Deutsches Fremdwörterbuch: Band 8 ideal – inaktiv 9783110406290, 9783110406382, 9783110406498

Volume 8 of the revised German Dictionary of Xenologisms (foreign words), which is scheduled to comprise 15 volumes.

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German Pages 598 [600] Year 2017

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Table of contents :
Vorwort
Verzeichnis der Zweitquellen und Sekundärliteratur
Verzeichnis der digitalen Textsammlungen
Abkürzungsverzeichnis
Part I. ideal - Illumination
Part II. Illumination- impotent
Part III. impotent- inaktiv
Alphabetisches Gesamtregister zu Band 8
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Deutsches Fremdwörterbuch: Band 8 ideal – inaktiv
 9783110406290, 9783110406382, 9783110406498

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Deutsches Fremdwörterbuch Band 8

Deutsches Fremdwörterbuch Begonnen von Hans Schulz, fortgeführt von Otto Basler 2. Auflage, völlig neu erarbeitet im Institut für Deutsche Sprache

Band 8: ideal ⫺ inaktiv von Herbert Schmidt (Leitung), Dominik Brückner, Isolde Nortmeyer, Oliver Pfefferkorn, Oda Vietze

De Gruyter

ISBN 978-3-11-040629-0 e-ISBN (PDF) 978-3-11-040638-2 e-ISBN (EPUB) 978-3-11-040649-8 Bibliografische Information der Deutschen Nationalbibliothek Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über http://dnb.dnb.de abrufbar. 쑔 2017 Walter de Gruyter GmbH, Berlin/Boston Satz: Meta Systems Publishing & Printservices GmbH, Wustermark Druck: Hubert & Co. GmbH & Co. KG, Göttingen ⬁ Gedruckt auf säurefreiem Papier Printed in Germany www.degruyter.com

Vorwort Länger als erwartet hat die Erarbeitung von Band 8 des Deutschen Fremdwörterbuchs (DFWB) gedauert. Eine Vielzahl geistes- und kulturgeschichtlich zentraler Begriffe in der Buchstabenstrecke I (vgl. das Lemmaregister am Ende dieses Bandes) stellte mit ihren besonders zahlreichen Belegen und ihrem besonders reichhaltigen semantischen Spektrum die Lexikographen vor große Herausforderungen ⫺ zumal die Anzahl der Projektmitarbeiter in den letzten Jahren kontinuierlich zurückgegangen ist und sich nach dem Ausscheiden von Isolde Nortmeyer und Oda Vietze seit längerem auf nur noch drei beläuft. Mit diesem für ein historisches Wörterbuchprojekt ungewöhnlich kleinen verbliebenen Team war ein Arbeitspensum zu bewältigen, das durch eine weiter angewachsene Quellenbasis und weiter gestiegene philologische Standards noch einmal merklich anspruchsvoller geworden ist. Das grundsätzlich offene Quellenkorpus des Deutschen Fremdwörterbuchs, das unterschiedslos alle neu digitalisierten Textquellen im Internet mit heranzieht, sobald sie verfügbar sind, erlaubt es, die korpusbedingten Grenzen der Lexikographie immer weiter hinauszuschieben. Wie eng diese Grenzen in vielen Fällen gezogen waren, wird erst klar, wenn man die für viele Lemmata bis dato erhältlichen Wörterbuchdaten mit denen vergleicht, die sich nun, bei großzügiger Benutzung der online bereitgestellten deutschen Texte (besonders der historischen), gewinnen lassen. Dass auf diese Weise Erstbelege in den Blick geraten, die aufgrund ihres oft deutlich höheren Alters und ihrer oft deutlich höheren Anzahl die Entlehnungsund Integrationsgeschichte vieler Fremdwörter in einem ganz neuen Licht erscheinen lassen, ist schon länger bekannt; hier konnte schon in den letzten Bänden manche lange tradierte lexikographische Lehrmeinung revidiert werden. Mittlerweile aber erlaubt die neue digitale Quellenlage nicht nur eine stärkere Unabhängigkeit von den (etymologischen und historischen) Wörterbüchern des Deutschen, sondern auch von denen des Englischen und Französischen. Hier müssen nicht mehr das Oxford English Dictionary (OED) und der Tre´sor de la Langue Franc¸aise (TLF) für den deutschen Fremdwortlexikographen die letzte befragbare Instanz für diese Fremdsprachen sein, sondern nun gewährt der direkte Zugriff auch auf englische und französische Online-Quellentexte Einblicke und Einsichten, die die beiden großen historischen Wörterbücher selbst noch nicht gewonnen haben. So konnte im vorliegenden Band etwa für das Fremdwort illiteral (vgl. In-2, in-2, C.2) ein englisches Etymon illiteral angesetzt werden, das in der in Frage stehenden Bedeutung ¤ungelehrt, ungebildet, des Lesens und Schreibens unkundigÅ dem OED nicht bekannt, aber in englischen Texten des 18. und 19. Jahrhunderts, die von Google Books bereitgestellt werden, mehrfach belegt ist. Ohne diese digitalen Belege, d. h. lediglich gestützt auf die Angaben des OED, wäre das somit wahrscheinlich aus dem Englischen entlehnte deutsche Fremdwort aus chronologischen Gründen nur als neoklassische Bildung zu klassifizieren gewesen. Ähnlich kann das

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Vorwort

Fremdwort impressabel, eine Nebenform zu impressibel (vgl. Impression 2) auf ein englisches Lexem impressable zurückgeführt werden, das das OED in der medizinischen Bedeutung ¤weich, leicht einzudrückenÅ nicht kennt, das aber in mehreren Google-Digitalisaten englischer Fachtexte des 19. Jahrhunderts in dieser Bedeutung nachzuweisen ist. Vergleichbare Erkenntnisgewinne sind dank der historischen Online-Texte auch in Bezug auf die französische Sprache möglich: laut TLF existiert das französische Lexem illoyal nicht, in von Google digitalisierten älteren französischen Texten dagegen ist es in nicht geringer Zahl zu finden. So ermöglichen die über das Internet zugänglichen historischen Texte aus europäischen Einzelsprachen dem Lexikographen (sofern er die damit verbundene Mühe nicht scheut) eine zunehmende Unabhängigkeit auch von der fremdsprachigen Lexikographie und einen unmittelbaren, von dieser nicht gefilterten Rückgriff auf die historische Sprachwirklichkeit auch der Gebersprachen. Aus arbeitsökonomischen Gründen ist dieses Verfahren natürlich nicht in jedem Einzelfall möglich, aber punktuelle Untersuchungen in begründeten Ausnahmefällen lassen sich nun erstmals (und wie sich gezeigt hat: mit Gewinn) durchführen. Ein Novum des vorliegenden Bands sind in mehrfacher Hinsicht die beiden Präfixartikel In-1, in-1 und In-2, in-2. Sie sind nicht die ersten DFWB-Artikel, die sich mit einem initialen Lehn-Wortbildungselement befassen, aber sie sind die mit Abstand umfangreichsten. Eine morphologische Besonderheit der I-Strecke im deutschen Fremdwortschatz besteht darin, dass ein sehr großer Teil der I-Lemmata mit einem der beiden In-Präfixe (sowie ihren assimilierten Formen Il-, Im-, Ir-) gebildet ist. Von rund 210 für das DFWB vorgesehenen I-Artikelstichwörtern gehören 95 zu den lokalisierenden/intensivierenden In1- und 46 zu den negierenden In2-Präfigierungen, zusammen also rund zwei Drittel aller Lemmata. Diese starke interne Vernetzung der Lemmastrecke war formal durch ein entsprechend ausgeprägtes Verweissystem zu berücksichtigen, sie führte aber auch zu der Überlegung, dass beide hochproduktiven Präfixe ihrer Wichtigkeit entsprechend in eigenen Artikeln dargestellt werden müssten. Dadurch bot sich vor allem die Möglichkeit, die immense Anzahl zugehöriger Lemmata unterhalb der Schwelle der „Hauptlemmawürdigkeit“ zusammenfassend mitzubehandeln, die sonst als nicht geläufig genug, zu fachsprachlich oder veraltet hätten ausgemustert werden müssen. So ist als System von rund 140 selbständigen In-Artikeln, die als Trabanten das doppelte Zentralgestirn der beiden Präfixartikel umgeben, eine lexikographische Darstellung eines der produktivsten Lehn-Präfixpaare im deutschen Fremdwortschatz entstanden, die sich über die Grenzen des vorliegenden Bandes hinaus bis in den nachfolgenden Band hinein erstreckt. Die beiden Präfixartikel breiten auf fast 90 Wörterbuchseiten den reichen Bestand der In-Lemmata aus, wobei In-1, in-1 insgesamt 28 Lemmata, In-2, in-2 sogar 73 Lemmata (mit ihren jeweiligen Ableitungen) ausführlicher behandelt. Hiermit stehen eine Reihe von strukturellen und formalen Modifikationen in Zusammenhang, die diese beiden Artikel von den anderen Wortartikeln des DFWB unterscheiden. Zur Gliederung der Materialmasse und zur Verbesserung der Zugriffsmöglichkeiten für den Nutzer wurden die Partien des Artikelkopfs, die die Hauptgebersprachen und die jeweils zugehörigen Einzellemmata beschreiben, durch Kombinationen von Buchstaben (für die Gebersprache) und Zahlen (für das Lemma) gekennzeichnet, die auch im Bandregister aufgeführt werden und von dort aus gezieltes Nachschlagen ermöglichen. Zusätzlich sind im Artikelkopf dreispaltige Übersichten über den jeweiligen Lemmabestand eingefügt, jeweils mit Angabe der präzisen Jahreszahl des Erstbelegs, weil sich danach wiederum die chronologische Anord-

Vorwort

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nung der einzelnen Lemmata im Artikel richtet. Jedem Lemma mit seinen Ableitungen (im Einzelfall können das fünf oder sechs Lexeme sein) ist ein gemeinsamer gekürzter Belegteil zugeordnet, der sich, anders als bei den üblichen Belegteilen, auf die Erstbelege (ggfs. im Falle von Polysemie den frühesten vorhandenen Beleg für jede Einzelbedeutung oder Bedeutungsnuance) und je einen möglichst neuen Beleg beschränkt. Die Belegteile sind alphabetisch nach dem Leitlemma sortiert. Abweichend vom sonstigen Usus wurden am Ende der Artikelköpfe auch die in historischen Fremdwörterbüchern oberhalb einer bestimmten Mindestmarge auftretenden, heute veralteten In-Lemmata aufgelistet. Die Entscheidung, ob ein In-Lemma von seiner Geläufigkeit her in einem eigenen Wortartikel oder nur als „Binnenlemma“ in einem der beiden Präfixartikel zu behandeln war, fiel in manchen Fällen nicht leicht, wurde gelegentlich revidiert und ist auch in der jetzt vorliegenden Form hier und da gewiss diskutabel. Die Anlage und die Erstfassung beider Präfixartikel geht auf Isolde Nortmeyer zurück, die diese Vorarbeiten vor ihrem altersbedingten Ausscheiden aus dem Projekt im Jahr 2012 noch abschließen konnte; dafür (und für manches andere) danken wir ihr herzlich. Das Verzeichnis der Zweitquellen und Sekundärliteratur wurde für den vorliegenden Band durchgesehen und aktualisiert. Neu hinzugekommen ist ein Abkürzungsverzeichnis, das die in den Artikelköpfen verwendeten Abkürzungen vollständig und die in den Zitierformeln gebrauchten in Auswahl aufführt. Seit April 2016 sind die bisher erschienenen sieben Bände der Neubearbeitung des DFWB (1995⫺2010) online zugänglich (https://www.owid.de/wb/dfwb/start. html); die acht Bände der ersten Auflage (1913⫺1988) sollen im Lauf der nächsten zwei Jahre folgen. Für die hierfür geleisteten umfangreichen Arbeiten danken wir den Kolleginnen und Kollegen von OWID, insbesondere Frank Michaelis. Über weitere Möglichkeiten einer verstärkten künftigen Internetpräsenz des DFWB wird zur Zeit nachgedacht. Unser Dank gilt wie immer allen Bibliotheken, Projekten, Kolleginnen und Kollegen, die uns bei der Erarbeitung dieses Bandes auf vielfältige Weise unterstützt haben. Dem Verlag Walter de Gruyter in Gestalt von Daniel Gietz danken wir für die gute Betreuung, sein Verständnis und seine Geduld. Unsere Hilfskräfte haben zu diesem Band wieder unermüdlich und stets gut gelaunt Unverzichtbares beigetragen, dafür möchten wir uns bei Friederike Appel, Maria Blöcher, Anne Bredtmann, Jasmin Fürniß, Katharina Grünke, Barbara Hoch, Maxi Hölter, Amelie Meister, Maria Mioduszewski, Julia Reiche, Rebecca Richter, Christine Süß und Katrin Wellnitz ganz besonders bedanken. Mannheim, im Juni 2017 Für die Mitarbeiter

Herbert Schmidt

Verzeichnis der Zweitquellen und Sekundärliteratur (Auswahl) AHD.WB: Althochdeutsches Wörterbuch auf Grund der von Elias Steinmeyer hinterlassenen Sammlungen im Auftrag der Sächsischen Akademie der Wissenschaften zu Leipzig bearb. u. hrsg. v. Elisabeth Karg-Gasterstädt u. Theodor Frings, ab Bd. 2 hrsg. v. Rudolf Große. Bd. 1 ff. Berlin 1968 ff. AWB: Anglizismenwörterbuch. Der Einfluß des Englischen auf den deutschen Wortschatz nach 1945, begr. v. Broder Carstensen, fortgeführt v. Ulrich Busse. Bd. 1⫺3. Berlin/New York 1993⫺96. BARTELS: Bartels, Karl: Veni Vidi Vici. Geflügelte Worte aus dem Griechischen und Lateinischen. Zürich/München 1989. BBWB: Brandenburg-Berlinisches Wörterbuch. Hrsg. v. der Sächsischen Akademie der Wissenschaften zu Leipzig. Bd. 1 ff. Berlin 1976 ff. BELLMANN: Bellmann, Günter: Slavoteutonica. Lexikalische Untersuchungen zum slawischdeutschen Sprachkontakt im Ostmitteldeutschen. Berlin/New York 1971. BENECKE/MÜLLER/ZARNCKE: Benecke, Georg Friedrich, Wilhelm Müller, Friedrich Zarncke: Mittelhochdeutsches Wörterbuch. Reprograf. Nachdr. der Ausg. Leipzig 1854. Bd. 1⫺3. Hildesheim 1963. BERNING: Berning, Cornelia: Vom „Abstammungsnachweis“ zum „Zuchtwart“. Vokabular des Nationalsozialismus. Berlin 1964 (vgl. SCHMITZ-BERNING). BIELFELDT: Bielfeldt, Hans Holm: Die slawischen Wörter im Deutschen. Leipzig 1982. BLÜMLEIN: Blümlein, Kilian: Naturerfahrung und Welterkenntnis. Der Beitrag des Paracelsus zur Entwicklung des neuzeitlichen, naturwissenschaftlichen Denkens. Frankfurt/M. u. a. 1992. BRUNNER/CONZE/KOSELLECK: Geschichtliche Grundbegriffe ⫺ Historisches Lexikon zur politisch-sozialen Sprache in Deutschland. Hrsg. v. Otto Brunner, Werner Conze, Reinhart Koselleck. Stuttgart 1972 ff. BRUNT: Brunt, Richard James: The Influence of the French Language on the German Vocabulary (1649⫺1735). (⫽ Studia Linguistica Germanica 18). Berlin/New York 1983. BÜCHMANN: Büchmann, Georg: Geflügelte Worte. Berlin 1972. CAMPE: Campe, Joachim Heinrich: Wörterbuch zur Erklärung und Verdeutschung der unserer Sprache aufgedrungenen fremden Ausdrücke. Braunschweig 2. Aufl. 1813. CARMESIN: Carmesin, Dagmar: Das Fremdwort bei Johann Beer. Ein Beitrag zur deutschen Wort- und Sprachgeschichte. München 1992. CARSTENSEN: Carstensen, Broder: Englische Einflüsse auf die deutsche Sprache nach 1945. Heidelberg 1965. CARSTENSEN/GALINSKY: Carstensen, Broder, Hans Galinsky: Amerikanismen der deutschen Gegenwartssprache. Entlehnungsvorgänge und ihre stilistischen Aspekte. Heidelberg 1963.

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Verzeichnis der Zweitquellen und Sekundärliteratur (Auswahl)

CHOLINUS/FRISIUS: Cholinus, Petrus, Iohannes Frisius: Dictionarivm latinogermanicvm. Zürich 1541. COROMINAS: Corominas, J.: Diccionario crı´tico etimolo´gico de la lengua castellana. Bd. 1⫺4. Bern 1954. CORTELAZZO/ZOLLI: Cortelazzo, Manlio, Paolo Zolli: Dizionario etimologico della lingua italiana. Bd. 1⫺5. Bologna 1979⫺88. CORVINUS: Corvinus, Andreas: Fons latinitatis. Lipsiae 1623. CREIFELDS: Creifelds, Carl: Rechtswörterbuch. München 5. Aufl. 1978, 9. Aufl. 1988. DASYPODIUS: Dasypodius, Petrus: Dictionarivm latinogermanicvm, et vice versa germanicolatinum. Straßburg 1536. DESCHLER: Deschler, Jean-Paul: Die astronomische Terminologie Konrads von Megenberg. Ein Beitrag zur mittelalterlichen Fachprosa. (⫽ Europ. Hochschulschriften, Reihe I: Dt. Literatur und Germanistik 171). Frankfurt 1977. DIETZ: Dietz, Philipp: Wörterbuch zu Dr. Martin Luthers Deutschen Schriften. Bd. 1 ff. Hildesheim 2. Aufl. 1961 ff. DRW: Deutsches Rechtswörterbuch. Wörterbuch der älteren deutschen Rechtssprache. Hrsg. v. der Preußischen Akademie der Wissenschaften, 1939⫺51 hrsg. v. der Deutschen Akademie der Wissenschaften, bearb. v. Richard Schröder u. Eberhard Freiherrn von Künßberg, ab Bd. V 1955 ff. in Verbindung mit der Deutschen Akademie der Wissenschaften zu Berlin hrsg. v. der Heidelberger Akademie der Wissenschaften. Unter Mitw. v. Hans Blesken bearb. v. Otto Gönnenwein u. Wilhelm Weizsäcker, ab Bd. VII bearb. v. Günther Dickel u. Heino Speer. Weimar 1914 ff. DT. WB.: Deutsche Wortbildung ⫺ Typen und Tendenzen in der Gegenwartssprache. Eine Bestandsaufnahme des Instituts für deutsche Sprache. Forschungsstelle Innsbruck. Bd. 1⫺3 und Registerband. Düsseldorf 1973 ff. DUDEN: Duden. Das große Wörterbuch der deutschen Sprache. Bd. 1⫺6. Mannheim/Wien/ Zürich 1976 ff. DUDEN 1993: Duden. Das große Wörterbuch der deutschen Sprache in acht Bänden. 2., völlig neu bearb. Aufl. Mannheim/Wien/Zürich 1993 ff. DUDEN 1999: Duden. Das große Wörterbuch der deutschen Sprache in zehn Bänden. 3., völlig neu bearb. u. erw. Aufl. Mannheim/Leipzig/Wien/Zürich 1999 ff. DUDEN HERKUNFTSWB.: Duden. Das Herkunftswörterbuch. Etymologie der deutschen Sprache. 5., neu bearb. Aufl. v. Jörg Riecke. Berlin/Mannheim/Zürich 2014. DWB: Deutsches Wörterbuch von Jacob Grimm und Wilhelm Grimm. Bd. 1 ff. Leipzig 1854 ff. DWB N.: Deutsches Wörterbuch von Jacob Grimm und Wilhelm Grimm. Neubearbeitung. Bd. 1 ff. Leipzig 1965 ff. ECKEL: Eckel, Friedrich: Der Fremdwortschatz Thomas Murners. Göppingen 1978. EISLER: Eisler, Rudolf: Kant Lexikon. Nachschlagewerk zu Kants sämtlichen Schriften, Briefen und verwandtschaftlichem Nachlaß. Hildesheim/Zürich/New York 1989. EUR. ENZ.: Europäische Enzyklopädie zu Philosophie und Wissenschaften. Hrsg. v. Hans Jörg Sandkühler in Zusammenarbeit mit Armin Regenbogen. Bd. 1⫺4. Hamburg 1990. FEW: s. WARTBURG FRISCH: Frisch, Johann Leonhard: Teutsch-Lateinisches Wörter-Buch. Bd. 1⫺2 in 1 Bd. Mit einer Einführung u. Bibliographie v. Gerhardt Powitz. Nachdr. der Ausg. Berlin 1741 (⫽ Quellen zur Gesch. der dt. Sprache des 15. bis 20. Jhs.). Hildesheim/New York 1977.

Verzeichnis der Zweitquellen und Sekundärliteratur (Auswahl)

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FRNHD.WB: Frühneuhochdeutsches Wörterbuch. Hrsg. v. Robert R. Anderson, Ulrich Goebel, Oskar Reichmann. Bd. 1 ff. Berlin/New York 1989 ff. GANZ: Ganz, Peter: Der Einfluß des Englischen auf den deutschen Wortschatz 1640⫺1815. Berlin 1957. GLASER: Glaser, Karl: Die deutsche astronomische Fachsprache Keplers. Gießen 1935. GOEDEL: Goedel, Gustav: Etymologisches Wörterbuch der deutschen Seemannssprache. Kiel 1902. GRAFF: Graff, Eberhard Gottlieb: Althochdeutscher Sprachschatz oder Wörterbuch der althochdeutschen Sprache. Neudr. der Ausg. Berlin 1834 ff. Bd. 1⫺6 u. Index. Hildesheim 1963. GWB: Goethe-Wörterbuch. Hrsg. v. der Deutschen Akademie der Wissenschaften, der Akademie der Wissenschaften in Göttingen u. der Heidelberger Akademie der Wissenschaften. Bd. 1 ff. Stuttgart/Berlin/Köln/Mainz 1978 ff. HECHTENBERG: Hechtenberg, Klara: Fremdwörterbuch des siebzehnten Jahrhunderts. Berlin 1904. HEMME: Hemme, Adolf: Das lateinische Sprachmaterial im Wortschatze der deutschen, französischen und englischen Sprache. Nachdr. der Ausg. Leipzig 1904. Hildesheim/New York 1979. HENISCH: Henisch, Georg: Teütsche Sprach vnd Weißheit. Thesaurus linguae et sapientiae Germanicae. T. 1. Nachdr. der Ausg. Augsburg 1616. (⫽ Documenta Linguistica Reihe II). Hildesheim/New York 1973. HEYNE: Heyne, Moriz: Deutsches Wörterbuch. Bd. 1⫺3. Leipzig 1890⫺95. HWB D. ABERGLAUBENS: Handwörterbuch des deutschen Aberglaubens. Bearb. v. Hanns Bächtold-Stäubli. Berlin/Leipzig 1927 ff. JONES: Jones, William Jervis: A Lexicon of French Borrowings in the German Vocabulary (1575⫺1648). (⫽ Studia Linguistica Germanica 12). Berlin/New York 1976. KATARA 1966: Katara, Pekka: Das französische Lehngut in mittelniederdeutschen Denkmälern von 1300 bis 1600. Helsinki 1966. KEHREIN: Kehrein, Joseph: Fremdwörterbuch mit etymologischen Erklärungen und zahlreichen Belegen aus Deutschen Schriftstellern. Stuttgart 1876. KEIL: Keil, Ortrud: Die italienischen Lehn- und Fremdwörter im Deutschen. Diss. Innsbruck 1945. KETTMANN: Kettmann, Gerhard: Zum Fremdwortgebrauch. In: Zur Literatursprache im Zeitalter der frühbürgerlichen Revolution, Berlin 1978, S. 341⫺439. KINNEMARK: Kinnemark, Karen: Studien zum Fremdwort in deutschen Zeitungen aus der ersten Hälfte des 17. Jahrhunderts. Ein Beitrag zur Sprach- und Bildungsgeschichte im Zeitalter des Dreißigjährigen Krieges. Kopenhagen 1964. KLENZ: Klenz, Heinrich: Die deutsche Druckersprache. Straßburg 1910. KLUGE, Studentensprache: Kluge, Friedrich: Deutsche Studentensprache. Straßburg 1895. KLUGE, Seemannssprache: Kluge, Friedrich: Seemannssprache. Wortgeschichtliches Handbuch deutscher Schifferausdrücke älterer und neuerer Zeit. Halle a. d. S. 1911. KLUGE 1967: Kluge, Friedrich: Etymologisches Wörterbuch der deutschen Sprache. Bearb. v. Walther Mitzka. Berlin 20. Aufl. 1967. KLUGE 1975: Kluge, Friedrich: Etymologisches Wörterbuch der deutschen Sprache. Berlin/ New York 21. unveränd. Aufl. 1975. KLUGE: Kluge, Friedrich: Etymologisches Wörterbuch der deutschen Sprache. Völlig neu bearb. v. Elmar Seebold. Berlin/New York 22. Aufl. 1989, 23. Aufl. 1995, 24., durchges. u. erw. Aufl. 2002, 25., durchges. u. erw. Aufl. 2011.

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Verzeichnis der Zweitquellen und Sekundärliteratur (Auswahl)

KOHLS: Kohls, Siegfried: Russisches lexikalisches Lehngut im deutschen Wortschatz. Diss. Leipzig 1964. KRAMER: Kramer, Matthias: Das herrlich-große Teutsch-Italiänische Dictionarium. Mit einer Einf. u. Bibliographie v. Gerhard Ising. Nachdr. der Ausg. Nürnberg 1700. (⫽ Quellen z. Gesch. der dt. Sprache des 15. bis 20. Jhs.). Hildesheim/New York 1982. KÜPPER: Küpper, Heinz: Illustriertes Lexikon der deutschen Umgangssprache. Bd. 1⫺8. Stuttgart 1982⫺84. KYTZLER/REDEMUND: Kytzler, Bernhard, Lutz Redemund: Unser tägliches Latein. Lexikon des lateinischen Spracherbes. (⫽ Kulturgeschichte der antiken Welt; 52). Mainz 1992. KYTZLER/REDEMUND/EBERL: Kytzler, Bernhard, Lutz Redemund, Nikolaus Eberl (unter Mitarb. v. Elke Steinmeyer): Unser tägliches Griechisch. Lexikon des griechischen Spracherbes. (⫽ Kulturgeschichte der antiken Welt; 88). Mainz 2001. LADENDORF: Ladendorf, Otto: Historisches Schlagwörterbuch. Reprograf. Nachdr. der Ausg. Straßburg/Berlin 1906. Hildesheim 1968. LANGEN: Langen, August: Der Wortschatz des deutschen Pietismus. Tübingen 1954. LEHMANN: Lehmann, Heidi: Russisch-deutsche Lehnbeziehungen im Wortschatz offizieller Wirtschaftstexte der DDR (bis 1968). (⫽ Sprache der Gegenwart, Bd. 21). Düsseldorf 1972. LEPP: Lepp, Friedrich: Schlagwörter des Reformationszeitalters. (⫽ Quellen und Darstellungen aus der Geschichte des Reformationszeitalters; 8). Leipzig 1908. LEXER: Lexer, Matthias: Mittelhochdeutsches Handwörterbuch. Bd. 1⫺3. Leipzig 1872⫺ 78. LEX. ALTE KULTUREN: Lexikon Alte Kulturen. Hrsg. u. bearb. v. Hellmut Brunner, Klaus Flessel, Friedrich Heller u. Meyers Lexikonredaktion. Bd. 1⫺3. Mannheim/Wien/Zürich 1990⫺93. LEX. ANTIKE: Lexikon der Antike. Der Kleine Pauly, bearb. u. hrsg. v. Konrat Ziegler, Walther Sontheimer. Bd. 1⫺5. München 1979. LEX. D. MITTELALTERS: Lexikon des Mittelalters. Bd. 1 ff. München 1980 ff. LITTMANN: Littmann, Enno: Morgenländische Wörter im Deutschen. Tübingen 1924. LOKOTSCH: Lokotsch, Karl: Etymologisches Wörterbuch der europäischen (germanischen, romanischen und slavischen) Wörter orientalischen Ursprungs. (⫽ Indogerm. Bibl. 1. Abt., II. Reihe: Wörterbücher; 3). Heidelberg 1927. LÜERS: Lüers, Grete: Die Sprache der deutschen Mystik des Mittelalters im Werke der Mechthild von Magdeburg. München 1926. MAALER: Maaler, Josua: Die Teütsch spraach. Dictionarium Germanico latinum novum. Mit einer Einführung v. Gilbert de Smet. Reprograf. Nachdr. der Ausg. Zürich 1561. (⫽ Documenta Linguistica. Reihe I). Hildesheim/New York 1971. MALHERBE: Malherbe, Daniel: Das Fremdwort im Reformationszeitalter. Diss. Freiburg i. Br. 1906. MAURER/RUPP: Deutsche Wortgeschichte. Hrsg. v. Friedrich Maurer und Heinz Rupp. Bd. 1⫺3. (⫽ Grundriß der germanischen Philologie; 17/I⫺III). 3., neubearb. Aufl. Berlin 1974⫺1978. MAURER/STROH: Deutsche Wortgeschichte. Hrsg. v. Friedrich Maurer, Friedrich Stroh. Bd. 1⫺3. (⫽ Grundriß der germanischen Philologie; 17/I⫺III). 2., neubearb. Aufl. Berlin 1959⫺1960. MAUTHNER: Mauthner, Fritz: Wörterbuch der Philosophie. Neue Beiträge zu einer Kritik der Sprache. Bd. 1⫺2. Zürich 1980.

Verzeichnis der Zweitquellen und Sekundärliteratur (Auswahl)

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MELBER: Melber v. Gerolzhofen, Johannes: Vocabularius predicantium (lat.-deutsch). Wörterbuch zu den von Jodocus Eichmann aus Calw gehaltenen Predigten. o. O. 1481. MITTELSTRASS: Enzyklopädie Philosophie und Wissenschaftstheorie. Hrsg. v. Jürgen Mittelstraß. Bd. 1 ff. Mannheim/Wien/Zürich 1980 ff. MÖLLER: Möller, Paul: Fremdwörter aus dem Lateinischen im späteren Mittelhochdeutschen und Mittelniederdeutschen. Gießen 1915. MOZIN: Mozin, Abbe´: Vollständiges Wörterbuch der deutschen und französischen Sprache [...] Deutscher Teil: Stuttgart/Augsburg 3. Aufl. 1856. MÜLLER 1882: Müller, Johannes: Quellenschriften und Geschichte des deutschsprachigen Unterrichts bis Mitte 16. Jh. Gotha 1882. NYSTRÖM: Nyström, Solmu: Die deutsche Schulterminologie in der Periode 1300⫺1740. Helsinki 1915. OED: Simpson/Weiner: The Oxford English Dictionary. Bd. 1⫺20. Second Edition. Oxford 1989. OSMAN: Osman, Nabil: Kleines Lexikon deutscher Wörter arabischer Herkunft. München 1982. PALMER: Palmer, Philip Motley: Der Einfluß der neuen Welt auf den deutschen Wortschatz. Heidelberg 1933. PALMER, Neuweltwörter: Palmer, Philip Motley: Neuweltwörter im Deutschen. Heidelberg 1939. PAUL: Paul, Hermann: Deutsches Wörterbuch. Vollständig neu bearb. Aufl. v. Helmut Henne u. Georg Objartel unter Mitarbeit v. Heidrun Kämper-Jensen. Tübingen 9. Aufl. 1992, 10. überarb. u. erw. Aufl. 2002. PBB: Beiträge zur Geschichte der deutschen Sprache und Literatur. Hrsg. v. Hermann Paul u. Wilhelm Braune. Bd. 1 ff. Halle/S. 1874 ff., Bd. 77 ff. Tübingen 1955 ff. PFEIFER: Pfeifer, Wolfgang u. a.: Etymologisches Wörterbuch des Deutschen. 2. Aufl. Berlin 1993. PHILOS. WB: Philosophisches Wörterbuch. Begr. v. Heinrich Schmidt. Neu bearb. v. George Schischkoff. Stuttgart 20. Aufl. 1978. PSCHYREMBEL: Pschyrembel, Willibald: Klinisches Wörterbuch. Berlin/New York 253. Aufl. 1977, 255. Aufl. 1986, 259. Aufl. 2002. REALLEX. KUNSTGESCH.: Reallexikon zur deutschen Kunstgeschichte. Begonnen v. Otto Schmitt. Hrsg. v. Institut für Kunstgeschichte München. Red.: Karl August Wirth. Bd. 1 ff. München 1985 ff. REICHEL: Reichel, Eugen: Gottsched-Wörterbuch. Ehrenstätte für alle Wörter, Redensarten und Redewendungen in den Schriften des Meisters. Bd. 1. Berlin 1909. RICHTER, Griechisch: Richter, Friedrich: Unser tägliches Griechisch. Deutsche Wörter griechischer Herkunft. Mainz 1981. RITTER: Historisches Wörterbuch der Philosophie. Hrsg. v. Joachim Ritter. Bd. 1⫺8. Darmstadt 1971⫺1992. ROBERT: Robert/Rey: Le Robert. Dictionnaire de la langue francœ aise. Bd. 1⫺9. Deuxie`me E´dition. Paris 1985. ROSENQVIST: Rosenqvist, Arvid: Der französische Einfluss auf die mittelhochdeutsche Sprache in der ersten Hälfte des XIV. Jahrhunderts. Helsinki 1932. ROSENQVIST 1942: Rosenqvist, Arvid: Über Wanderungen romanischer Fremdwörter im Deutschen. Helsinki 1942. RUSSLAND: Russland, Horst-Heinz: Das Fremdwort bei Hans Sachs. Greifswald 1934.

XIV

Verzeichnis der Zweitquellen und Sekundärliteratur (Auswahl)

RÜTTER: Rütter, Johanna: Das Fremdwort bei Fischart. Staatsexamensarbeit. München 1963. SANDERS DWB: Sanders, Daniel: Wörterbuch der Deutschen Sprache. Mit Belegen von Luther bis auf die Gegenwart. Mit einer Einführung v. Werner Betz. Reprograf. Nachdr. des 2. unveränd. Abdr. Leipzig 1876 der Ausg. Leipzig 1860⫺65. Bd. 1⫺3; Ergänzungsbd. Nachdr. der Ausg. Berlin 1885. Hildesheim 1969. SANDERS 1871: Sanders, Daniel: Fremdwörterbuch. Bd. 1⫺2. Leipzig 1871. SCHEID: Scheid, Paul: Studien zum spanischen Sprachgut im Deutschen. Ein Beitrag zur Geschichte der deutschen Wortforschung. Greifswald 1934. SCHIRMER, Kaufmannssprache: Schirmer, Alfred: Wörterbuch der deutschen Kaufmannssprache auf geschichtlichen Grundlagen. Straßburg 1911. SCHIRMER, Mathematik: Schirmer, Alfred: Der Wortschatz der Mathematik nach Alter und Herkunft untersucht. (⫽ Beiheft z. ZFDW XIV). Straßburg 1912. SCHMELLER: Schmeller, Johann Andreas: Die Mundarten Bayerns grammatisch dargestellt [...]. Beygegeben ist eine Sammlung von Mundart-Proben. München 1821. SCHMITZ-BERNING: Schmitz-Berning, Cornelia: Vokabular des Nationalsozialismus. Berlin/New York 1998. SCHNEIDER, Arzneimittel: Schneider, Werner: Lexikon zur Arzneimittelgeschichte. Sachwörterbuch zur pharmazeutischen Botanik, Chemie, Mineralogie, Pharmakologie, Zoologie. Bd. 1⫺7. Frankfurt a. M. 1968 ff. SCHRAMM: Schramm, Fritz: Schlagworte der Alamode-Zeit. Straßburg 1913. STAVE 1964: Stave, Joachim: Wie die Leute reden: Betrachtungen über 15 Jahre Deutsch in der Bundesrepublik. Lüneburg 1964. STAVE 1968: Stave, Joachim: Wörter und Leute: Glossen und Betrachtungen über das Deutsch in der Bundesrepublik. Mannheim 1968. STEINBACH: Steinbach, Christoph Ernst: Vollständiges Deutsches Wörter-Buch. Bd. 1⫺2. Mit einer Einf. v. Walther Schröter. Nachdr. der Ausg. Breslau 1734. Hildesheim/New York 1973. STIELER: Stieler, Kaspar: Der Teutschen Sprache Stammbaum und Fortwachs oder Teutscher Sprachschatz. Reprograf. Nachdr. der Ausg. Nürnberg 1691. Darmstadt 1968. STRAUSS/HASS/HARRAS: Strauß, Gerhard, Ulrike Haß, Gisela Harras: Brisante Wörter von Agitation bis Zeitgeist. Ein Lexikon zum öffentlichen Sprachgebrauch. (⫽ Schriften des Instituts für Deutsche Sprache; 2). Berlin/New York 1989. SUOLAHTI 1901: Suolahti (⫽ Palander), Hugo: Der französische Einfluß auf die deutsche Sprache im 12. Jh. (⫽ Sonderabdr. aus den Me´moires de la Socie´te´ Ne´o-philologique de Helsingfors III). Helsingfors 1901. SUOLAHTI: Suolahti (⫽ Palander), Hugo: Der französische Einfluß auf die deutsche Sprache im 13. Jahrhundert. (⫽ Sonderabdr. aus den Me´moires de la Socie´te´ de Helsingfors VIII). Helsinki 1929. TAENZLER: Taenzler, Walter: Der Wortschatz des Maschinenbaus im 16., 17. und 18. Jahrhundert. Ein lexikalischer und sprachwissenschaftlicher Beitrag zur Kultur- und Volkskunde. Diss. Bonn 1955. TAZI: Tazi, Raja: Arabismen im Deutschen. Lexikalische Transferenzen vom Arabischen ins Deutsche. (⫽ Studia Linguistica Germanica, 47). Berlin/New York 1998. TELLING: Telling, Rudolf: Französisches im deutschen Wortschatz. Lehn- und Fremdwörter aus acht Jahrhunderten. Berlin 1987.

Verzeichnis der Zweitquellen und Sekundärliteratur (Auswahl)

XV

TOEPFER: Toepfer, Georg: Historisches Wörterbuch der Biologie. Geschichte und Theorie der biologischen Grundbegriffe. Bd. 1⫺3. Stuttgart/Weimar 2011. TRE´SOR: Tre´sor De La Langue Franc¸aise. Dictionnaire de la langue du XIXe et du XXe sie`cle. Bd. 1⫺16. Paris 1971⫺94. TRÜBNER: Trübners Deutsches Wörterbuch. Hrsg. v. Alfred Goetze. Berlin 1939 ff. UNGER: Unger, Andreas: Von Algebra bis Zucker. Arabische Wörter im Deutschen. Unter Mitwirkung von Andreas Christian Islebe. Stuttgart 2006, 22013. VIERECK: Studien zum Einfluß der englischen Sprache auf das Deutsche ⫺ Studies on the Influence of the English Language on German. Hrsg. v. Wolfgang Viereck. Tübingen 1980. VOLLAND: Volland, Birgit: Französische Entlehnungen im Deutschen. Transferenz und Integration auf phonologischer, morphologischer und lexikalisch-semantischer Ebene. Tübingen 1986. WALDE/HOFMANN: Walde, Alois, Johann Baptist Hofmann: Lateinisches Etymologisches Wörterbuch. Heidelberg 3. Aufl. 1954. WARNKE: Warnke, Ingo: Wörterbuch zu Thomas Müntzers deutschen Schriften und Briefen. Tübingen 1993. WARTBURG: v. Wartburg, Walther: Französisches Etymologisches Wörterbuch. Eine darstellung des galloromanischen sprachschatzes. Bd. 1⫺25. Leipzig/Berlin/Tübingen/Basel 1934⫺2002. WB RHETORIK: Historisches Wörterbuch der Rhetorik. Hrsg. v. Gert Ueding. Bd. 1⫺8. Tübingen 1992⫺2007. WDG: Wörterbuch der deutschen Gegenwartssprache. Hrsg. v. Ruth Klappenbach, Wolfgang Steinitz. Bd. 1⫺6. Berlin 1964⫺77. WEBER: Weber, Johann Adam: Lexicon Encyclion, Oder kurtzgefaßtes Lateinisch-Teutsches und Teutsch-Lateinisches Universal Wörter-Buch. T. 1⫺2. Chemnitz 1734. WEIGAND: Weigand, Friedrich Ludwig Karl: Deutsches Wörterbuch, vollständig neu bearb. v. Karl v. Bahder, Hermann Hirt u. Karl Kant, hrsg. v. Hermann Hirt. Photomechan. Nachdr. der 5. Aufl. Gießen 1909⫺10. Bd. 1⫺2. Berlin 1968. WIS: Wis, Marjetta: Ricerche sopra gli italianismi nella lingua tedesca. Dalla meta del secolo XIV alla fine del secolo XVI. Helsinki 1955. WÜLFING: Wülfing, Wulf: Schlagworte des Jungen Deutschland. Mit einer Einführung in die Schlagwortforschung. (⫽ Philologische Studien und Quellen 106). Berlin 1982. ZEDLER: Zedler, Johann Heinrich: Grosses vollständiges Universal-Lexicon aller Wissenschaften und Künste. Bd. 1⫺64 u. Suppl. 1⫺4. Leipzig/Halle 1732⫺54. ZETKIN/SCHALDACH: Zetkin, Maxim, Herbert Schaldach: Wörterbuch der Medizin in drei Bänden. 5., überarb. u. erw. Aufl. Hrsg. v. Herbert Schaldach. Stuttgart 1974. ZINDLER: Zindler, Horst: Anglizismen in der deutschen Pressesprache nach 1945. Diss. Kiel 1959. ZIRKER: Zirker, Otto: Die Bereicherung des deutschen Wortschatzes durch die spätmittelalterliche Mystik. Jena 1923. ZFDW: Zeitschrift für deutsche Wortforschung. Hrsg. v. Friedrich Kluge. Bd. I⫺XV, Straßburg 1901⫺1914.

XVI

Verzeichnis der digitalen Textsammlungen

Verzeichnis der digitalen Textsammlungen DiBi 1: Deutsche Literatur von Lessing bis Kafka. (⫽ Digitale Bibliothek Bd. 1). Berlin 1997. DiBi 2: Philosophie von Platon bis Nietzsche. (⫽ Digitale Bibliothek Bd. 2). Berlin 2000. DiBi 3: Geschichte der Philosophie. (⫽ Digitale Bibliothek Bd. 3). Berlin 2000. DiBi 9: Literaturlexikon: Autoren und Werke deutscher Sprache. Hrsg. v. Walther Killy (⫽ Digitale Bibliothek Bd. 9). Berlin 2001. DiBi 10: Johann Wolfgang Goethe: Briefe, Tagebücher, Gespräche. 2. Ausgabe (⫽ Digitale Bibliothek Bd. 10). Berlin 2004. DiBi 11: Karl Marx, Friedrich Engels: Ausgewählte Werke. 2. Ausgabe. (⫽ Digitale Bibliothek Bd. 11). Berlin 2004. DiBi 12: Die Religion in Geschichte und Gegenwart. Handwörterbuch für Theologie und Religionswissenschaft. In Gemeinschaft mit Hans Freiherr von Campenhausen u. a. hrsg. v. Kurt Galling. Dritte, völlig neu bearb. Aufl. Tübingen 1956⫺65. (⫽ Digitale Bibliothek Bd. 12). Berlin 2004. DiBi 15: Kurt Tucholsky. Werke ⫺ Briefe ⫺ Materialien. (⫽ Digitale Bibliothek Bd. 15). Berlin 1999. DiBi 19: Bilderlexikon der Erotik. Universallexikon der Sittengeschichte und Sexualwissenschaft. Wien 1928⫺32. (⫽ Digitale Bibliothek Bd. 19). Berlin 2003. DiBi 26: Geschichte des deutschen Buchwesens. 2. Ausgabe. (⫽ Digitale Bibliothek Bd. 26). Berlin 2004. DiBi 29: Die Luther-Bibel. Originalausgabe 1545 und revidierte Fassung 1912. (⫽ Digitale Bibliothek Bd. 29). 2. Ausgabe, Berlin 2004. DiBi 31: Friedrich Nietzsche: Werke. Hrsg. v. Karl Schlechta. 2. Ausgabe (⫽ Digitale Bibliothek Bd. 31). Berlin 2004 DiBi 43: Lexikon der Kunst. Begründet von Gerhard Strau߆. Hrsg. v. Harald Olbrich u. a. Leipzig 1987⫺94. (⫽ Digitale Bibliothek Bd. 43). Berlin 2004. DiBi 44: Heinrich Graetz: Geschichte der Juden. Von den ältesten Zeiten bis auf die Gegenwart (⫽ Digitale Bibliothek Bd. 44). Berlin 2004. DiBi 45: Deutsche Literatur von Frauen. Von Catharina von Greiffenberg bis Franziska von Reventlow. (⫽ Digitale Bibliothek Bd. 45). Berlin 2001. DiBi 50: Brockhaus’ Kleines Konversations-Lexikon (5. Auflage 1911). (⫽ Digitale Bibliothek Bd. 50). Berlin 2004. DiBi 55: Geschichte des Altertums. In Darstellungen von J. G. Droysen, T. Mommsen, u. a. (⫽ Digitale Bibliothek Bd. 55). Berlin 2005. DiBi 58: Max Weber: Gesammelte Werke. Mit einem Lebensbild von Marianne Weber. (⫽ Digitale Bibliothek Bd. 58). Berlin 2004. DiBi 62: Deutsches Sprichwörter-Lexikon. Hrsg. v. Karl Friedrich Wilhelm Wander (⫽ Digitale Bibliothek Bd. 62). Berlin 2004. DiBi 67: Johann Georg Sulzer: Allgemeine Theorie der Schönen Künste. Lexikon der Künste und der Ästhetik (⫽ Digitale Bibliothek Bd. 67). Berlin 2004. DiBi 75: Deutsche Lyrik von Luther bis Rilke. (⫽ Digitale Bibliothek Bd. 75). Berlin 2002. DiBi 76: Brehms Tierleben. Allgemeine Kunde des Tierreichs. (⫽ Digitale Bibliothek Bd. 76). Berlin 2004. DiBi 95: Deutsche Dramen von Hans Sachs bis Arthur Schnitzler. (⫽ Digitale Bibliothek Bd. 95). Berlin 2004.

Verzeichnis der digitalen Textsammlungen

XVII

DiBi 100: Meyers Großes Konversations-Lexikon. 6. Auflage 1905⫺09. Studienausgabe (⫽ Digitale Bibliothek Bd. 100). Berlin 2005. DiBi 102: Deutsche Autobiographien 1690⫺1930. Arbeiter, Gelehrte, Ingenieure, Künstler, Politiker, Schriftsteller. (⫽ Digitale Bibliothek Bd. 102). Berlin 2004. DiBi 106: Vollständiges Heiligen-Lexikon (Augsburg 1858⫺82). Hrsg. v. Johann E. Stadler u.a. (⫽ Digitale Bibliothek Bd. 106). Berlin 2005. DiBi 108: Gutes Benehmen. Anstandsbücher von Knigge bis heute. Hrsg. v. Werner Zillig. (⫽ Digitale Bibliothek Bd. 108). Berlin 2004. DiBi 111: Merkwürdige Literatur. (⫽ Digitale Bibliothek Bd. 111). Berlin 2005. DiBi 113: Deutsche Komponisten von Bach bis Wagner. (⫽ Digitale Bibliothek Bd. 113). Berlin 2004. DiBi 115: Pierer’s Universal-Lexikon. 4. Auflage 1857⫺65. (⫽ Digitale Bibliothek Bd. 115). Berlin 2005. DiBi 116: Lexikon der gesamten Technik. Herausgegeben von Otto Lueger. 2. Auflage 1904⫺ 20. (⫽ Digitale Bibliothek Bd. 116). Berlin 2005. DiBi 118: Damen Conversations Lexikon. Hrsg. v. Carl Herloßsohn. Leipzig 1834⫺38. (⫽ Digitale Bibliothek Bd. 118). Berlin 2005. DiBi 119: Fischer Weltgeschichte. Vollständige Ausgabe (⫽ Digitale Bibliothek Bd. 119). Berlin 2004. DiBi 125: Deutsche Literatur von Luther bis Tucholsky. (⫽ Digitale Bibliothek Bd. 125). Berlin 2005. DiBi 133: Herders Conversations-Lexikon. 1. Auflage 1854⫺57. (⫽ Digitale Bibliothek Bd. 133). Berlin 2005. DiBi 152: Oswald Spengler: Der Untergang des Abendlandes. Ausgewählte Schriften. (⫽ Digitale Bibliothek Bd. 152). Berlin 2007. DiBi Sond. 15: Thomas Nauerth: Handbibliothek Christlicher Friedenstheologie (⫽ Digitale Bibliothek Sonderbd. 15). Berlin 2004. DiBi Sond. 34: Die Fackel 1899⫺1936. (⫽ Digitale Bibliothek Sonderbd. 34). Zweite Ausgabe Frankfurt 2007. DTA: Deutsches Textarchiv. Berlin-Brandenburgische Akademie der Wissenschaften. (http:// www.deutschestextarchiv.de) DWDS: Das Digitale Wörterbuch der deutschen Sprache des 20. Jh. (http://www.dwds.de) GerManC: The GerManC project: A representative historical corpus of German 1650⫺1800 (http://www.llc.manchester.ac.uk/research/projects/germanc/). Auch verfügbar als Teil des Historischen Korpus des IDS über Cosmas II. (http:// www1.ids-mannheim.de/lexik/abgeschlosseneprojekte/historischeskorpus/germanc.html) MHD.BDB: Mittelhochdeutsche Begriffsdatenbank / Middle-High German Conceptual Database an der Universität Salzburg, unterstützt von der Universität Wien. (http:// mhdbdb.sbg.ac.at:8000/) Zeno.org: Zeno.org Volltextbiliothek. Contumax GmbH & Co. KG, Berlin. (http:// www.zeno.org/)

Abkürzungsverzeichnis Nachfolgend sind sämtliche Abkürzungen verzeichnet, die in den Artikelköpfen verwendet werden (recte), sowie eine Auswahl der am häufigsten benutzten Abkürzungen in den Zitierformeln der Belegteile (kursiv). abgek. Abk. Adj. adj. Adv. adv. ägypt. ahd. Akk. allg. alltagsspr. altengl. altfrz. altgriech. altind. altniederfränk. altnord. altprovenzal. altsächs. amerikan. angloind. Anh. Anm. Anz. arab. attr. Aufs. Ausg.

abgekürzt Abkürzung Adjektiv adjektivisch Adverb adverbial ägyptisch althochdeutsch Akkusativ allgemein alltagssprachlich altenglisch altfranzösisch altgriechisch altindisch altniederfränkisch altnordisch altprovenzalisch altsächsisch amerikanisch angloindisch Anhang Anmerkung(en) Anzeigen/Anzeiger arabisch attributiv Aufsätze Ausgabe

Bed. bes. Bibl. bildungsspr.

Bedeutung besonders Bibliothek bildungssprachlich

br. Br. Briefw. bzw.

brieflich Brief(e) Briefwechsel beziehungsweise

chemiespr.

chemiesprachlich

d. h. dän. dass. Dat. ders. dial. dies. dtsch.

das heißt dänisch dasselbe Dativ derselbe dialektal dieselbe deutsch

ebd. Einf. Einl. engl.

ebenda Einführung Einleitung englisch

F. fachspr. Festg. Festschr. fläm. flekt. frnhd. frz.

Femininum fachsprachlich Festgabe Festschrift flämisch flektiert frühneuhochdeutsch französisch

gaunerspr. gelehrtenlat. Gen. german. Ges.

gaunersprachlich gelehrtenlateinisch Genitiv germanisch Gesellschaft

XX

Abkürzungsverzeichnis

Ges. W. Gesch. Ggs. gleichbed. got. griech.

Gesammelte Werke Geschichte Gegensatz gleichbedeutend gotisch griechisch

hebr.

hebräisch

idg. insbes. intrans. isländ. ital.

indogermanisch insbesondere intransitiv isländisch italienisch

Jahrb. Jh. Jhs. jidd. jmd. jmdm. jmdn. jmds. jugendspr.

Jahrbuch/Jahrbücher Jahrhundert Jahrhunderts jiddisch jemand jemandem jemanden jemandes jugendsprachlich

kanzleilat. kaufmannsspr. kinderspr. kirchenlat.

kanzleilateinisch kaufmannssprachlich kindersprachlich kirchenlateinisch

langobard. lat. Lex. lit.

langobardisch lateinisch Lexicon/Lexikon litauisch

M. Mag. medizinerlat. medizinspr. mhd. militärspr. Mitt. mittelengl. mittelfrz. mittelgriech. mittelniederdtsch. mittelniederl. mlat.

Maskulinum Magazin medizinerlateinisch medizinsprachlich mittelhochdeutsch militärsprachlich Mitteilungen mittelenglisch mittelfranzösisch mittelgriechisch mittelniederdeutsch mittelniederländisch mittellateinisch

N. Nachr. niederdtsch. niederl. niederrhein. niedersächs. nlat. Nom. norddtsch.

Neutrum Nachrichten niederdeutsch niederländisch niederrheinisch niedersächsisch neulateinisch Nominativ norddeutsch

o. ä. / o. Ä. o. Nr. o. S. oberdtsch./Oberdtsch. österr. ostmitteldtsch. ostoberdtsch.

oder ähnlich / oder Ähnliche(s) ohne Nummer ohne Seitenangabe oberdeutsch/Oberdeutsch österreichisch ostmitteldeutsch ostoberdeutsch

Part. Perf. Part. Präs. pers. Personalpron. Pl. plur. poln. port. Possessivpron. präd. Präp. präp. provenzal.

Partizip Perfekt Partizip Präsens persisch Personalpronomen Plural pluralisch polnisch portugiesisch Possessivpronomen prädikativ Präposition präpositional provenzalisch

rechtsspr. reflex. Reg. regionalspr. russ.

rechtssprachlich reflexiv Register regionalsprachlich russisch

s. s. o. S. Schr. s. u. S. W. sanskr. schott. Schr. schwed.

siehe siehe oben Sämtliche Schriften siehe unten Sämtliche Werke sanskrit schottisch Schriften schwedisch

Abkürzungsverzeichnis

schweiz. Sing. sing. sog. span. spätgriech. spätlat. spätmhd. Steigerungsadv. Subst. subst. süd(west)dtsch.

schweizerisch Singular singularisch sogenannt spanisch spätgriechisch spätlateinisch spätmittelhochdeutsch Steigerungsadverb Substantiv substantivisch/ substantiviert süd(west)deutsch

Tageb. tatar. trans. tschech. türk. turkspr.

Tagebuch/Tagebücher tatarisch transitiv tschechisch türkisch turksprachlich

u. a. u. Ä. Übers. ugs. ukrain. unflekt. ungar.

und andere(s) und Ähnliche(s) Übersetzung umgangssprachlich ukrainisch unflektiert ungarisch

XXI

ungebr. urverw.

ungebräuchlich urverwandt

v. a. V. intrans. V. reflex. V. trans. venezian. Verbalsubst. verw. vgl. volkslat. Vorr. Vorw. vulgärlat.

vor allem intransitives Verb reflexives Verb transitives Verb venezianisch Verbalsubstantiv verwandt vergleiche volkslateinisch Vorrede Vorwort vulgärlateinisch

W. Wb. westfränk. westgerman. wissenschaftsspr.

Werke Wörterbuch westfränkisch westgermanisch wissenschaftssprachlich

z. B. z. T. Zs. Zschr. Zss. Ztg.

zum Beispiel zum Teil Zusammensetzung Zeitschrift Zusammensetzungen Zeitung

I ideal Adj., im späteren 17. Jh. zunächst in gebundener Form, erst seit Anfang 18. Jh. in der selbständigen Form nachgewiesene, auf spät-/mlat. idealis ¤der Idee, dem Urbild entsprechendÅ und daher ¤mustergültig, vorbildlich, vollkommenÅ (zu lat. idea, → Idee) zurückgehende adj. Ableitung zu → Idee (→ Ideal, → Idealismus, → ideell). 1a Zunächst und heute eher historisierend als philosophischer Terminus (meist mit Bezug auf die platonische Lehre von der Idee; → Idee 1a) in der (auf spätlat. idealis in seiner Bed. ¤nur gedanklich, geistig (existent)Å zurückgehenden) Bed. ¤nur vorgestellt, eingebildet, nicht wirklich, (noch) nicht realisiert; als (bloße) Idee existierend, auf Ideen beruhend, bezüglich, dazu gehörendÅ (vgl. fiktiv, → Fiktion 2; Ggs. faktisch, → real, → authentisch), auch spezieller ¤(nur) in Gottes Verstand (vor Erschaffung der Welt) befindlichÅ (s. Belege 1720.1, 1720.2; vgl. präexistent) und ¤nur auf Ideen, nicht auf unmittelbarer Erkenntnis beruhendÅ (s. Beleg 1724), in Wendungen wie ideale Erkenntnis, Bedingung, Natur, Vorstellung, Welt, Wissenschaft, idealer Zustand, Augenblick, ideale Ursachen und Zss. wie Idealform, -mensch, -vollkommenheit, Ideal-Welt, dann auch bezogen auf Denk- und Anschauungsweisen, weitgehend gleichbed. mit → ideell und heute weitgehend dadurch ersetzt in der Bed. ¤nur geistig vorgestellt, bloß in Gedanken vorausgesetzt, nur gedacht, in der Theorie; nur auf Annahmen beruhend, gegründet, angenommen, fingiert (und damit in der Wirklichkeit nicht vorhanden, nicht tatsächlich/wirklich, nicht natürlich, nur scheinbar); möglich, denkbarÅ (s. Belege 1733, 1772, um 1810, 1848; → phantastisch, → spekulativ, → theoretisch, → utopisch; vgl. fiktiv, → Fiktion, hypothetisch, → Hypothese, vgl. auch irreal, unreell, unrealistisch; Ggs. → real, → realistisch), z. B. ideale und hypothetische Vorstellungen von den reellen Anforderungen des Berufslebens. b Von daher seit früherem 18. Jh. unter Betonung des Aspekts der Vollkommenheit (wie sie den Ideen im platonischen Sinn zukommt) und der weitestgehenden Annäherung an ein (v. a. künstlerisches) Ideal für ¤musterhaft, vorbildlichÅ, zunächst im ästhetischen Kontext (mit Bezug auf bildende Kunst, Literatur, Musik) in der Bed. ¤in der höchsten kunstästhetischen Manier, vollkommen, vollendet (gestaltet)Å, anfangs auch als Bestimmungswort Ideal-, ideal- (Ggs. Normal-, normal-, → normal) in Zss. wie Idealschönheit ¤vollkommene SchönheitÅ und -bild ¤(Vorstellung von einer) Person oder Sache, die etwas in mustergültiger, vollkommener Weise repräsentiertÅ; seit früherem 18. Jh. neben der bis ins frühere 19. Jh. vorwiegenden Nebenform idealisch (s. u.), diese dann zunehmend ablösend, bes. in der Kunstbetrachtung in Hinsicht auf die Renaissance vor dem Hintergrund des in der antiken Kultur wurzelnden „Idealschönen“ (oft kurz für die Zs. idealschön gebraucht) in der Bed. ¤einer die Natur übersteigenden, sie zur höchsten Vollkommenheit und Vollendung

2

ideal

bringenden Idee (nach welcher der Künstler streben soll, die aber durch die Vorstellung überhöht ist und daher letztlich unerreicht bleibt) angenähert, entsprechend; (von Eigentümlichem, Besonderem, Überflüssigem bereinigt) schön, hohen/höchsten Maßstäben ästhetischer Vollkommenheit entsprechend und damit einem großen (künstlerischen) Vorbild, Ideal nahe kommend, gerecht werdend; (künstlerisch) vorbildhaft, normbildend, meister-/musterhaft, mustergültig; makel-, beispiellos, fehlerfrei; unübertrefflich, unvergleichlichÅ (→ perfekt, → harmonisch; vgl. klassisch, idealistisch, → Idealismus a), auch mit Bezug auf das Göttliche ¤(über das gewöhnliche, menschliche Maß) erhaben, dem Zustand der (göttlichen, übermenschlichen, überirdischen) Vollkommenheit entsprechend, darin aufgehoben; vollendet, vollkommenÅ (s. Beleg 1899) und im ethischen Bereich bezogen auf die Erziehung des Menschen zur Freiheit, das vorbildlich Gute zu verwirklichen, für ¤die höchstmögliche, vollendete Erfüllung der sittlichen Norm, den Zustand moralischer Vollkommenheit darstellendÅ (s. Belege 1776, 1883, 1919), in Wendungen wie idealer (¤in sich geschlossener, ein geordnetes, schönes Ganzes ergebenderÅ) Körper, die ideale (im klassisch-harmonischen Stil dargestellte) Landschaft/Statue, ideale Bestimmungen von Schönheit in der Literatur, Bilder, welche durch die Darstellung idealer Schönheit unsere Sinne entzücken, eine die ideale Harmonie des griechischen Menschenbildes widerspiegelnde Statue, Sehnsucht nach der idealen Einheit von Gott und menschlicher Welt, diese Abstrakta wieder in ein ideales Ganzes vereinigen, ideale Liebe, Tugend, idealer Staat, Charakter, ideales Individuum, Wesen, als Bestimmungswort mit der Bed. ¤durch die Vorstellung überhöht, vollkommenÅ in Zss. wie Idealfigur/-gestalt, -form (nach spätlat. forma idealis), -mensch, -moralist, -philosophie; idealethisch, -gesonnen, -philosophisch und adj. Reihen wie klassisch-/ klassizistisch-, platonisch-ideal. c Seit Ende 18. Jh. fachspr. im Bereich der Naturwissenschaft (bes. Mathematik, Physik) und (Verfahrens-)Technik in Bezug auf theoretische, d. h. mögliche, denkbare Objekte (Modelle, Abbilder, logische Rekonstruktionen) der Wirklichkeit und abstrakte Gegenstände höherer Ordnung (z. B. mathematisch-logische Beziehungen, Größen und Gebilde) in der Bed. ¤um alles Besondere, Zusätzliche, Überflüssige, Nebensächliche reduziert, davon abstrahiert und auf das Wesentliche (eine durchschnittliche, in der Realität nie erreichte Eigenschaft) konzentriert; an einem nicht an der Realität orientierten, sondern angenommenen Maß ausgerichtet; längs einer gedachten Norm, eines Durchschnitts konstruiert, normgerecht optimiertÅ (→ homogen; vgl. abstrakt, → Abstraktion, konstruktiv, prototypisch; Ggs. → empirisch, mechanisch, normal), in Wendungen wie idealer (¤möglicher, denkbarer, die zur Idealisierung benutzte Eigenschaft logisch repräsentierenderÅ) Gegenstand, ideale(s) (¤ohne physikalische Reibung strömende(s)Å) Flüssigkeit/Gas, ein ideal starrer, unelastischer Körper, idealer Quer-/Vertikalschnitt des Riesengebirges, als Bestimmungswort, z. T. alternierend mit Durchschnitts-, Modell-, in Zss. wie (in Verbindung mit Bezeichnungen für Abstrakta und Konstrukte:) Idealbeispiel, -maß/-wert, (in Verbindung mit Bezeichnungen für konkrete Gegenstände:) -kristall ¤(in der Mathematik postulierter) Kristall mit einer Regelmäßigkeit des Gitterbaus, wie sie in der Realität nicht vorkommen kannÅ (Ggs. Realkristall), -münze ¤ideeller Gegenwert einer bestimmten Menge EdelmetallÅ und in adj. Zss. wie (zur Charakterisierung von messbaren Daten, Maßen und Größen:) idealbemaßt, -gekrümmt, -groß, -hoch, -komplementär, -maßgerecht, -rund, -technisch; daneben, mit Bezug auf Menschen,

ideal

3

in der sozial-/sprachwissenschaftlich-empirischen Forschung ¤auf eine (angenommene) modellhafte, homogene Gemeinschaft, deren Teilhaber, typische Vertreter bezogenÅ, z. B. der ideale Staat, Grundrisse einer idealen Gesellschaft, der ideale Leser/ Zuschauer, die ideale Kommunikationsgemeinschaft, Sprechsituation, der ideale Sprecher (vgl. engl. ideal speaker); Idealstaat/-stadt ¤Staat/Stadt, der/die einer angenommenen sozialutopischen Vorstellung entsprechend nach einheitlichen (politischen, städtebaulichen o. ä.) Gesichtspunkten geplant istÅ, -sprache ¤(um die Unklarheiten der natürlichen Umgangssprache bereinigte) Modellsprache, durch Eindeutigkeit gekennzeichnete WissenschaftsspracheÅ und v. a. Idealtyp(us) ¤durch gedanklich einseitige Gewichtung und Steigerung bestimmter Elemente der Wirklichkeit gewonnene ideale Ausprägung von etwasÅ (→ Modell, → Prototyp), mit der adj. Ableitung idealtypisch ¤modellhaftÅ. 2 Seit spätem 18. Jh. positiv aufgewertet auch ¤vom Ideell-Geistigen bestimmt, an dessen Vorstellungen und Ansprüchen gemessen, (geistig) anspruchsvoll, hochstehend, (hoch-)geistig, geistreich, edelÅ (s. Belege 1841, 1885, 1922; vgl. immateriell; Ggs. materialistisch, → Materialismus, materiell, → Materie, → praktisch, → pragmatisch), z. B. seine idealen Anschauungen prädestinierten ihn für die Geisteswissenschaften und machten ihn untauglich zu praktischer Arbeit, ihre intellektuelle Ausstrahlung beruht auf ihrer idealen Geisteshaltung, sowie, weitgehend gleichbed. mit idealistisch (→ Idealismus b) um ein weiteres moralisch positiv wertendes Moment verstärkt zu ¤(hohe, hehre) ethisch-/politisch-weltanschauliche Ziele und (Zukunfts-)Hoffnungen verfolgend, nach Idealen strebendÅ (s. Belege 1897, 1919, 1941; vgl. optimistisch, → Optimismus), in Wendungen wie diese Gemeinschaft gründet sich auf gemeinsame ideale Ziele, idealen Friedensbestrebungen dienen, ideale Weltbetrachtung, sowie in (eher okkasionellen) Zss. wie (zur Charakterisierung von politischen, kulturellen o. ä. Einschätzungen, Einstellungen:) idealdemokratisch, -konservativ, -politisch, -kommunistisch/-sozial(istisch), -revolutionär, -romantisch, -utopisch; gesellschafts-, romantisch-ideal. 3 Seit Mitte 19. Jh. in den alltagsspr. Bereich erweitert, zunehmend allgemeiner bis abgeflacht und positiv wertend auf Gegenstände, Sachverhalte und mitunter Personen bezogen für ¤im höchsten Maße den persönlichen oder allgemeinen (Wunsch-/ Ziel-)Vorstellungen, Zielen und Ansprüchen entsprechend, genügend, höchst wünschenswert, zufriedenstellend; für bestimmte Zwecke nicht besser denk-/vorstellbar; die denkbar besten, günstigsten Voraussetzungen darstellend, bietend; am besten angepasst/passend, bestmöglich, bestens (geeignet); ausgezeichnet, erstklassig, hervorragend, vortrefflichÅ (→ exzellent, → famos, → genial, → grandios, → maximal, → optimal, → perfekt), in Wendungen wie den idealen Partner für die Ehe finden, das Flugzeug startete unter idealen Wetterbedingungen, der ideale Darsteller für diese Rolle, das Grundstück verfügt über eine ideale Lage am Stadtrand, inmitten eines idealen Skigebietes, Smoking und Abendkleid sind die idealen Kleidungsstücke für einen festlichen Opernabend, der Elektromotor wäre der ideale Antrieb für einen Stadtwagen, in idealer körperlicher Verfassung, ideale Voraussetzungen für einen Traumurlaub, als Bestimmungswort Ideal-/ideal- mit der Bed. ¤denkbar beste(r,s), günstigste(r,s)Å konkurrierend mit Optimal-/optimal-, Maximal-/maximal- (Ggs. Normal-/normal-, → normal) in z. T. okkasionellen Zss. wie Idealalter, -bedingung, -besetzung, -fall, -figur (im Sinne von ¤erstklassige FigurÅ), -forderung (¤angestrebte Maximalforderung, die sich aber nicht immer realisieren lässtÅ), -gewicht ¤für opti-

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ideal

mal gehaltenes, etwas unter dem Normalgewicht liegendes KörpergewichtÅ, -lösung, -konstellation, -partner, -situation, -wetter, -zustand, (bes. im Sport:) Idealelf, -flanke, -linie ¤bester Streckenverlauf zwischen Start und Ziel (bei Rennwettbewerben)Å, -pass, -zuspiel; idealbesetzt; börsen-, rollenideal. Daneben die bereits seit spätem 17. Jh. als Simplex nachgewiesene (ebenfalls auf spät-/mlat. idealis (s. o.) zurückgehende), im Verlaufe des 19. Jhs. durch ideal weitgehend abgelöste und heute meist historisierend (oder im Sinne von ¤idealistischÅ) gebrauchte bildungsspr. Variante idealisch Adj. ¤nur in der Vorstellung, Theorie, als Idee (und nicht wirklich) vorhanden, geistig (vorgestellt)Å (→ ideell; vgl. hypothetisch, → Hypothese; zu 1a), seit Mitte 18. Jh. ¤einem (angestrebten, unerreichbaren) Maßstab, Vorbild angenähert, vorbildlich, vollkommen; überirdisch/-menschlichÅ im ästhetisch- und ethisch-philosophischen Sinne (zu 1b), seit späterem 18. Jh. selten, in neuerer Zeit verstärkt ¤vom Ideell-Geistigen bestimmt, (hoch-)geistig, sich an Idealen orientierend, nach Höchstem strebendÅ (zu 2), vereinzelt auch ¤in höchstem Maße zufriedenstellend, bestmöglich, bestensÅ (zu 3) und ¤um alles Nebensächliche reduziert, aufs Wesentliche beschränkt, abstraktÅ (zu 1c). Dazu seit Mitte 18. Jh. die unter dem Einfluss von gleichbed. frz. ide´aliser aufgekommene verbale Ableitung idealisieren V. trans., auch reflex. verwendet, für ¤(sich) vorstellen, ausdenken, ausmalen, zusammenreimen, erdichten, erfinden; auf Ideen zurückführen, über Ideen erklärenÅ (zu 1a), dann bes. im ästhetisch-philosophischen Bereich (bildende Künste, Literatur, Philosophie) ¤dem Vollkommenheitsbegriff näher bringen, (die Wirklichkeit) poetisch, künstlerisch verklären, verschönernÅ (→ abstrahieren, → stilisieren) und ¤etwas (z. B. philosophisch-abstrakte Phänomene) in einem idealen Licht sehen, zum Ideal erhebenÅ, z. B. eine Landschaft idealisieren, der Hang, die Antike zu idealisieren, oft adj. in der Part. Perf.-Form idealisiert ¤nicht wirklich; verklärtÅ oder in der Part. Präs.-Form idealisierend ¤verklärend, erhebendÅ, z. B. er ließ ein idealisiertes Porträt von ihr herstellen, eine durch Kunst idealisierte Gegend, die idealisierende Bearbeitung historischer Stoffe, idealisierende Darstellungen des Eldorado, idealisierender Klassizismus (zu 1b); dann, neben intensivierendem veridealisieren, allgemeiner bis abgeflacht und wertend für ¤jmdn./etwas als vollkommener betrachten als er/es in Wirklichkeit ist; (die Wirklichkeit) in einem besseren Licht sehen, betrachten, überhöhen, (nachträglich) verklären, schönreden, beschönigen, rechtfertigenÅ (→ glorifizieren b; vgl. euphemisieren, → Euphemismus, idyllisieren, → Idylle b), auch ¤verharmlosen, herunterspielenÅ (vgl. bagatellisieren, → Bagatelle), z. B. seine traurige Kindheit im Nachhinein idealisieren (zu 3), in jüngster Zeit vereinzelt im naturwissenschaftlich-technischen (bes. Messtechnik) Sinne (zu 1c); mit dem seit spätem 18. Jh. nachgewiesenen Verbalsubst. Idealisierung F. (-; -en) ¤Erhebung der Wirklichkeit ins Schöne, Vergeistigung philosophischabstrakter Phänomene und Universalien zum Ideal, dem absoluten Maßstab der ästhetisch-philosophischen Vollkommenheit; (philosophisch-poetische, ethisch-sittliche) Absolutsetzung (z. B. der Natur, Liebe, Familie, Gottes o. Ä.)Å, vereinzelt auch im praktischen Sinne ¤vollständige Aufeinanderabstimmung, Anpassung, Vereinheitlichung (z. B. des Aufbaus, der Abläufe einer behördlichen Einrichtung)Å (s. Beleg 1804; vgl. Optimierung, Harmonisierung, Perfektionierung), z. B. die Idealisierung des Mittelalters, die neuhumanistische Idealisierung des Griechentums, eine Idealisierung altgermanischen Bardentums, Begriffe werden durch Idealisierung gebildet (zu 1b), auch ¤Vereinfachung, Abstraktion von Tatsachen bei der Formulierung na-

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turwissenschaftlicher o. ä. GesetzeÅ (zu 1c) bzw. ¤(nachträgliche) Überhöhung, Beschönigung, Verkennung, Verdrängung, Rechtfertigung, Entlastung, Verteidigung, Verleugnung (negativer Sachverhalte)Å (→ Alibi, → Apologie; vgl. Idyllisierung, → Idylle), z. B. die Idealisierung der Armut, der rauen Wirklichkeit (zu 3), und der seit spätem 18. Jh. bezeugten Personenbezeichnung Idealisierer M. (-; -e), auch moviert Idealisiererin, veraltet oder historisierend ¤jmd., der sich (dichterisch) etwas ausdenkt, -malt, etwas erdichtet, erfindet, zusammenreimtÅ (→ Utopist; vgl. Futurist, → Futur, Phantast; zu 1b), auch ¤jmd., der einen Betrachtungsgegenstand um alles Zusätzliche, Nebensächliche reduziert, an einem angenommenen Maß ausrichtetÅ (zu 1c) und ¤jmd., der (weltfremd und naiv) die Dinge besser darstellt, als sie sind, die Wahrheit verklärt, verfälscht, leugnet, einer Lebenslüge verfällt, sie verbreitetÅ (zu 3). Seit späterem 18. Jh. die v. a. im philosophischen und ästhetischen Zusammenhang verwendete subst. Ableitung Idealität F. (-; -en), zunächst für ¤bloße Idee, nur in der Vorstellung vorhandener geistiger Gehalt, Begriff, BewusstseinsinhaltÅ (Ggs. → Realität), auch ¤das zeitlos, unendlich Seiende (in Bezug auf seinen allgemeinen Seinscharakter)Å (s. Beleg 1969), in Wendungen wie die Grenzen der transzendentalen Idealität des Raumes und der Zeit, zeitlose Idealität des Menschen (zu 1a), dann überwiegend in der Bed. ¤das (Ideal-)Sein als Zustand klassisch-harmonischer Ausgeglichenheit/-gewogenheit (in Maß und Proportionen), (bes. künstlerische) Vollkommenheit, VollendungÅ (→ Harmonie, → Proportion, vgl. Klassizität), z. B. Raffaels klassische Harmonie und Idealität, hellenistische Idealität, verklärende Idealität der Musik, der adelig-ritterlichen Idealität verhaftet (zu 1b), in neuerer und jüngster Zeit im naturwissenschaftlich-technischen Sinne auch ¤durch Reduktion oder Abstraktion bestimmter Elemente der Wirklichkeit gewonnene ideale Ausprägung von etwasÅ, z. B. Idealität als Werkzeug technischer Vorgehensweisen (zu 1c), vereinzelt ¤(erstrebenswerter) bestmöglicher Zustand, am besten geeignete (angestrebte, erwünschte) BeschaffenheitÅ (zu 3) und ¤von ideellen, geistigen Vorstellungen und Ansprüchen geprägte Anschauungsform, EinstellungÅ (→ Idealismus b, → Utopie; vgl. Irrealität; Ggs. → Realität), z. B. Idealität der Absichten (zu 2). Vgl. seit spätem 17. Jh. das (mit der lat. Adv.-Endung -iter zu ideal gebildete) Adv. idealiter, vereinzelt in der Bed. ¤(nur) auf der (göttlichen) Vorstellung, nicht auf unmittelbarer Erkenntnis beruhendÅ, seit Ende 18. Jh. bildungsspr. ¤angenommen(-erweise), gedanklich, (nur) in der Theorie, im Kopf, im Geiste (vorgestellt, ausgedacht); nicht eigentlich/tatsächlich/wirklichÅ (→ theoretisch; vgl. hypothetisch, → Hypothese; Ggs. realiter; zu 1a) und in neuerer Zeit abgeflacht ¤unter optimalen Umständen, optimalerweise; im besten (angestrebten) Fall, bestenfallsÅ, gleichbed. mit der adv. Ableitung idealerweise (zu 3). ideal 1a: Hirsch 1662 Kirchers Musurgia 289 Von der harmonischen Proportion aller Ding. Diß ist ein allgemeine form/ so sich in allen ordentlich disponirten Sachen befindet/ verursachet alle Harmony/ dann weil die gantze Natur harmonisch ist/ und damit alle Sachen von solcher Harmony participirten/ hat Gott der wunder-weise Schöpfer eine verborgene Ketten aller Ideal-formen/ von dem ersten archetypo bis zu dem letzten continuiret/ in die gantze Natur geleget; Francisci 1676 Lust-Haus

83 mit einem Discurs/ von der Platonischen IdealWelt/ deren er/ . . vorhin Meldung gethan: Was nemlich Plato eigentlich damit habe gemeint?; Alethophilus 1708 Vollkommenheit 148 Ob zu diesem Glauben wesentlich gehöre/ daß ein jeder/ weil er in dieser Welt lebet/ eine ideale Erkäntniß von denen Dingen habe/ die sich in der Person Christi zugetragen; so daß alle diejenige welche hie auf Erden solche Historie nicht gewust/ nothwendig müssen verdammet werden?; Leibniz 1720 Theodi-

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ce´e (Übers.) 437 Eben so schicket sich auch die Tugend schon vor den idealen Zustand der vernünfftigen Creaturen, ehe sie noch GOtt zu schaffen beschlüst, und deswegen sagen wir auch, daß die Tugenden ihrer Natur nach gut sind; ebd. 621 nach dem Systemate der Harmoniæ præstabilitæ findet die Seele in ihr selbst und ihrer idealen Natur, die noch vor ihrer Existentz gewesen, die Ursachen ihrer Determination; Alethophilus 1724 Vollkommenheit 149 Daß im Gegentheil, wenn diese oder jene Meynung aus dieser idealen Wissenschaft, wenn sie schon an sich selbst unwahr, uns an der Liebe, Lauterkeit des Hertzens vor GOtt und anhaltendem Gebet um den Geist der Wahrheit, in der That nicht hindert; selbige uns auch an der wahren Weisheit . . nicht schade; Scheuchzer 1733 Kupfer-Bibel 388 Von Schlangen-Gifft werden wir anderswo bequemer reden, ob es in gewissen Säcklein unter den Zähnen liege, oder ob es, so zu reden, nur ideal seye, und in einer hefftigen Bewegung der erzürnten Geister bestehe; Herder 1767 Dtsch. Literatur (S. W. I 230) [die Frage] welche unter denen in Europa recht bekannt gewordenen Sprachen der Idealvollkommenheit einer Sprache, die Worte braucht, am nächsten kömmt; Wieland 1772 D. goldene Spiegel 270 Anm. In einem idealen Staate kann man alles einrichten wie man will; in einem wirklichen ist der größte Monarch nicht allezeit noch in allen Stücken Herr über die Umstände; Goethe um 1810 Farbenlehre (WA II 5.2,236) Unter gebildeten Völkern zeigt sich . . ein Sprung unmittelbar vom Phänomen zur hypothetischen Erklärung. Daher oft gemeine, krude Vergleichungen. Z. B. daß das Auge gleichsam mit einem idealen Stabe die Gegenstände befühle; Neue Rhein. Ztg. 7. 6. 1848 (MEW V 40) Die deutsche Nationalversammlung . . leidet an einer eigentümlich germanischen Krankheit. Sie residiert in Frankfurt am Main, und Frankfurt am Main ist nur ein idealer Mittelpunkt, wie er der bisherigen idealen, d. h. nur eingebildeten Einheit Deutschlands entsprach; Lasaulx 1854 Untergang d. Hellenismus 19 zweitens als praktische Künste die Baukunst und Zimmermannskunst . . drittens als theoretische Künste, solche die mehr idealer Natur seien, Geometrie, Poesie, Beredsamkeit, und die höchste von allen, die Philosophie; Hartmann 1869 Philos. 3 dass damit [Begriff der unbewussten Vorstellung] eine ausserhalb des Bewusstseins fallende unbekannte Ursache gewisser Vorgänge gemeint ist, welche den Namen Vorstellung erhalten hat, weil sie mit dem uns im Bewusstsein als Vorstellung Bekannten das gemein hat, dass sie wie jene einen idealen Inhalt besitzt, der selbst keine Realität hat, sondern höchstens einer äusseren Realität im idealen Bilde gleichen kann; Dilthey 1883 Einl. i. d. Geisteswiss. (Ges. Schr. I 187) Unabhängig

von der äußeren sinnlichen Erfahrung trägt nach Plato der Mensch die ideale Welt in sich; Haeckel 1899 Welträtsel (Ges. W. III 25) Die Philosophen haben allmählich eingesehen, daß die reine Spekulation, wie sie z. B. Plato und Hegel zur idealen Weltkonstruktion benutzten, zur wahren Erkenntnis nicht ausreicht; Heyking 1905 Tag 73 denn die Musik ist doch diejenige Kunst, die am meisten über die greifbare Welt hinaushebt und Vergessen der Wirklichkeit schenkt. Wer sie daher vor allen andern Künsten bevorzugt, dem hat das Leben wohl wenig gehalten von dem, was es zu versprechen schien und hat ihm als Rettung nur die Flucht in eine ideale Welt gelassen; Gröschner 1982 Dialogik u. Jurisprudenz 49 Anm. Über Existenz oder Nichtexistenz, reale, ideale oder fiktive Seinsweise derartiger Gesetze und Prinzipien [z. B. das Moralprinzip, zu antworten, wenn man gefragt wird] ist damit noch nicht entschieden; Knatz/Otabe 2005 Ästhet. Subjektivität 279 Das Absolute wird von unserem Bewusstsein eingebildet oder vorgestellt, dies ist eine Einbildung des Absoluten oder des Unendlichen in ein Endliches, in einer realen Einheit. Zugleich aber wird damit auch eine ideale Einheit gesetzt, in der das Endliche ins Unendliche eingebildet wird. idealisch 1a: Francisci 1676 Lust-Haus 86 Diese so hohe und tieffsinnige Gedancken haben die nachgeborne Egypter nicht verstanden; sondern die äusserliche Formen der Dinge/ mit den inneren Gestalten der idealischen Ursachen/ vermengt; ebd. 108 Wir haben vernommen/ daß die Egypter eine vierfache Welt gesetzet; als die öberste [göttliche] idealische und urbildliche Welt/ zweytens/ die Engel-Welt; drittens die Sternen-Welt; vierdtens/ die elementarische; Böhme 1682 Theosoph. W. Vorber. [3] Also findet man in diesen Schrifften Göttlicher Offenbahrung eine solche Tieffe und Reichthumb der Weißheit . . Aus welchen wir durch Göttliche Genade erblicket die Idealische Gestalt dieses Geistes/ als der Gabe der Offenbahrung dieser Zeit . . in der ersten Figur des Tituls aller seiner Wercke vorgestellet; Francisci 1690 D. höllische Proteus 747 Er gehe hin/ zu den Blumen/ und Blätern: die können ihn lehren/ daß ohn zuvor vorhandenen idealischen Saamen der Sommer-Vögel oder Zwiefalter/ und Raupen/ solches Geziefer/ aus Blumen und Laub erwachsen können. Aus Raupen/ werden Spinnen/ aus Würmern Mucken und Fliegen . . aus dem . . Roß- oder Küh-Mist/ Kefer: da doch das Würmlein keine Mucken/ der Ochs / und das Pferd auch weder Fliegen/ noch Bienen frisst/ noch einige idealische Signatur der Bienen oder Fliegen in seinem Fleisch hat/ so lang er noch lebendig ist; 1717 Dtsch. Acta eruditorum XLIX 38 Die Bewegung, weil sie nun allezeit von dem Geiste oder

ideal Elemente herrühret, theilet der Herr Autor in die Mechanische, und Idealische, und verstehet durch jene die, so ihren Ursprung von den Elementen, durch diese diejenige, so ihn vom Geiste hat; ebd. 30 f. Übrigens hält er nach Anleitung seiner zweyen Elementen dafür, daß nur zwey erstere Mechanische Cörper, die Atmosphärische Lufft und das Feuer, die Idealischen aber unzehlich wären; Leibniz 1720 Theodice´e (Übers.) 437 die Reguln von der Proportion und der Harmonie in Ansehung der Musicorum wären eigenwillig, weil sie alsdenn erst statt finden, wenn man singen oder auf einem Instrument spielen will. Allein das nennet man eben das wesentliche Stücke zu einer Music; denn die Reguln der Harmonie kommen ihr schon im idealischen Zustande zu, wenn gleich noch niemand singen will; Meier 1755 Metaphysik I 272 Wenn man sagt, daß das Leiden einer Substanz zugleich ihre eigene Handlung [Vorstellung] sey, so nennt man das Leiden ein idealisches Leiden; Schubart 1774 Dtsch. Chr. 98 Hier finden wir keine idealische Reise irgend eines Robinsons, sondern die würkliche Reise eines Mannes, der als philosophischer Kundschafter reisete; Musäus 1781 Physiognom. Reisen II 139 idealische Conversation [bloß durch Aneinanderdenken]; ebd. II 140 dass etwan ein weiter Raum [ihn] von mir trennt’/ gaben wir uns idealische Rendesvous im Mond; Friedel 1783 Br. I 456 daß auf allÅ unsern Promenaden . . neue Bekanntschaften angesponnen, neue Abentheuerchen bestanden, und so der Liebe – wenn auch nur idealisch – neue Opfer gebracht werden; Moritz 1786 Reiser 158 Was Wunder, daß es [Herz] sich in einer idealischen Welt wieder zu erweitern . . suchte! – In dem Schaupiel schien er sich gleichsam wiederzufinden, nachdem er sich in seiner wirklichen Welt beinahe verloren hatte (DiBi 1); Maimon 1791 Philos. Wb. I 14 Eine Sammlung von Definitionen soll gleich einer Wechselkurstabelle nicht nur das Verhältnis ihres relativen Werthes gegeneinander, sondern auch den absoluten Werth einer jeden nach einer idealischen Münze . . angeben; Schiller 1796 Naive u. sent. Dichtung (XVIII 504) Die Übereinstimmung zwischen seinem Empfinden und Denken, die in dem ersten Zustande wirklich stattfand, existiert jetzt bloß idealisch; Jenisch 1800 Geist u. Charakter 402 Keineswegs gleichgültig gegen den eigentlichen Genuß, reizen den überfeinerten Menschen gerade diese Vorbereitungen auf denselben, diese Mittelzustände . . von idealischem und sinnlichem Genuß am meisten; 1817 Fortschritte nationalökon. Wiss. Einltg. 2 dass . . der . . Werthmassstab des Pfundes Sterling ein idealischer sey; taz 16. 7. 1990 Wir befinden uns in einem idealischen Italien. So sichtbar an den auf Skizze stilisierten Kostümen.

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idealisieren 1a: 1756 Götting. gel. Anz. II 879 Dieser Abt [Condillac] ist fast auf die Berkleyischen Gedanken gefallen, und hat alles idealisirt, und die Empfindung als ein mit der Natur der Maschine streitendes, den Geistern eigenes Amt bestätigt; Herder 1769 Krit. Wälder (S. W. III 44) wie sehr sind wir [Lessing und Herder] aber in dem Eindrucke verschieden, den dieses Stück [SophoklesÅ Philoktet] machen soll. Einer von beiden kann nur Recht haben, und der andre hat sich nur nicht gnug idealisiren können, um nicht zu lesen, sondern zu sehen; ders. 1774 Philos. d. Gesch. z. Bildung d. Menschheit 369 Siehe, wie sie in spätern Jahren, vielleicht auch übertrieben, nun andre Früchte der Ergötzlichkeit suchen, sich neue Welten idealisieren und mit ihrem Unheil die Welt bessern! (DiBi 125); 1781 Wienerischer Musenalmanach Vorber. o. S. Der erste Stifter dieses Instituts . . der von seinem Unternehmen . . eine eigene poetische Blumenlese zu geben nur aus Überdruss abstand, weil er sah, dass es das nicht ward, was er sich idealisirt hatte. Idealität 1a: Zinzendorf 1766 Reden üb. d. Evangelisten 79 daß wir wirklich tugendhafte Leute sind, das kan wieder nicht beschrieben werden; das ginge schon wieder in Bücher-Idealität hinein, wenn man das ausreden wolte, was Er [der himmlische Vater] in uns wirkt, wie Er uns keusch, wie Er uns demüthig macht; 1778 Waaren-Accise 27 die Theurung . . ist . . ein sicheres Kennzeichen vom Mangel der Lebensnothdürften, und dieser ist . . um so viel empfindlicher als die Realität der Reichthümer an Lebensnothdürften von der Idealität derjenigen, die man im Gelde sucht, differiret; Kant 1787 W. II 77 die Realität (d. i. die objektive Gültigkeit) des Raumes in Ansehung alles dessen, was äußerlich als Gegenstand uns vorkommen kann, aber zugleich die Idealität des Raums in Ansehung der Dinge, wenn sie durch die Vernunft an sich selbst erwogen werden . . die transzendentale Idealität desselben; Bornträger 1788 Üb. d. Daseyn Gottes 51 Es ist also ein anders, wenn ich sage: Gott ist unabhängig oder sein Seyn hat nicht den Grund in andern Wesen auser ihm als wenn ich sage: Gott existirt wirklich . . beides sind doch sehr verschiedene Begriffe. Jener Begriff schwingt sich noch gar nicht aus der Sphäre der Idealität oder Möglichkeit, der letztere liegt aber allerdings schon im Gebiet der Realität oder Wirklichkeit; Martin 1969 Immanuel Kant 43 Kant bestimmt die Idealität des Raumes und der Zeit als eine transzendentale . . Wenn Kant von einer transzendentalen Idealität oder Realität spricht, so bedeutet das also, daß das in Frage stehende Seiende in Bezug auf seinen allgemeinen Seinscharakter betrachtet, ideal oder real ist; Berl. Ztg. 28. 4. 2000 Eine ge-

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wisse Idealität zeichnet die Form dieses Vortrags aus. Während nämlich das politische Handeln vom Mangel an Zeit bedrängt wird . . zeigt der Redner auf der anderen Seite, dass er kraft seiner Gedanken über weiteste Zeiträume verfügt; Zeit (online) 27. 12. 2007 Brancusi . . reduziert die Formen und Linien des Kopfes auf ein Minimum . . weist, durch die Isolation und in sich ausbalancierte Ruhestellung des Kopfes, der nie einem Körper verbunden war, hin auf die Ewigkeit einer Urform, ihre Idealität. idealiter 1a: Francisci 1676 Lust-Haus 85 deß Menschen . . und andrer Geschöpffe urständige Muster in Gott (Ideæ) wären Gott selbst; kurtz/ . . ein in GOtt ur-bildlich (idealiter) betrachtetes Pferd sey GOtt selbst; Pordage 1698 Theologia Mystica (Übers.) 86 Solchem nach müssen wir wissen/ daß diese geeinfältigte Geister idealiter/ und als ein Bild in einem Spiegel/ von aller Ewigkeit her im Auge der Ewigkeit gestanden; ebd. 87 Diese alles auswirckende Krafft nun ist die Krafft des Heiligen Geistes; welcher der Ausgebehrer und wirckliche Offenbarer alles dessen ist/ was im Auge des Vatters idealiter verborgen liget; Brucker 1735 Kurtze Fragen a. d. Philosoph. Historie VI 582 Christus ist das Wort, das idealiter alles in sich hat; Fichte 1794 Grundlage 121 Dieses nun bloss idealiter gesezte im NichtIch, soll realiter der Grund eines Leidens im Ich, der Ideal-Grund soll ein Real-Grund werden; Schelling 1800 Zschr. f. spekulative Physik I 38 A und B sollen ursprünglich schon nicht bloss idealiter sondern realiter Eins seyn, um einzusehen, dass diese Forderung nur in der Materie erfüllt ist; Schopenhauer 1840 Moral 75 bloß auf den Kredit jenes so in der Luft schwebenden Fundaments der Moral, die Freiheit, wenn auch nur idealiter und als ein Postulat, angenommen; Hartmann 1869 Philos. 31 Dass Z nicht als reale Existenz, sondern nur idealiter, d. h. als Vorstellung den Vorgang beeinflussen kann, versteht sich von selbst; ebd. 84 Da nun aber dieser zukünftige Zustand als ein gegenwärtig noch nicht seiender in dem gegenwärtigen Actus des Wollens realiter nicht sein kann, aber doch darin sein muss, damit derselbe erst möglich wird, so muss er nothwendiger Weise idealiter, d. h. als Vorstellung in demselben enthalten sein; Stoll 1931 Festg. Philipp Heck 348 also ist auch die Haftung nur idealiter, nicht realiter auf ihren Ertrag beschränkt, wenn nicht das Gegenteil ausdrücklich bedungen ist; taz 19. 11. 1992 Das ist die Grundvoraussetzung jedes Prozesses: die Frage der strafrechtlich relevanten Schuld bleibt – zumindest idealiter – bis zum letzten Tag offen; ebd. 2. 8. 2008 eine Zeitschrift für „alles Mögliche“ . . wurde von der nationalen und

internationalen Subkulturszene beliefert und war zumindest idealiter im Kollektiv hergestellt. ideal 1b: Bodmer 1741 Poet. Gemälde 392 Von diesem Unterschied der moralischen und der historischen Character hat der Herr Antonio Conti in seinem Schreiben an den Hrn. Martelli . . allzu zweydeutig geredet, wenn er sagt: „Ich unterscheide die Character der Personen in ideale und natürliche. Die Idealen kommen gewissen möglichen Menschen zu, die erdichtet worden, die Würckungen der Tugend und des Lasters auf eine angenehme Weise sinnlich zu machen. . .“; Lessing 1760 Literaturbr. VIII 115 Ich habe Ihnen schon vor einiger Zeit meine Gedanken über die vollkommen tugendhaften Charaktere eröfnet, und, wie ich glaube, nicht ohne Grund behauptet, daß die Idealschönheit der Dichtkunst nicht nur von der vollkommenen Tugend unterschieden, sondern auch mit derselben schwehrlich zu verbinden sey; Sonnenfels 1768 Porträtmaler 39 Das heisst eigentlich eine gelehrte Ähnlichkeit, wenn der Künstler die individuelle Schönheit, der Idealen [!] am nächsten zu bringen, seinen Köpfen einen sanften Umriss, ein reizendes Verhältniss der Theile, eine geschmackvolle Wendung, eine anständige Würde zu geben . . weis [!]; Wezel 1776 Belphegor 5 So lange ein Mann . . die Erfahrungen zu seinen Begriffen blos aus seinem guten Herzen . . hernimmt, so lange wird er sich mit schönen Illusionen hintergehen, der Mensch wird ihm ein Geschöpf höherer Ordnung, geschmückt mit den auserlesensten moralischen Vollkommenheiten . . seyn. Man stoße ihn aus seiner idealen Welt in die wirkliche . . wie wird sich die ganze Scene in seinem Kopfe verwandeln! (DiBi 125); Timme 1785 Luftbaumeister I 277 Um alle diese Zweke zu erreichen, ist aber nicht hinlänglich, die Natur allzeit zu kopiren, wie sie ist: der Künstler mus sie zu veredeln wissen. Er mus . . von der Summe der vorhandenen Dinge, einzelne Vollkommenheiten absondern, und diese Abstrakta wieder in ein ideales Ganze zu vereinigen wissen, das zwar nur in zerstreuten Teilen wirklich existirt, eigentlich aber den höchsten Gipfel der Kunst ausmacht, weil es die höchstmögliche Vollkommenheit in einem einzigen Gegenstand als wirklich vorstellt; Schiller 1796 Naive u. sent. Dichtung (XVII 508) indem hier wirklich das Individuum ideal sei und das Ideal in einem Individuum erscheine – die Aufgabe auch in der Dichtkunst, das Ideale zu individualisieren und das Individuum zu idealisieren; ebd. 540 dazu ist er [Geßners Hirte] ein zu ideales Wesen; Füssli 1798 Krit. Verzeichniß I 58 ihr Gesicht hat noch weniger Idealschönheit, als die übrigen Formen, aber einen reizenden, schlauen, und zur Wollust einladenden Ausdruck; Mayer 1808 Schr. 51,24 Um das Außer-

ideal ordentliche in Kräften und Thaten eines Heldencharakters als wahrscheinlich darzustellen, pflegt der bildende Künstler von ächtem Geschmack sich außerordentlicher und idealer Formen zu bedienen; 1810 Almanach a. Rom I Vorerinn. Junius o. S. Höchst vollendete Ausführung in der Darstellung idealer Lieblichkeit und Grazie; Bouterwek 1815 Ästhetik I 65 Im Anschauen der idealen Schönheit ist das ästhetische Emporstreben zum Unendlichen durch eine gewisse Form, gleichsam zauberisch, bestimmt. Nahe verwandt mit dem Ideal-Schönen ist das Erhabene; Gaudy 1837 Katzen-Raphael (VI 9) Ein seltner Fund . . eins der ausgezeichnetsten Blätter des Meisters . . Betrachtet nur . . dieses göttliche Bauerweib, wie es die Nase in den Steinkrug steckt; staunt den greinenden Bengel an, die Katze, welche mit gekrümmtem Rücken und steil emporgerichtetem Schwanz sich an dem Schemelfuß reibt – ein idealer Kater!; Hundt v. Hafften 1863 Rechte I 172 Sind die Frauen, als die irdischen Repräsentanten idealer Schönheit der Kunst ewig Object, als die irdischen Repräsentationen idealer Tugend dem Leben oft ein leuchtendes Vorbild gewesen; Dilthey 1883 Einltg. in d. Geisteswiss. I 349 die Bedingungen der Gesellschaft ermöglichen, gleichsam als die Materie der Staatenbildung, hier eine geringere, dort eine höhere Ausgestaltung der einen Idealform (DiBi 2); Fontane 1895 Effi Briest 455 Sehen Sie doch nur . . wie die Sonne den weißen Rauch durchleuchtet! Wäre der Mattäikirchhof nicht unmittelbar dahinter, so wäre es ideal; Haeckel 1899 (Ges. W. III 418) Die kritischen Forschungen nach dem „Leben Jesu“ haben uns überzeugt, daß diese herrliche Idealfigur des christlichen Trinitätsglaubens nicht der „Sohn Gottes“, sondern ein edler Mensch von höchster sittlicher Vollkommenheit war (DiBi 2); Allg. Ztg. d. Judentums 23. 5. 1919 das Lebensbild der Verstorbenen, die stets in idealster Weise ihre Kräfte dem Dienste der reinen Menschenliebe geweiht hatte; 1984⫺87 Lex. d. Kunst VII 120 Sie [die Künstler des Sturm und Drang] wollten nicht mehr die Kunst vom Begriff der Idealschönheit ableiten, wie das die frühklassizist. Künstler taten (DiBi 43); FAZ 4. 7. 2001 Ein Kind erfahre sich als ideale Person oder als Teil eines idealen Ganzen, wenn es geliebt wird. Wird diese Idealität verpaßt, reagiert das Kind mit Scham. idealisch 1b: Winckelmann 1755 Gedanken 9 Die Kenner und Nachahmer der Griechischen Wercke finden in ihren Meister-Stücken nicht allein die schönste Natur, sondern noch mehr als die Natur; das ist, gewisse Idealische Schönheiten derselben, die von Bildern, bloß im Verstande entworffen gemacht sind; Lessing 1759 Literaturbr. IV (S. Schr. VIII 166 f.) Sie [literarische Figuren] sind alle in

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einer Form gegossen; in der idealischen Form der Vollkommenheit, die der Dichter mit aus den ätherischen Gegenden gebracht hat; Gellert 1769 S. Schr. V 180 Der Autor schrieb und drückte das Bild von dem idealischen Schönen, das sein hoher Geist ihm entworfen hatte, aus; Wieland 1771 Amadis I 259 Welch herrliches Werk! Wie konnt es so vollkommen,/ so idealisch, aus Menschenhänden kommen?/ Von welchem sichtbarn Gotte ward das Modell genommen? (DiBi 125); Schlegel 1797 Über d. Studium d. griech. Poesie I 1,320 Die größte Allgemeinheit eines Kunstwerks würde nur durch vollendete Flachheit möglich sein. Das Einzelne ist in der idealischen Darstellung das unentbehrliche Element des Allgemeinen (DiBi 1); 1811 Almanach a. Rom II 139 Die römischen Antiquare haben ihn einstimmig für einen Venuskopf erklärt; und dafür spricht seine idealische Gestalt nebst den Haaren, die nach Art der Haare an allen bekannten Venusköpfen gelegt sind; Heine 1835 Romant. Schule 56 daß hingegen Schiller die idealisch edelsten Charaktere aufgestellt und daher ein größerer Dichter sei [als Goethe]; Strauss 1846 Br. 189 in der Erinnerung an die Art, wie er sich bei uns gab, lebte für mich diese Ehe idealisch, wie sie hätte sein sollen, bisher fort; mit dem ersten Wort, daß ich ihm die Wirklichkeit gestehe, zerfließt für mich . . dieser Zauber; 1852 Prutz’ Museum I 728 wie oft fühlt man, daß Gutzkow bei einer nochmaligen Bearbeitung sich über die verständige Klarheit, über die gefällige Eleganz, über die interessante Neuheit sehr wohl zu derjenigen Stufe des Stils würde haben emporschwingen können, die wir als schlechthin idealisch anerkennen müßten; Schmid 1861 Schwalberl (IV 120) In dieser fast nachlässigen Haltung trat die Schönheit ihres Körpers noch mehr hervor; sie hatte etwas Idealisches in der ganzen Erscheinung; Th. Mann 1933⫺43 Joseph (W. IV/V 770) uns ergeht es notwendig mit ihr [der ägyptischen Stadt No] ein wenig so, wie es uns mit Joseph selbst, dem von Sang und Sage ebenfalls idealisch Beschrienen, erging, als wir am Brunnen seiner zuerst in Wirklichkeit ansichtig wurden: wir führten seine angeblich unsinnige Schönheit auf das Menschenmaß seiner Gegenwart zurück, wobei der gewinnenden und vom Gerücht ganz unnötig aufgedonnerten Anmut immer genug übrigblieb; ders. 1954 Krull (W. VII 606) Doch dann die Wunder des Botanischen Gartens, . . der Passeio da Estrella mit seinem unvergleichlichen Blick über Stadt und Strom. Ist es ein Wunder, daß bei all diesen idealischen Bildern vom Himmel gesegneter und von Menschenhand musterhaft gepflegter Natur ein Auge sich feuchtet, das ein wenig . . das Auge eines Künstlers ist?; taz 15. 10. 1994 In der vorbildlichen klassischen Ikonographie symbolisierte der nackte männliche Körper die idealische

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und heroische Natur der Darstellung; Schmidt 2006 Künste 122 Schlegel argumentiert explizit gegen eine Vereinnahmung Raphaels für eine ausschließlich idealische Ästhetik. idealisieren 1b: 1760 Br. d. Neuste Lit. betr. V 135 In der Idylle sollen die Leidenschaften und Empfindungen der Menschen . . bis auf den höchsten Grad veredelt werden, und eben deswegen thut der Dichter wohl, wenn er ihre Lebensart nicht zugleich mit idealisirt; Herder 1773 V. dtsch. Art u. Kunst 262 Ohne Zweifel waren die Skandinavier, wie sie auch in Ossian überall erscheinen, ein wilderes rauheres Volk, als die weich idealisierten Schotten: mir ist von jenen kein Gedicht bekannt, wo sanfte Empfindung ströme: ihr Tritt ist ganz auf Felsen und Eis und gefrorner Erde (DiBi 125); 1782 Teutscher Merkur 216 Die Götter und Heldengestalten der griechischen Künstler, wiewohl durch Abstraction von den schönsten Formen die ihnen die Natur unter einem der Entwiklung schöner Gestalten vorzüglich günstigen Himmel zeigte, idealisirt – stellen uns doch nichts als bloße Abstracta, eine Art von höheren Naturen und gleichsam Erscheinungen aus einer andern Welt dar; Sulzer 1792 Theorie II 606 Wer . . sehen will, wie bey den Franzosen das Schäfergedicht immer mehr idealisirt und verfeinert, und aus den, allenfalls noch idealischen, französischen Hirten, zuletzt sogar idealisirte Arkadier . . geworden sind; Schiller 1796 Naive u. sent. Dichtung (S. W. V 748) Sie [Poesie] kann ein Unendliches sein, der Form nach, wenn sie ihren Gegenstand mit allen seinen Grenzen darstellt, wenn sie ihn individualisiert; sie kann ein Unendliches sein, der Materie nach, wenn sie von ihrem Gegenstand alle Grenzen entfernt, wenn sie ihn idealisiert; also entweder durch eine absolute Darstellung oder durch Darstellung eines Absoluten (DiBi 125); 1796 Neue Bibl. d. schönen Wiss. LVII 1,7 Die Natur gab ihrem schönsten Kinde, dem Menschen, die hohe Götterkraft zu idealisiren. Unter dem Ausdrucke Idealisiren versteht man nichts anders, als das Vermögen des menschlichen Geistes, bey allen Dingen, welche einen sinnlichen Eindruck auf ihn machen, sich dasjenige hinweg zu denken, was die Empfindung des Schönen schwächt oder zerstört, und an die Stelle desselben alles dasjenige hinzuzudenken, was die Empfindung des Schönen stärkt und vermehrt; Schütze 1800 Handwb. f. Schaupieler 45 Darstellen heißt einen Gegenstand in eine Form und zur Anschauung bringen. Die Darstellung soll schön seyn, auch wenn es der Gegenstand nicht ist, sie soll idealisirt werden; Pückler-Muskau 1834 Landschaftsgärtnerei 48a Im Park benutze ich in der Regel nur inländische . . Bäume und Sträucher . ., denn auch die idealisirte Natur muss dennoch immer den Cha-

rakter des Landes und des Climas tragen; Eichendorff 1854 Drama 149 [Schiller ist zum Liebling der Gebildeten] nicht durch seine Poesie, sondern dadurch geworden, daß diese Poesie die eben gangbaren und allgemein faßlichen Zeitideen, den politischen Liberalismus und den religiösen Nationalismus, zu idealisiren unternahm; Hartmann 1869 Philos. 216 f. Wenn er [Künstler] aber . . alle unvorteilhaften und unschönen Züge und Einzelheiten so sehr zurückdrängt, alle vorteilhaften Züge und Einzelheiten dagegen so sehr hervorhebt und in günstiges Licht setzt . . als es die Wahrheit der Idee, d. h. die Aehnlichkeit erlaubt, dann hat er eine künstlerische Production geliefert, denn er hat idealisirt; Homberger 1885 Selbstgespr. 118 Goethes idealisierender Gesamtton, der das Charakterstarke zu sehr dämpft; Boy-Ed 1892 Malergeschichten 55 dasselbe Gesicht, welches er zur Madonna idealisirt hatte; Dtsch. AZ. 31. 7. 1933 Wir genießen heute das Märchenhafte und das Landschaftliche . . vielleicht mehr als das Idealisierende, Klassische; Nürnb. Nachr. 30. 11. 1991 In diesen Bildnissen lebt eine Noblesse, die eine wunderbare Balance fand aus physiognomischer Realität und einer überhöhenden, doch nie direkt idealisierenden Idealität; taz 21. 8. 2008 Das „Nature Theatre of Oklahoma“ bei Kafka ist ein imaginäres Theater, es ist nur idealisiert, aber es ist öffentlich, jeder hat darin seinen Platz. Idealisierer 1b: Musäus 1778 Physiognom. Reisen II 153 Selbst die alten Propheten sind aus dem Gebürg hervorgegangen, oder haben in der Wüste gelehrt; und die neuen Propheten und Prophetenknaben, die Seher, Schweber, Idealisirer, und die ganze Knappschaft der Begeisterten, haben noch ihr Wesen in den Gebürgen, lieben die Einöden und das verfallne Mauerwerk; Mueller 1789 Reise d. etliche Cantone d. Schweiz 25 Die Theoristen und Idealisirer, und Utopisten werden euch beweisen, ein solcher Staat könne nicht existiren; Goethe 1821⫺31 Dichtung u. Wahrh. (WA I 29,150) Ewiger Schweber! Seher! Idealisierer! Verschönerer! Gestalter aller seiner Ideen! Immer halbtrunkener Dichter, der sieht, was er sehen will; Brauneck 1987 Naturalismus 126 Aber nicht der Realist, der Idealisirer geht in der Irre; die höchste Wahrheit ist das höchste Ideal. Idealisierung 1b: 1777 Götting. gel. Anz. I 504 So unterscheidet er drey Gattungen des Schäfergedichts, nach den Stufen der Idealisirung und rettet dadurch die sechste und vierte Ecloge; Schiller 1791 Üb. Bürgers Ged. (S. W. V 979) Eine der ersten Erfodernisse des Dichters ist Idealisierung, Veredlung, ohne welche er aufhört, seinen Namen zu verdienen. Ihm kommt es zu, das Vortreffliche sei-

ideal nes Gegenstandes (mag dieser nun Gestalt, Empfindung oder Handlung sein, in ihm oder außer ihm wohnen) von gröbern, wenigstens fremdartigen Beimischungen zu befreien, die in mehrern Gegenständen zerstreuten Strahlen von Vollkommenheit in einem einzigen zu sammeln, einzelne, das Ebenmaß störende Züge der Harmonie des Ganzen zu unterwerfen, das Individuelle und Lokale zum Allgemeinen zu erheben (DiBi 125); Sulzer 1792 Theorie II 592 jene Idealisierungen sind nichts, als eine natürliche und nothwendige Folge von dem Zustande der . . Geniebildung und Vorstellungsart; Schlabrendorf 1804 Napoleon 156 so ward auch damals mehr für die Vervollkommnung und Idealisirung grosser schon bestandener Etablissements, als für den eigentlichen allgemeinen Schulunterricht gethan. Der schon in seiner Art einzige botanische Garten ward zu einer nie gesehenen Vollkommenheit und Herrlichkeit gebracht; Heine 1840 Ludwig Börne 184 Und es gebührt ihm ein solches Standbild, ihm, dem großen Ringer, der in der Arena unserer politischen Spiele so mutig rang und, wo nicht den Lorbeer, doch gewiß den Kranz von Eichenlaub ersiegte. Wir geben sein [L. Börnes] Standbild mit seinen wahren Zügen, ohne Idealisierung, je ähnlicher, desto ehrender für sein Andenken; Meyr 1866 Gespr. 159 Bornirte Belletristen, die nicht bedenken, daß auch das geringste Schöne nicht möglich ist ohne den Geist Gottes, der zur Idealisirung befähigt – daß das höhere Schöne nur immer möglicher wird mit der tiefern Erkenntniß Gottes; Willmann 1897 Gesch. III 357 Die falsche Idealisierung der Natur (Überschr.); 1915 Dtsch. Reden I 124 unser ganzes Leben, unsere Geselligkeit, Familie, Sitte, Recht ist von dieser Idealisierung durchdrungen; Bernfeld 1923 Lehren d. Judentums III 188 Aber ungeachtet aller poetischen Idealisierung bleibt der soziale Gedanke des Sabbats immer erhalten; Wolff 1951 Dtsch. Schrifttum I 148 Mit der grellen, fast naturalistischen Wiedergabe aller Härten sind wir freilich von der höfischen Weltverherrlichung noch weit entfernt; dazu war erst die Idealisierung und Vergeistigung des Irdischen nötig; Zürcher Tagesanz. 10. 3. 1999 Dieses Schicksal, gegen die Beachtung imprägniert zu sein, teilt Zwingli mit allen andern seiner Artgenossen, die auf Sockeln stehen. Dabei gehört sein Monument zu den besseren der Stadt. Der mächtige, in einen faltenreichen Mantel gehüllte Körper ist realistisch gestaltet, ohne übertriebenes Pathos und lächerliche Idealisierungen; Mannh. Morgen 27. 11. 2010 Schließlich hat er [Holbein], ein brillanter Kolorist, farblich und kompositorisch Kühneres geschaffen als die „Graue Passion“ . . Manches wirkt sogar wie eine Vorwegnahme der Porträtkunst seines berühmten Sohnes Hans Holbein der Jüngere. Mit der Renais-

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sance beginnt die Epoche der Idealisierung und dem leider folgenlosen Versuch, den Menschen zu humanisieren. Idealität 1b: Goethe 1816 Tag- u. Jahreshefte (HA X 519) so steht dieses Bild, wie auf dem Scheidepunkt älterer und neuerer Zeit, auf der Grenze einer gewissen konventionellen Idealität, welche an Erinnerung und Einbildungskraft ihre Forderungen richtet, und einer unbedingten Natürlichkeit, welche die Kunst, selbst wider Willen, an eine oft beschwerliche Wahrhaftigkeit bindet; Heine 1836 Florent. Nächte (W. u. Br. IV 122) ein Geschichtsforscher konnte an der Idealität ihrer [der Italienerinnen] Züge sehr leicht den Einfluß der bildenden Künste auf die Leiblichkeit des italienischen Volkes nachweisen (DiBi 125); Humboldt 1843 Ges. W. IV 257 Idealität in der Charakter-Schilderung . . Durch diese Schilderung Dorotheens hat der Dichter gezeigt, wie genau er natürliche Wahrheit mit echter Idealität zu verbinden weiss; Th. Mann 1932 Reden u. Aufs. (W. X 328) ich habe ihn [Goethe] geliebt von jung auf, warum soll ich es hier und heute nicht sagen, – mit einer Liebe, die die höchste Steigerung der Sympathie, die Bejahung des eigenen Selbst in seiner Verklärung, Idealität, Vollendung war; 1960 Bild. Kunst I 88 Sein verwittertes, wie gegerbtes Gesicht ist von reichstem Haarwuchs umrahmt. Alle Idealität scheint hier entschwunden (DUDEN 1999); Kuhle 1974 Formen ästhet. Idealität 46 Hier bildet also das Geschehen, die Handlung der Erzählung selbst die Idealität, . . da jeder Teil der Handlung dieselbe vorantreibt; Zeit 5. 7. 1985 In Florenz sieht man . . die Terrakottagruppe Silen und Mänade . . Zwei Naturgottheiten niederen Ranges aus der Gefolgschaft des Dionysos: zwei derbe, torkelnde Gestalten, meilenweit entfernt von griechischer Harmonie und Idealität, sondern erdenschwer, radikalrealistisch; taz 2. 5. 1989 Sie mischen einen kunsthistorischen Zitatenschatz seit der Erfindung der Zentralperspektive auf und hinterfragen die mathematische Erfassung der Welt und die Idealität der Proportionen; Nürnb. Nachr. 8. 6. 1990 Preußen zur Harmonie gebracht, zur Idealität . . erhoben. Winckelmanns Vorstellung von der Antike sprach dabei mit: „edle Einfalt, stille Größe“, wobei der Archäologe allerdings nicht wußte, daß die klassischen Skulpturen ursprünglich bemalt waren. ideal 1c: Goethe 1798 Einl. in d. Propyläen (BA XIX 181) Die vergleichende Anatomie hat einen allgemeinen Begriff über organische Naturen vorbereitet; sie führt uns von Gestalt zu Gestalten, und indem wir nah oder fern verwandte Naturen betrachten, erheben wir uns über sie alle, um ihre Eigenschaften in einem idealen Bilde zu erblicken;

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ders. 1806 Tagebücher (WA III 3,150) von Struve, der einen idealen Durchschnitt des Lessauer und Hohdorfer Gebirges brachte; Humboldt 1845 Kosmos 22 In der Mannigfaltigkeit und im periodischen Wechsel der Lebensgebilde erneuert sich unablässig das Urgeheimniß aller Gestaltung, . . das von Göthe so glücklich behandelte Problem der Metamorphose, eine Lösung, die dem Bedürfniß nach einem idealen Zurückführen der Formen auf gewisse Grundtypen entspricht; Lotze 1859 Recension v. Karl Snell (III 1,351) Im Interesse einer Physik, die sich zu dynamischen und idealen Principien bekennt, liegt es gewiss nicht, eine solche Gleichartigkeit zu verlangen, die . . alle Naturprocesse ihrer specifischen Eigentümlichkeit berauben . . würde; Hillebrand 1885 Culturgesch. 88 ihr [der neuen Patrioten der 1850er Reaktion] idealer Typus in der Geschichte war der biedere, ehrenfeste, prosaische Bürger des 16. Jahrhunderts, nicht der romantische Ritter des Mittelalters; Lissauer 1910 Aufs. (I 19) den „idealen Leser“ (oder Zuschauer); 1934 Deutschlands Erneuerung XVIII 344 Anm. „ideale“ Lösung der Währungsfrage – ich meine hier das, was der Techniker unter „ideal“ versteht; Mackenroth 1953 Bevölkerungslehre 128 der charakteristische Vorgang der neueren Bevölkerungsgeschichte überhaupt, der in Nordwesteuropa gewissermaßen in idealtypischer Reinheit sichtbar wird; Thüring 1978 Einf. in d. Protophysik d. Welle 86 [in einem] flüssigen, ideal inkompressiblen Medium [ist] die Y-Welle von der Dichte D des Mediums unabhängig; Fleischer 1978 Geschichtsprozeß 178 Es ist genauer eine idealtypische Konstruktion für den „Idealfall“, daß innerhalb einer Gesellschaftsformation überhaupt eine progressive Veränderung . . zustande kommt; taz 30. 8. 1990 Für die Strecke ans Mittelmeer, mit Anschluß bis nach Barcelona, hatten sich die Planer um Ingenieur Dupuy über ihre Karten gebeugt und lange, idealgekrümmte Linien übers Papier gezogen. Keine großen Steigungen, keine abrupten Kurven; Schonefeld 1999 Protophysik 124 daß ein ideal starrer Körper nicht in Rotation versetzt werden kann; Lucas 2005 Thermodynamik 99 Wie groß ist das rechnerische Volumen, wenn für das flüssige Gemisch das Modell der idealen Lösung zu Grunde gelegt wird?; Schmid 2008 Elemente d. Narratologie 70 die vermeintliche Verpflichtung des konkreten Lesers auf die im idealen Leser – als dem Vollstrecker der intendierten Rezeption – vorgezeichnete Lektüre. idealisch 1c: taz 13. 7. 1991 gehen Sie ganz nah ran, lassen Sie kein Detail des Europaars aus! Weder sekundäre noch primäre Geschlechtsmerkmale sind an den idealischen Bronzekörpern auszumachen . . Wenn es eine Wahrheit gibt, dann die der

Künstlerin: „Die Plastik soll das Aufeinanderzugehen der Geschlechter dokumentieren." idealisieren 1c: Mach 1905 Erkenntnis u. Irrtum 230 Maxwell findet in den Erscheinungen des Gleichgewichtes der Elektrizität, des Magnetismus, der Strömung der Elektrizität u. s. w. gemeinsame Züge, die sämtlich an die Strömungserscheinungen einer Flüssigkeit erinnern. Um die Analogie ganz vollständig zu machen, wird jene Flüssigkeit von Maxwell idealisiert . . Es wird also ein imaginäres, analogisierendes, aber darum nicht minder anschauliches Bild angewendet. Man hält es nicht für etwas Wirkliches, und weiß genau, worin dasselbe mit dem Darzustellenden begrifflich übereinstimmt (DiBi 2); ebd. 455 Solche elementare idealisierte Tatsachenelemente, wie sie in der Wirklichkeit nie in Vollkommenheit angetroffen werden, sind die gleichförmige und die gleichförmig beschleunigte Massenbewegung, die stationäre (unveränderliche) thermische und elektrische Strömung und die Strömung von gleichmäßig wachsender und abnehmender Stärke (DiBi 2); Strasser 1962 Phänomenologie 103 Dank der Mathematik und Geometrie bekommt der Naturkundler Ausdehnung und Quantität der Dinge in den Griff. Ihre wahrnehmbaren Qualitäten . . scheinen für die idealisierende Annäherung unerreichbar zu sein; Brockhaus 1971 Automatische Übersetzung o. S. die Methode der Bildung einer idealisierten Teilsprache aus einer natürlichen Sprache wird in dieser Arbeit angewandt und zu einem Approximationsprozess ausgebaut. Und zwar werden zunächst die syntaktischen Möglichkeiten in der Weise eingeschränkt, daß nur einfache Aussagesätze mit gewissen Ergänzungen konstruierbar sind; Profos/Pfeifer 1994 Handb. d. industr. Messtechnik 6 Die . . charakteristischen Merkmale des Meßvorganges lassen sich zunächst unabhängig von der gerätetechnischen Ausführung in einem idealisierten Blockschaltbild darstellen; Jenni/Wüest 1995 Steuerverfahren 70 So wird der idealisiert als Gleichspannungsquelle modellierte Zwischenkreis beim U-Stromrichter zu einer Gleichstromquelle beim I-Stromrichter. Idealisierer 1c: Siegwart 1997 Vorfragen z. Wahrheit 409 Die Idealisierer betrachten die ¤wirklichÅ wahren Aussagen als die Aussagen, die kognitive Subjekte unter idealen Umständen auch als wahr klassifizieren. Idealisierung 1c: Mach 1905 Erkenntnis u. Irrtum 193 Alle allgemeinen physikalischen Begriffe und Gesetze, der Begriff des Strahles, die dioptrischen Gesetze, das Mariottesche Gesetz u. s. w. werden durch Idealisierung gewonnen. Sie nehmen da-

ideal durch jene einfache und zugleich allgemeine, wenig bestimmte Gestalt an, welche es ermöglicht, eine beliebige, auch kompliziertere Tatsache durch synthetische Kombination dieser Begriffe und Gesetze zu rekonstruieren (DiBi 2); ebd. 455 Die vielfache, möglichst allgemeine Anwendbarkeit der Naturgesetze auf konkrete tatsächliche Fälle wird nur möglich durch Abstraktion, durch Vereinfachung, Schematisierung, Idealisierung der Tatsachen, durch gedankliche Zerlegung derselben in solche einfache Elemente, daß aus diesen die gegebenen Tatsachen mit zureichender Genauigkeit sich wieder gedanklich aufbauen und zusammensetzen lassen (DiBi 2); Strasser 1962 Phänomenologie 103 Idealisierung der Natur (Überschr.) Dies wären die verschiedenen Stadien, die die Menschheit durchlaufen mußte, um zum Entwurf einer „reinen“ Geometrie heranzureifen . . Er [Galilei] sieht als erster die grundsätzliche Möglichkeit, mittels mathematischer Methoden das Subjekt aus der Natur zu verbannen. Messend, zählend, rechnend soll der Physiker die Relativität der subjektiven Wahrnehmung überwinden; Brockhaus 1971 Automatische Übersetzung o. S. Später ist es dann im Prinzip möglich, die [bei der Schaffung einer „idealisierten Sprache“] vorläufig ausgeschlossenen syntaktischen Mittel nach und nach wieder zuzulassen und in die Untersuchung einzubeziehen, so daß die behandelte Teilsprache sich allmählich immer weniger von der natürlichen Sprache unterscheidet, aus der sie durch Idealisierung gewonnen wurde; Kaufmann et al. 1988 Rechtsstaat u. Menschenwürde 50 Ohne Idealisierung und Ausblendung individueller oder situativer Besonderheiten wäre dagegen ein Vorgriff auf die potentiell zu verwirklichende Einstimmung der Erfahrungen unmöglich; Berl. Ztg. 4. 7. 1998 Unbescheiden sah sich Wright selber als den größten Architekten aller Zeiten, und seine geradezu überirdisch schönen Entwürfe zwischen abstrakten Naturformen und geometrischer Idealisierung stehen in der Weltkunstgeschichte tatsächlich ohne Ebenbild da; 2008 Metzler Lex. Philos. 253 Wissenschaftliche Theorien beziehen sich nicht direkt auf die Wirklichkeit, sondern auf Modelle der Realität. Das heißt, sie machen Gebrauch von Idealisierungen. . . Paradigmatische Beispiele für Idealisierungen sind ausdehnungslose Massenpunkte, ideale Gase, abgeschlossene Ökonomien oder kompetente Sprecher einer natürlichen Sprache. Idealität 1c: taz 2. 2. 1991 Die Idealität fester Formen und geometrisierter Stadtlandschaften scheint . . um so fragwürdiger, je konsequenter sich architektonische Strukturen darauf berufen, geben sie doch keine Antworten mehr auf urbane wie soziale Veränderungen; Pfeifer 2001 Qualitätsmanage-

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ment 339 Das Werkzeug Idealität stellt dem Anwender sechs unterschiedliche Vorgehensweisen zur Annäherung des vorliegenden technischen Systems an das ideale Endresultat zur Verfügung. Diese basieren im Wesentlichen auf dem Einsatz von . . naturwissenschaftlich-technischen Effekten. ideal 2: Henselt 1784 Afterwerter 30 Nur sehr wenige edle Herzen erlangen das was sie . . verdienen. Träumen ihre Tage in den idealen Vorstellungen . . dahin!; Goethe 1800 Br. (WA IV 15,4 f.) Sonst machte mich mein entschiedener Haß gegen Schwärmerey, Heucheley und Anmaßung auch gegen das wahre ideale Gute im Menschen, das sich in der Erfahrung nicht wohl ganz rein zeigen kann, oft ungerecht. Auch hierüber . . belehrt uns die Zeit, und man lernt: daß wahre Schätzung nicht ohne Schonung seyn kann. Seit der Zeit ist mir jedes ideale Streben, wo ich es antreffe, werth und lieb; Görres 1821 Europa 350 Daß die Autorität, – die ideale Mitte des Staates, – seine Intelligenz, seine Willenskraft und sein Leben in ihrer innersten Einheit in sich bergend, das lebendige Gesetz, der sichtbare Imperativ, das personificirte Selbstbewußtseyn, die gesammelte Fülle aller freyen Kräfte . . mit aller Gewalt, Würde, Achtung, Ehre ausgestattet sey, die zur Erhaltung des innern Bestandes der Verfassung und der Stabilität der Gesetze nothwendig ist; Kohl 1841 Petersburg II 6 Der Russe kann sich seiner engherzigen und wenig idealen Natur gemäß nicht von seiner falschen Betrachtungsweise des Geldes losmachen und ebenso wenig sich . . zu einer geistreichen Betrachtungsweise der Zeit erheben; Lewald 1864 Geschlecht (G. W. V 366) seine Erziehung hatte ihm . . ein höheres, ein idealeres Ziel vor Augen gehalten, und nie hatte ihm dies heller entgegen geleuchtet, als eben jetzt; Ihering 1884 Zweck i. Recht I 181 Der ideale Lohn und die Combination desselben mit dem ökonomischen (Überschr.); Hillebrand 1885 Culturgesch. 295 Für einen großen Theil Ihrer Mittelklasse ist Religion das einzige ideale Interesse, Gottesdienst die einzige Erholung; Henne-am Rhyn 1897 Kulturgesch. VII 494 Die Bühne wie die Presse wurde immer französischer, schmutziger, unwürdiger, verwilderter. Ungefähr seit dem Jahre 1880 begannen sich . . wieder deutschere und idealere Standpunkte, anderseits aber leider auch solche Richtungen geltend zu machen, welche die eben erwähnten Verirrungen noch verschlimmerten; Zobeltitz 1902 Papierene Macht I 155 Sie fassen den Beruf des Kaufmanns gar zu nüchtern auf, statt auch mit idealen Motiven zu rechnen; Eucken 1903 Aufsätze 220 die ersten Vertreter des Idealismus in der Neuzeit . . vertreten die Kontinuität der Gedankenarbeit, die der idealen Weltbetrachtung vermöge ihrer Verwandtschaft mit der Weisheit . .

