung gelangen, sofern sie innerhalb eines zumindest eingeleiteten Insolvenzverfahrens vom Insolvenzverwalter geltend gemacht wird. Da im Fall Kornhaas die geforderte Voraussetzung des eröffneten Insolvenzverfahrens gegeben war, musste sich der EuGH hierzu nicht entscheiden. Gleichwohl ist die Frage nach den Voraussetzungen für die Anwendbarkeit des Art. 7 Abs. 1 EuInsVO im Hinblick auf die Qualifikation von insolvenznahen Haftungsinstrumenten bedeutsam und nicht allein anhand einer systematisch-te74

Zuvorderst Servatius, DB 2015, 1087 (1089 f.); ferner Arts, RIW 2016, 151 (152); Kindler, IPRax 2010, 430 (431); ders., EuZW 2016, 136 (139); Mankowski, NZG 2016, 281 (284); BeckOK-InsO/Mock, EuInsVO Art. 7 Rn. 84; ähnlich bereits Ringe/Willemer, EuZW 2006, 621 (623). 75 Wansleben, EWS 2016, 72 (75). 76 Servatius, DB 2015, 1087 (1089). 77 Zu § 64 S. 3 GmbHG a. F. Henssler/Strohn/Arnold, Gesellschaftsrecht, GmbHG § 64 Rn. 66; UHL/Casper, Bd. III, § 64 Rn. 155; GmbHG/Wicke, § 64 Rn. 26. Zur Insolvenzverschleppungshaftung etwa Henssler/Strohn/Arnold, Gesellschaftsrecht, GmbHG § 64 Rn. 76; UHL/Casper, Bd. III, § 64 Rn. 166; zur Existenzvernichtungshaftung Altmeppen, GmbHG § 13 Rn. 108. 78 Zu § 64 S. 1 GmbHG a. F. BGH, 11. 09. 2999 – II ZR 370/99, juris Rn. 11 = ZIP 2000, 1896 (1897 f.); BGH, 02. 12. 2012 – II ZR 119/14, juris Rn. 19 = NZG 2015, 101 (103); Henssler/Strohn/Arnold, Gesellschaftsrecht, GmbHG § 64 Rn. 37; MüKo-GmbHG/H.-F. Müller, Bd. 3, § 64 Rn. 174.

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3. Kap.: Die Rechtssache Kornhaas

leologischen Betrachtung zu entscheiden. Denn der EuGH stellte in Kornhaas fest, dass auch Bestimmungen, die eine Pflicht zur Antragstellung begründen, in den Anwendungsbereich von Art. 7 Abs. 1 EuInsVO fallen.79 Damit scheint es aus Sicht des EuGH so zu liegen, dass die Geltung der EuInsVO nicht strikt auf eröffnete Verfahren begrenzt ist, sondern eine umfassende Kollisionsregel für das Insolvenzrecht geschaffen wurde.80 Die Gegenansicht81 erkennt zwar ebenfalls, dass sich die EuInsVO konkret auf die Einleitung des Insolvenzverfahrens bezieht.82 Sie stellt jedoch im Kern darauf ab, dass das Zahlungsverbot an den Eintritt der materiellen Insolvenzreife anknüpfe und es zugleich der Verwirklichung des insolvenzrechtlichen Gleichbehandlungsgrundsatzes diene.83 Weiter seien – dem EuGH folgend – von Art. 7 Abs. 1 EuInsVO auch die Voraussetzungen für die Eröffnung eines Insolvenzverfahrens und die Vorschriften, die eine Pflicht zur Antragstellung begründen, erfasst. Infolgedessen sei die Verfahrenseröffnung selbst gerade keine Voraussetzung dafür, dass eine Norm unter Art. 7 Abs. 1 EuInsVO fällt.84 Insoweit solle es auf die hypothetische lex fori concursus ankommen.85 Grompe sieht in der Formulierung des Anknüpfungsmoments eine vorausschauende, zukünftige Anknüpfung des anzuwendenden materiellen Rechts an die lex fori.86 Der Anwendungsbereich der Kollisionsnorm orientiere sich lediglich am hypothetischen Eintreten der Verfahrenseröffnung und setze nicht erst mit Verfahrenseröffnung ein. Im Falle der Nichteröffnung sollte daher Art. 3 Abs. 1 EuInsVO analog zur Anwendung gelangen. b) Keine Voraussetzung für die Anknüpfung nach Art. 7 Abs. 1 EuInsVO Legt man die Ausführungen des EuGH zugrunde, ist letztgenannter Ansicht zuzustimmen. Einen Schwerpunkt muss dabei der Ansatz bilden, dass auch die Regeln für die Bestimmung der zur Stellung des Eröffnungsantrags verpflichteten Personen von Art. 7 Abs. 2 S. 1 EuInsVO umfasst sein sollen. Der EuGH will den Anwendungsbereich der Kollisionsnorm weit fassen, um auf diese Weise für die 79 EuGH, 10. 12. 2015, Rs. C-594/14 (Kornhaas), ECLI:EU:C:2015:806 Rn. 19 = NJW 2016, 223 (224). 80 Schall, ZIP 2016, 289 (290). 81 Etwa K. Schmidt InsO/Brinkmann, EuInsVO Art. 4 Rn. 4, 13; Müller, EWiR 2015, 99 (100); Mankowski/Müller/Schmidt, EuInsVO Art. 7 Rn. 95 f.; tendenziell Schall, ECFR 2015, 280 (289); ders., ZIP 2016, 289 (290); Scholz, ZEuP 2016, 963 (968); Wansleben, EWS 2016, 72 (75). 82 So etwa Wansleben, EWS 2016, 72 (75). 83 Müller, EWiR 2015, 99 (100). 84 So Wansleben, EWS 2016, 72 (75); Schall, ZIP 289 (290). 85 K. Schmidt InsO/Brinkmann, EuInsVO 2000 Art. 4 Rn. 4; Eidenmüller, NJW 2005, 1618 (1621); MüKo-BGB/Kindler, Bd. 13, Internationales Handels- und Gesellschaftsrecht Rn. 667; KPB-InsO/Madaus, EuInsVO Art. 7 Rn. 4; Mankowski/Müller/Schmidt, EuInsVO Art. 7 Rn. 99. 86 Grompe, Die vis attractiva concursus im Europäischen Insolvenzrecht, S. 238 f.

§ 6 Kollisionsrechtliche Einordnung der Kornhaas-Entscheidung

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insolvenzrechtliche Qualifikation einen möglichst umfassenden Anwendungsbereich zu schaffen. Die Gegenansicht stellt stattdessen auf das Argument ab, dass der EuGH in der Rechtssache H im Kontext von Art. 3 EuInsVO 2000 ausdrücklich ausführt, dass die Regelung die internationale Zuständigkeit für die Klagen zuweise, die unmittelbar aus diesem Verfahren hervorgehen und in einem engen Zusammenhang damit stehen. Das spreche für das Erfordernis der Verfahrenseröffnung.87 Dem ist zu entgegnen, dass sich aus den weiteren Ausführungen in H vielmehr auch das Gegenteil ableiten lässt: Für die Zuständigkeit nach der EuInsVO soll es nicht entscheidend darauf ankommen, dass die Haftung nicht die förmliche Eröffnung eines Insolvenzverfahrens voraussetzt. Es genügt vielmehr, dass der Haftungstatbestand wegen der Zahlungsunfähigkeit der Schuldnergesellschaft von den Regelungen des allgemeinen Zivilrechts abweicht.88 Neben der Eröffnung eines Insolvenzverfahrens kann die Durchführung eines solchen damit erst recht keine Voraussetzung für eine insolvenzrechtliche Qualifikation sein.89 Durch die KornhaasEntscheidung wurde das Urteil H bestätigt und mit weiteren Argumenten untermauert. Es ist kein Widerspruch zwischen den Urteilen auszumachen. Vielmehr verleiht der EuGH in Kornhaas dem Zeitraum vor Eröffnung des Insolvenzverfahrens mehr Gewicht, indem er bei der Auslegung des Art. 7 Abs. 2 EuInsVO auch auf die Pflichten zur Stellung eines Antrags vor Verfahrenseröffnung abstellt. Berücksichtigt man dies, ist darüber hinaus auch der insolvenzrechtliche Gläubigerschutz ins Feld zu führen. Die Qualifizierung von Normen, die der Eröffnung eines Insolvenzverfahrens vorgelagert sind, sollte nicht davon abhängig sein, ob ein solches Verfahren tatsächlich eröffnet wird.90 So kann es wohl kaum zu einem Statutenwechsel bezüglich eines bestehenden Anspruchs kommen, nur weil nachträglich ein Insolvenzverfahren eröffnet wurde. Unscharf formuliert der EuGH in diesem Zusammenhang in den Urteilen H und Kornhaas, dass es für § 64 S. 1 GmbHG a. F. (jetzt § 15b Abs. 1, 4 InsO) unbeachtlich sei, dass die Vorschrift auch außerhalb eines Insolvenzverfahrens Geltung entfaltet, solange jedenfalls im konkreten Fall ein Insolvenzverfahren tatsächlich eröffnet sei.91 Soweit die Vorschrift nicht an die Verfahrenseröffnung anknüpfen soll, sondern allein an die materielle Zahlungsunfähigkeit der Gesellschaft und eben diese Anknüpfung ein eindeutiges Abweichen von den allgemeinen Regeln des Zivil- und Handelsrechts begründet,92 lässt sich daraus folgende Auffassung des EuGH ableiten: Die Vorschrift des § 64 S. 1 GmbHG a. F. (jetzt § 15b Abs. 1, 4 InsO) ist so lange dem Gesellschaftsrecht zuzuordnen, wie 87

Servatius, DB 2015, 1087 (1089). EuGH, 04. 12. 2014, Rs. C-295/13 (H), ECLI:EU:C:2014:2410 Rn. 22 f. = IPRax 2015, 548 (550). 89 Siehe dazu auch HCL/Behrens/Hoffmann, Bd. I, Einleitung Rn. B 136 f. 90 So auch Scholz, ZEuP 2016, 963 (969 f.) und Wansleben, EWS 2016, 72 (75). 91 EuGH, 04. 12. 2014, Rs. C-295/13 (H), ECLI:EU:C:2014:2410 Rn. 20 = IPRax 2015, 548 (550). 92 EuGH, 10. 12. 2015, Rs. C-594/14 (Kornhaas), ECLI:EU:C:2015:806 Rn. 16 f. = NJW 2016, 223 (224). 88

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3. Kap.: Die Rechtssache Kornhaas

eine Verfahrenseröffnung noch nicht erfolgt ist.93 Das würde bedeuten, dass § 64 S. 1 GmbHG a. F. (jetzt § 15b Abs. 1, 4 InsO) bei Sitzverlegung einer GmbH ins EUAusland grundsätzlich anwendbar bliebe und erst die Eröffnung eines Insolvenzverfahrens die Vorschrift in eine insolvenzrechtliche umwandeln würde.94 Umgekehrt wäre § 64 S. 1 GmbHG a. F. (jetzt § 15b Abs. 1, 4 InsO) bei Nichteröffnung eines Insolvenzverfahrens und der daraus folgenden gesellschaftsrechtlichen Qualifikation nicht auf eine Auslandsgesellschaft im Inland anwendbar. Erst mit Verfahrenseröffnung würde dann das Insolvenzstatut des Eröffnungsstaates zur Anwendung gelangen und die Haftungsnorm Anwendung finden können.95 Allein die dabei bestehende Unsicherheit vermag es vor dem Hintergrund der praktischen Wirksamkeit der EuInsVO zu rechtfertigen, die Einordnung unter Art. 7 Abs. 1 EuInsVO nicht von der Verfahrenseröffnung abhängig zu machen. Entscheidend sollte vielmehr sein, ob die entsprechende Norm ihrem Sinn und Zweck nach den Zielen des Insolvenzverfahrens dient.96 Zwar müssen sich solch allgemeine Merkmale grundsätzlich nicht auf ein Qualifikationskriterium auswirken. Betrachtet man hingegen die Kulisse, vor der sich eine Qualifikation abspielt, wird deutlich, dass auch diese Merkmale – wenn auch in unterschiedlicher Intensität – stets zu berücksichtigen sind. Sie können sich auf einzelne konkrete Qualifikationskriterien auswirken. Folglich ist zu konstatieren, dass eine fehlende Verfahrenseröffnung der Anwendbarkeit des Art. 7 EuInsVO nicht entgegensteht, auch wenn dies dem verfahrensrechtlichen Charakter der lex fori concursus widerspricht.97 Für die Bestimmung des anwendbaren Rechts ist nicht auf Art. 3 Abs. 1 EuInsVO analog zurückzugreifen.98 Der Gegenansicht ist jedoch zuzugeben, dass der EuGH in seiner Entscheidung dem Rechtsanwender diesbezüglich keine eindeutigen und abschließenden Kriterien an die Hand gibt. Dies allein vermag indes nichts an der Anwendbarkeit des Art. 7 Abs. 1 EuInsVO im Vorfeld der Eröffnung eines Insolvenzverfahrens zu ändern. Für die kollisionsrechtliche Einordnung des § 64 S. 1 GmbHG a. F. (jetzt § 15b Abs. 1, 4 InsO) bedeutet dies, dass der Anspruch entgegen verbreiteter Ansicht99 grundsätzlich auch dann insolvenzrechtlich qualifiziert werden kann100, wenn das Insolvenzverfahren über die Gesellschaft z. B. mangels Masse nicht eröffnet wird

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So explizit Arts, RIW 2016, 151 (152). Arts, RIW 2016, 151 (152). 95 Siehe auch die Überlegungen zum Statutenwechsel bei HCL/Behrens/Hoffmann, Bd. I, Einleitung Rn. B 139. 96 In diesem Sinne auch Wansleben, EWS 2016, 72 (75). 97 Hierzu HCL/Behrens/Hoffmann, Bd. I, Einleitung Rn. B 139. 98 Anders etwa Grompe, Die vis attractiva concursus im Europäischen Insolvenzrecht, S. 238 f.; Leutner/Langner, GmbHR 2006, 713 (714); Zerres, DZWIR 2006, 356 (360). 99 Czaplinski/Knodel, GWR 2015, 16; Mankowski, NZG 2016, 281 (284); Wedemann, ZEuP 2014, 861 (869); dies., IPRax 2015, 505 (507). 100 Zur Qualifikation des Zahlungsverbots ausführlich unten Kap. 5 § 11 A. I. 1. 94

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und Gläubiger die Ansprüche pfänden.101 Soweit argumentiert wird, dass Singularinteressen einzelner Gläubiger keine Interessen der Gläubigergesamtheit seien,102 ist anzumerken, dass der EuGH – unter Rückgriff auf die Feststellungen im Urteil H – in Kornhaas gleichsam darauf abstellt, dass die Vorschrift des § 64 S. 1 GmbHG a. F. (jetzt § 15b Abs. 1, 4 InsO) von den allgemeinen Regeln des Zivil- und Handelsrechts abweiche, „und zwar wegen der Zahlungsunfähigkeit dieser Gesellschaft“103. Der EuGH hat die Haftungsnorm des § 64 S. 1 GmbHG a. F. (jetzt § 15b Abs. 1, 4 InsO) demnach gerade auch deshalb als insolvenzspezifisch angesehen, weil die Rechtsgrundlage an die Zahlungsunfähigkeit anknüpft, obwohl die Geschäftsführerhaftung auch außerhalb des Insolvenzverfahrens geltend gemacht werden kann. Die Abweichung von allgemeinen Regeln erkennt er also nicht so sehr im insolvenzverfahrensrechtlichen Ursprung des § 64 S. 1 GmbHG a. F. (jetzt § 15b Abs. 1, 4 InsO). Er sieht sie vielmehr darin, dass die Haftungsklage auf der Zahlungsunfähigkeit und somit auf der materiellen Insolvenz beruht. Trotz vereinzelter Stimmen104, nach der die Abweichung von den allgemeinen Regelungen mit dem alleinigen Hinweis auf die Zahlungsunfähigkeit kritisch zu sehen sei, bestimmt sich das anwendbare Recht demnach – entgegen des Wortlauts des Art. 7 Abs. 1 EuInsVO – nicht erst zwingend durch die tatsächliche Eröffnung eines Insolvenzverfahrens. 3. Geltendmachung durch den Insolvenzverwalter als Qualifikationsvoraussetzung? Der EuGH nahm im Kornhaas-Urteil Bezug auf seine Entscheidung zur internationalen Zuständigkeit für Klagen aus § 64 S. 1 GmbHG a. F. (jetzt § 15b Abs. 1, 4 InsO). Zudem befand er, dass in den Anwendungsbereich des Art. 7 EuInsVO „eine Klage vor einem deutschen Gericht fällt, mit der der Direktor einer Gesellschaft englischen oder walisischen Rechts (…) vom Insolvenzverwalter dieser Gesellschaft auf der Grundlage einer nationalen Bestimmung wie § 64 Abs. 2 Satz 1 GmbHG [a. F.] auf Ersatz von Zahlungen in Anspruch genommen wird“105. Hieraus schlussfolgert und kritisiert das Schrifttum106 teilweise gleichermaßen, dass die insolvenzrechtliche Qualifikation von der Geltendmachung des Anspruchs durch einen 101

Hierfür etwa Swierczok, NZI 2016, 50 (51). Mankowski, NZG 2016, 281 (284); Wedemann, ZEuP 2014, 861 (870); dies., IPRax 2015, 505 (507). Nach Swierczok, NZI 2016, 50 (51) seien hingegen die Gläubiger im Sinne eines Erst-Recht-Schlusses gerade in Fällen, in denen die Eröffnung mangels Masse abgelehnt wird, besonders schutzbedürftig. 103 EuGH, 10. 12. 2015, Rs. C-594/14 (Kornhaas), ECLI:EU:C:2015:806 Rn. 16 = NJW 2016, 223 (224). 104 Etwa Thole, IPRax 2019, 483 (485 f.). 105 EuGH, 10. 12. 2015, Rs. C-594/14 (Kornhaas), ECLI:EU:C:2015:806 Rn. 21 = NJW 2016, 223 (224). 106 Hübner, IPRax 2015, 297 (300); Kindler, EuZW 2016, 136 (138); Servatius, DB 2015, 1087 (1089) und in Bezug auf die F-Tex-Entscheidung des EuGH Brinkmann, EWiR 2012, 383 (384). 102

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3. Kap.: Die Rechtssache Kornhaas

Insolvenzverwalter abhinge. Die Gegenansicht tritt dem insbesondere mit dem Argument entgegen, dass der EuGH in der Kornhaas-Entscheidung die in H getroffenen Erwägungen, die auf die Geltendmachung des Anspruchs durch einen Insolvenzverwalter abstellen, gerade nicht übernehme. Auch die weitere eigenständige Begründung für eine insolvenzrechtliche Qualifikation des § 64 S. 1 GmbHG a. F. (jetzt § 15b Abs. 1, 4 InsO) stelle er nicht unter einen entsprechenden Vorbehalt. Stattdessen beziehe er sich insbesondere auf die Notwendigkeit der Insolvenzreife.107 Ferner seien auch die Voraussetzungen für die Eröffnung eines Insolvenzverfahrens von Art. 7 Abs. 1 EuInsVO erfasst.108 Die Eröffnung selbst – und somit auch die Geltendmachung durch den Insolvenzverwalter – stelle damit gerade keine Voraussetzung für eine insolvenzrechtliche Qualifikation dar. Entscheidend für eine Einordnung unter Art. 7 EuInsVO sei hingegen, dass die entsprechende Norm aus teleologischer Sicht die Ziele des Insolvenzverfahrens stützt.109 Die zuletzt genannte Argumentation überzeugt. Sie folgt dem bereits zum Erfordernis der Verfahrenseröffnung beschriebenen Ansatz und ist insoweit identisch. Der EuGH erkennt in der Kornhaas-Entscheidung zutreffend, dass die Vorschrift des § 64 S. 1 GmbHG a. F. Gegenstand der Qualifikation ist.110 Nach dem Wortlaut des Art. 7 Abs. 1 EuInsVO gilt für das Insolvenzverfahren und seine Wirkungen das Insolvenzrecht des Mitgliedstaates, in dem das Verfahren eröffnet wird. Während sich die kollisionsrechtliche Qualifikation also auf Institute des materiellen und formellen Insolvenzrechts bezieht, betreffen die vom EuGH im Rahmen der Zuständigkeitsregelung für Annexklagen (Art. 6 Abs. 1 EuInsVO) bislang getroffenen Feststellungen Klagen, die unmittelbar aus dem Insolvenzverfahren hervorgehen und in engem Zusammenhang damit stehen.111 Demnach scheint für die Anknüpfung der gerichtlichen Zuständigkeit nach Art. 3 EuInsVO oder für die Annexzuständigkeit nach Art. 6 Abs. 1 EuInsVO nicht zwingend dasselbe zu gelten wie für die Qualifikation unter Art. 7 EuInsVO.112 So hat Art. 7 EuInsVO im Gegensatz zu Art. 3 EuInsVO einen breiteren Anwendungsbereich. Dieser findet nicht nur auf Insolvenzverfahren, sondern auch auf deren Wirkungen Anwendung.113 Demzufolge kommt es für die insolvenzrechtliche Qualifikation eines Haftungsanspruchs nicht auf dessen Geltendmachung durch den Insolvenzverwalter an.114 Dies wurde nunmehr auch ausdrücklich durch den EuGH im Urteil CeDe Group bestätigt: „Insbesondere kann 107

Scholz, ZEuP 2016, 959 (968 f.). EuGH, 10. 12. 2015, Rs. C-594/14 (Kornhaas), ECLI:EU:C:2015:806 Rn. 19 = NJW 2016, 223 (224). 109 Wansleben, EWS 2016, 72 (75). 110 EuGH, 10. 12. 2015, Rs. C-594/14 (Kornhaas), ECLI:EU:C:2015:806 Rn. 17 = NJW 2016, 223 (224). 111 Zur Abgrenzung nach den Zuständigkeitsregeln ausführlich unten Kap. 3 § 6 C. II. 112 In diesem Sinne auch Kindler, EuZW 2016, 136 (138); Scholz, ZEuP 2016, 959 (969); Wansleben, EWS 2016, 72 (76). 113 EuGH, 21. 11. 2019, Rs. C-198/18 (CeDe Group), ECLI:EU:C:2019:1001 Rn. 33 = ZIP 2019, 2360 (2362). 114 In Bezug auf Art. 6 Abs. 1 EuInsVO Kindler/Wendland, RIW 2018, 245 (247 f.). 108

§ 6 Kollisionsrechtliche Einordnung der Kornhaas-Entscheidung

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allein die Tatsache, dass ein Insolvenzverwalter eine solche Klage erhoben hat, nicht entscheidend für die Beurteilung der Frage sein, ob diese Klage unter den Begriff ,Insolvenzverfahren und seine Wirkungen‘ fällt.“115 Der EuGH argumentierte, dass die der Entscheidung zugrunde liegende Zahlungsklage zum einen grundsätzlich vom Gläubiger selbst erhoben werden konnte und somit nicht in die ausschließliche Zuständigkeit des Insolvenzverwalters fiel, zum anderen konnte die Klage auch unabhängig von einem Insolvenzverfahren erhoben werden. Dies führe dazu, dass die Klage nicht als unmittelbare und trennbare Folge eines Insolvenzverfahrens angesehen werden könne und damit auch nicht die Wirkungen eines Insolvenzverfahrens i. S. d. Art. 7 Abs. 1 EuInsVO betreffe.116 Diese Feststellungen lassen sich auf die Norm des § 64 S. 1 GmbHG a. F. (jetzt § 15b Abs. 1, 4 InsO) übertragen. Der Haftungsanspruch kann ausnahmsweise ebenfalls außerhalb des Insolvenzverfahrens und von einer anderen Person als dem Insolvenzverwalter zur Anwendung gebracht werden, wenn die Eröffnung eines Insolvenzverfahrens abgelehnt wurde. Würde man allein auf diesen Umstand abstellen, wäre die insolvenzrechtliche Qualifikation des § 64 S. 1 GmbHG a. F. (jetzt § 15b Abs. 1, 4 InsO) aufgrund der Feststellungen des EuGH von der Geltendmachung des Anspruchs durch einen Insolvenzverwalter abhängig. Das wäre jedoch zu restriktiv gedacht. Der EuGH betont insoweit selbst, dass insbesondere „allein“ die Tatsache, dass ein Insolvenzverwalter die Klage erhoben hat, nicht entscheidend für die Beurteilung herangezogen werden könne, ob die Klage bzw. der ihr zugrundeliegende Anspruch dem Insolvenzverfahren und seinen Wirkungen gem. Art. 7 Abs. 1 EuInsVO zugeordnet werden kann.117 Dementsprechend führte er in der Kornhaas-Entscheidung auch gleich mehrere Argumentationslinien118 für die insolvenzrechtliche Qualifikation an. Die Geltendmachung durch den Insolvenzverwalter als ein maßgebliches insolvenzrechtliches Qualifikationskriterium folgt daraus nicht.119 Letztlich ist die Prozessführungsbefugnis des Insolvenzverwalters auch nur eine Besonderheit des Verfahrens und modifiziert die Parteistellung in diesem.120 Der insolvenzrechtliche Charakter des zugrundeliegenden Anspruchs wird durch die Geltendmachung oder Abtretung des Verwalters nicht berührt.

115 EuGH, 21. 11. 2019, Rs. C-198/18 (CeDe Group), ECLI:EU:C:2019:1001 Rn. 36 = ZIP 2019, 2360 (2362). 116 EuGH, 21. 11. 2019, Rs. C-198/18 (CeDe Group), ECLI:EU:C:2019:1001 Rn. 34, 36 = ZIP 2019, 2360 (2362) mit Verweis auf EuGH, 06. 02. 2019, Rs. C-535/17 (NK), ECLI:EU:C: 2019:96 Rn. 36 = IPRax 2019, 518 (520). 117 EuGH, 21. 11. 2019, Rs. C-198/18 (CeDe Group), ECLI:EU:C:2019:1001 Rn. 36 = ZIP 2019, 2360 (2362). 118 Zu den Argumentationssträngen Scholz, ZEuP 2016, 959 (967); Wansleben, EWS 2016, 72 (74). 119 Zum selben Ergebnis gelangt auch Grompe, Die vis attractiva concursus im Europäischen Insolvenzrecht, S. 229 ff. unter Bezugnahme vorangegangener Rechtsprechung des EuGH. 120 Lüke, in: FS Schütze, S. 467 (483).

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3. Kap.: Die Rechtssache Kornhaas

III. Zwischenergebnis Es ist festzuhalten, dass die Bestimmung des anwendbaren Rechts über Art. 7 Abs. 1 EuInsVO weder von der tatsächlichen Eröffnung eines Insolvenzverfahrens noch von der ausschließlichen Anwendbarkeit der betreffenden Norm im Insolvenzverfahren abhängt. Die insolvenzrechtliche Qualifikation insolvenznaher Haftungsinstrumente erfolgt losgelöst von diesen Umständen. Ebenso wenig liegt in der Geltendmachung eines Anspruchs durch einen Insolvenzverwalter eine Qualifikationsvoraussetzung. Für die kollisionsrechtliche Einordnung von Haftungsansprüchen im Umfeld der Insolvenz, die gegen die Geschäftsleitung gerichtet sind, erweitert sich damit der Anwendungsbereich. Aus dieser negativen Abgrenzung allein lässt sich jedoch noch nicht ableiten, welche Kriterien für die insolvenzrechtliche Qualifikation letztlich entscheidend sind. Um dies beantworten zu können, bedarf es zunächst eines Blicks auf die historische Entwicklung der Rechtsprechung zur Ausformung entsprechender Merkmale. Diese bilden sodann die Grundlage der weitergehenden Untersuchung.

C. Konturierung insolvenzrechtlicher Qualifikationskriterien Die Bestimmung des Systembegriffs des Insolvenzrechts i. S. d. Art. 7 EuInsVO muss anhand konkreter Kriterien erfolgen. Diese dienen zugleich der Abgrenzung zwischen gesellschaftsrechtlichen und insolvenzrechtlichen Instituten. Nur so kann die Einheit der Rechtsordnung bei der schwierigen Frage nach der Abgrenzung gewährleistet werden. In Rechtsprechung und Literatur wurden daher Merkmale entwickelt, die für die Einordnung einer Rechtsfigur oder eines Tatbestandes in den „Insolvenzbereich“121 der einheitlichen europäischen Kollisionsnorm streiten sollen. Den Ausgangspunkt zur Bestimmung der Reichweite des Insolvenzstatuts bildet die EuGH-Rechtsprechung zur Auslegung der Art. 3, 6 und 7 EuInsVO.

I. Kasuistik des EuGH Die einschlägige Rechtsprechung des EuGH findet ihren Ursprung in der Grundsatzentscheidung der Rechtssache Gourdain/Nadler122. In dieser benannte der Gerichtshof erstmals Indizien für die insolvenzrechtliche Qualifikation eines materiellen Anspruchs, sorgte dadurch aber zugleich für erhebliche Rechtsunsicherheit. Die entsprechenden Indizien (sogleich unter 1.) erfuhren dann später durch weitere Entscheidungen eine zunehmende Konkretisierung (dazu unter 2.). Auch wenn im Hinblick auf die tatsächlichen Qualifikationskriterien bislang längst nicht alle 121

ErwG 66 EuInsVO, ABl.EU 2015 L 141/26. EuGH, 22. 02. 1979, Rs. 133/78 (Gourdain/Nadler), ECLI:EU:C:1979:49 = BeckRS 2004, 71542. 122

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Rechtsunsicherheiten beseitigt sind, so bilden die Kriterien der Rechtsprechung doch zumindest wichtige, nicht abschließende Anhaltspunkte, die für die Qualifikation heranzuziehen und weiterzuentwickeln sind.123 1. Grundlagenentscheidung Gourdain/Nadler Erste Qualifikationskriterien zur Bestimmung des Insolvenzbereichs der EuInsVO ließen sich der Entscheidung des EuGH in der Rechtssache Gourdain/Nadler zur action en comblement du passif124, der französischen „Insolvenzverschleppungshaftung des GmbH-Geschäftsführers“ entnehmen. Zu beantworten war die internationalverfahrensrechtliche Frage, ob ein derartiger Anspruch als Zivil- und Handelssache i. S. d. Art. 1 Abs. 1 EuGVÜ125 oder aber als „Konkurssache“ i. S. d. Art. 1 Abs. 2 Nr. 2 EuGVÜ anzusehen war.126 Letztere war von der Anwendung des EuGVÜ ausgeschlossen. Der EuGH urteilte, dass Entscheidungen, die sich auf ein Insolvenzverfahren beziehen, nur dann als „Konkurs- bzw. Insolvenzsache“ einzuordnen sind, „wenn sie unmittelbar aus diesem Verfahren hervorgehen und sich eng innerhalb des Rahmens eines Konkurs- oder Vergleichsverfahrens in dem vorgenannten Sinne halten“127. Diese sog. Gourdain-Formel findet sich heute in kodifizierter Form in Art. 6 Abs. 1 EuInsVO für Annexverfahren (vis attractiva concursus128) wieder. Danach sind heute die Gerichte des Mitgliedstaats, in dessen Hoheitsgebiet das Insolvenzverfahren nach Art. 3 EuInsVO eröffnet worden ist, für alle Klagen zuständig, die unmittelbar aus dem Insolvenzverfahren hervorgehen und in engem Zusammenhang damit stehen. Für eine entsprechende konkurs- bzw. insolvenzrechtliche Einordnung zog der EuGH sowohl prozessuale als auch materiell-rechtliche Kriterien heran. In prozessualer Hinsicht sollten die Zuständigkeit der Insolvenzgerichte und die Einziehungs- und Prozessführungsbefugnis des Insolvenzverwalters für eine insolvenzrechtliche Qualifikation streiten. In materiell-rechtlicher Hinsicht sollten Regelungen, die der Gesamtheit von Gläubigern zugute kommen, indem sie auf die Mehrung der Aktiva als haftende Vermögensmasse einer insolventen Gesellschaft gerichtet 123 Haubold, IPRax 2002, 157 (163); Hübner, IPRax 2015, 297 (299); MüKo-GmbHG/ Weller, Bd. 1, Einleitung Rn. 407; ders./Hübner, in: FS Pannen, S. 259 (264). 124 Zur Qualifikation dieser Haftungsfigur ausführlich unten Kap. 5 § 12 B. II. 125 Das EuGVÜ ist im Verhältnis der EU-Mitgliedstaaten durch die EuGVVO vom 22. 12. 2000 abgelöst worden. Inzwischen wurde die EuGVVO durch die Brüssel Ia-VO vom 12. 12. 2012 neu gefasst. 126 EuGH, 22. 02. 1979, Rs. 133/78 (Gourdain/Nadler), ECLI:EU:C:1979:49 Rn. 2 = BeckRS 2004, 71542; Hübner, IPRax 2015, 297 (299); Weller/Hübner, in: FS Pannen, S. 259 (264). 127 EuGH, 22. 02. 1979, Rs. 133/78 (Gourdain/Nadler), ECLI:EU:C:1979:49 Rn. 4 = BeckRS 2004, 71542. 128 Zur Begrifflichkeit Grompe, Die vis attractiva concursus im Europäischen Insolvenzrecht, S. 73 f.; Waldmann, Annexverfahren im Europäischen Insolvenzrecht, S. 25 ff.; Willemer, Vis attractiva concursus und die EuInsVO, S. 9 ff.

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3. Kap.: Die Rechtssache Kornhaas

sind, von Bedeutung sein.129 Im Wege einer Einzelfallprüfung war danach festzustellen, ob die Klage ihren Ursprung im Insolvenzverfahrensrecht oder in sonstigen Regelungen hat.130 Auf diese Weise lassen sich aber auch allgemeingültige Kriterien für die Einordnung entsprechender Haftungsfiguren extrahieren. Vor diesem Hintergrund bildet die erstmals im Gourdain/Nadler-Urteil verwandte Formel eine erste wichtige Grundlage für die Einordnung insolvenznaher Haftungsinstrumente.131 2. Zunehmende Konturierung Durch weitere Rechtsprechung erfuhren die Qualifikationskriterien der Gourdain/Nadler-Entscheidung eine zunehmende Konkretisierung. a) Bestätigung der Grundlagenentscheidung Zunächst stellte der EuGH im Urteil Deko Marty132 einen insolvenzspezifischen Zusammenhang zwischen den Insolvenzanfechtungsregeln und dem Insolvenzverfahren fest. Eine Insolvenzanfechtungsklage des Insolvenzverwalters diene dem Ziel, die Aktiva des Unternehmens, über dessen Vermögen das Insolvenzverfahren eröffnet worden ist, zu vermehren. Durch die Anfechtung würden Rechtshandlungen rückgängig gemacht, die vor der Eröffnung des Insolvenzverfahrens vorgenommen worden sind und die Gläubiger schädigen.133 Soweit die Insolvenzanfechtung durch einen einziehungs- und prozessführungsbefugten Insolvenzverwalter erfolgt und die Haftung der Geschäftsführer durch die Vermehrung der Aktiva der Gesellschaft der Gesamtheit der Gläubiger zugutekommt, liegt das Urteil ganz auf Kurs der Gordain/ Nadler-Entscheidung. Das materiell-rechtliche Kriterium der Massemehrung im Interesse aller Insolvenzgläubiger ist auch hier erfüllt. Vergleicht man das Ziel der Insolvenzanfechtungsklage mit einer Klage nach § 64 S. 1 GmbHG a. F. (jetzt § 15b Abs. 1, 4 InsO), stellt man fest, dass die Ziele beider Klagen darin übereinstimmen, die Aktiva der Gesellschaft im Interesse aller Gläubiger zu mehren.134 Der Unterschied besteht jedoch darin, dass der Anspruch des § 64 S. 1 GmbHG a. F. (jetzt § 15b Abs. 1, 4 InsO) zwar regelmäßig an die Eröffnung eines Insolvenzverfahrens anknüpft. In diesem wird er auch grundsätzlich vom Insolvenzver129

EuGH, 22. 02. 1979, Rs. 133/78 (Gourdain/Nadler), ECLI:EU:C:1979:49 Rn. 5 = BeckRS 2004, 71542. 130 EuGH, 04. 09. 2014, Rs. C-157/13 (Nickel & Goeldner), ECLI:EU:C:2014:2145 Rn. 26 = NZI 2014, 919 (920 f.); Haubold, IPRax 2002, 157 (162); MüKo-GmbHG/Weller, Bd. 1, Einleitung Rn. 407. 131 So auch Weller/Hübner, in: FS Pannen, S. 259 (264). 132 EuGH, 12. 02. 2009, Rs. C-339/07 (Deko Marty), ECLI:EU:C:2009:83 = NJW 2009, 2189. 133 EuGH, 12. 02. 2009, Rs. C-339/07 (Deko Marty), ECLI:EU:C:2009:83 Rn. 16 f. = NJW 2009, 2189. 134 Habersack/Foerster, ZHR 178 (2014), 387 (395 f.); Hübner, IPRax 2015, 297 (299).

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walter nach § 80 InsO geltend gemacht. Ansonsten kann der Anspruch aber auch außerhalb des Insolvenzverfahrens und von einer anderen Person als der des Insolvenzverwalters zur Anwendung gebracht werden.135 Eine insolvenzrechtliche Anfechtung kann hingegen nur durch den Insolvenzverwalter oder Sachwalter ausgeübt werden, §§ 129 Abs. 1, 280 InsO. Auch wenn sich der EuGH in der Kornhaas-Entscheidung nicht zum Erfordernis der Geltendmachung eines Anspruchs durch den Insolvenzverwalter entscheiden musste, lässt sich aus der Entscheidung gleichwohl folgern, dass das Kriterium eines einziehungs- und prozessführungsbefugten Insolvenzverwalters für eine insolvenzrechtliche Einordnung eines Haftungsanspruchs nicht weiter gilt. Die Verfahrenseröffnung oder die Geltendmachung eines Anspruchs durch einen Insolvenzverwalter sind nicht als ungeschriebenes Tatbestandsmerkmal für eine Einordnung unter Art. 7 EuInsVO heranzuziehen. Das würde dem vom EuGH so häufig platzierten Bedürfnis der praktischen Wirksamkeit widersprechen. Damit zeichnete sich eine erste Abweichung von den grundlegenden Qualifikationskriterien in Gourdain/Nadler ab. Prozessuale Kriterien scheinen in den Hintergrund zu treten, während das Augenmerk vermehrt auf den materiell-rechtlichen Normgehalt gelegt werden. b) Intensive oder extensive Interpretation des Insolvenzbereichs Der in der Literatur auch heute noch präferierten extensiven Auslegung136 des Art. 7 EuInsVO erteilte der EuGH durch die Entscheidung German Graphics auf den ersten Blick eine Absage. In diesem Urteil zur Abgrenzung der Anerkennungssysteme der EuGVVO und EuInsVO entschied der Gerichtshof, dass der Anwendungsbereich der EuInsVO eng auszulegen sei.137 Der Begriff „Zivil- und Handelssachen“ in Art. 1 Abs. 1 EuGVVO sei hingegen weit zu interpretieren, wodurch gleichsam der Anwendungsbereich der EuGVVO betroffen ist.138 Grundlage hierfür sei das Zusammenwirken der Erwägungsgründe 7 und 15 der EuGVVO mit Erwägungsgrund 6 der EuInsVO 2000.139 Die auf einen Eigentumsvorbehalt gestützte Klage gegen den Insolvenzverwalter habe ihre Grundlage nicht im Insolvenzrecht und setze weder die Eröffnung eines Insolvenzverfahrens noch die Bestellung eines Insolvenzverwalters voraus. Die formelle Beteiligung eines Insolvenzverwalters an 135

Bereits oben Kap. 3 § 6 B. II 2. Siehe nur MüKo-BGB/Kindler, Bd. 13, Internationales Handels- und Gesellschaftsrecht Rn. 668, Internationales Insolvenzrecht, EuInsVO Art. 7 Rn. 8; Schack, IZVR Rn. 1190; Weller, IPRax 2017, 167 (175 f.); MüKo-GmbHG/ders., Bd. 1, Einleitung Rn. 408; a. A. etwa Hübner, IPRax 2015, 297 (299); MüKo-InsO/Reinhart, Bd. 4, EuInsVO 2000 Art. 4 Rn. 4; Ulmer, KTS 2004, 291 (296). 137 EuGH, 10. 09. 2009, Rs. C-292/08 (German Graphics), ECLI:EU:C:2009:544 Rn. 25 = NZI 2009, 741 (742). 138 EuGH, 10. 09. 2009, Rs. C-292/08 (German Graphics), ECLI:EU:C:2009:544 Rn. 23 = NZI 2009, 741 (742). 139 EuGH, 10. 09. 2009, Rs. C-292/08 (German Graphics), ECLI:EU:C:2009:544 Rn. 22, 24 = NZI 2009, 741 (742); Hübner, IPRax 2015, 297 (299). 136

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3. Kap.: Die Rechtssache Kornhaas

einem solchen Rechtsstreit war für den EuGH dabei nicht ausreichend. Er betrachtete das Verfahren nicht als ein solches, das unmittelbar aus der Insolvenz hervorgeht und sich eng innerhalb des Rahmens eines Insolvenzverfahrens hält.140 Insoweit folgt aus der Entscheidung eine tendenziell enge Auslegung des sachlichen Anwendungsbereichs der EuInsVO. Festzuhalten bleibt daher, dass sich der in den Entscheidungen Gourdain/Nadler und Deko Marty eingeschlagene Kurs bislang zu verfestigen scheint. Er konkretisiert die Gourdain-Formel dahingehend, dass die insolvenzrechtliche Einordnung von der Eröffnung eines Insolvenzverfahrens abhängt.141 Die Literatur geht jedoch größtenteils davon aus, dass die Entscheidung des EuGH einem weiten Verständnis des Insolvenzstatuts nicht entgegenstehe und eine extensive Interpretation des Systembegriffs des Insolvenzrechts i. S. d. Art. 7 EuInsVO geboten sei. Begründet wird dies zum einen mit der Gesetzessystematik. Da dem German Graphics-Urteil entsprechend nur der sachliche Anwendungsbereich der EuInsVO eng auszulegen sei, beziehe sich das Urteil auf Art. 1 EuInsVO und damit nicht auf die Qualifikationsnorm des Art. 7 EuInsVO.142 Insoweit sei allein die internationale Zuständigkeit betroffen. Zum anderen stört sich die Literatur aber auch an der Rechtsprechungssystematik des EuGH. Sie hält diese nicht zwingend mit einem engen Verständnis des Anwendungsbereichs der EuInsVO vereinbar.143 Und wie sich in der neueren Rechtsprechung zeigt, scheint diese Ansicht recht zu behalten. Die Kriterien der Gourdain-Formel werden durch weitere Urteile immer weiter aufgeweicht. Heute ist eine enge Auslegung des Anwendungsbereichs der EuInsVO kaum noch haltbar.144 c) Weites Verständnis des Insolvenzbereichs Die Abkehr vom prozessualen Kontext einer Klage als Zuordnungskriterium erfolgte erstmals in der Nickel & Goeldner-Entscheidung145. Danach sei das entscheidende Kriterium dafür, ob eine Klage dem Gebiet des Insolvenzrechts oder dem des Zivil- und Handelsrechts zuzurechnen ist, die Rechtsgrundlage der Klage. Nach diesem Ansatz ist zu prüfen, ob der jeweilige Anspruch als Grundlage der Klage seinen Ursprung im Insolvenzverfahrensrecht (und nicht in anderen Regelungen) hatte und ob er den allgemeinen Regelungen des Zivil- und Handelsrechts entstammt

140 EuGH, 10. 09. 2009, Rs. C-292/08 (German Graphics), ECLI:EU:C:2009:544 Rn. 30 ff. = NZI 2009, 741 (742 f.). 141 Lüttringhaus/Weber, RIW 2010, 45 (47). 142 So MüKo-BGB/Kindler, Bd. 13, Internationales Handels- und Gesellschaftsrecht Rn. 668. 143 Etwa Brinkmann, IPRax 2010, 324 (326 f.); Haas, ZIP 2013, 2381 (2383). 144 Dazu unten Kap. 5 § 10 C. 145 EuGH, 04. 09. 2014, Rs. C-157/13 (Nickel & Goeldner), ECLI:EU:C:2014:2145 = NZI 2014, 919.

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oder aber den abweichenden Spezialregelungen für Insolvenzverfahren.146 In der Entscheidung H wurde dieses Vorgehen weiter ausdifferenziert. Dort stellte der EuGH in Bezug auf die internationalverfahrensrechtliche Auslegung des Art. 3 EuInsVO fest, dass es für die Zuständigkeit nach der EuInsVO nicht entscheidend sei, dass die Haftung nach § 64 GmbHG a. F. (jetzt § 15b InsO) nicht die förmliche Eröffnung eines Insolvenzverfahrens voraussetzt.147 Zwar wurde die Klage anlässlich eines Insolvenzverfahrens erhoben und hatte ihren Ursprung im Insolvenzverfahrensrecht und nicht in anderen Regelungen. Die Erwägungen in der Nickel & Goeldner-Entscheidung seien jedoch nicht dahin auszulegen, dass eine Klage, deren Rechtsgrundlage zwar nicht die förmliche Eröffnung eines Insolvenzverfahrens voraussetzt, wohl aber die materielle Zahlungsunfähigkeit des Schuldners, nicht unmittelbar aus einem Insolvenzverfahren hervorgeht oder nicht in einem engen Zusammenhang mit ihm steht.148 Die verlagerte Schwerpunktsetzung hin zu den materiell-rechtlichen Kriterien eines Anspruchs scheint sich damit zu verfestigen. Der prozessuale Kontext einer Klage stellt nicht mehr das allein ausschlaggebende Kriterium dar. Dies wurde durch das Valach-Urteil des EuGH bestätigt.149 Zuletzt beschäftigte sich auch Generalanwalt Bobek in seinen Schlussanträgen zur Rechtssache NK150 mit den Kriterien der Unmittelbarkeit und des engen Zusammenhangs. Dabei stellte er fest, dass es bei näherer Betrachtung der bisherigen Rechtsprechung bislang unklar blieb, wie sich die Prüfungskriterien des Art. 6 Abs. 1 EuInsVO im Einzelfall zueinander verhalten und wie sich die Definition des genauen Inhalts der beiden Kriterien bestimmt.151 Es wird sich zeigen, dass sich die Kriterien in der neueren Rechtsprechung immer weiter verdichten und eine Konzentration auf die Rechtsgrundlage der Klage und eine Abweichung von den allgemeinen Regelungen erfolgt.152

146 EuGH, 04. 09. 2014, Rs. C-157/13 (Nickel & Goeldner), ECLI:EU:C:2014:2145 Rn. 26 f. = NZI 2014, 919 (920 f.); siehe auch EuGH, 04. 12. 2014, Rs. C-295/13 (H), ECLI:EU: C:2014:2410 Rn. 20 f. = IPRax 2015, 548 (550). 147 EuGH, 04. 12. 2014, Rs. C-295/13 (H), ECLI:EU:C:2014:2410 Rn. 22 ff. = IPRax 2015, 548 (550). 148 EuGH, 04. 12. 2014, Rs. C-295/13 (H), ECLI:EU:C:2014:2410 Rn. 22 = IPRax 2015, 548 (550). 149 EuGH, 20. 12. 2017, Rs. C-649/16 (Valach), ECLI:EU:C:2017:986 Rn. 29 = NJW 2018, 843 (844). 150 EuGH, 06. 02. 2019, Rs. C-535/17 (NK), ECLI:EU:C:2019:96 = IPRax 2019, 518. 151 Generalanwalt Bobek, Schlussanträge, 18. 10. 2018, Rs. C-535/17 (NK), ECLI:EU:C: 2018:850 Rn. 43 ff. = BeckRS 2018, 25258. Kritisch zum Instrumentarium des EuGH bereits Mankowski, NZI 2014, 922. 152 So auch Thole, IPRax 2019, 483 (484 f.). Siehe hierzu noch unten Kap. 4 § 8 B. I.

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d) Zusammenfassung Durch die beschriebene Judikatur zeichnet sich ein ungefähres Bild einzelner Qualifikations- und Abgrenzungskriterien ab. Eine in sich geschlossene Systematik lässt sich hieraus nicht ableiten.153 In ständiger Rechtsprechung bringt der EuGH fortwährend prozessuale und materielle Kriterien zur Anwendung. Die Rechtsprechung folgt dabei einer stetigen Einzelfallbetrachtung und befeuert so die Rechtsunsicherheit. Fast scheint es so, als dass der Gerichtshof keine klare Linie verfolgt, sondern vielmehr jedes Mal genau die Merkmale in den Vordergrund stellt, die ihm im Hinblick auf ein angemessenes Ergebnis nützlich erscheinen. Die wortgleiche Wiederholung bestimmter Formeln, die einmal zu einem konkreten Fall entwickelt wurden, birgt die Gefahr, dass deren Anwendung auf einen ähnlich gelagerten Fall zu einer Unschärfe in der Urteilsbegründung führt. Es entsteht eine einzelfallbezogene Kasuistik, deren strukturelle Vorgaben eher vage bleiben.154 Das Vorgehen des EuGH im Grenzgebiet zwischen Brüssel Ia-VO und EuInsVO verweist auf eine Qualifikation im Grundsätzlichen. Auch wenn der EuGH mit diesem Vorgehen bekanntlich deutlich machen will, dass er von seiner bisherigen Rechtsprechung nicht abweicht, sind aufgrund dieser Methode mit Blick auf Inhalt und Umfang der jeweiligen Kriterien nach wie vor Fragen ungeklärt. Für die Schlussfolgerungen aus Kornhaas gilt dies allerdings nur zum Teil. Klare und eindeutige Abgrenzungskriterien lassen sich dieser Entscheidung zwar nicht für alle Detailfragen entnehmen. Gleichwohl können anhand der Entscheidung entscheidende Schlussfolgerungen in Bezug auf die Qualifikation der hier zu behandelnden Haftungsinstrumente getroffen werden. Sie ermöglicht die Erweiterung des Anwendungsbereichs des Art. 7 Abs. 1 EuInsVO und konkretisiert dessen Inhalt.155 Zudem legt sie den Fokus auf materiell-rechtliche Qualifikationskriterien (siehe dazu unten III.). Darüber hinaus ist die Bedeutung der hier beschriebenen Rechtsprechungssystematik aber insbesondere für die kollisionsrechtliche und die zuständigkeitsrechtliche Einordnung von Haftungsinstrumenten bislang nicht abschließend geklärt. Während manche zwischen dem Insolvenzbegriff i. S. d. Art. 1 Abs. 2 lit. b der EuGVVO bzw. der Brüssel Ia-VO und jenem der EuInsVO einen Gleichlauf erkennenund von einem einheitlichen Insolvenzbegriff ausgehen,156 stellen andere keine entsprechende systematische Kohärenz 153 Zu dieser Einschätzung gelangen in Bezug auf die Zuständigkeit für Annexverfahren nach Art. 6 EuInsVO etwa auch Fehrenbach, GPR 2016, 282 (292); Guski, ZIP 2018, 2395 (2397); KPB-InsO/Madaus, EuInsVO Art. 6 Rn. 7; Kindler/Wendland, RIW 2018, 245 (254); Reinhart, NZI 2012, 304 (307). 154 KPB-InsO/Madaus, EuInsVO Art. 6 Rn. 7; Mankowski, NZI 2014, 922; ders., NZI 2018, 234 (234 f.); ders., NZI 2019, 304 (304 f.). 155 Dazu oben Kap. 3 § 6 B. II. 2. 156 So etwa Althammer/Tolani, in: FS Schilken, S. 589 (595, 597); HCL/Behrens/Hoffmann, Bd. I, Einleitung Rn. B 135; Mankowski, NZI 2010, 508 (510 ff.); ders., NZI 2014, 922; kritisch nun Rauscher/ders., EuZPR/EuIPR, Bd. I, Brüssel Ia-VO Art. 1 Rn. 99; Mankowski/Müller/ Schmidt, EuInsVO Art. 6 Rn. 6, Art. 7 Rn. 82 jeweils m. w. N., in diese Richtung auch Bittmann/Gruber, GmbHR 2008, 867 (870).

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zwischen internationaler Zuständigkeit und anwendbarem Recht fest.157 Diese Einordnung ist jedoch mit entscheidend für die Abgrenzung insolvenzrechtlicher Streitigkeiten von gesellschafts- und deliktsrechtlichen Streitigkeiten im Kontext der Brüssel Ia-VO und der EuInsVO.

II. Abgrenzung nach den Zuständigkeitsregeln der Brüssel Ia-VO und EuInsVO Aus der beschriebenen EuGH-Judikatur wurde bereits ersichtlich, dass die Qualifikation von Haftungsansprüchen mit Insolvenzbezug regelmäßig auf Basis der Abgrenzung zwischen den Zuständigkeitsregeln der Brüssel Ia-VO und der EuInsVO erfolgt.158 Ausgehend von der skizzierten Rechtsprechung bildet die GourdainFormel – und damit die inzwischen in Art. 6 Abs. 1 EuInsVO kodifizierte vis attractiva concursus – den maßgeblichen Obersatz als Ausgangspunkt. Insoweit geht es um die von der Rechtsprechung bereits häufig zu beantwortende Frage159, wann eine Klage unmittelbar aus einem Insolvenzverfahren hervorgeht und damit in engem Zusammenhang steht und wie sich diese Merkmale zueinander verhalten.160 Weiter ist für die kollisionsrechtliche Qualifikation der hier betreffenden Haftungsansprüche auch das Verhältnis von Art. 6 Abs. 1 zu Art. 7 EuInsVO zu klären. 1. Grundlegende Systematik Infrage steht, wann eine Haftungsklage gegen Geschäftsleiter zuständigkeits- und kollisionsrechtlich der EuInsVO, und wann der Brüssel Ia-VO unterliegt. Zur Beantwortung dieser Frage soll der Blick an dieser Stelle weniger auf die umfangreiche und ausdifferenzierte Rechtsprechung zur Abgrenzungssystematik gelegt werden, als vielmehr auf die Schlussfolgerungen, die sich hierzu aus dem Kornhaas-Urteil und der jüngeren Rechtsprechung ableiten lassen. Mit Blick auf die grundlegende Systematik sind Art. 1 Abs. 2 lit. b Brüssel Ia-VO und Art. 3 Abs. 1 S. 1 EuInsVO zunächst gegenüberzustellen. Während aus der erstgenannten Norm folgt, dass die Brüssel Ia-VO keine Anwendung auf Konkurse, Vergleiche oder ähnliche Verfahren 157 So MüKo-AktG/Ego, Bd. 7, Europäische Niederlassungsfreiheit Rn. 636; Schwarz, NZI 2002, 290 (293). 158 Oben Kap. 3 § 6 C. I. 1. und 2. 159 Etwa in den Entscheidungen EuGH, 02. 07. 2009, Rs. C-111/08 (Alpenblume), ECLI: EU:C:2009:419 = ZIP 2009, 1441; EuGH, 19. 04. 2012. Rs. C-213/10 (F-Tex), ECLI:EU:C: 2012:215 = ZIP 2012, 1049; EuGH, 18. 07. 2013, Rs. C-147/12 (ÖFAB), ECLI:EU:C:2013: 490 = ZIP 2013, 1932; EuGH, 09. 11. 2017, Rs. C-641/16 (Tünkers France), ECLI:EU:C:2017: 847 = ZIP 2017, 2275; EuGH, 06. 02. 2019, Rs. C-535/17 (NK), ECLI:EU:C:2019:96 = IPRax 2019, 518; EuGH, 18. 09. 2019, Rs. C-47/18 (Riel), ECLI:EU:C:2019:754 = ZIP 2019, 1872; EuGH, 21. 11. 2019, Rs. C-198/18 (CeDe Group), ECLI:EU:C:2019:1001 = ZIP 2019, 2360; EuGH, 04. 12. 2019, Rs. C-493/18 (Tiger), ECLI:EU:C:2019:1046 = ZIP 2020, 80. 160 Hierzu etwa Guski, ZIP 2018, 2395 (2396 ff.); Thole, IPRax 2019, 483 (484).

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findet, regelt Art. 3 Abs. 1 S. 1 EuInsVO, dass sich die Zuständigkeit der Gerichte für Insolvenzverfahren nach dem Mitgliedstaat richtet, in dem der Schuldner sein COMI hat.161 Anhang A der EuInsVO regelt abschließend, welche Insolvenzverfahren als öffentliche Gesamtverfahren hiervon erfasst sind, Art. 1 Abs. 1 S. 1, Art. 2 Nr. 4 EuInsVO.162 Besagte Regelungen legen die internationale Zuständigkeit für die Eröffnung des Insolvenzverfahrens in Form des Gesamtverfahrens eindeutig fest. Ist ein solches in Anhang A der EuInsVO aufgeführt, fällt es nicht in den Anwendungsbereich der Brüssel Ia-VO, sondern in den der EuInsVO.163 Unterdessen stellt Erwägungsgrund 7 S. 4 EuInsVO klar, dass der alleinige Umstand eines nicht in Anhang A zur EuInsVO aufgeführten nationalen Verfahrens nicht bedeutet, dass dieses Verfahren unter die Brüssel Ia-VO fällt. Dies ist nur der Fall, sofern deren Anwendungsvoraussetzungen erfüllt sind.164 In diesem Sinne sind die beiden Verordnungen nach ständiger Rechtsprechung des EuGH so auszulegen, dass „jede Regelungslücke und Überschneidung zwischen den in ihnen enthaltenen Rechtsvorschriften vermieden wird“165. Dabei geht der EuGH davon aus, dass der in Art. 1 Abs. 1 S. 1 Brüssel Ia-VO enthaltene Begriff der „Zivil- und Handelssachen“ – und damit der Anwendungsbereich der Verordnung – weit zu fassen ist, während der Anwendungsbereich der EuInsVO eng auszulegen ist.166 Die entsprechenden Entscheidungen erfolgten noch in Bezug auf Erwägungsgrund 6 der EuInsVO 2000. Danach sollte sich die Verordnung nach dem Verhältnismäßigkeitsgrundsatz auf Vorschriften beschränken, die die Zuständigkeit für die Eröffnung von Insolvenzverfahren und für Entscheidungen regeln, die unmittelbar aufgrund des Insolvenzverfahrens ergehen und in engem Zusammenhang damit stehen. Da die Kriterien der Unmittelbarkeit und des engen Zusammenhangs heute in Art. 6 EuInsVO kodifiziert 161

Dazu oben Kap. 2 § 3 A. II. 2. b) aa). Dazu oben Kap. 2 § 3 A. II. 2. b) bb). 163 ErwG 7 S. 2 EuInsVO, ABl.EU 2015 L 141/19; Haas, NZG 1999, 1148 (1149); Haubold, IPRax 2002, 157; Rauscher/ders., EuZPR/EuIPR, Bd. I, Brüssel Ia-VO Art. 1 Rn. 66; Oberhammer, ZInsO 2004, 761 (764); Vallender/Vallender, EuInsVO Art. 1 Rn. 6. 164 Bereits oben Kap. 2 § 3 A. II. 3. b) aa). Siehe die weiteren Konstellationen bei Mankowski/Müller/Schmidt, EuInsVO Art. 1 Rn. 42. 165 EuGH, 04. 09. 2014, Rs. C-157/13 (Nickel & Goeldner), ECLI:EU:C:2014:2145 Rn. 21 = NZI 2014, 919 (920); EuGH, 09. 11. 2017, Rs. C-641/16 (Tünkers France), ECLI:EU: C:2017:847 Rn. 17 = ZIP 2017, 2275 (2275 f.); EuGH, 20. 12. 2017, Rs. C-649/16 (Valach), ECLI:EU:C:2017:986 Rn. 24 = NJW 2018, 843 (843 f.); EuGH, 14. 11. 2018, Rs. C-296/17 (Wiemer & Trachte), ECLI:EU:C:2018:902 Rn. 29 = NZI 2018, 994 (995); EuGH, 06. 02. 2019, Rs. C-535/17 (NK), ECLI:EU:C:2019:96 Rn. 24 = IPRax 2019, 518 (519); siehe auch ErwG 7 S. 3 EuInsVO ABl.EU 2015 L 141/19 und HCL/Behrens/Hoffmann, Bd. I, Einleitung Rn. B 135; Vallender/Vallender, EuInsVO Art. 1 Rn. 5. 166 EuGH, 10. 09. 2009, Rs. C-292/08 (German Graphics), ECLI:EU:C:2009:544 Rn. 23 ff. = NZI 2009, 741 (742); EuGH, 04. 09. 2014, Rs. C-157/13 (Nickel & Goeldner), ECLI:EU:C:2014:2145 Rn. 22 = NZI 2014, 919 (920); EuGH, 09. 11. 2017, Rs. C-641/16 (Tünkers France), ECLI:EU:C:2017:847 Rn. 18 = ZIP 2017, 2275 (2276); EuGH, 20. 12. 2017, Rs. C-649/16 (Valach), ECLI:EU:C:2017:986 Rn. 25 = NJW 2018, 843 (844); EuGH, 06. 02. 2019, Rs. C-535/17 (NK), ECLI:EU:C:2019:96 Rn. 25 = IPRax 2019, 518 (520). 162

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sind, gilt unter der aktuellen EuInsVO nichts anderes.167 Soweit der EuGH also auch solche Klagen in Anwendungsbereich der EuInsVO einbezieht, die „unmittelbar aus dem Insolvenzverfahren hervorgehen und in engem Zusammenhang damit stehen“168, sind neben den klassischen Gesamtverfahren eine Fülle von eigenständigen Erkenntnisverfahren denkbar, die einen Bezug zur Insolvenz und zu Insolvenzverfahren aufweisen. Über diese wird jedoch nicht im Gesamtverfahren selbst, sondern in eigenständigen Verfahren entschieden.169 Zu diesen insolvenznahen Einzelklagen gehören beispielsweise Insolvenzanfechtungsklagen nach den §§ 129 ff. InsO sowie Klagen aus §§ 135 Abs. 1, 143 InsO. Art. 6 Abs. 1 EuInsVO hebt Anfechtungsklagen als Anwendungsfall explizit hervor und kodifiziert damit die Entscheidungen Deko Marty170 und Schmidt171.172 Darüber hinaus sind aber auch insolvenznahe Haftungsklagen gegen Gesellschafter und Geschäftsleiter173 zu nennen. Soweit es sich hierbei um Klagen handelt, die unmittelbar aus dem Insolvenzverfahren hervorgehen und in engem Zusammenhang damit stehen, werden diese als Annexklagen bezeichnet und unterfallen als solche im Sinne einer vis attractiva concursus der internationalen Zuständigkeit gem. Art. 3 EuInsVO. Den Gerichten des Mitgliedstaates, in dem das Insolvenzverfahren eröffnet wurde, wird so die internationale Zuständigkeit für diese Klagen zugesprochen.174 Für den Insolvenzbezug ist dabei nun relevant, inwieweit ein Gleichlauf zwischen der kollisionsrechtlichen und der zuständigkeitsrechtlichen Qualifikation besteht. 2. Gleichlauf von internationaler Zuständigkeit und dem auf Insolvenzverfahren anwendbaren Recht Für Art. 7 EuInsVO steht fest, dass die kollisionsrechtliche Anknüpfung an den Staat der Verfahrenseröffnung einen grundsätzlichen Gleichlauf von internationaler Zuständigkeit und anzuwendendem Insolvenz- bzw. Sachrecht für Gesamtverfahren 167

HCL/Behrens/Hoffmann, Bd. I, Einleitung Rn. B 135 bei Fn. 458. Hierzu bereits oben Kap. 3 § 6 C. I. 1. sowie die bei EuGH, 06. 02. 2019, Rs. C-535/17 (NK), ECLI:EU:C:2019:96 Rn. 26 = IPRax 2019, 518 (520) aufgeführte Rechtsprechung; zuletzt auch EuGH, 21. 11. 2019, Rs. C-198/18 (CeDe Group), ECLI:EU:C:2019:1001 Rn. 31 = ZIP 2019, 2360 (2361). 169 Gröning, Gesellschafter- und Geschäftsleiterhaftung im IZVR, S. 10; MüKo-InsO/ Thole, Bd. 4, EuInsVO 2000 Art. 3 Rn. 98. 170 EuGH, 12. 02. 2009, Rs. C-339/07 (Deko Marty), ECLI:EU:C:2009:83 Rn. 22 = NJW 2009, 2189. 171 EuGH, 16. 01. 2014, Rs. C-328/12 (Schmidt), ECLI:EU:C:2014:6 Rn. 30 ff. = NJW 2014, 610 (612). 172 Mankowski/Müller/Schmidt, EuInsVO Art. 6 Rn. 11. 173 Gröning, Gesellschafter- und Geschäftsleiterhaftung im IZVR, S. 10; Haas, ZIP 2013, 2381; Braun/Tashiro, InsO, EuInsVO Art. 6 Rn. 16; Willemer, Vis attractiva concursus und die EuInsVO, S. 3. 174 Mankowski/Müller/Schmidt, EuInsVO Art. 6 Rn. 7 m. w. N. 168

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bewirkt.175 In vielen Fällen führt dies zu einem Zusammenfallen der gerichtlichen Zuständigkeit und des anwendbaren Rechts. Dies sah zuletzt auch Generalanwalt Bobek in seinen – freilich nicht bindenden – Schlussanträgen176 zu den Rechtssachen NK und CeDe Group. Darin führte er aus, dass aus Art. 3 i. V. m. Art. 7 EuInsVO der Verordnungszweck deutlich werde. Die EuInsVO solle die internationale Zuständigkeit mit dem auf Insolvenzverfahren anwendbaren Recht in Einklang bringen.177 Gleichwohl sei aber anzuerkennen, dass dieser allgemeine Ansatz, also die Entsprechung von ius und forum, nicht in allen Fällen gewährleistet werden könne, soweit die Bestimmungen der EuInsVO über das anwendbare Recht für andere als Insolvenzverfahren einzustufende Verfahren Bedeutung haben: „Während nämlich Art. 3 Abs. 1 der Insolvenzverordnung auf die Frage der Zuständigkeit für die Eröffnung des Insolvenzverfahrens beschränkt ist, ist Art. 4 Abs. 1 [Art. 7 Abs. 1 n. F.] breiter und bezieht sich auf das für das Insolvenzverfahren und seine Wirkungen geltende Recht.“178 Der EuGH schloss sich diesen Ausführungen an und bestätigte den angenommenen Gleichlauf.179 Wenn eine Norm unter dem Blickwinkel der internationalen Zuständigkeit nach Art. 3 EuInsVO als insolvenzrechtlich eingestuft wird, kann diese Feststellung demnach auch für die Frage von Bedeutung sein, ob ein Haftungsanspruch unter das für das Insolvenzverfahren und seine Wirkungen geltende Recht nach Art. 7 Abs. 1 EuInsVO fällt.180 Mit Blick auf die Wirkungen des Insolvenzverfahrens sei danach zu fragen, ob die Klage die unmittelbare und untrennbare Folge eines solchen Verfahrens ist.181 Demnach ist ein grundsätzlicher Gleichlauf zwischen Zuständigkeit und dem auf Insolvenzverfahren anwendbarem Recht nunmehr sicher anzunehmen. In diesem Zusammenhang steht auch der in der Kornhaas-Entscheidung vorgenommene Rekurs auf die zuständigkeitsrechtlichen Feststellungen in H. 175

HCL/Behrens/Hoffmann, Bd. I, Einleitung Rn. B 135; Grompe, Die vis attractiva concursus im Europäischen Insolvenzrecht, S. 161 ff.; Hergenröder, DZWIR 2009, 309 (316); MüKo-BGB/Kindler, Bd. 13, Internationales Insolvenzrecht, EuInsVO Art. 7 Rn. 1; KPBInsO/Madaus, EuInsVO Art. 7 Rn. 2; Mankowski/Müller/Schmidt, EuInsVO Art. 7 Rn. 3. 176 Generalanwalt Bobek, Schlussanträge, 18. 10. 2018, Rs. C-535/17 (NK), ECLI:EU:C: 2018:850 = BeckRS 2018, 25258 und Schlussanträge, 30. 04. 2019, Rs. C-198/18 (CeDe Group), ECLI:EU:C:2019:335 = BeckRS 2019, 7101. 177 Generalanwalt Bobek, Schlussanträge, 30. 04. 2019, Rs. C-198/18 (CeDe Group), ECLI: EU:C:2019:335 Nr. 33 = BeckRS 2019, 7101 mit Verweis auf seine Schlussanträge, 18. 10. 2018, Rs. C-535/17 (NK), ECLI:EU:C:2018:850 Nr. 90 = BeckRS 2018, 25258. 178 Generalanwalt Bobek, Schlussanträge, 30. 04. 2019, Rs. C-198/18 (CeDe Group), ECLI: EU:C:2019:335 Nr. 33 = BeckRS 2019, 7101. 179 EuGH, 21. 11. 2019, Rs. C-198/18 (CeDe Group), ECLI:EU:C:2019:1001 Rn. 30 = ZIP 2019, 2360 (2361). 180 EuGH, 21. 11. 2019, Rs. C-198/18 (CeDe Group), ECLI:EU:C:2019:1001 Rn. 32 = ZIP 2019, 2360 (2362) mit Verweis auf EuGH, 10. 12. 2015, Rs. C-594/14 (Kornhaas), ECLI:EU:C: 2015:806 Rn. 17 = NJW 2016, 223 (224); Generalanwalt Bobek, Schlussanträge, 30. 04. 2019, Rs. C-198/18 (CeDe Group), ECLI:EU:C:2019:335 Nr. 33 = BeckRS 2019, 7101 bei Fn. 6. 181 EuGH, 21. 11. 2019, Rs. C-198/18 (CeDe Group), ECLI:EU:C:2019:1001 Rn. 34 = ZIP 2019, 2360 (2362).

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3. Gleichlauf von internationaler Zuständigkeit und anwendbarem Recht bei Annexverfahren Ob und in welchem Umfang von der – hier zunächst vorauszusetzenden – Zuständigkeit für Annexverfahren nach Art. 6 Abs. 1 EuInsVO Folgerungen für das Kollisionsrecht getroffen werden können, indem man von der Zuständigkeit auf die Geltung der lex fori concursus schließt, ist bislang nicht einheitlich entschieden. Geht man von einem entsprechenden Gleichlauf zwischen Zuständigkeit und anwendbarem Recht aus,182 wären Haftungsansprüche wie die des § 64 S. 1 GmbHG a. F. (jetzt § 15b Abs. 1, 4 InsO) auch dann insolvenzrechtlich zu qualifizieren, wenn sie die Kriterien der Unmittelbarkeit und des engen Zusammenhangs erfüllen.183 In diesem Sinne trägt die Kornhaas-Entscheidung zur Klärung des Verhältnisses zwischen Art. 6 Abs. 1 und Art. 7 EuInsVO bei und lässt zugleich Rückschlüsse auf die mögliche Anwendung einer Annexklage bei der Geltendmachung von Haftungsansprüchen im Falle des Nichtvorliegens eines Insolvenzverfahrens zu. a) Auslegungszusammenhang zwischen Art. 6 Abs. 1 und Art. 7 EuInsVO Inwieweit sich ein Auslegungszusammenhang zwischen Art. 6 Abs. 1 und Art. 7 EuInsVO dergestalt ermitteln lässt, dass die gerichtliche Verfolgung eines Art. 7 EuInsVO (analog) zuzuordnenden Haftungsanspruchs stets eine Annexklage darstellt und vice versa eine solche die insolvenzrechtliche Qualifikation i. S. v. Art. 7 EuInsVO begründet, kann sich auch auf letztgenannten Fall auswirken. Ausgangspunkt ist, dass nach hier vertretener Ansicht Art. 7 EuInsVO auch bei Nichteröffnung eines Insolvenzverfahrens (analog) für die Qualifikation heranzuziehen ist.184 Im Hinblick auf Annexklagen geht die ganz überwiegende Meinung davon aus, dass diese bei Nichteröffnung185 oder zwischenzeitlicher Beendigung186 eines Insol182

So etwa HCL/Behrens/Hoffmann, Bd. I, Einleitung Rn. B 135; wohl auch MüKo-BGB/ Kindler, Bd. 13, Internationales Insolvenzrecht, EuInsVO Art. 6 Rn. 8 („starkes Indiz“); Lüttringhaus/Weber, RIW 2010, 45 (49); KPB-InsO/Madaus, EuInsVO Art. 6 Rn. 22; Ringe/ Willemer, NZG 2010, 56; Thole, IPRax 2019, 483 (487 f.); Wansleben, EWS 2016, 72 (76). Dagegen wohl MüKo-AktG/Ego, Bd. 7, Europäische Niederlassungsfreiheit Rn. 636; Fehrenbach, IPRax 2009, 492 (497); Haubold, IPRax 2002, 157 (163) bei Fn. 96; BeckOK-InsO/ Mock, EuInsVO Art. 6 Rn. 7; ders., IPRax 2016, 237 (239); Wedemann, IPRax 2015, 505 (509) mit Fn. 64. 183 Einer Konkretisierung der Gourdain-Formel zur Feststellung der von der vis attractiva concursus erfassten (Haftungs-)Klagen widmen sich ausführlich Grompe, Die vis attractiva concursus im Europäischen Insolvenzrecht, S. 205 ff. und Gröning, Gesellschafter- und Geschäftsleiterhaftung im IZVR, S. 15 ff. 184 Oben Kap. 3 § 6 B. II. 2. 185 Bork, in: FS Beck, S. 49 (52); Czaplinski/Knodel, GWR 2015, 16; Freitag, ZIP 2014, 302 (305); Haas, NZG 2010, 495 (497); Vallender/Hänel, EuInsVO Art. 6 Rn. 9 ff.; Thole, ZIP 2012, 605 (607) bei Fn. 16; Wais, IPRax 2011, 138 (140) mit Fn. 27; Wedemann, ZEuP 2014, 861 (869); dies., IPRax 2015, 505 (507); a. A. Gruber, in: Ahrens/Gehrlein/ Ringstmeier, InsR, 3. Auflage, Anhang I EuInsVO 2000 Art. 1 Rn. 31, Art. 4 Rn. 57 f.; Schulz, NZG 2015, 146 (148).

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venzverfahrens nicht zur Anwendung gelangen kann. Aus der bisherigen Rechtsprechung ließ sich hierzu bislang keine gesicherte Aussage ableiten. Daher bedarf es der weiteren Klärung187, wie die Zuständigkeit genau zu bestimmen ist, wenn es erst gar nicht zur Eröffnung eines Insolvenzverfahrens kommt oder dieses bereits beendet ist und wie sich dies auf die insolvenzrechtliche Qualifikation von Haftungsansprüchen auswirkt. Das Urteil des EuGH in H, in welchem er entschied, dass eine auf § 64 S. 1 GmbHG a. F. (jetzt § 15b Abs. 1, 4 InsO) gestützte Klage innerhalb eines Insolvenzverfahren als Annexklage einzustufen sei, und sie außerhalb eines Insolvenzverfahrens unter die Brüssel Ia-VO fallen „kann“188, verhält sich hierzu nicht eindeutig. Es lässt unterschiedliche Interpretationen zu.189 Piekenbrock190 sieht in der Entscheidung das ausdrückliche Bekenntnis des EuGH zur Anwendung der Brüssel Ia-VO. Bork191 erkennt hierin die Tendenz, eine Annexklage in derartigen Fällen abzulehnen. Wedemann192 will erst aufgrund einer Zusammenschau von H und vorangegangenen Urteilen des EuGH eine Annexklage bei Nichteröffnung des Insolvenzverfahrens ausscheiden lassen. In diesem Sinne finden sich auch in der Nickel & Goeldner-Entscheidung sowie in den Rechtssachen Alpenblume und ÖFAB unklare und teils widersprüchliche Aussagen.193 So wies der EuGH in der Nickel & Goeldner-Entscheidung einerseits darauf hin, dass er zwar berücksichtigt habe, dass die Klagen anlässlich eines Insolvenzverfahrens erhoben wurden. Das ausschlaggebende Kriterium zur Einstufung einer Annexklage sei aber nicht der prozessuale Kontext, sondern deren Rechtsgrundlage.194 Demzufolge wäre insbesondere die Rechtsgrundlage der Klage für die Frage maßgebend, ob eine Annexklage anzunehmen ist. Soweit man eine Haftungsklage gegen Geschäftsleiter innerhalb eines Insolvenzverfahrens als Annexklage einstuft, spricht dies tendenziell dafür, eine entsprechende Klage auch bei Nichteröffnung eines Insolvenzverfahrens als Annexklage anzusehen.195 Mit Blick auf die Frage, ob eine Annexklage nach Beendigung eines Insolvenzverfahrens in Betracht kommt, hielt der EuGH in der Rechtssache Alpenblume den Anwendungsbereich der Brüssel Ia-VO für nicht er186

Freitag, ZIP 2014, 302 (305); Thole, GPR 2014, 113 (114); ders., IPRax 2015, 396 (398). Siehe auch Thole, GPR 2014, 113 (114); Magnus, LMK 2015, 366550; Poertzgen, NZI 2015, 91. 188 EuGH, 04. 12. 2014, Rs. C-295/13 (H), ECLI:EU:C:2014:2410 Rn. 25 = IPRax 2015, 548 (550). 189 Hierzu bereits oben Kap. 3 § 6 C. I. 2. c). 190 Piekenbrock, KTS 2015, 379 (402). 191 Bork, in: FS Beck, S. 49 (56 f.). 192 Wedemann, IPRax 2015, 505 (507). 193 Hierzu ausführlich Gröning, Gesellschafter- und Geschäftsleiterhaftung im IZVR, S. 47 ff. 194 EuGH, 04. 09. 2014, Rs. C-157/13 (Nickel & Goeldner), ECLI:EU:C:2014:2145 Rn. 26 f. = NZI 2014, 919 (920 f.); siehe hierzu auch oben Kap. 3 § 6 C. I. 2. c). 195 So auch Gröning, Gesellschafter- und Geschäftsleiterhaftung im IZVR, S. 48. 187

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öffnet, obgleich das Insolvenzverfahren zum Zeitpunkt der Klageerhebung bereits beendet war. Dabei hob er hervor, dass der Zusammenhang zwischen Insolvenzverfahren und Einzelverfahren durch die Beendigung des Insolvenzverfahrens nicht geschwächt werde.196 Andererseits verneinte der EuGH im ÖFAB-Urteil eine Annexklage u. a. mit dem Argument, dass die Klagen im Ausgangsverfahren erhoben wurden, nachdem der Schuldner einem Sanierungsverfahren (d. h. einem Insolvenzverfahren i. S. d. Art. 2 lit. a i. V. m. Anhang A EuInsVO 2000) unterworfen worden war.197 In der Literatur wird diese Argumentation dahingehend interpretiert, dass die Beendigung des Insolvenzverfahrens vor Klageerhebung in den Augen des EuGH gegen die Annahme einer Annexklage sprach.198 Die aus der skizzierten EuGH-Rechtsprechung folgenden Widersprüchlichkeiten und Ungenauigkeiten bedürfen demzufolge einer Auseinandersetzung unter Berücksichtigung weiterer Urteile. b) Folgerungen aus der Kornhaas-Entscheidung und weiterer Rechtsprechung Im Folgenden soll daher zunächst auf Grundlage des Kornhaas-Urteils untersucht werden, ob ein Gleichlauf von Zuständigkeit und anwendbarem Recht auch für solche Haftungsansprüche gegen Geschäftsleiter gilt, die der Annexkompetenz des Art. 6 Abs. 1 EuInsVO unterliegen. Darauf aufbauend ist der Frage nachzugehen, ob eine Annexklage auch bei Nichteröffnung oder nach zwischenzeitlicher Beendigung eines Insolvenzverfahrens in Betracht kommt. aa) Gleichlauf bei der Anknüpfung Nach hier vertretener Ansicht ist die Kornhaas-Entscheidung dahingehend zu interpretieren, dass der EuGH für Ansprüche, die der Annexkompetenz unterliegen, mit Blick auf die Anknüpfung von einem Gleichlauf zwischen internationaler Zuständigkeit und anzuwendendem Recht ausgeht.199 Die kollisionsrechtliche und prozessrechtliche Qualifikation laufen insoweit parallel. Ausgangspunkt hierfür ist die Entscheidung des EuGH, die Haftungsnorm des § 64 S. 1 GmbHG a. F. (jetzt § 15b Abs. 1, 4 InsO) dann als insolvenzrechtlich zu qualifizieren und unter den kollisionsrechtlichen Anknüpfungsgegenstand des Art. 7 Abs. 1 EuInsVO zu fassen, 196

EuGH, 02. 07. 2009, Rs. C-111/08 (Alpenblume), ECLI:EU:C:2009:419 Rn. 30 ff. = ZIP 2009, 1441 (1442); Freitag, ZIP 2014, 302 (306) lehnt die Entscheidung aufgrund der Beendigung ab. 197 EuGH, 18. 07. 2013, Rs. C-147/12 (ÖFAB), ECLI:EU:C:2013:490 Rn. 25 = ZIP 2013, 1932 (1934). 198 Gröning, Gesellschafter- und Geschäftsleiterhaftung im IZVR, S. 49; ferner Thole, GPR 2014, 113 (114). 199 So auch HCL/Behrens/Hoffmann, Bd. I, Einleitung Rn. B 135; zurückhaltender MüKoBGB/Kindler, Bd. 13, Internationales Insolvenzrecht, EuInsVO Art. 6 Rn. 8 („starkes Indiz“).

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wenn ein Insolvenzverfahren eröffnet ist.200 Dabei griff er – wie erwartet201 wurde – ausdrücklich auf das Urteil H zurück.202 In diesem stufte er die auf § 64 S. 1 GmbHG a. F. (jetzt § 15b Abs. 1, 4 InsO) gestützte Klage im eröffneten Insolvenzverfahren als Annexklage ein und stellte dabei fest, dass es für die Zuständigkeit nach der EuInsVO kein entscheidendes Kriterium darstelle, dass die Haftung „nicht die förmliche Eröffnung eines Insolvenzverfahrens voraussetzt“203. Entscheidend sei vielmehr, dass der Haftungstatbestand des § 64 S. 1 GmbHG a. F. (jetzt § 15b Abs. 1, 4 InsO) „wegen der Zahlungsunfähigkeit der Schuldnergesellschaft“ vom allgemeinen Zivilrecht abweiche.204 In Kornhaas bezieht sich der EuGH demzufolge zunächst auf das Kriterium des Klageursprungs im Insolvenzverfahrensrecht. Anschließend übernimmt er für Art. 7 EuInsVO die in H getroffene Feststellung, dass der Erstattungsanspruch des § 64 S. 1 GmbHG a. F. (jetzt § 15b Abs. 1, 4 InsO) den Spezialregelungen des Insolvenzrechts und nicht den allgemeinen Regelungen des Zivilund Handelsrechts entstamme.205 Auch wenn das Vorabentscheidungsersuchen in H die internationale Zuständigkeit eines nationalen Gerichts betraf, „hat der Gerichtshof (…) diese Bestimmung des nationalen Rechts [§ 64 S. 1 GmbHG a. F.] gleichwohl eindeutig als insolvenzrechtliche Norm eingestuft. Hieraus ergibt sich, dass die letztgenannte Bestimmung dem für das Insolvenzverfahren und seine Wirkungen geltenden Recht im Sinne von Art. 4 Abs. 1 der Verordnung Nr. 1346/ 2000 [entspricht Art. 7 Abs. 1 EuInsVO n. F.] zuzurechnen ist“206. Aus dieser Formulierung und der expliziten Übernahme der Feststellungen in H lässt sich ableiten, dass bei Vorliegen einer Annexklage von der Zuständigkeit nach der EuInsVO auf die insolvenzrechtliche Qualifikation des der Klage zugrundeliegenden Haftungsanspruchs und weiter auf die kollisionsrechtliche Anknüpfung nach Art. 7 EuInsVO

200 EuGH, 10. 12. 2015, Rs. C-594/14 (Kornhaas), ECLI:EU:C:2015:806 Rn. 17, 21 = NJW 2016, 223 (224). 201 Hübner, IPRax 2015, 297 (300); Magnus, LMK 2015, 366550; Mankowski, EWiR 2015, 93 (94); Müller, EWiR 2015, 99 (100). 202 EuGH, 10. 12. 2015, Rs. C-594/14 (Kornhaas), ECLI:EU:C:2015:806 Rn. 15 = NJW 2016, 223 (223 f.). Das Vorgehen des EuGH befürworten Hübner, IPRax 2015, 297 (300) und Magnus, LMK 2015, 366550, beide bereits im Vorfeld; ferner Mankowski, NZG 2016, 281 (283); Schall, ZIP 2016, 289 (290). Kritisch hingegen Mock, IPRax 2016, 237 (239). 203 EuGH, 04. 12. 2014, Rs. C-295/13 (H), ECLI:EU:C:2014:2410 Rn. 22 = IPRax 2015, 548 (550). 204 EuGH, 04. 12. 2014, Rs. C-295/13 (H), ECLI:EU:C:2014:2410 Rn. 23 = IPRax 2015, 548 (550). 205 EuGH, 10. 12. 2015, Rs. C-594/14 (Kornhaas), ECLI:EU:C:2015:806 Rn. 16 = NJW 2016, 223 (224); auch Gröning, Gesellschafter- und Geschäftsleiterhaftung im IZVR, S. 52. Siehe zum Kriterium des Ursprungs der Klage im Insolvenzverfahrensrecht die Nachweise in Kap. 3 § 6 C. I. 2. c). 206 EuGH, 10. 12. 2015, Rs. C-594/14 (Kornhaas), ECLI:EU:C:2015:806 Rn. 17 = NJW 2016, 223 (224).

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geschlossen werden kann.207 Aber auch umgekehrt ist ein entsprechender Anspruch, der unter Art. 7 EuInsVO fällt, bezüglich Art. 6 Abs. 1 EuInsVO den Spezialregelungen für Insolvenzverfahren zuzuordnen. Materielle Aspekte der Qualifikation und die formell-verfahrensrechtliche Zuständigkeitsfrage fallen insoweit zusammen.208 Gröning erkennt hierin einen „partiellen Auslegungszusammenhang“, der hinter einem weiten Auslegungszusammenhang in dem Sinne zurückbleibe, dass die gerichtliche Verfolgung eines Art. 7 EuInsVO (analog) zuzuordnenden Haftungsinstituts stets eine Annexklage darstellt.209 Damit könne bezeichneter Auslegungszusammenhang allein darüber Auskunft geben, ob eine Klage ihren Ursprung im Insolvenzverfahrensrecht hat.210 Dem ist zuzustimmen. Aus dem Zusammenspiel von Kornhaas und H lassen sich die maßgebenden zuständigkeitsrechtlichen Aspekte exzerpieren und auf die Anknüpfung übertragen. Für die hier interessierende Qualifikation von Haftungsinstrumenten wird deutlich, dass sich die kollisionsrechtliche Qualifikation auf Institute des formellen und materiellen Insolvenzrechts bezieht, während das Zuständigkeitsrecht Klagen und deren Einordnung im Blick hat.211 Zu differenzieren ist somit zwischen der Qualifikation als kollisionsrechtlichem Instrument und dem zuständigkeitsrechtlichem Zusammenhang. Gleichwohl wirken sich gerade die Zuständigkeitsnormen der EuInsVO mittelbar auch auf die Bestimmung des anzuwendenden materiellen Rechts aus. Für die Frage der Qualifikation bei fehlendem Insolvenzverfahren kommt es zumindest nicht weiter darauf an, dass aus dem hier beschriebenen Auslegungszusammenhang nur Klarheit über den insolvenzverfahrensrechtlichen Ursprung einer Klage erwachsen soll. Denn das Kriterium, ob die Klage „anlässlich eines Insolvenzverfahrens“ erhoben wurde,212 tritt mit Blick auf die neuere Rechtsprechung immer mehr in den Hintergrund. Dieses ist somit nicht mehr heranzuziehen.213 Zwar berücksichtigte der EuGH diesen Umstand bislang nach wie vor. Zuletzt scheint sich seine Prüfung der Tatbestandsmerkmale des Art. 6 Abs. 1 EuInsVO jedoch immer weiter auf die Rechtsgrundlage der Klage und die Abweichung von den allgemeinen Regeln als alleiniges Kriterium zu verdichten.214 So hat der EuGH die Norm des § 64 S. 1 GmbHG a. F. (jetzt § 15b Abs. 1, 4 InsO) in Kornhaas gerade auch deshalb als insolvenzspezifisch angesehen, 207 In diesem Sinne auch HCL/Behrens/Hoffmann, Bd. I, Einleitung Rn. B 135; Gröning, Gesellschafter- und Geschäftsleiterhaftung im IZVR, S. 52 f.; im Umkehrschluss auch Wansleben, EWS 2016, 72 (76). Dagegen Mock, IPRax 2016, 237 (239). 208 HCL/Behrens/Hoffmann, Bd. I, Einleitung Rn. B 135; Freitag, ZIP 2014, 302 (304 f.); Haubold, IPRax 2002, 157 (162); Mankowski/Müller/Schmidt, EuInsVO Art. 6 Rn. 10. 209 Gröning, Gesellschafter- und Geschäftsleiterhaftung im IZVR, S. 52; Wansleben, EWS 2016, 72 (76). 210 Gröning, Gesellschafter- und Geschäftsleiterhaftung im IZVR, S. 53. 211 Kindler, EuZW 2016, 136 (138). 212 EuGH, 22. 02. 1979, Rs. 133/78 (Gourdain/Nadler), ECLI:EU:C:1979:49 Rn. 26 = BeckRS 2004, 71542; EuGH, 04. 12. 2014, Rs. C-295/13 (H), ECLI:EU:C:2014:2410 Rn. 18 f. = IPRax 2015, 548 (549). 213 Entgegen Gröning, Gesellschafter- und Geschäftsleiterhaftung im IZVR, S. 53. 214 Zutreffend Thole, IPRax 2019, 483 (485).

