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German Pages 532 Year 2014
Ole Löding »Deutschland Katastrophenstaat«
Studien zur Popularmusik
Ole Löding (Dr. phil.), Literaturwissenschaftler und Kulturhistoriker in Köln, war viele Jahre als Lehrender an der Universität zu Köln tätig. Seine Forschungsschwerpunkte sind populäre deutschsprachige Musik, Literatur und Politik sowie Intermedialität.
Ole Löding »Deutschland Katastrophenstaat«. Der Nationalsozialismus im politischen Song der Bundesrepublik
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Inhalt
Danksagung | 11 Einleitung | 13
I. 1. Der Song | 29
1.1 Terminologie: Lied oder Song | 30 1.2 Konstitutive Formelemente des Songs | 43 1.3 Zum Verhältnis von Lyrik und Songtext | 52 1.4 Literatur- und musikgeschichtliche Aspekte | 61 1.5 Songs als Populärmusik | 72 1.6 Genres der Populärmusik: Rock – Folk – Pop | 84 2. Der politische Song | 107 2.1 Problemaufriss | 107
2.2 Adorno und der politische Song | 109 2.3 Versuch einer heuristischen Definition des politischen Songs | 115 2.4 Der Begriff der ‚politischen Musik‘ | 129 3. Songs als Medien der Auseinandersetzung mit dem Nationalsozialismus | 135 3.1 Erinnerung und Gedächtnis | 135 3.2 Gedächtnisdiskurse | 142 4. Zeitrahmen, Songauswahl, Auslassungen | 151 4.1 Zeitrahmen: 1964 bis zur Gegenwart | 151 4.2 Überlegungen zur Songauswahl | 156 4.3 Auslassungen | 161 4.4 Zusammenfassung der Methodik | 165
II. 5. 1964-1968 | 171
Vorläufer 1945-1964 | 172 „Wer gab den Wölfen die Kreide, das Mehl?“ Faschismusanalysen von Franz Josef Degenhardt | 175 Franz Josef Degenhardt: Wölfe mitten im Mai (1965) | 177 Franz Josef Degenhardt: Tarantella (1963) | 186 Franz Josef Degenhardt: Wenn der Senator erzählt… (1968) | 191 Die Täter: Väter, Instanzen, Mitläufer | 199 Wolf Biermann: Das Familienbad (Der nette fette Vater) (1965/1977) | 200 Die „Naziväter“ | 208 Gesellschaftliche Instanzen (Politik, Universität) | 212 Mitläufer und Opportunisten | 218 Der (kaum vorhandene) Opferdiskurs | 225 Dieter Süverkrüp: Kirschen auf Sahne (1967) | 226 Instrumentalisierungen der Opfer | 232 Franz Josef Degenhardt: Der Talisman (1968) | 238 Warnungen vor einem „neuerlichen Deutschland-Erwachen“ | 241 Dieter Süverkrüp: Verkürzte Darstellung eines neuerlichen Deutschland-Erwachens (1967) | 243 Dieter Süverkrüp: Lagerlied (1967) | 247 Franz Josef Degenhardt: Spaziergang (1966) | 249 Franz Josef Degenhardt: In den guten alten Zeiten (1966) | 252 Weitere Variationen der Restaurationsängste | 254 Fazit 1964-1968 | 258
6. Nach der Revolte 1968-1979 | 261
„Die Erwartungen des Kapitals wurden voll und ganz erfüllt“ – Radikalisierung der Kapitalismuskritik | 264 Die Schmetterlinge: Proletenpassion (1977) | 266 Floh de Cologne: Arbeit macht Freitag (1970) | 270 „Ach Deutschland, deine Mörder“ Der Täterdiskurs nach der Revolte | 272 Die Schmetterlinge/Floh de Cologne zu Krupp und Thyssen | 272 Wolf Biermann: Drei Kugeln auf Rudi Dutschke (1968) | 277 Personalisierungen der Opfer des Nationalsozialismus | 281 Walter Mossmann: Ballade vom Matrosen Walter Gröger (1979) | 281 Walter Mossmann: Ballade von der Rentnerin Anna Mack (1979) | 287 Franz Josef Degenhardt: Rudi Schulte (1971) | 291 „Sag mal Herr Lehrer“ Vermittlung und Vergegenwärtigung des Nationalsozialismus | 297 Erneuerungen und Erweiterungen der Restaurationswarnung | 297 Walter Mossmann: Lied vom Grünen Gras/ Sieben Fragen eines Schülers (1977) | 300 Die Schmetterlinge: Faschismuslied des Geschichtslehrers (1977) | 304 Konstantin Wecker: Vaterland (1979) | 307 Udo Jürgens: Auf der Straße der Vergessenheit (1971) | 310 Fazit 1968-1979 | 316
7. Zeit des Übergangs 1979-1989 | 321
Faschismusanalysen zwischen Historisierung, Psychologisierung und Entpolitisierung der NS-Zeit | 325 BAP: Kristallnaach (1982) | 325 Konstantin Wecker: Einen braucht der Mensch zum Treten (1984)/Hexeneinmaleins (1978) | 332 Reinhard Mey: Die Eisenbahnballade (1988) | 338 „Zum Abtreten angetreten“ Die alternden Täter und ihre zeitgenössischen Epigonen | 343 Neue ‚alte Täter‘ – Wolf Biermanns Album Eins in die Fresse, mein Herzblatt (1980) | 344 Kontinuitäten der Täterdarstellung | 350 Täterkarikaturen | 354 „Und als mein Vater in Auschwitz brannte“ Vergegenwärtigungen deutscher Opfer | 360 Wolf Biermann und der Holocaust | 361 Weitere Variationen der Erinnerung und des Gedächtnisses | 370 Heinz Rudolf Kunze: Vertriebener (1985) | 376 Wolf Biermann: Ich leb mein Leben, sagt Eva-Marie (1982) | 379 Die Suche nach einer ‚zustimmungsfähigen‘ Vergangenheit | 382 Franz Josef Degenhardt und der Ost-West-Konflikt | 383 „Der böse Geist“ – Dämonisierungen des Nationalsozialismus | 386 Weitere Kritik an gesellschaftlichen Verdrängungsprozessen | 390 ‚Normalisierung‘ bei Ina Deter, Heinz Rudolf Kunze und DAF | 397 Heinz Rudolf Kunze: Madagaskar (1985) | 404 ‚Deutsche Helden‘ | 408 Fazit 1979-1989 | 411
8. Die Gegenwart der Vergangenheit nach der Wiedervereinigung | 417
„Ein schönes, schlimmes, stinknormales Land“ Die (fast) aufgearbeitete Vergangenheit | 419 Abschied und Auferstehung der „verdorbenen Greise“ | 422 Luftkrieg und Vertreibung Der neue deutsche Opferdiskurs | 428 ‚Wende des Erinnerns‘? Die Gegenwart der Vergangenheit im vereinten Deutschland | 437 Warnungen vor der ‚selbstbewussten Nation‘ | 438 Das vereinte Deutschland zwischen ‚Schlussstrich‘ und Erinnerung | 445 9. Zusammenfassung und Ausblick | 453
III. Literaturverzeichnis | 465
Quellenverzeichnis | 465 Songs/Alben | 465 Printquellen/Interviews | 484
Darstellungen | 489
Danksagung
Die vorliegende Untersuchung wurde im Herbst 2009 von der Philosophischen Fakultät der Universität zu Köln als Dissertation angenommen. Die Disputation fand am 04. November 2009 statt. Meinen herzlichen Dank möchte ich an dieser Stelle meinem Promotionsbetreuer Prof. Dr. Rudolf Drux aussprechen, der durch fachliche und berufliche Förderung den Freiraum für diese Studie geschaffen und ihre Entstehung entscheidend beeinflusst hat. Ebenfalls möchte ich dem Zweitgutachter der Dissertation Prof. Dr. Norbert Finzsch danken. Zahlreiche Menschen außerhalb des universitären Betriebs haben sich in den vergangenen Jahren in Gesprächen und Diskussionen auf diese Untersuchung eingelassen; sie waren bereit, sich intensiv mit unterschiedlichster Musik und schwierigen, häufig bedrückenden Texten zu befassen. Ohne ihre Hilfestellung und ihr Engagement wäre dieses Buch nicht entstanden. Insbesondere danke ich Sabine Kannenberg und Wolfgang Löding für ihre Unterstützung und ihr großes Interesse an diesem Projekt, für Ansporn, Wider- und Zuspruch. Bettina von Reden hat diese Studie von den ersten Ideen bis zur letzten Manuskriptkorrektur mit großem Einsatz begleitet und mehr als einen Stein ins Rollen gebracht – danke für den Rückenwind. Juliane Kreppel, Judith Leiß und Sandra Vogel danke ich für unzählige wissenschaftliche und freundschaftliche Ratschläge, Korrekturen und Schönheiten des Alltags. Danke an Martin Zuther für die lautstarke Spurensuche.
Danke an Hanna Lorenzen für Worte, Töne, Bilder. Danke an Mirko Averbeck. Danke an Susanne Couturier, Alexandra Oeser, Eva Tönnies und Rebecca Wittmann. Danke an Klaus und Thomas. Dieses Buch wäre nicht möglich gewesen ohne die kompetenten Mitarbeiter des Klaus Kuhnke Archivs für Populäre Musik in Bremen und die unbegrenzte Gastfreundschaft, informatische Spitzfindigkeit und Hilfsbereitschaft von Helge Löding. Es wird immer weitergehen. Köln im Juli 2010, Ole Löding
Einleitung Soviel Hitler war nie. NORBERT FREI1
Auch wenn die bedingungslose Kapitulation des Dritten Reichs mittlerweile mehr als sechzig Jahre her ist, hat die nationalsozialistische Vergangenheit Deutschlands bis heute nichts an ihrer prägenden Wirkung für die Gegenwart eingebüßt. Günter Grass’ Schlussworte in seiner kontrovers diskutierten Novelle Im Krebsgang aus dem Jahr 2002 sind auch eine Aussage darüber, inwieweit es überhaupt möglich ist, die deutsche Geschichte zu bewältigen: „Das hört nicht auf. Nie hört das auf.“2 Der Nationalsozialismus kann auch Anfang des 21. Jahrhunderts noch als „das zentrale Bezugsereignis der politischen Kultur der BRD“ bewertet werden.3 Es genügt, Stichworte wie ‚Schlussstrich‘, ‚Moralkeule Auschwitz‘ oder ‚die Leiden der Deutschen‘ zu nennen, um anzudeuten, wie sehr das politische und ge1 2
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Frei, Norbert: 1945 und wir. Die Gegenwart der Vergangenheit. In: Ders.: 1945 und wir. Das Dritte Reich im Bewußtsein der Deutschen. München 2005, S. 7. Grass, Günter: Im Krebsgang. Eine Novelle. Göttingen 2002, S. 216. Der Begriff ‚Vergangenheitsbewältigung‘ sollte vorsichtig gebraucht werden, weil er die Möglichkeit der ‚Bewältigung‘ im Sinne eines abschließenden ‚Schlussstriches‘ andeutet. Adorno schreibt hierzu: „Mit Aufarbeitung der Vergangenheit ist […] nicht gemeint, daß man das Vergangene im Ernst verarbeite, seinen Bann breche durch helles Bewußtsein. Sondern man will einen Schlußstrich darunter ziehen und womöglich es selbst aus der Erinnerung wegwischen.“ (Adorno, Theodor W.: Was bedeutet: Aufarbeitung der Vergangenheit. In: Ders.: Eingriffe. Neun kritische Modelle. Frankfurt a.M. 1963, S. 125). Vgl. zur Begriffsgeschichte Kansteiner, Wulf: Losing the War, Winning the Memory Battle. The Legacy of Nazism, World War II, and the Holocaust in the Federal Republic of Germany. In: Fogu, Claudio/Lebow, Richard N./Kansteiner, Wulf: The Politics of Memory in Postwar Europe. Durham, London 2006, S. 102-105. Schwab-Trapp, Michael: Konflikt, Kultur und Interpretation. Eine Diskursanalyse des öffentlichen Umgangs mit dem Nationalsozialismus. Opladen 1996, S. 7.
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sellschaftliche Leben und Denken der Bundesrepublik durch den NS-Staat geprägt wurden und werden.4 Die Auseinandersetzung mit der Vergangenheit geht dabei weit über wissenschaftliche und feuilletonistische Großereignisse wie den Historikerstreit oder Martin Walsers Paulskirchen-Rede hinaus. Sie ist, wie Norbert Frei erklärt, ein „historischer Prozeß, der das politische Selbstverständnis der Deutschen bis in die Gegenwart prägt: als ein komplizierter, fortdauernd neue Konstellationen evozierender Zusammenhang von individueller Erinnerung, kollektivem Gedächtnis und öffentlicher Debatte.“5 Ein Prozess, das muss ergänzt werden, der politische, juristische, wirtschaftliche, moralische, ästhetische und wissenschaftliche Themen und Fragestellungen berührt, was ihn fast zwangsläufig zu einem zentralen Diskurs in der deutschen Öffentlichkeit macht,6 wissenschaftlich jedoch nur schwer durchdringbar werden lässt.7 Film, Theater, bildende Kunst, Literatur oder auch Architektur zeigen zahllose Beispiele von Versuchen, die nationalsozialistische Vergangenheit künstlerisch zu verarbeiten.8 Immer wieder gerät dabei auch die Frage ihrer Darstellbarkeit in den Fokus, entweder des Werkes selbst (zum Beispiel bei Celan oder Grass) oder der Rezeption (zum Beispiel in den Debatten um Rolf Hochhuths Der
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Zu diesen Termini und ihrem jeweiligen Ursprung vgl. Assmann, Aleida: Die Schlagworte der Debatte. In: Dies./Frevert, Ute: Geschichtsvergessenheit – Geschichtsversessenheit. Vom Umgang mit deutschen Vergangenheiten. Stuttgart 1999, S. 53-96. Frei, Norbert: Einführung. In: Ders./Steinbacher, Sybille (Hrsg.): Beschweigen und Bekennen. Die deutsche Nachkriegsgesellschaft und der Holocaust. Göttingen 2001, S. 7. Zum hier und im Folgenden verwendeten Diskursbegriff vgl. Kap. 3.2. Vgl. Martínez, Matías: Zur Einführung. Authentizität und Medialität in künstlerischen Darstellungen des Holocaust. In: Ders. (Hrsg.): Der Holocaust und die Künste. Medialität und Authentizität in Holocaust-Darstellungen in Literatur, Film, Video, Malerei, Denkmälern, Comic und Musik. Bielefeld 2004, S. 7. Vgl. hierzu z.B. Schmitz, Helmut (Hrsg.): German Culture and the uncomfortable Past. Representations of National Socialism in Contemporary Germanic Literature. Aldershot u.a. 2001; Atze, Marcel: „Unser Hitler“. Der Hitler-Mythos im Spiegel der deutschsprachigen Literatur nach 1945. Göttingen 2003; Hahn, Hans-Joachim: Repräsentationen des Holocaust. Zur westdeutschen Erinnerungskultur seit 1979. Heidelberg 2005. Diss. Berlin 2003; Benz, Wolfgang: „Todesmühlen“. Das Bild der KZ in der deutschen Nachkriegsbelletristik, im Theater und Film. In: Dachauer Hefte 24 (2008), S. 3-18; Fritsche, Peter: What exactly is „Vergangenheitsbewältigung“? Narrative and its Insufficiency in Postwar Germany. In: Cosgrove, Mary/Fuchs, Anne/Grote, Georg (Hrsg.): German Memory Contests. The Quest for Identity in Literature, Film, and Discourse since 1990. Rochester/NY u.a. 2006, S. 25-40.
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Stellvertreter oder Steven Spielbergs Spielfilm Schindlers Liste). Theodor Adornos Diktum, „nach Auschwitz ein Gedicht zu schreiben, ist barbarisch“,9 konnte gerade deshalb so wirkmächtig werden, weil es die Darstellbarkeit von industriell organisiertem Massenmord, Kriegsfanatismus und nationalsozialistischer Barbarei durch die Kunst prägnant hinterfragte und weil es sich in der Rezeption eben nicht ausschließlich auf die Lyrik, sondern auf künstlerische Werke aller Bereiche erstreckte.10 Adorno steht dabei am Anfang eines eigentümlichen, weil nicht homogenen, sondern häufig genug widersprüchlichen Holocaust-11 und NS-Diskurses, der den künstlerischen Äußerungen bestimmte Regeln auferlegt. Wie Matías Martínez dargelegt hat, bestimmen diese Regeln, „wer in welcher Form, mit welchen Begründungen und Argumenten, in welchen Medien und an welches Publikum gerichtet über den Holocaust sprechen darf.“12 Erst vor dem Hintergrund dieser gesellschaftlichen Verständigungen können Tabubrüche (von z.B. W. G. Sebald, Imre Kertész, Art Spiegelman) als solche wahrgenommen werden13 und kann die Nicht-Einhaltung der Regeln trotz der „abergläubischen Wiederholung“ der Sätze Adornos als drohende „Auschwitz-Kultur“ beklagt werden.14 Bei allen Kontroversen um Adornos Diktum und künstlerische Werke, die das nationalsozialistische Regime thematisieren, bleibt doch eine ‚Leerstelle‘ auffallend: Die Debatten blieben und bleiben in den allermeisten Fäl-
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Adorno, Theodor W.: Kulturkritik und Gesellschaft. In: Ders.: Prismen. Kulturkritik und Gesellschaft. Berlin, Frankfurt a.M. 1955, S. 31. Vgl. zu der Debatte Navky, Günter: Aspekte des Nationalsozialismus in Gedichtbänden des Jahres 1980. St. Ingbert 2005, S. 136-141. Die Benennung der Verfolgung und Ermordung der europäischen Juden, aber auch anderer Opfer des NS-Regimes ist wissenschaftlich umstritten. Während der Begriff ‚Holocaust‘ aufgrund seiner amerikanisierten Schreibform und seiner Bedeutung als ‚biblisches Brandopfer‘ problematisch ist, ist die Bezeichnung ‚Shoa‘ noch nicht weit verbreitet und erzeugt durch den Fremdwortcharakter ebenfalls Distanz. Beide Begriffe haben die Tendenz, lediglich die jüdischen Opfer zu bezeichnen. Aus Mangel an alternativen Begrifflichkeiten werden ‚Holocaust‘ und ‚Shoa‘ synonym gebraucht und ggf. präzisiert (vgl. hierzu Navky, Günter: Aspekte des Nationalsozialismus. S. 66-70). Martínez, Matías: Authentizität und Medialität in künstlerischen Darstellungen des Holocaust. S. 9. Ebd., S. 9. Nancy, Jean-Luc: Un Souffle/Ein Hauch. Aus dem Französischen von Bernd Stiegler. In: Berg, Nicolas/Joachimsen, Jess/Stiegler, Bernd (Hrsg.): Shoah. Formen der Erinnerung. Geschichte, Philosophie, Literatur, Kunst. München 1996, S. 123.
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len auf Produkte der ‚Hochkultur‘, also Gedichte, Romane, Theaterstücke und Werke der bildenden Kunst beschränkt.15 Der Bereich der Populärkultur scheint von dem ‚Adorno’schen Schweigegebot‘ merkwürdig ausgenommen. Georg Seeßlen drückt dieses Kuriosum aus, wenn er in seiner Studie Tanz den Adolf Hitler zur Verbindung von Faschismus und populärer Kultur schreibt: „Ob man nach Auschwitz noch Gedichte schreiben könne, war eine fundamentale Frage der kulturellen Wahrnehmung. Aber kein Mensch fragte, ob man nach Auschwitz noch Kriminalromane schreiben oder Frauen in Bikinis photographieren könne.“16 Am erstaunlichsten ist diese ‚Leerstelle‘ jedoch in Hinsicht auf eine Form populärer Kultur, die zum einen zahllose Texte nach und über Auschwitz hervorgebracht hat und zum anderen diese durch die ihr eigenen Stilmittel populär, oftmals eingängig und häufig tanzbar präsentiert: den politischen Song. Seit den Mittsechziger Jahren äußern sich Songschreiber, Liedermacher und Musiker17 implizit und explizit zur nationalsozialistischen Vergangenheit Deutschlands. Dennoch wurden Songs wie Franz Josef Degenhardts Wölfe mitten im Mai oder BAPs Kristallnaach weder in einem Maße wie z.B. Rolf Hochhuths Der Stellvertreter im Feuilleton diskutiert noch in der Forschung hinreichend analysiert. Die Tatsache, dass Adornos ‚Gebot‘, welches ja durchaus allgemein für die Forderung nach besonderer Sorgfalt hinsichtlich der künstlerischer Beschreibung nationalsozialistischer Verbrechen stehen kann, für den politischen Song nicht oder zumindest nur sehr eingeschränkt als geltend betrachtet wurde, macht diesen zu einer besonderen Quelle, um den populärkulturellen Umgang mit der deutschen Vergangenheit zu betrachten. Dabei steht weniger die Frage nach der historischen Korrektheit der populärmusikalischen Aussagen zur Geschichte im Vordergrund, als die der ästhetischen Präsentation. Spätestens seit Hayden Whites Untersuchungen zur Fiktionalität der Historiographie muss grundsätzlich davon ausgegangen werden, dass die Beschreibung historischer Ereignisse immer in gewissem Maße fiktional und die Grenze zwischen literarischen und historiogra-
15 Vgl. Einleitung: Anm. 7 und 8. 16 Seeßlen, Georg: Tanz den Adolf Hitler. Faschismus in der populären Kultur. Band 1. Berlin 1994, S. 107. 17 Aus Gründen der Lesbarkeit wird im Folgenden das generische Maskulinum verwendet; der Verfasser bittet, jeweils beide Geschlechter mitzudenken.
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phischen Texten fließend ist.18 Dies gilt uneingeschränkt auch für die Beschreibung der nationalsozialistischen Vergangenheit Deutschlands, wie James E. Young durch die Anwendung der Thesen von White nachweisen konnte. Young legte schon 1988 (dt. 1992) überzeugend dar, dass „die Fakten des Holocaust letztlich nur in ihrer erzählenden und kulturellen Rekonstruktion Bestand haben“, dass somit jede Analyse des Holocaust eine Verknüpfung literarischer und historiographischer Interpretation (‚literarische Historiographie‘) ist.19 Ganz zu Recht verweigert sich Young allerdings einer allzu weitgehenden ‚Dekonstruktion‘ historiographischer Texte. Sie könnte nämlich zu der Behauptung führen, „alle Ereignisse hätten außerhalb der Texte gar nicht stattgefunden und alle in den verschiedenen Darstellungen erzeugten Bedeutungen der Ereignisse seien nur relativ.“ Sein Ansatz ist vor allem deshalb bedenkenswert, weil er zeigt, dass jede Beschreibung der nationalsozialistischen Vergangenheit immer eine erzähltechnisch konstruierte ist.20 Dies heißt im Umkehrschluss, dass neben historischen Untersuchungen auch und gerade literarische Texte (wie politische Songs) hinsichtlich ihrer Darstellung der Vergangenheit ernst zu nehmen sind. Dies nicht nur, weil auch sie relevante Aussagen über die Vergangenheit zu treffen in der Lage sind, sondern weil ihre Literarizität den Blick auf die ästhetische Vermittlung und erzähltechnische Konstruktion des historischen Gegenstands notwendig macht. Politische Songs erscheinen schon deshalb als ein interessanter Untersuchungsbereich, weil für ihre Darstellung der nationalsozialistischen Vergangenheit Deutschlands eine gewisse Breitenwirkung anzunehmen ist. Man wird zwar nicht so weit gehen müssen wie Albert Klein, der sagt, dass „die populäre, volkstümliche oder massenhaft verbreitete Literatur gesellschaftliches Bewußtsein und Verhalten weitaus unmittelbarer widerspiegelt und prägt als die für sakrosankt erklärte Dichtung.“21 Es ist aber zu betonen, dass populäre Musik als „important socio-political indicator“ gesell-
18 Vgl. White, Hayden: Auch Klio dichtet. Die Fiktion des Faktischen. Studien zur Tropologie des historischen Diskurses. Stuttgart 1986; vgl. zudem Kap. 3.1. 19 Young, James E.: Beschreiben des Holocaust. Darstellung und Folgen der Interpretation. Frankfurt a.M. 1992, S. 14. 20 Ebd., S. 16. 21 Klein, Albert: Unterhaltungs- und Trivialliteratur. In: Arnold, Heinz Ludwig/Sinemus, Volker (Hrsg.): Grundzüge der Literatur- und Sprachwissenschaft. Band 1: Literaturwissenschaft. München 1973, S. 433.
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schaftlicher Bewusstseinsprozesse zu begreifen ist.22 So gilt es in dieser Arbeit vornehmlich zu klären, inwiefern deutschsprachige politische Songs als Spiegel der Werte, Überzeugungen und Einstellungen der bundesrepublikanischen Gesellschaft hinsichtlich ihrer nationalsozialistischen Vergangenheit zu lesen sind. Dies bedeutet auch zu fragen, wie die populärkulturelle Kunstform Song die NS-Zeit darstellt, reflektiert und konstruiert und letztlich als songliterarische Historiographie gestaltet, mit welchen Wirkungsabsichten und mit welchen ästhetischen Mitteln. Politische Songs als Indikatoren gesellschaftlichen Bewusstseins von der Vergangenheit und als Teil der Produktion des kulturellen Gedächtnisses der wissenschaftlichen Analyse zugänglich zu machen ist Ziel der Ausführungen. Dafür werden deutschsprachige Rock-, Folk- und Popsongs von den ersten Festivals auf der Burg Waldeck 1964 („Chansons Folklore International – Junge Europäer singen“) bis zur Gegenwart im wiedervereinigten Deutschland betrachtet. Durch die interdisziplinäre Analyse politischer Songs werden Tendenzen der ‚Vergangenheitsbewältigung‘ und der ‚Vergangenheitsbewahrung‘, der ‚Radikalisierung‘ und der ‚Normalisierung‘ in populärer Musik von den 60er Jahren bis heute deutlich und wird gleichzeitig sichtbar, wie sich Konstanten und Veränderungen der gesellschaftlichen Auseinandersetzung mit dem Nationalsozialismus in der Bundesrepublik im Medium des politischen Songs spiegeln. Vorgehen Zunächst lassen sich drei erkenntnisleitende methodische Fragestellungen benennen, die auch die Gliederung des ersten Teils dieser Studie bestimmen. Sie gehen von der Feststellung aus, dass sich eine Betrachtung des Nationalsozialismus im politischen Song der Bundesrepublik an der Schnittstelle von Literatur- und Musikwissenschaft, Geschichtswissenschaft und Popkulturforschung befindet. Um einen methodischen Zugriff auf die Songs zu erhalten, der zum einen die Interdisziplinarität des Gegenstands nicht übersieht, zum anderen ermöglicht, die interpretativen Unterschiede zwischen Rock-, Pop- und Folksongs in den Blick zu bekommen und Grundzüge der NS-Forschung in die Analyse zu integrieren, ist ein gewis-
22 Garofalo, Reebee: Popular Music and the Civil Rights Movement. In: Ders. (Hrsg.): Rockin’ the Boat. Mass Music and Mass Movements. Boston, MA 1992, S. 231.
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ser theoretischer Aufwand unvermeidlich. Die drei Fragestellungen können zunächst als Thesen formuliert werden: Erstens: Eine wissenschaftlich haltbare Gattungsbestimmung dessen, was Künstler wie Wolf Biermann, Franz Josef Degenhardt, Konstantin Wecker oder auch Herbert Grönemeyer und Heinz Rudolf Kunze in den letzten mindestens vier Jahrzehnten veröffentlicht haben, ist in der Forschung bis heute nicht erreicht worden. Eine (und sei es heuristische) Definition der Gattung ‚Song‘ ist daher unabdingbar, um eine nachvollziehbare Methodik der Interpretation politischer Songs erarbeiten zu können. Eine solche Bestimmung muss sowohl formale als auch literaturgeschichtliche und popkulturelle Aspekte der Ausprägungen von Songs einbeziehen. Zweitens: Es handelt sich bei dem politischen Song um eine spezifische Form politischer Lyrik, die sich von rein textbasierten Formen nicht allein durch die Verwendung von Musik unterscheidet, sondern auch durch ihre Produktions- und Rezeptionsbedingungen im Kontext der Populärkultur. Um diese Spezifika beschreiben zu können, wird deshalb eine Einordnung des Songs in den Bereich der Populärmusik und eine Differenzierung der Grundgenres ‚Rock‘, ‚Folk‘ und ‚Pop‘ notwendig sein, vor deren Hintergrund dann eine heuristische Definition des Begriffs ‚politischer‘ Song erarbeitet werden kann. Drittens: Um gesicherte Aussagen über den Umgang des politischen Songs mit der nationalsozialistischen Vergangenheit treffen zu können, muss ein grundsätzliches Verständnis über die ihn beeinflussenden zeitgenössischen Diskurse, Ereignisse, Zäsuren und Theorien erreicht werden. Hierfür können die Begriffe ‚Erinnerung‘ und ‚Gedächtnis‘ funktionalisiert werden. Anhand der gattungstheoretischen, populärkulturellen und geschichtswissenschaftlichen Einordnung des politischen Songs und einer Klärung des zeitlichen Rahmens der Studie sowie der Songauswahl kann dann im zweiten Teil eine ausführliche Analyse deutschsprachiger Songs über den Nationalsozialismus vorgenommen werden. Forschungsüberblick Die Zugehörigkeit des politischen Songs zu den Bereichen Literatur und Musik, Kultur und Kulturindustrie, Politik- und Geschichtswissenschaft und die relativ kurze Geschichte der Gattung machen die wissenschaftliche Betrachtung schwierig. Die Rede von der Unmöglichkeit, über populäre
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Musik wissenschaftlich oder überhaupt präzise zu sprechen („Talking about music is like dancing about architecture“, sagt Elvis Costello23), ist mittlerweile geradezu ein Topos geworden. Jean-Martin Büttner steht hier stellvertretend, wenn er in seiner Dissertation über die angloamerikanische Rockmusik beklagt, dass die songtypische Kombination aus „Musik, Trivial-, Sub- und Jugendkultur, Geschäft, Sex, Tanz, Religion, Parodie, Selbstdarstellung, Machismo, Kitsch, Kunst und Spass [sic!]“ akademisch nicht beleuchtet werden könne.24 Insbesondere die Germanistik zeigt bis heute nur ein geringes Interesse an Texten der populären Musik. Auch wenn Songs die meistkonsumierte Literatur der Bundesrepublik sind – im Radio, im Musikfernsehen, im Internet, auf Tonträgern und im Probekeller, sei es willentlich auf einem Rockkonzert oder unwillentlich im Fahrstuhl –, scheint es, als folge die Germanistik der polemischen Aussage Hans Magnus Enzensbergers, der Song sei „literarisch irrelevant und politisch unwirksam“.25 Während dem Interessierten auf der einen Seite unüberschaubare Mengen an populärwissenschaftlicher Literatur in Form von FanBüchern, Starporträts, Textsammlungen oder Internetfanpages zur Verfügung stehen, lassen sich auf der anderen Seite nur wenige wissenschaftliche Untersuchungen finden. Dies führt dazu, dass die Beschäftigung mit einzelnen Songs überwiegend im (nur selten wissenschaftliche Ansprüche verfolgenden) Musikjournalismus stattfindet. So beklagte Dieter Burdorf noch 2003 zu Recht: „Die Germanistik […] hat das seit den 1970er Jahren außerordentlich breitenwirksame Phänomen des deutschsprachigen Songs fast völlig vernachlässigt.“26 Mögliche Gründe hierfür nennen Eric Achermann und Guido Naschert in der Einleitung zu einem Themenheft der Mitteilungen des Deutschen Germanistenverbandes:
23 Zit. n. und vgl. Scott, Allan P.: Talking about music is like dancing about architecture. In: http://home.pacifier.com/~ascott/they/tamildaa.htm, 19.04.10; hier auf der Webseite auch die Frage, ob Elvis Costello wirklich als Urheber dieses berühmten Zitats zu gelten hat. 24 Büttner, Jean-Martin: Sänger, Songs und triebhafte Rede. Rock als Erzählweise. Basel, Frankfurt a.M. 1997, S. 15. 25 Enzensberger, Hans Magnus: Gemeinplätze, die Neueste Literatur betreffend. In: Stein, Peter (Hrsg.): Theorie der Politischen Dichtung. Neunzehn Aufsätze. München 1973, S. 161. 26 Burdorf, Dieter: Song. In: Weimar, Klaus u.a. (Hrsg.): Reallexikon der deutschen Literaturwissenschaft. Neubearbeitung des Reallexikons der deutschen Literaturgeschichte. Band 3: P-Z. Berlin, New York 2003, S. 452.
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Im Unterschied zu Anglistik und Amerikanistik erfahren Songs in der Germanistik nur geringe Aufmerksamkeit. Dafür mag es mehrere Gründe geben: Bald wird die mangelnde Kompetenz für Gegenstände betont, die an der Schnittstelle von Musik und Text, aber auch Bühne, Studiotechnik, Videokunst und Massenkultur stehen, bald werden ästhetische Vorbehalte geäußert, welche die Ergiebigkeit einer Auseinandersetzung mit Songs und ihren Texten prinzipiell in Zweifel ziehen.27
Nichtsdestoweniger existieren einige nennenswerte Untersuchungen. Peter Urbans Studie Rollende Worte. Die Poesie des Rock aus dem Jahr 1979 ist, trotz durchaus berechtigter Kritik an seiner Arbeit, die insbesondere die interdisziplinären Aspekte übergeht, sich zu stark auf den angloamerikanischen Bereich konzentriert und in der Textauswahl die notwendige Reflexion vermissen lässt, schon allein deshalb weiter von herausragender Bedeutung, weil sie durch die Benennung formaler Merkmale des Pop-Songs und die sorgfältige Beschreibung seiner Ursprünge und Entwicklungen im deutschsprachigen Bereich bis heute einzigartig ist.28 Werner Faulstichs 1983 bis 1986 veröffentlichte Tübinger Vorlesungen zur Rockgeschichte schließen an Urbans Arbeit an.29 Auch Faulstich legt das Hauptaugenmerk auf die literaturwissenschaftliche Interpretation der Songtexte, die er als moderne Lyrik auffasst. Seine allerdings stark auf den angloamerikanischen Raum konzentrierten Untersuchungen gehen dabei von der Prämisse aus, dass „Lyrik als Gattung […] keineswegs tot oder überholt“ sei. Lyrik sei „vielmehr äußerst vielfältig und […] nach wie vor präsent, und in derselben gesellschaftlichen Dominanz wie früher. Nur gedruckte, gelesene Lyrik ist heute nicht mehr verbreitet. Sie ist weitgehend abgelöst von Textmusik.“30 Faulstichs Vorlesungen, deren größte Leistung in der Erarbeitung einer nachvollziehbaren Literaturgeschichte des Rock und seiner Einordnung in zeitgeschichtliche Entwicklungen besteht, zeigen 27 Achermann, Eric/Naschert, Guido: Einleitung. In: Mitteilungen des Deutschen Germanistenverbandes 2 (2005), Songs, S. 210. 28 Vgl. Urban, Peter: Rollende Worte. Die Poesie des Rock. Von der Straßenballade zum Pop-Song. Frankfurt a.M. 1979; als Dissertation in verkürzter Form unter dem Titel Die ‚Poesie‘ des Pop-Song. Gesellschaftlicher Bezug und persönliche Erfahrungswelt in anglo-amerikanischer Populärmusik. Hamburg 1977; Kritik übt z.B. Büttner, Jean-Martin: Sänger, Songs und triebhafte Rede. S. 46. 29 Vgl. Faulstich, Werner: Vom Rock’n’Roll bis Bob Dylan. Tübinger Vorlesungen zur Rockgeschichte. Teil 1 1955-1963. Gelsenkirchen 1983; Ders.: Rock als Way of Life. Tübinger Vorlesungen zur Rockgeschichte. Teil 2 1964-1971. Gelsenkirchen 1985; Ders.: Zwischen Glitter und Punk. Tübinger Vorlesungen zur Rockgeschichte. Teil 3 1971-1984. Rottenburg-Oberndorf 1986. 30 Ders.: Vom Rock’n’Roll bis Bob Dylan. S. 16.
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Möglichkeiten und Grenzen einer vor allem am Songtext orientierten Herangehensweise auf: Auf der einen Seite gelangt Faulstich zu überraschenden Aussagen gerade dadurch, dass er die Texte ernst nimmt. Auf der anderen Seite entsteht durch die Vernachlässigung der musikalischen Gestaltung der Eindruck von Unvollständigkeit. Die erste genuin germanistische Untersuchung zur deutschsprachigen Populärmusik ist Hans Giessens Arbeit Zeitgeist populär. Seine Darstellung in deutschsprachigen postmodernen Songtexten (bis 1989).31 Sie erschien 1992, also ungefähr vierzig Jahre nach den Anfängen des Rock’n’Roll, fast dreißig nach den Folkfestivals auf der Burg Waldeck und immerhin über ein Jahrzehnt nach der Punkrevolte. Allein dieser zeitliche Abstand zeigt, wie schwer sich die Germanistik lange mit populärer Textmusik getan hat. Auf Giessens eher mentalitätsgeschichtlich orientierte Dissertation und Jens Flieges Erweiterungen in seiner Arbeit Von der Aufklärung zur Subversion. Sprechweisen deutschsprachiger Popmusik wird noch zurückzukommen sein.32 Der Verdienst beider Untersuchungen liegt darin, deutschsprachige Songtexte als Gegenstand der Germanistik zu etablieren, auch wenn die Arbeiten phasenweise zu stark auf die Analyse der Textinhalte und zu wenig auf die sprachliche und musikalische Gestaltung konzentriert sind. Häufig genug ist die literaturwissenschaftliche Songforschung jedoch unbefriedigend. Dies gilt ebenso für Untersuchungen zur politischen Lyrik, in denen der politische Song im besten Fall in einem Nebensatz erwähnt wird.33 Im Normalfall wird er übergangen oder begrifflich unscharf mit Chansons, Liedern, Balladen und Moritaten gleichgesetzt.34
31 Vgl. Giessen, Hans W.: Zeitgeist populär. Seine Darstellung in deutschsprachigen Songtexten (bis 1989). St. Ingbert 1992. Diss. Saarbrücken 1992. 32 Vgl. Fliege, Jens: Von der Aufklärung zur Subversion. Sprechweisen deutschsprachiger Popmusik. Münster 1997; vgl. auch die kulturwissenschaftliche Studie Höfig, Eckhart: Heimat in der Popmusik. Identität oder Kulisse in der deutschsprachigen Popmusikszene vor der Jahrtausendwende. Gelnhausen 2000. 33 Vgl. beispielhaft Hahn, Ulla: Literatur in der Aktion. Zur Entwicklung operativer Literaturformen in der Bundesrepublik. Wiesbaden 1978. Diss. Hamburg 1975. 34 Vgl. beispielhaft Dietschreit, Frank: Zeitgenössische Lyrik im Gesellschaftsprozess. Versuch einer Rekonstruktion des Zusammenhangs politischer und literarischer Bewegungen. Frankfurt a.M., Bern, New York 1983.
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Die zahlreichen populärwissenschaftlichen Untersuchungen hingegen, viele davon zur politischen Dimension des Schlagers,35 vermeiden oftmals genauere wissenschaftliche Analysen zugunsten bunter Bilder oder weisen, wie Georg Seeßlens ansonsten durchaus lesenswerte Betrachtungen über den Faschismus in der populären Kultur Tanz den Adolf Hitler zahlreiche faktische Fehler auf.36 Eine erwähnenswerte, allerdings vorwiegend musikwissenschaftliche Ausnahme im deutschsprachigen Bereich stellt das Forschungszentrum ‚Populäre Musik‘ dar, das unter der Leitung von Peter Wicke nicht nur die Zeitschrift PopScriptum herausgibt, sondern auch grundlegende Untersuchungen zur Ästhetik der populären Musik veröffentlicht hat.37 Im Gegensatz zur Germanistik haben sich Soziologie und Musikwissenschaft, aber auch die angloamerikanische Literaturwissenschaft früher und ausführlicher mit populärer Musik auseinander gesetzt. Einen exzellenten Überblick über die verschiedenen Ansätze der angloamerikanischen Populärmusik-Forschung, insbesondere deskriptiver, subkultureller und kulturkritischer Natur bietet Richard Middletons Standardwerk Reading Pop. Approaches to Textual Analysis in Popular Music.38 Unverzichtbare Einführungen und Überblicksdarstellungen sind darüber hinaus Sheilas Whiteleys Studie zum ‚Progressive Rock‘ The Space between the Notes von 1992, Allan Moores musikwissenschaftliche Untersuchung Rock. The Primary Text von 1993 sowie Robert Walsers Arbeit zur Sprache des HeavyMetal Running with the Devil. Methodisch und analytisch sehr ausgereift ist David Bracketts Interpreting Popular Music, auf dessen Ansätze später
35 Vgl. z.B. Port le Roi, André: Schlager lügen nicht. Deutscher Schlager und Politik in ihrer Zeit. Essen 1998; zur Forschungssituation vgl. Fliege, Jens: Von der Aufklärung zur Subversion. S. 28f. 36 Vgl. Seeßlen, Georg: Tanz den Adolf Hitler. S. 168-176; hier haben die Einstürzenden Neubauten den Song Es geht voran geschrieben und nicht die Fehlfarben, hier fordern DAF „Verbrenne deine Jugend“ statt „Verschwende“ und dergleichen. Eine lesenswerte Ausnahme ist Mendívil, Julio: Ein musikalisches Stück Heimat. Ethnologische Beobachtungenz zum deutschen Schlager. Bielefeld 2008. 37 Empfehlenswert ist ein Besuch der Homepage, die Aufgaben des Forschungszentrums formuliert sowie die Reihe PopScriptum und zahlreiche Publikationen als Volltext anbietet (http://www2.hu-berlin.de/fpm/index.htm, 19.04.10). 38 Hier v.a. Middleton, Richard: Introduction. Locating the Popular Music Text. In: Ders. (Hrsg.): Reading Pop. Approaches to Textual Analysis in Popular Music. Oxford, New York 1999, S. 1-19.
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noch eingegangen wird.39 All diese Arbeiten stellen vor allem die Frage nach einer methodisch reflektierten Betrachtung populärer Musik an sich in den Vordergrund und konzentrieren sich in unterschiedlichem Maß auf interdisziplinäre Ansätze. Auch in der angloamerikanischen Forschung bleibt die Betrachtung spezifisch politischer Populärmusik hingegen rar gesät. Einige deutschsprachige musikwissenschaftliche Arbeiten zur populären Musik verdienen Beachtung, weil sie einerseits fruchtbare Ansätze zur Interpretation von Songs entwickelt und andererseits die Komplexität einer Songanalyse verdeutlicht haben. Hermann Rauhes bereits 1974 veröffentlichte vierteilige Komponententheorie macht es möglich, unterschiedliche Elemente eines Songs wie Rhythmik, Instrumentation, Aufnahmeverfahren oder Verkaufsstrategien analytisch auseinander zu halten.40 Angewendet wurden Rauhes Ansätze unter anderem von Dörte Hartwich-Wiechell, deren explizite persönliche Ablehnung populärer Musik ihren ansonsten rezeptionsorientierten Betrachtungen leider jegliche Lesbarkeit nimmt und in der Aussage gipfelt: „Wenn das wirklich die Lieder des Volkes sind, sollte man es daran hindern, sie zu singen – in seinem wohlverstandenen Interesse.“41 Lesenswert aufgrund der Unterscheidung in Primär- und Alternativhörer ist Tibor Kneifs Einführung in die Rockmusik. Entwürfe und Unterlagen für Studium und Unterricht, während Ansgar Jerrentrups Untersuchung zur Entwicklung der Rockmusik von den Anfängen bis zum Beat ihre Hauptleistung in der Erarbeitung eines rockspezifischen Transkriptionssystems hat; angewendet wurde dieses von Volker Kramarz in seiner populärmusikgeschichtlichen Dissertation zur Harmonieanalyse der Rockmusik, in welcher er sämtliche Entwicklungen des Rock’n’Roll historisch in frühen Blues- und Folkformen verortet.42 Allen gemeinsam ist bedauerlicherweise eine weitgehende Ausblendung der Songtexte. 39 Vgl. Whiteley, Sheila: The Space between the Notes. Rock and the Counter Culture. London u.a. 1992; Moore, Allan: Rock, the Primary Text. Developing a Musicology of Rock. Buckingham 1993; Walser, Robert: Running with the Devil. Power, Gender, and Madness in Heavy Metal Music. Hanover/NH u.a. 1993; Brackett, David: Interpreting Popular Music. With a new Preface by the Author. Zweite erw. Aufl. Berkeley, Los Angeles, London 2000. 40 Vgl. Rauhe, Hermann: Popularität in der Musik. Interdisziplinäre Aspekte musikalischer Kommunikation. Karlsruhe 1974. 41 Hartwich-Wiechell, Dörte: Pop-Musik. Analysen und Interpretationen. Köln 1974, S. 252. 42 Vgl. Kneif, Tibor: Einführung in die Rockmusik. Entwürfe und Unterlagen für Studium und Unterricht. Wilhelmshaven 1979; Jerrentrup, Ansgar: Entwicklung der Rockmusik von den Anfängen bis zum Beat. Regensburg 1981. Diss. Köln
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Seit den 90er Jahren haben sich zwei neue Forschungsfelder spezieller Art aufgetan, in denen zurzeit die interessantesten Veröffentlichungen zu politischen Songs entstehen. Zum einen sind da Peter Wickes richtungweisende Forschungen zur populären Musik in der DDR zu nennen, deren Ergebnisse u.a. in dem materialreichen Sammelband Rockmusik und Politik nachzulesen sind.43 Zum anderen hat seit den ausländerfeindlichen Ausschreitungen der 90er Jahre (endlich) eine Auseinandersetzung mit dem Komplex ‚Rechtsrock‘ begonnen, die allerdings, auch aufgrund der schwierigen Quellenlage (die meisten Songs existieren nur in unveröffentlichter oder indizierter Form) noch in den Anfängen steckt.44 Zusammenfassend lässt sich festhalten, dass sich vor allem die Literatur-, aber auch die Musikwissenschaft bis heute schwer tun mit populärer Musik und dem politischen Song im Besonderen. Anstelle terminologischer Klarheit und analytischer Präzision findet sich meistens ein überwiegend defensives, präventives Eingeständnis des Scheiterns. Jens Fliege steht hier stellvertretend, wenn er seine Arbeit zu Sprechweisen deutschsprachiger Popmusik mit folgenden Worten einleitet: „Weder die Musikwissenschaft, noch die Soziologie oder die Germanistik können in den einzelnen Disziplinen einem derart komplexen Untersuchungsgegenstand gerecht werden“. Zu Recht beklagt er anschließend: „Interdisziplinäre Ansätze, die versucht hätten, das Phänomen von verschiedenen Seiten anzugehen, wurden nicht verwirklicht. Auch die Sekundärliteratur hilft bei der Verwirklichung eines solchen Ansatzes nicht unbedingt weiter. Denn Arbeiten, die die Textstrukturen in der Popmusik analysieren, sind [...] rar gesät.“45 Rarer noch – das sei hinzugefügt – als Untersuchungen zu Rocktexten sind wissenschaftliche Betrachtungen politischer Songs der Bundesrepublik aus dem Bereich Folk, speziell der so genannten ‚Liedermacher‘ der 60er Jahre. Auch wenn die Komplexität des Gegenstands also insgesamt nicht geleugnet werden soll und kann, existieren gleichzeitig bis heute derart mar1980; Kramarz, Volker: Harmonieanalyse der Rockmusik. Von Folk und Blues zu Rock und New Wave. Mainz u.a. 1983. Diss. Bonn 1981. 43 Vgl. Wicke, Peter/Müller, Lothar (Hrsg.): Rockmusik und Politik. Analysen, Interviews und Dokumente. Berlin 1996. 44 Vgl. z.B. als besonders empfehlenswerte Studien Büsser, Martin: Wie klingt die Neue Mitte? Rechte und reaktionäre Tendenzen in der Popmusik. Mainz 2001; Kersten, Martin: Jugendkulturen und NS-Vergangenheit. Der schmale Pfad zwischen Provokation, Spiel, Inszenierung und erneuter Faszination vom Punk bis zum Nazi-Rock. In: PopScriptum 5 (1997), Rechte Musik, S. 70-89. 45 Fliege, Jens: Von der Aufklärung zur Subversion. S. 28.
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kante Forschungslücken auf gattungs- und genretheoretischer, sozial- und literaturgeschichtlicher Ebene und insbesondere hinsichtlich der populärmusikalischen deutschsprachigen Darstellung des Nationalsozialismus, dass es geboten scheint, eine Klärung zu unternehmen. Um nach den spezifischen Leistungen des politischen Songs zur Interpretation und Vermittlung der nationalsozialistischen Vergangenheit Deutschlands fragen zu können, ist es in einem ersten Schritt notwendig, gattungstheoretische Präzisierungen vorzunehmen. Was macht einen Song als eigenständige Gattung zu einem Song und unterscheidet ihn vom Lied? In welchem Verhältnis steht der gesungene Songtext zu einem gedruckten Lesegedicht? Welche literatur- und musikgeschichtlichen Traditionen haben zur Ausbildung des zeitgenössischen populärmusikalischen Songs geführt und was konstituiert seinen populärkulturellen Status? Welches sind die Grundgenres der Gattung ‚Song‘ und wie lassen sie sich analytisch unterscheiden?
I.
Wir haben Gitarren das Klavier und den Bass wir haben das Schlagzeug den Gesang und all das ist in guten Momenten für eine Weile mehr als die Summe der einzelnen Teile KANTE/DIE SUMME DER EINZELNEN TEILE
1. Der Song Songs sinn Dräume, manchmohl Dräume, Déja-vus vun jet, wat noch wohr weede soll. Songs sinn Länder, fremde Länder, wo mer immer schon hin wollt. BAP1
Was ist ein Song und wie lässt er sich der wissenschaftlichen Analyse zugänglich machen? Die Beantwortung dieser nur scheinbar einfachen Frage ist kein akademischer Selbstzweck. Im Gegenteil: Erst wenn die Spezifika des Songs in Abgrenzung zu anderen textmusikalischen Ausdrucksformen in den Blick gelangen, kann ein ihm angemessenes Instrumentarium der Interpretation entwickelt werden. Nur wenn die konstitutiven formalen Elemente des Songs auf der Text- und der Musikebene herausgestellt und seine Besonderheiten im Unterschied zu ‚herkömmlicher‘ Lyrik erarbeitet sind, können einzelne Songs in ihrer Verwendung dieser Elemente analysiert und bewertet werden. Zur Erarbeitung einer heuristischen Definition der Gattung ‚Song‘, der sich in einem zweiten Schritt dann die präzisieren-
1
BAP: Songs sinn Dräume. T.: Wolfgang Niedecken/M.: Michael Nass. Aus dem Album: Radio Pandora – Unplugged Version. Erschienen 2008, Ref. 1, V.1-4. Im Folgenden werden Songs angegebenen mit Interpret, Texter (T) und Komponist (M) gemäß der urheberschutzrechtlichen Registrierung bei der „Gesellschaft für musikalische Aufführungs- und mechanische Vervielfältigungsrechte“ (GEMA), Album und Erscheinungsjahr; in manchen Fällen weichen Entstehungs- und Veröffentlichungszeitpunkte ab, dies wird dann angegeben. Die Texte werden nach dem Album-Inlay zitiert; ggf. wurde ergänzend eine Textsammlung oder die offizielle Internetpräsenz zu Rate gezogen. Bei substantiellen Abweichungen wurde die Tonaufnahme der Druckfassung vorgezogen (vgl. Kap. 1.3.). Sprachliche Besonderheiten (wie z.B. Dialekt, Unregelmäßigkeiten der Dialekttranskription, grammatikalische Regelverstöße) sind beibehalten worden. Die Texte wurden an die neue Rechtschreibung angepasst; Interpunktion, Kleinund Großschreibung am Versanfang sind behutsam vereinheitlicht worden.
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de Ergänzung der Spezifika politischer Songs anschließen wird, kann folgendes Vorgehen gewählt werden: Zunächst werden die Begriffe ‚Lied‘ und ‚Song‘ terminologisch unterschieden und wird die Verwendung des Terminus ‚Song‘ für die behandelten Werke vorgeschlagen. In einem zweiten Schritt werden dann die für den Song konstitutiven Formelemente herausgearbeitet. Dies geschieht aus der Überzeugung heraus, dass es erst das Vorhandensein formaler Elemente, die nicht an inhaltliche Kriterien gebunden sind, ermöglicht, den Song als eigenständige Gattung zu betrachten. In einem dritten Schritt wird ergänzend die Frage gestellt, ob und inwieweit der Song trotz seiner spezifischen Merkmale als literaturwissenschaftlich analysierbare Form populärer Lyrik gelten kann und welche analytischen Folgen die Unterscheidung des Songtextes von ‚herkömmlicher‘ Lyrik zeitigen muss. Auf der Grundlage dieser Überlegungen lässt sich der Song literatur- und musikgeschichtlich einordnen und in den Bereich der Populärkultur eingliedern. Diese Einordnung ermöglicht nicht allein eine Auseinandersetzung mit Adornos schroffer Ablehnung populärer Musik, sondern grenzt den Song auch von klassischer Kunstmusik ab. Um diese Abgrenzung zu begründen, werden insbesondere die Medialität des populärmusikalischen Songs und die hieraus resultierenden ästhetischen Folgerungen betrachtet. Ich vertrete dabei die These, dass die Interpretation eines jeden Songs entscheidend davon abhängig ist, wie man den in der Forschung vieldiskutierten Begriff ‚Pop‘ bzw. ‚Popsong‘ fasst und inwieweit der spezifische Song innerhalb der Subgenres ‚Rock‘, ‚Pop‘ oder ‚Folk‘ betrachtet wird. Erst dann also, wenn die Gattung ‚Song‘ terminologisch, formal, literatur- und musikgeschichtlich sowie sozialgeschichtlich und rezeptionsästhetisch definiert ist und eine Unterscheidung in (mindestens) Rocksong, Folksong und Popsong getroffen wurde, kann eine präzise Interpretation des jeweiligen Werkes unternommen werden.
1.1 T ERMINOLOGIE : L IED ODER S ONG Lied Die Frage, in welchem Verhältnis die Begriffe ‚Lied‘ und ‚Song‘ zueinander stehen, ist komplex, insbesondere deshalb weil die Verwendung der Gattungsbezeichnung ‚Lied‘ ungenau und wechselhaft ist. Auch wenn im
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Folgenden eine synonyme Verwendung beider Begriffe abgelehnt wird, darf nicht übersehen werden, dass sowohl die Forschung als auch die Künstler selbst oft beide Begriffe gleichberechtigt nebeneinander stellen und im Bestfall das ‚Lied‘ als den deutschen Ausdruck für den angloamerikanischen Terminus ‚Song‘ verwenden.2 Während Wolf Biermann beispielsweise seinen Songs meist genaue Gattungsbezeichnungen beistellt (Das Barlach-Lied, Ballade auf den Dichter Francois Villon, Moritat auf Biermann seine Oma Meume in Hamburg3), wählt Franz Josef Degenhardt häufig den Begriff ‚Song‘ (z.B. Zündschnüre-Song4), gleichzeitig veröffentlichen Dieter Süverkrüp oder Walter Mossmann formal vergleichbare ‚Lieder‘ (z.B. Lagerlied, Lied von der Glocke5), von denen Mossmanns Songs zumindest auf der Textseite eher die Bezeichnung Ballade verdienten. Diese letztlich synonyme Verwendung der Termini ‚Lied‘ und ‚Song‘ findet sich bis in die unmittelbare Gegenwart. 2004 erscheint das Album Sonx der Kölner Band BAP, das sich in der Instrumentierung, der Strophenform, in Sound, Rhythmik und kommerzieller Präsentation kaum unterscheidet von Herbert Grönemeyers letztem Werk 12, auf dem jeder Song wiederum durchnummeriert als ‚Lied‘ bezeichnet wird (Lied 1: Stück vom Himmel, Lied 2: Kopf hoch, Tanzen usw.).6 2
3 4 5
6
Beispiele sind die Studie von Holger Böning, die dem Untertitel nach ‚Lieder‘ untersucht (vgl. Der Traum von einer Sache. Aufstieg und Fall der Utopien im politischen Lied der Bundesrepublik und der DDR. Bremen 2004), während Hans W. Giessen bei fast deckungsgleichen Quellen von „Songtexten“ spricht (vgl. Zeitgeist populär. Seine Darstellung in deutschsprachigen postmodernen Songtexten (bis 1989). St. Ingbert 1992. Diss. Saarbrücken 1992); H.R.Kunze nennt z.B. eine Anspielung auf Dylans Ballad of a Thin Man Lied für einen dünnen Mann (Kunze, Heinz Rudolf: Lied für einen dünnen Mann. T./M.: Heinz Rudolf Kunze. Aus dem Album: Das Original. Erschienen 2005), die Herausgeber einer Sammlung politischer Musik nennen sie Protestsongs.de und veröffentlichen sie durch das Label „Lieblingslied Records“ (Diverse: Protestsongs.de. Erschienen 2004). Alle aus dem Album: Biermann, Wolf: Chausseestraße 131. Erschienen 1968. Degenhardt, Franz Josef: Zündschnüre-Song. T./M.: Franz Josef Degenhardt. Aus dem Album: Mit aufrechtem Gang. Erschienen 1975. Süverkrüp, Dieter: Lagerlied. T./M.: Dieter Süverkrüp. Aus dem Album: Die widerborstigen Gesänge des Dieter Süverkrüp. Erschienen 1967; Mossmann, Walter: Das Lied vom Goldenen Buch. T./M.: Walter Mossmann. Aus dem Album: Chansons, Flugblattlieder, Balladen, Cantastorie apokrüfen. Erschienen 2004, entstanden 1968. BAP: Sonx. Erschienen 2004; Grönemeyer, Herbert: Lied 1: Ein Stück vom Himmel. T./M.: Herbert Grönemeyer. Lied 2: Kopf hoch, Tanzen. T./M.: Herbert Grönemeyer. Aus dem Album: 12. Erschienen 2007.
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Unbestritten ist zunächst einmal, dass sich das ‚Lied‘ von einem Gedicht dadurch unterscheidet, dass es gesungen wird oder zumindest eine Textform besitzt, die zum Singen bestimmt ist. Es muss so vorsichtig formuliert werden, denn weder kann das ‚Lied‘ generell als „gesungenes Musikstück“ bezeichnet werden7 noch kann die potentielle Sangbarkeit des Textes als Kriterium angewandt werden. Friedrich Schillers Lied von der Glocke ist nicht als gesungenes Musikstück entstanden, auch wenn es bald durch Andreas Jakob Rombert in Musik gesetzt wurde. Thomas Bierling, Eva Weis und Peter Lehel vertonten 2005 die neunzehn Grundrechte des deutschen Grundgesetzes und trotz dieses Nachweises der potentiellen Sangbarkeit käme niemand auf die Idee, die Grundrechte als ‚Lied‘ zu bezeichnen.8 Peter Wicke und Wieland Ziegenrücker haben aufgrund dieser Schwierigkeiten in einem Eintrag für ihr Handbuch der populären Musik eine Definition des Begriffs ‚Lied‘ vorgeschlagen, die es zum einen ermöglicht, eine Vielzahl unterschiedlicher historischer Ausprägungen unter dem Oberbegriff ‚Lied‘ zu subsummieren und zweitens den ‚Song‘ als spezifische Form des ‚Liedes‘ zu begreifen. Die beiden Autoren definieren den Terminus ‚Lied‘ als Sammelbezeichnung für kleinere, überschaubar gegliederte, in sich geschlossene Kompositionen in Einheit von Sprache und Musik; von großer historischer, regionaler und stilistischer Vielfalt vom schlichten Volkslied bis zum begleiteten Sololied, vom traditionellen Arbeiterlied bis zum politischen Lied der Gegenwart, vom Schlager der Jahrhundertwende bis zum aktuellen Popsong. Vordergründige Eigenschaft ist die betont sangbare, im Tonumfang begrenzte, rhythmisch-metrisch meist dem Sprachfluß bzw. dem Wortsinn folgende Melodik.9
Die Konzentration der Autoren liegt erkennbar auf der musikalischen Gestaltung. Sie stehen mit ihrer (durchaus nicht unproblematischen) Forderung nach einer „Einheit von Sprache und Musik“ beispielhaft für die Verwendung des Begriffs ‚Lied‘ in der Musikwissenschaft. Diese nimmt zwar Formen wie das ‚Volkslied‘ oder die Balladendichtung Schillers und anderer zur Kenntnis, verbindet letztlich aber mit dem Wort ‚Lied‘ meist den Typus des romantischen Kunstliedes und orientiert sich an den hierfür in 7 8 9
Wie dies z.B. in der deutschsprachigen Wikipedia geschieht (vgl. Lied. In: http:// de.wikipedia.org/wiki/Lied, 05.05.10). Bierling, Thomas/Lehel, Peter/Weis, Eva: Recht harmonisch. Das vertonte Grundgesetz. Erschienen 2005. Wicke, Peter/Ziegenrücker, Wieland: Lied. In: Dies.: Rock Pop Jazz Rock. Handbuch der populären Musik. Leipzig 1985, S. 274.
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der Romantik herausgearbeiteten Grundsätzen.10 In dieser Form ist der Begriff auch international gebräuchlich. Das Französische unterscheidet beispielsweise ‚le lied‘ vom ‚Chanson‘, auch das Englische bezieht ‚the lied‘ (ebenfalls unterschieden vom ‚song‘) ausschließlich auf das Kunstlied.11 Drei Elemente des romantischen Kunstliedes können jedoch für den Song der Gegenwart als überhaupt nicht gültig erkannt werden, was die gebräuchliche synonyme Verwendung beider falsch werden lässt:12 Im romantischen Kunstlied ist erstens eine klare Unterscheidung zwischen Komponist und Interpret häufig und für die Analyse durchaus wesentlich. Dies hängt damit zusammen, dass es sich bei einem Kunstlied in der Regel um die Vertonung eines eigenständigen lyrischen Textes handelt und beide Ebenen – Text und Musik – unabhängig voneinander les- bzw. spielbar und analysierbar sind. Dies trifft, wie Moritz Baßler erklärt, für den Popsong in der Form nicht zu, „vielmehr ist die Symbiose von Text und Musik im Pop oft sehr viel enger, was aber auch bedeutet: Beide Seiten geben von Beginn an von ihrer Eigenständigkeit ab zugunsten eines Gesamtgebildes“.13 Diese Trennung von Komponist bzw. von Autor auf der einen und Interpret auf der anderen Seite resultiert zweitens in der (für den Song seltenen) Existenz einer (musikwissenschaftlich analysierbaren) schriftlichen Notenfixierung (Partitur) sowie einer (textwissenschaftlich zu betrachtenden) Schriftfassung. Deren Existenz wiederum verändert die Tradierungswege (schriftlich vs. mündlich), die Variabilität der Text- und Musikfassung und schließlich die Möglichkeiten wissenschaftlicher Analyse. Drittens sind die aufführenden Künstler des romantischen Kunstliedes in der Regel ausgebildete Berufssänger und -musiker, während ein großer Teil der Songschaffenden (bekennende) Autodidakten sind. Assoziiert man also den Begriff ‚Lied‘, wie es meist geschieht, mit dem romantischen Kunstlied, so erfasst er grundlegende Charakteristika des Songs der Gegenwart nicht. 10 Vgl. Giessen, Hans W.: Zeitgeist populär. S. 33f. 11 Vgl. zum Französischen ebd., S. 33f.; vgl. zum Englischen Parsons, James (Hrsg.): The Cambridge Companion to the Lied. Cambridge u.a. 2004. 12 Zu diesen Aspekten vgl. Giessen, Hans W.: Zeitgeist populär. S. 33f.; Kross, Siegfried: Geschichte des deutschen Liedes. Darmstadt 1989, S. 11-57; Wilpert, Gero von: Kunstballade, -drama, -dichtung, -epos, -lied, -märchen. In: Ders.: Sachwörterbuch der Literatur. Achte erw. und akt. Aufl. Stuttgart 2001, S. 445. 13 Baßler, Moritz: ‚Watch out for the American Subtitles!‘ Zur Analyse deutschsprachiger Popmusik vor angelsächsischem Paradigma. In: Arnold, Heinz Ludwig (Hrsg.): Pop-Literatur. München 2003, S. 279.
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Aber auch die Anbindung des Songs an die Tradition des Volksliedes (vgl. Kapitel 1.4) ist nicht so stark, dass sie eine Verwendung des Lied-Begriffs rechtfertigen würde. Im Gegensatz zu diesem existieren beispielsweise in der Regel für den Song klar bestimmbare Urheber, Texter und/oder Komponisten.14 Damit können die Einwände gegen die Verwendung des Begriffs ‚Lied‘ zusammengefasst werden: Er ist, indem er entweder mit der Tradition des romantischen Kunstliedes oder der des Volkslieds assoziiert ist, nicht in der Lage, Spezifika des Songs ausreichend zu erfassen. Dies gilt auch und besonders dann, wenn er als allgemeingültiger Oberbegriff für jegliche Form sangbarer oder als sangbar gedachter Lyrik gemeint wird, denn als ein solcher verwischt er jegliche historischen, formalen oder inhaltlichen Unterschiede. Wie das Beispiel des Schiller’schen Lieds von der Glocke zeigte, ermöglicht der Begriff ‚Lied‘ nicht einmal eine Differenzierung zwischen überwiegend oder ausschließlich textbasiertem und überwiegend oder ausschließlich musikbasiertem ‚Lied‘ sowie gleichwertigen Text-MusikVerbindungen.15 Diese fehlende terminologische Klarheit hat insbesondere in der Musikwissenschaft zu vereinzelten Versuchen geführt, Alternativbegriffe einzuführen. Zwei Vorschläge, die sich im Gegensatz zum ‚Chanson‘ oder der ‚Ballade‘ nicht als Abgrenzungs- oder Unterbegriff verstehen, können hervorgehoben werden. Zum ersten ist da Hermann Danusers Vorschlag, den Begriff ‚Musikalische Lyrik‘ als Ersatz für den Begriff ‚Lied‘ anzuwenden, um die Sangbarkeit des Textes stärker zu betonen.16 Auch wenn man nicht so weit gehen muss wie Jörg Krämer, der Danuser scharf für die Erfindung eines „Retortenbegriffs“ kritisiert, ist die Praktikabilität des Terminus fraglich.17 Der Bezeichnung ‚Musikalische Lyrik‘ mangelt es an historischer und formaler Tiefenschärfe. Zudem wird die Definitionsproblematik auf den Bereich ‚Lyrik‘ verlagert und die Frage aufgeworfen, ob nicht-lyrische Texte nicht ebenfalls in Lied- oder Songform vertont werden können.
14 Vgl. Kramarz, Volker: Harmonieanalyse der Rockmusik. S. 31. 15 Vgl. Krämer, Jörg: „Lied“ oder „Musikalische Lyrik“. Ein problematischer Versuch, eine Gattung neu zu konzipieren. In: Musik & Ästhetik 39 (2006), S. 82. 16 Vgl. die beiden Bände von Danuser, Hermann (Hrsg.): Handbuch der musikalischen Gattungen. Band 8.1: Musikalische Lyrik. Von der Antike bis zum 18. Jahrhundert. Band 8.2: Musikalische Lyrik. Vom 19. Jahrhundert bis zur Gegenwart. Außereuropäische Perspektiven. Laaber 2004. 17 Krämer, Jörg: „Lied“ oder „Musikalische Lyrik“. S. 83.
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Einen dagegen die zeitgenössischen text-musikalischen Werke gezielter in den Blick nehmenden Begriff hat Veit Sorge im Zuge seiner Beschäftigung mit Wolf Biermann entworfen: ‚Autorlied‘. Dieser soll auf die „Nähe von Autor und lyrischem Ich der Lieder“ besonders in Konzerten hinweisen.18 Sorge definiert: „Das Autorenlied stellt ein lyrisches Genre dar, das sowohl dem Bereich Musik in seiner Klangform und Interpretation als auch der Literatur aufgrund der textlichen Grundlage zuzuordnen ist.“19 Während der Vorteil dieser Bezeichnung in der Fokussierung auf den als bekannt vorauszusetzenden Autor und die Personalunion von Autor, Komponist und Interpret liegt, damit also eine Abgrenzung zum Volks- und Kunstlied möglich ist,20 überwiegen trotz alledem die Nachteile: Zum einen schließt die Bezeichnung ‚Autorenlied‘ sämtliche Songs aus, in denen eine Nähe von Autor und lyrischem Ich nicht zwangsläufig gegeben ist, insbesondere Rollengedichte bzw. Rollensongs, die auch Wolf Biermanns Gesamtwerk prägen.21 Zum anderen ist nur im seltensten Fall die von Sorge geforderte Personalunion von Autor, Komponist und Interpret in reiner Form gegeben. Das Kapitel 1.3 wird auf die Problematik der ‚Autorfigur‘ des Songs genauer eingehen. Zunächst reicht es festzuhalten, dass selbst bei den so genannten ‚Liedermachern‘ wie Wolf Biermann, Dieter Süverkrüp oder Franz Josef Degenhardt diese Personalunion nicht immer gegeben ist und für jegliche Formen von ‚Coversongs‘ und Kollaborationen verschiedener Musiker und Texter grundsätzlich nicht gilt. Der Begriff ‚Autorlied‘ ist damit durch seine Beschränkung auf eine spezifische, nur selten anzutreffende Form von Song zu eng. Exkurs: ‚Liedermacher‘ und ‚Songschreiber‘ Wenn nun aber die Verwendung des Begriffs ‚Lied‘ für populärmusikalische Werke der Gegenwart insgesamt abgelehnt wird, so liegt es nahe, dem Begriff ‚Liedermacher‘ einen kurzen Exkurs zu widmen. Seinen umfassenden Gebrauch betont Andreas Rosenfelder noch 2006 in der F.A.Z.:
18 Sorge, Veit: Literarische Länderbilder in Liedern Wolf Biermanns und Wladimir Wyssozkis. Ein imagologischer Vergleich an Liedtexten der Autor-Interpreten aus den Jahren 1960 bis 1980. Frankfurt a.M. u.a. 1998, S. 27f. 19 Ebd., S. 27. 20 Vgl. ebd., S. 28. 21 So z.B. Biermann, Wolf: Großes Gebet der alten Kommunistin Oma Meume in Hamburg. T./M.: Wolf Biermann. Aus dem Album: Chausseestraße 131. Erschienen 1968.
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Benutzt [ein Künstler] die englische Sprache, so ist er ein Singer-Songwriter in der glorreichen Tradition von Woody und Arlo Guthrie. Vertont er aber deutsche Texte, fällt er unweigerlich unter den Begriff des Liedermachers.22
Rosenfelder ergänzt: „Der [Begriff] weckt ganz andere Assoziationen. Er klingt nach selbstgemischtem Müsli, nach Sitzblockaden und nach gnadenloser Ehrlichkeit. Als Liedermacher ist man nicht cool.“23 Wie kein anderer Begriff weckt er affirmative und ablehnende Reaktionen. Bereits 1982 erklärte der ‚Liedermacher‘ Christof Stählin: „Keiner will Liedermacher sein und keiner will es gewesen sein, ich auch nicht. Das Wort hat keinen Stolz mehr, es steht für eine Art modischen Irrtum.“24 Auch andere erfolgreiche deutschsprachige Künstler vermeiden diesen „Irrtum“: Heinz Rudolf Kunze, zu Beginn seiner Karriere 1981 noch als „Lieder-“ und „Niedermacher“ gefeiert, präsentiert sich auf seiner offiziellen Homepage mittlerweile als „Mister Deutschrock“ und „intellektueller Rock-Poet“.25 Herbert Grönemeyer ist „Deutschrocker“ und Wolfgang Niedeckens BAP sind „Kultrocker“, ‚Liedermacher‘ sind sie alle nicht. Auf der anderen Seite tragen Franz Josef Degenhardt und Hannes Wader das Etikett „Liedermacher“ weiterhin.26 Alle hier genannten Bezeichnungen gründen zunächst einmal auf marketingtechnischen Überlegungen,27 bieten aber durchaus Anhaltspunkte zum textlichen und musikalischen Selbstverständnis des Künstlers, etwa weil sie eine Genrebestimmung vornehmen (Deutschrocker) oder einen gesellschaftlichen Status proklamieren (Kultrocker). Durch die schiere Anzahl unterschiedlicher Begrifflichkeiten bleibt die definitorische Klarheit aber auf der Strecke. Hartmut Huff macht dies auf humorvolle Weise in seinem 22 Rosenfelder, Andreas: Wortmörder ahoi! Der deutsche Sonderweg. In Tutzing streiten sich Liedermacher über ihren Beruf. In: Frankfurter Allgemeine Nr. 14 vom 17.01.2006, S. 40. 23 Ebd., S. 40. 24 Stählin, Christof: Über das Wort ‚Liedermacher‘. In: Seeger, Heinz (Hrsg.): Liedermacher-Lesebuch. Prosa, Cartoons, Lieder. Würzburg 1982, S. 108; Stählin bezeichnet sich dennoch auf seiner Homepage als „Schriftsteller, Liedermacher, Kabarettist“ ([O.V.]: http://www.christof-staehlin.de, 05.05.10). 25 Reinmuth, Titus: Heinz Rudolf Kunze. In: [O.V.]: http://www.heinzrudolfkun ze.de/verstaerkung/heinz.html, 05.05.10. 26 [O.V.]: http://www.groenemeyer.de, 05.05.10; [O.V.]: http://www.bap.de, 05.05.10; [O.V.]: http://www.franz-josef-degenhardt.de, 05.05.10; [O.V.]: http:// www.scala-kuenstler.de/hannes-wader.html, 05.05.10. 27 Vgl. Rundell, Richard: Liedermacher im Zeichen der Wende. In: Literatur für Leser 1 (1996), Heft 3, S. 151.
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Buch Liedermacher, Songpoeten, Mundartsänger, Blödelbarden, Protestsänger deutlich: Da schwört einer auf den Bänkelbarden, der mit dem Troubadour zu konkurrieren hat. Der Chansonnier muß sich neben dem Liedersänger behaupten. Der Songpoet ist natürlich mit dem Liedpoeten nicht zu verwechseln, wogegen es ein Sangesbarde schon schwerer hat, sich gegen den ‚Liedermacher der musikalischen Mitte‘ bei der Konkurrenz durchzusetzen. […] Problematisch wird es auch bei allem, was mundartlich zu betrachten ist. Denn welcher normale Mensch kann schon reinen Gewissens für einen Dialektsänger und gegen einen Mundartsänger sein? Im Zweifelsfalle wird er sich dann lieber für den Mundartbarden entscheiden. Einfacher ist es für den Rockpoeten, da dieser ja musikalisch festgelegt ist.28
Gänzlich willkürlich werden diese Bezeichnungen jedoch nicht benutzt: Wenn Thomas Rothschild, einer der profiliertesten Biermann-Forscher, eine Überblicksdarstellung mit dem Titel Liedermacher zusammenstellt, in der er 23 Porträts von Künstlern wie Wolfgang Ambros, Franz Josef Degenhardt bis hin zu Konstantin Wecker versammelt, dabei aber (ohne weitere Begründung) Rio Reiser, Udo Lindenberg und Herbert Grönemeyer übergeht, aber auch wenn Marina Krüger und Jörg Schulz 22 Momentaufnahmen aus der deutschen Rockszene veröffentlichen, in denen wiederum Wolf Biermann, Georg Danzer und Hannes Wader fehlen, so wird offensichtlich, dass implizite Unterscheidungen zwischen ‚Liedermacher‘ und Nicht-‚Liedermacher‘ existieren.29 Zu fragen ist also: Welche Implikationen tragen (Selbst-)Bezeichnungen von Songproduzenten, die ihre Verwendung in Forschung und Musikkritik rechtfertigen und Hilfestellungen zur Interpretation einzelner Songs bieten können?30 Im Falle des Begriffs ‚Liedermacher‘ liegt bereits hinsichtlich der Entstehung ein Irrtum vor. Thomas Rothschilds Behauptung, der Begriff ‚Liedermacher‘ sei einst von Wolf Biermann in Anlehnung an Bertolt Brechts Wort ‚Stückeschreiber‘ geprägt worden und solle „der künstlerischen Produktion die Weihe des Außergewöhnlichen nehmen, das Herstellen von Liedern wie von Stücken als eine Arbeit wie jede andere ausweisen“,31 ist
28 Huff, Hartmut: Liedermacher. Songpoeten, Mundartsänger, Blödelbarden, Protestsänger. München 1980, S. 11f. 29 Vgl. Rothschild, Thomas: Liedermacher. 23 Porträts. Frankfurt a.M. 1980; Krüger, Marina/Schulz, Jörg: Küssen verboten. Momentaufnahmen aus der deutschen Rockszene. Berlin 1994. 30 Vgl. hierzu Huff, Hartmut: Liedermacher. S. 9-13. 31 Rothschild, Thomas: Liedermacher. S. 7.
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nicht haltbar. Auch wenn Biermann selbst mehrfach Anspruch auf die Begriffserfindung erhoben hat und diese Behauptung sowohl von anderen ‚Liedermachern‘ als auch von diversen Forschern übernommen wurde,32 ist sie schlicht nicht zutreffend, worauf der Musikjournalist Michael Kleff in einem Vortrag während des Tutzinger Treffen der Liedermacher 2006 hingewiesen hat.33 Der Begriff ist bedeutend älter und Kleff fasst zu Recht zusammen: „Dass Wolf Biermann den Begriff ‚Liedermacher‘ 1961 aufgegriffen und mit neuem Leben erfüllt hat, ist zwar richtig, aber die Behauptung, dass er ihn in die Welt gesetzt habe, sollte man nicht länger unwidersprochen lassen.“34 Präzisieren allerdings lässt sich der Begriff: Wicke und Ziegenrücker nennen in ihrem Handbuch der populären Musik als zentralen Aspekt die (das ‚Autorlied‘ erweiternde) Personalunion von Komponist, Texter, Sänger und Musiker (in der Regel Gitarrist).35 In diesem Sinne wäre der Terminus ‚Liedermacher‘ analog zu verstehen zu der für das französische Chanson gebräuchlichen Bezeichnung ‚auteur-compositeur-interprète‘36 32 Biermann schreibt: „In der Zeit der sogenannten Entstalinisierung, als ich anfing, öffentlich zu singen, setzte ich, in Anlehnung an Meister Brechts Wort vom Stückeschreiber, das vielleicht tümliche Wort Liedermacher in die DDRLandschaft. Die handwerkliche Seite, das Erlernbare an dieser Produktion sollte vorgezeigt werden.“ (Biermann, Wolf: Und als ich von Deutschland nach Deutschland… In: Ders.: Und als ich von Deutschland nach Deutschland. Lieder mit Noten, Gedichte, Balladen aus dem Osten, aus dem Westen. Erw. Lizenzausgabe für die Bertelsmann Club GmbH. Gütersloh 1983, S. 17); ausführlich äußert sich Biermann in einem Vortrag Nürnberger Bardentreffen. 2. und 3. August 1986. In: Ders.: Affenfels und Barrikade. Gedichte, Lieder, Balladen. Köln 1986, S. 97-102; vgl. auch Stählin, Christof: Über das Wort ‚Liedermacher‘. S. 107f. 33 Vgl. Kleff, Michael: Liedermacher & Co. Die Tradition und Aktualität deutscher Songpoeten. Vortrag im Rahmen des „Tutziger Treffen der Liedermacher“ vom 13.-15. Januar 2006. In: http://www.ev-akademie-tutzing.de/doku/aktuell/ upload/Liedermacher.htm, 05.05.10. 34 Ebd. [o.S.]. Dies weist Kleff an früheren Belegen von Anna Luise Karsch 1770, Wilhelm Zimmermann 1843 und David Kalisch 1846 nach; auch Pierre-Jean de Bérangers 1865 erschienenes Stück mit dem Titel Kardinal und Liedermacher (de Béranger, Pierre-Jean: Kardinal und Liedermacher. In: Huff, Hartmut: Liedermacher. S. 59f.) und ein 1893 von Julius Stinde veröffentlichter Roman widerlegen Biermann (Stinde, Julius: Der Liedermacher. Ein Roman aus NeuBerlin. Berlin 1893). 35 Vgl. Wicke, Peter/Ziegenrücker, Wieland: Liedermacher. In: Dies.: Rock Pop Jazz Rock. S. 274-276. 36 Vgl. Schmidt, Felix: Das Chanson. Herkunft, Entwicklung, Interpretation. Frankfurt a.M. Zweite akt. und überarb. Aufl. 1982, S. 9.
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und dem angloamerikanischen ‚Singer-Songwriter‘.37 Sie alle sind zu hinterfragen, wie Roy Shukers anhand der letzteren Bezeichnung erklärt: „The application of the term [singer-songwriter] to solo performers is problematic, in that most […] usually perform with ‚backing bands‘, and at times regard themselves as an integral part of these.“38 Anders ausgedrückt: Da zahlreiche ‚Liedermacher‘ wie Franz Josef Degenhardt, Georg Danzer oder auch Konstantin Wecker diese Personalunion als Solokünstler nur mit Einschränkungen praktizieren, weil sie die Rolle des Musikers häufig auf verschiedene Musiker verteilen, wenn der „Liedermacher und Sozialist“39 Wolf Biermann in seiner Discographie ganze Sammlungen von Vertonungen von Fremdtexten aufweist,40 wenn schließlich kaum ein Künstler, wie es Thomas Rothschild erweiternd fordert, auf eine „Arbeitsteilung zwischen Autor, Komponist, Instrumentalist, Lektor, Verlag, Drucker, Buchhändler“ verzichtet,41 dann existieren kaum echte ‚Liedermacher‘ als Repräsentanten eines selbstständigen Genres der populären Musik.42 Indem heutzutage modernere Produktionsmethoden (von der Aufnahmetechnik über die Produktion bis zur Abmischung und dem Mastering) die „Rolle des komponierenden Subjekts, des unverwechselbaren individuellen ‚Schöpfers‘ reduzieren“,43 wird der Begriff ‚Liedermacher‘ zu einem Anachronismus, dessen historische Verortbarkeit sich auf die Veröffentlichung einer Handvoll Schallplatten in den 60er Jahren und deren öffentliche Auf-
37 „The term singer songwriter has been given to artists who both write and perform their material, and who are able to perform solo, usually on acoustic guitar or piano. An emphasis on lyrics has resulted in the work of such performers often being referred to as song poets, accorded auteur status, and made the subject of intensive lyric analysis.“ (Shuker, Roy: Popular Music. The Key Concepts. London, New York 1998, S. 277). Shuker ergänzt: „the concept of singer songwriter continues to have strong connotations of greater authenticity and ,true‘ auteurship“ (ebd., S. 277). 38 Ebd., S. 277. 39 So der Untertitel von Rothschild, Thomas (Hrsg.): Wolf Biermann. Liedermacher und Sozialist. Reinbek 1976. 40 Vgl. z.B. das Album Biermann, Wolf: Brecht. Deine Nachgeborenen. Erschienen 1999. 41 Rothschild, Thomas: „Das hat sehr gut geklungen.“ Liedermacher und Studentenbewegung. In: Lüdke, Martin W. (Hrsg.): Nach dem Protest. Literatur im Umbruch. Frankfurt a.M. 1979, S. 140. 42 Vgl. Wicke, Peter/Ziegenrücker, Wieland: Liedermacher. In: Dies.: Rock Pop Jazz Rock. S. 274-276. 43 Schoenebeck, Mechthild von: Was macht Musik populär? Untersuchungen zu Theorie und Geschichte populärer Musik. Frankfurt a.M. u.a. 1987, S. 364.
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führung auf Konzerten wie den Festivals auf der Burg Waldeck oder den Essener Songtagen beschränkt. Doch nicht allein die geringe quantitative Relevanz des Begriffs spricht gegen seine Verwendung: Populärmusikgeschichtlich steht der Begriff in den 60er Jahren für den Versuch einer Abgrenzung der Künstler von den „Allüren der Schlagerszene“, der einzigen deutschsprachigen Populärmusikkonkurrenz.44 Gegenüber deren Kommerzialität, Künstlichkeit und inhaltlicher sowie musikalischer Einfachheit45 deutete der Begriff ‚Liedermacher‘ eine vermeintliche „Aufrichtigkeit des Anliegens“ an.46 Sie bewies sich insbesondere durch die Personalunion von Texter, Komponist und Interpret, während die Stars der Schlagerbranche auf die Hilfe ihrer im Hintergrund arbeitenden Komponisten, Texter und Arrangeure angewiesen waren.47 Sowohl die Diversifizierung der Musikstile (in mehr als eine Polarität von ‚Liedermacher‘ vs. ‚Schlagersänger‘) als auch die spätestens ab Mitte der 60er Jahre ebenso vorhandene kommerzielle Einbindung der ‚Liedermacher‘ ließen diese Abgrenzung ins Leere laufen.48 Von Beginn an und bis heute wohnt dem Begriff somit mehr ‚Ideologie‘ als wissenschaftliche Korrektheit inne. Dies gilt übrigens ebenso für die vermeintlich „unprätentiöse, ungekünstelte Haltung“ der ‚Liedermacher‘.49 Das Beiwort ‚Macher‘ sollte ja durch die Betonung der „Tugenden handwerklicher Tradition“50 die Werke von der (bürgerlichen) „Weihe des Außergewöhnlichen“ des genialischen Dichters und Komponisten eines Kunstliedes abgrenzen.51 Die enge Beschränkung des Begriffs ‚Liedermacher‘ jedoch nur auf Künstler, die sowohl (mindestens) Komposition, Text, Gesang als auch Instrumentalbegleitung zu schaffen in der Lage waren, unterlief die vermeintliche ‚Be-
44 Meier, Andreas: Politischer Wertewandel und populäre Musik. S. 43f. 45 Vgl. Schoenebeck, Mechthild von: Was macht Musik populär? S. 65f.; vgl. insgesamt Czerny, Peter/Hofmann, Heinz: Der Schlager. Ein Panorama der leichten Musik. Band 1. Berlin/Ost 1968. 46 Meier, Andreas: Politischer Wertewandel und populäre Musik. S. 44. 47 Vgl. ebd., S. 43f. 48 Vgl. Stählin, Christof: Über das Wort ‚Liedermacher‘. S. 110-112; Huff, Hartmut: Liedermacher. S. 11f. 49 Wicke, Peter/Ziegenrücker, Wieland: Liedermacher. In: Dies.: Rock Pop Jazz Rock. S. 274-276, hier S. 274. 50 Stählin, Christof: Über das Wort ‚Liedermacher‘. S. 107. 51 Rothschild, Thomas: Liedermacher. S. 7.
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scheidenheit‘ des Begriffs von vornherein und behielt eben gerade die kritisierten Züge des Geniekultes.52 Man wird nicht so weit gehen müssen wie Christof Stählin, der erklärt: „Das Wort Liedermacher […] hat seine Zeit gehabt, es darf sterben.“53 Insoweit aber die reale Existenz des ‚Liedermachers‘ im definitorischen Sinn (ebenso wie des angloamerikanischen ‚Singer-Songwriter‘, des französischen ‚Chansonnier‘, des italienischen ‚Cantautore‘ bzw. des spanischen ‚Cantautor‘ und des russischen ‚Bard‘) zweifelhaft ist, die mit ihm transportierten Kunstvorstellungen problematisch und seine wissenschaftliche Nutzbarkeit fragwürdig sind, ist im Mindesten ein reflektierter Gebrauch notwendig.54 Ich verwende aus den genannten Gründen vornehmlich die Termini ‚Song‘ und ‚Songschreiber‘. Dies geschieht aus der Überzeugung heraus, dass diese Begriffe erstens wissenschaftlich präziser zu definieren sind und zweitens nicht in dem Maße ein Arsenal an Konnotationen und Assoziationen mit sich tragen wie das ‚Lied‘ bzw. der ‚Liedermacher‘. Der Begriff ‚Song‘ ist meines Erachtens in der Lage, die literatur- und musikgeschichtlichen Traditionen der behandelten Werke, ihre Anbindung an den Kontext der Populärmusik und ihre spezifische Medialität zu umfassen. Deshalb wird es im Folgenden darum gehen, diesen Terminus zu erläutern und seine Anwendbarkeit auf formaler, literatur- und musikgeschichtlicher sowie populärmusikalischer Ebene zu demonstrieren. Song Dieter Burdorf hat nachgewiesen, dass der Ausdruck ‚Song‘ bereits kurz nach dem Ersten Weltkrieg für text-musikalische Stücke in deutscher Sprache gebraucht wurde.55 Bertolt Brechts und Kurt Weills Aufstieg und Fall der Stadt Mahagonny ging aus einem 1927 uraufgeführten „Songspiel“ hervor, von dem noch der Alabama Song zeugt.56 Im Anschluss an Brecht 52 Vgl. Rundell, Richard: Liedermacher im Zeichen der Wende. S. 151; Lassahn, Bernhard: Nachwort. In: Ders. (Hrsg.): Dorn im Ohr. Das lästige LiedermacherBuch. Mit Texten von Wolf Biermann bis Konstantin Wecker. Zürich 1982, S. 264; vgl. zum Genie-Gedanken Schmidt, Jochen: Die Geschichte des GenieGedankens in der deutschen Literatur. Philosophie und Politik. Dritte erw. und akt. Aufl. Heidelberg 2004. 53 Stählin, Christof: Über das Wort ‚Liedermacher‘. S. 112. 54 Vgl. Burdorf, Dieter: Song. S. 452. 55 Vgl. ebd., S. 452. 56 Vgl. Brecht, Bertolt/Weill, Kurt: Mahagonny-Songspiel. Das kleine Mahagonny. Urfassung 1927. Hrsg. v. David Drew. Wien 1963.
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und Weill wurde der Begriff dann in Deutschland für fast jede Form von vorgetragenem text-musikalischen Werk auf Kabarettbühnen und in Varietés verwendet.57 Damit wird deutlich, dass der Begriff ‚Song‘ nicht erst im Zuge des Rock’n’Roll nach dem Zweiten Weltkrieg auch auf deutschsprachige Werke angewandt wurde, sondern auch ältere Produktionen zu beschreiben in der Lage ist. Gemeinsam ist allen Formen des Songs, dass für sie eine Verbindung von Text und Musik konstitutiv ist. Im Gegensatz zum Lied gibt es keinen Song ohne Text! Über diese Feststellung hinaus herrscht in der literatur- und musikwissenschaftlichen Forschung allerdings Uneinigkeit über die Gattung. Zwei neuere Definitionsversuche zeigen das Spektrum der wissenschaftlichen Verwendung: In ihrer Einleitung zu dem Themenheft Song der Mitteilungen des Deutschen Germanistenverbandes aus dem Jahr 2005 definieren die Herausgeber Eric Achermann und Guido Naschert wie folgt: „Wo kein Beat ist, da ist kein Song.“ Sie ergänzen: Alle anderen Eigenschaften, so etwa die generelle Singbarkeit eines Songs auch für eine ‚ungeschulte‘ Stimme, die textliche und musikalische Identität des Refrains, die musikalische Identität der Strophen, eine beschränkte Dauer der Darbietung etc., lassen sich auch in anderen Lied-Traditionen [nicht afroamerikanischen Ursprungs] mühelos ausmachen.58
Ohne jetzt schon auf die Problematik des Terminus ‚Beat‘ eingehen zu wollen (vgl. Kapitel 1.2), stellt sich doch die Frage nach der Korrektheit dieser Definition. Zum einen bezieht sie den Song zu sehr auf die Tradition der ‚Beat‘-Musik, verortet seine Entstehung also fälschlicherweise nach dem Zweiten Weltkrieg. Zum anderen überbetont sie die durchaus wichtige aber nicht für alle Songs dominierende Rhythmik zuungunsten aller anderen sprachlichen und musikalischen Elemente. Dieter Burdorf demgegenüber weist in einem Artikel für das Reallexikon der deutschen Literaturwissenschaft dem Song drei charakteristische Merkmale zu:59 (1) Literatur- und musikgeschichtlich eine „Orientierung an englischsprachigen Vorbildern“, (2) formal und funktional eine „Entfernung von den Mustern der klassischen Musik und Ausrichtung auf Formen und Institutionen der Populärkultur“ sowie (3) „statt folklorenaher Anonymität individuelle Gestaltung 57 Vgl. Wicke, Peter/Ziegenrücker, Wieland: Song. In: Dies.: Rock Pop Jazz Rock. S. 470f., hier S. 471. 58 Achermann, Eric/Naschert, Guido: Einleitung. S. 211. 59 Burdorf, Dieter: Song. S. 452. Burdorf fordert hier allerdings nur die Existenz „mindestens eines der […] Merkmale.“
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durch einen Autor und Komponisten (oft in einer Person vereint) und Sänger (alternativ auch Duo oder Gruppe).“ Burdorfs Definitionsmerkmale können als Grundlage der – in den folgenden Kapiteln zu präzisierenden – These gelten: Ein Song kann als eine spezifische Form moderner Lyrik begriffen werden, bei der Musik und Text konstitutive Bestandteile sind, deren textliche und musikalische Bezugspunkte sowohl sozialgeschichtlicher als auch literatur- und musikgeschichtlicher Natur überwiegend in der unmittelbaren Gegenwart angesiedelt sind und deren Ästhetik populärmusikalisch ist.
1.2 K ONSTITUTIVE F ORMELEMENTE
DES
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Nachdem nun der Song vom Lied unterschieden worden ist, sollen seine konstitutiven Formelemente erfasst werden, um die Gattung präziser bestimmen zu können. Hierfür ist es hilfreich, zunächst Hermann Rauhes auch heute noch wegweisende Komponententheorie zu Rate zu ziehen. Er unterteilt in seiner bereits 1974 veröffentlichten Studie zu Popularität in der Musik Charakteristika von Stücken der Populärmusik in vier Komponenten und kann damit Werke verschiedener Genres formal unterscheiden. Rauhe beschreibt Primärkomponenten, darunter versteht er vor allem Rhythmik, Harmonik, Form und Diastematik (Melodie), die Sekundärkomponenten Instrumentierung und Arrangement, die Tertiärkomponenten gesangliche und musikalische Interpretation, Aufnahmeverfahren, Wiedergabeverfahren sowie die die Veröffentlichung betreffenden Quartärkomponenten Verpackung, Lancierung und Promotion.60 Rauhes Ansatz hat seinen großen Nutzen darin, dass er trotz der offensichtlichen Mängel (zum Beispiel der fehlenden Beachtung des Songtextes oder der nicht für jeden Song einleuchtenden Betonung von Rhythmik zuungunsten der Instrumentierung) darauf hinweist, dass bei einer sorgfältigen Songanalyse mehr Aspekte als nur der Textinhalt oder die Akkordfolgen betrachtet werden müssen. Selbst die Schallplattenhülle kann bereits Rezeptionshinweise vermitteln. Auch wenn die Komponententheorie nicht als Gattungstheorie angelegt ist, sondern vielmehr einen Wegweiser zur Analyse populärmusikalischer Werke darstellt, kann sie für die Etablierung der Gattung nutzbar gemacht werden, indem spezifische Ausprägungen der Primärkom60 Vgl. Rauhe, Hermann: Popularität in der Musik. S. 17-24.
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ponenten als konstitutive Merkmale des Songs verstanden werden. Dabei darf allerdings nicht übersehen werden, dass die historischen Ausprägungen des Songs sehr variabel sind und durchaus Überschneidungen mit anderen Gattungen aufweisen können, sei es in Richtung des Kunstliedes oder sogar der Oper.61 Im Sinne Wittgensteins etablieren die konstitutiven Merkmale lediglich eine „Familienähnlichkeit“, bei der die „Ähnlichkeit zwischen den ‚Familienmitgliedern‘ auf jeweils unterschiedlichen Mengen sich unterschiedlich überlappender Merkmale basiert.“62 Ebenso muss bedacht werden, dass das jeweils für einen Song gültige Verhältnis von Text zu Musik Einfluss nimmt auf das Verhältnis anderer konstitutiver Merkmale zueinander. Beispielsweise weist ein Folksong, wie in Kapitel 1.6 genauer ausgeführt wird, durch seine besondere Gewichtung des Textes weniger Rhythmik auf als ein Rocksong und diese Gewichtung bestimmt darüber hinaus auch die Instrumentierung. Zunächst aber lässt sich sagen: Das Vorhandensein der im Folgenden ausgeführten formalen Merkmale konstituiert ein text-musikalisches Werk als Song, die jeweilige Gewichtung der Komponenten das jeweilige Subgenre (Rock, Folk, Pop). Songtext und Gesang Erst einmal eine Grundsätzlichkeit: Das Vorhandensein eines Songtextes ist konstitutiv für die Bezeichnung eines populärmusikalischen Werkes als Song. Hierin unterscheidet es sich von dem Genre des ‚Instrumentals‘ bzw. ‚Instrumentalsongs‘. Auch wenn die inhaltliche Botschaft des Songtextes nicht höchsten Ansprüchen genügen muss („Wadde hadde dudde da?“63), so ist die Präsenz einer oder mehrerer Gesangsstimmen und ihrer Interpretation eines sprachlichen Textes unabdingbar, um ein populärmusikalisches Werk als Song bezeichnen zu können. Erst die Existenz eines Songtextes macht es darüber hinaus möglich, wie Werner Faulstich betont, einen Song als moderne Lyrik zu begreifen.64 Der Songtext ist Kern des Songs insoweit, als dass seine gesangliche Wiedergabe die gattungskonstitutive Ver-
61 So existiert eine Vielzahl von ‚Rock-Opern‘, z.B. The Who: Tommy. Erschienen 1969, Pink Floyd: The Wall. Erschienen 1979 usw. 62 Hempfer, Klaus W.: Gattung. In: Weimar, Klaus u.a. (Hrsg.): Reallexikon der deutschen Literaturwissenschaft. Neubearbeitung des Reallexikons der deutschen Literaturgeschichte. Band 1: A-G. Berlin, New York 1997, S. 653. 63 Raab, Stefan: Wadde hadde dudde da. T./M.: Stefan Raab. Aus dem Album: TV Total. Das Album. Erschienen 2000. 64 Vgl. Faulstich, Werner: Vom Rock’n’Roll bis Bob Dylan. S. 16.
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bindung von Musik und Text herstellt. Diese Verknüpfung hat Jens Fliege treffend beschrieben: Anders als beim primär durch seine Schriftlichkeit geprägten, literarischen Text unterliegt der Popsong durch seine Präsentation einer Art von ‚Vorinterpretation‘ durch Gesang und Arrangement. Die Prosodieführung der Stimme, ihre Melodielinie u.a. Faktoren wirken sich bedeutungstragend auf die Semantik des Textes aus.65
Roland Barthes hat in einem lesenswerten Aufsatz diesen interpretativen Mehrwert der Stimme gegenüber der schriftsprachlichen Notierung als „The Grain of the Voice“ bezeichnet.66 David Brackett wiederum hat zur Beschreibung dieses Phänomens in Anlehnung an Richard Middleton drei mögliche Gesangstypen populärmusikalischer Stücke vorgeschlagen, deren Gewichtung die Interpretation des Gesangs bestimmen: Gesang als Ausdruck von Gefühlen („Affect“), als Mittel narrativer Berichterstattung („Story“) oder als Sound bzw. Instrument („Gesture“).67 Diese Typenbildung ermöglicht es, selbst Songtexte wie „A-Wop-bop-a-loo-lop a-lopbam-boo“ von Little Richard aus dem Jahr 195568 in ihrer Bedeutung für den Song zu bestimmen. Zugleich wird erkennbar, dass selbst dann, wenn Gesang und Text als „Gesture“ die Funktion eines Instrumentes übernehmen, die für einen Song konstitutive Verbindung von Text und Musik nicht aufgebrochen wird. Die Stimme als „Mittler zwischen Musik und Text“ betrifft immer beide Ebenen; sie realisiert nicht nur den Text, sondern bezieht diesen durch Prosodie und Sprachrhythmus zudem auf die musikalische Gestaltung.69
65 Fliege, Jens: Von der Aufklärung zur Subversion. S. 29. 66 Barthes, Roland: The Grain of the Voice. In: Frith, Simon/Goodwin, Andrew (Hrsg.): On Record. Rock, Pop, and the written Word. London, New York 1990, S. 294. 67 Brackett, David: Interpreting Popular Music. S. 30. 68 Richard, Little: Tutti Frutti. T./M.: Dorothy La Bostrie, Joe Lubin, Richard Penniman. Aus der Single: Tutti Frutti/I’m just a lonely Guy. Erschienen 1955. 69 Behrendt, Michael: Englische und amerikanische Rocklyrik, 1950-1975. Ästhetische und historische Strukturen. Frankfurt a.M. u.a. 1991. Diss. Marburg 1990, S. 16.
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Beat/Rhythmus/Metrum Sowohl ein Musikstil (‚Beat‘), Bandnamen (The Beatles) und Songtitel (Beat it)70 als auch die Forschung weisen auf die zentrale Rolle des Beat bzw. des Rhythmus für einen Song hin.71 Nichtsdestoweniger ist der ‚Beat‘ nicht identisch mit dem Rhythmus eines Songs, insofern als der ‚Beat‘ überwiegend auf die rhythmischen Bewegungen des Schlagzeugs verweist.72 Songs mit ausschließlich Gitarrenbegleitung (die freilich als Schlaggitarrenspiel das Schlagzeug imitieren kann) weisen ebenfalls einen durchgängigen Rhythmus, jedoch nicht zwangsläufig einen ‚Beat‘ auf. Gleiches gilt für die A-Capella-Musik. Grundsätzlich lässt sich nur sagen, dass Rhythmus und Beat die Zeitstruktur eines musikalischen Werkes bezeichnen.73 In diesem Zusammenhang können drei grundsätzliche Aussagen über die rhythmische Gestaltung eines Songs getroffen werden: Erstens muss der Rhythmus mit der Taktstruktur zusammengehen, beziehungsweise diese erst erschaffen. Diese Bemerkung ist deshalb von Bedeutung, weil es außerhalb der abendländischen Kultur Musikstile gibt, bei denen die Rhythmik unabhängig vom Taktsystem funktioniert, zum Beispiel die indische Tala-Rhythmik. Zweitens dominiert der musikalische Rhythmus (und mit ihm das musikalische Metrum) das sprachliche, aus der Verslehre stammende Metrum.74 Peter Urban hat nachgewiesen, dass sich sprachliches Metrum und sprachlicher Rhythmus des Songtextes „im Unterschied zu geschriebener oder gesprochener Lyrik nach den Akzenten richten, die Aufbau, Melodie und Rhythmus der Musik setzen.“75 Das heißt auch, dass Versmaß, Silbenzahl, Hebungen und Senkungen des Textes grundsätzlich der unterlegten Melodie angepasst werden.76 Selbst dann wenn Songtext und musikalische Gestaltung derart gestaltet sind, dass beide eine nahezu perfekte Symbiose eingehen und die musikalischen Akzente
70 Jackson, Michael: Beat it. T./M.: Michael Jackson. Aus dem Album: Thriller. Erschienen 1983. 71 Vgl. Achermann, Eric/Naschert, Guido: Einleitung. S. 211. 72 Vgl. Faulstich, Werner: Rock – Pop – Beat – Folk. Grundlagen der TextmusikAnalyse. Tübingen 1978, S. 33. 73 Vgl. zum Rhythmus ebd., S. 33. 74 An dieser Stelle kann das Verhältnis des literarischen Rhythmus zum literarischen Metrum nicht behandelt werden, vgl. hierzu z.B. Burdorf, Dieter: Einführung in die Gedichtanalyse. Zweite erw. und akt. Aufl. Stuttgart, Weimar 1997, S. 69-73. 75 Urban, Peter: Rollende Worte. S. 84. 76 Vgl. Schoenebeck, Mechthild von: Was macht Musik populär? S. 74.
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mit denen der Sprache zusammenlaufen, gilt dieses Prinzip.77 Deutlicher wird dies, wenn metrisch nicht oder wenig regulierte Texte erst durch musikalischen Rhythmus und/oder Metrum strukturiert werden oder die musikalische Gestaltung durch ihre Dominanz sprachlich fehlerhafte Betonungen erzwingt.78 Hieraus folgt, dass die wissenschaftliche Songanalyse zwar Verstöße gegen die (sprachliche) Metrik aufzeigen, nicht aber per se als künstlerische ‚Faux pas‘ verurteilen kann.79 Im Gegenteil können gerade Abweichungen, Stockungen oder Rhythmuswechsel auf der Ebene des Songtextes Betonungen gegenüber der musikalischen Gestaltung leisten, die beschreib- und interpretierbar sind. So gewinnen manche Songs gerade durch das Gegenüber von fehlender sprachlicher Strukturierung im Verhältnis zur sorgfältigen musikalischen Gliederung ihre Aussage.80 Schließlich lässt sich drittens aus der Dominanz des musikalischen über den sprachlichen Rhythmus folgern, dass für den Songtext grundsätzlich keine verbindlichen sprachmetrischen Regeln aufstellbar sind. Während Volksliedverse (mit Lizenzen) metrisch benennbar sind,81 ist dies für einen Songtext grundsätzlich nicht möglich. Stattdessen ist für einen Songtext metrisch jede Form denkbar, unbenommen der Tatsache, dass sich empirisch eine Häufung des Volksliedverses zeigt.82 Ein weiteres konstitutives Merkmal eines Songs ist – so lässt sich nun zusammenfassen – die Existenz eines beschreibbaren musikalischen Rhythmus (nicht unbedingt ‚Beat‘), der durch Taktstruktur und Metrum die textliche Gestaltung (und damit deren stimmliche Präsentation) dominiert.
77 Vgl. Urban, Peter: Rollende Worte. S. 84. 78 z.B. Degenhardt, Franz Josef: Wenn der Senator erzählt… T./M.: Franz Josef Degenhardt. Aus dem Album: Wenn der Senator erzählt… Erschienen 1968; Begemann, Bernd: Der Junge, der nie mein Onkel wurde. T./M.: Bernd Begemann. Aus dem Album: Rezession Baby! Erschienen 1993; vgl. hierzu Urban, Peter: Rollende Worte. S. 86. 79 Vgl. hierzu Busse, Burkhard: Der deutsche Schlager. Eine Untersuchung zur Produktion, Distribution und Rezeption von Trivialliteratur. Wiesbaden 1976. Diss. Bochum 1974, S. 51. 80 So z.B. DAF: Der Mussolini. T.: Gabi Delgado-Lopez/M.: Robert Görl. Aus dem Album: Alles ist gut. Erschienen 1981; vgl. auch Kap. 7. 81 Vgl. hierzu Frank, Horst J.: Handbuch der deutschen Strophenformen. Zweite durchges. Aufl. Tübingen, Basel 1993, S. 106-114; Felsner, Kerstin/Helbig, Holger/Manz, Therese: Arbeitsbuch Lyrik. Berlin 2009, S. 84. 82 Vgl. Busse, Burkhard: Der deutsche Schlager. S. 51.
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Aufbau Das Fehlen verbindlicher metrischer Regeln für den Songtext ermöglicht es, jede Form von Text, solange er in einer populärmusikalischen MusikText-Verbindung steht, als Songtext aufzufassen, also auch Texte in Prosaform oder sogar einzelne Zeilen. Diese Variabilität erschwert es, hinsichtlich des Aufbaus eines Songs verbindliche Regeln festzulegen. Es lassen sich zwar Konstanten benennen, insbesondere die relative Kürze, die Existenz redundanter Passagen sowie die Unterteilung des Songs in beschreibbare Formeinheiten wie Intro, Strophe, Refrain und Bridge. Leicht lassen sich jedoch zahlreiche Beispiele finden, für die diese Kriterien nicht oder nur eingeschränkt gelten. Im Einzelfall muss eine Songanalyse diese Abweichungen registrieren und auf ihre Funktion hin untersuchen.83 Sowohl die relative Kürze als auch das Vorkommen redundanter Passagen erklären sich aus der (historisch gewachsenen) Existenz einer Grundform des Songs, die eine periodische Bauweise aufweist. Der wiederkehrende Wechsel von Strophe zu (z.B. melodisch, inhaltlich oder rhythmisch abgesetztem) Refrain findet sich in den allermeisten Fällen. Manchmal wird dieser Wechsel durch einen ebenso abgesetzten Zwischenteil (‚Bridge‘, ‚Channel‘, ‚Tunnel‘) unterbrochen. Als gängigster Grundaufbau kann das folgende Schema gelten: Intro – Strophe – Refrain – Strophe – Refrain – Bridge – Refrain – Outro.84 Varianten wie die Ersetzung des Intros durch einen vorgezogenen Refrain, das Fehlen einer Bridge oder die mehrmalige Wiederholung des Refrains am Ende bis hin zum Fade-Out anstelle eines Outros widerlegen diese Grundform nicht. Die Länge der einzelnen Einheiten ist hingegen durchaus 83 Ein Beispiel für die Variabilität ist das Stück Supper’s ready der Gruppe Genesis, welches bei über zwanzig Minuten Länge in sieben Einzelteile unterteilt ist. Eine Analyse müsste nachweisen, inwieweit hier vom Kriterium der relativen Kürze abgewichen oder die sieben Titel als ‚Songs im Song‘ zu bezeichnen wären (Genesis: Supper’s Ready. T./M.: Anthony George Banks, Phil Collins, Peter Brian Gabriel, Steve Hackett, Michael Rutherford. Aus dem Album: Foxtrott. Erschienen 1972). 84 Vgl. hierzu Wölfer, Jürgen: Die Rock- und Popmusik. Eine umfassende Darstellung ihrer Geschichte und Funktion. München 1980, S. 104 und S. 109; Urban, Peter: Rollende Worte. S. 91; aufgrund der relativ statischen Grundform wird in der Forschung zeitweilig auch von ‚Formula Song‘ gesprochen (vgl. Frith, Simon: Performing Rites. Evaluating Popular Music. Oxford, New York 1998, S. 160f.).
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variabel, auch wenn eine Taktzahl von 16 oder 32 Takten häufig anzutreffen ist. Die Zeilenanzahl der Strophe weist ebenso viele Varianten auf, allerdings ist eine Dominanz des traditionellen Vierzeilers feststellbar.85 Die jeweiligen Strophen, deren Anzahl unterschiedlich ist, sind wie der Refrain innerhalb eines Songs meist gleich gebaut.86 Drei von Werner Faulstich beschriebene Varianten treten am häufigsten auf: der ‚zeitgenössischkonventionelle‘, der ‚traditionell-klassische‘ und der ‚zirkuläre‘ Aufbau.87 Neben dem konventionellen, oben dargestellten Aufbau, unterscheidet Faulstich als ‚klassisch‘ einen Strophenbau ohne Refrain, höchstens mit Wiederholung einzelner Verse in der Tradition des Volks- und Kunstliedes. Er ist bei Franz Josef Degenhardt häufig anzutreffen, aber auch sehr prominent in BAPs Kristallnaach gestaltet.88 Als ‚zirkulär‘ versteht er die (seltener anzutreffende) Wiederholung der ersten Strophe als gleichzeitig letzter Strophe zur argumentativen Rundung, wie sie beispielsweise in Where have all the Flowers gone ausgeführt ist.89 Alle drei Varianten unterscheiden sich insbesondere hinsichtlich des Verhältnisses von Refrain zu Strophe. Funktionen und Ausprägungen der Strophe und des Refrains Die beiden im vorgestellten Modell zentralen Formeinheiten sind die Strophe und der Refrain. Alle anderen Teile eines Songs, wie das Intro (oder Einleitungsteil/Vorspiel), instrumentale (Solo-)Passagen, die Bridge und das Outro (Schlussteil/Endpunkt) weisen eine so große Varianz auf, dass sie in der jeweiligen Songanalyse näher betrachtet werden müssen.90 85 Vgl. Wölfer, Jürgen: Die Rock- und Popmusik. S. 104 und S. 109; Urban, Peter: Rollende Worte. S. 89f. 86 Vgl. Gelfert, Hans-Dieter: Wie interpretiert man ein Gedicht? Stuttgart 1990, S. 54. 87 Vgl. Faulstich, Werner: Rock – Pop – Beat – Folk. S. 90-93. 88 BAP: Kristallnaach. T.: Wolfgang Niedecken/M.: Manfred Boecker, Wolly Boecker, Steve Borg, Alexander Büchel, Klaus Heuser, Hans Wollrath. Aus dem Album: Vun drinne noh drusse. Erschienen 1982. 89 Seeger, Pete: Where have all the Flowers gone. T./M.: Pete Seeger. Aus u.a. dem Album: Pete Seeger’s Greatest Hits. Original Recording Remastered. Erschienen 2002, entstanden Ende der 1960er Jahre; vgl. Faulstich, Werner: Rock – Pop – Beat – Folk. S. 90-93. Andere Autoren unterscheiden in ähnlichem Sinn zwischen horizontalen, vertikalen und diagonalen Liedstrukturen (vgl. z.B. Hornig, Michael: Die Liedermacher und das zeitkritische Lied der 60er Jahre. Diss. Bochum 1974, S. 12f.). 90 Die Bridge, verstanden als „kontrastierender Mittelteil eines Songs“ (Büttner, Jean-Martin: Sänger, Songs und triebhafte Rede. S. 648), enthält im Verhältnis zu Strophe und Refrain neue melodische und harmonische Wendungen. Ihre
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Begreift man die Strophe zunächst als „Verbindung mehrerer Verszeilen von gleichem oder verschiedenem Bau zu einer regelmäßig wiederkehrenden, in sich geschlossenen höheren metrischen Einheit“,91 dann lässt sich formal im Song keine Unterscheidung zwischen Refrain und Strophe treffen. Weder muss der Refrain zwangsläufig einen anderen Bau aufweisen als die Strophe noch folgen Strophe oder Refrain festen metrischen oder harmonischen Mustern. Ein Refrain lässt sich dementsprechend nur durch seine Stellung als wiederholtes Element im Song-Ganzen erkennen! Häufig jedoch ist die Unterscheidung des Refrains von einer wiederholten Strophe oder die Differenzierung zwischen Kehrreim und Refrain nur schwer zu treffen.92 Weder lässt sich der Refrain von der Strophe durch die Existenz einer „auffällige[n] einprägsame[n] Hauptmelodie“ abgrenzen, wie es Peter Urban versucht hat,93 noch lässt sich seine Funktion grundsätzlich als textliche oder musikalische Fortführung der Strophen verstehen.94 Die historischen Wurzeln des Refrains liegen in der Volksliedtradition. Dadurch hat er als „Wesensmerkmal die kollektive Produktion an sich haften“, wie Walter Mossmann und Peter Schleuning herausgearbeitet haben, ein Merkmal, dass in Livedarbietungen im Publikumsgesang noch heute aufscheint.95 Die Verwendung (oder Vermeidung) eines Refrains in einem Song ist daher immer auch ein Signal des Künstlers hinsichtlich des kollektiven Vollzugs des Textes. Während Kunstlied und Oper im 16. und 17. Jahrhundert weitgehend auf Refrains verzichten, greift der Song des 20. Jahrhunderts in verstärkter Form wieder auf Refrain- und Kehrreimformen zurück.96 Beispielhaft zu sehen ist dies in den Songs von Bertolt Brecht, die kaum ohne Refrain auskommen und diesen meist – in der Tradition der Arbeiterlieder stehend – als Ausgangspunkt der Aussage verwenden, gemäß
91 92 93 94 95 96
Stellung, meist nach dem zweiten Refrain, häufig aber auch überleitend zwischen Strophe und Refrain, ist variabel. Meist dann wenn die ‚Bridge‘ keine ‚Brücke‘ zwischen Refrain 2 und Refrain 3 schaffen soll, werden auch die Begriffe ‚Channel‘, ‚Release‘, ‚Tunnel‘ oder ‚Zwischenspiel‘ synonymisch verwendet (vgl. hierzu Wicke, Peter/Ziegenrücker, Wieland: Bridge. In: Dies.: Rock Pop Jazz Rock. S. 97). Wilpert, Gero von: Strophe. In: Ders.: Sachwörterbuch der Literatur. S. 791f., hier S. 791. Vgl. hierzu Ders.: Kehrreim. In: Ebd., S. 402. Urban, Peter: Rollende Worte. S. 91. Vgl. Czerny, Peter/Hofmann, Heinz: Der Schlager. S. 101. Mossmann, Walter/Schleuning, Peter: Alte und neue politische Lieder. Entstehung und Gebrauch, Texte und Noten. Zweite erw. Aufl. Reinbek 1980, S. 307. Vgl. ebd., S. 306.
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dem Motto: „Kein gutes Kampflied ohne starken Refrain!“97 Seine Funktion ändert sich jedoch hier im Vergleich zum Volkslied. Im Song liegt der Unterschied zwischen Strophe und Refrain nicht mehr ausschließlich in der gemeinsamen kollektiven Gesangshandlung, sondern verschiebt sich auf die inhaltliche textlogische Ebene. Im Song ergänzt, konterkariert oder kontextualisiert der Refrain normalerweise die Strophe oder führt die inhaltlichen Aussagen zusammen.98 Als solch textlogische Refrains lassen sich, dies hat Michael Behrendt in seiner Dissertation gezeigt, verschiedene Formen unterscheiden.99 Die jeweils angestrebte Funktion des Refrains bestimmt dabei häufig den Aufbau und die musikalische Gestaltung eines Songs. Besteht die Funktion des Refrains beispielsweise in der Motivierung der Strophen, so ersetzt er ggf. das Intro und steht bereits am Anfang. Besteht sie hingegen in einer argumentativen Gegenstimme, wird der Refrain musikalisch oft stark abgesetzt. Insgesamt ist die Existenz strukturierender Refraintechniken eines der zentralen Merkmale, die den Song vom Kunstlied unterscheiden. Alle weiteren formalen Aspekte, wie beispielsweise einfache Reimformen (Paarreim, Kreuzreim) oder einfache Strophenformen (Balladenstrophe oder andere Vierzeiler) finden sich genauso in Volks- oder Kunstlied. Festzuhalten ist also, dass das Vorhandensein eines gesungenen Songtextes, die Spezifik des musikalischen Rhythmus und Metrums und die Existenz eines spezifischen Grundaufbaus als konstitutiv für die Gattung ‚Song‘ gelten können. Diese Elemente ermöglichen es, den Song formal von Volksliedern und Kunstliedern zu unterscheiden. Anschließend können daher nun folgende Fragen gestellt werden: In welchem Verhältnis stehen die Songtexte zu ‚herkömmlicher‘ Leselyrik? Lassen sie sich (und wenn ja, mit welchen Modifikationen) als lyrische Texte wissenschaftlich betrachtet?
97 Ebd., S. 303. 98 Vgl. ebd., S. 308-317; vgl. auch Wicke, Peter/Ziegenrücker, Wieland: Strophe. In: Dies.: Rock Pop Jazz Rock. S. 488; Dies.: Refrain. In: Ebd., S. 388. 99 Behrendt unterscheidet Kehrreime am Ende einer Strophe oder inhaltlich oder formal selbstständige Refrainteile. Diese können auch in sich variieren. Textlogisch kann der Refrain dabei entweder die Strophe unterbrechen oder zusammenfassen, inhaltlich fortsetzen oder den Ausgangspunkt der Erörterung, eine Schlussfolgerung oder eine Gegenstimme bilden (vgl. Behrendt, Michael: Englische und amerikanische Rocklyrik. S. 155f.).
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1.3 Z UM V ERHÄLTNIS
VON
L YRIK
UND
S ONGTEXT
Of all elements of music, lyrics are by far the easiest to understand because they are verbal and usually in English. CHARLES T. BROWN100
Simon Frith, einer der profiliertesten Forscher zur populären Musik, erklärt in seinem Werk Performing Rites klipp und klar: „Lyrics aren’t poetry.“101 Dennoch untersucht Michael Behrendt in seiner Dissertation über angloamerikanische Songtexte dem Titel seiner Arbeit entsprechend Rocklyrik.102 Bei der Frage, wie sich ein Songtext zu Leselyrik verhält und ob er als solche begriffen werden kann, handelt es sich keineswegs um eine akademische Begriffsspielerei. Es geht vielmehr um die Frage, inwieweit Methoden und Ansätze wissenschaftlicher Lyrikanalyse überhaupt auf einen Songtext angewandt werden können, ohne wesentliche Aspekte eines Songs schlicht zu übersehen.103 Soviel ist sicher: Text und Musik stehen immer in einem komplexen wechselseitigen Verhältnis. Jean-Martin Büttner hat dieses beschrieben: „Text und Musik, Sound und Phrasierung bilden ein Ganzes; was nicht gesagt werden kann, wird gespielt und umgekehrt. Ein Text ohne die Musik enthält somit Verweise oder Auslassungen, die auf dem Papier keinen Sinn mehr machen.“104 In einem wegweisenden Aufsatz geht Simon Frith umgekehrt vor; er stellt die provokante Frage: „Why do Songs have Words?“,105 und beantwortet sie mit der Relevanz des Textes für die Rezeption: „Words matter to people, […] they are central to how pop songs are heard and evaluated. […] A song – its basic melodic and rhythmic structure – is grasped by people through its words.“106 Diese Feststellung lässt sich paraphrasieren: Songtexte sind immer zentrale Bedeutungsträger, sie sind 100 101 102
103 104 105
106
Brown, Charles T.: The Art of Rock and Roll. Second Edition. Englewood Cliffs/NJ 1987, S. 8. Frith, Simon: Performing Rites. S. 181. Vgl. Behrendt, Michael: Englische und amerikanische Rocklyrik, 1950-1975. Ästhetische und historische Strukturen. Frankfurt a.M. u.a. 1991. Diss. Marburg 1990. Vgl. hierzu auch die Ausführungen von Baßler, Moritz: ‚Watch out for the American Subtitles! S. 279. Büttner, Jean-Martin: Sänger, Songs und triebhafte Rede. S. 104. Vgl. den Titel der Untersuchung von Frith, Simon: Why do Songs have Words? In: Ders.: Music for Pleasure. Essays in the Sociology of Pop. Oxford 1988, S. 105-128. Ders.: Performing Rites. S. 159.
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unverzichtbare Wegweiser zur Interpretation, selbst dann wenn sie simpel oder fragmentarisch erscheinen oder gar bedeutungslos.107 Um zu klären, ob die herkömmlichen Methoden der Lyrikanalyse auch für solche Texte greifen können und ob sie in der Lage sind, die von Büttner beschriebene Dialektik von Text und Musik zu erfassen, ist eine, zumindest kursorische Bestimmung dessen, was der Begriff Lyrik meint, vonnöten. Dabei ist gerade die Frage, was Lyrik und/oder lyrische Gedichte überhaupt charakterisiert, eine der komplexesten Fragen der Literaturwissenschaft überhaupt.108 Historisch leitet sich der Begriff ‚Lyrik‘ vom griechischen Lyrikos ab (also adjektivisch zum Spiel der Leier ‚Lyra‘) und deutet bereits dadurch (vermeintlich) eine Verbindung von Musik und Text an.109 Der aus dem Althochdeutschen stammende Begriff ‚Gedicht‘ wiederum wurde von Martin Opitz etabliert. Das ‚lyrische Gedicht‘ zeichnet sich für ihn gerade durch seine Liedhaftigkeit aus.110 Das Verständnis von Lyrik als Ausdruck unmittelbarer Innerlichkeit und der Subjektivität des Autors gründet auf Johann Gottfried Herders Ästhetik.111 Sowohl Georg Wilhelm Friedrich Hegel als auch in seiner Nachfolge Emil Staiger haben diese ‚Subjektivitätsthese‘ weiterentwickelt.112 Emil Staiger bestimmt den Lyriker und sein Werk zum einen hinsichtlich der Produktionsbedingungen und zum anderen durch eine ausgeprägte Negierung der Wirklichkeit. Der Lyriker „ist einsam, weiß von keinem Publikum und dichtet für sich“, schreibt Staiger und erklärt damit die Autonomie des dichtenden Subjekts von gesellschaftlichen Einflüssen.113 Diese Autonomie erstreckt sich, das ergibt sich aus der Bestimmung, vornehmlich auf politisch-gesellschaftliche Inhalte. Staiger verdeutlicht dies bemerkenswerterweise an dem Beispiel ‚Lied‘. Dieses, so schreibt er, 107 108 109 110
111
112
113
Vgl. ebd., S. 159. Vgl. hierzu Burdorf, Dieter: Einführung in die Gedichtanalyse. S. 1-21. Vgl. ebd., S. 2. Vgl. ebd., S. 2f. Sie wird in Nachfolge von Opitz vertreten z.B. von Asmuth, Bernhard: Aspekte der Lyrik. Mit einer Einführung in die Verselehre. Siebte ergänzte Aufl. Opladen 1984, S. 133: „Der Kern der Lyrik ist das Lied“; vgl. auch die Widerrede von Lamping, Dieter: Das lyrische Gedicht. Definitionen zu Theorie und Geschichte der Gattung. Göttingen 1989, S. 78. Vgl. Gnüg, Hiltrud: Entstehung und Krise lyrischer Subjektivität. Vom klassischen lyrischen Ich zur modernen Erfahrungswirklichkeit. Stuttgart 1983, v.a. S. 5-13; 29-49. Vgl. Hinck, Walter: Von Heine zu Brecht. Lyrik im Geschichtsprozeß. Frankfurt a.M. 1978, S. 125f.; Staiger, Emil: Grundbegriffe der Poetik. Zürich, Freiburg 61963. Ebd., S. 47.
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gibt kein Vorbild und schreckt nicht ab. Wir finden keinen Rat bei ihm, wenn wir uns entscheiden müssen, während uns eine Sentenz doch wohl in schwerer Stunde stärken mag. Lieder bleiben unverbindlich. Sie lösen keine Probleme. Wir können uns nicht auf sie berufen.114
Lyrische Poesie – so kann der Literaturwissenschaftler Staiger paraphrasiert werden – negiert jeglichen Kontakt zur konkreten Wirklichkeit. Staigers hier verkürzt zusammengefasste Bestimmung der Lyrik, als „Kunst der Einsamkeit“, deren öffentlicher Vortrag abzulehnen und deren Rezeption nur von „Gleichgestimmten in der Einsamkeit“ vorzunehmen sei,115 darf in ihrer Wirkmächtigkeit nicht unterschätzt werden.116 Folgte man ihm, dann ließe sich politische Dichtung, deren Conditio-sine-qua-non eine Verbindung zu ihrem gesellschaftlichen Umfeld sein muss, nicht mehr als lyrische Poesie verstehen.117 Vor allem wäre der politische Song unter keinen Umständen als Teilbereich der Lyrik zu analysieren. Doch auch eine Emil Staiger weitestmöglich entgegenstehende LyrikDefinition, wie sie von Hilde Domin in ihrer Essaysammlung Wozu Lyrik heute? vorgenommen wird, schließt explizit den Song aus. Hier, zeitlich mit den ersten Werken von Degenhardt und Biermann zusammenfallend, verortet Domin die Bedeutung von Lyrik eben gerade in ihrer Stellungnahme zur Wirklichkeit. Sie schreibt: „Die Mitteilung des nicht – oder doch kaum – Mitteilbaren: das ist also die Aufgabe des Lyrikers. Dazu wird sein Gedicht ‚gebraucht‘.“118 Verstanden als „Gebrauchsartikel eigener Art“119 114 115 116
117 118 119
Ebd., S. 81. Ebd., S. 48. Vgl. z.B. die gegen Staiger gerichteten Bemerkungen Carlo Bredthauers in dem Aufsatz Wozu Agitexte?: „Die Gedichteschreiber, wenn sie Demokraten sind, müssen ihre Möglichkeiten und damit ihre Verantwortung erkennen. Sie müssen mehr und bessere, das heißt, wirksame politische Gedichte machen. Gedichte, die von den Interessen und Bedürfnissen der Arbeitenden ausgehen, nicht von denen der herrschenden Literaturwissenschaft und -politik. Denn deren Aufgabe ist es, die Literatur den Herrschenden dienstbar zu machen.“ (Bredhauer, Karl Dieter: Aus: „Wozu Agitexte?“. In: Fuhrmann, Joachim u.a. (Hrsg.): Agitprop. Lyrik, Thesen, Berichte. Kollektivausgabe der Gruppe Hamburg linksliterarisch. Hamburg 1969, S. 183); vgl. auch Knörrich, Otto: Bundesrepublik Deutschland. In: Hinderer, Walter (Hrsg.): Geschichte der deutschen Lyrik vom Mittelalter bis zur Gegenwart. Zweite erw. Aufl. Würzburg 2001, S. 551. Vgl. hierzu auch Navky, Günter: Aspekte des Nationalsozialismus. S. 79. Domin, Hilde: Wozu Lyrik heute. Dichtung und Leser in der gesteuerten Gesellschaft. München 1968, S. 15. Ebd., S. 16.
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bestimmt Domin das Gedicht anhand seiner didaktischen Aufgabe, den Menschen „hin zu seiner ihm aufgegebenen Wirklichkeit“ zu führen; „hellhöriger“ für das gesellschaftliche Umfeld zu machen.120 Dies geschehe durch konkrete Benennung: „Die unverlogen, unerschrocken benannte Wirklichkeit wird deutlich erkennbar. Nur so kann man ihr gegenübertreten.“121 Die hieraus resultierende „Erhöhung von Bewußtheit“ könne Lyrik, so Domin, hervorbringen durch ihre „unspezifische Genauigkeit“ (und explizit nicht Ungenauigkeit).122 Lyrik, für Domin gekennzeichnet durch sprachliche und inhaltliche Reduktion, beschreibe nicht das genaue Detail, sondern öffne durch die Fokussierung auf die „Essenz“ Interpretationsräume für den Leser. Diese auch als „Virulenz“ bezeichnete „Fähigkeit, immer neue Assoziationen anzusaugen“, sei Aufgabe und Kriterium für „Lyrik heute“.123 Aber: Domin lehnt für den Song die Bestimmung als Lyrik ab. Indem sie der Musik einen „vorwiegend emotionale[n] Appell“ zuschreibt, der zwar Erregung auslöse, jedoch keine Rückbindung an die ‚ratio‘ mehr ermögliche, würde durch den Song (sie spricht vom ‚Lied‘) gerade keine Erhöhung von Bewusstheit erzeugt.124 Domin schreibt über ‚Lieder‘: „Sie benutzen Emotion, um Kritik auszuschalten, erhöhen also nicht, wie Gedichte, Bewußtheit, sondern engen die Sphäre der Freiheit ein.“125 Deutlich wird, dass zwei so grundverschiedene Bestimmungen von Lyrik, sowohl die anthropologische, produktions- und rezeptionsästhetische von Emil Staiger als auch die gesellschaftspolitische, im weitesten Sinne psychologisierende von Hilde Domin, den Song aus dem Bereich lyrischer Produktion ausschließen. Und doch weist ein Songtext unverkennbar zahlreiche Elemente auf, die sowohl unakademische Leser/Hörer als auch Literaturwissenschaftler als Merkmale von Lyrik bezeichnen würden: Die relative Kürze des Songtextes, die häufige Existenz von Strophen und die Präferenz gereimter gegenüber freien Versen gehören dazu,126 aber auch das 120 121 122 123 123 124 125 126
Ebd., S. 16. Ebd., S. 28. Ebd., S. 30; vgl. zur ‚unspezifischen Genauigkeit‘ die Ausführungen in ebd., S. 138-144. Ebd., S. 16. Ebd., S. 163. Ebd., S. 30. Dies.: Nachwort. In: Dies. (Hrsg.): Nachkrieg und Unfrieden. Gedichte als Index 1945-1970. Neuwied, Berlin 1970, S. 148. Vgl. zur relativen Kürze Killy, Walter: Elemente der Lyrik. München 1972, S. 154-169.
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„einzige eindeutig feststellbare Merkmal, das den größten Teil der heute als Gedichte bezeichneten Texte auszeichnet“,127 die von Dieter Lamping bestimmte Versrede. Auch Songtexte weichen durch eine bestimmte Art von Segmentierung (z.B. die Setzung zusätzlicher Pausen, Zeilensprünge oder nicht dem Prosarhythmus entsprechende Sprachgestaltungen) von normalsprachlicher Rede ab.128 Allerdings steht ein Songtext im Gegensatz zu ‚herkömmlicher‘ Lyrik immer in Verbindung mit den nicht-verbalen, zusätzlich sinnvermittelnden Elementen der Musik.129 Diese Eigenschaft führt hinsichtlich der literaturwissenschaftlichen Analyse zu drei erstaunlichen Folgerungen, denen die Leselyrik nicht ausgesetzt ist: Zum ersten kann die schriftliche Fixierung des Songtextes (zum Beispiel im Inlay eines Albums) nicht als die primäre Quelle betrachtet werden. Moritz Baßler drückt dieses Phänomen in einem lesenswerten Aufsatz zur Analyse deutschsprachiger Popmusik prägnant aus: Texttheoretisch lässt sich […] feststellen: Der Text des Popsongs ist seine Aufnahme, und nur diese. […] Der notierbare Text ist immer nur eine Annäherung an den performierten Text des Songs und bleibt ihm gegenüber sekundär, und zwar im expliziten Unterschied zum Text eines Dramas, der seinen Aufführungen gegenüber stets das Primäre ist, und daher auch ohne Rückgriff auf sie sinnvoll analysierbar bleibt.130
Damit ist der Songtext in seiner schriftlichen Form vergleichbar dem Libretto einer Oper oder eines Musicals131 und in erster Linie zum Hören und erst in zweiter zum (wissenschaftlichen) Lesen gemacht.132 Songtexte sind Texte in Aufführung. Aus dieser scheinbar einfachen Aussage entsteht für die Interpretation ein merkwürdiger Widerspruch: Die Integration nichtverbaler aber sinnvermittelnder Elemente – dies ist die zweite Folgeerscheinung – erweitert den möglichen Interpretationsspielraum des Songtextes. Ein Beispiel hierfür bietet BAPs Song Kristallnaach, dessen inhaltliche Aussage sich erst durch die (musikalisch gestaltete) zweiteilige Songstruk127 128 129 130 131 132
Burdorf, Dieter: Einführung in die Gedichtanalyse. S. 11. Vgl. Lamping, Dieter: Das lyrische Gedicht. S. 24. Vgl. Behrendt, Michael: Englische und amerikanische Rocklyrik. S. 5. Baßler, Moritz: ‚Watch out for the American Subtitles!‘ S. 280; vgl. hierzu auch Faulstich, Werner: Rock – Pop – Beat – Folk. S. 161. Vgl. hierzu Gier, Albert: Das Libretto: Theorie und Geschichte einer musikoliterarischen Gattung. Darmstadt 1998. Vgl. hierzu auch Urban, Peter: Rollende Worte. S. 84; Behrendt, Michael: Englische und amerikanische Rocklyrik. S. 5.
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tur vollständig erschließt.133 Unabdingbar ist es daher, wie Jens Fliege zusammenfasst, „die im Hörereignis wahrgenommenen, bedeutungstragenden Einflüsse auf den Songtext herauszufiltern und der Analyse zugänglich zu machen.“134 Gleichzeitig aber – drittens – verliert der Songtext durch die akustische Wiedergabe und die Präsentation durch den Gesang wiederum Interpretationsspielräume. Hierauf weist Simon Frith hin. Er begründet die eingangs zitierte Unterscheidung von ‚lyrics‘ und ‚poetry‘ leser- bzw. hörerorientiert. Für geschriebene Lyrik konstatiert er: „The reader makes her own decisions about speed, emphasis, tone, accent and inflection.“135 Die akustische Performanz verhindert diese interpretative Mitarbeit des Lesers/Hörers; sie wird ihm vom Sänger abgenommen. Frith zeigt dies anhand des Beatles-Songs She loves you.136 Ohne die gesangliche Präsentation könnte die Titelzeile unterschiedlich betont und mit Sinn gefüllt werden: She loves you (sie, nicht jemand anders), She loves you (statt: sie hasst dich), She loves you (und nicht mich oder ihn).137 Um eine dieser Interpretationen plausibel zu machen, müsste geschriebene Lyrik diese durch sprachliche Rhythmik, Kursivsetzung und andere sprachliche und/oder drucktechnische Mittel kennzeichnen. Ein Songtext benötigt dies nicht; Prosodie, Intonation und dergleichen übernehmen dies und schränken die Interpretationsräume ein. Frith betont zusammenfassend: „Oral poetry doesn’t need the devices written poetry must use.“138 Damit bezeichnet Frith schlussendlich ein zentrales Charakteristikum von Songtexten: Sie haben durch den Sänger einen Vermittler zwischen Text und Musik. Dieser fungiert im weitesten Sinn als traditioneller mündlicher Erzähler. Frith weist darauf hin: „All songs are implied narratives. They have a central character, the singer; a character with an attitude, in a situation, talking to someone (if only to herself).“139 Indem ein Sänger den Songtext singt, erhält die Personalität im Song eine besondere Rolle (vgl. 133
134 135 136
137 138 139
BAP: Kristallnaach. T.: Wolfgang Niedecken/M.: Manfred Boecker, Wolly Boecker, Steve Borg, Alexander Büchel, Klaus Heuser, Hans Wollrath. Aus dem Album: Vun drinne noh drusse. Erschienen 1982; vgl. Kap. 7. Fliege, Jens: Von der Aufklärung zur Subversion. S. 30f. Frith, Simon: Performing Rites. S. 178. The Beatles: She loves you. T./M.: John Lennon, Paul McCartney. Aus dem Album: The Beatles 1962-1966. Erschienen 1973; zuerst als Single: She loves you/I’ll get you. Erschienen 1963. Vgl. Frith, Simon: Performing Rites. S. 181. Ebd., S. 182. Ebd., S. 169.
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auch Kapitel 1.6). Es findet ein permanentes Spiel zwischen Autor-Ich und Figuren-Ich bzw. ‚empirischem Ich‘ und ‚lyrischem Ich‘ statt, das eine besondere interpretative Sensibilität erfordert.140 Dies muss deshalb so betont werden, weil im Bereich der Musikkritik eben diese Sensibilität weitgehend fehlt. David Brackett beklagt ganz zu Recht: „Music magazines and biographies often focus on the parallels between songs and the singer’s lives.“141 Eine Gleichsetzung von Autor-Ich und Figuren-Ich darf jedoch nur im seltensten Fall (und dann nur mittels eines Nachweises eindeutiger Textsignale) als gegeben angenommen werden. Hilfreich zur Beschreibung dieser Songtext-Eigenschaft ist die von Michael Behrendt entwickelte Unterscheidung zwischen ‚subjektiven‘ und ‚objektiven‘ Perspektiven: Als ‚subjektive Perspektiven‘ bezeichnet er die Existenz 1.) eines lyrischen Ichs, 2.) eines empirischen Ichs, 3.) eines überindividuellen Ichs (in reflektierender oder erzählender Funktion), 4.) eines konventionalisierten Rollen-Ichs (in reflektierender oder erzählender Funktion) oder 5.) eines Monologs mit ‚Wir-Bezug‘. ‚Objektive Perspektiven‘ sieht er dann gegeben, wenn sich 1.) eine auktoriale Darstellung (in reflektierender oder erzählender Funktion), 2.) eine Reflektorrolle (d.h. Spiegelung einer Haltung in der Erzählerfigur) oder 3.) eine Dramatisierung (reiner Dialog, Wechselrede, Inszenierung mit mehreren Personen) nachweisen lässt.142 Behrendts Typologie hat analytisch zweierlei Nutzen: Zum einen kann sie für die Differenzierung der Genres ‚Rock‘, ‚Pop‘ und ‚Folk‘ funktionalisiert werden (vgl. Kapitel 1.6). Zum anderen ermöglicht sie es, fehlerhafte Gleichsetzungen von Autor und Figur zu vermeiden und ihre Unterschiede 140
141
142
Vgl. zu diesen von Hugo Friedrich, Margarete Susman und Oskar Walzel geprägten Begriffen und zu ihrer Unterscheidung beispielhaft Kreppel, Juliane: „In Ermangelung eines Besseren?“ Poetik und Politik in bundesrepublikanischen Gedichten der 1970er Jahre. Köln, Weimar, Wien 2009. Diss. Köln 2008, S. 138-166; Burdorf, Dieter: Einführung in die Gedichtanalyse. S. 21 und 182-201; zur Problematik der Anwendung für die Songtextanalyse vgl. Behrendt, Michael: Englische und amerikanische Rocklyrik. S. 13. Brackett, David: Interpreting Popular Music. S. 14. Ein Beispiel aus dem deutschsprachigen Musikjournalismus sind die Rezensionen zu Herbert Grönemeyers Album Mensch; da erklärt das Onlinemagazin Laut z.B.: „In dem Song ‚Mensch‘ beschreibt der gebürtige Göttinger, wie stark er seine Frau vermisst“ (Fritz, Nathalie: Herbert Grönemeyer „Mensch“. In: http://www. laut.de/lautstark/cd-reviews/g/groenemeyer_herbert/mensch/index.htm, 05.05. 10); die Poetizität des Songs gerät komplett aus dem Blick. Vgl. Behrendt, Michael: Englische und amerikanische Rocklyrik. S. 364f.
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zu beschreiben. Dies ist deshalb relevant, weil es überhaupt nicht selbsterklärend ist, wer als ‚Autor‘ eines Songs zu gelten hat. „Who is the Author?“ fragt David Brackett und weist damit auf eine interessante Eigenheit des Songs hin.143 Nimmt man diesen nämlich als interdisziplinäres Kunstwerk ernst, so ist es kaum möglich, einen einzelnen Autor auszumachen. Selbst dann, wenn man den Autor als „geistigen Erzeuger […] von Texten jeglicher Art“ versteht wie Erich Kleinschmidt144 und sich nicht der Barthes’schen Vorstellung vom ‚Tod des Autors‘ verschreibt, stellt sich die Frage nach der Autorschaft. Ein Blick in ein beliebiges Schallplatten-Inlay, hier beispielhaft Herbert Grönemeyers Album Mensch, zeigt dies: Als geistiger Erzeuger des Textes und der Komposition ist im Booklet Herbert Grönemeyer selbst angegeben. (Co-)Autorschaft einzelner Teile der (als bedeutungstragend zu begreifenden musikalischen Gestaltung) müsste den Musikern (Alex Silva, Bass, Gitarre; Armin Rühl, Schlagzeug; Marie Grönemeyer, Background-Vocals; usw.) zugeschrieben werden (vorausgesetzt es gelänge, eine jeweilige geistige Erzeugerschaft ihrer Beiträge nach- und zuzuweisen). Songs sind Co-Produktionen zahlloser ‚Autoren‘. Grönemeyers Mensch kennt zudem einen Textdramaturgen (Arezu Weitholz), müsste als Autoren des Gesamtwerkes die Produzenten Herbert Grönemeyer und Alex Silva nennen, als ‚Erzeuger‘ des Sounds den Mischer John Hudson und damit sind die Beiträge des Aufnahmeleiters und des Mastering-Verantwortlichen noch nicht genannt. Zu guter Letzt kennt die Lyrikanalyse die Bedeutung der graphischen Ausdrucks- bzw. Schriftform und müsste den Grafikdesigner Walter Schönauer als den ‚Autor der Textgestaltung‘ in Blocksatz mit auffälligen Unterstrichen nennen.145 In Bracketts Worten: „Put another way, there is no single ‚author‘ for these recordings.“146 Es wird nie möglich sein, die jeweiligen kreativen Beiträge der einzelnen Autoren eines Songs auseinander zu halten, ein Autor-Ich zu etablieren oder eine genauere Differenzierung von Autorschaft, MitAutorschaft und ausführender Teilnahme zu erstellen. Selbst in Fällen ausgeprägter Personalunion der einzelnen Funktionen, wie es bei den ver143 144
145 146
Brackett, David: Interpreting Popular Music. S. 14. Kleinschmidt, Erich: Autor. In: Weimar, Klaus u.a. (Hrsg.): Reallexikon der deutschen Literaturwissenschaft. Neubearbeitung des Reallexikons der deutschen Literaturgeschichte. Band 1: A-G. Berlin, New York 1997, S. 176. Alle diese Informationen aus dem Booklet von Grönemeyer, Herbert: Mensch. Erschienen 2002. Brackett, David: Interpreting Popular Music. S. 2.
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meintlichen ‚Liedermachern‘ gegeben scheint, ist die Existenz eines einzelnen ‚Autors‘ mehr als fragwürdig.147 Gar nicht umfasst sind damit zudem die Bereiche vorgetäuschter Autorschaft (z.B. Milli Vanilli), Produzentenmusik (z.B. Stock, Aitken, Waterman), Cover-Versionen und populärmusikalischer Nachvertonungen.148 Jede voreilige (auto-)biographische Les- und Hörart eines Songs muss zu fehlerhafter oder stark verkürzender Interpretation führen. Was aber kann aus diesen Feststellungen nun für die Analyse abgeleitet werden? Viele Methoden der Textanalyse, in diesem Fall der Lyrikanalyse, können durchaus ergiebige Ergebnisse zeitigen. Die Betrachtung rhetorischer oder narratologischer Gestaltungsmittel ist ebenso wie die Untersuchung sozialgeschichtlicher, kulturgeschichtlicher oder gattungspoetischer Aspekte grundsätzlich für den Song ebenso relevant wie für ‚herkömmliche‘ Lyrik. Nur: Die Analyse darf dort nicht stehen bleiben, sondern muss die geschilderten Unterschiede des Songs zu geschriebener Lyrik, auf die die englische Sprache im Übrigen durch die Unterscheidung von ‚Poem‘ und ‚Lyrics‘ hinweist, stets im Blick behalten.149 Die Interpretation eines Songs (sowohl seiner konstitutiven Formelemente, des Verhältnisses von Text zu Musik als auch der in Kapitel 1.5 untersuchten Aspekte der Performanz und Medialität) darf sich allerdings nicht allein auf diese Unterscheidung beschränken. Sie ist von Song zu Song abhängig davon, welche literatur- und musikgeschichtliche Tradition auszumachen ist. Aus diesem Grund sollen die drei für den deutschsprachigen Song wichtigsten historischen Entwicklungen in einem Überblick betrachtet werden.
147 148
149
Vgl. ebd., S. 2f. Gerade der kreative und jedwede Autorschaft unterlaufende Umgang mit Vorlagen ist ein Charakteristikum der Populärmusik; vgl. Gross, Thomas: Die Kunst des Ideendiebs. Der Plagiatsfall des Rappers Bushido zeigt, wie fremd Bastler und Behörden einander sind. In: Die Zeit Nr. 14 vom 31. März 2010, S. 42: „Die Geschichte der populären Musik ist eine Geschichte der Ab- und Umschriften, bei der Original, Kopie und Weiterentwicklung nicht klar voneinander zu trennen sind“. Vgl. auch Achermann, Eric/Naschert, Guido: Einleitung. S 211; Faulstich, Werner: Rock – Pop – Beat – Folk. S. 70.
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1.4 L ITERATUR -
UND MUSIKGESCHICHTLICHE
ASPEKTE
Die bislang geschilderten Merkmale des Songs gelten für eine immens große Gruppe von Werken in allen möglichen Sprachen, Genres und Kulturen. In den folgenden Ausführungen soll der Fokus der Untersuchung enger gefasst und gezielt der deutschsprachige Song in den Blick genommen werden. Bislang wurden textlich und musikalisch so grundverschiedene und sozialgeschichtlich differenten Zeitpunkten entstammende Werke von Künstlern wie Wolf Biermann und Herbert Grönemeyer allesamt als Songs bezeichnet. Dies geschah, obwohl zwischen den einzelnen Stücken offensichtliche Unterschiede auf allen Ebenen (Intonation, Instrumentierung, Aufbau, Rhetorik, etc.) existieren. Ein Ansatz, diese Differenzen analytisch zu betrachten, ist es, ihre jeweiligen Anbindungen an markante literarische und musikalische Traditionen nachzuweisen. Für den deutschsprachigen Song lassen sich dabei drei wichtige historische Ausgangspunkte benennen: die Volkslied- und Balladentradition, die französische Chansontradition und die angloamerikanische Worksong- und Bluestradition. Volkslied und Ballade Verschiedene Formen volkstümlicher Literatur mit musikalischen Elementen markieren die Vorläufer des deutschsprachigen Songs der Gegenwart.150 Unbestreitbar die wichtigste Rolle unter ihnen nimmt das Volkslied ein, dessen Unterschiede zu und Gemeinsamkeiten mit dem Song bereits in Ka-
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Genauere Analysen der historischen Ausprägungen der im Folgenden kursorisch betrachteten Formen können in der reichhaltigen Forschungsliteratur nachgelesen werden, insbesondere in Czerny, Peter/Hofmann, Heinz: Der Schlager. Ein Panorama der leichten Musik. Band 1. Berlin/Ost 1968; Brednich, Rolf Wilhelm/Röhrich, Lutz/Suppan, Wolfgang (Hrsg.): Handbuch des Volksliedes. Band 1: Die Gattungen des Volksliedes. München 1973; v.a. Röhrich, Lutz: Die Textgattungen des populären Liedes. In: Ebd., S. 19-35; vgl. auch Petzoldt, Leander: Bänkelsang. In: Ebd., S. 235-291. Einen Überblick über die Lied- und Songentwicklungen bieten zudem Jolizza, W. K. von: Das Lied und seine Geschichte. Mit 122 Notenbeispielen und Liedern der früheren Epochen bis zum Ende des 18. Jahrhunderts. Unveränderter Nachdruck der Ausgabe von 1910. Schaan/Lichtenstein 1983; Wiora, Walter: Das deutsche Lied. Zur Geschichte und Ästhetik einer musikalischen Gattung. Wolfenbüttel u.a. 1971.
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pitel 1.1 angedeutet wurden.151 Ein charakteristisches Element des Volkslieds ist seine mündliche Tradierung und dadurch die Veränderung der textlichen und musikalischen Gestaltung im Verlauf des Weitergabeprozesses, meistens in Form von Vereinfachungen und Verkürzungen.152 Auch wenn das Volkslied als eine „ideologische Konstruktion“ verstanden werden kann, die von Herder 1773 geprägt und von Goethe verbreitet wurde,153 als ein (letztlich nationalistischer) Nachweis „der anonymen und kollektiven Produktion der Musik durch einen schöpferischen ‚Volksgeist‘“,154 so ist diese Vorstellung „kollektive[r] Produktion“ auch heutzutage noch prägend für das Verständnis des zeitgenössischen Songs. Sowohl die Entstehung von Songs (z.B. durch gemeinsames ‚Jammen‘) als auch die gemeinsame Wiedergabe durch Künstler und mitsingendes Publikum zeigen dies. Diese Gemeinsamkeit mit dem Volkslied ist ursächlich für ein Verständnis, das dem Song heutzutage eine besondere Nähe zu den „Gefühlen und Gedanken der Menschen“ zuspricht und eine hohe Authentizität (vgl. hierzu Kapitel 1.6) und Unverfälschtheit behauptet.155 Lutz Röhrig hat anhand seiner Arbeiten zu Textgattungen des populären Liedes gezeigt, dass es nicht das Volkslied an sich gibt, sondern zahllose Variationen und Weiterentwicklungen, an die der zeitgenössische Song anknüpfen kann.156 Sechs von ihnen, der Gassenhauer, der Bänkelsang und die Moritat, die Romanze, die Posse und das Couplet, können als die entscheidenden Vorläufer des zeitgenössischen Songs bewertet werden: Der Gassenhauer tritt zwar bereits im 16. Jahrhundert auf, hat seine Hochzeit allerdings im 18. und 19. Jahrhundert und unterscheidet sich vom ursprünglichen Volkslied durch die Bekanntheit von Texter und Komponist und einen besonders charakteristischen Sprachgebrauch. Er ist ein Lied, das im städtischen Umfeld entsteht und durch einen „schnoddrigen Ton“, das 151
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Zum Einfluss des Volksliedes für die Musik allgemein und die populäre Musik im Besonderen vgl. Wicke, Peter/Ziegenrücker, Wieland: Lied. In: Dies.: Rock Pop Jazz Rock. S. 274. Vgl. Kröher, Hein/Kröher, Oss: Rotgraue Raben. Vom Volkslied zum Folksong. Heidenheim 1969, S. 17. Zu formalen Aspekten des Volksliedes vgl. Wicke, Peter/Ziegenrücker, Wieland: Lied. In: Dies.: Rock Pop Jazz Rock. S. 274. Jakob, Günther: Was ist ein Protestsong? In: http://www.rock-links.de/texte/ protestsong.htm, 05.05.10. Ebd. [o.S.]. So z.B. Bonson, Manfred: Vorwort. In: Ders. (Hrsg.): Grüne Lieder. UmweltLiederbuch. Reinbek 1980, S. 21. Vgl. Röhrich, Lutz: Die Textgattungen des populären Liedes. S. 24-31.
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heißt umgangssprachliche und parodistische Sprachverwendung, bestimmt wird.157 Er zeichnet sich durch den kritischen Kommentar der städtischen Unterschicht zur Gesellschaft aus. In der Restaurationszeit und den Gründerjahren allerdings verliert der Gassenhauer, bedingt durch verstärkte Zensurmaßnahmen, seinen sozialkritischen Anstrich und wird von unpolitischen Schlagern oder dem Couplet, besonders in den Vergnügungslokalen und Kabaretts abgelöst.158 Seine Bedeutung für den zeitgenössischen Song besteht darin, eine Form text-musikalischer Darbietung von Gesellschaftskritik entwickelt zu haben, an die insbesondere die ‚Liedermacher‘ der 60er Jahre anknüpfen konnten. In etwa zur gleichen Zeit wie der Gassenhauer zu Beginn des 17. Jahrhunderts entwickeln sich der Bänkelsang und die Moritat.159 Während der Bänkelsang anfänglich noch als mündliche Vorform der Tagespresse gelten konnte und (vorgetragen auf Jahrmärkten und Messen von Schaustellern, die das Publikum zum Kauf der mitgebrachten Druckerzeugnisse anzuregen suchten) Nachrichtenvermittlung leistete, verlor er mit der Zeit diesen informativen Charakter.160 Vom 17. Jahrhundert bis zu seinem endgültigen Verschwinden zu Beginn des Zweiten Weltkriegs durchlief der Bänkelsang eine Entwicklung der Trivialisierung ähnlich dem Gassenhauer.161 Die gleiche Erzählung wurde zunehmend jahrelang wiederholt und verkauft, so dass der Bänkelsang statt aktueller Nachrichten nunmehr publikumswirksame, Aktualität lediglich vortäuschende, überwiegend grauenerregende und sentimentale Erzählungen zum Besten gab.162 Zur Kennzeichnung der Bänkelsänge, die Tod, Sühnetod oder Verbrechen und eine abschließende moralische Belehrung in den Mittelpunkt stellten, hat sich seit 1841 der Begriff ‚Moritat‘ eingebürgert.163 Einen wichtigen Einfluss auf die Song157 158 159 160
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Czerny, Peter/Hofmann, Heinz: Der Schlager. S. 74. Vgl. ebd., S. 74-78. Vgl. hierzu das Standardwerk von Petzoldt, Leander: Bänkelsang. Vom historischen Bänkelsang zum literarischen Chanson. Stuttgart 1974. Vgl. ebd., S. 1. Seinen Namen verdankt der Bänkelsang dem Bänkel, einem erhöhten, exponierten Vortragsplatz auf Jahrmärkten oder Messen; vgl. zur Entwicklung Petzoldt, Leander: Bänkelsang. S. 10; vgl. Schoenebeck, Mechthild von: Was macht Musik populär? S. 39. Vgl. Petzoldt, Leander: Bänkelsang. S. 30. Vgl. ebd., S. 11. Vgl. Riha, Karl: Von der Moritat zum Song. Die Aufwertung eines Trivialgenres zur literarischen Protestform. In: Zimmermann, Hans Dieter (Hrsg.): Lechzend nach Tyrannenblut. Ballade, Bänkelsang und Song. Colloquium über das populäre und das politische Lied. Berlin 1972, S. 38-50.
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schreiber des 20. Jahrhunderts übte neben dem Status des Bänkelsängers als Berufsmusiker vor allem die (durch die Reisetätigkeit der Sänger bedingte) reduzierte instrumentale Besetzung aus. Bänkellieder, gesungen zur Begleitung von Harfe und Geige und ab der Mitte des 19. Jahrhunderts auch von Drehleier und Drehorgel, Fiedel und Gitarre, sind so ein entscheidender Vorläufer der ‚Liedermacher‘-Szene der 60er Jahre.164 Diese Wirkung konnte der Bänkelsang entfalten, weil er im Übergang vom 19. zum 20. Jahrhundert eine Aktualisierung und vor allem Politisierung erfuhr, nachdem die Gattung vorher (zum Beispiel durch Heine oder Vischer im Umfeld der 1848er Revolution) nur noch parodistisch angewandt wurde und zur Romanze erweitert wurde.165 Der politische, zeitkritische Gehalt des Bänkelsangs im 20. Jahrhundert, der für das historische Vorbild nicht konstitutiv ist,166 wurde insbesondere durch Bertolt Brecht entwickelt (man denke an die Dreigroschenoper, den berühmten Bänkelsängerauftritt in Leben des Galilei oder die Moritat Von der Kindsmörderin Marie Farrar).167 Brecht modernisiert den Bänkelsang zu einem Genre der Informations- und Nachrichtenvermittlung, moralischen Belehrung und politischen Zeitkritik bei reduzierter Instrumentalbesetzung, ohne das Künstler wie Franz Josef Degenhardt und Walter Mossmann nicht begriffen werden können. Während sich der Bänkelsang Ende des 19. Jahrhunderts politisierte, entstand mit dem Couplet eine Gegenströmung, die lange die meist verwendete Form textgebundener Musik war.168 Das Couplet-Lied, häufig auch als Kabarett-Lied bezeichnet, ist in seinen Anfängen noch Bestandteil des unterhaltenden Musiktheaters des 18. und 19. Jahrhunderts, insbesondere des Vaudeville, des Singspiels und der Operette.169 Während der Jahrhundertwende zum 20. Jahrhundert entwickelte sich das Couplet innerhalb des Kabaretts oder der Posse170 zu einer eigenständigen Gattung und erhielt 164 165 166 167 168 169 170
Vgl. Petzoldt, Leander: Bänkelsang. S. 75. Vgl. ebd., S. 110. Vgl. ebd., S. 75. Vgl. hierzu insgesamt McLean, Sammy K.: The Bänkelsang and the Work of Bertolt Brecht. The Hague, Paris 1972. Vgl. Czerny, Peter/Hofmann, Heinz: Der Schlager. S. 92. Vgl. Wicke, Peter/Ziegenrücker, Wieland: Couplet. In: Dies.: Rock Pop Jazz Rock. S. 122f. Die Posse, deren wirkungsreichste Varianten die Berliner und die Wiener Lokalpossen sind, ist ein komisches Bühnenstück bzw. Musiktheaterstück mit musikalischen Einlagen. Sie zeichnet sich durch ihren kritischen, humorvollen Blick der unteren Schichten auf die gesellschaftlichen Entwicklungen aus (vgl. Schoenebeck, Mechthild von: Was macht Musik populär? S. 49).