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charakteristisch ist; Joe¨l 1915 Weltkultur 64 statt des irdisch materiellen Zentrums ein ideales dynamisches Zentrum; Walther 1919 Wege dtsch. Geistes 17 So kann das Volk, das die tiefgrabenden Idealisten besitzt, als Volk seinen Idealismus, ja sein Interesse für ideale Dinge, zu verlieren beginnen. Zählt man in der Berliner Untergrundbahn die Typen, die auch das letzte Flackern von Geistigkeit aus ihrem Blick verloren haben; Bebel 1922 Frau 169 Je idealer seine Absichten für die Ehe sind, je mehr er entschlossen ist, nur aus Neigung eine Frau zu ehelichen; Schmidt 1925 Deutschland 27 Man darf daher nicht den Fehler machen, zwischen den faschistischen Tendenzen verschiedener Länder ideale und praktische Berührungspunkte zu sehen; Uexküll 1936 Welten 93 Ein so hohes Ideal kann nur einer sehr hohen und idealen Weltanschauung entsprießen; Giuliano 1941 Latinität 94 die Untersuchung der Charakterzüge und der Werte . ., die wir . . im Wesen beider Nationen festgestellt haben, in der idealen Zielsetzung, mit welcher sie in die Zukunft marschieren, und in der Geisteshaltung, welche diese Ideale hervorgebracht hat und sie zur Grundlage der neuen Kultur machen wird; Bollnow 1962 Maß 82 der Fanatismus ist um so unbedenklicher in der Anwendung seiner grausamen Mittel, je mehr er sich von der Überzeugung einer „guten Sache“ getragen fühlt. Wo Fanatismus ist, da ist notwendig auch Unmenschlichkeit, so „ideal“ auch immer er begründet sein mag; Schmid 1983 Z. sozialen Wirklichkeit d. Vertrages 80 Mit Wert sind hier nicht ideale Wertvorstellungen gemeint, sondern wir sprechen vom Wert einer Sache oder einer Handlung; Schmidt 2005 Träume u. Tagträume 20 Der Begriff Gemeinschaftsgefühl wird erst gesetzt als Gefühl gemeinschaftlicher Verbundenheit mit der Umwelt, später als einzige angeborene seelische Funktion und schließlich als ideales Streben nach der vollkommenen Gemeinschaft. idealisch 2: Creutz 1760 Gräber 103 da aber die Erfahrung hiermit nicht übereinstimmt, so müsten wir von etwas ausser uns dirigiret werden, und solches eine mächtige Herrschaft über unsere Seele haben. Die idealischen Begriffe bildet sich die Seele nach ihrer Freyheit, und die Natur des Menschen müssen wir nach diesen frey gebildeten Begriffen nicht beurtheilen . . So war der großmüthige freye Römer, ohne die Wahrheit der Geschichte in den mindesten Zweifel zu ziehen, kein natürlicher, sondern ein künstlicher, nach seinen idealischen Begriffen handelnder Mensch; La Roche 1771 Sternheim 197 Wie grausam war meine Eigenliebe gegen das liebenswerthe Mädchen! erst wollte ich nicht von meiner Liebe reden, bis sie sich ganz nach meinen Begriffen in dem vollen Glanz einer triumphie-

renden Tugend gezeigt haben würde. Sie gieng ihren eigenen schönen Weg, und weil sie meinen idealischen Plan nicht befolgte, eignete ich mir die Gewalt zu, sie darüber auf das empfindlichste zu bestrafen; Th. Mann 1918 Reden u. Aufs. (W. XII 554) Ins Absurde und Kindische, zu empörender Ungerechtigkeit aber führt es, wenn die liebend verklärte Unwirklichkeit, wenn ein idealisch Erträumtes nun als Wirklichkeit, als ein irgendwo Gegenwärtiges, kurz als Leben behandelt wird; Zeit 16. 5. 1986 Wenn man heute die Manifeste und Appelle, die Texte und Korrespondenzen liest, die von den europäischen Künstlern in den ersten zwanzig Jahren dieses Jahrhunderts geschrieben wurden, dann wird einem leicht schwindelig: was da . . geträumt und gefordert wurde, ist so idealisch und exzentrisch, so weltumarmend und himmelstürmend, daß es, trotz der Filterung durch die Realität zweier Weltkriege, auch heute noch betroffen macht; ebd. 23. 8. 1996 DDR und Bundesrepublik haben sich ja aneinander definiert. Ähnlich war auch im eigenen Lande die SED mit ihren Hassern im Idealischen innig verbunden. Realpolitik gab es nicht in der DDR. Alles war Dienst am Höchsten, allererst die Sprache. Auch der Marxismus ist ja eine Schriftreligion. Idealität 2: Schink 1782 Dramaturg. Fragm. IV 1068 Es kann also auch nicht felen, daß diese in allem ideale Menschen auch im Ton und in Biegung ihrer Stimme etwas ideales haben müssen: das mit ihrer übrigen Idealität zusammenstimmt; Cohen 1889 Kants Begründung d. Ästhetik 69 Für die Moral war eine solche Idealität des Wollens nirgend bisher entdeckt worden . . Solange wir noch handeln können, ist das Gute der Gegenstand unseres Wunsches, und das Beste der Gegenstand unseres praktischen Willens; St. Galler Tagbl. 23. 11. 2000 Oberstufenlehrerkonferenz behandelte Anspruch und Wirklichkeit (Überschr.) Der Lehrerberuf hält seine Idealität hoch und verursacht damit die eigene Belastung . . Das Bild, welches die Öffentlichkeit vom Lehrerberuf hat, entspricht nicht der Realität . . Hohe Erwartungshaltung; Berl. Ztg. 29. 7. 2003 Trivialität und Idealität, Thrash und hoher Ton, Palast und weiße Ware auf dem Hochzeitsgabentisch sind hier . . Merkmale der Lebenswelt dieser Generation, die in ihr Selbstverständnis eingehen; Berl. Ztg. 19. 2. 2005 Miguel de Cervantes . ., der seine adelige Herkunft betonte, blieb immer der adelig-ritterlichen Idealität verhaftet. ideal 3: Hartmann 1869 Philosophie 291 Allerdings nähern wir uns seit dem letzten Jahrhundert jenem idealen Zustande, wo das Menschengeschlecht seine Geschichte mit Bewusstsein macht,

ideal aber doch nur sehr von Weitem und in hervorragenden Köpfen; Otto-Peters 1876 Frauenleben 26 mit der Platina-Zündmaschiene . ., dem elegantesten, geruchlosesten und idealsten Feuerzeug, das man sich denken konnte; Nordau um 1880 Kreml II 269 Die französische Gesellschaft nähert sich jenem idealen Zustande, wo das Individuum nicht nach seiner Beschäftigung und Stellung, sondern nach seinem Charakter taxirt wird; ders. 1881 Paris I 71 Die Pariser Ouvrie`re gilt im Auslande für eine Art idealen Wesens, ewig jung, ewig frisch, muthig in allen Bitternissen; Bebel 1898 Volkswehr 54 Hierbei ist allerdings vorauszuschicken, daß auch das Schweizer Milizsystem keineswegs ein ideales ist. Zunächst fehlt für einen erheblichen Theil der schweizerischen Jugend noch die nothwendige körperliche Erziehung; Altenberg 1908 Märchen d. Lebens 71 Für jede Dame gibt es ihr ideales Kleid, ihren idealen Hut, ihre idealen Schuhe, ihren idealen Gürtel, ihren idealen Sonnenschirm. Welche Beeinträchtigung der edlen Mannigfaltigkeiten der Menschen, wenn man sich feig und skeptisch nach der Mode richtet!?!; Steinitzer 1910 Sport u. Kultur 41 Wer jemals etwa in einem Fußballwettkampf eine englische Mannschaft gegen eine kontinentale spielen sah, dem wird . . auf Seiten der Engländer ihr ideales Zusammenspiel aufgefallen sein; Lokal-Anz. 24. 8. 1933 In seiner stillen Abgeschlossenheit inmitten märkischen Kiefernwaldes ist er [Waldfriedhof] eine der idealsten Ruhestätten Berlins; ebd. 22. 7. 1934 Beim rohen Hack- und Schabefleisch geht durch seine lockere, luftige Beschaffenheit . . die Zersetzung ziemlich schnell vor sich. Es ist ein idealer Nährboden für Bakterien; Uexküll 1936 Welten 69 die Domkirche, die in ihrem bunten Schmuck alter Wappen den idealen Schauplatz einer solchen Festlichkeit bot; Brandt 1958 Werkzeug d. Historikers 68 Vom Standpunkt der zügigen Beschreibbarkeit, der Reißfestigkeit, Radierfestigkeit und Dauerhaftigkeit ist das Pergament zweifellos der ideale Beschreibstoff; Pieper 1964 Viergespann 117 es sei nicht möglich, einen endgültigen idealen Zustand unter den Menschen zu realisieren. Es ist vielmehr gesagt, daß gerade das Behelfsmäßige, das Un-Endgültige und Provisorische . . zur Grundverfassung des Menschen gehöre; Fuhrmann 1970 Genetik o. S. Die mehrfach vorhandene DNS kann aus dem gleichen Grunde als ideales Genmaterial für die weitere Evolution gelten; Kohle 1989 Denis Diderots Kunstbegriff 27 Im gleichen Zusammenhang hebt er die ideale Eignung der für den gesamten Klassizismus fundamentalen Pyramidalform hervor, weil diese besonders gut die innere Bewegung des beteiligten Personals vermitteln könne; Spiegel 15. 2. 1993 Früchte seien für die Entschlackung geradezu ideal. Fritiertes sei auf jeden Fall zu meiden.

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idealerweise 3: Blasius/Pautsch 1967 Akten z. auswärtigen Politik I cxii (Dokumentenverz.) Kiesinger zeigt sich überzeugt, daß kollektive Sicherheit in Europa idealerweise durch Abrüstung erreicht werden sollte; Zeit 9. 8. 1985 Ein Hinweis darauf, daß die Freudsche Kur selbst bei ihren eigenen Anhängern nicht unbedingt das erreicht, was sie idealerweise anstrebt: Affektbeherrschung und toleranten Diskurs; taz 6. 5. 1993 Pluralismus ist die Grundlage Amerikas: ein Staat, eine Gesellschaft, in der alle, die drin sind – idealerweise – gemeinsame Werte und Loyalitäten teilen, und auf dieser Grundlage . . ihre eigenen kulturellen Gepflogenheiten pflegen; Rhein-Ztg. 21. 8. 2002 von der ständigen Betreuung durch einen Psychologen, über die Vermittlung von theoretischen und praktischen Kenntnissen bis hin zur Praktikumsvermittlung, aus der sich dann idealerweise eine feste Arbeitsstelle ergeben soll; Spiegel (online) 15. 2. 2017 Damit ist [der Mensch] aber auch gezwungen, selbst Verantwortung für sich zu übernehmen – idealerweise im Bewusstsein der grundlegenden Tragik seiner unbehausten Existenz. idealisch 3: Goethe 1795⫺96 Lehrjahre (WA I 22,239) Kaum bemerkte man, daß Wilhelm die Beschäftigung eines Regisseurs übernommen hatte, so fingen die meisten Schauspieler um desto mehr an, unartig zu werden, als er nach seiner Weise etwas mehr Ordnung und Genauigkeit in das Ganze zu bringen wünschte . . In kurzer Zeit war das ganze Verhältnis, das wirklich eine Zeitlang beinahe idealisch gehalten hatte, so gemein, als man es nur irgend bei einem herumreisenden Theater finden mag. idealisieren 3: Jung-Stilling 1777 Stillings Jugend 55 Der Ort, wo Stilling Kohlen brannte, war drei Stunden von Tiefenbach; man ging beständig bis dahin im Wald. Henrich, der alles idealisirte, fand auf diesem ganzen Wege lauter Paradies; alles war ihm schön und ohne Fehler. Eine recht düstere Maybuche, die er in einiger Entfernung vor sich sah, mit ihrem schönen grünen Licht und Schatten, machte einen Eindruck auf ihn; alsofort war die ganze Gegend ein Ideal und himmlisch schön in seinen Augen. . . alles war ihm neu und unaussprechlich reizend (DiBi 125); Unger 1784 Julchen Grünthal 18 Wenn sie [junge Männer] so ein liebes zartes Knöspchen vor sich haben, gerathen sie gewöhnlich in gar poetische Stimmung, idealisiren, träumen von Einfachheit der guten alten Vorwelt, und zuletzt kömmt aus ihrer bildenden Hand das Mädchen entweder als burschikoser Wildfang, oder als ein idealisirendes, excentrisches, nervenschwaches Wesen (DiBi 125); Hartmann 1878 Phänomenologie 149 Solcher Glaube gewinnt noch

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mehr scheinbare Grundlage, wenn die Aufzeichnungen längst vergangener Generationen über das ihrem Bewusstsein vorschwebende Vorbild die einzigen historischen Urkunden über die geschichtliche Persönlichkeit sind und der Einfluss der unwillkürlich idealisierenden Phantasie auf diese Aufzeichnungen verkannt wird; Volkmann v. Volkmar 1895 Psychologie II 350 Zeitfernes idealisiert und verklärt gleich der Entfernung im Raume; Eucken 1904 Strömungen 81 lag die Versuchung nahe, diesen in möglichst günstigem Lichte erscheinen zu lassen, die vorgefundene Lage zu „idealisieren“. Denn ein Zugeständnis arger Verwicklungen und schroffer Widerstände muß die geistigen Größen und Güter selbst zu gefährden scheinen; Freud 1911⫺24 Metapsychol. Schr. 40 f. Da sie [Verliebtheit] aufgrund der Erfüllung infantiler Liebesbedingungen erfolgt, kann man sagen: Was diese Liebesbedingung erfüllt, wird idealisiert; Flohn 1942 Witterung 6 Eine idealisierende Denkweise; Hobsbaum 1962 Sozialrebellen 46 Die romantischen Dichter . ., die, wie Schiller in den „Räubern“, die Banditen idealisierten, irrten sich, wenn sie sie für wirkliche „Rebellen“ hielten; Laux 1988 Ideal u. Idyll 98 [propagiert] Erfüllung durch die Ehe etc. und knüpft so an die unkritische, idealisierende Denkweise und erbauliche Beschaulichkeit in der Schilderung menschlichen Zusammenlebens der Schriften Gotthelfs an; taz 18. 5. 1990 die überfürsorgliche Mutter . ., die ein Verhalten zeigt, das nicht selten der idealisierten grenzenlosen mütterlichen Güte gleichgesetzt wird; Berl. Ztg. 12. 11. 2004 Die Geschichten spielen bevorzugt in der heilen Welt einer idealisierten Vergangenheit. Idealisierer 3: Schäffle 1881 Bau u. Leben d. socialen Körpers 82 Dem reactionären Idealisirer stört der Nachweis der Unmöglichkeit des Vergangenen für die Gegenwart und Zukunft die Cirkel; dem Idealisirer der Gegenwart, welcher die jetzt gegebenen Zustände idealisirt, indem er ihre Unvollkommenheit übersieht; Burckhardt vor 1897 Weltgeschichtl. Betrachtungen (Hist.-krit. Gesamtausg. 350) Die Jesuiten sind die stärksten Idealisierer der päpstlichen Gewalt, des unfehlbaren Lehramtes, des Universalepiskopates und der päpstlichen Weltherrschaft; Kleine Ztg. 23. 10. 1997 Natürlich sei die Partnerschaft mit Rußland und der bei uns oft vergessenen Ukraine für die Entwicklung Europas wesentlich. Aber die OSZE sei noch keine brauchbare Alternative zu NATO und EU. Wer das nicht sehe, gehöre zu den Idealisierern; Zeit (online) 7. 9. 2006 „Die Lebenslüge Berlins bestand darin, dass es sich in allem für etwas Besonderes hält und daraus einen erhöhten Bedarf ableitet . . Wenn man sich die Zahlen ansieht . . dann sieht man, dass Berlin eben doch nur eine durchschnitt-

liche Großstadt ist.“ Es macht Sarrazin Vergnügen, Idealisierern und Apokalyptikern die Wirklichkeit unter die Nase zu reiben; Allgayer 2007 Zielgruppen 124 Kein Wunder, daß die resignierten DDRIdealisierer westdeutsche Marken, so gut wie’s nur geht, boykottieren. Idealisierung 3: Chateaubriand 1849 Jenseit d. Grabes (Übers.) VI 4 f. Meine Phantasie, weit entfernt, mich zur Idealisirung praktischer Wahrheiten zu verlocken, setzt vielmehr die wichtigsten Ereignisse herab und macht mich oft selbst irre; die kleinliche und lächerliche Seite der Gegenstände erscheint mir zuerst, und es giebt in meinen Augen weder große Geister noch große Dinge; Blume 1899 Wehrkraft 88 Im deutschen Heere weiß man den Wert eines fröhlichen Tages . . zu schätzen, weiß, wie viel ein solcher Tag zur Idealisierung des Soldatenlebens beiträgt; Moreck 1928 Liebe 39 Idealisierung der feilen Liebe, in der die den Geschlechtsgenuß Spendende als die Summe aller Mysterien, aller geheimnisvollen, faszinierenden Erlebnisse und Genüsse dargestellt, in der Schande glorifiziert wird; Petzet 1944 Falckenberg 185 aller . . von unserer Sehnsucht eingegebenen Idealisierung des ländlichen Lebens; taz 18. 5. 1990 Ausdruck der tragischen Verstrickungen, in die Mütter geraten, die aus der gefühlsmäßigen Ablehnung des Kindes in einer Gesellschaft voller Mütteridealisierungen . . keinen Ausweg finden; ebd. 2. 12. 2004 die Schinder in der deutschen Bundeswehr . . machten damit unwillkürlich deutlich, dass sich ein gutes Stück Rambo in ihren soldatischen Idealen verbirgt. Gewalt und ihre militärische Idealisierung passt sich dem Zeitgeist an; Kämper 2005 Schulddiskurs 248 Diesem verharmlosten Tun und Handeln stellen sie [Täter im Nationalsozialismus] Überhöhungen und Idealisierungen ihres Seins, Denkens und Wollens gegenüber. Idealität 3: Zeit (online) 22. 4. 2004 Die Tatsache, dass wir nicht in die Zukunft sehen können, weil es nämlich gar keine Zukunft gibt, weil Zukunft als die Summe alles Nochnichtseienden ebenso noch nicht ist . . ist . . trivial . . Wahrlich wäre es wunderbar, würde Werder Meister, wahrlich wäre es ideal . . das Tor noch so oft wie möglich zu treffen. Doch dieser Wunsch nach Idealität ist schlicht irrational. idealiter 3: Weber 1970 Erziehung zur Literatur o. S. Am konkreten Fall der Erschließung des Einzelwerkes, in der Interpretation, wirken idealiter Linguistik, Poetik, Literaturgeschichte und Didaktik jeweils in einer dem Fall angemessenen Kombi-

Ideal nation und Akzentuierung zusammen; Muschg 1982 Sommer 147 so dass idealiter derjenige Sieger war, der schließlich das ganze Brett mit seinen Steinen umgeben hatte (DUDEN 1999); Mannh. Morgen 8. 5. 1985 Ihr [Sowjetunion] Interesse galt allen ihren westlichen Nachbarn, und ihr Bestreben war es offensichtlich, in diesen Ländern ihrer eigenen Sicherheit wegen Regierungen zu installieren, die idealiter sowjetfreundlich sein sollten, auf keinen Fall aber sowjetfeindlich sein durften; Rhein-

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Ztg. 3. 7. 2002 Genug Leser gebe es ja sicherlich auch in Mainz, die vielleicht nicht allein über Bücher nachdenken möchten. Idealiter stellt Weber sich vor, über das Forum eine richtige Literaturszene in Mainz zu bilden; taz 18. 4. 2007 Es liegt in der Natur der Sache, dass der Übersetzer idealiter hinter dem Werk verschwindet . . Man versucht natürlich immer, in den Vertrag eine Beteiligung am Umsatz und an den Nebenrechten aufzunehmen. Das gelingt aber selten.

Ideal N. (-s; -e), seit Mitte 18. Jh. nachgewiesene Substantivierung zu → ideal (→ Idealismus, → Idee). 1a Als Fachausdruck der Philosophie, Kunst und Ästhetik in der Bed. ¤(nur in der Vorstellung vorhandene) Idee, Vorstellung, geistiger (Sinn-)Gehalt, (Bewusstseins-)Inhalt als Vorlage/-bild, Maß, Inbegriff für die angestrebte Verwirklichung, Vollendung, Vervollkommnung diesem Vorbild adäquater, gleich oder nahe kommender abstrakter Gegenstände, Sachverhalte oder PersonenÅ, insbes. auf die Aspekte der schönen Künste (insbes. Malerei und Plastik) bezogen und positiv wertend als Bezeichnung für die in der Antike verwirklicht gesehene Vorstellung von absoluter Schönheit als dem vom Künstler anzulegenden höchsten Maßstab, nachzuahmenden Vorbild, Muster, der (schöpferisch) anzustrebenden (aber letztlich unerreichbaren) Norm, im Sinne von ¤(künstlerisches) Vor-, Muster-, Leit-, WunschbildÅ (s. Belege 1764, 1770, 1822, 1914; → Idee 1a, → Modell, → Quintessenz; Ggs. → Natur, → Original; oft quasi kurz für Idealbild, → ideal 1b), in Wendungen wie in der Renaissance entdeckte man in der Kunst und Philosophie das Ideal der antiken Kultur wieder, er entwarf in diesem Bild das Ideal der Göttin der Liebe, das ästhetische Ideal weiblicher Schönheit, das Ideal der Humanität im griechischen Kunstwerk, die Profile der Dargestellten nähern sich oft dem griechischen Ideal, der Künstler strebt ein ihm stets vorschwebendes Ideal von Vollkommenheit an, die Natur zum Ideal der Darstellung erheben, die Entstehung der christlichen Kunst und ihrer Ideale, sich dem klassischen Ideal annähern, Abwendung vom klassischen Ideal, oft im Kontext mit Idee und in der Doppelformel Idee und Ideal/als Ideal, selten in Zss. wie Formen-, Frauen-/Madonnen-, Helden-, Hirten-, Kunst-, Schönheits-, Venusideal. b Seit späterem 18. Jh. zunehmend unter Betonung politisch-weltanschaulicher Aspekte und sozialutopischer Bezüge schlagwortartig auf Anschauungen, Einstellungen und Meinungen bezogen, häufig plur. verwendet, für ¤(insbes. das menschliche Zusammenleben betreffende) Wunschvorstellung, die vom politischen, sozial-ethischen, moralischen Standpunkt als hochwertiges Gut und hehres Ziel gilt und nach deren Verwirklichung gestrebt wird, Wunschtraum; hochfliegender, ehrgeiziger Plan, Hoffnung; zu einer untadeligen, edlen Lebenseinstellung gehörende Gesinnung, MeinungÅ (→ Idee 1b, → Konzept, → Illusion, → Phantasie, → Utopie, → Vision, → Maxime, → Prinzip; Ggs. → Realität), gelegentlich (leicht) abwertend konnotiert mit „vage, verworren; unerfüllbar, unrealistisch, wirklichkeitsfern, weltfremd“ im Sinne von ¤Luftschloss; HirngespinstÅ (s. Belege 1911, 1952), in Wendungen wie aus der Luft gegriffene, enttäuschte, aufgegebene Ideale, die falschen Ideale von 1789, seinen Idealen treu bleiben, untreu werden, es gibt keine Ideale mehr, die humanisti-

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schen Ideale verwirklichen, für ein politisches Ideal kämpfen, die Ideale des Fortschritts und der Rechtsstaatlichkeit, ich kann mich nicht für vage, zweifelhafte Ideale erwärmen/begeistern, das Eintreten für die höchsten Ideale der Menschheit, die heutige Jugend ist ohne/voller Ideale, die altmodischen Ideale der Selbstaufopferung und der Pflicht, Bismarck als Seher und Künder neuer Ideale, das Schlagwort von den neuen, reinen Idealen, er hat seine Ideale verwirklichen können, die vollkommene Ehe ist dem Menschen ein nie zu erreichendes Ideal, mein Ideal wäre es, mit dir auf einer einsamen Insel zu leben, seinem Ideal von Glück nachhängen/ -träumen, in Doppelformeln wie Ideal und Wirklichkeit sowie als Grundwort in Zss. wie Fortschritts-, Freiheits-, Friedens-, Gemeinschafts-, Gesellschafts-, Humanisten-, Humanitäts-, Menschheits-/Menschen-, Steuer-, Zukunftsideal. 2 Etwa gleichzeitig allgemeiner und alltagsspr. abgeflacht in positiv wertendem, nur gelegentlich neutral bis negativ gewendetem Sinne (s. Beleg 1799), bezogen auf Gegenstände, Sachverhalte und v. a. Personen für ¤etwas/jmd., das/der (in höchstem Maße, am besten, genau) bestimmten Bedingungen, Voraussetzungen gemäß ist, konkreten (Ziel-)Vorstellungen, Anforderungen und Wünschen entspricht, ihnen angepasst, angemessen ist, das/der als typisches, mustergültiges Beispiel, Maßstab, Richtwert, (bewundertes, nachgeeifertes, nachgeahmtes) Vor-, Leitbild dient/gilt; Muster(-fall)Å (→ Archetyp, → Idol, → Ikone b, → Modell, → Prototyp, → Standard, → Typus), häufig in Wendungen wie Goethes „Wilhelm Meisters Lehrjahre“ gilt nach wie vor als Ideal des deutschen Bildungsromans, seinem Ideal nacheifern, entsprechen, genügen, das Mädchen glich allzuwenig seinem erträumten/ersehnten Ideal, seine Mutter zum Ideal verklären, diese Figur wäre mein Ideal, die europäische Agrarpolitik ist von ihrem Ideal noch weit entfernt, (personifizierend:) er gilt als ein Ideal an Aufopferung, Treue und Ergebenheit, sie stellt das Ideal einer fleißigen Hausfrau dar, sich an einem Ideal von Musterschüler orientieren und als Grundwort in Zss. wie Berufs-, Bildungs-, Ehe-, Glücks-, Helden-, Jugend-, Keuschheits-/ Virginitäts-, Lebens-, Liebes-, Tugendideal. Daneben seit spätem 19. Jh. fachspr. spezifiziert in naturwissenschaftlich-technischem Zusammenhang insbes. in der Mathematik (Algebra, Mengentheorie) (s. Belege 1879, 1950, 1998) und (Proto-)Physik (s. Belege 1979, 2003) (→ Norm, → Optimum). Ideal 1a: Mendelssohn 1760 Literaturbr. V 124 So wol die Lebensart als die Empfindungen können entweder der Natur gemäß, gleichsam porträtirt, oder nach dem Ideal verschönt werden; Winckelmann 1764 Gesch. d. Kunst I 22 Neapel welches mehr als andere Länder von Italien einen sanften Himmel, und eine gleichere und gemäßigtere Witterung genießet, weil es dem Himmelstheile, unter welchem das eigentliche Griechenland lieget, sehr nahe ist, hat . . Formen und Bildungen, die zum Modell eines schönen Ideals dienen können; Gellert 1770 S. Schr. VI Vorw. von seinen eigenen Arbeiten urtheilet er [Schriftsteller] leicht . . wenn er mit dem Ideale, das er sich entworfen hatte, und doch nicht ganz zu erreichen vermochte, seine Arbeit vergleicht, allzu schüchtern; Sulzer 1771 Theorie I 554 Ideal . . Durch dieses Wort drükt man überhaupt jedes Urbild eines Gegenstandes der

Kunst aus, welches die Phantasie des Künstlers, in einiger Aehnlichkeit mit Gegenständen, die in der Natur vorhanden sind, gebildet hat, und wonach er arbeitet (DiBi 67); Giesecke 1787 Ged. 50 Sanfte Sitten und Gefälligkeit/ Sind durch dich entstanden,/ Und das Ideal der goldnen Zeit/ Ist in dir vorhanden; Kant 1790 Kritik d. Urteilskraft (W. X 150) Idee bedeutet eigentlich einen Vernunftbegriff, und Ideal die Vorstellung eines einzelnen als einer Idee adäquaten Wesens (DiBi 2); Fessler um 1790 Marc Aurel I 267 Ich bin doch froh, dass ich noch ein Ideal gefunden habe, nach welchem ich jeden, der sich bey mir als Philosoph ankündigt, prüfen kann. Er muss dem Sextus gleich sehen, wenn er auf meine Verehrung Anspruch machen will; Maimon 1791 Philos. Wb. I 84 [der Mensch] kann auch Ideale entwerfen, die keine ihnen völlig entsprechende Gegenstände in der Natur haben,

Ideal noch haben können; Herder 1795 Br. z. Beförderung d. Humanität I 372 Ich schrieb von den Idealen der Humanität in der griechischen Kunst, und diese bleiben fest, wenn auch bei Dichtern und Künstlern tausend Inhumanitäten vorkämen (DiBi 1); Schiller 1796 Naive u. sent. Dichtung (XVII 508) indem hier wirklich das Individuum ideal sei und das Ideal in einem Individuum erscheine; ders. vor 1805 (S. W. 1276) Alle Ideale, die er auf diese Art im Einzelnen bildet, sind gleichsam nur Ausflüsse eines innern Ideals von Vollkommenheit, das in der Seele des Dichters wohnt. Zu je größerer Reinheit und Fülle er dieses innere allgemeine Ideal ausgebildet hat, desto mehr werden auch jene einzelnen sich der höchsten Vollkommenheit nähern; 1810 Almanach a. Rom I 184 Wir müssen . . uns nunmehr zu den Griechen wenden, um zu sehen, ob auch von diesen die, in diesem Lande schon während der ersten vier Jahrhunderte aufgestellten, Kunstideale angenommen und weiter ausgebildet werden; Niemeyer 1822 Beobachtungen I 338 die größten Bildhauer . . glaubten . . dem Ideal dann am nächsten zu kommen, wenn sie die unsterblichen Muster der griechischen Schule erreichen könnten; Hegel 1837 Ästhetik I (W. X 2,3 Einl.) das Ideal giebt den Inhalt und die Form für die klassische Kunst ab, welche in dieser adäquaten Gestaltungsweise das zur Ausführung bringt, was die wahrhafte Kunst ihrem Begriff nach ist; ebd. 66 f. das Ideal . . besteht nur darin, daß die klassische Kunst das, was ihren innersten Begriff ausmacht, wirklich erreicht und herausstellt; Reinhold 1884 Volkstum 63 Das Höchste, was Griechenland erreicht hat in Kunst und Wissenschaft, was noch heute die Menschheit erhebt, waren gerade die Ideale, in denen das spezifisch Hellenische sich zur reinsten Form verklärt hatte; Röse 1884 Revanche 285 zu allen Zeiten haben die Weiber in Schönheit gewetteifert . . Wir stehen inmitten des neunzehnten Jahrhunderts und haben noch immer recht hübsche Frauen! Doch das Ideal!? . . unbestimmtes Wort, Bezeichnung des Unendlichen, Schönen, Prächtigen; Gothein 1914 Gartenkunst I 59 Auch als diese Kunst eine von Homer nie geahnte Höhe erreichte, blieb sie den Dichtern ein Ideal, das ihrer Sehnsucht lockend wie die Gefilde der Seligen vorschwebte; 1929 Nord u. Süd LII 220 Nicht nur die Sprachgewandtheit . . sondern auch die Formgewandtheit, welche das Schillersche Ideal von Anmut und Würde geradezu vollendet in sich verkörperte, rührt aus der glücklichen Mischung von südlicher Grazie mit englischer Haltung her; Gebauer 1932 Kulturgesch. 269 In der Übertragung des hellenischen Ideals auf das Leben . . lagen Gefahren für Sittlichkeit und Charakterbildung verborgen; Th. Mann 1933 Reden u. Aufs. (W. IX 414) die Künstleridee, daß das Schöne . . Versöh-

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nung schenkt unserer irdischen mit unserer höheren Natur, die Brücke bildet zwischen Ideal und Leben; De Man 1951 Vermassung 138 f. dass Kulturen aus Ideen hervorgehen . . das Wort Idee erinnert an das durch inflatorischen Gebrauch schlimm entwertete Wort Ideal. Ideen aber sind etwas ganz anderes als Ideale. Sie können die ornamentale Endung „al“ durchaus entbehren; Presse 5. 1. 1998 Evans brachte die Paradigmen der Jazzimprovisation . . mit meditativen Zuständen . . einerseits und den fließenden Pinselstrichen der japanischen . . Malerei in Vergleichung . . Das Ideal: die Quintessenz der musikalischen Idee zum Selbstausdruck zu bringen; FAZ 6. 11. 2001 Ein Versroman ist heute nicht mehr dazu angetan, Leserscharen anzuziehen, auch wenn sich um diese antike Form des Epos, die lange als Ideal der Dichtung galt, längst eigenständige nationale Traditionen ranken; Berl. Ztg. 11. 1. 2002 Das ist nun oft ein Ideal des Kunstgesangs gewesen – dass etwas vorgetragen wird, der Text eines Dichters, die Weise eines Komponisten, als entspränge es dem Ausdrucksbedürfnis des Sängers jetzt, an Ort und Stelle. Ideal 1b: 1775 Allg. theolog. Bibliothek V 340 je mehr die Sache reelles hat, sich auf Augenschein gründet, und Wahrheit und nicht Roman, Utopie, bloßes Ideal ist; Wezel 1781 Sprache 307 Warum schufen sie [die schönen Wissenschaften] lauter Ideale? Warum ersannen sie Situationen, worin wir uns nicht versetzen können? Was sollen wir mit Helden, Tirannen, Liebe für Freiheit und Vaterland?; Herder 1793⫺97 Br. z. Beförderung d. Humanität I 304 Ein Lehrer der Philosophie, wie er sein soll, hat ein Reich über menschliche Seelen, in welchem er mächtiger als ein König gebietet. Er pflanzt Grundsätze, er gibt Ideen, er stellt Ideale fest, die nachher auf tausend Gedanken und Handlungen seiner Zuhörer . . erkannten und unerkannten Einfluß haben (DiBi 1); Harl 1812 Kriegs-Pol.Wiss. 501 Die Idee einer allgemeinen Besteuerung . . ist das Steuer-Ideal; Schulz 1825 Irrthümer 69 Die im Jahre 1819 ergriffenen Maßregeln . . müssen . . für höchst lobenswerth gelten, indem sie gutmüthige Jünglinge abzuhalten suchten, in ihren Idealen allzuweit die Schranken der Wirklichkeit und Wahrheit zu überspringen; 1854 Prutz’ Museum 398 insofern auch Feuerbach, dem allgemeinen Zuge der deutschen Wissenschaft folgend, mehr in Idealen und Träumen lebte als in der Wirklichkeit, und trotz alles qualvollen Ringens und trotz aller schmerzlichen Resignation doch den Punkt nicht finden konnte, wo Phantasie und Wirklichkeit, Idealismus und Realismus sich durchdringen und versöhnen; Strauss 1872 Glaube 287 Bei den Franzosen hat die Phrase, bei uns

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Deutschen das Ideal, die aus der Luft, nicht aus der Wirklichkeit gegriffene Abstraction, eine viel grössere, und in der That gefährliche Gewalt; Windelband 1878 Präludien I 259 den reinen Gehalt allen menschlichen Kulturlebens, die Ideale unserer Geschichte im Bewußtsein zu erhalten; Treitschke 1897 Politik I 60 Das Ideal ist, daß ein gewisses Gleichgewicht politischer und socialer Thätigkeit bestehe; Polenz 1899 Wald 32 Sein Ideal wäre es gewesen, irgendwo zu leben, wo man von seinesgleichen möglichst wenig gesehen hätte; Senden 1900 Tänzerin 84 Sie saß da wie eine in der Knospe gebrochene Blüte, die nichts wieder erfrischen kann, alle Ideale und Illusionen ihres Mädchenherzens waren von grausamer Hand zerstört, um nie wieder aufzuleben; Hahn 1905 Alter 226 die große Aufgabe . ., die falschen Ideale von 1789 möglichst beiseite zu schieben und sie auch in den breitesten Massen durch richtigere Prinzipien zu ersetzen; Schmid 1909 Mönch 156 Philosophen und Gelehrte haben das neue Menschheitsideal wiederentdeckt; 1911 Grenzboten I 52 Es ist ja im politischen Kampf nicht leicht, sich von tönenden Schlagworten zu emanzipieren, von Übertreibungen sich fernzuhalten, am schwersten gar dort wo es sich nicht um luftige Ideale, sondern um den Geldbeutel handelt; Kessler 1918 Tagebücher 1918⫺37 62 Ich sagte, das ¤Bildungs’-Ideal sei durch den großen Zusammenbruch getötet; an seine Stelle müsse im neuen Deutschland das Ideal der Tüchtigkeit treten; Gläser 1932 Gut 19 der Staat, der im Augenblick seiner ökonomischen Bedrohung alle seine Ideale und Proklamationen von der Humanität und der Freiheit wie alte Tapeten von den gefährdeten Wänden riss, hatte sich zum Polizeiwächter des Privateigentums degradiert; Schöck 1952 Soziologie 240 Die Wirklichkeit ist nicht immer angenehm. Deshalb stürzt man sich auf das Ideal. Das erlaubt große Worte zu reden; Görlitz 1967 Gesch. Generalstab 41 Das Ideal war, daß der General ohne generalstabsmäßige Schulung allmählich verschwinden sollte; Utz 1970 Ethik o. S. Norm und Ideal sind grundverschieden. Die Norm bietet zunächst nur eine allgemeine Orientierung, von der aus noch ein weiter logischer Weg bis zur konkreten Bestimmung des zu verwirklichenden Objekts führt . . Dagegen ist das Ideal eine konkrete Zielvorstellung, an der jedes einzelne Objekt gemessen wird; Zeit 3. 5. 1985 Da wird man nicht umhin können, das scheinbare Ideal der Harmonie in einer Partnerschaft gehörig in Zweifel zu ziehen . . Da wird gestritten und gefochten, da gehen die Emotionen hoch; Spiegel 15. 2. 1993 Sozialistische Ideale hat das SED-Regime gründlich diskreditiert; Mannh. Morgen 20. 9. 2011 Dazu lässt Christoph Hein entweder den Zeigefinger kreisen oder ballt die Faust für . .

zumeist nostalgische Seitenhiebe. . . Früher war alles besser, da gab es noch Ideale. Im betriebswirtschaftlichen Zeitalter heute zählt nur Geld, Geld, Geld; Spiegel (online) 15. 2. 2017 Als Kern der westlichen Kultur bestimmt Strenger das Ideal des autonomen Menschen, das jedem als Aufgabe gestellt ist. Das „unmögliche Tier“ wurde im Zuge der Aufklärung mehr und mehr von religiösen und staatlichen Vorschriften befreit, die ihm erklären, wer und was es zu sein hätte. Damit ist es aber auch gezwungen, selbst Verantwortung für sich zu übernehmen – idealerweise im Bewusstsein der grundlegenden Tragik seiner unbehausten Existenz. Ideal 2: Lessing 1767⫺68 Dramaturgie II (S. Schr. X 170) so wie dieses personifirte Ideal einer eiteln und gefährlichen Schulweisheit nur darum den Namen Sokrates bekam, weil Sokrates als ein solcher Täuscher und Verführer . . bekannt war; Büsch 1775 Encycl. d. mathemat. Wissenschaften 20 Freylich muß man sich hiebey beständig erinnern, daß das Bild unvollkommen sey, und die in dem Lehrsatze behauptete Wahrheit nicht von dem Bilde, sondern von dem Ideal des Bildes gelte . . Indessen ist die unvollkommene Zeichnung immer hinlänglich, um das Ideal einer solchen vollkommenen Figur mit deren in dem Lehrsatze angegebenen Bestimmungen uns sinnlich und mit unendlich mehr Deutlichkeit vorzustellen; 1788 Dtsch. Museum II 291 wenn die moralische Handlung nach dem Kanon der Moral eingerichtet werden soll, so wie eine Linie nach dem Lineal gezogen wird, die zwar hier, dort, durch einen Fehler der ausübenden Hand abweichen könte, die aber nothwendig abweichen müßte, wenn das Lineal selbst nicht die vollkommenste grade Linie, und also gleichsam das Ideal einer graden Linie wäre; Hufeland 1797 Kunst 210 wir können einen solchen Menschen, der das höchste Ziel menschlicher Existenz erreicht hat, als ein Ideal der vollkommensten Menschennatur, als ein Muster dessen, wessen die menschliche Natur unter günstigen Umständen fähig ist, betrachten; Böttiger 1799 Literar. Zustände (I 247) Sie . . versicherte, daß sie die Wege nirgends so halsbrechend angetroffen hätte . . Es sei ein Ideal eines schlechten Weges; Bouterwek 1810 Gesch. VIII 16 Seit dieser Zeit wurde der Begriff eines Gentleman oder Mannes von Stande immer schärfer bestimmt, bis er sich zum Ideal des geselligen Betragens und der liberalen Denkart erweiterte; Immermann 1825 Pygmalion 5 daß ein so vollkommenes Frauenzimmer wie Luciane dem Ideale nicht entspricht, welches ich mir von der Weiblichkeit gebildet habe . . Mit eurem Ideale! fuhr die Tante heraus. Das Wort gehört zu den verderblichsten, die je erfunden worden sind. Ihr macht

Idealismus einem selbstgeschaffenen Luftbilde den Hof, legt ihm ein ganzes Register von Vollkommenheiten bei, steigert eure Ansprüche weit über euer Verdienst und könnt natürlich in einem braven Mädchen von Fleisch und Blut, welches euch das gute Glück in den Weg führt, das sogenannte Ideal nicht erblicken; 1848 Grenzboten I 2,18 Solche Charaktere, in denen sich das Zarte mit dem Starken schön verschwistert und verbindet, sind immer meine Ideale weiblicher Vollkommenheit gewesen, und indem ich diesen nachstrebe . ., werde ich mich stets vor weinerlicher Empfindsamkeit und falscher Helden-Vergötterung bewahren; WagnerLiszt 1859 Briefw. II 252 ihm schwebte das Ideal eines Banquiers vor, das er in mir einst verwirklicht zu sehen hoffte; Hillebrand 1876 England 245 er liest seine Zeitung allmorgentlich [!], hat seine Meinung über alle Tagesfragen, kurz er ist das Ideal des modernen demokratischen Bürgers voller Gemeinsinn, öffentlichem Interesse, nationalem Pflichtgefühl und wie die Modephrasen alle lauten; Dirichlet/Dedekind 1879 Vorles. üb. Zahlentheorie I 526 Genügt nun das Ideal r ebenfalls der Bedingung pr ⫽ a, so ist pr ⫽ pq; Raabe 1891 Stopfkuchen (Ausgew. W. VI 507) Das siehst du doch wohl ein, Eduard, obgleich es freilich die reine Zwickmühle ist: damit ich ihr Ideal werde, mußte ich doch unbedingt vorher erst meines sein? (DiBi 1); Reid 1899 Klassenanzahlen f. kubische Zahlkörper 9 Bezeichnen wir nun mit A die das Ideal a enthaltende Klasse, und mit B die das Ideal b enthaltende Klasse, dann wird die Idealklasse, welche das Ideal ab enthält, das Produkt der Idealklassen A und B genannt und mit AB bezeichnet; Schmid 1909 Mönch 167 das Bürger-, das „Philister“-Ideal neben dem „Mönchs“-Ideal; Th. Mann 1930 Reden u. Aufs. (W. X 447) bäuerlich volkhaft und weltoffen, und europäisch zugleich – das Ideal eines Mannes, das Ideal einer Stadt; Fueter 1950 Synthet.

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Zahlentheorie 12 Da wir im folgenden in der Hauptsache ganze Ideale betrachten werden, werden wir unter einem Ideal stets ein ganzes verstehen, und bei n > 1 stets ausdrücklich das Ideal gebrochen nennen. Wir schreiben Ideale im Unterschied von den Moduln mit runden Klammern; Lenz 1961 Vorturner (W. XIX 368) Das Ideal des Turners deckt sich durchaus mit seinem [„Turnvater“ F. L. Jahns] Ideal des Dichters. Die Dichter sollten Siege ersingen, eine deutsche Bücherhalle sollte ein deutscher Bardenhain sein; Katthage 1979 Dreiplattenverfahren 83 erste Ebenen und rechte Winkel zu realisieren, um dann – mit Hilfe der jetzt ebenfalls realisierbaren Kongruenz – zu bestimmen, welche Körper das Ideal des Deformationsfreien [!] Körpers am besten approximieren; taz 13. 8. 1988 Auch das für viele Männer unerreichbare Ideal der Männlichkeit des MarlboroKuhhirten läßt sie in alternative Formen der Sexualität abgleiten; Artin 1998 Algebra 408 In jedem Ring R bildet die Menge, die nur aus der Null besteht, ein Ideal, das sogenannte Nullideal. Es ist offensichtlich ein Hauptideal, wie auch der ganze Ring, der als Ideal von dem Element 1 erzeugt wird; FAZ 15. 5. 1999 Alkmene erkennt den, den sie liebt, an ihrem Gefühl, doch das Gefühl führt weder zu dem Gemahl noch zu dem Gott, sondern zu einem dritten, dem Göttergatten jener Liebesnacht, der freilich nur als Ideal in ihrem Busen wohnt; Mannh. Morgen 12. 1. 2002 Handgemachter Tweed aus Harris schmückte fortan all jene, die es solide und stilvoll lieben. Dem Ideal des Country Gentleman fühlen sie sich verpflichtet; Mühlbacher 2003 Rollenmodelle 30 Nachdem durch die Protophysik eine gemeinsame Terminologie erarbeitet wurde, folgt die Phase der Ideation, also der Zielabsprache. Dabei wird vorausgesetzt, dass das Ideal nicht erreicht, aber beliebig genau angenähert werden kann.

Idealismus M. (-; selten -en, vgl. b), seit frühem 18. Jh. nachgewiesene (mit dem neoklassischen, bes. in den Bereichen Philosophie, Wissenschaft und Kunst verbreiteten Suffix -ismus ¤Lehre, Richtung, Schulmeinung; Verhaltensweise, Einstellung, AuffassungÅ gebildete) subst. Ableitung zu → ideal, früher auch in lat. (flekt.) Form und in der Form Idealism. a Heute historisierend verwendet als Sammelbezeichnung für unterschiedliche philosophisch-weltanschauliche und geistesgeschichtliche Systeme, Strömungen und Epochen, denen die Weltsicht gemeinsam ist, dass dem materiellen Sein ein geistiges Sein zugrunde liegt, dass die Ideen (→ Idee) das eigentlich Wirkliche sind und die äußere Wahrnehmung der Wirklichkeit (Materie und Geschichte als Summe menschlicher Handlungen) nur Abbilder ihres eigentlichen (tieferliegenden) Wesens liefert; Ausgangspunkt war die an Platon (in seiner Schrift „Politeia“) festgemachte Ideenlehre, nach welcher die Ideen Urbilder, Modelle oder Pläne von Dingen, Handlungen

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und Geschehnissen der somit nur im Bewusstsein existierenden Außenwelt sind, und die in der Folge (durch Fichte) in das Gebiet der Metaphysik und Ethik/Sittenlehre und (durch Schiller, Winckelmann) in das der ästhetischen Erziehung/Bildung eingebracht wurde (Ggs. → Materialismus); seit etwa Mitte 19. Jh. zunehmend mit ästhetischem Bezug auf Literatur und Kunst als Bezeichnung für die Lehre von einer idealen ästhetischen Grundvorstellung als Basis künstlerischen Schaffens sowie entsprechende Strömungen (s. Belege 1850, um 1900, 1944; → Manierismus; vgl. Positivismus, Verismus; Ggs. → Naturalismus, → Realismus), in Wendungen wie der Idealismus der Geschichte, der Idealismus folgt aus der Monaden-Lehre, Idealismus geht seit Platon vom Primat der Ideen aus, der Idealismus der Romantik, der Idealismus der deutschen Denker und Dichter; zumeist in fachspr. Syntagmen wie kritischer bzw. transzendentaler Idealismus als (historische) Bezeichnung für die (von Kant begründete, von Fichte und Schelling ausgebaute) philosophische Richtung, die sich nicht unmittelbar mit den Dingen/Gegenständen als solchen, sondern mit deren Erkenntnis, den apriorischen Begriffen von Gegenständen überhaupt, befasst, deutscher (bzw. absoluter) Idealismus als (um 1840 von seinen materialistischen Gegnern eingeführte) Fremdbezeichnung für die (u. a. von Hegel, Fichte, Hölderlin, Schelling begründete) zwischen 1780 und 1831 anzusiedelnde klassische Periode der deutschen Philosophie und des deutschen Geisteslebens, die an den kritischen Idealismus anknüpfend den Geltungsgrund absoluter Erkenntnis und damit das Absolute selbst offenlegen wollte (und die philosophische Grundlage bildete für ihre politisch-weltanschauliche Variante, die Hinwendung zu Volk und Vaterland als Wegbereiter des deutschen Nationalismus, s. Belege 1913, 1925, 1934; vgl. b), erkenntnistheoretischer/ontologischer Idealismus zur Bezeichnung einer philosophisch-idealistischen Strömung, nach der die Außenwelt als Bewusstseinsinhalt vom erkennenden Subjekt abhängig ist, metaphysischer Idealismus ¤idealistische Strömung, bei der nur der Idee, dem Geist, dem Geistigen absolute Wirklichkeit zugesprochen wirdÅ (→ Spiritualismus), objektiver/absoluter/konkreter Idealismus ¤idealistische Strömung, die die Realität in Abhängigkeit von einer als objektiv verstandenen Form des GeistigIdeellen verstehtÅ, subjektiver Idealismus ¤idealistische Strömung, nach der die Realität in Abhängigkeit vom subjektiven Bewusstsein bestehtÅ, sowie in einer Anzahl weiterer, einzelne Ausprägungen bezeichnender Syntagmen wie abstrakter, ästhetischer, dogmatischer, empirischer, formaler, kultureller, methodischer, monistischer, physikalischer, psychologischer, theoretischer Idealismus; gelegentlich in Zss. wie Idealismusforschung, -studien, -deutung, -geschichte, -kritik; Fichte-, Früh-, Fundamental-, Vernunftidealismus. b Seit früherem 19. Jh. weiterentwickelt im politisch-weltanschaulichen und (sozial-)ethischen Bereich (gemäß der Lehre von der absoluten Gültigkeit sittlicher Grundsätze (→ Idee 1b) als hehre Ziele (→ Ideal 1b) des menschlichen Strebens), bezogen auf (bes. national-patriotische oder religiös-moralethische) Einstellungen, Tendenzen und Interessen in der Bed. ¤geistige Haltung, Weltanschauung, die auf bestimmte, allgemein positiv bewertete ethische Ziele und Ideale gerichtet ist und das politische Handeln daran orientiert; MenschenliebeÅ (→ Humanismus b, → Humanität a, → Philanthropie), verstärkt auch ¤Uneigennützigkeit, Selbstlosigkeit, Aufopferung (z. B. für das Gemeinwohl)Å (→ Altruismus) und im Sinne von ¤engagiertes Eintreten, Einsatzbereitschaft für eine (gute) Sache, einen Beruf, eine Berufung; Begeisterung, Leidenschaft, FeuerÅ (s. Belege 1970, 1981; → Engagement, → Enthusias-

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mus; vgl. Fanatismus, → fanatisch), in (mehr oder weniger fachspr.) Syntagmen wie ethischer (moralischer/sittlicher) Idealismus ¤Lebenseinstellung, bei der ein Individuum oder eine Gemeinschaft altruistischen Ideen bzw. Idealen folgtÅ (Ggs.: ethischer Materialismus ¤Lebenseinstellung, bei der die Menschen egoistisch das eigene materielle Wohlergehen anstrebenÅ), praktischer Idealismus ¤an idealen weltanschaulichen Vorstellungen und Zielen orientierte, das Handeln und Verhalten bestimmende LebenseinstellungÅ (im Unterschied zu eher negativ konnotiertem → Ideologie; Ggs. → Egoismus), christlicher, politischer Idealismus und Wendungen wie für Wahrheit und Idealismus eintreten, Idealismus in der Wissenschaft, Idealismus der Krankenpflege, Idealismus selbstloser Arbeit, eine Portion Idealismus gehört zum Polizei-Beruf dazu, trotz dieser bitteren Erfahrung habe ich mir ein großes Maß an Idealismus bewahrt, der Idealismus des Lehrers lässt im Laufe seines Lebens nach, dann zunehmend allgemeiner und abgeflacht ¤optimistische (Grund-)Einstellung/Haltung, Zielstrebigkeit, positive Zukunftserwartung, -hoffnung; Vertrauen in/Glaube an etwasÅ (s. Beleg 1897; → Optimismus; vgl. Illusionismus, → Illusion), auch abwertend im Sinne von ¤Vertrauensseligkeit, BlauäugigkeitÅ (→ Utopismus) bzw. ¤weltfremde Schwärmerei; HirngespinstÅ (s. Belege 1894, 1901, 1925, 1999), in Wendungen wie sein unerschütterlicher Glaube an das Gute im Menschen erwies sich als utopischer Idealismus, der hehre sittliche Idealismus, sein Idealismus bekundet sich in tätig nützlicher Menschenliebe, sein ungebrochener Idealismus in Bezug auf die Aufrichtigkeit der Politik, als ich aus dem Krieg zurückkam, hatte mir das Leben jeden Idealismus genommen, weltfremder, überspannter, verstiegener, unverbesserlicher Idealismus, als Grundwort in Zss. wie Anfänger-/Anfangs-, Berufs-, Bildungs-, Erneuerungs-, Euro(pa)-, Gesinnungs-, Gründerzeit-, Hippie-, Karriere-, Kultur-, Links-, Menschenrechts-, Neu-Idealismus (Bezeichnung für eine neue Weltanschauung mit neuen Idealen), Öko-, Reform-, Revolutions-, Sport-, Vereins-, Verfassungs-, Wahrheits-, Wandervogel-, Wende-Idealismus; Anti-, Spätidealismus sowie eher okkasionell als Bestimmungswort in Idealismusarbeit, -kurs, -projekt. Daneben seit Anfang 19. Jh. im philosophischen, literarischen und künstlerischen Bereich die heute meist historisierend verwendete, zu idealistisch (s. u.) gebildete, weitgehend gleichbed. subst. Ableitung Idealistik F. (-; ohne Pl.), oft in negativ wertendem Zusammenhang (s. Belege 1817, 1947, 1962), z. B. hohle, falsche Idealistik (zu a), dann auch im politischen, ethischen oder religiösen Sinne (zu b). Dazu die im früheren 19. Jh. aufgekommene Personenbezeichnung Idealist M. (-en; -en), moviert (vgl. b) Idealistin F. (-; -nen), heute nur noch historisierend für ¤Anhänger (der Lehre) des IdealismusÅ (Ggs. Materialist, → Realist), selten auch auf Kunst und Literatur bezogen (s. Belege 1830, 1890) (zu a), seit frühem 19. Jh. (auch im Sinne einer Ableitung von → Ideal 1b oder → ideal 2) ¤jmd., der (politische, weltanschauliche, ethische) Ziele und Ideale hat und verfolgt, für andere einsteht, sich für eine (gute) Sache engagiert; Weltverbesserer, MenschheitsbeglückerÅ (vgl. Altruist, → Altruismus, Enthusiast, → Enthusiasmus, Fanatiker, → fanatisch, Pazifist, Philanthrop; Ggs. Misanthrop) und ¤jmd., der unerschütterlich an Ideale, z. B. das Gute (im Menschen) glaubt, eine positive Grundeinstellung, positive Zukunftserwartungen hat, daran festhältÅ (s. Belege 1860.2, 1925, 1989; vgl. Optimist, Positivist; Ggs. Pessimist, Pragmatist, → Realist), oft auch abwertend ¤weltfremder Schwärmer, Träumer, VerklärerÅ (s. Belege 1825, 1864, 1900, 1970; vgl. Illusionist, Phantast, Romantiker, → Romantik, → Utopist), z. B. du bist immer ein unverbesserlicher

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Idealist gewesen, naive, närrische, romantische, weltfremde, unpraktische Idealisten, er gilt als Projektionsfläche linker Idealisten, eine Handvoll Idealisten hat geschafft, wovon die Politiker nur geträumt haben, ein stark humanitär geprägter Idealist, es ist nicht immer einfach, genügend Idealisten für das Vereinsleben zu finden, solche Idealisten gibt es fast nicht mehr; Idealistengemeinschaft, -partei, -traum, -verein; Abrüstungs-, Anti(-kriegs)-, Bildungs-, Europa-, Familien-, Fußball-, Geschichts-, Greenpeace-, Heimat-, Hippie-, Internet-, Lehrer-, Natur-, Öko-, Partei-, Reform-, Sozial-, Sport-, Theater-, Umwelt-, Verfassungs-, Wissenschafts-, Zukunftsidealist (zu b), mit der seit früherem 18. Jh. nachgewiesenen adj. Ableitung idealistisch ¤der Lehre des Idealismus anhängend, darauf bezogen, beruhendÅ, v. a. von Methoden, Verfahrens- und Sehweisen in der Kunst-, Literatur- und Geschichtsbetrachtung, bes. in den 70er Jahren des 20. Jhs. im wissenschaftstheoretischen, sprachphilosophischen, literaturkritischen oder politisch-ideologischen Zusammenhang auch kritisch wertend (s. Belege 1970.1, 1970.2, 1974), in Wendungen wie idealistische Philosophie, Versuche einer idealistischen Welterklärung, die idealistische Konstruktion des platonischen Staates, idealistische Ästhetik, Dichtung, die beiden großen Stilgruppen der natürlichen und der idealistischen Kunst, idealistische Geschichtsauffassung, Literaturgeschichte, idealistischer Roman, Geschichtsschreiber, idealistisches Drama, in adj. Reihen wie idealistisch-ästhetisch, -klassisch, -monistisch, -philosophisch, -platonisch; klassisch-, mythisch-, objektiv-/subjektiv-, rationalistisch-/real-, spekulativ-, subjektiv(-istisch)-, transzendental-idealistisch und als Grundwort in Zss. bzw. Präfigierungen wie anti-/gegen-, hoch-, nach-, neo-, spät-, über- und v. a. neuidealistisch (vgl. die von V. Klemperer geprägte Bezeichnung neuidealistische Philologie) (zu a), seit früherem 19. Jh. auch ¤an idealen (weltanschaulichen, politischen, ethischen) Vorstellungen und Zielen orientiert, diese verfolgend, nach ihrer Verwirklichung strebend (mit dem Ziel die Welt zu verbessern); sich selbstlos für eine gute Sache engagierend, für andere einstehendÅ (vgl. altruistisch, → Altruismus; Ggs. egoistisch, → Egoismus, materialistisch) und ¤an Ideale, an das Gute glaubend, eine positive Grundeinstellung, positive Zukunftserwartungen zeigendÅ (s. Beleg 1884; vgl. enthusiastisch, optimistisch, positiv; Ggs. materialistisch, pessimistisch, pragmatisch, realistisch, → Realist, utopistisch, → Utopist), in Wendungen wie idealistische Gesinnung, Lebensauffassung, idealistische Vorstellungen, Wünsche, Beweggründe und v. a. adj. Reihen wie idealistisch-christlich/-religiös/-theologisch, -humanistisch, -kämpferisch, -kommunistisch/-marxistisch/-sozialistisch, -missionarisch, -national, -ökologisch, -revolutionär, -selbstlos; humanistisch-, jugendlich-, kämpferisch-, moralisch-, politisch-, rebellisch-, sozial-, weltanschaulich-idealistisch, oft leicht abwertend im Sinne von ¤mit der Neigung, die Wirklichkeit nicht so zu sehen, wie sie ist, sondern wie sie sein sollte, zu weltfremder Verklärung und Träumerei neigend, weltfremd; vertrauensselig, gutgläubigÅ (s. Belege 1870, 1873, 1916; → romantisch; vgl. illusionistisch, → Illusion), z. B. idealistisch-illusionär, -naiv, -romantisch, -schwärmerisch, -verblendet/-verbohrt, -weltfremd; altmodisch-, phantastisch-, pubertär-, romantisch-, utopisch-, weltfremd-idealistisch (zu b). Idealismus a: Strähler 1723 Angestellte Prüfung II 27 Und also sind alle äussere Dinge respectu unserer Erkäntniß und unsers Wollens was überflüßiges. Daß . . hierdurch der Idealismus souteniret werde, welcher mit unserer Religion nullo modo

bestehen kan, wird niemand läugnen; Ludovici 1738 Merckwürdigkeiten 51 Anm. Ich kan es niemahls ohne Verwunderung lesen, wenn man den Herrn von Leibnitz will des Idealismi verdächtig machen. Das Gegentheil, der Materialismus, könte

Idealismus ihm noch eher mit einiger Wahrscheinlichkeit angesonnen werden, inmassen er jeder Seele einen Cörper zu ihrem Wohnhause eingeräumet hat; Windheim 1751 Götting. Philos. Bibl. IV 355 daß nach dem Idealismo unbegreiflich sey, wie einerlei Sache nach dem verschiedenen Stande unseres Körpers so verschiedene Vorstellungen hervorbringen könne: daß der Idealismus der heiligen Schrift und besonders der Geschichte der Schöpfung zuwider laufe . . Die Art des Vortrags, die der Verfasser gebraucht . . ist so beschaffen, daß, wer nicht wohl auf seiner Huth ist . . nach und nach unvermerkt um seine Stützen der Wirklichkeit der äuserlichen Dinge kommen, und dadurch in den Idealismus verwickelt werden kann; Wolff 1757 Ausführl. Nachricht 596 Ich habe . . gezeiget, daß man die Materie nicht aus materiellen Theilen zusammenleimen müsse, sondern sie aus einem wahren Einfachen ihren Ursprung nehmen kann. Und hierdurch kann man die andere Stütze des Idealismi niederreissen; Justi 1761 Moral. u. philos. Schr. 424 Anm. Diese Einschränkung wird man vielleicht nur machen, wenn es darauf ankommt, den Idealismus von sich abzulehnen. Denn außer dem hat ja der von mir angeführte Vertheidiger der Monaden mit dürren Worten gesagt, daß außer den einfachen Dingen sonst nichts Wirkliches und Substantielles in dem ganzen Weltgebäude wäre; 1778 Götting. gel. Anz. I 514 Wenn die Lehre, daß alle sinnliche Vorstellungen Erscheinungen sind, Idealismus ist, so ist es die ganze Physik. Die zerlegt nur zusammengesetzte Erscheinungen in einfachere; Fichte 1794⫺95 Grundlage d. ges. Wissenschaftslehre (W. I 175) Demnach ist der tiefere Sinn der obigen Synthesis folgender: Ideal- und RealGrund sind im Begriffe der Wirksamkeit . . Eins und Ebendasselbe. Dieser Satz, der den kritischen Idealismus begründet, und durch ihn Idealismus und Realismus vereinigt, will den Menschen nicht eingehen (DiBi 2); Schiller 1796 Naive u. sent. Dichtung (XVII 566) Nicht zwar, als ob der Idealism mit der Sittlichkeit je in Streit geraten könnte, welches sich widerspricht; sondern weil die menschliche Natur eines konsequenten Idealism gar nicht fähig ist; Fichte 1801 Darstellung d. Wissenschaftslehre (W. II 104) man irrt sehr, wenn man glaubt, der transcendentale Idealismus läugne die empirische Realität der Sinnenwelt u. dergl.: er weist in ihr bloss die Formen des Wissens nach, und vernichtet sie darum als ein für sich Bestehendes und Absolutes (DiBi 2); Hillebrand 1819 Propädeutik d. Philosophie 544 Anm. Der dogmatische Idealismus überhaupt unterscheidet sich von dem problematischen dadurch, daß er die reale Existenz der Gegenstände im Raume und außer der Seele (die Körperwelt) für durchaus unmöglich erklärt und dieses durch Gründe zu erhärten und zu

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beweisen sucht, indeß der problematische daran nur zweifelt und den Beweis dafür leugnet; Ancillon 1831 Extreme II 284 Da eine jede wahre Philosophie in einer Einheit bestehen muß, so giebt es nur zwei mögliche Systeme, die sich wechselseitig ausschließen; Idealismus und Materialismus; Rötscher 1840 Philos. d. Kunst III 81 Wir können diese von Göthe auf das ergötzlichste im Baccalaureus repräsentirte Richtung als die Spitze und zugleich als die Karrikatur [!] des subjektiven Idealismus betrachten, in dem sich die Anerkennung der Macht der Idee und des Gedankens, als des allein Wirklichen, die Erhebung über die Erfahrung und das geschichtlich Gewordene durch den freien Akt der intellektuellen Anschauung zu einer Vergötterung des Denkens des einzelnen Subjekts verkehrt hat; Hettner 1850 Romant. Schule 141 wie der falsche Idealismus, an der [!] unsere gesammte Literatur krankt, Göthe und Schiller zu doctrinär exclusiver Anpreisung des Alterthums, und . . zu dessen unbedingter Nachahmung geführt hatte; SchultzSchultzenstein 1855 Bildung 9 Man kann den subjektiven, auch mystischen Idealismus nennen, um ihn von dem alten, objektiven, als mythischen Idealismus zu unterscheiden . . Dem mystischen Idealismus liegt die mystische Lebenskraftlehre zu Grunde. Der mythische ist der alte Weltseelenidealismus; 1883 Conservative Monatsschr. I 171 Werden heutzutage die Prinzipienfragen der Kunst im Allgemeinen, und der Schaubühne im Besonderen, erörtert, so kann man sicher sein den Schlagworten: Idealismus, Realismus, Naturalismus zu begegnen. Diese Ausdrücke werden in ästhetischen, kritischen und politischen Schriften in ganz verschiedenem Sinne gebraucht; Kraemer 1900 XIX. Jh. III 323 eine Gegenströmung [zum Naturalismus in der Malerei] . ., für die man die Namen Neuidealismus oder Phantasiekunst gewählt hat; Eucken 1906 Ges. W. 151 Indem er [Kant] Idee, Plato und neuere Denkweise verknüpfend, als einen notwendigen Vernunftbegriff erklärt, dem kein kongruierender Gegenstand in den Sinnen gegeben werden kann, wird ihm das, was bisher schlechthin als Idealismus gegolten hatte, zum „empirischen“, „materialen“, „psychologischen“ Idealismus, dem er sein eigenes System als „kritischen“, „formalen“, „transzendentalen“ Idealismus entgegensetzt; 1913 Furche IV 9 Unter den großen Führern des deutschen Idealismus haben bekanntlich nicht alle für die politische Erhebung und Wiedergeburt des Volkes, geschweige denn für seine religiöse Erneuerung Bedeutung gewonnen; Strich 1925 Dichtung 20 Der deutsche Idealismus will nicht einfach hinnehmen, was er von der deutschen Natur empfängt. Er empfindet der Natur gegenüber eine Aufgabe und eine Sendung; Rothacker 1927 Logik 143 Vertrauen zur Erscheinungs-

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welt, der ein Sinn immanent ist: objektiver Idealismus. Es gibt nur die Welt der Sinne und des Werdens, was geschieht folgt ihrem Gesetz: Naturalismus. So der Begriff des Lebens: er ist genuin objektiv-idealistisch; Gebauer 1932 Kulturgesch. 622 Der ältere metaphysische Idealismus bis auf Hegel war im Wege der Deduktion, d. h. der Ableitung des Besonderen vom Allgemeinen, mit Hilfe der rein spekulativen Vernunft hervorgebracht worden . . Der neue metaphysische Idealismus . . ist ein auf dem Boden des Realen erwachsener, ein „objektiver“ Idealismus . . Bezeichnenderweise waren die Erfinder dieser Systeme . . Naturforscher; Lokal-Anz. 11. 11. 1934 [Schiller] war und blieb der große und unerreichte Vertreter des deutschen Idealismus, der bewundernswerte Gestalter deutscher Kraft . . Wir haben daraus den unermeßbaren Schatz deutschen Idealismus, der uns vor allen anderen Völkern der Erde auszeichnet, der die Wurzel unseres nationalen Daseins ist; Wegmann 1944 Studien z. Bed. d. Märchens 7 Die „heimatliche Welt“, von der alle Märchen zeugen, ist die „Geisterwelt“, die „goldne Zeit“, oder die Zeit des „magischen Idealismus“. Das Märchen steht also in engem Zusammenhang mit dem magischen Idealismus, dem Zentrum von NovalisÅ Denken; Neues Deutschl. 14. 10. 1959 Das geistige Leben unserer Zeit und die Entwicklung der Wissenschaft werden in immer stärkerem Maße durch das Wirken der Ideen des dialektischen Materialismus bestimmt. Das ist auch den Verfechtern der erkenntnis- und wissenschaftsfeindlichen Lehren des Idealismus, den Verteidigern und Schönrednern der kapitalistischen Ordnung durchaus bewußt; Klimmnich 1970 Verfassungsgeschichte o. S. Der Idealismus ist diejenige philosophische Richtung, die der Idee den Vorrang vor den „bloßen Sachen“, d. h. der gegenständlichen Welt einräumt. Im transzendentalen Idealismus ist die Idee mehr als nur Vorstellung; sie wird zu einer „geltenden“ Bedingung des Bewußtseins; Nürnb. Nachr. 24. 11. 1994 Marx ging es vor allem darum, wesentliche Positionen des deutschen Idealismus mit neuzeitlicher Phänomenologie zu verbinden. Neben Aristoteles und Hegel sowie dem deutschen Idealismus standen vor allem seine beiden Vorgänger auf dem Freiburger Lehrstuhl im Mittelpunkt seiner Arbeit; FAZ 7. 11. 2005 Diese Marxismusrekonstruktion führt zurück in den objektiven Idealismus und gibt damit dem Verdinglichungskonzept eine fragwürdige Rückendeckung. Idealist a: Strähler 1723 Angestellte Prüfung II 27 Und also sind alle äussere Dinge . . was überflüßiges. Daß . . hierdurch der Idealismus souteniret werde, welcher mit unserer Religion nullo modo bestehen kan, wird niemand läugnen, der da weiß,

was Idealisten statuiren; Wolff 1724 Anm. üb. d. vernünfft. Gedancken v. Gott 435 eine so wichtige Lehre/ dergleichen die Lehre von GOtt ist/ nicht auf eine Hypothesin bauen . ./ die noch nicht von allen angenommen wird. Denn es verwerffen sie nicht allein die Materialisten und Idealisten/ als deren jene nur die Cörper/ diese bloß die Seelen für würckliche Wesen halten; ebd. 444 deswegen wird ja nicht den Idealisten eingeräumet/ daß die Welt nicht würcklich vorhanden sey; 1745 Philos. Untersuchungen 310 Es kann seyn, daß nur einige mit dem freyen Geständnisse, daß sie Idealisten wären, antworten. Diese frage ich, was sie für Noth dazu treibt, sich selbst für solche Ketzer zu erklären? Hier setzen sie das als wirklich voraus, was sie, als Idealisten leugnen, nämlich die Körper; Meier 1756 Metaphysik II 161 Daher hat es auch Weltweise gegeben, welche behauptet haben, daß ausser den Geistern keine andere Substanzen in der Welt angetroffen werden. Und weil diese Weltweise dem zu folge angenommen haben, daß alle andere Dinge, die wir . . Körper nennen, nichts anders als Ideen oder Vorstellungen in unserm Verstande sind: so hat man sie Idealisten genannt; Mendelssohn 1764 Evidenz 18 f. setzt man dadurch nicht wenigstens die praktische Mathematik den Angriffen der Zweifler und Idealisten aus, die den Sinnen nicht trauen, was wir vermittelst derselben wahrnehmen, für blosse Erscheinungen halten?; Herder 1789 Urspr. d. Sprache (S. W. V 29) Man sei Leibnitzianer oder Lockianer . . Idealist oder Materialist; Maimon 1791 Philosoph. Wb. I 106 Nach dem Systeme der Idealisten existirt blos die Seele . . Die Materie außer dem Vorstellungsvermögen, die dem ihm gegebenen Stoffe zum Grunde liegt, aber ist an sich durch nichts bestimmt. Sie ist ein transcendentales Etwas; Fichte 1801 Nicolais Leben 38 Die transcendentalen Idealisten waren Queerköpfe, und wer weiß was sie noch alles waren; Goethe 1821 Wanderjahre (HA VIII 463) Man kann den Idealisten alter und neuer Zeit nicht verargen, wenn sie so lebhaft auf Beherzigung des einen dringen, woher alles entspringt und worauf alles wieder zurückzuführen wäre; Müller 1830 Archäologie 11 Über die verkehrten Richtungen der Idealisten und Realisten in Kunst und Theorie spricht sehr einsichtsvoll C. F. von Rumohr; Oehlmann 1868 Erkenntnißlehre als Naturwiss. 79 die Empiriker, gewöhnlich Realisten, oder vielleicht noch etwas modifizirt Sensualisten oder Materialisten . . genannt, sehen nur loseste Gleichzeitigkeit verschiedener oder gleichartiger Dinge, wo die andern, die Intellectualisten, gewöhnlich Idealisten genannt, immer „Nothwendigkeit“ des oder im Nebeneinander behaupten, etwa a` la Plato . . nur den den Dingen zu Grunde liegenden Ideen Wirklichkeit beilegen, die Dinge selbst aber für bloße

Idealismus Phänomene, für Scheinwesen ausgeben; Eucken 1878 Grundbegriffe 226 Doch ward im specifischen Gebrauch der Schule auch das gesammte geistige Sein, insofern es aus Vorstellungen (Ideen) bestehe, ein ideelles genannt, und von da aus das Parteiwort Idealist zur Bezeichnung derer gebildet, die im geraden Gegensatz zu den Materialisten [stehen]; Spielhagen 1890 Finder I Vorw. IX der Poet, nenne er sich einen Idealisten oder Realisten oder Naturalisten oder wie immer; Stein 1908 Philosoph. Strömungen 5 Die Neuidealisten der Gegenwart philosophieren aneinander vorbei; Klemperer 1945 Tagebücher (Zw. allen Stühlen I 60) Nach Aussehen u. Wesen, unpathetisch, ohne alle Heuchelei, der Idealist, der deutsche Idealist. Das durchgeistigte deutsche Gesicht mit großen grauen Augen, ein Dürertyp; Klimmnich 1970 Dtsch. Verfassungsgesch. o. S. Fichte bezeichnete sich selbst als „transzendentalen Idealisten“, härter als Kant es war; Zeit 22. 3. 1985 am Anfang . . hatte er [Brecht] so eine Bemerkung gemacht über Hegel als „Idealist“. Er benutzte diese Schablonenwörter ziemlich ungeniert; Salzb. Nachr. 1. 7. 1995 Wenn man sich denn (dem Idealisten) Hegel anschließen könnte, nach dem „Freiheit Einsicht in die Notwendigkeit“ bedeutet; Nürnb. Nachr. 13. 2. 2004 Immanuel Kant, der große Idealist des 18. Jahrhunderts; Feger/Brittnacher 2008 D. Realität d. Idealisten 115 Erkenntnistheoretisch ist Idealist, wem die Außenwelt nicht unabhängig von den Leistungen des Bewusstseins Gegenstand der Erkenntnis wird, Realist, wer davon ausgeht, dass es eine Wirklichkeit gibt, die . . dem menschlichen Erkennen zugänglich und wissend erfassbar ist. Idealistik a: Salat 1808 Vernunft u. Verstand I 324 Aber die Unterscheidung der Philosophie in „Idealund Realphilosophie“ im Sinne der Idealistik wird hier, aus dem angegebenen Grunde, ganz verworfen; Weiller 1817 Grundlegung z. Psychologie 84 Man lasse sie [sinnliche Erscheinungen] aber inwendig . . leer und hohl seyn! Man verwandle, – in Gedanken, – die wirkliche Welt, nach Art der Idealistik, in eine blosse Gukkastenwelt [!], in ein leeres Schattenspiel an der Wand unserer Einbildungskraft!; Salat 1823 Denkwürdigkeiten 308 Anm. Der Feuerherd aber oder die Hauptveranlassung des Gegensatzes war immer die „Naturphilosophie“, zumal wie sich nun die Mystik mit der Idealistik verband; Hettner 1850 Romant. Schule 32 Diese historischen Dichtungen sind die Endpunkte der romantischen Schule. Das Wesen derselben war ja durch und durch falsche Idealistik und realitätsloser Subjectivismus gewesen; Lübke 1868 Grundriss d. Kunstgesch. 155 Welch eine Kluft liegt zwischen jenen Perserdarstellungen der marathonischen Zeit in ihrer allgemeinen Idealis-

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tik und der scharf individualisirten, durch und durch historischen Bestimmtheit dieser Gallierstatue; Hart 1884 Spielhagen 57 Von dieser Idealistik zeugen Handlung, Charakteristik und Sprache in gleicher Weise. Die Handlungen aller Spielhagen’schen Romane haben jenen Anstrich; Blei 1930 Formen d. Liebe 211 das Pikante ist etwa von der Mitte des neunzehnten Jahrhunderts ab die erotische Spielform, welche sich die pornographische Idealistik gegeben hat; Klemperer 1947 Tagebücher 369 Ein junger zerschossener Amputierter u. Sozialist . . hält ein Referat über Plato. Ihm ist Plato „Reactionär“ mit seiner verstiegenen Idealistik den Naturphilosophen gegenüber, u. das Christentum erst recht Reaction; Dietze 1962 Junges Deutschland 334 Ueberall das hastige Drängen, die Kunst aus aller hohlen Idealistik und Phantastik in die Leiden und Freuden, in die Formen und Eigenheiten unserer eigenen Welt hineinzuführen; Haller 1982 Schlick u. Neurath 21 ständig bemüht, der Metaphysik des Traktatus . . den einheitswissenschaftlichen Aspekt des rationalen Empirismus entgegenzuhalten. Wiederholt klagt er in Briefen an Carnap, daß Schlick und die Seinen in die doppelsprachige Idealistik abglitten. idealistisch a: 1735 Ausführl. Erläuterung d. Wolffischen Gedancken 449 Ich habe schon zugestanden, daß der . . Satz, . . daß die Seele ihre Vorstellungen durch ihre eigene Krafft hervor bringe, von den idealisten; der andere, daß der Cörper seine Bewegungen durch seine eigene Krafft hervor bringe, von den materialisten asseriret werde; ich habe aber geleugnet, daß der erste idealistisch, und der andere materialistisch sey; Wolff 1739 Ges. kl. philos. Schr. IV 264 f. Es soll Idealistisch seyn, daß ich behaupte, das Wesen GOttes bestehe in der Krafft, sich alle mögliche Welten in der grösten Deutlichkeit und auf einmal vorzustellen; Windheim 1757 Philos. Schr. IX 338 Dieses sind also die idealistischen Schriften, die der Hr. Uebersetzer gesammlet hat. Man pfleget dem Berkeley und Collier noch den Fardella beizufügen . . Dieser Italiäner kann nicht unter die vornehmsten Idealisten gezählet werden. Es ist wahr, er hat einige idealistische Sätze, allein dieselben sind in dem Berkeley und Collier ausführlicher zu lesen; 1778 Götting. gel. Anz. 513 f. Eigentlich sagt wohl der Idealist: Wo er sich Materie vorstellt, sey Nichts vorhanden, Leibniz sagt: Da sey was anders vorhanden, als Materie. Ist das idealistisch, so ist es auch idealistisch zu sagen: Wo man den Regenbogen sieht, sind nur Wassertropfen, in denen sich Farbenstrahlen absondern; Schiller 1796 (1856 Briefw. Schiller-Goethe I 172) Sein Gemüth ist zwar ein treuer, aber doch kein bloß passiver Spiegel der Welt, und obgleich seine Phantasie auf sein

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Sehen Einfluß hat, so ist dieses doch nur idealistisch, nicht phantastisch, poetisch aber nicht schwärmerisch; es liegt dabei keine Willkür der spielenden Einbildungskraft, sondern eine schöne moralische Freiheit zum Grunde; ders. 1801 Über d. Erhabene (S. W. V 793) Die Kultur soll den Menschen . . fähig machen, seinen Willen zu behaupten . . Entweder realistisch, wenn der Mensch der Gewalt Gewalt entgegensetzt, wenn er als Natur die Natur beherrschet: oder idealistisch, wenn er aus der Natur heraustritt und so, in Rücksicht auf sich, den Begriff der Gewalt vernichtet (DiBi 1); 1805 Transcendental-Idealismus 216 f. daß so die sittlichen Ideen, in Hinsicht auf ihre allseitige Aeußerung als Harmonie, als Schönheit sich darstellend, mit den Werken der Kunst und des Künstlers, besonders des Dichters in eine betrachtenswerthe Beziehung und Vergleichung treten. Ueberhaupt werden die trefflichen Bemerkungen über ästhetische Stimmung und ihre Bearbeitung und Verschmelzung mit der moralischen (nach den Bestimmungen der jüngsten idealistischen Schule) nicht verkannt; Hillebrand 1819 Propädeutik d. Philos. 543 f. Der Empirismus Baco’s, zumal der halb idealistische Locke’s, der problematische Idealismus des Deskartes . . alle diese früheren Erscheinungen am philosophischen Himmel hatten den Kriticismus in seinen Keimen längst begründet; Burckhardt 1842 Kunstwerke (I 132) die mehr oder weniger idealistischen Bestrebungen [deutscher Malschulen im 16. Jh.]; Lotze 1868 Gesch. d. Wiss. VII 406 daß die idealistische Aesthetik den unabhängigen Reiz dieser einfacheren ästhetischen Formen völlig anerkennt, aber in ihnen noch nicht Schönheit, sondern jene Wohlgefälligkeit findet, die natürlich an mancherlei Beziehungen zwischen den einfachen Elementen der Welt haften muß; Troeltsch 1898 Ges. Schr. IV 102 die Askese des Gnostizismus oder Orientalismus, jener schon vorchristlichen Mysteriengemeinden, die uns überall erst in ihrer gräcisierten Gestalt und getränkt mit griechisch-idealistischer Spekulation faßbar werden; Fischer vor 1907 Schiller als Philosoph I 236 Das Gefühl des Erhabenen ist, wie das des Schönen, ästhetisch; beide gründen sich auf das . . Wohlgefallen in der reinen Betrachtung der Dinge und enthalten darum „die Tendenz“ zu jenem idealistischen Aufschwunge des Gemüths, den die moralische Weltansicht fordert; 1918 Deutschland u. Katholizismus I 48 dass wir mit dem Worte „Idealismus“ hier stets die idealistische Weltanschauung meinen, nicht das, was die Kunstbetrachtung als idealistische Kunst dem Realismus, Naturalismus und Verismus gegenüberstellt; Klemperer 1929 Idealistische Literaturgeschichte (Titel); Körner 1950 Marginalien I 13 idealistische (geistesgeschichtliche und phänomenologische) Literaturforschung;

Friese 1970 Nord. Literaturen o. S. Nicht länger mehr zeigt die Literatur idealistische oder idyllische Züge, nicht mehr gefragt ist das romantisch Epigonale und das erhebend Pathetische; Weisgerber 1970 (Linguist. Ber. IX o. S.) Einer, der besonderen Anklang zu finden scheint, erhebt Anklage, daß die idealistische Sprachphilosophie schuld daran sei, daß die deutsche Sprachforschung den an F. de Saussure anschließenden Strukturalismus nicht genug beachtet und dadurch den Anschluß an den internationalen Trend verpaßt habe; Neues Deutschl. 30. 4. 1974 Die bürgerliche Sensationspublizistik in westlichen Ländern mißbraucht gerade in jüngster Zeit wieder Ergebnisse naturwissenschaftlicher Forschung, um sie, mystisch, metaphysisch und idealistisch gedeutet, in den Dienst der imperialistischen Ideologie zu stellen; Mannh. Morgen 17. 1. 1985 Daß ihr Schauspiel, das eine Art von modernem Mysterienspiel ist, in seiner idealistischen Sprache auch etliche poetische Qualitäten hat, sei . . nicht verschwiegen; Zeit 2. 7. 1998 Die Lustfeindlichkeit der christlich-asketischen Moral hat sich mit einer idealistischen Ästhetik verbunden . . So definierte sich die „hohe Literatur“ durch ihre Erden- und eben ihre Lustferne; taz 3. 3. 2001 Näherhin untersuchte Henrich die Chancen einer Stilform deutscher Philosophie, der er als herausragender Interpret des idealistischen Dreigestirns Kant, Fichte, Hegel neue Glaubwürdigkeit und internationale Anerkennung verschafft hatte. Idealismus b: Rotteck/Welcker 1839 Staats-Lex. VIII 290 In Deutschland haben wir nach den Ereignissen des Jahres 1813, in einigem Zusammenhange mit Fichte’s philosophischem Idealismus, sodann nach den Ereignissen des Jahres 1830 die jüngsten Perioden eines politischen Idealismus erlebt; Hartmann 1846 Festrede v. Leben d. Geistes (Übers.) 56 So löst sich das Räthsel des Lebens nur im Handeln . . dieß ist der praktische Idealismus, der, seit dem Erwachen der Menschheit zur Philosophie, nie wieder aus ihr verschwand, noch verschwinden soll; 1855 Prutz’ Museum II 403 Alexander Jung, dessen würdige Bestrebungen auch hier die allgemeinste Anerkennung finden und der in der That, in dem reinen, selbstlosen Idealismus seines Wesens, zu hochgestellt ist, als daß die kleinlichen und grundlosen Ausstellungen, die Hr. Oelbermann an ihm macht, ihn treffen könnten; Vischer 1861 Krit. Gänge N. F. II 81 daß die Unterlassung auf diesem Punkte nicht in Gewissenhaftigkeit, nicht in Bedenklichkeit aus allzuängstlichem Rechtsbewußtsein und moralischem Idealismus . . ihren Grund hat; Freytag 1870⫺71 Vogesen 73 die Einrichtung würde . . ganz leise und unmerklich das Heer, den Idealismus der Nation, die Politik

Idealismus umformen; Treitschke 1886 Dtsch. Gesch. I 792 Wer aber den feurigen Idealismus des Befreiungskrieges noch im Herzen bewahrte, der tröstete sich des Glaubens: jetzt sei die Stunde gekommen, da das deutsche Volk selber die Leitung des Staates übernehmen müsse; Hoffmann 1894 Stolpenburg 201 Sie reden wie der blaue Idealismus. Junggesellenträume. Was nennen Sie eine glückliche Ehe?; Kerr 1897 Br. a. d. Reichshauptstadt 288 Herrlich sind die jugendlichen Geschöpfe, in denen die Hoffnung der Zukunft schlummert . . in ihrer unbekümmerten Lebensfreude, die so häufig mit Geräusch verbunden ist, in ihrer reinen Unschuld . . in ihrem goldigen, sonnigen Idealismus; Senden 1900 Tänzerin 104 Die Busse für seinen hirnverbrannten Idealismus war sein verfehltes Leben; Brandt 1901 Ost-Asien II 337 ist wohl in erster Linie der anscheinend unheilbaren Zerfahrenheit der Deutschen in politischen Dingen, . . dem unverbesserlichen Idealismus einiger ihrer hauptsächlichsten Führer . . zuzuschreiben; Walther 1919 Wege dtsch. Geistes 2 Schon lange hatte dieser selbstgenügsame Aristokratismus versäumt, Beziehungen des Vertrauens von Volk zu Volk herzustellen, unseren Idealismus und unsere redlichen Absichten den Völkern der Erde deutlich zu machen; Hildebrand 1925 Br. 185 daß der Schade nicht in meinem Körper, nur in meiner Seele saß, in meinem überspannten Idealismus, der mir alles in der Welt als elend erscheinen ließ; Voss. Ztg. 10. 12. 1930 Das Glück schürt keinen Haß, es tötet politische Idealismen; es fertigt unerbittlich die Menschenbeglücker ab; Kessler 1932 Tagebücher 1918⫺37 695 In Deutschland werde der neue Mensch, der Mensch der Zukunft geschaffen. . . der Westen, Frankreich, England und Amerika, hätten nicht den Idealismus, den inneren Antrieb, der zu einer Neuschöpfung nötig sey; Wolf 1965 briefl. an Tetzner (W. IV 220) wie es für Ihren Idealismus und Ihr gesellschaftliches Verantwortungsgefühl Entwicklungsbedingungen gegeben haben muß; Bild 3. 3. 1967 welchen Idealismus die Tischfußballer für ihren Sport mitbringen; Offenburger Tagebl. 24. 2. 1970 Im Münstertal wurde das Wort „Idealismus“ schon immer groß geschrieben. Das beweisen auch die Naturfreunde, die rund 2000 Arbeitsstunden unentgeltlich opfern wollen, um die fast verfallene „Stangebodenhütte“ zu einer richtigen Berghütte auszubauen; Schüssler 1972 Auseinandersetzung 79 wenn die Philosophie die absolute Kausalität des absoluten Ich nicht nur als Idee, sondern als praktisches, das Handeln nötigendes Postulat denkt, d. h. praktischer Idealismus ist; Feyl 1981 Aufbruch 148 Henriette Pagelsen . . kommt nicht aus Idealismus zur Wissenschaft, sondern aus Not. Sie verliert ihren Mann, ist alleinstehend, ohne Vermögen, und daher gezwungen, ei-

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nen Beruf zu erlernen; Zeit 13. 9. 1985 Sie ist voller Idealismus und Phantasie und gleichzeitig ein genauer, praktischer Mensch, fest auf dem Boden der Tatsachen und so leicht nicht unterzukriegen; taz 23. 2. 1989 Gescheitert ist aber vor allem eine Politik der Illusionen und Idealismen, die als ökosozialistische „Zukunft der Grünen“ ausgemalt wurde und mit der Gegenwart der Grünen nichts anzufangen wußte; Presse 31. 10. 1994 „Burnout“ tritt nicht von heute auf morgen auf . . Die jungen Lehrer gehen mit viel Idealismus und Engagement an ihre Arbeit, erhalten aber kaum Anerkennung und Unterstützung; Berl. Ztg. 16. 7. 1999 Er denkt situationsabhängig, mit zunehmender Verachtung für Idealismen und Schwärmereien aller Art; Mannh. Morgen 24. 12. 2005 Was bleibt, ist ein Abend mit spürbaren Spannungshängern als Studie über gescheiterten Idealismus und die Unzulänglichkeit humanitärer Visionen; Zeit (online) 13. 2. 2017 Mit sarkastischem Unterton schrieb ich, dass ich mich mehr für Sex als für Politik interessieren würde, weil mich das Leid der Welt so überfordere, meinen jugendlichen Idealismus abtöte und mich unfähig mache zu handeln. Idealist b: 1825 Hesperus 821 Die Schaar der politischen Idealisten ist also jezt so ziemlich verschwunden, und wenigstens wird sicherlich Keiner mehr so leicht den Versuch sich einfallen lassen, in leeren Hirngespinsten die Nationen festhalten . . zu wollen; 1839 Staats-Lex. VIII 290 Die man in Deutschland politische Idealisten nannte, heißen im Munde der Franzosen politische Ideologen, nachdem . . die fast verdrängte Metaphysik unter dem Namen der Ideologie wieder in Frankreich war eingeführt worden; Holtei 1860 Eselsfresser II 32 jenem gewaltigen Umschlage, der aus einem in Wolken zappelnden Idealisten einen auf Akten fußenden Materialisten machte; ebd. III 209 Denen . ., die nur auf einen Wink aus Paris harrten, um das Jahr achtundvierzig auszurufen. Es waren gute, redliche Idealisten darunter; treue, deutsche, gläubige Seelen, die das Beste hofften; Wilbrandt 1864 Geister I 191 dazu mußte man schon so ein schwerfälliger, bürgerlicher Idealist sein! Wie sie das gekannt, wie sie das gewußt hat! Sie verstand es, so einen dummen Träumer zu behandeln!; Goltz 1869 Weltklugheit 145 neben den Realisten muß es bis zum Ende der Welt auch Idealisten geben, wenn nicht die ganze Welt eine Börse, eine Fabrik . . werden soll; Hansjakob 1880 Jugendzeit (I 243) Hecker . . war seit 1842 in der badischen Kammer auf der Seite der Linken, ein ehrlicher, überzeugungstreuer Republikaner und ein brillanter Volksredner, aber kein Menschenkenner und dabei ein Idealist und Wolkensegler allerersten Ranges; Nordau 1885 Paradoxe 105 Ein weitver-

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breitetes Vorurtheil, das offenbar von unpraktischen Idealisten herrührt, will, daß man sich besonders um die gute Meinung und Achtung von Seinesgleichen zu bemühen habe; Wildenbruch 1891 Haubenlerche (Ges. W. X 123) Diese Idealisten! Diese Gerechtigkeitsfanatiker, die die eine Hälfte der Menschheit tottrampeln, damit die andere leben kann! Es gibt gar keine größere Pest für die Welt, als diesen sogenannten Idealismus! (DiBi 125); Senden 1900 Tänzerin 11 So lebte er ein sinnendes Innenleben mit der leichten Begeisterung des weltfremden Idealisten; Hesse 1925 Strassenecken 34 Ein seltener Mensch. Wie es schien, ein vollkommener Idealist, der auch hier noch an die Menschen und ihre Anständigkeit glaubte; Glum 1930 Deutschland 112 Man muß sich aber darüber klar sein, daß, von Idealisten abgesehen, heute nur wenige tüchtige Persönlichkeiten sich entschließen, Abgeordnete zu werden, weil sie in der Wirtschaft ein besseres und gesicherteres Auskommen haben; Grewe 1970 Spiel d. Kräfte o. S. Die internationale Politik ist von allen immer als das erkannt worden, was sie ist, als Machtpolitik, außer in unserer Zeit von einigen Juristen, die begriffstrunken sind, oder einigen Idealisten, die ihre Träume mit der Wirklichkeit verwechselten; taz 7. 10. 1989 daß die Befürchtung sich aufdrängt, die ohnehin schon reichlich ausgedünnten quasikirchlichen Umwelt- und Menschenrechtsgruppen seien die letzten und einzigen Idealisten, die einen ungebrochenen Glauben an dieses Land sich bewahrt haben; Nürnb. Nachr. 23. 4. 1994 Ein wenig wehmütig klingt das schon. Allzu leicht fiel Thomas Goppel der Abschied von Brüssel nicht, wo er nach eigenen Worten „mit allen Idealisten dieser Welt zusammen war und sie immer mal wieder auf den Boden zurückholen mußte“; Südostschweiz 11. 3. 2007 Ich war immer Idealist, seit ich mich erinnere. Ich hatte immer eine grosse Liebe zu den Menschen; Spiegel (online) 9. 12. 2011 Großbritannien, das Mutterland der Realpolitik, das die Europa-Idealisten vom Kontinent immer ein wenig belächelt hat, wird nun ausgerechnet von diesen kontinentalen Idealisten mit einer knallharten realpolitischen Frage konfrontiert: Wollt ihr weiter mitmachen bei diesem geeinten Europa oder nicht? Idealistik b: 1906 Meyers Großes KonversationsLex. VI 601 Es ist ein satirischer Heldenroman, der gegen den Ritterroman komische Opposition machte, indem er, „dem Charakter der Reformationszeit getreu, die Natur der Unnatur, den gesunden Menschenverstand der übertriebenen Idealistik, die plebejische Derbheit und Roheit der aristokratisch-romantischen Verschrobenheit entgegensetzte“ (DiBi 100); Luka´cs 1951 Dtsch. Realisten 182 Er hat allen Trieb und alle Glut in sich, einem

erfüllten Leben den dichterischen Ausdruck zu leihen, gerade aber weil er weiß, daß alles Antizipierte falsche Idealistik ist, so muß er entsagen; 1961 Weimarer Beitr. 752 sieht er in der „subjektiven Idealistik“ vor allem der reaktionären Seiten der Romantik verkörpert; Dobeneck 2006 Sloterdijk-Alphabet 79 Es zeigt sich wieder, daß die grundsätzliche philosophische Idealistik am Überbau der Welt scheitern könnte. idealistisch b: Guerike 1837 Handb. d. Kirchengesch. II 1192 In der neuesten Zeit hat sich unter den Amerikanischen Quäkern eine Parthei hervorgethan . . welche, die idealistisch quäkerischen Grundsätze noch consequenter durchführend, als es von den eigentlichen Quäkern geschieht . . die Eingebung der h. Schrift und die meisten anderen der positiv christlichen Lehren geradehin leugnet; 1870 Staats-Wb. XI 282 Er wird dann an der harten Wirklichkeit Schiffbruch erleiden und als idealistischer Schwärmer verspottet; Burckhardt 1873 Aufs. 64 der Effekt sei ihr Ziel gewesen und nicht idealistische Flausen . . auf der Bühne will man vor Allem Geld und den Ruhm nur, insofern er Geld einbringt; Nordau 1883 Lügen 3 In der Verkleidung des Antisemitismus . . tritt bei den Armen und Unwissenden der Haß gegen den Besitzenden, bei den . . sogenannten privilegirten Klassen, die Furcht vor begabteren Mitbewerbern um Einfluß und Macht, bei der verworren idealistischen Jugend eine übertriebene und unberechtigte Form des Patriotismus . . zu Tage; Frenzel 1884 Hausfreund 61 Sie sind noch jung genug und selbst in der idealistischen Stimmung, um mir Glauben zu schenken, daß jeder Gedanke der Schuld und jedes heftigere Begehren uns noch fern war; 1896 Kirchenpolit. Br. CL 6 Die Forderungen der Realpolitik vereinigen sich hier aufs Vollkommenste mit denjenigen einer reinen, idealistischen und Gefühlspolitik, welche uns Deutsche mit den Italienern verkettet; Bülow 1916 Dtsch. Politik 292 Wo er den Deutschen, der, während die Erde geteilt wurde, im Land der Träume geweilt hatte, mit dem armen Poeten in den Himmel idealistischer Bedürfnislosigkeit versetzte; Demartial 1926 Mobilmachung (Übers.) 139 Legende vom idealistischen Krieg; Brod 1928 Zauberreich 177 Christof maß der Sache keine Bedeutung bei, es mochte eine idealistisch unbesonnene Jugendaufwallung sein; Voss. Ztg. 28. 12. 1930 Unsere Studentinnen sind erfüllt von idealistischem Wissensdrang; Berl. Illustr. Nachtausg. 23. 1. 1932 die Weckung einer idealistischen Einstellung des jungen Akademikers zu seinem Beruf; N. Z. Z. 23. 2. 1943 es sei „idealistisch“, zu behaupten, dass alle Menschen als Gleichberechtigte geschaffen . . worden seien;

Idee Süddtsch. Ztg. 19. 5. 1950 ein gewissenhafter, idealistisch verankerter junger Arzt; Bollnow 1962 Maß 103 Viel gefährlicher, weil viel schwerer zu durchschauen sind die idealistischen Formen des totalitären Denkens, die um scheinbar hoher und berauschender Ziele willen den einzelnen Menschen aufzuopfern bereit sind; Eisl 1979 Lyr. u. satir. Elemente 24 wenn er auch viele Dinge zu idealistisch betrachtet und die Fehler und Schwachstellen der Franco-Partei verschweigt; Zeit 12. 6. 1987 leistungsmäßig angepaßter und auf den weiteren

31 Weg (Beruf oder weiterführende Schulen) abgestimmter Unterricht plus idealistische Gesamtschulkomponente; taz 15. 6. 1990 Heute bestimmen Länder das weitere Schicksal unserer Walfangflotte, die gar nichts mehr damit zu tun haben . . In Wirklichkeit vertreten die doch nur noch die Interessen irgendwelcher idealistischer Tierschützer; Berl. Ztg. 10. 1. 2001 Jemand, der Ökobauern für idealistische Schwärmer hält und für den es selbstverständlich ist, dass Kälber in Dunkelställen gehalten werden.

Idee F. (-; -n), im frühen 16. Jh. aufgekommene Entlehnung aus lat. idea (< griech. $ide*a in seiner Bed. ¤Vorstellung; (Vor-/Ur-)Bild, MotivÅ, ursprünglich ¤Erscheinung, Aussehen, Gestalt, Form; Beschaffenheit, ArtÅ, Verbalabstraktum zu $idei`n ¤erblicken, sehen; zu erfahren suchen, erkennen, wissenÅ, ursprünglich Aorist zu eide*nai ¤wissen, verstehen; gesinnt seinÅ; → ideal, → Idealismus, → Idol, → Idylle, vgl. -(o)id; urverw. mit wissen und lat. videre), bis ins 18. Jh. noch meist in der lat., seit dem 17. Jh. in der frz. beeinflussten heutigen Form, daneben bes. in der 1. Hälfte des 18. Jhs. gelegentlich noch in der frz. (flekt.) Form Ide´e. 1a Zunächst v. a. in geisteswissenschaftlich-philosophischer Hinsicht als grundlegender Kernbegriff von Platons Ideenlehre in der heute weitgehend zurücktretenden und eher fachspr. und historisierend verwendeten Bed. ¤das jenseits seines (trügerischen) Erscheinungsbildes in der sinnlich wahrnehm- und erfahrbaren Welt befindliche, seinem unvollkommenen Abbild in der Wirklichkeit zu Grunde liegende, eigentlich und wahrhaft Seiende (hinter dem Schein); das nur in der geistigen Anschauung vorhandene, nur durch das reine Denken zu erfassende ewig unveränderliche, metaphysische Wesen der Dinge; (absoluter, reiner) (Ur-/In-)Begriff, (Ur-)Grund der (davon nur abgeleiteten) irdischen Dinge; elementare Urform, (Ur-)Typus, grundlegendes Muster, Urbild (hinter dem Abbild), SchöpfungsgedankeÅ (→ Prinzip, → Typ, → Universalien; vgl. Prototyp), nachfolgend als Ausgangspunkt der idealistischen Philosophie (→ Idealismus), die dem Begriff der Idee das Primat gegenüber dem der Materie einräumte und in ihren je nach den verschiedenen metaphysischen Systemen, geistigen Strömungen und religiösen Weltanschauungen konzeptionell differenzierten Ausprägungen und Geltungsweisen Ausbreitung innerhalb des europäischen Raumes gefunden hat, in Wendungen wie Platons (Reich der) Ideen und in den von Kant etablierten terminologischen Syntagmen ästhetische Idee ¤Vorstellung der Einbildungskraft, Anschauung, der kein bestimmter Gedanke (Begriff) adäquat entsprechen kannÅ, platonische Idee ¤das eigentlich Seiende, nach dessen Muster alles sinnlich Erfahrbare geformt istÅ, transzendentale Idee ¤in der (Natur der) Vernunft begründeter Begriff, der über jede gegebene Erfahrung hinausgeht (im Unterschied zum Verstandesbegriff als Quelle der kategorialen Erfahrung und Erkenntnis von Gegenständen)Å, die Idee Gottes/von Gott, alle Erkenntnis geschieht durch die Idee, die absolute Idee, die Idee des Guten, der Schönheit/Vollkommenheit, der Natur, die göttliche Idee ist der Grund aller Philosophie und selten in Zss. wie Ideenlehre ¤Platons Lehre von den Ideen als zentralen, primären WirkkräftenÅ, -kraft; Gottes-, Ur-, Vernunftidee ¤(nach Kant) ein Begriff/Gedanke, dem keine Anschauung adäquat sein kannÅ. Dann selten, auch noch auf antike Verhältnisse bezogen und heute veral-

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tet in Naturwissenschaft und Ästhetik als Bezeichnung für die (der verhältnismäßigen, richtigen, ausgewogenen, idealen Anordnung) zugrundeliegende Gestaltungs-/ Formkraft im Bauplan organischer, geometrischer Körper und Organismen, Materien und Stoffe (s. Belege 1548.1, 1548.2, 1607, 1690, 1806, 1954; → Disposition, → Fundament, → Prinzip, → Schema, → Skizze; vgl. Konzeption, → konzipieren). b Seit späterem 16. Jh. auch ohne metaphysischen Bezug allgemeiner verwendet und im Laufe des 17. Jhs. (unter Einwirkung von gleichbed. frz. ide´e in Anlehnung an Descartes), anknüpfend an die Auffassung von Idee als ¤VorstellungÅ bei Leibniz und als ¤Gedanke, MeinungÅ bei Herder, zunehmend auf das menschliche Subjekt, Produkte seines erfinderischen, schöpferischen, dichterischen Denkens, seiner Gedanken- und Vorstellungsprozesse bezogen, oft im Pl., für ¤nur geistig vorgestellter, in der Vorstellung vorhandener, (aus mehreren Begriffen konstituierter) Bewusstseinsinhalt, (vorgefundene oder übermittelte) rein gedankliche (innere, bildhafte) Vorstellung, Inhalt, geistiges (Denk-)Bild, (nur in der Vorstellung vorhandener, abstrakter) Begriff von etwas (Dingen oder Eigenschaften) auf einer hohen AbstraktionsstufeÅ (→ Fiktion, → Illusion, → Imagination, → Impression, → Spekulation, → Theorie; Ggs. → Realität), z. B. dies bleibt reine, abstrakte Idee, die Kluft zwischen Idee und Wirklichkeit, in erster Linie mit Bezug auf das künstlerische, intellektuelle Schaffen für ¤der Einbildungskraft, dem (Schöpfer-/Erfinder-)Geist zugrundeliegender zentraler, leitender Gedanke(-ngang), Grundgedanke/-motiv, Kernthema, (thematischer) Ausgangspunkt, gedanklicher Entwurf, Vor-/Grundlage, Ausgangspunkt für die Umsetzung in eine künstlerische Aussage, wissenschaftliche Theorie oder Arbeit bzw. für die praktische Ausführung und Verwirklichung des Gedachten in einer (auch technischen) Erfindung, einem innovativen Vorhaben, in der Durchführung einer politischen/wirtschaftlichen Maßnahme o. Ä.Å (s. Belege 1762, 1821, 1985; → Modell, → Motiv, → Motto, → Philosophie, → Plan, → Plot; vgl. Konzept, → konzipieren), in Wendungen wie der Autor schöpfte die Idee zu dem neuen Stück aus seiner Biographie, eine Idee durch ein Gemälde vorstellen, die Entwicklung neuer, kühner Ideen gab den Anstoß zur Industrialisierung, das ist nach diesen flüchtig hingeworfenen Ideen schwer zu beurteilen, sie legte einen Garten nach ihren eigenen Ideen an, die nach einer Idee des berühmten Architekten geplante/gebaute Stadt, daneben auch, meist plur. verwendet, im Sinne von ¤(einer Weltanschauung o. Ä. zugrundeliegendes, jmdn. in seinen Denk-, Handlungsweisen beeinflussendes) Vor-/Leitbild, Leitgedanke bei der Verfolgung (hehrer, idealistischer) politischer, religiöser o. ä. Ziele und Absichten; (ideologischer) Standpunkt, Ansicht, Meinung, Auffassung, (Welt-)Anschauung, Überzeugung, Gesinnung, Glaube; Wunsch-/IdealvorstellungÅ (s. Belege 1785, 1854.1, 1854.2, 1920, 1924, 1941, 1987; → Ideal 1b, → Ideologie, → Innovation, → Perspektive, → Prinzip, → Strategie, → Tendenz, → Vision), in zahlreichen Wendungen wie Herders Ideen zur Philosophie und Geschichte der Menschheit, die Idee der Toleranz bei Lessing, die Aufgabe des Staates ist es zunächst, die Idee des Rechts zu verwirklichen, die Idee der Kirche, die sittliche Idee der Ehe, die historische Wirksamkeit großer religiöser, christlicher, philosophischer, politischer, nationaler, sozialer Ideen, die Ideen und Ideale von 1789 waren Freiheit, Gleichheit und Brüderlichkeit, ein Beweis für die Schopenhauersche Idee von Kunst, im Dienst einer Idee stehen, die Masse war für seine Ideen noch nicht reif, die frühen Ideen der Reformation, die neue Idee des unbedingten Fortschritts, Rebellion gegen die herrschenden Ideen, sich zur europäischen Idee bekennen, jmdn.

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für eine Idee begeistern/gewinnen, sich für eine Idee opfern, für eine Idee eintreten, kämpfen, sterben, die Idee der Gesamtschule konsequent weiterverfolgen, abstruse, verworrene, überspannte Ideen, ein Apostel vernünftiger, gemäßigter Ideen, es ist erstaunlich, wie genau wir in unseren Ideen übereinstimmen, die Idee des Unternehmens, das Jahrhundert der Ideen, im Kampf um eine Idee obsiegen, unklare, wirre/ verworrene, konfuse, nebulöse, vage Ideen, im Syntagma fixe Idee (nach gleichbed. frz. ide´e fixe), auch in der frz. Form Ide´e fixe, für ¤eingewurzelte (Wahn-/ Zwangs-)Vorstellung, an der jmd. beharrlich, halsstarrig festhält, obwohl sie allgemein für unsinnig gehalten wirdÅ (s. Belege 1796, 1855, 1980), z. B. sich in eine fixe Idee verrennen, sich an eine fixe Idee klammern, vereinzelt auch ¤Grundgedanke, Kernthema in einem musikalischen Werk, LeitmotivÅ (s. Belege 1835, 1950), gleichzeitig auch abgeflacht im Sinne von ¤(ungefähre) Vorstellung, erste vorläufige Kenntnis, Ahnung, Bild, Begriff von etwas, Einblick/-sicht in etwasÅ (s. Belege 1764, 1861, 1879), in Wendungen wie hoffentlich konnte ich dir eine kleine Idee davon geben, das vermittelte mir eine Idee von der Größe und dem Umfang dieser unterirdischen Anlage, oft negativ formuliert, z. B. ich hatte mir eine völlig falsche Idee von diesem Vorhaben gemacht, ich habe keine Idee vom Klavierspiel, ich habe keine Idee, was daraus werden soll, du hast von (der) Kindererziehung nicht die geringste/mindeste, leiseste, blasseste, entfernteste Idee (¤nicht die leiseste/geringste Ahnung, keinen (blassen) SchimmerÅ), keine Idee! (¤kein Gedanke!Å). Häufig als Bestimmungswort in der Form Ideen-, z. T. alternierend mit Gedanken-/ gedanken- oder Vorstellungs-/vorstellungs-, in Zss. wie (im Zusammenhang mit der Entstehung und Wirkung von meist weltanschaulich-politisch wegweisenden, leitenden o. ä. Vorstellungen und Gedanken:) Ideenassoziation/-kombination/-verbindung/-verknüpfung (vgl. engl. association of ideas nach Locke) ¤unwillkürlich sich einstellende Verknüpfung von Vorstellungen und GedankenÅ, Ideenaustausch, -entwicklung, -findung, -folge, -fülle, -gebäude, -gehalt, -geschichte (¤historische Sehweise, die die hinter den geschichtlichen Ereignissen stehenden ideellen Kräfte in den Mittelpunkt der Betrachtung rücktÅ), -hunger, -komplex/-kreis/-system, -konzept, -mangel, -politik, -sammlung, -suche, -umsetzung, -verwandtschaft, -vielfalt, -welt, bes. (im Zusammenhang mit künstlerischer Betätigung:) Ideendrama ¤durch einen ideellen Leitgedanken oder eine Weltanschauung mit Allgemeingültigkeitsanspruch (z. B. Toleranz, Humanität) gekennzeichnetes DramaÅ, Ideenkünstler, -literatur, -lyrik, -roman, -theater, (bes. im engeren Bereich von Industrie und Werbung, bezogen auf Stätten, Menschen oder Sachverhalte, die im Zusammenhang stehen mit der Produktion und Vermarktung kreativer Neuheiten und Erfindungen:) Ideenbörse/ -forum/-messe, -bündel/-paket, -diebstahl/-klau, -erfindung, -fabrik/-küche/-labor/ -schmiede/-werkstatt, -fluss, -fundus/-pool/-reservoir/-vorrat, -katalog, -lieferant/ -spender/-stifter, -management, -markt, -park/-welt, -patent, -potential, -wettbewerb/-streit, Ideen-Expo/-Neuheit sowie (in Verbindung mit Bezeichnungen für in qualitativer/quantitativer Hinsicht wertende/bewertete Zustände und Vorgänge:) Ideenblitz, -feuerwerk, -flut, -schatz, dazu adj. Ableitungen und Zss. wie ideenmäßig, -arm/-reich, -los, -sprühend (mit Ideenlosigkeit, -armut/-reichtum). Als Grundwort alternierend mit -gedanke/-vorstellung/-philosophie in Zss. wie Anfangs-/Ausgangs-/Ursprungs-, Grund-/Kern-, Haupt-/Leit-, Lieblings-, Original-, Reform-, Sach-, Wahn-, Zwangsidee, oft eher okkasionell (in Verbindung mit Bezeichnungen für allgemeingültiges, grundsätzliches Gedankengut, ein etabliertes

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Konzept als übergeordnete Konstante:) Bildungs-, Eingliederungs-, Einheits-, Erweiterungs-, Euro(pa)-, Fitness-, Fortschritts-, Frauenhaus-, Freiheits-, Friedens-, Fusions-, Gemeinschafts-, Genossenschafts-, Gesamtschul-, Gleichheits-, Grundrechts-, Hospiz-, Humanitäts-/Menschheits-/Menschenrechts-, Kreuzzugs-, Kultur-, Kunst-, National-, Naturschutz-, Olympia-, Rechts(-staats)-, Reichs-, Revolutions-, Schöpfungs-, (Sozial-)Staats-, Toleranz-, Unabhängigkeits-, Unsterblichkeits-, Zivilisations-, Zukunftsidee, (mit Bezeichnungen für das entsprechende Aktivitäten begleitende, entsprechenden Produkten zugrundeliegende Motiv, Konzept, z. B. in Verfolgung einer künstlerischen, wissenschaftlichen, wirtschaftlichen o. ä. Aufgabe, Strategie:) Ausstellungs-, Berufs-, Bild-, (Dreh-)Buch-, Entwurfs-, Erzähl-, Farb-, Faschings-, Festspiel-, Film-, Firmen-, Form-, Forschungs-, Freizeit-, Geschäfts-, Gestaltungs-, Märchen-, Marketing-, Markt-, Mode-, Motiv-, Planungs-, Produkt-, Programm-, Projekt-, Promotions-, Roman-, Serien-, Text-, Unternehmens-, Veranstaltungs-, Vermarktungs-, Vertriebs-, Wahlkampf-, Wettidee; Regie-Idee, (mit Personenbezeichnungen und Eigennamen:) Autoren-, Gründeridee; Hitchcock-, Pfadfinder-, Raiffeisen-Idee. 2 Seit späterem 18. Jh. weiter in den alltäglichen Gebrauch übergehend abgeflacht und an eine konkrete Handlungssituation gebunden in der ugs. Bed. ¤(guter, kreativer) Einfall, Gedanke (der auf einen Vorschlag, eine Anregung zur unmittelbaren Lösung eines Problems, Klärung einer schwierigen Situation o. Ä. hinausläuft); (überraschende) Eingebung, Gedanken-/Geistesblitz, -funke, Geniestreich; Knüller, KnalleffektÅ (→ Clou, → Gag, → Hit, → Pointe; Ggs. → Flop), meist konnotiert mit „plötzlich, augenblicklich, spontan, auf einmal; frappierend, verblüffend, überraschend; neu, aktuell; akut, moment-/situationsbezogen; okkasionell“, in zahlreichen Wendungen wie eine Idee aufgreifen, verwerfen, in die Tat umsetzen, auf eine Idee eingehen, eine Idee weiterentwickeln/verfolgen, vergiss es, das war nur (so) eine Idee!, wie bist du nur auf diese Idee gekommen/verfallen?, die Idee könnte glatt von mir sein!, das ist eine (gute) Idee!, das ist keine schlechte Idee, aber leider nicht realisierbar!, ich habe eine (tolle, phantastische, geniale) Idee!, hast du etwa eine Idee wie wir das machen können?, das bringt mich auf eine Idee!, da kommt mir eine Idee!, das war die rettende Idee, was haltet ihr von der Idee, gemeinsam etwas zu unternehmen?, ihm fallen ständig neue Ideen ein, wenn es darum geht den Lehrern Streiche zu spielen, das war eine originelle Idee, das Publikum zum Mitsingen aufzufordern!, jemand hat mir die/meine Idee gestohlen und als Grundwort alternierend mit -einfall, -vorschlag o. Ä. in Zss. wie Bastel-, Blitz-, Bomben-, Design-, Event-/Party-, Finanzierungs-, Geschenk-, Namens-, Rezept-, Schnapsidee ¤verrückter Einfall (wie er typischerweise nach erhöhtem Alkoholkonsum aufkommt)Å, Spiel-, Spontan-, Stammtisch-, Urlaubs-, Verbesserungs-, Verkaufs-/Werbe-, Wettbewerbsidee, (in Verbindung mit Personenbezeichnungen und Eigennamen:) Mitarbeiter-, Schüler-/Studentenidee, Sarkozy-, Schily-Idee; dazu die (leicht abschätzig verwendete) Diminutivform Ideechen N. (-s; -). 3 Seit Mitte 19. Jh. ugs. über das Bild des Flüchtigen, nicht Greifbaren und daher Geringfügigen abgeflacht und alltagsspr. auf (konkrete und abstrakte) Gegenstände übertragen als Mengen- und Intensitätsangabe in der Bed. ¤eine geringfügige, kleine Menge, Kleinigkeit, ein Stückchen, ein bisschen; ein Hauch, eine Andeutung, Spur von etwas; sehr wenig …Å (→ Jota, → Minimum, → Prise, → Quantum, → Quäntchen), z. B. man füge dem Hefeteig nach dem Umrühren noch eine Idee Zucker

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hinzu, das Getränk sollte um eine Idee süßer sein, der Farbton wird um eine Idee weniger dunkel, das geht mir eine Idee zu sehr ins Detail, die Ärmel sind (um) eine Idee zu kurz, er ist nicht um eine Idee/um keine Idee (¤keinen DeutÅ) besser als du, nicht die Idee von … (¤nicht den Hauch von …, nicht der/die/das geringste …Å); dazu die (das Moment der Geringfügigkeit, Winzigkeit noch intensivierende) Diminutivform Ideechen N. (-s; -). Dazu seit Anfang 19. Jh. die subst. Ableitung Ideismus M. (-; -en) (nach engl. ide(a)ism, vgl. A. Musgrave 1993) als Bezeichnung für die (z. T. kritisch diskutierte) philosophische Lehre, die auf der Annahme beruht, dass nicht Dinge, sondern die Vorstellungen von Dingen (Ideen) unmittelbares Objekt des Bewusstseins seien (→ Idealismus; zu 1a), bes. im Pl. auch ¤gedanklicher Entwurf, TheorieÅ (zu 1b); mit der seit frühem 19. Jh. selten nachgewiesenen Personenbezeichnung Ideist M. (-en; -en) für ¤Anhänger des IdeismusÅ, z. T. abwertend ¤weltfremder SchwärmerÅ (s. Beleg 1841; vgl. Idealist b, → Idealismus, Ideologe, → Ideologie) (zu 1a) und den adj. Ableitungen (seit spätem 18. Jh.) ideisch neben weitgehend gleichbed. (seit früherem 19. Jh.) ideistisch (zu 1a); seit spätem 18. Jh. die verbale Ableitung ide(is)ieren V. trans. ¤ins Reich der Ideen und Vorstellungen erheben, von der Realität abtrennen; auf Ideen zurückführen, über Ideen erklärenÅ (zu 1a) und ¤(sich) vorstellen, ausdenken, ausmalen, gedanklich entwerfenÅ (zu 1b), mit dem dazugehörigen Verbalsubst. Ide(is)ierung; seit Mitte 19. Jh. das Subst. Ideation F. (-; -en) (< engl. ideation, zu nlat. ideatus ¤einer Idee entsprechendÅ) in der Bed. ¤(innovativer Prozess der) Bildung, Entwicklung einer (neuen) Idee, eines (neuen) Begriffes, einer Vorstellung, IdeenbildungÅ, im Rahmen der Protophysik ¤Verfahren zur terminologischen Bestimmung und Festlegung der Grundbegriffe (der Geometrie, Kinematik, Dynamik) für Theorien des Raumes, der Zeit und der KraftÅ, in der Phänomenologie (nach E. Husserl) ¤von zufälligen empirischen Merkmalen eines Gegenstandes abstrahierende WesensanalyseÅ (→ Abstraktion) (zu 1a). Idee 1a: Luther 1524⫺27 Reihenpredigten 2. Mose (WA XVI 348) Hie sol man aber nicht dencken wie die philosophi . . mit yhren Ideis, sondern auffs einfeltigest, also daz da rechtschaffen hymel und erden gewest sey; ders. 1525 Schr. XVIII 646 wie das vielleicht noch ynn Platonis Ideis oddern bildern verborgen ligt; ders. 1533 Auslegung d. Episteln u. Evangelien 105b Vnd also spricht sanct Augustinus/ das dis Wort sey ein bilde aller creaturen/ vnd gleich ein schatzkamer voller solcher bild/ die sie Ideas nennen/ nach welchem die creatur gemacht ist; Rivius 1548 Vitruv. 24b Die Disposition ist ein geschickte stellung vnd wolgestalte schickung des gantzen baws in allen glidern/ wie ein yedlichs auffs best vnd füglichst geschickt sein mag/ Welche schickung so die Griechen Ideas nennen/ in dreyerley gestalt geschehen mag/ als durch die Ichnographia/ Orthographia vnd Scenographia; ebd. 26b Von der Disposition oder geburlicher stellung oder richtung der gebewen haben wir . . gnugsamlichen gehandelt. Es wirt aber solche Disposition in meer vnterschiedner theyl abgetheilet/ von den Griechen Idee genennet/ das sind vor-

bildung Dann Vitruuius wil nach gesetztem grund/ fundament oder principijs darmit bedeuten/ das alles so der Architectur angehörig/ . . vorhin vorgebildet werden sol; Lorini 1607 V. Vestung Bauwen (Übers.) 10 Von Grundtriß der Vestungen . . Die Lini ist eine continuirte Erlängunge von einem Puncten zu anderen/ vnd wie gedacht/ ohne Breite vnd Dicke/ noch Tieffe/ mit welcher alle Figuren vmbschrieben werden/ die von der . . Idea formieret werden: Auch soll an ihr/ nirgends ein Theil von der Materi oder Figur/ betrachtet werden sondern man sol sie allezeit vorbilden . . also daß sie anderst nichts thue/ dann daß sie die Gestalten vor Augen stelle/ die man machen will; Wallhausen 1617 Corpvs militare Darinnen Das heütige Kriegswesen in einer Perfecten vnd absoluten jdea begriffen vnd vorgestelt wirdt (Titel); Harsdörffer 1645 Gesprechspiele V 163 Die wunderlichen Sachen . . sind Philosophische Grillen/ und weil sie wenig/ oder fast gar keinen Nutzen haben/ zu Teutschen unnöhtig. Die Ideae sind Bildungen/ welche unsere erste Gedanken erzeugen; 1677 Machiavell. Hokuspokus 185 Er ist mit Tugenden

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außgefüllet wie Plato mit Ideen; Thomasius 1688 Monats-Gespräche I 28 daß die Heroine dieses Romans für eine Idee eines recht einfältigen guten frommen Mädgens . . passiren könte (BRUNT); Francisci 1690 Proteus 744 daß die Aegypter . . viel Heuschrecken fressen/ und nachmals wann sie verbleichen/ aus ihren todten und faulenden Leichnamen/ hingegen wiederum Heuschrecken erwachsen. [Das kommt daher,] daß derer gefressenen/ und von denen Ideis seminalibus humanis . . in die Substantz deß Menschen-Fleisches verwandelten/ Heuschrecken Ideæ. (Ur-Bildungs-Kräffte/ oder Bildungs-Sämlein) auch allerdings durch so vielerley Digestionen und Verdauungen nicht gäntzlich ausgetilgt seyn/ sondern annoch völlig/ ob gleich unterm Joch der sämlicher Ideen eines Menschens/ in ihrem Stande verblieben (DiBi 111); Musig 1726 Licht d. Weisheit I 107 dass einem jeden Menschen ein Begriff oder Idee von GOtt angebohren sey; Sperander 1727 A la Mode-Sprach 297 Idea, eine Gestalt, Muster, Vorbild eines Dinges, ein Concept; Brockes 1746 Ird. Vergnügen in Gott VIII (Ausg. 1750 386) Ich erseh,/ In der die grosse Welt vereinenden Idee,/ Ein wunderbares Bild von Gottes Werk gemahlt,/ Woraus die Gottheit Selbst mir in die Seele strahlt; Mendelssohn 1764 Evidenz 19 Um die wahre Existenz der Dinge bekümmert sich der Mathematiker niemals. Er beweiset entweder den Zusammenhang der Ideen, oder den Zusammenhang der Erscheinungen. Uebrigens mag der Metaphysiker ausmachen, ob diese Erscheinungen einen äussern würklichen Gegenstand haben, oder nicht; Kant 1787 Kritik d. reinen Vernunft (W. III 322) Plato bediente sich des Ausdrucks Idee so, daß man wohl sieht, er habe darunter etwas verstanden, was nicht allein niemals von den Sinnen entlehnt wird, sondern welches so gar die Begriffe des Verstandes, mit denen sich Aristoteles beschäftigte, weit übersteigt, indem in der Erfahrung niemals etwas damit Kongruierendes angetroffen wird. Die Ideen sind bei ihm Urbilder der Dinge selbst (DiBi 2); ebd. III 331 Ich verstehe unter der Idee einen notwendigen Vernunftbegriff, dem kein kongruierender Gegenstand in den Sinnen gegeben werden kann. Also sind unsere jetzt erwogene reine Vernunftbegriffe transzendentale Ideen. Sie sind Begriffe der reinen Vernunft (DiBi 2); Maimon 1791 Philos. Wb. I 59 Plato hat also Recht, wenn er behauptet, daß das Gute eine Idee . . sey; Fichte 1806 Wesen 39 in dieser absolut nothwendigen Vorstellungsweise wird denn das menschliche Leben, wie es seyn soll, die Idee und der Grundgedanke Gottes bei Hervorbringung einer Welt, die Absicht und der Plan, dessen Ausführung Gott mit der Welt sich vorsetzte. Und so ist denn . . hinreichend erklärt, wie der Welt die göttliche Idee zu Grunde liege, und in wiefern und wie diese dem

gemeinen Auge verborgene Idee dem gebildeten Nachdenken begreiflich und zugänglich werde; Puchelt 1826 System d. Med. I 40 dass weder eine einzelne Erscheinung, welche der Beobachtung angehört, noch ein von einzelnen Beobachtungen abstrahirter Satz das Princip und die Idee der Wissenschaft seyn, sondern dass diese nur auf dem Wege der Speculation, der Vernunftanschauung gefunden werden könne; Krause 1828 System d. Philosophie 27 Seit Kant . . versteht man unter Idee jeden unbedingten Begriff, zu meist solche unbedingte Begriffe, die da enthalten, was werden soll, als da ist die Idee des Rechts, die Idee des Guten, die Idee der Schönheit. Aber seit Kant hat man diesem Worte noch eine höhere Bedeutung gegeben, indem man darunter versteht die Erkenntniß des einen unendlichen, unbedingten Wesens selbst; Ranke 1836 Gespräch (Ndr.) 38 Von der obersten Idee hängt Alles ab. Das will es sagen, wenn auch die Staaten ihren Ursprung von Gott herleiten. Denn die Idee ist göttlichen Ursprungs; Rötscher 1840 Phil. d. Kunst III 81 f. Wir können diese von Göthe . . repräsentirte Richtung als die Spitze und zugleich die Karrikatur des subjektiven Idealismus betrachten, in dem sich die Anerkennung der Macht der Idee und des Gedankens, als des allein Wirklichen, die Erhebung über die Erfahrung und das geschichtlich Gewordene durch den freien Akt der intellektuellen Anschauung zu einer Vergötterung des Denkens des einzelnen Subjekts verkehrt hat; Willmann 1894 Gesch. I 1 Platon habe dem Wort Idee das Gepräge des philosophischen Kunstausdrucks gegeben; 1897 ebd. III 216 [für] diese Funktion des Ideeenbegriffes hatten die Scholastiker das volle Verständnis; der hl. Thomas bemerkt, Platon habe die Ideeen eingeführt, um dem göttlichen Geiste die Einheit zu wahren und doch der Mannigfaltigkeit der Dinge genugzuthun; Simmel 1900 Philos. d. Geldes 135 Die tiefe Unbefriedigung an der erfahrbaren Welt, an die wir dennoch gefesselt sind, bewog Plato, ein überempirisches, über Raum und Zeit erhabenes Reich der Ideen anzunehmen, das das eigentliche, in sich befriedigte, absolute Wesen der Dinge in sich enthielte (DiBi 2); Jäger 1927 Reden 151 Grundlagen dieser platonischen Dialektik, der sog. Ideenlehre; Th. Mann 1938 Reden u. Aufs. (W. IX 531) Das allein wahrhaft Seiende, das immer ist und nie wird und vergeht, sind die realen Urbilder jener Schattenbilder, die ewigen Ideen, die Urformen aller Dinge; ders. 1954 Krull (W. VII 539) dann ist es mit der Evolution, der Aufspaltung der Arten dermaßen vorangegangen, daß nach bloßen zweihundertfünfzig weiteren Jahrmillionen die ganze Arche Noah einschließlich der Reptilien da war . . Und das alles vermöge der einen Idee, die die Natur in anfänglichen Zeiten faßte und mit der zu arbeiten sie bis

Idee hin zum Menschen nicht abgelassen hat . . die Idee des Zellenzusammenlebens; Thielicke 1988 Glauben u. Denken 76 Schon die Stoa hatte auf dieses Umgreifende mit ihrer Idee des Welt-Logos hingewiesen; Bartuschat 1992 Spinozas Theorie 76 Gott bewirkt die unendliche Idee, die ihn selber zum Gegenstand hat, allein durch das Attribut Denken und nicht durch die Fülle seines Seins, die Gegenstand dieser Idee ist; taz 1. 4. 2006 Schließlich wusste schon Platon, dass jede Idee (Wahrheit) wiederum nur ein Schatten an der Wand ist. Da man aber weder Ideen noch Schatten wirklich greifen kann (an-, meist leider auch begreifen), ist die Wahrheit in Sicherheit. Ideation 1a: Lewes 1860 Physiologie d. tägl. Lebens (Übers.) II 143 Ich halte mich deshalb für berechtigt, die Ideation oder Ideenbildung als die Form von cerebraler Sensibilität zu betrachten, welche durch den Zusammenhang des Gehirns mit den Ganglien der speciellen Sinne bestimmt wird; 1895 Zentralbl. f. Nervenheilkde. XVIII 261 die Beschränkten oder Schwächlinge, an lahmer „Statik und Dynamik der Ideation“ leidend, „im Wesentlichen Imbecille oder Semidioten“; Husserl 1900 Logische Untersuchungen I 101 Ein Begriffliches im Acte der Ideation erfassen – als die Eine Species, deren Einheit gegenüber der Mannigfaltigkeit thatsächlicher oder als thatsächlich vorgestellter Einzelfälle wir einsichtig zu vertreten vermögen; 1930 Jahrb. f. Philos. XI 112 Die Ideation (Idee-Entwerfung); ebd. 174 Anders liegt es nur dann, wenn das Substrat der Alternatividee (das Bild) bereits vor der Ideation gedanklich aufgeteilt war und diese nun vom so gegliederten Material ausgeht; Staiger 1966 Grundbegriffe 203 Die Aufgabe . ., die poetischen Gattungen zu scheiden und jede für sich herauszuarbeiten . . ließ sich nur in unbeirrbarer Ideation erfüllen, das heißt so, daß an Dichtungen lyrische, epische und dramatische Züge im Hinblick auf a priori erfaßte Ideen abgelesen wurden; Sukale 1988 Denken, Sprechen u. Wissen 87 Der erste Schritt . . schafft die Grundlage für Ideationsakte. Der zweite Schritt, die wiederholten Ideationen und die Festlegung von Begriffsbedeutungen, ist theoretischer Art. Beide Schritte zusammen nennt Husserl die phänomenologische Analyse; Janich/Psarros 1996 Sprache d. Chemie 87 Man könnte die stofflichen Homogenitätsprinzipien . . zur Grundlage eines Ideationsschrittes machen, indem man fingierte, diese seien ideal erfüllt, um sich dann mit den Implikationen der entsprechenden Aussagen zu beschäftigen. Diese Implikationen aber erlauben keine anderen Aussagen, als die durch Ideation aus den Homogenitätsprinzipien gewonnenen.