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3. Kap.: Die Rechtssache Kornhaas

weil die Rechtsgrundlage an die Zahlungsunfähigkeit anknüpfe, obwohl die Geschäftsführerhaftung auch außerhalb des Insolvenzverfahrens geltend gemacht werden kann.215 Die Abweichung von allgemeinen Regeln erkennt er also nicht so sehr im insolvenzverfahrensrechtlichen Ursprung des § 64 S. 1 GmbHG a. F. (jetzt § 15b Abs. 1, 4 InsO), sondern darin, dass die Haftungsklage auf der Zahlungsunfähigkeit und somit auf der materiellen Insolvenz beruht.216 In diesem Sinne steht auch das Urteil NK. Es betrifft ebenfalls die Abgrenzung zwischen EuInsVO und Brüssel Ia-VO bei Haftungsklagen.217 Der EuGH betonte in diesem abermals, dass das ausschlaggebende Kriterium zur Bestimmung des Gebiets, dem eine Klage zuzurechnen ist, nicht deren prozessualer Kontext sei, sondern deren Rechtsgrundlage in den abweichenden Sonderregeln für Insolvenzverfahren.218 Diese Sichtweise findet sich auch in anderen Urteilen: Das Kriterium der Unmittelbarkeit i. S. v. Art. 6 EuInsVO ist im Rahmen der Zuständigkeit nicht anhand des prozessualen Kontextes der Klage zu bestimmen, sondern anhand deren Rechtsgrundlage.219 bb) Fehlender Gleichlauf bei der Zuständigkeit Erst die weitergehende Auseinandersetzung mit der EuGH-Judikatur wird zeigen, inwieweit ein eröffnetes oder nicht (mehr) eröffnetes Insolvenzverfahren – insbesondere bei eigenständigen Erkenntnisverfahren mit Insolvenzbezug nach Art. 6 Abs. 1 EuInsVO – Auswirkung auf die kollisions- und zuständigkeitsrechtliche Qualifikation von Haftungsansprüchen entfaltet. Hier geht es vor allem um die Frage, ob nach den zu ermittelnden Schlussfolgerungen für das Erfordernis der Verfahrenseröffnung zwischen der kollisionsrechtlichen Anknüpfung und der internationalen Zuständigkeit zu differenzieren ist. Ausgangspunkt ist dabei die in H getroffene Feststellung, dass eine auf § 64 GmbHG a. F. (jetzt § 15b InsO) gestützte Klage, die außerhalb eines Insolvenzverfahrens erhoben wird, nicht zwingend in den Anwendungsbereich der EuInsVO fallen muss.220

215 EuGH, 10. 12. 2015, Rs. C-594/14 (Kornhaas), ECLI:EU:C:2015:806 Rn. 16 ff. = NJW 2016, 223 (224). 216 Bereits oben Kap. 3 § 6 B. II. 2. b). 217 EuGH, 06. 02. 2019, Rs. C-535/17 (NK), ECLI:EU:C:2019:96 = IPRax 2019, 518. 218 EuGH, 06. 02. 2019, Rs. C-535/17 (NK), ECLI:EU:C:2019:96 Rn. 28, 34 = IPRax 2019, 518 (520). 219 EuGH, 04. 09. 2014, Rs. C-157/13 (Nickel & Goeldner), ECLI:EU:C:2014:2145 Rn. 27 = NZI 2014, 919 (921); EuGH, 09. 11. 2017, Rs. C-641/16 (Tünkers France), ECLI:EU: C:2017:847 Rn. 22 = ZIP 2017, 2275 (2276); EuGH, 20. 12. 2017, Rs. C-649/16 (Valach), ECLI:EU:C:2017:986 Rn. 29 = NJW 2018, 843 (844); EuGH, 21. 11. 2019, Rs. C-198/18 (CeDe Group), ECLI:EU:C:2019:1001 Rn. 31 = ZIP 2019, 2360 (2361); EuGH, 04. 12. 2019, Rs. C-493/18 (Tiger), ECLI:EU:C:2019:1046 Rn. 27 = ZIP 2020, 80 (82). 220 EuGH, 04. 12. 2014, Rs. C-295/13 (H), ECLI:EU:C:2014:2410 Rn. 25 = IPRax 2015, 548 (550).

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In H erkannte der EuGH die von der Eröffnung des Insolvenzverfahrens unabhängige Einordnung als Annexklage nur in dem Fall an, dass die Klage jedenfalls „tatsächlich“ im Rahmen eines Insolvenzverfahren erhoben wurde.221 Das Vorliegen eines Kollektivverfahrens wurde damit offenbar doch wieder zur Bedingung gemacht.222 Für Annexklagen ist jedoch kein Gleichlauf zwischen kollisionsrechtlicher Anknüpfung nach Art. 7 EuInsVO und der Zuständigkeit nach Art. 6 Abs. 1 EuInsVO auszumachen. Die Zuständigkeit für eine Annexklage im nicht (mehr) eröffneten Insolvenzverfahren kann sich bei feststehender insolvenzrechtlicher Qualifikation und bei Annahme eines „partiellen Auslegungszusammenhangs“ nicht nach der EuInsVO richten. Das Vorliegen eines Insolvenzverfahrens ist hier zunächst schon wegen des Wortlauts des Art. 6 Abs. 1 EuInsVO erforderlich. Nach diesem sind die Gerichte des Mitgliedstaats für die Annexklagen zuständig, in dessen Hoheitsgebiet das Insolvenzverfahren nach Art. 3 EuInsVO eröffnet worden ist. In der englischen Fassung heißt es gleichlautend „have been opened“, in der französischen „a été ouverte“. Der Fall der Nichteröffnung des Insolvenzverfahrens ist demnach nicht vom Wortlaut des Art. 6 Abs. 1 EuInsVO erfasst.223 Das wirft die Frage auf, ob es eine Annexklage bei Nichteröffnung eines Insolvenzverfahrens überhaupt geben kann. Annexklagen, die nach Beendigung eines Insolvenzverfahrens erhoben werden, ließen sich dagegen mit dem Wortlaut des Art. 6 Abs. 1 EuInsVO vereinbaren, da in diesem Fall ein Insolvenzverfahren in einem Mitgliedstaat zuvor eröffnet worden ist. Dies lehnt Gröning mit dem Argument ab, dass der Zweck des Art. 6 Abs. 1 EuInsVO – Verbesserung der Effizienz und Beschleunigung des Insolvenzverfahrens – gegen die Annahme einer Annexklage nach Beendigung des Insolvenzverfahrens spreche.224 Dafür spricht jedoch die judikatorische Sichtweise, dass die Verfahrensbeendigung eine insolvenznahe Klage nicht ausschließe.225 Wenn man daher eine Annexklage nach Beendigung eines Insolvenzverfahrens zur Anwendung gelangen lassen sollte, warum nicht auch im Fall der Nichteröffnung? Insolvenzbezug kann in beiden Fällen gegeben sein, ganz unabhängig vom Stand eines etwaigen Insolvenzverfahrens. Gleichwohl ist ein solches in beiden Fällen für die Zuständigkeit nach Art. 6 Abs. 1 EuInsVO erforderlich. Denkt man im Falle der Nichteröffnung beispielsweise an eine analoge Anwendung des Art. 6 Abs. 1 EuInsVO,226 müssten zunächst die Analogievoraussetzungen hierfür erfüllt sein. Doch schon das Vorliegen einer planwidrigen Regelungslücke lässt Zweifel aufkommen. Denn für den Fall des nichteröffneten Insolvenzverfahrens würden die Zuständig221 EuGH, 04. 12. 2014, Rs. C-295/13 (H), ECLI:EU:C:2014:2410 Rn. 20 = IPRax 2015, 548 (550). 222 So auch Grompe, Die vis attractiva concursus im Europäischen Insolvenzrecht, S. 244. 223 Bork, in: FS Beck, S. 49 (52); Bramkamp, KTS 2015, 421 (435); Gröning, Gesellschafter- und Geschäftsleiterhaftung im IZVR, S. 49. 224 Gröning, Gesellschafter- und Geschäftsleiterhaftung im IZVR, S. 50. 225 EuGH, 02. 07. 2009, Rs. C-111/08 (Alpenblume), ECLI:EU:C:2009:419 Rn. 30 = ZIP 2009, 1441 (1442); Vallender/Hänel, EuInsVO Art. 6 Rn. 15 m. w. N. bei Fn. 46. 226 So Weber, Gesellschaftsrecht und Gläubigerschutz im IZVR, S. 118.

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3. Kap.: Die Rechtssache Kornhaas

keitsregelungen der Brüssel Ia-VO zur Verfügung stehen. Zudem müsste wohl auch eine vergleichbare Interessenlage abgelehnt werden.227 Das Regelungsziel des Art. 6 Abs. 1 EuInsVO ist auf Verfahrenskonzentration gerichtet, mithin auf eine größere Effizienz des Gesamtverfahrens und engere Sach- und Beweisnähe des Gerichts im Eröffnungsstaat.228 Keller bezeichnet Art. 6 Abs. 1 EuInsVO daher als „das prozessuale Gegenstück zur Kollisionsnorm des Art. 7 EuInsVO“229. Bei Fehlen eines Insolvenzverfahrens lässt sich dieser Regelungszweck erkennbar nicht erfüllen. Damit fällt es schwer, Art. 6 Abs. 1 EuInsVO entgegen seines Wortlauts auf die Fälle der Nichteröffnung oder zwischenzeitlichen Beendigung auszudehnen.230 In diesem Sinne verdeutlichte auch der EuGH mit seinem Urteil in der Rechtssache NK231 die prinzipiell eng auszulegende Reichweite der Annexkompetenz.232 Als ein maßgebliches Kriterium für die Annahme einer Annexkompetenz nannte er die Abhängigkeit einer Klage von der Eröffnung eines Insolvenzverfahrens.233 Für den hier beschriebenen weiten Gleichlauf bei der Anknüpfung folgt daraus im Hinblick auf die Zuständigkeit eine Einschränkung von Gesetzeswegen. Zum selben Ergebnis kommt auch Grompe234. Diese argumentiert jedoch, dass die Bedingung des Insolvenzverfahrens von den Kriterien der Unmittelbarkeit und des engen Zusammenhangs getrennt sei und infolgedessen nicht auf die Formulierung zur Qualifikation von Annexverfahren, sondern auf die Rechtsfolge im konkreten Einzelfall abgestellt werde. Das Vorliegen eines eröffneten Insolvenzverfahrens sei damit kein Merkmal des Anknüpfungsgegenstands, sondern ein Teil des Anknüpfungsmoments in der Rechtsfolge.235 Betrachtet man die kodifizierte Abgrenzungsformel für die Annexkompetenz in Art. 6 Abs. 1 EuInsVO im Ganzen, umfasst diese bei wörtlicher Auslegung zwei voneinander zu trennende, kumulative Voraussetzungen. Als formelles Kriterium i. S. d. ersten Voraussetzung ist zunächst an ein eröffnetes und noch nicht beendetes Insolvenzverfahren zu denken. Die zweite Voraussetzung kann als materiell-rechtliches Kriterium in Form eines insolvenzspezifischen Zwecks gedeutet werden.236 In 227 Gröning, Gesellschafter- und Geschäftsleiterhaftung im IZVR, S. 49; Weber, Gesellschaftsrecht und Gläubigerschutz im IZVR, S. 119. 228 Kindler/Wendland, RIW 2018, 245 (248); statt vieler BeckOK-InsO/Mock, EuInsVO Art. 6 Rn. 1. 229 Keller, NZI 2021, 110 (111 f.). 230 Zum selben Ergebnis kommt auch Gröning, Gesellschafter- und Geschäftsleiterhaftung im IZVR, S. 50. 231 EuGH, 06. 02. 2019, Rs. C-535/17 (NK), ECLI:EU:C:2019:96 = IPRax 2019, 518. 232 So auch Schmidt, ZInsO 2019, 995 (998). 233 EuGH, 06. 02. 2019, Rs. C-535/17 (NK), ECLI:EU:C:2019:96 Rn. 36 = IPRax 2019, 518 (520). 234 Grompe, Die vis attractiva concursus im Europäischen Insolvenzrecht, S. 244 f. 235 Grompe, Die vis attractiva concursus im Europäischen Insolvenzrecht, S. 244 f. 236 Mankowski/Müller/Schmidt, EuInsVO Art. 7 Rn. 81; hierzu auch Freitag, ZIP 2014, 302 (304 ff.).

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konsequenter Anwendung würde dies bedeuten, dass eine insolvenzrechtliche Qualifikation nach Art. 6 Abs. 1 EuInsVO nur dann in Betracht kommt, wenn ein Insolvenzverfahren durchgeführt wird. Dann kann man aber ein weites Verständnis des Insolvenzbereichs nicht mehr ohne Weiteres annehmen. Soweit der EuGH in der Entscheidung H erklärte, dass eine auf § 64 GmbHG a. F. (jetzt § 15b InsO) gestützte Klage, die außerhalb eines Insolvenzverfahrens erhoben wird, gegebenenfalls auch in den Anwendungsbereich des internationalen Zuständigkeitsrechts der EuGVVO fallen könne,237 ist fraglich, ob allein aus dieser Aussage auf ein neuerdings enges Verständnis des EuGH geschlossen werden kann. Zuständigkeitsrechtlich kann es vor dem Hintergrund des genannten Telos der Regelung durchaus Sinn machen, danach zu differenzieren, ob ein Insolvenzverfahren eröffnet wurde. Für die kollisionsrechtliche Anknüpfung spielt dies hingegen keine Rolle, sofern man aufgrund des beschriebenen Auslegungszusammenhangs von Art. 7 auf Art. 6 Abs. 1 EuInsVO schließen kann. Eine kumulative Anwendung der Merkmale des Art. 6 Abs. 1 EuInsVO ist damit jedenfalls für die Qualifikation nicht erforderlich. Vielmehr ist ein differenzierender Ansatz zu verfolgen: Die fehlende Eröffnung eines Insolvenzverfahrens steht einer insolvenzrechtlichen Einordnung des der Klage zugrunde liegenden Anspruchs nicht entgegen. Für die Zuständigkeit nach Art. 6 Abs. 1 EuInsVO ist ein eröffnetes Insolvenzverfahren hingegen zwingend erforderlich.238 Die Eröffnung des Insolvenzverfahrens als Abgrenzungskriterium spielt demnach nur eine zuständigkeitsbegründende Rolle. Für die Unabhängigkeit des Annexbegriffs von der Verfahrenseröffnung ist dagegen Grompe.239 Entscheidend für die hier betreffende Qualifikation von insolvenznahen Haftungsinstrumenten ist dagegen vor allem der materiell-rechtliche Gehalt des der Klage zugrundeliegenden Anspruchs. Nicht mehr und nicht weniger wollte wohl auch der EuGH durch seine zurückhaltende Formulierung240 („kann“) zum Ausdruck bringen. Die Zurückhaltung kommt etwa auch in der englischen und französischen Fassung des Urteils zum Ausdruck. Hier ist an entsprechender Stelle von „may“ und „est susceptible“ die Rede. Sie spricht zunächst gegen einen Automatismus, wonach eine insolvenzrechtliche Qualifikation immer dann ausgeschlossen ist, wenn kein Insolvenzverfahren durchgeführt wird.241 Die Nichteröffnung oder zwischenzeitliche Beendigung eines Insolvenzverfahrens wirkt sich demnach nicht auf die materiell-rechtliche Qualifikation des Anspruchs aus, wohl aber auf die Zuständigkeit.

237 EuGH, 04. 12. 2014, Rs. C-295/13 (H), ECLI:EU:C:2014:2410 Rn. 25 = IPRax 2015, 548 (550). Hierzu auch Mankowski/Müller/Schmidt, EuInsVO Art. 7 Rn. 81. 238 In diesem Zusammenhang unter Heranziehung des Urteils H Bork, in: FS Beck, S. 49 (56 f.); Piekenbrock, KTS 2015, 379 (402); Wedemann, IPRax 2015, 505 (507). Gegen die Eröffnung des Insolvenzverfahrens als Abgrenzungskriterium ist Schulz, NZG 2015, 146 (148). 239 Grompe, Die vis attractiva concursus im Europäischen Insolvenzrecht, S. 242 ff. 240 EuGH, 04. 12. 2014, Rs. C-295/13 (H), ECLI:EU:C:2014:2410 Rn. 25 = IPRax 2015, 548 (550). 241 So auch Mankowski/Müller/Schmidt, EuInsVO Art. 7 Rn. 81.

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cc) Auseinanderfallen von Qualifikation und Zuständigkeit Wenn nun ein Haftungsanspruch insolvenzrechtlich zu qualifizieren ist, dieser aber außerhalb eines eröffneten Insolvenzverfahrens geltend gemacht wird und damit die Zuständigkeitsregelung nach Art. 6 Abs. 1 EuInsVO nicht greift, es also zu einem Auseinanderfallen von Qualifikation und internationaler Zuständigkeit kommt, folgt daraus die Uneinheitlichkeit des Zuständigkeits- und Kollisionsrechts. Konkret bedeutet das: Wenn der Erstattungsanspruch des § 64 S. 1 GmbHG a. F. (jetzt § 15b Abs. 1, 4 InsO) nicht im Insolvenzverfahren geltend gemacht werden sollte, richtet sich die Zuständigkeit nach der Brüssel Ia-VO und nicht nach der EuInsVO.242 Zum Zuge kommen soll dann Art. 7 Nr. 1 oder Nr. 2 Brüssel Ia-VO. Bei der Zuweisung besteht keine Einigkeit.243 Der EuGH hat sich hierzu im Urteil H nicht positioniert.244 Kollisionsrechtlich ist jedoch der materiell-rechtliche Charakter der Norm auch bei fehlender Verfahrenseröffnung den Sonderregeln für Insolvenzverfahren zuzuordnen. Die Möglichkeit, den Anspruch auch bei Nichteröffnung eines Insolvenzverfahrens zur Anwendung bringen zu können, fällt für die Qualifikation nicht weiter ins Gewicht. Dies muss konsequenterweise auch für alle anderen Haftungsansprüche gegen Geschäftsleiter gelten.245 Als Folge dieser Struktur kommt es zu einer Überschneidung zwischen den in der Brüssel Ia-VO und EuInsVO enthaltenen Rechtsvorschriften. Der in Art. 1 Abs. 2 lit. b Brüssel Ia-VO enthaltene Begriff „Konkurs“ kollidiert mit dem Begriff des „Insolvenzbereichs“ des Art. 7 EuInsVO. Das Ziel, dass alle von der EuInsVO erfassten Streitigkeiten zuständigkeitsrechtlich unter die Bereichsausnahme des Art. 1 Abs. 2 lit. b der Brüssel Ia-VO

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Noch zu Art. 3 Abs. 1 EuInsVO 2000 Bork, in: FS Beck, S. 49 (57); Czaplinski/Knodel, GWR 2015, 16; Freitag, ZIP 2014, 302 (305); Haas, NZG 2010, 495 (497); Vallender/Hänel, EuInsVO Art. 6 Rn. 9 ff.; Thole, ZIP 2012, 605 (607) bei Fn. 16; Wais, IPRax 2011, 138 (140) mit Fn. 27; Wedemann, ZEuP 2014, 861 (869); dies., IPRax 2015, 505 (507); a. A. Gruber, in: Ahrens/Gehrlein/Ringstmeier, InsR, 3. Auflage, Anhang I EuInsVO 2000 Art. 1 Rn. 31, Art. 4 Rn. 57 f.; Schulz, NZG 2015, 146 (148). 243 Für Art. 7 Nr. 1 Brüssel Ia-VO sind etwa OLG München, 25. 06. 1999 – 23 U 4834/98, juris Rn 20 = NZG 1999, 1170 (1171); OLG Düsseldorf, 18. 12. 2009 – I-17 U 152/08, juris Rn. 21 ff. = IPRax 2011, 176 (177 f.); Wieczorek/Schütze/Gebauer, ZPO, Bd. 13/2 Brüssel IaVO, Art. 7 Rn. 24; Gröning, Gesellschafter- und Geschäftsleiterhaftung im IZVR, S. 225; Baumbach/Hueck/Haas, GmbHG § 64 Rn. 38; Haubold, IPRax 2000, 375 (378); Willemer, Vis attractiva concursus und die EuInsVO, S. 264. Für Art. 1 Nr. 2 Brüssel Ia-VO sind dagegen OLG Karlsruhe, 22. 12. 2009 – 13 U 102/09, juris Rn. 24 = IPRax 2011, 179 (181); Zöller/ Geimer, EuGVVO (LugÜ), Art. 1 Rn. 60, Art. 7 Rn. 55; MüKo-ZPO/Gottwald, Bd. 3, Internationales und Europäisches ZPR, Brüssel Ia-VO Art. 7 Rn. 48; Rauscher/Leible, EuZPR/ EuIPR, Bd. I, Brüssel Ia-VO Art. 7 Rn. 26a, 110; Osterloh-Konrad, JZ 2014, 44 (47); Wais, IPRax 2011, 138 (142); Wedemann, ZEuP 2014, 867 (877); Wegen/Asbrand, IWRZ 2016, 248 (250). 244 EuGH, 04. 12. 2014, Rs. C-295/13 (H), ECLI:EU:C:2014:2410 Rn. 13, 33 = IPRax 2015, 548 (549, 551). 245 So auch explizit Gröning, Gesellschafter- und Geschäftsleiterhaftung im IZVR, S. 72.

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fallen,246 wird infolgedessen nicht erreicht. In der Konsequenz richtet sich die Zuständigkeit für einen insolvenzrechtlich qualifizierten Anspruch bei dieser Fallgestaltung nicht nach der EuInsVO. Auf diese Weise könnte ein sachfremdes Gericht zur Entscheidung berufen werden. Das hier beschriebene System steht damit in direktem Gegensatz zur Rechtsprechung des EuGH, nach der jede Regelungslücke und Überschneidung zwischen den in den betreffenden Verordnungen enthaltenen Rechtsvorschriften vermieden werden soll.247 Die Rechtsprechung lässt sich nicht mit dem verfahrensrechtlichen Charakter der EuInsVO vereinbaren. Deren System möchte die internationale Zuständigkeit mit dem auf Insolvenzverfahren anwendbaren Recht in Einklang bringen. Die vom EuGH entwickelten Ansätze können hingegen zu einem Auseinanderfallen von Qualifikation und Zuständigkeit führen. Eine Entsprechung von ius und forum ist nicht in allen Fällen gewährleistet. Dies sieht mittlerweile auch der EuGH.248 c) Zusammenfassung Indem Art. 7 Abs. 1 EuInsVO das Insolvenzrecht des Staates der Verfahrenseröffnung für maßgeblich erklärt, kommt es nach dem Wortlaut der Norm zu einem Gleichlauf zwischen Zuständigkeit und anwendbarem Recht. Dagegen führt der aus der Kornhaas-Entscheidung abgeleitete Auslegungszusammenhang zwischen Art. 6 Abs. 1 und Art. 7 EuInsVO zu keinem entsprechenden Gleichlauf. Dieser wird durch den Wortlaut sowie durch Sinn und Zweck des Art. 6 Abs. 1 EuInsVO und eine entsprechende Interpretation der EuGH-Rechtsprechung eingeschränkt. Damit ist das Verhältnis von Art. 6 Abs. 1 EuInsVO zu Art. 7 Abs. 1 EuInsVO nicht gänzlich kongruent. Gegen einen differenzierenden Ansatz ist hingegen Mankowski, der klar postuliert: „Unterschiedliche Qualifikationsmaßstäbe und Qualifikationsergebnisse für Anwendungsbereich, Zuständigkeit, Kollisionsrecht und Anerkennung lassen sich weder überhaupt formulieren noch rechtfertigen.“249 Es hat sich jedoch gezeigt, dass bei der Frage nach dem Gleichlauf von internationaler Zuständigkeit und anwendbarem Recht hinsichtlich der Annexverfahren zwischen der Anknüpfung und Zuständigkeit zu differenzieren ist. Gleiches gilt auch für Art. 7 EuInsVO, soweit es zu dessen Anwendung keiner Verfahrenseröffnung bedarf. Für die Anknüpfung ist von einem Gleichlauf auszugehen. Man kann also von der Zuständigkeit für Annexklagen auf die insolvenzrechtliche Qualifikation des der Klage zugrundeliegenden Haftungsanspruchs und weiter auf die kollisionsrechtliche Anknüpfung nach Art. 7 EuInsVO abstellen. Für die Zuständigkeit kann man dagegen nicht von einem derartigen Zusammenhang ausgehen. In diesem Fall lässt sich allein von der in246

Dafür die h. M., Mankowski, NZI 2014, 922; Mörsdorf-Schulte, IPRax 2004, 31 (35); dies., NZI 2008, 282 (285 f.); Schwarz, NZI 2002, 290 (291 f.); Musielak/Voit/Stadler, ZPO, EuGVVO n. F. Art. 1 Rn. 6. 247 Siehe die Nachweise bei Kap. 3 § 6 C. II. 1. 248 Dazu unten Kap. 4 § 8 II. 2. und 3. 249 Mankowski, NZI 2020, 43 (43 f.). Siehe bereits dens., NZI 2019, 304.

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solvenzrechtlichen Qualifikation unter Art. 7 EuInsVO nicht auf die Zuständigkeit nach Art. 6 EuInsVO schließen. Umgekehrt kann aber ein Anspruch, der materiellrechtlich unter Art. 7 EuInsVO fällt, ebenso unter Art. 6 Abs. 1 EuInsVO eingeordnet werden. Die hier betreffenden materiell-rechtlichen Haftungsansprüche können damit vom Anwendungsbereich des Art. 6 Abs. 1 und dem des Art. 7 EuInsVO gleichermaßen umfasst sein. Gröning fragt insoweit zutreffend, warum ein bestimmter Haftungsanspruch für die Zwecke von Art. 6 Abs. 1 EuInsVO anders eingestuft werden sollte als im Bereich des Art. 7 EuInsVO.250 Geht man davon aus, dass die Normen der EuInsVO selbst in einem konvergenten Verhältnis zueinander stehen, ist dieses Ergebnis mit Blick auf die Rechtsnatur des jeweiligen Anspruchs stimmig. Soweit jedoch in der EuInsVO selbst für die internationale Zuständigkeit und das anwendbare Recht grundsätzlich nicht dieselben Qualifikationsmaßstäbe gelten, sind darüber hinaus auch besondere Kollisionsnormen für bestimmte Anknüpfungsgegenstände zu beachten, für die es keine Entsprechung im Zuständigkeitsrecht gibt.251 Die Kollisionsnorm des Art. 7 EuInsVO muss daher nicht die allein maßgebende sein. Dies ändert jedoch nichts am festgestellten Verhältnis zwischen Art. 6 Abs. 1 und Art. 7 EuInsVO.252 Es bleibt dabei, dass der EuGH die Qualifikations- und Zuständigkeitsfrage nicht getrennt behandelt.253 Von der Zuständigkeit kann in beiden Fällen auf die insolvenzrechtliche Qualifikation geschlossen werden. Einzig für die Zuständigkeit nach Art. 6 Abs. 1 EuInsVO kommt es in einem vorherigen Schritt auf das Erfordernis des eröffneten Insolvenzverfahrens an. Die hier beschriebene Systematik führt im Ergebnis zu einem Auseinanderfallen von Qualifikation und Zuständigkeit. Daraus folgt eine Uneinheitlichkeit des Zuständigkeitsund Kollisionsrechts. Diese steht in Widerspruch zur EuInsVO, zu grundlegenden Aussagen des EuGH und zur bislang h. M. Für § 64 S. 1 GmbHG a. F. (jetzt § 15b Abs. 1, 4 InsO) und alle übrigen Haftungsansprüche gegen Geschäftsleiter folgt daraus jedoch nicht, dass sich die Möglichkeit, den Anspruch auch außerhalb eines Insolvenzverfahrens geltend zu machen, negativ auf die Zugehörigkeit des jeweiligen Anspruchs zu den Spezialregelungen für Insolvenzverfahren auswirkt. 4. Zwischenergebnis Die Qualifikation von insolvenznahen Haftungsansprüchen durch den EuGH auf Basis der Abgrenzung zwischen den Zuständigkeitsregeln der Brüssel Ia-VO und der EuInsVO ist rein kasuistisch geprägt. Gleichwohl lassen sich mittlerweile erste allgemeine Konturen zeichnen, anhand derer die anfangs aufgeworfene Frage, wie sich Art. 6 Abs. 1 und Art. 7 EuInsVO und die Qualifikationsmerkmale zueinander 250

Gröning, Gesellschafter- und Geschäftsleiterhaftung im IZVR, S. 53. Mankowski, NZG 2016, 281 (283); Mock, IPRax 2016, 237 (239). 252 Entgegen Mock, IPRax 2016, 237 (239). 253 HCL/Behrens/Hoffmann, Bd. I, Einleitung Rn. B 135; wohl auch Gröning, Gesellschafter- und Geschäftsleiterhaftung im IZVR, S. 52 f.; MüKo-BGB/Kindler, Bd. 13, Internationales Insolvenzrecht, EuInsVO Art. 6 Rn. 8; Mankowski, NZG 2016, 281 (283). 251

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verhalten, beantwortet werden kann. Entscheidend ist für die hier interessierende Anknüpfung materiell-rechtlicher Normen, dass für diese ein Gleichlauf zwischen internationaler Zuständigkeit und anwendbarem Recht auszumachen ist. Für die Abgrenzung von Gesellschafts- und Insolvenzstatut bedeutet dies, dass die Frage nach einer weitergehenden Abgrenzung zwischen Gesellschafts- und Deliktsrecht nur dann in Betracht kommt, wenn die Voraussetzungen einer insolvenzrechtlichen Qualifikation nicht vorliegen und die Klage nicht der EuInsVO, sondern der Brüssel Ia-VO unterfällt. Daher hat die hier vorzunehmende Abgrenzung zunächst auf Grundlage der insolvenzrechtlichen Qualifikation nach Art. 7 und Art. 6 Abs. 1 EuInsVO zu erfolgen. Betrachtet man die Rechtsprechung des EuGH, scheint die insolvenzrechtliche Qualifikation von Ansprüchen immer weiter in den Vordergrund zu treten, was zu einem weiten Anwendungsbereich des Insolvenzstatuts führt. Der Anwendungsbereich der EuInsVO ist entgegen der Feststellung der Rechtsprechung folglich weit auszulegen. Insofern stehen die EuInsVO und Brüssel Ia-VO des europäischen Gesetzgebers gleichrangig nebeneinander. Für die Abgrenzung von Gesellschafts- und Insolvenzstatut kann jedoch, wie sich gezeigt hat, nicht allein auf die Lehren von Kornhaas zurückgegriffen werden. Aus der Entscheidung folgen vielmehr erste Anhaltspunkte, die vor dem Hintergrund der neueren Rechtsprechung zu konkretisieren sind.

III. Anknüpfung an die Insolvenz als materielle Qualifikationsvoraussetzung Für die Entstehung des Anspruchs nach § 64 S. 1 GmbHG a. F. (jetzt § 15b Abs. 1, 4 InsO) ist der Eintritt des Insolvenzgrundes in Form der Zahlungsunfähigkeit gem. § 17 InsO oder der Überschuldung gem. § 19 InsO erforderlich.254 In der Kornhaas-Entscheidung bezieht sich der EuGH unter Verweis auf seine Feststellungen in H auf den Insolvenzgrund der Zahlungsunfähigkeit und stellt fest, „dass eine nationale Bestimmung wie die des § 64 Abs. 2 Satz 1 GmbHG [a. F.] (…) von den allgemeinen Regeln des Zivil- und Handelsrecht abweicht, und zwar wegen der Zahlungsunfähigkeit dieser Gesellschaft. Hieraus leitet der Gerichtshof ab, dass eine auf diese Bestimmung gestützte Klage (…) zu den unmittelbar aus einem Insolvenzverfahren hervorgehenden und in einem engen Zusammenhang damit stehenden Klagen gehört (…)“255. Ob aus diesen Ausführungen ein hinreichend klares Entscheidungskriterium dergestalt folgt, dass die materielle Insolvenz bzw. der Eintritt

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Henssler/Strohn/Arnold, Gesellschaftsrecht, GmbHG § 64 Rn. 21 ff.; Bork/Schäfer/ Bork, GmbHG, § 64 Rn. 4, 6 ff.; Baumbach/Hueck/Haas, GmbHG § 64 Rn. 57; BeckOKGmbHG/Mätzig, § 64 Rn. 20. 255 EuGH, 10. 12. 2015, Rs. C-594/14 (Kornhaas), ECLI:EU:C:2015:806 Rn. 16 = NJW 2016, 223 (224) mit Verweis auf EuGH, 04. 12. 2014, Rs. C-295/13 (H), ECLI:EU:C:2014:2410 Rn. 23 f. = IPRax 2015, 548 (550).

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eines Insolvenzgrundes256 gem. §§ 17, 18 oder § 19 InsO (in diesem Fall der der Zahlungsunfähigkeit nach § 17 InsO) eine Zuordnung des Anspruchs zu den Spezialregelungen für Insolvenzverfahren und infolgedessen die insolvenzrechtliche Qualifikation begründet, wird unterschiedlich beurteilt257. 1. Eintritt eines Insolvenzgrundes als Anspruchsvoraussetzung Nach hier vertretener Auffassung ergibt sich bereits aus der tatbestandlichen Anknüpfung eines Haftungsanspruchs an die (drohende) Zahlungsunfähigkeit oder Überschuldung, mithin an die materielle Insolvenz des Schuldners, eine Abweichung von den allgemeinen Regelungen. Dies gilt unabhängig davon, dass nicht jede dieser Haftungsnormen die gleichmäßige Gläubigerbefriedigung oder rechtzeitige Insolvenzantragstellung in derselben Weise bezweckt.258 Im Ergebnis folgt daraus ein insolvenzrechtliches Qualifikationskriterium,259 das dem Unmittelbarkeitsmerkmal des Art. 6 Abs. 1 EuInsVO zugeordnet werden kann.260 Die Beschränkung auf bestimmte Insolvenzgründe ist dabei nicht geboten, führen doch alle Insolvenzgründe – auch § 18 InsO mit seiner für Organe zumindest im Außenverhältnis fakultativen Antragstellung261 – in vergleichbarer Weise zu einem Bezug des Haftungsanspruchs zum Insolvenzverfahren262 und damit zum Insolvenzrecht im engeren Sinne. Soweit die „Anwendung“263 eines Haftungsanspruchs den Eintritt eines Insolvenzgrundes voraussetzt und damit letztlich unmittelbar an die materielle Insolvenz gekoppelt ist, folgt daraus für dessen Qualifikation grundsätzlich ein insolvenzrechtlicher Zu256 An anderen Stellen des Urteils nimmt der EuGH auch auf die Überschuldung als Haftungsvoraussetzung Bezug, EuGH, 10. 12. 2015, Rs. C-594/14 (Kornhaas), ECLI:EU:C: 2015:806 Rn. 15, 18, 28 = NJW 2016, 223 (223 ff.). 257 Dafür Gröning, Gesellschafter- und Geschäftsleiterhaftung im IZVR, S. 72 ff. und wohl auch Kindler, EuZW 2015, 143; ders., EuZW 2016, 136 (137); Wedemann, IPRax 2015, 505 (506) sieht hierin „ein klares, einfach zu handhabendes Entscheidungskriterium“. Tendenziell dagegen Bramkamp, KTS 2015, 421 (428); Piekenbrock, KTS 2015, 379 (402); Thole, IPRax 2015, 396 (399); Wansleben, EWS 2016, 72 (76). 258 Zu denken ist hierbei etwa an die Insolvenzverursachungshaftung nach § 64 S. 3 GmbHG a. F. (jetzt § 15b Abs. 1 S. 1, Abs. 4 S. 1, Abs. 5 S. 1 InsO) oder an die Existenzvernichtungshaftung gem. § 286 BGB, siehe auch Scholz, ZEuP 2016, 959 (968). 259 Zum selben Ergebnis kommt auch Grompe, Die vis attractiva concursus im Europäischen Insolvenzrecht, S. 245 ff. 260 Siehe zur Verbindung der Kriterien der Unmittelbarkeit und des engen Zusammenhangs mit der materiellen Insolvenz unten Kap. 4 § 8 B. II. 1. a). 261 K. Schmidt InsO/K. Schmidt, InsO § 18 Rn. 10; Nerlich/Römermann/Mönning, InsO, § 18 Rn. 36 ff. 262 Gröning, Gesellschafter- und Geschäftsleiterhaftung im IZVR, S. 73 mit Blick auf die Bestimmung von Annexklagen. 263 So die Formulierung des EuGH in EuGH, 04. 12. 2014, Rs. C-295/13 (H), ECLI:EU:C: 2014:2410 Rn. 22 = IPRax 2015, 548 (550). Zur Bedeutung der „Anwendung“ des Haftungsanspruchs bei § 64 S. 1 und S. 3 GmbHG a. F. Gröning, Gesellschafter- und Geschäftsleiterhaftung im IZVR, S. 73 ff.

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sammenhang. In der Literatur264 wird der EuGH so verstanden, dass es auf die Abhängigkeit der Entstehung des Haftungsanspruchs vom Vorliegen eines Insolvenzgrundes ankommen soll. 2. Reichweite des Qualifikationskriteriums Es fragt sich jedoch, ob allein schon die Abhängigkeit der Anwendung eines Haftungsanspruchs vom Eintritt eines Insolvenzgrundes als entscheidendes Merkmal für eine insolvenzrechtliche Zuordnung des Anspruchs sprechen kann, oder ob dafür noch weitere materielle Anforderungen hinzutreten müssen.265 a) Kein Erfordernis weiterer materieller Anforderungen Teilweise wird vertreten, das Kriterium allein würde zu einer (zu) weitreichenden insolvenzrechtlichen Einordnung von Haftungstatbeständen führen.266 Hinzukommen müssten daher weitere Indizien, die eine entsprechende Zuordnung begründen. Soweit der EuGH im Kornhaas-Urteil als weiteres Argument die Sanktionswirkung des Zahlungsverbots und der Insolvenzantragspflicht für die Nichteröffnung des Insolvenzverfahrens ins Feld führt („Hinzuzufügen ist insoweit“267), lässt sich feststellen, dass dies allein auf die dreigeteilte Argumentationslinie268 des EuGH für die insolvenzrechtliche Qualifikation zurückzuführen ist und sich nicht explizit auf das Kriterium des Vorliegens eines Insolvenzgrundes bezieht. Festzuhalten ist daher, dass bereits die tatbestandliche Anknüpfung einer Haftungsnorm an die Insolvenz bzw. an einen Insolvenzgrund eine insolvenzrechtliche Qualifikation begründet.269 Dies folgt auch aus der Einschränkung des Kornhaas-Urteils. In diesem betonte der EuGH, die Entscheidung zur internationalen Zuständigkeit für Klagen nach § 64 S. 1 GmbHG a. F. (jetzt § 15b Abs. 1, 4 InsO) in H „insbesondere“ auf die Zahlungsunfähigkeit der Gesellschaft gestützt zu haben und eben „wegen der Zahlungsunfähigkeit“ zu einem Abweichen von den allgemeinen Regeln des Zivil- und Handelsrechts gelangt zu sein.270 Die Ausführungen des EuGH sind eindeutig und 264 Bork, in: FS Beck, S. 49 (56); Gröning, Gesellschafter- und Geschäftsleiterhaftung im IZVR, S. 76; Piekenbrock, KTS 2015, 379 (402); Wedemann, IPRax 2015, 505 (506). 265 So Bramkamp, KTS 2015, 421 (428) mit Blick auf das Annexverfahren i. S. d. EuInsVO und Scholz, ZEuP 2016, 959 (967 f.). 266 So Thole, IPRax 2015, 396 (399); Wansleben, EWS 2016, 72 (76). Ähnlich Servatius, DB 2015, 1087 (1093). 267 EuGH, 10. 12. 2015, Rs. C-594/14 (Kornhaas), ECLI:EU:C:2015:806 Rn. 18 = NJW 2016, 223 (224). 268 Zur Zusammenfassung der Argumentationsstränge unten Kap. 3 § 6 D. I. 269 So auch schon Gröning, Gesellschafter- und Geschäftsleiterhaftung im IZVR, S. 77; Scholz, ZEuP 2016, 959 (968); Wedemann, IPRax 2015, 505 (506); a. A. Thole, IPRax 2015, 396 (399); Wansleben, EWS 2016, 72 (76). 270 EuGH, 10. 12. 2015, Rs. C-594/14 (Kornhaas), ECLI:EU:C:2015:806 Rn. 16 = NJW 2016, 223 (224).

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abschließend. Sie lassen keinen Raum für das Erfordernis weiterer materieller Anforderungen an die jeweilige Haftungsnorm. b) Keine Wertungsparallele zu Insolvenzanfechtungsklagen Mit Blick auf die im Urteil H aufgeworfene Wertungsparallele271 zwischen einer auf § 64 S. 1 GmbHG a. F. (jetzt § 15b Abs. 1, 4 InsO) gestützten Klage und einer Insolvenzanfechtungsklage nach §§ 129 ff. InsO kamen Stimmen in der Literatur teils zu dem Schluss, dass die insolvenzrechtliche Einordnung des § 64 S. 1 GmbHG a. F. (jetzt § 15b Abs. 1, 4 InsO) nicht allein auf der materiellen Insolvenz der Schuldnergesellschaft zu stützen sei.272 Nur bei teleologischer Vergleichbarkeit oder gar bei Gleichstellung des Haftungsanspruch mit Insolvenzanfechtungsklagen wolle der EuGH zu einer insolvenzrechtlichen Einordnung gelangen. Folgt man dieser Argumentation, würde dies zu einer Einschränkung der Reichweite des beschriebenen Qualifikationskriteriums führen. Nach hier vertretener Ansicht besteht jedoch keine Zuordnungsvoraussetzung in Form einer Wertungsparallele zu Insolvenzanfechtungsklagen.273 Gegenteiliges lässt sich weder aus den Ausführungen in H noch in Kornhaas ableiten. Zur Frage nach der genauen Ausgestaltung der Vergleichbarkeit äußert sich der EuGH in den Urteilen nicht weiter, sodass den Entscheidungen diesbezüglich keinerlei konkrete Anhaltspunkte entnommen werden können.274 Vielmehr scheint es so, dass der EuGH die Vergleichbarkeit mit Insolvenzanfechtungsklagen als weiteren Argumentationsstrang nutzte. Wedemann spricht in diesem Zusammenhang von einer „flankierende[n] Zusatzerwägung“275. c) Ermittlung des Bezugspunkts bei „generalklauselartigen“ Anspruchsgrundlagen Geht es bei der Qualifikationsfrage letztlich um die zivil-, gesellschafts- oder insolvenzrechtliche Zuordnung eines Haftungsanspruchs, kann sich diese Zuordnung entweder auf eine spezielle Anspruchsgrundlage beziehen, oder aber auf einen allgemeinen, „generalklauselartigen“ Haftungsanspruch. Bei speziellen Anspruchsgrundlagen, wie etwa bei § 64 S. 1 GmbHG a. F. (jetzt § 15b Abs. 1, 4 InsO), lässt sich der Bezugspunkt des Qualifikations- bzw. Abgrenzungskriteriums in Form der Anknüpfung an die Insolvenz recht leicht bestimmen. Hier umfasst der Wortlaut jeweils ausdrücklich den Terminus der Zahlungsunfähigkeit. Anders stellt es sich 271 EuGH, 04. 12. 2014, Rs. C-295/13 (H), ECLI:EU:C:2014:2410 Rn. 24 = IPRax 2015, 548 (550). 272 Bramkamp, KTS 2015, 421 (428). 273 So auch schon Gröning, Gesellschafter- und Geschäftsleiterhaftung im IZVR, S. 77; Scholz, ZEuP 2016, 959 (968); Wedemann, IPRax 2015, 505 (506). 274 Gröning, Gesellschafter- und Geschäftsleiterhaftung im IZVR, S. 78; Wedemann, IPRax 2015, 505 (506). 275 Wedemann, IPRax 2015, 505 (506).

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dar, wenn eine Anspruchsgrundlage als „Generalklausel“ verschiedenartige Haftungsinstitute umfasst. Zu denken ist dabei beispielsweise an die auf § 826 BGB gestützte Existenzvernichtungshaftung276. Von Thole erfolgte in diesem Zusammenhang der Hinweis, „dass das allgemeine Zivilrecht etwa in § 280 BGB oder § 823 BGB nicht von der Zahlungsunfähigkeit redet und den Fall der Insolvenz nicht expressis verbis einschließt“277. Worauf bzw. auf was genau ist also das (jeweilige) Qualifikationskriterium in solchen Fällen zu beziehen? Auf die „allgemeine“ Anspruchsgrundlage als solche wohl kaum. Denn eine Zuordnung zu den allgemeinen Regeln des Zivil- und Handelsrechts kann sich nicht schon allein daraus ergeben, dass der Wortlaut der „Generalklausel“ nicht den Eintritt eines Insolvenzgrundes verlangt.278 Die Zuordnung würde sonst mit davon abhängen, ob der nationale Gesetzgeber eine spezielle Anspruchsgrundlage geschaffen hat oder aber eine „Generalklausel“ zur Anwendung berufen sieht.279 Sofern man das hier beschriebene Kriterium auf die Existenzvernichtungshaftung bezieht280, folgt daraus die Zuordnung zu den Spezialregelungen für Insolvenzverfahren. Die Anspruchsentstehung ist zwingend an den Eintritt der Insolvenz in Form der Zahlungsunfähigkeit oder der Überschuldung geknüpft.281 Gegenteilig kann sich das Ergebnis jedoch darstellen, wenn man Thole folgend die Existenzvernichtungshaftung nichtinsolvenzrechtlich einordnet282, sondern die Haftungsfigur aufgrund der Einbettung in ein weiterreichendes Konzept wegen des Vorwurfs der sittenwidrigen Gläubigerschädigung nach § 826 BGB den allgemeinen Regeln des Zivil- und Handelsrechts zuordnet.283 Unter dieser Prämisse ist der Bezugspunkt ein abweichender, der in Folge nicht zur insolvenzrechtlichen Einordnung führt. An dieser Stelle wird deutlich, dass für eine Abgrenzung in einem ersten Schritt der genaue Beurteilungsgegenstand zu bestimmen ist, auf den dann in einem zweiten Schritt das Abgrenzungskriterium anzuwenden ist. Was nun die Bestimmung des Beurteilungsgegenstands anbelangt, ist Gröning der Auffassung, dass diese nur anhand einer wertenden Betrachtung vorgenommen 276

Grundlegend BGH, 16. 06. 2007 – II ZR 3/04, juris = NJW 2007, 2689. Thole, IPRax 2015, 396 (399). 278 Gröning, Gesellschafter- und Geschäftsleiterhaftung im IZVR, S. 80; Thole, IPRax 2015, 396 (399). 279 Ähnlich Gröning, Gesellschafter- und Geschäftsleiterhaftung im IZVR, S. 80 f. 280 So etwa Bork, in: FS Beck, S. 49 (58); Osterloh-Konrad, JZ 2014, 44 (46) mit Fn. 29; Wedemann, IPRax 2015, 505 (508) mit Fn. 57. 281 BGH, 16. 06. 2007 – II ZR 3/04, juris Rn. 16 = NJW 2007, 2689 (2690); BGH, 24. 07. 2012 – II ZR 177/11, juris Rn. 25 = ZIP 2012, 1804 (1806); MüKo-GmbHG/Liebscher, Bd. 1, Anhang zu § 13 Rn. 558 m. w. N. bei Fn. 778; Strohn, ZInsO 2008, 706 (709); Henssler/Strohn/ Verse, Gesellschaftsrecht, GmbHG § 13 Rn. 56. Zuvor beispielsweise schon Bruns, WM 2003, 815 (820); Hoffmann, NZG 2002, 68 (69); Ulmer, ZIP 2001, 2021 (2023). 282 Thole, Gläubigerschutz durch Insolvenzrecht, S. 938; ders., ZEuP 2010, 907 (924); ders., GPR 2014, 113 (115); MüKo-InsO/ders., Bd. 4, EuInsVO 2000 Art. 3 Rn. 130. 283 Thole, Gläubigerschutz durch Insolvenzrecht, S. 938; MüKo-InsO/ders., Bd. 4, EuInsVO 2000 Art. 3 Rn. 130. 277

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3. Kap.: Die Rechtssache Kornhaas

werden könne. Es sei darauf abzustellen, ob ein bestimmtes Haftungsinstitut im Rahmen einer „generalklauselartigen“ Anspruchsgrundlage hinreichende Eigenständigkeit erlangt hat.284 Dies gelte auch für die funktional-teleologische Methode285. Für diese sei zunächst die Zielrichtung der jeweiligen Haftungskonstellation zu bestimmen.286 Richtig hieran ist, dass jeweils der Kerngehalt des betroffenen Haftungsinstituts als Bezugspunkt zu ermitteln ist und es insoweit nicht auf das „weiterreichende Konzept“ einer „Generalklausel“ ankommt (die in ganz unterschiedlichen Zusammenhängen zur Anwendung gelangen kann). Stattdessen sind die Wertungen des jeweiligen Rechtsgebiets mit aufzunehmen und zu verarbeiten. So wird im Rahmen der Existenzvernichtungshaftung nach § 826 BGB das Tatbestandsmerkmal der sittenwidrigen Schädigung durch das Gesellschaftsrecht konturiert und konkretisiert.287 Es liegt in der Natur der Sache, dass der jeweiligen Anspruchsgrundlage für dieses Vorgehen hinreichende Eigenständigkeit zukommen muss. Methodisch ist dann in einem weiteren Schritt wieder allein funktionalteleologisch zu ermitteln, ob der Kerngehalt des Haftungsinstituts mittels seiner Voraussetzungen einen Bezug des Qualifikationskriteriums möglich macht. Für die Existenzvernichtungshaftung führt dieses Vorgehen zu einer insolvenzrechtlichen Qualifikation.288 Das Haftungsinstitut weist hinreichende Eigenständigkeit auf. Es stellt eine „besondere Fallgruppe der vorsätzlichen sittenwidrigen Schädigung“289 dar. Zugleich handelt es sich hierbei um einen Haftungstatbestand, der mitsamt seinen Rechtsfolgen „einer bestimmten generalisierenden Einordnung zugänglich“290 ist.291 Da das eigenständige Haftungsinstitut darüber hinaus an den Eintritt der Insolvenz, mithin an das Vorliegen der Insolvenzgründe der §§ 17, 19 InsO anknüpft, sind die ermittelten Voraussetzungen für die Zuordnung zu den Spezialregelungen für Insolvenzverfahren – und damit für eine insolvenzrechtliche Qualifikation – erfüllt.

D. Ergebnis der kollisionsrechtlichen Einordnung Die kollisionsrechtliche Einordnung der Kornhaas-Entscheidung verdeutlicht die Argumentationslinie des EuGH für die insolvenzrechtliche Qualifikation des § 64 284

Gröning, Gesellschafter- und Geschäftsleiterhaftung im IZVR, S. 82. Zur funktional-teleologischen Qualifikation ausführlich oben Kap. 2 § 3 C. 2. und Kap. 3 § 6 A. II. 286 Gröning, Gesellschafter- und Geschäftsleiterhaftung im IZVR, S. 82. 287 Hk-BGB/Ansgar/Staudinger, BGB § 826 Rn. 19. 288 So auch Gröning, Gesellschafter- und Geschäftsleiterhaftung im IZVR, S. 82. 289 BGH, 16. 06. 2007 – II ZR 3/04, juris Rn. 15 = NJW 2007, 2689 (2690). 290 BGH, 28. 04. 2008 – II ZR 264/06, juris Rn. 25 = NJW 2008, 2437 (2440), der seine Ausführungen zur „Haftung wegen Unterkapitalisierung einer GmbH“ in Bezug zur Existenzvernichtungshaftung trifft. 291 Gröning, Gesellschafter- und Geschäftsleiterhaftung im IZVR, S. 82. 285

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S. 1 GmbHG a. F. (jetzt § 15b Abs. 1, 4 InsO). Sie lässt zugleich allgemeine Schlussfolgerungen für die Qualifikation weiterer Haftungsansprüche gegen Geschäftsleiter zu.

I. Argumentationslinie des EuGH in Kornhaas In einem ersten Schritt rekurriert der EuGH auf die Entscheidung H und die darin getroffenen Feststellungen zur internationalen Zuständigkeit für Klagen aus § 64 S. 1 GmbHG a. F. (jetzt § 15b Abs. 1, 4 InsO). Dabei stützte er die Entscheidung insbesondere auf die Erwägung, dass die nationale Haftungsnorm wegen der Zahlungsunfähigkeit der Gesellschaft von den allgemeinen Regeln des Zivil- und Handelsrechts abweiche. Aus der internationalen Annexzuständigkeit gem. Art. 3 Abs. 1 EuInsVO analog zieht er hingegen keine Schlussfolgerungen für das Insolvenzrecht i. S. d. Art. 7 EuInsVO. Vielmehr fügt er im zweiten Schritt auf teleologischer Ebene die Sanktionswirkung des Zahlungsverbots und der Insolvenzantragspflicht für die Nichteröffnung des Insolvenzverfahrens unter dem Gesichtspunkt der Masseschmälerung an. Als weitere Begründung für die insolvenzrechtliche Qualifikation der Geschäftsleiterhaftung nimmt er sodann Bezug auf die Bestimmung des Art. 7 Abs. 2 S. 1 EuInsVO und dessen effet utile. Um die praktische Wirksamkeit sicherzustellen, sollen in den Anwendungsbereich der Bestimmung die Voraussetzungen für die Eröffnung eines Insolvenzverfahrens, die Regeln für die Bestimmung der zur Stellung des Eröffnungsantrags verpflichteten Personen sowie die Folgen eines Verstoßes gegen diese Verpflichtung fallen. Der dritte und letzte Begründungsansatz liegt in der Feststellung eines Wertungsgleichlaufs zwischen § 64 S. 1 GmbHG a. F. (jetzt § 15b Abs. 1, 4 InsO) und Art. 7 Abs. 2 S. 2 lit. m EuInsVO. Zweck der nationalen Haftungsnorm sei die Verhinderung etwaiger Masseverkürzungen vor Eröffnung des Insolvenzverfahrens. Damit sei die Norm mit der Vorschrift des Art. 7 Abs. 2 S. 2 lit. m EuInsVO zumindest vergleichbar, weil sich diese ebenfalls auf Gläubigerbenachteiligung beziehe. Mit den hier beschriebenen Argumentationssträngen292 konkretisiert der EuGH mithin den Anwendungsbereich der EuInsVO. Die daraus erwachsenden Konsequenzen für die Qualifikation sind indes nicht derart eindeutig.

II. Schlussfolgerungen für die Qualifikation Dennoch lassen sich aus den Urteilen H und Kornhaas für die hier interessierende Anwendung des Art. 7 EuInsVO und für die Einordnung von insolvenzspezifischen Haftungsansprüchen gegen Geschäftsleiter bislang folgende Feststellungen treffen: Einer insolvenzrechtlichen Qualifikation von insolvenzspezifischen Haftungsinstrumenten nach Art. 7 Abs. 1 EuInsVO steht weder der Standort der jeweiligen 292

Zu diesen auch Scholz, ZEuP 2016, 959 (967); Wansleben, EWS 2016, 72 (74).

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3. Kap.: Die Rechtssache Kornhaas

Vorschrift in der nationalen Rechtsordnung noch die Vorwirkung des Haftungsanspruchs auf den Zeitraum vor Eröffnung des Insolvenzverfahrens oder gar die Nichteröffnung eines Insolvenzverfahrens selbst entgegen. Genauso wenig ist die insolvenzrechtliche Qualifikation von der Geltendmachung des Anspruchs durch einen Insolvenzverwalter abhängig. Anhand dieser Merkmale lässt sich folglich nicht abschließend beurteilen, ob der betreffende Anspruch den Spezialregelungen für Insolvenzverfahren in Abgrenzung zu den allgemeinen Regelungen des Zivilund Handelsrechts zuzuordnen ist. Fest steht nur, dass für Insolvenzverfahren und seine Wirkungen i. S. d. EuInsVO ein grundsätzlicher Gleichlauf zwischen der Zuständigkeit nach Art. 3 EuInsVO und dem anwendbarem Recht nach Art. 7 EuInsVO besteht. Für Annexverfahren gilt ebenfalls, dass von der Zuständigkeit nach der EuInsVO auf die insolvenzrechtliche Qualifikation des jeweiligen Haftungsanspruchs geschlossen werden kann. Bei der Frage nach dem Gleichlauf ist hier jedoch ein differenzierender Ansatz zu verfolgen. Schließlich ist weiter festzuhalten, dass als „eindeutiges“ Qualifikationskriterium die Anknüpfung des Haftungsinstituts an die materielle Insolvenz bzw. an den Eintritt eines Insolvenzgrundes ermittelt werden konnte. Ein Haftungsanspruch ist insolvenzrechtlich zu qualifizieren, wenn seine Entstehung vom Eintritt eines Insolvenzgrundes abhängt. Um beurteilen zu können, ob dies der Fall ist, ist in einem vorgelagerten Schritt der genaue Bezugspunkt des jeweiligen Anspruchs zu bestimmen.

III. Erforderlichkeit der Weiterentwicklung Es lässt sich kaum bestreiten, dass die Auslegung und die Anwendung der IPRVorschriften des Unionsrechts meist stark vom jeweiligen Sachverhalt und Kontext abhängig sind und – wie es sich auch hier gezeigt hat – durch einen starken Bezug zum Einzelfall gekennzeichnet sind.293 Soweit aber bei einer entsprechenden Auslegung verschiedene Aspekte in unterschiedlichem Umfang herangezogen werden können, besteht die Gefahr, dass man – je nach Auswahl und Gewichtung der Kriterien – zu verschiedenen Ergebnissen gelangt. Systematische Erwägungen müssen sich daher immer an der Einzelfallkasuistik messen lassen, auch wenn dadurch die Entwicklung abstrakter, allgemeingültiger Grundsätze erschwert wird. Die kollisionsrechtliche Einordnung der Kornhaas-Entscheidung bringt jedoch nicht zuletzt die Notwendigkeit zutage, weitere hinreichende Qualifikationskriterien zu ermitteln und das Verhältnis der Zuständigkeitsregeln der Brüssel Ia-VO und EuInsVO zu bestimmen und fortzuentwickeln. Für die Qualifikationskriterien ist der Blick verstärkt auf die materiell-rechtliche Betrachtung zu lenken.294 Im Sinne der funktionalteleologischen Qualifikation ist ein positiver Indizienkatalog295 für eine insolvenz293 Dazu auch Generalanwalt Bobek, Schlussanträge, 18. 10. 2018, Rs. C-535/17 (NK), ECLI:EU:C:2018:850 Rn. 55 f. = BeckRS 2018, 25258. 294 Ebenso Thole, IPRax 2015, 396 (399). 295 Unten Kap. 4 § 8 B. III.

§ 7 Primärrechtliche Einordnung der Kornhaas-Entscheidung

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rechtliche Qualifikation von Haftungsansprüchen zu erstellen. Dieser soll zur klaren und einfachen Rechtsanwendung beitragen. Hierfür ist erforderlich, die nach dem Kornhaas-Urteil ergangene Rechtsprechung des EuGH in das Gesamtbild der Abgrenzung zwischen Gesellschafts- und Insolvenzstatut einzufügen. Daraus erwächst sodann weitere Klarheit über das Verhältnis von Brüssel Ia-VO und EuInsVO.

§ 7 Primärrechtliche Einordnung der Kornhaas-Entscheidung Nachdem der EuGH mittels Qualifikation die Anwendbarkeit der inländischen Schutzvorschrift des § 64 S. 1 GmbHG a. F. (jetzt § 15b Abs. 1, 4 InsO) auf zugezogene EU-Auslandsgesellschaften bejahte, hatte er in einem zweiten Schritt die Anwendung der Norm auf ihre Unionsrechtskonformität hin zu überprüfen. Hierbei war die Vorlagefrage zu beantworten, ob die Anwendung im Einklang mit der Niederlassungsfreiheit steht. Das Erfordernis der Primärrechtskonformität bildet eine zusätzliche und letztlich entscheidende Hürde, die es unabhängig von der kollisionsrechtlichen Einordnung einer Vorschrift zu überwinden gilt.296 Servatius interpretiert dagegen die primärrechtlichen Anforderungen der Art. 49, 54 AEUV in Art. 7 EuInsVO hinein und zweifelt daher an der Aufspaltung in zwei Vorlagefragen.297 Auch nach der Ansicht von Ulmer und weiteren Autoren können inländische Vorschriften, die unter Art. 7 EuInsVO fallen, schon nicht als Beschränkungen der Niederlassungsfreiheit angesehen werden. Die EuInsVO sei als Sekundärrecht insgesamt mit Art. 49, 54 AEUV zu vereinbaren.298 Eine mögliche Beeinträchtigung der Niederlassungsfreiheit durch die insolvenzrechtliche Qualifikation des § 64 S. 1 GmbHG a. F. (jetzt § 15b Abs. 1, 4 InsO) ist gleichwohl nicht von der Hand zu weisen. Die Regelung schränkt den Geschäftsführer einer EU-ausländischen Gesellschaft in seinen Entscheidungen wegen der drohenden persönlichen Haftung zumindest in Bezug auf die Vornahme von Zahlungen ein. In anderen Mitgliedstaaten unterläge der Geschäftsführer der Gesellschaft diesen Einschränkungen womöglich nicht. Das strengere Haftungsregime macht es für ihn unattraktiver, von ihrem

296 So auch Bayer, in: Lutter/Hommelhoff, GmbHG Kommentar, § 4a Rn. 13; Berner/ Klöhn, ZIP 2007, 106 (111); Ego, IWRZ 2019, 243 (247); Hess, IPRax 2006, 348 (350 f.); Hirte/ Mock, ZIP 2005, 474 (475); Schall, ZIP 2005, 965 (974 f.); ders., NJW 2011, 3745 (3747). A. A. etwa Ringe/Willemer, NZG 2010, 56 (57); Servatius, DB 2015, 1087 (1088); Ulmer, NJW 2004, 1201 (1207 und dort bei Fn. 57); ders., KTS 2004, 291, (295 f.). Zu den vertretenen Ansätzen auch Schall, ZIP 2016, 289 (291). 297 Servatius, DB 2015, 1087 (1088). 298 Ulmer, NJW 2004, 1201 (1207 und dort bei Fn. 57); ders., KTS 2004, 291, (295 f.). In diesem Sinne auch MüKo-BGB/Kindler, Bd. 13, Internationales Handels- und Gesellschaftsrecht Rn. 440; Lieder, DZWIR 2005, 399 (404 f.); Fischer, ZIP 2004, 1477 (1478 f.); Wienberg/ Sommer, NZI 2005, 353 (357).

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3. Kap.: Die Rechtssache Kornhaas

Niederlassungsrecht Gebrauch zu machen.299 So könnte die Gesellschaft durch einzelne nationale Regelungen des Wirtschaftsrechts in der Ausübung ihrer Rechte aus Art. 49, 54 AEUV beschränkt sein. Aus dem kollisionsrechtlichen Anwendungsbefehl für mitgliedstaatliches Recht folgt jedoch, dass der europäische Gesetzgeber in Rechtsunterschieden auf dieser Ebene keinen Verstoß gegen die Niederlassungsfreiheit sieht.300 Betrachtet man das Kornhaas-Urteil im Lichte der Niederlassungsfreiheit, ist dieses im Ausgangspunkt von den Entscheidungen Überseering und Inspire Art abzugrenzen. Auf dieser Grundlage ist zu ermitteln, was aus den Kernaussagen für den Gewährleistungsgehalt und die Reichweite der Grundfreiheit folgt. Die erforderliche Primärrechtskonformität gilt dabei sowohl für die insolvenzrechtliche Qualifikation als auch für die Anknüpfungsregel der EuInsVO. Auch Kollisionsnormen des Sekundärrechts können mit der Niederlassungsfreiheit in Konflikt geraten, sofern sie diskriminierende Anknüpfungskriterien verwenden.301 Bei Art. 7 EuInsVO ist das jedoch nicht der Fall. Die Kollisionsnorm bestimmt für sämtliche Teilnehmer des EU-Binnenmarktes unterschiedslos und in einheitlicher Weise, welches Insolvenzrecht bei der Ausübung ihrer Grundfreiheiten im Binnenmarkt zur Anwendung berufen ist.302 Im Folgenden ist daher von der Primärrechtskonformität der sekundärrechtlichen Regelung des Art. 7 EuInsVO auszugehen. Der Schwerpunkt ist auf die insolvenzrechtliche Qualifikation zu richten. Das zu beachtende Insolvenzrecht des jeweiligen Mitgliedstaates ist anhand des Diskriminierungsverbots zu überprüfen. Insoweit bildet die Keck-Rechtsprechung303 des EuGH zur Warenverkehrsfreiheit nach Art. 34 ff. AEUV die dogmatische Grundlage für die primärrechtliche Einordnung der Kornhaas-Entscheidung.304

A. Begrenzung des Schutzbereichs der Niederlassungsfreiheit durch Kornhaas Auf die Frage nach der Vereinbarkeit der Anwendung des Zahlungsverbots des § 64 S. 1 GmbHG a. F. (jetzt § 15b Abs. 1, 4 InsO) auf EU-ausländische Kapital299

Müller, EWiR 2015, 99 (100); Weller/Schulz, IPRax 2014, 336 (339). Scholz, ZEuP 2016, 959 (971). 301 Berner/Klöhn, ZIP 2007, 106 (111); Ego, IWRZ 2019, 243 (247); Hess, IPRax 2006, 348 (350 f.); Meilicke, GmbHR 2007, 225 (232); Schall, ZIP 2005, 965 (974 f.); ders., NJW 2011, 3745 (3747). Dagegen wohl Fischer, ZIP 2004, 1477 (1478 f.); Lieder, DZWIR 2005, 399 (404 f.); Ringe/Willemer, NZG 2010, 56 (57); Servatius, DB 2015, 1087 (1088); Ulmer, NJW 2004, 1201 (1207 und dort bei Fn. 57); ders., KTS 2004, 291 (295 f.); Wienberg/Sommer, NZI 2005, 353 (357). 302 Ego, IWRZ 2019, 243 (247). 303 EuGH, 24. 11. 1993, Rs. C-267/91 und Rs. C-268/91 (Keck), ECLI:EU:C:1993:905 = NJW 1994, 121. 304 Weller/Hübner, in: FS Pannen, S. 259 (262); kritisch dagegen Ringe, JZ 2016, 573 (576). 300

§ 7 Primärrechtliche Einordnung der Kornhaas-Entscheidung

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gesellschaften mit der Niederlassungsfreiheit gab der EuGH auf den ersten Blick eine klare Antwort. Er negiert den Beschränkungscharakter der hier in Rede stehenden Vorschrift, sofern diese nur nach der Gründung der Gesellschaft im Rahmen ihrer Tätigkeit Anwendung findet.305 Dann nämlich betreffe § 64 GmbHG a. F. (jetzt § 15b InsO) keine der damals in Überseering und Inspire Art behandelten Fragen. Nach dieser Aussage entzündete sich Streit vor allem an der Frage, inwieweit es für die Haftungsnorm maßgeblich ist, dass diese „nach der Gründung der Gesellschaft“ oder „im Rahmen ihrer Tätigkeit“ zur Anwendung kommt. Der EuGH agierte hier im Umgang mit der Niederlassungsfreiheit deutlich zurückhaltender306 als er es noch in zahlreichen vorherigen Entscheidungen zur Sitztrennung tat. Vor dem Hintergrund der vielschichtigen und differenziert geführten Streitigkeiten307 lässt er eine klare Botschaft vermissen.308 Dennoch sind aus dem Abgrenzungsvorgang und den Begründungsschritten309 des EuGH erste Anhaltspunkte für die Erörterung der nach wie vor offenen Fragestellungen zu entnehmen. Einer denkbar weiten Auslegung der Niederlassungsfreiheit auf Grundlage der Urteile Centros, Überseering und Inspire Art, die teils zu der Annahme führte, dass sich eine europäische Auslandsgesellschaft im Zuzugsstaat nicht nach dem dort geltenden Gläubigerschutzrecht richten müsse,310 erteilte der EuGH mit der Kornhaas-Entscheidung eine Absage. Mit Centros und Überseering sorgte er dafür, die Rechtsfähigkeit einer im Gründungsstaat errichteten Kapitalgesellschaft bzw. deren Zweigniederlassung im Zuzugsstaat anzuerkennen311 – und zwar auch dann, wenn dieser weit höhere Anforderungen an die Gründung der Gesellschaft aufstellt. In Inspire Art hob er hervor, dass der Umstand, dass eine Gesellschaft in einem Mitgliedsstaat „nur gegründet wurde, um in den Genuss vorteilhafterer Rechtsvorschriften zu kommen“, keinen Missbrauch darstelle.312 In Abgrenzung dazu begrenzt der EuGH in Kornhaas den Schutzbereich der Niederlassungsfreiheit auf das Recht auf den Fortbestand der Rechtsfähigkeit nach einer grenzüberschreitenden Verwaltungssitzverlegung und auf die Fortgeltung der Mindestkapitalanforderungen im Zuzugsstaat.313 Er begegnet damit einer mittelbaren Beschränkungen der Nieder305 EuGH, 10. 12. 2015, Rs. C-594/14 (Kornhaas), ECLI:EU:C:2015:806 Rn. 28 = NJW 2016, 223 (225). 306 Mankowski, NZG 2016, 281 (284). 307 Hierzu ein Überblick bei Schall, ECFR 2015, 280 (294 ff.); ders., ZIP 2016, 289 (291 f.). 308 Anders Schall, ZIP 2016, 289 (292), der die Botschaft des EuGH für klar und unzweideutig hält. 309 Siehe hierzu auch Kindler, EuZW 2016, 136 (138 f.). 310 Altmeppen, GmbHG vor § 64 Rn. 14; ders., IWRZ 2017, 107 m. w. N. bei Fn. 6. 311 Leible/Hoffmann, RIW 2002, 925 (927 ff.); dies., ZIP 2003, 925; Mankowski, NZG 2016, 281 (284). 312 EuGH, 30. 09. 2003, Rs. C-167/01 (Inspire Art), ECLI:EU:C:2003:512 Rn. 96 = NJW 2003, 3331 (3333). 313 Siehe hierzu oben Kap. 3 § 5 B. II. 2. sowie Altmeppen, GmbHG vor § 64 Rn. 14; Bitter/ Baschnagel, ZInsO 2018, 557 (576 f.); UHL/Casper, Bd. III, § 64 Rn. 34; MAH GmbHRecht/Dostal § 26 Rn. 153 f.; MüKo-AktG/Ego, Bd. 7, Europäische Niederlassungsfreiheit

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3. Kap.: Die Rechtssache Kornhaas

lassungsfreiheit durch Normen des allgemeinen Verkehrsrechts, wie hier durch das Insolvenzrecht.314 Nationale Vorschriften im Anwendungsbereich des Art. 7 EuInsVO sollen nämlich keinen Verstoß gegen die Niederlassungsfreiheit darstellen, soweit sie weder die Rechtsfähigkeit der Schuldnergesellschaft aberkennen noch eine persönliche Haftung des Geschäftsführers an die fehlende Aufbringung des Mindestgarantiekapitals knüpfen.315

B. Übertragung der Keck-Rechtsprechung auf die Niederlassungsfreiheit Geht man im hier betreffenden Zusammenhang dennoch von einer rechtfertigungsbedürftigen Beschränkung der genannten Grundfreiheit aus,316 ließe sich in Abkehr hiervon eine Bereichsausnahme vom Beschränkungsbegriff der Niederlassungsfreiheit in Anlehnung an die Keck-Doktrin zur Warenverkehrsfreiheit annehmen. Voraussetzung ist, dass Haftungsinstrumente nicht-gesellschaftsrechtlichen Vorschriften des Privatrechts zuzuordnen sind.317 In diesem Zusammenhang ruft die Urteilsformulierung „im Rahmen ihrer Tätigkeit“ unweigerlich eine Assoziation mit der Keck-Rechtsprechung hervor. Der EuGH könnte die Vorschrift des § 64 S. 1 GmbHG a. F. (jetzt § 15b Abs. 1, 4 InsO) als Tätigkeitsausübungsregel klassifiziert haben, die – sofern sie erst nach erfolgtem Marktzutritt greift – die Niederlassungsfreiheit nicht beeinträchtigen kann. Hintergrund ist die Feststellung des Gerichtshofs zur Warenverkehrsfreiheit. Vertriebsbezogene Beschränkungen, die sich auf bloße Verkaufsmodalitäten beziehen, sind anders als produktbezogene Beschränkungen, nicht vom Schutzbereich der Grundfreiheit umfasst.318 Bei ersteren Beschränkungen ist dieser letztlich auf ein reines Diskriminierungsverbot319 reduziert.320 Die Grundfreiheiten sollen mithin allein den Marktzugang gewährleisten, die nach erfolgtem Zugang geltenden Spielregeln jedoch nicht durchbrechen.321 Übertragen auf die Niederlassungsfreiheit folgt daraus eine Differenzierung zwischen Rn. 215 ff.; Habersack/Verse, Europäisches Gesellschaftsrecht, § 3 Rn. 20; MüKo-BGB/ Kindler, Bd. 13, Internationales Handels- und Gesellschaftsrecht Rn. 139, 430; ders., EuZW 2016, 136 (138 f.); Mankowski, NZG 2016, 281 (284); EuInsVO/Paulus, Art. 7 Rn. 8; Schall, ZIP 2016, 289 (291 f.); Weller/Hübner, NJW 2016, 225; Wolf, MittBayNot 2018, 510 (516). 314 UHL/Casper, Bd. III, § 64 Rn. 34. 315 EuGH, 10. 12. 2015, Rs. C-594/14 (Kornhaas), ECLI:EU:C:2015:806 Rn. 25 – 28 = NJW 2016, 223 (224 f.); UHL/Casper, Bd. III, § 64 Rn. 34. 316 So etwa Müller, EWiR 2015, 99 (100); Weller/Schulz, IPRax 2014, 336 (339). 317 Kindler, NJW 2007, 1785 (1786 f.); Ulmer, KTS 2004, 291 (295 f.). 318 EuGH, 24. 11. 1993, Rs. C-267/91 und Rs. C-268/91 (Keck), ECLI:EU:C:1993:905 Rn. 16 = NJW 1994, 121. 319 Sogleich unten Kap. 3 § 7 B. I. 1. 320 Hierzu Habersack/Verse, Europäisches Gesellschaftsrecht, § 3 Rn. 7. 321 Mankowski, NZG 2016, 281 (285); Weller/Hübner, NJW 2016, 225; dies., in: FS Pannen, S. 259 (262).

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grundsätzlich grundfreiheitswidrigen Marktzugangsbeschränkungen und Tätigkeitsausübungs- oder Marktrückzugsregeln. Diese stehen entweder bereits außerhalb des Schutzbereichs der Niederlassungsfreiheit oder sind aufgrund der Cassis-Formel322 einer leichteren Rechtfertigung zugänglich.323 Ob und mit welchen Maßgaben diese Rechtsprechung nun auf die Niederlassungsfreiheit zu übertragen ist, ist noch nicht abschließend geklärt. Die Rechtssache Kornhaas rückte diese Thematik wieder in den Mittelpunkt und hat die Frage aufgeworfen, ob aus der Entscheidung die Anerkennung der Keck-Formel in ihrer Ausprägung als Marktzugangskriterium auf die Niederlassungsfreiheit folgt.

I. Beschränkung der Niederlassungsfreiheit Aus Art. 49 Abs. 1 S. 1 i. V. m. Art. 54 AEUV folgt das Verbot der Beschränkung der freien Niederlassung von Gesellschaften. Um die Frage nach der Übertragung der Keck-Grundsätze beantworten zu können, bedarf es zunächst einer Konkretisierung des Beschränkungsbegriffs der Niederlassungsfreiheit mit Blick auf dessen Inhalt, Umfang und das maßgebliche Beurteilungskriterium.324 1. Diskriminierungsverbot Den Kern der Niederlassungsfreiheit bildet das Gebot der Inländergleichbehandlung325. Dieses folgt aus Art. 49 Abs. 2 AEUV. Demnach soll die Behandlung der mitgliedstaatlichen Niederlassungsberechtigten nach den Bestimmungen des Aufnahmestaats für seine eigenen Angehörigen bzw. Gesellschaften ausgestaltet werden.326 Eine grundlose Benachteiligung zuziehender EU-ausländischer Gesellschaften gegenüber nationalen Gesellschaften ist ausgeschlossen. Die Niederlassungsfreiheit ist damit als spezifische Ausprägung des Diskriminierungsverbots des Art. 18 AEUV einzuordnen.327 Dieses wird grundsätzlich weit verstanden.328 Ein Eingriff in den Schutzbereich der Niederlassungsfreiheit kann durch unmittelbare 322 EuGH, 20. 02. 1979, Rs. C-120/78 (REWE-ZENTRAL-AG), ECLI:EU:C:1979:42 = NJW 1979, 1766. 323 MüKo-BGB/Kindler, Bd. 13, Internationales Handels- und Gesellschaftsrecht Rn. 442 ff.; Kindler, EuZW 2016, 136 (138); Mankowski, NZG 2016, 281 (285); Weller/ Hübner, NJW 2016, 225; dies., in: FS Pannen, S. 259 (262). 324 HCL/Behrens/Hoffmann, Bd. I, Einleitung Rn. B 10. 325 EuGH, 21. 06. 1974, Rs. C-2/74 (Reyners), ECLI:EU:C:1974:68 Rn. 24 = NJW 1975, 513 (514). 326 HCL/Behrens/Hoffmann, Bd. I, Einleitung Rn. B 10; Stiegler, in: Jung/Krebs/Stiegler, Gesellschaftsrecht in Europa, § 10 Rn. 25. 327 HCL/Behrens/Hoffmann, Bd. I, Einleitung Rn. B 10; Dauses/Ludwigs/Ludwigs, EUWirtschaftsR-HdB, E. E. I. Grundregeln Rn. 86. 328 Dauses/Ludwigs/Ludwigs, EU-WirtschaftsR-HdB, E. E. I. Grundregeln Rn. 87; Stiegler, in: Jung/Krebs/Stiegler, Gesellschaftsrecht in Europa, § 10 Rn. 25.

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(offene) oder mittelbare (versteckte) Diskriminierungen erfolgen sowie durch Beschränkungen im engeren Sinne.329 Bei der ersten Form der Diskriminierung handelt es sich um eine Anknüpfung an die Staatsangehörigkeit, indem die Eigenschaft der Gesellschaft als ausländischer Rechtsträger eine Rolle spielt.330 Eine mittelbare Diskriminierung erfolgt dagegen durch Vorschriften, die nach ihrem Wortlaut zwar unterschiedslos für in- und ausländische Gesellschaften gelten, rein tatsächlich aber von EU-Ausländern typischerweise wesentlich schwerer zu erfüllen sind.331 2. Allgemeines Beschränkungsverbot Neben dem Verbot von unmittelbaren und mittelbaren Diskriminierungen ausländischer Gesellschaften folgt aus der Rechtsprechung des EuGH auch das Verbot einer generellen Beschränkung der Niederlassungsfreiheit,332 vorbehaltlich etwaiger Rechtfertigungsgründe. Dieses allgemeine Beschränkungsverbot333 richtet sich an die Mitgliedstaaten und erstreckt sich auf alle nicht-diskriminierenden Behinderungen der Niederlassungsfreiheit durch nationale Regelungen oder Maßnahmen.334 In der Folge sind die mitgliedstaatlichen Regelungen im Einklang mit den Vorgaben der Niederlassungsfreiheit auszugestalten und anzuwenden. Konkret gelten als Beschränkung der Niederlassungsfreiheit nach der Formulierung des EuGH „nationale Maßnahmen, die die Ausübung der durch den Vertrag garantierten grundlegenden Freiheiten behindern oder weniger attraktiv machen können“335. Dabei handelt es sich – parallel zum Diskriminierungsverbot – um eine unmittelbare Beschränkung, wenn die Ausübung der Niederlassungsfreiheit behindert wird, und um eine mittelbare Beschränkung, wenn die jeweilige Regelung oder Maßnahme die Ausübung weniger attraktiv macht. Umfasst sind also diejenigen nationalen Regelungen, die auf den Marktzugang oder die Wettbewerbsgleichheit von Gesellschaften

329

Stiegler, in: Jung/Krebs/Stiegler, Gesellschaftsrecht in Europa, § 10 Rn. 26. EuGH, 08. 07. 1999, Rs. C-254/97 (Société Baxter), ECLI:EU:C:1999:368 Rn. 10 = EWS 1999, 343 (344); MüKo-AktG/Ego, Bd. 7, Europäische Niederlassungsfreiheit Rn. 102. 331 Aus der neueren Rechtsprechung EuGH, 01. 06. 2010, Rs. C-570/07 und C-571/07 (Pérez), ECLI:EU:C:2008:138 Rn. 118 ff. = EuZW 2010, 578 (585); HCL/Behrens/Hoffmann, Bd. I, Einleitung Rn. B 10; MüKo-AktG/Ego, Bd. 7, Europäische Niederlassungsfreiheit Rn. 106 f. 332 EuGH, 12. 07. 1984, Rs. C-107/83 (Klopp), ECLI:EU:C:1984:270 Rn. 19 = NJW 1985, 1275 (1276); EuGH, 30. 11. 1995, Rs. C-55/94 (Gebhard), ECLI:EU:C:1995:411 Rn. 39 = NJW 1996, 579 (581); Stiegler, in: Jung/Krebs/Stiegler, Gesellschaftsrecht in Europa, § 10 Rn. 27. 333 Oben Kap. 2 § 4 A. II. 1. 334 HCL/Behrens/Hoffmann, Bd. I, Einleitung Rn. B 11; Dauses/Ludwigs/Ludwigs, EUWirtschaftsR-HdB, E. E. I. Grundregeln Rn. 92; Stiegler, in: Jung/Krebs/Stiegler, Gesellschaftsrecht in Europa, § 10 Rn. 27. 335 EuGH, 30. 11. 1995, Rs. C-55/94 (Gebhard), ECLI:EU:C:1995:411 Rn. 37 = NJW 1996, 579 (581). 330

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innerhalb der EU beeinträchtigend wirken.336 Ausschlaggebend ist mithin die Behinderung des Marktzugangs. In der Entscheidung Inspire Art entschied der Gerichtshof, dass die Aufstellung zusätzlicher, neben dem Recht des Heimatstaates anzuwendender Verpflichtungen insbesondere solcher über das Mindestkapital und Sanktionsmaßnahmen einer gesamtschuldnerischen Haftung, die Ausübung der Niederlassungsfreiheit beschränken.337 Eine entsprechende Wirkung kann Vorschriften des Aufnahmestaates zugewiesen werden, wenn sie die im Herkunftsstaat geltenden Regelungen wiederholen oder gar ergänzen und auf diese Weise zu einer Doppelbelastung führen.338 Nicht ausdrücklich vom EuGH entschieden ist hingegen, ob der niederlassungsrechtliche Beschränkungsbegriff nach den Grundsätzen der Keck-Rechtsprechung zur Warenverkehrsfreiheit einzugrenzen ist.

II. Eingrenzung des niederlassungsrechtlichen Beschränkungsbegriffs Überlegungen zur Übertragung des Marktzugangskriteriums auf die Verkehrsfreiheiten und insbesondere auf die Niederlassungsfreiheit sind nicht neu. Aufgrund der Konvergenz der Grundfreiheiten scheint dieser Weg nicht von vornherein ausgeschlossen zu sein. Es bedarf für eine solche Annahme jedoch zunächst belastbarer Anhaltspunkte in der Rechtsprechung des EuGH. 1. Weite primärrechtliche Interpretation Im Kornhaas-Urteil fand ein Großteil in der Literatur Belege für eine Übertragung. Dieser sprach sich deswegen für die Anerkennung339 des Marktzugangskri336

Eidenmüller, RabelsZ 70 (2006), 475 (479); Grabitz/Hilf/Nettesheim/Forsthoff, Das Recht der EU, Bd. I, AEUVArt. 49 Rn. 95; Dauses/Ludwigs/Ludwigs, EU-WirtschaftsR-HdB, E. E. I. Grundregeln Rn. 92; Stiegler, in: Jung/Krebs/Stiegler, Gesellschaftsrecht in Europa, § 10 Rn. 27. 337 EuGH, 30. 09. 2003, Rs. C-167/01 (Inspire Art), ECLI:EU:C:2003:512 Rn. 99 ff., 105 = NJW 2003, 3331 (3334 f.). 338 HCL/Behrens/Hoffmann, Bd. I, Einleitung Rn. B 11. 339 In diesem Sinne etwa Altmeppen, IWRZ 2017, 107 (110); Roth/ders., GmbHG Vorb. § 64 Rn. 14; MAH GmbH-Recht/Dostal, § 26 Rn. 154; MüKo-AktG/Ego, Bd. 7, Europäische Niederlassungsfreiheit Rn. 408; ders., IWRZ 2019, 243 (247); Habersack/Verse, Europäisches Gesellschaftsrecht § 3 Rn. 20; Kindler, EuZW 2016, 136 (138 f.); ders., DNotz-Sonderheft 2016, 75 (78); MüKo-BGB/ders., Bd. 13, Internationales Handels- und Gesellschaftsrecht, Rn. 139, 430, 441 und Internationales Insolvenzrecht, EuInsVO Art. 7 Rn. 52, 84; ders., in: Kindler/Nachmann/Bitzer, HdB Insolvenzrecht in Europa, § 1. Grundlagen Rn. 27; Weller/ Hübner, NJW 2016, 223 (225); dies., in: FS Pannen, S. 259 (262); tendenziell auch Schall, ZIP 2016, 289 (292) und Verse/Wiersch, EuZW 2016, 330 (331); zurückhaltender Bayer/ Schmidt, BB 2016, 1923 (1931); Bitter/Baschnagel, ZInsO 2018, 557 (576); Böcker, DZWIR 2016, 174 (178); Lutter/Bayer/Schmidt, EuropUR § 7 Rn. 7.59; Mankowski, NZG 2016, 281 (284); Scholz, ZEuP 2016, 959 (971); differenzierend Dauses/Ludwigs/Ludwigs, EU-Wirt-

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teriums aus und nahm eine Einschränkung340 der Reichweite der Niederlassungsfreiheit an. Danach wäre der Beschränkungsbegriff auf Maßnahmen zurückzuführen, die typischerweise den Marktzugang behindern. Marktrückzugsregeln wären dagegen von vornherein ausgenommen. Allerdings hat der EuGH in seinen Ausführungen nicht unmittelbar auf das Kriterium des Marktzugangs abgestellt, sondern auf die Gründung der Gesellschaft. Wie bereits dargelegt, sind hiervon zunächst die gründungsbezogenen Mindestkapitalanforderungen und die daran anknüpfende Haftung betroffen. Konsequent weitergedacht könnte man daraus schlussfolgern, dass die Anwendung aller sonstigen gesellschaftsrechtlichen (aber auch delikts- und insolvenzrechtlichen) Vorschriften eines Zuzugstaates, die nicht unmittelbar auf die Gründung bzw. Anerkennung einer Zweigniederlassung gerichtet sind und die Rechtsfähigkeit in Frage stellen, nicht an der Niederlassungsfreiheit zu messen sind. Nach Kindler etwa begrenzt das Kornhaas-Urteil den Schutzbereich der Niederlassungsfreiheit auf das Recht auf Fortbestand der Rechtsfähigkeit sowie auf die Fortgeltung der Mindestkapitalanforderungen im Zuzugsstaat.341 Bei einer derartigen Interpretation würde es auf die Qualifikation aber letztlich gar nicht mehr ankommen342, soweit Regelungen betroffen sind, die weiter reichen als das bloße Gründungs- und Errichtungsrecht von Kapitalgesellschaften. Das Recht der Unternehmensorganisation von Auslandsgesellschaften könnte durch das Gesellschaftsrecht des Niederlassungsstaates nicht nur mit Blick auf gläubigerschützende oder das Allgemeininteresse berührende Vorschriften überlagert werden. Es könnte auch zu einer umfassenden Anwendung nationaler Gläubigerschutzregeln jenseits der Gründung führen. Denn Tätigkeitsausübungsregeln stellen nach Ansicht des EuGH eine nicht einmal rechtfertigungsbedürftige Beeinträchtigung der Niederlassungsfreiheit dar. Erweitert man das Urteil daher beispielsweise auf gesellschaftsrechtliche Tätigkeitsregelungen,343 folgt daraus eine derart weitreichende Aussage, die wohl kaum beabsichtigt sein dürfte. 2. Eingeschränkte primärrechtliche Interpretation Aus den knappen Urteilsgründen ist nicht klar erkennbar, ob der EuGH die Haftungsnorm des § 64 S. 1 GmbHG a. F. (jetzt § 15b Abs. 1, 4 InsO) als eine Marktausübungsregelung im Sinne der Keck-Rechtsprechung qualifizierte oder aber bei deren Anwendung einen Eingriff in die Niederlassungsfreiheit annahm, der nach

schaftsR-HdB, E. E. I. Grundregeln Rn. 85. A. A. MüKo-InsO/Klöhn, Bd. 1, § 15a Rn. 56; Mock, IPRax 2016, 237 (242); Ringe, JZ 2016, 573 (576); Ulrich, GmbHR 2019, R333 (R334); Wansleben, EWS 2016, 72 (77 f.). 340 Siehe nur Kindler, EuZW 2016, 136 (139); Schall, ZIP 2016, 289 (291). 341 Kindler, EuZW 2016, 136 (139); ähnlich auch Schall, ZIP 2016, 289 (291 f.). Dagegen Wansleben, EWS 2016, 72 (78). 342 In diesem Sinne auch HCL/Behrens/Hoffmann, Bd. I, Einleitung Rn. B 13. 343 Scholz, ZEuP 2016, 959 (972).