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dort verstärkt zeitkritische Töne.171 Formal charakteristisch ist die (namensgebende) Strophenliedform mit gleichbleibendem Refraintext und einem Aufbau in der Grundform des Songs.172 Der wiederholte Refrain erscheint häufig widersinnig zum Stropheninhalt, woraus Witz oder Ironie entstehen, meisterhaft ausgeführt etwa von dem bedeutendsten Vertreter der Gattung Otto Reutter in seinem Couplet Und so komm’ wir aus de Freude gar nicht raus.173 Als städtische Unterhaltungsform sind das bürgerliche Leben, seine Anschauungen und moralischen Vorstellungen Hauptthemen des Couplets. Im Umfeld des Ersten Weltkrieges gewinnen jedoch auch nationalistische und chauvinistische Themen an Bedeutung.174 Immer jedoch bleiben die tagespolitischen oder gesellschaftlichen Themen überwiegend Mittel zum Zweck der Unterhaltung. Die historische Relevanz des Couplets für den zeitgenössischen Song besteht daher weniger auf der inhaltlichen als auf der formalen Ebene. Dies, weil das Couplet durch die Verwendung besonders eingängiger, schlichter musikalischer und textlicher Strukturen und der Zentrierung des Refrains den Song entscheidend beeinflusst.175 Eine Sonderrolle bei der Erklärung literarischer und musikalischer Traditionslinien des zeitgenössischen Songs nimmt die Ballade ein. Sie ist die insgesamt am häufigsten verwendete Gattungsbezeichnung in Songtiteln, von Bob Dylan und den Beatles bis zu Wolf Biermann, Walter Mossmann bis Konstantin Wecker.176 Weil der Balladen-Begriff jedoch im literatur171 172 173
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Vgl. ebd., S. 50. Vgl. Wicke, Peter/Ziegenrücker, Wieland: Couplet. In: Dies.: Rock Pop Jazz Rock. S. 122f. Vgl. Czerny, Peter/Hofmann, Heinz: Der Schlager. S. 101; Reutter, Otto: Und so komm’ wir aus de Freude gar nicht raus. T./M.: Otto Reutter. Aus dem Album: In 50 Jahren ist alles vorbei. Erschienen 2001, entstanden 1930. Vgl. Czerny, Peter/Hofmann, Heinz: Der Schlager. S. 78. Vgl. Schoenebeck, Mechthild von: Was macht Musik populär? S. 49. Heutzutage ist das Couplet fast vollständig vom Schlager abgelöst bzw. ersetzt (vgl. Wicke, Peter/Ziegenrücker, Wieland: Couplet. In: Dies.: Rock Pop Jazz Rock. S. 122f.; Glaser, Hermann: Deutsche Kultur. Ein historischer Überblick von 1945 bis zur Gegenwart. Lizenzausgabe BpB, Bonn 1997, S. 130). So z. B: Dylan, Bob: Ballad of a Thin Man. T./M.: Bob Dylan. Aus dem Album: Highway 61 Revisited. Erschienen 1967; The Beatles: The Ballad of John and Yoko. T./M.: John Lennon, Paul McCartney. Aus dem Album: The Beatles 1967-1970. Erschienen 1973; Biermann, Wolf: Ballade vom preußischen Ikarus. T./M. Wolf Biermann. Aus dem Album: Trotz alledem! Erschienen 1978; Mossmann, Walter: Ballade von der Rentnerin Anna Mack. T./M.: Walter Mossmann. Aus dem Album: Frühlingsanfang. Erschienen
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und musikwissenschaftlichen Kontext unterschiedlich gebraucht wird, ist eine Verständigung über den Terminus notwendig, um Unklarheiten zu vermeiden. Drei Begrifflichkeiten haben sich im deutschen Sprachraum durchgesetzt. Die Ballade wird – verkürzt zusammengefasst – verstanden entweder als 1.) mehrstrophiges erzählendes Gedicht, 2.) eine zeitgenössische Form der Lyrik mit erzählendem Inhalt synonym zu dem von Heinz Piontek eingebrachten ‚Erzählgedicht‘ sowie schließlich 3.) deutsche Übersetzung der englischen ‚ballad‘, d.h. eines strukturell einfachen, häufig sentimentalen Songs mit Liebesthematik. Sichtbar wird hier, dass eine Analyse beispielsweise der Ballade vom preußischen Ikarus von Wolf Biermann nur dann präzise sein kann, wenn im Vorfeld eine Klärung dessen, welchem dieser heterogenen Balladenbegriffe man folgt, stattgefunden hat – im einen Fall stünde Biermann in einer Tradition mit u.a. Schiller, Goethe, Heine, Fontane usw., im anderen müsste der narrative Charakter des Songs untersucht und im dritten Biermanns Verhältnis zu sentimentaler populärer Trivialmusik problematisiert werden.177 Die literaturwissenschaftliche Forschung konzentriert sich überwiegend auf Goethes berühmte Definition der Gattung als ‚Ur-Ei‘ aus dramatischen, epischen und lyrischen Elementen.178 Eine präzisere Definition der Gattung ist wiederholt gescheitert.179 Die für den zeitgenössischen Song einflussreichste Subgattung ist dabei die (als wissenschaftlicher Hilfsterminus zu
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1979; Wecker, Konstantin: Die Ballade von Antonio Amadeu Kiowa (Willy II). T./M.: Konstantin Wecker. Aus dem Album: Uferlos. Erschienen 1993. Die Schwierigkeiten einer einheitlichen Definition erhöhen sich dadurch, dass der Begriff ‚Ballade‘ zudem als Ableitung des im romanischen Raum entstandenen ‚ballata‘, also eines von Tanzenden zum Tanzen gesungenen Liedes, verwendet oder mit der Romanze gleichgesetzt wird (vgl. Weißert, Gottfried: Ballade. Zweite akt. Aufl. Stuttgart 1993, S. 1f.). Vgl. ebd., S. 15f.; Freund, Winfried: Die deutsche Ballade. Theorie, Analysen, Didaktik. Paderborn 1978, S. 9. ‚Episch‘ meint hier, verkürzt ausgedrückt, das Vorkommen eines auktorialen oder personalen Erzählers im Gegensatz zu einem subjektiven lyrischen Ich, eine novellenhafte Einsträngigkeit des Erzählten und die Existenz narrativer Elemente; ‚dramatisch‘ meint das Vorkommen dialogischer Passagen und szenenhafter Darstellung; ‚lyrisch‘ wiederum die Verwendung spezifisch lyrischer Mittel wie Formalisierung, klangliche und rhythmische Gestaltung und Atmosphäre/‚Stimmung‘. Vgl. Weißert, Gottfried: Ballade. S. 10-17.
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verstehende) Volksballade.180 Sie ist charakterisiert durch ihre geringere ästhetische Durchformung, d.h. ihre einfache Reimung und refrainhafte Strophen-Strukturierung, ihre hieraus resultierende potentielle Sangbarkeit sowie ihre volkstümlichen Inhalte mit konkreter Lokalisierung, Personalisierung und Historisierung. Diese Aspekte in Verbindung mit ihrer (vermeintlich im Gegensatz zur Kunstballade stehenden) nicht-bürgerlichen Herkunft lassen die Volksballade für die – sich dem sozialistischen, antibürgerlichen Milieu zurechnenden – Songschreiber der 60er Jahre attraktiv werden. Künstler wie Biermann, Degenhardt, Mossmann und andere ‚Liedermacher‘ aktualisieren die (Volks-)Balladenform bewusst und zielgerichtet zur Vermittlung geschichtlicher Stoffe sozialistischer Couleur.181 Im Kontrast zu diesem literaturwissenschaftlichen Balladen-Verständnis hat sich in der Musikwissenschaft ein für den Song äußerst wirkmächtiger Balladenbegriff entwickelt, der umgangssprachlich sentimentale Musikstücke – Ansgar Jerretrup spricht von „Schnulzenmusik“182 – in langsamem Tempo bezeichnet. Diese Stücke lassen sich noch genauer unterteilen in ‚Popular Ballads‘, die als angloamerikanische Version der Volksballade zu verstehen sind, ‚Broadsides‘ bzw. ‚Straßenballaden‘ als aktualisierte Bänkelsang-Variante und schließlich die ‚Ballad‘ allgemein als Synonym für den ‚Lovesong‘.183 Ihnen allen gemeinsam ist im Gegensatz zum literaturwissenschaftlichen Balladenbegriff die konstitutive Existenz von Musik und Text.184 Ebenso wie der Bänkelsang erfahren die ‚Popular Ballad‘ und 180
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Vgl. hierzu Freund, Winfried: Die deutsche Ballade, v.a. S. 10. Freund unterscheidet neben der Volksballade, der Kunstballade und der Naturballade zahlreiche weitere Subgattungen wie z.B. die Heldenballade, die klassische Ballade, die romantische Ballade, usw.; vgl. zur Volksballade auch Weißert, Gottfried: Ballade. S. 52f. Vgl. hierzu auch Hinck, Walter: Einleitung: Über Geschichtslyrik. In: Ders. (Hrsg.): Geschichte im Gedicht. Texte und Interpretationen. Protestlied, Bänkelsang, Ballade, Chronik. Frankfurt a.M. 1979, S. 13. Jerrentrup, Ansgar: Entwicklung der Rockmusik von den Anfängen bis zum Beat. S. 22. Vgl. Faulstich, Werner: Vom Rock’n’Roll bis Bob Dylan. S. 141-156. Der Begriff ‚Broadside‘ verweist dabei auf die vom 16. Jhd. an beliebten ‚Broadsheets‘. Diese waren gedruckte Texte zu populären Songs und wurden in den Städten von fliegenden Händlern verkauft (vgl. Urban, Peter: Rollende Worte. S. 16-23). Vgl. Faulstich, Werner: Vom Rock’n’Roll bis Bob Dylan. S. 141-151. Die ‚Popular Ballad‘ hat ihre Ursprünge in der afroamerikanischen Sklavenkultur und den ‚Worksongs‘. Das Call-and-Response-Prinzip, d.h. die Vorgabe eines Rufs durch den Vorsänger und die Antwort durch das Kollektiv, trägt immer
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die ‚Broadside‘ eine Aktualisierung und eine Politisierung nach dem Zweiten Weltkrieg im Zuge des Folkrevivals. Die angloamerikanische Tradition Zusätzlich zu der angloamerikanischen Balladen-Form verdienen zwei Entwicklungen der Populärmusikgeschichte Erwähnung, weil sie unverkennbar das „Paradigma der englischsprachigen Popkultur“ bilden, vor dessen Hintergrund allein der deutschsprachige Song der Gegenwart zu verstehen ist: die Jazz-Blues-Tradition und die Geschichte der Tin-Pan-Alley.185 Es fällt auf, dass sich zahlreiche deutsche Songschreiber in eben diesen Traditionen sehen. Ob Heinz Rudolf Kunze zehn amerikanische Alben als für sein Musikschaffen besonders prägend nennt (von The Who über Jimmy Hendrix bis Neil Young), sich Wolfgang Niedecken als Schüler Bob Dylans begreift oder sich der Protagonist in Franz Josef Degenhardts Fast autobiographischer Lebenslauf eines Westdeutschen Linken „nachts besoffen an Jazz [hört]“, immer werden angloamerikanische Einflüsse betont.186 Doch dürfen diese, besonders die des Jazz und des Blues, für den deutschsprachigen Song nicht überschätzt werden. Beide Genres haben aus mehreren Gründen eher wenig Einwirkung auf die politischen Songwerke gehabt. So ist der Jazz, aller konservativen und Adorno’schen Kritik zum Trotz, in der Bundesrepublik als so etwas „wie die musikalische Form von abstrakter
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ein auch für den zeitgenössischen Song charakteristisches Moment der Improvisation. Sie, ebenso wie die ‚Broadside Ballad‘, durchläuft ähnlich den deutschsprachigen Pendants eine Entwicklung hin zur Trivialisierung, die das heutige Verständnis der ‚Ballad‘ als ‚Schnulzenmusik‘ erklärt (vgl. Wicke, Peter/Ziegenrücker, Wieland: Ballade. In: Dies.: Rock Pop Jazz Rock. S. 39). Mit dem „Paradigma der englischsprachigen Popkultur“ meint Moritz Baßler, dass der kulturelle Hintergrund eines Songs immer auch durch die angelsächsische Musikkultur beeinflusst ist und daher von einer germanistischen Untersuchung miterarbeitet werden müsse (Baßler, Moritz: Rammsteins CoverVersion von „Stripped“. Eine Fallstudie zur deutschen Markierung angelsächsischer Popmusik. In: Mitteilungen des Deutschen Germanistenverbandes 2 (2005), Songs, S. 220). Vgl. Kunze, Heinz Rudolf: Mein Plattenschrank. In: Musikexpress/Sound 8 (1996), zit. n. http://www.heinzrudolfkunze.de/aktuell/pressespiegel/1996/ 19960800mes.html, 06.05.10; Interview mit Wolfgang Niedecken. In: Musikexpress/Sounds 3 (1995), zit. n. Klotz, Jörg-Peter: Wolfgang Niedecken und BAP. In eigenen Worten. Heidelberg 1999, S. 122; Degenhardt, Franz Josef: Fast autobiographischer Lebenslauf eines Westdeutschen Linken. T./M.: Franz Josef Degenhardt. Aus dem Album: Im Jahr der Schweine. Erschienen 1969, Str. 2, V.8.
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Kunst“ rezipiert worden.187 Seine Nähe zur bürgerlichen Hochkultur ließ dem Jazz, zumindest in deutschen Songschreiberaugen und -ohren, sowohl den nicht-bürgerlichen Affekt als auch den Anschein von „Revolte“ fehlen.188 In dieser Hinsicht steht es anders mit dem Blues. Sein ‚Paradigma‘ ist weniger ein allgemein angloamerikanisches als vor allem ein genuin afroamerikanisches. Seine Entstehung Anfang des 20. Jahrhunderts aus den Worksongs und Gospels der Sklaven im Süden der USA und seine inhaltliche Konzentration auf die soziale Lage der Subkultur der ‚Blacks‘ (ohne zwangsläufig politisch zu sein), machten den Blues schwer aktualisierbar für die deutschen Songschreiber.189 Wichtiger als Jazz und Blues für die Entwicklung deutschsprachiger Songs der Gegenwart ist der inoffizielle Name einer Straße in Manhattan: die Tin Pan Alley. Ihr Name steht synonym für eine äußerst kommerzialisierte frühe Form der Songproduktion in den Jahren 1890 bis nach 1930, die zur Entstehung des heute noch wirksamen Tin-Pan-Alley-Songs führte. An diesem lässt sich beispielhaft die Symbiose von technischen Entwicklungen und populärmusikalischen Resultaten ersehen, die die Pop- und Songkultur bis zur Gegenwart prägt. Ende des 19. Jahrhunderts begann die kommerzielle Nutzung von Edisons Phonograph und ermöglichte zum ersten Mal eine industrielle Produzierbarkeit und Verbreitung musikalischer Werke.190 Schnell entstanden Musikproduktionsfirmen und -verlage, die den neuen Markt bestimmten. In der 28th Street in der Nähe des Broadways siedelten sich die Büros der meisten Musikverlage an, denen es gelang, mit ihren Produkten eine Art Monopol der Songproduktion zu erlangen.191 Angestellte Songschreiber fertigten hier in hohem Tempo Text- und Notenblätter nach ‚Reißbrett‘, die dann von professionellen Musikern umgesetzt wurden. Gerichtet auf höchstmögliche Verkäuflichkeit entstand eine spezi-
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Seeßlen, Georg: Tanz den Adolf Hitler. S. 168. Ebd., S. 168, vgl. auch den Überblick über Geschichte, Entstehung und Rezeption des Jazz in Wicke, Peter: Jazz, Rock und Popmusik. In: Dahlhaus, Carl (Hrsg.): Neues Handbuch der Musikwissenschaft. Band 12: Volks- und Popularmusik in Europa. Hrsg. v. Doris Stockmann u.a. Wiesbaden 1992, S. 451-460. Vgl. Urban, Peter: Rollende Worte. S. 48-59; vgl. zur Geschichte des Blues auch Bamberg, Heinz: Beatmusik. Kulturelle Transformation und musikalischer Sound. Freiburg 1989. Diss. Freiburg 1989, S. 22f.; Shuker, Roy: Popular Music. S. 28-31. Vgl. Urban, Peter: Rollende Worte. S. 46f. Vgl. ebd., S. 46f.
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fische Songform, die, wie Peter Wicke und Wieland Ziegenrücker beschrieben haben, charakterisiert ist durch Einprägsamkeit, harmonische Einfachheit und Vernachlässigung der Strophen zugunsten des Refrains.192 Im Laufe der Entwicklung wurde der Wiedererkennungswert so wichtig, dass spätere Songs nur noch aus Refrain-Variationen bestanden, lediglich unterbrochen durch kurze kontrastierende, meist instrumentale oder textlich belanglose Zwischenteile.193 Instrumentiert wurden die Tin-Pan-AlleySongs bevorzugt mit Streichern, Klavier und Bläsern194 und setzten insgesamt sowohl hinsichtlich der Produktion und der Refraindominanz als auch der Instrumentierung Standards (und Feindbilder!) für den Rock’n’Roll und alle seine deutschsprachigen Nachfolger.195 Chanson Zum Abschluss dieses Überblicks soll mit dem Chanson noch eine textmusikalische Gattung in den Blick genommen werden, deren Bedeutung gerade für die ‚Liedermacher‘ nicht unterschätzt werden darf. Reinhard Mey ist das vielleicht bekannteste Beispiel eines deutschen Chansonniers. Aber auch Franz Josef Degenhardt, Klaus Hoffmann, Dieter Süverkrüp oder Hannes Wader haben sich mehrfach in der französischen ChansonTradition verortet. Die Ähnlichkeiten zwischen Chanson und Song sind weitreichend, das Chanson nimmt sich fast wie ein französisches Konglomerat all der bereits differenzierten Formen ‚Volkslied‘, ‚Bänkelsang‘, ‚Couplet‘ usw. aus.196 Wilhelm Neef hat deshalb mit den Begriffen ‚Chanson populaire‘ (analog zum deutschen ‚Volkslied‘, ‚Bänkelsang‘ und ‚Moritat‘), ‚Voix de ville-Chanson‘ bzw. ‚Vaudeville-Chanson‘ (analog zum ‚Gassenhauer‘ und ‚Couplet‘) und ‚Chanson artistique‘ (zeitgenössische Form des ‚Chanson‘) eine Differenzierung versucht.197 Auch wenn diese 192 193 194 195 196 197
Vgl. Wicke, Peter/Ziegenrücker, Wieland: Song. In: Dies.: Rock Pop Jazz Rock. S. 470f. Vgl. ebd., S. 470f. Kneif, Tibor: Einführung in die Rockmusik. S. 12f. Vgl. Bamberg, Heinz: Beatmusik. S. 15f. Vgl. Wicke, Peter/Ziegenrücker, Wieland: Chanson. In: Dies.: Rock Pop Jazz Rock. S. 104-106. Vgl. Neef, Wilhelm: Das Chanson. Eine Monographie. Leipzig 1972, S. 7; vgl. auch zum ‚Chanson populaire‘ Petzoldt, Leander: Bänkelsang. S. 112; vgl. zum ‚Vaudeville Chanson‘ Mühe, Hansgeorg: Unterhaltungsmusik. Ein geschichtlicher Überblick. München 1996, S. 65; vgl. zum ‚Chanson artistique‘ Wicke, Peter/Ziegenrücker, Wieland: Chanson. In: Dies.: Rock Pop Jazz Rock. S. 104-106.
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Gefahr läuft, die Unterschiedlichkeiten der französischen und der deutschen Entwicklungen zu verwischen, scheint sie hilfreich. Sie ermöglicht es nämlich, an einzelnen Songs/Chansons Parallelen und Differenzen zu deutschen und französischen Vorläufern zu problematisieren. Das ‚Chanson artistique‘, auch als ‚literarisches Chanson‘ bezeichnet, ist geprägt durch ein besonderes Selbstverständnis der Autoren, der ‚Poètes-chansonniers‘. Sie betrachten sich eher als Literaten denn als Komponisten, vergleichbar etwa ihren deutschen Konterparts Brecht und Tucholsky. Aus diesem Selbstverständnis heraus resultiert eine Dominanz der textlichen gegenüber der musikalischen Gestaltung im Chanson des 20. Jahrhunderts, d.h. eine Poetik, bei der die Musik vornehmlich die poetisch-sprachliche Aussage zu unterstützen und zu transportieren hat.198 So lässt sich dem zeitgenössischen Chanson auch keinerlei typische musikalische Stilrichtung zuschreiben.199 Gerade diese stilistische Offenheit macht die Attraktivität des Chansons für die deutschsprachigen Songschreiber erklärlich. Dass das ‚Chanson artistique‘ darüber hinaus den „Stempel des Genie“ trägt, konkretisiert in der prototypischen Personalunion von Komponist, Texter, Sänger und Musiker bzw. des ‚auteur-compositeur-interprète‘, verstärkt diese Anziehungskraft.200 Trotz aller Ähnlichkeiten zu deutschen Formen hat sich jedoch eine Sprechweise des zeitgenössischen Chansons auf der Textebene entwickelt, die es möglich macht, Chansons von nicht-Chansons zu unterscheiden.201 Im Gegensatz zu anderen Formen zeichnet sich der Chansontext durch eine Häufung von Andeutungen, Wortspielen, Ellipsen und einem hohen Metaphernreichtum aus. Er vermeidet die konkrete Benennung gesellschaftlicher Zu- und Missstände zugunsten indirekterer Ausdrucksweise, ohne jedoch zeitkritische Elemente ganz zu vernachlässigen.202 Damit sind die wichtigsten literatur- und musikgeschichtlichen Vorläufer des deutschsprachigen Songs der Gegenwart genannt. Festzuhalten ist, 198 199 200 201 202
Vgl. ebd., S. 104-106. Vgl. Neef, Wilhelm: Das Chanson. S. 6f. Schmidt, Felix: Das Chanson. S. 9; vgl. Wicke, Peter/Ziegenrücker, Wieland: Liedermacher. In: Dies.: Rock Pop Jazz Rock. S. 274-276. Vgl. hierzu Maske, Adelheid/Maske, Ulrich: Das werden wir schon ändern. Franz Josef Degenhardt und seine Lieder. Dortmund 1977, S. 20. Vgl. sehr kritisch zu den Entwicklungen im französischen Chanson Schmidt, Felix: Das Chanson. S. 145; vgl. auch Bauer, Johann u.a.: Lyrik interpretiert. Lernzielplanung und Unterrichtsmodelle für das 7.-10. Schuljahr. Darmstadt, Hannover, Bühl 1972, S. 153f.
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dass ein jeder Song (mehr oder minder explizit) bereits durch die Anbindung an eine oder mehrere dieser Vorformen Rezeptionsanleitungen vermittelt, seien diese anti-bürgerlicher, politischer, volksnaher oder kommerzieller bzw. kommerzkritischer Natur. Wie aber können die Unterschiede zwischen populären Musikformen der Vergangenheit und der Gegenwart analytisch in den Blick genommen werden? Wie kann das massenmediale und kulturindustrielle Umfeld, das die Produktion und Rezeption heutiger Songs beeinflusst, beschrieben und für die Interpretation nutzbar gemacht werden? Wie, schließlich, muss sich die wissenschaftliche Auseinandersetzung mit zeitgenössischen Songs von der mit ‚klassischer‘ Musik bzw. ‚Bildungsmusik‘ unterscheiden, d.h. können die Methoden der musikwissenschaftlichen Analyse auf den Song angewandt werden?
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ALS
P OPULÄRMUSIK
Alles Pop? Die kulturelle Formation ‚Pop‘ & der Begriff der Populärmusik Die wissenschaftliche Analyse eines Songs kann nicht auf die Betrachtung des Songtextes und/oder die musikalische Gestalt beschränkt bleiben, weil ansonsten zentrale bedeutungstragende Elemente ausgeblendet bleiben. Meine Überzeugung ist es, dass die Rezeption eines Songs (und damit natürlich auch die Interpretation eines politischen Songs über den Nationalsozialismus) entscheidend davon abhängt, ob er 1.) als Teil der Populärkultur oder der Bildungsmusik wahrgenommen wird, 2.) auf welchem medialen Vermittlungsweg er transportiert wird und 3.) ob er von den Rezipienten innerhalb eines Rockmusik, Folkmusik oder Popmusik-Kontextes aufgefasst wird. In den nächsten zwei Kapiteln geht es von dieser These aus darum, zunächst anhand des Begriffs ‚Pop‘ die Produktionsbedingungen populärer Musik zu betrachten und eine Unterscheidung von Pop- zu ‚klassischer‘ Musik zu erlangen. Anschließend werden die Medialität des Popsongs und die Folgerungen für die Interpretation in den Blick genommen. Schließlich kann auf diesen Überlegungen aufbauend ein Modell entworfen werden, das es ermöglicht, spezifische analytische Zugänge zu verschiedenen Songs der drei Grundgenres ‚Rock‘, ‚Folk‘ und ‚Pop‘ zu erhalten. Ein solcher Argumentationsgang muss mit einer terminologischen Verständigung über den Begriff ‚Pop‘ beginnen. Dabei ist zunächst die (für je-
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den Musikhörer intuitiv zu beantwortende) Frage, was Popmusik von ‚Nicht-Popmusik‘ unterscheidet wissenschaftlich schwer zu klären. Die Unterscheidung, ob Stücke Mozarts als ‚klassisch‘ und Songs Herbert Grönemeyers als ‚pop‘ bezeichnet sind, trifft heutzutage faktisch im Wesentlichen die Firma Phononet im Auftrag der Schallplattenfirmen, indem sie die einzelnen Musikprodukte Segmenten der Tonträgercharts zuordnet.203 Man kann es auch so formulieren: Die (öffentlich einsehbare) Zuschreibung eines Werkes als ‚Klassik‘ oder ‚Pop‘ findet weitgehend außerhalb des wissenschaftlichen Diskurses statt. Unterscheidungen in ‚E(rnste)-‘ und ‚U(nterhaltende) ‘ Musik oder, wie Adorno vorgeschlagen hat, in ‚Popular Music‘ und ‚Serious Music‘ haben sich nicht durchgesetzt.204 Sie sind als Termini zudem fragwürdig, weil sie (bewusst oder unbewusst) Werturteile transportieren, deren Begründbarkeit nicht notwendigerweise gegeben ist.205 Verschiedene konkurrierende Verwendungen des Begriffs ‚Pop‘ lassen sich heutzutage ausmachen. ‚Pop‘ wird verstanden als: 1.) Verkürzung von ‚Popular Music‘ bzw. ‚Popular Culture‘; 2.) eigenständiger Begriff, der abgeleitet vom englischen ‚knallen‘, einen beschreibbaren Bereich populären Kunstschaffens meint; 3.) Genre der Populärmusik in Abgrenzung zu ‚Rock‘, ‚Folk‘ u.ä.206 Legt man diese Beschreibungen gegeneinander heißt dies: ‚Pop‘ ist nicht zwangsläufig mit Populärmusik identisch, ein Popsong nicht zwangsläufig populär. Hilfreich zur Klärung ist der von Jörgen Schäfer verwendete Begriff von ‚Pop‘ als „kultureller Formation“. Damit meint er einen „variie203
204
205 206
In der Systembeschreibung der Charts im Auftrag des Bundesverbandes der Phonographischen Wirtschaft heißt es: „Die Zuordnung zu den Genre-Charts Klassik, Jazz und Schlager erfolgt grundsätzlich nach Maßgabe der GenreEinzeichnung im PhonoNet-Artikelstamm, die durch die Firmen selber vorgenommen wird.“ ([O.V.]: Systembeschreibung der offiziellen Charts. In: http://www.musikindustrie.de/uploads/media/Systembeschreibung_3.0.pdf, S. 12, 22.04.10.). Vgl. Adorno, Theodor W.: On Popular Music. In: Propkop, Dieter (Hrsg.): Kritische Kommunikationsforschung. Aus der Zeitschrift für Sozialforschung. München 1973, S. 70f. Vgl. Brackett, David: Interpreting Popular Music. S. 19. Vgl. hierzu z.B. die knappe Zusammenfassung im Online-„Pop-Lexikon“ der Musikzeitschrift Laut [O.V.]: Pop. In: http://www.laut.de/Pop-%28Genre %29/, 06.05.10.
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renden Verbund aus jeweils ganz spezifischen Pop-Songs, Kleidungsmoden, Filmen, (Selbst-)Inszenierungspraktiken und bisweilen auch subkulturellen Ideologien.“207 Dieser Verbund ist in einem ständigen Wandel begriffen, niemals umfassend zu benennen und hat seinen Reiz im Auslösen von Assoziationen: Unter ‚Pop‘ kann man sich alles vorstellen: Popular, Popcorn, Popping up, Poppies, Boston Pops, Popsicles, Popeye, Ginger Pop, Lollypop, das heißt alles, was knallt, platzt, wohlig aufstößt, Freude macht, süß schmeckt, sich lutschen läßt, Pep hat, eingängig wirkt und damit die nötige ‚Pop-Pularity‘ erreichen kann. […] Pop ist ein ‚glorified Hamburger‘.208
Als These lässt sich formulieren: Ein Teilbereich der Formation ‚Pop‘ ist die ‚Pop-Musik‘, die sich wiederum unterteilen lässt in die Genres ‚Rock‘, ‚Pop‘ und ‚Folk‘. Ein Song kann in diesem Verständnis auf bis zu drei Wegen ‚Pop‘ sein (und als solcher rezipiert, interpretiert und bewertet werden): als Teil der ‚Popkultur‘, als Teil der ‚Pop-Musik‘ und als genretypischer ‚Pop-Song‘: Kulturelle Formation ‚Pop‘: – Pop-Kleidungsmoden – Pop-Filme – Pop-Art – Pop-Literatur – Pop-Musik – Genre Rock – Genre Folk – Genre Pop Diese Dreiteilung bestimmt die Fragen, die an einen Song gestellt werden können. Nimmt man beispielhaft den ‚Brit Pop‘ der Beatles wird dies sichtbar: Begreift man die Band als Teil der ‚Formation Pop‘ kann analysiert werden, inwieweit sich ihre Songs durch Text, Musik, Inszenierung etc. in 207
208
Schäfer, Jörgen: ‚Neue Mitteilungen aus der Wirklichkeit‘. Zum Verhältnis von Pop und Literatur in Deutschland seit 1968. In: Arnold, Heinz Ludwig (Hrsg.): Pop-Literatur. S. 14. Hermand, Jost: Pop-Literatur. In: See, Klaus von (Hrsg.): Neues Handbuch der Literaturwissenschaft. Band 22: Literatur nach 1945. II: Themen und Genres. Hrsg. v. Jost Hermand u.a. Wiesbaden 1979, S. 279.
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diese Formation einschreiben. Begreift man einzelne Songs als Teil der ‚Popmusik‘ kann untersucht werden, inwieweit sich diese von anderen popmusikalischen Werken der Zeit unterscheiden und was ihre spezifische Ästhetik ausmacht. Betrachtet man einzelne Songs kann gefragt werden, inwieweit sie hinsichtlich des Genres als ‚Rock-‘, ‚Folk-‘ oder ‚Popsong‘ interpretiert und gewertet werden müssen. Unabhängig von der letztlich etymologischen Frage, inwieweit der Begriff ‚Pop‘ abgeleitet ist von ‚Popular‘, kann festgehalten werden, dass ‚populär‘ nicht verstanden werden sollte als quantitativ messbare ‚Beliebtheit‘, beispielsweise nachweisbar durch hohe Verkaufszahlen oder eine hohe öffentliche Bekanntheit.209 Sinnvoller scheint es, nicht die faktische (und wissenschaftlich immer auch schwer nachzuweisende) Popularität als Kriterium zu nehmen, sondern spezifische ästhetische Strukturen und mediale Verbreitungsweisen, die Popularität anstreben. Philip Tagg hat hier richtungweisende Überlegungen angestellt, die eine Unterscheidung von Populärmusik und Nicht-Populärmusik ermöglichen. Die vier zentralen Unterschiede sind für ihn: 1.) Für die Populärmusik existiert eine Produktions- und Distributionsweise, die auf ein Massenpublikum und eine soziokulturell heterogene Zielgruppe zielt. 2.) Eine Aufbewahrung und Verbreitung findet ausschließlich in nichtschriftlicher Form durch Tonträger statt. 3.) Es existiert die Notwendigkeit eines kulturindustriellen Umfeldes, in welchem die Populärmusik eine Ware bzw. ein Gebrauchsgut (‚Commodity‘) werden kann.
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Nach einem solchen Verständnis müssten Mozart, Mendelsohn, Mahler und die Titelmusik der „Sesamstraße“ auch als Pop(ulär)musik gelten, damit würde der Begriff unbrauchbar (vgl. hierzu Behrendt, Michael: Englische und amerikanische Rocklyrik. S. 3f.); Alternativbegriffe hat Hansgeorg Mühe einer Kritik unterworfen: ‚Unterhaltungsmusik‘ kritisiert er, weil nicht jede Populärmusik zur Unterhaltung gedacht sei, ‚leichte Musik‘ deute eine vermeintliche ‚Leichtigkeit‘ der Gestaltung und der Analyse an, ‚jazzverwandte Musik‘ verweise auf einen nicht immer gegebenen musikgeschichtlichen Bezug, während ‚Popularmusik‘ wiederum zu sehr an die anglo-amerikanische Bezeichnung volksmusikalischer Werke erinnere (vgl. Mühe, Hansgeorg: Unterhaltungsmusik. S. 4f.).
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4.) Die Populärmusik ist den Regeln des freien Marktes unterworfen im Gegensatz zu der öffentlichen Subvention der Kunstmusik.210 Taggs Bestimmung der Populärmusik hat mehrere Vorteile: Zum einen ermöglicht sie eine Abgrenzung von vorindustriellen Musikformen wie der Volksmusik auf der einen und kunstmusikalischen Werken auf der anderen Seite. Darüber hinaus wird durch sie klar ersichtlich, dass die ‚Popularität‘ nicht ein quantifizierbares Faktum, sondern eine Zielsetzung ist; dass also ein spezifischer populärmusikalischer Song zwar auf soziokulturell heterogenen Erfolg zielt, dieser jedoch keineswegs garantiert ist.211 Schließlich bringt Tagg sowohl die Relevanz der massenmedialen Verbreitung als auch die Notwendigkeit kommerzieller Verwertbarkeit populärmusikalischer Produkte adäquat in den Blick.212 Allerdings umfasst auch eine solche Bestimmung der Populärmusik noch immer ein durchaus breites Spektrum, dem neben Songs zudem Fernsehjingles, Werbe- und Filmmusik, ja selbst Handy-Klingeltöne zuzuordnen sind.213 Genau hier muss die Analyse der kulturellen Formation ‚Pop‘ und ihrer Unterformen Differenzierungsarbeit leisten. Zur Medialität der Populärmusik Anhand der Überlegungen von Philip Tagg wird deutlich, dass erst die Existenz massenmedialer Distributionswege, die nicht schichten-, bildungsoder einkommensspezifisch sind, sondern eine soziokulturell heterogene Gruppe erreichen, Populärmusik möglich macht. Radio, Fernsehen, Internet-Livestreams, aber auch die verschiedenen Tonträger, Vinyl-Schallplatte, Compact-Disc (CD), Digital Versatile Disc (DVD) oder Audiokassette, transportieren Songs in jeden Winkel der Gesellschaft. Selbst wenn man Theodor Adornos polemische Ablehnung sämtlicher populärer Musikformen nicht teilt (vgl. Kapitel 2.2), so weisen seine in den 30er Jahren angestellten Überlegungen zur ‚Kulturindustrie‘ doch auf eine wichtige Tat-
210
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213
Vgl. Tagg, Philip: Analysing Popular Music. Theory, Method, and Practice. In: Middleton, Richard (Hrsg.): Reading Pop. S. 75f.; vgl. auch Meier, Andreas: Politischer Wertewandel und populäre Musik. S. 6f. Vgl. ebd., S. 6f. Vgl. dazu auch Flender, Reinhard/Rauhe, Hermann: Popmusik. Aspekte ihrer Geschichte, Funktionen, Wirkung und Ästhetik. Darmstadt 1989, S. 15; Shuker, Roy: Popular Music. S. VIIIf. Vgl. Behrendt, Michael: Englische und amerikanische Rocklyrik. S. 4.
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sache hin: Die massenmediale Verbreitung von Songs unterscheidet ihre Rezeption von der nicht massenmedial verbreiteter Werke. Das heißt auch: Die Rezeption des gleichen Songs unterscheidet sich abhängig von seinem Distributionsmedium, je nachdem also ob sie z.B. durch das Radio oder eine Schallplatte ermöglicht wird. Zugleich aber ist davon auszugehen, dass die schaffenden Künstler sich der möglichen massenmedialen Verbreitung ihrer Werke bewusst sind, diese (indem sie Populärmusik produzieren) anstreben und formal und inhaltlich auf sie reagieren. Das Verhältnis von Künstler und Rezipienten, von Songschreiber und Songhörer ist folglich ein dialektisches.214 Während der Hörer jedoch im herkömmlichen Fall lediglich über ein Medium rezipiert, also beispielsweise nicht gleichzeitig das Radio und die Schallplatte verwendet, muss der Songschreiber sämtliche Kommunikationsmedien ansprechen, um eine größtmögliche Popularität zu erzielen. Vor diesem Hintergrund sind daher folgende Fragen zu stellen: Welche unterschiedlichen Kommunikationssituationen schaffen Tonträger, Konzerte und Radio? Inwieweit wirken diese auf die Produktion populärer Musik zurück? Kann es bei einer soziokulturell homogenen Zielgruppe überhaupt gezielt politische Songformen geben, d.h. ist ein politischer populärmusikalischer Song überhaupt denkbar? Drei für den Song vorherrschende Distributionswege sind hier von Relevanz. Schallplatte/Compact-Disc Ein Überblick über die relativ kurze Geschichte der Schallplatte ermöglicht es, Veränderungen der Hörgewohnheiten und der Songproduktion in den Blick zu bekommen. Die erst nach dem Zweiten Weltkrieg entwickelte Vinyl-Schallplatte stellt eine Zäsur insofern dar, als ihr synthetischer Grundstoff weniger kostspielig war als das Naturprodukt Schellack und die VinylSchallplatte so zu einem erschwinglichen Massenprodukt werden konnte. Der Umstieg der Industrie und der Konsumenten von Schellack auf Vinyl fand Ende der 50er Jahre statt und steht in engem Zusammenhang mit den Anfängen des Rock’n’Roll und seiner Folgeentwicklungen. Bevor die Vinyl-Schallplatte finanziell erschwinglich für breite Kreise der (westlichen) Bevölkerung wurde, fand Musikkonsum entweder im Rahmen von Konzerten oder ab der Mitte der 20er Jahre durch das Radio statt. Nun konnte Mu-
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Vgl. Rothschild, Thomas: Das politische Lied auf Schallplatte. Wie verändert das technische Medium die Aussage? In: Lili 34 (1979), S. 42.
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sik im privaten Haushalt gehört und die Auswahl der konsumierten Musik selbst getroffen werden.215 Dies veränderte die Rezeption von Songs: Erstens musste ein Song fortan nicht mehr zwangsläufig bei der ersten Präsentation verständlich oder konsumierbar sein, wie er es bei einer konzertanten Aufführung oder im Radio sein musste. Er konnte vom Hörer zahllose Male reproduziert oder sogar in einzelnen Teilen wiederholt werden. Dies ermöglichte es Songschreibern, in ihren Songs komplexere Strukturen zu entwickeln und die standardisierte ‚Tin Pan Alley‘-Form aufzubrechen.216 Zweitens verloren Songs ihre örtliche Beschränktheit. Damit ist gemeint, dass die Schallplatte einen Musikkonsum nicht allein bei (städtischen) Konzerten und in Gegenden mit Radio-Empfang ermöglichte, sondern Songs transportabel wurden. Ein Künstler konnte nun auch dort rezipiert werden, wo er nicht auftreten oder gesendet werden konnte (oder durfte).217 Die kostengünstige Vinyl-Scheibe löste den „Versammlungszwang“ für die Musikrezeption auf. Die „Raumgebundenheit der Musik“ und damit auch die örtliche Einheit von Produzent und Konsument gingen verloren.218 Neuere technische Weiterentwicklungen wie die CD oder tragbare MP3Player haben ihren Hauptnutzen in einer nochmaligen Verstärkung dieser Aspekte. Für den Songschreiber hingegen bedeutet die Entkoppelung des Musikkonsums von örtlicher (und d.h. häufig auch sozialhomogener) Gebundenheit, dass er keinen Einblick mehr in die soziale Struktur seiner Hörerschaft haben kann, dass er seine Anliegen daher umso allgemeiner formulieren muss. „Übertragungsmusik“ im Gegensatz zur „Darbietungsmusik“ kann nicht mehr auf einen bestimmten Adressaten zielen.219 Dies auch deshalb, weil mit dem Verlust der örtlichen Einheit von Produzent und Konsument drittens auch der Verlust von zeitlicher Einheit 215 216 217
218 219
Vgl. Blaukopf, Kurt: Massenmedium Schallplatte. Die Stellung des Tonträgers in der Kultursoziologie und Kulturstatistik. Wiesbaden 1977, S. 23. Vgl. ebd., S. 13. Hans-Klaus Jungheinrich hat dies am Beispiel Wolf Biermanns nachgewiesen, der ohne die Schallplatte weder in der DDR noch der BRD hätte wahrgenommen werden können (vgl. Jungheinrich, Hans-Klaus: Von der Mitteilung zur Kunst. Wolf Biermann als Musiker. In: Rothschild, Thomas (Hrsg.): Wolf Biermann. S. 112). Blaukopf, Kurt: Musik im Wandel der Gesellschaft. Grundzüge der Musiksoziologie. München, Zürich 1982, S. 250. Vgl. zur ‚Übertragungsmusik‘ ebd., S. 246-250, zu den Begriffen S. 271; vgl. zur Anbindung an Walter Benjamin und die Veränderung des Adressaten Rothschild, Thomas: Das politische Lied auf Schallplatte. S. 42-54.
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durch die ‚Konservierung‘ von Musik auf einem Tonträger stand. Die Rezeption von Songs steht fortan nicht mehr zwangsläufig in einem zeitlichen Zusammenhang mit seiner Produktion, sondern kann Jahrzehnte später erfolgen. Tagespolitische Aktualität (und -vergänglichkeit), die beispielsweise charakteristisch noch für Couplet-Inhalte war, wird durch die Haltbarkeit von Tonträgern unterlaufen. Für den Wissenschaftler lassen diese technischen Entwicklungen vor allem die zeitgeschichtliche Einordnung von Songs wichtig werden.220 Für die durch diese Distributionswege ausgelösten Veränderungen hat sich im Anschluss an Walter Benjamins Aufsatz Das Kunstwerk im Zeitalter seiner technischen Reproduzierbarkeit (vor allem in der französischen Forschung) der Begriff ‚Discomorphose‘ durchgesetzt.221 Konzerte Die Rezeption eines Songs während eines Livekonzertes wird durch eine Reihe von Faktoren bestimmt, die in der Form nicht für die Rezeption einer Schallplatte existieren. Wie Inge Karger in einer empirischen Studie herausgefunden hat, ist sie abhängig von der Publikumszusammensetzung, dem Konzertort, der Bereitschaft von Publikum und Musiker in ein interagierendes Verhältnis zu treten, dem Verhalten des Publikums (Belobigung, Ablehnung, Störung durch Zwischenrufe), externen tagespolitischen Ereignisse, die die Relevanz und Interpretation von Songs bestimmen, den Rezeptionsanweisungen der Künstler durch Ansagen sowie den vorherigen Bekanntheitsgrad der einzelnen Songs.222 An einem Beispiel wird dies deutlich: Die Live-Aufführung von BAPs Kristallnaach (vgl. Kapitel 7) verändert sich (sowohl für den Rezipienten als auch für den Künstler) abhängig davon, ob sie vor einem Publikum stattfindet, das den Inhalt des Songs bereits kennt, die politische Grundhaltung der Band eher teilt und gezielt die220 221
222
Vgl. Blaukopf, Kurt: Musik im Wandel der Gesellschaft. S. 250. Vgl. den Versuch den Begriff für die deutschsprachige Wissenschaft nutzbar zu machen in ebd., S. 244f. Der Begriff umfasst auch die Unterschiede zwischen den Veröffentlichungsformaten, z.B. Single und Album, und erinnert daran, dass das Album, vergleichbar mit einem Sonettkranz, eine gezielte Anordnung und Hervorhebung einzelner Songs aufweist (vgl. Kneif, Tibor: Einführung in die Rockmusik. S. 45-49). Vgl. Karger, Inge: Politische Musik und naive Musiktherapie. Eine Untersuchung zum Erleben politischer Konzerte in den 80er Jahren am Beispiel von Aufführungen des szenischen Oratoriums „Proletenpassion“ der Polit-RockGruppe „Schmetterlinge“. Oldenburg 2000, S. 360-370.
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ses Konzert besucht oder vor einem Festivalpublikum, das die Botschaft erst erkennen und von der Darbietung überzeugt werden muss. Es macht einen Unterschied, ob der Song in zeitlicher Nähe zu ausländerfeindlichen Gewalttaten aufgeführt wird oder nicht, ob das Publikum durch den Bekanntheitsgrad des Songs in der Lage ist mitzusingen, ob die Aufführung in einem Konzertsaal mit guter Akustik oder in einem Stadion stattfindet, schließlich ob eine Ansage die Darbietung einleitet („Ein Song zum Rocken“, „Wir bitten um Ruhe“). Radio, Fernsehen Das Radio als ein drittes Distributionsmedium ist von der Medienwissenschaft ausgesprochen sorgfältig untersucht worden.223 Nicht nur ist das Radio immer ein relevantes Werbemedium gewesen, sondern hat durch seine Programmstruktur „zugleich als Filter für die Musikentwicklung“ gedient.224 Damit ist das Radio – im Übrigen auch für den Kulturkritiker Adorno – das Paradigma der Dialektik von Musikproduzent und Konsument. Diese Dialektik lässt sich so beschreiben: Ein populärmusikalischer Künstler hebt mit der Gestaltung seines Songs auf höchstmögliche Radiotauglichkeit ab, um eine größtmögliche Hörerzahl anzusprechen; diese Entscheidung wiederum hat Auswirkungen auf die dem Hörer via Radio nahegebrachten Formen von Musik und seine Hörgewohnheiten; sie haben erneut Rückwirkungen auf die Musikschaffenden. Adornos Befürchtungen, die ‚Kulturindustrie‘ mache aus dem mündigen Bürger einen „akzeptierenden Käufer“ und sei letztlich manipulativ und ausschließlich profitorientiert,225 sind nur erklärlich mit dem Stellenwert des Radios als Katalysator dieser Dialektik, seiner Instrumentalisierung durch die Nationalsozialisten und seinem monologischen Kommunikationsweg. Dieser existiert auch in
223
224 225
Vgl. z.B. Berland, Jody: Radio Space and Industrial Time. The Case of Music Formats. In: Bennett, Tony u.a. (Hrsg.): Rock and Popular Music. Politics, Policies, Institutions. London, New York 1993, S. 104-118. Wicke, Peter: Jazz, Rock und Popmusik. S. 449. Adorno, Theodor W.: Über den Fetischcharakter in der Musik und die Regression des Hörens. In: Ders.: Dissonanzen. Musik in der verwalteten Welt. Göttingen 1956, S. 12f.; vgl. auch Garofalo, Reebee: Introduction. In: Ders. (Hrsg.): Rockin’ the Boat. S. 2.
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der neueren Entwicklung des „visuellen Sounds“ in Form von Musikfernsehen wie MTV.226 Für die wissenschaftliche Beschäftigung mit Radio und Musikfernsehen gilt insgesamt, dass an ihr beispielhaft eine Gegnerschaft von authentischer Kunstausübung versus kommerzieller, kulturindustrieller Massenware gesehen werden kann. Ob ein politischer Song von Musikkritikern, Fans und Wissenschaftlern als ‚Kunst‘ oder als minderwertiges ‚Gebrauchsgut‘ gewertet wird, ob seine politische Botschaft als relevant wahrgenommen wird oder nicht, ob der Künstler als ernstzunehmender Reflektor politischer Zusammenhänge rezipiert wird oder nicht, hängt in hohem Maß davon ab, ob er im Radio vorkommt und wie dieses bewertet wird. 227 Für die Interpretation bedeutet dies, dass sie das Verhältnis von kommerzieller Zielrichtung eines Songs auf der einen Seite und (potentiell) dissidenter oder politischer Wirkungsabsicht auf der anderen in den Blick nehmen muss. Kommerz und Dissidenz Songs (wie im Übrigen andere literarische Formen auch) existieren nur durch die Vermarktungsindustrie und deren Verwertungsmechanismen. Jonathan Eisen hat dies prägnant beschrieben: The entertainment industry and its satellites exist not to further the revolution, but to make money. […] But in point of fact there is no consensus in the industry other than to sell, and they will sell antiwar songs and good poetry just as eagerly as they will sell the schlock; they will respond to new popular desires as much as they create them.228
Hieraus entsteht ein Widerspruch: Einerseits wird die populäre Musik von Musikern, Hörern und Wissenschaftlern, insbesondere der Subkultur- und Jugendkulturforschung, verstanden als unmittelbarer Ausdruck von Bedürfnissen, Protesten oder Selbstverständigungen spezifischer Gruppierungen. Die Herausgeber des Sammelbandes „but I like it“. Jugendkultur und 226
227
228
Vgl. Hausheer, Cecilia/Schönholzer, Annette: Visueller Sound. Einleitung. In: Dies. (Hrsg.): Visueller Sound. Musikvideos zwischen Avantgarde und Populärkultur. Luzern 1994, S. 10; Shuker, Roy: Popular Music. S. 200-204. Vgl. Wicke, Peter: Popmusik – Konsumfetischismus oder Kulturelles Widerstandspotential? Gesellschaftliche Dimensionen eines Mythos. In: Heuger, Markus/Prell, Matthias (Hrsg.): Popmusic yesterday today tomorrow. Regensburg 1995, S. 21-35. Eisen, Jonathan: Introduction. In: Ders. (Hrsg.): The Age of Rock. Sounds of the American Cultural Revolution. New York 1969, S. XIII.
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Popmusik nennen diesen Effekt „Distinktionsgewinn durch Dissidenz“.229 Andererseits aber kann die Populärmusik, weil ihre Verbreitung an die massenmedialen Vermittlungswege der ‚Kulturindustrie‘ gebunden ist, nur dann subversiv, oppositionell oder politisch wirksam werden, wenn sie kommerziell erfolgreich ist.230 Relevanz und Akzeptanz, zum Beispiel in Form jugendkultureller oder subkultureller Bindungen, können insbesondere politische Songs nur dann erlangen, wie Christoph Gurk herausgearbeitet hat, wenn es ihnen gelingt, „ständig über die Bedingungen hinweg[zu]täuschen, unter denen sie sich als Popmusik konstituier[en].“231 Songs können sich, dies lässt sich methodisch folgern, durch Text (z.B. bestimmte Wortwahl, Ausdrucksweisen, Slang, etc.) oder Musik (z.B. Lautstärke, Tempo, etc.), aber auch ihre Performanz als gruppenspezifisch, politisch oder dissident ausweisen. Diese Sprechweisen müssen vom Wissenschaftler erkannt und bewertet werden. Sie dürfen jedoch nicht dazu verführen, die Bedingungen ihrer Produktion zu übersehen. Diesen Fehler machte die Subkulturforschung der 70er und 80er Jahre, als sie jede populäre Musik als grundsätzlich subkulturell oder jugendkulturell einzuschätzen suchte.232 Die Vermutung lag deshalb nahe, weil fast alle jugendkulturellen und subkulturellen Bewegungen, von den ‚Wandervögeln‘ über die ‚Swingjugend‘ und ‚Rocker‘, ‚Beatniks‘, ‚Punker‘ ‚Popper‘ bis zu den ‚Ravern‘ mit einem spezifischen Musikstil verbunden waren und sind. Die Konzepte ‚Subkultur‘ und ‚Jugendkultur‘ sind bis heute daher dominante Termini der wissenschaftlichen Auseinandersetzung mit populärer Musik geblieben. Ihr analytischer Nutzen besteht darin, Songs und Bewegungen eine progressive oder
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232
Kemper, Peter/Langhoff, Thomas/Sonnenschein, Ulrich: Vorwort. In: Dies. (Hrsg.): „but I like it“. Jugendkultur und Popmusik. Stuttgart 1998, S. 12f. Vgl. Gurk, Christoph: Wem gehört die Popmusik? Die Kulturindustriethese unter den Bedingungen postmoderner Ökonomie. In: Holert, Tom/Terkessidis, Mark (Hrsg.): Mainstream der Minderheiten. Pop in der Kontrollgesellschaft. Berlin, Amsterdam 1996, S. 21. Ebd., S. 21. Dies erzeugt eine für alle Musikstile gültige zyklische Entwicklung: Jeder Musikstil (und jede mit ihm verbundene Bewegung) kann nur für eine kurze Zeitspanne über seine Kommerzialität hinwegtäuschen, Subkulturelle Relevanz führt zur Zersetzung des Dissidenzpotentials durch die Vermarktungsmechanismen: Von „Opposition zur Entschärfung, vom Widerstand gegen etablierte Spielregeln zur Vereinnahmung: Aus ‚Gefühl und Härte‘ [wird] ‚Gewühl bei Hertie‘“ (Kemper, Peter/Langhoff, Thomas/Sonnenschein, Ulrich: Vorwort. S. 13). Vgl. Kolloge, René: The Times they are a-changin’. The Evolution of Rock Music and Youth Cultures. Frankfurt a.M. u.a. 1999, S. 34-41.
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regressive subkulturelle Kulturkritik zu attestieren und eine spezifische Werthaltung oder eine jugendkulturelle Vergemeinschaftungsbefähigung zuzuschreiben.233 Gleichzeitig aber besteht die Gefahr, durch die Fokussierung auf soziologische Fragestellungen (vor allem die Funktionalisierung von Musik für soziale Gruppen) text- und musikanalytische Aspekte von Songs und die beschriebene Dialektik von Dissidenz und Kommerzialität zu übersehen.234 Fragwürdig ist darüber hinaus, inwieweit die von der Subkultur- und Jugendkulturforschung suggerierte ‚kulturelle Zweiteilung‘ (Subkultur vs. Hauptkultur bzw. Jugendkultur vs. Erwachsenenkultur) Gültigkeit haben kann, wenn der so genannte ‚Mainstream der Minderheiten‘ eine generelle Fragmentierung der ‚Hauptkultur‘, ein Zerbröseln subkultureller Codes und Diversifizierungen jugendkultureller Bewegungen bewirkt.235 Diese Überlegungen zeigen vor allem, dass kritische Reflexionen des subkulturellen, jugendkulturellen, dissidenten oder subversiven Stellenwerts von Songs und der Identität des Songinhalts mit den Haltungen seiner Hörer angebracht sind, aber auch, dass simplifizierende kulturkritische Ablehnungen populärmusikalischer Werke nicht aufrecht zu halten sind.236 Insbesondere politische Songs müssen hinsichtlich ihrer massenmedialen Verbreitungswege, der sprachlich, musikalisch und performativ erzeugten Vergemeinschaftungsansätze und der inhärenten Dialektik von kommerziellen Zwängen und politischer Wirkungsabsicht befragt werden. Die Ant233
234 235
236
Vgl. zu progressiven und regressiven Subkulturen Schwendter, Rolf: Theorie der Subkultur. Frankfurt a.M. 21978, S. 27f.; vgl. zur Werthaltung Kneif, Tibor: Rockmusik und Subkultur. In: Sandner, Wolfgang (Hrsg.): Rockmusik. Aspekte zur Geschichte, Ästhetik, Produktion. Mainz 1977, S. 37; vgl. zur Gemeinschaftsbildung insgesamt Müller-Bachmann, Eckart: Jugendkulturen revisited. Musik- und stilbezogene Vergemeinschaftungsformen (Post-)Adoleszenter im Modernisierungskontext. Münster 2002. Diss. Chemnitz 2002. Vgl. hierzu Middleton, Richard: Introduction. S. 7-9. Der Begriff ist Titel der Anthologie Holert, Tom/Terkessidis, Mark (Hrsg.): Mainstream der Minderheiten. Pop in der Kontrollgesellschaft. Berlin, Amsterdam 1996; „In den 90ern und im 21. Jahrhundert [vermag] kaum jemand – und hiermit sind sowohl aufmerksame Beobachter, bspw. Journalisten oder Wissenschaftler, als auch nicht involvierte Erwachsene und Jugendliche gemeint – eine durch die Stile der Jugendkulturen vermittelte und von gesellschaftlichen Normen abweichende Dissidenz noch zu erkennen.“ (MüllerBachmann, Eckart: Jugendkulturen revisited. S. 271). Vgl. zu diesem Komplex auch Frith, Simon: Why do Songs have Words? S. 105-128, v.a. S. 118f.; Hartwich-Wiechell, Dörte: Pop-Musik. S. 252.
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worten werden sich jedoch grundlegend unterscheiden abhängig davon, ob sie an einen politischen Rock-, Folk- oder Popsong gestellt werden. Die Unterscheidung dieser drei zentralen Subgenres ist deshalb nötig, weil ein Rocksong, ein Folksong und ein Popsong verschiedene Methoden der Beschreibung, Analyse, und Wertung erfordern. Eine Unterscheidung erst ermöglicht es, einzelne Werke analytisch in den Blick zu nehmen und nicht generalisierend den Künstler, die Band oder die Epoche.237 Statt der Poetik eines Künstlers können Funktionsweisen, Intentionen und Wirkung einzelner Songs in den Fokus rücken. Ziel des folgenden Kapitels ist es daher, diese drei Genres als Grundformen zu unterscheiden und spezifische Interpretationsmethoden vorzuschlagen.
1.6 G ENRES DER P OPULÄRMUSIK : R OCK – F OLK – P OP Auch nannte ich das nicht Pop, was ich hörte, sondern Rock, was für mich damals gleichbedeutend war mit echtem Ausdruck; Musik, die sein musste, aus innerer Notwendigkeit: Pop dagegen war kommerziell. NORBERT HUMMEL238
Die folgende Frage muss im Rahmen dieser Studie gestellt und beantwortet werden: Ist es überhaupt gerechtfertigt, die Werke der ‚Liedermacher‘ mit denen von ‚Deutschrockern‘ gemeinsam zu betrachten? Wo liegen die benennbaren Unterschiede und lassen diese sich anhand der Genre-Bezeichnungen Rock, Pop und Folk begrifflich fassen? Viele Autoren verweigern eine gemeinsame Betrachtung derart heterogener Künstler. So kennt beispielsweise Thomas Rothschilds ‚Liedermacher‘-Forschung keinen Herbert Grönemeyer und Frank Laufenbergs Hit237
238
Wie dies zumeist der Fall ist, vgl. z.B. Laufenberg, Frank/Laufenberg, Ingrid: Hit-Lexikon des Rock und Pop. 3 Bände. Zweite erw. Aufl. München 2007, hier werden nicht Songs sondern Künstler einem Genre zugerechnet, z.B. Heinz Rudolf Kunze unter „Adult Orientated Rock/Rock“ (S. 1235); vgl. z.B. auch insgesamt Eisen, Jonathan (Hrsg.): The Age of Rock. Sounds of the American Cultural Revolution. New York 1969. Hummelt, Norbert: Über Lindenbergs ‚Schneewittchen‘. In: Arnold, Heinz Ludwig (Hrsg.): Pop-Literatur. S. 295.
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Lexikon des Rock und Pop keinen Wolf Biermann. Jens Fliege konzentriert sich in seiner Dissertation auf die politische Pop- und Rockmusik und übergeht die ‚Liedermacher‘, während Walter Mossmann und Peter Schleuning in ihrer Publikation zu politischen Liedern von Rockmusik keinerlei Notiz nehmen.239 Der Leser bekommt immer wieder den Eindruck, als gäbe es eine (ungeschriebene) Dreiteilung in Songs aus dem Bereich ‚Folk‘ auf der einen Seite und ‚Rock-‘ bzw. ‚Popsongs‘ auf der anderen. Beide Songformen haben, so suggeriert die Auswahl der Untersuchungsobjekte, nichts miteinander gemein. Peter Wicke hat in diesem Zusammenhang darauf hingewiesen, dass die Gattungen der populären Musik trotz oder gerade wegen des ‚intuitiven‘ Vorverständnisses „äußerst heterogen und kaum eindeutig definierbar“ und zudem die Einordnungen immer auch mit Marketingüberlegungen verbunden sind.240 Vor allem letztere sind verantwortlich für eine heutzutage unüberschaubare Anzahl von Genrebegriffen, vom ‚Indierock‘, ‚Bluesrock‘, ‚Classic Rock‘ oder ‚Deutschrock‘ bis hin zum ‚Pop-Punk‘, ‚Future-Pop‘ oder ‚Folkrock‘. Alle diese Begriffe verweisen jedoch zurück auf die Grundtrias Rock, Pop, Folk. Diese drei Grundgenres wiederum haben ihre literatur- und musikgeschichtlichen Wurzeln in Genres wie dem Blues, dem Jazz, der Folklore oder dem Volkslied und sind auf diese auch immer wieder beziehbar. Das einleitende Zitat von Norbert Hummel zeigt, dass Genrebeschreibungen immer weit mehr sind als nur eine musikalische Richtungsbestimmung. Sie transportieren ein künstlerisches Selbstverständnis, eine Vorannahme über die potentiellen Wirkungsmöglichkeiten und eine (vermeintliche) Verknüpfung des jeweiligen Songs mit jugend- oder subkulturellen Bewegungen oder einem konkreten historischen Kontext. Es ist davon auszugehen, dass die meisten Hörer eines Songs in kürzester Zeit eine ‚intuitive‘ Einordnung vornehmen können („Das ist Pop/Folk/Rock!“) und dass diese Einordnung die Rezeption des Songs bestimmt. Es existiert ein kulturelles Vorwissen, auf das zurückgegriffen werden kann. Wenn beispiels239
240
Vgl. insgesamt Rothschild, Thomas: Liedermacher. 23 Porträts. Frankfurt a.M. 1980; Laufenberg, Frank/Laufenberg, Ingrid: Hit-Lexikon des Rock und Pop. 3 Bände. Zweite erw. Aufl. München 2007; Fliege, Jens: Von der Aufklärung zur Subversion. Sprechweisen deutschsprachiger Popmusik. Münster 1997; Mossmann, Walter/Schleuning, Peter: Alte und neue politische Lieder. Entstehung und Gebrauch, Texte und Noten. Zweite erw. Aufl. Reinbek 1980. Wicke, Peter: Jazz, Rock und Popmusik. S. 445.
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weise die irische Rockband U2 1997 ein Album schlicht Pop nennt, dann ist dies mehr als eine Genrebestimmung.241 U2 unternehmen hier eine affirmative (Um-)Deutung des Terminus ‚Pop‘, eine Ablehnung des rocktypischen Authentizitätskonzepts und eine ironische Selbstreflexion. Rock, Pop oder Folk, seien sie Selbstzuschreibungen oder Fremdzuschreibungen, sind, so meine These, der erste Zugang, mit dem die Interpretation eines Songs gelenkt wird. Die Relevanz solcher Genrezuschreibungen lässt sich anhand eines berühmten Beispiels vorführen: Bob Dylans Tournee 1965/1966 und vor allem sein Auftritt im Mai 1966 in der Free Trade Hall von Manchester. Dylan wechselte während des Konzerts von der akustischen Gitarre, die bis dahin das Genre Folk dominierte, zur elektrischen Rockgitarre und erntete Buhrufe und Pfiffe. „Weg mit der Elektrogitarre!“, forderte das Publikum.242 Greil Marcus berichtet eindrucksvoll von dem Konzert in Manchester: Am 17. Mai […] passierte […] all das, was überall im Vereinigen Königreich passierte, doch es geschah noch mehr. Und deswegen – wegen der Spannung zwischen den Musikern auf der Bühne und den strategisch über das gesamte Auditorium verteilten Störern – war dieses Konzert die wahrscheinlich größte Rock’n’Roll-Show aller Zeiten.243
Dylan und seine Band führten einen Krieg mit einem Publikum […], das sich über ihren höhnischen Verrat an dem ewigen Troubadour empörte – einen Krieg, der darin gipfelte, dass sich ein Fan erhob und den sechs Musikern auf der Bühne ein „Judas!“ entgegenschleuderte.244
Dylans ‚Elektrifizierung‘, die musikhistorisch häufig als das Ende des Folkrevivals gewertet wird,245 und die Reaktionen des Publikums machen sichtbar, dass die Wandlung vom Folk- zum Rockmusiker mehr bedeutet als lediglich den Wechsel eines Begleitinstruments. Das hinter dem Ausdruck „Judas“ stehende Gefühl des Verrats an der Sache, den Fans oder der künst241 242
243 244 245
U2: Pop. Erschienen 1997. Marcus, Greil: Bob Dylans „Like a Rolling Stone“. Die Biographie eines Songs. Aus dem Amerikanischen von Fritz Schneider. Köln 2005, S. 177; vgl. auch S. 182-186. Ebd., S. 204. Ebd., S. 42f. Vgl. Faulstich, Werner: Vom Rock’n’Roll bis Bob Dylan. S. 182.
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lerischen Integrität lässt erahnen, dass Genrezuschreibungen in der populären Musik mehr sind als lediglich formale, akademische Etikettierungen. Das Beispiel Bob Dylans zeigt, dass die Grenze zwischen Rock und Folk insbesondere entlang der Instrumentierung und den mit ihr verknüpften Vorstellungen von Wahrhaftigkeit, Glaubwürdigkeit und Authentizität des Künstlers verläuft. Diese drei Aspekte bieten einen Zugriff auf die Genreunterscheidung. Der Rocksong Simon Frith hat in seiner soziologischen Untersuchung Sound Effects drei verschiedene Möglichkeiten zur Beschreibung von Rock aufgezeigt: Rock kann erstens wie jede Form populärer Musik als für den Konsum bestimmte Ware begriffen werden, deren spezifische Vermarktungsvarianten soziologisch beschreibbar sind. Rock kann zweitens eigenständig oder als Suffix (z.B. Folkrock, Countryrock) bestimmte Erwartungen an Musik, Sound und Text formulieren, deren Einlösung rezeptionstheoretisch nachgewiesen werden muss. Rock kann drittens als definierbares, in der Tradition des Blues stehendes Genre begriffen werden.246 Über die These der grundsätzlichen Beschreibbarkeit als musikalisches Genre hinaus besteht in der wissenschaftlichen Forschung keine Einheitlichkeit, was den Terminus Rock angeht,247 häufig wird auf eine genaue Bestimmung gänzlich verzichtet.248 In der Regel wird der Begriff verwendet zur Beschreibung von Songs, die (auf musikalischer Ebene) Teil des oder rückführbar auf den Rock’n’Roll sind.249 Hieraus resultiert forschungsgeschichtlich eine Reihe von historischen Überblicken über die Entwicklung des Genres.250 Diese zeigen jedoch vor allem seine Heterogenität. Winfried Papes und Peter Verhees’ 1977 vorgeschlagene Tabellari-
246 247 248
249 250
Frith, Simon: Sound Effects. Youth, Leisure, and the Politics of Rock‘n’Roll. New York 1981, S. 10f. Eine z.T. polemische Forschungskritik findet sich ebd., S. 68f. Vgl. z.B. die sehr ausführliche, jedoch auf eine Begriffsdefinition weitgehend verzichtende Geschichte der Rockmusik in Wicke, Peter: Rockmusik. Zur Ästhetik und Soziologie eines Massenmediums. Leipzig 1987. Vgl. Wicke, Peter/Ziegenrücker, Wieland: Rockmusik. In: Dies.: Rock Pop Jazz Rock. S. 405-413. Unübertroffen in ihrer Ausführlichkeit und Genauigkeit sind Werner Faulstichs Tübinger Vorlesungen zur Rockgeschichte, vgl. Einleitung: Anm. 29. Die Entwicklungen zusammengefasst hat Mühe, Hansgeorg: Unterhaltungsmusik. S. 189-241.
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sche Übersicht über die Entwicklung der Rockmusik ist ein besonders eindrückliches Beispiel: Es gibt letztlich so viele Subgenres des Rock wie es Bands gibt, Begrifflichkeiten wie ‚Electronic Rock‘ oder ‚Sophisticated Rock‘ kommen und gehen.251 „Wir ahnen: Rock ist, was Rocker dazu erklären“, schreibt Jean-Martin Büttner resignierend.252 Es wäre zu ergänzen: und was die Wissenschaft dazu erklärt. Versuche, Rock nach spezifischen musikalischen oder textlichen Merkmalen (beispielsweise der Verwendung von subkulturellen Idiomen oder Vulgaritäten) zu definieren, lassen sich leicht durch Gegenbeispiele widerlegen und scheitern an der Heterogenität des Genres.253 Dies auch, weil eine Definition des Rock, ebenso wie die des Folk oder Pop, nicht allein musiktheoretische Erörterungen, sondern auch geschichtswissenschaftliche, literaturwissenschaftliche und elektrotechnische Betrachtungen erfordert.254 Eine heuristische Definition, die trotz aller Beschränkungen erklärt, warum es möglich ist, Rock als eigenständiges Genre zu begreifen, lässt sich trotzdem erarbeiten. Begriffsgeschichtlich meinte der (1951 den Terminus ‚R&B‘ ablösende und als Verkürzung von ‚Rock’n’Roll‘ verwendete) Begriff ‚Rock‘ zunächst ausschließlich die elektrische Musik der 50er und frühen 60er Jahre und setzte sich als solcher in den späten 60er Jahren auch in Europa durch (wo er den Begriff ‚Beat‘ ersetzte).255 Hier wurde er zu einer allgemeinen Bezeichnung für elektrisch instrumentierte Songs, während sich für weniger elektrische und musikalisch weniger experimentelle Werke der Begriff ‚Pop‘ entwickelte.256 Tibor Kneif hat daher in seiner Einführung in die Rockmusik jede Form elektrifizierter populärer Musik als Rockmusik be-
251 252 253 254 255
256
Vgl. Pape, Winfried/Verhees, Peter: Tabellarische Übersicht über die Entwicklung der Rockmusik. In: Musik und Bildung 2 (1977), S. 109-111. Büttner, Jean-Martin: Sänger, Songs und triebhafte Rede. S. 74. Vgl. hierzu Schoenebeck, Mechthild von: Was macht Musik populär? S. 93. Vgl. Büttner, Jean-Martin: Sänger, Songs und triebhafte Rede. S. 69. Vgl. Cohn, Nik: Awopbopaloobop alopbamboom. Pop from the Beginning. Unveränderte Neuaufl. London 2004, S. 5f. und S. 74; Sandner, Wolfgang: Rock’n’Roll – Rock and Roll – Rock. Anmerkungen zur Geschichte der Rockmusik. In: Ders. (Hrsg.): Rockmusik. Aspekte zur Geschichte, S. 32; Faulstich, Werner: Rock als Way of Life. S. 19; vgl. zur musikalischen Entwicklung des ‚Beat‘ Sandner, Wolfgang: Rock’n’Roll – Rock and Roll – Rock. S. 22. Der Begriff ‚Beat‘ gilt heute nur noch für die britische Entwicklung der Rock’n’Roll-Musik von etwa 1963 bis 1966 (vgl. Wicke, Peter/Ziegenrücker, Wieland: Beat, Beat Music. In: Dies.: Rock Pop Jazz Rock. S. 48-52); vgl. auch Kneif, Tibor: Einführung in die Rockmusik. S. 14. Vgl. Bamberg, Heinz: Beatmusik. S. 15.
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zeichnet.257 Dies ist nicht unproblematisch, weil die Frage, wann Musik als ‚elektrifiziert‘ zu gelten hat, schwer zu beantworten ist. Unterscheidet man präzise, wie dies Ansgar Jerrentrup getan hat, zwischen Begleit- und Soloinstrumentarium und markiert das Instrument, das im Hörvorgang am wenigsten als Begleitinstrument auftritt, als das Hauptinstrument,258 so lässt sich für die Rockmusik meist die elektrifizierte Gitarre als solches benennen. Die E-Gitarre wird, wie Kneif zu Recht darlegt, „vielfach […] als das Symbol dieser Musik angesehen.“259 Ihr Spiel als musikalisch dominantes Instrument, häufig in Form einer mehrfach wiederholten Riff-Figur,260 unterscheidet die Rockmusik von der Folkmusik, die (meist) durch das Fehlen von Rockinstrumentarium (Rhythmusgitarre, Bass, Schlagzeug) und die Verwendung einer (halb-)akustischen Gitarre gekennzeichnet ist. Das Vorkommen einer elektrischen Gitarre und eines (allerdings variablen) Begleitinstrumentariums kann einen Song also als Rocksong ausweisen.261 Dies jedoch nur in idealtypischer Ausprägung, verwendet doch der ‚Folkrock‘ ebenso die E-Gitarre wie das Konzept ‚unplugged‘ das Potential nicht- oder semielektrifizierter Rockmusik demonstriert.262 Andere Instrumente wie das Klavier, die Hammond-Orgel und der Synthesizer wurden erst ab den späten 60er Jahren und vor allem von den Beatles in das Spektrum der Rockmusik integriert. Streicher wurden längere Zeit gemieden oder gelangten wie die Bassgitarre und das Schlagzeug selten über die Rolle als Begleitinstrument hinaus.263 Elmar Siepen hat vor diesem Hintergrund die für das Erscheinungsbild des Rock zentralen musikalischen Merkmale zusammengetragen. Er nennt
257 258 259 260
261
262 263
Vgl. Kneif, Tibor: Einführung in die Rockmusik. S. 11-18. Vgl. Jerrentrup, Ansgar: Entwicklung der Rockmusik von den Anfängen bis zum Beat. S. 329. Kneif, Tibor: Einführung in die Rockmusik. S. 20; zur Symbolik der EGitarre vgl. ebd., S. 20-23. Vgl. zum ‚Riff‘ Schütz, Volker: Rhythmische Formen in der Rockmusik. In: Kleinen, Günter/Klüppelholz, Werner/Lugert, Wulf Dieter (Hrsg.): Rockmusik. Musikunterricht Sekundarstufen. Düsseldorf 1985, S. 67-70. Tibor Kneif ergänzt dazu: „Das Instrumentarium der Rockmusik weist gegenüber demjenigen der Bildungsmusik wie auch des Schlagers eigene Züge auf, und es hebt sich […] auch vom Klangkörper des Jazz ab. Vor allem fällt darin das Gewicht der verschiedenen Schlaginstrumente auf, ja der perkussive Charakter der meisten verwendeten Instrumente überhaupt.“ (Kneif, Tibor: Einführung in die Rockmusik. S. 19). So z.B. Diverse: Best of MTV Unplugged. Erschienen 2002. Vgl. Kneif, Tibor: Einführung in die Rockmusik. S. 19-32.
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als konstitutiv für den Rock ein elektrifiziertes Instrumentarium mit einer Standardbesetzung bestehend aus elektrischer Gitarre, elektrischer Bassgitarre, Schlagzeug und elektrisch verstärktem Gesang, wobei eine Dominanz der elektrischen Gitarre im Klangbild auszumachen ist.264 Darüber hinaus macht er häufig auftauchende Merkmale auf harmonischer (Bluestonalität, d.h. Verwendungen von kleiner Terz und Septime sowie Melodiegestaltung auf der Basis pentatonischer Wendungen), soundtechnischer (kaum Soundmanipulationen mit Ausnahme von Veränderung des Gitarrenklangs durch Effektgeräte), rhythmischer (Dominanz von 4/4-Takten, häufig Off-BeatTechnik bei konstanter Schlagzeugbegleitung) und vokaler (expressiver Vortrag) Ebene aus.265 Aus diesen Überlegungen lässt sich schließen, dass der Rock stärker als andere Genres die musikalische Ebene des Songs – durch Instrumente, Sound, gemeinschaftliches Klangerzeugen, expressive Dynamik und letztlich auch Lautstärke – betont und weniger die Textebene.266 Es ist eine eigentümliche Tatsache auf die Tibor Kneif hingewiesen hat, dass es sowohl in der Rock- als auch der Folk- und Popmusik zur seltenen Ausnahme gehört, „wenn sich Text und Musik ihrem Niveau und der Intensität ihrer Aussage nach die Waage halten. [...] Die Regel ist vielmehr, daß entweder die sprachliche Botschaft im Vordergrund steht oder aber die musikalische Gestaltung die Aufmerksamkeit auf sich lenkt.“267 Während im Rock die musikalische Gestaltung vordergründig ist, stehen bei den Produkten der Folkkünstler, was Moritz Baßler nachgewiesen hat, „Text und Aussage jederzeit im Vordergrund“.268 Dieses Phänomen darf jedoch nicht dazu verleiten, die textliche Aussage eines Rocksongs gänzlich zu übergehen, wie dies beispielsweise Dieter Baacke in seiner Untersuchung zum ‚Beat‘ getan hat, den er als musikalisch artikulierte „sprachlose“ [sic!] Opposition Jugendlicher gegen die moderne Gesellschaft begreift.269 Eher heißt dies, dass neben dem Textgehalt immer 264 265 266 267 268 269
Vgl. Siepen, Elmar: Untersuchungen zur Geschichte der Rockmusik in Deutschland. Die Gruppe ‚Can‘. Frankfurt a.M. u.a. 1994, S. 37f. Vgl. ebd., S. 37f. Vgl. Jerrentrup, Ansgar: Entwicklung der Rockmusik von den Anfängen bis zum Beat. S. 4-11. Kneif, Tibor: Rockmusik und Bildungsmusik. In: Sandner, Wolfgang (Hrsg.): Rockmusik. S. 131. Baßler, Moritz: ‚Watch out for the American Subtitles!‘ S. 291. Vgl. den Titel der Arbeit von Baacke, Dieter: Beat – die sprachlose Opposition. München 21970, sowie S. 161-167 und 205-212.
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auch nach der nicht-verbalen Sinnvermittlung durch die musikalische Gestaltung, Aufführung und Darbietung eines Rocksongs gefragt werden muss. Nik Cohn schreibt über den frühen Rock: Rock’n’Roll was very simple music. All that mattered was the noise it made, its drive, its aggression, its newness. All that was taboo was boredom. The lyrics were mostly non-existent, simple slogans one step away from gibberish. This wasn’t just stupidity, simple inability to write anything better. It was a kind of teen code, almost a sign language that would make rock entirely incomprehensible to adults. In other words, if you weren’t sure about rock, you couldn’t cling to its lyrics. You either had to accept its noise at face value or you had to drop out completely.270
Aus diesem Zitat wird eine Sprechweise des Rocksongs offensichtlich, die im Zusammenspiel von Text, Musik und Aufführung entsteht und die als „Rockideologie“ (Büttner) oder „Ideologie des Rock“ (Wicke) bezeichnet werden kann.271 Sie entsteht vornehmlich durch die Behauptung (nicht Faktizität!) von Ehrlichkeit, Integrität und Authentizität der ausführenden Künstler. Historisch ist sie zu erklären durch die Anfänge des Rock’n’Roll in den 50er Jahren als Gegenbewegung zum Jazz und den Tin-Pan-AlleySongs (vgl. Kapitel 1.4).272 Rock als ‚Amalgam‘ aus afroamerikanischer Musikkultur und Produktions- und Verbreitungsmöglichkeiten der Weißen,273 war der Versuch der Musiker, sich in Selbstdarstellung und –inszenierung von der kommerziellen Massenware abzugrenzen, die später das Etikett ‚Pop‘ erhielt.274 Der Musiker Frank Zappa hat eben diese ‚Ideologie des Rock‘ prägnant, wenn auch verklärend, beschrieben:
270 271
272
273 274
Cohn, Nik: Awopbopaloobop alopbamboom. S. 24. Büttner weist der ‚Rockideologie‘ sechs Aussagen zu: „Rock ist hedonistisch“, „Rock macht frei“, „Rock ist proletarisch“, „Rock ist subversiv“, „Rock ist ehrlich“, „Rock ist spontan“ (Büttner, Jean-Martin: Sänger, Songs und triebhafte Rede. S. 114.); Wicke, Peter: Rockmusik. S. 131. Vgl. auch Behrendt, Michael: Englische und amerikanische Rocklyrik. S. 4144. Diese Gegenbewegung entstand jedoch, das darf nicht übersehen werden, auf Basis der musikalischen Mittel und ‚Spielweisen‘, Songformen und Instrumentierungen des Jazz und des Tin-Pan-Alley-Songs (vgl. Wicke, Peter: Jazz, Rock und Popmusik. S. 460). Vgl. Wicke, Peter/Ziegenrücker, Wieland: Rockmusik. In: Dies.: Rock Pop Jazz Rock. S. 405-413. Vgl. Shuker, Roy: Popular Music. S. 263; Wicke, Peter: Rockmusik. S. 133; vgl. auch Sanjek, David: Pleasure and Principles. Issues of Authenticity in the Analysis of Rock’n’Roll. In: Tracking. Popular Music Studies 4.2 (1992). In: http://www.icce.rug.nl/~soundscapes/DATABASES/TRA/Pleasure_and_prin ciples.shtml, 06.05.10.
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Wenn man einen einzelnen, wenn man den wichtigsten Trend dieser Musik benennen will, dann muß man es, glaube ich, etwa so sagen: Sie ist echt, von den Leuten komponiert, die sie auch spielen, von ihnen geschaffen, […] so daß es wirklich ein kreativer Akt ist, und nicht ein Haufen Scheiße, zusammengeklatscht von Geschäftemachern.275
In seinen Anfängen wird die Authentizität des Rock beglaubigt durch geringere Verkaufserfolge, (vermeintliche) Unabhängigkeit von der Musikindustrie (die sich in dem Begriff ‚Indie[pendent]-Rock‘ noch heute zeigt) und – Zappa stellt dies klar – der Eigenständigkeit des künstlerischen Schaffens. Dieses beweist sich in der kollektiven Identität von Texter und Komponist, Arrangeur und Interpreten in einer Rockgruppe und einer Produktion, die durch Improvisation und nicht rational erklärbare Inspiration bestimmt ist.276 Originalität, Einzigartigkeit, Ernsthaftigkeit des Anliegens, alles im Übrigen Begriffe, die an den Genie-Begriff des ‚Sturm und Drang‘ und seine künstlerische Autonomie gemahnen,277 und auf der anderen Seite ‚kommerzieller Ausverkauf‘ sind bis heute gebräuchliche Kriterien zur Unterscheidung zwischen Rock- und Popmusik.278 Der Songanalyse kann es jedoch nicht darum gehen, die Unwahrheiten der ‚Ideologie des Rock‘ nachzuweisen. Vielmehr muss sie aufzeigen, mit welchen Mitteln es dem Songschreiber gelingt, eine Vorstellung von ‚Wahrhaftigkeit‘ oder ‚Authentizität‘ hervorzubringen.279 Rock ist charakterisiert durch die Behauptung von Authentizität, nicht deren Existenz. Ein Song muss daher beständig Authentizitätssignale senden, um als Rocksong wahrgenommen zu werden. Diese sind aufgrund der Dominanz der musikalischen über die textliche Ebene einerseits in der musikalischen Gestaltung
275 276 277 278
279
Franz Zappa; zit. n. Wicke, Peter: Rockmusik. S. 133. Vgl. Wicke, Peter/Ziegenrücker, Wieland: Rockmusik. In: Dies.: Rock Pop Jazz Rock. S. 405-413. Vgl. Wicke, Peter: Rockmusik. S. 141. Roy Shuker schreibt hierzu: „The use of authenticity as a central evaluative criterion is best seen in the discussions of the relative nature and merits of particular performers and genres. For example, commerce and artistic integrity are frequently dichotomized to identify particular artists with either pop or rock.“ (Shuker, Roy: Popular Music. S. 20); zur Verwendung des Authentizitätskriteriums im Rockjournalismus vgl. Brackett, David: Interpreting Popular Music. S. 38. Vgl. hierzu Frith, Simon: Zur Ästhetik der Populären Musik. In: PopScriptum 1 (1992), Begriffe und Konzepte, S. 68-88.
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zu erwarten und andererseits im Akt der Performanz bzw. der „musical interaction“ mit den Hörern.280 Eine erste Andeutung davon, auf welchen Ebenen ein Song RockSignale setzen kann, genügt. Wir müssen hier raus von der Band Ton Steine Scherben281 wird im Klangbild dominiert von einer elektrischen Gitarre in Riff-Spielweise und einem treibenden, den 4/4-Takt durchgängig haltenden Schlagzeug. Alle Instrumente sind manuell eingespielt und es finden sich keine nicht-rocktypischen Instrumente. Auf der Textseite wird die Authentizität des Geschilderten durch ein gruppenbindendes ‚Wir‘282 und umgangssprachliche Wendungen im Sprachduktus der Zielgruppe verifiziert. All dies wird dargeboten von einer Band, die ihre ‚Ehrlichkeit‘ und ‚Glaubwürdigkeit‘ durch eine Vielzahl von Konzerten und politische Wirksamkeit bzw. Identität von Aussage und Handlung (z.B. der Besetzung des Georg von Rauch-Haus im Anschluss an ein Konzert) nachgewiesen hat.283 Mit diesem Beispiel ist ein Arsenal von Aspekten genannt, die den Song für den Konsumenten schnell als Rocksong kennzeichnen und der ‚Ideologie des Rock‘ zuschreiben, ohne jedoch aus Interpretensicht in irgendeiner Form die Aussage grundsätzlich als wahrhaftig zu behaupten. Literaturwissenschaftlich gesprochen stellt der Rocksong somit eine Songform dar, die ein hohes Maß an Subjektivität, Emotionalität und hörerbindender Identifikation enthält. Diese ist eng gebunden an die Vermittlerfigur des Sängers. In Kapitel 1.3 wurde bereits erklärt, dass diese Figur zwar grundsätzlich einem Song eine hohe Personalität zuweist. Jetzt kann betont werden, dass ein generelles Charakteristikum des Rock die besonders subjektive Perspektive der Weltdarstellung ist, die durch die ‚Ideologie des Rock‘, seine ‚Ehrlichkeit‘, ‚Glaubwürdigkeit‘ und ‚Authentizität‘ erzeugt wird.284 Festzuhalten ist, dass es generell im Rocksong weniger um eine objektive Weltdarstellung geht, als vielmehr um die Darbietung einer au-
280 281 282 283
284
Ders.: Performing Rites. S. 275. Ton Steine Scherben: Wir müssen hier raus. T.: Ralph Möbius/M.: Ralph Steitz. Aus dem Album: Keine Macht für Niemand. Erschienen 1972. Vgl. hierzu Hinck, Walter: Von Heine zu Brecht. S. 132. Vgl. Reiser, Rio/Eyber, Hannes: König von Deutschland. Erinnerungen an Ton Steine Scherben und mehr. Erzählt von ihm selbst und Hannes Eyber. Köln 1994, S. 240f. Vgl. auch Wicke, Peter (Hrsg.): Rock- und Popmusik. Laaber 2001, S. 63106, zur subjektiven Perspektive vgl. Behrendt, Michael: Englische und amerikanische Rocklyrik. S. 364f.
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thentischen subjektiven Wahrnehmung. Insbesondere hinsichtlich politischer Songs ist dies von zentraler Bedeutung: Geht es im Falle einer objektiven Gesellschaftsanalyse (beispielsweise einer politischen Streitschrift) um die Wahrhaftigkeit und Korrektheit der Aussage, geht es im Rock um die wahrhafte und korrekte Wiedergabe der Spiegelung der Politik im Subjekt. Hieraus nun wird, um auf den Anfang dieses Kapitel zurückzukommen, der Vorwurf des Verrats („Judas“) an den politischen Künstler Bob Dylan verständlich. Vor seinem Wechsel zur elektrischen Gitarre sang er politische Protestsongs mit einem hohen Gehalt an zwar künstlerisch durchformter, aber objektiver Gesellschaftsanalyse (beispielsweise Masters of War285). Nun wechselte er von der objektiven zur subjektiven Perspektive, von gesellschaftsanalytischer Wahrhaftigkeit zu individueller Authentizitätsbehauptung. Damit verriet er in den Augen seiner Hörer die ‚Ideologie des Folk‘. Der Folksong Eine Definition des Folksongs (oder seiner ‚Ideologie‘) ist deshalb schwierig, weil sie nicht allein für die Songs des kurzen US-amerikanischen ‚Folkrevivals‘ von etwa 1959 bis 1965/66 gültig sein darf, sondern sowohl die zeitnahen europäischen als auch aktuelle Produktionen umfassen muss.286 Stärker noch als bei der Rockmusik ist die Frage, was einen Folksong ausmacht, umstritten. Dies liegt m. E. an der Überschneidung und fehlenden Differenzierung zweier differenter ‚Folk‘-Begriffe. Abhängig von dem jeweiligen Verständnis geraten dabei vollkommen unterschiedliche Zeiträume, Künstler und Songs in den Fokus. Auf der einen Seite kann ‚Folk‘ als Abkürzung für ‚Folklore‘, also die englische Bezeichnung für Volksmusik, mit all den daraus resultierenden Implikationen stehen. Folk meint in dieser Sichtweise ausschließlich „tradi285
286
Dylan, Bob: Masters of War. T/M.: Bob Dylan. Aus dem Album: The Freewheelin’ Bob Dylan. Erschienen 1963; vgl. zu Dylans ‚Verrat‘ aus zeitgenössischer Sicht: Wolfe, Paul: Dylan’s Sellout of the Left. In: Denisoff, Ron Serge/Peterson, Richard A. (Hrsg.): The Sounds of Social Change. Chicago 1972, S. 147-150; vgl. auch Faulstich, Werner: Vom Rock’n’Roll bis Bob Dylan. S. 182. Es ist in der Forschung umstritten, welchen Zeitraum das ‚Folkrevival‘ umfasst; meist wird die Zeit vom ersten Newport Folk Festival 1959 bis zu Dylans Elektrifizierung genannt (vgl. Frey, Jürgen/Siniveer, Kaarel: Eine Geschichte der Folkmusik. Reinbek 1987, S. 206 und Wolfe, Paul: Dylan’s Sellout of the Left. S. 147).
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tionelle Volkslieder des anglo-amerikanischen Sprachraums“ oder Stücke, die sich in dieser Tradition verorten.287 Folk(lore) bezeichnet somit nur Lieder (nicht Songs!) „passed from person to person or generation without being written down“, ohne verifizierbaren Autor und mit allen volksliedtypischen Implikationen von Unverfälschtheit und volkstümlicher Unmittelbarkeit.288 Diese Kriterien gelten allerdings höchstens sehr eingeschränkt für die Stars des Folkrevival (wie Guthrie, Seeger, Dylan) und sind ebenso zweifelhaft für die politischen ‚Liedermacher‘ der BRD und DDR (wie Mossmann, Degenhardt, Biermann).289 Für sie alle gilt das, was Jürgen Frey und Kaarel Siniveer in ihrer Geschichte der Folkmusik schreiben: „Folk ist, wenn man Banjo und Gitarre spielt und im Idealfall wie der frühe Bob Dylan singt.“290 Erkennbar wird aus diesem Zitat, trotz aller gewollten Ungenauigkeit, dass der zeitgenössische Folk-Begriff im Unterschied zur historischen Folklore enger und gleichzeitig weiter gefasst ist. Weiter insofern, als er nicht nur Adaptionen und Übernahmen angloamerikanischer Volkslieder, sondern auch neukomponierte Songs jeder Couleur (von Gewerkschaftsliedern über irische Balladen bis hin zu auf der akustischen Gitarre begleiteten Liebesgeschichten) umfasst. Enger insofern, als ihn eine gewisse an Bob Dylan ablesbare Ästhetik charakterisiert, die die Folkdefinition vor allem an der musikalischen Seite des Songs festmacht.291 Der zeitgenössische 287
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Kröher, Hein/Kröher, Oss: Rotgraue Raben. S. 17. Volker Kramarz hat diese Sichtweise etymologisch unterstützt, er schreibt: „Das Wort Folklore mit seinen Bestandteilen Folk (‚Volk‘) und Lore (‚Lehre von‘) wird erstmals von William John Thomas 1846 als Überschrift eines Artikels in der englischen Zeitung ‚The Athenaeum‘ eingeführt [und meint] die Erforschung des Volkes und speziell seiner Traditionen.“ (Kramarz, Volker: Harmonieanalyse der Rockmusik. S. 32). Shuker, Roy: Popular Music. S. 133f. Reebee Garofalo hat dies am Beispiel Woody Guthries vorgeführt: „Guthrie exhibited none of the characteristics of a folk performer. He was a known artist. He was a paid professional. He was not a member of the community he sang about. He appeared in formal settings which separated artist from audience. It would be more correct to say that Guthrie was a popular artist performing in a folkloric idiom.“ (Garofalo, Reebee: Understanding MegaEvents. If we are the World, then how do we change it? In: Ders. (Hrsg.): Rockin’ the Boat. S. 18). Frey, Jürgen/Siniveer, Kaarel: Eine Geschichte der Folkmusik. S. 221. So werden unter dem Begriff ‚Folk‘ alle der Volksmusik „ähnlichen oder verwandten zeitgenössischen Formen des Musizierens“ subsumiert (Wicke, Peter/Ziegenrücker, Wieland: Folklore. In: Dies.: Rock Pop Jazz Rock. S. 163f., hier S. 164).
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Folksong lässt sich so am ehesten durch Abgrenzungen beschreiben: als ein populärmusikalisches Genre, das hinsichtlich der Instrumentierung, der Inszenierung und der Sprechweise von der Rockmusik unterscheidbar ist.292 Der Folksong kann als Mischung aus volksmusikalischen Traditionen (insbesondere auf der Ebene der Instrumentierung, Harmoniegestaltung und der geringen Bedeutung des Komponisten und/oder Texters für die Rezeption) mit aktuellen zeitgenössischen Themen begriffen werden.293 Bei aller Variabilität des Genres und der möglichen Erweiterung durch ein großes Spektrum weiterer (folkloristischer) Instrumente heißt das idealtypisch: Wenn die elektrische Gitarre das Symbol der Rockmusik ist, so ist dies im Folk die akustische bzw. semi-akustische Gitarre in der Hand eines Einzelkünstlers. Sie ist ein einfaches, kostengünstiges, transportables und in der Tradition des Bänkelsängers stehendes Instrument, das im Gegensatz zum Klavier nicht mit bürgerlicher Musik konnotiert ist.294 Ihre Verwendung im Folk erklärt sich darüber hinaus mit einer grundsätzlichen Dominanz der textlichen Ebene gegenüber der musikalischen, die eine dezente, den Text nicht überdeckende Instrumentierung erfordert. Folk „subordinates music to message“, schreibt Dave Laing und betont damit, dass der Songtext im Folk erster Zugangsort für eine Interpretation sein kann, während die Musik, umgangssprachlich ausgedrückt, nur Dienerin des Textes ist.295 Immer „ist der Text wichtiger als die Musik und [er] muß immer verständlich sein“, ergänzt Richard Rundell.296 Ebenso wie es jedoch falsch wäre, den Text des Rocksongs zu übersehen, darf die Rolle der musikalischen Gestaltung im Folksong nicht unterschätzt werden. Sie kann zweierlei Funktion haben: Erstens kann die musikalische Ebene des Folksongs „Transportmittel für den Text“ sein.297 Thomas Rothschild drückt dies sehr kritisch aus, wenn er schreibt, die Musik des Folks müsse: sich den Hörgewohnheiten der Menschen, die man ansprechen, überzeugen, aktivieren will, unterordnen, darf sie nicht überfordern oder gar abschrecken.298
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Vgl. Frey, Jürgen/Siniveer, Kaarel: Eine Geschichte der Folkmusik. S. 300. Vgl. zur Amalgamisierung Wölfer, Jürgen: Die Rock- und Popmusik. S. 78. Vgl. Jungheinrich, Hans-Klaus: Wolf Biermann als Musiker. S. 108f. Laing, Dave: „Listen to me“. In: Frith, Simon/Goodwin, Andrew (Hrsg.): On Record. S. 326. Rundell, Richard: Liedermacher im Zeichen der Wende. S. 152. Rothschild, Thomas: Notate zu Wolf Biermann. Gleichsam eine Einleitung. In: Ders. (Hrsg.): Wolf Biermann. S. 11.
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Neutraler ausgedrückt ermöglicht den Songschreibern erst eine solche Vertonung die Vermittlung ihrer Texte unter den Bedingungen eines kulturindustriellen Umfeldes. Erst eine vergleichsweise einfache musikalische Gestaltung macht die raumgreifenden, komplexen Texte (man denke z.B. an Dylan oder Degenhardt) für ein soziokulturell heterogenes Publikum konsumierbar. Zweitens kann die musikalische Ebene des Folk aber auch selbst eine politische Position formulieren, indem sie, in der Tradition von Bertolt Brechts epischem Theater, traditionelle, einschläfernde und passiv machende Hörgewohnheiten durchbrechen und zu einer kritischen Aufnahme des Textes verhelfen [kann]. Sie muß zu diesem Zwecke im Lied mit dem Text (und dem Vortrag) eine dialektische Einheit bilden, die nicht Harmonie vortäuscht, sondern Widersprüchlichkeit aufzeigt. Nicht Tautologie, sondern Information ist das Prinzip solcher Textvertonung.299
Als solcher Vermittler von Information bindet sich der Folk sowohl auf der Ebene der Instrumentierung, der Performanz (Unabhängigkeit von Technik und mit dieser ausgestatteten Aufführungsorten) als auch der Bedeutsamkeit der Verständlichkeit des Textes stärker als andere Genres an historische und zeitgenössische Vorbilder. Der Bänkelsang, das Zeitungslied, aber auch die angloamerikanische Popular Ballad und frühe Chanson-Formen enthalten das folktypische Moment der Informations- und Nachrichtenvermittlung, der moralischen Belehrung und der politischen Zeitkritik.300 Allen diesen Formen ist gemein, dass die emotionale Glaubwürdigkeit des Sängersubjekts weniger zentral ist als die Authentizität und Verifizierbarkeit der textlichen (gesellschaftlichen) Information. In dieser Sprechweise liegt die Ursache für den im deutschen Sprachraum häufig synonymen Gebrauch von Folksong und politischem Lied,301 ‚Protestsong‘ bzw. ‚Protestlied‘.302 298 299 300
301
Ebd., S. 11; vgl. auch Denisoff, Ron Serge: Great Day Coming. Folk Music and the American Left. Urbana, Chicago, London 1971, S. 6. Rothschild, Thomas: Notate zu Wolf Biermann. S. 11. Vgl. zur Häufung von (im weitesten Sinne) politischen Themen im Folksong z.B. Kaiser, Rolf-Ulrich: Das Buch der neuen Pop-Musik. Düsseldorf, Wien 1969, S. 46. Kirchenwitz zeigt, dass zahlreiche ‚Liedermacher‘ in der DDR, z.B. Wolf Biermann, ihre Songs zunächst als Folksong bezeichneten. Bereits 1967 wurde jedoch von der SED-Führung versucht, diesen Anglizismus zu verhindern. Als Alternative setzte sich der Begriff ‚politisches Lied‘ durch. In dem Maße, in dem das Festival des politischen Liedes seit 1970 auch international und vor allem in der BRD Beachtung fand, vermehrte sich die Bezeichnung ‚poli-
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Während die ‚Ideologie des Rock‘ durch spezifische musikalische und textliche Signale ausgedrückt wird, die die subjektive emotionale Beteiligung des Künstlers betonen, besteht die ‚Ideologie des Folk‘ in der Behauptung einer Wahrhaftigkeit der Aussage. Hieraus erklärt sich die ‚dienende‘ Rolle der musikalischen Gestaltung: Sie darf selbst dann, wenn wie bei den Songgruppenbewegungen der 60er und 70er Jahre neben der akustischen Gitarre Leiern, Fiedeln, Harfen, Zinnflöten, Dudelsäcke, Trommeln oder Knurrhähne das Hörbild erweitern, nicht von den Authentizitätssignalen des Textes ablenken; ja mehr noch: Allein durch ihre Reduktion auf das Wesentlichste signalisiert die Musik die Bedeutsamkeit des Textes. Dieser wiederum benötigt sprachliche Mittel, um seine textliche Aussage als glaubwürdig zu kennzeichnen. Auktoriale Perspektive, inszenierte Dramatisierung (durch Dialog, Wechselreden, argumentative Auseinandersetzung), Verwendung von überindividuellen und konventionalisierten Rollen-Ichs und ein insgesamt „von einem objektiven Standpunkt aus vorgenommene[s] Erzählen“ können solche Mittel sein.303 Ebenso aber auch die Integration des eigenen (verifizierbaren) Autornamens und der Verweis auf historische Fakten und Daten.304 In der Aufführung herrscht dann konsequenterweise ein weitgehender Verzicht auf expressive oder besonders emotionale Darbietungen und Interpretationen der Texte vor.305
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tisches Lied‘ als Synonym für politische (Folk-)Songs (vgl. Kirchenwitz, Lutz: Folk, Chanson und Liedermacher in der DDR. Chronisten, Kritiker, Kaisergeburtstagssänger. Berlin 1993, S. 67-69). Vgl. zu den Termini und einer Kritik an ihnen Kröher, Hein/Kröher, Oss: Rotgraue Raben. S. 17; Frey, Jürgen/Siniveer, Kaarel: Eine Geschichte der Folkmusik. S. 220 sowie zu den ‚Songs of Persuasion‘ Denisoff, Ron Serge: Great Day Coming. S. 188. Wicke und Ziegenrücker zeigen, warum sich letztlich doch der (missverständliche) Folk-Begriff durchsetzte in Wicke, Peter/Ziegenrücker, Wieland: Folklore. In: Dies.: Rock Pop Jazz Rock. S. 163f. Behrendt, Michael: Englische und amerikanische Rocklyrik. S. 22; vgl. auch S. 26 und S. 153. So z.B. „Lieber Doktor Degenhardt/Drecksau mit dem Ulbrichtbart“. In: Degenhardt, Franz Josef: Große Schimpflitanei. T./M.: Franz Josef Degenhardt. Aus dem Album: Kommt an den Tisch unter Pflaumenbäumen. Erschienen 1973, Str. 1, V.3; „Mach, daß mein herznslieber Wolf nicht endet/Wie schon sein Vater hinter Stachldraht!“. In: Biermann, Wolf: Großes Gebet der alten Kommunistin Oma Meume in Hamburg. T./M.: Wolf Biermann. Aus dem Album: Chausseestraße 131. Erschienen 1968, Str. 4, V.3; Biermann, Wolf: Drei Kugeln auf Rudi Dutschke. T./M.: Wolf Biermann. Aus der EP: Vier neue Lieder. Erschienen 1968. Vgl. Jerrentrup, Ansgar: Entwicklung der Rockmusik von den Anfängen bis zum Beat. S. 83.
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Der Popsong Es bleibt die abschließende Frage, wie sich das Genre ‚Popsong‘ zu den Genres ‚Rocksong‘ und ‚Folksong‘ verhält bzw. ob Pop überhaupt als eigenständiges Subgenre der Popmusik existiert. Als ein solches stünde es immer in Abgrenzungen zu Rock und Folk. Als vorläufige These lässt sich formulieren: Pop ist alles das, was nicht als Folk oder Rock oder als Subgenre dieser beiden wahrgenommen werden kann. Ein Blick in die Forschung zeigt, dass dieser Ansatz vielerorts zu der Verweigerung jeglicher begrifflichen Klärung geführt hat. Heinz Bamberg steht hier beispielhaft, wenn er in seiner Untersuchung zur Beatmusik schreibt: „Da ‚Rock‘ und ‚Pop‘ generell unscharfe Begriffe sind, soll hier auch nicht der Versuch einer exakten Begriffsdefinition unternommen werden.“306 Jens Fliege hingegen bezweifelt generell die Anwendbarkeit des Begriffs Pop für eine wissenschaftliche Analyse aufgrund seiner „weitläufigen Anwendung“,307 Jean-Martin Büttner spricht ihm jeglichen „definitorischen Wert“ ab.308 Wie auch immer man den Begriff Pop besetzt, auch er transportiert, selbst in der Wissenschaft, Wertungen über das musikalische Werk. Ein Zitat aus Elmar Siepens Untersuchung zur Gruppe Can ist ein eindrückliches Beispiel. Er schreibt: Ihre Zielsetzung [der Pop-Produzenten], die ausschließlich in einer extensiven wirtschaftlichen Verwertung besteht, beinhaltet, daß Popmusik in erster Linie eine Warenfunktion einnimmt, unter der sich die Verwirklichung musikalischer Kreativität unterzuordnen hat. Damit wird der Unterschied zu authentischer Rockmusik deutlich. So ist Popmusik in der Regel künstlich ohne jedoch von vornherein einen direkten künstlerischen Anspruch zu besitzen.309
Siepens Aussagen, in denen man nicht nur Adornos Kulturindustrie-Klagen mitschwingen hört, sondern auch die ‚Ideologie des Rock‘, zeigen, dass die Zuschreibung ‚Pop‘ zu einem Song diesem Ernsthaftigkeit, Glaubwürdigkeit und künstlerische Eigenständigkeit in Abrede stellt. Diese Wertung be-
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Bamberg, Heinz: Beatmusik. S. 16. Fliege, Jens: Von der Aufklärung zur Subversion. S. 13. Büttner, Jean-Martin: Sänger, Songs und triebhafte Rede. S. 652. Bei Büttner hängt dies allerdings mit der fehlerhaften Synonymsetzung von Pop als Kurzform von Popular Music zusammen (vgl. ebd., S. 652). Siepen, Elmar: Untersuchungen zur Geschichte der Rockmusik in Deutschland. S. 41.
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gleitet den Popsong bereits seit den 1960er Jahren.310 „Much of pop is regarded as disposable“, fasst Roy Shuker zusammen.311 Die Folgen einer solchen Bewertung sind, insbesondere hinsichtlich politischer Songs unmittelbar einsichtig: Ein populärmusikalisches Werk, das von seinen Hörern als Popsong eingeordnet wird, verliert bereits durch diese Zuordnung einen Teil seiner politischen Wirksamkeit. Also müsste ein politischer Musiker zur Vermittlung seiner Aussage sorgsam auf die Vermeidung jeglicher Popsignale bedacht sein. Ihre Kenntnis wird im Umkehrschluss dadurch für die Songanalyse besonders wichtig. Zunächst tut man gut daran, die Aspekte hoher kommerzieller Verwertbarkeit und des affirmativen Verhältnisses des Popsongs zur Kulturindustrie ernst zu nehmen. David Brackett fasst die Grundhaltung von Pop zusammen: „‚Popular‘ music values are created by and organized around the music industry – musical value and monetary value are therefore equated, and the sales charts become the measure of ‚good‘ pop music.“312 Hiermit ist ein Paradigma vorgegeben, das die Definition des Popsongs bestimmen muss. Unterschieden von dem im deutschsprachigen Raum häufig synonymen Gebrauch von Popmusik und Rockmusik,313 kann ‚Popsong‘ als Bezeichnung verstanden werden für eine besondere Art von „unverfänglicher, geglätteter, leicht-seichter unterhaltender ‚populärer‘ Musik, bei der das affirmative (affirmativ hier zur Hauptkultur) Moment offenkundig ist.“314 Ein solches Verständnis trägt dem historischen Gebrauch des Terminus Rechnung: Im US-amerikanischen Raum erhielten bereits seit den 1940er Jahren Tin-Pan-Alley-Produkte das Etikett ‚Popmusik‘.315 Insgesamt ähnelt der Popsong also weniger dem Rock- oder Folksong als dem Schlager. Wie bei diesem ist es nicht möglich, ein bestimmtes Instrumentarium oder ein besonderes Verhältnis von Musik zu Text als charakteristisch
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Vgl. Shuker, Roy: Popular Music. S. 225f. Ebd., S. 226. Brackett, David: Interpreting Popular Music. S. 19. Vgl. Jerrentrup, Ansgar: Entwicklung der Rockmusik von den Anfängen bis zum Beat. S. 5f. Ursächlich hierfür ist wohl, dass ‚Pop‘ ein Nachfolgebegriff für die ‚Beatmusik‘ wurde als diese sich stilistisch auffächerte (vgl. Bamberg, Heinz: Beatmusik. S. 15). Troge, Thomas Alexander: Zwischen Gesangverein und Musikcomputer. Strukturen und Entwicklungstendenzen des Musiklebens in Mitteleuropa. Frankfurt a.M. u.a. 1993. Diss. Karlsruhe 1993, S. 147. Vgl. Bamberg, Heinz: Beatmusik. S. 15.
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zu benennen.316 Im Pop ist alles möglich. Pop verwendet das gesamte Arsenal musikalischer und textlicher Ausdrucksmittel, um ein möglichst großes Verkaufspotential zu erreichen, während Produktions- und Distributionsweise die Verwertbarkeit als Gebrauchsgut in den Fokus stellen. In der Tradition des Couplets in trivialisierter Spätform und der Broadside Ballad in prä-Folk-Form übernimmt der Popsong die Verwendung zeitgemäßer Rhythmen, Instrumente und formaler Gliederungen.317 Tibor Kneifs PopDefinition als Musik, der eine „gewisse Seichtigkeit, Glätte und Schlagernähe“ innewohne, meint damit vor allem einen für das Genre grundsätzlichen Verzicht auf Extreme jeglicher Art.318 Dieser Verzicht lässt sich beschreiben als ein Fehlen von Abweichungen hinsichtlich des Songgrundaufbaus und anderer formaler Gattungsmerkmale und als die Vermeidung besonderer Lautstärken oder Dynamik, extremer Sounds und Klänge (auf instrumentaler und stimmlicher Ebene) ebenso wie komplexer harmonischer Ausdrucksmittel.319 Diese Aussage bedeutet aber auch, dass der Popsong immer nur im Kontext zu erfassen ist. Was ‚Extreme‘ sind, was erfolgsversprechende Produktions- und Distributionsmittel sind unterliegt dem beständigen Wandel der kulturellen Formation ‚Pop‘.320 Der Popsong ist dabei jedoch keineswegs „inhaltlich bedeutungslos“, wie Peter Wicke und Wieland Ziegenrücker meinen,321 noch zwangsläufig eine „emotionale Ersatzprothese“ für die unbefriedigten Bedürfnisse des Individuums der Industriegesellschaft.322 Gerade in dem raffinierten Spiel des Popsongs mit 316
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Zumindest ist dies der Wissenschaft bis heute nicht gelungen. Selbst eine groß angelegte empirische Studie, wie sie Buchhofer, Friedrichs und Lüdtke veröffentlicht haben, vermochte als ‚Definitionsmerkmale‘ nur die weite und schnelle Verbreitung und häufige Rezeption bei hohem sozialen Identifikationswert und besonderen emotionalen Ausdrucksqualitäten, also populärmusikalische Strukturen nachzuweisen (vgl. Buchhofer, Bernd/Friedrichs, Jürgen/Lüdtke, Hartmut: Musik und Sozialstruktur. Theoretische Rahmenstudie und Forschungspläne. Köln 1974, S. 157). Vgl. Schoenebeck, Mechthild von: Was macht Musik populär? S. 49; Wicke, Peter/Ziegenrücker, Wieland: Ballade. In: Dies.: Rock Pop Jazz Rock. S. 39. Kneif, Tibor: Einführung in die Rockmusik. S. 14. Häufig folgt die harmonische Gestaltung dem anglo-amerikanischen BluesSchema und seiner Tin Pan Alley-Trivialisierung (vgl. Giessen, Hans W.: Zeitgeist populär. S. 23). Vgl. Troge, Thomas Alexander: Zwischen Gesangverein und Musikcomputer. S. 147. Wicke, Peter/Ziegenrücker, Wieland: Popmusik. In: Dies.: Rock Pop Jazz Rock. S. 359f., hier S. 360. Vgl. Flender, Reinhard/Rauhe, Hermann: Popmusik. S. 68.
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der Kulturindustrie und ihrer gleichzeitigen Unterwanderung kann ein reichhaltiges subversives bzw. politisches Potential liegen.323 Hierin unterscheidet sich der Popsong dann doch vom Schlager, der als das „deutscheste“ aller Genres einige abschließende Worte verdient.324 Der Schlager Beschäftigt man sich mit deutschsprachiger populärer Musik, dann führt kein Weg an dem „Phänomen“ Schlager vorbei.325 Künstler wie Hans Albers, Howard Carpendale, Drafi Deutscher oder Udo Jürgens haben oder hatten eine immense Popularität, die sich auch in ihren Verkaufszahlen niedergeschlagen hat.326 Sie alle stehen für ein musikalisches Genre, dessen Grenzen zur Popmusik zwar heutzutage verwischen, das jedoch eine mehr als 100 Jahre alte Geschichte aufweist. Kein populärmusikalisches Genre ist in der deutschsprachigen Wissenschaft derart breit erforscht worden, aus literaturwissenschaftlichem, psychologischem, soziologischem oder wirtschaftswissenschaftlichem Blickwinkel.327 Die meisten Untersuchungen betonen die Gemeinsamkeit mit dem Popsong, dass nämlich die „Kommerzialität des Schlagers als konstitutiv für die musikalische und textliche Faktur des Genres“ betrachtet werden muss.328 Neben der nur graduell be323
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Vgl. als Beispiel für ein solches ‚Spiel‘ mit der ‚Kulturindustrie‘ Kraftwerk: Die Mensch-Maschine. T.: Ralf Hütter/M.: Ralf Hütter, Karl Bartos. Aus dem Album: Die Mensch-Maschine. Erschienen 1978; vgl. Löding, Ole: „Die Mensch-Maschine. Produziert in Deutschland.“ Zu Kraftwerks 1978er Album. In: Füllmann, Rolf u.a. (Hrsg.): Der Mensch als Konstrukt. Festschrift für Rudolf Drux zum 60. Geburtstag. Bielefeld 2008, S. 69-79. So der Untertitel von Terkessidis, Mark: Die Eingeborenen von Schizonesien. Der Schlager als deutscheste aller Popkulturen. In: Holtert, Tom/Ders. (Hrsg.): Mainstream der Minderheiten. S. 115-138. Busse, Burkhard: Der deutsche Schlager. S. 1. Sie alle sind im Hit-Lexikon des Rock & Pop unter „Schlager“ geführt und erreichten mindestens eine Platzierung unten den ersten 10 Plätzen der Single- oder LP-Charts (vgl. Laufenberg, Frank/Laufenberg, Ingrid: Hit-Lexikon des Rock und Pop; hier Hans Albers: S. 27; Howard Carpendale: S. 357f.; Drafi Deutscher: S. 582f.; Udo Jürgens: S. 1155f.). Vgl. den Forschungsüberblick von Busse, Burkhard: Der deutsche Schlager. S. 10-16; vgl. beispielhaft Kayser, Dietrich: Schlager – das Lied als Ware. Untersuchungen zur Theorie, Geschichte und Ideologie einer Kategorie der Illusionsindustrie. Diss. Freiburg i. Br. 1975; Köhne, Helgard: Politische Dimensionen im modernen deutschen Schlager. Diss. Paderborn 1980; Port le Roi, André: Schlager lügen nicht. Deutscher Schlager und Politik in ihrer Zeit. Essen 1998. Schoenebeck, Mechthild von: Was macht Musik populär? S. 67.
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schreibbaren Abgrenzung des Schlagers zu anderen populärmusikalischen Genres, lässt er sich – im Gegensatz zu Rock, Pop und Folk – durch bestimmte inhaltliche Momente charakterisieren. Stärker als jedes andere Genre ist der Schlager an Themen und Ausdrucksweisen gebunden, die sich mit den Stichwörtern ‚Eskapismus‘ und ‚Realitätsferne‘ umschreiben lassen.329 Politische Themen bleiben fast immer formuliert in Hinblick auf einen unerreichbaren paradiesischen Zustand.330 Vor allem aber ist es immer die glückliche Liebe, die einen Ausweg aus den Krisen des Alltags aufzuzeigen scheint, die zu fliehen hilft aus der Wirklichkeit.331 Als Thema macht sie – durchgängig durch alle Jahrzehnte – die Mehrheit aller Texte aus.332 Ob man die Schlagertexte nun wie Mechthild von Schoenebeck als unpolitisch betrachtet,333 ihnen einen „regressiven, funktional-politischen“ Gehalt zuschreibt wie Helgard Köhne334 oder als „durch [ihre] Negierung des Politischen politisch“ versteht,335 ist letztlich eine Frage der Sichtweise. Der Schlager ist in jedem Fall durch die Verweigerung jeglicher direkter politischer Stellungnahme charakterisiert. An die Stelle einer wie auch immer gearteten Auseinandersetzung mit der Wirklichkeit (durch Benennen, Opponieren, Ironisieren) tritt ein „Vorspiegeln von Glücksmöglichkeiten
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Vgl. Meier, Andreas: Politischer Wertewandel und populäre Musik. Diss. Münster 1999. Meier zeigt hier, wie der deutsche Schlager mit wenigen Ausnahmen zeitgenössische Entwicklungen in einen Aufruf zur Realitätsflucht übersetzt. Ein Beispiel liefern ihm die Jahre des Wiederaufbaus, in denen Fernweh und exotische Südseeträume die Inhalte bestimmen: „Das erträumte Paradies, die in der Heimat verloren gegangene Idylle liegt immer in der Ferne“ (ebd., S. 37). Vgl. ebd., S. 47. Vgl. Herkendell, Andreas W.: Schlager und Politik. Vergleich BRD/DDR. In: Frevel, Bernhard (Hrsg.): Musik und Politik. Dimensionen einer undefinierten Beziehung. Regensburg 1997, S. 74. Vgl. Meier, Andreas: Politischer Wertewandel und populäre Musik. S. 54. Vgl. Schoenebeck, Mechthild von: Was macht Musik populär? S. 75-77. Köhne, Helgard: Politische Dimensionen im modernen deutschen Schlager. S. 96. Sie ergänzt: „Im Schlager werden die ganz realen Bedürfnisse der Menschen nach Glück, Zufriedenheit, Ausgeglichenheit, Liebe, Verständnis […] verfälscht. Schlager präsentieren Scheinlösungen.“ (ebd., S. 96), und fährt fort: „Solange ein demokratisch gewähltes Parlament nichts ‚unternimmt‘ in Sachen Singen gegen Ängste und Enttäuschungen […] müssen sich dessen Mitglieder fragen lassen, ob ihnen der (manipulierte) sentimentale ‚Untertan‘ nicht möglicherweise sogar ganz recht ist.“ (ebd., S. 99). Herkendell, Andreas W.: Schlager und Politik. S. 74.
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und Sekurität“.336 Reinhard Flender und Hermann Rauhe nennen diese Idyllen, in Anlehnung an Roland Barthes, moderne […] Mythen, die einerseits den Status quo der industrialisierten Gesellschaft bekräftigen, indem sie ihr geschichtliches Werden als unabänderliches Naturgeschehen glauben machen und gleichzeitig die ‚verlorene Zeit‘ magisch wieder hervorzaubern, indem sie die emotionalen Defizite der rationalisierten Arbeitswelt wie ‚Natur‘, ‚Liebe‘, ‚Abenteuer‘ usw. besingen.337
Der Schlager kann also aufgrund seiner weitgehenden Verweigerung politischer Stellungnahmen, ohne damit seinen Stellenwert innerhalb der deutschsprachigen Popgeschichte leugnen zu wollen, keine Quelle für die Untersuchung des Nationalsozialismus im Song der Bundesrepublik darstellen. Festzuhalten ist insgesamt, dass sich unter dem Begriff der Populärmusik vor allem drei Grundgenres unterscheiden lassen: Pop, Rock und Folk. Alle anderen Subgenres können – dies gilt für den Reggae ebenso wie für den Heavy-Metal oder Disco – im Verhältnis zu ihnen beschrieben werden. Bei der wissenschaftlichen Analyse eines Songs ist es daher richtig, zunächst einmal nach seinem Verhältnis zu diesen Grundgenres zu fragen. Ob ein Song sich im Kontext der ‚Ideologie des Rock‘ oder der ‚Ideologie des Folk‘ inszeniert, in welche Richtungen er Grenzziehungen unternimmt und mit welchen sprachlichen und musikalischen Mitteln dies geschieht, kann vom Interpreten nicht außer Acht gelassen werden. Erst durch die Problematisierung des Verhältnisses eines Songs zu einem oder mehreren dieser Grundgenres ist es möglich, zu fragen, welche Wirkungsabsicht formuliert wird. Die drei Grundgenres unterscheiden sich, das wurde deutlich, anhand formaler Merkmale, die im Normfall so offensichtlich erkennbar sind, dass sie auch dem ungeübten Hörer ein ‚Andocken‘ an sein populärkulturelles Vorwissen ermöglichen. Unterscheidungen liegen in: 1.) der Instrumentierung, 2.) dem Verhältnis von musikalischer Gestaltung zu textlicher Gestaltung, 3.) der literatur- und musikgeschichtlichen Anbindung und 4.) den genrespezifischen Wert- und Künstlervorstellungen. 336 337
Klein, Albert: Unterhaltungs- und Trivialliteratur. S. 437. Flender, Reinhard/Rauhe, Hermann: Popmusik. S. 68.
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Um noch genauer benennen zu können, welche interpretativen Folgerungen sich aus der Zuordnung eines Songs zu einem Grundgenre ableiten, welche Möglichkeiten und Beschränkungen sich für einen Künstler mit gesellschaftspolitischen Zielsetzungen daraus ergeben und schließlich inwiefern die Aussage eines politische Songs mit den Regeln des Genres zusammenspielt, soll im Folgenden die Frage betrachtet werden, was einen politischen Song als solchen konstituiert.
2. Der politische Song In vier Minuten die Welt retten, das schafft noch nicht einmal Bruce Willis. Vier Minuten ist die Zeit für einen guten Kuss, wer mehr will, muss sich schon sehr beeilen. Vier Minuten reichen für genau einen ernsthaften Gedanken und einen Tanz. Vier Minuten sind der Punkt im Zeitstrahl, sind das radikale Jetzt. Und sie sind das Maß der ewigen Gegenwart des Popsongs. ELKE BUHR1
2.1 P ROBLEMAUFRISS Auf den vorangegangenen Seiten wurde wiederholt von politischen Songs gesprochen, ohne eine Definition dessen vorzuschlagen, was den politischen Charakter dieser Werke ausmacht. Diese Präzisierung soll nun nachgeholt werden. Dabei ist die Antwort auf die Frage, wann ein Song als politisch zu begreifen ist, aus verschiedenen Gründen relevant: Sie bietet zum einen die Möglichkeit, einzelne Songs auf ihren politischen Gehalt hin zu befragen und ihre Funktion für gesellschaftliche Handlungs- und Entscheidungsprozesse zu betrachten. Zum anderen kann sie helfen, die ästhetischen Charakteristika, Intentionen und Sprechweisen politischer Songs zu benennen und daraus Wege zu einer Interpretation abzuleiten. Eine Definition des politischen Songs kann, soviel muss vorweg genommen werden, nur eine heuristische sein und keineswegs den Anspruch haben, eine grundsätzliche Theorie politischer Dichtung zu leisten. Hierfür ist der Themenkomplex zu vielschichtig und letztlich für jede Gattung zu 1
Buhr, Elke: Die eiserne Lady. Mit ihrem neuen Album „Hard Candy“ behauptet Madonna routiniert ihre Rolle als letzter Mainstream-Star der Popmusik. In: Die Zeit Nr. 19 vom 30. April 2008, S. 56.
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jedem historischen Zeitpunkt unterschiedlich. Eine funktionale Definition des politischen Songs sollte jedoch mindestens zweierlei Ansprüchen genügen: Erstens muss der politische Charakter eines Songs formal und inhaltlich beschreibbar werden. Jegliche Bemühung, politische Songs ausschließlich anhand spezifischer inhaltlicher Elemente zu definieren (beispielsweise indem das Wort ‚Politik‘ enthalten ist oder Grundzüge politischen Verhaltens wie Macht, Konflikt, Herrschaft, usw. verhandelt werden) muss ins Leere laufen, weil sie die Poetizität der Werke übersieht. Zweitens muss sich eine Definition mit der Frage auseinandersetzen, inwieweit die (wie auch immer jeweilig gestaltete) Wirkungsabsicht eines politischen Songs eine wissenschaftlich fassbare Größe ist. Ohne eine Problematisierung dieses Aspekts läuft jede Definition politischer Dichtung und somit auch des politischen Songs Gefahr, redundant zu erklären, dass „das Politische des politischen Gedichts [Songs] das Politische sei“, weil die Existenz eines politischen Themas in einem Werk bereits eine politische Handlung sei.2 Da der Song als populärmusikalische Gattung mehr als andere Genres grundsätzlich auf eine soziokulturell heterogene Zielgruppe zielt und damit auf eine besonders weite Rezeption angelegt ist, ist anzunehmen, dass sich an ihm paradigmatisch einige Grundzüge politisch intendierter Kunst aufzeigen lassen. Dies umso mehr, als sich die Popmusikgeschichte auch lesen lässt als die des Versuchs politischer Einflussnahme auf die Gesellschaft durch künstlerische Produktion: Die Geschichte der Pop-, Rock- und Folkmusik zeigt, dass jede gesellschaftspolitische Bewegung, sei es die Studentenbewegung, die Frauen-, Umwelt- oder die Friedensbewegung, von Songs untermalt, reflektiert oder sogar beeinflusst wurde.3 Der politische Song kann daher als Paradigma für die Möglichkeit oder Unmöglichkeit gesehen werden, ästhetische Literaturproduktion mit politischer Intention zu verbinden. Um zunächst sowohl zu klären, wie weit der Begriff ‚politisch‘ gefasst werden kann, als auch mit welchen Vorbehalten politisch intendierte Kunst 2
3
Rudorf, Friedhelm: Poetologische Lyrik und politische Dichtung. Theorie und Probleme der modernen politischen Dichtung in den Reflexionen poetologischer Gedichte von der Aufklärung bis zur Gegenwart. Frankfurt a.M. u.a. 1988, S. 16; hier auch eine Forschungskritik (vgl. ebd., S. 14-16). Vgl. insgesamt Dietschreit, Frank: Zeitgenössische Lyrik im Gesellschaftsprozess. Frankfurt a.M., Bern, New York 1983.
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zu tun hat, erfolgt einleitend eine Auseinandersetzung mit Theodor W. Adornos einflussreichen Überlegungen zu politischer Kunst, bevor anschließend in mehreren Schritten eine Definition des ‚politischen Songs‘ erarbeitet wird.
2.2 ADORNO UND
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Theodor W. Adorno hat sich in zahlreichen Aufsätzen zu seinem Verständnis der ‚Kulturindustrie‘ geäußert und diesen Begriff für seine Kritik an Entwicklungen der Literatur, der Musik und der Kunst allgemein genutzt, um letztlich daraus eine eigene ästhetische Theorie zu entwickeln.4 Die für Adorno im gegebenen Zusammenhang entscheidende Frage ist die, inwieweit künstlerische Werke, sobald sie ökonomischen Zwängen unterworfen werden, eine Veränderung erfahren, die ihr politisches und künstlerisches Potential zerstört und dabei den Kunst-Konsumenten zum „ökonomischen und ideologischen Objekt“ degradiert.5 Aus der Erfahrung der propagandistischen Funktionalisierung von Kunst durch das nationalsozialistische Regime stellt Adorno Kunst, die auf den Konsum durch Massen zugeschnitten ist und massenmedial verbreitet wird, unter grundsätzlichen Verdacht. Roger Behrens hat diesen Verdacht paraphrasiert: Unter dem Profitmotiv wird alle Kultur zur Ware. Was an ihr noch Kunst genannt wird, bestimmt sich nicht länger über den Gebrauchswert, sondern ist allein über den Tauschwert vermittelt, der die Kulturwaren in der Zirkulationssphäre des kapitalistischen Marktes durchdringt.6
Damit ist eine kapitalismuskritische Denkweise beschrieben, deren Wirksamkeit für die studentischen Proteste der 60er Jahre genauso wie für die ‚Liedermacher‘ der Zeit nicht unterschätzt werden darf. In letzter Konsequenz wird die Ablehnung der ‚Kulturindustrie‘ spätestens mit der PunkBewegung der 70er Jahre vereinfacht zu einer Parole, mit der man seine
4 5 6
Ein knapper Überblick findet sich in Adorno, Theodor W.: Ästhetische Theorie. Frankfurt a.M. 1973, S. 32-35. Dietschreit, Frank: Zeitgenössische Lyrik im Gesellschaftsprozess. S. 36. Behrens, Roger: Pop Kultur Industrie. Zur Philosophie der populären Musik. Würzburg 1996, S. 23.
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eigene Kunstproduktion leicht gegenüber dem (vermeintlich) systemaffirmativen, populären ‚Schund‘ abgrenzen konnte.7 Adornos Begriff der ‚Kulturindustrie‘ und sein Gegenmodell der ‚autonomen Kunst‘ sind komplex, weil sie verschiedene Ebenen berühren: Eine ästhetische, eine technikkritische, eine sozialpsychologische und eine ökonomische. In einem ersten Denkschritt weist er der Kunst eine spezifische gesellschaftliche Funktion zu. Diese wird unter anderem in der Rede über Lyrik und Gesellschaft ausformuliert und in ihrer idealen Ausprägung als „autonome Kunst“ bezeichnet. Die gesellschaftspolitische Bedeutung von Kunst sieht Adorno dabei in ihren innovativen, „qualitätvollen“ Möglichkeiten. Der zentrale Gedanke an dieser Stelle ist, dass zur Ausführung einer solchen gesellschaftspolitischen Kunst eine ästhetische Autonomie des Künstlers von zeitgeschichtlichen und ökonomischen Zusammenhängen nötig ist. Der Kernsatz: „Gerade das nicht Gesellschaftliche am lyrischen Gedicht solle nun sein Gesellschaftliches sein“, beschreibt diese Haltung.8 Das Qualitätvolle – damit ist vor allem die Fähigkeit der Kunst gemeint, neue Zugänge des Rezipienten zur Realität zu ermöglichen – ist für Adorno bereits Widerstand (und damit Gesellschaftspolitik) gegen die massenhaft verbreiteten, ‚qualitätlosen‘ kulturindustriellen Werke.9 Dahinter steht die These, dass die zeitgenössische Kunstproduktion der ‚Kulturindustrie‘ die Existenz einer demokratischen Gesellschaft mündiger Bürger mit politischer Reflexions- und Handlungsfähigkeit verhindere. Kunst, die ökonomischen Zwängen unterworfen ist, ist für Adorno in mehrerlei Hinsicht gefährdend für die Gesellschaft: Sie macht aus dem rezipierenden Bürger einen passiven Konsumenten, der seine politische und subjektive Mündigkeit nur über die Kaufentscheidungen bildet. Die Entfaltungsmöglichkeiten des Bürgers, beeinflusst auch durch die künstlerischen Entwicklungen und Innovationen und deren Rezeption, sind durch die ‚Kulturindustrie‘ zudem gezielt manipulierbar, beispielsweise durch die Werbung. Als kapitalistisches Produkt wird Kunst so zu einem produzierten Gut, das sich verkaufen muss, erfolgreiche Formen imitiert und damit letztlich die Kunstproduktion homogenisiert und standardisiert. Kunst wird nur noch quantitativ, nicht 7 8 9
Vgl. ebd., S. 28f. Adorno, Theodor W.: Rede über Lyrik und Gesellschaft. In: Ders.: Noten zur Literatur I. Frankfurt a.M. 1958, S. 83. Vgl. hierzu auch Hermand, Jost: Bundesrepublik Deutschland. In: Hinderer, Walter (Hrsg.): Geschichte der politischen Lyrik in Deutschland. Stuttgart 1978, S. 324.
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mehr qualitativ unterscheidbar und verliert damit ihre gesellschaftliche Funktion.10 An diesem stark verkürzten Überblick wird erkennbar, dass Adornos Kritik der ‚Kulturindustrie‘ im Bereich der populären Musik eine besondere Brisanz haben muss. Ein genauerer Blick in Adornos Schriften zur Musikästhetik, die Anstoß der soziologischen Populärmusikforschung geworden sind, ist daher lohnend.11 Vor allem in den Aufsätzen Zur gesellschaftlichen Lage der Musik (1932), Über den Fetischcharakter in der Musik und die Regression des Hörens (1938) und On Popular Music (1941) hat sich Adorno musikästhetisch geäußert. Bereits 1932 beklagt er die kulturindustrielle Prägung der Musik in klaren Worten, sicherlich auch mit den TinPan-Alley-Produkten im Hinterkopf: „Die Rolle der Musik im gesellschaftlichen Prozeß ist ausschließend die der Ware; ihr Wert der des Marktes. Sie dient nicht mehr dem unmittelbaren Bedürfnis und Gebrauch.“12 Damit verliert die Musik für Adorno ihre „dialektische Erkenntnisfunktion“,13 die für ein Werk darin bestehe, „in seiner eigenen Form die gesellschaftlichen Widersprüche aufzudecken, zu gestalten und in Erkenntnis über die Beschaffenheit der Gesellschaft umzusetzen.“14 An die Stelle gesellschaftlicher Wirkung tritt eine affirmative Sättigung, eine Befriedigung der Bedürfnisse des Bürgertums, die „in der Form der Befriedigung das bestehende Bewußtsein anerkennt und stabilisiert“.15 Eine solche Argumentation erinnert 10 Vgl. Gurk, Christoph: Die Kulturindustriethese unter den Bedingungen postmoderner Ökonomie. S. 24f.; vgl. auch Behrens, Roger: Pop Kultur Industrie. S. 34-46. 11 Vgl. als beispielhafte Untersuchung, die den Einfluss Adornos auf die soziologische Populärmusikforschung zeigt Hartwich-Wiechell, Dörte: Pop-Musik. Analysen und Interpretationen. Köln 1974. 12 Adorno, Theodor W.: Zur gesellschaftlichen Lage der Musik. In: Propkop, Dieter (Hrsg.): Kritische Kommunikationsforschung. S. 152. 13 Ebd., S. 156. 14 Ebd., S. 187. 15 Ebd., S. 187. Spätere Autoren haben diese Anbindung der Populärmusik an Bestehendes als strukturell den Barthes’schen ‚Mythen des Alltags‘ ähnelnd betrachtet. Flender und Rauhe schreiben hierzu: „Die Popularmusik folgt exakt den Strukturen der Mythen des Alltags, indem sie immer auf schon Vorhandenes, Bekanntes zurückgreift. [...] Insofern ist die Popularmusik wie der moderne Mythos parasitär. Sie ist niemals authentisch, sondern plagiatorisch. [...] Das gleiche gilt für die Texte. Sie sind latent poetisch, aber niemals authentisch poetisch, sie sind latent ideologisch, aber nie offen ideologisch, sie sind latent politisch, aber nie wirklich politisch, sie sind latent gesellschaftskritisch, jedoch niemals der Sache auf den Grund gehend.“ (Flender, Reinhard/Rauhe, Hermann: Popmusik. S. 46).
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an zeitgenössische Bewertungen des Schlagers als ein „durch seine Negierung des Politischen [indirekt] politisch“ wirksames Genre.16 Besonders einflussreich für die oftmalige Ablehnung der Populärkultur durch (v.a. linke) Theoretiker war Adornos Aufsatz Über den Fetischcharakter in der Musik und die Regression des Hörens. Darin fasst er 1938 die zentralen Argumente seiner Kritik zusammen: Die Lust des Augenblicks wird zum Vorwand, den Hörer vom Denken des Ganzen zu entbinden, dessen Anspruch im rechten Hören enthalten ist, und der Hörer wird auf der Linie seines geringsten Widerstandes in den akzeptierenden Käufer verwandelt. Nicht länger mehr fungieren die Partialmomente kritisch gegenüber dem vorgedachten Ganzen, sondern sie suspendieren die Kritik, welche die gelungene ästhetische Totalität an der brüchigen der Gesellschaft übt.17
Zentral für Adornos Denken Ende der 30er Jahre ist die Rede von der „ästhetischen Totalität“. Unter dieser lässt sich eine durch die autonome Kunst bewirkte ‚ästhetische Perfektion‘ vorstellen, die allein durch ihre Existenz die Imperfektion der Gesellschaft aufzeigt und sie durch die „Negation der Unfreiheit“ künstlerisch kritisiert.18 Das Konzept der autonomen Musik wird konkretisiert in dem Aufsatz Die gegängelte Musik. Hier stellt Adorno die Funktion der Musik heraus als Opposition gegen die „immer weiter fortschreitende […] institutionelle […] Umklammerung des Lebens.“ Dieser Widerstand geschieht jedoch nicht durch Verweigerung, sondern durch die Fähigkeit der Kunst, dieser Umklammerung „ein Bild des Menschen als eines freien Subjekts entgegenzuhalten.“19 Für Adorno tritt an die Stelle einer – im besten Sinne aufklärerischen – Weiterentwicklung des mündigen Bürgers mithilfe der Kunst eine durch die ‚Kulturindustrie‘ bewirkte gesamtgesellschaftliche Regression. Er führt aus: Damit ist nicht ein Zurückfallen des einzelnen Hörers auf eine frühere Phase der eigenen Entwicklung gemeint, auch nicht ein Rückgang des kollektiven Gesamtniveaus, da die erst von der heutigen Massenkommunikation musikalisch erreichten Millionen mit der Hörerschaft der Vergangenheit sich nicht vergleichen lassen. 16 Herkendell, Andreas W.: Schlager und Politik. S. 74, Herkendell führt den ‚politischen‘ Charakter des Schlagers weiter aus: „Er ist affirmativ, vermittelt insgesamt die Furcht vor Veränderungen, ich will meine Ruhe, ich will damit nichts zu tun haben.“ (ebd, S. 74). 17 Adorno, Theodor W.: Über den Fetischcharakter in der Musik und die Regression des Hörens. S. 12f. 18 Ders.: Die gegängelte Musik. In: Ders.: Dissonanzen. S. 59. 19 Ebd., S. 59.
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Vielmehr ist das zeitgemäße Hören das Regredierter, auf infantiler Stufe Festgehaltener. Die hörenden Subjekte büßen mit der Freiheit der Wahl und der Verantwortung nicht bloß die Fähigkeit zur bewußten Erkenntnis von Musik ein, die von je auf schmale Gruppen beschränkt war, sondern trotzig negieren sie die Möglichkeit solcher Erkenntnis überhaupt.20
Eindeutiger und sprachmächtiger lässt sich eine Ablehnung populärer Musik kaum formulieren. Die Auswirkungen einer solchen Musik für ihre Produktions- und Rezeptionsprozesse erörtert Adorno in dem 1941 veröffentlichten Aufsatz On Popular Music. Sie lassen sich unter den Begriffen „standardization“ und „pseudo-individualization“ summieren. Ersterer meint die bereits angesprochene Homogenisierung der Kunst, die „standard reactions“ des Hörers anzielt und größere Verkäuflichkeit erreichen will.21 Eine solche formale Standardisierung greift für Adorno die Substanz des musikalischen Kunstwerks deshalb an, weil in der Musik stärker noch als in der Literatur die Form des Kunstwerks objektivitäts- und autonomieerhaltend ist.22 Wird diese, so lässt sich folgern, durch die kulturindustriellen Deformierungen korrumpiert, ist die Regression des Hörers nicht mehr aufzuhalten. Der zweite Begriff ‚pseudo-individualization‘ meint die Vortäuschung von Wahlfreiheit und Selbstbestimmung des Hörers durch vermeintliche Auswahlmöglichkeiten, verweist also zurück auf die bereits erörterte These der Manipulation des Bürgers. Nimmt man Adornos Einwände zusammen, so wird schnell klar, dass sie, trotz oder gerade aufgrund des Fehlens jeglicher empirischer Belege und ihrer pessimistischen Grundstruktur, höchst attraktiv als Argument gegen unliebsame musikalische Strömungen sind – als Mittel des Angriffs gegen den Schlager, den Rock’n’Roll, den Punk bis hin zur besonders ‚offensichtlichen‘ Regression des Techno-Hörers. Es ist sicherlich richtig, dass gerade in der populären Musik kommerzielle Domestizierungen von Künstlern stattfinden. Nichtsdestoweniger übersieht eine solche Kritik an der Populärmusik die Dialektik des Kapitalismus: Wenn es sich verkauft, ist die ‚Kulturindustrie‘ zu allem bereit, auch zum Verkauf von gegen sie gerichte-
20 Ders.: Über den Fetischcharakter in der Musik und die Regression des Hörens. S. 28f. 21 Ders.: On Popular Music. S. 71. 22 Vgl. Dietschreit, Frank: Zeitgenössische Lyrik im Gesellschaftsprozess. S. 39.
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ten Werken, wie z.B. denen des zeitweilig offen kommunistischen Franz Josef Degenhardt oder von Wolf Biermann.23 Eine Umsetzung von Adornos Forderungen, die im Übrigen aufgrund der fehlenden Konkretisierungen ‚autonomer Musikkunst‘ Schwierigkeiten aufwerfen dürfte, würde einen „Elitismus der Zuhörer“ bewirken,24 der die Funktionsweisen populärer Musik vollkommen verkennt. Gerade auf die Frage, mit welchen Mitteln sich Songs als politische Songs innerhalb der ‚Kulturindustrie‘ konstituieren, wie sie deren Verbreitungswege ebenso wie standardisierte Songformen (vgl. Kapitel 1.2) zu nutzen wissen, um politische Intentionen zu formulieren, weiß Adornos elitärer und immer auch bürgertumszentrierter Blick nur bedingt Antwort. Er birgt zudem die Gefahr, ein großes Korpus politisch intendierter Musik-Literatur vorschnell zu verurteilen.25 Adornos musikästhetische Überlegungen stellen jedoch den Hintergrund dar, vor dem sich die Auseinandersetzung mit politischen Songs abspielen kann, sie bieten nämlich ein Modell des Verständnisses politischer Kunst, von dem sich eine heuristische Definition absetzen kann.26
23 Vgl. hierzu Rothschild, Thomas: Die käufliche Revolte? Vom widersprüchlichen Zusammenhang zwischen Rock und Politik. In: Leukert, Bernd (Hrsg.): Thema: Rock gegen Rechts. Musik als politisches Instrument. Frankfurt a.M. 1980, S. 124. Eine ausführliche Kritik an Adornos Thesen und Sprachgebrauch findet sich in Thiessen, Rudi: It’s only Rock’n’Roll but I like it. Kult und Mythos einer Protestbewegung. Unveränderte Neuaufl. Berlin 1998, S. 58-87; bestätigend („Adornos schlimmste Befürchtungen scheinen von der modernen Musikindustrie und ihren Retortenprodukten bei weitem übertroffen“) äußert sich Büttner, Jean-Martin: Sänger, Songs und triebhafte Rede. S. 466; zur Attraktivität der Adorno’schen Thesen für eine Kritik der Popmusik vgl. Kolloge, René: The Evolution of Rock Music and Youth Cultures. S. 42-55 und S. 75-82. 24 Buchhofer, Bernd/Friedrichs, Jürgen/Lüdtke, Hartmut: Musik und Sozialstruktur. S. 104; eine Anwendung auf die US-amerikanische Musikindustrie unternimmt Eisen, Jonathan: Introduction. S. XIII. 25 Vgl. hierzu Hinck, Walter: Von Heine zu Brecht. S. 9. 26 Vgl. Wicke, Peter: Popmusik – Konsumfetischismus oder Kulturelles Widerstandspotential? S. 21-35.
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2.3 V ERSUCH EINER HEURISTISCHEN D EFINITION DES POLITISCHEN S ONGS Zunächst gilt es, grundsätzlich zu fragen: Ist es überhaupt möglich, einer spezifischen Gruppe von Werken das Attribut ‚politisch‘ zuzuschreiben und sie dadurch von ‚unpolitischen‘ Werken abzugrenzen? Zahlreiche Autoren wie Peter Stein oder Jost Hermand haben dies bezweifelt, indem sie darauf hinwiesen, dass jede Kunst immer „mit Herrschaft vermittelt“ sei und „also grundsätzlich politischen Charakter“ habe.27 Damit ist vor allem gemeint, dass jede Dichtung immer in einem politischen Kontext unter bestimmten gesellschaftlichen Konstellationen entstehe und daher durch ihre bloße Existenz bereits einen politischen Charakter habe.28 Diese Überzeugung hat sich auch in der Popforschung niedergeschlagen.29 Allerdings steht hinter der These, dass Kunst bereits durch ihr bloßes Vorhandensein – als Protest oder Bestätigung – politisch sei, ein derart universeller Politikbegriff, dass der Begriff der ‚politischen Literatur‘ letzten Endes hinfällig würde. Und doch ist nicht zu übersehen, dass es eine Gruppe von Texten gibt, deren „specifica differentia“ politische Themen und Intentionen sind.30 Konkreter inhaltlicher oder formaler Bezug zur Gesellschaft Einer heuristischen Bestimmung des politischen Songs muss es daher zunächst darum gehen, seine Spezifika aufzuzeigen ohne sich in – ästhetischen oder politischen – Wertungen zu verlieren. Dabei ist festzuhalten: Der Song als kurze, häufig durch ein subjektives Ich bestimmte Gattung ist grundsätzlich nur in eingeschränktem Maß fähig, politische Sachverhalte ausgreifend und objektiv zu behandeln.31 Bereits diese Aussage enthält je27 Stein, Peter: Einleitung. Die Theorie der Politischen Dichtung in der bürgerlichen Literaturwissenschaft. In: Ders. (Hrsg.): Theorie der Politischen Dichtung. S. 7. 28 Vgl. hierzu auch Hermand, Jost: Bundesrepublik Deutschland. S. 317. 29 Beispielsweise nimmt Jonathan Eisen bereits die Existenz der (vermeintlich) ‚rebellischen‘ Rockmusik als hinreichenden Beweis dafür, dass sie „a profoundly political form of music“ sei (Eisen, Jonathan: Introduction. S. XIV). 30 Hinderer, Walter: Versuch über den Begriff und die Theorie politischer Lyrik. In: Ders. (Hrsg.): Geschichte der politischen Lyrik in Deutschland. S. 10. 31 Hinderer hat hierzu wegweisende Überlegungen angestellt, die deutlich machen, dass die Bewertung politischer Kunst immer entscheidend davon abhängig ist, ob man sie anhand ihres politischen Gebrauchswerts oder ihres ästhetischen Darstellungswerts betrachtet (vgl. Hinderer, Walter: Von den Grenzen moderner politischer Lyrik. Einige theoretische Überlegungen. In: Stein, Peter (Hrsg.):
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doch eine Vorannahme, nämlich jene, dass politische Kunst einen konkreten inhaltlichen oder formalen Bezug zur sie umgebenden Gesellschaft aufweisen muss, dass also, wie Walter Hinderer betont, alle im und durch den Text getroffenen Aussagen Macht-, Herrschafts- und Gesellschaftsverhältnisse thematisieren und eine Einbindung des literarischen Textes in sozialgeschichtliche Wirklichkeitsbezüge aufweisen müssen.32 Eine solche Dichtungskonzeption folgt einem spezifischen Verständnis politischen Handelns und politischer Dichtung, das sich von der (ja ebenfalls als politisch verstandenen) ‚autonomen Kunst‘ unterscheidet. Dieter Hoffmann fasst das zugrunde liegende Politikverständnis zusammen: Politik kommt von griech. polis (‚Gemeinwesen‘) – kennzeichnend für politische Lyrik scheint somit zu sein, daß diese das Verhältnis des lyrischen Ich zur Gesellschaft in bestimmter Weise thematisiert.33
Der hier angesprochene Politikbegriff versteht zunächst jede individuelle Handlung in einem Gesellschaftsraum als eine politische und beschränkt sich nicht auf Handlungen in politischen Institutionen.34 Er umfasst sowohl Theorie der Politischen Dichtung. S. 170f.). In seinem Versuch über den Begriff und die Theorie politischer Lyrik, S. 16f. zählt er widerstreitende Positionen auf: 1. Lyrik sei kein taugliches Mittel für Politik und verfälsche die politische Aussage; 2. Politik sei kein tauglicher Inhalt bzw. Stoff für Lyrik (z.B. L’Art pour l’Art-Theorien); 3. Politische Lyrik bliebe hinter den ästhetischen Forderungen an Literatur zurück (vertreten z.B. von Adorno); vgl. auch die Erweiterungen dieses Katalogs in Dietschreit, Frank: Zeitgenössische Lyrik im Gesellschaftsprozess. S. 62f.; Wiese, Benno von: Das Wesen der politischen Dichtung. In: Stein, Peter. (Hrsg.): Theorie der Politischen Dichtung. S. 95f. 32 Vgl. Hinderer, Walter: Versuch über den Begriff und die Theorie politischer Lyrik. S. 24. Eine solche Konzeption widerspricht zahlreichen wirkmächtigen Dichtungskonzepten von neben Adorno z.B. Benn und Enzensberger; vgl. z.B. Benn, Gottfried: Probleme der Lyrik. Vortrag in der Universität Marburg am 21. August 1951. Wiesbaden 1951; Enzensberger, Hans Magnus: Poesie und Politik. In: Ders.: Einzelheiten I & II. Bewußtseins-Industrie und Poesie und Politik. Unveränderte Neuaufl. Hamburg 2006, S. 334f.: „Sein [des Gedichts] politischer Auftrag ist, sich jedem politischen Auftrag zu verweigern und für alle zu sprechen noch dort, wo es von keinem spricht.“; vgl. auch Hinderer, Walter: Probleme politischer Lyrik heute. In: Kuttenkeuler, Wolfgang (Hrsg.): Poesie und Politik. Zur Situation der Literatur in Deutschland. Stuttgart u.a. 1973, S. 93. 33 Hoffmann, Dieter: Arbeitsbuch deutschsprachige Lyrik seit 1945. Tübingen, Basel 1998, S. 95. 34 Vgl. hierzu auch die Überlegungen zum Politikbegriff in der Düsseldorfer Vorlesung zum Thema „Politisch Lied, privates Lied“ in Biermann, Wolf: Wie man Verse macht und Lieder. Eine Poetik in acht Gängen. Zweite korrigierte Aufl. Köln 1997, S. 11-13.
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ein Verständnis von Politik als Staatslehre, die aktive Teilnahme an gesellschaftlichen Veränderungsprozessen als auch deren kritische Begleitung mittels künstlerischer Reflexion. Da jedoch nahezu jede Kunst in irgendeiner Form, und sei es z.B. durch die hermetische Abkapselung wie bei Paul Celan, das Verhältnis von Dichtung und Subjekt und der umgebenden Gesellschaft thematisiert, muss der Begriff der politischen Handlung konkretisiert werden. Hoffmann sieht diese dann als gegeben an, wenn die Lyrik „die direkte Auseinandersetzung mit der Gesellschaft in ihrer aktuellen Form“ sucht.35 Ähnlich urteilt Honorat Badiel in seiner Studie zur Poetologie politischer Lyrik, in welcher er den politischen Gehalt einer Dichtung daran misst, wieweit sie sich „mit der Problematik der individuellen, institutionellen und/oder allgemeinmenschlichen Verantwortung in der gesellschaftlichen Entwicklung“ auseinandersetzt.36 Offen bleibt bei beiden Autoren, wie angesichts dieses weiten Politikbegriffs eine unpolitische Handlung zu denken wäre. Wäre jede Handlung bereits per se eine politische, würde, worauf Hans Giessen hingewiesen hat, der Begriff unsinnig.37 Zielgerichtetes Handeln und Intentionalität „Der Begriff Politik meint, sehr vereinfacht, ein zielgerichtetes Handeln im gesellschaftlichen Kontext“, erklärt Giessen in diesem Zusammenhang und ergänzt: „Ein Ziel anzustreben, ist objektive Funktion politischen Handelns.“38 Ein Punksong beispielsweise, der keine Benennung oder Problematisierung der politischen Ziele (z.B. auf der Inhaltsebene, der Gestaltungsebene oder der Inszenierungsebene) aufweist, sondern stattdessen ein allumfassendes ‚Dagegen‘ ohne erkennbares Gegenmodell propagiert, kann hernach nicht als politisch betrachtet werden. Für die Definition eines Songs als politisch bedeutet dies konkret, dass der Nachweis eines zielgerichteten Handelns geführt werden muss. Die Kategorie des zielgerichteten Handels hängt augenscheinlich eng mit dem Aspekt der Intentionalität zusammen. Bertolt Brechts Gedicht An die Nachgeborenen mit den bekannten Zeilen: „Was sind das für Zeiten, 35 Hoffmann, Dieter: Arbeitsbuch deutschsprachige Lyrik seit 1945. S. 96f. 36 Badiel, Honorat: Poetologie politischer Lyrik. Vergleichende Studien zu Theorie und Praxis des politischen Gedichts im französischsprachigen Schwarzafrika und in Deutschland. Frankfurt a.M. u.a. 1996. Diss. Hamburg 1995, S. 305. 37 Vgl. Giessen, Hans W.: Zeitgeist populär. S. 208. 38 Ebd., S. 208.
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wo/ein Gespräch über Bäume fast ein Verbrechen ist/weil es ein Schweigen über so viele Untaten einschließt“, ist die vielleicht eindrücklichste Betonung der Tatsache, dass in bestimmten historischen Kontexten jede Dichtung und Äußerung politisch werden kann, ohne zwangsläufig eine politische Intention zu verfolgen.39 Diese Problematik wird an aktuellen Beispielen nochmals deutlich: Angesichts der Flutkatastrophe in Asien nahmen im Winter 2004 zahlreiche Radiosender den Song Die perfekte Welle der Gruppe Juli aus dem Programm, ungeachtet der Tatsache, dass der Song nicht mehr als die Freude des Surfens beschreibt. Die Flut von Joachim Witt und Herbert Grönemeyers Song Land unter wurden ebenfalls nicht mehr gespielt.40 Songs können unter bestimmten Umständen rekontextualisiert werden, gänzlich unabhängig von ihren Wirkungsabsichten und im vorliegenden Fall sogar ungeachtet der klar erkennbaren inhaltlichen Aussage. Es ist daher anzunehmen, dass jegliche Dichtung bzw. jeder Stoff in einer Dichtung auf diese Weise politisch oder politisiert werden kann.41 Um dieses Phänomen bezeichnen zu können, hat Ingrid GirschnerWoldt eine Unterscheidung in funktionale und intentionale politische Lyrik vorgeschlagen. Als funktional begreift sie Texte, die in bestimmten politischen Konstellationen politische Bedeutung und Wirkung erhalten können […], bei denen aber dieser politische Gehalt weder in der Intention des Autors gelegen hat, noch sich als bestimmendes Merkmal des Aussageinhalts oder der Aussagestruktur erkennen läßt.42
Der Song Die perfekte Welle kann mit dieser Bestimmung ohne weiteres als funktional politisch bezeichnet werden. Intentional würde er erst, wenn ihm eine politische Intention in Form eines zielgerichteten konkreten Bezugs auf die thematisierte politische Realität nachweisbar wäre.43 Dies kann 39 Brecht, Bertolt: An die Nachgeborenen. In: Ders.: Bertolt Brecht. Große kommentierte Berliner und Frankfurter Ausgabe. Band 12: Gedichte 2. Sammlungen 1938-1956. Hrsg. v. Jan Knopf. Berlin, Weimar, Frankfurt a.M. 1988, S. 85, Str. 2, V.1-3. 40 Vgl. Heidböhmer, Carsten: Flutwelle begräbt „Perfekte Welle“. In: Der Stern (Online) vom 28.12.04. In: http://www.stern.de/unterhaltung/musik/:Radiosen der-Flutwelle-Perfekte-Welle/534303.html, 06.05.10. 41 Vgl. hierzu Hinderer, Walter: Probleme politischer Lyrik heute. S. 98. 42 Girschner-Woldt, Ingrid: Theorie der modernen politischen Lyrik. Diss. Berlin 1971, S. 9. 43 Vgl. ebd., S. 9, 145; vgl. auch Binder, Alwin: Kategorien zur Analyse politischer Lyrik. In: Der Deutschunterricht 24 (1972), Heft 2, S. 27. Binder fordert hier ebenfalls die Existenz einer nachweisbaren politischen Intention als Merk-
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durch eine Beantwortung von Fragen nach dem Auftauchen und der Bearbeitung der Realität im Song, der Aussageform, des Aussagesubjekts, des Bezugs des Aussagesubjekts zum Rezipienten und der Struktur des Songs geschehen.44 Der Nachweis darf also nicht nur den Inhalt eines Songs betrachten, sondern muss Form und Struktur, letztlich den Aspekt der Poetizität, einbeziehen und sowohl die pragmatische Mitteilung eines politischen Sachverhaltes als auch die künstlerische Umsetzung betrachten.45 Klarheit der Wirkungsabsicht Indem der politische Song intentional auf die gesellschaftliche Realität einwirken will, stellt er, wie jede politische Kunst, „die fremd-referentielle Funktion literarischer Texte […] ins Zentrum [seiner] Selbstaussage“,46 d.h. er kennzeichnet seine Wirkungsabsicht in Bezug auf die angestrebte Zielgruppe. Im Gegensatz zu ‚autonomer‘ Lyrik, die auf den Bezug zur Wirklichkeit verzichtet bzw. diesen Verzicht sogar zum Zentrum der Poetik macht, ist für politische Texte der Ausweis der Wirkungsabsicht auf der Textebene und im Fall des Songs auch auf der musikalischen Ebene konstitutiv.47 Die ästhetische Gestaltung eines Werkes wird, schon allein weil der Rezipient erkennen muss, ob er positiv oder kritisch auf den im Song dargestellten Wirklichkeitszusammenhang reagieren soll,48 geprägt durch die Wirkungsabsicht.49 Das Erkennen dieser Wirkungsabsicht wird dadurch zentral für die Interpretation eines politischen Songs. Um die politische Intention zweifelsfrei übermitteln zu können, streben politische Songschreiber eine besondere Klarheit der Aussage an und ver-
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mal politischer Dichtung und schlägt einen Katalog möglicher Intentionen vor, der allerdings unvollständig erscheint: Systemstabilisierung, Systemlabilisierung, Gewaltverzicht, Gewaltforderung bei Transparenz oder Intransparenz der Intention (vgl. ebd., S. 28-30). Vgl. Girschner-Woldt, Ingrid: Theorie der modernen politischen Lyrik. S. 13. Vgl. Hinderer, Walter: Stichworte zum Problemfeld einer Gattung. In: Ders. (Hrsg.): Geschichte der deutschen Lyrik vom Mittelalter bis zur Gegenwart. S. 15; vgl. zur pragmatischen Mitteilung politischer Sachverhalte Ders.: Von den Grenzen moderner politischer Lyrik. Einige theoretische Überlegungen. S. 177; vgl. ergänzend Ders.: Probleme politischer Lyrik heute. S. 98. Wegmann, Nikolaus: Engagierte Literatur? Zur Poetik des Klartexts. In: Fohrmann, Jürgen/Müller, Harro (Hrsg.): Systemtheorie der Literatur. München 1996, S. 354. Vgl. Hinderer, Walter: Probleme politischer Lyrik heute. S. 131. Vgl. ebd., S. 131. Vgl. Ders.: Versuch über den Begriff und die Theorie politischer Lyrik. S. 10.
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zichten deshalb meist auf „sprachliche Dunkelheiten [und] semantische Verrätselungen“.50 Nikolaus Wegmann spricht bezüglich politischer Literatur im Allgemeinen von ihrer „unzweifelhaften Lesbarkeit“.51 Diese bedeutet bezogen auf den Song nicht einen kompletten Verzicht auf künstlerische bzw. literarisch-musikalische Durchformung, wie manche Musikwissenschaftler meinen.52 Stattdessen gestaltet der politische Song die Ambivalenz zwischen ästhetischer Gestalt und allgemeiner Verständlichkeit häufig durch die vorsichtige Modifizierung des bestehenden Formenkatalogs, durch das Aufgreifen bekannter Muster einerseits und Progressionen auf sprachlich-musikalischer Ebene andererseits.53 Dabei ist der politische Song in einen literatur-, musik-, und zeitgeschichtlichen Kontext eingebunden, der die potentiellen Erweiterungen des bestehenden Formenkatalogs darauf begrenzt, was vom Produzenten als vom (intendierten) Rezipienten verstehbar angenommen wird.54 Dass die ‚Liedermacher‘ der 60er Jahren gerade auf die aus der Weimarer Republik bekannte Songform zurückgreifen, um politische Aussagen zu tätigen, hängt ebenso mit diesem ‚Andocken‘ zusammen wie die Übernahme des angloamerikanischen Rock’n’Roll durch die Deutschrocker seit den 70er Jahren.55 Innerhalb dieses begrenzenden Rahmens lassen sich verschiedene Wirkungsabsichten unterscheiden. Einige Überlegungen hierzu hat der ‚Liedermacher‘ und Autor Rolf Schwendter im Kontext seiner Theorie der Subkultur angestellt. In dieser begreift er subkulturelle Produkte als in einer „dialektische[n] Abhängigkeit“ zur gesamtgesellschaftlich „herrschenden Kultur“ stehend56 und bezeichnet die „progressive Subkultur“ als konkrete
50 Hinck, Walter: Von Heine zu Brecht. S. 13. 51 Wegmann, Nikolaus: Engagierte Literatur? S. 354. 52 Diese These vertreten aus Sicht der Musikwissenschaft beispielhaft Reinhard Flender und Hermann Rauhe. Sie bezeichnen populäre Musik als „unter musikimmanenten Aspekten eine Banalität“ und sehen sie charakterisiert durch eine „Verkümmerung der musikalischen Substanz […] zugunsten einer Wucherung der ‚Kommunikabilität‘“ (Flender, Reinhard/Rauhe, Hermann: Popmusik. S. X). 53 Vgl. Hinderer, Walter: Probleme politischer Lyrik heute. S. 30 und S. 120. 54 Vgl. ebd., S. 120; hierzu auch Dahlhaus, Carl: Thesen über engagierte Musik. In: Kolleritsch, Otto (Hrsg.): Musik zwischen Engagement und Kunst. Graz 1972, S. 8: „Um aber den Zweck zu erreichen, auf den sie zielt, muß sie sich den musikalischen Gewohnheiten und Vorurteilen der Hörer angleichen, in deren politisch-soziales Bewußtsein sie verändernd eingreifen soll.“ 55 Vgl. Hermand, Jost: Bundesrepublik Deutschland. S. 330. 56 Schwendter, Rolf: Theorie der Subkultur. S. 25; Kultur wird von Schwendter verstanden als „die Summe aller Institutionen, Bräuche, Werkzeuge, Normen,
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„reformistische Opposition“.57 Ungeachtet der in Kapitel 1.5 dargelegten Vorbehalte gegen das Konzept der ‚Subkultur‘ können die von Schwendter aufgeführten Wirkungsabsichten für den politischen Song übernommen werden, weil er mit subkulturellen Produkten jene künstlerischen Werke meint, die intentional den gesellschaftlichen Status Quo kommentieren und verändern wollen. Schwendter beschreibt die möglichen Wirkungsabsichten solcher Songs als ‚didaktisch-agitativ‘, ‚kommunikativ-solidarisierend‘ oder ‚selbstreflexiv‘ (wobei hier der Ausdruck ‚autobiographisch geprägt‘ präziser wäre) und umschreibt die Wirkungsabsichten als „Denkanstoß, Provokation von Emotionen, Agitation, Gegeninformation, Propaganda, Verbesserung der Kommunikation, Solidarisierung, Bewußtwerdung, Sensibilisierung sowie Selbstverwirklichung.58 Einige differenzierende Worte zu den verschiedenen Wirkungsabsichten sind notwendig. Der didaktisch-agitative politische Song Die historisch dauerhafteste Wirkungsabsicht politischer Musik besteht in der Präsentation von Gegeninformationen mit aufklärerischem Anspruch. Seit den Anfängen politischer Musik, seien es die deutschen Sangsprüche und Lieder Walther von der Vogelweides oder (stärker populärmusikalisch orientiert) der angloamerikanische Folk- und Blues, agieren die Künstler als „musical journalists“.59 Von den Bluessongs der Sklavenbevölkerung über das Nachrichten- und Zeitungslied bis zum Arbeiterlied und dem Agitprop der Weimarer Republik reicht die Reihe von textmusikalischen Werken, die ihren Hörern genau die Informationen anbieten, über die Pressewesen, Zensur oder gesellschaftliche Konstellationen hinweggehen. Ein prägnantes Beispiel ist Wolf Biermanns Song Drei Kugeln auf Rudi Dutschke, in welchem bereits die erste Strophe die Ankündigung einer Gegeninformation Wertordnungssysteme, Präferenzen, Bedürfnisse usw. in einer konkreten Gesellschaft.“ (ebd., S. 10). 57 Ebd., S. 27f. 58 Vgl. ebd., S. 241-257. Vergleichbare Aspekte nennt Adamek, Karl: Politisches Lied heute. Zur Soziologie des Singens von Arbeiterliedern. Essen 1987. Diss. Münster 1986, S. 14f.; vgl. auch Riha, Karl: Moritat, Bänkelsong, Protestballade. Zur Geschichte des engagierten Liedes in Deutschland. Frankfurt a.M. 1975, S. 100; vgl. auch die ‚Aufgabenbeschreibung‘ politischer Lieder bei Bonson, Manfred: Vorwort. S. 20. 59 Denselow, Robin: When the Music’s over. The Story of Political Pop. London, Boston 1989, S. XVII; zu den Anfängen politischer Musik in Deutschland vgl. Eisel, Stephan: Politik und Musik. Musik zwischen Zensur und politischem Mißbrauch. München, Bonn 1990, bes. S. 153.