37 ideisch 1a: Paulus 1843 Philos. d. Offenbarung 94 Das Wirkliche wird durch das Ideische beherrscht und geregelt. Der Ideismus erkennt wissenschaftlich, was wegen seiner ideischen auf das Viele passenden Formen wahr ist. Werden diese ausgefüllt durch Wirklichkeiten von mancherlei Art . ., so gilt, auf das Vereinzelte angewendet, eben das, was zum voraus in den unbestimmteren Formen betrachtet, als universell wahr, ideisch anerkennbar war. ide(is)ieren 1a: Hennings 1777 Ahndungen u. Visionen 13 Anm. [das Gehirn] bestehet aus einer Anzahl solcher kleinern Organen. Die Schwingungen dieser Fibern sind Ideen, werden Ideen, erzeugen Ideen, Ideen im Gehirn, so ist die Sprache der neuen Philosophen. Besonders beruft sich der Verf. wegen der ideisirten Fiberschwingungen auf Platners Anthropologie und Loßius physische Ursachen des Wahren; Lilienstern 1820 Angelegenheiten d. Presse II 32 Der Mensch hat den natürlichen Trieb . . in dem Mannichfaltigen und scheinbar Heterogenen die gesetzliche Einheit zu erkennen, und Gesetzlichkeiten auf entsprechende Gegenstände geltend zu machen, Dinge und Personen zu ideisiren, das in der äußern Welt gegebne Reale in seiner Gedankenwelt sich auf ideale Weise zu konstruiren, und Ideen (die Gebilde der innern Welt) zu realisiren und zu personifiziren, sie in der äußern Welt anschaulich und erfaßlich zu reproduziren; Oischinger 1852 Grundriss z. Systeme d. christlichen Philos. 94 Das Denken ist kein absolut freier Act, sondern es ist abhängig und bedingt von der intellectuellen Anschauung, sodann von dem Objecte dieser Anschauung, von dem Ideirten, sowie von dem Verbande zwischen beiden; 1891 Sitzungsber. d. Kaiserl. Akad. d. Wiss. CXXIV 83 Wie immer man die Sache betrachte, so gelangt man über die Geschiedenheit von Geist und Idee nicht hinweg. Wird der Geist ideisirt, in den Inhalt der Idee verlegt, so verschwindet er als Geist; Friedmann 1950 Sinnvolle Odyssee 179 mit ihrem Unterfangen, die symbolischen Ideen zu materialisieren, dem religiösen Leben, welches die Materie ideisiert; Scherbel 1999 Phänomenologie 147 Die Bezeichnung „Anschauung“ soll deutlich machen, daß das apriorische Wissen immer schon vorgegeben ist, noch bevor es im Ideieren aktualisiert wird; Scharfe 2002 Menschenwerk 67 Die Worte Ideierung, ideieren meinen natürlich: ins Reich der Ideen und Vorstellungen erheben, von der unmittelbaren Realität abtrennen. Ideismus 1a: 1814 Heidelb. Jahrb. d. Litt. VII 141 Wenn der Hr. Magister . . auf seiner Utopischen Reise den Fichteschen Ideismus in einer Region entstehen läßt, wohin er, mit hochpoetischer Weit-

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schweifigkeit, alle betäubende Giftbäume und Giftpflanzen, Linneisch benannt, zu versetzen beliebt; Paulus 1835 Entdeckungen 41 Denn dies ist eben seit Schellings Naturphilosophie die lächerliche Verlegenheit all dieser ins Absolute recidiv gewordenen Philosophen, daß sie, die Einheit des Objects und Subjects für Identität nehmend, nur aus diesem Ideismus das Ich nicht in den Realismus herüber zu gelangen wissen und doch das Uebertriebene jener Identitätslehre nicht durch genauere Reflexion über das Ich und was in ihm vorgehen muß, berichtigen; ders. 1843 Philos. d. Offenbarung 16 Wenn sich eine Philosophie, als Ideismus, zum voraus, um in verengter Sphäre das Einfache auf das Einfachste zu betrachten, absichtlich und methodisch darauf beschränkt, von Begriffen zu beginnen und darauf Ideen anzuwenden . . so ist natürlich nie durch den Begriff selbst das Wirklichseyn des Begriffenen bewiesen; ebd. 94 Der Ideismus erkennt wissenschaftlich, was wegen seiner ideischen auf das Viele passenden Formen wahr ist . . Die ganze Mathematik beruht auf Ideismus; Weinholtz 1874 Ideismen: Der unbewußte Ideismus des Menschen in Versen erläutert (Titel); 1919 Annalen d. Philosophie I 20 Die Philosophie des Als-ob ist mithin, so könnte es scheinen, schließlich reiner Ideismus oder, um den geläufigen Fachausdruck anzuwenden, reiner Idealismus; Hinterberger 1996 D. krit. Rationalismus 189 Der Ideismus stellt den Abschied des Empirismus vom Realismus dar. Locke nannte seine Theorie den ¤neuen Weg der IdeenÅ. Berkeley machte einen offenen Idealismus daraus, indem er die Dinge an sich verschwinden ließ, um das Problem von Erscheinung und Realität zu lösen; Albert 2003 Kritik d. transzendentalen Denkens 195 Der Ideismus war nach Musgrave eine Antwort auf den Skeptizismus, die aber letzten Endes nicht erfolgreich sein konnte, weil damit das Problem der Beziehung von Erscheinung und Realität nicht gelöst wurde. Auch in der Kantschen Philosophie ist noch ein Residuum des Ideismus enthalten, und zwar in der Auffassung, daß wir in unserer Erkenntnis die durch das Erkenntnisvermögen konstituierte Welt der Erscheinungen nicht zu transzendieren in der Lage seien [Anm.] Musgrave hat die Bezeichnung „idea-ism“ für diese Auffassung eingeführt, die mit „Ideismus“ übersetzt wurde. Ideist 1a: Hoßbach 1819 Andreä 189 f. Doch ertrug er die schwere Prüfung mit christlicher Geduld, und erfüllte durch sein Wort auch seine Mitbürger mit Trost und Standhaftigkeit. „Diese Geistesstärke, sagt er in seiner Biographie, schöpfte ich nicht aus den Schulen der Stoiker oder Ideisten, sondern erwarb sie mir aus der Betrachtung, wie eitel alles Menschliche ist“; 1841 Zschr. f. Philos.

III 1,152 Zwar berge ich nicht, daß mich Ihre vornehm herabschauende Charakteristik von Fichte in der „Lebensskizze“ indignirt und befremdet hatte . . Sie hatten dem in sich verschränkten „Ideisten“ und „Chimäriker“ in seinen selbstverschuldeten Verlegenheiten . . großmüthig und auf’s Beste herauszuhelfen gedacht, an seinem Ungeschicke . . aber Nichts ausrichten können; Schärer 1860 John Locke 21 Von einem römisch-katholischen Priester, einem Jesuiten . . erschien bald nachher (1697) ebenfalls ein dicker Octavband zur Widerlegung von Locke’s philosophisch-theologischen Ansichten, wobei es im Allgemeinen auf die „gottesläugnerischen Ideisten“ abgesehen war; Hinterberger 1996 D. krit. Rationalismus 190 f. daß die Beschränkung des Wissens auf Sinnesdaten bzw. Erscheinungen die Beschaffenheit der Realität (letztere wird ja auch von den Ideisten vorausgesetzt) völlig unbesprochen läßt; ebd. 192 Der Ideist setzt zwar Realität voraus, kann das aber aufgrund seiner eigenen Prämissen gar nicht in schlüssiger Weise tun. ideistisch 1a: 1840 Allg. Kirchenztg. I 814 ist es nicht ebenso mit allem ähnlichen ideistischen Hinübertragen des Menschlichen in das Göttliche, wenn wir . . uns dadurch Begriffe von dem Sein und Wirken des Allvollkommnen speculativ (durch ein Aussinnen, wie es dort sein müsse) verschaffen zu können wähnen?; Meyer 1866 Seelenfrage 213 Hier will sich Westhoff so heraushelfen: Die Gedanken bestehen nicht real oder materiell, sondern nur ideistisch. Real wird hier mit materiell gleichbedeutend genommen, während es sonst auch, und zwar gewöhnlich, das Wirkliche im Gegensatze zu dem bloß Gedachten ohne entsprechendes Object bedeutet. Was bloß ideistisch ist, hat auch keine Wirklichkeit: so sind die idealen Formen von Raum, Zeit und Causalität an und für sich nicht wirklich oder als solche vorhanden, sondern erhalten erst in der Erfahrung ihre Geltung; Weinholtz 1879 Die Entwicklung der Grundlagen ideistischer Wissenschaft und der inneren Beziehungen ihrer wesentlich unterschiedlichen Theile (Titel); Röd 1991 Erfahrung u. Reflexion 122 Die Voraussetzung, auf die mit der Metapher vom Schleier der Ideen hingewiesen wird, soll . . „ideistische Voraussetzung“ genannt werden. Dabei geht es nicht um den Ursprung der Ideen, d. h. die ideistische Voraussetzung wird unabhängig von der Frage erörtert, ob die Vorstellungen durch Reize . . hervorgerufen, ob sie durch Akte des . . Ich konstituiert oder ob sie durch das Wirken eines Absoluten im Bewußtsein erzeugt werden; Albert 2003 Kritik d. transzendentalen Denkens 195 In der vorkantischen Philosophie war die Analyse der Erfahrung weitgehend durch die ideistische These beein-

Idee flußt, nämlich die Annahme, daß die Sinne uns Gewißheit und damit sicheres Wissen nur über „Ideen“ oder „Erscheinungen“ geben und daß diese daher die einzigen unmittelbaren Objekte der Wahrnehmung sind. Idee 1b: Mathesius 1563 Ehestandt Ji2b jhre [der gottbegnadeten Künstler] jdeas vnd schöne fantaseyen . . in gewisse vnd artige ordnung richten, ein proportionierte stellung machen, das eins aus dem andern fleust; Friedensberg 1597 Discurs 48b der anfang vnd gleich eine Idea oder Vorbildung des ganzen Wercks/ . . machen; Schweighart 1617 Pandora 4 hat mich hierzu noch mehrers bewegt/ die vilfältige adhortationes vnnd bitt etlicher guter Freund vnd Pansophie studiosorum, jhnen eine kurtze ideam vnd conterfeth/ der general Weißheit zu adumbriren; Leibniz 1670 Securitas publica (I 201) daß man sich zu Friedenszeiten kennen lerne, und nicht so wilde, abscheuliche Ideen einer von dem andern mache; Seckendorff 1685 Christenstaat I 67 ein concept und ideam von Gott; ebd. II 65 Gedancken und Idea oder Einbildung, was ein Gott sey; Thomasius 1688 Monats-Gespräche I 635 sich selbst eine Einbildung oder idee von ihrer Schönheit machen; ders. 1691 Vernunftlehre I 88 sich so gar wunderliche und falsche Ideen von einem Dinge machen; 1705 Auserles. Anm. III 298 haben sie [Philosophen] alle zusammen . . die Wahrsagerey abgeleügnet/ weil sie davor gehalten/ daß alle und jede Erkäntnis durch die Ideen geschehe; von zukünfftigen Dingen aber könten wir keine Ideen haben/ weilen derselben obiecta nicht vorhergangen; Wächtler 1709 Manual 156 Idea, Bild/ Bildniß/ z. E. sich von einer Sache eine rechte Ideam formiren in seinem Gemüthe; Ferriol 1719 Abb. (Übers.) 3a [eine Reisebeschreibung ohne Bilder würde mir nur] eine schwache und unvollkommene Idee machen . . Als da sind Gebäude, und . . Monumente, Landschaften, Pflantzen; Philo 1722 Ruhm d. Tobaks 19 wenn ich ihm von bemeldten Sorten eine kleine Ide´e gebe; Bernd 1738 Eigene Lebens-Beschreibung 25 meine Schwester . . zeigte mir den Stern . . so viel weiß ich noch, daß man mich mit fürchterlichen Ide´en, die mir dadurch beigebracht wurden, hernach schlafen geleget. Noch mehr solche fürchterliche Impressionen, und deren ich mich auch noch besser erinnere, wurden mir und andern Kindern . . gemacht, als der Türke Anno 1683 vor Wien lag (DiBi 102); Bodmer 1741 Poet. Gemälde 39 Der Scribent ist bemühet, die Phantasie der Leser mit Gedancken anzufüllen, das heißt in der Sprache des Hrn. Descartes, er will ihnen Bilder von Dingen in das Gehirne mahlen . . Eine Sache, die auf diese Weise mit Worten abgebildet worden, heißt nun mit dem Kunst-Wort eine Idee, welches auf deutsch nichts anders heißt, als

39 ein Bildniß und Gemählde; Schönaich 1754 Ästhetik 345 Ein Heer verworrener Ideen, die das bedrängte Haupt kaum faßt,/ Von keiner Kunst noch klug vereint,/ Erheben sich aus meiner Seele; Wieland 1757 Gesch. d. Gelehrtheit 73 daß er zwey Jahre vor seinem Tod in eine Art von Kindlichkeit verfallen, und sein Gedächtniß so sehr geschwächt worden, daß nicht die mindeste Idee mehr darin haften konnte; Mendelssohn 1761 Philos. Schr. I 21 So bald er [Dichter] zum Werke schreitet, muß der Vorwurf, und nichts, als der Vorwurf, die herrschende Idee in seiner Seele seyn. Er hüte sich in diesem Augenblicke seine Regeln allzu deutlich vor Augen zu haben; Hamann 1762 Leser u. Kunstrichter (Ges. W. II 400) Wundert euch nicht . ., dass ich zaubern, . . eine Idee durch ein Gemälde . . vorstellen kann; Reinhard 1764 Schr. V 617 Da nun hiermit eine generale Idee von unserem Weinbaue ist ertheilet worden; Lessing 1766 Laokoon (W. VI 86) Das ist auch wirklich die Idee, welche die Lehrbücher der Malerei mit dem Worte Erfindung verbinden. Denn ob sie dieselbe schon sogar in malerische und dichterische einteilen, so gehet doch auch die dichterische nicht auf die Hervorbringung des Vorwurfs selbst, sondern lediglich auf die Anordnung oder den Ausdruck (DiBi 1); Bürger 1772 Br. I 60 Die zweyte neue Strophe entspricht meiner Idee nun auch völlig. Wider den Schluß hab ich nichts mehr; Meiners 1776 Schr. II 33 so müßte in dem Augenblicke, wo eine neue Sensation, oder Idee in uns entsteht, keine aus der vergangenen Zeit in unserm Kopfe gegenwärtig seyn, weil sich sonst nach dem Gesetze der Coexistenz, die neue mit der ehemaligen verbinden würde; Büschel 1784 Reisen 241 Der Luxus der Engländer in Anlegung und Verschönerung ihrer Landsitze kennt keine Gränzen. Es scheint als wollten sie die Idee realisiren, die in der feurigen Imagination jener Schriftsteller entstand, welche uns mit der Geschichte der Feen und ihren bezauberten Schlößern bekannt machten; Zimmermann 1785 Einsamkeit III 373 Geschichte alter Grösse und alter Tugend, wirket im Stillen immer ausserordentlich auf Gemüther, die Empfänglichkeit für solche Ideen und Gesinnungen haben; Abel 1786 Seelenlehre 54 wenn Schmerz oder Lust zu sehr von der Absicht eines Eindrucks (der Idee) abführen würde, bleibt es ganz gleichgültig, wenigstens, so bald es nicht mehr neu ist; Matthisson 1796 Italien (Schr. V 5) Schade nur, dass er der fixen Idee, sich für einen gottgesandten Propheten zu halten, rettungslos unterzuliegen bestimmt war; 1810 Almanach a. Rom I 75 Wer sie aber noch nicht gesehen, dem verschafft das nachstehende kleine Landschaftsgemälde . . vielleicht eine lebhaftere Idee von ihr, als jede Beschreibung ihm gewähren dürfte; 1811 ebd. II 170 Arme Dichterlinge . . bearbeiten eine ältere

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Oper nach den Ideen des Impresar und der Sänger; Görres 1821 Europa 131 Zu den Ideen, die Frankreich bis zur gänzlichen Umwälzung bewegt, ist bei uns noch eine Neue hinzugekommen, die . . der Einheit nämlich; 1835 Zschr. f. Musik III 49 diese Melodie und dieses Bild verfolgen ihn unausgesetzt wie eine doppelte fixe Idee . . Am Ende des Marsches erscheint, wie ein letzter Gedanke an die Geliebte, die fixe Idee, aber vom Hiebe des Beiles unterbrochen nur halb; Wagner-Scherzer 1854 Reisen in Nordamerika I 84 aber die deutsche Einheit als „Idee“ gewinnt immer mehr Verehrer und Verfechter; Ranke 1854 Epochen (IX 2,7) Ich kann also unter leitenden Ideen nichts Anderes verstehen, als dass sie die herrschenden Tendenzen in jedem Jahrhundert sind; 1855 Real-Encykl. f. protestant. Theol. III 250 Der Rationalismus hat . . behauptet, die Besessenheit sey eine bloße fixe Idee gewesen, und eine solche könne mit einem bloßen Worte den Leuten benommen werden . . „Fixe Ideen“ haben stets ihre körperliche Ursache . . und so lange diese körperliche Ursache nicht entfernt ist, kehrt die fixe Idee stets wieder zurück; 1859 Jahrb. f. romanische u. engl. Lit. I 286 Das 19. Jahrhundert . . Jahrhundert der Ideen . . Immerhin hat es daran einen solchen Ueberfluss, dass es eine wahre Milchstrasse von leuchtenden Ideen ist; Werther 1861 Kl. Deutschland I 28 diese gewaltigen Naturlaute, welche . . der Phantasie des Nordländers eine Idee von dem Gebrüll des Löwen in den einsamen Sandmeeren Afrikas geben; Meysenbug 1876 Mem. I 188 Ich hatte andere Ziele gewählt; ich diente einer Idee, ich kämpfte für ein Prinzip; Ranke 1877 Erhebung Preußens 124 Den Ideen, die von Frankreich her vordrangen, trat hier eine Weltanschauung entgegen, die zwar die soziale Bedeutung dieser Ideen anerkannte, aber die politische Entwicklung, die denselben entsprungen war, von sich stieß und verabscheute; Hillebrand 1879 Zeitgenossen 192 Wie das Alles zu bewerkstelligen sei, davon hatten die Verschwörer nur eine sehr unklare Idee; Treitschke 1897 Politik I 60 immer wieder wird sich die Wahrheit bestätigen, daß nur im Kriege ein Volk zum Volke wird. Nur gemeinsame große Thaten für die Idee des Vaterlandes halten ein Volk innerlich zusammen; Zobeltitz 1902 Papierene Macht II 114 Sie wollte ihrem Mann eine getreue Mitarbeiterin sein, Anteil nehmen an seinen Ideen und Plänen und seine Sorgen tragen helfen; Diehl 1920 Sozialismus 414 Daher könne [nach Marx] nicht davon die Rede sein, daß die „Idee“ des Arbeiterstandes oder irgendeine andere „Idee“ als das treibende Motiv in der sozialen Bewegung anzusehen wäre, sondern aus der realen Entwicklung der Produktionsverhältnisse heraus müsse man die Tendenzen und Kräfte erkennen, die mit Naturgewalt und ganz unabhängig von

menschlichen Ideen zu neuen Organisationsformen hinstrebten; Th. Mann 1924 Zauberberg (W. III 550) Die Rechtmäßigkeit der kirchlichen Wissenschaftslehre . . ist völlig unbestreitbar. . . Ihre voraussetzungslose Wissenschaft ist eine Mythe. Ein Glaube, eine Weltanschauung, eine Idee, kurz: ein Wille ist regelmäßig vorhanden, und Sache der Vernunft ist es, ihn zu erörtern, ihn zu beweisen; Man 1932 Massen 40 Das Massenschicksal praedisponiert an sich nur zu einer Affektlage, die eine Empfangsbereitschaft für bestimmte zielgebende und affektbetonte Vorstellungen – also Ideen – darstellt; Giuliano 1941 Latinität (Übers.) 80 In der Tiefe seines Bewußtseins und seiner Geschichte erweckte es die von der Vergangenheit erfüllten, in die Zukunft weisenden großen Gesichte und Ideen und brachte aus dieser geistigen Substanz den Mann und die Idee hervor, die . . den Beginn einer inneren nationalen Erneuerung und einer völlig neuen Entwicklung bedeuteten; Süddtsch. Ztg. 29. 12. 1950 Dieses Werk [Tschaikowskis „Fünfte“] mit seiner ur-russischen „Ide´e fixe“ . . gilt uns . . als eines der erstaunlichsten Selbstbildnisse in Tönen; Staiger 1966 Grundbegriffe 187 Das Tragische überfällt den dramatischen Helden aus dem Hinterhalt. Er blickt voraus auf sein Problem, auf seinen Gott oder seine Idee. Was mit der Idee nichts zu schaffen hat, das läßt er . . beiseite; Weber 1970 Erziehung o. S. den Abstand, manchmal die Kluft, zwischen Idee und Wirklichkeit, zwischen theoretischer Didaktik und schulpraktischer Verwirklichung, jenen höchst relativen Befund der Ferne zwischen Gesolltem oder wenigstens Gewolltem, ja selbst Möglichem und dem Verwirklichten; Schivelbusch 1980 Paradies 21 Dieser Weg ist der Seeweg nach Indien, vielleicht die ide´e fixe des 15. Jahrhunderts; Zeit 1. 11. 1985 es ist bitter, wenn man sieht, wie sich die Idee, die Philosophie solchen Unternehmens [Wohnungsbaugesellschaft] entwickelt hat: vor sechzig Jahren vom Engagement und Idealismus, von der Leidenschaft einer sozialen Wohnungsreform getragen . . heute heißen die Stichworte: mehr Markt im Wohnungswesen; ebd. 6. 2. 1987 Auch der westliche Patriotismus amalgamiert sich in einer politischen Ideologie – der „Idee einer Gemeinschaft freier Völker, politisch, wirtschaftlich und kulturell zu gegenseitigem Nutzen verbunden, verbunden auch zu gegenseitigem Schutz vor den Feinden der Freiheit“; 1990 Theater d. Zeit 49 Jeder Tanzszene lag ein thematischer Ausgangspunkt, eine kleine Idee zugrunde, die wir im Tanz darzustellen versuchten; taz 21. 8. 2004 Die Architekten bat er, nicht die Materialwahl und die Typologie in den Vordergrund ihres Schaffens zu rücken, sondern „nach der eigentlichen Bedeutung, der leitenden Idee“ zu fragen; Berl. Ztg. 19. 1. 2007 Der bevorstehende

Idee Wahlkampf könnte sich für Amerika zu einer entscheidenden ideologischen Phase entwickeln. Die konservative Revolution ist vorbei, und bislang sieht es so aus, als ob weder Demokraten noch Republikaner auch nur die leiseste Idee hätten, was an ihre Stelle treten soll; Mannh. Morgen 13. 1. 2017 sachlich brachte es Bundespräsident Joachim Gauck . . auf die schlüssige Formel: „Was wir aus der Baugeschichte der Elbphilharmonie lernen können, ist dies: Manchmal muss man sehr wohl ein Wagnis eingehen und Widerstände überwinden, um einer guten Idee zur Wirklichkeit zu verhelfen“. ide(is)ieren 1b: 1788 Allg. dtsch. Bibliothek LXXIX 1,595 so glaubt Recensent, der das Land kennt, daß . . alles nach Wunsche und Willen gehen, der Bauer, so wie man sich es ideisirt, denken lernen, und völlige Ruhe und Ordnung im Lande bleiben müßte; Krause 1804 Anl. z. Naturphilos. 68 die Natur der Ideen ist der nothwendigen Bildung des Einzelnen . . entgegen, es wird also alles Bilden der Natur ein beständiger Streit der Ideen und des Einzelnen sein, und die Natur selbst das Einzelne nicht als Einzelnes, sondern als Ideirtes, das ist als ein solches, welches in der Besonderheit die Allgemeinheit befasst, darzustellen streben; Pachmann 1858 Vorschule d. röm. Rechtes 22 Der Repräsentant dieser Periode, welche . . schwerlich durch eine einzige Persönlichkeit oder ein Menschenalter ausgefüllt wird, ist derjenige, an dessen wahren oder (vielleicht richtiger) ideisirten Namen die Tradition Roms Gründung knüpft; Blei 1916 Menschl. Betrachtungen z. Politik II 18 So wird der rationalisierte Erhaltungstrieb zur Gewinnsucht, das ideisierte Heimatsgefühl zur selbstlosen Vaterlandsliebe. So wird der rationalisierte Geschlechtstrieb vor dem sexuellen Verbrechen haltmachen, aber das ideisierte Liebesgefühl für das Objekt Schande und Tod erleiden; Brunner 1921 Christus 153 der Liebende verhält sich genial gegenüber dem ideisierten, idealisierten geliebten Gegenstand; 1947 Merkur I 430 Wie Kirilow in Dostojewskis „Dämonen“ sich selbst töte, um zu beweisen, daß es keinen Gott gibt, so wollte Winkler durch seinen ideisierten Selbstmord beweisen, daß die Schöpfung ein Chaos ist, und das Nichts wahrer als das Sein; Friedländer 1964 Seinswahrheit 216 So ist also Atlantis, die ideisierte Monarchie, d. h. eine zentralisierende Fürstenmacht, in der doch Gemeinschaft und Gesetz die Herrschenden bindet; Ur-Athen die ideale Demokratie; Blos 2001 Adoleszenz 110 Künstlerische und ideisierte Ausdrucksformen machen es ihm möglich, hochpersönliche Erlebnisse mitzuteilen, die als solche ein Vehikel für die Teilnahme am Sozialleben bilden.

41 Ideismus 1b: 1817 Allg. Literatur-Ztg. I 343 In diesem Satze ist, wie allzu oft in allen jenen aus einer unlogikalischen Methode hervorgehenden Ideismen, Wahres und Falsches unmerklich gemischt. Idee 2: Schmid 1769 Biogr. d. Dichter I 401 So hat oft ein schlechter Kopf eine oder die andre gute Idee, er findet sie, wie die blinde Henne von ohngefähr, aber er kann sie nicht nutzen, und wird dem ohnerachtet verspottet; Cogniaczo 1794 Geständn. 413 soll der Herzog von Bevern mit dem General Ziethen wirklich Abrede genommen haben, mit dem Ueberrest seiner geschlagenen Armee die müden Sieger nach Mitternacht zu überfallen, und sie von allen Seiten anzugreifen. Ob diese Idee durch einen glücklichen Erfolg gekrönt worden wäre, weiß man freylich nicht; 1810 Götting. gel. Anz. III 1907 zur Erklärung der vulcanischen Gebirgsund Al[t]erthumskarte: eine gute Idee, wäre nur die beygefügte Karte nach einem größern Maßstab ausgeführt!; Heyse 1838 Fremdwb. I 505 Idee . . Gedanke, Einfall, Denkbild, Entwurf; WagnerLiszt 1853 Briefw. I 277 H. hat eine gute Idee, nämlich wenn E. so gut gesinnt ist, Deinen Werken in Berlin Verbreitung zu verschaffen . . so soll er eine Repetition Deiner Züricher Concert-Aufführungen mit demselben Programm in Ausführung bringen; Flygare-Carle´n 1856 Sämmtl. Romane VII (Übers.) 72 Ich verfalle wahrscheinlich auf die kleine nette Idee, Taback zu stehlen, wenn Du mir keinen schenkst!; Nordau 1881 Paris I 239 Zwei oder drei junge Leute . . sitzen zusammen in einem Kaffeehause und verkürzen sich die langen Stunden ihres . . Müssigganges mit wunderlichen Discussionen und tollen Einfällen aller Art. Mitten zwischen einer Blague, einer Prahlerei und einer kecken Verunglimpfung . . kömmt einer der Bohe`mes auf den Gedanken, ein Journal zu gründen. Die Idee wird mit Begeisterung acclamirt; Th. Mann 1901 Buddenbrooks (W. I 25) „Na, assez, Jean“, sagte der alte Buddenbrook und legte seinen Löffel aus der Hand. „Das ist so eine von deinen ide´es …“. Der Konsul hob mit einem zerstreuten Lächeln sein Glas seinem Vater entgegen; 1928 (Hesse 1980 Magie 96) Nein, sehr wenige kommen auf solche Ideen, die meisten reichen Leute kommen überhaupt nie auf Ideen; Colerus 1929 Kaufherr 325 Gottfried führte mich in den chinesischen Teesalon. An und für sich eine gute Idee. Aber neben kostbaren Lackmöbeln . . wirkten Papierfächer und Lampions entsetzlich; Th. Mann 1939 Lotte (W. II 535) Herr von Kotzebue, unser berühmter Theaterdichter, wollte eine Amazonenschar gründen, und ich bezweifle nicht, daß Ottilie . . imstande gewesen wäre, sich dazu anwerben zu lassen, ja wohl gar auch mich dazu hingerissen hätte, so excentrisch mich heute bei kühlerem Kopf die Idee auch anmutet; Frisch 1957 Homo faber 183 Ich fröstelte, weil ohne Hemd, ich kam

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nicht auf die Idee, ihren Morgenrock zu nehmen, der an der Türe hing; Offenburger Tagebl. 22. 1. 1960 Als Schnapsidee darf man den Einfall . . bezeichnen, das Publikum bei dem Studio-Gastspiel . . von bezahlten Statisten darstellen zu lassen; Röpke 1977 Strategie d. Innovation 218 Es geht nicht um das Ausschöpfen aller denkbaren Einfälle und . . auch noch der marginalsten Idee; taz 30. 11. 1989 Wer auch immer diese Idee hatte, Hut ab für den genialen Medienstreich; ebd. 8. 3. 1999 Er hieß Klaus-Hinrich, und es stellte sich heraus, daß er noch nie auf die Idee gekommen war, für sich einen Frauennamen zu wählen; Fröhlich 2009 Waldfee 124 „Komische Ideen hat der Junge manchmal“, murmelte die alte Dame kopfschüttelnd. Ideechen 2: Schaller 1804 Stuziade II 149 Kaum zukt durchs Hirn Euch, schnell und hell/ Wie eine Sternenschnuppe,/ Ein Kraft-Ideechen – wunderschnell/ Schniz’t Ihr’s zu Eurer Puppe; Presse 10. 3. 1993 Als unseriöse „Ideechen“ verspottete Chasbulatow zwei Kompromißvorschläge Jelzins; Nürnb. Nachr. 31. 7. 1999 Daß ein derart dünnes Ideechen sich praktisch über sich selbst lustig machen muß, statt sich mit Tiefsinn und Girlie-Getue lächerlich zu machen; Berl. Ztg. 16. 9. 2003 Jedes Ideechen wird zur enthemmten Etüde überdreht. Wirkung entsteht beim Zuschauer vor allem durch Scham und Mitleid für die Akteure; taz 2. 11. 2006 Schon die Geschichte, ein vager Hamlet-Verschnitt . . gibt nichts her; wie dann aber jedes Ideechen als Regie-Einfall mit Ausrufungszeichen versehen wurde, tat bisweilen regelrecht weh. Idee 3: Gotthelf 1850 Volksleben d. Schweiz II 164 das letzte Mal haben die Fische noch geblutet bei den Köpfen, eine Jdee zu wenig waren sie, gebt also etwas Weniges zu, von wegen die Großen muß man Etwas länger über dem Feuer haben als die Kleinen; Schlözer 1872 Amerikan. Br. 123 Sie schreiben, dass mein alter Humor ganz zum Teufel geht. Nee, mein Lieber! Keine Idee nicht – aber auch gar keine Idee nicht!; Frobel 1874 MilitärWochenbl. 681 [obwohl der Feld-Artillerist] bei der Fuß-Artillerie ein vielseitigeres Material kennen lernen muß, wird er noch nicht um eine Idee mehr Techniker; 1911 Signale f. d. musikal. Welt 1532 den durch ihren nichtsinnlichen Klang so reizvollen Knabenstimmen über den um eine Idee weniger wohlklingenden Männerstimmen; Wolf 1974 Un-

ter d. Linden 131 Ich wählte Ihre Nummer, hörte einmal das Amtszeichen und dann sofort Ihre Stimme, vielleicht um eine Idee weniger unpersönlich als sonst; Rodendorfer 1979 Messingherz 119 Sie trug ein sorgfältig geschneidertes Kostüm mit einem Rock, der für ihr Alter eine Idee zu kurz war, eine Idee zu viel Schmuck und das Haar eine Idee zu blond gefärbt; Pauer-Studer 1996 Gerechtigkeit 101 Doch Williams hat auch dagegen etwas einzuwenden, daß nämlich der unparteiliche Standpunkt hier schlicht eine Idee zu viel einbringt; Romano 2004 Ihr uns auch! 95 Mann freilich drängelt knapper. Weil frau mit der Kombination hohe Geschwindigkeit und enger Raum nicht klarkommt. Frau bedrängt daher um eine Idee weniger drastisch – wir haben doch die Sache mit den Hirnhälften und deren verschiedener Vernetzung verinnerlicht. Ideechen 3: Leuchtenberger 1893 Idee 6 „eine Idee von Bart“ . . Ja man spricht in solchen Verbindungen von einer „kleinen Idee“ und selbst von einem „Ideechen“. Erklärbar sind solche Seltsamkeiten dennoch aus dem Platonischen Begriff. Denn was nur für den Gedanken ist, wie Platos Ideen, das ist, und wäre es auch im Gedanken das Grösste und Erhabenste, vom Standpunkt der sinnlichen Wirklichkeit aus nur eine Möglichkeit, ein erster Anfang des Werdens, ein Kleines, Geringes, für sehr viele ein – Nichts. . . Und so ist denn eine „Idee“ in dem zuletzt angegebenen und in ähnlichen Sätzen soviel wie „ein wenig“; 1922 Dtsch. Dialektgeographie 51 Maß-, Zeit-, Gewichts- oder Wertbestimmung . . in Beispielen wie: einen halben Meter (ein Ideechen) zu kurz, drei Meter lang, alle Nase lang, fünf Mann hoch. zehn Klafter tief, zwei Jahre älter; Bieler 1983 Bär 66 eine Schönheit. Ein Gesicht wie Milch und Blut. Der Mund braucht keinen Lippenstift, die Taille kein Korsett. Bitte sehr, die Zähne . . die sind ein Ideechen zu kurz; taz 28. 9. 1990 Vielleicht bin ich ein Ideechen zu gutgläubig für die Politik; Zeit 13. 7. 2000 Alltagswissen, das aus Anweisungen besteht wie „jetzt die Temperatur ein bisschen runter“ und „noch ein Ideechen weiter links“. „Ein bisschen“ und „ein Ideechen“ sind vage Angaben, die im Alltag niemanden stören. Aber Mathematikern und Technikern sind sie ein Gräuel, denn die wünschen sich präzise Angaben für ihre Maschinen; Rhein-Ztg. 13. 10. 2006 Vielleicht ist Jan ein Ideechen zu früh in die A-Nationalmannschaft gekommen.

ideell Adj., im frühen 18. Jh. (nach dem Muster von real/reell, general/generell, spezial/speziell) parallel zu → ideal gebildete Ableitung von → Idee, auch in den (wohl frz. beeinflussten) Schreibungen ideel, ide´ell.

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Zunächst v. a. im philosophischen, weltanschaulich-politischen, dann auch im alltagsspr. Bereich, gleichbed. mit → ideal 1a, ¤(nur) vorgestellt, in der Vorstellung, in Gedanken existierend, (nur) gedanklich/gedacht, begrifflich; nicht wirklich, nur scheinbar (vorhanden); auf der geistigen Ebene, im Geistigen (und nicht im Materiellen oder Praktischen) begründet, geistig; eine/die Idee, ein/das Ideal betreffend, darauf beruhend, davon bestimmtÅ (→ abstrakt, → irreal, → theoretisch, → transzendent; vgl. fiktiv, → Fiktion 2, imaginär, imaginativ, vgl. auch immateriell, unreell, unrealistisch; Ggs. → praktisch, → reell, materiell, realistisch, → Realist), z. B. ideelle Werte, Gesichtspunkte, Ziele, Kriterien, Bedürfnisse, Sinn und Begriff als ideelle Größen, die ideellen Zusammenhänge dahinter sehen, ideelle Grenzen/Schranken, der ideelle Schaden ist enorm, eine ideelle Verbindung herstellen, das Projekt ideell unterstützen, seine Sorgen sind rein ideelle, ausschließlich ideelle Ziele verfolgen, die Leistungen der Hausfrau und Mutter werden meist nicht einmal ideell honoriert, das Erbstück besaß einen hohen ideellen Wert für sie, der Genuss ist nicht bloß ideeller Natur, auch im Sinne von ¤musterhaft/-gültigÅ (s. Belege 1812, 1821.1; → ideal 1b), vereinzelt auch ¤um alles Besondere, Überflüssige reduziert, auf das Wesentliche konzentriertÅ (s. Belege 1806, 1906; → ideal 1c), z. B. Michelangelo schuf ideelle Plastiken, eine ideelle Gestalt/Figur, einen ideellen Querschnitt des Gebirges zeichnen; oft in synonymen oder antonymen Paarformeln wie ideell und reell/real, ideell und materiell/finanziell/monetär, ideell und praktisch, eher okkasionell in adj. Reihen wie ideell-geistig, -kulturell, -national, -politisch, -praktisch, -prinzipiell, -provinziell, -religiös, -symbolisch, -universell; akustisch-, beruflich-, fortschrittlich-, geistig-, historisch-, humanistisch-, ideologisch-, inhaltlich-, künstlerisch-, moralisch-, musikalisch-, optisch-, philosophisch-, politisch-, räumlich-, seelisch-, sprachlich-ideell, sowie selten in Zss. wie gesamt-, herrschaftsideell; vgl. die adv. Ableitung ideellerweise und die antonymen Präfigierungen anti- und unideell. Dazu die seit Mitte 19. Jh. selten nachgewiesene fachspr. (Philosophie, Erkenntnistheorie) subst. Ableitung Ideellität F. (-; Pl. ungebr.) ¤ideelles (nicht materielles/reales) Dasein, ideelle Existenz, Beschaffenheit, Ausrichtung; Neigung zur Abstraktheit, GeistigkeitÅ (vgl. daneben die vereinzelt und eher okkasionell bezeugten Ableitungen Ideellismus, Ideellist, ideellistisch). ideell: Metternich 1720 Wahre Kirche 49 f. daß alle bloß bildliche oder ide´elle Erkänntnüß/ so die Menschliche Vernunfft von GOtt und geistlichen Dingen haben mag/ wenn sie schon an sich selbst wahr ist/ vor GOtt als keine Erkänntnüß geachtet wird/ und auch in der That selbst keine wahre Erkänntnüß ist; ebd. o. S. (Reg.) Erkänntnüß göttlicher Dinge/ ist zweyerley eine Ide´elle, Bildliche/ und im blossen Wissen beruhende/ theoretische/ dergleichen die Teufel auch haben; Die andere heilsam/ lebendig empfindlich/ in der Erfahrung und Ubung bestehend; Leibniz 1740 Kleinere Philos. Schr. (Übers.) 211 Da der Raum, wenn er in sich betrachtet wird, nur eine ideelle Sache ist, wie die Zeit; so muß der Raum auser dem Weltgebäude ein bloser Hirngedanke seyn; ebd. 227 daß die Zeit nichts anders sey als eine ideelle Sache: und aus der Gleichförmigkeit, so die Zeit mit dem Raume

hat, wird man urtheilen, daß eines so wohl wie das andere ideell sey; Windheim 1750 Götting. philos. Bibl. III 155 von der Vollkommenheit, ihren Eintheilungen, der Nothwendigkeit der wesentlichen, den Regeln dieselbe zu beurtheilen, den Graden derselben, der Verschiedenheit der ideellen und reellen; Träger 1770 Metaphysik 103 Der Begriff des ideellen Zusammenhanges . . lehret, daß durch denselben das Mögliche keine neue Bestimmung der That nach erhält, keine Bestimmung, die es nicht vorher schon gehabt hätte. Wenn nun A und B einerley sind, oder wenn A dem B ähnlich . . ist, so ist zwar ein Zusammenhang da, aber ein ideeller; denn hier bekommt das A der That nach keine Bestimmung, die es nicht vorher schon gehabt hätte; Goethe 1772 Schr. z. Kunst (WA I 34.1,182) auch dieses liegt in der Natur eines außerordentlichen Geistes, der, wenn er eine materielle Schale

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durchbricht, nie bedenkt, daß über derselben noch eine ideelle geistige Grenze gezogen sei, gegen die er umsonst ankämpft; Schiller 1803 Braut v. Messina (S. W. II 817) Wie aber nun die Kunst zugleich ganz ideell und doch im tiefsten Sinne reell sein – wie sie das Wirkliche ganz verlassen und doch aufs genaueste mit der Natur übereinstimmen soll und kann (DiBi 1); Goethe 1806 Tag- u. Jahresh. (WA I 35,267) daß Herr Legationsrat von Struve . . selbst einen ideellen Durchschnitt des Lessauer und Hohdorfer Gebirges zeichnete, wodurch der Zusammenhang der Erdbrände mit dem unter- und nebenliegenden Gebirg deutlich dargestellt . . werden konnte; Harl 1812 Kriegs-Polizei-Wiss. 3 einen ideellen oder Vernunft-Staat, d. h. das Ideal eines Staates; E. T. A. Hoffmann 1815⫺16 Elixiere (S. W. II 119) indessen schnitt er jede weitere Diskussion über diesen Gegenstand durch die Äußerung ab, daß ich zwar in ideeller Hinsicht recht haben könne, indessen mir die Kenntnis des Praktischen, und der wahren Art der Ausführung fürs Leben, abzugehen scheine; Goethe 1821 Wanderjahre (WA I 25.1,92) Der Meister hatte einen schönen Sturz eines antiken Jünglings in eine bildsame Masse abgegossen und suchte nun mit Einsicht die ideelle Gestalt von der Epiderm zu entblößen und das schöne Lebendige in ein reales Muskelpräparat zu verwandeln; Steffens 1821 Schr. I 14 Durch beide Richtungen wird dasselbe Product ideel construirt; in dem Producte sind beide vereinigt und von da an kann die Construction nur eine Richtung nehmen; Hegel 1837 Ästhetik X 4 das abstrakt einfache Innere und Ideelle stellte sich für die indische Weltanschauung auf die eine, die vielfache Wirklichkeit der Natur und des endlichen menschlichen Daseyns auf die andere Seite; 1862 Staats-Wb. VII 349 es kam gewiß keiner dieser Personen auch nur der Gedanke, daß dieses gemeinsame Land [Privatgrundeigentum] eigentlich ein ideell getheiltes sei, von dem jeder einzelnen Person ein Theil, wenngleich derselbe auch augenblicklich nicht von dem Ganzen getrennt sei, ausschließlich zustehe; Ranke 1877 Erhebung Preußens 203 Nach dem großen Kampfe richtete er [Hardenberg] sein ganzes Bestreben dahin, die Einheit des gleichsam ungeschaffenen Staates fest zu begründen. Er wußte die auswärtigen und inneren, die materiellen und ideellen Interessen zugleich zu umfassen; Th. Mann 1901 Buddenbrooks (W. I 700) Jedenfalls setzte es seine Gemahlin in den Stand, unbeschadet der praktischen und ideellen Vorteile, die sie der Heirat verdankte, ihr früheres unabhängiges Leben ohne Rücksicht und Behinderung fortzuführen; Windelband 1902 Präludien II 307 Die sinnliche Form der in der Körperwelt auftretenden Gestaltungen und Bewegungen ist mit dem ideellen Inhalt des religiösen Bewußtseins in

der Kulthandlung zu untrennbarer Einheit verschmolzen; Lueger 1906 Lex. d. ges. Technik III 560 f. In einem ideellen Fachwerkträger, der nur in den Knotenpunkten belastet ist, treten in sämtlichen Stäben bloß Axialkräfte . . auf. Durch die praktische Ausführung (feste Vernietung) wird aber der Bedingung des ideellen Fachwerks (reibungslose Gelenkverbindung) nicht entsprochen; Polenz 1909 Land d. Zukunft (Ges. W. X 170) Der Bruderkrieg zwischen Nord und Süd . . schuf mehr ideelle Güter, als er materielle zerstörte, und verlegte, nachdem die Entscheidung gefallen war, das Schwergewicht nach dem zäheren männlichen Norden; 1916/17 Polit.-anthropolog. Monatsschr. XV 633 der Gegensatz zwischen den bloß materiellen Kriegszielen der Händlerstaaten und den ideellen der religiös, völkisch oder staatlich gestalteten Heldengemeinwesen; Wundt 1917 Völkerpsychologie VIII 305 In Wirklichkeit hat der Begriff der Volkssouveränität nur eine ideelle Bedeutung, indem er diejenige Form der Staatssouveränität bezeichnet, bei welcher der Staatswille übereinstimmend mit dem Volkswillen gedacht werden kann. Der eigentliche Träger der Souveränität ist und bleibt auch hier der Staat; Diehl 1920 Sozialismus 414 Hatte Lassalle gemeint, daß die Arbeiterbewegung sich nach bestimmten „Ideen“ vollziehen müsse, die der Ausdruck des „geistigen Inhalts des Volksgeistes“ bestimmter Epochen seien, so meinte Marx umgekehrt, daß „das Ideelle“ nur ein Reflex ökonomischer Umstände sei; Stekel 1924 Grund d. Seele 40 Nächst dem Künstlerstand gibt es noch viele Berufe, die gewissermaßen nur dem Größenwahn leben. In manchen Berufen wird er als ideeller Ersatz für die mangelnden materiellen Vorteile geboten; Tillich 1926 Rel. Lage 65 Möbel, Kleider usf. . . werden Gebrauchsware . . Sie erhalten nicht nur den ideellen Sinn, sondern auch die reale Gestalt des Ware-Seins; Höpker 1936 Rumänien 56 doch ist geistig, seelisch, ideell dieses Land [Siebenbürgen] viel mehr als nur ein letzter Ausläufer des mitteleuropäischen Kulturkreises; Münch. N. N. 15. 6. 1944 die letzten formalen Bindungen an Dänemark abzustreifen, um – ohne sich geistig und ideell vom Norden zu lösen – völlig selbständig zu werden; Schöck 1952 Soziologie 238 Man muß diese konkreten Phänomene in andre ideelle, in einfachere zerlegen und sich bemühen, auf diese Weise etwas Konstanteres zu erhalten als das reale, sehr verwickelte und veränderliche Phänomen; Brandt 1958 Werkzeug d. Historikers 44 Denn in unserer (bisher) vater- und mannesrechtlichen Kultur wird das Manneserbe . . sowohl durch das Recht (materiell) wie durch Erziehung (seelischideell) . . entscheidend betont; Feyl 1981 Aufbruch 115 den Frauen den Weg zu materieller und ideeller Unabhängigkeit zu zeigen; taz 15. 12. 1993 Wegen

identifizieren Zuschußstreichungen wird zum Beispiel derzeit über eine Fusion der Opernhäuser von Wuppertal und Hagen nachgedacht. Ob man sich diese eher finanziell-ideell im Sinne reduzierter Spielpläne vorzustellen hat oder als materiell-reales Verschwinden einer der beiden Spielstätten, ist, kurz gesagt, noch nicht raus; Rhein-Ztg. 23. 10. 2007 Er dankte allen Freunden und Gönnern, die die Gruppe ideell und materiell unterstützen. Ideellität: Rosenkranz 1850 System d. Wiss. 9 Wegen solcher Abstraction und Allgemeinheit ist er [der Begriff der Qualität] mit den logischen und dialektischen Bestimmungen im Element der gleichen Idealität und Ideellität . . Wegen der nur ideellen Existenz, welche die metaphysischen Kategorien haben . ., muß man sie nicht als an sich seiende Wesenheiten, als kosmogonische Mächte vorstellen; Oehlmann 1868 Erkenntnißlehre 3 f. Es giebt die abstracten, zu Beobachtungen nicht geneigten Denker, die ideellistischen oder zur Ideologie geneigten Charactere (wohl zu unterscheiden von den idealistischen, welche letzteren eine Neigung für das Vorzügliche, Auserlesene, Exquisite besitzen und das Gewöhnliche, Alltägliche, Gemeine von sich fern zu halten lieben, wie Goethe bekanntlich Schiller treffend characterisirte, während er selbst seinen Faust mit einem Uebermaß von beidem, sowohl an Ideellität wie Idealität, ausgestattet und ihn dadurch zum tragischen Character gemacht hat); Eucken 1888 Einheit d. Geisteslebens 461 Die Naturkräfte erhalten durch das ihnen

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dienstbar gemachte Geistesvermögen . . eine gesteigerte Wirkung, aber damit keineswegs eine wesentliche Umsetzung in Geistigkeit; ein begriffliches und logisches Element geht gestaltend durch alle Wirklichkeit und giebt ihr die Form der Ideellität; aber Ideellität ist noch nicht Realvernunft; Drews 1897 Das Ich 277 Realität ist die unbewußte Einheit des Willens und der Idee. Ideellität ist die aus dieser Einheit herausgesetzte und in die Form des Bewußtseins gekleidete Idee; Scheffler 1899 Wesen d. Geistes 75 Zur Herbeiführung einer möglichst genauen Übereinstimmung der Realität mit der Ideellität; Simmel 1907 Philos. d. Geldes 567 Denn so wird die Metaphysik sich doch wohl die an sich unerkennbare Struktur der Dinge subjektiv deutend auseinanderlegen müssen: daß die Inhalte der Welt, einen bloß geistigen Zusammenhang bildend, in bloßer Ideellität bestehen und nun – natürlich nicht in zeitlichem Prozeß – über sie das Sein kommt (DiBi 2); 1930 Jahrb. f. Philosophie XI 92 eben das . . was wir im Phänomen der Individualität erfaßt zu haben glauben, ohne daß an dessen Stelle etwas anderes tritt, wie das bei der Realität der Fall ist, an deren Stelle bei der Idee jene eigentümliche Seinsart der Ideellität steht . . mit der Bezeichnung Ideellität (oder Irrealität); Krötke 1999 Selbstbewusstsein 241 So aber werden Denken und Wollen von ihrem Gehalt gelöst und die Reellität tritt in Ideellität und Realität auseinander . . die Erörterung von denjenigen Kombinationen von Wirklichkeit in der Sphäre reiner Ideellität, die aber als Kombinationen denkbar sind nur im Bereich der Realität.

identifizieren V. (in)trans., im früheren 18. Jh. aufgekommen, wohl über gleichbed. frz. identifier zurückgehend auf gelehrtenlat. identificare (aus lat. idem ¤der-/ dasselbeÅ, → Identität, und -ficare, der Kompositionsform von facere ¤machen, tunÅ, → Faktum, → Fazit; vgl. klassifizieren, exemplifizieren, falsifizieren), früher in der Schreibung identificiren. a Zunächst im philosophischen, logisch-mathematischen Zusammenhang auf abstrakte Größen und theoretische, wissenschaftliche Konstrukte oder Begriffe bezogen im Sinn einer zwei- oder mehrstelligen Relation in der Bed. ¤etwas/jmdn. mit etwas/ jmdm. gleichsetzen, -stellen, für gleich/dasselbe erachten, erklären, ineinander überführen; zur Deckung bringen, vermischen, vermengenÅ, z. B. Zeit und Raum werden identifiziert, die Ähnlichkeit zweier Objekte identifiziert die Objekte nicht, hier wird ein Begriff mit einem anderen unmittelbar identifiziert, auch in Bezug auf mythologische Gestalten, historische Persönlichkeiten, Sachverhalte oder Fakten (s. Belege 1864, 1894), z. B. die mit dem römischen Mars identifizierten Lokalgottheiten Britanniens, die französischen Sozialisten wollen nach Marx Bürger und Eigentümer identifizieren, und allgemeiner verwendet (s. Belege 1955, 1967), z. B. schlechte Schulnoten werden oft mit Dummheit identifiziert, auch reflex. verwendet in der Wendung sich (mit etwas/jmdm.) identifizieren ¤gleich, identisch werden, sich verei-

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nigen, verschmelzen, eins, dasselbe werdenÅ (s. Belege 1775, 1808, 1946), v. a. mit soziologisch-politischem Bezug auf menschliche Verhaltensweisen und Einstellungen ¤(aus innerer Überzeugung) mit etwas/jmdm. übereinstimmen; eine fremde Angelegenheit, das Anliegen eines anderen zu seiner (eigenen) Angelegenheit, zu seinem Anliegen machen; Werte, Anschauungen, Ideen und Ideale einer gesellschaftlichen Gruppe (Klasse, Partei, Organisation) über-, aufnehmen, sich zu eigen machen, verinnerlichenÅ (s. Belege 1789, 1930, 2007; → sympathisieren), z. B. sich mit seinem sozialen Umfeld, seiner nationalen Herkunft identifizieren, er identifiziert sich mit seiner Aufgabe, seiner Arbeit, im engeren zwischenmenschlich-psychologischen Bereich ¤am Gefühlsleben eines Anderen emotional Anteil nehmen, es partiell als das eigene erkennen, sich in einen anderen Menschen einfühlen, mit dem Anderen mitempfinden; sich (unbewusst, unwillkürlich) emotional gleichsetzen mit (den Charakterzügen oder Motiven) einer anderen (bewunderten, geliebten, gefürchteten) (Bezugs-)Person (Idol, Vorbild o. Ä.)Å (s. Belege 1822, 1844, 1918, 1983; → orientieren), in Wendungen wie das Kind identifiziert sich mit dem Vater, der Leser kann sich mit den Romangestalten identifizieren, der Schauspieler identifiziert sich mit seiner Rolle. b Seit Mitte 19. Jh. als V. trans. im Sinne einer einstelligen Relation in der Bed. ¤die Identität, Echtheit, Existenz, das individuelle Gepräge (Form, Aussehen, Charakter o. Ä.) von etwas feststellen, bestimmen, ermitteln, ausfindig machen, herausfinden/ -bekommen, entdecken, entschlüsseln, enträtseln, entziffern; etwas/jmdn. eindeutig (wieder-)erkennen, ausmachenÅ (→ demaskieren, → eruieren, → registrieren; vgl. dechiffrieren, → Chiffre, decodieren, → Code, diagnostizieren, → Diagnose, entziffern, → Ziffer, klassifizieren), z. B. in der Lösung lassen sich einige Fremdstoffe identifizieren, aus dem Wirrwar der Instrumentenklänge ließen sich einige Takte aus der Ouvertüre identifizieren, die Buchstaben sind kaum noch zu identifizieren, oft mit Präpositionalobjekt in der Wendung etwas/jmdn. identifizieren als etwas/jmdn., z. B. die Geräusche aus der Telefonleitung wurden als Frauenstimme identifiziert, speziell im kriminalistischen, juristischen Zusammenhang ¤(durch Verfahren zur Personenfeststellung mittels Lichtbild, Fingerabdrücken, DNA-Analyse, Biometrie o. Ä.) die Identität, die wahre Existenz von jmdm. nachweisen, jmdn. erkennungsdienstlich behandeln, jmds. Personalien (eindeutig, zweifelsfrei) feststellen; jmdn. (als …) ausweisenÅ (s. Belege 1934, 1954, 2007; vgl. authentifizieren, → authentisch, → verifizieren), z. B. eine Leiche identifizieren, der Täter wurde anhand seiner Fingerabdrücke identifiziert und überführt, oft in der attr. verwendeten Part. Perf.Form identifiziert (Ggs. nicht-, unidentifiziert), auch subst., z. B. der Identifizierte hat den Diebstahl eingeräumt. Dazu seit spätem 18. Jh. das Verbalsubst. Identifizierung F. (-; -en) (zu a und b); seit früherem 19. Jh. die adj. Ableitung identifizierbar, zunächst in der Bed. ¤gleichsetzbar, mit etwas anderem zur Deckung, Übereinstimmung zu bringenÅ, z. B. viele der römischen Götter sind mit griechischen Gottheiten identifizierbar, die beiden Begriffe scheinen weitgehend identifizierbar zu sein (zu a), seit spätem 19. Jh. für ¤bestimmbar, erkennbar, (als etwas oder jmd. Bestimmtes) nach-, ausweisbar, dingfest zu machenÅ (vgl. klassifizierbar; Ggs. anonym), z. B. die Suche nach identifizierbaren Sündenböcken, jmdn. als Absender identifizierbar machen, wir hörten einen nicht identifizierbaren Knall, die meisten der geborgenen Leichen waren nicht mehr identifizierbar, ein als Pfeifen identifizierbarer Ton (zu b), mit dazugehörigem Identifi-

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zierbarkeit F. (-; -en) ¤(Wieder-)Erkennung(-swert), VereinbarkeitÅ (zu a und b); seit Anfang 20. Jh. die Substantivierung Identifizierer M. (-s; -), weitgehend gleichbed. mit älterem Identifikator (s. u.), als Personenbezeichnung für ¤jmd., der etwas mit etwas anderem gleichsetztÅ, in neuerer Zeit insbes. bezogen auf politische Orientierung für ¤jmd., der die Werte oder Motive, Weltanschauung, Ideen und Ideale einer Person(-engruppe), einer Partei o. Ä. über-, aufnimmt, sie sich zu eigen macht, verinnerlichtÅ, z. B. FDP-, Parteiidentifizierer, in jüngster Zeit als Terminus der Linguistik bezogen auf sprachliche Aussagen (s. Beleg 2003; Ggs. Modifizierer) (zu a) und ¤jmd./etwas, der/das die Identität, Echtheit, Existenz, Form o. Ä. von etwas/jmdm. feststellt, bestimmt, ermittelt, herausfindet, entschlüsselt, eindeutig (wieder-)erkenntÅ, seit späterem 20. Jh. speziell in der Elektrotechnik (s. Beleg 1964) und in jüngster Zeit in der Computer- und Informationstechnologie (s. Belege 1997, 2012), z. B. Datensatz-, Klassen-, Objekt-, Problemidentifizierer (zu b). Daneben bereits im 17. Jh. vereinzelt, seit früherem 18. Jh. kontinuierlich belegtes, wohl über gleichbed. frz. identification auf gelehrtenlat. identificatio (zu identificare, s. o) zurückgehendes Identifikation F. (-; en), in der Bed. ¤Gleichsetzung/ -stellung (von abstrakten, philosophischen, mythologischen, religiösen Größen, Begriffen, Fakten o. Ä.)Å, selten ¤ÜbereinstimmungÅ (s. Beleg 1766; vgl. Identität), auch ¤Verschmelzung, Vereinigung/Vereinbarung, Verquickung, Vermengung/-mischung; Ineinanderaufgehen/-übergehen/-fließenÅ (s. Belege 1790, 1940; vgl. Integration, Kombination) und veraltet ¤(politische, rechtliche) Gleichstellung, GleichberechtigungÅ (s. Belege 1804, 1815; → Emanzipation), z. B. die Identifikation des Begriffs mit seinem Gegenstand, die Identifikation des Geistigen und Natürlichen, die Identifikation von Kirche und Staat, die metaphorische Identifikation des Brotes und Weines mit dem Leib und Blut Christi, er setzt sich für die politische Identifikation der Juden ein, v. a. auch im (sozial-)psychologischen Bereich und allgemeiner für ¤das Sichgleichsetzen mit einer anderen Person oder Gruppe, Übernahme von Eigenschaften, Denk- und Verhaltensweisen, Charakterzügen und Werten anderer Personen für die eigene Person durch Verinnerlichung, Nachahmung, AnpassungÅ (s. Belege 1956, 1985, 2000, 2006; vgl. Imitation, → imitieren, Integration) und ¤(emotionale) Einfühlung, das Sichhineinversetzen in einen anderen MenschenÅ (s. Belege 1960, 1971), auch von Einstellungen gegenüber Gegenständen und Sachverhalten für ¤das Sichzuständigfühlen, Zu(-sammen-)gehörigkeitsgefühlÅ (s. Beleg 1999), in Wendungen wie das erste Objekt seiner jugendlichen Identifikation war sein Deutschlehrer, ihre Identifikation mit den Opfern des Holocaust ging so weit, dass sie zum jüdischen Glauben konvertierte, die Identifikation der Bürger mit ihrem Stadtteil, als Bestimmungswort in Zss. wie Identifikationsbedürfnis, -fläche, -gefühl, -hilfe, -kino, -modell, -möglichkeit, -muster, -objekt, -potenzial, -verlust, -wert und bes. Identifikationsfigur/-person/-träger ¤jmd., mit dessen Auftreten, Einstellung, Wirkung auf andere o. Ä. man sich gleichsetzt, der Vorbildfunktion hatÅ, sowie als Grundwort in Über-, Rollen-, Parteiidentifikation (zu a), daneben seit spätem 18. Jh. in geschichts-, kunst- und literaturwissenschaftlichen, erkennungsdienstlich-juristischen und in neuerer Zeit in naturwissenschaftlich-technischen Zusammenhängen in der Bed. ¤(Wieder-)Erkennung, (historische) Ein-, Zuordnung; Ermittlung, Nachweis (der Identität, Echtheit)Å (vgl. Detektion, Klassifikation), z. B. Identifikation einer antiken Statue, seltenen Pflanze, Münze, Insektenlarve, die Identifikation einer Person durch Skelettreste, Identifikation und forensische Osteologie; Identifikationscode,

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-daten, -karte, -kommission, -merkmal, -nummer, -pflicht, -quote, -punkt, -zentrum; Benutzer-, Personen-, Opferidentifikation (zu b); daneben seit späterem 19. Jh. die latinisierende Bildung Identifikator M. (-s; -en), weitgehend gleichbed. mit jüngerem Identifizierer (s. o.), zunächst vereinzelt ¤jmd., der etwas mit etwas anderem gleichsetztÅ (zu a), seit Mitte 20. Jh. in der Semiotik und allgemein für ¤zugewiesenes Merkmal, verabredetes Zeichen zur eindeutigen Identifizierung eines Objektes (in Raum und Zeit)Å (z. B. Hausnummer), speziell in der Datenverarbeitung ¤für einen Datensatz vereinbartes, festgelegtes Kennzeichen (Nummern- oder Buchstabencode) in einer DatenbankÅ (abgek. Datenbank-ID; vgl. Stammnummer), z. B. eindeutiger Identifikator eines Objekts; Ich-, Personal-/Personen-, Sprach-, Straßenidentifikator (zu b), mit der seit Ende 19. Jh. nachgewiesenen adj. Ableitung identifikatorisch ¤die Gleichsetzung von etwas betreffend, darauf abzielend; auf Einfühlung, dem Sichhineinversetzen in andere beruhend; innerlich übereinstimmendÅ, z. B. das identifikatorische Lesen, identifikatorisches Mitleid, identifikatorische Begeisterung der Schüler für ihren Lehrer, identifikatorische Einfühlung in eine Rolle, identifikatorische Eingebundenheit des Menschen in zeitlich und räumlich umgrenzte Kontexte; massenidentifikatorisch (zu a), vereinzelt auch ¤die Identität, Echtheit, Existenz, das individuelle Gepräge erkennend, feststellend, unterscheidendÅ (zu b). identifizieren a: Bayle 1744 Histor. u. Krit. Wb. (Übers.) IV 269 Das Denken und die Ausdehnung sind zwo mit der Substanz identificirte Eigenschaften; sie sind also unter sich identificirt, vermöge der wesentlichen Grundregeln des menschlichen Verstandes; 1755 Philos. Bibl. VIII 183 Die Aehnlichkeit setzet einen Unterscheid, nicht eine Identität von Seiten der Obiecte voraus. Die vollkommene Aehnlichkeit zweier Obiecte identificirt die Obiecte nicht, als nur in dem Falle, wo der innerliche Character einer Sache den innerlichen Unterscheid in seinem Begriffe einschliesset, das geschiehet aber nicht allemahl; 1766 Log. Calcul Ploucquets 194 Es ist aber bey diesen allgemein-ausgedrükten Säzen kein anderer möglich, als daß man nachforsche, ob ein Prädikat von A mit einem Prädikat von B identificirt werde? Wann ein solcher Fall statt findet; so ist nothwendig, daß alle A, B, und umgekehrt, daß alle B, A seyen; Lossius 1775 Phys. Ursachen d. Wahren 158 Bonnet nimmt das Wort Persönlichkeit in einem doppelten Verstande. Er sagt, die Seele identificirt sich mit jedem Eindruck eines jeden Gegenstandes, und diese Identification ist der Grund der Persönlichkeit; Abicht 1789 Metaphysik d. Vergnügens 88 f. Sympathisiren heißt nichts anders als: sich mit etwas an einem Gegenstande identificiren, etwas an uns mit einer Eigenschaft des Gegenstandes als eins sich bewußt werden; Buhle 1799 Gesch. d. Philosophie IV 135 Das Pythagorische Zahlensystem nahm er in dem Sinne, welchen es im spätern Zeitalter erhielt, und wo es mit der Platonischen Ideenlehre identificirt wurde; Goethe 1808 Farbenlehre (WA II 1,108) Dagegen wird der blaue Scheinrand sich mit der

blauen Fläche identificiren, ihr nicht allein nichts nehmen, sondern vielmehr noch geben; und dieselbe wird also dadurch und durch den violetten benachbarten Saum, dem Anscheine nach, vergrößert und scheinbar herunter gerückt werden; ders. 1822 Schr. z. Lit. (HA XII 309) [die Lieder] zeugen von der Wechselwirkung zweier Freunde, die seit mehreren Jahren einander kein Rätsel sind; daher es denn dem Komponisten natürlich ward, sich mit dem Dichter zu identifizieren, so daß dieser sein Inneres aufgefrischt und belebt, seine Intentionen ganz aufs neue wieder hervorgebracht fühlen mag; Jean Paul vor 1825 Vorläufige Gedanken (1836 Literar. Nachlaß I 269) Diese Erklärung der Kirchenväter und so vieler christlichen Sekten etc. gegen sinnliche Freuden . . hat noch eine philosophische Quelle: die nehmlich, daß der Verstand alles identifizieren und gleichmachen will; Scherr 1844 Würtemberg 218 Die Prima Donna der stuttgarter Oper, Fräulein Walter, . . gehört zu der äußerst kleinen Anzahl deutscher Sängerinnen, welche nicht nur Töne, sondern auch Worte singen, sich mit ihrer Rolle identifizieren und die Werke des Componisten gleichsam wiedergebären; 1858 Preuß. Jahrb. I 694 Sie [„Kreuzzeitung“] entbricht sich nicht, diesen Ausdruck [„revolutionäre Tendenzen“], in diesem Zusammenhange gebraucht, mit der frivolen Billigung zu identificiren, welche die Excesse des Revolutionsjahrs, als das „Schaumspritzen der jungen Freiheit“, aus dem Munde eines beliebigen Tribünenhelden erfuhren; Mommsen 1864 Röm. Forschungen I 143 Wenn zu Verrius Flaccus Zeit Curien und Tribus in der Weise identificirt waren, dass jede Tribus auch als Curie galt

identifizieren und einen Curiennamen führte, wie konnte dann sein Zeitgenosse Ovidius berichten, dass die einfältigen Leute häufig nicht wüssten, zu welcher Curie sie gehörten . .?; Beer/Hochegger 1867 Fortschritte d. Unterrichtswesens I 89 die Schullehrer sollen an die Regierung gekettet werden, die Interessen der Schule sich mit dem Interesse der jeweiligen Machthaber identificieren; Friedrich 1894 Kabiren 72 An der Seite Rammaˆns [babylonische Gottheit] wurde in Babylonien die Sˇala verehrt, welche in dem Grade mit der babylonischen Erdmutter identifiziert wurde, dass sie dem Marduk als Gattin an die Seite gestellt werden konnte . . Mit Anunit . . wurde eine Göttin Sˇausˇbi von Mitanni identifiziert, welche sich auch mit Sˇala decken muss; Haeckel 1904 Lebenswunder 97 Es ist daher zweckmäßig, hier auf den vieldeutigen Begriff des Naturalismus kurz einzugehen und festzustellen, in welchem Sinne wir denselben annehmen und mit unserem Monismus identificiren können; Lütcke 1911 Meistersänger 101 Dieser nicht astronomische sondern mystische Himmel wird oft genug vollständig mit Gott identifiziert; Freud 1918 Infantile Neurose (Studienausg. VIII 184) Wir wissen schon, daß sie [Zwangsneurose] . . zeitweise Verstärkungen erfuhr, das eine Mal . ., als ein Knabe in derselben Straße starb, mit dem er sich identifizieren konnte; Musil 1930 Mann 1270 Ich identifiziere mich also mit nichts; aber ich finde an allem etwas Wahres (DUDEN 1999); Klemperer 1947 LTI 165 Wir: das ist Goebbels, das ist die nazistische Regierung, das ist die Gesamtheit Hitlerdeutschlands, die in schwerer Not, bei schrecklichem Kräfteverlust ermutigt werden soll; und sich selber und all seine Getreuen vergleicht der sprachgewaltige Prediger nicht etwa, nein, identifiziert er mit Maschinen; Adorno 1955 Prismen 37 Besitz und Leistung. Max Weber hatte dargetan, daß der Geist des Frühkapitalismus beide identifiziert: daß die Leistungsfähigkeit im rational konstituierten Arbeitsprozeß meßbar wird an ihrem materiellen Erfolg; Fetscher 1967 Marx 219 Seinem Klassencharakter nach ist der Faschismus die Herrschaft des reaktionärsten Teils des Finanzkapitals, dessen Dominanz von den Kommunisten stets mit dem „höchsten“, „imperialistischen“ Stadium der Entwicklung des Kapitalismus identifiziert wird; Lenz 1983 Roman (W. XX 344) Nicht ohne Verblüffung stellt man beim Lesen fest, daß Interesse und Anteilnahme von einem gewissen Augenblick an nachlassen . . Wir . . halten Ausschau nach dem bestimmten Einzelnen, nach der hervorgehobenen Person, in der sich alles sammelt und bricht und die uns das Angebot macht, uns mit ihrem Schicksal zu identifizieren; Frankf. Rundsch. 11. 3. 1997 Menschen wollen sich mit Menschen identifizieren können. Warum werben die Grünen auf Plakaten nicht mit Köpfen?; VDI

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Nachrichten 23. 11. 2007 Absolventen wollen sich in hohem Maße mit den Produkten ihres favorisierten Arbeitgebers identifizieren. Identifikation a: Barbanson 1624 Weg d. Liebe Gottes (Übers.) 404 Jedoch kan man nach der außlegung/ so wir droben beygebracht/ sehen daß wir sie nit anderst/ als nur in einer erkantnuß vnnd würckung setzen; Vnnd nit in einem Essentz vnnd wesentlichen identification in einem zufelligen/ sprich ich/ vnd nit wesentlichen Esse/ also daß die Creatur jmmerdar in jhrem Esse einer Puren Creatur verbleibe; Bayle 1744 Histor. u. Krit. Wb. (Übers.) IV 334 Ich will deswegen eine Stelle anführen, die uns lehren wird, daß einige Mystiker die Verwandlung aller Dinge in Gott, und eine Identification gelehret haben, welche den Schöpfer und die Geschöpfe in eine Gattung von Nichts bringen würde, dieß heißt, zu einer ewigen Unthätigkeit; 1766 Log. Calcul Ploucquets 194 so ist nothwendig alles A, B, und alles B, A. Eben dieses geschieht, wann zwischen andern Begriffen eine Identification gefunden . . wird; Lambert 1771 Anlage z. Architectonic II 228 was wir bey dem Blitze beobachten, . . können wir dabey nur als Prädicat, nicht aber als Subject gebrauchen, weil wir sicher schließen können, der Blitz habe noch mehrere Bestimmungen, und lasse sich folglich mit den bisher bekannten noch nicht identificiren. Denn diese Identification muß bewiesen werden; Abicht 1789 Metaphysik d. Vergnügens 89 Es ist offenbar: daß durch diese Identification alle sonst mir fremden Gegenstände zu den meinigen werden . . Identification ist also das beste und sicherste Beförderungsmittel der Selbstanschauung; 1790 Angriffe gegen d. Christenthum (Übers.) II 112 wenn Gott allenthalben gegenwärtig ist, so muß er auch in allen Menschen seyn; und so eine persönliche Identification . . könnte zwischen ihm und jeden Menschen bestehen; Villaume 1804 Vereinbark. d. Juden m. and. Nationen I 146 Nachdem er diese Einwürfe beantwortet, erklärt er uns, wie sehr der Jude durch Kriegesdienst gebildet werden würde; und wir pflichten ihm darin bei. Auf diese Art kann nach und nach die Identification geschehn und selbst Ehen zwischen Christen und Jüdinnen – weiß nicht, ob auch zwischen Juden und Christinnen – statt haben; Goethe 1808 Zur Farbenlehre (HA XIII 389) der untere blaue Rand aber ist an dem weißen in seiner ganzen Schöne sichtbar; dagegen verliert er sich in dem blauen Viereck durch Identifikation. Der violette Saum hinabwärts ist viel deutlicher an dem weißen als an dem blauen; 1815 Allg. Anzeiger d. Deutschen 2939 Die Erfahrung hat es vielfach bewiesen, daß die Juden einer politischen Identification nicht unwürdig sind. In Frankreich und Holland haben die jetzigen Regie-

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rungen, weil sie in ihren jüdischen Unterthanen gute Staatsbürger fanden, die völlige Gleichsetzung derselben mit den Christen bestätigt; Usteri 1834 Entw. d. Paulinischen Lehrbegriffs 330 die Vorstellung von Jesu als dem Menschensohne . . hatte sich mit Recht in dem christlichen Glauben selbst allzu sehr festgesetzt, als dass eine consequente Identification der Person Jesu mit dem . . Logos hätte Eingang finden können; Mommsen 1864 Röm. Forschungen I 195 Hierin liegt nur die rechtlich gleiche Wirksamkeit des Beschlusses des populus und desjenigen der plebs, . . keineswegs die terminologische Identification . . Wohl aber hat eine solche Identification stattgefunden hinsichtlich der Bezeichnungen lex und scitum; Lütcke 1911 Meistersänger 97 Die Umlaufszeit von 36 000 Jahren aber, die er ihm [Himmel] zumißt . ., würde auch ohne ausdrückliche Identifikation mit der 8. Sphäre . . beweisen, daß ihm der Himmel schlechthin durch das firmament repräsentiert wird; Weber 1922 Wirtsch. u. Ges. (Ausg. 1972) 318 Die Auffassung des Bösen . . kann hier einen stark spirituellen Charakter annehmen, weil der Mensch ja nicht als Kreatur einer absoluten Allmacht gegenübersteht, sondern Anteil am Lichtreich hat, und weil die Identifikation des Lichtes mit dem im Menschen Klarsten: dem Geistigen . . fast unvermeidlich ist; Th. Mann 1940 Reden u. Aufs. (W. XIII 165) Leben heißt: in Spuren gehen, Nachleben, Identifikation mit einem sichtbarlichen oder überlieferten, mythischen Vorbild! Die Vaterbindung, Vaternachahmung, das Vaterspiel und seine Übertragungen auf Vaterersatzbilder höherer, göttlicher Art; Hofstätter 1956 Sozialpsych. 21 Anm. Eine wesentliche Verfeinerung dieses Ansatzes gibt S. Freud’s Identifikationsprinzip bzw. G. H. Mead’s Betonung der Übernahme fremder Rollen durch das Individuum; Hiltmann 1960 Psychodiagnost. Tests 32 So zum Beispiel hat ein Mensch mit einer persistierenden Bindung an einen Elternteil ganz bestimmte Einstellungen zu Beziehungspersonen. Teils wird er sich so einstellen und entscheiden, wie wenn er aus der Verpflichtung der Identifikation handelte, teils wird er den Impuls zu selbständiger Lebensentscheidung spüren; Lemberg/Bauer u. a. 1971 Schule u. Gesellschaft 33 Auf der anderen Seite erweist sich die (gelungene) Sozialisation nach wie vor als das effektivste Mittel sozialer Kontrolle, wobei Imitation, Identifikation und Schaffung emotionaler Bindungen die Mechanismen sind, über die sich das soziale Lernen der von der Erwachsenengesellschaft geforderten Verhaltensdispositionen vollzieht; Zeit 3. 5. 1985 Die Identifikation mit den innen- und außenpolitischen Grundmustern der Bundesrepublik, die Identifikation mit den Vätern also, ist und war ohne eine radikale moralische und politische Kritik unmög-

lich; Frankf. Rundsch. 22. 2. 1999 Das Dezernat hält es außerdem für notwendig, mit begleitenden Maßnahmen die Identifikation der Bürger/innen mit den Grünanlagen zu stärken und „einen Diskurs über den Wert von Grünanlagen für die städtische Lebensqualität in Gang zu bringen“; St. Galler Tagbl. 14. 8. 2000 Das Mitwirken in der Pfadi [Pfadfindergruppe] ist keine spontane Beschäftigung für einen regnerischen Nachmittag und darf nicht alleine abhängig von der Lust und Laune des Kindes sein. Es gehört eine gewisse Identifikation dazu; Mannh. Morgen 22. 11. 2006 Für polnische Überlebende, das sagen sie immer wieder, gibt es kaum eine Möglichkeit der Identifikation. Sie fühlen sich oftmals alleingelassen mit der Bürde der Erinnerung, die sie verfolgt; Hamb. Morgenpost 22. 12. 2012 Welche Zutaten braucht ein guter Horrorfilm? Das Wichtigste ist eine Identifikationsfigur, die das Publikum mag und die zum Mitfühlen einlädt. Wenn die fehlt, hat man als Zuschauer auch nicht wirklich Angst. Identifikator a: 1867 Archiv f. wiss. Kunde v. Russland XXV 536 Die transcendentalen Pantheisten sollten in ihm den ersten Entdecker der Identität des Seins und Denkens und ersten Identificator des reinen Seins mit dem reinen Nichts verehren; 1907 Archiv f. Religionswiss. X 94 allerdings verwischen die Identifikatoren fast durchweg den wesentlichen Unterschied, daß um Christus alles weint. identifikatorisch a: 1891 Archiv f. Gesch. d. Philos. V 92 In den Definitionen der Pythagoreer zeigt sich die Denkstarre der Antithetik, wie in der Umsetzung der Analogie in Identität ein identifikatorischer Trieb hervortritt; Jerusalem 1895 Urtheilsfunction 255 Begabtere Völker jedoch mit größerer identificatorischer Kraft fanden bald heraus, dass hier ganz allgemein giltige Beziehungen herrschen, und bildeten die Zahlbegriffe demgemäß weiter aus; ders. 1912 Lehrb. d. Psychologie 97 Es wird erzählt, Newton sei beim Anblick eines zur Erde fallenden Apfels auf die Idee der Gravitation gekommen. Wenn dies wahr ist, so muß in gleicher Weise die ganz seltene identifikatorische Kraft wie die reiche Phantasie des Mannes bewundert werden. Wie er den Apfel zur Erde fallen sah, erkannte er die Ähnlichkeit dieses Vorganges mit der Anziehungskraft, welche die Sonne auf die Gestirne übt; Häberlin 1924 Geist u. Triebe 350 Das Individuum streckt sozusagen seine Fühler aus, ist identifikationssüchtig, ohne von vornherein (wenn wir von vererbten oder konstitutionellen Fixierungen einmal absehen) auf ein bestimmtes Objekt identifikatorisch eingestellt zu sein; Küry 1930 Religiosität u. Dämonenfurcht 54 dort, wo das primitive Indi-

identifizieren viduum gegen seinen Vater identifikatorisch, erotisch reagiert, besteht diese Reaktion in einem Sichidentifizieren, einem Sichhingeben . . Der Psychologie sind solche identifikatorisch-ungeistige Einstellungen autoritativen Personen gegenüber bekannt als Schwärmerei; Zeit 7. 11. 1986 Ohne Erinnerung an diese unter „Denkverbot“ geratene nationale Geschichte könne sich ein positives Selbstbild nicht herstellen. Ohne kollektive Identität schwänden die Kräfte der sozialen Integration . . Der identifikatorische Zugriff auf die nationale Geschichte verlangt aber eine Relativierung des Stellenwerts der negativ besetzten NS-Zeit; taz 12. 9. 1989 Durch frühe Ablehnung habe Roeder eine stark außengeleitete, nach Anerkennung strebende Persönlichkeit entwickelt. Besonders zu ihrer Chefin auf der Intensivstation habe sie eine übermäßig identifikatorische und idealisierende Beziehung aufgebaut; ebd. 13. 5. 1992 Der Kult der Gemeinschaft, das identifikatorische Aufgehen im großen, starken und guten Kollektivsubjekt kann eben mehr Opferbereitschaft mobilisieren als die Vernunft; Barner 1994 Gesch. d. dtsch. Lit. XII 909 Eine identifikatorische Lektüre würde fälschlich die Gleichsetzung von Autor und lyrischem Ich voraussetzen; Berl. Ztg. 23. 11. 2006 Im Vergleich mit seinem Kinodebüt . . hat sich Steinbichler hier viel stärker auf seine Hauptfigur konzentriert, sich ihre Motivationen und schrägen Argumente nicht weniger identifikatorisch zu eigen gemacht als sein Hauptdarsteller. identifizierbar a: Wissmann/Münster 1841 Petrefacten-Kunde 18 Denn das ist bei der ganzen Sache gerade noch das Auffallendste mit, dass nur so wenige der vielen dort [Tirol] vorkommenden Petrefacten mit schon bekannten identificirbar sind; 1888 Jahresber. d. Geschichtswiss. VI 2,412 Für die Verhältnisse des Grund und Bodens steht im Vordergrund des Interesses noch immer die Frage nach dem Gesamteigentum. Seebohm will dieselbe dadurch fördern, dass er die wallisisch-irische und die germanische Grundlage für wesentlich identifizierbar erklärt, ein grosses Material an beobachteten Thatsachen zusammenbringt und miteinander kombinatorisch in Verbindung setzt; Robertson 1910 Evangelienmythen (Übers.) 108 Diese Grundlage kann, wie ich der Beachtung anheimstelle, in den zwei Gesichtern des Mithras und der Gestalt des Janus Bifrons gefunden werden, mit dem der mythische Petrus auch sonst in so weitgehendem Maß identifizierbar ist; 1958 Religion in Gesch. u. Gegenw. II 1753 f. das Hervortreten und Handeln Jahwes in geschichtlichen Tatsachen, der Bund als eine geschichtliche Heilstat, Jahwe als der Herr der Geschichte, nicht an den Boden Kanaans gebunden, nicht mit dem Naturleben identifizierbar, kein

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sterbender und auferstehender Gott . ., sondern „der lebendige Gott“, „der heilige Gott, der nicht stirbt“ (DiBi 12); Berger 1979 Normative Elemente in d. Betriebswirtschaftslehre 138 unser Begriff des Ethischen scheint weitgehend mit dem angelsächsischen Terminus des Moralischen identifizierbar zu sein; Salzb. Nachr. 29. 8. 1992 Hat denn jenes Ich der Kindheit mit dem Ich heute noch irgendetwas gemein? Kann das Kind nicht froh sein, sich selber als Erwachsenem nicht begegnen zu müssen? Sollte das Ich gar eine Augenblickslaune sein, leichter identifizierbar mit Filmfiguren als mit sich selber einige Jahrzehnte früher?; Frankf. Rundsch. 1. 11. 1997 Obskurantismus . . identifizierbar mit christlich-klerikalem Gewese; taz 22. 12. 2001 Wer die Gesetze der umgebenden Gesellschaft bricht, ist jahrzehntelang fehlprogrammiert worden. Er hat diese abirrenden Verhaltensmuster erlernt und ist in keinem Fall eins zu eins identifizierbar mit seiner Tat. Identifizierbarkeit a: Nürnb. Nachr. 24. 1. 1995 Anders als Marcel Duchamp, der mit seinen sogenannten ready-mades den Gebrauchsgegenstand zum Kunstwerk erhob, verzichtet Hörl auf eine unverkennbare Handschrift. Die Identifizierbarkeit der Objekte mit ihrem Schöpfer liegt ihm fern; Braunschw. Ztg. 18. 12. 2010 Anstoß erregte, und das lässt sich bis heute nachvollziehen, der Naturalismus der Darstellung [in Caravaggios Kunst], die zeitgenössische Kleidung, die aktuelle Identifizierbarkeit mit einfachen Menschen aus dem Volk gerade in den biblischen Bildnissen. Identifizierer a: Moeller van den Bruck 1906 Verschwärmte Deutsche 210 Auf der einen Seite standen Hegel und die Identifizierer vom absoluten Sein und absoluten Denken: für sie war die Welt höchstens logisch beseelt; Sulzer 1949 Angst im Schriftausdruck 10 Druckschwankungen, die ein Aussetzen der psychischen Energie verraten . .: Moment des Ich-verlustes, was typisch für den Identifizierer ist, pastöser Einschlag, unprägnante Schrift. . . Die innere Widersprüchlichkeit versucht dieser junge Mann mittels seiner Identifikationsfähigkeit aufzuheben; Willenberg 1978 Psychologie literar. Lesens 113 diejenigen, die das Buch oder die Hauptfiguren abwehren, haben fast alle in den Projektionsgeschichten die des Rückzugs oder der Stille gewählt, während die Identifizierer häufiger die Exempel aussuchten, in denen Aktivität zu spüren war; Oberndörfer/Rattinger/Schmitt 1985 Wirtschaftl. Wandel 179 Hier ergibt sich erneut die Konstellation, daß gewisse Subpopulationen (fast) nicht besetzt sind und aus der Analyse ausgeschlossen werden: Feste SPD-Identifizierer mit hoher CDU-Ökonomie-Kompetenz und umgekehrt feste

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CDU-Identifizierer, die die CDU in keiner der vier ökonomischen Sachfragen für relativ kompetenter als die SPD halten; Gabriel/Brettschneider 1992 EG-Staaten im Vergleich 121 Daneben gehörten Italien und Griechenland zu den Ländern, in denen die Gruppe der Identifizierer zahlenmäßig größer war als die der Nicht-Identifizierer . . Doch gehört nunmehr auch Großbritannien zu den Staaten mit einer im EG-Maßstab unterdurchschnittlichen Partei-Identifikation; Kießling 1999 Polit. Kultur 140 Dem liegt die Annahme zugrunde, daß es für Parteiidentifizierer bei Wahlen um mehr geht als für solche, die keine Parteibindungen empfinden: nämlich um Sieg und Niederlage „ihrer“ Partei; Agel u. a. 2003 Dependenz u. Valenz 396 Wenn unsere Einstufung von Modifizierern als Argumenten korrekt ist, sollte sie darauf beruhen, dass sich Modifizierer hinsichtlich bestimmter sprachlicher Phänomene wie Identifizierer . . verhalten; Neller 2006 DDR-Nostalgie 142 Die multiplen Identifizierer, die sich sowohl mit der DDR als auch mit Gesamtdeutschland stark oder ziemlich verbunden fühlen. Identifizierung a: Wieland 1793 Neuer Teutscher Merkur I 191 die goldnen Zeiten, welche sie den ehrlichen Kaklogalliniern von der Identifizierung ihrer hochgepriesenen Freyheit und Gleichheit versprechen; Tennemann 1799 Gesch. d. Philosophie II 49 Erst später wurde die Untersuchung des Verhältnisses zwischen beiden [Sittlichkeit und Glückseligkeit] Gegenstand der Nachforschung. Auch mußte diese Identificirung beider Forderungen . . für einen Mann, wie Sokrates, der nichts so eifrig wünschte als Sittlichkeit unter seinen Zeitgenossen zu verbreiten, als ein zweckmäßiges Mittel zur Beförderung dieses Zwecks erscheinen; Ersch/ Gruber 1841 Allg. Enc. d. Wiss. II 19,119 Widersprüche, die aus einer unrichtigen Identificirung der Vernunft des All und der immer endlich beschränkten Vernunft des Menschen entspringen, eine Identificirung, die nothwendig überall zu gleichen Irrthümern führen muß, wie die Identificirung des Instincts und der menschlichen Vernunft; 1866 Jahrb. d. Vereins v. Alterthumsfreunden XLI 97 dass . . in diesen Bildwerken und Statuetten des Mercurius sich öfter auch äusserlich eine ebenso unverkennbare Amalgamierung der Keltischen und Römischen Auffassung und Ausprägung des Wesens und der Attribute des Gottes kundgibt, wie in den Votivaufschriften eine Identifizierung zahlreicher Keltischer, insbesondere Gallischer Localgötter mit dem offenbar wesensverwandten Römischen Mercurius vorliegt; Baeumker 1890 Problem d. Materie 221 Es ist undenkbar, dass die Kälte je Wärme werde. Auch dieser Satz geht aus von der Identifizierung von Form und Begriff, und giebt zu dem platonischen Satze, dass kein Begriff je in sein

Gegenteil umschlage, das physikalische Gegenbild; Freud 1918 Infantile Neurose (Studienausg. VIII 180) Im Sadismus hielt er die uralte Identifizierung mit dem Vater aufrecht, im Masochismus hatte er sich diesen zum Sexualobjekt erkoren; Th. Mann 1933⫺34 Reden u. Aufs. (W. XII 707) Hitler, der ihm antwortet: „Ich bin nicht Antisemit. Es ist zu bedauern, daß die leidige Identifizierung der Juden mit dem Marxismus …“ Er beklagt seine eigene Lüge; Welt 8. 4. 1959 wie notwendig es wäre, daß auch in Prag Vertreter der Bundesrepublik ständig dafür sorgen, das einseitige Deutschlandbild zu überwinden. Es gebe auch in Prag starke Kräfte, die eine Identifizierung ihrer Politik mit der Ulbrichts bekämpften; Klimmnich 1970 Dtsch. Verfassungsgesch. o. S. Dadurch näherte er [Lessing] die deutsche Dichtung dem Werk Shakespeares und bereitete den Weg für einen stärkeren Einfluß englisch-nordischen Geistes, der von manchen Dichtern der „Sturm- und Drang-Periode“ zu einer Identifizierung des deutschen Geistes mit germanischem Heldentum im Gegensatz zur welschen Weichlichkeit umgemünzt wurde; taz 31. 5. 1988 Um die . . erforderliche vollkommene Identifizierung des Sängers mit der darzustellenden Figur zu erreichen, hat Gershwin ausschließlich Schwarze für die Gesangsrollen seiner Oper verpflichten lassen, Menschen, die den Gesang wirklich noch als einen gesteigerten emotionalen Prozeß empfinden; ebd. 22. 4. 1994 Als Volksverhetzung ist das Leugnen des Holocaust also weiterhin nur dann strafbar, wenn der Täter gleichzeitig seine Mißachtung von Juden als „minderwertige Wesen“ ausdrückt, etwa durch eine Identifizierung mit der NS-Rassenideologie; Hamb. Morgenpost 25. 7. 2005 Die Identifizierung mit dem BVB [Ballsportverein] ist wieder größer geworden; Zeit (online) 16. 8. 2012 Alle Finanzhilfen heute . . sind in sich widersprüchlich und gefährlich, da sie hohe finanzielle Risiken für die bisher solideren Mitgliedsländer beinhalten. Dies würde nicht nur alle Bestrebungen in Richtung einer politischen Union unterminieren, sondern das Fundament eines solchen Prozesses zerstören, nämlich die Identifizierung der Bürger mit der europäischen Idee. identifizieren b: Vogt 1855 Köhlerglaube Einltg. VI In der That sehr untriftig und nur durch Schuld jener Nichtbeachtung einer beachtenswerthen (von Verschiedenen unter verschiedenen Formen aufgefaßten und vorgetragenen) Ansicht identificirt der Verf. die Frage, ob es eine vom Körper unabhängige und scheidbare Seelensubstanz gibt, oder hält beide für solidarisch verknüpft; 1869 Ber. d. dtsch. chem. Ges. II 607 Ich habe den Versuch gleichwohl angestellt, indessen in der That nichts anderes als Dicyandiamid erhalten, welches durch eine Ver-

identifizieren gleichung der Eigenschaften und durch eine Schmelzpunktbestimmung identificirt wurde; Lening 1881 Nachtseiten v. New York 841 so darf auch das sog. „Potters Field“, der auf Harts Island befindliche Armenfriedhof, hier nicht übergangen werden, da auf ihm arm und freundlos Gestorbene, wie auch die nicht identificirten Leichen der Morgue auf Kosten der Stadt ihren letzten Ruheplatz finden; 1902 Hanseat. Gerichtsztg. XXIII 161 Daß 199 . . Ballen den Bestimmungsort erreicht haben, bestreitet die Klägerin nicht, sie beruft sich aber darauf, daß dieselben, weil sowohl an ihnen als auch an anderen von demselben Schiffe in Bremen angebrachten Ballen Baumwolle die Märke ausgelöscht gewesen seien, nicht hätten identificirt und in Folge dessen nicht an die Destinatäre hätten geliefert werden können; Klemperer 1926 Tagebücher 175 Thieme kennt Trefftz nicht u. identifizierte ihn nun nach meinem Bild; ders. 1934 Tagebücher 99 Sußmanns ältester Bruder Arthur habe sich vor wenigen Wochen das Leben genommen . . Martin und Wally wurden von der Kriminalpolizei gerufen, die Leiche zu identifizieren; Staiger 1946 Grundbegriffe d. Poetik 91 Die Freude an der Wiederkehr des Gleichen, der Triumph, daß nun das Leben nicht mehr unaufhaltsam dahinströmt, sondern Dauerndes ist, und Gegenständliches fest besteht und sich identifizieren läßt; Welt 2. 1. 1954 In Anwesenheit des Herzogs von Edinburgh . . fand am Donnerstag . . die Beisetzung der Opfer der weihnachtlichen Eisenbahnkatastrophe statt. Der Herzog legte auf dem Grabe der 21 nicht identifizierten Opfer einen Kranz . . nieder; Zeit 25. 1. 1985 Die T-Lymphozyten alarmieren durch chemische Signale die Abwehr. Sie identifizieren Fremdstoffe – Antigene genannt – an deren individuellen Paßform; Computer Ztg. 7. 4. 1994 Elsa heißt die Vorzeigekuh, die ein Halsband mit einem Sensor trägt, damit der Prozeßrechner sie identifizieren kann. Die Melkmaschine registriert die Milchmenge; Rüpke 1995 Kalender 348 Sichere spätere Daten [für die Entstehungszeit antiker Tempelbauten] lassen sich nicht identifizieren; Hamb. Morgenpost 8. 2. 2007 Die Frage ist allerdings, ob Jaroslava und Anett ihren David überhaupt als Familienmitglied identifizieren werden. Seit Anfang Januar lässt Jaro den Bart wachsen, sieht mittlerweile schon relativ wild aus. Identifikation b: 1833 Natur- u. Heilkunde XXXVII 318 f. Ein anderer Fall ist der von Dautun, welcher auf eine grausame Art ermordet wurde, und dessen Körper verstümmelt und entstellt in einen Sack gesteckt worden war, und nun nicht erkannt werden konnte, trotz der thätigsten Untersuchung, bis ich den Gerichten den Bildungsfehler nachwies, wodurch die Behörden auf die

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rechte Fährte kamen, und die lange vergeblich versuchte Identification bewerkstelligen konnten; Mommsen 1860 Gesch. d. röm. Münzwesens 476 Freilich liegt es in der Sache, dass die Identification der Münzmeister für die ältere Zeit, namentlich bevor die Amtstitel auf den Münzen erscheinen, ohne Ausnahme unsicher ist . . Ist das Alter einer Münze durch anderweitige sichere Gründe im Allgemeinen bestimmt, so wird man öfter durch Nachweisung eines in dieser Epoche vorkommenden gleichnamigen Individuums den Beweis verstärken . . können; aber wo es an jenen Gründen fehlt, ist in älterer Zeit es fast unmöglich durch genügende Identification des Individuums die Zeit der Münze festzustellen; Abderhalden 1910 Handb. d. biochem. Arbeitsmethoden II 356 Identifikation eines Proteins als Glied einer bestimmten Proteinklasse (Überschr.); ebd. 730 Um die Gallenfarbstoffe aus Lösungen . . zu isolieren und unter Umständen qualitativen Proben oder der Identifikation zugänglich zu machen, fällt man die Lösung mit einer mäßigen Menge von Kalkmilch; Th. Mann 1939 Lotte (W. II 740) die heiter-criminologische Angelegentlichkeit, mit der wir den Fall untersuchten, die Identification des Täters unter der Hand betrieben; ders. 1954 Krull (W. VII 524 f.) Louis empfing mich mit der aufgeräumtesten Herzlichkeit und hatte nichts Eiligeres zu tun, als mir den so wichtigen Zirkular-Kreditbrief für unsere Reise zu überhändigen . . In diesem Büchlein war, auf der Innenseite, als Mittel der Identifikation, die Unterschriftsprobe des Berechtigten anzubringen; Knippers u. a. 1982 Molekulare Genetik o. S. Eine Überschlagsrechnung ergibt, daß etwa 50 000 Klone geprüft werden müßten, wenn wir mit 95%iger Sicherheit eine bestimmte singuläre Gensequenz aus dem Genom von Drosophila finden wollten . . Schwieriger wird die Identifikation des gesuchten Klons, wenn wir nicht über eine radioaktive Sonde zur Hybridisierung verfügen; Computer Ztg. 2. 12. 1993 Der PC soll nach einer Identifikation des Benutzers per Gesichtskontrolle automatisch dessen Dateien und Programme laden; Brinkmann/Madea 2004 Handb. gerichtl. Med. I 57 Die äußere Besichtigung und Untersuchung der Leiche . . dient nicht nur der Identifikation unbekannter Toter; VDI-Nachr. 17. 11. 2006 Auch in der akademischen Welt fehlt es an systematischer Eliteförderung. Hochbegabte Menschen wenden sich Ländern und ihren Bildungssystemen zu, die der Identifikation und Förderung von Eliten einen hohen Stellenwert zuordnen; Mannh. Morgen 6. 5. 2009 Der Gesetzgeber verfolge . . das Ziel, „Mehrfachnamen und Namensketten zur Sicherung einer besseren Identifikationskraft des Namens generell einzuschränken“.

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Identifikator b: Hartmann 1957 Probleme d. sprachl. Form 248 Personenkennzeichnungen – innerprädikative Identifikatoren, die u. U. „auch ohne Subjekt“(-Nennung) stehend „einen Satz bilden“; Turski 1975 Datenstrukturen 6 Es muß hier vor einem möglichen Mißverständnis gewarnt werden, das auf der Identifizierung des so bestimmten Namens einer Dateneinheit mit der Bezeichnung (dem Identifikator) entweder des Namens der Dateneinheit oder ihres Wertes beruht; Kahr 1976 Entpersönlichende Personenerwähnung 60 Um auch diese [klassifizierenden] Kennzeichnungen als potentielle Substituentia zu erfassen, muß von der lexikalisch-semantischen Komponente und nicht mehr primär vom „Identifikator“, d. h. vom syntaktischen Index des Substituens wie Artikel, Possessivum, Demonstrativum usw. ausgegangen werden; Computer Ztg. 26. 2. 1998 „Wir haben inzwischen mehrere linguistische Basiskomponenten, die sich für Anwendungen kombinieren lassen“, berichtet der Wissenschaftler. Ein Tool erstellt blitzschnell eine Statistik der Buchstaben in Texten, der Sprachidentifikator erkennt über 30 Sprachen bis hin zu Swahili schon an einem Dreiwörtersatz, und ein weiteres Modul reduziert einen Text auf eine beliebig einstellbare Anzahl von Kernsätzen; Bergmann 2003 Taschenb. d. Telekommunikation 69 Identifikator: Eindeutige Bezeichnung für ein Objekt in einer Schicht und an den Grenzen zu den benachbarten Schichten. Durch einen Identifikator ist jedes Objekt in einer Mehrschichtenstruktur unverwechselbar gekennzeichnet; Höllrigl 2011 Informationskonsistenz 166 Das initiale Linking findet hierbei durch die Verwendung pseudonymer, persistenter Identifikatoren statt. Wie festgestellt wird, dass zwei Identitäten zu demselben Benutzer gehören, ist den Identitätsprovidern und Dienstanbietern überlassen. identifikatorisch b: Berlinger 1988 Weltnatur 136 Weil der Mensch sich als ein Seiender gewahrt, der in sich geeint ist, kann er durch sein identifikatorisches Denken die Identität des Seienden außer ihm erkennen. Er kann das Sein vom Schein, das Bleibende von der Veränderung, das Wesen vom Zufälligen unterscheiden und darum das Wahre vom Falschen trennen; Finter 1990 D. subjektive Raum II 43 Die Spur der Geste im Bild stört den identifikatorischen Blick wie ein Rauschen das Hören. Überdeterminierung der Farben und Rhythmen faszinieren, Auge und Ohr sind angezogen vom . . aggressiven Affekt, der hier seine Bahnung gefunden hat in nicht referentiell identifizierbaren Strichen, Farben, Rhythmen, Geräuschen; 2001 Zs. f. Europ. Rechtsgesch. XXVIII 11,478 Für Regener ist dieses Vorgehen bezeichnend, weil die Herstellung des Bildes keine Rolle mehr für den polizei-

lich-identifikatorischen und strafrechtlichen Zusammenhang spielte. identifizierbar b: Schmid 1893 Atticismus III 12 Anm. Die nicht identifizierbaren Citate aus VH. bei Suid. . . geben kein Recht, an eine verlorene vollkommenere Fassung der VH. zu denken; 1907 Ergebn. d. Allg. Pathologie X 139 Gibt es denn überhaupt eine primäre, scharf definierbare, an ihren klinischen und anatomischen Erscheinungen exakt erkennbare und in den einzelnen Fällen identifizierbare Hautveränderung, welche mit Recht als Ekzem bezeichnet werden darf?; Meyer 1925 Grenzen d. hellenist. Staaten 138 Den zweiten [Dynasten] kennen wir aus den rhodischen Dekreten für die von ihm bedrängte Stadt Iasos . . aus dem Jahre 202. . . Die anderen sind nicht so sicher identifizierbar; 1957 Religion in Gesch. u. Gegenw. I 1194 Neben der von Origenes ausgearbeiteten LXXTextform nennt Hieronymus gelegentlich eine in Ägypten verbreitete Rezension, die nicht identifizierbare des Hesychius, und eine in Kleinasien benutzte, die des Märtyrers Lucian (DiBi 12); Zeit 4. 1. 1985 Die Parteien sind nicht mehr deutlich identifizierbare Vertreter dieser sozialen Schicht und jenes Milieus – und haben deshalb an Bodenhaftung, Sensibilität für die Bürger und vertrauenserweckendem Hintergrund verloren; taz 26. 11. 1990 Oliver mischt seit Jahren in der Bremer Hooligan-Szene mit. Um nicht identifizierbar zu sein, wollte er weder Namen, noch Alter oder Beruf angeben; Zürcher Tagesanz. 3. 2. 2000 Ungewöhnliches ereignet sich im Städtchen Holtlen im Norden Nowegens . . Bereits seit Jahren berichten die Einwohner über nicht identifizierbare Flugobjekte und Lichtbewegungen, weshalb das Städtchen in Ufo-Kreisen als Geheimtipp gilt; Hamb. Morgenpost 7. 6. 2012 Mit dem seit Mittwoch geltenden neuen Internetstandard IPv6 sind nach Ansicht von Schleswig-Holsteins Datenschützer Thilo Weichert Risiken verbunden. . . Mit dem neuen Standard könne jeder Internetnutzer eine eigene, feste IP-Adresse erhalten und sei damit identifizierbar. Identifizierbarkeit b: 1959 Religion in Gesch. u. Gegenw. III 722 die Individualität wird reduziert auf die Stelle im Realnexus, d. h. auf die Identifizierbarkeit im Kontinuum der eingenommenen Raum-Zeit-Positionen (DiBi 12); Goebel 1987 Biotechnolog. Erfindungen o. S. Von der Zunahme gentechnischer Methoden bei der Behandlung von Mikroorganismen, Pflanzen- und Tierzellen werden entscheidende Fortschritte für die Reproduzierbarkeit wie auch für die Identifizierbarkeit des behandelten Materials erwartet; Frankf. Rundsch. 6. 9. 1997 Die vollständige Aufhebung nicht nur

Identität von Tonalität, Metrik, formaler Symmetrie, sondern auch von der Identifizierbarkeit als Kunstwerk . . wurde von Adorno nicht verarbeitet; Berl. Ztg. 2. 1. 2007 Bibel TV hat 16 Gesellschafter . . Der Geschäftsführer des Senders, der frühere MDR-Fernsehdirektor Henning Röhl, sieht das Erfolgsgeheimnis „in der Identifizierbarkeit als entschieden christliches Programm“; taz 28. 5. 2008 Polizeipräsident Dieter Glietsch hat mehrfach angekündigt, die individuelle Kennzeichnungspflicht sofort einzuführen, wenn es einen Fall gebe, in dem Beamte wegen mangelnder Identifizierbarkeit nicht belangt werden könnten. Identifizierer b: 1937 Chem. Zentralbl. CVIII 1115 Die Substanzen, die den Grad der Schmierölverfälschungen angeben, werden mit „Identifizierer“ bezeichnet, die . . völlig lösl. im Öl u. in sehr kleinen Mengen farbempfindlich sein müssen u. für Außenstehende kaum zu bemerken; Seelmann-Eggebert 1964 Fernwahlsysteme 54 Der Identifier (Identifizierer) stellt die Nummer des Rufenden fest und teilt diese dem Sender . . mit; Spiegel 1979 o. Nr. ein New Yorker Leichen-Identifizierer, Spezialist bei Flugzeug-Abstürzen, hantiert mit Schädeln und Gebein wie ein Gemüsehändler mit Rhabarber und Melonen; Computer Ztg. 9. 10. 1997 Auf der Frankfurter Buchmesse . . feiert ein Identifizierungssystem für elektronisch abrufbare Texte Europapremiere. Der „Digitale Objekt Identifizierer“ versieht urheberrechtlich geschützte Texte im Internet mit einem unverwechselbaren „Fingerabdruck“; Mannh. Morgen 18. 5. 2000 Die Leichen im Katastrophengebiet sind bis zur Unkenntlichkeit verbrannt. Nach vier Tagen konnten erst sechs von 16 geborgenen Leichen identifiziert werden, berichtete der Chef-Identifizierer der Polizei; Pomaska 2012 Webseiten-Programmierung 154 Jedes Element kann über einen Identifizierer eindeutig referenziert werden. Identifizierung b: 1853 Ber. üb. d. Verhandl. d. sächs. Ges. d. Wiss. V 94 mittelalterliche Memorialverse über das Zahlenalphabet . ., die ich, da ich nicht finden kann, ob und wo sie gedruckt sind, deshalb hersetze, weil sie, wenn auch sonst weder nützlich noch zierlich, doch für die Identificierung derjenigen Handschrift, die Celtes abschrieb, künf-

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tig einmal gebraucht werden können; 1863 Zschr. d. Dtsch. morgenländ. Gesellsch. XVII 98 die Identifizierungen assyrisch-babylonischer Zeichen . . werden immerdar verdienstvoll bleiben; 1879 Reichs-Gesetzbl. 247 Den Steuerbeamten ist der Zutritt zu denjenigen Räumen gestattet, in welchen der geerntete Taback getrocknet oder bis zur Verwiegung aufbewahrt wird. Dieselben können jederzeit die Uebergabe zur Identifizirung des Tabacks geeigneter Proben verlangen, welche nach Feststellung der Steuer zurückzugeben sind; Jaeger 1906 Kerkermauern 49 Meiner sofortigen Einstellung hätte gar nichts entgegengestanden, wenn ich mich hätte legitimieren können. Da dies nicht der Fall war, . . so mußte ich bis zum Eintreffen meiner Identifizierung im Waldshuter Amtsgerichtsgefängnis allerdings mit sonstiger völliger Freiheit einquartiert werden (DiBi 102); Sirks 1935 Proceedings II 259 Nach diesen Ausführungen lässt sich feststellen, dass die Mikrobotanik der Braunkohlenlager, sei es die Histologie der Stämme, die Kutikular-, Pollen- und Sporenanalyse, die histologische Bestimmung von Früchten und Samen durch genaue Identifizierung der Gattung oder auch der Art, einen Schluss auf die geographische Verbreitung der Fossilien in den Perioden des Tertiärs ermöglicht. . . Kutikular- und Pollenanalyse . . sind für die Pflanzengeographie vergangener Erdperioden sehr wichtig, wenn sie zu eindeutiger Identifizierung geführt haben; Ullrich 1960 Bürger 32 Hat nun die vorläufige Festnahme zur Identifizierung einmal stattgefunden, so steht das weitere Verfahren weitgehend unter dem Gedanken des Rechtsschutzes des Festgenommenen; Mannh. Morgen 3. 8. 1985 Zwischen Rheinfelden in der Schweiz und der deutsch-holländischen Grenze werden sie rund 1200 Wasser- und 150 Schlamm-Proben aus dem Strom nehmen. Ziel: Identifizierung der Einleiter von Schadstoffen; Neue Kronen-Ztg. 5. 2. 1998 Der Schnee um die Absturzstelle war rot vom Blut der Opfer. Viele waren so verstümmelt, daß die Identifizierung den ganzen Mittwoch in Anspruch nahm; Nürnb. Ztg. 15. 12. 2012 Wer Schwarzgeld durch Internet-Glücksspiel am Fiskus vorbeimogeln will, hat es künftig schwerer: Schärfere Vorschriften für Online-Portale machen Zahlungsströme transparenter und erleichtern die Identifizierung der Spieler.

Identität F. (-; -en), Mitte 17. Jh. vereinzelt, seit Ende 17. Jh. kontinuierlich nachgewiesene, eventuell unter Einwirkung von frz. identite´ aufgekommene Entlehnung aus (flekt. Form von) mlat./spätlat. identitas, auch idemptitas, ¤Gleichheit, Übereinstimmung, Einheitlichkeit, WesenseinheitÅ, einem Abstraktum zum lat. Demonstrativpronomen idem ¤eben der-/dasselbe, ein und der-/dasselbeÅ, das mit verstärken-

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dem -dem aus dem M. oder N. des Demonstrativpronomens is, ea, id ¤er, sie, es; der, die, dasÅ gebildet ist; daneben gelegentlich in der lat. (flekt.) Form und in lat. Syntagmen. 1 Zunächst in (sprach-)philosophischen, logisch-mathematischen Zusammenhängen als terminologische Bezeichnung für das Verhältnis zwischen konkreten oder abstrakten Größen als Ergebnis eines Vergleichs zwischen ihnen (im Sinne einer nach außen gerichteten zweistelligen Relation mit Bezug auf zwei Referenten; veraltete Wörterbuch-Verdeutschungen des 19./20. Jhs. wie Einerleiheit, Ebendassein, (Die-)Selbigkeit zurückdrängend) in der Bed. ¤Zustand der vollkommenen Übereinstimmung, völligen Gleichheit von zwei zueinander in Beziehung gesetzten (und miteinander verglichenen), abgrenzbaren bzw. unterscheidbaren Gegenständen, Sachverhalten oder Begriffen untereinander in allen Merkmalen und Hinsichten; Zusammentreffen/-fall gleicher Merkmale, Deckung(-sgleichheit); Ununterscheidbarkeit; Einheit, Ebenmäßigkeit, Gleichartigkeit, -förmigkeit; VereinbarkeitÅ (→ Analogie, → Konkordanz, → Uniformität; vgl. Kongruenz, Parallelität; im Unterschied zu den nur annähernde Übereinstimmung bezeichnenden Partnerwörtern Ähnlichkeit oder Verwandtschaft; Ggs. → Differenz, Disparatheit, → disparat), daneben seit dem 19. Jh. speziell im mathematischen Sinne (als Kurzform für Identitätsgleichung) in der Bed. ¤Gleichheitsbeziehung zwischen arithmetischen Ausdrücken; Gleichung, die für alle möglichen Parameterwerte erfüllt ist (oft notiert mit einem Gleichheitszeichen, das nicht aus zwei, sondern drei Strichen besteht)Å, auch (als Kurzform für identische Abbildung) in der Bed. ¤Abbildung einer Menge in sich, wenn sie jedes Element sich selbst zuordnet; EindeutigkeitÅ (s. Belege 1851, 2006), in terminologischen Syntagmen und Wendungen (Philosophie, Logik, Mathematik) wie absolute Identität (bezogen auf Übereinstimmung in allen Merkmalen), relative Identität (bezogen auf Übereinstimmung in bestimmten Merkmalen bei Verschiedenheit in anderen), bei bedeutungsähnlichen Begriffen liegt keine Identität vor, wenn der Additionsoperator kommutativ ist, dann gilt die Identität: aⴙb ⬅ bⴙa, Identität von Zahlen, Quantitäten; von daher allgemeiner bezogen auf die gleiche bestimmte Eigenschaft, übereinstimmende Beschaffenheit, das jeweils entsprechende, vergleichbare Verhalten sonst verschiedener, voneinander abgrenzbarer/unterscheidbarer Dinge (s. Belege 1866, 1965, 1990), selten Personen, in Wendungen wie die DNAAnalyse stellt Identität zwischen Körperzellen fest, die chemische Identität von/zwischen Thein und Koffein, die natürliche Identität des Lyrikers mit dem Musiker sowie auf nur scheinbar Verschiedenes, scheinbare Unterschiede, die lediglich auf verschiedene Betrachterstandpunkte zurückzuführen sind (s. Beleg 1950), die in Wahrheit aber demselben Bezugsobjekt (oft: derselben Person) zukommen (s. Belege 1815⫺16, 1822, 1944), z. B. die Identität des Vorgangs beim Kaufen und Verkaufen von etwas, die Identität von Materie und Energie, die nicht nachweisbare Identität des Theologiestudenten mit dem Verfasser des antiklerikalen Pamphlets, die Identität der beiden Personen ist nicht erwiesen, auch schlagwortartig verbreitet als bildungsspr. Begriff des öffentlichen Sprachgebrauchs v. a. in Politik, Bildung, Wissenschaft und Kultur, z. B. Identität deutscher und türkischer Interessen, angestrebte Identität der neuen Eindrücke mit den alten Vorstellungen, insbes. im gesellschaftspolitischen Bereich im wertend-ideologischen Sinne von theoretischen, abstrakten Konstrukten, (als eigentlich gegensätzlich, aber zwei Seiten Ein und Desselben darstellend postulierten) ethischen, sozialen, politischen, ideologischen o. ä. Phänome-

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nen, Oppositionen und Dichotomien in der Bed. ¤gleiche Geltung, Wertung, Entsprechung, Gleichwertigkeit/Wertgleichheit, GleichsetzungÅ (s. Belege 1857, 1895, 1937, 1999; vgl. Äquivalenz, → Äquivalent, Korrespondenz), in Wendungen wie die Identität von Denken und Sein, Natur und Geist, Volk und Staat, Staat und Verwaltung, Politik und Moral, die absolute Identität des Geistigen und Körperlichen, Subjektiven und Objektiven, des Äußeren und Inneren, als Bestimmungswort in Zss. wie Identitätsphilosophie ¤Differenzen zwischen ontologischen Dichotomien/fundamentalen Oppositionen (z. B. Denken und Sein, Geist und Materie) aufhebende philosophische RichtungÅ, Identitätstheorie als Bezeichnung für die politische Theorie einer idealen Gesellschaft (nach Platon und J.-J. Rousseau), mit dem Ziel, die Identität zwischen dem individuellen Einzelinteresse und dem Gemeinwillen herzustellen und den Unterschied zwischen Herrschern und Beherrschten aufzuheben (vgl. identitär, s. u.), auch für eine der zentralen Positionen der Philosophie des Geistes, die die Welt als naturhaftes Geschehen begreift und beschreibt, in dem mentale Zustände mit neuronalen Zuständen identisch sind, Identitätsbegriff, -prinzip, -punkt, -satz, auch als Grundwort in Zss. wie Gattungs-, Herkunfts-, Interessen(s)-, Orts-, Teilidentität. 2a Seit Mitte 18. Jh. im Sinne einer nach innen gerichteten einstelligen Relation mit Bezug auf das Bewusstsein eines einzigen/ein und desselben Referenten, meist im individualpsychologischen und philosophischen Kontext für ¤innere Einheit, innerer Zusammenhang, das (In-)Sich-gleich-sein oder -bleiben, Identischsein (eines Individuums oder eines abstrakten Gegenstands) mit sich selbstÅ, z. B. Identität des Begriffs, meist ergänzt um den Bezug auf das denkende und fühlende Subjekt ¤Gefühl dafür wer man ist, innere Übereinstimmung, Einklang, Einigkeit einer Person mit sich selbst; Selbstbestimmung/-definition, -erkenntnis, -bewusstsein, -verständnis; (als innerstes Selbst erlebte) innere Einheit, das (Man-)Selbst-Sein; Ich-/Selbst-Erfahrung; SelbständigkeitÅ (→ Subjektivität), vereinzelt auch plur. im Sinne von ¤Individuum, PersonÅ (s. Beleg 1901), seit den 50er Jahren des 20. Jhs. (durch angloamerikanischen Einfluss, vgl. identity) im Hinblick auf psychologisch-psychotherapeutische Zusammenhänge weiterentwickelt zu ¤die im Kern eines Menschen angelegte, ihn konstituierende Veranlagung, ihn als Individuum von anderen Menschen unterscheidende Eigentümlichkeit, Natur seines Wesens; PersönlichkeitÅ (s. Belege 1963, 1983; → Individualität; vgl. Personalität, → personal), oft mit spezifizierenden Attributen in fachspr. Syntagmen wie psychische/psychologische Identität, personale/ persönliche Identität, individuelle Identität, soziale Identität und Wendungen wie das Bewusstsein der Identität seiner selbst, der Trieb nach Identität ist der nach vollkommener Übereinstimmung mit sich selbst, um seine Identität ringen, auf der Suche nach seiner Identität, an der Schwelle zum Erwachsenwerden müssen die Jugendlichen ihre sexuelle Identität finden, in neun Jahren soll der Schüler in einer Gruppe eine eigene Identität entwickeln, ihrer weiblichen Identität bewusst, dann auch in einem weiteren Sinne als sozialpsychologischer Begriff in der auf die innere Identität von Personenkollektiven (Gruppe, Volk, Ethnie), das kollektive Selbstbild/ -verständnis gesellschaftlicher Gruppen auf Grund wesentlicher Gemeinsamkeiten (gemeinsame Sprache, Kultur, Geschichte) bezogenen Bed. ¤über die Teilhabe an/ Zugehörigkeit zu Gruppen und Kollektiven definierte, politisch-gesellschaftlich, philosophisch, kulturell, ideologisch und v. a. sprachlich/kommunikativ vermittelte (und als konstitutiv empfundene) innere Einheit, Selbstbild, -auffassung, -verständ-

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nis (als Gemeinschaft); (Wieder-)Erkennbarkeit, Kenntlichkeit, Unverwechselbarkeit; (von der Umwelt geforderte) soziale Rolle; Zusammen-, Zugehörigkeit(-sgefühl); Nationalgefühl, -bewusstsein; Selbstverständnis, EigenständigkeitÅ (s. Belege 1987, 1990, 2009; → Kultur, → Tradition; vgl. Integrität, → integer, Kontinuität, Nationalität; Ggs. Individualität/Individualismus, Pluralismus, Multikultur), in Wendungen wie kulturelle Identität, die neue, wiedererstarkte nationale Identität der Deutschen, die Identität der hellenistischen Welt, der Europäischen Union, durch Migration seine nationale Identität verlieren, die Identität stiftenden kollektiven Erfahrungen einer Gesellschaft, die kurdische Identität stärken, betonen, worauf gründet sich die sozialdemokratische Identität/die Identität der Sozialdemokratischen Partei?, politische, wirtschaftliche Identität Europas, religiöse Identität des internationalen Judentums, das Internet könnte zur Entwicklung einer globalen Identität beitragen, ostdeutsche, kollektive Identität, Indien hat eine neue, selbstbewusste Identität erlangt; als Bestimmungswort (oft alternierend mit Ich-/Selbst- oder Rollen-) in Zss. wie Identitätsangst ¤Angst, der inneren Veranlagung entsprechend zu sein und zu lebenÅ, -bewusstsein, -bildung, -entwicklung, -erfahrung, -findung, -gefühl, -konflikt, -krise, -mix, -pluralismus, -problem, -störung/-verlust, -suche, vgl. auch Identitätspolitik als Sammelbezeichnung für Bemühungen, auf die Eigenoder Fremdwahrnehmung einer kulturellen oder ethnischen Gruppe einzuwirken, mit dem Ziel, zwischen deren Interessen innerhalb nationalstaatlicher Verteilungskonflikte und den bestehenden gesellschaftlichen Verhältnissen zu vermitteln; identitätsbildend, -stiftend, -los, -fördernd, -prägend, -sichernd, -bedrohend/-gefährdend, -gestört, -suchend, -bewusst; als Grundwort in Zss. wie Außenseiter-, Balkan-, Berufs-, Bürger-, Eigen-, Familien-, Firmen-/Unternehmens- (vgl. corporate identity), Frauen-/Männer-, Gemeinschafts-, Geschlechts-/Geschlechter-, Glaubens-, Gruppen-, Klassen-, Kollektiv-, Körper-, Kultur-, Landes-, Lokal-, Marken-/Produkt-, Misch-, Nachkriegs-, National-, Ost-, Partei(en)-, Staats-, Unternehmensidentität; (mit Bindestrich:) Berlin-, DDR-, Euro(-pa)-/EU-, Hauptstadt-, Hindu-, Latino-, Maya-, Multi-, Nato-, SPD-Identität und v. a. Ich-Identität ¤inneres Sich-SelbstGleichsein, subjektives Empfinden für die Einzigartigkeit und Unverwechselbarkeit der eigenen Situation als Summe der individuellen Merkmale und sozialen ErfahrungenÅ im Unterschied zu Wir-Identität ¤Summe der einen Menschen kennzeichnenden, mit einer Gruppe geteilten MerkmaleÅ (vgl. auch Transidentität (aus trans- ¤jenseitig, darüber hinausÅ und Identität) ¤Abweichung der Geschlechtsidentität vom biologischen Geburtsgeschlecht und der damit vorgegebenen sozialen RolleÅ; vgl. Transsexualität, Transgender). b Daneben seit frühem 19. Jh. (oft nicht deutlich von 2a unterschieden) im Sinne einer nach innen gerichteten einstelligen Relation mit Bezug auf einen einzigen Referenten und die Summe der (objektiv vorhandenen und feststellbaren) Merkmale, die ihn (aus der Außensicht) ausmachen, zunächst speziell im juristischen, erkennungsdienstlichen Zusammenhang auf Personen bezogen in der Bed. ¤anhand entsprechender Dokumente (Personalien) feststellbare, rechtsverbindlich nachweisbare, ausgewiesene, verbürgte Übereinstimmung einer natürlichen Person mit ihren personenbezogenen Daten (Name, Geburtsort/-datum, unveränderliche Kennzeichen)Å (s. Belege 1822, 1933; → Existenz; vgl. Identifizierung, → identifizieren b; Ggs. → Anonymität), in Wendungen wie jmds. Identität bestätigen, bestreiten, ermitteln, feststellen, klären, nachweisen, seine Identität angeben, die Identität einer Person

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besteht, wenn Personengleichheit mit einem amtlichen Lichtbildausweis vorliegt, ich bürge für seine Identität, seine Identität steht zweifelsfrei fest und Zss. wie Identitätsbescheinigung, -beschreibung, -beweis/-nachweis, -daten, -diebstahl ¤rechtswidriger Missbrauch der persönlichen Daten einer natürlichen PersonÅ, -feststellung/ -(über-)prüfung ¤Überprüfung, welche Personalien einer natürlichen Person zuzuordnen sind (z. B. durch einen Vergleich mit einem amtlich beglaubigten Lichtbild), PersonenfeststellungÅ, -graphologie (¤Verfahren der Schrifterkennung und -unterscheidung zur Feststellung des Urhebers einer HandschriftÅ), -kontrolle, -marke/ -nummer, -papier/-ausweis (österr.)/-karte (schweiz.) ¤jmdn. als in einer Angelegenheit Berechtigten ausweisendes Schriftstück; PersonalausweisÅ (vgl. frz. carte d’identite´), -schutz/-sicherung, -wahrung, -wechsel; Identitätendiebstahl, -dschungel; Autoren-, Benutzer-, Doppel-, Ersatz-, Geheim- (¤Identität, die der Allgemeinheit nicht bekannt gegeben werden darf oder soll (bes. als Stilmittel in Spionageromanen)Å; → Pseudonym; vgl. Alias , → alias, Avatar), Internet-/Online-, Mehrfach-, Personal-, Personen-, Schein-, Opfer-/Täter-, Tarn-, Zweitidentität; daneben im sozialpsychologischen Kontext mit Bezug auf die menschliche Persönlichkeit für ¤Summe der Merkmale, die ein Individuum/Kollektiv (aus der Außensicht) ausmachen, es konstituieren, prägen bzw. anhand deren sich ein Individuum/Kollektiv von anderen unterscheidet, eindeutig identifizieren lässt; das wodurch sich ein Mensch von anderen unterscheidet; Unverwechselbarkeit der PersönlichkeitÅ, auch ¤eindeutige Identifizierbarkeit, Erkennbarkeit einer Person als (ein und) dieselbe, diejenige, die sie istÅ, z. B. meine Identität ändert sich auch nicht, wenn ich meine Haare färbe (¤ich bleibe immer noch der-/dieselbeÅ), seine (wahre) Identität verheimlichen, verleugnen, wechseln, der Agent tauchte unter und nahm eine neue Identität an, der Amokläufer lebte von seinem Umfeld unbemerkt eine zweite Identität, Zweifel an der Identität des Verfassers, auch allgemeiner für ¤Übereinstimmung eines Gegenstandes mit dem, als was er (von außen) wahrgenommen und bezeichnet wird; auf konkrete sachbezogene (äußerlich wahrnehmbare, (wieder-)erkennbare) Merkmale, Kennzeichen und Attribute, konkrete Eigenschaften zurückführbare, eindeutige Identifizierbarkeit, Verifizierbarkeit, (Wieder-)Erkennbarkeit, Ein-, Zuordnung; Tatsache, dass es sich bei etwas (unter gewissen räumlichen/zeitlichen Voraussetzungen oder Gegebenheiten) um etwas ganz Bestimmtes handelt, dass es als etwas ganz Bestimmtes gelten kannÅ (vgl. Kongruenz; Ggs. → Differenz), z. B. die Identität Berlins als politisches Zentrum, die Gebirgsregion in ihrer Identität als Standort für Lungenheilsanatorien. Dazu seit frühem 18. Jh. die eventuell unter Einfluss von gleichbed. frz. identique aus nlat. identicus (vgl. ital. identico) entlehnte adj. Ableitung identisch, zur Charakterisierung von Erscheinungsbild, Wesen, Funktion o. Ä. von zwei (oder mehr) abgrenzbaren Entitäten als Ergebnis eines Vergleichs zwischen ihnen bzw. ihren Eigenschaften oder Inhalten, in verschiedenen Fachbereichen (bes. Mathematik, Philosophie, Sprachwissenschaft) in der Bed. ¤(untereinander) vollkommen gleich(-artig, -wertig), völlig übereinstimmend, zusammen-/ineinanderfallend, deckungs-, bau-, wesensgleich, entsprechend, einheitlich, gleich-, einförmig, gleich-/regelmäßig; (ein und) dasselbe (darstellend), vereinbarÅ (→ homogen, → konform, → parallel; vgl. analog, → Analogie, kongruent, konvergent, tautologisch; Ggs. → disparat, → heterogen, different/differierend, → Differenz, divergent/divergierend, → divergieren), in Wendungen, z. T. fachspr. Syntagmen und Sätzen, entweder mit sing. Bezugsobjekt, wobei aber die Gegenüberstellung mit einer Vergleichsgröße impliziert wird (s.