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der Cassis-Formel als gerechtfertigt344 anzusehen ist. Daher ist eine eingeschränkte Interpretation des Urteils vorzugswürdig.345 Neben den bereits skizzierten weitreichenden Folgen einer extensiven Interpretation sprechen zunächst formale Aspekte für eine Einschränkung: So erging die Entscheidung durch eine mit lediglich drei Richtern besetzte Kammer. Bei „Bedeutung der Rechtssache“ hätte die Entscheidung nach Art. 60 Abs. 1, 3 VerfOEuGH an die Große Kammer verwiesen werden können. Darüber hinaus verzichtete der Gerichtshof auf die Schlussanträge des Generalanwalts. Das ist nach Art. 20 Abs. 5 der EuGH-Satzung nur möglich, wenn „eine Rechtssache keine neuen Rechtsfragen aufwirft“. Mankowski weist insoweit zurecht darauf hin, dass Schlussanträge von Generalanwälten zu einer kostbaren Ressource geworden seien, die als wichtig eingestuften Fällen vorbehalten blieben.346 Daraus lässt sich schließen, dass der EuGH lediglich bereits etablierte Grundsätze anwenden wollte und keine weitreichende Grundsatzentscheidung getroffen hat.347 Des Weiteren folgt aus der Subsumtion des Sachverhalts unter die in Überseering und Inspire Art etablierten Prinzipien allein die Anwendung der bisherigen Rechtsprechung. Ein Wille zur Abweichung ist nicht erkennbar. Der EuGH hätte bereits mehrfach die Gelegenheit gehabt, die Keck-Rechtsprechung auf andere Grundfreiheiten zu übertragen, hat dies aber insbesondere bei der Niederlassungsfreiheit offengelassen348 und auch hier nicht einmal erwähnt349. Gegen eine umfassende Anwendung nationaler Gläubigerschutzregeln fernab der Gründung spricht bei genauerem Hinsehen außerdem, dass sich der EuGH in seiner Entscheidung auf eine insolvenzrechtlich qualifizierte Haftungsnorm bezieht, und nicht auf eine dem Gesellschaftsstatut unterfallende Regelung.350 In Rn. 28 des Urteils, wo der EuGH den einzigen Bezug zur Tätigkeitsregel im Zusammenhang mit der Anwendung des § 64 S. 1 GmbHG a. F. (jetzt § 15b Abs. 1, 4 InsO) herstellt, verknüpft er eben diese unmittelbar mit der Kollisionsregel des Art. 7 EuInsVO. Betroffen scheint damit nicht das gesamte Tätigkeitsausübungsrecht zu sein, sondern zunächst allein die speziellen Vorschriften des Insolvenzrechts. Der Qualifikation kommt also auch im Zusammenhang mit der Reichweite der Niederlassungsfreiheit entscheidende Bedeutung zu. Dafür spricht ferner, dass das Gesellschaftsrecht des Gesellschaftsstatuts bereits mit der Gründung und unabhängig von der Aufnahme einer Tätigkeit an344

Dafür vor Kornhaas Weller/Schulz, IPRax 2014, 336 (339) und wohl auch Hübner, IPRax 2015, 297 (302). 345 Dafür auch HCL/Behrens/Hoffmann, Bd. I, Einleitung Rn. B 14; Teichmann, ZGR 2017, 543 (566). 346 Mankowski, NZG 2016, 281 (285). 347 In diesem Sinne auch HCL/Behrens/Hoffmann, Bd. I, Einleitung Rn. B 13; Lutter/ Bayer/Schmidt, EuropUR § 7 Rn. 7.59; Mankowski, NZG 2016, 281 (285); Wansleben, EWS 2016, 72 (77). 348 Eidenmüller, in: Eidenmüller, Ausländische Kapitalgesellschaften, § 3 Rn. 14; Ringe, JZ 2016, 573 (576). 349 Bayer/Schmidt, BB 2016, 1923 (1931); Lutter/Bayer/Schmidt, EuropUR § 7 Rn. 7.59. 350 Lutter/Bayer/Schmidt, EuropUR § 7 Rn. 7.59; Scholz, ZEuP 2016, 959 (972).

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wendbar wird und es insoweit auf die Zugehörigkeit zum anzuerkennenden Gesellschaftsstatut ankommt.351 3. Kein neuer Beschränkungsbegriff Nach Kindler folgt aus der Entscheidung hingegen ein neuer Beschränkungsbegriff, der nur diejenigen Hindernisse im Zuzugsstaat umfasse, die den Marktzugang als solchen erschweren.352 Mit der daraus abgeleiteten Einschränkung des Schutzbereichs der Niederlassungsfreiheit ermögliche der EuGH den Mitgliedstaaten, das Recht des Verwaltungssitzes in weitem Umfang anzuwenden und einen Gleichlauf mit dem Insolvenzstatut herzustellen.353 Dass die Kornhaas-Entscheidung einen derart weitreichenden Wendepunkt zu der in Centros, Überseering und Inspire Art entwickelten Rechtsprechung darstellt, lässt sich den kurzen Ausführungen nicht entnehmen. Aus ihr kann nicht geschlussfolgert werden, dass sämtliche Regelungen, die nicht unmittelbar die Gründung bzw. Errichtung von Zweigniederlassungen betreffen, nicht mit der Niederlassungsfreiheit in Konflikt geraten können.354 Auch eine Anerkennung der allgemeinen Anwendung gesellschaftsrechtlicher Normen auf EU-Auslandsgesellschaften lässt sich nicht aus ihr ableiten. Inländische Verkehrsschutznormen sind grundsätzlich weiterhin am Maßstab der Niederlassungsfreiheit zu überprüfen. Gesichert ist nur, dass die Mitgliedstaaten EU-Auslandsgesellschaften nach ihrem Gründungsrecht anerkennen müssen und die zum Gesellschaftsstatut gehörenden Regelungen grundsätzlich am Beschränkungsverbot der Niederlassungsfreiheit zu messen sind.355 Diejenigen Normen, die erst nach der Gründung an die aufgenommene Tätigkeit der Gesellschaft anknüpfen und damit rein tätigkeitsbezogen sind, können die Niederlassungsfreiheit dagegen nicht beeinträchtigen. Mit Blick auf die bereits angesprochene doppelbelastende Wirkung356 von Vorschriften des Aufnahmestaates muss es sich hierbei um einfachbelastende Regelungen handeln. Nur deren Anwendung steht außerhalb des Beschränkungsverbots.357 Vorschriften des allgemeinen Verkehrsrechts der Mit351

HCL/Behrens/Hoffmann, Bd. I, Einleitung Rn. B 13 mit Verweis auf die englische Fassung der Urteilsgründe in Rn. 28 bei Fn. 87: „(…) to the extent that that provision of national law is applicable only after that company has been formed (…)“. 352 Kindler, DNotZ-Sonderheft 2016, 75 (79); MüKo-BGB/ders., Bd. 13, Internationales Handels- und Gesellschaftsrecht Rn. 139. In diesem Sinne auch Verse/Wiersch, EuZW 2016, 330 (331). 353 MüKo-BGB/Kindler, Bd. 13, Internationales Handels- und Gesellschaftsrecht Rn. 139. 354 So auch Wansleben, EWS 2016, 72 (78). Explizit anders Schall, ZIP 2016, 289 (292); zuvor bereits Altmeppen, NJW 2004, 97 (100). 355 HCL/Behrens/Hoffmann, Bd. I, Einleitung Rn. B 13; MüKo-AktG/Ego, Bd. 7, Europäische Niederlassungsfreiheit Rn. 238; Grabitz/Hilf/Nettesheim/Forsthoff, Das Recht der EU, Bd. I, AEUV Art. 54 Rn. 74. 356 Siehe oben Kap. 3 § 7 B. I. 2 und MüKo-AktG/Ego, Bd. 7, Europäische Niederlassungsfreiheit Rn. 132. 357 HCL/Behrens/Hoffmann, Bd. I, Einleitung Rn. B 14.

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gliedstaaten, die lediglich den Rechtsrahmen für den Geschäftsverkehr ausgestalten und durch die rechtlichen Standortbedingungen die Tätigkeit der EU-Auslandsgesellschaften regulieren (wie z. B. das nationale Delikts- und Insolvenzrecht), sind dagegen nur am Verbot direkter oder indirekter Diskriminierung zu messen.358 Bei nichtdiskriminierender Ausgestaltung der betroffenen Regelung, die weder rechtlich noch tatsächlich zwischen In- und Auslandsgesellschaft differenziert, kann eine Doppelbelastung nicht angenommen werden. Denn geht man von der Gründungsbezogenheit des Gesellschaftsrechts aus, bleibt die Auslandstätigkeit vom Verkehrsrecht des Gründungsstaates unberührt.359

C. Insolvenzspezifische Regelungen im Verhältnis zur Niederlassungsfreiheit Als Folge der Kornhaas-Entscheidung ist die Frage zu beantworten, inwieweit die Anwendung insolvenzrechtlicher Haftungsinstrumente (ebenso wie gesellschaftsund deliktsrechtlicher Vorschriften) des Zuzugstaates, die sich nicht unmittelbar auf die Gründung bzw. Errichtung einer Gesellschaft oder Zweigniederlassung beziehen, mit der Niederlassungsfreiheit vereinbar sind. Die primärrechtliche Einordnung und die eingeschränkte Interpretation der Entscheidung bilden hierfür die Grundlage. Es zeichnet sich ab, dass der EuGH die Niederlassungsfreiheit der errichteten Gesellschaft nach Art. 54 Abs. 1 AEUVauf den Fortbestand der Gesellschaft sowie auf den „Kernbestand typus- und mitgliedschaftsprägender Norminhalte“360 beschränkt. Diese betreffen sowohl die Binnenorganisation der Gesellschaft als auch ihre Gesellschafter und Organe. Sofern es sich also bei einer mitgliedstaatlichen Regelung um eine rein tätigkeitsbezogene Beschränkung handelt, die nicht den Marktzugang einer Auslandsgesellschaft behindert und auf eine solche auch nicht stärker einwirkt als auf eine inländische Gesellschaft, wird die Niederlassungsfreiheit nicht beschränkt. Gleiches gilt, wenn mit der Anwendung einer entsprechenden Vorschrift einem kollisionsrechtlich ausgelösten Normenmangel begegnet wird.361 Dies ist etwa der Fall, wenn der Gründungsstaat eine Schutzregelung aufgrund der autonom auszulegenden EuInsVO (gegebenenfalls zu Unrecht) dem Insolvenzrecht und nicht dem Gesellschaftsrecht zuordnet und die Regelung daher im Falle eines ausländischen Insolvenzverfahrens für nicht anwendbar hält. Wenn nun der Staat des tatsächlichen Sitzes der Gesellschaft einen entsprechenden Schutzmechanismus genau umgekehrt qualifiziert – also gesellschafts- und nicht insolvenzrechtlich –, ist aufgrund des lex fori-Prinzips nach Art. 7 Abs. 1 EuInsVO weder der eine noch der 358

MüKo-AktG/Ego, Bd. 7, Europäische Niederlassungsfreiheit Rn. 121, 228 ff.; Grabitz/ Hilf/Nettesheim/Forsthoff, Das Recht der EU, Bd. I, AEUV Art. 54 Rn. 74. 359 HCL/Behrens/Hoffmann, Bd. I, Einleitung Rn. B 14. 360 MüKo-AktG/Ego, Bd. 7, Europäische Niederlassungsfreiheit Rn. 238. 361 Hierzu Eidenmüller, in: Eidenmüller, Ausländische Kapitalgesellschaften, § 3 Rn. 71 ff., § 9 Rn. 33.

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3. Kap.: Die Rechtssache Kornhaas

andere Schutzmechanismus anwendbar. Denn die Auslandsgesellschaft unterliegt auch im Zuzugstaat dem Gesellschaftsrecht ihres Gründungsstaates. Gelangt in einem solchen Fall zur Vermeidung des Normenmangels dennoch das Haftungsrechts des Aufnahmestaates zur Anwendung, ist dies mit der Niederlassungsfreiheit insoweit zu vereinbaren, wie der Anwendung die Funktion einer Lückenschließung zukommt.362 Betrachtet man nun das Verhältnis insolvenzspezifischer Haftungsinstrumente zur Niederlassungsfreiheit, ist im Ausgangspunkt Art. 49 Abs. 1 AEUV heranzuziehen. Danach berechtigt die Niederlassungsfreiheit nur zu Erwerbstätigkeiten „nach den Bestimmungen des Aufnahmestaats für seine eigenen Angehörigen“. Zu diesen Bestimmungen zählen das Delikts- und Insolvenzrecht.363 In Bezug auf insolvenzrechtliche Haftungs- und Schutzinstrumente ist daher bei jeder mitgliedstaatlichen Regelung danach zu fragen, ob diese als eine rein tätigkeitsbezogene Vorschrift klassifiziert werden kann. Bei Bejahung der insolvenzrechtlichen Qualifikation liegt der Schwerpunkt der Vorschrift jedenfalls nicht im gründungsbezogenen Gesellschaftsrecht. Vielmehr knüpfen die autonom qualifizierten insolvenzrechtlichen Regelungen erst nach der Gründung einer Gesellschaft an deren Aktivität an. Sie wirken daher nicht korporativ; ihnen kann wohl meist ein reaktiver Charakter364 zugeschrieben werden. Bei Anwendung insolvenzspezifischer Haftungsinstrumente ist ein Verstoß gegen die Niederlassungsfreiheit folglich zu verneinen. Diese berühren weder die Rechtsfähigkeit einer Gesellschaft noch eine Haftung bei Verfehlen der nationalen Mindestkapitalvorgaben. Dennoch ist jeder insolvenzrechtliche Tatbestand daraufhin zu untersuchen, inwieweit dieser im Rahmen der Tätigkeit der Gesellschaft Anwendung findet. Sonstige insolvenzrechtliche Schutzvorschriften können dagegen auch die werbende Ausrichtung einer Gesellschaft betreffen, da die Eröffnung eines Insolvenzverfahrens hierzulande die Auflösung der Gesellschaft zur Folge hat, § 60 Abs. 1 Nr. 4 GmbHG, § 262 Abs. 1 Nr. 3 AktG. Auch wenn sich dies zunächst nicht unmittelbar auf die Rechtsfähigkeit auswirkt, verliert das Schuldnerunternehmen mit der Eröffnung des Insolvenzverfahrens doch die Befugnis, das zur Insolvenzmasse gehörende Vermögen zu verwalten und über dieses zu verfügen, § 80 InsO. Eine derartige Differenzierung lässt der EuGH vermissen.365 Entsprechenden Regelungen ist daher ebenfalls eine tätigkeitsbezogene Wirkung zuzuschreiben. Dies führt auch in diesem Fall zur Vereinbarkeit mit der Niederlassungsfreiheit.366 Bei Annahme eines beschränkenden Charakters ließe sich die Anwendung einer derartigen mit362

So auch Eidenmüller, in: Eidenmüller, Ausländische Kapitalgesellschaften, § 9 Rn. 33. MüKo-BGB/Kindler, Bd. 13, Internationales Handels- und Gesellschaftsrecht Rn. 436 ff., Internationales Insolvenzrecht, EuInsVO Art. 7 Rn. 84. 364 Dazu noch ausführlich unten Kap. 4 § 8 B. II. 1. b). 365 In Bezug auf die Insolvenzantragspflicht Mock, IPRax 2016, 2377 (242). 366 MüKo-BGB/Kindler, Bd. 13, Internationales Insolvenzrecht, EuInsVO Art. 7 Rn. 84 f.; Mock, IPRax 2016, 2377 (242). A. A. noch Mock/Schildt, in: Hirte/Bücker, Grenzüberschreitende Gesellschaften, § 17 Rn. 73 ff. in Bezug auf die Insolvenzantragspflicht. 363

§ 7 Primärrechtliche Einordnung der Kornhaas-Entscheidung

143

gliedstaatlichen Regelung gegebenenfalls rechtfertigen.367 Behrens/Hoffmann weisen in diesem Zusammenhang jedoch darauf hin, dass sich eine Rechtfertigung bei angenommener Beschränkung kaum begründen lasse. Die Gläubiger seien im Insolvenzfall auch in anderen Mitgliedstaaten vor Masseschmälerungen durch die Geschäftsführer geschützt.368 Die Anwendung der inländischen Regelung sei insoweit nicht erforderlich und daher unverhältnismäßig.369

D. Ergebnis der primärrechtlichen Einordnung Der EuGH überträgt seine Keck-Rechtsprechung in der Kornhaas-Entscheidung nicht auf die Niederlassungsfreiheit. Aus dieser erwächst kein neuer Beschränkungsbegriff. Die festgestellte Unbedenklichkeit der Anwendung nicht-gesellschaftsrechtlicher Normen auf EU-Auslandsgesellschaften entspricht der bereits zuvor im deutschen Schrifttum herrschenden Auffassung. Darüber hinaus bietet die Kornhaas-Entscheidung keine ausreichenden Anhaltspunkte für eine umfängliche Anwendung nationaler, auf dem Gesellschaftsrecht basierender Gläubigerschutzregeln. Auch eine Sonderanknüpfung gesellschaftsrechtlicher Regelungen fernab der Gründung lässt sich aus dem Urteil nicht ableiten.370

367 MüKo-BGB/Kindler, Bd. 13, Internationales Insolvenzrecht, EuInsVO Art. 7 Rn. 85; Mock, IPRax 2016, 2377 (242). 368 HCL/Behrens/Hoffmann, Bd. I, Einleitung Rn. B 144. 369 Hierzu MüKo-AktG/Ego, Bd. 7, Europäische Niederlassungsfreiheit Rn. 405 bei Fn. 185. 370 Scholz, ZEuP 2016, 959 (971 f.); a. A. Schall, ZIP 2016, 289 (295).

4. Kapitel

Ausformung allgemeiner Qualifikationsund Abgrenzungskriterien Nicht erst das Ergebnis der kollisionsrechtlichen Einordnung der KornhaasEntscheidung offenbart das Bedürfnis des Rechtsanwenders, sich im Grenzgebiet zwischen EuInsVO und Brüssel Ia-VO an allgemeinen Prinzipien für die materiellund zuständigkeitsrechtliche Zuordnung von Haftungsansprüchen orientieren zu können. Neben der bereits beschriebenen Rechtsprechung ist für die Ausformung allgemeiner Prinzipien zunächst auf die neueren EuGH-Entscheidungen NK1 und CeDe Group2 einzugehen. Die aus diesen Judikaten abzuleitenden Schlussfolgerungen sind sodann mit den bislang gewonnenen Erkenntnissen aus den Urteilen Kornhaas und H in Bezug zu setzen. Auf diese Weise entsteht ein Gesamtbild über die (wohl noch lange nicht abgeschlossene) Rechtsprechungsentwicklung des EuGH zur Frage nach der insolvenz- bzw. zivil- oder gesellschaftsrechtlichen Qualifikation von Haftungsinstrumenten sowie die damit eng verknüpfte Frage nach der internationalen Zuständigkeit. Dieses Bild soll schließlich als Grundlage der weitergehenden Untersuchung dienen, inwieweit sich im Sinne eines induktiven, fallübergreifenden Lösungsansatzes maßgebliche Qualifikations- und Abgrenzungskriterien für die Grenzzeichnung entwickeln lassen. Der EuGH hat der Praxis bislang nicht den Gefallen getan, einen allgemeinen Lösungsansatz zu formulieren – trotz der zahlreichen Entscheidungen. Gesichert scheint bislang nur, dass es sich bei dieser Materie nach wie vor um einen der umstrittensten und schwierigsten Bereiche des internationalen Insolvenz- und Zivilprozessrechts handelt.3 Einer prinzipiengeleiteten Bewältigung der Problematik kann man daher selbstverständlich kritisch gegenüberstehen.4 Gleichwohl soll an dieser Stelle der Versuch unternommen werden, 1

EuGH, 06. 02. 2019, Rs. C-535/17 (NK), ECLI:EU:C:2019:96 = IPRax 2019, 518. EuGH, 21. 11. 2019, Rs. C-198/18 (CeDe Group), ECLI:EU:C:2019:1001 = ZIP 2019, 2360. 3 Zur zuständigkeitsrechtlichen Abgrenzungsfrage Brinkmann, IPRax 2010, 324 (325 ff.); Fehrenbach, IPRax 2009, 492 (492, 496); Guski, ZIP 2018, 2395; Kindler/Wendland, RIW 2018, 245; Mankowski/Müller/Schmidt, EuInsVO Art. 6 Rn. 1; ders., NZI 2018, 234; Schmidt, ZInsO 2019, 995; zur kollisionsrechtlichen Qualifikationsfrage bei Art. 7 EuInsVO Mankowski, NZG 2016, 281; BeckOK-InsO/Mock, EuInsVO Art. 7 Rn. 70 ff.; ders., IPRax 2016, 237; Vallender/Liersch, EuInsVO Art. 7 Rn. 4; EuInsVO/Paulus, Art. 7 Rn. 3 ff.; Schall, ZIP 2016, 289; Swierczok, jurisPR-InsR 7/2020 Anm. 2. 4 So in Bezug auf die Zuständigkeitsproblematik zuvorderst Mankowski, NZI 2019, 304 (305); ders., NZI 2018, 234 (235) unter Verweis auf die schlicht aneinandergereihten Aufzählungen positiver und negativer Anwendungsfälle etwa bei Vallender/Hänel, EuInsVO Art. 6 2

§ 8 Entwicklung allgemeiner Prinzipien der insolvenzrechtlichen Zuordnung

145

allgemeine Qualifikations- und Abgrenzungskriterien zu entwickeln, auf Basis derer eine Einordnung von Ansprüchen künftig vorgenommen werden kann.

§ 8 Entwicklung allgemeiner Prinzipien der insolvenzrechtlichen Zuordnung Aus der meist rein kasuistisch geprägten Rechtsprechungshistorie des EuGH lässt sich inzwischen ein Bearbeitungsmuster5 ableiten. Zunächst rekapituliert der EuGH seine bisherige Rechtsprechung über mehrere Randnummern hinweg. Diese bildet den breitgefächerten und zugleich unscharfen Obersatz. Als Untersatz wird sodann die konkret zu beurteilende Fallkonstellation skizziert, bevor schließlich die Subsumtion in nur wenigen Randnummern erfolgt.6 Behält der EuGH diese Vorgehensweise bei, ist ein baldiges Ende der zahlreichen, fallorientierten Entscheidungen zu diesem Themenkomplex nicht absehbar. Diesem Umstand soll mit der Ausformung allgemeiner Prinzipien für die einheitliche Zuordnung insolvenznaher Haftungsinstitute entgegengewirkt werden. Im Ergebnis kann so die Einordnung der unter das Insolvenzstatut zu subsumierenden nationalen und ausländischen Rechtsinstitute vereinfacht werden. Da die materielle Frage des auf eine Klage anwendbaren Statuts untrennbar mit der internationalen Zuständigkeit im hier betreffenden Grenzgebiet verknüpft ist, sind diese Aspekte einer gemeinsamen Lösung zuzuführen.

A. Aussagegehalt der aktuellen EuGH-Rechtsprechung Die EuGH-Entscheidungen NK und CeDe Group aus dem Jahr 2019 komplementieren die im dritten Kapitel ausführlich behandelten Urteile Kornhaas und H. Dabei betrifft die Entscheidung NK – wie auch schon zuvor die Entscheidung H – die Reichweite der Annexzuständigkeit nach Art. 6 EuInsVO. In CeDe Group beschäftigte sich der EuGH indes speziell mit dem sachlichen Anwendungsbereich des Art. 7 EuInsVO. Das Urteil steht damit in direktem Bezug zur Kornhaas-Entscheidung.

Rn. 59 f.; Parzinger, GWR 2018, 278; Swierczok, jurisPR-InsR 7/2020 Anm. 2; ebenso Generalanwalt Bobek, Schlussanträge, 18. 10. 2018, Rs. C-535/17 (NK), ECLI:EU:C:2018:850 Rn. 55 ff. = BeckRS 2018, 25258. 5 Mankowski, NZI 2019, 304 (305). 6 Mankowski, NZI 2019, 304 (305).

146

4. Kap.: Ausformung allgemeiner Qualifikations- und Abgrenzungskriterien

I. Urteil NK In der Entscheidung ging es im Kern um die zuständigkeitsrechtliche Qualifikation der sog. Peeters/Gatzen-Klage7 nach niederländischem Recht. Mit diesem Klageinstitut kann der Insolvenzverwalter bei einem Schaden der Gläubigergemeinschaft deliktische oder quasi-deliktische Ansprüche gegen einen an der Benachteiligung beteiligten Dritten geltend machen und Schadensersatz zur Masse verlangen.8 Dies gilt auch dann, wenn dem Insolvenzschuldner selbst kein entsprechender Anspruch zusteht.9 Im konkreten Fall wurde NK zum Insolvenzverwalter über das Vermögen eines niederländischen Gerichtsvollziehers sowie über das Vermögen der von diesem zur Ausübung seiner Tätigkeit gegründeten Gesellschaft bestellt (das Gerichtsvollzieherwesen ist in den Niederlanden privatrechtlich ausgestaltet10). Der Gerichtsvollzieher hatte eingezogene Beträge von einem Anderkonto auf sein eigenes Girokonto bei einer belgischen Bank überwiesen, dort in bar abgehoben und veruntreut. Daraufhin erhob NK im niederländischen Insolvenzverfahren Klage gegen die belgische Bank. Er stützte diese nach den Peeters/GatzenGrundsätzen auf einen Anspruch aus unerlaubter Handlung bzw. auf eine Handlung, die dieser gleichgestellt ist, konkret auf die Verletzung von Überwachungspflichten. Der EuGH hatte nun die Vorlagefrage zu entscheiden, ob es sich hierbei um eine insolvenztypische Annexklage handelt, für deren Zuständigkeit Art. 6 EuInsVO gilt, oder ob es sich um eine Zivilklage handelt, die den Anwendungsbereich der Brüssel Ia-VO eröffnet, Art. 1 Abs. 1, Abs. 2 lit. b Brüssel Ia-VO.11 Zudem wollte der Hoge Raad vom EuGH wissen, ob die Peeters/Gatzen-Klage, wenn sie unter die EuInsVO fallen sollte, auch der lex fori concursus gem. Art. 7 Abs. 1 EuInsVO unterliegt und ob in diesem Fall Art. 16 EuInsVO und/oder Art. 17 Rom II-VO (analog) zu berücksichtigen sind.12 Der EuGH qualifizierte die Klage zivilrechtlich und wies sie dem Anwendungsbereich der Brüssel Ia-VO zu. Damit musste er sich zu den weiteren Vorfragen nicht entscheiden. Diese waren unter der Bedingung einer bejahenden Antwort auf die erste Vorlagefrage gestellt. So wurde abermals eine Chance vertan, Zweifelfragen im Zusammenhang mit der Reichweite von Art. 7 Abs. 1 EuInsVO auszuräumen.13 Denn bei der Eigenhaftung von Veruntreuungs7 Der Hoge Raad der Nederlanden (Oberster Gerichtshof der Niederlande) entwickelte die Peeters/Gatzen-Grundsätze mit Urteil vom 14. 01. 1983, ECLI:NL:HR:1983:AG4521 = NJ 1983, 597. 8 Siehe die Erläuterungen bei Ehret, FD-InsR 2019, 414866; Hübler, NZI 2018, 975; Mankowski, NZI 2019, 304 (305); Schmidt, ZInsO 2019, 995 (996); Thole, IPRax 2019, 483. 9 Ehret, FD-InsR 2019, 414866; Schmidt, ZInsO 2019, 995 (996). 10 Thole, IPRax 2019, 483. 11 Auch diese Entscheidung bezog sich noch auf die EuInsVO 2000 und auf die Auslegung des Art. 1 Abs. 2 lit. b EuGVVO. Zur besseren Nachvollziehbarkeit wird hier stets auf die aktuellen Normen verwiesen. 12 EuGH, 06. 02. 2019, Rs. C-535/17 (NK), ECLI:EU:C:2019:96 Rn. 22 = IPRax 2019, 518 (519). 13 Ebenso Mankowski, NZI 2019, 304 (305).

§ 8 Entwicklung allgemeiner Prinzipien der insolvenzrechtlichen Zuordnung

147

gehilfen ist eine funktionelle Parallele zur insolvenzrechtlichen Einordnung von Ansprüchen aus § 64 GmbHG a. F. (jetzt § 15b InsO) nicht von der Hand zu weisen.14 Während die Ausführungen des EuGH in bekannter Manier recht allgemein und knapp ausfielen, beleuchtete Generalanwalt Bobek in seinen Schlussanträgen ein Teil der zu beantwortenden Fragen recht ausführlich. 1. Schlussanträge des Generalanwalts als Ausgangspunkt Generalanwalt Bobek setzte sich in seinen Schlussanträgen mit den Kriterien des heutigen Art. 6 Abs. 1 EuInsVO auseinander. Er stellte fest, dass sich aus der Rechtsprechung des EuGH bislang nicht eindeutig ergebe, wie die beiden Prüfungskriterien „unmittelbar aus dem Insolvenzverfahren hervorgehen“ und „enger Zusammenhang“ im Einzelfall anzuwenden sind. Dies gelte ebenso für die Definition des genauen Inhalts jedes der beiden Kriterien und ihr Verhältnis zueinander.15 Dennoch könne die Prüfungsreihenfolge mittlerweile präzisiert werden: Ausschlaggebendes Kriterium und erster Teil der Prüfung sei die Rechtsgrundlage der Klage, die sich unmittelbar aus insolvenzrechtlichen Bestimmungen herleitet. Die zweite Prüfungsvoraussetzung des engen Zusammenhangs „würde eher als Verifizierungsinstrument für das auf der Basis des ersten Teils gefundene Ergebnis dienen, nicht aber als eigenständiges Kriterium“16. So ließe sich anhand des zweiten Kriteriums feststellen, ob die Prüfung anhand der Rechtsgrundlage zutreffend ist. Dieses gestatte die Einbeziehung weiterer Elemente des Kontexts. Dass die Verifizierung mithilfe des engen Zusammenhangs in seltenen Fällen das Ergebnis der Prüfung anhand der Rechtsgrundlage außer Kraft setzen kann, will Generalanwalt Bobek aber nicht ausschließen.17 Inhaltlich seien für das Hauptkriterium der Rechtsgrundlage die Umstände, dass der Insolvenzverwalter klagt und der Erlös der Masse zugutekommt, lediglich natürliche und notwendige Konsequenzen eines laufenden Insolvenzverfahrens. Als solche würden sie nichts an der Natur der vom Insolvenzverwalter erhobenen Klage ändern.18 Eine insolvenzspezifische Zuständigkeit könne mit diesen Umständen daher nicht begründet werden. Das Kriterium des engen Zusammenhangs versteht der Generalanwalt als eine „untrennbare Verbindung“, was zu einer „,nur-wegen‘-Prüfung“ führe: Sofern eine Klage neben oder unabhängig von einem

14

Mankowski, NZI 2019, 304 (305); Thole, IPRax 2019, 483 (485 f.). Generalanwalt Bobek, Schlussanträge, 18. 10. 2018, Rs. C-535/17 (NK), 2018:850 Rn. 43 = BeckRS 2018, 25258. 16 Generalanwalt Bobek, Schlussanträge, 18. 10. 2018, Rs. C-535/17 (NK), 2018:850 Rn. 57, 65 ff. = BeckRS 2018, 25258. 17 Generalanwalt Bobek, Schlussanträge, 18. 10. 2018, Rs. C-535/17 (NK), 2018:850 Rn. 65, 69 = BeckRS 2018, 25258. 18 Generalanwalt Bobek, Schlussanträge, 18. 10. 2018, Rs. C-535/17 (NK), 2018:850 Rn. 61 = BeckRS 2018, 25258. 15

ECLI:EU:C: ECLI:EU:C: ECLI:EU:C: ECLI:EU:C:

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4. Kap.: Ausformung allgemeiner Qualifikations- und Abgrenzungskriterien

Insolvenzverfahren erhoben werden könne, bestätige dies, dass keine untrennbare Verbindung zwischen der Klage und dem Insolvenzverfahren besteht.19 Zur Frage, ob die Merkmale kumulativ zu prüfen sind oder ob eines der Merkmale Vorrang genießt, bezog der EuGH trotz dieser Ausführungen keine Stellung. Gleichwohl lässt sich in seinem Urteil eine gewisse Tendenz dahingehend erkennen, dass er das Kriterium des unmittelbaren Hervorgehens aus dem Verfahren in den Vordergrund20 rückt und die beiden Kriterien zugleich weiter verdichtet. Damit folgt er letztlich dem von Generalanwalt Bobek vorgeschlagenen Lösungsweg. 2. Entscheidung des EuGH Die einleitenden Ausführungen des Gerichtshofs wirken nur allzu bekannt. In Anknüpfung an seine ständige Rechtsprechung legt er dar, dass die Brüssel Ia-VO und die EuInsVO so auszulegen seien, dass jede Regelungslücke und Überschneidung zwischen den in diesen Verordnungen enthaltenen Rechtsvorschriften vermieden wird.21 Ferner sei nach der Intension des Unionsgesetzgebers der Anwendungsbereich der Brüssel Ia-VO weit zu fassen, der Anwendungsbereich der EuInsVO müsse hingegen eng ausgelegt werden.22 Weiter betont er, dass das ausschlaggebende Kriterium zur Bestimmung des Gebiets, dem eine Klage zuzurechnen ist, nicht der prozessuale Kontext, sondern die Rechtsgrundlage der Klage sei. Dabei hob der EuGH hervor, dass eine Klageerhebung nach Eröffnung des Insolvenzverfahrens durch den im Rahmen dieses Verfahrens bestimmten Insolvenzverwalters und dessen Handeln im Interesse der Gläubiger nicht zu einer wesentlichen Änderung der Art dieser Klage führe.23 Zudem entscheide sich die Anwendung des Ausschlusses gem. Art. 1 Abs. 2 lit. b Brüssel Ia-VO nach der Enge des Zusammenhangs, der zwischen einer gerichtlichen Klage und dem Insolvenzverfahren besteht.24 Bis hierhin rekapituliert der EuGH seine ständige Rechtsprechung. Sie bildet den konturenschwachen Obersatz für die weitere Prüfung. Entgegen seiner bisherigen Manier lässt er nun aber in den folgenden Ausführungen des Urteils er-

19 Generalanwalt Bobek, Schlussanträge, 18. 10. 2018, Rs. C-535/17 (NK), ECLI:EU:C: 2018:850 Rn. 67 = BeckRS 2018, 25258. 20 So auch Generalanwalt Bobek, Schlussanträge, 18. 10. 2018, Rs. C-535/17 (NK), ECLI: EU:C:2018:850 Rn. 44 = BeckRS 2018, 25258; Ehret, FD-InsR 2019, 414866; Schmidt, ZinsO 2019, 995 (998); Thole, IPRax 2019, 483 (484). 21 EuGH, 06. 02. 2019, Rs. C-535/17 (NK), ECLI:EU:C:2019:96 Rn. 24 = IPRax 2019, 518 (519). 22 EuGH, 06. 02. 2019, Rs. C-535/17 (NK), ECLI:EU:C:2019:96 Rn. 25 = IPRax 2019, 518 (520). 23 EuGH, 06. 02. 2019, Rs. C-535/17 (NK), ECLI:EU:C:2019:96 Rn. 29 = IPRax 2019, 518 (520). 24 EuGH, 06. 02. 2019, Rs. C-535/17 (NK), ECLI:EU:C:2019:96 Rn. 30 = IPRax 2019, 518 (520).

§ 8 Entwicklung allgemeiner Prinzipien der insolvenzrechtlichen Zuordnung

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kennen, was er unter dem „prozessualen Kontext“ versteht und gibt damit erste Anhaltspunkte für eine Induktion. In Bezug auf die Peeters/Gatzen-Klage erläuterte der EuGH, dass deren Merkmale – Klageerhebung durch den Insolvenzverwalter im Interesse aller Gläubiger; Anreicherung der Insolvenzmasse durch den Erlös zugunsten aller Gläubiger; keine Prüfung der individuellen Lage der einzelnen Gläubiger; kein Entgegenhalten von Verteidigungsmitteln des Klagegegners gegenüber dem Verwalter, die diesem gegen die einzelnen Gläubiger zustehen würden – zum prozessualen Kontext gehörten und damit für die Zuordnung nicht entscheidend seien.25 Folglich lassen sich weder aus der Parteiführung durch den Insolvenzverwalter noch aus der Erlösverwendung Schlussfolgerungen für die insolvenztypische Einordnung einer Klage ziehen.26 Während in der Gourdain-Entscheidung in prozessualer Hinsicht noch die Zuständigkeit der Insolvenzgerichte und die Einziehungs- und Prozessführungsbefugnis des Insolvenzverwalters für eine insolvenzrechtliche Qualifikation streiten sollten, konzentriert sich der EuGH nun ganz bewusst auf die materiell-rechtlichen Aspekte des der Klage zugrundeliegenden Anspruchs. Was sich in vorangegangenen Entscheidungen bereits angedeutet hatte, wird nun klarer: Der EuGH will zu einer einfacheren Abgrenzungsmethode gelangen,27 die vorwiegend materiell-rechtliche Gesichtspunkte in den Mittelpunkt stellt. Daher ist es nur konsequent, wenn der EuGH im vorliegenden Fall entscheidend darauf abstellt, dass die Klage auf einen Anspruch aus unerlaubter Handlung oder einer Handlung, die einer unerlaubten Handlung gleichgestellt ist, gestützt ist.28 So gesehen hat die Klage ihre Grundlage in den allgemeinen Regeln des Zivil- und Handelsrechts und nicht in den abweichenden Sonderregeln für Insolvenzverfahren. Ergänzend bestätigte der Gerichtshof dann sogar noch ausdrücklich einen Zusammenhang der Peeters/Gatzen-Klage mit dem Insolvenzverfahren.29 Allein darin erkennt er jedoch keine Abweichung von den allgemeinen Regeln. Vielmehr sei festzustellen, dass die Klage auch von den Gläubigern selbst, unabhängig von einem Insolvenzverfahren individuell erhoben werden könne und damit keine ausschließliche Zuständigkeit des Insolvenzverwalters bestehe.30

25 EuGH, 06. 02. 2019, Rs. C-535/17 (NK), ECLI:EU:C:2019:96 Rn. 31 f. = IPRax 2019, 518 (520). 26 Schmidt, ZInsO 2019, 995 (997); Thole, IPRax 2019, 483 (485). 27 In diesem Sinne auch Thole, IPRax 2019, 483 (485). 28 EuGH, 06. 02. 2019, Rs. C-535/17 (NK), ECLI:EU:C:2019:96 Rn. 33 = IPRax 2019, 518 (520). 29 EuGH, 06. 02. 2019, Rs. C-535/17 (NK), ECLI:EU:C:2019:96 Rn. 35 = IPRax 2019, 518 (520). 30 EuGH, 06. 02. 2019, Rs. C-535/17 (NK), ECLI:EU:C:2019:96 Rn. 35 f. = IPRax 2019, 518 (520).

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4. Kap.: Ausformung allgemeiner Qualifikations- und Abgrenzungskriterien

3. Schlussfolgerungen Der EuGH positioniert sich in der Entscheidung nicht eindeutig zum Verhältnis der beiden Kriterien des Art. 6 Abs. 1 EuInsVO. Sein Resümee, dass die Klage „nicht als unmittelbare und untrennbare Folge“ eines Insolvenzverfahrens angesehen werden könne,31 bringt keinen Erkenntnisgewinn. Es bleibt offen, ob der EuGH das „unmittelbare Hervorgehen“ aus oder den „engen Zusammenhang“ mit dem Insolvenzverfahren verneinen will und wie die Kriterien inhaltlich auszufüllen sind. Gleiches lässt sich aus dem Urteil Riel32 schlussfolgern, welches das Bestehen einer Annexzuständigkeit für Insolvenzfeststellungsklagen betraf. Hier argumentiert der EuGH für die Annahme der Unmittelbarkeit und des engen Zusammenhangs, dass die Klage nur im Rahmen eines Insolvenzverfahrens von den daran beteiligten Gläubigern erhoben werden könne.33 Insoweit fehlt es an einer differenzierten Zuordnung auf Grundlage der beiden Kriterien. Damit bereitet insbesondere der unbestimmte Begriff des „engen Zusammenhangs“ nach wie vor Schwierigkeiten. Zutreffend fragt Guski daher beispielsweise danach, wie eng der Zusammenhang mit dem Insolvenzverfahren sein muss.34 Der Normzweck hilft hier kaum weiter. Dem von Generalanwalt Bobek gefundenen Lösungsansatz erteilt der EuGH weder eine Zu- noch eine Absage. Es entsteht jedoch der Eindruck, dass der EuGH nicht derart differenzierend vorgehen will, sondern die Kriterien in einem einheitlichen Sinne zusammenführen will. Thole spricht diesbezüglich von einem „Amalgam“, bei der die Abweichung von den allgemeinen Regeln zu prüfen sei.35 Den Schwerpunkt der Prüfung bilden dabei die materiell-rechtlichen Aspekte der Rechtsgrundlage. Deren Konturen bleiben jedoch nach wie vor unscharf. Weiter misst der Gerichtshof der Prozessführung durch den Insolvenzverwalter im Rahmen seiner Aufgabe während eines Insolvenzverfahrens keine Bedeutung bei. Dass es insoweit nicht auf die Eröffnung eines Insolvenzverfahrens ankommen soll, ist für die materiell-rechtliche Einordnung richtig.36 Denn andernfalls, so formuliert es der Generalanwalt, „würde sich ein ,schwarzes Loch der Insolvenz‘ öffnen“37, welches alle vom Insolvenzverwalter während des Insolvenzverfahrens geltend gemachten Ansprüche in sich aufsaugt und in insolvenzrechtliche umwandelt. Ebenso wenig lässt sich aus dem Umstand schlussfolgern, dass der Erlös zur Masse

31

(520). 32

EuGH, 06. 02. 2019, Rs. C-535/17 (NK), ECLI:EU:C:2019:96 Rn. 36 = IPRax 2019, 518

EuGH, 18. 09. 2019, Rs. C-47/18 (Riel), ECLI:EU:C:2019:754 = ZIP 2019, 1872. EuGH, 18. 09. 2019, Rs. C-47/18 (Riel), ECLI:EU:C:2019:754 Rn. 37 f. = ZIP 2019, 1872 (1873). 34 Guski, ZIP 2018, 2395 (2396 f.). 35 Thole, IPRax 2019, 483 (485). 36 So auch Schmidt, ZInsO 2019, 995 (997); Thole, IPRax 2019, 483 (485). 37 Generalanwalt Bobek, Schlussanträge, 18. 10. 2018, Rs. C-535/17 (NK), ECLI:EU:C: 2018:850 Rn. 61 = BeckRS 2018, 25258. 33

§ 8 Entwicklung allgemeiner Prinzipien der insolvenzrechtlichen Zuordnung

151

fließt.38 Diesbezüglich wird in der Literatur jedoch zurecht auf eine Differenzierung hingewiesen, die dem Urteil fehlt. So ist danach zu fragen, ob der Verwalter einen Anspruch der Schuldnerin oder einen originären Gläubigeranspruch geltend macht. Allerdings könnten sich aus der Entscheidung e contrario auch zwei Kriterien ableiten lassen, die für eine unmittelbare und untrennbare Folge eines Insolvenzverfahrens und damit für die Annexkompetenz nach Art. 6 Abs. 1 EuInsVO sprechen: Die Abhängigkeit der Klage von der Eröffnung eines Insolvenzverfahrens sowie die ausschließliche Zuständigkeit des Insolvenzverwalters.39 Für den hier vertretenen differenzierenden Ansatz ist jedoch festzuhalten, dass die fehlende Eröffnung eines Insolvenzverfahrens einer insolvenzrechtlichen Einordnung des der Klage zugrunde liegenden Anspruchs nicht entgegensteht. Für die internationale Zuständigkeit nach Art. 6 Abs. 1 EuInsVO ist ein eröffnetes Insolvenzverfahren hingegen erforderlich. Am bislang gefundenen Ergebnis40 für den Zusammenhang von internationaler Zuständigkeit und anwendbarem Recht ändert sich somit nichts. Gleichwohl sind die Schlussfolgerungen nicht so eindeutig, wie sie bis jetzt scheinen. Dabei spielt vor allem der Umstand eine Rolle, dass die Klage zugleich individuell von den Gläubigern erhoben werden kann, und zwar vor, während oder nach dem Insolvenzverfahren. Der EuGH sieht diese somit nicht als unmittelbare und untrennbare Folge des Verfahrens an. Nach der vom Generalanwalt mit Blick auf das Vorliegen eines engen Zusammenhangs vorgeschlagenen „nur wegen“-Prüfung spreche eine Klage, die nur wegen des Insolvenzverfahrens erhoben werden kann, für eine untrennbare Verbindung mit dem Insolvenzverfahren,41 mithin für eine insolvenzrechtliche Qualifikation. Legt man allein diese Prämisse zugrunde, erscheint die insolvenzrechtliche Qualifikation des § 64 S. 1 GmbHG a. F. (jetzt § 15b Abs. 1, 4 InsO) fragwürdig. Denn auch dieser Anspruch kann unter bestimmten Voraussetzungen durch einzelne Gläubiger unabhängig von einem Insolvenzverfahren erhoben werden. So gesehen ist § 64 S. 1 GmbHG a. F. (jetzt § 15b Abs. 1, 4 InsO) nicht untrennbar mit einem Insolvenzverfahren verbunden. In den Entscheidungen Kornhaas und H hat der EuGH die Haftungsnorm des § 64 S. 1 GmbHG a. F. (jetzt § 15b Abs. 1, 4 InsO) jedoch auch gerade deshalb als insolvenzspezifisch angesehen, weil die Rechtsgrundlage an die Zahlungsunfähigkeit anknüpft, obwohl die Geschäftsführerhaftung auch außerhalb des Insolvenzverfahrens geltend gemacht werden kann. Bei der Auslegung setzte der EuGH an dieser Stelle demnach einen anderen Schwerpunkt.

38 Thole, IPRax 2019, 483 (485). Zur Masseanreicherung als insolvenztypischer Zweck einer insolvenzrechtlichen Implikation im Unionsrecht unten Kap. 4 § 8 B. II. 2. a) aa). 39 EuGH, 06. 02. 2019, Rs. C-535/17 (NK), ECLI:EU:C:2019:96 Rn. 36 = IPRax 2019, 518 (520). Hierzu auch Schmidt, ZInsO 2019, 995 (998). 40 Oben Kap. 3 § 6 C. II. 3. 41 Generalanwalt Bobek, Schlussanträge, 18. 10. 2018, Rs. C-535/17 (NK), ECLI:EU:C: 2018:850 Rn. 67 = BeckRS 2018, 25258.

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4. Kap.: Ausformung allgemeiner Qualifikations- und Abgrenzungskriterien

4. Betrachtung vor dem Hintergrund bislang gewonnener Erkenntnisse aus Kornhaas und H Setzt man die Schlussfolgerungen aus NK mit den bislang gewonnenen Erkenntnissen in Bezug, ergibt sich für die Abgrenzung Folgendes: Die Eröffnung eines Insolvenzverfahren spielt für die insolvenzrechtliche Qualifikation eines Anspruchs keine Rolle. Anders gesagt wird durch die Anwendbarkeit eines Haftungsinstruments außerhalb eines Insolvenzverfahrens die insolvenzspezifische Einordnung nicht von vornherein ausgeschlossen.42 Das zuvor für Art. 7 Abs. 1 EuInsVO unter Verwendung des Kornhaas-Urteils gefundene Ergebnis43 wurde hier für Art. 6 Abs. 1 EuInsVO bestätigt. Aufgrund des festgestellten Gleichlaufs zwischen Art. 6 und Art. 7 EuInsVO ist für Ansprüche, die der Annexkompetenz unterliegen, mit Blick auf die Anknüpfung weiterhin vom beschriebenen Zusammenhang zwischen internationaler Zuständigkeit und anzuwendendem Recht nach Art. 7 Abs. 1 EuInsVO auszugehen. Insoweit gilt für Art. 7 Abs. 1 EuInsVO dasselbe wir für Art. 6 Abs. 1 EuInsVO. Die Eröffnung des Insolvenzverfahrens als Abgrenzungskriterium spielt nur für die Frage der Zuständigkeit eine Rolle. Soweit ferner die ausschließliche Zuständigkeit des Insolvenzverwalters für die Annexkompetenz sprechen soll, folgt auch daraus keine Qualifikationsvoraussetzung für Art. 7 Abs. 1 EuInsVO. Betroffen ist auch hier die zuständigkeitsrechtliche Ebene des Art. 6 Abs. 1 EuInsVO. Verneint man aufgrund der beschriebenen Kriterien die Zuständigkeit nach der EuInsVO, geht damit jedoch nicht zwangsläufig eine deliktische oder gesellschaftsrechtliche Qualifikation des Anspruchs einher. Auch wenn dies konsequent erscheinen mag, sind die Frage des anwendbaren Rechts, mithin die Qualifikation, und die Frage nach der internationalen Zuständigkeit voneinander zu trennen. Sofern man aber von einer untrennbaren Verbindung zum Insolvenzverfahren ausgeht und die Anwendbarkeit des Art. 6 Abs. 1 EuInsVO bejaht, wird man die alleinige Klagebefugnis des Insolvenzverwalters als Teil des Insolvenzverfahrens und seiner Wirkungen i. S. d. Art. 7 Abs. 1 EuInsVO qualifizieren können.44 Dem Gleichlauf zwischen Zuständigkeit und anwendbarem Recht folgend lässt sich unter dieser Prämisse auch der so geltend gemachte Anspruch der lex fori concursus zuordnen. Inhaltlich bleibt jedoch das Problem, wann eine unmittelbare und untrennbare Verbindung zum Insolvenzverfahren zu bejahen ist. Die unscharfen Konturen der zwei Merkmale des Art. 6 Abs. 1 EuInsVO werden durch NK nicht präzisiert.

42 43 44

Entgegen Thole, IPRax 2019, 483 (488). Oben Kap. 3 § 6 B. II. 2. Ähnlich Thole, IPRax 2019, 483 (487 f.).

§ 8 Entwicklung allgemeiner Prinzipien der insolvenzrechtlichen Zuordnung

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II. Urteil CeDe Group Dem Urteil des EuGH in CeDe Group liegt ein komplexer Sachverhalt und Verfahrensgang zugrunde, deren Kenntnis für die Nachvollziehbarkeit der Entscheidung wichtig ist. Der tatsächliche Hintergrund ist jedoch allzu gewöhnlich: Häufig kommt es vor, dass ein Schuldnerunternehmen seine Verpflichtung aus einem Vertrag erfüllt, der vor Eröffnung eines Insolvenzverfahrens geschlossen wurde. Die daraus entstandenen Forderungen gegen den Vertragspartner werden dann nach Verfahrenseröffnung von diesem nicht befriedigt; stattdessen macht dieser Einwendungen geltend. Dieselbe Konstellation findet sich auch in grenzüberschreitenden Geschäften, die durch den Insolvenzverwalter in Fortführung des Schuldnerunternehmens geschlossen werden.45 Kommt es daraufhin zum Rechtsstreit, ist materiell-rechtlich die internationalprivatrechtliche Frage nach dem anwendbaren Statut und verfahrensrechtlich die Frage nach der internationalen Zuständigkeit für die Klage des Insolvenzverwalters zu klären. In der vorliegenden Entscheidung setzte sich der EuGH inhaltlich mit dem Anwendungsbereich des Art. 7 EuInsVO46 bei der Geltendmachung einer vorinsolvenzlichen vertraglichen Forderung auseinander. Auch wenn die Entscheidung wegen der Komplexität des Falls und der Ausgestaltung der Vorlagefragen wenig Neues birgt, lassen sich aus dem Urteil Ansatzpunkte für allgemeingültige Ansätze zur Abgrenzung von Gesellschafts- und Insolvenzstatut entwickeln. 1. Sachverhalt und Verfahrensgang Die schwedische CeDe Group schloss mit der polnischen PPUB Janson sp.j. (PPUB) einen Warenlieferungsvertrag. Der Vertrag enthielt eine Klausel, wonach bei Fragen der Vertragsauslegung schwedisches Recht zur Anwendung gelangen sollte. Ungefähr ein halbes Jahr nach Vertragsschluss erfolgte in Polen die Eröffnung des Insolvenzverfahrens über das Vermögen der PPUB. Wenig später beantragte der in diesem Verfahren bestellte Insolvenzverwalter den Erlass eines europäischen Zahlungsbefehls für Waren, die PPUB auf Grundlage des Vertrags an die CeDe Group geliefert hatte. Darauf folgend erhob er gegen die CeDe Group vor dem Bezirksgericht in Malmö, Schweden, eine Klage auf Kaufpreiszahlung. Die CeDe Group rechnete hierauf mit einer Gegenforderung auf Schadensersatz wegen nicht erfolgter sowie mangelhafter Lieferungen auf. Der Insolvenzverwalter von PPUB hielt die Aufrechnung für nicht zulässig, da er die von CeDe Group im Insolvenzverfahren in Polen geltend gemachte Gegenforderung zurückgewiesen habe. Fraglich war somit, welches Recht auf die von der CeDe Group im schwedischen Verfahren geltend gemachte Aufrechnung anzuwenden ist. 45

Cranshaw, jurisPR-HaGesR 1/2020 Anm. 1. Die Entscheidung bezog sich noch auf die Normen der EuInsVO 2000. Zur besseren Nachvollziehbarkeit wird hier stets auf die aktuellen Normen verwiesen. 46

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4. Kap.: Ausformung allgemeiner Qualifikations- und Abgrenzungskriterien

CeDe Group vertrat die Auffassung, dass gem. Art. 3 Rom I-VO das im Kaufvertrag gewählte schwedische Recht maßgeblich sei, oder dieses jedenfalls über Art. 17 Rom I-VO anzuwenden sei. Die Hauptforderung, gegen die aufgerechnet werde, unterliege schwedischem Recht. Der klagende Insolvenzverwalter der PPUB argumentierte hingegen, dass nach dem Wortlaut von Art. 7 Abs. 1 EuInsVO polnisches Recht anwendbar sei, zumal nach Art. 7 Abs. 2 lit. d EuInsVO das Recht des Mitgliedstaats der Verfahrenseröffnung insbesondere auch die Voraussetzungen für die Wirksamkeit einer Aufrechnung regele. Art. 9 EuInsVO finde hingegen nur dann Anwendung, wenn nach dem Recht des Mitgliedstaats der Verfahrenseröffnung die Aufrechnung im Insolvenzverfahren als Instrument zur wechselseitigen Begleichung von Verbindlichkeiten zwischen den Parteien unzulässig ist; was nach polnischem Recht nicht der Fall sei. Das schwedische Gericht erster Instanz entschied zugunsten des Insolvenzverwalters. Es stellte fest, dass auf die Aufrechnung polnisches Recht anzuwenden ist. Dagegen legte die CeDe Group Berufung ein. Im Berufungsverfahren trat der Insolvenzverwalter der PPUB die streitige Forderung an die polnische Gesellschaft KAN sp. z o.o. (KAN) ab, welche dem Verfahren beitrat. Nachdem das Berufungsgericht die Entscheidung der ersten Instanz bestätigte, musste sich der Högsta domstol (Oberster Gerichtshof Schwedens in Zivil- und Strafsachen) als letzte Instanz mit der Revision befassen. Während der Anhängigkeit der Sache wurde nun auch über das Vermögen der KAN ein Insolvenzverfahren eröffnet. Deren Insolvenzverwalter erklärte, dass die Insolvenzmasse die in Schweden anhängige Klage von KAN nicht übernehmen werde, womit die KAN in gerichtlicher Abwicklung Partei des Rechtsstreits wurde. Der Oberste Gerichtshof in Schweden setzte das Verfahren danach aus und legte dem EuGH mehrere Fragen zur Vorabentscheidung vor. In seinem Vorlagebeschluss wies er darauf hin, dass er sich über die durch den EuGH vorgenommenen Abgrenzung zwischen den sachlichen Anwendungsbereichen der Brüssel Ia-VO und EuInsVO bewusst sei. Hierbei stelle der Gerichtshof auf die Rechtsgrundlage der Klage und nicht auf deren prozessualen Kontext ab. Nach Auffassung des Högsta domstol gehe es im Ausgangsverfahren jedoch um die Frage, ob die Klage der Gläubigergemeinschaft auf Zahlung einer Forderung, die vor Eröffnung des Insolvenzverfahrens entstanden ist, in den sachlichen Anwendungsbereich von Art. 7 EuInsVO fällt. Für die Auslegung der Norm wollte er daher wissen, ob die Judikatur des Gerichtshofs zur Auslegung von Art. 3 EuInsVO 2000 in Bezug auf die internationale Zuständigkeit auf dem Gebiet der Insolvenz auf den vorliegenden Fall übertragen werden kann. An dieser Stelle wird erneut deutlich, wie eng das anwendbare materielle Statut und die internationale Zuständigkeit miteinander verwoben sind. Möchte man dennoch unterschiedliche Qualifikationsmaßstäbe und -ergebnisse für den Anwendungsbereich und die Zuständigkeit zulassen, kann dies nur unter Berücksichtigung systematischer und zugleich praktischer Erwägungen gelingen.

§ 8 Entwicklung allgemeiner Prinzipien der insolvenzrechtlichen Zuordnung

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2. Schlussanträge des Generalanwalts als Ausgangspunkt Generalanwalt Bobek beginnt seine Ausführungen mit einer kritischen Auseinandersetzung zum Umfang der ersten Vorlagefrage und kritisiert deren missverständliche Formulierung.47 Die Frage des Högsta domstol, ob unter die Bestimmungen über das anwendbare Recht in Art. 7 EuInsVO eine Klage wie diejenige des Insolvenzverwalters der PPUB vor den schwedischen Gerichten fällt, präzisierte er dabei mit einer eigenen klarstellenden Frage: Was ist unter einer Klage i. S. d. Vorlagefrage zu verstehen? Die Frage könne einerseits dahin verstanden werden, ob Art. 7 EuInsVO für die ursprünglich vertragliche Hauptforderung des Verwalters der PPUB, die die Grundlage seiner Klage bildet, gilt. Andererseits könne die Frage aber auch so verstanden werden, dass sie sich auf eine mögliche Anwendbarkeit von Art. 7 EuInsVO auf bestimmte andere Aspekte des Verfahrens bezieht, wie etwa die Aufrechnung.48 Bei dieser Art der Differenzierung ist klar, dass sich das geltende Recht für den vertraglichen Anspruch im ursprünglichen Verfahren nicht nach Art. 7 EuInsVO richtet.49 Die Ansprüche aus Kaufvertrag gehen weder unmittelbar aus dem Insolvenzverfahren hervor, noch stehen sie in engem Zusammenhang mit diesem. Dies muss unabhängig davon gelten, dass der Insolvenzverwalter den Anspruch geltend machte. Sofern man das andere Verständnis der Frage zugrunde legt, geht es hierbei um etwaige Wirkungen des Insolvenzverfahrens auf die Möglichkeit zur Aufrechnung – sowohl in prozessualer als auch in materiell-rechtlicher Hinsicht.50 Im Rahmen der ersten Vorlagefrage nach der Relevanz der EuGH-Rechtsprechung zur Auslegung von Art. 3 EuInsVO 2000 im Kontext der Zuständigkeit für Insolvenzverfahren stellt Generalanwalt Bobek fest, dass die Rechtsprechung nicht automatisch in allen ihren Gesichtspunkten auf die Auslegung von Art. 7 Abs. 1 EuInsVO übertragbar sei. Art. 7 Abs. 1 EuInsVO habe einen breiteren Anwendungsbereich. Die Regelung beziehe sich auf das für das Insolvenzverfahren und seine Wirkungen geltende Recht. Art. 3 EuInsVO 2000 (Art. 6 Abs. 1 EuInsVO) sei dagegen auf die Frage der Zuständigkeit für die Eröffnung des Insolvenzverfahrens beschränkt.51 Aus der Verbindung der beiden Normen werde aber deutlich, dass die EuInsVO die internationale Zuständigkeit mit dem auf Insolvenzverfahren anwendbaren Recht in Einklang bringen wolle. Dass dies nicht durchweg gelingt, 47 Generalanwalt Bobek, Schlussanträge, 30. 04. 2019, Rs. C-198/18 (CeDe Group), ECLI: EU:C:2019:335 Rn. 25, 47, 63 = BeckRS 2019, 7101. Siehe auch Mankowski, NZI 2020, 43; Swierczok, jurisPR-InsR 7/2020 Anm. 2; Undritz, EWiR 2020, 309 (310). 48 Generalanwalt Bobek, Schlussanträge, 30. 04. 2019, Rs. C-198/18 (CeDe Group), ECLI: EU:C:2019:335 Rn. 30 = BeckRS 2019, 7101. 49 Ebenso Generalanwalt Bobek, Schlussanträge, 30. 04. 2019, Rs. C-198/18 (CeDe Group), ECLI:EU:C:2019:335 Rn. 31 = BeckRS 2019, 7101; Mankowski, NZI 2020, 43; Mansel/ Thorn/Wagner, IPRax 2020, 97 (118); Undritz, EWiR 2020, 309 (310). 50 Undritz, EWiR 2020, 309 (310). 51 Generalanwalt Bobek, Schlussanträge, 30. 04. 2019, Rs. C-198/18 (CeDe Group), ECLI: EU:C:2019:335 Rn. 33 f. = BeckRS 2019, 7101.

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4. Kap.: Ausformung allgemeiner Qualifikations- und Abgrenzungskriterien

wurde an anderer Stelle52 bereits aufgezeigt. Auch der Generalanwalt räumt ein, dass die Entsprechung von ius und forum nicht in allen Fällen gewährleistet werden könne. Insoweit folgt aus den Feststellungen keine neue Erkenntnis. Im Ausgangspunkt erfolgt die Beantwortung der Vorlagefrage anhand von Art. 7 Abs. 2 S. 2 lit. d und lit. e EuInsVO. Allein dadurch, dass hier die Voraussetzungen für die Wirksamkeit einer Aufrechnung und die Auswirkungen der Insolvenz auf laufende Verträge genannt sind, könne nicht geschlossen werden, dass jeder vertragliche Anspruch automatisch unter den Begriff des „Insolvenzverfahrens und seiner Wirkungen“ i. S. d. Art. 7 EuInsVO fällt.53 3. Entscheidung des EuGH In seiner Entscheidung folgt der EuGH zum Großteil den Ausführungen des Generalanwalts. Im Wesentlichen ist Folgendes festzuhalten: Der EuGH lehnt die Anwendung des Art. 7 EuInsVO auf die vorliegende Klage ab. In seiner Begründung beschreibt er zunächst ganz allgemein die bereits durch Generalanwalt Bobek erläuterte Wechselwirkung zwischen Art. 7 EuInsVO und Art. 3 EuInsVO 2000.54 Seinem Bearbeitungsmuster folgend stellte er dann die viel zitierten Grundsätze seiner bisherigen Rechtsprechung zu insolvenzrechtlichen Annexklagen dar.55 Mit Blick auf die konkrete Klage stellte der Gerichtshof schließlich darauf ab, dass allein die Tatsache, dass ein Insolvenzverwalter eine solche Klage erhoben hat, nicht entscheidend für die Beurteilung der Frage sei, ob diese Klage unter den Begriff „Insolvenzverfahren und seine Wirkungen“ fällt. Zum einen könne die Klage, mit der die Bezahlung vertraglich gelieferter Waren begehrt werde, durch den Gläubiger selbst erhoben werden. Damit falle die Klage nicht in die ausschließliche Zuständigkeit des Insolvenzverwalters. Zum anderen sei die Erhebung der Klage unabhängig von der Eröffnung eines Insolvenzverfahrens. Daher könne sie nicht als unmittelbare und untrennbare Folge eines solchen Verfahrens angesehen werden.56 Auf die weiteren Vorlagefragen musste der EuGH daher in der Folge nicht eingehen. Damit bleiben viele spannende Folgefragen im Zusammenhang mit der Aufrechnung internationalen insolvenzrechtlichen Fallgestaltungen unbeantwortet.57 Für die hier interessierenden Abgrenzungsfragen ist dies jedoch unschädlich. 52 Siehe zum Auseinanderfallen von Zuständigkeit und anwendbarem Recht oben Kap. 3 § 6 C. II. 3. b) cc). 53 Generalanwalt Bobek, Schlussanträge, 30. 04. 2019, Rs. C-198/18 (CeDe Group), ECLI: EU:C:2019:335 Rn. 36 = BeckRS 2019, 7101. 54 EuGH, 21. 11. 2019, Rs. C-198/18 (CeDe Group), ECLI:EU:C:2019:1001 Rn. 28 ff. = ZIP 2019, 2360 (2361). 55 EuGH, 21. 11. 2019, Rs. C-198/18 (CeDe Group), ECLI:EU:C:2019:1001 Rn. 31 = ZIP 2019, 2360 (2361). 56 EuGH, 21. 11. 2019, Rs. C-198/18 (CeDe Group), ECLI:EU:C:2019:1001 Rn. 36 = ZIP 2019, 2360 (2362). 57 Siehe nur die zahlreichen Fragestellungen bei Mankowski, NZI 2020, 43 (44); Mansel/ Thorn/Wagner, IPRax 2020, 97 (118); Undritz, EWiR 2020, 309 (310).

§ 8 Entwicklung allgemeiner Prinzipien der insolvenzrechtlichen Zuordnung

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4. Schlussfolgerungen Festzuhalten bleibt, dass Aktivklagen des Insolvenzverwalters aus Verträgen, die der Schuldner bereits vor der Insolvenz mit einem Dritten abgeschlossen hat, nicht insolvenzrechtlich zu qualifizieren sind. Sie fallen daher nicht in den Anwendungsbereich der EuInsVO. Dafür überträgt der EuGH seine zur Einordnung eines Sachverhalts als „insolvenzrechtlich“ im Zusammenhang mit der Bestimmung einer insolvenzrechtlichen Annexkompetenz nach Art. 3 Abs. 1 EuInsVO 2000 (analog) bzw. Art. 6 EuInsVO entwickelten Maßstäbe unmittelbar auf Art. 7 Abs. 1 EuInsVO. Die Frage, was qualifikationsrechtlich unter dem Insolvenzverfahren und seinen Wirkungen zu verstehen ist, ist dadurch auch und vor allem unter Rückgriff auf die Rechtsprechungsgrundsätze zum unmittelbaren Hervorgehen aus dem Insolvenzverfahren und dem engen Zusammenhang zu beantworten. Dieser Umstand liegt allerdings nicht so sehr im Verhältnis der beiden Normen zueinander begründet. Vielmehr ist es dem Verlangen nach verallgemeinerungsfähigen Abgrenzungsgrundsätzen geschuldet.58 Aber auch die systematisch enge Verflechtung der beiden Normen zeigt, dass eine Übertragung durchaus möglich ist: Nach Art. 7 Abs. 2 S. 1 EuInsVO regelt das Recht des Staates der Verfahrenseröffnung, unter welchen Voraussetzungen das Insolvenzverfahren eröffnet wird und wie es durchzuführen und zu beenden ist. Als Regelungsgehalt des Art. 7 EuInsVO lassen sich somit die Wirkungen ausmachen, die der Zweckerfüllung des Insolvenzverfahrens dienen.59 Demnach ist der Verfahrensbezug der Norm deutlich sichtbar. Zugleich sind unter die materiell-rechtlichen Wirkungen des Insolvenzverfahrens aber nur diejenigen Normen zu fassen, die auch die Struktur des Insolvenzverfahrens widerspiegeln und in einem engen Zusammenhang mit dessen Organisation stehen.60 Das Insolvenzfahren als solches ist demnach für beide Normen maßgeblicher Anknüpfungspunkt bei der Ausfüllung der jeweiligen Kriterien (ohne dass es für die materiell-rechtliche Qualifikation auf eine Verfahrenseröffnung ankommt). Folgt man der Meinung in der Literatur61, nach der unterschiedliche Qualifikationsmaßstäbe und -ergebnisse für die Bestimmung des Anwendungsbereichs, des anwendbaren Rechts sowie die Zuständigkeit nicht zu rechtfertigen seien, müssten die aus der Rechtsprechung abgeleiteten Abgrenzungsmaßstäbe für den einen Aspekt gleichsam für den anderen Aspekt gelten.62 Nach dem hier vertretenen differenzierenden Ansatz ist – ganz im Sinne der beschriebenen Literaturansicht – für die Anknüpfung bzw. Qualifikation von einem entsprechenden Gleichlauf auszugehen. Es ist dann auch nur konsequent, dieselben Qualifikationsmaßstäbe für Art. 6 Abs. 1 und Art. 7 Abs. 1 EuInsVO 58

So auch Swierczok, jurisPR-InsR 7/2020 Anm. 2. Berner/Klöhn, ZIP 2007, 106 (108). 60 Hanisch, in: FS Walder, S. 483 (495). Siehe auch Grompe, Die vis attractiva concursus im Europäischen Insolvenzrecht, S. 232. 61 So etwa Mankowski, NZI 2019, 304 (305); ders., NZI 2020, 43 (43 f.); Swierczok, jurisPR-InsR 7/2020 Anm. 2. 62 Swierczok, jurisPR-InsR 7/2020 Anm. 2. 59

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4. Kap.: Ausformung allgemeiner Qualifikations- und Abgrenzungskriterien

anzusetzen. Was hingegen die Zuständigkeit anbelangt, könnte ein derartiges Vorgehen zu einem Gesetzeswiderspruch führen. Dies wäre etwa dann der Fall, wenn man von den für die insolvenzrechtliche Qualifikation unter Art. 7 Abs. 1 EuInsVO entwickelten Maßstäben, die keine Verfahrenseröffnung voraussetzen, unmittelbar auf die Zuständigkeit nach Art. 6 Abs. 1 EuInsVO schließt. Für diese ist die Eröffnung eines Insolvenzverfahrens zwingend erforderlich. 5. Betrachtung vor dem Hintergrund bislang gewonnener Erkenntnisse aus Kornhaas Entgegen eines Teils in der Literatur, der die Kornhaas-Entscheidung dahingehend interpretiert, dass die insolvenzrechtliche Qualifikation von der Geltendmachung des Anspruchs durch einen Insolvenzverwalter abhinge, bestätigte der EuGH im Urteil CeDe Group explizit: Für die insolvenzrechtliche Qualifikation eines Haftungsanspruchs unter Art. 7 Abs. 1 EuInsVO kommt es nicht auf dessen Geltendmachung durch den Insolvenzverwalter an. Allein die Tatsache, dass ein Insolvenzverwalter die Klage erhoben hat, kann somit nicht entscheidend für die Beurteilung herangezogen werden, ob die Klage bzw. der ihr zugrundeliegende Anspruch dem Insolvenzverfahren und seinen Wirkungen gem. Art. 7 Abs. 1 EuInsVO zugeordnet werden kann. Ein klares Qualifikationskriterium folgt aus dieser Feststellung freilich nicht. Es bestätigt jedoch e contrario den aus der KornhaasEntscheidung abgeleiteten Ansatz63, dass sich allein die Beteiligung eines Insolvenzverwalters nicht auf die Qualifikation auswirkt.

III. Kammerebene der Entscheidungen Um den Blick auf die hier dargestellte Rechtsprechung des EuGH abzuschließen, ist zuletzt ein Blick auf die Kammerebene der Entscheidungsfindung zu werfen. Dies soll zur Einordnung der Reichweite des Aussagegehalts der einzelnen Entscheidungen beitragen. Auf diese Weise lässt sich feststellen, ob bestimmte Grundsätze oder Aussagen der einen Entscheidung die der anderen überwiegen oder ob diese bei der Auslegung stärker zu gewichten sind. Bei den Urteilen H und Kornhaas handelt es sich jeweils um eine Kammerentscheidung von drei Richtern. Die Rechtssachen NK und CeDe Group entschieden dagegen Kammern, die mit fünf Richtern besetzt waren. Folglich wurde keine der Entscheidungen durch die Großen Kammer getroffen, an die die Rechtssache nach Art. 60 Abs. 1, Abs. 3 VerfOEuGH aufgrund der Schwierigkeit oder der Bedeutung der Rechtssache hätte verwiesen werden können. Weitreichende Grundsatzentscheidungen sind aus den Entscheidungen daher nicht

63

Oben Kap. 3 § 6 B. II. 3.

§ 8 Entwicklung allgemeiner Prinzipien der insolvenzrechtlichen Zuordnung

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abzuleiten.64 Vielmehr wollte der Gerichtshof in den hier betreffenden Fällen lediglich bereits etablierte Grundsätze der Rechtsprechung anwenden. Deutlich wird dies insbesondere an dem stets breit ausfallenden Rekurs seiner bisherigen Entscheidungen. Ferner lässt sich allein aus dem Umstand, dass bei zwei Entscheidungen eine Dreier-Kammer und bei den zwei anderen Entscheidungen eine FünferKammer urteilte, keine Schlussfolgerung dahingehend treffen, dass Aussagen des einen Urteils schwerer wiegen als die des anderen. Aus den verfahrensrechtlichen Besonderheiten lässt sich folglich keine Schwerpunktsetzung für die Entwicklung spezifischer Qualifikations- und Abgrenzungskriterien ableiten.

IV. Zwischenergebnis Die Entscheidungen NK und CeDe Group komplementieren die zuvor behandelten Urteile Kornhaas und H. Ein klarer Erkenntnisgewinn für die Reichweite der Annexzuständigkeit und den Anwendungsbereich des Art. 7 Abs. 1 EuInsVO folgt daraus nicht. Festzuhalten bleibt hingegen, dass weder die Eröffnung eines Insolvenzverfahrens noch die Geltendmachung eines Anspruchs durch den Insolvenzverwalter unmittelbare Wirkung für die insolvenzrechtliche Qualifikation entfaltet. Als wesentlich erweist sich indes der Umstand, dass die Formel zur (materiellrechtlichen) Bestimmung der Annexzuständigkeit ebenso bei Art. 7 Abs. 1 EuInsVO anzuwenden ist. Die Kriterien der Abhängigkeit einer Klage von der Eröffnung eines Insolvenzverfahrens sowie die ausschließliche Zuständigkeit des Insolvenzverwalters sind insoweit zu übertragen. Der Gleichlauf zwischen Art. 7 und Art. 3 EuInsVO wurde zudem bestätigt.

B. Entwicklung spezifischer Qualifikationsund Abgrenzungskriterien Aus den hier behandelten Urteilen des Gerichtshofs lassen sich belastbare Aussagen zur Qualifikation von Haftungsinstrumenten nur in Teilen ableiten. Eine Systematik zur Behandlung der Kriterien der Unmittelbarkeit und der engen Verknüpfung i. S. d. Art. 6 Abs. 1 EuInsVO fehlt.65 Die Fragmente sind daher in einen allgemeinen, von der Rechtsprechung losgelösten Ansatz einzufügen, der zugleich der situativen Prägung der Thematik gerecht wird. Betroffen davon sind Art. 6 Abs. 1 64 Siehe auch die Erwägungen bei HCL/Behrens/Hoffmann, Bd. I, Einleitung Rn. B 13; Mankowski, NZG 2016, 281 (284) und Wansleben, EWS 2016, 72 (77) zur Vereinbarkeit der insolvenzrechtlichen Qualifikation des § 64 S. 1 GmbHG a. F. mit der Niederlassungsfreiheit. Siehe hierzu auch oben Kap. 3 § 7 C. 65 So auch der Befund bei Bramkamp, KTS 2015, 421 (425); Fehrenbach, GPR 2016, 282 (292); Guski, ZIP 2018, 2395 (2397); Kindler/Wendland, RIW 2018, 245 (251); KPB-InsO/ Madaus, EuInsVO Art. 6 Rn. 7; McCormack, EBOR 5 (2014), 309 (320); Piekenbrock, KTS 2015, 379 (416).

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4. Kap.: Ausformung allgemeiner Qualifikations- und Abgrenzungskriterien

und Art. 7 EuInsVO gleichermaßen. Im Rahmen der zuständigkeits- und materiellrechtlichen Qualifikation wird der Berücksichtigung der Rechtsfolgen eine nicht unwesentliche Bedeutung zukommen.66

I. Verdichtung der Kriterien der vis attractiva concursus Der allgemeine Konsens, dass es an verlässlichen Kriterien für eine klare Abgrenzung des unbestimmten Begriffs des „engen Zusammenhangs“ fehle67 – und das nunmehr schon seit Jahrzehnten –, wirft die Frage auf, ob der Begriff überhaupt mit dogmatisch kontrollierbaren Erwägungen zu umfassen ist.68 Gleiches gilt für das Kriterium der Unmittelbarkeit. Weder der Normzweck noch die Wertungen der Rechtsprechung geben dem Rechtsanwender verlässliche Instrumente für eine Konkretisierung an die Hand. Zu einer tatsächliche Eingrenzung des Anwendungsanspruchs der EuInsVO kam es nicht. Die induktive Betrachtung der bislang entschiedenen Fälle zeigt hingegen, dass das Kriterium des engen Zusammenhangs im Gegensatz zu dem des unmittelbaren Hervorgehens kaum bis gar keine Rolle bei der Begründung der Sonderzuständigkeit nach Art. 6 Abs. 1 EuInsVO spielt. Insoweit liegt der Gedanke nahe, die beiden Kriterien anhand teleologischer und funktionaler Gesichtspunkte zu konkreten Merkmalen zu verdichten. Andere halten die Abgrenzung hingegen von vornherein für nicht durchführbar und wollen daher das Annexverfahren ins ordentliche internationale Zivilprozessrecht reintegrieren.69 Geht man hingegen von einer möglichen Spezifizierung der Tatbestandsmerkmale aus, stellt sich unter dem Punkt der funktionalen Zuordnung zunächst die Frage, inwieweit an die Verfahrensfunktion angeknüpft werden kann, um die Zuständigkeitsregel auszulegen. Es wurde hier bereits wiederholt dargelegt, dass ein Insolvenzverfahren als solches zumindest für die materiell-rechtliche Qualifikation nicht von Bedeutung ist. Obgleich der EuGH zuweilen bei der Frage nach dem engen Zusammenhang mit der spezifischen Funktion des Verfahrens argumentiert70, sind meist auch materiell-rechtliche Regelungsziele bereits auf der Zuständigkeitsebene mit einzubeziehen. Darüber hinaus ist dann trennscharf zwischen der Zuweisung von Kompetenzen und dem Kollisionsrecht zu differenzieren.71 Auch eine Auslegung 66

Hübner, IPRax 2015, 297 (300 f.) argumentiert beispielsweise mit diesem allgemeinen Grundsatz des IPR für die insolvenzrechtliche Qualifikation des § 64 S. 1 GmbHG a. F. (jetzt § 15b Abs. 1, 4 InsO). 67 Guski, ZIP 2018, 2395 (2397); Kindler/Wendland, RIW 2018, 245 (254); Mankowski/ Müller/Schmidt, EuInsVO Art. 6 Rn. 4; Piekenbrock, KTS 2015, 379 (384 f.); Zarth, EwiR 2015, 31 (32). 68 Guski, ZIP 2018, 2395 (2397). 69 Etwa Piekenbrock, KTS 2015, 379 (417). 70 EuGH, 19. 04. 2012, Rs. C-213/10 (F-Tex), ECLI:EU:C:2012:215 Rn. 41 ff. = ZIP 2012, 1049 (1051). 71 Dazu Guski, ZIP 2018, 2395 (2399).

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unter Heranziehung des effet utile, auf den der EuGH bei der Abgrenzungsproblematik regelmäßig – auch in Kornhaas – abstellt72, führt nicht weiter: Der effet utile fordert eine Bündelung der Annexverfahren im Eröffnungsstaat und zielt auf Konzentration.73 Eine substanzielle Begründung lässt sich daraus nicht ableiten. Es ist nicht klar, wie weit der Konzentrationsgedanke reicht.74 Blendet man demzufolge die Insolvenzverfahrenszwecke aus, geht damit aber noch keine Absage an eine funktionale Zuordnung einher. Neben der Verfahrensfunktion kommen weitere funktionale Kriterien für die Auslegung in Betracht, etwa das der allseitigen Haftungsabwicklung.75 Der Schwerpunkt ist bei der Auslegung allerdings auf den teleologischen Zusammenhang zwischen Annexverfahren und Insolvenzrecht sowie auf die Wirkungen des Insolvenzverfahrens zu legen. Dabei steht die Ermittlung insolvenztypischer Zwecke anhand der bislang ermittelten Abgrenzungskriterien im Vordergrund.76 Diese sind letztlich sowohl für die zuständigkeits- bzw. verfahrensrechtliche Komponente als auch für die Einordnung der Rechtsgrundlage der Klage heranzuziehen. Der Gedanke, die Kriterien des Art. 6 Abs. 1 EuInsVO zu verdichten, fußt auf der Rechtsprechung des EuGH. Dieser schenkte dem Kriterium des engen Zusammenhangs zuletzt kaum noch Beachtung, sondern stellte allein auf das unmittelbare Hervorgehen aus dem Insolvenzverfahren ab, mithin auf die Rechtsgrundlage der Klage.77 Aufgrund der neuen Rechtsprechung erscheint es hingegen sinnvoll, das Erfordernis des engen Zusammenhangs als nur einen Gesichtspunkt unter mehreren auf das erste Kriterium zu übertragen. Im Ergebnis entfällt die kumulative Anwendung der beiden Merkmale. Auf eine eventuelle Verifizierung im Wege der vom Generalanwalt vorgeschlagenen „nur wegen“-Prüfung kommt es dann nicht mehr an. Außerdem entfällt so die Ausfüllung mehrerer unbestimmter Rechtsbegriffe, mit der sich Rechtsprechung und Literatur noch immer schwertun. Auch wenn das Merkmal zuletzt an Geltung verlor, bedeutet das nicht, dass der enge Zusammenhang nicht weiter zu berücksichtigen ist. Seine allgemeine Bedeutung ist vielmehr in verdichtete, konkrete Kriterien zu überführen. Der Reiz in der Verdichtung besteht darin, die Qualifikation von Haftungsinstrumenten anhand von allgemeinen, materiell-rechtlichen Kriterien vornehmen zu können, die für die materiell-rechtliche Qualifikation unter Art. 6 Abs. 1 und unter Art. 7 Abs. 1 EuInsVO gleichermaßen 72

EuGH, 19. 04. 2012, Rs. C-213/10 (F-Tex), ECLI:EU:C:2012:215 Rn. 27 = ZIP 2012, 1049 (1050); EuGH, 10. 12. 2015, Rs. C-594/14 (Kornhaas), ECLI:EU:C:2015:806 Rn. 19 = NJW 2016, 223 (224). 73 Mankowski/Müller/Schmidt, EuInsVO Art. 6 Rn. 27; ders., NZI 2018, 996 (997); Prager/Keller, NZI 2013, 57 (59). 74 Guski, ZIP 2018, 2395 (2398); kritisch auch EuInsVO/Paulus, Art. 6 Rn. 1. 75 So im Ergebnis Guski, ZIP 2018, 2395 (2401). 76 Ähnlich Thole, IPRax 2019, 483 (486). 77 Im Valach-Urteil sprach der EuGH dagegen noch von einem „doppelten Kriterium“, EuGH, 20. 12. 2017, Rs. C-649/16 (Valach), ECLI:EU:C:2017:986 Rn. 28 = NJW 2018, 843 (844).

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4. Kap.: Ausformung allgemeiner Qualifikations- und Abgrenzungskriterien

gelten. Eröffnet wurde diese Möglichkeit durch die explizite Übertragung der Voraussetzungen der vis attractiva concursus auf die Norm zur Bestimmung des anwendbaren Rechts. Es ist aber auch Vorsicht geboten: Bei der Konzeption ist zu berücksichtigen, dass die Abstraktion und Verdichtung der gesetzlichen und judikativen Vorgaben einerseits die Bestimmbarkeit einer Vielzahl an Fällen erleichtert. Andererseits kann sie zugleich zulasten der Bestimmbarkeit gehen.

II. Qualifikationskriterien Die Ausarbeitung eines individuellen Ansatzes spezifischer Qualifikationskriterien auf Basis der EuGH-Rechtsprechung zur Bestimmung der vis attractiva concursus ist immer wieder Gegenstand wissenschaftlicher Arbeiten.78 Diesen ist gemein, dass sie die beiden Voraussetzungen des Art. 6 Abs. 1 EuInsVO differenziert betrachten und jeweils mit Inhalt füllen. Hier werden die Kriterien stattdessen zusammengeführt79. Im Ergebnis führt dies zur Abkehr von der kumulativen Anwendung der Kriterien der Gourdain-Formel. Der Untersuchung liegt die Fragestellung zugrunde, welche materiell-rechtlichen Merkmale für eine insolvenzrechtliche Streitigkeit derart prägend sind, um eine solche sicher annehmen zu können. Den Ausgangspunkt bildet die Aussage des EuGH, wonach dem Insolvenzstatut „erstens die Voraussetzungen für die Eröffnung eines Insolvenzverfahrens, zweitens die Regeln für die Bestimmung der zur Stellung des Antrags auf Eröffnung dieses Verfahrens verpflichteten Personen und drittens die Folgen eines Verstoßes gegen diese Verpflichtung“80 unterfallen. Diese Punkte sind den allgemeinen insolvenzrechtlichen Kriterien, die durch Ermittlung des teleologischen Zusammenhangs zwischen Annexverfahren und Insolvenzrecht (und dessen Wirkungen) bestimmt werden, zuzuordnen und mit den Merkmalen der vis attractiva concursus zu verknüpfen. 1. Materielle Insolvenz Das materielle Recht bleibt von der EuInsVO weitgehend unangetastet. Dennoch ist in der Verordnung ein entscheidender Bezug zur materiellen Insolvenz auszumachen. Das Unmittelbarkeitskriterium des Art. 6 Abs. 1 EuInsVO bezieht sich auf das Insolvenzverfahren i. S. d. Art. 1 EuInsVO. Dieser Unmittelbarkeitszusammenhang ist Grundlage für die insolvenzrechtliche Qualifikation. Anzunehmen ist ein entsprechendes Verfahren nach Art. 1 Abs. 1 S. 1 EuInsVO dann, wenn das 78

Zuletzt Grompe, Die vis attractiva concursus im Europäischen Insolvenzrecht, S. 228 ff., S. 284; Gröning, Gesellschafter- und Geschäftsleiterhaftung im IZVR, S. 35 ff. 79 Unten Kap. 4 § 8 B. II. 3. 80 EuGH, 10. 12. 2015, Rs. C-594/14 (Kornhaas), ECLI:EU:C:2015:806 Rn. 19 = NJW 2016, 223 (224). Die Kursivsetzungen erfolgten durch den Verfasser.