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enthält: „Wir haben genau gesehen/wer da geschossen hat“ (vgl. Kapitel 6).60 Die in diesem Song mehrfach erkennbare Verwendung dokumentarischer Techniken zur Mitteilung einer Gegeninformation bei gleichzeitiger Verifizierung des Gesagten durch faktisch Nachprüfbares erinnert ebenso an die Arbeiten Bertolt Brechts und Kurt Weills wie an das Vokalwerk Hanns Eislers.61 Gerade Brecht kann, weil er den Song als Mittel der didaktischen Aufklärung begriff, ohne jedoch auf die Aktivierung des Rezipienten zu verzichten, als vorbildhaft für den politischen Song des 20. Jahrhunderts gelten.62 Brechts Selbstverständnis, politische Kunst weniger als didaktische Anweisung denn als einen ‚Vorschlag‘ an das Publikum zu betrachten,63 geht von der Überzeugung aus, „die Leute handelten wie sie handeln, weil ihnen wichtige Informationen vorenthalten würden und nicht etwa, weil sie sich so entschieden haben.“64 Mit dem Transport von Informationen, die von anderen Medien (vermeintlich) übergangen wurden, geht selbstverständlich auch die Benennung von und die Kritik an Missständen untrennbar einher.65 Der solidarisierende politische Song Sowohl im 19. Jahrhundert als auch in den Anfängen des politischen Songs der Bundesrepublik spielt eine weitere Wirkungsabsicht eine wichtige Rolle, die bereits am Beispiel der Ton Steine Scherben angesprochen wurde (vgl. Kapitel 1.6): Songs können Solidarisierung und Gemeinschaft bewirken. Die „Gemeinsamkeit im Gesang“, die ermutigende Erfahrung von Kollektivität, aber auch die text-musikalische „Formulierung einer gemeinsamen Weltsicht“ können durch den politischen Song angestrebt werden.66 Am Beispiel des amerikanischen ‚Protestsongs‘ hat Ron Serge Denisoff 60 Biermann, Wolf: Drei Kugeln auf Rudi Dutschke. T./M.: Wolf Biermann. Aus der EP: Vier neue Lieder. Erschienen 1968, Str. 1, V.3f. 61 Zu Brecht und Eisler vgl. beispielhaft Mossmann, Walter/Schleuning, Peter: Alte und neue politische Lieder, v.a. S. 302. 62 Vgl. Riha, Karl: Moritat, Bänkelsong, Protestballade. S. 110. 63 Rudorf, Friedhelm: Poetologische Lyrik und politische Dichtung. S. 247. 64 Jakob, Günther: Was ist ein Protestsong? In: http://www.rock-links.de/texte/ protestsong.htm, 05.05.10. 65 Vgl. Bormann, Alexander: Politische Lyrik in den sechziger Jahren: Vom Protest zur Agitation. In: Durzak, Manfred (Hrsg.): Die deutsche Literatur der Gegenwart. Aspekte und Tendenzen. Stuttgart 1971, S. 177; Böning, Holger: Der Traum von einer Sache. S. 19; Wicke, Peter/Ziegenrücker, Wieland: Arbeiterlied. In: Dies.: Rock Pop Jazz Rock. S. 28f. 66 Dies.: Politisches Lied. In: Dies.: Rock Pop Jazz Rock. S. 355-357, hier S. 356.
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nachgewiesen, mit welchen Mitteln ein Song die Solidarisierung herbeiführen kann: sprachlich z.B. durch die häufige Verwendung des Personalpronomens ‚Wir‘, musikalisch beispielsweise durch eine hohe Eingängigkeit der Melodie und gemeinschaftlicher Sangbarkeit.67 Oft, wie beispielsweise in Wir müssen hier raus der Ton Steine Scherben, wird eine subjektive Perspektive in den Strophen („Für mich ist die Welt nicht mehr in Ordnung“) mit einem kollektivierenden Refrain („Wir müssen hier raus […] wir werden es schaffen“) verbunden.68 Immer jedoch finden sich, mehr oder weniger explizit, jene drei von Gert Hagelweide für die kommunistische Liedpublizistik aufgezeigten wiederkehrenden Elemente: ‚Akteur‘ (‚Wir‘), ‚Rufempfänger‘ (Arbeiter, Konzertbesucher, alle Menschen, usw.) und ‚Feind‘.69 Die Bewertung, ob die solidarisierende Wirkungsabsicht als funktional gerechtfertigter kollektiver Protest oder als auf kommerziellen Absatz zielender „stereotyper Auslöser regressiver Stimmungen, etwa von Sentimentalität, die dann ‚Solidarität‘ genannt wird“ gelten muss, ist Aufgabe der Songanalyse.70 Der autobiographisch geprägte politische Song Ein politischer Song kann drittens – häufig in Verbindung mit anderen Wirkungsabsichten – das autobiographisch geprägte politische Bekenntnis eines Künstlers darstellen. Ob Hannes Wader als erstes Album nach seinem Eintritt in die Deutsche Kommunistische Partei 1977 ein Album mit Arbeiterliedern aufnimmt, Heinz Rudolf Kunze von sich bekennt: „Ich bin auch ein Vertriebener“, oder Herbert Grönemeyer singt: „Ich mag dies Land. Ich mag die Menschen. Ich mag nicht den Staat“, immer steht das persönliche und als autobiographisch gekennzeichnete Bekenntnis zu einer politischen Debatte oder einem politischen System im Vordergrund der Wirkungsab-
67 Vgl. Denisoff, Ron Serge: The Evolution of the American Protest Song. In: Ders./Peterson, Richard A. (Hrsg.): The Sounds of Social Change. S. 17. 68 Ton Steine Scherben: Wir müssen hier raus. T.: Ralph Möbius/M.: Ralph Steitz. Aus dem Album: Keine Macht für Niemand. Erschienen 1972, Str. 2, V.1; Ref. 1, V.1-5. 69 Vgl. Hagelweide, Gert: Das publizistische Erscheinungsbild des Menschen im kommunistischen Lied. Eine Untersuchung der Liedpublizistik der KPD (19191933) und der SED (1945-1960). Bremen 1968, S. 40-108. 70 Jakob, Günther: Was ist ein Protestsong? In: http://www.rock-links.de/texte/ protestsong.htm, 05.05.10.
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sicht.71 Die Funktion eines solchen Bekenntnisses kann durchaus variabel sein. Sie kann den Künstler als Teil einer Bewegung ausweisen, ihn von ihr trennen, marketingtechnische, szene-immanente oder individuelle Begründungen haben oder eine Stellungnahme zu zeitgenössischen Themen formulieren. Stärker als bei sonstigen Wirkungsabsichten muss im Falle eines solchen Songs die Person des Songschreibers (bei aller Problematik der Autorschaft, vgl. Kapitel 1.3 und nach dem Nachweis des autobiographischen Gehalts) in die Analyse einbezogen werden. Songs als Medien der Memoria Zu guter Letzt soll auf eine im gegebenen Zusammenhang besonders wichtige und von Rolf Schwendter übersehene Wirkungsabsicht politischer Songs hingewiesen werden: Der politische Song kann, vermittels der Darstellung historischer Ereignisse oder Personen, fungieren als Medium der Memoria,72 als „antidote to cultural amnesia“.73 Indem der Song Vergangenes schildert (und dabei immer auch mit einer Geschichtsdeutung verbindet), bewahrt er es vor dem gesellschaftlichen Vergessen oder korrigiert die vorhandene Geschichtsschreibung. Günter Grass verwendet für diese Wirkungsabsicht seiner Texte die prägnante Formulierung des „Schreibens gegen die verstreichende Zeit“.74 Konstantin Weckers Die weiße Rose ebenso wie die zahlreichen biographischen Songs Franz Josef Degenhardts (z.B. die Ballade vom Edelweißpiraten Nevada-Kid), aber auch detaillierte historische Darlegungen wie das Faschismuslied des Geschichtslehrers der
71 Wader, Hannes: Hannes Wader singt Arbeiterlieder. Erschienen 1977, hierauf z.B. Die Moorsoldaten. T.: Johann Esser, Wolfgang Langhoff/M.: Rudi Goguel und Die Internationale. T.: Eugene Pottier/M.: Pierre De Geyter; Kunze, Heinz Rudolf: Vertriebener. T.: Heinz Rudolf Kunze/M.: Heinz Rudolf Kunze, Heiner Lürig. Aus dem Album: Dein ist mein ganzes Herz. Erschienen 1985, Ref. 1, V.1; Grönemeyer, Herbert: Neuland. T./M.: Herbert Grönemeyer. Aus dem Album: Mensch. Erschienen 2002, Bridge, V.1-3. 72 Vgl. zum Begriff der ‚Memoria‘ Haverkamp, Anselm: Die Gerechtigkeit der Texte. Memoria – eine ‚anthropologische Konstante‘ im Erkenntnisinteresse der Literaturwissenschaften? In: Ders./Lachmann, Renate (Hrsg.): Memoria. Vergessen und Erinnern. München 1993, S. 17-27. 73 Beaujour, Michel: Memory in Poetics. In: Haverkamp, Anselm/Lachmann, Renate (Hrsg.): Memoria. S. 9. 74 Vgl. insgesamt Neuhaus, Volker: Schreiben gegen die verstreichende Zeit. Zu Leben und Werk von Günter Grass. München 1997; vgl. zum Verhältnis von Geschichtsdichtung zu Geschichtsschreibung Hinck, Walter: Einleitung. S. 717, bes. S. 9.
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Band Die Schmetterlinge sind Belege für die Umsetzung dieses Anspruches im politischen Song.75 Ein aktuelles Beispiel ist der 2004 von der Kölner Band BAP veröffentlichte Song Ein für allemohle, der zwar auch im Zeichen der didaktischen (Gegen-)Information steht, insbesondere aber die Beschreibung eines historischen Ereignisses in den Mittelpunkt stellt: BAP schildern den alliierten Bombenangriff auf Köln im Mai 1942.76 An diesem Stück lässt sich paradigmatisch die Poetik eines solchen Songs aufzeigen: Er handelt von (durch den Rezipienten) nachprüfbaren Ereignissen, lässt eine zeitliche und örtliche Einordnung des Geschilderten zu und sichert die getroffenen Aussagen durch – im weitesten Sinne – dokumentarisches Schreiben (z.B. die Verwendung von Zitaten und Verweisen auf Kollektivwissen) ab.77 Bereits die erste Strophe zeigt dies: Mai zweiunveezisch woor se sibbe, met Sommersprosse’n blonde Hoor. Die „Dausend Bomber övver Kölle“ woor’n eez dä Ähnfang. (Str. 1, V.1-4)
Der Refrain gestaltet dann in direkter (im Textheft in Anführungszeichen gesetzter) Rede die überzeitliche Aktualisierbarkeit der Schilderungen und macht aus der historischen Information eine allgemein gültige Botschaft, die die Erinnerung als Desiderat markiert: „Ein einzije Naach bloß un du häss ein für allemohle jeliehrt, verschött en’nem Keller, wer sämpliche Kreeje sick jeher verliert.“ (Ref. 1, V1-3)
75 Wecker, Konstantin: Die weiße Rose. T./M.: Konstantin Wecker. Aus dem Album: Filmmusiken. Erschienen 1983; Degenhardt; Franz Josef: Ballade vom Edelweißpiraten Nevada-Kid. T./M.: Franz Josef Degenhardt. Aus dem Album: Du bist anders als die anderen. Erschienen 1982; Die Schmetterlinge: Faschismuslied des Geschichtslehrers. T.: Heinz Unger/M.: Georg Herrnstadt, Wilhelm Resetarits. Aus dem Album: Die Proletenpassion. Erschienen 1977. 76 BAP: Ein für allemohle. T.: Wolfgang Niedecken/M.: Helmut Krumminga. Aus dem Album: Sonx. Erschienen 2004. 77 Vgl. zu diesen Elementen auch die Ausführungen in Schuhmann, Klaus: Vorwort. In: Voigtländer, Annie/Witt, Hubert (Hrsg.): Denkzettel. Politische Lyrik aus den sechziger Jahren der BRD und Westberlins. Leipzig 1977, S. 23; vgl. auch Dietschreit, Frank: Zeitgenössische Lyrik im Gesellschaftsprozess. S. 199.
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Die Problematisierung der Frage, inwieweit die Darstellung der Vergangenheit durch einen Song, d.h. die Enkodierung von „Wirklichkeits- und Vergangenheitsversionen“ durch den Songschreiber, diese Versionen nicht erst erzeugt, indem sie ihnen historische, biographische oder künstlerische Relevanz zuschreibt, ist Aufgabe des Interpreten.78 Insgesamt aber können die Differenzierung der Wirkungsabsichten und ihre Analyse beschreiben, wie ein Songschreiber den Eindruck politischer und ästhetischer Kompetenz und Authentizität sprachlich und musikalisch erzeugt, wie er sich zu seinem gesellschaftlichen Umfeld positioniert, mit welchen Mitteln er dieses ggf. diskreditiert, wie er sein Publikum kommunikativ erreicht und in die Wirkungsabsicht einbindet, schließlich welche sprachlichen und musikalischen Mittel der Wiederholung und Vereinfachung, Ambivalenz und Eindeutigkeit, Satire und Ironie, Inszenierung und Performanz usw. den jeweiligen Song hinsichtlich seiner Wirkungsabsicht charakterisieren. Eine solche Analyse sagt zunächst noch nichts über die politische Zielrichtung aus. Ein politischer Text muss ja nicht grundsätzlich oppositionell und kritisch der ihn umgebenden Gesellschaft gegenüberstehen. Politische Zielrichtung und Aktualität bzw. Aktualisierbarkeit Walter Hinck hat in diesem Zusammenhang eine Unterteilung politischer Literatur in restaurative, apologetisch-affirmative und auf Veränderung zielende Werke vorgeschlagen.79 Sicherlich ist es so, dass ein großer Teil der politisch intendierten Rock- Pop- und Folkmusik häufiger einen kritischen, auf Veränderung zielenden Blick auf die Gesellschaft wirft (von einer ‚jugendkulturellen‘, ‚subkulturellen‘ oder politisch ‚links‘ gerichteten Perspektive aus) als einen affirmativen oder restaurativen. Dies vor allem, weil Songs, wie in Kapitel 1.5 beschrieben, eine hohe inhaltliche und formale Innovationsdichte benötigen, um sich am Markt zu bewähren und den erörterten „Distinktionsgewinn durch Dissidenz“ aufrecht zu erhalten.80 Allerdings muss sich die Innovationsabsicht selbstverständlich nicht zwangs-
78 Erll, Astrid: Literatur als Medium des kollektiven Gedächtnisses. In: Dies./ Nünning, Ansgar: (Hrsg.): Gedächtniskonzepte der Literaturwissenschaft. Theoretische Grundlegung und Anwendungsperspektiven. Berlin, New York 2005, S. 252. 79 Vgl. Hinck, Walter: Von Heine zu Brecht. S. 11f. 80 Kemper, Peter/Langhoff, Thomas/Sonnenschein, Ulrich: Vorwort. S. 12f.
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läufig auf das politische Bewusstsein des Rezipienten erstrecken.81 Politische Songs müssen deshalb in der Analyse kritisch auf die Ausprägung ihrer politischen Aussage befragt werden. Vollkommen unabhängig von der spezifischen Intention eines politisches Songs bleibt jedoch eines grundsätzlich gültig: Er bedarf – ganz ähnlich der Satire82 – eines Zeitbezugs zwischen Text/Musik und Realität, d.h. einer relativen Gleichzeitigkeit zwischen der Reflexion im Song und dem politischen Geschehen.83 Dies mag zunächst trivial klingen, hat aber sowohl für die Interpretation als auch die qualitative Wertung Auswirkungen: Zielt ein politischer Song konkret auf die Veränderung einer spezifischen, aktuellen Situation (z.B. der Notstandsgesetze), die im Moment der Veröffentlichung bereits historisch geworden ist, verliert er seinen politischen Gehalt. Genauso wäre hinsichtlich formaler Innovationen z.B. die satirische Parodie eines Punksongs Jahrzehnte nach der Punkrevolution ein Anachronismus.84 Unabdingbar für die Wirksamkeit politischer Songs ist daher ihre Aktualität bzw. ihre Aktualisierbarkeit oder in den Worten Walter Hinderers der „deutliche Realitäts- und Kommunikationszusammenhang […] zu einer bestimmten Zeit.“85 Dabei ist es gleichgültig, auf welcher Ebene des Textes oder der Musik der aktuelle Zeitbezug existiert.86 Gültig ist: Liefert ein Song zwar Informationen über historische Ereignisse und Entwicklungen, hat aber keinen Bezug (mehr) zum aktuellen Zeitgeschehen zum
81 Dies am Beispiel der kulturkonservativen Tendenzen der Schlagermusik gezeigt von Port le Roi, André: Schlager lügen nicht. S. 50-61. 82 So sind die „politische und kulturelle Aktualität“ und die „ästhetische Vermitteltheit“ „genrespezifische Kriterien“ der Satire (Drux, Rudolf: „Eigentlich nichts als Walzen und Windschläuche“. Ansätze zu einer Poetik der Satire im Werk Georg Büchners. In: Dedner, Burghard/Oesterle, Günter (Hrsg.): Zweites Internationales Georg Büchner Symposium 1987. Referate. Frankfurt a.M. 1990, S. 335-352). 83 Vgl. Navky, Günter: Aspekte des Nationalsozialismus. S. 84. 84 Martin Büsser zeigt beide Aspekte am Beispiel der Provokationsstrategien des Punk (vgl. Büsser, Martin: Wie klingt die Neue Mitte? S. 30f.). 85 Hinderer, Walter: Versuch über den Begriff und die Theorie politischer Lyrik. S. 25. 86 Alvin Binder hat hierzu einen Katalog zum Nachweis der Aktualität vorgeschlagen, der den politischen (globalen und ideellen), sozialen und den Autorbereich (Herkunft, theoretisch-politische Position, Lebenserfahrung, Entstehungsbereich) unterscheidet (vgl. Binder, Alwin: Kategorien zur Analyse politischer Lyrik. S. 30-33). Um Missverständnisse zu vermeiden, muss betont werden, dass es sich bei der Aktualität bzw. Aktualisierung um den Moment der Produktion bzw. Veröffentlichung handelt und nicht um den Moment der Rezeption.
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Zeitpunkt der Rezeption, so kann er nicht (mehr) als politisch betrachtet werden.87 Dass Songs mit einer konkreten gesellschaftsbezüglichen Intention daher in besonderer Gefahr stehen, nur eine beschränkte zeitliche Wirksamkeit zu haben, politische Intentionalität also häufig zu Ungunsten einer überzeitlichen (ästhetischen) Wirksamkeit geht, ist ein wichtiger Aspekt des Widerspruchs von Poesie und Politik.88 Songs über den Nationalsozialismus, wie sie Gegenstand dieser Arbeit sind, müssen die Aktualität des Gegenstandes immer wieder ausweisen, damit sie als ‚politisch‘ gelten können. Dies kann beispielsweise geschehen durch explizite Aktualisierungen des Vergangenen (z.B. in Konstantin Weckers Die weiße Rose), durch Parallelisierungen von Vergangenheit und Gegenwart (z.B. in Westernhagens Der schwarze Mann) oder ahistorische Versetzungen historischer Ereignisse in die Gegenwart (z.B. in Extrabreits Der Führer schenkt den Klonen eine Stadt).89 Für den Interpreten wird es immer notwendig sein, den Zeitbezug sorgfältig zu eruieren, um den politischen Gehalt eines Songs aufdecken zu können. Nicht übersehen werden darf bei alledem, dass der Song als eine Verbindung von Text und Musik nicht allein durch das Vorhandensein eines Songtextes, sondern auch durch dessen musikalische Umsetzung charakterisiert ist. Auch die Musik kann, so ist zunächst einmal anzunehmen, als politisches Ausdrucksmedium fungieren, müsste allerdings dann den vorgestellten Definitionsmerkmalen entsprechen. So schließt sich die Frage an:
87 Es wäre möglich, aber nicht zielführend, zwischen aktuellen politischen Songs und zeitkritischen Songs zu unterscheiden, wobei letztere durch das Fehlen eines konkreten Kommentars zu aktuellen politischen Begebenheiten und statt dessen durch die Aktualisierbarkeit der überzeitlich gültigen Aussagen gekennzeichnet wären (vgl. hierzu Hornig, Michael: Die Liedermacher und das zeitkritische Lied der 60er Jahre. S. 6-8). 88 Um den Unterschied von politischen Gedichten zu Lyrik, deren Hauptgegenstand historische Geschehnisse sind, zu kennzeichnen, wird manchmal zur Differenzierung von ‚Geschichtslyrik‘ gesprochen. Den Begriff entwickelt hat Hinck, Walter: Einleitung. S. 7. Eine Problematisierung und Erläuterung bietet Navky, Günter: Aspekte des Nationalsozialismus. S. 80-87. 89 Wecker, Konstantin: Die weiße Rose. T./M.: Konstantin Wecker. Aus dem Album: Filmmusiken. Erschienen 1983; Müller-Westernhagen, Marius: Der schwarze Mann. T./M.: Marius Müller-Westernhagen. Aus dem Album: Geiler is’ schon. Erschienen 1983; Extrabreit: Der Führer schenkt den Klonen eine Stadt. T./M.: Wolfgang Jäger Ramig, Stefan Kleinkrieg, Rolf Moeller, Ulrich Ruhwedel, Kay-Oliver Schlasse. Aus dem Album: Welch ein Land – Was für Männer. Erschienen 1981.
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Inwieweit kann Musik politisch sein und wie wäre ihr politischer Charakter nachweisbar?
2.4 D ER B EGRIFF
DER ‚ POLITISCHEN
M USIK ‘
Für die Definition politischer Musik gelten die gleichen Fragen, wie für die Definition politischer Literatur: Inwieweit ist Musik, wie es Peter Stein für die Literatur postuliert, als menschliches Verhalten in einem gesellschaftlichen Kontext nicht immer schon politisch und inwieweit kann sie intentional politisch wirken?90 Während der Rockforscher Robin Denselow am Beispiel des frühen Rock’n’Roll den politischen Charakter der Populärmusik explizit bejaht,91 erklärt Rainer Dollase in einem Aufsatz zum Verhältnis von Musik und Politik, dass Musik als akustische Folge von Schallwellen kaum als politisch zu begreifen sei.92 Die wissenschaftlich umstrittene Frage ist vor allem – das zeigen diese beiden Positionen – inwieweit Musik einen politischen Gehalt eigenständig und unabhängig von der textlichen Gestalt vermitteln kann oder ob sie diese benötigt, um (intentional oder funktional) politisch wirksam werden zu können.93 Aus diesem bis heute unentschiedenen „Glaubensstreit“ der Musikwissenschaft resultiert die Tatsache, dass der Terminus ‚Politische Musik‘ und auch seine Konkretisierungen noch heute einer heuristischen Definition bedürfen.94
90 Vgl. Kneif, Tibor: Politische Musik? Wien, München 1977, S. 14. 91 Vgl. Denselow, Robin: When the Music’s over. S. 1. 92 Vgl. Dollase, Rainer: Rock gegen rechts – Rock von Rechts. Oder: Wie Musik eine politische Bedeutung erhält oder auch nicht. In: Frevel, Bernhard (Hrsg.): Musik und Politik. S. 110f. 93 Vgl. hierzu Karger, Inge: Politische Musik und naive Musiktherapie. S. 18. 94 Ebd., S. 18. Ein Beispiel für den äußerst weit gefassten Politik-Begriff in der Musikwissenschaft bietet der seit Anfang des 20. Jahrhunderts gebräuchliche Begriff des ‚politischen Liedes‘. Er umfasste und umfasst sowohl das linke, antikapitalistische und Antikriegslied als auch nationalistische kriegsverherrlichende Lieder auf der Chanson-, Kabarett- und Rock-Pop-Folkbühne (vgl. Canaris, Ute: Musik und politischer Kontext. Abschlussbericht der Recherche über aktuelle Ausdrucksformen des politischen Liedes. Meerbusch 2003. In: http://www.lzpb.nrw.de/imperia/md/content/archivdaten/materialien/3.pdf, 06.05.10, S. 5). Vergleichbares gilt für den von Ernst Klusen vorgeschlagenen Alternativ-Begriff des ‚sozialkritischen Liedes‘ (vgl. Klusen, Ernst: Das sozialkritische Lied. In: Brednich, Rolf Wilhelm/Röhrich, Lutz/Suppan, Wolfgang (Hrsg.): Handbuch des Volksliedes. S. 737).
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Peter Wicke betont im Zusammenhang mit dem musikalischen Schaffen in der ehemaligen DDR die Tatsache, dass Musik, ganz gleich der Literatur, nur durch das Vorhandensein eines aktuellen oder aktualisierbaren Zeitbezugs politisch werden kann: Musik ist an sich weder unpolitisch noch politisch. Sie wird das eine wie das andere auch nicht bloß durch die Texte, die sie transportiert. Vielmehr steht und entsteht sie in einem gesellschaftlichen Zusammenhang, in dem sie auch als klangliches Ereignis eine mehr oder weniger ausgeprägte politische Dimension erhalten kann.95
Auch auf der musikalischen Ebene kann also nur die Betrachtung des zeitgeschichtlichen Kontextes die Frage nach dem politischen Gehalt des Kunstwerks beantworten.96 Auch Musik wird nicht bereits dann politisch, wenn sie sich, wie Ute Canaris meint, „gegen bis dahin vorherrschende Hörgewohnheiten und Haltungen wendet“ oder politisch funktionalisiert wird.97 Die im vorigen Kapitel ausgeführten Bemerkungen zur Unterscheidung politisch funktionaler und intentionaler Kunst müssen deshalb für die Musik übernommen werden. Aber: Ohne Betrachtung des Textes, darauf hat Tibor Kneif hingewiesen, ist der Nachweis methodisch kaum zu füh95 Wicke, Peter: „Wenn die Musik sich ändert, zittern die Mauern der Stadt“. Rockmusik als Medium des politischen Diskurses im DDR-Kulturbetrieb. In: Frevel, Bernhard (Hrsg.): Musik und Politik. S. 33. 96 Vgl. hierzu genauer Wicke, Peter/Ziegenrücker, Wieland: Politisches Lied. In: Dies.: Rock Pop Jazz Rock. S. 355-357; vgl. auch Holzapfel, Otto: Aspekte des ‚Politischen‘ im populären Lied. In: Koops, Tilman/Muschiol, Barbara/Thor, Johanna (Hrsg.): Freiheit lebet nur im Liede. Das politische Lied in Deutschland. Eine Ausstellung des Bundesarchivs in Verbindung mit dem Deutschen Volksliedarchiv Freiburg i. Br. Koblenz 1992, S. 5. Dieter Sauermanns Unterscheidung zwischen ‚historisch-politischem‘ und ‚politischem Lied‘ hat in dieser Ansicht seine Ursache (vgl. Sauermann, Dieter: Das historisch-politische Lied. In: Brednich, Rolf Wilhelm/Röhrich, Lutz/Suppan, Wolfgang (Hrsg.): Handbuch des Volksliedes. S. 294-311). Sauermanns Ausführungen sind im gegebenen Zusammenhang deshalb von Interesse, weil er das Kriterium der Aktualität bzw. Aktualisierbarkeit konkretisiert. Als politische Lieder versteht er nämlich nur Werke, die „zum Zwecke eines politischen oder agitatorischen Nahzieles [Herv. d. V.] verfaßt und aus aktuellem Anlaß gesungen“ oder aus politischen und ideologischen Gründen bewusst gepflegt und daher längere Zeit lebendig gehalten werden, beispielsweise Parteilieder (ebd., S. 294f.). 97 Canaris, Ute: Musik und politischer Kontext. 06.05.10, S. 15. Für die Funktionalisierung gibt es zahllose Beispiele, z.B. Angela Merkels Verwendung des Liebessongs der Rolling Stones Angie für ihren Wahlkampf 2005 (vgl. Associated Press: „Angie“ ärgert die Stones. In: Süddeutsche Zeitung. 22.08.2005. In: http://www.sueddeutsche.de/politik/wahlkampf-angie-aergert-die-rolling-stones1.896886, 25.05.10).
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ren.98 Gleiches gilt für die Stoßrichtung der Intention.99 Positiv gewendet heißt dies: Da der Song qua definitionem eine Verbindung von Text und Musik ist, ermöglicht die genaue Analyse auch der musikalischen Gestaltung eine ergänzende Reflexion seines politischen Gehaltes und damit auch seiner Funktionsweisen und Wirkungsmöglichkeiten. Heuristische Definition des politischen Songs Nun kann eine heuristische Definition des politischen Songs erfolgen. Ein populär- und textmusikalisches Werk kann gemäß den vorangegangenen Ausführungen als politischer Song bezeichnet werden, wenn es sich: 1.) anhand der in Kapitel 1 vorgestellten Eigenschaften als Song bezeichnen lässt; 2.) sowohl hinsichtlich des Songtextes (auf inhaltlicher und/oder formaler Ebene) als auch der musikalischen Gestaltung als politisch bezeichnen lässt anhand der Kategorien: – Konkreter Bezug zur politischen Wirklichkeit; – Zielgerichtetheit; – Intentionalität; – Aktualität oder Aktualisierbarkeit in Bezug auf seinen zeitgeschichtlichen Kontext. Keine politischen Songs (und daher auch nicht Gegenstand dieser Untersuchung) sind beispielsweise: – politische und historisch-politische (Volks-)Lieder und anderen Musikformen, die keine Song-Form aufweisen; – politisch funktionale, aber nicht politisch intentionale Songs; – Songs historischen Inhaltes ohne politische Aktualität oder Aktualisierbarkeit.
98 Vgl. Kneif, Tibor: Politische Musik? S. 20-23. 99 Vgl. Hartwich-Wiechell, Dörte: Pop-Musik. S. 225f.; vgl. auch am Beispiel des kommunistischen Liedes Hagelweide, Gert: Das publizistische Erscheinungsbild des Menschen im kommunistischen Lied. S. 271-278.
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Eine solche Definition hat den Vorteil, dass sie nicht allein auf ‚linke‘ gesellschaftskritische Songs beschränkt ist, aber gleichzeitig den Begriff des ‚politischen Handelns‘ nicht allzu umfassend begreift. Nichtsdestoweniger bleiben einige Grauzonen bestehen, beispielsweise in den Bereichen Punk und bei Songs, die unter Zensurbedingungen entstanden sind. Der Punk als Genre der ‚absoluten Negation‘ bzw. der Subversion gesellschaftlicher Konsensbildungen weist trotz allen Zeitbezugs und aller Aktualität selten ein erkennbares Gegenmodell, also eine Zielrichtung der Kritik, oder eine benennbare Intention auf. Der (satirische) Punksong Rebell der Berliner Band Die Ärzte weist auf diese Problematik bereits in den ersten Zeilen hin: „Ich bin dagegen, denn ihr seid dafür/Ich bin dagegen, ich bin nicht so wie ihr/Ich bin dagegen – egal, worum es geht.“100 Songs hingegen, die unter Zensurbedingungen geschrieben werden, wie es für nahezu alle in der ehemaligen DDR entstandene Werke gilt, sind häufig dadurch charakterisiert, dass sie ihren politischen Gehalt z.B. durch eine metaphorische und nur einer abgegrenzten Zielgruppe verständliche Sprache verdecken.101 Während dies die Arbeit des Interpreten erschwert, bleibt die Qualität des Songs als politisch unangetastet. Bei all diesen Ausführungen zur Definition und Wirkungsabsicht politischer Songs gilt es zu erinnern, dass diese sich nicht auf die faktische Wirkung auf die Rezipienten erstrecken können. Auch wenn, wie in neuerer Zeit beispielsweise in Bezug auf den so genannten ‚Gangsta Rap‘,102 immer wieder und nicht nur im Feuilleton über vermeintliche Auswirkungen populärmusikalischer Werke spekuliert wird, ja gerade diese ‚Wirkung‘ zum Kriterium des politischen Gehalts gemacht wird,103 so bleiben solche Aussagen vornehmlich Behauptungen.104 Lediglich, dass, – in diese Richtung
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Die Ärzte: Rebell. T./M.: Farin Urlaub. Aus dem Album: 13. Erschienen 1998, Str. 1, V.1-6. Vgl. zu Gestaltung von Songs unter Zensurbedingungen Rauhut, Michael: Rock in der DDR. 1964-1989. Bonn 2002, S. 34-57. Vgl. z.B. Fischer, Jonathan: Dichtende Dreckschleudern. Streit um GangstaRap. In: Süddeutsche Zeitung. 11.05.2007. In: http://www.sueddeutsche.de/ kultur/streit-um-gangsta-rap-dichtende-dreckschleuder-1.894845, 25.05.10. So z.B. auch in Dahlhaus, Carl: Thesen über engagierte Musik. S. 7. Hierauf hat bereits Tibor Kneif hingewiesen (vgl. Kneif, Tibor: Politische Musik? S. 23-27).
2. D ER POLITISCHE S ONG
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weisen empirische Studien – aber nicht inwieweit politische Musik wirksam ist, kann als sicher angenommen werden.105
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Dies hat z.B. eine im März 2003 von der Landeszentrale für politische Bildung NRW durchgeführte Studie nachgewiesen. Im Fazit des Abschlussberichts heißt es: „Künstlerische und kulturelle Ausdrucksformen – in diesem Fall Musik und Text (Lied/Gesang) – sind in besonderer Weise dazu geeignet, Formen, Inhalte und Orte politischer Bildung zu innovieren, zu attraktivieren und neue, junge Zielgruppen anzusprechen.“ (Canaris, Ute: Musik und politischer Kontext. 06.05.10, S. 3).
3. Songs als Medien der Auseinandersetzung mit dem Nationalsozialismus Sie wählten Archie und der brachte die Fäule/Ja, es waren die Kartoffeln, die den Dämon erschufen/Und alle Flasher mussten abhauen, oder kamen in die Dusche/Seitdem ist hierzulande alles finster/Für Stil und Humor herrschten 70 Jahre Winter/Ja, der Flavour ist braun und der Groove, der ist Marsch/Und wir haben keinen Stock, sondern ’nen Wald im Arsch. JAN DELAY1
3.1 E RINNERUNG UND G EDÄCHTNIS Nachdem nun deutlich geworden ist, unter welchen Bedingungen ein Song als politisch bezeichnet werden kann, ist es möglich, zu fragen, wie sich der Song zu dem zentralsten politischen Geschehen des 20. Jahrhunderts – dem Nationalsozialismus – verhält. Dabei steht nicht die Problematik der Darstellbarkeit der nationalsozialistischen Verbrechen durch die Kunst im Zentrum dieses Kapitels, sondern vielmehr der Versuch einer Systematisierung künstlerischer Vergangenheitsreflexionen. Um die Beschreibung des Nationalsozialismus im politischen Song und Tendenzen der ‚Vergangenheitsbewältigung‘ und der ‚Vergangenheitsbewahrung‘ systematisieren zu können, müssen folgende zwei Fragen beantwortet werden:
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Delay, Jan: Kartoffeln. T./M.: Jan Eißfeldt. Aus dem Album: Mercedes-Dance. Erschienen 2006, Str. 1, V.6-12.
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Erstens: Inwieweit und mit welchen Einschränkungen kann der Song als Medium der Auseinandersetzung mit der Vergangenheit begriffen werden? Wie lässt sich seine Teilhabe an der Auf- oder Verarbeitung der Geschichte und damit der Bildung des kollektiven Gedächtnisses beschreiben? Zweitens: Welche Vergangenheitsdiskurse dominieren die bundesrepublikanische Auseinandersetzung mit dem Nationalsozialismus zu welchem Zeitpunkt? Inwieweit lässt sich ihr Einfluss auf die jeweilige politische Songproduktion beschreiben? Die Interpretation eines politischen Songs über den Nationalsozialismus, wie im Übrigen die jeder künstlerischen Reflexion der Vergangenheit, muss sich ihrer analytischen Schwierigkeiten bewusst sein. Seit (spätestens) Hayden White muss man annehmen, dass eine jede Beschreibung der Vergangenheit grundsätzlich fiktional geprägt ist und dadurch immer in der Gefahr steht, die historische Wirklichkeit zu verfälschen.2 Dies gilt für eine künstlerisch durchformte Gattung wie den Song noch mehr als für eine historisch-wissenschaftliche Untersuchung. Eine Analyse und Kritik eines Songs über den Nationalsozialismus muss sich daher der Tatsache bewusst sein, dass die historischen Aussagen in einem textmusikalisch-fiktionalen und nicht wissenschaftlichen Medium getätigt werden, dass die künstlerische Beschreibung historischer Ereignisse wiederum den Inhalt der Aussagen, ihre mediale Vermittlung und damit die Form der Erinnerung an das historische Ereignis beeinflusst und prägt.3 Weniger die Frage, ob die Darstellung der Ereignisse historisch korrekt ist, kann daher die literaturwissenschaftliche Analyse bestimmen als die Frage, welche inhaltlichen, formalen und medialen Konsequenzen ein Song aus der Zweifelhaftigkeit historisch korrekter Aufarbeitung der Geschichte zieht. Dies ist auch deshalb wichtig, weil davon auszugehen ist, dass kulturelle Produkte wie der politi-
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Die für das Selbstverständnis der Geschichtswissenschaft bedeutsame These des Narrativisten Hayden White ist verkürzt gesagt, dass die Geschichtsschreibung niemals eine objektive historische empirische Wirklichkeit darstellen könne, sondern immer nur eine mögliche Interpretation der Ereignisse liefere und dass diese Darstellung daher ebenso wie die der Belletristik mit literaturwissenschaftlichen Methoden interpretiert werden müsse (vgl. White, Hayden: Auch Klio dichtet oder Die Fiktion des Faktischen. S. 82 und S. 117); vgl. hierzu auch insgesamt Rothermund, Dietmar: Geschichte als Prozeß und Aussage. Eine Einführung in Theorien des historischen Wandels und der Geschichtsschreibung. München 1994. Vgl. hierzu Berg, Nicolas/Joachimsen, Jess/Stiegler, Bernd: Vorwort. In: Dies. (Hrsg.): Shoah. S. 10.
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sche Song nicht nur auf der Basis der im vorherigen Kapitel dargestellten Wirkungsabsichten intentional in ihre Gegenwart eingreifen wollen, sondern tatsächlich einen Anteil an der Art und Weise haben, wie eine Gesellschaft ihre Vergangenheit erinnert. Dies zeigt die jüngere Erinnerungs- und Gedächtnisforschung, auf die im Folgenden eingegangen werden soll. Für die Beschreibung des Umgangs einer Gesellschaft mit ihrer Vergangenheit sind seit den Arbeiten von Jan und Aleida Assmann die Begriffe (kollektive) ‚Erinnerung‘ und (kollektives/kulturelles/kommunikatives) ‚Gedächtnis‘ zentral geworden,4 wobei ‚Erinnerung‘ terminologisch stärker auf den individuellen, ‚Gedächtnis‘ hingegen auf den kollektiven und kulturellen Prozess der Vergangenheitsaneignung und -bewahrung zielt.5 Diese primär soziologischen Konzepte, die auf die Überlegungen von Maurice Halbwachs zurückgehen,6 weisen auf verschiedene Erkenntnisse hin: Zum einen, dass jede Form von Gedächtnis sozial konstruiert und nicht biologisch gegeben ist, woraus als wissenschaftliches Desiderat die Beschreibung jener Sozialisierungsprozesse folgt, die das individuelle oder gemeinschaftliche Gedächtnis produzieren.7 Zum anderen, dass die soziale Konstruktion des Gedächtnisses immer ein in der Gegenwart stattfindendes Produzieren verschiedener „Wirklichkeits- und Vergangenheitsversionen“ ist.8 Elena Esposito erklärt hierzu: „Man erinnert nicht, was gewesen ist, sondern liefert lediglich eine Rekonstruktion dessen, was man in der Ver-
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Vgl. v.a. Assmann, Jan: Das kulturelle Gedächtnis. Schrift, Erinnerung und politische Identität in frühen Hochkulturen. München 1992; Assmann, Aleida: Erinnerungsräume. Formen und Wandlungen des kulturellen Gedächtnisses. München 1999. Eine Problematisierung dieser Begriffe sowie eine Verknüpfung mit Alternativbegriffen wie ‚memory work‘, ‚historical culture‘, ‚counter memory‘ usw. findet sich bei Fogu, Claudio/Kansteiner, Wulf: The Politics of Memory and the Poetics of History. In: Fogu, Claudio/Lebow, Richard N./Kansteiner, Wulf: The Politics of Memory in Postwar Europe. S. 284f. Vgl. Berg, Nicolas/Joachimsen, Jess/Stiegler, Bernd: Vorwort. S. 8. Vgl. Halbwachs, Maurice: Das kollektive Gedächtnis. Mit einem Vorwort von Heinz Maus. Aus dem Französischen von Holde Lhoest-Offermann. Stuttgart 1967. Vgl. hierzu Zierold, Martin: Gesellschaftliche Erinnerung. Eine medienkulturwissenschaftliche Perspektive. Berlin, New York 2006, S. 66; einen Überblick über Halbwachs’ Theorien und ihre Anwendungsmöglichkeiten bietet Echterhoff, Gerald/Saar, Martin (Hrsg.): Kontexte und Kulturen des Erinnerns. Maurice Halbwachs und das Paradigma des kollektiven Gedächtnisses. Mit einem Geleitwort von Jan Assmann. Konstanz 2002. Erll, Astrid: Literatur als Medium des kollektiven Gedächtnisses. S. 252.
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gangenheit – bereits selektiv – beobachtet hatte. […] Und die Erinnerung vollzieht sich in der Gegenwart, nicht in der Vergangenheit.“9 Aleida und Jan Assmann haben diese (Re-)Konstruktionsprozesse in verschiedenen Aufsätzen differenziert. Zunächst ist davon auszugehen, dass Menschen nicht nur über ein „individuelles Gedächtnis“ verfügen, das sich aus selbst getätigten Erfahrungen entwickelt, sondern darüber hinaus teilnehmen an verschiedene Formen eines „‚kollektiven‘ Gedächtnisses, das uns auch solche Erfahrungen nahe bringt, die wir selbst nicht gemacht haben.“10 Letzteres unterteilt Jan Assmann in das „kommunikative“ durch Alltagskommunikation geprägte und das „kulturelle“ Gedächtnis. Dieser Begriff wiederum meint, dass das kollektive Gedächtnis „durch kulturelle Formung (Texte, Riten, Denkmäler) und institutionalisierte Kommunikation (Rezitation, Begehung, Betrachtung) wachgehalten wird“, die sich an „schicksalhaften Ereignisse[n] der Vergangenheit“ festmachen.11 ‚Kultur‘ wäre nach einem solchen Verständnis, eine Art Zeichensystem zur Vergegenwärtigung größerer Zusammenhänge und Zeitbezüge.12 Aleida Assmann erläutert, dass das kulturelle Gedächtnis durch „symbolische Repräsentationen und Riten“ konstruiert wird, die sowohl durch die Familie als auch durch kulturelle Institutionen wie die Schule, Museen, Theater, usw. „eingeübt und verbreitet“ werden.13 Diese kulturellen Repräsentationen unterscheiden sich für A. Assmann allerdings grundlegend von historischen
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Esposito, Elena: Soziales Vergessen. Formen und Medien des Gedächtnisses der Gesellschaft. Aus dem Italienischen von Alessandra Corti. Mit einem Nachwort von Jan Assmann. Frankfurt a.M. 2002, S. 12. Assmann, Aleida: Das Kulturelle Gedächtnis an der Milleniumsschwelle. Krise und Zukunft der Bildung. Konstanz 2004, S. 5. Assmann ergänzt: „Wir sind nicht nur von unseren gegenwärtigen Verhältnissen, sondern auch von Glaubenssystemen und Wissenskomplexen geprägt, die aus einer tiefen Vergangenheit zu uns herübergereicht worden sind.“ (ebd., S. 5). Assmann, Jan: Kollektives Gedächtnis und kulturelle Identität. In: Ders./Hölscher, Tonio (Hrsg.): Kultur und Gedächtnis. Frankfurt a.M. 1988, S. 10-12; vgl. hierzu auch die Präzisierungen von Cornelißen, Christoph/Klinkhammer, Lutz/ Schwentker, Wolfgang: Nationale Erinnerungskulturen seit 1945 im Vergleich. In: Dies. (Hrsg.): Erinnerungskulturen. Deutschland, Italien und Japan seit 1945. Frankfurt a.M. 2003, S. 12-14 sowie Zierold, Martin: Gesellschaftliche Erinnerung. S. 68-73. Vgl. zu Jan Assmanns Verständnis von ‚Kultur‘ die Ausführungen von Kölsch, Julia: Politik und Gedächtnis. Die Gegenwart der NS-Vergangenheit als politisches Sinnstiftungspotential. In: Bergem, Wolfgang (Hrsg.): Die NS-Diktatur im deutschen Erinnerungsdiskurs. Opladen 2003, S. 138f. Assmann, Aleida: Das Kulturelle Gedächtnis an der Milleniumsschwelle. S. 5f.
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„Dokumenten“, seien dies z.B. Schriftstücke oder archäologische Funde, weil sie „von den lebendigen Gedächtnissen der Gegenwart vollständig abgetrennt“ seien und keine „Voraussetzungen für eine individuelle Aneignung des Wissens“ böten bzw. keine „Rückvermittlung an individuelle Gedächtnisse“ ermöglichten.14 Einiges ist an den Assmann’schen Konzeptualisierungen von Erinnerung und Gedächtnis zu kritisieren, insbesondere die mangelnde Konkretisierung der praktischen geschichtswissenschaftlichen und literaturwissenschaftlichen Anwendbarkeit sowie die fragwürdige Gleichsetzung der Konzepte ‚Kollektiv‘ und ‚Nation‘.15 Hinsichtlich des politischen Songs lässt sich jedoch aufgrund dieser Forschungen feststellen, dass er als kulturelles Produkt in jedem Fall Teil der Konstruktion des kulturellen Gedächtnisses ist und deshalb als Indikator der Koordinaten des kulturellen Gedächtnisses zum Zeitpunkt seiner Entstehung betrachtet werden kann. Wie diese Indikation methodisch genutzt werden kann, zeigen Ansätze zur Funktionalisierung des Konzepts ‚Gedächtnis‘ für die Literaturwissenschaft: Das ‚Gedächtnis‘ kann unterschieden werden zum ersten in das Gedächtnis der Literatur, was meint, dass Texte Vergangenes durch z.B. intertextuelle Verweise, Weiterführungen bzw. Aktualisierungen von Gattungskonventionen und Kanonisierungsprozesse im Bewusstsein der Gesellschaft erhalten. Zum zweiten werden Erinnerungsprozesse direkt in der Literatur dargestellt, beispielsweise in biographischen Texten. Schließlich kann die Literatur – indirekter – als Medium des kollektiven Gedächtnisses betrachtet werden.16 Gilt die Prämisse, dass sich Texte und politische Texte im Besonderen auf eine außerfiktionale Wirklichkeit beziehen und durch diesen
14 Ebd., S. 24. 15 Eine scharfe Kritik an den Konzepten von Jan und Aleida Assmann, vor allem der nationalstaatlichen Perspektive übt Hahn, Hans-Joachim: Repräsentationen des Holocaust. S. 85-90; Levy und Sznaider haben vor einiger Zeit einen Versuch vorgelegt, das kollektive Gedächtnis auf eine kosmopolitische Perspektive zu erweitern, vgl. Levy, Daniel/Sznaider, Natan: Erinnerung im globalen Zeitalter. Der Holocaust. Frankfurt a.M. 2001, S. 21-24. 16 Zu diesen drei Konzepten vgl. Erll, Astrid/Nünning, Ansgar: Where Literature and Memory meet. Towards a Systematic Approach to the Concepts of Memory Used in Literary Studies. In: Grabes, Herbert (Hrsg.): Literature, Literary History and Cultural Memory. Tübingen 2005, S. 264f. und insgesamt Lachmann, Renate: Gedächtnis und Literatur. Intertextualität in der russischen Moderne. Frankfurt a.M. 1990.
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Bezug Teil der Bildung des kulturellen Gedächtnisses werden, so muss der Realitätsbezug in irgendeiner Form in den Texten erkennbar sein.17 Paul Ricoeur beschreibt dieses dialektische Verhältnis mit den drei Stufen Präfiguration, Konfiguration und Refiguration.18 „Präfiguration“ meint in diesem Zusammenhang den Bezug des literarischen Textes auf und seine Prägung durch eine außerliterarische Wirklichkeit. In dieser bestehen bereits, wie Astrid Erll, Marion Gymnich und Ansgar Nünning betonen, „bestimmte Versionen und Konzepte von Erinnerung und Identität“.19 Diese werden im Prozess der Fiktionalisierung („Konfiguration“) durch die Literatur gestaltet und lassen Vorstellungen von Gedächtnis und Geschichte, stereotype und differenzierte Geschichtsinterpretationen oder Vorstellungen von sanktioniertem und nicht-sanktioniertem Erinnern erkennbar werden.20 Ein Text wie Günter Grass’ Im Krebsgang, der das Gedenken an Vergangenes problematisiert, zeigt dadurch nicht nur das Geschichtsbild des Autors, sondern auch – z.B. durch die Problematisierung der Frage, ob die Beschreibung der so genannten ‚Leiden der Deutschen‘ ein Tabubruch sei oder nicht – das Verständnis des Autors von vergessenen, verdrängten und tabuisierten Aspekten der Vergangenheit (unabhängig davon, ob dieses Verständnis allgemein geteilt wird oder nicht).21 Schließlich können die durch einen Text gestalteten Gedächtniskonzepte und Erinnerungsreflexionen drittens im Rezeptionsprozess in der außerliterarischen Wirklichkeit eine Wirkung entfalten („Refiguration“).22 17 Vgl. hierzu Erll, Astrid/Nünning, Ansgar: Where Literature and Memory meet. S. 280f. 18 Vgl. Ricoeur, Paul: Zeit und Erzählung. Band 1: Zeit und historische Erzählung. München 1988, S. 115-135. 19 Erll, Astrid/Gymnich, Marion/Nünning, Ansgar: Einleitung. Literatur als Medium der Repräsentation und Konstruktion von Erinnerung und Identität. In: Dies. (Hrsg.): Literatur – Erinnerung – Identität. Theoriekonzeptionen und Fallstudien. Trier 2003, S. IV. 20 Dies vor allem durch die Nachahmung (‚Mimesis‘) der außerliterarischen Welt und ihrer zu erinnernden Geschehnisse in der Literatur (vgl. hierzu Basseler, Michael/Birke, Dorothee: Mimesis des Erinnerns. In: Erll, Astrid/Nünning, Ansgar (Hrsg.): Gedächtniskonzepte der Literaturwissenschaft. S. 123-147). 21 Vgl. Grass, Günter: Im Krebsgang. S. 50, S. 113 und S. 120; Pieper, Dietmar/ Wiegrefe, Klaus: „Die Debatte wirkt befreiend“. Spiegel-Gespräch mit HansUlrich Wehler. In: Der Spiegel (Online). In: http://www.spiegel.de/spiegel/print/ d-21856139.html, 06.05.10. 22 Vgl. Erll, Astrid/Gymnich, Marion/Nünning, Ansgar: Einleitung. S. IV. Im Hintergrund des Konzepts „Refiguration“ steht, das darf nicht übersehen werden, die Überzeugung, dass „persönliche Erinnerungen erst durch mediale Repräsen-
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Astrid Erll hat drei potentielle Wirkungen bzw. Funktionen der Literatur als Medium des kollektiven Gedächtnisses benannt: Neben der „Speicherung“ von Vergangenem kann sie über weite geographische und zeitliche Räume hinweg wirken und für eine „Zirkulation“ der Koordinaten des Gedächtnisses und eine „Synchronisation“ von Erinnerungsgemeinschaften sorgen, schließlich stellt sie individuelle oder gesellschaftliche Erinnerungsanlässe und Abrufhinweise zur Verfügung („Cue-Funktion“).23 Insgesamt wird sichtbar, dass die Literatur als Teilnehmerin an der Produktion des kulturellen Gedächtnisses „vielfältige erinnerungskulturelle Funktionen“ erfüllt; an ihr lassen sich Geschichtsbilder, Geschichtsinterpretationen, Gedächtnis- und Erinnerungsreflexionen, aber auch Überzeugungen von dem Verhältnis individueller subjektiver Lebensläufe zu historischen gesellschaftlichen Entwicklungen prototypisch ablesen.24 Insbesondere kulturelle Ausformungen, die intentional auf eine Wirksamkeit in der außerliterarischen Wirklichkeit zielen wie der politische Song über den Nationalsozialismus, dürfen in einer solchen Perspektive nicht als wahrhafte historische Aussage gelesen werden. Sie müssen stattdessen auf ihre Präsentation und womöglich erst Konstruktion von Vergangenheitsversionen, ihre Enkodierung, Simplifizierung oder Plausibilisierung historischer Prozesse und ihre Vermittlung von Gedächtniskonzepten, Werten und Normen befragt werden. Diese Interpretationen der Geschichte in einem Song werden besonders dann erkennbar, wenn sich der Text und/oder die musikalische Gestaltung implizit oder explizit zu einem gesellschaftlichen Geschichts- oder Gedächtnisdiskurs äußern. Die sozialgeschichtliche Einbindung eines politischen Songs und seine Aktualität bedeuten ja vor allem, dass er beeinflusst ist durch Gedächtnisdiskurse, die das jeweils durch den Song über die Vergangenheit Sagbare bestimmen und verändern. Erst im Verhältnis des Songs zu diesen Diskursen lassen sich Strategien der Diskurserweiterungen und -verengungen markieren – z.B. durch Verleugnung,
tation und Distribution zu kollektiver Relevanz gelangen“ können und gleichzeitig das „Individuum nur über Kommunikation und Medienrezeption Zugang zu soziokulturellen Wissensordnungen und Schemata“ erhalten kann (Erll, Astrid/Nünning, Ansgar: Literaturwissenschaftliche Konzepte von Gedächtnis. Ein einführender Überblick. In: Dies. (Hrsg.): Gedächtniskonzepte der Literaturwissenschaft. S. 5). 23 Erll, Astrid: Literatur als Medium des kollektiven Gedächtnisses. S. 254-256. 24 Ebd., S. 249.
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Relativierung, Enttabuisierung usw. – und intentionale Bemühungen aufzeigen, das kulturelle Gedächtnis zu beeinflussen.25
3.2 G EDÄCHTNISDISKURSE Diskurse über die Deutung und Bedeutung der Vergangenheit, die im Folgenden als Gedächtnisdiskurse bezeichnet werden, entstehen überwiegend in einem „nationalen Kommunikationsraum“ und werden in diesem thematisiert oder erst generiert.26 Als ein Diskurs wird in diesem Zusammenhang in Anlehnung an Michel Foucault eine ‚soziale Praxis‘ verstanden, ausgehend davon, dass jede kommunikative Handlung in einem sozialen Raum Einstellungen, Werte, Normen und Ideologien produziert und reproduziert.27 Künstlerische Äußerungen wie der populärmusikalische Song werden dabei als diskursive Medien begriffen, die in einem sozialen, kulturellen und historischen Kontext immer bezogen bleiben auf die Regeln des Diskurses, das Sagbare, Sichtbare und Legitime, selbst wenn sie diese Regeln kritisieren oder unterlaufen und damit ihre Gültigkeit in Frage stellen.28 Jedes Medium entwickelt innerhalb dieser Grenzen einen je eigenen Zugang zu einem Diskurs. Daher ist davon auszugehen, dass der politische Song als (Mit-)Träger des kulturellen Gedächtnisses eine eigene ‚Sprachteilhabe‘ an den Gedächtnisdiskursen aufweist.29 Die Analyse und Interpre25 Vgl. Jäger, Siegfried: Theoretische und methodische Aspekte einer Kritischen Diskurs- und Dispositivanalyse. In: http://www.diss-duisburg.de/Internetbiblio thek/Artikel/Aspekte_einer_Kritischen_Diskursanalyse.htm, 06.05.10, S. 2. 26 Vgl. Marchart, Oliver/Öhner, Vrääth/Uhl, Heidemarie: Holocaust revisited. Lesearten eines Medienereignisses zwischen globaler Erinnerungskultur und nationaler Vergangenheitsbewältigung. In: Tel Aviver Jahrbuch für deutsche Geschichte 31 (2003), S. 308. 27 Vgl. hierzu Heer, Hannes/Wodak, Ruth: Kollektives Gedächtnis. Vergangenheitspolitik. Nationales Narrativ. Zur Konstruktion von Geschichtsbildern. In: Dies. u.a. (Hrsg.): Wie Geschichte gemacht wird. Zur Konstruktion von Erinnerungen an Wehrmacht und Zweiten Weltkrieg. Wien 2003, S. 22; vgl. zum Diskursbegriff auch Fohrmann, Jürgen: Diskurs-Diskurstheorie(n). In: Weimar, Klaus u.a. (Hrsg.): Reallexikon der deutschen Literaturwissenschaft. Bd. 1: A-G. Berlin, New York 1997, S. 369-374; Winko, Simone: Diskursanalyse, Diskursgeschichte. In: Arnold, Heinz Ludwig/Detering, Heinrich: Grundzüge der Literaturwissenschaft. München 1996, S. 463-478. 28 Vgl. hierzu mit Bezug auf die nationalsozialistische Vergangenheit Deutschlands Hahn, Hans-Joachim: Repräsentationen des Holocaust. S. 32. 29 Vgl. Assmann, Aleida: Erinnerungsräume. S. 20.
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tation politischer Songs kann daher Informationen über die diskursiven Regeln eines gesellschaftlichen Umfeldes zu einem bestimmten historischen Zeitpunkt bieten. Dabei darf nicht übersehen werden, dass Diskurse überindividuell funktionieren und nicht von einem einzelnen Diskursteilnehmer geschaffen werden.30 Terminologisch ist eine Unterscheidung in die synchrone (Was kann zu einem bestimmten historischen Zeitpunkt gesagt werden?) und diachrone (In welcher Abfolge wurde etwas gesagt?) Dimension eines Diskurses oder eines Diskursstranges (d.h. den thematisch einheitlichen Strängen eines Metadiskurses) sinnvoll.31 Die historische oder diachrone Ebene des Metadiskurses ‚Nationalsozialismus‘ wird bestimmt und unterteilt durch Zäsuren und Phasen des Umgangs mit der Vergangenheit. Ihre grobe Kenntnis ist wichtig, um in der nachfolgenden Songanalyse erkennen zu können, wie sich die Songschreiber in diese Phasen einordnen oder versuchen, sie zu unterlaufen. Als Folie vor deren Hintergrund eine Kontextualisierung der Songs stattfinden kann, ist die differenzierte Phasentheorie von Norbert Frei besonders funktional.32
30 Vgl. Jäger, Siegfried: Theoretische und methodische Aspekte einer Kritischen Diskurs- und Dispositivanalyse. S. 4. 31 Vgl. ebd., S. 12-16. 32 Neben Norbert Frei gibt es zahlreiche weitere Periodisierungen, die sich in vielen Punkten mit den genannten Ansätzen überschneiden. A. Assmann unterscheidet eine „Phase der politischen Deklaration“ in den 50er Jahren, die bestimmt ist von offiziellen Gedächtnisdiskursen ohne individuelle Auseinandersetzung mit der Vergangenheit, eine „Phase der familialen, juristischen und historischen Aufklärung“ von den 60er bis 80er Jahren, in welcher die individuellbiographische Auseinandersetzung mit der Vergangenheit zunehmend Raum gewinnt und schließlich eine „Phase der Universalisierung bzw. der Globalisierung“ seit den 80er Jahren, in der der nationalstaatliche Rahmen der Gedächtnisdiskurse aufgebrochen wird (vgl. Assmann, Aleida: Persönliche Erinnerung und kollektives Gedächtnis in Deutschland nach 1945. In: Erler, Hans (Hrsg.): Erinnerung und Verstehen. Der Völkermord an den Juden im politischen Gedächtnis der Deutschen. Frankfurt a.M., New York 2003, S. 135; präzisiert in Assmann, Aleida: Wendepunkte der deutschen Erinnerungsgeschichte. In: Dies./Frevert, Ute: Geschichtsvergessenheit – Geschichtsversessenheit. S. 140147); Daniel Levy und Natan Sznaider haben ebenfalls ein Modell mit vier Phasen vorgestellt (vgl. Levy, Daniel/Sznaider, Natan: Erinnerung im globalen Zeitalter. S. 29); vgl. auch das Stufenmodell von Cornelißen, Christoph: Stufen der Vergangenheitspolitik in Deutschland und Italien seit 1945. In: Comparativ 14 (2004), Heft 5/6, S. 14-37. Einen Überblick bis zur Gegenwart ebenfalls in Phasen bietet Kansteiner, Wulf: Losing the War, Winning the Memory Battle. S. 102-146.
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Frei unterscheidet vier Phasen, die den bundesdeutschen Umgang mit der nationalsozialistischen Vergangenheit bestimmen.33 Von 1945 bis 1949 macht er eine „Phase der politischen Säuberung“ aus, die durch die Entnazifizierungsbemühungen der Alliierten, die Ausgabe der so genannten ‚Persilscheine‘ und juristische Aufarbeitung (z.B. die Nürnberger Prozesse) geprägt ist.34 Mit Gründung der Bundesrepublik setzt eine „Phase der Vergangenheitspolitik“ ein, in welcher die Verabschiedung des Grundgesetzes, das Straffreiheitsgesetz 1949 sowie weitere legislative Maßnahmen auf einen politischen Neuanfang und ‚Schlussstrich‘ zielen.35 Auch wenn das Schlagwort vom ‚Jahrzehnt der Erinnerungsverweigerung‘ Gegenteiliges andeutet, zeigen diese politischen Handlungen den aktiven Versuch, die Bundesrepublik politisch von der nationalsozialistischen Vergangenheit abzugrenzen.36 Ein Ergebnis der Fokussierung der Vergangenheitsaufarbeitung auf politische Entscheidungen ist allerdings eine mangelnde Problematisierung personeller Kontinuitäten und persönlicher Verantwortlichkeiten bei einer gleichzeitigen Entschuldung von Mitläufern.37 Kritik und Angriff auf diese Entschuldungsprozesse finden verstärkt in der ab der Mitte der 50er Jahre beginnenden, etwa zwei Jahrzehnte währenden „Phase der ‚Vergangenheitsbewältigung‘“ statt, die charakterisiert ist durch die Aufarbeitung personeller und institutioneller Kontinuitäten (von Karl Carstens über Kurt Georg Kiesinger bis zu Hans Filbinger) und die Kritik an jeglicher Forderung nach einem wie auch immer gearteten ‚Schlussstrich‘. Journalisten, Literaten (z.B. Rolf Hochhuth, Heinar Kipphardt und Günter Grass) und die Studentenrevolte nehmen hier intensiven Anteil.38 In den späten 33 Vgl. Frei, Norbert: Deutsche Lernprozesse. NS-Vergangenheit und Generationenfolge seit 1945. In: Ders.: 1945 und wir. S. 23-40. 34 Vgl. Frei, Norbert: Deutsche Lernprozesse. S. 27-30. 35 Vgl. ebd., S. 30-34. 36 Vgl. zur Erinnerungsverweigerung Leonhard, Nina: Politik- und Geschichtsbewusstsein im Wandel. Die politische Bedeutung der nationalsozialistischen Vergangenheit im Verlauf von drei Generationen in Ost- und Westdeutschland. Münster 2002, S. 93f.; den Begriff ‚Vergangenheitspolitik‘ schlägt Norbert Frei vor zur Benennung politischen Handelns als Reaktion auf den Faschismus und das Dritte Reich (vgl. Frei, Norbert: Vergangenheitspolitik. Die Anfänge der Bundesrepublik und die NS-Vergangenheit. München 1996, S. 13f.). 37 Vgl. hierzu Frei, Norbert: Vergangenheitspolitik. S. 13-17 und S. 397. 38 Vgl. Ders.: Deutsche Lernprozesse. S. 34-37; vgl. zur justiziellen Aufarbeitung Miquel, Marc von: Aufklärung, Distanzierung, Apologie. Die Debatte über die Strafverfolgung von NS-Verbrechen in den sechziger Jahren. In: Frei, Norbert/Steinbacher, Sybille (Hrsg.): Beschweigen und Bekennen. S. 51-70; vgl. zur Studentenrevolte insgesamt Kraushaar, Wolfgang: 1968 als Mythos, Chiffre und
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70er Jahren beginnt dann eine „Phase der Vergangenheitsbewahrung“, in deren Zentrum Debatten über den ‚richtigen‘ Umgang mit der Vergangenheit stehen und die Frage dominiert, welche historischen Geschehnisse auf welche Weise erinnert werden sollen.39 Als Zäsur kann dabei im Januar 1979 die Erstausstrahlung des US-amerikanischen Fernsehvierteilers Holocaust gelten. Dieser stellte die Massenmorde in amerikanisierter Form dar und löste scharfe Debatten über die populärkulturelle Darstellung des Holocaust aus.40 Ein Jahr später wurde von Ernst Nolte und Andreas Hillgruber im so genannten ‚Historikerstreit‘ eine Neuinterpretation der Vergangenheit vorgeschlagen, die von einigen als „Einschnitt im Geschichtsbewußtsein der Bundesrepublik“ gewertet wurde.41 Im Kern ging es dabei um die Frage, inwieweit die nationalsozialistischen Verbrechen als einzigartig zu bewerten oder vergleichbar mit den stalinistischen Verbrechen zu betrachten seien. Ernst Noltes verharmlosende Aussage, „Auschwitz resultiert nicht in erster Linie aus dem überlieferten Antisemitismus und war im Kern nicht ein bloßer ‚Völkermord‘, sondern es handelte sich vor allem um die aus Angst geborene Reaktion auf die Vernichtungsvorgänge der Russischen Revolution“, wurde von seinen Gegnern, u.a. von Jürgen Habermas, als Rechtfertigung und Entschuldung der nationalsozialistischen Verbrechen gelesen.42 Darüber hinaus entfaltete der ‚Historikerstreit‘ seine Sprengkraft durch die ihm zugesprochene neue Herangehensweise an die deutsche Vergangenheit. Kernkonflikt wurde folgende Frage: Sollte die Auseinandersetzung mit der NS-Vergangenheit „Aufklärung, Kritik von Selbstverständlichkeiten und Beiträge zur Emanzipation“ leisten oder die Schaffung einer
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Zäsur. Hamburg 2000; vgl. zum ‚Schlussstrich‘ Zifonun, Darius: Gedenken und Identität. Der deutsche Erinnerungsdiskurs. Frankfurt a.M., New York 2004. Diss. Konstanz 2002, S. 188f. Vgl. Frei, Norbert: Deutsche Lernprozesse. S. 37-40. Vgl. Hahn, Hans-Joachim: Repräsentationen des Holocaust. S. 29. Der Charakter einer Zäsur ist auch darin zu sehen, dass sich erst nach Ausstrahlung der Serie der Begriff ‚Holocaust‘ durchsetzte (vgl. ebd., S. 29). Brumlik, Micha: Neuer Staatsmythos Ostfront. Die neueste Entwicklung der Geschichtswissenschaft der BRD. In: Augstein, Rudolf (Hrsg.): „Historikerstreit“. Die Dokumentation der Kontroverse um die Einzigartigkeit der nationalsozialistischen Judenvernichtung. München, Zürich 1987, S. 80. Nolte, Ernst: Zwischen Geschichtslegende und Revisionismus? Das Dritte Reich im Blickwinkel des Jahres 1980. In: Augstein, Rudolf (Hrsg.): „Historikerstreit“. S. 32; vgl. die Reaktion von Habermas, Jürgen: Eine Art Schadensabwicklung. Die apologetischen Tendenzen in der deutschen Zeitgeschichtsschreibung. In: Augstein, Rudolf (Hrsg.): „Historikerstreit“. S. 69.
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„zustimmungsfähige[n] Vergangenheit“ ermöglichen?43 Helmut Kohls Besuch des Soldatenfriedhofs in Bitburg gemeinsam mit Ronald Reagan 1985 wurde vor diesem Hintergrund als weiterer Schritt hin zu einer vermeintlichen ‚Normalisierung‘ gewertet.44 Gleiches gilt für die Formel von der ‚Gnade der späten Geburt‘, die Kohl 1984 in einer Rede von der israelischen Knesset gebrauchte und die letztlich eine historische Verantwortung ablehnt.45 In Weiterführung von Norbert Frei kann nach 1989 schließlich von einer ‚Phase der Vergangenheitsbewahrung nach der Wiedervereinigung‘ gesprochen werden. Während die Kontroverse um Daniel Goldhagens 1996 erschienenes Buch Hitler’s Willing Executioners noch (wie der ‚Historikerstreit‘) die Frage nach den Tätern und Verantwortlichen ins Zentrum stellt und sich um die Korrektheit einer allgemeineren Schuldzuweisung dreht,46 geraten in der Folge zunehmend andere Aspekte in den Fokus öffentlicher Debatten. Neben der Erweiterung der Auseinandersetzung mit dem Nationalsozialismus auf die Vergangenheit der ehemaligen DDR wird die „Wende des Erinnerns“ durch neuerliche Debatten über den Sinn einer anhaltenden öffentlichen Beschäftigung mit der Vergangenheit 43 Kocka, Jürgen: Hitler sollte nicht durch Stalin und Pol Pot verdrängt werden. Über Versuche deutscher Historiker, die Ungeheuerlichkeit von NS-Verbrechen zu relativieren. In: Augstein, Rudolf (Hrsg.): „Historikerstreit“. S. 132. 44 Der Begriff ‚Normalisierung‘ steht immer als Gegenbegriff zur ‚Dramatisierung‘ und deutet die Meinung an, dass eine ausreichende Beschäftigung mit der Vergangenheit stattgefunden habe und nun damit abgeschlossen werden könne (vgl. Thiele, Martina: Publizistische Kontroversen über den Holocaust im Film. Diss. Göttingen 2000, In: http://webdoc.sub.gwdg.de/diss/2001/thiele/thiele.pdf, 06.05.10, S. 24f.); vgl. auch Schwab-Trapp, Michael: Ordnungen des Sprechens. Geschichten, Diskurse und Erzählungen über die NS-Zeit. In: Herz, Thomas/ Ders. (Hrsg.): Umkämpfte Vergangenheit. Diskurse über den Nationalsozialismus seit 1945. Opladen 1997, S. 217-248. Die unterschiedlichen Bedeutungsebenen des Normalitätsbegriffs legt Aleida Assmann dar in Die Schlagworte der Debatte. S. 59-63. Zur Bewertung von Bitburg vgl. Winkler, Heinrich August: Auf ewig in Hitlers Schatten? Zum Streit über das Geschichtsbild der Deutschen. In: Augstein, Rudolf (Hrsg.): „Historikerstreit“. S. 263); Bergmann, Werner: Die Bitburg-Affäre in der deutschen Presse. Rechtskonservative und linksliberale Interpretationen. In: Ders./Erb, Rainer/Lichtblau, Albert (Hrsg.): Schwieriges Erbe. Der Umgang mit Nationalsozialismus und Antisemitismus in Österreich, der DDR und der Bundesrepublik Deutschland. Frankfurt a.M., New York 1995, S. 408-428. 45 Vgl. Mommsen, Hans: Suche nach der ‚verlorenen Geschichte‘? Bemerkungen zum historischen Selbstverständnis der Bundesrepublik. In: Augstein, Rudolf (Hrsg.): „Historikerstreit“. S. 165. 46 Vgl. zur Goldhagen-Debatte Levy, Daniel/Sznaider, Natan: Erinnerung im globalen Zeitalter. S. 15 und S. 184-188.
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bestimmt.47 Der Streit um Martin Walsers Rede in der Frankfurter Paulskirche 1998 sowie die Konflikte um die Wehrmachtsausstellung 2000 und das Denkmal für die ermordeten Juden Europas in Berlin können hier beispielhaft aufgeführt werden.48 Darüber hinaus werden nun die so genannten ‚Leiden der Deutschen‘ verstärkt thematisiert. Auslöser hierfür ist eine These des Schriftstellers und Literaturwissenschaftlers W. G. Sebald 1997 in einer Vorlesungsreihe zum Thema „Luftkrieg und Literatur“ in Zürich. Sebald attestierte hier der deutschen Literatur eine ‚Leerstelle‘, da sie die deutschen Opfer zu wenig beachtet habe.49 Diese ‚Leerstelle‘ zu füllen unternehmen seit Mitte der 90er Jahre Fernsehfilme wie Die Flucht und literarische Texte wie Günter Grass’ Novelle Im Krebsgang.50 Betrachtet man nun die geschilderten Phasen der Vergangenheitsaufarbeitung und die bedeutsamen Kontroversen und Zäsuren, so lässt sich grundsätzlich feststellen, dass sie (in unterschiedlicher Ausprägung) vier Aspekte umfassen, die sich als bestimmende Gedächtnisdiskurse der Bundesrepublik bezeichnen lassen. Es sind Verständigungen über:
47 Beßlich, Barbara/Grätz, Katharina/Hildebrand, Olaf: Wende des Erinnerns? Geschichtskonstruktionen in der deutschen Literatur nach 1989. In: Dies. (Hrsg.): Wende des Erinnerns? Geschichtskonstruktionen in der deutschen Literatur nach 1989. Berlin 2006, S. 7. 48 Vgl. Lorenz, Matthias N.: „Auschwitz drängt uns auf einen Fleck“. Judendarstellung und Auschwitzdiskurs bei Martin Walser. Stuttgart u.a. 2005. Diss. Lüneburg 2004, S. 446-474; Walser, Martin: Erfahrungen beim Verfassen einer Sonntagsrede. Friedenspreis des Deutschen Buchhandels 1998. Laudatio: Frank Schirrmacher. Sein Anteil. Frankfurt a.M. 1998. 49 Vgl. Beßlich, Barbara/Grätz, Katharina/Hildebrand, Olaf: Wende des Erinnerns? S. 10; vgl. auch die Dokumentation zum Thema von Hage, Volker (Hrsg.): Zeugen der Zerstörung. Die Literaten und der Luftkrieg. Essays und Gespräche. Frankfurt a.M. 2003, darin v.a. Ders.: Erzähltabu. Die Sebald-Debatte. Ein Resümee. S. 113-131 sowie die Überblicksdarstellungen von Krellner, Ulrich: „Aber im Keller die Leichen/sind immer noch da“. Die Opfer-Debatte in der Literatur nach 1989. In: Beßlich, Barbara/Grätz, Katharina/Hildebrand, Olaf (Hrsg.): Wende des Erinnerns? S. 101-114 und Fuchs, Anne: A ‚Heimat‘ in Ruins and the Ruins as ‚Heimat‘: W. G. Sebalds ‚Luftkrieg und Literatur‘. In: Cosgrove, Mary/Dies./Grote, Georg (Hrsg.): German Memory Contests. S. 287302. 50 Fulda, Daniel: Irreduzible Perspektivität. „Der Brand“ von Jörg Friedrich und das Dispositiv des nicht nur literarischen Geschichtsdiskurses seit den 1990er Jahren. In: Beßlich, Barbara/Grätz, Katharina/Hildebrand, Olaf (Hrsg.): Wende des Erinnerns? S. 140.
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1.) die Entstehungsbedingungen des Nationalsozialismus und die Interpretation und Wertung historischer Ereignisse (historischer Diskurs); 2.) Fragen nach Schuld und Verantwortung bzw. nach Schuldigen und Aspekten der Verdrängung (Täterdiskurs und Schulddiskurs);51 3.) Leidtragende und in Mitleidenschaft gezogene (Opferdiskurs); 4.) die adäquate Vergegenwärtigung der Vergangenheit und den gesellschaftlichen Nutzen der anhaltenden Auseinandersetzung mit der Geschichte (didaktischer Diskurs).52 Der Täterdiskurs und der Opferdiskurs finden dabei auf nahezu allen (medialen) Ebenen – Film, Theater, Literatur, Wissenschaft, Architektur, aber auch im individuell-biographischen Bereich – statt und lassen eine weitgreifende Teilhabe zu. Anders ist es mit dem historischen Diskurs, der wissenschaftliches Spezialwissen erfordert, und mit dem didaktischen Diskurs, der hinsichtlich der Fragen nach dem gesellschaftlichen Nutzen von Vergegenwärtigungen, also des Geschichtsbewusstseins eines (nationalen oder internationalen) Kollektivs, grundsätzlich nur in der öffentlichen, medial gefilterten Auseinandersetzung stattfinden kann.53 Die Unterscheidung dieser vier Diskurse ermöglicht es, die wichtigsten Facetten der Darstellung der nationalsozialistischen Vergangenheit durch den politischen Song aufzuzeigen. Damit lässt sich nun die strukturelle Grundanlage der nachfolgenden Songinterpretationen präzise benennen: Indem die Teilhabe der Songs an einem oder mehreren dieser Diskurse analysiert wird, kann die synchrone Ebene der Beschäftigung mit dem Nationalsozialismus sichtbar werden – indem die Songs zeitgeschichtlich anhand der erörterten Phasen kontextualisiert und hinsichtlich der Brüche und Konstanten der Vergangenheitsinterpretation befragt werden, wird die his-
51 Vgl. hierzu Diner, Dan: Über Schulddiskurse und andere Narrative. Epistemologisches zum Holocaust. In: Koch, Gertrud (Hrsg.): Bruchlinien. Tendenzen der Holocaustforschung. Köln, Weimar, Wien 1999, S. 61-84. 52 Vgl. hierzu Zifonun, Darius: Gedenken und Identität. S. 15 und S. 189. Die Forschung hierzu ist reichlich und kaum noch überschaubar. Besonders hervorzuheben aufgrund des Überblickscharakters sind Frei, Norbert: Vergangenheitspolitik. Die Anfänge der Bundesrepublik und die NS-Vergangenheit. München 1996; Ders.: 1945 und wir. Das Dritte Reich im Bewußtsein der Deutschen. München 2005 sowie Kershaw, Ian: Der NS-Staat. Geschichtsinterpretationen und Kontroversen im Überblick. Dritte überarb. und erw. Aufl. Reinbek 1994 und Diner, Dan: Über Schulddiskurse und andere Narrative. S. 61f. 53 Vgl. Zifonun, Darius: Gedenken und Identität. S. 12.
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torisch-diachrone Diskurs-Ebene erkennbar. Insgesamt lässt sich durch eine solche Herangehensweise zeigen, inwieweit der politische Song der Bundesrepublik an verschiedenen Gedächtnisdiskursen über den Umgang mit der nationalsozialistischen Vergangenheit teilzuhaben sucht, welche politischen und künstlerischen Intentionen er dabei verfolgt und inwieweit damit eine Korrektur des Geschichtsbildes bzw. Veränderungen der Beschaffenheit des kollektiven Gedächtnisses durch populärmusikalisches Schaffen angestrebt werden.
4. Zeitrahmen, Songauswahl, Auslassungen
4.1 Z EITRAHMEN : 1964
BIS ZUR
G EGENWART
Eine Untersuchung des ‚Nationalsozialismus im politischen Song der Bundesrepublik‘, wie sie der Titel dieser Studie ankündigt, kann sich angesichts der schier unermesslichen Anzahl seit 1945 veröffentlichter Werke nur dann dem Vorwurf der (hermeneutischen) Willkürlichkeit widersetzen, wenn der Zeitrahmen abgesteckt und die Kriterien der Songauswahl transparent dargelegt werden. In diesem Zusammenhang ist auch die Frage zu erörtern, warum in dieser Untersuchung die Songproduktion der ehemaligen DDR und der ‚Rechtsrock‘ weitgehend übergangen werden. Einen zeitlichen Rahmen für die Etablierung eines Korpus zu setzen ist immer problematisch, weil durch Start- und Endpunkte historische Kontinuitäten verdeckt werden. Kaum jemals, nicht einmal im Fall der ‚Stunde Null‘ nach der bedingungslosen Kapitulation des Deutschen Reiches 1945, lässt sich ein anknüpfungsfreier ‚Neubeginn‘ z.B. der Literaturproduktion ausmachen.1 Nichtsdestoweniger kann die Setzung eines Start- und Endpunktes einen heuristischen Nutzen haben, wenn es zum einen gelingt, zu diesen Zeitpunkten relevante Veränderungen der Kunstproduktion auszumachen, und zum anderen, wenn der zeitliche Rahmen eher als Orientierungsbereich und weniger als übergangslose „Trenn-Grenze“ betrachtet wird.2 Für politische Songs ist es dabei möglich, eine Zäsur 1963/64 anzusetzen, weil die vorhergehenden Jahre seit dem Ende des Zweiten Weltkriegs nur eine geringe Produktion neuer politischer Lieder oder Songs zeitigten 1 2
Vgl. Korte, Hermann: Geschichte der deutschen Lyrik seit 1945. Stuttgart 1989, S. 6f. Ebd., S. 6f.
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und sich dies nun ändert.3 Als habe es einen „selbst erteilte[n] Dispens“ gegeben, so schreibt Karl Riha in seiner Geschichte des engagierten Liedes, verzichteten Texter und Musiker vorher weitgehend auf konkrete gesellschaftliche Bezüge und den Versuch populärmusikalischer Einflussnahme.4 Wenn politische Musik (und nicht Schlager) aufgeführt wurde, so geschah dies überwiegend im kleineren Kabarettrahmen (wie bei z.B. durch Hanns Dieter Hüsch und Wolfgang Neuss), erstreckte sich nicht auf massenmediale Vermittlungswege wie das Radio und das Fernsehen und nahm selten populärkulturelle Songform an.5 Ein Grund für die politische Zurückhaltung der meisten Songschreiber in den Jahren nach dem Zweiten Weltkrieg war die propagandistische Verwendung von Musik durch die Nationalsozialisten, die nicht allein das gemeinschaftliche Singen diskreditiert hatte, sondern dazu auch populärmusikalische Produkte mit politischer Wirkungsabsicht insgesamt.6 Dabei erstreckte sich die Skepsis gegenüber politischen Songs sowohl auf die Wiederaufführung alter als auch die Produktion neuer Songs. Beispielhaft deutlich wird dies durch einen 1968 von Franz Josef Degenhardt veröffentlichten Song. In Die alten Lieder textet er:7 Tot sind unsre Lieder, […] Lehrer haben sie zerbissen, Kurzbehoste sie verklampft, braune Horden totgeschrien, Stiefel in den Dreck gestampft (Str. 3, V.13-18)
Mitte der 60er Jahre jedoch, repräsentiert durch das erste internationale Chanson- und Folklore-Festival auf der Burg Waldeck 1964, veränderte sich die Lage des politischen Songs in der Bundesrepublik nachhaltig.8 Verschiedene, eng aufeinander bezogene Entwicklungen verknüpften sich zu einem gesellschaftlichen Umfeld, das die Entstehung eigenständiger, 3 4 5 6 7 8
Vgl. Rothschild, Thomas: Liedermacher und Studentenbewegung. S. 144. Riha, Karl: Moritat, Bänkelsong, Protestballade. S. 117. Vgl. hierzu Böning, Holger: Der Traum von einer Sache. S. 42-47; Riha, Karl: Moritat, Bänkelsong, Protestballade. S. 117. Vgl. Böning, Holger: Der Traum von einer Sache. S. 9f. Degenhardt, Franz Josef: Die alten Lieder. T./M.: Franz Josef Degenhardt. Aus dem Album: Wenn der Senator erzählt… Erschienen 1968. Dies zeigen z.B. die auf 10 CDs erschienene Dokumentation Diverse: Die Burg Waldeck Festivals 1964-1969. Erschienen 2008, und das Begleitbuch Kleff, Michael: Die Burg Waldeck Festivals 1964-1969.
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deutschsprachiger politischer Songs ermöglichte. Diese Veränderungen fanden statt sowohl im Bereich der internationalen populärmusikalischen Entwicklung als auch der bundesrepublikanischen Lyrikproduktion sowie der generellen gesellschaftlichen Politisierung in Form von sozialen Bewegungen. Ab den frühen 60er Jahren politisierte sich die gesamte Literaturproduktion der Bundesrepublik zunehmend, man denke hierbei beispielsweise an die Erfolge Günter Grass’ oder Hans Magnus Enzensbergers. Gleichzeitig geriet im Bereich der Lyrik das hermetische Gedicht mit seiner komplexen Verständlichkeit zunehmend in Misskredit, weil es weithin sichtbare politische Missstände nur schwer zu benennen wusste.9 So fand in den frühen 60er Jahren ein „Paradigmenwechsel“ statt, der gekennzeichnet war durch eine Öffnung des Gedichts für gesellschaftliche Wirklichkeiten und häufig auch eine klare politische Parteinahme10 bzw. eine „Reduktion der Subjektivität“.11 Im Zuge dieser Veränderungen wurden gereimte Texte mit potentiell hoher Verbreitung und leichterer kognitiver Erfassbarkeit wie der Song attraktiver als zuvor. „Nun war die Stunde jener Gedichtmacher gekommen, die ihre Texte von Anfang an für den öffentlichen Vortrag geschrieben hatten, also nicht nur schreiben, sondern auch singen und musizieren konnten“, so Klaus Schumann.12 Gleichzeitig zu diesen Tendenzen im Bereich der Literaturproduktion entstanden weltweit soziale politische Bewegungen, die Anlass und Impulsgeber für politische Songs wurden. Besondere Bedeutung hatte in diesem Zusammenhang die ab 1960 in den USA als Reaktion auf die weiterhin anhaltende Rassentrennung entstehende Bürgerrechtsbewegung, die zu Demonstrationen, studentischen Sit-Ins und einer Politisierung der Folksong-Szene führte.13 Letztere zeigte sich besonders auf den Newport Folk Festivals, die seit ihrer Gründung 1959 durch Pete Seeger eine überregionale Begegnung von Stars und Newcomern der Szene ermöglichten und damit 9
10 11 12 13
Vgl. hierzu Riha, Karl: Protestsong und Agitationslyrik. In: See, Klaus von (Hrsg.): Neues Handbuch der Literaturwissenschaft. Band 22: Literatur nach 1945. S. 6f. Korte, Hermann: Geschichte der deutschen Lyrik seit 1945. S. 101; vgl. hierzu auch Schuhmann, Klaus: Vorwort. S. 10. Dietschreit, Frank: Zeitgenössische Lyrik im Gesellschaftsprozess. S. 292; Korte, Hermann: Geschichte der deutschen Lyrik seit 1945. S. 30. Schuhmann, Klaus: Vorwort. S. 14. Vgl. hierzu Bormann, Alexander: Politische Lyrik in den sechziger Jahren. S. 180.
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das so genannte ‚Folkrevival‘ befeuerten.14 Die zwei Veranstaltungen Newport 1964 und 1965 lassen sich dabei retrospektiv als Höhepunkte betrachten, weil sie – zu Beginn des Vietnam-Krieges – zeigten, dass politische Songs, „when delivered with artistry and sincerity, can be heartily appreciated by a wide and diverse audience“.15 Dylan und andere hatten bereits seit einigen Jahren in Anknüpfung an Woody Guthrie und Pete Seeger eine Politisierung der Folkbewegung bewirkt. Demgegenüber verharrte die Rock- und Popmusik, auch bedingt durch Zensurmaßnahmen der McCarthy-Ära, weiterhin weitgehend in Abstinenz gegenüber konkreten gesellschaftskritischen Themen.16 Dylans Verwendung der elektrischen Gitarre und sein Verzicht auf folktypische Elemente in neueren Songs machten sein 1965er Newport-Konzert zum endgültigen Beweis, dass nun auch die Rockmusik politisch werden konnte. Dylan wurde „Integrationsfigur zweier ursächlich völlig voneinander getrennter Musikstile“ und kreierte damit eine vormals unbekannte „Musikästhetik“: Rockmusik mit der Betonung von Inhalten, Aussagen und Überzeugungen.17 Mit Newport 1965 begann, so Jürgen Reiche, „eine neue Ära“.18 Diese euphorische Sicht muss man nicht teilen (und Dylans England-Tournee 1965/1966 [vgl. Kapitel 1.6] zeigte, dass dies zahlreiche Zeitgenossen und ‚Fans‘ nicht taten), um festzuhalten, dass die sozialen und populärmusikalischen Veränderungen in den USA Anfang bis Mitte der 60er Jahre ein Muster bildeten, dass die bundesrepublikanischen Songschreiber entscheidend beeinflusste. Parallel zu den internationalen Entwicklungen und von ihnen beeinflusst begann sich ab Mitte der 60er Jahre eine eigenständige, über die „Imitationsmusik“ hinausreichende,19 deutschsprachige Songkultur zu etablieren, die zunächst den Folkbereich und wenig später den Rock- und Popbereich umfasste.20 Einen wichtigen Impuls zu dieser Entwicklung gaben 14 Vgl. Frey, Jürgen/Siniveer, Kaarel: Eine Geschichte der Folkmusik. S. 206. 15 Wolfe, Paul: Dylan’s Sellout of the Left. S. 147; vgl. auch Denselow, Robin: When the Music’s over. S. 63-85. 16 Vgl. ebd., S. 5; zur Zensur der Popmusik unter McCarthy vgl. ebd., S. 16f. 17 Flender, Reinhard/Rauhe, Hermann: Popmusik. S. 101. 18 Reiche, Jürgen: „Die fetten Jahre sind vorbei“: Politik und Rockmusik. In: Krüger, Thomas/Schäfer, Hermann (Hrsg.): Rock! Jugend und Musik in Deutschland. Begleitbuch zur gleichnamigen Ausstellung in Leipzig und Bonn 2006. Berlin 2006, S. 156. 19 Fliege, Jens: Von der Aufklärung zur Subversion. S. 19. 20 Vgl. z.B. Jerrentrup, Ansgar: Entwicklung der Rockmusik von den Anfängen bis zum Beat. S. 39; Giessen, Hans W.: Zeitgeist populär. S. 27-33; Siepen, Elmar: Untersuchungen zur Geschichte der Rockmusik in Deutschland. S. 44f.
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die Veranstaltung und die positive (internationale) Aufnahme des Festivals auf der Burg Waldeck an Pfingsten 1964. Zum ersten Mal in der Nachkriegsgeschichte setzte sich der deutschsprachige Song offensiv mit politischen Themen auseinander, thematisierte die deutsche Vergangenheit und tat dies durch Fernsehübertragung in einer vorher unerreichten Öffentlichkeit.21 In den folgenden Jahren bis zum letzten, bereits durch die Studentenbewegung geprägten Festival 1969 traten fast alle politischen Songschreiber der 60er und 70er Jahren im Hunsrück auf oder begannen dort ihre Karriere. So ist der politische Song der Bundesrepublik, wie Holger Böning betont, „ohne die Waldecker Festivals nicht vorstellbar“.22 Dies gilt auch dann, wenn es vermutlich vielen Zuhörern überwiegend darum ging, so Reinhard Mey in seiner Biographie, „zu hören, was die Ikone Franz Josef Degenhardt wieder Neues hatte.“23 Die Ursachen für die Entstehung und den Erfolg der Waldeck-Festivals und damit des politischen Songs der Bundesrepublik sind vielfältig. In ihren Erinnerungen nennen die Mitorganisatoren Hein und Oss Kröher die Rezeption der amerikanischen Folkbewegung und die Politisierung der deutschen Jugendbewegungen (vor allem der Deutschen Jungenschaft dj. 1.11 und des Nerother Wandervogels) als wichtigste Gründe.24 Aus diesen Gruppierungen kamen unter anderem Walter Mossmann, Franz Josef Degenhardt, aber auch Schobert und Black und viele weitere ‚Liedermacher‘.25 Aber auch soziale Bewegungen spielten eine Rolle. So führte die um 1960 entstehende Ostermarschbewegung zu den ersten öffentlichen Großdemonstrationen der Nachkriegsgeschichte. Auf den Märschen wurden zunächst die angloamerikanischen Folksongs gesungen, später jedoch zielgerichtet neue Werke geschrieben.26 Die Ostermärsche bildeten gemeinsam mit den Festivals auf der Burg Waldeck Öffentlichkeiten, in denen die Relevanz und Wirksamkeit deutschsprachiger politischer Songs ausgetestet werden konnten. Gleichzeitig mit der Antiaufrüstungsbewegung und den damit einhergehenden Vietnamprotesten setzte ab 1961 mit dem Aus21 Vgl. Böning, Holger: Der Traum von einer Sache. S. 60-73. 22 Ebd., S. 60. 23 Mey, Reinhard/Schroeder, Bernd: Was ich noch zu sagen hätte. Köln 2005, S. 83. 24 Vgl. Kröher, Hein/Kröher, Oss: Rotgraue Raben. S. 37. 25 Vgl. Lassahn, Bernhard: Nachwort. S. 254. 26 Vgl. zur Bedeutung der Ostermarschbewegung für den politischen Song Riha, Karl: Moritat, Bänkelsong, Protestballade. S. 123f.; Böning, Holger: Der Traum von einer Sache. S. 51.
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schluss des SDS aus der SPD (Unvereinbarkeitsbeschluss) die Studentenbewegung in ihrer frühen Phase ein. Auch sie beförderte die politische Songproduktion, wie sich z.B. an Degenhardts Anwaltstätigkeit für die APO und Biermanns Song Drei Kugeln auf Rudi Dutschke zeigt.27 Kein Zufall ist es, dass die ersten deutschsprachigen Rockbands wie Ton Steine Scherben, Lokomotive Kreuzberg und Floh de Cologne ebenfalls aus dem Kontext der Studentenbewegung stammen.28 All diese Aspekte legen es nahe, den Zeitraum 1963/64 als entscheidende Zäsur hinsichtlich der Entstehung deutschsprachiger politischer Songs in der Bundesrepublik zu begreifen und die Untersuchung hier zu beginnen. Die Tatsache hingegen, dass der allergrößte Teil der behandelten Künstler und Künstlerinnen bis heute aktiv Alben produziert und Konzerte gibt, macht es sinnvoll den Untersuchungszeitraum bis in die Zeit nach der ‚Wende‘ auszudehnen. Dies umso mehr, als, wie das vorherige Kapitel zeigte, nach 1989 tief greifende Veränderungen im Umgang mit der nationalsozialistischen Vergangenheit einsetzen, die es zu erfassen gilt.
4.2 Ü BERLEGUNGEN ZUR S ONGAUSWAHL In seinem Jahreswirtschaftsbericht 2008 verzeichnet der Bundesverband Musikindustrie für die Bundesrepublik ein Gesamtrepertoire von 162.311 Alben aus dem Segment „Pop“, welches alle musikalischen Segmente außer „Klassik“ umfasst und damit überwiegend Songs.29 Da ein Album gemäß der Systembeschreibung der offiziellen deutschen Charts mindestens fünf Titel enthalten muss (im Durchschnitt wohl um die zehn),30 das verzeichnete Albumgesamtrepertoire lediglich die Veröffentlichungen von 27 Biermann, Wolf: Drei Kugeln auf Rudi Dutschke. T./M.: Wolf Biermann. Aus der EP: Vier neue Lieder. Erschienen 1968. 28 Vgl. Longerich, Wilfried: „Da Da Da“. Zur Standortbestimmung der Neuen Deutschen Welle. Pfaffenweiler 1988, S. 17f.; Hahn, Ulla: Literatur in der Aktion. S. 107. Einen Überblick über die Anfänge der deutschsprachigen Rockmusikszene bieten Linder, Bernd: Rock & Revolte. Ein Rhythmus verändert die Welt. In: Krüger, Thomas/Schäfer, Hermann (Hrsg.): Rock! S. 13-23 sowie Stark, Jürgen: „Tief im Westen.“ Vom Krautrock bis zur Neuen Deutschen Welle. In: Ebd., S. 63-68. 29 Vgl. [O.V.]: Musikindustrie in Zahlen 2008. In: http://www.musikindustrie.de/ uploads/media/ms_branchendaten_jahreswirtschaftsbericht_2008.pdf, 22.04.10. 30 Vgl. [O.V.]: Systembeschreibung der offiziellen Charts. In: http://www.musik industrie.de/uploads/media/Systembeschreibung_3.0.pdf, S. 10f., 22.04.10.
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rund 90 Prozent des deutschen Musikmarktes umfasst und darüber hinaus weder Single-CD-Tracks noch inoffizielle Aufnahmen (Bootlegs, Raubkopien, inoffizielle Zusammenstellungen) und den gesamten Amateursektor zählt, kann von weit über zwei Millionen Songs als potentiellen Quellen für diese Untersuchung ausgegangen werden.31 Diese Zahlen machen deutlich, dass keine Untersuchung populärmusikalischer Songs Vollständigkeit anstreben kann. Jede denkbare Auswahl wird wichtige Songs übergehen müssen und so wird der Leser in der vorliegenden Studie zwangsläufig einzelne Künstler vermissen, beispielsweise Lerryn, Uschi Flacke oder Lokomotive Kreuzberg. Umso dringlicher ist es, die Songauswahl methodisch zu begründen. Denisoff und Peterson haben zu dieser Problematik geschrieben: At the one extreme, an analyst may range widely over the available material to find pithy examples […] but he runs the danger of selecting only those songs which fit his theories. Alternatively, he may draw a sample of songs from a well-defined universe and code their lyrics in terms of a predetermined set of categories which fit his particular theoretical interest. This quantitative technique has the advantage of precision but runs the risk of missing important observations which do not fit into his a priori categories.32
Während die erste Methode aufgrund ihrer subjektiven Textauswahl unmittelbar begreiflich problematisch ist, zeigt ein Aufsatz Günter Mayrs zu politischen Aspekten in den Texten deutscher ‚Liedermacher‘ die Mangelhaftigkeit des quantitativen Ansatzes. Indem Mayr seine Textauswahl anhand des a priori gesetzten Kriteriums ‚Erfolg‘ generiert, fallen nahezu alle einflussreichen ‚Liedermacher‘ wie Biermann, Degenhardt, Wecker usw. aufgrund ihrer fehlenden Chartpositionierungen aus der Auswahl heraus. So kommt es dann zu dem fragwürdigen Ergebnis der Untersuchung: „Politische Lieder sind auch bei den erfolgreichen Liedermachern relativ selten.“33 31 Diese Zahl wird ungenau dadurch, dass Songs mehrfach veröffentlicht werden, in verschiedenen Studio-, Live- und Remixversionen. Die Anzahl nationaler Produktionen (die jedoch lediglich nach Produktionsort und nicht der Songsprache gezählt wird) ist zudem gravierenden Schwankungen unterworfen, sie stieg insgesamt von 23,5 Prozent im Jahr 1994 auf mittlerweile 36,3 Prozent (vgl. [O.V.]: Musikindustrie in Zahlen 2008. In: http://www.musikindustrie.de/ uploads/media/ms_branchendaten_jahreswirtschaftsbericht_2008.pdf, 22.04.10). 32 Denisoff, Ron Serge/Peterson, Richard A.: Changing Musical Tastes. In: Dies. (Hrsg.): The Sounds of Social Change. S. 179. 33 Mayr, Günter: Politische Aspekte in den Texten deutscher Liedermacher. In: Publizistik 31 (1986), Heft 3/4, S. 326.
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Hilfreich sind fünf von Werner Faulstich in seinen Tübinger Vorlesungen zur Rockgeschichte vorgestellte Auswahlkriterien. Er betrachtet das Kriterium des Erfolgs, um die populärmusikalische Relevanz des Songs zu erfassen, das Kriterium des Einflusses, um die produktionsästhetische Relevanz zu erfassen, das Kriterium des Typischen, um eine repräsentative Songauswahl zu erreichen, das Kriterium des Chronologischen zur Einbindung der zeitgeschichtlichen Dimension und schließlich das Kriterium der relativen Subjektivität, um deutlich zu machen, dass immer nur die Songs in eine Auswahl genommen werden können, die dem Interpreten bekannt und erhältlich sind.34 In Anlehnung an diese Kriterien und um gleichzeitig das Auswahlraster a priori nicht zu eng zu fassen, wurde in dieser Arbeit eine Auswahl in zwei Schritten vorgenommen. In einem ersten Schritt wurde das gesamte potentielle Songmaterial auf ein praktikables Maß reduziert. In einem zweiten Schritt wurde diese Auswahl dann auf ihre Relevanz für das Thema ‚Nationalsozialismus‘ überprüft. Zunächst wurde als ausführliches und anerkanntes Nachschlagewerk Frank Laufenbergs dreibändiges Hit-Lexikon des Rock & Pop zu Rate gezogen.35 Dieses Lexikon hat den Vorteil, dass es erstens in einer aktualisierten Fassung aus dem Jahr 2007 vorliegt, zweitens seine Auswahl begründet (und nicht wie in den meisten alternativen Publikationen subjektiv zusammenstellt)36 und schließlich für die einzelnen Einträge eine Genrezuweisung vorschlägt. Alle in diesem Lexikon verzeichneten Künstler, Künstlerinnen und Bands wurden auf folgende Kriterien hin überprüft: Erstens: Haben sie nach 1964 (neue) Songs veröffentlicht (Zeitrahmen)? Zweitens: Haben sie in der BRD veröffentlicht (vgl. Kapitel 4.3)? Drittens: Haben sie über einen Zeitraum von mindestens zehn Jahren Songs veröffentlicht (Kriterium der Relevanz)? Viertens: Sind ihre Songtexte überwiegend deutschsprachig?
34 Vgl. Faulstich, Werner: Vom Rock’n’Roll bis Bob Dylan. S. 18f. 35 Laufenberg, Frank/Laufenberg, Ingrid: Hit-Lexikon des Rock und Pop. 3 Bände. Zweite erw. Aufl. München 2007. 36 Dies, indem alle diejenigen aufgeführt werden, die zwischen 1940 und 2006 eine Single unter den ersten zehn Chartpositionen in Deutschland, den USA oder Großbritannien platzieren konnten oder unter den ersten zehn der deutschen Albumcharts landeten (Dies.: Vorwort. In: Ebd., S. V).
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Fünftens: Gelten sie als Songschreiber bzw. Musiker und werden als solche verzeichnet (im Gegensatz zu Kabarettisten wie Hanns Dieter Hüsch oder Otto Waalkes)? Da das Laufenberg’sche Hit-Lexikon jedoch ausschließlich nach dem Kriterium des Charterfolgs auswählt und dadurch nahezu alle ‚Liedermacher‘ übergeht, wurde die Quellenauswahl ergänzt durch die einzige ausführliche Porträtsammlung zum Thema: Thomas Rothschilds Buch Liedermacher37 und unter Anwendung der oben aufgezählten Kriterien. Insgesamt ergab die Durchsicht 77 Künstler, Künstlerinnen und Bands, die den Kriterien entsprachen. Deren gesamte Albendiskographie wurde unter Zuhilfenahme von wissenschaftlichen Publikationen, Biographien, offiziellen Webauftritten und Discographieverzeichnissen eruiert. Unter Verzicht auf einzelne Single-Veröffentlichungen, Zweit- und Drittverwertungen, Compilations, Liveaufnahmen und inoffizielle Veröffentlichungen ergab sich ein Gesamtkorpus von fast 1.400 Albumveröffentlichungen mit über 15.000 unterschiedlichen Songs. Diese Songs wurden in einem zweiten Auswahlschritt auf ihre Relevanz für den Gegenstadt der Untersuchung überprüft. Da davon auszugehen war, dass die Texte und die musikalische Gestaltung als Teil eines populärmusikalischen Genres eine grundsätzlich hohe Verständlichkeit aufweisen würden und dass Songs, die den Nationalsozialismus reflektieren darüber hinaus sowohl ihre Thematik als auch ihre Wirkungsabsicht deutlich kennzeichnen würden (vgl. Kapitel 2.3), konnte ein gemäßigt subjektiver Auswahlprozess durchgeführt werden. Für diesen wurde auf Günter Navkys Dissertation zu Aspekten des Nationalsozialismus in Gedichtbänden des Jahres 1980 zurückgegriffen.38 Navkys Leistung besteht darin, dass er seine Quellenauswahl nicht allein anhand des Vorkommens von (letztlich auch wieder a priori festgelegten) Schlagwörtern oder Wortfeldern (z.B. ‚Nazis‘, ‚Hitler‘, usw.) vorgenommen hat. Statt dessen funktionalisiert er den Begriff des „sprachlichen Indikators“ (man könnte präziser von ‚semantischem Indikator‘ sprechen), mit dem ihm eine Erweiterung gelingt auf Texte, die den Nationalsozialismus thematisieren ohne dies explizit auszuformulieren, ebenso wie auf Texte, deren zentrale Thematik nicht der Natio-
37 Vgl. Rothschild, Thomas: Liedermacher. 23 Porträts. Frankfurt a.M. 1980. 38 Vgl. Navky, Günter: Aspekte des Nationalsozialismus. S. 110-133.
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nalsozialismus ist, diese Thematik jedoch durch Verweise auf selbigen beschreiben.39 Er unterscheidet: Erstens: „eindeutige sprachliche Indikatoren in isolierter Verweisungsfunktion“, also vor allem mit dem Nationalsozialismus verbundene Termini wie ‚Gestapo‘ oder ‚Endlösung‘. Zweitens: „sprachliche Indikatoren in eindeutiger Relation zur außersprachlichen Wirklichkeit durch den Sprachkontext“, also vor allem mit dem Nationalsozialismus konnotierte Signalwörter, Sprachbilder oder Wortfelder wie ‚Gas‘ oder ‚Kammern‘. Drittens: eine Relevanzindikation durch den außersprachlichen, autorbiographischen Kontext, wie sie beispielsweise bei Kenntnis der Biographie Wolf Biermanns und seines Vaters in Bezug auf den Song Gräber einsetzt.40 Viertens: eine Relevanzindikation durch intertextuelle oder intermediale Verweise auf andere Texte über den Nationalsozialismus, wie sie beispielsweise dann gegeben ist, wenn die Punkband Slime den Song Der Tod ist ein Meister aus Deutschland mit zahlreichen Textelementen aus Paul Celans Todesfuge veröffentlicht.41 Fünftens: eine Relevanzindikation durch außersprachliche Verweise, z.B. graphische Elemente oder musikalische Gestaltungsmittel, wie sie beispielsweise zu erkennen ist anhand der Samples aus Reden Adolf Hitlers in Luna Lunas Song Deutsche Nacht.42 Mittels dieser Indikatoren konnte aus den rund 15.000 Songs des Gesamtkorpus eine Auswahl derjenigen Songs getroffen werden, die den Nationalsozialismus behandeln oder als Referenzpunkt oder Bezugsrahmen nutzen. Auffällig ist, dass insgesamt zwar zahllose politische Songs aus Frauenhand, aber vergleichsweise wenige über den Nationalsozialismus existieren – dies ergab die Durchsicht des viele Hundert Alben umfassenden Gesamtwerks von diversen Künstlerinnen wie Ina Deter, Nina Hagen, Ulla Meinecke und Jule Neigel bis hin zu Nena und Pe Werner. Hierfür Gründe zu finden, wäre ein lohnenswerter Untersuchungsgegenstand. An dieser Stelle kann jedoch lediglich auf diese Auffälligkeit hingewiesen 39 Vgl. zu den folgenden Ausführungen und Zitaten ebd., S. 110-131. 40 Vgl. Kap. 7. 41 Slime: Der Tod ist ein Meister aus Deutschland. T./M.: Stephan Mahler. Aus dem Album: Schweineherbst. Erschienen 1994. 42 Luna Luna: Deutsche Nacht. T./M.: Stefan Kahé. Aus dem Album: Es war einmal… Erschienen 1993.
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werden. Die Auswahl von etwas über 300 Songs bildet die Grundlage der folgenden Ausführungen.
4.3 AUSLASSUNGEN Insgesamt lasse ich in dieser Studie einige durchaus relevante Bereiche populärmusikalischer Werke heraus: der Bereich der so genannten IndustrialMusik, des Neo-Folk und der Gothic-Szene, das weite Feld des Rap und des HipHop, die Produktionen der ‚Neuen Rechten‘ sowie große Teile der politischen Populärmusik der ehemaligen DDR. Folgende Gründe sprechen für diese Vorgehensweise: Die deutschsprachige Industrial-Musik und die mit ihr locker verbundenen Genres Neo-Folk und Gothic fallen (trotz ihrer durchaus relevanten ‚subkulturellen‘ Bedeutungen)43 aus den Quellen für die Untersuchung heraus, da sie aufgrund des ‚Kriteriums des Erfolgs‘ von Frank Laufenberg nicht im Hitlexikon verzeichnet sind und der gegenwärtige Stand der Forschung eine objektive Auswahl kaum möglich macht. Dies ist deshalb zu betonen, weil, wie Martin Büsser in seiner bedenkenswerten, jedoch stellenweise überzogenen Polemik über „reaktionäre Tendenzen in der Popmusik“ gezeigt hat, gerade diese Genres die Themen Krieg und Gewalt und einhergehend damit auch die nationalsozialistische Vergangenheit ausführlich behandeln.44 Um diese Auslassung auszugleichen, werden stellvertretend und beispielhaft die vergleichsweise erfolgreichen Bands aus diesem Bereich Einstürzende Neubauten und DAF zusätzlich in die Untersuchung einbezogen. Kommerziell erfolgreicher und in den Lexika auch mehrfach verzeichnet sind Künstler und Bands aus dem weiten Gebiet der Rap- und HipHopMusik. Zwar ist dieses seit Ende der 80er Jahre auch in deutscher Sprache ausgeübte Genre häufig politisch, weist aber Charakteristika auf, die eine Behandlung im Rahmen dieser Arbeit ausschließen müssen. Zum einen ist die ‚paradigmatische Ebene‘ des Textes (vgl. Kapitel 1.4) im Rap/HipHop derart afro-amerikanisch dominiert, dass die deutschsprachigen Werke nur durch eine analytisch intensive Kontextualisierung mit der US-ameri– 43 Vgl. zur Industrial-Musik Richard, Birgit: Die Industrial Culture Szene. In: http://www.birgitrichard.de/goth/texte/industrial.htm, 06.05.10. 44 Vgl. Büsser, Martin: Wie klingt die Neue Mitte? S. 86-105.
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kanischen Kultur begreifbar werden (beispielhaft zu erkennen am Motiv der im deutschsprachigen ‚Gangsta‘-Rap zur Antibürgerlichkeit umgeformten originären Provokation weißer Herrschaft z.B. in den Songs eines Sido).45 Ein solches Vorgehen sprengt die Möglichkeiten dieser Untersuchung. Zum anderen ist insgesamt fraglich, ob Rap/HipHop-Tracks als Songs im vorgestellten Sinne (mit den hieraus entwickelten Interpretationsschritten) zu begreifen sind. Charakteristisch für das Genre ist ja die collagierende Verwendung von Samples, Loops und Beats aus anderen Songs, die teilweise so weit führt, dass außer des gerappten Textes und der Zusammenstellung keine eigenständige musikalische Einspielung mehr stattfindet.46 Zu diesem Themenkomplex wäre eine eigenständige Publikation wünschenswert. Ein problematischer und in zahlreichen neueren Publikationen ausführlich – wenn auch noch nicht ausreichend literaturwissenschaftlich – behandelter Bereich ist das populärmusikalische ‚Schaffen‘ der so genannten ‚Neuen Rechten‘ bzw. des deutschsprachigen Rechtsrock.47 Er böte ein aufschlussreiches Analyseobjekt, um einen reaktionären oder verklärenden Umgang mit der nationalsozialistischen Vergangenheit im politischen Song zu untersuchen. Hierbei könnte z.B. nachgewiesen werden, dass der ‚Rechtsrock‘ alle verfügbaren Genres (vom Folksong über den Punk und den Metal bis hin zu schlichtem Pop) und eine hohe Bewusstheit der Formenwahl nutzt, um seine Botschaften zu vermitteln.48 Auch wenn, was diese Bemerkungen nur andeuten können, eine genuin literaturwissenschaftliche Beschäftigung (bei allem Grausen angesichts des Gegenstands) mit diesen Songs ein wissenschaftliches Desiderat ist, kann dies in dieser Untersuchung nicht geleistet werden. Dies liegt vor allem an der Problematik der Quellenbeschaffung, die bestenfalls eine kleine Auswahl zufällig aufgefun-
45 Vgl. Büttner, Jean-Martin: Sänger, Songs und triebhafte Rede. S. 158f. 46 Vgl. hierzu z.B. Goodwin, Andrew: Sample and Hold. Popmusik im Zeitalter ihrer digitalen Reproduktion. In: Kemper, Peter/Langhoff, Thomas/Sonnenschein, Ulrich (Hrsg.): Jugendkultur und Popmusik. S. 105-116. 47 Einen guten Überblick bietet das Themenheft „Rechte Musik“ der Reihe PopScriptum, besonders die Aufsätze Farin, Klaus: ‚Rechtsrock‘ – eine Bestandsaufnahme. In: PopScriptum 5 (1997), Rechte Musik, S. 6-15; Meyer, Thomas: „Unser Leben heißt Kämpfen bis zum Tod.“ Rechtsrock als MessageRock. In: Ebd., S. 46-69; Kersten, Martin: Jugendkulturen und NS-Vergangenheit. In: Ebd., S. 70-89. 48 Vgl. zu den Genres des Rechtsrock und seiner Popularität Meyer, Thomas: Rechtsrock als Message-Rock. S. 46-69.
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dener oder erhältlicher Songs beinhalten würde (wie dies auch in den vorhandenen Untersuchungen zum Thema die Regel ist), denn die Produkte der heutzutage über 150 rechtsextremistischen Musikgruppen kursieren größtenteils ‚unter der Hand‘ und sind im regulären Handel nicht erhältlich, die meisten Songs sind indiziert.49 Die insgesamt gravierendste Auslassung betrifft die populärmusikalische Produktion der ehemaligen DDR, denn die Geschichte des politischen Songs in der DDR ist höchst facettenreich und eigenständig verlaufen.50 Sie ist ein interessantes Beispiel für die Entwicklung einer textmusikalischen Gattung, die unter Zensurbedingungen letztlich trotz aller staatlichen Einschränkungen einen hohen politischen Anteil am Zusammenbruch des kontrollierenden Systems hatte.51 Bis 1989 war das Verhältnis von DDRFührung zu den Musikern geprägt durch wechselnde Maßnahmen der sich verschärfenden Unterdrückung52 und der Entspannung.53 Die Künstler ver49 Einen guten Überblick über Bands und ‚Liedermacher‘, Vertriebswege und Konzertveranstaltungen bietet Rechtsextremistische Musik. Hrsg. v. Bundesamt für Verfassungsschutz. Köln 2007. In: http://www.verfassungsschutz.de/down load/SHOW/broschuere_2_0707_rexmusik.pdf, 22.04.10. 50 Einiges ist hierzu bereits publiziert worden, besonders empfehlenswert sind Rauhut, Michael: Beat in der Grauzone. DDR-Rock 1964 bis 1972. Politik und Alltag. Berlin 1993; Wicke, Peter/Müller, Lothar (Hrsg.): Rockmusik und Politik. Analysen, Interviews und Dokumente. Berlin 1996; Rauhut, Michael: Rock in der DDR. 1964-1989. Bonn 2002; Böning, Holger: Der Traum von einer Sache. Aufstieg und Fall der Utopien im politischen Lied der Bundesrepublik und der DDR. Bremen 2004. 51 Der Beitrag der DDR-Musiker zur ‚Wende‘ wurde insbesondere von Peter Wicke untersucht. Er kommt zu dem Ergebnis: „In fact, rock musicians were instrumental in setting in motion the actual course of events which led to the destruction of the Berlin Wall and the disappearance of the GDR“ (Wicke, Peter: The Times they are a-changing. Rock Music and political Change in East Germany. In: Garofalo, Reebee (Hrsg.): Rockin’ the Boat. S. 81). 52 So z.B. Quotenregelung 1958, Anti-Beat-Maßnahmen und populärmusikalische ‚Eiszeit‘ nach der 11. Tagung des ZK 1965, Biermann-Ausbürgerung 1976, Verfolgung der Punker ab 1981, Verhaftungen während des Leipziger Straßenmusikfestivals 1989 (zur Quotenregelung vgl. Rauhut, Michael: Rock in der DDR. S. 13; zur Beatmusik und der staatlichen Reaktion vgl. ebd., S. 34-40; zum Punk vgl. Böning, Holger: Der Traum von einer Sache. S. 271; zum Leipziger Straßenmusikfestival vgl. Kirchenwitz, Lutz: Folk, Chanson und Liedermacher in der DDR. S. 132f.). 53 So z.B. Propagierung der ‚sozialistischen Tanz- und Unterhaltungsmusik‘ im ‚Lipsi‘ ab 1959 und offizielle Beat-Zulassung 1963, Singebewegung ab 1965, X. Weltfestspiele der Jugend und Studenten 1973 und Festival des politischen Liedes ab 1970 (zum ‚Lipsi‘ vgl. Schäfer, Sebastian: Popmusik in der DDR. Eine Chronik. In: Testcard 12 (2003), Linke Mythen, S. 25f.; zur Singebewegung
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suchten mit der staatlichen Zensur umzugehen, indem sie sich stark auf alltagssprachliche Botschaften, metaphernschwere ‚verdeckte‘ Texte und Aufführungen in weniger stark kontrollierten Provinzclubs und Kirchen konzentrierten.54 Vor diesem Hintergrund ließe sich anhand der Analyse politischer Songs der ehemaligen DDR ein wichtiges Kapitel gesamtdeutscher Vergangenheitsaufarbeitung schreiben. Wenn dies in der vorliegenden Arbeit nicht geschieht, so hat dies weniger seinen Grund darin, dass die DDRMusiker insgesamt eher selten den Nationalsozialismus und statt dessen das Verhältnis der DDR zur Sowjetunion und dem ‚anderen‘ Deutschland BRD und innerstaatliche Konflikte thematisieren.55 Es hat seinen Hauptgrund in wissenschaftsgeschichtlichen und interpretationstechnischen Problemen. Bis heute ist, trotz der verdienstreichen Forschungen von vor allem Peter Wicke und Michael Rauhut, ein großer Teil der DDR-Songgeschichte nicht ausreichend aufgearbeitet worden. Zahlreiche Veröffentlichungen sind nur noch in Privathand oder in unvollständigen Exzerpten erhältlich oder kursieren als Kompilationen außerhalb des originären Albumkontextes (z.B. die Songs der Klaus-Renft-Combo oder von Plan B). Dies gilt in besonderem Maße für ‚subkulturelle‘ oder jugendkulturelle Szenen wie die Punkbewegung in der DDR, deren Veröffentlichungen häufig auf privaten Audiokassettenkopien stattfanden. Des Weiteren führte das ‚verdeckte‘ Musizieren mit dem Ziel, die Zensur zu unterlaufen, zu zahlreichen nur dem zeitgenössischen Publikum verständlichen Anspielungen und Verweisen biographischer, situativer oder szenentypischer Natur, die ohne sorgfältigere Vorarbeiten der Forschung als bislang die Songs kaum adäquat interpretierbar werden lassen. Politische Songs in der DDR entstanden in einem staatlich-regulierten Umfeld unter nur bedingt populärkulturellen Bedingungen vor dem Hintergrund einer anderen Ästhetik der Kunstproduktion und -politik (z.B. dem ‚Bitterfelder Weg‘) und in überwiegend von der Öffentlichkeit abgeschotteten Szene-Freiräumen. Es ist beim gegenwärtigen Stand der Forschung (noch) nicht möglich, die Reflexion der nationalsozialistischen Vergangenheit im politischen Song der DDR umfassend zu unund den ‚Hootenannys‘ vgl. Kirchenwitz, Lutz: Folk, Chanson und Liedermacher in der DDR. S. 27; zu den Weltspielen vgl. Rauhut, Michael: Rock in der DDR. S. 56; zum Festival des politischen Liedes vgl. Kirchenwitz, Lutz: Folk, Chanson und Liedermacher in der DDR. S. 67). 54 Vgl. hierzu Rauhut, Michael: Rock in der DDR. S. 34-57; Böning, Holger: Der Traum von einer Sache. S. 235. 55 Vgl. ebd., S. 221-230.
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tersuchen. Eine Ausnahme bilden Künstler, die im Westen breit rezipiert wurden und bei denen die Forschung ausreichend vorgearbeitet hat, wie dies z.B. bei Wolf Biermann der Fall ist. Während diese Songschreiber aufgrund ihrer Sonderstellung in die Untersuchung einbezogen werden, fallen erfolgreiche und wichtige DDR-Künstler wie Gerhard Schöne und Bettina Wegner, aber auch Bands wie City, Pankow und Silly aus der Auswahl heraus.
4.4 Z USAMMENFASSUNG
DER
M ETHODIK
Die vorherigen Kapitel haben die Grundlage gelegt, um nun einige zusammenfassende methodische Überlegungen zur Analyse der behandelten Songs anstellen zu können. Zunächst ist festzuhalten, dass der Song anhand konstitutiver formaler Elemente und literaturgeschichtlicher Bezüge als eigenständige, vom Lied abgrenzbare Gattung beschreibbar ist. Zentral für jede Form von Interpretation und Wertung ist seine Einbindung in einen populärkulturellen Kontext und eine Einordnung in die drei Grundgenres Rock, Pop und Folk. Als politischer Song kann er anhand der vier Kategorien Gesellschaftsbezug, Zielgerichtetheit, Intentionalität und Aktualität begriffen und auf seine Wirkungsabsichten hin befragt werden. Im Falle von Songs, die die nationalsozialistische Vergangenheit thematisieren, wird sich die Wirkungsabsicht immer auf einen Kommentar (affirmativer oder kritischer Couleur) zu einem oder mehreren der vier Gedächtnisdiskurse (Täter-, Opfer-, historischer sowie didaktischer Diskurs) beziehen. Politische Songs über den Nationalsozialismus operieren, das lässt sich insgesamt festhalten, innerhalb eines diskursiven Umfeldes, das das Sagbare bestimmt und gleichzeitig Tabubrüche, Diskurserweiterungen, aber auch affirmative oder restaurative Sprechweisen erkennbar werden lässt. Das Konzept des kulturellen Gedächtnisses macht deutlich, dass ein politischer Song über den Nationalsozialismus als künstlerischer Ausdruck eines spezifischen Verständnisses historischer Prozesse allgemein und der Interpretation der Vergangenheit im Speziellen gelesen und gehört werden kann. Er rezipiert und vermittelt Informationen über den Zustand des kollektiven Gedächtnisses zu einem spezifischen historischen Zeitpunkt. Die vorangegangen Kapitel haben den analytischen Rahmen abgesteckt, der nun abschließend konkretisiert werden kann.
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No analysis of musical discourse can be considered complete without consideration of social, psychological, visual, gestural, ritual, technical, historical, economic, and linguistic aspects relevant to the genre, function, style, (re-)performance situation, and listening attitude,56
hat Philip Tagg in einem wegweisenden Aufsatz zur Analyse populärmusikalischer Werke vermerkt und damit gleichsam auf die interdisziplinären Schwierigkeiten einer sorgfältigen Songinterpretation hingewiesen. In folgenden Schritten wird die Interpretation der Songs bei Beibehaltung eines literaturwissenschaftlichen Fokus vorgenommen und das Ziel verfolgt, interdisziplinäre Aspekte mitzuerfassen: Zunächst wird nach der Songform gefragt und eine Genre-Einordnung des Songs durchgeführt, die interpretative Folgerungen hinsichtlich der literatur- und musikgeschichtlichen Anknüpfungen, der vermittelten Authentizitätsvorstellungen, des Verhältnisses von musikalischer Gestaltung zu Songtext usw. nach sich zieht. Hieran schließt sich eine Formanalyse an, die den Aufbau des Songtextes ebenso wie die gesangliche Präsentation, die zeitliche Dimension (Länge des Songs, Stellung der konstitutiven Elemente zueinander, Aufbau), Aspekte der musikalischen Gestalt (Instrumental- und Vokalverwendung, Harmonie, Rhythmus, usw.) und die Tertiär(Dynamik, Sound-Effekte, Aufnahme- und Wiedergabeverfahren, usw.) und Quartärkomponenten (Verpackung, Lancierung, Promotion) des Songs in die Interpretation einbezieht. Diese Beschreibung wird immer ergänzt durch eine Problematisierung des sozial- bzw. zeitgeschichtlichen Kontextes und des populärkulturellen Stellenwertes des Werkes. Anhand der gewonnenen Erkenntnisse kann der Song in einem zweiten Schritt auf seinen politischen Gehalt hin befragt werden. Durch die Betrachtung seines Realitätsbezugs und seiner Aktualität, des Nachweises der Zielgerichtetheit und der Intentionalität können Wirkungsabsicht(en) des Songs auf textlicher, musikalischer und aufführender Ebene benannt werden. Diese können schließlich nutzbar gemacht werden, um die Teilhabe des Songs an bundesrepublikanischen Diskursen über die Vergangenheit zu analysieren. Indem die Verknüpfung eines politischen Songs mit einem der vier zentralen Diskurse herausgearbeitet und eine affirmative oder kritische Haltung diesem gegenüber festgestellt wird sowie das zugrunde liegende Geschichtsverständnis und die Relevanz des aufarbeitenden Beitrags (illus56 Tagg, Philip: Analysing Popular Music. S. 74.
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trativ, substantiell) problematisiert werden, kann die leitende Fragestellung dieser Arbeit beantwortet werden. Wie setzt sich der politische Song der Bundesrepublik von 1964 bis zur Gegenwart mit dem Nationalsozialismus auseinander, mit welchen Wirkungsabsichten, mit welchen inhaltlichen, sprachlichen und musikalischen Mitteln, mit welcher Anknüpfung an zeitgenössische Vergangenheitsdiskurse und welchen geschichtsanalytischen Verkürzungen und Vereinfachungen?
II.
Sonntag, da ist alles tot im Golf von Mallorca der Weltkrieg droht Stalingrad, Stalingrad Deutschland Katastrophenstaat ABWÄRTS/COMPUTERSTAAT
5. 1964-1968 Jeder Knüppel eines Polizisten auf den Kopf eines Demonstranten wird ein härteres Lied werden. WALTER MOSSMANN1
Begonnen werden soll die nun folgende Analyse von Songs über den Nationalsozialismus mit Werken, die im Vorfeld der Studentenrevolte entstanden sind. Zunächst interessiert dabei die Frage, in welcher Form und mit welcher politischen Wirkungsabsicht diese Songs Ursachen, Entwicklungen und Einzelereignisse der nationalsozialistischen Herrschaft thematisieren. Eine Betrachtung von Werken, die sich dem historischen Diskurs, wie er in Kapitel 3.2 definiert wurde, zuordnen lassen, rückt dazu den Aspekt der adäquaten Darstellung historischer Ereignisse durch die Künstler in den Vordergrund. So gilt es, Entwicklungslinien der songliterarischen Geschichtsverarbeitung von den Mitt-60er Jahren bis zu den 68er-Protesten aufzuzeigen und die Songs sowohl hinsichtlich ihrer Geschichtsinterpretation als auch des ihnen zugrunde liegende Geschichtsverständnisses bzw. -bildes (z.B. eines faschismustheoretischen Hintergrunds) zu befragen.2 Ein kursorischer Überblick über die Produktion von Songs von 1945 bis zum ersten Festival des politischen Songs auf der Burg Waldeck 1964 soll vorangestellt werden. Er kann nämlich zeigen, wie weitgehend die deutschsprachige populärkulturelle Musik der ersten Nachkriegsjahre durch Verdrängung, Simplifizierung und Verharmlosung der nationalsozialistischen 1 2
Interview mit Walter Mossmann. In: Kröher, Hein/Kröher, Oss: Rotgraue Raben. S. 119. Einen Überblick über die zahlreichen geschichtswissenschaftlichen Faschismusanalysen bieten Saage, Richard: Faschismustheorien. Eine Einführung. Zweite durchges. Aufl. München 1977; Kershaw, Ian: Der NS-Staat. Geschichtsinterpretationen und Kontroversen im Überblick. Dritte überarb. und erw. Aufl. Reinbek 1994.
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Vergangenheit geprägt ist. Erst vor diesem Hintergrund wird die Tragweite des gesellschaftspolitischen Angriffs der so genannten ‚Liedermacher‘ in den frühen 60er Jahren verständlich.
V ORLÄUFER 1945-1964 Während in der unmittelbaren Nachkriegszeit aufgrund der Rundfunkkontrolle und zerstörten Aufnahmestudios zunächst die englischen und amerikanischen Produktionen den Markt dominierten, entstanden ab etwa 1948 verstärkt auch deutschsprachige Schlagersongs. Schon diese Kompositionen zeigen die für den deutschen Nachkriegsschlager charakteristische Realitätsferne.3 Utopien einer unversehrten Welt bestimmen die Texte. „Eh die Schwalben gen Süden entfliehen/ist vergessen alles Leid./Und wir gehen Hand in Hand durch das blühende Land“, heißt es beispielsweise in Friedel Henschs Produktion Über’s Jahr, wenn die Kornblumen blühen aus dem Jahr 1951.4 Kein Wort findet sich über die Trümmerlandschaften der deutschen Städte und vor allem nicht über die nationalsozialistischen Gräueltaten – ganz im Gegenteil beschwört der Songtext ihr baldiges Vergessensein. Nur wenige Songs dieser Zeit thematisieren überhaupt die Vergangenheit und ihre Auswirkungen auf die Gegenwart. Dies sind zu einem großen Teil Kölner Karnevalsstücke. Doch auch hier wird der Krieg höchstens als schicksalhaftes Naturereignis im Sinne der Kölner Maxime ‚Et kütt wie et kütt‘ erwähnt, vornehmlich wird der unbelastete, optimistische Blick in die Zukunft eingefordert. Jupp Schmitz’ Stück Ming herrlich Kölle von 1947 ist ein eindrucksvolles Beispiel.5 Die NS-Herrschaft und ihre zerstörerischen Folgen für Köln werden in die Zeilen gefasst: „Wer hat dann dat wohl je jedaach,/dat dich das Schicksal schlage dät su hatt“ (Str. 2, V.3f.). Statt Fragen nach Schuld oder Verantwortung wird angesichts der Trümmer eine ‚Stunde Null‘ eingeläutet; der Refrain endet mit den Zeilen: „Un beß do och zerschlage, dat ändert janix dran,/dat mir met heißem Häzze vun neuem fange ahn!“ (Ref. 1, V.3f.). Sicherlich darf nicht übersehen werden, 3 4
5
Vgl. Port le Roi, André: Deutscher Schlager und Politik in ihrer Zeit. S. 35-38. Hensch, Friedel & die Cyprys: Über’s Jahr, wenn die Kornblumen blühen. T./M.: Ernst Bader, Werner Cyprys. Aus dem Album: Deutsche Schlager 19491956. Erschienen 2006, entstanden 1951, Str. 1, V.3-5. Schmitz, Jupp: Ming herrlich Kölle. T./M.: Jupp Schmitz. Aus dem Album: Wer soll das bezahlen? Erschienen 1994, entstanden 1947.
5. 1964-1968
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dass sich der Schlager nicht für eine genauere Darstellung der nationalsozialistischen Verbrechen eignet. Eine solche Thematik verführt nicht zum karnevalesken Schunkeln und Bützen und ist auch nicht genregemäß. Dennoch ist die historische Unbelastetheit erstaunlich, mit der – als ein weiteres Beispiel – der auch heute noch aufgeführte Trizonesien-Song drei (!) Jahre nach Kriegsende die kulturellen Vorzüge (des noch in drei Besatzungszonen unterteilten West-)Deutschlands vorführt.6 Der „Trizonese“ hat, so textet Karl Berbuer, Humor, Kultur und Geist, die deutschen Kulturbeiträge Goethe und Beethoven „gibt’s nich in Chinesien“ und „darum sind wir auch stolz auf unser Land“ (Str. 3, V.2-8). Mit den stimmungsvollen Zeilen: „Wir sind zwar keine Menschenfresser, doch wir küssen um so besser“ (Ref. 1, V.5), wird jeder Gedanke an die deutsche Unmenschlichkeit weggetanzt. Erst ab etwa 1950 setzt eine sanfte Politisierung des (Karnevals-)Schlagers ein. Ein besonderes, weil historisch argumentierendes Beispiel ist D’r Molli, komponiert von Gerhard Jussenhoven, getextet und interpretiert von Jupp Schlösser.7 Hier wird konkret in der zweiten Strophe Hitlers Erfolg mit der vorhergegangenen Inflation („Millionen han meer besessen dann/en der schöne Inflation./No zwanzig Johre dann, do kohm ’ne starke Mann.“ [Str. 2, V.3-5]) und indirekt mit der Naivität der Deutschen, die sich vom Mann mit dem „Schnäuzer“ zum Narren halten ließen, erklärt. Schlösser verbindet diese stark verkürzende historische Beschreibung im Refrain mit einer humorvollen Warnung vor einem neuen starken Mann. Dieser trägt einen Ullbricht’schem Bart: Met uns mäht keiner D’r Molli, Molli, Molli mieh! Ov ’ne Schnäuzer oder ne Baat, […] met uns han se lang genog de Aap gemaht! (Ref. 1, V.1-4)
Jussenhoven und Schlösser sind jedoch Ausnahmen. André Port le Roi kommt in seiner Untersuchung Schlager lügen nicht zu dem Schluss, dass im deutschen Schlager der Nachkriegszeit eine „völlige Verdrängung alles Belastenden, der Verbrechen des Dritten Reiches oder der traumatisieren6 7
Berbuer, Karl: Trizonesien-Song. T./M.: Karl Berbuer. Aus dem Album: 100 Gassenhauer. Historische Tonaufnahmen. Erschienen 2003, entstanden 1948. Schlösser, Jupp: D’r Molli. T.: Jupp Schlösser/M.: Gerhard Jussenhoven. Aus dem Album: Kölsche Oldies 11. Gerhard Jussenhoven. Erschienen 1994, entstanden 1950.
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den Erfahrungen der Vertreibungen und gewaltsamen Zwangsumsiedlungen“ stattfand.8 Und man darf nicht übersehen, dass diese Verdrängung lange Zeit bestehen bleibt. Noch 1971 wird Udo Jürgens’ Song Lieb Vaterland aufgrund seiner despektierlichen Beschreibung Deutschlands ein (verkaufsträchtiger) Skandal.9 Dies ist umso erstaunlicher als auch hier die nationalsozialistische Vergangenheit eine Zeit ohne Schuldige und Verantwortliche bleibt. Die Jahre des NS-Regimes werden – fast metaphysisch – als mysteriöse „dunkle Tiefe“ zusammengefasst: Lieb Vaterland, du hast nach bösen Stunden aus dunkler Tiefe einen neuen Weg gefunden, ich liebe dich, das heißt ich hab’ dich gern, wie einen würdevollen alten Herrn.10 (Str. 1, V.1-4)
Festgehalten werden kann, dass sich der Schlager der Nachkriegszeit so gut wie gar nicht substantiell mit dem Dritten Reich auseinandersetzte. Der Angriff auf die bundesrepublikanische ‚Vergangenheits(nicht)bewältigung‘ durch die verschiedensten ‚Liedermacher‘ seit den ersten Burg WaldeckFestivals geschah auch aus dem Bedürfnis heraus, der historisch unberührten Schlager-Welt eine politisierte Songkunst entgegenzustellen. Trotz aller Anknüpfungen an das US-amerikanische Folkrevival (vgl. Kapitel 4.1) mussten die Künstler und Künstlerinnen genuin bundesrepublikanische Ausdrucksformen finden, um eine kritische Position zur Verharmlosung der Vergangenheit im Schlager und der gesellschaftlichen WirtschaftswunderAufbruchstimmung im Sinne einer unbelasteten ‚Stunde Null‘ zu finden. Hierfür rückten sie, wie im Folgenden zu sehen sein wird, stärker die Täter und weniger die Opfer des Nationalsozialismus, stärker die verwaltenden Instanzen und weniger die einzelnen handelnden Personen, stärker generalisierende Angriffe als spezifische Analysen von Einzelphänomenen in den Blick. Da die von 1964 bis zur studentischen Revolte 196811 erschienenen 8 Port le Roi, André: Deutscher Schlager und Politik in ihrer Zeit. S. 75. 9 Vgl. ebd., S. 154-157. 10 Jürgens, Udo: Lieb Vaterland. T.: Eckart Hachfeld/M.: Udo Jürgens. Aus der Single: Lieb Vaterland. Erschienen 1971. 11 ‚1968‘ wird hier und im Folgenden als Chiffre verstanden für die jugendlichen und studentischen Proteste seit den frühen 60er Jahren, die ihren auch internationalen Höhepunkt 1967/1968 fanden (vgl. insgesamt Frei, Norbert: 1968. Jugendrevolte und globaler Protest. München 2008; vgl. auch Kiesel, Helmuth: Literatur um 1968. Politischer Protest und postmoderner Impuls. In: Bentz, Ralf u.a. (Hrsg.): Protest! Literatur um 1968. Eine Ausstellung des Deutschen Litera-
5. 1964-1968
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politischen Songs Referenzpunkte für alle nachfolgenden Songschreiber bilden und dabei Themen und Gestaltungsmittel der Beschäftigung mit dem Nationalsozialismus bis in die Gegenwart prägen, ist es gerechtfertigt, ihnen einen längeren Abschnitt zu widmen. Begonnen wird mit den wichtigsten Songs aus dem von 1963 bis etwa 1968 reichenden Frühwerk von Franz Josef Degenhardt.
„W ER GAB DEN W ÖLFEN DIE K REIDE , F ASCHISMUSANALYSEN VON F RANZ J OSEF D EGENHARDT
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M EHL ?“
Franz Josef Degenhardt verdient eine genauere Vorstellung, da er wie kein anderer Songschreiber der Bundesrepublik in seinem Werk von den frühen 60er Jahren bis heute die deutsche Vergangenheit thematisiert hat. An seinen Songs lassen sich Entwicklungen und Kontinuitäten songliterarischer Vergangenheitsauseinandersetzung paradigmatisch aufzeigen. Degenhardts Gesamtwerk weist dabei auf inhaltlicher und stilistischer Ebene zahlreiche Brüche auf, die es erlauben, von einem Frühwerk, einer parteipolitischen Phase ab etwa 1968 und dem heutigen Degenhardt seit den späten 80er Jahren zu sprechen.12 Die ersten Langspielplatten stehen unter dem Einfluss des französischen Chansonniers Georges Brassens, dem Degenhardt in der sparsamen Instrumentierung der Songs, dem reduzierten gesanglichen Vortrag und häufig auch den das gesellschaftlich Abseitige beschreibenden Texten folgt. Sie zeichnen eine „Welt des kleinen Mannes, der Säufer, Huren, Gaukler“.13 turarchivs in Verbindung mit dem Germanistischen Seminar der Universität Heidelberg und dem Deutschen Rundfunkarchiv im Schiller-Nationalmuseum Marbach am Neckar. Marbach am Neckar 1998, S. 593). 12 Zur Entwicklung Degenhardts vgl. auch Riha, Karl: Protestsong und Agitationslyrik. S. 311-333. 13 Schmidt, Felix: Das Chanson. S. 93, vgl. auch ebd., S. 150; zur Bedeutung Brassens’ als „Schlüsselfigur auf dem Gebiet des Chansons“ (Rothschild, Thomas: Notate zu Wolf Biermann. S. 22); vgl. auch Rothschild, Thomas: Liedermacher und Studentenbewegung. S. 145. Die Nähe zu Brassens wurde auch von Zeitgenossen wahrgenommen, wie ein Ausruf der Burg Waldeck-Veranstalter Hein und Oss Kröher deutlich macht: „1964 [eigentlich 1963, d. Verf.] meldete sich […] Franz Josef Degenhardt erstmals mit seinen frühen Balladen zu Wort, und seitdem haben wir – endlich – einen ‚deutschen Brassens‘“ (Kröher, Hein/ Kröher, Oss: Rotgraue Raben. S. 53). Mit einem Coveralbum hat Degenhardt
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Mit dem Einfluss des Franzosen Brassens auf Degenhardts Schaffen gehen in seinem Frühwerk eine stark ausgeprägte Bildsprachlichkeit und eine hohe poetische Durchformung einher. Es herrscht, wie Thomas Rothschild schreibt, eine „Kritik der leisen Töne“ vor.14 Zwar ist der songpoetischen Welt des ‚kleinen Mannes‘, wie sie vielleicht am eindringlichsten in dem Song Spiel nicht mit den Schmuddelkindern aber ebenso in der Gestalt des Bauchladenmann[s] und des Rumpelstilzchen[s] ausgearbeitet wird,15 ein antibürgerlicher Affekt immanent, doch bleiben die Angriffe meist sehr allgemein und verzichten auf konkrete zeitgeschichtliche Verortung oder gar namentliche Angriffe. Dies ändert sich in Degenhardts Songs ab den Mitt60er Jahren durch den Kontakt mit der Studentenbewegung.16 Die Texte seit der als Zäsur begreifbaren Live-LP Im Jahr der Schweine 1969 verzichten zunehmend auf bildsprachliche, poetische Gestaltungen zugunsten klarer politischer Positionierung.17 Gleichzeitig durchläuft der Sänger auch eine realpolitische Radikalisierung, die letztlich zu dem Ausschluss Degenhardts aus der SPD 1971, einem Engagement für die Deutsche Kommunistische Partei (DKP) und harscher öffentlicher Kritik an ihm bis hin zu Radio- und Fernsehverboten führt.18 In allen Songs Degenhardts ist der Text zentraler Bedeutungsträger. Die reduzierte Gitarrenbegleitung (ab den 80er Jahren auch die gelegentlich dezente Band-Instrumentierung) wird zwar zur akzentuierenden oder gegebenenfalls Irritation auslösenden Unterstützung verwandt, selten jedoch vermittelt sie eigenständig Inhalte.19 Nichtsdestoweniger wählt Degenhardt die
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den Einfluss Brassens’ noch einmal betont (Degenhardt, Franz Josef: Junge Paare auf Bänken. Franz Josef Degenhardt singt Georges Brassens. Erschienen 1986). Rothschild, Thomas: Liedermacher und Studentenbewegung. S. 146f. Degenhardt, Franz Josef: Der Bauchladenmann. T./M.: Franz Josef Degenhardt. Aus dem Album: Rumpelstilzchen. Erschienen 1963; Degenhardt, Franz Josef: Rumpelstilzchen. T./M.: Franz Josef Degenhardt. Aus dem Album: Rumpelstilzchen. Erschienen 1963; Degenhardt, Franz Josef: Spiel nicht mit den Schmuddelkindern. T./M.: Franz Josef Degenhardt. Aus dem Album: Spiel nicht mit den Schmuddelkindern. Erschienen 1965. Vgl. hierzu Dietschreit, Frank: Zeitgenössische Lyrik im Gesellschaftsprozess. S. 201; Hahn, Ulla: Literatur in der Aktion. S. 84. Vgl. hierzu Rothschild, Thomas: Liedermacher und Studentenbewegung. S. 146f. Vgl. Böning, Holger: Der Traum von einer Sache. S. 99-123. Vgl. Jungheinrich, Hans-Klaus: Protest-Noten. Über die mehr und mehr kaputten Lieder des Franz Josef Degenhardt. In: Arnold, Heinz Ludwig (Hrsg.): Franz Josef Degenhardt. Politische Lieder 1964-1972. München 1972, S. 47.
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Songform (und nicht die Gedichtform) bewusst. So erklärt er auf der Umschlagrückseite seiner Textsammlung Im Jahr der Schweine auf die Frage „Kann man mit Liedern Politik machen?“: „Allein mit Liedern politisch wirken zu wollen, das wäre albern. Die Wirkung kann zum Beispiel darin bestehen, den Hörer zu Fragen zu veranlassen: ihn zu politisieren.“ Dazu ergänzt er: „Das Lied kann eine popularisierende Funktion haben, indem es bestimmte politische Erkenntnisse vereinfacht formuliert und eingängig vermittelt – ähnlich wie ein Flugblatt.“20 Songs erforderten zwar, so Degenhardt an anderer Stelle, eine „direkte Verständlichkeit“ im Gegensatz zu einem mehrfach konsumierbaren Lesegedicht,21 könnten dann jedoch wirksam als „moderne Form von Agitation“ wirken.22 In welcher Form Degenhardt diese Aussagen in seinem Frühwerk umsetzt, wie sich der ‚Liedermacher‘ zur nationalsozialistischen Vergangenheit äußert und mit welcher Wirkungsabsicht er sich dem historischen Diskurs über Entstehung, Geschehnisse, Entwicklungen des Nationalsozialismus nähert, kann anhand von Songs bis 1968 gesehen werden. Als Einstieg dient sein vielleicht komplexester Song über den Nationalsozialismus: Wölfe mitten im Mai. Franz Josef Degenhardt: Wölfe mitten im Mai (1965) Degenhardts Song Wölfe mitten im Mai ist 1965 auf dem Album Spiel nicht mit den Schmuddelkindern erschienen.23 Er ist unmittelbar als Folksong gemäß der in Kapitel 1.6 vorgestellten Unterscheidungskriterien erkennbar: Sowohl die Instrumentierung, die ausschließlich aus einer akustischen Gitarre und der Gesangsstimme besteht, als auch der Vorrang, den der (klar verständlich und fast ohne Hervorhebungen dargebotene) Gesangsvortrag vor der musikalischen Gestaltung aufweist, deuten in diese Richtung. Indem sich darüber hinaus auf der Ebene des Songtextes und der Melodieführung zahlreiche volkstümliche Elemente finden, unter anderem bereits im
20 Degenhardt, Franz Josef: Im Jahr der Schweine. 27 neue Lieder mit Noten. Hamburg 1970, Umschlagrückseite. 21 Maske, Adelheid/Maske, Ulrich: Interview mit Franz Josef Degenhardt. In: Dies.: Franz Josef Degenhardt und seine Lieder. S. 207. 22 Interview mit Franz Josef Degenhardt. In: Kröher, Hein/Kröher, Oss: Rotgraue Raben. S. 111. 23 Degenhardt, Franz Josef: Wölfe mitten im Mai. T./M.: Franz Josef Degenhardt. Aus dem Album: Spiel nicht mit den Schmuddelkindern. Erschienen 1965.
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Titel der Verweis auf die Märchen- und Fabelgestalt des Wolfes, weist sich der Song als in der Volksmusiktradition stehend aus. So kann er selbst in Unkenntnis der Biographie des Künstlers und dessen Status in der seit 1963 aufkommenden neuen ‚Liedermacher‘-Szene als Folksong wahrgenommen werden. Diese Wahrnehmung bewirkt in der Regel, dass sich die Rezeptionserwartung auf die Authentizität der inhaltlichen Aussage konzentriert (vgl. Kapitel 1.6). Weniger zentral sind die Person des Sängers und dessen emotionale Glaubwürdigkeit. Das Fehlen jeglicher Soundeffekte (z.B. von Hall auf dem Gesang oder Chorus auf der Gitarre) und die eher amateurhafte, rauschende Aufnahme, die zusammen mit Unregelmäßigkeiten in der Gitarrenbegleitung den ‚handgemachten‘ Charakter des Songs vorführt, senden folktypische Authentizitätssignale. Damit wird bereits durch die musikalische Gestalt die Unabhängigkeit von kommerziellen kulturindustriellen Beeinflussungen behauptet und die (vermeintliche) Objektivität, in jedem Fall aber Bedeutsamkeit der Songaussage unterstrichen. Formal entspricht der Song weitgehend einer konventionellen Bauweise. Der Grundaufbau (vgl. Kapitel 1.2) wird kaum modifiziert. Nach einem durch ein Gitarrenpicking gestalteten kurzen Intro folgen in regelmäßiger Abfolge acht Strophen, denen selbiges Picking wiederum hintangestellt wird. Wie in einem traditionellen Volkslied fehlt ein Refrain, stattdessen wird zur Kennzeichnung des Strophenendes die letzte Zeile exakt wiederholt. Dadurch entsteht der Eindruck von Geschlossenheit und gleich bleibender Bedeutsamkeit der einzelnen Strophen. Dieser Eindruck wird unterstützt durch die regelmäßige durchgängige Reimung (zwei umschließende Reime und zwei anschließende Reimpaare [Schema: abba cddc ee ff]), die an das volkstümliche italienische Madrigal erinnert, und durch zahlreiche Enjambements. Die zwei akustischen Gitarren nehmen sich jeweils dann zurück, wenn Degenhardts Gesang eintritt, so dass die gleichmäßig einem 6/8-tel Takt folgende musikalische Gestaltung nicht den Text überlagert. Tempuswechsel, leichte rhythmische Betonungen und Wechsel von Pickingpassagen zu breitem Gitarrenanschlag dienen sämtlich lediglich zur Verdeutlichung des Songtextes oder zur Überleitung von einer Strophe zur nächsten. Ähnliches gilt für die Harmoniegestaltung, die durch die regelmäßige Rückkehr auf den Grundton und das Fehlen harmonischer Brüche weder Zäsuren noch stärkere Akzentuierungen bewirkt. Nach diesen Überlegungen zum Genre und zur formalen Gestaltung kann nun der Songtext genauer betrachtet werden. Zunächst muss dabei die
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Frage gestellt werden, ob die märchenhaft erzählte Geschichte – die Warnung eines Schäfers vor den Wölfen und die Missachtung dieser Warnung – überhaupt als eine Auseinandersetzung mit dem Nationalsozialismus gelesen werden kann. Eindeutige semantische Indikatoren (vgl. Kapitel 4.2) lassen sich hierfür nicht finden, allerdings zahlreiche mit dem Nationalsozialismus konnotierte Signalwörter und Sprachbilder. Beispielhaft zu nennen wären der „Rauch“ der Vernichtungslager („‚Kinder, spielt, vom Rauch dort wissen wir nichts‘“ [Str. 4, V.11], „Welches Fett/hat den Rauchfang verschmiert?“ [Str. 6. V.3f.]), die Entfernung von Goldzähnen durch die Nationalsozialisten vor der Vernichtung von Menschen („‚Jetzt kommen Zeiten, da heißt es, heraus/mit dem Gold aus dem Mund.‘“ [Str. 5, V.1f.]), aber auch der „alte Mist“ (Str. 3, V.11) und der „Stacheldraht“ (Str. 5, V.11).24 Schließlich machen die vielfältigen kontextuellen Assoziationen, die der Songtitel ermöglicht (von Bruno Apitz’ KZ-Roman Nackt unter Wölfen über Adolf Hitlers Vorliebe für dieses Tier25 bis hin zur bedingungslosen Kapitulation des Deutschen Reiches im Mai 1945) eine Interpretation des Textes als Beschäftigung mit dem Nationalsozialismus plausibel. Auch wenn Degenhardt diese in ein Umfeld von Märchenfiguren setzt, insbesondere des bösen Wolfs und der sieben Geißlein, und durch charakteristische Elemente des späten Bänkelsangs (Schauerelemente, Unklarheit der Räumlichkeit und der zeitlichen Distanz des Berichts, Formelhaftigkeit und häufige Wiederholungen einzelner Zeilen) ergänzt,26 bleibt dennoch das zentrale Thema des Songs für den aufmerksamen Rezipienten erkennbar. Die erste Strophe stellt die Hauptfigur und das Thema des Songs vor: August, der Schäfer, hat Wölfe gehört, Wölfe mitten im Mai – zwar nur zwei – doch der Schäfer, der schwört, 24 Vgl. hierzu auch Maske, Adelheid/Maske, Ulrich: Franz Josef Degenhardt und seine Lieder. S. 26. 25 Diese Vorliebe äußert sich z.B. in dem von Adolf Hitler besonders in den 20er Jahren verwendeten Pseudonym „Herr Wolf“, der Benennung des Führerhauptquartiers als ‚Wolfsschanze‘ und möglicherweise der Benennung der ‚Stadt des KdF-Wagens‘ als ‚Wolfsburg‘ (vgl. hierzu die Ausführungen in Wohlfromm, Gisela/Wohlfromm, Hans-Jörg: Deckname Wolf. Hitlers letzter Sieg. Berlin 2001). Hinzu kommt die etymologische Ableitung von Wolf zu Adolf (vgl. Atze, Marcel: „Unser Hitler“. S. 384). 26 Vgl. hierzu Petzoldt, Leander: Bänkelsang. S. 88-94.
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die hätten zusammen das Fraßlied geheult, das aus früherer Zeit, und er schreit, und sein Hut ist verbeult. Schreit: „Rasch, holt die Sensen, sonst ist es zu spät. Schlagt sie tot, noch ehe der Hahn dreimal kräht.“ Doch wer hört schon auf einen alten Hut und ist auf der Hut – und ist auf der Hut. (Str. 1, V.1-12)
In komprimierter Form ist hier bereits die zweifache Wirkungsabsicht des Songs angelegt: einerseits eine Warnung vor einem erneuten Nationalsozialismus in der Gegenwart (1965) und andererseits die songhistoriographische Beschreibung, wie der erfolgreiche Einbruch des Nationalsozialismus geschehen konnte (ca. 1923ff.). Diese Verkoppelung von Vergangenheit und Gegenwart wird durch die zirkuläre Struktur des Songs, d.h. durch die fast gleich lautende Wiederholung der ersten Strophe als letzter, unterstützt. Das hat den Effekt, dass Vergangenheit und Gegenwart parallelisiert werden.27 August der Schäfer, eine sehende Kassandrafigur, deren Name wohl auf August Heinrich Hoffmann von Fallersleben verweist,28 durchbricht in dieser Strophe die bukolische Idylle, die seine Berufsbezeichnung evoziert, durch die Warnung vor einer Gefahr durch die Wölfe. Sie können symbolisch als „Verkörperung des Bösen“ und als Teufelstier gelesen werden.29 Die Mahnung wird in mehrfacher Wiederholung und Abwandlung der Metapher des ‚auf der Hut Seins‘ dargebracht und später im Song immer wieder erneuert. Als wäre dies der intertextuellen und sprachbildlichen Komplexität nicht genug, verweist Degenhardt dazu noch auf die Prophezeiungen Jesus’ an Petrus, in denen Jesus zunächst äußert: „Es heißt: ‚Ich werde den Hirten töten und die Schafe werden auseinanderlaufen‘“, und dann ankündigt: „‚Bevor der Hahn heute nacht zweimal kräht, wirst du dreimal be-
27 Vgl. zur zirkulären Struktur Faulstich, Werner: Rock – Pop – Beat – Folk. S. 9093. 28 Dies liegt deshalb nahe, weil von Fallersleben zum einen als einer der ‚Urväter‘ der ‚Liedermacher‘ begriffen werden kann, weil Fallersleben zum zweiten ein Stadtteil des heutigen Wolfsburg ist und Degenhardt, wie beispielsweise der Roman August Heinrich Hoffmann genannt von Fallersleben bezeugt, sich stark mit diesem beschäftigt hat (Degenhardt, Franz Josef: August Heinrich Hoffmann genannt von Fallersleben. Roman. München 1991). 29 Lurker, Manfred: Wolf. In: Ders. (Hrsg.): Wörterbuch der Symbolik. Fünfte durchges. und erw. Aufl. Stuttgart 1991, S. 837.
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haupten, dass du mich nicht kennst.‘“30 So wird in dieser Strophe ein Umfeld des Verrats aufgerufen, dessen Konkretion dann die folgenden Strophenenden durchführen: das Ignorieren, (Str. 2, V.10), das nichts Riechen (Str. 4, V.11f.) das Schweigen (Str. 5, V.11f.), das nicht Hinterfragen (Str. 6, V.11f.), das nicht Hören (Str. 8, V.11f.). Der blutige Tod des Schäfers, den die zweite Strophe schildert, korreliert mit einer Vermehrung der Wölfe und verdeutlicht das Scheitern aller Warnungen. Die Aussage einer Mutter gegenüber ihrem Kind, das etwas gesehen haben will: „Bist still oder du verreckst“ (Str. 2, V.10), steht hier stellvertretend für ein gesamtgesellschaftliches Schweigen gegenüber gewaltsamem Unrecht. Ein solches Verhalten der nationalsozialistischen Machtergreifung gegenüber führt in der Konsequenz zu dramatischen Veränderungen auf allen gesellschaftlichen Ebenen. Degenhardt umschreibt diese mit einer geradezu apokalyptischen Naturschilderung in der dritten Strophe: Schon schnappten Hunde den Wind, und im Hag rochen Rosen nach Aas. Kein Schwein fraß. Eulen jagten am Tag. Hühner verscharrten die Eier im Sand, Speck im Fang wurde weich, aus dem Teich krochen Karpfen ans Land. (Str. 3, V.1-8)
Der Rosenduft – eigentlich Inbegriff von Wohlgeruch – beginnt zu stinken, Schweine – Inbegriff der Gefräßigkeit – verzichten auf Nahrung, und so weiter. Rhetorisch schafft Degenhardt mittels zahlreicher Alliterationen, Binnenreime und Assonanzen eine dichte bedrohliche Atmosphäre. Unklar in der Deutung bleibt eine direkt folgende Textpassage, in der lachenden Greise fordern: „Düngt die Felder wieder mit altem Mist“ (Str. 3, V.11). Es lässt sich aber die revisionistische Forderung nach einer Wiedergutmachung nach Versailles assoziieren. Die Folgen der umwälzenden Entwicklungen, eingeleitet durch ein betontes „Dann“, schildert die – von der Stellung im Song her zentrale – vierte Strophe. Dann, zu Johannis, beim Feuertanz – keiner weiß heut mehr wie – 30 Markus 14, 27; 30.
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waren sie plötzlich da. Aus Geäst sprangen sie in den Tanzkreis. Zu schnell bissen Bräute ins Gras, und zu blass schien der Mond. Aber hell, hell brannte Feuer aus trockenem Moos, brannte der Wald bis hinunter zum Fluss. „Kinder, spielt, vom Rauch dort wissen wir nichts und riechen auch nichts – und riechen auch nichts.“ (Str. 4, V.1-12)
Liest (und hört) man die „Wölfe“ als Verkörperung nationalsozialistischer Herrschaft, so wird hier das Dritte Reich mit all seiner Grausamkeit auf bedrückende Weise offensichtlich. Jetzt sind es nicht mehr zwei Wölfe, sondern eine unbestimmte Zahl, die „plötzlich da“ war, „keiner weiß heut mehr wie“ (Str. 4, V.2-4). Neben diesem eingeschobenen Kommentar zur Vergangenheitsaufarbeitung („heut“ ist an dieser Stelle auffälligerweise die erste zeitliche Angabe in dem Song) wird anhand von Signalwörtern die Gewalttätigkeit des Hitler-Regimes angedeutet. Prominent erwähnt ist das Johannisnacht-Feuer, eigentlich als Abwehr böser Geister und Dämonen gedacht, das wie andere Brauchtümer von den Nationalsozialisten übernommen wurde. Degenhardt spielt hier auf die Tradition an, zur Abwehr von Dämonen menschenähnliche Strohpuppen zu verbrennen. Im Songkontext sind Assoziationen an den Holocaust unvermeidbar. Und auch wenn die Mutter behauptet, vom Rauch, der in diesem Kontext nichts anderes als den Rauch der Krematorien meinen kann, nichts zu wissen, so widerlegt der Songtext ihre Aussagen durch Wortwiederholungen und die Schilderung: Hell scheinen Mond und Feuer vom Wald bis zum Fluss – überall sichtbar. Damit ist innerhalb des Textes der Bericht über die Machtergreifung der Nationalsozialisten abgeschlossen. Der Text wechselt von der im Präteritum geschilderten Geschehnisbeschreibung zu einer längeren Prophezeiung durch einen „Bauchladenmann“: „Jetzt kommen Zeiten, da heißt es, heraus mit dem Gold aus dem Mund. Seid klug und wühlt euch Gräben ums Haus. Gebt eure Töchter dem rohesten Knecht jenem, der noch zur Not nicht nur Brot mit den Zähnen aufbricht.“
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So sang der verschmuddelte Bauchladenmann und pries Amulette aus Wolfszähnen an. „Wickelt Stroh und Stacheldraht um den Hals und haltet den Hals – und haltet den Hals.“ (Str. 5, V.1-12)
Der „Bauchladenmann“, als ein neuer Seher ein Nachfolger des Schäfers August, ist ein eindeutiger Verweis auf den 1963 erschienenen gleichnamigen Song von Degenhardt selbst.31 Die beide Songs Der Bauchladenmann und Wölfe mitten im Mai werden in ihren Aussagen jetzt zusammengeführt. Im Intertext Der Bauchladenmann verkauft der Händler sehr erfolgreich „Tabus“, die da sind: „ein halbes Pfund Ehre, eine Ehe, einen Gott/und eine Tüte voll Angst vor dem Tod,/einen Zwiebelkranz Pflichten, Verdienstkreuz am Band,/zwölf Kilo Ehrgeiz, ein Schälchen Verstand.“ Für diesen Verkauf wird er von einer doppelmoralischen Gesellschaft mit einem grausamen Tod bestraft (Str. 2, V.1-12; Str. 4, V.4-6). Jetzt im zwei Jahre später erschienen Song Wölfe mitten im Mai preist der Bauchladenmann, vermutlich ebenso erfolgreich, den Tabubruch einer Teilhabe am Hitler’schen Wolfsregime in Form von Amuletten aus Wolfszähnen an (Str. 5, V.10). Nicht klar wird, an wen genau sich der Händler wendet und für welche Gefährdungen er Abhilfe verspricht. Goldzähne verloren die Opfer der Konzentrationslager, „Gräben ums Haus“ (Str. 5, V.4) benötigten die Soldaten, während Hungersnöte („Not“ [Str. 5, V.6]) in späteren Kriegsjahren alle betrafen. Diese Undeutlichkeit lässt sich lesen als Verweis auf die allumfassende, die Kriegszeit charakterisierende Verwischung der Grenze zwischen Schuld und Verantwortung, Täter und Opfer. Die sechste Strophe nun, durch das Präsens auf die Nachkriegszeit verweisend, wird eingeleitet durch die Frage: „Was ist dann doch in den Häusern passiert?“ (Str. 6, V.1). Es folgen ergänzende „Fragen, die nur einer hören will,/der stören will“ (Str. 6, V.11f.). In ihnen wird stärker als anderswo im Song auf das Märchen vom bösen Wolf und den sieben Geißlein angespielt. Allerdings wird im Gegensatz zur Vorlage die alleinige Schuldigkeit des Wolfes bezweifelt und nach seinen Auftraggebern gefragt.32 Dahinter steht eine sehr pessimistische Einschätzung des bundesrepublikanischen Umgangs mit der Vergangenheit. Als These wird formuliert, dass
31 Degenhardt, Franz Josef: Der Bauchladenmann. T./M.: Franz Josef Degenhardt. Aus dem Album: Rumpelstilzchen. Erschienen 1963. 32 Vgl. hierzu Maske, Adelheid/Maske, Ulrich: Franz Josef Degenhardt und seine Lieder. S. 25f.