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Belege 1832, 1970, 1987.2), wie identische (¤für den ganzen Definitionsbereich ihrer Variablen gültigeÅ) Gleichung, identisches (¤seitengleichesÅ) Dreieck, identischer Reim (¤Reim mit gleichem Reimwort, dessen Wiederholung eine Funktion erfülltÅ), identische (¤mit der anderer übereinstimmendeÅ) Meinung, identisches (¤dem anderer entsprechendesÅ) Verhalten, nach identischem Qualitätsstandard vorgehen, sie haben den gleichen Geschmack bei identischem Lebensstil oder aber mit Bezug auf zwei oder mehrere Vergleichsobjekte, wie das Leibniz-Gesetz besagt, dass zwei Dinge identisch sind, wenn sie in allen ihren Eigenschaften ununterscheidbar sind, Sätze mit identischen Strukturen, genetisch identische Lebewesen herstellen, identische (¤eineiigeÅ) Zwillinge, deine und meine Interessen sind nicht identisch, die beschädigten Teile sind einfach durch identische neue zu ersetzen, die Inhalte der Staatsexamens- und Magister-Studiengänge sind weitgehend identisch, als Grundwort alternierend mit -gleich in Zss. wie (in Verbindung mit einem Bestimmungswort, das expliziert, worin zwei oder mehrere Vergleichsobjekte sich gleichen:) bau-, bedeutungs-, begriffs-/sinn-, bild-, charakter-, ergebnis-, farb-, figuren-, flächen-, form-, funktions-, gen-/erbgut-, inhalts-, interessen-, leistungs-, maßstabs-, material-, namens-, personen-, satz-, seiten-, struktur-, text-, wirkstoff-, wort-, zweckidentisch, (den Grad, das Ausmaß der Gleichheit betreffend:) halb-, quasi-, teilidentisch, auch oft unter explizitem Anschluss des Vergleichsobjekts mit Partikel oder der Präposition mit in der Bed. ¤gleichzusetzen/-gesetzt, zu identifizieren/identifizierbar (mit …); eins/einig (mit …), das Gleiche bedeutend, die gleiche Geltung habend, ebenso(-viel, -groß) wie …Å (s. Belege 1849, 1881, 1945, 1951; vgl. synonym; Ggs. → alternativ), z. B. ein Gegenstand A ist genau dann mit einem Gegenstand B identisch, wenn sich zwischen A und B kein Unterschied finden lässt, ist Materie identisch mit Energie?, seine Schulnoten sind absolut identisch mit denen des Vorjahres, als Grundwort in Zss., in denen das Vergleichsobjekt selbst im Bestimmungswort expliziert wird, wie bio-/natur- (zur Charakterisierung von Wirkstoffen, die mit den vom Körper selbst hergestellten/in der Natur vorfindlichen identisch sind), haut-, gewebe-, körperidentisch, sowie selten adv. gebraucht in der Bed. ¤auf die gleiche/ in gleicher Weise, gleich(-förmig, -bleibend); baugleichÅ (s. Belege 1808, 1985, 2006), z. B. sich identisch vermehren, Wohnräume nahezu identisch einrichten, und ¤im Einklang, einigÅ (s. Beleg 1963), z. B. sich mit jmdm. vollkommen identisch fühlen (¤identifizierenÅ), weitgehend gleichbed. mit der seit Anfang 19. Jh. nachgewiesenen fachspr. (insbes. Geologie, Chemie), heute als regionale (österr.) Variante gebrauchten Kurzform ident Adj. und Adv. (zu 1), seit spätem 18. Jh. auch eine interne Relation bezeichnend und auf eine einzige Bezugsperson rekurrierend für ¤sich auf sich selbst beziehend, sich selbst gleich; mit sich selbst übereinstimmend, im Einklang; seiner selbst bewusst, selbstverständlich, -bewusstÅ, z. B. sei identisch (mit dir selbst)!, (mit sich selbst) identische Menschen ruhen in sich, das identische Ich, identisches Bewusstsein; selbstidentisch (zu 2a), dann auch selten mit Bezug auf eine einzige Person ¤als ein und dieselbe, die nämliche (behauptete/angenommene) Person ausgewiesen, wahrgenommen, erkennbar/erkannt, identifiziert, diese verkörpernd, repräsentierendÅ, z. B. wir haben den identischen (¤nämlichenÅ) Zahnarzt, oder einen Gegenstand ¤eben dasjenige (was angenommen, vorausgesetzt wird) darstellend; wahrhaftig, echt, beglaubigt, belegtÅ (→ authentisch), z. B. eine identische (¤verbürgteÅ) Schrift des Apostels Johannes, eine identisch (¤wahrhaftig, wahrheitsgetreuÅ) erzählte Geschichte (zu 2b); daneben seit früherem 20. Jh. aus gleichbed.

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frz. identitaire entlehntes identitär, gesellschaftsphilosophischer/verfassungsrechtlicher Terminus in der Bed. ¤den Willen des Volkes mit dem Willen aller Bürger mit dem Ziel gleichsetzend, den Unterschied zwischen Herrschenden und Beherrschten aufzuhebenÅ (vgl. Identitätstheorie, s. o.), z. B. Rousseaus identitäre Demokratietheorie, Befürworter einer identitären Demokratie (zu 1), seit spätem 20. Jh. vom Resultat dieser Aufhebung des Unterschieds zwischen Herrschenden und Beherrschten her gedacht bzw. aus diesem Gedanken entwickelt und daher kaum von 1 zu trennen, auch (bes. nach der Gründung der rechtsextrem-rassistischen Gruppierung Bloc identitaire 2002/2003 in Frankreich bzw. vergleichbarer Gruppen in deutschsprachigen Ländern um 2012) zur Bezeichnung völkisch-rechtsextremer und kulturrassistisch orientierter Denkweisen und Gruppierungen in der Bed. ¤die biologische, kulturelle und nationale Einheitlichkeit betreffend; rein(rassig), kulturrassistischÅ, in Wendungen wie die Aktivisten der identitären Bewegung, identitäre Kollektive, national, identitär und rassistisch, identitäres Gefasel und Zss. wie anti-, kultur-, nationalidentitär, auch subst. zur Personenbezeichnung Identitäre (-n; Sing. ungebr.) in der Bed. ¤Anhänger, Mitglieder einer identitären GruppierungÅ (s. Beleg 2012), z. B. Anhänger der Identitären, die Identitären haben eine Demonstration angekündigt; Identitärenchef, -gegner, -kundgebung, Anti-Identitären-Demo, in jüngster Zeit vereinzelt auch ¤die persönliche (geschlechtliche, sexuelle) Identität (das Selbstverständnis und die Darstellung nach außen, das Image) eines Individuums betreffendÅ (s. Beleg 2002.2), z. B. ein individuelles Recht auf identitäre Selbstbestimmung, identitäre Selbstvergewisserung; cross-, geschlechts-, nicht-, transidentitär (zu 2a). Identität 1: Schweigger 1659 D. Türcken Religion (Übers.) 269 gleichwie die Existentz nach der Essentz, das ist/ das eussere Wesen jedes Dings aus dem innern herkähme: also wär die Menschheit gleichsam ein unsichtbare Gestalt/ die sich an allen und jeden Menschen eusserlich sehen liesse; und wann das eussere nicht von dem innern zeugete/ könnte es in der Beschreibung nicht bestehen; gleich wie ein Wolff kein Hund ist/ weil beyder Beschreibungen verscheiden sind/ ob sie schon von der Identität etwas gemein haben. So hat GOtt von Ewigkeit ein Bild oder Ideam/ ein Abriß oder Muster bey sich abgefast/ nach welchem diese gegenwertige Zeit und Welt ihren Anfang solte nehmen/ und das End erreichen; Stieler 1695 Zeitungs Lust 204 Identität, Gleichheit/ Ebenmäßigkeit; Sperander 1727 A la Mode-Sprach 297 Identitæt, die Gleichheit, Ubereinstimmung mit einer andern Sache; Leibniz 1740 Kleinere Philos. Schr. (Übers.) 112 Der Hauptgrund der Mathematik ist der Grundsatz des Widerspruchs, oder der Identität: das ist, daß ein Satz zu gleicher Zeit nicht kan wahr und falsch seyn; Kant 1764 Vorkrit. Schr. II (Ges. Schr. I 2,294) Einem jeden Subjecte kommt ein Prädicat zu, welches ihm identisch ist. Dieses ist der Satz der Identität; ders. 1781 Kritik d. reinen Vernunft (W. III 52) Analytische Urteile . . sind also diejenige, in welchen die Verknüpfung des Prädikats mit dem Subjekt durch Identität, dieje-

nige aber, in denen diese Verknüpfung ohne Identität gedacht wird, sollen synthetische Urteile heißen (DiBi 2); Abel 1786 Seelenlehre 196 sind demnach die Begriffe dem Allgemeinen oder Ganzen blos ähnlich, nicht identisch, . . so entsteht nur ein wahrscheinlicher Schluß, dessen Verhältniß zur Gewißheit eben dasselbe ist, wie das Verhältniß der . . Aehnlichkeit zu völliger Identität; Schiller 1793 S. W. V 431 Daß zwischen den Sachen und den Worten keine materiale Ähnlichkeit (Identität) stattfindet, macht gar keine Schwierigkeit; denn diese findet sich auch nicht zwischen der Bildsäule und dem Menschen, dessen Darstellung sie ist. Aber auch die bloß formale Ähnlichkeit (Nachahmung) ist zwischen Worten und Sachen so leicht nicht (DiBi 1); Herder 1799 S. W. XXI 34 da sich durch Nennung des Subjects nicht sogleich alles, was in ihm liegt oder zu ihm gehöret, irgend ein Merkmal, ein Verhältniß, eine Beschaffenheit desselben, offenbaret; so müßen uns, wenn wir nicht ewig Identitäten, d. i. Ein und Dasselbe A ⫽ A herbeten . . wollen, Urtheile vorkommen, die unsre Kenntniße erweitern; Müller 1812 Schriften II 325 Die Einheit zwischen Körper und Seele, oder zwischen zwey und eins, durfte keine absolute seyn . . Er mußte demnach, obschon mit andern Worten behaupten, eine gegensätzische Identität, d. h. behaupten, Körper und Seele des Kunstwerks, seyen eins; E. T. A. Hoffmann 1815⫺16 Elixiere (Poet.

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W. II 203) daß man meine Spur genau verfolgt und so die Identität meiner Person mit dem Mönch Medardus festgestellt hatte (DiBi 125); ders. 1822 Letzte Erz. (Poet. W. VI 756) vielleicht glaubt sie auch gar nicht an den glücklichen Zufall, der den berühmten Verfasser . . in ihre Nähe bringt. Ich suchte nun ihr auf alle mögliche Weise meine Identität mit jenem Verfasser darzutun (DiBi 125); Puchelt 1826 System d. Med. I 39 f. Schelling’s Naturphilosophie, . . welche die Ansicht begründete, dass weder eine einzelne Erscheinung, welche der Beobachtung angehört, noch ein von einzelnen Beobachtungen abstrahirter Satz das Princip und die Idee der Wissenschaft seyn, sondern dass diese . . sowohl die Körperwelt, als auch das Gebiet der Seele in sich in höchster Idendität [!] vereinigen müsse; Feuerbach 1830 Reimverse auf d. Tod (S. W. III 91) Mein leidiges Derselbesein,/ Das modert in dem Todtenschrein;/ Es endet die Identitas,/ Der Tod ist nicht ein leerer Spaß; Schleiermacher 1832 Ästhetik 23 Zweitens muß auch auf das Verhältniß der Menschen untereinander Rücksicht genommen werden. Es ist zusammengesezt aus Identität der Natur in allen und Eigenthümlichkeit der Person in jedem; Marx 1844 Kritik d. Hegelschen Rechtsphilosophie (MEW I 275) Die Identität der bürgerlichen und politischen Stände war der Ausdruck der Identität der bürgerlichen und politischen Gesellschaft (DiBi 11); Engels 1845⫺46 Dtsch. Ideologie (MEW III 255) Um eine Vorstellung in eine andere zu verwandeln oder die Identität zweier ganz disparaten Dinge nachzuweisen, werden einige Mittelglieder gesucht, die teils dem Sinn, teils der Etymologie, teils dem bloßen Klange nach zur Herstellung eines scheinbaren Zusammenhangs zwischen den beiden Grundvorstellungen brauchbar sind (DiBi 11); 1851 Archiv d. Mathematik u. Physik XVII 271 wenn ich behaupte, dass sowohl die Gauss’schen, als auch die Neper’schen Gleichungen, streng genommen, blosse Identitäten sind, was freilich von sehr vielen, meinetwegen von allen mathematischen Gleichungen gilt; es kommt am Ende nur auf den grösseren oder geringeren Grad der Leichtigkeit an, mit welchem dieselben identisch gemacht werden können; Eichendorff 1857 Gesch. d. poet. Lit. Deutschlands (W. III 903) Das letztere versuchte Schelling philosophisch zu vermitteln, indem er das Ideale und Reale als Eines begründete im Absoluten, aus dem das Ich und die reale Welt hervorging und das also die Identität von Natur und Geist oder Gott selber ist (DiBi 125); 1866 Geograph. Jahrb. I 399 dass die angebliche Identität antarktischer und arktischer Pflanzen in gewissen Fällen auf Verwechselung verwandter Arten beruht; Hartmann 1869 Philosophie 13 Denn der natürliche Mensch fühlte als Naturwesen Leib und

Seele in sich als Eins, er anticipirte instinctiv diese Identität (DiBi 2); Volkmann v. Volkmar 1895 Psychologie II 351 Anm. Beneke gebührt das Verdienst, unter den neueren deutschen Psychologen ganz besonders die Abhängigkeit, ja Identität der Gedächtniskraft der Gefühle mit jener der Vorstellungen hervorgehoben zu haben; 1926 Imago XII 409 Ich selbst habe wiederholt auf die Identität von „Lust“ und „archaischem Triebe“ hingewiesen; Binder 1930 Sittl. Berechtigung 17 Hegels Identitätsphilosophie ermöglicht es, die Gegensätzlichkeit von Individuum und Gesamtheit aufzuheben, ohne die Persönlichkeit des ersteren zu zerstören; Klemperer 1937 Tagebücher 366 Der Mann . . äußert Gedanken, die in Form und Inhalt rein nationalsozialistisch sind. Von der Notwendigkeit der Volksgemeinschaft, von den für sich bestehenden Stämmen, von der Identität zwischen Recht und Macht; Münch. N. N. 29. 10. 1942 Jede seiner [Hitlers] Reden brachte . . ein Bekenntnis zu der „absoluten Identität“ nicht nur der Zielsetzung, sondern auch des Weges, die zwischen den beiden Revolutionen [der faschistischen und der nationalsozialistischen] besteht und die den Bund unlösbar macht; Th. Mann 1944 Nachtr. (W. XIII 201) es ist so gut wie ausgeschlossen, daß der spekulierende Theolog, der das vierte Evangelium schrieb, identisch war mit dem Jünger des Herrn, „der an seiner Brust lag“, – obgleich er diese Identität behauptet. Noch weniger, wenn möglich, hat der Verfasser der Apokalypse mit jenem Jünger, oder wiederum mit dem Evangelisten Johannes zu tun; Bavink 1950 Weltschöpfung 90 Schwere und Trägheit sind . . nicht zu unterscheiden; daß sie stets mit einander genau parallel gehen, wußten wir schon seit Newton. Aus diesem Parallelgehen beider macht nun aber Einsteins Allgemeine Relativitätstheorie kurzerhand völlige Identität. Schwere und Trägheit sind ein und dasselbe, nur gesehen von zwei verschiedenen Beobachtungsstandorten aus, die sich beschleunigt gegeneinander bewegen; Steffen 1965 Aspekte d. Modernität 103 Es war die Romantik, der die verborgene Identität zwischen Malerei und Musik zuerst bewußt wurde; taz 31. 5. 1990 Die Identität zwischen Mensch und Maschine liegt jedoch nicht auf der körperlichen Ebene, sondern auf der geistigen. Die Maschine ist zunächst nur ein abstraktes Denkmodell, das sich nicht unbedingt in menschlicher Form materialisieren muß; Frankf. Rundsch. 14. 8. 1999 Dieser . . hochprofessionelle Dilettantismus [Goethes] empfängt in seiner Wißbegier ebenso wie in selbstauferlegten Beschränkungen Kraft und Prägung aus einer tiefreichenden, immer neu gesuchten Nähe, wenn nicht Identität von Erkenntnis und Selbsterkenntnis; Lerdorf u. a. 2006 Programmieren mit PHP 42 Arithmetische Identität . . Der arithmetische Iden-

Identität titätsoperator multipliziert den Operanden mit ⫹1 und hat keinerlei Auswirkungen. ident 1: 1807 Alpina II 5 Die bis jetzt bekannt gewordene Steinkohlenlager dieser Formation erscheinen in verschiedenen Gegenden und sehr verschiedenen Höhen, so, daß sie nicht ident zu seyn scheinen; 1830 Archiv f. Mineralogie II 361 Ein äusseres oder jüngeres Band, welches aus Conglomeraten mit untergeordneten Lagern von gelbem Sand und blauen Mergeln mit Muscheln besteht. Diese letzteren scheinen . . ident mit denen zu seyn, welche an andern Punkten in Italien, in Nizza u. s. w. die neueren Tertiär-Bildungen (Subapennischen) charakterisiren; 1835 Journal f. prakt. Chemie III 410 Petrolin, von Christison im Petrol von Rangoon aufgefunden, . . ist mit dem Paraffin ident; 1845 Archiv f. physiolog. u. patholog. Chemie 420 Bringt man . . auch die Wärmeabnahme, welche deutsche Forscher bei der asiatischen Cholera beobachtet haben, in Betracht, so scheinen die Gesetze, nach denen das Wärmevermögen in Krankheiten regiert wird, ähnlich denen des physiologischen Zustandes, für die verschiedenen Lebensperioden beinahe ident zu sein; 1863 Zschr. f. allg. Erdkunde N. F. XV 544 Der zuerst angeführte Trachyt ist ohne Zweifel ident mit dem von Herrn G. Rose . . unter III. aufgeführten Trachyt vom Fuss des Kilimandjaro; 1866 Annalen d. Physik u. Chemie CXXIX 626 Den früheren Entwicklungen zufolge können diese Isomerien entweder als Polymerien der identen Materie betrachtet werden, oder sie sind procentuale Isomerien . ., in welchen jedoch die Materie nicht mehr ident ist, sondern die auftretenden Grundstoffe Modificationen erlitten haben; Seler 1887 Konjugationssystem d. Maya-Sprachen 6 Ident sind nur die zweiten Personen des Pokomam und Pokonchi, und nahezu ident die ersten Personen des Tzental. Um dem abzuhelfen, treten wieder . . Partikeln kollektiver oder pluraler Bedeutung, den Sinn präzisirend, ein; Abel 1929 Paläobiologie 218 In der Pfanne des Schulterblattes lenkt der Kopf des Humerus ein, der sich zwar in seiner Gesamtform sehr wesentlich von der eines Hundehumerus unterscheidet, aber doch ganz zweifellos mit demselben morphologisch ident, oder wie wir sagen, homolog ist; Zimmermann 1968 Evolution u. Naturphilos. 160 Probiontenstufe: Gebilde mit der Fähigkeit zu identer Reproduktion (Autokatalyse, Replikation). Als Beispiele kennen wir bisher die DNS- und RNS-Moleküle (Nukleinsäuren). Sie können sich z. B. in Viren, in Bakterien und in Zellkernen der Tiere und Pflanzen ident reproduzieren. Diese idente Reproduktion ist auch außerhalb der Organismen im Reagenzglas durchführbar; Wochenpresse 25. 4. 1979 Bei einem Ausgabekurs von 100

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ist die Rendite mit der Nominalverzinsung ident (DUDEN 1999); taz 7. 12. 1989 die Zielsetzungen der hiesigen Parteien sind für den Normalbürger ident und ihre Praktiken noch identer; Salzb. Nachr. 6. 8. 1992 Beide Gebiete hätten in etwa die gleichen geographischen Verhältnisse, hätten eine beinahe idente wirtschaftliche Situation; Vorarlb. Nachr. 22. 1. 2000 Forscher klonen genetisch idente Affen (Überschr.) Amerikanischen Wissenschaftern ist es gelungen, genetisch identische Affen zu klonen; Salzb. Nachr. 19. 9. 2000 Eine der Raritäten ist ein Janus Zündapp Auto aus dem Jahr 1958. Das Auto ist vorne und hinten ident, die Passagiere sitzen Rücken an Rücken auf zwei Sitzbänken; Niederösterr. Nachr. 14. 6. 2012 Die Fußabdrücke vorm Fenster fotografierten die Ermittler damals. Nun soll verglichen werden, ob die Schuhgröße mit der des Angeklagten ident ist. identisch 1: 1725 Dtsch. Acta eruditorum X 733 Mit diesem allen will der Hr. Verfasser dem Wesen der Dinge die Nothwendigkeit, so ihnen andere zugeschrieben, nicht absprechen, sofern dieselbe in dem Zusammenhang des Subjecti und Prædicati derer wesentlichen Sätze bestehet, . . hält aber dergleichen Nothwendigkeit vor unwerth, viel darvon zu sagen, indem dieselbe uns bloß einige identische Sätze, so von schlechtem Nutzen sind, an die Hand giebt; Gottsched 1733 Weltweisheit 38 Zu diesen Grundsätzen rechnet man auch identische oder leere Sätze, worinn das Subject und Prädicat einerley ist; als: Ein Mensch ist ein Mensch. Dergleichen identische Sätze sind alle Worterklärungen. Und daher kommt es eben, daß die Erklärungen der Wörter willkührlich sind, und an sich keines Beweises bedürfen; Kant 1764 Vorkrit. Schr. II (Ges. Schr. I 2,294) Der Satz also, der das Wesen einer jeden Bejahung ausdrückt und mithin die oberste Formel aller bejahenden Urtheile enthält, heißt: Einem jeden Subjecte kommt ein Prädicat zu, welches ihm identisch ist. Dieses ist der Satz der Identität; Lessing 1767⫺68 Hamburgische Dramaturgie (W. IV 322) er spricht, als ob er das nämliche zweimal spräche, als ob beide Sätze wahre tautologische Sätze, vollkommen identische Sätze wären; ohne das geringste Verbindungswort (DiBi 1); Goethe 1808 Farbenlehre (WA II 1,13) Das Auge kann und mag nicht einen Moment in einem besondern . . durch das Object specificirten Zustande identisch verharren; ders. 1827 Schr. z. Lit. (WA I 41.2,250) Daß hier von einem analogen Fall die Rede sei, läugnen wir nicht; allein er ist nicht identisch; Schleiermacher 1832 Ästhetik 128 Dieser geistige Moment bezieht sich auf das in allen Künsten Identische, und man nennt dies nur das Poetische, weil man sich die Poesie gewöhnlich als die potenzirte Kunst denkt; Anthus 1838 Esskunst 257

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Sonderbar ist’s, daß man . . Austern . . immer nach Dutzenden und Hunderten bestellt oder bestellen zu müssen glaubt, so daß Austern essen und viel essen für identisch genommen wird; Humboldt 1849 Ansichten 40 In dem See von Valencia fanden wir eine Typha (Rohrkolben), die mit der europäischen . . ganz identisch ist; Nordau 1881 Paris unter d. III. Republik 120 Es ist also klar, daß . . der Naturalismus unmöglich mit Obszönität identisch sein kann; Freud 1907 (Studienausg. X 73) Der Fall von Wahnbildung, der sich aus Hanolds erstem Traum ergab, ist nichts als ein ähnliches, wenn auch nicht identisches Beispiel einer solchen Verschiebung; Th. Mann 1945 Reden u. Aufs. (W. XIII 741) Deutschland ist nicht identisch mit der kurzen finsteren Episode, die Hitlers Namen trägt; es ist auch nicht identisch mit der selbst nur kurzen Bismarckischen Ära des preußisch-deutschen Reiches; es ist nicht einmal identisch mit dem auch nur zwei Jahrhunderte umfassenden Abschnitt seiner Geschichte, den man auf den Namen Friedrichs des Großen taufen kann; 1951 Saeculum II 605 ist Föderation . . nicht nur ein Mittel zur staatlichen Konsolidierung, sondern identisch mit dem Sinngehalt des Staates selber; Hochhuth 1963 Stellvertreter 167 Damit erreichen doch die Alliierten nur, daß sich die armen Deutschen noch stärker als bisher identisch mit ihrem unseligen Hitler fühlen; Engel 1970 (Forschungsber. d. IDS V 29) Wenn Stellungsklassen . . Elemente mit identischem Stellungsverhalten umfassen, so müßte es genügen, jedes Stellungselement (jede Stellungsklasse) mit einem Symbol zu kennzeichnen, das seine charakteristische Stellungseigenschaft angibt; Rehm 1980 Mikrobiologie o. S. Ein Klon ist eine Population genetisch identischer Individuen; Mannh. Morgen 17. 9. 1985 Viren . . können sich nicht aus eigener Kraft fortpflanzen, besitzen aber die komplette genetische Information, um sich identisch zu vermehren; taz 20. 6. 1987 Im nahegelegenen Tavira, einer Siedlung von 205 identischen Ein-Zimmer-Bungalows, die in nur zwei Monaten für die Evakuierten errichtet wurde; ebd. 26. 6. 1987 die Harmonie, das unglaubliche Einverständnis aller miteinander, die absolut identische Einschätzung dieses Mannes bewegt uns alle tief; Mannh. Morgen 27. 5. 2000 Die Betrogene meldete sich erst jetzt bei der Polizei, nachdem sie aus der Zeitung von einem identischen Fall in Mannheim gehört hatte; Zeit (online) 21. 6. 2000 dass ein Experiment, das einmal funktioniert hat, sich unter identischen Bedingungen nicht wiederholen lässt; Mannh. Morgen 31. 10. 2006 Jugendliche in wunderschönen, zartfarbenen Kleidern, die dem Original beinahe identisch nachgeschneidert waren; taz 18. 9. 2007 Es gehe auch nicht darum, den Wettbewerbern die Entwicklung von identischer, sondern von alternativer Software zu ermöglichen.

identitär 1: 1936 Archiv d. öffentl. Rechts N. F. XXVII 54 Die Auflösung der politischen Eigenexistenz des Staates durch die volonte´ ge´ne´rale einer identitären Massendemokratie ergibt für Rousseau die größte Gewißheit einer ausschließlichen Unterordnung unter die . . Vernunft; ebd. 59 Verzichtet man jedoch auf die staatsfremde identitäre Demokratie, . . so muß neben dem Schutz der Vernunft durch Gewaltenhemmung und Parlament, der Einzelne als erster Träger dieser Vernunft weitgehend geschützt werden; Simson/Kriele 1971 D. demokrat. Prinzip im Grundgesetz 94 Die Momente, welche freiheitliche, rechtsstaatliche Demokratie konstituieren, weder das Prinzip der Gewaltenteilung, noch dasjenige der Repräsentation sind von der Basis der identitären Demokratie verständlich. Im Sinne der identitären Demokratie wird der Wille des souveränen Volkes nicht allein mit Recht und Gerechtigkeit, sondern auch mit dem Willen aller identifiziert; Stödter/Thieme 1977 Hamburg, Deutschland, Europa 146 f. Hier stoßen zwei Auffassungen scharf aufeinander, die der repräsentativen Ordnung, der das Grundgesetz folgt, und die einer identitären Konzeption, die auf einer direkten Teilnahme der Bürger an der politischen Entscheidung beruht; Koslowski 1982 Gesellschaft u. Staat 35 Unter den Bedingungen geschichtlichen Daseins sind das Privateigentum und die Individuation nicht aufzuheben und ist unentzweites Dasein politisch nicht herstellbar. Die Gesellschaft der Individuen ist nur evolutionär in einen identitären Organismus zu transformieren; Durner 1997 Antiparlamentarismus in Deutschland 146 Kurt Lenk führt die Parlamentarismuskontroverse auf die Differenz des identitären, „klassischen“ Demokratiemodells Rousseaus und des Konkurrenzmodells Schumpeters zurück und ermittelt zutreffend als zentralen Punkt der gegenwärtigen Demokratiediskussion die Frage, ob Demokratie als herrschaftsfreier Zustand realisierbar ist; Weißer 2015 Bundesrepublik Deutschland 19 f. Die hiesige Wettbewerbsdemokratie ist eine Absage an alle identitären Theorien in der Nachfolge von Jean-Jacques Rousseau (1712–1778), wonach der Staat den Willen der Allgemeinheit verkörpert, so dass Staat und Volk miteinander identisch seien. Identität 2a: Butler 1756 Bestätigung d. Religion (Übers.) 415 Indeßen sind doch seltsame Schwürigkeiten erregt worden, was die Identität der Personen, oder daß man eben derselbe sey, eigentlich sagen wolle, welches in dem Begriffe, daß wir itzt und nach diesem, oder in verschiedenen Zeitpunkten leben sollen, enthalten ist; ebd. 416 so entstehet aus der Vergleichung des Bewußtseyns unserer selbst oder unsers Daseyns in zween verschiedenen Zeitpunkten, unmittelbar in dem Gemüthe der Be-

Identität griff der persönlichen Identität . . die letztere Vergleichung . . zeigt uns . ., daß wir selbst in zween verschiedenen Zeitpunkten dieselben Personen sind. Auf die Art kann nun . . das Bewußtseyn von dem Vergangenen uns selbst von unserer persönlichen Identität vergewißern; 1776 Dtsch. Museum I 215 Die Vorstellung des Vergangenen, das ihn angegangen hat, und das beständige Gefühl, gewisser sich immer gleicher Eindrücke, gibt dem innern Menschen die Empfindung der Selbstheit oder Idendität [!] . . Was nicht unmittelbar auf ihn wirken kann, unterscheidet er von sich. Dadurch wird der Mensch ein ganzes Identisches Wesen; Meiners 1776 Verm. Philos. Schr. II 22 Von allen bisherigen innern Gefühlen ist dasjenige verschieden, was man das Gefühl unsers Ichs, unserer Persönlichkeit, (Personalität) endlich das Gefühl der Identität, oder der Einerleyheit unserer Person nennt; Jacobi 1796 Woldemar I 94 dies Gefühl . . hätte an der philosophirenden Vernunft . . eine Widersacherinn . . Sie wäre auf diese Autorität, dieses durch Unabhängigkeit über sie erhabene Wissen und Entscheiden so eifersüchtig, daß sie an keinem Orte es unangefochten ließe, es bis in unser innerstes Bewußtseyn verfolgte, wo sie uns das Gefühl unserer Identität und Personalität verdächtig zu machen suchte; 1797 Studium d. griech. Poesie (Krit. Friedrich-Schlegel-Ausg. I 1,234) Jeder Laut eines lebenden Wesens hat seinen eigentümlichen Sinn, und auch die Gleichartigkeit mehrerer Laute ist nicht bedeutungslos. . . So wiederholen viele Tierarten stets dasselbe Geräusch, gleichsam um der Welt ihre Identität bekannt zu machen (DiBi 1); Beck 1799 Propädeutik 12 Die Persönlichkeit des Menschen, oder das Bewußtseyn der Identität seiner selbst zu verschiedenen Zeiten seiner Existenz; 1810 Almanach a. Rom I 211 Ruinen von wahrhaft colossaler Form . . von der Identität des Volkes zeugend, das sie erbaute; Hegel 1812 Wiss. d. Logik (W. VI 527) Der Lehrsatz nun nach der angegebenen Bestimmung ist das eigentlich Synthetische eines Gegenstandes, insofern die Verhältnisse seiner Bestimmtheiten notwendig, d. i. in der inneren Identität des Begriffes gegründet sind; Altenberg 1901 Was d. Tag mir zuträgt 291 Auch Wien hat nun ein Gehirn erhalten, Wien hat eine Seele erhalten, Wien hat einen Willen erhalten. Dieses Gehirn, diese Seele, dieser Wille Wiens heisst: Lueger! Giebt es grössere Identitäten?! Jede Nation, jede Rasse kann sich zu einem Einzelwesen concentrieren, einen Extract seiner selbst erzeugen, ihren Inhalt gleichsam zu einem Individualkinde ausgebären! Solche Identitäten, solche Söhne nennt man dann „Genies“!; Conze 1932 Satz vom Widerspruch Nr. 318 Der Grad der inneren Identität des Menschen ist der Maßstab für die Identität der äußeren Dinge . . Erst beim Arbeiten entsteht eine

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hohe innere Identität. Also auch erst in den bearbeiteten Dingen; Hofstätter 1963 (Festschr. f. Heiss 155) Personale Identität und das sogenannte brainwashing (Titel); Feyl 1981 Aufbruch 24 Was John Stuart Mill einst forderte, daß die Frau den Zweck ihres Daseins in sich selbst und nicht im Mann haben soll, durchdringt immer mehr das weibliche Selbstbewußtsein. Der lange Kampf um die Emanzipation, . . die Suche nach Identität, . . all die verwirkten Hoffnungen und verwehrten Utopien haben einen neuen Anfang; ebd. 95 sie [Betty Gleim] . . räumt gegen alle bisherigen Gepflogenheiten der deutschen Sprache im Unterricht den ihr gebührenden Platz ein. Dies ist für sie nicht „Pöbelschmeichlerei“ . ., sondern das Gegenteil: in der eigenen Sprache seine nationale Identität finden, seine Herkunft, seine Wurzeln und Traditionen erfahren . . – darum geht es ihr; Sloterdijk 1983 Kritik d. zyn. Vernunft I 132 f. Der Tanz ums goldene Kalb der Identität ist der letzte und größte Taumel der Gegenaufklärung. Identität lautet das Zauberwort eines . . Konservatismus, der persönliche Identität, berufliche Identität, nationale Identität, politische Identität, . . Klassenidentität, Parteiidentität etc. auf seine Fahnen geschrieben hat; Zeit 6. 2. 1987 in den letzten Monaten . . produzieren einige westdeutsche Historiker einen intellektuellen publizistischen Nieselregen, der sich in Äußerungen wie „Identität der Deutschen“, die „gemeinsame Identität der deutschen Nation“, das „kollektive Erbe der deutschen Geschichte“, „Vergangenheit und Gegenwart“ und ähnlichem kondensiert; taz 13. 9. 1990 damit wird . . den Grünen zugemutet, ihre politische Identität zwischen SPD und PDS zu suchen – als ob beide Parteien auch nur eine Idee hätten, wie sie auf die neue deutsch-deutsche Realität reagieren sollen; Spiegel 7. 12. 1992 Orientierung und Identität bietet die Skinhead-Kultur mit allen Schikanen; Mannh. Morgen 28. 9. 2009 Der gemeinsame Gegner Union/FDP schweißt zusammen – nicht umsonst erinnert Özdemir an die identitätsstiftende Zeit unter dem oft verspotteten CDU-Kanzler Helmut Kohl; Spiegel (online) 29. 1. 2017 Das Einwanderungsthema berührt die Frage der Identität des Landes. Bemerkenswert ist, wie tief die Proteste gegen Trumps Dekret gehen. Mehr als 4000 Wissenschaftler veröffentlichten eine Protestnote gegen den Einreisestopp. identisch 2a: Kant 1787 Kritik d. reinen Vernunft (W. III 138) Dieser Grundsatz, der notwendigen Einheit der Apperzeption, ist nun zwar selbst identisch, . . erklärt aber doch eine Synthesis des in einer Anschauung gegebenen Mannigfaltigen als notwendig, ohne welche jene durchgängige Identität des Selbstbewußtseins nicht gedacht werden kann. . . Ein Verstand, in welchem durch das

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Selbstbewußtsein zugleich alles Mannigfaltige gegeben würde, würde anschauen; der unsere kann nur denken und muß in den Sinnen die Anschauung suchen. Ich bin mir also des identischen Selbst bewußt (DiBi 2); Fichte 1794⫺95 Grundlage d. ges. Wissenschaftslehre (W. I 106) Aber das NichtIch kann nur insofern gesetzt werden, inwiefern im Ich (in dem identischen Bewusstseyn) ein Ich gesetzt ist, dem es entgegengesetzt werden kann. Nun soll das Nicht-Ich im identischen Bewusstseyn gesetzt werden (DiBi 2); Schelling 1795 Ich als Prinzip d. Philosophie (W. I 30) Gäbe es aber nicht etwas, das nur durch sich selbst ist, dessen Identität einzige Bedingung seines Seins ist, so wäre auch überall nichts identisch mit sich selbst . . Das Ich wäre nicht das Absolute, sondern bedingt, und als einzelne Unterart dem Gattungsbegriff der Objekte (den Modifikationen des allein identisch absoluten Nicht-Ichs) untergeordnet (DiBi 2); ebd. 51 Dem moralischen Urgesetz des endlichen Ichs: Sei identisch, widerstrebt nämlich das Naturgesetz desselben Ichs, kraft dessen es nicht identisch – d. h. Vielheit – nicht sein soll, sondern – ist . . Das reine moralische Urgesetz schließt schon alle subjektiven Formen . . aus, und fordert geradezu: sei identisch! (DiBi 2); 1846 Blätter f. lit. Unterhaltung I 631 Das Bewußtsein fließt unmittelbar aus der Vorstellung der Seele von sich selbst; es wird zwar entwickelt durch die Beobachtung des identischen Ich in allen mit und in demselben vorgehenden Veränderungen, aber es wird dadurch nicht erzeugt; Trendelenburg 1862 Log. Untersuchungen II 188 In dem Nothwendigen, welches seinem Begriffe nach das Unwandelbare ist . ., stellt sich das Identische dar. Alles Nothwendige ist mit sich identisch und behauptet sich als solches; ebd. 189 es lässt sich psychologisch nachweisen, dass der Mensch, der verhältnissmässig spät zu sich Ich sagt, seine wechselnde Selbstempfindung nicht eher zum identischen Selbstbewusstsein erhebt, als bis sein Denken an den Dingen so weit erstarkt ist, um sie als bleibend wiederzuerkennen; Eisler 1904 Wb. d. philos. Begriffe I 482 Der Begriff der Identität entsteht durch Vergleichung eines Bewußtseinsinhalts mit diesem selbst in verschiedenen Zeiten und Räumen, aus der gleichen Reaction des Ich auf einen Bewußtseinsinhalt, dessen stetige Veränderung bei Erhaltung des Wesenszusammenhanges das Denken nötigt, ihn, oder besser das durch ihn repräsentierte Object, Ding für „dasselbe“, für identisch mit dem früher wahrgenommenen zu halten (DiBi 3); Frisch 1954 Stiller 85 Daß ein Leben ein wirkliches Leben gewesen ist, es ist schwer zu sagen, worauf es ankommt. Ich nenne es Wirklichkeit, doch was heißt das! Sie können auch sagen: daß einer mit sich selbst identisch wird. Andernfalls ist er nie gewesen! Sehn Sie, Herr Doktor, das

meine ich: ein Gewesen-Sein, und wenn’s noch so miserabel war; Giesler 2003 Literatursprünge 137 es [ist] eine von seinen größten Sorgen, daß seine Tochter im Pensionat „gegen ihr Herz sprechen“ lernen könnte. . . Julchen soll auch in ihrem sprachlichen Ausdruck authentisch, mit sich selbst identisch, „echt“ und vor allem durchschaubar sein; taz 2. 1. 2012 Wulff und Guttenberg sind dabei bar aller Selbstzweifel und mit sich selbst identisch. Da sie zwischen sich und ihrem Job nicht mehr unterscheiden können, verstehen sie nicht, dass sie kündbar sein können. identitär 2a: taz 15. 6. 1990 ¤La Regle du JeuÅ soll . . ein Forum für Schriftsteller sein . . Die einzige Spielregel auf dieser Suche nach neuen Regeln: die Ablehnung jenes identitären Impulses, der als Unkraut nicht nur in der Trümmerlandschaft Osteuropas wuchert, sondern, so das Editorial, als Demarkationslinie in jedem Land Europas aufzufinden ist: „auf der einen Seite ein nationalistisches Europa, identitär, repressiv, populistisch; auf der anderen ein offenes Europa, demokratisch, kosmopolitisch. . .“; ebd. 24. 6. 2002 Nicht mehr nur mit politischen Parolen überzeugen zu wollen, sondern auf Konstrukte – wie Heimat, Identität und Geschlecht – zu reflektieren, das zeichnet diesen postautonomen Kontext aus. Markus Hubers Comic ist politisch, weil er sich nicht als identitäre Selbstvergewisserung einer Gruppe verstehen lässt, die dann immer Recht hat; Sommer 2002 Drogensuchtausstiegskarrieren 110 An erster Stelle könnte man ein wenig über den identitären Rückzug, sowohl als Vermeidungsprozeß, wie auch als Ausgleichshandlung, zwei grundlegende Techniken der Imagepflege und der Darstellung des identitären Neuanfangs nachdenken. Identitären Rückzug kann man als den sozialen Rückzug eines Akteurs definieren, wessen Zweck der persönlichen und sozialen Identitäts- und Imagerehabilitation im Vordergrund steht; Luxemb. Tagebl. 15. 12. 2012 Die jungen Lyoner organisierten im November anlässlich des zehnjährigen Bestehens der Partei ein Europatreffen der Identitären. Von der italienischen Lega Nord über Mitglieder des Front National, den Identitären aus Österreich bis hin zu den Westschweizer Identitären waren erstaunlich viele rechtsgerichtete Parteien vertreten; Zeit (online) 24. 7. 2014 Zum ersten Mal endet eine Fußballweltmeisterschaft mit Bildern des postnational Familiären. Sie lassen auf einen Streich und vor aller Augen das stur Biedere hinter sich, das nach 1945 Deutschlands Enge ausgemacht hat: das identitäre Muster aus Nation, Kleinfamilie samt Ehe, weißer Hautfarbe, christlicher Religion, deutscher Muttersprache, eiserner Disziplin; taz 30. 6. 2015 Rechtspopulistische Einwanderungsgegner haben kurz-

Ideologie zeitig Balkons der SPD-Zentrale an der Kurt Schumacher-Allee besetzt und Transparente entrollt. Ein Dutzend Anhänger der Gruppe „Identitäre Bewegung“ protestierten laut Polizei damit am Sonntag gegen Einwanderung und die Islamisierung Europas. Identität 2b: E. T. A. Hoffmann 1822 Letzte Erz. (Poet. W. VI 665) Er erfuhr von dem Arzt zu seinem nicht geringen Erstaunen, daß der Ort . . der Sitz eines preußischen Landeskollegii sei, und daß er mit aller Förmlichkeit sein Testament dort deponieren könne, sobald es ihm nur gelänge, die Identität seiner Person nachzuweisen. Dies war aber der harte Punkt. Denn wer kannte den Grafen in dieser Gegend? (DiBi 125); Nordau 1881 Paris unter d. 3. Republik 148 f. Er schleppte sie vor den Gerichtshof . . und ließ sie vor den Richtern erscheinen, zitternd, verwirrt, erschrocken über ihre von aller Welt erkannte Identität; Smithanders 1926 Nordamerika 138 Wenn im sog. ersten Papier der Name ungenau bezw. fehlerhaft geschrieben ist, wird dasselbe dadurch nicht ungültig, wenn nur die Identität der Person nachgewiesen wird; Berl. Illustr. Nachtausg. 12. 1. 1933 Das deutsche Konsulat in Neapel konnte die Angaben Hummels damals nicht nachprüfen und teilte auf Grund des zweimaligen Verhörs . . mit, daß die Identität Daubmanns unzweifelhaft feststehe; 1938 ZfdA LXXV 192 Der Unterschied . . ist so auffällig, daß, wer etwa hier an der Identität des Verfassers gezweifelt haben sollte, dafür einen Anhaltspunkt darin finden müßte; NZ (Basel) 25. 4. 1949 Die Deutschen, die beschlossen haben, auf dem neuen belgischen Territorium zu bleiben, werden am Dienstag einen Identitätsausweis für Ausländer erhalten, der sie berechtigt, sich frei auf belgischem

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Gebiet zu bewegen; Th. Mann 1954 Krull (W. VII 560) Kann es sein, daß ich die Verliebtheit in sie in meine neue Identität aufgenommen, daß ich mich nachträglich in sie verliebt hatte und in der Fremde einer Zaza zu begegnen wünschte?; FAZ 3. 3. 1969 Gegen eine Gebühr von zehn Mark erhält der Betreffende an Ort und Stelle eine „Identitätsbeschreibung“, mit der er das kurze Stück Interzonenstraße passieren kann; Spiegel 7. 12. 1992 Das BKA habe sie „umgedreht“, um dem aufgebrachten Ausland schuldige Deutsche präsentieren zu können; mit einer neuen Identität und viel Geld versehen, werde man sie bald abschieben; ebd. 15. 2. 1993 Glauben Passanten dennoch, eine Ähnlichkeit mit der berühmten Schwimmerin zu entdecken, verleugnet sie kurzerhand ihre Identität; FAZ 26. 1. 2005 Die Feststellung der Identität eines Menschen (du bist der, der du zu sein vorgibst) ist strenggenommen kein Eingriff in sein Persönlichkeitsrecht; Süddtsch. Ztg. 30. 3. 2005 die Puffmutter eines Bordells in Buenos Aires [war] eine Nonne – sie hatte noch zahllose andere Identitäten; Mannh. Morgen 6. 5. 2009 Nach geltendem Eherecht dürfen Verheiratete ihren Nachnamen mit dem des Partners kombinieren – aber nur, wenn keiner von beiden bereits einen Doppelnamen führt. Dadurch würden lange Namensketten verhindert. Dies . . schütze folgende Generationen, „da mit dem Anwachsen der Namensanzahl die identitätsstiftende Funktion des Namens verloren zu gehen droht“. identisch 2b: Kleine Ztg. 12. 7. 2000 Stotter legte sehr viel Wert darauf, dass die Geschichte so identisch wie möglich erzählt wird. So konnte man sich auch den Dialog zwischen Paola und ihrer Mutter gut vorstellen.

Ideologie F. (-; -n), Ende 18. Jh. entlehnt aus gleichbed. frz. ide´ologie, einer 1796 von A. L. C. Destutt de Tracy geprägten neoklassischen Bildung aus ide´o- ¤Ideen-Å (vgl. die gleichbed. initiale Lehnwortbildungseinheit Ideo-/ideo- in Kombinationen wie Ideogramm, Ideographie, ideodynamisch, Ideokinese, Ideokratie, Ideomotorik), zurückgehend auf griech. $ide*a in seiner Bed. ¤Erscheinung; Vorstellung, IdeeÅ (→ Idee, → ideal, → Ideal, → Idealismus) und -logie ¤-wissenschaft, -kunde; wissenschaftliche AbhandlungÅ (zurückgehend auf griech. lo*gov ¤Wort, Rede; LehreÅ, zu le*gein ¤sammeln, vortragen, lesenÅ; vgl. Logos, → Logik), also eigentlich ¤Wissenschaft von den IdeenÅ. Zunächst z. T. noch in frz. Form in der Bed. ¤Ideenlehre, -wissenschaftÅ als Bezeichnung für die von Destutt de Tracy als Gegenpol zum cartesianischen Rationalismus begründete, aufklärerische philosophische Lehre, die das Entstehen von Ideen als biologischen Prozess beschrieb, der auf den Erfahrungen sinnlicher Wahrnehmung beruht, und die aus den natürlichen physiologischen und psychologischen Eigen-

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schaften des Menschen Prinzipien für harmonische rechtliche, politische, soziale und pädagogische Ordnungen entwickelte (→ Sensualismus; vgl. Empirismus, → empirisch; Ggs. → Metaphysik), anfangs als Metaphysik, Philosophie und Psychologie ablösende bzw. ersetzende Lehre aufgefasst und daher auch oft konkurrierend mit diesen Bezeichnungen verwendet, seit 20. Jh. überwiegend in historischer Rückschau (s. Belege 1802.1, 1802.2, 1827, 1831, 1850, 1882, 1911.2, 1973), in Wendungen wie Destutt de Tracy nennt die Metaphysik philosophische Ideologie, die Ideologie entwickelt Gedanken Condillacs weiter, die Ideologie soll die Metaphysik ersetzen, Ideologie ist nichts anderes als Ideenlehre, schon früh in der Nachfolge Napoleons I., der diese Denkrichtung als überzogen und praxisfern ablehnte und lächerlich machte, pejorisiert zu ¤gesellschaftliche, politische Theorie, die anstatt auf praktischer Erfahrung bloß auf theoretischen Überlegungen bzw. Ideen basiert, unbegründete, auf Spekulation beruhende (die Vervollkommnung der Gesellschaft anstrebende) politische Schwärmerei, die keinen Bezug zur (ökonomischen, materiellen) Realität hat, ProjektenmachereiÅ, z. B. eine Theorie als bloße Ideologie entlarven, sich gegen die Einmischung der Ideologie in die Politik verwahren, Napoleon hat diese Philosophie als Ideologie verspottet, oft losgelöst von einer bestimmten Denkrichtung als Bezeichnung für die Theorien des jeweiligen (politischen) Gegners schlagwortartig bezogen auf verschiedene freiheitliche Ideen und Ideale (s. Belege 1820, 1841, 1863; → Utopie; Ggs. → Materialismus, → Realismus) und im sozialphilosophischen Zusammenhang des (Früh-)Marxismus, losgelöst von der Lehre Destutt de Tracys, aber an den abwertenden Gebrauch anknüpfend in der Bed. ¤verkehrtes Weltbewusstsein, von der empirischen, materiellen, ökonomischen Basis fälschlicherweise losgelöstes und damit wirklichkeitsfernes, illusorisches System von Vorstellungen, Ideen, BegriffenÅ (s. Belege 1845⫺46, 1886), in Wendungen wie die herrschende Ideologie hat keine Basis in den tatsächlichen, wirklichen, realen Produktionsverhältnissen, sein Feld ist das der Ideologie, nicht das der Praxis, die bürgerlich-katholische Ideologie, gelegentlich allgemeiner in wissenschaftstheoretischen Zusammenhängen in der Bed. ¤(wirklichkeits- und) praxisferne (wissenschaftliche) Hypothese, Theorie, realitätsfernes Denken (ohne Rückbindung an reale Gegebenheiten, ohne jegliche empirische Basis)Å (s. Belege 1891, 1918.2; Ggs. Empirie, → empirisch, Positivismus, → positiv), z. B. das ist keine Wissenschaft, sondern eine Ideologie, ohne sichere empirische Basis bleibt eine Wissenschaft bloße Ideologie, Hypothesen, Theorien, kurz: Ideologie, seit Ende 19. Jh. sozialphilosophisch und v. a. politisch in verschiedenen Ausprägungen (z. B. bei sozialdemokratischen Autoren, bei Freud, Mannheim) in der heute dominierenden Bed. ¤System (öffentlich geäußerter) politischer oder sozialer Überzeugungen, Einstellungen, Haltungen, das von seinen Trägern (Einzelpersonen, einer sozialen Gruppe, einer Nation u. ä.) als Deutungsmuster zum Verständnis ihrer selbst, der Welt und zur Legitimation der eigenen Wertesysteme, Interessen und ihres Handelns benutzt wird, wodurch es sinnstiftende und stabilisierende Funktion für diese Gruppen gewinnt und damit als Weltanschauung die Grundlage für ihr politisches oder soziales Handeln darstellt, bestimmte Verhaltensnormen, Denk- und Argumentationsweisen und Wertungen nach sich zieht und gegen Angriffe entschieden (mit argumentativen, juristischen, militärischen u. a. Mitteln) verteidigt wirdÅ (s. Belege 1898, 1916, 1918.1; → Dogma, → Theorie), als (politischer) Kampfbegriff abwertend bezogen auf Überzeugungen gegnerischer Parteien oder Gruppen (s. Belege 1930, 1932, 1936, 1959; Ggs. Pragma-

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tismus, → pragmatisch), auch wertneutral bzw. positiv (s. Belege 1911.1, 1934, 2008), in Wendungen wie eine/die faschistische, marxistische, nationalistische, nationalsozialistische, politische, rassistische, rechte, sozialistische, totalitäre, völkische Ideologie, die herrschende sowjetische Ideologie, Menschen für seine Ideologie opfern, die kommunistische Partei fußt auf der marxistischen Ideologie, das ist keine Theorie, das ist eine Ideologie, Ideologie und Propaganda gehen Hand in Hand, subst. Zss. wie Ideologiebegriff, -forschung, -geschichte, -kritik, -produktion, -streit, -verdacht; Blut-und-Boden-, Ersatz-, Fortschritts-, Herrschafts-, Markt-, Nazi-/NS-, Partei-, Rassen-, SED-, Sowjet-, Staats-, Wachstums-, Wirtschaftsideologie und häufig in adj. Zss. wie ideologieanfällig, -befrachtet/-beladen, -behaftet, -belastet, -bestimmt, -feindlich, -fern, -fest, -frei, -gebunden, -gefärbt, -geleitet/-gelenkt, -geprägt, -gesättigt, -geschichtlich, -gesteuert, -gestützt, -getränkt, -konform, -kritisch, -lastig, -los, -resistent, -trächtig, -verdächtig. Dazu seit Anfang 19. Jh. die aus gleichbed. frz. ide´ologue entlehnte Personenbezeichnung Ideologe M. (-n; -n), im 19. Jh. auch Ideolog, moviert Ideologin, zunächst für ¤Anhänger, Vertreter der von Destutt de Tracy begründeten aufklärerischen IdeenlehreÅ (s. o.), heute nur noch in historischer Rückschau (s. Belege 1902, 1926, 2010), gelegentlich auch allgemein ¤Philosoph; MetaphysikerÅ (s. Belege 1827, 1838), dann (ausgehend von deren Ablehnung durch Napoleon) abwertend ¤realitäts-/praxisferner Schwärmer, TräumerÅ (s. Belege 1827, 1838, 1857; vgl. Phantast, Spintisierer, veraltet Aerobat), sowohl politisch (s. Belege 1840, 1850.1, 1863.1) als auch allgemeiner und ironisch (s. Belege 1836, 1844, 1857, 1874), seltener wertneutral bis positiv (s. Belege 1835, 1863.2), in Wendungen wie die auf Destutt de Tracy zurückgehende Schule der Ideologen, die französischen Ideologen, Ideologen sind wirklichkeitsferne Träumer, die nur in der Welt der Gedanken und Ideen existieren, die Ideologen träumen von Freiheit, der Ideologe ist dem Tatmenschen zuwider, weltfremde Ideologen und Zss. wie Ideologenschule, -schelte, heute überwiegend ¤Vordenker, Schöpfer, (hartnäckiger) Vertreter, Anhänger einer (politischen, sozialen, wirtschaftlichen, religiösen o. ä.) IdeologieÅ (→ Demagoge; vgl. Fanatiker, → fanatisch), in Wendungen wie er ist Pragmatiker, kein Ideologe, die verbohrten, verblendeten linken Ideologen, konservative Ideologen ziehen rechten Terror nach sich, ein islamistischer, radikaler, völkischer Ideologe, ein Populist, Ideologe und Demagoge, hier fanden sich Ideologen jeglicher Couleur, ein strammer Ideologe und Zss. wie Atom-, Blut-und-Boden-, Chef-/Haupt-/Ober-, KP-/SED-/Partei-/NS-/ Nazi-, Kultur-, Links-/Rechts-, Markt-/Wirtschafts-, Multikulti-, Rassen-, Staatsideologe, seltener als Bestimmungswort, z. B. Ideologenclique, -deutsch, -front, -garde, -mittel, -phrase, -politik, -streit. Daneben seit Anfang 19. Jh. die selten belegte weitgehend gleichbed. subst. Ableitung Ideologist M. (-en; -en), zunächst mit Bezug auf einen Anhänger, Vertreter der von Destutt de Tracy begründeten Ideenlehre, in Wendungen wie die französischen Ideologisten, die Ideologisten wurden von Napoleon lächerlich gemacht, in neuerer Zeit überwiegend abwertend für ¤Vordenker, Schöpfer, (beharrlicher, hartnäckiger, engstirniger, verbohrter, heuchlerischer) Vertreter, Anhänger einer Ideologie/eines Ideologismus (s. u.)Å (s. Belege 1956, 1980, 2006), z. B. ein Dogmatiker und Ideologist, wir brauchen Idealisten, nicht Ideologisten. Dazu seit Anfang 19. Jh. die aus gleichbed. frz. ide´ologique entlehnte adj. Ableitung ideologisch, zunächst mit Bezug auf die französischen Ide´ologues in der Bed. ¤auf

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den Gedanken der Ideologen beruhend, durch sie hervorgebracht, die Lehre der Ideologie betreffend, zu ihr gehörig; auf Ideen, Vorstellungen, Theorien gegründetÅ (→ theoretisch; Ggs. faktisch, → Faktum), heute nur noch in historischer Rückschau (s. Belege 1906, 2005), in Wendungen wie Destutt de Tracy ist der Begründer der ideologischen Schule, die ideologische Gesellschaft von Autreuil, die ideologische Philosophie, selten in additiven Zss. wie metaphysisch-ideologisch, daneben, meist abwertend, für ¤spekulativ, utopisch, unrealistisch, illusionär, weltfremd, durch solche Ideen verblendet; schwärmerisch, träumerischÅ (s. Belege 1837, 1840.1, 1840.2, 1870, 1914; → romantisch, → utopisch; vgl. illusionär, → Illusion; Ggs. realistisch, → Realist), meist in sozialphilosophischem bzw. politischem (z. B. (früh)marxistischem) Kontext (s. Belege 1845-46, 1859), z. B. nicht ideologisch, sondern faktisch, der Deutsche ist eher praktisch, der Italiener eher ideologisch veranlagt, bürgerlich – katholisch – ideologisch, selten attributiv bei Personenbezeichnungen und Namen ¤(leidenschaftlich) an (weltanschaulichen, politischen, ethischen) Idealen orientiert, nach ihrer Verwirklichung strebend; sich selbstlos für eine gute Sache, für andere einsetzend, idealistischÅ (s. Belege 1835, 1849; vgl. altruistisch, → Altruismus, enthusiastisch, → Enthusiasmus, idealistisch, → Idealismus; Ggs. egoistisch, → Egoismus, materialistisch), z. B. der ideologische Marquis Posa/Robin Hood, der Kampf des ideologischen Ritters gegen die Windmühlenflügel, im 20. Jh. überwiegend (und oft abwertend) ¤auf eine (bestimmte) Ideologie (rück-)bezogen, durch (eine bestimmte) Ideologie bedingt, geprägt, vorangetrieben, eine (bestimmte politische, soziale, wirtschaftliche, religiöse o. ä.) Ideologie repräsentierend, vermittelnd; weltanschaulichÅ (s. Belege 1925, 1939, 1949, 1985; Ggs. → pragmatisch, realistisch, → Realist), in Wendungen wie die Grünen müssen ihre ideologische Scheu vor der Verkehrspolitik ablegen, uns trennen tiefe ideologische Gräben, deine ideologisch verbohrte Einstellung, starke ideologische Differenzen prägen die Argumente beider Seiten, die Auseinandersetzung/Debatte ist ideologisch gefärbt, ideologische Barrieren überwinden, von der ideologischen zurück zur pragmatischen Politik kommen, das ist kein real existierendes, sondern ein rein ideologisches Problem und Zss. wie hoch-, kultur-, kunst-, links-, nach-, nicht-, partei-, rassenideologisch, auch additiv ideologischmoralisch, -politisch; ästhetisch-, bürgerlich-, geistig-, politisch-, religiös-ideologisch, vgl. daneben auch die (z. T. antonymen) Präfixbildungen anti-, post-, unideologisch. Dazu seit frühem 19. Jh. die subst. Ableitung Ideologismus M. (-; Ideologismen), zunächst weitgehend gleichbed. mit Ideologie (s. o.) in der Bed. ¤(ausschließlich) an der Ideenlehre (Destutt de Tracys) ausgerichtetes (philosophisches) DenkenÅ (→ Idealismus, → Sensualismus; vgl. Apriorismus, → a priori, Nominalismus, → nominell; Ggs. → Materialismus, → Realismus, Empirismus, → empirisch), seit 20. Jh. überwiegend in historischer Rückschau (s. Belege 1947, 1968, 1992), meist (auf Napoleon I. zurückgehend) abwertend konnotiert mit „praxisfern, nicht auf empirische Grundlagen, sondern auf Hypothesen und Theorien gestützt“ (s. Belege 1821, 1843.1), von daher pejorisiert zu ¤Ausrichtung an (wirklichkeits- und) praxisfernen Hypothesen, Theorien (mit wissenschaftlichem Anspruch) ohne jegliche empirische Basis; unbegründete, auf Spekulation beruhende (die Vervollkommnung der Gesellschaft anstrebende) Schwärmerei, die keinen Bezug zur Realität hatÅ (s. Belege 1856, 1865), seltener wertneutral bis positiv (s. Belege 1843.2, 1853), in Wendungen wie abstrakter, spekulativer, starrer Ideologismus, der französische Ideologismus, ein

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Anhänger, Vertreter, Gegner des Ideologismus, seine Lehre basiert auf dem Ideologismus Destutt de Tracys, der Begründer des so genannten Ideologismus, der Ideologismus setzt die Idee vor den Geist, entbehrt jeglicher Orientierung an der Wirklichkeit, und vereinzelt in Zss. wie Ideologismuskritik, seit Anfang 20. Jh. allgemeiner und meist abwertend ¤Überzeugtsein von einer (bestimmten weltanschaulichen, politischen, sozialen, wirtschaftlichen, religiösen o. ä.) Ideologie; ideologische, ideologisch gefärbte Überzeugung, Haltung; typisches Verhalten von IdeologenÅ (s. Beleg 1972) und heute überwiegend fachspr. (Philosophie, Psychologie, Soziologie, Politologie, Geschichte) in der Bed. ¤Bestandteil, Baustein einer Ideologie, einzelner weltanschaulicher (Grund-)GedankeÅ (s. Belege 1923, 1990, 2005; vgl. Ideologem, s. u.), in beiden Nuancen oft konnotiert mit „geistig festgefahren, unbeweglich, starr, dogmatisch“ (s. Belege 1923, 1972), in Wendungen wie der feministische, marxistische, neoliberale Ideologismus, die Weigerung, sich staatlichen Ideologismen zu unterwerfen, Ideologismen und Mythen aus der europäischen Tradition, sie argumentiert jenseits aller Ideologismen und vereinzelt in Zss. wie Ideologismengläubigkeit. Dazu seit früherem 19. Jh. ideologisieren V. (in)trans., zunächst in der Bed. ¤etwas nach der Art der französischen Ideologen behandeln, Ideenlehre betreiben; Philosophie, Metaphysik betreiben; (haltlos) spekulierenÅ, später überwiegend ¤etwas/jmdn. mit einer Ideologie versehen, überformen, einer Ideologie einverleiben, für ideologische Zwecke ausschlachten; sich einer Ideologie anschließen; etwas durch die ideologische Brille betrachten; ideologisch gefärbte, geprägte Texte verfassen/Reden halten; etwas im Sinne einer Ideologie interpretieren, deuten, erklären, rechtfertigenÅ (s. Belege 1908, 1929, 1954, 2008), in Wendungen wie die Debatte wurde stark einseitig ideologisiert, eine ideologisierte Armee kämpft umso hemmungsloser, er sollte sich politisieren, aber er hat sich ideologisiert, du ideologisierst einen Zusammenhang zwischen Arbeitsplatz und sozialer Absicherung, selten in Zss. wie hoch-, über-, wegideologisieren, Präfigierungen wie de-, ent-, reideologisieren und der adj. Ableitung ideologisierbar mit Ideologisierbarkeit; seit Anfang 20. Jh. das Verbalsubst. Ideologisierung F. (-; -en) ¤(Prozess der) Orientierung von Denk- und Handlungsweisen an einem System politischer, sozialer, wirtschaftlicher, weltanschaulicher, religiöser o. ä. Überzeugungen, das diese Denk- und Handlungsweisen als ihr ausschließlicher Maßstab legitimierend, sinn-/wertstiftend oder normierend bestimmtÅ, in Wendungen wie die Parteien versuchten eine Ideologisierung der Debatte, man darf die Wirtschaft nicht der Ideologisierung anheim fallen lassen, Energie- und Ausländerpolitik eignen sich in gefährlicher Weise zur Ideologisierung, Zss. wie Ideologisierungsgrad, -kampagne, -phase, -programm, -schub/-welle, -tendenz, -versuch, -zwang und den Präfigierungen De(s)-, Ent-, Reideologisierung; vgl. etwa gleichzeitig vereinzelt belegtes gleichbed. Ideologisation F. (-; -en) mit De(s)-, Entund Reideologisation. Dazu seit Mitte 19. Jh. die subst. Ableitung Ideologik F. (-; ohne Pl.), zunächst im Bereich der Psychologie ausgehend von Ideen der Phrenologie in der von E. Edel etablierten Bed. ¤Wissenschaft vom intellektuellen Teil menschlicher GehirntätigkeitÅ, daneben auch weitgehend gleichbed. mit Ideologie (s. o.) in seiner Bedeutung ¤System politischer oder sozialer Überzeugungen als Deutungsmuster oder HandlungslegitimationÅ (s. Belege 1962, 1986, 1999, 2001), in jüngster Zeit auch gelegentlich mit Bezug auf die Lehre der französischen Ideologen (s. Beleg 2004), in Wendungen wie die Linguistik ist das Sprachorgan der Ideologik, die hegelsche Ideologik,

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kommunistische, antikirchliche Ideologik, Protest gegen die herrschende Ideologik; vgl. daneben das seit Anfang 20. Jh. bezeugte, meist in der Schreibung Ideo-Logik die Wortbestandteile etymologisierend hervorhebende Homonym in der Bed. ¤Logik der Idee; logische Zusammenhänge im Rahmen eines bestimmten (weltanschaulichen) SystemsÅ (→ Logik). Dazu seit Mitte 19. Jh. teils zu Ideologist (s. o.), teils zu Ideologismus (s. o.) gebildetes ideologistisch Adj., weitgehend gleichbed. mit ideologisch (s. o.) in der (auch abwertend gebrauchten) allgemeineren Bed. ¤(nach Art der Ideologisten/des Ideologismus) durch Ideologien/eine bestimmte Ideologie geprägt, bedingtÅ (vgl. idealistisch, → Idealismus), z. B. die ideologistische Herangehensweise, Sichtweise, ideologistische Gesellschaften, eine ideologistische Argumentation. Dazu seit Mitte 20. Jh. die subst. Ableitung Ideologem N. (-s; -e) (aus Ideolog- und dem fachspr. Suffix -em ¤kleinste EinheitÅ, reanalysiert aus der Endung von Phonem ¤kleinste bedeutungsdifferenzierende lautliche EinheitÅ, → Phon(o)-, phon(o)-; vgl. Graphem, Morphem u. Ä.), fachspr. (Philosophie, Psychologie, Soziologie, Politologie, Geschichte) in der Bed. ¤(politische, soziale, religiöse) Vorstellung, Überzeugung, die (kleinster, elementarer) Baustein einer Ideologie, eines ideologischen Gedankengebäudes istÅ (vgl. Ideologismus, s. o.), in Wendungen wie Ideologien sind aus Ideologemen aufgebaut, Ideologeme sind die grundlegenden Gedanken von Ideologien, ein völkisches, nationalistisches, konservatives, linkes, jüdisches Ideologem, mit dem Ideologem „Globalisierung“ können Ökonomie und Ökologie in Verbindung gebracht werden und als Grundwort in Zss. wie Bildungs-, Jugend-, Nazi-, SiebzigerJahre-, Staats-, Yuppie-Ideologem. Dazu seit späterem 20. Jh. gelegentlich Ideologizität F. (-; ohne Pl.) in der fachspr. (Philosophie, Psychologie, Soziologie, Politologie, Geschichte) Bed. ¤Ideologischsein; Tatsache, Grad des Geprägtseins einer Sache durch Ideologien oder IdeologemeÅ, in Wendungen wie die Ideologizität solcher Behauptungen, die Ideologizität des Romans. Ideologie: 1796 Allg. Litt. Anzeiger XII 138 Nicht besser scheint ihm [Destutt de Tracy] der Ausdruck: Me´taphysique, für den er den Namen: Ide´ologie eingeführt wissen will; Salat 1802 Vernunft u. Verstand II 237 f. Die Franzosen . . schufen bekanntlich ein neues Wort: „Ideologie“! [Anm.: Nach der „Idee“; aber wohl nicht in unserm Sinne: . . Denn eben die Schöpfer des neuen Worts spannen damit den alten, materialistischen Faden . . tapfer fort; sie stellten eine Physik, ja sogar eine Mechanik des Geistes auf . .] Diese, die Ideologie, sollte nun die Stelle der Metaphysik und selbst . . der Philosophie vertreten; 1802 Allg. Lit. Ztg. Ergbll. II 100 Diese Ideologie, oder, wie sie der Vf. [Destutt de Tracy] auch nannte, la Science des Ide´es, umfasste eigentlich mehr als das, was wir Psychologie nennen. Zwar trennte er sie von der Metaphysik, welche er unter die Künste der Einbildung zählt, beschränkte sie auch nur darauf, den Mechanism der Vorstellungen zu erforschen, zur Entdeckung eines ersten Gliedes zu dringen, und die Verkettung unserer intellectuellen Operationen

zu verfolgen. Allein er wollte in seiner Ideologie zugleich die allgemeine Grammatik, die Logik und die Theorie der Sensations, die Analyse des Gedankens umfassen; Eschenmayer 1820 Normal-Recht II 457 Die Gelehrte suche für dich [Eroberer] zu gewinnen, nur scheue die Philosophen mit ihren Ideologien; denn, wo die praktische Vernunft ihr Reich erbauen will, da geht die Politik zu Ende; 1827 Allg. Handwb. d. philosoph. Wiss. II 438 Ideologie . . ist so viel als Ideenlehre. In gewisser Hinsicht kann man die ganze Philosophie so nennen. Denn sie beschäftigt sich vorzugsweise mit Aufsuchung und Darstellung der Ideen. . . Nachdem aber in neuern Zeiten die Metaphysik in eine Art von Verruf gerathen war . . versuchte man, besonders in Frankreich, die Metaphysik unter dem Namen einer Ideologie wieder zu Ehren zu bringen. . . Ideologie heißt daher in dieser engern Bedeutung nichts anders als Metaphysik; Lady Morgan 1831 Frankreich (Übers.) I 160 Unter dem Kaiserreich [Napoleons I.] wurden die dramatischen Wissenschaften . . dazu berufen, mit andern . . Ver-

Ideologie bannten in den Vorzimmern Napoleons zu dienen, während dass die Philosophie mit dem Spottnahmen der Ideologie belegt, entweder als gar nicht existirend betrachtet wurde, oder unter strenger Bewachung mit . . allem was sich nach Freiheit sehnte . . dahin schmachtete; Engels 1841 Rez. (MEW Erg.-Bd. II 127) Sie wollen nicht wissen, daß das, was sie Theorie, Ideologie oder Gott weiß wie nennen, längst in Blut und Saft des Volks übergegangen und zum Teil schon ins Leben getreten ist; daß damit nicht wir, sondern sie in Utopien der Theorie herumirren. Denn das, was vor einem halben Jahrhundert allerdings noch Theorie war, hat sich seit der Revolution als selbständiges Moment im Staatsorganismus ausgebildet; Marx/Engels 1845⫺46 Dtsch. Ideologie (MEW III 26) Die Moral, Religion, Metaphysik und sonstige Ideologie und die ihnen entsprechenden Bewußtseinsformen behalten hiermit nicht länger den Schein der Selbständigkeit. Sie haben keine Geschichte, sie haben keine Entwicklung, sondern die ihre materielle Produktion und ihren materiellen Verkehr entwickelnden Menschen ändern mit dieser ihrer Wirklichkeit auch ihr Denken und die Produkte ihres Denkens. Nicht das Bewußtsein bestimmt das Leben, sondern das Leben bestimmt das Bewußtsein; Fichte 1850 Ethik I 620 Systematischer finden wir die Grundsätze einer sensualistischen Ethik durch Destutt de Tracy dargestellt . . Er gab nicht nur eine Wissenschaft ihrer Principien, welche er als Darstellung unserer ursprünglichsten Begriffe („Ideen“) Ideologie oder erste Philosophie nannte, sondern er zeigte zugleich ihre Anwendung in der Entstehung der Sprache („grammaire raisonne´e“), im Denken (logique) und im praktischen Theile des Geistes, im Willen und Begehren; Gervinus 1855 Gesch. d. 19. Jh. I 442 hier war kein Neuerungsgeist zu unterdrücken; alle die Elemente neuer Interessen und des neuen Hasses und Ehrgeizes neuer Partheien, die in Italien, Spanien, Deutschland, Frankreich als ein Vermächtniß der letzten Zeiten zurückblieben, gab es hier nicht. Keine politischen Ideologien einer enthusiastischen Jugend störten hier den heitern Lebensgenuß des Volks, das in Bildungslosigkeit bedürfnißlos war; Bluntschli 1863 Statsrecht I 27 Alles Recht nämlich hat eine ideale Seite . . und hat auch eine leibliche Gestalt und Geltung. Die letztere Seite im Recht ist von der abstracten Ideologie verkannt und übersehen worden. Sie pflegt sich ein abstractes Statsprincip auszudenken, und daraus eine Reihe logischer Folgerungen zu ziehen; ohne Rücksicht auf den wirklichen Stat und dessen reale Verhältnisse; Engels 1886 Feuerbach 303 Jede Ideologie entwickelt sich aber, sobald sie einmal vorhanden, im Anschluß an den gegebenen Vorstellungsstoff, bildet ihn weiter aus; sie wäre sonst keine Ideolo-

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gie, d.h. Beschäftigung mit Gedanken als mit selbständigen, sich unabhängig entwickelnden, nur ihren eignen Gesetzen unterworfnen Wesenheiten. Daß die materiellen Lebensbedingungen der Menschen, in deren Köpfen dieser Gedankenprozeß vor sich geht, den Verlauf dieses Prozesses schließlich bestimmen, bleibt diesen Menschen notwendig unbewußt, denn sonst wäre es mit der ganzen Ideologie am Ende; Fischer 1891 Litteraturgesch. Schwabens I 214 Auch solche, welche nicht der seltsamen Ideologie dieser und jener Niederdeutschen huldigen, als ob die Schriftsprache, wenigstens für gewisse populäre Wirkungen, wider durch den Dialekt zurückgedrängt werden sollte, sind doch der litterarischen Verwendung der Schriftsprache . . gewogen; Bernstein 1898 Ideolog. Moment (1904 Theorie u. Gesch. d. Socialismus II 132 f.) Sind aber nun wenigstens die „proletarischen Ideen“ selbst, d. h. die socialistische Auffassung von Staat, Gesellschaft, Oekonomie, Geschichte von Ideologie frei? Durchaus nicht. In ihrer Richtung realistisch, d. h. in erster Linie den materiellen Factoren der Entwicklung der menschlichen Gesellschaften zugewandt, sind sie doch dabei Gedankenreflexe, auf gedankliche Zusammenfassungen ermittelter Thatsachen aufgebaute Folgerungen und damit notgedrungen ideologisch gefärbt; Zetkin 1911 (SPD Parteitagsprotokoll 444) Die Massen bedürfen einer Ideologie, eines idealen Weltbilds, das ihnen ein „Endziel“ zeigt: die Ueberwindung der sozialen Uebel, unter denen sie seufzen, den Ausgleich der sozialen Gegensätze und Ungerechtheiten; Vorländer 1911 Gesch. d. Philosophie II 137 Der philosophische Trieb, von den Systemen der Metaphysik abgestoßen, warf sich mit Eifer auf das bessere Ausbeute versprechende Feld der psychologischen Zergliederung oder, wie man seit Destutt de Tracy . . sagte, der Ideologie; 1916 Deutschland II 679 Die Freundschaft Englands war ein festes Stück der nationalen Traditionen [Italiens], aus denen seit den Tagen Cavours die Vorliebe für das Mutterland der parlamentarischen Institutionen und der freiheitlichen Ideologie niemals schwand; Plenge 1918 Revolutionierung 94 Ideolog[i]en sind bewusst durchkonstruierte innere Richtbilder für zu verwirklichendes Leben und darum etwas anderes wie die Theorien, die bewusst durchkonstruierten Abbilder einer schon vorhandenen Wirklichkeit. Beides schiebt sich freilich ineinander; ebd. Der Marxismus hat sich für Wissenschaft gehalten, während er eine „Ideologie“ ist. Er hat sich als geistiges Endergebnis gebärdet; 1928 Archiv f. Politik 386 die linken politischen Parteien, deren Ideologie stets vom Pazifismus genährt wurde; Brockschmidt 1929 Sozialdemokratie Vorr. IV Anm. Der Terminus „Ideologie“ wird in dieser Arbeit in der . . einzig haltbaren Bedeutung ge-

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braucht – als (objektiv) das Wesen der gesellschaftlichen Entwicklung nicht adäquat treffendes und ausdrückendes, wenn auch (subjektiv) berechtigtes und verständliches „falsches Bewußtsein“; Winnig 1930 Proletariat 73 Zu diesem Zweck hatten sie wahrscheinlich die „Ideologien“ erfunden, beispielsweise die Religion, das Vaterland. Die sollten die Wahrheit verbergen. Der Arme sollte die Wahrheit nicht wissen; Voss. Ztg. 5. 7. 1932 Der Kampf für die Siedlung darf nicht in der Verschwommenheit romantischer Ideologie geführt werden. Die realen Möglichkeiten sind beschränkt, der Bodenvorrat im deutschen Osten an wirklich siedlungswürdigen Gütern ist nicht groß; Lokal-Anz. 7. 6. 1934 Dr. Goebbels wird dieser Einladung Folge leisten und in Warschau über die Ideologie des neuen Deutschlands sprechen; 1936 Volk im Werden IV 511 Ideologie ist alles, was in den konkreten Entscheidungen, vor die ein Volk ständig gestellt wird, sich nach anderen Werten ausrichtet als den aus der rassisch-völkischen Selbstbehauptung und Selbstverwirklichung sich ergebenden; 1938 Europ. Revue 942 Es ist dann eben doch so, daß zwischen Deutschland und England die „Ideologie“ das größere Hindernis der Verständigung ist, nämlich die nur aus einer gewissen Denkfaulheit zu erklärende britische Ansicht, daß das deutsche Volk von einem „Diktator“ politisch geführt werde; Barth 1945 Wahrheit u. Ideologie 15 Die diffamierende Denunziation geht zurück auf Napoleon Bonaparte. Die Ideologie ist danach das Produkt eines theoretischen Verhaltens, das sich mit der Wirklichkeit, und zwar mit der politischgesellschaftlichen Realität, nicht in Übereinstimmung befindet; N. Z. (Basel) 30. 4. 1949 Es wird manchem Deutschen . . vielleicht noch nicht ganz klar sein, wie tief die Kluft zwischen den in mancher Beziehung so nah verwandten Süddeutschen und Schweizern . . gewesen ist, solange in Deutschland eine Ideologie das ganze öffentliche Leben beherrschte, die der für jeden Schweizer selbstverständlichen Auffassung von Recht, Gemeinschaft und Staat denkbar fremd war; 1955 Saeculum VI 335 In der Tat haftet dem Wort Ideologie schon aus seiner Entstehungsgeschichte ein Wertminderndes an; Süddtsch. Ztg. 17. 8. 1959 General Heusinger sagte, als Christ Soldat zu sein, bedeute nicht unbedingt, ein besserer Soldat zu sein. Aber der Christ sei gerade als Soldat gegen die Ideologie des Hasses immun; Karbusicky 1973 Ideologie im Lied 202 Ideologie bedeutete bei Destutt de Tracy (1801) eine Wissenschaft von Ideen; Zeit 12. 9. 1986 es ist unbestreitbar, daß seit jeher sowohl die Ergebnisse als auch die Motive der Historiker erörtert werden. Daß etwa Tacitus „sine ira et studio“ zu schreiben behauptete, es aber in Wahrheit nicht tat, weil er Motive hatte, ist nun

wirklich eine alte Einsicht. Man nennt die Überprüfung Ideologiekritik, und sie ist ebenso legitim wie die fachliche; taz 10. 2. 1990 In der DDR-Soziologie gab es neben der offiziellen Ideologieproduktion selbstverständlich auch früher schon in Einzeldisziplinen seriöse Forschungen, doch Arbeiten, die den heraufziehenden Zusammenbruch vielleicht hätten signalisieren können, waren unterbunden worden; Presse 11. 10. 1995 Lautet die Maxime des Handelns der westlichen Demokratien nicht: Löse die anstehenden Probleme streng pragmatisch, und ohne Zuhilfenahme von Ideologien? . . Dieser sogenannte ideologiefreie Pragmatismus des Westens, der sich selbst als Vollendung der Geschichte sieht, nimmt allerdings kaltblütig die Möglichkeit eines Endes in Kauf . .: nämlich das Ende allen menschlichen Lebens auf diesem Planeten; Mannh. Morgen 26. 7. 2008 Ideologien spielen keine Rolle mehr, Politiker sind vor allem Pragmatiker geworden. Statt leidenschaftlicher Debatten über die Gesellschaftsordnung geht es im Ortsverein eher darum, wer wo kandidiert; taz 11. 7. 2009 Ein ideologiefreier Diskurs ist in dieser Sache schwer herzustellen. Mein Versuch, das Thema ideologiekritisch von kulturwissenschaftlicher Seite her anzugehen, ist gründlich missverstanden worden; Zeit (online) 13. 2. 2017 Und als Kehrseite der Medaille: Hunderte von Anschlägen auf Flüchtlingsunterkünfte, der Rechtsruck, der durch ganz Europa geht. Die AfD ist längst keine Randerscheinung mehr, ihre Ideologien fressen sich in unsere Nächsten und Nachbarn. Ideologe: 1800 Frankreich III 17 aber ist es nach allen angeführten Umständen nicht erwiesen, daß die Richter diesen Taubstummen bloß deswegen als einen Blödsinnigen angesehn, weil sie kein Mittel hatten ein Verhör mit ihm anzustellen? Hiervon überzeugt, hat der Capitain . . sich nicht nach einem Ideologen, aber nach einem Manne umgesehn, der durch eine lange Uebung die Fertigkeit erlangt hätte, durch die Organe des Körpers bis in die geheimsten Winkel der Seele zu dringen; 1805 Neue Leipziger Literaturztg. 2420 In der neueren Philosophie wurde er [der Gegensatz des Denkens und Empfindens] von dem Augenblicke an verdunkelt und verwirrt, als man, nach Locke, in allem Philosophiren empirisch zu verfahren . . und eben dadurch die Philosophie überhaupt in empirische Psychologie umzuformen anfing, bis man endlich, besonders in der Schule der französischen Empiristen und Ideologen, das Absolute selbst für ein blosses Wort hielt; 1813 Morgenbl. f. gebildete Stände VII 736 Es scheint, man wolle seit einiger Zeit jenes Wort Ideolog als Gegensatz des Philosophen in Umlauf bringen, um dem Worte Philosoph das Ehrwürdige seiner Bedeutung nicht zu rauben;

Ideologie 1827 Allg. Handwb. d. philosoph. Wiss. II 438 ein Ideolog [ist in engerer Bedeutung] nichts anders als ein Metaphysiker. Weil man nun aber einmal gewohnt war, die Metaphysik als ein bloßes Spiel mit Begriffen und Ideen, als eine leere Träumerei oder Schwärmerei zu betrachten, so heißt auch ein Ideolog oft soviel als ein Träumer oder Schwärmer, wo nicht gar ein Demagog oder Revolutionär; Börne 1830 Tageb. (Sämtl. Schr. II 779) Sie [Minister] sind vielmehr halsstarrige Catonen, die lieber das Dach über sich zusammenstürzen lassen, als daß sie baufällige Grundsätze räumten. Sie machen sich über die politischen Schwärmer und deren Buchprinzipien lustig und haben keine Ahndung davon, daß sie selbst solche Schwärmer und Ideologen sind, nur darin verschieden, daß sich jene für neue, sie selbst aber sich für alte Ideen begeistern (DiBi 1); Bentham 1833 Principien (Vorr. d. Übers. VII Anm.) das Ansehn Benthams in Frankreich . . ist dem Einfluß der von den Lockischen Principien ausgehenden sogenannten Schule der Ideologen zuzuschreiben, welche noch immer die herrschende in Frankreich ist; 1835 Morgenbl. f. gebildete Stände XXIX 447 Ideologen, so hat uns ein großer Franzose genannt und nicht geahnt, daß, was uns zu Ideologen macht, ihm gefehlt hat zum großen Mann: die Gewalt des Gedankens, eine Gewalt, nicht so augenblicklich und glänzend, wie die des Kaiserreichs, aber schwer und allmächtig für die Zukunft; Witzleben 1836 Vielliebchen 367 Sie sind auch eine kleine Ideologin, meinte Seiler. Sehen Sie die Welt nicht durch buntes Glas, sondern wie sie ist; Heyse 1838 Fremdwb. I 506 Ideologie . . Begriffslehre, Wissenschaft von den Gründen der Erkenntniß, s. v. w. Metaphysik; Ideolog . . wer diese Wissenschaft treibt od. lehrt; ein Begriffslehrer; auch Träumer, Schwärmer; Giehne 1840 Glossen z. Pentarchie 5 Wenn man von den Vorurtheilen spricht, welche gegen Rußland bestehen, so muß man, was Deutschland angeht, eine wesentliche Unterscheidung treffen. Die gewöhnliche Annahme schreibt jene Vorurtheile den modernen politischen Theorien, dem Liberalismus, den Ideologen zur Last. In Deutschland ist Dies [!] nur von den sogenannten gebildeten Ständen, und auch von diesen nur theilweise wahr. Das Volk aber . . ist von diesen gebildeten und studirten Ständen durch eine tiefgehende Kluft geschieden. . . Die Ideologen leben ein anderes Leben, denken andere Gedanken, und sprechen eine andere Sprache, als das Volk; Gaudy vor 1840 Jubiläum (1844 S. W. III 70) „Christiane, es ist Ein Uhr. Bringe Sie das Essen.“ „Und das Essen soll ich bringen? Heute, wo Sie ausgebeten sind und Sich bis Johanni satt essen können? Herr Du meine Güte, was das wieder für Ideologen sind! . .“; Belani 1850 Reactionäre u. Demokraten II 186 daß andere Demokraten hirn-

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lose Schwärmer, Ideologen sind, die, was wir namentlich in der Frankfurter und der Berliner Linken beobachten, unhaltbare, unausführbare, in der Luft schwebende Ideen über Volkswirthschaft, Staatsleben, deutsche Grundrechte und deutsche Einheit auf der Tribune von sich blasen; Öhlenschläger 1850 Lebens-Erinn. III 85 [Napoleon I.] hasste alle tiefdenkenden, frei fühlenden Schriftsteller; er sonderte die Spreu nicht vom Weizen, und unter den ihm verhassten Namen von Ideologen verwarf er sie alle; Schleiden 1857 Studien 10 Da kommt so ein magerer in der Luft flatternder Ideolog – Ichneumon oder Schlupfwespe nennen ihn die Naturforscher – und legt seine Weisheitseier in die arme zufriedene Raupe; 1863 Schles. Provinzialblätter N. F. II 30 Wer eine Idee realisiren will unmittelbar so wie er sie gefaßt und in der Gedankenwelt ausgesponnen, erhält den Namen des Ideologen. . . Wer die Welt, in großem oder kleinem Umfange, in Formen irgend einer Idee, die er zur seinigen gemacht, einpressen will, ohne nach der natürlich-geschichtlichen Entwickelung momentan zu fragen, oder über diese hinausschwärmend, ist Ideolog; Lassalle 1863 Arbeiterlesebuch 64 Wer steht denn mit Energie und Aufopferung hinter der politischen Freiheit? Wer? Ich, und noch etwa tausend Ideologen in Deutschland. Unter Ideologen verstehe ich in diesem Augenblicke alle Solche, die ihr Lebtage in Büchern gelebt haben und gewohnt sind, in Ideen und Gedanken zu existiren und Alles für sie aufzuopfern; Springer 1870 Berliner Prospecte 40 aus der Gesellschaft, wo auf tausend Dummköpfe ein Geistreicher und auf dreitausend lügenhafte Egoisten ein wahrhafter „Ideologe“ kommt, wendet er sich zu seinen Büchern; Scherr 1874 Gekreuzigte 26 vergebens hatte er gewüthet, Scham, Gewissen, Rechts- und Ehrgefühl als Narretheien der „Ideologen“ aus dem Wörterbuch menschlicher Begriffe herauszureissen; 1896 Cosmopolis I 259 Was 1866 begonnen, vollendete 70⫺71: Deutschland als compakte Weltmacht war geschaffen. Gar nicht so, wie die Ideologen es gewünscht und geträumt; Ueberweg 1902 Grundriss d. Gesch. d. Philosophie IV 353 f. Es [das Hauptwerk Destutt de Tracys] giebt von dem Zwecke und der Methode der Ideologen eine ziemlich genaue Vorstellung. D. de Tracy versucht die Physiologie des Geistes zur Grundlage einer allgemeinen Disciplin der Wissenschaften zu machen. Er betrachtet die Ideen als Producte des Denkvermögens; 1926 Jb. f. Soziologie II 390 Daß dabei der Name Ideologen in dem depravierenden Sinne gebraucht wurde, wie ihn Napoleon I. den Leuten des Instituts, wie Garat gegenüber, verstand, ist ein Beitrag zur Geschichte der Stil- und Schulbezeichnungen, die ja meist aus Spottnamen entstehen; Der Tag 14. 12. 1929 Sie bietet sich dem Diener

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des Hauses, einem Klassenunterschieds-Ideologen von verbissener Dummheit . . bis zum Ekel an; Korff 1930 Geist d. Goethezeit II 384 Das wird zwar nicht mit diesen Worten ausgesprochen, denn Charlotte ist keine Ideologin und ist sich der Grundsätzlichkeit ihres Tuns nicht völlig bewußt; Stuttg. Ztg. 30. 3. 1962 Der Chefideologe der Kommunistischen Partei, Michail Soslow, appellierte an die Komponisten und die Musikkritiker, gegen jegliche „Erscheinung einer reaktionären, bourgeoisen Ideologie sowohl in der Musik wie auch auf dem Gebiet des theoretischen und ästhetischen Denkens zu kämpfen . .“; 1982 Geschichtl. Grundbegriffe III 141 f. Als ¤IdeologenÅ werden jetzt [um 1830], zumeist von konservativer Seite, jene betitelt und abqualifiziert, die auf die Verwirklichung der Prinzipien der Französischen Revolution, auf Liberalisierung, Volkssouveränität, Pressefreiheit, Emanzipation der Juden, Errichtung einer Verfassung usw. dringen. ¤IdeologenÅ heißen, oft ohne erläuternden Zusatz, alle politischen Theoretiker, „Schwärmer“, „Prinzipienmenschen“, „doktrinären Professoren“; Zeit 29. 8. 1986 Dene ist Ludwigs Haushälterin und Ersatzmutter; sie ist aber auch die Chefideologin des Ludwig-Kults, die Hohepriesterin des Ludwig-Orakels. Man sieht, wie sie Ludwigs Gedanken weiterdenkt, wie Ludwigs Gedanken durch ihren Kopf wandern; St. Galler Tagbl. 3. 5. 2008 Bei den religiösen Ideologen, die von der Idee „Gross-Israel“ nicht ablassen wollen, macht er sich damit nicht gerade beliebt; Rühle 2010 Polit. Denken v. John Taylor 29 Yehoshua Arieli wies auf die Ähnlichkeiten hin, die zwischen Taylors Positionen zu ökonomischen Klassen und denjenigen des französischen Ideologen, Destutt de Tracy . . bestehen; dpa 29. 6. 2012 Gaddafi war ein Ideologe par excellence. Vier Jahrzehnte lang quälte er sein Volk mit einem kruden Mix aus Radikalsozialismus, Islam und philosophischem Gefasel; Spiegel (online) 11. 2. 2017 In Tokio beteuerte er, man werde an dem gegenseitigen Verteidigungsbündnis nicht rütteln und Japan im Territorialstreit mit China nicht allein lassen. Während die Ideologen im Weißen Haus schon von einem kommenden Krieg mit China fantasierten, versicherte Trumps Verteidigungsminister, militärische Aktionen seien nicht nötig. Ideologem: 1957 Schopenhauer-Jb. XXXVIII 110 Schopenhauers Ethik beglaubigt jede im öffentlichen Leben vorhandene Moral, sie entlarvt alle Ideologeme und Surrogate. Sie geht, angesichts des zunehmend doktrinarisierten Humanismus und politisierten Christentums, auf die nimmer zu trübenden Letztquellen zurück; Möbius 1970 Arbeiterliteratur 55 Der Instrumentalcharakter von Ideologemen zur Disziplinierung der Arbeiter wird

über die Erkenntnis im „Räsonnement“ hinaus auf eine neue Stufe gehoben: die Ideologeme heben sich in ihrem Anspruch gegenseitig auf; Merk 1977 Offensivwerbung 55 Ideologeme: Sätze, die eigensüchtige Interessen als Inhalte des Gemeingutes einer Gesellschaft . . hinstellen; Zeit 2. 8. 1985 nicht nur war manches Ideologem, das dieser Wissenschaft [Kunstgeschichte] Halt und Prominenz gegeben hatte, zusammengebrochen; vielmehr war die Kunstgeschichte, wie kaum eine andere Wissenschaft, in ihrer Substanz . . betroffen; taz 3. 2. 1998 Es ist eine Sache, die in Managerköpfen herumspukenden, teilweise haarsträubenden Ideologeme aufzudecken und schonungslos auf ihren Gehalt abzuklopfen. Eine durchaus notwendige Arbeit, zumal wir den Schlamassel ja letztlich ausbaden dürfen, den die sogenannten Management-Theorien . . anrichten; Berl. Ztg. 20. 10. 2007 Da wollten gar nicht so viele von der SED [in die SPD] übertreten. Einer der Gründe war, dass der Antisozialdemokratismus ein grundlegendes Ideologem der SED-Propaganda war; dpa 11. 6. 2012 Unzweifelhaft hat das 19. Jahrhundert für antisemitische Ideologeme eine Art Verstärkerfunktion gehabt, und Wagners „Das Judenthum in der Musik“ spielte darin eine besonders unrühmliche Rolle. Ideologik: Edel 1855 Untersuchungen 57 In gleicher Art hat die Lehre vom Gehirn einen physiologischen Theil; dessen Gegenstand Gewebe, Ernährung und Verbindungen des Organs insbesondere bilden; einen phrenologischen Theil, welcher das intellectuelle Leben umfaßt und einen psychologischen, welcher die Seele behandelt. Wir nennen den ersten Theil in Kürze Gehirnphysiologie . ., wir nennen den letzten Theil Psychologie . ., das intellectuelle Leben aber machen wir . . zum Object der Logik oder Ideologik, einer Wissenschaft, in welcher die Frage der Gebietstheilung zwischen Physiologie und Metaphysik nicht mehr unmittelbar in Betracht kommt, da das intellectuelle Leben eine Resultante des Gehirn- und Seelenlebens . . ist; Caspari 1868 Irrthümer 54 In der That hatten die Nachklänge hegelscher Ideologik im Verein materiell gesonnener, bequemer Denker eine praktische Lebensphilosophie geschaffen, welche im Allgemeinen die mächtigsten Antriebe energischen, individuellen Handelns auf den bedeutsamsten Gebieten des Lebens unterdrückte; 1962 Reformatio XI 601 Was ihm [dem Versuch des Menschen, sich mittels des Materialismus selbst zu erlösen] . . entgegenzuhalten ist, kann weder das bessere Recht noch die stärkere Macht noch irgendeine „Waffe“ sein, ja nicht einmal zuerst das Zeugnis von Christus, das sofort wieder in das perverse Klischee kirchlicher und antikirchlicher Ideologik gerät . ., sondern zuerst das Zeugnis aus Christus, das wahr

Ideologie gewordene Leben nämlich aus dem Glauben; Lübbe 1963 Polit. Philosophie in Deutschl. 196 Steigert man die Ziele des Handelns so hoch, daß die Existenz des Handelnden, falls er sie nicht erreicht, ihren Sinn zu verlieren droht, dann wird ein unbeirrbarer Glaube ans Gelingen zur Bedingung des Handelns. Das ist der Ursprung jener Ideologik, die das Gelingen aus dem Gelingenmüssen folgert; Mieth 1999 Moral u. Erfahrung I 72 Die Geschichte [Andersens „Das hässliche Entlein“] ist uneindeutig, weil sie nicht logisch ist. Vielleicht würde ein Logiker . . von der Frage geplagt, wie das Schwanenei ins Entennest gelangte . . Die Geschichte ist uneindeutig, weil sie nicht ideologisch ist. Es fehlt ihr der vorentscheidende Beziehungsrahmen, von dem aus sie ihre Ideologik entwickeln könnte; Ehrlicher 2001 Kunst d. Zerstörung 65 Weil die bildhafte Ideologik der Gewalt sich kategorisch von der Angabe einer unmißverständlichen Position abschottete und sich der Fixierung auf eine eindeutige Semantik entzog, wurde sie frei für die Implementierung in die unterschiedlichsten politischen Diskurse. ideologisch: 1802 Allg. Lit. Ztg. Ergbll. II 100 Es hatte sich eine eigene, sogenannte ideologische Gesellschaft von Autreuil gebildet, deren Mitglied . . Destutt-Tracy . . ein eigenes Projet d’e´le´mens d’Ide´ologie für den Gebrauch der Centralschulen herausgab; 1814 Heidelb. Jahrb. d. Litt. VII 534 Wenn einer der Erdengötter nur eine einzige solche Reihe von Wirkungen der geheimen Policey läse, so sollte man es für unmöglich halten, daß er . . auch nur noch den Schein, nur einen Schatten, nur die entfernteste Möglichkeit einer solchen Satansanstalt [Geheimpolizei] übrig ließe, welche, so wie sie hier, nicht ideologisch, aber factisch erscheint, von ihren eigenen Dienern verabscheut, alles Abscheuliche möglich . . machen kann; 1820 Lit. Wochenbl. V 6 f. wie lange werden wir Deutschen noch einen Werth darein setzen, uns in einen solchen geschmacklosen, scholastisch ideologischen Dunst und Nebel zu hüllen, und den reinen Accorden unseres irdischen Verstandes ein solches kurioses Gekratz der noch ungestimmten Geigen einer übersinnlichen Vernunft vorauszuschicken?; 1835 Bayer. National-Ztg. 206 Der Darsteller thut wohl daran, [in Schillers „Don Carlos“] die Hauptseite dieses Charakters, die Liebe vorwalten zu lassen, der Prinz, der Politiker im Sinne des ideologischen Posa können nur angedeutet werden; 1837 Bll. f. Lit., Kunst u. Kritik III 52 Die Engländer sind mehr praktische, als spekulative Denker. Diesen geistigen Charakter bewähren sie auch namentlich bei ihrer Bearbeitung der politischen Disciplinen, in ihrer Gesetzgebung und Verwaltung. Sie bewegen sich allenthalben in der Breite der concreten

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Welt, weit entfernt, ideologischen oder utopischen Träumereien Geltung verschaffen zu wollen; 1840 Schweizer. Zschr. f. Natur- u. Heilkunde V 178 Das die jezige Periode der Medicin auszeichnende Streben zur Localisation der Krankheiten, hält der Verf. für ein weniger Irrthümern ausgeseztes und fruchtbringenderes, als das frühere ideologische; Pückler-Muskau 1840 Südöstl. Bildersaal II 280 Vom nahen Theater des Bacchus am Fuße der Akropolis ist nothdürftig die Form noch zu erkennen. Auch hier raubte Lord Elgin . . die Statüe eines jungen Bacchus . . [Anm.:] Sollte die englische Nation nicht großmüthig dies ganze ungerechte Gut den Griechen zurückgeben – oder ist der Gedanke zu ideologisch?; Hillebrand 1842 Organismus 186 f. Obwohl nun . . die Philosophie überhaupt die Richtung auf die Idee hat oder ideal ist, so wird sie dennoch erst da, wo das Denkstreben mit dem positiven Bewußtsein seiner subjectiven Freiheit die Wahrheit des Seins als seine eigene Bestimmung zu erfassen sucht, vorzugsweise ideologisch zu nennen sein; Marx/Engels 1845⫺46 Dtsch. Ideologie (MEW III 363) Es ist die alte Illusion, daß es nur vom guten Willen der Leute abhängt, die bestehenden Verhältnisse zu ändern . . Diese ideelle Erhebung über die Welt ist der ideologische Ausdruck der Ohnmacht der Philosophen gegenüber der Welt; Cuendias 1849 Spanien 286 Bald werden wir die berühmten Windmühlen sehen, die der ideologische Ritter von der traurigen Gestalt für Riesen hielt und zu seinem großen Schaden, wiewohl zum Ergötzen der Nachwelt bekämpfte; Marx 1859 Polit. Ökonomie (MEW XIII 9) In der Betrachtung solcher Umwälzungen muß man stets unterscheiden zwischen der materiellen, naturwissenschaftlich treu zu konstatierenden Umwälzung in den ökonomischen Produktionsbedingungen und den juristischen, politischen, religiösen, künstlerischen oder philosophischen, kurz, ideologischen Formen, worin sich die Menschen dieses Konflikts bewußt werden und ihn ausfechten; Bluntschli 1863 Statsrecht I 28 Die fruchtbarsten und wahrsten Ideen werden verderblich, wenn sie ideologisch erfaszt und dann mit dem Fanatismus der Bornirtheit verwirklicht werden; 1865 Dtsch. Staats-Wb. IX 325 In beiderlei Staatsformen wird die Staatshoheit . . dem Volke als Recht zugeschrieben, welches seine Verfassung mit Freiheit selbst bestimmt und jeder Zeit zur Abänderung derselben berechtigt ist. Der ideologische Gedanke ewiger Verfassungsformen ist somit verworfen, und es wird anerkannt . ., daß die absolute Mehrheit der Bürger eine Verfassungsrevision zu begehren berechtigt sei; Bleibtreu 1870 Größenwahn III 434 Der Graf . . erschrak vor sich selber, vor seinem Elan. War es derselbe, der einst den französischen Adel der Nationalversammlung . . begeisterte, seine eigenen Feudalrechte mit ei-

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nem Federstrich zum Schuttgerümpel der Vergangenheit zu werfen? Wie und waren nicht auch dies nur ideologische Verzückungen, Phrasen einer Schein-Wahrheit?; Schaefer 1906 Moralphilosophie Comte’s 5 Dies gilt ganz besonders von jener bedeutenden philosophischen Schule, die in Frankreich als die ideologische bezeichnet wird. . . Die Häupter dieser Schule, Cabanis und Destutt de Tracy, knüpften . . an Condillac’s psychologische Untersuchungen an; Oncken 1914 Aufsätze I 109 Das war der Weg, den der Erfolgreichste der Achtundvierziger, Karl Schurz . ., beschritten hat. . . [Er] hatte schon nach wenigen Jahren der Emigration sich aus einem ideologischen deutschen Demokraten in einen realistischen amerikanischen Demokraten verwandelt, den Schwärmer abgestreift und . . den praktischen Politiker angezogen; Adler 1922 Beziehungen d. Marxismus (Sandkühler 1970 Austromarxismus 185) Der Klassenkampf ist eben nicht . . ein Kampf bloßer ökonomischer Interessen, sondern weil er dies nur im Rahmen der ideologischen Formen des Bewußtseins sein kann, welche ihm die Gestalt eines Kampfes von Wertungen geben, so ist er immer zugleich ein Kampf um höhere Vernunft, um höhere Moral und vollkommenere Kultur; Lania 1925 Hitler 22 Die ökonomische Entwicklung des letzten Jahrzehnts hat das Kleinbürgertum proletarisiert, den Mittelstand vernichtet. Aber die von den verschiedenen sozialdemokratischen Theoretikern erwartete und angekündigte Aufsaugung des Kleinbürgertums durch das Proletariat und seine ideologische und politische Angleichung an die Arbeiterschaft, die ist ausgeblieben; Münch. N. N. 7. 7. 1939 Wells hat nicht nur Chamberlain die schwärzeste Rechnung des englischen Volkes für seine Politik bis zur Münchner Konferenz prophezeit, sondern auch offen zum ideologischen Krieg gegen die autoritären Staaten aufgerufen und in der pöbelhaftesten Weise die Person des Führers und des Duce zu verunglimpfen versucht; N. Z. Z. 23. 11. 1943 So würden aus Indifferenten und Gegnern „ideologische Anhänger und Apostel für die europäische Gemeinschaft und damit für einen europäischen Freiheitskampf“; Süddtsch. Ztg. 25. 1. 1949 Auf einer Tagung der Theaterintendanten der Ostzone wies Otto Grothewohl nachdrücklich auf die ideologischen Aufgaben des Theaters hin; Glaser 1964 Spießer 73 Der Gartenzwerg ist nicht mehr nur spielerisches, ornamentales, sondern nun wohnideologisches Requisit; FAZ 15. 2. 1971 Der frühere Vorsitzende des Deutschen Bildungsrates und Kieler Historiker Professor Erdmann sagte in seinem Festvortrag, mit der Abwehrhaltung an jede „ideologische Verbrämung der Wirklichkeit und an alles sozial utopische Schwärmertum“ sei die CDU konservativ; Offenburger Tagbl. 31. 3. 1985 Un-

ausweichbar [ist der Konflikt zwischen den USA und China] weil es um echte und nicht nur ideologische Konflikte geht; Dietz 2002 Pflegeversicherung 66 Beleuchtet werden soll die theoretische Begründung der gewählten Pflegeabsicherung. Wes Geistes Kind ist sie? Wer setzte das Problem durch, welche Absichten bei einer Problemlösung wurden transportiert . .? Wie sind diese politisch-theoretisch legitimiert und „ideo-logisch“ begründet . .?; Ehlers 2005 Strukturalismus 53 Dräxler selbst interpretiert in seinem Beitrag eine Veröffentlichung J. G. Cunradis als produktive Verarbeitung eines ideologischen Prätextes, obwohl sich dort „keinerlei direkte Verweise auf die Ide´ologie oder die Ideologen“ . . finden; Walkenhorst 2007 Nation 48 Aufgrund ihrer Deutungskompetenz und meinungsbildenden Funktion waren Schriftsteller, Publizisten und Professoren seit jeher dazu prädestiniert, eine herausragende Rolle bei der ideologischen Konstruktion der Nation zu spielen; Spiegel (online) 15. 2. 2017 Ausgangspunkt ist die Frage, warum es zurzeit so schwer fällt, die „Kultur des Westens“ gegen ihre Feinde zu verteidigen. Die Antwort sieht Strenger im religiösen Fundamentalismus, vor allem in islamistischen Bewegungen, deren Versprechungen eindeutiger sind als die Freiheitsidee des Westens: „Menschen brauchen ideologische Schutzschilde, um mit ihrer Endlichkeit und Verletzlichkeit leben zu können“. ideologisieren: 1834 Positive Ideologie 16 Ehe wir die Analyse der Combinationen verfolgen, zu welcher sich die vorgestellte Idee, als Element des Gedankens, hergibt, müssen wir hier einige allgemeine Ausdrücke näher bestimmen, über deren Geltung man sich nicht immer verstanden hat. Wir werden also nochmals ideologisiren; denn, wie Condillac gesagt hat: die Sprachen sind eben so nothwendig um richtig zu denken, als um richtig zu sprechen; 1843 Hist.-polit. Bll. f. d. kathol. Deutschland XII 104 er hebt den Philosophenmantel, der ihm in der Begeisterung über das Erlebte entfallen war, wieder auf, hüllt sich darin bis über die Zähne, beginnt wieder zu phrenologisiren, zu ideologisiren, das Genie zu apotheosiren, das Christenthum zu generalisiren, wider den Katholicismus zu polemisiren; 1860 DVjS XXIII 3,105 Wir dürfen niemandes Eigennutz fürchten, wenn wir im Stand sind, ihm einen Vortheil zu bieten, wenn der Nutzen ein gegenseitiger ist. Das können wir aber nicht, so lange wir immer nur ideologisiren. . . So lange wir nur von Künftigem sprechen, von einem deutschen Reich in partibus infidelium, von Armeen, die im Mond stehen, so lange wünschen sie uns zwar alles Glück . ., aber sie . . behalten die Hand in der Tasche; Engels 1872 Wohnungsfrage (MEW XVIII 277) Von jetzt an ist also

Ideologie die Entwicklung des Rechts für die Juristen und die, die ihnen aufs Wort glauben, nur noch das Bestreben, die menschlichen Zustände, soweit sie juristisch ausgedrückt werden, dem Ideal der Gerechtigkeit, der ewigen Gerechtigkeit immer wieder näherzubringen. Und diese Gerechtigkeit ist immer nur der ideologisierte, verhimmelte Ausdruck der bestehnden ökonomischen Verhältnisse, bald nach ihrer konservativen, bald nach ihrer revolutionären Seite hin (DiBi 11); Fuchs 1908 Erot. Kunst I 109 Das Werk von Rubens . . ist im besonderen das künstlerische Widerspiel der europäischen Thronbesteigung des fürstlichen Absolutismus. Die Rubenssche Kunst ist ebenso prunkvoll und demonstrativ wie dieser. Ihn hat Rubens symbolisch verherrlicht und ideologisiert; Kretzen 1929 Parana´ 180 „Zeit ist Geld“, der Leitsatz kapitalistischer Produktion, volkstümlich am stärksten ideologisiert zum Interesse an der Verkürzung der Entfernungen durch die unaufhörliche Beschleunigung des Verkehrstempos; Sieburg 1933 Deutschland 112 Alle Krisenerscheinungen nehmen bei ihm [dem Deutschen] ihren Anfang, alle großen und kleinen Untergänge werden von ihm zuerst registriert und ideologisiert. Er hat die Gegenwart derartig vollständig mit seinem Bewußtsein durchsetzt, daß sie jede Konsistenz verloren hat und nur noch Flucht ist; Süddtsch. Ztg. 2. 2. 1954 Nach Schelsky ist der Zwang zur Doppelfunktion als Hausfrau und Berufstätige geradezu ein soziales Dilemma für sie. „Die von der Frau gewonnenen Rechte der Emanzipation stellen sich in Wirklichkeit als schwere Belastung (Arbeitszwang, Kriegsdienst) heraus und die Gleichberechtigung ideologisiert hier eine härtere Ausbeutung der Frau als je zuvor.“; Stuttg. Ztg. 17. 4. 1969 Hirrlinger will eine „konstruktive Sozialpolitik“ führen, die nicht ideologisiert werden dürfe; Spiegel 14. 3. 1994 Das private Musizieren, seit dem 17. Jahrhundert populär und im 19. Jahrhundert zur „Bildung des Gemüts und Geschmacks“ empfohlen, von den Nationalsozialisten ideologisiert und nach dem Krieg auch belächelt, ist wieder gesellschaftsfähig; Hannov. Allg. 24. 11. 2008 Von den zwanziger Jahren des 20. Jahrhunderts an war das Spiel intensiv vom Staat gefördert worden. Die sowjetische Führung machte Schach zum Volkssport und ideologisierte in der Folge die Überlegenheit ihrer Welt- und Großmeister. Ideologisierung: Fuchs 1908 Erot. Kunst 32 Auch dieser Unterschied ist nichts anderes als das getreue Widerspiel der veränderten sozialen Lebensbedingnisse, die die neue Wirtschaftsordnung den Menschen brachte, weil auch die Religionsvorstellungen niemals etwas anderes als Ideologisierungen des wirklichen Lebens sind; Nagler 1918 Strafe

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36 Das philosophische Dogma darf auch nicht durch abstrakte Ideologisierungen Einfluß auf die Erfassung des rechtlichen Strafgehalts gewinnen oder gar als Schlüssel für Verständnis und Wertung des positiven Rechts dienen; 1936 Europ. Revue XII 2,906 Die jüngste Entstehungsgeschichte der Ideologisierung der Außenpolitik ist bekannt genug; es genügt ja heute in Europa, daß zwei Menschen verschiedener Nationalität zusammenkommen, um sofort das Schicksal von Fascismus, Kommunismus, Demokratie, Liberalismus usw. im Kampf der Weltanschauungen zum Gesprächsgegenstand werden zu lassen; Freund 1955 Politik u. Ethik 214 Die Ideologisierung des Arbeiterinteresses durch Marx und Engels hatte ihre Parallelen in der Ideologisierung des nationalen, klerikalen, bürgerlichen, konservativen und aller möglichen anderen Interessen, bis man selbst für das Interesse am politischen Totschlag passende „Ideologien“ erfand; Pöggeler 1964 Erwachsenenbildung 45 Ideologisierung ist eine zutiefst unsachliche, weil die Sache verkehrende Bemühung; theologisches bzw. philosophisches – wie jedes wissenschaftliche – Vorgehen aber vollzieht sich in Sachlichkeit und ist auf Wahrheit aus; Stuttg. Ztg. 29. 7. 1969 Die erwachende Ideologisierung der akademischen Jugend hat in den letzten beiden Jahren auch den Jungsozialisten viele Studenten zugeführt, welche die . . Jugendorganisation der Sozialdemokraten konsequent auf die Bahn der Gesellschaftsreform drängen; FAZ 27. 4. 1971 Die Tendenz zur Ideologisierung – oder, neutraler ausgedrückt, der Wunsch nach weltanschaulicher Bindung praktischen Handelns –, die sich in unserer pluralistischen Gesellschaft seit einiger Zeit beobachten läßt, kann von den Parteien, zumal wenn sie Massenparteien sein wollen, nicht ignoriert werden; Sontheimer 1983 Zeitenwende 59 Mit dem knappen Mißerfolg der NPD bei den Bundestagswahlen 1969 fiel die versuchte Re-Ideologisierung von rechts schnell in sich zusammen; Benedikt/Knoll 1995 Verdrängter Humanismus III 2 Bildung also heißt zuletzt Dechiffrierung jener neuen seit Destutt de Tracy hereingebrochenen Ideologisierungen zugunsten des Zusammenwirkens zwischen der kanonischen Regel größter Leistung bei kleinster Wirkung mit dem zu funktionalisierenden Gesetz der kleinsten Leistung bei größter Wirkung; Badry 1998 Beratungsgedanken 15 Die „Politisierung“ (Instrumentalisierung der Religion für politische Zwecke) oder besser Ideologisierung (Einbindung des Islam in ein spezifisches Gesellschaftssystem) des Islam ist Ausdruck einer vielschichtigen Krise, die kulturelle, politische und sozio-ökonomische Gründe hat; taz 10. 4. 2008 eine Auseinandersetzung mit der Ideologisierung der US-Kabelnetzwerke, die zur Primetime tendenziöse Pseudonach-

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richten von Aktivisten-Moderatoren wie Lou Dobbs präsentieren lassen. Ideologismus: Tieftrunk 1821 Weltall 176 Auch finden in der unverweigerlichen Unterscheidung dieser beiden Akte der Erkenntnißkraft sowohl der starre Ideologismus, welcher die Dinge zu bloßen Vorstellungen, als der starre Ontologismus, der die bloßen Vorstellungen zu Dingen machen will, ihre Zurechtweisung; Mickiewicz 1843 Slaw. Literatur II 329 Wie können nun die Philosophen, welche Napoleon verächtlich Ideologen nannte, behaupten, er sei ihr Zögling gewesen? Das ganze Leben hindurch verwarf er die Ideologie, nämlich die von leblosen Dingen entnommene und zum Beurtheilen lebendiger, menschlicher, moralischer Vorgänge angewandte Kenntniß. Er war ein Freund der Wissenschaften, haßte aber den Ideologismus; Oischinger 1843 Grundriß zu einem neuen Systeme d. Philosophie 32 Die Selbstständigkeit des Geistes wird durch ein doppeltes Extrem aufgehoben, durch den Empirismus und Ideologismus; denn . . letzterer nimmt vor der Selbstthätigkeit des Geistes bereits ein lebendiges Wissen an, und indem er Ideen ohne die Thätigkeit des Geistes setzt, ist er ebenso dualistisch, als der Empirismus; 1856 Allg. Zschr. f. Psychiatrie XIII 301 Die naturwissenschaftliche Psychologie bedarf der Thatsachen und beruht auf solchen . . nicht minder, als jeder andere Zweig der Naturwissenschaften. Sie bildet die Grundlage einer naturwissenschaftlichen Psychiatrie, an deren Stelle jetzt so viele, um nur dem sich vordrängenden Ideologismus in der Psychologie zu entfliehen, ein Dilettiren der gewöhnlichen Physiologie und Pathologie mit ihren bekannten Untersuchungsmitteln auf dem Gebiete der psychischen Krankheiten setzen; 1862 Mit od. ohne Österreich? (Übers.) 8 In Ungarn ist die Vereinigung eine natürliche, in Italien nur erzwungener Ideologismus; Dühring 1865 Natürl. Dialektik 104 Die Vertreter des träumerischen Ideologismus haben die Beweispflicht in der Regel verkannt und den Nachweis der sogenannten Realität der Außenwelt von denen gefordert, welche diese Realität annahmen; Carneri 1886 Glückseligkeit 88 Dieser Ideologismus, der vom gewöhnlichen durch einen Inhalt sich unterscheidet, schuf eine neue Art Realisten, welchen der inhaltlose Ideologismus mit der Erklärung entgegentrat, es seien die Begriffe nur leere Namen, wonach sich die Vertreter desselben Nominalisten nannten; Martersteig 1904 Theater 307 Wohl gehörte die soziale Frage auch bei uns zu dem unklaren, vom abstrakten Ideologismus bestimmten Revolutions- und Entwicklungsprogramm, aber ihre wirtschaftliche Bedeutung und ihre Wichtigkeit für die Neubildung der Gesellschaft wurde in Deutschland noch ganz verkannt; Lehmann 1923 Pädagog.

Bewegung II 171 Die geistigen Faktoren dieser Entwicklung beruhen auf „Ideologien“, die aus der jeweiligen wirtschaftlichen sozialen Lage hervorgehen und die . . den Zweck verfolgen sie zu rechtfertigen und zu schützen. Ihre Tradition dauert oft noch fort, wenn jene Zustände selbst bereits neuen Tendenzen erlegen sind; dann werden sie zu „Ideologismen“, die eine hemmende reaktionäre Kraft ausüben; Flake 1947 Versuch üb. Stendhal 34 Er verkehrt beim Pair und Grafen Destutt de Tracy, der aus der Mitte des achtzehnten Jahrhunderts stammt und auf Philosophen jener Zeit, Helve´tius, Cabanis, Condillac fußt. Beyle hat seine Lehre, den Ideologismus, eifrig gelesen: es wird darin nüchtern, sensualistisch nach den wahren Triebfedern der menschlichen Affekte . . gefragt; Eisermann 1949 Gegenwartsprobleme d. Soziologie 141 die kritische Einsicht, daß allenthalben die Herabsetzung der gegnerischen Ansicht begründet, das Selbstgefallen an der eignen aber unberechtigt ist, hat dann zu jenen Überlegungen geführt, die vor etwa 20 Jahren in einer Ehrenrettung des Ideologiebegriffs durch den Pan-Ideologismus ausmündeten; 1968 Geist, Welt u. Gesch. (Akten d. XIV. Intern. Kongr. f. Philos. Wien I) 506 Von dem französischen Philosophen E. B. de Condillac . . eingeführt, wurde die damit verbundene Theorie von Destutt de Tracy . . in seinem fünfbändigen Hauptwerk „Elements d’ideologie“ zum sogenannten „Ideologismus“ weiterentwickelt; Schild 1972 Sprache u. Herrschaft 64 Da diese Annahme jedoch typisch für Vertreter aller Ideologien und Weltanschauungen ist, die ihre Gültigkeit daher beziehen, daß sie ¤geglaubtÅ werden, ist Interesselosigkeit an der eigenen ideologischen Position und Kritik an der eigenen Herrschaftsposition ein bedenkliches Kennzeichen von Ideologismus; Schüler 1990 Erfindergeist 189 Die Beiträge des Blattes steckten voller modischer Ideologismen – Neomarxismus, radikalisierter Feminismus, partizipatorische Demokratie – und attackierten die Wissenschaft nicht als solche, sondern ihre spezifische Ausformung unter den Bedingungen des fortgeschrittenen Kapitalismus; Rudolph 1992 Religionswiss. 82 In seinen 5 bändigen [!] E´le´ments d’ideologie . ., hat de Tracy u.a. die Entstehung der Ideen (Ideologie) im sensualistischen Sinne ausgeführt, und dies machte ihn zum Vater des Ideologismus, der fast das ganze 19. Jh. in Frankreich Mode war; Zürcher Tagesanz. 25. 4. 1997 In all diesen Debatten geht es um etwas, das ich Ideologismus nennen möchte: Sozialutopische, parteipolitische, ökonomische, ethnische, nationalistische, religiöse und andere Gedanken werden absolut gesetzt; die Welt und der Mensch haben ihnen zu gehorchen; Zeit (online) 19. 5. 2005 CDU und CSU schleppen eine Vielzahl von vormodernen Ideologismen mit sich

Ideologie . . Exemplarisch sei hier verwiesen auf die voraufklärerische Einteilung der Kinder und Jugendlichen in praktisch und theoretisch Begabte und eine an diese Einteilung anschließende Unterscheidung von volkstümlicher (Hauptschule) und höherer Bildung (Gymnasium). Ideologist: F. Schlegel 1802 Br. (Briefwechsel m. Schiller u. Goethe 173) Ich vertrage mich aber auch mit allen anderen [hiesigen Gelehrten] recht wohl, selbst mit den Philosophen, oder Ideologisten, wie sie sich jezt heißen; denn wirklich ist ihre Lehre neuerdings gleichfalls nur eine Theorie des Bewußtseins, aber freilich nur des französischen Bewußtseins, in welchem . . einige Artikel gar nicht vorkommen mögen, als produktive Anschauung, Fantasie und dergl.; Gall 1829 Vollst. Geisteskunde (Übers.) 384 andere verachten die materielle Welt und erheben sich in die geistige, betrachten den Geist in seinen Wirkungen als Geist, schaffen sich eine Welt idealer Wesen und halten keine Rechnung von den materiellen Bedingungen der Verrichtungen des Geistes; sie suchen nach allgemeinen Wahrheiten und Gesezen, und nach ihnen muß alles Existirende mit allgemeinen Ideen übereinstimmen; dis sind die Ideologisten und Metaphysiker; Dühring 1865 Natürl. Dialektik 104 Die Vertreter des träumerischen Ideologismus haben . . den Nachweis der sogenannten Realität der Außenwelt von denen gefordert, welche diese Realität annahmen. . . Anstatt . . Sinn und Tragweite des herbeigezogenen logischen Satzes zu untersuchen, haben es die Ideologisten rathsam gefunden, die Beweislast von sich abzuwälzen und dem sogenannten gesunden Verstande aufzubürden; 1894 Philosoph. Monatshefte XXX 86 (Anm.) P. bemerkt, dass Tracy und Cabanis nicht von Ideologen, sondern von Ideologisten reden; Gue´rard 1928 Napoleon 126 Gegen geistige Freiheit herrscht tief eingewurzelte Feindschaft. Die Radikalen, die Herr Mitchell Palmer verjagt hat und die Ideologisten, die Napoleon wie Ungeziefer ertränken wollte, haben sehr viel Gemeinsames; Geissberger 1956 Buchez 7 Anm. Buchez ist dabei – ein Vorläufer moderner Ideologisten und Simplifikatoren – der Gefahr erlegen, von einem als absolute Wahrheit anerkannten Vorstellungskomplex aus, jedes Tun, das dieser Anschauung konform ist, eigensinnig zu verteidigen, auch dann, wenn dieses Tun die primitivsten Moralgefühle verletzt; Hollstein/Penth 1980 Alternativprojekte 232 Diese Platte ist nicht für Dosenköpfe und Schubladengestörte. . . Hier haben sich Musiker der verschiedensten Zielrichtungen und Aussagen gefunden. Nicht für Dogmatiker und Ideologisten; Che´lin 1981 Schlegels Europa 37 Zwischen den Höhenflügen der deutschen Philosophen und den

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Platitüden der französischen „Ideologisten“ sah Schlegel eine unüberbrückbare Kluft; Blechner 2006 Seit 1913 78 Den wahrhaft Berufenen ist eines gemeinsam: Sie dienen Idealen, verfolgen keine Zwecke, sie unterscheiden sich also essentiell von den unberufenen Ideologisten ihres Fachs, die nur dem Zeitgeist folgend immer oben sind unter allen möglichen Umständen. ideologistisch: Mittelfränk. Ztg. 28. 11. 1848 Erst dann kann und wird sich’s zeigen, ob das traurige Ergebniß und Ende dieses Parlaments nur in dem zufälligen Ergebniß der diesmaligen Wahlen begründet war, oder ob nicht vielmehr das ganze Institut eines deutschen Parlaments . . ein Ding der Unmöglichkeit, eine deutsch ideologistische Träumerei ist; 1849 Neue Berliner Musikztg. III 409 „kunstphilosophische Kritiker,“ [!] die . . der Kunst keine selbst-schöpferische, sondern nur eine wissenschaftliche, in Abstractionen von Systemen und Lehrsätzen sich bewegende Thätigkeit zu widmen im Stande sind; – dilettirende, . . im Irrgarten von Theorieen, Problemen und Hypothesen herumtaumelnde Schöngeister und ideologistische Träumer, . . die keinen Augenblick anstehen, einem glänzenden Paradoxon, einem frappant und geistreich klingenden Ausspruch . . die schlichte und klare Wahrheit aufzuopfern; Oischinger 1858 Speculat. Theologie 17 Auf die richtige Erkenntnißtheorie, welche weder ideologistisch, noch sensualistisch ist, hat der heilige Thomas im Allgemeinen hingewiesen, da er vom inneren und äußeren Worte redet; Dühring 1865 Dialektik 131 Ich sehe wenigstens nicht ein, warum eine Vorstellungsart, die den Fehler, etwas blos Gedankliches für ein reales Ding auszugeben, vermeidet, idealistisch im theoretischen Sinne und mithin ideologistisch sein solle; 1883 Rhein. Bll. f. Erziehung u. Unterricht XCVIII 3,218 Da man nirgends die geschichtlich gegebenen Bedingungen einer Kultur ignorieren kann, ohne in dem Luftgebiete der ideologistischen Schwärmerei zu schwanken und in der Schwindelhöhe unsolider Spekulation zu schweben, so muß man an das historisch Gegebene anknüpfen; 1929/ 30 Literar. Handweiser LXVI 125 Der zuerst etwas primitiv scheinende soziologische Gesichtspunkt der Kapitalaus- und -einfuhr als causa movens et agens der Weltgeschichte führt allerdings zu sehr übertriebenen und ideologistischen Formulierungen: der Weltkrieg ein zufälliges Ereignis der wirtschaftlichen Rivalität von Kapitalausfuhrländern; Jung 1930 Psycholog. Typen 446 Wenn er [James] das Wesen der Religiosität ganz vom ideologistischen Standpunkt auffasst als eine Einstellung, bei welcher die religiöse Idee eine dominierende Rolle spielt (im Gegensatz zum Gefühl), dann hat er gewiss recht, den Tough-minded auch als irreligiös

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zu bezeichnen; Lufft 1930 Kulturformung 154 f. Die große ethische . . Leistung von Luther . . war, daß er Arbeit als Arbeit . . anerkannte, . . entgegen allen Romantizismen von Leuten, die im Grunde nicht arbeiten wollten oder ausgezeichnete Bevölkerungsschichten von der Arbeit ausnehmen und sie zu Kulturschichten stempeln wollten. Seine manchmal sehr leidenschaftlichen Ausbrüche gegenüber solchen Ideologien und Romantizismen, die sich gegen sein Lebensende hin steigerten, sind . . Ausdruck seiner elementaren religiösen Entrüstung gegen ideologistische Verschleierung der religiösen Bedeutung der Arbeit; 1971 Archiv f. Begriffsgesch. XV 118 f. Der Begriff „Supplement“, den Friedrich [in Goethes „Lehrjahren“] ungalant aufgreift und ironisierend verflacht, nimmt . . den marxistischen Begriff „Überbau“ voraus; das Schema der ideologistischen Betrachtung ist in einem Satz vorgezeichnet; Wysling 1974 Situation d. Schriftstellers 29 Drei Formen des Engagements stehen heute im Vordergrund: die ideologistische, die moralistische und die existentielle. Sie lassen sich nicht immer klar auseinanderhalten. . . Zum ideologistischen Engagement zunächst. Um ihren Utopien Rückhalt zu verschaffen, suchen viele Schriftsteller bei der marxistischen Ideologie Anschluß; Krüger 1992 Demission 226 f. Wir brauchen das kulturelle Gegengewicht der medialen Kopplung von Alltags- und Expertenkulturen zum schieren Überleben. Dahin ist es mit dem, was vom ökonomistischen und ideologistischen Standpunkt aus als überflüssiger Luxus gilt, gekommen; Leipprand 2000 Stadt 148 Dieser Stadtbautyp ist als Modell für den homo automobilicus ebenso schlüssig wie der gründerzeitliche zu seiner Zeit und dürfte für alle heutigen Kulturen mit Wohlstand und Kraftfahrzeug gelten, die sich pragmatisch und utilitaristisch eingerichtet haben (im Gegensatz etwa zu ideologistischen, dogmatischen und doktrinären Gesellschaften); Loest 2003 Zensor 188 Bei genauerem Nachdenken könnte man heutzutage auf den Gedanken kommen, ein gewisser Lenin mit seinen kruden Ideen von Kaderpartei und zentralistischem Staatsaufbau sei an allem Schuld gewesen; aber wer wollte schon einen ideo-

logistischen Disput in derlei verstaubten Gefilden führen. Ideologizität: Pilch/Richter 1970 Sprachforschung 107 Ein Ideologiecharakter der Linguistik werde an der Aufsplitterung in Schulen und der vermeintlichen Unvermeidbarkeit solcher Aufsplitterung sichtbar. Anzustreben sei eine dialektische Vermittlung von Ideologizität mit Parteinahme – so wie der Arzt in anatomischer Hinsicht parteilich sei; Medvedev 1976 Formale Methode 29 Sowohl die künstlerische Struktur eines Romans insgesamt wie die künstlerischen Funktionen jedes einzelnen seiner Elemente sind für sich genommen nicht weniger ideologisch und nicht weniger soziologisch als die ethischen, philosophischen und politischen Ideologeme, die sie enthalten. Die künstlerische Ideologizität eines Romans ist jedoch für einen Literaturforscher viel unmittelbarer und ursprünglicher als die in ihm nur widergespiegelten und doppelt gebrochenen außerkünstlerischen Ideologeme; Haug 1987 Marxismus II 154 Die Faschisten und Nazis treten zunächst auf als Sachwalter der Ideologizität schlechthin, zumindest aller alten ideologischen Mächte, unter Absehung von ideologischen Unterschieden (natürlich nicht auf der Ebene politischer Ideologien); Welzel 1994 Beliebigkeit 165 Wie betont wurde, handelt man sich mit der These von der Ideologizität allen Denkens keineswegs die Notwendigkeit ein, nun jegliches sozialgruppenspezifisches Denken gutzuheißen, da es ja schließlich dem Überleben der Menschen diene, die an ihm partizipieren: welchen furchtbaren Schaden bestimmte Ideologien anrichten können, liegt auf der Hand; Henning 2005 Marxrezeption 541 f. Indem er die tatsächlichen Bedeutungsspielräume solcher Termini wie „Praxis“, „menschlich“ oder „Gerechtigkeit“ aufwies, . . wusste er zugleich um die Begrenzung solcher großen Worte. Dadurch wurde er davon abgehalten, zum Ideologen zu werden, zu dem er dank seiner Wortgewalt und seines aufbrausenden Wesens wahrlich das Zeug hatte. Zugleich verfügte er damit über ein Handwerkszeug, um andere, die sich diesem Geschäft hingaben, der Ideologizität zu zeihen.