§ 8 Entwicklung allgemeiner Prinzipien der insolvenzrechtlichen Zuordnung

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Verfahren auf der Grundlage gesetzlicher Regelungen zur Insolvenz stattfindet, deren Zweck in der Rettung, Schuldenanpassung, Reorganisation oder Liquidation besteht. Verfahren, die sich auf allgemeines Gesellschaftsrecht stützen (das nicht ausschließlich auf Insolvenzfälle ausgerichtet ist) sollen indes nicht als Verfahren gelten, die sich auf gesetzliche Regelungen zur Insolvenz stützen.81 Der weit gefasste sachliche Anwendungsbereich bezieht über Art. 1 Abs. 1 S. 2 EuInsVO auch solche Verfahren ein, die eine Sanierung bereits in dem Moment ermöglichen, in dem „lediglich eine Wahrscheinlichkeit der Insolvenz besteht“82. Insoweit ist das Vorliegen der materiellen Insolvenz in Form der Zahlungsunfähigkeit oder Überschuldung für das Verfahren nicht erforderlich. Dies gilt jedoch nicht für die Annahme der Unmittelbarkeit. Erforderlich hierfür ist die Anknüpfung der jeweiligen Regelung an den Eintritt oder das Vorliegen der Insolvenzgründe, mithin an die Situation der Insolvenz.83 Das Kriterium des engen Zusammenhangs wiederum betrifft die materiell-rechtlichen Regelungsziele des Verfahrens. Diese weisen zwar gleichfalls Berührungspunkte mit dem Zustand der materiellen Insolvenz auf. Darüber hinaus verfolgen sie jedoch einen weiteren und umfassenderen Ansatz. Die Zweckrichtung des Verfahrens und dessen Insolvenzbezug sind folglich bei der Bestimmung des engen Zusammenhangs zwangsläufig mit einzubeziehen. a) Materieller Insolvenzbezug der Kriterien der vis attractiva concursus Die allgemeinen Merkmale der vis attractiva concursus knüpfen – auf unterschiedliche Weise – an die materielle Insolvenz an und stellen so einen Bezug zum Insolvenzrecht her. Dieser gemeinsame Bezugspunkt ermöglicht es, die Kriterien zusammenzuführen. Thole schlägt in diesem Zusammenhang vor, ein einzelnes Kriterium zum Schlüsselkriterium zu entwickeln.84 Die Frage nach dem Verhältnis der beiden Merkmale zueinander würde damit jedenfalls keine weitere Klärung erfordern. Vielmehr käme es auf den Inhalt an, der beide Kriterien ausfüllt. Darin jedoch einen entscheidenden Schwerpunkt auszumachen, der allein über die insolvenzrechtliche Qualifikation entscheidet, ist – wie sich im Folgenden zeigen wird – nicht möglich. aa) Unmittelbarkeitskriterium Die in Art. 6 Abs. 1 EuInsVO ausdrücklich genannte Insolvenzanfechtungsklage stellt das Paradigma eines Annexverfahrens dar. Tatbestandlich knüpft die Insolvenzanfechtung an Rechtshandlungen an, die vor der Eröffnung des Insolvenzverfahrens vorgenommen wurden, auch wenn sich die Möglichkeit der Einwirkung auf 81 82 83 84

ErwG 16 S. 2 EuInsVO, ABl.EU 2015 L 141/20. ErwG 10 S. 2 EuInsVO, ABl.EU 2015 L 141/20. Ebenso Grompe, Die vis attractiva concursus im Europäischen Insolvenzrecht, S. 245. Thole, IPRax 2019, 483 (486).

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4. Kap.: Ausformung allgemeiner Qualifikations- und Abgrenzungskriterien

vorangegangenes Verhalten erst mit der Verfahrenseröffnung ergibt. Als (materiellrechtliche) Ordnungsfunktion85 dient sie der Gläubigergleichbehandlung. Sie verwirklicht auf diese Weise einen insolvenzrechtlichen Zweck86. Voraussetzung ist die materielle Insolvenz des Schuldners. Diese bildet den zentralen Moment, ab dem die allgemeinen Regeln des Zivil- und Handelsrechts nicht mehr in Ansatz zu bringen sind, sondern die davon abweichenden Sonderregeln. Die materielle Insolvenz rechtfertigt es mithin, losgelöst vom Insolvenzverfahren, die Bevorzugungen einzelner Gläubiger nach Eintritt der materiellen Insolvenz rückgängig zu machen und keine vorrangige Gläubigerbefriedigung zuzulassen. Grundlage ist der haftungsrechtliche Gedanke der par conditio creditorum. Ein diesen Zweck verwirklichendes Insolvenzverfahren hängt insoweit unmittelbar mit der Insolvenz des Schuldners zusammen. Auch vor dem Hintergrund des sachlichen Anwendungsbereichs der EuInsVO, der zuvorderst auf der Grundlage der gesetzlichen Regelungen zur Insolvenz basiert, lässt sich eine Aussage zur Unmittelbarkeit einer sich aus dem Insolvenzverfahren ergebenden Streitigkeit ableiten. Diese kann dann bejaht werden, wenn die Rechtsgrundlage der Streitigkeit auf der materiellen Insolvenz beruht. Wie bereits ausgeführt87, folgt aus der tatbestandlichen Anknüpfung eines Haftungsanspruchs an die materielle Insolvenz des Schuldners ein Qualifikationskriterium, das in seiner Reichweite nicht eingeschränkt ist. Verlässt man indes den Bereich des Art. 6 Abs. 1 EuInsVO und wendet sich Art. 7 EuInsVO zu, stellt man fest, dass sich das Insolvenzstatut gem. Art. 7 Abs. 2 S. 2 lit. m EuInsVO ebenfalls auf die Insolvenzanfechtung und auf die materiell-rechtlichen Wirkungen des Verfahrens bezieht. Die Norm umfasst diejenigen Rechtsinstitute, die dem Benachteiligungsschutz in der Insolvenz Rechnung tragen.88 Durchgesetzt werden soll auch hier die Gläubigergleichbehandlung. Folglich ist derselbe Bezug zur materiellen Insolvenz wie beim Kriterium der Unmittelbarkeit der vis attractiva concursus auszumachen. Es zeigt sich, dass der Anknüpfungspunkt in beiden Fällen (sowohl in Art. 6 Abs. 1 EuInsVO als auch in Art. 7 Abs. 1 EuInsVO) seine Grundlage in der materiellen Ordnungsfunktion des Insolvenzrechts findet – und eben nicht in der des Verfahrens. In diesem Sinne spricht der festgestellte Gleichlauf89 zwischen internationaler Zuständigkeit und anzuwendendem Recht für die universale Anwendung des Unmittelbarkeitskriteriums im hier betreffenden Zusammenhang der Abgrenzung. Stellt man zudem auf die Rechtsprechung des Gerichtshofs ab, die dem Insolvenzstatut u. a. die Voraussetzungen für die Eröffnung eines Insolvenzverfahrens unterstellt, so steht der Befund im Einvernehmen mit dieser. 85 Bork, ZIP 2008, 1041; Grompe, Die vis attractiva concursus im Europäischen Insolvenzrecht, S. 218; Kayser, ZIP 2020, 97 (98); Schmidt, ZInsO 2008, 291 (292); Stiller, NZI 2010, 250 (252); Zenker, NZI 2015, 1006 (1007). 86 Uhlenbruck/Knof, InsO, Bd. 2, EuInsVO Art. 6 Rn. 8. Zu den insolvenzrechtlichen Zwecken auch sogleich unten Kap. 4 § 8 B. II. 1. und 2. a). 87 Oben Kap. 3 § 6 C. III. 1. und 2. b). 88 KPB-InsO/Madaus, EuInsVO Art. 7 Rn. 38. 89 Oben Kap. 3 § 6 C. II. 3. b) aa).

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bb) Kriterium des engen Zusammenhangs Zur Vermeidung von Regelungslücken und Überschneidungen zwischen den sachlichen Anwendungsbereichen der Brüssel Ia-VO und der EuInsVO soll letztere die Zuständigkeit auch für solche Verfahren regeln, die mit dem Insolvenzverfahren in engem Zusammenhang stehen.90 Das zweite Kriterium des Art. 6 Abs. 1 EuInsVO fragt dabei nach der hinreichenden Enge des Zusammenhangs der Klage mit einem Insolvenzverfahren.91 Zur Beantwortung der Frage, wann sich eine Klage derart weit vom Insolvenzverfahren entfernt hat, dass ein hinreichend enger Zusammenhang nicht mehr angenommen werden kann, ist zunächst auf das Fallrecht des EuGH abzustellen.92 Der enge Zusammenhang ist danach jedenfalls dann zu verneinen, wenn sich die Klage, deren Rechtsgrundlage nach wie vor im Insolvenzrecht zu finden ist, aufgrund einer Abtretung93 des Klageanspruchs oder aufgrund der Veräußerung94 eines Geschäftsbereichs aus der Masse nicht (mehr) der Insolvenzmasse zuzurechnen ist.95 Entscheidend ist folglich die Zurechnung des Klageanspruchs oder des Streitgegenstands der Klage zur Insolvenzmasse und das Normziel, die Haftungsmasse zur gleichrangigen Befriedigung der Insolvenzgläubiger zu vermehren.96 Daraus ist aber im Umkehrschluss nicht zu schlussfolgern, dass der hinreichende Zusammenhang mit dem Insolvenzverfahren bereits dann zu bejahen ist, wenn der Normzweck in der bloßen Masseanreicherung liegt.97 Soweit indes die Interessen der Gläubigergemeinschaft betroffen sind, ist auch hier ein Bezug zu materiell-rechtlichen Ordnungszwecken auszumachen.98 Materiell-rechtliche Regelungsziele sind dabei bereits auf der Zuständigkeitsebene einzubeziehen. Betrachtet man zudem die Regelungsziele99 der vis attractiva concursus unter teleo90

ErwG 7 EuInsVO, ABl.EU 2015 L 141/19. EuGH, 02. 07. 2009, Rs. C-111/08 (Alpenblume), ECLI:EU:C:2009:419 Rn. 25 = ZIP 2009, 1441 (1442); EuGH, 19. 04. 2012. Rs. C-213/10 (F-Tex), ECLI:EU:C:2012:215 Rn. 23 = ZIP 2012, 1049 (1050); EuGH, 09. 11. 2017, Rs. C-641/16 (Tünkers), ECLI:EU:C: 2017:847 Rn. 28 = ZIP 2017, 2275 (2276); Kindler/Wendland, RIW 2018, 245 (251); KPBInsO/Madaus, EuInsVO Art. 6 Rn. 14. 92 Zur Enge des Zusammenhangs als unbestimmten Rechtsbegriff Guski, ZIP 2018, 2395 (2396 f.). 93 EuGH, 19. 04. 2012. Rs. C-213/10 (F-Tex), ECLI:EU:C:2012:215 Rn. 41 ff. = ZIP 2012, 1049 (1051). Kritisch MüKo-BGB/Kindler, Bd. 13, Internationales Insolvenzrecht, EuInsVO Art. 6 Rn. 6. 94 EuGH, 09. 11. 2017, Rs. C-641/16 (Tünkers), ECLI:EU:C:2017:847 Rn. 28 ff. = ZIP 2017, 2275 (2276). 95 KPB-InsO/Madaus, EuInsVO Art. 6 Rn. 14. 96 EuGH, 22. 02. 1979, Rs. 133/78 (Gourdain/Nadler), ECLI:EU:C:1979:49 Rn. 5 = BeckRS 2004, 71542; EuGH, 18. 07. 2013, Rs. C-147/12 (ÖFAB), ECLI:EU:C:2013:490 Rn. 25 = ZIP 2013, 1932 (1934). 97 Zur Masseanreicherung als insolvenztypischer Zweck unten Kap. 4 § 8 B. II. 2. a) aa). 98 Siehe auch Grompe, Die vis attractiva concursus im Europäischen Insolvenzrecht, S. 219; Stürner, IPRax 2005, 416 (418). 99 Hierzu oben Kap. 3 § 6 C. II. 3. b) bb). 91

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4. Kap.: Ausformung allgemeiner Qualifikations- und Abgrenzungskriterien

logischem Blickwinkel, beinhalten diese auch die Realisierung der Gläubigerinteressen durch Lückenschließung zwischen dem Insolvenzverfahren als Kollektivverfahren und parallelen Einzelverfahren.100 Diese Zielrichtung verknüpft das zweite Kriterium mit der materiellen Insolvenz. b) Präventiver und reaktiver Gläubigerschutz unter dem Wirkungsbereich der EuInsVO Die Instrumente des sachrechtlichen Gläubigerschutzes wirken je nach Ausgestaltung teils präventiv (ex ante), teils reaktiv (ex post).101 Bei der Abgrenzung von Insolvenz- und Gesellschaftsstatut will Langen insoweit zwischen dem präventiven gesellschaftsrechtlichen und dem reaktiven insolvenzrechtlichen Gläubigerschutz unterscheiden.102 Die EuInsVO verfolgt indes nicht allein einen reaktiven Ansatz. Sie bezieht den Zeitraum im Vorfeld der Insolvenz gleichsam mit ein. In diesem Sinne unterstellt der EuGH unter Zugrundelegung von Art. 7 Abs. 2 EuInsVO dem Anwendungsbereich der lex fori concursus auch die Regeln, die sich auf die Bestimmung der zur Stellung des Antrags auf Eröffnung des Verfahrens verpflichteten Personen beziehen sowie auf die Folgen eines Verstoßes gegen diese Verpflichtung. Betrachtet man das nationale Recht, lassen sich etwa die Insolvenzantragspflicht juristischer Personen gem. § 15a InsO, die Insolvenzverschleppungshaftung gem. 823 Abs. 2 BGB i. V. m. § 15a InsO und die Insolvenzanfechtung nach §§ 129 ff. InsO als reaktive Ex-post-Gläubigerschutzinstrumente einordnen.103 Die Regelungen reagieren allesamt auf den bereits erfolgten Eintritt der materiellen Insolvenz und lassen sich nach Grompe insolvenzrechtlich qualifizieren.104 Ihnen ist jedoch auch gemein, dass sie ihre Grundlage im gläubigerschädigenden Verhalten im Zeitraum vor der materiellen Insolvenz finden und ihre Rechtsfolge daran anknüpft. Sie entfalten damit zugleich eine Ex-ante-Wirkung, die eine vorinsolvenzliche Verhaltenssteuerung effiziert.105 Maßgeblicher Bezugspunkt für die Wirkungseinordnung der insolvenzbezogenen Regelungen ist mithin der Eintritt bzw. das Vorliegen eines Insolvenzeröffnungsgrundes im Staat der Verfahrenseröffnung. Die EuInsVO bezieht den diesem Punkt vor- und nachgelagerten Zeitraum mit ein. Eine allgemeine Differenzierung zwischen präventiven und reaktiven Gläubigerschutz100

Ähnlich Grompe, Die vis attractiva concursus im Europäischen Insolvenzrecht, S. 220. Freitag, ZIP 2019, 541 (550); Segna, ZIP 2020, 789 (791); Weller, IPRax 2017, 167 (176); ders./Schulz, IPRax 2014, 336 (337). Andeutungsweise auch Fischer, ZIP 2004, 1477 (1478 ff.); Röhricht, ZIP 2005, 505. 102 Langen, Die Haftung des herrschenden Unternehmens, S. 213 ff. Ähnlich Weller, IPRax 2017, 167 (176). 103 Weller, IPRax 2017, 167 (176). 104 Grompe, Die vis attractiva concursus im Europäischen Insolvenzrecht, S. 247. 105 Thole, Gläubigerschutz durch Insolvenzrecht, S. 45, 47. Für eine begrenzte Wirkung „in der Nähe der Insolvenz“ Spindler, JZ 2006, 839 (842). Zum Insolvenzrecht als Reaktivschutz mit präventiver Wirkung Grompe, Die vis attractiva concursus im Europäischen Insolvenzrecht, S. 247 f. 101

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regeln ist für die Abgrenzung zwischen Gesellschafts- und Insolvenzstatut somit nicht geeignet. Vielmehr können beide Regelungsarten für eine insolvenzrechtliche Qualifikation sprechen. Insbesondere vor dem Hintergrund des weiten Anwendungsbereichs der EuInsVO lässt sich ein Insolvenzbezug in der Verfahrensfunktion der Insolvenzbewältigung und der Insolvenzvermeidung erkennen.106 Eingeschränkt wird dieser Grundsatz hingegen dadurch, dass der Insolvenzbezug bei Verfahren zu verneinen ist, die sich auf allgemeines Gesellschaftsrecht stützen, das nicht ausschließlich auf Insolvenzfälle ausgerichtet ist.107 aa) Präventive Konzeption Die Einbeziehung der präventiv wirkenden Regelungen in den Anwendungsbereich der EuInsVO unter Anknüpfung an die materielle Insolvenz ist nur insoweit möglich, wie die präventive Konzeption der Verordnung reicht. Um die Reichweite des präventiven Ansatzes zu ermitteln, kann auf mehrere Referenzpunkte abgestellt werden. Zunächst folgt aus der Zielfunktion des ordnungsgemäßen Funktionierens des Binnenmarktes108, dass auch Maßnahmen mit verhaltenssteuerndem Effekt im vorinsolvenzlichen Zeitraum unter die Verordnung zu fassen sind. Wird die Verursachung oder Ausweitung der Insolvenz durch Regelungen mit verhaltenssteuernder Wirkung verhindert, trägt dies zur Effektivität der Verordnung und infolge dessen zum ordnungsgemäßen Funktionieren des Binnenmarktes bei. In diesem Sinne lässt sich unter der Verhaltenssteuerung ebenso das Ziel der Verhinderung des „Forum Shopping“109 einordnen,110 um der Benachteiligung der Gläubigergesamtheit zu begegnen. Zu berücksichtigen ist ferner die Ausgestaltung der EU-Restrukturierungsrichtlinie über präventive Restrukturierungsrahmen. Dieser weist zwar keine unmittelbaren Berührungspunkte mit der EuInsVO auf,111 soll diese jedoch ergänzen112 und lässt den Mitgliedstaaten die Möglichkeit, einen neu zu schaffenden vorinsolvenzlichen Sanierungsrahmen in den Anhang A zu Art. 1 EuInsVO aufzunehmen.113 Sollte es auf diese Weise zu einer Verzahnung der unter der Richtlinie eingeführten Verfahren kommen, wäre kollisionsrechtlich grundsätzlich die lex fori concursus anwendbar.114 Auch wenn sich der Anwendungsbereich des präventiven Restrukturierungsrahmens sowohl terminologisch als auch sachlich auf den Zeit106

KPB-InsO/Madaus, EuInsVO Art. 1 Rn. 9. ErwG 16 S. 2 EuInsVO, ABl.EU 2015 L 141/20. 108 ErwG 4 S. 2 EuInsVO, ABl.EU 2015 L 141/19. 109 ErwG 5 EuInsVO, ABl.EU 2015 L 141/19. 110 So auch Grompe, Die vis attractiva concursus im Europäischen Insolvenzrecht, S. 249. 111 Bismarck/Schulz, NZI-Beilage 2019, 82 (82 f.); Freitag, ZIP 2019, 541 (547); Mankowski, NZI-Beilage 2017, 15 (18). 112 ErwG 13 S. 1, 14 Restrukturierungsrichtlinie, ABl.EU 2019 L 172/20. 113 Bismarck/Schulz, NZI-Beilage 2019, 82 (82 f.); Freitag, ZIP 2019, 541 (547); Klupsch/ Schulz, EuZW 2017, 85 (89 f.). 114 Bismarck/Schulz, NZI-Beilage 2019, 82 (83); Freitag, ZIP 2019, 541 (547). 107

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raum im Vorfeld einer Insolvenz bezieht und diese gerade vermeiden soll,115 folgt daraus nicht zwangsläufig, dass der präventive Restrukturierungsrahmen gänzlich in den Anwendungsbereich der Brüssel Ia-VO fällt.116 Zwar setzt der Rahmen keine materielle Insolvenz voraus (in Deutschland besteht die Zugangsvoraussetzung im Eintritt der drohenden Zahlungsunfähigkeit i. S. d. § 18 InsO, § 29 Abs. 1 i. V. m. § 33 Abs. 2 S. 1 Nr. 1 StaRUG). Aus seiner Zielsetzung folgt dennoch ein präventiver Konzeptionsgedanke. Spätestens aber im Falle seiner Öffentlichkeit beinhaltet er alle Merkmale eines Insolvenzverfahrens i. S. d. Art. 1 Abs. 1 EuInsVO. In Deutschland ist daher beabsichtigt, öffentlich geführte Restrukturierungssachen unter dem Rahmen des StaRUG zum Anhang A der EuInsVO anzumelden.117 Die grenzüberschreitende Wirkung nicht-öffentlicher Verfahren dürfte dagegen mangels Publizität größtenteils zur deren Einordnung unter das Regelungsregime der Brüssel Ia-VO führen.118 Erwägungsgrund 22 EuInsVO anerkennt zwar, dass aufgrund der großen Unterschiede im materiellen Recht ein einziges Insolvenzverfahren mit universaler Geltung für die Union nicht realisierbar ist. Die Möglichkeit der Verknüpfung der beiden Regelwerke spricht jedoch entscheidend für ein besseres Funktionieren des Binnenmarktes unter der Einbeziehung präventiv wirkender Regelungen. Ganz konkret folgt ein präventiver Bezug auch aus Art. 7 Abs. 2 S. 2 lit. m EuInsVO. Die Norm unterwirft die Insolvenzanfechtung der lex fori concursus. Entscheidend ist hierbei die Durchsetzung der Gläubigergleichbehandlung durch das Rückgängigmachen der die Gläubiger benachteiligenden Handlungen des Schuldners. Die Bedeutung der Vorschrift reicht jedoch weiter, als dass sie allein Fragen der Insolvenzanfechtung betrifft. Im Urteil Kornhaas hat der EuGH unter Bezugnahme auf Art. 7 Abs. 2 S. 2 lit. m EuInsVO ganz allgemein solche Vorschriften als insolvenzrechtlich qualifiziert, die die Verhinderung etwaiger Masseverkürzungen vor Eröffnung des Insolvenzverfahrens bezwecken und somit einer gleichmäßigen Gläubigerbefriedigung dienen.119 Zuvor kam es bereits durch die Eurofood-Entscheidung des EuGH zu einer Vorverlagerung des Eröffnungszeitpunktes des Insolvenzverfahrens auf die dem Eröffnungsantrag folgende Entscheidung. Voraus-

115

Rauscher/Mankowski, EuZPR/EuIPR, Bd. I, Brüssel Ia-VO Art. 1 Rn. 134. Dafür Rauscher/Mankowski, EuZPR/EuIPR, Bd. I, Brüssel Ia-VO Art. 1 Rn. 134; ebenso Skauradszun, ZIP 2019, 1501 (1503), der für eine nicht-konkursähnliche Subsumtion des präventiven Restrukturierungsrahmens i. S. d. Art. 1 Abs. 2 lit. b Brüssel Ia-VO ist; Musielak/Voit/Stadler, ZPO, EuGVVO n. F. Art. 1 Rn. 6; hierzu auch Freitag, ZIP 2019, 541 (548). Ausführlich zum StaRUG im Anwendungsbereich von Brüssel Ia-VO und EuInsVO unten Kap. 5 § 11 D. I. 2. 117 RegE zum SanInsFoG vom 09. 11. 2020, BT-Drs. 19/24181, S. 178. Hierzu SchluckAmend/Hefner, ZRI 11/2020, 570 (572); Thole, ZIP 2020, 1985 (1998). 118 Rauscher/Mankowski, EuZPR/EuIPR, Bd. I, Brüssel Ia-VO Art. 1 Rn. 134; Skauradszun, ZIP 2019, 1501 (1503); Musielak/Voit/Stadler, ZPO, EuGVVO n. F. Art. 1 Rn. 6. 119 EuGH, 10. 12. 2015, Rs. C-594/14 (Kornhaas), ECLI:EU:C:2015:806 Rn. 20 = NJW 2016, 223 (224); MüKo-BGB/Kindler, Bd. 13, Internationales Insolvenzrecht, EuInsVO Art. 7 Rn. 52. 116

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setzung ist der Vermögensbeschlag gegen den Schuldner als Folge.120 In dieser zeitlichen Vorverlagerung121 des insolvenzrechtlichen Gläubigerschutzes verdeutlicht sich der Ansatz der Vorgreiflichkeit der EuInsVO – und zwar losgelöst von der (formellen) Eröffnung und Durchführung eines Insolvenzverfahrens. Besteht der Zweck einer Regelung in der Sicherstellung der gleichmäßigen Gläubigerbefriedigung und weist diese zugleich systematische Nähe zur Insolvenzanfechtung i. S. v. Art. 7 Abs. 2 S. 2 lit. m EuInsVO auf, folgt daraus die von einem Insolvenzverfahren unabhängige Geltung der lex fori concursus.122 Präventiv wirkende Regelungen können dementsprechend ebenfalls zur Annahme eines engen Zusammenhangs mit dem Verfahren i. S. d. Art. 6 Abs. 1 EuInsVO führen, soweit sie die Interessen der Gläubigergemeinschaft betreffen. bb) Begrenzung durch Bezug zur materiellen Insolvenz Die präventive Konzeption der EuInsVO findet ihre Grenze dort, wo die Organisations- und Strukturvorgaben des Gesellschaftsrechts regelmäßig kein unmittelbar gläubigerschädigendes Verhalten im Blick haben.123 Soweit es einer konkreten Gläubigergefährdung für die reaktiven Vorschriften des Insolvenzrechts bedarf,124 decken die präventiven Vorschriften spiegelbildlich das gläubigergefährdende bzw. -schädigende Verhalten im Zeitraum vor der Risikorealisierung ab. Voraussetzung für die insolvenzrechtliche Qualifikation präventiv wirkender Vorschriften muss demzufolge sein, dass sie tatbestandlich, spätestens aber mit ihren Rechtsfolgen, an den gemeinsamen Bezugspunkt der materiellen Insolvenz geknüpft sind.125 2. Insolvenzrechtliche Implikation im Unionsrecht Das Erfordernis der autonomen Auslegung der EuInsVO führt dazu, dass der nationalen insolvenz(verfahrens)rechtlichen Systematik eine nur begrenzte Indizwirkung zukommt.126 Daher ist zunächst allein die Zielsetzung und Systematik der 120

EuGH, 02. 05. 2006, Rs. C-341/04 (Eurofood), ECLI:EU:C:2006:281 Rn. 54 = IPRax 2007, 120 (124). 121 Uhlenbruck/Borries/Hirte, InsO, Bd. 1, § 129 Rn. 1; Häsemeyer, Insolvenzrecht Rn. 21.02. 122 Ebenso Kayser/Thole/Dornblüth, HD-KO InsO, EuInsVO Art. 7 Rn. 3; Grompe, Die vis attractiva concursus im Europäischen Insolvenzrecht, S. 249; Mankowski/Müller/Schmidt, EuInsVO Art. 7 Rn. 95. 123 Grompe, Die vis attractiva concursus im Europäischen Insolvenzrecht, S. 251; siehe auch Mülbert, EBOR 7 (2006), 357 (378); Spindler, JZ 2006, 839 (842 ff.). 124 Thole, Gläubigerschutz durch Insolvenzrecht, S. 45. 125 Zur Anknüpfung an die Insolvenz als materielle Qualifikationsvoraussetzung bereits oben Kap. 3 § 6 C. III. 126 Eidenmüller, RabelsZ 70 (2006), 475 (482 f.); Hess/Koutsoukou, in: Kronke/Melis/ Kuhn, HdB Internationales Wirtschaftsrecht, Teil O Rn. 54; Rauscher/Mäsch, EuZPR/EuIPR, Bd. II, EG-InsVO Art. 4 Rn. 8.

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4. Kap.: Ausformung allgemeiner Qualifikations- und Abgrenzungskriterien

Verordnung sowie deren teleologischer Zusammenhang für die inhaltliche Ausfüllung der Kriterien der vis attractiva concursus sowie des Insolvenzverfahrens und seiner Wirkungen i. S. d. Art. 7 Abs. 1 EuInsVO relevant. Darüber hinaus sind erst in einem weiteren Schritt nationale Implikationen der Insolvenzrechte der Mitgliedstaaten heranzuziehen. Voraussetzung hierfür ist, dass die jeweilige Bestimmung der EuInsVO aufgrund eines expliziten oder impliziten Verweises auf das nationale Recht für eine Auslegung nach den Maßstäben des nationalen Rechts offen ist oder diese sogar einfordert.127 Ein solcher Verweis auf die nationalen Insolvenzrechte findet sich im Katalog des Art. 7 Abs. 2 S. 2 EuInsVO.128 Dabei ist aber gleichzeitig die Einschränkung durch einschlägige und abschließende sachrechtliche Bestimmungen der Verordnung zu beachten.129 Dennoch werden auf diese Weise die Ziele der mitgliedstaatlichen Insolvenzverfahren in die Konzeption der EuInsVO überführt. Es gilt allerdings zu beachten, dass nicht nur die in der EuInsVO verwandten Begrifflichkeiten in ihrer Bedeutung in den einzelnen Mitgliedstaaten teilweise sehr stark voneinander abweichen können. Das europäische Insolvenzrecht wurde in materieller Hinsicht im Binnenmarkt bislang kaum harmonisiert.130 Auch die in den Mitgliedstaaten verfolgten Ziele des Insolvenzverfahrens und der Insolvenzrechtsordnungen können teilweise grundlegend voneinander abweichen.131 Das verordnungsautonome Verständnis dessen, was als insolvenzrechtlich einzuordnen ist, kann deswegen nicht durch einzelne Zweckrichtungen mitgliedstaatlicher (verfahrensrechtlicher) Insolvenzregelungen unionsweit bestimmt werden.132 Es wird vielmehr durch die nationalen Rechtsvorstellungen flankiert. Die insolvenzrechtliche Qualifikation erfolgt demnach grundsätzlich losgelöst vom Begriffsverständnis der lex fori concursus. Für das Kriterium des engen Zusammenhangs i. S. d. vis attractiva concursus bedeutet das, dass dieser primär am verordnungsautonomen Ziel der EuInsVO auszurichten ist und dem darunterfallenden Einzelverfahren die gleiche Zielsetzung wie die der insolvenzrechtlichen Kollektivverfahren zukommen muss.133 In der Folge erwächst die kollisionsrechtliche Qualifikation durch die Übertragung 127 Graf-Schlicker/Bornemann, InsO, EuInsVO Vorbemerkung Rn. 43 unter Verweis auf EuGH, 20. 10. 2011, Rs. C-396/09 (Interedil), ECLI:EU:C:2011:671 Rn. 42 = DZWIR 2012, 60 (62 f.); EuGH, 22. 11. 2012, Rs. C-116/11 (Handlowy), ECLI:EU:C:2012:739 Rn. 49 = ZIP 2012, 2403 (2405). 128 EuGH, 22. 11. 2012, Rs. C-116/11 (Handlowy), ECLI:EU:C:2012:739 Rn. 49 ff. = ZIP 2012, 2403 (2405). 129 Darauf weist Graf-Schlicker/Bornemann, InsO, EuInsVO Vorbemerkung Rn. 43 hin. 130 BeckOK-InsO/Mock, EuInsVO Art. 1 Rn. 5. 131 Graf-Schlicker/Bornemann, InsO, EuInsVO Vorbemerkung Rn. 9; Grompe, Die vis attractiva concursus im Europäischen Insolvenzrecht, S. 253 mit Beispielen; EuInsVO/Paulus, Art. 1 Rn. 7; allgemein Wimmer, ZIP 1998, 982 (983). 132 In diesem Sinne auch Kayser/Thole/Dornblüth, HD-KO InsO, EuInsVO Vorbemerkung zu Art. 1 – 47 Rn. 4; Grompe, Die vis attractiva concursus im Europäischen Insolvenzrecht, S. 254; Pannen/Pannen/Riedemann, EuInsVO-Kommentar, Art. 4 Rn. 11; EuInsVO/Paulus, Art. 1 Rn. 7. 133 Kindler/Wendland, RIW 2018, 245 (247).

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der Kriterien des Art. 6 Abs. 1 EuInsVO auf Art. 7 Abs. 1 EuInsVO aus der internationalen Zuständigkeit als relevantem Anknüpfungsmoment.134 a) Insolvenztypische Zwecke Ausgehend von der allgemeinen insolvenzrechtlichen Implikation auf Ebene des Unionsrechts gilt für das Annexverfahren im Systemzusammenhang mit der EuInsVO, dass das Verfahren einen funktional-teleologischen Zusammenhang mit dem Insolvenzrecht aufweisen muss. Zuständigkeitszwecke135 können nur bedingt weiterhelfen. Vielfach wird daher auch darauf abgestellt, ob bei einem Einzelstreitverfahren – abstrakt – insolvenztypische Zwecke verfolgt werden, die für die Streitigkeit prägend sind.136 Zieht man das Abgrenzungskriterium der insolvenztypischen Zwecke heran, so müssen sich diese in der EuInsVO vorgegebenen Zweckrichtung wiederfinden. Fragt man danach, was sich genau hinter der Begrifflichkeit verbirgt,137 wird klar, dass diese recht weit gefasst ist und einer Eingrenzung bzw. Konkretisierung bedarf um Unschärfen zu beseitigen. Andernfalls würden diese Unschärfen dazu führen, dass eine Vielzahl an Aktivprozessen als Annexverfahren eingeordnet werden müssten, kann man doch in jeder noch so kleinen Vorteilsregelung für die Gläubiger einen insolvenzbezogenen Zweck ausmachen. Die Zweckrichtung muss daher immer am Bezug zum Insolvenzverfahren ausgerichtet werden. aa) Masseanreicherung Die Mehrung der Aktiva einer Gesellschaft, wie sie vom Gerichtshof immer wieder als Argument für eine insolvenzrechtliche Einordnung bemüht wurde,138 dient auf den ersten Blick einem insolvenztypischen Zweck insoweit, als sich die den Gläubigern zur Verfügung stehende Vermögensmasse vergrößert. Bei genauerer Betrachtung ist indes zu konstatieren, dass sich das Kriterium der Masseanreicherung als ungeeignet, da zu weitreichend, erweist. Würde man es im Zeitraum der Insol134

So Althammer/Tolani, in: FS Schilken, S. 589 (596). Dazu Guski, ZIP 2018, 2395 (2398 ff.). 136 So etwa Haas, NZI 2002, 457 (466); Lüke, in: FS Schütze, S. 467 (483); MüKo-BGB/ Kindler, Bd. 13, Internationales Insolvenzrecht, EuInsVO Art. 6 Rn. 5; Mankowski, NZI 2009, 571 (572); Rauscher/ders., EuZPR/EuIPR, Bd. I, Brüssel-I VO Art. 1 Rn. 109, 119; MüKoInsO/Thole, Bd. 4, EuInsVO 2000 Art. 3 Rn. 120; ders., IPRax 2019, 483 (486); Ulmer, KTS 2004, 291 (297); Willemer, Vis attractiva concursus und die EuInsVO, S. 124 f.; Weller/ Harms, IPRax 2016, 119 (121). 137 Haas, ZIP 2013, 2381 (2383 f.). 138 EuGH, 22. 02. 1979, Rs. 133/78 (Gourdain/Nadler), ECLI:EU:C:1979:49 Rn. 5 = BeckRS 2004, 71542; EuGH, 12. 02. 2009, Rs. C-339/07 (Deko Marty), ECLI:EU:C:2009:83 Rn. 17 = NJW 2009, 2189; EuGH, 02. 07. 2009, Rs. C-111/08 (Alpenblume), ECLI:EU:C: 2009:419 Rn. 29 = ZIP 2009, 1441 (1442); EuGH, 19. 04. 2012, Rs. C-213/10 (F-Tex), ECLI: EU:C:2012:215 Rn. 44 = ZIP 2012, 1049 (1051). 135

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venz heranziehen, müssten in der Konsequenz eine Vielzahl von Rechtsstreitigkeiten als Annexverfahren eingeordnet werden.139 Grundlage ist eine Veränderung der Masseaktiven. Eine darauf bezogene Rechtshandlung ist typischerweise kein insolvenzspezifisches Geschäft. Es hätte genauso vor und ganz unabhängig von der Insolvenz vorgenommen werden können.140 In diesen Kontext lässt sich auch die Entscheidung Valach einordnen. In dieser unterstellte der EuGH eine deliktische Haftungsklage gegen Gläubigerausschussmitglieder wegen der Ablehnung eines Sanierungsplans im Insolvenzverfahren der EuInsVO, und zwar trotz des ausdrücklichen Hinweises darauf, dass die Klage von „Anteilseignern“ der insolventen Gesellschaft und von „Gesellschaften, die Geschäftsbeziehungen mit dieser Gesellschaft unterhielten, erhoben worden ist“141. Die Kriterien des Art. 6 Abs. 1 EuInsVO sind also auch dann zu bejahen, wenn der Anspruch nicht auf die Mehrung der Insolvenzmasse gerichtet ist. Für die insolvenzrechtliche Qualifikation dient Massebezogenheit daher bestenfalls als Indiz142. In diesem Sinne schrieb der EuGH im Urteil NK die Anreicherung der Insolvenzmasse zugunsten aller Gläubiger klar dem prozessualen Kontext zu.143 Für eine endgültige Zuordnung von Haftungsinstrumenten ist die Masseanreicherung bzw. die Erlösverwendung nicht heranzuziehen. Sie sollte jedoch in einer Gesamtschau bei der Frage nach der Qualifikation berücksichtigt werden. bb) Par conditio creditorum Das Insolvenzverfahren nach der EuInsVO zielt als Kollektivverfahren auf die gleichmäßige Befriedigung aller Gläubiger nach dem Grundsatz der par conditio creditorum.144 Die lex fori concursus bildet dazu aufgrund ihres engen Bezugs zum (eröffneten) Insolvenzverfahren die verfahrensrechtliche Grundlage.145 Auf eben dieser erfolgt die judikatorische Auslegung der EuInsVO regelmäßig anhand ihrer globalen Zielsetzung. Diese erkennt der EuGH – unter Verweis auf die Erwägungsgründe der Verordnung – in der Förderung von Effektivität und Effizienz von

139 So auch Grompe, Die vis attractiva concursus im Europäischen Insolvenzrecht, S. 252; Mankowski, NZI 2009, 571 (572); siehe auch Oberhammer, IPRax 2010, 317 (323 f.). 140 Mankowski, NZI 2009, 571 (572); Oberhammer, IPRax 2010, 317 (323 f.). 141 EuGH, 20. 12. 2017, Rs. C-649/16 (Valach), ECLI:EU:C:2017:986 Rn. 32 = NJW 2018, 843 (844). 142 HCL/Behrens/Hoffmann, Bd. I, Einleitung Rn. B 137; Mankwoski, NZI 2018, 234 (235); Undritz, EWiR 2018, 243 (244). 143 EuGH, 06. 02. 2019, Rs. C-535/17 (NK), ECLI:EU:C:2019:96 Rn. 31 f. = IPRax 2019, 518 (520). 144 Häsemeyer, Insolvenzrecht Rn. 2.13; MüKo-BGB/Kindler, Bd. 13, Internationales Insolvenzrecht, EuInsVO Vorb. vor Art. 1 Rn. 19; Münchener Hdb GesR VI/Leible, § 35 Rn. 13, 151; siehe auch Berner/Klöhn, ZIP 2007, 106 (108). 145 Trunk, Internationales Insolvenzrecht, S. 88 f.

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grenzüberschreitenden Insolvenzverfahren.146 In diesem Zusammenhang findet sich auch immer wieder das Argument der Gläubigergleichbehandlung.147 Dieses bezieht sich dem Sinn nach allerdings auf einen diskriminierungsfreien Zugang zum Insolvenzverfahren und weniger auf die materielle Gleichbehandlung der Gläubiger.148 Letztere ist insbesondere über die Verteilungsfragen in Art. 7 Abs. 2 S. 2 EuInsVO dem mitgliedstaatlichen Recht übertragen, sodass Art. 7 EuInsVO eine unionsweite Gläubigergleichbehandlung erreicht. Die nationalen Insolvenzordnungen beinhalten mittlerweile allesamt mehr oder weniger den Grundsatz der gleichmäßigen Gläubigerbefriedigung als eines der grundlegenden Prinzipien des Insolvenzverfahrens.149 Unabhängig davon ist jedoch danach zu fragen, inwieweit die EuInsVO auf die Interessen aller Gläubiger im materiell-rechtlichen Sinne einer gleichmäßigen Befriedigung ausgerichtet ist. In der Rechtssache Kornhaas hat der EuGH ausdrücklich auf die Funktion des Insolvenzverfahrens abgestellt, für eine Haftungsabwicklung unter gleichmäßiger Befriedigung der Gläubiger zu sorgen.150 Im Gegensatz dazu reichte dem EuGH in NK die Tatsache, dass der erlangte Schadensersatz der Gläubigergesamtheit zugutekommt, für eine insolvenzrechtliche Qualifikation nicht aus. Das Merkmal der Klageerhebung durch den Insolvenzverwalter im Interesse aller Gläubiger ordnete er dem prozessualen Kontext zu,151 der für die Zuordnung nicht entscheidend ist. Auf dieser Linie liegt auch das Urteil Valach. Konsequent angewandt ist aus diesem zu schlussfolgern, dass ein der Gläubigergesamtheit zugutekommender Anspruch keine Voraussetzung für eine insolvenzrechtliche Qualifikation darstellt. So ist der Wertung der Valach-Entscheidung zu entnehmen, dass eine Klage nicht nur dann insolvenznah ist, wenn ein Insolvenzorgan insolvenzspezifische Ansprüche im Interesse der Gläubigergemeinschaft geltend macht.152 Für eine Verknüpfung zum Insolvenzrecht hatte es der EuGH trotz deliktisch qualifizierter Rechtsgrundlage als ausreichend angesehen, dass Mitglieder eines Gläubigerausschusses passivlegitimiert waren. Auf den hier behandelten insolvenztypischen Zweck wirken sich die letzteren zwei Entscheidungen indes nicht 146

Siehe etwa EuGH, 02. 05. 2006, Rs. C-341/04 (Eurofood), ECLI:EU:C:2006:281 Rn. 48 ff. = IPRax 2007, 120 (123); EuGH, 09. 11. 2016, Rs. C-212/15 (ENEFI), ECLI:EU:C: 2016:841 Rn. 22 f. = NJW 2017, 144 (145); EuGH, 18. 09. 2019, Rs. C-47/18 (Riel), ECLI:EU: C:2019:754 Rn. 49 = ZIP 2019, 1872 (1873); ErwG 8 EuInsVO, ABl.EU 2015 L 141/20; GrafSchlicker/Bornemann, InsO, EuInsVO Vorbemerkung Rn. 44 m. w. N. bei Fn. 80. 147 EuGH, 09. 11. 2016, Rs. C-212/15 (ENEFI), ECLI:EU:C:2016:841 Rn. 33 = NJW 2017, 144 (146); EuGH, 18. 09. 2019, Rs. C-47/18 (Riel), ECLI:EU:C:2019:754 Rn. 50 = ZIP 2019, 1872 (1874). 148 Graf-Schlicker/Bornemann, InsO, EuInsVO Vorbemerkung Rn. 44. 149 Eidenmüller, RabelsZ 70 (2006), 474 (484); grundsätzlich auch Flessner, ZEuP 2004, 887 (896); Grompe, Die vis attractiva concursus im Europäischen Insolvenzrecht, S. 256. 150 EuGH, 10. 12. 2015, Rs. C-594/14 (Kornhaas), ECLI:EU:C:2015:806 Rn. 20 = NJW 2016, 223 (224); Guski, ZIP 2018, 2395 (2397 f.). 151 EuGH, 06. 02. 2019, Rs. C-535/17 (NK), ECLI:EU:C:2019:96 Rn. 31 f. = IPRax 2019, 518 (520). 152 So bereits HCL/Behrens/Hoffmann, Bd. I, Einleitung Rn. B 140; Konecny, LMK 2018, 406423.

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4. Kap.: Ausformung allgemeiner Qualifikations- und Abgrenzungskriterien

aus. Bei der par conditio creditorum geht es um die gleichmäßige Gläubigerbefriedigung und nicht allein darum, dass die Gesamtgläubigerschaft vom jeweiligen Anspruch betroffen ist. Ausgangspunkt für die verordnungsautonome Auslegung ist Art. 1 Abs. 1 S. 1 i. V. m. Erwägungsgrund 10 EuInsVO. Dadurch werden der Insolvenzschuldner und dessen Schutz in den Vordergrund gestellt. Die drei Tatbestände in Art. 1 Abs. 1 S. 1 lit. a bis lit. c EuInsVO begegnen stattdessen der Gläubigerbenachteiligung. Sie sind auf die Sicherung des schuldnerischen Vermögens gerichtet und ermöglichen erst so die gleichmäßige Gläubigerbefriedigung. Auch der Ansatz, dass nach Erwägungsgrund 14 EuInsVO ein unter die Verordnung fallendes Gesamtverfahren (soweit es zur endgültigen Einstellung der Unternehmenstätigkeit des Schuldners oder zur Verwertung seines Vermögens kommt) alle oder einen wesentlichen Teil der Gläubiger des Schuldners einschließen sollte, deutet auf die Gläubigergleichbehandlung in der EuInsVO hin. Gegenteiliges lässt sich nicht aus dem Umstand schlussfolgern, dass ein Verfahren, das nicht alle Gläubiger eines Schuldners einschließt, ein Verfahren sein sollte, dessen Ziel die Rettung des Schuldners ist.153 Grompe erkennt hierin eine Durchbrechung des kollektiven Ansatzes der EuInsVO.154 Präventive Sanierungsverfahren nach Art. 1 Abs. 1 S. 2 EuInsVO, die zur Vermeidung einer bloß wahrscheinlichen Insolvenz eingeleitet werden, dienen jedoch letztlich allen Gläubigern, auch wenn sie zunächst nicht auf deren gleichmäßige Befriedigung ausgerichtet sind. Aus einer Gesamtschau der einschlägigen EuInsVORegelungen und den Erwägungen des Verordnungsgebers lässt sich im Grundsatz der par conditio creditorum erkennbar ein insolvenztypischer Zweck auf Unionsrechtsebene ausmachen, der zur insolvenzrechtlichen Qualifikation von Einzelverfahren herangezogen werden kann. Knüpft der einem solchen Verfahren zugrundeliegende Anspruch direkt oder indirekt an die gleichmäßige Gläubigerbefriedigung an, besteht ein hinreichend enger Zusammenhang mit dem Insolvenzverfahren und dessen Wirkungen. cc) Haftungsverwirklichung Das nationale Insolvenzrecht dient der Haftungsverwirklichung durch Befriedigung der Gläubiger aus dem verknappten Schuldnervermögen.155 In der Literatur156 153

So in ErwG 14 S. 3 EuInsVO, ABl.EU 2015 L 141/20. Grompe, Die vis attractiva concursus im Europäischen Insolvenzrecht, S. 258. 155 So etwa auch Eidenmüller, Unternehmenssanierung zwischen Markt und Gesetz, S. 18; Häsemeyer, Insolvenzrecht Rn. 1.14 ff.; Uhlenbruck/Hirte/Praß, InsO, Bd. 1, § 35 Rn. 6 f. 156 Grompe, Die vis attractiva concursus im Europäischen Insolvenzrecht, S. 254 f.; Guski, ZIP 2018, 2395 (2399); MüKo-BGB/Kindler, Bd. 13, Internationales Insolvenzrecht, EuInsVO Art. 6 Rn. 5, Art. 7 Rn. 10 und 65 in Bezug auf die Insolvenzantragspflicht; ders./Wendland, RIW 2018, 245 (247); Uhlenbruck/Knof, InsO, Bd. 2, EuInsVO Art. 3 Rn. 12; Mankowski, RIW 2004, 481 (486); Pannen/Pannen/Riedemann, EuInsVO-Kommentar, Art. 3 Rn. 114; EuInsVO/Paulus, Art. 6 Rn. 6; Thole, ZIP 2012, 605 (607); Weber, Gesellschaftsrecht und Gläubigerschutz im IZVR, S. 98; Weller/Harms, IPRax 2016, 119 (121). 154

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herrscht mittlerweile Einigkeit darüber, dass die kollektive Haftungsverwirklichung der Schuldnergesellschaft zur bestmöglichen und gleichmäßigen Gläubigerbefriedigung als insolvenztypischer Zweck auch unter dem autonomen Maßstab der EuInsVO dem Schutz der Gläubigerinteressen dient. Die dem Anwendungsbereich der EuInsVO zuzuordnenden Verfahren zielen zur Zweckverwirklichung darauf ab, dem Schuldner die Verwaltungs- und Verfügungsbefugnis über sein Vermögen zu entziehen und dessen Geschäftstätigkeit unter gerichtliche Aufsicht und Kontrolle zu stellen. Zudem zielen sie darauf, die vorübergehende Aussetzung von Einzelvollstreckungsverfahren zu gewähren, Art. 1 Abs. 1 S. 1 lit. a bis lit. c EuInsVO. Diese Art von Maßnahmen dient zweifelsfrei der Haftungsverwirklichung. Haas stellte insofern bereits vor mehr als zwei Jahrzehnten fest, dass die „Allseitigkeit der insolvenzrechtlichen Haftungsordnung“ durch staatliche Vermögens- und Haftungsabwicklung zur Bereinigung des die Gläubiger und die Allgemeinheit betreffenden Insolvenzkonflikts mit ihrem universellen Geltungsanspruch für ein Insolvenzverfahren prägend sei.157 Auch der Verweis auf die in Anhang A der EuInsVO genannten Verfahren bildet einen ersten entsprechenden Bezugspunkt der Verordnung. Den einheitlichen Zugang zur Haftungsverwirklichung bieten die Grundsatznormen Art. 3 und Art. 7 EuInsVO. Sie beziehen sich jeweils auf das Insolvenzverfahren im zuvor bezeichneten Sinne. Losgelöst von der Eröffnung eines Kollektivverfahrens ist – dem präventiven Ansatz158 folgend – der Haftungsbezug jedoch auch im Zeitraum vor Eintritt der materiellen Insolvenz über die EuInsVO eingebunden.159 Würde die Verordnung die Haftungsverwirklichung nur im Rahmen eines geordneten Verfahrens zulassen, hätte das zur Folge, dass Rechtsfragen in Bezug auf die Haftung außerhalb der kollektivrechtlichen Durchsetzung von Gläubigeransprüchen vom Geltungsbereich der EuInsVO ausgeschlossen wären. Aus der hier aufbereiteten Rechtsprechung folgen derartige Feststellungen nicht. Einzig in Kornhaas wies der EuGH der Funktion des Insolvenzverfahrens indirekt die einer Haftungsabwicklung zu. Er stellte auf die Verhinderung etwaiger Masseverkürzungen vor Eröffnung des Insolvenzverfahrens ab, damit eine gleichmäßige Befriedigung der Gläubiger erfolgen kann.160 Soweit es einer Norm also darum geht, der Haftung der Schuldnergesellschaft gegenüber ihren Gläubigern zu gewährleisten, ist ihr ein insolvenztypischer Zweck im unionsrechtlichen Sinne zuzuschreiben. dd) Haftungsbegründung Die von der Haftungsverwirklichung abzugrenzenden Instrumente der Haftungsbegründung sind ebenfalls als Teil des Insolvenzrechts einzuordnen und in der 157

Haas, NZG 1999, 1148, 1152. Siehe auch Graf-Schlicker/Bornemann, InsO, EuInsVO Art. 7 Rn. 7, 9. 158 Oben Kap. 4 § 8 B. II. 1. b) aa). 159 Ebenso Grompe, Die vis attractiva concursus im Europäischen Insolvenzrecht, S. 279. 160 EuGH, 10. 12. 2015, Rs. C-594/14 (Kornhaas), ECLI:EU:C:2015:806 Rn. 20 = NJW 2016, 223 (224).

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Folge der EuInsVO zu unterstellen.161 Zwar mag im vertikalen Verhältnis zwischen Gläubiger und Schuldnergesellschaft zunächst das System des Gesellschaftsrechts im Vordergrund stehen. Daraus folgt aber nicht automatisch, dass Regelungen, die den Bestand und Umfang von Ansprüchen gegen Gesellschafter oder Geschäftsführer betreffen, zwangsläufig Bestandteil des Gesellschaftsstatuts sind. Zeitlich reicht der insolvenzrechtliche Schutz vor gläubigerschädigendem Verhalten und sonstigen insolvenzbezogenen Risiken vor den Eintritt der materiellen Insolvenz und die Verfahrenseröffnung. Funktional bezieht sich der Schutz neben der Reinigungsfunktion des Insolvenzverfahrens (durch das Ausscheiden kranker Unternehmen vom Markt) auch auf Handlungen, welche die Vermögensmasse im Vorfeld der Insolvenzeröffnung schmälern.162 Insoweit zeigt sich, dass die Schutzvorschriften des Gesellschaftsrechts starke Bezüge zum Insolvenzrecht aufweisen und eine Übertragung des insolvenzrechtlichen Schutzes auf das Gesellschaftsrecht entbehrlich ist – auch oder gerade weil die Vorschriften außerhalb der Insolvenz Geltung beanspruchen. Anders stellt sich dies bei reinen Kapitalaufbringungs- oder -erhaltungsvorschriften des Kapitalgesellschaftsrechts dar. Diese dienen in ihrer Funktion insbesondere dem organisationsrechtlichen Verhältnis der Gesellschaft mit den Gesellschaftern sowie dem Schutz der jeweils anderen Gesellschafter.163 Bei der Haftungsbegründung aus „insolvenzverursachendem Fehlverhalten“164 handelt es sich jedoch um einen insolvenztypischen Zweck zum Schutz der Gläubiger. Diesem trägt die EuInsVO durch ihre weite Konzeption ebenfalls Rechnung. Gleichwohl ist zuzugeben, dass eine klare Trennung haftungsbegründender Instrumente nicht offenkundig ist, gerade wegen der engen Verflechtung von Gesellschafts- und Insolvenzrecht. Im weiteren Verlauf dieser Arbeit soll dennoch eine entsprechende Abgrenzung anhand der entwickelten Systematik vollzogen werden.165 b) Regulative Wirkung Mit dem weiten und funktionalen Insolvenzbegriff166 der EuInsVO geht eine ebenso umfassende Regulierungswirkung des Insolvenz(verfahrens)rechts einher. Die präventive Konzeption der Verordnung fordert einen Rechtsrahmen, der dem Zustand der materiellen Insolvenz frühzeitig entgegenwirkt und nicht allein auf die verfahrensmäßige Bewältigung einer solchen Situation gerichtet ist. Ein entspre161 So auch Eidenmüller, RabelsZ 70 (2006), 475 (485), der die Haftungsbegründung zuvor nicht dem Insolvenzrecht zuordnete, Eidenmüller, Unternehmenssanierung zwischen Markt und Gesetz, S. 18; Grompe, Die vis attractiva concursus im Europäischen Insolvenzrecht, S. 264. A. A. Hirte/Mock, ZIP 2005, 474 (475); Mock/Schildt, ZInsO 2003, 396 (398); Weber, Gesellschaftsrecht und Gläubigerschutz im IZVR, S. 104. 162 Röhricht, ZIP 2005, 505 (506). 163 MüKo-InsO/Reinhart, Bd. 4, EuInsVO 2000 Art. 4 Rn. 6, 8. 164 Grompe, Die vis attractiva concursus im Europäischen Insolvenzrecht, S. 264. 165 Unten Kap. 5 § 10 und § 11. 166 Oben Kap. 4 § 8 B. II. 1. b) aa).

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chendes insolvenzregulatorisches Umfeld bilden dabei die Regelungen zugunsten der Haftungsrealisierung und -begründung. Sie führen zu einer indirekten Ex-anteSteuerung des Verhaltens von Gesellschaftsorganen (insbesondere von Geschäftsführern) und der Teilnahme von Gesellschaften am Rechtsverkehr. Der Wirkungshintergrund besteht darin, dass die EuInsVO das erhöhte Risiko einer Insolvenz erkennt und nachteilige Auswirkungen grenzüberschreitend agierender Unternehmen auf den Binnenmarkt durch koordinierte Maßnahmen verhindern will.167 3. Zusammenführung der Kriterien der vis attractiva concursus Es ist zu konstatieren, dass nicht nur das Unmittelbarkeitskriterium, das der EuGH zuletzt immer wieder für seine Argumentation heranzog, materiellen Insolvenzbezug aufweist, sondern auch das Kriterium des engen Zusammenhangs. Letzteres ist jedoch weiter gefasst und knüpft nicht unmittelbar an den Eintritt der Insolvenzgründe an. Zutreffend geht Generalanwalt Bobek also davon aus, dass die zweite Prüfungsvoraussetzung die Einbeziehung weiterer Elemente des Kontexts gestattet168. Diese kann jedoch nur so weit reichen, wie der Schutz von Gläubigerinteressen betroffen ist. Der Gläubigerschutz findet seine Grundlage in den insolvenztypischen Zwecken, die allesamt – wenn auch in unterschiedlicher Intensität – unter dem autonomen Maßstab der EuInsVO ihren gemeinsamen Bezugspunkt im materiellen Insolvenzrecht haben. Konkret liegt der Bezugspunkt in der Verwirklichung des Grundsatzes der par conditio creditorum sowie der Haftungsverwirklichung und -begründung. Demzufolge ist es richtig, dass das zweite Element des Art. 6 Abs. 1 EuInsVO nicht als eigenständiges Prüfungskriterium zu betrachten ist, sondern auf das erste Kriterium der Unmittelbarkeit zu übertragen ist. Insofern kommt ihm auch keine Verifizierungsfunktion zu. Denn das nunmehr alleinstehende Merkmal beinhaltet sowohl die direkte Anknüpfung an die materielle Insolvenz als auch die ermittelten insolvenztypischen Zwecke. Für dieses ist konkret danach zu fragen, ob das jeweilige Rechtsinstitut unmittelbar an die materielle Insolvenz anknüpft bzw. ob mit diesem einer der hier genannten insolvenztypischen Zwecke verfolgt wird. Damit steht die materielle Ordnungsfunktion des Insolvenzrechts im Vordergrund. Für die hier maßgebliche Frage, welcher Anspruch dem Insolvenzrecht und seinen Wirkungen zugeordnet werden kann, bedeutet das, dass der Inhalt der zusammengeführten Kriterien des Art. 6 Abs. 1 EuInsVO unmittelbar auf Art. 7 Abs. 1 EuInsVO übertragen werden kann. Bei der Zuordnung ist dann zunächst allein die Rechtsgrundlage in den Blick nehmen, auf die es bei der Qualifikation maßgeblich ankommt. Die Rechtsgrundlage ist jedoch nicht alleine entscheidend. Der konkrete Vorwurf ist ebenfalls stets zu berücksichtigen.169 In diesen Fällen ist dann zu untersuchen, inwieweit weitere Aspekte, die zwar außerhalb der Rechtsgrundlage 167

ErwG 4 S. 2 EuInsVO, ABl.EU 2015 L 141/19. Generalanwalt Bobek, Schlussanträge, 18. 10. 2018, Rs. C-535/17 (NK), ECLI:EU:C: 2018:850 Rn. 65 = BeckRS 2018, 25258. 169 Thole, IPRax 2019, 483 (486). 168

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4. Kap.: Ausformung allgemeiner Qualifikations- und Abgrenzungskriterien

stehen, sich aber dennoch auf diese bzw. auf ihre Geltendmachung auswirken, ausschlaggebend sind. Im Urteil Valach170 etwa hat der EuGH die Rechtsgrundlage expressis verbis als deliktisch qualifiziert, die Klage aber insolvenzspezifisch eingeordnet, weil es um die Pflichten als Gläubigerausschussmitglied ging. Ausreichend ist, wenn die Entscheidung auch von Sonderregeln für Insolvenzverfahren maßgeblich abhängt.171 4. Zwischenergebnis In ihrer funktionalen Ausgestaltung bezieht die auf das Verfahrensrecht ausgerichtete EuInsVO auch wesentliche materiell-rechtliche Wertungen und Regelungsgehalte des Insolvenzrechts in ihren Anwendungsbereich ein. Davon werden bei Art. 6 Abs. 1 EuInsVO das Unmittelbarkeitskriterium und das des engen Zusammenhangs gleichermaßen berührt. Darüber hinaus lässt sich aber auch für Art. 7 Abs. 1 EuInsVO ein materiell-rechtlicher Bezug feststellen. Insbesondere dessen Wirkung sorgt zugleich dafür, dass die EuInsVO nicht allein einen reaktiven Ansatz verfolgt. Sie bezieht den Zeitraum im Vorfeld der Insolvenz mit ein und trägt so zur Verwirklichung eines weitreichenden Gläubigerschutzes bei. Voraussetzung ist eine auf Tatbestands- oder Rechtsfolgenseite erfolgende Anknüpfung an den Bezugspunkt der materiellen Insolvenz. Für die Qualifikationsfragen weisen die hier vor dem Hintergrund der insolvenzrechtlichen Implikation behandelten insolvenztypischen Zwecke die Richtung. Sie bilden die Grundlage für eine auf insolvenzrechtlichen Kriterien basierende Zuordnung insolvenznaher Haftungsinstrumente. Herauszustellen ist das Prinzip der Gläubigergleichbehandlung. Es steht in direktem Bezug zur Haftungsverwirklichung. Demnach sind entsprechende Regelungsinstrumente der EuInsVO zu unterstellen und als insolvenzrechtlich zu qualifizieren, wenn durch das Rechtsinstitut ein gläubigerschädigendes Verhalten zum Zwecke der Haftungsverwirklichung sanktioniert wird und zugleich der Verfahrensgrundsatz der par conditio creditorum verwirklicht wird.

III. Kriterienkatalog – insolvenzrechtliche Qualifikation unter Art. 7 Abs. 1 EuInsVO Möchte man nationale und ausländische Rechtsinstitute mittels internationalprivatrechtlicher Qualifikation kollisionsrechtlich einem Systembegriff – dem des Gesellschafts-, Insolvenz- oder Deliktsstatuts – zuordnen, ist zunächst nach der Funktion des Rechtsinstituts zu fragen. Für eine insolvenzrechtliche Qualifikation ist konkret zu ermitteln, welche Funktion das Rechtsinstitut bzw. die jeweilige Norm im Zusammenhang mit der mitgliedstaatlichen Insolvenzrechtsordnung erfüllt. Diese 170 171

EuGH, 20. 12. 2017, Rs. C-649/16 (Valach), ECLI:EU:C:2017:986 = NJW 2018, 843. Konecny, LMK 2018, 406423.

§ 8 Entwicklung allgemeiner Prinzipien der insolvenzrechtlichen Zuordnung

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Funktion ist sodann in einem zweiten Schritt mit der insolvenzrechtlichen Implikation der EuInsVO in Bezug zu setzen. Für eine insolvenzrechtliche Qualifikation ist dabei entscheidend, dass das Rechtsinstitut oder die Grundlagennorm einen Anknüpfungspunkt an die materielle Insolvenz aufweist und die Regelung das Erreichen oder die Absicherung eines der zuvor ermittelten insolvenztypischen Zwecke172 zum Ziel hat.173 1. Qualifikationskriterien Zusammenfassend lässt sich aus der bisherigen EuGH-Rechtsprechung und der funktional-teleologischen Auslegung der EuInsVO sowie aus dem festgestellten Zusammenhang mit dem Insolvenzrecht ein Kriterienkatalog mit Prüfsteinen erstellen. Mit diesem können Rechtsinstitute auf Grundlage des Art. 7 Abs. 1 EuInsVO dem Anknüpfungsgegenstand des „Insolvenzverfahrens und seinen Wirkungen“ zugeordnet werden: • Weder das Vorliegen eines eröffneten Insolvenzverfahrens noch die spätere Eröffnung eines solchen Verfahrens sind Voraussetzung für eine Qualifikation unter Art. 7 Abs. 1 EuInsVO. Die Anwendbarkeit eines Haftungsanspruchs außerhalb eines Insolvenzverfahrens schließt die insolvenzspezifische Einordnung nicht aus. • Die Vorwirkung eines Anspruchs auf den Zeitraum vor Eröffnung des Insolvenzverfahrens steht einer insolvenzrechtlichen Qualifikation nicht entgegen. • Die insolvenzrechtliche Qualifikation unter Art. 7 Abs. 1 EuInsVO hängt nicht von der Geltendmachung des Anspruchs durch einen Insolvenzverwalter ab. • Dass ein Anspruch nicht der Gläubigergesamtheit zugutekommt, steht der insolvenzrechtlichen Qualifikation nicht entgegen. • Setzt die Anwendung einer Sachnorm des nationalen Rechts dagegen die Eröffnung eines Insolvenzverfahrens voraus, ist sie insolvenzrechtlich zu qualifizieren. Gleiches folgt aus der ausschließlichen Zuständigkeit eines Insolvenzverwalters. • Aus der tatbestandlichen Abhängigkeit eines Anspruchs von der materiellen Insolvenz des Schuldners folgt eine Abweichung von den allgemeinen Regelungen, die eine insolvenzrechtliche Qualifikation begründet. Bei einer „generalklauselartigen“ Anspruchsgrundlage ist deren Kerngehalt als konkreter Bezugspunkt zu ermitteln. • Ein Anspruch ist insolvenzrechtlich zu qualifizieren, wenn durch diesen ein gläubigerschädigendes Verhalten zum Zwecke der Haftungsverwirklichung sanktioniert wird und zugleich der Verfahrensgrundsatz der par conditio creditorum verwirklicht wird. 172 173

Oben Kap. 4 § 8 B. II. 2. a). Ähnlich Graf-Schlicker/Bornemann, InsO, EuInsVO Art. 6 Rn. 7.

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4. Kap.: Ausformung allgemeiner Qualifikations- und Abgrenzungskriterien

• Dient ein Anspruch dem Erreichen oder der Absicherung der insolvenztypischen Zwecke in Form der Haftungsverwirklichung und -begründung sowie dem Grundsatz der par conditio creditorum, ist er insolvenzrechtlich zu qualifizieren. Masseanreicherung ist kein taugliches Qualifikationskriterium. • Voraussetzung für die insolvenzrechtliche Qualifikation präventiv wirkender Vorschriften ist, dass sie tatbestandlich, spätestens aber mit ihren Rechtsfolgen, an den gemeinsamen Bezugspunkt der materiellen Insolvenz geknüpft sind. • Ein Anspruch ist insolvenzrechtlich zu qualifizieren, wenn er die Funktion des Insolvenzverfahrens als Instrument der allseitigen Haftungsordnung zur kollektiven Bewältigung einer finanziellen Krisensituation unter Knappheitsbedingungen stützt. • Findet ein Anspruch seine Grundlage darüber hinaus in der materiellen Ordnungsfunktion des Insolvenzrechts, ist er ebenfalls insolvenzrechtlich zu qualifizieren. In der hier beschriebenen zweiseitigen Ordnungsfunktion des Unionsrechts – der des Insolvenzverfahrens in Bezug auf die Haftung sowie der des materiellen Insolvenzrechts – lässt sich ein Schlüsselkriterium für die Qualifikation insolvenznaher Haftungstatbestände ausmachen. Das Kriterium deckt die insolvenzrechtliche Implikation der EuInsVO in weitem Umfang ab und bezieht zugleich die bestimmenden insolvenztypischen Zwecke mit ein. Insoweit bietet es greifbarere Anknüpfungspunkte als die allgemein gehaltene Gourdain-Formel. 2. Bedingter Zuordnungsumfang Gleichwohl ist der zu qualifizierende Anspruch nicht allein nach seiner Verbindung zur insolvenz(verfahrens)rechtlichen Ordnungsfunktion zu beurteilen. Er ist zugleich auf die weiteren Qualifikationskriterien hin zu untersuchen. Darüber hinaus müssen die Kriterien dem (in Teilen) bestehenden Widerspruch zwischen Anknüpfung und Zuständigkeit gerecht werden. Vergegenwärtig man sich die Funktionsweise der genannten Zuordnungsmerkmale, wird deutlich, dass durch diese zwar einerseits eine breite Zuordnung „klassischer“ Haftungsinstrumente ermöglicht wird. Andererseits können die Kriterien der Vielgestaltigkeit insolvenznaher Haftungsregelungen nicht vollumfänglich gerecht werden. Sicher zuordnen lassen sich demzufolge bislang vor allem solche Ansprüche, deren Nähe zum Insolvenz(verfahrens)recht bereits in der Gesetzessystematik oder in der jeweiligen Norm offenkundig angelegt ist. Für das nationale Recht betrifft dies zuvorderst die Geschäftsleiterhaftung nach neuem Recht in § 15b InsO, wobei es auch hier einer genauen Differenzierung bedarf.174 Für diejenigen Haftungsinstrumente, die sich anhand der entwickelten Kriterien nicht treffsicher 174 Zur Qualifikation und kollisionsrechtlichen Einordnung nationaler Haftungsinstrumente unten Kap. 5 § 11.

§ 8 Entwicklung allgemeiner Prinzipien der insolvenzrechtlichen Zuordnung

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einordnen lassen, sind weitere Anknüpfungsmerkmale mit in den Blick zu nehmen. Einzubeziehen sind der situative Ansatz sowie das Regulativ der jeweiligen Norm. Begrenzt ist die Zuordnungsmöglichkeit auch dann, wenn es um die Anwendung der Haftungsnormen in unterschiedlichen zeitlichen Konstellationen und auf verschiedene Abschnitte insolvenzbezogener Sachverhalte geht.175 Gerade bei der Verknüpfung zweier gleichartiger Rechtsinstitute aus den Rechtsordnungen verschiedener EU-Mitgliedstaaten können sich die Regelungen in ihrer Ausgestaltung und in ihrem Regelungsinhalt derart unterscheiden, dass nur eines der Institute die Kriterien der insolvenzrechtlichen Qualifikation klar erfüllt. Zwar lässt sich das bei Haftungsfällen mit Auslandsbezug zutage tretende kollisionsrechtliche Spannungsverhältnis zwischen Gesellschafts- und Insolvenzrecht durch die Anwendung der hier entwickelten Qualifikationskriterien zumeist auflösen. Für Fälle, in denen dies nicht gelingt, ist auf den kollisionsrechtlichen Mechanismus zur Anspruchsverknüpfung zurückzugreifen.176

IV. Loslösung vom verfahrensrechtlichen Charakter der lex fori concursus Die verschiedenen Insolvenzrechtsordnungen der Mitgliedstaaten sind typischerweise sowohl durch materiell-rechtliche Vorschriften als auch durch Verfahrensvorschriften ausgestaltet. Das Insolvenzrecht wird durch diesen Doppelcharakter geprägt.177 In diesem Sinne regelt die lex concursus die verfahrensrechtlichen und die materiellen Wirkungen des Insolvenzverfahrens auf die davon betroffenen Personen und Rechtsverhältnisse.178 Eine Differenzierung zwischen eben diesen Wirkungen erfolgt bei Art. 7 Abs. 1 EuInsVO allerdings nicht.179 Lediglich Art. 7 Abs. 2 S. 1 EuInsVO bestimmt für das Verfahrensrecht, dass die Eröffnung, die Durchführung und die Beendigung des Insolvenzverfahrens vom Insolvenzrecht des Staates der Verfahrenseröffnung umfasst werden. Konkret folgt der verfahrensrechtliche Bezug der lex fori concursus aus der Bestimmung, dass für das Insolvenzverfahren und seine Wirkungen das Insolvenzrecht des Staates der Verfahrenseröffnung gilt, der gem. Art. 3 EuInsVO nach dem COMI der Gesellschaft bestimmt wird. Auch wenn der Wortlaut Pflichten im Vorfeld der Insolvenzeröffnung nicht umfasst, sind diese gleichwohl in den Anwendungsbereich mit einzubeziehen.180 Abgesehen davon ist aber aufgrund fehlender Differenzierung nicht festgelegt, wie schwer die beschriebenen Wirkungen jeweils zu gewichten sind. Vor diesem Hintergrund bildet die 175 176 177 178 179 180

Zur differenzierenden Systematik sogleich unten Kap. 4 § 9. Hierzu unten Kap. 4 § 9 C. BeckOK-InsO/Mock, EuInsVO Art. 7 Rn. 4. ErwG 66 S. 4 EuInsVO, ABl.EU 2015 L 141/26. Vallender/Liersch, EuInsVO Art. 7 Rn. 2. Siehe nur oben Kap. 3 § 6 B. II. 2. und Kap. 4 § 8 B. II. 1. b) aa).

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4. Kap.: Ausformung allgemeiner Qualifikations- und Abgrenzungskriterien

starke materiell-rechtliche Implikation181 im Unionsrecht, die sich speziell auch bei Art. 7 Abs. 1 EuInsVO wiederfindet, die Grundlage für die Loslösung vom strengen verfahrensrechtlichen Charakter der lex fori concursus. Dies bedeutet freilich nicht, dass dessen Wirkungsgehalt nicht mehr zur Anwendung gelangen soll. Denn auch der parallel verlaufende materiell-rechtliche Bezug ist begründet durch die Zielsetzung des Insolvenzverfahrens und weist damit ebenfalls einen verfahrensrechtlichen Bezug auf. Sofern es jedoch um die insolvenzrechtliche Qualifikation von Rechtsinstituten geht, ist der prozessuale Kontext dafür nicht zwangsläufig der entscheidende. Vielmehr kommt es hier auf den materiell-rechtlichen Regelungsgehalt an. Das gilt auch für Fragen im Zusammenhang mit der Verlegung des COMI. Hier ist der verfahrensrechtliche Charakter zwar grundsätzlich zu berücksichtigen, jedoch nicht sonderlich stark zu gewichten. Im Ergebnis führen die bislang gewonnen Erkenntnisse nicht zu einer vollständigen Loslösung vom prozessualen Bezug. Die Verbindung zum Verfahrensrecht lässt sich durch die konsistente Ausgestaltung der lex fori concursus nicht negieren. Gleichzeitig kann die Verbindung ohne Not durchbrochen werden, sodass es nicht allein auf das Recht des jeweiligen Verfahrensstaates ankommen muss.

§ 9 Differenzierende Systematik Nachdem die einschlägigen Kriterien für eine insolvenzrechtliche Qualifikation ermittelt wurden, ist danach zu fragen, wie sich deren Anwendung in unterschiedlichen zeitlichen Konstellationen und auf verschiedene Abschnitte insolvenzbezogener Sachverhalte auswirkt. Insbesondere ein Statutenwechsel182 durch die Verlegung des COMI einer Gesellschaft in einen anderen EU-Mitgliedstaat sowie die daraus resultierenden materiell-rechtlichen und zuständigkeitsrechtlichen Folgen bergen mit Blick auf die Qualifikation insolvenznaher Haftungsinstrumente Klärungsbedarf. Fragen bestehen insbesondere in dem Fall, in dem eine Gesellschaft, deren COMI sich zum Zeitpunkt der Verwirklichung der Voraussetzungen eines Anspruchs im Inland befindet, danach ihren COMI ins europäische Ausland verlegt, wo schließlich ein Insolvenzverfahren eröffnet wird. In diesem Insolvenzverfahren müsste gem. Art. 7 Abs. 1 EuInsVO das Insolvenzrecht des Zuzugsstaates Anwendung finden. Was passiert aber in diesem Fall mit einem Anspruch des Wegzugstaates, dessen Tatbestandsvoraussetzungen zuvor erfüllt wurden (unten A. II. 2.)? Darüber hinaus ist zu untersuchen, was aus dem im dritten Kapitel183 festgestellten fehlenden Gleichlauf zwischen gerichtlicher Zuständigkeit nach Art. 6 Abs. 1 EuInsVO und dem anwendbaren Recht nach Art. 7 Abs. 1 EuInsVO für das Insolvenzstatut folgt (unten A. II. 3. und B.). Während Mankowski und mit ihm weitere 181 182 183

Dazu oben Kap. 4 § 8 B. II. 1. und 2. Grundlegend dazu oben Kap. 2 § 3 D. Oben Kap. 3 § 6 C. II. 3. b) cc).

§ 9 Differenzierende Systematik

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Autoren der Meinung sind, dass sich unterschiedliche Qualifikationsmaßstäbe und Qualifikationsergebnisse für Anwendungsbereich, Zuständigkeit und Kollisionsrecht weder formulieren noch rechtfertigen lassen,184 streiten gleich mehrere Argumente für eine zeitlich differenzierte Anwendung des Insolvenzstatuts. Das Anknüpfungsmoment des Ortes der Verfahrenseröffnung, aus dem der Gleichlauf von internationaler Zuständigkeit und anwendbarem Recht resultiert, ist einzuschränken.

A. Gleichlaufgrundsatz als Ausgangspunkt Die Frage, ob eine Insolvenzverfahrenseröffnung Voraussetzung für die Anwendung des Art. 7 Abs. 1 EuInsVO ist, wurde bereits unter Heranziehung der Argumentation des EuGH in Kornhaas und H verneint.185 In der Konsequenz ist für den von Art. 7 Abs. 1 EuInsVO angeordneten Gleichlauf zwischen Zuständigkeit und anwendbarem Recht zu unterscheiden: Zuständigkeitsrechtlich ergibt es durchaus Sinn, dass je nachdem, ob ein Verfahren eröffnet wurde, die EuInsVO oder die Brüssel Ia-VO zur Anwendung gelangt. Für die Anknüpfung gilt dies jedoch nicht. So kann es wohl kaum zu einem Statutenwechsel bezüglich eines bestehenden Anspruchs kommen, nur weil nachträglich ein Insolvenzverfahren eröffnet worden ist. Die Eröffnung des Insolvenzverfahrens als Abgrenzungskriterium spielt demnach allein eine zuständigkeitsbegründende Rolle. Für die insolvenzrechtliche Zuordnung von Haftungsansprüchen ist hingegen von einem Gleichlauf zwischen Zuständigkeit und Qualifikation auszugehen. So ist nicht nur von der Zuständigkeit gem. Art. 6 Abs. 1 EuInsVO auf die insolvenzrechtliche Qualifikation des der Klage zugrundeliegenden Haftungsanspruchs und weiter auf die kollisionsrechtliche Anknüpfung nach Art. 7 EuInsVO zu schließen. Auch umgekehrt kann ein Anspruch, der qualifikationsrechtlich unter Art. 7 EuInsVO fällt, bezüglich Art. 6 Abs. 1 EuInsVO den Spezialregelungen für Insolvenzverfahren zugeordnet werden.186 Die Qualifikationskriterien sind – wie sich aus der neueren Rechtsprechung187 ergibt – insoweit identisch. Die bisherigen Ausführungen beziehen sich jedoch allein auf das Verhältnis zwischen der Zuständigkeit nach Art. 6 Abs. 1 EuInsVO für Klagen, die unmittelbar aus dem Insolvenzverfahren hervorgehen und in engem Zusammenhang damit stehen, und dem anwendbaren Recht nach Art. 7 Abs. 1 EuInsVO. In einem weiteren Schritt ist daher zu klären, was aus den getroffenen Feststellungen für das

184 So explizit Mankowski, NZI 2020, 43 (43 f.); ders., NZI 2019, 304; Swierczok, jurisPRInsR 7/2020 Anm. 2; wohl auch Kindler/Wendland, RIW 2018, 245 (247). Anders dagegen Uhlenbruck/Knof, InsO, Bd. 2, EuInsVO Art. 7 Rn. 111; Kolmann/Ch. Keller, in: Gottwald/ Haas, Insolvenzrechts-HdB, § 131. Insolvenzkollisionsrecht Rn. 6; Mock, IPRax 2016, 237 (239). 185 Oben Kap. 3 § 6 B. II. 2. 186 Dazu ausführlich oben Kap. 3 § 6 B. II. 2. und C. II. 3. 187 Oben Kap. 4 § 8 A. II. 4.

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4. Kap.: Ausformung allgemeiner Qualifikations- und Abgrenzungskriterien

Verhältnis zwischen der internationalen Zuständigkeit nach Art. 3 EuInsVO und der Anknüpfung unter Art. 7 Abs. 1 EuInsVO folgt.

I. Hypothetische lex fori concursus Nach dem Wortlaut des Art. 7 Abs. 1 EuInsVO gilt für das Insolvenzverfahren und seine Wirkungen das Insolvenzrecht des Mitgliedstaates, in dem das Verfahren eröffnet wird. Dieser Eröffnungsbezug sorgt dafür, dass das anwendbare Recht grundsätzlich erst dann feststeht, wenn das Verfahren tatsächlich eröffnet ist.188 Aus der präventiven Konzeption189 der EuInsVO und der EuGH-Rechtsprechung190, wonach die Antragspflicht im Vorfeld des Verfahrens ebenfalls dem Anwendungsbereich der lex fori concursus unterfallen soll, folgt jedoch zugleich eine vorverlagerte und vorausschauende Anknüpfung des anzuwendenden materiellen Rechts an die zukünftige lex fori. Für den Zeitraum vor Verfahrenseröffnung kommt damit – wie auch bei gänzlich fehlender Verfahrenseröffnung unter analoger Anwendung des Art. 3 EuInsVO191 – das Recht des Staates zur Anwendung, in dem ein Insolvenzverfahren hypothetisch zu eröffnen wäre, d. h. das Recht am COMI des Schuldners.192 Der Anwendungsbereich der allgemeinen Kollisionsnorm folgt dementsprechend nicht erst aus dem Eintritt der Verfahrenseröffnung, sondern richtet sich an ihrem hypothetischen Eintreten aus. Insoweit stellt der Staat der Verfahrenseröffnung ein hypothetisches Anknüpfungsmoment dar.

II. Möglichkeit der Verlegung des COMI Ist ein nationales Rechtsinstitut im Falle eines (noch) nicht eröffneten Insolvenzverfahrens insolvenzrechtlich zu qualifizieren und damit auf EU-Auslandsgesellschaften mit COMI in einem Mitgliedstaat anwendbar, erweist sich die Möglichkeit der Verlegung des COMI in diesem Kontext als neuralgischer Punkt. Hierbei besteht die Gefahr, dass das COMI aus einem Mitgliedstaat heraus verlegt wird, um die Anwendung des Insolvenzrechts eines anderen Mitgliedstaates im Rahmen des später tatsächlich eröffneten Insolvenzverfahrens zu erreichen. Ein bereits entstan188

HCL/Behrens/Hoffmann, Bd. I, Einleitung Rn. B 139. Oben Kap. 4 § 8 B. II. 1. b) aa). 190 EuGH, 10. 12. 2015, Rs. C-594/14 (Kornhaas), ECLI:EU:C:2015:806 Rn. 19 = NJW 2016, 223 (224). Ferner EuGH, 22. 02. 1979, Rs. 133/78 (Gourdain/Nadler), ECLI:EU:C:1979: 49 Rn. 5 = BeckRS 2004, 71542. 191 Leutner/Langner, GmbHR 2006, 713 (714); Zerres, DZWIR 2006, 356 (360). 192 Siehe nur K. Schmidt InsO/Brinkmann, EuInsVO 2000 Art. 4 Rn. 4; Eidenmüller, NJW 2005, 1618 (1621); MüKo-BGB/Kindler, Bd. 13, Internationales Insolvenzrecht, EuInsVO Vorb. vor Art. 7 Rn. 3, Art. 7 Rn. 3; ders., in: Kindler/Nachmann/Bitzer, HdB Insolvenzrecht in Europa, § 4. Geltungsbereich und Grenzen des Insolvenzstatuts Rn. 2; Weller, in: FS Ganter, S. 439 (448). 189

§ 9 Differenzierende Systematik

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dener Haftungsanspruch würde so nachträglich wieder entfallen. Rechtsunsicherheit über das maßgebende Insolvenzrecht ist die Folge. Doch folgt daraus, dass die Anwendung des materiellen Insolvenzrechts vor Antragstellung grundsätzlich zu verneinen ist?193 In der Konsequenz würde dies zu einem verkürzten Anwendungsbereich der Kollisionsnorm des Art. 7 Abs. 1 EuInsVO führen. Alternativ ist daran zu denken, auf die unterschiedlichen Zeiträume (COMI vor und nach Verfahrenseröffnung) das Recht des jeweiligen COMI anzuwenden und damit ein Insolvenzrecht zur Anwendung zu bringen, unter dem kein Verfahren eröffnet worden ist.194 Dies ist freilich schwer mit der Systematik der EuInsVO und dem verfahrensrechtlichen Charakter der lex fori concursus zu vereinbaren,195 obgleich der verfahrensrechtliche Bezug bei genauerer Betrachtung196 nicht so schwer wiegt, wie es auf den ersten Blick erscheint. 1. Antragstellung als maßgeblicher Zeitpunkt der Zuständigkeitsbegründung Bei der Verlegung des COMI ist für die Zuständigkeitsbegründung (und bei Annahme eines umfassenden Gleichlaufs zwischen Art. 3 und Art. 7 Abs. 1 EuInsVO auch für das anwendbare Recht) entscheidend, zu welchem Zeitpunkt das COMI verlegt wird. Zentral ist hierbei der Zeitpunkt der Antragstellung auf Eröffnung eines Insolvenzverfahrens. Die Konstellation, dass sich das COMI bzw. zuständigkeitsrelevante Umstände nach Antragstellung geändert haben, hatte der EuGH bereits im Jahr 2006 zu entscheiden. Danach bleibt das Gericht des Mitgliedstaates, in dessen Gebiet der Schuldner bei Stellung des Antrags auf Eröffnung des Insolvenzverfahrens sein COMI hat, auch dann zuständig, wenn der Schuldner nach Antragstellung, aber vor der Eröffnungsentscheidung sein COMI in das Gebiet eines anderen Mitgliedstaates verlegt.197 Maßgeblicher Zeitpunkt für die Feststellung des COMI ist demzufolge der Zeitpunkt der Antragstellung,198 d. h. die Anhängigkeit 193

Verneinend Barthel, Deutsche Insolvenzantragspflicht und Insolvenzverschleppungshaftung in Scheinauslandsgesellschaften nach dem MoMiG, S. 160 ff.; Grompe, Die vis attractiva concursus im Europäischen Insolvenzrecht, S. 239. 194 Hierzu HCL/Behrens/Hoffmann, Bd. I, Einleitung Rn. B 139. 195 HCL/Behrens/Hoffmann, Bd. I, Einleitung Rn. B 139 gehen zunächst von der Unvereinbarkeit aus. 196 Zur Loslösung vom verfahrensrechtlichen Charakter der lex fori concursus oben Kap. 4 § 8 B. IV. 197 EuGH, 17. 01. 2006, Rs. C-1/04 (Staubitz-Schreiber), ECLI:EU:C:2006:39 Rn. 29 = IPRax 2006, 149 (151). 198 Darüber herrschte in der Literatur schon früh Einigkeit, Duursma-Kepplinger, DZWIR 2006, 177; Kienle, in: Süß/Wachter, HdB des internationalen GmbH-Rechts, § 3 Rn. 125; Kindler, IPRax 2006, 114; Kolmann/Ch. Keller, in: Gottwald/Haas, InsolvenzrechtsHdB, § 129. Das Europäische Insolvenzrecht Rn. 43; Laukemann, RIW 2005, 104 (110); Wimmer/Bornemann/Lienau, Die Neufassung der EuInsVO, Teil D Rn. 240 argumentiert für die Maßgeblichkeit dieses Zeitpunktes mit den Vorschriften über die Sperrfristen in Art. 3

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4. Kap.: Ausformung allgemeiner Qualifikations- und Abgrenzungskriterien

bei Gericht.199 Im Gegensatz zur EuInsVO 2000 stellt nunmehr auch Art. 3 Abs. 1 UAbs. 2 S. 2 EuInsVO klar auf den Zeitpunkt der Antragsstellung ab. Durch die Entscheidung erlangt ferner der Grundsatz der perpetuatio fori im Rahmen der EuInsVO Geltung.200 Eine einmal begründete Eröffnungszuständigkeit dauert so trotz nachträglicher Veränderung der zuständigkeitsbegründenden Tatsachen fort. Für den Zeitraum vor Antragstellung ist dagegen zu differenzieren: Ändern sich zuständigkeitsrelevante Umstände, an die die EuInsVO die Vermutungen201 zur Belegenheit des COMI knüpft, erst kurz vor dem Antrag auf Eröffnung des Insolvenzverfahrens, greift die Sperrfrist des Art. 3 UAbs. 2 S. 2 EuInsVO. Danach wird bei Gesellschaften oder juristischen Personen das COMI am Ort ihres Sitzes vermutet, sofern dieser nicht in den letzten drei Monaten vor dem Eröffnungsantrag in einen anderen Mitgliedstaat verlegt wurde. Infolgedessen ist in diesem Dreimonatszeitraum die tatsächliche Lage des COMI anhand der allgemeinen Definition in Art. 3 Abs. 1 UAbs. 1 S. 2 EuInsVO zu bestimmen. In der Folge kommt es auch in diesem Fall auf den neuen Mittelpunkt der hauptsächlichen Interessen an.202 Ändert sich dagegen kurz vor Antragstellung unmittelbar der satzungsmäßige Sitz einer Gesellschaft, ist ein Wechsel in der Eröffnungszuständigkeit vorbehaltlich der Widerlegung der Vermutung des Art. 3 Abs. 1 UAbs. 2 S. 2 EuInsVO hinzunehmen.203 In der Konsequenz ist das COMI bis zum maßgeblichen Zeitpunkt der Antragstellung wandelbar angeknüpft.204 Eine Sitzverlegung nach Antragstellung führt dagegen zu keinem Zuständigkeitswechsel.