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in der Songgegenwart nur ein märchenhafter, irrationaler, den ‚Dämon Hitler‘ als Hauptschuldigen benennender Umgang mit der Vergangenheit „nicht stört“, d.h. gesellschaftlich legitimiert ist. Vor dem Hintergrund dieser These lassen sich die in der Strophe mit der Märchenhandlung verknüpften Fragen ‚übersetzen‘.33 Der Frage, wie der ‚Dämon Hitler‘ seine gesamtgesellschaftliche Akzeptanz erhalten konnte und mit wessen Unterstützung, gleicht die Frage: „Wer gab den Wölfen die Kreide, das Mehl, stäubte die Pfoten weiß?“ (Str. 6, V.5f.). Die Frage, mit welchen Mitteln und Maßnahmen, beispielsweise der Verwendung des Begriffs des National-Sozialismus, diese Akzeptanz erschlichen wurde, lautet im Songtext: „Welcher Geiß/glich das Ziegengebell?“ (Str. 6, V.7f.). In der Grimm’schen Märchenfassung ist es das siebte Geißlein, das sich in der Sanduhr versteckt und anschließend den Sieg über den Wolf mithilfe der Mutter Ziege ermöglicht. Die (die Märchenhandlung bezweifelnde) Frage: „Hat sich ein siebentes Geißlein versteckt?“ (Str. 6, V.9), ist nun als Verweis auf den geringen Widerstand gegen das Hitler-Regime zu lesen. In dieser Reihung unbeantworteter Fragesätze steht die wichtigste Ungewissheit in Form einer Klimax am Ende: „Wurden Wackersteine im Brunnen entdeckt?“ (Str. 6, V.10). Diese Frage drückt den Zweifel aus, ob der ‚Wolf Nationalsozialismus‘ wirklich und bewiesenermaßen tot ist. Hier, wie in der anfänglich gestellten Frage: „Welches Fett hat den Rauchfang verschmiert?“ (Str. 6, V.3f.), die sowohl nach den Opfern fragen kann als auch, mit wessen Zutun, unter wessen Duldung und mit welchen Interessen die industrielle Menschenvernichtung in den Konzentrationslagern möglich war, wird die Problematik des Songs besonders sichtbar. Es scheint zweifelhaft, ob die Inhumanität des Holocaust in solch märchenhafter, poetisch durchformter Sprache im beständigen intertextuellen Bezug auf ein Volksmärchen adäquat zu erfassen ist. Überzeugender ist Degenhardt in der folgenden Strophe, in welcher eine „Touristenschar fröhlich das Fraßlied singt“ (Str. 7, V.10). Dieses Lied, welches aus der ersten Strophe als Lied der Wölfe bekannt ist, deutet eine Geschichtsvergessenheit in der Gegenwart an, die sich auch darin äußert, dass ein NS-Verantwortlicher – möglicherweise wird hier als „Knecht mit dem Wildschweingebrech“ (Str. 7, V.1) auf Rudolf Heß angespielt34 – als 33 Vgl. zu dieser Strophe ebd., S. 26f. 34 Zum Zeitpunkt der Songkomposition waren von den in Nürnberg verurteilten Hauptkriegsverbrechern nur noch Speer, von Spirach und Heß inhaftiert. Heß,
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kuriose, Blutwurst fressende Attraktion und Touristenziel beobachtet werden kann (Str. 7, V.2-5). Der NS-Täter ist eine Sehenswürdigkeit und dies gänzlich unabhängig davon, ob er sich von der nationalsozialistischen Ideologie gelöst hat oder nicht. Eine Loslösung von der NS-Ideologie lässt sich durch den wörtlichen Verweis des Knechts auf Goethes Faust vermuten. Er schreit als Reaktion auf das Fraßlied der Touristenschar: „Schluss mit dem Lied/’is ein garstig Lied“ (Str. 7, V.12).35 Ebenso ließe sich diese Reaktion aber auch als gänzliche Absage an jede Form politischer Verantwortlichkeit verstehen, wenn man stärker den Kontext der Äußerung bei Goethe mitliest. Hier wie an vielen anderen Stellen im Song bleiben Leerstellen in der Interpretation bestehen. Die den Song beschließende Wiederholung der ersten Strophe macht jedoch die Wirkungsabsicht als einer Warnung vor der potentiellen Wiederholbarkeit der nationalsozialistischen Geschichte in der Songgegenwart unverkennbar. Erneut werden die Warnungen August des Schäfers, die durch die einzige kleine Abwandlung der ersten Strophe – diesmal sind es gleich zu Beginn „mehr als zwei Wölfe“ (Str. 8, V.3) – sogar noch bedrohlicher wirken, nicht gehört. Degenhardt zeigt mit seinem Song Wölfe mitten im Mai also zweierlei: zum einen, wie der erfolgreiche Durchbruch des Nationalsozialismus begünstigt wurde durch eine Gesellschaft, die antidemokratische Gefährdungen nicht wahrzunehmen bereit war und sich ihnen nicht entschlossen entgegenstellte. Der Erfolg der NSDAP geschah nicht unbemerkt und „plötzlich“ (Str. 4, V.4), sondern wurde von sichtbaren und unübersehbaren Veränderungen in allen Gesellschaftsbereichen begleitet. Der parallel zu diesen songhistoriographischen Ausführungen immer erhaltene Bezug zur Gegenwart, der in der letzten Strophe explizit wird, formuliert zum zweiten die These, dass auch 1965 das Fragen nach den Ursachen des Dritten Reiches unterwünscht ist. Diese Geschichtsvergessenheit ermöglicht eine Wiederholung der Geschehnisse. Zeitgeschichtlicher Hintergrund dieser Betrach-
dessen Sohn im Übrigen Wolf mit erstem Vornamen hieß, war der (NSDAP-) ranghöchste Häftling, bekannt in der Haft für sein (hypochondrisches) Schreien und seine Weigerungen, die vorgesetzten Essensportionen zu sich zu nehmen. Dass Degenhardt ihn meint, wird auch dadurch plausibel, dass sein Flug nach Schottland 1941, der mit seiner Demission als Hitlers Stellvertreter endete, als ‚Läuterung‘ gewertet werden könnte. 35 Vgl. Goethe, Johann Wolfgang: Faust. Eine Tragödie. In: Ders.: Sämtliche Werke. Briefe, Tagebücher und Gespräche. 1. Abt. Band 7/1: Faust. Texte. Hrsg. v. Albrecht Schöne. Frankfurt a.M. 1994, S. 90.
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tungen ist sicherlich auch die Gründung der neonationalsozialistischen NPD 1964 und ihr schneller Erfolg auf Landesparlamentebene. Mit der Verknüpfung von Vergangenheit und Gegenwart erfüllt Degenhardts Song genau die in Kapitel 2.3 geforderten Eigenschaften eines politischen Songs. Er erschöpft sich nicht in einer rein historischen Beschreibung vergangener Vorgänge, sondern aktualisiert diese in Hinsicht auf die gegenwärtige gesellschaftliche Realität und verbindet sie mit Aspekten, die den historischen Diskurs der Mitt-60er Jahre prägen. Die eher implizit formulierte, nichtsdestoweniger zielgerichtete Forderung an die Hörer, „auf der Hut“ zu sein, macht Wölfe mitten im Mai damit zu einem prototypischen politischen Song. Er proklamiert durch das Fehlen eines subjektiven songlyrischen Ichs und stattdessen die Existenz verschiedener Sprecher eine grundsätzliche (folktypische) Allgemeingültigkeit und Wahrhaftigkeit. Dennoch hinterlässt die hohe poetische Durchformung des Songs einen zwiespältigen Eindruck. Indem Degenhardt seinen Songtext als Mixtur aus schauerhaftem Bänkelsang, märchenhafter Erzählung, balladesken Elementen und quasireligiöser Prophetie gestaltet und mit zahllosen intertextuellen Verweisen, rhetorischen Stilmitteln und dichter Bildsprachlichkeit zu einem komplexen, artistischen, ‚schönen‘ Gebilde verwebt, wird er seinem Gegenstand nur bedingt gerecht. Franz Josef Degenhardt: Tarantella (1963) Der Frage: „Wer gab den Wölfen die Kreide, das Mehl?“, widmete Degenhardt bereits zwei Jahre vor Wölfe mitten im Mai auf seinem Album Rumpelstilzchen einen eigenen Song mit dem Titel Tarantella.36 In diesem wird ebenfalls eine Auseinandersetzung mit dem Nationalsozialismus in poetisierter Sprache vorgenommen. Gleichzeitig jedoch wird das Augenmerk noch stärker auf eine kritische Betrachtung zeitgenössischer Faschismustheorien gelegt. Der Song Tarantella gleicht Wölfe mitten im Mai hinsichtlich des Genres, der Instrumentierung und der Form so weitgehend, dass die zum letzten Song getroffenen Aussagen übernommen werden können. Unterschiede bestehen lediglich in der geringeren Strophenanzahl von sechs Strophen und dem Reimschema, bestehend aus fünf viertaktigen Paarreimversen, 36 Degenhardt, Franz Josef: Tarantella. T./M.: Franz Josef Degenhardt. Aus dem Album: Rumpelstilzchen. Erschienen 1963.
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wobei die letzten zwei Verse identisch wiederholt werden.37 Der die erste Strophe abschließende Vers: „so tanzt man seit jeher die Tarantella, die Tarantella“ (Str. 1, V.9), wird am Ende jeder Strophe wieder aufgegriffen und leicht modifiziert. Dadurch erinnert die Strophenstruktur an französische Dichtungsformen wie das Rondel und das Rondeau. Vor allem aber zeigt sie Degenhardts Anlehnung an Georges Brassens, für den diese Strophenschlusswiederholungen und -abwandlungen kennzeichnend sind.38 Der Albumuntertitel „Bänkel-Songs [!] von und mit Franz Josef Degenhardt“ nimmt darüber hinaus eine deutliche literaturgeschichtliche Einordnung vor. Gleich Wölfe mitten im Mai verzichtet der Songtext auf eine konkrete zeitliche und örtliche Bestimmung der Handlung und kennzeichnet die Personen nur durch ihre Funktion oder ihr Äußeres. Statt des Bauchladenmanns und einer Mutter mit ihrem Kind sind hier ein buckliger Handelsvertreter (Str. 1, V.2), eine Hausfrau und ihr Mann (Str. 2, V.1-3), ein Feuerbestatter und ein Pfandleiher (Str. 3, V.2,5), ein Sportsfreund (Str. 4, V.3) und ein Historiker (Str. 5, V.2) das Songpersonal. Sie alle werden, so suggeriert die Handlung, von einer „schwarz-weiß gestreifte[n] Tarantel“ gebissen und beginnen, als trügen sie ein Virus in sich, „besessen“ (Str. 3, V.9) und „verbissen“ (Str. 4, V.9) die „Tarantella“ zu tanzen. Der Biss der Tarantel, einer süditalienischen Spinne aus der Gattung der Wolfsspinnen (!) und gefürchtet seit dem Altertum, wurde seit dem 13. Jahrhundert als Ursache für den ‚Tarantismus‘ (auch Tanzwut, Veitstanz und ‚Johannistanz‘ genannt) gewertet, was sich heutzutage noch in dem Ausdruck ‚wie von der Tarantel gebissen‘ findet.39 Das wilde, unerklärliche Tanzverhalten als Reaktion auf den Tarantelbiss war zudem namensgebend für den italienischen Volkstanz ‚Tarantella‘, der unter anderem durch sei-
37 Vgl. ‚klassischer Aufbau‘ nach Faulstich, Werner: Rock – Pop – Beat – Folk. S. 90-93. 38 So z.B. Brassens, Georges: Le gorille. T./M.: Georges Charles Brassens, Lucien Eugene Metehen. Aus dem Album: La mauvaise réputation. Erschienen 1952. 39 Vgl. Röhrich, Lutz: Tarantel. In: Ders.: Das große Lexikon der sprichwörtlichen Redensarten. Band 3: Sal bis Z. Freiburg, Basel, Wien 1992, S. 1600 sowie den kulturwissenschaftlich fundierten Aufsatz von Winkle, Stefan: Die Tanzwut. Echte und scheinbare Enzephalitiden. Über das epidemieartige Auftreten von Nachahmungssyndromen (letzter Teil). In: Hamburger Ärzteblatt 9 (2000), S. 374-380, auch in: http://www.aerztekammer-hamburg.de/funktionen/aebonline/ pdfs/1182260324.pdf, 06.05.10, S. 14-20.
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nen temporeichen 6/8tel Takt charakterisiert ist.40 Auch Degenhardts Song folgt diesem Taktmaß.41 Der Tarantismus des Songpersonals, der durch sein Ansteckungspotential und seine ‚Bissigkeit‘ sowohl Ähnlichkeiten mit dem Vampirismus als auch mit der Tollwut aufweist, äußert sich in zunehmend gewalttätigen Handlungen. Während der Tarantelbiss zunächst lediglich zu unkontrolliertem Hüpfen und Zerreißen der Kleidung führt (Str. 1, V.3,5), schlägt später die Ehefrau „die Zähne in ihren Mann“ (Str. 2, V.3), dieser „schnappt“ dem Chef „ins Gesäß“ (Str. 2, V.6), woraufhin dieser wiederum „mit gläsernem Spinnenblick“ seiner Ehefrau tödlich ins Genick beißt (Str. 3, V.7f.). Das Infektionsrisiko ist so hoch, dass bereits ein Fingerschnitt mit den herausgebrochenen (Gold-)Zähnen der toten Ehefrau (Str. 3, V.6) genügt, um den Pfandleiher anzustecken, der einen unbeteiligten Zuschauer („Kibitz“, Str. 3, V.8) beißt, so dass dieser „am Sonntag beim Meisterschaftsspiel“ die ganze „Vereinsmannschaft“ infiziert. Degenhardt schildert diese Szene und die ihr innewohnende Brutalität in besonders klarer Sprache: Und er riss dann am Sonntag beim Meisterschaftsspiel, als ein Tor gegen die schwarze Vereinsmannschaft fiel, dem jubelnden Sportsfreund vom weißen Verein, der vor Freude hochsprang, ein Stück Fleisch aus dem Bein. Und der fiel dann gleich über den Nebenmann her, und da wartete keiner der Sportsfreunde mehr. Ob schwarz oder weiß wurde bald einerlei bei der schwarz-weiß gestreiften Tarantelei. Man tanzte verbissen die Tarantella, die Tarantella¸ die Tarantella, man tanzte verbissen die Tarantella, die Tarantella. (Str. 4, V.1-10)
Welche Absicht verfolgt Degenhardt nun mit einer solchen Schilderung? Unverkennbar ist zunächst, dass der Tarantella-Tanz für ein affirmatives ‚Mittanzen‘ der Massen im Nationalsozialismus steht; ein Verhalten, das anonym und universell als „man tanzt“ benannt wird. Diese Interpretation liegt nicht allein wegen der herausgebrochenen Goldzähne nahe (vgl. Wölfe mitten im Mai), sondern vor allem aufgrund des unübersehbaren Hinweises
40 Vgl. ebd., S. 378. 41 Noch deutlicher als in der Studioaufnahme wird dies durch die Reduktion auf nur eine akustische Gitarre, ein höheres Tempo und die Setzung von Pausen in der Liveversion von der Burg Waldeck 1964 (Degenhardt, Franz Josef: Tarantella (Live Version). T./M.: Franz Josef Degenhardt. Aus dem Album: Diverse: Die Burg Waldeck Festivals 1964-1969. CD 1: 1964. Erschienen 2008).
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auf die „zwölf Lichtjahre“, d.h. das zwölfjährige ‚Tausendjährige Reich‘, in der letzten Strophe (Str. 6, V.1). Die erste Zeile des Songs: „Wer der erste war, wusste schon bald keiner mehr“ (Str. 1, V.1), legt das Erkenntnisziel fest: eine Problematisierung der Anfänge des Nationalsozialismus und seiner Entwicklung hin zu einer Massenbewegung. Die Erklärung als ansteckender Spinnenbiss ist allerdings so bänkelhaft, dass sie jeglicher Glaubwürdigkeit entbehrt, dies um so mehr als ein „buckliger Handelsvertreter“ als einzelnes und erstes ‚Opfer‘ des Tarantelbisses benannt wird.42 Auch eine metaphorische Lesweise, die den Nationalsozialismus massenpsychologisch als eine ansteckende Infektion betrachtet, erscheint nicht überzeugend. Demgegenüber fällt gerade das Fehlen jeglicher politischer, ökonomischer, historischer Erklärung in diesem Songtext ins Auge und muss als ironisches Distanzierungsmerkmal betrachtet werden. Degenhardts Tarantella wendet sich eben genau gegen psychologisierende Erklärungsmuster, die den Nationalsozialismus mit einem (wie auch immer) spezifisch gearteten ‚deutschen Charakter‘ oder einer massenpsychologischen ‚ansteckenden‘ Verführung zu plausibilisieren suchen.43 Solchen Erklärungen wohnt durch den Rückgriff auf einen letztlich biologisch bzw. anthropologisch festgelegten ‚Charakter‘ ein grundsätzliches Entschuldungspotential inne, das Degenhardt durch die ironische Vorführung einer unverschuldeten, ungewollten und unglaubwürdigen Infektion zu widerlegen sucht. Diese Interpretation wird dadurch gestützt, dass Degenhardt auch sprachliche Distanzierungssignale setzt, indem er beispielsweise die allumfassende Teilhabe am brutalen ‚Tanz‘ verniedlichend als „Tarantelei“ (Str. 4, V.8) und die nationalsozialistische Herrschaft als „Lichtjahre“ bezeichnet (Str. 6, V.1).
42 Diese Figur könnte sowohl auf Hitlers Jugendtätigkeit als Händler seiner eigenen Bilder und Postkarten anspielen als auch auf den stramm nationalsozialistischen „Buckligen“ in Hans Peter Richters 1961 erschienenem Jugendbuch Damals war es Friedrich (vgl. Richter, Hans Peter: Damals war es Friedrich. München 2007, S. 48f.). 43 Exemplarisch vertreten wird die These eines ‚deutschen Charakters‘ in der heute schwer zugänglichen Schrift Black Record von Robert Gilbert Vansittart (18811957), in welcher dieser den Hitler-Faschismus mit einer spezifisch deutschen Charakterdisposition zu Gewalt und Aggression erklärt (vgl. Rose, Norman: Vansittart. Study of a Diplomat. London 1978, S. 242). Dieser ‚Vansittartismus‘ hatte beispielsweise, wie Norman Rose gezeigt hat, Einfluss auf Thomas Manns Bild der Deutschen (vgl. ebd., S. 246); vgl. zu dieser Lesart des Songs auch Maske, Adelheid/Maske, Ulrich: Franz Josef Degenhardt und seine Lieder. S. 13.
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Nach den vier ersten Strophen folgt ein Bruch, der sprachlich durch den Sprung in die Gegenwartsform und inhaltlich durch die Distanzierung vom historischen Geschehenen gekennzeichnet ist: „Von da an fehlt jede vereinzelte Spur/Historiker, die berichten uns nur“, heißt es zu Beginn der fünften Strophe (Str. 5, V.1f.). Der Bericht der Geschichtswissenschaftler, alles andere als ein glaubwürdiger Text („Ein schwarz-weiß gestreiftes Tarantelinsekt/so groß wie ein Fußballplatz, tanzte“ [Str. 5, V.3f.]), erläutert den Untergang des nationalsozialistischen Regimes im Bild des „Sturz[es]“ des Taranteltieres (Str. 5, V.7). Die Beschreibung erfolgt – eng verbunden mit Vokabeln aus dem militärischen, kriegerischen Bereich („Krater“, „Planspiel“ [Str. 5, V.6]) – in einem Bild, das an Adornos Rede vom ‚Gespenst des Nationalsozialismus‘ erinnert, das „so ungeheuerlich war, daß es am eigenen Tod noch nicht starb“.44 Dieser Sturz in einen achttausend Klafter großen Krater45 wird, so erklärt der Text, noch lange Folgen zeigen: […] der Sturz währte lang, und so hörte man lange noch den Gesang: Jetzt tanzen wir wieder die Tarantella, die Tarantella, die Tarantella. (Str. 5, V.7-9)
Die letzte Strophe bleibt dann, ganz ähnlich den vorigen, geprägt von schaurigen Unwahrscheinlichkeiten und formuliert doch die didaktische Warnung vor einer potentiellen Wiederholbarkeit der Geschichte: Nach zwölf Lichtjahren fand dort ein Hirte im Gras einen Schneidezahn, der eine Elle maß. Er schnitzte sich gleich eine Flöte damit, die ihm beim Flöten die Lippen zerschnitt. Er hüpfte zur Stadt hinein, tanzte und sprang, wobei er mit Hüfte und Armen schwang: […] So tanzt man seit jeher die Tarantella, die Tarantella, die Tarantella, so tanzt man seit jeher die Tarantella, die Tarantella. (Str. 6, V.1-10)
In der Logik der Songerzählung sind die geschilderten Ereignisse verständlich und scheinen eine plausible Fortsetzung des Berichts der Historiker zu sein. Ein Fußballplatz-großes Tarantelinsekt wird eben einen ellenlangen Schneidezahn besitzen und auch das postume Infektionspotential der Taran44 Adorno, Theodor W.: Was bedeutet: Aufarbeitung der Vergangenheit. S. 125. 45 Ob Degenhardt mit dem „Krater“ eine konkrete Örtlichkeit im Sinn hat, was der Hinweis auf seine Entstehung „beim Planspiel“ vermuten lässt, ist nicht klar.
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tel erscheint nicht unwahrscheinlich. Indem der Song hier die drastisch vorgeführten Gefährdungen des ‚Tarantismus‘ in die Nachkriegszeit transportiert, wird eine mögliche Wiederholbarkeit der Geschichte angedeutet. Mehr noch: In den letzten Zeilen, die deckungsgleich mit dem Abschluss der ersten Strophe sind, wird der brutale, mörderische Taranteltanz durch die Worte „man“ und „seit jeher“ als überzeitliches, universelles Phänomen beschrieben. Die Wirkungsabsicht des Songs wird wie in Wölfe mitten im Mai auch hier erst in den letzten Zeilen zur Gänze deutlich: Zum einen formuliert er eine aktuelle Warnung vor der Wiederholbarkeit der nationalsozialistischen Terrorherrschaft. Zum anderen untergräbt er simplifizierende, psychologisierende Auseinandersetzungen mit der Vergangenheit durch die satirische Schilderung des Nationalsozialismus als eines unglaubwürdigen infektiösen Unfalls. Darin unterscheidet sich der 1963 veröffentlichte Song Tarantella von dem 1965 erschienenen Wölfe mitten im Mai. Die konkreten gesellschaftspolitischen Ursachen für die potentielle Wiederholbarkeit der NSHerrschaft sieht Degenhardt 1963 noch in einer zwar vorhandenen, aber fehlerhaften, weil vereinfachenden Ursachenforschung. Zwei Jahre später bereits und im Vorfeld der 68er-Revolte beklagt er ihr gänzliches Fehlen und ihre Ersetzung durch eine raumgreifende Geschichtsvergessenheit. Franz Josef Degenhardt: Wenn der Senator erzählt… (1968) Als ein drittes Beispiel für die von Franz Josef Degenhardt in populärmusikalischer Form vorgenommenen Ursachenforschungen zur nationalsozialistischen Ideologie soll der 1967 entstandene und ein Jahr später erschienene Song Wenn der Senator erzählt… dienen.46 Er ist das Titelstück des sechsten Albums und steht dort exponiert an erster Stelle. Erkenntnisleitend für die folgenden Ausführungen kann ein Zitat von Adelheid und Ulrich Maske aus einer Überblicksdarstellung über Degenhardts Schaffen bis Ende der 70er Jahre sein. Die Autoren schreiben: „‚Wenn der Senator erzählt‘ ist das politisch gewichtigste Lied, da es Zusammenhänge zwischen Kapitalinteressen und Faschismus aufzeigt und so
46 Degenhardt, Franz Josef: Wenn der Senator erzählt… T./M.: Franz Josef Degenhardt. Aus dem Album: Wenn der Senator erzählt… Erschienen 1968.
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die zentrale Erkenntnis der [sic!] Faschismustheorie vermittelt.“47 In diesem Zitat ist neben einer Wertung eine These formuliert, die es zu überprüfen gilt: Welche Analyse bzw. Theorie des Faschismus legt Degenhardt mit seinem Song vor und mit welchen literarischen und musikalischen Mitteln gestaltet er diese? Zunächst einmal fällt im Vergleich zu den beiden bisher betrachteten Songs die ungewöhnliche Form auf: Die vier Strophen sind zwar gleichförmig aufgebaut insofern, als sie jeweils mit der titelgebenden Zeile „Ja, wenn der Senator erzählt“ abschließen. Daneben unterscheiden sie sich jedoch in Aufbau, Rhythmik, Vers- und Strophenlänge, letztere ist ungewöhnlich raumgreifend zwischen 14 und 33 Versen lang. Es fehlt zudem jegliche Reimung. Lägen nicht zahlreiche gedruckte Textfassungen vor, die Zeilenumbrüche vorgeben, könnte man den Text auch als einen Prosatext betrachten, der mit Ausnahme der Titelzeile zudem als Sprechtext auf einem einzigen Akkord (C-Moll) dargeboten wird.48 Diese Zeilenumbrüche, die den Songtext dem Bereich der Lyrik zuordnen, die epische Grundhaltung (die bereits der Titel andeutet und die zahlreiche historischchronologische Verweise unterstützen, z.B.: „Dann 14/18 der Krieg“ [Str. 2, V.1], „Und dann ’45, ausgebombt“ [Str. 3, V.1], „Aber dann ’48, Währungsreform“ [Str. 3, V.11]), und schließlich die eingestreute direkte Rede der Hauptfigur weisen Wenn der Senator erzählt… als Ballade aus. Mehr noch: Indem die Hauptfigur bereits im Titel genannt wird und der chronologisch und mit exakten Zeitangaben erzählte Songtext einer Kurzbiographie gleicht, die auch hinsichtlich der Lokalisierung keine Zweifel aufkommen lässt (allein 23 mal werden die Örtlichkeiten „Wackelsteiner Ländchen“, „Wackelrode“ und „Hohentalholzheim“ genannt), erinnert das Geschilderte an eine traditionelle Heldenballade.49 Es ist die Erfolgsgeschichte eines Helden allerdings, der weniger ein durch einen Namen gekennzeichnetes Individuum als ein namenloser, durch seine politische Funktion charakterisierter Repräsentant ist. Auch wenn der Titel des Songs anderes erwarten lässt, ‚erzählt‘ der Senator selbst in den ersten drei Strophen wenig, seine einzigen Äußerungen sind diese: 47 Maske, Adelheid/Maske, Ulrich: Franz Josef Degenhardt und seine Lieder. S. 66. 48 Verwendet wird die Textfassung aus Voigtländer, Annie/Witt, Hubert (Hrsg.): Denkzettel. S. 325-327. 49 Vgl. hierzu auch Freund, Winfried: Die deutsche Ballade. S. 152f.
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„So.“ (Str. 1, V.22) „So, der Krieg ist verloren, was ist dabei rausgekommen? Gar nichts.“ (Str. 2, V.3-5) „So, der Krieg ist verloren. Was ist dabei rausgekommen? Gar nichts.“ (Str. 3, V.3-5) „Wie wäre es […], wenn man aus dem Wackelsteiner Ländchen ein Ferienparadies machen würde?“ (Str. 3, V.23-25)
Die gesamten weiteren Charakterisierungen des Senators übernimmt ein Erzähler, dessen Rolle dadurch für die Interpretation entscheidend wird. Seine Schilderungen, die im Sprachduktus an mündliche Rede erinnern, nehmen sich oberflächlich sehr akkurat, detailreich und an Fakten orientiert aus. Beispielhaft wird dies an Teilen der ersten Strophe sichtbar: Schon mit fünf Jahren ist der Senator jeden Tag von Wackelrode nach Hohentalholzheim gelaufen, zwölf Kilometer hin und zwölf Kilometer zurück. Und warum? Weil in Wackelrode ein Liter Milch zweieinhalb Pfennig gekostet hat, in Hohentalholzheim aber nur zwei Pfennig, und diesen halben Pfennig, den durfte der Bub behalten. Das hat er auch getan, zehn Jahre lang – von Wackelrode nach Hohentalholzheim, von Hohentalholzheim nach Wackelrode. Und nach zehn Jahren, da hat sich der Senator gesagt: „So.“ Hat das ganze Geld genommen, ist hergegangen und hat das erste Hüttenwerk auf das Wackelsteiner Ländchen gestellt. (Str. 1, V.8-25)
Die simple, von Wiederholungen durchzogene Ausdrucksweise ironisiert den Bericht trotz aller Faktizität sofort und lässt die gesamte Erzählung unglaubwürdig werden. Degenhardt verwendet mehrere sprachliche Mittel, um dem Hörer den Lebenslauf des Senators als „moderne Münchhausiade“
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erscheinen zu lassen.50 Sowohl die Verwendung formelhafter Ausdrücke („das hat er auch getan“), das Auftauchen unerwarteter und zufällig erscheinender, meist unreiner Reimungen und Assonanzen („getan“ – „Jahre lang“, „Hüttenwerk“ – „gestellt“), aber auch die alltagssprachliche Häufung der Kopula „und“ sorgen für den Eindruck einer unpoetischen, klischeehaften, trivial-literarischen Ausdrucksweise. So braucht es kaum noch der inhaltlichen Unglaubwürdigkeiten – von dem täglich 24 Kilometer wandernden fünfjährigen Kind bis zum Bau eines Hüttenwerks für 365 Tage x 10 Jahre x 0,5 Pfennig = 1.825 Pfennige –, um die Heldengeschichte als Lüge auszuweisen. Selbst das einzige Zitat des Senators: „So.“, wirkt, wie Winfried Freund beschrieben hat, „durch den unangemessenen Zitationsaufwand […] lächerlich“.51 Die Diskreditierung der Hauptfigur wird zudem durch die musikalische Gestaltung vorangetrieben: Der Song beginnt (und endet) mit einer, die bürgerliche Hochkultur parodierenden Streichersequenz. Stärker noch als diese bewirkt die übermäßige, fast eine Oktave umfassende Dehnung des „Ja“ zu Beginn der Schlusszeile jeder Strophe eine Ironisierung. Die Strophen zwei und drei führen die Aufstiegsgeschichte des Senators in gleichem Aufbau, gleicher Sprachverwendung und gleichen inhaltlichen Unwahrscheinlichkeiten fort. Die Biographie wird aber nun historisch exakt verortet – der Zeitrahmen reicht vom Ersten Weltkrieg (Str. 2, V.1) bis zur Währungsreform 1948 (Str. 3, V.11). Jetzt wird der Senator als prototypischer Kriegsgewinnler erkennbar. Die Handlung in diesen beiden Strophen konzentriert sich (stark verkürzend) auf Zäsuren der deutschen Geschichte und die immer als kausal-logische Folgerungen geschilderten positiven Ergebnisse für den Senator: […] jetzt ist der Krieg verloren, […] Und dann hat er sein Geld genommen, und Grundstücke gekauft. (Str. 2, V.3-7) Und dann kam die Arbeitslosenzeit, dann Adolf. Ja, und ’34, da gehörte ihm […] das ganze Wackelsteiner Ländchen. (Str. 2, V.9f.) Und mitten im Krieg, in schwerer Zeit, da ist der Senator hergegangen und hat noch ein Hüttenwerk auf das Wackelsteiner Ländchen gestellt. (Str. 2, V.16-18.)
50 Ebd., S. 154. 51 Ebd., S. 154.
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Dann ’45, ausgebombt, demontiert. […] Und er war froh, dass er wenigstens noch das Wackelsteiner Ländchen hatte und seine treuen Bauern. (Str. 3, V.1-8) Aber dann ’48, Währungsreform. […] Er hatte eine gute Idee: „Wie wäre es“, sagte sich der Senator, „wenn man aus dem Wackelsteiner Ländchen ein Ferienparadies machen würde?“ Gesagt, getan. Verkehrsminister angerufen – alter Kumpel aus schwerer Zeit. Ja, und dann ist aus dem Wackelsteiner Ländchen das Wackelsteiner Ländchen geworden, wie es heute ein jeder kennt. Und dann ist der Senator hergegangen und hat noch ein Hüttenwerk auf das Wackelsteiner Ländchen gestellt. Ja, wenn der Senator erzählt. (Str. 3, V.11-32)
Gerade dieses Nebeneinander von Weltkrise und individuellem Aufstieg betont den Sonderstatus des Senators. Unverkennbar werden die gesellschaftlichen Folgen der Weltkrisen für die breite Bevölkerung (für die „treuen Bauern“) ausgelassen. Die Behauptung des Erzählers: „Da stand der Senator/wie jeder von uns [Herv. d. Verf.] da“ (Str. 3, V.12f.), entlarvt sich wirkungsvoll als Unwahrheit.52 Durch sie wird der Blick auf die Ursachen für den Erfolg des Senators gelenkt. Sie lassen sich schnell als eine sich beständig vergrößernde Ansammlung von Kapital- und Grundbesitz, darunter Kriegswirtschaftsgewinne, erkennen. Indem Degenhardt über drei lange Strophen den finanziellen Erfolg des Industriellen mit den zwei Weltkriegen verknüpft und hierdurch eine „unverbrüchliche Interessengemeinschaft“ von Kapital und Politik behauptet,53 greift er sichtbar auf Faschismusanalysen zurück, die in den 60er Jahren besondere Gewichtung haben. Zu nennen ist vor allem die so genannte ‚Dimitroff-Definition‘ bzw. ‚Dimitroff-These‘. Diese 1935 erstmals formulierte marxistisch-leninistische Theorie geht von einer strukturellen Identität von Monopolkapitalismus und Faschismus aus.54 In einer solchen 52 Diese Aussage ist auch dadurch besonders betont, dass nur hier der Erzähler explizit als solcher in Erscheinung tritt. 53 Freund, Winfried: Die deutsche Ballade. S. 156. 54 Hierzu und zum Folgenden vgl. Saage, Richard: Faschismustheorien. S. 27-40; Wippermann, Wolfgang: Hat es Faschismus überhaupt gegeben? In: Fritze, Lothar/Loh, Werner/Ders. (Hrsg.): „Faschismus“ kontrovers. Stuttgart 2002, Anm. 19, S. 67; wissenschaftsgeschichtlich ist die Vermittlung und Kritik dieser Fa-
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Sichtweise, die auch an Max Horkheimers Diktum: „Wer aber vom Kapitalismus nicht reden will, sollte auch vom Faschismus schweigen“, erinnert, ist der Nationalsozialismus (als spezifische deutsche Faschismus-Variante) ein Machtinstrument des Kapitals zum Zwecke des Machterhaltes.55 Der Anteil des Bürgertums und auch der Gewerkschaften und der Arbeiterbewegung am Aufstieg des Hitler-Regimes geraten beim Rückgriff auf dieses Erklärungsmuster in den Hintergrund. Bei aller hierin begründeten Fragwürdigkeit einer solchen Faschismustheorie ist deren Attraktivität gerade für ‚linke‘, antikapitalistische Kreise, d.h. auch Degenhardts Stammpublikum, augenscheinlich. Die ‚Dimitroff-These‘ steht in maximalem Kontrast zu ihrem faschismustheoretischen ‚Gegenmodell‘, der von Wilhelm Treue und Henry Ashby Turner jr. vertretenen Kontingenztheorie.56 Gegen sie wendet sich Degenhardts Song. Diese Theorie betrachtet den Nationalsozialismus als essentiell anti-moderne, gegen die Industriegesellschaft gerichtete Bewegung und ermöglicht, zumindest bei einem verkürzten Verständnis, eine Entschuldung der Großindustriellen und ihres Verhaltens. Mit dem NS-Regime kollaborierende Unternehmer wie Fritz Thyssen und Gustav und Alfried Krupp von Bohlen und Halbach, auf deren Karrieren Degenhardt z.B. durch die Erwähnung der „Hüttenwerke“ direkt anspielt, wären in einer solchen Lesart des Nationalsozialismus Ausnahmen und nicht die Regel (zu Thyssen und Krupp vgl. auch Kapitel 6). Dass für Degenhardt das Großindustriellentum jedoch struktureller Bestandteil der nationalsozialistischen Bewegung ist, wird nochmals in der letzten Strophe veranschaulicht. Wie bereits bei Wölfe mitten im Mai und Tarantella, ist es auch in Wenn der Senator erzählt… die letzte Strophe, die die Wirkungsabsicht des Songs formuliert, eine Anknüpfung an die unmittelbare Hörergegenwart, d.h. eine Aktualisierung des Geschilderten, leistet schismusanalysen vor allem mit dem Namen Reinhard Kühnl verbunden (vgl. z.B. Kühnl, Reinhard: Formen bürgerlicher Herrschaft. Liberalismus – Faschismus. Reinbek 1971, v.a. S. 99-146). 55 Hier zit. n. Kliem, Kurt/Kammler, Jörg/Griepenburg, Rüdiger: Einleitung. In: Abendroth, Wolfgang (Hrsg.): Faschismus und Kapitalismus. Theorie über die sozialen Ursprünge und die Funktion des Faschismus. Wien 1967, S. 5; vgl. auch die wissenschaftliche Anwendung dieser These in Czichon, Eberhard: Wer verhalf Hitler zur Macht? Zum Anteil der deutschen Industrie an der Zerstörung der Weimarer Republik. Köln 1972. 56 Vgl. Saage, Richard: Faschismustheorien. S. 13-19; ausformuliert in Treue, Wilhelm: Die Einstellung einiger deutscher Großindustrieller zu Hitlers Außenpolitik. In: GWU 17 (1966), S. 491-507; Turner, Henry Ashby jr.: Faschismus und Kapitalismus. Göttingen 1972, bes. S. 171-181.
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und interpretative Ambivalenzen entstehen lässt. Sie wird eingeleitet durch ein betont gesetztes, eine Differenz zum Vorherigen andeutendes „Aber dann“ (Str. 4, V.1) und unterscheidet sich von den anderen Strophen dadurch, dass sie fast ausschließlich ein direktes, ausführliches Zitat des Senators enthält. Nun endlich ‚erzählt‘ die Hauptfigur selbst. Degenhardt verwendet an dieser Stelle einen durchaus wirkungsvollen Kunstgriff, um die Bedeutsamkeit seiner Grundaussage zu verstärken. Er lässt den Senator den Bericht des Erzählers aus der ersten Strophe fast wörtlich wiederholen: Aber dann wird er traurig, der Senator. „Und wissen Sie was“, sagt er dann, „die waren damals doch glücklicher, die Leute. Wie ich angefangen habe: Sohn eines Tischlers, der war mit 40 schon Invalide, alle Finger der rechten Hand unter der Kreissäge. Mit fünf Jahren schon bin ich jeden Tag von Wackelrode nach Hohentalholzheim gelaufen, zwölf Kilometer hin und zwölf Kilometer zurück. Und warum?“ (Str. 4, V.1-13)
Mit dieser Wiederholung wird Vielfältiges bewirkt. Zum ersten wird klar, dass die in den vorhergehenden Strophen bereits reichlich als unglaubwürdig diskreditierte Biographie des Senators nicht die eigenständige Schilderung des Erzählers, sondern lediglich die Übernahme und Wiedergabe der Selbstdarstellung des Senators ist. Die Irritation des Zuhörers über die ‚Münchhausiade‘ fällt auf den Protagonisten zurück, er ‚entlarvt‘ sich selbst. Zum zweiten wird das lange Zitat jedoch eingeleitet durch den kommentierenden Erzähler, der gemäß des chronologischen Aufbaus der Erzählung nunmehr in der Gegenwart angekommen sein muss. Die Haltung des Senators wird durch die Gegenwärtigkeit pointiert und aktualisiert. Die zirkuläre Struktur des Geschilderten ebenso wie der offensichtliche Sonderstatus des Großindustriellen lassen für den Rezipienten nur einen Schluss zu: Gemäß der Songlogik können nur erneut Weltkrisen und Weltkriege folgen.57
57 Vgl. Freund, Winfried: Die deutsche Ballade. S. 156.
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Zum dritten bewirkt die wörtliche Wiederholung des Bekannten, dass die geringen Abweichungen besonders betont werden. Ihre Funktion besteht in der Formulierung interpretativer Ambivalenzen, die eine Aktivierung des Zuhörers bewirken sollen. Sowohl die, angesichts der historischen Ereignisse zynische Behauptung des Senators: „die waren damals doch glücklicher,/die Leute“ (Str. 4, V.3f.), als auch die im Gegensatz zur ersten Strophe nunmehr fehlende Beantwortung der zentralen Frage: „Und warum?“ (Str. 4, V.13), erfordern eine Reaktion des Rezipienten. Sie zwingen dazu, konservative, restaurative Tendenzen, wie sie Ende der 60er Jahre im Vorfeld der 68er-Revolte wahrgenommen werden, kritisch und hinsichtlich der zugrunde liegenden kapitalistischen Interessen zu hinterfragen. Degenhardts Song gibt hierfür überdeutliche Hinweise auf die Grundzüge der Interessengemeinschaft von Politik und Kapital. Insgesamt wird so eine reduktionistische, den Faschismus auf seine Verbindung mit dem Kapitalismus beschränkende Sichtweise formuliert. Sie kann nicht, wie in dem einleitend genannten Zitat von Adelheid und Ulrich Maske, als „zentrale Erkenntnis“ der Faschismustheorie gewertet werden, sondern muss in ihrem Stellenwert für linke Kreise zeitgeschichtlich eingeordnet werden. Degenhardt stellt sich mit einer solchen Interpretation des Faschismus in eine Linie, die bis zu den Arbeiterliedern der Weimarer Republik zurückreicht. Erich Weinerts Lied Der heimliche Aufmarsch, interpretiert von Ernst Busch, ist hierfür ein eindrückliches Beispiel. Dort heißt es unmissverständlich in der zweiten Strophe: Arbeiter horch! Sie ziehen ins Feld und schrein: für Nation und Rasse! Das ist der Krieg der Herrscher der Welt gegen die Arbeiterklasse! […] Und der Krieg, der vor der Türe steht, [später: „jetzt durch die Länder geht“] ist der Krieg gegen dich Prolet. (Str. 2, V.1-8)58
Aber auch für spätere Songschreiber haben die ‚Dimitroff-These‘ und Abwandlungen von ihr noch eine hohe Anziehungskraft; hierauf wird im Zuge
58 Busch, Ernst: Der heimliche Aufmarsch. T.: Erich Weinert/M.: Hanns Eisler. Aus dem Album: Ernst Busch. Lieder der Arbeiterklasse & Lieder aus dem spanischen Bürgerkrieg. Erschienen 1989, entstanden 1938. Zu dem Text, der auch mehrfach unter dem Titel Heimlicher Aufmarsch erschienen ist, existieren diverse Vertonungen; vgl. zur Wirkungsgeschichte des Songs Böning, Holger: Der Traum von einer Sache. S. 31f.
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der Beschäftigung mit der Politrock-Band Floh de Cologne und auch BAPs Kristallnaach ausführlicher eingegangen. Bei Degenhardt wird sie, das zeigt die Analyse, durch die Beschreibung eines Repräsentanten des Kapitals konkretisiert. Indem neben der faschismustheoretischen Aussage auch Fragen nach Verantwortung, Teilhabe und Schuld des Einzelnen an den zwölf Jahren nationalsozialistischer Herrschaft thematisiert werden, streift der Song den Täter-Diskurs. Dieser ist der zentrale Diskurs, zu dem sich Songschreiber im Vorfeld der 68er-Revolte äußern.
D IE T ÄTER : V ÄTER , I NSTANZEN , M ITLÄUFER Der Täter-Diskurs konzentriert sich auf die Frage, was einen Menschen zum nationalsozialistischen Täter werden lässt, was seine Täterschaft als solche konstituiert, was seine Tat gewesen und wie sie rational erklärbar ist. In den 60er Jahren werden dabei selten konkrete Personen angegriffen, die Kritik bleibt meist, wie zu sehen sein wird, generalisierend und intentional auf einen dichotomen Gegensatz zwischen den Tätern im Allgemeinen und den Opfern bzw. den Nicht-Tätern gerichtet. Die im Folgenden untersuchten Songs entstehen in einem gesellschaftlichen Umfeld, in dem einerseits eine justizielle Aufarbeitung der NS-Verbrechen stattfindet – z.B. mit dem Eichmann-Prozess 1961 und den Frankfurter Auschwitz-Prozessen 19631968 – und andererseits Versäumnisse der Auseinandersetzung u.a. durch künstlerische Werke angeklagt werden, man denke an Peter Weiss’ Die Ermittlung, an Rolf Hochhuths Der Stellvertreter oder die HolocaustSpielfilme der 60er Jahre. In diesem Kontext wird der Tod Benno Ohnesorgs 1967 als ein vermeintlich sicheres Zeichen für die erneuten ‚faschistoiden‘ Tendenzen der Bundesrepublik gelesen und ursächlich für eine Politisierung der Jugend.59 59 Bei diesen Ausführungen, die nur einen Teil des Entstehungskontextes der 68er Revolte andeuten, darf nicht übersehen werden, dass diese Tendenzen bereits deutlich früher benannt wurden, dass den ‚68ern‘ also nicht „die Erstwahrnehmung des Problems einer ‚unbewältigten Vergangenheit‘ zugeschrieben werden kann“ (Frei, Norbert: 1968. S. 79); vgl. zu diesem Komplex z.B. Fischer, Torben/Lorenz, Matthias N. (Hrsg.): Lexikon der „Vergangenheitsbewältigung“ in Deutschland. Debatten- und Diskursgeschichte des Nationalsozialismus nach 1945. Bielefeld 2007, S. 124-176, bes. das Kap. III.C, S. 162-176 sowie Miquel, Marc von: Aufklärung, Distanzierung, Apologie. S. 51-70; Kiesel, Helmuth: Literatur um 1968. S. 594 und S. 601f.
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Bereits bei einer ersten Durchsicht der verfügbaren Songs aus den 60er Jahren zeigt sich, dass in ihnen zahlreiche Aspekte des Täter-Diskurses verhandelt werden, deren literarische Verarbeitung in Prosa- oder Dramenform erst deutlich später einsetzt (insbesondere die Auseinandersetzung mit der Vätergeneration in Form der ‚Väterliteratur‘ und dem ‚Deutschen Charakter‘ in Folge der Studien von Alexander und Margarete Mitscherlich).60 Gleichzeitig finden sich in der Kritik an gesellschaftlichen Instanzen (Universität, Politik, Medien) Täter-Anklagen, die bereits direkt auf die 68erRevolte verweisen. Beispielhaft sichtbar wird dies, wenn man sich den frühen Songs von Wolf Biermann zuwendet. Wolf Biermann: Das Familienbad (Der nette fette Vater) (1965/1977) Über kaum einen Songschreiber aus dem deutschsprachigen Raum ist so viel geforscht und veröffentlicht worden wie über den 1936 in Hamburg geborenen Wolf Biermann. Sein Werdegang als Sohn eines in Auschwitz ermordeten Kommunisten, sein freiwilliger Übertritt in die DDR 1953 und die Tätigkeit als Regieassistent an Brechts Berliner Ensemble, seine Rolle als kontroverser, regimekritischer und ab 1963 mit Auftrittsverbot belegter ‚Liedermacher‘ bis zu seiner Ausbürgerung 1976 im Anschluss an einen Auftritt in der Kölner Sporthalle sind Gegenstand zahlreicher, überwiegend sympathisierender Forschungspublikationen.61 Die meisten Untersuchungen konzentrieren sich allerdings auf Wolf Biermanns Verhältnis zur DDR, einige wenige zudem auf literaturhistorische Anknüpfungspunkte, insbeson-
60 Vgl. Koch, Carina: Väterliteratur. In: Fischer, Torben/Lorenz, Matthias N. (Hrsg.): Lexikon der „Vergangenheitsbewältigung“ in Deutschland. S. 193f.; Hobuß, Steffi: Alexander und Margarete Mitscherlich: „Die Unfähigkeit zu trauern.“ In: Ebd., S. 183-185. 61 Einige wichtige Überblicksdarstellungen sind Arnold, Heinz Ludwig (Hrsg.): Wolf Biermann. München 1975; Rothschild, Thomas (Hrsg.): Wolf Biermann. Liedermacher und Sozialist. Reinbek 1976; Arnold, Heinz Ludwig (Hrsg.): Wolf Biermann. Zweite veränderte Aufl. München 1980; präziser ausgedrückt erhielt Biermann Anfang 1963 zunächst ein zeitweiliges, erst 1965 dann zu einem absoluten verschärftes Auftrittsverbot (vgl. Kirchenwitz, Lutz: Folk, Chanson und Liedermacher in der DDR. S. 23); zu Biermanns Ausbürgerung ist eine ausführliche Dokumentation erschienen: Berbig, Roland u.a. (Hrsg.): In Sachen Biermann. Protokolle, Berichte und Briefe zu den Folgen einer Ausbürgerung. Berlin 1994.
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dere zu Heinrich Heine, François Villon, Kurt Tucholsky und Bertolt Brecht.62 Biermann, dessen 1965 im Westen erschienene Sammlung Die Drahtharfe zum meistverkauften Gedichtband seit 1945 wurde,63 lässt sich als Ausnahmeerscheinung auf dem Gebiet des deutschsprachigen politischen Songs bewerten. Als Vertreter einer populärmusikalischen „Ablehnung des Bürokratismus“, der „Bejahung vitaler Vergnügungen (Sexualität, Essen, Trinken)“ und des „Eintreten[s] für den Sozialismus“ wurde er insbesondere in den 60er Jahren zu einer Projektions- und Angriffsfläche für revolutionäre Wünsche und Ängste.64 Aus Sicht der Songschreiber deutet Franz Josef Degenhardt diesen Sonderstatus 1968 in seinem Song Für wen ich singe an: „Ich singe nicht für euch, […]/ihr, die ihr euch nicht schämt/den Biermann aufzulegen, weil der so herrlich revolutionär ist./Nein, für euch nicht.“65 Biermann selbst, mit dem ihm eigenen Selbstbewusstsein, hat sich in zahlreichen Äußerungen bemüht, seine Unverbundenheit mit der ‚Liedermacher‘-Szene herauszustreichen. Ein Beispiel aus seiner 1997 in Düsseldorf gehaltenen Poetikvorlesung, das zudem einiges über das Selbstverständnis des Künstlers verrät, zeigt dies: Sollte ich Anfang der sechziger Jahre etwa als klampfende Spottfigur à la Hannes Wader den amerikanischen Picking-Style nachäffen? Oder sollte ich mir Franz Josef Degenhardt zum Vorbild nehmen, dem ein Eisbein in der Brust schlägt, der die genial-primitive Gitarrenbegleitung von Georges Brassens wie ein plumper teutscher Zupfgeigenhansel nachzupfte und damit zuerst in seiner national-bündischen Jurte und dann in seinem nationalbolschewistischen DKP-Käfig herumtümelte?66
62 Zu Ersterem vgl. beispielsweise Shreve, John: Nur wer sich ändert, bleibt sich treu. Wolf Biermann im Westen. Frankfurt a.M. u.a. 1989. Diss. Berlin 1988, v.a. S. 13: „Im Grunde hatte Biermann [bis zu seiner Ausbürgerung] nur ein Thema: den ‚real existierenden Sozialismus‘. Alles andere waren Variationen dieses Themas.“ Hier auch eine präzise Darstellung von Biermanns Biographie, S. 1-43; eine literaturhistorische Einordnung unternimmt z.B. Riha, Karl: Moritat, Bänkelsong, Protestballade. S. 36. 63 Vgl. Rothschild, Thomas: Also doch auch mit Gitarre. In: Hinck, Walter (Hrsg.): Geschichte im Gedicht. S. 273. 64 Schwendter, Rolf: Biermann, der Außenseiter. In: Rothschild, Thomas (Hrsg.): Wolf Biermann. S. 49. 65 Degenhardt, Franz Josef: Für wen ich singe. T./M.: Franz Josef Degenhardt. Aus dem Album: Wenn der Senator erzählt… Erschienen 1968, Str. 1, V.1-19. 66 Biermann, Wolf: Wie man Verse macht und Lieder. S. 201.
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Biermann macht hier, neben einer politischen Stellungnahme gegen die bundesrepublikanische Linke, deutlich, dass sich seine poetischen Zielsetzungen sowohl auf die musikalische Gestaltungsebene als auch eine textlich-emotionale („Eisbein in der Brust“) erstrecken. Ohne den Interpretationen vorgreifen zu wollen, ist es daher sinnvoll, Grundzüge der Biermann‘schen Poetik zu überblicken, um sie an den im Folgenden zu untersuchenden Songs überprüfen zu können. Gerade an den (zahlreichen) Äußerungen zum eigenen Schaffen wird ersichtlich, welche Wirkungsabsichten Wolf Biermann mit seinen politischen Songs hat. Dabei lässt sich grundsätzlich erkennen, dass er sowohl in textlicher als auch musikalischer Hinsicht eine Abgrenzung von bzw. Erweiterung der Ästhetik des Folk erreichen will. Auch wenn Biermann seine Stücke folktypisch mit der akustischen Gitarre instrumentiert und nur selten andere Instrumente ergänzt, fast alle Songtexte Reimungen und meist einen klassischen Grundaufbau aufweisen, schließlich eine Dominanz der Text- über die Musikebene auszumachen ist,67 so unterscheiden sich seine Songs doch in zweierlei Hinsicht von beispielsweise denen Franz Josef Degenhardts. Erstens: Der Anspruch, den Biermann an die musikalische Gestaltung seiner Songs stellt, steht stärker in der Tradition von Bertolt Brechts epischem Theater als der Volksliedtradition, indem die Musik weniger eine Hilfestellung zur Interpretation des Textes leisten soll als vielmehr eine „dialektische Einheit“68 mit ihm bilden soll. „Das heißt, in gewisser Weise muß die Musik gegen den Text stehen. Auf jeden Fall soll sie etwas leisten, was der Text selber nicht hat“, erklärt Biermann selbst.69 Inwieweit die Musik Aussagen auf der Textebene hinterfragt oder unterstützt, wird bei den einzelnen Songs zu fragen sein. Zweitens: Biermann steht in stärkerem Gegensatz zur Sprech67 Vgl. Jungheinrich, Hans-Klaus: Wolf Biermann als Musiker. S. 108-111. 68 Rothschild, Thomas: Notate zu Wolf Biermann. S. 11. 69 Antes, Klaus: Wolf Biermann im Gespräch mit Klaus Antes. In: Arnold, Heinz Ludwig (Hrsg.): Wolf Biermann (1975), S. 25. In diesem Gespräch erklärt er an gleicher Stelle: „Das ist eine Frucht der Belehrung, die ich die Ehre hatte, von Hanns Eisler zu empfangen, der mir ja erklärte, daß seiner Meinung nach – ich habe mich dem gerne angeschlossen – die Musik nicht dazu da ist, den Text nur zu servieren oder gar zu kopieren, sondern sie soll ihn möglichst interpretieren.“ (ebd., S. 25); vgl. zur musikalischen Ebene in Biermanns Songs Kühn, GeorgFriedrich: Kutsche und Kutscher. Die Musik des Wolf Biermann. In: Arnold, Heinz Ludwig (Hrsg.): Wolf Biermann (1975), S. 69-93; Jungheinrich, HansKlaus: Wolf Biermann als Musiker. S. 104-115 und Volckmann, Silvia: Die ästhetische Form als politische Aussage. In: Rothschild, Thomas (Hrsg.): Wolf Biermann. S. 86-101.
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weise des Folk bzw. der ‚Ideologie des Folk‘ als Degenhardt (und rückt sich in die Nähe des Rock), wenn er von den Texten eines Songs fordert: „Im Lied, im Gedicht will ich gern sehn, welche Schatten die wirkliche Welt in der Steinhöhle des Gemüts eines Dichters wirft.“70 Weniger die faktische, durch nachprüfbare Verweise gesicherte Objektivität, wie z.B. bei Degenhardts Wenn der Senator erzählt…, steht also im Zentrum der Aussage als die Spiegelung gesellschaftlicher Entwicklungen im (autobiographischen) Subjekt. Biermann hat mehrfach eben diese Perspektive, die er in einem Spiegel-Artikel als den Moment, wenn sich „das Familienbuch berührt mit dem Geschichtsbuch“ bezeichnete, als grundlegend für sein Schreiben bezeichnet und ihren Verlust nach der Ausbürgerung beklagt.71 So erklärt er in dem Band Und als ich von Deutschland nach Deutschland: „Etliche dieser [meiner] neuen politischen Lieder hatten einen kleinen Mangel: sie waren ja tot. Das Politische in ihnen blieb unpolitisch, denn sie waren nicht privat genug: ich kam mit meinem ICH in ihnen nicht vor.“72 Und an gleicher Stelle formuliert Biermann noch ausdrücklicher: „In dieser ersten Zeit des Herumtappens hatte ich vergessen, daß es ein einziges unverzichtbares Wort in Liedern und Gedichten gibt: ICH. Und eben dieses Wörtchen war im Osten zurückgeblieben.“73 Diese Aussagen Biermanns zu seiner Songproduktion können anhand einiger Songs, in denen er sich mit den nationalsozialistischen Tätern beschäftigt, überprüft werden. Als erstes Beispiel eignet sich der in verschiedener Ton- als auch als Druckfassung (z.B. in der Drahtharfe) erschienene Song Das Familienbad (Der nette fette Vater). Er ist 1962 entstanden, 1965 auf Biermanns erstem offiziellen Album Wolf Biermann (Ost) zu Gast bei Wolfgang Neuss (West) veröffentlicht und für das Album Der Friedensclown 1977 neu aufgenommen und stark verändert worden.74 Der durch den Binnenreim humorvolle und Gemütlichkeit vortäuschende Songuntertitel 70 Biermann, Wolf: Wie man Verse macht und Lieder. S. 40. 71 Ders.: Triefende Dichtung und banale Wahrheit. Wolf Biermann in eigener Sache. In: Der Spiegel 40 (1981), S. 248. 72 Ders.: Und als ich von Deutschland nach Deutschland… S. 13. 73 Ebd., S. 13; vgl. hierzu auch Antes, Klaus: Biermann. In: Arnold, Heinz Ludwig (Hrsg.): Wolf Biermann (1975), S. 13. 74 Biermann, Wolf: Das Familienbad (Der nette fette Vater). T./M.: Wolf Biermann. Aus dem Album: Wolf Biermann (Ost) zu Gast bei Wolfgang Neuss (West). Erschienen 1965. Die zweite Fassung ist aus dem Album: Der Friedensclown. Lieder für Menschenkinder. Erschienen 1977; der Text wird angegeben nach Biermann, Wolf: Nachlaß 1. Köln 1977, S. 66f.
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stellt die Hauptfigur vor, einen Vater, der „jeden Samstag“ (Ref. 1, V.1) seine Familie, Frau und Kinder, in die Badewanne zwingt. Die allwöchentlichen Geschehnisse werden von Biermann in drei achtzeiligen Strophen vorgeführt. Die Stellung des Refrains weicht minimal von der gängigen Songstruktur ab; er leitet den Song ein, wiederholt sich nach den ersten zwei Strophen und beendet den Song. Winfried Freund, der eine sehr lesenswerte Interpretation des Songs vorgenommen hat, erläutert die Funktion dieser Abweichung als eine Betonung der „Wiederkehr des ewig Gleichen im Familienalltag“.75 Dieser Alltag wird von Biermann in einer ungewöhnlichen Sprache beschrieben. Sie ist charakterisiert durch eine einfache, häufig umgangssprachliche, sogar unbeholfen wirkende Wortstellung und Wortwahl (z.B. „In die […]/Badewanne mit den Flecken/tut der Vater jeden Sonna’mt/seine Kinder stecken“ [Str. 1, V.1-4]). Besonders betont ist ein durch die Abtrennung der ersten Silbe entstehendes, in jedem Refrain wiederholtes Wortspiel: Jeden Samstag geht der nette fette Vater einen Eimer Kohlen holen aus dem Keller für das Bad dass er sau dass er sau dass er saubre Kinder hat (Ref. 1, V.1-6)
Unterstützt wird der hier entstehende Eindruck von Kinderliedhaftigkeit durch die Reimungen. Neben zahllosen Binnenreimen fallen vor allem unsaubere Reime auf, die (gerade weil sie irritieren) Betonungen und Verknüpfungen schaffen. Die zweite Strophe führt dies ausführlich vor: Und er spielt mit seiner Frau, blaues blaues Mittelmeer. Er war in den vierzigeeer Jahren ein paar Wochen da als Major von Adolf Hitleeer und jetzt spielt er Militär mit der Frau im Mittelmeer Mittel- Mittel- Meer (Str. 2, V.1-8)
75 Freund, Winfried: Die deutsche Ballade. S. 160. Freund geht allerdings von der Druckfassung aus, in der im Gegensatz zur Aufnahme der Refrain am Ende nicht wiederholt wird.
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Über die Reime wird eine Assoziationskette hergestellt, die das Verhalten des Vaters erklärt: „Mittelmeer“ > „vierzigeer“ > „Hitleer“ > „Mittelmeer“. Ergänzt werden kann der im Refrain ‚reimfrei‘ gelassene „Vate[e]r“. Hier wird eine Historisierung und Konkretisierung des familiären Badens vorgenommen, die es ermöglicht, den Vater als Kriegsteilnehmer und Täterfigur zu erkennen. Von dieser Strophe aus erklären sich alle anderen Verse vorund hinterher. Der ausgeprägte Wunsch des Vaters nach Sauberkeit wird nun verständlich als Metapher für den Wunsch, sich von der Vergangenheit rein zu waschen, d.h. eine Entschuldung durchzuführen. Die Flecken in der Badewanne deuten jedoch gleichzeitig deren Unmöglichkeit an.76 Ob man das „blaue Mittelmeer“ nun psychologisch wie Freund als „Schlüsselreiz“ deutet, symbolisch als (schlagereskes) unbelastetes Fernidyll oder das Verhalten des Vaters als nostalgische Rückeroberung der Vergangenheit wertet, unverkennbar bleibt, dass gerade der Versuch des Vaters, Sauberkeit zu erreichen, zirkulär durch eine Konfrontation mit der eigenen biographischen Täterrolle erkauft wird.77 Der Song lässt keine Zweifel daran, welche Reaktion hieraus resultiert: Plötzlich kommt ein Hai daher plötzlich ist die Frau nicht mehr Und das Badewasser rötet sich, wenn Vater tötet (Str. 3, V.1-4)
Die durch die Konfrontation mit der Vergangenheit entstehende mörderische Aggression wiederholt sich und verweist (durch die Beschreibung im Präsens) auf die Songgegenwart. In dieser ist es rein logisch nicht möglich, dass allwöchentlich das Familienbad mit dem Tod der Mutter endet und anschließend Folgendes geschieht: Und am nächsten Morgen wachen seine Kinder auf und machen leis die Tür zum Bade auf: Da liegt ein satter Hai Mutter ist nicht mehr dabei ist nicht mehr nicht (Str. 3, V.5-10)
76 Vgl. hierzu auch ebd., S. 160. 77 Freund schreibt: „Ein Schlüsselreiz, wie die spielerische Gleichsetzung des Badewasserspiegels mit dem Mittelmeer, genügt, um sie [die Aggression, d. V.] in ihrer maßlos zerstörerischen Gewalt zu entbinden.“ (ebd., S. 161).
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Der logische Bruch verhindert eine Lesart als simple, moritatenhafte Gruselgeschichte und erzwingt eine symbolische Interpretation. Sie lässt nur den Gedanken zu, dass eine fehlende Aufarbeitung der Kriegstraumata zu beständiger (innerfamiliärer) Wiederholung aggressiven Verhaltens führen muss bzw. gar, dass das destruktive Verhalten der Väter ein Potential zur Übertragung auf die nachfolgende Generation der Kinder beinhaltet.78 Diese Song-Erzählung ließe sich bei Unkenntnis des Autors und seines politischen Standpunkts durchaus als psychologisierende Schilderung der Traumata eines Kriegsteilnehmers lesen. Eine Identifikation mit dem TäterVater wird nicht zwangsläufig unterbunden, auch wenn die Sprache distanzierende und ironisierende Anteile aufweist.79 Zunächst einmal stellt der Vater einen durch den Krieg veränderten Heimkehrer dar, der in gewisser Weise an die Heimkehrerschilderungen Bölls, Borcherts und die Anfänge der Väterliteratur erinnert.80 Jeder Möglichkeit apologetischer Identifikation stellt sich jedoch Biermanns musikalische Gestaltung entgegen, die von der ersten der zwei vorliegenden Fassungen (beides sind Live-Aufnahmen) zur zweiten noch verstärkt ist. In der ersten Version von 1965, die Biermann einleitet als „Ballade von dem biederen Familienvater, welcher eines Tages seine Frau aufgegessen hat“, unterscheiden sich Strophen und Refrains musikalisch stark voneinander. Die Strophe, in der das Tempo verschleppt wird und die Gitarre einen marschähnlichen Tangorhythmus andeutet, wird im Gesang überdeutlich intoniert und mit Koloraturen versehen. Stärker als es in der Druckfassung sichtbar werden kann, betont Biermann die Enjambements, die sich auch auf einzelne Worte, z.B. die „Sau-/berkeit“ (Str. 1, V.6f.) erstrecken. An zwei Stellen unterstreicht die Aufführung den Inhalt: Ein Gitarrencrescendo hinter der ersten Erwähnung des „Mittelmeer“ betont die besondere Bedeutung der nun einsetzenden Beschreibung, eine Generalpause nach dem Tod der Mutter markiert eine Zäsur. Der Refrain ist von einem Off-Beat dominiert, Biermann fällt hier in sein charakteristisches Halb-Schreien mit überschlagender Stimme, Konsonantenverschlei-
78 Vgl. ebd., S. 162. 79 Diese Ansicht vertritt Freund, wenn er schreibt: „Spiel und parodistische Nachahmung in der sprachlichen Gestaltung rücken das geschilderte Geschehen, das ohnehin durch und durch banal erscheint, auf ironische Distanz. Auf diese Weise wird der Identifikation mit dem Kleinbürgeridyll wirkungsvoll vorgebeugt.“ (ebd., S. 160). 80 Vgl. Koch, Carina: Väterliteratur. S. 193f.
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fungen und hetzendem Zeilendurchlauf und setzt so durch den übertriebenen Präsentationsaufwand des Refrains noch eindeutigere Ironiesignale. Die Version von 1977, erschienen auf einem Album mit Kinderliedern, hinterlässt den Hörer aufgrund des improvisierten und an einen lautstarken Kindergeburtstag erinnernden Charakters zunächst einmal ratlos. Die Irritation entsteht durch die Teilhabe einer Gruppe mitsingender, lachender, kommentierender, nachfragender und kreischender Kinder an der Aufnahme. Insbesondere der Refrain, ohrenbetäubend begleitet durch halbrhythmisches Topf- und Schellenkränzeschlagen, gerät zu einem dissonanten Kollektivgeschrei. Interessant ist, dass Biermann in dieser Aufnahme zum einen inhaltliche Erläuterungen zum Text vornimmt, so stellt er an die Kinder die Frage: „Was war in den vierziger Jahren?“, und beantwortet sie: „Da war der Krieg, Mensch, da war da so’n altes Naziarschloch, da ist der für Adolf Hitler in Krieg gezogen, da war der am Mittelmeer, und da haben sie andere Völker überfallen“, zum zweiten nimmt er dem Text durch Witze die Härte. Es kommt z.B. zu folgendem Dialog vor der letzten Strophe: Biermann: „Jetzt kommt das Unglück – wer weiß es?“ Kind: „Er lässt sich scheiden.“ Biermann: „Das ist doch kein Unglück.“
Während dem Songtext in dieser Aufnahme insgesamt seine Ernsthaftigkeit abhanden kommt, wird gleichzeitig die Destruktion und Desavouierung der Vaterfigur noch weiter vorangetrieben. War diese im Vorfeld der 68erRevolte noch eine, durch sprachliche, musikalische und inszenatorische Signale in ihrer Brutalität, Vergangenheitssehnsucht und Traumatisierung zu entlarvende autoritäre Figur, so ist der Vater 1977 nur noch eine von den Kindern verlachte und kollektiv als „sau- sau- sau-“ beschimpfte Witzfigur. In beiden Versionen ist der „nette fette Vater“, ganz ähnlich dem ‚netten‘ Senator aus Degenhardts Song, keineswegs individuell beschrieben oder konkret auf eine zeitgenössische Person bezogen, sondern als typischer Vertreter einer gesellschaftlichen Machtinstanz dargestellt. So wird eine Homogenität der beschriebenen Gruppierung (in diesem Fall der ‚Väter‘) behauptet, die insgesamt typisch für die Songproduktion der 60er Jahre ist und sich in Gesellschaft weiß mit den angloamerikanischen Vorbildern (z.B. Bob Dylans Masters of War), zeitgenössischer Publizistik (von Amérys generalsierender Opfer-Täter-Dichotomie bis zum Täter-Kollektiv
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der Mitscherlichs)81 und letztlich auch mit der Literaturproduktion der 60er Jahre.82 Anders jedoch als Degenhardt in seiner Beschreibung eines Kapitalisten verzichtet Wolf Biermann in seinem Song auf eine Ausformulierung und Benennung von Taten und Verantwortung des ‚Angeklagten‘. Allein die Teilnahme am Zweiten Weltkrieg „als Major von Adolf Hitleeer“ genügt als Schuldausweis. Hiermit stellt sich Biermann direkt in den literarischen prä-68er-Diskurs der Anklage von Autoritäten, die auf familiärer Ebene personifiziert werden durch den Heimkehrervater.83 Biermann argumentiert in seinem Song genauso verallgemeinernd und damit reduktionistisch, wie es Günter Grass 1965 in seiner Rede im Bundestagswahlkampf Ich klage an als typisch für seine Generation kritisierte: „Es wäre billig, die Generation unserer Väter anzuklagen. Sie hat ihr Urteil schon im Gepäck und trägt schwer daran, ob sie will oder nicht. […] Die Väter wurden schuldig unter Zwang; jedes Schuldkonto jedoch, das heute eröffnet wird, türmt sich freiwillig.“84 Dieser Eindruck eines an die Väter gerichteten ‚Generalverdachts‘ entsteht auch dadurch, dass Biermann seine eingangs zitierten poetologischen Forderungen nicht einlöst und weder die Figur des Vaters in einem (autobiographischen) Sängersubjekt spiegelt noch die musikalische Gestaltung zur Hinterfragung des Textes nutzt. Die „Naziväter“ Mit seinem Angriff auf die Autorität des Vaters ist Wolf Biermann Mitte der 60er Jahre keineswegs allein. Auch andere Songschreiber wie Franz Josef Degenhardt, Walter Mossmann oder Rio Reiser beschäftigen sich in-
81 Vgl. Fischer, Torben: Jean Améry: „Jenseits von Schuld und Sühne“. In: Ders./Lorenz, Matthias N. (Hrsg.): Lexikon der „Vergangenheitsbewältigung“ in Deutschland. S. 159-161; Hobuß, Steffi: Alexander und Margarete Mitscherlich: „Die Unfähigkeit zu trauern.“ S. 183-185. 82 Vgl. Gehrke, Ralph: Literarische Spurensuche. Elternbilder im Schatten der NSVergangenheit. Opladen 1992. Diss. Osnabrück 1991, S. 61-69. 83 Vgl. Franz, Monika: Spiegelungen II. Das Tribunal der Kinder. Literarische Blicke der „68er“. In: Einsichten und Perspektiven. Bayrische Zeitschrift für Politik und Geschichte 1 (2006). In: http://www.km.bayern.de/blz/eup/01_06/9.asp, 06.05.10. 84 Grass, Günter: Ich klage an. Rede im Bundeswahlkampf. In: Ders.: Werkausgabe in 16 Bänden. Band 14: Essays und Reden I. 1955-1969. Hrsg. v. Daniela Hermes. Göttingen 1997, S. 145.
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tensiv mit dem „Deutschland der Naziväter“.85 1965 auf dem Album Spiel nicht mit den Schmuddelkindern schildert Degenhardt beispielsweise einen als Der schwarze Mann bezeichneten „Kinderschreck“.86 Der Protagonist wird in nur wenigen Worten als jemand beschrieben, der„zahm und mild“ (Str. 5, V.4), „wenn ihr in die Kirche geht/an der Theke steht“ (Str. 1, V.7f.). Weniger kunstvoll als sonst auf dem Album aber dennoch präzise baut Degenhardt einen Gegensatz zwischen der Vätergeneration und der pazifistischen, auch nicht kritiklos betrachteten Sprechergeneration auf. Unmissverständlich wird zunächst erklärt: Früher hat mein Väterchen Leute umgebracht. Alle haben zugesehn und dazu gelacht. (Str. 2, V.1-4)
Diesen Taten steht folgende Aussage des lyrischen Ichs entgegen: Leider liegt mir aber fern Blutrausch, Wut und Hass. Blutet eine Katze vor mir aus, wird mir schlecht, ich werde blass. (Str. 4, V.3-6)
Sie läuft hinaus auf die zentrale Feststellung: Leider komme ich, zu mein und aller Graus, nicht auf meinen Vater raus. (Str. 4, V.7f.)
Sicherlich karikiert Degenhardt durch den (anachronistischen) Sprachgebrauch die (dem Sprecher zuzuweisende) politische Schlichtheit der Aussage. Durch sie wird ein gewisses jugendliches pazifistisches Selbstverständnis kritisiert. Zentrale Aussage des Songs ist jedoch die generalisierende Anklage an die Vätergeneration, aktiv teilgenommen zu haben an den mörderischen Taten des nationalsozialistischen Regimes. 85 So heißt es in Degenhardt, Franz Josef: Fast autobiographischer Lebenslauf eines Westdeutschen Linken. T./M.: Franz Josef Degenhardt. Aus dem Album: Im Jahr der Schweine. Erschienen 1969, Str. 3, V.1. 86 Ders.: Der schwarze Mann. T./M.: Franz Josef Degenhardt. Aus dem Album: Spiel nicht mit den Schmuddelkindern. Erschienen 1965. In der ersten Strophe heißt es: „Eltern sagen ihren Kindern: ‚Seht,/der da ist der schwarze Mann‘“ (Str. 1, V.5f.), später: „Und ich bleibe, was ich bin: nichts als ein Dreck/und der Kinderschreck“ (Str. 5, V.7f.).
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Dieser Vorwurf wird auch in späteren Songs Degenhardts immer wieder aufgegriffen und modifiziert.87 So ist zwar die Kriegserfahrung in dem geradezu kabarettistischen Rollensong und als Monolog an Rudi Dutschke gestalteten Vatis Argumente (Ärmel aufkrempeln, zupacken, aufbauen) nur noch ein Teilbereich des Lebenslaufs, aber als solcher weiterhin konstitutiv für das Verhalten des Vaters in der Gegenwart:88 Als ich so alt war wie sie ich habe mir auch nichts gefallen lassen hatte immer Krach mit dem Fähnleinführer […] aber bei aller Aufsässigkeit wenn Not am Mann war da hieß es doch ÄRMEL AUFKREMPELN ZUPACKEN AUFBAUEN (Str. 4, V.19-29)
Die Auseinandersetzung mit der Schuld der Vätergeneration reicht bis zu den aktuellsten Alben Degenhardts und ist immer anhand eines bipolaren Täter-Opfer-Verhältnisses konstruiert. So stehen sich in einem 2002 veröffentlichten Song noch die gleichen Positionen gegenüber; zwei schon alternde Jugendfreunde, dies auch der Titel des sechzehnminütigen Songs, werden weiterhin charakterisiert durch das Verhältnis ihrer Väter zum NSRegime:89 Seinem Vater hat er nie verziehen, dass der sich von den Nazis in den Knast hat stecken lassen und ihn allein ließ unter dem Terrorregime seiner gewalttätigen Mutter. Und ich war neidisch, 87 In dem Song Vom Machen, Schreiben, Lesen verfasst Degenhardt einen selbstkritischen Beitrag über die einseitige Kritik an den Vätern, dessen zentrale Aussage darin besteht, die Linke habe zwar Kritik geübt, aus dieser jedoch keine realpolitisch funktionale Praxis entwickelt, so heißt es z.B. in der ersten Strophe: „Alles genau beschrieben/mit ziemlich gutem Gewissen,/wie es die Väter getrieben/was die hätten machen müssen/Das hat sich sehr gut gelesen, /als wäre man dabei gewesen/Man war aber nicht“ (Ders.: Vom Machen, Schreiben, Lesen. T./M.: Franz Josef Degenhardt. Aus dem Album: Im Jahr der Schweine. Erschienen 1969, Str. 1, V.1-7); vgl. auch Maske, Adelheid/Maske, Ulrich: Franz Josef Degenhardt und seine Lieder. S. 93. 88 Degenhardt, Franz Josef: Vatis Argumente (Ärmel aufkrempeln – Zupacken – Aufbauen). T./M.: Franz Josef Degenhardt. Aus dem Album: Für wen ich singe. Erschienen 1968. 89 Ders.: Jugendfreunde. T./M.: Franz Josef Degenhardt. Aus dem Album: Quantensprung. Erschienen 2002.
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weil er einen Heldenvater hatte und nicht bloß diesen kleinen, miesen Nazipapa. (Str. 8, V.7-13)
Insgesamt fällt auf, dass in den meisten Songs die Beschäftigung mit der Schuld der Väter ein reiner Angriff ist, ohne dass der Versuch einer genaueren Analyse oder Reflexion ihres Verhaltens unternommen würde; die politischen ‚Vätersongs‘ der 60er Jahre sind in ihrer Wirkungsabsicht eindeutig als agitative Songs erkennbar. Erstaunlich ist dabei, dass die ‚Vätersongs‘ nahezu keinerlei dokumentarische Techniken anwenden, um den Angriff auf die Väter durch historisch verifizierte und vom Rezipienten nachprüfbare Informationen zu plausibilisieren. Die Schuld der Väter ist, das lässt sich schließen, in den Prä-68er Jahren derartig eindeutig, dass keinerlei Verifikation und Authentifizierung durch sprachliche und musikalische Mittel benötigt wird. Sowohl inhaltlich als auch formal lassen sie dadurch häufig jegliche innovativen Aspekte vermissen und geraten stellenweise zu Plattitüden. Ein besonders eindeutiges Beispiel hierfür, auf das später noch ausführlicher eingegangen wird (vgl. Kapitel 6), ist der von Walter Mossmann in seinem Lied vom Grünen Gras vorgenommene ‚Rundumschlag‘ gegen die Väter, Mütter, Lehrer, Kollegen und Meister.90 Die erste Strophe reduziert das Verhalten des Vaters auf einen unreflektierten Opportunismus, der sich aber in Klischees äußert und dessen satirische Beschreibung durch Mossmann deshalb übertrieben und verkürzt erscheint: Was soll man sagen, Vater mein, wenn alle Leut ‚Heil Hitler‘ schrein? Kind halt’s Maul! Herr Vater [in der Druckfassung: „Ach Mutter“] sag mir, was man tut, holt die SS den Nachbarsjud? Kind, halt’s Maul! Ich hab das Maul gehalten, Jaa! Sonst wär ich nämlich nicht mehr da, und willst du überleben, dann: Pass dich an! Ja Ja Ja Jajajaja (Str. 1, V.1-12)
90 Mossmann, Walter: Lied vom Grünen Gras. T./M.: Walter Mossmann. Aus dem Album: Neue Flugblattlieder. Erschienen 1977, Druckfassung: Mossmann, Walter: Flugblattlieder, Streitschriften. Berlin 1980, S. 140f.
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Die Kritik am Vater bezieht sich hier noch (ausschließlich) auf dessen Verhalten während des Nationalsozialismus. Im direkten Nachfeld der 68erRevolte z.B. in den Songs Rio Reisers und seiner Band Ton Steine Scherben muss sie dann gar nicht mehr begründet werden. Hier reicht es aus ohne Konkretisierung mitzuteilen: Ich will nicht werden, was mein Alter ist.91 Als Hauptvorwurf bleibt auch dort der Opportunismus der Elterngeneration bestehen. Gesellschaftliche Instanzen (Politik, Universität) Es sind allerdings nicht nur die Väter und (selten) Mütter, die Ziel des für die 60er Jahre charakteristischen Angriffs auf Autoritäten werden, sondern nahezu alle gesellschaftlichen Machtinstanzen, die von ihrer nationalsozialistischen Vergangenheit weiterhin belastet scheinen.92 Die Songschreiber unterscheiden in ihrer Beschreibung von Schuldigen dabei – im Gegensatz zu dem generalisierenden Angriff auf die Vätergeneration an sich – sehr sorgfältig zwischen direkt verantwortlichen Tätern und opportunistischen Mitläufern. Walter Mossmann z.B. hat diese Unterscheidung in mehreren Songs, die er „Flugblattlieder“ nennt, vorgenommen.93 Ihre Gewalt und die unsere aus dem Jahr 1968 ist zunächst ein Beispiel dafür, welche gesellschaftlichen Instanzen von der Studentenbewegung als belastet durch die nationalsozialistische Vergangenheit bewertet werden.94 Entgegen dem Titel geht es kaum um eine Gegenüberstellung zweier Formen von Gewalt und eine Problematisierung studentischer Proteste, sondern um eine Aufzählung und Benennung ehemaliger und gegenwärtiger Täter. Mossmann nennt den „Herr[n] im Parlamente“ als Vertreter der Staatsmacht (Str. 1, V.2), den Kanzler (Str. 3, V.1), den „reiche[n] Volksverhetzer“ Axel Springer (Str. 4, V.2) und schließlich das Militär (Str. 7, V.4). Sie alle werden zum einen anhand ihres Verhaltens in der Songgegenwart und zum zweiten aufgrund ihrer nationalsozialistischen Vergangenheit kritisiert. Jede Handlung der Machtinstanzen wird erläutert durch 91 Ton Steine Scherben: Ich will nicht werden, was mein Alter ist. T./M.: Ralph Möbius. Aus dem Album: Warum geht es mir so dreckig? Erschienen 1971. 92 Vgl. Hahn, Ulla: Literatur in der Aktion. S. 64-86. 93 Vgl. Rothschild, Thomas: Liedermacher. S. 124f. 94 Mossmann, Walter: Ihre Gewalt und die unsere. T./M.: Walter Mossmann. Aus dem Album: Chansons, Flugblattlieder, Balladen, Cantastorie & Apokryphen. Erschienen 2004, entstanden 1968.
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einen Rückgriff auf das NS-Regime und jede ihrer Rechtfertigungen von Gewaltanwendung gegen die Studenten damit sofort widerlegt.95 So wird beispielsweise die Gewaltanwendung der Staatsmacht („Knüppel […] aufs Genick“ [Str. 1, V.3]) von ihren Vertretern damit gerechtfertigt, dass sie eine Aktualisierung des „antifaschistischen Widerstands“ (Str. 2, V.1) sei. Mossmann versäumt nicht, diese Argumentation als Lüge auszuweisen (Str. 2, V.3). Auch die ablehnende Reaktion des Kanzlers auf die studentischen Proteste wird erklärt dadurch, dass Kiesinger „im dritten Reich auch gut sein Maul an die Faschistenbrut und höchst legal verdungen“ (Str. 3, V.3f.) habe. Ebenso machen die Strophen, in denen Mossmann den SpringerVerlag, die Kapitaleigner („Monopole“ [Str. 6, V.1]) und das Militär als Gehilfen der durch ihre nationalsozialistische Vergangenheit belasteten Staatsmacht charakterisiert (Str. 4-7), deutlich, dass „die Gewalt der Herrschenden“ (Str. 10, V.4) nur begreiflich werden kann durch einen Rückbezug auf die Vergangenheit. Insgesamt muss so der Eindruck entstehen, dass die nationalsozialistischen Täter weiterhin Macht ausüben und ihr gewalttätiges Verhalten nicht geändert haben, sondern lediglich in der Auseinandersetzung mit der Studentenbewegung fortführen bzw. aktualisieren. „Ihre“ Gewalt ist eine diktatorische („Demokratie, gefesselte Frau“ [Ref., V.1]), in der das „Recht mit Gesetzen zertreten“ (Str. 10, V.3) wird. Während Mossmann den Angriff auf Staat, Presse und Militär nutzt, um argumentativ eine Apologie studentischer (Gegen-)Gewalt herzustellen, reduziert er im gleichen Zug den Kreis der Verantwortlichen für die nationalsozialistischen Verbrechen auf Inhaber gesellschaftlicher Machtpositionen. Die Teilhabe des ‚kleinen Mannes‘ wird nicht thematisiert und damit indirekt abgewertet. Mossmanns Song ist daher ein prägnantes Beispiel dafür, wie Songs im Rahmen der Studentenbewegung zwar die „NSVergangenheit des bundesdeutschen Führungspersonals“ hinterfragen, damit jedoch gleichzeitig dazu beitragen, den Täterdiskurs auf die Schuld und Verantwortung ausgewählter Autoritäten und gesellschaftlicher Instanzen
95 Mossmann hat sich in einem Interview zu seiner Zielgruppe geäußert: Diese sei „auf keinen Fall die totale Öffentlichkeit. Im Augenblick ist für mich relevant die politische Gruppe der außerparlamentarischen Opposition. Sie ist für mich potentiell erreichbar.“ (Interview mit Walter Mossmann. In: Kröher, Hein/Kröher, Oss: Rotgraue Raben. S. 120).
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zu beschränken.96 Diese erscheinen als primär schuldig an der Vergangenheit. Eine noch deutlichere Differenzierung in verantwortliche Täter und Mitläufer zeigt sich in der für die 68er-Revolte konstitutiven Kritik an der Vergangenheit des universitären Personals. Walter Mossmann wendet sich dieser in dem ungewöhnlich gestalteten Lied vom Goldenen Buch zu.97 Ihm hat Mossmann in der Druckfassung eine Erläuterung beigegeben: Anlaß: Dem SDS fiel während einer Rektoratsbesetzung das Ehren-/Gästebuch der Uni-Freiburg in die Hände; ein Dokument zur Tradition und Vergangenheitsbewältigung der deutschen Universitäten. „Wertfreiheit“ hieß damals das Schlagwort der Wissenschaftler, die nichts mit den Folgen ihrer Arbeit zu tun haben wollten.98
Der Song, eine Montage aus verschiedenen melodischen Motiven, Tempi und Rhythmen in 17 Strophen mit einer Länge von 2 bis 18 Versen, zielt auf den sorgfältigen Nachweis einer überdauernden, in der Songgegenwart weiterhin erkennbaren Mit-Täterschaft des Universitätspersonals. Diese wird zum einen dadurch belegt, dass als verifizierbare dokumentarische Quelle des Gesagten Einträge in das Goldene Buch der Universität Freiburg herangezogenen werden, stellenweise sogar mit genauer Seitenangabe (z.B. Str. 4, V.4), zum anderen durch gereimte Aufzählungen, die eine Verbindung zwischen Vergangenheit und Gegenwart herstellen. So erläutern die ersten zwei Strophen zunächst, welche außeruniversitären Personen in dem Goldenen Buch zu finden sind in einer Form, die Politiker der Gegenwart mit nationalsozialistischen auf eine Stufe stellt: Ministerpräsidenten Regierungspräsidenten Industrie- und HandelskammerPräsidenten Alt-PG und CDU Menschen grad wie ich und du Kreisleiter Gauleiter 96 Wernecke, Klaus: 1968. In: Fischer, Torben/Lorenz, Matthias N. (Hrsg.): Lexikon der „Vergangenheitsbewältigung“ in Deutschland. S. 180. 97 Mossmann, Walter: Das Lied vom Goldenen Buch. T./M.: Walter Mossmann. Aus dem Album: Chansons, Flugblattlieder, Balladen, Cantastorie & Apokryphen. Erschienen 2004, entstanden 1968. 98 Ders.: Flugblattlieder, Streitschriften. S. 54; aus dieser Druckfassung auch die Zeilenumbrüche und Strophen.
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Reichsminister Undsoweiter (Str. 2, V.1-10)
Die Strophen sechs und sieben, die an den ersten Refrain anschließen, wiederholen die Aufzählungstechnik und stellen durch einen intertextuellen Verweis auf Karl Kraus’ Diktum der Deutschen als „Richter und Henker“ auch die Professoren und Rektoren der Universität in eine historische Kontinuität:99 Katheder-Täter Dichter und Denker Richter und Henker (Str. 7, V.1-3)
Inwieweit so auch das Universitätspersonal als nationalsozialistische Täter begriffen werden soll, beschreibt die nachfolgende Strophe unmissverständlich: Biologen als Rassisten, Chemiker als Spezialisten Für das Gelbe Kreuz und für den Judenmord Lehrer, Richter, Bürokraten, welche ihre ‚Pflichten‘ taten (Str. 8, V.5-7)
Wenn Mossmann also die Institution Universität nicht mit zeitgenössischen Mängeln zu diskreditieren sucht, sondern mit dem Nachweis, dass „die Universität den Mördern diente“ (Ref. 2, V.1), dann wird klar, dass der „Gestank […], der in der Universität/Den muffigen Talar so riesig bläht“ (Str. 6, V.5f.) vor allem aus der Verweigerung einer sorgfältigen Aufarbeitung der universitären nationalsozialistischen Täterschaft resultiert. Um die Ausmaße dieser Verweigerung zu konkretisieren, verwendet Mossmann ein griffiges und durch seine Verifizierbarkeit besonders authentisches Bild: Die neunte und zehnte Strophe kehren zurück zur Beschreibung des Goldenen Buchs der Universität und operieren mit Schlagwörtern, Wiederholungen, in der Druckfassung mit Kursivsetzung und in der Aufführung mit Tempo- und Lautstärkereduzierung und Sprechgesang, um die zentrale Aussage des Songs zu betonen: 5 Seiten nach der Nazizeit Die sind leer 5 Seiten voller Konsequenzen [in der Druckfassung: „der Bewältigung“] 99 Vgl. Glaser, Hermann: Kleine Kulturgeschichte Deutschlands im 20. Jahrhundert. München 2002, S. 152.
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Die sind leer […] Neue Lage? Neue Lage. Anpassen? Weitermachen? Weitermachen! 5 Seiten leer (Str. 10, V.1-16)
Die fehlende Aufarbeitung der NS-Zeit ermöglicht ein, so suggeriert Mossmann, strukturell identischen Verhalten des Universitätspersonals, ein unbelastetes „Weitermachen“. Diejenigen, die 1968 „jagen lassen, was den roten Aussatz hat/Mit NS-Gesetzen“ (Str. 11, V.5f.), sind, so führt der Song vor, auch schon Täter im nationalsozialistischen Universitätsbetrieb gewesen. Ihre Motivationen sind ebenfalls gleichgeblieben: Sie handeln, wie sie handeln, Damit da Platz wird an der Universität Für die neue Jugend des Staates: Autorisiert. Uniformiert. Diszipliniert. Gesund für die kommenden Kriege. (Str. 11, V.7-10)
Zweifellos argumentiert Mossmann in seinem Song äußerst verkürzend und unternimmt historische Parallelisierungen, die bei näherer Betrachtung nicht aufrecht zu erhalten und spätestens hinsichtlich der argumentativen Gleichsetzung von damaligem „Judenmord“ und zeitgenössischer Sozialistenverfolgung ethisch fragwürdig sind. Interessant ist jedoch, wie sorgsam der Song eine Interessengleichheit von Privatwirtschaft, Politik und Institution Universität behauptet, die durch militaristische (Str. 11, V.19), imperialistische (Str. 5, V.5) und kapitalistische (Str. 11, V.13) Zielsetzungen charakterisiert ist. Interessen die vom Ersten Weltkrieg (Str. 5, V.6) über die nationalsozialistische Herrschaftszeit (Str. 5, V.7) bis zur Songgegenwart des in das NATO-Bündnis eingebundenen Westdeutschlands (Mossmann bezeichnet dies als „goldenen NATO-Sarg“ [Str. 5, V.8]) keine substantiellen Veränderungen erfahren haben. Doch trotz des Angriffs auf die „miese Bude“ Universität (Str. 13, V.2) werden Schuld und Verantwortung des „Herr[n] Professor“ (Str. 11, V.3) anders begründet als die systemimmanente Gewalttätigkeit von Privatwirtschaft und Politik. Die Täterschaft des Hochschullehrers ist eine ‚sekundäre‘, die vor allem auf Opportunismus und einer apolitischen Grundhaltung
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gründet. Sie ist vergleichbar mit Wolf Biermanns Beschimpfung der „deutschen Professorn/Die wirklich manches besser wüssten/Wenn sie nicht täglich fressen müssten.“100 Ähnlich wie Biermann verweist Mossmann auf die vermeintliche ‚Käuflichkeit‘ des Universitätspersonals („sich verkauften an die Imperialisten“ [Str. 5, V.5]). Stärker als Biermann nimmt er jedoch das mutmaßlich unpolitische Selbstverständnis der Universitäten in den Blick. In den Refrains herrscht eine andere Sprechweise als in den Strophen vor. Sie wird sowohl in der Intonation als auch im Kontext der Strophen (und in der Druckfassung grafisch) als satirisch gekennzeichnet. Die „KathederTäter[schaft]“ der Professoren konstituiert sich nicht, so wird hier betont, durch die aktive Teilhabe am nationalsozialistischen Regime, sondern durch mangelnden Widerstand, und das heißt Verzicht auf politische Einflussnahme: Unberührt blieb die Wissenschaft, die Wertfreiheit Und das heißt Der Geist Der Geist! der Geist! Geistgeistgeistgeistgeistgeist Geiiiiiiiiiiiist! (Ref. 1, V.3-8)
Mit diesem Refrain spielt Mossmann auf einen Themenkomplex an, der Fragen nach der (Un-)Möglichkeit wertneutraler ‚reiner‘ Forschung, der Autonomie der Wissenschaften und dem Spannungsverhältnis von wissenschaftlicher Theoriebildung in der Universität und gesellschaftlicher Praxis umfasst; ein Komplex, der – symbolisiert in dem (deutschen) „Geist“ – an Thomas Manns Betrachtungen eines Unpolitischen ebenso denken lässt wie an die Bücherverbrennungen der Deutschen Studentenschaft (DSt) und die „12 Thesen wider den deutschen Geist“ im Mai 1933.101 Für den Vorwurf des Opportunismus des politisch ‚unberührten‘ Universitätspersonals verwendet Mossmann ein Arsenal von Begriffen und Bildern, das keine Zweifel offen lässt: Der Talar dreht sich im „Wind“ (Str. 1, V.5), die Studieren100 101
Biermann, Wolf: Die hab ich satt! T./M.: Wolf Biermann. Aus dem Album: Chausseestraße 131. Erschienen 1968, Str. 3, V.2-4. Vgl. z.B. das Kap.: Der deutsche Geist und die politische Realität. Herkunft und Wirkung eines Intellektuellen-Stereotyps. In: Lübbe, Hermann: Modernisierung und Folgelasten. Trends kultureller und politischer Evolution. Berlin u.a. 1997, S. 249-265; Treß, Werner: Wider den undeutschen Geist. Bücherverbrennung 1933. Berlin 2003, S. 57-111; Wernecke, Klaus: 1968. S. 178183.
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den und ihre Lehrer sind „brav“ (Str. 2, V.12), „rein“ (Ref. 2, V.2), „tiefinnerlich“ (Str. 11, V.16) und „Fachidioten“ (Str. 11, V.1). Die Universitäten trieben „Unzucht mit den Imperialisten“ (Str. 5, V.5), tanzten „masochistisch mit der Peitsche der Faschisten“ (Str. 5, V.7) und „haben sich die Sache immer leicht gemacht“ (Str. 12, V.2). Indem Mossmann den Opportunismus-Vorwurf derart ausführlich präsentiert und durch die (in der Aufführung sehr gedehnte, verlangsamte und damit betonte) Benennung der „Katheder-Täter“ in den Täterdiskurs einordnet, steht er beispielhaft für Tendenzen vieler Songs im Vorfeld der 68er-Revolte. Neben direkter Schuldzuweisung sind in den späten 60er Jahren der OpportunismusVerdacht und die Mitläufer-Kritik dominante Züge des Täterdiskurses. Mitläufer und Opportunisten Von Wolf Biermann und Franz Josef Degenhardt über Walter Mossmann und Dieter Süverkrüp bis zu Hannes Stütz und weiteren Künstlern reicht die Reihe von Songschreibern, die den Opportunismus und den Vorwurf des Mitläufertums an die Erwachsenengeneration ins Zentrum zahlreicher Songs gesetzt haben. Einige prägnante Beispiele hierfür sollen im Folgenden kursorisch betrachtet werden. Walter Mossmanns 1966 erschienener Survivor’s Song bietet einen guten Einstieg, denn er zeigt, wie sehr im Vorfeld der 68er-Revolte der Vorwurf des Mitläufertums die Berechtigung jeglichen individuellen Leids für die Teilnehmer am NS-Regime diskreditiert.102 Der durchaus komplex gestaltete, auf örtliche und zeitliche Konkretisierung verzichtende Song lässt anhand des Titels und einiger historischer Verweise (z.B. auf den Kriegswinter [Str. 4, V.2] und die Hausverdunkelungen [Str. 6, V.3f.]) erkennen, dass es sich bei dem Überlebenden (‚Survivor‘) um einen Zeitzeugen nationalsozialistischer Herrschaft handeln muss. Sein Verhalten wird anhand einer Mischung aus Selbstaussage in direkter Rede und antwortender Anklage als Mitläufertum u.a. hinsichtlich der Deportationen, des Leids der Verfolgten und der militärischen Aggression gekennzeichnet:
102
Mossmann, Walter: Survivor’s Song. T./M.: Walter Mossmann. Aus dem Album: Achterbahnchansons. Erschienen 1966; auf dem zweiten Festival auf der Burg Waldeck 1965 nennt Mossmann den Song noch Ne pas se pencher au dehors (Aus dem Album: Diverse: Die Burg Waldeck Festivals 19641969. CD 2: 1965. Erschienen 2008).
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Was hättest du am Bahnsteig noch zu sagen? auf dein Gerede war doch nie Verlass (Str. 1, V.3f.) Lass dich von keinem Blick aus nassen Augen äffen zieh lieber deinen Hut tief in die Stirn (Str. 3, V.1f.) Verhäng das Fenster, dass dich niemand sieht wer spricht verliert, wer schweigt gewinnt (Str. 4, V.3f.) Wozu die Fäuste in der Tasche ballen geschossen wurde nicht das erste Mal (Str. 5, V.3f.)
In den mehrfach wiederholten Refrains fasst Mossmann diese Beschreibungen von Mitläufertum in ein mehrdimensionales Bild, indem er auf Französisch, Deutsch und Italienisch die behördensprachliche und aus Eisenbahnzugabteilen bekannte Anweisung „Nicht hinauslehnen“ (Ref. 1, V.1-3) singt. Dieser Imperativ ermöglicht einerseits Assoziationen an die Behandlung von Menschen in den nationalsozialistischen Eisenbahndeportationswagen. Andererseits legt er eine metaphorische Lesart der Zugfahrt als Inbegriff stromlinienförmiger, nicht selbstbestimmter, dem behördlich verordneten ‚Wohlverhalten‘ unterworfener Lebensgestaltung (‚Lehn dich nicht zu weit aus dem Fenster!‘) nah. Dieses Bild überführt der Song im letzten Vers dann in eine drastische Negierung individueller Opfererfahrung und biographischer Substanz: „und dafür hast du überlebt“ (Str. 8, V.4). Mitläufertum, so lässt sich aus Mossmanns Song schließen, diskreditiert jeglichen Anspruch auf eigene Kriegstraumata und Verlusterlebnisse. Auch Wolf Biermanns 1968 auf dem Album Chausseestraße 131 veröffentlichtes Stück Die hab ich satt! ist ein Beispiel dafür, wie der Opportunismus als Generalvorwurf ohne weitere Begründungen stehen kann.103 Während die erste Strophe noch eine subjektive Perspektive beibehält und den „kalten Frauen, die mich streicheln“, und „falschen Freunden, die mir schmeicheln“ (Str. 1, V.1f.), eine Absage erteilt, erweitern die folgenden Strophen den Rahmen. „Satt“ hat das lyrische Ich, das sich aufgrund einiger biographischer Verweise als dem Autor ähnelnd erkennen lässt, sowohl die „ganze Bürokratenbrut“ (Str. 2, V.2) als auch die „deutschen Professorn“ (Str. 3, V.2), die „Lehrer, Rekrutenschinder“ (Str. 4, V.1), die „Dichter“ (Str. 5, V.1) und den „legendäre[n] kleine[n] Mann“ (Str. 6, V.1). Biermann verwendet Beschimpfungen („Brut“ [Str. 2, V.2], „Pack“ [Str. 5, V.5]) und 103
Biermann, Wolf: Die hab ich satt! T./M.: Wolf Biermann. Aus dem Album: Chausseestraße 131. Erschienen 1968.
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verknüpft sie mit sorgfältig konstruierten, Strophen übergreifend reimenden, immer auf das „satt“ bezogenen Beschreibungen, die letztlich alle Vertreter gesellschaftlicher Instanzen meinen. Diese sind: Feige! Fett und platt! (Str. 3, V.5) geistig matt (Str. 4, V.5) käuflich und aalglatt (Str. 5, V.5)
Auffallend ist, dass Biermann an mehreren Stellen eine historische Dauerhaftigkeit dieses Verhaltens behauptet und damit sowohl einen Kommentar zur Songgegenwart leistet als auch einen Bezug zur Vergangenheit. Der Opportunismus herrscht „unter allen Fahnen“ (Str. 4, V.3) und ist Teil der „Weltgeschichte große[m] Rad“ (Str. 2, V.5). Am klarsten wird die Überzeitlichkeit in der Präteritum und Präsens mischenden Beschreibung des „kleinen Mann[es]“, der „immer litt und nie gewann“ und sich deshalb „gewöhnt an jeden Dreck“ (Str. 6, V.2f.). Biermann konstruiert seine Kritik bei aller Einfachheit der Aussage sehr sorgfältig, indem er dem opportunistischen Verhalten eine Fülle von Wörtern beilegt, die Gewalttätigkeit und Brutalität als Resultat andeuten: Es ist die Rede von der „durchgerissnen Stadt“ (Str. 1, V.5), dem Wälzen „über das Genick“ (Str. 2, V.4), dem „Brechen“ des „Kreuz[es] der Kinder“ (Str. 4, V.2), dem Zugrundedichten (richten) des Vaterlands (Str. 5, V.2), schließlich dem Traum vom „Attentat“ (Str. 6, V.5). Sowohl die Überzeitlichkeit, die durch das Fehlen jeglicher Zeitangaben verstärkt wird, als auch die Gewalttätigkeit lassen dem Hörer erkennbar werden, dass die opportunistischen Vertreter gesellschaftlicher Instanzen als aktive Täter betrachtet werden, in der kombinierenden Aufzählung werden sie zu einem allumfassenden, gesellschaftlichen Mitläufer- und Täterkollektiv. Ausführlicher noch als Wolf Biermann hat sich Franz Josef Degenhardt in Gestalt der Figur Horsti Schmandhoff mit dem Opportunismus der Erwachsenengeneration und dem Versagen der eigenen Generation ihr gegenüber auseinandergesetzt.104 Die 1966 erschienene und nach der Hauptfigur benannte Ballade schildert, vergleichbar mit Wenn der Senator erzählt…, den Lebenslauf des Protagonisten von der Weimarer Republik bis in die Songgegenwart.105 Der chronologische Fortgang der Schilderung wird 104 105
Degenhardt, Franz Josef: Horsti Schmandhoff. T./M.: Franz Josef Degenhardt. Aus dem Album: Väterchen Franz. Erschienen 1966. Vgl. Riha, Karl: Moritat, Bänkelsong, Protestballade. S. 131.
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durch die Beschreibungen der Tätigkeiten Schmandhoffs veranschaulicht. Der „Sohn einer Serviererin“ (Str. 2, V.3) wird während der NS-Zeit zum „Fähnleinführer“ (Str. 3, V.1), in der Nachkriegszeit zum „Amihelfer“ im (durch den Werkkontext immer opportunistisches Verhalten anzeigenden)106 „schweren Ledermantel“ (Str. 4, V.2-5). Schließlich gar erscheint Schmandhoff als im „offnen Jaguar“ (Str. 5, V.5) fahrender Business-Mann (Str. 5, V.2-6). Als Verkörperung „eurer Träume“ (Str. 2, V.2) ist sein Lebenslauf angelegt als eine sukzessive Realisierung jeweils zeittypischer „Sehnsüchte und Ideale“.107 Während der Weimarer Republik zeigt sich Schmandhoff rebellisch als Musiker „in Lederhose“ (Str. 2, V.6), während des Zweiten Weltkriegs gelingen ihm Heldentaten (er „erzählte, wie er kurz vor Stalingrad/12 Stalinorgeln, 50 Iwans plattgefahren hat“ [Str. 3, V.7f.]), in der Nachkriegszeit wird aus diesen Handlungen antifaschistischer Widerstand (er „erzählte, wie er ’42, kurz vor Stalingrad/den Drecksack General Paulus in den Arsch getreten hat“ [Str. 4, V.7f.]). Schließlich wird aus dem Protagonisten eine Symbolisierung (männlicher) Aufstiegsträume als Anzug tragender, Pfeife rauchender, mit einer blonden Schönheit dekorierter Weintrinker (Str. 1, V.2-6). Degenhardt konstruiert dabei die biographischen Zäsuren anhand eines politischen Rechts-Links-Schemas, das den Opportunismus des Protagonisten charakterisiert. Er wird vom ‚linken‘ Sänger proletarischen Liedguts (Str. 2, V.7) zum begeisterten Kriegsteilnehmer mit Ehrendolch (Str. 3, V.2), am Ende ist er Autofahrer, von dem es heißt: „der rechte Arm hing ‘raus“ (Str. 5, V.8).108 Zu einem zielgerichteten politischen wird Degenhardts Song nun dadurch, dass er nicht bei der Schilderung von Horsti Schmandhoffs Mitläufertum, das sich durch eine hohe Anpassungsgabe an das jeweilige politische Umfeld auszeichnet, stehen bleibt. Entscheidend ist, dass die detail106
107 108
So ist beispielsweise der Wildledermantelmann im gleichnamigen Song Degenhardts Inbegriff eines Vertreters des „Anpasserunsinn[s]“ (Degenhardt, Franz Josef: Wildledermantelmann. T./M.: Franz Josef Degenhardt. Aus dem Album: Wildledermantelmann. Erschienen 1977, Str. 5, V.5). Maske, Adelheid/Maske, Ulrich: Interview mit Franz Josef Degenhardt. In: Dies.: Franz Josef Degenhardt und seine Lieder. S. 48. Es ist zu ergänzen, dass die biographischen Zäsuren auch immer mit einem Kleidungswechsel als Symbol innerer Wandlung verbunden sind – Horsti Schmandhoff trägt in der Weimarer Republik Lederhose und weißes Hemd (Str. 2, V.6), in der NS-Zeit Halbschuhe, weiße Söckchen, Uniform (Str. 3, V.3-5), in der Nachkriegszeit Khakizeug, Ledermantel, Hut und Halstuch (Str. 3, V.1-6), schließlich „grünchangierenden Anzug“, Mütze und Schal (Str. 4, V.2-5).
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lierte und dadurch wenig repräsentative Schilderung des einzelnen Lebens in der einleitenden Strophe und den jeweiligen Strophenabschlüssen immer in Bezug zu einer gesellschaftlichen Gruppe gesetzt wird. Dies geschieht dadurch, dass jede der sechs gleich gebauten Strophen mit einer nur minimal abgeänderten Aussage abgeschlossen wird: „Ihr wolltet mal genau wie Horsti Schmandhoff sein“ (Str. 1, V.10), „da wolltet ihr genau wie Horsti Schmandhoff sein“ (Str. 2, V.10) bzw. „da wolltet ihr nochmal wie Horsti Schmandhoff sein“ (Str. 6, V.10). Angesprochen wird hier eine Personengruppe, die der Song als „Kumpanen“ Horsti Schmandhoffs (Str. 1, V.1) benennt, die sich aber vor allem als bürgerliche Gruppierung (mit den Insignien Reihenhaus, Garten, Auto, Geld [Str. 1, V.2f.]) erkennen lässt. Diesen Kumpane[n] von Horsti Schmandhoff hat Degenhardt fünf Jahre später einen weiteren Song gewidmet, in welchem er sie despektierlich als „die Pappkameraden der deutschen Geschichte“ (Str. 4, V.5.) bezeichnet und klarstellt, dass es sich bei der angegriffenen Gruppe um ein linkes, sozialliberales Milieu handelt, dessen Leben durch mehrfache, scheiternde Ehen (Str. 1, V.3), den „Kampf um den Aufstieg“ (Str. 2, V.1) bei gleichzeitiger konsumkritischer Grundhaltung (Str. 3, V.1f.), die Teilhabe an der „Sexwelle“ (Str. 3, V.7) und ein insgesamt apolitisches Verhalten gekennzeichnet ist.109 Höchst erstaunlich ist jedoch, welchen Weg der Opportunist Schmandhoff im Gegensatz zu den bürgerlichen „Kumpanen“ nimmt. Die letzte Strophe des zuerst erschienenen Songs zeigt ihn nämlich als „Ratgeber“ des Präsidenten in einem fiktiven afrikanischen Ort namens „Ukalula“ (Str. 6, V.2-4). Schmandhoffs Verschwinden aus Westdeutschland haben Adelheid und Ulrich Maske gedeutet als Flucht und „Versuch, […] den Konsequenzen des verantwortungslosen Handelns der eigenen Generation zu entrinnen.“110 Diese Interpretation scheint aber in mehrerlei Hinsicht nicht überzeugend. Schmandhoff kann durch die individualisierte Schilderung seines 109
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Degenhardt, Franz Josef: Die Kumpanen von Horsti Schmandhoff. T./M.: Franz Josef Degenhardt. Aus dem Album: Wallfahrt zum Big Zeppelin (live). Erschienen 1971. 1998 hat Degenhardt noch einmal in dem Song Der Stenz auf die Figur des Horsti Schmandhoff zurückgegriffen (Ders.: Der Stenz. T./M.: Franz Josef Degenhardt. Aus dem Album: Sie kommen alle wieder – oder? Erschienen 1998), hier wird der Lebenslauf Schmandhoffs rekapituliert und bis in die 1990er Jahre weitergeführt und seine Rolle als Seismograph bürgerlicher Träume erneuert. Maske, Adelheid/Maske, Ulrich: Interview mit Franz Josef Degenhardt. In: Dies.: Franz Josef Degenhardt und seine Lieder. S. 48.
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Lebenslaufs nicht als typischer Vertreter einer Generation betrachtet werden, er ist stattdessen, der Song benennt dies klar, Verkörperung linksbürgerlicher „Träume“. Als eine solche beschreibt ihn die letzte Strophe in einem klar kolonialherrschaftlichen Kontext: Schmandhoff ist „Weißer“ und „Häuptling“, Raubtierjäger „inmitten dreißig Weibern, alle nackt und schwarz und prall“, vor allem aber „ein fetter Horsti Schmandhoff, und der lächelte brutal“ (Str. 6, V.3-8). Erst die Spiegelung der Wünsche des linksliberalen Bürgertums in den Handlungen des Protagonisten („da wolltet ihr nochmal wie Horsti Schmandhoff sein“ [Str. 6, V.10]) entlarvt das Bürgertum als unter der Oberfläche weiterhin gewalttätig und verfangen in bipolar ausgerichteten Denkmustern. Der assoziative Weg vom weißen Häuptling zum Herrenmenschen, vom Raubtier- zum Menschenjäger, von der militärisch-nationalsozialistischen ‚Lebensraum‘-Gewinnung zum postfaschistischen, hegemonialen Wirtschaftskolonialismus ist in Degenhardts Text nicht weit. Entscheidend ist aber vor allem, dass der Schuld- und Täterdiskurs aktualisiert und erweitert wird von autoritären Instanzen auf ein opportunistisches, bürgerliches Handeln vor, während und insbesondere nach der nationalsozialistischen Herrschaft. Ein weiteres Beispiel hierfür ist Degenhardts Schilderung des Juristen Notar Bolamus, dessen Berufsbezeichnung bereits auf Aufarbeitungsdebatten der Nachkriegszeit hinweist (u.a. auf den Nürnberger Juristenprozess 1947, die Karlsruher Ausstellung „Ungesühnte Nazi-Justiz 1960 und die Anklage des Kammergerichtsrat Hans-Joachim Rehse 1967).111 Der Notar wird durchgängig geschildert mit Vokabeln, die ihn in der Mitte des politischen Spektrums ansiedeln und einen weitgehenden Verzicht auf extreme Positionen als Verhaltensgrundsatz zeigen. Seine Lebensmaxime lautet: „Maß halten“ (Str. 1, V.10), „alles ganz/einfach mit Maß und mit Ziel/Und niemals […]/irgendwas übertreiben“ (Str. 3, V.7-10). Das Lebensziel dieser Einstellung deutet bereits der Nachname des Protagonisten an, der an das lateinische bolus = Gewinn, Profit gemahnt, aber auch den diabolus = Teufel mitschwingen lässt. Degenhardt nutzt zwei historische Bezüge, um einen solchen politischen Mittelweg, der sowohl an Ludwig Erhards Appell an die Bundesbür111
Degenhardt, Franz Josef: Notar Bolamus. T./M.: Franz Josef Degenhardt. Aus dem Album: Wenn der Senator erzählt… Erschienen 1968; vgl. Törmer, Iris: Selbstamnestierung der Justiz. In: Fischer, Torben/Lorenz, Matthias N. (Hrsg.): Lexikon der „Vergangenheitsbewältigung“ in Deutschland. S. 98101.
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ger 1962 „Maß zu halten“ erinnert als auch an bürgerliche Tugenden wie „Ordnung, Sauberkeit, Pünktlichkeit, Sparsamkeit und Fleiß“, gründlich zu diskreditieren.112 Die erste Strophe, die wie ein rezeptionsleitender Prolog gestaltet ist, verweist auf Schriftsteller, „die zwischen den Zeilen/Widerstand leisteten/damals,/die sich zurückzogen/in das Reich Beethovens“ (Str. 1, V.1-5). Hier spielt Degenhardt an auf Künstler in der so genannten ‚inneren Emigration‘ während der nationalsozialistischen Herrschaft wie Werner Bergengruen, Otto Dix oder Ricarda Huch.113 Diese Einleitung verweist auf die erste große Schulddebatte nach Kriegsende, deren Hauptkonkurrenten Walter von Molo und Thomas Mann waren.114 Degenhardt positioniert sich unmissverständlich in dem Konflikt um das richtige Verhalten während des Nationalsozialismus. Wenn er die Künstler der ‚inneren Emigration‘ hinsichtlich des Verhältnisses von „Mörder“ zu „Opfer“ (Str. 1, V.12-20) fordern lässt: „Maß halten, ihr Opfer“, dann ist dies angesichts von Millionen Toten eine derart zynische Forderung, dass hinter ihr eben gerade keine bürgerliche Tugend, sondern eine inhumane Grundeinstellung sichtbar wird. Dadurch, dass im Anschluss der Notar Bolamus diesen Appell übernimmt, wird er zu einer Aktualisierung des Verzichts auf konkreten politischen Widerstand der Bürger in der ‚inneren Emigration‘. Anhand der Figur des Notars Bolamus sucht Degenhardt nun nachzuweisen, dass hinter diesem maßvollen Mittelweg mehr als ein rationaler Pragmatismus versteckt ist. Besondere Prägnanz hat die fünfte Strophe, in der auf die Vernichtungslager Bezug genommen wird: Der alte Notar Bolamus hat sich gut durch die Zeit gebracht, weil: er war immer ein bisschen dafür und bisschen dagegen, und der gab immer Acht. „Nur Auschwitz“, sagt er, „das war ein bisschen zuviel.“ Und er zitiert seinen Wahlspruch: „Alles mit Maß und mit Ziel.“ Ja, sein Urteil war immer sehr abgewogen. (Str. 5, V.1-10)
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Kiesel, Helmuth: Literatur um 1968. S. 600. Vgl. Schnell, Ralf: Literarische innere Emigration. Stuttgart 1976. Diss. Hannover 1976, S. 1-15. Vgl. Fischer, Torben: Exildebatte. In: Ders./Lorenz, Matthias N. (Hrsg.): Lexikon der „Vergangenheitsbewältigung“ in Deutschland. S. 48-50.
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Die Haltung des Juristen entlarvt sich selbst, wenn er die über sechs Millionen ermordeten Menschen als „ein bisschen zuviel“ verharmlost; gleichzeitig bleibt ausgespart und verschwiegen, welche Elemente nationalsozialistischer Herrschaft in Bolamus’ Sicht „Maß und […] Ziel“ hatten. Erkennbar wird so, dass hinter der ‚Unfähigkeit zu trauern‘ weniger eine traumatische Verdrängung der Vergangenheit als eine weiterhin affirmative Haltung zum NS-Regime versteckt ist. Umso notwendiger ist, so vermitteln die Songs im Vorfeld der 68erRevolte, ein Widerstand gegen die in Nachfolge des Nationalsozialismus begriffenen Entwicklungen der Gegenwart. Diesem Widerstand muss jedoch, das ist Grundtenor der Songs, zunächst eine Benennung der Schuldigen und der Täter vorausgehen. Opportunisten, Mitläufer, Pragmatiker und innere Emigranten sind dabei ebenso zur Verantwortung zu ziehen wie die direkt politisch Handelnden. Ein solcher vornehmlich auf die Täter fokussierter Blick ist jedoch nicht unproblematisch. In dem Maße, in dem die Songschreiber im Vorfeld und während der Studentenproteste verantwortliche und weiterhin im gesellschaftlichen Leben prominent vertretene Täter anzugreifen suchen – von Wirtschaftspersonen bis zum Bundeskanzler, von den Vätern bis zu den Universitätsprofessoren – gerät ihnen ein großer Komplex der Vergangenheitsaufarbeitung nahezu vollständig aus dem Blick. Nur wenige Songs behandeln in diesen Jahren die Opfer der nationalsozialistischen Herrschaft.
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Von der „großen Kontroverse“ über die Künstler der ‚inneren Emigration‘, die Frankfurter Auschwitzprozesse, literarische Äußerungen wie Peter Weiss’ Ermittlung oder Rolf Hochhuths Stellvertreter bis hin zu Beate Klarsfelds Kiesinger-Ohrfeige, dem Rücktritt Heinrich Lübkes, dem Kniefall Willy Brandts in Moskau und der Filbinger-Affäre 1978 sind die ersten Nachkriegsjahrzehnte insgesamt stärker durch den Schuld- und Täter- als den Opferdiskurs bestimmt.115 Dies mag mit einem diffusen Opfer-Begriff zusammenhängen, der vor dem Hintergrund eines selektiven Erinnerns (an das bombardierte Dresden oder an die Vertreibungen und Vergewaltigungen der Kriegsschlussphase) dazu führte, dass sich die Mehrheitsgesell115
Ebd., S. 48.
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schaft als ‚Volk von Opfern‘ begriff.116 Die von der Geschichtswissenschaft als „Zäsur im öffentlichen Umgang mit der nationalsozialistischen Vergangenheit“ betrachtete Wirkung, die die Ausstrahlung der Fernsehserie Holocaust im Januar 1979 hatte, ist unter anderem darin zu erklären, dass hier (aber eben erst hier) die breite Öffentlichkeit stärker und medialwirkungsvoller als zuvor mit den Opfern des Nationalsozialismus konfrontiert wurde.117 Betrachtet man die lange vor der Ausstrahlung der Fernsehserie entstandenen Songs bis 1968 zunächst im Überblick, dann lässt sich festhalten, dass in ihnen kaum je die Opfer des NS-Regimes thematisiert werden. Ähnlich den bereits erörterten Songs, die eine Benennung von Täter-Gruppen vornehmen, sind auch die wenigen Werke, die sich mit Opfern nationalsozialistischer Herrschaft beschäftigen, immer vorwiegend intentional eine Kritik an zeitgenössischen Entwicklungen und weniger eine historische Analyse. An dem sicherlich komplexesten und interessantesten SongBeitrag zum Opferdiskurs der 60er Jahre, Dieter Süverkrüps Kirschen auf Sahne, kann dies beispielhaft gezeigt werden. Dieter Süverkrüp: Kirschen auf Sahne (1967) Dieter Süverkrüp begann seine Karriere in den Mitt-50er Jahren als Jazzgitarrist bei den Feetwarmers und arbeitete als Komponist für Gerd Semmer. Die dort entstandenen Werke, vor allem aber die seit 1965 veröffentlichten Solo-Alben zeigen den Anspruch, die Folk-Songform zu erweitern. Bereits der Titelsong des ersten Albums Fröhlich ißt du Wiener Schnitzel überschreitet mit über 15 Minuten Länge, dem Einsatz eines Bläsersatzes und einer Band sowie mit zahlreichen Jazz- und Swing-Motiven in der musikalischen Gestaltung die Form eines typischen Folksongs der 60er Jahre
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Vgl. Schmidbauer, Wolfgang: Die Gegenwart der Vergangenheit. Wunden der ‚deutschen Schuld‘. In: Cohn-Bendit, Daniel/Dammann, Rüdiger (Hrsg.): 1968. Die Revolte. Frankfurt a.M. 2007, S. 164f. Janssen, Ute: Holocaust-Serie. In: Fischer, Torben/Lorenz, Matthias N. (Hrsg.): Lexikon der „Vergangenheitsbewältigung“ in Deutschland. S. 243f.; vgl. auch Young, James E.: Beschreiben des Holocaust. Darstellung und Folgen der Interpretation. Frankfurt a.M. 1992; Thiele, Martina: Publizistische Kontroversen über den Holocaust im Film. Münster 2007. Diss. Göttingen 2001.
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weit.118 Hierin mag die begeisterte Rezeption Süverkrüps durch die Organisatoren der Festivals auf der Burg Waldeck Hein und Oss Kröher begründet liegen, die 1969 Süverkrüp nicht nur als „Westdeutschlands eindringlichste[n] Interpret[en] des politischen Liedes“ bezeichneten, sondern seine Songs als „stellvertretend für den ‚sinnvollen Protest‘“ betrachteten.119 Inwieweit diesen Einschätzungen zu folgen ist und mit welchen ästhetischen Mitteln Süverkrüp seinen ‚Protest‘ vermittelt, kann an dem 1967 erschienenen Song Kirschen auf Sahne untersucht werden.120 Michael Hornig hat in seiner Dissertation über das „zeitkritische Lied der 60er Jahre“ eine Analyse der textlichen und musikalischen Gestalt des Songs vorgelegt und gezeigt, dass Süverkrüp vor allem den Text sehr sorgfältig konstruiert hat: Die drei Strophen gleichen sich in Länge, Reimschema und Metrum und bestehen aus je „vier Teilen, wobei die einzelnen Teile mit den entsprechenden Teilen der anderen Strophen formal identisch sind.“121 Dadurch erhält der vierversige Strophenabschluss nach den vorhergehenden drei fünfversigen Teilen trotz unterschiedlicher Textgestalt den Charakter eines Refrains.122 Wie Hornig bemerkt, wird die Betonung dieses Refrains musikalisch unterstützt durch eine Modulation von Moll in die parallele Dur-Dominante und Dur-Subdominante.123 Damit ist bereits formal eine hohe Strukturierung erreicht, die es erleichtert, der mehrteiligen Argumentation des Songs zu folgen. In auktorialer Perspektive wird eine Alltagsszene in einem „Café“ geschildert (Str. 1, V.1). Hier sitzt „der alte Mann“ (Str. 2, V.6) und betrachtet 118
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Süverkrüp, Dieter: Fröhlich ißt du Wiener Schnitzel. T./M.: Dieter Süverkrüp. Aus dem Album: Fröhlich ißt du Wiener Schnitzel. Erschienen 1965; vgl. zu Süverkrüps musikalischer Gestaltung auch Schmidt, Felix: Das Chanson. S. 156. Kröher, Hein/Kröher, Oss: Rotgraue Raben. S. 127. Süverkrüp, Dieter: Kirschen auf Sahne. T./M.: Dieter Süverkrüp. Aus dem Album: Die widerborstigen Gesänge des Dieter Süverkrüp. Erschienen 1967. Auf den ‚Sonderstatus‘ dieses Songs als erste Beschäftigung mit den Opfern des NS-Regimes hat bereits 2004 Holger Böning hingewiesen (vgl. Böning, Holger: Der Traum von einer Sache. S. 70). Hornig, Michael: Die Liedermacher und das zeitkritische Lied der 60er Jahre. S. 61. Diese Vierteiligkeit der drei Strophen betont auch die Druckfassung in Degenhardt, Franz Josef/Neuss, Wolfgang/Hüsch, Hanns Dieter/Süverkrüp, Dieter: Da habt Ihr es! Stücke und Lieder für ein deutsches Quartett. Hamburg 1968, S. 51-53. Vgl. Hornig, Michael: Die Liedermacher und das zeitkritische Lied der 60er Jahre. S. 62.
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erst ein Liebespaar, in der zweiten Strophe den Fernsehapparat und in der dritten einen weiteren Gast, einen „Geschenkevertreter“ (Str. 3, V.6). Währenddessen verschwindet die anfänglich noch mehrfach genannte Örtlichkeit, das kleine Café (Str. 1, V.1,6/Str. 2, V.1), zunehmend aus der Perspektive des Erzählers und wird von einer fast personalen Innensicht abgelöst. Durch dieses erzähltechnische Mittel gelingt es Süverkrüp, der eigentlich statischen Szenerie eine innere Dynamik beizugeben. Anhand von eindeutigen sprachlichen Indikatoren wird der alte Mann als Opfer des Nationalsozialismus beschrieben, allerdings nur an drei insgesamt wenig betonten Stellen. In der ersten Strophe heißt es: „Dieses Auge blieb heil/in fünf Jahren KZ“ (Str. 1, V.11f.), und in der zweiten dann: „Pro Tag Auschwitz fünf Mark;/wieviel macht das im Jahr?“ (Str. 2, V.9f.). Anhand der ergänzenden Beschreibung: „der alte Mann,/der mal im Widerstand war“ (Str. 2, V.6f.), lässt sich die Biographie der Hauptperson erahnen. Die Folgen der Gefangenschaft für den Mann schildert der Song auf zwei Ebenen, indem äußerlich sichtbare körperliche Schädigungen und innerliche Traumatisierungen in Form von Assoziationsketten sprachlich miteinander verknüpft werden. Sichtbar sind z.B. eine „Narbe am Auge“ (Str. 1, V.8) und vor allem ein Zittern (Str. 1, V.7), das den Mann in den Augen des Liebespaars zum „Zittermann“ werden lässt (Str. 2, V.13). Die psychologischen Deformationen des ehemaligen KZ-Häftlings treten zu Tage durch die durch einen visuellen Schlüsselreiz ausgelöste „verdammte/Erinnerung“ (Str. 3, V.14f.). Jede der drei Strophen weist einen solchen, immer auch symbolisch deutbaren Reiz auf und schildert die Assoziationen im jeweils folgenden Refrain. Am klarsten wird dies im ersten Refrain, in welchem der Anblick der Süßspeise Kirschen auf Sahne sofort auf einen Kontext von Gewalt verweist: „Kirschen auf Sahne/Blutspur im Schnee“ (Ref. 1, V.1f.). Symbolisch ist diese Schilderung höchst aufgeladen. Der Schnee als „Metapher für absolute Reinheit“ und das Blut lassen in biblischer Deutung Unschuld und Sünde assoziieren (Jesaja 1, 18: „Eure Verbrechen sind rot wie Blut, und doch können sie weiß werden wie Schnee“).124 Damit wird (was Michael Hornig übersieht) angedeutet, dass für den KZ-Häftling das ungeklärte Verhältnis von Schuld und Unschuld den ei124
Harscheidt, Michael: Wort, Zahl und Gott bei Günter Grass. Der ‚phantastische Realismus‘ in den „Hundejahren“. Diss. Köln 1975, S. 243; vgl. auch Kearney, Kirsten: Constructing the Nation. The Role of the Ballad in the Twentieth Century German National Identity with special Reference to Scottland. Diss. Stirling 2007, S. S. 259f.
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gentlichen Kern seiner Traumatisierung ausmacht. Denkbar ist es z.B., ihn als Kollaborateur oder Funktionshäftling zu begreifen. Dann wird verständlich, welche Erinnerung den alten Mann „verlegen“ (Str. 3, V.12) macht, warum er sich „schämt“ (Str. 3, V.13), schließlich weshalb er „pro Tag Auschwitz fünf Mark“ erhalten hat (Str. 2, V.9).125 Eine solche Deutung unterstützt der zweite Refrain, in welchem mit der Zahl 30 und dem „Brot“ zwei weitere biblische Verweise, hier auf den ‚Verräter‘ Judas, auftauchen:126 Manche war’n Juden – Manche war’n rot. Dreißig Verletzte – schimmliges Brot. (Ref. 2, V.1-4)
An den Refrains wird darüber hinaus eine beständige Eskalation der Gewalttätigkeit erkennbar. Zunächst erinnert der Mann eine anonyme Blutspur (Ref. 1, V.2), dann Verletzte (Ref. 2, V.3) und im letzten Refrain sind es „Zehntausend Tote“ (Ref. 3, V.3). Auslösende Schlüsselreize für die Erinnerung an die Verletzten und Toten sind das in dem Café laufende KrimiFernsehprogramm (Str. 2, V.2) und die Inneneinrichtung in Form eines „Wilddieb[s] in Öl“ (Str. 2, V.3). Beide Bilder verknüpfen die von dem alten Mann erlebte Gewalttätigkeit mit dem Motiv des Verbrechens und einer daraus resultierenden Menschenjagd. Hier ein von den Zuschauern sympathisierend begleiteter Kommissar auf Täterjagd, dort der Verweis auf ein
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Vgl. zu Privilegien der Funktionshäftlinge und Geldverkehr in den Vernichtungslagern Grabowski, Hans-Ludwig: Das Geld des Terrors. Geld und Geldersatz in deutschen Konzentrationslagern und Ghettos 1933-1945. Dokumentation und Katalog basierend auf Belegen der zeitgeschichtlichen Sammlung Wolfgang Haney sowie aus weiteren Sammlungen und Archiven. Regenstauf 2008, S. 18-28 und S. 55-85. Eine Deutung dieser Passage als Zwangsarbeiterentschädigung ist zwar ebenfalls möglich, aber neben den biblischen Verweisen auch sozialgeschichtlich unplausibel (vgl. Musial, David: Wiedergutmachungs- und Entschädigungsgesetze. In: Fischer, Torben/Lorenz, Matthias N. (Hrsg.): Lexikon der „Vergangenheitsbewältigung“ in Deutschland. S. 5860; Walgenbach, Arnd: Zwangsarbeiter-Entschädigung. In: Ebd., S. 323-325). So heißt es in Matthäus 26, 15 zum ‚Judaslohn‘: „Sie zahlten ihm dreißig Silberstücke“ und bei Johannes 13, 26 erklärt Jesus, woran der Verräter zu erkennen sei: „Ich werde ein Stück Brot eintauchen, und wem ich es gebe, der ist es.“ Auf diesen biblischen Bezug verweist Kearney, Kirsten: Constructing the Nation. S. 259f.
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vor allem unter preußischer Herrschaft kriminalisiertes Massendelikt.127 Es scheint nicht überzeugend, hieraus, wie Michael Hornig, lediglich den Schluss zu ziehen: „Auch der zittrige Mann war einmal gejagt und gefangen.“128 Dies scheint deshalb zu undifferenziert, weil die erwähnten Hinweise auf eine mögliche Kapo-Tätigkeit des alten Mannes unmittelbar an die Jagd-Assoziationen angeschlossen sind. Vielmehr lässt Süverkrüp bewusst Spielräume der Schuldzuweisung offen. Die Frage der Schuld wird dabei durch die Zeilen: „Nur der Wilddieb in Öl/im Barockrahmen starrt/ auf die Ewigkeit“ (Str. 2, V.3-5), mit dem Verweis auf eine von den zwölf Jahren nationalsozialistischer Herrschaft unbeeinflusste Überzeitlichkeit der Verbrecherjagd (von der Renaissance [Ölmalerei] über das 16.-18. Jahrhundert [Barock] bis in die Gegenwart) verknüpft. Diese Überzeitlichkeit der Menschenverfolgung negiert die Existenz einer ‚Stunde Null‘ und einer erfolgreichen ‚Vergangenheitsbewältigung‘. Das wird gegen Ende des Songs in einem komplexen Bild noch einmal betont: Der Geschenkevertreter trinkt unentwegt Bier. Es nistet das Graun in der Rokokovase gleich neben der Tür. (Str. 3, V.6-10)
Während der „Geschenkevertreter“ (der eine merkwürdige Berufsbezeichnung trägt, die eine profitorientierte Systematisierung von Zuneigungen andeutet) auf den (über)funktionalen kapitalistischen Staat hinweist, ist das „Graun“ nur damit zu erklären, dass die Rokokovase eine spezifische Geisteshaltung symbolisiert. Ihr bloßes Vorhandensein zeigt, dass nach zwölf Jahren nationalsozialistischer Herrschaft immer noch die Werte des Rokoko hochgehalten werden: einerseits die Freiheit des Individuums und andererseits der Rückzug ins Private, die erotische Sinnlichkeit und Empfindsamkeit, aber eben auch die von Krieg und Verfolgung unbewegte Bürgerlich-
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Vgl. Mooser, Josef: „Furcht bewahrt das Holz“. Holzdiebstahl und sozialer Konflikt in der ländlichen Gesellschaft 1800-1950 an westfälischen Beispielen. In: Reif, Heinz (Hrsg.): Räuber, Volk und Obrigkeit. Studien zur Geschichte der Kriminalität in Deutschland seit dem 18. Jahrhundert. Frankfurt a.M. 1984, S. 71. Hornig, Michael: Die Liedermacher und das zeitkritische Lied der 60er Jahre. S. 64.
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keit.129 Im Kontext des Songtextes lässt sich das Grauen so verstehen, dass sich sowohl der zwischenmenschliche Bereich (das Liebespaar), der Freizeitbereich (das Café), aber auch der Bereich des Lohnerwerbs, der Medien, der Kunst und des (Luxus-)Konsums („Kirschen auf Sahne“) in keiner Form durch die nationalsozialistische Vergangenheit und im Besonderen durch die Traumatisierung des alten Mannes verändert zeigen. Die Grundaussage des Songs, dass eine ‚Vergangenheitsbewältigung‘ nicht stattgefunden habe, ja mehr noch, dass an ihr nicht einmal ein weiterreichendes Interesse bestehe, wird im letzten Refrain als allgemeingültiges Fazit zusammengefasst: Leben ist Leben – wer hat das nicht? Zehntausend Tote – Neon macht Licht. (Ref. 3, V.1-4)
Die künstliche Neon-Beleuchtung, die ganz zu Beginn des Songs bereits als „Kopfschmerzenlicht“ (Str. 1, V.2) bezeichnet wurde, zeichnet sich ja vor allem durch ihre Eigenschaft, keinen Schatten zu erzeugen, aus. Ihre Nennung an dieser exponierten Stelle hat einen ambivalenten Effekt. Zum einen verstärkt sie den Eindruck des Desinteresses, das die (Café-)Gesellschaft der Vergangenheit entgegenbringt. Trotz des grellen Lichts werden, insbesondere von dem Liebespaar, das in dem NS-Opfer lediglich einen alten „Zittermann“ erkennen mag, die Ursachen für seine sichtbaren körperlichen Defekte nicht reflektiert.130 Zum anderen wird auf das literaturgeschichtlich altbekannte Motiv des fehlenden Schattens verwiesen und dieses mit dem Konflikt der (Mit-)Schuld und Unschuld, die den Kern der Traumatisierung des Häftlings bildet, verknüpft.131 In einer Lesweise, die den Schatten als Symbol der Identität betrachtet (und weniger in Chamisso’scher Sicht als Symbol der Seele), betont das künstliche Neonlicht die Unmöglichkeit für 129
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Vgl. Fingesten, Peter: Rokoko. In: Lurker, Manfred (Hrsg.): Wörterbuch der Symbolik. S. 623; vgl. auch Sengle, Friedrich: Aufklärung und Rokoko in der deutschen Literatur. Heidelberg 2005, S. 9-22; Hornig, Michael: Die Liedermacher und das zeitkritische Lied der 60er Jahre. S. 65. Vgl. ebd., S. 66. Hier und an anderer Stelle vgl. zur Definition von ‚Motiv‘ und seiner Lesbarkeit als ein „Element intertextueller Zusammenhänge“ Drux, Rudolf: Motiv. In: Weimar, Klaus u.a. (Hrsg.): Reallexikon der deutschen Literaturwissenschaft. Neubearbeitung des Reallexikons der deutschen Literaturgeschichte. Band 2: H-O. Berlin, New York 2000, S. 638-641, hier S. 638.
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das Opfer, sich der Konfrontation mit der Vergangenheit zu verweigern: eine Verdrängung ist dem Opfer im Gegensatz zu den Tätern und Nachgeborenen nicht möglich. Mit seinem Song Kirschen auf Sahne verbindet Süverkrüp eine Darstellung eines NS-Opfers mit einem Angriff auf die bundesrepublikanische Wohlstandsgegenwart. Das in dem Song geschilderte ‚Übersehen‘ des Opfers durch die Café-Gäste ist eine Konkretisierung der von Alexander und Margarete Mitscherlich im gleichen Jahr 1967 konstatierten „Unfähigkeit zu trauern“.132 Festzuhalten ist auch, dass Süverkrüps Song nicht die Verfolgung von Juden, Homosexuellen, Sinti und Roma thematisiert. Indem der alte Mann als oppositioneller Widerstandskämpfer gekennzeichnet ist, werden die mörderischen Repressionen des NS-Regimes politisch gedeutet. Insgesamt intendiert der Song vornehmlich eine Kritik an der bundesrepublikanischen Nachkriegsgesellschaft. Indem er dies mittels der Schilderung eines traumatisierten Überlebenden tut, wird das NS-Opfer letztlich funktionalisiert für den Protest gegen die bürgerliche Gesellschaft. Damit ähnelt das Stück den wenigen anderen Songs der 60er Jahre, die sich mit den Opfern des Nationalsozialismus beschäftigen. Sie alle schildern Opfer vor allem deshalb, um den Widerstand gegen gegenwärtige Entwicklungen zu motivieren. Instrumentalisierungen der Opfer In den 60er Jahren entstehen zahlreiche soziale Protestbewegungen, z.B. die „Kampf gegen den Atomtod“-Bewegung, aus der sich die ersten Ostermärsche bilden, aber auch ab 1967 die „Kampagne für Abrüstung“, die als ein Teil der Außerparlamentarischen Opposition zu begreifen ist.133 Viele der Songschreiber sind ideell oder praktisch eng mit diesen Bewegungen verbunden,134 deshalb ist es wenig verwunderlich, dass in zahlreichen Songs der antimilitaristische bzw. pazifistische Diskurs mit dem Opferdis-
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Prototypisch zeigt das Verhalten der Cafégäste: 1) „Abwehrmechanismen gegen die Nazivergangenheit“ durch Negierung und Manipulation der Vergangenheit und 2) eine „Reaktionsträgheit im gesellschaftlichen Zusammenleben“ (Mitscherlich, Alexander/Mitscherlich, Margarete: Die Unfähigkeit zu trauern. Grundlagen kollektiven Verhaltens. München 1967, S. 16f.). Vgl. Hermand, Jost: Bundesrepublik Deutschland. S. 332. Vgl. Riha, Karl: Moritat, Bänkelsong, Protestballade. S. 123f.; Böning, Holger: Der Traum von einer Sache. S. 51.
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kurs verknüpft wird. In einigen Songs wird z.B. der Soldat als Opfer gestaltet und sein Tod als Argument für die Unterstützung der Friedensbewegung instrumentalisiert. Dies gilt insbesondere für Wolf Biermanns Stück Soldat Soldat mit der einleitenden Strophe:135 Soldat Soldat in grauer Norm Soldat Soldat in Uniform Soldat Soldat, ihr seid so viel Soldat Soldat, das ist kein Spiel Soldat Soldat, ich finde nicht Soldat Soldat, dein Angesicht Soldaten sehn sich alle gleich Lebendig und als Leich (Str. 1, V.1-8)
Biermanns Song ist aufgrund der parolenhaften Wiederholungen und der Verwendung einer bekannten Soldatenlied-Melodie erkennbar für den Gebrauch auf antimilitaristischen Demonstrationen konzipiert. Vor allem aber vereinfacht der Text einen komplexen Gegenstand, indem alle Soldaten – sowohl die eines Angriffs- als auch die eines Verteidigungskrieges – gleichgesetzt werden. Der Schauspieler und Songschreiber Wolf Brannasky hat diese Vereinfachung zum Anlass genommen, einen ‚Gegensong‘ zu verfassen mit dem Refrain: „Soldaten sind nicht alle gleich/lebendig nicht/und nicht als Leich’.“136 Dass die ‚Gleichheit‘ der toten Soldaten behauptet wird, obwohl sie zumindest in Hinsicht auf die Legitimität ihres Handelns schlicht nicht gegebenen ist, zeigt, dass es dem Song eben nicht auf historische Differenzierungen (oder eine Auseinandersetzung mit den militärischen Opfern des NS-Regimes) ankommt. Es geht Biermann darum, die gefallenen Soldaten als Argument für eine Unterstützung der Friedensbewegung in der Songgegenwart zu instrumentalisieren. Hin und wieder werden von Songschreibern mit einer ähnlichen Wirkungsabsicht auch verschiedene Kriege parallelisiert, wie beispielsweise von Walter Mossmann in seinem 1968 erschienenen Stück Deutscher 135
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Biermann, Wolf: Soldat Soldat. T.: Wolf Biermann/M.: Trad.. Aus dem Album: Eins in die Fresse, mein Herzblatt – live. Erschienen 1980. Kontrovers insofern, dass die Gleichsetzung von den angreifenden mit den verteidigenden Soldaten zu Protesten v.a. in der DDR führte. Dieser Song, der Biermann bewusst missversteht, indem er das „sehn sich gleich“ zu „sind“ werden lässt, ist m. W. nicht auf Tonträger veröffentlicht worden, der Text findet sich u.a. in Voigtländer, Annie/Witt, Hubert (Hrsg.): Denkzettel. S. 124-126; Brannasky, Wolf: Soldaten sind nicht alle gleich. T./M.: Wolf Brannasky, entstanden 1971.
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Marsch, geblasen.137 Hier wird die deutsche Geschichte in Form einer Anrede als gleichgebaute Aufzählung dargeboten: Glaubt an Sedan, wo der erste stand Glaubt an Verdun, wo der zweite stand Glaubt an Stalingrad, wo der dritte stand (Str. 6, V.1-3) Fürs Vaterland, das auferstand das aus der Asche auferstand (Ref. 3, V.1f.)
Auch wenn die Perspektive in diesem Song zwischen einem pazifistischen Kommentator und einem (ähnlich wie in den Degenhardt’schen Rollensongs) durch den Sprachgebrauch satirisch entlarvten Sprecher wechselt,138 finden sich auf beiden Ebenen keine Ansätze einer Differenzierung der Kriege, ihrer Aggressoren und ihrer Opfer. Ein Beispiel, das die Verbindung der Vergangenheit mit den Protesten der Gegenwart besonders stark betont, ist Wolf Biermanns Großes Gebet der alten Kommunistin Oma Meume in Hamburg.139 Die vierstrophige Ballade ist stark biographisch geprägt. Rollen-Ich des Songs ist die Großmutter Wolf Biermanns. Sie begründet zunächst die Notwendigkeit eines siegreichen Kommunismus und verknüpft diese politische Aussage in der letzten Strophe mit der Biographie Wolf Biermanns. All dies geschieht durchaus ironisch, indem die Aussagen in der ‚reaktionären‘ Gebetsform dargebracht werden. Interessant ist vor allem, dass es wie bei Süverkrüp um politische Opfer des Nationalsozialismus geht und aus ihrem Tod Folgerungen für die Songgegenwart gezogen werden. So heißt es in der zweiten Strophe eindeutig: Dann dieser Hitler, das vergess ich nie Wie brach unsre Partei da in die Knie Die Bestn starbn im KZ wie Fliegn Die andern sind verreckt im Krieg wie Vieh (Str. 2, V.6-9) 137 138
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Mossmann, Walter: Deutscher Marsch, geblasen. T./M.: Walter Mossmann. Aus dem Album: Große Anfrage. Erschienen 1968. Dies wird besonders deutlich in der formelhaften und durch den unreinen Reim komischen dritten Strophe: „Haltet euch sauber, ihr seid noch jung/das Feld der Ehre braucht jungen Dung/Hunderttausende sind nie genung“ (Str. 3, V.1-3). Biermann, Wolf: Großes Gebet der alten Kommunistin Oma Meume in Hamburg. T./M.: Wolf Biermann. Aus dem Album: Chausseestraße 131. Erschienen 1968.
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In der Rollensong-Logik führt diese historische Erfahrung zu der auf die Songgegenwart bezogenen Forderung: „O GOtt, lass DU den Kommunismus siegn!“ (Str. 2, V.10). Aus dieser Anrufung Gottes und eben nicht einer agitierenden Hinwendung zur Bevölkerung spricht ein grundsätzlicher Zweifel an der Möglichkeit menschlicher Systemveränderung, den Biermann selbst als „die bittere Ratlosigkeit vieler Kommunisten aus der alten Generation“ bezeichnet hat.140 Grund für die pessimistische Einschätzung menschgemachten politischen Fortschritts ist eine Gleichartigkeit geschichtlicher Vorgänge: So konstatiert die alte Kommunistin: „Der Stalin […]/hat es fast getriebn/– verzeih – wie ein Faschist im Sowjetstaat“ (Str. 3, V.2-4). Die Möglichkeit weiteren Blutvergießens macht die als „Stoßgebet“ bezeichnete letzten Strophe sichtbar, in der Wolf Biermann zu seinem im Konzentrationslager ermordeten Vater Dagobert in Bezug gesetzt wird: „Mach, dass mein herznslieber Wolf nicht endet/Wie schon sein Vater hinter Stachldraht!“ (Str. 4, V.1f.). Klar ist, dass der Song nicht als Plädoyer für das Vertrauen auf den allmächtigen Gott und die Übernahme der desillusionierten Sichtweise der alten Kommunistin gelesen werden kann. Dafür sind die Ironiesignale wie der Hamburgische Dialekt und eben die ‚reaktionär‘ antimarxistische Gebetsform des Songs zu zahlreich. Biermanns Stück muss als hintergründige Forderung nach einem ‚Sozialismus mit menschlichem Antlitz‘ verstanden werden. Sie wird argumentativ angeleitet durch die Gleichsetzung von Opfern verschiedener politischer Systeme und Staaten. Dieser historisch nicht differenzierende Aspekt des Opferdiskurses in den 60er Jahren lässt sich auch in Franz Josef Degenhardts Song Väterchen Franz feststellen. Erschienen 1966 auf dem gleichnamigen Album gehört er noch zum Frühwerk des Songschreibers und arbeitet wie die bereits untersuchten Songs mit einer ausgeprägten Bildsprachlichkeit und komplexer Ausdrucksweise.141 Die Refrains stellen jeweils eine (Publikums-)Anrede an den als „versoffner Chronist“ (Ref. 1, V.2) bezeichneten Erzähler dar, dessen Namensgebung eine Ähnlichkeit (aber eben nicht Deckungsgleichheit) mit dem biographischen Sänger andeutet. Stärker als in den bislang betrachteten Songs Degenhardts schildern die Refrains eine Parallel- oder Rahmenhand140 141
Biermann, Wolf: Triefende Dichtung und banale Wahrheit. S. 248. Degenhardt, Franz Josef: Väterchen Franz. T./M.: Franz Josef Degenhardt. Aus dem Album: Väterchen Franz. Erschienen 1966.
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lung. In den ersten sechs bleibt die Aufforderung: „He, Väterchen Franz, he, Väterchen Franz,/erzähle die Geschichte, erzähle sie ganz“ (Ref. 1-6, V.5f.), unverändert, der letzte Refrain schildert allerdings eine Meinungsänderung des Publikums. Als Karikatur bürgerlichen Kunstverständnisses heißt es hier: „Nein, Väterchen Franz, nein, Väterchen Franz,/hör auf mit der Geschichte, Kunst ist doch Genuss“ (Ref. 7, V.5f.). Diese Äußerung ist in der Songlogik verständlich als Reaktion auf den Bericht des Erzählers. Dessen Schilderung, auf deren chronologische und historisch vermeintlich wahrhaftige Natur bereits die altertümliche Berufsbezeichnung („Chronist“) hinweist, handelt dem Tempus gemäß von der Vergangenheit. Sie spielt aber, für den Rezipienten aufgrund vielfältiger Hinweise (von der Suche nach „Massengräbern“ [Str. 2, V.5] bis zum „Napalm“ [Str. 6, V.9]) deutlich erkennbar, in der zeitgenössischen Gegenwart. Die im gegebenen Zusammenhang zentrale Figur ist ein „SS-Offizier“. Er lebt, wie auch diverse Kommunisten, Priester und ein Zoodirektor, in einem „Aussatzrevier“ (Str. 5, V.2). Alle Bewohner sind charakterisiert durch ein Verhalten, das die Umkehrung der eigentlich von ihnen zu erwartenden Handlungen darstellt. So wie der Zoodirektor „Sodomie“ betreibt und der Priester „schwarze Messen“ liest (Str. 1, V.6-8), hat auch der Offizier „seinen Tick“ (Str. 2, V.4), der darin besteht, vor lauter Schreien nicht mehr schlafen zu können und „Massengräber“ zu suchen. (Str. 1, V.5/Str. 2, V.5). Offenkundig macht gerade diese Wandlung der Aussätzigen ‚vom Saulus zum Paulus‘ die Parallelwelt für die „Töchter und Söhne aus den allerbesten Familien“ (Str. 3, V.7) hoch attraktiv. Sie strömen aus ihren Elternhäusern in das Aussatzrevier. Ergänzend dazu wird die Attraktion des antibürgerlichen Umfelds durch beständige, vor allem das Rattenmotiv variierende intertextuelle Hinweise auf den Song Spiel nicht mit den Schmuddelkindern plausibel.142 Der „Chronist“ nun, dessen Alkoholkonsum ihn allerdings zu einem unzuverlässigen Erzähler macht, schildert in den strukturell zentralen Strophen vier und fünf die Reaktion der Gesellschaft auf die Verlockungen des „Aussätzigenreviers“ für die „Bürgerkinder“ (Str. 6, V.5). In der Wortwahl erinnert die Sprache an einen militärischen Feldzug nationalsozialistischer Couleur. So ist unter anderem die euphemistische 142
In Väterchen Franz heißt es z.B.: „und das Kind baute den Ratten eine richt’ge Rattenstadt“ (Str. 3, V.4), während in Spiel nicht mit den Schmuddelkindern die hohe Attraktivität der „Unterstadt“ durch die dort gesungenen „Rattenfängerlieder“ (Str. 1, V.9) und „Rattenfängerweisen“ (Str. 2, V.4) erklärt wird und die Welt der Ratten als Ziel alles Sehnens erscheint.
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Rede von einer „Säuberungsaktion“ (Str. 4, V.10), die dem Hörer als massiver Überraschungsangriff mit schwerem Gerät und Bodentruppen („zwanzig Bagger“, „tief am Boden“ [Str. 5, V.2-9]) erkennbar ist.143 An dieser Stelle findet, wenn auch abgemildert durch die Unzuverlässlichkeit des Erzählers, eine höchst erstaunliche Opfer-Täter-Verschiebung statt. Sie zielt zwar auf die Gegenwart, ist durch ihren Konnex zur nationalsozialistischen Herrschaft aber doch auch eine Aussage über die Vergangenheit. Anstifter des Angriffs auf das „Aussatzrevier“ ist, so schildert die vierte Strophe, „unser Zeitungszar“ (Str. 4, V.7), mit dem nur der Verleger Axel Springer gemeint sein kann. Sein „Hirtenbrief“ (als Ausdruck ein fast beiläufig formulierter scharf-sarkastischer Angriff auf die Rezeption der Bild-Zeitung) ist in der Lage „dem Senat das Misstraun“ auszusprechen und „dem fetten Polizeichef eine Säuberungsaktion“ zu befehlen (Str. 4, V.9f.). Die Unrechtsstaatlichkeit einer Gesellschaft, die sich von einem Zeitungszaren gewaltsame ‚Säuberungen‘ diktieren lässt, hat Auswirkungen auf das Verhalten der Aussätzigen. Durchaus dialektisch gedacht resultiert aus der Korruption rechtsstaatlicher Maßstäbe eine Verdrehung der post-nationalsozialistischen Opfer-Täter-Dichotomie. So ist es gerade der SS-Offizier, der „Alarm“ gibt, sich dem Aggressor stellt und „blind vor Glück und Wut“ als „SS-Ritter“ zum Märtyrer wird (Str. 5, V.510). Damit entgeht er im Übrigen dem die ‚Songchronik‘ abschließenden Massenmord an den Aussätzigen durch den Einsatz von Napalm (Str. 6, V.9). Hinsichtlich der Vergangenheitsdiskurse der 60er Jahre lässt sich zweierlei aus Degenhardts Song lesen: Zum ersten ist auch hier erneut der Opferdiskurs insofern ahistorisch angelegt, als durch die Bezüge auf den Nationalsozialismus und den Vietnam-Krieg eine weitgehende Vergleichbarkeit von politischer Verfolgung in Vergangenheit und Gegenwart angedeutet wird. Zum zweiten erscheint die Darstellung von Opfern der Gewaltherr143
Sicherlich eröffnet der euphemistische Begriff der „Säuberung“ auch Assoziationen an Maßnahmen zur Durchsetzung der Parteipolitik in den kommunistischen Staaten, vor allem den 1948 vom Vorstand der SED gefassten Beschluss über die „organisatorische Festigung der Partei und ihre Säuberung von entarteten und feindlichen Elementen“ (vgl. Sozialistische Einheitspartei Deutschlands: Für die organisatorische Festigung der Partei und für ihre Säuberung von feindlichen und entarteten Elementen. Beschluß des Parteivorstandes der SED vom 29. Juli 1948. In: Dokumente der SED, Band II, Berlin 1952, S. 79-82), aber im Kontext der Songschilderungen ist der Bezug auf die nationalsozialistische Vernichtungspolitik dominant.
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schaft wiederum funktionalisiert für die Benennung von Tätern der Gegenwart. Eine unrechtsstaatliche Gesellschaft zertrümmert die aus der historischen Erfahrung gewonnenen Sicherheiten hinsichtlich Schuld und Unschuld, konkret ausgedrückt: die Gewissheit nationalsozialistischen Unrechts. Degenhardt fasst diese aus staatlicher Gewalttätigkeit resultierende Vernebelung von Unrechtsbewusstsein in ein pointiertes Bild. Im Augenblick des Gewaltaktes vereinigen sich Opfer (der „SS-Ritter“) und Täter (der den Angriff im Auftrag des Staates ausführende Arbeiterführer) im Gesang der Parteihymne der NSDAP: Der SS-Offizier, der grade bohrte, hört’ es schrein, gab Alarm, legte die Stange so wie eine Lanze ein, galoppierte auf die Bagger zu, sang das Horst-Wessel-Lied, der Baukolonnenführer riss die Hand hoch und sang mit. (Str. 5, V.5-8)
Franz Josef Degenhardt: Der Talisman (1968) Eine weitere bemerkenswerte Darstellung von Opfern des nationalsozialistischen Regimes ist die „Geschichte vom Aufstieg und von der Verstümmelung einer westdeutschen Führungskraft“, wie es in der Vorrede zu Degenhardts 1968 erschienenem Song Der Talisman heißt.144 Inhaltlich ist der als Bänkelsang gestaltete Song eher simpel und erhält seine Struktur insbesondere durch die Variation des Motivs vom titelgebenden „Talisman“, der in der ersten Strophe als „ein winzig Henkeltöpfchen […] aus grünem Porzellan“ (Str. 1, V.10) beschrieben wird und dessen Nennung jedes Strophenende refrainartig abschließt. Weniger die Handlung macht den Song interessant als die sorgfältige Verknüpfung verschiedener Nachkriegsthemen mit dem Opferdiskurs. Der „recht deutsch[e]“ (Str. 1, V.7) Protagonist zeugt „Anno zwoundvierzig“ in Paris ein Kind mit einer Französin und gibt ihm den patriotischen Namen „Germaine“ (Str. 1, V.1-3), wird an die Front geschickt und wundersam gerettet durch den Talisman (Str. 2, V.2), steigt in der Nachkriegszeit auf zur Führungskraft („reich und dick und frei/und alles das verdankte er nur diesem Talisman“ [Str. 3, V.8f.]) und wird schließlich zurück in Paris mit seiner Tochter konfrontiert (Str. 4, V.3). Anhand dieser Handlung verweist Degenhardt sowohl auf die Zufälligkeit des ‚Davonkommens‘ auf den Schlachtfeldern des Zweiten Weltkriegs 144
Degenhardt, Franz Josef: Der Talisman. T./M.: Franz Josef Degenhardt. Aus dem Album: Wenn der Senator erzählt… Erschienen 1968.
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– „Die Kugel, die ihn traf vor Stalingrad,/die prallte von dem Henkeltöpfchen ab,/traf neben ihm/den Kamerad“ (Str. 2, V.2-5) – als auch auf die von historischer Aufarbeitung weitgehend unbeeinflussten wirtschaftlichen Aufstiegserfolge in der Nachkriegszeit. So gründet die Karriere der „Führungskraft“ auf der „Produktion von Henkeltöpfchen“ (Str. 3, 1f.), der Ware also, die der Protagonist als Ergebnis nationalsozialistischer Besetzung in Frankreich von Germaines Mutter erhielt. Vor allem aber, und hier ist der Song zeitgeschichtlich ungewöhnlich, thematisiert er das Schicksal der ‚Femmes tondues‘, der ‚collaboration horizontale‘ und der aus Fraternisierungen zwischen deutschen Besatzern und französischen Frauen resultierenden Besatzungskinder.145 Die Rückkehr des Protagonisten nach Paris führt zu einer dramatischen Begegnung mit der Tochter Germaine in einem Bordell und zur physischen „Verstümmelung“: Der Mutter schwur sie auf der Totenbahr zu rächen Not und abgeschnittnes Haar, als Strafe, weil sie ein Feindsliebchen war. Und jetzt wird ihre Rache wahr. Paris ist abends laut, man lacht, trinkt Wein. Wer hört schon eines Mannes schrilles Schrein, wer hört schon, wenn er brüllt: „Lass dran, ’s ist mein.“ (Str. 5, V.1-7)
Diese fast leichthin dargebrachte Passage, die im Duktus an eine schaurige Moritat erinnert, ist vielschichtig und für die Songproduktion der 60er Jahre ungewöhnlich. Sie ‚dockt‘ zum einen an einen „Kernbestand der kollektiven Erinnerung an die ‚Trümmerzeit‘“ an: das in Westdeutschland kontrovers diskutierte Thema der ‚Ami-Liebchen‘ bzw. der ‚Franzosen-Bräute‘.146 Diese mussten mit dem Abschneiden der Haare und dem Schwärzen des Gesichts mit Ruß (Bestrafungen, die das Opfer in Tradition bäuerlicher Rügerituale mit sichtbaren Zeichen der Schande markierte) sowie sozialer Ausgrenzung identische, ‚entfeminisierende‘ Sozialsanktionen erleiden wie
145 146
Vgl. Virgili, Fabrice: La France „virile“. Des Femmes tondues à la Libération. Paris 2004, S. 19-58. Seiler, Signe: Die GIs. Amerikanische Soldaten in Deutschland. Reinbek 1985, S. 43; vgl. auch Kleinschmidt, Johannes: Do not fraternize. Die schwierigen Anfänge deutsch-amerikanischer Freundschaft 1944-1949. Trier 1997, S. 152; Heinemann, Elizabeth: The Hour of the Woman: Memories of Germany’s „Crisis Years“ and West German National Identity. In: American Historical Review 101.2 (1996), S. 354-395.