Idiom N. (-s; -e(n)), im frühen 16. Jh. entlehnt aus (m)lat. idioma ¤(sprachliche) Eigentümlichkeit; Einzelsprache, DialektÅ (< griech. $idi*wma ¤Eigentümlichkeit, besondere Beschaffenheit; (sprachliche) Besonderheit, eigentümliche AusdrucksweiseÅ, zu >idiov ¤abgesondert, eigen, selbst, privat, eigentümlichÅ, → Idiosynkrasie, → Idiot, → Idiotik, → idiotisch), bis ins späte 18. Jh. in der griech./lat. (flekt.) Form Idioma (Pl. Idiomata). a Zunächst in der Bed. ¤EinzelspracheÅ, seit früherem 16. Jh. als Fachterminus der Theologie auch in der etymologischen Bed. ¤Eigenheit, (einem Objekt wesensmäßig

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zukommende) EigenschaftÅ (s. Belege 1539, 1567, 1954), daneben bereits früh ¤spezifische Sprachausprägung, Sprech-/Rede-/Ausdrucksweise einer Einzelperson oder einer (regional, sozial oder beruflich bestimmten) GruppeÅ (s. Belege 1571, 1643, 1813.1, 1932, 1959, 1983; → Dialekt, → Varietät 3; vgl. Idiotismus → idiotisch 2, Idiolekt, Soziolekt), dann ¤(lautliche, lexikalische o. ä.) Eigentümlichkeit, Besonderheit, die für eine Sprache typisch ist; Charakteristikum einer EinzelspracheÅ (s. Belege 1749, 1786, 1813.2, 1838), in Wendungen wie das griechische, englische, französische Idiom, das schwäbische, fränkische, bayerische Idiom, unser eigenes, heimatliches, vertrautes Idiom, in einem Idiom reden, sich eines Idioms bedienen, nur eine Minderheit spricht das bedrohte rätoromanische Idiom, er erforscht die Idiome der griechischen Sprache und (z. T. konkurrierend mit -sprache) in Zss. wie Alltags-, Bauern-, Bayern-/Franken-/Schwaben-, DDR-, Fach-, Fußballer-, Heimat-, Jugend-, Landes-, Lokal-, Ruhrpott-, Schrift-, Stammes-, Umgangs-, Volksidiom, selten als Bestimmungswort, z. B. Idiom(en)-Befürworter, -Färbung, -Vielfalt; idiomreich, in neuerer Zeit auch übertragen auf künstlerische Arbeiten, v. a. in der Musik ¤charakteristische Art und Weise des musikalischen Ausdrucks eines Komponisten, eines Musikers, einer Musikrichtung oder -epoche, (Kompositions-, Personal-, Zeit-)StilÅ, (s. Belege 1960, 1986, 2008.1), z. B. er beherrscht das klassische, barocke, wienerische Idiom, die Sängerin fühlt sich vor allem im zeitgenössischen Idiom zuhause; Avantgarde-, Blues-, Country-, Jazz-, Klang-, Kunst-, Opern-, Pop-, Rock-, Volkslied-, Walzeridiom. b Seit Mitte 20. Jh. auch fachspr. in der (sprachwissenschaftlich spezifizierten) Bed. ¤bildhafter Ausdruck; übertragene (Rede-)Wendung, feste Wortverbindung, deren Gesamtbedeutung sich nicht aus den Bedeutungen ihrer einzelnen Bestandteile ableiten lässt (und die daher als Ganzes gelernt werden muss)Å (weitgehend gleichbed. mit Idiomatismus b, s. u.; vgl. Phraseologismus), z. B. Idiome wie „jemandem einen Bären aufbinden“ kann man nicht verstehen, die muss man lernen, Übersetzungsprogramme haben mit Idiomen große Schwierigkeiten und vereinzelt in Zss. wie Idiom(en)lexikon, -sammlung. Dazu seit früherem 19. Jh. die seltene (aus Idiom und dem Lehnsuffix -ismus in seiner Funktion zur Bezeichnung einzelner Elemente von Systemen, Lehren und Prinzipien neoklassisch gebildete) subst. Ableitung Idiomismus M. (-; Idiomismen), fachspr. (Sprachwissenschaft) in der Bed. ¤für die Sprech-/Rede-/Ausdrucksweise einer Einzelperson oder einer regional, sozial oder beruflich definierten Gruppe typisches sprachliches (lautliches, lexikalisches) Element, sprachliche Eigentümlichkeit, BesonderheitÅ (weitgehend gleichbed. mit Idiotismus, → idiotisch 2, und Idiomatismus a, s. u.), in Wendungen wie Provinzialismen und Idiomismen, ich lernte bayerische Kraftausdrücke und Idiomismen (zu a). Dazu seit Mitte 19. Jh. vereinzelt belegtes idiomisch Adj., auch subst., fachspr. in der Bed. ¤einer Sprache, einer Sprachausprägung eigen, typisch für die spezifische Sprech-/Ausdrucksweise einer Einzelperson oder einer regional, sozial oder beruflich definierten GruppeÅ (weitgehend gleichbed. mit → idiotisch 2 und idiomatisch a, s. u.), in Wendungen wie ein idiomischer Ausdruck der Schweizer, idiomische Wortbestände, idiomische Eigenheiten eines Dialekts (zu a), daneben zur Bezeichnung der Eigenschaft von Idiomen oder Phraseologismen, die darin besteht, dass ihre Gesamtbedeutung sich nicht aus den Einzelbedeutungen ihrer Bestandteile ableiten

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lässt (weitgehend gleichbed. mit idiomatisch b, s. u.), z. B. eine idiomische (Rede-)Wendung; nicht-idiomisch (zu b). Dazu seit Mitte 20. Jh. die vereinzelt belegte verbale Ableitung idiomisieren V. (in)trans., meist gleichbed. mit idiomatisieren b (s. u.), mit dem im späteren 20. Jh. vereinzelt belegten Verbalsubst. Idiomisierung F. (-; -en), weitgehend gleichbed. mit Idiomatisierung b (s. u.). Daneben seit späterem 18. Jh. eine Gruppe auf griech. $idiwmatiko*v ¤eigentümlichÅ (zu $idi*wma, s. o.) zurückgehender Bildungen: Seit späterem 18. Jh. idiomatisch Adj., zunächst allgemeiner ¤durch Sprache bedingt, zur Sprache gehörig; der Sprache eigentümlichÅ, in der Philologie und Sprachwissenschaft nachfolgend spezifiziert zu ¤einer Sprache, einer Sprachausprägung eigen, typisch für die spezifische Sprech-/Rede-/Ausdrucksweise einer Einzelperson oder einer regional, sozial oder beruflich definierten GruppeÅ (weitgehend gleichbed. mit idiomisch a, s. o., idiosynkratisch, → Idiosynkrasie 2, und → idiotisch 2), in Wendungen wie eine idiomatische Ausdrucksweise, die idiomatische Artikulation der Schweizer, die idiomatischen Ausdrücke unserer Rechtssprache, eine Redeweise, die für ihn idiomatisch ist, gleichzeitig fachspr. als Terminus der Theologie in der Bed. ¤auf die sowohl menschlichen wie göttlichen Eigenschaften Jesu bezüglichÅ (s. Belege 1775, 1782; zu Idiom in seiner etymologischen Bed. ¤EigenschaftÅ, s. o.), häufig in der Wendung idiomatischer Satz, seit früherem 20. Jh. auch übertragen ¤zur charakteristischen Art und Weise des künstlerischen (literarischen oder musikalischen) Ausdrucks eines Künstlers oder einer Kunstrichtung, einer Epoche, zum (Kompositions-, Personal-, Zeit-)Stil gehörigÅ (s. Belege 1934, 1991) und (in der Musik von einer Komposition) ¤dem klanglichen Charakter eines Instruments, einer Singstimme angepasst, gemäßÅ (s. Beleg 1981), in Wendungen wie idiomatische Eigenheiten der Musik herausarbeiten, seine musikalischen Improvisationen klingen ungemein idiomatisch und (meist okkasionellen) additiven Zss. wie musikalisch-idiomatisch, idiomatisch-improvisatorisch (zu a), seit frühem 19. Jh. bezogen auf Idiome oder Phraseologismen in der Bed. ¤sprachliche Wendungen betreffend, deren Gesamtbedeutung sich nicht aus den Einzelbedeutungen ihrer Bestandteile ableiten lässtÅ (weitgehend gleichbed. mit idiomisch b, s. o.), z. B. idiomatische (Rede-)Wendung, einen idiomatischen Ausdruck aus dem Englischen übersetzen, die Wörter „Augenblick“, „Bürgersteig“, „freizügig“ und „entscheiden“ sind Beispiele für idiomatische Ausdrücke; nicht-idiomatisch (zu b). Dazu seit frühem 19. Jh. die subst. Ableitung Idiomatismus M. (-; Idiomatismen), fachspr. (Sprachwissenschaft) zunächst ¤bildhafter Ausdruck; idiomatische (Rede-)Wendung, feste Wortverbindung, deren Gesamtbedeutung sich nicht aus den Einzelbedeutungen ihrer Bestandteile ableiten lässt, PhraseologismusÅ (weitgehend gleichbed. mit Idiom b, s. o., und Idiotismus, → idiotisch 2), in Wendungen wie deutsche und englische Idiomatismen ähneln sich oft, der Übersetzer kannte offenbar den Idiomatismus nicht (zu b), seit späterem 19. Jh. in der Bed. ¤für eine Einzel-, Regional- oder Gruppensprache charakteristisches sprachliches (lautliches, lexikalisches) ElementÅ (weitgehend gleichbed. mit Idiomismus a, s. o., und Idiotismus, → idiotisch 2), z. B. sie verwendet die typischen Idiomatismen der Vollblutpolitikerin; Alpen-, DDR-Idiomatismen, selten auch übertragen ¤charakteristische Art und Weise des musikalischen Ausdrucks eines Komponisten, eines Musikers, einer Mu-

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sikrichtung oder -epocheÅ (s. Beleg 1996; gleichbed. mit Idiomatik a, s. u.), z. B. die eigentümlichen Idiomatismen des Posaunisten; Jazz-, Rock-Idiomatismen (zu a). Dazu seit früherem 19. Jh. die subst. Ableitung Idiomatik F. (-; -en), fachspr. (Sprachwissenschaft) für ¤Gesamtbestand der idiomatischen Wendungen einer (Gruppen-)SpracheÅ, auch ¤Lehre von den idiomatischen WendungenÅ (s. Beleg 1989) und ¤Wörterbuch der idiomatischen WendungenÅ (s. Beleg 2011), z. B. Wörterbuch der deutschen Idiomatik, die Idiomatik beschäftigt sich mit festen Wortverbindungen (zu b), seit Mitte 19. Jh. vereinzelt in der Bed. ¤Wörterbuch zu der spezifischen Sprachausprägung einer regional, sozial oder beruflich definierten Gruppe; DialektwörterbuchÅ (→ Idiotik 1; vgl. Idiotikon, → Idiotik 1, Idiomatikon a, s. u.), auch ¤Gesamtheit der sprachlichen Eigenheiten und Charakteristika, die eine (Gruppen-)Sprache ausmachenÅ (s. Belege 1904, 1960), vereinzelt auch ¤Wissenschaft vom gebräuchlichen und angemessenen AusdruckÅ (gleichbed. mit → Stilistik; s. Belege 1929, 1950), in Wendungen wie schlag es doch in deiner Idiomatik nach, das Lehrbuch vermittelt in erster Linie die englische Idiomatik, ich liebe die bayerische Idiomatik, die Idiomatik befasst sich auch mit den Spracheigentümlichkeiten von Dialektsprechern und Zss. wie Bildungsbürger-, Gattungs-, Szeneidiomatik, in neuerer Zeit fachspr. (Kunstwissenschaft) auch übertragen ¤expressiver künstlerischer Stil einer kleinen, isolierten Gruppe mit geringer sozialer Schichtung (in Afrika)Å (s. Beleg 1956.1), bes. in der Musik ¤charakteristische Art und Weise des musikalischen Ausdrucks eines Komponisten, eines Musikers, einer Musikrichtung oder -epocheÅ (s. Belege 1989, 2000; gleichbed. mit Idiomatismus a, s. o.) bzw. ¤Wiedergabe des klanglichen Charakters eines Instruments, einer Singstimme in einer KompositionÅ (s. Belege 1981.1, 1981.2), in Wendungen wie Jana´cˇeks eigentümliche Idiomatik, die spanische Idiomatik des Pianisten und Zss. wie Blues-/Country-/Jazz-, Opern-, Rock-, Tangoidiomatik (zu a); dazu seit Anfang 20. Jh. die seltene Personenbezeichnung Idiomatiker M. (-s; -) für ¤jmd., der feste idiomatische Wendungen beschreibt, erforscht oder (im Sprachunterricht) lehrtÅ, in Wendungen wie ein Kongress internationaler Idiomatiker, der bekannte russische Idiomatiker, Phraseologen und Idiomatiker und Zss. wie Idiomatikersymposium/-tagung/-treffen (zu b), seit Mitte 20. Jh. fachspr. (Kunstwissenschaft) für ¤(afrikanischer) Künstler, der einer kleinen, isolierten Gruppe mit geringer sozialer Schichtung zugehört und einen expressiven Stil pflegtÅ, allgemeiner auch ¤Künstler (Dichter, Komponist), der über eine charakteristische Art und Weise des künstlerischen Ausdrucks verfügtÅ (s. Beleg 1994), in jüngster Zeit vereinzelt auch ¤Sprachwissenschaftler, der sich eingehend mit spezifischen Sprachausprägungen, Sprech-/Rede- oder Ausdrucksweisen beschäftigt; DialektologeÅ (s. Beleg 1985) (zu a); dazu seit Anfang 20. Jh. die selten belegte subst. Ableitung Idiomatikon N. (-s; Idiomatika/Idiomatiken), zunächst in der Bed. ¤Wörterbuch zu der spezifischen Sprachausprägung einer regional, sozial oder beruflich definierten Gruppe; DialektwörterbuchÅ (weitgehend gleichbed. mit → Idiotik 1 und Idiotikon, → Idiotik 1, und gleichbed. mit Idiomatik a, s. o.), vereinzelt auch ¤für eine Einzel-, Regional- oder Gruppensprache charakteristisches sprachliches (lautliches, lexikalisches) ElementÅ (s. Beleg 1977; gleichbed. mit Idiomismus a und Idiomatismus a, s. o.) und ¤Gesamtheit der sprachlichen Eigenheiten und Charakteristika, die die Sprache eines Einzelnen ausmachenÅ (s. Beleg 2007; vgl. Idiolekt), in Wendungen wie in einem Idiomatikon nachschlagen, ein typisches deutsches Idiomatikon (zu a), daneben seit Mitte 20. Jh. selten in der Bed. ¤Sammlung, Wörterbuch

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der idiomatischen Wendungen einer (Gruppen-)SpracheÅ, in jüngster Zeit vereinzelt auch ¤bildhafter Ausdruck; feste Wortverbindung, deren Gesamtbedeutung sich nicht aus den Bedeutungen ihrer einzelnen Bestandteile ableiten lässt, PhraseologismusÅ (s. Beleg 1999; vgl. Idiom b und Idiomatismus b, s. o.), z. B. die Wendung in einem Idiomatikon nachschlagen, ein deutsch-russisches Idiomatikon, Idiomatika werden auf der Basis von Simplizia gebildet (zu b). Dazu seit frühem 20. Jh. die fachspr. Ableitung idiomatisieren V. (in)trans., zunächst vereinzelt in der Sprachwissenschaft für ¤zur eigenen, selbständigen Sprache werden/ machenÅ, später mit Bezug auf musikalische Ausdrucks-, Kompositions- oder Interpretationsweisen für ¤(stark) durch bestimmte (individuelle, stil- oder epochenbedingte, durch die Instrumentierung gegebene, klangliche) Charakteristika prägenÅ, in Wendungen wie die Sängerin idiomatisiert ihren Part zu stark, die Einzelstimmen sind nicht idiomatisiert (zu a), seit späterem 20. Jh. daneben in der Bed. ¤in übertragenem Sinne gebrauchen (so, dass die neue Bedeutung nicht mehr (ohne Weiteres) aus der vorherigen abzuleiten ist)Å (vgl. metaphorisieren), in Wendungen wie idiomatisierte Lexeme entschlüsseln, das Wort „fabelhaft“ wurde idiomatisiert (zu b), mit dem etwa gleichzeitig nachgewiesenen Verbalsubst. Idiomatisierung F. (-; -en), fachspr. (Musikwissenschaft) in der Bed. ¤Entwicklung hin zu einer stärker durch bestimmte (individuelle, stil- oder epochenbedingte) Charakteristika geprägten musikalischen Ausdrucks-, Kompositions- oder InterpretationsweiseÅ, in Wendungen wie die zunehmend französische Idiomatisierung der Komposition (zu a), auch als Terminus der Sprachwissenschaft für ¤Prozess des Übergangs einer freien, analysierbaren Wortverbindung zu einer festen Wendung, deren Gesamtbedeutung sich nicht aus den Einzelbedeutungen ihrer Bestandteile ableiten lässtÅ (vgl. Demotivierung, Lexikalisierung, Metaphorisierung), z. B. bei Phraseologismen wie „durch die Lappen gehen“ ist die Idiomatisierung sehr weit fortgeschritten; Idiomatisierungsgrad, -prozess/-vorgang (zu b). Dazu seit späterem 20. Jh. die subst. Ableitung Idiomatizität F. (-; -en), in der Sprachwissenschaft für ¤Eigenschaft von Idiomen oder Phraseologismen, die darin besteht, dass ihre Gesamtbedeutung sich nicht aus den Einzelbedeutungen ihrer Bestandteile ableiten lässt; Grad der Idiomatisierung (von Phraseologismen)Å, in Wendungen wie die Idiomatizität von „Schlafzimmerblick“ ist geringer als die von „Augenblick“ und Zss. wie Idiomatizitätseffekt, -erscheinung/-phänomen, -grad; Halb-, Nicht-, Vollidiomatizität (zu b). Vgl. daneben auch die seit frühem 19. Jh. vereinzelt belegten Termini Idiomatologie ¤Lehre von den Spracheigenheiten; Sprecharten- oder MundartenkundeÅ und Idiomographie ¤Beschreibung einer Sprache oder Mundart; LinguistikÅ. Idiom a: Ickelsamer 1527 D. rechte weis (B1r) Noch leidet vnser teutsch idioma oder sprach einen mangel/ den können die gemeinen buchstaben nicht erreichen darumb werden dise drey buchstaben a o u ein wenig von yhrem laute gefüret vnnd gebogen/ vnd genennet wie hernach ynn den wörtern/ darynn sie stehen gemerckt wird; Eck 1528 Verlegung d. Disputation 139 Vnd das er sagt von artickeln/ haben wir gewißt vor lengest auß Chrysostomo vnd Cyrillo/ auch auß den Kriechischen grammaticken vnd Ideoma der sprach/ das die ar-

tickel bringen mit jnen Emphasin/ das ist etwas besonders oder treffenlichs/ oder machen das gewisser dem sie zu˚gesetzt werden; Witzel 1536 Catechismus L8a Du solt den namen des Herren/ deines Gottes nicht vergeblich brauchen. Im Text Mosi steht/ nemen/ das wir hie/ brauchen/ heissen vmb vnserer gewönlichen sprach willen. Vnd ist dis der Ebreer Idioma/ das sie nemen/ für aussprechen zu zeiten setzen; Schaidenreisser 1537 Odyssea 6 f. Dieweil auß genaden vnd willen des almechtigen die vnermesliche gaben kunstlicher sprachen, so

Idiom vormals nur bey den Gretiern vnd Latinern gewest, bei vnsern gedencken (Gott lob) zu˚ vnns teütschen auch geraicht haben, dardurch teütsche sprach in zierligkait, in rechter kunst redens vnnd schreibens also gereichet vnd gewachssen, das . . die geschrifften vnd erfindung der eltesten Theologen, Philosophen, Oratorn, Poeten vnnd geschichtschreiber auß dem Idioma, darinn sy geredt haben, also embsigklich vnd in so grosser zal verdolmetscht werden, das ferren meer weyßhait, kunst vnd wissenhait in teütscher dann in Italiänischer zunge mit bu˚chstaben verfast . . ist; Luther 1539 Von d. Concilijs u. Kirchen S3a So ist nu Nestorij irthum . ./ das er . . zwo natur/ Gott vnd mensch/ in einer person bekennet/ Aber Communicationem idiomatum wil er nicht zugeben/ das kan ich mit einem wort nicht deudsch reden/ Idioma heisst/ was einer natur anhangt oder jr eigenschafft ist/ Als/ sterben/ leiden/ weinen/ reden/ lachen/ essen/ . . vnd was des mehr ist/ heissen idiomata naturæ humanæ, das ist eigenschafft/ die einem menschen von natur anhangen/ als die er thun oder leiden kan auch wol mus; ebd. S4a Wasser holen/ brot keuffen/ Mutter haben/ mit jr essen vnd trincken/ das sind idiomata eigenschafft menschlicher vnd nicht Göttlicher natur; Marbach 1567 Christl. Vnderricht 275 Dieweil aber dieselbige natur/ in einer Person/ der Göttlichen natur so nahe vnd hart vereiniget vnd verbunden ist: so teilet sie fast mit der natur Gottes/ jhr idioma vnd eigenschafft/ als da ist geboren/ vnd mensch werden: wie Johannes spricht/ vnd das wort ward fleisch/ Gott ist mensch worden; Puschmann 1571 Meistergesang 14 Also sol es mit den Vocalibus vnd Diphthongis in allen andern Idiomatis Deudscher zungen, so der hohen Deudschen sprach nicht gleich sein, auch gehalten werden, Als, wenn ein Schlesier sünge: Du holdselige sey gegrist, für grüst, Das Hauß ist gar wist, für wüst; Pantaleon 1576 Moscouitische Chronica Vorr. 2b vnd solche histori . . ausz dem Lateinischen Idioma, in vnsere Teutsche Sprach vertolmetschet worden (SCHOPPE); Titz 1642 Verse O 5b Es scheinet aber dießfalls nöthig zu sein/ daß man nicht viel/ sondern wenig/ nicht überhin/ sondern mit fleissiger aufacht vnd nachsinnen lese/ vnd bey iedwederm Wort vnd Phrase wol nachdencke/ ob auch in der Landschafft/ da man gebohren ist/ oder sich aufhelt/ vnd derer Dialect man gebraucht/ eben also geredet werde. Denn auf solche weise wird man leicht/ worin das Hochdeutsche Idioma von den andern Dialecten abschreite/ vnd/ was in diesen falsch oder übelstehend sey/ kennen vnd meiden lernen; Harsdörffer 1643 Gesprechspiele III 319 Es were zu wünschen/ daß von jeder Mundart* [Seitenrand: *Idioma] ein besonderes Büchlein beschrieben/ und die schiklichste und füglichste aller und jeder Wörter außge-

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suchet würde: Inzwischen halten wir die Schlesische und Meißnische Außrede für die reinste; Morhof 1682 Unterricht 482 Dann es ist der Warheit gemäß/ was der berühmte Herr Micrælius . . in seiner Pommerschen Chronica . . schreibet: Die alten Svevi haben auch die rechte Sächsche Wurtzel ihrer alten Niederteutschen Sprache mit in Helvetiam gebracht/ und daselbst den Swyzern oder Sweyzern/ das ist Svevitzern ihren Nahmen und ein groß theil ihres Idiomatis mitgetheilet; Paullini 1697 Lust III 937 GOtt habe die eine und erste Sprache durch vielerley Idiomata hin und wieder in die Welt zerstreut. Neue Sprachen mache Gott eben nicht; 1718 Historie d. Jahrs 1717 97 f. Obengemeldte bey der Reception des Fr. Gesandten/ Gr. von Gergy/ vorgefallene Strittigkeiten/ absonderlich was das Idioma betrifft/ dessen Er sich in seinen Schrifften und Memorialien an das ReichsConvent bedienen wil/ sind noch nicht gehoben/ und dörffte Franckreich wohl resolviren/ einen andern Minister, von einem geringern Character, an seine Statt an das Reichs-Convent abzuordnen; Sperander 1727 A la Mode-Sprach 297 Idioma, die Eigenschaft einer S[pr]ache; der dialectus derselben; Windheim 1749 Götting. Philosoph. Bibl. I 179 Hr. Johann Leonhard Reckenberger, wird eine Anweisung zum Rabbinischen geben, des seel. Danzens hebräische Grammatik erläutern, . . die Idiomata der griechischen Sprache zeigen, einen Unterricht in den hebräischen Accenten, der syrischen und chaldäischen Sprache ertheilen; 1782 Dtsch. Encyclopädie VI 144 Man versteht unter Eigenschaften oder idiomata alles, was von der menschlichen oder göttlichen Natur Christi gesagt werden kann. Beide Naturen sind miteinander in einer Person vereinigt, in dieser Vereinigung werden die Eigenschaften, welche unmittelbar der einen Natur zukommen, auch der andern zugeschrieben . . Man nimmt das Wort Eigenschaft oder Idiom also hier in einem so weiten Verstande, daß man alles darunter begreift, was von einer Natur gesagt werden kann; Bährens 1786 Klassiker 89 es gibt aber noch einen andern Barbarismus im Latein, der alsdenn unvermeidlich ist, wenn man die Idiomen oder Eigenthümlichkeiten der deutschen Sprache nicht nach dem Geist der Latinität in diese Sprache übertragen kann; Campe 1794 Reinigung xxxxv Dieser Umstand macht, daß die Franzosen und Engländer die wissenschaftlichen Wörter der Lateiner – und jede dieser Nationen (Völkerschaften) die ihr gefallenden Idiomen (Sprach-eigenheiten) der andern leicht in ihre Sprache haben übertragen . . können; Foote 1797 Kriegskommissär (Übers.) (Dramat. W. III 139) Verschiedene Lagen des Lebens erfodern verschiedene Sprecharten, oder Idiome. Feingeründete Perioden gehören nicht in den Mund eines Handwerksmanns; Campe 1813

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Fremdwb. 363 Idiom. Man versteht darunter sowol die Mundart (Dialect), als auch die unter dieser begriffenen Sprecharten, wodurch Diejenigen sich unterscheiden, welche in [!] ganzen einerlei Mundart haben; 1813 Heidelb. Jahrbücher d. Lit. VI 34 Wir haben schon bey der Anzeige des ersten Theiles bemerkt, daß ein Hauptverdienst des Verf. darin besteht, die öfters von den Auslegern und Lexicographen verkannte Wahrheit geltend gemacht zu haben, daß die Hebräische Sprache eben so, wie jede einzelne Mundart eines ausgebreiteten Sprachstammes ihre Provinzialismen oder Idiome, d. h. ihre eigenthümlichen Wörter und Wortbedeutungen habe, die sich in keinem verwandten Dialecte finden; Krug 1833 Handwb. d. philos. Wissenschaften II 502 Idiom (von idiov, eigen) ist eigentlich jede Eigenheit; man bezieht es aber gewöhnlich auf die Eigenheiten in Ansehung der Sprache. Da jedes größere Volk seine eigne Sprache hat, so nennt man auch wohl diese selbst ein Idiom. Gewöhnlicher aber versteht man darunter eigenthümliche Mund- oder Sprecharten (Dialekte); Heyse 1838 Fremdwb. 506 Idiom . . die Eigenheit od. Besonderheit, Eigenthümlichkeit, bes. in Hinsicht der Sprache eines Landes; Landessprache, Mundart, Sprachweise, Sprechart; Lewald 1843 Mappe 230 Hiezu kommt nun noch, daß man sich [in Baden-Baden] von allen Idiomen der Erde umrauscht hört, und daß französisch, englisch, russisch, spanisch, polnisch, italienisch, deutsch sich fortwährend durcheinander kreuzt; 1856 Herrigs Archiv XIX 362 Lateinische Worte haben in Folge der mehr auf Latein basirten Schulerziehung in größerem Maaße Zutritt zu der englischen Vulgärsprache gefunden als zum franz. oder deutschen Idiom; Hillebrand 1879 Zeitgenossen 395 Die Grammatik aber unserer verhältnismäßig so formenarmen Idiome, insbesondere des Englischen – einer wahren Negersprache im Vergleich mit dem Griechischen und Lateinischen – lernt ein classisch geschulter Geist in wenig Monaten: das Vokabularium dagegen, die Ausdrucksweise, den Tonfall – lernt er . . durch Lectüre und Gespräch; Polko 1895 Hell u. Dunkel 35 manche verführerische Lehrmeisterin erbot sich, dem Herrn Doktor das für ihn so unendlich schwierige fremde [russische] Idiom beizubringen; Nora 1932 Am Färbergraben 33 nicht ganz ohne heiteren Stolz mag der Thüringer Advokatensproß die Sympathie dieser bayerischen Bergsöhne genossen haben, die ihm, lauter als Idiomgleichheit, bestätigte, dass er der Ihrige geworden sei; Noack 1936 Wissenschaft 21 in den notwendigen Gemeinsamkeiten der Verstehensgrundlage verschwinden die Unterschiede zwischen den einzelnen Individuen keineswegs . . Selbst in der gleichen Sprache redet schließlich jeder sein eigenes Idiom; Th. Mann 1947 Faustus (W.

VI 269) Jeannette angehend, so war sie Verfasserin, Romandichterin. Zwischen den Sprachen aufgewachsen, schrieb sie in einem reizend inkorrekten Privatidiom damenhafte und originelle Gesellschaftsstudien, die des psychologischen und musikalischen Reizes nicht entbehrten und unbedingt zur höheren Literatur zählten; Seeberg 1954 Lehrbuch d. Dogmengesch. IV 2,520 Heißt es nun aber wegen der personalen Union „Gott litt und starb“, so sollen damit diese an sich nur der menschlichen Natur zukommenden Idiome der einen Person zugeteilt werden; Welt 13. 2. 1959 Im SchauspielerIdiom gibt es den Ausdruck: „eine Rolle hinlegen“. Auf der Bühne in Aachen habe ich ein paar Rollen „hingelegt“, die liegen jetzt noch dort . . Dort liegen im hellen Durcheinander meine Liebhaber und Komiker und Helden, und sogar Operettenbuffos; 1960 Musik u. Gesellsch. X 303 Im Idiom, also in der Sprache und „Mundart“ des Jazz, konnte man kein festgefügtes großes Werk komponieren; Lenz 1983 Essays (W. XX 289) Etwa die Hälfte der Bevölkerung war jüdisch; Jiddisch war ihre Umgangssprache. Da Jiddisch von den Behörden als deutsches Idiom angesehen wurde, zählten die Juden zur deutschsprachigen Bevölkerung; Zeit 8. 8. 1986 Das Werk des siebzigjährigen polnischen Avantgardekomponisten . . verlangt vom Solisten neben der interpretatorischen Gestaltung enorm viel kreative Mitarbeit. Die Noten sind zwar ausgeschrieben; was aber in den ständig gegenläufigen Stimmungen zwischen Solovioline und Orchester tatsächlich geschieht, bestimmen allein Dirigent und Solist. . . Das zeitgenössische Idiom schreckt die ansonsten meist nur klassisch-romantisch geforderte Künstlerin also nicht; Zeit 3. 4. 1987 Als erster hat Eugen Jochum dessen „Neun Sinfonien“ komplett auf Schallplatten eingespielt . . Sein Bruckneridiom entbehrte des Aristokratischen . . und neigte oft zum katholisch Liturgischen; Südostschweiz 18. 9. 2006 das Romanische wird unterteilt in die fünf regionalen Schriftidiome Sursilvan, Sutsilvan, Surmiran, Puter und Vallader. Seit Anfang der Achtzigerjahre gibt es auch die gemeinsame Schriftsprache Rumantsch Grischun; RheinZtg. 30. 7. 2008 In Overijse geht eine „Sprachenpolizei“ auf Streife und mahnt Gastronomen ab, die ihre Speisekarten im Idiom von Paul Bocuse anbieten, oder Makler, auf deren Verkaufsschildern neben „te koop“ auch „a vendre“ steht; Nürnberger Ztg. 10. 6. 2013 Die Staatsphilharmonie Nürnberg im Originalklang-Spagat: Musizierte man am Samstagabend bei „Plate´e“ im barocken Idiom . ., sollte das Orchester 12 Stunden später so klingen wie Beethoven zur Entstehungszeit. Idiomatik a: Sparschuh 1848 Kelt. Studien Vorw. VII Einige Jahre später besuchte ich England und

Idiom fand in der reichen Sammlung werthvoller und seltener Wörterbücher und Idiomatiken, welche mir mit dankenswerther Güte Herr R. W. Hodges zur Benutzung überliess, . . eine Fülle von Stoff; Schmid 1860 Enc. d. Erziehungs- u. Unterrichtswesens II 125 So lange aber die Grundlage der historischen Grammatik fehlt, werden diejenigen Lehrbücher sich für die höheren Schulzwecke am förderlichsten erweisen, welche den Mittelweg zwischen der empirischen und genetischen Methode einschlagen und das sprachvergleichende Princip nur auf die Idiomatik anwenden; Rein 1904 Handb. d. Pädagogik II 425 indem die mehr oder minder unbewusste, gewohnheitsgemässe Aneignung der gesprochenen Sprache als sicherste Einführung in die Idiomatik, als festeste Grundlage für die später zu betreibende Grammatik angesehen wurde; Winkler 1929 Stilistik 7 Stilistik in diesem Sinne ist also nichts anderes als verfeinerte Grammatik, Wissenschaft vom gebräuchlichen und angemessenen Ausdruck: daher solche Wissenschaft besser „Idiomatik“ heißen sollte; 1932 DVjS X 159 Ich glaube mich nicht zu täuschen, wenn ich meine, daß die Probleme dieser Geschmacks-Lehre etwa die gleichen sind, wie die von mir in jenem schon genannten Aufsatz ¤Vom Wesen des StilsÅ unter den Begriff der „Idiomatik“ gefaßten; Funke 1950 Engl. Sprachkunde 157 (Anm.) Es scheint mir ein Hauptmangel an M. Deutschbeins ¤Neuenglischer StilistikÅ (1932), dass er eine Idiomatik, also eine „charakterisierende“ Stillehre des Englischen geben will und sich hiefür hauptsächlich auf die Kunstsprache beruft; Weigert 1956 Kunstgesch. 178 Je kleiner und isolierter eine Stilgruppe ist, desto stärker ist im Kunstwerk der Anteil an Gedachtem und Gewußtem. Das bedeutet, daß sich der Künstler um so mehr seiner Phantasie überlassen – ja sich auf eine oft nur andeutende Darstellung beschränken kann. Das Kunstwerk liefert in diesem Fall eigentlich nur das „Stichwort“, alles was dazugehört, „sieht“ man, weil man weiß. Hierauf gründet der expressive Charakter dieser Werke. Wir nennen diese Stilform „Idiomatik“, d. h. die ästhetische Sprache der kleinen Gruppe; 1956 Englische Idiomatik. Nachschlagewerk der englischen Umgangssprache (Titel); Klotz 1960 Drama 74 Daher entfallen Stilmischungen, die etwa durch das Aufeinanderstoßen verschiedener Standessprachen oder durch das Eindringen mundartlicher oder umgangssprachlicher Idiomatik entstehen; Braun 1981 Musik d. 17. Jhs. 238 die drastische Verringerung des kompositorisch relevanten Bestands war die Voraussetzung für die sogenannte Idiomatik: die kompositorische Abbildung der spezifischen Klanglichkeit eines Instruments (aber auch der Singstimme); ebd. 242 Wir haben es mit dem Phänomen der transponierten Idiomatik zu

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tun: dem Durchblick von einem auf den anderen Klangträger, das in der Violinmusik durch den Widerspruch „Mehrstimmigkeit in Diskantregion“ besonders deutlich wird, denn nach der Tradition ist der Baß der Harmonieträger, nicht der Sopran; taz 10. 12. 1988 Er süddeutscht auch . . zu Wohnmobil-Schluffi-Hippies, der Liebe und dem Sinn des Lebens („Koannst niiax miatneahma“), zur Idiomatik des Psychoheinis (Einbringen & Co.); ebd. 4. 11. 1989 Unvermittelt setzt Janaceks Musik ein und entfaltet ihre eigentümliche Idiomatik; ebd. 15. 5. 2000 Das intuitive Vorwärtstasten des Komponisten, der im Zweifelsfall zur Wiederholung greift, kann auch Rivas flexibles Spiel nicht kaschieren. Aber klassische Formvollendung wäre wohl zunächst auf Kosten der spanischen Idiomatik gegangen; Mannh. Morgen 1. 3. 2007 Der Autor hat den Vorbildern für seine Figuren nicht nur genau „aufs Maul“ geschaut, was seine Sensibilität für die präzise Wiedergabe von Sprache und Idiomatik dokumentiert. Die Charaktere bekommen vor allem in der feinsinnig gezeichneten Körpersprache, der Gestik und Mimik klare Konturen. Idiomatiker a: Weigert 1956 Kunstgesch. 186 Im Sinne unseres kunstsoziologischen Begriffes sind diese Sudaner Idiomatiker reinsten Stiles, d. h. diese Kunst dient kleinen, isolierten Gruppen – die noch mit dem Zeichen sich bescheiden können – mit der Abbreviatur des Gemeinten; 1965 Frankfurter Hefte XX 422 Er [Afrikaforscher Glück] unterscheidet zwischen „Idiomatik“, einer Stilform, bei der das Kunstwerk das „Stichwort“ zu der bereits gewußten Bedeutung liefert, und „Aulik“, Hofkunst, die einem verbindlichen Schönheitsideal verpflichtet ist. Aus dem gewaltigen Bereich der Idiomatiker hebt Glück drei Gebiete „ausgereifter Aulik“ heraus, Yoruba . ., Ba-Kongo und LubaKuba-Lunda; 1985 der literat V 126 Die politischmedizinisch forschende Kommission wurde um einen schweizer Idiomatiker erweitert. Dieser hatte, einhakend in die Wörter „mürren“ und „zerbelz“, sich zu Wort gemeldet. Er würde, sagte er, zu rätoromanischen Wortstämmen eine gewisse Analogie sehen; Süddtsch. Ztg. 3. 6. 1993 Der 52jährige aus Sachsen gebürtige und im rheinland-pfälzischen Edenkoben lebende Lyriker und Erzähler Wolfgang Hilbig gehört mit Hans Joachim Schädlich und Einar Schleef zu den aus der DDR gedrängten Autoren, die in der Auseinandersetzung mit dem Sozialismus zu dessen kritischen Idiomatikern wurden; Metz 1994 Visionen u. Aufbrüche 362 f. Schulhoff, der Idiomatiker des jüdischen Gesangs (Überschr.) . . Und dieses mehr halbbewußte . . „Jied-Bleiben“ spiegelt sich in so mancher Melodielinie seiner Werke, in denen der Ton eines Klagegesangs mit chromatisch abwärts gerichteter Seufzer-Motivik

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immer wieder aufkommt. Erst recht an Gesänge jüdischer Emigranten . . erinnert der dritte Satz des „Divertissement“ . . mit einem Hauch klezmerischen Schluchzens in der Klarinette. Idiomatikon a: Janko´ 1906 Balatonsee III 2,387 Wieso das Wort „Nirn“ (Vese) hieher gelangte, konnte ich nicht erklären, da dieses Wort in dieser Verwendung weder bei Herman, noch im Sprachgeschichtlichen Lexikon, oder im Idiomatikon vorkommt; Winter 1968 Romantismus 69 Auf den im Juliheft 1812 dieser Zeitschrift veröffentlichten Vorschlag Schlegels, ein österreichisches Idiomatikon zu schreiben, verwies Kopitar bereits im nächsten Heft voll slawischen Selbstbewußtseins auf die wechselseitige Verwendung von deutschen und slawischen Lehnwörtern in Österreich; Andersch 1977 Öffentl. Brief 189 Die letzten fünf Kapitel sind eine einzige ungeheuerliche Karikatur New Yorks, er spuckt förmlich vor Wut gegen diese Stadt, in der er doch so erfolgreich war, ich finde für seine Technik kein anderes Wort als ein vulgäres deutsches Idiomatikon: hingerotzt; 2007 Festschr. f. Otten 42 Die Seite des Sprachgebrauchs weckt ein ständig wachsendes Interesse, genauso wie die zunehmende Aufmerksamkeit, die dem Idiomatikon, dem individuellen Lexikon, gewidmet wird. idiomatisch a: Sterne 1774 Tristram Shandy (Übers.) IV 194 wenn man sagt, daß jemand in Liebe verfallen, – oder daß er stark verliebt ist, – oder bis an die Ohren in Liebe, – oder zuweilen über Kopf und Ohren darinnen, – so führet das eine idiomatische Art der Verwickelung mit sich, daß die Liebe eine Sache unter einem Menschen sey: – dieses läuft wieder auf Platos Meynung hinaus, welche ich, mit aller seiner Göttlichkeit, vor verdammungswerth und ketzerisch halte; Töllner 1775 System d. Dogmat. Theologie II 190 Ein idiomatischer Saz ist, der aus der Gemeinschaft der Eigenschaften der beiden Naturen in Christo unmittelbar verstanden werden muß; 1776 Götting. Anz. II 1047 Bey den Tropen und Figuren ist die Mühe des Hrn. Herausgebers sichtbar genug. Hier aber wünschten wir, das Idiomatische ausgezeichnet zu finden. Nach unserer Einsicht von dem Zweck eines solchen Werks müssen hier die den Hebräern eigene Tropen und Figuren, . . die kühnen Metaphoren, . . abgesondert und ausgezeichnet . . werden; 1782 Dtsch. Encyclopädie VI 144 durch die persönliche Vereinigung aber werden die Eigenschaften der einen [menschlichen] Natur [Christi] nun auch Eigenschaften der andern [göttlichen] Natur nicht wesentlich, . . sondern als Zufälligkeiten, . . und eine jede Natur hat das Recht sich die Eigenschaften der andern Natur und ihre

Verhältnisse und Würkungen als ihr eigen zuzueignen. Diese Mittheilung ist aber nicht eine . . blos tropische und uneigentliche Redensart der Schrift, sondern eine wahre und eigentliche. Die Sätze, welche in der heil. Schrift diese Mittheilung ausdrucken, heißen idiomatische Sätze; Sulzer 1786 Allg. Theorie d. Schönen Künste II 535 Man kann sagen, daß der Dichter oder Redner, welcher die Idiotismen seiner Sprache am glüklichsten zu brauchen weiß, seinen Ausdruk dadurch ausnehmend belebt und natürlich mache. Am allernothwendigsten wird dieses dem comischen Dichter, der sowol das nationale, als das persönliche Idiomatische durchaus zu treffen sich befleißigen muß; ebd. Man hat um so viel mehr Ursache den Dichtern, die für die Schaubühne arbeiten, die genaueste Beobachtung des Ausdruks und der Sprache, die jeder Classe der Menschen einigermaßen idiomatisch ist, zu empfehlen, da auch die besten Dichter hierin vielfältig fehlen; Fahrenkrüger 1801 Wb. Engl.-Dtsch. 368 Idiomatical . . idiomatisch, nach einer besondern Mundart, der Sprache eigen; Tscharner 1820 Unmaßgebl. Bemerkungen 37 Gemächt, Lachenbaum, Lidlohn, Leisten . . Diese idiomatischen Ausdrücke unserer Gesetzgebung hingegen, sind . . seit Jahrhunderten in Uebung, und daher bekannt und verständlich; Krug 1833 Handwb. II 502 Idiom (von idiov, eigen) ist eigentlich jede Eigenheit; man bezieht es aber gewöhnlich auf die Eigenheiten in Ansehung der Sprache. . . Idiomatisch heißt daher, was zu solchen sprachlichen Eigenschaften gehört, und Idiomatologie eine Lehre oder Theorie in Bezug auf dieselben. Manche nennen auch die Linguistik (s. d. W.) eine Idiomographie; Heyse 1838 Fremdwb. I 506 idiomatisch, einer Mundart od. Sprache eigen; Sprenger 1861 Mohammad I 482 (Anm.) Wörtlich: in unverkennbarer d. h. reiner, idiomatisch arabischer Sprache, dergleichen kein Fremder schreiben kann, folglich ist es eine Originaloffenbarung und nicht aus den frühern Schriften copirt; Sutro 1902 Doppelwesen 192 eine wohlbekannte Thatsache ist, dass jede Sprache eine ihr eigentümliche idiomatische Ausdrucksweise besitzt, einen charakteristischen Rhythmus und Tonfall; 1934 AfdA LIII 86 Die Auseinandersetzung mit den sprachlich bzw. theoretisch verwandten Vorgängen im ausgehenden Minnesang, im Barock, im Sturm und Drang, in der Romantik und nicht zuletzt im Naturalismus würde erst das wirklich Idiomatische dieses Expressionismus feststellen; 1962 Romanist. Jb. XIII 27 Nun hat aber die Sprache neben dieser bedeutungsmäßig-logischen auch einen zufällig-idiomatischen, einen stilistischen Charakter, den der Grammatiker nicht übersehen darf. Es wäre ja ganz logisch zu sagen ¤aller a` tableÅ oder ¤se rendre a` tableÅ, trotzdem sind diese Wendungen nicht

Idiom sprachgerecht im Gegensatz zu ¤se mettre a` tableÅ oder ¤entrer a` tableÅ; Braun 1981 Musik d. 17. Jhs. 249 „Durch das gleichzeitige Spiel auf mehreren Werken der Orgel können sich kreuzende Stimmen deutlich voneinander unterschieden dargestellt werden.“ Möglicherweise kann man auch den kolorierten Orgelchoral der Norddeutschen als eine orgelmäßig idiomatische „Übertragung des generalbaßbegleiteten Sologesangs“ auffassen; Nürnb. Nachr. 19. 6. 1991 zum Schluß eine aparte Programmidee: Repertoire-Glanzstücke in jeweils sehr typischem Tonfall . . Unter Volker Schmidt-Gertenbach spielte man Haydns Reverenz an aufkeimendes Nationalgefühl mit fülligem Ton . . – eine amüsante Kutschfahrt durch die österreichischen Erblande. Denkbar kraß dazu dann der idiomatische Kontrast: zitathaft Russisch-Jüdisches in Schostakowitschs 1. Cellokonzert . . Schiff steigert das Stück zu einem wild-rhythmischen Rausch, er und sein Cello sind bald schweißüberströmt; Thomann 2004 Entmündigung 11 Der Bau der Sprache, die Art und Weise wie sie klassifiziert und kategorisiert, ihre idiomatischen Eigenheiten, ihr Wortschatz bilden die Grundlage für die Prägung unserer Ansichten und Meinungen über die Welt; taz 19. 1. 2008 Idiomatische Wendungen, etwa das ständige „Verstehste“ der Russin Ana oder der Slang des jugendlichen Zufallszeugen, haben zwar einen Wiedererkennungseffekt, verleihen den Figuren aber noch keine Originalität. idiomatisieren a: Gesemann 1930 Serbokroat. Lit. 11 Bei der großen Ähnlichkeit der damaligen slavischen Sprachen konnte dieser „kirchenslavische“ Dialekt ohne Schwierigkeiten von süd-, west- und ostslavischen Völkern anfangs als Kirchen-, später idiomatisiert als Schriftsprache angenommen werden; Braun 1981 Musik 269 Dieses Ensemble bestand aus . . Bass Violl, Lute, Cittern (Cister) und Pandora (größere Cister), und die Stimmen für die Musiker waren als echte Ausführungsstimmen auch so bezeichnet. Da die drei letztgenannten . . Instrumente in Spielweise und Klangcharakter einander ähnlich sind und ihre Partien analog verlaufen, kann man die Kompositionen . . als eine . . kunstvoll regulierte Form der Heterophonie verstehen. Die englische Ausführungsstimme wäre also nicht wie die italienische eine idiomatisierte SatzStimme, sondern eine notierte Spiel-Stimme; Wiermann 2005 Komponieren 302 Da die Einzelstimmen nicht idiomatisiert sind, die speziellen Möglichkeiten der Instrumente nicht genutzt werden und alle Stimmen durchgehend textiert sind, könnte das Werk theoretisch rein vokal ausgeführt werden. Idiomatisierung a: Haselbach 1954 Bassani 282 Wir haben gerade in der zuletzt besprochenen Kan-

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tate ein Beispiel für die zunehmend instrumentale Idiomatisierung im Verlauf der Satzabfolge erkannt; Braun 1981 Musik d. 17. Jhs. 186 Erst als sich diese Tendenzen mit der barocken Idiomatisierung verbanden – Unterscheidung von Solo- und Chorgesang, Unterscheidung von vokal und instrumental –, wandelte sich die Motette zum Geistlichen Konzert; 1987 Musica XLI 497 so wird deutlich, was etwa einen Komponisten wie Buxtehude an dieser Gattung besonders gereizt haben mochte. Und in der Tat hat er wie kein anderer die Idiomatisierung von Ciaccona und Passacaglia für die klanglichen Möglichkeiten der Orgel vorangetrieben; Wiermann 2005 Komponieren 278 Es verwundert nicht, daß Schütz aus Anlaß der neuerlichen Drucklegung das Werk überarbeitet. Dabei glättet er zunächst zahlreiche stilistische Reibungspunkte und nimmt experimentelle Elemente zugunsten klarer Strukturen zurück. Nur an wenigen Stellen erhöht er den Grad der Idiomatisierung. Idiomatismus a: 1865 Archiv f. d. Studium XX 38,475 Um Wiederholungen zu vermeiden, sind hier hauptsächlich nur diejenigen Eigenthümlichkeiten angegeben, welche diese Sprache mit dem Französischen nicht gemein hat, also die spezifischen Idiomatismen; Freudenberger 1900 Naturgesch. d. Sprache 105 Während ein Reim (in der Dialektpoesie natürlich ausgenommen) zwischen „ich weiß“, das oberbayerisch „iÅ waß“ lautet, mit „Faß“ oder „naß“ unerhört wäre, da dieser Idiomatismus eben doch provinziell zu isoliert ist, finden sich doch bei unseren besten Dichtern, Reime wie „Mühen ziehen, Unternehmung Beschämung, Götter Retter, Leuten bereiten“; Newald 1947 Einführung 91 Bei den romanischen Dialekten wird zwischen der vom sprachlichen Verkehr bestimmten Anpassung an die örtlichen (Patois) und geistigen (Jargon) Verhältnisse deutlicher unterschieden; die im Einzelnen wirkenden Gegenkräfte führen in entgegengesetzter Richtung zur Differenzierung, zu den besonderen Eigentümlichkeiten (Idiomatismen); Herrmann u. a. 1985 Griechenland 206 Auch die Dimotiki war keine kohärente, einheitlich kodifizierte Sprache, sondern sie enthielt bei den verschiedenen Benutzern verschiedene phonetische Besonderheiten, Dialektismen und Idiomatismen; Zeit 22. 3. 1996 Der Einsatz musikalischer Idiome und Idiomatismen, die für die traditionelle schwarze Kultur in den Vereinigten Staaten stehen, hat mich in diesem Gebilde eines Zentraleuropäers, der ein Adept Alexander von Zemlinskys ist, sofort überzeugt; Stotz 2002 Handb. z. lat. Spr. I 81 Die Frage der Regionalismen im gesprochenen Latein der Spätantike ist weiter oben . . berührt worden. . . Man nimmt an, daß die Jerusalempilgerin, welche diesen Bericht bald nach 384 verfaßte,

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aus dem Süden Galliens oder dem Norden der Iber. Halbinsel (Galicien) stamme. Doch die Verrechnung einzelner Idiomatismen mit den Ergebnissen in den betreffenden rom. Sprachen und Dialekten hat zu keinen schlüssigen Resultaten geführt. idiomisch a: Kasem-Beg 1848 Grammatik d. Türk.-Tatar. Sprache 10 Die Regeln des Wohllauts der verschiedenen theils rauheren, theils weicheren Dialecte unterwerfen die Aussprache dieses Doppellautes verschiedenen Veränderungen, die dem Ohre des Linguisten eine der bemerkenswerthesten idiomischen Veränderungen der Sprache darbieten; 1968 Zschr. f. differentielle u. diagnost. Psychol. VII 197 Sicherlich ist aber auch die Frage legitim, ob der Konstrukteur von Reizsuche- und Erlebnismotiv-Skalen immer, auch in den semantisch-idiomischen Feinstrukturen der Items, die Finger am modischen „Puls der Zeit“ haben sollte; Földes/ Pongo´ 2004 Wort in Satz u. Text 146 Die Ethnorealien, welche an die vergangenen Traditionen der Volkskulturen erinnern und nicht vollständig in ethnographischen Museen aufbewahrt und in dialektologischen Arbeiten als Ethnologismen fixiert wurden, bilden die verlorenen oder archaischen Schichten der sprachidiomischen Wortbestände. Idiomismus a: Ebersberg 1834 Buch v. guten geselligen Tone 122 Provinzialismen und Idiomismen sind nicht gar so sehr gegen den guten Ton des Gespräches, wenn sie von keiner allgemeinen Unkultur zeigen [!]; denn sie sind ein geistiges Nationalzeichen; 1907 Dtsch. Literaturztg. XXVIII 3162 Die Sprache ist . . stark mit kanaanäischen Elementen durchsetzt, und diese Idiomismen sind über die aramäische Amtssprache der Achämenidenzeit sogar in das religiöse Schrifttum der Perser gedrungen; 1908 März II 77 Dieser französische Unterricht wurde mir nur in bestimmten Stunden erteilt, während ich Deutsch den ganzen Tag hindurch lernte in den freundschaftlich bekannten Familien, bei meinen kleinen Freunden und Freundinnen, auf dem Max-Joseph-Platz, wo sich die liebe Schuljugend versammelte. Da lernte ich die einheimischen Kraftausdrücke und die Idiomismen, die man aus keinen Büchern lernen kann, die aber die eine Hälfte – und zwar die gewürztere Hälfte – einer Sprache sind, und die der Rede, selbst im höheren Stil, Nerv und Leben verleihen; 1926 Zschr. f. frz. Spr. u. Litt. XLVIII 301 Sprichwörter, nicht weitab geholte Metaphern kennzeichnen Carmen. Daß sie aus der Zigeunersprache sind, ist ein Charaktermerkmal Carmens, wie die vielen Wörter der Zigeunersprache. Es soll damit milieu, oder dem Worte der Romantiker entsprechend couleur locale geschaffen, Authentität betont werden. Die Frage erhebt sich: Wann stehen diese Idiomismen, sind

sie wahllos hingestellt, oder nach bestimmten Gesichtspunkten geordnet?; Kyora/Neuhaus 2006 Realist. Schreiben 183 die Figurenrede ist in allen drei Matrosenstücken . . von Fachvokabular, Seemannssprache und Vulgarismen durchsetzt. Wo die eigene Erfahrung des Autors nicht hinreichte, half das Studium einschlägiger literarischer Vorbilder; so hat etwa Friedrich Wolf den ¤SeewolfÅ von Jack London und B. Travens ¤Das TotenschiffÅ auf passende Idiomismen hin exzerpiert. Idiom b: 1956 Rhein. Jb. f. Volkskunde VII 129 L. P. Smith ist sich der Gefahren wohl bewußt, die immer dann auftauchen, wenn man vorschnell verallgemeinert: . . wollte man . . in der Bitterkeit und Schärfe . . des englischen Idioms ein Sinnbild einer mürrischen und streitsüchtigen Rasse sehen, würde man die Rolle verkennen, die Idiome in der Sprache spielen, überdies auch die Sprechsituationen, in denen sie meist gebraucht werden . . viele englische Wendungen [fordern ] zur Entschlossenheit auf . . „To set one’s teeth“ (unbeugsam sein); 1958 Dtsch. Jahrb. f. Volkskunde IV 72 Obwohl das Idiom ¤Haferstroh dreschenÅ soviel bedeutet wie ¤etwas Unnützes tunÅ, so schließt der Begriff ¤HaferstrohÅ allein dennoch ein Glückssymbol in sich ein; Wössner 1963 Mensch u. Gesellschaft 528 Schon der Hinweis auf das Idiom: „Welche Presse“ ein Amt, eine Organisation, ein Funktionär, ein Politiker „hat“, weist auf die meinungsbildende und meinungsmachende Bedeutung und „Soziale Macht“ der Massenmedien hin; Zeit 7. 11. 1986 Der Computer analysiert den Text Satz für Satz: er versucht Wörter und Idiome und Wortgruppen zu erkennen und einen Bauplan, einen „Baum“ zu entwerfen, der angibt, wie diese voneinander abhängen. Er transferiert die so gefundenen Elemente in die entsprechenden der Zielsprache; taz 28. 3. 1992 Mehr aber noch, bei aller Sympathie für die Spielfreude der AkteurInnen, geht einem schon nach kurzer Zeit dieses krampfhaft bemühte, beinahe berufs-jugendliche Gehabe der Clique auf die Nerven. Alle in der Gruppe verwenden ohne Unterlaß angestrengt Slang-Idiome; Südostschweiz 25. 1. 2008 Bei der „Bucket List“ handelt es sich um eine Aufstellung von Dingen, die man noch tun möchte, bevor man aus dem Leben scheidet: „Before One Kicks the Bucket“. Benannt nach der ganz am Ende abzugebenden Esshilfe, wird das in der Übersetzung in Ermangelung einer schneidigeren Übersetzung des englischen Idioms dann zur „Löffel-Liste“. Idiomatik b: 1832 Oesterr. Archiv II 108 In der Vorrede kündigte der Verfasser seinen Entschluß an, ein zweytes Werk auf dieses folgen zu lassen, in welchem die feineren Nuancen des Styls, die

Idiom Idiomatik und die Synonymik [der englischen Sprache] ausführlich behandelt werden sollen; Koechly 1874 Gottfried Hermann 150 Wenn trotz dieser scharfen Unterscheidung die Grenze zwischen Syntax und Idiomatik manchmal schwierig zu bestimmen sei, so werde das besser werden, wenn man erst auch die Grammatik nach Begriff und Umfang gehörig festgestellt habe. Folgt dann . . die Eintheilung der Idiomata in jene vier Classen; 1889 ZfdPhil XXI 367 bleibt noch so manches rätsel zu lösen . . und daran ist keineswegs bloss die schlechte überlieferung schuld, . . sondern fast ebensosehr die . . idiomatik der altnordischen kunstdichtung; Brockhaus 1971 Automat. Übersetzung 3 Die bei dieser Methode [der halbautomatischen Übersetzung] erzielbaren Resultate sind besser als die der Wort-für-Wort-Übersetzung, aber noch keineswegs zufriedenstellend, insbesondere in bezug auf Probleme der Wortordnung, Mehrdeutigkeit, Idiomatik und ähnliches; 1989 Brockhaus X 377 Idiomatik . . 1) Teildisziplin der Sprachwissenschaft, die sich mit den Idiomen beschäftigt; 2) Gesamtbestand der Idiome einer Sprache; Rhein-Ztg. 1. 7. 2008 Auch dieses Jahr enthielt die Prüfung 54, teils knifflige Fragen zu Grammatik, Idiomatik und Landeskunde der englischsprachigen Welt; Schemann 2011 Dtsch. Idiomatik Einl. 19* gibt es keine eindeutigen . . Kriterien, was genau ein „Phrasem“ oder „Idiom“ ist und welche Einheiten dementsprechend in ein phraseologisches oder idiomatisches Wörterbuch aufzunehmen sind und welche nicht. Die vorliegenden Phraseologien und Idiomatiken divergieren deswegen beträchtlich voneinander in der Aufnahme des Materials. Idiomatiker b: 1909 Beiblatt zur Anglia XX 121 f. eine neuerung . . findet . . mehr und mehr anklang: fremdsprachliche texte mit fremdsprachlichen erläuterungen [in Ausgaben deutscher Verlage]. . . Man mag die notwendigkeit solchen verfahrens mit guten gründen in frage stellen; jedenfalls aber werden durch das vorhandensein derartiger ausgaben auch die rigorosesten idiomatiker der vermeintlichen verpflichtung enthoben, in jedem falle fremdsprachliche schullektüre für sich und ihre klassen von ausländischen verlegern zu beziehen; 1992 Anglia CX 175 Zugleich macht auch der Supplementband wiederum deutlich, daß Sprichwörter für Forscher der verschiedensten Fachrichtungen wichtig sind, insbesondere für Theologen, Pädagogen . . Literaturhistoriker und Sprachwissenschaftler; hier wiederum vor allem für Semantiker und Semiotiker, Phraseologen und Idiomatiker; Stuckenschmidt 2003 Brückenbauer 44 Als Adlatus mußte ich auch dem Idiomatiker und Wortfeldforscher Wolfgang Schmidt-Hidding bei der Vorbereitung

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von Vorträgen über schottische Volksballaden helfen. Idiomatikon b: Graf 1956 Idiomat. Redewendungen Vorbem. IV Der Wunsch nach einem Idiomatikon ist auch aus den Kreisen der Russischlehrer wiederholt geäußert worden. Unser Wörterbuch enthält an 3000 . . gangbare, gebräuchliche Redensarten; Pilz 1978 Phraseologie II 775 Graf . . nennt seine Sammlung idiomatischer Redensarten ¤IdiomatikonÅ, Friedrich . . seine nur ¤IdiomatikÅ; Althaus/Henne/Wiegand 1980 Lex. d. Germanist. Linguistik 180 Idiomatik ist die Lehre von den Idiomen, Idiomsammlungen werden auch Idiomatiken genannt; Fernandez Bravo u. a. 1999 Phraseme 209 Die meisten Idiomatika werden auf der Basis von einfachen Grundlexemen gebildet, viele mit ¤FußÅ, kaum eines mit ¤SpreizfußÅ, ¤ZinsfußÅ oder ¤FußangelnÅ, viele mit ¤TonÅ, kaum eines mit ¤GrundtonÅ, ¤SinustonÅ oder ¤TonkunstÅ. idiomatisch b: 1830 Heidelb. Jb. XXIII 1018 Der Verfasser meint nämlich in der Vorrede . ., Styl und Phraseologie in einer Nachbildung von alten Prosaikern müsse nicht neoterisch seyn; und deshalb habe er oft die reiche, kernige, idiomatische Phraseologie des 17ten und eines Theils der 18ten Jahrhunderts mehr gesucht als vermieden; indem er überzeugt sey, dass Idiome den Nerv einer Sprache bildeten; 1855 Grenzboten XIV 2,396 Auf eins müssen wir noch besonders hinweisen. Das Buch enthält nämlich, außer vielen idiomatischen Redensarten, einen Reichthum von Sätzen, in denen der Gebrauch der Präpositionen in Verbindung mit gewissen Verben zur Anschauung kommt; Landau 1899 Ital. Litteratur 506 Der Sekretär der Gräfin, welcher nur in florentiner Sprichwörtern und idiomatischen Redensarten spricht; 1932 Indogerm. Jb. XVI 176 Dieses für die Oberklassen der Gymnasien und Lehrerbildungsanstalten bestimmte Lehrbuch ist in seinen Ausführungen über alb[anische] Synonyma, idiomatische Redensarten, Phraseologie, Lehn- und Fremdwörter, Neologismen sowie über die alb. Metrik auch für die alb. Sprachwissenschaft von besonderem Wert; 1968 Bll. f. d. Deutschlehrer 23 Was nun die Kritik an der Fassung des Begriffes „idiomatische Redewendungen“ betrifft, kann hier nur festgestellt werden, daß der Rezensent die Begriffe „idiomatische Wendung“ und „phraseologische Wendung, Phraseologismus“ verwechselt hat; Zeit 16. 5. 1986 Ein Taschenwörterbuch wiederum will von vornherein nur das Notwendigste vom Notwendigen bringen; auf Anwendungsbeispiele und idiomatische Redewendungen verzichtet es weitgehend. So gesehen, wäre gar kein Test nötig: man sollte sich einfach das größte und teuerste kaufen, das man sich leis-

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Idiom

ten kann; taz 14. 8. 2007 In einem anderen Plakat bezog Gang eine Gegenposition zum konservativen Versuch, ein Gesetz . . zu verabschieden, das Eheberatungsstellen und Ärzten verbieten sollte, das Wort „Abtreibung“ in ihrer Beratung auch nur zu benutzen. Über einer Vagina steht der idiomatische Ausdruck „read my lips“, der sinngemäß übersetzt wird als „pass mal genau auf!“, wörtlich jedoch auch als „lies meine Lippen“ aufgefasst werden kann. Darunter die Zeile „bevor sie versiegelt sind“. idiomatisieren b: Fleischer 1969 Wortbildung 13 Heute ist „fabelhaft“ idiomatisiert; in der Verwendung wie etwa „ein fabelhafter Mensch“ ¤ein ausgezeichneter, großartiger MenschÅ ist die Motivation durch „Fabel“ nicht mehr gegeben; Schüttpelz 1996 Figuren d. Rede 203 Und wenn man das Unabgeleitete und Unvorhersagbare zum Maßstab machen wollte, dann wäre die Figur so „primär“ wie jedes lexikalische Wort und jede grammatische Regel – was erklären könnte, warum Figuren ohne große Irritationen zu lexikalisieren, zu idiomatisieren oder zu einer eigenen Regel zu machen sind; 2004 Acta philologica XXX 17 Die Prototypenanalyse eröffnet auf jeden Fall auch Zugang zu den idiomatisierten Lexemen und versucht ihre Motivierung zu veranschaulichen; 2006 Duden Rechtschreibung 1174 Es wird zusammengeschrieben, wenn der adjektivische Bestandteil zusammen mit dem verbalen Bestandteil eine neue, idiomatisierte Gesamtbedeutung bildet, die nicht auf der Basis der Bedeutungen der einzelnen Teile bestimmt werden kann, zum Beispiel: ¤krankschreibenÅ, ¤freisprechenÅ; Plate/Schubert 2011 Mittelhochdeutsch 395 ist eine solche phraseologische Bedeutung . . vorhanden, sprechen wir von Phraseologismen im engeren Sinn, und nur diese voll idiomatisierten Formen sind für unsere Zusammenhänge interessant. Idiomatisierung b: 1952 Zschr. f. slav. Philol. XXI 429 die Rolle des Anzeigers des Numerus muß das Adjektiv übernehmen, das jedoch in solchen Verbindungen stets fakultativ ist. Dies bedeutet eine Art von Idiomatisierung, Erstarrung der Konstruktionen mit dem Zahlwort und steht entschieden einer Weiterentwicklung der Umwandlung des Zahlwortes in ein grammatikalisch neutrales Zahlenkennzeichen und seiner Attributivierung im Wege; 1969 Kl. Enzykl. Dtsch. Sprache I 586 Das geschieht . . durch die Verbindung bestehender Wörter in einer Weise, daß sich ihre Bedeutungen bei bestehenbleibender Trennung der Formen zu einer neuen, besonderen Gesamtbedeutung vereinigen. Dieser Vorgang heißt Idiomatisierung oder Phraseologisierung; Elsen 2011 Morphologie 292 Idio-

matisierung: Verselbstständigung der Bedeutung. Bei einem idiomatisierten Wort ist die Bedeutung nicht mehr aus den Einzelmorphemen rekonstruierbar, es ist bedeutungsmäßig undurchsichtig. Idiomatismus b: Bohlen 1830 Indien I 180 (Anm.) Nachweisbar haben ähnliche Idiomatismen sogar Mißverständniße bey historischen Personen erzeugt: der persische Fürst Artaxerxes führt den heimischen Namen Behmen (im Sanskr. Va`human, d. i. armbegabt oder mächtig) in keiner andern Bedeutung als Ramas Aja`nuva`hus, dessen Arme bis zum Knie reichen . .; die Perser übersetzen richtig dirazdest, Longimanus, welches sodann nicht sowohl Strabo . . als Ferdusi und Mirchond . . auf körperliche Unförmlichkeit beziehen; 1883 Zschr. f. d. österr. Gymnasien XXXIV 435 Wir haben hier verschiedene Verwendungen von Präpositionen und Conjunctionen, Idiomatismen, Sprichwörter u. a. m. alphabetisch geordnet; 1888 Gegenwart XXXIII 10 Die Schwierigkeit der Idiomatismen sei beim Uebersetzen in jede andere Sprache weit größer, als bei Volapük, da man dann auch wieder deren idiomatische Eigenthümlichkeiten kennen müsse, während solche in der Volapük ganz unmöglich seien; 1907 Anglia Beiblatt XVIII 181 Neun kleinere und 18 grössere lesestücke werden besprochen, zehn kleinere und drei grössere gedichte, sowie eine ziemliche anzahl von proverbs und idiomatismen werden erlernt; Franke 1913 Dı¯ghanika¯ya 206 Anm. Der Idiomatismus ¤suniggahı¯tam ø niggahetva¯Å bedeutet in unserem Zusammenhange wörtlich: „zum Schweigen bringen als einen gut zum Schweigen gebrachten“; 1926 Silvae Monacenses 42 Neben Sätzen aus den Lesestücken könnten Idiomatismen und Sprichwörter in größerer Zahl hier Platz finden; Rypka 1926 Ba´qı´ 27 Die Türken setzten die gleichen Abstraktionen, in denen sich die Poesie, namentlich die lyrische, bewegte, getreulich fort, höchstens versuchten sie durch potenzierte Spitzfindigkeiten, Haarspaltereien und Wortspiele, durch reiche Verwendung von Idiomatismen, Redensarten und Sprichwörtern ihr ein etwas von den Persern unterschiedliches Gepräge zu geben; 1955 Herrigs Archiv CXCII 83 Eine Auswahl bunt aneinandergereihter, oft recht unterhaltsamer Plaudereien über grammatische Fragen, Idiomatismen, Neologismen, komische Verwechslungen (z. B. des yeux chiasseux statt chassieux), Synonyme, Pleonasmen, volkstümliche Vergleiche und dergleichen; 1984 Festschr. f. Kröll 48 Die von ihr gebrauchte Einleitungsformel ¤comme on dit chez nousÅ mag der Tatsache Rechnung tragen, daß die englische Interviewerin den Idiomatismus womöglich nicht kennt, was hier vielleicht auch ein zusätzlicher Grund dafür ist, den zunächst bildlich dargestell-

Idiosynkrasie ten Sachverhalt anschließend nochmals in einfacher Form zu paraphrasieren; Moos 2001 Fehltritt 6 Dornseiff verzeichnet . . eine erstaunliche Fülle von verbalen metaphorischen Umschreibungen [von ¤Fauxpas’] („ins Fettnäpfchen treten“, „sich in die Nesseln setzen“ oder „die Finger verbrennen“ . .) Aber es mangelt auch keineswegs an französischen und englischen Idiomatismen dieser Art. Idiomatizität b: Harweg 1964 Kompositum 90 Diese These ist jetzt noch etwas genauer zu spezifizieren, indem nämlich zwischen Nichtidiomatizität und Vollidiomatizität Zwischengrade festgestellt werden können. Für die Komposita mit bloßer Funktorinterpolation zunächst behalten wir die Stufe „nicht-idiomatisch“ bei; Watts 1976 Lokative Präpositionen 4 Chafe zeigt, daß das Problem der Idiomatizität in der Sprache sich nicht mit dem bisherigen Paradigma lösen läßt; Shaw 1979 Komposita 66 f. Zunächst glaubt der naive Sprecher vielleicht, daß diese Wörter – vor allem ¤traffic-lightÅ – voll motiviert sind, aber wir haben es in der Tat doch mit Fällen von Idiomatizität zu tun; Wehe 2009 Phraseologie 7 Die Idiomatizität ist . . eine graduelle Eigenschaft von Phraseologismen, die ein

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Ausdruck der Diskrepanz zwischen der wörtlichen und der phraseologischen Bedeutung eines Phraseologismus ist. Je stärker die Diskrepanz, desto höher ist der Grad der Idiomatizität; Plate/Schubert 2011 Mittelhochdeutsch 395 ¤IdiomatizitätÅ liegt dann vor, wenn nicht die Einzelbedeutungen von aneinandergereihten Wörtern realisiert werden, sondern eine Art Ensemble-Bedeutung der gesamten Wortkette. idiomisch b: 1884 Zschr. f. mathemat. u. naturwiss. Unterr. XV 390 Befestigung und Vertiefung der grammatischen Kenntnisse, ebenso das Erlernen der Synonyma und des Idiomischen im Anschlusse an die Lektüre und an die mündliche Übersetzung deutscher Prosa ins Französische; 1949 D. Schweizer Buchhandel VII 5,140 f. Gesuchte Bücher . . 1000 idiomische franz. Redensarten; Bublitz u. a. 2002 Philologie, Typologie u. Sprachstruktur 35 Ich greife die drei Verbindungen ¤have (DET/POSS) timeÅ, ¤take (DET/POSS) timeÅ und ¤take up (DET/POSS) timeÅ heraus. Es sind dies nicht-idiomische Verknüpfungen hochfrequenter und teildelexikalisierter Verben mit dem absolut häufigsten Nomen des Englischen.

Idiosynkrasie F. (-; -n), im späten 17. Jh. vereinzelt mit unklarer Bedeutung, seit früherem 18. Jh. kontinuierlich nachgewiesene Entlehnung aus griech. idiosugkra` si*a ¤besondere, eigentümliche Mischung der Körpersäfte eines Menschen; dadurch bedingte besondere Beschaffenheit des KörpersÅ (neben idiosugkrisi*a ¤eigentümliche ZusammensetzungÅ), aus >idio- ¤eigen-Å (zu >idiov ¤eigentümlich, den Einzelnen betreffend; eigen, sich vom anderen unterscheidend, besondersÅ; vgl. Idio-, idio-, initiale Lehnwortbildungseinheit mit der Bed. ¤eigen-, selbst-; eigentümlich/-artig, besonders; individuellÅ in Kombinationen wie Idiolekt, idiomorph, idiopathisch; → Idiom, → Idiot, → Idiotik, → idiotisch) und den weiteren Bestandteilen su*n ¤zusammen-, mit-Å und -krasi*a ¤-mischung, -verbindungÅ (zu (su*g-)krasiv ¤(Ver-)Mischung, Ver-/Zusammenmengung, VerbindungÅ, zu kera*nnumein ¤mischenÅ; vgl. Krater), gelegentlich auch in der etymologischen Form Idiosyncrasia, seit späterem 18. Jh. häufig elliptisch Idiokrasie, Idiokrasis, sowie in den Nebenformen Idiosynkratie und (bis Mitte 19. Jh. nachgewiesen) Idiosynkrisie. 1 Als Bezeichnung der durch bestimmte Einwirkungen von außen bewirkten unbeeinflussbaren Reaktionen des Körpers (a) oder der Psyche (b): a Zunächst nach der Vorstellung der antiken Humorallehre in der Bed. ¤(durch die individuelle Mischung der Körpersäfte bedingte) spezifische Beschaffenheit, Eigentümlichkeit eines menschlichen oder tierischen Körpers im Hinblick auf seine individuellen (von den normalen, durchschnittlichen auffallend abweichenden) ReaktionsweisenÅ, von daher im medizinischen Bereich fachspr. präzisiert in der heute veraltenden Bed. ¤(angeborene oder erworbene) individuelle chronische Veranlagung zu abnorm starker Reaktion auf bestimmte Antigene als Sonderfall der Allergie, krankhaft übersteigerte physische Empfindlichkeit eines Organismus für bestimmte äußere

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Einflüsse und mechanische Reize (z. B. Berührungen); Komplex von durch Unverträglichkeit bestimmter Stoffe und Substanzen (Nahrungsmittel, Medikamente, Pollen o. Ä.) ausgelösten anatomisch-physiologischen Auswirkungen und SymptomenÅ (→ Allergie; vgl. Anaphylaxie, Atopie, Hypersensibilität, → Hyper-, hyper-; Ggs. Immunität, → immun, Robustheit, → robust), vereinzelt auf Pflanzen übertragen (s. Beleg 1855) und bildlich verwendet (s. Beleg 1798), in Wendungen wie er rechnet den Ausschlag zu den unerklärten Idiosynkrasien, als ich bei einer Patientin Idiosynkrasie gegen Morphin beobachtete, die Erblichkeit der Idiosynkrasien, eine hochgradige Idiosynkrasie der Haut gegen Metall, bei den meisten Menschen liegt eine Idiosynkrasie gegen Gifte vor, Idiosynkrasie der Muskeln ¤spezifische Fähigkeit der Muskelfasern, sich auf einen Reiz hin in der Richtung ihrer Fasern verkürzen zu könnenÅ, Idiosynkrasie der Nerven ¤spezifische Fähigkeit der Nerven, durch Reize zu ihrer Tätigkeit bestimmt zu werdenÅ. b Gleichzeitig in der Psychologie als Bezeichnung für eine meist erworbene, chronische oder vorübergehende, individuelle (positiv oder negativ besetzte) Überreaktion der Psyche, Überempfindlichkeit der Nerven gegenüber bestimmten (akustischen, visuellen, olfaktorischen o. ä.) Sinneseindrücken und deren krankhafte Manifestation (→ Sensibilität; vgl. Nervosität, → nervös), ins Negative verstärkt für eine (bes. dem weiblichen Geschlecht zugeschriebene) individuelle, instinktive, unwillkürliche emotionale Abneigung, einen bis zum Ekel gesteigerten, (unter Umständen mit körperlichen, psychosomatischen Auswirkungen und Symptomen einhergehenden) unüberwindlichen Abscheu, psychischen Widerwillen (→ Horror 2a, → Hysterie), etwa hervorgerufen durch die bloße Wahrnehmung auffallender Töne, Geräusche und Klänge (z. B. Kratzen an der Wand, das schneidende Quietschgeräusch fester Körper auf Metall oder Glas, von Kreide auf einer Schiefertafel o. Ä.; s. Belege 1828, 1940), penetranter Gerüche (z. B. stark duftende Blumen; s. Beleg 1933), den Anblick bestimmter Tiere (z. B. Reptilien, Spinnen; s. Belege 1835, 1879), Phänomene und Gegenstände (z. B. Feuer, Wasser, Farben, Messer; s. Belege 1817, 1893, 1920, 1935), oder für eine durch gedankliche/mentale Assoziationen ausgelöste heftige innere Abwehrreaktion auf die Äußerung bestimmter Inhalte (z. B. politische Anschauungen, Meinungen), (traumatische) Sachverhalte, Ereignisse, Situationen (s. Beleg 1910) und bestimmte (Verhaltensweisen, Mentalitäten o. Ä. von) Personen(-gruppen) oder Ethnien (s. Belege 1820, 1838, 1887, 1949; → Animosität, → Antipathie, → Aversion, → Degout, → Ressentiment; Ggs. → Interesse, → Sympathie), vereinzelt personifizierend (s. Beleg 1850⫺51), in Wendungen wie sie hat eine heftige Idiosynkrasie gegen Spinnen, der intensive Duft von Lilien löst bei mir regelmäßig eine Idiosynkrasie aus, die weitverbreitete Idiosynkrasie vor Mäusen, eine Idiosynkrasie gegen jedes Spießertum, woher kommt die deutsche Idiosynkrasie gegen die Franzosen, selten gebucht in der gegenteiligen Bed. ¤in ihrer Intensität von der Norm abweichende positive Reaktion, affirmativ zustimmende, bejahende, billigende Haltung, persönliche Neigung, Vorliebe für etwas (das in der Regel als unangenehm empfunden wird)Å (s. Beleg 1911; → Perversion, → Präferenz). 2 Daneben seit spätem 18. Jh. im philosophischen und naturwissenschaftlichen Kontext für ¤besondere Eigenheit, Eigenart, eigentümliche Beschaffenheit, Besonderheit; (nur) vereinzeltes, einzigartiges, gesondertes Vorkommen, Einzelphänomen, Ausnahme(-erscheinung)Å, dann v. a. bezogen auf menschliche Einstellungen und Verhaltensweisen in der Bed. ¤einem Menschen eigene, subjektive Eigenschaft, Eigenart,

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EigenheitÅ (s. Beleg 1801; → Individualität), oft leicht abwertend ¤Eigenwilligkeit, Eigensinn (in der Betrachtung von etwas); eigenartige, sonderbare, seltsame, wunderliche, absonderliche (An-)Gewohnheit, Verschrobenheit, Schrulle, Grille, MackeÅ (s. Belege 1812, 1906, 1986, 2010; → Allüre, → Marotte, → Spleen, → Tick), z. B. verstiegene Idiosynkrasien, (im sozialpsychologischen Sinne) präzisiert ¤für ein Individuum oder eine Gruppe spezifisches, von der sozialen Norm abweichendes, gewohnheitsmäßig auftretendes, typisches, strukturelles Verhaltensmerkmal/-musterÅ (s. Beleg 1842; → Affinität; vgl. Idiotismus, → idiotisch 4), speziell auch in der Sprachwissenschaft ¤sprachliche Eigenheit, Eigentümlichkeit; sprachliche Besonderheit, Einzelerscheinung, die nicht anhand genereller Regeln vorhergesagt werden kann; Ausdruck, der in einer bestimmten Bedeutung nur von einer einzelnen Person oder Sprechergruppe verwendet wird und dem üblicherweise eine andere Bedeutung zugeordnet wirdÅ (s. Belege 1859, 1982, 1987, 1996; vgl. Idiolekt, Idiotismus, → idiotisch 2). Dazu seit spätem 18. Jh. die adj. Ableitung idiosynkratisch, auch (elliptisch) idiokratisch (vgl. dagegen idiokratisch im Sinne einer Ableitung von Idiokratie ¤SelbstherrschaftÅ), erst seit frühem 19. Jh. in der etymologischen Form idiosynkrasisch, auf menschliche Verhaltensweisen bezogen für ¤mit dem Hang zu bestimmten Eigenheiten, Eigentümlichkeiten (ausgestattet, behaftet), eine spezifische, individuelle Neigung, einen besonderen Sinn für etwas aufweisend; eigen(-tümlich), eigenwillig, eigenbrötlerischÅ (→ esoterisch, → exzentrisch, → idiotisch 4, → individuell, → singulär), seit Mitte 19. Jh. speziell in der Sprachwissenschaft ¤auf isolierte, sprecher- und einzelsprachbedingte sprachliche Erscheinungen bezogen, einer bestimmten Landessprache, Mundart oder Standessprache eigentümlich; nicht auf Grund allgemeiner (phonologischer, morphologischer, semantischer) Regeln vorhersagbarÅ (s. Belege 1859, 1974, 2001; vgl. idiomatisch, → Idiom a; Ggs. → regulär, → systematisch, konventionell, → Konvention), z. B. idiosynkratische Etymologie, idiosynkratische Erscheinungen innerhalb der Einzelsprachen, die idiosynkratischen Eigenschaften von Nomina, idiosynkratische Merkmale eines Wortes, auch allgemeiner in Bezug auf Gegenstände und Sachverhalte ¤eigen, besonders, herausgehoben; (nur) vereinzelt, gesondert, zufällig (vorkommend)Å (s. Belege 1985, 2000, 2005; → partikular, → speziell; vgl. isoliert, → isolieren, punktuell, → Punkt; Ggs. → generell)Å (zu 2), seit frühem 19. Jh. im medizinischen Bereich für ¤(charakteristischerweise entgegengesetzt wie ein Gesunder) körperlich überempfindlich auf bestimmte Reize oder Stoffe reagierendÅ (vgl. allergisch, → Allergie, anaphylaktisch), z. B. idiosynkratisches Asthma, Symptom, idiosynkratische Körperreaktion (zu 1a) und im psychologischen Sinne ¤eine spezifische, ungewöhnlich starke (emotionale) Reaktion zeigend, (Zu- oder) Abneigung gegenüber jmdm./etwas empfindendÅ, z. B. idiosynkratische Aversion, Scheu, Abneigung, idiosynkratisches Misstrauen (zu 1b); seit früherem 19. Jh. vereinzelt die verbale Ableitung idiosynkrasieren V. intrans., auch idiosynkratisieren, im psychologischen, soziologischen Sinne ¤mit Abscheu, Ablehnung auf etwas reagierenÅ (zu 1b) und in neuerer Zeit für ¤mit besonderen Eigenheiten versehenÅ sowie im grammatischen Sinne ¤(sich) auf Einzelnes beschränkenÅ (zu 2); seit späterem 19. Jh. die Personenbezeichnung Idiosynkrasiker M. (-s; -), auch Idiosynkrat M. (-en; -en) und in jüngster Zeit selten Idiosynkratiker M. (-s; -), im medizinisch-physiologischen und biologischen Zusammenhang ¤Individuum, das auf bestimmte Substanzen besonders empfindlich reagiert und sich dadurch in seiner Reak-

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tionsweise darauf (entweder aufgrund seiner besonderen Körperbeschaffenheit oder durch Kontakt mit größeren oder kleineren Antigenmengen) von den meisten anderen Individuen derselben Spezies unterscheidetÅ (vgl. Allergiker, → Allergie), vereinzelt auch ¤Naturwissenschaftler, der sich mit Idiosynkrasien befasstÅ (s. Beleg 1886) (zu 1a), gelegentlich auch ¤jmd., der individuell auf bestimmte Wahrnehmungen, Eindrücke besonders subjektiv und außergewöhnlich sensibel (ablehnend oder zustimmend) reagiertÅ (zu 1b) und seit Anfang 20. Jh. für ¤(künstlerisch, sozial o. ä.) einzeln, isoliert, für sich, am Rande stehende Person, herausragende (Einzel-)Persönlichkeit; Außenseiter, EigenbrötlerÅ (vgl. Egoist, → Egoismus, Egozentriker, → Ego, Exzentriker, → exzentrisch, Individualist, Original), vereinzelt auf Sprachen bezogen (s. Beleg 2003) (zu 2); seit späterem 20. Jh. die subst. Ableitung Idiosynkratismus M. (-; Idiosynkratismen), in der Sprachwissenschaft für ¤auf bestimmte Autoren, Sprecher oder Einzelsprachen beschränktes sprachliches PhänomenÅ (vgl. Idiotismus, → idiotisch 2, Idiomismus und Idiomatismus, → Idiom a), auch allgemeiner ¤individuelle Beschaffenheit, Eigenart, Eigenheit, Besonderheit, EinzigartigkeitÅ (s. Beleg 1998; → Spleen, → Tick; vgl. Marotte, Originalität) (zu 2). Idio(syn)krasie, Idiosynkratie, Idiosynkrisie 1a: Praetorius 1676 Winter-Quartier Vorr. A8a ein Heyde . . kan sich in dem Magnetismo, Stochasmo besser finden/ als mancher Maul-Christe bey seiner laßdünckelischen Idiosyncrasiaˆ, oder spitzfindigen Fato, oder Delphismo; Zedler 1735 Universallex. XIV 338 Idiosyncrasia, ist eine gewisse Eigenschafft derer Leiber bey denen Menschen; Krüger 1750 Diät 13 Diese besondere Einrichtung, dadurch sich ein menschlicher Cörper von allen übrigen derselben Art unterscheidet, ist eben dasjenige welches die Aerzte mit dem Namen der Idiosynkrasie belegen; 1784 Allg. Dtsch. Bibl. LIX 1,288 Die Idiosynkrisie des Körpers wäre mit dem Ausdrucke: Vergleichung der eigentlichen Beschaffenheit des Körpers, wohl verständlicher gewesen . . Unter denen Anlaß zu diesen Krankheiten gebenden Futterpflanzen wird der Klee . ., das Kraut der Rüben . . angesetzt; Vogel 1789 Unterricht f. Eltern 202 Ich kenne z. B. eine Dame, die durchaus keine Art Säure verträgt, wenn sie auch ganz gesund ist. Solche Idiosyncrasien sind indessen sehr selten; 1798 Leben u. Meinungen Sempronius Gundibert’s 57 so mag wohl gar eine Idiosynkrisie zum Grunde liegen, wenn die kritische Philosophie, so wie manche Arzneyen durch eine besondere körperliche Beschaffenheit, bey manchen Personen gar nicht recht anschlagen will; Heyse 1804 Wb. z. Verdeutschung 353 Idiosynkrasie od. Idiosynkrisie, auch Idiokrasie . . die körperl. Eigenheit; John 1818 Handwb. d. allg. Chemie III 60 Auch die Nahrung und die Idiocrasie hat einen ungemein grossen Einfluss auf die Milch, so dass letztere oft dieselben Wirkungen auf die Jungen äussert, welche eigenthümlich wirkende Nahrungsstoffe, oder Reitzmittel auf die Mutter hervorbringen; Schneider 1821 Gifte 121 diese Eintheilungsart [der Gifte] hat für

die gerichtliche Medizin keinen besondern praktischen Werth, weil Idiosynkratie, Geschlecht, Alter, Temperament, Lebensart u. s. w. von Seiten des zu vergiftenden Subjekts, ferner das anzuwendende Gift selber, ausserordentlichen Einfluss auf die Wirksamkeit desselben haben; Hahnemann 1824 Organon 160 f. die sogenannten Idiosyncrasien, worunter man eigne Körperbeschaffenheiten versteht, welche, obgleich sonst gesund, die Neigung besitzen, von gewissen Dingen . . in einen . . krankhaften Zustand versetzt zu werden; Rust 1833 Handb. d. Chirurgie 506 Idiosyncrasia . . die Idiosynkrasie, die Idiokrasie. Diese Namen sind humoral-pathologischen Ursprunges; man versteht darunter eine eigenthümliche Empfänglichkeit für bestimmte äussere Einflüsse, vermöge welcher gewisse Individuen, ganz von der Regel abweichend, gegen dieselbe reagiren . . die Eigenthümlichkeit mehrerer Individuen, durch den Genuss von Erdbeeren, Krebsen, Austern, Fischen . . von einer Art Nesselausschlag befallen zu werden. Auch die eigenthümliche Reaction, welche, von der Regel abweichend, gewisse Arzneimittel in einigen Individuen hervorbringen, ist hierher zu rechnen; Kaltschmidt 1834 Gesamtwb. d. dtsch. Sprache 441 die Idiokrasis, die Natureigenthümlichkeit, Natureigenheit; 1849 Philologus IV 62 es könne bei dem einen volk ein körperlicher zustand gewöhnlich sein, der bei dem andern nur höchst selten, mithin als idiosynkrisie erscheine; 1852 Dtsch. Museum 574 Physiologisch definirt ist Idiosynkrasie . . eine auffallend vom Normalen abweichende Beschaffenheit gewisser Systeme unseres Körpers gegen gewisse Reize der Außenwelt zu reagiren; ebd. 576 Manches Medicament wirkt entweder gar nicht, oder zu stark, oder ganz verkehrt, weil die Idiosynkrasie des Kranken nicht berücksichtigt wurde;

Idiosynkrasie Stephens 1855 Buch d. Land- u. Hauswirthschaft (Übers.) II 1072 Ebenso wird kein brauchbares Resultat erzielt, wenn man verschiedenartige spezifische Düngungsmittel auf verschiedene Sorten von Weizen, von Gerste oder Hafer in Anwendung bringt, indem die einzelne Sorte möglicherweise eine Idiocrasie besitzen kann, vermöge deren sie unter ganz ähnlichen Umständen von dem Dünger verschieden afficirt wird; 1861 Homöopath. VjS XII 428 War bei ihm [Kaninchen] eine eigenthümliche Idiosynkrasie vorhanden? . . Ausnahmen, Idiosynkrasieen sind nur leere Worte, mit welchen man die eigene Unwissenheit zu verdecken sucht. Hiermit wird blos ausgedrückt, dass die Kenntniss der Verhältnisse, welche die Erscheinungen bedingen, uns noch abgeht; Liebreich 1898 Encyklopaedie d. Therapie II 671 Die Idiosynkrasie . . kann gerichtet sein: 1. Gegen gewisse Speisen. Bekannt ist, dass es Menschen giebt, welche nach dem Genuss von Erdbeeren, Morcheln, Gefrorenem, von Hummern, Austern oder Krebsen u. s. w. Hautausschläge . . bekommen; Meyers 1905 Konversations-Lex. I 837 wenn es trotzdem Schwankungen gibt, wenn eine erwartete Wirkung ausbleibt oder eine andre unerwartete Nebenwirkung eintritt, so kann eine mangelhafte Beschaffenheit der Arznei die Schuld daran tragen, oder es kann eine gewisse abnorme Reaktion des Körpers, eine Idiosynkrasie, zu Grunde liegen (DiBi 100); Fischer 1922 Leben 140 Ich habe darunter viele Jahre gelitten und schließlich hat sich eine Idiosynkrasie gegen Phenylhydrazin und ähnliche Stoffe herausgebildet. Es war die zweite Schädigung, die von meinem Beruf kam (DiBi 102); Ryder/Byrd 1984 One medicine 150 Die vom Menschen sattsam bekannte Idiosynkrasie gegenüber bestimmten Stoffen (etwa Blütenpollen, Staub, Wolle oder Fruchtarten, Milch) kommt auch bei Tieren vor; Ternes 1999 Soziolog. Marginalien 201 Der Begriff Idiosynkrasie, oft auch einfach Idiokrasie, ist als Kunstwort schon sehr alt. Nachgewiesen wurde, daß schon in der Antike merkwürdige körperliche Reaktionen einzelner auf ansonsten von der Mehrheit gut vertragene Substanzen unter seinen . . Erklärungsumfang fielen; ebd. 202 In den Blick geriet auch die krankheitsabwehrende, gar immunitätsverstärkende Rolle der Idiosynkrasie. Idiosynkrasien konnten durchaus erwünschte Effekte erzielen; Mansbrügge 2002 Autorkategorie 255 Was in der Idiosynkrasie noch minimales Aufmerken im sprichwörtlichen „Aufstellen der Nackenhaare“ ist, erfasst hier [bei der Epilepsie] fundamental den gesamten Körper und entledigt sich jeglicher Gegenwehr. Was in der Idiosynkrasie noch . . als abseitige, überempfindliche Reaktionsweise abgetan werden kann, verschafft sich als Epilepsie pathologischen Rang und entsprechendes Gehör.

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Idiosynkrasiker/Idiosynkratiker 1a: Jäger/Förster 1886 Enc. d. Naturwiss. IX 261 Damit hat G. Jäger auch die Erklärungsweise der alten Idiosynkrasiker, welche die Unterschiede in einer Verschiedenheit der Säftemischung suchten, wieder aufgenommen; 1899 Monatsh. f. Prakt. Dermatologie XXIX 565 Nach den Versuchen Köbners verhalten sich nicht alle „Antipyrinidiosynkrasiker“ in gleicher Weise; Berliner/Thesing 1924 Naturwissenschaften 1028 der Idiosynkrasiker muß sich ebenso spezifisch desensibilisieren lassen wie ein anaphylaktisches Tier; ebd. 1030 van Leeuwen will die Überempfindlichkeit der Idiosynkrasiker auf eine geringere bindende Kraft ihres Blutserums und ihrer Gewebe für die auslösenden Stoffe beziehen; 1937 Hygiene, Bakteriologie, Immunitaetsforschung XIX 229 [Menschen, die] auf Einwirkung von Rosenpollen Schnupfen oder in der Nähe von Pferden Asthmaanfall bekommen, wurden seit der Antike als Idiosynkrasiker bezeichnet, indem man ihre eigentümliche Reaktionsweise auf eine eigenartige Zusammensetzung bzw. Mischung ihrer Körpersäfte zurückführte; 1947 Archiv f. Dermatologie CLXXXVI 274 die von Geburt an gegen ein oder mehrere Allergene hochallergisch Reagierenden, herkömmlich Idiosynkrasiker genannt; Marchionini 1967 Haut- u. Geschlechtskrankheiten 474 Die Wandelbarkeit der allergischen Symptome hängt von dem jeweiligen Auf und Ab der ganzheitlichen Gestimmtheit eines „Idiosynkrasikers“ ab; Zeit 13. 10. 2000 Denn die auffällige Verwandtschaft von allergischen Symptomen und Idiosynkrasie legt es nahe, der Frage nach der Körpernatur des Idiosynkratikers nachzugehen. idio(syn)krasisch/idio(syn)kratisch 1a: Jahn 1821 Klinik d. chron. Krankheiten II 4,118 Bei Missbrauch der Kanthariden, sowohl äusserlich als innerlich, oder bei idiosynkrasischer Empfindlichkeit des Organismus gegen dieselben, leistet der Kamfer in Verbindung mit einhüllenden, schleimigen Mitteln die besten Dienste; Hahnemann 1829 Organon 198 f. Dass diese Potenzen wirklich auf jeden Körper diesen Eindruck machen, sieht man daraus, dass sie bei allen kranken Personen für ähnliche Krankheitssymptome, als sie selbst (obgleich anscheinend nur bei den sogenannten idiosyncratischen Personen) erregen können, homöopathische Hülfe als Heilmittel leisten; 1850 Jahresber. d. schles. Gesellsch. 152 dem Sitze nach hat man begrenzte und ausgebreitete [Arzneimittel-]Wirkungen . . idiokratische, die sich am Applikationsorgane selbst zeigen, und konsensuelle, sympathische, reflektirte; 1861 Homöopath. VjS XII 428 der Urin eines sechsten Kaninchens war hell, durchsichtig, sauer, an Harnstoff reich . . War bei

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ihm eine eigenthümliche Idiosynkrasie vorhanden? . . Die Ursache wurde gesucht und gefunden; das sechste ausnahmemachende idiosynkrasische Kaninchen war erst einige Stunden früher gekauft und ganz ausgehungert; Erhard 1863 Klin. Otiatrie 89 f. Die idiosyncratischen Erscheinungen, welche wir bei diesen Versuchen beobachten, sind ganz interessant . . Fast alle normal Hörenden verstehen bei hermetischem Verschlusse der Gehörgänge immer noch ein lautes Sprechen, wenn auch dumpfer; solche Idiosyncratische aber weit weniger, mitunter aber absolut nichts; Henoch 1868 Beitr. z. Kinderheilkunde 387 Diese Thatsachen bestätigen die Ansicht, dass die Urticaria sowohl durch eine directe Reizung der sensiblen Hautnerven (Einfluss der Sommerwärme, Blutegelbiss, Vaccination), wie durch idiosynkrasische Erregung der Magen- und Darmnerven (Einfluss des Leberthrans, veränderte Ernährung) zu Stande kommen kann; 1891 Monatshefte f. prakt. Thierheilkde. II 290 dass durch die Wucherung des Pilzes zunächst Reizung und Entzündung, dann Abschuppung der Epidermis . . und je nach Alter, Geschlecht, Constitution und den idiocrasischen Zuständen des Individuums selbst weitergehende Störungen veranlasst werden; 1912 Chem. Zentralbl. LXXXIII 1,513 das ausschließliche Auftreten der idiosynkratischen Phänomene an der Epidermis, . . die Tatsache, daß ein auf ein normales Individuum transplantierter, idiosynkratischer Hautlappen unter Einw. von Jodoform viel rascher zu Grunde geht; 1928 Biologie d. Pflanzen 371 Die . . Abwehrfermente des normalen, besser noch eines idiosynkratischen oder anaphylaktischen Tieres sind imstande, die artfremden Eiweißstoffe abzubauen; 1938 Chem. Zentralbl. CIX 6,2315 Die Ni-Krätze ist eine in den meisten Fällen rein idiosynkrat. Krankheitserscheinung, die durch Änderung des Arbeitsplatzes zu beheben ist; Merz 1943 Pharmakologie f. Apotheker 10 Ebenso wie bei allergisch oder idiosynkratisch reagierenden Personen eine gesteigerte Empfindlichkeit gegen Arzneimittel und Gifte vorliegt; Hach 1980 Röntgenuntersuchung d. Venensystems 163 Grundsätzlich ist denkbar, daß Patienten gegen die jodierte Säure, die bei allen Kontrastmitteln vorliegt, empfindlich sind . . Lasser u. Mitarb. . . unterscheiden bei den allgemeinen Kontrastmittelschäden hämotoxische und allergisch-idiosynkratische; Schadewaldt 1981 Idiosynkrasie 15 Die zu schwache oder zu wenig elastische Konsistenz der Nervenfaser sollte nun auch die idiokrasischen Reaktionen erklären; Mezger 2005 Homöopath. Arzneimittellehre I 459 Am häufigsten sind als Ausdruck einer idiosynkrasischen Reaktion, die sich bei manchen Menschen ausbildet, urtikarielle Exantheme beobachtet worden.

Idio(syn)krasie 1b: Zedler 1735 Universallex. XIV 338 Idiosyncrasia, ist eine gewisse . . angeborne Neigung oder Has, zu einem und andern Dinge, daß man es vertragen, oder gar nicht leiden kann; 1764 Götting. Anzeigen v. gelehrten Sachen 927 Bey den Temperamenten betrachtet Hr. Z. insbesondere die Empfindlichkeit, die allerdings eine Quelle vieler Uebel ist. Er hat auch etwas von der Idiosyncrasie, und beschreibt die Furcht des jungen Matthewes vor den Spinnen; Cochius 1769 Neigungen 95 Man wird also der Seele, so wie dem Körper, eine gewisse Idiokrasie zuschreiben, welche die allgemeine psychologischen Erfarungen und Gesetze verändert, oder einschränkt, und die Würkungen gewisser Ursachen schwächt, vernichtet, stärkt, umändert, die wir sonst als eine nothwendige Folge von jenen ansahen; 1784 Onomatologia med.-pract. II 1231 Idiosynkrasie . . man muß eine wahre, und eine falsche oder eingebildete wohl unterscheiden. Die wahre ist ein unbezwinglicher Eckel vor Dingen, die andern nicht eckelhaft sind: die falsche beruht auf irrigen Vorstellungen von den beekelten Gegenständen. Wohin aber die Idiosynkrasie jenes Nassauischen Geistlichen . . gehörte, welcher kein Bockschwein im Pfarrhause halten wolte, ist so klar nicht; 1800 Berlin. Archiv d. Zeit II 399 besonders ärgerte es mich, daß so viele Sonette vorkommen, welche ich nicht leiden mag . . – . . aber warum kannst du die Sonette nicht leiden? – Ach was, warum? Es ist eine Idiosynkrasie von mir, und damit gut; Reil 1817 Kl. Schr. 74 Hierher gehören auch die Idiosynkrasien einiger Menschen, die gewisse Reitze nicht vertragen, welche den übrigen Menschen unschädlich sind. Leute, welche die Wasserscheu haben, bekommen von dem Genusse und Anblicke des Wassers Krämpfe in der Kehle, im Magen und im ganzen Körper; Börne 1820 Theaterkritiken (Sämtl. Schr. I 453) es gibt unerklärliche Idiosynkrasien des Gemüts, und der Haß gegen einen unbekannten, vermutlich ruchlosen Maler mag eine solche sein (DiBi 1); Wolff 1828 Steckenpferde (Jahrb. dtsch. Bühnenspiele VIII 256) ich darf kein Fortepiano hören/ . . s’ist Idiosynkrasie,/ Ich kann mich einer Ohnmacht nicht erwehren; Heine 1830 Reisebilder (W. u. Br. III 394) Schon bei dem Wort Tulpe geriet Mylady in die heftigsten Bewegungen, und während ich sprach, wirkte ihre Idiosynkrasie gegen diese Blume so stark, daß sie sich verzweiflungsvoll die Ohren zuhielt (DiBi 1); Oertel 1831 Fremdwb. 421 Idiosynkrasie . . Empfindungseigenheit . . da Jemand besondere Neigungen oder Abneigungen hat, die Andere nicht haben, z. B. Spinnengenuß, Kazzenabscheu; Most 1834 Enc. d. ges. med. u. chirurg. Praxis II 15 Idiosyncrasia, die Idiosynkrasie, d. i. eine eigenthümliche Empfänglich-

Idiosynkrasie keit des Körpers und der Seele für bestimmte äussere Einflüsse, die entweder angenehm oder unangenehm afficiren . . Die Idiosynkrasien, die wir mehr als Wirkungen des individuellen dynamischen Lebensverhältnisses, weniger als Folge der eigenthümlichen Mischung der Säfte zu betrachten haben, sind entweder angeboren . . oder anerzogen; 1835 Damen Conversations Lex. V 397 Idiosynkrasie, die sonderbare Empfindlichkeit für gewisse Reize; der natürliche Widerwille gegen gewisse physische Einwirkungen, auffallende Töne, Gerüche, gewisse Thiere, Blumen, Pflanzen etc. Viele Personen haben eine unwillkürliche und entschiedene Idiosynkrasie gegen Hunde, Katzen, Spinnen, Speisen . . gegen das Kratzen an der Wand, gegen den schneidenden Ton fester Körper auf Metall, Glas etc. Der Antipathie nahe verwandt ist sie vorzüglich den zarteren und reizbareren Naturen des weiblichen Geschlechtes eigen (DiBi 118); Heine 1837 Bühne (W. u. Br. VI 31) nichts wirkt erbrechlicher auf meinen Magen, als wenn ich des Morgens meinen Kaffee trinke und ein Haar in der Milch finde . . Aber das ist eine Idiosynkrasie von mir (DiBi 1); Gutzkow 1838 Julius Mosens Ahasver (Telegraph CXXVIII 1020) Die Abneigung des Christen gegen den Juden ist eine physisch-moralische Idiosynkrasie, gegen die sich ebenso schwer ankämpfen lässt wie gegen den Widerwillen, den manche gegen Blut oder Insekten haben; 1849 Jahrb. f. slav. Literatur VII 282 So denken aber, unsrem polnischen Landmanne gegenüber, alle Deutschen . . der deutsche Preusse ist von Natur . . ein Feind und Verächter unsrer Sprache, ein Gegner unsrer Sache. Diese Abneigung, diese Nationalantipathie – fast eine Racen-Idiokrasie – schimmert überall durch und bricht oft ebenso verletzend unter den mancherlei schönklingenden . . Floskeln und Redewendungen der deutschen Gebildeten und deutschen Schriftsteller hervor; Gutzkow 1850⫺51 Ritter 702 Für diesen Kreis war Pauline nun eine förmliche Idiosynkrasie. Man wußte zuviel des Zweideutigsten von ihr und ahnte dessen noch mehr, als man wußte (DiBi 1); Mundt 1859 Italien. Zustände II 15 Zuerst hatte er mit ihr Reisen durch alle Länder der Welt unternommen, um die Fürstin zu zerstreuen, aber kein Mittel hat bis jetzt fruchten wollen, und der Wahnsinn scheint um so unheilbarer, da er vorzugsweise in einer Idiosynkrasie gegen den Gemahl selbst besteht; Oettinger 1864 Semiramis II 114 daß ich . . als Französin eine angeborene Abneigung gegen Engländer habe. – Dank dem Himmel, daß ich Liefländer bin! – Ihnen gegenüber würde meine Idiosynkratie, selbst wenn Sie Engländer gewesen wären, vielleicht eine Ausnahme gemacht

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haben; Franc¸ois 1879 Katzenjunker (Ges. W. V 18) Alle Welt weiß heutzutage, daß . . von allen sogenannten Idiosynkrasien keine häufiger gefunden und heftiger empfunden wird, als die unseres Junkers . . Es gab Frauenzimmer, welche Frösche, Raupen und Maikäfer nicht sehen konnten; andere, welche laut aufkreischten, wenn ihnen eine Maus über die Füße lief . . der Junker von Klösterley war ein Katzenfeind (DiBi 45); Nordau 1880 Kreml I 355 sein unausgesetztes, von heftigen Geräuschen begleitetes Expektoriren. Meine Nachbarn auf der Ehrenbank verloren hierüber fast ihren britischen Gleichmuth, allein man weiß ja, welche übertriebene Idiosynkrasie Engländer gerade gegen diese Sorte organischer Thätigkeit besitzen; Nietzsche 1887 Genealogie d. Moral (W. II 819) Die demokratische Idiosynkrasie gegen alles, was herrscht und herrschen will . . hat sich allmählich . . ins Geistige, Geistigste umgesetzt und verkleidet (DiBi 2); Saar 1893 Novellen a. Österreich (W. X 188) Er war in dieser Hinsicht mit einer Idiosynkrasie behaftet: er konnte kein Blut fließen sehen und wich selbst dem Anblick eines ärztlichen Messers aus (DiBi 125); Panizza 1895 Liebeskonzil 145 die Abneigung gegen Geistlichkeit und Christentum hatte sich in dem Vaterlande Voltaires während der Revolution geradezu bis zur Idiosynkrasie gegen alle geoffenbarte Religion gesteigert (DiBi 1); Bierbaum 1910 Reife Früchte 30 Meine Idiosynkrasie gegen das Eisenbahnreisen gestaltete diese Fahrt zu einer via crucis, an die ich nur mit Grauen denken kann; 1911 Brockhaus Kl. Konversations-Lex. I 848 Idiosynkrasie . . die von dem Normalverhalten stark abweichende Eigentümlichkeit gewisser Individuen in ihrer Empfindung, z. B. Widerwille gegen Wohlgerüche, Wohlgefallen an widerlichen Gerüchen (DiBi 50); Schönenberger/ Siegert 1920 Ratgeber I 351 gesteigerte Reizbarkeit (Idiosynkrasie) auch hinsichtlich mancher Farben; Ermatinger 1930 Philosophie d. Literaturwiss. 37 der Verzicht in jeder Hinsicht, die Idiosynkrasie vor dem „Journalismus“ und „Feuilletonismus“, das stolze „Sichabgrenzen“ [der Germanisten]; Lokal-Anz. 1. 2. 1933 es ist nicht ohne weiteres Idiosynkrasie, wenn eine Hysterische beim Geruch starkduftender Blumen in Ohnmacht fällt, vielmehr liegt hier krankhafte Ueberempfindlichkeit der Nerven vor; Hellpach 1935 Geopsyche 31 Unfälle (unter denen die Gehirnerschütterung obenan steht, die für Jahre geradezu eine Idiosynkrasie gegen nahe offene Flammen hinterlassen kann); Münch. N. N. 2./3. 2. 1940 eine ähnliche Idiosynkrasie habe ich gegen das Kokseinfahren. Es ist ein infames, plötzlich in den Traum hineinhauendes Geräusch, wenn die dicken Brocken auf den Blechrand des Einfülltrichters schlagen; Münch 1949

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Böhm. Tragödie 684 Es ist seltsam, obwohl allgemein bekannt, daß der Deutsche seit jeher eine gewisse Idiosynkratie dem Slawen gegenüber hegt; Th. Mann 1954 Krull (W. VII 653) Während das wilde Tier durch die Ausnutzung seiner Idiosynkrasie gegen das rote Tuch von dem regungslosen Körper abgelenkt wurde; Röd 1984 Philosophie d. Neuzeit (Gesch. d. Philosophie VIII 51) Obwohl es Locke . . primär darum ging, die Ideenassoziation als Quelle von Idiosynkrasien, emotionalen Aversionen, Fanatismen usw. darzustellen, wird die Rolle der Assoziationstheorie in Lockes Philosophie nicht auf diesen Bereich beschränkt werden dürfen; Tschöpl 1988 Sowjet. Lyrik-Diskussion 111 Die Idiokrasie der dogmatischen Literaturkritik gegen Subjektivität, zumal wenn diese als lyrischer Ich-Ausdruck zum dominanten Merkmal der Lyrik erklärt . . wird; Hilscher 1992 Neue poet. Weltbilder 177 Man kennt Musils Idiokrasie, ja Animosität gegenüber Thomas Mann; Stemberger 2006 Ne´mirovsky 24 In all diesen Fällen erscheint die Aversion gegen das „Jüdische“ als vor allem physischer, spontaner Widerwille, als Idiosynkrasie; 2007 GEO Themenlex. XII 263 Verhalten, das durch eine Idiosynkrasie motiviert ist, kann von der Mitwelt häufig nicht ohne weiteres verstanden werden und wirkt deshalb gelegentlich bizarr. Idiosynkrat(iker) 1b: Völkel 1979 Musiktherapie 80 Anm. Menschen, die auf äußere Sinneseindrücke verstärkt reagieren – ein Zeichen negativer Sympathie – verstand Hufeland als Idiosynkratiker; Zimmermann 2005 Dtsch.-jüd. Vergangenheit 15 Es geht also [bei Hitler] um eine Entwicklung – von einem Menschen, der den Antisemitismus in seiner Weltanschauung anderen Elementen unterordnet, bis hin zum Idiosynkraten, der den Antisemitismus zum A und O seiner Weltanschauung macht; 2008 Zschr. f. Krit. Musikpädagogik (online) 8 Auch in der Idiosynkrasie müsste sich die schon dem Ekel eigene Ambivalenz dieser Erfahrung zeigen, die zwischen Abstoßung und Anziehung changiert. In seiner Bestimmung des Ekels als etwas, das sich „zum Genuß aufdrängt“ hat Kant ein Tor geöffnet, das für den Idiosynkratiker aus einer Vielzahl kleiner Eingänge besteht: Seine Haut ist dünn – daher ist er für vieles empfänglich und vieles stößt er von sich ab. idiosynkra(ti)sieren 1b: Gutzkow 1837 Seraphine 111 Ich wäre gern öfter zu den beiden wunderlichen Tanten gegangen, wenn sie in ihrer Umgebung nicht etwas gehabt hätten, wogegen ich idiosynkrasire. Auf den Teppichen nämlich, womit das ganze Haus belegt war, schlich und schmiegte sich

eine ganze Colonie von Katzen . . widerwärtig durch und durch, nicht bloß durch sich selbst, sondern eben so sehr auch durch die Art, wie sie gehalten wurden; Neumann 2005 Hoffmanneske Gesch. 264 Die geraubte Regelmäßigkeit bringt die Idiosynkrasie gegen alles Gleichförmige hervor. Aber nicht nur diesem idiosynkratisierten Blick zeigt die gewandelte Gesellschaft, zeigen Staat und Politik die Züge des Mechanischen. idiosynkrasisch/idiosynkratisch 1b: Kosegarten 1816 Geschichte 125 Wenn ich dieser krankhaften Empfindlichkeit den eignen Angehörigen gegenüber mich nicht allzeit zu ermächtigen vermochte, so ist begreiflich, wenn selbige gegenüber den Fremden anwuchs bis zum entschiednen Widerwillen. Es kam dahin, daß ich eine Art idiosynkratischer Beklemmung empfand in deren Gegenwart (DiBi 102); Goethe 1824 Br. (WA IV 39,288) Enthalten kann ich mich nun aber nicht von HE. von Hofs zweyten Theil zu reden, der mir beym ersten Einblick bösen Humor gemacht hat; es ist nun einmal in mir idiosynkratisch daß ich nicht leiden kann wenn man die Erklärung (Ableitung) eines Phänomens in die Weite und Ferne schiebt; Valentiner 1852 Hysterie 59 Die so recht deutlich das Bild der gesteigerten psychischen Reflexerregbarkeit zeigende, vielen Hysterischen eigne, Schreckhaftigkeit, welche sie bei jedem Neuen, bei jeder Nachricht, bei jedem Brief z. B. fürchten lässt, dass etwas Schlimmes nahe, geht oft eine Combination ein mit idiosynkrasischen Gefühlen bei Sinneseindrücken, und besonders macht sich in dieser Hinsicht eine idiosynkrasische Furcht vor einzelnen Thieren geltend; Kügelgen 1855⫺65 Jugenderinn. 263 wegen ihrer idiosynkratischen Scheu vor Katzen war mir die alte Dame merkwürdig (DiBi 102); Weber 1864 Lebensbild I 26 f. Daß er [C. M. v. Weber] diesen Gefahren mehr als viele Andere entging, das ist zum Theil Verdienst der Natur seiner innern Wesenheit, die, wie klares Wasser das schmierige Fett, alles Besudelnde . . idiosynkratisch abstieß (DiBi 113); Rubinstein 1888 Innenwelt 54 Dieses Widerstreben ist idiosynkratischer Natur, und diese Form des Mitleids gehört zu den gemischten Gefühlen, die durch ihren Gegensatz affectiver und heftiger werden; 1950 Neue Rundsch. LXI 571 Die Faszination von Person und Oeuvre ließ keinen Ausweg als magnetisches Hingezogensein oder idiosynkratische Abwehr; Horkheimer 1961 (Michel 1968 Gesch. d. Spätjudentums 261) Aus dem geschichtlich bedingten Naturell der Juden . . ebenso wie aus den idiosynkratischen Reaktionen der Umwelt auf sie – nichts im menschlichen Zusammenleben eignet sich so gut zum Pro-

Idiosynkrasie jektionsziel für gestaute Schuld- und Haßgefühle wie die kleine Differenz – ergeben sich die verschiedenen jüdischen Verhaltensweisen zu der deutschen Zivilisation, der sie endlich angehören sollten; 1970 Zschr. f. Sozialforschung VIII 12 Für diesen idiosynkratischen Hass gilt . . Benjamins Definition des Ekels als der Angst, vom ekelhaften Objekt als dessengleichen erkannt zu werden; Krafczyk 1978 Psychoanalyse u. Ethnologie 118 idiosynkratische Störungen werden durch atypische Traumata hervorgerufen; Leihäuser/Volmer 1988 Psychoanalyse 135 Auf einer mehr subjektiven Ebene wird Angst durch Material erregt, das . . idiosynkratische Ängste wiedererweckt, die mit vergangenen Erfahrungen verknüpft sind; Körte 2000 Uneinholbarkeit d. Verfolgten 39 Gutzkow entwirft . . das für das frühe 19. Jahrhundert paradigmatische idiosynkratische Modell eines liberalen Früh-Antisemitismus, in welchem Ahasver als Eckstein figuriert. Idio(syn)krasie, Idiosynkrisie 2: Herder 1784 Ideen I 180 Auf demselben Wege gehn alle Assoziationen unsrer Gedanken; sie gehören einem Wesen zu, das aus eigner Energie und oft mit einer sonderbaren Idiosynkrasie Erinnerungen aufruft und nach innerer Liebe oder Abneigung, nicht nach einer äußern Mechanik, Ideen bindet (DiBi 2); Meiners 1785 Br. üb. d. Schweiz II 332 Ein anderesmal gingen oder fuhren beyde Brüder spatzieren, und einer von ihnen bemerkte, daß die Wiese, die sie vor sich sähen, außerordentlich schön sey. Der andere Bruder gab nicht das geringste Zeichen von Beyfall oder Tadel, sagte aber nach dreyen Stunden, in welchen kein Wort gesprochen war, auf einmal, daß die Wiese doch an der einen Seite zu niedrig und feucht sey. Diese moralische Idiosynkrasie ist um desto merkwürdiger, da sie einer ganzen Familie eigenthümlich seyn soll. Verschlossenheit oder Verschwiegenheit in einem so hohen Grade ist gewiß eben so selten, als diejenige Ernsthaftigkeit, die niemals durch Lachen oder Lächeln erheitert wird; Hegel 1801 Differenz d. Fichteschen u. Schellingschen Systems (W. II 126) Was er denn aus der Schule schwatzt, ist, daß das Allgemeinste, das Tun der Vernunft, für ihn sich in das Besonderste, in eine Idiosynkrasie der Herren Fichte und Schelling verwandelt (DiBi 2); Jean Paul 1804 Vorschule (W. I 5,378) Nun hat das gedachte Journal das Eigne oder die Idiosynkrasie, daß es will geachtet sein, gelobt, gelesen, nicht aber angeschnauzt (DiBi 1); Goethe 1807 (Gespräche II 181) der Mensch spricht das Objekt nicht ganz aus. Aber was er davon ausspricht, das ist ein reales, wäre es auch nur seine Idiosyncrasie, das heißt der Bezug, den es auf ihn allein hat (DiBi 10); ders. 1812 Br. (WA IV 23,167) Nach dieser Klage muß ich mit der Ent-

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schuldigung einer andern wunderlichen Idiosyncrasie hervortreten . ., daß ich mich nämlich zu dem Gegenwärtigen einer fremden Hand bediene; 1814 Rhein. Archiv XIV 27 Diesen Anspruch auf allgemeine Subjektivität des Begriffs, welches mit absoluter Objektivität gleichbedeutend ist, kann unser Denken . . nicht aufgeben; es ist sein Karakter . . Das Denken verträgt keine Idiosynkratie; seine Welt, behauptet es, sey eine gemeinsame; Lücke 1832 Einl. i. d. Offenbarung Johannis 360 Bey Johannes scheint es eine Idiosynkrisie zu seyn, daß er sich auch in seinen Briefen nicht nennt, selbst im zweyten und dritten nicht; Gervinus 1838 Ges. Kl. Histor. Schr. 398 ihr Gram, ihr Zorn, ihre vulgare Manier, ihre Sonderbarkeit und Idiosynkrisie ist oft nur vorgegeben und zu deutlich ist es für ein offenes Auge, daß sie sich mühselig hineinzwingen und daß ihnen die jämmerlichste Eitelkeit dazu die Kräfte leiht; Marx 1842 MEW I 116 keiner hört auf, unrechtlich zu handeln, weil diese Handlungsweise seine Gewohnheit ist, wie man den räuberischen Sohn eines Räubers nicht mit seinen Familien-Idiosynkrasien entschuldigt (DiBi 11); Gablenz 1859 Sprachwiss. Fragmente I 321 Als eine . . Idiokrasie, muss aber demnach begreiflicherweise erachtet werden: dass sich derselbe [französische Diphthong] kunstgerecht dialalirt, jederzeit nur kurz, und, nicht plus minus gedehnt lautend, aussprechen lässt; Mill 1868 Logik (Übers.) II 453 Insofern aber viele von diesen Wirkungen . . bei weitem mehr durch allgemeine Ursachen, als durch alle partiellen Ursachen zusammengenommen bestimmt werden, indem sie in der Hauptsache von den Umständen und Eigenschaften abhängen, welche allen Menschen oder wenigstens einem grossen Theile derselben gemein sind, und nur in einem geringen Grade von den Idiosyncrasien der Organisation oder der besonderen Geschichte des Individuums (DiBi 2); Nietzsche 1882 D. fröhliche Wiss. (W. II 214) Hat man seinen Blick etwas dafür eingeschult, an einem gelehrten Buche, einer wissenschaftlichen Abhandlung die intellektuelle Idiosynkrasie des Gelehrten – jeder Gelehrte hat eine solche – herauszuerkennen und auf der Tat zu ertappen, so wird man fast immer hinter ihr die „Vorgeschichte“ des Gelehrten, seine Familie, in Sonderheit deren Berufsarten und Handwerke zu Gesicht bekommen (DiBi 2); Rein 1906 Handb. d. Pädagogik IV 495 Namentlich können auch durch Verwöhnung manche Idiosynkrasien geradezu anerzogen werden; Reisiger 1956 Walt Whitmans Werk (Übers.) 390 wer . . die kostbare Idiokrasie, die Urbestimmung, zu der er geboren ist, nämlich das eigene Ich, die Hauptsache, übersieht oder unterdrückt, hat seine Bestimmung verfehlt; Trabant 1970 Semiologie 215 daß die „Idiosynkrasien“ und

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Idiosynkrasie

„Präferenzen“ des Autors als historischer Person, über die uns die Biographien unterrichten, . . nur einen Teil des (historischen) Kontextes ausmachen; Honneth/Wellmer 1986 Frankf. Schule 53 Wer wissen will, welche Monumente Idiosynkrasien erbauen können, soll sich in der Tat bei Adorno umsehen. Man fragt sich jedoch, ob nicht Adorno, statt den Mut zu seinen Idiosynkrasien – den heute vielgerühmten „Eigensinn“ – durch selbstgewährte Vorschußlorbeeren zu belohnen, gelegentlich die eigene Beschränktheit . . mehr als bloß flüchtig hätte bekennen sollen; 1982 Zschr. f. Sprachw. I 183 Es gibt in der Tat zahlreiche dialektale Lautungen, die in keiner . . erkennbaren Weise allgemeinen Gesetzmäßigkeiten unterliegen, sondern vermutlich als Idiosynkrasien gewertet werden müssen; Stiebels 1996 Lexikal. Argumente 246 Der Eintrag . . resultiert aus der fragwürdigen Methode, vereinzelte Verben . . herauszugreifen, ohne deren Repräsentativität zu überprüfen; dies beinhaltet dann die Gefahr, lexikalische Idiosynkrasien als den Allgemeinfall darzustellen; 1999 Zschr. f. Religionswiss. 158 Die Form des Papstbesuch[s] ist also keine persönliche Idiosynkratie. Sie ist vielmehr die angemessenste Form der Kirche, eine religiöse Großveranstaltung durchzuführen; taz 14. 12. 2010 Sein [Sloterdijks] Habitus großintellektuell schwurbelnder Eitelkeit fällt vielleicht deshalb wenigen unangenehm auf, weil es in der deutschen Debattenlandschaft sonst kaum mehr jemand wagt, die Öffentlichkeit mit seinen Idiosynkrasien zu konfrontieren und dort zu reden, wo er kein Sachverständiger ist. Idiosynkrat(iker) 2: 1874 VjS f. Volkswirtschaft 206 Jener Graf Schaffgotsch, welcher 365 Hemden hatte, um nicht von seiner Waschfrau abhängig zu werden, war darum noch lange kein Idiosynkrat; Nietzsche vor 1890 W. u. Br. (W. III 591) Also der Moral-Idiosynkratiker hat . . wirklich in der Annäherung an den Tugend-Typus der Gesellschaft seinen eigenen Wert (DiBi 31); Liman 1914 Kronprinz 145 daß der Kronprinz dem verschleierten Propheten . . gleicht, der sein Gesicht versteckt hält, damit man nicht sehe, daß hinter dem Schleier sich das Antlitz eines wilden Chauvinisten verbirgt, eines Idiosynkraten des Nationalismus; Kellermann 1974 Kritik d. Bildungsgesamtplans 19 Da also von Ideologien, Idealisten und Idiosynkraten nur der eine Aspekt von Bildung, nämlich deren Potenz zur autonomen Befähigung, betont wird; Durzak 1981 Dtsch. Gegenwartslit. 10 Die Lyrik, die im Zuge der politischen Umwälzungshoffnungen seinerzeit zum Innerlichkeitsressort kleinbürgerlicher Idiosynkraten geschrumpft war, hat . . als literarische Gattung einen bemerkenswerten Aufschwung er-

lebt; 1987 Merkur XLI 1035 Da denkt man an Thatcher und Reagan, aber eben auch an Craxi und Gonzales und die Prediger der Informationsgesellschaft, die Gralssucher der Postmoderne, die Außenseiter und neuen Idiosynkraten, die yuppies natürlich; taz 17. 11. 1990 den zwei Autoren französischer Sprache . ., die – lange vor den großen Idiosynkraten des fin de siecle wie Nietzsche und Proust – ihre subjektive Passionsgeschichte zum Stoff philosophischer Literatur gemacht haben; Bachmann-Medick 1992 Writing culture 44 Schließlich kommen Frauen, Kinder, Jugendliche, extrem Arme, sozial Entwurzelte und Idiosynkraten, die am Rande der Hahnenkämpfe . . Roulette, Würfel und Münzendrehen spielen; Metzing 2003 Sprachen in Europa 138 Aus großen Sprachfamilien nimmt der Typologe mehrere Vertreter einzelner Untergruppen, damit nicht in seinem Sample die Idiosynkraten, d.h. die durch keine nachgewiesene Verwandtschaft isolierten Sprachen überwiegen; Berg u. a. 2004 Zw. Macht u. Freiheit 68 Dabei war er ganz Idiosynkratiker. Für euphorisches Lob oder vernichtenden Tadel machte sich Stassow selten die Mühe einer Begründung; taz 27. 1. 2006 Gould nimmt die Sonaten in extremen, jede Vernunft übersteigenden Tempi . . Nehmen wir den zweiten großen Idiosynkraten unter den Pianisten: Vladimir Horowitz spitzt den emotionalen Gehalt der Sonaten zu – mit großzügigem Rubato, romantischem Tiefsinn und ein klein wenig Wiener Schmäh. idio(syn)kratisch 2: Bahrdt 1790 Leben I 53 ich bin gewiß, daß er den Grund zu meinem idiosynkratischen Leichtsinne gelegt, und mir es für mein ganzes folgendes Leben zum bleibenden Hange gemacht hat, mir stets frohe Aussichten zu bilden, und bei allen Gegenständen der Zukunft, nur die heitere, angenehme, und reizende Seite zu sehen; Goethe 1805 Z. Literatur (WA I 40,331f.) Als wir dieses Gedicht mit Sorgfalt zu lesen anfingen, . . haben wir eine ganz eigne Erfahrung gemacht. Wir empfanden nämlich eine Art von Schwindel, wie sie den zu überfallen pflegt, dem etwas ganz Incongruentes und also seiner Natur nach Unmögliches doch wirklich vor Augen steht. . . Da jedoch der Fall von der Art ist, daß wir nicht wissen können, ob unsere Empfindung bei diesem Werk [A. v. Kleins ¤Athenor’] nicht vielleicht idiosynkratisch sei; Ranke 1854 Epochen d. neueren Gesch. (Ausg. 1971 159) In früherer Zeit, vor der Revolution, war sie [Kirche] eine ganz persönliche Kirche, dann . . hat sie eine eigene idiokratische . . Tendenz entwickelt; Gablenz 1859 Sprachwiss. Fragmente 85 dass alle in benachbarten Ortschaften lebenden

Idiosynkrasie Angehörigen verschiedener Volkschaften, notorisch gewöhnlich den Austausch ihren respektiven Seelen momentan vorschwebender Gedanken, in mindestens zwei denselben idiokratischen Mundarten effektuiren; 1860 Jahrb. f. d. Gesch. d. Juden I 227 f. daß dem Juden von Natur schon eine gewisse Hartnäckigkeit einwohnt, ein gewisses Beharren auf sich selbst, welches morgenländischer Art aus einem gewissen idiosyncratischen Feuer hervorgeht, mit dem das einmal Angenommene festgehalten wird; Nietzsche 1881 Nachgel. Fragmente (1973 Krit. Gesamtausg. V 2,399) die Erkenntniß . . steht im Dienste der gröberen Formen des Beharrens (Masse Volk Menschheit) und will die feineren Formen, den idiosyncrasischen Geschmack ausscheiden und tödten – sie arbeitet gegen die Individualisierung; 1891 Götting. gel. Anz. CLIII 79 ohne daß der Versuch unternommen wird, ihre [der Philosophen] Individualität und ev. selbst Idiosynkrasie irgendwie nicht als solche herauszustellen, wie mir z. B. Schellings 3. Periode, Baader ein idiosynkratisches Moment zu haben scheinen; Rathenau 1918 Mechanik d. Geistes (Ges. Schr. II 124) Die Arbeitsteilung durch idiosynkratische oder einseitig gerichtete Elemente, die wir im Bereich des Bewusstseins beobachtet haben; Adorno 1958 Noten I 65 Vielmehr setzen sich die geschichtlichen Veränderungen der Form um in idiosynkratische Empfindlichkeiten der Autoren, und es entscheidet wesentlich über ihren Rang, wie weit sie als Meßinstrumente des Geforderten und Verwehrten fungieren; Dinser/Hoenigswald 1974 Theorie d. Sprachveränderung 300 Die Satzklammer ist kein idiosynkratisches Merkmal des Deutschen . . Sie zeigt sich auch im Altenglischen; Kunz 1985 Marktsystem 107 Beim Informationshandel der hier beschriebenen Art handelt es sich um ¤idiosynkratische’ Tauschbeziehungen . ., die unter bestimmten weiteren Voraussetzungen zu vertikaler Integration oder Unternehmensneugründungen führen können; Killy 1990 Literatur Lexikon VI 338 die Sprache K.’s [Sarah Kirsch] u. ihr idiosynkrat., ausgesprochen rhythm. Stil, der von der normalen Syntax abweicht (DiBi 9); Flick u. a. 1995 Handb. Qualitative Sozialforschung 98 Doch ist das Kategorisierungsspiel in Kontexte eingebettet und verläuft in Bahnen, die ganz und gar nicht idiokratisch sind: im Gespräch „auf jemanden zu sprechen kommen“ ist evidenterweise ein universales Phänomen; Prokop/Hufeisen 1997 Zum Verhältnis von kulturspezifischen und idiokratischen Sprachlernkonzepten (Titel); Börner 2000 Strateg. Bankmanagement 385 Weil die Kostenführerschaft sich weniger im Kundennutzen niederschlägt, wird als Überschrift für diese strategischen Entscheidungen nicht auf den idiosynkratischen Kundennut-

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zen, sondern allgemeiner auf den idiosynkratischen „Marktauftritt“ abgestellt; FAZ 6. 11. 2001 Matthias JendisÅ gelungene Übersetzung . . stellt sich auf die Seite der Lesbarkeit – aber nicht in dem trivialen Sinne einer Nivellierung des Fremden. Sie geht sehr weit ins Idiosynkratische. Sie beeindruckt durch eine genaue Herauspräparierung der vielen Einzelformen und Sprachfelder, derer sich Melville bedient, der chronikalischen, theatralischen, juristischen, theologischen und so weiter; Sorgenfrei 2005 Atemtherapie 128 Bestimmte Themen sind als idiokratische Kategorien dargestellt. Es handelte sich um Themen, die nur von diesen InterviewpartnerInnen entsprechend ausgeführt wurden. idiosynkra(ti)sieren 2: Asbach-Schnitker u. a. 1987 Wortbildung 115 Obwohl dies bei längst nicht allen Präfixverben der Fall ist, läßt sich doch sagen, daß auch idiosynkrasierte Fälle wie etwa beleuchten/leuchten (auf), bemerken/merken (auf) durchaus charakteristische grammatische Züge der einen Seite erhalten haben; Ternes 1999 Soziolog. Marginalien 193 daß der Ort der Genese von Idiosynkrasien . . der Kopplung von Bewußtsein und Kommunikation zugerechnet werden muß; die dadurch möglich werdende Annahme, es gebe idiosynkratische Sinnbinnenwelten, die sich an den Rändern de-idiosynkrasieren lassen. Idiosynkratismus 2: 1967 Folia linguistica 48 [Sprache] durch redundante Züge und durch Idiosynkratismen gekennzeichnet. Auf die Rolle idiosynkratischer Eigenschaften und auf Wege zu einer formalen Behandlung des Begriffs der sprachlichen Ausnahme habe ich . . hingewiesen; Arens u. a. 1975 Handb. d. Linguistik 528 Welcher Ausdrucksvariante er [Übersetzer] bei seinen translatorischen Zielbewegungen jeweils den Vorzug gibt, kann von verschiedenen Faktoren abhängen: . . von seinem individual-stilistischen Variationsvermögen, seinen Idiosynkratismen, seinen Formulierungsgewohnheiten; Lipka/Günther 1981 Wortbildung 102 Das Problem besteht nun darin, eine Repräsentation dieser Ausdrücke zu finden, die alle notwendigen Regularitäten und Idiosynkratismen auf möglichst einfache Weise charakterisiert; Hengel/Frey 1993 Johanneische Frage 363 Freilich lassen sich die erwähnten Härten und Idiosynkratismen in der Apokalypse weder vollständig aus semitischem Einfluß oder sprachgeschichtlichen Entwicklungen noch aus . . sprachlicher Nachlässigkeit erklären; Frankf. Rundsch. 22. 4. 1998 Wenn die Konzeption dieser Veranstaltung aufgehen soll, nämlich eine Gerichtsverhandlung in Prozeßform

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auf die Bühne zu bringen, auf der sich Betroffene, Kritiker und Verteidiger der Psychiatrie ums gegenseitige Verstehen bemühen . .: dann könnte dieses Tribunal Prototyp werden für die so nötige Mischung unterschiedlichster Sichtweisen, ohne dem

Idiosynkratismus zu verfallen; Rothenhöfer 2004 Lernerwb. 85 Da es sich hier eher um Idiosynkratismen der Flexionslehre handelt, ist der Formkommentar innerhalb eines spezifischen Verbartikels der adäquate Ort zur Beschreibung.