EuInsVO; KPB-InsO/Madaus, EuInsVO Art. 3 Rn. 13; Mankowski, RIW 2004, 587 (599); ders., NZI 2005, 368 (369); ders., NZI 2005, 575 (576); Saenger/Klockenbrink, DZWIR 2006, 183; Weller, IPRax 2004, 412 (416). 199 Gruber/Schulz, in: Ahrens/Gehrlein/Ringstmeier, InsR, 4. Auflage, Anhang I EuInsVO Art. 3 Rn. 68; Kienle, in: Süß/Wachter, HdB des internationalen GmbH-Rechts, § 3 Rn. 125; Mankowski/Müller/Schmidt, EuInsVO Art. 3 Rn. 28. 200 Graf-Schlicker/Bornemann, InsO, EuInsVO Art. 3 Rn. 40; Kayser/Thole/Dornblüth, HD-KO InsO, EuInsVO Art. 3 Rn. 12; Kienle, NotBZ 2008, 245 (249 f.); ders., in: Süß/ Wachter, HdB des internationalen GmbH-Rechts, § 3 Rn. 124; Mankowski/Müller/Schmidt, EuInsVO Art. 3 Rn. 29. 201 Hierzu etwa Uhlenbruck/Knof, InsO, Bd. 2, EuInsVO Art. 3 Rn. 33 ff. 202 MüKo-BGB/Kindler, Bd. 13, Internationales Insolvenzrecht, EuInsVO Art. 3 Rn. 34; Kolmann/Ch. Keller, in: Gottwald/Haas, Insolvenzrechts-HdB, § 129. Das Europäische Insolvenzrecht Rn. 45. 203 EuGH, 20. 10. 2011, Rs. C-396/09 (Interedil), ECLI:EU:C:2011:671 Rn. 54 ff. = DZWIR 2012, 60 (63 f.); Kienle, in: Süß/Wachter, HdB des internationalen GmbH-Rechts, § 3 Rn. 124; Kolmann/Ch. Keller, in: Gottwald/Haas, Insolvenzrechts-HdB, § 129. Das Europäische Insolvenzrecht Rn. 47, die verschiedene Korrekturmöglichkeiten aufzeigen; Wimmer/ Bornemann/Lienau, Die Neufassung der EuInsVO, Teil D Rn. 235. 204 Bereits Mankowski, NZI 2005, 368 (373).

§ 9 Differenzierende Systematik

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2. Auswirkungen auf die Bestimmung des anwendbaren Rechts Wie bereits dargelegt, folgt aus dem Wortlaut des Art. 7 Abs. 1 EuInsVO, dass das anwendbare Recht erst mit Verfahrenseröffnung feststeht. Tatsächlich kann die Anknüpfung des anwendbaren Rechts jedoch bereits zu einem der Verfahrenseröffnung vorgelagerten Zeitpunkt und unabhängig davon erfolgen. Für die Zuständigkeitsbegründung ist dagegen der Zeitpunkt der Stellung des Antrags auf Verfahrenseröffnung relevant. Diesem ist damit vor dem Hintergrund der COMI-Verlegung erhebliches Gewicht zuzuschreiben. Kommt beispielsweise ein Geschäftsleiter der unter dem Recht des aktuellen COMI-Staates bestehenden Antragspflicht auf Eröffnung eines Insolvenzverfahrens nicht nach, und wird das COMI der Gesellschaft vor der Antragstellung in einen anderen Mitgliedstaat verlegt, folgt aus der beschriebenen Systematik, dass die Pflichtverletzung durch den Statutenwechsel rückwirkend entfallen müsste, sofern sich unter dem Recht des neuen COMI nicht ebenfalls eine Pflicht zur Antragstellung ergibt. Umgekehrt kann aber auch in einem Mitgliedstaat, in den das COMI verlegt wurde, eine weitere Antragspflicht bestehen als im bisherigen COMI-Staat. Das könnte dazu führen, dass ein im bisherigen COMI-Staat zulässiger Verzicht auf die Antragstellung im neuen COMI-Staat nachträglich als Pflichtverletzung anzusehen wäre.205 Würde man den Eröffnungsbezug des Art. 7 Abs. 1 EuInsVO in diesen Fällen konsequent anwenden, wäre bei einer Verlegung des COMI das Recht des bisherigen COMI-Staates nicht anwendbar, wenn es im Staat des neuen COMI zur Eröffnung eines Insolvenzverfahrens kommt. Für Gläubiger könnte dies bedeuten, dass ein bereits entstandener Anspruch nachträglich wieder entfällt. Soweit der Schuldner vor diesem Hintergrund mit der Verlegung des COMI die Durchführung eines Insolvenzverfahrens in einem anderen Mitgliedstaat bezweckt, liegt der Gedanke des Rechtsmissbrauchs nahe. Dies ist insbesondere der Fall, wenn er sich ein geeignetes Insolvenzstatut verschaffen und von günstigen ausländischen Normen profitieren möchte, oder er sich durch die COMI-Verlegung einem ordnungsgemäßen Verfahren gar ganz entzieht (Forum Shopping206).207 Der Vorwurf des Rechtsmissbrauchs ist allerdings nicht begründet, sofern mit der COMI-Verlegung berechtigte (Sanierungs-)Interessen208 verfolgt werden. Diese können etwa in Vorteilen des neuen Insolvenzrechts durch erweiterte Gestaltungs- und Fortführungschancen liegen. Dagegen soll Rechtsmissbrauch an205 Diese und weitere Beispiele zur strafrechtlichen Sanktionierung des Verstoßes gegen die Antragspflicht nach § 15a Abs. 4 und 5 InsO finden sich explizit bei HCL/Behrens/Hoffmann, Bd. I, Einleitung Rn. B 139. 206 Die EuInsVO zielt darauf ab, betrügerisches oder missbräuchliches Forum Shopping zu verhindern, ErwG 29, 31 EuInsVO, ABl.EU 2015 L 141/22. 207 Eidenmüller, KTS 2009, 137 (147); Gruber, in: FS Schilken, S. 679 (685 f.); Mankowski/Müller/Schmidt, EuInsVO Art. 3 Rn. 12; MüKo-InsO/Thole, Bd. 4, EuInsVO 2000 Art. 3 Rn. 66. 208 Duursma-Kepplinger, ZIP 2007, 896 (900); Eidenmüller, KTS 2009, 137 (151); ders., ECFR 2009, 1 (17); Gruber, in: FS Schilken, S. 679 (686 f.); im Umkehrschluss auch Kindler, KTS 2014, 25 (34); Parzinger, NZI 2016, 63 (65). Gänzlich ablehnend Weller, ZGR 2008, 835 (849 f.).

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4. Kap.: Ausformung allgemeiner Qualifikations- und Abgrenzungskriterien

zunehmen sein, wenn die Verlagerung des COMI nicht der Mehrung der Haftungsmasse, sondern distributiven Zielen209 dient und ein Großteil der Insolvenzmasse und der Gläubiger im alten COMI-Staat zurückbleiben210. Grundsätzlich dürfen Akteure am Markt die gesetzlichen Gestaltungsspielräume jedoch ausnutzen, die ihnen durch das europäische Primär- und Sekundärrecht eingeräumt werden.211 Somit ist eine zurückhaltende Handhabung des Rechtsmissbrauchseinwands geboten.212 Dafür spricht auch die Rechtsprechung des EuGH zur Niederlassungsfreiheit. Aus dieser geht hervor, dass das Ausnutzen eines Regelungsgefälles in einen anderen Mitgliedstaat zur Umgehung des eigenen nationalen Rechts nicht zwingend einen Missbrauch der Niederlassungsfreiheit darstellt.213 In der Polbud-Entscheidung bekräftigte der EuGH zuletzt den Grundsatz, dass es für sich allein keinen Missbrauch darstelle, wenn eine Gesellschaft ihren Sitz in einen anderen Mitgliedstaat verlegt, um in den Genuss günstigerer Rechtsvorschriften zu kommen.214 Auch wenn Grundfreiheiten nicht rechtsmissbräuchlich in Anspruch genommen werden dürfen,215 lässt sich aus den Grundsätzen doch zumindest ableiten, dass das Institut des Rechtsmissbrauchs einer allgemeinen Anwendung entgegensteht.216 Ein Statutenwechsel bzw. ein Wechsel des anwendbaren Rechts ist somit jedenfalls möglich, solange legitime Ziele verfolgt werden. Dies gilt unabhängig davon, wie ökonomisch sinnvoll ein solcher Wechsel ist.217 Damit ist aber weiterhin die Frage zu beantworten, was bei der Verlegung des COMI in einen anderen Mitgliedstaat mit Ansprüchen geschieht, die unter dem Recht des alten COMI-Staates entstanden sind bzw. in welchem eine Pflichtverletzung erfolgte (dazu im Folgenden und unter B.). 209

So explizit Eidenmüller, ZIP 2014, 1197 (1204). Kindler, KTS 2014, 25 (34); ders., in: Kindler/Nachmann/Bitzer, HdB Insolvenzrecht in Europa, § 2. Inländisches Insolvenzverfahren mit Auslandsvermögen Rn. 47. A. A. wohl Vallender, in: FS Beck, S. 537 (541). 211 Ebenso Weller/Benz/Thomale, ZEuP 2017, 250 (271). 212 Dafür auch Schwemmer, NZI 2009, 355 (358); ferner Vallender, in: FS Beck, S. 537 (541). 213 EuGH, 09. 03. 1999, Rs. C-212/97 (Centros), ECLI:EU:C:1999:126 Rn. 18 = NJW 1999, 2027 (2028); EuGH, 30. 09. 2003, Rs. C-167/01 (Inspire Art), ECLI:EU:C:2003:512 Rn. 96 = NJW 2003, 3331 (3333); Mock, GPR 2013, 156 (159); Vallender, in: FS Beck, S. 537 (541) verweist ebenfalls auf die Niederlassungsfreiheit. 214 EuGH, 25. 10. 2017, Rs. C-106/16 (Polbud), ECLI:EU:C:2017:804 Rn. 40 f. = NJW 2017, 3639 (3641). 215 Siehe nur Kindler, in: Kindler/Nachmann/Bitzer, HdB Insolvenzrecht in Europa, § 2. Inländisches Insolvenzverfahren mit Auslandsvermögen Rn. 47 bei Fn. 145 mit Verweis auf Generalanwältin Kokott, Schlussanträge, 04. 05. 2017, Rs. C-106/16 (Polbud), ECLI:EU:C: 2017:351 Rn. 55 m. w. N. = BeckRS 2017, 108853. 216 HCL/Behrens/Hoffmann, Bd. I, Einleitung Rn. B 141. 217 Freitag/Leible, RIW 2006, 641 (642) und Weller, ZHR 169 (2005), 570 (573) weisen darauf hin, dass etwa bei Konzerninsolvenzen eine Zuständigkeitskonzentration eine effizientere Verfahrenskoordination ermöglicht. Eidenmüller, ZGR 2006, 470 (478) und Enriques/ Gelter, EBOR 7 (2006), 417 (448 f.) verweisen dagegen auf die negativen Auswirkungen des forum shopping. Siehe auch Schwemmer, NZI 2009, 355 (357). 210

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3. Einschränkung des Gleichlaufs als Folge verfahrensunabhängiger Anknüpfung Solange nicht nachgewiesen werden kann, dass die Verlegung des COMI der gezielten Gläubigerschädigung dient,218 womit die insolvenzrechtliche Anerkennung zu verweigern wäre und es zu keinem Statutenwechsel käme, entfaltet der Gleichlauf zwischen Art. 3 und Art. 7 Abs. 1 EuInsVO seine Wirkung. Um aber der Problematik nachträglich entfallender Ansprüche aufgrund eines Statutenwechsels gerecht zu werden, ist der Gleichlauf – bei Annahme einer insolvenzrechtlichen Qualifikation – zur Vermeidung unbilliger Ergebnisse einzuschränken. In Abweichung zum Wortlaut des Art. 7 Abs. 1 EuInsVO ist daher nicht auf die Verfahrenseröffnung abzustellen. Vielmehr bildet die COMI-Verlegung die Zäsur für die zeitliche Aufspaltung.219 Auf Ansprüche, die insolvenzrechtlich zu qualifizieren sind und im Zeitraum vor der Verlegung des COMI unter dem Recht des früheren COMIStaates entstanden sind, ist das Recht des Wegzugstaates anzuwenden, auch wenn in diesem nie ein Insolvenzverfahren eröffnet wurde.220 Der Wechsel des COMI wirkt ex nunc.221 Zwar wird auf diese Weise dem verfahrensrechtlichen Charakter der insolvenzrechtlichen Anknüpfung nicht mehr entsprochen. Vielmehr wird allein die hypothetische lex fori concursus zum Zeitpunkt der jeweiligen Entstehung des Anspruchs oder Pflichtverletzung zur Anwendung gebracht (wobei der Bezugspunkt der materiellen Insolvenz die entscheidende Rolle einnimmt222). Für eine Beurteilung nach der alten lex fori concursus ungeachtet einer Sitzverlegung streitet aber, dass der Tatbestand nach internationalprivatrechtlichen Grundsätzen meist als abgeschlossen gilt.223 Mangels Verfahrenseröffnung im alten COMI-Staat verbleibt für eine lex fori concursus in diesem Fall jedoch eigentlich kein Raum, sodass es sich hierbei vielmehr um eine lex concursus anterior handelt.224 Zu berücksichtigen ist dabei, dass der verfahrensrechtliche Charakter der lex fori concursus für die Qualifikation grundsätzlich durchbrochen werden kann und es insoweit nicht allein auf das Recht des jeweiligen Verfahrensstaates ankommen muss.225 Bereits eingetretene 218 HCL/Behrens/Hoffmann, Bd. I, Einleitung Rn. B 141; Duursma-Kepplinger, ZIP 2007, 896 (900); Schwemmer, NZI 2009, 355 (358). 219 In Bezug auf die Insolvenzverschleppungshaftung bereits Weller, in: FS Ganter, S. 439 (442 f., 452). 220 So auch die Erwägungen bei HCL/Behrens/Hoffmann, Bd. I, Einleitung Rn. B 141. 221 So auch Gruber/Schulz, in: Ahrens/Gehrlein/Ringstmeier, InsR, 4. Auflage, Anhang I EuInsVO Art. 7 Rn. 50. 222 Oben Kap. 4 § 8 B. II. 1. 223 Gruber/Schulz, in: Ahrens/Gehrlein/Ringstmeier, InsR, 4. Auflage, Anhang I EuInsVO Art. 3 Rn. 58; ferner Gruber, in: FS Schilken, S. 679 (690); Weller, in: FS Ganter, S. 439 (450 ff.). 224 So auch die Bezeichnung bei HCL/Behrens/Hoffmann, Bd. I, Einleitung Rn. B 141 und Weller/Benz/Thomale, ZEuP 2017, 250 (275). Weller, in: FS Ganter, S. 439 (451) spricht von lex prior. 225 Oben Kap. 4 § 8 B. IV.

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4. Kap.: Ausformung allgemeiner Qualifikations- und Abgrenzungskriterien

zivil- und strafrechtliche Folgen einer Pflichtverletzung, etwa durch unterlassene Antragstellung nach § 15a InsO, können mittels eines COMI-Wechsels nicht rückwirkend beseitigt werden. Aufgrund der ex nunc-Wirkung der COMI-Verlegung bleibt die verwirklichte Haftung in diesem Fall bestehen.226 In der Literatur findet sich dagegen auch eine Stimme, die eine Schlechterstellung der Insolvenzgläubiger hinnehmen will, da das europäische Recht keinen Grundsatz kenne, dass das den Gläubigern günstigste Insolvenzrecht Anwendung finden müsse.227 Die hier vertretene Ansicht gilt unabhängig davon, dass sich die weiteren Pflichten und Folgen aus der Verletzung aus der nun anwendbaren lex fori concursus des Zuzugstaates ergeben. Übertragen auf die Zuständigkeit bedeutet das, dass der Gleichlauf zwar grundsätzlich beizubehalten ist, er aber in den Fällen des Statutenwechsels bei entstandenem Anspruch oder bei einer Pflichtverletzung im alten COMI-Staat unabhängig von der Eröffnung eines Insolvenzverfahrens zu durchbrechen ist. Insofern erfolgt eine zeitlich differenzierte Anknüpfung, die auf die unterschiedlichen Zeiträume vor und nach (späterer) Verfahrenseröffnung in einem anderen Mitgliedstaat abstellt. In der Folge können Zuständigkeit und anwendbares Recht auseinanderfallen. Jedoch lassen sich auf diese Weise auch die Vorwirkungen der Insolvenz in qualifizierter Weise erfassen.228 Denn zur Bestimmung des anwendbaren Rechts für das Insolvenzverfahren und seinen Wirkungen kommt es nicht darauf an, ob es sich um verfahrensrechtliche oder materiell-rechtliche Wirkungen handelt.229 Der so eröffnete weite Anwendungsbereich und die vorverlagerte und vorausschauende Anknüpfung des anzuwendenden materiellen Rechts an die aktuelle lex fori führen dazu, dass es sich nicht zwingend um Ergebnisse des konkreten Insolvenzverfahrens handeln muss.230 Stattdessen sind auch losgelöst vom Verfahren Vorwirkungen der Insolvenz in den Anwendungsbereich der EuInsVO einzubeziehen. Stellt man weiter auf die zuvor ermittelten Qualifikationskriterien ab, sind darüber hinaus auch die Haftungsverwirklichung, mithin die Haftungsfolgen, von der differenzierenden Anknüpfung umfasst. Auf diese Weise wirkt sich die für die Anknüpfung befürwortete Loslösung vom verfahrensrechtlichen Charakter auch auf das Zuständigkeitsregieme aus. Das später zuständige Gericht des Zuzugstaates, in den das COMI verlegt wurde, muss auf den unter dem Recht des alten COMI-Staates entstandenen Anspruch – losgelöst vom Eröffnungsbezug des Art. 7 Abs. 1 Eu-

226 Ebenso K. Schmidt InsO/Brinkmann, EuInsVO 2000 Art. 3 Rn. 18; Gruber, in: FS Schilken, S. 679 (689); ders./Schulz, in: Ahrens/Gehrlein/Ringstmeier, InsR, 4. Auflage, Anhang I EuInsVO Art. 7 Rn. 50; Oelschlegel, Die transnationale GmbH-Bestattung, S. 231; Weller, in: FS Ganter, S. 439 (451). 227 Keller, NZI 2021, 110 (111). 228 Anders HCL/Behrens/Hoffmann, Bd. I, Einleitung Rn. B 142. 229 Mankowski/Müller/Schmidt, EuInsVO Art. 7 Rn. 8 m. w. N.; Swierczok, jurisPR-InsR 7/ 2020 Anm. 2; Virgós/Schmit, Erläuternder Bericht Rn. 90. 230 So aber Swierczok, jurisPR-InsR 7/2020 Anm. 2.

§ 9 Differenzierende Systematik

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InsVO – ein fremdes Insolvenzstatut anwenden.231 Stellt die Geltendmachung eines Anspruchs dabei ein Annexverfahren i. S. d. Art. 6 Abs. 1 EuInsVO dar, widerspricht die hier vertretene Konzeption zwar einerseits der Ratio232 des Art. 6 Abs. 1 EuInsVO. Andererseits sticht eine Parallele zur Vorschrift des Art. 8 SE-VO ins Auge, durch den auf europäischer Ebene erstmals die Sitzverlegung einer SE innerhalb der EU geregelt wird. Nach Art. 8 Abs. 16 SE-VO gilt eine SE, die ihren Sitz in einen anderen Mitgliedstaat verlegt hat, in Bezug auf alle Forderungen, die vor dem Zeitpunkt der Verlegung entstanden sind, als SE mit Sitz in dem Mitgliedstaat, in dem sie vor der Verlegung eingetragen war, auch wenn sie erst nach der Verlegung verklagt wird. Die Vorschrift führt zur Fortdauer der Zuständigkeit der Gerichte des Wegzugsstaates (perpetuatio fori) für Altforderungen trotz erfolgter Sitzverlegung. Sie wirkt der Benachteiligung von Altgläubigern entgegen.233 Unter Zugrundelegung dieses Rechtsgedankens kann man überlegen, Art. 6 Abs. 1 EuInsVO im Zusammenhang mit Fällen des Statutenwechsels auch so auszulegen, dass für die nach fremdem Recht entstandenen Ansprüche die Gerichte dieses Staats zuständig bleiben, auch wenn aus der Eröffnung des Insolvenz- und/oder Annexverfahrens infolge der Verlegung des COMI die Zuständigkeit der Gerichte des Zuzugsstaats folgt.234 In der Konsequenz käme es zu einer materiell-rechtlichen Statutenspaltung und zu einer prozessualen Zuständigkeitsspaltung.235 Einer derartigen Zersplitterung ist die Befassung eines ausländischen Gerichts mit dem fremden inländischen Recht vorzuziehen. Auch wenn diese Lösung vor der Konzeption der EuInsVO systemfremd erscheinen mag, genügt sie doch zumindest dem (auch bei der Abgrenzung der Rechtsordnungen) vom EuGH so häufig bemühten Grundsatz des effet utile. Vor dem Hintergrund des unzulässigen Forum Shopping wird teils einschränkend vertreten, dass eine Verlegung des COMI mit dem Einsetzen der materiellen Insolvenz als rechtsmissbräuchlich anzusehen sei.236 In der Folge sollte dieser Zeitpunkt für das (zukünftig) zu eröffnende Verfahren als zuständigkeitsbegründend wirken, da sich ab dem Eintritt der materiellen Insolvenz das Vertrauen des Rechtsverkehrs in die Geltung des anzuwendenden Insolvenzrechts manifestiere.237 Dem ist zuzugeben, dass das Forum Shopping ohne diese Einschränkung in weiterem Umfang ausgeübt werden kann. Gleichwohl steht es Erwägungsgrund 5 EuInsVO 231 Unter Verwendung des Art. 6 EuInsVO auch Gruber/Schulz, in: Ahrens/Gehrlein/ Ringstmeier, InsR, 4. Auflage, Anhang I EuInsVO Art. 7 Rn. 50. Siehe auch Gruber, in: FS Schilken, S. 679 (690); Weller, in: FS Ganter, S. 439 (451). 232 Zum Regelungsziel des Art. 6 Abs. 1 EuInsVO in Form der Verfahrenskonzentration und Sachnähe oben Kap. 3 § 6 C. II. 3. b) bb). 233 BeckOGK/Casper, SE-VO Art. 8 Rn. 25; Diekmann, in: Habersack/Drinhausen, SERecht, SE-VO Art. 8 Rn. 120. 234 So auch ausdrücklich Keller, NZI 2021, 110 (112). 235 Keller, NZI 2021, 110 (112). 236 Grompe, Die vis attractiva concursus im Europäischen Insolvenzrecht, S. 240. 237 So Grompe, Die vis attractiva concursus im Europäischen Insolvenzrecht, S. 240; siehe auch Weller, IPRax 2004, 412 (416), der die Interessen des Rechtsverkehrs in den Vordergrund stellt.

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4. Kap.: Ausformung allgemeiner Qualifikations- und Abgrenzungskriterien

nicht entgegen, wenn das COMI auch noch nach Eintritt der materiellen Insolvenz verlegt wird. Im Interesse eines ordnungsgemäßen Funktionierens des Binnenmarkts soll die Verlagerung von Vermögensgegenständen oder Gerichtsverfahren in einen anderen Mitgliedstaat verhindert werden, damit Schuldner auf diese Weise keine günstigere Rechtsstellung zum Nachteil der Gesamtheit der Gläubiger erlangen können.238 Dieser Intention des Verordnungsgebers wird mit der hier postulierten Einschränkung des Gleichlaufs ebenfalls entsprochenen. Stellt man bei Eintritt der materiellen Insolvenz auf die hypothetische lex fori concursus bzw. auf die lex fori anterior ab, ergibt sich daraus ein flexibleres Verhältnis von Anknüpfung und Zuständigkeit. Rechtssicherheit entsteht für den Rechtsverkehr auch dadurch, dass das Insolvenzstatut des jeweiligen COMI-Staates der Anspruchsentstehung zur Anwendung gelangt, und zwar ganz unabhängig von einer nachträglichen Verlegung des COMI und einer späteren Verfahrenseröffnung in einem anderen Mitgliedstaat. Die vorausschauende Anknüpfung der Kollisionsnorm des Art. 7 EuInsVO unter der jeweiligen lex fori, losgelöst von der expliziten Anknüpfung an den international zuständigen Verfahrensstaat, wirken der Rechtsunsicherheit ebenso entgegen wie eine période suspecte239 ab Einsetzen der materiellen Insolvenz.240 Darüber hinaus kann es gerechtfertigt sein, das COMI auch nach Einsetzen der materiellen Insolvenz zu verlegen. Es ist durchaus denkbar, dass die Verlegung unter bestimmten Umständen auch ab diesem Zeitpunkt dem Verfahren und der Gesamtheit der Gläubiger dienen kann. Eine Beschränkung der COMI-Verlegung ab diesem Moment würde der praktischen Wirksamkeit der Verordnung widersprechen. Ein gerechter Ausgleich zwischen den Vor- und Nachteilen einer Verlegung des COMI lässt sich dagegen mit der hier beschriebenen Einschränkung des Gleichlaufs erreichen. Maßgebend ist die Verlagerung des COMI für einen möglichst langen Zeitraum, ohne dass dabei aber Rechtsunsicherheit bezüglich des anzuwendenden Insolvenzrechts entsteht. Zuletzt widerspricht die Annahme einer période suspecte ab dem Zeitpunkt der materiellen Insolvenz der hier präferierten zurückhaltenden Handhabung des Rechtsmissbrauchseinwands. Dem eingeschränkten Gleichlauf ist als Folge verfahrensunabhängiger Anknüpfung an dieser Stelle der Vorzug einzuräumen.

238

ErwG 5 EuInsVO, ABl.EU 2015 L 141/19. Zur Sperrfrist Frind/Pannen, ZIP 2016, 398 (399); MüKo-BGB/Kindler, Bd. 13, Internationales Insolvenzrecht, EuInsVO Art. 3 Rn. 34 ff.; Mankowski/Müller/Schmidt, EuInsVO Art. 3 Rn. 33; Vallender/Vallender/Zipperer, EuInsVO Art. 3 Rn. 2. Zur Definition der période suspecte im französischen Recht Bauerreis, in: Kindler/Nachmann/Bitzer, HdB Insolvenzrecht in Europa, 2. Teil Länderberichte, Frankreich Rn. 199 f. 240 Siehe auch Grompe, Die vis attractiva concursus im Europäischen Insolvenzrecht, S. 239 ff. 239

§ 9 Differenzierende Systematik

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B. Differenzierende Anwendung des Insolvenzstatuts Die hier erfolgte Einschränkung des Gleichlaufs führt in zeitlicher Hinsicht zu einer differenzierenden Anwendung des Insolvenzstatuts. Dessen Begründung ist ansonsten von äußeren Faktoren unabhängig.

I. Zeitliche Differenzierung Mit Blick auf die Möglichkeit der COMI-Verlegung und dem damit verbundenen Problem des rückwirkenden Wegfallens oder des nachträglichen Entstehens einer Pflichtverletzung bedarf es einer zeitlich differenzierten Anwendung des Insolvenzstatuts. Maßgeblich hierfür sind der Zeitpunkt der Eröffnung eines Insolvenzverfahrens sowie der Moment der Anspruchsentstehung bzw. der Vollendung der Pflichtverletzung. Der tatsächliche Verlauf der Insolvenz wirkt sich dabei auf die Anwendung aus. Die zeitlich differenzierte Anwendung erfolgt anhand der unterschiedlichen Zeiträume vor und nach (späterer) Verfahrenseröffnung in einem anderen Mitgliedstaat. Die COMI-Verlegung bildet dagegen die Zäsur für die zeitliche Aufspaltung. Demnach ist der Zeitpunkt der Verfahrenseröffnung nicht nur für die Begründung der Zuständigkeit relevant. Auch für die zeitliche Abgrenzung mehrerer, in einem Verfahren nebeneinanderstehender Insolvenzrechtsordnungen, die gegebenenfalls allesamt zur Anwendung zu bringen sind, spielt er eine Rolle. Bei mehrfacher Verlegung des COMI ist auf die verschiedenen Zeiträume das Insolvenzrecht des jeweiligen Mitgliedstaates anzuwenden, in welchem das COMI zum Zeitpunkt der Anspruchsentstehung oder Pflichtverletzung belegen war und zugleich ein hinreichender materiell-rechtlicher Insolvenzbezug gegeben war. Insolvenzbezug lässt sich anhand der hier entwickelten Qualifikationskriterien bestimmen. Da mit Verfahrenseröffnung keine Sperrwirkung zutage tritt, die das Insolvenzstatut in seiner zeitlichen Anwendung beschränken würde, ist es zudem unerheblich, ob die Anwendung innerhalb oder außerhalb eines Insolvenzverfahrens erfolgt. Ansprüche, die im Zeitraum vor Verfahrenseröffnung entstanden sind und unabhängig von einem Insolvenzverfahren unmittelbar von Gläubigern vor Gericht geltend gemacht werden können, sind daher ebenso vom Anwendungsbereich des Insolvenzstatuts umfasst. Dies liegt zunächst in der Loslösung vom verfahrensrechtlichen Charakter der lex fori concursus begründet. Lässt sich danach ein Anspruch insolvenzrechtlich qualifizieren, der aber für seine Geltendmachung kein Insolvenzverfahren voraussetzt, kann es über diesen Mechanismus mangels Verfahrenseröffnung für weitere Ansprüche, die allein im Insolvenzverfahren geltend zu machen sind, keine Zuständigkeitsbegründung des angerufenen Gerichts geben. Die Zuständigkeit der Gerichte fällt in diesem Fall auseinander: Für einen Anspruch, der direkt von den Gläubigern außerhalb eines Insolvenzverfahrens geltend gemacht wird, ist das Gericht des COMI-Staates zuständig, in welchem der Anspruch entstanden oder die Pflichtverletzung eingetreten ist. Kommt es dagegen (später) zu

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4. Kap.: Ausformung allgemeiner Qualifikations- und Abgrenzungskriterien

einer Verfahrenseröffnung, gilt für die gerichtliche Durchsetzung von Ansprüchen durch einen Insolvenzverwalter, dass hierfür das Gericht des Eröffnungsstaates zuständig ist – und zwar auch für die Ansprüche, die zuvor in einem anderen COMIStaat entstanden sind und im Insolvenzverfahren zu verfolgen sind.

II. Autonome Begründung als Grundlage Als Grundlage der zeitlich differenzierten Anwendung des Insolvenzstatuts dient die Erkenntnis, dass dieses von Faktoren wie dem tatsächlichen Verlauf der Insolvenz und der Verfahrenseröffnung in weiten Teilen unabhängig ist. Das anwendbare Recht bestimmt sich nicht erst durch die tatsächliche Verfahrenseröffnung. Diese verliert für die Abgrenzung von Gesellschafts- und Insolvenzstatut erheblich an Bedeutung. Für die Anknüpfung bedeutet die beschriebene Unabhängigkeit, dass sie zum tatsächlichen Verlauf der Insolvenz nur insoweit in Abhängigkeit steht, als der materielle Insolvenzgehalt der maßgeblichen Norm betroffen ist. Entscheidend ist vor allem ihr Bezug zur materiellen Insolvenz. Aus dieser Systematik ergibt sich außerdem, dass die teils inkonsistente Rechtsprechung des EuGH zur insolvenzrechtlichen Qualifikation partiell aufzulösen ist: Für die Handhabung der Qualifikationskriterien ist nicht entscheidend, ob sie innerhalb oder außerhalb eines Insolvenzverfahrens angewandt werden. Dies mag zwar sowohl der Systematik als auch dem Charakter der EuInsVO in Teilen widersprechen, fußt jedoch auf den vom EuGH aufgestellten Prüfsteinen und den daraus entwickelten Prinzipien. Diese sorgen für eine autonome Anwendung des Insolvenzstatuts.

C. Kollisionsrechtlicher Mechanismus zur Anspruchsverknüpfung Im Zusammenhang mit der hier postulierten differenzierenden Systematik wurde bereits auf Fallkonstellationen rekurriert, welche die Verlegung des COMI einer Gesellschaft in einen anderen EU-Mitgliedstaat betreffen.241 An dieser Stelle sind nun die aus einem Statutenwechsel erwachsenden materiell-rechtlichen Folgen für die Qualifikation insolvenznaher Haftungsinstrumente in Bezug auf die differenzierende Anwendung des Insolvenzstatuts näher zu beleuchten. Für die kollisionsrechtliche Einordnung ist dazu festzuhalten, dass bereits eingetretene Folgen einer Pflichtverletzung durch einen COMI-Wechsel aufgrund dessen ex nunc-Wirkung nicht rückwirkend beseitigt werden. Auf Ansprüche, die insolvenzrechtlich zu qualifizieren sind und im Zeitraum vor der Verlegung des COMI unter dem Recht des früheren COMI-Staates entstanden sind, ist das Recht dieses Staates anzuwenden. Weitere Pflichten und Folgen aus der Verletzung ergeben sich dagegen aus der neu 241

Oben Kap. 4 § 9 A. II.

§ 9 Differenzierende Systematik

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anwendbaren lex fori concursus des Staates, in den das COMI verlegt wurde. Möchte man insoweit eine Verbindung zweier einander entsprechender Rechtsinstitute aus den Rechtsordnungen verschiedener EU-Mitgliedstaaten herbeiführen, birgt dies die Gefahr der einseitigen Erfüllung. Die Regelungen können sich in ihrer Ausgestaltung und in ihrem Regelungsinhalt derart unterscheiden, dass nur eines der Institute die Kriterien der insolvenzrechtlichen Qualifikation klar erfüllt. Sofern aber aufgrund eines Statutenwechsels die Anspruchsvoraussetzungen des anderen, nicht zwangsläufig insolvenzrechtlich zu qualifizierenden Haftungstatbestandes gleichsam mit einzubeziehen sind, kommt es zu einem inneren Widerspruch in der kollisionsrechtlichen Anwendung. Voraussetzung ist, dass der Teil der nunmehr anzuwendenden (hypothetischen) lex fori concursus umfassende Berücksichtigung findet. Für die Auflösung dieses Widerspruchs bedarf es eines kollisionsrechtlichen Mechanismus zur Verknüpfung der aus verschiedenen Rechtsordnungen entstammenden Ansprüche. Dabei ist danach zu differenzieren, ob die betreffenden Ansprüche systematisch miteinander vergleichbar sind. Ist die Vergleichbarkeit der beiden Haftungsinstitute gegeben, kann eine Übertragung des insolvenz(verfahrens)rechtlichen Regelungsgehalts der inländischen auf die ausländische Norm erfolgen. Dies gilt vice versa für die Übertragung des Regelungsgehalts der ausländischen Norm auf den der inländischen. Für die vollständige Verknüpfung ist schließlich maßgeblich, in welchem Mitgliedstaat sich das COMI der Gesellschaft zum Zeitpunkt des schwerpunktmäßig vorwerfbaren Pflichtenverstoßes befand. Der insolvenz(verfahrens)rechtliche Regelungsgehalt dieses Anspruchs strahlt auf die weiteren oder vorangegangenen Pflichten und Folgen des nach oder vor der COMIVerlegung ebenso zu berücksichtigenden Anspruchs aus. Anders stellt es sich dar, wenn keine systematische Vergleichbarkeit zwischen den Ansprüchen der beiden durch die COMI-Verlegung zu verbindenden Rechtsordnungen besteht – also beispielsweise der vor der Verlegung des COMI entstandene Haftungstatbestand insolvenzrechtlich zu qualifizieren ist, der darüber hinaus zu berücksichtigende Anspruch des Staates, in den das COMI verlegt wurde, indes nicht. In diesem Fall sollte der Anspruch derjenigen Rechtsordnung besonders gewichtet werden, in der sich das Zentrum der Pflichtverletzung lokalisieren lässt. Ist ein Schwerpunkt beim insolvenzrechtlich qualifizierten Haftungsinstrument des ehemaligen COMI-Staates auszumachen, lässt sich mit der Systematik der EuInsVO, konkret mit der daraus resultierenden insolvenzrechtlichen Implikation242 im Unionsrecht, eine Interferenz der weiteren Vorgaben des neuen COMI-Staates begründen. Sofern bei der Bestimmung des anzuwendenden Rechts kollisionsrechtlich (zumindest in Teilen) weitere Pflichten des neuen COMI-Staates zu berücksichtigen sind, ist die Verknüpfung zweier Haftungsregelungen aufgrund des Statutenwechsels zwingend notwendig. Um dabei den unionsrechtlichen Vorgaben zu entsprechen, sollte in diesem Fall für den Zeitraum nach der COMI-Verlegung nicht ausschließlich auf die Vorschriften des neuen COMI-Staates abgestellt werden. Abzustellen ist insbeson242

Dazu oben Kap. 4 § 8 B. II. 2.

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4. Kap.: Ausformung allgemeiner Qualifikations- und Abgrenzungskriterien

dere auf den Anspruch aus der Rechtsordnung, unter der sich die insolvenzrechtliche Pflichtverletzung primär anknüpfen lässt. Auf diese Weise kann der Konstellation begegnet werden, dass es – sollten die Regelungen des neuen COMI-Staates nicht insolvenzrechtlich zu qualifizieren sein – zu Haftungslücken kommt. Zwar ändert dies nichts daran, dass die Anwendung des Anspruchs unter dem neuen COMI-Staat in diesem Fall ausscheidet und eine vollständige Verknüpfung unmöglich wird. Da aber das zuständige Gericht des Staates, in den das COMI verlegt wurde, auf den unter dem Recht des alten COMI-Staates entstandenen Anspruch ein fremdes Insolvenzstatut anwendet, wird auf diesem Wege dennoch die Durchsetzung des Rechts des alten COMI-Staates gewährleistet.

D. Multifunktionalität auf kollisionsrechtlicher Ebene Am Beispiel der Insolvenzverschleppungshaftung243 lässt sich verdeutlichen, dass ein Rechtsinstitut mitunter auch an der Schnittstelle zwischen zwei oder gar mehreren Rechtsgebieten angesiedelt sein kann. Da hier Gesellschaftsrecht, Insolvenzrecht und allgemeines Deliktsrecht aufeinandertreffen, ist es nicht ausgeschlossen, dass sich diese Haftungsregelung sowie weitere Rechtsinstitute verschiedenen Anknüpfungsgegenständen zuordnen lassen. So scheint neben der insolvenzrechtlichen244 Qualifikation der Insolvenzverschleppungshaftung auch eine davon abweichende gesellschaftsrechtliche245 oder deliktsrechtliche246 Qualifikation grundsätzlich in Betracht zu kommen.247 Um der Multifunktionalität eines solchen Rechtsinstituts auf kollisionsrechtlicher Ebene gerecht werden zu können, wurden hierfür als besondere Formen der Qualifikation die Doppel- und Mehrfachqualifikation248 entwickelt. Zwar kann auf Grundlage der hier entwickelten Qualifikationskriterien249 243 Zur Qualifikation der Insolvenzverschleppungshaftung auf Grundlage des hier entwickelten Kriterienkatalogs unten Kap. 5 § 11 C. II. 1. 244 Dafür etwa Borges, ZIP 2004, 733 (739 f.); Eidenmüller, NJW 2005, 1618 (1621); Goette, DStR 2005, 197 (200); MüKo-BGB/Kindler, Bd. 13, Internationales Insolvenzrecht, EuInsVO Art. 7 Rn. 69 ff.; Uhlenbruck/Knof, InsO, Bd. 2, EuInsVO Art. 7 Rn. 118; Kolmann/ Ch. Keller, in: Gottwald/Haas, Insolvenzrechts-HdB, § 131. Insolvenzkollisionsrecht Rn. 124; Müller, NZG 2003, 414 (416); Mankowski/Müller/Schmidt, EuInsVO Art. 7 Rn. 94 bei Geltendmachung des Quotenschadens der Altgläubiger durch den Insolvenzverwalter; Riedemann, GmbHR 2004, 345 (348 f.); Weller, IPRax 2003, 520 (524). 245 Mock, EWiR 2005, 425 (426); Paefgen, ZIP 2004, 2253 (2260 f.); Ringe/Willemer, NZG 2010, 56 (57); Schumann, DB 2004, 743 (746); Spindler/Berner, RIW 2004, 7 (12); Ulmer, NJW 2004, 1201 (1207, 1210). 246 Hierzu etwa Bayer, BB 2003, 2357 (2365); Freitag, ZIP 2014, 302 (306 f.); Gottwald, in: Nagel/Gottwald, Internationales ZPR, § 20 Internationales Zivilrecht Rn. 20.149; Schanze/ Jüttner, AG 2003, 661 (670); Zimmer, NJW 2003, 3585 (3590); Zöllner, GmbHR 2006, 1 (7). 247 Hierzu HCL/Behrens/Hoffmann, Bd. I, Einleitung Rn. B 142; Schall, ZIP 2016, 289 (293). 248 Grundlegend zur Doppel- und Mehrfachqualifikation oben Kap. 2 § 3 C. III. 249 Oben Kap. 4 § 8 B. III.

§ 9 Differenzierende Systematik

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ein insolvenzrechtlich eingefärbter Sachverhalt meist trennscharf unter den Anknüpfungsgegenstand des Insolvenzverfahrens und seine Wirkungen subsumiert werden. Das bedeutet aber nicht, dass der Sachverhalt in diesem Fall ausschließlich unter die Kollisionsnormen des Art. 7 Abs. 1 EuInsVO zu fassen ist. Schließlich kann eine Sachnorm mehrere Zwecke gleichrangig verfolgen und damit im Anwendungsbereich weiterer Kollisionsnormen liegen.250 Ausgehend von der zeitlich differenzierten Anknüpfung unter der EuInsVO ist jedoch fraglich, inwieweit bei unterstellter insolvenzrechtlicher Qualifikation eine zusätzliche gesellschafts- oder deliktsrechtliche Qualifikation in Betracht zu ziehen ist und darüber hinaus – mit Blick auf die Geschäftsleiterhaftung – erforderlich ist. Zwar kann sich aus einer Doppel- oder Mehrfachqualifikation auf kollisionsrechtlicher Ebene ein flexibles Anknüpfungssystem ergeben. Zugleich führt das gleichrangige Nebeneinander von zwei oder mehreren Rechtsordnungen zu einem Anwendungskonflikt, den es aufzulösen gilt.

I. Doppelqualifikation Qualifiziert man beispielsweise die einerseits dem Insolvenzrecht zugeordnete251 Insolvenzverschleppungshaftung zusätzlich deliktisch, ergibt sich daraus eine Kombination von insolvenz- und deliktsrechtlichen Schutzzwecken, die mittels entsprechender Anknüpfung zu einem ausgedehnten Anwendungsbereich der Rechtsfigur führen.252 Zwar bestimmt sich das Deliktsstatut gem. Art. 4 Abs. 1 Rom II-VO zunächst nach dem Ort des Schadenseintritts. Anzuknüpfen ist demnach an den Erfolgsort, mithin an den Ort der Masseschmälerung253. Eine Lokalisierung des Schadensortes am COMI des Schuldners ist dadurch aber nicht immer gewährleistet.254 Der gemeinsame gewöhnliche Aufenthalt von Ersatzpflichtigem und Verletztem nach Art. 4 Abs. 2 Rom II-VO verdrängt die Tatortregel des Art. 4 Abs. 1 Rom II-VO. Weist die unerlaubte Handlung darüber hinaus eine offensichtlich engere Verbindung mit einem anderen als dem in den Abs. 1 oder Abs. 2 bezeichneten Staat auf, so ist nach Art. 4 Abs. 3 Rom II-VO das Recht dieses Staates anzuwenden. Eine offensichtlich engere Verbindung, insbesondere aus einem bereits bestehenden Rechtsverhältnis i. S. d. Vorschrift, geht damit der Grundanknüpfung des Art. 4 Abs. 1 und 2 Rom II-VO vor.255 Argumentiert wird zuweilen, dass in Fällen einer 250 Kindler, NZG 2003, 1086 (1090); MüKo-BGB/ders., Bd. 13, Internationales Insolvenzrecht, EuInsVO Art. 7 Rn. 9. 251 Zur differenzierenden Zuordnung des Haftungsinstruments ausführlich unten Kap. 5 § 11 C. II. 1. 252 Hierzu auch HCL/Behrens/Hoffmann, Bd. I, Einleitung Rn. B 142. 253 Mankowski/Müller/Schmidt, EuInsVO Art. 7 Rn. 93. 254 Mankowski/Müller/Schmidt, EuInsVO Art. 7 Rn. 93 stellt etwa auf den Kontoführungsort ab. 255 Zum Anknüpfungssystem nach der Rom II-VO oben Kap. 2 § 3 A. II. 3. a) aa) und bb).

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4. Kap.: Ausformung allgemeiner Qualifikations- und Abgrenzungskriterien

Durchgriffshaftung das Gesellschaftsverhältnis als Grundlage einer solchen offensichtlich engeren Verbindung anzuerkennen sei. In der Folge fallen Deliktsstatut und Gesellschaftsstatut zusammen.256 Im Ergebnis wäre die Durchgriffshaftung auch bei deliktischer Qualifikation akzessorisch an das Gesellschaftsstatut anzuknüpfen.257 Zu denken ist ferner auch an eine akzessorische Anknüpfung an das Insolvenzstatut.258 Vor diesem Hintergrund bietet die deliktsrechtliche Qualifikation den Vorteil, dass sich einerseits die insolvenzrechtlichen Zwecke hinreichend berücksichtigen lassen und ein Gleichlauf mit der insolvenzrechtlichen Anknüpfung herbeigeführt werden kann. Andererseits lässt sich die wesentlich engere Verbindung nach Art. 4 Abs. 3 Rom II-VO unabhängig von der Verfahrenseröffnung bestimmen.259 Denn für die Feststellung der wesentlich engeren Verbindung kann das unter der EuInsVO zuständigkeitsbegründende Merkmal des Mittelpunktes der hauptsächlichen Interessen übertragen werden. Ego möchte hingegen die Anknüpfung nicht nach dem wirtschaftlichen Interessenschwerpunkt, sondern an dem formalen Umstand einer Verfahrenseröffnung ausrichten.260 Folgt man jedoch der zuvor genannten Ansicht, ist auf ein deliktsrechtlich qualifiziertes Rechtsinstitut das Recht des Staates anzuwenden, in dem das COMI der betroffenen Gesellschaft jeweils zum Begehungszeitpunkt lag.261 Eine Verlegung des Mittelpunktes wirkt sich nach dieser Systematik aufgrund der akzessorischen Anknüpfung nicht auf bereits entstandene Ansprüche aus. Für diese gilt weiterhin das Recht des Staates, in welchem der frühere Mittelpunkt belegen war. Auf diese Weise gelangt man über Art. 4 Abs. 3 Rom II-VO zur Anwendung des Rechts am jeweiligen COMI des Schuldners. Insofern stimmt diese Konzeption mit der für das Insolvenzstatut postulierten lex concursus anterior überein, ohne dass es hierbei zu einem Widerspruch zum Gesetzeswortlaut des Art. 7 Abs. 1 EuInsVO kommt. Befürwortet man daher in Bezug auf die der Insolvenzverschleppungshaftung zugrunde liegende Antragspflicht nach § 15a InsO eine Doppelqualifikation,262 bedeutet das für die Anknüpfung Folgendes: Mit dem Wortlaut des Art. 7 Abs. 1 EuInsVO kann für das Insolvenzrecht zum einen an das 256 HCL/Behrens/Hoffmann, Bd. I, Einleitung Rn. B 118; siehe auch Servatius, DB 2015, 1087 (1091). 257 HCL/Behrens/Hoffmann, Bd. I, Einleitung Rn. B 118; Eidenmüller, in: Eidenmüller, Ausländische Kapitalgesellschaften, § 4 Rn. 15 ff.; dagegen MüKo-BGB/Kindler, Bd. 13, Internationales Handels- und Gesellschaftsrecht Rn. 656, der eine akzessorische Anknüpfung an das Gesellschaftsstatut nach Art. 4 Abs. 3 Rom II-VO mangels Drittwirkung der Organpflichten ausscheiden lassen will; MüKo-BGB/Junker, Bd. 13, Außervertragliche Schuldverhältnisse, Rom II-VO Art. 1 Rn. 36. Nach Schanze/Jüttner, AG 2003, 661 (670) fallen Handlungs- und Erfolgsort regelmäßig auseinander. 258 So Kienle, in: Süß/Wachter, HdB des internationalen GmbH-Rechts, § 3 Rn. 172. In Bezug auf die Existenzvernichtungshaftung Kienle, NotBZ 2008, 245 (256). 259 HCL/Behrens/Hoffmann, Bd. I, Einleitung Rn. B 142. 260 Ego, IWRZ 2019, 243 (249). 261 HCL/Behrens/Hoffmann, Bd. I, Einleitung Rn. B 142. 262 So HCL/Behrens/Hoffmann, Bd. I, Einleitung Rn. B 142; Schall, Kapitalgesellschaftsrechtlicher Gläubigerschutz, S. 210; vgl. dens., ZIP 2016, 289 (293).

§ 9 Differenzierende Systematik

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Recht der späteren Verfahrenseröffnung angeknüpft werden. Zum anderen ist für das Deliktsrecht nach Art. 4 Abs. 3 Rom II-VO an das zum jeweiligen Zeitpunkt aktuelle COMI der Gesellschaft anzuknüpfen. Gruber/Schulz behandeln die Antragspflicht dagegen als eine insolvenzrechtliche Vorfrage.263 Stellt man bei der Qualifikation der Insolvenzverschleppungshaftung auf die Einschränkung des Gleichlaufs und die daraus erwachsende differenzierende Anwendung des Insolvenzstatuts ab,264 folgt daraus noch keine generelle Absage an eine mögliche Doppelqualifikation. Gleiches gilt für die Einordnung weiterer insolvenznaher Haftungsinstrumente. Zu einer Doppelqualifikation sollte man aber grundsätzlich erst dann gelangen, wenn in einem entsprechenden Rechtsinstitut kein rechtlicher Schwerpunkt erkannt werden kann und eine eindeutige Zuweisung zu einer Kollisionsnorm nicht möglich ist.265 Auf Grundlage der bislang entwickelten differenzierenden Systematik ist eine sichere Zuordnung im hier betreffenden Kontext gleichwohl überwiegend gangbar.266 Für eine Doppelqualifikation besteht daher nur wenig Raum. Sollte dabei dem verfahrensbezogenen Aufbau der EuInsVO teilweise widersprochen werden, rechtfertigt dies allein keine Annahme einer Doppelqualifikation, sofern der grundlegenden Implikation des Verordnungsgebers hinreichend entsprochen wird und die Einordnung einer Rechtsfigur unter nur ein Statut nicht zu unbilligen Ergebnissen führt. Auch die Frage, wo und wie der Schadensort im Falle einer deliktsrechtlichen Qualifikation zu lokalisieren ist, kommt um eine akzessorische Anknüpfung an das Gesellschafts- oder Insolvenzstatut letztlich nicht umher. Die Konstruktion setzt ein bereits feststehendes Statut voraus, weshalb nicht ersichtlich ist, warum bei feststehender insolvenzrechtlicher Qualifikation ein entsprechender Umweg zu gehen sein sollte. Jedenfalls für die insolvenzrechtliche Qualifikation gilt insoweit, dass mit ihr die Pflichten im Vorfeld der Insolvenz ausreichend umfasst werden. Zudem lässt sich das Insolvenzstatut ebenfalls unabhängig von der Verfahrenseröffnung bestimmen. Mithin dürfte in den meisten Fällen bereits kein Bedürfnis nach einer weiteren Qualifikation bestehen, die zwar unter einem ausgedehnten Blickwinkel weitere (Haftungs-)Zwecke berücksichtigt, aber letztlich doch zum gleichen Anwendungsergebnis in Form der lex concursus anterior führt. Am Ende zeigt sich, dass eine Doppelqualifikation bei kollisionsrechtlicher Einordnung von insolvenznahen Haftungsinstrumenten zwar grundsätzlich nicht auszuschließen ist, ihre Anwendung jedoch nur in einem eng begrenzten Rahmen stattfinden kann.

263 Gruber/Schulz, in: Ahrens/Gehrlein/Ringstmeier, InsR, 4. Auflage, Anhang I EuInsVO Art. 7 Rn. 49. 264 Dazu unten Kap. 5 § 11 C. II. 1. 265 v. Bar/Mankowski, IPR I § 7 Rn. 178; in Bezug auf die Mehrfachqualifikation und noch zu Art. 40 EGBGB Kuntz, NZI 2005, 424 (428); Zerres, DZWIR 2006, 356 (361 f.) ebenfalls noch zu Art. 40 EGBGB. 266 Zur Qualifikation nationaler Haftungsinstrumente unten Kap. 5 § 11.

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4. Kap.: Ausformung allgemeiner Qualifikations- und Abgrenzungskriterien

II. Mehrfachqualifikation Da es bei der Abgrenzung von Gesellschafts-, Insolvenz- und Deliktsstatut stets um die Zuordnung einer Sachnorm anhand ihrer Regelungsziele geht, kommt grundsätzlich auch eine Mehrfachqualifikation267 in Betracht.268 Dahinter steht vor allem die Überlegung, dass z. B. eine deutsche Gesellschaft ihr COMI in einen anderen Mitgliedstaat verlegen kann und damit nach der Konzeption der EuInsVO grundsätzlich allein ausländisches Insolvenzrecht zur Anwendung berufen wäre. Bei einer insolvenzrechtlichen Qualifikation von deutschen Insolvenzhaftungstatbeständen würden diese, wie auch eine insolvenzrechtlich qualifizierte Antragspflicht nach § 15a InsO, nicht (mehr) zur Anwendung gelangen.269 Gleiches gilt bei deliktischer Anknüpfung an den wirtschaftlichen Mittelpunkt der Interessen.270 Dieses Problem ließe sich durch eine kumulative Anknüpfung an das Gesellschaftsstatut lösen. Schall sieht dagegen auf Grundlage des Kornhaas-Urteils allenfalls noch Raum für eine Doppelqualifikation.271 Jedoch ist in diesem Kontext mit denselben Argumenten, die zu einer stark eingeschränkten Handhabung der Doppelqualifikation führen, auch eine Mehrfachqualifikation im Ergebnis abzulehnen oder nur in eng begrenzten Ausnahmefällen zuzulassen.272 Dies kann etwa der Fall sein, wenn es darum geht, Sachnormen und Rechtsverhältnisse zu erfassen, die gleichrangig nebeneinander unterschiedliche Interessen schützen wollen, für die jeweils andere Kollisionsnormen gelten.273 In Bezug auf die deliktische Schutzrichtung der Antragspflicht könnte dies freilich noch anzunehmen sein.274 Gelangt man über die Mehrfachqualifikation darüber hinaus aber zu einer kumulativen Anwendung des Gesellschaftsstatuts auf die Insolvenzhaftungstatbestände, wäre in der Folge das deutsche Haftungssystem neben dem Insolvenzstatut anwendbar. Soweit auf diesem Wege mögliche Haftungslücken des Insolvenzstatuts geschlossen werden sollen, ist zu konstatieren, dass diese bei insolvenzrechtlicher Qualifikation nach der hier postulierten differenzierenden und vorgreiflichen Systematik erst gar nicht entstehen. Insofern bedarf es auch keiner Korrektur des durch das Kollisionsrecht zur 267

Grundlegend oben Kap. 2 § 3 C. III. HCL/Behrens/Hoffmann, Bd. I, Einleitung Rn. B 143; MüKo-BGB/Kindler, Bd. 13, Internationales Handels- und Gesellschaftsrecht Rn. 623, 668; ders., in: FS Jayme, Bd. I, S. 409 (416); Kolmann/Ch. Keller, in: Gottwald/Haas, Insolvenzrechts-HdB, § 131. Insolvenzkollisionsrecht Rn. 119. 269 Früher schon Bunnemann, in: Bunnemann/Zirngibl, Die GmbH in der Praxis, § 3 Der Geschäftsführer der GmbH Rn. 154; Knof/Mock, GmbHR 2007, 852 (857); Schwab, DStR 2010, 333 (336). 270 HCL/Behrens/Hoffmann, Bd. I, Einleitung Rn. B 143. 271 Schall, ZIP 2016, 289 (293). 272 Für eine zurückhaltende Handhabung auch v. Bar/Mankowski, IPR I § 7 Rn. 178; HCL/ Behrens/Hoffmann, Bd. I, Einleitung Rn. B 143; MüKo-BGB/v. Hein, Bd. 12, Einleitung zum IPR Rn. 156; Staudinger/Looschelders, Einleitung IPR Rn. 1118; Weber, DNotZ 2016, 424 (433). 273 HCL/Behrens/Hoffmann, Bd. I, Einleitung Rn. B 143. 274 Oben Kap. 4 § 9 D. I. und HCL/Behrens/Hoffmann, Bd. I, Einleitung Rn. B 143. 268

§ 9 Differenzierende Systematik

201

Anwendung gebrachten Rechts. Spekulieren Gesellschaften beispielsweise darauf, ihr COMI kurz vor Antragstellung in einen anderen Mitgliedstaat zu verlegen, um so den gegebenenfalls strengeren Vorgaben des § 15a InsO zu entgehen, würde wohl zunächst die Sperrfrist des Art. 3 Abs. 1 UAbs. 2 S. 2 EuInsVO greifen, bevor in einem zweiten Schritt auch an eine rechtsmissbräuchliche Vorgehensweise gedacht werden kann. Inländische Gläubigerinteressen lassen sich auf diese Weise schützen, ohne die Mehrfachqualifikation bemühen zu müssen. Bei eingetretener Pflichtverletzung sorgt dagegen schon insolvenzrechtliche Qualifikation nach den hier festgelegten Maßstäben275 für den Schutz vor einer Haftungsbegründung nach ausländischem Recht. Zuletzt spricht auch die Niederlassungsfreiheit gegen die Annahme einer Mehrfachqualifikation. Durch die kumulative Anknüpfung an das Gesellschaftsstatut des Gründungsstaates käme es mit Blick auf die insolvenzrechtlichen Haftungstatbestände zu einer Doppelbelastung mit dem Insolvenzstatut, die die Ausübung der Niederlassungsfreiheit behindern oder doch zumindest weniger attraktiv machen würde.276

III. Zwischenergebnis Es zeigt sich, dass der Kriterienkatalog zur insolvenzrechtlichen Qualifikation im Zusammenspiel mit der hier befürworteten Einschränkung des Gleichlaufs eine ausreichende Grundlage bietet, um eine Multifunktionalität von Rechtsinstituten und einzelnen Sachnormen sachgerecht aufzulösen und einheitlich anzuknüpfen. Während eine Doppelqualifikation im hier betreffenden Zusammenhang nur ausnahmsweise in Betracht zu ziehen ist, ist eine Mehrfachqualifikation bei der Qualifikation insolvenznaher Haftungsinstrumente grundsätzlich ausgeschlossen.

275 276

Oben Kap. 4 § 8 B. III. So HCL/Behrens/Hoffmann, Bd. I, Einleitung Rn. B 143.

5. Kapitel

Anwendung der Qualifikationsund Abgrenzungsmaxime Die in den vorstehenden Kapiteln herausgearbeiteten Qualifikations- und Abgrenzungskriterien können nun einerseits für die Konkretisierung des Verhältnisses von Anknüpfung und Zuständigkeit herangezogen werden (sogleich unter § 10 A.). Andererseits dienen sie zur Abgrenzung zwischen der EuInsVO und der Brüssel IaVO und der damit einhergehenden Bestimmung der Reichweite des Insolvenzstatuts (unten § 10 C.). Auf diesem Fundament kann sodann die Qualifikation und kollisionsrechtliche Einordnung von insolvenznahen, die Geschäftsleitung juristischer Personen betreffenden Haftungsinstrumenten erfolgen (unten § 11). Durch Anwendung der Qualifikations- und Abgrenzungsmaxime lässt sich die theoretische Abgrenzung von Gesellschafts-, Delikts- und Insolvenzstatut konkretisieren. Nach geklärter Zuordnung der einzelnen Haftungstatbestände werden außerdem – wo erforderlich – die Vereinbarkeit der Anwendung mit der Niederlassungsfreiheit und Fallgestaltungen des Statutenwechsels behandelt. Zuletzt wird der Blick auf den Gläubigerschutz unter rechtsvergleichender Perspektive gelenkt (unten § 12). Qualifiziert werden insolvenznahe Haftungsinstrumente des irischen und französischen Rechts.

§ 10 Grenzzeichnung – Maßgebende Qualifikationsund Abgrenzungskriterien An dieser Stelle sei noch einmal herausgestellt, wie sich die allgemeinen Prinzipien und speziellen Qualifikationsmerkmale auf die Zuordnung von Haftungsinstrumenten im Umfeld der Insolvenz auswirken und was daraus insbesondere für die Grenzzeichnung zwischen Gesellschafts- und Insolvenzstatut folgt. Die postulierte Differenzierung zwischen der Qualifikation als kollisionsrechtlichem Instrument, zwischen dem zuständigkeitsrechtlichem Zusammenhang und der sich daraus ergebenden Abgrenzung bildet dafür den Ausgangspunkt. So lässt sich explizieren, inwieweit das materielle Insolvenzrecht neben dem Insolvenzverfahrensrecht durch die EuInsVO erfasst ist, wie sich Art. 6 Abs. 1 und Art. 7 Abs. 1 EuInsVO zueinander verhalten und wie etwaige Kompetenzkonflikte zwischen Zuständigkeit und anzuwendendem Recht aufzulösen sind. Zugleich wird deutlich, dass aus den maßge-

§ 10 Grenzzeichnung – Maßgebende Qualifikations- und Abgrenzungskriterien

203

benden Abgrenzungs- und Qualifikationskriterien eine Ausweitung des Insolvenzstatuts abzuleiten ist.

A. Verhältnis von Anknüpfung und Zuständigkeit Wie sich gezeigt hat, ist das Verhältnis von Zuständigkeit und Anknüpfung nicht gänzlich kongruent. Für eine umfassende und passgenaue Anknüpfung insolvenznaher Haftungsinstrumente bedarf es einer vollständigen Loslösung vom verfahrensrechtlichen Charakter der EuInsVO. Ferner ist von einem umfassenden Gleichlauf zwischen (hypothetischer) Zuständigkeit und Anknüpfung auszugehen, um der insolvenzrechtlichen Implikation im Unionsrecht zu entsprechen. Dagegen ist bei der Zuständigkeitsfrage zu differenzieren: Hier gilt zwar, dass die Eröffnung eines Insolvenzverfahrens nach wie vor entscheidend für die Begründung der Zuständigkeit ist. Zu unterscheiden ist jedoch im Falle einer Verlegung des COMI und dem damit einhergehenden Statutenwechsel. In dieser Situation greift für die Anknüpfung die hypothetische lex fori concursus bzw. die lex concursus anterior, womit auch hier dem verfahrensrechtlichen Charakter der lex fori concursus widersprochen wird. Lediglich dann, wenn es zu keinem Statuten- und Zuständigkeitswechsel oder zu keiner Zuständigkeitsbegründung in einem anderen Mitgliedstaat gekommen ist, fallen Zuständigkeit und insolvenzrechtliche Anknüpfung zusammen. Die Systematik von Art. 3 und 7 EuInsVO und der Zusammenhang zwischen Art. 6 und 7 EuInsVO sind demnach nicht so verflochten ausgestaltet, wie es aufgrund des Wortlauts der Normen zunächst anzunehmen ist. Im Hinblick auf die Qualifikation ist deutlich geworden, dass sich die Kriterien der kodifizierten Gourdain-Formel auf verordnungsautonomer Grundlage inhaltlich präzise ausgestalten lassen und vollständig auf Art. 7 Abs. 1 EuInsVO zu übertragen sind. Daraus folgt für das Verhältnis von Qualifikation und Zuständigkeit auf Basis von Art. 3 und Art. 7 Abs. 1 EuInsVO, dass kein allgemeiner Gleichlauf zwischen Zuständigkeit und kollisionsrechtlicher Anknüpfung besteht. Vielmehr gelten für die exakte Bestimmung dieser beiden Bereiche unterschiedliche Leitsätze. Während im Verhältnis zwischen Art. 6 Abs. 1 und Art. 7 Abs. 1 EuInsVO von der Zuständigkeit für Annexklagen auf die insolvenzrechtliche Qualifikation des der Klage zugrundeliegenden Haftungsanspruchs und weiter auf die kollisionsrechtliche Anknüpfung nach Art. 7 EuInsVO abgestellt werden kann (und in dieser Richtung ein Gleichlauf besteht), lässt sich umgekehrt allein von der insolvenzrechtlichen Qualifikation unter Art. 7 EuInsVO nicht auf die Zuständigkeit nach Art. 6 EuInsVO schließen. Ein Gleichlauf in dieser Richtung ist zu verneinen. Umgekehrt kann aber ein Anspruch, der materiell-rechtlich unter Art. 7 EuInsVO fällt, aufgrund der Identität der Kriterien ebenso unter Art. 6 Abs. 1 EuInsVO eingeordnet werden. Die Anknüpfung läuft insoweit parallel. Für Art. 3 und Art. 7 EuInsVO gilt in diesem Zusammenhang, dass die Qualifikation – im Gegensatz zur Begründung der Zuständigkeit – nicht von der Eröffnung eines Insolvenzverfahrens abhängt. So kann es gerade bei diesem

204

5. Kap.: Anwendung der Qualifikations- und Abgrenzungsmaxime

Zusammenspiel zu einem Auseinanderfallen von ius und forum kommen. Mit anderen Worten kommt der Frage der internationalen Entscheidungszuständigkeit kein Präjudiz für die insolvenzrechtliche Qualifikation zu. Da für die Anknüpfung die hypothetische lex fori concursus bzw. die lex concursus anterior maßgeblich ist und damit eine zeitlich differenzierte Betrachtung erfolgt, kann es zu einer Durchbrechung des viel vielzitierten Gleichlaufgrundsatzes kommen. Das Verhältnis von Anknüpfung und Zuständigkeit wird insoweit von unterschiedlichen Kriterien bestimmt. Diese stehen der Konzeption der sekundärrechtlichen Regelungen in Teilen entgegen. Die Differenzierung findet ihre Grundlage in der einschlägigen Rechtsprechung des EuGH sowie in den daraus zu ziehenden Schlussfolgerungen. Auch wenn hieraus eine teilweise Abweichung vom Ordnungssystem der EuInsVO folgt, lassen sich dennoch auf Basis der abgeleiteten und weiterentwickelten Systematik sachgerechte Ansätze für die Zuordnung insolvenznaher Haftungsinstrumente exzerpieren.

B. Insolvenzrechtliche Qualifikation als Ausgangspunkt Die Zuordnung insolvenznaher Rechtsinstitute auf Grundlage des Anknüpfungsgegenstandes von Art. 7 Abs. 1 EuInsVO richtet sich anhand der Prüfsteine des entwickelten Kriterienkatalogs1 aus. Die Ausgestaltung fußt auf der bisherigen EuGH-Rechtsprechung und der funktional-teleologischen Auslegung der EuInsVO sowie auf dem festgestellten insolvenzrechtlichen Zusammenhang. Ausschlaggebend ist, dass die auf das Verfahrensrecht ausgerichtete EuInsVO auch wesentliche materiell-rechtliche Wertungen und Regelungsgehalte des Insolvenzrechts mit in ihren Anwendungsbereich einbezieht. Dementsprechend kann bei der insolvenzrechtlichen Qualifikation auch der Zeitraum im Vorfeld der Insolvenz berücksichtigt werden. Neben dem reaktiven Ansatz der gesamten EuInsVO umfasst der Anknüpfungsgegenstand von Art. 7 Abs. 1 EuInsVO auch präventiv wirkende Regelungen. Voraussetzung ist eine auf Tatbestands- oder Rechtsfolgenseite erfolgende Anknüpfung an den Bezugspunkt der materiellen Insolvenz. Für die Qualifikationsfragen weisen die vor dem Hintergrund der insolvenzrechtlichen Implikation behandelten insolvenztypischen Zwecke die Richtung.2 Sie bilden die Grundlage für eine autonome insolvenzrechtliche Qualifikation, die gänzlich unabhängig von äußeren Einflüssen erfolgt. Durch die Anwendung des Kriterienkatalogs erfolgt außerdem – ausgehend von der insolvenzrechtlichen Zuordnung – die Abgrenzung des Insolvenzstatuts vom Gesellschafts- und Deliktsstatut. Für die deliktische Abgrenzung nach den Zuständigkeitsregelungen ist ausschlaggebend, dass die Brüssel Ia-VO gem. Art. 1 Abs. 2 lit. b Brüssel Ia-VO keine Anwendung auf Konkurse, Vergleiche oder ähnliche Verfahren findet. Für diese 1 2

Oben Kap. 4 § 8 B. III. 1. Oben Kap. 4 § 8 B. II. 2. a).

§ 10 Grenzzeichnung – Maßgebende Qualifikations- und Abgrenzungskriterien

205

Verfahren gilt die EuInsVO. Da sich die Anwendungsbereiche der beiden Verordnungen lückenlos ergänzen sollen,3 ist der Begriff des insolvenzrechtlichen Verfahrens für beide Rechtsinstitute gleich auszulegen.4 Maßgeblich für die Reichweite des Ausschlusstatbestands des Art. 1 Abs. 2 lit. b Brüssel Ia-VO ist mithin der Anwendungsbereich der EuInsVO. Diejenigen Regelungen, die von diesem erfasst werden, sind vom Anwendungsbereich der Brüssel Ia-VO ausgenommen. Relevanz entwickelt die Bestimmung der maßgebenden Qualifikations- und Abgrenzungskriterien auch für die Demarkation zwischen Gesellschafts- und Insolvenzrecht. An dieser Stelle sei nochmal hervorgehoben, dass das Gesellschaftsstatut innerhalb der EU weitestgehend durch die Gründungstheorie und der damit einhergehenden Anerkennung im EU-Ausland gegründeter Kapitalgesellschaften bestimmt wird. Dem Gesellschaftsstatut unterfallen demnach die gesellschaftsrechtlichen Außen- und Innenverhältnisse. Daraus folgt, dass weder inländische Gründungsvorschriften noch andere gesellschaftsrechtlich qualifizierte Regelungen des Inlands, welche etwa die Kapitalisierung, die interne Organisation sowie den (Fort-)Bestand und die Rechts- und Handlungsfähigkeit der Gesellschaft betreffen, zur Anwendung gelangen. Maßgeblich für das Gesellschaftsstatut ist das Recht des Gründungsstaates.5 Für die hier interessierenden gläubigerschützenden Bestimmungen des Kapitalgesellschaftsrechts gilt insoweit, dass Regelungen zur Gewährleistung eines abstrakten und präventiven Gläubigerschutzes (wie insbesondere zur Kapitalaufbringung und -erhaltung) grundsätzlich gesellschaftsrechtlich zu qualifizieren sind.6 Doch auch hier ist die endgültige Qualifikationsentscheidung nach Maßgabe der insolvenzrechtlichen Qualifikationskriterien zu fällen. Diese lassen sich hinreichend konkretisieren und stellen so den Ausgangspunkt für die Abgrenzung dar. Die insolvenzrechtlichen Qualifikations- und Abgrenzungskriterien bilden bei verordnungsautonomer Auslegung den Rahmen, wonach die Gesellschaft das auf sie anzuwendende Recht selbst, oder – im Umkehrschluss – nicht selbst bestimmen kann.

C. Ausdehnung des Insolvenzstatuts Die Reichweite des Insolvenzstatuts bestimmt in Abgrenzung zum Gesellschaftsund Deliktsstatut die kollisionsrechtliche Zuordnung insolvenznaher Haftungsinstrumente. In allen drei Rechtsgebieten finden sich zum einen prophylaktisch wirkende Regelungsmechanismen, die einer Insolvenzsituation entgegenwirken 3

Hierzu oben Kap. 3 § 6 C. II. 1. Rauscher/Mankowski, EuZPR/EuIPR, Bd. I, Brüssel Ia-VO Art. 1 Rn. 98; E. Pfeiffer/ M. Pfeiffer, in: Geimer/Schütze, Int. Rechtsverkehr, Bd. I, Brüssel Ia-VO Art. 1 Rn. 62. 5 Grundlegend etwa Leible/Hoffmann, EuZW 2003, 677 (681). 6 Siehe nur EuGH, 30. 09. 2003, Rs. C-167/01 (Inspire Art), ECLI:EU:C:2003:512 Rn. 135 ff. = NJW 2003, 3331 (3334); Graf-Schlicker/Bornemann, InsO, EuInsVO Art. 7 Rn. 10. 4

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5. Kap.: Anwendung der Qualifikations- und Abgrenzungsmaxime

wollen – sei es durch präventiv wirkenden Gläubigerschutz, durch Verhaltenspflichten der Geschäftsleiter oder durch Regelungen zur Kapitalaufbringung und -erhaltung. Zum anderen lassen sich Mechanismen ausfindig machen, die auf eine eingetretene Insolvenzsituation retroaktiv reagieren. Für die Abgrenzung ist nun entscheidend, welche Regelungsziele die jeweilige Sachnorm verfolgt. Ob diese am Ende dem Insolvenzstatut zugeordnet werden können, hängt davon ab, welche Regelungsmaterien vom Insolvenzstatut konkret umfasst werden und wie weit dessen Wirkungen reichen. Dies lässt sich genau bestimmen. Zentraler Bestandteil des Insolvenzstatuts sind die Insolvenzverfahrensregeln. Aus Art. 7 Abs. 2 S. 1 EuInsVO folgt, dass das Recht des Staates der Verfahrenseröffnung regelt, unter welchen Voraussetzungen das Insolvenzverfahren eröffnet wird und wie es durchzuführen und zu beenden ist. Diese allgemein gehaltene Aussage wird anschließend durch Art. 7 Abs. 2 S. 2 lit. a bis m EuInsVO weiter konkretisiert. Der europäische Verordnungsgeber lässt an dieser Stelle erkennen, welche Sachverhalte er als insolvenztypisch einordnet und als vom Regelungsumfang des Insolvenzstatuts erfasst ansieht. Erstmals etwas konkreter wurde der EuGH in der Kornhaas-Entscheidung, wonach dem Insolvenzstatut „erstens die Voraussetzungen für die Eröffnung eines Insolvenzverfahrens, zweitens die Regeln für die Bestimmung der zur Stellung des Antrags auf Eröffnung dieses Verfahrens verpflichteten Personen und drittens die Folgen eines Verstoßes gegen diese Verpflichtung“7 unterfallen sollen. Auf dieser Grundlage und unter Heranziehung der Urteile H, NK und CeDe Group lässt sich nun ferner der generalklauselartige Anknüpfungsgegenstand des Insolvenzverfahrens und seine Wirkungen aus Art. 7 Abs. 1 EuInsVO hinreichend mit Inhalt füllen. Auf diese Weise wird eine zielsichere Qualifikation insolvenznaher Haftungsregelungen ermöglicht. Für diese gilt es zu beachten, dass die Reichweite des Insolvenzstatuts von der Verfahrenseröffnung gänzlich unabhängig ist und diese für den Geltungsbereich ohne Belang ist. So steht es der insolvenzrechtlichen Qualifikation grundsätzlich nicht entgegen, wenn die internationale Entscheidungszuständigkeit eines Gerichts aus der Brüssel Ia-VO folgt. Die Reichweite des kollisionsrechtlichen Insolvenzstatuts wird durch die internationale Entscheidungszuständigkeit infolgedessen nicht präjudiziert. Vielmehr erfolgt die Abgrenzung zwischen der Brüssel Ia-VO und der EuInsVO in Bezug auf die internationale Zuständigkeit nach eigenen Kriterien.8 Der festgestellte materiell-rechtliche Bezug des Art. 7 Abs. 1 EuInsVO bewirkt außerdem, dass die EuInsVO nicht allein einen reaktiven Ansatz verfolgt. Sie bezieht den Zeitraum im Vorfeld der Insolvenz mit ein und trägt so zur Verwirklichung eines weitreichenden Gläubigerschutzes bei. Nicht relevant ist, ob die Regelung einen Anwendungsbereich (auch) außerhalb des Insolvenzverfahrens hat. Die Vorgreif7

EuGH, 10. 12. 2015, Rs. C-594/14 (Kornhaas), ECLI:EU:C:2015:806 Rn. 19 = NJW 2016, 223 (224). Die Kursivsetzungen erfolgten durch den Verfasser. 8 Kolmann/Ch. Keller, in: Gottwald/Haas, Insolvenzrechts-HdB, § 131. Insolvenzkollisionsrecht Rn. 10.

§ 10 Grenzzeichnung – Maßgebende Qualifikations- und Abgrenzungskriterien

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lichkeit sorgt dafür, dass auch die Vorwirkungen einer Insolvenz und die des Verfahrens über die Kollisionsnorm des Art. 7 Abs. 1 EuInsVO sachgerecht erfasst werden können. In der Folge erweitert sich die Reichweite des Insolvenzstatuts und verdrängt Gesellschafts- und Deliktsstatut dort, wo die Funktion des Insolvenzverfahrens als Instrument der allseitigen Haftungsordnung die kollektive Bewältigung einer finanziellen Krisensituation unter Knappheitsbedingungen stützt. Zusätzlich sorgt die Einbeziehung der präventiv wirkenden Regelungen in den Anwendungsbereich der EuInsVO unter Anknüpfung an die materielle Insolvenz mit ihren haftungsrechtlichen Vorwirkungen im Prä-Insolvenz-Stadium9 für einen ausgedehnten Anwendungsbereich des Insolvenzstatuts.10 Anders gesagt, führt die inhaltliche Ausfüllung und die damit einhergehende Erweiterung des insolvenzrechtlichen Anknüpfungsgegenstandes des Art. 7 Abs. 1 EuInsVO zu einer eingeschränkten Reichweite des Gesellschafts- und Deliktsstatuts.11 Dies gilt umso mehr, als eine Doppel- oder Mehrfachqualifikation im hier interessierenden Zusammenhang nur in engen Grenzen12 möglich ist und Qualifikationszweifel zu Gunsten des Insolvenzstatuts zu lösen sind.13 Ego ist dagegen der Ansicht, dass für eine Erweiterung des Insolvenzstatuts zulasten des Gesellschaftsstatuts tragfähige Anhaltspunkte fehlen würden.14 Er sucht die Lösung daher nicht auf der Qualifikationsebene, sondern plädiert für eine gesellschaftsrechtliche Kollisionsnormbildung.15 Für eine solche besteht allerdings keine Notwendigkeit. Wie sich gezeigt hat, lassen sich vermeintliche Unklarheiten hinsichtlich der Anknüpfung von Verhaltenspflichten und Haftungsnormen bei Auseinanderfallen von COMI und Eröffnungsstaat sowie in Fällen einer COMI-Verlagerung einer sachgerechten Lösung zuführen. Unerheblich ist dabei, dass sich die EuInsVO hierzu nicht ausdrücklich verhält. Dies verkennt Ego, der aus diesem Grunde eine vom Insolvenzverfahren unabhängige Anknüpfung sowie eine Anwendung des Art. 7 Abs. 1 EuInsVO außerhalb und im Vorfeld eines 9

Weller/Harms, IPRax 2016, 119 (121). So etwa auch Häsemeyer, Insolvenzrecht Rn. 35.16, 35.30a; MüKo-BGB/Kindler, Bd. 13, Internationales Insolvenzrecht, EuInsVO Art. 7 Rn. 7 f.; Kolmann/Ch. Keller, in: Gottwald/Haas, Insolvenzrechts-HdB, § 131. Insolvenzkollisionsrecht Rn. 9; Virgós/Schmit, Erläuternder Bericht Rn. 90; anders noch EuGH, 10. 09. 2009, Rs. C-292/08 (German Graphics), ECLI:EU:C:2009:544 Rn. 25 = NZI 2009, 741 (742); MüKo-InsO/Reinhart, Bd. 4, EuInsVO 2000 Art. 4 Rn. 4. 11 Weller/Hübner, NJW 2016, 223 (225) in Bezug auf die Reichweite des Gesellschaftsstatuts. Gegen eine „Flucht aus dem Gesellschaftsstatut“ ist dagegen Ego, IWRZ 2019, 243 (248 ff.). In diesem Sinne auch Altmeppen, IWRZ 2017, 107 (110). 12 Hierzu oben Kap. 4 § 9 D. 13 Wie auch schon ausdrücklich MüKo-BGB/Kindler, Bd. 13, Internationales Handels- und Gesellschaftsrecht Rn. 441, Internationales Insolvenzrecht, EuInsVO Art. 7 Rn. 6; Kolmann/ Ch. Keller, in: Gottwald/Haas, Insolvenzrechts-HdB, § 131. Insolvenzkollisionsrecht Rn. 9; Mankowski, NZI 2009, 785 (786); Schack, IZVR Rn. 1190. Eher kritisch Kienle, NotBZ 2008, 245 (251). 14 Ego, IWRZ 2019, 243 (249). 15 Ego, IWRZ 2019, 243 (249). 10

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5. Kap.: Anwendung der Qualifikations- und Abgrenzungsmaxime

Insolvenzverfahrens kritisch sieht.16 Der hier befürwortete Lösungsansatz fußt auf der insolvenzrechtlichen Implikation des Unionsrechts, die maßgeblich durch die Kollisionsnorm des Art. 7 Abs. 1 EuInsVO sowie durch die Regelung des Art. 6 Abs. 1 EuInsVO zur Grenzziehung zwischen den sachlichen Anwendungsbereichen der EuInsVO und der Brüssel Ia-VO bestimmt wird. Mit den daraus folgenden Anknüpfungsmerkmalen und der kollisionsrechtlichen Anknüpfungsmethodik kann das insolvenzrechtliche Gläubigerschutzrecht auf Qualifikationsebene ausgedehnt werden. Das Gesellschaftsstatut wird insoweit überlagert.

§ 11 Qualifikation und kollisionsrechtliche Einordnung nationaler Haftungsinstrumente Die Niederlassungsfreiheit und ihre Ausformung durch die EuGH-Rechtsprechung befeuern auch noch heute den regulatorischen Wettbewerb der Rechtsordnungen. Die so entstandene Konkurrenz mündet in der Frage, ob und wieweit Normen des deutschen Gläubigerschutzes auf EU-Auslandsgesellschaften mit Sitz in Deutschland anzuwenden sind. Der Fokus wird hier auf die Geschäftsleiterhaftung gelegt. Sie soll als Leitlinie für die Abgrenzung von Gesellschafts- und Insolvenzstatut dienen. Einbezogen werden auch die neuen Haftungsinstrumente unter dem StaRUG. Da die Kollisionsregeln des Gesellschafts-, Insolvenz- und Deliktsrechts grundsätzlich auf unterschiedliche Jurisdiktionen verweisen, lässt sich die Frage nach der Anwendung primär durch die kollisionsrechtliche Einordnung und autonome Qualifikation der spezifischen insolvenzbezogenen Haftungsinstrumente beantworten. Für Geschäftsleiter einer in Deutschland tätigen EU-Auslandsgesellschaften können sich daraus drastische Konsequenzen ergeben. Das bei Haftungsfällen mit Auslandsbezug zutage tretende kollisionsrechtliche Spannungsverhältnis zwischen Gesellschafts- und Insolvenzrecht lässt sich durch die Anwendung der hier entwickelten Qualifikationskriterien zumeist auflösen. Um das Bild zu vervollständigen, wird der Blick nach geklärter Zuordnung auf die Frage nach der Vereinbarkeit der Anwendung mit der Niederlassungsfreiheit gelenkt. Anschließend werden jeweils verschiedene Fallkonstellationen untersucht, die aus dem Statutenwechsel durch COMI-Verlegung erwachsen.

A. Innenhaftung Der für das Verantwortlichkeitsrecht der Kapitalgesellschaften prägende Grundsatz der Haftungskonzentration17 führt bei organschaftlicher Pflichtverletzung und kausalem Schaden grundsätzlich zu einer Innenhaftung der Geschäftsleitung ge16 17

Ego, IWRZ 2019, 243 (249). Fleischer, NJW 2009, 2337 (2340); Steffek, JuS 2010, 295 (296).

§ 11 Qualifikation und Einordnung nationaler Haftungsinstrumente

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genüber ihrer Gesellschaft. Gesellschafter und Gläubiger profitieren so mittelbar durch das gestiegene Vermögen der Gesellschaft. Im Mittelpunkt einer Innenhaftung wegen Missmanagements der Geschäftsleitung stehen §§ 43 Abs. 2 GmbHG, 93 Abs. 2 S. 1 AktG. Daneben ergeben sich Ansprüche der Gesellschaft auch aus zahlreichen weiteren Normen, insbesondere im Vorfeld oder im Zusammenhang mit der Insolvenz einer Gesellschaft.

I. Zahlungsverbot Besonders relevant für die Geschäftsleitung war bis zum 31. 12. 2020 die Haftung für verbotene Zahlungen nach Insolvenzreife gem. § 64 S. 1 GmbHG a. F.18, § 92 Abs. 2 i. V. m. § 93 Abs. 3 Nr. 6 AktG a. F. und §§ 130a Abs. 1 und 2, 177a HGB. Durch das Zahlungsverbot, das durch das SanInsFoG rechtsformübergreifend in die InsO verlagert wurde und nun in § 15b Abs. 1 i. V. m. Abs. 4 InsO geregelt ist, soll die künftige Insolvenzmasse im Interesse der Insolvenzgläubiger vor einer Schmälerung bewahrt und eine Bevorzugung einzelner Gläubiger verhindert werden. Die Erstattungspflicht dient mithin der Massesicherung sowie dem Gläubigerschutz. Sie führt dazu, dass der Geschäftsleiter für alle verbotswidrigen Zahlungen haftbar gemacht werden kann. Haftungsausnahmen bestehen wie bisher19 nur für Zahlungen, die mit der Sorgfalt eines ordnungsgemäßen und gewissenhaften Geschäftsleiters vereinbar sind, insbesondere wenn sie dazu dienen, den Geschäftsbetrieb aufrechtzuerhalten, § 15b Abs. 1 S. 2, Abs. 2 und 3 InsO. Aus der Verlagerung des Zahlungsverbotes in die InsO folgt keine Änderung des Grundtatbestandes des § 64 S. 1 GmbHG a. F. Dessen Grundsätze gelten fort und stehen auch hier im Zentrum. Der Haftungszweck besteht nach wie vor darin, Masseverkürzung vor Eröffnung des Insolvenzverfahrens zu verhindern. Denn das Interesse der Gläubiger an einer gleichmäßigen Befriedigung lässt sich erst unter dem Kollektivverfahren bestmöglich umsetzen.20 So dürfen die nach § 15a Abs. 1 S. 1 InsO antragspflichtigen Mitglieder des Vertretungsorgans und Abwickler einer juristischen Person nach dem Eintritt der Zahlungsunfähigkeit oder der Überschuldung der juristischen Person keine Zahlungen mehr für diese vornehmen, § 15b Abs. 1 S. 1 InsO. Mit der neuen gesetzlichen Festlegung des für die Feststellung der Überschuldung einzubeziehenden Prognosezeitraums von zwölf Monaten gem. § 19 Abs. 2 S. 1 InsO folgt zugleich eine Änderung des zeitlichen Anwendungsbereichs des Zahlungsverbots. Durch den Verweis auf § 15a Abs. 1 S. 1 InsO bestimmt sich 18 Aus § 64 S. 1 GmbHG a. F. folgte kein ausdrückliches Zahlungsverbot. Dieses ergab sich erst mittelbar aus der Ersatzpflicht. 19 Siehe die Ausnahmeregelungen in § 64 S. 2 GmbHG a. F., § 92 Abs. 2 S. 2 AktG a. F., §§ 130a Abs. 1 S. 2, 177a HGB a. F., § 99 S. 2 GenG a. F. 20 BGH, 15. 03. 2016 – II ZR 119/14, juris Rn. 15 = NJW 2016, 2660 (2661) zu § 64 S. 1 GmbHG a. F.; Kolmann/Ch. Keller, in: Gottwald/Haas, Insolvenzrechts-HdB, § 131. Insolvenzkollisionsrecht Rn. 123.