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die ‚kollaborierenden‘ ‚rasierten Frauen‘ in Frankreich.147 Zum zweiten weist diese Strophe, indem sie Germaine als Prostituierte ausweist, auf das Schicksal der Besatzungskinder hin, deren ‚illegitime‘ Existenz Ablehnung und Ausgrenzungen im familiären und weiteren sozialen Umfeld zur Folge hatten und deren finanzieller Status aufgrund mangelnder Vaterschaftsanerkennung und Unterhaltszahlungen prekär werden konnte.148 Zu guter Letzt zeigt die Rückkehr des Protagonisten an den Kriegsschauplatz Paris, an eine Örtlichkeit also, die ihn in der Funktion eines nationalsozialistischen Besetzers sah, eine psychische Disposition („Sehnsucht“ [Str. 4, V.1]), die nur in einem Kontext nicht erfolgter Aufarbeitung der Kriegserfahrung begriffen werden kann. Ob man diese „Sehnsucht“ als Nostalgie, Sentimentalität oder Neugier versteht, in jeder Lesart zeigt sie eine indifferente Haltung des ehemaligen Soldaten zu der Frage individueller Verantwortung. Die den Song abschließende bänkelhafte Schlussstrophe fasst – ironisch getönt – all diese Aspekte zusammen. Zweierlei „Moral von der Geschicht’“ (Str. 6, V.2) wird verkündet: „Erfülle immer deine Vaterpflicht“ und „Kehr nie an einen Kriegsschauplatz zurück“ (Str. 6, V.3,7). Auch wenn beide Imperative die Ebene individuellen Verantwortungsbewusstseins (für das eigene Handeln und die eigenen Nachkommen) streifen, steht doch der rhetorische Aufwand der vorhergehenden Songschilderungen in einem Missverhältnis zu dieser aus einer Selbstverständlichkeit und einer politischen Unsinnigkeit bestehenden „Moral“. Das durch den Erzähler offerierte Fazit wird dadurch fragwürdig und die hintergründige Wirkungsabsicht des Songs muss, wie so oft bei Franz Josef Degenhardt, vom Rezipienten selbstständig erschlossen werden. Sie lässt sich erkennen als friedensbewegte Reflexion der langfristigen gesamtgesellschaftlichen Folgen kriegerischer Aggression. Durch die Verknüpfung verschiedener Diskurse und historischer Ebenen veranschaulicht Degenhardt in diesem Song, dass sowohl die gefallenen Soldaten (in Gestalt eines deutschen Kameraden) als auch die (zufällig) Überlebenden, die vom Krieg betroffene Zivilbevölkerung und schließlich die Generation der Nachgeborenen durch militärisches Handeln zu Opfern und seelisch oder psychisch ‚Verstümmelten‘ werden.
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Vgl. Bauer, Ingrid: Welcome Ami Go Home. Die amerikanische Besatzung in Salzburg 1945-1955. Erinnerungslandschaften aus einem Oral-HistoryProjekt. Salzburg, München 1998, S. 156f. Vgl. ebd., S. 239f.
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Anders ausgedrückt behauptet die Erzählung vom Talisman, dass es als Ergebnis von Krieg und Gewalt keine Sieger, nur Opfer geben könne. Dass dieses Opferverständnis jedoch Kriegs- und Nachkriegszeit übergreifend und Besatzer und Besetzte parallelisierend gestaltet ist, ja dass die Opfer in eine militärisch erzeugte schicksalhafte Gemeinschaft gesetzt werden, zeigt ein weiteres Mal die letztlich ahistorische Grundkonstitution der Auseinandersetzung mit den Opfern des Nationalsozialismus in den politischen Songs der 60er Jahre. Es ist dies genau jene Aufarbeitung der Vergangenheit, die Hannah Arendt in einem Brief an Hans Paeschke beklagt, als eine Aufarbeitung, die „durch Parallelen, bei denen sich irgendein Generalnenner darbietet, vieles Partikulare unter ein Allgemeines subsumiert, wobei das konkret Sich-Ereignende als Fall unter Fällen verharmlost wird.“149 Insgesamt sind die songliterarischen Äußerungen zum Opferdiskurs, das lassen die betreffenden Werke Biermanns, Degenhardts, Mossmanns und Süverkrüps erkennen, noch sehr weit entfernt von den Deutungskämpfen um die ‚richtige‘ (Opfer-)Erinnerung im Kontext der Normalisierungsdebatten der 80er und 90er Jahre und auch von den Reflexionen über das kollektive, kulturelle oder kommunikative Gedächtnis. Die Songschreiber nehmen stattdessen die Auseinandersetzung mit Opfern des NS-Regimes fast ausschließlich vor, um Forderungen zur politischen Veränderung der Gegenwart zu formulieren. Eine solche Zielsetzung benötigt einerseits, das zeigen die Beispiele, weder konkrete historische Differenzierungen noch gedächtnistheoretische Begründungen für die Vergangenheitsdarstellung. Auch spielt der Aspekt des ‚Lernens aus Geschichte‘ nur eine geringe Rolle. Er findet sich stärker in Songs, die sich als Teil des didaktischen Diskurses der 60er Jahre verstehen lassen. Sie sollen im Folgenden betrachtet werden.
W ARNUNGEN VOR EINEM „ NEUERLICHEN D EUTSCHLAND -E RWACHEN “ Fragen nach der adäquaten Vergegenwärtigung der Vergangenheit und des kulturellen Beitrages zur Entwicklung eines kollektiven Gedächtnisses bil149
Hannah Arendt an Hans Paeschke. New York, 5. Februar 1965. Brief, 1. Blatt. In: Bentz, Ralf u.a. (Hrsg.): Protest! Literatur um 1968. S. 93f.
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den nicht den Schwerpunkt der politischen Songproduktion zum Nationalsozialismus in den 60er Jahren. Das, was sich als historiographischdidaktischer Diskurs bezeichnen lässt, also vornehmlich die songliterarische Reflexion über den Nutzen einer Auseinandersetzung mit der Geschichte, reduziert sich im Vorfeld und Umfeld der 68er-Revolte auf die „Warnung vor einem neuerlichen Deutschland-Erwachen“.150 Einer solch pessimistischen, weil die Wiederholung der Geschichte fürchtenden Sicht auf die politische Situation der 60er Jahre liegt eine Gesellschaftsanalyse zugrunde, die sich bereits in anderen Songs andeutete. Die Bundesrepublik wird als ein restaurativer bzw. gar latent ‚faschistoider‘ Staat begriffen. Damit ist gemeint, wie Helmuth Kiesel zeitgenössische Einschätzungen paraphrasiert, dass „die Entwicklung in Westdeutschland auf eine Wiederherstellung jener gesellschaftlichen Verhältnisse hinauslaufe, die schon einmal in den Faschismus geführt hätten.“151 Eine solche Position konnte sich durch die Debatten um die Notstandsgesetze, die Wahl Kurt Georg Kiesingers zum Bundeskanzler oder die autoritären Strukturen an den Universitäten bestätigt sehen. Sie wurde von linker Publizistik, aber auch Literaten wie Rolf Dieter Brinkmann und Songschreibern wie Franz Josef Degenhardt vertreten und ging davon aus, dass die demokratischen Errungenschaften der Bundesrepublik beständig in der Gefahr standen, „durch die Politikvergessenheit der konsumorientierten Bevölkerung und die Machenschaften reaktionärer Politiker und Unternehmer rückgängig gemacht zu werden.“152 Betrachtete man, wie es der radikalere Flügel der APO tat und wie es sich schließlich in der Ideologie der RAF zusammenfügte, die Demokratisierung als bereits weitgehend gescheitert, dann verschärfte sich der Restaurationsvorwurf zu einer Einschätzung der Bundesrepublik als ‚faschistoid‘.153 Der hieraus resultierende didaktische Ansatz der Songschreiber der 60er Jahre besteht nun darin, diese Tendenzen aufzuzeigen und die Gefahr einer Wiederholung der Geschichte zu beschreiben. Dies geschieht allerdings 150
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So Dieter Süverkrüp im Titel seines Songs Verkürzte Darstellung eines neuerlichen Deutschland-Erwachens. T./M.: Dieter Süverkrüp. Aus dem Album: Die widerborstigen Gesänge des Dieter Süverkrüp. Erschienen 1967. Kiesel, Helmuth: Literatur um 1968. S. 603. Ebd., S. 603. Man erinnere in diesem Zusammenhang Ernst Blochs dramatische Worte während der Abschlusskundgebung des „Notstands-Kongresses“ 1966 in Frankfurt: „Wir kommen zusammen, um den Anfängen zu wehren.“ (zit. n. Frei, Norbert: 1968. S. 97). Vgl. Kiesel, Helmuth: Literatur um 1968. S. 603f.
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nicht zwangsläufig unter Rückgriff auf ein geschichtsphilosophisch-theoretisches (beispielsweise Oswald Spengler folgendes) zyklisches Geschichtsbild.154 Ausgehend von der Überzeugung, dass sich Geschichte potentiell wiederholen kann, dominieren drei Aspekte die politischen Songs der 60er Jahre: erstens der Nachweis, dass die Bundesrepublik bereits ‚faschistoide‘ Züge aufweise, zweitens eine Begründung dieser Entwicklungen mit einer fehlenden oder gescheiterten Aufarbeitung der Vergangenheit und/oder drittens mit der Existenz eines spezifischen ‚deutschen Charakters‘, der sowohl als ursächlich für das NS-Regime gewertet als auch in der Songgegenwart als weiterhin latent vorhanden beschrieben wird. Dieter Süverkrüp: Verkürzte Darstellung eines neuerlichen Deutschland-Erwachens (1967) Zwei im Folgenden betrachtete Songs Dieter Süverkrüps lassen erkennen, in welcher Weise die Bundesrepublik als ein restaurativer Staat vor dem Hintergrund der nationalsozialistischen Vergangenheit betrachtet und analysiert wird. Das erste Stück Verkürzte Darstellung eines neuerlichen Deutschland-Erwachens aus dem Jahr 1967 ähnelt dem bereits behandelten Song Tarantella von Franz Josef Degenhardt insofern, als auch hier eine Reflexion über die Gefahren eines irrationalen Umgangs mit der Vergangenheit vorgenommen wird.155 Wie häufig in den Werken Süverkrüps finden sich zahlreiche komplexe Sprachbilder, die eine hohe interpretative Leistung der Rezipienten erfordern. Der Inhalt des Songs, das „Deutschland-Erwachen“, lässt sich so zusammenfassen: An einer Häuserwand taucht urplötzlich ein „Riesen-BH“ (Str. 1, V.7) auf; die Reaktion der städtischen Bevölkerung auf dieses Ereignis ist ein Gewaltausbruch, der einer Wiederholung nationalsozialistischer Verbrechen gleicht. Diese Lesart legen das vorgestellte Intro, in dem die Handlung in einem „Haus (noch schön),/das aus dem letzten Krieg überigblieb [sic!]“ (Intro, V.3f.) verortet wird, aber vor allem das Outro nah. Hieß es kurz vorher noch lapidar: „Und
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Vgl. Stiegler, Bernd: Geschichte zwischen Konstruktion und Ontologie. Zur Theorie der Verfallsgeschichte bei Oswald Spengler. In: Hoffmannsthal Jahrbuch zur Europäischen Moderne 5 (1997), S. 347-367. Süverkrüp, Dieter: Verkürzte Darstellung eines neuerlichen DeutschlandErwachens. T./M.: Dieter Süverkrüp. Aus dem Album: Die widerborstigen Gesänge des Dieter Süverkrüp. Erschienen 1967.
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dann geht auf einmal der Rummel los...“ (Str. 3, V.9),156 wird nun im textlichen und musikalischen Rückgriff auf das Intro und den „letzten Krieg“ deutlich, dass die Reaktion der Bevölkerung dem Angriff des Nationalsozialismus auf die Arbeiterbewegung ähnelt: Sie kennen das Viertel? Na schön! Heute Nacht Riesenbetrieb! Sozialistisches Blut fließt, das vom letzten Mal überigblieb. (Outro, V.1-4)
Die drei vorhergehenden Strophen verknüpfen unter beständigen Verweisen auf die Songgegenwart (beispielsweise auf die Große Koalition und die Notstandsgesetze [Str. 3, V.4f.]) auf vielfältige und sorgfältig konstruierte Weise eine symbolische Ebene mit einer psychologischen. Auf der symbolischen wird das Bild des „Riesen-BH“ mehrfach erweitert. Zunächst geht es um den Aspekt naturwissenschaftlicher und philosophischer Erklärbarkeit (so wird der Büstenhalter beschrieben als „ein riesiges apfelschimmeliges Ding,/metaphysisch und indanthren“ [Str. 1, V.5f.]), dann um den biologischen der Mutterbrust und des Geburtsvorgangs (Str. 2, V.9f.), schließlich erhält die Schilderung eine nationale Perspektive in den zusammenfassenden Worten: „Deutschland hat wieder gewaltige Brüste./Aus mickrigen Dampfherzen quell’n/unerwartete Freuden und schreckliche Lüste“ (Str. 3, V.10-12). Diese Beschreibung wird immer gekoppelt mit der jeweiligen Reaktion der Bevölkerung, die zwischen Ablehnung und Zuneigung schwankt, vor allem aber keinerlei rationale Reflexion zeigt. Das verwendete Wortfeld umfasst Furcht („Männer starren mit angstvollen Hosen“, man ist „erschreckt“ [Str., 1, V.13f.]), Wut („Die Frauen […] schäumen“ [Str. 2, V.2]), aber auch Irritation, Gier und Triebe: „Die Straße ist schwarz von gierigen Menschen/und von gigantischen Träumen/[…]. Ein Milchmann blickt milchig verstört“ (Str. 2, V.3-6). Mit hohem rhetorischem Aufwand – Alliterationen, Parallelismen, Enjambements, usw., auch in den diese Beschreibungen begleitenden Versen – wird innerhalb des Songtextes eine hohe Gewichtung der Passagen bewirkt, die die emotionale und irrationale Reaktion der Bevölkerung auf den Büstenhalter beschreiben. Zu-
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In der Albumaufnahme ist eine kleine Abweichung vorhanden, hier heißt es im Gegensatz zur Druckfassung (z.B. in Budzinski, Klaus (Hrsg.): Vorsicht, die Mandoline ist geladen. Deutsches Kabarett seit 1964. Frankfurt a.M. 1970, S. 216f.): „geht auf einmal ein Rummel los“.
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sammengeführt und nun auch konkret benannt werden beide Ebenen in den Schlussversen der dritten Strophe: Groß und Klein woll’n ganz wie früher rund um die Mutterbrust eine Familie sein – Doch solange es immer noch offene linke Kritiker gibt, bleibt der Genuss des Irrationalen getrübt. (Str.3, V.14-18)
Die hier politisch gemäß eines Rechts-Links-Schemas bewertete Gegenüberstellung von Vernunft und ‚Un-Vernunft‘ lässt nun die Mutterbrust als Symbol überzeitlicher Verkörperung von nationaler, ‚volksgemeinschaftlicher‘ Familiarität einerseits und weitreichender Irrationalität andererseits erkennbar werden. Ein Blick ins strukturelle Zentrum des Songs, in die Mitte der zweiten Strophe, zeigt, welche Folgen ein solches Verhalten haben kann: Von der Kupplerin aus dem Nebenhaus hat man ein Gerücht gehört: Betreffend die große Gebärerin, die Mutter des kommenden Führers und Kanzlers. Des Wiedervereinigers, Wiederverschmutzers und Wiederverlierers. (Str. 2, V.7-12)
Diese Passage – musikalisch betont durch eine Verzögerung nach dem achten Vers („Gerücht gehört“), eine folgende Tempoerhöhung und die Erweiterung des Instrumentariums durch eine Band – zeigt die Komplexität des von Süverkrüp präsentierten Geschehens. Inhaltlich lässt sich die Wiederholung der Geschichte, die durch das Schlagwort „Führer“ eindeutig in einen Konnex mit dem Hitler-Regime gesetzt wird und sprachlich durch Parallelismen unterstrichen wird, als Folge irrationalen Verhaltens verstehen. Diese kausale Folgerung erinnert unweigerlich, indem sie in das Bild eines Geburtsvorgangs gesetzt wird, an die Goya‘sche Aussage: ‚Der Schlaf der Vernunft gebiert Ungeheuer‘.157 Fragwürdig wird diese Passage aber dadurch, dass der geschilderte Prozess nicht als ein Fakt, sondern als „Gerücht“ beschrieben wird. Die Warnung vor einer Wiederholung der Geschichte ist letztlich eine wiederum nicht rational-verifizierbare Aussage einer (realhistorisch von der Gesetzgebung der 60er Jahre verfolgten, d.h. 157
Vgl. hierzu Jacobs, Helmut C.: Der Schlaf der Vernunft. Goyas „Capricho 43“ in Bildkunst, Literatur und Musik. Basel 2006, S. 327-368.
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kriminellen) „Kupplerin“.158 Sowohl die Neologismen als auch die durch das Enjambement angedeutete Klimax von Führer zu Kanzler, ebenso die an jazzig-swingende Hitproduktionen erinnernde musikalische Gestaltung und die gehetzte Gesangspräsentation setzen vielfältige Ironiesignale. Während das „neuerliche Deutschland-Erwachen“ also als Wiederholung der Geschichte beschrieben und die Bundesrepublik als ein latent restaurativer Staat bewertet wird, bleibt Süverkrüp in der Analyse der Ursachen für diesen Prozess bewusst ungenau und überlässt sie – hierin liegt auch die rhetorische Begründung für die in Intro und Outro vorgenommene Anrede – dem Rezipienten. Zeitgeschichtlich betrachtet lässt sich Süverkrüps Song dabei als Verweis auf die Thesen Alexander und Margarete Mitscherlichs verstehen, die durch den großen Erfolg ihres Buchs Die Unfähigkeit zu trauern der Hörerschaft Süverkrüps präsent waren. Die Autoren betrachten hier, aufbauend auf Theorien Sigmund Freuds und Elias Canettis, die Irrationalität als Ursache einer ‚Regression der Masse‘, die sich in einer „akuten Verliebtheit in den Führer“ äußere.159 Bei aller Attraktivität einer solchen Analyse des Hitler-Regimes insbesondere für die ‚linken‘ 68er, die hieraus die Forderung nach sexueller (Freudomarxismus) und politischer Selbstbestimmung ableiten konnten, hat sie vereinfachende Aspekte, insbesondere die Reduktion auf sozialpsychologische Erklärungsmuster. Die von Süverkrüp vielfach gesetzten Ironiesignale lassen sich daher auch als Spitze gegen die „Theoriegläubigkeit“ der Studentenbewegung verstehen, als subtile Aufforderung, die restaurativen Entwicklungen der Bundesrepublik differenzierter zu betrachten.160 158
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Zeitgeschichtlich weist „Kupplerin“ auf den umgangssprachlich ‚KupplerParagraph‘ genannten §180 StGB hin, nach dem bis zur großen Strafrechtsreform 1969 die Förderung und Tolerierung vorehelichen Geschlechtsverkehrs verfolgt werden konnte. „Mit dem Aufstieg Adolf Hitlers vollzog sich abermals eine Restauration […] der deutschen Irrationalitätsbedürfnisse.“ (Mitscherlich, Alexander/Mitscherlich, Margarete: Die Unfähigkeit zu trauern. S. 75f.). Der „Massenführer“ trat „an die Stelle des Ich-Ideals jedes einzelnen, jenes seelischen Selbstbildnisses, […] wie und was man sein oder werden möchte […]. Indem ich dem Führer folge, ihm Verehrung zolle, verwirkliche ich ein Stück dieses phantasierten Ich-Ideals.“ (ebd., S. 71f.). „Die akute Verliebtheit in den Führer steigert die masochistische Lustbereitschaft ebenso wie die Neigung zum aggressiven Ausagieren gegen die Feinde des Führers.“ (ebd., S. 74). Mohr, Reinhard: Die Liebe zur Revolution. Vom Richtigen und vom Falschen. In: Cohn-Bendit, Daniel/Dammann, Rüdiger (Hrsg.): 1968. S. 36.
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Dieter Süverkrüp: Lagerlied (1967) Ein kurzer Blick auf einen zweiten Song Süverkrüps, das Lagerlied aus dem gleichen Album, unterstreicht diese Sichtweise.161 Die Argumentationsweise ist insofern vergleichbar, als auch hier zunächst die potentielle Wiederholbarkeit der nationalsozialistischen Verbrechen durch die Schilderung einer fiktiven Situation erläutert wird und aus dieser anschließend ein dialektisches Fazit destilliert wird. Der Song schildert das Leben in einem „Lager, wo man alles sagen kann und soll und darf“ (Str. 1, V.8). Dieses Lager, durch mehrere Verweise in der Songgegenwart angesiedelt (z.B. durch „Springer“ [Str. 2, V.1]), erinnert an mehreren Stellen an die Schilderung eines Konzentrationslagers. So existieren „Drahtzaun“, scharf schießende „Wächter“ (Str. 3, V.7), aber auch ein „Selbst-Schutz-Korps, aus Albernheit auch das ‚SS‘ genannt“ (Str. 4, V.3), und willkürliche Erschießungen (Str. 5, V.6). Schnell wird erkennbar, dass die Inhaftierten des Lagers, dessen strenge Gesetze „man am schönen Rhein entwarf“ (Str. 5, V.7), d.h. in der Bundeshauptstadt Bonn, politisch ‚links‘ gerichtete Menschen sind. Sie werden benannt als „Friedensfreund, Gewerkschaftsführer, Sozi, Kommunist […],/Schahverächter“ (Str. 1, V.3f.). „Draußen“ (Str. 2, V.1) in der Bundesrepublik hingegen erscheint aus der Perspektive eines Gefangenen lediglich noch fraglich, wie weit die Macht der rechtskonservativen Presse-, Wirtschafts- und Politikeliten bereits reicht: Wie geht’s draußen? Ist der Springer schon der Chef der Bundeswehr? Sag uns alles! Viel zu selten kommen Nachrichten hierher. Hast du irgendwas vom Aufstand in der Dritten Welt gehört? Funktioniert der alte Kram [in der Druckfassung: „die Ausbeutung“] noch immer ungestört? […] Macht die gute alte Herrschaft ungehindert, was sie will? (Str. 2, V.1-6)
Es sind diese an einen neuen Mithäftling gestellten, durch die Anrede in zweiter Person Singular aber die Rezipienten einschließenden Fragen, aus denen die Komplexität der Songaussage resultiert. Im Umfeld der ‚68er‘ ist ja gerade die (zumindest grobe) Bejahung dieser Fragen durch die Protes-
161
Süverkrüp, Dieter: Lagerlied. T./M.: Dieter Süverkrüp. Aus dem Album: Die widerborstigen Gesänge des Dieter Süverkrüp. Erschienen 1967, als Druckfassung in Budzinski, Klaus (Hrsg.): Vorsicht, die Mandoline ist geladen. Deutsches Kabarett seit 1964. Frankfurt a.M. 1970, S. 221f.
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tierenden der Auslöser für die Revolte.162 Damit wird das ‚Draußen‘ real und auch die Existenz des „Lagers“ zu einer denkbaren Möglichkeit. Sie kann jedoch aufgrund der gesellschaftlichen Realitäten (es gibt keine ‚Lager‘) nur metaphorisch verstanden werden, beispielsweise als eine politisch erzwungene unfreie (‚inhaftierte‘) Geisteshaltung. Als ursächlich für die Restriktionen in politischer und persönlicher Hinsicht wird das Fortwirken der „alten Herrschaft“ ausgemacht. Allerdings wird diese 68er-Gesellschaftsanalyse in der letzten Strophe von Süverkrüp hinsichtlich ihrer Gültigkeit hinterfragt. Dies geschieht zunächst, indem eine kapitalismuskritische Wertung präsentiert und mit einer prototypischen marxistischen Faschismusanalyse verknüpft wird: Die wir immer dachten, was den deutschen Landen widerfuhr, sei die Folge irgendeines düstren Zugs zur Diktatur, die wir nie vor Oberlehrern die Konzernherrnkaste sahn, haben vieles gegen Bisse, gegen Haie nichts getan. (Str. 6, V.1-4)
Diese durch die zwei Paarreime sehr geschlossen wirkende erste Hälfte der Strophe könnte auch aus der Feder Franz Josef Degenhardts stammen und dem Song Wenn der Senator erzählt… ergänzend zugeschrieben werden. Dieter Süverkrüp nimmt jedoch in den abschließenden vier Versen einen (durch eine Tempoverschleppung unterstützten) Bruch vor: Zugegeben, dieses Liedchen singt nur einen bösen Traum. Wie ersichtlich, liebe Hörer, glaubet ihr an Träume kaum. Doch verlasst euch drauf, die Furcht macht unsre alte Herrschaft scharf hier im Lande, wo sie alles machen kann und will und darf! (Str. 6, V.5-8)
Durch den Rückgriff auf den Topos des (bösen) Traums, der beispielsweise an Heinrich Heine erinnert und den Kontext gesellschaftskritischer Literaturproduktion unter Zensurbedingungen aufruft,163 wird nun die Richtigkeit der vorher präsentierten Gesellschaftsanalyse fragwürdig, wenn auch (das ist ja gerade die ‚List‘ der ‚Maskierung‘ bzw. ‚Chiffrierung‘ politischer 162
163
Dies gilt unabhängig davon, in welcher Richtung man die Verbindung Axel Springers zur Bundeswehr begreift, z.B. in Richtung seines aggressiven Antikommunismus, des Eintretens für die Notstandsgesetze oder der militanten Forderungen nach Bekämpfung studentischer Proteste. Vgl. z.B. Tempian, Monica: „Ein Traum, gar seltsam schauerlich…“ Romantikerbschaft und Experimentalpsychologie in der Traumdichtung Heinrich Heines. Göttingen 2005, S. 34-38.
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Botschaften vor der Zensur als ‚Traum‘) nicht vollständig widerlegt.164 Die komplexe Dialektik der Aussage Süverkrüps resultiert daraus, dass deutlich wird, wie die studentischen Proteste gegen die vermeintlich ‚faschistoide‘ Restauration der Bundesrepublik von einer Furcht vor Wiederholung der Geschichte zeugen, die ausgelöst ist durch ein spezifisches staatliches Verhalten. Diese politischen Maßnahmen wiederum gründen aber ebenfalls auf Angst vor dem politischen Gegner; es ist die „Furcht der alten Herrschaft“, die die potentielle Errichtung des „Lagers“ erst bewirkt. ‚Innen‘ und ‚außen‘, d.h. ‚links‘ und ‚rechts‘, sind in einem irrrationalen, durch die Emotion Angst geprägten Wechselverhältnis gefangen. Dieser irrationale ‚Teufelskreis‘ ist die Grundlage für alle Gefährdungen der Demokratie in der Bundesrepublik. Gleichzeitig aber führt der Song vor, dass die Analyse einer solchen Situation nicht außerhalb dieser ‚dialektischen Eskalation‘ von Gewalt und Gegengewalt stattfinden kann – die durch die direkte Höreransprache als besonders unmittelbar gekennzeichnete Wiedergabe eines bösen Traums ist ja selbst bereits ein Zeugnis der Furcht! Diese Angst berührt jeden Bundesbürger, und daher ist es konsequent, dass der abschließende Vers („hier im Lande“) nicht mehr nur das Lager benennt, sondern die gesamte Republik als beherrscht von Furcht zeigt. Damit lässt sich das Lagerlied als Erweiterung des „neuerlichen Deutschland-Erwachens“ begreifen, als songliterarische Ausformulierung der Gefährlichkeit irrationalen Verhaltens für die demokratischen Errungenschaften nach dem Zweiten Weltkrieg. Franz Josef Degenhardt: Spaziergang (1966) Die meisten im gegebenen Zusammenhang relevanten Songs der 60er Jahre stellen die Gefahr einer Wiederholung der Geschichte nicht in einer solch komplexen Weise dar. Meist geht es darum, nach den Ursachen für die zeitgenössischen Entwicklungen zu fragen und diese mit einer mangelhaften Aufarbeitung der deutschen Vergangenheit zu begründen. Hierin äußert sich ein Geschichtsverständnis, das per se davon ausgeht, dass eine intensive Beschäftigung mit historischen Prozessen einen erfolgreichen Lernprozess auslösen könne. Damit stehen die Songschreiber nicht nur in der Tradition der europäischen Aufklärung, sondern zeigen sich als Nachfolger des US-amerikanischen Folkrevivals, das die Idee des ‚Lernens aus der Ge164
Vgl. ebd., S. 35.
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schichte‘ intensiv propagierte – man denke sowohl an Bob Dylans Blowin’ in the Wind als auch und vor allem an Pete Seegers Where have all the Flowers gone mit seiner zentralen Zeile: „When will we ever learn?“ Deutlich wird ein solches Geschichtsverständnis in einigen Songs Franz Josef Degenhardts, die zu seinen bekanntesten Werken gehören und ‚Bestandsaufnahmen‘ der BRD vornehmen. Entweder als Rollensong oder analytische Beschreibung gestaltet, bildet er in diesen Stücken kleinbürgerliche Verhaltensweisen ab und betont, wie weitgehend das Verhalten der Menschen in der Gegenwart strukturell dem im Nationalsozialismus gleicht. In einem zweiten Schritt wird dann dieses ‚Nicht-Lernen‘ aus der historischen Erfahrung als Resultat einer mangelhaften Aufarbeitung der Geschichte ausgewiesen. Hieraus wird schließlich, explizit oder implizit, die Warnung vor einer Wiederholung der nationalsozialistischen Herrschaft abgeleitet. Ein für die Produktion Degenhardts in den 60er Jahren typisches Beispiel ist der Song Spaziergang von 1966, dessen Titel auf die „bürgerliche Praktik“ der Erbauung und Muße verweist.165 An keiner Stelle verlässt der als Monolog eines Vaters in Richtung seines Sohnes gestaltete Text den Duktus des Plauderns. Bereits die ersten zwei Zeilen („Hier diese Gegend kenn ich doch!/Da drüben stehn die Weiden noch“ [Str. 1, V.1f.]) lassen Assoziationen an besinnliche Wanderungen voller sentimentaler Erinnerungen entstehen. Mit erschütternder Beiläufigkeit gerät die Plauderei anhand der bereits in Wölfe mitten im Mai zu erkennenden Chiffren „Rauch“ und „zwölf“ dann in den Kontext nationalsozialistischer Verbrechen: Schau rechts, mein Sohn, siehst du den Rauch und links davon den Brombeerstrauch? Von dort zwölf Schritte hin zum Wald, da liegt ein Kind, wie du so alt. (Str. 2, V.1-4)
Das konkrete Geschehnis wird nicht benannt, es lässt sich nur erahnen als Erschießung eines Kindes auf Veranlassung des Vaters: Das Kind wollte nach Hause gehn. Das hat der Offizier gesehn und hat das Kind dorthin gestellt. (Str. 3, V.1-3) 165
Degenhardt, Franz Josef: Spaziergang. T./M.: Franz Josef Degenhardt. Aus dem Album: Väterchen Franz. Erschienen 1966; vgl. insgesamt König, Gudrun M.: Eine Kulturgeschichte des Spazierganges. Spuren einer bürgerlichen Praktik, 1780-1850. Wien u.a. 1996. Diss. Tübingen 1994.
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Die Leute hab ich ausgesucht. […] doch keiner hat vorbeigezielt. (Str. 4, V.1-3)
Die Besonderheit des angedeuteten Verbrechens, die Erzählperspektive, aber auch die fehlenden Konkretisierungen (des Ortes, der Zeit, der Tötungsursache) zeigen, dass es Degenhardt in diesem Song nicht um einen allgemeinen Angriff auf die Vätergeneration geht. Einer solchen Interpretation stünde auch die musikalische Gestaltung entgegen, die den Sprecher weder satirisch entlarvt (z.B. durch die Intonation) noch direkt angreift (z.B. durch aggressive Gitarrenbegleitung). Stattdessen werden eine individuelle Unsicherheit und ein ambivalentes Verhalten der eigenen Vergangenheit gegenüber angedeutet. Dieser Eindruck entsteht dadurch, dass die Harmonien mehrfach von Dur zu Moll und zurück wechseln, das Tempo äußerst schleppend gehalten ist und das Instrumentarium mittels einer Orgelbegleitung an Beerdigungszeremonien gemahnt. So geraten Fragen nach der faktischen gesellschaftlichen Aufarbeitung der Vergangenheit und ihren generellen Möglichkeiten in den Vordergrund. Die Auseinandersetzung mit den nationalsozialistischen Verbrechen – die Benennung und Analyse der Ursachen und Taten – kann nur, so legt der Song durch die Wahl der monologischen Perspektive nah, durch die beteiligten Personen, d.h. durch die überlebenden Täter selbst geschehen. Auf die Problematik einer solchen geschichtsanalytischen Situation weist die letzte Strophe implizit hin: Was ist? Was bleibst du stehn, mein Sohn? Die Sonne sinkt. Nun komm doch schon! Der Gasthof ist noch weit von hier, und ich hab Durst auf kühles Bier. (Str. 6, V.1-4)
Die hier stattfindende, so Holger Böning, „Selbstverständlichkeit des Übergangs zum Alltagsgeschäft, zum kühlen Bier“ durch den Täter ist mehr als nur ein Verweis auf das vermeintlich mangelhafte Schuldbewusstsein der Vätergeneration.166 Sie betont, dass die Verweigerung substantieller Konfrontation mit der Vergangenheit durch die Zeitzeugen einen unwiederbringlichen Verlust an Aufklärung mit sich bringt. So sind die mangelnde Information über das Verbrechens, aber auch die Möglichkeit kompletter Verdrängung („Vielleicht ist alles gar nicht wahr! –/Schau, über uns ein Bussardpaar.“ [Str. 5, V.3f.]) in der Songtextlogik der Tatsache geschuldet, 166
Böning, Holger: Der Traum von einer Sache. S. 69.
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dass ausschließlich der Täter sprechen und informieren kann. Die Reaktion des Nachgeborenen ist ein sprachloses und wirkungsloses Stehenbleiben (Str. 6, V.1). Ohne dass Degenhardt hier bereits auf die Objektivitätsprobleme der ‚Oral-History‘ verweisen würde, macht der Monolog des Täters doch durch seine elliptische Schilderung der Geschehnisse offen erkennbar, wie stark eine Vergangenheitsaufarbeitung, bei der die teilnehmenden Personen gleichzeitig Beteiligte und historische Quellen sind, in Gefahr steht, Geschichtsklitterungen, Lücken oder Verdrängungen zu erzeugen. Franz Josef Degenhardt: In den guten alten Zeiten (1966) Welche gesellschaftlichen Folgen eine solche mangelhafte historische Aufarbeitung zeitigen kann, schildert auf dem gleichen Album der Song In den guten alten Zeiten.167 Zunächst formuliert das Stück eine höchst pessimistische Vision von der Zukunft: Zwischen dem, „was früher sich hier zugetragen hat“ (Str. 1, V.8), und der geschilderten Zeit liegt offenkundig ein zäsurales Geschehnis, das Adelheid und Ulrich Maske als Atomkatastrophe verstanden haben.168 Konkret benannt wird das Ereignis nicht, aber gravierende Veränderungen deuten auf das Ausmaß der Umwälzung: Die Menschen haben ihren aufrechten Gang (Str. 2, V.1) ihren Sexualtrieb (Str. 2, V.6), ihre Hände (Str. 7, V.7) und ihre geschlechtliche Gleichberechtigung (Str. 2, V.7f.), aber auch technische Befähigungen wie den Flugzeugbau (Str. 2, V.3) verloren. Der Verlust umschließt die Möglichkeit Übertage zu leben (Str. 2, V.5) und den vormals (vermeintlich) vorhandenen Einklang von Mensch und Natur (Str. 6, V.5). Später im Song werden diese Entwicklungen, die eine biologische und soziale Regression abbilden, in ein geschichtsphilosophisch deutbares Bild gefasst: „Und die Erde drehte sich [früher] nicht plötzlich rückwärts und im Kreis“ (Str. 6, V.7). Zu einem hörenswerten Beitrag zum didaktischen Diskurs wird der Song nun deshalb, weil sich sein gesamter Mittelteil (Str. 3-6) bei genauerer Betrachtung als retrospektive Beschreibung der deutschen und vor allem der nationalsozialistischen Geschichte erweist. Sie wird wiedergegeben von
167 168
Degenhardt, Franz Josef: In den guten alten Zeiten. T./M.: Franz Josef Degenhardt. Aus dem Album: Väterchen Franz. Erschienen 1966. Vgl. Maske, Adelheid/Maske, Ulrich: Franz Josef Degenhardt und seine Lieder. S. 55.
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einer fragwürdigen Quelle, einem „Kerl mit lauter Haaren auf dem Kopf und im Gesicht“, keinem Historiker, sondern einem „in einem Panzer aus der allerletzten Schlacht“ überlebenden Musiker, der, ähnlich einem Bänkelsänger (wodurch der Song natürlich auch eine poetologische Ebene erhält), seine Erzählung auf einem „Instrument aus hohlem Holz und Stacheldraht“ begleitet (Str. 1, V.4-7). Die Aussagen sind erkennbar als ‚linke‘ pazifistische Meinung im Umfeld der 68er: Manchmal durfte man nicht töten, manchmal wieder musste man. Ganz Genaues weiß man nicht mehr, aber irgendwas ist dran. Denn wer Tausende verbrannte, der bekam den Ehrensold. (Str. 3, V.5-7)
Besonders aber die vierte Strophe ist durch die Gegenüberstellung von sexueller Trieb- und militärischer Pflichterfüllung ganz den Ansichten des Freudomarxismus entsprechend: Wenn ein Kind ganz nackt und lachend unter einer Dusche stand, dann bekam es zur Bestrafung alle Haaren abgebrannt. Doch war’s artig, hat’s zum Beispiel einen Panzer gut gelenkt, dann bekam es zur Belohnung um den Hals ein Kreuz gehängt. […] Blut’ge Löcher in den Köpfen zeigte man den Knaben gern, doch von jenem Loch der Löcher hielt man sie mit Hieben fern. (Str. 4, V.1-8)
Interessant ist nun weniger, dass die deutsche Kriegsgeschichte mit sexueller Triebunterdrückung erklärt wird und darüber hinaus in den folgenden Strophen mit kapitalistischen Interessen und rassistischem Verhalten (Str. 5, V.1-8), mit Autoritätshörigkeit und politischem Desinteresse (Str. 6, V.14). Vielmehr ist bemerkenswert, dass das Ergebnis dieser Form von ‚Geschichtserzählung‘ eine positive Bewertung der Vergangenheit erzeugt. In der Schlussstrophe wird der ‚pädagogische‘ Effekt solcher Historiographie zusammengefasst: Und wir lauschen dem Behaarten, der sein Instrument laut schlägt. Und wir lauschen, lauschen, lauschen nächtelang und unbewegt. […] Unsre Stammesmutter streichelt unser Jüngstes mit den Zeh’n, manchmal seufzt sie: „O ihr Brutgenossen, war das früher schön in den guten alten Zeiten.“ (Str. 7, V.3-9)
Diesen Versen belegen deutlich, dass es Degenhardt mit seinem Song nicht darum geht, wie Adelheid und Ulrich Maske meinen, vor einer Atomkatastrophe zu warnen und diese als „direkte Konsequenz einer inhumanen Ge-
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sellschaftsstruktur“ zu begreifen.169 Gegen eine solche Interpretation spricht zudem die Tatsache, dass an keiner Stelle eindeutig ist, ob das zäsurale Ereignis wirklich eine atomare Zerstörung oder etwas anderes ist170, und dass die dargestellte (vergangene) Gesellschaftsstruktur eben nicht die Songgegenwart, sondern die nationalsozialistische Gesellschaft beschreibt (von den Menschenverbrennungen über das Ehrenkreuz bis zu den Farben des Glaubens als schwarz-weiß-rot [Str. 5, V.3]). Die Intention des Songs ist eine didaktisch-historische: Degenhardt veranschaulicht, dass eine Aufarbeitung der (musikalisch durch einen Marschrhythmus als militaristisch gedeuteten) Vergangenheit dann, wenn sie ohne Gegenstimme ausschließlich von fragwürdigen Historiographen vorgenommen wird, scheitern muss. Gerade zäsurale, d.h. die gesellschaftlichen Strukturen umwälzende Ereignisse – und es scheint nicht zu weitgehend, den geschilderten Umbruch als symbolisch für die ‚Stunde Null‘ 1945 zu verstehen –, erfordern besondere historiographische Wachsamkeit sowie Reflexion und Kritik der ‚Vergangenheitsversionen‘ der Überlebenden. Der implizit formulierte Restaurationswunsch der ‚Stammesmutter‘, die bereits als neue ‚Führerin‘ begriffen werden kann, resultiert ja gerade aus einer positiven Bewertung der nationalsozialistischen Vergangenheit, die wiederum erst durch eine fehlgeschlagene Aufarbeitung bzw. fehlerhafte Historiographie ermöglicht wird. Weitere Variationen der Restaurationsängste Die in dem Song In den guten alten Zeiten erkennbare Warnung vor einer potentiell zyklischen Gesellschaftsentwicklung, wie sie im Bild der sich „rückwärts und im Kreis“ (Str. 6, V.7) drehenden Erde zum Ausdruck kommt, findet sich im Umfeld der 68er-Revolte in zahlreichen weiteren Songs. Häufig wird die Wiederholbarkeit der Geschichte mit der Weiterexistenz spezifischer Verhaltensweisen und Geisteshaltungen begründet. So zeigt sich die latent gewalttätige Einstellung der Bevölkerung in Degenhardts Deutscher Sonntag aus dem Jahr 1965 z.B. in einer wöchentlichen Rückkehr „zu den Schlachtfeldstätten,/um im Geiste mitzutreten, mitzuschießen, mitzustechen,/sich für wochentags zu rächen“ (Str. 6, V.1-4), wo-
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Ebd., S. 55. Allerdings lässt der Vers: „Doch man schaffte rüstig, bis es dann gelang, wie jeder weiß“ (Str. 6., V.8), auch das ‚Wettrüsten‘ während des Ost-WestKonflikts assoziieren.
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bei der Besuch eines Fußballbundesligaspieles als Ersatzhandlung markiert und semantisch auf die Vergangenheit bezogen wird.171 Während sich in diesem Song noch ausschließlich das Kleinbürgertum als der Vergangenheit verhaftet zeigt, beschreibt Hier im Innern des Landes die gesamte Bundesrepublik als ‚unterwandert‘ von restaurativen Kräften, als weiterhin „den alten Führern in Treue ergeben“ (Str. 1, V.6), und in einer regressiven Entwicklung („einen Schritt vor, zurück eins, zwei, drei“ [Str. 4, V.9]) befindlich.172 Ein zentraler Aspekt der 1967 von Alexander und Margarete Mitscherlich konstatierten „Unfähigkeit zu trauern“ ist die These, dass sich als „signifikante[r] Zug“ gesellschaftlicher Aggression die „Verfolgung von Sündenböcken“ zeige und dieses massenpsychologische Verhalten in der Bundesrepublik „weiterhin gültig geblieben“ sei. Diese Aussagen überführt Degenhardt in dem Song So sind hier die Leute in eine bänkelhafte Erzählung.173 In der zweiten Strophe heißt es: Die Leute sind verbittert, weil die Ernte fault und auch das Geld. Die suchen den, der schuldig ist an all dem Unglück in der Welt. August, der Schäfer, der Schäfer hat den Mann im Traum gesehn […]. (Str. 2, V.1-6)
Dass dieses Verhalten im Kontext nationalsozialistischer Verfolgungen zu verstehen ist, machen sowohl der intertextuelle Verweis auf August den Schäfer klar als auch die refrainartig wiederholte Gegenüberstellung von 171
172
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Degenhardt, Franz Josef: Deutscher Sonntag. T./M.: Franz Josef Degenhardt. Aus dem Album: Spiel nicht mit den Schmuddelkindern. Erschienen 1965. Eine ausführlichere Betrachtung des Songs findet sich in Maske, Adelheid/Maske, Ulrich: Franz Josef Degenhardt und seine Lieder. S. 24-28. Degenhardt, Franz Josef: Hier im Innern des Landes. T./M.: Franz Josef Degenhardt. Aus dem Album: Degenhardt live. Erschienen 1968; ähnlich schildert Walther Demel, aufgeführt von Lin Jaldati, eine restaurative bundesrepublikanische Gesellschaft ohne substantielle Verhaltensänderung, in der die alten Täter „sich jetzt schon wieder erfrechen/offen mit lauter Stimme zu sprechen/von ihrer Unschuld dreist und vermessen“ (Jaldati, Lin: Ist das alles schon wieder vergessen. T.: Walther Demel/M.: Siegfried Mattus. Aus dem Album: Diverse: Die Burg Waldeck Festivals 1964-1969. CD 3: 1965. Erschienen 2008, Str. 4, V.4-6). Mitscherlich, Alexander/Mitscherlich, Margarete: Die Unfähigkeit zu trauern. S. 73; Degenhardt, Franz Josef: So sind hier die Leute. T./M.: Franz Josef Degenhardt. Aus dem Album: Wenn der Senator erzählt… Erschienen 1968.
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gegenwärtigem und vergangenem Verhalten: „Ihr sagt: Wir leben doch heute!/Ja, gewiss – aber so sind hier die Leute“ (Str. 1-4, je V.13f.). Degenhardt betont, dass er die nationalsozialistischen Denkweisen für weiterhin valent hält, wenn er die Erzählung zu einem blutigen Schluss bringt, in welchem „die Leute“ den ‚Sündenbock‘ wie einen Wehrmachtsdeserteur ermorden: An einem Telegrafenmast, da hängt schon morgen früh ein Mann. Er hängt an einem Hinkefuß, am andern hängt ein Zettel dran. (Str. 4, V.5-8)
Gerade die Debatten um die Notstandsgesetze und deren Verabschiedung im Mai 1968 lieferten für viele Songschreiber einen weiteren, wenn nicht gar den endgültigen Beweis für die restaurativen Tendenzen der Bundesrepublik und die mangelnde Wehrhaftigkeit der jungen Demokratie sowie das gescheiterte gesellschaftliche ‚Lernen aus der Vergangenheit‘. So fiel es einigen schwer, sich klar zu positionieren gegen den gewalttätigen und in der Reduktion auf einzelne ‚Sündenböcke‘ ebenfalls kritisch zu bewertenden Protest im Umfeld der 68er-Revolte. Degenhardts 1969 erschienener Song Fast autobiographischer Lebenslauf eines Westdeutschen Linken ist hierfür, gerade im Hinblick auf den in den folgenden Jahren eskalierenden Terror der RAF, ein eindrückliches Beispiel.174 Der Text beklagt „die Schüsse auf Dutschke, Bildzeitungshetzen,/Faschistenfaust hinter Notstandsgesetzen“ (Str. 6, V.5f.) und den ‚Verrat‘ der Sozialdemokraten durch ihre Zustimmung zu den Gesetzen (Str. 5, V.1f.). Als Fazit in Form eines angehängten ‚Post Scriptum‘ wird eine Rechtfertigung von Gewalt verkündet: „Aber merke: Ein Warenhaus anzünden/ist immer noch besser, als sich selbst anzünden“ (Outro, V.1f.).175 Auch Dieter Süverkrüp ließ sich angesichts der Notstandsgesetzgebung zu einem Gewaltaufruf hinreißen:
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Ders.: Fast autobiographischer Lebenslauf eines Westdeutschen Linken. T./M.: Franz Josef Degenhardt. Aus dem Album: Im Jahr der Schweine. Erschienen 1969. Diese Aussage ist im Übrigen ein Verweis auf Fritz Teufels Äußerungen im Anschluss an den Frankfurter Kaufhausbrandprozess 1968, in denen er erklärte, es sei besser ein Warenhaus anzuzünden als eines zu betreiben (vgl. Frei, Norbert: 1968. S. 149).
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Man sollte die Herren der zwei großen Parteien aus ihrer Koalition rausholen, man sollten denen die Hosen ausziehn und ihnen die Notstandsgesäße versohlen. (Outro, V.1-4)176
Diese Strophe aus dem Nachtgebet eines Untertanen schließt einen Song ab, der wie kein zweiter die im vorangegangenen geschilderten Aspekte der Auseinandersetzung mit der nationalsozialistischen Vergangenheit in den 60er Jahren zusammenführt. Er besteht aus drei Teilen: Zunächst wird eine satirischen Anrufung und ‚Lobpreisung‘ des „HErr [sic!] Bonn“ durch ein kleinbürgerlich rechtskonservatives, lyrisches Wir vorgeführt. Es folgt eine vom Autor-Ich vorgenommene Bewertung, eingeleitet durch eine Zäsur: „Aber jetzt mal im Ernst.“ (Str. 6, V.1). Abgeschlossen wird der Song schließlich mit der zitierten Handlungsaufforderung. Sie ist das Fazit einer raumgreifenden Analyse der Gegenwart vor dem Hintergrund der Vergangenheit, also einem durch- und vorgeführten ‚Lernen aus der Geschichte‘: Zwanzig Jahre danach, […] wenn die jungen Bäume in der Gegend von Auschwitz und auf den Schlachtfeldern so schnell nicht erwachsen werden konnten, da soll dieses Deutschland, jahrhundertelang frustriert, niedergefahren zur Hölle, nach tausend Jahren wieder auferstanden, aufgeblasen bis an die Grenzen von ’37, ein solches Gesetz machen und damit nicht den ersten Schritt tun, den alten, unsagbaren Schaden von neuem anzurichten? Ich glaub’s nicht. (Str. 6, V.2-16)
Die kritische Bewertung der Gegenwart ist den Hörern deshalb nachvollziehbar, weil in der vorhergehenden ‚Lobpreisung‘ eine Reihe von Tätern, Mitläufern, Profiteuren und verantwortlichen Instanzen genannt wurden: im Namen der alten und neuen Nazis im Namen der tatendurstigen Polizeioffiziere im Namen der Bundeswehr 176
Süverkrüp, Dieter: Nachtgebet eines Untertanen. T./M.: Dieter Süverkrüp. Aus dem Album: Die widerborstigen Gesänge des Dieter Süverkrüp. Erschienen 1967. In der später veröffentlichten Druckfassung (Degenhardt, Franz Josef/Neuss, Wolfgang/Hüsch, Hanns Dieter/Süverkrüp, Dieter: Da habt Ihr es! S. 81-84) heißt es abweichend „Kloalition“.
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im Namen der deutschen Misere im Namen des Thielen von Thadden im Namen des deutschen Ritterordens im Namen des Alleinvertretungsanspruchs im Namen einer freien Abwicklung unternehmerischer Initiative im Namen der Ausbeutung im Namen der gesamten Industrie danken wir Dir, HErr Bonn, für dies Gesetz. (Str. 4, V.4-15)
In der Gegenwart der Bundesrepublik, so betont diese als Klimax organisierte Aufzählung, lässt sich die gleiche strukturelle Identität von kapitalistischer Profitgier und faschistischer Politik (‚Dimitroff-These‘) erkennen wie im Nationalsozialismus. Ihre sichtbare Ausprägung sind die Notstandsgesetze, ihre Profiteure umfassen weite Teile der Gesellschaft: die Politik („Thielen von Thadden“ meint dabei Friedrich Thielen und Adolf von Thadden, Bundesvorsitzende der NPD von 1964-1971), die Exekutive (Polizei und Bundeswehr), die Religion (Ritterorden) und eben die Wirtschaft. Ermöglicht wird die Wiederholung der Geschichte auch durch ein unpolitisches Verhalten der Bürger, die innerhalb eines nationalstaatlichen Rahmens benannt werden als die „stets treu ergebenen,/allezeit arglosen/deutschen Untertanen“ (Str. 4, V.19-21). Süverkrüp bewertet die Entwicklungen der Songgegenwart vor allem unter einer kapitalismuskritischen Perspektive; er rückt die Täter und nicht die Opfer in den Vordergrund und er zeigt durch die Formulierung von relevanten ‚Gegen-Informationen‘ die Wirkungsabsicht eines ‚Lernens aus der Geschichte‘. Damit ist das Nachtgebet eines Untertanen insgesamt prototypisch für den Song der 60er Jahre allgemein.
F AZIT 1964-1968 Die ‚Vergangenheitsbewältigung‘, die in den Songs von 1964 bis 1968 stattfindet, ist vor allem eine Analyse der Geschehnisse in Vergangenheit und bundesrepublikanischer Gegenwart und eine Benennung der verantwortlichen Täter aus marxistisch-faschismustheoretischer Perspektive. Damit ist gemeint, dass sich die kapitalistische Gesellschaftsstruktur, die von den Songschreibern als ursächlich für den Nationalsozialismus und restaurative Entwicklungen der Nachkriegszeit betrachtet wird, im Verhalten der
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ehemaligen und gegenwärtigen Täter widerspiegelt. Dies zeigen nicht nur Walter Mossmanns Reflexionen über Ihre Gewalt und die unsere oder die Kritik am bundesdeutschen Universitätssystem in dem Lied vom Goldenen Buch, sondern vor allem die Balladen Franz Josef Degenhardts. Sowohl der Song Wenn der Senator erzählt … als auch die Biographien des Opportunisten Horsti Schmandhoff und des Notar Bolamus schildern Figuren, die gekennzeichnet sind durch ihre politische Anpassungsfähigkeit während und nach der nationalsozialistischen Herrschaft bei gleichzeitiger Orientierung an Prinzipien kapitalistischer Gewinnmaximierung. Ein solcher faschismustheoretischer Ansatz führt zu einer Verallgemeinerung der Schuldzuweisungen durch die Songschreiber: Sie kritisieren Autoritäten und Instanzen unpersönlich und allgemein und weniger einzelne realexistente Personen. Theodor Heuss’ Vergangenheit als Reichstagsabgeordneter der DDP, Hans Globkes Kommentare der Nürnberger Rassegesetze, die Vergangenheit des Generalstaatsanwalts Wolfgang Fränkel usw. werden in keinem der untersuchten Songs dezidiert benannt; namentliche Angriffe, wie sie Rolf Hochhuth noch 1963 in seinem Theaterstück Der Stellvertreter oder Peter Weiss 1965 mit seinem Oratorium Die Ermittlung beispielhaft für zahlreiche Literaturproduzenten unternahmen, finden im politischen Song von 1964 bis 1968 kaum statt.177 Mit ihrem vornehmlich systemkritischen Ansatz und dessen Exemplifizierung anhand der Beschreibung von Strukturen oder fiktiven Protagonisten folgen die Songschreiber einer allgemeinen Tendenz im künstlerischen und außerparlamentarisch-politischen Sektor, die Norbert Frei für das unmittelbare Umfeld der 68er-Revolte ausgemacht hat: „Nicht mehr die Belastung Einzelner stand im Mittelpunkt, sondern die Verwerflichkeit des Systems.“178 Dies zeigen auch die Songs, die sich mit Mitläufern und Opportunisten, insbesondere den „Nazivätern“ auseinandersetzen. Wolf Biermanns Song Das Familienbad etwa kritisiert weniger einen individuell gezeichneten Vater, als er vor allem vorführt, wie eine strukturell gewalttätige militaristische Gesellschaft das Verhalten des Einzelnen beeinflusst. Hier, wie auch in Degenhardts Vatis Argumente (Ärmel aufkrempeln, zupacken, aufbauen) und weiteren Songs, wird eine Parallelführung von Nationalsozialismus und bundesrepublikanischer Nachkriegszeit vorgenommen, die hauptsächlich Kontinuitäten systemischer Natur betont. Bei einer solchen Form der 177 178
Vgl. Frei, Norbert: 1968. S. 83-88. Ebd., S. 86.
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Reflexion des Dritten Reiches, die immer auch den Ausweis restaurativer Tendenzen in der Gegenwart und die Warnung vor einer Wiederholung der Geschichte einschließt, geraten vielfach die Differenzen zwischen dem Hitler-Regime und der demokratisch legitimierten BRD aus dem Blick. Vor allem führt die Konzentration auf die Täter dazu, die Opfer des Nationalsozialismus zu übersehen. Sie nehmen in dieser Zeit nur eine marginale Rolle in den Songs ein und die genannten Opfer schließen zudem weder Juden noch Sinti und Roma, Homosexuelle oder Kriegsgefangene ein. Es werden nahezu ausschließlich politische Gefangene beschrieben. In den meisten Fällen dient die Beschäftigung mit den Opfern des Nationalsozialismus dazu, die Kritik an der ‚restaurativen Gesellschaft‘ zu rechtfertigen. Diese wird als eine solche eben dadurch erkennbar, dass sie die Opfer des Hitler-Regimes entweder übersieht (wie in Dieter Süverkrüps komplexer Auseinandersetzung mit einem NS-Kollaborateur Kirschen mit Sahne), verharmlost (wie in Degenhardts Song Spaziergang) oder dass sie durch eine unverändert militaristische Gesellschaftsstruktur wiederum neue Opfer schafft (wie z.B. in Walter Mossmanns Deutscher Marsch, geblasen oder in Franz Josef Degenhardts Väterchen Franz). Insgesamt muss festgestellt werden, dass die Opfer des Nationalsozialismus häufig instrumentalisiert werden als argumentativer Beleg für die Kritik an der Gegenwart – eine substantielle eigenständige Beschäftigung mit ihnen findet nicht statt. All diese Aspekte – von der Konzentration auf die Täter bis hin zur Einschätzung der BRD als ein bereits latent ‚faschistoider‘ Staat – finden sich bereits in den Songs der Mitt-Sechziger Jahre. Im unmittelbaren Umfeld der 68er-Revolte verstärken sie sich. Kaum einer der erfolgreichen Songschreiber der späten 60er Jahre äußert sich zum Nationalsozialismus und der Bundesrepublik nicht in der dargelegten, systemische Kontinuitäten betonenden Weise. Anhand der Songanalysen wurde darüber hinaus deutlich, dass im Kontext der 68er-Revolte nun zunehmend nicht mehr eine analytisch raumgreifende historische Aufarbeitung der Vergangenheit im Sinne eines aufklärerischen ‚Lernens aus der Geschichte‘ (wie z.B. noch 1965 in Wölfe mitten im Mai) stattfindet, sondern die ‚Vergangenheitsbewältigung‘ im politischen Song zunehmend zu einer parolenhaften drastischen Kritik an der Bundesrepublik verkürzt wird.
6. Nach der Revolte 1968-1979 Lieder machen nicht Geschichte – die Geschichte macht sich Lieder. Und der Liedermacher macht aus rotgetünchten Triefgestalten keine Barrikadenkämpfer. WOLF BIERMANN1
Nach der Verabschiedung der Notstandsgesetze im Mai und der Zersplitterung des SDS im Herbst 1968 fällt die Studentenrevolte in der Bundesrepublik zunehmend auseinander und ihre Teilnehmer organisieren sich neu in sozialen Bewegungen (wie der Antiatomkraft-, Friedens- und Frauenbewegung), neuen Parteien (z.B. der DKP), aber auch radikalen Gruppierungen wie der RAF. Mit dem Auseinanderdriften der politischen Ziele der einzelnen Akteure verringert sich auch die Homogenität von Protesten der Studierenden und ihrer Unterstützung bzw. Befeuerung durch die Songschreiber, wie sie beispielhaft in Walter Mossmanns Lied vom Goldenen Buch zu sehen war. Gleiches gilt für die Beschäftigung mit der nationalsozialistischen Vergangenheit; sie wird spezifischer der jeweiligen politischen Zielgruppe gemäß gestaltet. Franz Josef Degenhardt z.B. rückt verstärkt in die Nähe der kommunistischen Bewegung, Walter Mossmann zieht sich zunächst zurück und schreibt ab Mitte der 70er Jahre Songs für die AntiAtomkraft-Bewegung, die Band Ton Steine Scherben gründet und entwickelt sich im Rahmen der Berliner Hausbesetzerszene. Die historische Forschung sieht trotz der Zersplitterung und z.T. Radikalisierung der 68er-Revolte keine Zäsur hinsichtlich der Diskurse, die die deutsche Vergangenheit thematisieren (vgl. Kapitel 3.2). Die ab Mitte der 1
Biermann, Wolf: Für einen faulen Fan. T./M.: Wolf Biermann. Aus dem Album: Eins in die Fresse, mein Herzblatt – live. Erschienen 1980, Str. 2, V.7f., Str. 3, V.1-3.
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50er Jahre beginnende „Phase der Vergangenheitsbewältigung“, die für Norbert Frei vor allem durch die Aufarbeitung personeller und institutioneller Kontinuitäten charakterisiert ist, kulminiert zwar in den 68er-Protesten, kommt mit ihnen jedoch keineswegs an ein Ende. Erst Ende der 70er Jahre sieht Frei u.a. mit der Fernsehausstrahlung des Vierteilers Holocaust und dem ‚Historikerstreit‘ eine Zäsur.2 Reinhard Kühnl spricht in diesem Zusammenhang von den 70er Jahren als einer „Zeit der Polarisierung“, in der sich bereits vorhandene Tendenzen der Auseinandersetzung mit der Vergangenheit verstärken.3 Parallel dazu aber finden im Bereich des politischen Songs der Bundesrepublik Ende der 60er Jahre Entwicklungen statt, die auf den Vorgängern aufbauend relevante musikästhetische Veränderungen darstellen.4 Es entstehen im Bereich der deutschen Populärmusik neue Strömungen, die es überhaupt erst möglich machen, ab Anfang der 1970er Jahre von einer eigenständigen deutschsprachigen Rockmusik zu sprechen.5 Grob umreißen lassen sich diese Entwicklungen mit den Begriffen ‚Krautrock‘ (damit ist meist gemeint: englischsprachige Rockmusik aus der BRD) und ‚Deutschrock‘ (deutschsprachige Rockmusik aus der BRD) sowie ‚Politrock‘ bzw. ‚Politpop‘.6 Sie markieren den Zeitpunkt, an dem der politische Song nicht mehr ausschließlich von einzelnen Künstlern (‚Liedermachern‘) oder Gruppierung aus der Folk-Bewegung vorgetragen wird, sondern auch von Bands, die sich der Rockästhetik verschreiben. Diese gingen (wie z.B. Ton Steine Scherben) häufig aus der politischen Straßentheater-Szene der 68er2
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Vgl. Frei, Norbert: Deutsche Lernprozesse. S. 37-40; vgl. auch Kühnl, Reinhard: Der „Historikerstreit“ – eine Bilanz. In: Brüsemeister, Thomas u.a. (Hrsg.): Die versteinerten Verhältnisse zum Tanzen bringen. Beiträge zur marxistischen Theorie heute. Leo Kofler zum 80sten Geburtstag – im Gedenken an Ursula Schmiederer. Berlin 1991, S. 245-247. Kühnl, Reinhard: Der „Historikerstreit“ – eine Bilanz. S. 245. Vgl. zur progressiven Entwicklung der Populärmusikgeschichte von 1960 bis Ende der 70er Jahre und ihrer bundesdeutschen Rezeption Büsser, Martin: ‚Ich steh auf Zerfall‘. Die Punk- und New-Wave-Rezeption in der deutschen Literatur. In: Arnold, Heinz Ludwig (Hrsg.): Pop-Literatur. S. 149. Vgl. Schoenebeck, Mechthild von: Was macht Musik populär? S. 93. Zur Begriffsgeschichte vgl. Siepen, Elmar: Untersuchungen zur Geschichte der Rockmusik in Deutschland. S. 22; eine kritische Bewertung ebd., S. 43; zu den Anfängen des Deutschrock, gemeinhin verbunden mit der Gründung des „Ohr“Labels und dem ersten Album von Amon Düül, vgl. Longerich, Wilfried: „Da Da Da“. S. 19; zur Vermeidung der Termini in der DDR vgl. Leitner, Olaf: Zweimal Deutschrock. In: Ästhetik und Kommunikation. Beiträge zur politischen Erziehung 31 (1978), S. 13f.
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Bewegung hervor.7 Vor allem im Genre des ‚Politrock‘ verbinden sich so, wie Werner Faulstich herausgearbeitet hat, Einflüsse der angloamerikanischen Rock- und Folkmusik mit einer populärmusikalischen Variation von Kabarett-, Agitprop- und Straßentheater-Ausdrucksformen und einer intensiven Rezeption politischer Lyrik z.B. von Kurt Tucholsky und Bertolt Brecht.8 Das Etikett ‚Politrock‘ – bis in die 80er Jahre häufig synonym mit ‚Deutschrock‘ oder ‚Agit-Rock‘ verwendet – trägt dabei bereits in seinen Anfängen negative Konnotationen. Hermann Harings ‚Definition‘, die stellvertretend für viele weitere Bewertungen stehen kann, macht dies deutlich: Die meisten [Politrocker] wollten gesellschaftliche Mißstände aus der Sicht des Marxismus attackieren, und zwar mit Worten; sie übten etwas, das wie Rockmusik klingen sollte, deswegen ein, um bei Schülern und Lehrlingen besser anzukommen. Die Rattenfänger-Methode also.9
Neutraler ausgedrückt entwickelt sich Ende der 60er Jahre im Anschluss an den politischen Folk nun mit dem Politrock ein deutschsprachiges Genre, dass die rockmusikalische Gestaltung bewusst für die Vermittlung politischer Aussagen verwendet.10 Das bedeutet jedoch keineswegs, dass die Musik austauschbar oder unwichtig wäre. Im Gegenteil soll sie, wie Peter Wicke betont, „in ihrer Gestaltung so angelegt [sein], daß sie die Texte tatsächlich auch inhaltlich wiederzugeben imstande ist.“11
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Vgl. Hahn, Ulla: Literatur in der Aktion. S. 107. Vgl. Faulstich, Werner: Zwischen Glitter und Punk. S. 80; Fliege, Jens: Von der Aufklärung zur Subversion. S. 75. 9 Haring, Hermann: Rock aus Deutschland-West. Von den Rattles bis Nena: Zwei Jahrzehnte Heimatklang. Reinbek 1984, S. 67; ähnlich z.B. Elmar Siepen: „Mag auch der ‚Politrock‘ größtenteils aus dilletantischer Rockmusik bestehen, so kann dennoch die Auffassung vertreten werden, wonach es sich bei diesem Phänomen um eines der frühesten Zeugnisse spezifisch deutscher Rockmusik handelt.“ (Siepen, Elmar: Untersuchungen zur Geschichte der Rockmusik in Deutschland. S. 48). 10 Vgl. hierzu auch Fliege, Jens: Von der Aufklärung zur Subversion. S. 44; einen Überblick über die Protagonisten des Politrock und zahlreiche Interviews, die deutlich machen, das die meisten Bands zwar das Genre als eigenständig existent betrachten, jedoch für sich ablehnen, bietet Peinemann, Steve B.: Die Wut, die du im Bauch hast. Politische Rockmusik: Interviews, Erfahrungen. Reinbek 1980. 11 Wicke, Peter/Ziegenrücker, Wieland: Polit Rock. In: Dies.: Rock Pop Jazz Rock. S. 357f., hier S. 357.
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In dieser Anfang der 70er Jahre entstehenden neuen Form liegt die Ursache dafür, dass auch die Darstellung der nationalsozialistischen Vergangenheit im Song neue und für die Zeit von 1968 bis zum Ende der 70er Jahre charakteristische Ausdrucksformen gewinnt.
„D IE E RWARTUNGEN
DES K APITALS WURDEN VOLL UND GANZ ERFÜLLT “ – R ADIKALISIERUNG DER K APITALISMUSKRITIK Wie die nationalsozialistische Vergangenheit im Genre des Politrock bearbeitet wird, lässt sich beispielhaft anhand der Band Die Schmetterlinge sehen. Die Schmetterlinge können als eine der wichtigsten österreichischen Politrock-Bands überhaupt bezeichnet werden; in wechselnder Besetzung veröffentlichen sie seit Anfang der 70er Jahre bis in die Gegenwart (heute als Schmetterlinge Kindertheater). Wichtige Alben sind die 1975 erschienene LP Lieder fürs Leben, das „szenische Oratorium“ Proletenpassion 1977 sowie 1979 Herbstreise – Lieder zur Lage und die Thematisierung der österreichischen Zwischenkriegszeit mit dem Album Jura Soyfer: Verdrängte Jahre. Trotz der österreichischen Herkunft der Musiker und des Texters, des Schriftstellers Heinz Rudolf Unger, ist eine Behandlung der Band im vorliegenden Kontext gerechtfertigt, weil sie in der Bundesrepublik außerordentlich stark rezipiert wurde. Darüber hinaus behandeln die Songtexte ab Mitte der 70er Jahre häufig spezifisch bundesdeutsche Verhältnisse.12 Die Bedeutung der Band für den deutschsprachigen Song hat Thomas Rothschild außerordentlich hoch veranschlagt. Er schreibt: „Die Schmetterlinge haben neben Konstantin Wecker dem politischen Lied den entscheidendsten Impuls gegeben zur Ablösung von der Tradition, die von der Generation der Degenhardt, Süverkrüp und Biermann eingeleitet wurde.“13 Die 1976 uraufgeführte und ein Jahr später auf drei LPs veröffentlichte Proletenpassion ist sicherlich das Hauptwerk der Band und kann, abhängig
12 Vgl. zur Rezeption in Deutschland Rothschild, Thomas: Liedermacher. S. 139. Von der ‚Inkorporierung‘ in den bundesdeutschen Kontext zeugt auch die Verleihung des „Deutschen Kleinkunstpreises“ an Die Schmetterlinge in der Kategorie „Kleinkunst“ 1983. 13 Rothschild, Thomas: Liedermacher. S. 139.
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von der Betrachtungsrichtung, als populärmusikalisches Oratorium, d.h. als dramatische und epische Elemente verbindende erzählende Komposition, oder als Konzeptalbum bezeichnet werden.14 Sie beschreibt in über zweieinhalb Stunden Länge und in sieben Teilen die Geschichte der Arbeiterbewegung seit den Bauernkriegen.15 Dabei folgt der Inhalt weitgehend einer marxistischen Deutung der Geschichte. Ihr Titel lässt an Johann Sebastian Bachs Matthäus- und Johannespassion denken, erklärt sich aber weniger mit der christlichen Thematik als mit der formalen Anlehnung an eine multiperspektivische Darstellung.16 Hierfür werden verschiedene Formen gewählt: Monologische und dialogische Sprechtexte und Zitate (von Martin Luther bis Otto Bauer) wechseln sich mit herkömmlichen Rock- oder Popsongs ab, satirische, teils auch groteske Passagen und Rollentexte werden durch analytische Beschreibungen ergänzt oder konterkariert.17 Dabei haben Sologesang und Chor (in seiner Gestaltung häufig an das Madrigal erinnernd) einen hohen Stellenwert, eigenständige Instrumentalteile finden sich hingegen kaum.18 Die Songs der Schmetterlinge sind in dieser Hinsicht repräsentativ für die Ästhetik des Politrock insgesamt.19 Der sechste Teil der Proletenpassion, betitelt „Faschismus“, umfasst (neben Beiträgen zum spanischen Bürgerkrieg und zu Victor Jaras Ermordung 1973) sechs Stücke (nicht alles Songs), die den deutschen Nationalso14 Vgl. Wilpert, Gero von: Oratorium. In: Ders.: Sachwörterbuch der Literatur. S. 576f. 15 Die Schmetterlinge: Proletenpassion. 3 LPs. Erschienen 1977; zur Entstehungsund Aufführungsgeschichte vgl. die Veröffentlichung des Songtexters Unger, Heinz Rudolf: Die Proletenpassion. Dokumentation einer Legende. Wien, Zürich 1989; eine (allerdings weitgehend rezeptionsorientierte) Analyse des Werkes bietet die Untersuchung von Karger, Inge: Politische Musik und naive Musiktherapie, v.a. S. 146-158. 16 Vgl. Leisinger, Ulrich: Das deutsche Oratorium. Frühe Nachweise und Definitionen. In: Finscher, Ludwig (Hrsg.): Die Musik in Geschichte und Gegenwart. Allgemeine Enzyklopädie der Musik begründet von Friedrich Blume. Zweite neubearbeitete Ausgabe. Band 7: Mut-Que. Kassel u.a. 1997, Sp. 761f. 17 Vgl. Rothschild, Thomas: Liedermacher. S. 141f. 18 Vgl. Karger, Inge: Politische Musik und naive Musiktherapie. S. 142f. 19 Die Repräsentativität der Schmetterlinge für das Genre wurde bereits von Zeitgenossen erkannt. So antwortete Jürgen Bräutigam von der Band Checkpoint Charlie auf die Frage, welche Gruppen er dem Politrock zuzähle: „Also, das sind Schmetterlinge, das sind Floh de Cologne, und das sind Leute, die ganz bewußt sagen, die Musik ist Transportmittel für die Texte. [...] Das ist manchmal wie Geschichtsunterricht mit Musik, nä.“ (Jürgen Bräutigam im Interview mit Steve Peinmann. In: Peinemann, Steve B.: Die Wut, die du im Bauch hast. S. 203).
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zialismus und seine Entwicklung chronologisch beschreiben. Sie thematisieren in unterschiedlicher Gewichtung alle vier NS-Diskurse und bieten daher einen Rahmen, an dem im Folgenden die charakteristischen Aspekte der Auseinandersetzung mit der deutschen Geschichte in den 70er Jahren betrachtet werden können. Die Schmetterlinge: Proletenpassion (1977) Zwei Songs, Der Funke fliegt und Der Schuß von hinten, stellen die Situation der Arbeiterbewegung im Vorfeld der nationalsozialistischen Herrschaft dar.20 Die Beurteilung der historischen Geschehnisse folgt hier einer marxistischen Denkweise und macht, im Vergleich mit den bereits behandelten Songs der 60er Jahre, deutlich, wie sich die Überzeugung einer strukturellen Einheit von Faschismus und (Monopol-)Kapitalismus in den 70er Jahren noch verstärkt. Der Funke fliegt beschreibt die Bildung von Räterepubliken im Anschluss an den Spartakus- bzw. Januar-Aufstand 1919 und die Ermordung Kurt Eisners. Gleich in der ersten Strophe heißt es: „Der Funke fliegt […]/Räte wählte sich das Volk von Ungarn/und Bayern wird zur Räterepublik“ (Str. 1, V.1-4). Diesen Sätzen, die mit der Beschreibung der Arbeiteraufstände eine historisch überprüfbare Aussage treffen, eingeleitet durch eine solidarisch-kämpferische Metapher, folgt im Refrain schnell eine Wertung der Geschehnisse aus kapitalismuskritischer Perspektive: Der Funke fliegt und Fahnen brennen rot und heizen nun den Monopolherren ein die sehn mit Schrecken ihre Macht bedroht ihr Schutzengel erscheint in zweierlei Gestalt (Ref. 1, V.1-4)
Der Abschluss dieses lediglich zwei Minuten langen Stücks erläutert, welche „Gestalt“ der „Schutzengel“ des Kapitals hat. Die letzte Strophe lautet: Da sind zuerst die rosa Spitzenfunktionäre zurückweichend – paktierend ihnen folgt, auf gleichem Fuß, der Bürger Blutgericht (Str. 3, V.1-3) 20 Die Schmetterlinge: Der Funke fliegt. T.: Heinz Rudolf Unger/M.: Georg Herrnstadt, Wilhelm Resetarits; Der Schuß von hinten. T.: Heinz Rudolf Unger/M.: Georg Herrnstadt, Wilhelm Resetarits. Aus dem Album: Proletenpassion. Erschienen 1977.
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Was hier im Duktus historischen Sprechens vermittelt wird, ist ein harter Angriff auf die Haltung der Sozialdemokratischen Partei zur radikalen Linken während der Weimarer Republik. Der Sturz der Münchener Räteregierung durch den sozialdemokratischen Reichswehrminister Gustav Noske im Mai 1919 wird zu einer Handlung im Dienst der ‚Reaktion‘ umgedeutet.21 Wie diese zu bewerten ist, zeigt die Ausdrucksweise: Es handeln „Spitzenfunktionäre“, d.h. elitäre Gegenpole zu den basisdemokratischen Rätemitgliedern, in „rosa“, also der Farbe, die das proletarische Rot durch die Beigabe von Weiß, der Farbe der Reichswehr- und Freikorpssoldaten (der ‚Weißen Truppen‘) verwässert. Das macht die SPD zum „Schutzengel“ der Monopolherren. In deren Interesse kommt es zu gewalttätigen Handlungen, die der Text mit dem mittelalterlichen Begriff „Blutgericht“ bezeichnet, womit ein historischer Rückfall in vordemokratische Zeiten angedeutet wird. Der Song endet mit einem ohne musikalische Begleitung gesprochenen und betonten Fazit: „Und einmal noch hat sich das Kapital gerettet“ (Str. 3, V.4). Die These, dass die ‚Rettung‘ des Kapitals der Sozialdemokratischen Partei zu verdanken sei, verstärkt der nachfolgende Song Der Schuß von hinten. Sein Titel lässt in diesem Kontext sofort an den diffamierenden Spruch „Wer hat uns verraten? – Sozialdemokraten!“ denken. Auch in diesem Stück stehen die „rosa Spitzenfunktionäre“ (Str. 3, V.1) im Fokus. Von ihnen heißt es nun: „Sie führten jetzt des Kapitals Geschäfte/und stützten sich auf reaktionäre Kräfte“ (Str. 3, V.5f.). Zeitlich eingeordnet werden diese Aussagen durch einen klaren Verweis auf Reichspräsident Friedrich Ebert (Str. 3, V.2.) und damit die Zeit 1919ff. In diesem Song gehen Die Schmetterlinge deutlich über die Songs vor der 68er Revolte hinaus, in denen der Nationalsozialismus noch ‚lediglich‘ als Exekutivmaßnahme zur Machterhaltung des Kapitals begriffen wurde. Mit der Behauptung, Ebert und die Sozialdemokratie hätten „des Kapitals Geschäfte“ geführt, folgen sie der Sozialfaschismusthese der Komintern (auch ‚Kominterntheorie‘).22 Diese wurde von Josef Stalin 1924 mit folgenden Worten zusammengefasst:
21 Vgl. Wette, Wolfram: Gustav Noske. Eine politische Biographie. Düsseldorf 1987, S. 399-459. 22 Vgl. Kershaw, Ian: Der NS-Staat. S. 53-56; Saage, Richard: Faschismustheorien. S. 92-97.
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Der Faschismus ist eine Kampforganisation der Bourgeoisie, die sich auf die aktive Unterstützung der Sozialdemokratie stützt. Die Sozialdemokratie ist objektiv der gemäßigte Flügel des Faschismus. […] Das sind keine Antipoden, sondern Zwillingsbrüder.23
Der mehrfach wiederholte Refrain des Songs wird im Gegensatz zu den Strophen kollektiv im Chor vorgetragen. Ein Mitvollzug durch das Publikum wird dadurch erleichtert. Der Text ist eine eindeutige Handlungsaufforderung: Aufgepasst Genossen! wer hat denn da geschossen? Genossen, dreht die Flinten! der Schuss, der kam von hinten (Ref. 1, V.1-4)
Auffällig ist neben der direkten Anrede an die „Genossen“ der Tempuswechsel vom Präteritum ins Präsens; eine Änderung, die musikalisch durch eine Tempoverschleppung und einen Wechsel zum Zweiertakt unterstützt wird. Hierdurch werden zwei Interpretationen ermöglicht: Der Refrain kann – wie dann auch der gesamte Text von Der Funke fliegt – als Rollenaussage verstanden werden, also als die Meinung eines repräsentativen (kommunistischen) Sprechers aus der Weimarer Republik. Als eine solche wäre die Wirkungsabsicht des Songs in einer (methodisch fragwürdigen, weil die Quellen nicht benennenden) historischen Darstellung vergangener Denkund Handlungsweisen zu sehen. Plausibler jedoch ist eine Interpretation, nach der die Aussagen über die Vergangenheit und die ihr zugrunde liegende Faschismustheorie durch das Präsens aktualisiert und damit in die Songgegenwart überführt werden. In einer solchen Lesart wird nicht allein die – von der Komintern 1935 verworfene und durch die Dimitroff-Theorie ersetzte – Sozialfaschismusthese für die Analyse der nationalsozialistischen Vergangenheit erneuert, sondern gleichzeitig auch das Fortbestehen der Interessenallianz der Sozialdemokratie und des Großkapitals behauptet. Die Schmetterlinge formulieren 1977 mit den zwei genannten Songs daher 23 Stalin, Iosif V.: Zur internationalen Lage. In: Ders.: Werke. Band 6, hrsg. v. Marx-Engels-Lenin-Institut beim Zentralkomitee der SED, Berlin 1952, S. 253. Ein Überblick über die Genese und politische Umsetzung der Sozialfaschismusthese findet sich in Wieszt, Jósef: KPD-Politik in der Krise 1928-1932. Zur Geschichte und Problematik des Versuchs, den Kampf gegen den Faschismus mittels Sozialfaschismusthese und RGO-Politik zu führen. Frankfurt a.M. 1976, S. 178-340.
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nicht nur einen Beitrag zum historischen Diskurs über den Nationalsozialismus, sondern auch einen scharfen Angriff auf den amtierenden SPDBundeskanzler Helmut Schmidt. In zwei weiteren Songs der Proletenpassion, die noch kurz erwähnt werden sollen, wird die kapitalismuskritische Interpretation der Geschichte fortgeführt und erweitert. Ästhetisch wenn auch nicht inhaltlich vielschichtiger als die beiden vorigen ist der Song Hitlers Blues. Er ist eine kabarettistische Parodie, die Adolf Hitlers Sprechweise imitiert und ihn zu einer unselbstständigen Witzfigur degradiert.24 Unter Bezug auf die (zuvor erwähnte) Finanzierung der NSDAP durch die Industriellen in der Zwischenkriegszeit klagt die Rollenfigur Hitler: „Um die Massen zu bewegen/muss sich erst die Kasse regen/das ist eine harte Nuss/wenn ein Nazi warten muss“ (Str. 1, V.11-14.), und ergänzt: „Wartezeit/harte Zeit/Ka Musi ohne Kapital/so sitz ich da im Wartesaal“ (Str. 3, V.1-4). Einen Großteil des parodistischen Witzes verdankt der Song neben der stimmlichen Nachahmung des Reichskanzlers der musikalischen Gestaltung, die zwar dem Blues-Schema folgt, vor allem aber durch das langsame Tempo und die Klavier-Instrumentierung an eine sentimentale (Liebes-)Ballade erinnert.25 Unterstützt wird dieser Eindruck auch durch die Verwendung des kitschigen Topos des „Wartesaals“ zum Glück oder der Träume.26 Damit wird die Ernsthaftigkeit der Rollenfigur bereits durch den Einsatz von Schlager-Verweisen diskreditiert. Erwähnenswert ist noch, dass sich der Song zu einem Crescendo steigert, in welchem die ‚Marionette des Kapitals‘ Hitler zunehmend unkontrolliert schreit; diese parodistische Überzeichnung wird durch einen abrupten Abbruch des Songs mit den Worten: „Das genügt jetzt!“, nochmals als eine solche kenntlich gemacht.
24 Die Schmetterlinge: Hitlers Blues. T.: Heinz Rudolf Unger/M.: Trad. Aus dem Album: Proletenpassion. Erschienen 1977. 25 Damit ist die Blues-typische harmonische Gliederung in 12 Takte mit drei viertaktigen Abschnitten und einer Harmoniefolge von Tonika, Subdominante und Dominante (mit kurzer Rückkehr zu S und T) gemeint (vgl. Bamberg, Heinz: Beatmusik. S. 22f.). Die Bezeichnung Ballade wird an dieser Stelle im Sinne des musikwissenschaftlichen Balladenbegriffs verwendet (vgl. Kap. 1.4). 26 So z.B. im ersten deutschen Beitrag zum Eurovision Song Contest (Grand Prix Eurovision de la Chanson) von Walter Andreas Schwarz Im Wartesaal zum großen Glück 1956 oder dem Song Wartesaal der Träume von der Kölner Band Die Höhner 1994.
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Das Lied vom A-Sager schließlich ist eine letztlich redundante (und grammatisch bemühte) Erneuerung des bereits Vermittelten.27 Der Refrain lautet: Wer zum Faschismus nein sagt und ja zum Kapital dass der das nur zum Schein sagt ist ein klarer Fall (Ref. 1, V.1-4)
Eingeleitet wird der Song mit einem Sprechtext, der ‚erläutert‘, warum die Proletenpassion bei aller Ausführlichkeit auf einen eigenen Song über die Herrschaft des Nationalsozialismus verzichtet – also dem Adorno’schen Diktum Folge leistet. Dieser Text offenbart eine geradezu erschreckende Schlichtheit der dem Werk zugrunde liegenden Geschichtsanalyse: Wir sparen uns hier, den Faschismus an der Macht zu schildern. Die wesentlichsten Tatsachen sind ja bekannt: Auschwitz, Buchenwald, Mauthausen, 45 Millionen gefallene Soldaten. Nur soviel sei hier gesagt: Die Erwartungen des Kapitals wurden voll und ganz erfüllt. (Intro)
Floh de Cologne: Arbeit macht Freitag (1970) Die in der Proletenpassion erkennbare Reduktion der Verantwortung Adolf Hitlers und des deutschen Volkes sowohl für den Zweiten Weltkrieg als auch für den Holocaust und die gleichzeitige Aufwertung der Verantwortung des Kapitals zeigen sich insgesamt häufig bei den Politrockern der 70er Jahre.28 Die Kölner Band Floh de Cologne beispielsweise geht in ihrem Album Fließbandbabys Beatshow 1970 zwar nicht so weit, die Sozialdemokratie für die Errichtung des Hitler-Faschismus verantwortlich zu machen, aber auch sie verstärkt den Angriff auf den Kapitalismus im Vergleich zu den Songs der 60er Jahre. Der siebte Song Arbeit macht Freitag, 27 Die Schmetterlinge: Lied vom A-Sager. T.: Heinz Rudolf Unger/M.: Georg Herrnstadt, Wilhelm Resetarits. Aus dem Album: Proletenpassion. Erschienen 1977. 28 Beispielsweise auch in dem fast 23minütigen Song Hitler in Dosen der Band Checkpoint Charlie (Checkpoint Charlie: Hitler in Dosen. T.: Uli Becker, Uwe von Trotha/M.: Jürgen Bräutigam, Wilfried Sahm, Lothar Stahl. Aus dem Album: Checkpoint Charlie – die Durchsichtige. Erschienen 1979). Hier heißt es pauschal über die deutsche Bevölkerung: „Es handelt sich bei diesen Leuten um so genannte deutsche Dosenköpfe“; das restaurative Verhalten dieser „Dosenköpfe“ wird durch eine unreflektierte Affirmation des Kapitalismus plausibiliert.
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der (bei 13 Songs) strukturell das Zentrum des Albums ausmacht, hinterfragt eine vermeintliche Grundannahme „Wer nicht arbeitet, soll auch nicht essen“ (Intro, V.4).29 Diese von einem „Boss“ (Intro, V.1) vorgebrachte Maxime wird mit Fragesätzen hinsichtlich ihrer Gültigkeit hinterfragt, z.B.: Fließbandbaby – warum soll denn, wer nicht arbeitet, auch nicht essen? Warum soll er denn nicht von den Tomaten essen, die jedes Jahr zu tausenden Tonnen mit Baggern untergepflügt werden? Warum soll er denn sein Brot nicht aus dem Weizen backen, der zu Viehfutter verfärbt wird? (Str. 1, V.1-3)
Fast unmerklich wird diese Reihung ergänzt durch einen ersten Verweis auf den Nationalsozialismus: „Fließbandbaby, warum soll er denn ins Arbeitslager?“ (Str. 1, V.7). Die Strophe ist rhetorisch funktional geformt: Zum einen führt der steigernde Aufbau dazu, die „Arbeitslager“ als Folge einer perversen kapitalistischen Logik auszuweisen. Zum anderen vermittelt die Parallelität der Satzstruktur (als Isokolon) den Eindruck, für die Existenz von Arbeitslagern in der Songgegenwart gelte die gleiche reale Selbstverständlichkeit wie für die Viehfütterung mit Weizen. Die Klimax der Strophe, die den „Boss“ der Songgegenwart mit der NS-Vergangenheit verknüpft, wirkt nun wie eine logische Selbstverständlichkeit: Warum soll denn, wer nicht arbeitet, auch nicht essen? „Arbeit macht frei“ stand in Auschwitz. (Str. 1, V.9f.)
Der Unternehmer, dessen Bezeichnung mit dem Anglizismus „Boss“ im Übrigen eine globale Existenz andeutet, erscheint als Hauptakteur eines faschistisch-kapitalistischen Systems, das als solches sowohl den Nationalsozialismus als auch die bundesdeutschen 70er Jahre verständlich und vergleichbar werden lässt. Floh de Cologne haben diesen Zusammenhang in dem Song Die erste Million 1983 noch einmal betont.30 In vier Strophen bringen sie die kapitalistische Leistungsideologie in einen ursächlichen Zusammenhangt mit dem Zweiten Weltkrieg. Zunächst geht es um die Ansammlung von Kapital („mein Chef der hatte Recht:/die erste, die erste, die erste Million ist die 29 Floh de Cologne: Arbeit macht Freitag. T.: Gerd Ulrich Wollschon/M.: Dick Städtler. Aus dem Album: Fließbandbabys Beat-Show. Erschienen 1970. 30 Floh de Cologne: Die erste Million. T.: Theo König/M.: Dick Städtler. Aus dem Album: Faaterland. Erschienen 1983.
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schwerste“ [Str. 1, V.5f.]), dann um steigende Arbeitslosigkeit („erst dreihunderttausend ohne Job/dann sechshunderttausend, dann achthunderttausend/ja die erste, die erste, die erste Million war die schwerste“ [Str. 2, V.46]). Ohne dass die Strophenform oder die Intonation sich änderten, wird nun eine Verbindung zum Nationalsozialismus hergestellt: Im Jahre ’39 zogen wir in die Schlacht wir waren wohlgemut und leckten Kommunistenblut […] die Zahl der Toten war noch nicht so groß ja die erste, die erste, die erste Million war die schwerste (Str. 3, V.1-6)
So werden der nationalsozialistische Überfall auf Polen und der Ostfeldzug als kapitalistisch motivierter Vernichtungskrieg ausgewiesen. Vor allem aber signalisiert die Parallelführung von Vergangenheit und Gegenwart: Die pervertierte kapitalistische Leistungsideologie mit all ihren Folgen ist weiterhin Grundlage der bundesrepublikanischen Wirtschafts- und Gesellschaftsordnung. Die Kapitalisten sind eben, wie der Kabarettist Dietrich Kittner 1971 in seinem Song Wir packen’s an stellvertretend für die Sichtweise vieler Zeitgenossen formuliert, „braune Brüder“ mit einer klaren Intention: „ein braunes Reich […]/das hätten sie gerne wieder“ (Str. 1, V.13).31 Der Grund hierfür ist auch für Kittner denkbar einfach: „Sie besitzen Fabriken und Werke/und fühlen sich mächtig frei“ (Str. 2, V.3).
„ACH D EUTSCHLAND , DEINE M ÖRDER “ D ER T ÄTERDISKURS NACH DER R EVOLTE Die Schmetterlinge/Floh de Cologne zu Krupp und Thyssen Die Songs von den Schmetterlingen und Floh de Cologne streifen in ihren historischen ‚Analysen‘ immer auch den Täterdiskurs. Eine unmissverständliche Antwort, wer als verantwortlich für die nationalsozialistischen Verbrechen zu gelten habe, bieten Die Schmetterlinge in dem Lied von
31 Kittner, Dietrich: Wir packen’s an. T.: Dietrich Kittner/M.: Otto Stranzky. Aus dem Album: Wir packen’s an. Erschienen 1971.
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Krupp und Thyssen, das direkt auf Der Schuß von hinten folgt.32 Es ist der erste Teil eines Blocks von drei Songs der Proletenpassion, die allesamt die Täter und Mittäter der nationalsozialistischen Herrschaft thematisieren. Bemerkenswert auf den ersten Blick ist die Nennung von realexistenten Personen in Titel und Text des Songs. Mit Gustav Krupp von Bohlen und Halbach, u.a. Wehrwirtschaftsführer und Profiteur der Aufrüstungspolitik der Nationalsozialisten, und Fritz Thyssen, u.a. Mitglied des Reichstages für die NSDAP, werden mächtige Repräsentanten der Industrie namentlich in einem Song in den Blick genommen und direkt für den Erfolg Adolf Hitlers verantwortlich gemacht.33 In Form eines fiktiven Dialogs zwischen den beiden Industriellen wird ihre Beteiligung, ja sogar führende Rolle bei der Errichtung des Hitler-Regimes herausgestrichen. Dabei erscheint Krupp als Anstifter, Thyssen eher als Mitläufer. Ihm werden Fragen in den Mund gelegt, die von Krupp beantwortet werden. Die ersten zwei Strophen greifen inhaltlich direkt auf Hitlers Blues zurück: Mein lieber Krupp, wir haben’s aufgefangen beinah wär das ins Aug’ gegangen gerettet ist nochmal das Kapital doch wie verhindern wir ein nächstes Mal? (Str. 1, V.1-4) Nur keine Bange, lieber Thyssen es gibt doch Hitler, wie sie wissen der hat seit Jahren schon gespürt dass er mal brauchbar für uns wird (Str. 2, V.1-4)
Als repräsentative Vertreter der Großindustrie und Sprecher für „das Kapital“ weist der Text ihnen egoistische Interessen zu, die aber gleichzeitig den Interessen der Nationalsozialisten entsprechen. So erklärt Krupp seine Unterstützung des Holocaust und der militärischen Aggressionen des Dritten Reichs zum einen mit einer Abwälzung von Kritik auf die ‚Sündenböcke‘ „Juden und Bolschewiken“, zum anderen mit den für den Unternehmer daraus erwachsenden finanziellen Vorteilen:
32 Die Schmetterlinge: Lied von Krupp und Thyssen. T.: Heinz Rudolf Unger/M.: Georg Herrnstadt, Wilhelm Resetarits. Aus dem Album: Proletenpassion. Erschienen 1977. 33 Vgl. zu den beiden Industriellen insgesamt Turner, Henry Ashby Jr.: German big Business and the Rise of Hitler. New York u.a. 1985.
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Dann sind’s nicht wir, die unterdrücken sondern die Juden und Bolschewiken gegen die die Deutschen kämpfen müssten weshalb wir für den Krieg jetzt rüsten (Str. 6, V.1-4)
Wie weitgehend der Profit für die Unternehmer (in der Sichtweise der Band) mit der Vernichtung von Menschenleben verbunden ist, macht die folgende Strophe inhaltlich und sprachlich klar. Thyssen zitiert den Spruch auf dem Eingangstor des Konzentrationslagers Buchenwald und verknüpft ihn durch den Reim mit zwei Ländern, die die deutsche Armee während des Ostfeldzugs besetzte: „Mein Wahlspruch ist: Jedem das Seine/ich wähl dann Polen und die Ukraine“ (Str. 7, V.3f.).34 Krupp reagiert hierauf mit einer Aufforderung, die noch einmal die Skrupellosigkeit der Industriellen betont: Mein lieber Mann, wenn sie mich fragen so kann ich nur: „Heil Hitler“ sagen los, machen wir die Nazis stark zunächst mit 3 Millionen Mark (Str. 8, V.1-4)
Die Einfachheit der vorgeführten politischen Analyse, die durch die Form des Rollensongs auf die Unternehmer selbst zurückfällt, ebenso aber auch die Simplizität der Reime und der Wortwahl – an anderer Stelle bezeichnet Thyssen Hitlers politische Ambitionen umgangssprachlich gar als „Bombensache“ (Str. 7, V.2) – lassen erkennen, dass Die Schmetterlinge einen satirischen Anspruch verfolgen. Um das fehlerhafte Verhalten der Protagonisten vorführen zu können, werden die Sprechweisen der Figuren, ähnlich wie in Hitlers Blues, imitiert und gleichzeitig „scheinbar unfreiwillige zusätzliche Information[en]“ an die Hörer vermittelt, mit denen diese das fehlerhafte Verhalten entlarven können.35 Die Schmetterlinge unterstützen dies durch eine populärmusikalisch übertriebene Intonation, die vor allem durch Tremolos an klassischen Gesang erinnert.
34 Ähnlich formuliert Fasia in ihrer Krupp Ballade (abgedruckt in: Stern, Annemarie (Hrsg.): Lieder gegen den Tritt. Politische Lieder aus fünf Jahrhunderten. Oberhausen 41978, S. 420f.): „Und sie [Hitler und Krupp] griffen nach der Beute/Mit ‚Sieg Heil‘ bis Stalingrad/[…]/Für die Firma Friedrich Krupp/Glory, glory. Dividende!“ (Ref. 4, V.1-6). 35 Hinck, Walter: Von Heine zu Brecht. S. 14.
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Weder bei diesem populärmusikalischen Rückgriff auf die Tradition des Rollenlieds36 noch bei der Imitation der Figuren oder der Erläuterung der Motive für die unternehmerische Teilhabe an der Errichtung des nationalsozialistischen Herrschaftsapparates gehen Die Schmetterlinge sonderlich differenziert vor. Sie spielen beispielsweise auf Fritz Thyssens Bruch mit den Nationalsozialisten 1939 und seine daraus resultierende Inhaftierung u.a. im Konzentrationslager Buchenwald lediglich an, um hieraus (durch das Zitieren der Lagertorinschrift „Jedem das Seine“) einen zynischen Witz zu machen, nicht um eine tiefergehende Auseinandersetzung mit dem Unternehmer vorzunehmen. Offensichtlich ist, dass es der Band auch in diesem Song weniger um einen historisch objektiven Beitrag zum Täterdiskurs geht als vielmehr um einen allgemeinen kapitalismuskritischen Kommentar. Die Aufarbeitung personeller Kontinuitäten in der Bundesrepublik hat im Umfeld der 68er-Revolte bereits stattgefunden. Jetzt reicht die bloße Nennung von realexistenten Personen, um vor dem Hintergrund ihrer bereits etablierten Täterschaft Fragen nach politischen Systemalternativen zu verhandeln. In vergleichbarer Form geschieht dies ebenso in dem Song Armer junger Krupp der Band Floh de Cologne.37 Die Rolle von Alfried Krupp von Bohlen und Halbach als eines Repräsentanten des Unternehmertums wird ausschließlich mit der profitablen Tätigkeit des Vaters im Dritten Reich erläutert („Was kannst du denn dafür, dass du nichts kannst?“ [Str. 1, V.2], „Armer junger Krupp/wär er ein schlechter Nazi gewesen/müsstest du auf den Bau oh yeah“ [Str. 4, V.1-3]). Hieraus wird erneut ein stark simplifizierendes Fazit gezogen: Armer junger Krupp ein Glück für dich, dass es Nazis gibt ein Pech für jeden, dass es keine Sozialisten gibt (Str. 5, V.1-3)38
36 Vgl. zur Tradition des Rollenlieds und ihres Einflusses auf Songschreiber wie Franz Josef Degenhardt Vormweg, Heinrich: Degenhardt dichtend. In: Arnold, Heinz Ludwig (Hrsg.): Franz Josef Degenhardt. S. 33. 37 Floh de Cologne: Armer junger Krupp. T.: Gerd Ulrich Wollschon/M.: Dick Städtler. Aus dem Album: Fließbandbabys Beat-Show. Erschienen 1970. 38 In der drei Jahre später gedruckten Fassung heißt es statt „Sozialisten“ „Kommunisten“ (Floh de Cologne: Profitgeier und andere Vögel. Agitationstexte, Lieder und Berichte. Berlin 1973, S. 75).
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Die Aussage zielt, das ist u.a. am Tempus erkennbar, auf die Gegenwart; auch hier findet eine ernsthafte Auseinandersetzung mit der Vergangenheit nicht statt. Dieser Song ist vornehmlich deshalb erwähnenswert, weil an ihm die Fragwürdigkeit einer rein funktionalen Verwendung der musikalischen Gestaltung paradigmatisch gesehen werden kann. Die musikalische Ebene unternimmt keinerlei Versuch, die textliche Aussage zu unterstützen oder zu konterkarieren, d.h. auch der Musik eine eigenständige Bedeutung zuzuweisen. Eher wird die Einfachheit der Aussage verschleiert bzw. erst ‚konsumierbar‘ durch die Eingängigkeit der Musik. Dies geschieht durch die Verwendung von Ausdrucksformen des Rocksongs: Armer junger Krupp beginnt mit einem Instrumental-Intro, das durch die Dominanz der Hammond-Orgel an die amerikanischen The Doors erinnert. Auch die durchgängig begleitende elektrische Gitarre und der gerade, beatlastige 4/4taktige Rhythmus kennzeichnen das Stück als Rocksong. Während der Mittelteil die musikalische Begleitung stark reduziert, um eine klare Verständlichkeit des Textes zu ermöglichen, endet der Song schließlich mit einem längeren Outro, das durch Choreinsätze und zahlreiche Schlagzeug-Breaks den Eindruck eines ‚Jammings‘ erzeugt. Keines der musikalischen Gestaltungsmittel weist einen erkennbaren Bezug zum Inhalt des Songs auf – die Rockform ist nicht damit zu erklären, dass der Versuch unternommen würde, ihre ästhetischen Möglichkeiten auszuloten, sondern ausschließlich damit, ihre zeit- und popgeschichtliche Attraktivität zu nutzen.39 Floh de Cologne haben diese Intention explizit eingestanden: Jungarbeiter und Lehrlinge interessieren sich kaum für Theater und Kabarett, wohl aber für Musik. […] Deshalb verwenden wir Popmusik als Transportmittel für unsere politischen Texte. Wir halten dies für effektiver als z.B. Vorträge.40
Dass es Floh de Cologne nicht gelingt (oder die Band es für überflüssig hält) der musikalischen Gestaltung eine eigenständige Bedeutungsebene beizugeben, mag man mit der mangelnden Reflexion und/oder Beherrschung der Form durch die Musiker begründen. Wahrscheinlicher ist aber, dass die Kritik an der Familie Krupp zeitgeschichtlich dermaßen selbstverständlich ist, dass sie keinerlei ‚argumentative‘ Unterstützung durch die musikalische Gestaltung benötigt. Die 70er Jahre sind, wie Klaus Wernecke 39 Vgl. Meier, Andreas: Politischer Wertewandel und populäre Musik. S. 45. 40 Floh de Cologne: Profitgeier und andere Vögel. S. 10.
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betont hat, insgesamt ein Jahrzehnt der „Inflationierung des FaschismusVerdachtes gegen alle wirklichen oder vermeintlichen Formen bürgerlicher Herrschaft und ihrer Repressionstendenzen.“41 In einem solchen Umfeld sind nach Auffassung der Künstler keine komplexeren inhaltlichen und formalen Gestaltungen mehr nötig, um die Täterschaft von realhistorischen und namentlich benannten Repräsentanten vorzuführen. Dieses Phänomen einer ästhetischen Simplifizierung zugunsten eines höheren politischen Gebrauchswerts der Songs lässt sich nicht allein an den Politrock-Bands beobachten, sondern ebenso an den ‚Liedermachern‘. Wolf Biermann: Drei Kugeln auf Rudi Dutschke (1968) Eine namentliche Nennung von Tätern in ähnlicher Weise wie Die Schmetterlinge und Floh de Cologne nimmt Wolf Biermann in seinem 1968 auf der EP Vier neue Lieder erschienenen Song Drei Kugeln auf Rudi Dutschke vor.42 Biermann reagiert mit diesem Stück auf das Attentat auf Rudi Dutschke am 11. April 1968 und thematisiert die Endphase der Studentenrevolte. Dabei verknüpft er verifizierbare Tatsachen, wie die bereits im Titel genannten drei Schüsse auf Rudi Dutschke durch Josef Bachmann, mit einer Analyse des zeitgenössischen Umfeldes, einer historischen Einordnung des Geschehens, Formen der Gruppen-Solidarisierung und schließlich einer eindeutigen Handlungsaufforderung an die Rezipienten. Biermann, dem es aufgrund einer fehlenden Ausreisegenehmigung selbst nicht möglich war, seinen Song in der BRD aufzuführen,43 nennt nach expositiver Nennung des Songanlasses („Ein blutiges Attentat“ [Str. 1, V.2]) explizit drei ‚Attentäter‘ auf Rudi Dutschke. Keiner von ihnen ist Josef Bachmann.
41 Wernecke, Klaus: 1968. S. 182. 42 Biermann, Wolf: Drei Kugeln auf Rudi Dutschke. T./M.: Wolf Biermann. Aus der EP: Vier neue Lieder. Erschienen 1968; erneut veröffentlicht auf dem Album: Warte nicht auf beßre Zeiten. Erschienen 1973. 43 Deshalb musste sich Biermann ‚vertreten‘ lassen; auf der Burg Waldeck 1968 von Walter Mossmann (als Aufnahme erschienen als Mossmann, Walter: Drei Kugeln auf Rudi Dutschke. T./M.: Wolf Biermann. Aus dem Album: Diverse: Die Burg Waldeck Festivals 1964-1969. CD 9: 1968. Erschienen 2008); in Berlin von Schobert und Black (vgl. Kearney, Kirsten: Constructing the Nation. S. 246); zu den Umständen vgl. Hippen, Reinhard: Wer kann Biermann nicht verkraften? Der Genosse und die westdeutsche Linke. In: Arnold, Heinz Ludwig (Hrsg.): Wolf Biermann (1975), S. 150.
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Stattdessen werden in drei aufeinander folgenden Strophen die ‚wahren‘ „Schützen“ benannt: Die Kugel Nummer Eins kam Aus Springers Zeitungswald (Str. 2, V.1f.) Des zweiten Schusses Schütze Im Schöneberger Haus (Str. 3, V.1f.) Der Edel-Nazi-Kanzler Schoss Kugel Nummer Drei (Str. 4, V.1f.)
Der Bild-Verleger Axel Springer, dazu der (u.a. aufgrund seiner Tätigkeit als Flakhelfer im Zweiten Weltkrieg) von den 68ern kritisierte Westberliner Bürgermeister Klaus Schütz und schließlich der CDU-Bundeskanzler Kurt Georg Kiesinger werden hier als Schuldige vorgeführt.44 Biermann betont ihre Verbindung zu den drei Schüssen durch eine sorgfältige rhetorische Durchformung mit Alliterationen, Inversion, Namen-Wortspiel („Schütze“ – Schütz) und Assonanzen. Dadurch wird bereits sprachlich erkennbar, dass die Verantwortung für die Schüsse auf Rudi Dutschke weniger bei dem Hilfsarbeiter Josef Bachmann als bei den gesellschaftlichen Instanzen Presse und Politik zu suchen ist. Biermann stellt sich mit seinem Song gegen eine Interpretation der Geschehnisse, die das Attentat an Dutschke auf eine Geisteskrankheit Bachmanns reduziert. Diese wird vor allem von der BildZeitung vertreten, deren Bewertung des Attentats als Intertext für Biermanns Song gesehen werden kann. In einem Kommentar auf der Titelseite vom 13. April 1968 heißt es: Im Berliner Westend-Krankenhaus ringen die Ärzte um Dutschkes Leben. Und wer hat auf ihn geschossen? Nicht Bundeskanzler Kiesinger, nicht Berlins Regierender Bürgermeister Schütz und auch nicht Springer. […] Der fanatische Linksradikale Dutschke wurde das Opfer eines halbirren Rechtsradikalen.45
Die Zeitung antwortet hier zwei Tage nach den Schüssen auf eine Interpretation der Geschehnisse, die ihr Publikationsorgan als Mittäter betrachtet. Biermann kann diese zeitgenössischen Schuldzuweisungen als bekannt voraussetzen und benötigt daher keinerlei argumentative Begründungen für die Täterschaft der Zeitung mehr. 44 Vgl. hierzu Wernecke, Klaus: 1968. S. 181. 45 [O.V.]: Kommentar. In: Bild-Zeitung Nr. 88 vom 13. April 1968, S. 1.
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Interessant ist, wie Biermann diese auf das unmittelbare zeitgenössische Umfeld bezogene Kritik historisch einordnet. Der insgesamt sechsmal wiederholte Refrain stellt, eingeleitet von einem durch den Gesang betonten Stoßseufzer, eine Verbindung mit der NS-Zeit her: Ach Deutschland, deine Mörder! Es ist das alte Lied Schon wieder Blut und Tränen Was gehst du denn mit denen Du weißt doch was Dir blüht (Ref. 1, V.1-5)
Die ideelle Verknüpfung des Attentats auf den Studentenführer Dutschke mit der nationalsozialistischen Vergangenheit wird verstärkt durch die Anspielung auf die ‚Blut und Boden‘-Ideologie der Nationalsozialisten einerseits und Heinrich Heines düstere Prognose: „Ach Gott! ach Deutschland! Es wird bald sehr betrübt bey uns aussehen und sehr blutig“, aus dem dritten Buch der Schrift über Ludwig Börne andererseits.46 Bei aller Strahlkraft des Refrains, der auf engem Raum die Gegner der Berliner 68er-Bewegung mit den restaurativen Kräften des 19. Jahrhunderts und den Gewalttätern des Nationalsozialismus in Verbindung bringt, bleiben Differenzierungen komplett ausgeblendet. Sie sind auch nicht Intention des Songs. Biermann geht es darum, eine solidarisierende Wirkung zu erzielen. Dies belegen die abschließenden Strophen, die der Interpretation der Geschehnisse eine praktische Handlungsaufforderung folgen lassen: Drei Kugeln auf Rudi Dutschke Ihm galten sie nicht allein Wenn wir uns jetzt nicht wehren Wirst du der Nächste sein (Str. 5, V.1-4) Es haben die paar Herren So viel schon umgebracht Statt dass sie Euch zerbrechen Zerbrecht jetzt ihre Macht (Str. 6, V.1-4)
46 Vgl. Bartsch, Elisabeth/Eppenstein-Baukhage, Manon/Kammer, Hilde: Blut und Boden. In: Dies.: Lexikon Nationalsozialismus. Begriffe, Organisationen und Institutionen. Reinbek 1999, S. 48f.; Heine, Heinrich: Ludwig Börne. Eine Denkschrift. In: Ders.: Heinrich Heine. Historisch-kritische Gesamtausgabe der Werke. Band 11: Ludwig Börne. Eine Denkschrift und Kleinere politische Schriften. Hrsg. v. Helmut Koopmann. Hamburg 1978, S. 59.
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Auffallend ist bei der Betrachtung des Songs insgesamt, dass Biermann nicht allein darauf verzichtet, die konkrete Verantwortung der vermeintlichen ‚Schützen‘ zu begründen, sondern ebenso darauf, eine irgend geartete konkrete politische Forderung abzuleiten (z.B. den Rücktritt Kiesingers oder die Errichtung einer sozialistischen BRD). Drei Kugeln auf Rudi Dutschke beschränkt sich auf die namentliche Nennung von Tätern und den ‚Nachweis‘ ihrer ‚faschistoiden‘ Geisteshaltung. Damit zeigt Biermanns Song die gleiche Tendenz wie die Songs der Politrocker: Die Geschehnisse der Gegenwart werden erklärt durch erstens die Äußerung eines systemkritischen Faschismus-Verdachtes und zweitens die Reduktion der nationalsozialistischen und gegenwärtigen Täterschaften auf namentlich genannte Personen – anders also als in den 60er Jahren, in denen zwar die Täter durchaus individuelle Züge tragen, immer jedoch als namenlose Repräsentanten einer größeren Gruppe von Handelnden verstanden werden können. Biermanns Song lässt sich, gerade vor dem Hintergrund des in den folgenden Jahren eskalierenden RAF-Terrorismus, als durchaus fragwürdige Aufforderung zu gewalttätigem Widerstand verstehen. Dass diese Aufforderung eben nicht nur mit dem zeitgenössischen Verhalten der Mächtigen begründet wird, sondern vor allem mit der historischen Erfahrung, zeigt die immense Bedeutung der Vergangenheit für die Analyse der Gegenwart.47 Biermann selbst variiert dieses Muster im Verlauf der 70er Jahre noch mehrfach; sei es, dass er in dem Song Jetzt klagen sie groß über Terror die Verfolgung von so genannten Sympathisanten der RAF mit der Vernichtung der Juden gleichsetzt, sei es, dass er seine eigene Situation nach der Ausbürgerung aus der DDR in Hanseatische Idylle mit der Judenhatz der Nationalsozialisten vergleicht.48 Insgesamt folgen die Songschreiber der 70er Jahre den Ansätzen ihrer Vorläufer im Umfeld der 68er-Revolte insofern, als auch bei ihnen kein grundlegender Unterschied zwischen der Täterschaft in der Vergangenheit 47 Vgl. ergänzend die m.W. heute nicht mehr als Aufnahme erhältlichen Songs Schwendter, Rolf: Die Moritat von Franz Novak – einem neuen Mackie Messer. In: Voigtländer, Annie/Witt, Hubert (Hrsg.): Denkzettel. S. 82f.; Stütz, Hannes: Für Herrn Fritz Berg. In: Stern, Annemarie (Hrsg.): Lieder gegen den Tritt. 347f. 48 „Ach das, was hier gestern der Jud war […]/Oh mann oh mann/das kommt nicht an/das wird hier der Sympathisant“ (Biermann, Wolf: Jetzt klagen sie groß über Terror. T./M.: Wolf Biermann. Aus dem Album: Trotz alledem! Erschienen 1978, Str. 3, V.3-7); vgl. Ders.: Hanseatische Idylle. T./M.: Wolf Biermann. Aus dem Album: Trotz alledem! Erschienen 1978.
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und der Gegenwart erkennbar ist. Erklärungsmuster der 60er Jahre werden variiert, radikalisiert und vor allem durch die namentliche Nennung von Verantwortlichen personalisiert. Die große schweigende Mehrheit von MitTätern, Mitläufern und Opportunisten, die in den 60er Jahren noch durchaus relevanter Bestandteil des Täterdiskurses im Song war, bleibt in den 70er Jahren fast vollständig ausgeblendet.
P ERSONALISIERUNGEN DER O PFER DES N ATIONALSOZIALISMUS Die Tendenz der Songschreiber in den 70er Jahren, die Kritik an der Gegenwart stärker als vorher anhand von Einzelpersonen vorzuführen statt verallgemeinernd politische Strukturen anzugreifen, lässt sich auch in Hinsicht auf die Opfer des nationalsozialistischen Regimes erkennen. Diese werden nun, anders als in den 60er Jahren, zu einem zentralen Bestandteil der NS-Aufarbeitung. Allerdings nehmen die Songschreiber weiterhin fast ausschließlich politische Häftlinge in den Blick. Nach wie vor wird kaum der Versuch unternommen, die gewaltige Anzahl von Menschen, die allein aufgrund ihrer Religion oder sexuellen Orientierung ermordet wurden, in den Blick zu nehmen. Dies kann beispielhaft an einigen Songs von Walter Mossmann gesehen werden. Walter Mossmann: Ballade vom Matrosen Walter Gröger (1979) Der Freiburger Songschreiber Walter Mossmann reagiert zunächst auf das Ende der 68er-Revolte mit einem Rückzug aus der Musikszene;49 erst Mitte der 70er Jahre verfasst er erneut Songs, die als „Flugblattlieder“ für die Anti-Atomkraft-Bewegung im „Dreyeckland“, dem badisch-elsässischschweizerischen Grenzgebiet, gedacht sind.50 1979 auf dem Album Frühlingsanfang erscheinen dann zwei als „Balladen“ bezeichnete Songs, die
49 Vgl. hierzu und zur Entwicklung Mossmanns Böning, Holger: Der Traum von einer Sache. S. 113-116. 50 So die Titel von Alben und Büchern, z.B. Mossmann, Walter: Flugblattlieder, Streitschriften. Berlin 1980; Ders.: Flugblattlieder. Erschienen 1975; Ders.: Neue Flugblattlieder. Erschienen 1977.
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sich sehr ausführlich mit Opfern des Nationalsozialismus auseinandersetzen. Die Ballade vom Matrosen Walter Gröger ist die Erzählung des realhistorisch verbürgten Todes eines Deserteurs im Zweiten Weltkrieg.51 Die Gestaltung greift dabei sowohl auf die Form der Ballade als auch auf Elemente des Volkslieds zurück. Die sechs hinsichtlich der Reimung und der Akkordfolgen gleich gebauten Strophen bestehen jeweils aus drei vierversigen Einheiten, in denen der letzte Kreuzreim jeweils durch einen Harmoniewechsel abgesetzt ist. Diese Andeutung eines Refrains führt gemeinsam mit der reduzierten Akustikgitarrenbegleitung und der einfachen Reimstruktur dazu, dass der Song einen volksliedhaften Charakter erhält. Auch aufgrund der konkreten Lokalisierung, Personalisierung und zeitlichen Einordnung des geschilderten Geschehens ist der Song weniger der Gattung der Kunstballade zuzurechnen, sondern als Volksballade zu verstehen.52 Diese Charakteristika machen eine leichte ‚Nachspielbarkeit‘ auf Demonstrationen oder anderen Veranstaltungen möglich und sind kennzeichnend für sämtliche „Flugblattlieder“ Mossmanns. In der ersten Strophe, die als Exposition den Protagonisten einführt, wird der Erzählanlass – novellentheoretisch könnte man von einer ‚unerhörten Begebenheit‘ sprechen – formuliert: Der war jung, grad siebzehn Jahre und zog freiwillig in den Krieg im Ohr die Nazi-Fanfare vor Augen der glänzende Sieg. […] Drei Jahre weit weg von Schlesien drei Jahr in Kaserne und Schlacht da hat der ans Abhaun nach Schlesien ja an Flucht hat der gedacht. (Str. 1, V.1-12)
Die weiteren Geschehnisse berichtet der Song zügig, in einfacher Sprache und ergänzt um die zeitliche und örtliche Einordnung:
51 Ders.: Ballade vom Matrosen Walter Gröger. T./M.: Walter Mossmann. Aus dem Album: Frühlingsanfang. Erschienen 1979. Manchmal, so z.B. auf dem Albumcover, wird als Titel auch Ballade vom toten Matrosen Walter Gröger angegeben – hier wird der Titel aus der später erschienenen Druckfassung angegeben (Mossmann, Walter: Flugblattlieder, Streitschriften. S. 118-120). 52 Vgl. Weißert, Gottfried: Ballade. S. 52f.; Freund, Winfried: Die deutsche Ballade. S. 10; Hinck, Walter: Einleitung. S. 13; vgl. insgesamt Graefe, Heinz: Das deutsche Erzählgedicht im 20. Jahrhundert. Frankfurt a.M. 1972.
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Als der Krieg dann im fünften Winter nach den Übrig-gebliebenen griff schickte irgendein Menschenschinder den Matrosen nach Oslo aufs Schiff. Doch der fand ein heimliches Zimmer eine Freundin und einen Plan […]. Das ging so ganze drei Wochen dann wurde er denunziert der hatte das Schlimmste verbrochen war vom Töten desertiert. (Str. 2, V.1-12)
Eines fällt an diesen Strophen auf: Der Name des Protagonisten bleibt hier wie im gesamten Text ungenannt; er wird lediglich unpersönlich als „der“ oder „Matrose“ bezeichnet. Dies ist deshalb bemerkenswert, weil der Name Walter Gröger im Titel des Songs demonstrativ genannt ist und damit eine Diskrepanz zwischen Titel und Text entsteht. So behält die Schilderung des Soldatenschicksals im Haupttext eine gewisse Allgemeingültigkeit, indem sie nicht auf ein namentlich genanntes Individuum beschränkt wird. Bemerkenswert ist dies aber auch, weil Mossmann auf das Motiv des namenlosen Soldaten zurückgreift, das im Bereich des politischen Songs u.a. von Eric Bogle in No Man’s Land bzw. Hannes Wader in seiner deutschen Bearbeitung Es ist an der Zeit vorgeführt wurde.53 Die Nennung eines Namens kann ja z.B. dazu führen, einem anonymen Lebewesen menschliche Individualität zuzuweisen.54 Indem hier genau darauf verzichtet wird, kommentiert Mossmann die Beiträge zum Nationalsozialismus in den 60er und 70er Jahren, die den Blick ausschließlich auf die Täter und nicht die Opfer richten. Dadurch, dass der Name des Matrosen im Titel genannt wird, im gesamten Songtext jedoch nicht auftaucht, wird das Augenmerk der Rezipienten genau auf die Problematik des namenlosen Opfers gerichtet. Nicht übersehen werden darf allerdings, dass der Name Walter Gröger zum Zeitpunkt der Songveröffentlichung 1979 ein unverkennbarer Hinweis auf den Skandal um die Vergangenheit des baden-württembergischen Ministerpräsidenten Hans Filbinger ist, der seit einem Spiegel-Artikel 1972 in der Kritik stand und 1978 zurücktrat. Durch Recherchen Rolf Hochhuths war zunächst eine noch nach Kriegsende von Filbinger angeordnete Inhaftierung 53 Bogle, Eric: No Man’s Land. T./M.: Eric Bogle. Aus dem Album: By Request. Erschienen 2001, entstanden 1976; Wader, Hannes: Es ist an Zeit. T.: Hannes Wader/M.: Eric Bogle. Aus dem Album: Es ist an der Zeit. Erschienen 1980. 54 Vgl. Rosenfeld, Hellmut: Namen. In: Lurker, Manfred (Hrsg.): Wörterbuch der Symbolik. S. 514.
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des Matrosen Kurt Olaf Petzold u.a. wegen Gehorsamsverweigerung bekannt geworden und in einem zweiten Skandal Filbingers Beteiligung an der Tötung des Matrosen Walter Gröger.55 In den zwei zitierten Strophen wird die Denunziation des Deserteurs konsequent aus der Perspektive des Opfers berichtet. Anders als in den meisten der bislang betrachteten Songs, die sich überwiegend mit mächtigen, hochgestellten Persönlichkeiten beschäftigten, wird hier aus Sicht eines ‚kleinen‘ Soldaten erzählt. Diese ‚Geschichtsschreibung von unten‘ erinnert in ihrem Herausstellen der Opfer gegenüber den Tätern an Heinrich Bölls „Ästhetik des Humanen“ ebenso wie an Günter Grass’ Poetik des „Schreibens gegen die verstreichende Zeit“.56 Letzterer Autor formulierte in einer Rede mit dem Titel Als Schriftsteller immer auch Zeitgenosse eine Sichtweise, die auch für Mossmanns Song gültig zu sein scheint. Ohne die Literatur, so Grass, wüssten wir [...] nur jenen Teil der Geschichte, der sich an politische Machtverschiebungen, an militärische Siege, Verträge und Vertragsbrüche, an Daten und regierungsamtliche Dokumente hält. [...] Der Blick von unten bleibt ausgespart. Die Unterlegenen hinterlassen in der Regel nur wenige Dokumente.57
55 Vgl. zum Filbinger-Skandal Jäger, Wolfgang: Der Sturz des baden-württembergischen Ministerpräsidenten Hans Filbinger 1978 – Dokumentation und Analyse. In: Heck, Bruno (Hrsg.): Hans Filbinger – der „Fall“ und die Fakten. Eine historische und politologische Analyse. Mainz 1980, S. 103-175, zu Hochhuth darin S. 126-129, zur Abfolge der Ereignisse S. 108-121; vgl. insgesamt Mayer, Hans: Hochhuth und Filbinger. In: Knesebeck, Rosemarie von dem (Hrsg.): In Sachen Filbinger gegen Hochhuth. Die Geschichte einer Vergangenheitsbewältigung. Reinbek 1980, S. 7-11; angestoßen wurde der Skandal durch Hochhuth, Rolf: Eine Liebe in Deutschland. Roman. Reinbek 1978; Mossmann selbst hat zu Filbinger einen Beitrag verfasst: Mossmann, Walter: hans. il conformista. In: Wette, Wolfram (Hrsg.): Filbinger – eine deutsche Karriere. Springe 2006, S. 147-156. 56 Vgl. zu Böll z.B. Just, Georg: Ästhetik des Humanen – oder Humanum ohne Ästhetik. Zur Heiligenlegende von der Leni G. In: Jurgensen, Manfred (Hrsg.): Böll. Untersuchungen zum Werk. Bern, München 1975, S. 55-76, v.a. S. 72; Balzer, Bernd: Humanität als ästhetisches Prinzip. Die Romane Heinrich Bölls. In: Beth, Hanno (Hrsg.): Heinrich Böll. Eine Einführung in das Gesamtwerk in Einzelinterpretation. Zweite überarb. und erw. Aufl. Königstein/TS 1980, S. 4167; vgl. zu Grass Kleinschmidt, Erich: Der ästhetische Gewinn der Geschichte. Zur Poetik historischen Erzählens in der Moderne. In: Zeitschrift für Germanistik 3.1 (1993), S. 120-133 sowie insgesamt Neuhaus, Volker: Schreiben gegen die verstreichende Zeit. Zu Leben und Werk von Günter Grass. München 1997. 57 Grass, Günter: Als Schriftsteller immer auch Zeitgenosse. Rede auf dem internationalen PEN-Kongreß in Hamburg. Juni 1986. In: Ders.: Werkausgabe in 16
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Bereits die ersten Verse des Songs stellen Gefühle (Heimweh, Str. 1, V.6) und Gedanken des Matrosen (Str. 1, V.12) ins Zentrum und bieten so eine Innensicht in den Soldaten als Geschichte „von unten“. Als musikalische Ballade verweist Mossmanns Song – auch durch die Tätigkeitsbezeichnung der Figur im Titel – zudem auf die sozialkritischen Songs Bertolt Brechts. Vor allem ist hier an dessen Gedichte und Balladen aus der Hauspostille (z.B. die Ballade vom Weib und dem Soldaten und die Legende vom toten Soldaten) und das Drama Schweyk im Zweiten Weltkrieg zu denken. Mossmann bezieht sich sogar direkt auf Brechts Drama, indem er in den letzten Takten der Strophen eine melodische Wendung aus dem Lied vom Kelch, komponiert von Hanns Eisler, zitiert.58 Das Ende der zweite Strophe („der hatte das Schlimmste verbrochen“ [Str. 2, V.11]) leitet einen Perspektivwechsel ein. Hier wird nun eine Bewertung des Desertierens aus nationalsozialistischer Sicht (‚Zersetzung der Wehrkraft‘) vorgenommen. In der folgenden Strophe wird weiter ausgeführt: Der Richter nahm ihm acht Jahre und der Freundin aus Oslo zwei […]. Doch der Admiral wollte Blut sehen und sagte: „Zuchthaus ist schlecht warum soll’s dem Matrosen so gut gehen? Davon wird unser Krieg geschwächt!“ (Str. 3, V.1-8)
Die Todesstrafe für den Deserteur verbindet der Text in den nächsten Versen nun mit einer namentlichen Nennung Hans Filbingers. Jetzt wird offensichtlich, dass es dem Song um mehr geht als die Schilderung des Schicksals eines Soldaten: Der Krieg lag schon in’ letzten Zügen und in Trümmern die halbe Welt trotzdem wurde die Sache betrieben und das Todesurteil gefällt. Bänden. Band 16: Essays und Reden III. 1980-1997. Hrsg. v. Volker Neuhaus und Daniela Hermes. Göttingen 1997, S. 178f. 58 Vgl. Brecht, Bertolt: Schweyk im Zweiten Weltkrieg. In: Ders.: Stücke. Band 10: Stücke aus dem Exil. Berlin, Frankfurt a.M. 1957, S. 5-132; das Lied vom Kelch als Aufnahme u.a. in Eisler, Hanns: Dokumente. Erschienen 1995, entstanden 1957; vgl. hierzu Knust, Herbert: Materialien zu Bertolt Brechts „Schweyk im Zweiten Weltkrieg“. Frankfurt a.M. 1974, v.a. S. 299-301 sowie Mossmann, Walter: Flugblattlieder, Streitschriften. S. 120.
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Den heimweh-kranken Matrosen traf zehnmal die Kugel aus Blei in sauber gebügelten Hosen stand Herr Filbinger aufrecht dabei. (Str. 4, V.1-8)
Mossmann stellt hier – durchaus polemisch – ein ohnmächtiges Opfer gegen einen politisch mächtigen Täter; das Gefühl des namenlosen Matrosen (Heimweh) wird mit der „aufrechten“ gefühlskalten Haltung des ‚Saubermanns‘ (wiederholt: Str. 6, V.1) kontrastiert. Dies kulminiert in der Schilderung des Todeszeitpunkts Grögers: „das letzte, was der gesehen hat/das war Filbingers Gesicht“ (Str. 4, V.11f.). Damit könnte der Song abgeschlossen werden. Er hätte ein tragisches, balladeskes, wenn auch nur bedingt allgemeingültiges Ende gefunden und seine Attacke auf den Politiker vorgeführt. Mossmann belässt es jedoch nicht dabei, sondern verknüpft in den abschließenden Strophen den Tod des Matrosen mit verschiedenen zeitgenössischen Diskursen. Hans Filbingers Nachkriegsbiographie wird zum Inbegriff personeller Kontinuitäten von der NS-Zeit bis zur Gegenwart („Hitlers gehorsamer Staatsanwalt/überlebte die Zeit“ [Str. 5, V.3f.]) und moralischer Korruption der Bundesrepublik („Es ist ja einer kein Verbrecher/auch wenn er Verbrechen begeht“ [Str. 5, V.9f.]), schließlich auch zu einem Anlass einer Reflexion über den Umgang mit dem RAF-Terrorismus („Der Terrorist stellt sich besser/der im Dienst des Staates steht“ [Str. 5, V.11f.]). Hier geht es keineswegs mehr um eine tiefgründige Auseinandersetzung mit einem Opfer des Nationalsozialismus, sondern um einen Rundumschlag gegen die Politik der BRD. Völlig unverbunden mit der Figur Walter Gröger gerät dann das Fazit des Songs in der letzten Strophe, von der anzunehmen ist, dass sie nach dem Rücktritt Filbingers entstanden ist. Mossmann greift auf das Hauptthema seines Schaffens in den 70er Jahren zurück und bringt den Täter Filbinger mit der Anti-Atomkraft-Bewegung zusammen: Ja Filbinger kaut jetzt sein Gnadenbrot seine Nachfolger organisieren im Wald hinter Gorleben unseren Tod. Lasst uns ins Leben desertieren! (Str. 6, V.9-12)
Als eine Wirkungsabsicht der Ballade vom Matrosen Walter Gröger wird hier die Handlungsaufforderung zum Widerstand gegen das AtommüllEndlager in Niedersachsen erkennbar. Damit ist der Song zwar ein prototy-
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pischer politischer Song, indem er eine hohe Aktualität und Intentionalität aufweist; die Beschäftigung mit einem Täter und einem Opfer der nationalsozialistischen Herrschaft ist aber seltsam unverbunden mit der Wirkungsabsicht. Es geht Mossmann weder darum, die Memoria-Funktion der Literatur zu nutzen, um das Schicksal Walter Grögers in Erinnerung zu halten, noch um die Forderung nach Bestrafung eines Verantwortlichen – diese ist bereits erfolgt –, schließlich auch nicht um die didaktische Aufarbeitung der Geschichte mit dem Ziel, politische Folgerungen daraus abzuleiten. Er ruft den Nationalsozialismus lediglich auf, um die Dringlichkeit seines Anliegens zu demonstrieren. Der ‚Kampf gegen den Atomtod‘ wird so zu einer ebenso (emotional-)dringlichen, lebensbedrohenden und mit einer brutalen Gegnerschaft konfrontierten Handlung wie das Desertieren Walter Grögers. Zur Unterstützung dieser Aussage greift Mossmann auf die Eingängigkeit volksballadesken Dichtens zurück, zitiert den sozialkritischen Dichter Bertolt Brecht und greift ein Thema des zeitgenössisch wirkungsvollen Dramatikers Rolf Hochhuth auf. Die individuellen Handlungsmotivationen des Matrosen Walter Gröger und des Täters Filbinger bleiben dabei jedoch letztlich irrelevant. Dass Mossmann aber mit diesem Song ein namentlich genanntes realhistorisches Opfer des Nationalsozialismus aufruft, dass er dabei zumindest teilweise die Perspektive der Machthabenden verlässt und Elemente einer ‚Geschichtsschreibung von unten‘ integriert, sind Aspekte des politischen Songs der 70er Jahre, die in den 60er Jahren noch nicht sichtbar waren. Walter Mossmann: Ballade von der Rentnerin Anna Mack (1979) Auf dem gleichen Album wie die Ballade vom Matrosen Walter Gröger findet sich auch die Ballade von der Rentnerin Anna Mack.59 Anders als im vorhergehenden Song ist die Hauptfigur eine fiktive Person. Daneben aber sind die beiden Songs weitgehend vergleichbar sowohl hinsichtlich des Titels, der Verweise auf Brecht und Eisler, der balladesken Elemente, der metrisch und rhythmisch gleich gebauten Struktur als auch der Gliederung in sechs Strophen. Erneut erschließt sich die Wirkungsabsicht erst gegen Ende des Stücks als eine Handlungsaufforderung zum Protest gegen die 59 Mossmann, Walter: Ballade von der Rentnerin Anna Mack. T./M.: Walter Mossmann. Aus dem Album: Frühlingsanfang. Erschienen 1979.
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Atomkraft. Die Perspektive ist durchgängig die der Hauptperson. Deren Lebensmaxime wird in den ersten fünf Refrains so dargestellt: „Halt dich raus, mein Kind,/stell dich taub und blind,/lass dich auf keinen Streit ein!“ (Ref. 1-5, V.1-3). Dann findet jedoch eine weitreichende Verhaltensänderung Anna Macks statt. Zunächst heißt es: Und eines Tages war es soweit: […] Im Fernsehn sah sie die Kämpfe der Zeit, in Brokdorf, Malville und Wyhl, und wusste, da warn ihre Kinder dabei, und sie sagte: Das ist kein Spiel. (Str. 5, V.4-12)60
Der nun folgende Protest Anna Macks an der Seite der Atomkraftgegner wird weniger durch die Bedrohungen der Gegenwart als durch ihre Vergangenheit motiviert: Sie sagte: Ich hab ja kein Leben mehr, das ihr mir versauen könnt. Und das ich mal hatte, das ist versaut! (Str. 6, V.9-11)
Explizit wird der Gesinnungswandel der Hauptfigur in der Variation des letzten Refrains. Dort heißt es: Und jetzt kommt sie doch aus ihrem Mauseloch und lässt sich auf einen Streit ein und lässt sich auf einen Streit ein. (Ref. 6, V.4-7)
Die Grundaussage des Songs ist simpel. Kirsten Kearney hat sie zusammengefasst als: „If an old age pensioner can see the logic of protesting against injustice, and change the habits of a lifetime, then anyone and everyone should be involved.“61 Bemerkenswert ist aber, wie Mossmann das ‚versaute Leben‘ beschreibt.
60 Mit „Malville“ wird interessanterweise ein französischer ‚Schneller Brüter‘ genannt und der deutsche Antiatomkraft-Protest damit in einen internationalen Zusammenhang gesetzt; in Crey-Malville fanden Ende der 70er und Anfang der 80er Jahre die gewalttätigsten Proteste statt. Sie führten bis zur Tötung eines Demonstranten durch die französische Bereitschaftspolizei und zu RaketenBeschuss und Beschädigung des Kraftwerks durch Atomkraftgegner 1982. 61 Kearney, Kirsten: Constructing the Nation. S. 273.
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Anna Macks Schicksal ist eine weibliche und deutsche Opfer-Erzählung im Umfeld des Zweiten Weltkriegs. Noch vor Kriegsausbruch wird sie als Opfer einer Vergewaltigung geschwängert (Str. 2, V.1-8) und daraufhin sozial ausgegrenzt („Sie hatte die Sünde und Arbeit dazu,/es wurde über sie gelacht.“ [Str. 2, V.9f.]); nach Kriegsende wird sie Alleinversorgerin der Familie: Der Mann kam aus Russland heim am Stock und starb zwanzig Jahre lang. Sie legte sich krumm und betete nachts. (Str. 4, V.1-3)
Die sprachlich und inhaltlich intensivste Schilderung betrifft die Kriegserlebnisse: Sie saß unter Bomben und schrie vor Angst und sagte den Kindern: Seid still! Sie sah die Verbrecher mit Orden geschmückt und saß auf Schutt und Müll. Und sie sah die SS, doch ihr Hass blieb stumm. (Str. 3, V.9-13)
Rhetorisch dominant sind die zahlreichen Alliterationen: Das Schreien, das Stumm- und Stillsein gehen einher mit dem Schutt und dem Anblick der Schutzstaffel. All diese Alliterationen verweisen auf die letzte Strophe und den Moment der inneren Wandlung der Hauptfigur. Dort wiederholt sich das Vokabular: Da wurde laut protestiert. Und plötzlich war Anna Mack mit dabei und schrie: Polizei = SS! (Str. 6, V.4-6)
Mossmann schildert in den zitierten Passagen aber eben auch den Luftkrieg auf die deutschen Städte und die angstvolle Situation an der ‚Heimatfront‘. Damit finden außerordentlich frühzeitig (1979) die so genannten ‚Leiden der Deutschen‘ Eingang in ein populärmusikalisches Werk. Die noch 1997 von W. G. Sebald beklagte literarische ‚Leerstelle‘ des Luftkriegs (vgl. Kapitel 3.2 u. 8) wird hier bereits Ende der 70er Jahre von Walter Mossmann in einem Song gefüllt und funktionalisiert für eine Bewertung der bundesrepublikanischen Gegenwart. Neben Walter Mossmann haben sich in den 70er Jahren auch andere Songschreiber zum ersten Mal intensiver mit den Opfern des Nationalsozia-
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lismus auseinandergesetzt. Bei allen findet sich ein ähnliches Muster: Die geschilderten Figuren haben immer eine gewisse repräsentative Ausprägung, sind aber als Individuen gestaltet, sie werden häufig namentlich benannt und die Erlebnisse der Vergangenheit sind prägend für die Gegenwart der Figur. Vor allem aber sind die Opfer nie Juden, Homosexuelle oder Sinti und Roma, also Teil der größten Opfergruppen der Diktatur – der Holocaust und die Massenmorde finden im Opferdiskurs der 70er Jahre (weiterhin) nicht statt. So gestaltet der Berliner Sänger Klaus Hoffmann 1979 in seinem Song Die Melodie eine ähnliche Frauengestalt wie Anna Mack.62 Unter Verwendung zahlreicher Schlager-Anleihen sowohl auf textlicher als auch musikalischer Ebene schildert Hoffmann die Zerstörung einer großen Liebe durch das NS-Regime. Die namenlose Witwe erinnert sich immer dann, wenn sie die „Melodie“ hört, an die Festnahme ihres Mannes durch die Gestapo. Dabei wird die „Melodie“ Anlass und Möglichkeit einer Wiedervereinigung der beiden: „Die Melodie/verwandelt sie/sie kann ihn sehn“ (Ref. 1, V.5-7). Eindringlich beschreibt Hoffmann den Moment der Gefangennahme: als die Gestapo kam und ihren Mann mitnahm weil er als Kommunist gefährlich war (Str. 3, V.4-6) und jener Leutnant stand dort an der rechten Wand und las die Namen mit den Kreuzchen vor (Str. 4, V.1-3)
Durch die detaillierte Beschreibung wird die Trennung der Liebenden als Zäsur im Leben der Frau markiert. Der im Präsens dargebrachte Refrain mit der zentralen Zeile: „die Zeit bleibt stehn“ (Ref. 1, V.8), signalisiert die beständige Gegenwart der Vergangenheit für die Hinterbliebene. Ein weiteres Beispiel: Der Wiener Songschreiber Georg Danzer veröffentlicht 1975 auf seinem Album Danzer, Dean und Dracula das Stück Die letzte Eisenbahn (für meinen Großvater). Dieser Song nimmt eine autobiographische Perspektive ein und schildert aus Sicht des Enkels den Lebensweg des Großvaters von der Jahrhundertwende bis in die 1970er Jahre.63 62 Hoffmann, Klaus: Die Melodie. T./M.: Klaus Hoffmann. Aus dem Album: Westend. Erschienen 1979. 63 Danzer, Georg: Die letzte Eisenbahn (für meinen Großvater). T./M.: Georg Danzer. Aus dem Album: Danzer, Dean und Dracula. Erschienen 1975.
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Die Biographie des Großvaters wird dabei als weitgehend unverschuldetes Scheitern gedeutet und mittels der Eisenbahnsymbolik konkretisiert. Die Eisenbahn ist einerseits Symbol für den „Traum“ des Großvaters, „aus seinem Leben was zu machen“ (Str. 1, V.2). Ausgedrückt wird dies durch die wiederkehrende metaphorische Formulierung: „Die allerletzte Eisenbahn ist noch nicht abgefahren“ (Ref. 1, V.5). Andererseits aber betont das Bild der Eisenbahn, dass der Großvater nicht die Möglichkeit hatte, seinen Lebensweg aktiv und selbstbestimmt zu gestalten. Er wird als Opfer überindividueller politischer Entwicklungen geschildert. Die Eisenbahn ist Symbol für die Unmöglichkeit, den Lebens-(schienen)weg zu verlassen. Am Ende des geschilderten Lebenslaufs steht folgerichtig ein Fazit, das das Scheitern abschließend formuliert: „Er saß sein Leben lang in einem Wartesaal“ (Str. 5, V.3). Bei aller Verwendung der Eisenbahnsymbolik bleibt auffällig, dass der Holocaust gänzlich ausgeblendet bleibt. Aus dem Ersten Weltkrieg kehrt der Großvater im „Viehwaggon“ zurück, immerhin in einer „Ikone für den Judenmord“!64 Über den Zweiten Weltkrieg heißt es dann ohne Erwähnung der Funktion der Güterwaggons für die Deportationen: Dann kam ein zweiter Krieg, Räder rollten wieder für den Sieg Und kamen niemals an Nach dem Krieg kam ich und er baute für mich eine hölzerne Eisenbahn (Str. 4, V.1-3)
Auch wenn die Massenmorde der Nationalsozialisten nicht Gegenstand des Songs sind, so lässt sich an ihm doch beispielhaft erkennen, wie wenig in den 70er Jahren die jüdischen, homosexuellen oder auch osteuropäischen Opfer des NS-Regimes bei der Darstellung der Vergangenheit mitgedacht werden. Dass die Güterwaggons „niemals“ ankamen, lässt sich nur bei gänzlicher Ausblendung des Holocaust behaupten. Franz Josef Degenhardt: Rudi Schulte (1971) Diese Ausblendung des Holocaust in den Songs der 70er Jahre zeigt sich auch in Franz Josef Degenhardts Rudi Schulte, einem Stück, das aufgrund
64 Gottwaldt, Alfred: Der deutsche Güterwagen. Eine Ikone für den Judenmord? In: Museums-Journal 13.1 (1999), S. 14-17.
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seiner Komplexität und seiner Bedeutung für das Verständnis der Dichtung Degenhardts nach 1968 einen genaueren Blick rechtfertigt.65 In der Live-Aufnahme auf dem Album Die Wallfahrt zum Big Zeppelin ist dem Song ein einleitender Satz vorgestellt. Degenhardt erklärt: „Dies ist die Geschichte des Kommunisten Rudi Schulte aus Essen, 63 Jahre alt. Und noch immer im Betrieb“ (Intro, V.1). Im Anschluss wird die Biographie des Protagonisten über fünf Strophen und Refrains sowie zwei als Prosasprechtext vorgetragene Bridge-Zwischenteile berichtet. Auffällig ist das Wechselspiel von gereimten, zehnversigen Strophen, die an Wölfe mitten im Mai erinnern, reimlosen, die Ereignisgeschichte interpretierenden Refrains und dokumentarischem Prosatext.66 Dabei geht Degenhardt ähnlich vor wie Die Schmetterlinge, indem er den Fokus des Erzählten auf die Rolle des Proletariers in der Geschichte legt.67 Bereits in den ersten Strophenversen wird erläutert, dass die biographische Schilderung als Gegengeschichtsschreibung angelegt ist: „Über den da hat noch keiner was geschrieben,/weil so richtig große Taten hat er nie vollbracht“ (Str. 1, V.1f.). Die Erzählung deckt sich in den einzelnen Strophen mit historischen Zäsuren der deutschen Geschichte und reicht von den Ereignissen in der Weimarer Republik und dem Ruhraufstand (Str. 2) über den Nationalsozialismus (Bridge 1), die unmittelbare Nachkriegszeit (Str. 3) und die 68er-Revolte (Str. 4) bis in die 70er Jahre (Bridge 2). Sie endet mit einem utopischen Traum (Str. 5). In vielerlei Hinsicht greift Degenhardt auf Themen und Gestaltungsmittel zurück, die schon mehrfach in seinen Songs erkennbar waren. Dies gilt für die im Individuum gespiegelte Geschichte, das historische Spektrum von der Jahrhundertwende bis in die 1970er, aber auch für die Verwendung der Balladenform. Ebenso folgt der Song den Modi der Täterkritik der 70er Jahre. So wird auch Rudi Schulte immer wieder, vor und nach dem Zweiten Weltkrieg, konfrontiert mit den Machenschaften der namentlich genannten Familie Krupp. In Anspielung
65 Degenhardt, Franz Josef: Rudi Schulte. T./M.: Franz Josef Degenhardt. Aus dem Album: Die Wallfahrt zum Big Zeppelin (live). Erschienen 1971. 66 Vgl. auch Riha, Karl: Moritat, Bänkelsong, Protestballade. S. 136; hier deutet Riha Degenhardts Song zudem als Aktualisierung der ‚Arme-Leute-Ballade‘ des 19. Jahrhunderts (vgl. ebd., S. 137). 67 Vgl. zur Bedeutung der literarischen Beschreibung der Klassenkämpfe als dem „wichtigste[n] Moment zum Verständnis der Gegenwart“ in Degenhardts Songs der 70er Jahre Maske, Adelheid/Maske, Ulrich: Franz Josef Degenhardt und seine Lieder. S. 99.
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auf die Nationalhymne der DDR heißt es z.B.: „Aber Krupp war auferstanden aus Ruinen“ (Str. 3, V.3). In einigen Aspekten geht Degenhardt jedoch über die bislang betrachteten Songs hinaus. So verlässt er beispielsweise (ein wenig) die androzentrische Bewertung der Geschichte. Anders als etwa bei Klaus Hoffmann („Sie lebte nur für ihn,/sie gab ihm alles hin“ [Str. 5, V.4f.]), den Politrock-Bands und (wenn auch eingeschränkter) bei Walter Mossmanns Anna Mack („Da stand sie als Witwe in der Wohnung rum,/[…] und sah/keinen Menschen, für den sie dasein konnte“ [Str. 5, V.5-7]) wird die weibliche Teilhabe am Klassenkampf zumindest angedeutet. In einem der als Paarreim formulierten und harmonisch durch einen Wechsel zu F-Dur betonten Strophenabschlüsse heißt es beispielsweise: Und der Kampf gegen Faschisten. In den Straßen nachts kein Licht. Und die Frau hat wach gelegen. Flennen tat sie selbstverständlich nicht. (Str. 2, V.9f)
Ebenfalls ein neuer Aspekt dieses Songs ist die Verbindung des Klassenkampfs mit einer kritischen Bewertung der 68er-Revolte und der Frage der Gewaltfreiheit. Intertextuell auf Degenhardts Frühwerk verweisend heißt es über Rudi Schultes Situation in der Nachkriegszeit: Und die Krupps, die schmissen ihn mal wieder raus. Und die Herren in Ledermänteln. Da gab’s manch bekannt Gesicht. Hätte gerne reingeschlagen. Tat er selbstverständlich nicht. (Str. 3, V.8-10)
Hier werden der Wildledermantelmann und der Ledermantel tragende Horsti Schmandhoff aufgerufen und es wird eine Ablehnung gewalttätigen Handelns formuliert, die der Haltung Degenhardts in Songs aus dem Umfeld der 68er-Revolte widerspricht, vor allem dem Fast autobiographischen Lebenslauf eines Westdeutschen Linken.68
68 Eine Kritik der 68er Revolte findet vor allem in der vierten Strophe statt: „Gab auch Sprüche. Wildgewordene Studenten/sagten ihm: Du feiger Revisionist/das erzählte er am Abend seinen Tauben/und da haben seine Tauben sehr gelacht“ (Str. 4, V.3-6). Damit weist Degenhardt auf Konflikte zwischen der ‚Neuen Linken‘ und kommunistischen Strömungen innerhalb der 68er Revolte hin und deutet eine Forderung nach einer ‚Aktionseinheit‘ beider politischer Richtungen an (vgl. auch Maske, Adelheid/Maske, Ulrich: Franz Josef Degenhardt und seine Lieder. S. 105).
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Vor allem aber unterscheidet sich Rudi Schulte von anderen Stücken der Zeit durch seine ungewöhnliche Beschreibung des Nationalsozialismus. Degenhardt wählt eine für einen Song untypische Form. Der Übergang in die erste Bridge mit der Zeile: „dann folgt die Diktatur des HitlerFaschismus“, wird noch gesungen vorgetragen und gleicht den Strophenanfängen. Anschließend aber verharrt die Gitarrenbegleitung auf dem einleitenden Akkord (A5/8/9/E im Bass). Degenhardt intoniert lauter und stark akzentuiert: „Und aus dieser Zeit, da gibt es nichts [Herv. d. V.] zu singen“ (Bridge 1). Damit wird eine klare Absage an jede Form (musikalischer) Ästhetisierung bzw. Poetisierung des Nationalsozialismus erteilt. Stattdessen werden lediglich Stationen eines Lebenslaufs aufgezählt: 1933-1934 Moorsoldat im KZ Börgermoor. 1935 zurück in den Betrieb und Aufbau illegaler Zellen. 1936-1939 Zuchthaus wegen Spendensammlung für den Kampf in Spanien. 1940 lebenslänglich wegen Beschädigung von Maschinen, Organisation von Bummelstreiks, Vertrieb illegaler Betriebszeitung. Bis 1945 KZ Neuengamme. (Bridge 1)
Diese Zäsur innerhalb der vorher in Strophen gehaltenen Erzählung vermittelt neben der Affirmation des Adorno’schen ‚Darstellungsverbots‘ gerade durch den Bruch mit gängigen Songstrukturen auch sprachlich den ‚Zivilisationsbruch‘.69 Die Wirksamkeit dieser Passage, vor allem durch die Betonung der ästhetischen ‚Nicht-Darstellbarkeit‘ des Nationalsozialismus, wird allerdings dadurch gemindert, dass eine zweite gesprochene Bridge nach dem vierten Refrain eingeschoben wird. Sie schildert die Gegenwart Rudi Schultes, seine Konflikte mit jüngeren Kollegen und die anhaltenden Gefährdungen für den Klassenkämpfer: „Die wollen ihn mal wieder rausschmeißen“ (Bridge 2). Es ist dabei keineswegs so, dass inhaltlich eine Gleichartigkeit oder Vergleichbarkeit zwischen der nationalsozialistischen Vergangenheit und der bundesrepublikanischen Gegenwart behauptet wird. Die geschilderten Lebenslagen Rudi Schultes unterscheiden sich. Formal aber, durch den Wechsel in die Prosaschilderung und die musikalisch unterstützte Zäsur,
69 Zum Begriff ‚Zivilisationsbruch‘ vgl. Diner, Dan: Den „Zivilisationsbruch“ erinnern. Über Entstehung und Geltung eines Begriffs. In: Uhl, Heidemarie (Hrsg.): Zivilisationsbruch und Gedächtniskultur. Das 20. Jahrhundert in der Erinnerung des beginnenden 21. Jahrhunderts. Innsbruck u.a. 2003, S. 17-34.
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wird der Eindruck der Singularität der Geschehnisse während des NSRegimes verwischt.70 Ein paar Jahre später hat Degenhardt erneut auf die Figur Rudi Schulte zurückgegriffen. In dem Song Unser Land, der vorwiegend eine Bestandsaufnahme der Bundesrepublik 1980 ist, wird die Biographie Schultes wiederholt und um die End-70er Jahre ergänzt:71 Ob er dies Land liebt, Rudi Schulte? Der verzieht nur sein Gesicht […] Nein – sehr viel Liebes hat dies Land ihm all die Jahre nicht verschafft. So 33 im KZ und daran starb er sogar fast und 44 war er nochmal in Gestapo-Einzelhaft und 55 saß er dann in Konrad Adenauers Knast und 66 die Verhöre, und der Unfall, Atemnot und ohne Arbeit und die Schatten, wenn er nachts nicht schlafen kann, und 77 haben seine Enkel ein Berufsverbot doch 88 – lacht er leise – gilt das noch genauso, Mann. (Str. 4, V.1-12)
Hier wird die vorher verweigerte Ästhetisierung nun doch durchgeführt: der Nationalsozialismus wird in gleich gebaute, aufzählende und gereimte Verse verpackt, der Holocaust wird historisiert und mit Ereignissen der Nachkriegszeit gleichgestellt. Die ‚Passion‘ des Kommunisten Rudi Schulte läuft teleologisch auf ein Ziel hinaus, das in der Zukunft als 1988 datiert wird. Was dort „noch genauso“ gilt, ist die im Vorgängersong ausformulierte Sinnstiftung der Leiden des politischen Kämpfers. In einer Traumsequenz, die als das Ziel allen Handelns erkennbar ist, fährt Rudi Schulte „oben auf ‚ner großen roten Lok ganz/einfach durch die Sowjetunion/bis zum Roten Platz“ (Str. 5, V.3-5). Dort im realexistierenden Sozialismus kommt der Kommunist an das Ziel: […] Da heulen die Sirenen in das Morgenrot den Schluss der langen Nacht. Und an der Kreml-Mauer lehnt Genosse Lenin und sagt: Schulten Rudi, hast du gut gemacht. (Str. 5, V.5-8)
70 Zu den Debatten um die Singularität des Holocaust vgl. u.a. Marchart, Oliver: Umkämpfte Gegenwart. Der „Zivilisationsbruch Auschwitz“ zwischen Singularität, Partikularität, Universalität und der Globalisierung der Erinnerung. In: Uhl, Heidemarie (Hrsg.): Zivilisationsbruch und Gedächtniskultur. S. 35-65. 71 Degenhardt, Franz Josef: Unser Land. T./M.: Franz Josef Degenhardt. Aus dem Album: Der Wind hat sich gedreht im Land. Erschienen 1980.
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Degenhardts Stück Rudi Schulte, so kann jetzt zusammengefasst werden, greift Tendenzen der Songproduktion der 70er Jahre auf und überführt diese in eine neue Form. Die Schilderung bleibt der ‚Geschichtsschreibung von unten‘ verhaftet, die auch an Bertolt Brechts Fragen eines lesenden Arbeiters erinnert,72 und gestaltet sie anhand einer konkret beschriebenen individuellen Hauptfigur. Diese ist nicht mehr wie in den 60er Jahren allgemeingültiger Repräsentant einer spezifischen Geisteshaltung, sondern eine Verknüpfung individueller Merkmale mit Eigenschaften, die repräsentativ sind für eine bestimmte soziale Gruppierung.73 Degenhardt verwendet zwar typische Elemente des Folksongs, z.B. die reduzierte Instrumentierung und Authentizitätssignale (Namen, Daten, Ereignisse) zur Verifikation des Gesagten. Durch das Hinzuziehen von Prosapassagen, die in ihrer Gestaltung an dokumentarische Texte erinnern, und ihre Verknüpfung mit balladesken Passagen erweitert er die Form des Folksongs jedoch.74 Dabei geht es Degenhardt – ganz ähnlich wie den anderen Songschreibern – weniger um eine analytisch umfassende Beschreibung der Opfer des NSRegimes als um das Aufzeigen einer alternativen Gesellschaftsperspektive und die Kritik an der bundesrepublikanischen Gegenwart. Stärker als in den 60er Jahren streift der Opferdiskurs so den didaktischen Diskurs. Aus den Leiden der deutschen Opfer können, das lässt sich aus den betrachteten Songs schließen, relevante Lehren für die bundesrepublikanische Gegenwart gezogen werden. Anhand dieser Tendenzen deutet sich an, dass nun, länger als ein Vierteljahrhundert nach der bedingungslosen Kapitulation des Dritten Reiches, immer mehr die Frage ins Blickfeld der Songschreiber gerät, ob, warum und wie der Nationalsozialismus erinnert werden sollte. Warnungen vor dem Verdrängen und Vergessen der Geschehnisse, Reflexionen über die Möglichkeiten der Vermittlung der Geschichte und Betrachtungen zur spezifischen Rolle des Songs für diese sind zentrale Themen in den 70er Jahren. An der Art und Weise, wie sich Songschreiber zu Nutzen und Form der Vergangenheitsbewahrung äußern, wer-
72 Vor allem an die Verse: „Alle zehn Jahre ein großer Mann/Wer bezahlte die Spesen?“ (Brecht, Bertolt: Fragen eines lesenden Arbeiters. In: Ders.: Bertolt Brecht. Große kommentierte Berliner und Frankfurter Ausgabe. Band 12: Gedichte 2. Sammlungen 1938-1956. Hrsg. v. Jan Knopf. Berlin, Weimar, Frankfurt a.M. 1988, S. 29, V.25f.). 73 Vgl. hierzu auch Hahn, Ulla: Literatur in der Aktion. S. 195. 74 Vgl. auch Maske, Adelheid/Maske, Ulrich: Franz Josef Degenhardt und seine Lieder. S. 120.
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den Geschichtsbilder, Werte und Normen und Überzeugungen von der Funktionsweise der kollektiven Erinnerung erkennbar. Dabei können im Folgenden Radikalisierungen der Tendenzen der 60er Jahre, vor allem der Restaurationsängste, ebenso erkannt werden wie grundlegende Neuerungen in der didaktisch-historischen Reflexion der Vergangenheit.
„S AG MAL H ERR L EHRER “ V ERMITTLUNG UND V ERGEGENWÄRTIGUNG DES N ATIONALSOZIALISMUS Bei einer zunächst kursorischen Betrachtung der Songs, die sich in den 70er Jahren zum didaktischen Sinn und möglichen Formen der Vermittlung der nationalsozialistischen Vergangenheit äußern, ist schnell erkennbar, dass drei besonders auffällige Aspekte unterschieden werden können: Zum einen wird die „Warnung vor einem neuerlichen DeutschlandErwachen“ der 60er Jahre wieder aufgegriffen und weitergeführt. Zum zweiten gerät erstmals auch die konkret didaktische, vor allem schulische Vermittlung der Geschichte ins Blickfeld der Songschreiber und schließlich entstehen Songs, die explizit die Funktion der Populärmusik als Medium der Memoria, d.h. der kulturellen Bewahrung der Vergangenheit thematisieren. Erneuerungen und Erweiterungen der Restaurationswarnung Auch in den 70er Jahren wird noch vielfach die Warnung vor der potentiellen Wiederholbarkeit der Geschichte in Songform ausgedrückt.75 Die Stü75 Weitere im Folgenden nicht betrachtete Beispiele für die Erneuerung der Restaurationswarnungen sind z.B. Degenhardt, Franz Josef: Der anachronistische Zug oder Freiheit, die sie meinen. T./M.: Franz Josef Degenhardt. Aus dem Album: Kommt an den Tisch unter Pflaumenbäumen. Erschienen 1973, die aus Drohschreiben an Degenhardt zusammengestellte Große Schimpflitanei. T./M.: Franz Josef Degenhardt. Aus dem Album: Kommt an den Tisch unter Pflaumenbäumen. Erschienen 1973, die Konfrontation eines überlebenden Widerstandskämpfers mit einem deutschen Veteranen Bayer, Thommie: Null Uhr drei/Die alten Kameraden. T./M.: Thommie Bayer. Aus dem Album: Abenteuer. Erschienen 1979, aber auch die m. W. nicht auf einem Album veröffentlichten Songs Schittenhelm, Julius: Moritat. In: Voigtländer, Annie/Witt, Hubert
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cke unterscheiden sich in dieser Hinsicht nicht grundlegend von denen aus dem Umfeld der 68er-Revolte, weisen aber einige Erweiterungen auf. Beispielhaft können zur Verdeutlichung erneut Die Schmetterlinge herangezogen werden. Auf dem 1979 erschienen Album Herbstreise finden sich mit Drei rote Pfiffe und Warte, warte nur ein Weilchen zwei Songs, die als typisch für die Zeit betrachtet werden können.76 Letzterer Song ist die Vertonung eines Gedichts von Claus-Peter Lieckfeld und beschreibt die Gleichartigkeit der Täter damals und heute: Ganz offiziell kann er in Bonn aus Ämtern schreiten wie er es in Berlin bereits getan Er wechselt Kleider mit den Zeiten man baut jetzt Rampen und nicht Autobahn (Str. 3, V.1-4)
Die Gleichsetzung läuft auf eine Handlungsaufforderung hinaus, die in der Simplizität der Aussage weit hinter die komplexen Schilderungen Degenhardts oder Süverkrüps in den 60er Jahren zurücktritt. Musikalisch eingängig und leicht mitsingbar formuliert sie der mehrfach wiederholte Refrain: Es liegt an uns, ob wir sie noch erkennen bevor sie sich mit unserm Blut beschmieren Es ist egal, wie sie sich heute nennen nur was sie tun, darf uns interessieren (Ref. 1, V.1-4)
Die Warnung vor neuem Blutvergießen wird unter Verzicht auf jegliche Konkretisierung der Taten und der Personen („sie“) gestaltet. Sie eignet sich zum allgemeinen ‚Dagegen-Sein‘, nicht aber zur differenzierten Erklärung zeitgenössischer Entwicklungen. Interessanter ist der Song Drei rote Pfiffe. Er ist insofern typisch für die Entwicklungen der 70er Jahre, als er mit einer namentlich genannten alten Frau die Schilderungen personalisiert. Helena K. berichtet über ihre Erlebnisse im Österreichischen Widerstand als Partisanin mit dem Decknamen „Jelka“ (Str. 6, V.4). Sie wird als Zeitzeugin aufgerufen, um eine Warnung (Hrsg.): Denkzettel. S. 88-90; Lerryn: Der Stammtisch hoch. In: Ebd., S. 76f. und Jedamus, Erwin: Lied von der formierten Gesellschaft. In: Stern, Annemarie (Hrsg.): Lieder gegen den Tritt. S. 390f. 76 Die Schmetterlinge: Warte, warte nur ein Weilchen. T.: Claus-Peter Lieckfeld/M.: Georg Herrnstadt, Wilhelm Resetarits; Drei rote Pfiffe. T.: Heinz Rudolf Unger/M.: Georg Herrnstadt, Wilhelm Resetarits. Aus dem Album: Herbstreise. Erschienen 1979.