Idiot M. (-en; -en), moviert Idiotin F., im frühen 16. Jh. entlehnt aus gleichbed. * thv in der Bed. ¤Einzelperson; Privatmann (im Ggs. zum lat. idiota (< griech. $idiw Staatsmann), in Staatsgeschäften Unkundiger; Ungelehrter, Laie; UnwissenderÅ, Sub* thv ¤privat, ungelehrt, laienhaftÅ, zu >idiov ¤abgesondert, eigen, stantivierung von $idiw privat, eigentümlichÅ; → Idiom, → Idiotik, → idiotisch), bis ins 19. Jh. auch in der griech./lat. (flekt.) Form und vereinzelt Idiote. 1 Zunächst in der Bed. ¤ungebildeter, ungelehrter (nicht lateinkundiger) Mensch, LaieÅ, schon früh in negativ wertenden Kontexten i. S. v. ¤Stümper, PfuscherÅ (s. Belege 1525, 1530.1; → Amateur, → Analphabet, → Banause, → Dilettant; vgl. Ignorant, → Ignoranz), zunehmend mit fließenden Übergängen zu 3 (s. Belege 1676, 1695, 1706, 1849), daneben auch weiterhin wertfrei (s. Belege 1559, 1632, 1771, 1804, 1904, 1943), in Wendungen wie dieses Buch ist sowohl für Gelehrte als auch für Idioten geschrieben, das Werk wurde für die Idioten auf deutsch gedruckt, ich bin in dieser Materia ein rechter Idiot, die Apostel waren ursprünglich arme Fischer und Idioten, er ist ein Idiot und Ignorant, unser Lehrer ist ein unbeholfener Idiot, ein politischer, musikalischer, literarischer Idiot und Zss. wie Idiotenhang/-hügel scherzhaft für ¤einfacher Anfängerhügel für SkifahrerÅ; Bewegungsidiot ¤Person, der das Talent für körperliche Betätigung, Sport fehlt’, Fachidiot ¤Experte, der nur auf seinem Fachgebiet Bescheid weiß, der ein Problem nur aus dem Blickwinkel seines Fachs beurteilen kannÅ, Kulturidiot ¤BanauseÅ. 2 Seit Ende 18. Jh. unter Einfluss von gleichbed. engl. idiot auch in der Bed. ¤(seit der Geburt oder durch Unfall) hochgradig geistig behinderter MenschÅ (→ Kretin; vgl. Idiotiker, → Idiotik 3, Simpel, → simpel), dann (z. B. in Vergleichen) zunehmend pejorativ bezogen auf als begriffsstutzig empfundene Menschen mit fließenden Übergängen zu 3 (s. Belege 1935, 1957, 1978), in Wendungen wie Idioten mit angeborenem oder erworbenem Schwachsinn, das Kind des Alkoholikers war von Geburt an ein Idiot, Idioten und Kretins, (aus gleichbed. frz. idiot savant entlehnt:) Idiot savant ¤Person, die trotz einer geistigen Behinderung auf einem speziellen Gebiet über überdurchschnittliche geistige Fähigkeiten verfügtÅ und Zss. wie Idiotentest (salopp) ¤medizinisch-psychologische Untersuchung zum Zweck der Begutachtung der FahreignungÅ; Halb-, Vollidiot. 3 Ausgehend von der jeweils pejorativen Verwendung von zunächst 1 (s. Belege 1743, 1771, 1791, 1840), dann auch 2 (s. Belege 1869, 1942, 2013.2) – und in vielen Fällen nicht klar von diesen zu unterscheiden – spätestens seit Anfang 20. Jh. zunehmend, heute überwiegend als Schimpfwort mit Bezug auf in den Augen des Sprechers verachtens- und hassenswerte Personen (die weder ungebildet noch geistig behindert sein müssen) für ¤jmd., der – aus Sicht des Sprechers – befremdliche, nicht akzeptable, empörende Dinge tut; Dummkopf, Trottel, Tölpel, Depp, Spinner, IrrerÅ (vgl. derb Arsch(loch), Penner, Rindvieh, Saftsack), in Wendungen wie ein typischer, klassischer, kapitaler Idiot, er ist der größte Idiot, der hier rumläuft, der Idiot hat

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mich wegen anderthalb fehlender Punkte durchfallen lassen, pass doch auf, du verdammter, gottverfluchter Idiot!, für dich war ich immer nur der nützliche Idiot, diese Idiotin spielt sich in jeder Besprechung auf, du benimmst dich wie der letzte Idiot und Zss. wie Idiotenkerl, -musik, -pack, -plage, -schwein, -truppe; idiotensicher ¤so sicher, dass bei der Handhabung kaum etwas falsch gemacht werden kannÅ; (z. T. konkurrierend mit -Trottel, -Depp, u. ä.:) Dorf-, Durchschnitts-, Konsum-, Nazi-, Quoten-, Ober-/Riesen-/Super-/Vollidiot. Vgl. dazu die seit 19. Jh. vereinzelt belegte Ableitung idiot Adj., weitgehend gleichbed. mit → idiotisch. Dazu seit spätem 17. Jh. vereinzelt belegtes Idioterei F. (-; selten -en), zunächst auch Idioterey, im 17. Jh. in der Bed. ¤Unbildung, Dummheit (die in Wort oder Tat zum Vorschein kommt)Å (→ Ignoranz), in Wendungen wie des Schulmeisters Idioterei, der Gelehrte war weit entfernt von Idioterei (zu 1), daneben seit Anfang 20. Jh. auch schimpfwortartig in der Bed. ¤blödsinniger Einfall, dumme, absurde Idee, TatÅ (vgl. Schnapsidee, → Idee), z. B. Was für eine Idioterei!, So eine verdammte Idioterei!, Quatsch, Blödsinn, Idioterei! (zu 3); seit Anfang 20. Jh. daneben selten nachgewiesenes Idioterie F. (-; -en), überwiegend schimpfwortartig in der Bed. ¤blödsinniger Einfall, dumme, absurde Idee, Tat; Albernheit, Unsinn, SchwachsinnÅ, im Pl. vereinzelt auch ¤Possen, Faxen, KlamaukÅ (s. Beleg 2005), in Wendungen wie ich musste mich furchtbar über seine Idioterie aufregen, die Idioterien der Friedensbewegung, der Clown machte einige drollige Idioterien (zu 3), vereinzelt auch in der Bed. ¤geistige BehinderungÅ und übertragen (s. Beleg 1934) (zu 2). Dazu seit frühem 19. Jh. aus gleichbed. frz. idiotie entlehntes Idiotie F. (-; -n), überwiegend fachspr. (Medizin, Psychologie) für ¤angeborene oder erworbene geistige Behinderung so hohen Grades, dass jede Art von Bildungsfähigkeit ausgeschlossen istÅ (→ Idiotik 3; vgl. Idiotismus, → idiotisch 3, Debilität, → debil, Imbezillität, Kretinismus), gelegentlich auch übertragen auf das pathologische Fehlen sittlicher Fähigkeiten (s. Beleg 1872), in Wendungen wie Idiotie, Imbezillität und Kretinismus, Idiotie oder Debilität, psychiatrische Diagnose: Idiotie, die amaurotische, mikrocephalische, mongoloide, moralische Idiotie (zu 2), nur vereinzelt daneben ¤Laientum, Unwissenheit, DilettantismusÅ (→ Ignoranz; vgl. Idiotismus, → idiotisch 1), in Wendungen wie die Idiotie des Autors tritt in seinen Schriften zutage und Zss. wie Fachidiotie (zu 1), seit Anfang 20. Jh. auch übertragen ¤Dummheit, IgnoranzÅ und heute überwiegend in weiterer Bedeutung schimpfwortartig abwertend von als sinnoder zwecklos, unrealistisch, absurd erachteten Ideen, Vorschlägen, Plänen (Anderer) i. S. v. ¤Unsinn, QuatschÅ (vgl. Idiotismus, → idiotisch 5), in Wendungen wie die nationalistische Idiotie, dieser Vorschlag ist reine/pure Idiotie, eine Idiotie ohne-/ sondergleichen, diese Idee grenzt an völlige Idiotie und Zss. wie Fernseh-/Medien-, Konsum-, Vollidiotie (zu 3). Vgl. dazu die seit 19. Jh. vereinzelt belegte, weitgehend gleichbed. Ableitung Idiotität F. Idiot 1: 1525 Wegsprech gen Regenspurg (Schade, Satiren III 175) so ein pfaff kompt und schon ein großer esel und idiot ist und sich einer pfarr zu˚ versehen underzeucht und nur die investitur zu˚ bezalen hat, wirt vom vicario zu˚gelaßen; Paracelsus 1530 W. I 8,270 Trit herfür du falscher arzt . . dir wer besser du hettest ein mülstein am hals mit ei-

ner ketten angebunden und eingesenkt tiefer in das meer dan Candia gründen mag, dan das du solt die heimlikeit der natur also mit deinen faulen fischen verkaufen und sagen, es sei nichts da, da uberflüssig ist. und darumb das dus idiot nicht weißt, darumb sols niemants wissen, darumb sol man dir glauben und niemants sol weiter suchen; Hedio

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1530 Chronica 29a die vnerfarnen vnd Idioten pflegen nit zu˚ disputirn von denen dingen/ die sy nit wissen/ oder pflegen nit zu˚ zügen/ von denen dingen die sy nit wissen; 1536 Gerichtl. Proceß a2a Dann wie wir sehen/ so gehet es bei den Idioten vast also zu/ so bald sie sich duncken lassen etwas von sachen zuuerstehen/ achten sie es für vnnöttig/ weither derhalb rath odder frag bei den gelerten zuhaben/ Sein sie nun nit volkommen bericht/ so kan es nit felen/ sie müssen zeitlich inn jrem thu˚n verfaren; Begardi 1539 Index Sanitatis 21a von den gantz vngelerten/ . . als dann seind vnd genent werden ydioten/ das ist vnwissende oder vngelerte menschen; Franck 1559 Verbuthschiert Buch 338b der Heilig geist . . ist der einig recht Meister/ . . leerer vnd außleger der schrifft/ der kan sy auch wol einem Idioten/ einer Sprach kaum kündig/ recht außlegen; Roth 1571 Dict. 317 Idiot. Ein Griechisch wort/ Latine inutilis. . . ein grober/ vnuerstendiger/ vngelerter/ vnbeleßner Mensch/ ein kunst/ vnnd Gelerter leut feindt; Nigrinus 1587 Schlüssel Büchlein 35b Drumm sagen Gomesius vnd Rasius der Bapst habe alle Recht im schrein/ oder der Laden seines hertzens/ wann er schon ein idiot vnd so vngeschickt/ daß er sein selbs vergesse/ wie man vom Bapst Cælestino liset/ das er so toll vnd vergessen gewesen/ das was er am morgen einem mitgetheilt/ das habe er auff den Abendt einem anderen gegeben; Kepler 1616 Weinvisierbüchlein 3 damit also ein jeder/ nach seinem verstand . ./ das Lateinische oder das Teutsche Exemplar/ oder beyde zusamen erkauffen vnnd gebrauchen könde: Verhoffend/ beydes glehrte vnd Idioten werden mit meinem wolgemeinten fleiß zufriden sein; Dieterich 1632 Buch d. Weißheit Salomons II 549 Was die Schrifft bey denen nutzet/ die da lesen können/ das nutzet das Gemäld bey denen Idioten/ die nicht lesen können; Clauberg 1657 Unterscheid 47 f. Die gemeine Philosophie erkläret was der Schall sey/ in dem sie spricht/ es sey eine mit den eusserlichen sinnen entfindliche beschaffenheit/ welche durch das gehör begriffen wird . . dieses kan auch wohl ein idiot ohne eintzige philosophische vnterweisung wissen; Butschky 1676 Pathmos 287 Als Aristophanes einen Idioten beschreiben wolte, nennete Er ihn: Ein Simulachrum pictum; ein gemahltes Bild, oder Mascara; auswendig in schönem Scheine, innwendig aber ohne Hirn; Thomasius 1688 Monats-Gespräche I 593 Aber nunmehro sehe ich/ daß es Leuthe in der Welt giebt/ die in der That viel wissen/ daß ich nichts weiß/ und daß ich also ein rechter lauterer Idiote bin; Abr. a S. Clara 1695 Judas IV 236 f. (Wunderkur 87) Wann ein Idiot/ ein plumper Ignorant durch unvorsichtigte Stimmen vnd Wahl zu einer Dignitet . . erhoben wird/ so wird er zwar in allweeg trachten/ wie er es möge andern nachthun . .

aber es will ihm doch nichts anstehen . . vnd bleibt in allweeg ein Esel; 1706 D. übel urtheilende Alchymist 104 Werffen dannenhero mit Injurien um sich/ und schelten ihre Contradicenten Idioten/ Ignoranten/ Thomisten/ und was sie mehr vor Ehren rührige Nahmen ersinnen mögen . . und beweisen nur damit/ daß . . sie entweder selbst Ignoranten und Idioten/ oder aber Ertz-Lügner seyn müssen; Wächtler 1709 Manual 156 Idiote, ungelehrter/ unverständiger/ z. E. es seynd lauter Idioten/ sie wissen und verstehen nichts/ ich bin darinnen ein Idiote; 1756 Menoza V 23 Wann man einen Schulmeister auf das Land haben will; so ist man in der That recht glücklich, wann man unter zehen kaum einen antrift, der singen, sauber schreiben und noch paßirlich lesen kann; in dem Christenthum sind ja die wenigsten sehr schlecht bewandert, so, daß oft zu erbarmen ist, daß man solche Idioten zu dem Schulwesen nehmen muß, die selbst nichts von den Grundsätzen der christlichen Religion wissen; Wieland 1758 Gray (1761 Drey neue Trauerspiele 12 f.) Sie redet die Sprache des alten Roms besser als der Bischof des itzigen, wiewol sie nicht seine Gedanken darinnen ausdrückt; sie ist genauer mit Plato und Aristoteles bekannt als mit dem heiligen Vater. Wolltet ihr sie nicht einer Idiotin vorziehen, die nur ihre Horas liest, einer Tochter, deren Mutter der achte Heinrich erstlich aus dem Ehebette, hernach vom Throne gestossen hat?; Herder 1771 Br. (Briefw. m. Nicolai 58) Doch . . ich urtheile vielleicht noch als ein reisender Idiot der D. Litter.; Weisser 1804 Romanzen 91 Diana hättÅ ich dich gegrüßt/ Doch in der Kunst der Minne bist/ Du keine Idiotinn; Campe 1813 Fremdwb. 363 Idiot, ein unwissender Mensch, besonders ein solcher, der nicht weiß, was in der Welt vorgeht, und wie man sich darin zu benehmen hat; Krug 1827 Handwb. d. philos. Wissenschaften II 439 Ganz etwas anders aber ist ein Idiot; denn dieses Wort, welches ursprünglich einen Privatmann (als Gegensatz des öffentlichen Beamten) bezeichnet, bedeutet jetzt gewöhnlich einen gemeinen oder unwissenden Menschen, einen Ignoranten; Poenitz 1843 Militär. Br. II 511 Nach dieser kleinen Debatte trennten wir uns mit dem Versprechen, bei nächster Gelegenheit einen Versuch zu machen, wie den Arkadiern, Böotiern, Idioten, oder wie Du sie nennen willst, etwas mehr Geschmack für wissenschaftliche und überhaupt belehrende Lektüre beizubringen sey; 1849 Augsburger UnterhaltungsBl. II 341 „So ein Bruder Faselhanns,“ knurrte Seraphim. „So ein Bruder Maulvoll,“ schnurrte Cherubim. „Bin ich nur erst von der Straße, Du Nichtswisser, Du taube Nuß, Du Idiot.“ Schoemann 1873 Griech. Alterthümer II 436 Es gehörte deswegen zum Priesteramt auch keine besondere Bildung und Wissenschaft, . . und die . . durch

Idiot Wahl besetzten . . Priesterthümern konnten unbedenklich von jedem unbescholtenen Manne, auch wenn er der grösste Idiot war, bekleidet werden; Felder 1904 Franziskanerorden 70 Da ziehen die weisen Brüder Nutzen aus den Vorzügen der Einfältigen, weil sie unter diesen Idioten Leute treffen, die mit Flammeneifer das Göttliche suchen, und Ungebildete, die durch Gottes Geist hervorragende Geistesgaben offenbaren; Wernle 1921 Einf. i. d. theol. Studium 210 Und war nicht dies Mißtrauen wohl begründet, wenn die großen Alexandriner in Auseinandersetzung mit den heidnischen Philosophen die Einfältigen, die Idioten, die sog. Schafe Christi, die Buchstäbler und fleischlichen Christen so tief unter sich stellten und alle Glaubenssätze und Geschichtstatsachen als Hüllen und Gleichnisse ewiger Vernunfterkenntnis bearbeiteten?; Fallada 1943 Damals 219 Denn seit Vater tot ist, finde ich langsam einen Weg zur Musik. Solange er lebte, glaubte ich, musikalisch ein Idiot zu sein, außerdem konnte ich Musik ¤überhaupt nicht ausstehenÅ; Zeit 3. 5. 1985 Jede Inschrift in diesem Land [Ungarn] verheißt dem Flaneur, der aus dem Ausland kommt, ein Geheimnis und schärft ihm ein, daß er dazu verurteilt ist, ein Idiot, ein Analphabet zu bleiben; Nürnb. Ztg. 9. 11. 2007 Die 80jährige Chanson-Sängerin Juliette Greco hat offen über ihre sexuellen Erfahrungen mit Frauen gesprochen. „Ich wollte schließlich nicht als Idiotin sterben“, sagte die Französin; Hamb. Morgenpost 9. 11. 2008 Zum Schluss möchte ich dem katastrophalen Karriereende von Andrea Ypsilanti gedenken. Offenbar hat „Frau XY“ niemand gesagt, dass mit ihrem Politik-Motto „Schau nicht hin, schau nicht her, schau nur geradeaus“ schon die politische Idiotin Marika Rökk eine große Partei in einen glanzlosen Untergang geführt hatte. Idioterei 1: Beer 1679 Corylo (S. W. III 72) Erstlich dachte ich/ ich müste mich krancklachen/ aber letztens erbarmete ich mich über die heilige Einfalt des Sohnes so wohl als seines Vatern samt des Schulmeisters Idioterey; Valvasor 1689 Topograph.-Histor. Beschr. Crain V 2,572 Er war gelehrter/ weder ihrer Viele/ und von damaliger sehr gemeinen Idioterey weit entferrnt/ und nicht allein in seiner Theologia, sondern auch in der SternKunst trefflich erfahren. Idiotie 1: Keim (Übers.) 1873 CelsusÅ Wahres Wort 45 Der Lehrer sucht Unverständige . . und macht es dabei ähnlich so wie Derjenige, welcher zwar die Leiber gesund zu machen verspricht, aber die Leute davon abtreibt, auf kundige Aerzte zu hören, weil seine Unwissenheit (Idiotie) von ihnen überwiesen wird; Klemperer 1924 Tagebücher 840 Ich las Pierre Benoıˆt: Koenigsmark. Es hat mir gera-

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dezu seelischen Schmerz verursacht, wie ein Dichter so sehr herunterkommen kann. Die völlige Idiotie Deutschland gegenüber ist nur ein Teil dieser Heruntergekommenheit; taz 22. 11. 1990 Das Aufspüren solch interdisziplinärer Zusammenhänge ist Teil des Lehrplanes. Im Zeitalter der Fachidiotie setzt Weibel also auf das ökonomisch überkommene Ideal des Universal-Gelehrten; Nürnb. Nachr. 10. 11. 2012 Der mittlerweile 76-jährige Erfinder des „Heute Journals“ appellierte an die ausgezeichneten Akademiker, sich nicht in die Schublade der Fachidiotie zu begeben, sondern breit in den Interessensgebieten aufgestellt zu bleiben. Idiot 2: Tittel 1791 Locke vom menschl. Verstande (Übers.) 124 Und wie weit erstreket sich der Mangel der vorgenannten Seelenpotenzen auf Blödund Wahnsinnige? dem Blödsinnigen (Idiot, Imbecill, Simpel) fehlet der erforderliche Grad der Lebhaftigkeit, die innere Spannkraft, alle jene Fakultäten in Uebung zu sezen und wirksam zu machen; Archenholz 1791 Annalen d. Britt. Gesch. V 365 In einem Dorfe in der Nähe von London, befand sich unter den dürftigen Einwohnern ein Blödsinniger, Namens James Trotter, der Vater von drey unehelichen Kindern war, die vom Kirchspiel ernährt werden mußten. Dieser Umstand, die Besorgnisse noch mehr solche Natur-Producte von ihm zu erhalten, und die beständigen Angriffe des Idioten auf die Keuschheit aller jungen Weiber und Mädchen im Dorfe, vermochten die Vorsteher des Kirchspiels zu einem sehr außerordentlichen Schritt; Küttner 1804 Reise durch Deutschl. IV 53 Auch stößt man hin und wieder auf Cretins, oder Idioten. Diese zeigen sich natürlich in mancherley Abstufungen; aber solche ganz thierische, oder vielmehr Pflanzengeschöpfe, wie ich sie bisweilen im Walliserlande in der Schweiz gesehen habe, sind mir doch nicht vorgekommen. . . Am meisten fand ich diese Menschen, oder Halbmenschen zwischen Bruck und Grätz; Meissner 1830 Encycl. d. med. Wiss. III 257 Bei den Cretinen kommen, wie bei den Idioten (Blödsinnigen), von dem Mangel aller Intelligenz, aller Sensibilität, von einer rein vegetativen Existenz an bis zu einem Zustande, welcher der völligen Gesundheit nahe steht, eine Menge Zwischengrade vor; Graevell 1853 Notizen V 511 Die 2 Districte Chateau-d’Oex u. Ormonts, welche . . zusammen eine Bevölkerung von ungefähr 7550 Seelen haben, liefern 30 Idioten, also 1 auf 252; 1858 Unterlagen f. d. Heilung d. Idioten I 24 Auch die Schädelbildung liegt bei den meisten innerhalb der Grenze normaler Form, und auffallende Abweichungen erscheinen eher bei den Halbidioten als bei den Vollidioten . . Nur das Schielen ist eine fast durchgängige Abnormität; 1884 Brockhaus IX 528 Die Römer verstanden demnach unter I[diot]

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unwissende und unerfahrene Menschen, Stümper und Pfuscher in Wissenschaft und Kunst. In diesem Sinne wird das Wort zwar auch gegenwärtig noch gebraucht, in der Regel indes nur für solche geistesschwache Individuen, welche infolge von krankhaften Zuständen des Körpers, beziehungsweise Gehirns schon in der Kindheit geistige Defekte erkennen lassen; 1904 Kgr. Württemberg I 61 Idioten, d. h. Personen mit angeborenem Blödsinn oder Schwachsinn, mit oder ohne kretinöse Leibesbeschaffenheit (Kropf etc.) wurden in Württemberg gezählt im Jahr 1841: 3802 ⫽ 1 auf 418 Einwohner; Joe¨l/Fränkel 1924 Cocainismus 35 Das erste, vor der Cocainintoxikation erzeugte [Kind], war vollkommen gesund, das zweite, aus der Anfangszeit seines Cocainismus stammend, war schwächlich, doch intelligent, während die beiden letzten Idioten waren; Klemperer 1935 Tagebücher 221 Frau Kühn . . unvermutet eine Stunde bei uns. . . Man könne auch heute noch Nazi sein aus idealen Gründen, ohne Verbrecher oder Idiot zu sein; Th. Mann 1941 Niemöller (W. XII 917) Vielleicht ist er nur noch eine menschliche Ruine, mit zitterndem Kopf, zitternden Händen, den Rücken voller Prügelnarben, ein von verblödenden Drogen, die man ihm in die Suppe schüttete, zum speichelnden Idioten gemachtes Gespenst seiner selbst, das nichts mehr weiß und nichts mehr versteht; Frisch 1957 Homo faber 252 Hanna hat ihr Kind nicht verwöhnt; dazu ist Hanna zu gescheit, finde ich, auch wenn sie sich selbst (seit einigen Tagen) immerzu als Idiotin bezeichnet; Jaspers 1958 Atombombe 446 Es gibt die Hilfsklassen für Unbegabte und die gesonderte Erziehung der Idioten. Es gibt aber keine Klassen für Begabte und keine gesonderte Erziehung für Hochbegabte; Walser 1978 Pferd 106 Helmut mußte helfen, die Segel zu setzen. Klaus Buch hörte nicht auf, ihm im fröhlichsten Ton alle Anweisungen zwei- bis viermal zuzurufen. Das hörte sich an, als sei Helmut ein Idiot; taz 23. 3. 1996 die Gesichter sind allesamt ein wenig verschoben. Nicht nur die der Idiotinnen und Mongoloiden; Nadin 1999 Schriftkultur 390 Ein ¤idiot savantÅ hört ein Klavierkonzert und spielt es brillant nach, obwohl er oder sie eins und eins nicht zusammenzählen kann. Eine Streichholzschachtel fällt hinunter, und der ¤idiot savantÅ kann nach einem Blick auf die Schachtel sagen, wie viele Streichhölzer herausgefallen sind; Zeit 29. 6. 2006 Auch die neunzehnjährige Protagonistin und Erzählerin ist namenlos, auch sie ist der See verfallen, auch sie bezahlt mit einer selbstzerstörerischen Trunkenheit, mit Rausch, Sucht und Wahn. . . Seither ist sie eine Außenseiterin, ja die Idiotin des Ortes: „Ich bin die verdorbene Saat der Stadt. Ich bin ihr verfaultes Herz.“; Nürnb. Ztg. 23. 7. 2013 Auf dem Pferd von der Zugspitze bis

nach Sylt (Überschr.) . . Es ist viel mehr interaktiv, als wenn ich mit dem Fahrrad anonym wohin radle, da denken sich doch alle, „so ein Idiot bei der Hitze“ und keiner winkt mir zu. Idioterie 2: Reck-Malleczewen 1934 Acht Kapitel 18 Daß nun diese jungen Burschen – Träger denkbar guter englischer Namen . . eine Jazzkapelle gründeten, die mit ihrem musikalischen Stumpfsinn Abend für Abend das ganze Schiff verpestete: das mag . . als Symptom mäßigen Schwachsinns anzusprechen sein . . Daß aber einer von ihnen . . auf diesem Schiffsdeck, wo farbige Kesselheizer, farbige Stewards, chinesische Wäscher es jederzeit sehen konnten, . . zu dieser musikalischen Idioterie als ¤tanzender NiggerÅ die vorgeschriebenen Wackelbewegungen machte . . das eben hätte ihn in der Kolonialgesellschaft der Vorkriegszeit unmöglich gemacht; Peltzer 1961 D. treffende Wort 569 Verrücktheit . . Schwachsinn, Geistesgestörtheit, Verblödung, Idioterie, Stumpfsinn. Idiotie 2: 1821 Medicin.-chirurg. Ztg. I 118 Die Idiotie definirt der Verf. so: mangelhafte Entwicklung der intellectuellen Kräfte, wenig oder keine Ideen, einige Empfindungen und Neigungen; 1840 Medicin. Jb. d. österr. Staates XXX 456 Von der Idiotie werden drey Grade unterschieden: im ersten kann der Idiot noch einige Worte und kurze Sätze sprechen, im zweyten nur einzelne Sylben artikuliren und Geschrey ausstossen, im dritten ist selbst diess unmöglich; Disselhoff 1857 Lage d. Cretinen 10 Der höchste Grad des Blödsinns ist die Idiotie. Die Idioten zeigen beinahe gar keine Intelligenz, auch keine physischen Fähigkeiten. Der Zustand ihrer Seele und ihres Geistes ist ganz der der Cretinen. Denn die Idiotie ist „die Stufe, wo der Mensch, aller Fähigkeiten beraubt, nur ein vegetirendes Thier ist. Die Idioten kollern sich auf dem größten und stinkendsten Schmutz herum. Sie verschlucken Gras, Stroh, Leinwand, Wolle, Tabak; sie trinken Urin und Wasser aus dem Rinnstein.“; Krafft-Ebing 1872 Criminalpsychologie 29 Daraus geht nothwendig ein kalter starrer Egoismus hervor, der sich gegen alles sittlich Gute, Edle und Schöne positiv abstossend verhält, nur in der Befriedigung selbstischer Interessen aufgeht und alle intellectuellen Fähigkeiten nur in dieser Richtung verwerthet . . Der Betreffende wird streitsüchtig, rechthaberisch, aggressiv und ist bei seiner sittlichen Idiotie um die Wahl der Mittel nicht verlegen; Havelock Ellis 1894 Mann u. Weib (Übers.) 378 Die Thatsache, dass die Idiotie bei Männern häufig ist, scheint von den Frauen nicht eben so lebhaft angefochten worden zu sein und doch gehören diese beiden Behauptungen zusammen. Der Häufigkeit des Genies beim Manne liegen diesel-

Idiot ben organischen Tendenzen zu Grunde wie der grösseren Häufigkeit der Idiotie; Birk 1920 Säuglingskrankheiten 252 Wenn man ein Kind mit Idiotie vor sich hat, so kann man oft nicht mehr feststellen, was für eine Erkrankung ursprünglich vorgelegen hat, und man muß sich häufig genug mit der Diagnose „vitium cerebri“ begnügen; Kellner 1941 Tagebücher 207 Dieses Volk ist vollkommen wahnsinnig geworden. . . Sonst wäre es doch nicht möglich, daß viele „Volksgenossen“ allen Ernstes zum Ausdruck gebracht haben, nun würde der deutsche Sieg schneller errungen werden!!!!! Ich bin über eine derartige Idiotie einfach erschüttert. Ich könnte laut heulen über eine solche Verblödung; Bauer 1957 Verbrechen 47 Schilddrüsenstörungen verursachen Geistesschwäche und Idiotie. Bereits eine bescheidene Herabsetzung des von der Schilddrüse produzierten Hormons führt zu Niedergeschlagenheit und Abgestumpftheit; Strauß 1980 Rumor 56 Manchmal redet er unklar und zusammenhanglos auch, wenn er gar nicht betrunken ist. Dann schleicht, was er sagt, dicht an der Grenze zu Dämmer und Idiotie; 1989 Brockhaus X 378 Idiotie . . angeborener oder in frühester Kindheit erworbener Schwachsinn so schweren Grades, daß jede Art von Bildungsfähigkeit ausgeschlossen ist (Intelligenzquotient unter 25); taz 4. 4. 1991 Nach Blankenburg wurden mit solch vernichtenden Diagnosen wie „Imbezillität“, „Idiotie“ oder „Debilität“ vorwiegend solche Patienten überwiesen, die als „therapieresistent“ oder „untragbar“ galten oder bei denen aus Sicht der herkömmlichen Psychiatrie von vornherein keine positive Veränderung ihres Zustandes erwartet wurde – die Klinik galt als Verwahr- und Abschiebeanstalt für die sogenannten „hoffnungslosen Fälle“; ebd. 11. 1. 2012 Nur wenige Pflegeeinrichtungen seien auf die speziellen Bedürfnisse ihrer Landsleute und anderer Migranten vorbereitet – etwa darauf, den Verlust einiger geistiger Funktionen gegenüber einer türkischen Familie nicht einfach „Demenz“ zu nennen, weil dieser Begriff häufig mit „Idiotie“ übersetzt wird. Idiot 3: Biner 1743 Beschr. d. Anlauffs II 485 Es ist ein Zürich-Prädicanten-mässige Sprach, da Heidegger den P. Ott einen Impostor, ein Scurram, ein Lotters-Buben, ein Nacht-Eul, ein Idioten nennet. Das seynd nemlich ihre Waffen, mit welchen sie streiten; 1771 Bibliothek d. Stuzer 2 Ein ieder Windmacher will etwas besonders seyn: [u]nd wenn es möglich wäre, daß das gemeine Volk seinen thörichten Geschmak annähme, so würde der Windbeutel . . viel lieber das Ansehen eines Idioten, eines Dummkopfs, annehmen, als mit der von ihm verachteten Menge etwas gemein haben; 1791 Neues dtsch. Museum II 605 f. Ein Dichter . . ward

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zu einer ansehnlichen Geldbuße verurtheilt, weil er in einem Rundgesange gesagt hatte: Mit Orden schmückt man Idioten. Bei der rechtlichen Untersuchung kam es auf die Verständigung des Worts Idiot an. Die Bebänderten wolten nämlich keine Idioten sein und behaupteten durch diese Benennung injuriirt zu werden. Nun stamt das Wort Idiot bekantlich von dem griechischen Idiov her, welches eine Besonderheit oder Eigenheit andeutet. Kan man also das Wort Idiot nicht wieder in seine Unschuld herstellen . . und . . behaupten, Idioten wäre gerade der richtige Ausdruck, um passend diejenigen zu bezeichnen, die fähig sind, oder denen es eigen ist, Orden zu tragen?; Hell 1806 Beruf 42 sie wollte gern mit ihrem Gemahl auf einem Bilde zusammen seyn. Er ist ein Idiot, den ich nicht leiden kann, da habe ich sie denn als Judith gemahlt, die den Kopf des Holofernes in der Hand hält, und da ist der Kopf des Herrn Gemahls zum Sprechen ähnlich; 1840 Denkschr. z. 25jährigen Jubelfeier o. S. viele Personen kamen von reichbesetzten Tafeln, wo sie dem Rebengotte beträchtliche Libationen gebracht und fielen daher bald . . in einen gesunden Schlaf, durch Kopfniken, Schnauben und Schnarchen dem übrigen Theil des Auditoriums reichen Lachstoff biethend. Er [Haydn] komponirte nun, um seine Muse an diese[n] Idioten zu rächen, eine Simphonie, . . in welcher nach einem kaum hörbaren Piano das ganze reichbesetzte Orchester Fortissimo unter dem entsetzlichen Donner der Pauken und Kontrabässe einfiel; Schmid 1869 Mütze u. Krone II 100 „Das muß dem Parvenu übrigens der Neid zugestehen . . er hat Geschmack! Das Weib ist in der That bezaubernd! . .“ „Je nun . . sie ist nicht übel!“ „Was, nicht übel? O Du Idiot!“ rief Clemens entgegen. „Es ist ein Weib wie eine Houri – und nicht übel! Doch ich weiß ja, Du bist in dem Punkte nicht zurechnungsfähig. . . “; 1899 Die Zeit XIX⫺XX 96 Da lachte der grausame Teufel der Renaissance: „Du trankst nicht Gift, du Idiot. Es war nur ein Scherz. Man kann dich ja alles glauben machen – alter Narr.“; 1899 Neue Dtsch. Rundschau X 643 Herr Emmanuelo de las Foresos war außer sich. „Willst Du sie in Schlaf spielen: – das willst Du wohl, Du Idiot, – hinein!“; Schmitz 1913 Frauen 59 Hermann blieb an dem Teppich hängen, der auf den Stufen lag. „Welcher Idiot mag den Teppich so dumm gelegt haben?“ dachte er ärgerlich; Klemperer 1924 Tagebücher 847 An Bord war scheußliches Publikum, scheußliche Musik. Der Dampfer mit seiner Tafel: „Seine Majestät Kaiser Wilhelm II besuchte das Schiff 1895, s. M. Franz Joseph“ … usw. usw. wirkte wie ein revenant – nichts in meinem Herzen sprach, ich fühlte mich als einen Idioten, diese Reise angetreten zu haben; Th. Mann 1942 Reden u. Aufs. (W. XI 1060) Alle klügeren Menschen au-

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ßerhalb Deutschlands und innerhalb wußten es immer, und auch die unwissenden greifen es nun mit Händen, daß der Sieg der Nazis für Deutschland selbst ein gräßlicheres Unglück wäre als die Niederlage, in die ein fanatischer Idiot es jetzt führt; Andersch 1952 Kirschen d. Freih. 100 Bei solchen Trupps gab es immer ein paar Idioten, die feuerten, wenn der Gegner . . sie aufgestöbert hatte, und dann gab es Zunder, und sie gingen alle in die Binsen und wurden von den Bauern verscharrt; Walser 1957 Ehen in Philippsb. 276 Ich kann doch nichts dafür, . . dieser Idiot, dieser Vollidiot von einem Motorradfahrer, besoffen wie ein Vieh, oh, so eine Gemeinheit, . . wenn er jetzt stirbt, bin ich geliefert, das werde ich nicht mehr los, nie mehr; Welt 4. 11. 1969 Flugkapitän Donald Cook, der die Polizisten am Wochen[en]de „Idioten“ genannt hatte, nahm diesen Ausdruck zwar zurück, blieb aber bei seiner Meinung, die FBI-Beamten hätten während des Auftankens der Boeing 707 in New York das Leben der Besatzung leichtfertig aufs Spiel gesetzt, als sie sich der Maschine nach der Landung näherten; Lenz 1973 Vorbild 350 Der Fahrer, der sich grundsätzlich nicht an die Geschwindigkeitsbegrenzung hält, kommentiert unaufhörlich die Fahrweise anderer Verkehrsteilnehmer: Zeig doch früher an, Idiot; ordne dich doch ein, du Kanaker; natürlich ein Weib am Steuer; taz 23. 2. 1990 Ich renne los, vielleicht kriegÅ ich ja noch die verdammte U-Bahn. „Halt! He Sie! KommÅ Se mal zurück, Paßkontrolle!“ Scheiße, verfluchte! Nun machÅ doch schneller, Idiot!; Zürcher Tagesanz. 21. 6. 1996 Im Restaurant wird die Praxis geübt. Hier wird der Nachwuchs auf die Arbeit in der freien Wildbahn vorbereitet, wo ihnen Schwätzer, Idioten und Neureiche das Leben schwermachen werden: zu langsam, Zapfen, zu heiss, zu kalt, versalzen, zuwenig Salz, die Klimaanlage zieht, schlechter Tisch; Mannh. Morgen 24. 8. 2006 Im kleinen Kreis wurde hinterher über das politische Schmalspur-Programm der Parteigenossin gehöhnt und gelästert, sogar das böse Wort „Idiotin“ soll gefallen sein. „Wenn ich ähnlich dünne Vorschläge gemacht hätte, hätte sich die Presse hinterher gnadenlos mokiert“; Nürnb. Nachr. 19. 9. 2011 Tiefpunkt war der Platzverweis zehn Minuten vor Schluss für Torwart Marwin Hitz – wegen einer Beleidigung, „die ganz klar an mich gerichtet war“, wie Schiedsrichter Marco Fritz erklärte. Es soll das Wort „Vollidiot“ gefallen sein. Der Schweizer hatte damit seinem Unmut darüber Luft gemacht, dass Fritz einen schnellen Torabschlag zurückgepfiffen hatte; St. Galler Tagbl. 4. 7. 2013 Ich war immer der Ansicht, dass Mogeln unelegant ist. Es hat keinen Stil. Wird man erwischt, steht man da wie ein Idiot; Mannh. Morgen 20. 8. 2013 Danny da Costa . . spielt für die deutsche U 21-Nationalmann-

schaft. Doch am Sonntag in München zählte das für einige Zuschauer, die der Profi des FußballZweitligisten FC Ingolstadt wütend „Vollidioten“ und „Schwachmaten“ nennt, nicht. Da Costa ist . . dunkelhäutig – deswegen wurde er während des Spiels bei 1860 München auf das Übelste rassistisch beleidigt; Spiegel 4. 2. 2017 Noch im vergangenen Mai habe ich bei einem Auftritt in Paris gesagt, dass Trump ein Clown sei, der es nicht mal schaffen werde, als Kandidat fürs Präsidentenamt nominiert zu werden. Und bis zum Tag der Wahl konnte ich mir nicht vorstellen, dass irgendwer diesen als Präsidenten völlig ungeeigneten Gameshow-Idioten wirklich wählt. Idioterei 3: Dose 1913 Afrikaner 98 „Ich krieche hinein und schieße ihn nieder.“ „.. Das war mal wieder eine echt europäische Idioterei . . Auf dem Bauche und im Dornbusch, wo Kleider, Lauf und Hahn alle Naslang festhängen, hat keiner einen sichren Schuß.“; Moszkowski 1917 Sokrates 86 Knapp zwei Seiten vor Schriftschluß überstürzt sich der Held [Sokrates] noch mit einem Fragekoller in einem wahren Delirando der Idioterei. Aber Plato deichselt die Geschichte doch noch; Dürrenmatt 1958 Versprechen 200 „Er wird hierher kommen“, sagte Matthäi. Ich schrie ihn an, außer mir: „Quatsch, Blödsinn, Idioterei!“ Er schien gar nicht hinzuhören; Kerenski/Stefanescu 1999 Kaltland Beat 205 reden wir doch lieber von goethe oder rilke im zusammenhang der (oft allerdings unerklärlichen) schwächen ⫹ idiotereien. Idioterie 3: Serner 1909 Stadttheater (1981 D. Ges. Werk I 244) Herr Josef König, „Bobby“, ist ein geradezu hervorragender Komiker; jammerschade, daß sich sein Talent an eine derartige Farce verspritzen mußte. Die Idioterie „Prospers“, zu der Herr Blasel verurteilt war und die seinem Erfolg nichts anhaben konnte, ging glücklicherweise in seiner eigenartig-drolligen Komik vollständig unter; 1976 Filmkritik XX 197 Ich war zu sehr mit der Idioterie Ringos aufgebracht und unterschätzte den Kaufmann hinter der Theke; Weiss-Sussex 2004 Georg Hermann 209 Ach bleiben Sie mir doch mit diesen ausgekochten Idioterien vom Leibe. All das habe ich schon vor vierzig Jahren bald von Heinrich Pudor gehört und gelesen; taz 16. 6. 2005 Bei „Black Tambourin“ fing der seriös gekleidete Perkussionist an durchzudrehen, unterhielt die Menge mit seinem Tanzstil aus eckigen Luftsprüngen, abgehackten Bewegungen, RobotStyle und anderen lustigen Idioterien; Haratischwili 2010 Juja 71 Er hat seinem Dozenten ein paar Novellen gegeben, sie wurden in der Studentenzeitung gedruckt. Er beginnt sie zu hassen, seine

Idiotik moralische Idioterie … Alles hassenswert, nur sie nicht. Idiotie 3: 1913 Archiv f. Sozialwiss. u. Sozialpolitik XXXVI 793 Es ist eine Idiotie, wenn die Tageblattkritik von der zwingendsten formalen Analogie als von einer Primitivitätsmode redet; 1919 Geist d. neuen Volksgemeinschaft 123 Was bis jetzt teil hatte an Ideen, waren die Geistigen. Der Schimpfname „Intellektuelle“ war nie mehr wie in dieser Epoche ein Widersinn, eine Idiotie. Denn sie waren die Führer, die Träger des großen Gedankens, Vorkämpfer, verzweifelt Rüttelnde an den morschen Pfählen vergangener Zeit; Th. Mann 1928 Reden u. Aufs. (W. XI 771) Wenn freilich die Gemeinheit sich nach der Höhe der Auflagen bemißt, so hat die ¤NachtausgabeÅ, glaube ich, in der Gemeinheit einiges vor mir voraus. . . Die Idiotie wird gemeingefährlich, wenn sie zur Ehrabschneiderei in Riesenauflage übergeht; Böll 1963 Clown 77 „Wie ist

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es nun, gehst du wirklich zum Militär?“ Er wurde rot und nickte. „Wir . . sind zu dem Ergebnis gekommen, daß es der Demokratie dient“. – „Na gut“, sagte ich, „geh nur hin und mach diese Idiotie mit, ich bedaure manchmal, daß ich nicht wehrpflichtig bin“; taz 15. 12. 1998 Fritz Muliar, von dem es in seinem [C. Peymanns] Text heißt, „diese folkloristische Idiotie, die solche hundertprozentigen Volltrottel wie Muliar kennzeichnet, ist ja absurd, wenn auch schon wieder komisch“; ebd. 4. 9. 1990 Gedankenaustausch statt Warenaustausch – unter diesem Motto möchten wir gern im tschechisch-polnisch-deutschen Grenzgebiet Begegnungsorte schaffen, wo man Kulturveranstaltungen und Diskussionen abhalten kann. Wo man jenseits der Idiotie von Grenzen, Einreisebestimmungen und all diesem Quatsch leben kann, ebd. 24. 12. 2008 Wieso muss jeder, der Geld verdient, automatisch in die geistige Kaste derer gehören, denen es ausschließlich ums Geldverdienen geht? Diesen Gedanken halte ich für eine Idiotie.

Idiotik F. (-; -en), im späteren 18. Jh. aufgekommen, zurückgehend auf lat. idioticus ¤unwissend, ungebildetÅ (< griech. $idiwtiko*v ¤privat, den Privatmann betreffend; unerfahren, unwissend, laienhaft, ungebildet; gemein, gewöhnlich; zur Sprechweise des gemeinen Mannes gehörigÅ, → idiotisch); die Pluralform Idiotiken ist oft nicht zu unterscheiden vom gleichlautenden Pl. von Idiotikon, s. u. 1 Zunächst und bis Mitte 19. Jh. als Terminus der Sprachwissenschaft in der heute veralteten Bed. ¤Sprach-/Wort(formen-)lehre; Wörterbuch einer regionalen Volkssprache (das die für diese Sprachvarietät typischen, (meist) nicht-standardspr. Wörter und Redensarten enthält), Dialekt-/MundartwörterbuchÅ (vgl. Idiotikon, s. u.; vgl. Idiomatik und Idiomatikon, → Idiom a), vereinzelt auch ¤Sonderwortschatz (eines Dialekts)Å (s. Beleg 1838), in Wendungen wie das kannst du in einer französischen Idiotik nachschlagen, steht das Wort auch in der Plattdeutschen Idiotik?, in diesem Buch wimmelt es nur so von bairischer Idiotik. 2 In der 1. Hälfte des 19. Jhs. selten fachspr. (Theologie) in der heute veralteten Bed. ¤Wissenschaft von der geistlichen Einwirkung auf das Individuum, (Lehre von der) SeelsorgeÅ, vereinzelt auch ¤Besonderheit, Eigentümlichkeit, MerkwürdigkeitÅ (s. Beleg 1848), in Wendungen wie die Aufgaben des Geistlichen lassen sich in zwei Bereiche unterteilen: Liturgik und Idiotik, Idiotik ist der psychologische Teil der Pastoraltheologie, die Monadologie ist eine Idiotik von Leibniz. 3 Vom späteren 19. bis Anfang 20. Jh. in der Medizin bzw. Psychologie für ¤(hochgradige) geistige Behinderung, Blöd-/SchwachsinnÅ (vgl. Idiotie, → Idiot 2, Idiotismus, → idiotisch 3), in Wendungen wie die Krankheit ist oft mit hochgradiger Idiotik verbunden. 4 Seit Anfang 20. Jh. ugs. abwertend für ¤Ignoranz, Dummheit; dumme, absurde Idee, Tat etc.Å und zunehmend auch schimpfwortartig übertragen verwendet, von als sinn- oder zwecklos, unrealistisch, absurd erachteten Ideen, Plänen, Äußerungen (Anderer) (weitgehend gleichbed. mit Idioterei, Idioterie und Idiotie, → Idiot 3), in Wendungen wie die antideutsche Idiotik, Comics sind Ausgeburten der Idiotik, die vollkommene Idiotik dieser Ideologie, die Idiotik dieser Äußerung.

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Dazu vom späten 18. bis ins frühe 20. Jh. (heute vereinzelt in historisierender Verwendung) die selten nachgewiesene Personenbezeichnung Idiotiker M. (-s; -), zunächst bis ins spätere 19. Jh. in der Bed. ¤Sprachforscher; Dialektforscher; Verfasser eines (Dialekt-)WörterbuchsÅ (vgl. Idiotikograph, s. u., Dialektologe, → Dialekt), in Wendungen wie ein Grammatiker und Idiotiker, der Hamburgische Idiotiker, Stalder und Schmeller sind bedeutende frühe Idiotiker (zu 1), seit späterem 19. Jh. überwiegend ¤(seit der Geburt oder durch Unfall) hochgradig geistig behinderter MenschÅ (→ Idiot 2; vgl. Kretin), z. B. Idiotiker und Epileptiker, Kretins und Idiotiker, bei Idiotikern ist häufig eine Kropfbildung zu beobachten (zu 3). Daneben bereits seit Mitte 18. Jh. belegtes, als Substantivierung der neutralen Form des griech. Adj. $idiwtiko*v (s. o.) aufgekommenes Idiotikon N. (-s; -s, Idiotiken und Idiotika), als Fachwort der Sprachwissenschaft in der Bed. ¤Wörterbuch einer regionalen Volkssprache (das die für diese Sprachvarietät typischen, (meist) nicht-standardspr. Wörter und Redensarten enthält), Dialekt-/MundartwörterbuchÅ (vgl. Idiotik 1, s. o., Idiomatik und Idiomatikon, → Idiom a), vereinzelt bildlich mit Bezug auf Texte, die von regionalspr. Ausdrücken durchsetzt sind (s. Beleg 1820), in Wendungen wie im Idiotikon werden die Idiotismen eines Dialekts zusammengestellt, die Idiotika unserer Mundart, die Idiotiken der norddeutschen Dialekte, etwas im Schweizerischen Idiotikon nachschlagen, der Verfasser, Herausgeber des Idiotikons, ein Idiotikon des Südtirolerischen, das Hamburgische, Rheintaler, Wiener Idiotikon, wird die Redaktion des Idiotikons ihren Zeitplan einhalten können? und seltenen Zss. wie Idiotikon-Artikel, -Redaktion, -Verfasser (zu 1). Dazu die seit Ende 18. Jh. belegte, analog zu Bio-, Geo-, Lexikograph usw. gebildete Berufsbezeichnung Idiotikograph M. (-en; -en) (aus Idiotik(o)- und -(o)graph, zu griech. gra*fov ¤Zeichner, (Be-)SchreiberÅ, zu grafein ¤(be-)schreibenÅ) für ¤Verfasser eines MundartwörterbuchsÅ (vgl. Idiotiker 1, s. o., Lexikograph), in Wendungen wie der Idiotikograph beginnt mit der Arbeit an seinem Wörterbuch, Schmeller, der Idiotikograph des Bayerischen, der Hamburger Idiotikograph Richey (zu 1), mit der seit frühem 19. Jh. vereinzelt belegten adj. Ableitung idiotikographisch in der Bed. ¤dialektlexikographisch; in der Art eines IdiotikonsÅ, z. B. die idiotikographischen Arbeiten, Sammlungen, Darstellungen (zu 1). Idiotik 1: 1775 Allg. theol. Bibl. III 261 Herder versteht die Kunst, dem Leser Sand in die Augen zu streuen – um sich – unverdiente Ehrensäulen, über dem zertrümmerten Verdienste anderer durch marktschreyerische Erhebung eigner Entdeckungen zu errichten. „Seine Einbildungskraft setzt sich auf den Verstand und jägt (für jagt S. die angehängte Idiotik) mit ihm davon.“; Lessing vor 1781 Kollektan. (1793 S. W. XV 130) Die gewöhnliche, auch von Frisch angeführte, Ableitung dieses Worts, der die meisten Verfasser von Idiotiken und Glossarien . . beitreten, hat doch wohl die meiste Wahrscheinlichkeit für sich; 1832 Allg. Repertorium XIV 1,453 Im gegenwärtigen Grundriss der franz. Idiotik [Titel: ¤Die Eigenthümlichkeiten der französischen Sprache’] handelt der 1ste Abschn. von den materiellen (durch Gehör und Gesicht aufzufassenden Eigenthümlichkeiten, Buchstaben,

Lauten, Endungen der franz. Wörter, ungefähr 500, alphabetisch aufgeführt), der 2te . . von den formellen (. . in Ansehung des Artikels, der Substantive, Adjective, Zahlwörter, Pronomen, . .) . . Der 3te A. giebt . . alphabet. Verzeichnisse solcher Substantive, Adjective und Adverbien, Verben, die eine eigenthümliche Bedeutung haben; 1838 Repertorium d. ges. dtsch. Lit. XVI 273 f. In einem Conversationslexikon für Land- und Hauswirthschaft konnte auch für die Kochkunst eine Stelle verlangt werden. . . Dagegen ist zum Uebermaass für die Terminologie und Idiotik gesorgt, so dass sogar viele plattdeutsche Ausdrücke erklärt werden, die in der Schriftsprache nicht einmal vorkommen dürfen, die der Landwirth in der Regel versteht und bei denen daher höchstens auf den hochdeutschen Ausdruck verwiesen werden konnte.

Idiotik Idiotiker 1: 1786 Encyklop. Handb. f. Ärzte IV 187 Rheuma . . Ein Fluß, Abfluß, Catarrh. . . Im Salzburgischen Deutsch: der Strauchen oder Strauken, laut Versuch von einem Salzburgischen Idiotiker im Journal von und für Deutschland; Fulda 1788 Idiotikensammlung Vorr. A3b Diese und alle andere Idiotike [!] sind wie eine zerstreute Heerde Schafe, die gleichsam wild umher weiden, und einer Auszeichnung bedürftig sind. Viele werden immer von Idiotikern verschiedener Gegenden aufgefangen, und ihrer Meinung nach erstmals bemerkt, die bei einer gemeinschaftlichen Vergleichung ein und eben dasselbe Stück und Individuum sind, welches schon in andern Gegenden . . bereits längst bekannt und gebräuchlich . . ist; Kopitar 1814 (Kl. Schriften I 272) Herr Höfer hat, da sein Werk [„Die Volkssprache in Österreich“] mit deutschen Lettern gedruckt ist, ersteres durch a, letzteres durch lateinisches a ausgedrückt (besser als andere durch ä: Grätz lies Gra´tz). Diess geht aber nicht an, wenn z. B. das ganze Werk mit lateinischen Lettern gedruckt wird. Wir bemerkten diess hier, um den Idiotiker darauf aufmerksam zu machen, dass er, so oft ihm das Alphabet der schriftdeutschen Sprache nicht hinreicht, es mit neuen Buchstaben vermehren muss; 1835 Allg. LiteraturZtg. IV Ergänzungsbll. 807 Unter der Rubrik „Mundart“ wird allerlei Schätzbares und Lehrreiches für den Grammatiker und Idiotiker gesagt; Sallmann 1873 Dtsch. Mundart in Estland Vorr. IV Ich habe, nach dem Vorgang aller bedeutenderen Idiotiker, alles aufgenommen, was in der heutigen Schriftsprache nicht allgemeine Aufnahme gefunden hat; Orgeldinger 1998 Standardis. bei Campe 199 Anm. Die Kodifikation der dialektalen Varietäten des Deutschen in Idiotiken soll . . helfen, das dialektale Variationsspektrum der deutschen Gesamtsprache zu erhalten . . Auch gelingt es den Idiotikern . ., der Einsicht Bahn zu brechen, daß diatopische und diastratische Varietäten Eigenschaften bewahren, die in der Standardsprache nicht erhalten sind, und der Auffassung, daß die Abweichungen jener von dieser mithin keine Fehler sind. Idiotikon 1: Richey 1755 Idioticon Hambvrgense oder Wörter-Buch, Zur Erklärung der eigenen, in und um Hamburg gebräuchlichen, Nieder-Sächsischen Mund-Art (Titel); ebd. Vorr. XXXII so ist der Zweck und die Absicht bey einem Idiotico gar nicht, das feine aus einer Landes-Sprache hervor zu ziehen, sondern selbst in der plattesten MundArt alles dasjenige zu bemercken, was eigen ist, und einer Erklärung brauchet; Le Sage 1779 Gil Blas (Übers.) I Vorr. XLI Wer vom Lesepublikum verwendet wol seine Zeit darauf in Wörterbüchern, Glossarien und Idiotikons herumzuwühlen,

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und da den Bedeutungen nicht mehr üblicher und unbekanter Ausdrükke nachzuspüren?; 1786 Journal d. Moden I 217 Es ist ein großer gelber Engl. Stroh-Huth von der feinsten Sorte, die wie Atlas glänzen, rund herum mit ausgezacktem weißen Taft eingefaßt, die untere Krämpe rund um die Oeffnung des Kopfs mit grünem feuillage oder Blätterwerck von Verd Dragon Taft besetzt, an der lincken Seite nachläßig aufgekrämpt, und den Kopf mit weißen Italienschen Flore starck gepufft. Er heißt im Idiotikon der Moden Chapeau a` la Desrozier; Fulda 1788 Idiotikensammlung Vorr. A6b Man sieht dieser einsweiligen Probe an, daß sie ein Auszug bloser Idiotiken von einem grosen allgemeinen Werke ist, welches zwar die alphabetische Ordnung beibehält, aber jedes Wort auf seine nächste, und immer höhere Herleitung, bis in seinen Elementarton führet; ebd. A3b Unsere besten Schulwörterbücher . . können sich nicht befremden, wenn sie in Absicht auf die teutsche Wörtersammlung bei ihren Eigenheiten für Idiotiken ihres Landes gehalten werden; Campe 1794 Reinigung LIX Unsere eigenen Land- und Bezirkswörterbücher (Idiotica) strotzen von dergleichen, nur gar zu ausdrucksvollen Wörtern und Redensarten, die wir für immer in ihnen vergraben lassen wollen; Stalder 1812 Schweizer. Idiotikon I 16 Das Idiotikon nimmt einzig Rücksicht auf die Eigenheiten der Landwörter, d.i. der Idiotismen; Campe 1813 Fremdwb. 363 Idioticon, ein Wörterbuch, welches nur die in einer Gegend eigenthümlichen Wörter enthält; Kopitar 1814 (Kl. Schr. I 266) Desshalb drang Leibnitz auch so sehr auf Idiotika, als einzelne Theile des daraus zu erhebenden Inventariums unseres gesammten Sprachschatzes; 1819 Jahrb. d. Lit. VI Anzeige-Bl. VI 18 das Idiotikon, mit welchem er eine ausführliche Darstellung der Mundart verbinden wird . ., wird daher nur solche aus fremden Sprachen eingewanderte oder ursprüngliche Altdeutsche Wörter enthalten, die in der Schriftsprache heute entweder gar nicht mehr, oder nur in einer andern Bedeutung gebräuchlich sind; Goethe 1820 Pfingstmontag (WA I 41.1,164) Wir . . glauben behaupten zu dürfen, daß unter die genannten Personen alle Abstufungen der Sprache vertheilt sind, an welchen man Stand, Beschäftigung und Sitten auf das entschiedenste gesondert erkennen kann; deßwegen wir denn diesem Werke [J. G. D. Arnolds Lustspiel „Der Pfingstmontag“] den Ehrennamen eines lebendigen Idiotikons wiederholt zu gewinnen wünschen; Krug 1833 Handwb. d. philos. Wissenschaften II 502 Ein Werk, welches dieselben [„eigenthümliche Mundoder Sprecharten (Dialekte)“] nach Art der Wörterbücher darstellt, nennt man . . ein Idiotikon; 1848 Sitzungsber. d. kaiserl. Akad. d. Wiss. I 7 Eine Sammlung der deutschen Sprach-Denkmäler

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. . nebst Idiotiken aller im österreichischen Kaiserstaate gangbaren deutschen Mundarten wäre wohl geeignet, die deutsche Nationalität . . zu kräftigen; 1858 DVjS XXI 3,49f. Unerläutert . . bleibt dagegen die Redensart: guten Jochem im Keller haben. Schmeller, Stalder, Schmid in ihren Idiotiken haben das Wort nicht; 1881 Schweizerisches Idiotikon. Wörterbuch der schweizerdeutschen Sprache (Titel); Petri 1911 Handb. d. Fremdwörter 414 Idiotikon . . Sammlung der einer Gegend eigentümlichen Wörter und Redensarten; Scholz 1933 MundartenWörterbücher 67 Dieses Idiotikon nimmt unter allen andern Mundarten-Wörterbüchern des achtzehnten Jahrhunderts eine Sonderstellung ein in seinem Entstehungsvorgang und in seinem Reichtum des Materials; Spiegel 20. 12. 1993 Das Projekt eines Idiotikons reicht in das Königreich Bayern und die deutsche Kaiserzeit zurück: Bereits 1911 wurde bei der Bayerischen Akademie der Wissenschaften eine eigene Wörterbuchkanzlei eingerichtet; St. Galler Tagbl. 12. 1. 2000 Das Wort Idiotikon entstammt dem Altgriechischen und bedeutet Mundartwörterbuch; Südostschweiz 17. 9. 2010 Die digitale Version des Idiotikons wolle ein breites Zielpublikum ansprechen, teilte die Redaktion gestern mit.

den Werth der Mundart für die Schriftsprache sowie in linguistischer und culturhistorischer Hinsicht, auch werden die Anforderungen aufgezählt, die an einen Idiotikographen zu stellen sind; Besch 1982 Dialektologie I 12 Entscheidend ist, daß sich diesmal die führenden Köpfe der Zeit auch tatsächlich mit den Werken der Volkskultur befassen – anders also als Lessing, Klopstock oder Herder, die die Praxis den Idiotikographen überließen; 1987 ZDL LIV 320 In dem denkwürdigen Gespräch, das Schmeller kurz vor seiner Bestallung zum offiziellen Idiotikographen mit dem Kronprinzen Ludwig am 17. März 1816 führte, fragt ihn der Fürst: „Hat also Baiern noch kein solches Werk [d. h. ein Idiotikon]?“; Wiegand 2000 Kl. Schr. I 649 In der Abbildung 1 wird das für das Verständnis des Terminus „Idiotikon“ wichtige Prädikat „dialekteigentümlich“ . . verwendet, um den heute wohl doch etwas unpassenden Terminus der älteren Idiotikographen, nämlich „idiotisch“, zu vermeiden; 2006 Beitr. z. Namenforschung XLI 106 Johann Siegmund Valentin Popowitsch (1705-1774) erfreute sich bei den dialektologisch Interessierten seiner Zeit, etwa beim Hamburger Idiotikographen Richey, eines gewissen Rufs als sprachmächtiger Gelehrter.

Idiotikograph 1: 1794 Neue Allg. Dtsch. Bibl. X 344 Sollte man diese Erfordernisse nicht leicht beysammen finden, so dürfen wir von dem Idiotikographen wenigstens eine Annäherung zu dieser Vollkommenheit verlangen. Aber auch noch zu allen diesen Eigenschaften muß er sich von der zweckmäßigen Einrichtung eines Idiotikons bestimmtere Begriffe machen, als bisher zu herrschen scheinen; Schmidt 1795 Vers. e. schwäb. Idiotikon (Nicolai 1795 Beschr. e. Reise IX Beil. 114 f.) Da sich Jedermann, der hören und schreiben kann, für fähig hält, Beyträge zu Idiotiken liefern zu können, und wir dieser Meinung einen so großen Haufen beynahe ganz unbrauchbarer Materialien zu danken oder vielmehr vorzuwerfen haben; so mag es nicht zwecklos seyn, die Forderungen, die man an einen Idiotikographen zu machen berechtigt ist, auseinander zu setzen, um die gutmüthige Unwissenheit von diesem Geschäfte wegzuschrecken, und es in würdigere Hände zu bringen; Tobler 1837 Appenzell. Sprachschatz Einl. XVI Kaum lassen sich manche Züge eines Volkes schicklicher . . anbringen, als in dem Rahmen eines Idiotikons. Nur indem man den Ausdrücken, den Abbildern der Seele, nachjagt, wird man sich merkwürdiger Eigenthümlichkeiten versichern. Sollte man das Leben eines einzelnen Menschen schildern, so würde man allenfalls das Aeussere angeben; der Idiotikograph malt die Race nicht; Socin 1888 Schriftsprache 441 Vorausgeschickt ist eine Erörterung über

idiotikographisch 1: Schmeller 1816 Br. (Rockinger 1886 Wiege 175) Ich freue mich auf das Heft der Zeitschrift für Bairen [!], welches die Fortsetzung ihrer idiotikographischen Sammlungen erhalten wird; Hauke/Kudorfer 1985 Schmeller 61 Dialektwörterbücher haben in Bayern eine lange, bis ins 17. Jahrhundert . . zurückreichende Tradition. Gegen Ende des 18. Jahrhunderts nahm die Zahl der idiotikographischen Unternehmungen deutlich zu; Weiland 2003 Hundeshagener Kochum 118 [Quellen] waren daraufhin zu überprüfen, ob noch weitere . . Wörter . . auszuheben waren. Dabei galten die von Klaus Siewert entwickelten Kriterien, auch die Vorentscheidung für eine idiotikographische Darstellung. Idiotik 2: Köster 1827 Pastoral-Wiss. 102 Anm. Wollte man ihren Gegensatz gegen die Liturgik etymologisch genau ausdrücken, so müßte sie [die Wissenschaft der Seelsorge] Idiotik heissen, d. h. Wissenschaft von der geistlichen Einwirkung auf das Einzelne. Kaiser (System der Pastoraltheol. S. 5) nennt sie geistliche Psychagogik oder Pädeutik, welcher Nahme jedoch auf die gesammte geistliche Thätigkeit paßt; 1832 Götting. gel. Anz. III 1940 Der Herr Verfasser geht hier von einem Gedanken Kösters aus, nach welchem sich die ganze Thätigkeit des Geistlichen in Liturgik und Idiotik – die Lehre von der speciellen Seelsorge – theilen läßt; 1838 Theol. Studien XI 1216 Der zweite Verf.

idiotisch legt in psychologischer Hinsicht die Trilogie der Vernunft, des Gefühls und des Willens, in dogmatischer die Trilogie des prophetischen, priesterlichen und königlichen Amtes Christi zum Grunde und leitet daraus die Eintheilung der Pastoraltheologie in Didaktik (Asketik, Homiletik, Katechetik, Idiotik), Liturgik und kirchliche Politik her; 1848 Zschr. f. Philos. u. kath. Theol. N. F. IX 2,95 Die Monadologie ist eine Idiotik von Leibnitz, die zwar einen brauchbaren Ausdruck gegen die Substanzeinheit Spinoza’s gewährte, sonst aber keinen Beifall gefunden . . hat. Idiotik 3: Mair 1869 Handb. d. ärztl. Dienstes 54 Auch bei Taubstummen ist die Herstellung des Thatbestandes der Unzurechnungsfähigkeit in dem Sinne dringend geboten, „ob nicht ein von Kindheit an durchaus verwahrloster Taubstummer in hohem Grade verstandesschwach, – und da die hochgradige Verstandes- oder Geistesschwäche den Grundcharakter der Idiotik oder des Blödsinns leichteren Grades bildet, – als blödsinnig . . zu erachten sei.“; 1887 Allg. Zschr. f. Psychiatrie XLIII 2,238 Unter den Fällen von epileptischem Irresein ist No. 12 mit hochgradiger Idiotik verbunden und ein Beispiel reiner Makrocephalie (Hirngewicht 1610 g); 1906 Globus XC 256 Selten dagegen [unter den Indianern im Südwesten der USA]: . . Krankheiten der Leber und der weiblichen Geschlechtsorgane, Zahnkaries, Krebs, Rachitis, Brüche, Idiotik, Wahnsinn, Nervenkrankheiten. Idiotiker 3: 1865 Zschr. d. Ges. d. Ärzte in Wien XXI 150 Das Scelet eines Idiotikers kann ganz gut gestaltet, der Schädel kann ohne bedeutende auffällige Missbildung, das Antlitz kann sogar hübsch und einnehmend sein, die Bewegungen der Extremitäten und des Rumpfes können normal functioniren, der Kropf kann fehlen u. s. w., und trotzdem kann Id[i]otie vorhanden sein; Finger 1898 Sterili-

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tät 151 Der Samenstrang ist zuweilen absolut zu kurz, meistens aber hinreichend lang. Der Hoden atrophiert meist frühzeitig, ist aber bei jugendlichen Individuen meist normal. Bei Idiotikern und Epileptikern ist Ektopie nicht selten; 1914 Zschr. f. d. ges. Neurologie XXI 63 Endlich ganz anderen Verlauf zeigen die amaurotischen Idiotiker, die gemäß der Intensität der Cytopathologie . . foudroyant ihrem Ende zusteuern (infantile Form – allörtliche und maximale Zellerkrankung); Koch 1928 Weltgeschichte I 5 Wenn anfänglich selbst hervorragende Forscher . . zwischen einem in den Freiheitskriegen gefallenen Kosaken, einem neuzeitlichen Idiotiker oder einem Rachitiker hin und her rieten, so ist nach weiteren, mit demselben fremdartigen und urtümlichen Menschentyp übereinstimmenden Knochenfunden . . nicht mehr daran zu zweifeln, daß man von einer Neandertalrasse sprechen darf. Idiotik 4: Laufer 1915 Br. (1979 Kl. Schriften II 213) Die antideutsche Idiotik hierzulande verstehe ich so, dass die auswärtige Politik von Wall-Street diktiert wird; Hofmann-Wellenhof 1979 Gegen d. Wind 134 Für erotisch besonders attraktive Frauen erfand die ritterliche Reklamesprache unseres Jahrhunderts die handsame romantische Formulierung „Sex-Atombombe“; diese amerikanischen Bilderstreifengeschichten haben oft gar nichts mit Sex-Atombomben der Erotik zu tun, sie sind dafür aber meist Hirn-Atombomben der Idiotik. Hier geht wirklich der Verstand im Bikini; Geist 1991 Molotow-Cocktail 74 f. Weißt du ich schöb jetzt gern meine Zunge/ dir in den Mund Mademoiselle/ Und/ man muß fühlen können/ wenn man nicht aufhören will/ statt mit dir zu schlafen schlafe ich schlecht/ der Klang deiner Worte ist instrumental/ in einem Moment konsequenter Idiotik/ wenn die Erinnerung nur noch/ aus einer Erinnerung/ an eine Erinnerung besteht.

idiotisch Adj. und Adv., Mitte 16. Jh. entlehnt aus lat. idioticus ¤unwissend, ungebildetÅ, idiotice ¤in gewöhnlicher Sprechweise; unpassendÅ, zurückgehend auf griech. $idiwtiko*v ¤den Privatmann betreffend; unerfahren, unwissend; gemeinÅ (< $idiw * thv in der Bed. ¤Einzelperson; Privatmann (im Ggs. zum Staatsmann), in Staatsgeschäften Unkundiger; UnwissenderÅ, zu >idiov ¤abgesondert, eigen, eigentümlich, privatÅ; → Idiom, → Idiot, → Idiotik). 1 Zunächst in der heute veralteten Bed. ¤ohne fachliche Ausbildung, laienhaft, ungebildet; dilettantisch, stümperhaftÅ, im Messwesen mit Bezug auf laienhafte Methoden im Ggs. zu geometrisch-wissenschaftlichen (s. Belege 1591, 1715, 1750), in Wendungen wie universitäre vs. idiotische Übungen, idiotische und kunstreiche Feldmesser, die Wissenschaft idiotisch verachten und Zss. wie laienhaft-idiotisch, seit früherem 20. Jh. seltener und überwiegend ugs. abgeflacht in der Bed. ¤unwissend,

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dummÅ und dann meist nicht klar von der schimpfwortartigen Verwendung (s. u. 5) zu unterscheiden (s. Belege 1924, 1933), z. B. das idiotische Verhalten des Stümpers; fachidiotisch ¤auf das eigene Fachgebiet beschränkt, anderweitig aber unbegabtÅ. 2 Seit Mitte 18. Jh. in der Bed. ¤einer Sprache, einer Sprachausprägung eigen, typisch für die spezifische Sprech-/Ausdrucksweise einer Einzelperson oder einer regional, sozial oder beruflich definierten Gruppe, idiolekt-, soziolekt-, dialekteigentümlich; mundartlich, in der MundartÅ (vgl. dialektal, → Dialekt, idiomisch und idiomatisch, → Idiom a; vgl. idio(syn)kratisch, → Idiosynkrasie 2), heute nur noch vereinzelt und in historischer Rückschau bzw. in sprachreflexiven Kontexten (s. Beleg 1986), in Wendungen wie ein idiotischer Ausdruck der Schweizer, dieser Laut ist für das Plattdeutsche idiotisch, in idiotischen Wörterbüchern, in einer idiotischen Grammatik nachschlagen, idiotisch sprechen. 3 Seit Anfang 19. Jh. fachspr. (Medizin, dann Psychologie) für ¤(seit der Geburt oder durch Unfall) hochgradig geistig behindertÅ, in Wendungen wie das Kind ist idiotisch auf die Welt gekommen, Kinder können durch Vererbung idiotisch werden, die Alte hatte einen vollkommen idiotischen Blick und Zss. wie halb-/vollidiotisch. 4 Daneben seit späterem 19. Jh. vereinzelt etymologisierend, zunächst bezogen auf Texte, dann auf psychische Phänomene, für ¤eigen(artig), privat; nicht öffentlich (zugänglich)Å (vgl. idio(syn)kratisch, → Idiosynkrasie 2, individuell), in Wendungen wie der Autor hat einen ganz eigenwilligen, idiotischen Stil. 5 Seit Ende 19. Jh., mit fließenden Übergängen abgeleitet teils aus der Bed. ¤laienhaftÅ (s. o. 1, s. Belege 1924, 1933), teils aus der medizinisch-psychologischen Verwendung (s. o. 3, s. Belege 1885, 1938) und oft nicht sicher davon zu unterscheiden, heute überwiegend ugs. abgeflacht, schimpfwortartig oder als Ausdruck der Verärgerung in der Bed. ¤unsinnig, blöd-/irr-/schwachsinnig, verrückt, töricht, dämlich, absurdÅ, in Wendungen wie er kann mich doch nicht einfach idiotisch nennen, ich kann ihr idiotisches Grinsen nicht mehr sehen, das ist doch absolut/total/völlig idiotisch, eine idiotische Idee, Taktik, Arbeit, Handlung, Diskussion, er hat sich selbst in diese idiotische Lage gebracht, ich finde das einfach idiotisch und Zss. wie voll-, sauidiotisch. Dazu seit früherem 17. Jh. aus gleichbed. gelehrtenlat. idiotismus (über lat. idiotismos ¤die gemeine SprechweiseÅ < griech. $idiwtismov in seiner Bed. ¤Sprechweise des gemeinen MannesÅ) entlehntes Idiotismus M. (-; -Idiotismen), anfangs noch lat. flekt. und bis ins 19. Jh. in der Form Idiotism, als Terminus der Sprachwissenschaft zunächst in der Bed. ¤Eigenschaft sprachlicher Formen und Elemente; charakteristisches Gepräge einer Sprache; DialektÅ (→ Idiom a), in Wendungen wie der Idiotismus des Griechischen, Lateinischen Französischen, ein harter, fremder, schöner Idiotismus, oft auf einzelne sprachliche Elemente (Wörter und Syntagmen) bezogen, einerseits im Sinne von ¤(für eine Sprache typischer) bildhafter Ausdruck; Sprichwort; idiomatische (Rede-)Wendung, feste Wortverbindung, deren Gesamtbedeutung sich nicht aus den Einzelbedeutungen ihrer Bestandteile ableiten lässt, PhraseologismusÅ (s. Belege 1691, 1727, 1738, 1750, 1760, 1771, 1815, 1851; → Idiom b, vgl. Idiomismus, → Idiom a, und Idiomatismus, → Idiom b), heute nur noch in historischer Rückschau (s. Beleg 1994), z. B. einen lateinischen Idiotismus kann man nicht Wort für Wort übersetzen, den Sinn von Idiotismen erfassen, andererseits in der Bed. ¤für die Sprech-/Rede-/Ausdrucksweise einer regional oder sozial bestimmten Personengruppe typisches sprachliches (lautliches, lexikalisches) Element; dialektale,

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umgangssprachliche WendungÅ (s. Belege 1781, 1800, 1829, 1868, 1891, 1954.1; → Idiosynkrasie 2, → Regionalismus 3; vgl. Idiomismus und Idiomatismus, → Idiom a, Idiosynkratismus, → Idiosynkrasie 2), bes. im 18. Jh. bisweilen abwertend konnotiert mit „pöbelhaft“ (s. Belege 1750, 1779), heute nur noch in historischer Rückschau (s. Beleg 2009), in Wendungen wie bayerische, schwäbische Idiotismen, beinahe jedes Dorf hat seine Idiotismen, die im Westerwald gebräuchlichen Idiotismen und Zss. wie Idiotismenliste, -sammlung, selten auch übertragen ¤charakteristische Art und Weise des musikalischen Ausdrucks eines Komponisten, eines Musikers, einer Musikrichtung oder -epocheÅ (s. Beleg 1865; → Manier, → Stil), z. B. die Idiotismen Mendelssohns; Barock-, Soulidiotismen (zu 2); seit spätem 17. Jh. in der Bed. ¤Laientum, Unwissenheit, Unbildung, DilettantismusÅ, meist abwertend (s. Belege 1770.2, 1835.1, 1854, 2008; vgl. Idiotie, → Idiot 1), z. B. selbstverschuldeter Idiotismus, der ruhige Idiotismus der braven Bürger, Wissenschaft vs. Idiotismus (zu 1), seit spätem 18. Jh. selten auch ¤charakteristische, prägnante, seltene, ungewöhnliche Eigenschaft; abweichender, seltsamer, eigenartiger Charakterzug, sonderbares Verhalten, Eigentümlichkeit, Eigenwilligkeit, Merkwürdigkeit, Verschrobenheit, Grille; Eigenheit; Privatheit, ZurückgezogenheitÅ (→ Marotte, → Spleen, → Tick), von Einzelnen und (größeren) Gruppen, in Wendungen wie die ausgeprägten Idiotismen der Abderiten, der alte Eigenbrötler legt eine ganze Reihe kauziger Idiotismen an den Tag, seine Eigentümlichkeit grenzt an Idiotismus (zu 4), seit Anfang 19. Jh. als Fachwort der Medizin und Psychologie in der Bed. ¤hochgradige (angeborene oder erworbene) geistige Behinderung ohne jegliche Bildungsfähigkeit (Intelligenzquotient unter 25)Å (vgl. Idiotie, → Idiot 2), in Wendungen wie angeborener Idiotismus, er litt seit seinem schweren Unfall an Idiotismus, Idiotismus und Kretinismus (zu 3), seit Ende 19. Jh. und heute überwiegend abwertend von als sinn- oder zwecklos, unrealistisch, dumm, absurd erachteten Äußerungen, Vorschlägen, Plänen, Ideen, Handlungen (eines Anderen), auch ¤Ignoranz, DummheitÅ (→ Idiotik 4, → Ignoranz; vgl. Idiotie, → Idiot 3), in Wendungen wie Schweijks munterer Idiotismus, der bürokratische Idiotismus der deutschen Einwanderungspolitik und okkasionellen Zss. wie Bild-, Fernseh-, Konsum-, New-Age-, Spar-, Wettbewerbsidiotismus (zu 5). Vgl. dazu die seit spätem 19. Jh. selten belegte bildungsspr. Ableitung idiotisieren V. trans. mit Idiotisierung F. (-, -en) (zu 3 und 5). idiotisch 1: Witzel 1554 Chorus Sanctorum 514 Darmit aber ward des vngelerten Diacons vnfleis nicht entschüldiget. Wie sol aber itzige zeit entschüldiget werden vnsere idiotische Pfaffheit/ darunter leider viel befunden/ die also grobe Eselsköpffe sind/ das sie wedder Euangelium noch Epistel zu Chor recht lesen mögen?; Nass 1577 Widereinwarnung 214 Da merck ein frommer Christ/ wie die Secten [Protestanten] zerhudelt vnd widereinander seyn/ . . da hangen sie an einander/ wie Heyden vnd Türcken/ wöllen vnd pflegen vil von der Buß zu klaffen/ vnd wissen noch nit/ was Buß ist/ oder wie mans thun solle/ welche Kunst sie besser auß den Idiotischen (als es etlich nennen) Buch lerneten/ so wir Vitas Patrum nennen/ dann auß allen jhren Magdeburgischen Centauris, libris, tractatibus; Helmreich 1591 Feldmessen B3a Als zu

einem Exempel/ wil ich . . zum anfang vnd eingang des Feldmessens . . eine feine vergleichung machen/ vnd dasselbe erkleren/ wie man den Hellischen Acker Geometrischer vnnd Idiotischer weise (wie es die alten nennen) messen/ vnd daraus den gebrauch vnd vnterscheid lernen vnd recht verstehen sol/ worauff das Fundament vnd gantzer grund/ das Feld vnd Erdreich Idiotischer weise zu messen/ stehet; Quad 1599 Enchiridion A2a Wie alsolches nit allein sich erzeigt hat in den ernsthafften vnd grauibus studijs vnd Faculteten/ als da sind die Theologey/ Philosophey/ Medica/ Mathematica rc. sonder auch in eusserlichen vnd Idiotischen (wie mans nennet) vbungen/ als die Mechanica vnd alle Handwercker/ furnemlich aber die Schiffarten; Albertinus 1614 Ketzereyen VII 313 Sehe/ Leser/ die eytelkeit diser Leut/ vil andere dergleichen när-

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rische vnd falsche Märlein oder Erzehlungen seynd in jhren Büchern begriffen/ darinnen sie disen Idiotischen Buchführern den Titul der Predicanten vnnd Stiffter der Kirchen geben/ wie zusehen ist im ersten tomo jrer Geistlichen Historien; Valentinus 1700 Chym. Schr. 283 Und daß auch zu dem die höchste Geheimniß nicht gäntzlich im finstern ersticken/ noch in überschwelgten Wassern ersauffen möge: sondern durch den rechten Glantz des wahren Lichtes aus den Sümpffen und faulen Teichen des Idiotischen Hauffens erlöset/ und durch eine Außbreitung eines gewissen/ wahren und rechten Bekäntniß viel Zeugen überkommen möge/ mir in Schrifften der Warheit nachzufolgen; Oetinger 1715 Gründlicher Bericht 277 Doch will ich den Richtern . . / welche zu den Streitigkeiten der Feldmarcken . . verordnet werden/ . . Anleitung und Wegweisung geben/ . . wie sie die Fehler/ so bey den gemeinen Idiotischen Feldmessern fürgehen/ erkennen . . sollen; 1750 Allg. Jurist. Oraculum IX 465 Welches aber nicht . . von den Gemeinen, und der Mathematischen Gründe unerfahrnen idiotischen Feldmessern, die sich allein der Ruthen behelfen, sondern von den rechten Verständigen, in der Aritmethica und Geometria wohl berichteten Meistern zu verstehen, die nicht nur die Länge des Maaß, sondern vornemlich die Rechenkunst, Geometrische Fundament, und Regeln, von den Triangeln und allerhand Figuren, wie auch künstliche Instrumenta darzu gebrauchen; 1762 Redender Advocat II 65 Nach dieser schlecht gerathenen Vertheidigung verfällt endlich Herr Bandel in eine unvermuthete Niederträchtigkeit. Er erkläret sich selbst vor einen Idioten, idiotischen Narren, Ignoranten und Esel, welcher weder Schreibart, noch Kunst, noch Wissenschaft besitzet; aber alles um Christi willen; Kästner 1796 Gesch. d. Mathematik I 148 Der hellische Acker hat 60 Ruthen in der Länge, und 5 Ruthen Breite, also 300 Quadratruthen. Bey der Idiotischen Messung nun, nimmt man für jede Ruthe in der Länge fünf Ruthen nach der Breite, und multiplicirt nun die Zahl der Ruthen der Länge mit 5; Seume 1803 Spaziergang 408 Ich las etwas darin [Vulgata-Handschrift] und verschüttete die gute Meinung der Herren fast ganz durch die voreilige Bemerkung, es wäre Schade, daß der Kopist gar kein Griechisch verstanden hätte. Man sah mich an, ich war also genötigt zu zeigen, daß er aus dieser Unwissenheit vieles idiotisch und falsch geschrieben habe (DiBi 125); Schleiermacher 1821 (1835 S. W. III 3,47) So erhob er [Friedrich d. Gr.] sich über die Einseitigkeit sowol solcher regierenden, welche entweder nur mit dem Schein der höchsten und reinsten Wissenschaft prunken, die Bildung des Volkes aber eher scheuen als befördern, als auch solcher, die nur das dem Staat unmittelbar nüzliche erhalten mögen,

die höheren Stufen der Wissenschaft aber idiotisch verachten; Nitzsch 1848 Prakt. Theologie II 345 Um ihre Zurückhaltung gegen moderne oder idiotische Lieder noch mehr zu bezeichnen nennt z. B. die oben angeführte schottische Sammlung was über den Psalter hinausgeht: Translations und paraphrases der heil. Schrift. Dieses Element, nämlich Lieder, welche sich aus großen Schriftsprüchen entwickeln, mehr oder minder wörtlich oder sachlich von einer Schriftstelle beherrscht werden, breitet sich im deutschen evangel. Gebrauche ebenso weit und reichlich als irgendwo aus; Erdmann 1866 Gesch. d. Philosophie II 661 Das Dogma ist das Product des idiotischen Bewusstseyns; und wo ein Philosoph sich Christ nennt mag er Gründe dazu haben, Grund aber gewiss nicht. Das sich selbst nicht verstehende Bewusstseyn setzt nämlich den unendlichen Inhalt . . ausserhalb seiner; 1896 Monatsh. f. prakt. Dermatologie XXII 264 Eine freie Konversation über geschlechtliche Themata sollte von der guten Gesellschaft nicht für indecent gehalten werden. Knaben und Mädchen sollten im Gegensatze zu den jetzt herrschenden, „idiotischen“ Ansichten von Moral und Etikette über den edelsten und erhabensten der menschlichen Triebe aufgeklärt werden; Delitzsch 1924 Täuschung II 5 f. Abgesehen von den zahllosen Fehlern der Abschreiber . . behandelten die letzten Abschreiber den ihnen überkommenen Text dermaßen idiotisch pietätvoll, daß sie sogar alle ausgemerzten, am Rande verzeichneten Fehler wieder in den vermeintlich heiligen Text aufnahmen; Th. Mann 1933 Tageb. (W. XII 706) Es ist ein Staat, eine Revolution gegen allen Geist überhaupt, und das idiotische Schimpfwort ¤IntellektbestieÅ (eine jener inferioren Schimpfschmissigkeiten, in denen die Propaganda groß war, wie ¤RotationssynagogeÅ) gilt allem, was überhaupt mit Geist und Denken zu tun hat; Südostschweiz 29. 7. 2013 nachdem Mugabe gegen den Staatenbund ausholte und die südafrikanische Gesandte für die Simbabwe-Wahlen als „dumme, idiotische kleine Frau von der Strasse“ bezeichnete. Idiotismus 1: Candidaeus 1683 Polit. Leyermann 79 Nach diesen war der Kerl mit seinem Stande nicht zufrieden/ sondern begab sich auff eine benachbarte Universität/ in willens einen Gradum anzunehmen. Aber weil der Idiotismus so gar tieff bey ihm eingewurtzelt/ und sine fundamentis das Doctor-Mützgen nicht auff den Kopff gehen wolte/ langte er unter den Titul eines Gelehrten wieder an besagten Orthe an; Soret 1761 Einpfropfung (Übers.) 64 Wehe dem Lande, wo wahre Gelehrsamkeit ein Idiotismus ist! Die Zeiten sind vorbey, da man mit einem Mathematikus als mit einem Schwarzkünstler nach den Scheiterhaufen zuwan-

idiotisch derte; aber die Zeit wäret noch, da man einen wahren Gelehrten in einem Staat für eben so nützlich hält, als einen guten Kegelschieber; Iselin 1770 Gesch. d. Menschheit II 96 f. In despotischen Regierungsformen ist der Bürger gegen die Erforschung der Wahrheit noch gleichgültiger, weil er sich beredet, der Gesetzgeber und der Priester haben sie für ihn gefunden, oder unmittelbar von den Göttern empfangen; . . Er überläßt sich deßhalben mit Vergnügen seinem ruhigen Idiotismus, welcher seiner angebornen Trägheit unendlich kostbarer ist, als alle Schätze von Wissenschaft; ebd. 407 ff. Was für Finsternisse herrschen nicht noch auf den hohen und niedern Schulen! . . Wird nicht da oft der Wahrheit und der Rechtschaffenheit jeder Zugang versperret, und die Uebermacht des Idiotismus und des Irrtumes unüberwindlich gemachet?; Friedel 1782 Galanterien 19 Und wirklich, Freund, ich weis nicht, ob ich auf diese neue Kenntniß [Liebeserfahrung] eben stolz seyn darf. Allein in Berlin ist diese Kenntniß ein Attribut der elegantern Welt; und ich muste nun schon auch in dieser Schule den Idiotismus ablegen; Baader 1826 (S. W. V 220) Wie endlich Gottes Liebe zur Erkenntniss Gottes führt, so führt Gottes Nichtliebe oder Hass zur Nichterkenntniss Gottes, und diese Ignoranz, welche man nicht selten bei sonst gebildeten Weltleuten, und bei sonst gelehrten Weltweisen findet, ist eine Art eines selbstverschuldeten Idiotismus, welchen . . sowohl der Nichtgebrauch als der Missbrauch der Intelligenz nach sich zieht; Hammer 1835 Länderverwaltung 134 f. [übersetzt aus dem Arabischen des Ibn Chaldun:] „. . als aber . . das Volk von der Rohheit des Nomadenzustandes zu dem Glanze des Städterlebens, von der Einfalt des Idiotismus zum Scharfsinn der Schrift überging, . . befahl Abdolmelek . ., den Diwan in Syrien aus dem Griechischen in’s Arabische zu übertragen.“; Flathe 1835 Vorläufer d. Reformation I 213 f. Die Ketzer nemlich, welche sehr oft die ganze heilige Schrift auswendig können, . . sind nichts desto weniger Idioten, alberne Leute, die nichts verstehen, Ungelehrte. . . Nur wer in unserer Weise demonstrirt und argumentirt, der kann wirklich demonstriren und argumentiren. Man muß gestehen ein solches Verfahren war wiederum sehr bequem. Die einzige Anstrengung dabei war, daß man die andere Gelehrsamkeit für Idiotismus erklärte; Erdmann 1868 Psychol. Briefe 343 Der Mensch soll seine eigene Meinung haben, nicht blos papageienartig nachdenken und nach-sprechen. Auf der andern Seite soll er im Stande sein, dem höhern Wissen gegenüber sein Meinen schweigen zu lassen, sonst wird der Subjectivismus zum Idiotismus; 1898 Neuere Sprachen V 10,519 (Übers.) Ich denke, das suchen nach schönen worten und epitheten verdirbt uns das mark des volkes, aber das ganz rohe und

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nackte ist das wahre der kunst. Wir müssen die ärmel heraufstreifen, um in den portierlogen und im bürgerlichen idiotismus herumzuwühlen!; Fischer 1946 Österreich 45 f. Die Zensur, die von den Werken der deutschen Klassiker bis zu den Grabschriften auf den jüdischen Friedhöfen alles „bearbeitete“, die keinen Hauch des europäischen Geistes hereinließ und den Idiotismus zur höchsten Bürgerpflicht machte . . Und dazu der erbärmliche Schulunterricht in den ein- bis zweiklassigen „Privatschulen“ und den drei- bis vierklassigen Hauptschulen; Henz 1963 Fügung u. Widerstand 337 Die oft an Idiotismus grenzende Uninteressiertheit des interviewten „Herrn Jedermann“ wird vom Rundfunk enthüllt, nicht aber gezüchtet. Wie arg sie vor 50 oder 100 oder 200 Jahren war, wir wissen es nicht; 1996 Jahrb. d. Raabe-Gesellsch. 65 Zeitgeschichtlich wie textuell scheint sich der Schluß anzubieten, daß in dieser zeitenthobenen Unbewußtheit des Geistes, in diesem geschichtslosen kindlich-kindischem Idiotismus die ungespaltene Übereinstimmung mit sich selbst, die Einheit des Selbst, daß also in dieser verstandeslosen Gebundenheit die „Freiheit“ des Menschen sich eröffne; Winter/ Mittendorf 2008 Perspektiven d. polit. Soziologie 41 f. Der unfolgsame Diskussionpartner [!] SokratesÅ wird in ironischer Bestätigung des Falschen zwar aus der Perspektive des überlegenen Lehrers zurechtgewiesen, aber der milde ironische Ton ist dem Bewusstsein der Vergeblichkeit aller Aufklärung geschuldet. Am Idiotismus der Gesellschaft zerbricht die Überlegenheit des Intellektuellen und der Ironiker weiß darum. idiotisch 2: Kramer 1753 Italiän. Grammatica 548 f. Man repetire hier kürzlich was wir oben . . von dem allgemeinen und besondern Gebrauch des Infinitivi Modi gelehrt haben. . . Wir reden hier nicht mehr von dem daselbst erklärten/ auch bey uns Teutschen gewöhnlichen; sondern von dem ganz besondern zierlichen und Idiotischen (eigentlichen) Gebrauch desselben, an statt anderer Temporum; Ernestus 1771 Theol. Bibliothek I 1,120 Es ist ein bloßer idiotischer pleonasmus in der griechischen Sprache, der in dem neuen Testamente und bey andern Griechen mehr vorkömmt, und auch in unserer Sprache gewöhnlich ist; Fulda 1788 Idiotikensammlung Vorr. A3a Wir nennen aber idiotisch, was in der Schriftsprache nicht allgemein bekannt ist, und mit einer Erklärung für jederman belegt werden muß; 1794 Neue Allg. Dtsch. Bibl. X 2,343 Kaum bedarf irgend eine literarische Unternehmung die Beyhülfe sachkundiger Männer mehr, als eine vollständige Sammlung der idiotischen Wörter, die in den so zahlreichen Provinzen unsers Vaterlandes gewöhnlich sind; Schmid 1795 Vers. e. schwäb. Idiotikon 6 f. Ein Idiotikograph

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muß sorgfältig unterscheiden 1) idiotische Wörter, oder solche die nur in einem gewissen Distrikte gebräuchlich sind, z. B. (vom Schwäb.) hurben, gazgen, triehlen, Schoch u. d. gl. 2) Idiotische Bedeutungen . . 3) Idiotische Metaphern . . 4) Idiotische Derivativa und Composita . . 5) Idiotische Pronunciationen . . 6) Idiotische Etymologieen . . 7) Idiotischen [!] Syntax . . 8) Idiotische Sprüchwörter; Schütze 1802 Holst. Idiotikon III 59 Lust: Begier, Freude. Hat im Holst. Platt folgende idiotische Eigenheiten. De Boom dat Koorn hett Lust to wassen: Der Baum das Korn wächst gut, lustig heran; Goethe 1814 Dichtung u. Wahrh. III (WA I 28,53) Abermals ging es mir also hier [in Straßburg] wie vordem in Leipzig, nur daß ich mich dießmal nicht auf das Recht meiner Vatergegend, so gut als andere Provinzen idiotisch zu sprechen, zurückziehn konnte; 1821 Literatur-Bl. (Beil. z. Morgenbl. XV) 82 es giebt in der Schweiz der Dialecte mancherley, so daß sie oft einander selbst nicht verstehen. Man hätte denken sollen, nach Hebel wären alle diese idiotischen Dichter verstummt, aber da stand im Gegentheil ein Heer von Unbesonnenen auf und hinkte ihm nach; 1841 Archiv f. d. Kenntniß v. Siebenbürgen I 128 Idiotisch oder mundartlich müssen wir auf unserm Standpuncte eigentlich jedes sächsische Wort nennen, welches in der hochdeutschen Sprache entweder gar nicht, oder doch nur ausnahmsweise erscheinet; Bernhardy 1857 Grundr. d. Röm. Litt. 322 Weil aber der technische Wortgebrauch auf Eleganz verzichtet und idiotisch sein darf, so lässt er mehrmals von der Sprache des Volks und der Provinzen sich nicht sicher unterscheiden; Blass 1898 Attische Beredsamkeit III 2,27 Man kann vielmehr, wie Demosthenes gethan, durch Aufnahme poe¨tischen und wiederum idiotischen Ausdrucks trotz der Beeinträchtigung der Reinheit doch eine höhere stilistische Vorzüglichkeit erlangen als die des Lysias ist; Bahder 1914 Lalebuch Vorw. XXIII Im „Grillenvertreiber"Å finden wir in den übereinstimmenden Partien die eigentümlichen idiotischen Ausdrücke des Lalebuchs grösstenteils wieder . ., was natürlich für die Heimat des Verfassers nichts beweist; Maurer/Rupp 1974 Dtsch. Wortgesch. II 253 ¤idiotische SchriftstellerÅ (Ausdruck Herders) sind keine schreibenden Schwachköpfe, sondern Verfasser, die dem Nationalstil ihrer Sprache gemäß schreiben; Friebertshäuser 1986 Lexikographie d. Dialekte 193 In der Abbildung 1 wird das für das Verständnis des Terminus ¤IdiotikonÅ wichtige Prädikat ¤dialekteigentümlichÅ (das nicht mit ¤dialektalÅ oder älterem ¤dialektischÅ verwechselt werden darf) verwendet, um den heute wohl doch etwas unpassenden Terminus der älteren Idiotographen, nämlich ¤idiotischÅ, zu vermeiden. Sowohl die älteren als auch besonders die jüngeren Idiotikographen verwenden

die Ausdrücke ¤idiotischÅ und ¤dialekteigentümlichÅ weitgehend synonym. Idiotismus 2: Titz 1642 Hochdtsch. Verse o5a Wiewol offtmals auch in andern orten/ da sonst in gemein falsch oder unhochdeutsch geredet wird/ dennoch viel zufinden sind/ die sich einer reinen Sprache befleissen. Vnsere Schlesier anbelangend/ wie wir nicht in abrede sein können/ daß der gemeine Pöfel einen sehr harten vnd übellautenden Idiotismum hat; Kramer 1674 Vollst. Italiän. Grammatica II 11 Der Idiotismus ist die absonderliche und gleichsam eigene Red-Art in einer Sprache in welcher dann eine gewisse Emphatische und nachdenckliche Bedeutungs-Krafft stecket. . . Der Idiotismus ist das eintzige und alleinige Stuck/ vermittels welchem eine Sprache von der andern unterschiden wird; ebd. 79 Idiotismus des Plusquamperf. II. und dessen Unterschid von dem Plusquamperf. I.; Morhof 1682 Unterricht 484 Wer nun ein rennliches [!] Teutsches Carmen schreiben will/ der muß den lieblichsten Dialectum, wie der Meißnische ist/ ihm vorsetzen: Unter welchen aber die andern Oberländer schwerlich zu bringen sein. Dann ihre Idiotismi lauffen allezeit mit unter. Meines erachtens soll ein Niedersachse die beste art im schreiben an sich nehmen/ wann er in den Hochteutschen Idiotismis etwas geübet ist; Thomasius 1691 Ausübung d. Vernunftlehre 202 Und solchergestalt ist das vornehmste Stück eines guten Ubersetzers/ daß er nicht so wohl auff die Worte/ als auff den Verstand sehe/ und denselben hernach in der andern Sprache/ wie es sich am besten schickt/ und wie es die idiotismi einer jeden Sprache zulassen/ nach seinen Gefallen gebe; Kramer 1694 Grössere Italiän. Grammatica 184 Der Idiotismus Periodi und Orationis besteht fürnemlich hierinn/ . . Daß man sich gäntzlich mit den Gedancken von einer andern Sprach abwende/ wann man rein Toscanisch etc. will reden oder schreiben: . . wende deinen Sinn zu den rechten Idiotismo und Proprietät dieser Sprache; Ph. [?] nach 1715 Vorstellung aller Länder 5 Anm. Phrygia est, per quam ducitur exercitus, die Arme´e muß durch Phrygien marchiren; ist gar ein schöner Idiotismus; Apin 1727 Grammatical. Lex. 264 Idiotismus, ist in einer Sprach eine Redens-Art, welche derselben so fern eigen ist, daß sie von Wort zu Wort in keine andere füglich kan übersezt werden, als: Laudes suas transfundere ad alium; Michaelis 1738 Hebr. Grammatica 246 Wie denn letztlich noch wohl zu mercken, daß man von der gewöhnlichen Construction und Bedeutung nicht leicht abgehen müsse; daher man [in der Bibel] auch keine Idiotismos, oder auch einen figürlichen und metaphorischen Verstand vergeblich suchen, noch die Worte des Heiligen Geistes und den Sinn derselben enger

idiotisch einspannen muß, als er sie selbst gesetzet; Sincerus 1750 Erkl. d. Cornelii Nepotis Einl. 3bf. Es hat aber das Wort Idiotismus einen doppelten Verstand; Erstlich bedeutet es eine solche Redens-Art, welche nur die gemeinen und ungelehrten Leute in ihrer Mutter-Sprach gebrauchen. . . Zum andern heißt das Wort Idiotismus so viel als Proprietas linguæ alicujus . . : Und also nennen wir hier dasjenige einen Idiotismum, wenn sich eine Redens-Art nicht von Wort zu Wort übersetzen lässet . . wie ich z. E. nicht sagen kan, einen auf die Gedancken bringen heisse, aliquem ad cogitationes ferre, das ist ein Teutscher Idiotismus, oder wie es andere mit einem Wort nennen, ein Germanismus; Gottsched 1760 Handlex. 911 Idiotismus. Ist eine Redensart, die nur in einer gewissen Sprache statt hat, in keiner andern aber von Wort zu Wort gegeben werden kann. So ist z. E. im Lateine, omnem movere lapidem, allen Fleiß anwenden: denn wollte man sagen, allen Stein bewegen; so wäre es lächerlich; Sulzer 1771 Theorie I 557 Man braucht überhaupt nicht zu verbiethen, fremde Idiotismen in unsre Sprach einzuführen; denn wahre Idiotismen lassen sich nicht in andre Sprachen versetzen. . . So höret man bisweilen in Berlin, den Ausdruk: er hat sich gut genommen, der den französischen Idiotismus ¤il sÅ est bien prisÅ ausdrüket; 1779 Zugabe Götting. Anzeigen I 149 Kap. I, 6 die gewönliche misdeutige Uebersezung des kalein durch, „berufen“, wird hier dadurch vertheidigt, es sey ein Idiotismus (soll heissen Idioma, eine Eigentümlichkeit; denn Idiotismus ist ein niedriger pöbelhafter Ausdruck,) der christlichen Religion; Semler 1781 Lebensbeschr. I 83 dergleichen neue Sprachart . . kam gewis von Graf Sinzendorfs Neuerungen her, ob ich gleich nachher fand, daß schon die Franciscaner dergleichen lateinische Niedlichkeiten, in diminutiuis angebracht haben; . . Du erhöhetes Schlänglein, Herr Jesu; meine Glaubensäugelein – gehört zu solchen klingenden Schellen . . Es werden es mehrere von meinen Zeitgenossen wissen, daß dieser Idiotismus der Erbauung, erst seit einer Zeit von 40 bis 50 Jahren, in Teutschland sich ausgebreitet hat; Cramer 1782 Klopstock 261 Anm. Man kent aus der griechischen Grammatik den Idiotismus, den sie so lieben, ein Nomen und Verbum derselben Bedeutung zusammenzusezen: . . Das Gericht richtet; Schmidt 1800 Westerwäldisches Idiotikon, oder Sammlung der auf dem Westerwalde gebräuchlichen Idiotismen (Titel); ebd. Vorr. VI Bey jeder Idiotismen-Sammlung kommt es vor allen Dingen auf die vollständige Aufzählung und richtige Angabe der Bedeutungen jedes Wortes an; Diez 1815 Denkwürdigkeiten II 760 f. Wenn nun der Perser spricht: dies oder das lässt uns vor der Welt vorübergehen: so hat es im Deutschen den Sinn, dass es uns von Mühen und Sorgen der Welt-

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oder Reichsgeschäften abziehet, und dass [!] heisst denn wieder auf gut Deutsch, dass es uns die Welt vergessen läßt, wie ich übersetzt habe, als wodurch der persische Idiotismus in den deutschen Idiotismus übertragen worden; Adam 1818 Handb. d. röm. Alterthümer (Übers.) II 391 Sermo rusticus war eine fehlerhafte Art zu reden, sowol in der Beugung, Aussprache und Verbindung der Worte, als auch im Gebrauch vieler Idiotismen, Solözismen und schlechter Worte; Reumont 1829 Aachens Liederkranz 368 Es verliert sich aber heut zu Tage nicht blos ein Idiotismus nach dem andern, sondern auch die Aussprache nähert sich, bei dem sorgsam eingerichteten Schulwesen, mit jedem Tage mehr dem Hochteutschen; Anthus 1838 Esskunst 288 Das aber soll hier erwähnt sein, daß eine Vereinfachung und Veredlung der Küchen-Terminologie und Eß-Nomenklatur in unserer Zeit als dringend nötig erscheint. Welche unübersehbare Menge der unverständlichsten, nichts, zuviel oder zuwenig oder ungeeignet ausdrückender KüchenIdiotismen!; Bechstein 1851 Manuscripte Schlemihls I 100 Wir haben in Deutschland einen Idiotismus, wenn wir eine Sache als beglaubigt bezeichnen wollen: Schwarz auf weiß. Die Tinte, das geschriebene, verbriefende Wort auf dem Papier; Ambros 1865 Culturhist. Bilder 96 Merkwürdig ist es, daß Schumann von melodischen Manieren, Idiotismen, wie Mozart, Mendelssohn u. a. die ihrigen haben, ganz frei ist; Raabe 1879 Alte Nester (A. W. VI 23) Und nun, um es kurz zu machen und es mit dem treffendsten Idiotismus zu nennen: wir waren allesamt und auf Meilen in die Runde ein ¤schmuddeligesÅ Volk, ausgenommen vielleicht der Herr Graf, meine Mutter und Evchen Sixtus (DiBi 1); 1891 Archiv f. d. Studium d. neueren Sprachen LXXXVII 84 Die Hypothese, dass Schönberg der Verfasser sei, ist ansprechend dargestellt. Man würde ihr mit weniger Bedenken beistimmen können, wenn nicht die grosse Zahl süddeutscher Idiotismen im Schildbürgerbuche dem zu widersprechen schiene; Vida 1929 Ungar. Dialekte 15 Das Merkmal [!] zwischen zwei Dialekten ist der Idiotismus; Isaacsen 1930 Herder u. Shakespeare 62 Herder sieht die sprachformende Kraft des Dichters . . in der Schaffung von Idiotismen. Er schätzt sie wegen ihrer Eigenwilligkeit und Kühnheit. . . Während er sie das eine Mal für unübertragbar hält, gibt er das andere Mal Hinweise, wie die Schwierigkeiten zu überwinden seien. . . Es ist . . nicht recht deutlich, ob Herder nur an Eigenheiten der Sprache oder des Autors denkt. Beide Aussprüche beziehen sich auf Sprachspielereien eines bestimmten Dichters, die allerdings nur infolge der besonderen Beschaffenheit seiner Sprache möglich sind; Henzen 1954 Schriftsprache 139 Lessings Schriften weisen denn auch zahlreiche mundartli-

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che Züge auf, nicht nur die Briefe und die ersten Entwürfe seiner Werke, welche gelegentlich von Idiotismen strotzen; Sigg 1954 Deminutivsuffixe 79 Ein Vergleich der beiden Ausgaben [der ¤Promessi SposiÅ Manzonis] von 1827 und 1840 zeigt . . eine bewußte Ausmerzung auffälliger Lombardismen und allzu blutlos anmutender akademischer Wendungen zugunsten florentinischer Idiotismen; Hiltbrunner 1958 Tageb. 1245 ich war wieder einmal bereit, davonzulaufen, in die Serengetisteppe zu fliehen – oder in eine Dachbude der Stadt Zürich, aber schließlich spuckte ich in die Hände und griff zu. „Es geht vorüber“ ist ein Idiotismus. Ich überantwortete mich diesem Idiotismus; Haas 1994 Provinzialwörter XXV Für Gottsched und Aichinger (1753/54) sind Idiotismen die Redensarten und Sprichwörter einer Sprache, die insofern etwas Besonderes und Eigenes sind, „als sie sich in keine andere Sprache von Wort zu Wort übersetzen lassen“ (Gottsched . .) . . ¤PhraseologismusÅ blieb während des ganzen Jahrhunderts eine der Hauptbedeutungen von Idiotismus; Zürcher Tagesanz. 15. 5. 1998 Erst kaufte ich Wörterbücher mit nützlichen Idiotismen für Touristen: Ti sime´ni afto´ (was heisst das?); den katalave´no (ich verstehe nicht); Nürnb. Ztg. 30. 11. 2009 „Idiotismus“ etwa stand früher für einen mundartlichen Ausdruck. idiotisch 3: Bülow 1801 Feldzug v. 1800 1 Die Heere bilden einen Körper von dem die Soldaten die Arme und Füße sind, wovon die Subsistenz als der Magen, der Feldherr aber als der Kopf zu betrachten ist. Wenn der Kopf insan oder idiotisch ist, so pflegt die Wirksamkeit des Körpers gar nicht zweckmäßig auszufallen; 1819 Götting. gel. Anz. I 58 In einem vom Verf. untersuchten zweyjährige[n] idiotischen Kinde schien ihm die Cerebral-Organisation in ihrer Entwickelung zurückgeblieben und unfähig zur Aeußerung von Seelenkräften; Meissner/Schmidt 1831 Enc. d. med. Wiss. VI 421 Eine unbekannte erbliche Disposition scheint in manchen Familien vorhanden zu seyn, da man mehrere Brüder oder Schwestern idiotisch findet; 1870 Beschr. OA. Maulbronn 67 Wenn man . . unter Kretinen nicht blos Blödsinnige (idiotische) Menschen versteht, was ein zu allgemeiner, darum vager Begriff ist, sondern solche, wo die Hemmung der psychischen Entwicklung mit einer erheblichen körperlichen Mißgestaltung, besonders des Schädels verbunden ist; Duimchen 1902 Mittel 113 „Das ist wohl ausgeschlossen,“ antwortete der Herr, der hinter dem Rollstuhle stand, in dem die gelähmte Kranke eben die völlig ausdruckslosen, idiotischen, über die Köpfe der Anwesenden abirrenden Augen aufschlug; Klemperer 1942 Tagebücher 30 Eisner. Der lärmende, proletarische Land-

jude . . Der Mann mit dem deportierten idiotischen Sohn; Pörtner 1964 Erben 440 Karl der Dicke war ein gutmütiger, frommer Mann, der – wie sogar die Fuldaer Annalen nicht ohne Tadel vermerken – „unablässig Gebete und Psalmen murmelte“. Im Urteil der Historiker gilt er als eine Figur minderen Ranges. Die meisten nennen ihn dumm und zurückgeblieben, einige halbidiotisch; taz 14. 5. 1987 Die Handlungen der beschuldigten Ärzte und Ärztinnen stellten „unter den damaligen Umständen keine schweren sittlichen Verfehlungen im Sinne der Reichsärzteordnung“ dar. Es seien „nur“ vollidiotische und schwer mißgebildete Kinder getötet worden, bei denen eine Heilung nach dem Stand der Wissenschaft ausgeschlossen gewesen wäre. Idiotismus 3: 1800 Journ. d. pract. Arzneykunde XI 11 Sieht man auf den Zustand der Seelenkräfte im Allgemeinen . .: so lassen sich folgende Hauptklassen festsetzen. . . 1. totale Schwäche aller Gemüthskräfte. Blödsinn (fatuitas, idiotismus), z. B. bey den Kretinen, bey der Schlafsucht, bey dem Kindischwerden alter und junger Greise; 1802 Götting. gel. Anz. 966 Heftige Gemüthsbewegungen können den Idiotismus hervorbringen; Küttner 1804 Reise durch Deutschl. IV 53 Der Kropf . . scheint nahe mit dem Idiotismus in Verbindung zu stehen! Die Cretins haben so ziemlich alle Kröpfe; 1828 Encycl. Wb. d. med. Wiss. II 198 Wenn aber entweder Erinnerungs- oder Combinationsvermögen total aufgehoben ist, oder wenn beide zugleich sehr geschwächt wirken, so nennen wir die hieraus entstehende Krankheitsform Blödsinn, und besonders, wo das Combinationsvermögen wirksamer als das Erinnerungsvermögen ist, Idiotismus; Hall 1842 Krankh. d. Nervensystems (Übers.) 173 Idiotismus (Überschr.) . . Kurz nach der Geburt müssen wir in manchen Fällen eine schreckliche Frage entscheiden. Ist das Kind ein Idiot? Ist das Gehirn gehörig entwickelt?; Schroeder van der Kolk 1863 Geisteskrankheiten 165 Ueber Idiotismus oder angebornen Irrsinn schweige ich gänzlich. Nur eine psychische Einwirkung vermag hier bisweilen noch etwas, nicht aber eine ärztliche Behandlung; 1879 Archiv f. Psychiatrie X 132 Trübsinn trat auf, grosse Reizbarkeit, häufiges Weinen. So kam sie in die Anstalt. – Idiotismus ziemlichen Grades. Schädel und Gesicht unsymmetrisch, die linke Seite deutlich schwächer entwickelt gegen die rechte; Gerhardt 1904 Idiotenwesen 276 Der Idiotismus ist ein Symptom verschiedener Erkrankungen des Central-Nervensystems; 1946 Festschr. Naturforschende Ges. Zürich 73 Conrad Meyer . . leistete die Hauptarbeit in der von der S.N.G. eingesetzten Kommission zur Leitung der Aufnahme einer Statistik des Kretinismus, Idiotismus usw. in der Schweiz; Gamm 1981 Wahnsinn i. d. Vernunft 183 Blödsinn oder Idiotismus ist gegeben, wenn die

idiotisch Leitung durch den Verstand unterbrochen ist. Ist aber die Leitung zwischen dem Verstand und der Seele abgeschnitten, . . dann „entsteht das Schrecklichste, nämlich der Wahnsinn. . .“; 1989 Brockhaus X 378 Idiotismus, angeborener oder in frühester Kindheit erworbener Schwachsinn so schweren Grades, dass jede Art von Bildungsfähigkeit ausgeschlossen ist (Intelligenzquotient unter 25); 2005 Zeit-Lexikon VI 584 Idiotie . . (Idiotismus), nicht mehr gebräuchl. Bez. für schwere geistige Behinderung. idiotisch 4: Schmidt 1868 Herder (Cid Einl. XVIII) Je eigenartiger (Herder nannte es idiotisch), je nationaler eine Dichtung, desto echter; Freud 1873 briefl. (Briefe 1873⫺1939 6) Mein Professor sagte mir zugleich . ., daß ich hätte, was Herder so schön einen idiotischen Stil nennt, das ist einen Stil, der zugleich korrekt und charakteristisch ist; Hilgenfeld 1875 Einl. i. d. Neue Testam. 31 f. Noch bei Origenes finden wir den reinen Gegensatz der öffentlichen oder gemeinsamen und der apokryphischen (oder idiotischen) Schriften. . . Ohne Zweifel findet sich der Ausdruck [„Kanon“] in den Synodalbeschlüssen von Laodicea um 360, wo das Kanonische dem Idiotischen (d. h. Apokryphischen) entgegen gesetzt wird; Jaspers 1958 Atombombe 342 Die Gehörigkeiten dieses gesunden Menschenverstandes neigen dazu, die vermeintliche Freiheit (die doch nur die Willkür des Privaten, absolut Eigenen, des „Idiotischen“ ist) zu sichern gegen vermeintliche Gewaltsamkeit (die doch nur Anspruch an Helligkeit im Offenbarwerden ist); Rotholz 1970 Polit. Wissenschaft 131 f. Denn eine ontologische Explikation der Existenz löst nicht das wirklich existentielle Problem der Zeit, das ja auch dadurch gegeben ist, daß jeder Mensch ein privates „idiotisches“ Bewußtsein hat. Und somit erhebt sich die Frage der Verifizierung der augustinischen Zeiterfahrung. Idiotismus 4: Hißmann 1781 Welt- u. Menschengesch. (Übers.) I 16 f. Aber laß sie auch Narren gewesen seyn: wo giebt’s ein Originalgenie, welches in Absicht auf Bisarrerie im Denken und Handeln so viele merkwürdige Idiotismen hätte, als der Narr, so lang er nicht gerade ein Blödsinniger ist, der überall weder denkt noch handelt, und so lang er folglich noch an die Kette kommen kann, deren der Blödsinnige nicht einmal würdig ist?; Wieland 1781 Abderiten I (W. II 252) Er [der abderitische Dichter Hyperbolus] war unter allen ihren Dichtern derjenige, in welchem der eigentliche Geist von Abdera, mit allen seinen Idiotismen und Abweichungen von den schönern Formen, Proportionen und Lineamenten der Menschheit, am leibhaftesten wohnte (DiBi 1); Herder 1785 Ideen z. Phi-

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los. d. Gesch. II (W. IV 2,497) Ein eingeschränktes Volk, das fern von . . dem Umgange andrer Nationen zwischen Bergen wohnet, ein Volk, das seine Aufklärung nur von Einem Ort her erhielt und je früher es diese annahm, dieselbe durch eherne Gesetze um so vester machte; eine solche Nation mag viele Eigenheit an Charakter erhalten und sich lange darinn bewahren; es fehlt aber viel, daß dieser beschränkte Idiotismus ihr jene nützliche Vielseitigkeit gebe, die nur durch thätige Concurrenz mit andern Nationen erlangt werden konnte; Diderot 1805 Rameau’s Neffe (Übers.) 120 f. Und der Fürst, der Minister, der Financier, die Magistratspersonen, der Soldat, der Gelehrte, der Advokat, der Prokurator, der Kaufmann, der Banquier, der Handwerker, der Singmeister, der Tanzmeister sind sehr rechtschaffene Leute, wenn sich gleich ihr Betragen auf mehrern Punkten von dem allgemeinen Gewissen entfernt und voll moralischer Idiotismen befunden wird. Je älter die Einrichtungen der Dinge, je mehr giebts Idiotismen; Jean Paul 1822 Loge 128 f. zwei Erzieh-Idiotismen – wovon der eine ist, daß ich den Witz meines Zöglings so stark als seinen Verstand übte, der zweite daß ich lauter Autores aus Zeitaltern von unedlen Metallen mit ihm traktierte (DiBi 125); 1865 Zschr. f. d. ges. Staatswiss. XXI 597 Der bekannte Publicist [Constantin Frantz] geht auch in dieser Schrift seinen eigenen Weg, unter kurzweg verurtheilender „Kritik aller Partheien“. Aber seine Eigenthümlichkeit streift, bei allem Geistreichen und Wahren im Einzelnen, auch an Idiotismus. Er sucht die Wiederherstellung Deutschlands auf dem Wege des „Reiches“; Klemperer 1920 Tagebücher 275 Wenn er nach 6, 8 Manuskriptseiten ein Wort ausstreiche u. verbessere, so schreibe er alle 6, 8 Seiten wieder ab … Eine Mischung aus Überheblichkeit, Idiotismus, gespielter u. wahrer Verbitterung; 1970 Weimarer Beitr. XVI 8,189 Thomas Manns Frühwerk stellt eigenartige „Asketen“, „Einsiedler“ des Geistes der bürgerlichen Gesellschaft des ausgehenden 19. Jahrhunderts dar, die aus dem Leben ausgeschaltet sind und dies schmerzlich empfinden. . . Die bürgerliche Epoche machte den Menschen einseitig, der Mono-Idiotismus ist eine der Hauptkrankheiten der bürgerlichen Gesellschaft. Es entstanden Leute, die . . nur Komfort, somatische Werte anerkennen, andererseits bildeten sich relativ wenige „Asketen“, die Menschen des Geistes, die keinen Kontakt mit dem Leben haben und absolut passiv, handlungsunfähig blieben. Sie können denken, träumen, schauen, aber leben können sie nicht; Frankf. Rundsch. 19. 3. 1997 Angesichts solcher Multimedia-Absahnereien [Literaturverfilmungen] erscheint einem Patrick Süßkinds . . Weigerung, sein Opus unum/maximum, Das Parfüm, „verfilmen“ zu lassen, von einem nachgerade Thomas-Pynchon-haften narzistischen [!] Idiotismus.

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idiotisch 5: Nordau 1885 Paradoxe 75 Die jungen Mädchen spielten . . die Possenrolle der . . eingeschüchterten Unschuld vom Lande; das waren . . vollkommen blödsinnige „Ach“ und „Oh“, Ausbrüche eines idiotischen Gekichers, wie es Austern haben mögen, wenn ein muthwilliger Finger sie kitzelt; Kerr 1896 Br. a. d. Reichshauptstadt 214 Das sozialistische Berliner Hauptorgan leistete sich den idiotischen Satz: „Eine Ausstellungsleitung, die eine Sportwoche einrichtet, ist in dieser Beziehung zu allem fähig.“ Als ob es eine raffinierte Niederträchtigkeit wäre, eine Sportwoche einzurichten!; Klemperer 1924 Tagebücher 783 f. Ich las gestern über Tisch uno tenore den Hinkemann, eine wirkliche u. reine Dichtung, an der sich unsere Studenten idiotisch blamiert haben. Ich muß mir ein bißchen daraus auf einem Arbeitsblatt notieren; es sind Zusammenhänge mit Barbusse vorhanden; 1930 Westermanns Monatsh. VIII 513 Und nun kam mir das alles mit einmal so sonderbar und unmöglich vor. . . Es schien mir ganz idiotisch, daß dort ein Dampfer lag, auf dem ich der Nächstkommandierende war; Th. Mann 1933 Tageb. (W. XII 686) Nie in Welt und Geschichte ist eine idiotischere Demagogie getrieben worden. Es ist etwas Infernalisches darin, so jedes Wort auf die letzte Dummheit, auf die es ankommt, zu berechnen und jedes bessere Wissen, jede anständige Wahrheit frech dabei unter die Füße zu treten; Hiller 1938 Profile 18 Die Impotenz einer bis ans Idiotische verkalkten Bonzenbürokratie wäre der Arbeiterbewegung mit einem Schnitt fortoperiert; Frisch 1957 Homo faber 61 Am dritten Tag, als wir wieder durch Gebüsche fuhren, ohne eine Fährte zu haben, . . hatte ich es satt – ich war für Umkehren. „Weil es idiotisch ist“, sagte ich, „einfach aufs Geratewohl weiterzufahren, bis wir kein Gasoline mehr haben“; 1968 Jerry Cotton, Teenager 62 Als ich meine zerschossene Bettdecke betrachtete, dachte ich seufzend daran, welcher idiotische Papierkrieg nötig sein würde, dafür Ersatz zu bekommen; Mannh. Morgen 2. 4. 1985 „Zweimal bin ich umgestiegen“, erzählte er, vorher sei das viel

schneller gegangen. Zornesrot schimpften andere: „Idiotisch. Völlig unnötig. Unverständlich. Verwirrend“. Solche Kommentare haben die Verkehrsbetriebe in den vergangenen Wochen schon öfter hören müssen; Niederösterr. Nachr. 9. 7. 2008 Es kann nicht sein, dass der Verkehr einer Hauptstraße wegen eines kurzen Stücks Einbahn ins Wohngebiet geleitet wird. Das ist idiotisch; Nürnb. Nachr. 6. 3. 2013 wer Brauchbares wegwirft, ignoriert die C02-Mengen, die für seine Herstellung einst notwendig waren. Die idiotische Abwrackprämie für alte Autos ist dafür das beste Beispiel. Ressourcen schonen geht anders. Idiotismus 5: 1891 Mag. f. Litteratur LX 255 Gleich auf der ersten Seite stießen mir ein paar Dummheiten auf . . und wie ich auf der letzten Seite angekommen bin . . da packt mich der dreimal heilige Zorn über diesen großprotzigen Idiotismus; Th. Mann 1929 Reden u. Aufs. (W. X 462) Soll der Krieg, in dem Hamsun (nie sei es ihm vergessen!) auf deutscher Seite stand, nicht nur ein blutiger Idiotismus gewesen sein, soll er überhaupt einen Sinn gehabt haben, so war es der einer europäischen Gesamtaktion, die leider nötig war, um Europa auf eine neue Stufe seiner sozialen Bildung zu bringen; Zeit 29. 3. 1985 mit „Gut wie Gold“ machte er [Joseph Heller] sich fröhlich lustig über die dem politischen Establishment in Washington dienenden jüdischen Intellektuellen, denen er einen an Idiotismus grenzenden Opportunismus und Karriere-Notstand bescheinigte; Zeit 5. 12. 1997 Davon unberührt bleibt das Verdienst seines Buchs, den Sinn für die Attraktion des apokalyptischen Denkens zu schärfen, das die Menschheit vom Idiotismus der Weltkampfmythen befreit und hinein ins Geschichtsdenken katapultiert hat; dpa 21. 6. 2013 Ein siebenjähriger Junge ist am Steuer eines Wagens in Australien von Polizisten gestoppt worden. Im Auto saß auch sein 41jähriger Vater – sturzbetrunken. . . „Ich kann nur den Kopf schütteln – ich bin schockiert über solchen Idiotismus“, sagte der Verkehrsminister.