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5. Kap.: Anwendung der Qualifikations- und Abgrenzungsmaxime

der erfasste Personenkreis nach der Antragspflicht aller Mitglieder des Vertretungsorgans (allgemein Geschäftsleiter) oder Abwickler. Das Haftungsverbot beginnt jedoch nicht erst mit der Antragspflicht;21 Haftungsvoraussetzung und Anknüpfungspunkt sind auch weiterhin der Eintritt der materiellen Insolvenz der Gesellschaft. Auf die Eröffnung eines Insolvenzverfahrens kommt es für die Anspruchsentstehung nicht an.22 Der Anspruch entsteht bereits mit der unzulässigen Zahlung.23 Während § 15b Abs. 2 und 3 InsO den Maßstab für die nach § 15b Abs. 1 S. 2 InsO maßgebliche Sorgfalt eines ordentlichen und gewissenhaften Geschäftsleiters für die Privilegierung von Zahlungen konkretisieren (und so für eine teilweise Änderung24 der gegenständlichen Reichweite des Zahlungsverbots sorgen), ändert sich die Haftung in qualitativer Hinsicht durch den Umfang der Ersatzpflicht nach § 15b Abs. 4 InsO. Hier findet sich eine Entlastungsmöglichkeit der Geschäftsleiter mit Beweislastumkehr. Zwar ist der Anspruch nach § 15b Abs. 4 S. 1 InsO weiterhin auf den Ersatz der durch den Geschäftsleiter veranlassten Zahlungen gerichtet. Die Haftung für Zahlungen nach Insolvenzreife ist nun jedoch der Höhe nach auf den der Gläubigerschaft entstandenen Schaden begrenzt. Dass und inwieweit der Schaden der Gläubiger hinter der Gesamthöhe der geleisteten Zahlungen zurückbleibt, haben die Geschäftsleiter zu beweisen, § 15b Abs. 4 S. 2 InsO.25 So soll vermieden werden, dass die Inanspruchnahme des Ersatzpflichtigen über dasjenige hinausgeht, was zur Erreichung der Masseerhaltung im Interesse der Gläubiger erforderlich ist. Zu beachten ist schließlich noch, dass es sich bei § 15b Abs. 1, 4 InsO grundsätzlich um einen Anspruch der Gesamtgläubigerschaft handelt. Ein einzelner Gläubiger kann den Erstattungsanspruch der Gesellschaft also nicht unmittelbar für sich verfolgen. Der BGH verneinte den Charakter des § 64 S. 1 GmbHG a. F. als Schutzgesetz i. S. d. § 823 Abs. 2 BGB, wenn die Liquidation einer Gesellschaft abgeschlossen ist. Es handele sich auch dann um einen Anspruch der Gesamtgläubigerschaft.26 Insoweit ist zwischen dem Erstattungsanspruch der Gesellschaft nach § 64 S. 1 GmbHG a. F. (§ 15b Abs. 1, 4 InsO) und der Insolvenzverschleppungshaftung gegenüber den 21

Darauf hinweisend auch Bitter, GmbHR 2021, R16 (R17 f.). Dafür beispielsweise auch Bitter, in: Scholz, GmbHG, Bd. III, § 64 Rn. 81 unter Verweis auf BGH, 23. 09. 2010 – IX ZB 204/09, juris Rn. 13 = GmbHR 2010, 1264 (1265) und noch zu § 64 GmbHG a. F.; MüKo-GmbHG/H.-F. Müller, Bd. 3, § 64 Rn. 173 bei Fn. 611. A. A. aber wohl u. a. BGH, 15. 03. 2016 – II ZR 119/14, juris Rn. 15 a. E. = NJW 2016, 2660 (2661): „Die Haftung (…) setzt im Regelfall die Eröffnung des Insolvenzverfahrens voraus.“; OLG Karlsruhe, 12. 09. 2017 – 8 U 97/16, juris Rn. 132 ff. = GmbHR 2018, 913 (920 f.). Für ein Insolvenzverfahren als Durchsetzungsvoraussetzung UHL/Casper, Bd. III, § 64 Rn. 129; Kleindiek, in: Lutter/Hommelhoff, GmbHG Kommentar, § 64 Rn. 41. 23 Noch zu § 64 GmbHG a. F. Bitter, in: Scholz, GmbHG, Bd. III, § 64 Rn. 81. 24 Zum neuen Zahlungsverbot Bitter, GmbHR 2021, R16 (R17 f.); Brinkmann, ZIP 2020, 2361 (2365 f.); ders., in: VGR, Gesellschaftsrecht in der Diskussion 2020, Die Haftung der Geschäftsleiter in der Krise nach dem SanInsFoG Rn. 26 ff.; Gehrlein, BB 2021, 66 (79 f.). 25 Zur Kritik an der Handhabung der bisherigen Haftung aus § 64 GmbHG a. F. (sowie den entsprechenden Vorschriften) und dem Erfordernis eines (Quoten-)Schadens Brinkmann, ZIP 2020, 2361 (2367). 26 BGH, 19. 11. 2019 – II ZR 233/18, juris Rn. 14 ff. = ZIP 2020, 318 (319). 22

§ 11 Qualifikation und Einordnung nationaler Haftungsinstrumente

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Gläubigern der Gesellschaft nach § 15a Abs. 1 InsO i. V. m. § 823 Abs. 2 BGB zu unterscheiden27. 1. Qualifikation Bislang wurde und wird die Haftung wegen Masseschmälerung aus § 64 S. 1 GmbHG a. F. gesellschafts-28, delikts-29 und ganz überwiegend insolvenzrechtlich30 qualifiziert. Mit seiner Entscheidung in der Rechtssache Kornhaas31 hat der EuGH (und im Nachgang auch der BGH32) für die Praxis nunmehr Klarheit geschaffen: Er qualifizierte das Zahlungsverbot und die Haftung der Geschäftsführer aus § 64 S. 1 GmbHG a. F. (jetzt § 15b Abs. 1, 4 InsO) insolvenzrechtlich. Auch der deutsche Gesetzgeber sprach sich seit dem MoMiG33 – und zuletzt auch noch einmal im Regierungsentwurf zum SanInsFoG34 unter Verweis auf die EuGH-Rechtsprechung in Kornhaas und H – dafür aus, die Haftung wegen Masseschmälerung dem Insolvenzstatut zuzuschreiben. a) Geschäftsleiterhaftung nach neuem Recht Die Geschäftsleiterhaftung nach neuem Recht aus § 15b Abs. 1, 4 InsO ist richtigerweise insolvenzrechtlich zu qualifizieren. Wie bei § 64 S. 1 GmbHG a. F. gilt auch für § 15b Abs. 1, 4 InsO, dass der Zweck der Vorschrift darin besteht, Masseverkürzungen im Vorfeld des Insolvenzverfahrens zu verhindern. Zugleich soll sichergestellt werden, dass das Gesellschaftsvermögen wieder aufgefüllt wird, damit es für die gleichmäßige Befriedigung aller Gesellschaftsgläubiger zur Verfügung 27

Hierzu noch unten Kap. 5 § 11 C. II. Für eine gesellschaftsrechtliche Einordnung etwa Altmeppen, IWRZ 2017, 107 (110); MüKo-AktG/Ego, Bd. 7, Europäische Niederlassungsfreiheit Rn. 411 f.; Mock, NZI 2015, 87 (88); Ringe/Willemer, NZG 2010, 56 (57); Willemer, Vis attractiva concursus und die EuInsVO, S. 263 ff. 29 OLG Karlsruhe, 22. 12. 2009 – 13 U 102/09, juris Rn. 17 ff. = GmbHR 2010, 315 (316) zu Art. 5 Nr. 3 EuGVVO. 30 Dafür etwa K. Schmidt InsO/Brinkmann, EuInsVO 2000 Art. 4 Rn. 13; UHL/Casper, Bd. III, § 64 Rn. 34; Baumbach/Hueck/Haas, GmbHG § 64 Rn. 51; MüKo-BGB/Kindler, Bd. 13, Internationales Insolvenzrecht, EuInsVO Art. 7 Rn. 87, jedoch nicht bei masseloser Insolvenz, Internationales Handels- und Gesellschaftsrecht Rn. 634; ders., EuZW 2016, 136 (139); Kolmann/Ch. Keller, in: Gottwald/Haas, Insolvenzrechts-HdB, § 131. Insolvenzkollisionsrecht Rn. 123; Mankowski, NZG 2016, 281 (282, 284), der bei masseloser Insolvenz ebenfalls a. A. ist; ebenso Mankowski/Müller/Schmidt, EuInsVO Art. 7 Rn. 95 f.; differenzierend Servatius, DB 2015, 1087 (1089 ff., 1092 f.), der nur die Masseschmälerungshaftung insolvenzrechtlich, die Insolvenzverursachungshaftung hingegen gesellschaftsrechtlich qualifiziert. 31 Zur kollisionsrechtlichen Einordung der Entscheidung oben Kap. 3 § 6. 32 BGH, 15. 03. 2016 – II ZR 119/14, juris Rn. 13 ff. = NJW 2016, 2660 (2661). 33 RegE zum MoMiG vom 25. 07. 2007, BT-Drs. 16/6140, S. 47. 34 RegE zum SanInsFoG vom 09. 11. 2020, BT-Drs. 19/24181, S. 193 f. 28

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5. Kap.: Anwendung der Qualifikations- und Abgrenzungsmaxime

steht. Mit der neuen Regelung wird ferner allgemein ein Schaden der künftigen Insolvenzgläubiger (und nicht der Gesellschaft) erfasst. Das spricht zunächst gegen eine gesellschaftsrechtliche Qualifikation. Da die verbotswidrigen Zahlungen in der Regel der Erfüllung von Gesellschaftsverbindlichkeiten dienen, führen diese nur zur Verkürzung der Bilanzsumme der Gesellschaft, nicht aber zu einem Vermögensschaden. Dagegen verringert sich durch die verbotswidrigen Zahlungen die Insolvenzmasse im nachfolgenden Insolvenzverfahren, was zu einem Schaden allein der Insolvenzgläubiger führt.35 Eine insolvenzrechtliche Qualifikation ergibt sich demzufolge auch unter Anwendung der zuvor entwickelten Qualifikationskriterien36: Ob die Eröffnung eines Insolvenzverfahrens nun Voraussetzung für die Anspruchsentstehung ist oder nicht, ist im hier betreffenden Zusammenhang nicht relevant. Denn weder das Vorliegen eines eröffneten Insolvenzverfahrens noch die Abhängigkeit eines Anspruchs von diesem oder die spätere Eröffnung eines solchen Verfahrens sind Voraussetzung für eine Qualifikation unter Art. 7 Abs. 1 EuInsVO. Damit steht auch unter dem Gesichtspunkt der Masseschmälerung im Vorfeld der Insolvenz die Vorwirkung des Anspruchs auf den Zeitraum vor Eröffnung des Insolvenzverfahrens einer insolvenzrechtlichen Qualifikation nicht entgegen. Da Geschäftsleiter nach dem Eintritt der Zahlungsunfähigkeit oder der Überschuldung keine Zahlungen für die Gesellschaft vornehmen dürfen, knüpft die Haftung unmittelbar an den Eintritt der materiellen Insolvenz an. Bei dieser tatbestandlichen Abhängigkeit handelt es sich um eine grundlegende Qualifikationsvoraussetzung für die insolvenzrechtliche Zuordnung präventiv wirkender Haftungsinstrumente. Der fehlende Verfahrensbezug ist aufgrund der hier postulierten37 Loslösung vom verfahrensrechtlichen Charakter der lex fori unschädlich. Wie dargestellt, wird im Wege des § 15b Abs. 1, 4 InsO ein gläubigerschädigendes Verhalten zum Zwecke der Haftungsverwirklichung sanktioniert und zugleich der Verfahrensgrundsatz der par conditio creditorum verwirklicht. Mit dem Insolvenzzweck der Verteilungsgerechtigkeit unter den Gläubigern findet der Anspruch seine Grundlage in der materiellen Ordnungsfunktion des Insolvenzrechts, die von der EuInsVO vollumfänglich abgedeckt wird. Auch deutet die grundsätzliche Zuständigkeit des Insolvenzverwalters für die Geltendmachung des Anspruchs auf dessen insolvenzrechtliche Qualifikation hin. b) Masselose Insolvenz Sofern sich die Gläubiger den Anspruch der Gesellschaft im Falle der masselosen Insolvenz (§ 26 InsO) oder bei Einstellung des Verfahrens (§ 207 InsO) pfänden und überweisen lassen, fehlt ein verfahrensrechtlicher Bezug. Auch der Verfahrensgrundsatz der par conditio creditorum lässt sich in diesem Stadium nicht mehr 35 BGH, 15. 03. 2016 – II ZR 119/14, juris Rn. 15 = NJW 2016, 2660 (2661) zu § 64 S. 1 GmbHG a. F. 36 Oben Kap. 4 § 8 B. III. 1. 37 Oben Kap. 4 § 8 B. IV.

§ 11 Qualifikation und Einordnung nationaler Haftungsinstrumente

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verwirklichen. Nach der Rechtsprechung des BGH ist die Anspruchspfändung und -überweisung möglich, weil in diesem Fall kein vernünftiger Grund mehr bestehe, den Geschäftsführer gerade bei einer Vermögensverschlechterung der Gesellschaft von der Haftung freizustellen.38 Teile in der Literatur befürworten daher im Falle der masselosen Insolvenz eine gesellschaftsrechtliche Qualifikation des Haftungsanspruchs.39 Wie bereits mehrfach geschildert, kommt es für die Qualifikation jedoch auch in diesem Fall nicht auf das fehlende Insolvenzverfahren an, ebenso wenig wie auf die grundsätzliche Geltendmachung des Anspruchs durch einen Insolvenzverwalter. Die insolvenzrechtliche Einordnung des § 64 S. 1 GmbHG a. F. (jetzt § 15b Abs. 1, 4 InsO) kann daher nicht auf die grundsätzliche Einziehungs- und Prozessführungsbefugnis des Insolvenzverwalters gestützt werden.40 Allerdings wird auch im Falle der masselosen Insolvenz ein gläubigerschädigendes Verhalten zum Zwecke der Haftungsverwirklichung sanktioniert. Um daraus ein taugliches Kriterium für die insolvenzrechtliche Qualifikation abzuleiten, ist nach hier vertretener Ansicht erforderlich, dass der Anspruch zugleich dem Grundsatz der par conditio creditorum dient. Dies ist aufgrund der individuellen Geltendmachung jedoch nicht der Fall. Der insolvenzrechtliche Gesichtspunkt der verhältnismäßigen Befriedigung aller Insolvenzgläubiger spielt in diesem Fall keine ausschlaggebende Rolle mehr.41 Dadurch ist der Normzweck der Haftungsvorschrift nicht mehr gedeckt. Für die insolvenzrechtliche Qualifikation ist auch nicht entscheidend, dass die Gesamtgläubigerschaft vom jeweiligen Anspruch betroffen ist und dieser der Gesamtheit zugutekommt.42 Der bloße Zweck der Masseanreicherung ist insoweit kein geeignetes insolvenzrechtliches Qualifikationskriterium. Wenn sich also ein Gläubiger den Ersatzanspruch im Wege der Einzelvollstreckung pfänden und überweisen lässt, ist die Geschäftsleiterhaftung aus § 15b Abs. 1, 4 InsO gesellschaftsrechtlich zu qualifizieren, obwohl die Haftung aus einer einheitlichen Pflichtverletzung und derselben Anspruchsgrundlage resultiert. Im Ausgangspunkt ist daran zu erinnern, dass sich die Qualifikation gesellschaftsrechtlicher Haftungsinstrumente auf Grundlage einer verordnungsautonomen Auslegung am insolvenzspezifischen Charakter des jeweiligen Tatbestandes ausrichtet. In Abgrenzung zur insolvenzrechtlichen Qualifikation wandelt sich der Haftungsanspruch der Gesellschaft bei Geltendmachung durch einzelne Gläubiger insoweit in eine Regelung zur Ge38

BGH, 11. 09. 2000 – II ZR 370/99, juris Rn. 11 = NZI 2001, 87 (88) unter Verweis auf Fleck, GmbHR 1974, 224 (230). Ebenso, nunmehr aber kritisch, BGH, 02. 12. 2014 – II ZR 119/ 14, juris Rn. 8 = NZI 2015, 85 (86). 39 So etwa Hübner, IPRax 2015, 297 (301); MüKo-BGB/Kindler, Bd. 13, Internationales Handels- und Gesellschaftsrecht Rn. 634; ders., EuZW 2016, 136 (139); Weller/Schulz, IPRax 2014, 336 (338). Servatius, DB 2015, 1087 (1091) ist dagegen für eine insolvenzrechtliche Qualifikation. Mankowski/Müller/Schmidt, EuInsVO Art. 7 Rn. 96 geht für zuständigkeitsrechtliche Zwecke von einer deliktischen Qualifikation aus. 40 So argumentieren aber Weller/Schulz, IPRax 2014, 336 (338). 41 OLG Karlsruhe, 22. 12. 2009 – 13 U 102/09, juris Rn. 15 = GmbHR 2010, 315. Kritisch hierzu Kindler, EuZW 2016, 136 (139) bei Fn. 39. 42 Hierzu oben Kap. 4 § 8 B. II. 2. a) bb).

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5. Kap.: Anwendung der Qualifikations- und Abgrenzungsmaxime

währleistung eines abstrakt wirkenden, rechtsformspezifischen Gläubigerschutzes. Im Vordergrund steht demzufolge das dem Gesellschaftsstaut unterfallende gesellschaftsrechtliche Innenverhältnis, in welchem der Geschäftsführer gerade auch bei einer Vermögensverschlechterung der Gesellschaft in die Pflicht genommen wird. c) Substitution Für die Anwendung des § 15b Abs. 1, 4 InsO auf eine ausländische Gesellschaft mit deutschem Verwaltungssitz müssen die Begriffe des „Geschäftsleiters“ und der „juristischen Person“ durch die entsprechenden Begriffe des Gesellschaftsstatuts substituiert43 werden. Bis zum Austritt des Vereinigten Königreichs Großbritannien und Nordirland aus der EU handelte es sich bei der Subsumtion einer Limited unter den Begriff einer GmbH i. S. d. GmbHG und des managing director unter den Begriff des Geschäftsführers um einen klassischen Anwendungsfall der Substitution.44 d) Folgen der Zuordnung Aufgrund der insolvenzrechtlichen Qualifikation ist die Haftung wegen des Verstoßes gegen das Zahlungsverbot dem Insolvenzstatut zuzuordnen. Daraus folgt die Anknüpfung der Haftung an das Recht des Staates der (hypothetischen) Verfahrenseröffnung gem. Art. 7 Abs. 1 EuInsVO. Diese gilt auch für Geschäftsleiter EU-ausländischer Kapitalgesellschaften, über deren Gesellschaftsvermögen das Insolvenzverfahren in Deutschland eröffnet wird. Die Geschäftsleiter sind mithin einem doppelten Pflichtenprogramm ausgesetzt: Für sie gilt einerseits das Gesellschaftsrecht des Gründungsstaates, andererseits das Insolvenzrecht des Staates, in dem das COMI der Gesellschaft liegt. Anders verhält es sich hingegen bei masseloser Insolvenz oder bei Einstellung des Verfahrens. In diesem Fall ist der Haftungsanspruch dem Gesellschaftsstatut zuzuordnen. Die Anwendung des § 15b Abs. 1, 4 InsO auf Geschäftsleiter einer nach EU-ausländischem Recht gegründeten Gesellschaft ist somit zu verneinen. 2. Beschränkung der Niederlassungsfreiheit Legt man das doppelte Pflichtenprogramm zugrunde, ist danach zu fragen, ob aus der insolvenzrechtlichen Qualifikation der Haftung eine Beschränkung der Niederlassungsfreiheit folgt. In der Anwendung der Haftung auf den Geschäftsleiter einer nach EU-ausländischem Recht gegründeten Gesellschaft liegt kein Verstoß

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Grundlegend zur Substitution oben Kap. 2 § 3 E. K. Schmidt InsO/Brinkmann, EuInsVO 2000 Art. 4 Rn. 14; Hübner, IPRax 2015, 297 (301); MüKo-BGB/Kindler, Bd. 13, Internationales Insolvenzrecht, EuInsVO Art. 7 Rn. 90; Weller/Schulz, IPRax 2014, 336 (338). 44

§ 11 Qualifikation und Einordnung nationaler Haftungsinstrumente

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gegen die Niederlassungsfreiheit.45 Die Regelung des § 15b Abs. 1, 4 InsO knüpft an die erst nach der Gründung aufgenommene Tätigkeit der Gesellschaft an und wirkt rein tätigkeitsbezogen. Eine Beeinträchtigung der Niederlassungsfreiheit ist demzufolge ausgeschlossen. Ferner handelt es sich hier um eine einfachbelastende Regelung. Deren Anwendung steht außerhalb des Beschränkungsverbots. Als Vorschrift des allgemeinen Verkehrsrechts gestaltet § 15b Abs. 1, 4 InsO den Rechtsrahmen für den Geschäftsverkehr und reguliert auf diese Weise die rechtlichen Standortbedingungen für die Tätigkeit von EU-Auslandsgesellschaften. Die Vorschrift ist daher allein am Verbot direkter oder indirekter Diskriminierung zu messen. Da die Regelung weder rechtlich noch tatsächlich zwischen In- und Auslandsgesellschaft differenziert, wirkt sie nichtdiskriminierend. Eine Doppelbelastung kann nicht angenommen werden. Mangels Beschränkungscharakter bedarf es keiner Eingriffsrechtfertigung.46 3. Statutenwechsel durch Verlegung des COMI Das Schicksal des Haftungsanspruchs wegen masseschmälernden Zahlungen hängt im Falle eines Statutenwechsels47 u. a. davon ab, ob man die Eröffnung des Insolvenzverfahrens für eine ungeschriebene Tatbestandsvoraussetzung des § 15b Abs. 1, 4 InsO hält oder nicht.48 Verlegt eine EU-Gesellschaft, deren COMI sich zum Zeitpunkt der Verwirklichung der Anspruchsvoraussetzungen in Deutschland befand, ihren COMI danach ins europäische Ausland, und wird dort ein Insolvenzverfahren eröffnet, stellt sich die Frage nach der Handhabung des Anspruchs.49 a) Anwendbares Recht Aus dem Wortlaut des Art. 7 Abs. 1 EuInsVO folgt, dass das anwendbare Recht erst mit Verfahrenseröffnung feststeht. Die Anknüpfung des anwendbaren Rechts kann jedoch bereits zu einem der Verfahrenseröffnung vorgelagerten Zeitpunkt und unabhängig davon erfolgen. Nach hier vertretener Ansicht kommt es für die Entstehung des Haftungsanspruchs nicht auf die Eröffnung eines Insolvenzverfahrens an. Somit handelt es sich zum Zeitpunkt des durch die Verlegung des COMI eintretenden Statutenwechsels um einen geschlossenen Tatbestand. Der nach deutschem Recht entstandene Anspruch aus § 15b Abs. 1, 4 InsO bleibt damit von der COMI-Verlegung unberührt und ist aus dem ausländischen Insolvenzverfahren 45

Zur primärrechtlichen Einordnung der Kornhaas-Entscheidung und den daraus zu ziehenden Schlussfolgerungen oben Kap. 3 § 7 B. und C. 46 Dazu oben Kap. 3 § 7 C. 47 Grundlegend oben Kap. 2 § 3 D. 48 Hierzu bereits oben Kap. 5 § 11 A. I. 49 Systematisch zu den Möglichkeiten der Verlegung des COMI und den Folgen oben Kap. 4 § 9 A. II. und B.

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5. Kap.: Anwendung der Qualifikations- und Abgrenzungsmaxime

heraus geltend zu machen.50 Für die Zuständigkeitsbegründung ist dagegen der Zeitpunkt der Stellung des Antrags auf Verfahrenseröffnung relevant. Hält man die Eröffnung des Insolvenzverfahrens hingegen für eine ungeschriebene Tatbestandsvoraussetzung des Anspruchs aus § 15b Abs. 1, 4 InsO, handelt es sich im hier betreffenden Kontext um einen offenen Tatbestand.51 In diesem Fall gilt, dass bereits eingetretene Folgen einer Pflichtverletzung mittels COMI-Wechsels nicht rückwirkend beseitigt werden können. Aufgrund der ex nunc-Wirkung der COMI-Verlegung bleiben die bis zum Zeitpunkt des Statutenwechsels verwirklichten Merkmale bestehen. Das gilt unabhängig davon, dass sich die weiteren Pflichten und Folgen der Verletzung aus der nun anwendbaren lex fori concursus des Zuzugstaates ergeben.52 Die Frage, ob und unter welchen Voraussetzungen aufgrund der bislang verwirklichten Umstände eine Haftung des Geschäftsleiters eintritt, ist mithin nicht ausschließlich nach dem neuen Recht zu beantworten.53 b) Internationale Zuständigkeit Für die Zuständigkeitsbegründung ist dagegen der Zeitpunkt der Stellung des Antrags auf Verfahrenseröffnung relevant. Als Annexverfahren54 i. S. d. Art. 6 Abs. 1 EuInsVO ist für die Klage des Insolvenzverwalters das Gericht des Mitgliedstaates zuständig, in dessen Hoheitsgebiet das Insolvenzverfahren nach Art. 3 EuInsVO eröffnet worden ist. Das ausländische Gericht, konkret das Gericht des Staates der Verfahrenseröffnung, entscheidet in diesem Fall über den Anspruch aus deutschem Recht. Es kommt zu keiner Zuständigkeitsfortdauer des Gerichtes des Wegzugsstaates. An dieser Stelle verdeutlich sich die hier vertretene Durchbrechung des Gleichlaufs zwischen Zuständigkeit und anwendbarem Recht im Falle eines Statutenwechsels bei entstandenem Anspruch im alten COMI-Staat. Zum Ausdruck kommt die zeitlich differenzierende Anwendung des Insolvenzstatuts.

II. Insolvenzverursachungshaftung Die durch das MoMiG55 eingeführte Insolvenzverursachungshaftung in § 64 S. 3 GmbHG a. F., § 92 Abs. 2 S. 3 AktG a. F. und § 130a Abs. 1 S. 3 HGB a. F. ist heute rechtsformübergreifend in § 15b Abs. 1 S. 1, Abs. 4 S. 1, Abs. 5 S. 1 InsO zusammengefasst. Abs. 5 der Norm erstreckt die Regelungen in § 15b Abs. 1 S. 1, Abs. 4 S. 1 InsO auf Zahlungen an Personen, die an der juristischen Person beteiligt sind, 50 51 52 53 54 55

So auch Keller, NZI 2021, 110 (112). So explizit auch Keller, NZI 2021, 110 (112). Zur Verknüpfung der Ansprüche oben Kap. 4 § 9 C. A. A. Keller, NZI 2021, 110 (111 f.). EuGH, 04. 12. 2014, Rs. C-295/13 (H), ECLI:EU:C:2014:2410 = IPRax 2015, 548. RegE zum MoMiG vom 25. 07. 2007, BT-Drs. 16/6140, S. 46, 51 f.

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soweit diese Zahlungen zur Zahlungsunfähigkeit der juristischen Person führen mussten. Dies gilt nicht, wenn Letzteres auch bei Beachtung der Sorgfalt eines ordentlichen und gewissenhaften Geschäftsleiters nicht erkennbar war, § 15b Abs. 5 S. 1 i. V. m. Abs. 1 S. 2 InsO. Tatbestandlich knüpft die Norm ebenfalls an den Eintritt der Zahlungsunfähigkeit und mithin an die materielle Insolvenz der Gesellschaft an. Dem Verbot insolvenzverursachender Zahlungen an Gesellschafter lassen sich auch nach der Neuregelung vereinzelt Ansätze für eine Pflicht zur mittelbaren Berücksichtigung von Gläubigerinteressen bereits im Krisenstadium entnehmen.56 Die wesentlichen Grundsätze der alten Regelungen gelten auch hier fort. Verstärkt werden soll der Gläubigerschutz im Vorfeld der Insolvenz durch Verringerung der Insolvenzwahrscheinlichkeit.57 1. Qualifikation Die Haftung für insolvenzauslösende Zahlungen nach § 64 S. 3 GmbHG a. F. wurde in der Literatur ganz überwiegend insolvenzrechtlich eingeordnet.58 Dieser Befund gilt nun auch für die neue Insolvenzverursachungshaftung aus § 15b Abs. 1 S. 1, Abs. 4 S. 1, Abs. 5 S. 1 InsO. Die Regelung knüpft an die Zahlungsunfähigkeit an und setzt diese voraus. Aus der tatbestandlichen Abhängigkeit des Anspruchs von der materiellen Insolvenz folgt insoweit eine Abweichung von den allgemeinen Regelungen. Sie begründet eine insolvenzrechtliche Qualifikation. Dass der Regelung ein Verfahrensbezug fehlt, ist unschädlich. Denn weder das Vorliegen eines eröffneten Insolvenzverfahrens noch die Abhängigkeit eines Anspruchs von diesem oder die spätere Eröffnung eines solchen Verfahrens sind Voraussetzung für eine Qualifikation unter Art. 7 Abs. 1 EuInsVO. Dementsprechend steht auch die Vorwirkung des Anspruchs auf den Zeitraum vor Eröffnung des Insolvenzverfahrens einer insolvenzrechtlichen Qualifikation nicht entgegen. Die präventive Konzeption der Regelung folgt aus der zeitlichen Vorverlagerung des Zahlungsverbots und der Haftungsandrohung des § 15b Abs. 1, 4 InsO. Im Unterschied hierzu muss die insolvenzauslösende Zahlung für eine Haftung nach § 15b Abs. 1 S. 1, Abs. 4 S. 1, Abs. 5 S. 1 InsO zu einem Zeitpunkt vorgenommen werden, zu dem ein Insolvenzgrund regelmäßig noch nicht vorlag, da erst durch diese Zahlung die Zah56 Guntermann, WM 2021, 214 (215, 221). Noch zu § 64 S. 3 GmbHG a. F. UHL/Casper, Bd. III, § 64 Rn. 136; Baumbach/Hueck/Haas, GmbHG § 64 Rn. 7; MüKo-GmbHG/H.-F. Müller, Bd. 3, § 64 Rn. 177; a. A. Bitter, in: Scholz, GmbHG, Bd. III, § 64 Rn. 230. 57 UHL/Casper, Bd. III, § 64 Rn. 136. 58 Altmeppen, GmbHG § 64 Rn. 72; HCL/Behrens/Hoffmann, Bd. I, Einleitung Rn. B 138; Bitter, in: Scholz, GmbHG, Bd. III, § 64 Rn. 232; K. Schmidt InsO/Brinkmann, EuInsVO 2000 Art. 4 Rn. 13; UHL/Casper, Bd. III, § 64 Rn. 136; MüKo-BGB/Kindler, Bd. 13, Internationales Insolvenzrecht, EuInsVO Art. 7 Rn. 89; Kolmann/Ch. Keller, in: Gottwald/Haas, Insolvenzrechts-HdB, § 131. Insolvenzkollisionsrecht Rn. 125; Mankowski, NZG 2016, 281 (286); Mankowski/Müller/Schmidt, EuInsVO Art. 7 Rn. 95; Schall, ZIP 2016, 289 (292); Thole, ZEuP 2010, 904 (923), sofern ein Insolvenzverfahren eröffnet wurde; a. A. MüKo-AktG/Ego, Bd. 7, Europäische Niederlassungsfreiheit Rn. 411; Servatius, DB 2015, 1087 (1092).

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5. Kap.: Anwendung der Qualifikations- und Abgrenzungsmaxime

lungsunfähigkeit eingetreten sein muss.59 Die Argumentation im Kornhaas-Urteil, dass die Haftung nach § 64 S. 1 GmbHG a. F. (jetzt § 15b Abs. 1, 4 InsO) der Sache nach eine Sanktion für die Verletzung der Antragspflicht darstelle,60 lässt sich daher nicht übertragen.61 Die präventiv wirkende Haftungsvorschrift deckt jedoch ein gläubigergefährdendes bzw. -schädigendes Verhalten im Zeitraum vor der Risikorealisierung ab. Dabei wird sie der Anforderung gerecht, dass sie für eine insolvenzrechtliche Qualifikation tatbestandlich an den Bezugspunkt der materiellen Insolvenz geknüpft sein muss. Als Anspruch der Gesellschaft kommt die Haftungsregelung auch unmittelbar der Insolvenzmasse zugute. Auch wenn sich die bloße Massemehrung nicht als insolvenzrechtliches Qualifikationskriterium eignet, wird hierdurch dennoch die gleichmäßige Befriedigung der Gläubiger im Wege eines Insolvenzverfahrens gefördert. Die Regelung sanktioniert folgerichtig ein gläubigerschädigendes Verhalten zum Zwecke der Haftungsverwirklichung und realisiert zugleich den Verfahrensgrundsatz der par conditio creditorum. Die Kriterien des Katalogs62 zur insolvenzrechtlichen Qualifikation werden von der Haftungsregelung erfüllt. Darüber hinaus spricht die historisch und systematisch enge Verbindung63 des Tatbestands zur Insolvenzantragspflicht für eine insolvenzrechtliche Qualifikation der Haftung.64 Stellt man weiter auf die Rechtsprechung in H ab, in welcher der EuGH eine auf § 64 S. 1 GmbHG a. F. (jetzt § 15b Abs. 1, 4 InsO) gestützte Klage hinsichtlich der internationalen Zuständigkeit insolvenzrechtlich qualifizierte, lässt sich die Qualifikation auch mit der hier beschriebenen Gleichlaufsystematik65 begründen. Von der Zuständigkeit für Annexklagen kann auf die insolvenzrechtliche Qualifikation des der Klage zugrundeliegenden Haftungsanspruchs und weiter auf die kollisionsrechtliche Anknüpfung nach Art. 7 Abs. 1 EuInsVO geschlossen werden.

2. Folgen der Zuordnung Als Folge der insolvenzrechtlichen Zuordnung unterfällt der Haftungstatbestand dem Insolvenzstatut. Wie beim Zahlungsverbot aus § 15b Abs. 1, 4 InsO folgt daraus die Anknüpfung an das Recht des Staates der Verfahrenseröffnung gem. Art. 7 Abs. 1 EuInsVO. Die Haftung aus § 15b Abs. 1 S. 1, Abs. 4 S. 1, Abs. 5 S. 1 InsO gehört somit zum materiellen Insolvenzrecht und erstreckt sich gem. Art. 3, 7 EuInsVO auf 59

HCL/Behrens/Hoffmann, Bd. I, Einleitung Rn. B 138. Der Insolvenzgrund der Überschuldung hat insoweit keine Bedeutung für die Haftung. 60 EuGH, 10. 12. 2015, Rs. C-594/14 (Kornhaas), ECLI:EU:C:2015:806 Rn. 19 = NJW 2016, 223 (224). 61 HCL/Behrens/Hoffmann, Bd. I, Einleitung Rn. B 138. 62 Oben Kap. 4 § 8 B. III. 63 K. Schmidt, in: Schmidt/Uhlenbruck, Die GmbH in Krise, Sanierung und Insolvenz Rn. 11.34. 64 K. Schmidt InsO/Brinkmann, EuInsVO 2000 Art. 4 Rn. 13. 65 Oben Kap. 3 § 6 C. II. 2. und 3. a), b) aa) und c).

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die Geschäftsleiter EU-ausländischer Kapitalgesellschaften mit Verwaltungssitz im Inland. Das Ergebnis entspricht der historischen Intention des Gesetzgebers. Die Vorschrift des § 64 S. 3 GmbHG a. F. zielte insbesondere auf die Abdeckung von Haftungslücken bei Auslandsgesellschaften wie etwa der Limited. Deren Gesellschaftsrecht kennt weder einen den §§ 30, 31 GmbHG entsprechenden Gläubigerschutz noch greift die insolvenzrechtliche Haftung aus wrongful trading (oder aus vergleichbaren ausländischen Rechtsinstituten) ein, sofern das COMI der Gesellschaft in Deutschland liegt.66 3. Beschränkung der Niederlassungsfreiheit In der Anwendung der Haftung auf einen Geschäftsleiter einer nach EU-ausländischem Recht gegründeten Gesellschaft liegt kein Verstoß gegen die Niederlassungsfreiheit. Hier verhält es sich wie mit der Regelung des § 15b Abs. 1, 4 InsO, die erst an die nach der Gründung aufgenommene Tätigkeit der Gesellschaft anknüpft und somit rein tätigkeitsbezogen wirkt.67 Als Vorschrift des allgemeinen Verkehrsrechts gestaltet die Insolvenzverursachungshaftung lediglich den Rechtsrahmen für den Geschäftsverkehr. Die Regelung differenziert weder rechtlich noch tatsächlich zwischen In- und Auslandsgesellschaft. Sie wirkt nichtdiskriminierend. Bei § 15b Abs. 1 S. 1, Abs. 4 S. 1, Abs. 5 S. 1 InsO handelt es sich um eine einfachbelastende Regelung. 4. Statutenwechsel durch Verlegung des COMI Auch hier stellt sich die Frage nach der Handhabung des Haftungsanspruchs, wenn eine EU-Gesellschaft, deren COMI sich zum Zeitpunkt der Verwirklichung der Anspruchsvoraussetzungen in Deutschland befand, ihren COMI danach ins europäische Ausland verlegt und dort ein Insolvenzverfahren eröffnet wird. Für das Schicksal des Haftungsanspruchs ist in diesem Fall – wie auch bei der Haftung wegen Masseschmälerung – entscheidend, ob und inwieweit die Anspruchsentstehung oder die Geltendmachung des Anspruchs die Eröffnung eines Insolvenzverfahrens über das Vermögen der Gesellschaft oder eine rechtskräftige Abweisung des Eröffnungsantrags mangels Masse voraussetzt. Insofern gelten die Ausführungen68 zum Statutenwechsel beim Zahlungsverbot entsprechend.

66

UHL/Casper, Bd. III, § 64 Rn. 136; MüKo-GmbHG/H.-F. Müller, Bd. 3, § 64 Rn. 181. Siehe auch Greulich/Bunnemann, NZG 2006, 681 (682); Baumbach/Hueck/Haas, GmbHG § 64 Rn. 6, jeweils noch zu § 64 GmbHG a. F. 67 Siehe hierzu die Ausführungen oben Kap. 5 § 11 A. I. 2. 68 Oben Kap. 5 § 11 A. I. 3.

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5. Kap.: Anwendung der Qualifikations- und Abgrenzungsmaxime

a) Anwendbares Recht Nimmt man an, dass es für die Entstehung des Haftungsanspruchs nicht auf die Eröffnung eines Insolvenzverfahrens ankommt, handelt es sich zum Zeitpunkt des durch die Verlegung des COMI eintretenden Statutenwechsels um einen geschlossenen Tatbestand. In der Folge bleibt der nach deutschem Recht entstandene Anspruch aus § 15b Abs. 1, Abs. 4, Abs. 5 S. 1 InsO von der COMI-Verlegung unberührt und ist aus dem ausländischen Insolvenzverfahren heraus geltend zu machen.69 Setzt man dagegen die Eröffnung eines Insolvenzverfahrens voraus, handelt es sich im hier betreffenden Zusammenhang um einen offenen Tatbestand. Bereits eingetretene Folgen einer Pflichtverletzung lassen sich auch dann durch einen COMIWechsel nicht rückwirkend beseitigen. Allerdings ist die Frage nach den weiteren Haftungsvoraussetzungen nun ausschließlich nach dem neuen Recht zu beantworten.70 b) Internationale Zuständigkeit Für die Zuständigkeitsbegründung ist dagegen der Zeitpunkt der Stellung des Antrags auf Verfahrenseröffnung relevant. Als Annexverfahren i. S. d. Art. 6 Abs. 1 EuInsVO ist für die Klage das Gericht des Mitgliedstaates zuständig, in dessen Hoheitsgebiet das Insolvenzverfahren nach Art. 3 EuInsVO eröffnet worden ist. Das Gericht des Staates der Verfahrenseröffnung entscheidet sodann über den Anspruch deutschen Rechts.

B. Einordnung der Insolvenzantragspflicht Die Insolvenzantragspflicht gem. § 15a InsO ist unter dem SanInsFoG dem Grunde nach unverändert geblieben. Nach dem Eintritt der Zahlungsunfähigkeit oder der Überschuldung haben die Mitglieder des Vertretungsorgans einer juristischen Person unverzüglich einen Antrag auf Eröffnung des Insolvenzverfahrens zu stellen, § 15a Abs. 1 S. 1 InsO. Die Antragstellung muss spätestens drei Wochen nach Eintritt der Zahlungsunfähigkeit und sechs Wochen nach Eintritt der Überschuldung erfolgen, § 15a Abs. 1 S. 2 InsO. Der Zeitraum, in dem die Geschäftsleiter überschuldeter Unternehmen nach erstmaliger Feststellung spätestens Insolvenzantrag stellen müssen, wurde im Vergleich zur alten Regelung von drei auf sechs Wochen ausgeweitet. Die Pflicht trifft jedes Organmitglied einzeln, unabhängig von den Vertretungsverhältnissen der Gesellschaft. Es bleibt für Geschäftsleiter weiter dabei, dass ein Eröffnungsantrag ohne schuldhaftes Zögern zu stellen ist und die genannten Höchstfristen nicht ausgeschöpft werden dürfen, wenn zu einem früheren Zeitpunkt feststeht, dass die Zahlungsunfähigkeit oder Überschuldung nicht nachhaltig be69 70

So auch Keller, NZI 2021, 110 (112). Zur Verknüpfung der Ansprüche oben Kap. 4 § 9 C.

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seitigt werden kann.71 Die Insolvenzantragspflicht korrespondiert insoweit mit der Ersatzpflicht für Zahlungen nach Eintritt der Insolvenzreife aus § 15b InsO.

I. Qualifikation Nach wie vor umstritten ist, ob die Insolvenzantragspflicht insolvenzrechtlich72 oder gesellschaftsrechtlich73 zu qualifizieren ist. Mock sieht die besseren Argumente für eine gesellschaftsrechtliche Qualifikation der Insolvenzantragspflicht, bezweifelt jedoch, dass der EuGH sich dieser Argumentation künftig öffnen wird.74 Für eine Anwendung auf europäische Scheinauslandsgesellschaften mit inländischem Verwaltungssitz trotz gesellschaftsrechtlicher Einordnung spricht sich Altmeppen aus.75 Für die richtigerweise insolvenzrechtliche Qualifikation streitet zunächst das Kornhaas-Urteil,76 in welchem der EuGH die Insolvenzantragspflicht im Zusammenhang mit der Qualifikation des Zahlungsverbots und der Haftung der Geschäftsführer aus § 64 S. 1 GmbHG a. F. (jetzt § 15b Abs. 1, 4 InsO) ebenfalls dem Insolvenzstatut unterstellte. Hier legte er ausdrücklich fest, dass dem Statut i. S. d. Art. 7 Abs. 2 S. 1 EuInsVO auch „die Regeln für die Bestimmung der zur Stellung des Antrags auf Eröffnung dieses Verfahrens verpflichteten Personen“77 zuzuordnen sind.78 Daneben überwiegen unter Zugrundelegung der Kriterien des Qualifikationskatalogs – in Abgrenzung zu einer gesellschaftsrechtlichen Qualifikation der Insolvenzantragspflicht – auch weitere insolvenzrechtliche Berührungspunkte: Die Antragspflicht entsteht in einer Gefährdungslage, die aus dem Eintritt der Zahlungsunfähigkeit oder Überschuldung folgt.79 In der daraus folgenden tatbestand71

RegE zum SanInsFoG vom 09. 11. 2020, BT-Drs. 19/24181, S. 193. Dafür bereits vor der Kornhaas-Entscheidung etwa Eidenmüller, RabelsZ 70 (2006), 475 (495); ferner K. Schmidt InsO/Brinkmann, EuInsVO 2000 Art. 4 Rn. 11; MüKo-BGB/Kindler, Bd. 13, Internationales Insolvenzrecht, EuInsVO Art. 7 Rn. 63 ff.; Uhlenbruck/Knof, InsO, Bd. 2, EuInsVO Art. 7 Rn. 115; Kolmann/Ch. Keller, in: Gottwald/Haas, Insolvenzrechts-HdB, § 131. Insolvenzkollisionsrecht Rn. 121; Mankowski/Müller/Schmidt, EuInsVO Art. 7 Rn. 92; Schall, ZIP 2016, 289 (293); Swierczok, NZI 2016, 48 (51). 73 Dafür auch nach der Kornhaas-Entscheidung etwa MüKo-AktG/Ego, Bd. 7, Europäische Niederlassungsfreiheit Rn. 399 ff.; Mock, IPRax 2016, 237 (241); Altmeppen, IWRZ 2017, 107 (108 ff.). 74 Mock, IPRax 2016, 237 (241). 75 Altmeppen, IWRZ 2017, 107 (108 ff.); ders., GmbHG vor § 64 Rn. 13 f. 76 So auch HCL/Behrens/Hoffmann, Bd. I, Einleitung Rn. B 139; MüKo-BGB/Kindler, Bd. 13, Internationales Insolvenzrecht, EuInsVO Art. 7 Rn. 63; ders., EuZW 2016, 136 (137 f.); Uhlenbruck/Knof, InsO, Bd. 2, EuInsVO Art. 7 Rn. 115; Schall, ZIP 2016, 289 (293). 77 EuGH, 10. 12. 2015, Rs. C-594/14 (Kornhaas), ECLI:EU:C:2015:806 Rn. 19 = NJW 2016, 223 (224). 78 Für eine insolvenzrechtliche Qualifikation unter Verweis auf Art. 7 Abs. 2 S. 1 EuInsVO bereits vor dem Kornhaas-Urteil K. Schmidt InsO/Brinkmann, EuInsVO 2000 Art. 4 Rn. 11; Mankowski/Müller/Schmidt, EuInsVO Art. 7 Rn. 92. 79 MüKo-BGB/Kindler, Bd. 13, Internationales Insolvenzrecht, EuInsVO Art. 7 Rn. 66, 68. 72

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5. Kap.: Anwendung der Qualifikations- und Abgrenzungsmaxime

lichen Abhängigkeit des § 15a Abs. 1 S. 1 InsO von der materiellen Insolvenz liegt eine Abweichung von den allgemeinen Regelungen begründet. Diese deutet auf eine insolvenzrechtliche Qualifikation hin. Darüber hinaus besteht der Normzweck der Antragspflicht zum einen darin, Altgläubiger vor (weiteren) Masseschmälerungen einer Gesellschaft zu schützen, um so für eine bestmögliche Haftung zu sorgen.80 Zum anderen sollen insolvenzreife Gesellschaften im Interesse von Neugläubigern vom Geschäftsverkehr ferngehalten werden,81 damit diese vor dem Eingehen einer Rechtsbeziehung mit kriselnden Unternehmen geschützt sind.82 In diesem Regelungsgehalt manifestiert sich die insolvenz(verfahrens)rechtliche Zielsetzung der Reinigungsfunktion.83 Die Insolvenzantragspflicht dient also dem Erreichen und der Absicherung insolvenztypischer Zwecke, indem sie haftungsbegründende Wirkung84 entfaltet und den Grundsatz der par conditio creditorum stützt. Zwar stellt die bloße Masseanreicherung als solche kein taugliches Qualifikationskriterium dar. In der Verhinderung von Masseschmälerungen und dem Ausschluss insolvenzreifer Gesellschaften vom Markt schützt die Vorschrift jedoch zugleich vor insolvenzbezogenen Gefährdungen der Gläubigerinteressen. Die Insolvenzantragspflicht findet demzufolge ihre Grundlage in der materiellen Ordnungsfunktion des Insolvenzrechts. Sie zielt nicht nur auf eine bestmögliche und gleichmäßige Gläubigerbefriedigung, sondern bildet zugleich eine Grundlage zur Haftungsbegründung, etwa in § 15a Abs. 4 InsO und für die Insolvenzverschleppungshaftung85. Des Weiteren ist die Antragspflicht nach § 15a Abs. 1 S. 1 InsO nicht zuletzt deswegen insolvenzrechtlich zu qualifizieren, weil sie mit ihrem Regelungsgehalt und ihrer Zielsetzung an die Funktion des Insolvenzverfahrens als Instrument der allseitigen Haftungsordnung zur kollektiven Bewältigung einer finanziellen Krisensituation unter Knappheitsbedingungen anknüpft. Aus der klaren insolvenzrechtlichen Qualifikation folgt zugleich die Absage an eine etwaige Doppelqualifikation mit dem Gesellschaftsrecht.86 80 BGH, 16. 12. 1958 – VI ZR 245/57, juris Rn. 9, 11 = NJW 1959, 623 (624); MüKo-BGB/ Kindler, Bd. 13, Internationales Insolvenzrecht, EuInsVO Art. 7 Rn. 65; Kolmann/Ch. Keller, in: Gottwald/Haas, Insolvenzrechts-HdB, § 131. Insolvenzkollisionsrecht Rn. 121; Mankowski/Müller/Schmidt, EuInsVO Art. 7 Rn. 92; Müller, NZG 2003, 414 (416). 81 BGH, 06. 06. 1994 – II ZR 292/91, juris Rn. 27= NJW 1994, 2220 (2223); MüKo-BGB/ Kindler, Bd. 13, Internationales Insolvenzrecht, EuInsVO Art. 7 Rn. 64; Mankowski/Müller/ Schmidt, EuInsVO Art. 7 Rn. 92. 82 BGH, 06. 06. 1994 – II ZR 292/91, juris Rn. 25 = NJW 1994, 2220 (222 f.); BGH, 07. 07. 2003 – II ZR 241/02, juris Rn. 4 = NZG 2003, 923; MüKo-BGB/Kindler, Bd. 13, Internationales Insolvenzrecht, EuInsVO Art. 7 Rn. 64; Kolmann/Ch. Keller, in: Gottwald/Haas, Insolvenzrechts-HdB, § 131. Insolvenzkollisionsrecht Rn. 121; Mankowski/Müller/Schmidt, EuInsVO Art. 7 Rn. 92. 83 MüKo-BGB/Kindler, Bd. 13, Internationales Insolvenzrecht, EuInsVO Art. 7 Rn. 65; Kolmann/Ch. Keller, in: Gottwald/Haas, Insolvenzrechts-HdB, § 131. Insolvenzkollisionsrecht Rn. 121; Mankowski/Müller/Schmidt, EuInsVO Art. 7 Rn. 92. 84 Zur Haftungsbegründung als insolvenztypischer Zweck oben Kap. 4 § 8 B. II. 2. a) dd). 85 Sogleich unten Kap. 5 § 11 C. II. 86 Hierzu oben Kap. 4 § 9 D. I.

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II. Folgen der Zuordnung Als Folge der insolvenzrechtlichen Zuordnung unterfällt die Antragspflicht dem Insolvenzstatut. Die Verpflichtung zählt zum materiellen Insolvenzrecht und erstreckt sich gem. Art. 3 und Art. 7 EuInsVO auch auf die Geschäftsleiter EU-ausländischer Kapitalgesellschaften, deren COMI in Deutschland liegt und denen die betroffenen deutschen Gesellschaften durch Substitution funktional entsprechen. Für Geschäftsleiter von Gesellschaften deutschen Rechts, deren COMI sich im EU-Ausland befindet, gilt die Insolvenzantragspflicht aus § 15a Abs. 1 S. 1 InsO dagegen nicht. Besteht unter dem ausländischen Insolvenzstatut ebenfalls eine rechtsformabhängige Antragspflicht, richtet sich diese auch an die Gesellschaft deutschen Rechts, sofern sie mit der ausländischen Rechtsform funktionell vergleichbar ist.87 Der Antrag auf Eröffnung eines Insolvenzverfahrens ist beim zuständigen Insolvenzgericht i. S. d. Art. 3 Abs. 1 S. 1 EuInsVO zu stellen, also dort, wo der potentielle Insolvenzschuldner sein COMI hat.88

III. Beschränkung der Niederlassungsfreiheit In der Anwendung der deutschen Insolvenzantragspflicht auf Geschäftsleiter EUausländischer Gesellschaften liegt keine Beschränkung der Niederlassungsfreiheit. Dies gilt unabhängig davon, ob die Gesellschaft zum Zeitpunkt ihres Markteintritts wirtschaftlich gut aufgestellt ist oder sie sich bereits im Stadium der Insolvenzreife befindet. In beiden Fällen macht die haftungsbewährte Insolvenzantragspflicht die Niederlassung nicht weniger attraktiv.89 Eine zugezogene Gesellschaft kann nicht erwarten, dass sie im Aufnahmestaat unabhängig von ihrer wirtschaftlichen Situation ungehindert betätigen darf, auch wenn sich dies in ihrem Herkunftsstaat anders darstellen sollte. Rein tatsächlich dürfte jedoch in den meisten EU-ausländischen Rechtsordnungen eine vergleichbare Verpflichtung existieren. Ego verweist in diesem Zusammenhang auf die Existenz der EuInsVO. Diese verdeutliche das Schutzbedürfnis der Gläubiger nach einem geordneten Verfahren zur Wahrung ihrer Befriedigungsinteressen, sobald die Schuldnergesellschaft ihre Berechtigung zum ungehinderten Agieren am Markt verloren hat.90 Darüber hinaus verhält es sich hier unter Zugrundelegung der tragenden Erwägungen des Kornhaas-Urteils wie mit den bisherigen Haftungsregelungen, die erst an die nach der Gründung aufgenommene Tätigkeit der Gesellschaft geknüpft sind und somit rein tätigkeitsbezogen wirken. 87 Kolmann/Ch. Keller, in: Gottwald/Haas, Insolvenzrechts-HdB, § 131. Insolvenzkollisionsrecht Rn. 122. 88 So etwa auch MüKo-AktG/Ego, Bd. 7, Europäische Niederlassungsfreiheit Rn. 404 m. w. N. bei Fn. 181; Eidenmüller, in: Eidenmüller, Ausländische Kapitalgesellschaften, § 9 Rn. 25 bei Fn. 24; Leithaus/Riewe, NZI 2008, 598 (600 f.); Vallender/Fuchs, ZIP 2004, 829 (834 f.). 89 Ebenso MüKo-AktG/Ego, Bd. 7, Europäische Niederlassungsfreiheit Rn. 405. 90 Ebenso MüKo-AktG/Ego, Bd. 7, Europäische Niederlassungsfreiheit Rn. 405.

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5. Kap.: Anwendung der Qualifikations- und Abgrenzungsmaxime

Als Vorschrift des allgemeinen Verkehrsrechts gestaltet auch die Insolvenzantragspflicht den Rechtsrahmen für den Geschäftsverkehr. Die Regelung differenziert weder rechtlich noch tatsächlich zwischen In- und Auslandsgesellschaft. Sie wirkt nichtdiskriminierend. Es handelt sich um eine einfachbelastende Regelung. Mangels Beschränkung kann auch in dieser Stelle die Frage nach einer etwaigen Rechtfertigung eines Eingriffs in die Niederlassungsfreiheit offenbleiben.91

IV. Statutenwechsel durch Verlegung des COMI Kommt ein Geschäftsleiter der unter dem Recht des aktuellen COMI-Staates bestehenden Antragspflicht auf Eröffnung eines Insolvenzverfahrens nicht nach und wird das COMI der Gesellschaft vor der Antragstellung in einen anderen Mitgliedstaat verlegt, stellt sich die Frage nach den Anwendungsmöglichkeiten der Insolvenzantragspflicht. Sofern sich unter dem Recht des neuen COMI nicht ebenfalls eine Pflicht zur Antragstellung ergibt, ist daran zu denken, dass die Pflichtverletzung durch den Statutenwechsel rückwirkend entfällt. Umgekehrt kann aber auch in einem Mitgliedstaat, in den das COMI verlegt wurde, eine weitere Antragspflicht bestehen als im bisherigen COMI-Staat. Das könnte dazu führen, dass ein im bisherigen COMI-Staat zulässiger Verzicht auf die Antragstellung im neuen COMI-Staat nachträglich als Pflichtverletzung anzusehen wäre.92 Um dieser Problematik gerecht zu werden, ist auf die hier postulierte Einschränkung des Gleichlaufs93 zu rekurrieren. In Abweichung zum Wortlaut des Art. 7 Abs. 1 EuInsVO ist nicht auf die Verfahrenseröffnung abzustellen. Stattdessen bildet die COMI-Verlegung die Zäsur für die zeitliche Aufspaltung. Auf Rechtsinstrumente, die insolvenzrechtlich zu qualifizieren sind und im Zeitraum vor der Verlegung des COMI unter dem Recht des früheren COMI-Staates entstanden sind, ist das Recht des Wegzugstaates anzuwenden, auch wenn in diesem nie ein Insolvenzverfahren eröffnet wurde (ex nunc-Wirkung des COMI-Wechsels). Zwar wird auf diese Weise dem verfahrensrechtlichen Charakter der insolvenzrechtlichen Anknüpfung nicht mehr entsprochen. Für eine Beurteilung nach der alten lex fori concursus ungeachtet einer Sitzverlegung streitet jedoch, dass der Tatbestand im hier betreffenden Zusammenhang als abgeschlossen gilt. Der verfahrensrechtliche Charakter der lex fori concursus wird vor dem Hintergrund der Qualifikation durchbrochen. Dadurch muss es nicht allein auf das Recht des jeweiligen Verfahrensstaates ankommen.94 Bereits eingetretene zivil- und strafrechtliche Folgen einer Pflichtverletzung, etwa durch unterlassene Antragstellung nach § 15a InsO, können mittels eines COMI-Wechsels ebenfalls nicht rückwirkend beseitigt werden. Auch hier 91

Hierzu oben Kap. 3 § 7 C. und Kap. 5 § 11 A. I. 2. Zu diesen Fallkonstellationen ausführlich HCL/Behrens/Hoffmann, Bd. I, Einleitung Rn. B 139 und bereits oben Kap. 4 § 9 A. II. 2. 93 Oben Kap. 4 § 9 A. II. 3. 94 Oben Kap. 4 § 8 B. IV. 92

§ 11 Qualifikation und Einordnung nationaler Haftungsinstrumente

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bleibt die verwirklichte Haftung aufgrund der ex nunc-Wirkung der COMI-Verlegung bestehen. Das gilt unabhängig davon, dass sich die weiteren Pflichten und Folgen aus der Verletzung aus der nun anwendbaren lex fori concursus des Zuzugstaates ergeben.95

C. Außenhaftung Die persönliche Außenhaftung eines Geschäftsleiters gegenüber Dritten ist wegen des Grundsatzes der Haftungskonzentration gegenüber der Gesellschaft aus § 43 Abs. 2 GmbHG, § 93 Abs. 2 S. 1 AktG besonders zu begründen.

I. Begrenzte Extensität Eine Außenhaftung des Geschäftsleiters kommt nur in begrenztem Umfang aufgrund besonderer Anspruchsgrundlagen in Betracht.96 Verstößt er etwa gegen ein Schutzgesetz i. S. d. § 823 Abs. 2 BGB, kann sich daraus eine Außenhaftung im Verhältnis zu den Gesellschaftsgläubigern ergeben. Da aber weder § 43 Abs. 1 GmbHG noch § 93 Abs. 1 AktG als Schutzgesetz i. S. d. § 823 Abs. 2 BGB zu klassifizieren sind,97 scheidet eine umfassende Außenhaftung des Geschäftsleiters gegenüber Dritten wegen pflichtwidrigen Verhaltens von Anfang an aus.98 Der BGH konstatierte zudem, dass auch das Zahlungsverbot i. S. d. § 64 S. 1 GmbHG a. F. (jetzt § 15b Abs. 1, 4 InsO) und seine Schwesterbestimmungen99 keine Schutzgesetze i. S. d. § 823 Abs. 2 BGB darstellen.100

II. Insolvenzverschleppungshaftung Den Schutz Dritter bezweckt nach ganz überwiegender Auffassung in Literatur101 und Rechtsprechung102 § 15a Abs. 1 S. 1 InsO. Die Norm stellt ein Schutzgesetz 95

Zur Verknüpfung der Ansprüche oben Kap. 4 § 9 C. Siehe nur BGH, 10. 07. 2012 – VI ZR 341/10, juris Rn. 24 = NJW 2012, 3439 (3442 f.). 97 BGH, 10. 07. 2012 – VI ZR 341/10, juris Rn. 23 = NJW 2012, 3439 (3442). 98 HCL/Paefgen, Bd. I, § 43 Rn. 360. 99 So Altmeppen, ZIP 2020, 937 (938). 100 BGH, 19. 11. 2019 – II ZR 233/18, juris Rn. 14 ff. = ZIP 2020, 318 (319). Siehe hierzu auch die Nachweise bei Kap. 5 § 11 A. I. 101 Siehe nur Henssler/Strohn/Arnold, Gesellschaftsrecht, GmbHG § 64 Rn. 70; Bitter, in: Scholz, GmbHG, Bd. III, § 64 Rn. 256; UHL/Casper, Bd. III, § 64 Rn. 156 ff.; Baumbach/ Hueck/Haas, GmbHG § 64 Rn. 145; a. A. Altmeppen, ZIP 2001, 2201 (2205 f.); ders., ZIP 2015, 949 (953); ders., NZG 2016, 521 (526 f.); ders., ZIP 2020, 937 (940); ders., GmbHG vor § 64 Rn. 121 f. 96

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5. Kap.: Anwendung der Qualifikations- und Abgrenzungsmaxime

i. S. d. § 823 Abs. 2 BGB dar. Die Stellung eines Insolvenzantrages soll gerade die Gläubiger eines in Schieflage geratenen Unternehmens vor der Verschlechterung ihrer Befriedigungsmöglichkeiten schützen – und nicht etwa nur die Allgemeinheit bzw. den Geschäftsverkehr vor überschuldeten Kapitalgesellschaften.103 Den Schutz genießen sowohl Alt- als auch Neugläubiger; verschieden ist nur der Haftungsumfang104: Werden Verbindlichkeiten vor Insolvenzreife begründet, ist den Altgläubigern nur der Quotenverringerungsschaden zu ersetzen. Dieser entsteht durch die Verletzung der Antragspflicht und kommt darin zum Ausdruck, dass sich die Quote, welche die Altgläubiger auf ihre Forderung erhalten, verschlechtert. Der Quotenschaden der Altgläubiger wird in der Insolvenz als Gesamtschaden i. S. d. § 92 InsO nicht von den Gläubigern selbst, sondern einheitlich vom Insolvenzverwalter geltend gemacht.105 Er ist in der Praxis nur unter großem Aufwand zu bestimmen und durchzusetzen.106 Nur bei Verfahrensabweisung mangels Masse können die Altgläubiger ihre Ansprüche selbst verfolgen.107 Der Neugläubigerschaden kann hingegen auch als Individual- bzw. Ausfallschaden nach Eintritt der Insolvenzreife über § 823 Abs. 2 BGB i. V. m. § 15a Abs. 1 InsO verfolgt werden. Im Rahmen der Außenhaftung wird diesen das gesamte negative Interesse (Vertrauensschaden) zugesprochen.108 Die Abgrenzung zwischen Altgläubiger- und Neugläubigerschäden ist mithin entscheidend für die Haftung und auch in den betreffenden grenzüberschreitenden Fallkonstellationen zu berücksichtigen. 1. Qualifikation Trotz deliktischer Anspruchsgrundlage ist die Insolvenzverschleppungshaftung nach verbreiteter Ansicht insolvenzrechtlich109 zu qualifizieren und nicht dem De102 Grundlegend RG, 04. 02. 1910 – II 255/09, juris = RGZ 73, 30 (35); noch zu § 64 Abs. 1 GmbHG a. F. BGH, 16. 12. 1958 – VI ZR 245/57, juris Rn. 8 ff. = NJW 1959, 623 (623 f.); BGH, 06. 06. 1994 – II ZR 292/91, juris Rn. 21 ff. = ZIP 1994, 1103 (1106 f.); zu § 15a InsO (ebenfalls a. F.) BGH, 14. 05. 2012 – II ZR 130/10, juris Rn. 9 = NJW 2012, 3510; BGH, 22. 10. 2013 – II ZR 394/12, juris Rn. 7 = NJW 2014, 698 (699). 103 Bitter, in: Scholz, GmbHG, Bd. III, § 64 Rn. 256 m. w. N.; BGH, 22. 10. 2013 – II ZR 394/12, juris Rn. 7 = NJW 2014, 698 (699). 104 Grundlegend BGH, 06. 06. 1994 – II ZR 292/91, juris Rn. 24 ff. = ZIP 1994, 1103 (1107 f.). 105 BGH, 05. 02. 2007 – II ZR 234/05, juris Rn. 12 f. = ZIP 2007, 676 (677 f.); Henssler/ Strohn/Arnold, Gesellschaftsrecht, GmbHG § 64 Rn. 76. 106 Hierzu BGH, 06. 06. 1994 – II ZR 292/91, juris Rn. 30 = ZIP 1994, 1103 (1109). 107 OLG Brandenburg, 08. 11. 2011 – 6 U 102/09, juris Rn. 189 = BeckRS 2011, 26252; Henssler/Strohn/Arnold, Gesellschaftsrecht, GmbHG § 64 Rn. 76; UHL/Casper, Bd. III, § 64 Rn. 166, 203; hierzu auch Freitag, NZG 2014, 447 (449 f.). 108 BGH, 22. 10. 2013 – II ZR 394/12, juris Rn. 7 = NJW 2014, 698 (699). 109 Etwa HCL/Behrens/Hoffmann, Bd. I, Einleitung Rn. B 140; K. Schmidt InsO/Brinkmann, EuInsVO 2000 Art. 4 Rn. 12; Eidenmüller, in: Eidenmüller, Ausländische Kapitalgesellschaften, § 9 Rn. 32; MüKo-BGB/Kindler, Bd. 13, Internationales Insolvenzrecht, EuInsVO Art. 7 Rn. 69 ff.; Uhlenbruck/Knof, InsO, Bd. 2, EuInsVO Art. 7 Rn. 118; Kolmann/

§ 11 Qualifikation und Einordnung nationaler Haftungsinstrumente

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liktsrecht110 oder dem Gesellschaftsrecht111 zuzuordnen. Nur teilweise wird in der Literatur auch zwischen Alt- und Neugläubigern differenziert.112 Sofern die Haftung als Sanktion einer Verletzung der Antragspflicht113 zur Anwendung gelangen soll, spricht für die insolvenzrechtliche Qualifikation zunächst ganz allgemein, dass der EuGH im Kornhaas-Urteil auch die „Folgen eines Verstoßes gegen diese Verpflichtung“114 dem Insolvenzstatut zurechnet. Für das deutsche Recht muss dabei jedoch die Differenzierung zwischen den Alt- und Neugläubigerschäden beachtet werden. U. a. wegen des prinzipiellen verfahrensrechtlichen Charakters der lex fori concursus und der Haftungsaufhängung in § 823 Abs. 2 BGB steht insoweit auch eine deliktische Qualifikation der Haftung im Raum. a) Gesamtschaden der Altgläubiger Bei eröffnetem Insolvenzverfahren über das Vermögen einer Gesellschaft kann der Gesamtgläubigerschaden während der Dauer des Verfahrens nur vom Insolvenzverwalter geltend gemacht werden, § 92 InsO. Für den Gesamtschaden der Altgläubiger lässt sich die zitierte Aussage des EuGH daher ohne weiteres übertragen.115 Der Haftungsanspruch aus § 823 Abs. 2 BGB i. V. m. § 15a Abs. 1 InsO setzt für seine Entstehung keine Insolvenzverfahrenseröffnung voraus. Für die Geltendmachung des Gesamtgläubigerschadens ist dagegen ein eröffnetes Insolvenzverfahren zwingende Voraussetzung, ebenso die Zuständigkeit des Insolvenzverwalters. Der EuGH spricht im hier betreffenden Zusammenhang nur recht unpräzise von der „Anwendung“116 eines Haftungsanspruchs. Freitag sieht in der Ch. Keller, in: Gottwald/Haas, Insolvenzrechts-HdB, § 131. Insolvenzkollisionsrecht Rn. 124; Schall, ZIP 2016, 289 (293). 110 Dafür noch vor dem MoMiG etwa Bayer, BB 2003, 2357 (2365); Gottwald, in: Nagel/ Gottwald, Internationales ZPR, § 20 Internationales Zivilrecht Rn. 20.149; Zimmer, NJW 2003, 3585 (3590); Freitag, ZIP 2014, 302 (306 f.) in Bezug auf die Neugläubiger. 111 Dafür etwa Dichtl, GmbHR 2005, 886 (888); MüKo-AktG/Ego, Bd. 7, Europäische Niederlassungsfreiheit Rn. 399; BeckOK-InsO/Mock, EuInsVO Art. 7 Rn. 83; Paefgen, ZIP 2004, 2253 (2260); Spindler/Berner, RIW 2004, 7 (12); Westhoff/Mock, DZWIR 2004, 23 (26 f.). 112 So etwa Mankowski/Müller/Schmidt, EuInsVO Art. 7 Rn. 94; Münchener Hdb GesRVI/ Servatius, § 12 Rn. 76; ders., DB 2015, 1087 (1092). HCL/Behrens/Hoffmann, Bd. I, Einleitung Rn. B 140 und Kolmann/Ch. Keller, in: Gottwald/Haas, Insolvenzrechts-HdB, § 131. Insolvenzkollisionsrecht Rn. 124 differenzieren ebenfalls zwischen Alt- und Neugläubigern, gelangen jedoch im Ergebnis zu einer generellen insolvenzrechtlichen Qualifikation. 113 Zur insolvenzrechtlichen Qualifikation der Insolvenzantragspflicht oben Kap. 5 § 11 B. I. 114 EuGH, 10. 12. 2015, Rs. C-594/14 (Kornhaas), ECLI:EU:C:2015:806 Rn. 19 = NJW 2016, 223 (224). 115 So auch HCL/Behrens/Hoffmann, Bd. I, Einleitung Rn. B 140; Kindler, EuZW 2016, 136 (139); MüKo-BGB/ders., Bd. 13, Internationales Insolvenzrecht, EuInsVO Art. 7 Rn. 69. 116 EuGH, 04. 12. 2014, Rs. C-295/13 (H), ECLI:EU:C:2014:2410 Rn. 22 = IPRax 2015, 548 (550).

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5. Kap.: Anwendung der Qualifikations- und Abgrenzungsmaxime

Zuweisung der Einziehungsbefugnis an den Insolvenzverwalter insoweit einen an sich systemfremden Eingriff in ein individuelles Gläubigerrecht, der Praktikabilitätsund Gerechtigkeitserwägungen diene.117 Die Einschränkung entfaltet indes keine Auswirkung auf die Qualifikation. Gleichwohl erfolgt die Einordnung notwendigerweise vor dem Hintergrund der insolvenzrechtlich qualifizierten Insolvenzantragspflicht und der Geltendmachung der Haftung im Insolvenzverfahren. Allein die Verknüpfung mit der Antragspflicht entspricht dabei dem verfahrensrechtlichen Charakter der lex fori concursus: Der Anspruch stützt die Funktion des Insolvenzverfahrens als Instrument der allseitigen Haftungsordnung zur kollektiven Bewältigung einer finanziellen Krisensituation unter Knappheitsbedingungen. Zudem lässt sich nicht von der Handweisen, dass die Insolvenzverschleppungshaftung funktionell der Insolvenzanfechtung i. S. v. Art. 7 Abs. 2 S. 2 lit. m EuInsVO nahesteht.118 Aus dieser systematischen Nähe ergibt sich ebenfalls die (von einem Insolvenzverfahren unabhängige) Geltung der lex fori concursus.119 Eine insolvenzrechtliche Zuordnung der Insolvenzverschleppungshaftung lässt sich aber auch unter weiteren Aspekten vornehmen. Das Haftungsinstrument sanktioniert nicht nur ein gläubigerschädigendes Verhalten zum Zwecke der Haftungsverwirklichung und realisiert dabei den Verfahrensgrundsatz der par conditio creditorum. Durch die unmittelbare Anknüpfung an die materielle Insolvenz und die ermöglichte Haftungsverwirklichung der Schuldnergesellschaft gegenüber ihren Gläubigern dient der Anspruch zugleich der Absicherung eines insolvenztypischen Zwecks im unionsrechtlichen Sinne. Hierbei steht die materielle Ordnungsfunktion des Insolvenzrechts im Vordergrund. b) Individualschaden der Neugläubiger Der individuell zu berechnende Einzelschaden (Ausfallschaden) der Neugläubiger ist von diesen außerhalb des Insolvenzverfahrens geltend zu machen. Demzufolge setzt der Anspruch auch hier keine Insolvenzverfahrenseröffnung voraus. Er kommt allerdings – im Gegensatz zum Gesamtschaden der Altgläubiger – nicht der Gläubigergesamtheit zugute. Auf das fehlende Insolvenzverfahren kommt es für die Qualifikation unter Art. 7 Abs. 1 EuInsVO jedoch nicht an, ebenso wenig auf die Geltendmachung des Anspruchs durch einen Insolvenzverwalter. Aus der EuGHRechtsprechung lässt sich zudem schlussfolgern, dass ein der Gläubigergesamtheit zugutekommender Anspruch keine Voraussetzung für eine insolvenzrechtliche

117

Freitag, ZIP 2014, 302 (304). Kindler, IPRax 2010, 430 (431); Mankowski, EWiR 2015, 93 (94); ders., NZG 2016, 281 (282); Thole, ZHR 178 (2014), 763 (768). 119 Siehe auch EuGH, 10. 12. 2015, Rs. C-594/14 (Kornhaas), ECLI:EU:C:2015:806 Rn. 20 = NJW 2016, 223 (224); Kayser/Thole/Dornblüth, HD-KO InsO, EuInsVO Art. 7 Rn. 3; Grompe, Die vis attractiva concursus im Europäischen Insolvenzrecht, S. 249; Mankowski/ Müller/Schmidt, EuInsVO Art. 7 Rn. 95. 118

§ 11 Qualifikation und Einordnung nationaler Haftungsinstrumente

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Qualifikation darstellt.120 Neben dieser negativen Abgrenzung spricht für die insolvenzrechtliche Qualifikation der Insolvenzverschleppungshaftung im positiven Sinne, dass durch diese in Bezug auf die Neugläubiger ein gläubigerschädigendes Verhalten zum Zwecke der Haftungsverwirklichung sanktioniert wird. Um daraus ein taugliches Kriterium für die insolvenzrechtliche Qualifikation abzuleiten, ist ergänzend erforderlich, dass der Haftungsanspruch zugleich den Grundsatz der par conditio creditorum stützt. Insoweit verhält es sich hier auf den ersten Blick wie mit der gesellschaftsrechtlichen Qualifikation des § 15b Abs. 1, 4 InsO im Falle der masselosen Insolvenz.121 Bei individueller Geltendmachung fehlt gemeinhin der Bezug zum Grundsatz der Gleichbehandlung und gemeinschaftlichen Befriedigung der Gläubiger. Sieht man jedoch im Zweck der Sanktionierung der Antragspflicht, dem sowohl die Haftung gegenüber den Alt- als auch den Neugläubigern dient, einen hinreichenden Bezug zum Insolvenzverfahren,122 genügt die Haftung auch diesem Erfordernis. Ferner kann man hier – wie beim Gesamtschaden der Altgläubiger – aus der systematischen Nähe zur Insolvenzanfechtung i. S. v. Art. 7 Abs. 2 S. 2 lit. m EuInsVO auf die Geltung der lex fori concursus schließen. Entscheidend ist die Durchsetzung der Gläubigergleichbehandlung durch das Rückgängigmachen der die Gläubiger benachteiligenden Handlungen des Schuldners. Die Bedeutung der Vorschrift wurde daher auch im Kornhaas-Urteil zur Argumentation herangezogen.123 In diesem hat der EuGH unter Bezugnahme auf Art. 7 Abs. 2 S. 2 lit. m EuInsVO ganz allgemein solche Vorschriften als insolvenzrechtlich qualifiziert, die die Verhinderung etwaiger Masseverkürzungen vor Eröffnung des Insolvenzverfahrens bezwecken und somit einer gleichmäßigen Gläubigerbefriedigung dienen. Als Korrelat zur Insolvenzantragspflicht lässt sich für die Haftung aus § 823 Abs. 2 BGB i. V. m. § 15a Abs. 1 InsO zudem ein enger Bezugspunkt zur materiellen Insolvenz ausmachen. Die Haftung steht durch die bereits eingetretene Insolvenzreife in untrennbarem Zusammenhang mit den Insolvenzgründen. Diese wiederum sind wesentlich für die Zuordnung zum Insolvenzstatut.124 Die Folgen der Pflichtverletzung ließen sich auf diese Weise akzessorisch an die Gebotsnorm anknüpfen.125 Für die Neugläubiger ist aber kennzeichnend, dass diese den Anspruch individuell geltend machen müssen und ihnen grundsätzlich der gesamte Vertrauensschaden, d. h. das negative Interesse zuzusprechen ist. Dennoch kann die vorherig Begründung nicht drüber hinwegtäuschen, dass der Anspruch in diesem Fall nicht zugleich der par conditio creditorum dient. In der Folge scheitert eine eindeutige insolvenz120 121 122

(94). 123

Hierzu oben Kap. 4 § 8 B. II. 2. a) bb). Oben Kap. 5 § 11 A. I. 1. b). So HCL/Behrens/Hoffmann, Bd. I, Einleitung Rn. B 140; Mankowski, EWiR 2015, 93

EuGH, 10. 12. 2015, Rs. C-594/14 (Kornhaas), ECLI:EU:C:2015:806 Rn. 20 = NJW 2016, 223 (224). 124 Mankowski, EWiR 2015, 93 (94). 125 So K. Schmidt InsO/Brinkmann, EuInsVO 2000 Art. 4 Rn. 12; Eidenmüller, RabelsZ 70 (2006), 475 (497).

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5. Kap.: Anwendung der Qualifikations- und Abgrenzungsmaxime

rechtliche Zuordnung der Haftung. Andernfalls würde der grundlegenden Implikation des Verordnungsgebers nicht hinreichend entsprochen werden und die alleinige Einordnung unter das Insolvenzstatut wäre nicht weiter abgedeckt. Die EuInsVO ist u. a. auf die Interessen aller Gläubiger im materiell-rechtlichen Sinne einer gleichmäßigen Befriedigung ausgerichtet. Allein in den Fällen, in denen der einem Einzelverfahren zugrundeliegende Anspruch direkt oder indirekt an die gleichmäßige Gläubigerbefriedigung anknüpft, besteht ein hinreichend enger Zusammenhang mit dem Insolvenzverfahren und dessen Wirkungen i. S. d. Art. 7 Abs. 1 EuInsVO.126 Das individuelle Durchsetzen des Anspruchs bewirkt insoweit, dass für die hier betreffende Konstellation die deliktsrechtliche Qualifikation greift. Zwar entfern man sich auf diese Weise ein Stück weit von der Systematik, die zunächst allein die Voraussetzungen der Anspruchsentstehung im Blick hat. Gleichwohl wirken sich aber auch die prozessualen Besonderheiten unmittelbar auf den Inhalt und Umfang des Anspruchs aus. Diese sind gleichfalls zu berücksichtigen. Die Differenzierung zwischen dem Gesamtschaden der Altgläubiger und dem Individualschaden der Neugläubiger lässt demnach im Haftungsinstitut der Insolvenzverschleppung keinen alleinigen rechtlichen Schwerpunkt erkennen. Brinkmann127 und zuvor bereits Eidenmüller128 möchten dagegen etwaigen Unsicherheiten und einer drohenden Zersplitterung der anwendbaren Rechte mit einer einheitlichen insolvenzrechtlichen Qualifikation begegnen. Allein die Gefahr der Aufspaltung des anwendbaren Rechts sowie mögliche Unsicherheiten bei dessen Bestimmung vermögen eine solch pauschale Qualifikation jedoch nicht rechtfertigen. Wie sich zeigt, lassen sich die Haftungsinstrumente in ihrer nationalen Ausgestaltung meist treffsicher zuordnen. Das gilt auch für die Insolvenzverschleppungshaftung. Die Folgen der jeweiligen Zuordnung sind zudem mittlerweile derart bestimmt, dass das Argument nicht (mehr) greift. Für die Insolvenzverschleppungshaftung kommt es damit aus den zuvor genannten Gründen zu einer Doppelqualifikation129. Bei normzweckorientierter Gesamtbetrachtung ist zu konstatieren, dass im Rahmen des Individualschadens die insolvenzrechtliche Qualifikationskriterien zurücktreten und die deliktsrechtliche Qualifikation überwiegt. Betrachtet man die Insolvenzverschleppungshaftung als Ganzes, gelangt man für diese somit zu keiner einheitlichen Qualifikation. In Bezug auf die Qualifikation von Verpflichtung und Haftungsfolge herrscht nur teilweise Übereinstimmung.

126

Hierzu ausführlich oben Kap. 4 § 8 B. II. 2. a) bb). K. Schmidt InsO/Brinkmann, EuInsVO 2000 Art. 4 Rn. 12. 128 Eidenmüller, in: Eidenmüller, Ausländische Kapitalgesellschaften, § 9 Rn. 32: „(…) zur Vermeidung einer ,Lücke‘ im Verhältnis von EuGVVO und EuInsVO.“ 129 Dazu bereits oben Kap. 4 § 9 D. I. HCL/Behrens/Hoffmann, Bd. I, Einleitung Rn. B 142 erwägen ebenfalls eine Doppelqualifikation aus Insolvenz- und Deliktsrecht. 127

§ 11 Qualifikation und Einordnung nationaler Haftungsinstrumente

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c) Individualschaden der Altgläubiger Die deliktsrechtliche Qualifikation umfasst auch den Individualschaden der Altgläubiger. Diese sind bei Ablehnung des Insolvenzverfahrens mangels Masse aufgrund der entfallenden Sperrwirkung des § 92 InsO befugt, ihre Ansprüche selbst geltend zu machen. Die Ausführungen zur Insolvenzverschleppungshaftung beim Individualschaden der Neugläubiger können insoweit übertragen werden. d) Folgen der Zuordnung Die Insolvenzverschleppungshaftung unterfällt in Bezug auf den Gesamtschaden der Altgläubiger wegen der insolvenzrechtlichen Qualifikation dem Insolvenzstatut. Sie gehört zum materiellen Insolvenzrecht und ist gem. Art. 3, 7 EuInsVO an das Recht des Staates der (hypothetischen) Verfahrenseröffnung geknüpft. Die Haftung betrifft demzufolge auch die Geschäftsleiter von EU-Auslandsgesellschaften, deren COMI in Deutschland belegen ist. Umgekehrt findet die Haftung aus § 823 Abs. 2 BGB i. V. m. § 15a Abs. 1 InsO auf Geschäftsleiter von Gesellschaften nach deutschem Recht, deren COMI sich im EU-Ausland befindet, keine Anwendung. Sofern unter dem ausländischen Insolvenzstatut ein vergleichbares Haftungsinstrument besteht, richtet sich dieses auch an die Geschäftsleiter der Gesellschaft deutschen Rechts. Für die deliktsrechtlich qualifizierte Insolvenzverschleppungshaftung bestimmt sich das anwendbare Recht hingegen nach der allgemeinen Kollisionsnorm des Art. 4 Rom II-VO. Über diese gelangt man ebenfalls zur Anwendung deutschen Rechts. 2. Beschränkung der Niederlassungsfreiheit In der Anwendung der Insolvenzverschleppungshaftung auf Geschäftsleiter EUausländischer Gesellschaften liegt keine Beschränkung der Niederlassungsfreiheit. Auch hier verhält es sich wie mit den vorherigen insolvenz- und deliktsrechtlich qualifizierten Haftungsregelungen, die erst an die nach der Gründung aufgenommene Tätigkeit der Gesellschaft geknüpft sind und rein tätigkeitsbezogen wirken. Der Marktzugang ist nicht betroffen. Als Vorschrift des allgemeinen Verkehrsrechts gestaltet auch die Insolvenzverursachungshaftung den Rechtsrahmen für den Geschäftsverkehr. Sie differenziert darüber hinaus weder rechtlich noch tatsächlich zwischen In- und Auslandsgesellschaften, sodass sie nichtdiskriminierend wirkt und es sich bei § 823 Abs. 2 BGB i. V. m. § 15a InsO um eine einfachbelastende Regelung handelt. Gleiches gilt, wenn man die Haftung dem Deliktsstatut zuschreibt. Will man der Insolvenzverschleppungshaftung dennoch beschränkenden Charakter beimessen, wäre die Anwendung jedenfalls gerechtfertigt. Zunächst kann eine Diskriminierung aus vorgenannten Gründen verneint werden. Darüber hinaus liegt im Gläubigerschutz ein zwingendes Allgemeininteresse, von dem die Neugläubiger durch die Reinigungsfunktion des Insolvenzrechts und die Altgläubiger durch

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5. Kap.: Anwendung der Qualifikations- und Abgrenzungsmaxime

Verbesserung ihrer Befriedigungschancen gleichermaßen betroffen sind.130 Ferner ist die Haftung ein zur Wahrung dieser Allgemeininteressen geeignetes Mittel. Schließlich ist auch kein milderes Mittel ersichtlich, da die der Haftung zugrundeliegende Antragspflicht – und damit auch die Insolvenzverschleppungshaftung selbst – erst mit Eintritt eines Insolvenzgrundes bei unmittelbarer und konkreter Gläubigergefährdung eingreift.131 3. Statutenwechsel durch Verlegung des COMI Bei der Insolvenzverschleppungshaftung kann es – je nach Qualifikation – unter bestimmten Voraussetzungen durch die Verlegung des COMI zu einer Statutenspaltung kommen. Gemeint ist der Fall, dass eine EU-Gesellschaft, deren COMI sich zum Zeitpunkt der Verletzung der Antragspflicht in Deutschland befindet, ihr COMI danach ins europäische Ausland verlegt, wo schließlich (k)ein Verfahren eröffnet wird. Die in diesem Kontext zu erörternden Fragen entsprechen in weiten Teilen denen, die bereits für den Haftungsanspruch wegen masseschmälernden Zahlungen untersucht wurden.132 a) Anwendbares Recht Die Anknüpfung des anwendbaren Rechts kann entgegen des Wortlauts des Art. 7 Abs. 1 EuInsVO bereits zu einem der Verfahrenseröffnung vorgelagerten Zeitpunkt und unabhängig davon erfolgen. Würde man den Eröffnungsbezug dagegen konsequent anwenden, wäre bei einer Verlegung des COMI das Recht des bisherigen COMI-Staates nicht anwendbar, wenn es im Staat des neuen COMI zur Eröffnung eines Insolvenzverfahrens kommt. Für Altgläubiger könnte dies bedeuten, dass der bereits entstandene Anspruch nachträglich wieder entfällt. Solange nicht nachgewiesen werden kann, dass die Verlegung des COMI der gezielten Gläubigerschädigung dient, entfaltet der Gleichlauf zwischen Art. 3 und Art. 7 EuInsVO grundsätzlich seine Wirkung. Um der Problematik nachträglich entfallender Ansprüche aufgrund eines Statutenwechsels gerecht zu werden, ist der Gleichlauf im Falle eines Statutenwechsels bei entstandenem Anspruch im alten COMI-Staat jedoch zu durchbrechen.133 Insoweit bildet die COMI-Verlegung die Zäsur für die zeitliche Aufspaltung in der rechtlichen Beurteilung der insolvenzrechtlichen Verschleppungshaftung:134 Auf Ansprüche, die insolvenzrechtlich zu qualifizieren sind und im Zeitraum vor der Verlegung des COMI unter dem Recht des früheren COMI-Staates entstanden sind, ist das Recht des Wegzugstaates anzuwenden, auch wenn in diesem 130 131 132 133 134

MüKo-BGB/Kindler, Bd. 13, Internationales Insolvenzrecht, EuInsVO Art. 7 Rn. 85. MüKo-BGB/Kindler, Bd. 13, Internationales Insolvenzrecht, EuInsVO Art. 7 Rn. 85. Oben Kap. 5 § 11 A. I. 3. Dazu ausführlich oben Kap. 4 § 9 A. II. 3. So bereits Weller, in: FS Ganter, S. 439 (452).

§ 11 Qualifikation und Einordnung nationaler Haftungsinstrumente

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nie ein Insolvenzverfahren eröffnet wurde.135 Der Wechsel des COMI wirkt ex nunc. Zwar wird auf diese Weise dem verfahrensrechtlichen Charakter der insolvenzrechtlichen Anknüpfung nicht mehr entsprochen. Es wird vielmehr allein die hypothetische lex fori concursus zum Zeitpunkt der jeweiligen Entstehung des Anspruchs oder der Pflichtverletzung zur Anwendung gebracht. Für eine Beurteilung nach der alten lex fori concursus ungeachtet einer Sitzverlegung streitet aber, dass der Tatbestand nach internationalprivatrechtlichen Grundsätzen meist als abgeschlossen gilt. So liegt es auch hier. Zum Zeitpunkt des durch die COMI-Verlegung eintretenden Statutenwechsels handelt es sich bei der vorliegenden Konstellation um einen abgeschlossenen Tatbestand. Das bedeutet, dass der nach deutschem Recht entstandene Anspruch aus § 823 Abs. 2 BGB i. V. m. § 15a Abs. 1 InsO von der Verlegung des COMI unberührt bleibt.136 Für die Beurteilung der Haftung ist bis zum Statutenwechsel die hypothetische lex fori concursus des Wegzugsstaates maßgeblich, danach die lex fori concursus des Zuzugsstaates.137 Auf diese Weise gelangt man zu einer materiell-rechtlichen Statutenspaltung. Ist die Insolvenzverschleppungshaftung zum Zeitpunkt der hypothetischen lex fori concursus entstanden, bleibt diese auch noch nach der COMI-Verlegung bestehen. Für die deliktsrechtliche Qualifikation der Insolvenzverschleppungshaftung kommt neben einer Anknüpfung an das Tatortprinzip i. S. d. Art. 4 Abs. 1 Rom IIVO138 auch eine akzessorische Anknüpfung an das Insolvenzstatut nach Art. 4 Abs. 3 EuInsVO in Betracht.139 Auf diese Weise ließe sich das Recht des Staates anwenden, in dem zum Begehungszeitpunkt der Mittelpunkt der hauptsächlichen Interessen der betroffenen Gesellschaft i. S. v. Art. 3 Abs. 1 EuInsVO lag.140 Eine Verlegung des Mittelpunktes wirkt sich aufgrund der akzessorischen Anknüpfung nicht auf bereits entstandene Ansprüche aus. Für diese gilt weiterhin das Recht des Staates, in welchem der frühere Mittelpunkt belegen war. Damit führt auch die deliktsrechtliche Qualifikation zur Anwendbarkeit deutschen Rechts und damit zum gleichen Ergebnis wie bei der insolvenzrechtlichen Qualifikation. Für die Frage nach dem Anwendbaren Recht hat die Differenzierung insoweit keine praktische Auswirkung, wohl aber für die Zuständigkeit.

135 Siehe hierzu auch die Erwägungen bei HCL/Behrens/Hoffmann, Bd. I, Einleitung Rn. B 141 und bei Keller, NZI 2021, 110 (111). 136 So auch Keller, NZI 2021, 110 (111). 137 So auch Weller, in: FS Ganter, S. 439 (451 f.). 138 Hierzu Altmeppen, NZG 2016, 521 (527); Schall, ZIP 2016, 289 (293). 139 Dazu bereits ausführlich oben Kap. 4 § 9 D. I. 140 HCL/Behrens/Hoffmann, Bd. I, Einleitung Rn. B 142.