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vor neonationalsozialistischen Tendenzen zu formulieren. Der Übergang von der Schilderung der Vergangenheit in die Gegenwart macht dies erkennbar: Ihr, meine Enkel, was hört ihr so stumm die alten, die kalten Berichte? jetzt trampeln sie wieder auf euren Rechten herum – erinnert euch meiner Geschichte! (Str. 9, V.1-4)
Das Adverb „wieder“ betont die Warnung vor der Wiederholung der Geschichte in bekannter Form. Diesem wird ein mit einem Ausrufezeichen versehener Imperativ angeschlossen, der nicht nur eine Aufforderung enthält, sondern gleichzeitig die Bedeutsamkeit von Zeitzeugen zur Gestaltung der Gegenwart betont. Anders als es z.B. in Degenhardts Spaziergang sichtbar war, in welchem die Objektivität der ‚Oral-History‘ problematisiert wurde, wird hier das individuelle Gedächtnis als konstitutiv für ein überindividuelles ‚Lernen aus der Geschichte‘ behauptet. Bemerkenswert ist deshalb auch, mit welchem Aufwand Die Schmetterlinge die Authentizität der Zeitzeugin nachweisen und damit die Wahrhaftigkeit ihrer Warnung zu vermitteln suchen. So teilt ein einleitender Text im Booklet des Albums mit, dass die Band die Widerstandskämpferin getroffen habe, womit die Erzählung als nicht-fiktional ausgewiesen ist.77 Dazu ist der Song eingeleitet mit einem Ausschnitt aus einem Ton-Interview mit Helena K., in welchem zum ersten ihre reale Existenz durch die Stimme belegt und zum zweiten der Titel des Stücks erläutert wird.78 Die drei roten Pfiffe – von der Zeitzeugin in dem Ausschnitt gepfiffen – sind Erkennungsmerkmal der Partisanen und führen die einzelnen Stationen der Lebensgeschichte über den Refrain zusammen: Verschwiegene Bäume verschworener Wald und drei rote Pfiffe, drei rote Pfiffe 77 Vgl. Booklet des Albums Die Schmetterlinge: Herbstreise. Erschienen 1979, dort der Satz: „Sie erzählte uns ihre Lebensgeschichte“. 78 Das Zitat lautet: „Du, Leppen nach Hrebelnik drüben haben sie an Bunker, zwei Fichtenstämme, und drüber haben sie so schön – von Fichten, diese Skorjen, Rinden, drüber, dorten wirst sehen. Aber du musst so pfeifen, dreimal musst pfeifen, sonst ist Alarm.“ (Booklet des Albums Die Schmetterlinge: Herbstreise. Erschienen 1979).
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drei rote Pfiffe im Wald (Ref. 1, V.1-6)
Dadurch, dass dieser Refrain am Ende des Songs, anschließend an den Übergang der Handlung in die Gegenwart, erneut wiederholt wird, wird die Forderung, partisanenhaften Widerstand zu leisten, aktualisiert. Während die alte Frau ihren antifaschistischen Kampf weiterführt, sind die Enkel „stumm“. Aus diesem Kontrast, der durch die Betonung der NichtFiktionalität der Hauptfigur noch verstärkt wird, resultiert die Wirksamkeit der Warnung vor restaurativen Entwicklungen der Gegenwart. Zahlreiche Songs der 70er Jahre thematisieren die Frage, wer die Vermittlung vergangener Geschehnisse zu leisten habe und welche Resultate dieser Vermittlungsprozess zeitigt. Während Die Schmetterlinge in Drei rote Pfiffe die Rolle der Zeitzeugen stärken, wird in anderen Songs vor allem der Aspekt der elterlichen und schulischen Bildung beschrieben. Walter Mossmann: Lied vom Grünen Gras/Sieben Fragen eines Schülers (1977) Walter Mossmanns Lied vom Grünen Gras ist ein Beispiel dafür, dass die erzieherische Vermittlung von Kenntnissen über die Vergangenheit in den 70er Jahren sehr kritisch bewertet wird.79 Der Song besteht aus verschiedenen Fragen eines Kindes an Vater, Mutter, Lehrer und Vorgesetzten. Die erste Strophe thematisiert dabei mittels der Fragen an den Vater die Aufarbeitung der nationalsozialistischen Vergangenheit: Was soll man sagen, Vater mein, wenn alle Leut ‚Heil Hitler‘ schrein? Kind halt’s Maul! Herr Vater [in der Aufnahme: „Frau Mutter“] sag mir, was man tut, holt die SS den Nachbarsjud? Kind, halt’s Maul! Ich hab das Maul gehalten, Jaa! Sonst wär ich nämlich nicht mehr da, und willst du überleben, dann: Pass dich an! Ja Ja Ja (Str. 1, V.1-11)80 79 Mossmann, Walter: Lied vom Grünen Gras. T./M.: Walter Mossmann. Aus dem Album: Neue Flugblattlieder. Erschienen 1977. 80 Zitiert nach der später erschienenen Druckfassung Mossmann, Walter: Flugblattlieder, Streitschriften. S. 140f.
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Neben dem Faktum, dass Mossmann hier unverkennbar auf die Beschreibungen der opportunistischen ‚Nazi-Väter‘ aus den 60er Jahren zurückgreift, ist interessant, dass die Songaussage nicht bei dieser Verhaltenskritik stehen bleibt: Der Opportunismus der vom Kind befragten Personen – der Mutter wird mangelnder Feminismus, dem Lehrer eine Hinnahme der Berufsverbote und dem Meister Unterwürfigkeit gegenüber den Aktionären attestiert (Str. 2-4) – ist Ursache dafür, dass das Kind schlussendlich ‚ins Gras beißt‘: So hört das Kind und hat es satt von jedem, der das Sagen hat: Kind, halt’s Maul! Das Reden bringt dich um, mein Sohn! Mensch, halt’s Maul! […] Da nahm das Kind ein Grünes Gras, damit’s sein loses Maul vergaß und drückte sich die Augen zu und gibt jetzt Ruh ja ja ja Ja Ja Ja Ja (Str. 5, V.1-12)
Hier wird die gescheiterte Erziehung der Grund für das (sinnbildlich zu lesende) Sterben des Kindes als eines selbstbestimmten und gesellschaftspolitisch aktiven Wesens. Das darin enthaltene satirische Element wird von Walter Mossmann durch die „Ja“-Repetitionen unterstrichen. Dieses „Ja“ intoniert er in der Aufnahme mit steigender Intensität bis hin zu einem ziegenartigen Meckern. Auffallenderweise endet die früher entstandene Aufnahme aus dem Album Neue Flugblattlieder anders als die Druckfassung.81 In der Aufnahme beschließt Mossmann den Song mit einem lautstarken „Nein!“. Damit nennt er zwar explizit das Wort, auf das die Argumentation des Songs zielt, aber er nimmt dem Text seine satirische Schärfe.82
81 Vgl. Mossmann, Walter: Flugblattlieder, Streitschriften. S. 141. 82 Mit diesem generalisierenden „Nein“ übernimmt Mossmann einen altbekannten Topos politischer Populärmusik; vgl. z.B. Hoffmann, Klaus: Nein. T./M.: Klaus Hoffmann. Aus dem Album: Klaus Hoffmann – Ein Konzert. Erschienen 1989; Blumfeld: Von der Unmöglichkeit „Nein“ zu sagen. T./M.: Jochen Distelmeyer. Aus dem Album: Ich-Maschine. Erschienen 1992; Wecker, Konstantin: Sage nein. T./M.: Konstantin Wecker. Aus dem Album: Uferlos. Erschienen 1993; Kunze, Heinz Rudolf: Eigentlich nein. T./M.: Heinz Rudolf Kunze. Aus dem Album: Macht Musik. Erschienen 1994.
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Ergänzt wird die Thematik der scheiternden Erziehung um den Aspekt der schulischen Bildung auf dem gleichem Album durch den Song Sieben Fragen eines Schülers und sieben freiheitlich-demokratische-grundordentliche Antworten.83 Die sieben im Titel genannten Fragen beziehen sich auf sieben historische Zeitpunkte und sind jeweils fast gleich formuliert: Sag mal, sag mal, sag mal Herr Lehrer wie war das im Alten Rom? (Str. 1, V.1f.) Sag mal, sag mal, sag mal Herr Lehrer wie war das in den Bauernkriegen? (Str. 2, V.1f.) Sag mal, sag mal, sag mal Herr Lehrer was war Achtzehnachtundvierzig los? (Str. 3, V.1f.) Sag mal, sag mal, sag mal Herr Lehrer Achtzehneinundsiebzig in Paris[?] (Str. 4, V.1f.) Sag mal, sag mal, sag mal Herr Lehrer was kam nach der deutschen Monarchie? (Str. 5, V.1f.) Sag mal, sag mal, sag mal Herr Lehrer das interessiert uns jetzt: Wie führt man heute den Klassenkampf (Str. 7, V.1-3)
Die Antworten des Lehrers ähneln hinsichtlich des Ausmaßes der Verweigerung denen im Lied vom Grünen Gras. Statt „Halt’s Maul“ heißt es nun beispielsweise: „Still, mein Junge, sei still“ (Ref. 1, V.1). Eingeordnet und weder musikalisch noch rhetorisch unterschieden sind eine Frage und eine Antwort zum Nationalsozialismus: Sag mal, sag mal, sag mal Herr Lehrer der Hitler, der war doch kein Vampir?84 […] Wer hat den gebraucht, wer hat den bezahlt? Die Bourgeoisie oders Proletariat? (Str. 6, V.1-6)
83 Mossmann, Walter: Sieben Fragen eines Schülers und sieben freiheitlichdemokratische-grundordentliche Antworten. T./M.: Walter Mossmann. Aus dem Album: Neue Flugblattlieder. Erschienen 1977. 84 Eine vergleichbare Verknüpfung von Adolf Hitler mit der Vampirgestalt (Charakteristika: hohe (erotische) Anziehungskraft, Tötung Unschuldiger und Figuration als ‚untote‘ Kreatur der Nacht) unternimmt z.B. Hans W. Geißendörfer in dem Film Jonathan (1969) vor, in welchem Dracula in vielerlei Hinsicht an Hitler gemahnt.
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Der Schüler stellt hier eine komplexe Frage; die Antwort des Lehrers sagt wieder einmal mehr aus über die Songgegenwart als über die Geschichte: Mann, Junge, Mann Wenn ich dir das sage, dann Sag du mir auch, wie lang Ich hier noch Lehrer bleiben kann (Ref. 6, V.1-4)
Mossmann begründet an dieser Stelle die Unmöglichkeit objektiver Aufarbeitung der Vergangenheit nicht mehr mit der Kontinuität nationalsozialistischer Denkweisen in den Bildungsinstitutionen wie noch 1968 in dem Lied vom Goldenen Buch, sondern mit der Furcht der Ausbilder vor beruflichen Repressalien. Verständlich ist dies nur vor dem Hintergrund der seit 1972 angewendeten „Grundsätze zur Frage der verfassungsfeindlichen Kräfte im öffentlichen Dienst“, die als so genannter ‚Radikalenerlass‘ eine Entlassung aus dem öffentlichen Dienst ermöglichten. Mossmann äußert sich hier zu einer unter dem Eindruck des RAF-Terrors stehenden Debatte, die mit den Stichwörtern „Berufsverbote“ (Str. 7, V.5) und ‚Sympathisantenhatz‘ verknüpft ist.85 Interessant ist, dass der Song nicht nur die Gefährdungen des Grundrechtes auf freie Meinungsäußerung in der Gegenwart thematisiert, wie beispielsweise Heinrich Böll in einem der Briefe zur Verteidigung der Republik oder Franz Josef Degenhardt in den Satiren Belehrung nach Punkten und Befragung eines Kriegsdienstverweigerers.86 Mossmann verdeutlicht zudem, wie sehr der ‚Radikalenerlass‘ jede substantielle schulische Auseinandersetzung auch mit der Vergangenheit unterläuft. Dies ist deshalb besonders bedrohlich für die bundesrepublikanische Gesellschaft, weil die unzensierte bzw. von Sanktionsbedrohung befreite 85 In der Druckfassung weist Mossmann hierauf hin: „Anlaß: Der Schieß-Erlaß (Schieß hieß damals der Polizei-Minister in Baden-Württemberg), die ersten Ausführungsbestimmungen zum Berufsverbot.“ (Mossmann, Walter: Flugblattlieder, Streitschriften. S. 57). 86 Vgl. Böll, Heinrich: Dann wird das Feuilleton zur Quarantäne-Station. An die Herausgeber der „Frankfurter Allgemeinen Zeitung“. In: Duve, Freimut/Ders./ Staeck, Klaus (Hrsg.): Briefe zur Verteidigung der Republik. Reinbek 1977, S. 16-19; Degenhardt, Franz Josef: Befragung eines Kriegsdienstverweigerers. T./M.: Franz Josef Degenhardt. Aus dem Album: Mutter Mathilde. Erschienen 1972; Degenhardt, Franz Josef: Belehrung nach Punkten. Befragung eines Lehramtskandidaten im Rahmen eines Anhörungsverfahren durch einen Herrn aus Bonn ohne falschen Bart und in Anwesenheit eines Regierungsdirektors, SPD. T./M.: Franz Josef Degenhardt. Aus dem Album: Mit aufrechtem Gang. Erschienen 1975.
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Analyse der Geschichte, wie unter anderem das Lied vom Grünen Gras klargestellt hat, Grundvoraussetzung für demokratisch-partizipatorisches Verhalten des Einzelnen in der Gegenwart ist. Mossmann betont dies in der letzten Strophe in einem Aussagesatz, der durch den plötzlichen Wechsel zu einer kollektivierenden Perspektive stark betont ist: „Einen Lehrer, der nicht aus der Geschichte lernt/den brauchen wir nicht“ (Str. 8, V.3f.). Allerdings erstreckt sich dieses ‚Lernen aus der Geschichte‘ mittels der sieben Fragen auf einen Zeitraum von der Antike bis zur Gegenwart. Der Nationalsozialismus ist in diesem Song nur noch eine Periode von vielen; er ist nicht mehr zentraler Bezugspunkt aller Beschäftigung mit der Vergangenheit. Es findet eine Historisierung des Nationalsozialismus statt und eine Reduktion seiner singulären Bedeutung für die Interpretation der Gegenwart.87 Die Schmetterlinge: Faschismuslied des Geschichtslehrers (1977) Erkennbar wird die Historisierung des Nationalsozialismus auch in zwei Songs der Proletenpassion, die zeitnah mit Mossmanns Stücken veröffentlicht wurden. Die bisher betrachteten fünf Songs aus diesem Werk werden umrahmt von zwei ähnlich benannten Stücken. Ganz zu Beginn der Proletenpassion, in dem als Prolog bezeichneten ersten Abschnitt, steht das Lied des Geschichtslehrers. Es dient zu nicht viel mehr als die folgenden Songs als ‚Gegengeschichtsschreibung‘ zu motivieren. Dies geschieht, indem in Form eines Rundumschlags dem Geschichtslehrer mangelnde Eigenständigkeit („Ich bin der Geschichtslehrer/und verkünde die Berichte/die auf uns gekommen sind“ [Str. 1, V.1-3]) und fehlendes Interesse an der jüngeren Geschichte und Gegenwart attestiert werden: Drei-drei-drei bei Issos Keilerei. Neunzehnhundertsiebenundsiebzig ist beileibe nicht so wichtig. (Str. 5, V.1-4)
87 Zum Terminus ‚Historisierung‘ hier und im Folgenden vgl. Fischer, Torben: Historisierung der NS-Zeit. In: Ders./Lorenz, Matthias N. (Hrsg.): Lexikon der „Vergangenheitsbewältigung“ in Deutschland. S. 235-238.
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Dieser Song wird zum Abschluss des als Faschismus betitelten sechsten Abschnittes der Proletenpassion variiert als Faschismuslied des Geschichtslehrers.88 Der Text ist in den Strophen als Monolog des Pädagogen gestaltet. Mittels einfacher Reime, teilweise umgangssprachlicher Formulierungen und auch musikalischer Mittel wie begleitendem Chorgesang, Kinderstimmen-Imitationen und simplem 4/4-Takt wird der Eindruck eines Kinderliedes erzeugt. Eingeleitet von einer Pausenklingel beginnt der Geschichtsunterricht mit einem ‚kindgerechten‘ Sprachbild. Der Lehrer verkündet: „Heut’n fahrn wir in der Geisterbahn/Kinder, heut’ ist der Faschismus dran“ (Intro, V.1f.). Schon hier deutet sich eine Distanz zu den Geschehnissen an, vor allem eine Verharmlosung des Nationalsozialismus durch den Pädagogen. Die Kritik an der schulischen Aufarbeitung (als vergnügliches Gruselerlebnis) treibt der Refrain dann satirisch auf die Spitze. Zunächst gibt der Lehrer einen simplen Merksatz vor, die Schüler – in der Aufnahme gekennzeichnet durch kindliche Kopfstimmenverwendung des Chors – antworten: [Lehrer:] Hitler war ein böser Mann, doch baute er die Autobahn. [SchülerInnen:] Dracula und Frankenstein sind daneben lieb und klein. (Ref. 1, V.1-4)
Interessanterweise schildern die Strophen nun entgegen der vorherigen Ankündigung nicht eine „Geisterbahn“-Fahrt zu den Entwicklungen und Ereignissen des Faschismus, sondern fast ausschließlich die Songgegenwart. Dabei geht es um das bekannte Thema der personellen Kontinuitäten in Justiz („Und mancher Herr vom Blutgericht/auch heute noch sein Urteil spricht“ [Str. 4, V.3f.]) und Politik: Und war wer einst ein Hitlerpimpf dann gilt das heute nicht mehr als Schimpf, im Gegenteil, bei einer Wahl, gewinnt er Stimmen – national. (Str. 5, V.1-4)
88 Die Schmetterlinge: Lied des Geschichtslehrers. T.: Heinz Rudolf Unger/M.: Georg Herrnstadt, Wilhelm Resetarits; Faschismuslied des Geschichtslehrers. T.: Heinz Rudolf Unger/M.: Georg Herrnstadt, Wilhelm Resetarits. Aus dem Album: Proletenpassion. Erschienen 1977.
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Diese recht kritischen Bemerkungen wollen nicht so recht zu der Figur des Geschichtslehrers passen, der kurz vorher noch zur Vergangenheit verkündet hat: „Das ist vorüber, merkt euch das“ (Str.2, V.4). Für diesen inhaltlichen Widerspruch, der den Eindruck erzeugt, als spreche zunächst eine satirisch überzeichnete Rollenfigur und später der Autor bzw. die Band, bietet der Songtext keine Erklärung. Nimmt man die anderen Songs des Albums, besonders das Lied des Geschichtslehrers und das Lied vom A-Sager, und die Stellung des Songs in der Albumgliederung hinzu, wird die Intention nicht nur dieses Songs, sondern der ganzen Proletenpassion dennoch sichtbar: Zum einen werden restaurative Entwicklungen in der Gegenwart kritisiert und zum anderen wird die These vertreten, diese seien gerade deshalb möglich, weil die Aufarbeitung der Vergangenheit scheitere bzw. vermieden werde. Es ist eine Kombination aus irrationaler, dämonisierender Betrachtung des Nationalsozialismus (ähnlich wie bei Süverkrüp) und der Verweigerung intensiver Auseinandersetzung mit der Geschichte, die sich in der Person des Pädagogen konkretisiert. In dieser Richtung ist die letzte Strophe zu verstehen: Breitet den Mantel der Vergessenheit über die Jahre der Besessenheit. Schwamm drüber, Ende dieser Stunde. Das war ein Stückchen Heimatkunde. (Str. 6, V.1-4)
Anders ausgedrückt ermöglicht gerade ein Verständnis des Nationalsozialismus als „Geisterbahn“ und als vergangene Periode der „Besessenheit“ – der Begriff erinnert auch an die „Tarantelei“ (vgl. Kapitel 5) – einen Schlussstrich unter die Vergangenheitsaufarbeitung. Dann haben nicht mehr politische (oder aus Sicht der Band kapitalistische) Entwicklungen die Durchsetzung des NS-Regimes befördert, sondern das unkontrollierbare „schlummernde Böse,/das schicksalsartig erwacht“ (Str. 1, V.3f.). Für das Schicksal gibt es jedoch keine Verantwortlichen, keine Schuldigen und keine rationalen Begründungen. In der Verweigerung des Pädagogen, sich einem solchen Modus der ‚Ent-Schuldung‘ zu widersetzen, ist die Hauptkritik des Songs zu sehen. Der Frage, welche gesellschaftlichen und individuellen Folgen ein solches Scheitern der didaktischen historischen Bildung nach sich zieht, haben sich mehrere Songschreiber gewidmet.
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Konstantin Wecker: Vaterland (1979) Das Scheitern der Vermittlung historischer Erfahrung hat der Songschreiber Konstantin Wecker 1979 mit dem Song Vaterland thematisiert.89 In diesem greift er – typisch für den Münchener Musiker in bayrischem Dialekt – die Kritik der Söhne an ihren durch die Vergangenheit belasteten Vätern auf. In einem anklagenden Ton, der unmittelbar an die Songs über die ‚Naziväter‘ erinnert, konfrontiert der Sohn seinen Vater mit Fragen hinsichtlich seines Verhaltens während des Nationalsozialismus. Erstaunlich ist die Umkehrung der politischen Gesinnung von Vater und Sohn: Vata, is des wirklich wahr, warst du wirklich a Sozi in die dreißger Jahr? Warst du wirklich damals im Widerstand, hast gekämpft gegns eigene Vaterland? Vata, i muaß mi schama, i möcht an andern Nama. (Str. 1, V.1-6)
Ausgehend von diesem Konflikt entwickelt Wecker eine balladeske Erzählung, die Ursachen und Folgen scheiternder Aufklärung über den Zweiten Weltkrieg schildert. Die Handlung ist wenig komplex und stark auf die moralische Botschaft hin angelegt. Der Sohn gerät in neonationalsozialistische Kreise und erkennt seinen Fehler zu spät: Und a paar Wocha später steht der Bua vor der Tür und zittert und flüstert: I ko nix dafür, die macha ernst, die basteln Granaten, die redn von Volkssturm und Attentaten. Vata, i muaß mi schama, i möcht an andern Nama, wir ham – i trau mirs gor ned sagn – gestern Nacht im Streit an Mo derschlagn. (Str. 3, V.1-8)
Bemerkenswert ist, dass Konstantin Wecker diese Entwicklung des Sohnes nicht für sich stehen lässt, sondern mit vorher geschilderten ausführlichen Bemühungen des Vaters, didaktischen Einfluss zu nehmen, kontrastiert. Dadurch wird betont, dass das rechtsradikale Verhalten des Sohnes weder mit einer überzogenen Rebellion gegen den Vater und einer hieraus resul-
89 Wecker, Konstantin: Vaterland. T./M.: Konstantin Wecker. Aus dem Album: Live. Erschienen 1979.
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tierenden Hinwendung zum Vaterland noch mit elterlicher Vernachlässigung zu erklären ist. In der Mitte des Songs heißt es explizit: Und der Vata nimmt si a Nacht lang Zeit und verzählt dem Buam von der Unmenschlichkeit, von Kriag, von KZ, von der Feigheit der Leit, und er plärrt, pass auf, die macha si bald wieder breit! (Str. 2, V.1-4)
Die Reaktion des Sohnes auf diesen Bericht spielt die elterliche Erziehung gegen die publizistische, massenmediale Vermittlung historischer Ereignisse aus: Dann packt der Bua seine Sachen, sagt: Vata, da muaß i doch lachen, du kannst es doch überall lesen, des is doch ganz anders gewesen. (Str. 2, V.5-8)
In welcher Form die Publizistik die Vergangenheit geschichtsrevisionistisch verklärt, ist nicht näher ausgeführt; lediglich ihre Wirksamkeit wird mittels der Reaktion des Sohnes beglaubigt. Es ist anzunehmen, dass Wecker auf die ‚Welle‘ von Schriften anspielt, die in den 70er Jahren den Holocaust zu leugnen versuchen – von Thies Christophersens Die Auschwitzlüge 1973 über Robert Faurissons 1978 auf Deutsch veröffentlichtes Es gab keine Gaskammern, Wilhelm Stäglichs Der Auschwitz-Mythos 1979 bis zu den ersten revisionistischen Schriften David Irvings.90 Der Grund für die Attraktivität solcher Schriften für den Sohn wird mittels einer Innensicht in die Gedanken des Vaters angedeutet. Mit leichten Abwandlungen dreifach wiederholt heißt es in den Refrains: Und der Vata woaß ned aus no ein, so weit is scho kumma mit der Duckerei, mit Kommunistenhatz und Berufsverbot und Wirtschaftswunder und Arbeitsnot. Da wehrst di dei Lebn lang gegen all den Schutt, und dann machas dafür deinen Sohn kaputt. (Ref. 1, V.1-6)
Zwar wird die Tragik des Vaters durch die Ausführlichkeit der Schilderung konkreter; die vorgeschlagenen Erklärungen für den Rechtsradikalismus 90 Vgl. Stöss, Richard: Ideologie und Strategie des Rechtsextremismus. In: Schubarth, Wilfried/Ders. (Hrsg.): Rechtsextremismus in der Bundesrepublik Deutschland. Eine Bilanz. Bonn 2000, S. 111-115.
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des Sohnes sind allerdings zweifelhaft. Politische Maßnahmen gegen linksgerichtete Einstellungen in der ‚bleiernen Zeit‘ der 70er Jahre („Kommunistenhatz und Berufsverbot“) können kaum als Begründung dafür herhalten, dass der Sohn „kaputt“ gemacht wird. So bleibt der ökonomische Faktor der „Arbeitsnot“ die einzig unmittelbar einleuchtende Erklärung für das Verhalten des Sohnes. Damit folgt Wecker zwar gängigen Theorien zum Verständnis rechtsradikaler Orientierungen, bleibt aber hinsichtlich der didaktischen Folgerungen (und der Antwort, wer ‚sie‘ [„machas“] sind) vage.91 Entscheidend ist jedoch vor allem das Fazit, dass der Song aus der scheiternden elterlichen Erziehung und dem Erfolg geschichtsrevisionistischer Publizistik zieht. Es entspricht den bereits bekannten Restaurationswarnungen und ist an exponierter Stelle direkt vor dem letzten Refrain positioniert: „Und der Vata denkt an früher,/[…]/und schon morgen ko des wieder passieren“ (Bridge 3, V.1-4). Diesen Versen folgt eine Verlangsamung des Tempos und ein ausschließlich auf dem Piano vorgetragenes Zwischenspiel, das den Eindruck erweckt als wolle Wecker vor dem letzten Refrain für eine ‚Denkpause‘ sorgen. Insgesamt ist erkennbar, welch pessimistische Sicht Wecker auf die bundesrepublikanische Gesellschaft Ende der 70er Jahre hat. Er geht über die Aussagen der Songs von z.B. Walter Mossmann und den Schmetterlingen insofern hinaus, als hier die Vermittlung von Kenntnissen über die Vergangenheit eben nicht deshalb scheitert, weil sie mangelhaft und aufbauend auf einer fehlerhaften Analyse des Nationalsozialismus durchgeführt wird, sondern weil ein restauratives gesellschaftliches Klima sie von Grund auf verhindert.
91 Vgl. Winkler, Jürgen R.: Rechtsextremismus. Gegenstand – Erklärungsansätze – Grundprobleme. In: Schubarth, Wilfried/Stöss, Richard (Hrsg.): Rechtsextremismus in der Bundesrepublik Deutschland. S. 54-58. Der Song gibt an anderer Stelle noch weitere Erklärungen, die allerdings nicht substantiell über die aus ökonomischer Not geborene Unzufriedenheit hinausgehen. So heißt es z.B.: „Und der Bua träumt von Recht und Ordnung“ (Bridge 1, V.1), vgl. dazu ebd., S. 54f.
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Udo Jürgens: Auf der Straße der Vergessenheit (1971) Diesem Pessimismus tritt ein Beitrag eines der erfolgreichsten Künstler der Bundesrepublik entgegen.92 Udo Jürgens’ Auf der Straße der Vergessenheit erscheint 1971 auf dem Album Zeig mir den Platz an der Sonne und ist von Eckart Hachfeld getextet. Auf der Sammlung Mit 66 Jahren (Was wichtig ist…) ist 2000 eine überarbeitete und textlich aktualisierte „Version 2000“ veröffentlicht worden.93 Der Song unterscheidet sich von den bisher betrachteten Werken dadurch, dass er historische Ereignisse nicht aufführt, um eine Kritik an Tätern oder gesellschaftlichen Entwicklungen vorzubringen, sondern um in Songform ein „antidote to cultural amnesia“ zu bieten.94 Jürgens weist dem Song die Aufgabe zu, als ein Medium der Memoria zu fungieren und durch raumgreifende Schilderung das Vergangene vor dem gesellschaftlichen Vergessen zu bewahren.95 Mit teils pathetischen, teils anachronistisch anmutenden Metaphern, Personifikationen, allegorischen Bildern, zahlreichen Alliterationen und autobiographischen Verweisen bietet der Text in 4,52 Minuten ein Panorama der europäischen Geschichte von Napoleon bis in die 70er Jahre (bzw. in der Neufassung bis 2000). Dieser ‚Durchmarsch‘ wird in der ersten Strophe, einem Intro mit Orchester (lento), motiviert mit einem historisch orientierten Verständnis der Gegenwart: Wir wollen immer nur nach vorne sehen, dem neuen Tag entgegen und dem Lichte, jedoch der Lebensweg, auf dem wir gehen, führt auch zurück ins Dunkel der Geschichte. Ich ging den Weg in die Vergangenheit auf der Straße der Vergessenheit. (Intro, V.1-6)
92 Udo Jürgens hat seit 1954 mittlerweile rund 100 Millionen Tonträger verkauft (vgl. Laufenberg, Frank/Laufenberg, Ingrid: Udo Jürgens. In: Dies.: Hit-Lexikon des Rock und Pop. S. 1155f.). 93 Jürgens, Udo: Auf der Straße der Vergessenheit. T.: Eckart Hachfeld, Udo Jürgens/M.: Udo Jürgens. Aus dem Album: Zeig mir den Platz an der Sonne. Erschienen 1971; Jürgens, Udo: Auf der Straße der Vergessenheit (Version 2000). T.: Eckart Hachfeld, Udo Jürgens/M.: Udo Jürgens. Aus dem Album: Mit 66 (Was wichtig ist…). Erschienen 2000. 94 Beaujour, Michel: Memory in Poetics. S. 9. 95 Vgl. zu dieser Wirkungsabsicht und dem Begriff der ‚Memoria‘ Kap. 2.3.
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Hier findet eine Gegenüberstellung von kollektivem „Wir“ und autobiographischem „Ich“ statt. Sie signalisiert, dass der Text weniger eine objektive Gesellschaftsanalyse als eine subjektive Verlusterfahrung vorzühren will.96 Diese meint vornehmlich den Verlust von Erinnerungen. Erkennbar ist das anhand des Refrains, der ein komplexes symbolisches Bild der Kurzlebigkeit von Macht und Ruhm in Anschlag bringt und auf die „Vergessenheit“ bezieht: Kronen, die man gestern stolz getragen, die sind nun Staub, zerfallen und zerschlagen, stumme Zeugen der Vergänglichkeit auf der Straße der Vergessenheit. (Ref. 1, V.1-4)
Nicht allein rhetorisch durch die Alliterationen, die die einzelnen Verse eng zusammenführen, sondern auch durch die Verwendung des Kronen-Symbols wird betont, dass der Erinnerungsverlust allumfassende Bedeutsamkeit hat. Der Gebrauch des Plurals („Kronen“) spricht gegen eine Lesart dieser Herrschaftsinsignie als eines historisch eindeutigen Verweises auf die Kaiserzeit. Vielmehr meint sie symbolisch einen Kontext von Macht, Würde und Souveränität und verweist durch ihre runde Form darüber hinaus auf „Ganzheit, Vollkommenheit und Teilhabe am himmlischen Wesen.“97 Direkt an den Refrain angeschlossen wird das Bild präzisiert und mitgeteilt, dass die Kronen auch als Symbol „unsere[r] Träume“ (Bridge 1, V.3) zu verstehen sind. Sowohl musikalisch als auch textlich stellt sich der Song gegen den Verlust an Erinnerung. Die Notwendigkeit hierfür deutet (neben den Ausführungen im Refrain) ein Blick in die Zukunft an: „In fünfzig Jahren mag wohl einer gehen/und sucht Vergessenes der Geschichte wieder“ (Bridge, V.1f.). Für seine Suche nach diesem Vergessenen wird der Mensch der Zukunft auf den vorliegenden Songtext zurückgreifen können. Beispielhaft sichtbar wird dies anhand der ersten Strophe: Napoleons Ruhm, Casanovas Schwur, das gefrorene Lächeln der Pompadour von stolzen Hymnen der letzte Akkord 96 Als autobiographisches Ich wird das Subjekt später im Song gekennzeichnet, wenn es unter Verweis auf große Erfolge Udo Jürgens’ heißt: „Mein Publikum, das begeistert schrie,/‚Lieb Vaterland‘, „Merci Chérie“ (Str. 2, V.9f.). 97 Lurker, Manfred: Krone. In: Ders. (Hrsg.): Wörterbuch der Symbolik. S. 409.
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von Caracciola ein Weltrekord. Das Schmunzeln des Hauptmanns von Köpenick, und Valentinos Verführerblick. Die Stimme Carusos, ganz blechern und heiser, die herrlichen Zeiten von Wilhelm, dem Kaiser, vom Zeppelin ein zerrissenes Seil, vom Reichsparteitag das letzte „Sieg Heil“. (Str. 1, V.1-10)
Hier werden die vergangenen Ereignisse populärmusikalisch fixiert bzw. konserviert und der „Vergessenheit“ entrissen. Dabei ist es durchaus problematisch, in welcher Form der Nationalsozialismus in eine Reihe mit vorwiegend positiv konnotierten Ereignissen gestellt wird. Ebenso ist erstaunlich, wie wenig der Text auf die immer auch mit der „Vergessenheit“ zu assoziierenden gesellschaftlichen Folgen gerade der Verdrängung der NSVergangenheit eingeht. Die Wirkung des Songs wird davon jedoch nicht beeinflusst: Das individuelle, lebenszeitbedingte Gedächtnis wird zu einer (potentiellen) kulturellen Quelle für überindividuelle Lernprozesse. Der Songtext als Teil eines massenmedialen, populärkulturellen Produktes sorgt ganz im Sinne der Konzeption von Literatur als Medium des kollektiven Gedächtnisses für die „Speicherung“ von Vergangenem, für seine „Zirkulation“ in einer soziokulturell heterogenen Gesellschaft, die „Synchronisation“ von Erinnerungsgemeinschaften und stellt Erinnerungsanlässe („Cue-Funktion“) zur Verfügung.98 Gleichzeitig lässt sich an dem Songtext auch die von Paul Ricoeur als „Präfiguration“ bezeichnete Prägung durch die außerliterarische Wirklichkeit geradezu prototypisch erkennen: Zum einen findet auch hier wie in anderen Songs der 70er Jahre eine Historisierung und Gleichsetzung des Nationalsozialismus mit anderen historischen Momenten statt, zum anderen lässt sich anhand der Auswahl von erinnernswerten Ereignissen die zeitgeschichtliche Prägung erkennen. Diese wird noch eindeutiger bei einem Abgleich mit der „Version 2000“, in der beispielsweise die Zeilen: „die herrlichen Zeiten von Wilhelm, dem Kaiser“ gestrichen sind und ersetzt wurden durch: „vom Winde verweht und aus und vorbei“. Die gesamte zweite Strophe beschreibt dann nicht mehr die Jahrzehnte 1945-1970, sondern umfasst die Jahre 1980-2000. Ästhetisch interessant ist, dass der Song die Speicherung von Vergangenem nicht allein durch den Text einzulösen sucht, sondern auch durch die 98 Vgl. Erll, Astrid: Literatur als Medium des kollektiven Gedächtnisses. S. 254256, vgl. zu diesen Aspekten Kap. 3.1.
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musikalische Gestaltung. Sie ist ungewöhnlich, insbesondere für ein 1971 durch einen eher dem Schlager zuzurechnenden Künstler veröffentlichtes Stück. Anders als in der ‚geglätteten‘ „Version 2000“ ist der Song geradezu anachronistisch instrumentiert und rhythmisch auffällig strukturiert. Durch den Einsatz einer Tuba als Bass-Ersatz, eines begleitenden Banjos und eines Bigband-artigen Bläsersatzes vor allem mit Trompeten, die mit Dämpfern gespielt werden, wird auf die Jazz-Musik der 30er Jahre angespielt. Ein Off-Beat 2/4-Takt in den Strophen, der an den Schlager der 30er Jahre erinnert, sowie eine Walzer-Rhythmik im Refrain evozieren Musikstile, die in den 70er Jahren während der Erfolge von ‚Disco‘, ‚Soul‘ und ‚Progressive Rock‘ kaum noch präsent sind. So wird auch musikalisch die „Vergessenheit“ aufgefangen, Vergangenes in der Gegenwart aktualisiert und gespeichert, d.h. die Wirkungsabsicht des Textes durch die Musik unterstützt. Nichts von dem, was Udo Jürgens’ Song an historischen Ereignissen aufzählt, ist in der Songgegenwart bereits wirklich vergessen. Daher geht es dem Stück nicht um die (Re-)Integration von Vergangenem in das kollektive Gedächtnis, also die Beschreibung von Vergessenem oder Übersehenem, sondern um eine Sicherung/Speicherung des Bestehenden im Medium des Songs. Der Song wird bei Udo Jürgens zu einem Medium der Vergangenheitsbewahrung. Nicht jeder Songschreiber sieht die Möglichkeiten des Songs derart optimistisch wie Udo Jürgens. Ein Song von Wolf Biermann kann als Kontrast herangezogen werden. In dem Lied von den bleibenden Werten vertritt er eine pessimistische Sicht auf die Möglichkeiten der Kunst.99 In den ersten zwei Strophen werden zunächst gesellschaftliche Lehren aus der Geschichte als Selbstverständlichkeiten dargestellt. So heißt es beispielsweise: Die großen Lügner, und was – na, was Wird bleiben von denen? Von denen wird bleiben dass wir ihnen geglaubt haben (Str. 1, V.1-4)
Ähnlich beantwortet werden die Fragen nach dem Verbleib der „großen Heuchler“ (Str. 1, V.5f.), der „großen Führer“ (Str. 2, V.1f.) und der „ewi-
99 Biermann, Wolf: Lied von den bleibenden Werten. T./M.: Wolf Biermann. Aus dem Album: Warte nicht auf beßre Zeiten. Erschienen 1973; in der gedruckten Fassung heißt das Stück Kleines Lied von den bleibenden Werten (Biermann, Wolf: Nachlaß 1. S. 396f.).
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gen großen Zeiten“ (Str. 2., V.5f.). Weniger ein materielles oder konkretes politisches Vermächtnis also wird aus der Vergangenheit deduziert als ein (selbst-)kritisches ‚Lernen aus der Geschichte‘. Lügner beispielsweise können als solche schließlich ja erst nach dem Erkennen ihrer Lügen entlarvt werden. Dieser optimistischen Bewertung des Lernpotentials der Menschen, das, insbesondere vor dem biographischen Hintergrund des Autors, als satirische Überzeichnung erkennbar ist, stellt Biermann eine Aussage über den Song als Medium hintenan: Und dies zersungene Lied – na, was Wird bleiben vom Lied? Ewig bleiben wird davon dass es vergessen wurde (Str. 3, V.4-7)
Die Paradoxie des prozessualen „ewig […] vergessen“-Werdens lässt sich nur auflösen, wenn man den Song ebenso wie die Nennung der „bleibenden Werte“ (im Titel) als ironisch und poetologisch begreift. Das ‚Lernen aus der Geschichte‘ zeigt eben nicht die zeitgenössische Gesellschaft, sondern es beweist sich nur in der Existenz des Songtexts. Seine Wirksamkeit ist jedoch gleich null – Wahrheiten und Lehren gegenüber den Unwahrheiten der Lügner, Heuchler und Führer bietet die politische Songkunst zwar, sie ist aber ‚ewig vergessen‘. Die Musik stützt diese Aussage. Biermann begleitet das Stück mit einem Harmonium – in den Noten ist sogar eine Orgel gefordert –, das die „Aura der Kunstreligion des 19. Jahrhunderts imaginieren“ lässt, wie Georg-Friedrich Kühn in einer Analyse des Songs formuliert.100 Hieraus entsteht der eigentliche ‚bleibende Wert‘: „Edel bemüht, doch Schall und Rauch – unnütz sei die Kunst.“101 Der im Text angedeutete historische Fortschritt wird von der Musik unterlaufen und widerlegt. Dies geschieht auch dadurch, dass Biermann die Melodielinie durchgängig absteigend komponiert.102 Der so formulierte Zweifel an der gesellschaftlichen Wirksamkeit von populärkultureller Musik, der 1973 auch im Kontext der gescheiterten 68erRevolte und der Rede vom ‚Tod der Literatur‘ zu verstehen ist, muss jedoch als Ausnahme begriffen werden. Die grundsätzliche Überzeugung, Songs könnten einen wichtigen Beitrag gegen das Vergessen der national100 101 102
Kühn, Georg-Friedrich: Kutsche und Kutscher. S. 85. Ebd., S. 85. Vgl. die Notenfassung in Biermann, Wolf: Nachlaß 1. S. 396.
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sozialistischen Vergangenheit leisten und damit Einfluss auf gegenwärtige Entwicklungen nehmen, ist in den 70er Jahren weitgehend ungebrochen. Wenn Walter Mossmann das Schicksal des Matrosen Walter Gröger zu einem Teil eines Songs macht, wenn Die Schmetterlinge die Geschichte des Klassenkampfs als Proletenpassion vertonen, aber auch wenn Konstantin Wecker das Scheitern von Erziehung thematisiert, so ist allen diesen Songs gemeinsam, dass sie politisch wirksam werden wollen, d.h. in der Praxis der Songproduktion ihren Glauben an die politische Wirksamkeit des textmusikalischen Werkes beglaubigen. Franz Josef Degenhardt fasst 1972 diesen Glauben in einer Fortführung des Fast autobiographische[n] Lebenslauf eines Westdeutschen Linken mit dem Titel 40 noch einmal in Worte: „Das wollen wir, das müssen wir,/das werden wir schon ändern“ (Ref. 1, V.4f.).103 Dass die Songs ihre Intention, auf gesellschaftliche Entwicklungen der Gegenwart einzuwirken, häufig vermittels einer Auseinandersetzung mit der NS-Vergangenheit zu erreichen suchen, dass ihre Zielrichtung also nicht nur eine Aufklärung über die Gegenwart ist, sondern verbunden wird mit (gegen-)informativen Äußerungen zur deutschen Vergangenheit, lässt sie als ein Teil der Formierung des kollektiven Gedächtnisses immer auch zu einem Schreiben gegen das Vergessen werden. Gerade die sich in den 70er Jahren häufenden detaillierten Beschreibungen von Einzelereignissen und Einzelpersonen unterstreichen dies. Dieser Aspekt zeigt sich in vielen weiteren Songs, beispielsweise in Franz Josef Degenhardts Zündschnüre-Song.104 Hier wird, auf einem 1975 erschienenen Album mit dem poetologischen Titel Mit aufrechtem Gang, der Weg von Widerstandskämpfern gegen den Nationalsozialismus geschildert und als vorbildhaft für die Gegenwart ausgewiesen. Eingeleitet ist das Album mit einem gesprochenen Motto: „Das Vergangene ist nie tot, es ist nicht einmal vergangen, und schon gar nicht 30 Jahre nach dem Sieg über den deutschen Faschismus.“105 Dem Zündschnüre-Song folgt ein Stück mit dem Titel Wolgograd, in dem sich Degenhardt mit der Geschichte der
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Degenhardt, Franz Josef: 40. T./M.: Franz Josef Degenhardt. Aus dem Album: Mutter Mathilde. Erschienen 1972. Ders.: Zündschnüre-Song. T./M.: Franz Josef Degenhardt. Aus dem Album: Mit aufrechtem Gang. Erschienen 1975. Ders.: Emigranten-Choral. T.: Walter Mehring/M.: Franz Josef Degenhardt. Aus dem Album: Mit aufrechtem Gang. Erschienen 1975, Intro.
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im Zweiten Weltkrieg umkämpften Stadt auseinandersetzt.106 Das Motto aufgreifend heißt es am Ende jeder Strophe: „Und nichts ist vergessen, nichts ist vergessen/und niemand“ (Str. 1, V.13f.). Ausgehend von dieser Aussage lässt sich ein Fazit über die Ausprägungen der Vergangenheitsaufarbeitung im politischen Song von 1968 nach der studentischen Revolte bis zum Ende der 70er Jahre treffen.
F AZIT 1968-1979 Nahezu alle Themen und Mittel der ästhetischen Umsetzung, die von 1964 bis 1968 sichtbar wurden, lassen sich in den 70er Jahren wiederfinden. Von der kapitalismuskritischen Interpretation des Nationalsozialismus über die Reduktion der Angriffe auf Täter aus der Wirtschaft bis hin zu der Poetik einer Songgeschichtsschreibung ‚von unten‘, die davon ausgeht, dass für ein gesellschaftliches ‚Lernen aus der Geschichte‘ die Präsentation objektiver (Gegen-)Information unabdingbar ist, gehen die Songschreiber kaum über die Werke vor der 68er-Revolte hinaus. Zwar werden zeitgenössische Diskurse wie der RAF-Terrorismus und die staatlichen Reaktionen wie die Notstandsgesetzgebung, der ‚Radikalenerlass‘ und die ‚Sympathisantenhatz‘ rezipiert (etwa von Wolf Biermann in seinem Song Drei Kugeln auf Rudi Dutschke oder von Walter Mossmann in der Ballade von der Rentnerin Anna Mack), zu einer substantiellen Veränderung der Songproduktion kommt es aber nur in Ansätzen. Die wichtigste Innovation findet auf der Ebene der musikalischen Gestaltung statt. Mit dem ‚Politrock‘ wird der Katalog musikalischer Ausdrucksmittel erweitert. Die Neuerungen erstrecken sich jedoch ausschließlich auf die stärkere Funktionalisierung rockmusikalischer Mittel für den Transport der Text-Inhalte, wie vor allem die Songs der Bands Die Schmetterlinge und Floh de Cologne (etwa Arbeit macht Freitag) zeigen. Eine neue, z.B. stärker subjektive, Textsprechweise entwickelt sich kaum. Die meisten Songtexte folgen stattdessen weitgehend den aus den 60er Jahren bekannten überwiegend folktypischen Formen. Mit Blick auf die Songs der 70er Jahre lässt sich so zwar nur eingeschränkt von einer ästhetischen, jedoch durchaus von einer inhaltlichen Ra106
Ders.: Wolgograd. T./M.: Franz Josef Degenhardt. Aus dem Album: Mit aufrechtem Gang. Erschienen 1975.
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dikalisierung sprechen. So wird die Kritik am kapitalistischen System noch stärker als zuvor herausgestellt. Nun sind es nicht Fehlentwicklungen und ‚Übertreibungen‘ der Marktwirtschaft, die zum Erstarken des Nationalsozialismus und seiner restaurativen Erneuerung der Gegenwart führen, sondern es wird unter Rückgriff auf marxistische Faschismustheorien die strukturelle Identität von Faschismus und Kapitalismus als evident angesehen. In einer solchen Sichtweise, wie sie beispielhaft vorgeführt ist in dem Lied vom A-Sager der Band Die Schmetterlinge, werden teilweise auch die Sozialdemokraten und die gemäßigten linken Kräfte zu Mit-Tätern und wird zur argumentativen Begründung auf die Sozialfaschismusthese bzw. die Kominterntheorie zurückgegriffen. Mit dieser Kritik an Vergangenheit und Gegenwart geht eine Veränderung der Bedeutung des Nationalsozialismus für die Bewertung der Bundesrepublik einher. Das NS-Regime wird historisiert und verliert seine Singularität. Es wird zunehmend eingeordnet in Entwicklungsprozesse, die mal von der Antike, mal von den Bauernkriegen oder der napoleonischen Herrschaft bis in die 70er Jahre reichen. Insbesondere die Proletenpassion der Band Die Schmetterlinge zeigt, wie der Nationalsozialismus nur noch als ein (allerdings besonders düsterer) Abschnitt in der längeren Geschichte der Arbeiterbewegung gesehen wird. Häufig finden gar Parallelführungen statt: Täter und Opfer der Vergangenheit und der Gegenwart, ihr Handeln und ihr Erleben werden vergleichbar. Das Scheitern des Großvaters bei Georg Danzer in dem Song Die letzte Eisenbahn findet zu jedem historischen Zeitpunkt gleichförmig und identisch statt, die gegenwärtige Ausbeutung des „Fließband-Babys“ durch den Kapitalismus bei Floh de Cologne gleicht der Ausbeutung der Zwangsarbeiter in Auschwitz, die Ermordung Rudi Dutschkes ist für Wolf Biermann das „alte Lied“ der Brutalität gegenüber Andersdenkenden und damit gleichzusetzen mit der Ermordung politischer Gegner im Nationalsozialismus. Neu in den 70er Jahren ist, dass sowohl die Analyse der Bundesrepublik als ein faschistoid-restaurativer Staat und die Kritik an personellen Kontinuitäten von der NS-Zeit bis in die Songgegenwart individueller gestaltet ist als vormals. Kaum noch werden wie vor der 68er-Revolte generalisierend Instanzen und Autoritäten wie die Politik, die Wirtschaft, die Väter oder die Universität angegriffen. Jetzt sind häufig reale Einzelpersonen als Täter und als Opfer des Nationalsozialismus geschildert und namentlich
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benannt. Explizite Begründungen für diese Veränderung liefern die Songs nicht und es scheint zu weit gegriffen, die in den 70er Jahren im Bereich der Lyrik entstehende Neue Subjektivität als Erklärung heranzuziehen.107 Eher ist es plausibel, den gescheiterten Versuch einer umfassenden Systemveränderung durch die 68er-Revolte als Begründung für die Radikalisierung zu begreifen. Besonders bei Walter Mossmann, aber auch bei Franz Josef Degenhardt und Wolf Biermann ist offensichtlich, dass die namentliche Nennung von Tätern auch immer vor dem Hintergrund eines Verständnisses vom Song als Medium der Memoria geschieht. Die Songschreiber stehen letztlich (und häufig bekennend108) in der Nachfolge Heinrich Heines, wenn sie Krupp, Thyssen, Filbinger oder Bundeskanzler Kiesinger in die „Hölle des Dante“ sperren. „Wen da der Dichter hineingesperrt, den kann kein Gott mehr retten“, dichtet Heine in der vorletzten Strophe seines Wintermärchens und verweist mit diesen Versen auf die überzeitliche Wirksamkeit namentlicher Anklage und Konservierung individuellen Fehlverhaltens durch die und in der Literatur.109 Dennoch: Franz Josef Degenhardts Verse: „Nichts ist vergessen/und niemand“, erweisen sich bei näherer Betrachtung der Songs von 1968 bis 1979 als falsch. Insbesondere hinsichtlich der Thematisierung von Opfern des Nationalsozialismus zeigt sich, dass die größten Opfergruppen der NSDiktatur weiterhin vergessen oder zumindest übergangen werden. Das Schicksal von Millionen Juden, Homosexuellen oder Sinti und Roma wird im politischen Song der 70er Jahre nicht angesprochen. Die fast ausschließlich deutschen (damit ist gemeint: zur ‚Volksgemeinschaft‘ der Nationalsozialisten zählenden) Opfer werden weiterhin und noch stärker als zuvor ausschließlich in Relation zu den jeweiligen Tätern dargestellt und somit funktionalisiert für die Kritik an den Schuldigen. Die Songs der 70er Jahre gehen auch in dieser Hinsicht kaum über die Songs von 1964 bis 1968 hinaus. Wie dort werden auch nach der 68er-Revolte die Opfer des NSRegimes fast ausschließlich aufgerufen, um zeitgenössische Proteste zu 107 108
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Vgl. zum Begriff der ‚Neuen Subjektivität‘ und seiner Problematik Kreppel, Juliane: „In Ermangelung eines Besseren?“, S. 47-68. Besonders gilt dies für Wolf Biermann wie z.B. seine Umdichtung des Wintermärchens belegt (Biermann, Wolf: Deutschland. Ein Wintermärchen. In: Ders.: Nachlaß 1. S. 87-146. Heine, Heinrich: Deutschland. Ein Wintermährchen. In: Ders.: Heinrich Heine. Historisch-kritische Gesamtausgabe der Werke. Band 4: Atta Troll. Ein Sommernachtstraum. Deutschland. Ein Wintermärchen. Hrsg. v. Winfried Woesler. Hamburg 1985, S. 157.
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motivieren. Dem Tod oder den Leiden der ausschließlich deutschen Opfer wird damit eine nachträgliche Sinnstiftung angetragen. So dient der hingerichtete Deserteur Walter Gröger für Walter Mossmann als Stichwortgeber für die Forderung „Laßt uns ins Leben desertieren“; so erhalten die Kriegsleiden und die Traumatisierung der Rentnerin Anna Mack ihren Sinn darin, dass sie ursächlich sind für ihr Eintreten für den Anti-Atomkraft-Protest, und so kann der von Franz Josef Degenhardt beschriebene Kommunist Rudi Schulte seine KZ-Erfahrungen als wichtigen (und von Genosse Lenin bestätigten) Schritt auf dem Weg zum realexistierenden Sozialismus verbuchen. Auffallend ist, dass in den Songs der 70er Jahre der Aspekt der pädagogischen Vermittlung der Geschichte besonders ausführlich behandelt wird. Während in den 60er Jahren noch das Fehlen einer substantiellen Auseinandersetzung mit der Vergangenheit kritisiert und hieraus eine Warnung vor restaurativen Entwicklungen in der Gegenwart entwickelt wurde, wird nun die Rolle der schulischen und elterlichen Erziehung akzentuiert. Walter Mossmanns Sieben Fragen eines Schülers und sieben freiheitlich-demokratische-grundordentliche Antworten, aber auch das Faschismuslied des Geschichtslehrers der Band Die Schmetterlinge sind Beispiele hierfür. Vor dem zeitgeschichtlichen Hintergrund der staatlichen Reaktionen auf den RAF-Terrorismus und auch neonationalsozialistischer Tendenzen fällt die Bewertung der Vermittlungsleistungen überwiegend pessimistisch aus. Einige Songschreiber stellen daher der von ihnen diagnostizierten mangelhaften didaktischen Leistung eine populärmusikalische Aufklärung über die Vergangenheit entgegen: mal in Form einer Gegengeschichte wie in der Proletenpassion der Schmetterlinge, mal in Form eines optimistischen Verweises auf die Memoria-Funktion von Songtext und Musik wie in Udo Jürgens’ Auf der Straße der Vergessenheit. Insgesamt haben die Songanalysen gezeigt, dass sich in den politischen Songs der 70er Jahre nach der 68er Revolte keine Zäsur im Umgang mit der nationalsozialistischen Vergangenheit ausmachen lässt. Stattdessen verstärken sich die bereits vorher vorhandenen Muster. Allerdings erweitert sich der Katalog der ästhetischen Mittel ebenso wie sich die inhaltlichen Positionen zunehmend ausdifferenzieren. Das grundlegende Argumentationsmuster aber, die deutsche Geschichte für eine scharfe Kritik an gegenwärtigen gesellschaftspolitischen Entwicklungen zu funktionalisieren, bleibt durchgängig bestehen.
7. Zeit des Übergangs 1979-1989 Ey, denk’ doch mal an früher: Deutscher Nazi-Horror absolut brutal beknacktstes Volk der Krieger mit KZ’s von Paris bis zum Ural UDO LINDENBERG1
Norbert Frei hat in Bezug auf die Ende der 1970er Jahre einsetzenden gesellschaftlichen Veränderungen in der Beschäftigung mit dem Dritten Reich von einer „Phase der Vergangenheitsbewahrung“ gesprochen.2 Diese Phase ist für ihn vor allem dadurch charakterisiert, dass die vorher dominanten und auch in den politischen Songs erkennbaren „Enthüllungsdiskurse“ über die ‚überbewältigte Vergangenheit‘ zunehmend in den Hintergrund treten und die Frage, „welche Erinnerung an diese Vergangenheit künftig bewahrt werden soll“, zentral wird.3 Zeitgeschichtlich stehen diese Entwicklungen im Kontext von Schlagwörtern wie der ‚konservativen Tendenzwende‘ bzw. der ‚geistig-moralischen Wende‘ der 80er Jahre.4 Auf die Bedeutung von massenmedialen, geschichtspolitischen und -wissenschaftlichen Ereignissen wie der Ausstrahlung der amerikanischen TV-Serie Holocaust 1979, dem ‚Historikerstreit‘, Helmut Kohls Rede von der ‚Gnade der späten Geburt‘ und seinem Besuch des Soldatenfriedhofs in Bitburg 1985 als politischen ‚Normalisierungssignalen‘ wurde bereits in Kapitel 3.2 hingewiesen.5
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Lindenberg, Udo: Der Generalsekretär. T./M.: Udo Lindenberg. Aus dem Album: Feuerland. Erschienen 1987, Str. 3, V.1-3. Frei, Norbert: Deutsche Lernprozesse. S. 37f. Ebd., S. 37 und S. 39. Vgl. Wiegel, Gerd: Die Zukunft der Vergangenheit. Konservativer Geschichtsdiskurs und kulturelle Hegemonie. Vom Historikerstreit zur Walser-BubisDebatte. Köln 2001. Diss. Marburg 2001, S. 9-16 und S. 54f. Vgl. Hahn, Hans-Joachim: Repräsentationen des Holocaust. S. 29; Augstein, Rudolf (Hrsg.): „Historikerstreit“. Die Dokumentation der Kontroverse um die
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Gerade der Begriff der ‚Normalisierung‘, dem immer auch die Möglichkeit (oder Forderung) eines Abschlusses der Beschäftigung mit der nationalsozialistischen Vergangenheit beigegeben ist, geriet dadurch in den Fokus der Auseinandersetzung.6 Er betrifft einen Bereich, der in den vorhergehenden Jahrzehnten noch nicht in dieser Form thematisiert wurde, den Bereich der nationalen Identität. Nach Reinhard Kühnl ist diese eng mit Deutungen der Vergangenheit verbunden: Für eine nationale Identität benötige man „ein neues Geschichtsbewußtsein, welches positive Identitätsangebote beinhalte.“7 Eine Betrachtung dessen, wie sich politische Songs vom Ende der 70er Jahre bis zur deutschen Wiedervereinigung 1989 mit Fragen der Vergangenheitsbewahrung, der nationalen Identität und der ‚Normalisierung‘ auseinandersetzen, ist auch deshalb von Interesse, weil sich die deutschsprachige Populärmusik Ende der 70er und Anfang der 80er Jahre markant verändert. Erstmalig beginnt sie in dieser Zeit ein Massenpublikum zu erreichen. Sie verlässt den Bereich ‚linker‘, politisch weitgehend homogener Kreise und wird zu einem massenmedial verbreiteten Produkt, das eine in jeglicher Hinsicht heterogene Hörerschaft erreicht. Katja Mellmann hat diesen Umschwung beschrieben und festgestellt: „Eine originäre und zugleich […] kommerziell erfolgreiche deutsche Popmusik […] tritt erst um 1980 mit der so genannten ‚Neuen Deutschen Welle‘, kurz ‚NDW‘ auf den
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Einzigartigkeit der nationalsozialistischen Judenvernichtung. München, Zürich 1987. Vgl. Schwab-Trapp, Michael: Ordnungen des Sprechens. S. 217-248; vgl. Kap. 3: Anm. 44. Kühnl, Reinhard: Der „Historikerstreit“ – eine Bilanz. S. 247. Zum Begriff der ‚nationalen Identität‘ und ihrem Verhältnis zur ‚kulturellen Identität‘ vgl. Weidenfeld, Werner: Die Identität der Deutschen. Fragen, Positionen, Perspektiven. In: Ders. (Hrsg.): Die Identität der Deutschen. Bonn 1983, S. 13-49; Mommsen, Wolfgang J.: Wandlungen der nationalen Identität. In: Ebd., S. 170-192; zum Verhältnis von ‚Nation‘, ‚Nationalstaat‘ und ‚nationaler Identität‘ vgl. Möbius, Ben: Die liberale Nation. Deutschland zwischen nationaler Identität und multikultureller Gesellschaft. Opladen 2003, S. 29-39; vgl. auch Venner, Michael: Nationale Identität. Die Neue Rechte und die Grauzone zwischen Konservatismus und Rechtsextremismus. Köln 1994, S. 12-15; Wiegel, Gerd: Die Zukunft der Vergangenheit. S. 53f.; für den Bereich der Musik vgl. Applegate, Celia/Potter, Pamela (Hrsg): Music and German National Identity. Chicago, London 2002; darin v.a. den Aufsatz Larkey, Edward: Postwar German Popular Music. Americanization, the Cold War and the Post-Nazi-‚Heimat‘. S. 234-250.
7. Z EIT
DES
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Plan.“8 Peter Wicke und Wieland Ziegenrücker sehen dabei vor allem in der fast ausnahmslosen Verwendung der deutschen Sprache den Ursprung einer „eigenständige[n] Rockentwicklung in der BRD“.9 Mellmanns Bestimmung greift allerdings zu kurz. Genauer besehen ist es nicht nur die ‚NDW‘, sondern sind es mit fließenden Übergängen drei Entwicklungen, die die 80er Jahre populärmusikalisch prägen und als Hintergrund für die folgenden Ausführungen zu gelten haben: Erstens findet eine Rezeption und deutschsprachige Weiterentwicklung der britischen (späten) Punkszene statt.10 So entwickelt sich aus der britischen New Wave-Bewegung die bundesrepublikanische Neue Deutsche Welle (daher der Name), die nach ihrer Kommerzialisierung zur ‚NDB‘, der ‚Neuen Deutschen Belanglosigkeit‘, wird. Jürgen Teipel hat diese Prozesse in seinem „Doku-Roman“ Verschwende Deine Jugend beschrieben.11 Charakteristisch zumindest für die frühe ‚NDW‘ ist im Unterschied zum Punk eine komplexe musikalische und textliche Gestalt. Werner Faulstich erläutert: New Wave ließe sich deshalb negativ ebenso wie positiv bewerten: negativ als entpolitisierte ‚blutleere‘ Chiffre, als bloßes formales Sammelbecken für alles Mögliche nach dem Punk; positiv als logisch nächster Schritt, der den Geist des Punk bewahrt, 8
Mellmann, Katja: Helden aus der Spielzeugkiste. Zu einem Motiv in den Texten der Neuen Deutschen Welle (NDW). In: Mitteilungen des Deutschen Germanistenverbandes 2 (2005), Songs, S. 254; vgl. zur ‚NDW‘ insgesamt Longerich, Wilfried: „Da Da Da“. Zur Standortbestimmung der Neuen Deutschen Welle. Pfaffenweiler 1988. 9 Wicke, Peter/Ziegenrücker, Wieland: Neue Deutsche Welle. In: Dies.: Rock Pop Jazz Rock. S. 318f., hier S. 318. 10 Zum Punk, der von Wilfried Longerich euphorisch als „dritte ‚rockmusikalische Revolution“ bezeichnet wird (Longerich, Wilfried: „Da Da Da“. S. 35), vgl. insgesamt Shuker, Roy: Popular Music. S. 236-239; zur rockmusikalischen Bewertung des Punk als „sozial-kulturelles Ereignis“ in Form einer spezifischen Art von „Sozialprotest“, als Stilrichtung und „ästhetische Innovation“ und als Ästhetik der Provokation vgl. Faulstich, Werner: Zwischen Glitter und Punk. S. 135138; zu den musikalischen Charakteristika des Punk, vornehmlich hinsichtlich der Rhythmik, des Tempos und der rudimentären Harmonik vgl. Giessen, Hans W.: Zeitgeist populär. S. 32; zur Symbolik des Punk vgl. Denselow, Robin: When the Music’s over. S. 144; zur Punk-Rezeption in der BRD vgl. Galenza, Ronald: Zwischen „Plan“ und „Planlos“: Punk in Deutschland. In: Krüger, Thomas/Schäfer, Hermann (Hrsg.): Rock! S. 96-103. 11 Vgl. Teipel, Jürgen: Verschwende deine Jugend. Ein Doku-Roman über den deutschen Punk und New Wave. Frankfurt a.M. 2001; zur Entstehung der Bezeichnung ‚NDW‘ vgl. ebd., S. 141 und Mellmann, Katja: Helden aus der Spielzeugkiste. S. 255.
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indem er ihn rettet vor der Monotonie der immergleichen und schnell erstarrenden Protesthaltung.12
Neben der ‚NDW‘ differenziert sich zweitens die deutschsprachige Rockmusik in der Folge von Politrock-Bands wie Ton Steine Scherben und Floh de Cologne, aber auch unter Einfluss der Erfolge Udo Lindenbergs zum so genannten Deutschrock aus. Auch wenn die Forschung dieses mit Songschreibern wie Herbert Grönemeyer, Heinz Rudolf Kunze, Klaus Lage oder Wolf Maahn verbundene Genre häufig als Folgeerscheinung der ‚NDW‘ betrachtet,13 sprechen u.a. die Zeitpunkte der ersten Veröffentlichungen dieser Künstler dagegen.14 Die stilistische Orientierung vor allem an der angloamerikanischen Rockmusik und weniger am Punk ebenso wie eine die Songproduktion und mediale Präsentation betreffende Fokussierung auf den Sänger (im Gegensatz zum Bandkollektiv) legen es nahe, den Deutschrock als eigenständiges Genre zu werten. Drittens schließlich veröffentlichen auch ‚Liedermacher‘ wie Franz Josef Degenhardt, der mittlerweile in der BRD lebende Wolf Biermann, Walter Mossmann oder Hannes Wader weiterhin Alben, auch wenn sie mit starken Publikumsrückgängen zu kämpfen haben und kaum noch in Radio und Fernsehen auftauchen.15 Gleichzeitig feiern Einzelkünstler Erfolge, die in Präsentation und musikalischer Gestaltung zwar dem Deutschrock und dem Schlager nahe, überwiegend aber weiter dem Folk-Idiom verhaftet sind wie etwa Klaus Hoffmann, Konstantin Wecker und Reinhard Mey.16 All diese Genre-Differenzierungen müssen als popmusikgeschichtlicher Hintergrund für die im Folgenden unternommenen Untersuchungen bedacht werden. Begonnen wird mit einem der kommerziell erfolgreichsten Songs über den Nationalsozialismus überhaupt: BAPs Kristallnaach.
12 Faulstich, Werner: Zwischen Glitter und Punk. S. 159. 13 Vgl. z.B. Longerich, Wilfried: „Da Da Da“. S. 227; Mellmann, Katja: Helden aus der Spielzeugkiste. S. 254-257. 14 Herbert Grönemeyers erstes Album erschien z.B. bereits 1979, Udo Lindenbergs erstes deutschsprachiges Album Daumen im Wind bereits 1972. 15 Vgl. Böning, Holger: Der Traum von einer Sache. S. 177. 16 Vgl. Lassahn, Bernhard: Nachwort. S. 269f.
7. Z EIT
DES
Ü BERGANGS 1979-1989
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F ASCHISMUSANALYSEN ZWISCHEN H ISTORISIERUNG , P SYCHOLOGISIERUNG UND E NTPOLITISIERUNG DER NS-Z EIT BAP: Kristallnaach (1982) 1982 erscheint auf dem Album Vun drinne noh drusse der Kölner Band BAP der Song Kristallnaach.17 Wie alle Texte aus der Feder Wolfgang Niedeckens ist auch dieser in Kölner Mundart verfasst. Er bietet einen guten Einstieg in die Songproduktion der 80er Jahre, weil er auf Erklärungsmuster der 70er und noch stärker der 60er Jahre für den Erfolg des NSRegimes zurückgreift und diese gleichzeitig mit spezifischen textlichen und musikalischen Neuerungen der 80er Jahre verbindet. Er ist darüber hinaus das erste Beispiel eines massenkulturell erfolgreichen Songs, der sich mit dem Nationalsozialismus auseinandersetzt: Das Album erreichte Platz 1 der deutschen Charts, der Song Kristallnaach stieg bis auf Platz 25 der Singlecharts.18 Er wurde zudem in verschiedener Form, zuletzt 2009, immer wieder veröffentlicht und fehlt in kaum einem Konzert der Band. Damit zeigt Wolfgang Niedecken, dass er die Anfang der 80er Jahre getroffenen Aussagen auch heute noch für gültig erachtet.19 Kristallnaach ist für einen Deutschrock-Song und eine Single-Auskoppelung ungewöhnlich komplex konstruiert. Er besteht aus sechs gleich gebauten Strophen, die wiederum in je zwei Teile unterteilt sind. Die zwei aus je fünf Versen bestehenden Passagen, die unter anderem durch wechselnde Reimung (AABBA[B]/ABABC) unterschieden sind, werden jeweils abgeschlossen mit Variationen der Nennung des titelgebenden Geschehnisses. So heißt es am Ende der ersten Strophe etwa: „et’ rüsch noh Kristall17 BAP: Kristallnaach. T.: Wolfgang Niedecken/M.: Manfred Boecker, Wolly Boecker, Steve Borg, Alexander Büchel, Klaus Heuser, Hans Wollrath. Aus dem Album: Vun drinne noh drusse. Erschienen 1982. 18 Vgl. Laufenberg, Frank/Laufenberg, Ingrid: BAP. In: Dies.: Hit-Lexikon des Rock und Pop. S. 138-140. 19 So z.B. BAP: Kristallnaach (Live Version 1982). T.: Wolfgang Niedecken/M.: Manfred Boecker, Wolly Boecker, Steve Borg, Alexander Büchel, Klaus Heuser, Hans Wollrath. Aus dem Album: Live. Bess demnähx. Erschienen 1982; Kristallnaach (Live Version 2002). Aus dem Album: Övverall. Erschienen 2002; Kristallnaach (Version 2005). Aus dem Album: Dreimal zehn Jahre. Erschienen 2005; Kristallnaach (Live Version 2009). Aus dem Album: Live und in Farbe. Erschienen 2009.
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naach“ (Str. 1, V.10). Die verwendete Struktur erinnert an Bob Dylans Songs der 60er Jahre, beispielsweise an A hard Rain’s gonna fall; ein Einfluss, den Wolfgang Niedecken mehrfach selbst betont hat.20 Ungewöhnlich für einen Deutschrock-Song ist neben der hohen Strophenanzahl der fehlende Refrain.21 Musikalisch ist das Stück als kontinuierliche Steigerung aufgebaut. Die erste Strophe ist sehr leise und ausschließlich mit einer Synthesizer-Fläche und einer taktgebenden, ‚clean‘ gespielten E-Gitarre instrumentiert.22 Von Strophe zu Strophe werden nun Instrumente ergänzt. In der zweiten folgen sukzessive Drum-Hi-Hat und Percussion, in der dritten die Bass-Drum, während die Synthesizer-Fläche oktaviert wird. Nach der dritten Strophe verändert sich das Hörbild komplett. Eingeleitet mit einem Marschmusik imitierenden Snaredrum-Crescendo setzt das gesamte Rockinstrumentarium ein – E-Bass, Schlagzeug mit der Snaredrum auf der Zählzeit 2 und 4, verzerrte E-Gitarren. Diese Zäsur in der musikalischen Struktur signalisiert eine Zweiteilung der Aussage, die der Text in solcher Prägnanz nicht ausdrückt. Beendet wird der Song durch ein raumgreifendes EGitarrensolo von Klaus Heuser sowie eine Doppelung des Schlagzeugs. Dadurch, dass in der Abmischung der Rockrhythmus des Schlagzeugs reduziert und zunehmend von dem wieder aufgegriffenen MarschTrommelwirbel überlagert wird, ‚verschwindet‘ der Song schließlich in einem militaristischen Klangbild. Die sechs Strophen sind, so Werner Faulstich, geprägt von „einer merklichen Sprachbewußtheit; da geben sich rhetorische Figuren wie Alliteration, Hyperbel, Katachese, Parallelismus, Ellipse, Hyperbaton, Litotes, Metonymie usf. in einem einzigen Song ein Stelldichein.“23 Daneben finden 20 Dylan, Bob: A hard Rain’s gonna fall. T./M.: Bob Dylan. Aus dem Album: The Freewheelin’ Bob Dylan. Erschienen 1963; vgl. zum Einfluss Dylans auf die Texte Niedeckens Klotz, Jörg-Peter: Wolfgang Niedecken und BAP. S. 122; Niedecken äußert: „Ich halte mich nicht für den legitimen Nachfolger von Bob Dylan oder den deutschen Stellvertreter von Bruce Springsteen, aber meine wichtigsten Einflüsse sind nun mal die Beatles, die Stones, Bob Dylan und die Kinks.“ (Niedecken, Wolfgang: Immer weiter. BAP-Logbücher 2000-2004. Hrsg. v. Marion Heister. Köln 2004, S. 300). 21 In Niedeckens Worten: „Als der Text dann fertig war, dachte ich: ‚Ohgottogott, dafür wird mich die Kapelle ermorden.‘ Zum einen war das Ding unheimlich lang und hatte obendrein noch nicht mal einen Refrain.“ (Niedecken, Wolfgang/Hoersch, Teddy: Verdamp lang her. Die Stories hinter den Bap-Songs. Eine Art Fortsetzungsroman. Köln 1999, S. 65). 22 Vgl. Faulstich, Werner: Zwischen Glitter und Punk. S. 112. 23 Ebd., S. 112.
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sich zahlreiche und nicht immer aufzulösende Anspielungen und intertextuelle Verweise, verknüpft mit surrealistischen Sprachbildern, die ebenfalls an Dylan, beispielsweise an All along the Watchtower, erinnern.24 Bereits in der ersten Strophe sind diese Elemente erkennbar. Anders als in den bislang betrachteten Texten bleibt die Perspektive hier jedoch rocksongtypisch subjektiv und stellt das Sänger-Ich ins Zentrum: Et kütt vüür, dat ich mein, dat jet klirrt, dat sich irjendjet enn mich verirrt, e’ Jeräusch, nit ens laut manchmohl klirrt et vertraut selden su, dat mer’t direk durchschaut. Mer weed wach, rief die Auren un sieht enn nem Bild zweschen Breughel un Bosch kei Minsch, dä öm Sirene jet jitt weil Entwarnung nur halv su vill koss et’ rüsch noh Kristallnaach. (Str. 1, V.1-10)25
Auffallend ist das Tempus, das das Geschehen in der Gegenwart ansiedelt. Dadurch wird der Songtext weniger zu einer Beschreibung der historischen ‚Reichskristallnacht‘ 1938 – im Übrigen eine überaus problematische Bezeichnung26 –, sondern zu einer dystopischen Warnung vor erneuten Pogromen. Diese ist sprachlich vorbereitet: Die Ersetzung des eigentlich zu erwartenden ‚Klingens‘ im vierten Vers durch ein „Klirren“ lässt inhaltlich 24 Dylan, Bob: All along the Watchtower. T./M.: Bob Dylan. Aus dem Album: John Wesley Harding. Erschienen 1967. 25 Die angegebenen Textfassung weicht an einigen Stellen von der im 1982erAlbum-Inlay abgedruckten ab – dies hier ist die von Niedecken überarbeitete aus Niedecken, Wolfgang/Kobold, Oliver (Hrsg.): Bap. Die Songs 1976-2006. Hamburg 2006, S. 120-123. 26 Diese vermutlich dem Volksmund entstammende Bezeichnung trägt euphemistische Züge, weil der Beginn systematischer Unterdrückung der Juden als ‚glitzernde‘ Festivität mitschwingt; Alternativbegriffe sind jedoch ebenfalls umstritten. So z.B. der Terminus ‚Reichspogromnacht‘, dem mittels des Begriffs ‚Pogrom‘ eine Kontinuität vom Mittelalter bis zum Dritten Reich, d.h. eine mangelnde Spezifik der Geschehnisse und eine Beschränkung auf lediglich eine ‚Nacht‘, eingeschrieben sind. Aus ähnlichem Grund umstritten, aber vielleicht noch am wenigsten problematisch ist der Begriff ‚Novemberpogrome‘, dem allerdings die metaphorische Bedeutung der gewalttätigen ‚Nacht‘ (der Menschlichkeit/der Vernunft) fehlt (vgl. Runge, Irene: „Kristallnacht“. Fragen zur Rekonstruktion von Erinnerungen. In: Pätzold, Kurt/Dies.: „Kristallnacht“. Zum Pogrom 1938. Berlin (Ost) 1988, S. 7-38, vgl. zur Ereignisgeschichte Döschner, Hans-Jürgen: „Reichskristallnacht“. Die Novemberpogrome 1938. Frankfurt a.M., Berlin 1988).
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und onomatopoetisch die ‚Kristallnaach‘ erahnen. Zwei Aspekte, die der Text in den folgenden Strophen dann konkretisiert, werden hier bereits auf gedrängtem Raum angedeutet: zum einen die multisensorische Vernehmbarkeit der Gefährdung (Hören, Sehen, Riechen), die durch die Nennung der Maler Peter Breughel und Hieronymus Bosch zwischen (bäuerlichem) Alltagsleben und apokalyptischer, dämonischer Zerstörung angesiedelt ist, zum zweiten ihr monetärer Aspekt („weil Entwarnung nur halv su vill koss“), der unter Verwendung des Topos der nicht-gehörten Warnung an Franz Josef Degenhardts Wölfe mitten im Mai erinnert.27 Dieses finanzielle Motiv führen die folgenden Strophen weiter aus. Immer werden dabei die historischen Novemberpogrome mitgedacht und durch semantische Indikatoren präsent gehalten. So werden in der zweiten Strophe „Honoratiore“, d.h. wohlhabende politisch agierende Bürger, gegen die „Volkseele“ gestellt. Während erstere „janz klammheimlich […] die Stadt“ verlassen, „wütet und schreit“ das Volk und fordert „Vergeltung“ (Str. 2, V.2-9).28 Diese Forderung wird begründet als „Neid“ (Str. 2, V.9). Sprachlich zielt der „Neid“ als Assonanz auf einen rhetorisch (durch Binnenreime und Alliteration) besonders gewichtigen Vers: „‚Heil Halali‘ un jrenzenlos geil“ (Str. 2, V.8). Das Ergebnis der durch den Neid unterstützten ‚Geilheit‘ des Volkes sind also der nationalsozialistische Führergruß und der jägersprachliche Ausruf. Dass dieser eigentlich das Ende und nicht den Auftakt der Jagd markiert, ändert nichts an seiner Assoziation mit der Menschenjagd. Die politische Verführbarkeit des Volkes ist, so führt der Text weiter aus, begründet in einer spezifischen charakterlichen Disposition, die an Theodor Adornos „autoritäre Persönlichkeit“ erinnert.29 Die dritte Strophe erläutert diese Verbindung von Autoritätshörigkeit und der Verfolgung von Randgruppen genauer:
27 Vgl. z.B. Vandenbroeck, Paul: Hieronymus Bosch. Des Rätsels Weisheit. In: Bosch, Hieronymus: Das Gesamtwerk. Hrsg. v. Jos Koldeweij, Paul Vandenbroeck, Bernand Vermet. Stuttgart 2001, S. 176-182. 28 Vgl. Faulstich, Werner: Zwischen Glitter und Punk. S. 113. 29 Vgl. Adorno, Theodor W. u.a.: The Authoritarian Personality. New York 1950, darin v.a. das Kap. Types and Syndromes. S. 744-783; vgl. auch Güttler, Peter O.: Sozialpsychologie. Vierte durchges. und erw. Aufl. München u.a. 2003, S. 119-122; Cramer, Erich: Hitlers Antisemitismus und die Frankfurter Schule. Kritische Faschismus-Theorie und geschichtliche Realität. Düsseldorf 1979, v.a. S. 57; Faulstich, Werner: Zwischen Glitter und Punk. S. 113.
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Doch die alles wat anders ess stührt, die mem Strom schwemme, wie’t sich jehührt, für die Schwule Verbrecher sinn, Ausländer Aussatz sinn bruuchen wer, der se verführt. (Str. 3, V.1-5)
Der erste Teil des Songs wird hierauf folgend abgeschlossen mit einem pessimistischen Ausblick, der die Gleichgültigkeit und/oder Hilflosigkeit der Gesellschaft gegenüber den aus solcher Charakterdisposition resultierenden (neo-)nationalsozialistischen Tendenzen anhand eines teilnahmslosen Superhelden demonstriert: Un dann rettet kein Kavallerie, keine Zorro kömmert sich do dröm. Dä piss höchstens e „Z“ en enn dä Schnie30 un fällt lallend vüür Lässigkeit öm: „Na un? – Kristallnaach!“ (Str. 3, V.6-10)
Während an dieser Stelle nun die Band einsetzt und aus dem Song ein treibendes, lautes Rockstück werden lässt, verlässt der Text die konkrete Ausdrucksweise zugunsten zunehmend bildlicher, abstrakter Sprache. Aus einem – Schuldige und Opfer, Verführer und Verführte benennenden – „politische[n] Lehrgedicht“ wird in den folgenden zwei Strophen eine apokalyptische Vision, die nur noch assoziativ aufgelöst werden kann.31 Zunächst wird eine Zustandsbeschreibung gegeben: Enn dä Kirch met dä Franz Kafka-Uhr, ohne Zeijer, met Striche drop nur lies ‚ne Blinde ‚nem Taube „Struwwelpeter“ vüür hinger dreifach verriejelter Düür. Un dä Wächter mem Schlüsselbund hällt sich em Ähnz für jet wie e’ Genie, weil e’ Auswääje pulverisiert un verkäuf jääjen Klaustrophobie enn der Kristallnaach. (Str. 4, V.1-10)
30 Werner Faulstich weist hier auf einen denkbaren Bezug zu dem Film Z (1968) hin, der sich gegen totalitäre Systeme stellt und dies mit Songs des politischen Musikers Mikis Theodorakis untermalt (vgl. ebd., S. 114). 31 Ebd., S. 112f.
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Verschiedene Aspekte der „Kristallnaach“ werden hier angesprochen: Durch den Verweis auf Franz Kafkas Roman Der Process, insbesondere die Szenen im Dom, wird die Frage von Schuld und Verantwortung aufgerufen und gleichzeitig das Fehlen einer funktionierenden Gerichtsbarkeit bei gleichzeitiger autoritärer bürokratischer Verfolgung Unschuldiger angedeutet.32 Die Absurdität, dass und von wem der Struwwelpeter vorgelesen wird, unterstützt diese Assoziation. „Auswege“ verschwinden durch den auf Kafkas Vor dem Gesetz verweisenden Türwächter. Sein Handeln, im Referenztext nicht motiviert, ist hier erneut dem Wunsch etwas zu ‚verkaufen‘, also monetärer Gier, geschuldet.33 Welche Folgen eine solche Korruption von Recht und Ordnung zeitigt, malen die weiteren Verse aus. Jetzt, „unmaskiert, hück mem wohre Jeseech […] prob dä Lynch-Mob für’t jüngste Jereech“ (Str. 5, 2-5). Dieses Handeln ist jedoch weniger, wie anhand des Leitmotivs ‚Kristallnacht‘ zu erwarten wäre, eine Zerstörung von Synagogen oder Verfolgung von Menschen mit dem Ziel, sie zu vertreiben oder zu töten, sondern äußert sich im Inbegriff kapitalistischer Perversion, dem Menschenhandel: – die Galeeren stonn längs unger Dampf – weed em Hafen op Sklaven jewaat, op dä Schrott uss dämm unjleiche Kampf uss der Kristallnaach. (Str. 5, V.7-10)
Zum Ende des Songs, in der rockmusikalischen Klimax, werden die bisher aufgeführten Aspekte zu einer moralischen Lehre zusammengeführt. Sie ist argumentativ eine logische Zusammenfassung der vorhergehenden Strophen: Do, wo Darwin für alles herhällt, ob mer Minsche verdriev oder quält, do, wo hinger Macht Jeld ess, wo Starksinn die Welt ess, vun Kusche un Strammstonn entstellt. Wo mer Hymne om Kamm sujar blööß, en barbarische Gier noh Profit ‚Hosianna‘ un ‚Kreuzigt ihn‘ rööf, 32 Vgl. Kafka, Franz: Der Process. Roman in der Fassung der Handschrift. Hrsg. v. Malcolm Pasley. Stuttgart 1990, S. 182-205. 33 Werner Faulstich übersieht diesen Aspekt, wenn er den Türhüter lediglich innerhalb des „Zirkel[s] der Verführer und Verführten“ begreift (Faulstich, Werner: Zwischen Glitter und Punk. S. 115).
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wemmer irjend ne Vorteil drin sieht ess täglich Kristallnaach nur noch Kristallnaach. (Str. 6, V.1-11)
Niedecken führt in dieser Strophe in verkürzter Form die gleichen Faschismustheorien an, wie sie bereits in den Songs der 60er und 70er Jahre erkennbar waren. Wieder ist das Kapital verantwortlich sowohl für die historischen Geschehnisse als auch für fehlerhafte Entwicklungen in der Songgegenwart. Gleich dreimal (V.3,7,9) wird auf diesen Zusammenhang verwiesen. Auch die Nennung des Evolutionstheoretikers Charles Darwin kann in diesen Zusammenhang verstanden werden. Anders aber als die Songschreiber der 60er und 70er Jahre verbindet Niedecken in dieser Strophe die kapitalismuskritische Sichtweise erneut mit einer spezifisch autoritätshörigen charakterlichen Anfälligkeit (v.a. V.5). Niedecken deutet das historische Ereignis der Novemberpogrome auf höchst problematische Weise um, indem er eine Parallelität von 1938 zur Songgegenwart proklamiert. Durch semantische Verweise hält der Text die historischen Ereignisse zwar immer präsent, erklärt die Ermordung von Menschen und die Zerstörung jüdischer Einrichtungen aber nur auf sehr verkürzte Weise. Parallel zu dieser historischen ‚Analyse‘ wird die „Kristallnaach“ zu einer Metapher für jede Art von unmenschlichem Verhalten. Die Novemberpogrome verlieren so gänzlich ihre historische Singularität. Überblickend lässt sich festhalten, dass Niedecken in seinem Text somit Tendenzen aufgreift, die bereits in den 70er Jahren erkennbar waren: die Verstärkung antikapitalistischer Äußerungen vor dem Hintergrund einer Historisierung des Nationalsozialismus. Der ästhetische Mehrwert des Songs besteht darin, dass er diese Aussagen in eine (gerade für die Populärmusik) ungewöhnliche Sprache und rockmusikalische Gestaltung zu fassen weiß. Letztere besteht vornehmlich darin, dass die Musik für sich allein bedeutungstragende eigenständige Elemente aufweist. Der Song kann, eben weil er sich als subjektive Ahnung und nicht als objektive Analyse zu erkennen gibt, als Spiegelung gesellschaftlicher Fehlentwicklungen im Sänger-Ich rezipiert werden. Er benötigt weder inhaltliche Authentizitätssignale noch eine besondere Dominanz der textlichen über der musikalischen Ebene. Die rocktypische Präsentation des subjektiven Unbehagens wird dabei durch den Dialekt noch verstärkt. Als
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„Verstoß gegen Konventionen“, als „Gossensprache“ ist Kölsch Zeichen der Unmittelbarkeit und Unverstelltheit der Aussage.34 Die repetitive Nennung der „Kristallnaach“ und die musikalische Gestaltung führen allerdings zu einer Problematik in der Aufführung, namentlich zum fröhlichen Mitsingen des Publikums, wahrzunehmen auf jeder Live-Aufnahme des Songs. Niedecken selbst hat zu dieser Ambivalenz ausgeführt: In Konzerten führt die Mischung gelegentlich zu merkwürdigen Situationen. Da singen alle mit, und keiner denkt darüber nach, wovon eigentlich die Rede ist. Aber ich kann das niemandem verübeln, denn die Leute kommen ja zum Konzert und nicht, um mit mir über die Judenpogrome nachzudenken.35
Eine solche gar zu unbeschwerte Rezeption wird nicht nur durch die eingängige Musik, sondern auch durch die Art des Angriffs auf menschliches Verhalten unterstützt. Indem Niedeckens Text die Kritik weitgehend unkonkret darbringt, müssen sich von der Hörerschaft viele nicht direkt betroffen/angesprochen fühlen, sondern können in die Kritik an den ‚Honoratioren‘ und den ‚Kuschenden‘ gemeinschaftlich lautstark einstimmen und sich so im kollektiven Gesang ihrer Nichtteilhabe an den geschilderten Verhaltensweisen gegenseitig versichern. Konstantin Wecker: Einen braucht der Mensch zum Treten (1984)/Hexeneinmaleins (1978) Die von Wolfgang Niedecken vorgebrachte These, dass ein spezifisch (deutsches) charakterliches Defizit zumindest mitverantwortlich für die Gewaltexzesse der Nationalsozialisten gewesen sei, findet sich auch bei Konstantin Wecker. Ein Beispiel hierfür ist der Song Einen braucht der Mensch zum Treten.36 Primär ist der Text eine Variation über einen allgemeinmenschlichen Hang zu Gewalttätigkeiten. So heißt es im ersten Refrain:
34 Niedecken, Wolfgang/Hoersch, Teddy: Verdamp lang her. S. 193. 35 Niedecken, dpa, 1. November 1990. Zit. n. Klotz, Jörg-Peter: Wolfgang Niedecken und BAP. S. 149f. 36 Wecker, Konstantin: Einen braucht der Mensch zum Treten. T./M.: Konstantin Wecker. Aus dem Album: Inwendig warm. Erschienen 1984; eine zweite, veränderte Version ist veröffentlicht auf dem Album Classics. Erschienen 1991.
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Einen braucht der Mensch zum Treten, einen hat er immer, der ihn tritt. Zwischendurch verbringt er seine Zeit mit Beten, und ansonsten läuft er irgendwo mit. (Ref. 1, V.1-4)
Die Strophen sind gleichläufig konstruiert: Einer allgemeinmenschlichen Frustration (z.B. „Wohin soll der Mensch sich wenden,/wenn er mal auf hundertachtzig ist?“ [Str. 1, V.1f.]) werden jeweils zwei Lösungsvorschlage beigegeben („Soll er seine Haut verpfänden, oder wird er besser Terrorist?“ [Str. 1, V.3f.]). Diese werden jedoch verworfen („Nein, es gibt ein ganz probates Mittel,/um den Alltagsfrust zu überstehn“ [Str. 2, V.1f.]) und durch eine Alternative ersetzt. Zu Beginn des Songtextes sind die alternativen Lösungsvorschläge fremdenfeindlich motivierte und häusliche Gewalt: man löst mit einem Türken das Problem (Str. 2, V.4) man schafft sich eine Frau an und ein Kind (Str. 4, V.4)
Dass dieses Verhalten – im Übrigen beschränkt auf die Perspektive männlicher Akteure – innerhalb eines deutschen Paradigmas gedacht wird, d.h. der Text sich eben nicht mit allgemeinmenschlichen Defiziten, sondern vor allem mit ihrer deutschen Ausprägung beschäftigt, belegt das letzte Strophenpaar: Wohin soll der Mensch sich wenden, wenn er mal ganz oben ist? Soll er alles an die Wohlfahrt spenden, oder wird er besser offiziell Faschist? (Str. 5, V.1-4) Nein, es gibt ein seriösres Mittel, um nicht ganz allein zugrund zu gehn. Dazu nützt auch mal ein Doktortitel, man löst mit einem Endsieg das Problem. (Str. 6, V.1-4)
Auch wenn diese zwei Strophen identisch mit den vorherigen konstruiert und mit einem wortgleichen Einleitungsvers ausgestattet sind, drehen sie doch die Aussage auf den Kopf. Es wird nun offensichtlich, dass der soziale, finanzielle oder auch emotionale Status eben nicht als hinreichende Erklärung für Gewalttätigkeiten jeder Art und vor allem für die Teilhabe der Bevölkerung am Nationalsozialismus dienen kann. Der „Endsieg“ ist die Lösung eines Problems, das eigentlich keines ist. Damit wird jede Art von Faschismustheorie, die den Erfolg des NS-Regimes als Folge wirtschaftli-
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cher Unsicherheiten (Wirtschaftskrise der 30er Jahre) oder als „aus Angst geborene Reaktion auf die Vernichtungsvorgänge der Russischen Revolution“ (Ernst Nolte), erklärt, ad absurdum geführt.37 Das Verhalten der deutschen Bevölkerung den Nationalsozialisten gegenüber, das betont der abschließende Refrain, ist durch den ‚autoritären Charakter‘ begreiflich: Einen braucht der Mensch zum Treten, und statt dass er sich mal selber tritt, zieht er lieber – wenn auch ungebeten – alle anderen in seinen Abgrund mit. (Ref. 3, V.1-4)
Die hier angedeutete Transformation von autoaggressivem zu fremdaggressivem Verhalten stellt – in vereinfachter Form – eine Facette der massenpsychologischen Theorie des ‚autoritären Charakters‘ von Wilhelm Reich, Erich Fromm bis Horkheimer und Adorno dar: die Umleitung autoaggressiver Bedürfnisse, die als Folge einer Unterwerfung unter eine Autorität entstehen, auf externe ‚Sündenböcke‘.38 Interessant ist, wie Konstantin Wecker das Verhältnis von einzelner Führerpersönlichkeit zu kollektiver Unterordnung, von Unterwerfung zu Destruktionslust musikalisch vermittelt. Dies geschieht, indem die Refrains zunächst von Konstantin Wecker als Sologesang vorgegeben und anschließend von einem Chor ‚nachgesungen‘ werden. Dadurch wird eine kollektive Unterwerfung dargestellt, deren latente Aggressivität dem Hörer durch das hohe Tempo des Gesangs, die Einstimmigkeit, die harte Artikulation und den treibenden Trochäus spürbar ist. Zwar exemplifiziert Wecker die psychologische Disposition des ‚autoritären Charakters‘ mit dem Verweis auf die nationalsozialistische Herrschaft und äußert sich damit zu zeitgenössischen Faschismustheorien, seine Aussagen haben aber einen überzeitlichen Geltungsanspruch. Sie sind in Einen braucht der Mensch zum Treten verbunden mit der Vorstellung, dass indi37 Nolte, Ernst: Zwischen Geschichtslegende und Revisionismus? S. 32. 38 Dieser Komplex kann hier nicht in Ausführlichkeit erarbeitet werden; vgl. dazu Fromm, Erich: Theoretische Entwürfe über Autorität und Familie. Sozialpsychologischer Teil. In: Horkheimer, Max/Ders./Marcuse, Herbert u.a. (Hrsg.): Studien über Autorität und Familie. Forschungsberichte aus dem Institut für Sozialforschung. Lüneburg 21987, Reprint der Ausgabe Paris 1936, S. 77-135, v.a. S. 115-118; Reich, Wilhelm: Die Massenpsychologie des Faschismus. Aus dem Englischen von Herbert Graf. Köln 1971 [1933], v.a. S. 59-94; Cramer, Erich: Hitlers Antisemitismus und die Frankfurter Schule. v.a. S. 56-59; vgl. auch Kap. 7: Anm. 29.
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viduelle und kollektive Empfindungen von Defiziten zu jedem historischen Zeitpunkt mit der Suche und Erschaffung von ‚Sündenböcken‘ verbunden sind.39 Demgegenüber betrachtet der einige Jahre zuvor veröffentlichte Song Hexeneinmaleins die Thematik historischer.40 Der Text umfasst die Ermordung Giordano Brunos auf dem Scheiterhaufen 1600 durch die katholische Inquisition (Str. 1), die Tötung der italienischen Anarchisten Nicola Sacco und Bartolomeo Vanzetti 1927 (Str. 2), den Mordanschlag auf Leo Trotzki 1940 (Str. 1, V.18-25) und reicht bis zur ‚Sympathisantenhatz‘ der Songgegenwart (Str. 2, V.23-27). Alle Genannten wurden, so der Refrain, als „Hexen verbrannt/auf den Scheiten der Ideologien“ (Ref. 1, V.1f.).41 Schon an dieser Stelle wird erneut die Problematik einer Analyse des Nationalsozialismus deutlich, die auf überzeitlich gültige Charakterdispositionen zurückgreift. Die spezifischen historischen Umstände, die zu der Verfolgung der einzelnen Personen geführt haben, werden verwischt und stattdessen wird eine allumfassende Gleichsetzung betrieben. In einer solchen Interpretation der Geschichte als zeit- und raumübergreifende Verfolgung von ‚Sündenböcken‘ werden dann auch die Opfer des Nationalsozialismus zu „Hexen“: Oder sechs Millionen Juden, eine Heerschar von Hexen, zum Aderlass geprügelt für die Reinheit des Blutes. Schrecklich, schrecklich, und die Mönche der Demokratie wedeln Verzeihung heischend mit der Rute. (Str. 2, V.7-14)
39 Zum Vierschritt des ‚Sündenbock‘-Mechanismus’ (Krise > Anschuldigung > Opferzeichen/Selektion > Vertreibung) und seinen Stereotypen vgl. Girard, René: Der Sündenbock. Aus dem Französischen von Elisabeth Mainberger-Ruh. Zürich 1988, S. 23-37. 40 Wecker, Konstantin: Hexeneinmaleins. T./M.: Konstantin Wecker. Aus dem Album: Eine ganze Menge Leben. Erschienen 1978; eine zweite, veränderte Version ist veröffentlicht auf dem Album Classics. Erschienen 1991, hier wird die (aktuellere) Textfassung angegeben (Wecker, Konstantin: Sage nein! Politische Lieder 1977-1992. Köln 1993, S. 70-72); sie weicht in Str. 2, V.9 ab, hier steht „Hexen“ statt „Hexern“. 41 Zu Weckers Verständnis des Begriffs ‚Ideologie‘ vgl. die Interpretation des Songs in Giessen, Hans W.: Zeitgeist populär. S. 76.
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Das Bild der Hexenverfolgung irritiert, denn ein tertium comparationis zwischen päpstlicher Inquisition, Shoa und Radikalenerlass existiert bei genauerer Betrachtung schlicht nicht. Die mittelalterliche, vormoderne Inquisition ist keineswegs mit der technischen Perfektion der Konzentrationslager vergleichbar. Auch ist der für die mittelalterliche Hexenverfolgung zentrale Aspekt der männlichen Abwehr antipatriarchalischer Emanzipationsprozesse der Frauen nicht auf den Holocaust übertragbar.42 Anstelle spezifischer historischer Erklärungen wird die „unkonkret-allgemeine, zeitlose“ Unterdrückung von Menschen in einer problematischen, weil simplifizierenden Metapher dargestellt.43 Sie ist zudem mit einer verkürzenden androzentrischen Sicht der Geschichte verbunden, die ein Charakteristikum zahlreicher Songs Konstantin Weckers ist; erkennbar und mit Bezug auf den Nationalsozialismus beispielsweise auch in Ach du, mein schauriges Vaterland und in Stilles Glück, trautes Heim, explizit ausformuliert in der 1991er Version von Hexeneinmaleins.44 Eine solche androzentrische Erklärung der Shoa greift jedoch ebenso zu kurz wie eine psychologisierende Interpretation der Juden als ‚Sündenböcke‘. Darüber hinaus verfällt Wecker der Gefahr, die „konkrete Verantwortung Einzelner hinter einem ‚System‘“ verschwinden zu lassen und ignoriert er den Charakter des Holocaust als eines singulären ‚Zivilisationsbruchs‘.45 Wolfgang Niedeckens Song Kristallnaach und die Werke Konstantin Weckers sind hinsichtlich der Ausführlichkeit der historischen Betrachtung Ausnahmen. Insgesamt fällt in den 80er Jahren auf, dass außer den Genannten kaum noch Songschreiber eine genauere Beschäftigung mit den Entste-
42 Vgl. Wurms, Renate: Hexe. In: Hervé, Florence/Wurms, Renate (Hrsg.): Das Weiberlexikon. Von Abenteurerin bis Zyklus. Köln 2006, S. 228-231. 43 Giessen, Hans W.: Zeitgeist populär. S. 77. 44 Vgl. Wecker, Konstantin: Ach du, mein schauriges Vaterland. T./M.: Konstantin Wecker. Aus dem Album: Das macht mir Mut. Erschienen 1982; Ders.: Stilles Glück, trautes Heim. T./M.: Konstantin Wecker. Aus dem Album: Stilles Glück, trautes Heim. Erschienen 1989; eine zweite, veränderte Version ist veröffentlicht auf dem Album Classics. Erschienen 1991 In der Neufassung von Hexeneinmaleins heißt es unter Bezug auf die ‚Urfassung‘ und konkret zum Golfkrieg z.B.: „Gerechter Krieg/heiliger Krieg/in erster Linie ist es ein männlicher Krieg“ (Str. 2, V.10-12). 45 Vgl. Günter, Manuela: Shoah-Geschichte(n). Die Vernichtung der europäischen Juden im Spannungsfeld von Historiographie und Literatur. In: Fulda, Daniel/Tschopp, Silvia Serena (Hrsg.): Literatur und Geschichte. Ein Kompendium zu ihrem Verhältnis von der Aufklärung bis zur Gegenwart. Berlin, New York 2002, S. 173-181, hier S. 175.
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hungsbedingungen des Nationalsozialismus unternehmen. Als wolle man Rolf Dieter Brinkmanns drastischem Diktum: „Deutschland, verrecke. […] Argumentieren lohnt sich schon nicht mehr. Zusammenficken sollte man alles, zusammenficken“, folgen,46 wird auf historische Darlegungen weitgehend verzichtet. Dies gilt insbesondere für die Punk-Musik und die frühe Neue Deutsche Welle. So heißt es z.B. bei der Band Slime: „Deutschland muss sterben, damit wir leben können“, und wird als Songtitel konstatiert: Polizei [=] SA/SS.47 Die Hamburger Combo Abwärts hingegen verkündet zu einem stampfenden Beat repetitiv die Gleichung „Stalingrad, Stalingrad/Deutschland Katastrophenstaat“.48 Indem hier auf Argumentation, historische Analyse und Folgerungen komplett verzichtet wird und stattdessen Negation und Kommunikationsverweigerung (auch durch Lautstärke) gegenüber dem Staat oder den Staatsbürgern vorherrschen, lässt sich mit Diedrich Diederichsen von einem subversiven Umgang mit der Vergangenheit sprechen.49 Eine genaue Auseinandersetzung mit dem Nationalsozialismus auch anhand der Kategorien des politischen Songs (Zielgerichtetheit, konkreten Gesellschaftsbezug und Intentionalität) findet jedoch nicht statt. Demgegenüber variieren die ‚alten‘ Songschreiber wie Franz Josef Degenhardt oder Floh de Cologne zwar ihre kapitalismuskritische Sichtweise, präsentieren aber kaum nennenswerte neue ästhetische Ansätze.50 Jüngere Künstler wie Heinz Rudolf Kunze oder Herbert Grönemeyer verzichten weitgehend auf historische Analysen, nehmen insgesamt eher die Gegenwart als die Vergangenheit in den Blick und teilen den radikalen Antikapitalismus ihrer Vorgänger nicht. 46 Brinkmann, Rolf Dieter: Keiner weiß mehr. Roman. Köln, Berlin 1968, S. 223f.; vgl. hierzu auch Kiesel, Helmuth: Literatur um 1968. S. 605f. 47 Slime: Deutschland. T./M.: Stephan Mahler. Aus dem Album: Slime I. Erschienen 1980, Ref. 1, V.1f.; Dies.: Polizei SA/SS. T./M.: Michael Mayer-Poes. Aus dem Album: Slime I. Erschienen 1980; wie nah diese Songs den ‚Normalisierungstendenzen‘ der 80er Jahre stehen (vgl. unten) zeigt sich nicht nur an dieser Parallelisierung, sondern auch an Zeilen wie: „Den Faschisten lasst ihr freien Lauf/Baader, Meinhof hingerichtet im Stammheimer KZ“ (Str. 2, V.2f.). 48 Abwärts: Computerstaat. T.: Frank Ziegert/M.: Axel Dill, Frank Martin Strauß, Frank Zieger. Aus der EP: Computerstaat. Erschienen 1980, Str. 4, V.3f. 49 Vgl. Diederichsen, Diedrich: Subversion. Kalte Strategie und heiße Differenz. In: Ders.: Freiheit macht arm. Das Leben nach Rock’n’Roll 1990-1993. Köln 1993, S. 35. 50 Vgl. z.B. Floh de Cologne: Ein polnischer Knecht. T.: Theo König/M.: Dick Städtler. Aus dem Album: Koslowsky. Erschienen 1983.
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Heinz Rudolf Kunzes 1984 veröffentlichter Song Deutschland (Verlassen von allen guten Geistern) ist in diesem Zusammenhang ein Beispiel für die oftmals mangelnde Tiefenschärfe jüngerer Künstler in der Annäherung an die Vergangenheit.51 Über die deutsche Geschichte heißt es hier: Verlassen von allen guten Geistern, von schweren Schatten lückenlos umstellt. Bewohnt von einem strammen Stamm von Meistern, und morgen die ganze Welt. (Ref. 1, V.1-4)
Unter intertextuellem Bezug auf Paul Celans Todesfuge („der Tod ist ein Meister aus Deutschland“) und Dietrich Bonhoeffers Von guten Mächten („treu und still umgeben“) wird der Nationalsozialismus nur noch mit einer Verknüpfung aus ‚Mangel an Geist‘ bzw. ‚Geisteskrankheit‘, unspezifischer Bedrohung und deutscher Charaktereigenart erklärt.52 Reinhard Mey: Die Eisenbahnballade (1988) Zum Abschluss dieses Überblicks zum historischen Diskurs im politischen Song seit 1979 soll auf ein Stück eingegangen werden, das viele der bislang behandelten Themen aufgreift, jedoch in Form und Inhalt eine Sonderstellung einnimmt. 1988 veröffentlicht Reinhard Mey ein Album mit dem Titel Balladen. Den Abschluss des Albums bildet das für populärmusikalische Werke ungewöhnlich lange Stück Die Eisenbahnballade mit einer Laufzeit von über zehn Minuten.53 Bereits der Titel lässt an bekannte Balladen wie Theodor Fontanes Die Brücke am Tay und andere Texte über die Ambivalenz von technischen Erfindungen denken.54 Meys Song spannt über 27 51 Kunze, Heinz Rudolf: Deutschland (Verlassen von allen guten Geistern). T./M.: Heinz Rudolf Kunze. Aus dem Album: Die Städte sehen aus wie schlafende Hunde. Erschienen 1984. 52 Vgl. Celan, Paul: Todesfuge. In: Ders.: „Todesfuge“ und andere Gedichte. Hrsg. v. Barbara Wiedemann. Frankfurt a.M. 2004, S. 11f.; Bonhoeffer, Dietrich: Von guten Mächten. In: Ders.: Werke. Band 8: Widerstand und Ergebung. Briefe und Aufzeichnungen aus der Haft. Hrsg. v. Christian Gremmels u.a. Gütersloh 1998, S. 607f. 53 Mey, Reinhard: Die Eisenbahnballade. T./M.: Reinhard Mey. Aus dem Album: Balladen. Erschienen 1988. 54 Vgl. Weißert, Gottfried: Ballade. S. 45-50; Drux, Rudolf: Zwischen Störfall und Weltuntergang. Einleitende Bemerkungen zur Vermittlung von TechnikKatastrophen. In: Ders./Kegler, Karl (Hrsg.): Entfesselte Kräfte. Technikkatastrophen und ihre Vermittlung. Moers, Lüdenscheid 2008, S. 12-36.
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Strophen hinweg ein Panorama der deutschen Geschichte von der Jahrhundertwende bis in die 80er Jahre auf. Die sechszeiligen SchweifreimStrophen 1-5 und 24-27 stellen dabei umrahmend die Gegenwart dar, während in den Strophen 6 bis 23 die Vergangenheit, auch melodisch abgesetzt, in vierzeiligen Paarreimen berichtet wird – beide Strophenformen verleihen dem Text einen volkstümlichen Charakter. Der Text ist in seiner Gliederung so strukturiert: Die Vorkriegszeit (Str. 6-9) sowie der Erste Weltkrieg und die Weimarer Republik (Str. 10-13) erhalten je vier, der Nationalsozialismus (Str. 14-18) und die Bundesrepublik (Str. 19-23) je fünf Strophen. Der Text berichtet mittels der Rahmenhandlung von einer Heimfahrt und beginnt mit einer subjektiven Perspektive. Das lyrische Ich begründet die Wahl des Verkehrsmittels („Zu müde für die Autobahn, zu spät für den letzten Flug/doch ich wollte nach Haus“ [Str. 1, V.3f.]) und beschreibt anschließend das Warten auf den Zug und den Beginn der Fahrt. Es ist die Schilderung einer alltäglichen Szene, der aber sprachlich ein Moment der Bedrohung beigegeben ist: Den Reisenden umgibt eine ästhetische („so viel kalte[r] Pracht“ [Str. 2, V.6]), emotionale („so viel Gleichgültigkeit“ [Str. 2, V.4] und physische („ich fröstelte“ [Str. 3. V.2]) Kälte; diese ist immer verbunden mit der Dunkelheit der Nacht (Str. 1, V.1/Str. 2, V.3/Str. 3, V.3/V.5, V.1). Der Kontrast zwischen hell erleuchtetem Zugabteil und dunkler Außenwelt motiviert die Auseinandersetzung mit der deutschen Vergangenheit: Mein Abteillicht fiel in weiß Auf den Schotter am Gleis, Und ich ahnte das dunkle Land. (Str. 4, V.4-6) Und durch die Dunkelheit drang Der monotone Klang Der Räder auf dem Schienenstrang, Ein einsamer Gesang, Den stählernen Weg entlang. (Str.5, V.1-5)
Ähnlich wie in Georg Danzers Die letzte Eisenbahn wird auch hier die Schiene zum Symbol für einen linearen historischen Prozess. Dass dieser als teleologische Fortentwicklung gedacht ist, dass die Eisenbahn Symbol und ebenso faktischer Träger des Fortschritts ist, machen spätere Verse klar:
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Die Eisenbahn trug Fortschritt, technische Revolution In jeden Winkel, bis in die entlegenste Station. (Str. 9, V.1f.)
Gleichzeitig aber ist dieses gesellschaftliche Vorankommen mit großen Ungleichheiten und individuellem Leid vor allem der Arbeiterklasse verbunden: Und wieder auf beim Morgengrau’n für jämmerlichen Lohn Und noch ein neues Vermögen mehr für den Stahlbaron. (Str. 7, V.3f.) Und bald fauchte das Dampfross funkensprühend durch das Land. Manch neue Industrie und manch Imperium entstand, Manch unschätzbarer Reichtum, doch an jedem Meter Gleis, Jeder Brücke, jedem Tunnel klebten Tränen, Blut und Schweiß. (Str. 8, V.1-4)
Die Personifikation der Eisenbahn als fauchendes Dampfross macht das technische Gefährt zu einem Akteur im Fortschrittsprozess. Die Anspielung auf Winston Churchills berühmte „Blut-Schweiß-und-Tränen-Rede“ 1940 verweist dabei schon in diesen Versen auf die Ambivalenz des technischen Fortschritts. Zwei Strophen weiter wird sie klar benannt:55 Doch der großen Erfindung haftet stets die Tragik an, Dass sie dem Frieden, aber auch dem Kriege dienen kann. (Str. 10, V.1f.)
Bereits in der Entstehungszeit des Eisenbahnnetzes ist die militärische und todbringende Nutzung während des Zweiten Weltkriegs angelegt. Den Übergang von der Weimarer Republik zum NS-Regime gestaltet Mey nun durch einen Wechsel der Bildlichkeit. Mittels der Verwendung einer pathetisch angehauchten Pflanzensymbolik, die Lebendigkeit und Freiheit evoziert, wird das Scheitern der Republik zum tragischen Zerstörungswerk: Aber es spross auch aus den Wirr’n verstrickter Politik Der zarte, schutzbedürft’ge Halm der ersten Republik. Doch Kleingeist, Dummheit und Gewalt zertrampelten ihn gleich Mit Nagelstiefeln auf dem Weg ins Tausendjähr’ge Reich. (Str. 14, V.1-4)
55 Vgl. Churchill, Winston: Blood, Toil, Tears and Sweat. First Speech as Prime Minister. May 13, 1940 to House of Commons. In: http://www.winstonchur chill.org/learn/speeches/speeches-of-winston-churchill/92-blood-toil-tears-andsweat, 06.05.10.
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Wie schon in anderen Songs der 80er Jahre sichtbar sind auch hier unspezifische charakterliche Defizite verantwortlich für den Aufstieg der HitlerRegierung. Sie führen gemeinsam mit der Verwendbarkeit der Eisenbahn für unmenschliche Zwecke zur technischen Umsetzung des Holocaust: Die Unmenschen regierten, und die Welt sah zu und schwieg. Und wieder hieß es: „Räder müssen rollen für den Sieg!“ Und es begann das dunkelste Kapitel der Nation, Das dunkelste des Flügelrades: Die Deportation. (Str. 15, V.1-4) In Güterwaggons eingeschlossen, eingepfercht wie Vieh, Verhungert und verzweifelt, nackt und frierend standen sie, Hilflose Frau’n und Männer, Greise und Kinder sogar, Auf der bittren Reise, deren Ziel das Todeslager war. (Str. 16, V.1-4)
Es ist lohnend, diese beiden Strophen in voller Länge zu zitieren, weil sie eine der ganz wenigen Auseinandersetzungen mit der Deportationspraxis der Nationalsozialisten in Songs der Bundesrepublik sind. Unweigerlich ist hier an Theodor W. Adornos Äußerung zu Gedichten nach/über Auschwitz zu denken. Meys Sprache ist trotz aller Grausamkeit des Gegenstands ästhetisch durchgeformt und ‚schön‘. Paarreime, Alliterationen, metaphorisches Sprechen, pathetische Ausdrucksweise, Pleonasmen, Inversionen usw. finden sich in diäretischen, weitgehend dem Alexandriner entsprechenden Versen. Stellenweise mutet die Wortwahl nahezu euphemistisch an, wenn die Verschleppung in die Vernichtungslager als „bittre Reise“ bezeichnet wird. Darüber hinaus wird hier erneut und gleich zweifach das Motiv der Dunkelheit betont aufgegriffen. Die Deportation wird so zum Inbegriff menschlichen Leids (Matthäus 8, 12: „Die Menschen […] werden in die Dunkelheit hinausgestoßen. Dort werden sie jammern und mit den Zähnen knirschen“) sowie zu einem Zeitpunkt der Absenz des aufgeklärten ‚Lichts der Vernunft‘. Gleichzeitig ist sie jedoch – was ihr den Eindruck einer gewissen Zwangsläufigkeit beigibt – ein „Kapitel“ des „Flügelrads“ der Geschichte. Interessanterweise gibt Mey dem gesamten Bericht über die Zeit des Nationalsozialismus und insbesondere der Deportation wenige Erläuterungen zu Handlungsmotivationen und Ursachen bei. Den Verbrechen der „Unmenschen“ wird keine Erklärung zugewiesen, sie werden lediglich als Faktum dargebracht. Damit unterscheidet sich Meys Song beispielsweise von Konstantin Weckers Begründungen der Shoa.
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Anders sieht es aber mit dem Luftkrieg der Alliierten aus; dieser wird in der folgenden Strophe als „Zorn der Gedemütigten“ (Str. 16, V.1) bezeichnet. Der altertümliche, fast biblische Sprachgebrauch deutet im Folgenden die transzendente, universelle Dimension des ‚Zivilisationsbruches‘ an – wie eine göttliche Strafe erscheint das Sühneopfer, das die deutschen Täter erleiden müssen: Der Krieg war mörderischer als jemals ein Krieg zuvor, Und schwer gestraft das Volk, das ihn frevelnd heraufbeschwor. (Str. 18, V.1f.)
Nach weiteren fünf Strophen über die Nachkriegszeit, am Ende des Songs, als das lyrische Ich mittlerweile „fast am Ende [der] Fahrt“ (Str. 23, V.2) angelangt ist, wird die Antinomie von Dunkelheit und Helligkeit ein letztes Mal aufgegriffen und zu einem optimistischen Schluss gebracht. Jetzt, zurück in der „Gegenwart“ (Str. 23, V.1), weist auch die Außenwelt „erleuchtete Fenster“ und „Scheinwerfer“ auf (Str. 25, V.1-3), am Ende heißt es: Und eine Hoffnung lag Über dem neuen Tag Und in dem Sonnenaufgang. (Str. 27, V.3-6)
Bei aller Problematik, die Reinhard Meys Song vor allem durch seine Ästhetisierung des Schreckens aufweist, ist bemerkenswert, wie er das technische System Eisenbahn beschreibt und seinen Gebrauch deutet. Durch die Parallelisierung der Technikgeschichte der Eisenbahn mit politischen Entwicklungen unter ständigem Rückgriff auf die Metaphorik der Aufklärung und der ‚Finsternis der (Un-)Vernunft‘ werden Fragen des technischen und menschlichen Fortschritts, d.h. auch der Teleologie historischer Prozesse verhandelt. Während beispielsweise Günter Grass 1987 die Reduktion des Fortschrittsbegriffs auf das „technisch Machbare“ beklagt und in dem Roman Die Rättin ausformuliert, Günter Kunert den Industriegesellschaften eine „technisch verengte Sichtweise“ attestiert, aber auch vor dem Hintergrund der Kritik Horkheimers und Adornos an der „instrumentellen Vernunft“, exemplifiziert Reinhard Mey zu gleicher Zeit am Beispiel der Eisenbahn die These, dass Nutzen und Schaden wissenschaftlicher Entwicklungen vornehmlich durch ihren Gebrauch bestimmt sind.56 Damit 56 Grass, Günter: Der Traum der Vernunft. Rede zur Eröffnung der Veranstaltungsreihe „Vom Elend der Aufklärung“ in der Akademie der Künste, Berlin
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wird die Eisenbahn zu einem Symbol für die Möglichkeit eines positiv zu wendenden Fortschritts schlechthin. Bei allen dunklen ‚Nachtfahrten‘ führt der „Schienenstrang“ (Str. 24, V.3.) doch in eine hoffnungsvolle Zukunft. Man kann aufgrund dieses optimistischen Geschichtsbildes in Reinhard Mey den „herausragende[n] Vertreter der Harmlosigkeit“ sehen, als „lieb und nett, auch im bösen Sinne des Wortes“, wie dies beispielsweise Bernhard Lassahn getan hat.57 Ebenso kann man aber gerade den gesellschaftspolitischen Impetus des Songs in dem Verweis auf die menschliche Gestaltungsfähigkeit des Fortschritts ausmachen. Diese Aussage meint den vernunftbegabten Menschen im Allgemeinen, sie ist an keiner Stelle auf eine konkrete Einzelperson bezogen und benennt weder Verantwortliche und Mitläufer noch Ausführende der historischen Prozesse. Wie andere Songschreiber in den 80er Jahren die Täter beschreiben, soll daher im Folgenden betrachtet werden.
„Z UM ABTRETEN ANGETRETEN “ D IE ALTERNDEN T ÄTER UND IHRE ZEITGENÖSSISCHEN E PIGONEN Zwei Entwicklungen lassen sich in den Songs von 1979 bis zur deutschen Wiedervereinigung 1989 hinsichtlich der Darstellung von Tätern des nationalsozialistischen Regimes ausmachen: Zum einen werden Argumentationsweisen der 60er und 70er Jahre in die 80er Jahre übertragen und anhand von zeitgenössischen Politikern vorgeführt, zum anderen findet eine satirische Diskreditierung der Täter statt, die diese ihrer Gefährlichkeit, politischen Seriosität und individuellen Integrität enthebt. Inwieweit dies bereits als Teil einer Verharmlosung der Verbrechen bzw. der Normalisierung des Umgangs mit der Vergangenheit zu werten ist, wird zu fragen sein. Juni 1984. In: Ders.: Werkausgabe in zehn Bänden. Band 9: Essays, Reden, Briefe, Kommentare. Hrsg. v. Volker Neuhaus. Darmstadt, Neuwied 1987, S. 887; Kunert, Günter: Was Orwell nicht ahnte. In: Ders.: Die letzten Indianer Europas. Kommentare zum Traum, der Leben heißt. München, Wien 1991, S. 79; vgl. dazu auch Adorno, Theodor W./Horkheimer, Max: Gesammelte Schriften. Band 5: Dialektik der Aufklärung und Schriften 1940-1950. Hrsg. v. Gunzelin Schmid Noerr. Frankfurt a.M. 1987. 57 Lassahn, Bernhard: Zugabe Zugabe. Anmerkungen, Parodien, Varianten, Übersetzungen für Nichtschweizer, Nachweise von A-W. In: Ders. (Hrsg.): Dorn im Ohr. S. 224.
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Neue ‚alte Täter‘ – Wolf Biermanns Album Eins in die Fresse, mein Herzblatt (1980) So wie Wolf Biermann in Drei Kugeln auf Rudi Dutschke 1968 den Bundeskanzler Kurt Kiesinger in eine ideelle Verbindung mit dem Nationalsozialismus stellt, so legt der Songschreiber ab Ende der 70er Jahre das Augenmerk auf den Kanzlerkandidaten Franz Josef Strauß. Dies dokumentiert das bereits nach der Ausbürgerung veröffentlichte Live-Album Eins in die Fresse, mein Herzblatt aus dem Jahr 1980.58 Schon das Cover und das Inlay der Doppel-LP geben dabei die Richtung vor: Auf dem abgebildeten Konzertplakat mit einem Porträtfoto Biermanns sind die Augen mit Hakenkreuz-Aufklebern überklebt, die wiederum zum Teil abgekratzt sind. Damit wird die Thematisierung des Nationalsozialismus und seiner Anhänger grafisch als zentrales Thema des Albums ausgewiesen. Insgesamt sieben Songs greifen den Bundestagswahlkampf 1980 und die Kandidatur Franz Josef Strauß’ auf. Auffällig ist sofort, mit welcher Vehemenz Biermann den CSU-Vorsitzenden zu einer Reinkarnation Adolf Hitlers werden lässt und durch die Parallelisierung nicht nur eine Beschreibung des nationalsozialistischen Täters schlechthin, sondern auch eine pessimistische Wertung der bundesrepublikanischen Gesellschaft unternimmt. Besonderes Gewicht haben die Vier Variationen zu Strauß, bestehend aus dem einleitenden Schlaflied sowie aus Grünes Gegengedicht, Rote Gegenfrage und Schwarzes Liedchen.59 Die erste Strophe zeigt, wie Biermann erneut die Betrachtung der Gegenwart aus der Vergangenheit herleitet: Schlaf ein, mein Michel, schlaf ein Der Strauß ist ja Kein Strauß ist kein Hitler Auch wenn er so spricht Und der letzte Krieg Wiederholt sich Nicht So schlimm wie es war Wird es nie wieder sein 58 Biermann, Wolf: Eins in die Fresse, mein Herzblatt – live. Erschienen 1980. 59 Ders.: Vier Variationen zu Strauß. Schlaflied – Grünes Gegengedicht – Rote Gegenfrage – Schwarzes Liedchen. T./M.: Wolf Biermann. Aus dem Album: Eins in die Fresse, mein Herzblatt – live. Erschienen 1980.
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Nein Es wird schlimmer (Schlaflied, Str. 1, V.1-13)
Als A-cappella-Gesang vorgetragen akzentuiert Biermann durch kurze Stockungen die auffallenden Zeilenumbrüche, die eine Reflexion über die Frage historischer Parallelitäten oder die Nicht-Vergleichbarkeit des Nationalsozialismus erzwingen. Betont wird dies z.B. in der doppelten Verneinung: „Kein/Strauß ist kein Hitler“, ebenso aber auch in der am Ende wiederholten Aussage: „Und der letzte Krieg/Wiederholt sich/Nicht“ (Schlaflied, Str. 3, V.7-9). Dieses Spiel mit abwechselnder Bejahung und Negierung der Wiederholbarkeit der Geschichte durchzieht den ganzen Song und läuft zum einen auf eine Kritik an der Schläfrigkeit des ‚deutschen Michels‘, einer Allegorie auf die deutsche Bevölkerung und gleichsam Personifizierung nationaler Identität, hinaus, zum anderen auf die Aussage, dass Vergleiche zwischen Nationalsozialismus und rechtskonservativer CSU durchaus ihre Berechtigung haben.60 Biermann könnte kaum drastischer werden, wenn er in der zweiten Strophe, allerdings ohne Kennzeichnung, ob hier ein RollenIch spricht oder nicht, mitteilt: Aller Skrupel bar Ist dieser Mann ja Tausendmal so gefährlich Wie der, der vor ihm war (Schlaflied, Str. 2, V.7-10)
Dass angesichts der gravierenden Gefahren, die die Wahl Franz Josef Strauß’ für die bundesrepublikanische Demokratie hätte, herkömmliche Mechanismen der Auseinandersetzung bzw. Diskursregeln nicht mehr gelten, machen die folgenden drei Variationen deutlich. Das gesprochene Grüne Gegengedicht lässt sich dabei als rollensprachliche Beschreibung der NS-Diskursregeln lesen: Strauß – Hitler, Hitler und Strauß Wie kannst du die vergleichen?! Das kommt falsch raus! Mensch, Hitler 60 Vgl. zum ‚Deutschen Michel‘, seinen Darstellungen von u.a. Heinrich Heine und seinen Bedeutungsebenen Riha, Karl: Deutscher Michel. Zur literarischen und karikaturistischen Ausprägung einer nationalen Allegorie im neunzehnten Jahrhundert. In: Link, Jürgen/Wülfing, Wulf (Hrsg.): Nationale Mythen und Symbole in der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts. Strukturen und Funktionen von Konzepten nationaler Identität. Stuttgart 1991, S. 146-171.
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Ging über Leichen! Franz-Josef? Nie! […] Wer gegen den zu Felde zieht Der bläst ihn auf zum Supermann Dämon! Mit geschichtlichem Format (Grünes Gegengedicht, Str. 1, V.1-9)
Zwei Aspekte – die Singularität der NS-Verbrechen und die Problematik der irrationalen Dämonisierung Hitlers – lassen sich hier erneut erkennen. Auffällig behauptet Biermann durch den Titel des ‚Gedichts‘, dass vornehmlich die Vertreter der Bundespartei DIE GRÜNEN auf die Einhaltung des ‚Vergleichsverbots‘ drängten. Argumentativ widerlegt wird dieses dann durch die anschließende Rote Gegenfrage. Sie lautet in voller Länge: Wieso? Hatte Hitler Format? War nicht auch Hitler ein Kretin? War etwa Hitler ein großes Licht? – Du großes Licht?! (Rote Gegenfrage, Str. 1, V.1-4)
Hier nun ist mit ihrer geistigen Durchschnittlichkeit eine Vergleichsebene der beiden Politiker geschaffen. Sie entkräftet das Argument der NichtVergleichbarkeit ebenso wie sie implizit der monströsen Überhöhung Hitlers widerspricht. All dies läuft auf ein Fazit hinaus (Schwarzes Liedchen), das über den Bezug zum Bundestagswahlkampf hinaus eine weiter gefasste Faschismustheorie andeutet, in der eine ‚rechts-konservative‘ Gesinnung Menschen zu Tätern werden lässt: Der Tod ist ein rechter Rechter Der Tod ist ein rechter Meister Aus Deutschland Ach, all unsre großen Schlächter Warn kleine Geister (Schwarzes Liedchen, Str. 1, V.1-5)
Der intertextuelle Verweis auf Paul Celans Todesfuge stellt erneut die Gefährdungen durch eine Kanzlerschaft Franz Josef Strauß’ in einen nationalsozialistischen Kontext.61 Der Kanzlerkandidat erscheint als die zeitgenössische Personifikation ‚meisterlicher‘ deutscher Menschenvernichtung. Deren Grauen wird durch die kleine Abweichung von Celans Gedicht (‚ein rechter Meister‘) dem rechten politischen Lager zugeordnet. Ganz genau wie „die paar Herren“ (Str. 6, V.1) in Drei Kugeln auf Rudi Dutschke als rechtskonservativ gekennzeichnet waren, wird auch hier – unterstützt durch 61 Vgl. Celan, Paul: Todesfuge. S. 11f.
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die Betitelung als schwarzes Liedchen – die Unterscheidung in Täter und Opfer des NS-Regimes anhand eines Rechts-Links-Schemas vorgenommen. Biermanns Vier Variationen vermitteln somit im Kern zwei Aussagen: zum einen die drastische Warnung vor einer Wiederholung der Geschichte, die, weil keine besondere geistige Befähigung der Täter („kleine Geister“) für sie nötig ist, noch wahrscheinlicher erscheint; zum anderen, dass Erklärungen für die nationalsozialistischen Massenmorde nicht in der historischen Singularität der Akteure oder dem Vorhandensein besonderer Charakter- oder Geisteseigenschaften der Täter zu suchen sind, sondern ausschließlich in ihrer jeweiligen politischen Position. Indem Biermann in diesen Aussagen jeglichen Unterschied zwischen der Täterschaft in der Vergangenheit und der Gegenwart negiert, stattdessen gerade ihre Vergleichbarkeit thematisiert und Hitler mit Strauß verknüpft, führt er Aussagen seiner Songs der 60er und 70er Jahre fort und aktualisiert sie. Die zentralen ‚Zielscheiben‘ seiner Angriffe bleiben auch in den 80er Jahren „die großen Führer“ ([Kleines] Lied von den bleibenden Werten, Str. 2, V.1) und nicht der durchschnittliche Bundesbürger. Eine solche Warnung vor Franz Josef Strauß, wie sie die Vier Variationen unter beständigem Rückgriff auf die Vergangenheit und ohne Konkretisierung des politischen Programms des Kanzlerkandidaten vornehmen, zeigt darüber hinaus einiges über das Geschichtsbild und die mit ihm einhergehende Poetik Wolf Biermanns. Selten hat er sie so prägnant formuliert wie in den einleitenden Worten zu den Vier Variationen auf dem Livealbum. Dort erklärt er: Wir wollen immer mit dem Schlimmsten rechnen, das Allerbitterste für möglich halten, Geschichtsbewußtsein haben, wissen was in der Vergangenheit für Niederlagen uns geblüht haben, damit wir auch vorbereitet sind auf die, die noch kommen werden, und nicht wie die Eintagsfliegen leben, und wollen trotz dieser Trauer ins uns, dieser Bitterkeit auch, tatkräftig und vergnügt und ohne schweren Bleiarsch das Beste anstreben.
Dieses „Geschichtsbewußtsein“ als Bewusstheit von Gefährdungen bestätigt sich bei der Betrachtung weiterer Songs des Albums. In dem bereits durch den Titel Assoziationen an das NS-Regime aufrufenden Song S & S
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wird die Nicht-Wählbarkeit diesmal beider Kanzlerkandidaten mit ihrer Vergangenheit begründet:62 Schmidt und Strauß, die zwei Athleten (Str. 1, V.1) Der eine war Wehrmachts-Offizier Der andre Off’zier bei’r Wehrmacht! […] Im Ungeist ja Geschwister (Str. 2, V.1-8)
Ähnlich agitiert Biermann in dem Song Gemütlicher Faschismus, der durch die örtliche Bestimmung („Bayernland“ [Str. 2, V.1]) vor allem die CSUWählerschaft angreift.63 Der Text schildert einen Besuch in einem bayrischen „Gasthaus zur Post“ (Str. 1, V.1) und erinnert durch die Beschreibung stereotypen kleinbürgerlichen Alltags (vom „Rehragout“, dem „schwarzbraunen Schäferhund“ bis zum „Stammtisch“ [Str. 1, V.2,5,8]), unter dessen oberflächlicher Freundlichkeit das Verharren der Menschen in nationalsozialistischen Denkmustern sichtbar wird, stark an Degenhardts Deutscher Sonntag und So sind hier die Leute: Und der Mann mit dem Pinsel am Hut Warf untern Tisch ein Stück Leberkäs Und knurrte: Lass aus, ’s ist vom Jud! Die Männer lachten und sahn untern Tisch Dem Schäferhund tropfte der Zahn Er roch an dem Fleisch und jaulte dazu Und rührte es doch nicht an (Str. 2, 2-8)
Anders aber als Franz Josef Degenhardt, dessen Deutscher Sonntag vornehmlich eine Kritik kleinbürgerlichen Verhaltens leistet und anders auch als So sind hier die Leute, das die Geisteshaltung der schweigenden Mehrheit in eine mörderischen Gewalttat überführt, anders ebenfalls als Konstantin Weckers Willy,64 in welchem individueller Widerspruch gegen rechtskonservatives Verhalten zu einer gewalttätigen Reaktion der Klein-
62 Biermann, Wolf: S & S. T./M.: Wolf Biermann. Aus dem Album: Eins in die Fresse, mein Herzblatt – live. Erschienen 1980. 63 Ders.: Gemütlicher Faschismus. T./M.: Wolf Biermann. Aus dem Album: Eins in die Fresse, mein Herzblatt – live. Erschienen 1980. 64 Wecker, Konstantin: Willy. T./M.: Konstantin Wecker. Aus dem Album: Genug ist nicht genug. Erschienen 1977.
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bürger führt, zielt Biermanns Song erneut vor allem auf die „Männer, die Geschichte machen“:65 Und gäbe es diesen Stammtisch nicht Dann gäb’s auch kein’ Franz Josef Strauß Der tägliche kleine Faschismus sieht So urgemütlich aus (Str. 4, V.5-8)
Eine Fortführung solcher Parallelisierungen der Gegenwart mit der Vergangenheit ist auch Biermanns Deutsches Wanderlied – ein „Hetzlied auf den Bundespräsidenten, als der seinen Rest des Deutschen Reichs durchwanderte.“66 Selbst ohne namentliche Nennung richtet sich das Lied klar gegen Karl Carstens, der aufgrund seiner Vorliebe für diese körperliche Betätigung als ‚Wanderpräsident‘ bekannt war.67 Biermann lässt einen anonymen Wanderer auf das ehemalige NSDAP-Mitglied Carstens treffen und begrüßend sagen: Heil Hitler! teurer Wanderfreund Wie geht’s mit Ihren Füßen? Ich soll Sie von Herrn Filbinger Mit Deutschem Gruße grüßen (Str. 1, V.1-4)
Mit diesen Versen beschränkt sich Biermann nicht nur auf die Präsidentenschelte, sondern äußert sich auch zu den Debatten um den BadenWürttembergischen Ministerpräsidenten Filbinger und betont die anhaltende Machtfülle der kritisierten Politiker selbst nach Aufgabe ihrer Ämter. So legt die dritte Strophe eine fortdauernde Unterstützung des bereits gestürzten Filbinger durch den Bundespräsidenten nah: „Als alter Kämpfer wünscht er sich/dass Sie das Vorwort schreiben/für seine Memoiren“ (Str. 3, V.1-3). Hierzu schreibt Biermann im Inlay des Album: „Seine Vergangenheit muß Carstens vorgeworfen werden NUR wegen seiner Gegenwart.“68 Erneut also gleiten Vergangenheit und Gegenwart ineinander und 65 Booklet des Albums Biermann, Wolf: Eins in die Fresse, mein Herzblatt – live. Erschienen 1980. 66 Biermann, Wolf: Deutsches Wanderlied. T./M.: Wolf Biermann. Eins in die Fresse, mein Herzblatt – live. Erschienen 1980; Zitat in Ders.: Und als ich von Deutschland nach Deutschland… S. 12. 67 Vgl. Wiedemeyer, Wolfgang: Karl Carstens. Im Dienste unseres Staates. Eine Biographie. Bonn 1980, S. 56. 68 Booklet des Albums Biermann, Wolf: Eins in die Fresse, mein Herzblatt – live. Erschienen 1980.
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wird die potentielle Wiederholbarkeit der Geschichte an den Verhaltensweisen namentlich genannter mächtiger Politiker greifbar. Kontinuitäten der Täterdarstellung Auch Franz Josef Degenhardt schildert in den 80er Jahren mehrfach die Kontinuität nationalsozialistischen Denkens und die (erfolgreiche) weitere Karriere alter Täter. Auf dem Album Der Wind hat sich gedreht im Land z.B. deutet er in dem Song Drumherumgerede 1980 durch die Bezeichnung „diese[r] aus Bayern“ (Str. 6, V.5) auf Franz Josef Strauß hin und weist dem Politiker in Form einer Rollenrede eine affirmative Haltung zum NSRegime zu.69 Der Sprecher verkündet z.B. „Daß wir so falsch gar nicht gelegen hatten/DAMALS/in den tausend Jahren/habt ihr ja ziemlich schnell gespürt im KALTEN KRIEG“ (Str. 2, V.1-4), und ergänzt anschließend: Und WIR wir mussten dann trotz allem noch den Buhmann spielen unverbesserliche alte NAZIS, KRIEGSVERBRECHER sowas mussten wir uns anhörn all die Jahre so und damit ist nun endlich Schluss […] und jedesmal sich an die Brust geschlagen bei AUSCHWITZ MAIDANEK und HOLOCAUST und pipapo noch nie hat sich ein VOLK in der GESCHICHTE so etwas geleistet die eigene ELITE 35 Jahre durch den Dreck zu ziehen nun gut wir haben geschwiegen aber manchmal, kann ich ihnen sagen da ist einem der Kragen schon geplatzt (Str. 4, V.1-18)
Die Verwendung der ersten Person Plural lässt dabei den Eindruck aufkommen, nicht nur eine Einzelperson, sondern die gesamte ‚Elite des Volks‘, als deren Teil sich der Sprechende sieht, sei hier gemeint. Der Song Bon la France vom selben Album schildert in vier gleich gebauten Strophen vier Einmärsche von Deutschen in das Nachbarland Frank-
69 Degenhardt, Franz Josef: Drumherumgerede. T./M.: Franz Josef Degenhardt. Aus dem Album: Der Wind hat sich gedreht im Land. Erschienen 1980.
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reich.70 Bereits durch den Aufbau des Songs werden so der DeutschFranzösische Krieg 1870/71, der Erste und Zweite Weltkrieg und die Gegenwart parallel geführt. Explizit heißt es in der zweiten Strophe: Volk und Führer, Blut und Boden, die Besitzer sind die gleichen, änderten sich bloß die Moden, die Parolen und die Zeichen. (Str. 3, V.1-4)
In der letzten Strophe wird aus den vormaligen militärischen Übergriffen eine kapitalistische Übernahme: „Eine Generation weiter/sind sie wieder wer, die Fritzen“ (Str. 4, V.1f.). Jetzt findet der Einmarsch mit „Aktenkoffer an den Händen“ (Str. 4, V.15) durch „junge Filialleiter“ (Str. 4, V.3) und Fritz den „Banker“ (Str. 4, V.7) statt. Äußerten die vorherigen Refrains immer: „Bon, la France, bien compris, […] les allemands vont à Paris […] einmal sind wir da“ (Ref. 1, V.1-5) bzw. „diesmal sind wir da“ (Ref. 3, V.5), heißt es nun: „diesmal bleiben wir da“ (Ref. 4, V.5). Auch in diesem Song sind die deutschen Täter durch die historischen Erfahrungen unverändert. Noch eindrucksvoller gestaltet ist diese Kontinuität des Denkens und Handelns in dem zwei Jahre später veröffentlichten Song Glasbruch.71 In diesem lässt Degenhardt einen absolut durchschnittlichen „Mann/nicht groß/nicht dünn/vielleicht 65“ (Str. 1, V.1-4) am Fenster stehend einen Steinewerfer beobachten. Die (in direkter Rede präsentierte) Reaktion auf das Geschehnis in der Gegenwart entspricht bis in die Wortwahl hinein derjenigen, die der Mann während der nationalsozialistischen Herrschaft an den Tag legte: guck mal sagt er hast du gesehn einfach mit Pflastersteinen rein in die Schaufenster […] Früher unter Hitler stand vielleicht derselbe Mann vielleicht am selben Fenster sagte 70 Ders.: Bon la France. T./M.: Franz Josef Degenhardt. Aus dem Album: Der Wind hat sich gedreht im Land. Erschienen 1980. 71 Ders.: Glasbruch. T./M.: Franz Josef Degenhardt. Aus dem Album: Du bist anders als die anderen. Erschienen 1982.
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vielleicht zur selben Frau guck mal sagt er hast du gesehen einfach rein mit den Pflastersteinen in die Schaufenster wie das klirrt (Str. 1, V.10-27)
Der Scheibenwurf in der Gegenwart löst eine ablehnende Reaktion aus. Der Mann äußert: „Früher hätte man die allesamt/unter Hitler wären die sofort“ (Str. 1, V.16f.). Der Rückblick in die Vergangenheit zeigt zwar ein ebenso passives Verhaltensmuster, aber eine positive Bewertung: Der „Glasbruch“ im Nationalsozialismus, Teil der Novemberpogrome und Teil politisch sanktionierten Verhaltens, ist „Musik in meinen Ohren/jawohl, keine Scheibe mehr heil“ (Str. 1, V.28f.). Während die Sprache des Mannes bezogen auf die Gegenwart elliptisch und andeutend ist und dadurch auch ein Bewusstsein über das ‚NichtSagbare‘ erkennen lässt, ist sie, wenn sie sich auf die Vergangenheit bezieht, zynisch, klar und durchsetzt mit propagandistischen Begrifflichkeiten: Ob er versichert ist gegen Glasbruch der moische Mandelstamm, der Jud ja die SA leistet ganze Arbeit (Str. 1, V.33-37)
Durch die Gegensätzlichkeit der Sprechweise betont Degenhardt: Auch wenn sich das ‚Sagbare‘ geändert hat, ist die zugrunde liegende Geisteshaltung unverändert. Die Täter zeigen keinerlei Schuldeingeständnis und Verhaltenskorrekturen. Ihre politische Passivität, ihr Konformismus und die ihm innenwohnende Aggressivität sind konstant geblieben. Vermittelt wird diese These ästhetisch auch dadurch, dass der Song aus lediglich einer Strophe besteht und so die Schilderung von Gegenwart und Vergangenheit ohne jegliche Zäsur ineinander übergeht. Anders aber als in den Songs der 60er und 70er Jahre erweist sich bei Degenhardt und allgemein in vielen Songs der 80er Jahre die Täterschaft nur noch als geistige (Un-)Tat. Auch die von BAP in Ahl Männer, aalglatt vorgenommene scharfe Kritik an den Gedenkveranstaltungen von Helmut Kohl mit François Mitterrand 1984 in Verdun und mit Ronald Reagan auf dem Soldatenfriedhof Bitburg 1985 nimmt beispielsweise eher die Geistes-
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haltung als die eigentliche Tat in den Blick. Hier heißt es z.B. über die Politiker: „Ahndächtig vüür Kameras posiere, ennwendig ihßkalt/Ihr Trauer, die duut jeboore, als Kür em Protokoll“ (Str. 1, V.2f.).72 Eine Ausnahme stellt Wolf Maahns Load this Train aus dem einzigen englischsprachigen Album des Songschreibers dar.73 Das Stück verfolgt den Lebensweg eines „Overseer“ (Str. 1, V.2) von der Beteiligung an den nationalsozialistischen Deportationen 1938 (Str. 1, V.3f.) über die Emigration 1945 (Str. 2) bis hin zu der erneuten Tätigkeit als Wachmann unter dem Apartheidsregime in Südwestafrika (Str. 3, V.4). Seine (Unmenschen-) Sprache, die durchsetzt ist von deutschen Wörtern, lässt erkennbar werden, dass er den alten Verhaltensmustern weiterhin folgt: He said: Vorwärts, Niggers, gotta load this Train Load it till you break down under Pressure Unter meinem Kommando wird euch alles vergehn I wanna see you sweat I wanna see you strain (Ref. 1, V.1-5)
Die Parallelführung von Vergangenheit und Gegenwart zeigt auch in diesem Song keinerlei Unterscheidung der spezifischen Gegebenheiten. Auffällig ist aber, dass das inhumane Täterverhalten – im Übrigen wie in den 60er und 70er Jahren als kapitalistisch profitorientiert gedeutet – zwar deutschen Ursprungs ist („The new white Boss is from the Land that made World wide War“ [Str. 3, V.4]), aber mittlerweile nicht mehr in der Bundesrepublik stattfinden muss. Weniger die Kritik an der bundesrepublikanischen Gesellschaft als an dem realen Fortwirken alter Nationalsozialisten in afrikanischen Ländern (und dessen Duldung) ist Thema des Songs. Insgesamt ist erkennbar, wie sehr sich die Songschreiber in den 80er Jahren bemühen, durch Parallelisierungen von früher und heute den alten und z.T. neuen Tätern eine mit der Vergangenheit vergleichbare autoritätsgläubige, inhumane und rassistische Geisteshaltung nachzuweisen. Besonders deutlich wird dies bei Wolf Biermanns Angriffen auf Franz Josef Strauß, aber auch bei BAP und Degenhardt und in weiteren Songs z.B. von
72 BAP: Ahl Männer, aalglatt. T.: Wolfgang Niedecken/M.: Klaus Heuser, Alexander Büchel. Aus dem Album: Ahl Männer, aalglatt. Erschienen 1986; vgl. auch Niedecken, Wolfgang/Hoersch, Teddy: Verdamp lang her. S. 110. 73 Maahn, Wolf: Load this Train. T./M.: Wolf Maahn. Aus dem Album: Third Language. Erschienen 1988.
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Hans Söllner und Udo Lindenberg.74 Dadurch gerät aber die analytische Auseinandersetzung mit der Vergangenheit noch stärker als in den 70er Jahren in den Hintergrund; der Nationalsozialismus wird häufig zu einem reinen Referenzobjekt für die Kritik an der Gegenwart. Täterkarikaturen In unterschiedlicher Intensität deutet sich in den 80er Jahren bei anderen Künstlern aber auch eine Veränderung in der Täterdarstellung an: Die aktiven Teilnehmer am nationalsozialistischen Regime werden alt und verlieren, so sie noch leben, zunehmend ihren gesellschaftlichen Einfluss. Wenden sich Songs ihnen und nicht ihren Nachfolgern zu, so werden die ehemaligen Täter nun häufig in ihrem Scheitern dargestellt oder gar karikaturistisch der Lächerlichkeit preisgegeben. Als beispielhaft hierfür kann Georg Danzers fast achtminütiger Song Der alte Wessely gesehen werden.75 Er greift mit der personalisierten Perspektive, der Situierung der Handlung in einem Wirtshaus und der Verwendung der ‚Sprache des Unmenschen‘ zur Charakterisierung der Hauptfigur zahlreiche bereits mehrfach erkennbare Motive auf. Eine Beschreibung des alten Wessely steht am Anfang des Songs: Wann der oide Wessely im Wirtshaus sitzt Redt er gern von der Vergangenheit Nur dass des für eam no ned vergangen is Weil er träumt von einer neuen Zeit (Str. 1, V.1-4)
Dass Wessely weiterhin der nationalsozialistischen Vergangenheit verhaftet ist, zeigen seine eigenen Worte („Ja, ich sag’s euch […]/damals unterm Hitler war’ scho guat!“ [Str. 2, V.1f.]) und Äußerungen der Wirtin: „Gratuliere, gratuliere, Herr Wessely kana kann so Judenwitz erzöhln wie Sie!“ (Ref. 1, V.8f.) 74 Vgl. zum Weiterwirken alter Nationalsozialisten Söllner, Hans: Hot mei Oida g’sagt. T./M.: Hans Söllner. Aus dem Album: Für Marianne und Ludwig. Erschienen 1986; zur Kritik an Franz Schönhuber Ders.: Der Huaba. T./M.: Hans Söllner. Aus dem Album: Hey Staat. Erschienen 1989; zum nationalsozialistisch anmutenden Patriotismus Lindenberg, Udo: Bei uns in Spananien. T./M.: Udo Lindenberg. Aus dem Album: Keule. Erschienen 1982. 75 Danzer, Georg: Der alte Wessely. T./M.: Georg Danzer. Aus dem Album: Traurig aber wahr. Erschienen 1980.
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„Gratuliere, gratuliere, Herr Wessely Kana kann den Hitlergruaß so guat wie Sie!“ (Ref. 2, V.8f.)
Im Vergleich zur aktiven Teilhabe am nationalsozialistischen Regime sind der Hitlergruß und die antisemitischen Witze jedoch nur noch Ersatzhandlungen. Der alte Wessely greift nicht in politische Restaurationsbewegungen ein, sondern „träumt“ lediglich von der Vergangenheit. Erst als Fackeln tragende Neonationalsozialisten das Wirtshaus stürmen, zeigen sich die Folgen, die aus solcher ‚Träumerei‘ entstehen können: Fäuste rütteln draußen an der Eingangstür Und jetzt kommt ein junger Mann herein Und der sagt: „Wo is der oide Wessely? Der soll unser neuer Führer sein!“ Un der oide Wessely springt auf’m Tisch Führermäßig knallt er d’Hacken zamm (Ref. 2, V.1-6)
Bis zu diesem Zeitpunkt, etwa der Hälfte der Laufzeit, entspricht Danzers Songs weitgehend und bis in die musikalischen Mittel hinein, die durch marschrhythmische Anleihen militaristische Assoziationen auslösen, den bekannten Restaurationswarnungen der 70er Jahre. Nun aber wird die Bandinstrumentierung reduziert und eine Zäsur eingeschoben. Die Schilderung wechselt zu einer subjektiven Perspektive, die das Vorherige als bösen Traum ausweist: Plötzlich wach i auf und lieg daham im Bett Aber es is eh zum Aufsteh Zeit Druntn vor der Haustür steht a B’soffener Und i hör, wie der „Heil Hitler“ schreit (Str. 4, V.1-4)
Diese Traumsequenz markiert beispielhaft den Paradigmenwechsel in der Beurteilung nationalsozialistischer Verbrechen. Während in den Songs der 60er und 70er Jahre die faktische aktive Tat, z.B. die Filbingers, beschrieben und nachgewiesen wird, ist sie für die Figur Wessely unerheblich. Ob er im Nationalsozialismus selbstbestimmter Akteur, Mitläufer oder Opportunist gewesen ist, erklärt der Text nicht und ist auch bedeutungslos – entscheidend ist die im Traum ausgedrückte Sorge, Wessely könne aufgrund seiner Vergangenheitssehnsucht als geistiger Brandstifter für die ‚Neue Rechte‘ dienen. Symbolisiert ist diese Möglichkeit zum einen in der Erhe-
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bung Wesselys auf den Tisch, die erst die Ikonisierung des „neuen Führers“ zulässt, zum anderen in einem Erzählerkommentar am Schluss des Textes. Hier wird das Lob der Wirtin umgekehrt: „Gratuliere, gratuliere, Herr Wessely/Kana hat die Jugend so versaut wie Sie!“ (Ref. 3, V.8f.). Den Aspekt der geistigen Brandstiftung schildert Reinhard Fendrichs Song Alte Helden auf ähnliche Weise. Hier findet eine Weitergabe nationalsozialistischen Gedankenguts von Vater zu Sohn statt, die dann, als der Sohn zum aktiven Täter geworden ist und seinen Fehler erkannt hat, zurückgenommen wird.76 Anfänglich heißt es: A klaner Bua erzählt Er möcht amal genauso wie sei Vater werd’n Er träumt von einer Uniform, und Marschmusik, die hört a halt so gern. (Str. 1, V.1-5)
Am Ende steht das Fazit: Jetzt hat er Ketten an die Händ’ sein Vater den verflucht er tausend Mal Und von die alten Helden will er nix mehr wissen ein für alle Mal. (Str. 8, V.1-4)
Durch diese Verse wird die Ungültigkeit des alten Denkens stärker noch als bei Danzer betont. Während der alte Wessely und der Vater noch eine Gefahr geistiger Brandstiftung ausstrahlen, werden die ehemaligen Täter in einigen Songs der Band Erste Allgemeine Verunsicherung (EAV) gänzlich der Lächerlichkeit preisgegeben. So schildert beispielsweise das 1983 veröffentlichte Stück Sofa einen „Papa“, den als ehemals aktiven Teilnehmer am Nationalsozialismus die Vergangenheit nicht loslässt:77 Der Papa träumt von seiner Jugend, als er in jungen Jahren den größten Krieg gewinnen wollt’, wo nur Verlierer waren. (Str. 1, V.1-4) 76 Fendrich, Reinhard: Alte Helden. T./M.: Reinhard Fendrich. Aus dem Album: Auf und davon. Erschienen 1983. 77 Erste Allgemeine Verunsicherung: Sofa. T.: Thomas Spitzer/M.: Gerhard Breit, Klaus Eberhartinger, Nino Holm, Günter Schönberger, Thomas Spitzer. Aus dem Album: Spitalo fatalo. Erschienen 1983.
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Mittels der songtitelgebenden Metapher des „goldene[n] Sofa[s]“ (Str. 3, V.4) werden individuelle Lebensträume und nationale Zielsetzungen angezeigt.78 Trotz der unter Opfern (z.B. der Invalidität Str. 2, V.2) erkauften Teilhabe des Vaters am Nationalsozialismus und der anschließenden Wirtschaftswunderzeit bleibt das „Sofa“ ein unerreichbares Ziel. Dazu heißt es in der letzten Strophe: „und noch immer wird ihm nicht klar,/dass sein Lebenswerk ein Irrtum war!“ (Str. 11, V.3f.) Der ehemalige Kriegsteilnehmer ist ein gescheitertes Individuum. Gänzlich seiner Autorität beraubt ihn die mehrfach wiederholte Bridge, die unter melodiöser Zitierung von Johann Friedrich Reichardts Wiegenlied Schlaf, Kindlein, schlaf die Vater- und Kinderrolle, d.h. auch das Verhältnis von Macht und Ohnmacht, umkehrt: Schlaf, Papa, schlaf! Warst immer gut und brav. (Bridge, V.1f.)
Hier wird der Unterschied zu den Vätersongs der 60er Jahre greifbar: Dem Vater als ehemaligem Täter wird jegliche Möglichkeit eigenständigen und sei es restaurativen Agierens in der Gegenwart, aber auch der Rechtfertigung für sein Verhalten abgesprochen. Er ist nur noch eine Personifikation des Scheiterns. In dem Song Faaterland der Band Floh de Cologne aus dem Jahr 1983 wird aus dem Lebensweg der einzelnen Familienmitglieder immerhin eine Lehre gezogen.79 Das Leiden des „Opa[s]“ als Luftkriegsopfer (Str. 1), des „Onkel[s]“ als Kriegsversehrtem (Str. 2) und der durch den Luftkrieg traumatisierten „Mutter“ (Str. 4) ist zunächst sinnlos wie das des Vaters. Von ihm heißt es: Mein Alter war bei Rommel dabei da schossen sie ihm das Hirn zu Brei da verlor er seinen Verstand für’s Vaterland (Str. 3, V.1-4)
78 Vollständig: „Es schallte der mannhafte Ruf durch das Land:/‚Weinet nicht, Kinder noch Frauen,/wir werden im Sinn einer besseren Zeit/ein goldenes Sofa erbauen‘“ (Str. 3, V.1-4); „Ein Sofa, um sich darin auszuruh‘n, weich und komfortabel,/ein Denkmal der Menschheit für alle Zeit/wie der Turm zu Kapitabel.“ (Str. 4, V.1-4). 79 Floh de Cologne: Faaterland. T.: Theo König/M.: Dick Städtler. Aus dem Album: Faaterland. Erschienen 1983.
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Die absolute Sinnlosigkeit der Teilhabe am Nationalsozialismus führt für das lyrische Ich dann aber zu einer argumentativen Ablehnung jeglichen Militäreinsatzes: Drum tu ich aus gutem Grund dem Vaterlande kund: Mit Gewehr bei Fuß und Marsch, Marsch leckt mich am Arsch! (Str. 5, V.1-4)
Noch stärker geschieht die Demontage ehemaliger Nationalsozialisten in dem EAV-Song Wir marschieren aus dem Jahr 1981.80 Der humoristische Text ist um den Refrain herum strukturiert. Er behauptet eine geistige Verdummung von Soldaten: Wir marschier’n, wir marschier’n, es vertrocknet unser Hirn, vorwärts marsch, Delirium, dumm im Kreis herum. (Ref. 1, V.1-4)
Diese geistige Einfachheit der Soldaten wird auch durch umgangssprachliche Ausdrücke und simple, teilweise fehlerhafte Grammatik unterstrichen, etwa wenn es heißt: „Wehrmann Willig tut trainiern,/unterm Leintuch onanieren“ (Str. 3, V.1-2). Mittels semantischer Indikatoren sind die Soldaten klar als ehemalige Wehrmachtssoldaten erkennbar: „Ritterkreuz, Gedächtnisschwund,/Kameradschaftsbund“ (Str. 1, V.3f.). Indem sie inhaltlich, sprachlich, aber auch durch die musikalische Gestalt satirisch überzeichnet werden und indem es über sie heißt, sie seien „Zum Abtreten angetreten“ (Str. 2, V.3), werden auch hier die alten Täter zu letztlich ungefährlichen, gescheiterten Figuren. Ein abschließendes Beispiel für die alternden Täter in den Songs der 80er Jahre findet sich in Georges Brassens’, von Franz Josef Degenhardt übersetztem Stück Weltkrieg Nr. 1.81 Die Rollenfigur, ein ‚Bellokrat‘ und Oberst, bekennt von sich:
80 Erste Allgemeine Verunsicherung: Wir marschieren. T./M.: Thomas Spitzer. Aus dem Album: Café passé. Erschienen 1981. 81 Degenhardt, Franz Josef: Weltkrieg Nr. 1. T.: Georges Brassens. Übersetzung: Franz Josef Degenhardt/M.: George Brassens. Aus dem Album: Junge Paare auf Bänken. Erschienen 1986.
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Ein sehr gewaltiges Massaker war auch der Weltkrieg Nr. 2: Ganz Europa im Brandgeflacker, […] Doch für uns echte Bellokraten nur die Kopie von Numero Eins. Ich bleib Fan, Herr Oberst gestatten, von Weltkrieg Nr. 1. (Str. 5, V.1-8)
Auch dieser Kriegsteilnehmer ist nicht mehr als politisch einflussreich erkennbar. An seiner Charakterisierung zeigt sich die Tendenz vieler Songschreiber der 80er Jahre, die alten ehemaligen Täter als weitgehend unpolitisch und in nostalgischen Verhaltensweisen gefangen zu zeichnen. Das restaurative Gefahrenpotential ist zwar nicht vollständig verloren gegangen – dies macht neben dem alten Wessely z.B. auch eine Weiterführung des Songs der Ersten Allgemeinen Verunsicherung mit dem Titel Heimatlied – Wir marschieren aus dem Jahr 1988 deutlich82 –, ihre Gefahr für die bundesrepublikanische Gesellschaft kann jedoch allenfalls noch in einer geistigen Brandstiftung bestehen, in ihrem Vorbildcharakter für die ‚Neue Rechte‘. Schuld und Verantwortung der nationalsozialistischen Täter stehen kaum mehr zur Debatte. Selbst dann, wenn direkte Angriffe auf politische Amtsträger stattfinden wie bei Wolf Biermann oder BAP, geht es nicht mehr um die Benennung vergangener Verbrechen, sondern um die Vergleichbarkeit gegenwärtigen Verhaltens mit damaligen Taten. Damit lässt sich in den Songs der 80er Jahre ein Paradigmenwechsel in Zielrichtung und Gegenstand feststellen. Ute Freverts These, in den 80er Jahren würde vermehrt „konkreten Tätern, ihren Motiven, Handlungen und Handlungsbedingungen“ nachgespürt, lässt sich für die Songs so nicht bestätigen.83 Für die beschriebenen Veränderungen des Täter-Diskurses lassen sich zahlreiche Gründe anführen: Die juristische Aufarbeitung der Täterschaften durch die Auschwitz-Prozesse und ihre Nachfolgeprozesse ist in den 80er Jahren abgeschlossen. Historisch belastete politische Autoritäten haben ihren Einfluss verloren: Hans Globke ist 1973 verstorben, Hans Karl Filbin82 Erste Allgemeine Verunsicherung: Heimatlied – Wir marschieren. T.: Thomas Spitzer/M.: Gerhard Breit, Klaus Eberhartinger, Nino Holm, Günter Schönberger, Thomas Spitzer. Aus dem Album: Kann denn Schwachsinn Sünde sein? Erschienen 1988. 83 Frevert, Ute: Perspektivenwechsel. Die NS-Vergangenheit in den achtziger Jahren. In: Assmann, Aleida/Dies.: Geschichtsvergessenheit – Geschichtsversessenheit. S. 263.
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ger 1978 von seinen Ämtern zurückgetreten, Kurt Georg Kiesinger ab 1980 nicht mehr im Bundestag, Franz Josef Strauß bei der Bundestagswahl 1980 gescheitert. Aber auch die deutsche Popmusikgeschichte und der Erfolg subversiver, durch Negation geprägter oder überkommerzialisierter Genres (z.B. des Punk und der NDW/NDB) befördern sukzessive eine Entpolitisierung insbesondere des Täterdiskurses. Insgesamt steht nicht mehr die ‚Enthüllung‘ von Schuld durch die Schilderung kritikwürdiger Handlungen und Denkweisen im Mittelpunkt vieler Songs, sondern der Nachweis des individuellen Scheiterns der alternden Täter. In einer solchen Herangehensweise ist neben einer zunehmenden Unklarheit darüber, was einen Menschen als Täter konstituiert, auch ein gewisses Entschuldungspotential enthalten. Indem nicht mehr auf Handlungen in der Vergangenheit und ihre Aktualität oder Aktualisierbarkeit verwiesen wird wie in den 70er Jahren, ist die Möglichkeit angedeutet, mit dem baldigen Tod der alternden Täter einen ‚Schlussstrich‘ unter die Vergangenheit ziehen zu können. Gleichzeitig aber besteht weiterhin ein unverkennbarer Konsens der Songschreiber über die Wertung nationalsozialistischer Verbrechen. Anders als es Begrifflichkeiten wie ‚Normalisierung‘ oder ‚Verharmlosung‘ anzudeuten scheinen, geht es den Songschreibern keineswegs darum, das Verhalten der geschilderten Menschen als alternativlos darzustellen, ein mitfühlendes Verstehen zu bewirken und hieraus eine zustimmungsfähige, identitätsstiftende Vergangenheitserzählung zu destillieren. Vielmehr zeigt ja gerade das individuelle Scheitern der ehemaligen Täter die Fehlerhaftigkeit ihrer biographischen Entscheidungen.