Idol N. (-(e)s; -e), im frühen 16. Jh. entlehnt aus lat. idolum, idolon ¤Schattenbild (eines Verstorbenen), Erscheinung, Gespenst; Bild in der Seele, Vorstellung; GötzenbildÅ (< griech. ei>dwlon ¤Gestalt, Schattenbild, Gespenst; Nachbildung, Bild, Trugbild; Bild in der Seele, Vorstellung; GötzenbildÅ, zu $idein ¤sehen, erblicken; erkennen, wissenÅ, → Idee, → Idylle), zunächst in der lat. (flekt.) Form Idolum und (griech. beeinflusst) Eidolon. 1a Zunächst in unterschiedlichen Kontexten für ¤heidnische Kult-, Götterfigur, Götzenbild, AbgottÅ, seit Anfang 17. Jh. zunehmend und schließlich fachspr. (Archäologie) spezifiziert zu ¤(kleine) anthropomorphe Götterfigur aus Stein, Holz, Elfenbein, Ton o. Ä. als Kultgegenstand oder GrabbeigabeÅ (s. Belege 1630, 1922, 1968, 1989,

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2007), in Wendungen wie die Heiden knien vor Idolen und Abgöttern, Bildwerke wie Idole und Götzen sind Teufelswerk, heidnische Idole, Idole waren bereits in der Jungsteinzeit verbreitet, bis heute findet man Idole in ganz Europa und im gesamten Mittelmeerraum einschließlich des Nahen Ostens, oft waren die Idole Grabbeigaben und Zss. wie Idolfigur; Amulett-, Azteken-, Fruchtbarkeits-, Kykladen-, Stein-/Ton-, Steinzeit-Idol, schon früh in vergleichenden Kontexten, z. B. mit Bezug auf christliche Verhältnisse (s. Beleg 1597) und bildlich (dann oft nicht klar von 2 zu trennen, s. Belege 1893, 1949), z. B. das Idol des Radsports vom Sockel stürzen, das Idol einer ganzen Generation begann zu bröckeln. Dazu etwa gleichzeitig aus gleichbed. lat. idololatria (< gleichbed. griech. ei$dwlolatrei*a, aus ei$dwlo-, zu ei>dwlon, s. o., und -latrei*a ¤Dienst, LohndienstÅ, vgl. die analogen (Gelegenheits-)Bildungen Anglo-, Bardo-, Biblio-, Goetho-, Humano-, Monolatrie) entlehntes Idololatrie F. (-; -n), häufiger gekürzt Idolatrie, zunächst aus christlicher Perspektive abwertend in der Bed. ¤Götzendienst, Abgötterei; BilderanbetungÅ, dann wertfrei ¤Verehrung von bildlichen Darstellungen göttlicher Wesen und Kräfte sowie mit ihnen verbundener geschöpflicher Wesen durch (Wallfahrten und) Niederwerfen, Niederknien, Küssen, Anzünden von Kerzen oder Weihrauch, Ausstattung mit kostbaren Gewändern und SchmuckÅ (s. Beleg 1885; vgl. Ikonolatrie, → Ikono-, ikono-) und seit früherem 19. Jh. auch mit Bezug auf Personen und Kulturgegenstände (s. Belege 1845, 1978, 1985, 2008), in Wendungen wie er wurde der Idolatrie beschuldigt, die Bilderanbetung wurde als Idolatrie verboten, Ikonodulie und Idolatrie, die Ikonolatrie steigerte sich zur Idolatrie, aus seiner Bewunderung Shakespeares wurde Idololatrie und (eher okkasionellen) Zss. wie Idolatrieverbot; Guevara-, KarlKraus-, Künstler-, Mutter-, Technik-Idolatrie, mit der seit früherem 16. Jh. vereinzelt, seit spätem 18. Jh. häufiger, in neuerer Zeit nur noch vereinzelt (historisierend) belegten Personenbezeichnung Idololater M. (-s; Idololatren), daneben Idolater und moviert Idolatrin, ¤Verehrer von bildlichen Darstellungen (Gemälden, Skulpturen etc.) göttlicher Wesen und Kräfte sowie mit ihnen verbundener geschöpflicher Wesen (Engel, Heilige, Symboltiere etc.)Å (vgl. Ikonolater, → Ikono-, ikono-), gelegentlich auch übertragen (s. Beleg 1845), z. B. ein Idololater oder Götzendiener, Idololatren und andere Sünder, und der im frühen 16. Jh. vereinzelt, seit spätem 18. Jh. kontinuierlich belegten adj. Ableitung idololatrisch, auch idolatrisch, zunächst vereinzelt abwertend im Sinne von ¤heidnischÅ, dann als Terminus der Religionswissenschaft für ¤bildliche Darstellungen göttlicher Wesen und Kräfte sowie mit ihnen verbundener geschöpflicher Wesen verehrend; die Bilderverehrung gestattend, fördernd, betreibend; der Partei der Ikonodulen im Byzantinischen Bilderstreit angehörendÅ (vgl. ikonolatrisch, → Ikono-, ikono-), dann auch bildlich übertragen zur Charakterisierung profaner gesellschaftlicher Bereiche und Personen (s. Belege 1855.1, 1855.2, 2005), in Wendungen wie die idololatrischen Theologen, die idolatrische Partei im Byzantinischen Bilderstreit, idolatrische Verehrung einer Tänzerin. b Seit Anfang 18. Jh. mit fließenden Übergängen aus der bildlichen Verwendung von 1a her (und oft nicht eindeutig davon zu unterscheiden, s. Belege 1752, 1778, 1827) bes. im kulturellen (und politischen) Bereich mit Bezug auf konkrete und abstrakte Gegenstände für ¤profanes, aber intensiv, abgöttisch verehrtes Objekt der BegierdeÅ (→ Fetisch 2a), zunehmend und heute überwiegend auf Personen bezogen (vereinzelt auch in der movierten Form Idolin) in der Bed. ¤sehr bekannte, von Vielen bewunderte oder (abgöttisch) verehrte Persönlichkeit (der Politik, des Sports,

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der Popkultur etc.), die als Verkörperung oder Repräsentant einer Idee, Integrationsfigur einer Gruppe oder Projektionsfläche für (jugendliche) Schwärmereien Vorbildfunktion hat, (leuchtendes) Vorbild, Leitbild, Leit-, Kultfigur, Schwarm; (Ab-)Gott, LeitsternÅ (→ Heros, → Ideal 2, → Ikone b, → Mythos, → Star; vgl. Galionsfigur, → Galeere, Held), in Wendungen wie ein Idol anhimmeln, verehren, seinem Idol nacheifern, in die Fußstapfen seines großen Idols treten, das einstige Idol Boris Becker, Beckenbauer ist ein Idol des Fußballsports, mit Curt Cobain starb ein Idol der linkspolitischen Jugend, die Peter-Gabriel-Fans feiern ihr Idol, das Idol einer ganzen Nation, Generation und, oft alternierend mit -ikone, in Zss. wie Idolbildung, -charakter, -figur, -funktion, -kult, -status, -wirkung; (in Verbindung mit Bezeichnungen für das Betätigungsfeld:) Box-, Eishockey-, Fernseh-/TV-, Film-/Hollywood-/Kino-/ Leinwand-, Fußball-, Pop-/Rock-, Rad(-sport)-, Sex-, Ski-, Sport-, Tennis-Idol, (in Verbindung mit Bezeichnungen für die ausgeübte Tätigkeit:) Rennfahrer-, Stürmer-, Torwart-, Trainer-Idol, (in Verbindung mit Mannschafts-, Vereinsnamen u. Ä.:) FCK-, Herta-, Grashoppers-, Rapid-Idol, (in Verbindung mit Herkunftsbezeichnungen:) Sowjet-, US-Idol, (in Verbindung mit Bezeichnungen für die Gruppe der Anhänger:) Jugend-, (Neo-)Nazi-, Teenager-/Teenie-Idol. 2 Seit Anfang 18. Jh. selten auch (anknüpfend an die entsprechende Teilbed. des griech. Etymons, s. o.) für ¤Schatten-, Trugbild, Schemen, Geist, (geisterhafte) ErscheinungÅ und von daher in philosophischen Kontexten (mit Bezug auf die Idolenlehre von Bacon) ¤Vorurteil, unbegründete, unbewusste, unreflektierte, unhinterfragte oder subjektive Setzung, die die Erkenntnis der Wahrheit erschwert oder verhindertÅ (s. Belege 1799, 1989; → Idee 1a, → Illusion 2a), v. a. (im lat. Pl.) als Bestandteil von fachspr. lat. Termini wie Idola specus, Idola theatri, Idola fori, Idola tribus, in Wendungen wie Phantome und Idole sind flüchtige Geister, man muss die geistigen Idole bekämpfen sowie in der Zs. Idolenlehre. Dazu seit spätem 18. Jh. idolisieren V. trans., überwiegend mit Bezug auf Personen, seltener auf (abstrakte) Gegenstände, in der Bed. ¤jmdn./etwas (wie einen Gott, Götzen, abgöttisch) verehren, vergöttern, stilisieren, idealisieren; jmdn. zu einem Vorbild, zu einer Kultfigur machenÅ (vgl. heroisieren, → Heros, idealisieren, → ideal 3, ikonisieren, → Ikon a), in Wendungen wie einen Fußballstar idolisieren, das Heilige Römische Reich wurde als Stiftung Christi idolisiert (zu 1b), mit dem seit früherem 19. Jh. belegten Verbalsubst. Idolisierung F. (-; -en) ¤Vergötterung, Verehrung einer Person (als Gott, wie einen Gott)Å (zu 1b). Dazu seit frühem 19. Jh. die adj. und adv. Ableitung idolisch, in der Bed. ¤auf eine heidnische Kult-, Götterfigur, ein Götzenbild, einen Abgott gerichtet; in Form, Art und Weise eines Idols, idolhaftÅ, in Wendungen wie idolische Verehrung, idolische Abbilder der Muttergöttin (zu 1a), daneben seit frühem 20. Jh. mit Bezug auf sehr bekannte, von vielen bewunderte oder verehrte Persönlichkeiten ¤vorbildlich; heldenartig, abgöttisch, kultartig, wie ein(en) Gott, als Held, Star, Galionsfigur (verehrt)Å, in Wendungen wie einen Popstar idolisch verehren, der idolische Wert des Fußballers überschreitet seinen sportlichen (zu 1b). Idol 1a: Zwingli 1523 Disp. II 709 Darzu˚ das nieman möge sagen, wo idola verbotten sygend, das daselbst ouch nun die abgött verbotten sygend! Nein; dann das griechisch wort idolon, das den Latinen simulachrum, den Tütschen ein bild heißt,

das heißt den Griechen alle glychnüs unnd abcontrafeyung; Luther 1525 Pred. (WA I 16,348) Ein Idolum oder Abgötterey ist anders nichts denn ein Menschlicher wahn und gedancke vom Teufel ins hertz eingebildet, und füret doch den Namen des

Idol waren Gottes, dadurch verleitet denn der Teufel; Rivius 1548 Vitruv. 84a Es haben auch solche vnterschiedung der Bildwerck jre besondre namen in Griechischer sprach/ dann die so den Abgöttern gemacht vnd zu ehren auffgericht worde/ nennen sie Idola; Clajus 1578 Grammatik 128 Abgott/ idolum; Fischart 1581 Dämonomania 638 Seiteynmal der klar Text des Göttlichen Gesatzes außtrucklich gebiet/ daß der so nur mit Neygung der Bildern oder Götzen/ welche die Griechen Eidola nennen/ ehr anthut/ soll vom Leben zum Tod gericht werden; ebd. 785 Deßhalben gehet der Sathan darauff vmb/ daß er nach disen Creaturen Gottes/ die werck der Menschen in ein ansehen vnd ehrung auffbringe/ als die Bildnussen/ Contrafaitungen vnd auffgerichte Götzen: Welche die Griechen nennen Idola; Hansonius 1588 Warnung 50 f. Jetzo fehrt man weiter/ vnnd verwürfft alle Bilder . .: Vnd solchs auß Grundt . . deß vbel angezogenen vnd fälschlich außgelegten andern Gebotts/ da sie [die Calvinisten] der Christlichen Kirchen Bildtnuß/ den Heydnischen Idolis, Götzen vnnd Abgöttern/ fälschlich vergleichen; Fridensberg 1597 Discurs 10b Die Transsubstantiatio oder verwandelung des Leibs vnd Bluts im geheiligten Brodt vnd Wein/ daher . . der rechte brauch hochwirdigen Sacraments des Nachtmals wider des HErren Christi einsetzung/ verdunckelt/ Ja zur anbetung vnd vmbtragung: Endlich zu einem Idolo oder Abgott in der Monstrantz . . gemacht; Walter v. Walterßweyl 1609 Reiß 48b Es seyn auch in vermeldten todten Cörpern . . viel kleine jrrdene Idola oder Abgötter/ sambt andern vil seltzamen in Stain gehawen vnd Holtz geschnitzte Bilder/ zufinden/ welchem derowegen gefellig sich mit jetzt gemeldten Idolis oder Ratzenkönigen zubelustigen/ der kan derselben . . souil jhme gelust/ mit sich zu hauß nemmen; Ammann 1630 Reise ins Gelobte Land 80 Bey diesen Cörpern [ägyptischen Mumien] liegen auch eingewicklete Bilder/ Idola genannt: sind nur eines Fingers lang/ wie auch kleine Säulen und ander Gaugelwerck: alles von Leim blawlächt gebrännt: sollen vor Zeiten an diese Sachen geglaubt haben. [Marginalie:] Egyptische Götzen; Sandrart 1675 Ttsch. Academie I 1,41 Es sind auch allhier viel andere rariteten an Idolen, Vasen und Maschen/ von Marmor/ auch fragmenten: welche in so grosser und rarer Zierd erhellen/ daß hiervon ein absonderlichs Buch zu beschreiben wäre (DTA); Sperander 1727 A la Mode-Sprach 298 Idolum, ein Götzen-Bild; Herder 1767 Dtsch. Literatur (S. W. I 306) Beinahe vom Diogenes dem Laertier an findet man in den Griechen, was man in ihnen finden will: verschönerte Gesichter, unerträgliche Idole, halb Ideal, halb Griechisch, halb nach neuerer Form; Volkmann 1777 Italien II 804 ein ausdrücklicher päbstlicher Befehl . ., daß solche

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[große antike Statuen] nicht außerhalb der Stadt verkauft werden sollen, . . aber die kleinen Statüen von Marmor, die Idolen von Bronze sind nicht mit darunter begriffen; Hölderlin 1797 Hyperion (Gr. Stuttg. Ausg. III 1,16) O du, zu dem ich rief, als wärst du über den Sternen, den ich Schöpfer des Himmels nannte und der Erde, freundlich Idol meiner Kindheit, du wirst nicht zürnen, daß ich deiner vergaß!; Seume 1803 Spaziergang (W. I 407 f.) Ich hatte aus Gewohnheit noch ein kleines, niedliches Madonnenbildchen an einer seidenen Schnur am Halse hangen, das mir oft das Prädikat der Katholizität erworben hatte. . . Jetzt nahm ich es unwillkürlich von der linken Seite, nach welcher sich das Idolchen immer neigte; schloß unwillkürlich das Glas auf, nahm das elfenbeinerne Täfelchen heraus; Campe 1813 Fremdwb. 363 Idol, der Götze, das Götzenbild, der Abgott. Götze und Abgott werden von Einigen dahin unterschieden, daß dieses einen unechten, falschen Gott, jenes hingegen das Bild desselben bezeichnen soll; Pierer 1860 Konversationslex. X 332 Außer dem genannten Buddhabilde umschließt der Tempel noch eine Menge andere Idole, Heiligthümer, Reliquien, Weihgeschenke, goldene u. silberne Gefäße, die jährlich einmal öffentlich ausgestellt werden; Fontane 1893 Br. II 2,309 f. Jede Gesellschaftsklasse, jeder Hausstand hat ein bestimmtes Idol. Im ganzen aber darf man sagen: es gibt in Preußen nur sechs Idole, und das Hauptidol, der Vitzliputzli des preußischen Kultus, ist der Leutnant, der Reserveoffizier; Troeltsch 1898 Ges. Schr. IV 457 Der Gott Israels selbst ist ein ganz partikularer, willkürlicher, oft der Moral Hohn sprechender Nationalgott, anthropomorph wie ein ägyptisches Idol; Bierbaum 1910 Reife Früchte 60 Wie Sara selbst, ohne Religion aufgewachsen, hatte sie, aus einem mystischen Bedürfnisse ihres dunklen Wesens heraus, Sara zu einem Idol nach der Art derer gemacht, die ihre schwarzen Vorfahren angebetet haben mochten; Buschan 1922 Illustr. Völkerkunde I 43 Auch die Leistungen vieler Naturvölker im Bereiche der Plastik sind nicht unbedeutend zu nennen. Die in den Museen aufgehäuften Holzschnitzereien und Steinidole der Papua, Maori, Nordwestamerikaner und vieler Negerstämme erwecken nicht bloß das Interesse des Ethnologen, sondern auch die volle Bewunderung des Kunstkenners; Süddtsch. Ztg. 10. 2. 1949 Wenn der Sprecher am Budapester Mikrophon den Kardinal als einen „kriecherischen Feigling“ verhöhnte, der mehrfach „bitte gnädigst“ gesagt hätte, so wird ganz klar, worum es geht. Das Idol sollte in den Staub geworfen, der Nimbus ausgelöscht und in die Reihen der Gegner Verwirrung und Zweifel getragen werden; Thimme 1968 Randkulturen 49 Ein Steinidol aus Zypern des frühen 3. Jahrtausends zeigt, wie der-

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artige Amulettidole um den Hals gehängt getragen werden konnten; 1989 Brockhaus X 378 Idol . . vom christl. und jüd. Standpunkt aus jedes heidn. Kultbild . .; in der vor- und frühgeschichtl. Archäologie traditionelle Bez. für als Grabbeigabe oder für den Kult bestimmte, meist kleine, den menschl. Körper abstrahierend oder auch naturalistisch wiedergebende Figuren aus Ton, Stein, Bronze, Elfenbein; Berl. Ztg. 29. 12. 2007 Das so genannte „Idol von Pomos“ ist auf den Ein- und Zwei-Euro-Münzen von Zypern zu sehen. Die etwa 5000 Jahre alte Figur wurde im Dorf Pomos gefunden und soll die zyprische Kunst symbolisieren; Rheinpfalz 17. 6. 2014 Die den so genannten Kykladenidolen zuzuordnende Figur wirkt nachgerade wie eine moderne Skulptur. . . Die Kykladen sind eine dem Peloponnes vorgelagerte Inselgruppe. Die für die dortige Kultur charakteristischen Idole gelten als Symbole für den Beginn Europas. Ido(lo)later 1a: Joh. Friedr. v. Sachsen 1541 Br. (Akten d. dt. Reichsreligionsgespr. III 1,166) Dann wir erwegen, das gott unsers herren vaters und unsere opposition und ire nichthaltung berurter vertrege nit ane sunderliche grosse ursachen und seinem wort zu ehren und guten also mag verfugt haben, das wir und unsere nachkommen dester freier und solcher oberkeit halben ungescheuet mit der religion zu gottes lob walten mugen, dieweil doch bei uns kain trost ist, das man sich mit solchen idolatren der religion halben nimmermher [!] rechtschaffen vergleichen werde; Hansonius 1588 Warnung 50 f. da sie [die Calvinisten] der Christlichen Kirchen Bildtnuß/ den Heydnischen Idolis, Götzen vnnd Abgöttern/ fälschlich vergleichen/ vnd damit nit allein die Catholischen/ sonder auch alle Confessions Verwandten/ Chur. Fürsten/ vnd Ständt/ so vil deren nicht Caluinisch seyen/ für Idololatras vnnd Abgötterer außru˚ffen vnnd schelten; Becher 1669 Moral-Discours 186 f. Und was noch schlimmer ist/ so führen theils Theologi ihre Zuhörer selber so an/ nemblich auff lauter sinnliche Venerirungen/ aber von dergleichen Idololatren kan man wol sagen/ was ein Fratzvogel von jenem Jägermeister gesagt/ . . den [nach seinem Tod] sein närrisch Weib in ein Capucciner Kappen einnehen lassen/ . . wann das Ding angieng/ würde sich ein jeder Teuffel in die Capucciner-Kappe nehen lassen/ und selbe Kappen sehr theuer werden; Walch 1785 Hist. d. Kezereien XI 253 Von de[n] Bilderstürmern unterscheiden sie sich nicht allein dadurch, daß sie die Bilderanbeter nicht Gözendiener, Idololatren nannten; welches Laster wenigstens einige den Griechen nicht zur Last legen wolten; Mendelssohn vor 1786 (1844 Ges. Schr. IV 1,85) Denn entschuldigt die Unwissenheit den Atheisten, wenn er wider Gott sündigt, so ent-

schuldigt sie den Idolater nicht weniger, wenn er solche Sünden begeht, die vermöge seines Systems keine Sünden sind. . . Handelt aber der Idolater wider sein irriges System, begeht er solche Sünden, welche selbst nach seinen falschen Begriffen von Gott für Sünde erkannt werden müssen; so ist er freilich strafbarer, als der Atheist, der eben dasselbe thut; Böhmer 1839 Alterthumswiss. II 4 f. Paulus . . hielt im Hörsaale eines gewissen Tyrannus – diese Benennung stellt sich unter Idololatren und Israeliten heraus! – über die Lehre des Herrn . . Vorträge; Niebuhr 1845 Revolution I 270 f. Die Partei der Constitution hatte einige sehr respectable Männer, allein keinen der sich an Talent mit Vergniaud messen konnte; unter ihnen Vaublanc, nach der Restauration von der äußersten Rechten, der damals als Idolater der Constitution sprach; Pierer 1859 Universal-Lex. VIII 776 Idololater, Bilder-, Götzendiener; Kraus 1882 Real-Enc. d. christl. Alterthümer I 180 indem bereits der folgende Papst Callistus . . die kirchliche Milde auf die übrigen Capitalsünder, die Idololatren und Mörder, ausdehnte; 1908–09 Pastor Bonus XXI 453 Nach dem Gesagten würde also Tertullian in de Pudicitia die Unwahrheit sagen, wenn er dort die Behauptung aufstellte, die Kirche im allgemeinen verstoße gesetz- und gewohnheitsmäßig die Idololatren für immer; Burdach 1929 V. Mittelalter z. Reformation IV 136 f. So erreicht er [Rienzo], daß der Eindruck entsteht, . . als hätte namentlich die Berufung auf den Vergilvers von der Rückkehr der Jungfrau Astraea (d. h. der Gerechtigkeit) und der Zeiten des Saturnus ihm die Brandmarkung als Idololater zugezogen; Kriss/Kriss-Heinrich 1955 Peregrinatio Neohellenika 134 f. Eine zweite Bilderfolge zeigt, wie ein zum Christentum bekehrter Jüngling eine Statue der Artemis zerstört und daraufhin von den Idololatren getötet wird; Stein 1980 Bilderstreit 45 Die indirekte Bezeichnung der Juden als Idololatren findet sich ebenfalls bei Leontios. Ido(lo)latrie 1a: Paracelsus um 1530 (S. W. II 3,279f.) so gleich ein bild bei uns wer, das zeichen tet aus zauberischer art, . . so ists nur ein betrugnus des leibs und nit der seel. . . nun aber hats gott nit von kleiner ursachen wegen verbotten, . . sondern auf die nutzbarkeit des neuen testament, daß solche abgötterej in demselbigen [Volk] verbotten werde. . . man lauf den bildern nach wie man will, wird gesund und krank, so ists nur incantatio und nit idolatria; Witzel 1535 Vom Beten ii 3a Darmit geschachs das dise brüder . . gleubten/ die Idololatry oder götterdienst/ müste neben Christi dienst gehalten werden/ vnd wurden also widerumb Abgötisch/ vnd endtlich verdampt; Golius 1579 Onomasticon 457 Idolatria, abgötterey/

Idol falscher Gottes dienst; Fischart 1581 Dämonomania 486 f. Aber andere Heyliger Schrift Gelehrte/ vnd das gröser vnd besser theil schließt dargegen/ daß es eyn Idolatry vnd Apostasy/ das ist/ eyn Abgötterei vnd Glaubensverlaugnung sei/ sich vmb verhinderung oder hindertreibung der Verhechssung vnd Zauberwercks/ des Teuffels vnd der Zauberer hülff gebrauchen; Seckendorff 1691 Reden 265 Und obgleich das dritte/ nemlich die Vermeidung oder Haß des Geitzes/ schon unter dem ersten/ nemlich der Gottesfurcht mit begriffen ist/ so gar/ daß der Apostel eben den Geitz der Gottesfurcht contradictorie` opponirt, und ihn Idololatriam, einen Götzen-Dienst nennet; Sperander 1727 A la Mode-Sprach 298 Idololatrie, heist der Götzendienst, welcher geschiehet, wann man einem Bilde, Statue oder sonst einem Geschöpffe Göttliche Ehre erweist; Windheim 1754 Bemühungen VI 296 Alle Götter der Alten . . waren eigentlich nichts als Dämonen. Man kann daher die Idolatrie durch den Dienst erklären, den man den Dämonen, an statt GOtt, geleistet hat; Beck 1788 Anleitung II 695 Zwischen Iconolatrie und Idololatrie war kaum der Unterschied zweyer Buchstaben, und die Wallfahrten nach Rom und nach Mecca gränzten näher, als die Orte selbst, an einander; Krug 1819 Philosophie III 139 Dass der Aberglaube aber auch oft Zeichen und Sache verwechselt und dann statt des Heiligen nur dessen Bild anbetet, also der Bilderdienst (Ikonolatrie) recht eigentlich zum Götzendienste (Idololatrie) wird, so wie dass dieser christliche oder vielmehr unchristliche Götzendienst nichts anders als ein Ueberbleibsel aus dem Heidenthume ist, wollen wir hiebei nicht einmal in Anschlag bringen; Bähr 1845 Gesch. d. Röm. Lit. II 242 f. In den Zeiten des Wiederaufblühens der Wissenschaften steigerte sich diese Liebe und Bewunderung der Schriften Cicero’s von Seiten der Sprache zu einer Art von blinder Verehrung und Idololatrie, welche, indem sie bloss Ausdrücke und Sprache des Cicero nachahmungswürdig und allein römisch fand, alles Andere mehr oder minder verwarf; Schoemann 1859 Griech. Alterthümer II 156 Der Cultus der Griechen wie des antiken Heidenthums überhaupt wird gewöhnlich als Idololatrie oder Bilderdienst bezeichnet, und nicht mit Unrecht: denn es ist in ihm überall zu erkennen, wie der Mensch das Bedürfniss gefühlt, sich die Gottheit, die er verehrte, durch ein sichtbares Bild zu vergegenwärtigen, und indem er seine Culthandlungen, Anrufungen und Opfer vor diesem darbrächte, sich gleichsam zu versichern, dass die Gottheit, der er sie weihte, sie wirklich auch wahrnähme; Fontane 1880 Br. an Hertz (Freundesbriefe II 2,16 f.) Denn wir nehmen unsren Klassikern gegenüber eine höchst befangene Stellung ein, wenn auch nur darin, daß wir

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auch aus dem Langweiligen und Mittelmäßigen durchaus etwas machen wollen und literarisch (um mit dem Abgeordneten Brüel zu sprechen) ebenso gut Idolatrie treiben, wie politisch; 1885 Meyers Konversationslex. II 932 Bilderdienst und Bilderverehrung (Ikonolatrie, Idololatrie). Die Neigung und Gewohnheit, das göttliche Wesen und die göttlichen Kräfte in Bildern darzustellen und zu verehren; Henne-am Rhyn 1897 Kulturgesch. VII 391 In der Religion nimmt er die sehr anfechtbare Stufenfolge: Totemismus, Fetischismus, Schamanismus, Idolatrie, Menschenverehrung, Ideenverehrung an, welche, wenigstens die vier ersten, vielmehr stets nebeneinander bestanden haben; Schlichter 1931 Zwischenwelt 9 Daß er sich . . in blasphemischem Paroxysmus einer wilden gotteslästerlichen Idolatrie hingab und mit der stumpfsinnigen Manie eines Schwachsinnigen stundenlang Galgen mit erhängten Mädchen auf Papiere kritzelte, dies alles wußten die guten Leute natürlich nicht; Horkheimer/ Adorno 1962 Sociologica II 201 Die ästhetische Empfänglichkeit des Menschen hat ihre Vorgeschichte in der Idolatrie: der Glaube an die Güte oder Heiligkeit eines Dinges geht geschichtlich der Freude an seiner Schönheit notwendig voraus; Hocke 1978 Europ. Tagebuch 284 Auszunehmen wären hier das Italien des Faschismus und Sowjetrußland, die in ihrer Staatsideologie unter anderem auch säkularisierte Produkte der anti-subjektiven, nachhegelianischen Geschichts-Idolatrien des „idealistischen“ Deutschlands sind; Zeit 22. 3. 1985 Wen wundert . . die neue Vergötterung des Unternehmers? Weil das Unverstandene seit jeher der beste Geburtshelfer neuer Mythologie gewesen ist, sollte die Ausbildung der Jugend noch mehr als bisher aus jenen Quellen der Erkenntnis schöpfen, die solchen Idolatrien die Grundlage entziehen; taz 20. 3. 1996 Hinzu kommt das Argument der Idolatrie, der Verstoß gegen das zweite Gebot: An die Stelle geistig verinnerlichter Erinnerung tritt ein sinnlich veräußerlichtes Bild [Denkmal für die Opfer des dtsch. Faschismus], dem man eine „heidnische“, selbstwirksame Erinnerungskraft zuschreibt; Berl. Ztg. 10. 4. 2008 dem historischen Humboldt wird Biermann besser gerecht, wenn er ihn ohne jede Klassiker-Idolatrie, aber doch respektvoll als einen der bedeutendsten Forschungsreisenden des 19. Jahrhunderts würdigt. ido(lo)latrisch 1a: Paracelsus 1526⫺27 S. W. I 3,228 f. es ist uns nit zu gedenken, das wir müssen auf den tag sterben, genant und vor oder nach, und ganz unchristlichen, das wir nit mögen solten unser leben ausstrecken durch die arznei, . . und noch vil mer idolatrisch und beanisch, nit zu glauben das in unserm gewalt stand wie ein feur, alein das unser mangel ist, das wir nicht erkennen das holz,

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durch das wir unser leben anzünden; Wahl 1784 Morgenländ. Spr. u. Litt. 378 Frühe behandelten Egypter Theodicee oder natürliche Theologie . . Etwa gegen das Zeitalter Josephs erhielt sie [die ägypt. Gelehrsamkeit] ihr idololatrisch- und Mysterien-Gewand . . Priester verwahrten sie in kanonischen Büchern; Grüneisen 1828 Bildl. Darst. d. Gottheit 118 f. die Lehren und Gewaltthaten Karlstadts bewogen ihn [Luther], den Kirchenbildern, soferne sie nicht Gegenstände der religiösen Verehrung werden, ein duldendes Wort zu reden und . . selbst bildliche Darstellungen der Gottheit für unschädlich auszugeben. Er hatte früher, damit dem idololatrischen Wesen unter dem Volke gewehrt würde, . . gestattet, daß man . . die Bilder aus den Kirchen nehme; hatte aber . . darauf hingewirkt, die Bilder, d. h. den idololatrischen Sinn, aus den Herzen der Leute zu reißen, damit die Bilder in der Kirche unschädlich seyn und ohne Gefahr stehen bleiben mögen; 1855 Hist.-Polit. Blätter XXXVI 464 f. so wird darum die piemontesische Politik noch keine Rechtfertigung, am wenigsten eine Verherrlichung bei denjenigen finden können, die das Innere der Sache durchschauen, und nicht nach einem vom Zeitgeist idololatrisch verehrten System . ., sondern nach den ewigen Principien des Rechts und der christlichen Ethik . . die divergirenden Bestrebungen und Ereignisse bemessen; Bernays 1855 Scaliger 61 f. Aus solcher Mischung von Dank und Staunen entsprang dann bei der eingewurzelten Maasslosigkeit des Heinsius jene fast idololatrisch heftige Anbetung, welche überall ausbricht, wo er von Scaliger zu reden auch nur die entfernteste Gelegenheit herbeiziehen kann; aufrichtig wie sie war, hat diese überlaute Verehrung doch viel dazu beigetragen, den Neidern und Hassern Scaligers das Ohr des grossen Haufens zu öffnen; Werner 1879 Vico 221 Der römische Senat . . erklärte den Inhalt der gefundenen Bücher als irreligiös, und constatirte damit den Dissens zwischen der nunmehr bestehenden idololatrischen Staatsreligion Roms und der einst von Numa vorgeschriebenen reinen Gottesverehrung; Weber 1913 Religiöse Gemeinschaften (2001 Gesamtausg. I 22,2,239) pharisäische Gesetzestreue im antiken großstädtischen Judentum, ein wesentlich idolatrisches Christentum neben allen Arten von Sektenreligiosität im Mittelalter und alle Arten von Protestantismus in der beginnenden Neuzeit – dies sind wohl die größten Kontraste, welche sich untereinander denken lassen; ders. 1920 Ges. Aufs. III 419 Das Verbot der „Bildnisse und Gleichnisse“ war gewiß eine höchst wichtige Quelle der negativen Beziehung des Judentums zur künstlerischen Sinnenkultur. Aber es . . wurde vom Pharisäismus vor allem auch als Unterscheidungsmerkmal gegenüber den idolatrischen Fremdvölkern als bedeutsam empfunden

(DWDS); Ball 1926 Künstler 140 In Basel lebte und wirkte J. J. Bachofen, der Totengräber der antiken idololatrischen Welt (DiBi 1); Goldammer 1969 Kirchl. Kunst (Kirche in ihrer Gesch. II 204) Die Bild- und Symbolplastik hatte in der christlichen Spätantike vornehmlich als Sarkophagplastik existiert . ., während die figürliche Freiplastik und die Bauplastik (Reliefs, Kapitelle) vorerst nur ein recht bescheidenes Dasein fristeten, aus dem sie erst nach der Absorbierung des Heidentums erlöst werden konnten. Denn offenbar veranlaßte hier die Gefahr eines idololatrischen Mißverständnisses die Zurückhaltung; FAZ 21. 1. 2005 Dieser Vorgang ist aber in sich paradox, weil die idolatrische Verehrung und Feier eines Herrschers eigentlich die Sache einer Monarchie oder einer Diktatur ist, in welcher die Potentaten ihre Legitimation entweder aus ihrem Status als Vertreter Gottes oder kraft gottgleicher Gewaltanmaßung beziehen; Zeit 19. 7. 2006 Fetischistische oder idolatrische Kulte im Sport oder im Konsum operieren längst nicht mehr im Modus zwanghafter Anhänglichkeit wie früher der religiöse oder sexuelle Fetischismus oder der magische Bann der Götter (DWDS). idolisch 1a: 1828 Theol. Studien I 734 Und Seneca giebt in dem Briefe über die Paränetik zu erkennen, daß ein Theil des Unterrichts, den man der Jugend gab, darin bestand, sie zur Ausübung der von anhängigen Superstitionen gereinigten Staatsreligion anzuleiten. Freilich lag nun theils in der Natur polytheistischer und zumal idolischer Verehrungen, theils in den gegenseitigen Berührungen der Völker ein unvermeidlicher Anlaß zu Veränderungen der Staatsreligion; Meyer 1856 Komm. üb. d. Neue Test. V 181 Weil . . die Schwachen . . noch an der Vorstellung wirklicher Götzenwesen kleben: essen sie das Götzenopferfleisch als solches, d. h. sie stellen sich beim Essen vor, . . dass es wirklich der idolischen Realität geweihtes und daher zu essen sündliches Fleisch sei; Grass 1907 Russ. Sekten I 602 die Zauberer, die im Volke die . . Antipathie gegen die . . christliche Lehre aufrecht erhielten. In den Grenzgebieten haben sie . . sich gegen die christlichen Prediger erhoben . . Sie hielten hier die „idolischen Versammlungen“ aufrecht, auf welchen Lieder und Beschwörungen, Händeklatschen und Tanzen, religiöse Mahlzeiten und allgemeine Unzucht ihren Platz hatten; Gottl-Ottlilienfeld 1931 Wirtsch. u. Wiss. I 150 Da er [der Primitive] unmittelbar lauter Sinnfälliges in die Hand bekommt, so verlegt er die Bedingungen seines Erfolges im Handeln wohl nach den Mächten hin, die erst noch hinter dem Sinnfälligen ihr Wesen treiben. Auf diesem Wege wird ihm auch das Sinnfällige animistisch sinnvoll, idolisch; Schuler 1940 Fragm. u. Vortr. 102 Damit stehen bestens die

Idol Funde im Einklang, die uns das Hakenkreuz . . an weiblichen Gesichtsurnen oder am Ort des Schoßes etwa auf idolischen Abbildern einer Muttergöttin zeigen, Funde, die schon aus dem zweiten Troja (2600–1900) bekannt sind; Gorsen 1969 D. Bild Pygmalions 27 Unwillkürliches neben dem Beabsichtigten, Formassoziationen neben dem durchschlagenden Sinneseindruck, antinaturalistische Verkleinerungen neben der idolischen Deformation, der erläuternde Ausschnitt neben der Gesamtansicht, Großaufnahme neben Details; Zink 2003 Theol. Bildhermeneutik 285 Darstellungen Gottvaters werden in der griechischen Tradition gar nicht und in der katholischen Kirche erst ab dem Hochmittelalter üblich, nämlich im Zusammenhang mit der Aufgabe, die Trinität zu veranschaulichen. Eine „idolische“ Verwechslung wurde offenbar nicht mehr befürchtet; Rheinpfalz 16. 1. 2014 „Bilder des Unsichtbaren – eine kleine Geschichte christlicher Bildkritik“ lautet das Thema eines Vortrags . . Dabei solle die seit den Anfängen des Christentums virulente Spannung zwischen ikonischer und idolischer Wahrnehmung der Bilder ausgelotet werden, so die Veranstalter. Idol 1b: Wächtler 1709 Manual 157 Idolum, . . dasjenige/ woran man seinen Narren gefressen, z. E. das ist sein Idolum; Durange 1722 Wegweiser 2 f. Zum Beweiß/ soll mir unter 120. FortificationsManieren pp. welche durch den Bau und Druck der Welt bekand gemacht worden/ nur die Vaubanische dienen: dann als dieses Frantzösische Idolum der Ingenieurie die Vestung Landau vollführet/ dorffte er in Gegenwart seines Königs sich rühmen: Landau habe er zwar wissen zu bauen/ wisse aber nicht/ wie es zu emportiren; Edelmann 1752 Selbstbiographie 100 Denn ich war zur selben Zeit das Idolum, oder der Abgott des Weiblichen Geschlechts; Moser 1761 Beherzigungen 205 Kaum liegt aber das Idole, dem sie [Franzosen] so reiche Opfer gebracht, in der Grufft zu St. Denys; Rabiosus 1778 Reise 12 Es war nicht wohl möglich, zu dieser Unternehmung [Errichtung der „Normalschulen“] zu gelangen, bis das Schicksal den Fall der Jesuiten vollführt hatte. . . Der Tag stund hinter den Ruinen der Jesuiterkollegien. Sobald jenes Idol gestürzt lag, und man versichert war, es würde sich von seinem Falle nicht mehr erheben, so ergrif man den Zeitpunkt; 1810 Almanach a. Rom I 247 Mit allen Reizen des Körpers von der Natur reichlich ausgestattet, galt sie für die Krone von Roms Schönheiten . . Sie ward durch diese Reize das Idol der römischen Jünglinge; Grabbe 1827 Shakespearo-Manie (III 400) Grade mit dem ersten Vorzuge, den der Haufen der Shakespeare-Vergötterer an seinem Idole zu entdecken glaubt; Meyer 1869 Volksbildung u. Wiss. 23 Nutzen und Glückselig-

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keit waren in Deutschland [um 1700] das Idol der Zeit und der Prüfstein des Wissens geworden; Bauer 1871 Bühnenleben 160 Der Graf . . hatte schon längst im Stillen in Auguste Stich die große, bezaubernde Künstlerin verehrt, aber noch nie Gelegenheit gefunden, diese Verehrung seinem Idol auszusprechen (DTA); Hauptmann 1918 Ketzer (Ausgew. W. V 545) In solchen Minuten war Francesco, scheinbar im Dienste Mariens, dem Dienste seines Idols [seiner Geliebten] ganz hingegeben; Voss. Ztg. 17.6.1928 Ehedem war die schöne Frau wohl auch etwas wie edler Selbstwert, Idol der geschlechtlichen Anmut und Würde, Lichtschein der Anziehung, wurde verehrt, poetischer Vergleich nannte sie Königin, sie bildete um sich Gesellschaft und geistige Luft. Ihrer Körperlichkeit Reiz wirkte als Sinnbild; Feuchtwanger 1951 Goya 256 Goya grinste böse. Also auch Jacques-Louis David, der vorbildliche Republikaner, das Idol der Afrancesados, hatte sich den Zeitläuften angepaßt; Niebelschütz 1961 Spiel 560 Noch einem anderen Idol frönte die Zeit der soignierten Professoren im Gehrock: das waren die glühenden Liebesbriefe Abälards an Heloise, Heloisens an Abälard; Falco 1985 Rock me Amadeus (Liedtext) Er war Superstar/ er war populär/ er war so exaltiert/ because er hatte Flair/ er war ein Virtuose/ war ein Rockidol/ und alles rief:/ Come and rock me Amadeus; Altner 1991 Naturvergessenheit 53 f. Mit seinem Gebot zur Ehrfurcht vor dem Leben formuliert Schweitzer eine Alternative, die seit 1918 Tag für Tag im Widerspruch zur offiziellen gesellschaftlichen und politischen Entwicklung stand. Aber als VorzeigeIdol war Schweitzer dann nach 1945 vielen durchaus willkommen; Tiroler Tagesztg. 16. 3. 1998 Riesengroß auch die Begeisterung um die Innsbruckerinnen bei der Ankunft aus Graz in Innsbruck. Zahlreiche Fans . . jubelten mit ihren Idolinnen um 4 Uhr früh auf dem Innsbrucker Hauptbahnhof; Mannh. Morgen 17. 12. 2007 Für den elfjährigen Marco aus Reilingen ist schon zehn Tage vor dem Fest sein allergrößter Wunsch in Erfüllung gegangen – er stand mit seinem Idol, dem Mannheimer Comedy-Star Bülent Ceylan, am Freitag auf der Bühne; Zeit 23. 1. 2014 Im vergangenen Herbst . . trat [Ex-Tennisspieler Boris] Becker mit einem Handtuch auf dem Kopf und Fliegenklatschen an den Ohren in einer Fernsehsendung von Oliver Pocher auf. Nach einer langen Reihe aus Pannen, Pech und Peinlichkeiten war aus dem Idol Becker endgültig der Depp der Nation geworden (DWDS). idolisch 1b: 1924 Tage-Buch V 476 Das ist bei den romanischen Fascisten nicht der Fall, wo gerade die Demokratie genug Blut und Kampftradition in sich hat, wo also der Revolutionswille bürgerlicher Jugend, ihr Imperialismus, höchstens die französi-

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sche Revolutionsarmee, aber niemals die Ritter idolisch voranstellen würde; taz 22. 8. 1995 [Uwe] Seeler – eine Musterkarriere, vom Proletensohn zum Generalvertreter einer deutschen Sportartikelfirma, ein Mann, dessen idolischer Wert heute allein von Franz Beckenbauer übertroffen wird; ebd. 26. 9. 1995 Es hätte genügend Anhaltspunkte gegeben, einfach nur mal nachzufragen – über die sakrosankte These hinaus, daß nichts idolischer sei als Max Schmeling: Wie hat es sich damals gelebt? Woher kommt seine ludenhaft-jungenhafte Vorliebe für allen Glamour; Mettler 2000 Baudelaire 189 Damit aber dieser Glamour an ihr erstrahlen und sie in ein Idol verwandeln kann, muß die Frau an ihrer eigenen Gestalt dazu geeignet werden; und das heißt nichts anderes, als daß sie alle Züge, die sie als bloß individuelle Person auszeichnen würden, an sich zum Verschwinden bringen muß, denn diese würden für ihren idolischen Zauber nicht nur nicht genügen, sondern ihn gerade verhindern. idolisieren 1b: 1778 Dtsch. Museum II 231 Diese Allegorie einer psychischen Hebammenkunst . . erklärt, . . warum er [Sokrates] bei allen seinen Unterredungen auf die Hypothesen der Sophisten Rücksicht genommen, und durch die Kraft seiner Ironie, und durch den Spiegel der Aehnlichkeiten aller Art sie ihres Gipfels entsezt habe. Diese waren idolisirt zu seligen und göttlichen und hohen Wissenschaften; Herder 1798 Personificationen (1852 S. W. XI 120) Und da nun eben von dieser orakelsprechenden, leitenden Schechinah unläugbar die meisten Ausdrücke und Bilder einer Wohnung Gottes unter Menschen, seines Geistes im Menschen, genommen sind, weil sie das darstellende Bild der National-Gottheit war und blieb – was konnte hiebei idolisirt werden? Weder eine Feuerperson noch ein Aeolus war in der Wolke; Ritter 1836 Erdk. v. Asien IV 2,622 hier schienen ihm die stolzen selbstgenügsamen Brahmanen ordentlich aufgebläht, selbst idolisirt zu seyn und erreicht zu haben, was im Manu Codex zu ihrer Verherrlichung gesagt wird: „es sey etwas transparent Göttliches in ihnen“ nämlich von ihren Götzen; 1847 Charivari VI 3698 Der liebe, gute Bankier, ein fossiler Zahlenmensch, fühlt sich ungemein geschmeichelt, wenn man seiner Gattin – Du erlaubst mir den technischen Ausdruck – den Hof macht, wenn man sie in Dichterweise idolisirt, vergöttert, anbetet; Schleiermacher 1850 S. W. I 13,101 das Heidenthum ist idololatrisch, das Judenthum monotheistisch; aber dieses monotheistische hat doch etwas an das idololatrische anstreifendes, weil in der anthropopathischen Darstellung die reine Vorstellung vom höchsten Wesen idolisirt ist; Bastian 1884 Buddhist. Psychologie II 53 WelchÅ besonderen Gegenstand im Uebrigen (aus sinnlicher oder

übersinnlicher Natur) sich der Cultus aus mehr zufällig gebotenen Motiven bei seiner Wahl idolisiren mag, bleibt vielfach gleichgültig; Polgar 1925 Nachlass Altenberg 152 War es keine Frau, so war es ein alltägliches Gebrauchsding, irgendwelche vom Zufall hergewehte Winzigkeit, an der sich sein ewig lüsternes AugÅ und Herz genug taten, die er streichelte, besang, vergötterte, idolisierte; Djavidan 1930 Harem 339 Und dann äußert diese erhabene und erhobene Kaiserin, die idolisierte Märchengestalt eines Herrschers, den launischen originellen Wunsch: auf einem Esel durch die Stadt zu reiten; Sterling 1956 Er ist wie du 124 Sie [Konservative] umgeben die Ständeordnung und Obrigkeitsverhältnisse des preußischen Staates mit einem Schein der Heiligkeit und idolisieren die „christliche Monarchie“ als Schöpfung Gottes; Zeit 24. 5. 1985 Coppola ist Mitproduzent von Schraders „Mishima“-Film. Es ist schwer nachzuvollziehen, was diese Amerikaner nun auf einmal an einer Figur wie Mishima fasziniert. Daß dieser Mann von ihnen idolisiert wird, liegt klar auf der Hand – rätselhaft bleibt, warum?; St. Galler Tagbl. 26. 1. 2008 Im Gegensatz zur Mutter werde der Vater aufgrund seiner Rolle oft ausschliesslich als stark wahrgenommen. Auch in der Schule lernen die Knaben keine anderen Männerrollen kennen, weil meist Frauen unterrichten. Die Folge: Das Männliche werde idolisiert, so der Professor. In den Erzählungen von Knaben ist denn auch fast jeder Vater ein Chef, auch wenn das gar nicht stimmt. Idolisierung 1b: Movers 1841 Phönizier I 122 Nun macht Philo zwar weiterhin die Unterscheidung, die Phönizier haben außer diesen „sterblichen Göttern“ auch „unsterbliche“ verehrt, die er Naturgötter . . nennt, und dafür Sonne, Mond und die übrigen Planeten . . ausgiebt, allein er macht die Vergötterung dieser von der Idolisirung der Menschen erst abhängig, hebt so den Unterschied wieder auf, und vernichtet damit allen Götterglauben; 1867 Zschr. f. d. ges. Staatswiss. XXIII 139 Erschien demnach der jeweilige princeps den Römern auch nur als Einer, der nach dem Tode das Loos der Götter theilt, so muss das zu der uns in den späteren Quellen so widerwärtig entgegentretenden Idolisirung des Herrschers . . unfehlbar beigetragen haben; ja die Männer, die den Augustus noch hier auf Erden als Gott über sich haben wollten, mussten die entscheidende Beugung in ihren Herzen schon erfahren haben; Nordau 1881 Paris II 47 George Sand predigt die „freie Liebe“, wie sie seither von einigen Sekten in Amerika praktisch geübt wird; eine Art undefinirter Polyandrie; die Idolisirung der Leidenschaft oder vielmehr des fleischlichen Gelüstes; die Rückkehr zum Naturzustand

Idol der thierischen Paarung; Kleinschmidt 1902 Bayern u. Hessen 355 Auch mit Sulzers Idolisirung Napoleons ging es zur Neige, aber er gestand doch noch am 20. April 1814 ehrlich seinem Könige, die Geschichte werde Napoleon den Namen eines ausserordentlichen Mannes, eines Phänomen nicht versagen können; 1950 Wort u. Wahrheit V 884 Die masslose Überschätzung, ja Idolisierung einer solchen Erziehung wird mit einer vernichtenden Enttäuschung enden; Zeit 16. 7. 1971 In der Idolisierung des El Cordobe´s steckt also eine ganze Portion spanischer Wunschtraum, der hier nicht „vom Tellerwäscher zum Millionär“, sondern vom „Gassen-Rowdy zum glanzumfluteten Matador“ heißt (DWDS); Nürnb. Nachr. 5. 2. 1994 Nach 1945 [wurden] auch jene [Fotos veröffentlicht], die von der nationalsozialistischen Publizistik zurückgehalten wurden, weil sie – zur Stilisierung und Idolisierung Hitlers kaum tauglich – dem Führerkult eher abträglich waren; 2003 Fischer Weltgesch. XXXV 258 Begleitet wurde diese Entwicklung von einer geradezu servilen Verherrlichung der Sowjetunion und ihrer „Errungenschaften“ und von einer Idolisierung Stalins, des „großen Führers“, die dazu diente, die sowjetische Hegemonie auch auf kulturellem Gebiet zu bekräftigen (DiBi 119); taz 4. 5. 2011 Tatsächlich feiern einige von Wauers Skulpturen die Kraft, den Sport, das Starke und das Sich-selbst-Behauptende – und deren Idolisierung hingen die Nationalsozialisten ebenso an wie viele Künstler der Moderne. Idol 2: Weise 1704 Das Entlarvete Idolum der Wünschel-Ruthe/ Oder Gründliche Untersuchung/ was bißhero Historice mit derselben passiret/ ob sie Physice in der Natur gegründet/ und wie fern Moraliter darnach zu operiren sey? (Titel); 1759 Br., die Neueste Litt. betr. III 181 Und eben deswegen, weil sich Herr B.[oscowich] nur halb von den Idolen der Einbildungskraft befreyet hat, macht er den Leibnitzianern manche Einwürfe, die eine sehr unvollkommene Kenntniß des Leibnitzischen Lehrgebäudes anzeigen; Herder 1799 Verstand (S. W. XXI 42) [Bacon:] „Es ist kein kleiner Unterschied zwischen Idolen des menschlichen Geistes und Ideen des göttlichen Verstandes, d. i. zwischen leeren Satzungen und wahren Bezeichnungen der Dinge, wie wir sie finden.“; Schiller 1800 An Goethe (S. W. I 212) Doch leicht gezimmert nur ist ThespisÅ Wagen,/ Und er ist gleich dem acherontschen Kahn,/ Nur Schatten und Idole kann er tragen,/ Und drängt das rohe Leben sich heran,/ So droht das leichte Fahrzeug umzuschlagen,/ Das nur die flüchtgen Geister fassen kann (DiBi 75); Goethe 1808 Faust I (WA I 14,210) Faust. Mephisto, siehst du dort/ Ein blasses schönes Kind allein und

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ferne stehen?/ Sie schiebt sich langsam nur vom Ort,/ Sie scheint mit geschloss’nen Füßen zu gehen./ Ich muß bekennen, daß mir däucht,/ Daß sie dem guten Gretchen gleicht. Mephistopheles. Laß das nur stehn! Dabei wird’s niemand wohl./ Es ist ein Zauberbild, ist leblos, ein Idol; Troxler 1814 Wort 33 Wenn zwey Kräfte zum Bestehen und Gedeihen des Ganzen nöthig sind, und sich zu diesem Ende ihrer Natur nach widerstreben müssen; so ist eine dritte bindende Kraft unumgänglich erforderlich . . Und diese Kraft ist kein leeres Idol meiner Fantasie: es ist eben die ursprüngliche, . . sich als die Centralkraft bewährende bürgerliche Kraft; Perthes 1845 Staatsleben 2 Ihnen allen fehlt das Bewußtsein, Eins zu sein mit dem deutschen Staate der Gegenwart und deßhalb fehlt ihnen zugleich das wärmende Feuer des Patriotismus; an seiner Stelle hat das Jagen nach einem Staatsidol, welches die Einen in der Zukunft, die Andern in der Vergangenheit suchen, ein kümmerliches Strohfeuer angezündet; Pierer 1859 Konversationslex. VIII 776 Idol . . 1) Gestalt, Erscheinung, Gespenst; Fischer 1904 Bacon u. seine Schule 107 Der menschliche Verstand . . muß sich zuerst aller Begriffe entschlagen, welche er nicht aus der Natur der Dinge, sondern aus seiner eigenen geschöpft hat; diese Begriffe sind nicht gefunden, sondern anticipirt, sie sind Idole, die den menschlichen Verstand trüben und ihm die Natur verdunkeln, sie müssen aus dem Wege geräumt und gleichsam an der Schwelle der Wissenschaft für immer abgelegt werden; Mauthner 1923 Wb. d. Philos. II 18 Bacon hat das prächtige Bild von den menschlichen Vorurteilen oder Gespenstern oder Idolen geschaffen, die seit jeher den Fortschritt der Erkenntnis gehindert haben . . Gott ist das oberste, das allgemeinste, das unwahrste Idol. Ein Bild, zu dem kein Modell gesessen hat. Ein Idealbild meinetwegen. Ein Wort jedenfalls. Götter sind Worte. Aus der Existenz des Wortes hat man wieder einmal auf die Existenz der Sache geschlossen (DiBi 3); Hirschberger 1952 Gesch. d. Philos. II 9817 In einer kritischen Betrachtung oft beliebter Methoden sagt er zunächst, wie man es nicht machen darf. Er spricht da in recht plastischer Weise von den vier Idolen, die man häufig anbete: die idola theatri, idola fori, idola specus und idola tribus (DTA); Sloterdijk 1983 Kritik d. zyn. Vernunft II 567 Man muß jetzt nicht mehr alles durchgehen lassen, ja, im Gegenteil, das, was gilt und „wissenschaftlichen Bestand“ hat, ist von nun an nur noch eine winzige Insel der „Wahrheit“ inmitten eines Ozeans von vagen und falschen Behauptungen – bald wird man sie Idole, Vorurteile und Ideologien nennen (DTA); 1989 Brockhaus X 378 Idol . . 2) Philosophie: nach F. Bacon Bez. für erkenntnishindernde Vorurteile der Menschen;

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Ruoff 2002 Schnee v. morgen 52 Das berühmteste Teilstück des Novum Organon . . dreht sich um

die Idolenlehre, welche mit den Irrtümern des Verstandes abrechnet.

Idylle F. (-; -n), seit Ende 18. Jh. auch Idyll N. (-s; -e), im frühen 18. Jh. über lat. idyllium ¤HirtengedichtÅ entlehnt aus griech. ei$du*llion ¤Bildchen, kleines, zierliches Gedicht, meist ländlichen InhaltsÅ, Diminutiv zu ei$`dov, eigentlich ¤Aussehen, Erscheinung, Gestalt, Form, Idee, BildÅ, zu $idei`n ¤sehen, erkennen, erblickenÅ (→ Idee, → Idol), anfangs in lat. (flekt.) Form, vereinzelt (unter Genuswechsel) Idyll M. (-s; -e) und in der Schreibung Idille. a Zunächst (vielleicht unter dem Einfluss von gleichbed. frz. idylle) als literaturwissenschaftlicher Terminus zur Bezeichnung einer Gattung (→ Komödie, → Tragödie) in der Bed. ¤HirtenliedÅ, zurückgehend auf einige so bezeichnete Gedichte Theokrits, in denen er v. a. das Naturleben sizilischer Hirten schilderte und deren Motivik zum Vorbild wurde für die neuzeitliche lyrische oder epische Schäferdichtung mit ihrer Darstellung einer idealisierten, ursprünglich-unverfälschten Natur und eines ländlich-einfachen, harmonisch-friedvollen Lebens der Landbewohner (bes. Hirten, Fischer und Jäger) als idealem Zustand, der gekennzeichnet ist vom freundlichen Miteinander einfacher Menschen in einer Geborgenheit und Nahrung spendenden Natur (vgl. Bukolik, → bukolisch; → Ekloge), berühmt geworden durch S. Geßners „Idyllen“ (1756), seit dem 19. Jh. in der Motivik und ihrer künstlerischen Umsetzung erweitert um Darstellungen des Volkslebens, Schilderungen des dörflichen Lebens, realistische Betrachtung der gesellschaftlichen Wirklichkeit unter Verwendung von Mundart (s. Beleg vor 1857), gelegentlich auch bildlich (s. Belege 1888, 1895), in Wendungen wie tragische Idylle, episches Idyll und Zss. wie Idyllendichtung, -schreiber, -szene(rie), -roman, -fragment, -forschung, -motiv, -seligkeit, -schilderung, -theorie; Schäfer-, Hirtenidylle, dann verbreitet auch in anderen Bereichen wie der bildenden Kunst (s. Belege 1816-32, 1881), auch bildlich (s. Beleg 1878), und mit Bezug auf Musik in der Bed. ¤meist einsätziges, vorwiegend lyrisches CharakterstückÅ (s. Beleg 1997; → Pastorale); daneben bereits seit frühem 17. Jh. die veraltende gräzisierende Nebenform Idyllion N. (-s; selten Pl. Idyllien), gelegentlich auch Eidyllion, für ¤kleines Bildgedicht, SinngedichtÅ (→ Ballade, → Elegie, → Romanze). b Seit spätem 18. Jh. verallgemeinert und übertragen auf Alltagsbereiche verwendet zur Beschreibung des idealisierten Zustands des einfachen Lebens und friedlichen Glücks in paradiesischer Natur, meist in ländlicher Abgeschiedenheit, vgl. die bes. im 18./19. Jh. gebräuchliche Zs. Idyllenleben ¤unbeschwertes, behagliches, glückseliges LebenÅ, häufig bezogen auf Örtlichkeiten (vgl. Garten Eden, Locus amoenus; → Arkadien, → Oase, → Paradies), soziale Beziehungen und Verhältnisse und konnotiert mit „unschuldig, schlicht, heiter, harmonisch“, gelegentlich leicht abwertend konnotiert mit „kitschig, kleinbürgerlich, spießig, eskapistisch“ (s. Belege 1927, 1988, 1992), in Wendungen wie ein dörfliches, häusliches Idyll, das ist eine wahre Idylle, ein trügerisches Idyll, in beschaulicher heimischer Idylle ging er seinen Forschungen nach, bürgerliche Idylle, diese Landschaft stellt eine bedrohte Idylle dar, eine ländliche Idylle mit weidendem Vieh und Hühnerstall, Rückzug in die private Idylle und, meist als Grundwort, in Zss. wie Insel-, Kleinstadt-, Garten-, Voralpen-, Bauern(hof)-, Landschafts-, Strand-, Liebes-, Ehe-, Mittelstands-, Familien-, Winter-, Ferien-, Postkarten-, Urlaubs-, Klang-, Schein-, Fachwerkidyll(e), öfters auch abwer-

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tend und ironisierend, z. B. Gartenzwerg-, Butzenscheiben-, Hausfrauen-, Plattenbau-, Vorstadtidyll(e). Dazu seit spätem 18. Jh. die adj. Ableitung idyllisch ¤zur (literarischen, bildlichen, musikalischen) Darstellung einer Idylle gehörend, für eine Idylle charakteristischÅ, bes. in Bezug auf Stilzüge, Machart, Menschen, Gegenstände aus den Bereichen des (literarisch verklärten) ländlichen Lebens (→ arkadisch, → anakreontisch, → bukolisch), in Wendungen wie idyllisches Epos, Bild, idyllische Dichtung, Poesie, Darstellung, Szene (zu a), gleichzeitig zur Bezeichnung einer ästhetischen Grundstimmung, häufig zur Schilderung eines behaglichen Zustandes in klischeehaft anmutiger Umgebung, allgemeiner und übertragen verwendet für ¤wie in einer Idylle, den Eindruck eines Idylls erweckend, friedlich, einfach, ländlich, selbstgenügsam, beschaulich, unschuldig, landschaftlich schön; schwelgerisch veranlagtÅ (→ bukolisch, → romantisch 2c; vgl. paradiesisch), in Syntagmen wie eine idyllische Landschaft, Gegend, Umgebung, ein idyllischer Rundweg, ein idyllisch gelegenes Anwesen, ein idyllisch mäandernder Fluss, in ländlich idyllischer Lage, es herrschte idyllische Ruhe, das Tal breitet sich idyllisch aus, die Hütte liegt idyllisch am Berghang und additiven Zss. wie idyllisch-romantisch, -heiter, -ländlich, -ruhig, -beschaulich; friedlich-idyllisch (zu b). Seit früherem 19. Jh. die subst. Ableitung Idyllik F. (-; ohne Pl.), zunächst in der Bed. ¤Art und Weise einer idyllischen Darstellung; idealisierende Schilderung, durch idyllische Elemente geprägtÅ, z. B. die in seinen Zeichnungen erkennbare Idyllik, ihr Werk ist gekennzeichnet von einer leichten melancholischen Idyllik (zu a), dann auch bildungsspr. allgemeiner und übertragen verwendet (gleichbed. mit der seit früherem 19. Jh. selten belegten subst. Ableitung Idyllismus M.) in der Bed. ¤idyllische Atmosphäre, idyllischer Charakter; Hang zum IdyllÅ, in Wendungen wie Idyllik des Landlebens, des Seeufers, die Idyllik des deutschen Waldes, die frische und reine Idyllik dieser Szenerie und als Grundwort in (z. T. ironisierenden) Zss. wie Dorf-, Madonnen-, Sozial-, Beziehungs-, Biedermeier-, Familien-, Postkarten-, Mülltonnen-, Heidelberg-, Spitzweg-, Schrebergartenidyllik; etwa gleichzeitig die Personenbezeichnung Idylliker M. (-s; -), in jüngster Zeit vereinzelt auch Idyllikerin F., ¤jmd., der etwas in verklärender Weise beschreibt, Idyllen verfasst, Idyllendichter; Zeichner, Maler idyllischer SzenenÅ (zu a) und ¤jmd., der einen Hang zum Idyll hat, Dinge in idealisierender Weise sieht, ein Idyll erstrebtÅ, z. B. Sozial-, Natur-, Endzeitidylliker (zu b). Dazu seit späterem 18. Jh. gelegentlich die verbale Ableitung idyllisieren V. (in)trans., zunächst und bis ins spätere 19. Jh. in der Bed. ¤in Form einer Idylle (literarisch oder malerisch) bearbeitenÅ, vereinzelt auch ¤sich wie in der Idyllendichtung üblich auf harmlose, einfache, ungekünstelte Art und Weise verhaltenÅ (s. Belege 1820⫺25, vor 1832, 1851) (zu a), seit frühem 19. Jh. in der Bed. ¤etwas in künstlerischer Weise verklärend, auf unschuldige Weise darstellen, etwas idealisierend schildernÅ, auch ¤etwas klischeehaft darstellen, verharmlosen, schönen, verniedlichen, verklärenÅ (s. Belege 1897, 1996; → glorifizieren b; vgl. idealisieren, → ideal 3; zu b), häufig in der Part. Präs.-Form idyllisierend und adj. im Part. Perf. idyllisiert, z. B. idyllisierende Kurzprosa, Darstellung, eine Dichtung weist idyllisierende Züge auf, ein idyllisierender Heimatroman, dieses Buch idyllisiert das Dorfleben, idyllisierende Werbung, Inselsehnsucht, idyllisierte Lebensweise, er idyllisiert seine Partnerschaft, mit dem seit früherem 19. Jh. belegten Verbalsubst. Idyllisierung F. (-; -en)

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¤verklärende Darstellung, Verniedlichung, verharmlosende Schilderung, Verharmlosung, nostalgische, sentimentale SichtweiseÅ (→ Sentimentalität; vgl. Glorifizierung, Glorifikation, → glorifizieren b, Heroisierung, → Heros, Idealisierung, → ideal 3, Mystifizierung, Nostalgie, Romantisierung, → romantisieren), z. B. der Film vermeidet jede genreübliche Idyllisierung, maßlose Idyllisierung der Familie, romantische Idyllisierung und Verklärung der Kindheit, rückwärtsgewandte, trügerische Idyllisierung, Idyllisierung der Vergangenheit, des Alters, der Natur, Idyllisierung ländlicher Sozialverhältnisse (zu b). Idylle a: 1716 Acta Philosophorum VII 75 der Poet Claudianus hat ein gantzes und zwar langes Carmen auf diese Gesundheits-Qvelle verfertiget/ welches unter seinen Idylliis das sechste ist; Gottsched 1742 Versuch 480 Von Idyllen, Eklogen oder Schäfergedichten (Überschr.) . . Man kann gewissermaßen sagen, daß diese Gattung von Gedichten die allerälteste sey; Geßner 1756 Idyllen 5 Diese Idyllen sind die Früchte einiger meiner vergnügtesten Stunden; denn es ist eine der angenehmsten Verfassungen, in die uns die Einbildungs-Kraft und ein stilles Gemüth setzen können, wenn wir uns mittelst derselben aus unsern Sitten weg, in ein goldnes Weltalter setzen; Hamberger 1758 Zuverl. Nachr. v. d. vornehmsten Schriftstellern II 855 Derselbe schilderte ihn als einen der grösten Dichter, und eignete ihm . . den zwölften Idyll zu, und verehrte ihn . . als seinen Kunstrichter; Herder 1767⫺69 Kl. Schriften (S. W. IV 271) Vom Anhange, der die musikalische Idylle, der May, und die Kantate Ino enthält, dörfen wir nichts sagen; Sulzer 1771 Theorie I 538 Was wir Idillen heißen, sind blos Nachahmungen jener ursprünglichen Waldgesänge, welche die Natur selbst ihren Kindern eingab; Hirschfeld 1779 Gartenkunst I 34 Die beyden Ufer des Zürcher Sees, dessen Schönheit nur ein Geßner in der Idylle, nur ein Aberli im Gemälde nachbilden kann; Sulzer 1792 Theorie II 588 die jetzt . . gewöhnlich, Hirtengedichte heißen, weil sie, von den Grammatikern, entweder, wegen ihres vermischten Innhaltes, oder wegen ihres geringen Stoffes und Umfanges, Idyllen . . genannt wurden; Meißner 1794 Apollo III 221 Die Idille hat den Naturstand zu ihrem Obiekt; Herder 1801 Adrastea II 178 Idyllen sind die Frühlings- und Kinderpoesie der Welt, das Ideal menschlicher Phantasie in ihrer Jugendunschuld; ebd. 184 Wie mehrere, reichere, tiefere Idyllenscenen gab Shakespear so oft!; 1807 National-Ztg. d. Deutschen 930 Idille und Mährchen verhalten sich, wie Stillleben und Arabeske. . . In der Idille sind Ausmalungen keine Fehler; Goethe 1816⫺32 Schr. z. Kunst (WA I 49.1,320) Die sämmtlichen sowohl sittlich menschlichen, als natürlich animalischen Elemente der Tischbein’schen Idylle haben wir bisher beherzigt und dargestellt; Lang 1817 Reise I 53

O was sind doch diese ächte deutsche Ritterstücke für schöne Landsknecht-Idyllen; Fries 1832 Philos. II 231 Idyll (Bildchen) hiess bei den [griechischen] Grammatikern jedes kleine Gedicht; uns ist durch Theokritos dem Worte die bestimmte Bedeutung des Hirtengedichtes geworden; Pückler-Muskau 1834 Tutti Frutti II 275 Ich ziehe jedoch der Idylle die Ballade, den Roman, die Romanze vor, und liebe daher mehr die Orte, wo die Natur in erhabenerem, geheimnisvollerem Charakter gearbeitet hat; Immermann 1838 Oberhof 119 die Idyllenschreiber haben uns die Bauernwelt arg verzeichnet; Hettner 1850 Schr. z. Literatur 121 Man hat . . Wilhelm Tell ein dramatisches Epos oder auch wohl eine dramatisierte Idylle genannt; Eichendorff vor 1857 Erlebtes (W. I 903) Man sieht, das Ganze war ein etwas ins Derbe gefertigtes Idyll, nicht von Geßner, sondern etwa wie das »Nußkernen« vom Maler Müller (DiBi 125); Bernays 1877 Br. 12 Das Wesen der homerischen Epik, die von den Neueren gepflegte Idylle, Vossens Luise, der Charakter des deutschen Hexameters, Goethes epische Sprache . . das alles ward im regen Flusse historischer Darstellung vorgeführt; Fontane 1878 Vor dem Sturm (Romane u. Erz. II 65) Während der Fahrt war er geschäftig gewesen, sich diesen ersten Abend als ein häusliches Idyll auszumalen, alles hell und licht (DiBi 125); Nordau 1881 Paris I 284 die süßlichen Schäfer-Idyllen Watteau’s; Bleibtreu 1888 Größenwahn I 161 Der Teith schäumt aber lange nicht so ungebärdig wie die muthwillige Sarne, und den ganzen Weg bis Callander hat die Natur als stilles liebliches Idyll gedichtet (DiBi 125); Hehn 1893 Goethes Herm. u. Dor. 6 Hermann und Dorothea ist ein Epos, oder, wie Jean Paul es noch näher bezeichnet, ein episches Idyll; Eckstein 1895 Hartwig 11 das Leben da zwischen den herrlichen Waldungen, einsam und doch nicht arm an Verkehr, eine Idylle im großen Stil, zusammengedichtet aus hohen gotischen Sälen mit farbenglühenden Fensterscheiben; Gothein 1914 Gartenkunst I 302 Am Ende des XVI. Jahrhunderts zieht nahezu gleichzeitig wie in die Literatur das Idyll in den Garten ein. Auch die antiken Szenen werden jetzt ganz idyllisch oder komisch gedeutet; Waetzoldt 1921 Kunsthistoriker I

Idylle 103 Salomon Geßner . . Der naive Dichter der Idyllen und Radierer zarter Vignetten; Staiger 1966 Grundbegriffe 137 Die Dichter wählen idyllische Themen. Nur im Idyll vermögen sie noch die Selbständigkeit der einzelnen Glieder des Lebens einigermaßen zu wahren; Böschenstein 1967 Idylle 24 Die ersten Ansätze zu deutscher Idyllendichtung sind . . späte Wirkungen jenes Impulses, der die Dichter der italienischen Renaissance die Idee der arkadischen Poesie aufs neue erwecken hieß; 1977 Reallex. d. dtsch. Literaturgesch. III 73 Geßner träumt in seinen sinnlich-empfindsamen Idyllen den arkadisch-bukolischen . . Rokoko-Traum; Zeit 15.5.1987 müssen wir diese Idylle, die Hesse auch aquarelliert, als ironische Provokation lesen . . ?; 1997 Musik in Gesch. u. Gegenw. Sachteil VII 1507 Die musikalische Idylle, auch als Titel eines Musikstücks, ist jetzt vom Hirtendasein weitgehend abgelöst, ohne die musikalische Topik der Pastorale aufzugeben. Idyllik a: 1833 Jahrbücher f. wiss. Kritik II 871 Geßner schilderte in seinen Hirten Wesen, wie sie nie gelebt und nie leben konnten, und indem er die Idyllik ihrer Zustände zugleich als eine Idealität menschlichen Lebens hinstellt, muthet er seinen mitfühlenden Lesern zu, diese Leute . . zu beneiden; Haupt 1839 Allg. wiss. Alterthumskunde I 233 die altchinesische Poesie hat nur das vor der in Lyrik und Idyllik bestehenden orientalischen Naturpoesie voraus, dass auch die Schriftzeichen oder Schriftcharaktere ein angemessenes, gefälliges Bild der Ideen geben; Scherr 1854 Geschichte d. dtsch. Lit. 113 Hebel’s Idyllik hat namentlich im südlichen Deutschland und in der Schweiz höchst wohlthätig gewirkt; Imelmann 1877 70er Jahre 44 In diesen Abenteurergeschichten tritt an die Stelle der falschen Heroik und der falschen Idyllik . . ein derbster Realismus; Gottschall 1902 Dtsch. Nationallitt. d. 19. Jhs. III 172 Den Ton heiterer Idyllik trifft Wolfgang Müller in dem „Rattenfänger von Sankt Goar“ (1854); Th. Mann 1932 Reden u. Aufs. (W. IX 282) er [Goethe] sprach von der verständigen Bürgerlichkeit dieser Poesie, die durch das Fehlen großer Leidenschaft und dichterischen Schwunges viel Ähnlichkeit mit einer gewissen europäischen Idyllik, mit seinem eigenen Versepos ¤Hermann und DorotheaÅ und mit den englischen Romanen des Richardson aufweise; Sautermeister 1971 Idyllik und Dramatik im Werk Friedrich Schillers. Zum geschichtlichen Ort seiner klassischen Dramen (Titel); Nürnb. Nachr. 21. 10. 1992 Die manirierte [!] Figuren- und Naturauffassung, die seine [Erfurths] zahlreichen „Bildnisstudien in Landschaft“ auszeichnen, sind bestimmt von Symbolismus und Jugendstil, verbunden mit der Idyllik eines Hans Thoma; Zürcher Tagesanz. 13. 9. 1997

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Den Gegenakzent zu klassizistischer Idyllik und poetischer Landschaftsmalerei setzen die gegen Ende des Zweiten Weltkriegs mit der Immigration antifaschistischer Intellektueller aus Italien bekannt gewordenen italienischen „Hermetiker“; Nürnb. Nachr. 5. 6. 2008 In den abgedunkelten, ganz in blau gehaltenen Kabinetten gibt es etwa Interieurszenen zu bewundern, denen alle emailleglatte Biedermeier-Idyllik ausgetrieben ist. Idylliker a: 1829 Dtsch. Ehren-Tempel X 40 Voß war der erste unter den neuern Dichtern aller Völker, der den falschen Weg, den alle modernen Idylliker vor ihm, unter uns besonders S. Geßner und auch Ch. E. v. Kleist, betreten hatten, verließ und auf den allein wahren Pfad der Alten zurückkehrte; Schelling 1843 Vorlesungen 339 werde ich . . die Schilderungen der Hebräischen Propheten mit den Klagegesängen der Hellenischen Idylliker zu vergleichen . . haben; Diefenbach 1864 Vorschule d. Völkerkunde 438 Seine [Theokrits] Zeitgenossen waren die Idylliker Moschos aus Syrakus und Bion aus Smyrna; Bleibtreu 1888 Größenwahn III 257 Ein Mensch, der nicht Jakob Grimm studirt habe und über Scheffel, den größten deutschen Dichter nach Goethe, herablassend urtheile, er sei nur ein reizender Idylliker! (DiBi 125); Th. Mann 1920 Reden u. Aufs. (W. X 864) Hardt wird Johann Heinrich Voß wohl niemals sprechen, sowenig wie unserm Milan Heine’s Revolutionslyrik recht aus der Seele gekommen wäre. Der Idylliker und der Empörer, was sie verbindet ist nichts als das Talent; Tucholsky 1927 Pyrenäenbuch (Ges. W. V 99) In der Renaissance wurde das Gebirge entdeckt: die Schweizer, berggewohnt, im Gebirge geboren, erzogen, gealtert, begannen die seltsame Mär in die Welt zu setzen, daß Berge schön seien. Konrad Gesner (nicht Salomon, der Idylliker), stand erst ganz allein auf den Bergkuppen und rief die andern herbei, die wohl oft ein Gebirge durchquert, es aber niemals so angesehen hatten, wie man eine Statue ansieht (DiBi 125); Th. Mann 1937 Reden u. Aufs. (W. XIII 841) das Verhältnis dieses schwäbischen Lyrikers und Idyllikers zur Sphäre der Wiener erotologischen „Tiefenpsychologie“ wie es sich etwa in ¤Narziß und GoldmundÅ . . offenbart, ist ein geistiges Paradoxon der anziehendsten Art; taz 6. 8. 1988 Er beginnt mit der Ablehnung Leopardis durch die gemäßigten Toskaner des 19. Jahrhunderts, kommt dann auf Benedetto Croces Kritik des pessimistischen Materialismus Leopardis zu sprechen – der Dichter wurde sicherheitshalber in einen Idylliker verwandelt; Süddtsch. Ztg. 8. 2. 1996 Claudius war eben nicht nur der Dichter des wunderbaren ¤AbendliedsÅ, der ¤Sternseherin LiseÅ, der zwei von Schubert vertonten Strophen ¤Der Tod und das MädchenÅ; er war nicht nur der

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Idylliker, der selbst den Tod zum Hausfreund machte; Braunschw. Ztg. 5. 2. 2008 Vor 200 Jahren wurde der Maler Carl Spitzweg geboren. Der Autodidakt war mehr als ein Idylliker der Versponnenheit. Idyllion a: Opitz 1624 Poeterei 31 Wie Theocritus sonsten inn dem paß wol jederman vberlegen/ so weiß ich doch nicht wie sein Aites mir sonderlich behaget: inmassen ich denn auch halte/ das Heinsius gleichfals grossen gefallen daran treget/ der dieses Idyllion Lateinisch vnnd Hollendisch gegeben (DiBi 125); Leyser 1638 Wilhelm Leysers Idyllion an H. Melchior Kirsten . . Breutigam: . . vnd Jungfraw Anna Catharinen Wilckin, Braut (Titel); Lessing 1754 Vade mecum (W. III 573) Es ist unwidersprechlich, daß Horaz in dieser Ode das Idyllion des Moschus, Europa, in mehr als einer Stelle vor Augen gehabt hat (DiBi 125); Clodius 1768 Versuche aus d. Lit. u. Moral Reg. o. S. Dieses Idyllion ist dem Herrn Geßner in Zürich gewidmet; Engel 1786 Mimik II 101 Wie falsch z. B. würde der Ton eines gewöhnlichen freundschaftlichen Briefes seyn, wenn er die volle Weichheit, die volle hinschmelzende Süßigkeit eines Idyllions erreichte?; Schlegel 1800 Gespräch über d. Poesie (Krit. Ausg. 1.1,294) Doch blieb es auch wohl in dieser Gattung beim Zierlichen, Geistvollen, Künstlichen, wie in den andern, unter denen wir nur das Idyllion, als eine eigentümliche Form dieses Zeitalters erwähnen (DiBi 125); Herder 1801 Adrastea II 187 Aus unserm Herzen sproßend muß unser Verstand sich durch Kunst dies Lebens-Idyllion schaffen, durch Auswahl diese Lebensekloge vollenden; 1852 Prutz’ Museum I 129 das reizende Idyllion von St. Joseph; 1863 Zschr. f. wiss. Theologie 154 Major, der den ungrammatischen Pastor überhaupt nicht leiden konnte, schickte ihm „ein lächerlich, aber dabei schändlich Idyllion“ nach . ., wogegen Leyser’s College M. Fried. Petri ein anderes Idyllion setzte; Hettner 1871 Kl. Schr. 74 die zart innige Lyrik jenes herrlichen Liebesidyllions; Keller 1876 Zür. Novellen (S. W. VII 165) Auf dem blendendweißen, mit Ornamenten durchwobenen Tischtuch aber standen die Kannen, Tassen, Teller und Schüsseln, bedeckt mit hundert kleinern und größern Bildwerklein, von denen jedes eine Erfindung, ein Idyllion, ein Sinngedicht war (DiBi 125); Sanders 1888 Hohe Lied 30 So bietet dies Idyllion . . dem Maler den reichsten Stoff zu den anmuthigsten Bildern (SANDERS 1871); Biese 1896 Lyrische Dichtung 106 Das reizendste Bild des Familienglücks paart sich mit dem sonnigsten Sommerbilde in dem Eidyllion: „Auf dem Segeberg“. Inmitten der Seinen überkommt den Beseligten das Bewusstsein des Glückes und der unvergänglichen Schönheit der Welt; Voigt 1935 Antike 89 Dieses

bukolische Eidyllion in der Form des homerischen Hexameters mit seinem entsprechenden Inhalt – einer ländlichen Liebesgeschichte – verschmilzt Hauptmann formal mit einer anderen hellenistischen Dichtungsart; Rüdiger 1949 Griech. Lyriker 62 Dabei meint das Wort ¤EidyllionÅ nicht Inhalt, Stil oder Stimmung des Gedichtes, sondern ist eine „sozusagen bibliothekarische Bezeichnung für kleinere Gedichte, die der Dichter unter keinem Gesamttitel, sondern einzeln herausgegeben hat“; 1997 Studien z. Lit. d. 17. Jhs. 21 Die Bezeichnung Idyllion (Bildgedicht) ist modern und stammt von den Humanisten, wahrscheinlich geht sie auf Joseph Scaligers Ausonius-Ausgabe von 1612 zurück. idyllisch a: 1785 Br. eines Sachsen I 315 Ein sehr langes Stück descriptiver Poesie muß unerträglich seyn, wenn es nicht durch handelnde Personen, das heist, durch Geschichte, oder durch Geschöpfe der Einbildungskraft, das heist, durch idyllische Ideale belebt wird; 1793 Neue allg. dtsch. Bibl. I 20 Das Talent der naiven, ungezwungenen idyllischen Dichtkunst ist nur wenigen Kindern des Apolls zu Theil geworden; Schiller 1797 Br. V 166 daß Ihr Gedicht idyllisch endigte; Goethe 1816⫺32 Schr. z. Kunst (WA I 49.1,315) Alle kunstreichen idyllischen Darstellungen erwerben sich deßhalb die größte Gunst, weil menschlich natürliche, ewig wiederkehrende, erfreuliche Lebenszustände einfach wahrhaft vorgetragen werden, freilich abgesondert von allem Lästigen, Unreinen, Widerwärtigen, worein wir sie auf Erden gehüllt sehn; Rosenkranz 1855 Poesie u. ihre Gesch. 17 Die idyllische Stimmung besteht in dem Behagen an einer sich selbst genügenden Beschränkung; Berlepsch 1861 Alpen 77 Ein ur-idyllisches Genrebild (SANDERS 1871); Rumpelt 1879 Poetik 43 Man unterscheidet heroische, romantische, idyllische, religiöse, komische Epopöen; Nordau 1881 Paris I 40 Die Fauteuils, Causeusen und Stühle sind mit AubussonTapeten überzogen, die idyllische Scenen darstellen; Heyse 1892 Dorfromantik (Ges. W. III 2,529) Ich glaube . . nicht . . dass in Ihren schönen Wiesen- und Waldgegenden ein idyllisches Arkadien zu finden sey; Gothein 1914 Gartenkunst I 310 Noch dem XVI. Jahrhundert gehört die große Grotte an . . der Tuffstein zeigt hier schon eine höchst barocke Verwendung . . in idyllischen Schäferszenen; Th. Mann 1925 Reden u. Aufs. (W. X 201) in einem idyllischen Gedicht habe ich die Motive und das Wesen von Verehelichung und Ehe persönlich ausgesprochen; Wais 1939 Grenzen 10 Das scheinheroische, bukolisch-idyllische, später hedonistisch entartende Stilideal des italienischen 16. Jahrhunderts; 1961 Bild. Kunst III 13 selbst in der Malerei des 20. Jh.s sind der antiken Ideenwelt entnom-

Idylle mene Vorstellungen nachzuweisen (Picassos idyllische Landschaften und Faune . .) (DUDEN 1999). idyllisieren a: 1772 Allg. dtsch. Bibl. XVI 28 Zigeuner, Räuber . . lassen sie sich nicht idealisiren, so auch nicht idyllisiren; Bülow 1797 Freistaat v. Nordamerika II 56 Mein Reisegefährte behauptete, Geßner habe wollen amerikanische Idyllen schreiben. Er fand es ungemein unterhaltend, die wirklichen Gegenstände mit dem Idyllenideal zu vergleichen. Seiner Meinung nach müßte man die Damen hier, im Falle sie idyllisirt würden, Idyllenmenscher nennen; Droste-Hülshoff 1820⫺25 Ledwina (S. W. II 315) Gleich werde eine Hirtin vorüberwandeln, noch obendrein mit den Attributen der Künste und Weisheit, wir möchten nur gut aufpassen, er wolle indessen mit den Schnitterinnen dort auf dem Felde idyllisieren (DiBi 125); Harring 1828 Fahrten eines Friesen in Dänemark III 79 Manches Bild erschien mir als eine Idylle, wiewohl es ihm, so viel ich weiß, nie eingefallen durch antike Staffage nackt zu idyllisiren und gelehrt zu allegorisiren; Goethe vor 1832 Dichtung u. Wahrh. IV (WA I 29,134) vergegenwärtige man sich zunächst jene unbedingte Richtung nach einer verwirklichten Naturfreiheit, so wird man den jungen Gemütern verzeihen, welche die Schweiz gerade als das rechte Lokal ansahen, ihre frische Jünglingsnatur zu idyllisiren; Guseck 1851 Salvator II 120 „So einsam, mein Fräulein? Wollen Sie mir nicht erlauben, an Ihrer grünen Seite zu idyllisiren?“; Hebler 1869 Philos. Aufs. 162 In der Wirklichkeit die Tochter eines einfachen Bauern, . . von Voltaire gar zu einem Pfaffenkinde degradirt, ist sie von Schiller zur Tochter eines „reichen Landmanns“ befördert und – wie übrigens schon zu Lebzeiten und nicht ohne Anknüpfung an Thatsächliches – zur Schäferin idealisirt und idyllisirt. Idylle b: Hirschfeld 1779 Gartenkunst I 72 Bey einer Nation, die vielleicht mehr als eine andere gegen die Schönheiten der Natur empfindlich ist, mehr als eine andere die malerische Idylle liebt; Herder 1801 Adrastea II 179 Wehe dem, der blos das sanfte, weiche Idyll des Lebens liebet! dem stärkeren, rauheren entgehet er doch nicht; Pückler-Muskau 1834 Tutti Frutti II 275 Die ganze Gegend am Fuße der Eiskappe ist eine wahre Idylle; Gregorovius 1854 Wanderjahre I 149 Diese Trümmer bringen einen seltsam elegisch-geschichtlichen Zug in die reizende Idylle von Antium; 1855 Prutz’ Museum I 497 es ist ihr poetischer Hang, der romantische Zug, des Deutschen Glück und Qual, der sie in die Wälder und Prairien treibt, eine Bauernidylle zu versuchen und eine Art Naturrecht zu gründen in blühender Wildniß; Rilke 1894 S. W. III 118 All das blanke Werkgeräte/ steht im reinen

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Hofe drin;/ manchmal stört noch eine späte/ Kuh das trauliche Idyll; Fontane 1908 Zwanzig (S. W. XV 371) Mein Leben mit den zwei Diakonissinnen war ein Idyll, wie’s nicht schöner gedacht werden konnte: Friede, Freundlichkeit, Freudigkeit (DiBi 125); Freud 1910 Kindheitserinn. d. Leonardo (Studienausg. X 148) Es scheint, daß die Kindheit nicht jenes selige Idyll ist, zu dem wir es nachträglich entstellen; Klemperer 1927 Tagebücher 322 Gestern Abend heftiges Tanzen. Frl. W. das glücklichste lebhafteste Temperament, immer zufrieden, mit 1000 Interessen u. Freuden, von ihrem Kleinstadt-Idyll u. Schulberuf ausgefüllt u. doch humorvoll darüber stehend; Sieburg 1935 Gott 123 Wenn das Leben in der französischen Kleinstadt sich hier als eine Art Idyll darstellt; Stuttg. Ztg. 8. 11. 1961 [der Film ist] ein Ragout aus vielen Bestandteilen . .: Backfischtragödie . ., rührendes Kinderidyll, morbides Sittenbild welscher Amoralität, Edelgangsterstory; FAZ 27. 10. 1970 Dieser hält den bisherigen bayerischen Landtag für eine „Idylle“, die zu stören es höchste Zeit sei; taz 26. 5. 1987 im Vorfeld des Besuchs gab es wohl einige Auseinandersetzungen zwischen den beiden Partei- und Staatsführungen, die so gar nicht mehr an eine sozialistische Idylle erinnern; ebd. 4. 7. 1988 Als schwarzes Adoptivkind rundet sie das Familienidyll ab; ebd. 17. 6. 1992 Panorama-Fotografien häuslichen Glücks, das zwischen dem Datschen-Trabi-Idyll und der Rocky-Mountains-Wohnzimmer-Tapete im Takt der Kuckucksuhr pendelt; Zeit 2.2.1996 Wer bei der Beschreibung eines Essens in einem vom Krieg betroffenen Land Bukolik oder ein Idyll sieht, der ist ein Trottel; Süddtsch. Ztg. 29. 6. 2009 Ein Touch von Tati liegt über dem Film . ., kein anderer Filmemacher Frankreichs hat so beharrlich die Idyllen des vorigen Jahrhunderts erforscht. Idyllik b: Badenfeld 1845 Buch v. d. göttl. Dingen 368 Ein Hauptvorzug dieses . . Buches . . liegt wohl darin, daß es, von dem ganz einfachen Standpunkte der Natürlichkeit und Naturliebe, auf welchem ja jeder gute und edeldenkende Mensch steht und darin mit dem Verfasser sympathisirt, ausgehend, von diesem Blumenteppiche der Idyllik, Stufe auf Stufe . . den Geist ganz unvermerkt zu den Sternen und über die Sterne hinaus zum allliebenden Allvater emporleitet; Gottschall 1885 Totenkl. 244 Reiz des Kontrastes zwischen der Verderbniß der Städte und der Idyllik des Landlebens; Kerr 1895 Br. a. d. Reichshauptstadt 79 dabei schimmert in der blödsinnigen Handlung [des Theaterstücks], soweit man diesen Ausdruck brauchen kann, ein Zug zur Idyllik und zur Genügsamkeit durch, der ebenfalls ein ziemlich regelmäßig wiederkehrendes Merkmal der Berliner niederen Kunst bildet; Th. Mann 1930 Reden u. Aufs. (W.

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XI 98) die gepflegte, geschützte und unbildenlose Idyllik dieses Aufenthalts mit vielgängigen Tabled’hoˆte-Mahlzeiten sagte mir unbeschreiblich zu; ders. 1947 Faustus (W. VI 602) „Öde, fast blöde“ nannte er in Briefen, die er an mich nach Freising richtete, seine Verfassung, eine „Hundeexistenz“, ein „erinnerungsloses Pflanzendasein von unerträglicher Idyllik“, dessen Beschimpfung die einzige, klägliche Ehrenrettung sei; Frisch 1954 Stiller 421 ich sehe . . ferner ein wasserloses Brünnlein aus ebenfalls vermoostem Sandstein, alles nicht ohne Idyllik (DUDEN 1999); Mannh. Morgen 4. 7. 1986 auch in umgekehrter Richtung wird die Europastraße 3 auf dem sich nach Jütland fortsetzenden alten Heerweg . . von den Freunden dörflicher Idyllik viel begangen; Süddtsch. Ztg. 5. 11. 1996 Gegen die modisch-nostalgischen Sehnsüchte nach der Musik eines zweifelhaften Gestern, gegen die esoterisch gesalbte Idyllik der Neuen Tonalität und der sogenannten Weltmusik setzt Riessler den Wunsch nach unverbrauchten Ausdrucksformen; FAZ 28. 11. 2005 die den Vierakter rahmende Weihnachtsatmosphäre und die kleinbürgerliche Idyllik lassen das Liebesdrama um so schärfer hervortreten. Idylliker b: 1910/11 Pan I 646 So keift der deutsche Dandyismus, die Pedanten zur Rechten, die Idylliker zur Linken; und wo ein Glossator gar lebhaft wird, speien sie Gift und Galle; Th. Mann 1924 Zauberberg (W. III 632) er [Settembrini] scherzte über die Figur des tiefgebeugten Witwers, der alltäglich zum Grabe der teuren Abgeschiedenen pilgerte, um an Ort und Stelle mit ihr Zwiesprache zu halten. Ein solcher Idylliker mußte vor allem am kostbarsten Lebensgute, nämlich der Zeit, sich eines befremdlichen Überflusses erfreuen; Zeit 24. 1. 1986 Heimat: sie hat Konjunktur, . . nicht nur bei tranigen Idyllikern, düsteren Mystikern; Salzb. Nachr. 21. 2. 1994 Schließlich ist . . eine Volksabstimmung nötig – für die jene EU-Idylliker, die heute auf Brustwarzen nach Brüssel robben, im Juni oder Herbst vielleicht auch noch ein paar Stimmen von Nachdenklichen, Unentschlossenen, Abwägenden brauchen werden müssen; Süddtsch. Ztg. 20. 6. 1996 Was haben die Bonn-Idylliker nicht alles an Argumenten bewegt, um in der liebgewonnenen, piefigen Enge der Rheinprovinz bleiben zu können; taz 17. 9. 2008 Heimeligkeit oder gar Geborgenheit, wie sie eh nur noch Idylliker in der alten Stadt unter freiem Himmel suchen. idyllisch b: Wieland 1781 Teutscher Merkur 201 ganze Mahlzeiten von mancherley Arten Honig bietet Möschig mit einer so idyllischen Einfalt und Güte an, daß man sich diesen Wollüsten ohne allen Rükhalt überläßt; Laukhard 1797 Leben u. Schick-

sale IV 2,216 Wenn wir nun so des Abends in den idyllisch-reizenden Rhein-Auen herumwanderten; Seume 1803 Spaziergang II 133 ein romantisches, idyllisches Plätzchen; ders. 1806 Sommer (W. I 635) Peterhof hat für die Naturliebhaber und sogar für die idyllischen Seelen mehr Reiz; Steffens 1821 Caricaturen II 422 Völker, . . die von einem unschuldigen idyllischen Leben träumen; Hegel 1835 Ästhetik (X 333) die Vorstellung eines sogenannten goldenen Zeitalters oder auch eines idyllischen Zustandes; Schmid 1861 Schwalberl (IV 39) ich bin nicht einmal idyllisch genug, den Duft des Kuhstalls angenehm zu finden!; Meurer 1892 Bergsteiger 56 So paradiesisch gemütlich und schäferhaft idyllisch geht es leider auf unserer Erdkugel denn doch nicht zu; Meinecke 1919 Nach d. Revol. 70 der Widerschein unserer Landschaft im Auge des Künstlers, – jene ganz eigene Verbindung idyllischer Herzlichkeit mit aufsteigenden, übermächtigen Unendlichkeitsempfindungen, jenes wunderlich-gotische Ineinander von Engem und Weitem; Friedell 1928 Kulturgesch. II 382 daß ein starker Sinnenmensch wie Richard Wagner den Spiritualismus predigte und Rousseau fürs Primitive, Idyllische, „Gute“ schwärmte; Colerus 1929 Kaufherr 219 gegen Mittag durchquerten wir ein Wäldchen und sahen beim Herauskommen das Ziel unsres Wunsches in geradezu idyllischer Ruhe vor uns liegen; Süddtsch. Ztg. 1. 12. 1997 Johann Heinrich Tischbein repäsentiert mit dem Bildnis der Gräfin Marianne Schall von Bell . . das 18. Jahrhundert, Carl Spitzweg mit immerhin vier Bildern das romantisch-idyllische 19. Jahrhundert; ebd. 8. 7. 2009 Im ruhigen Bonn sitzen idyllisch direkt am Rhein Deutschlands oberste Wettbewerbshüter. idyllisieren b: 1821 Allg. Lit.-Ztg. I 206 Das freundlich gezeichnete Bild der Heldin dieses fantastischen Dichterspiels . . spricht gar lieblich mit der diesem Schriftsteller eigenthümlichen Kraft, die Wirklichkeit durch Humor zu poetisiren, an. Nicht wie weiland berühmte Andere solche idealisiren, idyllisiren oder sentimentalisiren, geht er nur seinen Weg; 1826 Literaturblatt 174 Das Gemälde ist sehr hübsch! nicht idyllisirt, nicht übertrieben; 1831 Flora I 22 nachdem man durch Steiermarks Eisengebirge, dessen Thäler und Wasserfälle, seine Hütten und Hämmer, Rückerinnerung an eine, wenn gleich idyllisirte, nordische Natur bekommen hat; Auerbach 1865 Auf der Höhe I 88 Die Königin idyllisiert Alles. Das ist der grade Gegensatz gegen das Heroische (SANDERS 1871); Th. Mann 1928 Reden u. Aufs. (W. X 231) Kreuz, Tod und Gruft! das ist ein weiteres Wesenselement der dürerisch-deutschen Charakterwelt, innig verschränkt mit . . jenem Rittertum zwischen Tod und Teufel: Passion, Kryptenhauch, Leidenssympathie,

Ignoranz faustische Melancolia, idyllisiert auch wohl zum frommen Stubenfleiß rezeptiven Friedens; Geiger 1975 Demokratie 131 daß soziale Erbauungsprediger, die Spannweite menschlicher Sympathie arg verkennend, zu Bruderschaft und Liebe zwischen Millionen ermahnen. Solche Bemühungen, das gesellschaftliche Leben zu idyllisieren, mögen gut gemeint sein, bleiben aber doch mehr unechte Fühlerei; taz 9. 6. 1989 Die wenigen Geschichten, die er von den Dreharbeiten in der Antarktis . . erzählt, sind witzig-ernst, nicht idyllisierend oder „gerecht empört“, sondern vom scharfen Blick für Skurrilitäten gewissermaßen als Großaufnahme präsentiert; Presse 23. 11. 1996 Einer der idyllisierenden Kostümfilme James Ivorys, der hier – wie gewohnt – die Analyse und die Sozialkritik unter vielen exquisiten Stimmungsbildern begräbt; Süddtsch. Ztg. 29. 8. 1997 Daß die Landschaft, wie sie die europäische Agrarkultur hervorgebracht hat, eine Kulturlandschaft ist, daß deren meist idyllisierende Wahrnehmung vor allem das Konstrukt einer Zeit ist, in der ebendiese Landschaft zu verschwinden begann; St. Galler Tagbl. 4. 6. 2008 Robert Nef wollte die Heimat seiner Vorfahren nicht idyllisieren. Idyllisierung b: Alt 1833 Andeutungen 95 Der alte Herr verfehlte mit dieser Aufzählung allerdings den Zweck, den der geistliche Redner zu verfolgen hat; allein doch that er besser mit dieser den Kirchenregistern entnommenen . . Wahrheit, als mit einer Fabel von seiner in’s Leben der Leute eingreifenden Amtswirksamkeit, . . als mit einer Idyllisirung des Sinnes seiner Bauern gegen ihn; Hillebrand 1851 Dtsch. Nationallit. II 241 die Meister-

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schaft, mit der jene unscheinbaren Zustände auf den dunkeln mächtigen Hintergrund der Weltgeschichte aufgetragen werden, . . überhaupt diese geschickte Idyllisirung des Epos . ., die ganze unbefangene Vereinigung des bürgerlichen Lebens mit dem Interesse der Weltgeschichte, ist ein Hauptvorzug, wodurch dieses Gedicht sich als einzig in seiner Art bewährt; Menge 1862 Stolberg u. seine Zeitgenossen 156 Agnes sang und sang der Nachtigall Ton, daß sie, von den Aesten herabhüpfend, der Sängerin nahe kam. Zur Theilnahme an solcher Idyllisirung des ländlichen Lebens mochte der Freund den Freund am liebsten einladen; 1910 Hess. Blätter f. Volkskunde LIII 116 Die Idyllisierung und Verherrlichung des Bauerntums im ausgehenden 19. und den ersten Jahrzehnten des 20. Jhs. erschwert es dem Volkskundler, sich ein wirklichkeitsgetreues Bild von Arbeit und Leben der Landbevölkerung zu machen; Aich 1947 Massenmensch 171 Der Idyllisierung entsprach auf der anderen Seite die Heroisierung; Zeit 17. 4. 1987 Sie besteht aus einem stählernen Rankgerüst, das vor das Gebäude montiert ist und der individuellen Aneignung zur Verfügung steht. Wer will, kann es in sein Haus einbeziehen, zum Wintergarten machen, zur Loggia, oder dem Grün freien Lauf lassen. Die Struktur der Fassade ist so stark, daß keine Idyllisierung zu befürchten ist; Süddtsch. Ztg. 8./9. 1. 1994 Mit Georg Forsters kritischer Inspektion und doch so eindringlicher Idyllisierung dieses südlichen Inselparadieses hebt darauf in Deutschland der Mythos jener exotischen Unberührtheit an; Rhein-Ztg. 2. 1. 2007 Auffallend am diesbezüglichen Diskurs ist die maßlose Idyllisierung von Familie. Sie wird quasi zum Allheilmittel per se für alle Probleme stilisiert.

Ignoranz F. (-; selten -en), seit früherem 16. Jh. nachgewiesene Entlehnung aus gleichbed. lat. ignorantia (zu ignorare, ¤etwas nicht kennen, unwissend sein; etwas nicht wissen wollenÅ, zu ignarus ¤unwissend, unerfahrenÅ, aus negierendem in-, → In-2, in-2, und gnarus ¤(einer Sache) kundig, wissendÅ, zurückgehend auf noscere ¤erkennen, kennenlernenÅ; → nobel, → Notar, → Notiz; vgl. rekognoszieren), im 16. Jh. vereinzelt auch als allegorischer Name, anfangs und auch später gelegentlich in lat. (flekt.) Form und in lat. Syntagmen. Bildungsspr. verwendet in Bezug auf Bildung, Kenntnis- und Wissensstand, Geisteshaltung und Einstellungen in der Bed. ¤(tadelnswerte, bemängelte, kritisierte, missbilligte) Unkenntnis, Unwissenheit, Nichtwissen, Kenntnis-, Ahnungslosigkeit, Unerfahrenheit in Bezug auf etwas oder jmdn.; Halbwissen durch mangelnde Bildung, Unverstand/Unverständnis, Stümperei; (unbelehrbare) Dummheit, Einfältigkeit, UngeschicklichkeitÅ (→ Stupidität; vgl. Inkompetenz, → inkompetent, Naivität), z. B. politische Ignoranz, eine von ziemlicher, gänzlicher Ignoranz zeugende Antwort, Ignoranz gepaart mit Intoleranz, das zeugt von unglaublicher Ignoranz auf allen

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Gebieten, seine Doktorarbeit zeichnet sich durch methodische Ignoranz aus, im Zustand hoffnungsloser Ignoranz verharren, Ignoranz und Dummheit, Inkompetenz und Ignoranz, vgl. auch die rechtsspr. lat. Syntagmen Ignorantia juris/legis ¤Unkenntnis von Rechtsgrundsätzen und gesetzlichen Vorschriften; RechtsirrtumÅ und Ignorantia facti ¤mangelnde Kenntnis, Unkenntnis (in Bezug auf Tatsachen, Ereignisse)Å sowie Ignorantia litterarum ¤Unkenntnis des Wortlauts eines Textes, einer Schrift; mangelnde Bildung auf dem Gebiet der Literatur und der Schönen KünsteÅ, bezogen auf Verhaltens- und Handlungsweisen vereinzelt positiv (s. Belege 1615.2, 1615.3), häufiger negativ konnotiert mit „dünkelhaft, überheblich, eingebildet, oberflächlich, blasiert, borniert“ (s. Belege 1615.1, 1854, 1928) und, gleichbed. mit Ignorierung (s. u.), ergänzt um das Moment des Bewussten, Absichtlichen im Sinne von ¤absichtliche Nichtbeachtung, Verkennung einer Tatsache, bewusste Weigerung, etwas zur Kenntnis zu nehmen, Missachtung, VernachlässigungÅ (s. Belege 1788, 191518, 1963; → Arroganz; vgl. Desinteresse, Indolenz, → indolent, Intoleranz; Ggs. → Akzeptanz, → Interesse, → Toleranz), z. B. eine Mischung aus Arroganz, Ignoranz und Intoleranz, die DDR wurde aufgefordert, ihre Ignoranz gegenüber der Luftverschmutzung aufzugeben, die Ignoranz der Macht sprach aus Simo´n Bolı´var, dem „Befreier Südamerikas“, selten im Pl. bezogen auf einzelne Äußerungen/Ausprägungen von Ignoranz (s. Beleg 2005); als Bestimmungswort in Zss. wie Ignoranzabbau, -faktor, -interpretation, -kult, -kultur, -opfer, -partei, -politik, -produkt, -strategie, häufiger als Grundwort in Aids-, Beamten-, Behörden-, Bibel-, Fakten-, Fortschritts-, Funktionärs-, Fußball-, Geschichts-, Grundrechts-, Internet-, Jugend-, Kleinbürger-, Kunden-, Medien-, Ost-/West-, Politik(-er)-, Problem-, Publikums-, Rationalisierungs-, Rechts-, Sach-, Technokraten-, Theater-, Total-, Umwelt-, Weihnachts-, Wissenschaftsignoranz. Daneben seit späterem 16. Jh. die auf (flekt. Form von) lat. ignorans (Gen. ignorantis), subst. Part. Präs. von ignorare (s. o.) zurückgehende Personenbezeichnung Ignorant M. (-en; -en), früher auch in der Form Ignorante, moviert Ignorantin, schimpfwortartig verwendet für ¤jmd., der (aus Unkenntnis) wenig oder nichts weiß, (aus mangelnder Bildung) wenig oder nichts gelernt hat; Unwissender; Dummkopf; Ungebildeter; Halbgelehrter, StümperÅ (→ Banause, → Dilettant, → Idiot a, → Kretin, → Laie, → Scharlatan; vgl. Simpel, → simpel), z. B. blutige, elende, hirnlose, krasse, trübselige Ignoranten, ein grober, notorischer, unverbesserlicher Ignorant, als Ignorant dastehen, erscheinen, das stempelt ihn zum Ignoranten, da waren offensichtlich Ignoranten am Werk, seltener auch ¤jmd., der etwas (mit Absicht, Vorbedacht) nicht wissen will, sich nachdrücklich weigert, etwas zur Kenntnis zu nehmen, (bewusst) die Augen davor verschließt; jmd., der sich nicht um Wissen und Erkenntnis bemühen und daher unwissend bleiben willÅ (s. Belege 1616.2, 1692, 1993.2), als Grundwort in Zss. wie Datenschutz-, Esoterik-, Familien-, Fernseh-, Fortschritts-, Fußball-, Gesundheits-, Klima(-schutz)-, Krisen-, Kultur-, Marken-, Musik-, Polit-, Problem-, Realitäts-, Sprach-, Tennis-, Umwelt-, Wein-, Wetterignorant, Aids-, Europa-, Hitchcock-, Indien-, Internet-, Kino-, Komma-, Literatur-, Öko(-logie)-, Rock-, Sport-, Technik-, Weihnachts-Ignorant, mit der früher häufigen (die negative Konnotation verstärkenden) Präfigierung Erzignorant und der in neuerer Zeit vereinzelt nachgewiesenen subst. Ableitung Ignorantentum N. (-; ohne Pl.); seit Anfang 18. Jh. selten, erst seit Anfang 19. Jh. häufiger nachgewiesen das (gleichfalls auf lat. ignorans, s. o., zurückgehende) Adj. ignorant in der Bed. ¤von (tadelns-

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werter, zu beanstandender) Unwissenheit, Dummheit zeugend, unwissend, dumm, nicht sachkundig, unkundig, kenntnis-, ahnungslos, blind; ungebildet, (von der Bildung oder der Kenntnis her) unterentwickelt, untauglichÅ (→ stupid; vgl. inkompetent), z. B. ignorante Bemerkung, die USA sind in vielerlei Hinsicht kulturell ignorant, gegen dumme und ignorante Vorurteile ankämpfen, der Verein zeigte sich völlig ignorant gegenüber den neuen Regeln im Fußballsport, auch erweitert um das Moment des Bewussten, Absichtlichen für ¤sich ahnungslos gebend, dumm stellend; unbelehrbar, dickfellig, sturÅ (s. Belege 1988, 1996, 2000; → blasiert, → borniert, → indolent; vgl. arrogant, → Arroganz), z. B. ignorantes Verhalten der Jugendlichen, erfolgloser Kampf gegen eine ignorante Bürokratie, die Kuba-Politik der Vereinigten Staaten wird oft als ignorant und herablassend kritisiert, das Zeugnis eines ignoranten Umgangs mit der Problematik, überall lauern ignorante Betonköpfe, sowie in (meist okkasionellen) Zss. wie fortschritts-, frauen-, fußball-, geschichts-, hauptstadt-, kunst-, leistungs-, öko-, ost-, sport-, todes-, umwelt-, wetterignorant und additiven Reihen wie autoritär-, bösartig-, cool-/kühl-, egozentrisch-, konservativ-, leichtfertig-, relaxt-, stur-, verächtlich-ignorant; ignorant-aggressiv, -neutral, -opportunistisch, -rassistisch, -romantisch; dazu die in neuerer Zeit vereinzelt bezeugte adv. Ableitung ignoranterweise; seit früherem 19. Jh. die (eventuell frz. beeinflusste) subst. Ableitung Ignorantismus M. (-; ohne Pl.) ¤systematisch aufrechterhaltene, permanente Dummheit, AufklärungsfeindlichkeitÅ mit der seit späterem 19. Jh. vereinzelt nachgewiesenen Personenbezeichnung Ignorantist M. (-; -en); vgl. in neuerer Zeit den verstärkt abwertend gebrauchten Okkasionalismus Ignoranzling M. (-s; -e). Seit frühem 17. Jh. vereinzelt, seit Anfang 18. Jh. kontinuierlich nachgewiesen das (eventuell über gleichbed. frz. ignorer) auf lat. ignorare (s. o.) zurückgehende V. trans. ignorieren, anfangs gelegentlich (und bis ins 20. Jh. gebucht) in der Bed. ¤von etwas nichts wissen, etwas nicht kennen, wissenÅ, meist jedoch eher abwertend in der Bed. ¤etwas absichtlich nicht wissen wollen, wissentlich (ver-)leugnen, verschweigen; die Augen verschließen vor etwas, sich stellen, als wisse man etwas nicht; von etwas/jmdm. bewusst keine Kenntnis/Notiz nehmen, etwas/jmdn. links liegen lassen, nicht (an-)erkennen (wollen), (absichtlich) übersehen, übergehen, nicht beachten, nicht berücksichtigen, vernachlässigen, missachtenÅ (→ desavouieren; vgl. mobben, → Mob), mit den pejorativen Konnotationen „beständig, beharrlich, hartnäckig; starrsinnig, borniert, selbstgefällig, gleichgültig“, weiter ins Negative verstärkt auch „vorsätzlich, böswillig, berechnend“, in Wendungen wie die Vergangenheit ignorieren, sie tut gut daran, die Sache gänzlich zu ignorieren, mein Gesuch wurde abermals ignoriert, die Existenz der Mädchen wurde vollständig ignoriert, der Vorfall wurde ignoriert und man machte weiter, alle meine Vermittlungsvorschläge werden ignoriert, die beiden Damen ignorierten sich seit diesem Ereignis geflissentlich, mit dem seit spätem 18. Jh. nachgewiesenen Verbalsubst. Ignorierung F. (-; -en) ¤Nichtbeachtung, NichtachtungÅ. Ignoranz: Paracelsus 1536 S. W. I 10,529 das ursachet euer ignorantia, das ir theoricam mineralium bisher nit verstanden habt . ., darumb ir auch misbrauchen die practik so in den mineralibus stan; 1541 Volkslied (Liliencron IV 163) Dardurch ward Jupiter geblendt,/ Veritatem nimmer kent./ Fraw Ignorantia/ was auch gescheftig da/ und luf sehr

hin und dar,/ im gericht gewaltig war;/ macht alle ding wankelmüthig,/ derhalb Jupiter der gütig/ saß also gar verwirret,/ wie in eim Labyrint verirret; Egenolff 1552 Sprichwörter 113 Ein König sitzt auff eim stu˚l/ hat grosse lange weite ohren/ höret gern den lügnern vnnd heuchlern zu˚/ Hinder jhm stehet Ignorantia, Vnwissenheyt/ dann er glaubet

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denen/ vnnd das/ des er keinen grundt hat (DiBi 111); Fischart 1582 Geschichtklitterung 240 Secht Signor Monsieur Gentilman, es sind achtzehen tag, daß ich an diser mühlichen red hab metagrabulisirt, vnd gekauet, vnd geraspelt ritzigs vnnd reudigs. Mach ich nichts guts, so ists dern schuld, die keinen geschicktern außgeschickt haben: Imputent sibi: jr werd meiner wolmeinenden Ignorantz zugeben: damit ich mit dem Apostel sagen mög, lgnorans feci, propter quod Misericordiam consecutus sum; Bodin 1591 Daemonomania (Übers.) 291 Derhalben vnnd dieweil der Sathan sihet/ daß Gott . . allzeit die Gewaltsamkeit/ die Forcht vnnd eine Rechmäsige fugsame Ignorantz oder Vnku˚ndlichkeit vnnd Vnwissenheit fu˚r enschuldiget haltet (DiBi 111); Albertinus 1615 Gusman v. Alfarche 109 die ignorantz/ Torheit vnd vermessenheit deß gemeinen Manns ist dermassen groß worden/ daß sie in der Hoffarth vnnd seltzamkeit der Kleidern/ dem Adel vnnd Herrenstandt nichts beuor gibt; ebd. 173 O wie vil besser aber vnnd annemlicher ist Gott dem Herrn ein gute vnd bescheidene ignorantz/ denn ein solche schädliche Gelehrtheit der Astrologorum; ebd. 174 daß die so grosse gelehrheit nichts anders ist/ als . . ein verderbung deß Leibs vnnd der Seelen/ aber die Ignorantz ist ein jmmerwehrende vnd süsse ruhe des Geistes; 1620 Caluinischer Mutwill G4b IN dem gantzen getruckten Concilio Tridentino ist dises Axioma nicht zu finden/ vnnd dörffen dennoch dise Leuth so vil daruon schreyen/ Schreiben/ vnd trucken lassen: welches von jhnen auß einer gar zu groben ignoranz/ oder (wie vil mehr zu glauben) auß lautter fürsetzlichen Boßheit geschicht; Greflinger 1647 Complementier-Büchlein C10b muste . . sich seiner ignorantz schemen; Zittmann 1659 Medicina Forensis 83 ob die Wunden nur per accidens entweder durch einiges zugeschlagenes Symptoma, oder durch Ignoranz des Baders/ der ihn curiren solle/ . . den Tod nach sich gezogen; Buchholz 1669 Abgenöhtigte Remonstration der elenden Ignorantz und groben Schmehesucht d. Argidii Strachen zu Wittenberg (Titel); Abr. a S. Clara 1686 Judas I 332 nit ein geringes Wunder ist, daß Ignatius mit seiner Societät der Scienz und Wissenschaft wieder auf die FüßÅ geholfen und also Ignatius ignorantiam verbandisirt (DiBi 125); 1689 Polit. Fliegenwedel I 108 Wo aber an vorermelten Stucken in einem oder mehr/ entweders aus Unvorsichtigkeit/ Negligenz oder Ignoranz gefehlet/ oder wol gar vorsetzlich etwas unterlassen; Thomasius 1705 Außerles. Schr. (1994 Ausgew. W. XXIII 1,30) Denn diese geben mir grössere Ursach zu fragen/ ob der Herr Pfarher wohl erwogen was dergleichen absurda audacia interpretandi die die Theologi bißher in Erklärung dieses Mosaischen Gesetzes begangen/ für eine greuliche ignoranz

und schädlichen Papismum anzeige; Musig 1718 Licht d. Weisheit II 550 weil die Menschen in der grösten ignoranz und corruption gebohren werden; Bertram 1728 Einl. 74 Ignoranz in diesen Studiis [der Humaniora]; Boltz 1752 Amts-Actuarius 206 Die Forma und das Wesen des Gesetzes bestehet in der . . Kundmachung, nach welcher es sofort obligiret. Jedoch ist derjenige, welcher sich auf die Ignoranz und Unwissenheit beziehet, auch solche zu probiren bereit ist, damit allerdings zu hören; Wekhrlin 1777 Denkwürdigkeiten v. Wien 159 f. Diese vornehme Ignoranz hat sich bis in die Kanzleyen verbreitet; Rothammer 1785 Maximilian III 9 einige Wissenschaften in der Oberfläche berührt, und zum äusserlichen Scheine, unter welchem man nach damaliger Mode die Ignoranz hübsch zu verbergen gewohnt war; Ehrmann 1788 Amalie 29 Gellert, dieser vortrefliche Lehrer der erhabensten Begriffe von der Herrlichkeit Gottes ist in den Augen der meisten Nonnen ein Kezzer. Ihre rasende Ignoranz geht bis zum Abscheu! ⫺ Die Wut des Vorurtheils sizt mächtig stark in ihren elenden Köpfen (DiBi 125); Jean Paul 1793 Loge 316 Ich schäme mich, daß Gustav eine solche Ignoranz in der Liebe hatte, daß er in einigen der besten Romanen nachsehen wollte, ob er jetzt einen Liebebrief an Beata zu schreiben habe (DiBi 125); Laukhard 1802 Leben u. Schicksale V 137 seitdem Grobheit, Stolz, Impertinenz und brutales Wesen mit großer Ignoranz verbunden, das Signalement der Recensisten geworden ist, kümmert sich niemand mehr um Recensoren als solche; Tieck 1831 Dichterleben Zweiter Teil (W. III 508) Das Nötige . . werde [ich] nicht verabsäumen, denn meiner eigenen Ehre liegt zuviel daran, daß ein Freund von mir, den die Welt fortan auch als einen solchen ansehn, betrachten und wahrnehmen wird, nicht zu sehr an der Ignorantia dunklem, unverständlichem Wissen und der Albernheit laboriere (DiBi 1); Heine 1838 Einl. zu Shakespeares Mädchen u. Frauen (W. u. Br. V 475) Was ihm [Ludwig Tieck] an Kenntnis der klassischen Sprachen, oder gar an Philosophie, abging, ersetzte er durch Anstand und Spaßlosigkeit, und man glaubt Sir John auf dem Sessel zu sehen, wie er dem Prinzen eine Standrede hält. Aber trotz der weitbauschigen, doktrinellen Gravität, worunter der kleine Ludwig seine philologische und philosophische Unwissenheit, seine ignorantia, zu verbergen sucht, befinden sich in den erwähnten Blättern die scharfsinnigsten Bemerkungen über die Charaktere der Shakespeareschen Helden (DiBi 1); ders. 1854 Geständnisse (W. u. Br. VII 162) nicht, weil ich etwa das viele Wissen des Männchens [Louis Blanc] bewundert hätte ⫺ nein, er ist im Gegenteil von aller Wissenschaft gänzlich entblößt ⫺, ich war vielmehr verwundert, wie in einem so kleinen Köpfchen soviel Unwissen-

Ignoranz heit Platz finden konnte; ich begriff nie, wie dieser bornierte, winzige Schädel jene kolossalen Massen von Ignoranz zu enthalten vermochte . . Trotz allem Mangel an Wissenschaft und Gelahrtheit bekundet Herr Louis Blanc dennoch ein wahrhaftes Talent für Geschichtschreibung (DiBi 125); Mommsen 1869 Reden u. Aufs. 459 auf dem Gebiet der Archäologie, auf dem der Dilettantismus und jene leidige Halbwisserei, mit der verglichen die einfache Ignoranz achtungswert erscheint, ihr Wesen ärger und anhaltender treiben als auf dem der Philologie; Wagner 1870⫺80 Leben 257 Meine Verachtung des Theaterwesens . . konnte durch die nun mir gewordene genauere Bekanntschaft mit dem scheinbar so vornehmen Hoftheater-Intendanz-Wesen, welches mit dünkelhafter Ignoranz das Schmachvolle der modernen Theatertendenz prunkend zu verdecken berufen scheint, nicht eben vermindert werden (DiBi 125); Bruges 1873 Reiseskizzen 49 da die Ignoranz, was Erlernung fremder Sprachen anbetrifft, . . ausserordentlich gross ist; Sacher-Masoch 1897 Autobiographie 266 in welcher ich die ganze Fäulniß der deutschen Literaturzustände, die Ignoranz und Ehrlosigkeit der deutschen Presse schonungslos enthüllte und den deutschen Journalisten die französischen, welche die Fehltritte ihrer Feder mit dem Degen zu repariren verstehen, als Muster aufstellte (DiBi 125); Schnitzler 1915⫺18 Jugend 180 tief gekränkt, wenn ich außerstande war, ihren Wunsch zu erfüllen oder gar versäumt hatte, ihr zu antworten, was sie dann veranlaßte, sich über meine „beleidigende Ignoranz“ zu beklagen (DiBi 125); Tucholsky 1928 (Ges. W. VI 144) Ich weiß noch genau, daß ich das kleine Buch am liebsten zerrissen hätte: ein solch fataler Dunst von Überheblichkeit, schludriger Philosophie, Unverständnis und Ignoranz schlug mir entgegen (DiBi 125); Friedell 1931 Kulturgesch. III 475 infolgedessen ist alle psychologische Kritik an Kunstwerken nicht etwa „respektlos“, sondern sinnlos, als ein Ausfluß völliger Ignoranz in ästhetischen Dingen; 1956 Natalicium a. Jax II 34 Man muß den „Mut zur Ignoranz“ haben, die Vielwisserei dem Können opfern, denn „wahre Bildung ist nicht Wissen, sondern Können, nicht Inhalt, sondern Geist“; Hochhuth 1963 Stellvertreter 248 (Nachw.) eine Entschuldigung zu finden für die Ignoranz, mit der sie . . den . . Informationen über den Massenmord begegnet sind (DUDEN 1999); taz 18. 9. 1986 Ein absurdes Auswahlverfahren bei der Besetzung öffentlicher Stellen führt zu Inkompetenz und Ignoranz der Administratoren; ebd. 5. 2. 1987 Zum ersten Mal werden damit in einem sozialistischen Land die Probleme der real existierenden Luftverschmutzung öffentlich eingestanden. Ein Novum angesichts der jahrelangen Ignoranz und einer gegen Null tendierenden Aufklä-

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rungs- und Informationspolitik; FAZ 24. 3. 2003 Es mag Ausdruck politischer Blindheit und moralisierender Ignoranz sein, wenn Bush heute als von dunklen Mächten getriebener Kriegsverbrecher dargestellt wird; Berl. Ztg. 30. 4. 2005 Solchen Verdrängungen, Aussparungen, Ignoranzen verdankte Speer nach 1945 sein Leben; Spiegel 4. 2. 2017 Präsident Trump, so fürchten viele Forscher, droht ein Amerika der Ignoranz zu erschaffen, in dem wissenschaftliche Resultate von öffentlichen Forschungseinrichtungen einer politischen Zensur unterliegen, in dem Experten mit Sprechoder sogar Denkverboten belegt werden, in dem „alternative Fakten“ mehr Gewicht haben als echte. Ignorant: Roth 1571 Dict. 317 Ignorant. Ein vnwissender/ vnkünnender/ vnuerstendiger Mensch. Als so man spricht/ Er ist ein lauter Ignorant; 1587 Warhaffter gegenbericht d. Augsb. Händel G1a Mit dem volgenden vermainten Heyrat trifft sich D. Müller selbst eben recht/ vnd gibt damit eintweders ein merckliche vnwissenheit/ oder aber die eüsserste boßhafftigkeit zuerkennen/ Dann kan er vnder dem dritten gleichen oder vngleichen grad der schwager oder sipschafft nit vnderscheyden/ so ist er ein grober ignorant; Scherer 1599 Schr. I 358 Entzwischen werden dich deine Mitpredicanten selber allenthalben für ein groben Ignoranten/ vnd vnbeleßnen Mann vbel außmachen; Albertinus 1615 Gusman v. Alfarche Vorw. 3b also seind etliche Menschen pur lautere ignoranten, stamler vnd vnberedt; ebd. 358 inmassen Christus gethan/ welcher nit allein gantze Nachtlang auff den Bergen bettete/ sonder sich auch in heilung der Krancken vnd Presthafften vbte/ vnd die Ignoranten vnderwise; Boccalinus 1616 Probierstein (Übers.) 24 für einen erklerten ohnwissenden vnd ignoranten gehalten; Albertinus 1616 Lucifer 29 Dann wer sich selbst nicht kennet, der . . ist ein ignorant vnd bleibt ein ignorant, er waiß nichts vnnd wil nichts wissen; Greflinger 1647 Complementier-Büchlein b11b Diese vnd andere nützliche sachen . . machen einem ein groß Ansehen und Befoderung bey hohen Personen/ die es annehmen und verstehen. Bey Ignoranten aber sind diese hochsinnige Sachen nicht nütz; 1648 Gedichte d. Königsb. Dichterkreises 255 wie . . die drey letzten Noten der Harmonischen Kunst so gar zu wider gedrucket stehen, weil der Ignorant [verständnisloser Nachdrucker eines Liederbuchs] nicht singen können; Glauber 1659 Teutschl. Wohlfahrt III 102 Trotz aller Spötter und Ignoranten, kan ich es zeigen mit meinen handen; Harsdörffer 1664 Schauplatz 381 Hingegen sind die Ignoranten die Patriarchen deß Friedens/ die in Glauben sonder Wissen und Einfalt ein gutes Gewissen haben/ ihr Leben in Unschuld und stiller

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Ruhe zubringen/ nit erfahrend den Last/ welchen die Wissenschafft aufzubürden pfleget (DiBi 125); Weise 1675 Kl. Leute 297 Hingegen ist es bekandt,/ wie mancher in der Haut ein solcher Ignorant ist/ daß wenn man einem elenden Stümper schuldig wäre/ und mit ihm bezahlete/ man leicht dritthalb Groschen über die Schuld wieder heraus kriegte; Thomasius 1688 Monatsgespr. I 844 Ich aber bin nach seiner eigenen Geständniß ein ignorante; 1692 Novellen 35 da es sonst viel hoffärtige Ingenia giebt, die lieber Ignoranten bleiben, als Lehre annehmen wollen; 1718 Fama LXVII/ LXVIII 874 es sey der selige und gelehrte Lutherus ein Ignorante, oder doch ein Feind der Gelehrsamkeit gewesen; 1721 Discourse d. Mahlern I A1b siehet er mehr als eine Ursache zufürchten/ daß seine Schrifft von dem Publico/ von welchem die Ignoranten und die Pedanten die grössere Zahl machen/ werde verachtet werden; Gellert 1747 Kranke Frau (1769 S. Schr. III 429) Ars non habet osorem, nisi ignorantem. ⫺ Sie sind ein Ignorant [schlechter Arzt], ich nicht; Lessing 1754 (W. III 575) niemand ist schwerer zu belehren, als ein alter, hochmütiger Ignorante (DiBi 125); Wezel 1774 Tob. Knaut II 71 ein völliger Ignorant in allen Vorfällen des schönen Lebens; Grecourt 1777 Auserles. W. (Übers.) II 170 Die Schätze der Natur sind jedem aufgedeckt,/ Dem Ignoranten wie dem Weisen; Hess 1796 Durchflüge d. Deutschland II 115 In der Heilkunde war er ein Erzignorant; er kannte den Namen Tissot nicht einmal; Tieck 1831 W. III 446 Was ist unser Theatrum? Eine Anstalt für Barbaren und Goten, für Müßiggänger und Ignoranten, wo ignote Autoren, verfinsterte Köpfe ohne alle Gelehrsamkeit Tragödie oder Komödie fabrizieren (DiBi 125); Fallmerayer 1845 Aufs. II 237 mit der Religion, die ihr „die Theorie der Ignoranten“ nennt; Guseck 1851 Salvator II 27 ein Ignorant in den Sitten der guten Gesellschaft; Meyr 1866 Gespr. 373 In richtiger Selbstschätzung Kenntnisse gewinnen und durch Kenntnisse frei und geachtet werden, das ist das eine Ziel. In dummer Einbildung ein Ignorant bleiben und als solcher entweder dem Elend oder der Schlechtigkeit und endlich der Schmach verfallen, das ist das andere; 1895 Dtsch. Dichtung XVII 229 Noch immer galten mir die Ärzte insgesammt für Ignoranten und Charlatane; David 1912 Schülerjahre 23 Der heutige Abiturient steht als blutiger Ignorant der Wirtschafts- und Kulturorganisation unserer Zeit gegenüber; Kronberg 1929 Jugend 8 Einmal lobte er ihn als geborenen Pressemann mit den besten Instinkten für Literatur und Geschäft, dann nannte er ihn wieder einen Ignoranten und Nichtstuer; Klemperer 1952 Tagebücher 283 Wir schätzen Sie als Wissenschaftler . . aber Sie sind in politischen Dingen ein vollkommener Ignorant; Scurla 1963

Begegnungen 8 [Rachel] schalt sich selbst eine „Ignorantin“; Zeit 24. 5. 1985 Als Vertreter der Minimal Art stellt er elementare Kunstwerke her, die von den unverbesserlichen Ignoranten als Überbleibsel von Baustellen mißverstanden und von Kunstexperten als geniale Zwiesprache mit der Schwerkraft begrüßt werden; Spiegel 21. 6. 1993 Wer vor dem Einsatz des Strafrechts gegen rechts warnt, wer nicht in den Chor der Ächtung um jeden Preis einstimmt, sich damit dieser naheliegenden linken Identitätssicherung verweigert, steht unter extremem Begründungszwang, will er nicht als verharmlosender Ignorant erscheinen; Salzb. Nachr. 10. 7. 1993 Jeder, der also sagt und meint: das alles berührt mich nicht, das geht mich nichts an, der möge sich bewußt sein, daß er als Ignorant dereinst selbst zu den Ignorierten gehören wird; Szendrödi 2001 Sandsacks Psychoschmarotzer 33 Dort erst, wo alle Spötter der Wahrheit, Lügner und Ignoranten auf einem Haufen sind, in der Antiwelt, wirst du erfahren . ., daß die Würde der Gelehrten . . im Ursprung des Bösen begründet ist; Berl. Ztg. 17. 7. 2004 Traditionsgemäß isst man die Thüringer Spezialität eingeklemmt zwischen zwei Brötchenhälften ⫺ nur Ignoranten benutzen Messer und Gabel. ignorant: Thomasius 1701 Kl. Schr. 235 wie sie mich . . zuförderst bey Hohen und Niedern/ Gelehrten und Ungelehrten/ als einen ignoranten und lasterhafften Menschen traduciren/ ja gar bey meiner Gnädigsten Landes-Obrigkeit als einen Atheisten und profanen Mann fälschlich anklagen möchten; Herder 1801⫺03 (1862 S. W. z. schönen Lit. u. Kunst IX 234) Perrault schon hat mit vollem Recht die alten sieben Weisen Griechenlands als ignorante Pedanten und pedantische Ignoranten verabschiedet, weil sie Sinnsprüche, und zwar jeder nur Einen, z. B. so einfältigen, als: Nichts zu viel! In allem bedenke das Ende! . . im Munde führten; Varnhagen 1834 Rahel I 115 Sie und Hauptmann Cuhn halten mich für ignoranter, aIs ich bin; Hauthal 1837 Beitr. z. Satiren d. Persius 491 also wenn ich, ein ignoranter Nichtwisser wie Socrates, dem wissenden Ignoranten hier blos als vaterländischer Sprachkenner entgegentrete mit dem festen Vorsatze, daß ich, ein guter Gesellschafter, auf gut deutsch kosen will und mir das altfränkische und altsächsische Wort, wie die süße Sache des Liebkosens nicht nehmen lasse; 1842 Ztg. f. d. elegante Welt 598 Wollte man sich aber vorstellen, sie [Spanier] seien ignorant und träge, nach Art der Ignoranten und Faulenzer anderer Regionen, so würde man sehr Unrecht haben; 1847 Theolog. Quartalschr. I 410 Welch unendlich edlere Gestalt ist ein durch Philosophie in die Irre geführter Theologe, als ein ignoranter, und, weil ignorant und interes-

Ignoranz selos gegen alles Geistige, in niedriges Sinnen und Treiben versunkener!; Muther 1866 Universitätsu. Gelehrtenleben im Zeitalter d. Ref. 4 Der alte Soldat ehrt die Waffen, mit denen er gefochten hat, aber der ignorante Kleriker veräußert die merkwürdigsten Pergamente an Maler und Kürschner, oder gibt sie Goldarbeitern, um sie zu Behältern für Armbänder und Halsketten zu verwenden; Fontane 1897⫺98 Stechlin (Romane u. Erz. VIII 229) In dem Augenblick, wo der gänzlich ignorante Kandidatus in seinen Frack fährt, guckt er ⫺ so was soll vorkommen ⫺ noch einmal ins Corpus juris und liest, sagen wir, zehn Zeilen, und gerad über diese wird er nachher gefragt und sieht sich gerettet (DiBi 125); Stüber-Gunther 1922 Rappelkopf 162 Wann ein Rezensent, der von seiner gänzlichen Unwissenheit und Ahnungslosigkeit seinen Beruf zum Alleskritisieren herleitet, so dumm daherplauscht, wann so ein ignoranter, arroganter Tintenfisch was besonders Geistreiches von sich zu geben glaubt; Bernhardt 1966 Gesch. d. Waldeigentums III 199 Ein ignoranter Edelmann war immer noch mehr, als ein kenntnisreicher Bürgerlicher; taz 1. 2. 1988 Statt überforderter oder ignoranter Polizeibeamter sitzen ihnen [misshandelten oder vergewaltigten Frauen] dort Ärztinnen und Sozialarbeiterinnen gegenüber, die sie beraten und bei jedem weiteren Schritt begleiten; Presse 30. 5. 1996 Nach Aufgabe ihrer bankrotten sozialistischen Ideologie hat die israelische Linke eine neue Religion gefunden. Der neue Glaube ist genauso rigide und indoktriniert wie der Sozialismus und genauso ignorant Fakten gegenüber; Anderheiden 2000 Pluralismus 67 Wir könnten für die Ordnung des Zusammenlebens bewußt oder unbewußt die Vielzahl von Theorien des Guten ignorieren . . also eine Art „Vogel-Strauß“-Strategie verfolgen . . Eine solche immerhin vorstellbare ignorante Strategie werde ich sofort zurückweisen; Hamb. Morgenpost 12. 6. 2007 Würden wir keine Unfallbilder drucken, wäre dies unjournalistisch ⫺ und ignorant gegenüber dem messbaren Leserbedürfnis; Spiegel (online) 16. 2. 2017 Wir befinden uns in einer extrem gefährlichen Situation. Zu sagen, dass die EU sich auflösen werde, war ignorant und unhistorisch von Donald Trump. Er ist ein Mann von sehr geringem historischen Verständnis. Ignorantentum: Klessmann 1971 Selbstbehauptung 68 Es fehle an wissenschaftlich qualifizierten Mitarbeitern, es werde nur kompiliert, statt selbständige Forschung zu treiben, und das Ignorantentum sei offenkundig . . Das „Ignorantentum“ war nicht zuletzt die Konsequenz mangelnder sprachlicher Qualifikation der Mitarbeiter; taz 16. 6. 1992 Wie wär’s denn als nächstes mit krummen Nasen als Neigung zu Spitzeltätigkeiten (von wegen ausge-

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prägtem Geruchssinn), Kurzsichtigkeit als Zeichen von Ignorantentum (Nicht-Sehen-Wollen) und schwarzen Haaren als Zeichen von Falschheit (befindet sich das organisierte Verbrechen nicht vornehmlich in Ausländerhänden südlicher Herkunft?)?; Zeit (online) 3. 1. 2001 Disqualifiziert sich die Frage, ob die Resultate öffentlich finanzierter künstlerischer Produktion ihr Geld wert seien, vor dem aristokratischen Charakter der Subventionskunst doch von vornherein als Ausdruck kunstfernen Ignorantentums. ignoranterweise: taz 5. 12. 1992 die schottischen Geizkrägen . . wollen nur volle Flaschen ausgeben und lehnten seine Anfragen nach Leergut bislang ignoranterweise ab; FAZ 6. 9. 1999 Aber erstens hat der neue Intendant des Theaters des Westens . . diese Premiere ehrgeiziger- oder ignoranterweise auf den gleichen Termin gelegt wie das Eröffnungskonzert der Berliner Festwochen, so daß viele . . einfach nicht dabei sein konnten; Welsch 2002 Postmoderne Moderne 234 einem Verfahren der Erzeugung doppelten Unrechts, nämlich erstens und unvermeidlich des Unrechts der Nicht-Aktualisierung und zweitens und ignoranterweise der Statuierung dieses Unrechts als Recht. Ignorantismus: Michelet 1838 Letzte Systeme d. Philosophie II 484 wo er [F. X. Baader] sich . . auf Seiten des Spiritualismus wirft, und „manches Mystische und Apokalyptische“ verspricht, sich jedoch nicht blos gegen den Obscurantismus der Aufklärung und des Ignorantismus, sondern mit derselben Energie gegen den der Bigotterie erklärt; Fabri 1856 Br. gegen d. Materialismus 92 Der consequente Sensualismus vollendet sich im Ignorantismus, denn indem er die Negation alles Denkens und Forschens zum Princip macht und ausschließlich auf die sinnliche Wahrnehmung als Erkenntnißquelle sich zurückzieht, hebt er im letzten Grunde alles Erkennen und alle Wissenschaft auf; Splittgerber 1866 Schlaf u. Tod 30 dem Allen hält der Materialismus mit eiserner Stirn seinen Machtspruch entgegen, daß die sämmtlichen psychischen Erscheinungen dieser Art in das Gebiet des Aberglaubens und Ignorantismus gehören, bloß deshalb, weil er sie von seinem Standpunct aus nicht zu erklären vermag!; 1892 Zschr. f. Psychologie 335 Auch wird nicht bedacht, dass dieser Ignorantismus sehr leicht . . zum Obskurantismus führen kann; 1917 Allg. statist. Archiv 65 Da tönt es uns entgegen, daß wir im Zeitalter geistiger und sittlicher Verflachung leben, wir hören sprechen von Ignorantismus und Obskurantismus; Moos 1988 Gesch. als Topik 383 Diese Überzeugung vereinigt Skepsis und Glauben in der Mitte zwischen Ignorantismus und Szientismus; Rebe 1991 Nutzen u.