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5. Kap.: Anwendung der Qualifikations- und Abgrenzungsmaxime

b) Internationale Zuständigkeit Bei der Klage aus § 823 Abs. 2 BGB i. V. m. § 15a Abs. 1 InsO ist zunächst entscheidend, ob diese ein Annexverfahren i. S. d. Art. 6 Abs. 1 EuInsVO darstellt141 oder nicht142. Bei insolvenzrechtlicher Qualifikation im Falle des Gesamtschadens der Altgläubiger ist von einem Annexverfahren auszugehen. Während man für die Anknüpfung von der Annexzuständigkeit auf die insolvenzrechtliche Qualifikation des der Klage zugrundeliegenden Haftungsanspruchs und weiter auf die kollisionsrechtliche Anknüpfung nach Art. 7 EuInsVO abstellen kann, ist für die Zuständigkeit zwar nicht von einem derartigen Zusammenhang auszugehen. Ein Anspruch, der materiell-rechtlich unter Art. 7 EuInsVO fällt, kann jedoch grundsätzlich auch unter Art. 6 Abs. 1 EuInsVO eingeordnet werden. Der Haftungsanspruch ist somit vom Anwendungsbereich des Art. 6 Abs. 1 und dem des Art. 7 Abs. 1 EuInsVO gleichermaßen umfasst. Die Klage findet ihren Ursprung im Insolvenzverfahrensrecht. Sie dient den Verfahrenszielen. Als Annexverfahren i. S. d. Art. 6 Abs. 1 EuInsVO ist für die Klage des Insolvenzverwalters zur Geltendmachung des Gesamtschadens der Altgläubiger mithin das Gericht des Mitgliedstaates zuständig, in dessen Hoheitsgebiet das Insolvenzverfahren nach Art. 3 EuInsVO eröffnet worden ist.143 Das ausländische Gericht des Staates der Verfahrenseröffnung entscheidet in diesem Fall über den Anspruch nach deutschem Recht. Es kommt zu keiner Zuständigkeitsfortdauer des Gerichtes des Wegzugsstaates. An dieser Stelle verdeutlich sich abermals die Durchbrechung des Gleichlaufs zwischen Zuständigkeit und anwendbarem Recht im Falle eines Statutenwechsels bei entstandenem Anspruch im alten COMI-Staat. Macht dagegen ein Neugläubiger einen Insolvenzverschleppungsschaden geltend oder klagt ein Altgläubiger seinen Quotenschaden außerhalb eines Insolvenzverfahrens ein, richtet sich die internationale Zuständigkeit nach dem abgeschlossenen Zuständigkeitssystem gem. Art. 4 ff. Brüssel Ia-VO.144 Für Klagen gegen Gesellschaften und juristischen Personen stehen dem Kläger dabei gem. Art. 63 Abs. 1 Brüssel Ia-VO die Orte zur Verfügung, an dem sich der satzungsmäßige Sitz, die Hauptverwaltung oder die Hauptniederlassung befinden. Neben einer materiell-rechtlichen Statutenspaltung kann es also auch prozessual zu einer Spaltung der gerichtlichen Zuständigkeiten kommen. 141 Keller, NZI 2021, 110 (111); MüKo-BGB/Kindler, Bd. 13, Internationales Insolvenzrecht, EuInsVO Art. 6 Rn. 16; Mankowski/Müller/Schmidt, EuInsVO Art. 6 Rn. 20; Prager/ Ch. Keller, in: Bork/Hölzle, HdB Insolvenzrecht, Int. InsR Rn. 45. 142 Freitag, ZIP 2014, 302 (306 ff.) unter Bezugnahme auf EuGH, 18. 07. 2013, Rs. C-147/ 12 (ÖFAB), ECLI:EU:C:2013:490 = ZIP 2013, 1932; Vallender/Hänel, EuInsVO Art. 6 Rn. 59; BeckOK-InsO/Mock, EuInsVO Art. 6 Rn. 7.2 (wegen gesellschaftsrechtlicher Qualifikation). 143 So auch Baumbach/Hueck/Haas, GmbHG § 64 Rn. 194. 144 Ebenfalls differenzierend K. Schmidt InsO/Brinkmann, EuInsVO 2000 Art. 3 Rn. 48; Baumbach/Hueck/Haas, GmbHG § 64 Rn. 194; MüKo-InsO/Klöhn, Bd. 1, § 15a Rn. 264; EuInsVO/Paulus, Art. 6 Rn. 11; MüKo-InsO/Thole, Bd. 4, EuInsVO 2000 Art. 3 Rn. 132. A. A. etwa Keller, NZI 2021, 110 (111).

§ 11 Qualifikation und Einordnung nationaler Haftungsinstrumente

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D. Haftungsinstrumente unter dem präventiven Restrukturierungsrahmen des StaRUG Am 01. 01. 2021 ist das StaRUG – jedenfalls in wesentlichen Teilen145 – in Kraft getreten. Eingeführt wurde das Gesetz durch das SanInsFoG, das u. a. der Umsetzung der europäischen Restrukturierungsrichtlinie über präventive Restrukturierungsrahmen diente. Mit dem StaRUG besteht nun auch in Deutschland für drohend zahlungsunfähige Unternehmen die Möglichkeit, Sanierungen auf Grundlage eines selbst ausgestalteten Restrukturierungsplans unter Beteiligung von Gläubigern umzusetzen146 – und zwar auch gegen den Willen einzelner Gläubiger. Das StaRUG stellt mit verschiedenen Stabilisierungs- und Restrukturierungsinstrumenten gleich mehrere Werkzeuge für eine vereinfachte Restrukturierung außerhalb eines Insolvenzverfahrens zur Verfügung, § 29 Abs. 2 StaRUG. Durch die Etablierung des Stabilisierungs- und Restrukturierungsrahmens in Teil 2 des StaRUG (sogleich unter I.) wurde zugleich die Lücke zwischen freier, konsensualer und gerichtlicher Sanierung geschlossen. Als zentral erweist sich vor diesem Hintergrund die Einführung neuer Geschäftsleiterhaftungstatbestände. Zur Anwendung gelangen diese unter dem präventiven Restrukturierungsrahmen. Geschäftsleiter müssen hier eine mögliche Innenhaftung wegen der Verletzung der Pflicht zur Wahrung der Interessen der Gesamtheit der Gläubiger beachten (unten II.). Zur Außenhaftung kann es im neuen Restrukturierungsverfahren wegen sog. Anzeigeverschleppungshaftung kommen (unten III.). In Bezug auf die Außenhaftung hält das Haftungsregime des StaRUG zudem eine Geschäftsleiterhaftung bei der Erwirkung gerichtlicher Stabilisierungsanordnungen aufgrund unrichtiger Angaben bereit (unten IV.).

I. Präventiver Restrukturierungsrahmen und IPR Der präventive Restrukturierungsrahmen wird im StaRUG als Stabilisierungsund Restrukturierungsrahmen bezeichnet. Losgelöst von einem Insolvenzverfahren steht dieser Rahmen Unternehmen ab Eintritt der drohenden Zahlungsunfähigkeit zur Verfügung. Die durch den Rahmen bereitgestellten Verfahrenshilfen können vom Schuldnerunternehmen grundsätzlich ohne formale Verfahrenseröffnung in Anspruch genommen werden. Kernstück des präventiven Restrukturierungsrahmens ist der Restrukturierungsplan gem. §§ 5 ff. StaRUG. Dessen Ausgestaltung setzt grundsätzlich keine gerichtliche Beteiligung voraus. Allein für die Inanspruchnahme der Instrumente des Stabilisierungs- und Restrukturierungsrahmens nach § 29 Abs. 2 StaRUG ist die Anzeige des Restrukturierungsvorhabens bei dem zuständigen Restrukturierungsgericht erforderlich, § 31 Abs. 1 StaRUG. 145

Zu den später in Kraft tretenden Regelungen des StaRUG sogleich unten Kap. 5 § 11 D. I. 1. 146 Grau/Pohlmann/Radunz, NZI 2021, 522 (523 ff.) zu ersten Praxiserfahrungen mit dem StaRUG.

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5. Kap.: Anwendung der Qualifikations- und Abgrenzungsmaxime

Viele mittlere und große Unternehmen, für die die Inanspruchnahme des Stabilisierungs- und Restrukturierungsrahmens vor allem für interessant sein dürfte, verfügen heutzutage über ausländische Geschäftsbeziehungen.147 Da Berührungspunkte mit anderen Staaten insoweit eher die Regel148 als die Ausnahme sind, ist der Auslandsbezug auch beim Umgang mit dem StaRUG zu berücksichtigen. Skauradszun weist daher zurecht darauf hin, dass der Gesetzgeber bei der Ausgestaltung des StaRUG internationalprivatrechtliche Fragestellungen kaum aufgegriffen hat und primär rein nationale Sachverhalte im Blick hatte.149 Daraus erwächst das Erfordernis, auch die neuen Geschäftsleiterhaftungstatbestände des StaRUG zu qualifizieren und im Grenzgebiet zwischen Insolvenz-, Gesellschafts- und Deliktsrecht kollisionsrechtlich einzuordnen. Hierbei ist zwischen öffentlichen Restrukturierungssachen einerseits und nicht-öffentlichen bzw. vertraulichen150 Restrukturierungsvorhaben andererseits zu unterscheiden. 1. Öffentliche und nicht-öffentliche Verfahren Restrukturierungen werden zur Vermeidung negativer Publizitätseffekte vornehmlich in vertraulichem Rahmen durchgeführt. Gleichwohl kann in Einzelfällen ein Bedürfnis danach bestehen, Öffentlichkeit herzustellen.151 Die Verfahren unter dem präventiven Restrukturierungsrahmen werden grundsätzlich nicht öffentlich geführt. Das öffentliche Betreiben der Restrukturierungssache ermöglichen jedoch die am 17. 07. 2022 in Kraft tretenden Vorschriften der §§ 84 ff. StaRUG.152 Erforderlich hierfür ist, dass der Schuldner noch vor der ersten Entscheidung in der Restrukturierungssache einen darauf gerichteten Antrag stellt, § 84 Abs. 1 S. 2 StaRUG. In der Folge werden die einzelnen Verfahrensschritte öffentlich bekannt gemacht. Dadurch soll sichergestellt werden, dass auch solche Gläubiger von der Restrukturierungssache Kenntnis nehmen können, die von dem Schuldner nicht eigens einbezogen werden.153 Bei nicht-öffentlichen Verfahren besteht dagegen Publizität allein zwischen den Parteien. In Deutschland ist beabsichtigt, die öffentlich geführten Restrukturierungssachen unter dem Rahmen des StaRUG zum Anhang A der EuInsVO anzumelden.154 Sofern die Restrukturierungssachen dort aufgenommen werden, kann die Öffentlichkeit der Restrukturierungssache insbesondere die Anerkennungsfähigkeit der im Stabilisie147

Skauradszun, NZI 2021, 568. Dammann, in: Paulus/Dammann, European Preventive Restructuring, Art. 1 Rn. 55. 149 Skauradszun, NZI 2021, 568 und bei Fn. 5. 150 Skauradszun, NZI 2021, 568. 151 RegE zum SanInsFoG vom 09. 11. 2020, BT-Drs. 19/24181, S. 179. 152 Art. 25 Abs. 3 Nr. 1 StaRUG. 153 RegE zum SanInsFoG vom 09. 11. 2020, BT-Drs. 19/24181, S. 179. 154 RegE zum SanInsFoG vom 09. 11. 2020, BT-Drs. 19/24181, S. 178. Hierzu auch Schluck-Amend/Hefner, ZRI 11/2020, 570 (572); Thole, ZIP 2020, 1985 (1998). 148

§ 11 Qualifikation und Einordnung nationaler Haftungsinstrumente

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rungs- und Restrukturierungsrahmen erzielten Ergebnisse ermöglichen.155 Zudem handelt es sich bei öffentlichen Restrukturierungssachen um Insolvenzverfahren im Sinne der EuInsVO. Zur Bestimmung des anwendbaren Rechts kann so auf die EuInsVO abzustellen sein. Die erste Entscheidung in der Restrukturierungssache fungiert als Eröffnungsentscheidung im Sinne des Art. 2 Nr. 7 EuInsVO.156 Für nichtöffentliche Restrukturierungsvorhaben lässt sich hingegen kein derart klares Bild zeichnen. Sofern § 84 StaRUG noch nicht in Kraft getreten ist, kein Antrag nach § 84 Abs. 1 S. 1 StaRUG gestellt worden ist oder die öffentlichen Restrukturierungssachen noch nicht in Anhang A der EuInsVO aufgenommen wurden, kann von der Anwendung der EuInsVO und der Bestimmung des anwendbaren Rechts über Art. 7 ff. EuInsVO nicht automatisch ausgegangen werden.157 2. StaRUG im Anwendungsbereich von Brüssel Ia-VO und EuInsVO Nicht gesichert ist, dass die Aufnahme des Verfahrens in Anhang A der EuInsVO noch vor dem 17. 07. 2022 erfolgt.158 So stellt sich die Frage, wie es sich mit dem Haftungsanspruch bis zur Änderung der EuInsVO und allgemein im Falle der fehlenden Öffentlichkeit verhält. Dafür ist maßgebend, ob der Anwendungsbereich der Brüssel Ia-VO oder der EuInsVO betroffen ist. Vom Anwendungsbereich der Brüssel Ia-VO sind Konkurse, Vergleiche und ähnliche Verfahren ausgeschlossen. Entscheidend ist, was sich für oder gegen eine insolvenz(verfahrens)rechtliche Qualifikation anbringen lässt. Da für die Anwendung des präventiven Restrukturierungsrahmens nach dem StaRUG keine materielle Insolvenz vorliegen darf, handelt es sich zunächst nicht um ein klassisches Konkursverfahren i. S. d. Art. 1 Abs. 2 lit. b Brüssel Ia-VO. Ist der Rahmen jedoch als „konkursähnlich“ anzusehen, würde dies ebenfalls zum Ausschluss der Brüssel Ia-VO führen.159 Dafür spricht einerseits, dass der Restrukturierungsplan als Herzstück des StaRUG dem Insolvenzplan gem. §§ 217 ff. InsO nachempfunden ist (§§ 5 ff. StaRUG) und die Planbetroffenen in verschiedene Gruppen einzuteilen sind (§ 9 StaRUG), innerhalb derer sie gleich zu behandeln sind (§ 10 StaRUG). Zudem steht einer insolvenzrechtlichen Zuordnung aufgrund der hier ermittelten Qualifikationskriterien nicht entgegen, dass unter Verwendung des Restrukturierungsrahmens die Insolvenz gerade abgewendet werden soll, dieser also präventiv wirkt.160 Andererseits läuft das Verfahren grundsätzlich gerichtsfrei ab. Ferner ist der präventive Restrukturierungsrahmen nicht an die materielle Insolvenz geknüpft und er dient auch nicht unweigerlich der gleichmäßigen Gläubigerbe155 156 157 158 159 160

RegE zum SanInsFoG vom 09. 11. 2020, BT-Drs. 19/24181, S. 179. RegE zum SanInsFoG vom 09. 11. 2020, BT-Drs. 19/24181, S. 179. Für einen Ausschluss der EuInsVO in diesen Fällen Skauradszun, NZI 2021, 568 (570). Hoegen/Kranz, NZI 2021, 105 (109). Skauradszun, ZIP 2019, 1501 (1503). A. A. Skauradszun, ZIP 2019, 1501 (1503), jedoch noch zur Restrukturierungsrichtlinie.

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5. Kap.: Anwendung der Qualifikations- und Abgrenzungsmaxime

friedigung. Einige der maßgeblichen Kriterien des Katalogs zur insolvenzrechtlichen Qualifikation greifen insoweit nicht. Blickt man auf den Anwendungsbereich der EuInsVO, muss nach Art. 1 Abs. 1 UAbs. 2 EuInsVO zumindest eine „Wahrscheinlichkeit einer Insolvenz“ gegeben sein und der Verfahrenszweck in der Insolvenzvermeidung liegen. Da der Restrukturierungsrahmen die Abwendung der Insolvenz bezweckt, lässt sich Letzteres bejahen. Der deutsche Gesetzgeber hat aber auch die Anknüpfung an die drohende Zahlungsunfähigkeit wegen des Erfordernisses der „Wahrscheinlichkeit einer Insolvenz“ bewusst gewählt. So sei der Tatbestand gerade zu dem Zweck eingeführt worden, dem Schuldner die Möglichkeit und den Anreiz zu einer frühzeitigen Inanspruchnahme von Verfahrenshilfen zur Krisenbewältigung zu geben. Die Restrukturierungsrichtlinie messe genau diese Funktion dem Begriff der wahrscheinlichen Insolvenz zu.161 Darüber hinaus müsste es sich beim präventiven Restrukturierungsrahmen nach dem StaRUG um ein öffentliches Gesamtverfahren i. S. d. Art. 1 Abs. 1 EuInsVO handeln. Der Annahme eines Gesamtverfahrens scheint zunächst entgegenzustehen, dass sich der Restrukturierungsrahmen auf bestimmte Gläubigergruppen konzentrieren kann und nicht alle Gläubiger umfassen muss, § 8 StaRUG. Ausreichend für ein Gesamtverfahren i. S. d. EuInsVO ist jedoch, dass es einen wesentlichen Teil der Gläubiger einschließt oder durch das Verfahren nur die finanziellen Gläubiger des Schuldners betroffen sind.162 Ein Verfahren, das nicht alle Gläubiger einschließt, sollte gleichwohl die Rettung des Schuldners zum Ziel haben.163 Eine Restrukturierung unter dem StaRUG erfüllt diese Voraussetzungen. Es handelt sich demnach um ein Gesamtverfahren i. S. d. EuInsVO. Allerdings fallen nur die Verfahren in den Anwendungsbereich der EuInsVO, deren Eröffnung öffentlich bekanntzugeben sind. Gerade dies ist beim StaRUG jedoch grundsätzlich nicht der Fall; der Restrukturierungsrahmen wurde bewusst als „leises“ Verfahren ausgestaltet. Bei fehlender Öffentlichkeit ist daher wegen des komplementären Verhältnisses von EuInsVO und Brüssel Ia-VO der Anwendungsbereich letzterer Verordnung betroffen. Art. 1 Abs. 2 lit. b Brüssel Ia-VO findet in diesem Kontext keine Anwendung.

II. Verletzung der Pflicht zur Wahrung der Interessen der Gesamtheit der Gläubiger Die Geschäftsleiter von Kapitalgesellschaften treffen seit jeher umfassende Sorgfalts- und Treuepflichten. § 43 Abs. 1 GmbHG ist die zentrale Pflichten- und Haftungsnorm für GmbH-Geschäftsführer. Eine korrespondierende Regelung für 161

RegE zum SanInsFoG vom 09. 11. 2020, BT-Drs. 19/24181, S. 90. ErwG 14 S. 1 und 2 EuInsVO, ABl.EU 2015 L 141/20. Siehe auch Skauradszun, ZIP 2019, 1501 (1504). 163 ErwG 14 S. 3 EuInsVO, ABl.EU 2015 L 141/20. 162

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Vorstandsmitglieder sieht § 93 Abs. 1 S. 1 AktG vor. Die Vorschriften umfassen u. a. die Pflichten zur Krisenfrüherkennung und zum Krisenmanagement. Allerdings obliegt den Geschäftsleitern aufgrund der Business Judgement Rule ein gewisser Handlungs- und Beurteilungsspielraum. Mit der Etablierung des Stabilisierungs- und Restrukturierungsrahmens wurde die bisherige Innenhaftung der Geschäftsleiter nun gem. § 43 Abs. 1 S. 2 StaRUG um einen weiteren Haftungstatbestand ergänzt. Im Regierungsentwurf zum SanInsFoG war die Haftung noch als Außenhaftung konzipiert.164 Deren Pflichtenbindung verdichtet sich nach Rechtshängigkeit der Restrukturierungssache gem. § 31 StaRUG. Die Geschäftsleiter haben dann darauf hinzuwirken, dass der Schuldner die Restrukturierungssache mit der Sorgfalt eines ordentlichen und gewissenhaften Geschäftsleiters betreibt und die Interessen der Gesamtheit der Gläubiger wahrt, §§ 32 Abs. 1 S. 1, 43 Abs. 1 S. 1 StaRUG. Für die Verletzung dieser Pflicht haften sie dem Schuldner in Höhe des den Gläubigern entstandenen Schadens nach § 43 Abs. 1 S. 2 StaRUG, es sei denn, die Geschäftsleitung hat die Pflichtverletzung nicht zu vertreten. Im Vergleich zu § 43 GmbHG, der dem Gläubigerschutz nur reflexhaft165 dient und die Geschäftsführer nicht unmittelbar zur Wahrung von Gläubigerinteressen verpflichtet,166 kann nunmehr über § 43 StaRUG eine Innenhaftung der Geschäftsleiter zur Anwendung gelangen, die ausdrücklich an die „Interessen der Gesamtheit der Gläubiger“ anknüpft. Anwendung findet die Norm im präventiven Restrukturierungsrahmes unter dem StaRUG außerhalb eines Insolvenzverfahrens. Hier knüpft sie an das Pflichtenprogramm des § 32 Abs. 1 StaRUG an und geht von einer (Mit-)Verpflichtung der Geschäftsleiter als selbstverständliche Folge der Legalitätspflicht aus. Zugangsvoraussetzung zum Stabilisierungs- und Restrukturierungsrahmen sowie zu den Verfahrenshilfen ist der Eintritt der drohenden Zahlungsunfähigkeit i. S. d. § 18 InsO, § 29 Abs. 1 i. V. m. § 33 Abs. 2 S. 1 Nr. 1 StaRUG. Allerdings greift die Haftung nach § 43 StaRUG nicht bereits bei drohender Zahlungsunfähigkeit, sondern erst mit der Anhängigkeit der Restrukturierungssache. § 43 Abs. 1 S. 1 StaRUG bezieht sich – wie auch die korrespondierende Legalitätspflicht aus § 32 Abs. 1 S. 1 StaRUG – auf das Betreiben einer Restrukturierungssache und setzt für dessen Anwendung eine solche voraus. Aus der Gesetzessystematik folgt, dass der Begriff der „Restrukturierungssache“ im Sinne eines gem. § 31 Abs. 1 StaRUG beim zuständigen Restrukturierungsgericht angezeigten und damit nach § 31 Abs. 3 StaRUG zugleich rechtshängig gewordenen Restrukturierungsvorhabens zu verstehen ist.167 Das StaRUG verwendet den Begriff der „Restrukturierungssache“ ausschließlich im gerichtlichen Kontext.168 Die Verpflichtung der Geschäftsführer, ab Eintritt der drohenden Zahlungsunfähigkeit (und somit nicht erst ab materieller Insolvenz) bei Wahrnehmung der 164

RegE zum SanInsFoG vom 09. 11. 2020, BT-Drs. 19/24181, S. 29, 145 f. Thole, ZIP 2020, 1985 (1986). 166 BGH, 14. 12. 1959 – II ZR 187/57, juris Rn. 47 = NJW 1960, 285 (289); BGH, 18. 03. 1974 – II ZR 2/72, juris Rn. 8 = NJW 1974, 1088 (1089). 167 Scholz, ZIP 2021, 219 (223). 168 Scholz, ZIP 2021, 219 (223). 165

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5. Kap.: Anwendung der Qualifikations- und Abgrenzungsmaxime

Geschäftsführungsaufgaben die Interessen der Gläubigergesamtheit zu wahren, war dagegen im ursprünglichen Gesetzentwurf in §§ 2, 3 StaRUG-RegE169 geregelt. Diese Vorschriften sind jedoch in § 43 StaRUG aufgegangen, der das Pflichtenund Haftungskonzept weitestgehend übernimmt.170 § 43 StaRUG konkretisiert die Pflichten aus § 43 GmbHG unter Berücksichtigung eines Pflichtenwandels weg vom Gesellschafterinteresse hin zum Gläubigerinteresse (shift of duties). Die Streichung der §§ 2, 3 StaRUG-RegE begründete der Ausschuss für Recht und Verbraucherschutz des Bundestages mit den bereits bestehenden gesellschaftsrechtlichen Pflichten und Haftungsregelungen, die etwaige Haftungslücken auffangen würden; bei Rechtshängigkeit der Restrukturierungssache sei hingegen eine ausdrückliche Ausrichtung auf das Gläubigerinteresse erforderlich.171 1. Qualifikation Nach hier vertretener Auffassung ist Voraussetzung für die insolvenzrechtliche Qualifikation präventiv wirkender Vorschriften, dass sie tatbestandlich, spätestens aber mit ihren Rechtsfolgen an den gemeinsamen Bezugspunkt der materiellen Insolvenz geknüpft sind.172 Die Verfahren unter dem präventiven Restrukturierungsrahmen im Vorfeld der Insolvenz knüpfen jedoch nicht an die materielle Insolvenz an und werden grundsätzlich auch nicht öffentlich geführt. Das öffentliche Betreiben der Restrukturierungssache ermöglichen die am 17. 07. 2022 in Kraft tretenden Vorschriften der §§ 84 ff. StaRUG.173 In diesem Fall überwiegen die Merkmale eines Insolvenzverfahrens i. S. d. Art. 1 Abs. 1 EuInsVO.174 Da in Deutschland zudem beabsichtigt ist, die öffentlich geführten Restrukturierungssachen unter dem Rahmen des StaRUG zum Anhang A der EuInsVO anzumelden,175 kommt spätestens ab dem Zeitpunkt der Anmeldung die lex fori concursus zur Anwendung.

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RegE zum SanInsFoG vom 09. 11. 2020, BT-Drs. 19/24181, S. 14, 105 ff. Schulz/Rüsing, NZI 2021, 76 (77). 171 Bericht des Ausschusses für Recht und Verbraucherschutz des Bundestages, BT-Drs. 19/ 25353 (Vorabfassung), S. 6, 8; Guntermann, WM 2021, 214. 172 Zur Anknüpfung an die Insolvenz als materielle Qualifikationsvoraussetzung oben Kap. 3 § 6 C. III.; zur Begrenzung der präventiven Konzeption durch die materielle Insolvenz oben Kap. 4 § 8 B. II. 1. b) bb). 173 Art. 25 Abs. 3 Nr. 1 StaRUG. 174 Ausführlich zur Frage nach der Einbeziehung des präventiven Restrukturierungsrahmens unter die Brüssel Ia-VO oder die EuInsVO oben Kap. 4 § 8 B. II. 1. b) aa). 175 RegE zum SanInsFoG vom 09. 11. 2020, BT-Drs. 19/24181, S. 178. Hierzu auch Schluck-Amend/Hefner, ZRI 11/2020, 570 (572); Thole, ZIP 2020, 1985 (1998). 170

§ 11 Qualifikation und Einordnung nationaler Haftungsinstrumente

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a) Qualifikation des Haftungstatbestandes Das für das StaRUG im Anwendungsbereich von Brüssel Ia-VO und EuInsVO gefundene Ergebnis176 ist auf die Haftung wegen der Verletzung der Pflicht zur Wahrung der Interessen der Gesamtheit der Gläubiger nach § 43 Abs. 1 S. 2 StaRUG zu übertragen. Auch wenn bereits bei drohender Zahlungsunfähigkeit Gläubigerinteressen erkennbar gefährdet177 sind, greift die Haftung erst ab Rechtshängigkeit. Dafür ist die Anzeige des Restrukturierungsvorhabens beim zuständigen Restrukturierungsgericht (§ 31 Abs. 3 StaRUG) erforderlich. Mit der Haftung wird sodann ein gläubigerschädigendes Verhalten zum Zwecke der Haftungsverwirklichung sanktioniert. Dessen ungeachtet ist weiter erforderlich, dass gleichsam der Verfahrensgrundsatz der par conditio creditorum verwirklicht wird. In § 43 Abs. 1 S. 1 StaRUG wird die Geschäftsleitung ausdrücklich zur Wahrung der Gesamtheit der Gläubigerinteressen verpflichtet. Auch wenn mit der Rechtsprechung des EuGH davon auszugehen ist, dass ein der Gläubigergesamtheit zugutekommender Anspruch keine insolvenzrechtliche Qualifikationsvoraussetzung darstellt, spricht das Erfordernis zur Wahrung der gesamten Gläubigerinteressen doch auch dafür, dass die Gleichbehandlung und gemeinschaftliche Befriedigung im Interesse aller Gläubiger zu berücksichtigen sind. Die hervorgehobene Verpflichtung folgt aus der Ausrichtung der Instrumente des präventiven Restrukturierungsrahmens. Mit diesen lassen sich Eingriffe in die Rechtspositionen der Gläubiger bewirken, welche dadurch unweigerlich gefährdet sind. Aus der normativen Betonung der Gläubigerinteressen kann insoweit abgeleitet werden, dass der Haftungsanspruch der Absicherung der insolvenztypischen Zwecke in Form der Haftungsverwirklichung und gleichzeitig dem Grundsatz der par conditio creditorum genügt. Ersatzfähig ist der Gesamtschaden der Gläubiger.178 Da der Anspruch aus § 43 Abs. 1 S. 2 StaRUG allein bei rechtshängig gewordenen Restrukturierungsvorhaben im gerichtlichen Kontext zur Anwendung gelangt, besteht zwar grundsätzlich eine prozessuale Verbindung. Diese allein ist aber nicht ausreichend für eine abschließende Zuordnung zum Insolvenzverfahren und seinen Wirkungen i. S. d. Art. 7 Abs. 1 EuInsVO. Zwar steht die Vorwirkung eines Anspruchs auf den Zeitraum vor Eröffnung des Insolvenzverfahrens einer insolvenzrechtlichen Qualifikation nicht entgegen. Zwingend erforderlich ist jedoch die Öffentlichkeit i. S. d. Art. 1 Abs. 1 EuInsVO. Die EuInsVO geht von Publizität aus. Diese ist hier trotz gerichtlicher Beteiligung nicht notwendigerweise gegeben. Der Schuldner kann ein berechtigtes Interesse daran haben, dass die Restrukturierung nicht öffentlich durchgeführt wird. Dieses Interesse wird durch die Regelungen des StaRUG gestützt. Dadurch ist nicht zuletzt auch die betreffende Innenhaftung berührt. Wie bereits erwähnt, ist für die insolvenzrechtliche Qualifi176

Oben Kap. 5 § 11 D. I. 2. RegE zum SanInsFoG vom 09. 11. 2020, BT-Drs. 19/24181, S. 146; Bitter, ZIP 2021, 321 (332); Thole, ZIP 2020, 1985 (1987). 178 Bericht des Ausschusses für Recht und Verbraucherschutz des Bundestages, BT-Drs. 19/ 25353 (Vorabfassung), S. 8; Bitter, ZIP 2021, 321 (333 f.). 177

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5. Kap.: Anwendung der Qualifikations- und Abgrenzungsmaxime

kation präventiv wirkender Vorschriften außerdem Voraussetzung, dass sie tatbestandlich, spätestens aber mit ihren Rechtsfolgen, an den gemeinsamen Bezugspunkt der materiellen Insolvenz geknüpft sind. Die Haftung ist im hier betreffenden Zusammenhang jedoch unabhängig vom Vorliegen der materiellen Insolvenz. Als unschädlich erweist sich dieser Umstand erst bei öffentlich geführter Restrukturierungssache. In der Konsequent ist für die Qualifikation des § 43 Abs. 1 S. 2 StaRUG danach zu differenzieren, ob die Restrukturierungssache öffentlich betrieben wird. Bei fehlender Öffentlichkeit sind die Anwendungsbereiche der Brüssel Ia-VO und der Rom II-VO betroffen. Der Begriff der „Zivil- und Handelssachen“ wird als eigenständiger Begriff des Unionsrechts von den Verordnungen einheitlich ausgelegt.179 Die Einordnung als Zivilsache i. S. d. Art. 1 Abs. 1 S. 1 Brüssel Ia-VO und i. S. d. Art. 1 Abs. 1 S. 1 Rom II-VO gilt dabei ausnahmslos bis zum 17. 07. 2022. Ab diesem Zeitpunkt wird das öffentliche Betreiben der Restrukturierungssache durch das Inkrafttreten der §§ 84 ff. StaRUG überhaupt erst ermöglicht. Kommt die Haftung danach im Rahmen einer öffentlich geführten Restrukturierungssache zur Anwendung, ist sie insolvenzrechtlich zu qualifizieren. b) Folgen der Zuordnung Bei öffentlicher Restrukturierungssache unterfällt der Haftungstatbestand dem Insolvenzstatut. Daraus folgt die Anknüpfung an das Recht des Staates der Verfahrenseröffnung gem. Art. 7 Abs. 1 EuInsVO. Die Haftung aus § 43 Abs. 1 S. 2 StaRUG gehört in diesem Fall zum materiellen Insolvenzrecht und erstreckt sich gem. Art. 3, 7 EuInsVO auf die Geschäftsleiter EU-ausländischer Kapitalgesellschaften mit Verwaltungssitz im Inland, die hierzulande ein Restrukturierungsverfahren unter dem StaRUG durchlaufen. Im Falle der Nichtöffentlichkeit ist der Anspruch dem Deliktsstatut zuzuordnen. 2. Beschränkung der Niederlassungsfreiheit Nach Art. 49 Abs. 2 AEUV berechtigt die Niederlassungsfreiheit zu Erwerbstätigkeiten „nach den Bestimmungen des Aufnahmestaats für seine eigenen Angehörigen“. Zu diesen Bestimmungen zählen das Delikts- und Insolvenzrecht.180 Für beide Bereiche ist daher relevant, ob das Haftungsinstrument als eine rein tätigkeitsbezogene Vorschrift klassifiziert werden kann. Bei Bejahung sowohl der deliktsrechtlichen als auch der insolvenzrechtlichen Qualifikation liegt der Schwer179 MüKo-BGB/Junker, Bd. 13, Außervertragliche Schuldverhältnisse, Rom II-VO Art. 1 Rn. 4; Lund, in: jurisPK-BGB, Rom II-VO Art. 1 Rn. 8; BeckOK-BGB/Spickhoff, Rom II-VO Art. 1 Rn. 3. 180 MüKo-BGB/Kindler, Bd. 13, Internationales Handels- und Gesellschaftsrecht Rn. 436 ff., Internationales Insolvenzrecht, EuInsVO Art. 7 Rn. 84.

§ 11 Qualifikation und Einordnung nationaler Haftungsinstrumente

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punkt der Vorschrift des § 43 Abs. 1 S. 2 StaRUG nicht im gründungsbezogenen Gesellschaftsrecht. Vielmehr knüpft die Regelung erst nach der Gründung einer Gesellschaft an deren Aktivität an. Sie wirkt damit nicht korporativ, sondern rein tätigkeitsbezogen. Unabhängig von der Qualifikation kann ihr ein reaktiver Charakter zugeschrieben werden. In der Anwendung der Haftung liegt im hier betreffenden Zusammenhang also kein Verstoß gegen die Niederlassungsfreiheit. Als Vorschrift des allgemeinen Verkehrsrechts gestaltet sie lediglich den Rechtsrahmen für den Geschäftsverkehr. Die Regelung differenziert weder rechtlich noch tatsächlich zwischen In- und Auslandsgesellschaft. Sie wirkt nichtdiskriminierend und es handelt sich bei § 43 Abs. 1 S. 2 StaRUG um eine einfachbelastende Regelung. 3. Statutenwechsel durch Verlegung des COMI Die Verlegung des COMI führt regelmäßig nur zu einer Änderung des Insolvenzstatuts. Das Gesellschafts- oder Deliktsstatuts ändert sich hierdurch nicht. Der durch die Verlegung des COMI bewirkte Wechsel des Insolvenzstatuts betrifft nur insolvenzrechtlich qualifizierte Ansprüche, nicht aber solche, die deliktsrechtlich zu qualifizieren sind. Die Frage nach dem Statutenwechsel bezieht sich insoweit allein auf die insolvenzrechtliche Qualifikation des § 43 Abs. 1 S. 2 StaRUG. a) Anwendbares Recht Auch für den Haftungsanspruch unter dem StaRUG ist die Eröffnung eines Insolvenzverfahrens entgegen des Wortlauts des Art. 7 Abs. 1 EuInsVO nicht relevant. Vielmehr kommt es hier auf den Zeitpunkt des Antrags auf öffentliche Bekanntmachung gem. §§ 84 ff. StaRUG an: Verlegt eine EU-Gesellschaft, die hierzulande eine Restrukturierungssache unter dem StaRUG betreibt und deren COMI sich zum Zeitpunkt der Verwirklichung der Anspruchsvoraussetzungen in Deutschland befindet, ihr COMI nach Beantragung und Stattgabe des öffentlichen Betreibens der Restrukturierungssache ins europäische Ausland, und wird dort schließlich die Restrukturierungssache auf Grundlage des ausländischen präventiven Restrukturierungsrahmens weiter betrieben, ist die Handhabung des Anspruchs zu klären. Bei § 43 Abs. 1 S. 2 StaRUG handelt es sich um einen abgeschlossenen Tatbestand. Der Anspruch entsteht in dieser Konstellation bereits vor dem Statutenwechsel mit der Herstellung der Öffentlichkeit und durch das Erfüllen aller formellen und materiellen Voraussetzungen. In der Folge unterfällt er dem alten – in diesem Falle deutschen – Statut, das von der COMI-Verlegung unberührt bleibt. Sofern der Anspruch im Falle der Nichtöffentlichkeit dem Deliktsstatut zuzuordnen ist, ist für die Bestimmung des anwendbaren Rechts grundsätzlich auf die allgemeine Kollisionsnorm des Art. 4 Rom II-VO abzustellen. Neben einer Anknüpfung an das Tatortprinzip i. S. d. Art. 4 Abs. 1 Rom II-VO kommt auch eine akzessorische Anknüpfung an das Insolvenzstatut nach Art. 4 Abs. 3 EuInsVO in

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5. Kap.: Anwendung der Qualifikations- und Abgrenzungsmaxime

Betracht.181 Dies führt in jedem Fall zur Anwendbarkeit deutschen Rechts und damit zum gleichen Ergebnis wie das der insolvenzrechtlichen Qualifikation. b) Internationale Zuständigkeit Sofern die Restrukturierungssache öffentlich betrieben wird und/oder das öffentliche Verfahren zum Anhang A der EuInsVO angemeldet ist, bestimmt sich die internationale Zuständigkeit nach Art. 6 Abs. 1 i. V. m. Art. 3 EuInsVO. Wird die Restrukturierungssache nach Verlegung des COMI auf Grundlage des EU-ausländischen präventiven Restrukturierungsrahmens weiter betrieben oder kommt es in einem anderen Mitgliedstaat zur Insolvenzverfahrenseröffnung, so ist das jeweilige ausländische Gericht für die Klage auf Grundlage des Anspruchs deutschen Rechts zuständig. In der ersten Entscheidung, die in der deutschen Restrukturierungssache ergeht, sind insoweit nicht nur die Gründe anzugeben, auf denen die internationale Zuständigkeit des Gerichts beruht. Zusätzlich bedarf es der Angabe, ob die Zuständigkeit auf Art. 3 Abs. 1 oder Abs. 2 EuInsVO beruht, § 84 Abs. 2 S. 1 Nr. 1 und Nr. 2 StaRUG. Im Falle der Nichtöffentlichkeit ist dagegen der Anwendungsbereich der Brüssel Ia-VO eröffnet. Es greift sodann das abschließende182 Zuständigkeitssystem der Brüssel Ia-VO. Für die nationale Zuständigkeitsregelungen ist mithin kein Raum. Dass die internationale Zuständigkeit für nichtöffentliche Verfahren in Deutschland nicht ausdrücklich geregelt ist, ist unschädlich. Entgegen der Ansicht, die die internationale Zuständigkeit am allgemeinen Gerichtsstand bzw. am Mittelpunkt der wirtschaftlichen Tätigkeit gem. § 35 StaRUG ausrichten möchte,183 richtet sich die Zuständigkeit autonom nach der Brüssel Ia-VO.184 Zur Bestimmung des allgemeinen Gerichtsstands des Wohnsitzes i. S. d. Art. 4 Abs. 1 Brüssel Ia-VO stehen dem Kläger für Klagen gegen Gesellschaften und juristischen Personen gem. Art. 63 Abs. 1 Brüssel Ia-VO die drei Gerichtsstände des satzungsmäßigen Sitzes, des Sitzes der Hauptverwaltung und des Sitzes der Hauptniederlassung alternativ zur Verfügung.

III. Anzeigeverschleppungshaftung Im neuen Restrukturierungsverfahren unter dem StaRUG kann es ebenfalls zu einer Haftung wegen Nichtanzeige oder nicht rechtzeitiger Anzeige der Zahlungs181 Hierzu ausführlich in Bezug auf die Insolvenzverschleppungshaftung oben Kap. 5 § 11 C. II. 3. a). 182 Noch zum EuGVÜ EuGH, 27. 02. 2002, Rs. C-37/00 (Weber), ECLI:EU:C:2002:122 Rn. 59 = NJW 2002, 1635 (1638); Eidenmüller/Frobenius, WM 2011, 1210 (1214); Skauradszun, ZIP 2019, 1501 (1506). 183 So Kern, NZI-Beilage 2021, 74 (76). 184 Zum multiplexen Zuständigkeitssystem der Brüssel Ia-VO im hier betreffenden Zusammenhang Skauradszun, ZIP 2019, 1501 (1505 ff.).

§ 11 Qualifikation und Einordnung nationaler Haftungsinstrumente

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unfähigkeit oder Überschuldung kommen. Zwar ist die Insolvenzantragspflicht während der Rechtshängigkeit der Restrukturierungssache suspendiert, § 42 Abs. 1 S. 1 StaRUG. Die Antragspflichtigen sind dennoch verpflichtet, dem Restrukturierungsgericht ohne schuldhaftes Zögern anzuzeigen, wenn die Gesellschaft während eines Restrukturierungsverfahrens zahlungsunfähig oder überschuldet wird (weil z. B. das Restrukturierungsverfahren nicht mehr aussichtsreich ist), § 42 Abs. 2 S. 2 StaRUG. Auf diese Weise wird das Gericht in die Lage versetzt, im Falle einer Insolvenzreife zu entscheiden, ob die Fortführung der Restrukturierungssache nach wie vor im Interesse der Gesamtgläubigerschaft liegt oder im Interesse der Gläubiger nach § 35 Abs. 2 S. 1 Nr. 1 StaRUG zu beenden ist.185 In aller Regel wird das Restrukturierungsgericht das Verfahren wohl aufheben, sodass sich ein Insolvenzverfahren anschließt.186 Die Insolvenzantragspflicht wird somit durch die persönliche Anzeigepflicht der Geschäftsleiter sowie der anderen nach § 15a InsO Antragspflichtigen ersetzt. In der Literatur wird die Anzeigepflicht aus § 42 Abs. 1 S. 2 StaRUG als Schutzgesetz i. S. d. § 823 Abs. 2 BGB qualifiziert. Die Verletzung der Anzeigepflicht begründet in der Folge Schadensersatzansprüche der (Neu-)Gläubiger.187 Auf Ebene der haftungsausfüllenden Kausalität sollen die Quotenschäden der Altgläubiger zu ersetzen sein. Bei Eröffnung eines Insolvenzverfahrens wäre der Insolvenzverwalter dann nach § 92 InsO befugt, die Ansprüche der Gläubiger zur Masse zu ziehen. Der Einordnung des § 42 Abs. 1 S. 2 StaRUG als Schutzgesetz i. S. d. § 823 Abs. 2 BGB ist zuzustimmen. Durch die Anzeigepflicht kann das Restrukturierungsgericht im Fall einer Insolvenzreife entscheiden, ob die Fortführung der Restrukturierungssache noch im Interesse der Gesamtgläubigerschaft liegt, deren Belange und Rechte mit dem Eintritt der Insolvenzreife unmittelbar gefährdet sind.188 Nach Zweck und Inhalt der Norm ist diese zumindest auch dazu bestimmt, den Einzelnen oder einzelne Personenkreise – in diesem Falle die verschiedenen Gesellschaftsgläubiger – gegen die Verletzung ihrer Interessen und Rechte zu schützen.189 Zum Schutz der Gläubiger enthält § 42 Abs. 1 S. 2 StaRUG explizite Pflichten der Geschäftsleitung. Damit kommt grundsätzlich eine direkte Außenhaftung des Geschäftsleiters wegen einer „Anzeigeverschleppungshaftung“ in Betracht. Sie ähnelt in ihrem Charakter dem Institut der Insolvenzverschleppungshaftung.

185 RegE zum SanInsFoG vom 09. 11. 2020, BT-Drs. 19/24181, S. 145; Gehrlein, BB 2021, 66 (75). 186 Desch, BB 2020, 2498 (2499); Gehrlein, BB 2021, 66 (75). 187 So etwa Bitter, ZIP 2021, 321 (333), andeutungsweise ders., in: Scholz, GmbHG, Bd. III, § 64 Rn. 253, 254.1 (Online-Aktualisierung vom 14. 01. 2021); Brinkmann, ZIP 2020, 2361 (2368); Gehrlein, BB 2021, 66 (75); Kranzfelder/Ressmann, ZInsO 2021, 191 (193 f.). 188 RegE zum SanInsFoG vom 09. 11. 2020, BT-Drs. 19/24181, S. 145. 189 Allgemein zum Schutzgesetzcharakter i. S. d. § 823 Abs. 2 BGB BGH, 09. 12. 2014 – VI ZR 155/14, juris Rn. 10 = NJW 2015, 1174.

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5. Kap.: Anwendung der Qualifikations- und Abgrenzungsmaxime

1. Qualifikation Bei der Anzeigeverschleppungshaftung gilt wie bei der Haftung wegen der Verletzung der Pflicht zur Wahrung der Interessen der Gläubigergesamtheit im präventiven Restrukturierungsrahmen, dass die Verfahren – und damit auch die Haftung – unter dem präventiven Restrukturierungsrahmen im Vorfeld der Insolvenz und nicht an die materielle Insolvenz anknüpfen. Insoweit kann für die Anzeigeverschleppungshaftung an dieser Stelle grundsätzlich auf die Ausführungen190 zum StaRUG im Anwendungsbereich von Brüssel Ia-VO und EuInsVO sowie auf die Qualifikation191 der Haftung nach § 43 Abs. 1 S. 2 StaRUG sinngemäß verwiesen werden. Die Anzeigepflicht aus § 42 Abs. 1 S. 2 StaRUG kommt ebenfalls während der Rechtshängigkeit der Restrukturierungssache zum Tragen. Deren öffentliches Betreiben ist in diesem Zusammenhang jedoch nicht ausschlaggebend. Zwar handelt es sich bei der Restrukturierungssache im Falle der Öffentlichkeit bzw. Anmeldung zum Anhang A der EuInsVO um ein öffentliches Gesamtverfahren i. S. d. Verordnung, Art. 1 Abs. 1 UAbs. 3 EuInsVO. Für die Wirkungen eines solchen Insolvenzverfahrens i. S. d. Art. 7 Abs. 1 EuInsVO muss es sich aber um die unmittelbare und untrennbare Folge eines solchen Verfahrens handeln. Die Anzeigeverpflichtung besteht zwar gerade deshalb, weil die Antragspflicht nach § 15a InsO gem. § 42 Abs. 1 S. 1 StaRUG während der Rechtshängigkeit der Restrukturierungssache ruht. Grundlage der Haftung wegen verspäteter oder unterlassener Anzeige der Zahlungsunfähigkeit oder Überschuldung ist daher das Restrukturierungsverfahren unter dem StaRUG. Doch auch hier soll die Anzeige des Eintritts eines Insolvenzgrundes die Gläubiger eines in Schieflage geratenen Unternehmens vor der Verschlechterung ihrer Befriedigungsmöglichkeiten schützen, die durch ein verzögertes Insolvenzverfahren hervorgerufen werden. Ihr Regelungsgehalt bezieht sich auf diese Weise seinem Schwerpunkt nach unmittelbar auf die materielle Insolvenz und auf ein sich daran anknüpfendes Insolvenzverfahren. a) Quotenschaden der Altgläubiger In Anlehnung an die Insolvenzverschleppungshaftung192 aus § 823 Abs. 2 i. V. m. § 15a Abs. 1 InsO liegt daher eine insolvenzrechtliche Qualifikation der Anzeigeverschleppungshaftung aus § 823 Abs. 2 i. V. m. § 42 Abs. 1 S. 2 StaRUG nahe – zumindest auf Ebene der haftungsausfüllenden Kausalität in Bezug auf den Quotenschaden der Altgläubiger bei späterer Insolvenzverfahrenseröffnung. Ob der BGH seine Rechtsprechung, nach der für vor Insolvenzreife begründete Verbindlichkeiten nur der Quotenschaden der Altgläubiger zu ersetzen ist, auch auf § 42 StaRUG überträgt, ist offen. Dafür spricht, dass sich die Grundsätze der Insolvenzverschleppungshaftung im Verfahren unter dem präventiven Restrukturie190 191 192

Oben Kap. 5 § 11 D. I. 2. Oben Kap. 5 § 11 D. II. 1. a). Oben Kap. 5 § 11 C. II. 1.

§ 11 Qualifikation und Einordnung nationaler Haftungsinstrumente

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rungsrahmen nicht ändern. Während der Rechtshängigkeit der Restrukturierungssache ersetzt die Anzeigepflicht der Geschäftsleiter die Insolvenzantragspflicht aus § 15a Abs. 1 bis Abs. 3 InsO. Schon daraus folgt die Vergleichbarkeit der haftungsrechtlichen Konsequenzen.193 Zudem ist die Fortführung der Restrukturierungssache trotz eingetretener Insolvenzreife nach der Anzeige nur ausnahmsweise möglich, wenn etwa die angestrebte Restrukturierung kurz vor ihrem Abschluss steht.194 Da sich daher meist ein Insolvenzverfahren anschließt, sollte die Verletzung der Anzeigepflicht auch identische Rechtsfolgen wie bei der Insolvenzverschleppungshaftung nach sich ziehen.195 Durch die verspätete Anzeige beim Restrukturierungsgericht besteht die Gefahr einer Verschlechterung der Befriedigungsmöglichkeiten der Gläubiger. Insoweit könnte man danach unterscheiden, ob Verbindlichkeiten vom Schuldnerunternehmen vor oder nach Insolvenzreife begründet werden. Für die Qualifikation des Haftungsinstruments wäre dann danach zu differenzieren, ob es sich um Neu- oder Altgläubigerschäden handelt und ob diese im Rahmen eines an das StaRUG-Verfahren anschließenden Insolvenzverfahrens verfolgt werden. Verschlechtert sich durch die Verletzung der Anzeigepflicht die Quote, welche die Altgläubiger auf ihre Forderung erhalten, und wird diese später durch den Insolvenzverwalter geltend gemacht, wird nicht nur die Funktion des Insolvenzverfahrens als Instrument der allseitigen Haftungsordnung zur kollektiven Bewältigung einer finanziellen Krisensituation unter Knappheitsbedingungen gestützt. Es wird auch ein gläubigerschädigendes Verhalten zum Zwecke der Haftungsverwirklichung sanktioniert und dabei der Verfahrensgrundsatz der par conditio creditorum realisiert. Durch die Anknüpfung an die materielle Insolvenz und die ermöglichte Haftungsverwirklichung der Schuldnergesellschaft dient der Anspruch aus § 823 Abs. 2 BGB i. V. m. § 42 Abs. 1 S. 2 StaRUG zugleich der Absicherung eines insolvenztypischen Zwecks im unionsrechtlichen Sinne. b) Quotenschaden für Neugläubiger? Anders könnte sich dies bei Individualschäden sowohl der Neu- als auch Altgläubiger darstellen. Nimmt man eine funktionale und systematische Vergleichbarkeit mit der Insolvenzverschleppungshaftung an, würde bei normzweckorientierter Gesamtbetrachtung die deliktsrechtliche Qualifikation überwiegen. Unterstellt man ferner, dass der Anspruch in diesem Fall nicht zugleich der par conditio creditorum dient, scheitert in der Folge eine insolvenzrechtliche Zuordnung der

193

Bitter, ZIP 2021, 321 (333). RegE zum SanInsFoG vom 09. 11. 2020, BT-Drs. 19/24181, S. 139; Gehrlein, BB 2021, 66 (75); Proske/Streit, NZI 2020, 969 (971). 195 Dafür auch Bitter, ZIP 2021, 321 (333); Brinkmann, ZIP 2020, 2361 (2368); Gehrlein, BB 2021, 66 (75). 194

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5. Kap.: Anwendung der Qualifikations- und Abgrenzungsmaxime

Haftung.196 Dies gilt unabhängig davon, ob die Restrukturierungssache öffentlich betrieben wird oder nicht. Stellt man jedoch die Anzeigepflicht nach § 42 Abs. 1 S. 2 StaRUG der Antragspflicht nach § 15a Abs. 1 S. 1 InsO gegenüber, lässt sich ein partieller Unterschied in der Wirkungsrichtung der beiden Verpflichtungen ausmachen. Für Neugläubiger kann dadurch ein Gleichlauf zwischen der Anzeige- und Insolvenzverschleppungshaftung nicht automatisch angenommen werden. Die Pflicht zur Stellung eines Insolvenzantrages soll die Gläubiger eines in Schieflage geratenen Unternehmens vor der Verschlechterung ihrer Befriedigungsmöglichkeiten schützen sowie den Geschäftsverkehr vor überschuldeten Kapitalgesellschaften. Dazu kann nicht selten die Liquidation des betroffenen Unternehmens erforderlich werden. Die Anzeigepflicht verfolgt vor dem Hintergrund des präventiven Restrukturierungsrahmens dagegen eine – in Teilen – andere Zielrichtung. Sie dient vor allem dem Schutz des Rechtsverkehrs davor, mit materiell insolventen Unternehmen in Kontakt zu kommen. Ziel und Folge der Anzeigepflicht ist weniger noch als bei der Antragspflicht das Verschwinden kriselnder Unternehmen vom Markt. Denn im Zeitraum zwischen der Anzeige nach § 42 Abs. 1 S. 2 StaRUG und einer etwaigen tatsächlichen Eröffnung eines Insolvenzverfahrens wird mittels der Instrumente des präventiven Restrukturierungsrahmens weiter versucht, die Sanierung von Unternehmen erfolgreich voranzutreiben und zu beenden. Das Gericht hat hier die Möglichkeit, im Falle der Insolvenzreife zu entscheiden, ob die Fortführung der Restrukturierungssache nach wie vor im Interesse der Gesamtgläubigerschaft liegt oder im Interesse der Gläubiger zu beenden ist. Die Fortführung der Restrukturierungssache ist trotz eingetretener Insolvenzreife und nach der Anzeige jedenfalls tragbar, sofern die angestrebte Restrukturierung kurz vor ihrem Abschluss steht. Vor diesem Hintergrund kann man nicht bedingungslos von einer Kausalität der in der unterlassenen Anzeige liegenden Pflichtverletzung für den Schaden der Neugläubiger ausgehen. Neugläubiger, die nach Eintritt der Insolvenzreife eine Rechtsbeziehung mit einem sich unter dem präventiven Restrukturierungsrahmen befindenden Unternehmen eingehen, können von der Sanierung durch das Restrukturierungsverfahren unter dem StaRUG ebenfalls profitieren. Da das StaRUG-Verfahren zum Zeitpunkt der Pflichtverletzung noch nicht abgeschlossen ist, kann ein Vertrauensschaden in diesem Stadium jedenfalls noch nicht sicher angenommen werden. Die unter dem Restrukturierungsrahmen getroffenen Maßnahmen entfalten ihre Wirkung auch über den Zeitpunkt des Eintritts der materiellen Insolvenz hinaus. Dabei steht es im Ermessen des Gerichts, ob es das Restrukturierungsverfahren noch für ausreichend hält. Aus der Schutzrichtung des § 42 Abs. 1 S. 2 StaRUG und der allgemeinen Konzeption des präventiven Restrukturierungsrahmens unter dem StaRUG folgt für die Rechtsfolgenseite insoweit die systematische Vergleichbarkeit von Alt- und Neugläubigern. Geht ein Vertragspartner im hier betreffenden Zusammenhang eine Rechtsbeziehung mit einem Unternehmen im Zeitraum zwischen 196

Zur Insolvenzverschleppungshaftung oben Kap. 5 § 11 C. II. 1. b) und c).

§ 11 Qualifikation und Einordnung nationaler Haftungsinstrumente

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dem Eintritt der Insolvenzreife und der späteren Insolvenzverfahrenseröffnung ein, ist in der Konsequenz ein Quotenschaden auch für Neugläubiger anzunehmen. Voraussetzung ist, dass ein Geschäftsleiter die Pflicht zur Anzeige der während des Restrukturierungsverfahrens eintretenden Zahlungsunfähigkeit oder Überschuldung verletzt und es aufgrund dessen später zu einer Verschlechterung der Quote kommt. Hiervon betroffen sind dann sowohl die Alt- als auch die Neugläubiger gleichermaßen. Mangels haftungsausfüllender Schadenskausalität führt die unterlassene Anzeige nicht zum Ersatz des negativen Interesses der Neugläubiger im präventiven Restrukturierungsrahmen. Für diese entfaltet der Rahmen ein hinreichend schützendes Umfeld, das eine Gleichstellung zu rechtfertigen vermag. So spricht letztlich auch hier die Annahme der allseitigen Haftungsordnung zur kollektiven Bewältigung einer finanziellen Krisensituation unter Knappheitsbedingungen für eine insolvenzrechtliche Qualifikation des Anspruchs. Die Beschriebenen Besonderheiten wirken sich mithin auf die Qualifikation der Anzeigeverschleppungshaftung über die Geltendmachung des Gesamtschadens nach § 92 InsO aus. 2. Folgen der Zuordnung Die Anzeigeverschleppungshaftung unterfällt in Bezug auf den Gesamtschaden der Altgläubiger aufgrund ihrer insolvenzrechtlichen Qualifikation dem Insolvenzstatut. Sie gehört mithin zum materiellen Insolvenzrecht und ist an das Recht des Staates der (hypothetischen) Verfahrenseröffnung geknüpft. Die Haftung betrifft demzufolge auch die Geschäftsleiter von EU-Auslandsgesellschaften, deren COMI in Deutschland belegen ist, und die hierzulande ein Restrukturierungsverfahren unter dem StaRUG durchlaufen. Gleiches gilt, sofern man die Anzeigeverschleppungshaftung – wie hier – auch hinsichtlich des Quotenschadens der Neugläubiger insolvenzrechtlich qualifizieren möchte. Geht man dagegen diesbezüglich von einer deliktsrechtlich qualifizierten Haftung aus, bestimmt sich das anwendbare Recht nach der allgemeinen Kollisionsnorm des Art. 4 Rom II-VO. Die deliktsrechtliche Qualifikation greift – parallel zur Insolvenzverschleppungshaftung197 – auch bei individueller Durchsetzung des Anspruchs durch Alt- und Neugläubiger. In diesen Fällen gelangt man über Art. 4 Rom II-VO ebenfalls zur Anwendung deutschen Rechts. 3. Beschränkung der Niederlassungsfreiheit In der Anwendung des Haftungsinstruments auf Geschäftsleiter EU-ausländischer Gesellschaften liegt keine Beschränkung der Niederlassungsfreiheit. Auch hier verhält es sich wie mit den vorherigen insolvenz- und deliktsrechtlich qualifizierten Haftungsregelungen. Der Marktzugang ist nicht betroffen. Als Vorschrift des allgemeinen Verkehrsrechts gestaltet die Insolvenzverursachungshaftung den Rechts197

Oben Kap. 5 § 11 C. II. 1. b) und d).

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5. Kap.: Anwendung der Qualifikations- und Abgrenzungsmaxime

rahmen für den Geschäftsverkehr. Sie wirkt darüber hinaus nichtdiskriminierend und einfachbelastend. Bei deliktsrechtlich qualifizierter Haftung würde dies ebenso gelten. Nimmt man einen beschränkenden Charakter der Regelung an, wäre die Anwendung gerechtfertigt.198 4. Statutenwechsel durch Verlegung des COMI Die Frage nach dem Statutenwechsel bezieht sich eigens auf die insolvenzrechtliche Qualifikation des § 42 Abs. 1 S. 2 StaRUG. Im Zusammenhang mit einem Verfahren unter dem StaRUG ist die Handhabung des Anspruchs unter folgender Voraussetzung zu erörtern: Eine EU-Gesellschaft, die hierzulande eine Restrukturierungssache unter dem StaRUG betreibt und deren COMI sich zum Zeitpunkt der Verwirklichung der Anspruchsvoraussetzungen in Deutschland befand, verlegt diesen später ins europäische Ausland. Dort wird die Restrukturierungssache auf Grundlage des ausländischen präventiven Restrukturierungsrahmens erneut bzw. weiter betrieben. Alternativ kommt es dort schließlich zur Eröffnung eines Insolvenzverfahrens. a) Anwendbares Recht Im Gegensatz zur Haftung aus § 43 Abs. 1 S. 2 StaRUG kommt es bei der Anzeigeverschleppungshaftung nicht auf den Zeitpunkt des Antrags auf öffentliche Bekanntmachung der Restrukturierungssache gem. §§ 84 ff. StaRUG an. Die Haftung aus § 823 Abs. 2 BGB i. V. m. § 42 Abs. 1 S. 2 StaRUG bezieht sich zwar ebenfalls auf den Zeitraum des Betreibens der Restrukturierungssache und steht damit in einer Abhängigkeit zum Verfahren unter dem StaRUG. Haftungsinhalt und -umfang entsprechen jedoch (unter dem Blickwinkel des Quotenschadens) funktional dem der Insolvenzverschleppungshaftung. Dadurch gelangt der Anspruch losgelöst vom öffentlichen Betreiben der Restrukturierungssache zur Anwendung. Auch hier bildet die COMI-Verlegung die Zäsur für die zeitliche Aufspaltung in der rechtlichen Beurteilung der insolvenzrechtlich qualifizierten Anzeigeverschleppungshaftung. Auf Ansprüche, die insolvenzrechtlich zu qualifizieren sind und im Zeitraum vor der Verlegung des COMI unter dem Recht des früheren COMIStaates entstanden sind (abgeschlossener Tatbestand), ist das Recht des Wegzugstaates anzuwenden, auch wenn in diesem nie ein Insolvenzverfahren eröffnet wurde oder die Restrukturierungssache aufgehoben wurde. Es kommt so zu einer Beurteilung nach der alten lex fori concursus ungeachtet einer Sitzverlegung. Der Gesamtschaden der Gläubiger ist folglich gem. § 823 Abs. 2 BGB i. V. m. § 42 Abs. 1 S. 2 StaRUG im ausländischen Insolvenzverfahren geltend zu machen. Sollte dort statt eines Insolvenzverfahrens die Restrukturierungssache (öffentlich) weiter betrieben werden, wäre der Anspruch unabhängig davon durchzusetzen. Bei Annahme 198

Oben Kap. 5 § 11 C. II. 2.

§ 11 Qualifikation und Einordnung nationaler Haftungsinstrumente

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einer deliktsrechtlichen Qualifikation des Anspruchs der Neugläubiger regelt die allgemeine Kollisionsnorm des Art. 4 Rom II-VO das anwendbare Recht. Dies führt grundsätzlich zu einem mit der insolvenzrechtlichen Qualifikation übereinstimmenden Ergebnis. b) Internationale Zuständigkeit Mit Blick auf Zuständigkeitsfrage verhält es sich hier wie bei der Insolvenzverschleppungshaftung. Bei insolvenzrechtlicher Qualifikation im Falle des Gesamtschadens der Gläubiger ist zuständigkeitsrechtlich von einem Annexverfahren i. S. d. Art. 6 Abs. 1 EuInsVO auszugehen. Demnach ist für die Klage des Insolvenzverwalters zur Geltendmachung des Gesamtschadens das Gericht des Mitgliedstaates zuständig, in dessen Hoheitsgebiet das Insolvenzverfahren nach Art. 3 EuInsVO eröffnet worden ist. Das ausländische Gericht des Staates der Verfahrenseröffnung entscheidet in diesem Fall über den Anspruch nach deutschem Recht. Klagt dagegen ein Alt- oder Neugläubiger seinen Quotenschaden außerhalb eines Insolvenzverfahrens ein, richtet sich die internationale Zuständigkeit nach dem abgeschlossenen Zuständigkeitssystem gem. Art. 4 ff. i. V. m. Art. 63 Brüssel Ia-VO. Neben einer materiell-rechtlichen Statutenspaltung kann es also auch prozessual zu einer Spaltung der gerichtlichen Zuständigkeiten kommen.

IV. Geschäftsleiterhaftung bei der Erwirkung gerichtlicher Stabilisierungsanordnungen aufgrund unrichtiger Angaben Das Haftungsregime des StaRUG wird durch die spezifische Haftungsregel des § 57 StaRUG zugunsten der Gläubiger ergänzt. Danach haften Geschäftsleiter auch dann, wenn Gläubiger dadurch einen Schaden erleiden, dass Stabilisierungsanordnungen aufgrund vorsätzlich oder fahrlässig unrichtiger Angaben durch die Geschäftsleiter erwirkt wurden, § 57 S. 1 StaRUG. Für die verschuldensabhängige Außenhaftung reicht bereits einfache Fahrlässigkeit aus. Die Schwelle zur persönlichen Haftung ist demzufolge recht niedrig angesetzt. Soweit es zur Erhaltung des Restrukturierungsziels erforderlich ist, ordnet das Restrukturierungsgericht auf Antrag des Schuldners eine Vollstreckungs- und/oder Verwertungssperre (sog. Stabilisierungsanordnung) i. S. d. § 49 StaRUG an. Diese kann das Gericht in Bezug auf Aus- oder Absonderungsrechte für das bewegliche (§ 49 Abs. 1 Nr. 2 StaRUG) oder das unbewegliche (§ 30g ZVG) Vermögen erlassen, und zwar für einzelne oder für alle (§ 73 Abs. 1 S. 1 Nr. 2 StaRUG) Gläubiger.199 In der Folge werden Maßnahmen der Zwangsvollstreckung gegen den Schuldner untersagt oder einstweilen eingestellt. Rechte an Vermögensgegenständen, die im Insolvenzverfahren als Ab199

Bork, NZI-Beilage 2021, 38 (39).

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5. Kap.: Anwendung der Qualifikations- und Abgrenzungsmaxime

und Aussonderungsrecht geltend gemacht werden könnten, dürfen von den Gläubigern nicht weiter durchgesetzt werden. Entsprechende Gegenstände können vom Schuldner allerdings weiter eingesetzt werden, soweit sie zur Fortführung des Unternehmens von erheblicher Bedeutung sind. Die Stabilisierungsanordnung kann grundsätzlich für einen Zeitraum von bis zu drei Monaten angeordnet werden. Durch etwaige Folge- oder Neuanordnungen kann die Maßnahme auf insgesamt maximal acht Monate verlängert werden. In das Gesetz aufgenommen wurde die verschuldensabhängige Haftung, weil der Stabilisierungsanordnung nach § 49 StaRUG keine vollumfängliche gerichtliche Prüfung vorangeht.200 1. Qualifikation Da die Haftung wegen der Erwirkung gerichtlicher Stabilisierungsanordnungen aufgrund unrichtiger Angaben – im Gegensatz zur Anzeigeverschleppungshaftung – in unmittelbarem Zusammenhang mit dem StaRUG-Verfahren zur Anwendung gelangt, bestimmt sich die Qualifikation der Geschäftsleiterhaftung aus § 57 S. 1 StaRUG nach denselben Grundsätzen wie die Einordnung der Haftung aus § 43 Abs. 1 S. 2 StaRUG.201 Im Falle des öffentlichen Betreibens der Restrukturierungssache handelt es sich beim präventiven Stabilisierungs- und Restrukturierungsrahmen um ein Gesamtverfahren i. S. d. EuInsVO. Bei fehlender Öffentlichkeit ist dagegen wegen des komplementären Verhältnisses von EuInsVO und Brüssel IaVO der Anwendungsbereich letzterer Verordnung betroffen. Dieses allgemeine Ergebnis lässt sich auf das Haftungsinstrument übertragen. Auch wenn bei drohender Zahlungsunfähigkeit Gläubigerinteressen bereits unmittelbar gefährdet202 sind, greift die Haftung erst ab Rechtshängigkeit der Restrukturierungssache, §§ 49 Abs. 1, 50 StaRUG. Mit der Haftung wird sodann ein gläubigerschädigendes Verhalten zum Zwecke der Haftungsverwirklichung sanktioniert, sofern durch die unberechtigten Stabilisierungsmaßnahmen zivil- und vollstreckungsrechtliche Ansprüche der Gläubiger beeinträchtigt werden. Da es sich insoweit aber meist um individuelle Schäden handeln dürfte, denen oftmals sogar ein Vorteil der Gläubigergesamtheit durch Vergrößerung der Schuldnermasse gegenübersteht,203 wird der Verfahrensgrundsatz der par conditio creditorum durch die Haftung nicht verwirklicht. Dass ein Anspruch nicht der Gläubigergesamtheit zugutekommt, steht der insolvenzrechtlichen Qualifikation zwar entgegen. Das Insolvenzverfahren nach der EuInsVO zielt jedoch als Kollektivverfahren auf die gleichmäßige Befriedigung aller Gläubiger. Dementsprechend macht es einen Unterschied, ob sich die Stabilisierungsmaßnahmen gegen alle Gläubigergruppen 200

Gehrlein, BB 2021, 66 (74). Dazu oben Kap. 5 § 11 D. II. 1. 202 So etwa RegE zum SanInsFoG vom 09. 11. 2020, BT-Drs. 19/24181, S. 146; Bitter, ZIP 2021, 321 (332); Thole, ZIP 2020, 1985 (1987). 203 Weber/Dömmecke, NZI-Beilage 2021, 27 (29). 201

§ 11 Qualifikation und Einordnung nationaler Haftungsinstrumente

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richten oder nur einzelne davon betroffen werden. Darüber hinaus ist aber auch die prozessuale Verbindung des Haftungsanspruchs aus § 57 S. 2 StaRUG nicht ausreichend für eine abschließende Zuordnung zum Insolvenzverfahren und seinen Wirkungen i. S. d. Art. 7 Abs. 1 EuInsVO. Zwar steht die Vorwirkung eines präventiv wirkenden Anspruchs auf den Zeitraum vor Eröffnung des Insolvenzverfahrens einer insolvenzrechtlichen Qualifikation nicht entgegen. Zwingend erforderlich ist dann jedoch die Öffentlichkeit i. S. d. Art. 1 Abs. 1 EuInsVO sowie die Anknüpfung an den Bezugspunkt der materiellen Insolvenz. Die Öffentlichkeit ist hier trotz gerichtlicher Beteiligung nicht notwendigerweise gegeben – etwa dann, wenn der Schuldner die Restrukturierung im Stillen durchführt und daher keinen Antrag nach § 84 StraRUG stellt. Ferner hängt die Haftung im hier betreffenden Zusammenhang nicht vom Vorliegen der materiellen Insolvenz ab. Als unschädlich erweist sich dieser Umstand erst bei öffentlich geführter Restrukturierungssache. In der Konsequent ist für die Qualifikation des § 57 S. 2 StaRUG danach zu differenzieren, ob die Restrukturierungssache öffentlich betrieben wird und in den Anhang A zur EuInsVO aufgenommen wurde. Bei fehlender Öffentlichkeit sind die Anwendungsbereiche der Brüssel Ia-VO und der Rom II-VO betroffen. Die Einordnung als Zivilsache i. S. d. Art. 1 Abs. 1 S. 1 Rom II-VO und i. S. d. Art. 1 Abs. 1 S. 1 Brüssel Ia-VO gilt dabei ausnahmslos bis zum 17. 07. 2022. Ab diesem Zeitpunkt wird das öffentliche Betreiben der Restrukturierungssache durch das Inkrafttreten der §§ 84 ff. StaRUG überhaupt erst ermöglicht. Spätestens mit der Aufnahme in den Anhang A der EuInsVO handelt es sich bei einem öffentlich betriebenen StaRUGVerfahren um ein öffentliches Gesamtverfahren i. S. d. Verordnung, Art. 1 Abs. 1 UAbs. 3 EuInsVO. In diesem Fall ist der Anwendungsbereich der EuInsVO eröffnet. Nach Art. 7 Abs. 1 EuInsVO muss es sich für die Wirkungen des Insolvenzverfahrens um die unmittelbare und untrennbare Folge eines solchen Verfahrens handeln. Grundlage der Haftung aus § 57 S. 2 StaRUG ist das präventive Restrukturierungsverfahren, in welchem die Stabilisierungsanordnung erwirkt werden kann. Der Regelungsgehalt der Norm bezieht sich insoweit allein auf das Stabilisierungsinstrument und führt auf diese Weise zu einer unmittelbaren und untrennbaren Verbindung mit dem StaRUG-Verfahren. Kommt die Haftung in diesem Kontext zur Anwendung, ist sie insolvenzrechtlich zu qualifizieren. Die Einordnung fußt in diesem Fall auf der Gesetzessystematik und der formellen Entscheidung des Gesetzund Verordnungsgebers, auch wenn die entwickelten Qualifikationskriterien diesem Ergebnis entgegenstehen. 2. Folgen der Zuordnung Allein bei öffentlich betriebener Restrukturierungssache und gleichzeitiger Aufnahme des StaRUG-Verfahrens zum Anhang A der EuInsVO unterfällt der Haftungstatbestand dem Insolvenzstatut. Für die Haftung aus § 57 S. 1 StaRUG kommt es dann zur Anknüpfung an das Recht des Staates der Verfahrenseröffnung. Sie erstreckt sich damit auch auf die Geschäftsleiter EU-ausländischer Kapitalge-

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5. Kap.: Anwendung der Qualifikations- und Abgrenzungsmaxime

sellschaften mit Verwaltungssitz im Inland, die hierzulande ein Restrukturierungsverfahren unter dem StaRUG durchlaufen. Im Falle der Nichtöffentlichkeit ist der Anspruch dem Deliktsstatut zuzuordnen. 3. Beschränkung der Niederlassungsfreiheit Nach Art. 49 Abs. 2 AEUV berechtigt die Niederlassungsfreiheit zur Aufnahme und Ausübung selbstständiger Erwerbstätigkeiten „nach den Bestimmungen des Aufnahmestaats für seine eigenen Angehörigen“. Zu diesen Bestimmungen sind die Normen des Delikts- und Insolvenzrechts zu zählen. Für beide Bereiche ist daher entscheidend, ob das Haftungsinstrument als eine rein tätigkeitsbezogene Vorschrift klassifiziert werden kann. Bei Bejahung sowohl der deliktsrechtlichen als auch der insolvenzrechtlichen Qualifikation liegt der Schwerpunkt der Vorschrift des § 57 S. 2 StaRUG nicht im gründungsbezogenen Gesellschaftsrecht. Auch hier knüpft die Regelung erst nach der Gründung einer Gesellschaft an deren Aktivität an. Sie wirkt daher nicht korporativ, sondern rein tätigkeitsbezogen. Ihr kann unabhängig von der Qualifikation ein reaktiver Charakter zugeschrieben werden. Als Vorschrift des allgemeinen Verkehrsrechts betrifft sie zudem allein den Geschäftsverkehr, für den sie weder rechtlich noch tatsächlich zwischen In- und Auslandsgesellschaft differenziert. Die Regelung wird nichtdiskriminierend. § 57 S. 2 StaRUG stellt eine einfachbelastende Regelung dar. In der Anwendung der Haftung liegt kein Verstoß gegen die Niederlassungsfreiheit. 4. Statutenwechsel durch Verlegung des COMI Für die Frage nach der kollisions- und zuständigkeitsrechtlichen Handhabung des Haftungsanspruchs bei Statutenwechsel gelten die Ausführungen zur Haftung wegen der Verletzung der Pflicht zur Wahrung der Interessen der Gesamtheit der Gläubiger nach § 43 Abs. 1 S. 2 StaRUG entsprechend.204 a) Anwendbares Recht Die Frage nach dem anwendbaren Recht stellt sich insbesondere in folgender Fallkonstellation: Eine EU-Gesellschaft, die hierzulande eine Restrukturierungssache unter dem StaRUG betreibt und deren COMI sich zum Zeitpunkt des Erlasses einer auf unrichtigen Angaben beruhenden Stabilisierungsanordnung in Deutschland befand, verlegt ihren COMI im Zeitraum nach der Aufnahme des Restrukturierungsverfahrens zum Anhang A der EuInsVO ins europäische Ausland. Dort wird die Restrukturierungssache auf Grundlage eines ausländischen präventiven Restrukturierungsrahmens anschließend weiter betrieben. Da der Anspruch aus § 57 S. 2 StaRUG in diesem Fall bereits vor dem Statutenwechsel durch eine Stabilisie204

Oben Kap. 5 § 11 D. II. 3.

§ 12 Gläubigerschutz unter rechtsvergleichender Perspektive

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rungsanordnung aufgrund vorsätzlich oder fahrlässig unrichtiger Angaben entstanden ist, handelt es sich um einen abgeschlossenen Tatbestand. In der Folge unterfällt der Haftungsanspruch dem alten – in diesem Falle deutschen – Statut, das von der COMI-Verlegung unberührt bleibt. Sofern der Anspruch sonst dem Deliktsstatut zuzuordnen ist, ist für die Bestimmung des anwendbaren Rechts auf die allgemeine Kollisionsnorm des Art. 4 Rom II-VO abzustellen. Dies führt ebenfalls zur Anwendbarkeit deutschen Rechts und damit zum gleichen Ergebnis wie das der insolvenzrechtlichen Qualifikation. b) Internationale Zuständigkeit Sofern das öffentliche Verfahren zum Anhang A der EuInsVO angemeldet ist, bestimmt sich die internationale Zuständigkeit nach Art. 6 Abs. 1 i. V. m. Art. 3 EuInsVO. Wird die Restrukturierungssache nach Verlegung des COMI auf Grundlage des EU-ausländischen präventiven Restrukturierungsrahmens weiter betrieben oder kommt es in einem anderen Mitgliedstaat zur Insolvenzverfahrenseröffnung, so ist das jeweilige ausländische Gericht für die Klage auf Grundlage des Anspruchs deutschen Rechts zuständig. Die Klage geht in diesem Fall nach den hier ermittelten Kriterien unmittelbar aus dem Insolvenz- bzw. Restrukturierungsverfahren hervor und steht in engem Zusammenhang mit diesem. In den sonstigen Fällen ist dagegen der Anwendungsbereich der Brüssel Ia-VO eröffnet. Es greift sodann das abschließende und autonome Zuständigkeitssystem gem. Art. 4 Abs. 1 i. V. m. Art. 63 Abs. 1 Brüssel Ia-VO.

§ 12 Gläubigerschutz unter rechtsvergleichender Perspektive Durch einen Rechtsvergleich werden die Stärken und Schwächen des in- wie ausländischen Rechts offenbar. Zur Verwirklichung des Gläubigerschutzes im Kapitalgesellschaftsrecht greifen Gesetzgeber und Gerichte im In- und Ausland seit jeher auf verschiedene Schutzinstrumente zurück.205 Auch im Hinblick auf die Handlungspflichten der Geschäftsleiter verfolgen die Rechtsordnungen der Mitgliedstaaten ganz unterschiedliche Regelungsansätze. Dabei treten mitunter erhebliche Unterschiede in der Ausgestaltung einschlägiger Rechtsinstitute sowie in der jeweiligen Schwerpunktsetzung zutage. Relevant wurden diese Unterschiede insbesondere mit der grenzüberschreitenden Verwendung verschiedener Gesellschaftsformen in der EU und der Konstitution des internationalen Insolvenzrechts durch die EuInsVO. Im grenzüberschreitenden Kontext gewannen EU-ausländische Rechtsordnungen für europäische Schuldnerunternehmen an Attraktivität. Inländische Insolvenzschuldner waren versucht, mit der Durchführung eines Insolvenz205

MüKo-GmbHG/Fleischer, Bd. 1, Einleitung Rn. 288.

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5. Kap.: Anwendung der Qualifikations- und Abgrenzungsmaxime

verfahrens in einem anderen EU-Mitgliedstaat eine schnellere Befreiung von ihren Verbindlichkeiten zu erlangen. Auch wenn die EuInsVO das Forum Shopping mittlerweile ganz bewusst verhindern möchte, kann ein Schuldner auch heute noch unter bestimmten Voraussetzungen durch Verlegung seines COMI vor Insolvenzantragstellung die internationale Zuständigkeit und damit das anwendbare Recht beeinflussen.206 Hiervon besonders betroffen waren bislang englische Gerichte wegen des sanierungsfreundlichen englischen Rechts207. Mit dem Vollzug des Austritts des Vereinigten Königreichs Großbritannien und Nordirland aus der EU findet die EuInsVO auf dort eröffnete Neuinsolvenzen nunmehr keine Anwendung.208 Darüber hinaus ist seit dem Brexit zwischen der Anerkennung britischer Insolvenzen, der direkten internationalen Zuständigkeit sowie dem Insolvenzkollisionsrecht und Insolvenzsachrecht für Unionssachverhalte zu differenzieren.209 Die neue Rechtslage erschwert die Flucht in das Insolvenzrecht des Vereinigten Königreichs jedenfalls erheblich. Der Fokus ist daher an dieser Stelle nicht weiter auf das englische Recht zu richten. Dagegen sollen mit Blick auf den Gläubigerschutz und die damit korrespondierende Geschäftsleiterhaftung irische sowie französische Haftungsinstrumente näher beleuchtet werden. Wie sich bereits gezeigt hat, kommt es im Grenzgebiet zwischen internationalem Gesellschafts- und Insolvenzrecht grundlegend auf die Qualifikation der gläubigerschützenden Haftungsinstrumente an. Sie entscheidet maßgeblich über deren Anwendung auf ausländische Geschäftsleiter.

A. Irische Haftungsinstrumente Aufgrund des Brexits ist die Direktorenhaftung wegen fraudulent trading210 und wrongful tranding211 nach englischem Recht im hier betreffenden Zusammenhang nicht mehr relevant. Auszuweichen ist auf die irischen Haftungsinstrumente des reckless trading gem. Sect. 610 (1) (a) (3) CA 2014 und des fraudulent trading gem. Sect. 610 (1) (b) CA 2014. In Irland waren die directors’ duties ursprünglich – wie auch im englischen Recht – reines Fallrecht (common law).212 Im CA 2014 erfolgte 206

Dazu ausführlich oben Kap. 4 § 9 A. II. Dies gilt freilich auch für das walisische, schottische und nordirische Recht, Freitag/ Korch, ZIP 2016, 1849; Weller/Thomale/Benz, NJW 2016, 2378 (2380). 208 MüKo-BGB/Kindler, Bd. 13, Internationales Insolvenzrecht, EuInsVO Art. 1 Rn. 22; Mankowski, EuZW-Sonderausgabe 1/2020, 3 (11 f.). 209 Freitag/Korch, ZIP 2016, 1849 (1850 ff.); Mankowski, EuZW-Sonderausgabe 1/2020, 3 (12); Vallender, ZInsO 2019, 645; Weller/Thomale/Benz, NJW 2016, 2378 (2380 ff.). 210 Sect. 213 Insolvency Act 1986. Hierzu etwa Wegen/Asbrand, IWRZ 2017, 10 (11). Zur Qualifikation Rauscher/Mankowski, EuZPR/EuIPR, Bd. I, Brüssel Ia-VO Art. 1 Rn. 141. 211 Sect. 214 Insolvency Act 1986. Hierzu etwa Wegen/Asbrand, IWRZ 2017, 10 (12). Zur Qualifikation Henssler/Strohn/Servatius, Gesellschaftsrecht, B. Die englische Limited Rn. 172 ff. 212 Schmidt, ZGR 2017, 654 (657). 207

§ 12 Gläubigerschutz unter rechtsvergleichender Perspektive

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dann die Kodifizierung der fiduciary duties of directors in Sects. 227, 228 CA 2014. Die Vorschriften ähneln zwar dem englischen Recht, sind aber nicht derart detailliert ausgestaltet.213 Das gilt auch für die irischen Haftungsinstrumente wegen betrügerischen oder rücksichtslosen Handelns des Unternehmens unter Sect. 610 CA 2014. Diese sind dennoch hinreichend konkret, um die Geschäftsleiterhaftung anhand klarer Voraussetzungen zu qualifizieren. Zwar merken Freitag/Korch an, dass Irland kaum über ausreichenden politischen und wirtschaftlichen Einfluss verfüge, um das Ausscheiden Englands aus der EU zu kompensieren und der angelsächsischen Rechtstradition zur Durchsetzung zu verhelfen.214 Dennoch wird der Systemwettbewerb der Rechtsordnungen durch den Brexit an einer zentralen Stelle ausgeschaltet. Die irischen Haftungsinstrumente sollen hier gleichwohl aufgrund ihrer Nähe zu Großbritannien genauer betrachtet werden. Sie können grundsätzlich als Alternative zum englischen Recht dienen. Dabei ist zu berücksichtigen, dass die Anwendung der EuInsVO in Bezug auf Irland keineswegs selbstverständlich ist. Denn abweichend vom Grundsatz des Art. 288 Abs. 2 AEUV gelten Maßnahmen hinsichtlich des Raums der Freiheit, der Sicherheit und des Rechts nach dem Dritten Teil Titel V des AEUV gem. Art. 1 und Art. 2 des Protokolls Nr. 21 über die Position des Vereinigten Königreichs und Irlands grundsätzlich nicht in diesen Staaten – es sei denn, sie haben gem. Art. 3 und Art. 4, 4a des Protokolls mitgeteilt, sich an der Maßnahme beteiligen zu wollen.215 Hinsichtlich der EuInsVO hat Irland eine solche Erklärung abgegeben.216 Auch in Irland müssen die Direktoren eines insolventen Unternehmens sicherstellen, dass die Vermögenswerte des Unternehmens weitestgehend erhalten bleiben, damit die Gläubiger mit einem möglichst hohen Betrag gleichmäßig befriedigt werden können. So hat der Oberste Gerichtshof Irlands entschieden, dass eine insolvente Gesellschaft ihr Gesellschaftsvermögen bei Abwicklung zur Begleichung der Verbindlichkeiten verwenden muss und die Geschäftsführer gegenüber den Gesellschaftsgläubigern eine Vermögenserhaltungspflicht trifft, sobald die Gesellschaft eindeutig liquidiert werden muss.217 Im Hinblick auf die finanzielle Situation der Gesellschaft müssen die Direktoren demnach bei all ihren Entscheidungen die Bestimmungen von Sect. 610 CA 2014 berücksichtigen.

I. Reckless trading Ein Geschäftsleiter kann persönlich und ohne Haftungsbeschränkung für alle oder einen Teil der Verbindlichkeiten der insolventen Gesellschaft haftbar sein (Sect. 610 213

Schmidt, ZGR 2017, 654 (657). Freitag/Korch, ZIP 2016, 1361 (1368). 215 Protokoll (Nr. 21) über die Position des Vereinigten Königreichs und Irlands hinsichtlich des Raums der Freiheit, der Sicherheit und des Rechts, ABl.EU 2016 C 202/295. 216 ErwG 87 EuInsVO, ABl.EU 2015 L 141/29. 217 Frederick Inns Ltd., [1994] 1 ILRM 387, Rn. 38 (Supreme Court of Ireland). 214

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5. Kap.: Anwendung der Qualifikations- und Abgrenzungsmaxime

(2) CA 2014), wenn er wissentlich an der Ausübung von Geschäften der Gesellschaft in einer rücksichtslosen Weise beteiligt war. 1. Norminhalt Der Haftungstatbestand des reckless trading in Sect. 610 (1) (a) i. V. m. (3) (a) (b) CA 2014 kennzeichnet sich durch zwei Handlungsalternativen: Sect. 610 CA 2014: Civil liability for fraudulent or reckless trading of company (1) If in the course of the winding up of a company or in the course of proceedings under Part 10 in relation to a company, it appears that – (a) any person was, while an officer of the company, knowingly a party to the carrying on of any business of the company in a reckless manner, (…) the court, on the application of the liquidator or examiner of the company, a receiver of property of the company or any creditor or contributory of it, has the following power. (…) (3) Without prejudice to the generality of subsection (1)(a), an officer of a company shall be deemed to have been knowingly a party to the carrying on of any business of the company in a reckless manner if – (a) the person was a party to the carrying on of such business and, having regard to the general knowledge, skill and experience that may reasonably be expected of a person in his or her position, the person ought to have known that his or her actions or those of the company would cause loss to the creditors of the company, or any of them, or (b) the person was a party to the contracting of a debt by the company and did not honestly believe on reasonable grounds that the company would be able to pay the debt when it fell due for payment as well as all its other debts (taking into account the contingent and prospective liabilities).