„U ND ALS MEIN V ATER IN AUSCHWITZ BRANNTE “ V ERGEGENWÄRTIGUNGEN DEUTSCHER O PFER Es wurde an anderer Stelle bereits darauf hingewiesen, dass die Ausstrahlung der amerikanischen Fernsehserie Holocaust 1979 eine Zäsur in der bundesrepublikanischen Debatte um die nationalsozialistische Vergangenheit unter anderem deshalb markiert, weil sie stärker als vorher die jüdischen Opfer der Vernichtungspolitik ins Zentrum der öffentlichen Aufmerksamkeit rückte und Fragen nach der medialen Darstellbarkeit der Massenmorde aufwarf. Im Folgenden ist vor diesem Hintergrund zu klären, in-
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wieweit sich diese Zäsur in den Songs der 80er Jahren widerspiegelt. Dabei steht die Frage im Raum, ob nun anders als in den 60er und 70er Jahren (endlich) das Leid der jüdischen Bevölkerung thematisiert wird. Auf diese Frage kann schon hier geantwortet werden, dass mit wenigen Ausnahmen in den Songs der 80er Jahre der Holocaust weiterhin nicht thematisiert wird. Auch metaphorische Schilderungen wie in Dieter Süverkrüps Lagerlied lassen sich kaum ausmachen. Reflexionen über die Problematik der künstlerischen Darstellbarkeit des Holocaust sind ebenso rar gesät. Deshalb jedoch wie Werner Faulstich auf eine grundsätzlich unpolitische „Beliebigkeit“ der populären Musik der 80er Jahre zu schließen wäre zu kurz gegriffen.84 Im Gegenteil finden sich, wie zu sehen sein wird, zahlreiche durchaus kontrovers zu bewertende politische Songs, die sich mit Opfern des NS-Regimes auseinandersetzen, jedoch eben unter Ausblendung des Holocaust. Zunächst kann als kontrastiver Einstieg in das Kapitel die einzige wirkliche Ausnahme zu der hier geschilderten Beobachtung dienen: Wolf Biermann ist der einzige Songschreiber, der sich ausführlich mit der millionenfachen Ermordung von Menschen in den Konzentrationslagern auseinandergesetzt hat. Wolf Biermann und der Holocaust Wolf Biermann thematisiert die Verfolgung und Vernichtung der europäischen Juden zunächst in Gedichtform und erst später in Songs. Dies macht es nötig, kontextualisierend die Lyrik Biermanns einzubeziehen. Ein frühes Beispiel ist das Gedicht Letzte Variation über das alte Thema aus der Drahtharfe 1965.85 In einer komplexen Sprache, mit intertextuellen Verweisen u.a. auf das Erntelied von Clemens Brentano, Bezügen auf das christliche Heilsversprechen und unter Rückgriff auf Klischees der HitlerCharakterisierung heißt es hier: Da mitten in Deutschland – Steck ein! Steck tot! Der Brüller Der Mörder Der Schnitter O Gott! 84 Faulstich, Werner: Einführung. Niedergang der Rockkultur? Chronologie eines Jahrzehnts. In: Ders./Schäffner, Gerhard (Hrsg.): Die Rockmusik der 80er Jahre. 4. Lüneburger Kolloquium zur Medienwissenschaft. Bardowick 1994, S. 12. 85 Biermann, Wolf: Letzte Variation über das alte Thema. In: Ders.: Nachlaß 1. S. 68.
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Ins Gas, mein Gott Kein Mensch ist verlorn Seid milde im Urteil! Seid milde! Seid milde, Bürger, Christen! Der Adolf Hitler hat seinen Hund geliebt, der Adolf Eichmann liebte eine Jüdin, der Gute. (Str. 1, V.1-7)
Die Unbegreiflichkeit des Geschehens, indiziert als Holocaust durch das Wort „Gas“, vermittelt Biermann durch die (an Adorno erinnernde, vgl. Kapitel 5: Tarantella) Paradoxie des Sterbens des Todes: Am Ende des Gedichts stehen die Verse: „Und fehlen wird der Tod, ja/Selbst der Tod krepiert/Da wird nichts zum Sterben mehr da sein“ (Str. 3, 7-9).86 In den 80er Jahren beginnt Biermann eine tiefere Auseinandersetzung mit dem Thema. Sie ist Teil einer verstärkten Beschäftigung mit dem Nationalsozialismus insgesamt und setzt nach der Ausbürgerung aus der DDR ein.87 Anders als in dem Gedicht aus der Drahtharfe ist Biermanns Thematisierung des Holocaust in den 80er Jahren meist autobiographisch geprägt. Das Schicksal des von den Nationalsozialisten ermordeten Vaters Dagobert Biermann, in Großes Gebet der alten Kommunistin Oma Meume in Hamburg 1968 bereits angedeutet, wird nun wiederholt Gegenstand des Schreibens. Die faktischen Ereignisse hat Biermann selbst in seiner Düsseldorfer Poetikvorlesung geschildert. Dort schreibt er: Mein Vater, ein antifaschistischer Widerstandskämpfer, wurde drei Monate nach meiner Geburt eingesperrt, erst im Hamburger Knast Fuhlsbüttel, dann im Zuchthaus Bremen-Oslebshausen. Dort hätte er vielleicht überleben können. Doch dieser Kommunist starb 1943 in Auschwitz, weil er außerdem Jude war.88
Eine erste lyrische Annäherung an den Tod des Vaters unternimmt Biermann 1982 in dem Gedicht Nach Auschwitz.89 Dem kurzen zweistrophigen Text sind zwei berühmte Zitate vorangestellt, die die Rezeption lenken: zunächst Adornos Diktum: „Nach Auschwitz ein Gedicht zu schreiben, ist 86 Vgl. Kurzenberger, Hajo: Wolf Biermann. Letzte Variation über das alte Thema. In: Bekes, Peter u.a. (Hrsg.): Deutsche Gegenwartslyrik von Biermann bis Zahl. Interpretationen. München 1982, S. 10-13. 87 Vgl. hierzu Sorge, Veit: Literarische Länderbilder in Liedern Wolf Biermanns und Wladimir Wyssozkis. S. 77. Sorge spricht in diesem Zusammenhang von dem Nationalsozialismus als „Schwerpunktthema“ des Songschreibers nach der Ausbürgerung (ebd., S. 77). 88 Biermann, Wolf: Wie man Verse macht und Lieder. S. 15. 89 Ders.: Nach Auschwitz. In: Ders.: Verdrehte Welt – das seh’ ich gerne. Lieder, Balladen, Gedichte, Prosa. Köln 1982, S. 47.
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barbarisch“, und zum zweiten ein Ausschnitt aus der zwölften Strophe des ersten Caput aus Heinrich Heines Deutschland. Ein Wintermärchen: „Das Miserere ist vorbei,/die Sterbeglocken schweigen.“90 Die erste Strophe kommentiert die beiden Zitate und bestätigt und widerlegt sie gleichsam. Eingeleitet mit einem affirmativen „Ja“ wird zunächst das Fehlen von „Sterbeglocken“ nach Auschwitz bestätigt und beklagt: Ja, es ist keiner da, der den Toten noch Mit Totenfeiern groß Ruhe schafft. Die Sterbeglocken, mein toter Freund, Es stimmt: sie schweigen, schon lange. (Str. 1, V.1-4)
Diese Verse und vor allem die „Sterbeglocke“ sind durch die vorangestellten Zitate ambivalent zu verstehen. Zum einen rufen sie mit Heinrich Heine die Hoffnung auf „materielles Wohlergehen wie ästhetischen Genuß“ in einer friedlichen, freiheitlichen Welt auf, deren Beförderung auch die Literatur (bei Heine: „ein neues Lied, ein besseres Lied“) zu leisten habe.91 Zum anderen wird aber durch den Bezug auf Adornos Zitat auch eine Bestimmung der Dichtung selbst als „Totenfeier“ und „Sterbeglocke“ möglich. Damit würde gerade der Literatur die Vergegenwärtigung und öffentliche Reverenz an verstorbene Menschen als Aufgabe zugeteilt, ja diese Vergegenwärtigung erst böte die Möglichkeit einer friedlichen Welt im Heine’schen Sinn. Das Fehlen einer solchen, „Ruhe“ schaffenden Dichtung, die entgegen Adornos Diktum eine Dichtung über Auschwitz sein muss, wird im Folgenden erläutert. „Doch sie schweigen aus anderem Grund“ (Str. 1, V.5) heißt es zunächst. Sie schweigen nicht, weil das „Miserere vorbei“ ist, sondern im Gegenteil: „Es wird ja zu viel gestorben“ (Str. 1, V.10) – die Glocken müssten angesichts des Massenmordes ohne Unterlass läuten, stattdessen unterlassen sie es ganz. Die zweite Strophe expliziert diese Aussage am Beispiel des ermordeten Vaters und unter erkennbarem Rückgriff auf den Tod des Todes in der Letzten Variation: 90 Heine, Heinrich: Deutschland. Ein Wintermährchen. S. 92. 91 Drux, Rudolf: Des Dichters Winterreise. Bemerkungen zu ihrer Gestaltung bei Martin Opitz und in Gedichten von Goethe, W. Müller und Heine/Biermann. In: Esselborn, Hans/Keller, Werner (Hrsg.): Geschichtlichkeit und Gegenwart. Festschrift für Hans Dietrich Irmscher zum 65. Geburtstag. Köln, Weimar, Wien 1994, S. 237; Heine, Heinrich: Deutschland. Ein Wintermährchen. S. 92.
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Und als mein Vater in Auschwitz brannte, Da war keine Sterbeglocke zur Hand. Da war ja der Tod schon selber todkrank, Und über dem Lager wölbte sich nur Ein irres Leichengekreisch: Die große Glocke aus dem Gestank Von verbranntem Fleisch. (Str. 2, V.1-7)
Das bedrückende Bild, das Biermann hier zeichnet, ist durch die klare Sprache und die Alliterationen auch poetisch eindringlich gestaltet. Durch die Wiederaufnahme und Umdeutung der „Sterbeglocke“ wird die poetologische Aussage verstärkt: Wenn die Dichtung die grausame Tötung von Menschen aufgrund deren Unbeschreibbarkeit nicht mehr darstellen kann, den Tod eines Menschen nicht mehr als „Sterbeglocke“ begleiten kann, geht die Möglichkeit verloren, eine bessere Welt zu schaffen. Das faktische Grauen – „die große Glocke aus dem Gestank“ – überlagert dann als eine von den Tätern geschaffene Wirklichkeit das Gedächtnis an den individuellen Tod eines Menschen. Nur die Literatur, so lässt sich Biermanns Rückgriff auf Heine verstehen, kann die Leiden des Einzelnen gegenüber der Unbegreiflichkeit anonymer Massenvernichtung herausstellen.92 Indem der Tod des Vaters Anlass, Motivation und Notwendigkeit dichterischer Produktion ist, wird das Gedicht zur „Sterbeglocke“ und bleibt im Heine’schen Sinn die Hoffnung auf weltlichen Fortschritt für die Nachgeborenen bestehen. Ganz in diesem Sinne lässt sich auch der 1983 veröffentlichte Song Gesang für meine Genossen verstehen.93 Dieser ist auf einem Album erschienen, dessen Titel die Lebenssituation des ausgebürgerten Dichters mit einem Verweis auf ein Bild Francisco de Goyas verbindet: Im Hamburger
92 Die „Totenfeier“ und die „Sterbeglocke“ stehen unweigerlich in einem religiösen Zusammenhang. Sie verweisen auf rituelle Handlungen anlässlich des Übergangs von irdischem Leben und seinen (als Konsequenz der Erbsünde zu interpretierenden) Leiden in das Himmelreich. Der Glaube an einen Eintritt in ein paradiesisches Leben nach dem Tode gibt dem Sterben einen Sinn (> individuelle Eschatologie), wenn nicht gar erlösende Wirkung. Das fürbittende Gedenken der durch die Sterbeglocke zum Gebet aufgeforderten Lebenden ist hierbei von großer Wichtigkeit. Eben dieses rituelle Gedenken, die Zuweisung einer Stelle in der Läuteordnung, ist es, was den Toten in Biermanns Gedicht verwehrt wird. 93 Biermann, Wolf: Gesang für meine Genossen. T./M.: Wolf Biermann. Aus dem Album: Im Hamburger Federbett oder Der Schlaf der Vernunft bringt Ungeheuer hervor. Erschienen 1983.
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Federbett oder Der Schlaf der Vernunft bringt Ungeheuer hervor.94 Durch die mehrfache Variation der Aussage „ich singe für“ (Str. 1, V.4) ist das Stück klar als poetologisch gekennzeichnet. In der zweiten Strophe wird erneut auf Dagobert Biermanns Schicksal Bezug genommen. Dort heißt es: Ich singe für meinen Genossen Dagobert Biermann der ein Rauch ward aus den Schornsteinen der von Auschwitz stinkend auferstand in die viel wechselnden Himmel dieser Erde und dessen Asche ewig verstreut ist über alle Meere und unter alle Völker und der jeglichen Tag neu gemordet wird und der jeglichen Tag neu aufersteht im Kampf und der auferstanden ist mit seinen Genossen in meinem rauchigen Gesang (Str. 2, V.1-10)
In diesen Versen schwingen wie in dem Gedicht Nach Auschwitz mehrfach religiöse Motive mit, sowohl in der Semantik (Auferstehung, verstreute Asche, Himmel) als auch im anachronistischen Sprachgebrauch („der ein Rauch ward“). Dabei ist zunächst erstaunlich, dass Biermann die grausame Verbrennung eines Menschen in einem Krematorium als ‚Auferstehung‘ „in die viel wechselnden Himmel dieser Erde“ bezeichnet. Verständlich wird dies nur, wenn man diese Auferstehung als Einschreibung der Ermordung eines Menschen in das individuelle und/oder kollektive Gedächtnis begreift. Letzteres wird durch das Bild der „wechselnden Himmel“ als länder- und zeitübergreifend „über alle Meere und unter alle Völker“ gekennzeichnet. Erst der Gesang des Sängers, das führen die zitierten letzten Strophenverse aus, kann das Gedächtnis an die Toten aufrechterhalten und aus ihrem zunächst passiven Schicksal eine aktive Handlung („Kampf“) ableiten. Daraus folgt, dass die dichterische Darstellung des Holocaust zu einem Medium der Memoria wird, zu einem Bindeglied von Vergangenheit und Gegenwart. Ob jedoch der Verbrennungstod einen (diesseitigen) Sinn durch ein ‚Lernen aus der Geschichte‘ erhält oder vergebens bleibt, ist abhängig von den Taten der Genossen. Dies betont der Parallelismus der Verse sieben und acht, indem hier die Aussage „jeglichen Tag neu gemordet“ neben „jeglichen Tag neu aufersteht im Kampf“ gestellt ist. Die Dringlichkeit einer solchen nachträglichen Sinnstiftung der sinnlosen Ermordung eines 94 Francisco de Goyas Radierung bildet auch das Cover des Albums.
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Menschen veranschaulicht Biermann mittels einer mehrfach wiederholten Aussage. Als Vorspiel, als Abschluss der ersten Strophe und am Ende des Songs stehen die erneut religiöse Motivik aufgreifenden Verse: „Und meine ungläubigen Lippen beten voller Inbrunst/zu MENSCH, dem Gott all meiner Gläubigkeit“ (Intro. V.1f./Str. 1, V.9f./Outro, V.1f.). Mit diesen Zeilen wird der Song zu einem Gebet an die Zeitgenossen, den Holocaust nicht aus dem kollektiven Gedächtnis entschwinden zu lassen, sondern ihr gegenwärtiges Handeln davon leiten zu lassen. Ganz ähnlich in der Forderung, durch gegenwärtiges Handeln den Toten Ruhe zu ermöglichen, ist der Song Schlaflied für Tanepen, der sich (als seltene Ausnahme in deutschsprachigen Werken) mit der Vernichtung von Sinti im KZ Dachau auseinandersetzt.95 In den Strophen drei und sieben findet eine Gegenüberstellung statt: Die Toten können nicht schlafen Tief unter der Erd ein Geschrei Das kommt, weil die Mörder hier oben So lustig leben und frei (Str. 3, V.1-4) Ja, wenn wir uns endlich wehren Und bleiben nicht kreuzbrav Dann kommen unsere Toten In Dachau endlich in Schlaf (Str. 7, V.1-4)
Funktion und Aufgabe des Gesangs, so lässt sich als poetologische Ebene des Songs verstehen, wäre es dann, die Einschreibung von Opferschicksalen in das kollektive Gedächtnis und damit auch ein ‚Lernen aus der Geschichte‘ mittels medialer Vergegenwärtigung zu befördern.96 95 Biermann, Wolf: Schlaflied für Tanepen. T./M.: Wolf Biermann. Aus dem Album: Eins in die Fresse, mein Herzblatt – live. Erschienen 1980; „tanepen – in der Sprache der Sinti: Kind, Kindchen (zärtlich)“ (Biermann im Booklet des Albums). 96 Auch der Song Schuften steht in diesem Zusammenhang (Biermann, Wolf: Schuften. T./M.: Wolf Biermann. Aus dem Album: Im Hamburger Federbett oder Der Schlaf der Vernunft bringt Ungeheuer hervor. Erschienen 1983). In Umkehrung des Schlafs oder Traums (‚sueňo‘) der Vernunft gestaltet sich die Erinnerung an Opfer der Geschichte, von Rosa Luxemburg, über Antonio Gramsci bis zu Dagobert Biermann, als ‚vernünftiges‘ und arbeitsames Schlafen („schuften muss ich im Schlaf“ (Str. 4, V.12)); hier in der Fiktion der Traumwiedergabe ist dem Sohn eine Rettung des Vaters vergönnt: „In der Gaskammer/keuchte ich zwischen verkrallten Bündeln und/zerrte meinen Vater ins Leben“ (Str. 3, V.1-3). Biermanns Darstellung bleibt zu ambivalent, um eine um-
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Anfang der 80er Jahre ist also bezüglich der Möglichkeit eines ‚Lernens aus der Geschichte‘ ein optimistischer Grundzug zu erkennen; 1986 bereits ist Biermann diese Hoffnung weitgehend verloren gegangen. Dies wird sichtbar an dem selbstreflexiven, auch selbstkritischen und poetologischen Song Vom Lesen in den Innereien, der mit über 28 Minuten Spielzeit eine ganze Seite des Doppelalbums Seelengeld ausmacht.97 Ganz zu Beginn in dem ersten ‚Caput‘ von 16 und in dem letzten motiviert Biermann sein künstlerisches Schaffen mit der Ermordung des Vaters.98 Erneut wird eine Gesellschaftsanalyse – in diesem Fall eine pessimistische Beurteilung des Fortschritts – mit einer subjektiven Perspektive verknüpft. Als Bindeglied verwendet Biermann sein Kölner Konzert 1976: Das war an jenem novembertag im verrückten jahr in Köln. da war ich ewig jung, wurd grade vierzig und da war ich älter als mein vater geworden war als der zum himmel auffuhr im gestank, ein rauch – nun lauf ich rum im westen als ’ne art beweis fürn fortschritt, ja! dass es aufwärts geht mit uns mit dieser menschheit. Ach, ob aber auch mit mir – mir kommt das nicht so vor, im gegenteil! (Tl. 2, Str. 1, V.1-8)
Zu bemerken ist das Wiederaufgreifen von Formulierungen aus dem Gesang für meine Genossen, ohne dass allerdings die Hoffnung auf eine ‚Auferstehung‘ des Vaters weiterhin präsent gehalten würde. Ganz im Gegenteil wird sie am Ende des Songs – erneut mittels intertextueller Verweise – komplett zurückgenommen. In einem resümierenden Fazit wird sowohl die Möglichkeit des Dichtens über Auschwitz (aufgerufen durch den Verweis auf Celans Todesfuge) als auch die Möglichkeit eines ‚Lernens aus der Geschichte‘ (symbolisiert durch den Rauch) negiert:
fassende Ausdeutung zu ermöglichen; gerade in Verbindung mit dem auf dem Album direkt nachfolgenden Gesang für meine Genossen kann jedoch die Rettung des Vaters als Ausdruck des Wunsches nach Rettung des Vaters für die Nachgeborenen gelesen werden. Diese ‚Wiedergeburt‘ des Vaters wird so zu einem individuellen, tief im Unterbewussten verankerten Desiderat, aber auch zu einer rationalen Notwendigkeit, die den ‚Schlaf der Vernunft‘ und seine Folgen für die Gesellschaft verhindert. 97 Biermann, Wolf: Vom Lesen in den Innereien. T./M.: Wolf Biermann. Aus dem Album: Seelengeld. Erschienen 1986. 98 Der Song ist in 16 Teile unterteilt, die wiederum aus unterschiedlich vielen und unterschiedlich langen Strophen bestehen.
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die schwarze milch der frühe die durfte ich damals noch trinken der rauch von Auschwitz ist längst verweht das ist lang her, es geht halt wie’s geht (Tl. 16, Str. 2, V.1-4)
Dass mit dem Verwehen des Rauchs vor allem das Verschwinden des Holocaust aus dem kollektiven Gedächtnis und weniger ein Ende von Gewalt und Unmenschlichkeit gemeint ist, macht die nächste Zeile klar: „verwelkt ist die blume vergissmein nicht“ (Tl. 16, Str. 3, V.1). Die Frage nach der Funktion künstlerischen Schaffens, die im Gesang für meine Genossen noch mit der Vergegenwärtigung der Vergangenheit beantwortet wurde, erhält angesichts dieser düsteren Bewertung gesellschaftlichen Fortschrittes ebenfalls eine neue Dimension. Nun kann nur noch eine individuelle, autobiographische Verpflichtung dem Vater gegenüber Anlass zum Dichten sein, nicht mehr die Hoffnung auf die Wirksamkeit der Literatur: „ich lauf ja mit meines vaters füßen/und weil der kein Grab hat, treibts mich hier um“ (Tl. 16, Str. 4, V.8f.) heißt es am Ende des Songs. Auf dem folgenden 1989 und 1990 parallel zur Wiedervereinigung entstandenen Album Gut Kirschenessen. DDR – ça ira! ist der Tod Dagobert Biermanns schließlich gänzlich entpolitisiert und die vorher didaktische Intention einer individuellen Erschütterung gewichen. Gräber ist einer der persönlichsten und berührendsten Songs Biermanns.99 Er greift das bereits 1973 in Der Hugenottenfriedhof behandelte Thema des Friedhofbesuchs auf und schildert den Besuch von Grabstätten auf Kreta (Str. 1), Formentera (Str. 2), in Moskau (Str. 3) und Prag (Str. 4).100 Der Friedhof ist Ort der Besinnung und der Erinnerung an Verstorbene, Symbol der Gleichheit im Tode von „große[n]“ und „kleine[n] Leut“ (Der Hugenottenfriedhof, Str. 3, V.1f.) sowie Anlass zu individueller und gesellschaftlicher Bestandsaufnahme. Die beiden Songs unterscheiden sich jedoch in der Bewertung. In Der Hugennottenfriedhof besucht das als Biermann gekennzeichnete lyrische Ich u.a. die Ruhestätten schriftstellerischer Vorbilder (z.B. von Bertolt Brecht und Hanns Eisler) und zieht daraus Optimismus und Antrieb: „Dann freun wir uns und gehen weiter“ (Ref. 1, V.1).
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Biermann, Wolf: Gräber. T./M.: Wolf Biermann. Aus dem Album: Gut Kirschenessen. DDR – ça ira! Erschienen 1990. Ders.: Der Hugenottenfriedhof. T./M.: Wolf Biermann. Aus dem Album: Warte nicht auf beßre Zeiten. Erschienen 1973.
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Auch in dem Song Gräber von 1990 sind die Ruhestätten von Toten Anlass zur Selbstbeobachtung: „So graste ich manches Grab ab/Fraß Blumen verwelkt in mich rein/Und lud mir auf die Seele“ (Str. 4, V.1-3). Allerdings weist die Begegnung mit den Toten eine signifikante ‚Leerstelle‘ auf: den Bereich der individuellen Geschichte. Dies drückt die letzte Strophe aus. Im Kontrast zu den vorher geschilderten realen Grabstätten von Tätern und Opfern und durch den Wechsel zu einer sarkastischen Ausdrucksweise wird der Schmerz über den Verlust des Vaters spürbar:101 Ich weiß es, die Toten leben Und wolln, dass sie einer besucht Wer kalt an den Kalten vorbeigeht Der wird verhext und verflucht – ich nicht! meines Vaters Grabstein Steht überall. Ich brauch Sein Grab nicht lange suchen Es ist so leicht zu finden Dort, wo ein Schornstein raucht (Str. 5, V.1-9)
Die Grausamkeit des Holocaust spiegelt sich in der Unfähigkeit des hinterbliebenen Menschen, Besinnung, Ruhe, aber auch Konfrontation und Selbstvergewisserung aus der Begegnung mit dem Opfer bzw. seinem Grab zu gewinnen. Für den Hinterbliebenen ist weder ein spezifischer Ort des ungestörten Gedenkens vorhanden noch ein Abschließen des Trauerprozesses möglich. „Dort, wo ein Schornstein raucht“, sprich nahezu überall und immer, ist eine Konfrontation mit dem Tod des Vaters unvermeidlich. Der ‚Zivilisationsbruch‘ des Holocaust besteht in dieser Lesart auch darin, dass er die seit Menschengedenken vorhandenen Traditionen des Totengedenkens und der Trauerverarbeitung mit all ihren sozio-kulturellen Funktionen und individuellen Tröstungen zerstört hat, und darin, dass diese Inhumanität nach Ende des nationalsozialistischen Regimes fortwirkt. Anhand der betrachteten Songs ist erkennbar, wie für Wolf Biermann im Verlauf der 80er Jahre die Reflexion darüber in den Vordergrund rückt, wie überhaupt die unermessliche Dimension der Verbrechen erinnert werden kann. Dabei geht es sowohl um das individuelle Erinnern – in den Songs der 60er und 70er Jahre kaum thematisiert – als auch um gesamtgesellschaftliche Gedächtnisprozesse. Indem Biermann in dem Song Gräber 101
Vgl. hierzu auch Biermanns Ausführungen in Ders.: Wie man Verse macht und Lieder. S. 102.
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diese beiden Formen der Vergangenheitsaktualisierung gegeneinander stellt, weist er auf ihre Unterschiedlichkeit hin. Biermann ist nur einer von zahlreichen Songschreibern, die in den 80er Jahren Erinnerungsprozesse reflektieren. Dass im politischen Song der Bundesrepublik in dieser Zeit zunehmend die ‚Vergangenheitsbewahrung‘ in den Vordergrund rückt, kann an weiteren Beispielen gesehen werden. Sie zeigen aber auch den eingangs konstatierten Mangel an konkreter Beschäftigung mit den Opfern des Holocaust. Weitere Variationen der Erinnerung und des Gedächtnisses Hannes Wader veröffentlicht 1980 auf seinem Album Es ist an der Zeit – neben dem für die Friedensbewegung wichtigen Titelsong – das Stück Erinnerung.102 Der fast achtminütige Song stellt bereits im Titel die Vergegenwärtigung der Vergangenheit ins Zentrum und betont im ersten Vers: „Ich erinnere mich zurück bis in mein drittes Lebensjahr“ (Str. 1, V.1). Es folgt eine Schilderung der Kriegszeit, die die Sehnsucht des kleinen Jungen nach dem in Norwegen stationierten Vater beschreibt, und der Nachkriegszeit, die nach Heimkehr des Vaters den Verlust der Vater-Sohn-Bindung reflektiert. Bemerkenswert ist, dass der Refrain diese Verlusterfahrungen im Präsens zusammenfasst und damit die Gegenwärtigkeit von Erinnerungsprozessen betont: Ja vielleicht sind wir Menschen nur dazu geboren um ruhelos zu suchen bis zum Schluss. Auch ich habe irgendwann einmal etwas verloren was mir fehlt und was ich wieder finden muss. (Ref. 1, V.1-4)
Hier werden individuelle („ich“) und überindividuelle („wir Menschen“) Erinnerungsprozesse auffällig nebeneinander gestellt. Ähnlich wie bei Wolf Biermann ist dabei das lyrische Ich als autobiographisches Ich erkennbar und wird die Erinnerung als zentral für die Bildung einer Identität in der Gegenwart markiert. Dies gilt auch für zwei in den 80er Jahren veröffentlichte Songs Reinhard Meys. Happy Birthday to me ist ein Nachdenken über den eigenen Lebenslauf, das mit der Geburt während der Luftangriffe auf Berlin einsetzt 102
Wader, Hannes: Erinnerung. T./M.: Hannes Wader. Aus dem Album: Es ist an der Zeit. Erschienen 1980.
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und bis zum 33. Geburtstag reicht.103 Während in diesem Stück noch die eigene Unbelastetheit durch die Kriegserfahrung im Gegensatz zur Elternund Großelterngeneration betont wird,104 rückt der Song Das Foto vor mir auf dem Tisch aus dem Jahr 1986 die Erlebnisse der Älteren in den Vordergrund.105 Motiviert durch die Betrachtung eines Fotos wird die Biographie der Mutter vom Ersten Weltkrieg bis in die Songgegenwart geschildert. Durch diese Perspektive werden Erfahrungen der Elterngeneration vergegenwärtigt und dem Vergessen entzogen. In der Schilderung der unmittelbaren Kriegszeit ist dies beispielhaft deutlich: Und nun wird alles doppelt schwer, Allein in diesem Trümmermeer, Es geht nur noch darum zu überleben. Und dabei hat sie irgendwie, Auch wenn der Himmel Feuer spie, Mir Wärme und Geborgenheit gegeben. (Str. 5, V.1-6)
Der Song wird zu einem Medium der Memoria. Die Erfahrungen der Mutter, die durchaus auch als typische Elemente eines deutschen weiblichen Lebenslaufs im zwanzigsten Jahrhundert gelesen werden können, werden in Songform fixiert und konserviert. Am Ende des Textes wird als die zugrunde liegende Intention die Erinnerung an die Leiden der Elterngeneration und die Anerkennung ihrer Lebensleistung erkennbar: „Ich schwör‘s, besäß‘ ich einen Hut,/Dann zög‘ ich ihn jetzt vor ihr in Gedanken“ (Str. 9, V.5-6). Mit einem leicht veränderten Fokus und ausnahmsweise ohne den Blick nur auf deutsche Erfahrungen zu richten geht Hannes Wader in dem 1986 veröffentlichten Song Jepestinja Stepanowas Garten vor.106 Er schildert das Leben einer kaukasischen Russin, die einen ihrer neun Söhne durch Konterrevolutionäre und acht durch deutsche Truppen verloren hat. Wader ver-
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Mey, Reinhard: Happy Birthday to me. T./M.: Reinhard Mey. Aus dem Album: Freundliche Gesichter. Erschienen 1981. Dies vor allem in der ersten Strophe: „Den ersten [Geburtstag] hab‘ ich verschlafen, so hat man es mir erzählt/Als die ersten Bomben fielen, kam ich grade auf die Welt,/Als es splitterte und krachte, alles hastete und schrie./Ich sah aus, als ob ich lachte, happy birthday to me!“ (Str. 1, V.5-8). Mey, Reinhard: Das Foto vor mir auf dem Tisch. T./M.: Reinhard Mey. Aus dem Album: Alleingang. Erschienen 1986. Wader, Hannes: Jepestinja Stepanowas Garten. T./M.: Hannes Wader. Aus dem Album: Liebeslieder. Erschienen 1986.
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wendet eine bildreiche, metaphorische Sprache, die nicht immer der Thematik angemessen scheint. Die nationalsozialistische Kriegsführung beschreibt er beispielsweise als „jene finstere Zeit“ und ergänzt: „und es überschwemmten die Mörder begleitet von Leichengestank/das Land wie mit Jauche und in ungehemmten Fluten erstickten sie allen Gesang“ (Str. 2, V.3f.). Die historischen Ereignisse von der russischen Revolution über den Zweiten Weltkrieg bis zur Nachkriegszeit (der stalinistische Terror wird übergangen) werden in dem kleinen Kirschblütengarten der Russin ebenso gespiegelt wie der Tod der Söhne im Kampf gegen das Hitler-Regime: „Doch keiner der Söhne sah je wieder […]/[…] die Kirschbäume blühen/in Jepestinja Stepanowas Garten“ (Str. 3, V.5-7). Anhand dieser Örtlichkeit gelingt es Wader, eine Verbindung von individuellem Einzelschicksal und politischer Ereignisgeschichte zu schaffen, die in der letzten Strophe in die Songgegenwart überführt wird. Dort nun wird der Kirschblütengarten „weil der Brauch es so will“ (Str. 4, V.3) zu einem Ort des Gedächtnisses für die nächste Generation: [So] kommen an ihrem Hochzeitstag die jungen Paare zu ihrem Haus und betreten es still, betrachten schweigend ihr Bild und sie gehen, gehen aus um die Kirschbäume blühen zu sehen, in Jepestinja Stepanowas Garten. (Str. 4, V.5-7)
Es sind zwei aufeinander bezogene Handlungen, die hier geschildert und sprachlich durch die Wiederholung des Verbs „gehen“ betont werden. Erst das innehaltende Gedenken ermöglicht anschließend die Ansicht des blühenden Kirschbaums. Der Moment des Gedächtnisses an die Opfer des Zweiten Weltkrieges wird, wie bei Biermann, zu einer Notwendigkeit, um individuelles Glück erlangen zu können. Die Existenz eines Gedächtnisortes und eine gewisse Institutionalisierung der Erinnerung (sei es durch Grabmäler und ihren Besuch, die Existenz von Fotografien oder eines „Brauchs“) sind dafür jedoch Voraussetzung. Dass das Gedächtnis an die Toten auch Voraussetzung für die Versöhnung ehemaliger Kriegsparteien ist, schildert unter ähnlicher Betonung der Individualgeschichte Franz Josef Degenhardt in seinem 1983 veröffentlich-
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ten Song Tango du Midi.107 Der Erzähler betrachtet in einem französischen Dorf eine Mauer, an der die SS fünfzehn französische Widerständler erschoss (Str. 2) – dieses Ereignis wird durchgängig mit Fragen nach der Erinnerung an Opfer des Nationalsozialismus verbunden. Die Zeit bewegt sich langsam seitwärts und nicht mehr nach vorn. So wird es sein, wenn die Geschichte mal zu Ende ist. Bis dahin lies die fünfzehn Namen an der Wand, […] Ob Zeit die Wunden heilt, auch wenn sie steht, fragt hier kein Mensch. (Str. 2, V.2-10)
Irritation (Ref. 4, V.1) ergreift den Erzähler, ebenso wie den Hörer, der aufgrund der personalen Erzählerhaltung die Sichtweise des Erzählers teilt, als eine alte Frau, die vorher als „genau der Nazi-Witwe Typ“ (Str. 3, V.5) „auf den Spuren ihrer Männer, die die Welt in Scherben schlugen“ (Str. 3, V.6) eingeschätzt wurde, Blumen an der Mauer niederlegt. Langsamkeit, Ruhe, Einsamkeit und „auf einmal“ eine positive Bewertung sind die Charakteristika dieser Schilderung einer Handlung im Sinne des Gedenkens: Und über diesen leeren Platz kommt sie allein […]. […] Es sind fünfzehn, und sie legt die Rosen einzeln an die Wand, die Wand, an der untereinander fünfzehn Namen stehn. Die Stille hat ein Echo, wenn Zikaden plötzlich schweigen, und die Flöte aus dem Weinberg bläst auf einmal einen Tango, diesen wundersamen Tango du Midi. (Str. 4, V.5-10)
Insgesamt belegen die Songs von Biermann, Wader und Degenhardt beispielhaft, wie sehr die Frage des Gedächtnisses an die Opfer und des Gedächtnisortes in den 80er Jahren in den Blick der Songschreiber gerät. Aber auch die Frage nach der individuellen Möglichkeit der Erinnerung an eigenes Leid und eigene Traumatisierungen aus der Kriegszeit wird vermehrt aufgegriffen. Ein eindringliches Beispiel hierfür ist BAPs 1981 veröffentlichtes Stück Jupp.108 Der Text schildert eine Alltagsszene, die – charakteristisch für Niedeckens Dichtungen – örtlich präzise in Köln angesiedelt ist: „Ahn der 107 108
Degenhardt, Franz Josef: Tango du Midi. T./M.: Franz Josef Degenhardt. Aus dem Album: Lullaby zwischen den Kriegen. Erschienen 1983. BAP: Jupp. T.: Wolfgang Niedecken/M.: Klaus Heuser. Aus dem Album: Für Usszeschnigge. Erschienen 1981; zur Entstehungsgeschichte vgl. Niedecken, Wolfgang/Hoersch, Teddy: Verdamp lang her. S. 53.
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Vringspooz [Severinstor]“ (Str. 1, V.1) wird der Erzähler mit einem Mann konfrontiert, der bereits in der ersten Strophe als sozial abgestiegen beschrieben ist. Dies legen die ‚Insignien‘ „Mammutfläsch Lambruso“ und „Plastiktüüt“ (Str. 1, V.2f.) nah. Es werden anschließend über zweieinhalb Strophen lang Ereignisse aus der Biographie der Titelfigur wiedergegeben. Diese ‚Reise in die Vergangenheit‘ aus Sicht des Mannes wird eingeleitet mit einem maritimen Sprachbild, das jedoch gleich schon Zweifel an der Wahrhaftigkeit des Berichts sät: „Jo, dä Jupp trick jraad sing Sejel huh/Und e’ nimmp dich met, jedenfalls meint er et“ (Str. 1, V.5f.). Die verschiedenen biographischen Ereignisse der „Weltreis“ (Str. 2, V.1) sind schnell als Münchhausiade erkennbar. Die Geschichten stellen sämtlich (vermeintliche) Heldentaten dar: physische („Und wie e’ övver dä Äquator balanciert ess“), sexuelle („Un övverhaup, die dausend Fraue, die e’ kannt“ [Str. 2, V.4f.]), wundersame („en Katmandu,/Wo e’ met zwei Yetis Skat jeklopp hätt“) und psychische („die Wahnsinnszick als Robinson/En singer eijene Welt, janz op sich selvs jestellt“ [Str. 3, V.1-6]). Anfänglich erstrecken sich die einzelnen Schilderungen der Ereignisse noch über bis zu vier Verse, zunehmend aber steigert sich das Erzähltempo. Schließlich werden nur noch assoziative Andeutungen wiedergegeben: Jupp verzällt vum Joldrausch Un, wie e’ Twist jedanz hätt met ’ner Kobra Vun ’nem karierte Zebra, ’ner blonde Fee uss Peking, namens Lola. (Str. 4, V.1-4)
Erst vor dem Hintergrund des gesteigerten Erzähltempos und der Menge an geschilderten Erlebnissen erhält der nun folgende Bruch seine Wirksamkeit. Der Kontrast zwischen Erzähltem und Verschwiegenem lässt die Tragik der Hauptfigur sichtbar werden: Nur vun Stalingrad verzällt e’ nie ‚Wo litt dat, Stalingrad? Enn welchem Land ess dat?‘ Stalingrad pack e’ nie, irjendwie. (Str. 4, V.5-7)
Die fehlende Erinnerung an den Kriegsschauplatz, als einziger Vers des Songs in direkter Rede wiedergegeben, verdeutlicht, wie sehr das individuelle Erleben auf die Fähigkeit einwirkt, die Vergangenheit zu vergegenwärtigen. Die Erfahrung von Stalingrad erweist sich als Traumatisierung, bei der nicht erkennbar ist, ob Jupps Aussage eine Schutzbehauptung oder eine
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Verdrängung ist. Das Ergebnis bleibt gleich: eine nicht aktivierte/aktivierbare Erinnerung. Diese Passage wird von Wolfgang Niedecken nicht mehr gesungen, sondern lediglich fast flüsternd gesprochen – die Kriegserfahrung und das hieraus resultierende Trauma erscheinen gesanglich nicht vermittelbar. Dies betont auch die musikalische Gestaltung. Erst an dieser Stelle setzt die Band ein, zunächst mit einem Drumfill und dann einem 34-taktigen Gitarrensolo, das gerade aufgrund seiner ungewöhnlichen Länge die Sprachlosigkeit der Hauptfigur akustisch spürbar macht. Abgeschlossen wird der Song schließlich mit einem Rückgriff auf die einleitenden Verse. Jo, dä Jupp trick jraad sing Sejel huh Un e’ nimmp dich met, jedenfalls meint er et, Un e’ verzällt sich fruh. (Outro, V.1-3)
Der Text kehrt hier zurück zur Perspektive des Erzählers, Jupp kommt nicht mehr zu Wort. Stattdessen wird unter Anspielung auf den Kölschen Ausdruck „Verzällche“ (heitere Geschichte, Schnurre) erkennbar, dass die Münchhausiade weniger Selbstzweck als psychische Entlastung ist: Jupp „verzällt sich fruh“. Die als Resultat der Kriegstraumatisierung entstandene Zwanghaftigkeit, wiederkehrend Lügengeschichten zu erzählen, stellt der Song explizit („Wie jeden Daach verzällt e’“ [Str. 2, V.2]) und implizit durch seine zyklische Struktur dar. Ähnlich geht auch der drei Jahre später veröffentlichte Song Jojo vor, ohne jedoch den Aspekt der Erinnerung ganz so stark in den Vordergrund zu stellen.109 Hier wird dem Hörer ein Mann im „Ahnzoch […]/ahn der Thek“ vorgestellt, den seine politische Tätigkeit „en der ahle KP“ in ein Konzentrationslager, ins „Strafbataillon ahn der vorderste Front“ und schließlich nach Sibirien geführt hat (Str. 2, V.1-12). Niedecken verbindet erneut die Kriegserfahrung mit der Schilderung einer Traumatisierung: „Dä hätt nie widder Fooß jepack, selden jelaach“ (Str. 2, V.13). Beide Songs erinnern durch ihre Beschreibung gesellschaftlicher Außenseiter in einem Kölner Umfeld und der Erklärung des jeweiligen Verhaltens mit individuell-biographischen Erfahrungen stark an die Poetik
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BAP: Jojo. T.: Wolfgang Niedecken/M.: Manfred Boecker, Alexander Büchel, Jan Dix, Klaus Heuser, Stefan Kriegeskorte, Hans Wollrath. Aus dem Album: Zwesche Salzjebäck un Bier. Erschienen 1984.
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Heinrich Bölls; ein Einfluss, zu dem sich Niedecken selbst bekennt.110 Gleichzeitig zeigen sie aber auch, dass einige Merkmale der Schilderung deutscher Opfer von den 60er Jahren bis in die 80er erhalten bleiben. Niedeckens Figuren weisen eine durchaus mit dem „Zittermann“ in Dieter Süverkrüps Kirschen auf Sahne vergleichbare Traumatisierung auf, eine vergleichbare Unfähigkeit der ‚Bewältigung‘ der Vergangenheit und eine vergleichbare Sprachlosigkeit. Zum Abschluss dieses Kapitels soll noch auf zwei Songs von Heinz Rudolf Kunze und Wolf Biermann eingegangen werden, die mit der Flucht und Vertreibung von Deutschen in den letzten Kriegsjahren auf unterschiedliche Weise ein Thema aufgreifen, das bisher kaum aufgetaucht ist. Sie sind frühe Beispiele für die Beschäftigung mit den so genannten ‚Leiden der Deutschen‘, einem Komplex, der sowohl in der Literatur als auch in Film und Song nach der Wiedervereinigung 1989 zu einem der zentralen Vergangenheitsdiskurse wird (vgl. Kapitel 3.2 u. 8). An beiden Songs ist zudem erneut sichtbar, dass in den 80er Jahren die Betrachtung der Vergangenheit vermehrt von einem autobiographischen Standpunkt aus vorgenommen wird. Heinz Rudolf Kunze: Vertriebener (1985) Auf dem 1985 veröffentlichten Album Dein ist mein ganzes Herz von Heinz Rudolf Kunze, das es bis auf Platz acht der deutschen Charts schaffte, findet sich an zweiter Stelle der Song Vertriebener.111 Er ist durch die klare autobiographische Kennzeichnung ungewöhnlich für den Künstler; in keinem weiteren Song lässt sich so eindeutig das (Text-)Autor-Ich mit dem lyrischen Ich gleichsetzen.112 Dies ergibt sich vor allem aus der biographischen Auflösung des eigenen Namens: Meine Mutter war so treu, dass mir schwindlig wird. Mein Vater war bei der SS. Ich heiß Heinz wie mein Onkel, der in Frankreich fiel, und Rudolf wie Rudolf Heß. (Str. 3, V.1-4) 110 111
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Vgl. Niedecken, Wolfgang/Hoersch, Teddy: Verdamp lang her. S. 96. Kunze, Heinz Rudolf: Vertriebener. T.: Heinz Rudolf Kunze/M.: Heinz Rudolf Kunze, Heiner Lürig. Aus dem Album: Dein ist mein ganzes Herz. Erschienen 1985. Hierzu vgl. Barthelmes, Karl-Heinz: Heinz Rudolf Kunze. Meine eigenen Wege. Gütersloh 2007, S. 17-22.
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Vor diesem Hintergrund stellt sich der Song als geradezu prototypischer Rocksong dar. Nicht nur der durch einen 4/4-taktigen Beat dominierte Rhythmus und die elektrische Rockinstrumentierung sorgen dafür, sondern auch die Struktur, die exakt dem konventionellen Grundaufbau (bei lediglich der Ersetzung der Bridge durch eine weitere Strophe) entspricht. Die Spiegelung der Vertreibungsthematik im Subjekt, dessen Kennzeichnung als autobiographisch zahlreiche Authentizitätssignale setzt, lässt sich ebenfalls als rocktypisch bezeichnen. So ist der Song ein rocksprachlicher Kommentar zur Vertreibung der Deutschen nach Kriegsende, der einerseits eine Anerkennung des individuellen Leids einfordert, andererseits aber als Absage an jegliche Form von Revanchismus oder Wiedergutmachungsforderungen lesbar ist. Explizit macht dies der erste Refrain klar: Ich bin auch ein Vertriebener. Ich will keine Revanche, nur Glück. Ich bin auch ein Vertriebener. Fester Wohnsitz Osnabrück. (Ref. 1, V.1-4)
Einige Irritationsmomente und Unstimmigkeiten bzw. ‚Manipulationen‘ der Biographie erfordern eine genauere Betrachtung. Zwei Aspekte sind auffällig: zum einen die Historisierung des Ich als durch den Namen mit dem Nationalsozialismus verknüpft und zum zweiten die Selbststilisierung als „Vertriebener“, die aufgrund des Alters des Künstlers (geb. 1956) erstaunt. Der zitierte Verweis auf die Namensverwandtschaft einerseits mit dem ‚Stellvertreter des Führers‘ Rudolf Heß und andererseits mit einem gefallenen Soldaten signalisiert eine Identitätsproblematik des Vertriebenen. Das ganze eigene Leben bis in die Gegenwart hinein wird gedeutet als beeinflusst durch den Nationalsozialismus. Diesen Eindruck unterstreicht musikalisch der Einsatz eines Delay-Effekts auf der E-Gitarre – er erzeugt einen Nachhall aus Tönen, der die inhaltliche Aussage unterstützt. Für deren Prägnanz wird allerdings die Tatsache übergangen, dass der zweite Name vermutlich eher dem Vater Rudi geschuldet ist als einer zum Zeitpunkt der Namensgebung weiterhin bestehenden nationalsozialistischen Gesinnung der Eltern.113 Noch auffälliger ist die Betrachtung des Zeugungs- und Geburtsortes in der zweiten Strophe:
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Vgl. ebd., S. 18f.
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Ich wurde geboren in einer Baracke im Flüchtlingslager Espelkamp. Ich wurde gezeugt an der Oder-Neiße-Grenze, ich hab nie kapiert, woher ich stamm. (Str. 2, V.1-4)
Die Identitätskrise wird hier begründet durch eine (pränatale) Vertreibungserfahrung; durch eine Zeugung im umstrittenen und erst 1970 von der BRD anerkannten Grenzbereich zwischen der DDR und Polen und die Geburt in einer der großen Vertriebenenstädte in Nordrhein-Westfalen.114 Es ist mehr als biographische Spitzfindigkeit darauf hinzuweisen, dass Kunze erst im Februar 1956, also einige Jahre nach Ende der Vertreibungen, und wohl eher nicht an der Oder-Neiße-Grenze gezeugt wurde.115 Vielmehr macht gerade der Kontrast aus direkter und indirekter Zwangsmigration erkennbar, wie stark Kunze die Erfahrungen der Vertreibung auch für die Nachgeborenen in Anspruch nimmt. Die Aussage: „Ich bin auch ein Vertriebener“, mit einer metrischen Betonung auf dem „auch“ durch einen Anapäst (--/), ist weniger eine Gleichsetzung mit anderen Vertriebenen als eine Eingliederung der Biographie eines Nachgeborenen in den Vertriebenendiskurs. Juristisch betrachtet kann Kunze als ‚Abkömmling‘ gemäß §2 des Bundesvertriebenengesetzes (BVFG) durchaus als ‚Heimatvertriebener‘ bezeichnet werden – bemerkenswert ist aber vornehmlich, dass er weder körperliche Schädigungen noch Besitzverluste oder Traumatisierungen der Elterngeneration als Ursache für die nachwirkende Identitätskrise der Nachgeborenen ausmacht. Stattdessen ist es vor allem der Verlust der Möglichkeit von Heimat, die im Zentrum des Songs steht. In dem ein Jahr vorher veröffentlichten Song Deutschland (Verlassen von allen guten Geistern) ist das für den Song Vertriebener grundlegende Verständnis des Begriffs ‚Heimat‘ erläutert:116
114
115
116
Vgl. Wiesemann, Falk: Flüchtlingspolitik in Nordrhein-Westfalen. In: Benz, Wolfgang (Hrsg.): Die Vertreibung der Deutschen aus dem Osten. Ursachen, Ereignisse, Folgen. Frankfurt a.M. 1985, S. 173-182. Vgl. zum Zeitrahmen der Vertreibungen Kleßmann, Christoph: Die doppelte Staatsgründung. Deutsche Geschichte 1945-1955. Bonn 1991, S. 39-42; Kunzes Vater kehrte erst im Januar 1956 aus russischer Kriegsgefangenschaft zurück, zu diesem Zeitpunkt befand sich die Mutter Gerda bereits in NordrheinWestfalen (vgl. Barthelmes, Karl-Heinz: Heinz Rudolf Kunze. S. 19f.). Kunze, Heinz Rudolf: Deutschland (Verlassen von allen guten Geistern). T./M.: Heinz Rudolf Kunze. Aus dem Album: Die Städte sehen aus wie schlafende Hunde. Erschienen 1984.
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Ich möchte eine Heimat haben. Ist denn das zuviel verlangt von diesem Fleck, auf dem ich stehe? Ich möchte von wo kommen, denn ich möchte gerne bleiben Und wiederkommen wollen, wenn ich gehe. (Str. 3, V.1-4)
Dem „Vertriebenen“ fehlt eben ein solcher Ort. Er besitzt lediglich einen „festen Wohnsitz“ (Ref. 1, V.4). Eine Herkunft und d.h. ‚Heimat‘ lässt sich nur ex negativo festmachen, wie die erste Strophe ausführt: Ich bin nicht aus Bochum und nicht aus Berlin, nicht aus Frankfurt und erst recht nicht aus Köln. Ich bin nicht aus Hamburg (wie viele Leute glauben), nicht aus München und auch nicht aus Mölln. (Str. 1, V.1-4)
Die fehlende Heimat manifestiert sich auch in fehlender regionaler Integration, die Kunze vor allem sprachlich festmacht: „Alle gießen ihre Wurzeln, alle reden Dialekt./Niemals Zeit gehabt, einen zu lernen“ (Str. 4, V.1f.). Erst in der abschließenden Strophe, die durch das vorhergehende Gitarrensolo abgesetzt ist, scheint die Möglichkeit einer ‚neuen‘ Heimat auf, für die Kunze auf den altbekannten Topos der Sprache bzw. Kunst als Heimat zurückgreift:117 Ich bin auch ein Vertriebener, nirgendwo Gebliebener. Zuhause ist, wo man mich hört. (Str. 5, V.3f.)
Heimat wird der Ort der Rezeption und der Song zum Mittel der Heimatbildung und Heimaterhaltung. Wolf Biermann: Ich leb mein Leben, sagt Eva-Marie (1982) Vollkommen anders geht Wolf Biermann in dem Song Ich leb mein Leben, sagt Eva-Marie aus dem Jahr 1982 mit der Vertriebenenthematik um.118 117
118
Vgl. dazu insgesamt Seliger, Helfried W. (Hrsg.): Der Begriff „Heimat“ in der deutschen Gegenwartsliteratur. München 1987. Hierbei ist sowohl an Heidegger (Sprache als Heimat) zu denken als auch an Autoren wie Peter Handke; in Songform prägnant ausformuliert in Degenhardt, Franz Josef: Abendlied. T./M.: Franz Josef Degenhardt. Aus dem Album: Diverse: Die Burg Waldeck Festivals 1964-1969. CD 3: 1965. Erschienen 2008. Biermann, Wolf: Ich leb mein Leben, sagt Eva-Marie. Ballade vom wiederholten Abtreiben. T./M.: Wolf Biermann. Aus dem Album: Wir müssen vor Hoffnung verrückt sein. Erschienen 1982.
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Das Stück trägt den Untertitel Ballade vom wiederholten Abtreiben und ist ein Rollensong; Sprecherin ist Eva-Maria Hagen, Biermanns Lebenspartnerin von 1965-1972.119 Das „Abtreiben“ ist nicht durchgängig als Schwangerschaftsabbruch zu verstehen, sondern steht zudem metaphorisch für den Tod des Traums von einem ‚Sozialismus mit menschlichem Antlitz‘ im Juni 1953 (Str. 3), für das Scheitern der Beziehung zu Wolf Biermann (Str. 4), für die Ausbürgerung der Schauspielerin 1977 („Und so wurd ich abgetrieben/Meine Landesväter schmissen/Mich und andern Menschenabfall/Ihren Feinden vor die Füße“ [Str. 5, V.9-13]) und Lebenskrisen in der neuen Wahlheimat Hamburg (Str. 6). Im gegebenen Zusammenhang ist die zweite Strophe von Interesse, die sich der Vertreibung Hagens aus Pommern gegen Ende des Zweiten Weltkriegs widmet. Sie ist deshalb ungewöhnlich, weil hier die Vergewaltigungen flüchtender Frauen durch russische Soldaten geschildert werden; eine Thematik, die in anderen Songs nicht vorkommt.120 Die grausamen Geschehnisse werden in lapidarer Sprache dargebracht: Aus dem Dorf in Polen hab’n wir Weggekonnt Mutter schleppte mich im Schneematsch durch die Front Westwärts in den Osten ging’s nach Neuruppin Russen nahmen alles, gaben alles hin Schweiß und Fusel für die Weiber Für uns Kinder Speck und Brote Manche Weiber machten’s gerne Manche wehrten sich zu Tode (Str. 2, V.1-12)
119 120
Biographische Informationen und Interviews finden sich auf der Homepage http://www.eva-maria-hagen.de, 06.05.10. Vgl. zu dieser Thematik Grossmann, Atina: A Question of Silence. The Rape of German Women by Occupation Soldiers. In: Moeller, Robert G. (Hrsg.): West Germany under Construction: Politics, Society, and Culture in the Adenauer Era. Ann Arbor/MI 1997, S. 33-52; Heinemann, Elizabeth: The Hour of the Woman. S. 354-395; Schmidt-Harzbach, Ingrid: Das Vergewaltigungssyndrom. Massenvergewaltigungen im April und Mai 1945 in Berlin. In: Bandhauer-Schöffmann, Irene/Hornung, Ela (Hrsg.): Wiederaufbau Weiblich. Dokumentation der Tagung „Frauen in der österreichischen und deutschen Nachkriegszeit“. Wien, Salzburg 1992, S. 181-198.
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Unverkennbar verraten der Pejorativ „Weiber“, aber auch die Nebeneinander- und Gleichstellung von Notprostitution und Vergewaltigungen den männlichen Autor der Strophe. Auffallend ist die wertungsfreie Schilderung, die auf Kritik an den russischen Soldaten wie auf historische Einordnung der Vertreibungen verzichtet, ja selbst den Akt der Vergewaltigung hinter einer elliptischen Andeutung verschleiert. Die Erfahrung der Vertreibung – als Wortspiel innerhalb des Songs auch eine Abtreibung – wird vor diesem Hintergrund zu einem Teil einer anthropologisch verallgemeinerbaren Lebensgeschichte, die den menschlichen Werdegang als Leidensweg charakterisiert. Diesen Eindruck verfestigt der Refrain: Doch ich lebe noch, ich lebe Und so war das eben – is nich traurig, is ja Wahrheit – Und ich leb mein Leben (Ref. 1, V.1-4)
Biermanns Song kann im Zusammenhang mit den anderen betrachteten Stücken nun als typisch für die Darstellung von Opfererfahrungen in den Songs der 80er Jahre erkannt werden. Als Grundtendenz der Beschäftigung mit Opfern des Nationalsozialismus lässt sich die im Vergleich zu den Vorjahrzehnten noch verstärkte Einnahme einer individuellen, sehr häufig (auto-)biographischen Perspektive ausmachen. Umfassende systemkritische Reflexionen finden sich kaum noch. Stattdessen wird die Erfahrung des Einzelnen in den Vordergrund gerückt und meist auch mit einer Problematisierung des individuellen Erinnerungsprozesses und/oder des gesellschaftlichen Gedächtnisses verbunden. Die von der Rollenfigur in Biermanns Song formulierte Aussage: „is nich traurig, is ja Wahrheit“, stellt gerade das individuelle Erleben als faktische Wahrheit heraus, die sich implizit gegen das gesellschaftliche Vergessen historischer Ereignisse wendet. Damit werden Merkmale der Songs der 70er Jahre, insbesondere die Personalisierung, übernommen und mit Reflexionen über die Möglichkeiten der Vergegenwärtigung von Vergangenheit verbunden. Es fällt grundsätzlich auf, wie intensiv die Erfahrung des Einzelnen geschildert und damit gegen Tendenzen der ‚Normalisierung‘ oder des ‚Schlussstrich-Ziehens‘ ausgespielt wird. ‚Vergangenheitsbewahrung‘ heißt für den politischen Song der 80er Jahre, dass er die Auseinandersetzung mit (überwiegend ‚volksgemeinschaftlich‘ deutschen) Opfern des Nationalsozialismus deshalb unternimmt, um mit dem Song als Medium der Memoria Vergangenes vor dem
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gesellschaftlichen Vergessen zu bewahren.121 Hieraus spricht auch ein gestiegenes Selbstbewusstsein der Songschreiber hinsichtlich der Wirksamkeit und Wirkungsdauer ihrer populärmusikalischen Produktionen. Während manchmal ausländische Opfer des Krieges einbezogen werden und sich bei Kunze und Biermann bereits die späteren Debatten um die ‚Leiden der Deutschen‘ ankündigen, wird die explizite Thematisierung des Holocaust und d.h. auch die Schilderung der Ermordung der europäischen Juden, Sinti, Roma, Homosexuellen und weiterer Opfer des nationalsozialistischen Regimes, die nicht zur nationalsozialistischen ‚Volksgemeinschaft‘ gehören, außer von Biermann weiterhin vermieden.
D IE S UCHE NACH EINER ‚ ZUSTIMMUNGSFÄHIGEN ‘ V ERGANGENHEIT In den Jahren von 1979 bis 1989 intensiviert sich die Auseinandersetzung mit der nationalsozialistischen Vergangenheit auch im Bereich dessen, was als didaktischer Diskurs bezeichnet wurde. Trotz der Kommerzialisierung (und vermeintlichen inhaltlichen Simplifizierung) deutschsprachiger Popmusik durch die Neue Deutsche Welle entstehen zahllose Songs, die sich gegen das gesellschaftliche Vergessen der Vergangenheit stellen und Antworten auf die Frage suchen, wie der Nationalsozialismus vermittelt und erinnert werden kann. Folgende Aspekte können für die Zeit von 1979 bis 1989 unterschieden werden: Erstens findet eine Weiterführung der Verdrängungswarnungen der 60er und 70er Jahre vor dem Hintergrund zeitgenössischer Entwicklungen statt; zweitens entstehen Songs, die die gesellschaftliche Auseinandersetzung mit der Vergangenheit zunehmend pessimistisch bewerten und Verdrängungsprozesse nachweisen; drittens lässt sich parallel dazu eine verstärkte Historisierung des NS-Regimes und eine Tendenz zur populärmusikalischen ‚Normalisierung‘ der Vergangenheit erkennen; schließlich erscheinen viertens Songs, die sich konkret mit der deutschen Identität beschäftigen und positive Identifizierungsangebote entwickeln.
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Beaujour, Michel: Memory in Poetics. S. 9.
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Franz Josef Degenhardt und der Ost-West-Konflikt Die Warnungen vor einer Restauration (prä-)nationalsozialistischer Zustände in der Bundesrepublik basieren in den 80er Jahren auf anderen Begründungen als in den 60er und 70er Jahren. Vornehmlich reagieren die Songschreiber auf gesellschaftliche Entwicklungen wie die Entstehung einer gewaltbereiten Neonazi-Szene ab Anfang der 70er Jahre und eine zunehmende Intellektualisierung des Rechtsextremismus im Rahmen der so genannten ‚Neuen Rechten‘ sowie auf die Verschärfung des Ost-WestKonflikts.122 Dabei wird unterschiedlich präzise unterschieden zwischen der ‚alten Rechten‘, die (verkürzt gesagt) eine Auferstehung des Nationalsozialismus anstrebt, und der ‚neuen‘ Rechten, die sich mit ihrem AntiLiberalismus, Anti-Universalismus und ihrer intellektualisierten Demokratiefeindschaft eher den Gesellschaftsmodellen der Weimarer Republik zurechnet.123 Relativ genau in dieser Unterscheidung ist Franz Josef Degenhardts Song Es denken die Leute von gestern wieder an morgen aus dem Jahr 1982.124 Er ist einer der zahlreichen Rollensongs Degenhardts und lässt einen Teilnehmer am Russlandfeldzug zu Wort kommen. Fast wie in Vatis Argumente (Ärmel aufkrempeln – zupacken – aufbauen) oder der Belehrung nach Punkten entlarvt der Sprecher seine Geisteshaltung scheinbar unfreiwillig durch seinen Sprachgebrauch, in diesem Fall durch die ‚Entmenschlichung‘ des ehemaligen Kriegsgegners: Verstehen Sie mich nicht falsch ich habe überhaupt nichts gegen ihn ich sage nur der RUSSE ist ein BÄR Gutmütig und bequem aber auch unberechenbar und sehr gefräßig man muss ihm furchtlos gegenübertreten vor der NEUTRONENBOMBE hat er Angst 122
123 124
Vgl. Pfahl-Traughber, Armin: Der organisierte Rechtsextremismus in Deutschland nach 1945. Zur Entwicklung auf den Handlungsfeldern „Aktion“ – „Gewalt“ – „Kultur“ – „Politik“. In: Schubarth, Wilfried/Stöss, Richard (Hrsg.): Rechtsextremismus in der Bundesrepublik Deutschland. S. 78-85. Vgl. Assheuer, Thomas/Sarkowicz, Hans: Rechtsradikale in Deutschland. Die alte und die neue Rechte. Zweite akt. Aufl. München 1992, S. 139-143. Degenhardt, Franz Josef: Es denken die Leute von gestern wieder an morgen. T./M.: Franz Josef Degenhardt. Aus dem Album: Du bist anders als die anderen. Erschienen 1982.
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Vor der VERSAFTUNG So was mag er nicht – der Meister Petz (Str. 3, V.1-10)
Dass der affirmativen Haltung zum Einsatz der Neutronenwaffe vor dem Hintergrund des Kalten Krieges – Degenhardt reagiert hier auf den Bau dieser Waffe unter dem amerikanischen Präsidenten Ronald Reagan ab 1981 – der Wunsch nach Vergeltung und Restauration eingeschrieben ist, machen die anderen Strophen überdeutlich. Die (auch durch die Intonation) abwertende, wiederholte Verwendung des Schlagworts „FRIEDEN FRIEDEN FRIEDEN FRIEDEN“ (Str. 1, V.2) ist hier ebenso offensichtlich, wie die Warnung vor einer erfolgreichen Okkupation Westdeutschlands durch russische Truppen: Sie wachen morgens auf […] da sehen Sie mitten auf Ihrem englischen Rasen steht ein RUSSISCHER PANZER […] Wetten, dass der bleibt? (Str. 1, V.9-19)125
Insbesondere aber die anhaltende Beschäftigung des Sprechers mit der deutschen Niederlage („Sommer einundvierzig bis nach Stalingrad/übrigens war das ein schwerer Fehler von HITLER“ [Str. 2, V.5f.]) zeigt den Wunsch nach einer Restauration. Er manifestiert sich dann in der abschließenden Strophe und dem vorletzten Vers endgültig und wird von einem wertenden Kommentar in der letzten Zeile begleitet: Herrgott nochmal – begreifen Sie doch endlich Diesmal sind wir nicht allein Diesmal ist der AMI doch auf unserer Seite wollen mal sehn was er dann für Augen macht, der IWAN wenn auf einmal NATO-PANZER auf dem Rasen stehen in unserem KÖNIGSBERG Ja – es denken die Leute von gestern wieder an morgen (Str. 4, V.4-12)
Degenhardts Rollensong, dessen Sprecher mittels des letzten Verses als Repräsentant einer größeren Gruppe von „Leuten“ gekennzeichnet ist, 125
Diese Furcht vor einer russischen Besetzung ist z.B. auch karikiert in Lindenberg, Udo: Russen. T.: Barbara Streusand, Quietschhafer/M.: Udo Lindenberg. Aus dem Album: Götterhämmerung. Erschienen 1986.
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warnt davor, Ängste vor der Sowjetunion auf dem Höhepunkt des Kalten Krieges für restaurative Interessen zu instrumentalisieren. Diese Interessen werden durch den Ausdruck „unser KÖNIGSBERG“ als konkrete politische Forderung nach einer Restitution Kaliningrads, d.h. einer Wiederherstellung Deutschlands in den Grenzen von 1937, erkennbar. Ihr erteilt der Song eine klare Absage. In dieser Konkretheit ist der Song ungewöhnlich; die meisten anderen Restaurationswarnungen, auch die anderer Degenhardt-Songs, verweisen lediglich allgemein auf die anhaltende Valenz nationalsozialistischer Geisteshaltungen und erinnern stark an die „Warnungen vor einem neuerlichen Deutschland-Erwachen“ der 60er Jahre. Beispielhaft kann Franz Josef Degenhardts Song Trink aus, Katrin genannt werden. Er zeichnet in der Ansprache an eine nicht näher beschriebene Frau, der bereits zu Anfang des Songs eine Flucht dringlich angeraten wird, das pessimistisches Gesellschaftsbild einer Republik im neofaschistischen Übergang.126 Der Text ist voller Verweise auf das NS-Regime und negiert jegliche Aufarbeitung des Nationalsozialismus. Die Mittelstrophe ist besonders intensiv, wenn es heißt: Die Zeit wo frischer Wind hier blies, Katrin, der blies doch viel zu lau In tausend Jahren aufgestaut […] Und viele Wunden sitzen tief bei dem, der nie gewonnen hat (Str. 2, V.1-6)
Auffallend ist, wie Degenhardt bereits mehrfach benannte Motive, z.B. das der Hexenjagd und der maskulinen Täterschaft („Zunft“), erneuert und dem Handlungsprimat der ‚alten Rechten‘ zuschreibt: Trink aus, Katrin, im Ratskeller da hockt die alte, geile Zunft, die wartet auf den Glockenschlag und dass das Hexenfeuer brennt (Str. 1, V.13-16)
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Degenhardt, Franz Josef: Trink aus, Katrin. T./M.: Franz Josef Degenhardt. Aus dem Album: Vorsicht Gorilla. Erschienen 1985.
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„Der böse Geist“ – Dämonisierungen des Nationalsozialismus Inhaltlich vergleichbar, musikalisch allerdings im Rockidiom gestaltet, formulieren die Gebrüder Engel in ihrem Song Sie fangen wieder an die Warnung vor einem ‚neuerlichen Deutschland-Erwachen‘.127 Die in dem Text beschriebenen Verhaltensweisen in der Gegenwart decken sich bis in die Wortwahl mit der Verfolgung jüdischer Mitbürger während des NSRegimes: Die träumen jetzt schon wieder davon auszurotten Sie schmieren wieder Hakenkreuze an die Synagogen Sie gröhlen hier und da schon ihre üblichen Lieder So schnell schon wieder?! (Str. 4, V.1-5) Sag nicht, wir haben nichts geahnt Sag nicht, das sind nur ein paar Mann Der böse Geist hat wieder hier und da ein Maul Sie fangen wieder an! (Ref. 1, V.1-4)
Der Song ist ein frühes Beispiel für die erste Phase der „Rock gegen Rechts“-Bewegung, die 1979 mit dem gleichnamigen Festival in Frankfurt am Main einsetzt.128 Die Gebrüder Engel traten bei dieser Veranstaltung u.a. zusammen mit Udo Lindenberg und den Schmetterlingen auf. Bemerkenswert an diesem Song ist nun zweierlei: Anders als beispielsweise Udo Lindenbergs Sie brauchen keinen Führer von 1984, der vor allem eine Warnung vor neonationalsozialistischen Gruppierungen ausdrückt und dabei die Unterschiede zwischen ‚alter‘ und ‚neuer Rechten‘ betont,129 zeigt der Song Gründe für die restaurativen Gefährdungen in der Gegenwart auf. So wird anhand der zitierten Strophe sichtbar, dass eben gerade die Weiterexistenz nationalsozialistischer Gesinnungen („der böse Geist“) ursächlich ist. Darüber hinaus weiß der Song die Warnung vor einer 127 128
129
Gebrüder Engel: Sie fangen wieder an. T./M.: Thomas Paßmann-Engel, Axel Schulz, Steffi Stephan. Aus dem Album: Magengesicht. Erschienen 1980. Eine ausführliche, zeitnahe und auch kritische Dokumentation dieser ersten Phase bietet Leukert, Bernd (Hrsg.): Thema: Rock gegen Rechts. Musik als politisches Instrument. Frankfurt a.M. 1980. Lindenberg, Udo: Sie brauchen keinen Führer. T.: Udo Lindenberg/M.: Udo Lindenberg, Henrik Schaper. Aus dem Album: Götterhämmerung. Erschienen 1984.
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Wiederholung der Geschichte auch ästhetisch umzusetzen. Er beginnt mit einem gekürzten Mitschnitt/Sample aus Adolf Hitlers Rede zum RöhmPutsch 1934. Unterstützt von Jubel-Rufen der Zuhörer erklärt Hitler: Ich habe den Befehl gegeben, [im Original folgt: „die Hauptschuldigen an diesem Verrat zu erschießen, und“] ich gab weiter den Befehl, die Geschwüre unserer inneren Brunnenvergiftung und der Vergiftung des Auslandes auszubrennen bis auf das rohe Fleisch.
In die anschließende, mehrmalige Wiederholung des Ausschnitts „Ich habe den Befehl gegeben“ wird die Musik eingeblendet. Am Ende des Songs findet der umgekehrte Prozess statt: Die populärmusikalische Warnung – an dieser Stelle nur noch aus einer Wiederholung der Sätze: „Sie fangen wieder an – so weit ist es schon!“, bestehend – wird zunehmend von Hitlers Reichstagsrede überlagert und schließlich vollständig übertönt. Auf diese Weise veranschaulicht die Anordnung der Soundillustration dem Hörer, dass das ‚Überhören‘ der Restaurationswarnungen unweigerlich in einen Gesellschaftszustand führt, der der Frühphase des NS-Regimes 1934 gleicht. Gleichzeitig fällt aber die Reduktion auf den „bösen Geist“ als Erklärung für das Wiederholungspotential der Geschichte analytisch weit hinter die Reflexion von Dämonisierungstendenzen in Degenhardts Tarantella 1963 oder die 1967 von Süverkrüp vorgenommene Problematisierung der Irrationalität als Ursache für gesellschaftliche Gefährdungen zurück. Diese Beobachtung lässt sich für zahlreiche weitere Songs der 80er Jahre treffen. Marius Müller-Westernhagen beispielsweise personifiziert die ‚neue Rechte‘ in dem Song Der schwarze Mann als fremdenfeindlichen Kinderschreck und verkehrt das bekannte Kinderlied in eine Beschreibung gesellschaftlicher Verdrängungsprozesse:130 Von den alten Kumpels, da hat er schon ‘ne Menge eingesackt Die tragen Schilder und da steht drauf: Raus mit dem Kanack (Str. 4, V.1-3) Duck’ dich, sonst hat er dich geseh’n Duck’ dich, der schwarze Mann Oh weh, oh weh (Ref. 2, V.1-3)
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Müller-Westernhagen, Marius: Der schwarze Mann. T./M.: Marius MüllerWesternhagen. Aus dem Album: Geiler is’ schon. Erschienen 1983.
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Auch die baden-württembergische Band Pur gestaltet in dem Stück Bis der Wind sich dreht ein teuflisches Monster.131 Dieser „Meister der Demagogie“ (Str. 3, V.4), von dem es zunächst heißt: „Durch jeden Türkenwitz wird ein Stück von mir geboren/Massenarbeitslosigkeit haucht mir Leben ein“ (Str. 2, V.2f.), entpuppt sich schließlich als Personifizierung nationalsozialistischer Ideologie. Den „Geist den ihr gerufen habt/Den werdet ihr nicht los“ (Str. 4, V.1f.), verkündet das dämonische Wesen und begründet anschließend die Aufforderung „Tanzt nur weiter so“ (Ref. 1, V.1) mit den Sätzen: Freut euch des Lebens Bequem und angenehm Die Endlösung Gibt’s für jedes Problem (Str. 3, V.1-4)
Unweigerlich ist man durch den Aufruf des „Meisters“ zum Nachfolgen und das Aufspielen zum Tanz an die Sage des Rattenfängers von Hameln und eine Deutung dieser Figur als „verführerischer Seelenfänger“ erinnert.132 Als ein solcher erschien der Rattenfänger bereits in Franz Josef Degenhardts Spiel nicht mit den Schmuddelkindern. Erfüllte er jedoch dort antibürgerliche Sehnsüchte der Kinder, wird er in Songs ab den 80er Jahren und bis in die 90er Jahre hinein zunehmend zum Inbegriff neonationalsozialistischer Tendenzen. Peter Maffays 1989 veröffentlichter Song Es wird Zeit ist nur ein Beispiel von vielen.133 Hier lautet der Refrain: Es wird Zeit Signale stehn auf Rot Die Rattenfänger führn dich in den Tod Es wird Zeit Die Zeichen stehn auf Sturm (Ref. 1, V.1-5)
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Pur: Bis der Wind sich dreht. T./M.: Hartmut Engler, Ingo Reidl. Aus dem Album: Pur. Erschienen 1987. Lurker, Manfred: Ratte. In: Ders. (Hrsg.): Wörterbuch der Symbolik. S. 602; vgl. Arendt, Dieter: Geschichten und Lieder vom Rattenfänger. Oder: Sprache und Bild als demagogische Handlung. In: Neue Gesellschaft (FH) 38.12 (1983), S. 53-63; Ders.: Der Rattenfänger von Hameln. Das Symbol des Verführers im Wandel der Überlieferung. In: Damals 6 (1984), S. 462-484; Mieder, Wolfgang: Die Sage vom „Rattenfänger von Hameln“ in der modernen Literatur, Karikatur, Werbung. Wien 2002. Maffay, Peter: Es wird Zeit. T./M.: Peter Maffay. Aus dem Album: Kein Weg zu weit. Erschienen 1989.
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Die Recklinghauser Gruppe Luna Luna veröffentlicht 1993 mit dem Song Rattenfänger eine Neuinterpretation der Rattenfänger-Sage, die die deutsche Geschichte im 20. Jahrhundert insgesamt als Kindermarsch deutet.134 „Und ich seh/Kinder marschieren/Ganz mechanisch/Ohne Hirn“ (Str. 2, V.1-4), erläutert das lyrische Ich zunächst und erklärt anschließend unter Bezug auf die deutsche Geschichte: Nein, wir marschieren nicht mehr Wir marschieren nicht mehr Nicht nach Stalingrad Nicht nach Verdun Nein, wir marschieren nie mehr! (Outro, V.1-5)
Reinhard Mey schließlich konstatiert angesichts rechtskonservativer Tendenzen in der Bundesrepublik 1996: „Es ist ‘ne Riesenkonjunktur für Rattenfänger“ (Str. 3, V.1).135 Innerhalb dieses Motivkomplexes werden häufig auch Adolf Hitler und/oder die (neo-)nationalsozialistischen Anhänger selbst als Ratten tituliert. Bereits in den 60er Jahren lässt sich beispielsweise bei Alfred Andersch eine Charakterisierung Adolf Hitlers als Ratte finden,136 nun taucht diese Beschreibung auch im Song auf. Mal wird wie bei Stefan Stoppok Adolf Hitler selbst als „diese Ratte des Jahrhunderts“ bezeichnet,137 mal wie in dem Song Fette Ratten von Schroeder Road Show die ganze (politisch rechts stehende) Bevölkerung als Rattenplage dargestellt und satirisch gefordert:138 Nur Leute eins: Kauft Rattengift und schlagt sie tot, wo immer ihr sie trefft (Str. 5, V.1f.)
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Luna Luna: Rattenfänger. T./M.: Stefan Kahé. Aus dem Album: Es war einmal… Erschienen 1993; vgl. in ähnlicher Motivverwendung Brings: Levve – Yasamak (Ali). T.: Peter Brings, Rolly Brings, Stefan Brings/M.: Harry Alfter, Peter Brings, Stefan Brings, Matthias Gottschalk, Klaus Heuser. Aus dem Album: Kasalla. Erschienen 1992. Mey, Reinhard: Sei wachsam. T./M.: Reinhard Mey. Aus dem Album: Leuchtfeuer. Erschienen 1996. Vgl. Atze, Marcel: „Unser Hitler“. S. 390. Stoppok: Denk da lieber nochmal drüber nach. T./M.: Danny Dziuk, Stefan Stoppok. Aus dem Album: Happy End im La-La-Land. Erschienen 1993, Str. 3, V.2. Schroeder Road Show: Fette Ratten. T./M.: Uli Hundt. Aus dem Album: Live in Tokio. Erschienen 1979.
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Fette Ratten, große fette Ratten! Fette Ratten, große fette Ratten! Igitt! Haut ab! Bah bah! Haut ab! (Ref. 1, V.1-3)
Diese hier nur in Ausschnitten zu beschreibende Verwendung des Motivs reicht bis in die Punksongs z.B. von Slime, wo es in Nazis raus heißt: „Braune Ratten kriechen/aus ihren Löchern/[…] töte die Ratte“ (Str. 1, V.912).139 Alle diese Songs haben die Verweigerung einer tiefer gehenden Analyse und Aufarbeitung restaurativer Tendenzen in der Songgegenwart gemeinsam. Stattdessen erfolgt eine simplifizierende Dämonisierung nationalsozialistischer Geisteshaltungen, ohne dass genauer nach den zeitgeschichtlichen Ursachen gefragt würde. Gewaltbereite Neonazis ebenso wie die Vertreter der ‚alten‘ und der ‚neuen‘ Rechten erscheinen sämtlich von einem ‚bösen Geist‘ besessen. Dessen spezifische Ausprägungen und die Differenzen zwischen Geisteshaltungen während des Nationalsozialismus und in der Gegenwart werden von den Songschreibern überhaupt nicht erfasst. Weitere Kritik an gesellschaftlichen Verdrängungsprozessen In den 80er Jahren entstehen demgegenüber nur relativ wenige Songs, die sich mit einer genaueren Ursachenforschung für kritisch bewertete Entwicklungen in der Gegenwart befassen. Sie rücken fast alle Verdrängungsprozesse in den Vordergrund und betonen dadurch explizit oder implizit den Nutzen einer weiteren Beschäftigung mit der Vergangenheit. Dabei lässt sich kein durchgängiges Thema ausmachen, wie z.B. die pädagogische Erziehung in den Songs der 70er Jahre. Eine auffallende Konstante besteht jedoch darin, dass die Songschreiber der Bundesrepublik eine bereits vollzogene Verdrängung der Vergangenheit attestieren. Ein Beispiel hierfür ist der Song Jenseits von Eden der Band Ton Steine Scherben, getextet von Rio Reiser.140 Der fast als hermetische Dichtung gestaltete Text, dessen Verse voller Anspielungen und Zitate (vor allem reli139 140
Slime: Nazis raus. T./M.: Frank Nowatzki. Aus dem Album: Alle gegen alle. Erschienen 1983. Ton Steine Scherben: Jenseits von Eden. T.: Ralph Möbius/M.: Ralph Steitz. Aus dem Album: IV (Die Schwarze). Erschienen 1981.
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giöser Natur), assoziativ und meist nur über Assonanzen miteinander verbunden sind, ermöglicht zahlreiche Interpretationen. Eine Lesart ist, in dem Song eine Auseinandersetzung mit dem Nationalsozialismus und eine Reflexion über die mediale Aufarbeitung der Vergangenheit zu sehen. Als Signalwort kann die Jahreszahl 1933 verstanden werden: Eins Neun Dreiunddreißig in Drei-D und Farbe dann ist Sendepause das war der wilde Westen (Str. 1, V.6-9)
Von diesen Versen ausgehend lassen sich große Teile des Songs als ein Nachdenken über die (Un-)Möglichkeit eines wie auch immer gearteten ‚Schlussstriches‘ unter die deutsche Vergangenheit lesen. Die Exposition des Textes stellt zunächst zwei Positionen einander gegenüber: „Heiß heiß kochend heiß“ gegen „Heiß heiß blühend weiß“ (Intro, V.1-4). Sie lassen sich zusammen mit dem direkt nachfolgenden Verweis auf den Nationalsozialismus als Strategien der ‚Dramatisierung‘ und ‚Verharmlosung‘ der Vergangenheit erkennen. Vertreter letzterer Sichtweise fordern dann gottergeben: „Schütze uns vor gestern“ (Str. 1, V.5). Dieser „Sendepause“ müsste jedoch zunächst einmal die Beantwortung einer Vielzahl von Fragen vorausgehen. Sie sind in den folgenden Versen angeschlossen. Mal wird die Frage nach individueller Teilhabe und Verantwortlichkeit am NS-Regime gestellt, etwa unter Aufrufung der Deportationen nach Auschwitz im Bild der Eisenbahnzüge: „Wo warst du im Krieg?/weißt du was ich meine/du warst auf der Suche/ich war auf der Flucht/hörst du die Räder rollen?“ (Str. 2, V.1-5).141 Mal wird in Folge des Holocaust die Gültigkeit religiöser Heilsversprechen bezweifelt: „Hält Gott die zehn Gebote?“ (Str. 1, V.10), mal nach der Möglichkeit von menschlicher Zuneigung nach Auschwitz insgesamt gefragt: „Liebe – was ist das?/[…] was soll daran schlecht sein/Liebe kommt von unten/Liebe hat schwache Worte“ (Str. 3, V.7-11). 141
Zu diesen Versen vgl. auch das Interview von Martin Büsser mit dem ersten Schlagzeuger der Band Wolfgang Seidel, dieser erklärt: „Ein Text wie Jenseits von Eden ist ein politischer Text. Er enthält einen ganz klaren Hinweis auf Auschwitz. Die Räder, die in dem Text durch die Nacht rollen, sind die der Züge nach Auschwitz. Im Denken der Scherben waren solche Sachen sehr präsent.“ (Büsser, Martin: Vom Verfassungsfeind zum deutschen Aushängeschild. Ton Steine Scherben. In: Testcard 12 (2003), Linke Mythen, S. 9).
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Sicherlich kann die Ausstrahlung der Fernsehserie Holocaust 1979 als Hintergrund des Songs gewertet werden. Sie begründet den Fokus Rio Reisers auf die mediale Aufarbeitung „in Drei-D und Farbe“. Insgesamt aber lässt sich der Song verstehen als komplexe Darstellung der Unmöglichkeit, die NS-Vergangenheit intellektuell und emotional zu begreifen. Sie läuft zu Beginn der dritten Strophe hinaus auf eine dichte Schilderung individueller Ratlosigkeit: Ach – ich spring ins Leere Halleluja Schwestern ich hab’ den Text vergessen ich bin mein Fragezeichen (Str. 3, V.1-4)
Jenseits von Eden, erschienen auf dem vierten Album der Band 1981, ist inhaltlich, sprachlich und auch musikalisch weit entfernt von politischen Kampfparolen aus der Frühzeit der Ton Steine Scherben wie Macht kaputt was euch kaputt macht. Der Song vermittelt eine tiefe Unsicherheit gegenüber gesellschaftspolitischen Entwicklungen und verbindet sie mit einer pessimistischen Betrachtung der Auseinandersetzung mit der nationalsozialistischen Vergangenheit. Reiser benennt Tendenzen des ‚SchlussstrichZiehens‘ und kontrastiert sie mit auch 1981 noch offenen Fragen, die auf die unvollständige Aufarbeitung der Vergangenheit verweisen. Auch bei Heinz Rudolf Kunze, Franz Josef Degenhardt, Udo Lindenberg und weiteren Künstlern und Bands finden sich Anfang der 80er Jahre Songs, die eine solche Bewertung gesellschaftlicher Aufarbeitungsprozesse formulieren. Kunze beispielsweise veröffentlicht auf seinem ersten ebenfalls 1981 erschienenen Album Reine Nervensache den Rollensong Balkonfrühstück. Dessen Sprecher spricht eine freundliche Einladung aus: „Wir laden ein zum/Balkonfrühstück am Pfingstmontag/im Gewerbegebiet Nürnberg-Süd“ (Ref. 1, V.1-3).142 Im Duktus an einen Reiseführer erinnernd berichtet der Sprecher von den Sehenswürdigkeiten, die die Balkonaussicht (symbolisch eine distanzierte Betrachtung von erhöhtem Standpunkt aus evozierend) eröffnet. Er beschreibt Nachbarn (Str. 2), Fehlalarme bei „Nordmende“ im Haus gegenüber (Str. 3) und Naturschauspiele: „Wenn du dich anstrengst, kannst du durch den Frankensmog ein bisschen Sonne 142
Kunze, Heinz Rudolf: Balkonfrühstück. T.: Heinz Rudolf Kunze/M.: Heinz Rudolf Kunze, Mick Franke. Aus dem Album: Reine Nervensache. Erschienen 1981.
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sehn“ (Ref. 1, V.7). Innerhalb der Aufzählung werden dann auch historische Gebäude Nürnbergs, der ‚Stadt der Reichsparteitage‘, zu einer touristischen Sehenswürdigkeit. Kunzes Schilderung ist unmissverständlich, wenn er die Örtlichkeit der Verabschiedung der Nürnberger Rassegesetze zu einem Freizeitpark von Jugendlichen und Schauplatz neonationalsozialistischen Treibens (z.B. der WSG Hoffmann) werden lässt:143 In den Parteitagsgeländeruinen spielt die deutsche Jugend Schaumgummisquash ab und zu spielt auch die Who, und das ganze heißt Zeppelinfeld jeden Sommer entbieten Volksgenossen von der Tribüne ihren deutschen Gruß wenn die Busse kommen mit den Touristen aus Israel (Str. 5, V.1-6) In des Führers Kongresshalle sitzt jetzt eine Schallplattenfirma, und dazu ist dort das Polizeidepot für beschlagnahmte Autos zu sehn wenn ich richtig informiert bin soll in diesem Polizeidepot der gesamte Wagenpark der Wehrsportgruppe Hoffmann stehn (Str. 6, V.1-6)
In dieser Beschreibung ist der ‚Schlussstrich‘ bereits gezogen worden. Die Folgen sind erkennbar: Weder die Jugend noch der Kulturbereich oder die Verwaltung zeigen sich ernstlich beeinflusst durch die in der Örtlichkeit manifeste Vergangenheit. Auch der Sprecher, dessen unpolitische Einstellung sich in seiner objektiv-touristischen Beschreibung entlarvt, ist Beleg für eine Gesellschaft ohne historisches Bewusstsein. Wohin eine solche Geschichtsvergessenheit führt, wird in den letzten Versen des Songs klar: Die Gesellschaft militarisiert sich erneut, gravierende restaurative Entwicklungen werden zwar als störend, aber eben nur noch passiv wahrgenommen: Wenn ihr weg wollt, lasst euch raten: fahrt so früh es irgend geht wenn ihr zu lang zögert, merkt ihr auf der Autobahn: das war zu spät was mich stört in den letzten Wochen wenn ich am Schreibtisch aus dem Fenster schau ist, dass am Güterbahnhof immer ein Transport mit Panzern steht (Str. 7, V.1-6)
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Vgl. auch die Thematisierung der WSG Hoffmann in Söllner, Hans: Hey Mama. T.: Hans Söllner/M.: Peter Schneider, Hans Söllner. Aus dem Album: Hey Staat. Erschienen 1991.
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Dem Rezipienten ist an dieser Stelle, anders als dem Sprecher, deutlich, dass die Aussage „Das war zu spät“ weniger einen Stau auf der Autobahn als die Bedrohung einer Wiederholung der Geschichte bezeichnet. Diese ist möglich, weil bereits eine Historisierung der nationalsozialistischen Vergangenheit stattgefunden hat – die deutsche Geschichte ist nicht mehr Referenzpunkt für ein ‚Lernen aus der Geschichte‘, nicht einmal mehr Objekt des Schreckens (als „Geisterbahnfahrt“ oder „Rattennest“), sondern lediglich Gegenstand distanzierten touristischen Interesses. Franz Josef Degenhardt beschreibt in dem Song Nach 30 Jahren zurückgekehrt eine (autobiographisch gekennzeichnete) Rückkehr in seinen Geburtsort Schwelm.144 Von diesem heißt es einleitend: „Dann siehst Du, so wie alles/ist er runderneuert und saniert./Die Spuren sind verwischt/wie überall in unserm deutschen Land“ (Str. 2, V.3-6). Die folgende Schilderung einer Verdrängung der Vergangenheit gestaltet Degenhardt durch intertextuelle Verweise auf sein eigenes Werk: Die „SchmuddelkinderLieder“ (und ihre antifaschistische Antibürgerlichkeit) sind von einer NDW-Band ersetzt (Str. 2, V.15f.), Horsti „Schmandhoffs Waschsalon“ (und damit die Kritik am Opportunismus der Eltern- und Kindergeneration) ist verschwunden (Str. 3, V.4), schließlich wird der Erzähler verwechselt mit dem „Sohn von Schäfer August“ und damit die Gefahr einer Wiederholung der Geschichte bestätigt (Str. 4, V.12). Udo Lindenberg veröffentlicht 1985 den Song Germans, der in englischer Sprache eine touristische Beschreibung der (klischeehaften) ‚positiven‘ Eigenschaften des Landes präsentiert.145 So heißt es unterstützt von Jodel-Einlagen des Background-Chors: Germans – gave you Goethe, Mann and Schiller Germans – and Franz Kafka was a thriller Germans – brought you Mozart, Bach and Schumann Germans – they’re a little superhuman (Str. 3, V.1-4)
In der letzten Strophe des Songs, die durch den Wechsel von der dritten Person Plural in die erste Person Plural aufzeigt, dass die Deutschen selbst
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Degenhardt, Franz Josef: Nach 30 Jahren zurückgekehrt. T./M.: Franz Josef Degenhardt. Aus dem Album: Lullaby zwischen den Kriegen. Erschienen 1983. Lindenberg, Udo: Germans. T.: Udo Lindenberg, Michael Thatcher/M.: Udo Lindenberg. Aus dem Album: Radio Eriwahn. Erschienen 1985.
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Sprecher sind, wird (über-)deutlich, wohin eine solche positive Bewertung des Landes und seiner ‚Übermenschen‘ führt: Jawohl – living in Germany is very nice we’re masters of war, we’ve tried it twice and now we’re on standby for World War III prost and auf wiedersehen, Germany! (Ref. 3, V.1-4)
Inhaltlich vergleichbar ist der Song Learning Deutsch der Band Extrabreit aus dem Jahr 1983.146 Das neue deutsche Selbstverständnis wird hier satirisch karikiert als Deutsch-Sprachkurs, dessen wichtigste Vokabeln unter anderem „blitzkrieg“ (Str. 1, V.2) und „endsieg“ (Str. 2, V.2) sind. Unter Verweis auf Helmut Kohls Fremdsprachenkenntnisse („Der kanzler don't like to learn English“ [Str. 1, V.7]) wird die Forderung nach einer ‚expansionistischen‘ Verbreitung der deutschen Sprache zu einem Ausweis restaurativer Tendenzen der Songgegenwart. Eine territoriale Expansion nationalsozialistischer Couleur als Folge neuen deutschen Selbstbewusstseins schildert hingegen Herbert Grönemeyer 1986 in dem Song Tanzen, der mit folgenden Versen beginnt:147 Wir wollen ganz leise in Polen einmarschieren Wir gemeinden Schlesien wieder ein Mit unseren Waffen können sich Völker ausradieren Unser Herz ist rein Wir haben ihn endlich wieder Unseren Nationalstolz (Str. 1, V.1-5)
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Extrabreit: Learning Deutsch. T./M.: Wolfgang Jäger Ramig, Stefan Kleinkrieg, Kay-Oliver Schlasse. Aus dem Album: Europa. Erschienen 1983. Grönemeyer, Herbert: Tanzen. T./M.: Herbert Grönemeyer. Aus dem Album: Sprünge. Erschienen 1986. Weitere Songs ähnlicher Ausrichtung sind z.B. Die Toten Hosen: Spielzeugland. T.: Andreas Frege/M.: Andreas Meurer. Aus dem Album: Damenwahl. Erschienen 1986 und auch die zahlreichen Variationen von Konstantin Weckers Willy, in denen der Widerstand der Hauptfigur gegen restaurative Verhaltensweisen zu mörderischer Gewalttätigkeit führt (Wecker, Konstantin: Willy. T./M.: Konstantin Wecker. Aus dem Album: Genug ist genug. Erschienen 1977; Ders.: Die Ballade von Antonio Amadeu Kiowa (Willy II). T./M.: Konstantin Wecker. Aus dem Album: Uferlos. Erschienen 1993; Ders.: Willy III. T./M.: Konstantin Wecker. Aus dem Album: Vaterland. Erschienen 2001; Ders.: Willy IV. T./M.: Konstantin Wecker. Aus dem Album: Vaterland live. Erschienen 2002; darüber hinaus existieren noch weitere Tourneefassungen.
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Insgesamt ist auffällig, dass viele Songschreiber in den 80er Jahren der Bundesrepublik eine bereits vollzogene Verdrängung attestieren und gleichzeitig eine genauere Begründung hierfür ausbleibt. Kaum noch werden konkrete elterliche oder schulische Vermittlungsprozesse der Geschichte in ihrem Scheitern dargestellt. Stattdessen wird in Form von allgemeineren Bestandsaufnahmen eine pessimistische Betrachtung des status quo vollzogen. Damit zeigen die Songschreiber in den 80er Jahren die bereits bei den historischen Erklärungen des Nationalsozialismus erkennbare Tendenz, weniger politische Theorien und konkrete Ereignisse zu thematisieren als allgemeine gesellschaftliche Entwicklungen zu schildern, d.h. aber auch eine Komplexitätsreduktion vorzunehmen. Selbst dann, wenn weiterhin die Überzeugung vertreten wird, dass ein gesellschaftliches ‚Lernen aus der Geschichte‘ bei adäquater Vermittlung der Vergangenheit möglich sei, bleiben die didaktischen Folgerungen meistens vage. Ina Deter kann hierfür als beispielhaft gesehen werden, wenn sie 1979 äußert:148 Als ich begriffen hatte, warum ihr Kriege führt, da hat meine Wut mit letzter Kraft die Widerstandsflamme geschürt (Str. 3, V.5-8)
Ina Deter spricht hier von „Kriegen“, einem nicht näher präzisierten Plural, der zwar den Zweiten Weltkrieg mitdenkt, ihn aber nicht als außergewöhnliches Ereignis markiert. Damit deutet sich eine der interessantesten Entwicklungen in den Songs der 80er Jahre an: Der Nationalsozialismus verliert seinen Status als singuläres Ereignis; er wird vergleichbar mit anderen Grausamkeiten der Menschheitsgeschichte.
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Deter, Ina: Als ich begriffen hatte. T./M.: Ingrid Deter. Aus dem Album: Wenn wir den Neid besiegen. Erschienen 1979; zwei besonders deutliche weitere Beispiele für eine solche Forderung nach einem ‚Lernen aus der Geschichte‘ stammen von der DDR-Rockband Die Puhdys: Hiroshima. T.: David Morgan, Übersetzung: Wolfgang Tilgner/M.: David Morgan. Aus dem Album: Computerkarriere. Erschienen 1982; Dies.: Ich will nicht vergessen. T.: Burkhard Lasch/M.: Dieter Birr, Peter Meyer. Aus dem Album: Das Buch. Erschienen 1984.
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‚Normalisierung‘ bei Ina Deter, Heinz Rudolf Kunze und DAF Mit dem Terminus ‚Historisierung‘ ist eine Einbettung des NS-Regimes in größere geschichtliche Zusammenhänge und Abläufe und einhergehend eine Reduktion seiner Singularität für die Interpretation der Gegenwart gemeint. Bereits in anderen Songs ab den 70er Jahren (z.B. in Degenhardts Rudi Schulte) war eine solche Historisierung der deutschen Vergangenheit erkennbar. Dennoch blieben der Nationalsozialismus und vor allem der Holocaust immer unvergleichbar. Eine Aussage wie die der Kommunistin Oma Meume („Der Stalin […]/hat es fast getriebn/– verzeih – wie ein Faschist im Sowjetstaat“ [Str. 3, V.2-4]) von Wolf Biermann ist eine seltene Ausnahme und auch hier einschränkend („fast“) und mit einer Entschuldigung ausgedrückt.149 Die bislang betrachteten Restaurationswarnungen in Songform bis zum Ende der 70er Jahre stellten zwar oftmals strukturelle Gemeinsamkeiten zwischen Vergangenheit und Gegenwart dar, eine Gleichsetzung fand jedoch nicht statt. Damit entsprachen die Songschreiber dem öffentlichen Diskurs: Der ‚Zivilisationsbruch‘ des Nationalsozialismus war nicht mit anderen Ereignissen vergleichbar. Es existierte ein ‚Gleichstellungstabu‘, dass sich beispielsweise im Umfeld des Skandals um Helmut Kohls Goebbels-Gorbatschow-Vergleich noch 1986 medienwirksam bis hin zu gravierenden, weltweiten diplomatischen Verstimmungen manifestierte.150 Genau dieses Tabu wird in den Songs der 80er Jahre nun (unbewusst oder bewusst) zunehmend gebrochen. BAPs Kristallnaach mit der Parallelisierung von 1938 und der Gegenwart deutete diese Tendenz bereits an. Zahlreiche Songschreiber gehen jedoch viel expliziter vor. Es ist lohnend, diese Produktionen im Überblick zu betrachten, weil an ihnen in der Praxis eine ‚Normalisierung‘ des Umgangs mit der nationalsozialistischen Vergangenheit und eine problematische Reduktion des Reflexionsniveaus sichtbar wird. Ein erstes Beispiel bietet Ina Deter. Ihr 1981 veröffentlichtes Stück 40 Jahre danach ist ein prototypischer Politrocksong, der mit einer zwei Stro149
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Biermann, Wolf: Großes Gebet der alten Kommunistin Oma Meume in Hamburg. T./M.: Wolf Biermann. Aus dem Album: Chausseestraße 131. Erschienen 1968. Vgl. Röger, Maren: Goebbels-Gorbatschow-Vergleich. In: Fischer, Torben/Lorenz, Matthias N. (Hrsg.): Lexikon der „Vergangenheitsbewältigung“ in Deutschland. S. 229f.
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phen umfassenden Anklage der Kritisierten, vornehmlich kapitalistisch orientierter Politiker, einsetzt und daraus eine Handlungsaufforderung ableitet. Die Schilderung stellt jedoch weniger eine Auseinandersetzung mit dem Nationalsozialismus dar als eine feministische Deutung der (Welt-)Geschichte.151 Deter nimmt in ihrem Song eine Unterscheidung zwischen ‚denen da oben‘ und dem „kleinen Mann“ (Str. 1, V.4) vor. So handeln auf der einen Seite die „Menschenverächter“ (Str. 3, V.1) aggressiv-militaristisch um des Krieges selbst willen, während auf der anderen Seite der „kleine Mann“ willen- und gedankenlos lediglich seine materielle Befriedigung verfolgt: Ihr gebt ihm ’n Auto ’n Kühlschrank und mehr, dafür trägt er euch dann das Gewehr, er fragt nicht mal nach dem ganzen Sinn, hält widerstandslos den Kopf für euch hin (Str. 2, V.1-8)
Diese Gesellschafts‚analyse‘ ist so oberflächlich wie verkürzend. Problematisch wird sie nicht allein dadurch, dass sie ‚oben‘ und ‚unten‘ gegeneinander ausspielt, sondern dass sie im Refrain für eine fragwürdige Gleichsetzung funktionalisiert wird. Bereits der Titel des Songs 40 Jahre danach deutet im Songerscheinungsjahr 1981 auf den deutschen Überfall auf die Sowjetunion und den Kriegseintritt der Vereinigten Staaten 1941 hin. Der Refrain schließlich bestätigt, dass sich Ina Deter gegen deutsche Nationalsozialisten und US-amerikanische Politiker gleichzeitig wendet: Ich habe gehofft, das war ernst gemeint, nach Auschwitz würdet ihr müde sein, ich habe geglaubt, das war ernst gemeint, Hiroshima würde nie wieder sein (Ref. 1, V.1-4)
Um eine Kritik an der Aufrüstungspolitik der US-amerikanischen Regierung im Kalten Krieg zu formulieren, werden der Holocaust und die Verwendung der Atombombe 1945 als Handlungen der „Menschenverächter“ gleichgesetzt, ja erscheint „Hiroshima“ durch die rhetorische Parallelfüh151
Deter, Ina: 40 Jahre danach. T./M.: Ingrid Deter. Aus dem Album: Aller Anfang sind wir. Erschienen 1981.
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rung sogar als Klimax. Dies ist nicht nur deshalb fragwürdig, weil die historisch weit differierenden Motive der jeweils Handelnden übergangen werden. Einhergehend damit wird die Durchführung des Holocaust auf das Fehlverhalten der politisch mächtigen „Menschenverächter“ reduziert. Als einziges tertium comparationis der für „Auschwitz“, „Hiroshima“ und gegenwärtige ‚neue Kriege‘ Verantwortlichen ist dem Rezipienten neben ihrer Machtposition das männliche Geschlecht erkennbar. Wenn es heißt: „Ihr braucht unsre Kinder/für euer Vorhaben“, und: „Es wird von uns/kein neues Leben/für eure schmutzigen/Kriege geben“ (Str. 2, V.9-16), ist das kollektive „Wir“ als weiblich gekennzeichnet. Zusammen mit intertextuellen Verweisen auf Hannes Waders Hymne der Friedensbewegung Es ist an der Zeit ist der Song dadurch als feministisch-pazifistisch zu verstehen.152 Er steht mentalitätsgeschichtlich im Zusammenhang mit weiblichen Emanzipationsbewegungen Ende der 70er, Anfang der 80er Jahre, zu deren populärmusikalischem Sprachrohr Ina Deter mit ihrem nächsten Album und dem Titelsong Neue Männer braucht das Land 1982 avanciert.153 Dass Deter allerdings ihre Forderung nach weiblicher Machtergreifung mittels einer Gleichsetzung von Auschwitz, Hiroshima und dem Ost-West-Konflikt verbindet, weist ihren Song als ‚normalisierend‘ aus. Hier wie bei anderen Künstlern scheint die Gleichsetzung eher durch fehlende Reflexion als durch die Intention eines Tabubruchs begründet zu sein. Dies gilt für thematisch weit entfernte Vergleiche wie die satirische Parallelisierung der staatlichen ‚Verfolgung‘ von Nikotin-Konsumenten mit Holocaust-Opfern (Raucher „sind minderwertig“ [Str. 3, V.1], „gehören in ein Ghetto“ [Str. 4, V.3], und „ausgerottet“ [Str. 6, V.3]) in Georg Danzers Song Raucher, aber auch für thematisch näher liegende Vergleiche wie in Reinhard Meys Es ist doch ein friedlicher Ort.154 Hier werden die unter152
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Dieser Verweis ist fast wörtlich: „ihr habt ihn damals/auch betrogen,/und seid schon wieder/genau so verlogen“ (Str. 1, V.12-15), heißt es bei Deter; der Referenztext formuliert im Refrain: „Ja auch Dich haben sie schon genauso belogen/So wie sie es mit uns heute immer noch tun“ (Wader, Hannes: Es ist an der Zeit. T.: Hannes Wader/M.: Eric Bogle. Aus dem Album: Es ist an der Zeit. Erschienen 1980, Ref. 1, V.1f.). Deter, Ina: Neue Männer braucht das Land. T./M.: Ingrid Deter. Aus dem Album: Neue Männer braucht das Land. Erschienen 1982; vgl. zur Frauenbewegung der 70er und 80er Jahre und ihren kulturellen Auswirkungen Glaser, Hermann: Deutsche Kultur. S. 374-377. Danzer, Georg: Raucher. T./M.: Georg Danzer. Aus dem Album: Rufzeichen. Erschienen 1989; Mey, Reinhard: Es ist doch ein friedlicher Ort. T./M.: Reinhard Mey. Aus dem Album: Hergestellt in Berlin. Erschienen 1985.
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schiedlichsten Luftkriegsgeschehnisse über einen Kamm geschoren und in der Aufzählung ohne wertende Rangfolge gleichermaßen abgelehnt. Die ersten zwei Verse lauten: „Wenn ich die Schreckensbilder seh’ von Coventry und Rotterdam,/von Nagasaki und Berlin, von Dresden und Hiroshima“ (Str. 1, V.1f.). Besonders beachtenswert sind verschiedene Songs von Heinz Rudolf Kunze, weil der Songschreiber den Tabubruch des Vergleichs kalkuliert und bewusst anwendet. Die Vorliebe des Künstlers für provokante Aussagen, seine affirmative Haltung zu Martin Walsers Paulskirchen-Rede und sein Eintreten für die so genannte Deutschrock-Quote haben in den 90er Jahren dazu geführt, dass einige ihn dem politisch rechten Spektrum zuzurechnen begannen.155 Dies scheint angesichts vielfältigen Engagements gegen rechtsradikale Entwicklungen (z.B. die Teilnahme an mehreren ‚Rock gegen Rechts‘-Veranstaltungen und Beiträgen für die Amadeu AntonioStiftung) und der Songtextproduktion ungerechtfertigt. Kunze, der sich selbst als Agent Provocateur bezeichnet hat,156 kann präziser eingeschätzt werden, wenn man die ‚Lust am Tabubruch‘ als Konstante seines Werkes begreift. Dabei finden sich zahlreiche Passagen, die – häufig an den von Kunze geschätzten Botho Strauss erinnernd157 – eine Enttabuisierung des Umgangs mit der nationalsozialistischen Vergangenheit fordern. Zwei Aspekte lassen sich dabei unterscheiden: zum einen die Forderung nach einer ‚Objektivierung‘ des Verhältnisses der Deutschen zum Judentum, zum anderen eine Aufweichung des Vergleichstabus. Wenn Kunze in den Song Möchtegernopfer auch „Taschentuchknotenjuden/Hinterfragungs- und Zerknirschungsluden“ (Str. 2, V.1f.) einflicht und damit im Walser‘schen Sinn kritisiert, dass der Holocaust zur fortgesetzten Schuldigsprechung aller
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Vgl. Büsser, Martin: Wie klingt die Neue Mitte? S. 57-64; Barthelmes, KarlHeinz: Heinz Rudolf Kunze. Meine eigenen Wege. S. 122-151; Könau, Steffen: „Wenn ich könnte, würde ich hinter meinen Sachen verschwinden“. Steffen Könau im Gespräch mit Heinz Rudolf Kunze. In: Kunze, Heinz Rudolf: Heimatfront. Lieder und Texte 1995-1997. Berlin 1997, S. 17f. Vgl. Kunze, Heinz Rudolf/Badge, Peter: Agent Provocateur. Hrsg. v. Gérard Goodrow. Göttingen 1999. Vor allem an Strauss, Botho: Anschwellender Bocksgesang. In: Der Spiegel 6 (1993), S. 202-207 und Aussagen wie: „Der Widerstand ist heute schwerer zu haben, der Konformismus ist intelligent, facettenreich, heimtückischer und gefräßiger als vordem, das Gutgemeinte gemeiner als der offene Blödsinn, gegen den man früher Opposition oder Abkehr zeigte“ (ebd., S. 207).
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Deutschen dienen solle,158 wenn er in dem Sprechtext Viel verlangt fordert: „Ich möchte […] nicht mehr als Antisemit [gelten]/nur weil auch Juden Verbrechen begehen“, wenn er schließlich neben die „Geschichte der Scham/[…und] Geschichte der Schande“ eine positive deutsche Geschichtsschreibung stellen will, „eine andere Erinnerung/[…] viele tausend Revisionen“, dann wird trotz der Unterschiede zwischen lyrischem und Autor-Ich erkennbar, dass Kunze ‚Normalisierungsprozesse‘ als Objektivierung von Vergangenheits- und Gegenwartsanalysen wertet.159 In diesem Sinne ist auch der Song Die kommen immer wieder aus dem Jahr 1982 zu verstehen.160 Interessant sind hier die erste Strophe und der erste Refrain: Ich habe Hitler gesehn er schrie Shalom und spielte Holocaust im Libanon (Str. 1, V.1f.) Die kommen immer wieder die sind alle noch da die kommen alle immer schlimmer wieder die sind ganz ganz nah (Ref. 1, V.1-4)
Mittels eines drastischen Vergleichs wird hier die Wiederholung der Geschichte als faktische Tatsache behauptet: Der erste Libanonkrieg 1982 wird als Holocaust bezeichnet, mit dem Terminus für das Geschehnis, dessen Opfer vor allem die jetzigen Aggressoren wurden.161 Es bleibt keine andere Deutung, als den israelischen Regierungschef Menachem Begin als Hitler-Inkarnation zu begreifen, dessen Shalom-Schrei (‚Frieden‘) den Zynismus der als Vernichtung bewerteten militärischen Aktion unterstreicht. Es ist ein tiefer Fortschrittspessimismus, der aus diesen Zeilen spricht und der am Ende des Songs in eine politrocktypische Aufforderung zum Wider-
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Lorenz, Matthias N.: Judendarstellung und Auschwitzdiskurs bei Martin Walser. S. 446-474. Kunze, Heinz Rudolf: Möchtegern-Opfer. T.: Heinz Rudolf Kunze/M.: Heinz Rudolf Kunze, Heiner Lürig. Aus dem Album: Richter-Skala. Erschienen 1996; Ders.: Viel verlangt. In: Ders.: Vorschuß statt Lorbeeren. Lieder und Texte 2000-2002. Berlin 2003, S. 63; Ders.: Eine andere Erinnerung. In: Ebd., S. 69. Ders.: Die kommen immer wieder. T.: Heinz Rudolf Kunze/M.: Heinz Rudolf Kunze, Hendrik Schaper. Aus dem Album: Eine Form von Gewalt. Erschienen 1982; eine Überarbeitung als Sprechtext erschienen in Ders.: Nicht daß ich wüßte. Lieder und Texte 1992-1995. Berlin 1995, S. 43f. Vgl. auch die Interpretation des Songs in Giessen, Hans W.: Zeitgeist populär. S. 152f.
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stand überführt wird: „Uns hab ich nicht gesehn/uns hab ich nicht gesehn, ja sagt mal worauf warten wir?“ (Str. 6, V.3f.). Diese Forderung wird jedoch formuliert als ein Fazit nach einem drastischen und – durch den Verweis auf Israel – zynischen Bruch des Vergleichbarkeitstabus. ‚Normalisierung‘ bedeutet, das zeigt der Song von Kunze beispielhaft, keineswegs eine Leugnung nationalsozialistischer Grausamkeiten, sondern vornehmlich den Nachweis ähnlichen Verhaltens in anderen Gesellschaften. Ebenso wie bei dem zwei Jahre vor Veröffentlichung des Songs stattfindenden ‚Historikerstreit‘ schwingt bei einer solchen Äußerung, wie Jürgen Habermas betont hat, aber immer auch die potentielle Rechtfertigung und Entschuldung der nationalsozialistischen Verbrechen mit.162 In zwei weiteren Songs der 80er Jahre unternimmt Heinz Rudolf Kunze eine ‚Entdramatisierung‘ des Holocaust mittels eines Vergleichs. In dem 1986 veröffentlichten Stück Kadaverstern stellt er die industrielle Tötung von Tieren zur Nahrungsherstellung aus Sicht eines der Tiere dar und lässt dieses verkünden: „Für mich ist täglich Treblinka, Soweto und My Lai/für mich ist täglich Golgatha/und nie der Krieg vorbei“ (Ref. 1, V.1-3).163 Hier werden nicht nur Fleischproduktion und Massenmord, sondern gleichzeitig auch nationalsozialistisches Konzentrationslager, südafrikanische Apartheid, Vietnamkrieg und Kreuzigung Christi auf eine Stufe gestellt. Das zweite Beispiel ist der, vor allem durch seinen Anspielungsreichtum ästhetisch interessantere Song Die langen Messer der Nacht aus dem Album Gute Unterhaltung von 1989.164 Kunzes Song, dessen Titel wohl weniger auf den Röhm-Putsch (die ‚Nacht der langen Messer‘ 1934) als auf die Novemberpogrome 1938 verweisen soll, schildert eine Techno-Party als nationalsozialistische Selektion an der ‚Rampe‘. Er unternimmt dies mit einer Vielzahl von Anspielungen: von der Gleichsetzung der Ankunft von Deportierten in den Konzentrationslagern mit der Disco-Garderobe („Die Männer nach links/die Frauen nach rechts“ [Str. 1, V.1f.]) über die Beschreibung der Nebelmaschine mittels Assoziierung der Vergasungen und Verbrennungen („Immer dem Rauch nach/treten Sie ein/schreien Sie lauter/sie sind nicht allein“ [Str. 4, V.1-4]) bis hin zum abgewandelten Zitat 162 163 164
Vgl. Habermas, Jürgen: Eine Art Schadensabwicklung. S. 69. Kunze, Heinz Rudolf: Kadaverstern. T.: Heinz Rudolf Kunze/M.: Heiner Lürig. Aus dem Album: Wunderkinder. Erschienen 1986. Ders.: Die langen Messer der Nacht. T.: Heinz Rudolf Kunze/M.: Heinz Rudolf Kunze, Josef Kappl. Aus dem Album: Gute Unterhaltung. Erschienen 1989.
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der Lagertor-Inschriften von Auschwitz und Buchenwald: „Tanzen macht frei/jedem das Seine“ (Str. 5, V.1f.). Diese beiden, aber auch weitere Songs setzen sich insgesamt kaum mit dem Nationalsozialismus auseinander. Vielmehr nutzen sie die Anspielungen auf die deutsche Vergangenheit, um eine Kritik an einer anderen Thematik vorzuführen und diese Kritik mittels des Bezugs auf den Nationalsozialismus besonders drastisch zu gestalten. Diese ‚Normalisierungstendenzen‘ der 80er Jahre führen so weit, dass in Teilen der Populärmusikszene Anspielungen auf den Nationalsozialismus unterhaltsam bzw. Teil der ‚Popkultur‘ werden können.165 Ein Beispiel hierfür sind Songs der Band Deutsch-Amerikanische-Freundschaft (DAF). In ihnen wird über den Erfolg der deutschsprachigen New Wave-Bewegung gewitzelt und verkündet: „Die lustigen Stiefel marschieren über Polen“, oder gleich ein neuer Tanzstil proklamiert:166 Geh in die Knie Wackle mit den Hüften. Klatsch in die Hände. Und tanz den Mussolini. Tanz den Adolf Hitler. Beweg deinen Hintern Und tanz den Jesus Christus (Str. 1, V.1-8)
Diese und andere Songs der New Wave, z.B. auch Der Führer schenkt den Klonen eine Stadt der Band Extrabreit, belegen, dass im Bereich populärmusikalischer Werke bereits Anfang der 80er Jahre eine ‚Normalisierung‘ in dem Sinne stattfindet, dass ein unverkrampfterer, wenn man so will auch unbedarfterer Umgang mit dem Nationalsozialismus und seinen Protagonis-
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Vgl. insgesamt zu diesen Entwicklungen Seeßlen, Georg: Tanz den Adolf Hitler. Faschismus in der populären Kultur. Band 1. Berlin 1994; zur Verwendung nationalsozialistischer Symbole im Punk und der Rezeption dieser Symbolik in der New Wave-Bewegung der Bundesrepublik vgl. Kersten, Martin: Jugendkulturen und NS-Vergangenheit. S. 70-89; Büsser, Martin: Wie klingt die Neue Mitte? S. 103-117. DAF: Die lustigen Stiefel. T./M.: Gabi Delgado-Lopez, Robert Görl, Chris Haas, Wolfgang Spelmanns. Aus dem Album: Die Kleinen und die Bösen. Erschienen 1980; Dies.: Der Mussolini. T.: Gabi Delgado-Lopez/M.: Robert Görl. Aus dem Album: Alles ist gut. Erschienen 1981, zur Rezeption in der rechten und linken Jugendszene vgl. Teipel, Jürgen: Verschwende deine Jugend. S. 177 und S. 305.
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ten (in humorvoller, subversiver und/oder provokanter) Absicht erfolgt.167 Sowohl die Songs der New Wave als auch die Stücke von Heinz Rudolf Kunze und anderen weisen dabei auf den (teilweise unbeholfenen oder gar zynisch wirkenden) Versuch hin, eine (Neu-)Bewertung der Vergangenheit zu finden, die die Schuld der Deutschen zwar nicht leugnet, aber Möglichkeiten sucht, das Geschichtsbewusstsein mit positiven Identitätsangeboten zu koppeln.168 So kann etwa ein normalisierender Vergleich zu der Einschätzung führen: ‚Wir heutigen Deutschen‘ haben im Gegensatz zu ‚denen‘ aus der Geschichte gelernt; so kann die Schwere der nationalsozialistischen Verbrechen relativiert und der Blick auf 40 Jahre funktionierende Bundesrepublik gerichtet und daraus ein positives nationales Identitätsmodell destilliert werden.169 Heinz Rudolf Kunze: Madagaskar (1985) Diese Suche nach einer nationalen Identität im Song der 80er Jahre, lässt sich nicht ausschließlich auf die relativierende und normalisierende Vergleichbarkeit der nationalsozialistischen Verbrechen reduzieren. Sie spiegelt sich darüber hinaus in einer Reihe von Songs wider, die entweder die Suche nach einer positiv zu wertenden Vergangenheit an sich thematisieren oder durch die Erinnerung an vorbildhaftes Verhalten während des Nationalsozialismus aktiv an der Bildung einer – zumindest in Teilen – „zustimmungsfähige[n] Vergangenheit“ mitarbeiten.170 167
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Extrabreit: Der Führer schenkt den Klonen eine Stadt. T./M.: Wolfgang Jäger Ramig, Stefan Kleinkrieg, Rolf Moeller, Ulrich Ruhwedel, Kay-Oliver Schlasse. Aus dem Album: Welch ein Land – Was für Männer. Erschienen 1981. Der Song spielt dabei auf den weitgehend unbekannten Propagandafilm Der Führer schenkt den Juden eine Stadt aus dem Jahr 1944 an, der im Konzentrationslager Theresienstadt von jüdischen Insassen auf Befehl der SS gedreht wurde (vgl. Niethammer, Lutz: Widerstand des Gesichts. Beobachtungen an dem Filmfragment „Der Führer schenkt den Juden eine Stadt.“ In: Ders.: Deutschland danach. Postfaschistische Gesellschaft und nationales Gedächtnis. Bonn 1999, S. 484-497). In dem Song von Extrabreit wird die bundesdeutsche Bevölkerung zu Klonen im Dienst der (Bayer-Schering-)Chemie im Auftrag der Regierung. Vgl. Kühnl, Reinhard: Der „Historikerstreit“ – eine Bilanz. S. 247. Vgl. hierzu z.B. Röger, Maren: „Geistig-moralische Wende“. In: Fischer, Torben/Lorenz, Matthias N. (Hrsg.): Lexikon der „Vergangenheitsbewältigung“ in Deutschland. S. 226. Kocka, Jürgen: Hitler sollte nicht durch Stalin und Pol Pot verdrängt werden. S. 132.
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Ein vielschichtiger Song in diesem Zusammenhang ist Heinz Rudolf Kunzes Madagaskar von 1985,171 weil er erstens ein Beispiel für eine populärmusikalische Geschichtsschreibung ist, er zweitens die Suche nach einer nationalen Identität zu thematisieren und kritisch zu unterlaufen weiß und drittens, weil Kunze seine Aussagen musikalisch zu präzisieren in der Lage ist. Der Text stellt dabei den Monolog eines „deutschen Stammtischtäter[s]“ dar,172 dessen rollensprachliche Aussagen sich sowohl als Versuch einer Entschuldung der Deutschen als auch als Spekulation über die Möglichkeiten positiver Identität erkennen lassen. Beide Aspekte werden durch den Wechsel von Indikativ in den Strophen zu Konjunktiv im Refrain präsent gehalten und mittels pluralistischen Sprechens als über das Individuum hinausreichend markiert. Jede der drei Strophen beginnt mit dem Vers: „Die haben das doch gar nicht gewollt“ (Str. 1,2,3, V.1), während die Refrains ausmalen, was hätte gewesen sein können, wenn der Holocaust nicht stattgefunden hätte: Die könnten jetzt doch alle in Madagaskar sitzen. Schön warm, und überhaupt auch viel mehr Platz. Der ganze Zweite Weltkrieg ein Gegenstand von Witzen. Und über unser Land kein böser Satz. (Ref. 1, V.1-6)
Mehrerlei ist an diesen Versen bemerkenswert: Zum einen fällt die Vermeidung konkreter Benennung der jüdischen Opfer und der deutschen Täter auf – sie werden durchgängig lediglich mit dem Artikel „die“ bezeichnet. Durch Aussparen des Wichtigen wird der Eindruck einer ‚Sprache des Verschweigens‘ evoziert, werden Opfer und Täter gleichrangig behandelt und somit gleichgestellt. Selbst der Holocaust wird nicht benannt; er wird bezeichnet als „die Geschichte“ (Ref. 2, V.3). Zum zweiten präsentiert sich der Sprecher durch die distanzierende Bestimmung „die“ als außerhalb des Opfer-Täter-Kollektivs stehend; er ist ein Nachgeborener, dem es um „unser Land“ zu tun ist. Zum dritten schließlich ruft der Sprecher mit dem Schlagwort „Madagaskar“ ein historisches Geschehen auf, das im kollekti171
172
Kunze, Heinz Rudolf: Madagaskar. T.: Heinz Rudolf Kunze/M.: Heinz Rudolf Kunze, Heiner Lürig. Aus dem Album: Dein ist mein ganzes Herz. Erschienen 1985. Zitat von Heinz Rudolf Kunze. In: Barthelmes, Karl-Heinz: Heinz Rudolf Kunze. S. 127.
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ven Gedächtnis der Deutschen wenig verankert ist: den ‚Madagaskarplan‘.173 Dieser wurde bereits 1885 von dem Orientalisten und Kunstphilosophen Paul de Lagarde erdacht und sah als ‚territoriale End-Lösung‘ eine Deportation der jüdischen Bevölkerung auf die ostafrikanische Insel vor.174 In den späten 1930er Jahren wurde der ‚Madagaskarplan‘ auch im Rahmen einer ‚genozidalen Endlösung‘ diskutiert, 1940 jedoch aufgrund der Umsetzungsschwierigkeiten und der Effektivität der Vernichtungslager aufgegeben.175 Vor dem Hintergrund der von Heinz Rudolf Kunze selbst so bezeichneten „Geschichtslüge“ einer potentiellen Vermeidbarkeit des Holocaust bei Durchführung des ‚Madagaskarplans‘ („Die könnten jetzt doch alle/in Madagaskar sitzen/dann wäre überhaupt nichts eskaliert“ (Ref. 2, V.4-6),176 präsentiert der Sprecher eine Vielzahl von Entschuldungsaussagen, die immer auch ein elliptisches, verschweigendes Sprechen sind. Sie bilden ein Panoptikum von Strategien der Verharmlosung des Holocaust, von Schuldverlagerungen über anthropologische Verbrämung bis zum Verweis auf die Unabwendbarkeit des ‚Schicksals‘:177 Die haben das doch gar nicht gewollt. Die wollten die doch alle exportieren. Der andere Befehl kam doch ganz spät. (Str. 1, V.1-3) Das Ausland hat sie nur nicht machen lassen. Da riss dann irgendwann halt die Geduld. (Str. 2, V.2f.) 173
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Vgl. zum ‚Madagaskarplan‘ Kershaw, Ian: Der NS-Staat. S. 176f.; Brechtken, Magnus: „Madagaskar für die Juden“. Antisemitische Idee und politische Praxis 1885-1945. München 1997. Diss. Bonn 1993; zur künstlerischen Auseinandersetzung mit dem ‚Madagaskarplan‘, die vornehmlich durch polnische Künstler stattgefunden hat, vgl. ebd., S. 1. Vgl. ebd., S. 16-18. Vgl. ebd., S. 292f. Zitat von Heinz Rudolf Kunze. In: Barthelmes, Karl-Heinz: Heinz Rudolf Kunze. S. 127; ‚Geschichtslüge‘ ist deshalb eine korrekte Bezeichnung, weil der ‚Madagaskarplan‘ keineswegs eine ‚humanere‘ Lösung gewesen wäre. Brechtken schreibt: „Wer diesen Plan auch nur in der Theorie zu Ende dachte, mußte zu dem Ergebnis kommen, daß eine Deportation nach Madagaskar in dieser Form einem Todesurteil gleichkam. Für die immer wieder gestellte Frage nach dem Verhältnis des ‚Madagaskar-Plans‘ zur ‚Auschwitz-Tat‘ bedeutet dies: Eine Alternative des Ortes und der Methode hätte der Plan vielleicht werden können, nicht aber der mörderischen Tat selbst.“ (Brechtken, Magnus: „Madagaskar für die Juden“. S. 295). Vgl. zu Strategien der Entschuldung der Täter (von Seeßlen auch als „Entschuldungsmythologie“ bezeichnet) Seeßlen, Georg: Tanz den Adolf Hitler. S. 24-28.
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Die wollten doch nichts weiter als die los sein. Und schließlich war ja außerdem noch Krieg. Die haben das doch gar nicht gewollt. Ein Missgeschick, das warn doch auch nur Menschen. Beim Hobeln fallen Späne für den Sieg. (Str. 3, V.2-6)
All diese Verse laufen auf eine zentrale Aussage hinaus: „Die haben letzten Endes gar nicht Schuld“ (Str. 2, V.6). Ästhetisch interessant ist, wie die textliche Gestaltung – auch durch die zahlreichen Adverben „doch“, „schließlich“, „halt“ oder den Verweis auf das Sprichwort ‚beim Hobeln fallen Späne‘ – Entschuldungsstrategien vorführt und diese gleichzeitig durch die musikalische Gestaltung unterlaufen werden. Der Song negiert nämlich die deutschnationale Rückwärtsgewandtheit des Sprechers durch eine Verbindung aus karibischen ReggaeRhythmen, afrikanischen Trommelklängen und angloamerikanischem Popsong-Instrumentarium (Piano, Schellenkranz, Gitarren-Solo, mehrstimmiger Chorgesang). Der Chor spielt dabei eine besondere Rolle. Zunehmend und am Ende endgültig überlagert er die Sequenz: „Die haben das doch gar nicht gewollt“. Sie wird in den Hintergrund gedrängt durch den Text des traditionellen südafrikanischen Volkslieds Shosholoza.178 Dieses Wort aus der Xhosa-Sprache bedeutet in etwa ‚vorwärts‘, ‚voran‘ und lässt onomatopoetisch das Geräusch der Eisenbahn-Dampflokomotive als Symbol des Fortschritts anklingen. Kunze lässt somit durch die musikalische Gestalt die Vision gesellschaftlichen Vorwärtskommens aufscheinen; eines Fortschritts, der im Kontrast zu dem Sprecher des Songs international ausgerichtet und nicht reduziert auf eine deutsche Identität ist. Im Medium des Populärsongs wird so die Möglichkeit von Frieden und Verständigung formuliert, die an den Stammtischen der Republik noch nicht angekommen ist. Sie wird in den letzten Sekunden des Stücks nach dem Fade-Out durch die Andeutung eines nächtlichen Grillenzirpens auch akustik-symbolisch als umfassender Frieden ausgemalt.
178
Populärmusikalische Fassungen des Volkslieds existieren unter anderem von Die Schmetterlinge, Helmut Lotti, Ladysmith Black Mambazo und Peter Gabriel (vgl. zur Bedeutung, Geschichte und Rezeption des Songs Powers, Elizabeth: Sing Africa! In: http://singafrica.londongt.org/index.php?page= shosholoza, 06.05.10).
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‚Deutsche Helden‘ Kunzes Madagaskar stellt allerdings hinsichtlich der komplexen Darstellung einer nationalen Identitätssuche eine Ausnahme der Songproduktion in den 80er Jahren dar. Die meisten anderen Songschreiber gehen schlichter vor, indem sie deutsche ‚Nationalhelden‘ revitalisieren oder sich bemühen, diese der Erinnerung erst zugänglich zu machen. Es entstehen auffallend viele Werke, die sich mit dem deutschen Widerstand auseinandersetzen. Dabei wird mehrfach die Rolle oppositioneller Jugendlicher während des NS-Regimes, vor allem die der ‚Edelweißpiraten‘ thematisiert. Dies ist zum einen dadurch erklärbar, dass erst in den 80er Jahren die Erinnerung an diese informellen Jugendbündnisse einsetzte, zum anderen dadurch, dass linke Songschreiber der Bundesrepublik den antifaschistischen Widerstand der ‚Edelweißpiraten‘ als vorbildhaft begreifen konnten.179 Franz Josef Degenhardt beispielsweise spricht im Textheft des Albums Café nach dem Fall noch 2000 von seinen „Kameraden“ und stellt sich als Nachfolger im Geist der antibourgeoisen Jugendlichen dar.180 In Songform hat Degenhardt das Thema zum ersten Mal 1982 mit der Ballade vom Edelweißpiraten Nevada-Kid gestaltet.181 Das Stück beginnt mit einem Prosatext, der eine Vorstellung der Jugendgruppen vornimmt, und schildert anschließend in vier Strophen den Werdegang eines repräsentativen ‚Edelweißpiraten‘ von der Vorkriegszeit bis in die Gegenwart. Antifaschistisches Widerstandsverhalten, beispielsweise die Sprengung eines Werksheims der SS (Str. 2, V.6), wird mit einem individuellen Scheitern in der Songgegenwart kontrastiert. Inhaltlich und sprachlich stark an den Song Rudi Schulte erinnernd wird die Biographie der Hauptfigur so zu einem Beweis restaurativer Strömungen der Gegenwart: In dieser Stadt in diesem Land macht der sein Glück, der schnell vergisst was früher war, und der in seiner Clique fröhlich weiterfrisst.
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Vgl. Peukert, Detlev: Die Edelweißpiraten. Protestbewegungen jugendlicher Arbeiter im Dritten Reich. Eine Dokumentation. Zweite, erw. Aufl. Köln 1983, v.a. S. 9-13. Booklet des Albums Degenhardt, Franz Josef: Café nach dem Fall. Erschienen 2000. Degenhardt, Franz Josef: Ballade vom Edelweißpiraten Nevada-Kid. T./M.: Franz Josef Degenhardt. Aus dem Album: Du bist anders als die anderen. Erschienen 1982.
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Dies Grundgesetz begriffst Du nicht. Das ist auch schwer, alleingestellt. (Str. 4, V.1-3)
Die Intention des Songs ist hier darin zu sehen, durch eine Gegengeschichtsschreibung das Handeln einer vorbildhaften Person aufzuzeichnen und als Muster für gegenwärtiges Verhalten zu etablieren. „Ich pfeife Dir den alten Pfiff am Grab und nenn‘ Dich Kamerad“ (Outro, V.1f.), heißt es in den letzten zwei Versen des Songs. Verstärkt wird die Aktualisierung des Widerstandsverhaltens der ‚Edelweißpiraten‘ in dem Song Wilde Gesellen aus dem Jahr 2000, dem Cover eines Stücks von Ernst Busch und Fritz Sotke aus dem Jahr 1937. Indem Degenhardt den Song erneuert, überträgt er die Forderung: „Wir sind die Jugend des Hochverrats/uns soll kein Gegner zerbrechen“ (Str. 3, V.9f.), aus der NS-Zeit in die Songgegenwart.182 Fast genauso gehen die Kölner Bläck Fööss vor.183 Ausgehend von der These: „Edelweißpirate, su han se sich jenannt/doch dat weed en keinem Schullboch hück jenannt“ (Ref. 5, V.1f.), wird das gesellschaftliche Vergessen durch den Song korrigiert. Dies wird verknüpft mit einer metaphorisch aufgeladenen Schilderung, die das Vorbildhafte der Jugendlichen ausdrückt und mit der nationalsozialistischen Gewalt kontrastiert: Domols, als en brunger Nach de Freiheit es verreck, e janz Volk wood en en Uniform jesteck, do blöhte en unserer Stadt e Blömche, fies jeropp (Str. 2, V.1-3)
Nicht nur wird mit dem Bild der Blume auf das namensgebende Edelweiß hingewiesen, sondern die Opposition der Jugendlichen auch mit der Widerstandsgruppe ‚Die weiße Rose‘ (ebenfalls „e Blömche“) verbunden. Diese vielleicht bekannteste antifaschistische Gruppe hatte 1982 vor allem mit Michael Verhoevens Film Die weiße Rose und Percy Adlons Fünf
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Ders.: Wilde Gesellen. T.: Ernst Busch/M.: Fritz Sotke. Aus dem Album: Café nach dem Fall. Erschienen 2000. Bläck Fööss: Edelweißpirate. T.: Rolly Brings/M.: Thomas Richard Engel, Reiner Hömig, Günter Lückerath, Hartmut Priess, Wilhelm Schnitzler, Peter Schütten, Ernst Stoklosa. Aus dem Album: Immer wigger. Erschienen 1983; eine Erläuterung der Motivation für die Songproduktion findet sich in Becker, Matthias (Hrsg.): Bläck Fööss. Schwatz op Wiess. 124 Lieder in Wort und Bild. Bergisch-Gladbach 2000, S. 45; eine weitere Darstellung in ähnlicher Weise ist Witt, Joachim: Der Turm (Edelweißpiraten). T.: Michelle Leonard/M.: Christoph Masbaum, Joachim Witt. Aus dem Album: Bayreuth 3. Erschienen 2006.
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letzte Tage eine große mediale Aufmerksamkeit erhalten.184 Teil des Soundtracks zu Verhoevens u. a mit dem Bundesfilmpreis ausgezeichnetem Werk ist Konstantin Weckers Song Die weiße Rose 1983.185 An ihm lässt sich erkennen, wie stark der deutsche antifaschistische Widerstand als Vorbild für die Gegenwart funktionalisiert wird. So stellt der Refrain eben gerade nicht die konkreten, kaum aktualisierbaren Tätigkeiten der Geschwister Scholl und ihrer Kommilitonen dar, sondern verallgemeinert den Widerstand zu einer oppositionellen Universalhandlung: Ihr habt geschrien, wo andre schwiegen, obwohl ein Schrei nichts ändern kann, ihr habt gewartet, ihr seid geblieben, ihr habt geschrien, wo andre schwiegen – es ging ums Tun und nicht ums Siegen! (Ref. 1, V.1-8)
Die Strophen schildern vor diesem Hintergrund zunächst die Notwendigkeit, das Bild der ‚weißen Rose‘ zu revidieren: „Jetzt haben sie euch zur Legende gemacht/und in Unwirklichkeiten versponnen“ (Str. 1, V.1f.). Anschließend wird die Forderung formuliert, das vorbildhafte Verhalten der Gruppe für die Gegenwart zu übernehmen: „Ihr wärt hier so wichtig, Sophie und Hans/Alexander und all die andern“ (Bridge 1, V.1f.). Betrachtet man die Songs, die in den 80er Jahren den deutschen Widerstand thematisieren, überblickend, so gleichen sie sich auffallend in mehrerlei Hinsicht: Sie verzichten vollständig auf Kritik an den Protagonisten (die z.B. angesichts der Gewaltbereitschaft der ‚Edelweißpiraten‘ Teil der Betrachtung sein könnte) und stärken demgegenüber das Moment des Vorbildhaften. Die unterschiedlichen Motive der Handelnden werden kaum konkretisiert. Dadurch werden die ‚Edelweißpiraten‘ ebenso wie die Mitglieder der ‚Weißen Rose‘ und – in einem Song der Einstürzenden Neubauten – auch der (vermeintliche) Reichstagsbrandstifter Marius van der Lubbe zu Figurationen verallgemeinerbaren Widerstands, zu repräsentativen Anti-
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Vgl. insgesamt Zankel, Sönke: Die „Weiße Rose“ war nur der Anfang. Geschichte eines Widerstandskreises. Köln, Weimar, Wien 2006. Wecker, Konstantin: Die weiße Rose. T./M.: Konstantin Wecker. Aus dem Album: Filmmusiken. Erschienen 1983, eine zweite, veränderte Version ist veröffentlicht auf dem Album Classics. Erschienen 1991.
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poden jeder Form von Unmenschlichkeit.186 Darüber hinaus, auch das erklärt die Attraktivität des deutschen Widerstands als Thema für die Songschreiber, widerlegt seine historische Existenz als verifizierbares Gegenbeispiel jegliche These einer Kollektivschuld der Deutschen.187 Schon deshalb müssen die Songs im Kontext der ‚Normalisierungstendenzen‘ und der Suche nach Anknüpfungspunkten für eine positive deutsche Nationalidentität gelesen werden.
F AZIT 1979-1989 Die meist verbreitete Ansicht über die Popmusik der 80er Jahre, insbesondere über die politische und deutschsprachige, ist – auch bedingt durch den kommerziellen Erfolg der Neuen Deutschen Welle und des Pop-Schlagers – die eines ästhetischen und inhaltlichen Niedergangs. Werner Faulstich kann in dieser Hinsicht stellvertretend zitiert werden: Von einer spezifischen Rockmusik der 80er Jahre läßt sich kaum noch sprechen. […] Der Protest, sofern noch vorhanden, hat keine konkrete Gesellschaft mehr zum Bezugspunkt. […] Protestiert wird nicht mehr. Utopien haben ausgedient. Rockmusik hat ihre Funktion als Steuerungselement von und für Rockkultur verloren – deshalb meine These vom Niedergang der Rockkultur in den 80er Jahren.188
Dieser kritischen Bewertung, der im Bereich der so genannten ‚Liedermacher‘ beispielsweise von Bernhard Lassahn sekundiert wird, kann unter Verweis auf die Beschäftigung mit dem Nationalsozialismus in Songs von 1979 bis zur deutschen Wiedervereinigung energisch widersprochen werden.189 Zahlreiche Werke von Degenhardt bis Wecker zeigen, dass sich die kritische, intentionale und zielgerichtete Auseinandersetzung mit dem NS-
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Einstürzende Neubauten: Feurio! T.: Blixa Bargeld/M.: Blixa Bargeld, Andrew Chudy, Mark Chung, Alexander Hacke, Frank Martin Strauß. Aus dem Album: Haus der Lüge. Erschienen 1989. Vgl. Klaska, Frauke: Kollektivschuldthese. In: Fischer, Torben/Lorenz, Matthias N. (Hrsg.): Lexikon der „Vergangenheitsbewältigung“ in Deutschland. S. 43f.; Assmann, Aleida: Die Schlagworte der Debatte. S. 80-86; Frei, Norbert: Von deutscher Erfindungskraft. Oder: Die Kollektivschuldthese in der Nachkriegszeit. In: Ders.: 1945 und wir. S. 145-155. Faulstich, Werner: Einführung. Niedergang der Rockkultur? S. 12f. Vgl. Lassahn, Bernhard: Nachwort. S. 269f.
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Regime in den 80er Jahren im Vergleich zu den vorhergehenden Jahrzehnten sogar intensiviert. Die Stildiversifizierung der Folk-, Rock- und Popmusik in den 80er Jahren und die zunehmende Emanzipation bundesrepublikanischer Songschreiber vom angloamerikanischen Paradigma der Popmusik führt im Bereich des Songs dazu, dass sich in der Beschäftigung mit dem Nationalsozialismus das Spektrum der Ausdrucksformen stark erweitert. Sprachlich und musikalisch sind die Songs insgesamt heterogener als ihre Vorläufer. So findet etwa die Auseinandersetzung mit dem NS-Regime nicht mehr nur in Form neuer ‚Liedermacher‘-Werke von Franz Josef Degenhardt oder als Politrock statt, sondern auch als Lyrik-Song-Variationen von Wolf Biermann, als kölschsprachige Rock- und Popstücke von BAP und Bläck Fööss, als eingängiger Deutschrock von Heinz Rudolf Kunze, im Genre der Neuen Deutsche Welle ebenso wie im Punkrock, schließlich sogar als über zehnminütige Eisenbahnballade von Reinhard Mey. Auch die These einer umfassenden ‚Normalisierung‘ des bundesdeutschen Umgangs mit der Vergangenheit, einer zunehmenden Verharmlosung und Relativierung der deutschen Verbrechen im öffentlichen Diskurs – angesichts der Debatten um die Historisierung der NS-Zeit und der kontroversen Politik Helmut Kohls (von der ‚Gnade der späten Geburt‘ über die Bitburg-Affäre bis zum Goebbels-Gorbatschow-Vergleich) – kann für die Songs nicht durchgängig bestätigt werden. Im Gegenteil reagieren die meisten Songschreiber auf Debatten wie den ‚Historikerstreit‘, mediale Großereignisse wie die Ausstrahlung der Fernsehserie Holocaust und politische Entwicklungen wie die Verschärfung des Ost-West-Konflikts mit einer intensivierten Warnung vor restaurativen Entwicklungen in der Bundesrepublik. Franz Josef Degenhardts Song Es denken die Leute von gestern wieder an morgen trägt diese Warnung bereits im Titel, aber auch von nahezu allen anderen erfolgreichen Songschreibern der Zeit (von BAP über Herbert Grönemeyer und Heinz Rudolf Kunze bis zu Udo Lindenberg) lassen sich zahlreiche Stücke ähnlicher Wirkungsabsicht finden. Nicht immer allerdings weisen die Songs dabei eine ausreichende historische Sensibilität und Reflexion ihres Argumentationsvorgehens auf. Dies zeigt sich vor allem hinsichtlich des Stellenwertes der nationalsozialistischen Vergangenheit für die Analyse und Bewertung der Songgegenwart. Hier führen die Künstler bereits in den 70er Jahren angelegte Tendenzen fort und verstärken die inhärente Ambivalenz: Zum einen verliert das NS-
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Regime (und mit ihm der Holocaust) noch weitergehend seinen Status als singuläres Ereignis. Eine ‚Normalisierung‘ findet insofern statt, als die Shoa mit anderen Brutalitäten vergleichbar wird, als die zwölf Jahre NSHerrschaft in historische Zusammenhänge und chronologische Abläufe eingeordnet und als Teilbereich der Menschheitsgeschichte begriffen werden. Zum anderen aber und dazu gegenläufig bleibt der Nationalsozialismus weiterhin Hauptbezugspunkt für die Analyse der Gegenwart, für die Warnung vor und Kritik an zeitgenössischen Entwicklungen. Beides gilt beispielsweise für Heinz Rudolf Kunzes bewusst als Tabubruch angelegte Songs Die kommen immer wieder, Kadaverstern oder Die langen Messer der Nacht. Insgesamt kritisch zu sehen ist grundsätzlich, dass vielen Werken undifferenzierte Vergleiche oder Parallelsetzungen von Vergangenheit und Gegenwart nachweisbar sind, BAPs Kristallnaach ebenso wie Wolf Biermanns Songs über den ‚neuen Hitler‘ Franz Josef Strauß, aber auch Konstantin Weckers psychologisierender Menschheitsgeschichte Hexeneinmaleins. Die in Songform gestaltete Gesellschaftskritik, dargebracht als Angriff auf herrschende Autoritäten oder als Reflexion von Vergegenwärtigungsprozessen, wird im Verlauf der 80er Jahre zunehmend abstrakter und ‚allgemeinmenschlicher‘. Nur noch selten finden sich wie etwa bei Wolf Biermann realexistente Personen, ihre Handlungen oder tatsächliche politische Ereignisse. Entstehung und Herrschaft des Nationalsozialismus werden vorwiegend nicht mehr innerhalb politischer System-Koordinaten (z.B. kapitalistischer Konstituenten) gedacht, sondern zunehmend auf allgemein verbreitete menschliche Defizite zurückgeführt. Auch wenn Songschreiber v.a. der linken politischen Szene nicht vollständig von der Kritik am kapitalistischen System und seiner vermeintlichen Strukturgleichheit mit dem Faschismus abrücken, so verlagert sich der Schwerpunkt der Analyse: Nun geraten der ‚autoritäre Charakter‘ der Deutschen wie bei BAP, ein dämonischer ‚böser deutscher Geist‘ wie in der ‚Rock gegen Rechts‘-Szene, der männliche Geltungsdrang wie bei Ina Deter oder der allgemeinmenschliche Hang zu Gewalttätigkeit wie bei Konstantin Wecker in den Blick. Es greift zu kurz, diese Entwicklungen, die sich vor allem im Bereich des historischen und des didaktischen Diskurses zeigen, als eine Entpolitisierung des Umgangs mit der Vergangenheit zu werten; ganz im Gegenteil intendieren alle behandelten Songs durch ihre Beschäftigung mit dem NSRegime eine Veränderung bis hin zur revolutionären Umwälzung ihres ge-
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sellschaftlichen Umfelds. Nur wird, auch bedingt durch den größeren historischen Abstand, der Nationalsozialismus verstärkt in seinem zeitlichen und internationalen Kontext betrachtet. In Maßen findet so eine ‚EntNationalisierung‘ der Auseinandersetzung statt: Schuldige und Verantwortliche, aber auch potentielle, zukünftige Täter werden nicht mehr ausschließlich innerhalb eines nationalstaatlichen Paradigmas gedacht. Warnungen vor restaurativen Tendenzen, Charakteristika der Täter, Probleme der Vermittlung der Vergangenheit erlangen eine universellere Gültigkeit. In zahlreichen Songs ist die verstärkte Reflexion von individuellen Erinnerungs- und gesellschaftlichen Gedächtnis- und Verdrängungsprozessen erkennbar. Nicht nur werden Erinnerungsprozesse an sich, beispielsweise durch Wolf Biermann und Hannes Wader, dargestellt, sondern darüber hinaus entwickelt sich der Song stärker noch als in den 60er und 70er Jahren zu einem eigenständigen Medium der Memoria. Ein Merkmal des Songs der 80er Jahre ist, dass in vorher nicht vorhandenem Maße historische Geschehnisse wie der ‚Madagaskarplan‘, aber auch Personen des deutschen Widerstands und Opfer des Nationalsozialismus in der Absicht thematisiert werden, das Geschilderte vor dem gesellschaftlichen Vergessen zu bewahren. Die Songschreiber lassen sich damit tatsächlich einer „Phase der Vergangenheitsbewahrung“ im Sinne Norbert Freis und Aleida Assmanns zuordnen. Gerade in der Auseinandersetzung mit den Opfern des NS-Regimes und bei aller Betonung der Notwendigkeit von Erinnerungsprozessen behalten die Songschreiber erstaunlicher- und bedauerlicherweise die in den 60ern und 70er Jahren bereits vorhandene ‚Leerstelle‘ des Gedächtnisses bei. Juden, Homosexuelle, Sinti und Roma sind noch immer kaum Gegenstand der Songs. Ein „neuer Blick auf die Opfer“ seit der Ausstrahlung der Fernsehserie Holocaust, wie er in anderen Medien begann, lässt sich für den Song nur eingeschränkt feststellen.190 Bemerkenswert bei der weiterhin vorhandenen Beschränkung auf einzelne deutsche Opfer, die im Übrigen in auffallendem Widerspruch zu der Internationalisierung der Faschismusanalysen und des Aufarbeitungsanspruchs steht, ist zweierlei: Erstens ‚entkoppelt‘ sich die Darstellung der Opfer in den Songs zunehmend von der der Täter. War das Opfer, wie in Walter Mossmanns Balladen von Walter Gröger und Anna Mack, aber auch in Süverkrüps Kirschen auf Sahne 1967, meist nur als Antipode des Täters denkbar, erhält 190
Frevert, Ute: Perspektivenwechsel. S. 266.
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das Leiden des Einzelnen nun zunehmend eigenständige Bedeutsamkeit. Für die Schilderung der Schicksale von Dagobert Biermann, Jepestinja Stepanowa oder auch des traumatisierten Soldaten Jupp in den Songs von Wolf Biermann, Hannes Wader und BAPs spielen die Verantwortlichen kaum mehr eine Rolle. Zweitens wird die in den 60er/70er Jahren vorgebildete individuelle Perspektive – die Quantität der Vernichtung kann ästhetisch nicht erfasst werden – durch den Verzicht auf objektive Bewertung durch eine wie auch immer geartete auktoriale Kommentierung verstärkt. Auffallend ist die Häufung autobiographischer Elemente in diesen Songs. Sie ist sowohl mit der populärkulturellen Dominanz rocksprachlicher bzw. rockideologischer Ausdrucksformen in den 80er Jahren zu erklären (sichtbar z.B. an Heinz Rudolf Kunzes Song Vertriebener) als auch mit der Intention, die jeweilig thematisierten Opfererfahrungen dem kollektiven Gedächtnis einzugliedern. Die Auseinandersetzung mit dem Nationalsozialismus in den politischen Songs des Jahrzehnts vor der deutschen Wiedervereinigung erscheint als in einer Übergangsphase befindlich. Auf der einen Seite werden Ausdrucksformen, Inhalte, Intentionen und sozial-, kultur- sowie politikgeschichtliche Referenzpunkte aus den 70er Jahren übernommen und aktualisiert. Auf der anderen Seite lassen sich bereits Tendenzen erkennen, die erst nach der Wende dominant werden, wie die zunehmende Beschäftigung mit dem Komplex der Erinnerung und des Gedächtnisses und mit der „Öffnung des Kollektivgedächtnisses für individuelle Erinnerungen“.191 Wie sich diese Schwerpunktverlagerungen in der Songproduktion nach der Wiedervereinigung zeigen, inwieweit dabei von einer „Wende des Erinnerns“ zu sprechen ist und welchen Stellenwert der Nationalsozialismus schließlich in einem vereinten, globalisierten Deutschland für die Songschreiber hat und haben kann, wird in den abschließenden Ausführungen zu betrachten sein.
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Fulda, Daniel: Irreduzible Perspektivität. S. 140.
8. Die Gegenwart der Vergangenheit nach der Wiedervereinigung Mit dem Abbau der Selbstschuldanlagen begonnen. Die Schlachten verloren, den Frieden gewonnen. Schwamm drüber, Gras drüber, die Sünden verrosten. Im Westen die Besten, im Osten die Kosten. HEINZ RUDOLF KUNZE1
Die deutsche Wiedervereinigung markiert eine Zäsur hinsichtlich der Auseinandersetzung mit dem Nationalsozialismus in Wissenschaft, Feuilleton und Populärkultur insoweit, als diese nun auch auf die Vergangenheit der ehemaligen DDR ausgeweitet werden kann und eine ‚doppelte Vergangenheitsbewältigung‘ einsetzt. Dieser in mehrerer Hinsicht problematische Begriff meint nicht nur den Beginn eines Vergleichs zwischen dem totalitären Hitler- und DDR-System, sondern auch die Beschäftigung mit den Aufarbeitungsprozessen in den beiden deutschen Staaten.2 Neben der nun gesamtdeutschen Perspektive auf die Geschichte führen öffentliche Debatten um Publikationen wie Daniel Goldhagens 1996 erschienenes Buch Hitler’s Willing Executioners, Martin Walsers Paulskirchen-Rede, aber auch Sebalds Thesen zum Thema „Luftkrieg und Literatur“ und Günter Grass’ Im Krebsgang zu Veränderungen, für die das Schlagwort „Wende des Erinnerns“ geprägt wurde.3 Viele dieser Entwicklungen, zu denen auch eine zunehmende Globalisierung der Erinnerung zu zählen ist, sind bis heute nur in
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Kunze, Heinz Rudolf: Ein deutsches Erwachen. T./M.: Heinz Rudolf Kunze. Aus dem Album: Sternzeichen Sündenbock. Erschienen 1991, Str. 1, V.1-4. Vgl. Rudnick, Carola S.: Doppelte Vergangenheitsbewältigung. In: Fischer, Torben/Lorenz, Matthias N. (Hrsg.): Lexikon der „Vergangenheitsbewältigung“ in Deutschland. S. 275-279. Beßlich, Barbara/Grätz, Katharina/Hildebrand, Olaf: Wende des Erinnerns? S. 7.
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Ansätzen wissenschaftlich erarbeitet.4 Dies gilt auch für die Beschäftigung mit den so genannten ‚Leiden der Deutschen‘, darüber hinaus für die Verfolgung von Sinti und Roma und Homosexuellen während des NS-Regimes (von der u.a. die Debatte um eine ‚Opferkonkurrenz‘ zeugt) und die Analyse der NS-Aufarbeitung in der DDR insgesamt.5 So zeigt sich für die Beschäftigung mit politischen Songs nach der Wende eine mehrfache Problematik: Weder sind die Charakteristika des NS-Diskurses (und seiner künstlerischen Reflexion) seit 1989 ausreichend wissenschaftlich analysiert (was neben dem kurzen zeitlichen Abstand darin begründet ist, dass sich die bundesrepublikanische Gesellschaft noch mitten in dieser ‚Phase der Vergangenheitsbewahrung‘ befindet) noch sind die wichtigsten Entwicklungstendenzen der Populärmusik seit 1989 medien-, musik- oder literaturwissenschaftlich genügend untersucht. Die folgenden Ausführungen können daher nicht mehr als einen kursorischen Überblick über die auffälligsten Kontinuitäten, Veränderungen und Perspektivenverlagerungen in den seit der Wiedervereinigung veröffentlichten Songs bieten. Zum einen ist es dabei interessant zu sehen, auf welche Weise die Songschreiber auf die ‚Wende‘ reagieren und die zeitgeschichtlichen Entwicklungen vor dem Hintergrund der nationalsozialistischen Vergangenheit reflektieren. Zum anderen kann ein solcher Überblick die gängige und von zahlreichen Wissenschaftlern aufgestellte Behauptung einer zunehmenden Entpolitisierung der populären Musik in den letzten Jahren widerlegen. Inge Kargers Aussage aus dem Jahr 2000 kann hier stellvertretend zitiert werden: „Konzerte mit politischer Musik oder politischen Liedern scheinen an Gebrauchswert verloren zu haben, denn politischen Bewegungen artikulieren sich derzeit weniger über (politische) Musik als in den Siebziger oder Achtziger Jahren.“6 Betrachtet man demgegenüber die anhaltende Popularität von Musikern wie Wolfgang Niedecken, den Erfolgszug des deutschsprachigen Hip Hop oder popmusikalische Veranstaltungen wie Live8 im 4
5
6
Vgl. Assmann, Aleida: Wendepunkte der deutschen Erinnerungsgeschichte. S. 146f.; vgl. insgesamt Daniel, Levy/Sznaider, Natan: Erinnerung im globalen Zeitalter: Der Holocaust. Frankfurt a.M. 2001; vgl. zu Grass Taberner, Stuart: ‚Normalization‘ and the new Consensus on the Nazi Past: Günter Grass’ ‚Im Krebsgang‘ and the Problem of German Wartime Suffering. In: Oxford German Studies 31 (2002), S. 161-186. Vgl. Patrut, Iulia-Karin: Antiziganismus/Opferkonkurrenz. In: Fischer, Torben/Lorenz, Matthias N. (Hrsg.): Lexikon der „Vergangenheitsbewältigung“ in Deutschland. S. 313-321. Karger, Inge: Politische Musik und naive Musiktherapie. S. 36.
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Sommer 2005, dann wird diese Aussage schnell entkräftet. „The link between popular music and political issues is more explicit than ever before“, schreibt Reebee Garofalo.7 Diese These kann an der Beschäftigung mit dem Nationalsozialismus in deutschsprachigen Songs von 1989 bis zur Gegenwart belegt werden.
„E IN SCHÖNES , SCHLIMMES , STINKNORMALES L AND “ D IE ( FAST ) AUFGEARBEITETE V ERGANGENHEIT Die bereits in den Songs der 80er Jahre angelegte Verlagerung von einer ‚Vergangenheitsbewältigung‘ hin zu einer ‚Bewahrung‘ bedeutet auch, dass (im weitesten Sinne) aufklärerische Analysen zu den historischen Umständen, der politischen Durchsetzung und der Ereignisgeschichte des NSRegimes nicht mehr im Mittelpunkt der Songproduktion stehen. Bereits in den 80er Jahren ließen sich kaum noch Betrachtungen systemkritischer oder anders analytischer Art finden wie noch im Umfeld der 68er-Revolte. Gleiches ließ sich beobachten hinsichtlich der Reflexion der Darstellungsebene und der Problematisierung eines ‚Dichtens nach/über Auschwitz‘. Im Zuge der Wiedervereinigung, die zum zentralen Thema der politischen Songschreiber wird und damit die Vergangenheit insgesamt in den Hintergrund rücken lässt, verstärkt sich diese Tendenz. Trotz des nicht lang zurückliegenden ‚Historikerstreits‘ sowie der Goldhagen-Debatte und ähnlich kontrovers diskutierter Erklärungsansätze für das NS-Regime scheinen für die Songschreiber alle vormals offenen Fragen weitgehend geklärt. In jedem Fall findet sich kaum ein Song, der sich noch dem ‚historischen Diskurs‘ zuordnen lässt. Einige Ausnahmen, die den Versuch unternehmen, auf die Problematik einer vereinfachenden Erklärung der Vergangenheit hinzuweisen, können erwähnt werden. Der Hamburger Songschreiber Bernd Begemann veröffentlicht 1993 das Stück Hitler – menschlich gesehen, das vor allem eine Kritik am Umgang der Medien mit dem Nationalsozialismus ist.8 Die im gegebenen Zusammenhang interessanten Verse lauten:
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Garofalo, Reebee: Understanding Mega-Events. S. 16. Begemann, Bernd: Hitler – menschlich gesehen. T./M.: Bernd Begemann. Aus dem Album: Rezession, Baby! Erschienen 1993.