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Wahrheit 198 Pasteurs große Entdeckung war, daß Gärung und Infektionen die Wirkungen spezifischer Mikroorganismen sind. Liebig deklarierte diese „Kausalität“ als wissenschaftlichen Ignorantismus: Wenn Mikroorganismen etwas bewirken, dann weil sie an chemischen Prozessen beteiligt sind. Ignorantist: Kaltschmidt 1863 Fremdwb. 359 Ignorantismus . . Dummerhaltungssystem. Ignorantist . . Anhänger des Ignorantismus; Walser 1932 Ges. Studien z. Geistesgesch. d. Renaiss. 34 Die Ignorantisten waren bald vereinzelte Stimmen, bald ganze Strömungen, die zuweilen sogar den Papst unter ihren Anhängern hatten; 1965 Archiv f. Kulturgesch. XII 368 den Beweis . ., daß Petrarca als Humanist, nicht als Ignorantist gegen das „Wissen“ kämpfte; Moos 2005 Abaelard u. Heloise 107 Die für die dynamisch-streitbare Haltung des Dialektikers typische Kriegsmetaphorik richtet sich im Grunde weniger gegen die Ketzer, die ihm gerade den willkommenen Ansporn zur Auseinandersetzung bieten, als gegen beschauliche, kampfscheue Ignorantisten, Wortklauber und Autoritätshörige unter den Theologen, die sich mit dem von anderen erlangten Wissen zur Ruhe setzen, eigene Erkenntnisbildung verschmähen oder gar für sündhaft halten. Ignoranzling: Amery 1979 An d. Feuern d. Leyermark 100 Und wodurch, ihr Ignoranzlinge, unterscheidet sich dieselbe [Blaumeise] von der ⫺ naa, du nicht, Beowulf, ich suche andere Freiwillige, Eustach, na?; taz 4. 12. 1991 dieser Ignoranzling interessierte sich nicht die Bohne für die avantgardistischen Stücke des Intendanten Erwin Piscator. Sondern nur für Geld; ebd. 31. 12. 2005 Die Stadt will zeigen, was die Ignoranzlinge vom IOC verpasst haben ⫺ und sie wird das tun mit einer Sportbegeisterung, die selbst im Lande Beckenbauers nicht erreicht wird. ignorieren: Theophilus 1623 Müntzwesen 89 Allhie aber contrahentes rei qvalitatem nit ignoriret: sondern mehrentheils in qvalitate monetæ aut solvendo: aut accipiendo . . erriret haben; Canitz 1702 (1738 Großer Herren Reden XI 246) um in Ihrer Köngl. Majest. hulde und hohen gnade sich desto fester zu setzen, in welchem absehen sie denn auch schon vorhin zu allen zeiten keine schwürigkeit der sachen geachtet haben, dabey aber so fremd bey sich selber nicht sind/ daß sie ihren armseligen zustand solten ignoriret haben; Zinzendorf 1743 12. Anhang z. Herrnhuter Gesangb. (1993 Ergänzungsbde. II Nr. 2122) Der fürsten rath und heimlichkeit die ignoriren wir, und hielten in

verschwiegenheit, was uns davon käm für (DiBi 125); 1745 Europ. Fama 936 Schwerlich wird dessen eine andere Ursach können ausfündig gemacht werden, als, daß zwar die Cron Franckreich den noch subsistirenden Frieden nicht leugnen könne, diesen aber der König nach seiner Convenientz vielleicht ignoriren mögte; Lessing 1770 Br. (W. XVII 327) dass/ wird von Ew. Durchlaucht Cammer Cassa aber noch ignoriret, daß solches nunmehr auf meine Quittung geschehen könne; 1779 Hannoverisches Mag. XVI 836 Nichts wird so gelinde bestraft als der Betrug. Nur in einigen äußersten Fällen und gar zu plumpen Ausbrüchen erfährt er die Strenge der Gesetze. Gewöhnlich wird er ignorirt oder geschont. ⫺ Fürchtet man sich vor diesem Laster, oder wird es durch stillschweigende Uebereinkunft geduldet?; Hermes 1791 Literar. Märtyrer II 209 Ich beschwöre Sie, schonen Sie meiner Schwägerin! sie ignorirt alles; Brun 1801 Schr. IV 78 Man ist recht froh, den Pöbel um ihn zu ignoriren; Görres 1819 Teutschland 41 nicht so sehr den Ansprüchen der Zeit widerstrebend, als was noch schlimmer ist, sie vielmehr gänzlich ignorirend, wie auch auf der dortigen Universität ein vornehmer Bettelstolz den neuen Geist, der in die Wissenschaften erfrischend eingedrungen, vornehm zu ignoriren affectirt; gleichsam als sey ausgetilgt und abgethan, wovon man keine Notiz genommen; 1844 Urania 131 das „Ignoriren“, welches eine in weitere Sphäre getriebene Impertinenz ist, die man auf Menschen, Bücher, Werke, auf ganze Verhältnisse, auf Zeiten und auf Existenzen ausdehnt; Gutzkow 1858⫺61 Zauberer VIII 239 Doch kein Wort! … In der Kunst, sich dumm zu stellen, habÅ ich die Vortheile voraus, die einem gemeinschaftlichen Freund von uns zugute kamen, der eines Tags die Entdeckung machte, daß durch systematisches Ignoriren sich am besten die Ignoranz verdecken läßt! (DiBi 125); Friesen 1880 Erinn. II 222 so hat er hierbei eben nur die annexionistische Presse, die allerdings nicht behelligt, sondern beschützt wurde, im Auge, und glaubt von seinem Standpunkte aus ganz ignoriren zu dürfen, daß es auch noch andere Blätter in Sachsen gab, die sehr wesentlich „behelligt“ wurden; Walloth 1887 Praxis 5 sah ihr . . prüfend in die Augen, doch sie, diesen unzweideutigen Blick ignorierend, starrte . . vor sich nieder; Fontane 1891 Jenny Treibel 24 Die Ziegenhals ist eine rechte Cousine von dem Zossener Landesältesten, und ein Bruder der Bomst hat sich mit einer Pastorstochter aus der Storkower Gegend ehelich vermählt. Halbe Mesalliance, die wir ignorieren müssen; Berdau 1903 Yankeedoodle-Dolly 99 Ich wollte Ihr beleidigendes Schreiben anfangs einfach ignorieren, um Ihnen dadurch die tiefe Verachtung zu beweisen, die ich fortan gegen Sie empfinde; Naumann 1915

Ikon Mitteleuropa 207 [sind] in der reichsdeutschen Wirtschaft Verhältnisse geschaffen worden, die auch derjenige nicht ignorieren kann, der vorher die neue Bewegung bekämpft hat; 1928 Querschnitt 769 ein ganz in sich gekehrtes, die Außenwelt ignorierendes, einsames Genießen der Freuden seiner Phantasie; Neue Berl. Ztg. 6. 1. 1931 Es hat sich herausgestellt, daß die neue Steuer zu Beginn des Inkrafttretens doch weit mehr, als man erwartet hatte, ignoriert wurde; Singer 1942 Gettotag 83 Mordche versucht, das Wasser in den Füssen zu ignorieren; Süddtsch. Ztg. 21. 4. 1955 Bis zwischen der Politik des Ignorierens und den Zahlungen aus der Bundeskasse ein Mißverhältnis entsteht; Stuttg. Ztg. 8. 4. 1969 Wenige Tage vor Beginn der NATO-Außenministerkonferenz . . nannte der Generalsekretär die Erklärung von Budapest einen „Appell, den man nicht ignorieren kann und der eine ernste Aufmerksamkeit verdient“; Fruttero 1986 Palio (Übers.) 125 Es war klar, er wollte nicht darüber sprechen. Er hatte sich für einen dritten Weg entschieden: zu schweigen, die Sache zu ignorieren, zu tun, als ob nichts gewesen wäre; Hatt 1995 Ignorierte Geheimprojekte Hitlers (Titel); Schmidt 2002 Verhaltenstherapie d. Hundes 38 Bei dieser Therapieform erfolgt ein schrittweises Vorgehen wie beim Distanztraining und Ignorieren aller Aktivitäten des Hundes, Mannh. Morgen 25. 2. 2017 US-Präsident Donald Trump hat mit der Aussage, sein Land müsse führende Atommacht sein, Kritik auf sich gezogen. Abrüstungsbefürworter warfen dem Republikaner gestern vor, die Fakten zu ignorieren. Jeder Staatschef auf der Welt außer Trump wisse, dass die USA schon jetzt führend auf dem Gebiet seien. Ignorierung: Lavater 1781 Verm. Schr. II 28 Jede affektirte Ignorirung gewißer beleuchtender Umstände ⫺ ist kleinlichelende, abgeschmackte, höchstunsittliche, lieblose Neckerey; ebd. 142 Großmüthige Nichtachtung, Ignorirung gewißer Uebereilungen, die mit . . der redlichsten Gottesverehrung bestehen können; 1838 Centralbl. f. Bakteriologie I.XXIV 441 ein Aufsatz, in welchem der Verf. sich schwer über die „seltene Unkenntnis der Litteratur“ . . beklagt, die ich in meiner Mitteilung

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über die Lebensgeschichte des Ankylostoma duodenale . . bewiesen habe; seine Anklagen gipfeln in dem Ausspruche . .: „man möchte fast annehmen“, daß „weniger Unkenntnis, als absichtliche Ignorierung derselben“ (i. e. der Litteratur) vorliege; 1845 Göttingische gel. Anz. III 1522 Die meistens aus einer Unkenntnis des einheimischen Rechts hervorgegangene und mit vornehmer Ignorierung desselben verbundene unbedingte Anpreisung des römischen Rechts findet . . auch jetzt noch einzelne Vertreter; 1855 Zschr. f. d. österreich. Gymnasien VI 946 (Anm.) Sie [Redaktion] wird nicht gestatten, dass die Besprechung auf den reinwissenschaftlichen Standpunct beschränkt und mit Ignorierung der didaktischen und pädagogischen Rücksichten oder wol gar der gegebenen gesetzlichen Verhältnisse einem Ziele zugesteuert werde, das jenem unseres Gymnasialunterrichtes ganz und gar fremd wäre; Jäger 1869 Darwin’sche Theorie 148 Wie Philosophen, von denen wir [Naturforscher] Ignorirung des realen Bodens gewohnt sind; Fontane 1882 Wanderungen (S. W. XIII 321) diese Heinersdorfer Heide ⫺ der wir (unter Ignorierung der Besitzverhältnisse des gleichnamigen Rittergutes Heinersdorf) allein hier gedenken (DiBi 125); Bülow 1916 Dtsch. Politik 100 Die Ignorierung der Madrider Signatarmächte bei Abschluß des französischenglischen Marokkoabkommens bedeutete . . eine Brüskierung des Deutschen Reichs; 1930 D. Zeit 329 die Ignorierung Emil Ludwigs vom deutschen Botschafter in Rom seiner Zeit, und eine ganz ähnliche Behandlung (nämlich trotz vorschriftsmäßiger Kartenabgabe keine Zusendung einer Einladung) eines deutschen Universitätsordinarius von seiten des . . Botschafters; Leibholz 1960 Repräsentation 51 beim Verhältniswahlrecht, das . . die Ignorierung großer Volksgruppen vermeidet; Llompart 1976 Geschichtlichkeit 144 sicher ist . ., daß die Ignorierung der Geschichtlichkeit die Erbsünde der Rechtsphilosophie ist; Fisch 1998 Tödliche Rituale 233 Die Ignorierung der Witwenverbrennungen in diesen Texten läßt sich . . kaum auf ein Desinteresse an der Gesamtproblematik zurückführen; Wengst 2007 Johannesevangelium II 90 Die Ignorierung Jesu seitens des Judentums ist . . keine pauschale Ignorierung Gottes, sondern Ignorierung eines bestimmten Auftrags.

Ikon N. (-(e)s; -e, früher -es), auch M. und F. (-; -e), im früheren 16. Jh. entlehnt * n ¤(einem Geaus (m)lat. icon ¤(Ab-, Eben-)Bild, Bildnis, BildwerkÅ (< griech. ei$kw genstand entsprechendes) Bild, Ebenbild, AbbildÅ; → Ikone, → Ikono-, ikono-), anfangs auch in lat. (flekt.) Form und in der Schreibung Ycon, in jüngerer Zeit in der vom Engl. beeinflussten Schreibung Icon (-s; -s). a Zunächst und selten noch bis heute mit Bezug auf bildliche Darstellungen aller Art (v. a. Malerei) in der Bed. ¤wirklichkeitsgetreue, lebensechte Abbildung, Bildnis,

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EbenbildÅ (→ Konterfei, → Porträt), gelegentlich auch übertragen auf (dichterische) Texte (s. Belege 1772, 1774) und vereinzelt für ¤EmblemÅ (s. Beleg 1889.1), in Wendungen wie Ikones, Angesichter und Brustbilder der Landesherren, Ikones mit gereimten Lobsprüchen, ohne ihren religiösen Gehalt sind Hieroglyphen bloße Ikones, auch im lat. Syntagma Vera icon (zu lat. verus, -a, -um ¤wahrÅ, eigentlich ¤wahres BildÅ) für ein Kultbild, das nicht von einem Maler geschaffen worden, sondern durch den natürlichen Abdruck des Gesichts Jesu entstanden sein (und heilende Kräfte besitzen) soll (s. Belege 1786, 1816, 2006; vgl. Schweißtuch), in neuerer Zeit vereinzelt auch ¤(bekanntes, verbreitetes, mit hohem Wiedererkennungswert verbundenes) Bild, Sinnbild, SymbolÅ (s. Belege 1996, 2011; → Ikone b), in Wendungen wie das zum Ikon des spanischen Bürgerkriegs gewordene Foto, Picassos Taube ist heute das Ikon der Friedensbewegung. b Seit Anfang 18. Jh. vereinzelt als Terminus der Rhetorik für eine bildhafte Redefigur (in Abgrenzung zu Metapher und Allegorie) im Sinne von ¤VergleichÅ, dann selten als Fachwort der Poetik zur Bezeichnung eines Stilmittels der galanten Barocklyrik (Hofmanswaldau, Fleming) in der Bed. ¤Beschreibung, Charakterisierung eines Objekts durch eine (übertriebene) Häufung, Aufzählung zahlreicher VergleichsobjekteÅ (vgl. die gleichbed. poetologischen Termini Abriss, Abbildung), in Wendungen wie ein Ikon anbringen, verfassen, das aus der Feder Weckherlins stammende Ikon, ein Ikon von den Augen der Geliebten mit fast sechzig Vergleichsobjekten. c Vom späten 19. bis ins spätere 20. Jh. als M. und N. (vereinzelt als F.), seit etwa Mitte 20. Jh. zunehmend verdrängt von gleichbed. Ikone F. (→ Ikone a), in der Bed. ¤Heiligenbild, Kultbild (bes. des orthodoxen Christentums)Å, in Wendungen wie ein Ikon malen, ein Ikon aus buntem Glas, den/die Ikon küssen, einen Ikon des heiligen Wladimir kaufen, vereinzelt auch übertragen auf weltliche Machthaber als Gegenstand fast schon religiöser Verehrung im Sinne von ¤KultobjektÅ (→ Idol 1b; s. Beleg 1966). d Seit späterem 20. Jh. als (auf C. S. Peirce zurückgehender) Terminus der Semiotik in der Bed. ¤Zeichen, das abbildenden Charakter hat und mit dem Gegenstand, für den es steht, (visuelle, klangliche o. a.) Ähnlichkeit aufweistÅ (→ Index, → Metapher, → Symbol, → Symptom; vgl. Hieroglyphe, → hieroglyphisch), in Wendungen wie Symbol, Index und Ikon sind die bekanntesten Zeichenklassen, Hieroglyphen und Piktogramme an Toilettentüren können als Ikone kategorisiert werden, Wachsfiguren, Fotos, Schaubilder oder Landkarten gehören zu den Ikonen, einem visuellen Ikon kommt in der gesprochenen Sprache das Onomatopoetikon nahe. e In jüngster Zeit als Terminus der Computersprache aus engl. icon neuentlehntes Icon N. (-s; -s) (mit engl. Aussprache, zunehmend auch Ikon), in der Bed. ¤graphisches Zeichen mit hohem Wiedererkennungswert auf dem Desktop eines Computers, das ein Programm, eine Datei (bzw. den Link dazu) o. Ä. repräsentiertÅ, in Wendungen wie das Icon anklicken, auswechseln, ein Icon auf dem Desktop ablegen und Zss. wie Desktop-, Symbolleisten-Icon, sowie in Kontaminationen wie Audicon (aus engl. Aud(itory) Icon) ¤akustisches Element (mit hohem Wiedererkennungswert), das Ähnlichkeit mit dem damit Gemeinten besitztÅ (vgl. Jingle), Emoticon (aus engl. emot(ion) und icon) ¤Icon, das (in Form der Darstellung eines prägnanten Gesichtsausdrucks) eine bestimmte, erkennbare Emotion ausdrücktÅ (s. Beleg 1996; vgl. Smilie), Favicon (aus engl. fav(ourite) icon) ¤kleines Bild (mit hohem Wiedererkennungswert), das in der Adresszeile eines Internetbrowsers und in der Lesezei-

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chenleiste angezeigt wird, um die dazugehörige Website zu kennzeichnenÅ (s. Beleg 2005; vgl. Logo). Dazu seit Mitte 18. Jh. die aus lat. iconismus ¤Abbildung, getreue DarstellungÅ (< griech. ei$konismo*v ¤das Nachbilden, AbbildungÅ) entlehnte subst. Ableitung Ikonismus M. (-; Ikonismen), zunächst (überwiegend gebucht) in der Bed. ¤naturgetreues (Ab-)Bild, Ebenbild, Bildnis in LebensgrößeÅ (→ Porträt) sowie (selten) ¤(den Text illustrierende) Abbildung in einem BuchÅ (s. Beleg 1805; → Figur 3b; vgl. Illustration, → illustrieren), dann allgemeiner ¤das Abbilden, (Ab-)Bildnerei; (Ab-)Bildhaftigkeit, BildlichkeitÅ (s. Belege 1808, 1822), in Wendungen wie der Ikonismus religiöser Rituale, vereinzelt mit Bezug auf einen als Epoche aufgefassten Zeitraum, der stark durch Bilder (etwa durch anthropomorphe Götterbilder o. Ä.) geprägt ist (s. Beleg 1864; Ggs. Anikonismus) (zu a), seit späterem 18. Jh. als Terminus der Rhetorik mit Bezug auf eine bildhafte, Orte oder Ereignisse anschaulich wie ein Gemälde schildernde Schreibweise, dann auch allgemeiner ¤Bildlichkeit in der Sprache, bildliches SprechenÅ (s. Belege 1861, 1967), z. B. Allegorie und Symbol sind Haupterzeugnisse des Ikonismus (zu b), seit frühem 19. Jh. fachspr. (Semiotik, Sprachwissenschaft), zunächst für ¤Gesamtheit der bildlichen, nichtsprachlichen Zeichen (als Teilbereich der Semiotik)Å, vereinzelt auch ¤BilderschriftÅ (s. Beleg 1828; vgl. Hieroglyphik, → hieroglyphisch), in neuerer Zeit (Linguistik) präzisiert als Bezeichnung für Übereinstimmungen bzw. Ähnlichkeiten zwischen Eigenschaften der Sprache (Wörter, Grammatik) und Eigenschaften des sprachlich Dargestellten, in der Bed. ¤Abbildlichkeit; Repräsentativität in der SpracheÅ (s. Belege 1979, 2005, 2014), in fachspr. Wendungen wie konstruktioneller Ikonismus, konzeptueller Ikonismus, auch für ein darauf beruhendes Verfahren der Textinterpretation (s. Beleg 1990) (zu d). Bereits seit Ende 17. Jh. die aus lat. iconicus ¤nach dem Leben dargestellt (mit Porträtähnlichkeit und in Lebensgröße)Å (< griech. ei$koniko*v ¤abbildendÅ) entlehnte adj. Ableitung ikonisch, zunächst vereinzelt, seit späterem 19. Jh. (bildungsspr.) zunehmend in der allgemeinen Bed. ¤in Gestalt einer Abbildung, bildlich, (ab-)bildhaft; anschaulichÅ, z. B. eine ikonische Abbildung aller biblischen Historien und Geschichten, durch eine ikonische Darstellung illustriert, seit späterem 18. Jh. fachspr. (Kunstwissenschaft) zunächst mit Bezug auf künstlerische Darstellungen von Personen in der Bed. ¤naturgetreu, lebensecht, porträthaft, als Porträt (malerisch, bildhauerisch etc.) wiedergegebenÅ (s. Belege 1766, 1898⫺1902, 1918; vgl. realistisch, → Realist a), auch ironisch übertragen (s. Belege 1804, 1839.1), in Wendungen wie ein ikonisches Bild/Gemälde, hunderte ikonische Denkmäler Bismarcks, eine ikonische Figur/Statue/Statuette ¤Standbildporträt (in Lebensgröße)Å, dann auch bezogen auf andere künstlerisch gestaltete Gegenstände (des täglichen Gebrauchs) für ¤mit bildlichen Darstellungen von Köpfen, Gesichtern etc. geschmückt, verziert, versehenÅ (s. Belege 1838, 1869), z. B. die ikonischen Münzen der Römer tragen meist Kaiserbildnisse, ein ikonisches Kapitell, in jüngster Zeit in dem von G. Boehm analog zu linguistische Wende (nach engl. linguistic turn) geprägten Syntagma ikonische Wende ¤Etablierung einer interdisziplinären historischen Bildwissenschaft, die das Bild als genuinen Produzenten von Sinn begreiftÅ (s. Belege 2001, 2007.2), in jüngster Zeit auch häufig übertragen mit Bezug auf einprägsame, bedeutsame, im kollektiven Gedächtnis gespeicherte Bilder sowie Gegenstände aller Art mit symbolischem oder Identität/Gemeinschaft stiftendem Charakter (→ Ikone b) für ¤symbolträchtig, sinn-

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bildlich, bedeutungsschwanger; berühmt, allseits bekannt, mit hohem Wiedererkennungswert verbundenÅ (s. Belege 2004.2, 2007.1, 2014), z. B. Kordas berühmtes, ikonisch gewordenes Che-Porträt, das ikonische Einstein-Foto mit der herausgestreckten Zunge, Dalı´s ikonische weiche Uhren sind ein Symbol der modernen naturwissenschaftlichen Weltsicht geworden, der für den „Wilden Westen“ typische ikonische Stetson der Cowboys, das ikonische Pali-Tuch der linken und alternativen Szene, Sherlock HolmesÅ ikonische Silhouette, eine Skulptur mit ikonischer Qualität, ikonischen Status erringen, zu einer ikonischen Figur werden (zu a), seit Mitte 20. Jh. als Terminus der Semiotik, fast durchweg im Syntagma ikonisches Zeichen, in der Bed. ¤für ein Zeichen charakteristisch, das abbildenden Charakter hat und mit dem Gegenstand, für den es steht, eine wie auch immer geartete Ähnlichkeit aufweistÅ (zu d); dazu seit späterem 20. Jh. die (wohl von gleichbed. engl. iconicity beeinflusste) subst. Ableitung Ikonizität F. (-; Pl. ungebr.), fachspr. als Terminus der Semiotik in der Bed. ¤Maß, Grad der Ähnlichkeit zwischen dem Ikon und seinem ReferenzobjektÅ, in Wendungen wie die Ikonizität der Zeichen, von Piktogrammen, die relative Ikonizität von Onomatopoetika (zu d), auch bildungsspr. für ¤Bildlichkeit, Bildhaftigkeit; ÄhnlichkeitÅ bzw. ¤Status eines weltbekannten Phänomens, Produkts, einer populären Person, Kultfigur, Ikone (→ Ikone b)Å (s. Beleg 1998.2), in Wendungen wie die Ikonizität in der Fotografie, die Ikonizität von Hitlers Haarund Barttracht (zu a). Im frühen 19. Jh. vereinzelt, seit spätem 20. Jh. häufiger die verbale Ableitung ikonisieren V. trans., zunächst fachspr. (Kunst- und Literaturwissenschaft), dann bildungsspr. für ¤porträtieren; bildlich, bildhaft darstellen; versinnbildlichenÅ, auch ¤etwas, jmdn. zu einem Kultgegenstand, einem Inbegriff von etwas, einer Kultfigur (→ Ikone b) machen, erklärenÅ (s. Belege 1996, 2003, 2008; → glorifizieren; vgl. heroisieren, → Heros, idolisieren, → Idol 1b, hochstilisieren, → stilisieren b), in Wendungen wie den Rocksänger, mehrfachen Olympiasieger, das Rollenbild der Mutter, das eigene kulturelle Erbe ikonisieren, die von Warhol ikonisierte Dose mit Campbell’s Tomatensuppe, Che Guevara wurde schon bald nach seinem Tod ikonisiert (zu a), gleichzeitig auch als Terminus der Semiotik in der Bed. ¤zu einem ikonischen Zeichen machenÅ (zu d), in jüngster Zeit als Fachwort der Computersprache für ¤ein Bildschirmfenster durch Anklicken auf Symbolgröße verkleinernÅ, z. B. ein Programm, eine Datei ikonisieren (zu e), mit dem häufig belegten Verbalsubst. Ikonisierung F. (-; -en) (zu a, d, e). Seit spätem 19. Jh. die subst. Ableitung Ikonik F. (-; selten -en), zunächst in der Bed. ¤Bilderschmuck, Beigabe von BildernÅ, seit früherem 20. Jh. auch in der allgemeineren Bed. ¤(mit bestimmten Objekten, Themen, Lebensbereichen verbundene) Bildlichkeit, Bilderwelt, Bildtradition, BilderfundusÅ (s. Belege 1937, 2000, 2013; vgl. Ikonographie, → Ikono-, ikono-), in Wendungen wie die Entstehung der alchemistischen Ikonik, die Ikonik des Hundes, des Alltags, des Krieges, in neuerer Zeit als von M. Imdahl geprägter Terminus der Kunstwissenschaft als Bezeichnung für eine neue Methode der Bildinterpretation, bei der die spezifischen Eigenschaften des Bilds als solchem untersucht werden, z. B. die Ikonik macht das Bild als Ganzes erfahrbar, die Ikonik trennt nicht zwischen Form und Inhalt (zu a); vgl. daneben die seit Anfang 20. Jh. vereinzelt belegte Personenbezeichnung Ikoniker M. (-s; -), Ikonikerin F. (-; -nen), meist okkasionell verwendet in unterschiedlichen Bedeutungen (zu a und c).

Ikon Ikon a: Franck 1531 Bilder u. Heyligen eer (Strittigkeit d. Bilder 681) Darumb steet noch, das das gemäl und bildwerck nicht älter sei, dann von der zeyt Theodosij ij. Anno vierhundert eins und dreyssig, ob wol die kunst älter ist, das etlich jr Ycones im hauß hetten gemalet, so warden sy doch nicht in die gemein oder tempel tragen, wie Eusebius sagt; 1590 Gedinge (1873 Archiv f. d. Sächs. Gesch. XI 139) [der Florentiner Bildgießer Carlo de Cesare liefert 46] Conterfet mit Postamenten und Wappenschildern [oder] der Herren Icones, Angesichter und Brustbilder, wie die zu Dresden in der neuen Gallerie hinterm Stalle zu sehen; Uffenbach 1754 Reisen III 320 Nach diesem proœmio folgen die Icones, und nach einem jeden die Vita. Ueber das so sind allemal oben die Namen und wann jeder gelebt, unten aber einige lateinische Disticha in laudem cujusque beygeschrieben; Herder-Nicolai 1772 Briefw. 79 Würde vielleicht, so wie jede Sache ihre Eigenheit, Standpunkt, Beziehung, Zeit u. s. w. hat, auch jede Ode der wahren schönen, lebendigen Natur Individuell seyn müßen: ein Ikonisches Gemälde. Und ist die Sache schön, denkt die Seele schön: so liegt in diesem Ikon schon immer ein geheimes Ideal; Herder 1774 Älteste Urk. d. Menschengeschlechts I (1806 S. W. XXIX 300 f.) Drei Perioden hat eigentlich die griechische Fabel, und sie sind sich erstaunend ungleich. Die erste, ganz dichterisch und naturalkrafthauchend. Sie . . strömt in alle rohe Wissenschaft, Naturgestalt und Kunst hinüber; aber sie selbst war zu kraftvoll, geistig, unbändig, als daß sie Eine Kunst, Eine regelmäßige Dichtkunst, ein Ikon werden konnte; Müller 1786 Histor. Handbuch I 137 Eben so wurde zu den Zeiten des Marianus Skotus in dem elften Jahrhundert ein Schnupftuch bekannt gemacht, in welches Jesus, als er nach Golgatha gieng, sein Vera Icon oder sein wahres Ebenbild gedruckt haben soll; Schröter 1799 Termineologietechn. Wb. 182 Icon, ein Bild; Roth 1807 Gemeinn. Lex. I 490 Icon, (griech.) das Bild; Ebenbild; Portrait; Goethe 1816 Schr. z. Kunst (WA I 34.1,69) Kunst und Alterthum am Rhein und Main. Mit einem Nachbilde der Vera Icon. Byzantinisch-Niederrheinisch (Titel); Schellenberg 1817 Gemeinn. Handlex. I 397 Icon, Ikon (gr.), das Bild, Bildniß, die Abbildung; Beer 1838 Fremdwb. I 544 Ikon, . . das Bild, bes. ein nach dem Leben gefertigtes; 1847 Oesterr. Blätter IV 1132 so lange als er [sprachl. Kommentar] verstanden ist und nicht ausgeht, so lange bewahren jene Hieroglyfen auch noch den mnemonischen und historischen, folglich einen religiösen . . Charakter. Aber wie, wenn dieser sich verliert, wenn er aufhört die monumentalen Bilder zu begleiten und wenn das Verständniß derselben zu erblassen beginnt, so daß wir die bloßen Ikones vor uns sehen?;

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Heyse 1848 Fremdwb. 383 Ikon, f. gr. (eiko¯n, daher lat. ¯ıcon) ein Bild, Ebenbild, Abbild; Goedeke 1862 Grundriß I 383 Abbildungen berühmter Leute, Icones, wurden mit gereimten Lobsprüchen begleitet; so die Bildnisse der Päbste; Heyse 1870 Fremdwb. 435 Ikon . . ein Bild, Ebenbild, Abbild; Birch-Hirschfeld 1889 Gesch. d. frz. Litt. I Anm. 42 Die Humanisten zogen diese ritterliche Erfindung [Wappenspruch] in ihr Gebiet: es entstehen die Emblemata (Ikones), kleine bildliche Darstellungen, im Holzschnitt vervielfältigt, mit lateinischen Epigrammen; Petri 1911 Handb. d. Fremdwörter 416 Ikon . . ein Bild, Ebenbild; . . eine Abart; taz 21. 3. 1990 Wolf Vostell malt dem „Volk“ den Hof. Sein endgültiges Ikon mit dem Titel „9. November 1989 Berlin“ hängt guernicamäßig schwarz-weiß-grau auf sechs mal drei Metern in der extra schwarzgetünchten Galerie am Weidendamm; Süddtsch. Ztg. 7. 12. 1994 Von höchster Aussagefähigkeit ist Lavater das ruhende Antlitz, in dessen harmonischer Schönheit sich das Dauerhafte der reinen Idee, das wahre Ikon offenbart. Ebenso bemächtigt sich das Böse in aller Häßlichkeit der Knochen des Gesichts, der Mimik, Kleidung und Wohnung der Menschen; taz 24. 2. 1996 Das Massaker am Tiananmen Platz 1989 war von Anfang an gut bebildert. Man hat noch immer die braunstichigen CNN-Bilder im Kopf, und jeder erinnert sich an das zum Ikon der Bewegung gewordene Bild des Studenten im weißen Hemd, der die Panzer für einen Moment anhielt, bis sie ihm schließlich auswichen; FAZ 4. 9. 2001 Millionenfach ist es abgebildet: nicht nur in Katalogen oder auf Postkarten, sondern verfremdet in Karikaturen, Comicserien, als Titelblatt von „Time“, in Flugblättern von Bürgergruppen gegen Gewalt und Atomkraft. . . Edvard Munchs Meisterwerk [„Der Schrei“] sei, schreibt die norwegische Kunsthistorikerin Gerd Woll, das meistbenutzte und -mißbrauchte Ikon der populären Kultur unserer Tage; Berl. Ztg. 20. 2. 2006 Im Leib Christi war Gott Mensch geworden; nur so durften ihn die Bilder vor Augen führen. Nicht die künstlerische Verarbeitung, sondern die Authentizität waren bei diesen Kultbildern maßgeblich. Besonders verehrungswürdig waren die Tücher mit dem vermeintlichen Schweißabdruck der Veronika. Sie galten als „Vera Icon“, als wahres, echtes Bild, man glaubte in ihnen eine anatomisch getreue Überlieferung zu erblicken. Die entsprechende Reliquie im Petersdom war über Jahrhunderte die Hauptattraktion des römischen Pilgerwesens; dpa 8. 2. 2011 Picassos Friedenstaube ist zum Ikon geworden. Ikonik a: 1880 Real-Encykl. d. christl. Alterthümer I 9 Er unterscheidet hier folgende Darstellungen:

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1) das Abraxasbild allein, ohne äussere Ikonik (!), mit einfacher oder keiner Legende; 2) Abraxas mit anderen gnostischen Mächten; 3) Abraxas mit jüdischen Mächten; 1913 Mitt. d. Bayer. Numismat. Ges. XXXI 1 In der Regel befinden sich in ihm eine geringere oder größere Anzahl von Bildchen, so daß der Schraubtaler eine Verquickung von Münze und Bildwerk darstellt, halb Erzeugnis der Metalltechnik, halb der Graphik und Ikonik, der Miniaturmalerei, teils dem Münzfreund, teils dem Kunsthistoriker überhaupt ein Gegenstand des Interesses und Sammeleifers; 1937 Zschr. d. Dtsch. Ver. f. Kunstwiss. IV 96 In jüngster Zeit hat jedoch ein Historiker der Pharmazeutik . . für Italien weit frühere Beispiele reich illuminierter Abhandlungen nachgewiesen . . Es darf daher die Frage aufgeworfen werden, ob nicht das Entstehen der alchemistischen Ikonik . . auf italienischem Boden zu suchen ist; Zürcher Tagesanz. 21. 6. 1996 Mit dem Buch über Giottos Arenafresken (1980) bildete sich auch die methodische Ebene aus, der er [M. Imdahl] schliesslich den Namen Ikonik gab. Die Ikonik befasst sich mit dem Bild als Bild, mit seiner „Bildlichkeit“ und nicht sogleich mit seiner Ikonographie (seinen schriftlichen) oder mit seiner Ikonologie (seinen gedanklichen Grundlagen). . . Ikonik wird dem Bild als Ganzes gerecht, sie macht das erfahrbar, was nur am Bild erfahrbar ist; Zeit (online) 6. 7. 2000 Auf Höllendarstellungen wird der Höllenschlund als zahnbewehrter Hunderachen geschildert, oder man sieht, wie Hunde die Leichen der Sünder zerfleischen. Solche zähnefletschende Gefräßigkeit gehört durchweg zur Angst auslösenden Seite der Ikonik des Hundes. Sie ist Ausdruck der mythischen Macht des fressenden Todes, der unseren integralen Leib zerstückelt; Prinz 2006 Bildgebrauch in Rechtsbüchern 39 Eine dritte kunstgeschichtliche Methode der Bildbeschreibung, die auf Imdahl zurückgeht, ist die Ikonik. Sie verbindet die in der Ikonographie strikt getrennten Bereiche der formalen und der inhaltlichen Bildanalyse, indem sie aus formalen Bestandteilen des Bildes inhaltliche Aussagen ableitet; Südostschweiz 14. 6. 2013 Eine bieder anmutende junge Dame, in der Hand einen Wischmop und Wäscheklammern im Haar, bildet . . einen ersten Eye-Catcher. Irgendwie bekannt. Ein kurzes Kramen in Erinnerungen hilft: die Freiheitsstatue. . . Biedere Häuslichkeit der amerikanischen Fünfzigerjahre meets Sex-Appeal, politischen Protest und Ironie gegenüber einer allseits bekannten, alltäglichen Ikonik. ikonisch a: Weigel 1695 Biblia Ectypa B2b (Privileg) WIr Leopold von Gottes Gnaden/ Erwählter Römischer Käyser/ . . thun kund allermänniglich/ daß Uns unser lieber Getreuer Christoph Weigel . . zu vernehmen geben/ was massen . . er ihme

vorgenommen/ eine gantz neu-inventirte Iconische Abbildung aller Biblischen Historien und Geschichten in Kupffer zu bringen/ und so dann zu publiciren; Lessing 1766 Laokoon (W. VI 18 f.) Aus eben dem Geist des Schönen war auch das Gesetz der Hellanodiken geflossen. Jeder Olympische Sieger erhielt eine Statue; aber nur dem dreimaligen Sieger, ward eine ikonische gesetzet. Der mittelmäßigen Portraits sollten unter den Kunstwerken nicht zu viel werden (DiBi 1); Herder-Nicolai 1772 Briefw. 79 Würde vielleicht, so wie jede Sache ihre Eigenheit, Standpunkt, Beziehung, Zeit u. s. w. hat, auch jede Ode der wahren schönen, lebendigen Natur Individuell seyn müßen: ein Ikonisches Gemälde; Jean Paul 1804 Vorschule d. Ästhetik (W. I 5,409) Vor einiger Zeit schwuren wir sämtlich, es gebe ⫺ wie nur ein Fieber nach Doktor Reich in Berlin ⫺ so nur einen deutschen Dichter, Goethe. . . Jetzo wird sich besonnen; und in der Tat verdient er, nachdem er dreimal in den olympischen Spielen gesiegt, endlich die Ehre eines ikonischen Bilds. Aber schwerlich kann es jemand anders machen als die Nachwelt (DiBi 1); Campe 1813 Fremdwb. 364 Ikonische Statuen, sind solche Standbilder, die zugleich Bildnisse, d. i. der durch dieselben vorgestellten Person ähnlich sind; also ähnliche Standbilder; 1838 Jahrbücher d. Lit. LXXXIII Anzeige-Bl. 52 f. Zu den schönsten ikonischen Münzen gehört jene, deren Vorderseite den verschleyerten Kopf der Livia und die Rückseite den Tempel, dem julischen Geschlechte geweiht, vorstellt; ferner die Münzen des Drusus, der Agrippina, der Octavia, und besonders der große Medaillon des Antinous; Heine 1840 Ludwig Börne (W. u. Br. VI 184) indem ich nur von der eignen Anschauung ausgehe bei der Schilderung des Mannes, dürfte das Standbild, das ich von ihm liefere, vielleicht als ein ikonisches zu betrachten sein. Und es gebührt ihm ein solches Standbild, ihm, dem großen Ringer, der in der Arena unserer politischen Spiele so mutig rang und, wo nicht den Lorbeer, doch gewiß den Kranz von Eichenlaub ersiegte. Wir geben sein Standbild mit seinen wahren Zügen, ohne Idealisierung, je ähnlicher, desto ehrender für sein Andenken (DiBi 1); Heusinger 1839 Natur- u. Heilkunde 248 Die Kunstwissenschaft hat nun die Aufgabe: . . durch historische Betrachtung der objectiven Entfaltung ihrer [der Kunst] einzelnen Theile (Pantomime, Tektonik, Sculptur, Malerei, Zeichenkunst und Schrift) ihre allmählige Ausbildung von der ikonischen Darstellung zur symbolischen, metaphorischen und allegorischen zu entwickeln; 1869 Jbb. d. Vereins v. Alterthumsfreunden H. XLVII/XLVIII 74 Von Kapitälen: . . Ein . . ikonisches mit Blätterwerk, woran noch ein geringer Rest der Säule und von vier weiblichen Köpfen einer war; Nietzsche 1893 Unzeitgem. Be-

Ikon trachtungen 222 Nur wenn die Erde ihr Theaterstück jedesmal nach dem fünften Akt von neuem anfinge, wenn es feststünde, daß dieselbe Verknotung von Motiven, derselbe deus ex machina, dieselbe Katastrophe in bestimmten Zwischenräumen wiederkehrten, dürfte der Mächtige die monumentale Historie in voller ikonischer Wahrhaftigkeit, das heißt jedes Faktum in seiner genau geschilderten Eigentümlichkeit und Einzigkeit begehren (DiBi 2); Burckhardt 1898⫺1902 Griech. Kulturgesch. III (Ges. W. VII 27) Was die übrigen Porträtstatuen betrifft, so weiß man jetzt, daß schon frühe Statuen, welche irgendwie ⫺ wenn auch nicht eigentlich ikonisch ⫺ den Verstorbenen darstellten, an oder in Gräbern aufgestellt wurden. Am Grabe wird auch das Ikonische am ehesten begonnen haben (DiBi 55); Spengler 1918 Untergang I 415 Das attische Drama forderte statt des Mienenspiels die starre Maske ⫺ es verbot also die seelische Charakteristik, wie man die Aufstellung ikonischer Statuen verboten hatte (DiBi 152); 1930 Vorträge Bibl. Warburg 1926⫺27 3 Alt-Wien war . . eine . . im Grunde deutsch mittelalterliche Stadt, mit engen . . Straßen und Plätzen. Es gab zwar reiche Denkmäler des Barocks, große gotisch-barocke Gedächtnissäulen und Brunnen auf seiner Hauptstraße, . . aber ein öffentliches ikonisches Denkmal war nicht darunter; Pinder 1952 Kunst d. ersten Bürgerzeit 208 f. Wir unterscheiden zwischen „heraldischen“ und „ikonischen“ Grabsteinen. Die heraldischen, die Wappensteine, . . sind zunächst rein ornamental. . . Daneben steht dann das „ikonische“, das abbildende Grabmal; Zeit 11. 11. 1983 Gebrauchsgegenstände sollen im neuen Design nicht vor allem praktisch sein, sondern Praktiken verdeutlichen; . . nicht schön im klassischen Sinne, sondern unharmonisch in Struktur, Form und Farbe; nicht abstrakt, sondern ikonisch oder symbolisch (DWDS); taz 14. 9. 1993 Es ist diese Ambivalenz aus realem Begehren und gespielter Erotik, die in Arakis besten Bildern steckt. Sie korrespondiert mit der formalen Spannweite zwischen Gefundenem und Inszeniertem, . . zwischen Symbolischem und Ikonischem, zwischen Kitsch und Kunst seiner Arbeiten; Süddtsch. Ztg 22. 10. 2001 Was da vor sich geht, unterstreicht auf abgründige Weise, dass Bilder/Bildmedien Geschichte schreiben ⫺ und zwar durch ihr Erscheinen genauso wie durch ihr Fehlen. Der „pictorial turn“, die „ikonische Wende“ der Kulturwissenschaften trägt diesem Umstand seit langem Rechnung; taz 11. 5. 2004 Dalı´ flutete fortan die visuelle Sphäre mit seinem ikonischen Repertoire ⫺ weiche Uhren, faltige Spiegeleier und schmelzende Camemberts ergossen sich in alle zur Verfügung stehenden Kommunikationskanäle; ebd. 12. 5. 2004 Das ikonische Foto des sterbenden republikanischen Soldaten von Ro-

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bert Capa erschien 1937 im Magazin Life gegenüber einer Werbung für Haarcreme; ebd. 11. 1. 2007 sein Äußeres erinnert an die von [Kurt] Cobain kultivierte Grungekluft: der ikonische Ringelpullover, die Kindersonnenbrille, die Strickjacke und die ungepflegten Haare, die wie ein Vorhang über [Brad] Pitts Gesicht fallen; Wulf 2007 Lernkulturen 16 Mit der ikonischen Wende in den Kultur- und Sozialwissenschaften gewinnen in methodischer Hinsicht die Bild-, Foto- und Videoanalyse zunehmend an Bedeutung. Dabei kommt es darauf an, nicht zu schnell die vermeintlich „durch das Bild erzählte Geschichte zu rekonstruieren“ . . Vielmehr gilt es, der Eigengesetzlichkeit und Eigenwilligkeit der Bilder gerecht zu werden; Mannh. Morgen 4. 6. 2014 Ein Mann steht mit dem Rücken zur Kamera, schwarze Hose, weißes Hemd. In seinen Händen hält er zwei Plastiktüten, so als käme er vom Einkaufen. Vor ihm aber fahren Panzer auf. Allein stellt er sich ihnen in den Weg. . . Es ist eines der ikonischen Fotos des 20. Jahrhunderts. Ein Bild, das um die Welt ging ⫺ nach der brutalen Niederschlagung der wochenlangen Proteste chinesischer Studenten . . auf dem Platz des Himmlischen Friedens. ikonisieren a: 1830 Jahrbb. d. Lit. LII 100 ikonisiren (porträtiren) . . Wir erkennen darin . . einen Beweis, daß das treue Nachbilden der Natur dem Gesetzgeber eben so wenig gefiel, als das Zurückbleiben hinter der Natur. . . Daher wird auch von großen Künstlern gemeldet, sie hätten sich beym Ikonisiren über die Wirklichkeit erhoben; Borso`Borgarello 1985 Metapher 46 Noch deutlicher zeigt sich dies beim thematisch vergleichbaren ¤Au bonheur des damesÅ, in dem durch den Einbau von kontrastiven Sphären der Einverleibungsprozeß vom Text ikonisiert wird: Die Geschichte des großen Kaufhauses wird gekoppelt mit der gegenläufigen Geschichte der umliegenden kleinen Einzelhandelsgeschäfte, die nach und nach . . dem Druck des immer größer werdenden Konkurrenten zum Opfer fallen; Süddtsch. Ztg. 7. 1. 1992 Denn Polke ist, wie jeder große Künstler, auch ein Chronist aus Abstand: Lebensecht und zugleich mythisch entrückt ¤ikonisiertÅ der Maler Fernweh und spießige Enge der deutschen fünfziger Jahre. Palmen erblühen auf fremdartig gemustertem Stoff; ein Schokoladenriegel, bißfertig geknackt, gerät zum Lustobjekt; Zeit 1. 7. 1996 Bewunderer beginnen, ihn als kommenden Autokraten der Marktwirtschaft zu ikonisieren, mit „stählernem“ Blick und einem Gesicht aus „Granit“ (Newsweek). Anderen, die Lebeds Mut . . durchaus anerkennen, geht der Wandel des Thronprätendenten denn doch etwas zu schnell, um ganz glaubwürdig zu wirken (DWDS); News 16. 10. 2003 Als Nichte John F. Kennedys ist

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sie [Maria Shriver] Teil der ikonisiertesten Dynastie Amerikas; Stephan/Tacke 2008 NachBilder 74 Insbesondere die Konzentration auf die stark ikonisierten RAF-Mitglieder Baader und Ensslin, um die sich die meisten Legenden ranken, sieht sie als äußerst problematisch an; Süddtsch. Ztg. 9. 8. 2012 das Bild von Matthias Steiner bei den Spielen in London wird . . in allen Jahresrückblicken vorkommen . . ein Mann unter der Hantel, wie ein Bär in der Lebendfalle. . . Fotografen sprechen davon, ein Foto werde ikonisiert: Wenn das, was man auf dem Foto sieht, mehr bedeutet als das, was man sieht. Ikonismus a: Nehring 1756 Histor.-Polit.-Jurist. Lex. 257 Iconismus ein nach dem Leben gefertigtes Ebenbild; Schröter 1799 Termineologietechn. Wb. 182 Iconismus, ein nach dem Leben gefertigtes Ebenbild; Murhard 1805 Litt. d. mechan. u. opt. Wiss. III 72 mit vielen Holzschnitten und 34 Kupfertafeln. (Der 22ste Iconismus ist in Gestalt eines grossen Stammbaums das Verzeichniss von allen Collegien des Jesuiterordens nach den Provinzen auf das Jahr 1646 . .); 1808 Heidelb. Jahrbücher I 34 Ikonismus ist vielmehr die allgemeinste Bezeichnung für das ganze Gebiet der Bildnerey, das Symbolische mit eingeschlossen; Müller 1822 Hindus I Vorr. XVIII f. Noch bemerke ich, daß alle Freunde der Symbolik und der Myste (ich nehme die geheimen Verbindungen der Maurerei keineswegs hievon aus) hier den eigentlichen Wurzelboden ihrer bildlichen Weisheitsschätze, . . die eigenst für sie geöffnete Bahn finden, dem Ikonismus ihres Ritus und ihren Mysterien eine geistreichere und tiefer eingreifende Bedeutsamkeit zu verschaffen; Meyer 1840 Fremdwb. 191 Ikonismus, der, (griech.), ein Bildniß in Lebensgröße; 1864 Verhandl. d. kgl. sächs. Gesellsch. d. Wiss. XVI 170 f. Fasst man nun die Sache so streng principiell, so fällt nicht allein die letzte Schwierigkeit hinweg, die in dem unvermittelten Uebergange aus dem Anikonismus in den Ikonismus zu liegen scheint, sondern es wird sich der Ikonismus auch gar wohl als eine bestimmt umgrenzte . . Periode der Entwickelung fassen lassen. Hiermit soll nun keineswegs gesagt sein, der Eintritt der ikonischen, das Ende der anikonischen Periode lasse sich chronologisch feststellen. Ikonizität a: taz 26. 8. 1998 Die Fotografie ist also nicht einfacher Spiegel des Wirklichen . . Es ließe sich noch anfügen, daß die bei ihr zu beobachtenden Effekte der Ähnlichkeit, also der Ikonizität, ihr Triumph und ihre Tragödie zugleich sind; ebd. 30. 10. 1998 Während Peckinpah bisweilen Ton und Bild wie der junge Godard einsetzt, erspielt sich McQueen an der Seite Ali MacCraws [!] eine fast Belmondo-hafte Ikonizität, die einst Popbands

ganze Alben schlicht Steve McQueen betiteln ließ; Süddtsch. Ztg. 6. 7. 2012 In ihrem redaktionellen Vorwort weisen Alexander Klose und Jörg Potthast auf die Ikonizität des Containers hin; und neben seinem metaphorischen Eingang in die Sprache ist es diese Bildhaftigkeit, die von seiner ursprünglichen Bestimmung als Transportmedium wegführt, hinein in die Zentren und die Randbereiche öffentlichen Lebens. Ikon b: Jänichen 1706 Poet. Elocution 164 f. Soll ein Simile kurtz abgefasset werden/ so schließe solches in einen Iconem ein/ oder brauche an dessen statt eine Allegorie. Solches zeigen folgende Exempel: . . Des Höchsten wahres Wort kan den Verstand erleuchten/ ist eine Metaphora. Des Wortes klarer Schein/ giebt dem Verstande Licht ist eine Allegorie. Das Wort ist wie ein Licht dem menschl. Verstande. ist ein Icon; Neukirch 1724 AnfangsGründe z. teutschen Poesie 151 Wie wird das Icon angebracht? Das Icon häuffet viele Similia ohne ihre gewöhnlichen Formulen aufeinander und lässet dem Leser die Application in Gedancken machen . . und dienet nicht nur zu einer lebhafften Vorstellung, sondern auch zu einer angenehmen Erweiterung . ., z. E. . . Was ist die Lust der Welt? ein Nebel/ der verschwindet; / Ein Garten/ welcher nichts als Dorn und Diesteln treibt; / Ein schönes Paradieß/ wo man auch Schlangen findet; / Ein Bette/ wo man nie bey süsser Ruhe bleibt; 1793 Dtsch. Encyclopädie XVII 23 Icon und Iconismus, eine rhetorische Figur, da man einen Gegenstand bildlich vorstellet; Waldberg 1885 Galante Lyrik 88 Hand in Hand mit diesem Farbenreichtum geht die Neigung für das Gleichniss und für die allegorischen Darstellungen der Liebe . . und endlich die Vorliebe für ¤das IkonÅ. Die gegensätzlichsten Dinge werden hier zum Vergleiche herangezogen, und es giebt nichts, das davor sicher wäre. . . Amaranthes hat in einem Ikon von den Augen seiner Geliebten fast sechzig Vergleichsobjecte herangezogen, sie sind Werbegeld, Redner, Liebesroman, Henker, Zoll, Zahlungstag, Urteil, Tau, Wappen, Blei, Zuchthaus und endlich ein ⫺ Pater; Ettlinger 1891 Hofmanswaldau 38 Bei dem schier unerschöpflichen Arsenal von Bildern und Metaphern, über das der Dichter verfügt, fällt es ihm leicht genug, immer neue, seltsamere Einkleidungen für denselben Begriff zu finden. Am prägnantesten zeigt sich diese Kunst oder Künstelei in der Form des sogenannten Ikons, auch „Abriss“ oder „Abbildung“ genannt, das aus nichts anderem besteht, als aus der unermüdlichen Erneuerung des selben Begriffs in immer anderer Gestalt, so lange bis er ganz und gar zu Tode gehetzt ist; Ziemendorff 1933 Metapher 104 Ganz stark zeigt sich die subjektive Einstellung, wo im Ikon ein Wort erfaßt

Ikon werden soll. Sei es, daß der Dichter den ungreifbaren Stimmungsgehalt, den das Wort für ihn hat, zu fassen unternimmt . . sei es, daß er den Wortbegriff in geistreichelnden Oxymora voll vergegenwärtigen will . . der unendliche Drang zur Ausschöpfung des als unendlich Verstandenen ist wie im Ikon Weckherlins und Flemings . . da; Windfuhr 1966 Barocke Bildlichkeit 39 Die Metaphern folgen sich in paralleler Anordnung. Andere barocke Theoretiker wie Erdmann Uhse und Johann George Neukirch nennen diese Form „Ikon“, das Bild einer Sache oder Person, nach dem zweiten griechischen Bildbegriff neben Metapher. . . Ein Objekt soll durch immer neue Metaphern umschrieben, bildhaft beschrieben werden. . . Im Ikon fallen Rhetorik und Metaphorik zusammen. Andere Mittel als die Bildlichkeit werden nicht eingesetzt. Ikonismus b: Lindner 1767 Lehrb. d. schönen Wissenschaften A5a Grössere Uebungen [der Schreibart]. 1) in Erzählungen, Geschichten . . 2) in Gemälden (Iconismus, eidov, Idyllion) historischen und ästhetischen z. E. Bild einer Gegend, Gemälde einer brennenden Stadt . . des jüngsten Gerichts u. a. m.; 1793 Dtsch. Encyclopädie XVII 23 Icon und Iconismus, eine rhetorische Figur, da man einen Gegenstand bildlich vorstellet; Friedländer 1861 Lobecks Briefwechsel 179 Von dem symbolischen als der Wurzel alles bildlichen Ausdrucks, geht der Vf. . . zur Vergleichung der übrigen Haupterzeugnisse des Ikonismus über: . . Allegorie . . Symbol . . Sprichwort, Denkspruch, Räthsel, Gnome und Fabel sind Nebensprösslinge desselben Stammes. Der Mythos, aus unzählbaren Anlässen erwachsen . . ⫺ zum Theil aus uralten Symbolen und Hieroglyphen ⫺ zertheilt sich in zwey Hauptelemente, Sage und Ueberlieferung; Zeit 29. 9. 1967 Brecht glaubte, seine Absichten nicht ohne Ikonismus erreichen zu können. Seine Verfremdung steht noch im Abbildungsdienst, der sich nährt von dem idealistischen Axiom, daß Kunst und Wirklichkeit aus verschiedenem Material seien, daß Kunst die Natur zu irgendeinem Zweck imitiere (DWDS). Ikon c: Hellwald 1890 Welt d. Slawen 352 So ist es denn kein Wunder, daß die Frömmigkeit des Russen rein äußerlich und mechanisch ist, mit religiöser Empfindung nicht das geringste gemein hat, sondern in Formeln und Bilderdienst besteht, in Verehrung des heiligen Ikones und gelegentlichen Wallfahrten zu den Stätten, welche dergleichen umschließen; 1898 Österr.-ungar. Monarchie Galizien 750 Erst aus dem XVII. Jahrhundert stammen zahlreiche Beispiele dieser Kunst in Ostgalizien, doch sind diese schon von ganz anderer Art: nicht

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Wandmalereien, sondern Ikones und ruthenische Kirchenbilder verschiedener Gattung, auf Holz gemalt, welche zumeist von ehemaligen Ikonostasen herstammen; Rilke 1900 Gesch. v. lieben Gott (S. W. IV 330 f.) Nur in den dunkelnden Ecken der Stuben stehen die alten Ikone, wie Meilensteine Gottes, und der Glanz von einem kleinen Licht geht durch ihre Rahmen, wie ein verirrtes Kind durch die Sternennacht. Diese Ikone sind der einzige Halt, das einzige zuverlässige Zeichen am Wege, und kein Haus kann ohne sie bestehen. . . So kommt es, daß Peter Akimowitsch, eigentlich Schuster von Beruf, auch Ikone malt. Wenn er von der einen Arbeit müde ist, geht er, nachdem er sich dreimal bekreuzt hat, zu der anderen über, und über seinem Nähen und Hämmern, wie über seinem Malen, waltet die gleiche Frömmigkeit (DiBi 1); Joh. Georg 1914 Streifzüge 1 Von den Ikonen ist nur eins bemerkenswert, ein hl. Antonius, der auf dem Throne sitzt. Ein zweites, der hl. Johannes der Täufer, ist so überarbeitet, daß man es nicht beurteilen kann; Grass 1914 Russ. Sekten II 788 Anm. Zuerst beteten sie (er mit Saweli) vor dem Bilde Nikolai des Wundertäters ungefähr eine halbe Stunde . . Nikita sprach den Schwur . . Nikita küsste dabei die Ikon. Darauf verschnitt ihn Saweli; Klepper 1937 Vater (Ausg. 1962 172) Und die Gaben, welche ihr die Zarin verhieß, waren Geschenke, wie ein Bauernmädchen sie erträumte, das auf die Tage des Festes von seinem Liebsten mitgenommen wird in die Marktstadt; doch waren auch kleine Heiligenbilder und ein Ikon aus buntem Glas und von gemaltem Holze darunter (DWDS); Porret 1950 Berdjajew 33 Die Ikon ist nicht ein gewöhnliches religiöses Bild, noch weniger ein einfaches geweihtes Bildnis. . . Der Orthodoxe betet vor dieser Stätte der Verehrung wie vor Christus selbst; sie ist eine heilige Stätte in dem Sinn, daß das Göttliche dort gegenwärtig ist; Zeit 14. 1. 1952 Sie besuchte den heiligen Berg in Begleitung von einigen tausend schwerbewaffneten Rittern. Im Kloster Vatoped, das eines der größten und schönsten ist, näherte sie sich dem Ikon der Heiligen Mutter Gottes, um ihn zu küssen. Da begann, so erzählt die Legende, die Mutter Gottes zu sprechen (DWDS); Weiskopf 1954 Wundertäter (Neue dtsch. Lit. II 92) Da ließ sie ihn stehen und fragte in einem anderen Laden nach. Doch auch dort gab es keinen Ikon des heiligen Wladimir Iljitsch zu kaufen. Und in einem dritten auch nicht (DWDS); Zeit 17. 4. 1958 Choraufnahmen vermittelten durch Gestaltung verschiedener Raumeindrücke zugleich das Ambiente, in dem die Werke entstanden sind (Landschaft, Szene, Ort): so zum Beispiel in Bachs „Jesus meine Freude“ die Atmosphäre einer gotisch-kühlen Kathedrale, in Debussys „Trois Chansons“ (Nr. 1) das südliche Leuchten

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Ikon

des Mittelmeers, in Strawinskijs „Credo“ die ruhevolle Statik eines Ikons (DWDS); 1960 Religion in Gesch. u. Gegenw. IV 695 Der ihm befreundete Jawlensky, dessen Anfänge denen Kandinskys in Murnau (1908) nahestehen, konzentriert sich nach dem Krieg ganz auf das menschliche Antlitz und nähert sich in den letzten zehn Jahren seines Lebens dem russischen Ikon (DiBi 12); Zeit 23. 12. 1966 Er bricht mit dem Mythos Stalins, aber gerät ein ums andere Mal in Versuchung, uns mit einer leninistischen Neuromantik zu kommen. Ich weiß nicht, warum es nützlich sein soll, den einen Ikon durch den anderen zu ersetzen (DWDS). Ikon d: 1962 Grundlagenstudien aus Kybernetik u. Geisteswiss. III 41 Auch in seiner „Algebra der Logik“ . . macht er [Peirce] auf die Notwendigkeit der Unterscheidung der drei Zeichenarten: Ikon, Index und Symbol noch einmal ausdrücklich aufmerksam und sagt, daß in einem perfekten System logischer Notation alle drei Zeichenarten auftreten müssen; Bense 1967 Semiotik 12 eine Landkarte oder ein Adjektiv wie „rot“, das ja besagt, daß ein Gegenstand in diesem Merkmal mit anderen übereinstimmt, ist ein „Icon“; Eco 1972 Einf. i. d. Semiotik (Übers.) 200 Peirce definierte die Icone als die Zeichen, die ihren Gegenstand hauptsächlich durch ihre „Ähnlichkeit“ . . und dank der mit dem Gegenstand gemeinsamen Eigenschaften . . darstellen können; taz 11. 5. 1989 Der Affekt existiert nicht unabhängig von etwas, was ihn ausdrückt, auch wenn er sich völlig von ihm unterscheidet. Was ihn ausdrückt, ist ein Gesicht, das Äquivalent eines Gesichts (ein in ein Gesicht verwandeltes Objekt) oder sogar ein Satz, wie wir später sehen werden. Man nennt „Ikon“ das Ensemble von etwas Ausgedrücktem und seinem Ausdruck, von Affekt und Gesicht. Es gibt also Ikons einzelner Züge und Ikons von Konturen, oder vielmehr hat jedes Ikon diese beiden Seiten: Es ist das Zeichen der zweipoligen Zusammensetzung des Affektbildes; ebd. 30. 4. 1993 Die Sonnenbrille . . als Ikon im Zeichensystem des US-amerikanischen Unterhaltungsfilms; Süddtsch. Ztg. 6. 11. 2001 In der Bibliothek der Dombauverwaltung lieben sie den Dom . . als Schatzkammer der Kunstgeschichte, in den WDRFernsehredaktionen als weltweit verständliches Ikon und Wahrzeichen, beim Köln-Marathon als erhabenen Zielpunkt; Zeit (online) 6. 11. 2003 Georg Seeßlen hat über Luis Bun˜uel geschrieben, sein Blick halte die Dinge lange genug, um sie uns als Zeichen zu zeigen, aber nie so lange, dass aus dem Zeichen ein Ikon wird. ikonisch d: Bense 1952 Theorie Kafkas 33 Wenn also ein ikonischer Zeichenträger wahrgenommen

wird, so wird unmittelbar das wahrgenommen, was bezeichnet, designiert wird; ders. 1965 Aesthetica 51 Ikonische Zeichen sind dem, was sie bedeuten, ähnlich, haben Eigenschaften mit ihm gemein; . . Pläne, Photos, Modelle, Abbildungen und dergleichen sind natürlich ikonische Zeichen; Eco 1972 Einf. i. d. Semiotik (Übers.) 200 Die Definition des ikonischen Zeichens hat einen gewissen Erfolg gehabt und ist von Morris wiederaufgenommen worden . . Für Morris ist dasjenige Zeichen ikonisch, das einige Eigenschaften des dargestellten Gegenstandes besitzt; 1994 Lex. d. Kunst VI 603 Bedeutsam auch für die Ästhetik ist Peirces semant. und z. T. auch pragmat. Zeichenklassifikation (ikon., indexikal., symbol. Zeichen). . . Das ikon. Zeichen ist dadurch ausgezeichnet, daß die Sinnlichkeit des Objekts in der sinnl. Qualität des Zeichens reproduziert wird, unabhängig davon, ob das Objekt real oder nur im Zeichen existiert. Das Besondere am ikon. Zeichen ist, daß es nicht nur schlechthin für anderes steht, ein Objekt als Zeichen vertritt, sondern auch eine eigene, durch seine sinnl. Qualitäten und ihre Struktur bestimmte Bedeutung hat (visuelle Bilder, Strukturbilder usw.) (DiBi 43); N. Z. Z. 28. 12. 2002 Charles Sanders Peirce hat die Unselbständigkeit ikonischer Zeichen analysiert. Im Allgemeinen können sie Qualitäten nur in Verbindung mit referenziellen ⫺ verweisenden ⫺ Ausdrücken oder im grammatischen Zusammenhang ganzer Sätze ausdrücken. ikonisieren d: 1979 Zschr. f. Literaturwiss. u. Ling. IX 40 In jüngerer Zeit hat Spinner auf diesen Gesichtspunkt hingewiesen und die subjektbezogene Prozeßhaftigkeit des Textverstehens in dem „ikonisierten Charakter des poetischen Zeichens“ verankert; Henle (Haverkamp 1983 Theorie d. Metapher 89) In einer Metapher symbolisieren einige Begriffe das Ikon und andere symbolisieren das, was ikonisiert wird. Ikonismus d: Hillebrand 1820 Logik 234 f. kann man die Zeichen besonders betrachten nach dem Mittel der Bezeichnung als Bilder- oder Tonzeichen, und, wenn man unter den Letztern eigentlich nur die artikulirten Töne zu verstehen hat, kann man die gesammte Semiotik abhandeln als Ikonismus (ei$kwn, Bild) und als Sprache. . . Der Ikonismus beruhet keinesweges durchaus auf willkürlichen oder künstlichen Zeichen, sondern zunächst auf der Wesenheit der Verbindung menschlicher Ansichten, Gedanken und Ideen mit der Objektivität der Natur; Bachmann 1828 Logik 380 Anm. Eine ganz natürliche Erscheinung in der Geschichte des Menschengeschlechts ist die Bilderschrift (Iconismus) die Versinnlichung einer Sache durch Hinzeichnung ihrer Gestalt; Mayerthaler

Ikon (Lüdtke 1979 Grundlagen d. Sprachwandels 114) Gleichfalls gilt es festzuhalten, daß aus Gründen des sog. konstruktionellen Ikonismus (Grob gesagt: was konzeptuell ¤mehrÅ ist, sollte auch konstruktionell ¤mehrÅ sein) Pluralformen fast immer länger sind als Singularformen; Bußmann 1990 Lex. d. Sprachwiss. 323 Ikonismus. Im Rahmen der Semiotik entwickeltes Konzept der Textinterpretation, das sich auf die Übereinstimmung von Eigenschaften der Darstellung mit Eigenschaften des Dargestellten stützt. So wird unter bestimmten stilistischen Voraussetzungen durch die Umständlichkeit der Berichterstattung dem Hörer/Leser eine Umständlichkeit der dargestellten Handlung nahegelegt; Fenk-Oczlon 2005 Festschr. Mayerthaler 129 In der Kindersprache finden sich . . deutliche Präferenzen für eine oder vielleicht die zentrale Eigenschaft unmarkierter morphologischer Gebilde: für „konstruktionellen Ikonismus“, d. h. die Übereinstimmung von Werten semantischer Markiertheit und ausdrucksseitiger Merkmalhaltigkeit; Breindl, Volodina, Waßner 2014 Handb. d. dtsch. Konnektoren 184 Das Nachfeld ist die unmarkierte Position von sententialen Adverbialia, . . wenn nicht aus Gründen des konzeptuellen Ikonismus (temporale Rahmensetzung, Bedingung vor Folge etc.) eine Voranstellung die natürlichere, ikonische Abfolge ist. Ikonizität d: Maser 1965 Ontolog. Grundlagen 93 Die Semiotik der reinen Wissenschaft bestimmt ihre Zeichen . . iconisch. Der Isomorphismus zwischen Zeichen und Bezeichnetem wird durch die Iconizität der Zeichen garantiert; Eco 1972 Einf. i. d. Semiotik (Übers.) 201 da er [Morris] im weiteren Verlauf seiner Überlegungen in Bezug auf nicht visuelle ikonische Zeichen sogar von Onomatopoetika spricht, wird klar, daß die Frage des Grades äußerst elastisch erscheint, weil die Beziehung der Ikonizität zwischen „kikeriki“ und dem Krähen des Hahnes sehr schwach ist, wie die Tatsache beweist, daß für die Franzosen das entsprechende onomatopoetische Zeichen „kokeriko“ ist; Dauer 1980 Syntagmatik d. ethnograph. Dokumentationsfilms 11 Ikonizität ist der Grad, in welchem bezeichnende Abbilder oder Signale dem bezeichneten Gegenstand ähnlich (analog) sind. Das Ikonizitätsproblem besteht in der Unterschiedlichkeit des Stärkegrades dieser Übereinstimmung einerseits, und den Unterschiedlichkeiten der Wiedererkennungs-Leistung andererseits, woraus die unmittelbare Erfassbarkeit eines ikonischen Zeichens resultiert; Gradmann 1990 Topographie 110 Daß jedoch die Ikonizität, die genaue bildliche Entsprechung von Signifikant und Signifikat im Falle der Landschaftsdarstellung eben nicht der Gradmesser für die künstlerische Qualität der Darstellung ist,

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ist eine für das Verständnis der Stifterschen Landschaften in Literatur und Malerei . . grundlegend wichtige . . Feststellung; Dürscheid 1999 Verbale Kasus d. Dtsch. 138 Die Ikonizität beschreibt Mayerthaler zunächst mit der intuitiv einleuchtenden Feststellung, daß das, was semantisch ¤mehr’/ komplexer ist, auch in der Kodierung als ¤mehr’/ merkmalhafter erscheinen sollte; Schäfers 2008 Lebensqualität 154 Zudem unterscheiden sich optische Hilfen hinsichtlich ihrer Ikonizität (Grad der Ähnlichkeit zwischen Abbildung und Bezugsobjekt): Fotos und Bilder weisen im Allgemeinen eine höhere Ikonizität auf als Piktogramme oder Symbole; Klann 2014 Ikonizität in Gebärdensprachen (Titel). Ikon e: Presse 22. 4. 1992 WinMail ist ein stark Icon-orientiertes Electronic Mail Programm, das für den Benutzer den leichten Einstieg in ein profes[s]ionelles Nachrichtensystem ermöglicht. . . Jede Nachricht wird als Icon mit graphischer Darstellung der wesentlichen Informationen wie Absender/Empfänger, Nachrichtentyp, mit/ohne Dateianhang am Bildschirm angezeigt. Versenden, Archivieren, Drucken, Löschen von Nachrichten kann auf einfachste[m] Weg durch Ziehen des Icons in die entsprechende[n] Felder erfolgen; 1995 FAZ o. N. Bald werden Lesen und Schreiben gar nicht mehr nötig sein. Der Mausklick auf das Ikon reicht, um die Bilderflut auf dem Bildschirm zu entfesseln; taz 8. 2. 1996 Was auf neudeutsch „Emoticons“ heißt und in privaten E-Mails wie auch in Newsgroups benutzt wird, ist nicht mehr als ein kläglicher Versuch, Gefühlsregungen in Zeichen zu fassen. Kläglich vor allem deshalb, weil diese Zeichen vom Schreiber bewußt eingesetzt werden müssen und damit spontane Reaktionen ausschließen; Rhein-Ztg. 14. 5. 1998 Ikon (Icon): Grafische Symbole zur Erleichterung der Bedienerführung, insbesondere bei Anwendung der MausTechnik (zum Beispiel Windows). Ikonen ersparen teilweise das Erlernen und Eingeben der Befehlsstrukturen; FAZ 24. 5. 2005 Mit dem Favicon importieren wir wieder einmal eine amerikanische Web-Bildung. Die verschmilzt unbekümmert das griechische eikon wie ⫺ ähnliches ⫺ Bild mit dem Favoriten. Von dem weiß die Enzyklopädie, daß er . . eine Art Lesezeichen eines Internet-Browsers sein kann; taz 14. 2. 2006 Und tatsächlich ist die moderne westliche Gesellschaft in höchstem Maße bildversessen: Von den „Icons“ auf dem Computer bis zu den angeblich allgemeinverständlichen Piktogrammen, die uns suprasprachlich die Wege weisen, vom TV zu schweigen; Rheinpfalz 12. 12. 2007 Bei den meisten Programmen kann man unter dem Ikon „Bilder bearbeiten“ Hellig-

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Ikone

keit, Sättigung und Farbton mit wenigen Klicks verändern. ikonisieren e: Computer Ztg. 7. 10. 1993 bietet Motif nicht mehr als ein konsistentes WindowManagement, bei den Konkurrenten Bestandteil einer ganzen Philosophie. Dazu gehören ikonisierte Dateimanager, Werkzeuge für die Ikonisierung, eingebettete Utilities . . sowie fertige Menüleisten für die Basisanwendungen; Springer 2001 Teleko-

operation 97 Eine weitere Möglichkeit ist auch, Ressourcen, mit denen nicht gearbeitet wird, zu ikonisieren bzw. in den Hintergrund zu klappen, um nur die Informationen aktuellen Interesses im Vordergrund zu halten; Weigend 2013 Python 3 428 Auf dem Bildschirm ist ein voll funktionstüchtiges Fenster erschienen . . Sie können mit der Maus auf die übliche Weise seine Form ändern, es ikonisieren (auf Symbolgröße verkleinern) und schließen.

Ikone F. (-; -n), im frühen 20. Jh. aufgekommene Entlehnung aus gleichbed. russ. iko´na (über gleichbed. altkirchenslav. ikona und byzant.-griech. ei$ko*na zurückge* n in seiner Bed. ¤(einem Gegenstand entsprechendes) (Ab-/ hend auf griech. ei$kw Eben-)BildÅ; → Ikon, → Ikono-, ikono-). a Zunächst als Nebenform zu gleichbed. Ikon (→ Ikon b) aufgekommen und dieses seit späterem 20. Jh. völlig verdrängend als fachspr. Terminus der Religions- und Kunstwissenschaft in der Bed. ¤(als wundertätig angesehenes) geweihtes religiöses Bild der orthodoxen Ostkirchen, das häufig in streng frontaler, axialer und nichtperspektivischer Malweise Christus, Maria, orthodoxe Heilige oder biblische Szenen zeigt, als Mittler eine existenzielle Verbindung zwischen dem Betrachter und dem Dargestellten herstellt und durch Bekreuzigung, Verneigen oder Küssen verehrt wirdÅ, in Wendungen wie griechische, russische, byzantinische, koptische, armenische Ikone, Ikonen malen/schreiben, verehren, sammeln, verkaufen, ausstellen, schmuggeln, sich vor einer Ikone bekreuzigen, die ältesten erhaltenen Ikonen stammen aus dem 6. Jahrhundert, der goldfarbene Hintergrund der Ikonen symbolisiert den Himmel und das göttliche Licht, als Bestimmungswort in Zss. wie Ikonenausstellung/-galerie/-museum, -händler, -kult, -kunst/-malerei, -maler, -raub, -sammlung, -schatz, -schmuggel, -schrein, -verehrung, -wand, -weihe; ikonengeschmückt, -reich, als Grundwort in (verbunden mit Bezeichnungen für das Dargestellte:) Apostel-, Auferstehungs-, Christus-/Jesus-, Dreifaltigkeits-, Georgs-, Gottesmutter-/Madonnen-/Marien-, Heiligen-, Nikolaus-, Paulus-, Verklärungsikone, (in Verbindung mit Bezeichnungen für das verwendete Material:) Hinterglas-, Holz-, Leinwandikone, (in Verbindung mit Bezeichnungen für den Aufstellungsort:) Haus-, Kirchenikone, sowie in den adj. Ableitungen ikon(en)artig, -haft, -gleich; vereinzelt auch allgemeiner (ausgehend vom Gebot möglichst großer Vorlagentreue in der traditionellen Ikonenmalerei) in der Bed. ¤Abbild, EbenbildÅ (s. Beleg 1928; → Ikon a). b Von daher seit Mitte 20. Jh. bildungsspr. übertragen, zunächst auf Personen bezogen in der Bed. ¤sehr bekannte, oft abgebildete, von vielen bewunderte oder verehrte („angebetete“) Persönlichkeit (der Popkultur, der Politik, des Sports etc.), die als Repräsentant einer Idee, Integrationsfigur einer Gruppe, Vorbild bzw. Idol einer Menge gilt, KultfigurÅ (→ Genie 2, → Gigant b, → Heros, → Ideal 2, → Idol 1b, → Mythos, → Star; vgl. Galionsfigur, → Galeere), in Wendungen wie nach jedem gewonnenen Zweikampf jubeln die Fußballfans ihrer Ikone zu, die einstige Ikone des Tennissports ist zu einer Ikone der Boulevardpresse verkommen, mit Che Guevara starb eine Ikone der politisierten Jugend, wir müssen achtgeben, Baader nicht zu einer neuen politischen Ikone werden zu lassen, das Poster der Ikone Frank Zappa ziert die Klotüren vieler Studentenbuden und, z. T. alternierend mit -idol,

Ikone

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in Zss. wie Fashion-, Film-/Hollywood-/Leinwand-, Formel-1-, Freiheits-, Fußball-, Gay-/Homo-/Schwulen-, Jazz-/Pop-/Rock-/Schlager-/Soul-, Kultur-, Lifestyle-, Mode-, Partei-, Polit-, Sex-, Sport-, Stil-, Szene-, Tennis-, Trainer-, TV-, Werbe-, (wortspielerisch:) Kinoikone; Ikonenstatus; ikonentauglich, dann auch mit Bezug auf (konkrete und abstrakte) Gegenstände für ¤sehr bekannter, oft abgebildeter, bewunderter/verehrter Kultgegenstand; Inbegriff/Verkörperung von etwasÅ (s. Belege 1981, 1998, 2005; → Ikon a), meist positiv, selten auch negativ wertend (s. Beleg 2014), in Wendungen wie der VW-Käfer ist die Ikone des Wirtschaftswunders, die CocaCola-Flasche ist die Ikone der modernen Konsumgesellschaft, der Atompilz wurde zur Ikone des Weltuntergangs und Zss. wie Auto-, Design-, Stahlbeton-, Stuhl-, Tourenwagen-Ikone. Ikone a: Weber 1916 Wirtschaftsethik (1920⫺1921 Ges. Aufs. I 554) die magische Religiosität . . Idole, Ikonen und andere religiöse Artefakte, magische Stereotypierung ihrer erprobten Formungen als erste Stufe der Überwindung des Naturalismus durch einen fixierten „Stil“, . .: dies alles machte von jeher die Religion zu einer unerschöpflichen Quelle künstlerischer Entfaltungsmöglichkeiten (DWDS); Ostrogorski 1928 (Philipp 1940 Kiewer Rußland 15 Anm.) Vollständig folgerichtig betrachtet Joannes Damaskenos nicht nur die hl. Ikonen als „eiko¯n“, sondern auch die hl. Schrift. . . Ferner ist auch der Sohn eine „Ikone“ des Vaters, ja, schließlich auch ein jeder Mensch, da er als Ebenbild Gottes und ihm gleich geschaffen worden ist; und in der gesamten Schöpfung, überall gibt es „Ikonen“ ihres Schöpfers. Denn . . alles das erscheint als „Ikone“, was in einem gewissen Zusammenhang mit dem Urbild steht; Hackel 1936 Altruss. Heiligenbild 26 Für den altrussischen Maler und Mönch in einer Person war das Malen, das Schaffen ein sakraler Akt, eine Art Gottesdienst. Ehe er an einer Ikone zu malen begann, betete und fastete er, um dann gereinigt seine himmlische Vision in Linien und Farben auszudrücken; Süddtsch. Ztg. 1. 6. 1951 Eine umfassende Ikonen-Ausstellung, die sich im Gegensatz zu der nur russische Bilder enthaltenden letzten kleinen Ikonen-Ausstellung im Jahre 1926 in München auf die gesamte orthodoxe Welt erstreckt, wird von der Georg-August-Universität und der Stadt Göttingen vorbereitet; ebd. 21. 7. 1958 Lautstark und mit anfechtbarer Intonation wurden Kirchenlieder aus Kiew und ukrainische Volksweisen gesungen: nach westlichem Geschmack geglättete Chorsätze, von romantischer Harmonik beeinflußt. Man hatte Ikonen erwartet und bekam bunte Heiligenbildchen. Man hatte gehofft, in das fromme Dunkel der byzantinischen Liturgie geführt zu werden und stand verdutzt vor einem volkstümlichen Chorabend; 1960 Religion in Gesch. u. Gegenw. IV 1713 So hat . . die Ikone ihren Ort nicht nur im Gottesdienst und an der Bilderwand, sondern ebenso in

der „schönen Ecke“ (wie sie in Rußland heißt) des Privathauses. Oft ist eine starke Verdinglichung oder Personifizierung festzustellen, wenn etwa die Ikone bei einer unmoralischen Handlung umgedreht wird (DiBi 12); FAZ 9. 1. 1968 Kunstkenner scheinen die Mitglieder einer Diebesgruppe gewesen zu sein, die . . in der Nacht zum Sonntag 13 wertvolle Ikonen und ein kleines goldenes Kreuz aus der russisch-orthodoxen Kirche in Baden-Baden stahlen; Zeit 5.5. 1978 Die Ausstellung, für die die bulgarischen Museen ihre schönsten und wichtigsten Stücke hergeliehen haben, bemüht sich, wenigstens andeutungsweise eine Vorstellung von dem Kirchenraum zu vermitteln, in dem die Ikonen einst zu sehen waren: Mit ausgestellt ist liturgisches Gerät und sogar eine ganze Ikonostase (DWDS); 1987 Lex. d. Kunst I 547 Dank der Ähnlichkeit wird die Ikone zur Stellvertreterin des Urbilds. In ihr soll die unsichtbare, göttl. oder hl. Person erscheinen und zugleich verehrt werden (DiBi 43); taz 11. 5. 1990 Sein Sohn Radu restauriert heimlich Ikonen, malt selbst auf Holz und hinter Glas (die traditionelle rumänische Malweise, vom Vater gelernt, Radu ist der letzte künstlerische Ikonenmaler Rumäniens); Süddtsch. Ztg. 3. 3. 2001 Der gebürtige Weißrusse war 1972 nach Deutschland gekommen, wo er zunächst in Berlin mit geschmuggelten Ikonen handelte. Unter Freunden und Bekannten . . galt er als „Ikonen-Experte“ mit kriminellem Hintergrund; Berl. Ztg. 24. 12. 2007 Jerusalem ist auch die Hauptstadt des Kitsches: Plastik-Rosenkränze, Jesus-Bildchen, Mini-Ikonen gibt es an jeder Straßenecke; Mannh. Morgen 4. 7. 2014 Allein in Mossul sind den Extremisten seit ihrem Einmarsch mehrere kulturelle Symbole der pluralistischen Provinzhauptstadt zum Opfer gefallen. . . Die islamistischen Bilderstürmer schlugen . . die hoch aufragende steinerne Marienstatue auf dem Turm der chaldäisch-katholischen Erzdiözese von Mossul ab und vergingen sich jüngsten Meldungen zufolge auch an etlichen Ikonen. Ikone b: Lenz 1960 Bizeps u. Regel (W. XIX 355) Da ich in der Nähe eines Sportplatzes lebe und je-

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Ikono-/ikono-

den Sonntag die Gezeiten der Begeisterung und Enttäuschung von zwanzigtausend Zeitgenossen höre, die hier Andachtsübungen vor ihren wadenstarken Ikonen abhalten, stellte die Lektüre dieses Werkes gewissermaßen eine Pflichtlektüre dar; Welt 22. 1. 1969 Sein Bild ist in den Schaufenstern fast aller Geschäfte zu sehen, und in den Kinos läuft seit Wochen ein Film. ., der aus Anlaß des 47. Geburtstages Dubceks gedreht worden ist. . . „Dubcek ist immer noch ein Volksheld ⫺ aber er ist keine Ikone“, sagt ein Preßburger Schriftsteller. Er meint, daß auch Dubcek Fehler gemacht habe; Zeit 30. 10. 1981 Das landwirtschaftliche Nutzfahrzeug wird zur mobilen Ikone der Ökologie für alle, die ihr Baumhaus in der „Freien Republik Wendland“ hatten; taz 5. 6. 1990 Dieser Fotograf, der in einem ebenfalls sehr stilvollen Film den Oberversager Chet Baker zur Ikone der Jazzgeschichte zu verklären versuchte . ., dürfte einer der wirksamsten Bilderproduzenten der Gegenwart sein; ebd. 11. 5. 1995 Er ist der einzige Revolutionär, der es bis zur Pop-Ikone geschafft hat. Das Porträt von Ernesto Guevara gehörte Ende der 70er Jahre zur Wanddekoration jeder, aber wirklich jeder WG, teilweise drang es bis in die Jungmädchenzimmer vor; Zeit 30. 3. 1998 Da das Auto die deutsche Ikone des 20. Jahrhunderts schlecht-

hin ist, müßte . . der Potsdamer[. .]platz autofrei sein (DWDS); Neue Kronen-Ztg. 30. 5. 1999 Laetitia Casta, seit ihrem Auftritt im Film „Asterix und Obelix“ Liebling der Nation, entwickelt sich schon jetzt zur Stil-Ikone. Mit sicherem Geschmack trägt sie schlichte, elegante Kleidung und strahlt hauptsächlich durch ihr hinreißendes Lächeln und ihre natürliche Art; taz 13. 12. 2005 Allen Ginsbergs Gedicht „Howl“ . ., ein literarisches Manifest der Beat Generation, . . ein furioser Klagegesang über den Zustand Amerikas und eine Absage an ein Leben in den Fesseln bürgerlicher Konventionen. Heute ist dieses Gedicht eine Ikone; Hamb. Morgenpost 17. 12. 2007 Am 24. Februar beehrt die Folk-Ikone [Neil Young] die Frankfurter Jahrhunderthalle, zwei Tage später spielt er im Berliner ICC; taz 12. 9. 2013 in Prenzlauer Berg hieß bei den Sozis der Bewerber seit 1990 immer gleich: Wolfgang Thierse. . . Ikonenstatus hatte der frühere Bürgerrechtler und spätere Bundestagspräsident, er war ein absolutes Zugpferd der SPD; Zeit (online) 6. 2. 2014 Wohl kein anderes Foto hat das kollektive Bewusstsein der Nachkriegszeit so „kontaminiert“ wie die 1951 im US-Bundesstaat Nevada zu Testzwecken gezündete Nuklearbombe. Der atomare Pilz wurde zur apokalyptischen Ikone, zum Zeichen aller Zeichen.

Ikono-/ikono-, initiale Lehn-Wortbildungseinheit, seit Ende 16. Jh. bezeugt zunächst als Bestandteil von Titeln deutscher oder ins Deutsche übersetzter Bücher (Ikonographia, Iconologia), seit 2. Hälfte 17. Jh. in meistens dem Lat./Griech. entlehnten oder lehngebildeten Kombinationen in der Bed. ¤Bild-/Bilder-Å, zurückge* n ¤(einem Gegenstand entsprechendes) (Ab-/ hend auf griech. eikono-, zu ei$kw Eben-)BildÅ, → Ikon, → Ikone; anfangs auch in der Schreibung Icono-/icono-. In den frühesten Kombinationen bezieht sich die Wortbildungseinheit Ikono-/ikonoganz überwiegend auf Werke der bildenden Kunst (Gemälde, Skulpturen) bzw. auf deren Darstellungselemente (vgl. Ikonologie, Ikonographie und die jeweiligen Ableitungen, s. u.), dann tritt der Bezug auf die bildliche/künstlerische Darstellung speziell des Göttlichen und Heiligen in den Vordergrund, wie sie Gegenstand theologischer Auseinandersetzungen zunächst während des sog. Byzantinischen Bilderstreits, später im Verlauf des Bildersturms der Reformation (s. u.) war (vgl. Ikonomachie, Ikonoklastie, Ikonolatrie, Ikonodulie und die jeweiligen Ableitungen, s. u.) bzw. bis heute in der Liturgie der griechisch- und russisch-orthodoxen Kirche eine Rolle spielt (vgl. Ikonostase, s. u.); in den jüngsten Kombinationen wird vermehrt auf die technisch-physikalische (optische) Seite von Bildern abgehoben (vgl. Ikonometer, Ikonoskop, Ikonostroph und die jeweiligen Ableitungen, s. u.). Am frühesten belegt in aus griech. ei$konografi*a/lat. iconographia ¤Abbildung, DarstellungÅ (aus ei$kono- und -grafi*a ¤-beschreibungÅ, zu gra*fein ¤ritzen, eingraben, schreiben, beschreiben, malenÅ) entlehntem Ikonographie F. (-; -n), bis ins 18. Jh. meist in der Schreibform Iconographia, anfangs vereinzelt als Titel einer theologischen Abhandlung über Bilderverehrung, dann als Titel verschiedener illustrierter

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Buchpublikationen (meist Kompendien von Abbildungen, die unter verschiedensten Aspekten zusammengestellt wurden), dann ¤bildliche Darstellung von HerrschernÅ (s. Beleg 1830), auch ¤zeittypische Art und Weise des bildlichen DarstellensÅ (s. Beleg 1890) und ¤Sammlung, Zusammenstellung der bildlichen Darstellungen einer bestimmten PersönlichkeitÅ (s. Beleg 1926⫺28), dann über ¤Beschäftigung mit, Kenntnis, Lehre, Wissenschaft von (v. a. antiken porträthaften) bildlichen DarstellungenÅ (s. Beleg 1896) im Verlauf des 20. Jhs. fachspr. (Kunstwissenschaft) spezifiziert zu ¤Lehre, Wissenschaft von der Deutung von historischen (insbes. religiösen, mythologischen, allegorischen, symbolischen) Bildinhalten, v. a. anhand literarischer Quellen (im Ggs. zu Form- und Stilgeschichte)Å (s. Belege 1930, 1959, 1985, 1993), in Wendungen wie die Ikonographie beschäftigt sich mit den Bildinhalten, Stoffen und Motiven, die Ikonographie der Heiligen, die Ikonographie der Alten/des Mittelalters, die christliche/katholische/religiöse Ikonographie, oft im Begriffspaar Ikonographie und Ikonologie und in Zss. wie Ikonographieexperte, -lexikon, -vorlesung; Alexander-, Alltags-, Auferstehungs-, Christus-, Grabmal-, Heiligen-, Helden-, Herrscher-, Marien-, Weihnachtsikonographie, in jüngster Zeit auch mit Bezug auf das Medium Film und andere (popkulturelle) Medien (s. Beleg 1989.1), z. B. der rote Vorhang ist ein zentrales Element der Ikonographie David Lynchs; Fellini-, Pop-, Science-Fiction-, SM-Ikonographie, und im übertragenen und allgemeinen Sinne ¤BilderweltÅ (s. Beleg 1989.2; → Szenarium), z. B. politische Ikonographie, die ausgehungerten Häftlinge erinnerten an die erschreckende Ikonographie des Holocausts; Erntehelfer-, Nazi-Ikonographie, mit seit späterem 18. Jh. belegtem ikonographisch Adj. und Adv., zunächst, gleichbed. mit ikonologisch (s. u.), bezogen auf Porträts und porträthafte Darstellungen, ihre Sammlung und (private oder öffentliche) Präsentation, Bildbände o. Ä. sowie in Titeln illustrierter Buchpublikationen (s. Beleg 1839), im Laufe des 20. Jhs. kunstwissenschaftlich spezifiziert ¤zur (Lehre von der) Deutung von Bildinhalten gehörig, unter diesem Aspekt vorgenommen, durchgeführt; inhaltlichÅ (s. Belege 1900, 1971, 2005.1), auch in anderen Wissenschaftszweigen (s. Beleg 1933), in jüngster Zeit auch allgemeiner, von (Darstellungen von) bekannten Personen und Gegenständen ¤leicht wiederzuerkennen (wie eine Ikone), prägend, heldenhaftÅ, (s. Belege 1992, 2005.2, 2014; vgl. ikonisch, → Ikon a), in Wendungen wie ikonographische Details/Elemente/Motive, eine ikonographische Analyse/Deutung/Untersuchung, ein ikonographisches Lexikon, die beiden Madonnenbilder sind ikonographisch eng verwandt, das ikonographische Programm der Portalplastik entschlüsseln, die ikonographischen Bezüge der beiden Figuren sind evident, Attribute gehören zum ikonographischen Inventar von Heiligendarstellungen, Che Guevara ist eine ikonographische Figur, der ikonographische Gitarrensound und additiven Zss. wie ikonographisch-ikonologisch; christlich-, historisch-, politisch-, pop-, semantisch-, theologisch-ikonographisch, mit der seit späterem 18. Jh. belegten, aus griech. ei$konogra*fov ¤(Porträt-)MalerÅ entlehnten Personenbezeichnung Ikonograph M. (-en; -en), auch moviert Ikonographin F., zunächst gleichbed. mit Ikonologe (s. u.) in der Bed. ¤Autor, Herausgeber von Werken über PorträtkunstÅ (gelegentlich auch metonymisch für das Werk dieses Autors, s. Beleg 1771), dann ¤Zeichner graphischer Darstellungen, Illustrator; IkonenmalerÅ (s. Belege 1842, 2006), in dieser Bed. in jüngster Zeit auch übertragen auf Literaten und Filmschaffende (s. Beleg 1998; vgl. Chronist, → Chronik), in Wendungen wie Thomas Mann ist der Ikonograph des Subtilen, Tarantino als Ikonograph des Flüchtigen und Bana-

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len, heute überwiegend fachsprachl. (Kunstwissenschaft) ¤Wissenschaftler auf dem Gebiet der IkonographieÅ (s. Belege 1955, 2001), z. B. die Ikonographen Warburg und Panofsky, der erfahrene Ikonograph hält sich bei der Analyse des symbolträchtigen Werkes vorsichtig zurück, daneben selten und nur gebucht ¤dem Pantografen (Storchenschnabel) ähnliche Vorrichtung zum Kopieren von Bildern in unterschiedlichen MaßstäbenÅ (s. Beleg 1933). Seit Mitte 17. Jh. in aus iconologia, der latinisierten Form von griech. eikonologi*a ¤das Sprechen in BildernÅ (aus eikono- und -logi*a ¤Wissenschaft, LehreÅ, zu lo*gov ¤Wort, RedeÅ) entlehntem Ikonologie F. (-; -n), anfangs in der Form Iconologia und nur mit Bezug auf C. Ripas gleichnamiges Nachschlagewerk (1593), eine Sammlung von alphabetisch angeordneten Personifikationen mit ihren Attributen und Symbolen für bildende Künstler, später auch bezogen auf ähnliche Sammelwerke (s. Beleg 1794), z. B. es steht in der Iconologia des Cesare Ripa, aus Ripas Iconologia zitieren, eine Ikonologie ist eine Sammlung allegorischer Formen, seit frühem 18. Jh. in der Bed. ¤Lehre von den Deutungsmethoden und Inhalten der Bilder, Allegorien, Embleme, Attribute und Symbole, SymbolkundeÅ (s. Belege 1727, 1832, 1907; vgl. Tropik), im 20. Jh. fachspr. (Kunstwissenschaft) spezifiziert zu ¤auf der Ikonographie (s. o.) aufbauende kunstwissenschaftliche Methode, mit Hilfe derer die Funktionen und Bezüge von Sinn- und Symbolgehalten von (komplexen) Darstellungen innerhalb eines Bildprogramms vor dem Hintergrund seiner (zu erschließenden) Gesamtkonzeption hermeneutisch untersucht werdenÅ (s. Belege 1932⫺33, 1971, 2006; vgl. Ikonographie, s. o.), in Wendungen wie das Studium der Ikonologie, Warburg begründete die Ikonologie, die christliche Ikonologie bringt die mittelalterliche Bildsymbolik wieder ans Tageslicht, die Ikonologie deutet bildende Kunst als Zeichensystem, oft im Begriffspaar Ikonologie und Ikonographie und selten in Zss. wie Ikonologieexperte, -vorlesung, in jüngster Zeit auch vereinzelt mit Bezug auf die Interpretation alltäglicher Gegenstände als Bedeutungsträger (z. B. Bau- und Werkstoffe, s. Beleg 2003), mit seit Mitte 18. Jh. nachgewiesenem ikonologisch Adj. und Adv., zunächst in Titeln (illustrierter) Buchpublikationen zur Ikonologie, dann überwiegend bezogen auf Porträts und porträthafte Illustrationen und allgemein Darstellungen in der Bed. ¤auf porträthafte Ähnlichkeit ausgerichtet, ähnlichÅ (s. Belege 1837, 1894, 1913; vgl. ikonisch, → Ikon a), im Laufe des 20. Jhs. kunstwissenschaftlich spezifiziert ¤zur wissenschaftlichen Ikonologie gehörig, mit ihren Methoden vorgenommen, durchgeführt; bildinhaltlichÅ (s. Belege 1950, 1998), auch in Fotografie und Film (s. Belege 1985, 2007), in Wendungen wie ikonologisches Lexikon/Wörterbuch, eine ikonologische Analyse/Dechiffrierung/Deutung/Untersuchung, ikonologische Bezüge, das verschlüsselte ikonologische Programm des barocken Deckengemäldes, die ikonologische Methode auf die Portalplastik anwenden und additiven Zss. wie ikonographisch-ikonologisch, mit der seit spätem 18. Jh. nachgewiesenen Berufsbezeichnung Ikonologe M. (-n; -n), auch moviert Ikonologin F., zunächst in der Bed. ¤Bilderforscher; Autor, Herausgeber eines symbolkundlichen Werks, einer Ikonologie (s. o.)Å, dann fachspr. (Kunstwissenschaft) spezifiziert zu ¤Wissenschaftler, Kunsthistoriker, der auf dem Gebiet der Ikonologie arbeitetÅ (s. Belege 1929, 1989, 2006, 2011), vereinzelt auch ironisch abwertend (s. Beleg 1853), z. B. Ikonologen deuten das Bild als Darstellung der Ruhe auf der Flucht nach Ägypten, der Ikonologe untersucht das Figurenportal im Hinblick auf thematische Zusammen-

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hänge, Generationen von Ikonologen versuchten sich an der Entschlüsselung der Werke Leonardos. Seit späterem 16. Jh. ist Ikono-/ikono- analysierbar bzw. produktiv in weiteren entlehnten bzw. mit auf das Griech. zurückgehenden Wortbestandteilen lehngebildeten Kombinationen, mit denen meist Bezug auf Positionen im Byzantinischen Bilderstreit des 8. und 9. Jhs., seltener auf den reformatorischen Bildersturm des 16. Jhs. oder vergleichbare (historische) Ereignisse genommen wird, wie zunächst die (über mlat. iconomachus auf gleichbed. griech. ei$konomacov zurückgehende) Personenbezeichnung Ikonomache M. (-n; -n), anfangs auch lat. Iconomachus, selten moviert Ikonomachin, in der Bed. ¤religiös motivierter Zerstörer bildlicher Darstellungen von göttlichen Wesen und Kräften der eigenen Religion, Bilderfeind, -stürmerÅ (vgl. Ikonoklast, s. u.), in Wendungen wie die Partei der Ikonomachen, die Häresie, Gottlosigkeit der Ikonomachen, Ikonomachen und Ikonodulen, mit seit spätem 16. Jh. belegtem, seltenem (auf dasselbe Etymon zurückgehendem) ikonomachisch Adj., in der Bed. ¤den Überzeugungen der Ikonomachie (s. u.) zugeneigt, sie vertretend, durch sie geprägtÅ, überwiegend mit Bezug auf den Byzantinischen Bilderstreit, vereinzelt auch bezogen auf ähnliche Ereignisse in anderen Kulturkreisen und Religionen (s. Beleg 1883), z. B. die ikonomachischen Herrscher/Kaiser, gegen die ikonomachische Partei, mit Ende 17. Jh. aus gleichbed. griech. eikonomaci*a (aus eikono- und ma*ch ¤Schlacht, Gefecht KampfÅ, zu ma*cesqai ¤streiten, kämpfenÅ) entlehntem Ikonomachie F. (-; -n), zunächst auch Iconomachie und Iconomachia, in der Bed. ¤gegen die als Götzendienst angesehene Verehrung bildlicher Darstellungen (Gemälde, Skulpturen etc.) von göttlichen Wesen oder Kräften sowie ihnen zugehörigen geschöpflichen Wesen (Engeln, Heiligen, Symboltieren etc.) der eigenen Religion (insbesondere des Christentums) gerichtete Zerstörung dieser Bildwerke, Bildersturm; Bilderfeindlichkeit, Bilderfurcht einer Kultur oder InstitutionÅ (vgl. Ikonophobie), meist mit Bezug auf die byzantinischen oder reformatorischen Glaubenskontroversen, in jüngster Zeit auch ausgeweitet auf profane Kunst und andere künstlerische und gesellschaftliche Bereiche (s. Beleg 1995), in Wendungen wie die Epoche der Ikonomachie, Ikonomachie und Ikonodulie; vgl. daneben im früheren 19. Jh. vereinzelt belegtes Ikonomachismus M. (-; Ikonomachismen). Seit späterem 16. Jh. die (eventuell aus gleichbed. engl. iconoclast, frz. iconoclaste entlehnte) Personenbezeichnung Ikonoklast M. (-en; -en), (aus Ikono- und -klast, zurückgehend auf griech. kla*sthv ¤Person, die etwas zerbrichtÅ, zu kla*stein ¤zerbrechenÅ), weitgehend gleichbed. mit Ikonomache (s. o.) und ebenfalls meist mit Bezug auf den Byzantinischen Bilderstreit oder den reformatorischen Bildersturm, seit Anfang 20. Jh. auch übertragen auf dem Ketzertum vergleichbare Formen geistiger Gegnerschaft, mit Bezug auf profane Kunst und andere künstlerische und gesellschaftliche Bereiche (s. Belege 1913, 1991), in Wendungen wie die Ikonoklasten beriefen sich auf das erste Gebot, die Ikonoklasten sahen in der liturgischen Verwendung von Bildwerken abergläubischen Götzendienst, als echter Ikonoklast lehnt er Traditionen ab und Zss. wie Gitarren-, Pop-, Volksmusik-Ikonoklast, mit der seit Ende 16. Jh. nachgewiesenen adj. Ableitung ikonoklastisch, zunächst und überwiegend gleichbed. mit ikonomachisch (s. o.), daneben auch übertragen ¤ketzerisch eine anerkannte Persönlichkeit, ein anerkanntes (Kultur-)Gut kritisierend, angreifend, beschädigendÅ (s. Beleg 1867), mit den seit frühem 19. Jh. bezeugten gleichbed. subst. Ableitungen Ikonoklastie F. (-; -n), (selten) Ikonoklastik F. (-; -en) sowie Ikonoklasie

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F. (-; -n), weitgehend gleichbed. mit Ikonomachie (s. o.); daneben seit früherem 19. Jh. Ikonoklasmus M. (-; Ikonoklasmen), weitgehend gleichbed. mit Ikonoklastie, selten auch ¤einzelner Ausbruch, Manifestation bilderstürmerischen Tuns, bilderstürmerische Aktion; bilderstürmerische Epoche, PhaseÅ (s. Belege 1995, 2002). Seit Anfang 18. Jh. aus Ikono- und -latrie (zurückgehend auf griech. latrei*a ¤Dienst, Lohndienst; Stand des Lohndieners, Arbeiters, SöldnersÅ, zu latreu*ein ¤um Sold, Lohn dienen; Gott dienenÅ) gebildetes Ikonolatrie F. (-; -n), in der Bed. ¤Verehrung von bildlichen Darstellungen göttlicher Wesen und Kräfte sowie ihnen zugehöriger geschöpflicher Wesen (z. B. auf Wallfahrten) durch Niederwerfen, Niederknien, Küssen, Anzünden von Kerzen oder Weihrauch, durch Ausstattung der Figuren mit kostbaren Gewändern und Schmuck, Bilderanbetung; GötzendienstÅ (vgl. Idolatrie, → Idol 1a), auch als Vorstufe der Idolatrie (s. Beleg 1819), mit bereits seit spätem 16. Jh. vereinzelt belegtem ikonolatrisch Adj. und Adv. ¤bildliche Darstellungen höherer Wesen und Kräfte verehrend; die Bilderverehrung gestattend, fördernd, betreibend; der Partei der Ikonodulen (s. u.) im Byzantinischen Bilderstreit angehörendÅ, auch bildlich übertragen auf andere gesellschaftliche Bereiche (s. Beleg 1971), sowie mit der seit spätem 18. Jh. belegten Personenbezeichnung Ikonolater M. (-s; Ikonolatren), anfangs auch Ikonolatra und moviert Ikonolatrin, ¤Verehrer von bildlichen Darstellungen höherer Wesen und KräfteÅ; vgl. daneben im späten 19. Jh. vereinzelt belegtes Ikonolatrismus M. (-; Ikonolatrismen). Seit Anfang 19. Jh. die (aus Ikono- und -dule, zurückgehend auf griech. dou` lov ¤Knecht, (Haus-)Sklave, UntertanÅ, zu douleu*ein ¤Knecht sein, als Knecht dienenÅ gebildete) Personenbezeichnung Ikonodule M. (-n; -n), auch in der Form Ikonodul und moviert Ikonodulin, zunächst weitgehend gleichbed. mit Ikonolater (s. o.), in jüngster Zeit auch bezogen auf Streitigkeiten um die zeitgenössische Malerei (s. Beleg 1998), in Wendungen wie Ikonoklasten und Ikonodulen, die Ikonodulen argumentierten, aufgrund seiner Menschwerdung sei Gott bildlich darstellbar, der Sieg der Ikonodulen, mit den seit frühem 19. Jh. bzw. Ende 19. Jh. nachgewiesenen subst. Ableitungen Ikonodulie F. (-; -n) und Ikonodulismus M. (-; Ikonodulismen), in der Bed. ¤Verehrung von bildlichen Darstellungen göttlicher Wesen und Kräfte sowie ihnen zugehöriger geschöpflicher Wesen, Bilderanbetung; GötzendienstÅ (gleichbed. mit Ikonolatrie, s. o., und Idolatrie, → Idol 1a) und den seit Mitte 19. Jh. bzw. seit spätem 19. Jh. nachgewiesenen adj. Ableitungen ikonodulisch und ikonodul, ¤bildliche Darstellungen höherer Wesen und Kräfte verehrend; die Bilderverehrung gestattend, fördernd, betreibend; den Ikonodulen angehörendÅ (weitgehend gleichbed. mit ikonolatrisch, s. o.). Seit früherem 19. Jh. auf gleichbed. mittelgriech. eikonosta*siv (zu griech. sta*siv ¤Stillstand, Stauung, StockungÅ) zurückgehendes Ikonostase F. (-; -n), bereits seit spätem 18. Jh. vereinzelt in der Form Ikonostas M., F., N. (-; -e) und seit früherem 19. Jh. auch Ikonostasis F. (-; Ikonostasen), als fachsprachl. Bezeichnung für eine vermutlich im 14. Jh. in Russland entstandene Abschrankung des Altarraums vom Gemeinderaum in orthodoxen Kirchen in Form einer mit Ikonen (und z. T. auch Schnitzwerk) geschmückten, meist dreitürigen, hölzernen oder steinernen Wand (vgl. Lettner), im 20. Jh. vereinzelt auch bezogen auf andere (profane), in ähnlicher Weise künstlerisch gestaltete und gegliederte Bilderwände (s. Beleg 1968), gelegentlich auch bildlich (s. Beleg 1985), in Wendungen wie die Ikonen an den Ikonostasen orthodoxer Kirchen, geschnitzte, reich geschmückte, vergoldete, geschändete Ikonostasen,

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die Ikonostase wurde in nachbyzantinischer Zeit in Griechenland übernommen und Zss. wie Ikonostasenwand; Groß-, Holz-, Porträt-, Reiseikonostase, mit der seit frühem 20. Jh. belegten adj. Ableitung ikonostatisch in der Bed. ¤an einer, mit Hilfe einer Ikonostase; in der Art einer Ikonostase (angeordnet)Å und übertragen ¤hierarchisch angeordnet (wie die Ikonen von Jesus, Maria, Engeln und Heiligen an einer Ikonostase)Å (s. Beleg 1965), z. B. eine ikonostatische Darstellung, ein ikonostatischer Altar, der Aufmarsch der Politbüro-Mitglieder in ikonostatischer Reihenfolge. Vgl. daneben seit früherem 19. Jh. die aus gleichbed. russ. Ikonobo´rec entlehnte, selten bezeugte Personenbezeichnung Ikonoborze M. (-n; -n, seltener Ikonoborzy) für den Anhänger einer Mitte 18. Jh. im Altaigebirge entstandenen russisch-orthodoxen Gruppe als ketzerisch angesehener Bilderstürmer, die die Verehrung der Heiligen ablehnten (vgl. Molokaner, Duchoborzen); seit Ende 19. Jh. selten belegtes Ikonosophie F. (- ; -n), Bezeichnung einer auf Johannes Damascenus und Theodor Studita zurückgehenden bilderfreundlichen Lehre, die im neuplatonischen Sinne im Bild einen Mittler sieht, der dem Menschen die mystische Schau des Göttlichen ermöglicht, mit der Personenbezeichnung Ikonosoph M. (-en; -en), Ikonosophin F. (-; -nen) und ikonosophisch Adj.; außerdem jüngere Kombinationen wie Ikonomanie F. (-; -n), ¤(übermäßige, übertriebene, schädliche) Sucht nach (immer neuen) Bildern, Überflutung des (modernen) Menschen mit Bildern, Bildersucht, BilderflutÅ (→ Manie) mit den adj. Ableitungen ikonoman und ikonomanisch und der Personenbezeichnung Ikonomane M. (-n; -n), Ikonomanin F. (-: -nen); Ikonometer M. (-s; -) ¤Rahmensucher an einem fotografischen ApparatÅ, mit Ikonometrie F. (-; -n) und ikonometrisch Adj.; Ikonophilie F. (-; -n) ¤BilderverehrungÅ mit der adj. Ableitung ikonophil und der Personenbezeichnung Ikonophiler M. (Ikonophilen, Ikonophilen), Ikonophile F. (-n; -n); Ikonophobie F. (-; -n) ¤Bilderfeindlichkeit; BilderangstÅ mit der adj. Ableitung ikonophob und der Personenbezeichnung Ikonophober M. (Ikonophoben, Ikonophoben), Ikonophobe F. (-n; -n); Ikonoskop N. (-s; -e) als Bezeichnung für eine von W. K. Sworykin 1923 erfundene speichernde elektronische Röhre für die Aufnahme von Fernsehbildern, mit der subst. Ableitung Ikonoskopie F. (-; -n) und der adj. Ableitung ikonoskopisch, sowie Ikonostroph M. (-en; -en) ¤brillenartiges Instrument aus Glas (für Kupferstecher), durch das man Bilder verkehrt herum sieht, BilderumkehrerÅ. ikonodul: 1884 Mitteilungen a. d. hist. Litt. XII 227 Noch rücksichtsloser ist Konstantin V. Kopronymos in dieser Frage [Bilderstreit]; er ist jedoch nicht der wüste Tyrann, zu dem ihn die ikonodule Ueberlieferung machen möchte; Turel 1947 Altamira bis Bikini 166 Auch der Kult der Kaiserbilder ist tief ikonodul; taz 1. 10. 1992 Die Theorie, daß Bilder uns heute mit einer fast absoluten Übermacht umgeben, ist eine Neuauflage der ikonodulen (bildverehrenden) Bildtheologie des neunten und zehnten Jahrhunderts, die gegen den byzantinischen Bildersturm formuliert worden ist; Gelhard 2008 Gesicht 46 LevinaÅs Kritik des abendländisch geprägten Denkens erweist sich . ., indem er sich indirekt hier auf Parmenides und dessen Favorisierung des Raumes bezieht, als ganz konkreten [!] Angriff gegen das geometrische Denken, das

insofern ikonodul zu nennen ist, als es Bilder (und das heisst zugleich auch Identitäten) immer nur als Schnittpunkte der Koordinaten Raum und Zeit zu denken vermag. Ikonodule(r): Bougine´ 1800 Litterargesch. VI 1,81 Theophanes, . . von seinen Anhängern Confessor [genannt], weil er den Bilderdienst eifrig vertheidigte . . Als einen Ikonodulen verwies ihn der K. Leo Armenus A. 815 nach Samothracien ins Exil; Pauly 1866 Real-Enc. d. class. Alterthumswiss. I 2,2583 bald entstanden zwei Parteien, die Bilderstürmer (Ikonoklasten) . . und die Bilderfreunde (Ikonodulen); Henne am Rhyn 1900 Handb. d. Kulturgesch. 327 Wilder Kampf brach aus zwischen den Ikonoklasten (Bilderstürmern) und Ikonodulen (Bilderverehrern), zu denen überall beson-

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ders die Frauen und Mönche zählten; 1957 Religion in Gesch. u. Gegenw. I 1274 Während Leo III. sich darauf beschränkt zu haben scheint, den Ikonodulen vorzuwerfen, der B[ilder]kult sei Götzendienst, argumentiert sein Sohn Konstantin christologisch: ein echtes Bild müsse wesensgleich mit dem Prototyp sein (DiBi 12); Süddtsch. Ztg. 22. 6. 2002 Dabei wird die Kunst-Medien-Geschichte zu einer Geschichte der Wahrnehmung und Wertung des Gesehenen. Im Bilderstreit zwischen Ikonoklasten und Ikonodulen, Ablehnern und Befürwortern des Bildes, schwingt schon mit, was Bock bei den neuen Medien wie Fotografie und Film wiederentdeckt: ein magischer Gehalt des Mediums; Behrmann 2015 Tyrann u. Märtyrer o. S. Leo V. Armenius (813⫺820) . . war durch einen Putsch auf seinen Thron gelangt und wurde innenpolitisch als ein brutaler und tyrannischer Ikonoklast bekannt, der nicht nur Bildwerke zerstören, sondern auch Massaker an den Ikonodulen verüben ließ. Ikonodulie: Petri 1823 Gedr. Handb. d. Fremdwörter 283 Ikonodulie, die Bilderverehrung, der Bilderdienst; Zöckler 1863 Askese 322 Und da sofort jetzt auch eine eigentliche Anbetung der Bilder durch Küßen, Verbeugen, Sichniederwerfen, Weihrauch- und Lichteranzünden u. s. w. einzureißen begann, so bahnte sich . . der große Bilderstreit an, welcher im 8. und 9. Jahrhundert die gesammte Kirche aufs Gewaltigste bewegte, aber letztlich mit einem völligen Siege der Ikonodulie in Theorie und Praxis endigte; Beck 1980 Gesch. d. orthod. Kirche 75 Es zeigt sich, daß jetzt nicht mehr die Ikonodulie allein Ursache für das kaiserliche Eingreifen ist, vielmehr das Mönchtum als solches den Grund abgeben kann; Le Goff 2012 Geburt Europas (Übers.) 44 Nach dem 2. Konzil von Nikaia (787) legte Karl der Große in den ¤Libri CaroliniÅ die Haltung des westlichen lateinischen Christentums in der Bilderfrage fest ⫺ eine Position der goldenen Mitte. Der Ikonoklasmus, das heißt die Zerstörung und Ausmerzung der Bilder, wurde ebenso verurteilt wie die Ikonodulie, der Götzendienst an Bildern. ikonodulisch: Flathe 1835 Vorläufer d. Reformation I 162 Theodora aber war dem Bilderdienste freund. Eine unregelmäßig berufene und unregelmäßig gehaltene Versammlung iconodulischer Kleriker, die man eine Synode nannte, . . gründete das Fest der Orthodoxie; 1859 Zschr. f. luther. Theologie XX 518 Stier scheint sich sein Verhältniss zu den Griechischkatholischen niemals klar gemacht zu haben. Er steht mit ihnen wesentlich . . auf dem nämlichen Boden: beide . . denken halb ikonoklastisch (denn beide verbieten, gewisse Bilder zu machen), halb ikonodulisch (beide verbieten nicht, ge-

wisse Bilder zu verehren); 1901 Jahresber. d. Geschichtswiss. XXII 4,45 Drei lesbische Heilige ⫺ Bekenner der ikonodulischen Orthodoxie unter Kaiser Michael II. Balbus ⫺ bilden den Gegenstand der Schilderungen eines Passionsberichts, welchen die Anal. Boll. aus einer medicäischen Hs. edierten; Andresen et al. 2011 Christl. Lehrentwicklungen 318 Während die herrschende ikonoklastische Partei keinen neuen Gedanken zur Frage des Rechtes der Bilder in der Kirche beisteuerte, . . haben auf ikonodulischer Seite der 815 n. Chr. abgesetzte Patriarch Nikephoros und der ebenfalls heftigen Verfolgungen ausgesetzte Abt des StudiosKlosters . . die Argumentation für die Bilder über das in der ersten Phase des Bilderstreites Erreichte hinausgeführt. Ikonodulismus: Fiorentino/Frey 1892 Il codice magliabechiano xiv Das gesteigerte religiöse Empfinden der Menschheit, der vom Osten nach dem Occidente übertragene Zug mönchischer Askese und Weltflucht, Regungen, die sich u. a. besonders in der Verehrung äusserer Zeichen und Bilder, bestimmter Oerter und Personen kundthaten, im Ikonodulismus, in der Heiligen- und Reliquienverehrung; Marsal/Speck 2008 Gut/Böse 132 Aktuell zeigt sich die jüngst wieder aufkeimende Frage nach der angemessenen Repräsentation Mohameds im „Karikaturenstreit“, dem Bildverbot und dem Umgang der Kulturen hiermit, als im Spannungsverhältnis von Ikonoklasmus (Bilderverbot) und Ikonodulismus (Bilderliebe) angesiedelt. Ikonograph: Moehsen 1771 Verz. e. Samlung II 164 Die Iconographen, und die verschiedene Ausgaben, deren ich hier erwähne, besitze ich alle selbst, oder habe sie zu meinem Gebrauch lange in Händen gehabt, man wird sich daher auf meine Nachrichten verlassen können; Spix 1811 Zoologie 454 Ihnen bleibt aber doch der Ruhm, wenn gleich nicht so vortreffliche Monographen, doch die vollständigsten Iconographen, jener der alten, dieser . . der zweiten Periode der Conchyliologie zu seyn; 1842 Literaturberichte z. Flora I 122 Höchst zweckmässig ist übrigens noch überall eine, wenn nicht mehrere, Abbildungen citirt worden, und Dank dem Fleisse unserer Iconographen, dass diess bei jeder Pflanze geschehen konnte; Wessely 1874 Iconographie ix Für den Iconographen ist der Teufel auf bildlichen Darstellungen auch nur ein Symbol ⫺ des Bösen kat’e