Nach Sect. 610 (3) CA 2014 wird angenommen, dass ein Geschäftsleiter wissentlich an der Führung von Geschäften der Gesellschaft in einer rücksichtslosen Weise beteiligt war, wenn er (a) unter Berücksichtigung der allgemeinen Kenntnisse, Fähigkeiten und Erfahrungen, die von einer Person in seiner Position vernünftigerweise erwartet werden können, hätte wissen müssen, dass seine Handlungen oder die der Gesellschaft bei den Gesellschaftsgläubigern zu einem Verlust führen würden (Sect. 610 (3) (a) CA 2014), oder er (b) an der Aufnahme einer Verbindlichkeit durch das Unternehmen beteiligt war und nicht aufrichtig und aus vernünftigen Gründen glaubte, dass das Unternehmen in der Lage sein würde, die Verbindlichkeit bei Fälligkeit sowie alle anderen Verbindlichkeiten zu begleichen (Sect. 610 (3) (b) CA 2014). Die Haftung für reckless trading bezieht sich dem Wortlaut nach nur auf „officer[s] of the company“. Nach Sect. 2 (1) CA 2014 schließt der Begriff „officer“ einen Direktor in Bezug auf eine juristische Person mit ein. Der Tatbestand findet demnach auch auf „Geschäftsleiter“ im Sinne des deutschen Rechts Anwendung und umfasst

§ 12 Gläubigerschutz unter rechtsvergleichender Perspektive

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allgemein einen weiteren Personenkreis. Tätig wird das Gericht auf Antrag des Insolvenzverwalters (liquidator) über das Vermögen der Gesellschaft oder des Prüfers (examiner) der Gesellschaft, oder aber auf Antrag eines Gläubigers. Inhaltlich erfordert der Tatbestand ein hohes Maß an Sorglosigkeit seitens des Geschäftsführers. War ein Geschäftsleiter in dem ehrlichen und vernünftigen Glauben, dass die Gesellschaft aus der Insolvenz heraus handeln und dadurch die Situation der Gläubiger verbessern konnte, ist es unwahrscheinlich, dass er für rücksichtsloses Handeln haftbar gemacht wird.218 Der Haftungstatbestand knüpft zum einen unmittelbar an die Liquidation einer Gesellschaft an („in the course of the winding up of a company“), zum anderen an ein sog. Examinership nach Part 10 CA 2014. Dabei handelt es sich um ein Verfahren, das zu den insolvenzrechtlichen Regularien zählt, Sect. 508 (2) CA 2014. Durch ein Examinership kann der Schutz eines Gerichtes erlangt werden, um das Überleben eines Unternehmens zu sichern. Es ermöglicht einer Gesellschaft, sich mit Genehmigung des High Court umzustrukturieren. Voraussetzung ist u. a., dass eine Gesellschaft nicht in der Lage ist oder wahrscheinlich nicht in der Lage sein wird, ihre Schulden zu bezahlen, Sect. 509 (2) CA 2014. Ferner ist das Gericht davon zu überzeugen, dass eine begründete Aussicht auf das Überleben der Gesellschaft oder eines Teils der Gesellschaft besteht, wenn ein Prüfer (examiner) bestellt wird. Dieser hat den Zustand der wirtschaftlichen Verhältnisse der Gesellschaft zu prüfen und solche Funktionen in Bezug auf die Gesellschaft auszuüben, die durch Part 10 CA 2014 übertragen werden. 2. Konturierung durch die Rechtsprechung Der weit gefasste Haftungstatbestand wurde über die Jahrzehnte nur vereinzelt durch die Rechtsprechung konturiert. Für die Qualifikation der Haftung sind die aus dem Fallrecht zu ziehenden Schlussfolgerungen zu berücksichtigen. Eine erste inhaltliche Konkretisierung erfuhr der Tatbestand durch die Fälle Hefferon Kearns219 aus dem Jahr 1993 und Frederick Inns220 aus dem Jahr 1994. In Hefferon Kearns wurde die Beweislast für Liquidatoren und Gläubiger im Hinblick auf die „wissentliche“ (knowingly) rücksichtslose Geschäftsführung recht hoch angesetzt. Das führte zu einer äußerst zurückhaltenden Handhabung des Haftungstatbestands.221 Daran dürfte sich auch durch die neuere Rechtsprechung nichts geändert haben. So 218 Eversheds Sutherland, Directors’ duties and responsibilities in Ireland, 02/2015, S. 4, https://www.eversheds-sutherland.com/documents/global/ireland/directors-duties-and-responsi bilities-in-Ireland-feb-2015.pdf (zuletzt abgerufen am 16. 04. 2021). 219 Hefferon Kearns Ltd. (No. 1/No. 2), [1993] 3 IR 177, 191 (IEHC). 220 Frederick Inns Ltd., [1994] 1 ILRM 387 (Supreme Court of Ireland). 221 Woodcock/Cronolly, High Court considers reckless trading for the first time in years, 03/ 02/2015, https://www.fieldfisher.com/en-ie/locations/ireland/ireland-blog/high-court-considersreckless-trading-first-time-years (zuletzt abgerufen am 16. 04. 2021).

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5. Kap.: Anwendung der Qualifikations- und Abgrenzungsmaxime

folgt aus der Berufungsentscheidung Toomey Leasing Group222, dass der Geschäftsleiter einer betreffenden Gesellschaft sicher wissen muss, dass seine Handlungsweise zu einem Verlust bei den Gläubigern führen würde. Nicht ausreichend ist, dass allein die Möglichkeit dazu bestand. Der Verlust für die Gläubiger muss mit einem hohen Grad an Sicherheit vorhersehbar gewesen sein. Darüber hinaus folgt aus der vorangegangenen Rechtsprechung, dass es nicht im Interesse der Gemeinschaft läge, wenn die Geschäftstätigkeit einer Gesellschaft bereits zu einem Zeitpunkt eingestellt wird, zu dem eine erhebliche Gefahr besteht, dass die Gesellschaft in die Insolvenz gerät. Vielmehr solle die Fortführung des Geschäftsbetriebs in Verbindung mit Sanierungsmaßnahmen dazu beitragen, dass viele Unternehmen die Krisensituation überstehen und so der Gemeinschaft erhalten bleiben. Die Entscheidung, die Geschäfte einzustellen und die Gesellschaft zu liquidieren, sollte also erst dann getroffen werden, wenn die Gesellschaft zahlungsunfähig ist und die Direktoren davon überzeugt sind, dass es keine vernünftige Möglichkeit gibt, das Unternehmen aus seiner zahlungsunfähigen Position heraus weiter zu führen. Weder das kodifizierte irische Recht noch die Rechtsprechung sehen demnach eine explizite und inhaltlich genau bestimmbare Insolvenzantragspflicht vor. Seit der Frederick InnsEntscheidung steht fest, dass Direktoren den Gläubigern gegenüber verpflichtet sind, das Gesellschaftsvermögen im Falle der Insolvenz zu erhalten, damit es anteilig zur Begleichung der Verbindlichkeiten der Gesellschaft verwendet werden kann.223 Konkret wurde eine Haftung wegen reckless trading etwa dann angenommen, wenn der Direktor die Geschäfte einer sich in finanziellen Schwierigkeiten befindenden Gesellschaft in der Hoffnung fortführt, die Krisensituation zu überwinden, obwohl ein besonnener Direktor eine Gläubigerversammlung zum Zwecke der Liquidation einberufen hätte.224 Es ist zu konstatieren, dass sich die vereinzelten Entscheidungen weniger auf den Sinn und Zweck der Regelung beziehen, als vielmehr auf den Maßstab, der an die Beweislast und an das wissentliche Handeln des Direktors anzulegen ist. Induktiv lässt sich für die Qualifikation ableiten, dass die Treuepflicht des Geschäftsleiters gegenüber den Gläubigern gerade auch im hier betreffenden Zusammenhang zum Tragen kommt.

3. Qualifikation Auf eine deliktsrechtliche Qualifikation der Haftung deutet zunächst die Normbezeichnung von Sect. 610 CA 2014 („Civil liability“) hin. Allerdings ist der legislative Standort der Norm ebenso wenig entscheidend wie deren konkrete Benennung. Die Überschrift kann allenfalls als Indiz für eine deliktsrechtliche Quali222 Toomey Leasing Group Ltd. v. Sedgwick, [2016] IECA 280 Rn. 52; anders noch die Vorinstanz, Appleyard Motors Ltd. v. Sedgwick, [2015] IEHC 28. Die Entscheidungen bezogen sich auf die Vorgängerregelung in Sect. 297 A CA 1963. 223 In diesem Sinne auch PSK Construction v. Companies Acts, [2009] IEHC 538. 224 Usit World plc, [2005] IEHC 285; Hefferon Kearns Ltd. (No. 2), [1993] 3 IR 191 (IEHC); Weiß, Strafbare Insolvenzverschleppung, S. 96.

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fikation herangezogen werden. Schwerer wiegt dagegen der Bezug zur Handlung des Geschäftsführers in Form der rücksichtslosen Beteiligung an einer wissentlichen Geschäftsausübung der Gesellschaft. Sofern es demnach um Handlungen des Geschäftsleiters geht, die nach allgemeiner Erfahrung zu einem Verlust bei den Gesellschaftsgläubigern führen mussten, lässt sich hierin eine klassische deliktische Handlungsweise erkennen. Gleiches gilt für Verbindlichkeiten, die für die Gesellschaft in dem Wissen aufgenommen wurden, dass diese sowie alle anderen Verbindlichkeiten nicht beglichen werden können. Allein aus diesem Bezug zur Betrugshaftung lässt sich eine deliktsrechtliche Qualifikation des Haftungstatbestands jedoch nicht ableiten. Legt man dagegen den Kriterienkatalog zur insolvenzrechtlichen Qualifikation zugrunde, lässt sich die Haftung dem Insolvenzstatut zuordnen. Zunächst knüpft das Haftungsinstrument des reckless trading unmittelbar an die Auflösung einer Gesellschaft an („in the course of the winding up of a company“), zum anderen an das zu den insolvenz(verfahrens)rechtlichen Regularien zählende Examinership. Dieses wird neben der zwangsweisen Liquidation durch das Gericht („compulsory windingup by the court“) und der freiwilligen Auflösung durch die Gläubiger („Creditors’ voluntary winding-up (with confirmation of a court)“) ausdrücklich im Anhang A zur EuInsVO erwähnt. Der Wortlaut der Sect. 610 (1) (a) CA 2014 setzt indes keine gerichtliche Auflösung der Gesellschaft voraus. Eine Auflösung kann unter bestimmten Voraussetzungen durch ein Gericht oder freiwillig durch die Gesellschafter oder Gläubiger initiiert werden, Part 11, Chapter 1 bis 5 CA 2014. In all diesen Fällen kommt es gleichwohl zu einer gerichtlichen Beteiligung, Sect. 564 (1) CA 2014 („The court shall have jurisdiction to wind up a company.“). Soweit der Tatbestand des reckless trading seinem Wortlaut nach ein auf die Beendigung der Gesellschaft gerichtetes Verfahren erfordert, knüpft er nicht unmittelbar an die Insolvenz an, sondern an die Auflösung (winding up) der Gesellschaft. Durch Gericht kann eine Gesellschaft u. a. aufgelöst werden, wenn die Gesellschaft nicht in der Lage ist, ihre Verbindlichkeiten zu begleichen, Sect. 569 (1) (d) CA 2014. Wann dies der Fall ist, regelt Sect. 570 CA 2014. Danach gilt eine Gesellschaft grundsätzlich als nicht in der Lage, ihre Verbindlichkeiten zu begleichen, wenn sie es innerhalb von 21 Tagen nach Zustellung einer schriftlichen Zahlungsaufforderung eines Gläubigers über einen Betrag von mehr als EUR 10.000,00 unterlassen hat, diesen zu begleichen, Sect. 570 (a) (i) (ii) CA 2014. Auch ein Examinership kann gem. Sect. 509 (1) (a) CA 2014 zur Anwendung gelangen, wenn eine Gesellschaft nicht in der Lage ist oder wahrscheinlich nicht in der Lage sein wird, ihre Verbindlichkeiten zu begleichen. Damit knüpft die Sachnorm des irischen Rechts mittelbar an die materielle Insolvenz der Gesellschaft an, sofern sie im Rahmen eines Examinership oder eines Auflösungsverfahrens zur Anwendung gelangt, das auf der Zahlungsunfähigkeit i. S. d. Sect. 570 CA 2014 beruht. In diesen Fällen setzt die Haftung ein insolvenzbezogenes Verfahren voraus. Doch ein Direktor kann nicht nur im Falle der Insolvenzabwicklung haftbar gemacht werden, sondern auch bei jeder anderen durch Gericht bestimmten Auflösung der Gesellschaft. Sect. 569 CA 2014 enthält dies-

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5. Kap.: Anwendung der Qualifikations- und Abgrenzungsmaxime

bezüglich mehrere, teils gesellschaftsrechtlich intendierte Auflösungsgründe. Mithin hängt die Haftung wegen rücksichtsloser Geschäftsführung nach der Systematik des CA 2014 nicht allein von der Eröffnung eines insolvenzrechtlichen Verfahrens i. S. d. irischen Kodifikation ab. Ein insolvenzrechtliches Qualifikationskriterium lässt sich daraus nur dann ableiten, wenn alle für Sect. 610 CA 2014 in Betracht kommenden Verfahren ein Insolvenzverfahren i. S. d. Anhang A zur EuInsVO darstellen. Da in Anhang A nicht zwischen den Auflösungsgründen nach Sect. 569 CA 2014 differenziert wird, liegt nach dem Wortlaut in allen Fällen der zwingenden oder freiwilligen Auflösung der Gesellschaft („compulsory winding-up by the court“ und „creditors’ voluntary winding-up (with confirmation of a court)“) ein Insolvenzverfahren i. S. d. EuInsVO vor. Die Anwendung der Haftung setzt demnach – unabhängig von den Auflösungsgründen – die Eröffnung eines autonom bestimmten Insolvenzverfahrens voraus. Aus der ausschließlichen Zuständigkeit eines Insolvenzverwalters kann derweil keine Wirkung abgeleitet werden. Das Gericht kann nicht nur auf Antrag des Insolvenzverwalters (liquidator) tätig werden, sondern auch auf Antrag des Prüfers (examiner) der Gesellschaft oder eines Gläubigers. Voraussetzung hierfür ist, dass sich die Gesellschaft zu diesem Zeitpunkt in Liquidation oder unter gerichtlichem Schutz befindet. Die Regelung bildet insoweit eine Ausnahme von dem Grundsatz, wonach den Gläubigern kein direktes Klagerecht gegen einen Geschäftsleiter wegen Verletzung von Treuepflichten zusteht. Meist kann nur die betreffende Gesellschaft bzw. deren Insolvenzverwalter eine Klage wegen Pflichtverletzung gegen einen Geschäftsleiter einreichen. Dessen ungeachtet spricht für die insolvenzrechtliche Qualifikation, dass durch Sect. 610 (1) (a) CA 2014 ein gläubigerschädigendes Verhalten zum Zwecke der Haftungsverwirklichung sanktioniert wird und sich zugleich der Verfahrensgrundsatz der par conditio creditorum verwirklichen lässt. Sect. 610 (6) CA 2014225 erlaubt dem Gericht die verhältnismäßige Verteilung der eingezogenen Beträge unter Berücksichtigung der Gläubigergruppen und deren Rangfolge untereinander. Auf diese Weise kann eine gleichmäßige Gläubigerbefriedigung erfolgen. Auch wenn das kodifizierte irische Recht keine Insolvenzantragspflicht für den Direktor einer Gesellschaft vorsieht, so ist dieser dennoch mittelbar durch Gesetz und nach der Rechtsprechung dazu verpflichtet, im Falle der Insolvenz die Interessen der Gläubigergesamtheit zu wahren. Dazu zählt auch, das Gesellschaftsvermögen zu erhalten, damit es zur anteiligen und gleichmäßigen Gläubigerbefriedigung verwendet werden kann.226 Der Grundsatz der Interessenwahrung spiegelt sich auch im Haftungstatbestand des reckless trading wider. Betroffen ist hier die Treuepflicht (fiduciary duty) des Geschäftsleiters gem. Sect. 228

225 „Where the court makes a declaration under this section, it may provide that sums recovered under this section shall be paid to such person or classes of persons, for such purposes, in such amounts or proportions at such time or times and in such respective priorities among themselves as such declaration may specify.“ 226 Siehe die irische Rechtsprechung oben Kap. 5 § 12 A. I. 2.

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CA 2014. Aus der irischen Judikatur227 folgt, dass der Direktor einer insolventen Gesellschaft die Gläubigerinteressen ebenso zu wahren hat wie der Insolvenzverwalter im Insolvenzverfahren. Dem liegt die Erwägung zugrunde, dass ein Insolvenzverfahren zwar (noch) nicht eröffnet sei, ein solches aber aufgrund der Insolvenz eröffnet werden könne und daher derselbe Maßstab anzulegen sei. Andererseits kann daran gedacht werden, die Haftung dem Gesellschaftsstatut zu unterstellen. Die Zuweisung hängt vom rechtlichen Schwerpunkt der Norm ab, der je nach Anwendungszusammenhang unterschiedlich ausfallen kann. Für eine gesellschaftsrechtliche Qualifikation der Haftung lässt sich als ersten Anhaltspunkt die Kodifizierung des Tatbestands im irischen Gesellschaftsgesetz CA 2014 ausmachen. Aber auch hier gilt, dass allein der Regelungsstandort nicht entscheidend ist. Dagegen kann sich der Tatbestand sowohl auf den (Fort-)Bestand einer Gesellschaft sowie auf deren Rechts- und Handlungsfähigkeit beziehen, soweit die Haftung im Zuge der Liquidation einer Gesellschaft zur Anwendung kommt. Die Auflösung durch das Gericht ist nach Sect. 569 (1) (a) bis (h) CA 2014 auch dann möglich, (i) wenn die Gesellschaft ihre Geschäftstätigkeit nicht aufnimmt oder für einen zusammenhängenden Zeitraum von zwölf Monaten aussetzt, (ii) wenn es zum Tod oder Ausscheiden der Gesellschafter kommt, (iii) wenn Gerechtigkeits- und Billigkeitserwägungen dies erfordern, oder (iv) wenn Gesellschafterinteressen bei Ausübung der Geschäfte missachtet oder unterdrückt werden. Ferner kann die Auflösung im öffentlichen Interesse liegen oder – wie zuvor beschrieben – im Zusammenhang mit der Zahlungsunfähigkeit oder dem Examinership erfolgen. Sofern die Auflösung nicht auf den zwei letztgenannten Gründen beruht, ist diese an originäre gesellschaftsrechtliche Eigenschaften geknüpft. Dennoch dient die Regelung in Sect. 610 (1) (a) i. V. m. (3) (a) (b) CA 2014 nicht der Effektuierung eines abstrakt und präventiv wirkenden Gläubigerschutzes, auch wenn sie mittelbar Pflichten für das exekutive Gesellschaftsorgan des Geschäftsleiters begründet. Das dem Gesellschaftsstaut unterfallende gesellschaftsrechtliche Innenverhältnis, in welchem der Geschäftsführer gerade auch bei einer Vermögensverschlechterung der Gesellschaft in die Pflicht genommen werden kann, wird insoweit nicht berührt. Vielmehr ist hier das Außenverhältnis betroffen. Die Regelung sanktioniert Handlungen, die bei den Gesellschaftsgläubigern zu einem Vermögensverlust geführt haben, und zwar unabhängig davon, ob die Auflösung der Gesellschaft auf den insolvenzbezogenen Grund der Zahlungsunfähigkeit oder dem Examinership beruht. Bezweckt wird nicht nur der Schutz der Haftungsmasse zugunsten bestehender Gläubiger. Zugleich wird die Weiterführung der illiquiden Gesellschaft mit Blick auf künftige Gläubiger verhindert. Diese werden so vor Verlusten geschützt. Jedenfalls im Falle des Examinership, aber auch beim weit gefassten „winding up“ einer Gesellschaft, stützt der Anspruch die Funktion des Insolvenzverfahrens i. S. d. EuInsVO als Instrument 227 So etwa in Hughes v. Hitachi Koki Imaging Solutions Europe, [2006] IEHC 233 Rn. 3.7 ff.; McLaughlin v. Lannen, [2005] IEHC 341 Rn. 3.1 ff.; Jones v. Gunn, [1997] IEHC 27 Rn. 48; Frederick Inns Ltd., [1994] 1 ILRM 387, 396 f. (Supreme Court of Ireland). Siehe hierzu auch Weiß, Strafbare Insolvenzverschleppung, S. 96.

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5. Kap.: Anwendung der Qualifikations- und Abgrenzungsmaxime

der allseitigen Haftungsordnung zur kollektiven Bewältigung einer finanziellen Krisensituation unter Knappheitsbedingungen. Sect. 610 (1) (a) CA 2014 ist mithin nicht gesellschaftsrechtlich, sondern ausschließlich insolvenzrechtlich zu Qualifizieren. 4. Folgen der Zuordnung Das irische Haftungsinstrument des reckless trading gem. Sect. 610 (1) (a) (3) CA 2014 unterfällt dem Insolvenzstatut. Es ist gem. Art. 3, 7 EuInsVO an das Recht des Staates der (hypothetischen) Verfahrenseröffnung geknüpft. Die Haftung betrifft neben den Geschäftsleitern irischer Gesellschaften auch die Geschäftsleiter von EUAuslandsgesellschaften, deren COMI in Irland belegen ist. Umgekehrt findet die Haftung auf Geschäftsleiter von Gesellschaften nach irischem Recht, deren COMI sich im EU-Ausland befindet, keine Anwendung. Sollte unter dem ausländischen Insolvenzstatut jedoch ein vergleichbares Haftungsinstrument bestehen, richtet sich dieses an die Geschäftsleiter der Gesellschaft irischen Rechts. 5. Beschränkung der Niederlassungsfreiheit In der Anwendung der Haftung auf Geschäftsleiter EU-ausländischer Gesellschaften liegt keine Beschränkung der Niederlassungsfreiheit. Hier verhält es sich wie mit den vorherigen insolvenzrechtlich qualifizierten Haftungsregelungen, die erst an die nach der Gründung aufgenommene Tätigkeit der Gesellschaft geknüpft sind und rein tätigkeitsbezogen wirken. Der Marktzugang ist hierdurch nicht betroffen. Als Vorschrift des allgemeinen Verkehrsrechts gestaltet auch die Haftung wegen reckless trading den Rechtsrahmen für den Geschäftsverkehr. Sie differenziert darüber hinaus weder rechtlich noch tatsächlich zwischen In- und Auslandsgesellschaften, sodass sie nichtdiskriminierend wirkt. 6. Statutenwechsel durch Verlegung des COMI Im Ausgangspunkt ist auf die Fallkonstellation abzustellen, nach der eine EUGesellschaft, deren COMI sich zum Zeitpunkt der Verwirklichung der Anspruchsvoraussetzungen in Irland befand, ihr COMI danach ins europäische Ausland verlegt, wo schließlich ein Verfahren eröffnet wird. Das Schicksal des Haftungsanspruchs hängt im Falle des Statutenwechsels davon ab, ob die Eröffnung eines Insolvenzverfahrens i. S. d. EuInsVO für Sect. 610 (1) (a) (3) CA 2014 eine Tatbestandsvoraussetzung darstellt.

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a) Anwendbares Recht Das Haftungsinstrument des reckless trading kann nicht nur im Falle der Insolvenzabwicklung geltend gemacht werden, sondern bei jeder durch Gesetz ermöglichten Abwicklung der Gesellschaft. Dennoch gelangt es allein im Rahmen eines Insolvenzverfahrens i. S. d. EuInsVO zur Anwendung228 („If in the course of the winding up of a company or in the course of proceedings under Part 10 [Examinerships] in relation to a company (…).“). Die Eröffnung eines solchen Verfahrens stellt eine Tatbestandsvoraussetzung der Sect. 610 (1) (a) (3) CA 2014 dar. Erfolgt die COMI-Verlegung nach der rücksichtslosen Geschäftsleiterhandlung i. S. v. Sect. 610 (3) CA 2014, aber noch vor eingeleitetem winding up-Verfahren oder vor dem Beginn eines Examinership, handelt es sich im hier betreffenden Kontext um einen offenen Tatbestand. In diesem Fall gilt, dass bereits eingetretene Folgen einer Pflichtverletzung mittels COMI-Wechsels nicht rückwirkend beseitigt werden können. Aufgrund der ex nunc-Wirkung der COMI-Verlegung bleiben die bis zum Zeitpunkt des Statutenwechsels verwirklichten Merkmale bestehen. Das gilt unabhängig davon, dass sich die weiteren Pflichten und Folgen aus der Verletzung der nun anwendbaren lex fori concursus des Zuzugstaates ergeben. Die Frage, ob und unter welchen Voraussetzungen aufgrund der bislang verwirklichten Umstände eine Haftung des Geschäftsleiters eintritt, ist nicht ausschließlich nach dem neuen Recht der hypothetischen lex fori concursus zu beantworten.229 Wurde dagegen in Irland ein Verfahren i. S. d. Sect. 610 (1) CA 2014 eröffnet und sind auch die sonstigen Tatbestandsvoraussetzungen erfüllt, bestimmt sich das anwendbare Recht auch im Falle eines späteren Statutenwechsels nach irischem Recht. b) Internationale Zuständigkeit Für die Zuständigkeitsbegründung ist der Zeitpunkt der Stellung des Antrags auf Verfahrenseröffnung relevant. Entscheidend ist daher, ob es sich bei der Geltendmachung des Anspruchs um ein Annexverfahren i. S. d. Art. 6 Abs. 1 EuInsVO handelt. Nach hier vertretener Ansicht ist für die Haftung wegen reckless trading ein entsprechendes Annexverfahren anzunehmen. Während man für die Anknüpfung von der Annexzuständigkeit auf die insolvenzrechtliche Qualifikation des der Klage zugrundeliegenden Haftungsanspruchs und weiter auf die kollisionsrechtliche Anknüpfung nach Art. 7 Abs. 1 EuInsVO abstellen kann, ist für die Zuständigkeit mangels Kongruenz nicht von einem solch gleichförmigen Zusammenhang auszugehen. Ein Anspruch, der materiell-rechtlich unter Art. 7 EuInsVO fällt, kann jedoch grundsätzlich auch unter Art. 6 Abs. 1 EuInsVO eingeordnet werden. Der EuGH hat die für Art. 6 Abs. 1 EuInsVO entwickelten Maßstäbe unmittelbar auf Art. 7 Abs. 1

228 Zur autonomen Bestimmung unter Verwendung des Anhangs A zur EuInsVO oben Kap. 5 § 12 A. I. 3. 229 A. A. Keller, NZI 2021, 110 (111 f.).

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5. Kap.: Anwendung der Qualifikations- und Abgrenzungsmaxime

EuInsVO übertragen230. Der Haftungsanspruch ist mithin vom Anwendungsbereich des Art. 6 Abs. 1 und dem des Art. 7 Abs. 1 EuInsVO gleichermaßen umfasst. Die Klage aus Sect. 610 (1) (a) (3) CA 2014 findet ihren Ursprung im Insolvenzverfahrensrecht. Als Annexverfahren i. S. d. Art. 6 Abs. 1 EuInsVO ist für die Klage das Gericht des Mitgliedstaates zuständig, in dessen Hoheitsgebiet das Insolvenzverfahren nach Art. 3 EuInsVO eröffnet worden ist. Das ausländische Gericht des Staates der Verfahrenseröffnung entscheidet in diesem Fall über den Anspruch aus irischem Recht.

II. Fraudulent trading Versäumt es ein Direktor, mit gebührender Rücksicht auf die Interessen der Gesellschaftsgläubiger zu handeln, kann er nach Sect. 610 (1) (b) CA 2014 wegen betrügerischen Handels persönlich haften: Sect. 610 CA 2014: Civil liability for fraudulent or reckless trading of company (1) If in the course of the winding up of a company or in the course of proceedings under Part 10 in relation to a company, it appears that – (…) (b) any person was knowingly a party to the carrying on of any business of the company with intent to defraud creditors of the company, or creditors of any other person or for any fraudulent purpose, the court, on the application of the liquidator or examiner of the company, a receiver of property of the company or any creditor or contributory of it, has the following power. (…)

Voraussetzung der Haftung für fraudulent trading ist, dass der Direktor wissentlich an der Ausübung von Geschäften der Gesellschaft beteiligt war, mit der Absicht, die Gläubiger der Gesellschaft oder die Gläubiger einer anderen Gesellschaft zu betrügen oder einen sonstigen betrügerischen Zweck zu verfolgen. Auch hier gilt, dass der Tatbestand auf den „Geschäftsleiter“ im deutschen Sinne Anwendung findet und das Gericht im Rahmen eines winding up-Verfahrens oder eines Examinership auf Antrag des Insolvenzverwalters, des Prüfers, oder auf Antrag eines Gläubigers tätig wird. Darüber hinaus kann fraudulent trading nach Sect. 722 CA 2014 auch eine Straftat darstellen, wenn eine Person wissentlich an der Führung der Geschäfte einer Gesellschaft beteiligt ist, mit der Absicht, die Gläubiger der Gesellschaft oder die Gläubiger einer anderen Gesellschaft zu betrügen oder einen sonstigen betrügerischen Zweck zu verfolgen. Aus den wenigen Gerichtsentscheidungen zur Haftung wegen fraudulent trading lassen sich für die hier interessierende Thematik kaum Schlüsse ziehen. Entschieden wurde etwa, dass bereits eine einzige Transaktion (mit der z. B. der durch den Verkauf des gesamten Gesellschaftsvermögens gewonnene hälftige Erlös auf ein Konto mit fiktivem Namen geleitet wird) ausreicht, um ein betrügerisches Handeln durch die 230

Oben Kap. 4 § 8 A. II. 4.

§ 12 Gläubigerschutz unter rechtsvergleichender Perspektive

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Geschäftsleitung zu begründen.231 Das Gericht muss bei seiner Bewertung den Zweck der jeweiligen (rechtsgeschäftlichen) Handlung zum Zeitpunkt der Ausübung der Handlung bzw. des Zustandekommens des Geschäfts berücksichtigen.232 Betrügerisches Handeln kann ferner angenommen werden, wenn ein Geschäftsleiter keine ordnungsgemäßen Geschäftsbücher führt, um beispielsweise zu verbergen, dass Firmenvermögen zugunsten der Direktoren abgeschöpft wird,233 oder er diese gar absichtlich zerstört.234 Es zeigt sich, dass die offene Formulierung des Tatbestands eine Vielzahl an Möglichkeiten zulässt, in denen betrügerisches Handeln i. S. d. Sect. 610 (1) (b) CA 2014 angenommen werden kann. Den entschiedenen Fällen ist jedoch gemein, dass die Geschäftsleiter allesamt zu Lasten der Gesamtgläubiger gehandelt haben und stets angenommen werden konnte, dass sie wissentlich einen schädigenden Zweck verfolgten. In der Praxis erweist sich die Durchsetzung des Haftungsanspruchs gem. Sect. 610 (1) (b) CA 2014 als schwierig. Der Antragsteller ist verpflichtet, die betrügerische Absicht des Geschäftsführers in Bezug auf die Gläubigerbenachteiligung nachzuweisen. Das setzt voraus, dass sich der Geschäftsführer über die Unredlichkeit bewusst war und es keine reelle Möglichkeit gab, dass die Gläubiger der Gesellschaft in der Höhe ihrer Verbindlichkeiten befriedigt werden. Um eine erfolgreiche Klage wegen fraudulent trading zu vermeiden, müssen die Geschäftsführer daher sicherstellen, dass die Gesellschaft keine Kredite aufnimmt, wenn klar ist, dass das Unternehmen nicht mehr in der Lage sein wird, seine Gläubiger zu befriedigen.235

1. Qualifikation Stärker noch als bei der Haftung wegen reckless trading könnte man für die Haftung wegen fraudulent trading a prima vista von einer deliktsrechtlichen Qualifikation ausgehen. Hierfür spricht neben den bereits erwähnten, indiziellen Anknüpfungspunkten insbesondere der Bezug zur Handlung des Geschäftsführers in Form der betrügerischen Absicht. Wann ein derartiges Handeln anzunehmen ist, wird durch das Gesetz nicht beschrieben. So obliegt es weiterhin der Rechtsprechung, den Tatbestand zu konturieren. Dessen ungeachtet gilt auch hier, dass sich allein aus der Parallele zur Betrugshaftung eine deliktsrechtliche Qualifikation des Haftungstatbestands nicht ableiten lässt. Der Anspruch aus Sect. 610 (1) (b) CA 2014 ist viel231

Hunting Lodgees Ltd. (in liquidation), [1984] IEHC 3 Rn. 42 ff. PSK Construction v. Companies Acts, [2009] IEHC 538 Rn. 37. 233 Aluminium Fabricators Ltd., [1984] ILRM 399 (IEHC). 234 Kelly’s Carpetdrome Ltd., [1983] IEHC 60. 235 Eversheds Sutherland, Directors’ duties and responsibilities in Ireland, 02/2015, S. 4, https://www.eversheds-sutherland.com/documents/global/ireland/directors-duties-and-responsi bilities-in-Ireland-feb-2015.pdf (zuletzt abgerufen am 16. 04. 2021); Walsh/Quinlan/Delaney, RDJ, Continuing to trade in turbulent times – addressing the legal challenges, 11. 05. 2020, https://www.rdj.ie/insights/continuing-to-trade-in-turbulent-times–addressing-the-legal-challen ges?s=0.853229376402 (zuletzt abgerufen am 16. 04. 2021). 232

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5. Kap.: Anwendung der Qualifikations- und Abgrenzungsmaxime

mehr insolvenzrechtlich zu qualifizieren. Die Anwendungsvoraussetzungen der fraudulent trading-Haftung sind zunächst von derselben Systematik getragen wie die Haftung wegen reckless trading. So stellt die materielle Insolvenz ebenfalls keine direkte Voraussetzung für die Entstehung und Geltendmachung des Anspruchs dar, wohl aber die (gerichtliche) Auflösung der Gesellschaft (windig up) oder ein insolvenzbezogenes Examinership. Mithin knüpft die Haftung in den meisten Fällen zumindest mittelbar an die Zahlungsunfähigkeit und in der Folge an die Insolvenz der Gesellschaft. Aus der tatbestandlichen Abhängigkeit eines Anspruchs von der materiellen Insolvenz des Schuldners folgt insoweit eine Abweichung von den allgemeinen Regelungen, die eine insolvenzrechtliche Qualifikation begründet. Da es sich hier aber um eine „generalklauselartige“ Anspruchsgrundlage handelt, ist deren Kerngehalt als konkreter Bezugspunkt zu ermitteln. In den bislang von irischen Gerichten entschiedenen Fällen befand sich die Gesellschaft zum Zeitpunkt der betrügerischen Handlung bereits meist in Zahlungsschwierigkeiten, in deren Folge es zur Auflösung oder Prüfung der Gesellschaft kam. De jure ist jedoch ausreichend, wenn erst die betrügerische Geschäftsleiterhandlung zu einem Nachteil der Gläubigerschaft führt. Da die Schwelle für die Zahlungsunfähigkeit i. S. d. Sect. 570 (a) (i) (ii) CA 2014 mit einem dreiwöchigen Zahlungsausfall für einen Betrag ab EUR 10.000,00 niedrig angesetzt ist, dürfte die betrügerische Geschäftsleiterhaftung in einer Vielzahl von Fällen zur materiellen Insolvenz der Gesellschaft führen. Ein entsprechender Automatismus besteht aber nicht. Für den Tatbestand kann daher keine grundsätzliche Abhängigkeit von der materiellen Insolvenz des Schuldners angenommen werden. Darüber hinaus setzt die Haftung kein insolvenzbezogenes Verfahren voraus. Ein Direktor kann nicht nur im Falle der Insolvenzabwicklung haftbar gemacht werden, sondern bei jeder Abwicklung der Gesellschaft i. S. v. Sect. 569 CA 2014. Die Haftung wegen betrügerischer Geschäftsführung hängt insoweit nicht ausschließlich von der Eröffnung eines insolvenzrechtlichen Verfahrens i. S. d. CA 2014 ab. Allerdings stellen alle für Sect. 610 CA 2014 in Betracht kommenden Verfahren – anlassunabhängig – ein Insolvenzverfahren i. S. d. Anhangs A zur EuInsVO dar.236 Soweit die Anwendung des Haftungstatbestands also die Eröffnung eines Insolvenzverfahrens voraussetzt, wird damit einem insolvenzrechtlichen Qualifikationskriterium entsprochen. In diesem Sinne lässt sich hier jedoch nicht mit der ausschließlichen Zuständigkeit des Insolvenzverwalters argumentieren. Nach der englischen fraudulent trading-Haftung237 sind die Gesellschaftsgläubiger weder anspruchsberechtigt noch zur Geltendmachung befugt.238 Nach irischem Recht kann das Gericht aber nicht nur auf Antrag des Insolvenzverwalters (liquidator) tätig werden, sondern auch auf Antrag des Prüfers (examiner) der Gesellschaft oder eines Gläubigers, Sect. 610 (1) CA 2014.

236 237 238

Siehe bereits zur Haftung wegen reckless trading oben Kap. 5 § 12 A. I. 3. Sect. 213 Insolvency Act 1986. Henssler/Strohn/Servatius, Gesellschaftsrecht, B. Die englische Limited Rn. 181.

§ 12 Gläubigerschutz unter rechtsvergleichender Perspektive

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Für die insolvenzrechtliche Qualifikation von Sect. 610 (1) (b) CA 2014 spricht dagegen, dass das Haftungsinstrument – ebenso wie die Haftung aus Sect. 610 (1) (a) (3) CA 2014 – ein gläubigerschädigendes Verhalten zum Zwecke der Haftungsverwirklichung sanktioniert und sich durch dieses zugleich der Verfahrensgrundsatz der par conditio creditorum verwirklichen lässt. Sect. 610 (6) CA 2014 erlaubt dem Gericht die verhältnismäßige Verteilung der eingezogenen Beträge unter Berücksichtigung der Gläubigergruppen und deren Rangfolge untereinander. So kann eine gleichmäßige Gläubigerbefriedigung erfolgen. Und auch die Rechtsprechung sieht Direktoren den Gläubigern gegenüber als verpflichtet an, das Gesellschaftsvermögen zu erhalten, damit es anteilig zur Begleichung der Verbindlichkeiten der Gesellschaft verwendet werden kann. Die Rechtsprechung239 zur reckless trading-Haftung lässt sich an dieser Stelle aufgrund ihres allgemeinen Aussagegehalts auf die Haftung wegen fraudulent trading übertragen. Betroffen ist auch hier die Treuepflicht (fiduciary duty) des Geschäftsleiters. Der Direktor einer insolventen Gesellschaft hat die Gläubigerinteressen ebenso zu wahren habe wie der Insolvenzverwalter im Insolvenzverfahren. Auch in Irland hat dieser primär die anteilige und gleichmäßige Gläubigerbefriedigung im Blick. Dass den Geschäftsleiter insoweit die Pflichten eines Insolvenzverwalters treffen, spiegelt sich auch in der Haftung wegen fraudulent trading wider. Indem sich die betrügerische Geschäftsleitertätigkeit unmittelbar zum Nachteil der Gesamtgläubigerschaft auswirkt, dient die Norm in ihrem Kern dem Schutz der Gläubigerinteressen. Von diesen ist auch die gleichmäßige Befriedigung umfasst. Der Regelungsgehalt von Sect. 610 (b) CA 2014 sichert mithin den insolvenztypischen Zweck in Form der Haftungsbegründung ab und dient zugleich dem Grundsatz der par conditio creditorum. Als Folge der Anwendung passender insolvenzrechtlicher Qualifikationskriterien tritt die deliktsrechtliche Einordnung zurück. Die Haftung wegen betrügerischer Geschäftsleitertätigkeit ist insolvenzrechtlich zu qualifizieren. 2. Folgen der Zuordnung Aufgrund der insolvenzrechtlichen Qualifikation des Haftungstatbestands gelten die Ausführungen240 zur Haftung wegen reckless trading entsprechend: Das Haftungsinstrument unterfällt dem Insolvenzstatut. Es ist an das Recht des Staates der (hypothetischen) Verfahrenseröffnung geknüpft. Die Haftung betrifft neben den Geschäftsleitern irischer Gesellschaften auch die Geschäftsleiter von EU-Auslandsgesellschaften, deren COMI in Irland belegen ist. Ferner liegt in der Anwendung der Haftung auf Geschäftsleiter EU-ausländischer Gesellschaften keine Beschränkung der Niederlassungsfreiheit. Mit Blick auf den Statutenwechsel handelt es sich im hier betreffenden Kontext um einen offenen Tatbestand. Bereits eingetretene Folgen einer Pflichtverletzung können daher durch einen COMI-Wechsel nicht 239 240

Oben Kap. 5 § 12 A. I. 2. Oben Kap. 5 § 12 A. I. 4. und 5. und 6.

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5. Kap.: Anwendung der Qualifikations- und Abgrenzungsmaxime

rückwirkend beseitigt werden. Wurde in Irland ein Verfahren i. S. d. Sect. 610 (1) CA 2014 eröffnet und sind auch die sonstigen Tatbestandsvoraussetzungen der fraudulent trading-Haftung erfüllt, bestimmt sich das anwendbare Recht auch im Falle eines späteren Statutenwechsels nach irischem Recht. Zuständigkeitsrechtlich gilt, dass die Klage aus Sect. 610 (1) (b) CA 2014 ihren Ursprung im Insolvenzverfahrensrecht findet. Als Annexverfahren i. S. d. Art. 6 Abs. 1 EuInsVO ist für die Klage das Gericht des Mitgliedstaates zuständig, in dessen Hoheitsgebiet das Insolvenzverfahren eröffnet worden ist. Das Gericht des Staates der Verfahrenseröffnung entscheidet in diesem Fall über den Anspruch aus irischem Recht.

B. Französisches Insolvenzrecht Das ursprünglich aus dem Vereinigten Königreich stammende Konzept des wrongful trading ist auch in Frankreich bekannt. Hier ist die Ausfallhaftung der Geschäftsleitung im Rahmen eines Insolvenzverfahrens als action en responsabilité pour insuffisance d’actif 241 im Handelsgesetzbuch geregelt.

I. Insolvenzantragspflicht Im sechsten Buch des französischen Handelsgesetzbuchs findet sich das Unternehmensinsolvenzrecht (des difficultés des entreprises) in Art. L 610 – 1 bis L 696 – 1 C. com. Die Insolvenzantragspflicht folgt für den Fall der Zahlungseinstellung aus Art. L 631 – 4 und 640 – 4 C. com. Danach muss innerhalb von 45 Tagen nach der Zahlungseinstellung ein Reorganisationsverfahren (redressement judiciaire) oder ein Liquidationsverfahren (liquidation judiciaire) eingeleitet werden.

II. Action en responsabilite´ pour insuffisance d’actif Nach Art. L. 651 – 2 C. com. kann das Gericht im Rahmen eines Liquidationsverfahrens (liquidation judiciaire de jure) die Mitglieder der Leitungsorgane (dirigeants de droit ou de fait) einer juristischen Person bei Überschuldung der Gesellschaft (insuffisance d’actif) im Falle von Geschäftsführungsfehlern (faute de gestion)

241 Die action en comblement de passif wurde mit Art. 128 des Loi de sauvegarde des entreprises no 2005 – 845 vom 26. 07. 2005 als action en responsabilité pour insuffisance d’actif neu formuliert und mit der Ordonnance n8 2008 – 1345 vom 18. 12. 2008 portant réforme du droit des entreprises en difficulté, JORF n8 295 vom 19. 12. 2008, S. 19462, eingeführt. Aus Gewohnheit wird der Ausdruck der action en comblement de passif aber heute noch vielfach verwendet. BeckOK-InsO/Dammann, Länderberichte, Internationales Insolvenzrecht – Frankreich Rn. 603 und de Vries, RIW 2014, 105 (111) bei Fn. 51.

§ 12 Gläubigerschutz unter rechtsvergleichender Perspektive

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dazu verurteilen, das zur Schuldentilgung nicht ausreichende Vermögen ganz oder teilweise aufzufüllen242 : Article L651 – 2 C. com.: De la responsabilité pour insuffisance d’actif Lorsque la liquidation judiciaire d’une personne morale fait apparaître une insuffisance d’actif, le tribunal peut, en cas de faute de gestion ayant contribué à cette insuffisance d’actif, décider que le montant de cette insuffisance d’actif sera supporté, en tout ou en partie, par tous les dirigeants de droit ou de fait, ou par certains d’entre eux, ayant contribué à la faute de gestion. En cas de pluralité de dirigeants, le tribunal peut, par décision motivée, les déclarer solidairement responsables. Toutefois, en cas de simple négligence du dirigeant de droit ou de fait dans la gestion de la société, sa responsabilité au titre de l’insuffisance d’actif ne peut être engagée. (…) Les sommes versées par les dirigeants ou l’entrepreneur individuel à responsabilité limitée entrent dans le patrimoine du débiteur. Elles sont réparties au marc le franc entre tous les créanciers. (…).

Der Anwendungsbereich der Norm bezieht sich auf Mitglieder der Leitungsorgane von privatrechtlichen juristischen Personen, für die eine liquidation judiciaire eröffnet worden ist. Er umfasst bei der SARL den (faktischen) Geschäftsführer, bei der SA den directeur général, den président directeur général sowie den directeur général délégué und die Mitglieder des Verwaltungsrates bzw. des Direktoriums, nicht hingegen die Mitglieder des Aufsichtsrates der SA. Bei der SAS kommt die Haftungsnorm für den Präsidenten und andere in der Satzung vorgesehene Leitungsorgane zur Anwendung.243 Voraussetzung des Haftungsanspruchs ist, dass die Aktiva nicht ausreichen, um die Schulden der Gesellschaft zu decken, also eine Überschuldung i. S. d. insuffisance d’actif vorliegt, und der Geschäftsleiter einen Fehler in der Geschäftsführung begangen hat.244 Paradebeispiel einer faute de gestion ist die Nichtanzeige der Insolvenz der Gesellschaft,245 mithin die Fortführung der Gesellschaft trotz Überschuldung. Ferner muss der Geschäftsführungsfehler zumindest teilweise kausal246 für die Entstehung von Verbindlichkeiten gewesen sein und mindestens fahrlässig begangen worden sein. Einfache Fahrlässigkeit (simple négligence) des beklagten 242 BeckOK-InsO/Dammann, Länderberichte, Internationales Insolvenzrecht – Frankreich Rn. 603; MüKo-BGB/Kindler, Bd. 13, Internationales Insolvenzrecht, EuInsVO Art. 7 Rn. 76; Wegen/Asbrand, IWRZ 2017, 10 (13). 243 Zum personellen Anwendungsbereich BeckOK-InsO/Dammann, Länderberichte, Internationales Insolvenzrecht – Frankreich Rn. 606 f. 244 Basuyaux/Delpech/de Labrouhe, in: Wegen/Spahlinger/Barth, GesR Ausland, Frankreich Rn. 61. 245 MüKo-BGB/Kindler, Bd. 13, Internationales Insolvenzrecht, EuInsVO Art. 7 Rn. 77; de Vries, RIW 2014, 105 (111); Wegen/Asbrand, IWRZ 2017, 10 (13). Zu den Fallgruppen der Geschäftsleitungsfehler unter der action en comblement du passif Meyer/Gros, GmbHR 2006, 1032 (1036). 246 MüKo-BGB/Kindler, Bd. 13, Internationales Insolvenzrecht, EuInsVO Art. 7 Rn. 77; de Vries, RIW 2014, 105 (111); Wegen/Asbrand, IWRZ 2017, 10 (13).

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5. Kap.: Anwendung der Qualifikations- und Abgrenzungsmaxime

Geschäftsführers ist nicht ausreichend, um dessen Haftung zu begründen.247 Bei Vorliegen der Haftungsvoraussetzungen kann das Gericht dem Geschäftsleiter auferlegen, die Schulden der Gesellschaft teilweise oder in Gänze an die Gläubiger zurückzuzahlen.248 Die Zahlungen fallen dabei in das Vermögen des Schuldners und werden unter den Gläubigern „au marc le franc“ verteilt, d. h. im Verhältnis zu den einzelnen Ansprüchen, Art. L. 651 – 2 (4) C. com. Wenn der Verwertungserlös geringer ist als die Gesamtforderungen der Gläubiger, wird die Methode zur Verteilung unter allen Gläubigern als „au marc le franc“ bezeichnet.249 1. Qualifikation Der EuGH hat die Klage eines Insolvenzverwalters gegen die Geschäftsleitung einer insolventen Gesellschaft aufgrund der action en comblement de passif social insolvenzrechtlich eingeordnet.250 Er argumentierte, dass die Klage die Eröffnung eines Insolvenzverfahrens voraussetze und allein dem Schutz der Gläubigergemeinschaft diene.251 Dem folgend wurde und wird das Haftungsinstrument der action en responsabilité pour insuffisance d’actif in der Literatur auch heute noch überwiegend insolvenzrechtlich qualifiziert.252 Es wird vertreten, die Haftung entspreche funktional der deutschen Insolvenzverschleppungshaftung.253 Eine insolvenzrechtliche Qualifikation ergibt sich auch bei Zugrundelegung des entwickelten Kriterienkatalogs. Voraussetzung des Haftungsanspruchs ist zunächst, dass eine Überschuldung i. S. d. insuffisance d’actif vorliegt. Dies ist nach Art. L. R 643 – 16 C. com. der Fall, wenn der Verwertungserlös nicht mehr ausreicht, um die Gläubiger zu befriedigen („lorsque le produit de la réalisation des actifs du débiteur et des actions et procédures engagées dans l’intérêt de l’entreprise ou des 247 BeckOK-InsO/Dammann, Länderberichte, Internationales Insolvenzrecht – Frankreich Rn. 604; Degenhardt, NZI 2017, 134 (140). 248 Basuyaux/Delpech/de Labrouhe, in: Wegen/Spahlinger/Barth, GesR Ausland, Frankreich Rn. 61; Wegen/Asbrand, IWRZ 2017, 10 (13). 249 Hierzu auch BeckOK-InsO/Dammann, Länderberichte, Internationales Insolvenzrecht – Frankreich Rn. 616. 250 EuGH, 22. 02. 1979, Rs. 133/78 (Gourdain/Nadler), ECLI:EU:C:1979:49 = BeckRS 2004, 71542. 251 EuGH, 22. 02. 1979, Rs. 133/78 (Gourdain/Nadler), ECLI:EU:C:1979:49 Rn. 5 = BeckRS 2004, 71542. 252 So etwa Borges, ZIP 2004, 733 (739 f.); Kayser/Thole/Dornblüth, HD-KO InsO, EuInsVO Art. 6 Rn. 6; Freitag, ZIP 2014, 302 (305); Paefgen, in: Westermann/Wertenbruch, HdB Personengesellschaften, IPR Rn. 4926; E. Pfeiffer/M. Pfeiffer, in: Geimer/Schütze, Int. Rechtsverkehr, Bd. I, Brüssel Ia-VO Art. 1 Rn. 74; kritisch Rauscher/Mankowski, EuZPR/ EuIPR, Bd. I, Brüssel Ia-VO Art. 1 Rn. 140. 253 So etwa MüKo-BGB/Kindler, Bd. 13, Internationales Insolvenzrecht, EuInsVO Art. 7 Rn. 78; MüKo-InsO/Klöhn, Bd. 1, § 15a Rn. 43; Müller, NZG 2003, 414 (417); wohl auch Paefgen, in: Westermann/Wertenbruch, HdB Personengesellschaften, IPR Rn. 4926; de Vries, RIW 2014, 105 (111).

§ 12 Gläubigerschutz unter rechtsvergleichender Perspektive

273

créanciers ne permet plus de désintéresser, même partiellement, les créanciers“). Mit der tatbestandlichen Abhängigkeit des Anspruchs von der materiellen Insolvenz des Schuldners ist ein erstes insolvenzrechtliches Qualifikationskriterium erfüllt. Darüber hinaus setzt die Anwendung der Sachnorm – wie auch das irische Recht – die Eröffnung eines Insolvenzverfahrens i. S. d. EuInsVO voraus. Das liquidation judiciaire ist im Anhang A zur EuInsVO gelistet. Dieses wird eingeleitet, wenn der Schuldner seine Zahlungen eingestellt hat, Art. L. 640 – 1 (1) C. com. Der Zweck des Verfahrens liegt in der Beendigung der Tätigkeit der Gesellschaft oder in der Verwertung des Schuldnervermögens durch eine umfassende oder teilweise Übertragung der Rechte und des Vermögens des Schuldners, Art. L. 640 – 1 (2) C. com. Der Anspruch ist aber auch deshalb insolvenzrechtlich zu qualifizieren, da durch diesen ein gläubigerschädigendes Verhalten zum Zwecke der Haftungsverwirklichung sanktioniert wird und sich zugleich der Verfahrensgrundsatz der par conditio creditorum verwirklichen lässt. Art. L. 651 – 2 (4) C. com regelt, dass die Gläubiger einen prozentualen Anteil an der Höhe ihrer Forderungen erhalten, der sich nach dem Verhältnis zwischen dem Gesamtbetrag der Verbindlichkeiten und dem Verwertungserlös berechnet („au marc le franc“). Im Ergebnis führt das zur anteiligen und gleichmäßigen Befriedigung der Gläubiger. In diesem Zusammenhang ist zu berücksichtigen, dass es den Gläubigern nach dem Urteil über den Abschluss einer liquidation judiciaire wegen unzureichender Vermögenswerte (insuffisance d’actif) – von Ausnahmen abgesehen, etwa wenn der Schuldner aufgrund von Missständen in der Geschäftsführung strafrechtlich sanktioniert wurde – grundsätzlich nicht erlaubt ist, Individualklagen gegen den Schuldner zu erheben, Art. L. 643 – 11 C. com. Das über Art. L. 651 – 2 C. com. zu sanktionierende gläubigerschädigende Verhalten des Geschäftsleiters liegt in einem zumindest fahrlässig erfolgten Geschäftsführungsfehler, der für die Entstehung der Verbindlichkeiten kausal war. Die insolvenzrechtliche Qualifikation folgt ferner daraus, dass das Haftungsinstrument der action en responsabilité pour insuffisance d’actif die Funktion des Insolvenzverfahrens als Instrument der allseitigen Haftungsordnung zur kollektiven Bewältigung einer finanziellen Krisensituation unter Knappheitsbedingungen stützt. 2. Folgen der Zuordnung Aufgrund der insolvenzrechtlichen Qualifikation gelten die Ausführungen254 zur Haftung nach irischem Recht entsprechend: Das Haftungsinstrument unterfällt dem Insolvenzstatut. Damit ist es an das Recht des Staates der (hypothetischen) Verfahrenseröffnung geknüpft. Die Haftung betrifft die Geschäftsleiter von französischen Inlandsgesellschaften und europäischen Auslandsgesellschaften, deren COMI in Frankreich belegen ist, gleichermaßen.

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Oben Kap. 5 § 12 A. I. 4. und 5. und 6.

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5. Kap.: Anwendung der Qualifikations- und Abgrenzungsmaxime

In der Anwendung der Haftung auf Geschäftsleiter EU-ausländischer Gesellschaften liegt keine Beschränkung der Niederlassungsfreiheit. Die Haftung ist an die erst nach der Gründung aufgenommene Tätigkeit der Gesellschaft geknüpft und wirkt rein tätigkeitsbezogen. Mit Blick auf den Statutenwechsel ist auch hier die Fallkonstellation zugrunde zu legen, nach der eine EU-Gesellschaft, deren COMI sich zum Zeitpunkt der zum Zeitpunkt der Verwirklichung der Anspruchsvoraussetzungen in Frankreich befindet, ihren COMI danach ins europäische Ausland verlegt, wo schließlich ein Verfahren eröffnet wird. Das Schicksal des Haftungsanspruchs hängt sodann davon ab, ob die Eröffnung der liquidation judiciaire als Insolvenzverfahrens i. S. d. EuInsVO eine Tatbestandsvoraussetzung darstellt. Das Instrument der action en responsabilité pour insuffisance d’actif gelangt allein im Rahmen eines entsprechenden Insolvenzverfahrens zur Anwendung („Lorsque la liquidation judiciaire d’une personne morale fait apparaître une insuffisance d’actif“). Demzufolge handelt es sich in diesem Kontext um einen offenen Tatbestand, soweit die COMI-Verlegung nach dem Geschäftsführungsfehler i. S. v. Art. L. 651 – 2 C. com. aber noch vor eröffneter liquidation judiciaire erfolgt. Für die Bestimmung des anwendbaren Rechts folgt daraus, dass bereits eingetretene Folgen der Pflichtverletzung durch einen COMI-Wechsel nicht rückwirkend beseitigt werden können. Wurde dagegen in Frankreich das entsprechende Verfahren eröffnet und sind auch die sonstigen Tatbestandsvoraussetzungen des Haftungstatbestands erfüllt, kommt auch im Falle eines späteren Statutenwechsels französisches Recht zur Anwendung. Zuständigkeitsrechtlich gilt hier ebenfalls, dass die Klage aus Art. L. 651 – 2 C. com. dem Insolvenzverfahrensrecht entspringt. Als Annexverfahren i. S. d. Art. 6 Abs. 1 EuInsVO ist für die Klage das Gericht des Mitgliedstaates zuständig, in dessen Hoheitsgebiet das Insolvenzverfahren eröffnet worden ist. Das Gericht des Staates der Verfahrenseröffnung entscheidet in diesem Fall über den Anspruch aus französischem Recht.

6. Kapitel

Zusammenfassung der Erkenntnisse Basierend auf den Erkenntnissen der rechtsdogmatischen Aufarbeitung des Kornhaas-Urteils sowie der jüngeren EuGH-Rechtsprechung im Grenzgebiet zwischen EuInsVO und Brüssel Ia-VO soll die Untersuchung mit einer systematischen Schlussbetrachtung abschließen. Im Anschluss werden die wesentlichen Erkenntnisse noch einmal in Thesenform dargestellt.

§ 13 Konklusion Die Kornhaas-Entscheidung konnte sich in der international-privatrechtlichen Literatur einer umfangreichen und vielfältigen Rezeption1 erfreuen, hatte sie doch die heftig umstrittene Frage der kollisionsrechtlich abgeleiteten und primärrechtskonformen Anwendung des § 64 S. 1 GmbHG a. F. (jetzt § 15b Abs. 1, 4 InsO) auf eine europäische Auslandsgesellschaft zum Gegenstand. Während einige Autoren die Entscheidung kritisch betrachteten oder gar ganz ablehnten, sprachen ihr andere eine große praktische Bedeutung zu und konstatierten, dass für zentrale Fragen des Kapitalgesellschaftsrechts im grenzüberschreitenden Kontext von internationalem Gesellschafts- und Insolvenzrecht dank des EuGH nun (fast) alles klar sei.2 Diese Aussage lässt sich für die Reichweite der lex fori und den Gewährleistungsgehalt der Niederlassungsfreiheit bei genauer Betrachtung und unter Einbeziehung der Judikate NK und CeDe Group nur teilweise bestätigen. Es sollten die Stimmen recht behalten, die anfangs nicht derart überschwänglich waren. Dennoch lassen sich der Kornhaas-Entscheidung unter kollisionsrechtlicher Betrachtung Anhaltspunkte für die Qualifikation insolvenznaher Haftungsinstrumente entnehmen. Sie konturiert den schmalen Grenzverlauf wischen Gesellschaftsund Insolvenzstatut und erlaubt es zugleich, erste Kriterien herauszuarbeiten, anhand derer eine Abgrenzung von Gesellschafts- und Insolvenzstatut künftig erfolgen kann. Allein anhand dieser Merkmale lässt sich jedoch noch nicht abschließend beurteilen, ob ein Haftungsanspruch den Spezialregelungen für Insolvenzverfahren in Abgrenzung zu den allgemeinen Regelungen des Zivil- und Handelsrechts zuzuordnen

1 2

Die Nachweise hierzu finden sich in der Einleitung zu Kap. 3. Zuvorderst Schall, ZIP 2016, 289 (295).

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6. Kap.: Zusammenfassung der Erkenntnisse

ist. Deshalb folgt aus der kollisionsrechtlichen Betrachtung der Kornhaas-Entscheidung zugleich die Notwendigkeit, weitere Qualifikationskriterien zu ermitteln. Zuvor war die Kornhaas-Entscheidung primärrechtlich einzuordnen. Streit entzündete sich dabei vor allem an der Frage, inwieweit es für die Haftungsnorm maßgeblich ist, dass diese „nach der Gründung der Gesellschaft“ oder „im Rahmen ihrer Tätigkeit“ zur Anwendung kommt.3 Da der EuGH hierzu eine klare Botschaft vermissen ließ, war in der Folge zu beantworten, inwieweit die Anwendung insolvenzrechtlicher Haftungsinstrumente des Zuzugstaates, die sich nicht unmittelbar auf die Gründung bzw. Errichtung einer Gesellschaft oder Zweigniederlassung beziehen, mit der Niederlassungsfreiheit vereinbar sind. Die Urteilsformulierung ruft in diesem Zusammenhang unweigerlich eine Assoziation mit der Keck-Rechtsprechung hervor. Für die Beantwortung der Frage war mithin zu untersuchen, ob aus der Kornhaas-Entscheidung die Anerkennung der Keck-Formel in ihrer Ausprägung als Marktzugangskriterium auf die Niederlassungsfreiheit folgt. Im Ergebnis ist festzuhalten, dass der EuGH seine Keck-Rechtsprechung nicht auf die Niederlassungsfreiheit überträgt. Insolvenzrechtlich qualifizierte Regelungen knüpfen erst nach der Gründung einer Gesellschaft an deren Aktivität an; sie wirken nicht korporativ. Die Anwendung insolvenzspezifischer Haftungsinstrumente verstößt nicht gegen die Niederlassungsfreiheit. Für die Ausformung allgemeiner Qualifikations- und Zuordnungsprinzipien waren sodann die aus den Entscheidungen NK und CeDe Group abzuleitenden Schlussfolgerungen mit den Erkenntnissen aus den Urteilen Kornhaas und H in Bezug zu setzen und in das Gesamtbild der Abgrenzung zwischen Gesellschafts- und Insolvenzstatut einzufügen. Aus dieser Komplementierung erfolgte allerdings kein klarer Erkenntnisgewinn für die Reichweite der Annexzuständigkeit und den Anwendungsbereich des Art. 7 Abs. 1 EuInsVO. Als wesentlich erwies sich jedoch der Umstand, dass die Gourdain-Formel zur (materiell-rechtlichen) Bestimmung der Annexzuständigkeit ebenso bei Art. 7 Abs. 1 EuInsVO anzuwenden ist. Die Kriterien der Unmittelbarkeit und des engen Zusammenhangs mit einem Insolvenzverfahren i. S. d. Art. 6 Abs. 1 EuInsVO sind insoweit zu übertragen. Es fehlte jedoch bislang an einer umfassenden Systematik zur Behandlung dieser beiden Merkmale. So waren die Fragmente in einen allgemeinen, von der Rechtsprechung losgelösten Ansatz einzufügen, der zugleich der situativen Prägung der Thematik gerecht wird. Die Entwicklung spezifischer Abgrenzungs- und Qualifikationskriterien auf autonomer Grundlage der EuInsVO führte zur Abkehr von der kumulativen Anwendung der Kriterien der Gourdain-Formel und mündete in deren Zusammenführung. Der Untersuchung lag die Fragestellung zugrunde, welche materiell-rechtlichen Merkmale für eine insolvenzrechtliche Qualifikation prägend sind. Dazu konnte festgestellt werden, dass die auf das Verfahrensrecht ausgerichtete EuInsVO in ihrer funktionalen Ausgestaltung auch wesentliche materiell-rechtliche Wertungen und 3 So die Formulierung in EuGH, 10. 12. 2015, Rs. C-594/14 (Kornhaas), ECLI:EU:C:2015: 806 Rn. 28 = NJW 2016, 223 (225).

§ 13 Konklusion

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Regelungsgehalte des Insolvenzrechts mit in ihren Anwendungsbereich einbezieht. Auch für Art. 7 Abs. 1 EuInsVO lässt sich ein materiell-rechtlicher Bezug feststellen. Insbesondere dessen Wirkung sorgt dafür, dass die EuInsVO nicht allein einen reaktiven Ansatz verfolgt. Sie bezieht den Zeitraum im Vorfeld der Insolvenz mit ein und trägt so zur Verwirklichung eines weitreichenden Gläubigerschutzes bei. Für die Qualifikationsfragen weisen die hier vor dem Hintergrund der insolvenzrechtlichen Implikation behandelten insolvenztypischen Zwecke die Richtung. Im Ergebnis lässt sich ein Kriterienkatalog erstellen, mit dessen Inhalt Rechtsinstitute auf Grundlage des Art. 7 Abs. 1 EuInsVO dem Anknüpfungsgegenstand des Insolvenzverfahrens und seinen Wirkungen zugeordnet werden können. Im Sinne der funktional-teleologischen Qualifikation trägt dieser positive Indizienkatalog4 als ein zentraler Bestandteil der Arbeit zur klaren und einfachen Rechtsanwendung bei. Aus der Funktionsweise der Zuordnungsmerkmale wird deutlich, dass durch diese zwar einerseits eine breite Zuordnung „klassischer“ Haftungsinstrumente ermöglicht wird. Andererseits ist zuzugeben, dass die entwickelten Kriterien der Vielgestaltigkeit insolvenznaher Haftungsregelungen nicht vollumfänglich gerecht werden können. Dennoch war vor dem Hintergrund eines möglichen Statutenwechsels zu betrachten, wie sich deren Anwendung in unterschiedlichen zeitlichen Konstellationen und auf verschiedene Abschnitte insolvenzbezogener Sachverhalte auswirkt. Beantwortet werden konnte dies insbesondere für die aus einer COMI-Verlegung erwachsenden materiell-rechtlichen sowie zuständigkeitsrechtlichen Folgen der Anwendung insolvenznaher Haftungsinstrumente. Um dabei der Problematik nachträglich entfallender Ansprüche aufgrund eines Statutenwechsels gerecht zu werden, ist der in der EuInsVO angelegte Gleichlauf zwischen Art. 3 und Art. 7 Abs. 1 EuInsVO einzuschränken. Dies führt zu einer differenzierenden Anwendung des Insolvenzstatuts. Sofern es dadurch zu einem inneren Widerspruch in der kollisionsrechtlichen Anwendung kommt, greift für dessen Auflösung ein kollisionsrechtlicher Mechanismus, mit dem eine Verknüpfung der Ansprüche aus den unterschiedlichen Rechtsordnungen erfolgen kann. Die herausgearbeiteten Qualifikations- und Abgrenzungskriterien können für die Konkretisierung des Verhältnisses von Anknüpfung und Zuständigkeit herangezogen werden. Darüber hinaus dienen sie zur Abgrenzung zwischen der EuInsVO und der Brüssel Ia-VO, ferner zur Bestimmung der Reichweite des Insolvenzstatuts. Mit der hier erfolgten Anwendung der Maxime auf Rechtsinstitute der insolvenznahen Geschäftsleiterhaftung konnte die theoretische Abgrenzung von Gesellschafts-, Delikts- und Insolvenzstatut veranschaulicht werden. Die Untersuchung berücksichtigt dabei für die Haftungstatbestände – wo erforderlich – die Vereinbarkeit der Anwendung mit der Niederlassungsfreiheit und behandelt obendrein Fallgestaltungen des Statutenwechsels. Mit der Qualifikation insolvenznaher Haftungsinstrumente des irischen und französischen Rechts wird der Blick abschließend auf den Gläubigerschutz unter rechtsvergleichender Perspektive gelenkt. 4

Oben Kap. 4 § 8 B. III.

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6. Kap.: Zusammenfassung der Erkenntnisse

§ 14 Zusammenfassung der wichtigsten Thesen der Untersuchung Die kollisions- und primärrechtliche Einordnung der Rechtssache Kornhaas führt zu folgenden Ergebnissen: • Einer insolvenzrechtlichen Qualifikation nach Art. 7 Abs. 1 EuInsVO steht weder die Vorwirkung eines Haftungsanspruchs auf den Zeitraum vor Eröffnung des Insolvenzverfahrens noch das Nichtvorliegen eines Insolvenzverfahrens entgegen. Ebenso wenig ist die insolvenzrechtliche Qualifikation eines Anspruchs von dessen Geltendmachung durch einen Insolvenzverwalter abhängig. • Es besteht ein grundsätzlicher Gleichlauf zwischen der Zuständigkeit nach Art. 3 EuInsVO und dem anwendbarem Recht nach Art. 7 Abs. 1 EuInsVO. Das Verhältnis von Art. 6 Abs. 1 EuInsVO zu Art. 7 Abs. 1 EuInsVO ist dagegen nicht gänzlich kongruent. • Von der Zuständigkeit für Annexklagen kann auf die insolvenzrechtliche Qualifikation des der Klage zugrundeliegenden Haftungsanspruchs und weiter auf die kollisionsrechtliche Anknüpfung nach Art. 7 Abs. 1 EuInsVO geschlossen werden. Für die Zuständigkeit besteht ein derartiger Zusammenhang nicht. Allein von der insolvenzrechtlichen Qualifikation unter Art. 7 EuInsVO lässt sich nicht auf die Zuständigkeit nach Art. 6 Abs. 1 EuInsVO schließen. Ein Anspruch, der unter Art. 7 Abs. 1 EuInsVO fällt, kann aber materiell-rechtlich ebenso unter Art. 6 Abs. 1 EuInsVO eingeordnet werden. • Es kommt zu einem Auseinanderfallen von Qualifikation und Zuständigkeit. Daraus folgt die Uneinheitlichkeit des Zuständigkeits- und Kollisionsrechts. Diese steht in Widerspruch zur EuInsVO und zu grundlegenden Aussagen des EuGH. • Ein klares Qualifikationskriterium liegt in der Anknüpfung eines Haftungsinstituts an die materielle Insolvenz. Ein Haftungsanspruch ist insolvenzrechtlich zu qualifizieren, wenn seine Entstehung vom Eintritt eines Insolvenzgrundes abhängt. • Aus der Kornhaas-Entscheidung folgt keine Übertragung der Keck-Rechtsprechung auf die Niederlassungsfreiheit. Es entsteht kein neuer Beschränkungsbegriff. Bei Anwendung nationaler insolvenzspezifischer Haftungsinstrumente auf europäische Auslandsgesellschaften ist ein Verstoß gegen die Niederlassungsfreiheit zu verneinen. • Normen, die erst nach der Gründung an die aufgenommene Tätigkeit der Gesellschaft anknüpfen und damit rein tätigkeitsbezogen wirken, können die Niederlassungsfreiheit nicht beeinträchtigen. • Bei Bejahung der insolvenzrechtlichen Qualifikation liegt der Schwerpunkt der jeweiligen Vorschrift nicht im gründungsbezogenen Gesellschaftsrecht. Vielmehr knüpfen die autonom qualifizierten insolvenzrechtlichen Regelungen erst nach

§ 14 Zusammenfassung der wichtigsten Thesen der Untersuchung

279

der Gründung einer Gesellschaft an deren Aktivität an. Sie wirken nicht korporativ; es kann ihnen häufig ein reaktiver Charakter zugeschrieben werden. Nach Auswertung der Entscheidungen NK und CeDe Group zur Komplementierung des Kornhaas-Urteils ist Folgendes festzuhalten: • Die Gourdain-Formel zur Bestimmung der Annexzuständigkeit ist auch auf Art. 7 Abs. 1 EuInsVO anzuwenden. Die Kriterien der Unmittelbarkeit und des engen Zusammenhangs mit einem Insolvenzverfahren i. S. d. Art. 6 Abs. 1 EuInsVO sind zu übertragen. • Allein die Tatsache, dass ein Insolvenzverwalter Klage erhoben hat, kann nicht entscheidend für die Beurteilung herangezogen werden, ob die Klage bzw. der ihr zugrundeliegende Anspruch dem Insolvenzverfahren und seinen Wirkungen i. S. d. Art. 7 Abs. 1 EuInsVO zugeordnet werden kann. Fügt man die bislang gewonnenen Erkenntnisse in einen allgemeinen, von der Rechtsprechung losgelösten Ansatz ein, lassen sich insolvenzspezifische Qualifikations- und Abgrenzungskriterien entwickeln: • Bei der Bestimmung der vis attractiva concursus ist primär auf das unmittelbare Hervorgehen der Klage aus dem Insolvenzverfahren abzustellen, mithin auf deren Rechtsgrundlage. Das Erfordernis des engen Zusammenhangs ist auf das erste Kriterium zu übertragen. • Im Ergebnis entfällt die kumulative Anwendung der beiden Merkmale. Eröffnet wird diese Möglichkeit durch die explizite Übertragung der Merkmale der vis attractiva concursus auf die Norm zur Bestimmung des anwendbaren Rechts. • Die allgemeinen Merkmale der vis attractiva concursus knüpfen auf unterschiedliche Weise an die materielle Insolvenz an. Sie stellen so einen Bezug zum Insolvenzrecht her. Dieser gemeinsame Bezugspunkt ermöglicht es, die Kriterien zusammenzuführen. • In ihrer funktionalen Ausgestaltung bezieht die auf das Verfahrensrecht ausgerichtete EuInsVO auch wesentliche materiell-rechtliche Wertungen und Regelungsgehalte des Insolvenzrechts mit in ihren Anwendungsbereich ein. Auch für Art. 7 Abs. 1 EuInsVO lässt sich ein materiell-rechtlicher Bezug feststellen. • Die EuInsVO verfolgt nicht nur einen reaktiven Ansatz. Sie bezieht den Zeitraum im Vorfeld der Insolvenz gleichsam mit ein. Die Differenzierung zwischen präventiven und reaktiven Gläubigerschutzregeln ist für die Abgrenzung zwischen Gesellschafts- und Insolvenzstatut grundsätzlich nicht geeignet. • Für die Qualifikationsfragen weisen die vor dem Hintergrund der insolvenzrechtlichen Implikation gefundenen insolvenztypischen Zwecke die Richtung. Sie bilden die Grundlage für eine auf insolvenzrechtlichen Kriterien basierende Zuordnung insolvenznaher Haftungsinstrumente.

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6. Kap.: Zusammenfassung der Erkenntnisse

• Aus der bisherigen EuGH-Rechtsprechung und der funktional-teleologischen Auslegung der EuInsVO lässt sich ein Kriterienkatalog mit Prüfsteinen erstellen. Durch diesen können Rechtsinstitute auf Grundlage des Art. 7 Abs. 1 EuInsVO dem Anknüpfungsgegenstand des „Insolvenzverfahrens und seinen Wirkungen“ zugeordnet werden. • In der zweiseitigen Ordnungsfunktion des Unionsrechts – der des Insolvenzverfahrens in Bezug auf die Haftung sowie der des materiellen Insolvenzrechts – lässt sich ein Schlüsselkriterium für die Qualifikation insolvenznaher Haftungstatbestände ausmachen. Das Kriterium deckt die insolvenzrechtliche Implikation der EuInsVO in weitem Umfang ab. Zugleich bezieht es die bestimmenden insolvenztypischen Zwecke mit ein. Es bietet greifbarere Anknüpfungspunkte als die allgemein gehaltene Gourdain-Formel. Für die Anwendung der Qualifikationskriterien in unterschiedlichen zeitlichen Konstellationen und auf verschiedene Abschnitte insolvenzbezogener Sachverhalte konnte eine differenzierende Systematik entwickelt werden: • Der Gleichlauf zwischen Art. 3 und Art. 7 Abs. 1 EuInsVO ist vor dem Hintergrund nachträglich entfallender Ansprüche aufgrund eines Statutenwechsels einzuschränken. In Abweichung zum Wortlaut des Art. 7 Abs. 1 EuInsVO ist hierbei nicht auf die Verfahrenseröffnung abzustellen. Vielmehr bildet die COMIVerlegung die Zäsur für die zeitliche Aufspaltung. • Auf Ansprüche, die insolvenzrechtlich zu qualifizieren sind und im Zeitraum vor der Verlegung des COMI unter dem Recht des früheren COMI-Staates entstanden sind, ist das Recht des alten COMI-Staates anzuwenden, auch wenn in diesem nie ein Insolvenzverfahren eröffnet wurde. Die weiteren Pflichten und Folgen ergeben sich aus der nun anwendbaren lex fori concursus des neuen COMI-Staates. • Übertragen auf die Frage nach der Zuständigkeit bedeutet das, dass der Gleichlauf zwar grundsätzlich beizubehalten ist. In den Fällen des Statutenwechsels bei entstandenem Anspruch oder bei einer Pflichtverletzung im alten COMI-Staat ist er aber unabhängig von der Eröffnung eines Insolvenzverfahrens zu durchbrechen. Insoweit erfolgt eine zeitlich differenzierte Anknüpfung, die auf die unterschiedlichen Zeiträume vor und nach (späterer) Verfahrenseröffnung in einem anderen Mitgliedstaat abstellt. In der Folge können Zuständigkeit und anwendbares Recht auseinanderfallen. • Mit Blick auf die Möglichkeit der COMI-Verlegung und dem damit verbundenen rückwirkenden Wegfallen oder dem nachträglichen Entstehen einer Pflichtverletzung bedarf es mithin einer zeitlich differenzierten Anwendung des Insolvenzstatuts. Unter Heranziehung der genannten Kriterien wurde untersucht, ob und wieweit nationale Gläubigerschutznormen auf Geschäftsleiter EU-ausländischer Gesellschaften mit inländischem Sitz angewandt werden können. Nach Qualifikation und kollisionsrechtlicher Einordnung, die stets die Folgen der Zuordnung, die Be-

§ 14 Zusammenfassung der wichtigsten Thesen der Untersuchung

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schränkung der Niederlassungsfreiheit sowie Fallkonstellationen des Statutenwechsels im Blick hat, ergibt sich folgendes Bild: • Insolvenzrechtlich zu qualifizieren ist die Geschäftsleiterhaftung nach neuem Recht aus § 15b Abs. 1, 4 InsO. Im Falle der masselosen Insolvenz oder bei Einstellung des Insolvenzverfahrens ist der Haftungsanspruch gesellschaftsrechtlich zu qualifizieren. • Die Insolvenzverursachungshaftung aus § 15b Abs. 1 S. 1, Abs. 4 S. 1, Abs. 5 S. 1 InsO ist insolvenzrechtlich zu qualifizieren. • Für die Qualifikation der Haftung wegen der Verletzung der Pflicht zur Wahrung der Interessen der Gesamtheit der Gläubiger nach § 43 Abs. 1 S. 2 StaRUG ist danach zu differenzieren, ob die Restrukturierungssache öffentlich betrieben wird. Bei fehlender Öffentlichkeit sind die Anwendungsbereiche der Brüssel Ia-VO und der Rom II-VO betroffen. Kommt die Haftung ab dem 17. 07. 2022 im Rahmen einer öffentlich geführten Restrukturierungssache zur Anwendung, ist sie insolvenzrechtlich zu qualifizieren. • Die Antragspflicht nach § 15a Abs. 1 S. 1 InsO ist insolvenzrechtlich zu qualifizieren. • Bei der Insolvenzverschleppungshaftung gem. § 823 Abs. 2 BGB i. V. m. § 15a Abs. 1 InsO ist zwischen der Geltendmachung von Alt- und Neugläubigerschäden zu differenzieren. Für den Gesamtschaden der Altgläubiger ist eine insolvenzrechtliche Zuordnung der Insolvenzverschleppungshaftung festzustellen. Für den Individualschaden der Alt- und Neugläubiger greift die deliktsrechtliche Qualifikation. • Die Anzeigeverschleppungshaftung aus § 823 Abs. 2 BGB i. V. m. § 42 Abs. 1 S. 2 StaRUG ist in Bezug auf den Gesamtschaden der Alt- sowie Neugläubiger insolvenzrechtlich zu qualifizieren. • Die Haftung wegen des Erwirkens gerichtlicher Stabilisierungsanordnungen aufgrund unrichtiger Angaben gem. § 57 S. 1 StaRUG unterfällt allein bei öffentlich betriebener Restrukturierungssache und gleichzeitiger Aufnahme des StaRUG-Verfahrens zum Anhang A der EuInsVO dem Insolvenzstatut. Im Falle der Nichtöffentlichkeit ist der Anspruch dem Deliktsstatut zuzuordnen. • Das irische Haftungsinstrument des reckless trading gem. Sect. 610 (1) (a) (3) CA 2014 ist insolvenzrechtlich zu qualifizieren. Dies gilt auch für die Haftung wegen fraudulent trading nach Sect. 610 (1) (b) CA 2014. • Die französische action en responsabilite´ pour insuffisance d’actif ist ebenfalls insolvenzrechtlich zu qualifizieren.

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Stichwortverzeichnis Action en responsabilité pour insuffisance d’actif 270 ff. Altgläubiger 222, 226 – Gesamtschaden 227 f. – Individualschaden 231 – Quotenschaden 246 f. Anerkennung 38 ff. Anerkennungsprinzip 39 f. Anknüpfung 33 – Verfahrensunabhängige 189 f. Anknüpfungsgegenstand 33 f. Anknüpfungsmoment 33 f. Anknüpfungssystem 46 f. Annexverfahren 101, 111 ff. Anspruchsverknüpfung 194 Antragstellung 185 ff. Anzeigeverschleppungshaftung 244 ff. Auslegung 49 ff. – Autonome 49 Auslegungskompetenz 88 f. Auslegungsmethode 50 Außenhaftung 225 ff. Beschränkungsbegriff 71 f., 137 ff. – Eingrenzung 137 f. – Interpretation 138 ff. Beschränkungsverbot 71, 136 f. Brüssel Ia-VO 47 ff., 107 ff. Business-Activity-Theorie 44 Cartesio 76 f. Catégorie de rattachement 33 CeDe Group 98 f., 110, 153 ff. COMI 43 – Anknüpfungspunkt 43 – Bestimmung 44 – Verlegung 45, 63 – Zuständigkeitsbegründung 185 Cross-Border-Insolvenzen 29, 40

Daily Mail 75 f. Dépeçage 66 Diskriminierung 70, 135 f. – Mittelbare 70 – Offene 70, 136 – Unmittelbare 70 – Versteckte 70, 136 Diskriminierungsverbot 70 ff., 135 f. Durchgriffshaftung 59, 198 Effet utile 49, 92, 129, 161 Einheitsstatut 37, 59 EuInsVO 31, 41 ff. Europäisches Gesellschaftsrecht 35 ff. Europäisches Insolvenzrecht 41 Europäisches Kollisionsrecht 33, 49 ff., 89 Facteur de rattachement 34 Forum Shopping 167, 187, 191, 256 Französisches Insolvenzrecht 270 – Action en responsabilité pour insuffisance d’actif 270 ff. – Insolvenzantragspflicht 270 Fraudulent trading 266 ff. Gesamtschaden 226 – Altgläubiger 227 f. – Neugläubiger 228 ff. Geschäftsleiterhaftung 27, 29, 211 f., 251 f. Gläubigerschutz 30, 58, 95, 166, 255 f. Gleichlauf 92, 109 ff. – Einschränkung 189 ff., 193, 199, 201 – Grundsatz 183 Gourdain-Formel 101, 104, 107, 180, 276 Gourdain/Nadler 101 ff. Gründungstheorie 36 f., 69, 74 ff. H 89, 91, 152 Haftungsbegründung

175 f.

Stichwortverzeichnis Haftungsinstrumente 27, 30, 129, 208, 235 – Insolvenznahe 102, 178, 201 – Inolvenzspezifische 142, 276, 278 – Irische 256 ff. – Nationale 208 ff. Haftungsverwirklichung 174 f., 178, 179 f. Individualschaden 228 ff., 230 f. – Altgläubiger 231 – Neugläugiger 228 ff. Innenhaftung 208 ff. Insolvenz 59 – Masselose 212 ff. – Materielle 162 ff. – Wirkungen 59 Insolvenzantragspflicht 220 ff., 270 Insolvenzbereich 91, 103 ff. – Interpretation 103 ff. Insolvenzrecht 27, 59 ff. – Europäisches 41 f. – Französisches 270 ff. – Internationales 40 ff. Insolvenzstatut 44 f., 59 f., 63 f. – Ausdehnung 205 ff. – Differenzierende Anwendung 193 ff., 216 – Zeitliche Differenzierung 193 f. Insolvenzverfahren 42 f., 45 – Eröffnung 59, 93, 183, 227 f. – Wirkungen 42, 44, 99, 155 f. Insolvenzverfahrensrecht 91, 104 f., 202 Insolvenzverschleppungshaftung 225 ff. Insolvenzverursachungshaftung 216 ff. Insolvenzverwalter 97 ff., 102 f., 150 f. Inspire Art 37, 72 f., 87 Internationales Deliktsrecht 45 ff. Internationales Gesellschaftsrecht 35 ff. Internationales Insolvenzrecht 40 ff. IPR 32 ff. Irische Haftungsinstrumente 256 ff. – Fraudulent trading 266 ff. – Reckless trading 257 ff. Keck-Rechtsprechung 71, 132, 134 ff. Kollisionsrecht 49 ff. Kornhaas 79 ff., 152, 158 f. – Argumentationslinie 129 – Entscheidung 81 ff.

309

– Schlussfolgerungen 129 – Urteil 81, 97, 107, 125, 132 Kriterienkatalog 178 ff. Lex fori 49 Lex fori concursus 44 f., 87, 91 – Hypothetische 94, 184, 189, 192, 203 f. Lex fori-Prinzip 41 Masseanreicherung 171 f., 180, 213 Mindestkapitalanforderungen 133, 138 Mindestkapitalvorgaben 142 Mind of Management-Theorie 44 Neugläubiger 226, 228 ff., 247 – Individualschaden 228 ff. – Quotenschaden 247 ff. Niederlassungsfreiheit 67 ff. – Primäre 68 f. – Schutzbereich 132 ff. – Sekundäre 68 f. NK 116, 146 ff., 172 Organhaftung 82 – Geltendmachung – Nationale 82

82

Par conditio creditorum 82, 172 ff., 177 ff. Peeters/Gatzen-Klage 146 Point de contract 34 Polbud 39, 76 f., 188 Primärrecht 32, 35, 39, 68 – Europäisches Gesellschaftsrecht 35 ff. – Kollisionsnorm 70 – Niederlassungsfreiheit 67 ff. Qualifikation 51 ff. – Begriff 51 ff. – Deliktsrechtliche 61 f. – Doppel 56 ff. – Funktional-teleologische 54, 88 ff. – Gegenstand 51 ff. – Gesellschaftsrechtliche 58 f. – Insolvenzrechtliche 59 ff. – Mehrfach 56 ff. – Voraussetzung 97 ff., 100, 123 f., 152

310

Stichwortverzeichnis

Qualifikationskriterien 96, 100 ff., 162 ff., 179 ff. – Insolvenzrechtliche 100 ff. Qualifikationsmethode 55 f. Qualifikationsstatut 54 ff. Qualifikationstheorien 54 Qualifikationsvoraussetzung 97, 100, 123 – Materielle 123 ff. Quotenschaden 226, 246 ff. – Altgläubiger 246 f. – Neugläubiger 247 ff. Reckless trading 256, 257 ff. Renvoi 34 Restrukturierungsrahmen 167 f., 235 ff. – IPR 235 f. – Präventiver 167 f., 235 ff. Rom II-VO 31, 45 ff., 61 f. Satzungssitzverlegung 75 ff. Sitzverlegung 73 ff. – Formwahrende 67 – Internationale 73 ff. Sonderanknüpfung 65 ff., 143 Stabilisierungsanordnungen 251 ff. – Gerichtliche 235 Statutenwechsel 63 f., 73 ff., 182 f. Substitution 64 f., 214, 223 Theorie 35 ff. – Business-Activity- 44 – Gründungs- 31, 35 ff. – Lex causae- 54 – Lex fori- 54 – Mind of Management- 44 – Qualifikations- 54 – Sitz- 35 Trading 219 – Fraudulent 256, 266 ff. – Wrongful 219

Überseering 37, 39, 72, 75, 86, 132 f., 140 Übertragung 72, 134 f. – Keck-Rechtsprechung 134 f., 278 – Marktzugangskriterium 72, 137 Unmittelbarkeitskriterium 163 f. VALE 77 Verfahren 236 f. – Nicht-öffentliche 168, 236 f. – Öffentliche 236 f., 244, 255 Verfahrenseröffnung 942, 44 f., 59, 92 ff., 157 Verwaltungssitzverlegung 75 f., 133 Verweisung 34 f., 38 f., 45 Vis attractiva concursus 101, 107, 109, 160, 162 ff. Wechsel 63 f., 74 f., 76 f. – Form 28, 74, 76 f. – Rechtsform 74 f. – Statuten 30, 63 f., 73, 74 f. Wechselwirkung 156 Wegzug 73 f., 76 Wegzugstaat 182, 189, 224, 232, 250 Zahlungsverbot 82 ff., 94, 125, 209 ff. Zusammenhang 92 – Enger 95, 98, 107 f., 150 f., 157, 160 ff. Zuständigkeit 42, 47, 90 – Eröffnung 43, 186 – Gleichlauf 92, 109 f., 111 ff., 116, 121 – Internationale 48 Zuständigkeitsregeln 47, 107, 122, 130 Zuzug 74 f. Zuzugstaat 66, 68 f., 76, 138, 141 f., 190, 216 Zwecke 85, 161, 171, 177, 178 ff. – Insolvenzrechtliche 85 – Insolvenztypische 161, 171, 177, 178 ff.