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Denn die Quoten sind im Keller, es ist längst nicht mehr schön Und der Stern gibt uns Hitler – menschlich gesehen (Str. 3, V.1-3)
Nur sehr indirekt wird hier Kritik geübt an einer Trivialisierung der Aufarbeitung und der Fokussierung auf den Diktator, die im Bereich des Fernsehens u.a. mit dem Namen Guido Knopp verbunden ist.9 In eine ähnliche Richtung zielt PeterLichts (sic!) Song Marketing, in welchem es heißt: „Vor dem Schlafengehen noch etwas Holocaust und dann ab in die Bubumaschine“ (Str. 5, V.2).10 Zwei Songs des ehemaligen Sängers der Band Absolute Beginner Jan Delay (Jan Phillip Eißfeldt), www.hitler.de und Kartoffeln, führen derart simplifizierende NS-Erklärungen vor, dass sie als satirischer Kommentar gelesen werden müssen.11 In ersterem Song heißt es beispielsweise: Er ist mobil, er ist online, er ist allgegenwärtig Und die Anzahl seiner hirnlosen Jünger vermehrt sich gefährlich Er züchtet Schafe, er züchtet Menschen Und um euch vor ihm zu warnen, sing ich ihm dieses Ständchen! Attention! (Str. 4, V.1-5)
Die Klischeehaftigkeit der Warnung vor dem „böse[n] Mann mit dem kleinen Bart“ (Str. 1, V.1), aber auch das Verniedlichen der Warnung als „Ständchen“ und der abschließende Befehlston setzen zahlreiche Ironiesignale, die erkennbar machen, dass für Jan Delay eine Reduktion der Verantwortlichkeit für das NS-Regime auf Adolf Hitler nicht ausreichen kann, um die historischen Geschehnisse verständlich werden zu lassen. In Kartoffeln verstärkt Delay diese Aussage, indem er eine geradezu absurde Geschichtsanalyse vorführt: Das „Knollengewächs“ (Str. 2, V.1) figuriert als Spottwort für die deutsche Bevölkerung, von der es heißt:12
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Vgl. Schwabe, Astrid: Geschichtsfernsehen im ZDF. In: Fischer, Torben/Lorenz, Matthias N. (Hrsg.): Lexikon der „Vergangenheitsbewältigung“ in Deutschland. S. 341-344. 10 PeterLicht: Marketing. T./M.: Peter Licht. Aus dem Album: Melancholie und Gesellschaft. Erschienen 2008. 11 Delay, Jan: www.hitler.de. T.: Jan Eißfeldt/M.: Jochen Niemann. Aus dem Album: Searching for the Jan Soul Rebels. Erschienen 2001; Ders.: Kartoffeln. T./M.: Jan Eißfeldt. Aus dem Album: Mercedes-Dance. Erschienen 2006. 12 „Kartoffel“ ist ein nicht unübliches Spottwort für die Deutschen, vgl. den satirischen Beitrag des ARD-Magazins „Polylux“: Verspottet und belächelt. Die
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[…] dieses öde Gemüse und seine Eigenschaft Stärke zu besitzen, aber leider keinen Geschmack Ist ne bittere Pille für die Leute, doch selbst Schuld Sie wählten Archie und der brachte die Fäule ja es waren die Kartoffeln, die den Dämon erschufen (Str. 1, V.3-7)
In genretypischer Selbststilisierung des Hip Hop wird in den Refrains eine solche simplifizierende Erklärung widerlegt: „Aber wenn das, was ich gerade hier gelabert habe, stimmt/Wieso kann ich dann verdammt nochmal so cool sein wie ich bin?“ (Ref. 1, V.1f.). An diesen Beispielen sind die veränderten Prämissen der Auseinandersetzung mit dem Nationalsozialismus nach der deutschen Wiedervereinigung erkennbar. Begemann, PeterLicht und Delay geht es nicht darum, gesellschaftspolitische Konstellationen zu benennen, die den Nationalsozialismus ermöglicht haben. Nach dem Zusammenbruch des Ostblocks wird die Systemfrage nicht mehr gestellt; nach nunmehr vollständiger Machtund Meinungsübernahme der ‚Nachgeborenen‘ wird die Analyse der Vergangenheit nicht mehr in Konfrontation mit den alten Autoritäten durchgeführt. Auch diese Songs sind letztlich keine Beiträge zum historischen Diskurs, sondern Reflexionen der Vergangenheitsbewahrung, in diesem Fall der medialen Geschichtsbewahrung. Die deutsche Vergangenheit erscheint, zumindest hinsichtlich ihrer historischen Ursachen und Entwicklungen, erfolgreich aufgearbeitet. Die wiedervereinigte Bundesrepublik wird, wie Heinz Rudolf Kunze formuliert, „ein schönes, schlimmes, stinknormales Land.“13 Besonders genau aber lassen sich die veränderten Prämissen anhand der Beiträge der Songschreiber zum ‚Täterdiskurs‘ ablesen. Gerade dieser Aspekt des NS-Diskurses zeigte in den vorhergehenden Jahrzehnten eine klar lineare Entwicklung: Die Beschäftigung mit der Schuldfrage reichte von den Angriffen auf die lebenden NS-Täter und die Anklage gegen ihre Weiterbeschäftigung im Nachkriegsdeutschland im Umfeld der 68er-Revolte über eine Radikalisierung der Kritik in den 70er Jahren bis hin zur Darstellung ihres politischen Einflussverlusts und individuellen Scheiterns in den 80er Jahren. Jetzt im wiedervereinigten Deutschland gestalten die SongDeutschen als Kartoffeln. In: http://www.polylog.tv/videothek/videocast/7441/, 12.04.10. 13 Kunze, Heinz Rudolf: Deutschland (Verlassen von allen guten Geistern) (Version 90). T./M.: Heinz Rudolf Kunze. Aus dem Album: Sternzeichen Sündenbock. Erschienen 1991, Ref. 3, V.4.
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schreiber in verschiedenen Werken einen Abschied von der Tätergeneration.
ABSCHIED UND AUFERSTEHUNG „ VERDORBENEN G REISE “
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Die Beschäftigung mit den „verdorbenen Greisen“, so ein Songtitel Wolf Biermanns, führt die Demontage der ehemaligen Täter und ihrer Autorität, wie sie sich in den Songs z.B. der Ersten Allgemeinen Verunsicherung und Georg Danzers in den 80er Jahren bereits ankündigte, zu einem Abschluss.14 Dabei ist zunächst einmal bemerkenswert, dass überhaupt noch Songs veröffentlicht werden, die sich mit den damaligen Regimeteilnehmern beschäftigen, obwohl ein direkter gesellschaftlicher Einfluss der einstigen Nationalsozialisten in Politik, Medien oder Wissenschaft fünfzig Jahre nach Kriegsende nicht mehr wie vormals gegeben ist (worüber auch ‚Skandale‘ wie der um Günter Grass’ Waffen-SS-Mitgliedschaft nicht hinwegtäuschen können). Es ist so vor allem zu fragen, inwieweit den alten Tätern in den Songs noch – wie beispielsweise dem alten Wessely als neuem „Führer“ – ein Einfluss auf die Songgegenwart zugestanden oder ob ein Abschied von ihnen als Chance für einen unbelasteten Neuanfang gesehen wird. Wolf Biermanns 1996 veröffentlichter Song Tod in Altona kann als exemplarisch für die Darstellung des Abschieds von Zeitzeugen des Zweiten Weltkriegs betrachtet werden.15 Er ist die sarkastische Beschreibung des Sterbens der Verlobten eines ehemaligen „U-Boot-Kommandant[en]“ (Str. 3, V.3). Ihr Tod, der als lang ersehnte Wiedervereinigung mit dem Liebhaber gedeutet wird („nun feiern sie Hochzeit nach/Heil Hitler, Prost, ein Gläschen warm“ [Str. 3, V.5f.]), führt die Liebenden zu einem „Doppel-
14 Biermann, Wolf: Ballade von den verdorbenen Greisen. T./M.: Wolf Biermann. Aus dem Album: Gut Kirschenessen. DDR – ça ira! Erschienen 1990. Biermann geht es in diesem Song allerdings vornehmlich um Personen der zusammengebrochenen DDR-Regierung (Krenz, Mielke, Honecker etc.), denen er, auch unter Berufung auf ihren vormaligen antifaschistischen Widerstand, zuruft: „Nicht Rache, nein, Rente!/im Wandlitzer Ghetto/und Friede deinem letzten Atemzug“ (Ref. 1, V.3-5). 15 Ders.: Tod in Altona. T./M.: Wolf Biermann. Aus dem Album: Süßes Leben – saures Leben. Erschienen 1996.
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platz im Paradies“ (Str. 3, V.1). Biermann kontrastiert das späte Glück der ehemaligen Nationalsozialisten im Jenseits („die Himmelschöre jubilieren/die Engel jauchzen Liebeslust“ [Str. 4, V.4f.]) mit einer pessimistischen (und ein weiteres Mal auf Heinrich Heines Wintermärchen verweisenden) Wertung des gegenwärtigen Diesseits:16 doch unten hier im Jammertal da kreisen Krähen im Abendlicht und krächzen einen Hasschoral (Str. 4, V.6-8)
Welche Interpretation man auch hieraus zieht – ob man einer religionskritischen Lesart folgt oder einer sarkastisch-hämischen Verabschiedung der Kriegsteilnehmergeneration –, unverkennbar ist, dass die Gefährdungen für die bundesrepublikanische Gegenwart nicht mehr durch die alten Täter verursacht werden. Ihre Partizipation an restaurativen Tendenzen ist abgeschlossen. Noch drastischer wird dies in dem Song Opa der Punk-Band Terrorgruppe gestaltet.17 Hier findet, in einer durchaus vergnüglichen Gegenüberstellung von ‚Geschichtsversessenheit‘ der älteren und ‚Geschichtsvergessenheit‘ der jüngeren Generation, unter Aufwendung zahlreicher Klischees überhaupt keine ernsthafte Kommunikation zwischen ehemaligen Tätern und Nachgeborenen mehr statt: Jeden Tag erzählt er mir, wie toll es in der Wehrmacht war. Opa halts Maul! Ich scheiß auf Hitlers Feldzug. Ich liege hier auf deiner Couch, wie immer auf Entzug. (Str. 1, V.3-8) Opa gib mir Geld für Stoff (Ref. 1, V.1)
Auch wenn die Schilderung satirisch überzogen ist, zeigt das Scheitern der Kommunikation doch, dass von den ehemaligen Tätern keine Gefahr für die Gegenwart mehr ausgeht, mehr noch wird ihnen jegliche Teilhabe an Erinnerungs- und Vergangenheitsbewahrungsprozessen abgesprochen.
16 Vgl. Heine, Heinrich: Deutschland. Ein Wintermährchen. S. 91. 17 Terrorgruppe: Opa. T./M.: Johnny Bottrop. Aus dem Album: Melodien für Milliarden. Erschienen 1996.
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Dass durchaus Gefährdungen für die Songgegenwart bestehen können, schildern im Gegensatz dazu Purple Schulz in Sag die Wahrheit.18 Der Song beschreibt die Konfrontation eines Nachgeborenen mit seinem historisch belasteten Vater am Sterbebett und kreist um folgende im Refrain gestellte Fragen: Was soll ich tun? Verzeihen oder hassen? Was Du gesehen hast, hab ich nie gesehen. Soll ich Dich und alles einfach sterben lassen? Warum hilfst Du mir nicht einfach zu verstehen? (Ref. 1, V.1-5)
Der Tod des ehemaligen Täters konfrontiert nicht nur am Beispiel eines familiären Konflikts mit der Schwierigkeit des ‚Schlussstrich-Ziehens‘, sondern beeinträchtigt auch die Gegenwart. „Fünfzig Jahre, so lange her“ (Str. 2, V.5) heißt es am Ende der zweiten Strophe zunächst, dann jedoch wird unter Wechsel des Personalpronomens in den Plural die Vergangenheit als „tonnenschwer“ bezeichnet (Str. 2, V.6). Der Abbau dieser Last wird erschwert durch den Tod der Zeitzeugen. Ihre Hilfe „zu verstehen“, deren hohe Bewertung durch Purple Schulz im Kontext der Oral-HistoryWelle seit den 80er Jahren zu sehen ist, geht verloren.19 In vergleichbarer Weise befragt Udo Lindenbergs Song Berlin (Father, you should have killed Hitler) einen Vater nach seinem nicht geleisteten Widerstand während des NS-Regimes.20 Lindenberg spielt mehrfach auf seinen Song Rudi Ratlos von 1974 an, unter anderem dadurch, dass er den Vater als „a violinist in Berlin‘s most popular cabaret“ (Str. 1, V.2) beschreibt.21 Der Vergleich beider Stücke sagt viel aus über die Veränderungen des Umgangs mit den ehemaligen Tätern nach der Wiedervereinigung. Der Referenzsong von 1974 führt am Beispiel des „Leibmusikalartist/von Adolf Hitler und Eva Braun“ (Str. 1, V.6f.) noch die potentielle Wiederhol18 Purple Schulz: Sag die Wahrheit. T.: Rüdiger Schulz/M.: Rüdiger Schulz, Josef Piek. Aus dem Album: Spaß beiseite? Erschienen 1994. 19 Vgl. als Beleg für diese Tendenzen die Publikation von Niethammer, Lutz/Trapp, Werner (Hrsg.): Lebenserfahrung und kollektives Gedächtnis. Die Praxis der „Oral-History“. Frankfurt a.M. 1980, v.a. S. 349-353. 20 Lindenberg, Udo: Berlin (Father, you should have killed Hitler). T.: Udo Lindenberg/M.: Dave King, Udo Lindenberg. Aus dem Album: Das 1. Vermächtnis. Erschienen 2000, zuerst auf der EP: Berlin. Erschienen 1996. 21 Ders.: Rudi Ratlos. T./M.: Udo Lindenberg. Aus dem Album: Ball Pompös. Erschienen 1974.
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barkeit der Geschichte als Comeback des Geigers Rudi Ratlos vor. Typisch für die Zeit werden auch durch Lindenberg die restaurativen Tendenzen mit einer Kapitalismuskritik verbunden: Rudi Ratlos, heute wieder auf den Brettern, die die Welt bedeuten er wurde aus dem Altersheim abgeholt von diesen cleveren Businessleuten (Ref. 2, V.1-4)
In dem durchgängig englischsprachigen Song aus dem Jahr 1996 steht nun nicht mehr das Verhalten des Geigers in der Nachkriegszeit im Vordergrund. Stattdessen weisen unbeantwortete Fragen auf die ‚Leerstellen‘ der Vergangenheitsaufarbeitung: Why didn’t you fight? You should have killed Hitler […] Was it so nice, your Third-Reich-paradise? (Ref.1, V.3-7)
Im Gegensatz zu den genannten Songs erscheint die Wiedervereinigung bei einigen Songschreibern als Initiationsmoment für ein ‚Wiedererstarken‘ der alten Täter. In Konstantin Weckers Sturmbannführer Meier wird dies besonders explizit:22 „Das war aber wirklich höchste Zeit“, meint Sturmbannführer Meier (Str. 1, V.1f.) „Da hat man sich vierzig Jahre lang verstecken müssen und schweigen, doch jetzt geht’s wieder los. Jetzt werden wir’s denen mal wieder so richtig zeigen!“ (Str. 2, V.1-5)
In diesen Versen wird die ‚Wiedergeburt‘ der alten Täter, personalisiert als SS-Kommandant mit typisch allgemein-deutschem Nachnamen, mit der Gegenwart verbunden. Sturmbannführer Meier „sieht sein Deutschland schon wieder vereint,/und er hat wieder was zu hassen“ (Str. 3, V.3f.). Auffällig betont ist das Adverb „wieder“, so auch im zweiten Refrain: „Deutschland hat sie wieder“ (Ref. 2, V.2). Dass die ehemaligen National-
22 Wecker, Konstantin: Sturmbannführer Meier. T./M.: Konstantin Wecker. Aus dem Album: Stilles Glück, trautes Heim. Erschienen 1989.
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sozialisten eine Restauration anstreben, zeigt zum Abschluss des Songs ein Verweis auf die erste Strophe des Lied der Deutschen: Und dann singen sie, vereint wie einst, von neuem ihr Lied der Lieder Denn über alles in der Welt zählt nur das Vaterland (Ref. 2, V.3-6)
Konstantin Wecker lässt keinen Zweifel daran, welche Gefährdungen hierin für die Bundesrepublik bestehen: Voller „Selbstherrlichkeit“ (Str. 6, V.3), die auch neu gewonnenes Selbstbewusstsein im Zuge der Wiedervereinigung ist, verkündet der Protagonist: „Man wartet auf uns. Die Jugend zieht nach“ (Str. 6, V.1f.). Bei Wolfgang Niedecken und BAP wird diese Mischung aus deutschnationalem „Größenwahn und Selbstüberschätzung in einem wiedervereinigten Land“ zu dem Song Denn mir sinn widder wer.23 Vor dem Hintergrund des Einheitsjubels und des Gewinns der Fußballweltmeisterschaft 1990 konstatiert Niedecken zahlreiche „Symptome kollektiver Amnesie“ (Str. 3, V.1) und beschreibt die Vereinigung alter und neuer nationalistischer Geisteshaltungen als geschichtsvergessenen, militaristischen Taumel:24 Deutschbesoffe vüür Jlöck, keine Bleck mieh zoröck, nur noch vörrahn wie Panzer... Wie lang ni’ mieh. (Ref. 1, 7-9)
Eine komplexe Darstellung eines ehemaligen Nationalsozialisten in einem nach der Wiedervereinigung veröffentlichten Song ist Heinz Rudolf Kunzes
23 BAP: Denn mir sinn widder wer. T.: Wolfgang Niedecken/M.: Klaus Heuser. Aus dem Album: X für e’ U. Erschienen 1990; vgl. Kobold, Oliver: X für e’ U. In: Niedecken, Wolfgang/Ders. (Hrsg.): Bap. Die Songs 1976-2006. Hamburg 2006, S. 267. 24 Vgl. zur Entstehungsgeschichte des Textes Niedecken, Wolfgang/Hoersch, Teddy: Verdamp lang her. S. 133; zu direkter rassistischer Gewalttätigkeit führt der ‚neue deutsche Fußballstolz‘ in dem Song Biermösln Blosn: Das Europafest. T.: Hans Well/M.: Trad.. Aus dem Album: Jodelhorrormonstershow (live). Erschienen 1991. Der begeistert gefeierte „Sieg für Deutschland!“ (Str. 4, V.3) ist hier die schwere körperliche Verletzung des Fußballgegners, eines dunkelhäutigen Franzosen: „Körpereinsatz, Body-check... oan Franzosn tragns scho weg!/Vom Schienboa schaugt a Knocha raus – i glaub der muaß ins Krankenhaus!/[…] So muaß’ sei!“ (Str. 3, V.3f. bis Str.4, V.3).
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Der alte Herr.25 Die Erzählsituation dieses als Klavierballade instrumentierten Stücks wechselt von der direkten Rede des Protagonisten in den Strophen zu einer auktorialen Perspektive in den Refrains. Dadurch entsteht eine aufschlussreiche Reflexion der ambivalenten Haltung des alten Täters zu seiner Vergangenheit und der Bewertung durch die Außenwelt. So wird das Bild eines Menschen gezeichnet, der psychisch und physisch seiner Tätervergangenheit verhaftet ist. Gleich die erste Strophe konfrontiert mit den begangenen Verbrechen und ihrer dauernden Wiederkehr in der Erinnerung: Ein Dorf in Südfrankreich ein Wachturm in Polen jede Nacht wach ich auf und wir gehen sie holen (Str. 1, V.1-4)
Diese durchaus als Traumatisierung deutbaren Erlebnisse und die Unmöglichkeit, sie zu verarbeiten („jede Nacht wach ich auf“), sind ursächlich für die anschließend formulierte Ablehnung jeglicher Art von simplifizierendem Antifaschismus. Es ist eine stille Gegenrede des alten Herrn, wenn er die Kritik der nachgeborenen „kichernden Kinder“ (Str. 2, V.3) kontert mit den Worten: „Was gut und was schlecht ist/ihr wisst es genau/ihr seid mir zu eilig“ (Str. 4, V.1-3). Es ist aber nicht ein ‚Ewig-Gestriger‘, der hier spricht. Es ist ein Täter, dessen Konfrontation mit der eigenen Schuld in einem eindringlichen Bild als unauflösbare Identitätskrise dargestellt ist: Das Weiße im Auge des Feindes zu sehn heißt nichts als geduldig vorm Spiegel zu stehn (Str. 3, V.1-4)
Angesichts dieser Konfrontation mit dem Selbst umso bedrückender schildern die Refrains dann die Bewertung des Täters durch die Außenwelt. Auf der einen Seite drängt der scharfe Antifaschismus der Nachgeborenen den alten Täter in die physische Isolation („Der alte Herr sitzt nie am offnen Fenster/hört Volksmusik und hasst den Rest der Welt“ [Ref. 1, V.3f.]), auf der andere Seite formulieren alte und neue Rechte Ansprüche:
25 Kunze, Heinz Rudolf: Der alte Herr. T./M.: Heinz Rudolf Kunze. Aus dem Album: Brille. Erschienen 1991.
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Der alte Herr bekommt noch viele Briefe aus Paraguay postlagernd nachgesandt aus Argentinien Chile und Brasilien und neuerdings aus seinem eignen Land (Ref. 2, V.1-4)
Die Formulierung „postlagernd nachgesandt“ lässt unklar, ob der alte Herr in diesen Ländern, die als Exil ehemaliger Nationalsozialisten bekannt sind, Sendungen postlagernd erhalten hat und nun (wohin auch immer) nachgesendet bekommt oder ob er Post von vermeintlichen Gesinnungsgenossen aus diesen Ländern erhält. In jedem Fall legt sein passives Verhalten die Lesart nah, dass die Kontaktaufnahme von außen, „neuerdings“ auch wieder aus Deutschland, ungewollt ist. Dem Täter ist ein ‚Schlussstrich‘ nicht vergönnt; Außenwelt und Innenwelt weisen beständig zurück auf die begangenen Verbrechen. In diesem Sinn ist die abschließende Strophe zu deuten, die bildhaft die Allgegenwärtigkeit der Vergangenheit für den ehemaligen Nationalsozialisten beschreibt: Kein Sand und kein Schneesturm kein Himmel kein Meer verwischt mein Spuren sie führen hierher (Str. 5, V.1-4)
L UFTKRIEG UND V ERTREIBUNG D ER NEUE DEUTSCHE O PFERDISKURS Kunzes Song Der alte Herr weist auf eine veränderte Sicht auf die Täter und die Opfer des Nationalsozialismus hin, welche als ein besonders auffälliges Merkmal der Songs von 1989 bis zur Gegenwart gelten kann. Zunehmend vermischen sich Opfer- und Täterdarstellungen. Die Zeitgenossen des Nationalsozialismus haben alle, unabhängig von der Art ihrer Teilhabe, Geschichte erfahren und sind von der NS-Zeit lebenslang geprägt. Diese Verwischung von klar definiertem Täter und Opfer erinnert unweigerlich an die Debatten um die so genannten ‚Leiden der Deutschen‘ (vgl. Kapitel 3.2). Während es in ihnen zunächst um die literarische und wissenschaftliche Auseinandersetzung mit den deutschen Opfern alliierter Luftangriffe ging,26 erweiterte sich das Themenfeld u.a. durch Günter Grass’ Novelle Im 26 Vgl. Hage, Volker: Hitlers pyromanische Phantasien. Ein Gespräch mit W. G. Sebald. In: Ders. (Hrsg.): Zeugen der Zerstörung. S. 259-280.
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Krebsgang und das ZDF-Geschichtsfernsehen schnell auch auf Flucht und Vertreibung der Deutschen.27 Problematisch an all diesen Texten ist, wie Astrid Schwabe formuliert, dass in diesem „neuen deutschen Opferdiskurs […] die Frage nach der individuellen Verantwortung der Angehörigen der NS-Volksgemeinschaft hinter der Erkenntnis verblasste, ‚dass damals furchtbares Leid über die Menschen kam.‘“28 Schwabes Kritik trifft auf viele der in dieser Phase entstandenen Songs zu. So findet sich auf dem 2004 erschienenen Album Sonx der Kölner BAP das Stück Ein für allemohle, das in Kapitel 2.3 bereits als prototypische Ausprägung des Songs als Medium der Memoria bewertet wurde.29 Die dort getroffenen Aussagen können nun ergänzt werden. Die Schilderung der „Dausend Bomber övver Kölle“ (Str. 1, V.3), also des alliierten Luftangriffs am 30. Mai 1942, verzichtet weitgehend auf Ursachenforschung. Die ersten zwei Strophen beschreiben im Stil dokumentarischen Schreibens Ort, Zeit und Geschehnis. An keiner Stelle werden das nationalsozialistische Regime und die Gründe für die alliierte Kriegsführung benannt. Anschließend folgen zwei Strophen – rhetorisch u.a. durch Parallelismus, Anapher, Isokolon, Akkumulation, Alliteration, Binnenreim hoch aufgeladen und sprachlich intensiv –, die die deutsche Luftkriegserfahrung genauer schildern. All die Pulsschlääsch em Stockdunkle, all dä Krach, all dä Jestank, all dä Stöbb enn Kinderlunge, all dä Rauch, all die Angs, (Str. 3, V.1-4) All die Wunde, all die Träne, all dat Bloot un all dä Dreck, all die Duude ohne Name, zerfetz, verrenk un versengk, die kräät se nie mieh verdrängk. (Str. 4, V.1-5)
Als Klimax stellt der letzte Vers die Erlebnisse des Einzelnen, hier die eines siebenjährigen Mädchens, und die Unmöglichkeit sie zu ‚verdrängen‘
27 Vgl. Scheller, Wolf: Potpourri der wunden Seelen. In: Rheinischer Merkur Nr. 9 vom 1 März 2002, S. 20; Schwabe, Astrid: Geschichtsfernsehen im ZDF. S. 341-344. 28 Ebd., S. 343. 29 BAP: Ein für allemohle. T.: Wolfgang Niedecken/M.: Helmut Krumminga. Aus dem Album: Sonx. Erschienen 2004.
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gegen das gesellschaftliche Vergessen. Dargebracht in Form eines treibenden, Riff-dominierten Rocksongs in hohem Tempo wird die Lebensbedrohung zudem akustisch spürbar. Indem die Bridge darüber hinaus den Kriegstod des Vaters berichtet („irj’ndwo’n enn der Normandie verreck,/jed’nfalls kohm dä nie zoröck“ [Bridge, V.2-4]), wird der Luftkrieg mit dem Tod deutscher Soldaten an der Front verbunden und ein umfassendes deutsches Leidenspanorama gezeichnet. Wolfgang Niedeckens Text ist dabei keineswegs revisionistisch; ihm liegt ein unmissverständlich pazifistischer Tenor zugrunde. Oliver Kobold beschreibt die Intention des Songs im Inlay des Albums: Im Mittelpunkt steht […] die individuelle Erfahrung der Befreiung vom Faschismus, die gleichzeitig eine der Todesangst ist und von den Betroffenen nicht zuletzt darum weitergegeben wird, weil ihre Erlebnisse ein für allemal immun machen gegenüber jeglichem nach außen gekehrten Kriegsoptimismus.30
Dass eine solche Wirkungsabsicht jedoch in solcher Form auf die ‚Leiden der Deutschen‘ fokussiert und dabei vollständig auf eine Kontextualisierung mit der nationalsozialistischen Kriegsführung und Menschenvernichtung verzichtet, ist nur vor dem Hintergrund des ‚normalisierten‘ neuen Opferdiskurses verständlich. Wie stark dieser reduktionistische Züge trägt, wird besonders offensichtlich, wenn man BAPs Song kontrastiert mit ausländischen Darstellungen des Luftkriegs, wie z.B. Pink Floyds Goodbye Blue Sky aus dem Konzeptalbum The Wall.31 Anders als Niedecken 2004 lässt Songschreiber Roger Waters bereits 1979 den Luftkrieg gegen die englische Zivilbevölkerung als das Ergebnis einer weltweiten Aggressionssteigerung in der militärischen Auseinandersetzung erkennbar werden. Indem er Motive der kriegsführenden Parteien mit den Folgen für die Bevölkerung kontrastiert, wird die Unmöglichkeit eines jedweden ‚Verstehens‘ des Krieges betont: Did you ever wonder why we had to run for shelter when the promise of a brave new world unfurled beneath a clear blue sky? (Str. 1, V.3-6)
30 Kobold, Oliver: Sonx wie diese. In: Booklet des Albums BAP: Sonx. Erschienen 2004. 31 Pink Floyd: Goodbye Blue Sky. T./M.: Roger Waters. Aus dem Album: The Wall. Erschienen 1979.
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Es ist eben nicht nur eine deutsche, individuelle Leiderfahrung, die der Krieg verschuldet hat, sondern eine weltweite Korruption von Humanität; Pink Floyds Song drückt dies symbolisch aus in der Beschreibung des (für alle Menschen gültigen) Verlustes des blauen, friedvollen Himmels: Did you hear the falling bombs the flames are all along gone but the pain lingers on (Str. 2, V.2-4) Goodbye Blue Sky (Ref. 2, V.1)
Mit einem anderen Fokus geht Wolf Biermann in zwei Songs vor, die sich vor allem deshalb, weil sie die Erfahrung des Luftkriegs als zentrale Motivation für die dichterische Produktion erläutern, in der Nachfolge der autobiographischen Stücke über den Vater Dagobert verstehen lassen. Jan Gat unterm Himmel von Rotterdam ist bereits 1988 entstanden, aber erst nach der Wiedervereinigung veröffentlicht worden.32 Der Titel meint „jene Skulptur in Rotterdam […], die an den deutschen Bombenangriff im Jahre 1940 erinnern soll und einen Mann zeigt, der die Arme zum Himmel reckt und ein großes Loch im Bauch hat.“33 Biermann geht in zwei Argumentationsschritten vor. Zunächst setzt sich der Text mit den Luftangriffen auf Rotterdam auseinander. Der Einmarsch der Wehrmacht sowie die Schrecken der Bomberangriffe (Str. 1), dann die Gegenwart der Vergangenheit für die Bewohner der Stadt werden durch die Beschreibung des Denkmals deutlich: „Jan Gat reißt die leeren Hände hoch/Als wär wieder Fliegeralarm“ (Str. 3, V.1f.). Anschließend wechselt die Perspektive. Der Sprecher spricht Jan Gat direkt an und berichtet von den Luftangriffen auf Hamburg. Der ‚Dialog‘ – eigentlich aber eher ein an Heines Wintermärchen erinnernder, den Partner imaginierender Monolog – wird motiviert durch die gemeinsame Leiderfahrung, die durch die autobiographische Kennzeichnung des Sprechers eine besondere Authentizität gewinnt: Jan Gat, ich kenne die alte Furcht Ich komm ja aus Hamburg her 32 Biermann, Wolf: Jan Gat unterm Himmel in Rotterdam. T./M.: Wolf Biermann. Aus dem Album: Gut Kirschenessen. DDR – ça ira! Erschienen 1990. 33 Hage, Volker: Die Lebensuhr blieb stehen. Ein Gespräch mit Wolf Biermann. In: Ders. (Hrsg.): Zeugen der Zerstörung. S. 135; das Denkmal heißt eigentlich The destroyed City und wurde von dem Künstler Ossip Zadkine 1953 geschaffen.
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Hab ich mich gekrallt an meine Mama Geflüchtet durchs Flammenmeer (Str. 5, V.1-4)
Biermanns Leistung ist es, die geschilderten Erlebnisse, für die an anderer Stelle der bibelsprachliche Ausdruck „Fegefeuer der Bombennacht“ (Str. 5, V.7) gebraucht wird, in ihrer Ambivalenz zu beschreiben. „Und weil […] unter dem gelben Stern/in Deutschland geboren“ (Str. 6, V.1f.), kann für Biermann der Luftkrieg gegen das nationalsozialistische Deutschland neben dem „Fegefeuer“ auch das Gegenteil, nämlich Erlösung bedeuten: „Drum nahmen wir die englischen Bomben/wie Himmelsgeschenke hin“ (Str. 6, V.3f.).34 Aus dem ‚Dialog‘ mit der Skulptur resultiert am Ende des Songs eine Aussage über die Gegenwart der Vergangenheit. Nachdem das Denkmal das namensgebende Loch (holländisch: „gat“) beklagt hat („Wo einst mein großes Herz schlug, ach/Da klafft nun ein Riesenloch“ [Str. 7, V.3f.]), lautet die Antwort: „Sei froh was du verloren hast/Das tut dir auch nie mehr weh“ (Str. 7, V.7f.). Der anhaltende ‚Herzschmerz‘, so muss der Hörer diesen Songabschluss verstehen, gründet in der Ambivalenz der Luftkriegserfahrung als einer individuellen Bedrohung und Rettung in einem. Ihre biographische Bedeutung hat Biermann nachträglich sehr hoch veranschlagt. In einem Gespräch sagte er 2003: „Ich bilde mir ein, daß in dieser Nacht wahrscheinlich der Grundstein dafür gelegt wurde, daß ich Lieder und Gedichte schreibe.“35 Auch wenn Biermanns recht konventionell als akustisches Gitarrenstück umgesetzter Song die Komplexität des Themas musikalisch nicht einzuholen weiß, so darf sein textlicher Gehalt nicht unterschätzt werden. Jan Gat unterm Himmel von Rotterdam reicht über die autobiographische Beschreibung eines für den Songschreiber lebensbestimmenden Ereignisses hinaus. Unzweifelhaft lässt Biermann die Bombenangriffe auf Deutschland als Resultat nationalsozialistischer Aggression erkennbar werden (und verhindert damit auch jegliche Inanspruchnahme seines Textes durch Revisionisten), er kontert dadurch die in zeitgenössischen Medien wie dem ZDF vorgenommene Reduktion der Luftangriffsthematik auf die alliierte Kriegsführung und lässt sichtbar werden, wie die Wahrnehmung der Bombennächte zwischen der deutschen ‚Volksgemeinschaft‘ und ihren jüdischen Opfern differierte.36 34 Vgl. hierzu auch Hage, Volker: Die Lebensuhr blieb stehen. S. 144. 35 Ebd., S. 145. 36 Vgl. hierzu auch Vees-Gulani, Susanne: Trauma and Guilt. Literature of Wartime Bombing in Germany. Berlin, New York 2003, S. 146-148.
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Erneut und ergänzend bearbeitet hat Wolf Biermann das Thema in dem 1996 veröffentlichten Song Ballade von der Elbe bei Hamburg.37 In diesem wird das Erleben noch stärker poetologisch als lebensbestimmende Schreibmotivation gedeutet. Erneut wird die Wirkung der Bomben auf die Hansestadt mittels apokalyptischer Bilder („Wasser brannte in dem Feuersturm“ [Str. 6, V.2]) beschrieben. Explizit ist die Rede vom „Weltende“ (Str. 6, V.4). Keinen Zweifel lässt Biermann aber an den Verantwortlichen für die Vernichtung: „Der Tod kam über uns mit menschgemachter Urgewalt“ (Str. 6, V.3). Ähnlich wie in dem Song Gräber scheint die Grausamkeit der Geschehenen lediglich in sarkastischen Formulierungen auf. In Anspielung auf die Flucht aus dem Feuer, die jüdische Herkunft („Stern“) und damit die Opfer des Nationalsozialismus und schließlich in Umkehrung des Sprichworts vom ‚gebrannten Kind‘ lässt Biermann den Luftangriff auf Hamburg zu einer Zäsur werden, die das poetische Schreiben fortan bestimmt: Seit jenem Tag hat mir der Glücksgott meinen Stern bewahrt Doch blieb ich immer, in der Liebe wie im Hass, verflucht Durch allen Wandel bin und bleib ich auch mit weißem Bart Gebranntes Kind Gebranntes Kind, das neugierselig nach dem Feuer sucht (Str. 9, V.1-5)
Biermanns Werke sind Ausnahmen in der Songproduktion nach der Wiedervereinigung. Als Haupttendenz lässt sich eine Reduktion auf die ‚Leiden der Deutschen‘ erkennen, die sich in manchen Fällen sogar explizit gegen eine Differenzierung von nationalsozialistischer Verursachung des Kriegs und resultierendem Leid sperrt. Ein Beispiel hierfür ist Bernd Begemanns Der Junge, der nie mein Onkel wurde.38 Erinnerungsstücke bilden den Erzählanlass des Textes, unter anderem ein „Foto aus Rußland […]/[…] und der Brief seines Kameraden“ (Str. 1, V.8). Typisch für den sonst eher unpolitischen „elektrischen Liedermacher“ Begemann ist eine besonders leicht verständliche, vielfach ans Schlagerhafte gemahnende Ausdrucksweise, die es dem Rezipienten unmöglich macht, eine trennscharfe Grenze zwischen (auto-)biographischem und Rollensprechen sowie authentischer Mitteilung
37 Biermann, Wolf: Ballade von der Elbe bei Hamburg. T./M.: Wolf Biermann. Aus dem Album: Süßes Leben – saures Leben. Erschienen 1996. 38 Begemann, Bernd: Der Junge, der nie mein Onkel wurde. T./M.: Bernd Begemann. Aus dem Album: Rezession, Baby! Erschienen 1993.
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und ironischer Distanz zu ziehen.39 Dies zeigt sich in diesem Song anhand der Beschreibung eines Todes an der Front: Und wie der Junge, der nie mein Onkel wurde Nicht sofort tot war Sondern noch eine halbe Stunde lang weiterlebte Wie er weinte und schrie Und sogar Gott anflehte Man könnte sagen, er war ein Nazi, ein Möchtegernmörder Ich sage er war achtzehn Und es ist schade So furchtbar schade Um den Jungen, der nie mein Onkel wurde (Str. 1, V.14-23)
Die Grausamkeit des familiären Soldatentodes und die Gegenrede des „ich“ gegen das gesellschaftliche „man“ zeigen die Intention des Songs als Integration des Frontopfers in den Kriegsopferdiskurs; gleichzeitig aber setzen das Pathos, die lakonische (und durch die Intonation verstärkte) Bewertung des Menschenverlusts („so schade“) und die bewusst kalkulierten Verstöße des Textes gegen das musikalische Metrum zahlreiche Ironiesignale. Damit unterläuft Begemanns Song ‚linke‘ und ‚rechte‘ Bewertungen der ‚Leiden der Deutschen‘, betont aber gleichzeitig die zeitgenössische Bedeutsamkeit dieses Diskurses in den 90er Jahren. Ganz ähnliches lässt sich auch für Klaus Hoffmanns Die Männer meiner Mutter formulieren.40 Indem hier das Rollen-Ich die mangelnde Heldenhaftigkeit und die Nachkriegstraumatisierung der zahlreichen Liebhaber der Mutter, allesamt Kriegsteilnehmer, beklagt, werden maskuline Rollenbilder ebenso satirisch zunichte gemacht wie eine allzu simple Opfer-TäterUnterscheidung: Ich klag’s dir […] sie waren keine Helden starben nicht auf fremden Feldern wollten heim ins Reich wie tragisch 39 Selbstbezeichnung im Booklet des Albums Rezession Baby! Erschienen 1993; besonders deutlich wird die Sprechweise Begemanns z.B. in Songs wie Bis Du den Richtigen triffst, nimm mich. T./M.: Bernd Begemann. Aus dem Album: Endlich. Erschienen 2003; Ders.: Unsere Band ist am Ende. T./M.: Bernd Begemann. Aus dem Album: Unsere Liebe ist ein Aufstand. Erschienen 2004. 40 Hoffmann, Klaus: Die Männer meiner Mutter. T.: Klaus Hoffmann/M.: Klaus Hoffmann, Hawo Bleich. Aus dem Album: Insellieder. Erschienen 2002.
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sie mussten immer weinen […] Die Männer meiner Mutter warn sich alle gleich doch für den Führer warn sie allesamt zu weich (Str. 1, V.3-14)
Wie eine Kompilation aller bislang beschriebenen Tendenzen der Beschäftigung mit den Opfern des Nationalsozialismus in den 80er und vor allem 90er Jahren scheint schließlich der aktuellste in dieser Studie untersuchte Song: BAPs Dä letzte Winter em letzte Kreech aus dem Jahr 2008.41 Dies wird besonders dann deutlich, wenn man die Informationen auf der (parallel zur Album-Veröffentlichung geschalteten) Homepage hinzuzieht. Die in dem Song beschriebene Flucht einer Familie vor den Bombenangriffen auf Köln wird auf der Webseite explizit motiviert unter Rückgriff auf W. G. Sebalds Vorlesungen, beschrieben als Weiterführung und Aktualisierung von Heinrich Bölls Bekenntnis zur Trümmerliteratur und begriffen als ‚Geschichtsschreibung von unten‘, sowie schließlich als „wahre Geschichte“ autobiographisch gekennzeichnet.42 Erneut werden für die Luftangriffe apokalyptische Bilder gewählt („Russ uss dä Jeisterstadt, russ uss däm Trömmerfeld/wo jede Naach et Höllefüer uss ’äm Himmel fällt“ [Str. 1, V.3f.]), wird die ‚Makrogeschichte‘ NS-Deutschlands in der individuellen (und bei Niedecken auch immer regional verorteten) ‚Mikrogeschichte‘ gespiegelt und fokussiert der Text die ‚Leiden der Deutschen‘. In BAPs Song verbinden sich so alle Tendenzen, die sich in den Jahren vorher bereits angekündigt haben und die die Auseinandersetzung mit Kriegsopfern nach der Wiedervereinigung bestimmen: Erstens zeigt sich die Weiterführung der ‚Normalisierungsprozesse‘ der 80er Jahre, die zu einer Enthistorisierung und Entdifferenzierung des Sprechens über die Kriegsopfer führt, indem die deutschen Kriegserfahrungen zunehmend gleichwertig neben anderen präsentiert werden. Diese Entwicklung wird befördert durch die Rezeption der zeitgenössischen Debatten um das vermeintliche Fehlen der künstlerischen Darstellung der ‚Leiden der Deutschen‘ in den 90er Jahren. Zweitens wird die für die Schilderung von Opfern des NS-Regimes schon immer typische, jetzt nach der Wiederverei41 BAP: Dä letzte Winter em letzte Kreech. T./M.: Wolfgang Niedecken. Aus dem Album: Radio Pandora – Unplugged Version. Erschienen 2008. 42 Vgl. [O.V.]: BAP: Dä letzte Winter em letzte Kreech. In: http://www.radiopandora.de/newsdetail.php?kat_id=6&nid=61&offset=0&main=1, 06.05.10; vgl. auch Böll, Heinrich: Bekenntnis zur Trümmerliteratur. In: Ders.: Essayistische Schriften und Reden I: 1952-1963. Hrsg. v. Bernd Balzer. Köln 1979, S. 31-35.
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nigung aber noch verstärkte Personalisierung und Autobiographisierung der Leiderfahrungen, mit der zum einen eine Erhöhung der Authentizität und zum zweiten eine alltagsgeschichtliche ‚Gegen-Geschichtsschreibung‘ angestrebt wird, fortgeführt. Drittens ist damit eine Intensivierung der Memoria-Funktion politischer Songs verbunden. Klar erkennbar ist in allen Songs die Intention, die im Medium des Songs dargebrachten individualgeschichtlichen Erfahrungen dem kollektiven Gedächtnis einzubetten und/oder in ihm zu bewahren. Songs, die sich demonstrativ gegen die Reduktion der Leiddarstellungen auf deutsche Opfer stellen, sind in den Jahren nach der Wende die Ausnahme. Wie eine Gegenrede gegen den ‚neuen deutschen Opferdiskurs‘ scheint es, wenn Reinhard Mey und Hannes Wader jeweils in einem Song nun erstmalig die Verfolgung und Ermordung von Juden thematisieren. Reinhard Meys Die Kinder von Izieu von 1994 beschreibt das Schicksal 44 jüdischer Kinder, die noch 1944 von Frankreich nach Auschwitz deportiert wurden, explizit als Songhandlung gegen das ‚Verdrängen‘:43 Heute hör’ ich, wir soll’n das in die Geschichte einreihen, Und es muss doch auch mal Schluss sein, endlich, nach all den Jahr’n Ich rede und ich singe und wenn es sein muss, werd’ ich schreien, Damit unsre Kinder erfahren, wer sie war’n: Der Älteste war siebzehn, der Jüngste grad vier Jahre, Von der Rampe in Birkenau in die Gaskammern geführt. Ich werd’ sie mein Leben lang sehn und bewahre Ihre Namen in meiner Seele eingraviert. (Str. 4, V.1-8)
Hier, wie auch in Hannes Waders Song Die Kinder vom Bullenhuser Damm, erscheint die Information über die Vergangenheit notwendig zur Vermeidung restaurativer Entwicklungen.44 Wader macht dies in poetisch durchformten und an die Sprechweise der 60er Jahre erinnernden Versen klar: […] Und die Mörder blieben von diesem Staat meist unbehelligt, sie züchten und fördern längst eine neue furchtbare Saat. (Str. 2, 3f.)
43 Mey, Reinhard: Die Kinder von Izieu. T./M.: Reinhard Mey. Aus dem Album: Immer weiter. Erschienen 1994. 44 Wader, Hannes: Die Kinder vom Bullenhuser Damm. T./M.: Hannes Wader. Aus dem Album: Nach Hamburg. Erschienen 1989.
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Es gilt die Dämpfe abzuleiten, die aufsteigen aus diesem giftigen Schlamm sie für immer zu binden, auch im Gedenken der Kinder vom Bullenhuser Damm. (Str. 3, V.1f.)
In ihrer Beschränkung auf Einzelverbrechen gelingt es aber auch diesen Songs nicht, die universelle Dimension des Holocaust und die Singularität des ‚Zivilisationsbruchs‘ zu erfassen.45 Die weitgehend konventionelle textliche und musikalische Darbietung, die Dämonisierung der Täter und die mangelnde Erklärung ihrer Taten zeigen, dass die Songschreiber der Bundesrepublik Ende des 20. Jahrhunderts immer noch keine theoretische und ästhetische Position gefunden haben, die Adornos Diktum von der Unmöglichkeit über Auschwitz zu dichten, widerlegen könnte.
‚W ENDE DES E RINNERNS ‘? D IE G EGENWART DER V ERGANGENHEIT IM VEREINTEN D EUTSCHLAND Anhand der Songs von Mey und Wader ist erkennbar, dass bei einigen Songschreibern nach der Wiedervereinigung die Furcht vor einer Restauration der Bundesrepublik weiterhin virulent ist. Gerade die territoriale Vergrößerung Deutschlands und sein potentieller zukünftiger Status als europäische Hegemonialmacht beförderten nach 1989 die Sorge vor einer Rückkehr der „selbstbewußten Nation“, deren fremdenfeindliche Gefährlichkeit die rassistischen Gewalttaten von Hoyerswerda, Rostock, Mölln und Solingen 1991-1993 exemplarisch zu beweisen schienen.46 Die zahlreichen Songs, die sich in den ersten fünf, sechs Jahren nach der Wiedervereinigung mit dem Nationalsozialismus auseinandersetzen, lassen sich grob unterscheiden in: erstens Songs, die eine aktualisierte 45 Dies gilt beispielsweise auch für die m. W. einzige Auseinandersetzung mit dem Schicksal Anne Franks: Danzer, Georg: Der Himmel über Amsterdam. T./M.: Georg Danzer. Aus dem Album: Nahaufnahme. Erschienen 1993. 46 Vgl. z.B. Glaser, Hermann: Deutsche Kultur. S. 482-486; Die selbstbewußte Nation ist der Titel einer umstrittenen Publikation aus dem Jahr 1994, in der sich nicht nur Botho Strauss’ kontroverser Essay Anschweller Bocksgesang findet, sondern weitere, im Zeichen der ‚Normalisierung‘ stehende Beiträge zur ‚nationalen Identität‘ und ‚nationalem Selbstbewusstsein‘ (Schwilk, Heimo/Schacht, Ulrich (Hrsg.): Die selbstbewußte Nation. „Anschwellender Bocksgesang“ und weitere Beiträge zu einer deutschen Debatte. Dritte erw. Auf. Frankfurt a.M., Berlin 1995).
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Warnung vor restaurativen Entwicklungen ausdrücken und auf die erstarkende gewaltbereite Neonazi-Szene reagieren; zweitens Songs, die verstärkt Fragen nach den Möglichkeiten einer deutschen Nationalidentität stellen, sowie drittens Songs, die vor dem Hintergrund der Wiedervereinigung erneut den didaktischen Nutzen einer Vergegenwärtigung der Vergangenheit herausstreichen. Warnungen vor der ‚selbstbewussten Nation‘ Welche restaurativen Gefährdungen die wiedervereinigte Nation birgt, schildert (wie häufig) am genauesten Franz Josef Degenhardt in der Rollensong-Form. So lässt er in dem bereits 1990 erschienenen Song Aus der Gruft heraus einen ehemaligen Nationalsozialisten triumphieren und die Wiedervereinigung als teleologische Erfüllung des (weiterhin aus kapitalismuskritischer Sicht gedeuteten) NS-Regimes deuten:47 Das REICH erwacht zu neuer Größe, zu einer anderen zwar, jedoch – es wird das reichste REICH, […] Und es wird TAUSEND JAHRE währen, wie wir verkündet haben, […] Und wir haben gesät – jawoll, mit Blut und Blut. Den Auftrag gab uns die GESCHICHTE. Wir haben ihn erfüllt. Und ihr fahrt jetzt die Ernte ein. (Str. 1, V.5-22)
Zwei Folgen zeitigt die Wiedervereinigung für Degenhardt: zum einen das Ende bundesrepublikanischer Nichtteilnahme an internationalen Kriegseinsätzen (z.B. im Kosovo und in Afghanistan) und damit die Aufgabe eines der Grundsätze der Bonner Republik.48 Dies deutet er als restaurativ in den Songs Eigentlich unglaublich 1996, So sind hier die Zeiten 2000 und vor 47 Degenhardt, Franz Josef: Aus der Gruft heraus. T./M.: Franz Josef Degenhardt. Aus dem Album: Wer jetzt nicht tanzt. Erschienen 1990. 48 Vgl. z.B. die Antrittsrede von Bundespräsident Richard von Weizsäcker: „Die Führungen auf beiden Seiten bekennen sich dazu, daß nie wieder Krieg vom deutschen Boden ausgehen soll. Das ist gut.“ (Weizsäcker, Richard von: Die Aufgaben der Deutschen. Zum Amtsantritt. In: Ders.: Die Deutschen und ihre Identität. Reden des Bundespräsidenten. Hrsg. v. Kulturminister der Landes Schleswig-Holstein, Landeszentrale für Politische Bildung. Kiel 1986, S. 15).
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allem in Quantensprung 2002, wo es etwa heißt: „Nie wieder Krieg von deutschem Boden,/das sind olle Kamellen,/[…] Der Pazifismus ist ja Gott sei Dank passé“ (Str. 4, V.11-14).49 Zum zweiten bedeutet der Zusammenbruch des ‚Alternativ-Systems‘ im kommunistischen Ostblock einen Sieg der kapitalistischen Weltordnung.50 So erklärt das Rollen-Ich in Quantensprung: Die Theorien, Werte und Begriffe von dunnemals: Erledigt. Zum Beispiel nichts mehr da mit so einem Geschwafel: Wie konnte es dazu überhaupt nur kommen? Was sind die Ursachen für solche Wahnsinnstaten? Eure Sprüche aus der Mottenkiste aus dem vorigen Jahrhundert: Imperialismus, Ausbeutung, […] die will keiner jetzt mehr hören. (Str. 2, V.4-14)
Hierauf wird ergänzt: „Dann fehlt – wenn es drauf ankommt –/nur noch ein,/nun, ich will nicht sagen Führer/Aber warum eigentlich nicht?“ (Str. 4, V.21-24). Diese Verse zeigen, dass der endgültige ‚Sieg des Kapitalismus‘ für Degenhardt eben auch, gemäß einer marxistischen Faschismustheorie, die verstärkte Gefahr einer Wiederholung der Geschichte bedeutet. Besonders drastisch ist diese These formuliert und bezogen auf die kapitalistische Struktur der Bundesrepublik in dem Song Serenade von 1994:51 Aber wir ahnten bald: Die sind so leicht nicht zu besiegen. Die kommen wieder, und die Mörder einen Tages auch. Weil Ihre Auftraggeber waren ja nicht totzukriegen. Jetzt sind sie wieder da. Grad fünfzig Jahre sind vorbei. (Str. 4, 2-5)
49 Degenhardt, Franz Josef: Eigentlich unglaublich (dass ihnen das immer wieder gelingt). T./M.: Franz Josef Degenhardt. Aus dem Album: …weiter im Text. Erschienen 1996; Ders.: So sind die Zeiten. T./M.: Franz Josef Degenhardt. Aus dem Album: Café nach dem Fall. Erschienen 2000; Ders.: Quantensprung. T./M.: Franz Josef Degenhardt. Aus dem Album: Quantensprung. Erschienen 2002. 50 Diesen thematisiert ebenfalls unter Rückgriff auf den Nationalsozialismus auch Wolf Biermann in Lamento. T./M.: Wolf Biermann. Aus dem Album: Nur wer sich ändert. Erschienen 1991. 51 Degenhardt, Franz Josef: Serenade. T./M.: Franz Josef Degenhardt. Aus dem Album: Aus dem Tiefland. Erschienen 1994.
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Eine furchtsame, wenn auch nicht zwangsläufig kapitalismuskritische Beurteilung der ‚Wende‘ teilen zahlreiche Songschreiber. Meist bilden die rechtsextremen Gewalttaten dabei den Hintergrund. „Ich habe Angst um dich und mich“, singt beispielsweise Konstantin Wecker 1993 und begründet:52 Mein Freund, was soll ich dir schreiben – es friert einen in diesem Land […] hier wird manch einer wieder verbrannt. (Str. 1, V.1-5) Man könnte um Deutschland weinen Der Mob fühlt sich schon im Parnass, erst wollten wir uns vereinen, und jetzt eint uns nur noch der Hass. (Str. 2, V.1-4)
Die menschliche Kälte des vereinten „Novemberlandes“ (wie Günter Grass die BRD nennt) ist ein oft verwendetes Motiv.53 Bei Heinz Rudolf Kunze ist das neue Selbstbewusstsein Deutschlands ein „Erwachen […]/in neuen Stiefeln zu alten Tänzen“ (Str. 2, V.1f.), vor allem aber „ein altes, ein kaltes,/ein deutsches Erwachen“ (Str. 6, V.4f.).54 Steinerne Kälte schildert auch Klaus Hoffmann; bei ihm führt der Fall der Mauer „auf den vereinten Straßen“ zu „Dummheit und Gefahr“ (Str. 1, V.1f.), zur Wiedervereinigung restaurativer Kräfte („wächst da zusammen, nicht zu fassen/was niemals auseinander war“ [Str. 1, V.3f.]) und schließlich zur Wiedererrichtung einer ‚Mauer‘ aus Fremdenfeindlichkeit:55 Sie werden neue Zäune bauen aus Angst und aus Gleichgültigkeit vielleicht ganz unsichtbare Mauern mit Steinen der Vergangenheit (Str. 6, V.1-4)
Neben diesen eher allgemeineren Bewertungen der Wiedervereinigung entstehen insbesondere in den frühen 90er Jahren unter dem Eindruck der 52 Wecker, Konstantin: Ich habe Angst. T./M.: Konstantin Wecker. Aus dem Album: Uferlos. Erschienen 1993. 53 Grass, Günter: Novemberland. In: Ders.: Werkausgabe in 16 Bänden. Band 1: Gedichte und Kurzprosa. Hrsg. v. Volker Neuhaus und Daniela Hermes. Göttingen 1997, S. 286. 54 Kunze, Heinz Rudolf: Ein deutsches Erwachen. T./M.: Heinz Rudolf Kunze. Aus dem Album: Sternzeichen Sündenbock. Erschienen 1991. 55 Hoffmann, Klaus: Stein auf Stein. T./M.: Klaus Hoffmann. Aus dem Album: Zeit zu leben. Erschienen 1991.
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deutschlandweiten Gewalttaten zahlreiche Songs, die explizit den erstarkenden Rechtsextremismus thematisieren.56 Die meisten Stücke bewerten diesen jedoch ausschließlich als gegenwärtiges Phänomen ohne Rückgriff auf die nationalsozialistische Vergangenheit und ohne zwischen ‚alter‘ und ‚neuer‘ Rechter zu differenzieren. Die vorgetragenen Erklärungen für den Rechtsextremismus sind mal vereinfachend („weil Du Schiss vorm Schmusen hast, bist Du ein Faschist“ [Die Ärzte: Schrei nach Liebe. Str. 5, V.2]), mal äußert reduziert („Hart im Hirn, weich in der Birne/[…] auf der Suche nach einem Führer/es ist hart, allein beschränkt zu sein“ [Grönemeyer, Herbert: Die Härte. Ref. 1, V.1-4]), mal etwas stärker sozialpsychologisch angelegt wie in Udo Lindenbergs Vom Opfer zum Täter oder Wolf Maahns Fallensteller, mal auch auf konkrete Gewalttaten bezogen wie Degenhardts An der Haltestelle.57 Im gegebenen Zusammenhang sind vor allem jene Songs interessant, die die rechtsextremistischen Taten mit der NS-Vergangenheit verknüpfen und dabei explizit oder implizit ein zyklisches Geschichtsbild vertreten. Ein besonders prägnantes Beispiel hierfür ist Heinz Rudolf Kunzes kontrover-
56 So entsteht beispielsweise der gemeinsame Song von Ulla Meinecke und Rio Reiser 13. Dezember, der sich vornehmlich mit den ausländerfeindlichen Übergriffen Anfang der 90er auseinandersetzt, für ein großes, in der ARD übertragenes „Konzert gegen Rassismus“ am 13. Dezember 1992 in Frankfurt (Meinecke Ulla: 13. Dezember. T.: Ulla Meinecke/M.: Rio Reiser. Aus dem Album: An! Erschienen 1994). 57 Die Ärzte: Schrei nach Liebe. T./M.: Dirk Felsenheimer, Farin Urlaub. Aus dem Album: Die Bestie in Menschengestalt. Erschienen 1993; Grönemeyer, Herbert: Die Härte. T./M.: Herbert Grönemeyer. Aus dem Album: Chaos. Erschienen 1993; Lindenberg, Udo: Vom Opfer zum Täter. T.: Udo Lindenberg, Angelina Maccarone/M.: Udo Lindenberg, Hendrik Schaper. Aus dem Album: Bunte Republik Deutschland. Erschienen 1989; Maahn, Wolf: Fallensteller. T./M.: Wolf Maahn. Aus dem Album: Der Himmel ist hier. Erschienen 1992; Degenhardt, Franz Josef: An der Haltestelle. T./M.: Franz Josef Degenhardt. Aus dem Album: Aus dem Tiefland. Erschienen 1994; vgl. ebenfalls in vergleichbarer Form Lindenberg, Udo: Ali 2 (Naziland ist abgebrannt). T.: Udo Lindenberg, Angelina Maccarone/M.: Udo Lindenberg. Aus dem Album: Ich will dich haben. Erschienen 1991; Brings: Stop ’93. T.: Rolly Brings, Peter Brings, Stefan Brings/M.: Harry Alfter, Peter Brings, Stefan Brings. Aus dem Album: Hex’n’Sex. Erschienen 1993; Stoppok: Denk da lieber nochmal drüber nach. T./M.: Danny Dziuk, Stefan Stoppok. Aus dem Album: Happy End im La-LaLand. Erschienen 1993; Die Toten Hosen: Sascha, ein aufrechter Deutscher. T./M.: Andreas Frege, Hanns Christian Müller. Aus dem Album: Kauf mich. Erschienen 1993; Degenhardt, Franz Josef: Danse Allemande. T./M.: Franz Josef Degenhardt. Aus dem Album: Aus dem Tiefland. Erschienen 1994.
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ser Song Sex mit Hitler.58 Vordergründig schildert der Text „die Geschichte eines jungen Strichers, der mit einem Menschen mit eigenwilligen sexuellen Vorlieben zusammenkommt und der sich als ‚Hitler‘ bezeichnen läßt.“59 Durch diese Fiktion gelingt es Kunze, sowohl eine Deutung der Attraktivität des Reichskanzlers für die deutsche Bevölkerung als auch eine Erklärung für rechtsextremistische Bewegungen in den Nach-Wende-Jahren vorzulegen. Als Metapher stellt der Intimverkehr ein körperliches und geistiges ‚Einlassen‘ auf die NS-Ideologie dar. Die nur angedeuteten Begründungen für dieses ‚Einlassen‘ reichen von finanziellen Vorteilen („Ich hatte Sex mit Hitler/er hat gut bezahlt“ [Str. 2, V.1f.]), über die repressiven Maßnahmen des NS-Regimes („vorher hat er mich von Kopf bis Fuß/schwarz angemalt“ [Str. 2, V.3f.]) bis hin zum ‚autoritären Charakter‘ der Deutschen und der Verführungskraft einer masochistischen Unterwürfigkeit unter den starken ‚Führer‘ bei gleichzeitig sadistisch-destruktivem Verhalten. Letztere Faschismustheorie gestaltet der erste Refrain als kollektives Freudenfest: Heute hau’n wir auf die Pauke! Heute geh’n wir nicht nach Hause! Herr Ober! Einmal Führersaft Und zehnmal Sklavenbrause! (Ref. 1, V.1-4)
Alle diese Erklärungen werden verbunden mit einer sorgfältigen Dekonstruktion zahlreicher Elemente des nationalsozialistischen Führerkultes bzw., wie Marcel Atze formuliert, des „Hitler-Mythos“.60 Die erste Strophe ist hier eindeutig: Ich hatte Sex mit Hitler es war nicht der Rede wert alles im Dunkeln alles verkehrt 58 Kunze, Heinz Rudolf: Sex mit Hitler. T./M.: Heinz Rudolf Kunze. Aus dem Album: Macht Musik. Erschienen 1994; kontrovers insofern, als er von der Bundesprüfstelle für jugendgefährdende Medien kurzzeitig indiziert wurde (vgl. Friederichs, Phil: Blick zurück nach vorn: Macht Musik. In: Booklet des Albums Kunze, Heinz Rudolf: Macht Musik. Remastered. Erschienen 2009). 59 Oehmsen, Heinrich: Wider das rechte Gespenst. Heinz Rudolf Kunze über seine Shows und Songs. In: Hamburger Abendblatt Nr. 76 vom 31.03.1994, S. 4. 60 Vgl. die Zusammenfassung der diversen Hitler-Mytheme und ihrer künstlerischen Darstellung in der deutschsprachigen Gegenwartsliteratur in Atze, Marcel: „Unser Hitler“. S. 427-460; zur literarischen Phantasierung von Hitlers Weiterleben nach Kriegsende vgl. ebd., S. 106-116.
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er war unrasiert, und er redete zuviel. zum Beispiel HÄNDE WEG VON HUNDEN und LASS STALIN AUS DEM SPIEL (Str. 1, V.1-8)
Die Vorstellung der asketischen Reinheit und Asexualität Hitlers wird hier konterkariert mit der Schilderung homosexueller Triebhaftigkeit; die Redegewandtheit – zentral für Hitlers mediale Wirksamkeit – wird widerlegt; selbst das „Tierfreund-Mythem“ und das territoriale Interesse für den ‚Lebensraum‘ im Osten erweisen sich als ungültig.61 Wenn der ‚Stricher‘ erkennt: „Ich war sein Berlin/hat er sich vorgestellt/sein Großdeutschland sein Europa/seine ganze Welt“ (Str. 2, V.5-8), dann wird das politische Programm der NSDAP zu nichts mehr als einer sexuellen Fantasie. Trotz der ‚Ent-Mythisierung‘ Hitlers und auch trotz mangelnder Identifikation des ‚Strichers‘ mit der nationalsozialistischen Idee („ich war gar nicht bei der Sache/doch ich machte sie nicht schlecht“ [Str. 3, V.3f.]), findet der Sexualakt, der eher ‚Flirt‘ als ‚Liebe‘ ist, statt. Die Folgen schildert der abschließende zweite Refrain. Er lässt sich ambivalent verstehen; als Beschreibung der Brutalität des NS-Regimes (‚Tränen‘), der Errichtung der totalitären Diktatur mit u.a. der Reichstagsbrandverordnung 1933 und des Zweiten Weltkriegs, aber auch als Warnung vor einer Wiederholung der Geschichte Ende des 20. Jahrhunderts: Heute bleibt kein Auge trocken! Heut’ tanzt der Michel auf der Mine! Herr Ober! Einmal Reichstagsbrand Mit Panzergrenadine! (Ref. 2, V.1-4)
Kunzes Song betont, dass die Entstehungsbedingungen des Nationalsozialismus auch in der Gegenwart gültig und die Attraktivität faschistischer Ideologie für junge Leute trotz aller Demontage der ‚Führerfigur‘ weiterhin vorhanden sind. In dieser Bewertung der Gegenwart gründet die Warnung vor einer Wiederholung der Geschichte. Dass es dabei gelingt, historische Konstanten aufzuzeigen, (Teil-)Erklärungen für das Entstehen des Nationalsozialismus zu vermitteln und zentrale Bestandteile des Hitler-Mythos zu thematisieren, ist die besondere Leistung des Songschreibers. 61 Zum „Askese-Mythem“ vgl. ebd., S. 148-160; zum „Asexualitäts-Mythem“ vgl. ebd., S. 230-235; zum „Natur- und Tierfreund-Mythem“ vgl. ebd., S. 138-147; zum „Redner-Mythem“ vgl. ebd., S. 253-255.
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Die meisten anderen Künstler sind in ihrer Beschreibung zyklischer Geschichtsentwicklungen nicht so komplex. Udo Lindenberg Knock Out beispielsweise erklärt zwar angesichts ausländerfeindlicher Übergriffe: „Deutsche Geschichte wird/immer wieder neu inszeniert“ (Str. 1, V.6f.), führt dies aber eher auf schlichte Ursachen zurück:62 Dieses Land wird mir fremd wo Blödheit keine Grenzen kennt wo Weltverbesserer ein Schimpfwort ist wo die Kanonen blüh’n Soldaten wieder in den Krieg zieh’n und blinder Hass sich in die Herzen frisst (Str. 2, V.1-6)
Militarismus, geistige Beschränktheit und eine unveränderte Geisteshaltung als Ursachen für zyklische Geschichtsentwicklungen macht auch Konstantin Wecker aus:63 Wenn sie jetzt ganz unverhohlen wieder Nazi-Lieder johlen, über Juden Witze machen, über Menschenrechte lachen, wenn sie dann in lauten Tönen saufend ihrer Dummheit frönen, denn am Deutschen hinterm Tresen muss nun mal die Welt genesen, dann steh auf und misch dich ein: Sage nein! (Str. 1, V.1-10)
Hinter diesen analytisch verkürzten Warnungen vor restaurativen Entwicklungen steht eine gewisse Selbstverständlichkeit der antifaschistischen Grundhaltung. Eine intensive Auseinandersetzung mit der nationalsozialistischen Vergangenheit und den Ursachen für ihre potentielle Wiederholung findet nicht statt; der Appell an die Zivilcourage angesichts ausländerfeindlicher Gewalttaten benötigt kaum mehr argumentative Unterstützung wie in den 60er Jahren; es herrscht ein antifaschistischer Konsens vor, der die rechtsextremistischen Übergriffe verurteilt und sich in seiner populärmusikalischen Ablehnung selbst genügt. Satirisch karikiert wird dies in den 00er
62 Lindenberg, Udo: Knock Out. T./M.: Curt Cress, Udo Lindenberg, Frankie Ryan, Peter Weihe. Aus dem Album: Benjamin. Erschienen 1993. 63 Wecker, Konstantin: Sage nein! T./M.: Konstantin Wecker. Aus dem Album: Uferlos. Erschienen 1993.
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Jahren von der Band Die Ärzte. „Scheint die Sonne auch für Nazis? Ich könnts nicht verstehen/Dürfen Faschos auch verreisen? Das wär ungerecht“ (Ref. 1, V.1f.), klagt der Song Ein Sommer nur für mich. Auf dem nur als Download veröffentlichten Album 5,6,7,8 Bullenstaat wird ein selbstgenügsamer Antifaschismus in Versen wie: „Widerstand gegen den Staat/[…] Widerstand gegen Einbahnstraßen und gegen Faschisten“ (Str. 1, V.1-6) als ritualisierte Handlung sichtbar.64 Vor dem Hintergrund der wiedervereinigten „selbstbewußten Nation“ stellt sich noch stärker als in den 80er Jahren die Frage nach der nationalen Identität. Die Suche nach einer ‚zustimmungsfähigen Vergangenheit‘, die Frage, ob sich nationale oder individuelle Identität aus der Geschichte ableiten lassen und wie sich das wiedervereinigte Deutschland zu seiner Vergangenheit zu stellen habe, sind zentralen Themen der Songproduktion nach der ‚Wende‘. Das vereinte Deutschland zwischen ‚Schlussstrich‘ und Erinnerung Es ist ein ratloses, weitgehend pessimistisches Bild, das die Songschreiber ab 1989 vom Zustand des Landes zeichnen. Überblickt man die reichhaltige Zahl von Stücken, so beschreiben die Künstler eine Republik, die zwischen Geschichtsvergessenheit und Geschichtsversessenheit, zwischen „Navigieren nach dem Judenstern“ (Heinz Rudolf Kunze: Die Verteidigung der Stammtische, Str. 1, V.1) und „Kurs verlieren hinterm Judenstern“ (Str. 5, V.1) hin- und herpendelt, ohne sich dessen bewusst zu sein und ohne eine friedliche, demokratische Zukunftsperspektive zu entwickeln.65
64 Die Ärzte: Ein Sommer nur für mich. T./M.: Farin Urlaub. Aus dem Album: Runter mit den Spendierhosen, Unsichtbarer! Erschienen 2000; Dies.: Widerstand. T.: Farin Urlaub/M.: Bela Barney Felsenheimer, Rodrigo Gonzalez, Farin Urlaub. Aus dem Album: 5,6,7,8 Bullenstaat. Erschienen 2001. Als vergleichbare Kritik, hier an der ‚Ersatzhandlung‘ der Lichterketten-Proteste, vgl. Degenhardt, Franz Josef: Erleuchtung. T./M.: Franz Josef Degenhardt. Aus dem Album: Nocturn. Erschienen 1993. 65 Kunze, Heinz Rudolf: Die Verteidigung der Stammtische. T./M.: Heinz Rudolf Kunze. Aus dem Album: Wasser bis zum Hals steht mir. Erschienen 2002.
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Franz Josef Degenhardt beschreibt das zentrale Thema der nationalen Identität in Deutscher zu sein erneut als Rollensong:66 Doch einiges tut noch heute weh, ich sag nur Auschwitz und Lidice. Paar andere Dinge warn auch grad nicht fein. Doch ich bin stolz, Deutscher zu sein. (Str. 4, V.9-12)
Humorvoller gestaltet Heinz Rudolf Kunze die Suche nach einer gegenwärtigen Identität aus der Beschäftigung mit der Vergangenheit heraus in dem Stück Hallo Deutschland.67 Hier lässt er kriegerische Konflikte Deutschlands vom Deutsch-Französischen Krieg bis zum Zweiten Weltkrieg zu einer ‚toten‘ Telefonnummer werden und ‚sortiert‘ die Wiedervereinigung der Reihung ein: Hallo Deutschland hallo Deutschland 70 71 14 18 33 45 89 die Nummer stimmt Aber keiner geht ran (Str. 1, V.1-7)
In einer solchen Republik nivelliert sich alles: Schuld und Unschuld, Täterund Opfer, Krieg und Frieden, Geschichte und Gegenwart vermischen sich bis zur Unkenntlichkeit. In Die Peitschen, zu Beginn des Songs gleichgesetzt mit „die Deitschen/die Juden“ (Str. 1, V.2f.), gestaltet Kunze in 39 Strophen und über zehn Minuten Spielzeit ein umfassendes Bevölkerungspanorama, das von Normalität bis Perversion, von politischer bis unpolitischer, von extrem-
66 Degenhardt, Franz Josef: Deutscher zu sein. T./M.: Franz Josef Degenhardt. Aus dem Album: Und am Ende wieder leben. Erschienen 1992, vgl. Rundell, Richard: Liedermacher im Zeichen der Wende. S. 161. 67 Kunze, Heinz Rudolf: Hallo Deutschland. T.: Heinz Rudolf Kunze/M.: Heiner Lürig. Aus dem Album: Wasser bis zum Hals steht mir. Erschienen 2002; die Zeilenumbrüche, die der Intonation entsprechen, wurden entnommen der Druckfassung in Kunze, Heinz Rudolf: Vorschuß statt Lorbeeren. S. 133.
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linker bis extrem-rechter Gesinnung reicht.68 Beispielhaft dafür sind die Strophen 3 und 4: Und die Proleten und die Propheten Analphabeten (Str. 3, V.1-3) Die Vegetarier und erst die Arier die Rastafarier (Str. 4, V.1-3)
Nach zehnminütigen dreiversigen ‚Reim-Tiraden‘ läuft der lediglich auf einem Akkord aufgebaute (und damit musikalisch die Gemeinsamkeit aller Charaktere betonende) Song auf eine satirische Liebeserklärung hinaus: Die hab ich alle alle alle alle lieb denn ich bin unterm Kinn ein kleiner Herzensdieb (Outro, V.1-5)
Mit dieser karikaturistisch überzogenen universellen Deutschen-Liebe entlarvt Kunze wirkungsvoll die politische Standpunktlosigkeit der vereinten Nation, die sich, das machen zahlreiche Verweise auf den Nationalsozialismus deutlich, auch auf den Umgang mit der Vergangenheit erstrecken. Leitmotivisch ist der Song durchzogen von Anspielungen auf diverse NSDiskurse, von den „Längstverjährten/[…] Kriegsversehrten“ (Str. 11, V.2f.), über „die Ewiggestrigen“ (Str. 12, V.1), „die Schuldigkeitsmohren“ (Str. 15, V.2), „die Profiopfer“ (Str. 29, V.1) bis zu den „Wahrheitvermeider[n]“ (Str. 36, V.2). Damit werden auch Gewissheiten wie z.B. die Ablehnung nationalsozialistischer Herrschaft, die Grundstein für eine wie auch immer geartete nationale Identität sein könnten, fragwürdig.
68 Ders.: Die Peitschen. T./M.: Heinz Rudolf Kunze. Aus dem Album: Korrekt. Erschienen 1999; vgl. auch den Song Hereinspaziert. T./M.: Heinz Rudolf Kunze. Aus dem Album: Macht Musik. Erschienen 1994, der eine ähnliche Bewertung vornimmt. So heißt es hier z.B.: „Das gesunde Volksempfinden schielt in Haken schwarzweiß/unsre heimische Hölle todschick und brandheiß“ (Str. 1, V.1f.); gerade die Nivellierung jeglicher Grundwerte führt zu erneuter Gewalttätigkeit und nationaler Abschottung: „Hereinspaziert hereinspaziert/jetzt lebt sich's völlig ungeniert/die Festung rotz- und wasserdicht/der Krug voll Blut kippt um und bricht“ (Ref. 2, V.1-4).
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„Sag Jiri, traust du diesem Land/Bücher wurden dort verbrannt/[…] werden sie aus der eigenen Asche lernen?“, fragt das lyrische Ich in Klaus Hoffmanns Song Land des Lächelns zweifelnd.69 Die Frage der nationalen Identität ist oft, wie zum Beispiel bei Degenhardt (Deutscher zu sein), verknüpft mit der Frage, inwieweit Stolz auf das Land möglich und das Konzept ‚Vaterland‘ tragfähig ist. Konstantin Weckers Song Vaterland II, der auch das mit dem Vaterland verbundenen Konzept ‚Heimat‘ ablehnt, ist hier eindeutig.70 Die Leitfragen („Was ist das nur, ein Vaterland?“ [Ref.1, V.1] und „Was lässt mich stolz sein auf ein Land?“ [Str. 3, V.1]) werden beantwortet mit einer klaren Negierung: „[…] mir genügt/mein Vater zur Genüge/Ein ganzes Land als Vater war/schon immer eine Lüge“ (Str. 14, V.1-4). Ähnliches lässt sich für Hannes Waders Song Vaters Land feststellen.71 Interessanter ist Reinhard Meys Mein Land, in welchem gleich in der ersten Strophe nationalsozialistische und bundesrepublikanische Vergangenheit gegeneinander gestellt und Möglichkeiten der positiven Identitätsstiftung aufgezeigt werden:72 Mein dunkles Land der Opfer und der Täter, Ich trage einen Teil von deiner Schuld. Land der Verratenen und der Verräter, Ich übe mit dir Demut und Geduld […] Mein helles Land der mutigen und stillen Aufrechten, unerkannt und ungenannt, Ich finde mich in deinem Freiheitswillen: Mein Mutterland, mein Vaterland, mein schweres Land (Str. 1, V.1-12)
Eine nationale Identitätsstiftung kann, so lässt sich der Text verstehen, ausschließlich unter Berücksichtigung und beständiger Vergegenwärtigung des NS-Regimes stattfinden. Bei allen „positive[n] Identitätsangebote[n]“, die
69 Hoffmann, Klaus: Land des Lächelns. T./M.: Klaus Hoffmann. Aus dem Album: Erzählungen. Erschienen 1995. 70 Wecker, Konstantin: Vaterland II. T./M.: Konstantin Wecker. Aus dem Album: Vaterland. Erschienen 2001. 71 Wader, Hannes: Vaters Land. T.: Hannes Wader/M.: Hannes Wader, Trad. Aus dem Album: Wünsche. Erschienen 2001. 72 Mey, Reinhard: Mein Land. T./M.: Reinhard Mey. Aus dem Album: Rüm Hart. Erschienen 2002.
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mehrere Jahrzehnte friedlicher demokratischer Bundesrepublik anbieten, kann ein ‚Schlussstrich‘ nicht gezogen werden.73 Angesichts des Endes des Kalten Krieges, der als unmittelbare Folge des Zweiten Weltkriegs immer auf diesen zurückwies, angesichts auch des Aussterbens von Zeitzeugen des NS-Regimes und angesichts der aus der Wiedervereinigung erwachsenden stärkeren Bedeutung Deutschlands in Europa wird die gesellschaftliche Bewertung der Vergangenheit zentral für das Selbstverständnis der Nation. ‚Geschichtsdeutungskämpfe‘ wie die Goldhagen-Debatte, die Walser-Bubis-Debatte, die Konflikte um einen Holocaust-Gedenktag, die Wehrmachtsaustellung in Berlin, das geplante Vertriebenen-Zentrum, aber auch um die Aufarbeitung der ‚Leiden der Deutschen‘ zeigen: Am Ende des 20. und Anfang des 21. Jahrhunderts geht es nicht mehr so sehr darum, dass der Nationalsozialismus, seine Einzelereignisse, seine Opfer überhaupt erinnert werden sollen, sondern wie erinnert werden kann. In „einem Land, in dem keine Täter mehr leben“ und keine Opfer, in einer Gegenwart, „die kein persönliches Erinnern an die NS-Zeit mehr kennen wird“, in der aber gleichzeitig die fortdauernde Notwendigkeit der Auseinandersetzung mit der Vergangenheit immer neu begründet werden muss, rücken kollektive Erinnerungsprozesse in den Vordergrund.74 Der politische Song befindet sich in den Anfängen, diese Prozesse zu reflektieren. Dies wird deutlich, wenn etwa Franz Josef Degenhardt den Tod des Zeitzeugen Olle Klaas vor allem deshalb beklagt, weil hier eine korrigierende Instanz stirbt:75 73 Kühnl, Reinhard: Der „Historikerstreit“ – eine Bilanz. S. 247. Von einer solchen Haltung zeugen auch zahlreiche weitere Warnungen vor gesellschaftlichen Verdrängungsprozessen, die nach der Wiedervereinigung entstehen, wie z.B.: Münchener Freiheit: Wir sehen dieselbe Sonne. T.: Aron Strobel, Stefan Zauner/M.: Stefan Zauner. Aus dem Album: Liebe auf den ersten Blick. Erschienen 1992; Degenhardt, Franz Josef: Tanz im Freien. T./M.: Franz Josef Degenhardt. Aus dem Album: Café nach dem Fall. Erschienen 2000; Einstürzende Neubauten: Die Befindlichkeit des Landes. T.: Blixa Bargeld/M.: Jochen Arbeit, Blixa Bargeld, Andrew Chudy, Alexander Hacke, Rudolph Moser. Aus dem Album: Silence is sexy. Erschienen 2000; Blumfeld: Zeittotschläger. T./M.: Jochen Distelmeyer. Aus dem Album: Ich-Maschine. Erschienen 1992; Dies.: Deutschland der Deutschen. T./M.: Jochen Distelmeyer. Aus dem Album: Ein Lied mehr – Various Recordings. Erschienen 2007; Sansibar: Das waren so Geschichten. T.: Walter Hennings/M.: Martin zu Teer. Aus dem Album: Jubelsand. Erschienen 2010. 74 Frei, Norbert: 1945 und wir. Die Gegenwart der Vergangenheit. S. 21f. 75 Degenhardt, Franz Josef: Olle Klaas. T./M.: Franz Josef Degenhardt. Aus dem Album: Aus dem Tiefland. Erschienen 1994.
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Gibt niemand mehr, der euch noch stoppt, euch widerspricht und der euch foppt beim Fabulieren. Vor jeder Wende und danach könnt ihr drauflos und ohne Krach jetzt schwadronieren. (Str. 6, V.7-12)
Sichtbar wird dies ebenfalls, wenn Wolfgang Niedecken die Ereignisse der Befreiung Nazi-Deutschlands 1945 durch die amerikanischen Truppen in dem Song Amerika derart konkret im Ton eines Zeitzeugen beschreibt, dass das Stück das Erleben der ‚Stunde Null‘ fast dokumentarisch bewahrt.76 Die Gruppe Pur wiederum beschreibt (in einer Gegenüberstellung von Täterund Opfersicht) in einfacher Sprache den Holocaust und die daraus abzuleitenden Forderungen an die Nachgeborenen:77 Du hast gewissenlos gehorcht Mord befohlen, ausgeführt Das Gas war leise, nur die Schreie laut (Str. 2, V.1-3) Die Bilder machen fassungslos Gruben voller Leichen Voller nicht erfüllter Hoffnungen (Str. 3, V.1-3) Wir kennen nur die Bilder Das genau ist unsere Chance Wenn wir begreifen, wenn wir lernen wollen Wie Du und ich und wir gemeinsam (Str. 7, V.1-4) Leben – mehr als nur zu überleben (Ref. 2, V.1)
Das Schlagwort von der ‚Wende der Erinnerung‘, so kann nun abschließend formuliert werden, bedeutet für den Bereich des politischen Songs, dass Schwerpunktverlagerungen in der Auseinandersetzung mit der nationalsozialistischen Vergangenheit vorgenommen werden: Die Songschreiber reflektieren die gesellschaftlichen Veränderungen nach der Wiedervereinigung, insbesondere das Erstarken rechtsextremistischer Orientierungen, sehr intensiv. Dem neuen ‚Selbstbewusstsein‘ und Nationalstolz, den Forderungen nach einem ‚Schlussstrich‘ und einem unverkrampften, enttabui-
76 BAP: Amerika. T.: Wolfgang Niedecken/M.: Klaus Heuser. Aus dem Album: Amerika. Erschienen 1996. 77 Pur: Leben. T./M.: Hartmut Engler, Ingo Reidl. Aus dem Album: Abenteuerland. Erschienen 1995.
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sierten Umgang mit der Vergangenheit stellen sie sich in vielfältiger Ausprägung entgegen. Anhand des vorgenommenen kursorischen Überblicks über die Songproduktion nach 1989 lassen sich die Grundlinien der Vergangenheitsbewahrung nach der Wiedervereinigung erkennen: Unzweifelhaft ist für die Songschreiber die Auseinandersetzung mit der Vergangenheit weiterhin notwendig; sie ist – gerade vor dem Hintergrund einer zeitzeugenlosen Gegenwart – nicht nur „politisch-moralisches Gebot und intellektuelle Herausforderung“, sondern konkretes Gegenmittel gegen die Wiederholbarkeit der Geschichte.78 Gegen die ‚Geschichtsvergessenheit‘ der wiedervereinten Nation und ihre Gefährdungen wenden sich die Songschreiber, indem sie sich in die Deutung der Vergangenheit einmischen. Dabei stehen jedoch nicht mehr Fragen nach Ursachen und Entstehung des Nationalsozialismus, sondern vor allem Fragen nach dem Umgang mit den aussterbenden Tätern und Opfern, der Erinnerung und der nationalen Identität nach dem Untergang der DDR im Vordergrund. Indem sich gerade hinsichtlich der Bemühungen, die ‚Leiden der Deutschen‘ dem kollektiven Gedächtnis einzuschreiben, die Grenzen von Täter und Opfer vermischen, lässt sich durchaus mit Astrid Schwab von einem „neuen deutschen Opferdiskurs“ oder mit Norbert Frei von einem „neue[n]Geschichtsgefühl“ sprechen.79 Zwei von der zeitgeschichtlichen Forschung ausgemachte Tendenzen der gesellschaftlichen Vergangenheitsaufarbeitung nach der Wiedervereinigung werden von den Songschreibern bis heute kaum nachvollzogen. Weder erstreckt sich die Beschäftigung mit dem Nationalsozialismus – im Sinne einer nun möglichen ‚doppelten Vergangenheitsbewältigung‘ – auf die Geschichte der ehemaligen DDR80 noch wird die deutsche Vergangenheit als Teil einer ‚globalisierten Erinnerungswelt‘ unter einem weniger nationalstaatlichen Paradigma gesehen und z.B. die Möglichkeit weltweiten Ge-
78 Frei, Norbert: 1945 und wir. Die Gegenwart der Vergangenheit. S. 22. 79 Schwabe, Astrid: Geschichtsfernsehen im ZDF. S. 343; Frei, Norbert: 1945 und wir. Die Gegenwart der Vergangenheit. S. 21. 80 Die m. W. einzige Ausnahme ist Degenhardt, Franz Josef: Deutsches Bekenntnis (alle 30 bis 50 Jahre zu wiederholen). T./M.: Franz Josef Degenhardt. Aus dem Album: Wer jetzt nicht tanzt. Erschienen 1990; auch hier geht es weniger um die DDR-Geschichte als um eine parallel zu den Gegebenheiten im Westen stattfindende Verdrängung der Geschichte 1945/1989 aus Sicht eines ehemaligen DDR-Politikers.
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denkens an den Holocaust thematisiert.81 Das NS-Regime ist und bleibt für die Songschreiber, wie Stefan Kahé von der Band Luna Luna es im gleichnamigen Song beispielhaft ausdrückt, eine Deutsche Nacht.82 Der zukünftige Weg der wiedervereinten Nation ist offen: Ist es die Ruhe vor dem Sturm Der alte Sieg der Vergesslichkeit (Str. 1, V.1f.) Ist es das Schweigen vor der Bestie Die Leichen sammelte im Buchenwald (Str. 2, V.1f.) Ist es der Glaube an Gerechtigkeit Der da erschlagen in der Erde liegt Nein, ich singe hier ein Requiem Die Hoffnung auf einen Neubeginn (Str. 4, V.1-4)
81 Vgl. hierzu insgesamt Daniel, Levy/Sznaider, Natan: Erinnerung im globalen Zeitalter: Der Holocaust. Frankfurt a.M. 2001; Marchart, Oliver/Öhner, Vrääth/Uhl, Heidemarie: Holocaust revisited. S. 327-334. 82 Luna Luna: Deutsche Nacht. T./M.: Stefan Kahé. Aus dem Album: Es war einmal… Erschienen 1993.
9. Zusammenfassung und Ausblick Zehn Jahre nach der Wiedervereinigung im Kontext des Kosovokrieges und der Rot-Grünen Bundesregierung veröffentlicht der Songschreiber Wolf Biermann den Song Im Steinbruch der Zeit mit folgendem Refrain:1 Ich atme Staub im Steinbruch der Zeit Die Zukunft wird nämlich entscheiden Im Streit um die Vergangenheit (Ref. 1, V.4-6)
Seit den frühen 60er Jahren, das hat diese Studie gezeigt, nehmen die Songschreiber der Bundesrepublik aktiv teil an diesem Streit. Sie tun dies manchmal mutig, manchmal konventionell, manchmal simpel und manchmal anspruchsvoll. Sie befördern die Auseinandersetzung mit der nationalsozialistischen Vergangenheit durch Reflexion und Kritik mit den spezifischen Mitteln des populärkulturellen Mediums Song. Dabei prägen sie zeitgenössische Geschichtsdiskurse ebenso wie sie gleichzeitig und erkennbar von ihnen geprägt sind. Die vorliegende Arbeit macht dieses dialektische Verhältnis sichtbar und zeigt das weite Spektrum der Beschäftigung mit der NS-Vergangenheit im politischen Song der Bundesrepublik auf. Durch die Verknüpfung sowohl literatur- und musikwissenschaftlicher als auch populärkultureller Aspekte mit geschichtswissenschaftlichen Fragestellungen konnte zunächst ein methodisch interdisziplinärer Zugriff auf eine bislang von der Forschung kaum betrachtete Gattung erarbeitet werden. Hierfür wurde die populärkulturelle Form ‚Song‘ mittels einer gattungspoetischen Kategorisierung der wissenschaftlichen Analyse zugänglich gemacht und vor dem Hintergrund einer heuristischen Definition politischer Dichtung herausgearbeitet, inwieweit der politische Song als kultu1
Biermann, Wolf: Im Steinbruch der Zeit. T./M.: Wolf Biermann. Aus dem Album: Paradies uff Erden. Ein Berliner Bilderbogen. Erschienen 1999.
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relles Medium der Auseinandersetzung mit der Vergangenheit gelten kann. Insgesamt ist es so möglich, den politischen Song als Indikator gesellschaftlichen Bewusstseins von der Vergangenheit zu begreifen. In einem Zeitrahmen von 1964 bis zur Gegenwart suchen so unterschiedliche Künstler wie Wolf Biermann, Herbert Grönemeyer oder die Münchener Freiheit intensiv und variationsreich in gesamtgesellschaftliche Aufarbeitungsprozesse einzugreifen, um hieraus Forderungen für die Gegenwart abzuleiten. Ihre politischen Songs beschränken sich dabei nicht darauf, lediglich eine songhistoriographische Betrachtung der Vergangenheit zu erarbeiten; sie verknüpfen diese immer auch mit einer Reflexion und kritischen Kommentierung der Gegenwart. Gerade hierin liegt die Komplexität der politischen Songproduktion in der Bundesrepublik begründet. Sie lässt nicht allein Grundzüge des Umgangs mit der Vergangenheit erkennbar werden, sondern dokumentiert gleichzeitig populärkulturelle Reaktionen auf wichtige zeitgenössische politische Ereignisse, Kontroversen und Personalien – von der 68er-Revolte, dem RAF-Terrorismus der 70er Jahre, dem Filbinger-Skandal, der Strauß-Kanzlerkandidatur, dem OstWest-Konflikt bis hin zur Wiedervereinigung. Diese ‚duale‘ Auseinandersetzung mit Vergangenheit und Gegenwart wird von den Songschreibern vorgenommen in einer historisch relativ jungen und schnellen Veränderungen unterworfenen Gattung. Innerhalb eines Kontextes von literaturgeschichtlicher Tradition (Bänkelsang, Chanson, Volkslied usw.), ‚kulturindustrieller‘ Einbindung bzw. populärkultureller Medialität und vermittels unterschiedlicher Genre-Sprechweisen (Rock, Folk, Pop) ist der politische Song eine ästhetisch variationsreiche textmusikalische Ausdrucksform. Seine Poetik verändert sich von den 60er Jahren bis in die Gegenwart parallel zu den Grundzügen der Vergangenheitsaufarbeitung. So wie sich die Ausdrucksformen zunehmend von einer folktypischen, auktorialen und in der Tradition des Zeitungslieds stehenden zu einer rocktypischen, individual-authentischen, (auto-)biographischen Sprechweise entwickeln, tendiert die Auseinandersetzung mit der NS-Geschichte von einer objektiven ‚Vergangenheitsbewältigung‘ in Richtung einer subjektiveren, erinnerungskulturellen ‚Vergangenheitsbewahrung‘. Veröffentlichen ‚Liedermacher‘ wie Franz Josef Degenhardt oder Dieter Süverkrüp in den 60er Jahren noch Songs wie etwa Wölfe mitten im Mai oder Verkürzte Warnung vor einem neuerlichen Deutschland-Erwachen, die eine historisch-objektive Faschismusanalyse vorzuführen suchen, und wird dieser
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Ansatz in den 70er Jahren im Politrock noch radikalisiert, so gerät ab den frühen 80er Jahren die (autobiographische) Erfahrung des Einzelnen verstärkt in den Blick der Songschreiber. Ob Heinz Rudolf Kunze von sich bekennt: „Ich bin auch ein Vertriebener“, oder Wolf Biermann beginnt, seine Poetik mit der Ermordung seines Vaters zu erklären, immer steht die Erinnerung an das individuelle Erleben und seine Bewahrung im kollektiven Gedächtnis im Zentrum der Songs. Überblickend können vier Phasen der Auseinandersetzung mit der nationalsozialistischen Vergangenheit im politischen Song der Bundesrepublik ausgemacht werden. Vom ersten internationalen Chanson- und FolkloreFestival auf der Burg Waldeck 1964 bis zum Höhepunkt der 68er-Revolte sind die Songs vor allem charakterisiert durch einen system- und kapitalismuskritischen Angriff auf die Nachkriegsgesellschaft. Ihr werden durch die Songschreiber restaurative Entwicklungen und ‚faschistoide‘ Tendenzen nachgewiesen, die durch personelle Kontinuitäten der NS-Zeit, wie z.B. den Kanzler Kurt Georg Kiesinger, und politische Ereignisse wie die Verabschiedung der Notstandsgesetze vermeintlich bestätigt werden. ‚Vergangenheitsbewältigung‘ bedeutet in diesem Zeitabschnitt vornehmlich Angriff auf herrschende Autoritäten, Instanzen und das von ihnen vertretene kapitalistische System. Erkennbar ist dies beispielhaft an Walter Mossmanns scharfer Kritik an den Universitätsprofessoren im Lied vom Goldenen Buch, ebenso aber auch an Franz Josef Degenhardts Beschreibung des Opportunisten Horsti Schmandhoff oder an Wolf Biermanns ‚Rundumschlag‘ Die hab ich satt! Das Scheitern eines Systemumsturzes nach 1968 führt im Anschluss keineswegs zu einem Rückzug und einer Entpolitisierung der Songschreiber, sondern zu einer zweiten ‚Phase nach der Revolte‘. In dieser „Zeit der Radikalisierung“ wird die Kapitalismuskritik noch stärker auf einzelne realexistente Personen fokussiert. Nun geraten z.B. die Industriellen Krupp und Thyssen als Vertreter des Kapitalismus in den Blick der Songschreiber oder es wird von Walter Mossmann in der Ballade vom Matrosen Walter Gröger die NS-Vergangenheit des Ministerpräsidenten Hans Filbinger thematisiert. Diese Entwicklung geht einher mit einer ästhetischen Radikalisierung, die die Gehaltsebene des Songs noch stärker über die Ausdrucksebene stellt und im Politrock, vor allem bei Bands wie Die Schmetterlinge und Floh de Cologne, zu künstlerisch und inhaltlich vielfach fragwürdigen, weil verkürzenden Ergebnissen führt. Gleichzeitig wird nun verstärkt die
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Vermittlung von Kenntnissen über den Nationalsozialismus und die Vergegenwärtigung ‚vergessener‘ Opfer thematisiert. So erscheint eine Reihe von Songs, die sich mit schulischer (z.B. Sieben Fragen eines Schülers von Walter Mossmann) oder elterlicher Erziehung beschäftigen (z.B. Konstantin Weckers Vaterland). Am Ende der 70er Jahre, vor dem Hintergrund der abgeschlossenen Täter-Prozesse, der Brandt’schen Entspannungspolitik, dem brutalen Ende des ‚Deutschen Herbst‘, medialer Ereignisse wie der Holocaust-Fernsehserie und der ‚geistig-moralischen Wende‘ treten für die Songschreiber die vorherigen „Enthüllungsdiskurse“ über die ‚unbewältigte Vergangenheit‘ zunehmend in den Hintergrund.2 An ihre Stelle tritt eine ‚Zeit des Übergangs‘, in der Fragen der individuellen Erinnerung und des gesellschaftlichen Gedächtnisses, der (Un-)Möglichkeit eines wie auch immer denkbaren ‚Schlussstrichs‘ und eines ‚normalisierten‘ Umgangs mit der NS-Geschichte wichtiger werden. Wolf Biermanns in zahlreichen Songs vorgenommene Reflexionen über die Ermordung seines Vaters Dagobert in Auschwitz können als beispielhaft für diese Tendenzen gesehen werden. Insgesamt zeigen zahlreiche Werke das Bemühen, die Taten der Verantwortlichen des Nationalsozialismus in Erinnerung zu halten (etwa Franz Josef Degenhardts Es denken die Leute von gestern wieder an morgen) und die Leiden der Opfer (z.B. BAPs Jupp), die Handlungen der deutschen Widerstandskämpfer (so Konstantin Weckers Die weiße Rose) oder einzelne historische Ereignisse (wie beispielsweise den Madagaskar-Plan in Heinz Rudolf Kunzes Song Madagaskar) dem gesellschaftlichen Vergessen zu entziehen oder durch songhistoriographische Bewahrung erst erinnerbar zu machen. Nach der Wiedervereinigung 1989 werden diese Aspekte noch stärker mit dem Konzept und der Suche nach einer nationalen Identität verbunden. Konstantin Weckers Song Sturmbannführer Meier, Franz Josef Degenhardts Deutscher zu sein und BAPs Denn mer sinn widder wer sind nur drei aus einer großen Zahl von Songs, die die neue europäische Rolle der wiedervereinigten ‚selbstbewussten‘ Nation hinterfragen und gleichzeitig auf die Notwendigkeit weiterer Auseinandersetzung mit der nationalsozialistischen Vergangenheit hinweisen. Diese Vergegenwärtigung der Vergangenheit erstreckt sich nach 1989 auch auf eine Integration der ‚Leiden der Deutschen‘ in das kulturelle Gedächtnis und – v.a. angesichts rechtsextre2
Frei, Norbert: Deutsche Lernprozesse. S. 39.
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mistischer Gewalttaten – auf eine erneut verstärkte Warnung vor einer Wiederholung der Geschichte. Diese grob zusammengefassten Ausprägungen der Auseinandersetzung mit der Vergangenheit im politischen Song erhalten schärfere Konturen anhand der vorgenommenen Unterscheidung in vier Diskursstränge des Metadiskurses ‚Nationalsozialismus‘. An ihnen lassen sich die „jeweils geltenden öffentlichen Befindlichkeiten“ im bundesrepublikanischen Umgang mit dem NS-Regime ebenso wie Veränderungen und Konstanten klar erkennen.3 Dabei zeigen sich folgende Ergebnisse: Die Frage, wie die Entstehung und politische Durchsetzung des Nationalsozialismus erklärbar sei, als ‚historischer Diskurs‘ benannt, wird von den Songschreibern relativ homogen beantwortet. In den 60er und 70er Jahren herrscht eine systemkritische Bewertung vor, die von einer strukturellen Identität von Faschismus und Kapitalismus ausgeht. Das ‚szenische Oratorium‘ Proletenpassion der Band Die Schmetterlinge zeigt dies besonders deutlich. Auch wenn ab den 80er Jahren ergänzend eine Rezeption von Theorien der Massenpsychologie hinzukommt (wie in Konstantin Weckers: Einen braucht der Mensch zum Treten), bleiben doch kapitalistische Fehlentwicklungen grundlegend für die Erklärung der deutschen Geschichte. Bemerkenswert ist dabei zweierlei: Zum einen werden alternative Erklärungsmodelle wie z.B. der ‚Deutsche Sonderweg‘, sozialpolitische (Rainer Zitelmann) oder sozialpathologische (Daniel Goldhagen) Begründungen für die breite Unterstützung des Nationalsozialismus, schließlich auch geschichtspolitische Debatten wie der ‚Historikerstreit‘ nur wenig thematisiert. Mit einer systemkritischen Sichtweise geht außerdem eine Reduktion der Verantwortung Adolf Hitlers für die Errichtung des Regimes einher. Zum anderen fällt auf, wie weitgehend der historische Diskurs seit der Wiedervereinigung an Bedeutung verloren hat. So als wäre die Durchsetzung des NS-Regimes aufgearbeitet und umfassend erklärt, verzichten die Songschreiber ab 1989 weitgehend auf faschismustheoretische Analysen. Dies hängt sicherlich einerseits mit dem Eintritt der politischen Popmusik in den ‚Mainstream‘ zusammen, der es den Songschreibern nicht mehr ermöglicht, für ein halbwegs homogenes ‚linkes‘ Zielpublikum zu veröffentlichen; andererseits aber auch mit dem Zusammenbruch des ‚AlternativSystems‘ im Ostblock.
3
Diner, Dan: Über Schulddiskurse und andere Narrative. S. 61.
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Eine eher lineare Entwicklung zeigt sich hinsichtlich des Täter-Diskurses und der Frage nach Schuld und Verantwortung. Die Songs der 60er und 70er Jahre greifen vornehmlich herrschende Autoritäten und gesellschaftliche Instanzen wie Politik, Gerichtsbarkeit, Familie und Universität aufgrund ihres vermeintlich bruch- bzw. folgenlosen Übergangs von der NSZeit zur BRD an. Der Verlust von Mandat, Macht und gesellschaftlicher Meinungsführerschaft der ehemaligen Nationalsozialisten wird dann ab den 80er Jahren teils polemisch, teils karikaturistisch als Abschied von den ‚verdorbenen Greisen‘ inszeniert. Georg Danzers Song Der alte Wessely zeigt dies und führt dabei zugleich vor, ebenso wie auch Reinhard Fendrichs Alte Helden, dass die ehemaligen Nationalsozialisten durchaus weiterhin als Vorbilder der ‚Neuen Rechten‘ oder als geistige Brandstifter dienen können. Gerade die Entwicklung einer gewaltbereiten ‚Neuen Rechten‘ führt dazu, dass ab 1989 die satirische Demontage der Gefährlichkeit der alten Täter für die demokratische Gesellschaft zurückgenommen wird und sich Befürchtungen einer ‚Wiederauferstehung‘ mehren. Dies ist u.a. an der hohen Zahl von ‚Songs gegen Rechts‘ seit der ‚Wende‘ abzulesen. Ein besonders eindrückliches Beispiel für die Veränderungen des Täterdiskurses ist Heinz Rudolf Kunzes Der alte Herr, denn es schildert anhand eines ehemaligen Nationalsozialisten die Unmöglichkeit eines jeglichen Schlussstrichs für die Täter und die Opfer. Interessant ist, wie sorgfältig die Songschreiber seit den 60er Jahren durchgängig zwischen hauptverantwortlichen „Männer[n], die Geschichte machen“, und opportunistischen Mitläufern unterscheiden.4 Hierbei erliegen sie jedoch streckenweise der Gefahr, die breite gesellschaftliche Fundierung der NS-Ideologie zu übersehen. Insgesamt zeigt sich, dass das Benennen von Verantwortlichen und die Warnung vor ihren Epigonen einen ganz zentralen Bestandteil der Auseinandersetzung mit dem Nationalsozialismus ausmachen. Damit steht der politische Song der Bundesrepublik in Kontrast zur sonstigen Lyrikproduktion. Günter Navky schreibt als Fazit seiner Dissertation: Die Autoren aus dem Korpus beschäftigen sich vor allem mit den Opfern nationalsozialistischer Verbrechen und der Erinnerung an den II. Weltkrieg. Hingegen be-
4
Booklet des Albums: Biermann, Wolf: Eins in die Fresse, mein Herzblatt – live. Erschienen 1980.
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fassen sich die Lyriker quantitativ weniger oft mit den Tätern nationalsozialistischer Verbrechen und der schwierigen Frage nach Schuld und Verantwortung.5
Für die Songs von 1964 bis zur Gegenwart lässt sich dies nicht bestätigen. Eher ist das Umgekehrte der Fall: Die Auseinandersetzung mit Leidtragenden des Nationalsozialismus ist durch alle Jahrzehnte hindurch äußerst verkürzend. Kaum je kommen die größten Opfergruppen des NS-Regimes, Juden, Homosexuelle, Sinti und Roma, in den Blick der Songschreiber. Bereits lange vor den Debatten um die ‚Leiden der Deutschen‘ thematisieren die Songs fast ausschließlich ‚volksgemeinschaftlich‘ deutsche und vornehmlich politisch verfolgte Opfer. Während diese im Umfeld der 68erRevolte immer auch im Zusammenhang mit den weiterhin aktiven Tätern betrachtet werden (z.B. in Walter Mossmanns Ballade vom Matrosen Walter Gröger), löst sich diese Verknüpfung im Verlauf der 80er Jahre auf. Stattdessen wird der gesellschaftliche, d.h. auch didaktische und bei Wolf Biermann zudem poetologische Wert der Erinnerung an Opfer des Nationalsozialismus herausgestellt. In dieser ‚Zeit des Übergangs‘ deutet sich bereits der ‚neue deutsche Opferdiskurs‘ an, der nach der Wiedervereinigung zu einer weitreichenden Entdifferenzierung von Opfern und Tätern führt. An die Stelle einer konkreten Benennung von Schuldigen und Leidtragenden tritt nun die allgemeinmenschliche, pazifistisch-orientierte Darstellung des universalen Leids, das der Zweite Weltkrieg brachte. BAPs Song Ein für allemohle über den Luftkrieg auf Köln zeigt diese Tendenz exemplarisch. Damit aber entfernen sich die Songschreiber thematisch noch weiter von der massenhaften industriellen Tötung von Menschen als sie es ohnehin schon waren. Bis heute ist nur selten versucht worden, eine genuin songpoetische Auseinandersetzung mit dem Holocaust zu gestalten. Reflexionen über die gesellschaftliche Bedeutung der Beschäftigung mit der Vergangenheit und über die Möglichkeiten ‚aus der Geschichte zu lernen‘ werden besonders sichtbar anhand der Songs, die Teil des didaktischen Diskurses sind. Von Warnungen vor einer Restauration im Umfeld der 68er-Revolte über die Beschreibung scheiternder Vermittlungsprozesse in den 70er Jahren, die Kritik an der Verdrängung im Kontext des OstWest-Konflikts in den 80er Jahren bis hin zu den Warnungen vor der wiedervereinigten „selbstbewußten Nation“ ist die potentielle Wiederholbarkeit der Geschichte Grundkonstante des in den Songs vermittelten Geschichts5
Navky, Günter: Aspekte des Nationalsozialismus. S. 328.
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bildes. Dieter Süverkrüps Verkürzte Darstellung eines neuerlichen Deutschland-Erwachens aus dem Jahr 1967 unterscheidet sich hinsichtlich dieser potentiellen Wiederholbarkeit nicht grundlegend von Konstantin Weckers Song Ich habe Angst aus dem Jahr 1993, um nur zwei Beispiele anzuführen. In vielfachen Variationen betonen die Songschreiber die Notwendigkeit einer intensiven Auseinandersetzung mit der deutschen Vergangenheit. Auch wenn sich dabei im Verlauf der Jahrzehnte die Schwerpunkte verändern, von einer umfassenden Benennung gesellschaftlicher Missstände hin zu einer intensivierten Schilderung individueller Erlebnisse und der ‚Wende des Erinnerns‘, bleibt die nationalsozialistische Vergangenheit immer „das zentrale Bezugsereignis“ zur Analyse und Beschreibung der bundesrepublikanischen Gegenwart.6 Insgesamt kritisch zu bewerten ist die Tatsache, dass die Songschreiber die Ausdrucksebene ihrer Texte und ihrer Musik ebenso wie die inhaltlichen Aussagen nicht immer ausreichend reflektieren. So finden sich in vielen Songs drastische Simplifizierungen komplexer historischer Entwicklungen und individueller Lebensgeschichten, beispielsweise wenn die Band Die Schmetterlinge in der Proletenpassion den Reichskanzler Adolf Hitler zu einer ‚Marionette‘ des Großkapitals werden lässt. Häufig sind auch moralisch und analytisch fragwürdige Parallelisierungen des Nationalsozialismus und vor allem des Holocaust mit zeitgenössischen Geschehnissen zu finden oder werden historische Geschehnisse zu überzeitlichen Symbolen menschlichen Fehlverhaltens, z.B. wenn Wolfgang Niedecken die Kritik am ‚autoritären Charakter‘ der Deutschen in der Aussage gipfeln lässt: „Ess täglich Kristallnaach“ (Str. 6, V.10).7 Insbesondere der Politrock der 70er Jahre zeigt darüber hinaus die ästhetisch zweifelhafte Tendenz, die musikalische Ausdrucksebene nicht mehr eigenständig zu gestalten, sondern nur noch für die Vermittlung des Textinhalts zu funktionalisieren. Gesellschaftliche ‚Normalisierungstendenzen‘ wie die zunehmende Historisierung des NS-Regimes, die Vergleichbarkeit des Holocaust mit anderen Gewalttaten und damit letztlich das Verschwinden der Singularität des nationalsozialistischen ‚Zivilisationsbruchs‘ werden insgesamt und besonders ab den 80er
6 7
Schwab-Trapp, Michael: Konflikt, Kultur und Interpretation. S. 7. BAP: Kristallnaach. T.: Wolfgang Niedecken/M.: Manfred Boecker, Wolly Boecker, Steve Borg, Alexander Büchel, Klaus Heuser, Hans Wollrath. Aus dem Album: Vun drinne noh drusse. Erschienen 1982.
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Jahren vielfach unreflektiert übernommen oder gar z.B. von Heinz Rudolf Kunze als ‚tabu-brechend‘ bewusst befördert. Bei aller Kritik jedoch lässt sich aus den Songs der letzten vierzig Jahre eine komplexe, varianten- und abwechslungsreiche Geschichte des Versuchs politischer Einflussnahme auf die Gesellschaft, ihre Gegenwart und ihren Umgang mit der Vergangenheit ablesen. Gerade weil der Song in einem komplexen Geflecht aus massenmedialen, kulturindustriellen und populärkulturellen Verwertungs-, Präsentations- und Vermittlungszusammenhängen steht, ist es bemerkenswert, wie gründlich und ästhetisch vielseitig sich die Songschreiber zu Entstehungsbedingungen, Tätern und Opfern und Fragen der Vergegenwärtigung der nationalsozialistischen Vergangenheit äußern. Diese Untersuchung versteht sich als ein erster Ansatz, das immense Spektrum politischer Songproduktion wissenschaftlich zu durchdringen. Dabei wurden sowohl subkulturelle bzw. kommerziell-geringwertigere Genres wie z.B. die Punk-, Industrial-, Neo-Folk und Gothic-Musik als auch Formen, die mit der vorgeschlagenen Gattungsdefinition ‚Song‘ nicht erfassbar waren, wie der Hip Hop/Rap und die elektronische Tanzmusik, ausgelassen. Die in diesen Produktionen formulierten Reflexionen der Vergangenheit aufzuarbeiten, ebenso wie die Auseinandersetzung mit dem Nationalsozialismus in den politischen Songs der ehemaligen DDR und auch in den Auswürfen des ‚Rechtsrock‘ sind wissenschaftliche Desiderate. Stärker komparatistisch orientierte Ansätze, die z.B. die deutschsprachigen Werke mit internationalen Produktionen konfrontierten oder solche, die einen Fokus auf die Unterschiede und Gemeinsamkeiten von Lyrik und Song nach/über Auschwitz setzten, wären ergiebige zukünftige Forschungsfelder. Angesichts neuer weltweiter kriegerischer Konflikte und anti-demokratischer Entwicklungen, angesichts auch weiterhin verbreiteter fremdenfeindlicher Denkweisen in der bundesrepublikanischen Bevölkerung und zunehmender globaler Vernetzung der ‚neuen Rechten‘ bleibt die Beschäftigung mit der deutschen Vergangenheit auch mehr als 60 Jahre nach Zusammenbruch des nationalsozialistischen Regimes ein wichtiges Themenfeld für die politischen Songschreiber. Wie valent dabei auch im neuen Jahrtausend die Sorge vor einer potentiellen Wiederholbarkeit der Geschichte und den sie befördernden gesellschaftlichen Tendenzen der Verdrängung, der ‚Normalisierung‘ und des ‚Schlussstrich-Ziehens‘ ist, zeigt
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zum Abschluss ein Textausschnitt der Berliner Band Wir sind Helden aus dem Jahr 2007:8 Der Krieg kommt schneller zurück als du denkst Du kriegst zurück was du verdrängst Der Krieg kommt schneller zurück als du denkst (Ref. 1, V.1-3)
8
Wir sind Helden: Der Krieg kommt schneller zurück als du denkst. T.: Judith Holofernes/M.: Judith Holofernes, Mark Tavassol, Jean-Michel Tourette. Aus dem Album: Soundso. Erschienen 2007.
III.
Es wird immer weiter geh’n Musik als Träger von Ideen KRAFTWERK/TECHNO POP
Literaturverzeichnis
Q UELLENVERZEICHNIS Songs/Alben Die Angaben zu Texter und Komponist entsprechen der urheberschutzrechtlichen Registrierung bei der „Gesellschaft für musikalische Aufführungs- und mechanische Vervielfältigungsrechte“ (GEMA), auch wenn die Angaben in den Album-Booklets teilweise abweichen oder unterschiedliche Künstlernamen verwendet werden.
ABWÄRTS: Computerstaat. T.: Frank Ziegert/M.: Axel Dill, Frank Martin Strauß, Frank Zieger. Aus der EP: Computerstaat. Erschienen 1980. BAP: Ahl Männer, aalglatt. T.: Wolfgang Niedecken/M.: Klaus Heuser, Alexander Büchel. Aus dem Album: Ahl Männer, aalglatt. Erschienen 1986. Amerika. T.: Wolfgang Niedecken/M.: Klaus Heuser. Aus dem Album: Amerika. Erschienen 1996. Dä letzte Winter em letzte Kreech. T./M.: Wolfgang Niedecken. Aus dem Album: Radio Pandora – Unplugged Version. Erschienen 2008. Denn mir sinn widder wer. T.: Wolfgang Niedecken/M.: Klaus Heuser. Aus dem Album: X für e’ U. Erschienen 1990. Ein für allemohle. T.: Wolfgang Niedecken/M.: Helmut Krumminga. Aus dem Album: Sonx. Erschienen 2004. Jojo. T.: Wolfgang Niedecken/M.: Manfred Boecker, Alexander Büchel, Jan Dix, Klaus Heuser, Stefan Kriegeskorte, Hans Wollrath. Aus dem Album: Zwesche Salzjebäck un Bier. Erschienen 1984. Jupp. T.: Wolfgang Niedecken/M.: Klaus Heuser. Aus dem Album: Für Usszeschnigge. Erschienen 1981.
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Kristallnaach. T.: Wolfgang Niedecken/M.: Manfred Boecker, Wolly Boecker, Steve Borg, Alexander Büchel, Klaus Heuser, Hans Wollrath. Aus dem Album: Vun drinne noh drusse. Erschienen 1982; Kristallnaach (Live Version 1982). Aus dem Album: Live. Bess demnähx. Erschienen 1982; Kristallnaach (Live Version 2002). Aus dem Album: Överall. Erschienen 2002; Kristallnaach (Version 2005). Aus dem Album: Dreimal zehn Jahre. Erschienen 2005; Kristallnaach (Live Version 2009). Aus dem Album: Live und in Farbe. Erschienen 2009. Songs sinn Dräume. T.: Wolfgang Niedecken/M.: Michael Nass. Aus dem Album: Radio Pandora – Unplugged Version. Erschienen 2008. BAYER, Thommie: Null Uhr drei/Die alten Kameraden. T./M.: Thommie Bayer. Aus dem Album: Abenteuer. Erschienen 1979. BEGEMANN, Bernd: Bis Du den Richtigen triffst, nimm mich. T./M.: Bernd Begemann. Aus dem Album: Endlich. Erschienen 2003. Der Junge, der nie mein Onkel wurde. T./M.: Bernd Begemann. Aus dem Album: Rezession, Baby! Erschienen 1993. Hitler – menschlich gesehen. T./M.: Bernd Begemann. Aus dem Album: Rezession, Baby! Erschienen 1993. Unsere Band ist am Ende. T./M.: Bernd Begemann. Aus dem Album: Unsere Liebe ist ein Aufstand. Erschienen 2004. BERBUER, Karl: Trizonesien-Song. T./M.: Karl Berbuer. Aus dem Album: 100 Gassenhauer. Historische Tonaufnahmen. Erschienen 2003, entstanden 1948. BIERLING, Thomas/LEHEL, Peter/WEIS, Eva: Recht harmonisch. Das vertonte Grundgesetz. Erschienen 2005. BIERMANN, Wolf: Ballade vom preußischen Ikarus. T./M.: Wolf Biermann. Aus dem Album: Trotz alledem! Erschienen 1978. Ballade von den verdorbenen Greisen. T./M.: Wolf Biermann. Aus dem Album: Gut Kirschenessen. DDR – ça ira! Erschienen 1990. Ballade von der Elbe bei Hamburg. T./M.: Wolf Biermann. Aus dem Album: Süßes Leben – saures Leben. Erschienen 1996. Brecht. Deine Nachgeborenen. Erschienen 1999. Das Familienbad (Der nette fette Vater). T./M.: Wolf Biermann. Aus dem Album: Wolf Biermann (Ost) zu Gast bei Wolfgang Neuss (West). Erschienen 1965; Das Familienbad (Der nette fette Vater) (Version 1977). Aus dem Album: Der Friedensclown. Lieder für Menschenkinder. Erschienen 1977.
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Der Hugenottenfriedhof. T./M.: Wolf Biermann. Aus dem Album: Warte nicht auf beßre Zeiten. Erschienen 1973. Deutsches Wanderlied. T./M.: Wolf Biermann. Eins in die Fresse, mein Herzblatt – live. Erschienen 1980. Die hab ich satt! T./M.: Wolf Biermann. Aus dem Album: Chausseestraße 131. Erschienen 1968. Drei Kugeln auf Rudi Dutschke. T./M.: Wolf Biermann. Aus der EP: Vier neue Lieder. Erschienen 1968. Für einen faulen Fan. T./M.: Wolf Biermann. Aus dem Album: Eins in die Fresse, mein Herzblatt – live. Erschienen 1980. Gemütlicher Faschismus. T./M.: Wolf Biermann. Aus dem Album: Eins in die Fresse, mein Herzblatt – live. Erschienen 1980. Gesamtdeutscher Strauß. T./M.: Wolf Biermann. Aus dem Album: Eins in die Fresse, mein Herzblatt – live. Erschienen 1980. Gesang für meine Genossen. T./M.: Wolf Biermann. Aus dem Album: Im Hamburger Federbett oder Der Schlaf der Vernunft bringt Ungeheuer hervor. Erschienen 1983. Gräber. T./M.: Wolf Biermann. Aus dem Album: Gut Kirschenessen. DDR – ca ira! Erschienen 1990. Großes Gebet der alten Kommunistin Oma Meume in Hamburg. T./M.: Wolf Biermann. Aus dem Album: Chausseestraße 131. Erschienen 1968. Hanseatische Idylle. T./M.: Wolf Biermann. Aus dem Album: Trotz alledem! Erschienen 1978. Ich leb mein Leben, sagt Eva-Marie. Ballade vom wiederholten Abtreiben. T./M.: Wolf Biermann. Aus dem Album: Wir müssen vor Hoffnung verrückt sein. Erschienen 1982. Im Steinbruch der Zeit. T./M.: Wolf Biermann. Aus dem Album: Paradies uff Erden. Ein Berliner Bilderbogen. Erschienen 1999. Jan Gat unterm Himmel in Rotterdam. T./M.: Wolf Biermann. Aus dem Album: Gut Kirschenessen. DDR – ça ira! Erschienen 1990. Jetzt klagen sie groß über Terror. T./M.: Wolf Biermann. Aus dem Album: Trotz alledem! Erschienen 1978. Lamento. T./M.: Wolf Biermann. Aus dem Album: Nur wer sich ändert. Erschienen 1991. Lied von den bleibenden Werten. T./M.: Wolf Biermann. Aus dem Album: Warte nicht auf beßre Zeiten. Erschienen 1973.
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S & S. T./M.: Wolf Biermann. Aus dem Album: Eins in die Fresse, mein Herzblatt – live. Erschienen 1980. Schlaflied für Tanepen. T./M.: Wolf Biermann. Aus dem Album: Eins in die Fresse, mein Herzblatt – live. Erschienen 1980. Schuften. T./M.: Wolf Biermann. Aus dem Album: Im Hamburger Federbett oder Der Schlaf der Vernunft bringt Ungeheuer hervor. Erschienen 1983. Soldat Soldat. T.: Wolf Biermann/M.: Trad. Aus dem Album: Eins in die Fresse, mein Herzblatt – live. Erschienen 1980. Song von den Jahreszeiten. T./M.: Wolf Biermann. Aus dem Album: Eins in die Fresse, mein Herzblatt – live. Erschienen 1980. Starfighter. T./M.: Wolf Biermann. Aus dem Album: Eins in die Fresse, mein Herzblatt – live. Erschienen 1980. Tod in Altona. T./M.: Wolf Biermann. Aus dem Album: Süßes Leben – saures Leben. Erschienen 1996. Trotz alledem. T./M.: Wolf Biermann. Aus dem Album: Eins in die Fresse, mein Herzblatt – live. Erschienen 1980. Vier Variationen zu Strauß. Schlaflied – Grünes Gegengedicht – Rote Gegenfrage – Schwarzes Liedchen. T./M.: Wolf Biermann. Aus dem Album: Eins in die Fresse, mein Herzblatt – live. Erschienen 1980. Vom Lesen in den Innereien. T./M.: Wolf Biermann. Aus dem Album: Seelengeld. Erschienen 1986. BIERMÖSLN BLOSN: Das Europafest. T.: Hans Well/M.: Trad. Aus dem Album: Jodelhorrormonstershow (live). Erschienen 1991. BLÄCK FÖÖSS: Edelweißpirate. T.: Rolly Brings/M.: Thomas Richard Engel, Reiner Hömig, Günter Lückerath, Hartmut Priess, Wilhelm Schnitzler, Peter Schütten, Ernst Stoklosa. Aus dem Album: Immer wigger. Erschienen 1983. BLUMFELD: Deutschland der Deutschen. T./M.: Jochen Distelmeyer. Aus dem Album: Ein Lied mehr – Various Recordings. Erschienen 2007. Von der Unmöglichkeit „Nein“ zu sagen. T./M.: Jochen Distelmeyer. Aus dem Album: Ich-Maschine. Erschienen 1992. Zeittotschläger. T./M.: Jochen Distelmeyer. Aus dem Album: IchMaschine. Erschienen 1992. BOGLE, Eric: No Man’s Land. T./M.: Eric Bogle. Aus dem Album: By Request. Erschienen 2001, entstanden 1976.
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BRANNASKY, Wolf: Soldaten sind nicht alle gleich. T./M.: Wolf Brannasky. Entstanden 1971. BRASSENS, Georges: Le gorille. T./M.: Georges Charles Brassens, Lucien Eugene Metehen. Aus dem Album: La mauvaise réputation. Erschienen 1952. BRINGS: Levve – Yasamak (Ali). T.: Peter Brings, Rolly Brings, Stefan Brings/M.: Harry Alfter, Peter Brings, Stefan Brings, Matthias Gottschalk, Klaus Heuser. Aus dem Album: Kasalla. Erschienen 1992. Stop ’93. T.: Rolly Brings, Peter Brings, Stefan Brings/M.: Harry Alfter, Peter Brings, Stefan Brings. Aus dem Album: Hex’n’Sex. Erschienen 1993. BUSCH, Ernst: Der heimliche Aufmarsch. T.: Erich Weinert/M.: Hanns Eisler. Aus dem Album: Ernst Busch. Lieder der Arbeiterklasse & Lieder aus dem spanischen Bürgerkrieg. Erschienen 1989. Entstanden 1938. CHECKPOINT CHARLIE: Hitler in Dosen. T.: Uli Becker, Uwe von Trotha/M.: Jürgen Bräutigam, Wilfried Sahm, Lothar Stahl. Aus dem Album: Checkpoint Charlie – die Durchsichtige. Erschienen 1979. DAF: Der Mussolini. T.: Gabi Delgado-Lopez/M.: Robert Görl. Aus dem Album: Alles ist gut. Erschienen 1981. Die lustigen Stiefel. T./M.: Gabi Delgado-Lopez, Robert Görl, Chris Haas, Wolfgang Spelmanns. Aus dem Album: Die Kleinen und die Bösen. Erschienen 1980. DANZER, Georg: Der alte Wessely. T./M.: Georg Danzer. Aus dem Album: Traurig aber wahr. Erschienen 1980. Der Himmel über Amsterdam. T./M.: Georg Danzer. Aus dem Album: Nahaufnahme. Erschienen 1993. Die letzte Eisenbahn (für meinen Großvater). T./M.: Georg Danzer. Aus dem Album: Danzer, Dean und Dracula. Erschienen 1975. Raucher. T./M.: Georg Danzer. Aus dem Album: Rufzeichen. Erschienen 1989. DEGENHARDT, Franz Josef: 40. T./M.: Franz Josef Degenhardt. Aus dem Album: Mutter Mathilde. Erschienen 1972. Abendlied. T./M.: Franz Josef Degenhardt. Aus dem Album: Diverse: Die Burg Waldeck Festivals 1964-1969. CD 3: 1965. Erschienen 2008. An der Haltestelle. T./M.: Franz Josef Degenhardt. Aus dem Album: Aus dem Tiefland. Erschienen 1994.
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Aus der Gruft heraus. T./M.: Franz Josef Degenhardt. Aus dem Album: Wer jetzt nicht tanzt. Erschienen 1990. Ballade vom Edelweißpiraten Nevada-Kid. T./M.: Franz Josef Degenhardt. Aus dem Album: Du bist anders als die anderen. Erschienen 1982. Befragung eines Kriegsdienstverweigerers. T./M.: Franz Josef Degenhardt. Aus dem Album: Mutter Mathilde. Erschienen 1972. Belehrung nach Punkten. Befragung eines Lehramtskandidaten im Rahmen eines Anhörungsverfahren durch einen Herrn aus Bonn ohne falschen Bart und in Anwesenheit eines Regierungsdirektors, SPD. T./M.: Franz Josef Degenhardt. Aus dem Album: Mit aufrechtem Gang. Erschienen 1975. Bon la France. T./M.: Franz Josef Degenhardt. Aus dem Album: Der Wind hat sich gedreht im Land. Erschienen 1980. Danse Allemande. T./M.: Franz Josef Degenhardt. Aus dem Album: Aus dem Tiefland. Erschienen 1994. Der anachronistische Zug oder Freiheit, die sie meinen. T./M.: Franz Josef Degenhardt. Aus dem Album: Kommt an den Tisch unter Pflaumenbäumen. Erschienen 1973. Der Bauchladenmann. T./M.: Franz Josef Degenhardt. Aus dem Album: Rumpelstilzchen. Erschienen 1963. Der schwarze Mann. T./M.: Franz Josef Degenhardt. Aus dem Album: Spiel nicht mit den Schmuddelkindern. Erschienen 1965. Der Stenz. T./M.: Franz Josef Degenhardt. Aus dem Album: Sie kommen alle wieder – oder? Erschienen 1998. Der Talisman. T./M.: Franz Josef Degenhardt. Aus dem Album: Wenn der Senator erzählt… Erschienen 1968. Deutscher Sonntag. T./M.: Franz Josef Degenhardt. Aus dem Album: Spiel nicht mit den Schmuddelkindern. Erschienen 1965. Deutscher zu sein. T./M.: Franz Josef Degenhardt. Aus dem Album: Und am Ende wieder leben. Erschienen 1992. Deutsches Bekenntnis (alle 30 bis 50 Jahre zu wiederholen). T./M.: Franz Josef Degenhardt. Aus dem Album: Wer jetzt nicht tanzt. Erschienen 1990. Die alten Lieder. T./M.: Franz Josef Degenhardt. Aus dem Album: Wenn der Senator erzählt… Erschienen 1968.
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Die Kumpanen von Horsti Schmandhoff. T./M.: Franz Josef Degenhardt. Aus dem Album: Wallfahrt zum Big Zeppelin (live). Erschienen 1971. Drumherumgerede. T./M.: Franz Josef Degenhardt. Aus dem Album: Der Wind hat sich gedreht im Land. Erschienen 1980. Eigentlich unglaublich (dass ihnen das immer wieder gelingt). T./M.: Franz Josef Degenhardt. Aus dem Album: …weiter im Text. Erschienen 1996. Emigranten-Choral. T.: Walter Mehring/M.: Franz Josef Degenhardt. Aus dem Album: Mit aufrechtem Gang. Erschienen 1975. Erleuchtung. T./M.: Franz Josef Degenhardt. Aus dem Album: Nocturn. Erschienen 1993. Es denken die Leute von gestern wieder an morgen. T./M.: Franz Josef Degenhardt. Aus dem Album: Du bist anders als die anderen. Erschienen 1982. Fast autobiographischer Lebenslauf eines Westdeutschen Linken. T./M.: Franz Josef Degenhardt. Aus dem Album: Im Jahr der Schweine. Erschienen 1969. Für wen ich singe. T./M.: Franz Josef Degenhardt. Aus dem Album: Wenn der Senator erzählt… Erschienen 1968. Glasbruch. T./M.: Franz Josef Degenhardt. Aus dem Album: Du bist anders als die anderen. Erschienen 1982. Große Schimpflitanei. T./M.: Franz Josef Degenhardt. Aus dem Album: Kommt an den Tisch unter Pflaumenbäumen. Erschienen 1973. Hier im Innern des Landes. T./M.: Franz Josef Degenhardt. Aus dem Album: Degenhardt live. Erschienen 1968. Horsti Schmandhoff. T./M.: Franz Josef Degenhardt. Aus dem Album: Väterchen Franz. Erschienen 1966. In den guten alten Zeiten. T./M.: Franz Josef Degenhardt. Aus dem Album: Väterchen Franz. Erschienen 1966. Jugendfreunde. T./M.: Franz Josef Degenhardt. Aus dem Album: Quantensprung. Erschienen 2002. Nach 30 Jahren zurückgekehrt. T./M.: Franz Josef Degenhardt. Aus dem Album: Lullaby zwischen den Kriegen. Erschienen 1983. Notar Bolamus. T./M.: Franz Josef Degenhardt. Aus dem Album: Wenn der Senator erzählt… Erschienen 1968.
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Olle Klaas. T./M.: Franz Josef Degenhardt. Aus dem Album: Aus dem Tiefland. Erschienen 1994. Quantensprung. T./M.: Franz Josef Degenhardt. Aus dem Album: Quantensprung. Erschienen 2002. Rudi Schulte. T./M.: Franz Josef Degenhardt. Aus dem Album: Die Wallfahrt zum Big Zeppelin (live). Erschienen 1971. Rumpelstilzchen. T./M.: Franz Josef Degenhardt. Aus dem Album: Rumpelstilzchen. Erschienen 1963. Serenade. T./M.: Franz Josef Degenhardt. Aus dem Album: Aus dem Tiefland. Erschienen 1994. So sind die Zeiten. T./M.: Franz Josef Degenhardt. Aus dem Album: Café nach dem Fall. Erschienen 2000. So sind hier die Leute. T./M.: Franz Josef Degenhardt. Aus dem Album: Wenn der Senator erzählt… Erschienen 1968. Spaziergang. T./M.: Franz Josef Degenhardt. Aus dem Album: Väterchen Franz. Erschienen 1966. Spiel nicht mit den Schmuddelkindern. T./M.: Franz Josef Degenhardt. Aus dem Album: Spiel nicht mit den Schmuddelkindern. Erschienen 1965. Tango du Midi. T./M.: Franz Josef Degenhardt. Aus dem Album: Lullaby zwischen den Kriegen. Erschienen 1983. Tanz im Freien. T./M.: Franz Josef Degenhardt. Aus dem Album: Café nach dem Fall. Erschienen 2000. Tarantella. T./M.: Franz Josef Degenhardt. Aus dem Album: Rumpelstilzchen. Erschienen 1963; Tarantella (Live Version). Aus dem Album: Diverse: Die Burg Waldeck Festivals 1964-1969. CD 1: 1964. Erschienen 2008. Trink aus, Katrin. T./M.: Franz Josef Degenhardt. Aus dem Album: Vorsicht Gorilla. Erschienen 1985. Unser Land. T./M.: Franz Josef Degenhardt. Aus dem Album: Der Wind hat sich gedreht im Land. Erschienen 1980. Väterchen Franz. T./M.: Franz Josef Degenhardt. Aus dem Album: Väterchen Franz. Erschienen 1966. Vatis Argumente (Ärmel aufkrempeln – Zupacken – Aufbauen). T./M.: Franz Josef Degenhardt. Aus dem Album: Für wen ich singe. Erschienen 1968.
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Vom Machen, Schreiben, Lesen. T./M.: Franz Josef Degenhardt. Aus dem Album: Im Jahr der Schweine. Erschienen 1969. Weltkrieg Nr. 1. T.: Georges Brassens. Übersetzung: Franz Josef Degenhardt/M.: Georges Brassens. Aus dem Album: Junge Paare auf Bänken. Erschienen 1986. Wenn der Senator erzählt… T./M.: Franz Josef Degenhardt. Aus dem Album: Wenn der Senator erzählt… Erschienen 1968. Wilde Gesellen. T.: Ernst Busch/M.: Fritz Sotke. Aus dem Album: Café nach dem Fall. Erschienen 2000. Wildledermantelmann. T./M.: Franz Josef Degenhardt. Aus dem Album: Wildledermantelmann. Erschienen 1977. Wölfe mitten im Mai. T./M.: Franz Josef Degenhardt. Aus dem Album: Spiel nicht mit den Schmuddelkindern. Erschienen 1965. Wolgograd. T./M.: Franz Josef Degenhardt. Aus dem Album: Mit aufrechtem Gang. Erschienen 1975. Zündschnüre-Song. T./M.: Franz Josef Degenhardt. Aus dem Album: Mit aufrechtem Gang. Erschienen 1975. DELAY, Jan: Kartoffeln. T./M.: Jan Eißfeldt. Aus dem Album: MercedesDance. Erschienen 2006. www.hitler.de. T.: Jan Eißfeldt/M.: Jochen Niemann. Aus dem Album: Searching for the Jan Soul Rebels. Erschienen 2001. DETER, Ina: 40 Jahre danach. T./M.: Ingrid Deter. Aus dem Album: Aller Anfang sind wir. Erschienen 1981. Als ich begriffen hatte. T./M.: Ingrid Deter. Aus dem Album: Wenn wir den Neid besiegen. Erschienen 1979. Neue Männer braucht das Land. T./M.: Ingrid Deter. Aus dem Album: Neue Männer braucht das Land. Erschienen 1982. DIE ÄRZTE: Ein Sommer nur für mich. T./M.: Farin Urlaub. Aus dem Album: Runter mit den Spendierhosen, Unsichtbarer! Erschienen 2000. Rebell. T./M.: Farin Urlaub. Aus dem Album: 13. Erschienen 1998. Schrei nach Liebe. T./M.: Dirk Felsenheimer, Farin Urlaub. Aus dem Album: Die Bestie in Menschengestalt. Erschienen 1993. Widerstand. T.: Farin Urlaub/M.: Bela Barney Felsenheimer, Rodrigo Gonzalez, Farin Urlaub. Aus dem Album: 5,6,7,8 Bullenstaat. Erschienen 2001.
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DIE PUHDYS: Hiroshima. T.: David Morgan, Übersetzung: Wolfgang Tilgner/M.: David Morgan. Aus dem Album: Computerkarriere. Erschienen 1982. Ich will nicht vergessen. T.: Burkhard Lasch/M.: Dieter Birr, Peter Meyer. Aus dem Album: Das Buch. Erschienen 1984. DIE SCHMETTERLINGE: Der Funke fliegt. T.: Heinz Rudolf Unger/M.: Georg Herrnstadt, Wilhelm Resetarits. Aus dem Album: Proletenpassion. Erschienen 1977. Der Schuß von hinten. T.: Heinz Rudolf Unger/M.: Georg Herrnstadt, Wilhelm Resetarits. Aus dem Album: Proletenpassion. Erschienen 1977. Drei rote Pfiffe. T.: Heinz Rudolf Unger/M.: Georg Herrnstadt, Wilhelm Resetarits. Aus dem Album: Herbstreise. Erschienen 1979. Faschismuslied des Geschichtslehrers. T.: Heinz Unger/M.: Georg Herrnstadt, Wilhelm Resetarits. Aus dem Album: Die Proletenpassion. Erschienen 1977. Hitlers Blues. T.: Heinz Rudolf Unger/M.: Trad. Aus dem Album: Proletenpassion. Erschienen 1977. Lied des Geschichtslehrers. T.: Heinz Rudolf Unger/M.: Georg Herrnstadt, Wilhelm Resetarits. Aus dem Album: Proletenpassion. Erschienen 1977. Lied vom A-Sager. T.: Heinz Rudolf Unger/M.: Georg Herrnstadt, Wilhelm Resetarits. Aus dem Album: Proletenpassion. Erschienen 1977. Lied von Krupp und Thyssen. T.: Heinz Rudolf Unger/M.: Georg Herrnstadt, Wilhelm Resetarits. Aus dem Album: Proletenpassion. Erschienen 1977. Warte, warte nur ein Weilchen. T.: Claus-Peter Lieckfeld/M.: Georg Herrnstadt, Wilhelm Resetarits. Aus dem Album: Herbstreise. Erschienen 1979. DIE TOTEN HOSEN: Sascha, ein aufrechter Deutscher. T./M.: Andreas Frege, Hanns Christian Müller. Aus dem Album: Kauf mich. Erschienen 1993. Spielzeugland. T.: Andreas Frege/M.: Andreas Meurer. Aus dem Album: Damenwahl. Erschienen 1986. DIVERSE: Best of MTV Unplugged. Erschienen 2002. Die Burg Waldeck Festivals 1964-1969. Erschienen 2008. Protestsongs.de. Erschienen 2004.
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DYLAN, Bob: A hard Rain’s gonna fall. T./M.: Bob Dylan. Aus dem Album: The Freewheelin’ Bob Dylan. Erschienen 1963. All along the Watchtower. T./M.: Bob Dylan. Aus dem Album: John Wesley Harding. Erschienen 1967. Ballad of a Thin Man. T./M.: Bob Dylan. Aus dem Album: Highway 61 Revisited. Erschienen 1967. Masters of War. T./M.: Bob Dylan. Aus dem Album: The Freewheelin’ Bob Dylan. Erschienen 1963. EINSTÜRZENDE NEUBAUTEN: Die Befindlichkeit des Landes. T.: Blixa Bargeld/M.: Jochen Arbeit, Blixa Bargeld, Andrew Chudy, Alexander Hacke, Rudolph Moser. Aus dem Album: Silence is sexy. Erschienen 2000. Feurio! T.: Blixa Bargeld/M.: Blixa Bargeld, Andrew Chudy, Mark Chung, Alexander Hacke, Frank Martin Strauß. Aus dem Album: Haus der Lüge. Erschienen 1989. ERSTE ALLGEMEINE VERUNSICHERUNG: Heimatlied – Wir marschieren. T.: Thomas Spitzer/M.: Gerhard Breit, Klaus Eberhartinger, Nino Holm, Günter Schönberger, Thomas Spitzer. Aus dem Album: Kann denn Schwachsinn Sünde sein? Erschienen 1988. Sofa. T.: Thomas Spitzer/M.: Gerhard Breit, Klaus Eberhartinger, Nino Holm, Günter Schönberger, Thomas Spitzer. Aus dem Album: Spitalo fatalo. Erschienen 1983. Wir marschieren. T./M.: Thomas Spitzer. Aus dem Album: Café passé. Erschienen 1981. EXTRABREIT: Der Führer schenkt den Klonen eine Stadt. T./M.: Wolfgang Jäger Ramig, Stefan Kleinkrieg, Rolf Moeller, Ulrich Ruhwedel, Kay-Oliver Schlasse. Aus dem Album: Welch ein Land – Was für Männer. Erschienen 1981. Learning Deutsch. T./M.: Wolfgang Jäger Ramig, Stefan Kleinkrieg, Kay-Oliver Schlasse. Aus dem Album: Europa. Erschienen 1983. FENDRICH, Reinhard: Alte Helden. T./M.: Reinhard Fendrich. Aus dem Album: Auf und davon. Erschienen 1983. FLOH DE COLOGNE: Arbeit macht Freitag. T.: Gerd Ulrich Wollschon/M.: Dick Städtler. Aus dem Album: Fließbandbabys Beat-Show. Erschienen 1970. Armer junger Krupp. T.: Gerd Ulrich Wollschon/M.: Dick Städtler. Aus dem Album: Fließbandbabys Beat-Show. Erschienen 1970.
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Die erste Million. T.: Theo König/M.: Dick Städtler. Aus dem Album: Faaterland. Erschienen 1983. Ein polnischer Knecht. T.: Theo König/M.: Dick Städtler. Aus dem Album: Koslowsky. Erschienen 1983. Faaterland. T.: Theo König/M.: Dick Städtler. Aus dem Album: Faaterland. Erschienen 1983. GEBRÜDER ENGEL: Sie fangen wieder an. T./M.: Thomas PaßmannEngel, Axel Schulz, Steffi Stephan. Aus dem Album: Magengesicht. Erschienen 1980. GENESIS: Supper’s Ready.: T./M.: Anthony George Banks, Phil Collins, Peter Brian Gabriels, Steve Hackett, Michael Rutherford. Aus dem Album: Foxtrott. Erschienen 1972. GRÖNEMEYER, Herbert: Die Härte. T./M.: Herbert Grönemeyer. Aus dem Album: Chaos. Erschienen 1993. Lied 1: Ein Stück vom Himmel. T./M.: Herbert Grönemeyer. Aus dem Album: 12. Erschienen 2007. Lied 2: Kopf hoch, Tanzen. T./M.: Herbert Grönemeyer. Aus dem Album: 12. Erschienen 2007. Mensch. T./M.: Herbert Grönemeyer. Aus dem Album: Mensch. Erschienen 2002. Neuland. T./M.: Herbert Grönemeyer. Aus dem Album: Mensch. Erschienen 2002. Tanzen. T./M.: Herbert Grönemeyer. Aus dem Album: Sprünge. Erschienen 1986. HENSCH, Friedel & die Cyprys: Über’s Jahr, wenn die Kornblumen blühen. T./M.: Ernst Bader, Werner Cyprys. Aus dem Album: Deutsche Schlager 1949-1956. Erschienen 2006, entstanden 1951. HOFFMANN, Klaus: Die Männer meiner Mutter. T.: Klaus Hoffmann/M.: Klaus Hoffmann, Hawo Bleich. Aus dem Album: Insellieder. Erschienen 2002. Die Melodie. T./M.: Klaus Hoffmann. Aus dem Album: Westend. Erschienen 1979. Land des Lächelns. T./M.: Klaus Hoffmann. Aus dem Album: Erzählungen. Erschienen 1995. Nein. T./M.: Klaus Hoffmann. Aus dem Album: Klaus Hoffmann – Ein Konzert. Erschienen 1989.
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Stein auf Stein. T./M.: Klaus Hoffmann. Aus dem Album: Zeit zu leben. Erschienen 1991. JACKSON, Michael: Beat it. T./M.: Michael Jackson. Aus dem Album: Thriller. Erschienen 1983. JALDATI, Lin: Ist das alles schon wieder vergessen. T.: Walther Demel/M.: Siegfried Mattus. Aus dem Album: Diverse: Die Burg Waldeck Festivals 1964-1969. CD 3: 1965. Erschienen 2008. JÜRGENS, Udo: Auf der Straße der Vergessenheit. T.: Eckart Hachfeld, Udo Jürgens/M.: Udo Jürgens. Aus dem Album: Zeig mir den Platz an der Sonne. Erschienen 1971; Auf der Straße der Vergessenheit (Version 2000). Aus dem Album: Mit 66 (Was wichtig ist…). Erschienen 2000. Lieb Vaterland. T.: Eckart Hachfeld/M.: Udo Jürgens. Aus der Single: Lieb Vaterland. Erschienen 1971. KITTNER, Dietrich: Wir packen’s an. T.: Dietrich Kittner/M.: Otto Stranzky. Aus dem Album: Wir packen’s an. Erschienen 1971. KRAFTWERK: Die Mensch-Maschine. T.: Ralf Hütter/M.: Ralf Hütter, Karl Bartos. Aus dem Album: Die Mensch-Maschine. Erschienen 1978. KUNZE, Heinz Rudolf: Balkonfrühstück. T.: Heinz Rudolf Kunze/M.: Heinz Rudolf Kunze, Mick Franke. Aus dem Album: Reine Nervensache. Erschienen 1981. Der alte Herr. T./M.: Heinz Rudolf Kunze. Aus dem Album: Brille. Erschienen 1991. Deutschland (Verlassen von allen guten Geistern). T./M.: Heinz Rudolf Kunze. Aus dem Album: Die Städte sehen aus wie schlafende Hunde. Erschienen 1984; Deutschland (Verlassen von allen guten Geistern) (Version 90). Aus dem Album: Sternzeichen Sündenbock. Erschienen 1991. Die kommen immer wieder. T.: Heinz Rudolf Kunze/M.: Heinz Rudolf Kunze, Hendrik Schaper. Aus dem Album: Eine Form von Gewalt. Erschienen 1982. Die langen Messer der Nacht. T.: Heinz Rudolf Kunze/M.: Heinz Rudolf Kunze, Josef Kappl. Aus dem Album: Gute Unterhaltung. Erschienen 1989. Die Peitschen. T./M.: Heinz Rudolf Kunze. Aus dem Album: Korrekt. Erschienen 1999. Die Verteidigung der Stammtische. T./M.: Heinz Rudolf Kunze. Aus dem Album: Wasser bis zum Hals steht mir. Erschienen 2002.
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Eigentlich nein. T./M.: Heinz Rudolf Kunze. Aus dem Album: Macht Musik. Erschienen 1994. Ein deutsches Erwachen. T./M.: Heinz Rudolf Kunze. Aus dem Album: Sternzeichen Sündenbock. Erschienen 1991. Hallo Deutschland. T.: Heinz Rudolf Kunze/M.: Heiner Lürig. Aus dem Album: Wasser bis zum Hals steht mir. Erschienen 2002. Hereinspaziert. T./M.: Heinz Rudolf Kunze. Aus dem Album: Macht Musik. Erschienen 1994. Kadaverstern. T.: Heinz Rudolf Kunze/M.: Heiner Lürig. Aus dem Album: Wunderkinder. Erschienen 1986. Lied für einen dünnen Mann. T./M.: Heinz Rudolf Kunze. Aus dem Album: Das Original. Erschienen 2005. Madagaskar. T.: Heinz Rudolf Kunze/M.: Heinz Rudolf Kunze, Heiner Lürig. Aus dem Album: Dein ist mein ganzes Herz. Erschienen 1985. Möchtegern-Opfer. T.: Heinz Rudolf Kunze/M.: Heinz Rudolf Kunze, Heiner Lürig. Aus dem Album: Richter-Skala. Erschienen 1996. Sex mit Hitler. T./M.: Heinz Rudolf Kunze. Aus dem Album: Macht Musik. Erschienen 1994. Vertriebener. T.: Heinz Rudolf Kunze/M.: Heinz Rudolf Kunze, Heiner Lürig. Aus dem Album: Dein ist mein ganzes Herz. Erschienen 1985. LINDENBERG, Udo: Ali 2 (Naziland ist abgebrannt). T.: Udo Lindenberg, Angelina Maccarone/M.: Udo Lindenberg. Aus dem Album: Ich will dich haben. Erschienen 1991. Bei uns in Spananien. T./M.: Udo Lindenberg. Aus dem Album: Keule. Erschienen 1982. Berlin (Father, you should have killed Hitler). T.: Udo Lindenberg/M.: Dave King, Udo Lindenberg. Aus dem Album: Das 1. Vermächtnis. Erschienen 2000. Der Generalsekretär. T./M.: Udo Lindenberg. Aus dem Album: Feuerland. Erschienen 1987. Germans. T.: Udo Lindenberg, Michael Thatcher/M.: Udo Lindenberg. Aus dem Album: Radio Eriwahn. Erschienen 1985. Knock Out. T./M.: Curt Cress, Udo Lindenberg, Frankie Ryan, Peter Weihe. Aus dem Album: Benjamin. Erschienen 1993. Rudi Ratlos. T./M.: Udo Lindenberg. Aus dem Album: Ball Pompös. Erschienen 1974.
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Russen. T.: Barbara Streusand, Quietschhafer/M.: Udo Lindenberg. Aus dem Album: Götterhämmerung. Erschienen 1986. Sie brauchen keinen Führer. T.: Udo Lindenberg/M.: Udo Lindenberg, Henrik Schaper. Aus dem Album: Götterhämmerung. Erschienen 1984. Vom Opfer zum Täter. T.: Udo Lindenberg, Angelina Maccarone/M.: Udo Lindenberg, Hendrik Schaper. Erschienen 1989. LUNA LUNA: Deutsche Nacht. T./M.: Stefan Kahé. Aus dem Album: Es war einmal… Erschienen 1993. Rattenfänger. T./M.: Stefan Kahé. Aus dem Album: Es war einmal… Erschienen 1993. MAAHN, Wolf: Fallensteller. T./M.: Wolf Maahn. Aus dem Album: Der Himmel ist hier. Erschienen 1992. Load this Train. T./M.: Wolf Maahn. Aus dem Album: Third Language. Erschienen 1988. MAFFAY, Peter: Es wird Zeit. T./M.: Peter Maffay. Aus dem Album: Kein Weg zu weit. Erschienen 1989. MEINECKE Ulla: 13. Dezember. T.: Ulla Meinecke/M.: Rio Reiser. Aus dem Album: An! Erschienen 1994. MEY, Reinhard: Das Foto vor mir auf dem Tisch. T./M.: Reinhard Mey. Aus dem Album: Alleingang. Erschienen 1986. Die Eisenbahnballade. T./M.: Reinhard Mey. Aus dem Album: Balladen. Erschienen 1988. Die Kinder von Izieu. T./M.: Reinhard Mey. Aus dem Album: Immer weiter. Erschienen 1994. Es ist doch ein friedlicher Ort. T./M.: Reinhard Mey. Aus dem Album: Hergestellt in Berlin. Erschienen 1985. Happy Birthday to me. T./M.: Reinhard Mey. Aus dem Album: Freundliche Gesichter. Erschienen 1981. Mein Land. T./M.: Reinhard Mey. Aus dem Album: Rüm Hart. Erschienen 2002. Sei wachsam. T./M.: Reinhard Mey. Aus dem Album: Leuchtfeuer. Erschienen 1996. MOSSMANN, Walter: Ballade vom Matrosen Walter Gröger. T./M.: Walter Mossmann. Aus dem Album: Frühlingsanfang. Erschienen 1979. Ballade von der Rentnerin Anna Mack. T./M.: Walter Mossmann. Aus dem Album: Frühlingsanfang. Erschienen 1979.
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Das Lied vom Goldenen Buch. T./M.: Walter Mossmann. Aus dem Album: Chansons, Flugblattlieder, Balladen, Cantastorie apokrüfen. Erschienen 2004, entstanden 1968. Deutscher Marsch, geblasen. T./M.: Walter Mossmann. Aus dem Album: Große Anfrage. Erschienen 1968. Drei Kugeln auf Rudi Dutschke. T./M.: Wolf Biermann. Aus dem Album: Diverse: Die Burg Waldeck Festivals 1964-1969. CD 9: 1968. Erschienen 2008. Ihre Gewalt und die unsere. T./M.: Walter Mossmann. Aus dem Album: Chansons, Flugblattlieder, Balladen, Cantastorie & Apokryphen. Erschienen 2004, entstanden 1968. Lied vom Grünen Gras. T./M.: Walter Mossmann. Aus dem Album: Neue Flugblattlieder. Erschienen 1977. Ne pas se pencher au dehors. T./M.: Walter Mossmann. Aus dem Album: Diverse: Die Burg Waldeck Festivals 1964-1969. CD 2: 1965. Erschienen 2008. Sieben Fragen eines Schülers und sieben freiheitlich-demokratischegrundordentliche Antworten. T./M.: Walter Mossmann. Aus dem Album: Neue Flugblattlieder. Erschienen 1977. Survivor’s Song. T./M.: Walter Mossmann. Aus dem Album: Achterbahnchansons. Erschienen 1966. MÜLLER-WESTERNHAGEN, Marius: Der schwarze Mann. T./M.: Marius Müller-Westernhagen. Aus dem Album: Geiler is’ schon. Erschienen 1983. MÜNCHENER FREIHEIT: Wir sehen dieselbe Sonne. T.: Aron Strobel, Stefan Zauner/M.: Stefan Zauner. Aus dem Album: Liebe auf den ersten Blick. Erschienen 1992. PETERLICHT: Marketing. T./M.: Peter Licht. Aus dem Album: Melancholie und Gesellschaft. Erschienen 2008. PINK FLOYD: Goodbye Blue Sky. T./M.: Roger Waters. Aus dem Album: The Wall. Erschienen 1979. PUR: Bis der Wind sich dreht. T./M.: Hartmut Engler, Ingo Reidl. Aus dem Album: Pur. Erschienen 1987. Leben. T./M.: Hartmut Engler, Ingo Reidl. Aus dem Album: Abenteuerland. Erschienen 1995. PURPLE SCHULZ: Sag die Wahrheit. T.: Rüdiger Schulz/M.: Rüdiger Schulz, Josef Piek. Aus dem Album: Spaß beiseite? Erschienen 1994.
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RAAB, Stefan: Wadde hadde dudde da. T./M.: Stefan Raab. Aus dem Album: TV Total. Das Album. Erschienen 2000. REUTTER, Otto: Und so komm’ wir aus de Freude gar nicht raus. T./M.: Otto Reutter. Aus dem Album: In 50 Jahren ist alles vorbei. Erschienen 2001, entstanden 1930. RICHARD, Little: Tutti Frutti. T./M.: Dorothy La Bostrie, Joe Lubin, Richard Penniman. Aus der Single: Tutti Frutti/I’m just a lonely Guy. Erschienen 1955. SCHLÖSSER, Jupp: D’r Molli. T.: Jupp Schlösser/M.: Gerhard Jussenhoven. Aus dem Album: Kölsche Oldies 11. Gerhard Jussenhoven. Erschienen 1994, entstanden 1950. SCHMITZ, Jupp: Ming herrlich Kölle. T./M.: Jupp Schmitz. Aus dem Album: Wer soll das bezahlen?. Erschienen 1994, entstanden 1947. SCHROEDER ROAD SHOW: Fette Ratten. T./M.: Uli Hundt. Aus dem Album: Live in Tokio. Erschienen 1979. SEEGER, Pete: Where have all the Flowers gone. T./M.: Pete Seeger. Aus dem Album: Pete Seeger’s Greatest Hits. Original Recording Remastered. Erschienen 2002, entstanden Ende der 1960er Jahre. SLIME: Der Tod ist ein Meister aus Deutschland. T./M.: Stephan Mahler. Aus dem Album: Schweineherbst. Erschienen 1994. Deutschland. T./M.: Stephan Mahler. Aus dem Album: Slime I. Erschienen 1980. Nazis raus. T./M.: Frank Nowatzki. Aus dem Album: Alle gegen alle. Erschienen 1983. Polizei SA/SS. T./M.: Michael Mayer-Poes. Aus dem Album: Slime I. Erschienen 1980. SÖLLNER, Hans: Der Huaba. T./M.: Hans Söllner. Aus dem Album: Hey Staat. Erschienen 1989. Hey Mama. T.: Hans Söllner/M.: Peter Schneider, Hans Söllner. Aus dem Album: Hey Staat. Erschienen 1991. Hot mei Oida g’sagt. T./M.: Hans Söllner. Aus dem Album: Für Marianne und Ludwig. Erschienen 1986. STOPPOK: Denk da lieber nochmal drüber nach. T./M.: Danny Dziuk, Stefan Stoppok. Aus dem Album: Happy End im La-La-Land. Erschienen 1993.
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SÜVERKRÜP, Dieter: Fröhlich ißt du Wiener Schnitzel. T./M.: Dieter Süverkrüp. Aus dem Album: Fröhlich ißt du Wiener Schnitzel. Erschienen 1965. Kirschen auf Sahne. T./M.: Dieter Süverkrüp. Aus dem Album: Die widerborstigen Gesänge des Dieter Süverkrüp. Erschienen 1967. Lagerlied. T./M.: Dieter Süverkrüp. Aus dem Album: Die widerborstigen Gesänge des Dieter Süverkrüp. Erschienen 1967. Nachtgebet eines Untertanen. T./M.: Dieter Süverkrüp. Aus dem Album: Die widerborstigen Gesänge des Dieter Süverkrüp. Erschienen 1967. Verkürzte Darstellung eines neuerlichen Deutschland-Erwachens. T./M.: Dieter Süverkrüp. Aus dem Album: Die widerborstigen Gesänge des Dieter Süverkrüp. Erschienen 1967. TERRORGRUPPE: Opa. T./M.: Johnny Bottrop. Aus dem Album: Melodien für Milliarden. Erschienen 1996. THE BEATLES: She loves you. T./M.: John Lennon, Paul McCartney. Aus dem Album: The Beatles 1962-1966. Erschienen 1973. The Ballad of John and Yoko. T./M.: John Lennon, Paul McCartney. Aus dem Album: The Beatles 1967-1970. Erschienen 1973. THE WHO: Tommy. Erschienen 1969. TON STEINE SCHERBEN: Ich will nicht werden, was mein Alter ist. T./M.: Ralph Möbius. Aus dem Album: Warum geht es mir so dreckig? Erschienen 1971. Jenseits von Eden. T.: Ralph Möbius/M.: Ralph Steitz. Aus dem Album: IV (Die Schwarze). Erschienen 1981. Macht kaputt was euch kaputt macht. T./M.: Ralph Möbius. Aus dem Album: Warum geht es mir so dreckig? Erschienen 1971. Wir müssen hier raus. T.: Ralph Möbius/M.: Ralph Steitz. Aus dem Album: Keine Macht für Niemand. Erschienen 1972. U2: Pop. Erschienen 1997. WADER, Hannes: Die Internationale. T.: Eugene Pottier/M.: Pierre De Geyter. Aus dem Album: Hannes Wader singt Arbeiterlieder. Erschienen 1977. Die Kinder vom Bullenhuser Damm. T./M.: Hannes Wader. Aus dem Album: Nach Hamburg. Erschienen 1989.
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Die Moorsoldaten. T.: Johann Esser, Wolfgang Langhoff/M.: Rudi Goguel. Aus dem Album: Hannes Wader singt Arbeiterlieder. Erschienen 1977. Erinnerung. T./M.: Hannes Wader. Aus dem Album: Es ist an der Zeit. Erschienen 1980. Es ist an Zeit. T.: Hannes Wader/M.: Eric Bogle. Aus dem Album: Es ist an der Zeit. Erschienen 1980. Jepestinja Stepanowas Garten. T./M.: Hannes Wader. Aus dem Album: Liebeslieder. Erschienen 1986. Vaters Land. T.: Hannes Wader/M.: Hannes Wader, Trad. Aus dem Album: Wünsche. Erschienen 2001. WECKER, Konstantin: Ach du, mein schauriges Vaterland. T./M.: Konstantin Wecker. Aus dem Album: Das macht mir Mut. Erschienen 1982. Die Ballade von Antonio Amadeu Kiowa (Willy II). T./M.: Konstantin Wecker. Aus dem Album: Uferlos. Erschienen 1993. Die weiße Rose. T./M.: Konstantin Wecker. Aus dem Album: Filmmusiken. Erschienen 1983; Die weiße Rose (Version 1991). Aus dem Album: Classics. Erschienen 1991. Einen braucht der Mensch zum Treten. T./M.: Konstantin Wecker. Aus dem Album: Inwendig warm. Erschienen 1984; Einen braucht der Mensch zum Treten (Version 1991). Aus dem Album: Classics. Erschienen 1991. Hexeneinmaleins. T./M.: Konstantin Wecker. Aus dem Album: Eine ganze Menge Leben. Erschienen 1978; Hexeneinmaleins (Version 1991). Aus dem Album: Classics. Erschienen 1991. Ich habe Angst. T./M.: Konstantin Wecker. Aus dem Album: Uferlos. Erschienen 1993. Sage nein! T./M.: Konstantin Wecker. Aus dem Album: Uferlos. Erschienen 1993. Stilles Glück, trautes Heim. T./M.: Konstantin Wecker. Aus dem Album: Stilles Glück, trautes Heim. Erschienen 1989; Stilles Glück, trautes Heim (Version 1991). Aus dem Album: Classics. Erschienen 1991. Sturmbannführer Meier. T./M.: Konstantin Wecker. Aus dem Album: Stilles Glück, trautes Heim. Erschienen 1989. Vaterland. T./M.: Konstantin Wecker. Aus dem Album: Live. Erschienen 1979.
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Vaterland II. T./M.: Konstantin Wecker. Aus dem Album: Vaterland. Erschienen 2001. Willy. T./M.: Konstantin Wecker. Aus dem Album: Genug ist nicht genug. Erschienen 1977. Willy III. T./M.: Konstantin Wecker. Aus dem Album: Vaterland. Erschienen 2001. Willy IV. T./M.: Konstantin Wecker. Aus dem Album: Vaterland live. Erschienen 2002. WIR SIND HELDEN: Der Krieg kommt schneller zurück als du denkst. T.: Judith Holofernes/M.: Judith Holofernes Mark Tavassol, Jean-Michel Tourette. Aus dem Album: Soundso. Erschienen 2007. WITT, Joachim: Der Turm (Edelweißpiraten). T.: Michelle Leonard/M.: Christoph Masbaum, Joachim Witt. Aus dem Album: Bayreuth 3. Erschienen 2006. Printquellen/Interviews ANTES, Klaus: Wolf Biermann im Gespräch mit Klaus Antes. In: Arnold, Heinz Ludwig (Hrsg.): Wolf Biermann. München 1975, S. 15-29. ARNOLD, Heinz Ludwig (Hrsg.): Franz Josef Degenhardt. Politische Lieder 1964-1972. München 1972. BECKER, Matthias (Hrsg.): Bläck Fööss. Schwatz op Wiess. 124 Lieder in Wort und Bild. Bergisch-Gladbach 2000. BIERMANN, Wolf: Affenfels und Barrikade. Gedichte, Lieder, Balladen. Köln 1986. Nachlaß 1. Köln 1977. Nürnberger Bardentreffen. 2. und 3. August 1986. In: Ebd., S. 97-102. Triefende Dichtung und banale Wahrheit. Wolf Biermann in eigener Sache. In: Der Spiegel 40 (1981), S. 248. Und als ich von Deutschland nach Deutschland. Lieder mit Noten, Gedichte, Balladen aus dem Osten, aus dem Westen. Erw. Lizenzausgabe für die Bertelsmann Club GmbH. Gütersloh 1983. Und als ich von Deutschland nach Deutschland… In: Ebd., S. 9-18. Verdrehte Welt – das seh’ ich gerne. Lieder, Balladen, Gedichte, Prosa. Köln 1982. Wie man Verse macht und Lieder. Eine Poetik in acht Gängen. Zweite korrigierte Aufl. Köln 1997.
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Studien zur Popularmusik Susanne Binas-Preisendörfer Klänge im Zeitalter ihrer medialen Verfügbarkeit Popmusik auf globalen Märkten und in lokalen Kontexten Juli 2010, 280 Seiten, kart., 27,80 €, ISBN 978-3-8376-1459-6
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Heinrich Klingmann Groove – Kultur – Unterricht Studien zur pädagogischen Erschließung einer musikkulturellen Praktik Januar 2010, 440 Seiten, kart., zahlr. Abb., 34,80 €, ISBN 978-3-8376-1354-4
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